Zum Anwendungsbereich der §§ 359 ff. StPO: Möglichkeiten und Grenzen der Fehlerkorrektur über das strafrechtliche Wiederaufnahmeverfahren [1 ed.] 9783428551217, 9783428151219

Wie ist zu reagieren, wenn sich nach Rechtskraft einer strafgerichtlichen Entscheidung deren Fehlerhaftigkeit offenbart?

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Zum Anwendungsbereich der §§ 359 ff. StPO: Möglichkeiten und Grenzen der Fehlerkorrektur über das strafrechtliche Wiederaufnahmeverfahren [1 ed.]
 9783428551217, 9783428151219

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Strafrechtliche Abhandlungen Neue Folge · Band 273

Zum Anwendungsbereich der §§ 359 ff. StPO Möglichkeiten und Grenzen der Fehlerkorrektur über das strafrechtliche Wiederaufnahmeverfahren

Von

Sara Brinkmann

Duncker & Humblot · Berlin

SARA BRINKMANN

Zum Anwendungsbereich der §§ 359 ff. StPO

Strafrechtliche Abhandlungen · Neue Folge Begründet von Dr. Eberhard Schmidhäuser (†) em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Hamburg

Herausgegeben von Dr. Dres. h. c. Friedrich-Christian Schroeder em. ord. Prof. der Rechte an der Universität Regensburg

und Dr. Andreas Hoyer ord. Prof. der Rechte an der Universität Kiel

in Zusammenarbeit mit den Strafrechtslehrern der deutschen Universitäten

Band 273

Zum Anwendungsbereich der §§ 359 ff. StPO Möglichkeiten und Grenzen der Fehlerkorrektur über das strafrechtliche Wiederaufnahmeverfahren

Von

Sara Brinkmann

Duncker & Humblot · Berlin

Zur Aufnahme in die Reihe empfohlen von Professor Dr. Helmut Frister, Düsseldorf Die Juristische Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf hat diese Arbeit im Jahr 2016 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D 61 Alle Rechte vorbehalten

© 2017 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: CPI buch.bücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0720-7271 ISBN 978-3-428-15121-9 (Print) ISBN 978-3-428-55121-7 (E-Book) ISBN 978-3-428-85121-8 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit ist an der Juristischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf in den Jahren 2012 bis 2015 entstanden und wurde im August 2015 als Dissertation eingereicht. Rechtsprechung und Literatur wurden bis zu diesem Zeitpunkt berücksichtigt. Die Disputation fand im August 2016 statt. Mein herzlichster Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Helmut Frister, der die Entstehung der Arbeit durchweg begleitet und mit zahlreichen wertvollen Hinweisen gefördert hat. Die Zeit, die ich als Mitarbeiterin an seinem Lehrstuhl verbringen durfte, war für mich fachlich wie persönlich ungemein wertvoll und in vielfacher Hinsicht gewinnbringend. Nicht zuletzt auch dank der vielen lieben Kollegen wird mir diese Zeit stets in sehr schöner Erinnerung bleiben. Bedanken möchte ich mich ebenfalls bei Herrn Prof. Dr. Karsten Altenhain für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Dem Freundeskreis der Juristischen Fakultät Düsseldorf e.V. bin ich hinsichtlich der Förderung der Veröffentlichung durch Verleihung des Promotionspreises sehr verbunden. Meinen Eltern schließlich danke ich für die uneingeschränkte Unterstützung und den Zuspruch, der mir während der gesamten Zeit zuteil wurde und der mich auf meinem Weg begleitet. Ihnen sei diese Arbeit gewidmet. Düsseldorf, im November 2016

Sara Brinkmann

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 B. Fehlerhafte Entscheidungen und ihre Korrekturmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . 19 I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1. Begriffliches zum Fehlurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2. Beginn der Bindungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 3. Korrekturmöglichkeit bei offensichtlichen Fehlern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 II. Gänzliche Unwirksamkeit massiv fehlerhafter Entscheidungen? . . . . . . . . . . . . . . 27 1. Die Lehre von der Urteilsnichtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 2. Kritik an der Lehre vom nichtigen Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 III. Gesetzlich vorgesehene Korrekturmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 1. Die Wiederaufnahme nach §§ 359 ff. StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 2. Die §§ 174 Abs. 2, 211 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 3. Anhörungsrüge nach §§ 33a, 311a StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 4. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, §§ 44 ff. StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 5. Rechtsbehelfe im verfassungsrechtlichen Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 6. Individualbeschwerde nach Art. 34 EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 7. Gerichtliche Entscheidung im Strafvollstreckungsverfahren (§ 458 Abs. 1 StPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 8. Gnadenverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 9. Gegenvorstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 IV. Korrigierbarkeit als Frage der Rechtskraft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 1. Die herkömmliche Orientierung an der Rechtskraftfähigkeit der Entscheidung

66

2. Eigener Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 a) Bindung als Ausfluss des Vertrauensschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 b) Vertrauensschutz als Mittel zur Sicherung des Prozessziels . . . . . . . . . . . . . 72 c) Vertrauensschutz als Grundlage tatsächlicher Verfahrensgestaltung . . . . . . . 74 d) Bezugspunkt des Vertrauens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 e) (Verzichtbare) Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78

10

Inhaltsverzeichnis

C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 I. Sachurteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 1. Sachurteile im Kontext der klassischen Verfahrenshindernisse . . . . . . . . . . . . . 81 a) Strafunmündigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 b) Verjährung der Tat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 c) Strafantragserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 d) Amnestie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 e) Verbot der Doppelbestrafung („ne bis in idem“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 f) Verhandlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 g) Fehlen der deutschen Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 h) Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 i) Fehlende Anklage und fehlender Eröffnungsbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 2. Sachurteile im Kontext von Beweisverwertungsverboten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 a) Verkennen des Eingreifens eines Beweisverwertungsverbotes . . . . . . . . . . . 123 b) Fehlerhafte Annahme eines Beweisverwertungsverbotes . . . . . . . . . . . . . . . 127 3. Sachurteile im Kontext sonstiger Verfahrensfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 a) Fehleinschätzungen im Hinblick auf die gerichtliche Zuständigkeit . . . . . . . 129 b) Unzulässige Abwesenheit des Angeklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 c) Mitwirkung einer ausgeschlossenen oder befangenen Gerichtsperson . . . . . 135 d) Verfahrensmängel, denen mit der Strafzumessungslösung begegnet wird . . 139 e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 4. Strafbefehlsverfahren nach §§ 407 ff. StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 a) Erlass des Strafbefehls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 b) Urteil nach Einspruch gegen den Strafbefehl, § 411 Abs. 4 StPO . . . . . . . . . 154 II. Prozessurteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 1. Prozessurteile im Kontext der klassischen Verfahrenshindernisse . . . . . . . . . . . 161 a) Behebbare Verfahrenshindernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 b) Verjährung der Tat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 c) Strafantragserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 d) Verhandlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 e) Verbot der Doppelbestrafung („ne bis in idem“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 f) Verfahrenshindernisse bei Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 g) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 2. Prozessurteile im Strafbefehlsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 a) Verwerfung des Einspruchs wegen Ausbleibens des Angeklagten . . . . . . . . 179 b) Verwerfung des Einspruchs wegen Unzulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185

Inhaltsverzeichnis

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III. Urteilsersetzende Beschlüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 1. Urteilsersetzende Beschlüsse im Kontext der klassischen Verfahrenshindernisse – Vorbehalte gegen den Einbezug ins Wiederaufnahmeverfahren . . . . . . . . . . . 187 a) Grundsätzlich andere Sperrwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 b) Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 c) Förderung vorschneller Verfahrenseinstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 d) Wiederaufnahme als Ausnahmeerscheinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 e) Unzulässigkeit einer Analogie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 f) Ruf nach dem Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 g) Umständlichkeit des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 h) Anwendung auf BGHSt 52, 119 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 2. Urteilsersetzende Beschlüsse im Strafbefehlsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 D. Die aus rechtlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 I. Die hinsichtlich der materiellen Rechtslage fehlerhafte Entscheidung . . . . . . . . . . 228 1. Verurteilung ohne gesetzliche Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 2. Ignoranz von Tatbestandsmerkmalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 3. Sonstige Subsumtionsfehler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 4. Fehler auf Strafzumessungsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 5. Verhängung einer gesetzlich nicht vorgesehenen Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . 245 6. Verjährung der Tat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 7. Strafantragserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 8. Verstoß gegen ne bis in idem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 9. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252 II. Die hinsichtlich des Verfahrens fehlerhafte Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 1. Verstöße gegen die Vorschriften zur Verständigung (§ 257c StPO) . . . . . . . . . . 253 2. Missachtung der sachlichen Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 3. Fehlerhafte Anklage und fehlerhafter Eröffnungsbeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . 263 4. Rechtsfehler im Bereich der Beweisverwertungsverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 5. Mitwirkung einer ausgeschlossenen oder befangenen Gerichtsperson . . . . . . . . 267 6. Einstellung des Verfahrens als nicht gebotene Entscheidungsform . . . . . . . . . . 267 E. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291

A. Einleitung „Strafprozessuale Kuriositäten“ lautet der Titel des im Jahre 2014 erschienenen Beitrags von Ekkehard Appl in der Festschrift für den aus dem Amt scheidenden Präsidenten des Bundesgerichtshofs Klaus Tolksdorf.1 Appl präsentiert darin drei ausgewählte Fallkonstellationen, für die seiner Auffassung nach die im Übrigen bis ins Detail durchnormierte Strafprozessordnung keine Patentlösung bereithalte. Einer der dort behandelten „kuriosen“ Fälle inspirierte auch die vorliegende Arbeit: Der fingierte Tod des Angeklagten, BGHSt 52, 119. Im laufenden Revisionsverfahren war die Mitteilung ergangen, dass der Angeklagte zwischenzeitlich verstorben sei. In Anbetracht des vermeintlichen Vorliegens dieses – offensichtlich – unbehebbaren Verfahrenshindernisses wurde das Verfahren nach § 206a StPO endgültig eingestellt,2 die Verurteilung damit nicht rechtskräftig. Später stellte sich jedoch heraus, dass die von einem Dritten, vermutlich dem Vater des Angeklagten, vorgelegte Sterbeurkunde durch eine gefälschte Totenbescheinigung erlangt worden und der Angeklagte nicht verstorben, sondern flüchtig war. Der Zweiten Strafsenat des Bundesgerichtshofs hob daraufhin den eigenen Einstellungsbeschluss auf. Für die Frage nach dem „Ob“, also nach der Berechtigung für die Rücknahme, erfolgte ein Rückgriff auf den Rechtsgedanken des § 362 StPO. Die Frage nach dem „Wie“ wurde angesichts der Ermächtigung zur ursprünglichen Einstellungsentscheidung über einen actus contrarius gelöst: Durch entsprechenden Beschluss nach § 206a StPO sei „der Einstellungsbeschluss aufzuheben und das Verfahren in dem Stand fortzusetzen, in welchem es sich vor der irrtümlichen Einstellung befand“.3 Die nachfolgend erhobene Anhörungsrüge, eine Gegenvorstellung sowie die letztlich eingelegte Verfassungsbeschwerde des Angeklagten blieben sämtlich erfolgslos.4

1

Appl, FS Tolksdorf, S. 179 ff. Die lange in der Rechtsprechung vorherrschende Auffassung (vgl. etwa BGHSt 34, 184), der staatliche Strafanspruch, der sich nur gegen lebende Personen richten könne, finde in derartigen Fällen automatisch seine Erledigung und das Verfahren beende sich ohne weiteres von selbst, wurde durch BGHSt 45, 108 aufgegeben. Allein aufgrund dieser thematischen Überschneidung bezeichnet sich BGHSt 52, 119 im Leitsatz als „Fortführung“ dieser Rechtsprechung. Dies täuscht erheblich über das dort betretene dogmatische Neuland hinweg, so auch Kühl, NJW 2008, 1009; Ziemann, HRRS 2008, 364 (365). 3 BGHSt 52, 119 (121 u. 123); hierzu auch Ziemann, HRRS 2008, 364 (365). 4 Appl, FS Tolksdorf, S. 179 (182). 2

