Zur Beurteilung der modernen positiven Theologie 9783111553863, 9783111184234


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German Pages 121 [132] Year 1907

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
I. Die Prinzipien der modernen positiven Theologie
II. Die Christologie der modernen positiven Theologie
III. Wie die moderne positive Theologie ihre christologischen Aussagen gewinnt
IV. Seebergs „Grundwahrheiten der christlichen Religion“ und die theologisch-kirchliche Lage
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Zur Beurteilung der modernen positiven Theologie
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Zur Beurteilung der

modernen positiven Cbeologie

von

Lic. Dr. Martin Scbian Pastor und privatdozent (n Breslau

Giessen 1907 Verlag von Hlfred Cöpelmann (vormals J. Richer)

Verlag von Alfred Töpelmann (vormals J. Ricker) in Gießen

Di, Studien zur praktischen Theologie, hrsgg. von

CLEMEN (Bonn),

EGER (Friedberg

SCBIAN

wollen in zwangloser Folge wissenschaftlich bedeutende Arbeiten aus den verschiedensten Gebieten derselben darbieten, die unser Verständnis der betr. Fragen wirklich zu fördern imstande und doch zugleich für einen weiteren Kreis von unmittelbarem (nicht lediglich historischem) Interesse sind. Die einzelnen Hefte sollen in der Regel nur eine Abhandlung ent­ halten und werden einzeln abgegeben; außerdem sind sie auch im Jahres­ abonnement zu einem erniedrigten Preise von 30 Pf. für den Bogen erhält­ lich. Da im Jahre etwa 25 Bogen erscheinen sollen, wird die jährliche Ausgabe dafür 7,50 M. nie übersteigen. Seit Frühjahr 1907 gelangten folgende Hefte zur Ausgabe: Prof. Lic. Dr. Clemen, Bonn: Zur Reform der praktischen Theologie. (I. Bd. 1. H.) IV, 80 8. M. 1.80; i. Abonn. M. 1.50 Prof. D. Eger, Friedberg i. H.: Die Vorbildung zum Pfarramt der Volkskirche. (I. Bd. 2. H.) IV, 72 S. M. 1.70; i. Abonn. M. 1.40 P. Haupt, North-Tonawanda, N.Y.: Die Eigenart der amerikani­ schen Predigt. (I. Bd. 3. H.) II, 46 8. M. 1.20; i. Abonn. M. 1.— Pastor Lic. Dr. Schian, Breslau: Die evangelische Kirchgemeinde. (I. Bd. 4. H.i IV, 114 8. M. 2.70; i. Abonn. M. 2.25 Weiterhin sind die nachgenannten Arbeiten angemeldet und zunächst zur Veröffentlichung in Aussicht genommen: II. Bd. 1. H.: P. Liebster, Leipzig: Kirche und Sozialdemokratie. Pf. Bähr, Amsterdam: Das kirchliche Leben Hollands. Pf. Burggalier, Tillendorf: Der Katechumenat nach der Kon­ firmation. Lic. Dr. Dibelius, Guben: Das kirchliche Leben Schottlands. Pf. Fritze. Nordhausen: Die Evangelisationsarbeit der bel­ gischen Missionskirche. Pf. Dr. Grilli, Pisa: Das evang.-kirchliehe Leben in Italien. Pf. Lachenmann, Schrozberg: Das evang.-kirchl. Leben Frank­ reichs. P. Dr. von Rohden, Düsseldorf: Gefangenenseelsorge und Ent­ lass enenpflege. Diak. Schmidt. Herrnhut: Das kirchl. Leben i. d. Brüdergemeinde. P. Weich eit, Zwickau: Der Konfirm an den unter richt. Prof. D. Dr. Zimmer, Zehlendorf: Die weibliche Diakonie. Außerdem haben sich zur Mitarbeit bereit erklärt: Lektor Ahlberg, Skara(Schweden). P. Prof. D. Mehlhorn, Leipzig. Sen. Prof. D. Born em an n, Frkft./M. Prof. Meinhof, Gr.-Lichterfelde. Sup. Bürkner, Auma. Oberl. Lic. Michael, Dresden. P. Burggraf, Bremen. Rev. von Petzold, Leicester. Pf. Lic. Dick, Barmen. Pf. Richter, Schwanebeck. P. Geffken, Flammersfeld. Geh.Kirch.-R.Prof.D.R ietschel,L. Dekan Lic. Günther, Langenburg. P. Schmidt, Schenefeld b. Kiel. Pf. Heine, Wörbzig. P. Schöttler, Düsseldorf. Oberl. Dr. Hennig, Zwickau. Oberl. Schuster, Frankfurt a. M. P. prim. Dr. Katzer, Löbau i. 8. P. D. Sülze, Dresden. P. D. Kirmß, Berlin. Kons.-R. D. Teutsch, HermannP. Kramer, Manchester. P. Wardenberg, London. [stadt. Prof. Marx, Frankfurt a. M. P. Wolff, Aachen.

Zur Beurteilung der

modernen positiven Cbeologie

von

Lic. Dr. JMartin Scbian Pastor und privatdozent fn Breslau

Giessen 1907 Verlag von Alfred Cöpelmann (vormals 3. Richer)

Vorwort Die moderne positive Theologie beschäftigt mich, seit Seebergs Grundwahrheiten vorliegen. In der „Studierstube" 1905 unterzog ich diese letzteren einer ausführlichen Besprechung. (Februarheft S. 68—94.) Dann folgte ich im Frühjahr 1907 gern einer Auf­ forderung von D. Rade, die Gesamterscheinung dieser Theologie mit besonderer Berücksichtigung des neu erschienenen Buches von Beth in der „Christlichen Welt" kurz zu würdigen. (Nr. 28, 29, 32.) Aus dieser Arbeit erwuchs der Vorsatz, die Christologie der neuen Gruppe besonders zu behandeln; ein Vorsatz, der mir am besten ausgeführt zu werden schien, wenn ich einmal die christologischen Aussagen selbst, andererseits die Methode ihrer Gewinnung erörterte. Diese Aufsätze lasse ich nun, mit jenen beiden anderen in einem Heft ver­ einigt, ausgehen, wozu der Herr Verleger freundlichst die Hand bot. Alle vier zusammen bilden natürlich noch lange kein geschlossenes Ganzes und erst recht keine erschöpfende Beurteilung der modernen positiven Theologie, sondern nur einen bescheidenen Beitrag zu der­ selben. Der Aufsatz aus der Christlichen Welt ist fast unverändert ab­ gedruckt; nur die literarischen Nachweise sind neu beigefügt. In dem der Studierstube entnommenen Aufsatz habe ich dasjenige weggelassen oder stark gekürzt, was notwendig in die christologischen Erörterungen hatte ausgenommen werden müssen. Die literarischen Belege sind auch in diesem Stück den neuesten Auflagen der betreffenden Schriften entsprechend gestaltet worden. Den Herausgebern der Christlichen Welt wie der Studierstube, Herrn Prof. D. Rade und Herrn Pfarrer Lic. Dr. Boehmer, sage ich für die freundliche Erlaubnis zum Abdruck der in ihren Zeit­ schriften erschienenen Beiträge herzlichen Dank.

Breslau, im September 1907.

M* Seht an.

Inhaltsverzeichnis Leite

I. Die Prinzipien der modernen positiven Theologie................................ «Aus: Christi. Welt 1907.)

1

II. Die Christologie der modernen positiven Theologie ........

32

III. Wie gewinnt die moderne positive Theologie ihre christologischen Aus­ sagen? ..........................................................................

69

IV. Reinhold Seebergs Grundwahrheiten und die theologisch-kirchliche Lage (Aus: Studierstube 1905.)

90

Die Prinzipien der modernen positiven Cbeologie. Die letzten Jahre haben eine theologische Sensation gebracht: das Auftreten einer Theologie, die beides zugleich sein will, modern und positiv, oder die — nach anderer Formulierung — bei Fest­ haltung des alten Glaubens doch als Theologie entschieden modern sein will. Reinhold Seeberg^ und Theodor Kaftan-) haben die neue Parole ausgegeben, Seeberg in jener, Kaftan in dieser Fassung. Andere haben sie weiter ausgeführt; außer Richard Grütz machet) neuestens besonders Karl Beth in einem umfangreichen Buch „Die Moderne und die Prinzipien der Theologie". ^) Und zugleich hat die Diskussion über das neue Programm in Zeitschriften, Broschüren und Konferenzvorträgen nachdrücklich eingesetzt.'^) *) R. Seeberg, Die Kirche Deutschlands im 19. Jahrhundert. Eine Ein­ führung in die religiösen, theologischen und kirchlichen Fragen der Gegenwart. 4. Ausl. von „An der Schwelle des 20. Jahrhunderts". 1903. S. 303 ff. (zitiert als S., Kirche); und: Grundwahrheiten der christlichen Religion. 4. Aufl. 1906 (zitiert als S., Grundw.). 2) Th. Kaftan, Vier Kapitel von der Landeskirche. 1903. S. 7 ff., 35 ff.; Moderne Theologie des alten Glaubens. Zeit- und ewigkeitsgemäße Betrachtungen. 2. Aufl. 1906 (zitiert als Th. K., Mod. Theol.). 3) R. H. Grützmacher, Studien zur systematischen Theologie. Heft 2, S. 51 ff.: Die Forderung einer modernen positiven Theologie. 1905 (zitiert als: Gr., Stu­ dien); und Modern und positiv in der Theologie der Gegenwart. 1904 (abgedruckt auch in: Modern-positive Vorträge. 1906. S. 1—24 (zitiert als: Gr., Mod. u. pof.). 4) 1907 (zitiert als: Beth, Moderne). 6) Prof. D. W. Schmidt, „Die Forderung einer modernen positiven Theologie" in kritischer Beleuchtung. 1906; Derselbe, „Moderne Theologie des alten Glaubens" in kritischer Beleuchtung. 1906; Dunkmann, Moderne Theologie alten Glaubens; 1906; W. Herrmann, Moderne Theologie des alten Glaubens. Ztschr. s. Theol. u. Kirche. 1906. S. 175ff.; E. Haupt, Moderne Theologie des alten Glaubens. Deutschevang. Blätter. 1906. S. 1 ff., 73 ff.; W. Bousset, Moderne positive Theologie. Theol. Rundschau. 1906. S. 287 ff., 327 ff. (betr. Th. Kaftan), S. 371 ff., 413 ff. (betr. R. Seeberg). Kleinere Äußerungen zur Sache werden gelegentlich erwähnt werden.

Schi an, Beurteilung der mod. positiven Theologie.

1

2

I. Die Prinzipien der modernen positiven Theologie.

Es handelt sich bei dieser Diskussion keineswegs bloß um eine innertheologische, rein wissenschaftliche Methodenfrage. Gerade die Frage der Modernität der Theologie interessiert nicht nur im engen Kreise der Fachgenossen; es geht ja dabei um die Verbindung von Theologie und Leben, gegenwärtigem, uns alle in Anspruch nehmen­ dem Leben. Und noch ein andres will beachtet sein. Kaum je noch

hat eine wissenschaftliche Methode bei ihrer Einführung zugleich so bestimmte kirchliche Ansprüche geltend gemacht. Auch das zwingt weitere Kreise zum Ausmerken. Beschäftigen wir uns also etwas genauer mit der neuen Losung!

1.

Von einer modernen Theologie spricht man schon lange. Wer hat den Namen zuerst aufgebracht V Das weiß zurzeit kein Mensch. Was hat er bezeichnet? Auch dies ist nicht leicht zu jagen. Sein Inhalt war reichlich unbestimmt; prinzipiell, mit wissenschaftlicher Genauigkeit Hut man den Namen uie gebraucht, nie untersucht. Gemeint war mit der moderneu Theologie eine ganze Reihe von Jahren hindurch eine zwar nicht eng geschlossene, aber innerlich zusammengehörige Gruppe. Es war diejenige, welche sich und welche man 0011 Albrecht Ritschl beeinflußt wußte. Sie unterschied sich in charakteristischer Weise von den bis auf Ritschl herrschenden theologischen Strömungen: von der erneuerten Orthodoxie, die, wenn auch mit manchen Abstrichen, doch im wesentlichen bei den Frage­ stellungen und Antworten der alten lutherischen Theologie verblieb, — von der Vermittlungstheologie, die ein schönes Ziel, die Ver­ söhnung von Glauben und neuzeitlicher Bildung, in sehr unzu­ reichender Weise, mehr in Form von Einzelkompromissen, ohne grundsätzliche Schärfe und ohne geschichtliche Klarheit zu erreichen suchte, — und endlich von der vielfach sogenannten altliberalen Theologie, die mit starkem philosophischem Einschlag und in speku­ lativer Kühnheit die Heilsgeschichte gegenüber dem christlichen Prin­ zip zurücktreten ließ. Die „moderne" Theologie war vor allem geschichtlich orientiert; die Offenbarung Gottes in Christus bildete ihr so stark den Mittelpunkt ihres Denkens, daß man ihre Methode sehr wohl als christozentrisch ansprechen konnte?) Sie war zugleich v) Erinnert sei hierfür an die kleine Lchrist von Z-. Kattenbusch: Von Tchleiermacher zu Ritschl. 3. Aufl. 1903.

