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German Pages 19 [20] Year 1870
Versailler Vertrag. Em Wort an das bayerische Bott und dessen Vertreter.
München, 1870. Rudolph Oldenbourg.
Niederreissen ist leicht — aufbauen schwer. Leicht war es, das alte morsche aus einer Unzahl von Mitgliedern — Reichsständen, Churfürsten, Reichs
fürsten ,
Reichsprälaten, Reichsgrafen,
Reichsstädten,
Reichsritterschaften, unmittelbaren Reichsgliedern, mit
telbaren — und Landständen, Reichskreisen rc. besteh ende heilige römische Reich zu zerstören, und damit das
Band zu lösen, welches
die deutschen
Stämme zu-
sammenfafsen sollte, das aber stets lockerer und lockerer wurde.
Ohne die Welt zu erschüttern, brach die ehemals erste Macht der Welt im Jahre 1806 zusammen.
Aus den Kurfürsten- und Herzogthümern erhoben
sich Königreiche und Großherzogthümer als Vasallen
des französischen Cäsaren. Als auch das
von diesem aufgethürmte Gebäude
durch das Zusammenwirken der europäischen Völker und
insbesondere durch deutsche Kraft zertrümmert
wurde,
stellte sich von selbst für die deutsche Nation wieder das Bedürfniß fest — nun den verschiedenen Stämmen ein
einigendes Band zu schaffen, und diesen Bestrebungen
1*
4 der Diplomatie ist die Entstehung der deutschen Bundes akte zu danken.
Auch dieses Band ist durch die kriegerischen Ereig nisse vom Jahre 1866 zerrissen worden.
Heute, wo es sich um eine neue Gestaltung von Deutschland handelt, ist es Pflicht aller derjenigen, welche
hiezu mitzuwirken berufen sind, sowohl das historisch gewordene deutsche Staatsrecht als die wenigerbauliche
Geschichte
über die Entstehung der deutschen Bundes
akte zu studiren, ehe sie, ehe Bayern zum zweitenmal
das Beispiel gibt, daß zwar die Schöpfung eines staats
rechtlichen Bandes unter den deutschen Stämmen ge
hindert, aber die von
allen Parteien als ihr Pro
gramm betonte Einigung Deutschlands
nicht bewerk
stelliget zu werden vermochte.
I.
Nach der Eidesformel, welche der deutsche Kaiser nach den Bestimmungen der Wahlcapitulation zu be
schwören hatte, mußte der Kaiser die Kirche und Reli
gion beschirmen, das Reich nach allen Kräften schützen,
erhalten und vermehren,
Churfürsten und Stände bei
ihren Hoheiten, Freiheiten, Regalien und Gerechtsamen nicht nur laffen, sondern auch handhaben, gegen benach
barte Potentaten sich ftiedlich betragen und ihnen zu Feindseligkeiten gegen das Reich keinen Anlaß geben.
Wenn auch der Kaiser im Namen des Reichs ohne
deffen Mitbewilligung weder einen Krieg anfangen, noch
die Reichstruppen aus dem Reiche oder fremde herein führen durfte, wenn ferner Bündnisse und Friedens schlüsse andergestalt nicht als mit Zuthun und Bewirk
ung des Reiches beschlossen werden konnten, so bezieht sich diese Befugniß resp. deren Einschränkung doch nur
auf die Regel und fällt auch diese weg, wo Gefahr auf Verzug stand. Dem
Kaiser stand
es zu mit
Bewilligung des
Reichs Reichssteuern und Anlagen, insbesondere zur Er
haltung der Reichsfestungen, zur Bestreitung der Reichs gesandtschaften, bei Reichskriegen zur Operationskassa auszuschreiben.
Wir sehen daher, daß die Befugnisse des deutschen
Kaisers des heiligen römischen Reiches immerhin soweit gingen, daß
die Selbstständigkeit der einzelnen zahl
reichen deutschen Staaten neben den kaiserlichen Macht-
befugniffen eine unbeschränkte weder war noch sein konnte.