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A. Einleitung

Die Resonanz des Schrifttums auf diesen Ende 2007 entschiedenen Fall war bereits unmittelbar nach Veröffentlichung der Entscheidung enorm.5 Die konkrete Fallgestaltung ist in der Tat kurios, jedenfalls kein prozessuales Alltagsgeschäft. Sie betrifft jedoch in ihrem Kern eine Thematik, die zu den problematischsten Fragen des Strafprozessrechts6 gezählt werden kann: Die Möglichkeit des nachträglichen Zugriffs auf eine bereits rechtskräftige, richterliche Entscheidung. Wenngleich das Streben nach Wahrheit und Gerechtigkeit jedes rechtstaatliche Verfahren charakterisiert, so ist auch anerkannt, dass in einem auf gesetzlich geregeltes Fortschreiten angelegten7 Prozess die ultimativ „richtige“ Entscheidung nicht stets erreicht werden kann. Die Perspektive des permanenten Prozedierens vermag den durch den Bruch mit der Rechtsordnung entstandenen Konflikt8 nicht zu lösen, was dazu führt, dass unter jedes Verfahren letztlich ein Schlusspunkt gesetzt werden muss. Die Funktion dieses Schlusspunktes übernimmt üblicherweise die Rechtskraft. Schon der Wortbestandteil „Kraft“ belegt, dass diese als vorhandene, Geltung beanspruchende Größe dem erneuten Angriff der als Definitivum gedachten Entscheidung in Zukunft abwehrend entgegensteht.9 Nun kann das Bedürfnis entstehen, das gefundene Ergebnis doch noch nachträglich zu korrigieren, nämlich dann, wenn sich eine Entscheidung später als fehlerhaft erweist – das eingangs präsentierte Szenario bildet ein anschauliches Beispiel.10 Ein derartiger Zugriff wird von der Verfahrensordnung in der Tat gestattet. Der Korrektur der Entscheidung nach rechtskräftigem Abschluss des Strafprozesses dient insbesondere das in §§ 359 ff. StPO geregelte Wiederaufnahmeverfahren. Diesem Rechtsbehelf wird oftmals attestiert, das Spannungsverhältnis11 zwischen Gewähr5 Anmerkungen und Besprechungen von Jahn, JuS 2008, 459 ff.; Kühl, NJW 2008, 1009 f.; Rieß, NStZ 2008, 297 ff.; Schützeberg, StRR 2008, 178 f.; Ziemann, HRRS 2008, 364 ff. Anschließend hielt die Entscheidung Einzug in die Kommentare, vgl. etwa BeckOK-Ritscher, § 206a Rn. 10; KK-Schneider, § 206a Rn. 15; KMR-Seidl, § 206a Rn. 46a; Meyer-Goßner/ Schmitt, § 206a Rn. 11; SSW-Rosenau, § 206a Rn. 9. Paeffgen widmet ihr im Systematischen Kommentar einen völlig neuen Unterabschnitt (§ 206a Rn. 31a-31 g) und darüber hinaus einen Exkurs im Anhang zu § 206a (Rn. 7c–7 f). 6 Ähnlich die Einschätzung von Grünwald, ZStW 86 [1974] Beiheft, 94 (96). 7 Geppert, GA 1972, 165 (170). 8 Zum Aspekt der „Entstörungsfunktion“ des Strafrechts Schmidhäuser, FS Eb. Schmidt, S. 511 (516). 9 Ähnlich Gaul, Grundlagen des Wiederaufnahmerechts, S. 35 f. 10 Vgl. Kühl, NJW 2008, 1009 (1010): es sei selbstverständlich, dass man eine solche Strategie „durchkreuzen“ müsse; Ziemann, HRRS 2008, 364: dass diese Entscheidung keinen Bestand haben durfte „war klar“. 11 Vgl. etwa LR-Kühne, Einl. Abschn. K Rn. 65; Maunz/Dürig-Schmid-Aßmann, Art. 103 Abs. 3 Rn. 259; Meyer-Goßner/Schmitt, Vor § 359 Rn. 1; Grünewald, ZStW 120 [2008], 545 (547); Hassemer, StV 1982, 275 (277); Meyer, ZStW 84 [1972], 909; Fingas, Die Fehlentscheidung des Richters, S. 129 f.; Pfeiffer, FG Graßhoff, S. 271; Marxen/Tiemann, Wiederaufnahme, Vorwort; Peters, Strafprozeß, S. 83 f.; Ranft, Strafprozeßrecht, Rn 2252; Stache, Abschaffung § 357 StPO, S. 152. Der Begriff des „Spannungsfeldes“ findet sich auch etwa in

A. Einleitung

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leistung von Rechtssicherheit einerseits und Verwirklichung materieller Gerechtigkeit andererseits einer Lösung zuzuführen. In begrenztem Maße ist dies korrekt. Zu einer Kollision von Gerechtigkeit und Rechtssicherheit kommt es allerdings erst dann, wenn die Überprüfung einer Entscheidung ausgeschlossen ist, obwohl dadurch ein richtigeres Ergebnis zu erwarten ist.12 In den §§ 359, 362 StPO hat der Gesetzgeber zur Lösung dieses Konflikts diejenigen Konstellationen explizit benannt, in denen der nachträgliche Zugriff auf eine rechtskräftige Entscheidung gestattet sein soll.13 Die Vorschriften tragen im Wesentlichen unverändert die Züge ihrer Ausgestaltung nach der Reichsstrafprozessordnung.14 Entsprechend verlässlich ist auch ihr Anwendungsbereich geklärt für die Fälle, die der historische Gesetzgeber bei Schaffung des Wiederaufnahmeverfahrens vor Augen hatte: Sachurteile, die in materiell-rechtlicher Hinsicht fehlerhaft sind. Betreffend das „klassische“ Fehlurteil aus materiell-rechtlichen Gründen, also die Verurteilung eines Unschuldigen oder der Freispruch sowie unter Umständen auch die nicht schuldangemessene Bestrafung eines tatsächlich Schuldigen auf falscher Tatsachengrundlage, sind die §§ 359 ff. StPO unproblematisch einschlägig. Es bedarf einer rechtskräftigen Entscheidung eines deutschen Strafgerichts in Urteilsform, die an einem in den §§ 359, 362 StPO benannten Mangel krankt, wobei nach § 363 StPO eine Wiederaufnahme des Verfahrens nur zu dem Zwecke, eine andere Strafbemessung auf Grund desselben Strafgesetzes oder eine Milderung der Strafe wegen verminderter Schuldfähigkeit herbeizuführen, ausgeschlossen ist. Die in diesem Kontext vorherrschenden Probleme betreffen nicht den Anwendungsbereich des Wiederaufnahmeverfahrens, sondern vielmehr dessen konkrete Ausgestaltung und insbesondere auch die Hürden, die ein erfolgreicher Wiederaufnahmeantrag in der Praxis zu überwinden hat.15 Hierzu sei etwa auf die Untersuchung von Theobald16 verwiesen, der gesetzliche, praktische und auch „künstliche“ Hindernisse im Wiederaufnahmeverfahren in den Blick nimmt. Die praktische Herausforderung schließlich besteht in der Ergründung der Fehlerursachen, selbstverständlich verbunden mit dem Ziel, effektive Verhinderungsmechanismen aufBVerfGE 65, 377 (380). Einschränkend (nur für den Falle des inhaltlich unrichtigen Urteils) Radtke, Systematik, S. 41 f. 12 SK-Frister, Vor § 359 Rn. 1; Grünwald, ZStW 86 [1974] Beiheft, 94 (104); Peters, Fehlerquellen Bd. 3, S. 29 ff.; Volk, Prozeßvoraussetzungen, S. 198. Aber auch dann soll der Gesetzgeber nach Ansicht des BVerfG nicht willkürlich handeln, wenn er dem Grundsatz der Rechtssicherheit dem der Gerechtigkeit im Einzelfall den Vorrang gibt, vgl. BVerfGE 7, 194 (196); 11, 263 (265); 19, 150 (166). 13 Kasuistische Aufzählungen wählt der Gesetzgeber meist dann, wenn er schutzwürdige Interessen gegenüber einem zur Regel erhobenen Prinzip zur Geltung bringen will, vgl. Gaul, Grundlagen des Wiederaufnahmerechts, S. 36. 14 Vgl. §§ 399, 402 RStPO vom 01. 02. 1877, RGBl. I Nr. 8, S. 253 ff., hierzu auch Neumann, System der Wiederaufnahme, S. 5; Peters, in: Probleme der Strafprozeßreform, S. 107. 15 Meyer, JZ 1968, 7 (10) spricht von „außerordentlich schwierigen Hindernissen“. Vgl. auch Schünemann, ZStW 84 [1972], 870 (888). 16 Barrieren im strafrechtlichen Wiederaufnahmeverfahren, passim.

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A. Einleitung

zudecken. Zur Erhellung dieser Problematik wurde in den sechziger Jahren in der von Karl Peters geleiteten Forschungsstelle für Strafprozess und Strafvollzug in Tübingen eine umfangreiche Studie durchgeführt, die sich den von 1951 bis 196117 in der Bundesrepublik durchgeführten Wiederaufnahmeverfahren widmete. Das gesammelte Material von mehr als 1115 Verfahren lieferte in erheblichem Umfang Hinweise auf mögliche „Fehlerquellen im Strafprozess“ und wurde in drei auch so betitelten Teilbänden veröffentlicht, auf die auch im Rahmen dieser Arbeit häufig Bezug genommen werden wird. Festzuhalten bleibt jedenfalls, dass für das auf falscher oder unvollständiger Tatsachenbasis betreffend die materielle Rechtslage ergangene Sachurteil der Anwendungsbereich der §§ 359 ff. StPO unproblematisch eröffnet ist und jenes daher aus der Betrachtung ausgeklammert wird. Nicht im Fokus der Untersuchung liegt auch eine häufig mit dem Wiederaufnahmeverfahren assoziierte Problematik, die unter dem Schlagwort „Ergänzungsklage“ zusammengefasst werden kann: Erst nachträglich stellt sich heraus, dass der Täter schwereres Unrecht verwirklicht hat, als der Entscheidung zugrunde gelegt wurde. Terminologisch wird hier üblicherweise differenziert zwischen der Berichtigungsklage für den Fall der anfänglichen Unrichtigkeit (das gesamte Tatausmaß blieb schlicht unentdeckt) und der auf nachträgliche Veränderungen reagierenden Vervollständigungsklage (neu eingetretene Tatsachen erschweren den Tatvorwurf nach Urteilserlass).18 Während im letztgenannten Fall die Entscheidung im Nachhinein aus materiell-rechtlichen Gründen „ungerecht“ erscheint, die ursprüngliche Entscheidung jedoch nicht zu beanstanden ist,19 hat die erste Konstellation im Schrifttum intensive Betrachtung erfahren, meist entwickelt am „Klassiker“ des als Verbotenes Schießen an bewohnten Orten (§ 367 Nr. 8 StGB a.F.) abgeurteilten Geschehens, welches sich nachträglich als vorsätzliche Tötung eines Menschen herausstellt.20 Eine derartige „Ergänzung“ der ursprünglichen Verurteilung ist vor dem Hintergrund des Art. 103 Abs. 3 GG in beiden Fällen abzulehnen.21 17 Später für erhebliche Vorgänge erweitert auf den Zeitraum bis 1964, vgl. Peters, Fehlerquellen Bd. 1, S. 3. 18 Diese Begrifflichkeiten gebraucht insbesondere Achenbach, ZStW 87 [1975], 74 (75 f.). 19 Beispiel: Das Opfer der Körperverletzung erliegt seinen Verletzungen nach Rechtskraft des Urteils. Zwar sind die verschuldeten Auswirkungen der Tat nach § 46 Abs. 2 StGB Gegenstand der Strafzumessung, zutreffend weist Weber-Klatt, Wiederaufnahme zu Ungunsten, S. 161 jedoch darauf hin, dass das Schwergewicht der Schuld in der Verletzungshandlung selbst liegt, die bereits Gegenstand des abgeschlossenen Erstverfahrens war. 20 Vgl. etwa Achenbach, ZStW 87 [1975], 74 (75 ff.); Grünwald, ZStW 86 [1974] Beiheft, 94 (110 ff.); Herzberg, JuS 1972, 113 ff. 21 Eingehend Achenbach, ZStW 87 [1975], 74 (77 ff.) und Weber-Klatt, Wiederaufnahme zu Ungunsten, S. 141 ff. Zur ersten Konstellation bereits RGSt 70, 26 (30 f.) sowie BVerfGE 56, 22 (31 f.). Eine Korrektur im Wiederaufnahmeverfahren ist angesichts des Fehlens einer ungünstigen Wiederaufnahme allein aufgrund neuer Beweise ebenfalls nicht möglich (vgl. auch BVerfGE 65, 377 [381 f.]). § 362 Nr. 4 StPO erlaubt unter der speziellen Voraussetzung eines glaubhaften Geständnisses zwar insofern eine Wiederaufnahme propter nova, fordert aber hierfür explizit den vorherigen Freispruch des Angeklagten.