I. Die Prinzipien der modernen positiven Theologie.

3

ganz energisch religiös interessiert; alles Theologisieren ohne religiöse Bedeutung lehnte sie ab. Sie ging in dieser absolut religiösen Be­ stimmtheit sehr weit; hatte sie dem Glauben sein Recht und sein Gebiet gesichert, so ließ sie das Welterkennen im übrigen seine Wege ziehen; die Verbindungslinien vom Glauben nach dem Welterkennen hin, nach der Seite der Naturwissenschaft wie nach der Philosophie hin, zu ziehen lag ihr nicht mehr an, wenn sie die Grenzlinien gezogen hatte. Das war lange in der theologisch-kirchlichen Diskussion (in der wissenschaftlichen Diskussion kam das Wort kaum vor) der In­ halt des Begriffs der modernen Theologie. Doch ist das Wort niemals klar aus diesen Inhalt beschränkt gewesen. Gleichzeitig errang ja in der Theologie eine Strömung gewaltige Bedeutung, deren Hauptinteresse die gründliche geschichtlich-kritische Erforschung des Alten wie des Neuen Testaments war. Obwohl diese kritische Arbeit mit jener dogmatischen Stellung keineswegs notwendig zu­ sammenhing, so wurden nun doch von ihren Gegnern die Männer, welche jene Arbeit pflegten, einfach mit zur modernen Theologie gerechnet. Richtig war ja, daß auch jene dogmatische Methode ein starkes historisches Interesse einschloß. Aber zugleich war die merk­ würdige Folge, daß auch Männer der geschichtlichen Arbeit, die mit ihrer dogmatischen Stellung gar nicht an die Öffentlichkeit kamen,

so in engste Verbindung mit einer Gruppe systematischer Theologen gebracht wurden, deren dogmatische Ansichten sie oft gar nicht teilten. Die theologischen Gruppierungen wandeln sich. In den letzten Jahren bildete sich neben diesen Gruppen eine weitere, die religions­ geschichtliche. Sie teilte manche Meinungen der bisherigen modernen Theologie, aber sie trat ihr in andrem scharf entgegen. Sie bildet auf alle Fälle etwas für sich. Die Religionsgcschichtler wollen nicht für die Aufstellungen der älteren Ritschlschen Schule verantwortlich sein; und das gleiche gilt umgekehrt. Aber die Gegner kümmerten sich um diese Tatsache wenig. Sie bezogen die neue Gruppe ganz einfach mit in den an sich schon so sehr unbestimmten Begriff der modernen Theologie ein. Sie gewannen damit für die gröbere Polemik eine sehr vorteilhafte Position. Sie bekämpften (wenigstens in Zeitungen und Kirchenzeitungen) „die" moderne Theologie, als sei sie eine klare Größe, — und sie nahmen die Farben zur mög­ lichst abschreckenden Zeichnung dieser Größe meist lediglich von den 1*

4

I. Die Prinzipien der modernen positiven Theologie.

Ansichten der Religionsgeschichtler her, als ob die anderen diese Ansichten teilten. Die also Bezeichneten haben, wie erwähnt, den Begriff ihrer­ seits niemals in die wissenschaftliche Diskussion eingeführt?) Prak­ tisch haben manche von ihnen, wenn auch nicht, ohne gelegentlich ihre Abneigung dagegen zu erkennen zu geben, ihn schließlich auf sich angewandt. Es war ja auch ohne lange Erörterungen ganz klar, daß er etwas Richtiges enthielt. Die Theologie muß Fühlung halten mit den Bedürfnissen, den Anschauungen, der Denkweise der Zeit. Das unterschrieben sie alle; darum konnten sie sich wohl „modern" nennen lassen und nennen. Ich glaube aber, daß die­ jenigen zu zählen sind, die den Ausdruck mit Freude von sich ge­ braucht haben. Das wurde ja einem jeden verleidet durch die Art, wie die gegnerische kirchliche Presse das Wort als ein Schimpf­ wort zu benutzen pflegte. In ihren Spalten klang es beständig so, als wolle die so bezeichnete Theologie die rasch vorübergehenden Zeitströmungen zu maßgebenden Prinzipien der Theologie machen. Modern wurde dabei meist mit Mode in Berbindung gebracht. Darum, daß die in Frage stehende Thevlogengruppe solche Verbin­ dung hundertmal entrüstet ablehnte, kümmerte man sich nicht. Man hatte ja darin ein gutes Mittel, diese Theologenkreise zu diskre­ ditieren. Nun gar in den letzten Jahren, in denen der Ausdruck immer mehr recht verschiedene Stimmungen bezeichnen mußte, in denen er darum zu einem gänzlich mißverständlichen, nur für skrupellose Polemik noch recht brauchbaren Schlagwort wurde, sind wohl fast alle, die sich seiner zur ungefähren Kennzeichnung ihrer Theologie früher bedienten, seiner nahezu überdrüssig geworden. Hätte man es vermocht, man hätte gern an seine Stelle einen anderen gesetzt.

9 Und nun meldet sich eine theologische Gruppe, die sich nach­ drücklich für positiv erklärt und die zugleich das Prädikat modern für sich in Anspruch nimmt. Das muß Aufsehen erregen. Was bisher in den strengkirchlichen Kreisen ein Schimpfname für die

2) Beth, Moderne S. 104, sagt von der nicht-positiven mod. Theologie: sie bezeichne sich schon seit längerer Zeit mit Selbstbewußtsein als die moderne. Nach­ weise dafür bringt er nicht. Die Behauptung ist auch tatsächlich unbeweisbar.

I. Die Prinzipien der modernen positiven Theologie.

0

freiere Theologie war, wird nun als Ehrenname für eine andere beansprucht. Wir begrüßen in dieser Tatsache zunächst eine Ehrenerklärung für die bisher so genannte moderne Theologie. Ist es etwas Gutes, wenn die Theologie mit der Zeit Fühlung halten will, so ist eben dieses Bestreben, zum mindesten als prinzipielles Bestreben, doch auch der bisherigen modernen Theologie zur Ehre zu rechnen. Die schweren Beschuldigungen, als hieße „moderner Theologe sein" so­ viel wie der Mode in der Theologie folgen, müßten nun füglich dankbarer Anerkennung für die Geltendmachung eines richtigen Grundsatzes weichen. Ich habe von solcher leider in den Schriften der neuen Gruppe nicht recht etwas finden können. Nun ist freilich richtig, daß die bisherige moderne Theologie diese Forderung zwar als selbstverständlich stets vertreten hat, daß sie dieselbe aber kaum irgendwo eingehend formuliert und theoretisch umgrenzt hat. Sie hat sich mit dem Bewußtsein begnügt, tat­ sächlich jene Fühlung mit der Zeit zu halten. «Nötig hatte sie für sich selbst eine Darlegung hierüber kaum; die Forderung war ihr selbstverständlich. Anders die jetzige moderne positive Theologie mit ihren verschiedenen Arten. Sie muß für die Kreise, aus denen sie erwächst, für die Menschen, an die sie sich wendet, ja sie muß für sich selber und vor sich selber eine bis dahin ebendort stets heftig bekämpfte Programmformulierung erst einmal rechtfertigen. Aber ich lasse es gern als ihr Verdienst gelten, daß sie gerade diese Frage energisch angefaßt und nach mehreren Seiten hin erörtert hat. Auf die Frage nach dem richtigen Verhältnis von Theologie und Moderne haben die einzelnen Vertreter der neuen Gruppe uun freilich recht verschiedene Antworten gegeben. Daß richtige moderne Theologie eine solche ist, die aus der Vermählung des ungebrochenen Christusglaubens mit dem Geistesleben unserer Zeit entsteht, — darüber sind sie sich einig.1) Darin ist mit ihnen aber auch zum mindesten die ältere Strömung der bisher sogenannten moderner! Theologie einig. Im übrigen gehen sie auseinander. Recht äußerlich hat Grützmacher die Frage behandelt. Er erklärt: „Wir nehmen vom Modernen nur soviel, wie mit dem alten Evan­ gelium vereinbar ist, alles andere in ihm lehnen wir mit bewußter *) Th. Kaftan, Vier Kapitel von der Landeskirche. 1903. S. 2ff., 39ff.; Mod. Theol. S. 74ff.; Beth, Moderne S. 112ff.; Grützmacher, Studien S. 58.

I. Die Prinzipien der modernen positiven Theologie.

6

und begründeter Kritik ab."

Positiv will er also eine „Assimilation

der in der Moderne dem Evangelium entgegenkommenden Mo­

mente."^

Er faßt die Moderne wesentlich auf als eine Sammlung

einzelner „Momente" und „Elemente".

Selbstverständlich gelangt

er dabei zur Ablehnung der meisten dieser Momente.

So kommt

es, daß Beth ihm ziemlich energisch erklärt, eine in dieser Weise um die einzelnen Partikeln moderner Welt- und Lebensanschauung

mit der Moderne marktende Theologie sei

um dieses ihres Ver­

haltens willen nicht geradezu und in besonderem Maße eine mo­ derne zu nennen?) Das ist bitter für Grützmacher, der seinerseits im stolzen Bewußtsein seiner eigenen Modernität bereits der bis­

herigen modernen Theologie den Charakter des Modernen leichthin abgesprochen hatte?) Nicht um einzelne Ideen oder einzelne Dogmen handelt es sich nach Beth, sondern um die Methode der wissenschaftlichen Be­

trachtung. „Die moderne positive Theologie ist die Theologie, welche von ihrem Standort und Gegenstand aus und in ihrer methodischen wissenschaftlichen Arbeit in den Grundzügen der Moderne etwas

ihr Kongeniales entdeckt,

zu dem

sie sich hingetrieben fühlt."4* )* 6

Seeberg formuliert: „Modern ist, wer die Aufgaben empfindet, die die geistige Konstellation der Zeit mit sich bringt, die den geistigen

Ertrag der beiden letzten Menschenalter in sich vereinigt."'')

Und

Th. Kaftan: „Die moderne Theologie ist die durch die Eigenart des modernen Geisteslebens bestimmte Theologie." °) Die Theologie hat — nach Seeberg — den wissenschaftlichen Ausdruck und Beweis

für die christliche Offenbarungsreligion in einem besonderen Zeitalter herzustellen.

Es handelt sich nach seiner Definition darum, welches

die das Christentllm in seinem Wesen erschöpfende und der Zeit verständliche Formel der christlichen Religion ist, und wie diese

Formel als absolute Wahrheit in erwiesen werden kann?)

diesem Zeitalter wissenschaftlich

r) Mod. u. Pos. S. 19 li. 21. Vgl. Studien S. 56. *) Moderne S. 170.

8) Studien S. 66, 81.

4) Moderne S. 112, vgl. 108, 110, 179 (es kommt an „auf ein der Moderne

entnommenes festes Prinzip ihrer [b. i. der mod. Theol.) wissenschaftlichen Methode").

6) So zitiert Beth, Moderne S. 142, aus der 2. Aust, von S., Kirche S. 303. In der 4. Aufl. ist das Wort nicht mehr genau so zu finden. 6) Mod. Theol. S. 74.

7j Kirche S. 308 9.

I. Die Prinzipien der modernen positiven Theologie.

7

3.

Nur der Theologe kann die

Diese Feststellung drängt weiter.

so bezeichnete Aufgabe lösen, der unsere Zeit verstanden hat, der

„sich ein Verständnis von den geistigen und kulturellen Tendenzen und Mitteln seiner Zeit" verschafft hat?)

So versuchen denn die

modernen positiven Theologen, die Moderne zu verstehen und ihre

Grundlinien zu zeichnen.

Fast ganz läßt dabei wieder Grützmacher

im Stich; — so sehr, daß Beth ihm bescheinigt, er habe sich von den prinzipiellen Grundtrieben des modernen Geisteslebens eine klare Anschauung nicht erworben?) Was natürlich wieder recht bitter für den also Beurteilten ist, der ja seinerseits bereits der „liberalen" Theologie (er liebt diesen durchaus unzutreffenden und total un­

bestimmten Ausdruck nun einmal) in bezug auf ihr Verständnis der Moderne das Prädikat Ungenügend

erteilt und dabei recht

selbstbewußt erklärt hatte: so wie die Gegner den modernen Menschen als durch Kants und Goethes Denkart bestimmt ansehen, — das könne man nur vom Standpunkt des kleinen deutschen Professors,

der da meint, was er und die Kollegen denken, das denke auch die ganze $öeU.3)4 Grützmacher will im modernen Menschen statt Goethe-

scher und Kantischer Einflüsse vielmehr andere wirksam sehen; er erinnert an Nietzsche, Tolstoi, Ibsen,

Sozialistischer

Gorki, Wilde, R. Wagner.

Erkenntnis

Pessimismus,

sündiger

Gebundenheit,

Verzweiflung an Selbsterlösung, lebhafte Zuneigung zu allem, was

Offenbarung irgendwelcher mystischen Kräfte aus der oberen Welt verspricht — das seien die Charakteristika unserer Zeit.

Man liest

die Seilen, welche das bei Grützmacher ausführen, mit gelindem

Erstaunen.

Wie

merkwürdig,

konstruiert!

Als

ob

nicht

daß

durch

er

hier

unsere

ein

Zeit

Entweder-Oder

recht

verschiedene

Strömungen hindurchgingen, — Strömungen, die oft genug mit­

einander in Widerspruch geraten!

In einer Anmerkung gibt er

dann selber zu, daß die Gedankenwelt Goethes und Kants selbst­ verständlich auch heut noch einen weitgehenden Einfluß besitze?)

1 > S., Kirche S. 309. 21) Moderne S. 169. 3) Studien S. 76. Tort, £. 75 ff., auch die Schilderung der Moderne. Ganz anders urteilt Beth über die bisher sog. mod. Theologie und ihr Verständnis der Moderne, s. Moderne S. 165. 4 i Studien S. 76. Gegen dies alles hat durchaus richtig und klar Betb,

8

I. Die Prinzipien der modernen positiven Theologie.

Nun ja, dann wird es eben nicht falsch sein, sie auch zur Charak­ teristik dieser Zeit zu benützen!

Wir brauchen darum, was Grütz-

macher bringt, gar nicht abzuweisen: das sind Züge, die das Bild ergänzen (noch lange nicht vervollständigen).

Abweisen müssen wir

nur die jeden Kenner modernen Lebens sonderbar anmutende An­ schauung von der klaren Einheitlichkeit modernen Wesens, abweisen

auch die Zuversicht, mit welcher Grützmacher einige gelegentlich und

vereinzelt auftretende Tendenzen anderen gegenüber als das spezifische

Eigentum der Moderne bezeichnet.

Im übrigen gibt Grützmacher selber dieser seiner Zeichnung der Moderne so gut wie gar keinen Einfluß auf sein Programm der modernen positiven Theologie.

Er begnügt sich damit, das

Problem Entwicklung und Offenbarung als das Problem der mo­

dernen

positiven Theologie

zu behandeln,

und zu erklären, es

kämen dabei auch alle anderen Merkmale der Moderne zu ihrem

Recht.

Da

es

aber keine Schwierigkeit mache,

zwischen diesen

Merkmalen und der Moderne die Verbindungslinien zu ziehen, so nimmt er diese Aufgabe gar nicht in Angriff, sondern — führt mit einem Male

„den theoretischen Hauptbegriff der modernen Welt­

anschauung", den der Entwicklung, in die Erörterung ein?)

Eine

solche Kluft zwischen der prinzipiell-theoretischen Grundlegung und

eigener positiver Ausführung hat die theologische Wissenschaft wohl

selten erlebt.

Natürlich macht sie eine wirkliche Auseinandersetzung

mit diesem Programm einfach unmöglich; Grützmacher entzieht sich ja selber schlankweg

der Aufgabe, die er gestellt hat.

An dem

Buche von Beth ist gerade der Umstand erfreulich, daß es der mit anmaßender Polemik auftretenden, aber sachlich ganz unzulänglichen

Position Grützmachers eine oder auch mehrere sehr energische Ab­ sagen gibt.

Moderne S. 163 ff., Stellung genommen. Auch in der entsprechenden Ausführung

bei W. Schmidt, Mod. pos. Theol. S. 12ff., ist sehr vieles, was durchaus mit Recht gegen Grützmacher angeführt werden kann.

]) Studien S. 81 ff., bes. S. 82 Anm. 2.

Ich verkenne nicht, das; auch See­

berg in seinem Programmentwurf alsbald Entwicklung und Offenbarung als „bie" Frage der Zukunft behandelt (Kirche S. 303\

Aber bei S.'s prinzipieller Pro­

grammformulierung hat das seinen guten Sinn, bei Gr.'s andersartiger Formu­ lierung der Aufgabe, vor allem bei feinem andersartigen Verständnis der Moderne

wird es einfach sinnlos.

I. Die Prinzipien der modernen positiven Theologie.

9

4. Erheblich tiefer ins Problem

hinein führen die Darlegungen

Seeberg charakterisiert die Moderne,

von Seeberg, Kaftan und Beth.

indem er auf die letzten Gründe sieht, durch zweierlei: Entwicklungsidee und durch den „Impressionismus".

engster Verbindung

durch die

Erstere steht

dem historischen,

letzterer mit dem

psychologischen Zug des modernen Geisteslebens.