Je mehr aber die Gelegenheit der Kaiserwahlen benützt wurde, um die Machtbefugnisse dieses deutschen
Kaisers zu verkümmern und die eigene Autonomie zu stärken, desto rascher wurde die Auflösung des Reiches
vorbereitet und angebahnt, und so allein war es mög lich geworden, daß das erste Reich der Welt seit zwei
Jahrhunderten die Schmach erleiden mußte, daß deutsche
Provinzen bei Friedensschlüssen vom deutschen Reiche
als Ausgleichungsobjecte
abgetrümmert,
das deutsche
Reich statt gemehrt — stets verringert wurde, und nur so war es möglich, daß dieses ehemals erste Reich der
6
Welt im Jahre 1806 auseinanderfiel,
ohne die Welt
zu erschüttern. Aus den Reichsfürsten aller Art bildeten sich fran zösische Vasallen unter dem Rheinbünde und unter Na poleonischer Zwangsjacke.
Französische Generale verfügten in dem befreun
deten verbündeten Lande über die Freiheit der Eingebornen, über deren Leben, und die Souveränität der
neu geschaffenen Könige war nur berufen, die Befehle
des Cäsaren zu vollziehen.
30,000 Bayern starben auf den russischen Schnee
feldern für die Befreiung des
eigenen und
gemein
samen Vaterlandes von dem unerträglichen französischen
Drucke. Eine solche Schmach war für die deutsche Nation
nur möglich,
weil die Bande des heiligen römischen
Reiches stets mehr und mehr gelockert wurden,
weil
jeder Reichsstand nur bestrebt war, sich in jeder Weise neue Privilegien zur Stärkung der eigenen Autonomie
und zur Schwächung des ersten Reiches der Welt zu verschaffen — blind gegen die Gefahr, die nothwendig dem Ganzen wie den Theilen erwachsen mußte,
wenn
das Ganze ohne festen inneren Zusammenhalt,
ohne
den einigenden Kitt in machtlose Atome sich auflöste.
II. Erst das frische Andenken an die schmachvolle Un
terdrückung, Bedrückung, Aussaugung und Plünderung,
welche Folge dieser Bestrebungen war, — führte wieder zur Einigung, zur glorreichen Erhebung des deutsche»
Volkes,
zur
Abschüttelung
des
verhaßten,
fremden
Joches.
Nachdem dieses Ziel erreicht war, sollte künftige Schmach, Wiederkehr einer Verknechtung des deutschen Volkes abgewendet werden durch Schaffung eines neuen
Baues.
Die Verhandlungen von Bildung des Fünfer-Aus schusses bis zur ersten Bundesversammlung, vom Oktober 1814 bis zum November 1816 bieten kein trostreiches Bild über
die
Bestrebungen
zur
Zusammenfassung
Deutschlands in ein kräftiges Ganze, sondern ein trau riges Denkmal der Selbstsucht der einzelnen Staaten
dar, unter welchen Bayern und Würtemberg keines
wegs hervorleuchteten, und wäre Napoleon von der Insel
Elba nicht wieder
zurückgekehrt, — so würden wohl
Jahre dahin dahingestrichen sein, — bis die Bundes
akte vollendet worden wäre. Diese kam zu Stande ohne Mitwirkung des deutschen Volkes, welches die Napoleonische Zwang
herrschaft vernichtet. Sie wurde eröffnet und eingeführt unter Verheiß
ungen, die nie erfüllt werden sollten!
Die freie öffentliche Meinung der Nation, — mit diesen Worten wurde die erste Bundesversammlung eröffnet
— werde der Leitstern ihrer Berathungen sein, die Erfiittung
des Nationalbedürfnisses ihre heilige Pflicht!
8 In der Bundesversammlung waren nur die Re
gierungen, nicht das Volk vertreten, und das Bestreben der ersteren war auch nur darauf gerichtet, die Hoheits
rechte zu stärken und
dem Volke die Befolgung der
Bundesbeschlüsse zu überlasten. Kein staatsrechtliches Institut hat so wenig als die Bundesregierung während eines 32jährigen Bestandes
geleistet. Volk und Regierungen waren
im Jahre 1848
einig in Einem Punkte: darin, — die Bundesversamm lung zu verwerfen, zu verdammen.
Ihre Wirksamkeit bestand darin:
das lose, durch die Bundesakte geschlungene Band unter den deutschen Regierungen zu lockern—
das deutsche Volk aber mit Haß gegen diese In stitution zu erfüllen.