A. Einleitung

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Daneben existieren jedoch Fehlentscheidungen, bezüglich deren Korrigierbarkeit im Wiederaufnahmeverfahren Zweifel bestehen. Der Strafprozess mag in seinen Grundzügen eine Verfahrensordnung aus dem Jahre 1877 sein, auf den Stand der Rechtslage trifft dies indes keinesfalls zu.22 Die stetig wachsende Bedeutung23 etwa der Entscheidungen im Beschlusswege hat in den Regelungen des Wiederaufnahmeverfahrens keinen Niederschlag gefunden. Daher ist der Anwendungsbereich der §§ 359 ff. StPO nicht annähernd so geklärt, wie man es angesichts der betroffenen Grundwerte des Verfahrens erwarten könnte. Herauszustellen sind hier insbesondere zwei Punkte, die gleichzeitig das Feld der hier vorgenommenen Untersuchung abstecken: Umstritten ist erstens die Frage nach der Korrigierbarkeit von Fehlern, die auf dem Weg zur Entscheidung unterlaufen sind. Man nehme den Fall, dass übersehen wurde, dass aufgrund des Fehlens einer Prozessvoraussetzung beziehungsweise ob des Bestehens eines Prozesshindernisses gar keine Entscheidung in der Sache hätte ergehen dürfen. Aber auch die Aufdeckung sonstiger Verfahrensfehler, etwa die Unzuständigkeit des Gerichts für die konkrete Entscheidung oder die Mitwirkung einer ausgeschlossenen oder befangenen Gerichtsperson, führt zur Frage nach einer nachträglichen Zugriffsmöglichkeit auf die fehlerhaft zustande gekommene Entscheidung. Ungeklärt ist darüber hinaus auch, ob der Vortrag, im Erstverfahren habe der Verwertung eines bestimmten Beweises ein Beweisverwertungsverbot entgegengestanden, eine Wiederaufnahme des Verfahrens begründen kann – insbesondere dann, wenn es sich um das Hauptbelastungsmittel handelte, ohne das die Entscheidung nicht hätte ergehen können. Neben der Möglichkeit einer Korrektur derartiger Verfahrensfehler ist als zweiter großer Problemkomplex die Frage zu bezeichnen, ob das Wiederaufnahmeverfahren auch Fehlern im Rahmen der richterlichen Rechtsanwendung Beachtung schenken kann. Diese können insbesondere als Subsumtionsfehler im Bereich des materiellen Rechts, aber auch auf dem Gebiet des Verfahrensrechts unterlaufen. Unklar ist hier insbesondere, ob und wie eine geeignete Begrenzung vorgenommen werden kann, um der Gefahr entgegenzuwirken, das Verfahren im Bemühen um eine bessere Rechtsanwendung wieder und wieder neu aufrollen zu müssen. Zunächst beginnt die Arbeit im Teil B. mit der Frage, ab welchem Zeitpunkt eine Entscheidung überhaupt als bindend bezeichnet werden kann, beziehungsweise bis wann mangels Außenwirkung eine Korrektur unproblematisch zulässig ist. Daran anschließend wird untersucht, ob es Entscheidungen gibt, denen von vornherein keinerlei prozessuale Wirksamkeit zuteilwird mit der Folge, dass die Korrektur, respektive Aufhebung, ohne weiteres möglich ist und lediglich deklaratorisch erfolgt. Diese üblicherweise unter dem Schlagwort der Urteilsnichtigkeit24 behandelte 22 Peters, Fehlerquellen Bd. 3, S. 27. Zur besonderen Anpassungsbedürftigkeit und -fähigkeit gerade des Prozessrechts angesichts der unmittelbaren Begegnung von „Recht und Leben“ auch Gaul, Grundlagen des Wiederaufnahmerechts, S. 105. 23 Hierzu etwa Marxen/Tiemann, Wiederaufnahme, Rn. 29 f. 24 Zu der insoweit nicht völlig einheitlichen Terminologie LR-Kühne, Einl. Abschn. K Rn. 105 in Fn. 321.

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A. Einleitung

Problematik ist bis heute fester Bestandteil der strafprozessualen Dogmatik, wenngleich ihre Praxisrelevanz demgegenüber nicht allzu hoch zu bewerten ist. Nach einem kurzen Überblick über die verschiedenen gesetzlichen Regelungen, die einen nachträglichen Zugriff auf die gerichtliche Entscheidung erlauben, wird herausgearbeitet, warum die gängige Orientierung an der Rechtskraftfähigkeit für die Frage nach dem Bestehen einer Korrekturmöglichkeit weder gewinnbringend noch zielführend ist. Der Hauptteil der Arbeit nimmt anschließend zunächst in Teil C. die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung in den Blick. In Anlehnung an die übliche Vorgehensweise, die hinsichtlich der Anwendbarkeit des Wiederaufnahmeverfahrens nach der Form der Entscheidung differenziert, werden zunächst die in Form des Sachurteils ergehenden Entscheidungen behandelt, und zwar zunächst diejenigen, die aufgrund eines entgegenstehenden Verfahrenshindernisses formal schon gar nicht existieren dürften. Der Begrenzung des stofflichen Umfangs der Arbeit ist der Umstand geschuldet, dass hierbei eine Fokussierung auf erstinstanzliche Entscheidungen mit Einbezug des Strafbefehlsverfahrens erfolgt. Auch bleiben der Maßregelvollzug,25 das Jugendstrafrecht sowie das Ordnungswidrigkeitenrecht weitestgehend außer Betracht. Im Fokus stehen hierauf folgend diejenigen Urteile, die unter Verstoß gegen Beweisverwertungsverbote oder sonstige Verfahrensvorschriften zustande gekommen sind. Im Anschluss daran werden als Prozessurteil ergehende Entscheidungen und die diese ersetzenden Beschlüsse in den Blick genommen. Im Teil D. wird die Problematik der Korrektur von Rechtsanwendungsfehlern anhand einiger ausgewählter Konstellationen verdeutlicht sowie hierfür eine mögliche Lösung entwickelt, wofür den Untersuchungen von Karl Peters noch einmal ganz besondere Relevanz zukommt. Hierbei wird sowohl auf die Auswirkung von Fehlern im Bereich des materiellen Rechts als auch im Bereich des Verfahrensrechts eingegangen.

25 Vgl. dazu etwa die Beiträge von Radtke, ZStW 110 [1998], 297 ff. und Wolf, NJW 1997, 779 ff. Zur Einordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung als Korrektur der zugrunde liegenden Entscheidung Hanack, FS Rieß, S. 709 (719 ff.).

B. Fehlerhafte Entscheidungen und ihre Korrekturmöglichkeiten I. Grundlagen 1. Begriffliches zum Fehlurteil Aufgabe des Strafprozesses ist es, den staatlichen Strafanspruch1 in einem justizförmigen Verfahren unter Sicherung der Beschuldigtenrechte durchzusetzen; sein zentrales und zur Verwirklichung des materiellen Schuldprinzips unumgängliches Anliegen ist die Ermittlung des wahren Sachverhalts.2 Menschliche Erkenntnis und die daraufhin getroffenen Bewertungen bestimmter Tatsachen sind jedoch an die zur Entscheidung berufenen Personen gebunden und daher notwendigerweise subjektiv – Fehler bei Gestaltung, Durchführung und Abschluss gerichtlicher Verfahren sind angesichts menschlicher Unvollkommenheit nie gänzlich auszuschließen.3 Objektiv unrichtige Entscheidungen sind somit in gewissem Umfang unvermeidbar, und auch die beste Verfahrensgestaltung vermag das Entstehen fehlerhafter Entscheidungen nicht auszuschließen.4 Wird ein der Justiz unterlaufener Fehler publik, so ist das Echo in der öffentlichen Diskussion und insbesondere in den Medien zum Teil enorm. Fehlerhafte Gerichtsentscheidungen rühren seit jeher5 und noch immer6 massiv am Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung. Dennoch ist das fehlerhafte Urteil, auch das rechtskräftige, ein tatsächliches und trotz größtmöglicher Vorsorge nicht zu vermeidendes Faktum. Zur Häufigkeit fehlerhafter Entscheidungen, die rechtskräftig werden, existieren indes weder verlässliche Zahlen noch ein einheitliches Meinungsbild.7 Dies ist aus empirischer Sicht sicherlich misslich. Ob die 1 Zu diesem gängigen Terminus etwa BVerfGE 43, 79 (86); 51, 324 (343 f.); 107, 104 (120); 130, 1 (27); BGHSt 50, 40 (53). 2 BVerfGE 57, 250 (275); 118, 212 (231); 122, 248 (270); 133, 168 (199). 3 Knoche, DRiZ 1971, 299 (302): Justizirrtümer werde es geben, „solange Menschen über Menschen urteilen“; Merkl, ZStW 46 [1925], 452 (457); Peters, Strafprozeß, S. 604; Saliger, Radbruchsche Formel und Rechtsstaat, S. 57. 4 Fornauf/Heger, StraFo 2014, 284 (285); Hanack, JZ 1973, 393; Dippel, in: Jescheck/ Meyer, S. 13 (20 f.). 5 Dippel, GA 1972, 97; ders., in: Jescheck/Meyer, S. 13 (21 f.). 6 Jehle, FPPK 2013, 220 f., der insbesondere die Fälle Böttcher und Mollath aufgreift; Dippel, GA 1972, 97 (109 f.). Anschaulich auch Nüse, JR 1949, 265 (266): „Ein falsches Urteil schadet dem Ansehen der Rechtspflege mehr, als ihm 100 gute nutzen können“. 7 Hierzu etwa Bock et al., GA 2013, 328 (330): „nicht unerhebliche Dunkelziffer“; Dippel, GA 1972, 97 (103); Knoche, DRiZ 1971, 299 (302); Theobald, Barrieren S. 9 ff.; Weber-Klatt,

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B. Fehlerhafte Entscheidungen und ihre Korrekturmöglichkeiten

Fehlentscheidung jedoch nun eine unter vielen ist oder eine echte Ausnahme bildet – die Beteiligten belastet jeweils nur der konkrete Einzelfall. Oder wie Suchomel es ausdrückt: „Es gilt hier zu wägen und nicht zu zählen“8. Im Rahmen dieser Arbeit wird neutral von „fehlerhaften Entscheidungen“ gesprochen. Dieser Terminus ist dem Begriff „Fehlurteil“ insoweit überlegen, als sämtliche Erscheinungsformen gerichtlicher Aussprüche im Blick stehen, nicht allein das Urteil als „Urform“ des Richterspruchs.9 Daneben kursiert im Schrifttum noch die Bezeichnung „Justizirrtum“, die ebenfalls darauf abzielt, auch andere Entscheidungsformen als die des Urteils in die Betrachtung einzubeziehen.10 Die Untauglichkeit des durchaus auch anzutreffenden Begriffes „Justizmord“11 für eine objektive Betrachtung der Thematik steht dagegen außer Frage. Doch was charakterisiert die fehlerhafte Entscheidung? Von Fehlerhaftigkeit könnte zunächst dann gesprochen werden, wenn Tatsachengrundlage und wahrer Sachverhalt divergieren. Soweit die Aufgabe des Strafverfahrens in der Erforschung der Wahrheit im Sinne der Rekonstruktion eines in der Vergangenheit liegenden, abgeschlossenen Vorgangs besteht,12 bleibt die Konkordanz der Feststellungen mit der historischen Wahrheit jedoch ein absoluter Maßstab, an dem das Verdikt „Fehlentscheidung“ nicht unbedingt ausgerichtet werden kann.13 Der Wahrheitsfindung sind über die beschränkte Möglichkeit menschlicher Erkenntnisgewinnung14 hinaus nicht zuletzt durch die Strafprozessordnung selbst Grenzen gesetzt, wenn sie bestimmte Ermittlungsmethoden verbietet, Zeugen das Recht zur Verweigerung von Aussagen einräumt und Beweisverwertungsverbote konstituiert.15 Die Wahrheit wird Wiederaufnahme zu Ungunsten, S. 27. Nach Einschätzung von Eschelbach (zu finden in BeckOK-Eschelbach, § 261 Rn. 63.2) soll „die Fehlurteilsquote schon in streitigen Strafsachen in Deutschland auch unter Beachtung der Perseveranz-, Inertia- und Schulterschlusseffekte aufgrund des einseitigen Systems der Sachverhaltsermittlung unter Abzug eines Sicherheitsabschlags grob geschätzt im zweiziffrigen Prozentbereich“ liegen; in BeckOK20-Eschelbach, § 261 Rn. 63.2 (Stand: 15. 01. 2015) hieß es deutlich weniger vage „bei einem Viertel“. Eschelbach sieht in FS Stöckel, S. 199 (201) die Gründe hierfür auch in einer dauerhaften Überlastung der Justiz, führend zu „drastischer Beschränkung nach dem Opportunitätsprinzip sowie Reduzierung der Aufklärungsdichte“. 8 Suchomel, FS Bumke, S. 135 (150). 9 Dies möchte Dippel, in: Jescheck/Meyer, S. 13 (21) durch ein weites, untechnisches Verständnis des Begriffs „Fehlurteil“ erreichen; vgl. auch ders., GA 1972, 97 (98). 10 Hierzu Kleinknecht, GA 1961, 45 (46). 11 Verwendet etwa von Merkl, ZStW 46 [1925], 452 (453 ff.), weitere Nachweise bei Dippel, in: Jescheck/Meyer, S. 13 (21 in Fn. 9 u. 10). 12 Radtke/Hohmann-Radtke, Einl. Rn. 8. 13 Pfister, FPPK 2013, 250 (252); Peters, Fehlerquellen Bd. 1, S. 11 ff., der auch Entscheidungen, die „wahrscheinlich unrichtig“ sind, als Fehlurteil kategorisiert. 14 So findet sich schon in RGSt 61, 202 (206) die Feststellung, dass im Rahmen der richterlichen Sachverhaltserforschung nie „absolut sicheres“ Wissen, sondern maximal eine Annäherung an dieses Ideal erreicht werden könne. 15 Pfister, FPPK 2013, 250 (253); hierzu auch Neumann, ZStW 101 [1989], 52 (55): die Strafprozessordnung verweigere an diesem Punkt dem materiellen Strafrecht ihren Dienst.