Damit sind wirk­

in

mit

lich Ideen gegeben, die für die theologische Methode wichtig sind;

eine moderne Theologie muß beides sein, geschichtlich und psycholo­ gisch?) Th. Kaftan faßt die Sache etwas anders an. Der erste Grundzug

der modernen Gesamtentwicklung sei das Vordringen

des Individuellen, des Persönlichkeilsideals, der zweite die Neu­ gestaltung des Denkens, das nun seiner Grenzen und seiner Art sich bewußt wird, der dritte der starke Wirklichkeilssinn.

Demnach

werde eine Theologie modern sein, wenn sie keiner nur äußeren Autorität sich beugt, die Bahnen des modernen (eben charakterisierten)

Denkens

geht

und

aller

Wirklichkeitserkenntnis

erschließt.')

sich

Beth erörtert die ganze Frage nach dem Wesen der Moderne weit­

aus am genauesten, sicher auch am gründlichsten.

Er versucht zu­

gleich (und, soweit ich über diese geschichtlichen Partien zu urteilen

vermag, keineswegs ohne Erfolg) der Frage auch in größerem ge­

schichtlichen Zusammenhänge nahezutreten.

Er führt die charakte­

ristischen Eigenschaften der Moderne auf einige wenige Grundtriebe

zurück, die sich kurz als Individualismus und Empirismus bezeichnen

lassen. duellen,

Individualismus

nicht

bloß

des indivi­

in der Form

sondern auch in dem Triebe zu allgemein menschlicher

Selbständigkeit

gegenüber

dem

Außermenschlichen.

Form der Autonomie des menschlichen Denkens. Zusammenhang

mit

den Eigentümlichkeiten

Also in der

Empirismus im

des Auffassens und

die aus seiner Einwirkung auf die Geisteswissenschaft sich ergeben haben, also mit Naturalismus und Positivismus.^) Denkens,

Vor allem berührt dabei angenehm, daß Beth nicht in einseitiger

Schärfe alles Moderne unter wenige Grundzüge nach der Methode

des Prokrustes einzwängen will, sondern daß er die Gesamterscheiuung zunächst ganz offen als verworren bezeichnet, *) Kirche S. 303.

um sie dann

-) Mod. Theol. S. 74ff., des. S. 77.

’i Moderne S. 23—97; des. S. 35 ff. Zwei Grundzüge S. 46.

I. Die Prinzipien der modernen positiven Theologie.

10

allmählich zu durchlichten, — und ferner, daß er die oft im Zu­

sammenhang

mit

den

genannten

Grundtrieben

stehenden,

aber

schließlich zu ihnen in nahezu gegensätzliche Haltung geratenden Erscheinungen nicht verschweigt. *)

Ich bin nicht in der Lage, das

von Beth gezeichnete Bild als in allen Teilen zutreffend anerkennen

zu

können;

aber

ich

halte

es

für

einen recht beachtenswerten

Schritt zu gründlicher Erforschung des Wesens des modernen Geistes. Während Grützmacher einige bei einigen Schichten der mo­

dernen Menschheit sich findende, auch bei ihnen oft im Zustande der Unklarheit, mindestens im Zustand einseitiger, ungeklärter Über­ treibungen auftretende Bewegungen zum Maßstab modernen Wesens

machen wollte, während er ganz darauf verzichtete, eben von dieser Moderne aus die methodischen Verbindungslinien nach der Theologie hin zu zeichnen, haben Th. Kaftan, Seeberg und Beth wirklich Grundzüge der modernen Art zu denken aufgeführt, welche auf das

theologische Arbeiten von größtem Einfluß sein müssen. Und na­ mentlich Beth hat auch den inneren Zusammenhang dieser Grund­ züge mit den Prinzipien theologischer Arbeit darzulegen ernstlich unternommen.-)

Man sieht auf den ersten Blick, daß sie in wesent­

lichen Punkten zu parallelen Erkenntnissen gelangt sind. Am klarsten liegt das Verhältnis von Th. Kaftan und Beth.

Einen Unterschied

bildet hier nur, daß Kaftan das seiner Grenzen sich bewußte Denken

unter die Charakteristika der Moderne einreiht, also eine Abneigung

gegen die Metaphysik,? während Beth diese Bestimmtheit moder­ nen Denkens ganz entschieden ablehnt.

Der aufs Ganze sondierende

Wirklichkeitssinn schließe das Verlangen nach Metaphysik ein.

Die

Abkehr vom Metaphysischen sei überlebt; unser Geschlecht sei gerade­ zu auf Metaphysik gestimmt?) In den von Seeberg behaupteten

Grundlinien ist die Verwandtschaft mit Th. Kaftan und Beth nicht ganz so leicht zu finden; vorhanden ist sie aber auch hier.

Aller­

dings steht Seebergs eigene Formulierung, weil sie, statt zunächst

die Moderne an sich zu charakterisieren, gleich zwei für die Theologie besonders wichtige, aber keine allumfassende Bedeutung besitzenden Punkte heraushebt, an Klarheit und Schärfe hinter denen der beiden

anderen zurück.

Aber daß Individualismus und Wirklichkeitssinn

r) Moderne S. 33, 51, 55. 3) Mod. Theol. S. 76, 79ff.

2) Moderne @.42 ff. 4) Moderne S. 118ff., bes. 3. 127.

11

I. Die Prinzipien der modernen positiven Theologie.

die beherrschenden Grundtriebe sind, diese Erkenntnis wird man

als die Grundlage auch seiner einschlägigen Ausführungen ansprechen

dürfen. Hinsichtlich dieser beiden Punkte wird nun jeder ernste Beob­ achter modernen Wesens mit den Genannten übereinstimmen.

Aber

wie nehmen wir Stellung, wo Th. Kaftan einerseits, Seeberg-Beth

andererseits auseinandergehen?

Was ist modern? Abwendung von

der Metaphysik oder Neigung zu ihr? Die Beobachtungen, welche namentlich Grützmacher anführt *) und die von dem Suchen nach Offenbarungen im Spiritismus und ähnlichen Erscheinungen aus­ gehen , genügen

keinesfalls

zur

Beantwortung

der

Frage.

sind recht enge Kreise, die solche Liebhabereien pflegen.

samrempfinden beweisen sie nichts. daß

Es

Fürs Ge-

Höchstens zeigen sie wieder,

man von völlig einheitlichen Grundtrieben nicht wohl reden

Aber anderseits glaube ich auch nicht, daß man mit Th.

kann.

Kaftan die Abkehr von der Metaphysik als spezifisch moderne Cha­ rakterart bezeichnen darf. Das ist viel zu viel gesagt. Die Wahr­

heit wird in der Mitte liegen.

Der moderne Mensch mag keine

uferlosen Spekulationen über göttliche Dinge; dafür hat er keinen

Sinn.

Eine Anzahl Eigenbrödler mögen anders denken, aber das

macht wenig aus.

Für abstrakte Begriffsspekulationen hat die prak­

tische Zeit gar keine Neigung.

Sie will von der Religion etwas

haben, ohne daß das Denken unnötig beschwert wird.

unbedingt Richtige an Th. Kaftans Behauptung.

Das ist das

Leute, die aller­

hand gewagte Behauptungen aufstellen, deren Wert für die Religion keinem Menschen

einleuchtet,

werden

nirgends ernstlich beachtet.

Weil man in weiteren Kreisen immer noch der Dogmatik Tendenzen

zutraut, die diesem Verfahren homogen sind, steht die Dogmatik so niedrig im Kurse.

Aber anderseits will der moderne Mensch auch

seine bestimmte Ansicht bilden; er will nichts in der Schwebe lassen;

er mag nur religiös sein, wenn er Religion und Wissenschaft ver­ einigen kann.

1

Das ist das Richtige an Beths Ansicht?)

Also an

Studien S. 79.

2i Mit dem vvn Beth, Moderne S. 123ff., Geäußerten vermag ich mich sach­ lich durchaus einverstanden zu erklären. Tie Parole, daß Wunderglaube und Naturerkenntnis nichts miteinander zu tun haben, genügt nicht entfernt, um den modernen Menschen zu befriedigen.

12

I. Die Prinzipien der modernen positiven Theologie.

eigentlicher Metaphysik liegt ihm nichts, aber an klarem, konsequen­ tem, einheitlichem Denken.

5. Indessen: die Hauptfrage ist doch nun, welchen Einfluß diese modernen Grundtriebe auf die Theologie haben sollen. Individualismus (Autonomie des Individuums) und Empirismus (Wirklichkeitssinn) müssen solchen gewinnen. Alle bloß äußere Au­ torität ist unmöglich. Alles, was sich nicht als wirklich ausweist, desgleichen. Sehr gut, daß das festgestellt wird. Warum lange darüber reden? Hier ist einfache Zustimmung zu buchen. Keine Frage: solchen Grundprinzipien bei positiven Theologen zu begegnen, tut wohl. Und es ist gegenüber einer andern Strömung der sich positiv nennenden Theologie sehr gut, daß sie von den Modern-Positiven ausgesprochen werden. Noch immer treibt ja die äußere Autorität in der Theologie ihr Wesen. Noch immer wird die Schrift als solche äußere Autorität angerufen. Vielleicht nicht einmal bloß die Schrift, sondern auch das Bekenntnis. Noch immer wird dem nach Vergenüsserung Ringenden einfach diese Autorität entgegengehalten. Noch innner will nuui dem entschlossenen, rücksichtslosen Wirklichkeitssinn in der Theologie nicht auf allen Seiten sein volles Recht geben. Zur Wirklichkeit gehört die Ge­ schichte, das Leben, auch die naturwissenschaftlichen Ergebnisse, so­ weit sie wirklich diesen Namen verdienen. Daß dem entschlossenen Wirklichkeitssinn nach diesen Seiten hin eine Bahn gebrochen wird, ist vortrefflich. Allerdings: ob schon mit der Betonung der Grundsätze allzu­ viel erreicht ist, das steht dahin. Denn tatsächlich sind dieselben so allgemein, daß sie noch zu unzähligen Differenzen Raum lassen. Sobald man tiefer gräbt, zeigen sich die Schwierigkeiten. Indivi­ dualismus! Persönliche Aneignung! Aber es fragt sich, was persön­ lich anzueignen sei, wieweit persönliche Aneignung gefordert werden kann, wie weit sie in wirklich persönlichem Sinne überhaupt mög­ lich ist. Das Maß der Aneignungsfähigkeit ist verschieden, nicht bloß, weil die einen übertrieben kritisch und die anderen normal wären, sondern vielleicht auch, weil die einen normal kritisch und die an­ deren übertrieben überlieferungsglüubig sind? Wer bestimmt hier das Maß des Normalen? — Wirklichkeitssinn! Ausgezeichnet! Aber

L Die Prinzipien der modernen positiven Theologie.

13

zwei Menschen mit demselben Wirklichkeitssinn können wohl über irgend ein Stück Wirklichkeit recht verschieden urteilen. Sollte das nicht gerade dort leicht vorkommen, wo es sich um komplizierte Wirklichkeitserkenntnis handelt? Also z. B. der Geschichte gegenüber? Ganz besonders der weit zurückliegenden Geschichte gegenüber, für deren Erkenntnis wir auf sorgfältiges Studium der Quellen ange­ wiesen sind? Und wiederum mehr noch als anderer Geschichte gegenüber hinsichtlich der Geschichte des Werdens des Christentums, bei deren Betrachtung die Saiten des innersten Lebens mitschwingen? Beth selbst zieht der Anwendung dieser modernen Grund­ prinzipien auf die Theologie Grenzen. Er will zwar die beiden Prinzipien selbst angewendet wissen, aber nicht ihre „Seitentriebe", — als da seien historischer Relativismus, philosophischer Positivis­ mus und der „zum Teil irgendwie auch" zu den Voraussetzungen der bisherigen modernen Theologie gerechnete Naturalismus?) Über die Frage, ob andere theologische Strömungen diese Seiten­ triebe Einfluß gewinnen lassen, später. Hier nur dies. Wo hört berechtigter geschichtlicher Wirklichkeitssinn auf, und wo fängt histo­ rischer Relativismus an? Wo hört berechtigter philosophischer und naturwissenschaftlicher Wirklichkeitssinn auf, und wo fangen Positi­ vismus und Naturalismus an? Beth weiß schon, welche Antwort zu geben wäre; die Grenze ist einfach dort, wo die „Positiven" aufhören und die „Nichtpositiven" anfangen. Aber prinzipiell? Es gibt keine Möglichkeit, grundsätzlich scharf zu scheiden. Und das nimmt der Festlegung jener modernen Grundprinzipien ein gut Teil von ihrem Wert. Nicht allen. Aber ein gut Teil. Wir wollen den Wert des Bekenntnisses positiver Theologen zur grundsätzlichen Modernität keineswegs unterschätzen. Ihre Theo­ logie wird auf alle Fälle dadurch gewinnen. Aber die anerkannten Prinzipien sind so allgemein, daß wir jenes Bekenntnis auch un­ möglich überschätzen dürfen. Derartige ganz allgemeine Erklärungen sind für die theologische Wissenschaft trotz allem nicht von sehr großer Bedeutung.

6. Eine besondere kurze Erwägung fordert der dritte Grundsatz, den Th. Kaftan geltend macht, während Griitzmacher mit) Beth ihn

\) Moderne S. 113 ff.

14

I. Die Prinzipien der modernen positiven Theologie.

abweisen: die Frage der Metaphysik und der Einfluß der bejahen­

den und verneinenden Stellung zur Metaphysik auf die Theo­ Die besondere Streitfrage, welche der beiden Meinungen sich

logie.

mit Fug auf Kant berufen würde, mag hier getrost ausgeschieden

werden.

An der Frage selber können wir nicht ganz vorübergehen.

An ihr vor allem haben sich in lebhafter Auseinandersetzung in der

Allgemeinen Evangelisch-LutherischenKirchenzeitung bereits Th.Kaftan und Grützmacher geschieden?) Muß sie wirklich zwei ganz ver­

schiedene Richtungen scheiden?

Ich denke nicht daran, den Abstand

zwischen Th. Kaftan und Grützmacher verringern zu wollen.

Aber

mir scheint, daß die Differenz zwischen Th. Kaftan und Beth auch

hierin gar nicht so groß ist.

Denn auch Beth lehnt den Satz Grütz-

machers, daß eine Unterscheidung von Glauben und Theologie unmöglich sei, energisch ab; er beruhe auf Verwechslung?) Wird aber Glaube und Theologie so scharf geschieden, so können auch die

erkenntnistheoretischen Fragen gar nicht grundlegend verschieden beantwortet werden.

Dann ist eben

der Glaube das Erste, die

Theologie aber ist an den Glauben gebunden. Dann ist — und das konstatiert Beth für sich und Th. Kaftan gleichmäßig^) — die

Interessiertheit, die praktische Bedingtheit der religiösen Erkenntnis gewahrt.

Dann ist jeder Spekulation, die nicht im Glauben ihr

festes Fundament hat, ein Riegel vorgeschoben.

Und dantit ist das

Hauptinteresse Th. Kaftans gesichert — ich sage zugleich: auch das

Hauptinteresse der Ritschlschen Theologie.