III.
Darum fiel der deutsche Bund, mißachtet im Innern, ohnmächtig gegen außen, —
ohne Sang und Klang.
Doctores aller Grade und
aller
Wiffenschasten,
Professoren, Gelehrte aller Art, Künstler und wenig
Praktiker bildeten das erste deutsche Parlament.
Aber indem
sie sich in Diskussionen über das
Beste, was der Nation geboten werden könne, — er schöpften, versäumten sie vor Allem die Bil
dung einer starken Centxalgewalt, und wäh-
rend die glänzendsten Stylübungen in der Paulskirche
ertönten— gewannen die einzelnen Regierungen wieder Muth,
das erste deutsche Parlament wurde aufgelöst,
der Bundestag wieder ins Leben gerufen.
Die Schaffung einer starken Centralgewalt wurde aber nunmehr auch von den Regierungen als nothwen
dig erachtet und die gekrönten Häupter derselben ver einigten sich.in Frankfurt a. M. zu einem vergeblichen Versuche der Schaffuug einer Centralgewalt mit obiger
Tendenz.
Die kriegerischen Ereignisse vom Jahre 1866 be
endeten für immer eine Institution, welcher nie eine Thräne gewidmet worden ist, Zusammenbruch
ohne daß auch dieser
eines diplomatischen Kunststückes
die
Welt im Geringsten erschüttert hätte.
IV. Und wieder liegt ein
Berfassungsbündniß vor,
und wieder ist es und kann es Zweck desselben nur
sein, die deutschen Stämme einigend zu einem Ganzen
zusammenzufaffen. Dieser Vertrag bestimmt,
aus den verschiedenen
deutschen Nationalitäten Ein Ganzes
zunächst
zum
Schutz und Trutz nach außen zu bilden — ist von den
Regierungen vereinbart und dem Volke zur Annahme
unterbreitet.
Zum erstenmale soll das deutsche, soll auch das
io bayerische Volk zur Grundlage des künftigen staats rechtlichen Verbandes mitwirken. Eine solche Mitwirkung wurde demselben zur Zeit
des Bestandes des heiligen
römischen Reiches nie ge
währt, und trotz der von dem Volke zur Befreiung des
gemeinsamen Vaterlandes gebrachten ungeheuren Opfer
wurde jede Mitwirkung desselben bei Aufrichtung des deutschen
Bundes
ausgeschlossen und auch,
als
die
deutschen Fürsten an eine Regeneration desselben dach ten, — eine Mitwirkung des Volkes nicht in Aussicht
gestellt. Allerdings ist diese Mitwirkung nur eine beschränkte,
sie kann naturgemäß nur in der Annahme oder Ver werfung der Verträge bestehen, — denn würde jede
deutsche Kammer Modificationen beschließen, so würde eine Einigung unmöglich gemacht.
Wird die bayerische Volksvertretung sich für An
nahme oder Verwerfung entscheiden, ist eine Frage von tiefster Bedeutung für die Zukunft, ja für die Fort
existenz des bayerischen Vaterlandes. Sie ist von höchster Bedeutung für die Zukunft Bayerns.
Von der Annahme
der Verträge wird
es ab
hängen, ob Bayern einen Theil des großen Ganzen
bilden, oder ob es eine isolirte Stellung einnehmen wird. Als Theil des großen, unter einer starken Central gewalt geeinigten Deutschlands wird es stark mit dem
Ganzen und alle Vortheile genießen, welche eine große
geeinigte Macht genießt. römische Reich zerfiel, weil es an
Das heilige
einer starken Centralgewalt gebrach, —
der deutsche
Bund ging zu Grunde, weil eine starke Centralgewalt
ermangelte, — das erste deutsche Parlament löste sich
auf, weil es versäumte, zunächst eine starke Central
gewalt zu schaffen. Seit dem Jahre 1866 haben alle Parteien die Nothwendigkeit
der Einigung
von Deutschland, und
ebenso zum Zwecke der Herstellung eines einigen Deutsch lands die Nothwendigkeit betont,
Staaten Opfer
bringen müssen.
speciell zu bestehen sollen,
daß
die einzelnen
Worin diese Opfer
darüber haben
die Pro
gramme geschwiegen. Nun werden bestimmte Opfer, die wenigsten aber
von Bayern verlangt.