I. Grundlagen

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nicht bloß inquisitorisch entdeckt, sondern ist mehr das im Urteil dargestellte Ergebnis einer methodisch vorgehenden Erörterung durch die Prozessbeteiligten.16 Oft wird daher auch von einer forensischen oder relativen Wahrheit gesprochen.17 Im Bereich der richterlichen Überzeugungsbildung (§ 261 StPO) wird ebenfalls lediglich mit einer durch realisierbare Mittel erzielbaren hohe Wahrscheinlichkeit gearbeitet, welche dann als Wahrheit gilt; das Bewusstsein des Erkennenden vom Vorliegen derselben ist dann wiederum gleichbedeutend mit der Überzeugung von der Wahrheit.18 Jedenfalls fehlerhaft ist eine Entscheidung also dann, wenn die zugrunde liegende Tatsachenbasis dieser forensischen Wahrheit nicht entspricht.19 Zu einer fehlerhaften Entscheidung kommt es darüber hinaus auch dann, wenn bei der rechtlichen Einordnung des zutreffend festgestellten Sachverhalts ein Subsumtionsfehler unterläuft.20 Fehler können auch bereits auf dem Wege der Entscheidungsfindung auftreten. Gerichtliche Erkenntnisse können justizförmig einwandfrei gewonnen und doch inhaltlich falsch oder zwar im Ergebnis richtig, aber prozessordnungswidrig zustande gekommen sein21 – um eine Fehlentscheidung handelt es sich in beiden Fällen. Also ist auch die Entscheidung, die sich nicht an die durch die Verfahrensordnung vorgeschriebenen Regeln hält und daher verfahrensfehlerhaft ist, Gegenstand der Betrachtung.

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Brüssow/Gatzweiler/Krekeler/Mehle-Johnigk, § 1 Rn. 72; vgl. auch Häuser, BJ 2011, 151 (153). 17 KMR-Eschelbach, Vor § 226 Rn. 17; SSW-Beulke, Einl. Rn. 7; Kröpil, JR 2010, 96 (97 f.) („relativ objektive[ ] Wahrheit“); krit. Radtke/Hohmann-Radtke, Einl. Rn. 8; dagegen auch Fingas, Die Fehlentscheidung des Richters, S. 9 f. 18 RGSt 61, 202 (206); hierzu auch BeckOK-Eschelbach, § 261 Rn. 42. Zum Begriff der „forensischen Wahrheit“ auch Kleinknecht, GA 1961, 45 (51 f.) und Hirschberg, Fehlurteil, S. 92: „Aus dem Bewußtsein der Möglichkeit entsteht das Bewußtsein der Wahrscheinlichkeit durch die Kombination von Möglichkeiten. Je größer die Zahl der in der gleichen Richtung liegenden Möglichkeiten ist, desto sicherer wird das Bewußtsein in dieser Richtung zur Wahrscheinlichkeit fortschreiten. […] Die Evidenz, das Bewußtsein der Gewißheit, ist nicht ein höherer Grad von Wahrscheinlichkeit […]. Gewißheit ist vielmehr die Überzeugung von der notwendigen kausalen Verknüpfung, von der Unmöglichkeit des Andersseins“. 19 Vgl. Peters, Untersuchungen zum Fehlurteil, S. 9: Fehlurteil als eine auf unzulänglicher Beweisführung erfolgte Verurteilung. Daher ist der in dubio-Freispruch keine fehlerhafte Entscheidung, sofern nach vollständiger Ausschöpfung aller zulässigen Erkenntnismöglichkeiten eine hinreichende richterlicher Überzeugung von der Täterschaft nicht gebildet werden konnte und weder Beweisverfälschung noch sonst fehlerhaftes Verhalten des Richters vorliegt, vgl. auch BT-Drs. 13/3594, S. 7; Meyer, Wiederaufnahmereform, S. 40 u. 71; Peters, Strafprozeß, S. 604 f.; ders., Fehlerquellen Bd. 1, S. 13; ders., in: Probleme der Strafprozeßreform, S. 107 (109). A.A. etwa Weber-Klatt, Wiederaufnahme zu Ungunsten, S. 26. 20 Als dritten Fehlertypus nennt Pfister, FPPK 2013, 250 (256) das Abweichen der Entscheidung über die Rechtsfolgen von den gesetzlichen Vorgaben (Fehler bei der Strafzumessung). Da sich diese jedoch ebenfalls am Gesetz orientiert, soll dieser Fehler als Subsumtionsfehler im weiteren Sinne verstanden werden. 21 Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 1 Rn. 3.

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B. Fehlerhafte Entscheidungen und ihre Korrekturmöglichkeiten

Kein Charakteristikum ist an und für sich die Unanfechtbarkeit der Entscheidung. Die zuvor definierte Fehlerhaftigkeit kann jedweder Entscheidung anhaften, ganz gleich, ob sie von den Beteiligten noch im Rechtsmittelzug angegriffen werden kann. Jedoch kann bis zum rechtskräftigen Verfahrensabschluss eine richtige Entscheidung noch erreicht werden – die Problematik der fehlerhaften Entscheidung erweckt das größte Unbehagen erst dann, wenn die Rechtskraft eben dieser Entscheidung nicht verhindert worden ist.22 Das wirkliche Problemfeld eröffnet sich erst mit dem Verdikt der Endgültigkeit.23 Das Untersuchungsfeld kann nun nochmals geteilt werden: Denkbar sind zum einen Fehlentscheidungen zulasten des Betroffenen – ihn trifft also eine staatliche Maßnahme, die sich nicht als zutreffende Reaktion auf ein Fehlverhalten darstellt. Auf der anderen Seite stehen ungerechtfertigt günstige Entscheidungen, bei denen die angebrachte Reaktion unterbleibt.24 Eine derart ungerechtfertigt günstige Entscheidung – das Extrem bildet hier der fälschliche Freispruch – steht der ungerechtfertigten Verurteilung im Hinblick auf die materielle (Un)Gerechtigkeit zunächst einmal nicht nach.25 Nichtsdestotrotz hält sich die Einschätzung, dass die Verurteilung des Unschuldigen der weitaus schlimmere Fehler sei. Der qualitative Unterschied werde nach Meyer schon ersichtlich, „wenn man sich den Fall vergegenwärtigt, daß der zu Unrecht zu einer Freiheitsstrafe Verurteilte im Vollzuge Tag für Tag das Unrecht seiner Verurteilung am eigenen Leibe aktuell erfährt, während der zu Unrecht Freigesprochene zu der großen Schar derer gehört, die dem Zugriff der Strafjustiz aus einer Vielzahl von Gründen tagtäglich entgehen“26. Wie nicht zuletzt die Existenz des § 362 StPO belegt, stellt die nicht angezeigte Entscheidung zugunsten des Betroffenen dennoch eine Fehlentscheidung dar, und ist demnach hier ebenso von Interesse.

2. Beginn der Bindungswirkung Auch wenn dem Thema der Arbeit geschuldet der Fokus hier vornehmlich auf einem Zeitpunkt liegt, der in der Chronologie des Prozesses in der Regel das Schlusslicht bildet, so soll doch zumindest ein kurzer Blick auf den Anfang des Verfahrens und die Frage geworfen werden, ab welchem Zeitpunkt erstmalig ein 22

Peters, Fehlerquellen Bd. 1, S. 17. Auch Kleinknecht, GA 1961, 45 (46) will das Problemfeld auf rechtskräftige Entscheidungen begrenzten. 24 Diese Form der Fehlentscheidung „zugunsten“ wird teilweise schon gar nicht mehr dem „Fehlurteil“ subsumiert, vgl. etwa die Pauschalität der einleitenden Definition bei Schwenn, FPPK 2013, 258: „Fehlurteile bestrafen Angeklagte, welche die Tat nicht begangen haben“. 25 Bech, DRiZ 1972, 201 (202) gegen Knoche, DRiZ 1971, 299 (300); Grünewald, ZStW 120 [2008], 545 (547 f. u. 568): empirisch nirgends abgesichert. In diese Richtung auch Waßmer, JURA 2002, 454 (457); Ewald, Wiederaufnahme, S. 9 f. 26 Meyer, ZStW 84 [1972], 909 (926). 23

I. Grundlagen

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richterlicher Ausspruch derart verbindlich wird, dass seine Fehlerhaftigkeit, zumindest für den Moment, gesetzt bleibt.27 Bei mündlich verkündeten Entscheidungen ist dies frühestens mit Abschluss der Verkündung der Fall, also nach Verlesung der Urteilsformel und Eröffnung der Urteilsgründe (§ 268 Abs. 2 Satz 1 StPO).28 Bis zu diesem Zeitpunkt besteht noch keine Bindung an die getroffene Entscheidung, sodass notfalls sogar noch während der Verkündung innegehalten und nach Wiedereintritt in die Verhandlung das Urteil geändert oder ergänzt werden kann.29 Nach diesem Zeitpunkt bleibt jedoch grundsätzlich30 kein Raum, nachträglich etwa einen Verfahrensfehler formal zu heilen und so die Rechtsmittelinstanz zu sparen.31 Schriftlich ergehende Entscheidungen sind dann als existent anzusehen, wenn die Urkunde schriftlich vorliegt und zur Kenntnisnahme der Außenwelt bestimmt ist (aktenmäßiger Erlass).32 Bindungswirkung soll jedoch erst dann eintreten, wenn die Geschäftsstelle die Zustellung an einen Empfänger außerhalb der gerichtlichen Sphäre veranlasst hat und eine Abänderung tatsächlich unmöglich ist.33 Auf die konkrete Bekanntgabe an Außenstehende abzustellen34 birgt den Nachteil, dass eine Entscheidung, die mehreren Beteiligten bekanntzugeben ist, unter Umständen an unterschiedlichen Tagen „erlassen” würde und im Falle einer formlosen Übergabe der genaue Erlasszeitpunkt ungewiss wäre.35 Entscheidungen wie etwa der die Revision verwerfende Beschluss nach § 349 Abs. 2 StPO, die unmittelbar die Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung herbeiführen, sollen aus Gründen der Rechtssicherheit bereits dann mit Außenwirkung und der Folge der Unzulässigkeit 27 Die hier thematisierte Bindungswirkung ist nicht mit der Frage zu vermengen, inwiefern eine gerichtliche Entscheidung ihrem Inhalt nach für spätere Entscheidungen maßgeblich ist, was z. T. ebenfalls als Bindungs- bzw. Feststellungswirkung bezeichnet wird, hierzu Zaczyk, GA 1988, 356 ff. und bereits v. Beling, Reichsstrafprozeßrecht, S. 255 ff. und insb. S. 257 Fn. 1. 28 v. Beling, Reichsstrafprozeßrecht, S. 256; Wiedemann, Korrektur außerhalb des Rechtsmittelverfahrens, S. 21 f. 29 BGHSt 25, 333 (335 f.); LR-Stuckenberg, § 268 Rn. 39; Meyer-Goßner/Schmitt, § 268 Rn. 9. 30 Zur Korrekturmöglichkeit bei offensichtlichen Fehlern sogleich unter B. I. 3. 31 Deutlich auch BGH StV 2013, 378 (379) zur Unzulässigkeit der Abänderung eines bereits verkündeten Urteils: „Ein Fehler im Verfahren kann nicht dadurch geheilt werden, dass andere Verfahrensregeln von erheblicher Bedeutung verletzt werden“. Zu dieser Entscheidung ebenfalls Appl, FS Tolksdorf, S. 179 (183 ff.). 32 KMR-Ziegler, Vor § 33 Rn. 4; Wenzig, Rücknahme, S. 36. Aufgrund des durch den aktenmäßigen Erlass gesetzten Rechtsscheins wird die Anfechtung bereits ab diesem Zeitpunkt für zulässig gehalten, vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, Vor § 33 Rn. 8; SK-Weßlau, Vor § 33 Rn. 9. 33 BGH NStZ 2011, 713; OLG Frankfurt NJW 1973, 2218; OLG Köln NJW 1993, 608; BayObLGSt 2001, 53; KK-Maul, § 33 Rn. 4; Meyer-Goßner/Schmitt, Vor § 33 Rn. 9; SKWeßlau, Vor § 33 Rn. 9. Auf einen Bekanntgabeerfolg soll es dann nicht ankommen, hierzu Wiedemann, Korrektur außerhalb des Rechtsmittelverfahrens, S. 18. 34 Staatsanwaltschaft, sonstige Behörde oder gerichtsfremde Personen, hierfür jedoch OLG Bremen NJW 1956, 435; OLG Hamburg NJW 1963, 874; LR-Graalmann-Scheerer, § 33 Rn. 12 m.w.N. 35 OLG Köln NJW 1993, 608; BayObLGSt 2001, 53 (56).