Es gibt fein Erkennen

Gottes außerhalb der Religion; es gibt keine Theologie, die nicht

an den Glauben gebunden wäre! Auf der anderen Seite wird doch Th. Kaftan — und die von ihm hinsichtlich der Erkenntnistheorie vertretene theologische Strömung

— von Beth falsch verstanden, wenn dieser als Konsequenz von Kaftans Erkenntnis lehre die bezeichnet, daß die Glaubenssätze „den

Anspruch auf objektive Gültigkeit und wissenschaftlich begründete Wahrheit preisgeben."4) Da sind zwei Dinge einfach zusammenr) Diese Debatte findet sich im Jahrgang 1905, Nr. 44, 46, 47. 9) Moderne S. 245.

Beth seinerseits erklärt: „Glaube wird erlebt, und ein

Glaubenssatz ist das Ergebnis der Reflexion über das Erlebnis" iS. 184). 3) Moderne S. 250ff. Ausführungen zu vergleichen.

4) Moderne S. 247.

Dieser ganze Passus (S. 248 ff.) ist für die folgenden

I. Die Prinzipien der modernen positiven Theologie.

15

gemischt, die gar nicht zueinander gehören. Anspruch auf den Charakter wissenschaftlich begründeter Wahrheit erheben nach Kaftan die Glaubenssätze in der Tat nicht. Denn er scheidet das praktisch bedingte Erkennen vom „wissenschaftlichen" Erkennen. Wenn Beth hier anders zu urteilen scheint, so beruht das auf einer anderen Auffassung des Begriffs „wissenschaftlich". Er faßt ihn nicht so eng, meines Erachtens nicht so scharf und exakt wie Kaftan. Aber auch er ist doch der Meinung, daß Glaubenssätze keinen An­ spruch haben auf die Qualität einer im Wege des uninteressierten, nicht praktisch bedingten, theoretischen Erkennens gewonnenen Er­ kenntnis. Also hierüber besteht ein Streit wohl nur rücksichtlich der Terminologie. Ganz falsch aber ist die Behauptung, daß nach Th. Kaftan Glaubenssätze keinen Anspruch auf objektive Gültigkeit erheben sollen. Daß solches Mißverständnis auch bei Beth noch begegnet, ist mir äußerst verwunderlich. Er hat sonst mit manchen Ammenmärchen, welche die Bekämpfung Ritschls in Kurs gesetzt hatte, in erfreulicher Schärfe aufgeräumt, z. B. auch hinsichtlich der Werturteile?) Hier aber ist er im Banne des herkömmlichen Irrtums geblieben. Th. Kaftan und die Theologen der ihm darin ähnlichen theologischen Gruppe denken selbstverständlich gar nicht dran, den Glaubenssätzen den Anspruch auf objektive Gültigkeit zu versagen. Sie erklären, daß diese Sätze mit den Mitteln der theoretischen, vom Glauben unabhängigen Wissenschaft nicht beweisbar seien. Sie verzichten auch vielfach darauf, die Auseinandersetzung zwischen diesen Glaubenssätzen und dem übrigen Wellerkennen im einzelnen zu vollziehen, — aber den Glaubenssätzen den Charakter der objek­ tiven Wahrheit zu nehmen, fällt ihnen nicht im Traum ein. Und alles, was im Zusammenhang damit von „doppelter Wahrheit" und ähnlichen schönen Dingen gesagt worden ist, gehört in ein Bereich der Literatur, für das ich die Bezeichnung der „theologischen Fabel" vorzuschlagen mir erlaube. Beachtet man alles dies, so schrumpft die anscheinend große Differenz zwischen Th. Kaftan und Beth recht sehr zusammen. Ganz schwindet sie — auch abgesehen von den terminologischen Streitig­ keiten um den Begriff der Wissenschaft — allerdings nicht. Denn etwas Richtiges ist doch an der Reihe von Sätzen Beths, in welchen

Moderne S. 255.

16

I. Die Prinzipien der modernen positiven Theologie.

der Kaftanschen Stellung Isolierung des Glaubenslebens vorgeworfen

wird.

Es ist etwas an dem Vorwurf, daß diese Theologie ihre An­

schauungen unter Ausschluß der Öffentlichkeit, in den Kemenaten ihrer wohlummauerten Zwingburg fabriziere?) Th. Kaftan verzichtet doch wohl zu rasch auf die „Verarbeitung des Glaubens mit dem

Weltbilde, das die Wirklichkeit gibt".

Er ignoriert zu sehr die

einmal von Pfleiderer ausgesprochene Forderung, zwischen Religion und Wissenschaft eine positive Vermittlung zu suchen, ein Verhältnis ehrlicher gegenseitiger Anerkennung, Achtung und Förderung.? Indem

ich dies betone, lasse ich all das Rankenwerk von anschließenden

kleinen Einzelfragen absichtlich beiseite, betone auch, daß bei dieser ausführlichen Auseinandersetzung Kaftans eigentliches tiefstes (durch­ aus berechtigtes) Interesse von Beth nicht voll gewürdigt wird, — aber Th. Kaftans Formulierung ist hier wirklich unzureichend.

Wir

müssen über das Nebeneinander von religiöser und rein wissenschaft­

licher Erkenntnis hinaus. Wir miissen die Verbindungslinien zwischen der Glaubenswelt und dem Welterkennen ziehen. Zwar,

auch wo das nicht ausdrücklich geschieht, kann (zumal bei den vielen Christen, die nicht wissenschaftlich denken!) das Glaubensleben völlig

stark, sicher und selbstgewiß sein.

Tas verkeimen Männer wie Beth,

weil sie den theoretischen Trieb des schlichten Christen überschätzen. Aber die Theologie kann auf jene Arbeit nicht verzichten. Beth ist wohl im Recht, Wirklichkeitssinnes

Und

wenn er diese Arbeit gerade um des

dringend fordert.

Nur soll ihr dabei ja nicht

verloren gehen, was die Ritschlsche Theologie mühsam genug er­

arbeitet hat:

die klare Erkenntnis von der Interessiertheit, der

praktischen Bedingtheit (ich brauche diese Ausdrücke mit Th. Kaftan: gelegentlich braucht sie auch Beth)? der religiösen Erkenntnis.

7. Soviel über das Verhältnis dieser Theologie zur Moderne. Aber sie will nicht bloß modern sein, sondern zugleich positiv.

In

der Verbindung beider Momente findet sie ihre besondere Art.

]) Moderne S. 246, 247 ldas lebte Zitat S. 247 oben». 2) Beth zitiert diese Forderung Pfleiderers 'Religion und Religionen S. 45 f.) mit voller Zustimmung (Moderne S. 26Oj. •) Moderne S. 256, allerdings mit deutlicher Abgrenzung gegen Th. Kaftan.

17

I. Die Prinzipien der modernen positiven Theologie.

Th. Kaftan hat im selben Zusammenhänge eine etwas andre Formel eingeführt. Er will moderne Theologie, aber alten Glauben. So bringt er gleich den Unterschied von Glauben und Theologie zum Ausdruck. Sachlich kommt diese Formulierung wesentlich auf dasselbe hinaus, was die anderen wollen?) Der alte Glaube ist der ungebrochene Christusglaube. Ihm ist Christus das Objekt des christlichen Glaubens, nicht bloß sein erstes Subjekt. Diesen alten Glauben meint er objektiv beschreiben zu können, weil er eine Größe ist, die in der Geschichte vorliegt.-) (Wobei zum erstenmal die Frage nach der Ausdehnung des Jndividualitätsprinzips lebendig wird!) Der alte Glaube hält an dem persönlichen, allmächtigen Gott, der unser Vater ist, der uns alle unsere Sünden vergibt und in Kraft solcher Vergebung uns ewiges Leben schenkt. Das alles durch Jesum Christum. Zum alten Glauben gehört auch die wahr­ haftige Gottessohnschaft Jesu im Sinn eines für seine Person kon­ stitutiven schlechthin einzigartigen Verhältnisses des Menschen Jesus zum lebendigen (Sott. Die Bedeutung dieser Gottessohnschaft liegt darin, daß nun in Jesu Person wirkliche Erkenntnis des wahr­ haftigen Gottes gegeben ist. Weitere unveräußerliche Momente sind der Mittlertod Jesu, im Zusammenhang damit die Offenbarungsrealität des Kreuzes, der erlösenden Gottesliebe, und seine wahrhaftige Auf­ erstehung von den Toten, wobei aber die Leibhaftigkeit der Auf­ erstehung nicht notwendig einbegriffen ist. Endlich gehört dazu der Glaube an den heiligen Geist, der durch Wort und Sakrament uns zu Christus gebracht hat und in der Gemeinde der Christen der Gaben Gottes in Christo durch den Glauben teilhaftig macht. Seeberg und Beth dagegen gehen von der prinzipiellen For­ derung der Positivität der Theologie aus. Wie ist das gemeint? Seeberg deutet an, daß die positive Theologie christliche Offenbarungs­ theologie sein müsse.3) Beth erklärt die Theologie für positiv, weil sie einen gegebenen und allgemein bekannten Stoff bearbeitet: die christliche Wahrheit?) Also soll positiv hier nicht den Sinn eines Parteiworts haben. Das ist erfreulich. Wir nehmen gern Akt *) Kaftan, Mod. Theol., 1. Aufl., S. 1 Anm. (in der 2. Anst, blieb diese An­ merkung mit Rücksicht auf Grützmacher, aber wohl nur mit Rücksicht aus ihn lBor-

wort

IV] weg); Beth, Moderne S. 18, 19. *) Mod. Theol. S. 18.

Die genaue Beschreibung S. 20ff.

8) Kirche S. 316.

4) Moderne S. II, 17.

Lchian, Beurteilung der in ob. positiven Theologie.

2

18

I. Die Prinzipien der modernen positiven Theologie.

davon, daß Seeberg es ausdrücklich ablehnt, die Theologie von der Kirche als gewordener, wie sie in ihren amtlichen Organen oder durch die kirchenpolitischen Parteien repräsentiert ist, abhängig sein zu lassen?) Für glücklich können wir die Bezeichnung „Positiv" doch nicht Hallen. Denn sie ist nun einmal parteipolitisch stigmatisiert. Und soll sie nur die Tatsache der Bearbeitung des Gegebenen ausdrücken, so rückt gerade diese Formel die ganze Richtung in eine fatale Nähe des doch abgelehnten Positivismus. Die Formel tut das. Und am Ende liegt darin, daß sie es tut, ein Hinweis auf eine gewisse innere Verbindung zwischen beiden? Jedenfalls ist sie schlecht ge­ wählt. Der Mißverstand, der sich an das vielmißbrauchte Wort Positiv anhängt, wird niemals sich verdrängen lassen. Kaftans Ausdruck ist viel besser?) Sachlich kommt, was das Wort „Positiv" nach Beths Meinung ausdrücken soll, wie schon gesagt, auf etwa dasselbe hinaus wie das Wort vom alten Glauben. Ein bestimmter Komplex christlicher Wahrheit wird als unantastbar reserviert. Nach Beth bedeutet positive Theologie diejenige, „welche in ihren Forschungen zu dem Resultate kommt und von ihm nicht abgebracht werden kann, daß das Christentum die durch die wunderbare Offenbarung Gottes in Jesu Christo gestiftete, darum alle religiöse Wahrheit bietende und die zur rechten Welt- und Lebensanschauung erforderlichen Prinzipien mit sich bringende Religion ist — und zwar, weil Jesus Christus der göttliche Logos in Fleischesgestalt war und „lebet und regieret in Ewigkeit"?) An einer anderen Stelle werden übernatürliche Erzeugung und Auferstehung Jesu, seine Wundertaten und seine allmächtige Gottheit sowie sein Versöhnungstod zu den die christliche Weltanschauung ausmachenden Faktoren gerechnet?) Also auf alle Fälle ein bestimmter Komplex von Vorstellungen, meinetwegen auch von geschichtlichen Faktis und deren Deutung, an dem um jeden Preis festgehalten wird. Th. Kaftan hat es energischer versucht als die Modern-Posi­ tiven, seinen alten Glauben aus einem Zentrum heraus zu ent­ wickeln und so die einzelnen Sätze als zu einem Ganzen notwendig

*) Kirche S. 316.

Ähnlich Beth, Moderne S. 17f.

2) Vgl. Herrmann a. a. O. S. 178. 3) Moderne S. 18. 4) Moderne S. 105.

I. Die Prinzipien der modernen positiven Theologie.

gehörend nachzuweisen.

19

Beth begnügt sich im Zusammenhang der

eben zitierten Stelle im wesentlichen zu behaupten, daß alle diese Dinge

notwendige Bindeglieder

an unserer

christlich-bestimmten

Weltanschauung sind, die, wenn sie fehlten, nicht geschlossen wäre.

Klar ist danach freilich nur, daß das Festhalten an diesen Sätzen eine Theologie zu einer positiven machen soll.

bleibt vieles unklar.

Im übrigen

In dem ersten Zitat heißt es, die positive

Theologie komme durch ihre Forschungen zu diesem Resultate.

Nach der anderen Stelle ist das Festhalten an diesem Komplex ein von vornherein gegebenes.

Eine wirkliche Lösung dieses starken

Widerspruchs sucht man vergebens.

halten dieser Sätze Voraussetzung.

Tatsächlich bleibt das Fest­ Gerechtfertigt wird das da­

mit, daß, wer diese Glaubensüberzeugung nicht hat, eben nicht innerhalb des Christentums stehe?) Nicht verschwiegen soll werden, daß Beth gelegentlich einmal

den Versuch macht, die Positivität seiner Theologie auch durch den Grad der religiösen Überzeugung zu erweisen. ?) Dieselbe sei im Zusammenhang des religiösen Bewußtseins fest fundamentiert, weil

sie an der Wahrnehmung und Aneignung der göttlichen Offen­

barung erwachse. Das Geheimnis sei durch die Offenbarung ent­ hüllt. Aber diese Deduktion leidet an reichlichen Unstimmigkeiten. Selbstverständlich kennt jede Theologie ein enthülltes Geheim­ nis — auch die religionsgeschichtliche, soweit sie eben Theologie ist. Ebenso selbstverständlich kennt jede Theologie Geheimnisse, die Ge­

heimnisse bleiben, auch die positive; das Gegenteil zu behaupten wäre frivol. Und jede Theologie gewinnt ihre Überzeugungen durch Wahrnehmung

und Aneignung

der Offenbarung

Wort Aneignung viel zu intellektuell geartet ist).

(nur daß das

Also hier liegen

keinerlei klare Grenzbestimmungen für Positivität. Die einzigen klar angegebenen liegen in dem Maß der Überzeugung.

8. Ich gehe über einzelne Unklarheiten dieser Stellungnahme hin­

weg, um alsbald die Hauptfrage nach dem Recht dieser Posi-

rivität zu stellen. !) Auf die damit angebeutete Frage komme ich unten (III) nochmals zu sprechen. e) Moderne S. 105 ff.

20

I. Die Prinzipien der modernen positiven Theologie.

Zunächst: es bleibt der Eindruck, daß diese Theologie ein ganz

bestimmtes Gebiet religiöser Vorstellungen von vornherein aus dem Zusammenhänge der übrigen Dinge herausnehmen will.