Soll deßwegen,
weil Bayern die privilegirteste
Stellung im deutschen Reiche erhält, — die bayerische Volksvertretung ablehnen? Sollen wir der Vortheile beraubt werden, die wir
als privilegirteS Glied des großen Ganzen genießen?
Unmöglich! Man hat betont,
und betont zunächst die noth
wendige Erhöhung der Steuerlast, die die Annahme
der Verträge involvirt, — die große Erhöhung ins besondere
budgets.
sogar
die
Unabänderlichkeit
des
Militär
12 Wir fürchten diese allerdings nothwendige Lasten
vermehrung ist nicht der wahre Grund. Seit Napoleon III. Europa und beziehungsweise
das europäische Völkerrecht mit den Principien
der
Nationalität und Nichtintervention zu dem Zwecke be
glückt hat, um beide Grundsätze durch Frankreich stets
verletzen zu lasten, überall aber, wohin es ihm beliebte, die Fahne der Revolution zu tragen, — ist Europa
in einer neuen Staatenbildung
begriffen, und der
Staat wird zu Grunde gehen, der nicht bis an die
Zähne bewaffnet ist,
bis solche Umbildung sich voll
zogen hat. Wenn Preußen trotz alles Widerstrebens der Volks
vertretung
ein
kostspieliges Wehrsystem rechtzeitig
eingeführt hat, so hat es nur weise gehandelt, und sich befähiget
Oesterreich und Frankreich
niederzuwerfen,
den Krieg nach Oesterreich und Frankreich in das Herz
der feindlichen Länder zu spielen,
und dadurch die
eignen Länder von den ungeheuren Calamitäten des
Krieges frei zu halten. Ist die Staatenbildung vollzogen, ist ein europä isches Staats-, ein Völkerrecht wieder hergestellt, kann der Janustempel mit Sicherheit wieder geschloffen werden,
dann werden und müssen die Staatsregierungen, wird
und muß das deutsche Reich
von
selbst die Opfer,
welche ein großes Heer auferlegt, — mäßigen und zu
letzt erfassen. Würde aber dieses nicht der Fall sein, so wird
die Stimme des deutschen Volkes im deutschen Parla
mente so laut und so mächtig ertönen, und so lange mächtig erschallen, bis zur rechten Zeit dieses Ziel er reicht ist.
Und werden diese Opfer Bayern erspart, wenn es
sich isolirt?
Je schwächer der bayerische Staat im Verhältniß zu den ihn umkreisenden Großstaaten ist, — je mehr wir wissen, daß der Eine derselben den Inn zu seiner Gränze haben will, je mehr befürchtet , wurde, daß der andere den Main überschreiten werde, desto nothwen
diger
ist
es,
wenn
er
nur
einige Hoffnung
auf
Fortdauer haben will, daß er eine achtunggebietende,
seine Kräfte übersteigende Armee aufstellt und erhält. Oder glaubt man im Ernste — vor den Gränzen Bayerns, das sich vom deutschen Bunde ausgeschlossen hat,
«ine sichernde Allianz nicht zu schließen vermag, am aller
wenigsten aber eine Neutralität mit immerhin zweifel hafter europäischer Garantie erringen wird, das keinen Freund besitzt, — vor den Gränzen Bayerns wird
insbesondere dann, wenn ein neuer Krieg ausbrechen
sollte, der eine oder andere kriegführende Theil Gewehr zu Fuß halt machen — namentlich dann, wenn es nicht eine starke, wohlgerüstete Armee besitzt? Niemand wird das glauben, am wenigsten der, für welchen die Geschichte des bayerischen Vaterlandes nicht spurlos vorübergegangen.
Gerade das also, was durch die Ablehnung der
14 Verträge vermieden werden will, gerade die Anspan nung der Steuerkraft wird nicht vorübergehend,
son
dern dauernd herbeigeführt, ohne Bayern weiters als eine Prekäre Existenz zu verschaffen.
Und wird Bayern diese erhöhte Last zu tragen
vermögen?