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B. Fehlerhafte Entscheidungen und ihre Korrekturmöglichkeiten

der Abänderung erlassen sein, wenn sie mit den Unterschriften der Richter in den Geschäftsgang gegeben wurden.36

3. Korrekturmöglichkeit bei offensichtlichen Fehlern Nach Eintritt der Bindungswirkung ist dem iudex a quo der Zugriff auf die Entscheidung grundsätzlich verwehrt, was zur Konsequenz hat, dass selbst kleinste Mängel nur durch die nächste Instanz ausgeglichen werden können.37 Hiervon werden aus prozessökonomischen Gründen einige Ausnahmen zugelassen.38 Eine § 319 ZPO („Berichtigung des Urteils“) entsprechende Vorschrift kennt die deutsche Strafprozessordnung zwar nicht.39 Bereits das Reichsgericht vertrat jedoch die Auffassung, dass aus dem Fehlen einer entsprechenden Vorschrift nicht gefolgert werden könne, dass im Strafprozess die geringste Berichtigung unzulässig sei – der Gesetzgeber könne unmöglich gewollt haben, dass für die selbstverständliche Berichtigung eines bloßen Schreib- oder Rechenfehlers der kostspielige und umständliche Weg eines Rechtsmittelverfahrens eingeschlagen werden müsse.40 Dementsprechend wird die Berichtung innerhalb bestimmter Grenzen allgemein als zulässig erachtet.41 Die Herleitung erfolgt entweder aus einer entsprechenden Anwendung des § 319 ZPO oder dessen Rechtsgedanken,42 oder aus § 267 StPO, der das Gericht verpflichte, im Urteil die Ergebnisse der Hauptverhandlung so, wie sie in der Beratung gesehen und gewürdigt wurden, vollständig und wahrheitsgetreu wiederzugeben43. Mit Rücksicht auf die fehlende Normierung wird eine solche Korrektur jedoch auf diejenigen Fälle beschränkt, in denen ein für alle Beteiligten offen36

BGH NStZ 1994, 96; NStZ 2011, 713; LR-Graalmann-Scheerer, § 33 Rn. 12; dagegen etwa KK-Maul, § 33 Rn. 4. 37 Wiedemann, Korrektur außerhalb des Rechtsmittelverfahrens, S. 29. 38 Nicht in diesen Kontext gehört die unter dem Stichwort „Verbot der Rügeverkümmerung“ diskutierte Problematik der nachträglichen Protokollberichtigung. Die durch BVerfGE 122, 248 gebilligte Aufgabe der über 140 Jahre konstanten Rspr. durch Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen (BGHSt 51, 298) wurde seitens der Literatur teils heftig kritisiert, vgl. (ebenfalls krit.) zur Problematik etwa Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 51 Rn. 10 ff. m.w.N. 39 Anders etwa in Österreich, vgl. § 270 Abs. 3 S. 1 StPO (A): „Schreib- und Rechenfehler, ferner solche Formgebrechen und Auslassungen, die nicht die im § 260 Abs. 1 Z. 1 bis 3 und Abs. 2 erwähnten Punkte betreffen, hat der Vorsitzende jederzeit, allenfalls nach Anhörung der Beteiligten, zu berichtigen.“ 40 RGSt 28, 81 (82), im konkreten Fall eine Berichtigung jedoch ablehnend („Schreibversehen“ bzgl. der Bemessung der Einzelstrafe). 41 Nachweise insb. aus der älteren Rechtsprechung bei Wiedemann, Korrektur außerhalb des Rechtsmittelverfahrens, S. 30 ff.; vgl. darüber hinaus Meyer-Goßner/Schmitt, § 268 Rn. 10; Jahn, JuS 2011, 83; Perels, NStZ 1985, 538 und eingehend de Vries/Neumann, DRiZ 2011, 398 ff. 42 OLG Hamburg NJW 1968, 215; KG NStZ-RR 2004, 240 (241); KMR-Voll, § 268 Rn. 14; Wiedemann, Korrektur außerhalb des Rechtsmittelverfahrens, S. 35. 43 BGHSt 12, 374 (376); LR-Stuckenberg, § 268 Rn. 45.

I. Grundlagen

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sichtliches Versehen nichtsachlicher Art44 vorliegt und eine inhaltliche Abänderung der Entscheidung ausgeschlossen ist, was eben insbesondere für Rechen-, Schreibund Fassungsfehler angenommen wird.45 Die Berichtigung soll im Gegensatz zur Abänderung, welche mit einem neuen Denkvorgang in der Sache verbunden ist,46 lediglich dem Beschlossenen besseren Ausdruck verleihen, wenn es in der Urkunde ungenau oder unrichtig wiedergegeben ist.47 Daher soll das Urteil auch nur von denjenigen Richtern berichtigt werden können, die an der Ausgangsentscheidung mitgewirkt haben.48 Eine Berichtigung der Urteilsformel kann angesichts ihrer die Vollstreckung rechtfertigenden Wirkung – ein Urteil ohne Begründung könnte vollstreckt werden, eines ohne Formel niemals – nur in besonderen Ausnahmefällen zulässig sein.49 Als unzulässig angesehen wurde jedenfalls, auch vor Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe, die mittels „Berichtigungsbeschluss“ vorgenommene Korrektur der Urteilsformel durch Aufnahme eines zusätzlichen Tatbestandes.50 Bei fehlerhaft abgefasster Verweisungsformel (Jugendkammer anstelle der Strafkammer des Landgerichts) kann auch in der Revisionsinstanz ein Berichtigungsbeschluss ergehen.51 Für zulässig erachtete der Erste Strafsenat des Bundesgerichtshofs die Abänderung der die Revision verwerfenden Urteilsformel, nachdem die zur Sache gehörigen, mündlich verkündeten Entscheidungsgründe die Aufhebung und Zurückverweisung verlautbarten.52 Ein einwandfrei festgestellter Widerspruch müsse im Beschlusswege beseitigt werden können, es wäre schlicht „nicht erträglich und dem Ansehen der Gerichte schädlich, wenn das Oberlandesgericht, gegen dessen Urteil kein Rechtsmittel mehr zulässig ist, an einen so offensichtlichen und unbe44 Zur Abgrenzung zwischen formellem und sachlichem Fehler eingehend Wiedemann, Korrektur außerhalb des Rechtsmittelverfahrens, S. 40 ff., der jedoch zu dem Ergebnis gelangt, dass entgegen der häufigen schlagwortartigen Trennung es nicht auf den sachlichen Gehalt des Fehlers, sondern auf den Zeitpunkt seiner Entstehung (bei der Urteilsfassung und nicht bei der Urteilsfindung) ankommt. 45 BVerfG Beschl. v. 10. 09. 2010 – 2 BvR 2242/09 –, BeckRS 2010, 54625 unter II. 2. a); BGHSt 3, 245 f.; 12, 374 (376 f.); BGHR StPO § 267 Berichtigung 2; BGH NJW 1991, 1900 (1901); NStZ 2000, 386; KK-Ott, § 260 Rn. 13; KMR-Stuckenberg, § 260 Rn. 92; Beukelmann, NStZ 2009, 588 (589). 46 Vent, JR 1980, 400 (403). 47 OLG Karlsruhe NStZ 2009, 587 (588) m. zust. Anm. Beukelmann; LR-Stuckenberg, § 268 Rn. 44. 48 BGHR StPO § 260 Abs. 1 Urteilstenor 4; OLG Karlsruhe a.a.O; Meyer-Goßner/Schmitt, § 267 Rn. 39; de Vries/Neumann, DRiZ 2011, 398 (399). 49 BGHSt 3, 245 (247). 50 BGHSt 3, 245. 51 Vgl. BGH Beschl. v. 19. 04. 2011 – 4 StR 501/10 –, juris; Beschl. v. 02. 05. 2012 – 1 StR 359/11 –, BeckRS 2012, 09450. Darüber hinaus zum „Verkündungsversehen“ auch BGH bei Kusch, NStZ-RR 2000, 33 (39); BGH Beschl. v. 10. 12. 2004 – 2 StR 441/04 –, BeckRS 2005, 00652. 52 BGHSt 5, 5.

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B. Fehlerhafte Entscheidungen und ihre Korrekturmöglichkeiten

zweifelbaren Irrtum nach beendeter Verkündung gebunden wäre“.53 Zuzustimmen ist der Entscheidung sicherlich dahingehend, dass der Verweis auf den Gnadenweg bei einem aus der gerichtlichen Sphäre resultierenden Verkündungsversehen nicht zuletzt angesichts der Kostenregelung54 misslich wäre. Für den Betroffenen, der, wie der Senat es formuliert, „Recht zu fordern und nicht Gnade zu erbitten hat“55, ist diese Lösung nicht zumutbar. Dass bei einem derartigen Verkündungsversehen keine Rechtsanwendung vorliege,56 ist angesichts der strafprozessualen Vorschriften zur Urteilsverkündung §§ 268 ff. StPO jedoch ebenso wenig ein stichhaltiges Argument wie der befürchtete Ansehensverlust. Wie in der Entscheidung selbst konstatiert wird, besteht faktisch über Voraussetzungen und Umfang der Korrekturmöglichkeiten nur scheinbar Einmütigkeit – woraus sich die Offensichtlichkeit des Versehens zu ergeben hat und wie derartige Feststellungen erfolgen sollen, entbehrt verallgemeinerbarer Regeln.57 Fest steht jedenfalls, dass es sich um einen schwierigen Balanceakt handelt, der nur mit großer Zurückhaltung angegangen werden sollte. Spiegelt das Urteil nicht oder nur unvollständig wider, was Verlauf und Ergebnis der Hauptverhandlung war, kann eine nachträgliche Berichtigung oder Ergänzung demnach im Einzelfall in Betracht kommen. Hinsichtlich dieser Fragestellung sei weiterführend auf die Dissertation von Wiedemann58 verwiesen, der sich eingehend mit der Zulässigkeit derartiger Verfahren auseinandersetzt. Lehnt man einen derartigen Zugriff auf das Urteil seitens des iudex a quo schon grundsätzlich ab oder findet er nicht statt, steht das Rechtsmittelverfahren bereit.59 Da hier generell jedoch nicht die Frage nach der Korrektur der Entscheidung in Form der Entscheidungsfindung, sondern hinsichtlich der Entscheidungsniederlegung im Raum steht, die Entscheidung demnach weder materiell fehlerhaft noch im engeren Sinne verfahrensfehlerhaft zustande gekommen ist, soll es mit diesem kurzen Problemaufriss sein Bewenden haben.