Sie redet

viel vom Individualismus; aber sie macht keinen ernstlichen Ver­ such, ihn auf dies Zentrum anzuwenden. Die Offenbarung muß in der Seele umgeschmolzen und neugeboren werden, sagt Seeberg.')

Die Dogmenwahrheit muß in psychologischer Vermittlung als Er­ lebnis zum Erleben dargeboten werden, sagt Beth?)

Wir gelangen

zu einer zustimmenden Würdigung des Personalismus oder Indi­ vidualismus in Sachen religiöser Überzeugung, sagt derselbe?) Das

Schwergewicht der Dogmatik muß in dem Nachweise liegen, wie der Glaube zu seinen Objekten kommt; daß dies Seebergs Prinzip sei, konstatiert Beth zustimmend?) Aber alle diese schönen Theorien machen Halt, wenn es sich um jenen zentralen Komplex handelt. Kaum Ansätze werden gemacht, um zu zeigen, wie der Glaube zu

diesen Objekten kommt.

Beth meint:

„Christlicher Glaube wird

nicht gemacht und kann nicht forciert werden; er entspringt im reli­

giösen Menschen unwiderstehlich, indem Christus, aus der Offen­ barung erkannt, eine ihm über alles wichtige Person, die ihn nieder­ zwingende und beherrschende Person wird."') Schön, wunderschön! Aber bitte, wo sind die Linien, die von hier mit zwingender Gewalt

auf innerlichem Wege zu den anderen Aussagen jenes Komplexes führen?

Die Aufgabe ist von den Modern-Positiven erkannt.

So ist

sie am schärfsten formuliert: wie kommt der Glaube zu seinen Ob­ jekten? Wir stimmen dieser Formulierung ganz zu. Aber sie scheint uns namentlich nicht von Grützmacher, aber auch nicht von Beth, in ihrer ganzen Tragweite erkannt. Jener Komplex wird als ein im Glauben gegebener, von ihm innerlich angeeigneter einfach

vorausgesetzt. Er wird tatsächlich von der Bearbeitung durch indi­ vidualistische und empirische Arbeit ausgeschlossen. Er wird isoliert. Man macht den anderen den Vorwurf, sie isolierten die Theologie

gegenüber

dem Welterkennen.

Aber man isoliert seinerseits viel,

viel stärker, nämlich man sperrt eine bestimmte Vorstellungsmasse sogar von den eigenen theologischen Methoden ab.

*) Kirche S. 312. ’) Moderne S. 189. * Moderne S. 156. Vgl. ebenda S. 188.

’) Moderne S. 182. 6) Moderne S. 200.

I. Die Prinzipien der modernen positiven Theologie.

21

Ja, hier liegen Aufgaben! Große und schwere. Das fühlen die Modern-Positiven. Vielleicht erkennen sie doch auch an, daß eine ganz bestimmte, von ihnen sehr wenig zitierte Theologengruppe diese Aufgaben, diese Fragen mit einer ungemeinen Energie bereits angefaßt hat? Ist nicht Herrmanns Buch „Der Verkehr des Christen mit Gott" ein einziger bis in die tiefste Tiefe des Problems hinein­ greifender Versuch, jene Frage zu beantworten? Sind nicht die be­ kannten Verhandlungen über den geschichtlichen Christus, über das Verhältnis von Glaube und Geschichte, jene gründliche Auseinander­ setzung von Häring und Reischle über die Auferstehung Christi als GlaubensgrundJ) ein einziges großes Bemühen gewesen, gerade dies Problem zu lösen: Wie kommt der Glaube zu seinen Objekten? Und, wenn bei Herrmann etwa die „Resultate" den Modern-Posi­ tiven ungenügend erscheinen sollten — vielleicht finden sie doch bei Häring und Julius Kaftan manches, was unter strenger Beachtung jener Frage entstanden ist und ihren eigenen Sätzen nahekommt? In jedem Falle klafft hier in der modern-positiven Theologie eine mächtige Lücke. So lange sie wesentlich durch die Behauptung ausgefüllt wird, der Glaube erlebe eben diese Dinge, und wer sie nicht erlebe, solle nicht mitreden, so lange bleibt dieses Programm eine Anweisung auf die Zukunft, so lange bleibt es für die Gegen­ wart — positivistisch im schlechten Sinn. Sätze wie der, daß die objektiven Tatsachen der Offenbarung zum Bestände der historisch begründeten Religion gehören, die der positiven Wissenschaft Theo­ logie als Bearbeitungsobjekt gegeben ist,1 2) helfen darüber nicht hinweg. Denn sie enthalten zwar eine durchaus richtige Beobach­ tung, aber sie führen an das Problem Individualismus und Offen­ barung, Glaube und Überlieferung nur eben heran. Jedenfalls tun

sie gar nichts dazu, es zu lösen. Beth operiert auch sonst recht oft mit den Offenbarungstat­ sachen, mit den geschichtlichen Tatbeständen, mit der Objektivität der christlichen evangelischen Wahrheit. Ich kann allem, was er so sagt, zustimmen. Aber das alles ist einseitig, solange nicht ge1) Zeitschr. f. Theol. u. Kirche.

1897. L. 171 ff., S. 332 ff.

1898.

S. 129 ff.

2) Moderne S. 217, vgl. S. 101, 106, 21. Die obigen Ausstellungen gelten um so mehr, als ja auch die moderne positive Theologie nach Beth (S. 333) nicht mit dem Gedanken einer aus die alt- und neutestamentliche Religion beschränkten

Offenbarung rechnen kann.

I. Die Prinzipien der modernen positiven Theologie.

22

zeigt wird, wie diese Objektivitäten subjektiv werden und daß sie

es im christlichen Glauben werden müssen.

Ich gehe noch weiter.

Mit den Vertretern der öfter genannten Theologengruppe bestimme

auch ich den alten Glauben, wenn auch nicht in allem Einzelnen, so doch im Wesentlichen ganz wie Th. Kaftan, und das ist ja nicht

allzuweit z. B. von Seeberg entfernt.

Aber gerade darum, weil

ich sachlich weithin übereinstimme, empfinde ich das Unzulängliche

des Weges, den die modern-positive Theologie geht, oder vielmehr, ich empfinde es als ein starkes Manko, daß sie keinen Weg dahin

Das ist nicht bloß unmethodisch; es ist zugleich ein Abirren

zeigt.

vom Prinzip der Modernität.

Individualismus und Wirklichkeits­

sinn müssen hier Antworten verlangen. Im übrigen ist nicht zu verkennen, daß hinsichtlich mancher

einzelner Faktoren des von Beth skizzierten Glaubensinhaltes schwere Bedenken in der Richtung geltend zu machen sind, wie es je ge­ lingen könnte, sie als erlebbar und erfahrbar, oder auch nur als notwendig zugehörig zu einem innerlich erlebten Glauben zu er­ weisen.

Ich denke dabei z. B. an die Jungfrauengeburt, die in dem

schon zitierten Satz plötzlich auftaucht, — einfach unmotiviert.

Und

daß der Inhalt des festen „positiven" Komplexes, wo es sich um

die Prinzipienfragen handelt, derart willkürlich, leichthin bestimmt wird, während in Wirklichkeit für die moderne Theologie hier das

allerschwerste Problem vorliegt, das läßt doch wohl darauf schließen, daß in diesen Programmaufstellungen das Wesen des evangeli­ schen

Glaubens

nicht

christlichen Glaubens noch

klar

herausgearbeitet,

nicht scharf bestimmt ist.

der

Begriff

In diesem

Zusammenhang darf ich wohl auf die obengenannten Artikel von Erich Haupt und Wilhelm Herrrnann verweisen.

9. Es ist hier der richtige Ort, um das Verhältnis dieser „mo­

dernen" theologischen Prinzipien zu der bisher so genannten

modernen Theologie zu bestimmen.

Es liegt ja im Wesen der

Sache, ist aber doch beinahe merkwürdig zu beobachten, wie einig

alle Vertreter der modernen positiven Theologie darin sind, jener Konkurrentin den Krieg zu erklären.

Und sie bekämpfen sie nicht

bloß unter dem Gesichtspunkt der Positivität, sondern auch unter

dem der Modernität.

I. Die Prinzipien der modernen positiven Theologie.

23

Nun ist bereits oben zugegeben, daß die bisherige moderne Theologie die Prinzipienfrage der Modernität nicht so ausdrücklich

gestellt hat.

Das mag man ihr meinetwegen zum Nachteil rechnen.

Auf der anderen Seite: sie hatte das nicht nötig, weil ihr jederzeit selbstverständlich war, daß die Theologie Fühlung mit dem modernen

Geistesleben zu halten habe. Und wozu eine Losung aufwerfen, die ihr doch bloß eine neue Flut von Haß, Bitterkeit und Übel­

wollen von den Gegnern her eingetragen hätte!

Es war ja genug

an den greulichen Beschimpfungen, die sie um des kaum selbst ge­ wollten Namens

der modernen Theologie willen erdulden mußte.

Den notwendig modernen Charakter der Theologie den allgläubigen Kreisen klarzumachen, konnte sie nicht unternehmen; das mußte sie

anderen überlassen. lich tun.

Gut, daß diese anderen das jetzt nachdrück­

Daß sie dabei zugleich die nötigen Formeln zu prägen

suchen, um die Beziehungen zwischen Moderne und Theologie theo­

retisch festlegen, ist ihr Verdienst. Aber die moderne positive Theologie beansprucht weitere Ver­

dienste. Sie will der bisherigen modernen Theologie den modernen Charakter absprechen, will ihn für sich allein behaupten. Grützmacher tut das am stärksten.

Daß wir, nachdem sein Verständnis

der Moderne von seinen eigenen Zeltgenossen als unzulänglich ab­ gewiesen ist, über diese seine Ausfälle zur Tagesordnung übergehen

können, ist schon gesagt. Grützmacher

polemisiert

Nur eins muß hier noch bemerkt werden. gegen

„die"

sogenannte moderne Theo­

logie?) Als ihre Repräsentanten nimmt er Bousset und Weinet. Von ihren anderen Strömungen ist einfach nicht die Rede. Wer

die am Anfang dieser Aufsätze gegebenen Darlegungen über den Inhalt des Wortes

Methode staunen.

„moderne Theologie"

liest, muß über diese

Darf man denn wirklich nicht erwarten, daß in

der dogmatischen Diskussion eine Strömung beachtet wird, die — wenn auch in verschiedener Weise — von Julius Kaftan, Herrmann, Häring, Reischle, Kattenbusch, Lobstein usw. vertreten wird?

es

denn

nicht Tatsache,

Ist

daß der übliche Begriff der modernen

Theologie diese alle mitumfaßt?

Wie kommt man nur dazu, auf

die moderne Theologie loszuschlagen und nur einige Vertreter des

religionsgeschichtlichen

Flügels als Substrat der Polemik zu be-

l) Studien S. 66 u. ö.

I. Die Prinzipien der nioberncn positiven Theologie.

24 nützen?

Gegen solches Verfahren ist einfach zu protestieren.

Leider

vermag ich auch nicht zuzugeben, daß Th. Kaftan in diesem Punkte

völlige Klarheit geschaffen habe.

Auch er nimmt, wo er die bis­

herige moderne Theologie bekämpft, die Farben von dem extremen

Flügel;*) und auch er unterläßt es, eine sehr wichtige Feststellung zu unternehmen: inwieweit nämlich die geforderte Theologie vielleicht

innerhalb der bisherigen modernen Theologie (rechten Flügels) be­ reits geschaffen sei.

Aber er unterscheidet sich allerdings dadurch

vorteilhaft von Grützmacher, daß er die Vieldeutigkeit des Begriffs heraushebt und dann klar definiert,

was er unter der zu be­

kämpfenden modernen Theologie verstehe: nämlich die in eine all­

gemeine Religionswissenschaft umgesetzte Theologie, die mit allem „Supranaturalistischen" gründlich aufgeräumt hat?) Gut, dann sind also nach Th. Kaftan alle jene Genannten keine Vertreter der zu

bekämpfenden Theologie.

Schön wäre es gewesen, wenn das der

Klarheit wegen gleich mit Begründung gesagt worden wäre. Aber es ist zuzugeben, daß sich Kaftan damit für seine Theologie in gewissen Kreisen den Eingang versperrt hätte.

Ich freue mich, hervorheben zu können, daß Beth diese denn

doch dringend notwendige Verhältnisbestimmung gegenüber der bis­ herigen modernen Theologie zu ergänzen sich mehrfach angelegen

sein läßt.

Er erkennt ausdrücklich an,

daß die Th. Kaftansche

Definition der modernen Theologie nur auf den kleineren Teil der besagten Richtung zutrifft.3) Und er fügt in einer ganzen Reihe

’) Mod. Theol. S. 41, 53 ff. 2) Mod. Theol. S. 73. Kaftan verteidigt seine bezüglichen Aufftellungen im Vorwort der 2. Ausl., S. III/IV. Er verzeihe, wenn wir den bezüglichen Absatz reichlich befremdlich finden. Die Vorwürfe formuliert er so, er habe die liberale Theologie verzeichnet. Er antwortet: mit der allliberalen Theologie habe er sich in dieser Schrift wenig beschäftigt. Da- konnte auch niemand verlangen; die alt­ liberale Theologie ist nie unter den Titel moderne Theologie einbegriffen worden. Aber der rechte Flügel der so bezeichneten Theologie?! Kaftan wiederholt, er be­ kämpfe die religionsgeschichtliche Theologie des neuen Glaubens (S. IV). Gut; das war schon aus der 1. Aust. klar. Aber wieder fehlt vollkommen die Stellung­ nahme zur älteren Ritschlschen Theologie! — Nachher sagt er S. IV ganz kurz, RitschlS Theologie sei eine sehr andere als seine (Kaftans) Theologie. Das ist nicht zu bezweifeln. Aber dieser Satz drückt nur den Unterschied aus, ohne der sehr wichtigen Gemeinsamkeit Raum zu geben. ’) Moderne S. 113.