Wir glauben: ja bis.zum Ablauf des Zollvereines. Hat Bayern sich aus dem deutschen Reiche aus geschlossen, so wird es an dem bezeichneten Zeitpunkte der Wohlthat des
Zollvereins
durch dessen Kündung
verlustig werden. Handel und Verkehr, dem die Adern unterbunden
sind,
werden
mern,
stocken, — die Industrie wird
der Ackerbau für seine Produkte
verküm
Absatz
nicht
finden, — wie seiner Zeit in einem andern deutschen Lande, das nur zu lange vom Zollvereine sich aus
schloß, Städten
wird das Gras auf den Straßen und in den wachsen, und eine wesentlichste Einkommens-
Quelle aus den Eisenbahnen sinken. Bayern wird dann die Last,
welche eine seine
Existenz stiftende, große, wohlgerüstcte Armee erfordert, nicht mehr zu tragen vermögen, und' wird verarmt froh
sein, in den deutschen Bund ohne alle Vergünstigung ausgenommen zu werden.
Wir hören einen weiteren Einwand,
den:
daß
der deuffche Bund nicht alle Deutsche in sich aufnimmt,
daß alle Deutschösterreicher ausgeschlossen sind.
Unmöglich kann auch dieser Einwand im Ernste
gemeint sein?
Sollen die Deutschen,
die deutschen Länder, die
sich zu einigen vermögen, deßwegen die Einigung unter lassen, schwach, isolirt, ohne einigendes Band bleiben,
weil bezüglich einer Minderzahl dieselbe Einigung nicht möglich ist?
Soll deßwegen die Zerrissenheit Deutsch
lands fortdauern?
Soll, weil das Beste nicht erzielt werden kann,— das Gute abgelehnt werden?
Oesterreich hat sich im Jahre 1866 beeilt, Frieden zu schließen, und seine Bundesgenossen ihrem Schicksale
überlassen! Wer, wie wir, wahrhaft großdeutsch gesinnt ist, —
weiß, daß die Zeit nicht ferne ist, wenn die Deutsch-
Oesterreicher dem neuen deutschen Reiche zufallen werden.
Oesterreich ist nicht blos durch seine Finanzwirth schaft ,
nicht blos durch seinen Dualismus, nicht blos
Dadurch geschwächt, daß jedes Kronland dieselbe Selbst
ständigkeit erringen will, wie Ungarn solche endlich er rungen hat, — die Geschicke Oesterreichs werden sich
darum erfüllen, weil nicht blos eine kräftige Regierung mit bewußten Zielen seit Jahren ermangelt, sondern
und ganzvorzugsweise, weil die Corruption alle Schich ten der Gesellschaft durchdrungen, zerfressen hat, und
weil nach dem Zeugnisse der Geschichte aller Zeiten und Nationen keine also corrumpirte Nation Anspruch auf
Dauer, am allerwenigsten aber ein Reich hat, welches
16 aus den verschiedensten Nationalitäten sich zusammen setzte, welche zwar früher nicht die goldene Bulle, son dern ein kräftiges Regiment, nicht aber jetzt, wo das
Princip der Nationalitäten gefräßig und auflösend um sich gegriffen — eine schwache und dualistische Regie
rung zusammen zu halten vermag. Nur ein einiges, ein starkes deutsches Reich ist im
Stande, die Dauer von Oesterreich zu fristen, weil nur der Hinblick auf dieses einige starke deutsche Reich die Deutschösterreicher in ihrem Kampfe gegen die übrigen
österreichischen Nationalitäten
gegenüber
dem ziellos
hin- und herschwankenden Regimente zu stärken vermag, — der deutschen Cultur allein in Oesterreich den Sieg
verschaffen wird. Gerade der Hinblick auf
Oesterreich,
auf den
Deutsch-Oesterreicher ist daher für uns — nach unserer
innigsten Ueberzeugung — ein und zwar eines
der
stärksten Motive für Annahme der Verträge.
Nur schüchtern vermögen wir ein weiteres Moment anzudeuten — das allenfalls,
wenn auch nicht offen,
aber doch insgeheim gegen solche Annahme geltend ge macht werden dürfte:
wir meinen den protestan
tischen Kaiser.