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BGHSt 5, 5 (10). Abgesehen von der Kostentragungspflicht lösen Straferlass oder Strafmilderung im Gnadenwege auch keine Entschädigungsansprüche nach dem Strafrechtsentschädigungsgesetz aus, § 1 Abs. 1 StrEG ist nicht anwendbar, vgl. MAH Strafverteidigung-Birkhoff, § 26 Rn. 120. 55 BGHSt 5, 5 (11); hierzu auch Nüse, JR 1949, 265 (266); Suchomel, FS Bumke, S. 135 (144 f.); v. Hentig, Wiederaufnahmerecht, S. 91: Gnadenverfahren als „Ausweg der Hilflosigkeit“. 56 BGHSt 5, 5 (11). 57 BGHSt 5, 5 (7 f.). Dies ist eine ganz grundsätzliche Schwäche des Kriteriums der „Offenkundigkeit“, vgl. hierzu krit. auch Vent, JR 1980, 400 (403). 58 Die Korrektur strafprozessualer Entscheidungen außerhalb des Rechtsmittelverfahrens (1981), ab S. 49 ff. 59 Zur Revisibilität etwa BGHR StPO § 260 Abs. 1 Urteilstenor 1 – 5; MAH Strafverteidigung-Dahs/Müssig, § 12 Rn. 228 ff. 54

II. Gänzliche Unwirksamkeit massiv fehlerhafter Entscheidungen?

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II. Gänzliche Unwirksamkeit massiv fehlerhafter Entscheidungen? Hat die gerichtliche Entscheidung nach den soeben dargestellten Grundsätzen Außenwirksamkeit erlangt, stellt sich die Frage, ob es Konstellationen geben kann, in denen ihr trotz realer Existenz von vornherein keinerlei prozessuale Wirksamkeit zukommt. Ausgeklammert wird hierbei die Frage nach einer möglichen Urteilsnichtigkeit nach Systemwechsel. Diese war für die Bundesrepublik bei der Beurteilung von Entscheidungen aus der Zeit des Nationalsozialismus sowie hinsichtlich bestimmter Staatsakte des DDR-Regimes zwar tatsächlich relevant, die Korrektur derartiger Unrechtsurteile erfolgt jedoch durch eigens geschaffene Regelungen, die lediglich an das Wiederaufnahmerecht anknüpfen.60 Als Beispiel seien die sog. „Waldheimer Prozesse“ genannt, deren Entscheidungen zwar als „absolut und unheilbar nichtig“61 erachtet wurden, hinsichtlich derer dennoch das Bedürfnis bestand, diese Nichtigkeit förmlich festzustellen. Die Lösung erfolgte letztlich durch den Gesetzgeber mit Einführung des StrRehaG, wonach die konkrete Entscheidung auf Antrag in einem eigens eingerichteten Verfahren (§§ 7 ff. StrRehG) für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben werden kann.62 Wird in diesem Zusammenhang von „Nichtigkeit“ gesprochen und diese allgemein akzeptiert, so lassen sich hieraus keine Schlussfolgerungen für den Fall der Systemkontinuität ziehen.63 Nicht von der Kritik betroffen sind auch die üblicherweise in Abgrenzung zum nichtigen Urteil als „Nichturteile“ bezeichneten Entscheidungen. Hierunter werden nur äußerlich als gerichtliche Entscheidung erscheinende Aussprüche gefasst, die nicht von einer seitens der Rechtsordnung mit Rechtsprechungsaufgaben betrauten Stelle oder ohne Verkündungswillen versehentlich in die Öffentlichkeit gelangen.64 Neben Entscheidungen zu Übungs- und Unterhaltungszwecken, deren Verbindlichkeit schon völlig fern liegt, zählen hierzu etwa von Dritten angefertigte Falsifikate sowie Entscheidungen von Revolutions- oder anderen nicht staatlich anerkannten Tribunalen.65 Die „Lehre“ vom Nichturteil soll die Existenz, die der Nichtigkeit die Frage der Gültigkeit einer richterlichen Entscheidung klären.66 60

Hierzu LR-Kühne, Einl. Abschn. K Rn. 109 f.; SK-Frister, Vor § 359 Rn. 32 ff. KG NJW 1954, 1901; BezG Dresden NStZ 1992, 137; hierzu auch BGHR StGB § 339 DDR-Richter 1. 62 KK-Schmidt, Vor § 359 Rn. 15a. 63 Dies verkennt Schneider, MDR 1956, 465 f., der die Berechtigung der Nichtigkeitslehre im Wesentlichen auf das gesetzliche Unrecht der Zeit des NS-Regimes stützt. Hier erfolgt die Qualifizierung als nichtig jedoch regelmäßig durch staatlichen Akt und eben nicht durch jedermann ohne festgelegtes Verfahren (dazu sogleich), so zutreffend LR-Kühne, Einl. Abschn. K Rn. 110. 64 LR-Kühne, Einl. Abschn. K Rn. 108; Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 507; Peters, Strafprozeß, S. 519; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 52 Rn. 24. 65 LR-Kühne, Einl. Abschn. K Rn. 108; Roeder, ZStW 79 [1967], 250 (273 f.). 66 Dickersbach, Prozessuale Tatsachen, S. 19. 61

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B. Fehlerhafte Entscheidungen und ihre Korrekturmöglichkeiten

1. Die Lehre von der Urteilsnichtigkeit Nach wohl noch vorherrschender Ansicht in Rechtsprechung und Literatur soll es Entscheidungen geben, die ein solches Maß an Fehlerhaftigkeit erreichen, dass daraus deren Nichtigkeit resultiert.67 Die Terminologie ist hierbei nicht einheitlich. Gesprochen wird etwa von der „Unbeachtlichkeit“ oder der „Unwirksamkeit“,68 dahinter steckt jedoch stets die Überlegung, es müsse trotz tatsächlicher Existenz einer Entscheidung von deren rechtlicher Nichtexistenz ausgegangen werden. Insofern fühlt man sich an das öffentliche Recht erinnert, das etwa in § 44 VwVfG des Bundes, § 125 AO oder § 40 SGB X die Nichtigkeit von Verwaltungsakten umschreibt. Wenngleich auch hier die praktische Relevanz geringer zu sein scheint als die Prominenz in der Theorie, handelt es sich dort um eine anerkannte Kategorie – verglichen mit der bloßen Anfechtbarkeit stellt die Nichtigkeit eine gesteigerte Fehlerfolge dar.69 Sie liegt vor, soweit die Entscheidung „an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist“.70 Neben einem besonders gewichtigen Verstoß71 wird demnach auch die Evidenz des Fehlers gefordert, die schwerwiegende Fehlerhaftigkeit muss also auch offenkundig72 sein. Diese Kriterien werden auf das nichtige Urteil im Strafprozess übertragen.73 Mit Bejahung der Nichtigkeit relativiert sich die formelle Rechtskraft der Entscheidung, ihre Beseitigung soll auch außerhalb des sonst vorgesehenen Rechtsmittelverfahrens erfolgen können – denn was in derart krassem Maße falsch sei, könne niemals Bestand haben, auch wenn die ordentlichen Wege zur Korrektur verpasst oder zu Unrecht ohne Erfolg beschritten wurden.74 Der Nichtigkeit ist demnach eigen, dass sie nicht im Wege eines formellen Verfahrens geltend gemacht werden muss, sondern jedem zu jeder Zeit gestattet, die richterliche Entscheidung zu 67 Die Möglichkeit nichtiger Entscheidungen aktuell noch anerkennend bspw. KK-Gericke, § 336 Rn. 7; LR-Graalmann-Scheerer, § 46 Rn. 25; LR-Stuckenberg, § 260 Rn. 28; SSWBeulke, Einl. Rn. 323; Ostendorf, § 1 JGG Rn. 13; Eisenberg, JR 2007, 360 (362); Ranft, Strafprozeßrecht, Rn. 1873; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 52 Rn. 25 ff.; Saliger, Radbruchsche Formel und Rechtsstaat, S. 68 ff.; Appl, FS Tolksdorf, S. 179 (184). 68 Grünwald, ZStW 76 [1964], 250 in Fn. 2 m.N. 69 Stelkens/Bonk/Sachs-Sachs, § 44 VwVfG Rn. 2; Saladin, FS Häferlin, S. 539. 70 Vgl. § 44 Abs. 1 VwVfG des Bundes und die wortgleichen Definitionen in den oben genannten Vorschriften. 71 Krit. zur sog. „Unerträglichkeitsgrenze“ etwa Grünewald, ZStW 120 [2008], 545 (569 ff.). 72 Von der Bedeutung her unterscheiden sich Offensichtlichkeit und Offenkundigkeit nicht, so verwendete der Normtext des § 44 Abs. 1 VwVfG des Bundes bis zum 2. VwVfÄndG vom 06. 08. 1998 (BGBl. I Nr. 50, S. 2022 ff.) noch selbst den Begriff „offenkundig“, hierzu auch Stelkens/Bonk/Sachs-Sachs, § 44 VwVfG Rn. 122. 73 Vgl. Beulke, JR 1986, 50 (52) sowie die Nachweise in BGHSt 29, 351 (352 f.); BGH NStZ 1984, 279. Krit. zur Übertragbarkeit der Konstruktion angesichts divergierender Funktionen von Rechtskraft und Rechtssicherheit in den Verfahren Bernsmann, JZ 2000, 215 (216). 74 Saladin, FS Häferlin, S. 539 (548) zum Verwaltungsverfahren.

II. Gänzliche Unwirksamkeit massiv fehlerhafter Entscheidungen?

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ignorieren.75 Da jedoch kaum sicher ausgeschlossen werden kann, dass die Entscheidung doch tatsächliche Wirkung entfaltet,76 und ob der Diskrepanz zwischen „Schein“ und „Sein“77 ein enormes Risiko besteht, werden zur Beseitigung eben dieses Scheins gegen die eigentlich nicht existente78 Entscheidung Rechtsmittel zugelassen.79

2. Kritik an der Lehre vom nichtigen Urteil Die Antwort auf die gesetzlich nicht geregelte Frage, ob auch das Strafverfahren ipso iure nichtige Entscheidungen kennt, fiel in der Entwicklungsgeschichte des deutschen Strafprozesses höchst unterschiedlich aus. Während Anfang des 20. Jahrhunderts die Auffassung überwog, die absolute Urteilsnichtigkeit sei dem modernen Prozessrecht überhaupt fremd80, setzte allmählich eine allgemeine Akzeptanz dieser Kategorie ein und wurde dann zur „herrschenden Ansicht“.81 Die im Strafprozess nur in engen Grenzen mögliche Erneuerung des Verfahrens schien diese Entwicklung zu begünstigen.82 Ein Urteil soll demzufolge dann nichtig sein, wenn die Anerkennung seiner Gültigkeit wegen des Ausmaßes und des Gewichts der Fehlerhaftigkeit für die Rechtsgemeinschaft geradezu unerträglich wäre, weil die

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RGSt 40, 271 (273); BGHSt 29, 351 (352), die Nichtigkeit wurde in den konkreten Fällen jeweils abgelehnt; vgl. auch Dickersbach, Prozessuale Tatsachen, S. 28; Neumann, System der Wiederaufnahme, S. 11. 76 Etwa dadurch, dass das Urteil Verwertung bei Gesamtstrafbeschlüssen findet, hierzu Meyer-Goßner, ZIS 2009, 519 (522); vgl. auch Ostendorf, § 1 JGG Rn. 14. 77 Saladin, FS Häferlin, S. 539 (542); ähnlich Frehsee, ZStW 100 [1988], 290 (296). 78 Insoweit konsequent die Feststellung in RGSt 71, 377 f.: „Wäre das [scil. Urteilsnichtigkeit] der Fall, so bedürfte es keiner Revision, um das Urteil zur Aufhebung zu bringen; vielmehr wäre es so anzusehen, als ob gar kein Urteil vorläge […]; das Revisionsgericht aber hätte eine Entscheidung abzulehnen, weil die Revision gegenstandslos wäre.“ Bezeichnend aber OLG Dresden JW 1929, 2273: „Nach alledem sind die Sachurteile im ersten und zweiten Rechtsgang absolut nichtig. Sie müssen deshalb aufgehoben werden“. LR-Kühne, Einl. Abschn. K Rn. 129 sieht hier zu Recht „unlösbare Widersprüche“. 79 Hierzu krit. Meyer-Goßner/Schmitt, Einl. Rn. 109. 80 So etwa Graf zu Dohna, Strafprozeßrecht, S. 220 ff.; abl. auch noch LR20-Niethammer, Einl. § 15; zur Entwicklung des Meinungsstands auch Sarstedt, JR 1955, 351. Mit zweifelhafter Begründung Schneider, MDR 1956, 465: Inhalt und Anwendung des Gesetzes seien damals als selbstverständlich richtig vorausgesetzt worden, man habe von gesetzlichem Unrecht „keinen Begriff“ gehabt. 81 Vgl. im Querschnitt etwa v. Hippel, Strafprozeß, S. 375 (1941); Eb. Schmidt, Lehrkommentar I Rn. 252 (1964); Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 258 (1968); Kleinknecht/ Meyer36, Einl. Rn. 105 ff. (1983) und Peters, Strafprozeß, S. 519 ff. (1985). 82 Lampe, GA 1968, 33 (35). Auch Meyer, Wiederaufnahmereform, S. 55 sieht im Fehlen eines Wiederaufnahmeverfahrens wegen materieller und formeller Rechtsfehler den maßgeblichen Beitrag. Eingehend zur geschichtlichen Entwicklung auch Dickersbach, Prozessuale Tatsachen, S. 16 ff.