I. Die Prinzipien der nwbcrnen positiven Theologie.

25

von verschiedenen Darlegungen Bemerkungen hinzu, die über seine Beziehungen zu Julius Kaftan, auch zu Albrecht Ritschl Klarheit schaffen sollen. *) Immerhin, eine Ergänzung vertragen auch diese Andeutungen noch sehr wohl. Vor allem aber: auch Beth selbst macht sich an derjenigen Stelle seines Buchs, an welchem er unter dem Gesichtspunkt der Modernität die bisher sogenannte moderne Theologie mit der modernen positiven Theologie vergleicht, einer ganz ähnlichen Unterlassung schuldig wie Th. Kaftan. Denn auch er gibt eine einheitliche Definition von moderner Theologie, die wiederum nur einen Teil trifft. Er erklärt, daß sie ihre Bemühungen um das Wesen des Christentums mit ganz bestimmten den Seiten­ trieben der modernen Grundzüge entlehnten Voraussetzungen durch­ führe und sich eben um dieser Voraussetzungen willen die moderne nenne. Diese Voraussetzungen seien Relativismus, Positivismus und teilweiser Naturalismus.^) Es ist absolut zu bestreiten, daß diese Charakteristik auf die Dogmatik der obengenannten Theologen­ gruppe zutrifft. Diese ist auch wohl gar nicht mitgemeint. Dann aber ist in dieser sehr wesentlichen Ausführung wiederum eine Klar­ stellung der Beziehungen zwischen den Prinzipien der modernen positiven und der bisherigen modernen Theologie (rechten Flügels) unterblieben. Ich kann es mir nicht versagen, wenigstens in einer Beziehung die notwendige Ergänzung nachzutragen. Beth zitiert Friedrich Traubs Behauptung, daß Th. Kaftans prinzipielle Forderungen schon prinzipielle Anerkennung und zum größten Teil Durchführung erfahren haben und zwar — bei Julius Kaftan. ^) Ein Buch wie die Dogmatik Julius Kaftans entspreche in der Hauptsache dem, was Th. Kaftan verlangt. Beth stimmt diesen Sätzen ungefähr zu. Nach einer anderen Ausführung Beths vertritt aber Seeberg im Grunde dieselbe Forderung wie Th. Kaftan; ein wesentlicher Unter­ schied bestehe nur hinsichtlich der Erkenntnistheorie. Und Beth seinerseits steht der Position Seebergs außerordentlich nahe. Die Schlußfolgerungen liegen klar zutage. Friedrich Traub hat den Nagel auf den Kopf getroffen. Und was er über Theodor und !) Moderne S. 185, 205 f., 214, 221, 223, 255 u. ö. 9) Moderne S. 113. Vgl. auch S. 104 f., 217 ff. 3) Moderne S. 134. Traub stellte diesen Satz aus in dem Aufsatz: Aus der dogmatischen Arbeit der Gegenwart. Ztschr. f. Theol. u. Kirche 1906, S. 447.

Julius Kaftan sagt, gilt — mit einigen Modifikationen — auch von Julius Kaftan und Seeberg. Selbstverständlich nur im großen und ganzen. Rechnet nun Julius Kaftan zu den Modernen, d. h. zur bisher sogenannten modernen Theologie? Ja oder Nein? Wenn Ja, dann bringt die moderne positive Theologie dieser gegenüber nicht viel Neues, und sie hat kein Recht, zwischen beiden einen prinzipiellen Gegensatz zu konstruieren. Wenn Nein, dann ist schon die Theologie der Julius Kaftan, Häring, Reischle eine — moderne Theologie im Sinne Th. Kaftans, Seebergs, Beths, also eine moderne positive Theologie gewesen! Man kann den Vertretern der modernen positiven Theologie ruhig die Wahl lassen, ob sie Ja oder Nein sagen wollen. Sachlich ist das gleichgültig. Aber man kann hiernach ihnen nicht wohl die Behauptung zugute halten, „daß es wirklich neue Problemstellungen, Grundzüge neuer Auffassungen und Denkweisen sind, in denen das Wesen der beabsichtigten Zukunftstheologie besteht."*) Denn es handelt sich nach allem Obigen gar nicht um etwas ganz Neues, sondern um ein Arbeiten in ganz ähnlichen Bahnen wie die, in denen die genannte Theologengruppe schon bisher gearbeitet hat. Noch eins muß gesagt werden. In deutlicher Konkretheit wird von feiten Beths an dieser Theologengruppe nur die mangelnde metaphysische Weiterführung der religiösen Erkenntnis als „un­ modern" beanstandet. Gerade in dieser Beziehung sind in letzter Zeit in enger Verbindung mit dieser Gruppe Ergänzungen gegeben worden, z. B. von Sßobbermin.2) Es erweist sich also, daß inner­ halb der bisher so genannten modernen Theologie genau die gleiche Stellung zu dieser Forderung der Modernität eingenommen wird, wie von der modernen positiven Theologie. Genau die gleiche. Nur — die Vertreter der letzteren sprechen das nicht aus, oder deuten es, wie Beth, höchstens an. Mit diesen Feststellungen begnüge ich mich. Das Verhältnis zur religionsgeschichtlichen Gruppe zu erörtern, würde zu weit führen. Auch sie wird von den modernen positiven Theologen nicht ganz *) Moderne S. 162'. 2) G. Wobbermin, Der christliche Gottesglaube in seinem Verhältnis zur heutigen Naturwissenschaft, 2. A. 1907; Grundprobleme der syst. Theologie, 1898; Das Wesen des Christentums (Heft 10 der Beiträge zur Weiterentwicklung der christl. Religion).

I. Die Prinzipien der modernen positiven Theologie.

27

mit ausreichender Objektivität gezeichnet. Daß Relativismus, Posi­ tivismus und teilweiser Naturalismus ihre Voraussetzungen sind, ist auch von ihnen so zuviel gesagt, ganz abgesehen davon, daß der Sinn dieser Ausdrücke („teilweiser" Naturalismus ist ein sonderbares Ding; ich glaube nicht, daß Naturalismus sich teilen läßt) recht unbestimmt ist. Naturalismus mit der religionsgeschichtlichen Theo­ logie in Verbindung zu bringen, ist ein sehr gewagtes Unternehmen. Zudem kommt bei alledem natürlich das, was die treibende Kraft der religionsgeschichtlich-theologischen Arbeit ist, gar nicht recht zur Geltung?) Aber kann es sich im Rahmen kurzer Aufsätze darum handeln, das alles hier auseinanderzulegen? Daß zwischen der modernen positiven Theologie und der im eigentlichen Sinn religions­ geschichtlichen starke Differenzen sind, ist ja allgemein zugegeben. 10.

Ich versuche, zum Schluß noch einmal die Gesamterscheinung der neuen theologischen Gruppe zusammenfassend zu würdigen. Ein Flügel der sich positiv nennenden Theologie erkennt mit scharfem Blick die Notwendigkeit, zwischen der theologischen Wissen­ schaft und dem modernen Denken Fühlung herzustellen. Er gibt dieser Überzeugung unumwunden Ausdruck. Das trägt ihm Arger und Feindschaft ein; der andere Flügel der positiven Theologie beginnt unter scharfer Kritik alsbald mit der Verketzerung. Der moderne Flügel begegnet dem mit starker Betonung seiner Positivität, die er zugleich durch kräftige Polemik gegen diejenige Theo­ logie, welche bisher modern genannt ward, glaubhaft macht. Das ist die Lage. Keine Frage: diesem modernen Flügel gehört unsere Sympathie vor dem anderen Flügel. Denn wir spüren in seinen Arbeiten in der Tat den Pulsschlag modernen Empfindens. Wir spüren ihn zumal bei Th. Kaftan, aber auch bestimmt bei Seeberg und Beth. Wir merken, wie dieser Flügel nicht stille stehen will, sondern wie er die theologische Wissenschaft weiterführen will, wie er sie fähig machen will, die Aufgaben zu lösen, welche unsere Zeit ihr stellt. Sollte uns das nicht freuen?

!) Doch findet sich bei Seeberg (Kirche 337 f.) eine sehr freundliche grundsätz­ liche Stellung zur Religionsgeschichte.

28

I. Die Prinzipien der modernen positiven Theologie.

Im einzelnen ist dabei genug zu verzeichnen, wozu wir ein freudiges Ja sagen.

Man stellt sich der Schrift mit unbefangenem

geschichtlichen Blick gegenüber, man erkennt an, daß das Weltbild unserer Zeit ein anderes ist als das alte, auf dessen Grund das

Dogma erwuchs.

Man will es ermöglichen, daß die

Menschen

unserer Zeit die Wahrheit des christlichen Glaubens auf neue eigen­ tümliche Weise in sich erstehen lassen.

Man gibt zu, daß das Er­

leben des religiösen Objekts schließlich auf eine dogmatische Formel

führen kann, deren äußere Erscheinung von der Formel des alten Dogmas sich ziemlich weit entfernen kann, daß sich für gar manches

Stück des christlichen Glaubensinhalts eine gegenüber der altkirch­

lichen sehr abgeänderte Fassung ergibt.

Kurz, man vollzieht einen

theologischen Aufmarsch, der wirklich mit manchem Vorurteil bricht und der energisch der Situation Rechnung trägt.

Das ist gut.

Zumal sehr gut, da es von einer Theologie aus­

geht, die auch in den altkirchlichen Kreisen Kredit hat.

Diese Er­

kenntnisse müssen ja in die Christenheit hinein, wenn anders nicht

die Kluft zwischen Kirche und Theologie ins Riesengroße wachsen soll.

Um unserer Kirche willen grüßen wir das Unternehmen, von

dem wir manche Urteilsberichtigung in den Kreisen der Streng­

kirchlichen erhoffen.

Erwarten wir mehr von der modernen positiven Theologie? Sie selbst will jedenfalls sehr viel mehr bieten.

Sie erklärt, kraftvoll

Neues schaffen zu wollen, die großen Nöte, in denen die Wissen­ schaft vom Christentum sich heute befindet, mannhaft anzupacken.

Mit ungeheurer Spannung — so Beth— betrachten zahlreiche Theologen den kühnen wohlüberlegten Zukunftsentwurf, den Reinhold

Seeberg von einer modernen positiven Theologie gemacht hat. Nun, ich will Seebergs Entwurf von Herzen gern mit begrüßen, will

insbesondere die kühne Proklamation der Vereinigung von Positiv und Modern als eine Probe von frischem Mut und als Zeichen des Verständnisses für die von unserer Zeit der Theologie gestellten Auf­ gaben mit Freuden würdigen, — aber die Berechtigung dieses An­ spruchs vermag ich nach allem bereits Ausgeführten nicht zuzugestehen.

Wenn, was Theodor Kaftan fordert, wesentlich bei Julius Kaftan

ausgeführt vorliegt, *) Moderne S. 3.

wenn Th. Kaftan wesentlich dasselbe fordert

I. Die Prinzipien der modernen positiven Theologie.

29

wie Seeberg, wo bleibt da das bahnbrechend Neue, auf das wir mit Spannung warten müßten? Man mag der Eleganz und Frische zumal von Seebergs Darlegungen alle Gerechtigkeit wider­ fahren lassen: ein Anlaß, die moderne positive Theologie von feiten der theologischen Wissenschaft mit ungeheurer Spannung zu ver­ folgen, liegt nicht vor. Aber ich will andererseits die Bedeutung dieser Theologie nicht bloß darin suchen, daß sie in den diesen Erkenntnissen bisher ver­ schlossenen theologischen und kirchlichen Kreisen für das Recht einer modernen theologischen Wissenschaft Propaganda macht und in einer ganzen Reihe von Fragen gesicherte Ergebnisse der Wissenschaft in diese Kreise hineinträgt, auch nicht bloß darin, daß sie das Recht der Modernität prinzipiell begründet und somit sichert. Sondern ich will ihr gern zugestehen, daß die Energie, mit der sie den Kontakt mit der Kirchenlehre wahrt, tatsächlich auch neue Fragestellungen zeitigt, und daß die Abkehr von der Metaphysikfeindschaft dem Gros der ihr verwandten Theologengruppe gegenüber gleichfalls eine neue Position bedeutet. Endlich ist es sicherlich gut, wenn von feiten einer zwar möglichst den Kontakt mit der Kirchenlehre wahrenden, aber formell entschlossen modern denkenden Theologie eine Reihe von Problemen abermals durchgearbeitet werden, die bereits von anderen verhandelt sind; ich denke besonders an das Problem Ent­ wicklung und Offenbarung. Das alles ist der modernen positiven Theologie zur Ehre zu sagen. Und nicht, weil ich irgend Lust hätte, ihr etwas am Zeuge zu flicken, sondern lediglich, weil zu einem sachlichen Urteil die Hervorhebung aller wichtigen Momente gehört, muß ich ebenso betonen, daß eine große Zahl von Problemen, die von der modernen positiven Theologie als neugeschaffen behauptet werden, tatsächlich seit lange bereits mit gewaltiger Anstrengung durchgearbeitet worden sind, und daß die Folge der Konfrontation Modern und Positiv weiter sein wird, daß dieser Theologie jetzt die gleichen Probleme brennend werden, die die von Albrecht Ritschl herkommende Theologie mit heißem Bemühen verarbeitet hat: Glaube und Geschichte; Autorität und Individualität usw. Solange die positive Theologie nicht modern sein wollte, konnte sie diesen Problemen kühl bis ans Herz hinan gegenüberstehen, jetzt wird sie das nicht mehr tun. Und noch mehr: je mehr ihr diese Probleme nun aus dem eigenen Herzen

I. Die Prinzipien der modernen posiliven Theologie.

30

heraus brennend werden, um so mehr wird sie wahrscheinlich auch

die Motive würdigen lernen, auf denen die bisher so genannte moderne Theologie zu ihren Resultaten gekommen ist. Ja, sie wird auch in den Resultaten vielleicht manchmal auf Ähnliches heraus­

kommen wie diese!

Denn z. B. die positivistische Art, mit der jetzt

ein gewisser Kreis von Glaubenssätzen als undiskutierbar einfach

aus dem Zusammenhänge des Ganzen ausgeschaltet wird, ohne daß der Versuch gemacht wird, die innere Notwendigkeit und Zusam­ mengehörigkeit dieser Sätze zu erweisen, ist allein für sich schon

eine dringende Mahnung, den hier erwachsenden Fragen konsequent nachzugehen.

Wenn ich so die innere Verwandtschaft zwischen der modernen positiven Theologie und der Theologie des älteren, rechten Flügels der „modernen" Theologie scharf heraushebe, so tue ich das nicht,

um irgendwelche Abhängigkeit zu statuieren.

So sonderbar es ist,

wenn theologische Forscher in derartigen Fragen es durchaus ab­

lehnen, von Vorarbeitern gelernt zu haben — die ganze theologische Wissenschaft ist doch eine Arbeitsgemeinschaft, in der einer den andern

fördern will und soll —, so falsch wäre es, in diesen Dingen irgend welche Abhängigkeiten zu behaupten.

Denn die theologischen Fragen,

die so eng mit den religiösen Fragen verbunden sind, kommen aus

der innersten Tiefe des Menschenherzens, aus den geheimsten Gründen theologischen Denkens.

Wie sollte uns nidjt alle zugleich bewegen,

was wir an und in unserer Zeit erleben?

Gerade das, was zu

einer modernen Theologie treibt, muß in allen modernen Menschen lebendig wirken.

Fragen

Also warum sollen nicht ihrer mehrere auf gleiche

kommen?

Sind

doch



voneinander

unabhängig



Th. Kaftan und Seeberg auf die gleiche Problemstellung gekommen! Und ich glaube auch gar nicht, daß die Modern-Positiven ihre Probleme

von den Alt-Ritschlianern übernommen haben, geschweige denn ihre

Resultate.

Sie sind nun einmal so geartet, daß sie allem, was von

daher kam, immer nur ihre Positivität als stachligen Panzer ent­

gegenzuhalten geneigt waren.

Sonst hätte ja auch das Problem

Modern-Positiv ihnen schon früher nahegehen müssen. Nein, in dem

Maße, als in ihrer Mitte modern denkende Männer heranwuchsen, ist das Problem ihnen als ein eigenes aufgegangen.