Wir zählen zu treuen Anhängern der katholischen Kirche, wenn wir auch manche Vorgänge in derselben
aus neuester Zeit bedauern, welche den Frieden in der Kirche selbst stören, griffen aussetzten.
und diese einer Reihe von An
Gleichwohl begrüßen wir mit Freuden den pro
testantischen Kaiser,
der ein Reich zu schaffen berufen
ist, dessen Devise: „Gottesfurcht, edle Sitte und wahre Freiheit",
in dessen weitem Gebiete die katholische Kirche nie jenen maßlosen Angriffen Preis gegeben, welche wir in katho lischen Ländern nicht im Jntereffe des Protestantismus,
sondern im Interesse des Unglaubens zu beklagen ha ben, — wir begrüßen den deutschen Kaiser,
welcher
sich als ersten Diener seines Staates betrachtet, in hohem
Greisenalter unermüdlich seinen hohen Regentenpflichten
obliegt, im Frieden, umgeben stets von den Rathgebern der Krone, — im Kriege inmitten seiner Armee rastlos
bestrebt ist, die Interessen seines Volkes zu fördern, — wir begrüßen mit Freuden den protestantischen Kaiser,
welcher dem deutschen Volke den ersten Rang unter den Nationen, den es einst gehabt und verloren, — wieder
errungen hat, — wir begrüßen den Fürsten mit Freu den als Kaiser,
welcher, wählend die Gesandten aller
katholischen Völker
sten
Gefahr
den bedrängten Papst in der höch
verließen
—
schützend zur Seite ließ, und
allein
seinen
Gesandten
auf den allein die Hoff
nung derjenigen Katholiken gebaut sein kann, die eine
wahrhafte und wirkliche Selbständigkeit des Papstes wün schen und wollen.
Wir gehören keiner Parthei an,
weil uns keine
befriedigt. Aber dann, wenn wir einem Programme huldigen 2
18 würden, welches die Einigung Deutschlands ans seine Fahne geschrieben, dann müßten wir als Deutsche, als Bayern diejenige Einigung, wie sie nns nun geboten
wird, mit Freude als Erfüllung unseres Program
mes begrüßen, wenn wir uns nicht dem Borwurfe aus
setzen wollen, als sei ein solches Ziel betonendes Pro gramm nicht ernstlich gemeint gewesen. Das ist sicher bei allen jenen der Fall, welche die Bündnißverträge vom Jahre 1866 allein als genügen
des Einigungsband erklären, und darum nun die Ver träge ablehnen wollen, denn ihr Programm hat seine Entstehung erst viel späterer Zeit zu danken, und es
wäre
mindestens
überflüssig
gewesen
die
Einigung
Deutschlands in demselben als Zielpunkt der Parteibe strebung zu betonen, wenn sie bereits durch die Bünd
nißverträge geschaffen war.
Uns scheint , daß die höchsten Interessen des bayeri schen Volkes in Frage stehen, und daß, wenn die Ver
träge abgelehnt werden wollen, weil die Art und Weise
der Einigung etwa nicht entspricht, diejenigen, welche
darum gegen die Verträge plaidiren,
auch verpflichtet
sind, — nicht blos, wie wir Eingangs erwähnten, nie
derzureissen, sondern auch aufzubauen, d. h. die Art und Weise, wie die Einigung nach ihrer Anschauung erwirkt werden soll, — zu bezeichnen. Daß hiebei Opfer gebracht werden müssen, ist als
selbstverständlich niedergelegt.
in allen Programmen als Postulat
Wir haben aber von einer cklso motivirten Ab
lehnung nie gehört, und geben uns daher der Ueber zeugung hin,
Stelle
daß es wohl nicht möglich ist, an die
des vorliegenden Vertrages einen besseren zu
schaffen.
Aber eben darauf bguen wir unsere Hoffnung, daß eine wiederholte, gewissenhafte, unbefangene, des Zieles
aller Partheien bewußte Würdigung, nicht zur Ablehn
ung, nicht zur Niederreissung, sondern zur Annahme,
zur Vollendung des Ausbaues des deutschen Einigungs werkes führen wird und führen muß.
Kgl. Hofbuchdruckeret von Dr. 6. Wolf L Sohn.