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B. Fehlerhafte Entscheidungen und ihre Korrekturmöglichkeiten

Entscheidung dem Geist der Strafprozessordnung und wesentlichen Prinzipien der rechtsstaatlichen Ordnung krass widerspricht.83 In der gesamten Zeit des theoretischen Ringens um die Existenz nichtiger Urteile hat die Praxis jedoch kaum einmal einen Fall hervorgebracht, in dem die Nichtigkeit konkret bejaht wurde. In langer Tradition stellen sowohl das Reichsgericht wie auch der Bundesgerichtshof zwar jeweils abstrakt die Voraussetzungen der Nichtigkeit dar und erkennen die generelle Möglichkeit, dass ein Urteil unheilbar nichtig sein könne, allgemein an, verneinen dies jedoch für den konkreten Fall.84 Solch rein theoretische Ausführungen haben an der spezifischen Autorität des Richterspruchs jedoch nicht teil,85 weshalb von einer wirklichen Akzeptanz der Theorie von der Nichtigkeit nicht gesprochen werden kann. Über das die Prügel- oder Todesstrafe verhängende Urteil hinaus86 vermag auch die Literatur nicht allzu viel aufzubieten, was den Aufwand lohnen würde. Und selbst diese unter dem Topos der Nichtigkeit thematisierten (Phantasie)Fälle87 würden sich anhand der geltenden Rechtsordnung lösen lassen. Bei einer tatsächlichen Verhängung derartiger Strafen läge ein rechtsbeugendes Verhalten im Sinne des § 339 StGB vor, die für die Rechtsbeugung vorausgesetzte fehlerhafte Anwendung von Rechtsnormen erfasst das materielle Recht ebenso wie das Verfahrensrecht.88 Dass der Verstoß unwissentlich unterlaufen und damit sub83 BGHSt 29, 351 (353); 33, 126 (127); 47, 270 (insoweit nicht abgedruckt) = JR 2003, 125 (126); BGH NStZ 1984, 279; NStZ 2009, 579 (580); OLG Koblenz NStZ 1981, 195; OLG Düsseldorf NJW 1988, 2811. Die Nichtigkeit wurde jeweils abgelehnt. 84 Zu dieser Vorgehensweise vgl. die in der vorherigen Fn. zitierten Entscheidungen und LR-Kühne, Einl. Abschn. K Rn. 117; Grünwald, ZStW 86 [1974] Beiheft, 94 (124); Kudlich, NJW 2013, 3216; Radtke, JR 2003, 127 (130). Sinnbildlich Meyer-Goßner, JR 1981 379 (380): „Gespenst des nichtigen Urteils“; ders., ZIS 2009, 519 (522): „prozessuales Geisterschiff“; Feiber, NStZ 1989, 45: „entzieht […] sich oft der wissenschaftlichen Festnahme ähnlich dem Ungeheuer von Loch Ness“. Nichtigkeit bejahten in jüngerer Zeit allerdings das OLG Köln NStZ-RR 2002, 341 (Urteil in einer Bußgeldsache, welches von einem unzulässig um kommissarische Vernehmung des Betroffenen ersuchten, für den Erlass des Urteils auch örtlich unzuständigen Richter ohne öffentliche Hauptverhandlung erlassen wurde) sowie das OLG München NJW 2013, 2371 m. abl. Anm. Meyer-Goßner, StV 2013, 613 ff. (Nichtigkeit wegen informeller Verständigung), zur letztgenannten Entscheidung hier ab S. 253. 85 Sarstedt, JR 1955, 351 f. 86 Als Beispiel angeführt aktuell etwa noch bei Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 52 Rn. 26. Krit. Beulke, JR 1986, 50 (53); LR-Kühne, Einl. Abschn. K Rn. 118, der zudem darauf hinweist, dass von einer unzweifelhaft nicht vollstreckbaren Sanktion nicht ohne weiteres und ausnahmslos zwingend auch auf die Nichtigkeit des die Verurteilung tragenden Schuldspruchs geschlossen werden könne. Eingehend zu Fällen, in denen Urteilsnichtigkeit konstruiert wird mit umfassender Würdigung Schäfer, Strafprozeßrecht, Einl. Kap. 16 Rn. 7 ff. und 17 ff. 87 So Bernsmann, JZ 2000, 215 (216); Grünwald, ZStW 76 [1964], 250 (262 f.); MeyerGoßner, StV 2013, 613 (614); Vent, JR 1980, 400 (401); Graf zu Dohna, Strafprozeßrecht, S. 220; Schäfer, Strafprozeßrecht, Einl. Kap. 16 Rn. 22. 88 BGHSt 38, 381 (383); 42, 343 (344 f.); BGHR StGB § 339 StGB Rechtsbeugung 5 – 7; Sch/Sch-Heine/Hecker, § 339 StGB Rn. 7; anerkannte Fälle der Beugung des Prozessrechts bei BeckOK(StGB)-Bange, § 339 Rn. 14.1. Vgl. hierzu auch Grünwald, ZStW 76 [1964], 250 (260); Meyer-Goßner, StV 2013, 613 (614). Darüber hinaus weist Weber-Klatt, Wiederauf-

II. Gänzliche Unwirksamkeit massiv fehlerhafter Entscheidungen?

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jektiv keine Strafbarkeit bestehen könnte, liegt fern, weshalb in Konsequenz dieser strafbaren Amtspflichtverletzung die Wiederaufnahme des Verfahrens nach §§ 359 Nr. 3, 362 Nr. 3 StPO infrage käme. Gleichzeitig stellt eine Entscheidung, die jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und dem Gesetz inhaltlich fremd ist, einen Verstoß gegen das Verbot willkürlicher Rechtsanwendung (Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 20 Abs. 3 GG) dar und unterliegt somit – wenn auch fristgebunden – der verfassungsgerichtlichen Kontrolle.89 Und wenn nun eine Verurteilung ohne gesetzliche Grundlage, also nach einem nicht vorhandenen Strafgesetz ergehen sollte – etwa wegen Versuchs eines Vergehens, dessen Versuchsstrafbarkeit nicht angeordnet ist90 – so kann in dem unwahrscheinlichen Fall, dass weder der Angeklagte noch die Staatsanwaltschaft die Entscheidung angreifen, schwerlich von einem solchen Fehler gesprochen werden, dessen Hinnahme für die Rechtsordnung unerträglich wäre.91 Die Rechtsprechung scheint sich mittlerweile eher von der Theorie der Urteilsnichtigkeit zu distanzieren. Der Dritte Strafsenat des Bundesgerichtshofs spricht zurückhaltend von der „wohl noch“ herrschenden Meinung,92 der Vierte Strafsenat lässt ausdrücklich offen, ob der Auffassung, es gebe nichtige Urteile, noch gefolgt werden könne und präsentiert zugleich eine Armada an Gegenargumenten: „das rechtsstaatliche Gebot der Rechtssicherheit, das den Eintritt der Rechtskraft nach Ausschöpfung der formalisierten Rechtsbehelfe der Strafprozessordnung (einschließlich § 458 StPO) fordert; die Funktion des Wiederaufnahmeverfahrens zur Beseitigung von (denkbaren) Fehlentscheidungen; die mögliche Beeinträchtigung der Schutzfunktion des Grundsatzes ne bis in idem; der Schutz der Verfassungsbeschwerde und das Fehlen praktikabler Abgrenzungskriterien“.93 Dass Ausmaß und Gewicht des Fehlers nur schwerlich mittels objektiver Kriterien bestimmt werden können, liegt auf der Hand. Vielmehr handelt es sich dem Grunde nach um eine Wertungsfrage, wann die gesteigerte Fehlerfolge eingreifen soll.94 Prognostizierbare nahme zu Ungunsten, S. 138 darauf hin, dass in derartigen Fällen mangels Vollstreckungsverfahren die Strafe nicht vollstreckt wird, und das bloße Unterlassen der Vollstreckung den Verurteilten hinreichend schützt. 89 Lotz, NJW 1996, 2130 (2132). 90 Für die Nichtigkeit Peters, Fehlerquellen Bd. 3, S. 13; zur Behandlung dieses Fehlers hier ab S. 229. 91 Grünwald, ZStW 86 [1974] Beiheft, 94 (126). 92 BGH NStZ 2009, 579 (580). 93 BGHSt 45, 58 (61) im Kontext eines (willkürlichen) Verweisungsbeschlusses nach § 270 Abs. 1 S. 1 StPO; jedenfalls dort sei es angesichts „schwer erträgliche[r] Folgen für die Rechtssicherheit und die geordnete Rechtspflege“ verfehlt, die Nichtigkeit des Beschlusses anzunehmen (S. 61 f.). Vgl. hierzu auch die Anm. von Bernsmann, JZ 2000, 215 f. 94 LG Krefeld NJW 1973, 1205 (1206); Saladin, FS Häferlin, S. 539 (544 ff.): es bestehe eben keine „Klarheit über die Klarheit“. Dies verdeutlicht auch die Entscheidung BGHSt 29, 351 (353 f.): Ob die Fehlerhaftigkeit einer gerichtlichen Entscheidung noch hinnehmbar sei, bestimme sich nicht allein nach der Schwere des Fehlers und der Offenkundigkeit seines Vorliegens, sondern auch nach der sachlichen Bedeutung der gerichtlichen Entscheidung für das

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B. Fehlerhafte Entscheidungen und ihre Korrekturmöglichkeiten

Ergebnisse sind von dieser Warte aus nur schwer zu erzielen. Dies zeigen etwa die Positionen zu den Auswirkungen von Zuständigkeitsfehlern: Während die örtliche Unzuständigkeit des Gerichts unbeachtlich sein soll,95 erfolgt bei der funktionellen Zuständigkeit teils eine penible Differenzierung, teils wird jede funktionelle Unzuständigkeit für beachtlich erklärt.96 Nach Volk97 handelt es sich um das „undurchführbare Unternehmen, mit Hilfe des ,Gewichts‘ eines Fehlers eine Skala zu konstruieren, die vom ,einfachen‘ Verfahrensfehler über den ,besonders schweren‘ Fehler (Verfahrenshindernis) bis hin zum ,unerträglichen‘ Fall reichen soll“.98 Es erscheint zumindest bedenklich, daran derart weitreichende Konsequenzen wie die generelle Unbeachtlichkeit auch einer strafgerichtlichen Entscheidung zu knüpfen. Betrachtet man die Entscheidungen, die Nichtigkeit erwägen, stößt man auf unklare Tatsachengrundlagen oder juristisch komplexe Bewertungsvorgänge, jedoch regelmäßig nicht auf evidente Fehler. Selbst bei grundsätzlicher Anerkennung der Möglichkeit von Urteilsnichtigkeit blieben daher nur wenige Fälle, in denen hierüber eine Abhilfe zu erwarten wäre.99 Das Hauptargument gegen die Lehre von der Nichtigkeit liegt jedoch in dem Fehlen eines Verfahrens zur Feststellung derselben, der Unbeachtlichkeit ipso iure. Dass sich Verfahren auch ohne autoritative Feststellung100 „von selbst“ erledigen, war lange auch an anderer – thematisch zufälligerweise äußerst passender – Stelle gebilligt worden, insofern als angenommen wurde, der Tod des Angeklagten im laufenden Verfahren beende dieses automatisch.101 Diese Rechtsprechung wurde schließlich mit der Begründung aufgegeben, jedes Verfahren müsse formell zum Abschluss gebracht werden, wozu es stets einer Willensbekundung des zuständigen Strafverfolgungsorgans bedürfe – dieser förmliche Akt allein trage den Erfordernissen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit Rechnung, zudem müsse bei unterschiedlichen Auffassungen der Verfahrensbeteiligten ein Rechtsmittel zulässig Verfahren. Vgl. auch Grünewald, ZStW 120 [2008], 545 (574): es handle sich um wohlklingende Floskeln, die im Einzelfall so oder so, mithin beliebig, aufgelöst werden können; auch Eb. Schmidt, Lehrkommentar I Rn. 252, der die Möglichkeit nichtiger Urteile grds. anerkennt, konstatiert das Erfordernis einer „Prüfung von Fall zu Fall“. 95 OLG Stuttgart NJW 1968, 1340; OLG Düsseldorf NJW 1979, 884 (Ls.), beide zur Verjährungsunterbrechung. 96 Vgl. etwa OLG Koblenz NJW 1968, 2393 (lediglich geschäftsplanmäßige Unzuständigkeit) einerseits und OLG Hamm DAR 1958, 330; NJW 1979, 884; BayObLGSt 1953, 122; 1980, 36 andererseits. 97 Prozeßvoraussetzungen, S. 197 in Fn. 128. 98 Wobei genau genommen nach der Argumentation der Lehre von der Nichtigkeit („Unerträglichkeit“) nicht die Schwere des Fehlers entscheidend sein kann, sondern die Schwere seiner Auswirkungen, zu dieser Überlegung BGHSt 29, 351 (353 f.) und bereits in anderem Kontext Nüse, JR 1949, 265 (269). 99 So auch Nüse, JR 1949, 265 in Fn. 2. 100 Hierzu Saladin, FS Häferlin, S. 539 (543). 101 BGHSt 34, 184. Diese Parallele wird auch von Meyer-Goßner, ZIS 2009, 519 (522 f.) gezogen.