Nur müssen sie nun gebeten werden, zu beachten, daß das so skizzierte Hauptproblem mit seinen Dependancen auch bereits von

I. Die Prinzipien der modernen positiven Theologie.

31

anderen erkannt und nach vielen Richtungen bearbeitet war, und daß, wenngleich Unterschiede vorliegen, doch auch Parallelen reichlich sich bemerken lassen. Wir müssen sie auch bitten, zu sehen, daß hier schon Arbeit getan ist, die für sie von ihrem Standpunkt aus noch zu tun bleibt. Und je mehr wir auf die Erfüllung dieser Bitten rechnen dürfen, um so selbstverständlicher wird es sein, daß man auch von dorther — wie Beth es mehrfach angebahnt hat — die Verbindungslinien nach diesen Mitarbeitern ziehe. Denn bei der geschilderten Sachlage wäre ein Sichabsondern von diesen durch­ aus unverständlich. Es wäre bei weitgehender sachlicher Überein­ stimmung nur kirchenpolitisch verständlich. Und die Unabhängigkeit der Theologie von der Kirchenpolitik hat doch Seeberg so treffend betont.

II. Die Christologie der modernen positiven Cbeologie. 1.

Programme müssen sein.

Jede Partei braucht eins, jede Ber­

einigung, die wirken will. Braucht auch die Wissenschaft Pro­ gramme? Es sind nicht die unbedeutendsten Neuschöpsungen gegewesen, die ohne große Programmentwürfe, nur mit einer Dar­ legung ihrer Prinzipien, die alsbald mit der Ausführung eng verbunden war, ins Leben traten. Aber es mag gelegentlich nützlich sein, zuerst die Richtlinien zur Prüfung aufzustellen und dann erst, wenn sie erprobt sind, weiter vorzugehen. Die moderne positive Theologie hat diesen Weg gewählt. Man kann sogar sagen, daß sie bisher noch nicht sehr viel anderes ge­ bracht hat als Programmformulierungen und Prinzipienerörterungen. Nur Reinhold Seebergs Grundwahrheiten des Christentums geben wirkliche, gründliche, faßbare dogmatische Einzeldarlegungen. Und gelegentlich, im einen oder anderen Punkt, gibt ein Bortrag oder eine Broschüre eine nicht bloß die Methode betreffende Untersuchung?) J) Seeberg, Glaube und Glaube 1894; Warum glauben wir an Christus?

2. Ausl. 1903; Die Person Christi der feste Punkt im fließenden Strom der Gegen­ wart, Neue kirchl. Ztschr. 1903, S. 437 ff.; Evang. Kirchenzeitung 1904, Nr. 1,

Sp. 1—9.

1906

Einiges aus

der Ausfatzsammlung „Aus Religion und Geschichte"

(Aufsätze über die Nachfolge Jesu,

Evangelium quadraginta Hierum,

Paulus und Jesus), doch fallen für die Dogmatik hier nur Andeutungen ab; —

Richard H. Grützmacher, Die Jungftauengeburt, 1906. — Einiges auch in Richard H. Grützmachers oben S. 1 erwähnten Modern-positiven Vorträgen;

Jesus Christus.

Th. Kaftan,

In: Jesus Christus für unsere Zeit, dargestellt in Vorträgen.

3. Aufl. 1907 (zitiert als „Hamburger Vorträge"). — W. Lütgert wird zu dieser

Gruppe nicht gerechnet: aber sein Vortrag „Das Bekenntnis zur Gottessohnschaft Jesu" (In: Gottes Sohn und Geist. Vorträge zur Christologie und zur Lehre vom

Geiste Gottes 1905, S. 1 ff.) bietet so zahlreiche inhaltliche Parallelen zur in. p.

Theologie, daß ich an einzelnen Stellen nebenbei auch aus ihn Hinweisen werde.

II. Die Christologie der modernen Positiven Theologie.

33

Aber was Seebergs Grundwahrheiten betrifft, so wird gerade auch von seinen Freunden betont, daß dieselben keine streng systematische Darlegung bilden sollen?) Und was sonst aus diesem Lager er­ schien, ist im wesentlichen Programm,8) oder doch Erörterung von Prinzipienfragen. Ich meine, daß es gut wäre, wenn diese Theo­ logie auch in der öffentlichen Arbeit in die tatsächlichen einzelnen Auseinandersetzungen reichlicher einträte. Die ausdrückliche und viel­ fältige Programmformulierung allein tut es nicht. Dieser Weg lag allerdings hier besonders nahe. Viele Konferenzen, auch manche kirchlichen Laienkreise begehrten ein aufmunterndes, hoffnungsfreu­ diges Wort von den sich positiv nennenden Männern der Wissen­ schaft. Ihnen mußte zuvörderst das Panier zur Sammlung entrollt werden. Daher kommt es, daß so viele der genannten Schriften ursprünglich Vorträge oder für weitere Kreise berechnete Aufsätze darstellen. „Die besondere Zeitlage hat die christliche Gemeinde und die Diener am Wort mit den Vertretern der positiven wissen­ schaftlichen Theologie enger und häufiger zusammengeführt denn zuvor."8) Aber die Dogmatik muß sich nun einmal als Wissen­ schaft in alle Einzelfragen hinein auswirken. An einem Punkt ist es doch jetzt schon möglich, spezielle dog­ matische Ansichten der modernen positiven Theologie festzustellen: in der Christologie. Auch hier liegt keine ganz eingehende, keine allseitig die Konsequenzen ziehende Untersuchung vor, aber doch ausführlichere Darlegungen aus mehreren Federn. Es ist möglich, außer Seeberg auch Beth, Grützmacher und Girgensohn, dazu auch Th. Kaftan über ihre Ansichten zur Sache zu befragen. Eine genauere Behandlung der Stellung der Modern-Positiven zur Christologie empfiehlt sich auch aus zwei anderen Gründen. Einmal ist dies der Punkt, an welchem sich ihr Interesse recht eigentlich konzentriert. Die in Jesus Christus erfolgte Offenbarung Gottes bildet nicht nur den Ausgangspunkt, sondern geradezu die *) Vgl. Beth, Moderne S. 135.

’) Genannt seien noch (vgl. im übrigen oben S. 1) folgende, in einzelnem auch für die Christologie in Betracht kommenden Schriften: Beth, Das Wesen des

Christentums und die moderne historische Denkweise, 1904; Girgensohn, Die moderne historische Denkweise und die christliche Theologie, 1904; Derselbe, Die Theologie

Reinhold Seebergs, Die Studierstube, 1905, S. 4 ff.

s) Grützmacher, Vorträge.

Vorwort.

Schian, Beurteilung der mod. positiven Theologie.

3

34

II. Die Christologie der modernen positiven Theologie.

Voraussetzung

der modernen positiven Theologie.

jüngst ausgesprochen hat, trifft gerade auf sie zu.

Was

Harnack

„Es gibt zur­

zeit nur ein großes Problem, das Beunruhigungen erzeugt . . das ist die christologische Frage." ’)

Sodann aber ist ein Haupt­

punkt, an welchem diese Theologie (außer Th. Kaftan) ihre Über­ legenheit gegenüber der früheren, auch gerade der Ritschlschen Theo­

logie,

beweisen

will,

der,

daß sie den

„Agnostizismus"

scharf

ablehnt und im Gegensatz zu jeder Furcht vor dem Denken das dogmatische Weiterdenken, die konsequente metaphysische Gedanken­ durchbildung betont. Da ist die Christologie der richtige Platz, auf dem sie die Probe ihres Könnens abzulegen haben wird. lingt es ihr hier, wirklich weiterzukommen?

Ge­

Beth-) sagt: „Wenn

aber die Christusfrage als Glaubensfrage eine Angelegenheit der Persönlichkeit ist, wie Kaftan richtig sagt, dann muß der echte

Christusglaube — zwar nicht irgendwie zum Wissen werden, aber — mit jener festesten Überzeugung ausgestattet sein, die nur da vorhanden ist, wo die Disharmonie zum wissenschaftlichen Welt­ bilde durch wissenschaftlich (theoretisch) begründete Überzeugung überwunden ist."

2. Versuchen wir also zunächst,

positiven Theologie klarzustellen. ist das nicht.

die Christologie der modernen Ein ganz

leichtes Unternehmen

Denn einerseits bestehen kleine Differenzen auch

unter den Vertretern dieser Gruppe, andererseits ist die populäre Fassung mancher einschlägigen Aufsätze in pointierten, zugespitzten

Formulierungen ein starkes Hindernis für die Entfaltung begriff­

licher Klarheit geworden. trägen Seebergs?)

So z. B.

in

den vorliegenden Vor­

Die genannte Theologie geht von zwei verschiedenen, aber nach ihrer Meinung völlig übereinkommenden Gesichtspunkten aus; von

dem historischen Bild Christi einerseits, von der religiösen Wert’) Christl. Well 1907.

Sp. 589.

2) Moderne S. 261 f. 3) Dasselbe gilt von dem obengenannten Vortrag Lütgerts,

der auf

der

Landeskirchlichen Versammlung der rechtsstehenden Parteien zu Berlin 1905 ge­ halten worden ist, dessen Christologie nach den gebrauchten Formeln ganz auf der

Linie der kirchlichen zu liegen scheint, während dem Sachkenner, aber auch nur ihm, die Differenzen dieser gegenüber alsbald klar werden.

II. Die Christologie der modernen positiven Theologie.

35

schätzung, der Offenbarung Gottes in ihm, andererseits. Zu 1. See­ berg spricht von dem „historischen Bild Christi in den Evangelien", welches keineswegs bloß seine „menschliche Natur" bezeugt, sondern auch seine „Gottheit"?) Völlige Klarheit geben diese und ähnliche Sätze nicht. Auch die moderne positive Theologie will doch nicht auf historische Untersuchung der evangelischen Berichte verzichten. Man kann für historisches Bild Christi in ihrem Sinne nicht ein­ fach sagen: das überlieferte Christusbild in allen Einzelheiten?) Auch wird die Frage gar nicht näher angefaßt, ob ein völlig ein­ heitliches Christusbild in den vier Evangelien und im übrigen Neuen Testament überliefert ist. Aber jedenfalls ist der eine Aus­ gangspunkt der Christologie eine energische Bejahung des über­ lieferten Christusbildes wesentlich in der herkömmlichen Fassung. Dieser Satz schließt ein die Ablehnung eines wesentlich von der Überlieferung abweichenden, unter historisch-kritische Betrachtung ge­ stellten Christusbildes?) So sehr in der Theorie die Kritik an­ erkannt wird/) Tatsache ist, daß ihr mit Bezug auf dieses Christus­ bild nicht viel zu sagen verstattet wird?) Zu 2. Die christliche Offenbarung ist aus einem absolut festen Punkt in die Erscheinung getreten. Dieser Punkt ist Christus. Das Christentum ist „die durch wunderbare Offenbarung Gottes in Jesus Christus" gestiftete, darum alle religiöse Wahrheit bietende und die zur rechten Welt- und Lebensanschauung erforderlichen Prinzipien mit sich bringende Religion?) An der Offenbarung in Christus hängt letztlich alles. Daraus, also aus dem Glaubens­ wert Christi, sind Folgerungen für seine Person zu ziehen. „Daß Jesus der Gottessohn von oben her stammt, das ist die eine Säule des christlichen Glaubens, deren Sturz das ganze Gebäude zur Neige bringt."7) Beide Ausgangspunkte müssen natürlich zu einem Ziele führen. Doch davon später. *) Warum glauben wir ... S. 28. 2) Das wird gelegentlich auch ausgesprochen: Warum glauben wir... S. 28/29. 3) Ebenda S. 28; Beth, Moderne S. 242. 4) Z. B. Beth, Moderne S. 239. 6) Alles dies hat ganz deutliche Parallelen bei Lütgert; vgl. das Vorwort des genannten Vortrages. 6) Beth, Moderne S. 13, 18. ’) Ebenda S. 222; Th Kaftan, Mod. Theol. S. 29 f.

36

II. Die Christologie der modernen positiven Theologie.

Von hier aus wird die Anschauung von der Person Christi gebildet.

Dabei tritt unbedingt in den Vordergrund die „Gottheit"

Christi.

Zum mindesten geschieht das in der Art der Akzentuierung,

in der Etikettierung der eigenen Theologie. Christus unser Herr und ©ott,1) die Gottheit Christi, ?) das sind in den Schriften dieser

Gruppe außerordentlich häufig vorkommende, außerordentlich stark

betonte Formeln.

sohnschaft"

Ebenso wird meist mit aller Energie die „Gottes­

Christi behauptet.

Was diesen Begriff betrifft, so

fehlt eine gründliche Auseinandersetzung über den genauen Sinn, in dem er gebraucht wird. Seeberg.

Das Klarste darüber findet sich bei

Nach ihm weist „Sohn Gottes" zunächst nur auf das

besondere, fürsorgende und leitende Vaterverhältnis, das Gott dem Menschen Jesus gegenüber einnimmt.

Dann aber hat er auch

einen höheren Sinn: den der Unterschiedenheit des göttlichen Wesens Also nicht bloß geschichtliche,

Jesu vom Vater. Gottessohnschaft?)

sondern

ewige

’) Seeberg, Grundw. S. 112, 120; Die Person Christi S. 445; Th. Kaftan, Hamburger Vortr. S- 161.

2) Seeberg, Grundw. S. 129; Die Person Christi S. 444; Warum glauben wir... S. 8 ff.; Beth, Mod. S. 225.

8) Grundw. S. 118, 122. — Eine ausdrückliche Behandlung der Gottessohn­ schaft Christi findet sich auch

in dem schon mehrfach zitierten Vortrag Lütgerts.

Aber was ist aus diesem Vortrag darüber eigentlich dogmatisch klar zu ersehen? Gottessohn darf Jesus nicht genannt werden, wenn man ihn auf die Propheten­

stufe fetzt (S. 6). Gottessohnschaft schließt ein, daß Jesus mit Gott verbunden wird (S. 5). Das Bekenntnis zur Gottessohnschaft Jesu spricht sich aus in der Anbetung Jesu (S. 3).

Und Anbetung Jesu ist das Bekenntnis zu seiner Gottheit (S. 3).

So kommt Glaube an die Gottessohnschaft Jesu schließlich auf eine Linie mit dem

Bekenntnis zu seiner Gottheit (S. 5).

Als ich seinerzeit den Vortrag hörte, habe

ich denselben Eindruck gehabt wie später und jetzt wieder bei der Lektüre: hier liegt

ein Operieren mit Begriffen vor, das der dogmatischen Deutlichkeit ermangelt.

Darf man bei dem auch von Lütgert vollzogenen Rückgang auf das Selbstzeugnis

Jesu (S. 2, 3) nicht erwarten, daß der genaue geschichtliche synoptische Begriff des Wortes klargestellt wird?

lischen Christusbild?

Gehört dies Selbstzeugnis Jesu nicht zu dem evange­

Seeberg hat, wie gezeigt, diesen exegetischen Sachbestand er­

wähnt; Lütgert hat das leider nicht getan.

Und doch wäre gerade in jener Stunde

in der Stadlmissionskirche zu Berlin Klarheit hierüber not gewesen.

Nach dem,

was vorliegt, läßt sich die Sachlage aber jedenfalls nicht anders beschreiben, als daß nach Lütgert die Gottessohnschaft irgendwie (wie?) die Gottheit entschließt.

sagt Gottessohnschaft, er meint Gottheit.

Er

S. 2 ist übrigens ganz vorübergehend

Messianität und Gottessohnschaft einmal gleichgesetzt.

Damit war für die einfachen

II.

37

Die Christologie der modernen positiven Theologie.

An dieser Stelle ist nun aber ein Unterschied zwischen der

Seebergschen Schule einerseits und Th. Kaftan andererseits anzu­

merken. Letzterer braucht viel öfter und viel lieber den Begriff Sohn Gottes als den der Gottheit Christi?) Allerdings antwortet auch er aus die Frage, ob wir sagen dürfen: wahrer Gott? mit Ja.

Aber er fügt sofort hinzu: „recht verstanden" und warnt alsbald vor allerlei Mißdeutung. eine offene Frage.

Ob die Schrift ihn Gott nenne, das sei

„Der Name, mit dem wir am einfachsten und

treffendsten und besten ihn bezeichnen nach dem, das er überweltlich,

das er aus Gott her ist, ist und bleibt der, den er selbst geprägt hat: Sohn Gottes." ?) Dieser Unterschied ist keineswegs ohne Be­

Er hängt, wie später zu zeigen sein wird, mit der ganzen

deutung.

Gestaltung der Christologie zusammen, je nach der rein ethisch­ religiösen oder mehr metaphysischen Ausbildung derselben. Th. Kaftan

spricht auch nicht von einer ewigen Gottessohnschaft, sondern von einer schlechthin einzigartigen, wahrhaftigen Gottessohnschaft, von einem Aus Gott und In Gott fein.3)

Auf die göttliche Seite der Person Christi fällt also aller Nach­ druck, wennschon mit charakteristischer Verschiedenheit zwischen beiden

Gruppen.

zurück.

Die Menschheit Jesu tritt dahinter ganz entschieden

Zum mindesten wieder in der Aussprache vor breiteren

Kreisen.

Das mag daran liegen, daß man die Front nach einer

Seite nimmt, wo die Menschheit Jesu nicht in Frage steht.

Aber

auch in der prinzipiellen Darlegung von Beth kommt sie nicht sehr zur Geltung?) Das spezifische Interesse gehört dem anderen Faktor. Dennoch muß hervorgehoben werden, daß die volle Menschheit Jesu Hörer freilich nichts geklärt.

Und für den Sachverständigen war damit nur eine

Verstärkung der Empfindung gegeben, daß Klarstellung notwendig war.

Vgl. die Auseinandersetzung Mod. Th. S. 25 ff. Hier steht, wenn ich nicht

sehr irre, der Ausdruck Gottheit Christi kein einziges Mal. ganzen Buche überhaupt nicht gefunden.

Ich habe ihn in dem

Dagegen vermeidet Seeberg, wo er am

ausführlichsten von der Sache spricht, absichtlich den Ausdruck Gottessohn. Warum

glauben wir... S. 11. 2) Hamburger Vorträge S. 161.

8) Mod. Theol. S. 25, 26, 27 ff., 37; Hamb. Vortr. bes. S. 154, 156.

Bei

der Formulierung Luthers in der Erklärung zum zweiten Artikel bleibt aber auch

er.

Hamb. Vortr. 130.

4) Beth betont immer, daß Christus von oben kam und jetzt oben ist (z. B. S. 242).

Menschensohn und ähnliche Ausdrücke finden sich natürlich auch bei ihm

(ebenda), doch ohne Akzent.

38

II. Die Christologie der modernen positiven Theologie.

gegenüber allen Abbröckelungsversuchen streng festgehalten wird. „Jesus war ein Mensch, kein leeres Abstraktum Menschheit*, sondern ein individueller, reicher Mensch mit einem mächtigen persönlichen Leben."*) Ganz richtig erkennt namentlich Th. Kaftan, daß es mit dem Verständnis der wahrhaftigen Menschheit Jesu bei den heutigett Christen hapert, und er macht dem gegenüber vollen Ernst mit diesem Satz?) Wenn in der überragenden Betonung der göttlichen Seite das eigentlich religiöse, das dogmatische Interesse dieser Theo­ logie zum Ausdruck kommt, so zeigt sich in dieser Anerkennung der wahrhaftigen Menschheit unfraglich eine Wirkung des evangelischen Christusbildes. Ebenso unfraglich ist aber auch mit der Menschheit Jesu bei Th. Kaftan rückhaltloser Ernst gemacht als bei Seeberg. Ersterer'^) spricht ausdrücklich von der „rein.menschlichen Entwicklung", die Jesus durchgemacht hat; er erklärt, daß Jesus im Gesamtumfang irdischer Erkenntnis zweifellos ein Sohn seiner Zeit war, und zwar: „wie ein jeder von uns". „Seine menschliche Beschränktheit reicht hinein in sein Erfassen der Gedanken Gottes, in sein Begreifen des göttlichen Ratschlusses." Endlich: er ward versucht gleichwie wir. Über diese Themata pflegt man im anderen Flügel der modernen positiven Theologie nicht so ausdrücklich zu reden. Und mir will scheinen, als ob auch nicht alle Vertreter derselben geneigt sein würden, alle diese Konsequenzen zu ziehen. Z. B. ist fraglich, inwieweit die von Th. Kaftan sehr klar betonte Jrrtumsfähigkeit Jesu auch von der anderen Gruppe anerkannt wird. Man könnte versucht sein, in Seebergs Satz: „Alles, was der Mensch Jesus dachte und tat, war von dem mit ihm geeinten Gott gegeben und gewirkt,"^) einen Gegensatz zu dieser These zu finden. Wörtlich genommen, schließt das doch die Jrrtumsfähigkeit aus. Aber es ist mißlich, hier Konsequenzen zu ziehen. Ich null es nicht unter­ nehmen, den Hader über die Jrrtumsfähigkeit Jesu, der innerhalb der Mitarbeiter der Biblischen Zeit- und Streitfragen ausgebrochen ist/’) auch innerhalb dieser Theologie mit Sicherheit zu konstatieren. Seeberg, Grundw. S. 116. 9) Hamburger Vortr. S. 132 ff., bes. S. 134. s) Die folgenden Zitate sämtlich nach Hamburger Borträgen S. 135, 136 7. 4) Grundw. S. 118. ß) Vgl. die Behauptung der Jrrtumsfähigkeit Jesu bei Max Meyer (Jesu Sündlvsigkeit S. 9, 10). Dagegen aufs schärfste Lemme, Jesu Jrrtumslosigkeit S. 22 Anm.

II.

Tie Christologie der modernen positiven Theologie.

39

Nur das darf mit absoluter Sicherheit gesagt werden, daß das Interesse, welches Th. Kaftan trieb, auch vor einem Gemeinde­ publikum die Konsequenzen der wahrhaftigen Menschheit so scharf

zu ziehen, bei dem anderen Flügel dieser Theologie durchaus nicht

vorhanden ist. Indes die gezeichneten Linien bedürfen einer Vervollständigung.

Wir finden sie, indem wir die Stellung zu den einzelnen hervor­

stechenden Momenten des Lebens Jesu klarlegen. Die

Jungfrauengeburi ist von Seeberg in den Grund­

wahrheiten nur einmal und ganz vorübergehend erwähnt worden. Als der letzte und tiefste Sinn der uralten geschichtlichen Überlieferung,

daß Jesus von der Jungfrau Maria geboren ist, wird an dieser Stelle bezeichnet, daß Gott den Menschen Jesus wie einst den ersten Menschen zu seinem Lrgan erschuf?) Man konnte danach wohl im Zweifel sein, ob er die geschichtliche Richtigkeit der Überlieferung

im eigentlichen Sinn festhielt. Schaeder hat das so verstanden, daß Seeberg das Faktum wohl nicht anerkenne.-) Aber Seeberg hat seinerseits klar ausgesprochen, er halte sie fest.'') Desgleichen Grützmacher, dieser freilich nicht um der geschichtlichen Überlieferung willen, sondern aus Glaubensüberzeugung.

Der Quellenbefund gibt

nach ihm rein historisch keinen Beweis für noch gegen die Histori­ zität?) Auch Beth hält sie fest, anscheinend aus ähnlichen Motiven. Th. Kaftan nimmt nicht absolut sicher Stellung.

Es scheint ihm

wohl nicht unmöglich, daß wir in den entsprechenden Berichten den

dichterischen Niederschlag des Glaubens der ersten Gemeinde zu er­

blicken haben.?

Bemerkt muß

werden, daß Kaftan ausdrücklich

erklärt, wer aus literar-historischeu Gründen die Jungfrauengeburt

bestreite, taste damit nicht die Gottessohnschaft Jesu an, nicht einmal die Zweinaturenlehre.

Das ist immerhin eine andere Stellung zur

*) Grundw. S. 117.

2) Das Wesen des Christentums und seine modernen Darstellungen.

1904.

3. 27, 28 (j. auch Anin. 3. 28). 3) Glaube uud Glaube 3. 28 ff.: Cv. Kirchenztg. 1904, 3p. 6. 4) Die Juugsrauengeburt 1906, bes. 3. 21, 36, 40.

5) Mod. Theol. 3. 28 f.; Hamburger Vorträge 3.158f.

Tie Darstellung

in Mod. Theol. 3. 28 j. entspricht genau der ersten Auflage (3. 27), fügt aber

manches zur Verdeutlichung hinzu (Anmerkung).

Danach ist ihm jedenfalls die

Geburt ans der Jungfrau nicht ebenso gewiß luie die Geburt Jesu „aus dem Geist,

aus Gott".

II. Die Christologie der modernen positiven Theologie.

40

Sache als die Grützmachers, der zwar nicht behaupten will, Gott hätte den Erlöser nur durch die Geburt aus der Jungfrau senden können, der aber doch, anscheinend mit dem Anspruch auf Allgemein­ gültigkeit dieser Logik, erklärt: „Kommt .... dem Christen, der in der Erfahrung seines Glaubens der wunderbaren Entstehung seines Heilands gewiß ist, aus der Geschichte die glaubwürdige Überlieferung, daß sie sich in der Form der jungfräulichen Geburt vollzog, so nimmt er sie dankbar an und umschließt sie mit seiner Glaubens­ gewißheit."') Der zweite Hauptpunkt ist die Auferstehung. Sämtliche Theologen dieser Gruppen sind einig in der Bejahung der leiblichen Auferstehung. Seeberg setzt Auferstehung und Wiederbelebung gleich.-) Beth'h neigt wohl gleichfalls zur Annahme leiblicher Auferstehung, ist aber auch bereit, die dieser Annahme entgegenstehenden Schwierig­ keiten zu würdigen. Er gibt zu, daß in der Heiligen Schrift über die Art des neuen Jesusleibes und über den Modus der Auf­ erstehung nichts vollkommen Deutliches gesagt sei. Er gesteht der sog. objektiven Visionstheorie eine gewisse Berechtigung zu und ist weit entfernt, sie kurzerhand als falsch oder gar als irrgläubig ab­ zulehnen. Ähnlich Th. Kaftan, nur daß dieser wohl noch ent­ schiedener, wenigstens für sich selbst, die Tatsache der leiblichen Auferstehung festhält/) Unversöhnlich ist aber auch er nicht gegen­ über denen, die eine wirklich objektive Visionshypothese vertreten. Daß Christus der himmlische Herr ist, wird von allen modernen positiven Theologen einmütig betont.'') Über die Himmel’) Jungfrauengeburt S. 40.

-) Grundw. S. 120, 121.

3) Moderne S. 228 ff., bes. S. 230, 231, 233. 4) Mod. Theol. S. 32 ff., dazu die Anin. S. 33. Vgl. Allg. ev.-luth. Kirchen­

zeitung 1906, Nr. 45, Sp. 1068, wo er das Zugeständnis an die objektive Visions­

hypothese einschränkt.

Hierzu Beth, Moderne 3. 230 Anm. — Hamburger Vortr.

S. 151 ff. — Die Darstellung der 2. Ausl, ist sachlich in diesem Stück nicht ge­

ändert.

Nur der Ausdruck „objektive Visionshypothese" ist fvrtgelafsen, und der

Sinn der Ausführung ist in der Anmerkung S. 33 klarer gestellt. Kaftan hier aus,

daß

Sehr klar spricht

„wissenschaftlich in der Auferstehungsfrage nichts zu

machen" ist. 6) Th. Kaftan, Mod. Theol. S. 33 f.;

S. 22 f.; Beth, Moderne S. 18 usw.

Seeberg, Warum glauben wir . . .

Beachtenswert ist freilich, daß für Th. Kaftan

das Hauptgewicht auf die Tatsache der Auferstehung fällt, für die andere Gruppe

das Wirken

des Erhöhten, das Regiment des lebendigen weit mehr in

Vordergrund tritt.

Darüber unten mehr.

den

II. Die Christologie der modernen positiven Theologie.

41

fahrt als Weg dazu sprechen sich die meisten nicht ausdrücklich aus. Beth sagt im Anschluß an die Erörterung über die Auferstehung ein

paar Worte dazu; aber dieselben konstatieren mehr das Vorhanden­ sein von Schwierigkeiten, als daß sie eine abschließende Meinungs­ äußerung bieten.

Hinsichtlich der Erscheinungen des Auferstandenen

gibt er Differenzen innerhalb der evangelischen Berichte zu, zwischen denen man nicht harmonisieren könne. Auch nach Beth wissen Pau­

lus und Petrus nichts von einer zeitlichen Scheidewand zwischen

einer Periode, in welcher Christus nach den Jüngern erschien, und einer andern, in welcher er bleibend zur Rechten Gottes entrückt

ist.1) Seeberg hat in besonderem Aufsatz die Erscheinungen, mehr noch die damit verbundenen Worte eingehend untersucht?) Nicht ohne Kritik an den Einzelheiten der Berichte zu üben (er konstatiert, „daß die Er­ scheinungen der Chronologie und Synopse Schwierigkeiten bereiten"), hält er die Tatsächlichkeit eines Verkehrs Christi mit den Jüngern

in einer Reihe einzelner Ereignisse fest. Das Ganze des Christus­ glaubens im Neuen Testament nebst vielen Einzelheiten setze eine

letzte, jenseits der Auferstehung liegende Offenbarung Christi resp.

Erfahrungen von einer solchen Offenbarung voraus.

Er konstatiert

drei Stadien der Offenbarung während der vierzig Tage. dert die Himmelfahrt von den übrigen Begebnissen;

Er son­

Christus sei

dabei von den Jüngern zum letzten Male gesehen worden.

Jeden­

falls: der Auferstandene ist nicht nur von seinen Jüngern gesehen, sondern sie haben auch Gedanken, Urteile und Anregungen von ihm empfangen. Auch die Präexistenz Christi wird bejaht.

„Daß Christi per­

sönliche Gottheit präexistent ist und daß sie ewig bleibt, ist unsere feste Überzeugung, denn Gott ist ewig und Christus ist Gott im

vollsten und tiefsten Sinne des Wortes."'')

dieses Satzes ist später zurückzukommen.

Auf die Ausdrucksweise

Genauer muß von dieser

Frage erst dort die Rede sein, wo die theologische Formulierung der

Christologie zur Sprache kommt. Noch mag konstatiert werden, daß die Wunderkraft Christi ohne Einschränkung anerkannt wird. Seeberg und Th. Kaftan sind *) Moderne 3. 231 s. 9) Evang. quadr. dierum bes.