II. Gänzliche Unwirksamkeit massiv fehlerhafter Entscheidungen?

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sein.102 Ebenso wenig Bestand hatte die Konstruktion der auf dem Gebiet des Zivilrechts richterrechtlich entwickelten außerordentlichen Beschwerde wegen greifbarer Gesetzeswidrigkeit. Voraussetzung sollte hier sein, dass die infrage stehende Entscheidung auf einem „greifbaren“ Gesetzesverstoß beruht, jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und inhaltlich dem Gesetz fremd, mit der Rechtsordnung schlechthin unvereinbar ist.103 Tatsächlich ist hier das nämliche Phänomen zu beobachten: Auch die theoretische Möglichkeit einer „außerordentlichen Beschwerde“ wurde vom Bundesgerichtshof wiederholt bestätigt, ihre Einschlägigkeit jedoch nur gelegentlich von den Instanzgerichten bejaht.104 Nach Änderung des Beschwerderechts durch das Zivilprozessreformgesetz vom 27. 07. 2001105 wurde die ohnehin wenig konturierte Rechtsprechung aufgegeben.106 Noch zuvor hatte sich der Bundesgerichtshof ausdrücklich gegen eine Übertragung des Konstrukts auf den Strafprozess ausgesprochen.107 Dort seien Beständigkeit und Rechtskraft die Regel, deren Beschränkung zugunsten der Gerechtigkeit die Ausnahme, weshalb Durchbrechungen des Grundsatzes der Rechtssicherheit besonderer Rechtfertigung bedürften, die ein vom Gesetz nicht vorgesehener Instanzenzug nicht leisten könne.108 Die gesetzliche Regelung, die ausreichend und abschließend sei, zeige sich zur Überwindung eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens imstande.109 Auch das Bundesverfassungsgericht vertritt grundsätzlich den Standpunkt, dass außerhalb des geschriebenen Rechts geschaffene außerordentliche Rechtsbehelfe den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Rechtsmittelklarheit nicht genügen – ein Rechtsbehelf müsse in der geschriebenen Rechtsordnung geregelt und in seinen Voraussetzungen für die Bürger erkennbar sein.110 Einer Entscheidung, die das Ergebnis eines formalisierten Verfahrens ist, gänzlich die rechtliche Anerkennung zu verweigern, bricht mit der Systematik der Strafprozessordnung. Dies äußert sich darin, dass selbst schwere Verfahrensmängel wie etwa die Unzuständigkeit des Gerichts nach dem Willen der Verfahrensordnung

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BGHSt 45, 108 (113 ff.), dort noch weitere Argumente. BGHZ 109, 41 (43 f.) m.w.N., hierzu auch Lotz, NJW 1996, 2130 ff. 104 Vgl. MüKo(ZPO)-Lipp, § 567 Rn. 15 m.N. 105 BGBl. I Nr. 40, S. 1887 ff. 106 BGHZ 150, 133; MüKo(ZPO)-Lipp, § 567 Rn. 16 f. m.w.N. 107 BGHSt 45, 37. Die „greifbare Gesetzeswidrigkeit“ wurde zuvor tatsächlich etwa vom OLG Düsseldorf (MDR 1993, 376) auch für den Bereich des Strafrechts erwogen, im konkreten Fall jedoch wiederum verneint. 108 BGHSt 45, 37 (38 f.). 109 BGHSt 45, 37 (39). Abl. bspw. BeckOK-Cirener, § 304 Rn. 8; LR-Matt, Vor § 304 Rn. 32 ff.; Meyer-Goßner/Schmitt, Vor § 304 Rn. 2; Pfeiffer, § 304 Rn. 6; SK-Frisch, Vor § 304 Rn. 12a. 110 BVerfGE 107, 395 (416) zum Rechtsschutz bei Verstößen gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör. Zum Postulat der Rechtsmittelklarheit etwa BVerfGE 49, 148 (164 f.); 87, 48 (65); 108, 341 (349). 103

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B. Fehlerhafte Entscheidungen und ihre Korrekturmöglichkeiten

befristet mit der Revision angreifbar sind.111 Wenn die Prozessordnung Rechtsmittel eröffnet, so besagt dies, dass Abirrungen von den gesetzlichen Vorgaben nicht die rechtliche Existenz des Justizaktes infrage stellen, sondern nur dessen nachträgliche Außerkraftsetzung rechtfertigen sollen.112 Wenn man zudem die absoluten Revisionsgründe nach § 338 StPO zunächst als Katalog besonders schwerwiegender Verstöße verstehen will,113 so würde sich die Frage stellen, wie dies mit der Lehre von der Nichtigkeit zu vereinbaren ist. Sieht man den Hauptzweck der absoluten Revisionsgründe darin, die hier nur schwer nachweisbare Beruhensfrage auszuklammern,114 relativieren sich diese Bedenken, wenngleich nicht von der Hand zu weisen ist, dass beispielsweise die vorschriftswidrige Abwesenheit des Angeklagten während wesentlicher Teile der Hauptverhandlung (§ 338 Nr. 5 StPO) sich durchaus auch einem „dem Geist der Strafprozessordnung und wesentlichen Prinzipien unserer rechtsstaatlichen Ordnung“115 widersprechenden Fehler subsumieren lassen würde. Die bestehenden revisionsrechtlichen Form- und Fristerfordernisse würden indes bedeutungslos, wenn zugleich zeitlich unbegrenzt die Nichtigkeit der Entscheidung geltend gemacht werden könnte.116 In praktischer Anwendung enthält das Konstrukt die Anweisung an die Vollstreckungsbehörde, die Vollstreckung zu unterlassen, wenn nach ihrer Einschätzung die Entscheidung nichtig ist und damit die Ermunterung, die eigene, nicht weniger irrtumsanfällige117 Beurteilung an die Stelle der gerichtlichen zu setzen.118 Zugleich wäre es an der Staatsanwaltschaft, das ergangene Urteil schlicht zu ignorieren und im Rahmen des Verjährungszeitraums die Strafverfolgung erneut aufzunehmen und das

111 Lampe, GA 1968, 33 (36); Eb. Schmidt, Lehrkommentar I Rn. 252. Darüber hinaus ist auch nie erwogen worden, die Verurteilung eines Unschuldigen, was wohl den krassesten aller denkbaren Fehler darstellt, ebenso für unbeachtlich zu erklären. Warum dies aber etwa bei einem Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot der Fall sein soll, bleibt einer Erklärung schuldig, hierzu auch Sarstedt, JR 1955, 351 (352). 112 Merkl, ZStW 46 [1925], 452 (459 ff.). 113 Vgl. BGHSt 23, 176 (178); KK-Gericke, § 338 Rn. 1; LR-Franke, § 338 Rn. 1; SKFrisch § 338 Rn. 2; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 55 Rn. 38. 114 So etwa Meyer-Goßner/Schmitt, § 338 Rn. 1. 115 Vgl. die Nachw. hier in Fn. 83. 116 Krit. daher auch BGHSt 29, 351 (353); hierzu auch Roeder, ZStW 79 [1967], 250 (254). Gleiches gilt für das Erfordernis der Erschöpfung des Rechtswegs im Rahmen der Verfassungsbeschwerde, wenn, wie teilweise vertreten (Nachweise etwa bei Meyer-Goßner/Schmitt, Einl. Rn. 107), der Verstoß gegen Art. 103 Abs. 3 GG als Nichtigkeitsgrund erfasst werden sollte. 117 Vgl. auch Roeder, ZStW 79 [1967], 250 (297): angesichts regelmäßig fehlender juristischer Kompetenz sei untergeordneten Vollstreckungsorganen die Prüfung schlicht nicht zumutbar. 118 Grünwald, ZStW 86 [1974] Beiheft, 94 (125). Darüber hinaus weist Kudlich, NJW 2013, 3216 (3217) auf das rechtspraktische Problem der fast zwangsläufig anzuerkennenden Notwehrbefugnis des „nichtig“ Verurteilten gegen jede Vollstreckungsmaßnahme hin. Hierzu auch bereits Graf zu Dohna, Strafprozeßrecht, S. 222.

II. Gänzliche Unwirksamkeit massiv fehlerhafter Entscheidungen?

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Verfahren neu zu betreiben.119 Völlige Absurdität entstünde schließlich, wenn nach erneuter Durchführung des Verfahrens seitens eines Beteiligten das erste Urteil nur für anfechtbar, das zweite dann wiederum angesichts des Verstoßes gegen ne bis in idem für nichtig erklärt werden würde.120 Das Monopol für die Richtigkeitskontrolle liegt im Verfahren selbst.121 Feststellung und Bewertung der tatsächlichen Geschehnisse haben innerhalb eines bestimmten Prozessrahmens zu erfolgen, und nur aus diesem heraus soll eine Lösung gefunden werden.122 Jede außerhalb des Verfahrens stattfindende Korrektur bewirkt eine „Entformalisierung des Strafrechts“123 und damit lediglich eine weitere Verletzung der Verfahrensordnung.124 Auf dem prozessordnungsgemäßen Zustandekommen der Entscheidung liegt grundsätzlich ebenso viel Gewicht wie auf dem Erfordernis einer effektiven Strafverfolgung.125 Die Justizförmigkeit des Verfahrens existiert nicht als Selbstzweck, sondern ist Mittel, Voraussetzung, conditio sine qua non rechtsstaatlichen Urteilens.126 Sie ist keine bloß formale Kategorie, sondern dient nicht zuletzt der Sicherung der verfassungsmäßig garantierten Rechte des Angeklagten und wird in manchen Fällen der materiellen Richtigkeit der Entscheidung

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Hierzu auch Weber-Klatt, Wiederaufnahme zu Ungunsten, S. 134 f. Grünwald, ZStW 76 [1964], 250 (261). Zum Verstoß gegen das Verbot der Doppelbestrafung eingehend hier ab S. 98. 121 Volk, Prozeßvoraussetzungen, S. 197. Die Konstruktion des nichtigen Urteils entziehe sich den Wertungen der StPO und eröffne eine materielle Betrachtungsweise und eine Argumentation außerhalb verfahrensmäßiger Feststellungen. Eingängig auch Sarstedt, JR 1955, 351, (352): „Man darf nicht der Ordnung, nur weil sie unvollkommen ist, die Unordnung zur Wächterin bestellen wollen“, gegen diesen jedoch Schneider, MDR 1956, 465 f. 122 Peters, FS Kern, S. 335. Noch weitergehend Marxen, Straftatsystem und Strafprozess, S. 343 ff., der aus der Unschuldsvermutung ableitet, dass erst der ordnungsgemäß geführte Prozess die Existenz der Straftat begründet („nullum crimen sine processu“), hierzu krit. Zaczyk, GA 1988, 356 (360). 123 So der programmatische Titel des Kolloquiums des Instituts für Kriminalwissenschaften der Juristischen Fakultät der Universität Göttingen im Jahre 2011. Ein schwächer werdendes öffentliches Bewusstsein hinsichtlich der Bedeutung rechtlicher Schranken registriert Loos, FS Wassermann, S. 123 bereits Mitte der achtziger Jahre. 124 Sarstedt, JR 1955, 351 (352), zust. Weber-Klatt, Wiederaufnahme zu Ungunsten, S. 136. 125 Auch wenn die „Aufrechterhaltung einer funktionstüchtigen Rechtspflege“ seit BVerfGE 33, 367 als Element des Rechtsstaates anerkannt ist und seither als Abwägungsgesichtspunkt im Rahmen der Zulässigkeit strafprozessualer Maßnahmen herangezogen wird, so ist diese „funktionstüchtige“ Strafrechtspflege trotz aller Effizienzbestrebungen nur unter voller Wahrung der Justizförmigkeit zu erzielen, so auch Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 1 Rn. 7. Eingehend auch Hassemer, StV 1982, 275 ff. 126 Paulus, NStZ 1985, 519 (520); Eb. Schmidt, Lehrkommentar I Rn. 22 f.; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 1 Rn. 7. Der Begriff der „Justizförmigkeit“ wird zwar i. e.S. im Hinblick auf die den Angeklagten schützende Formstrenge der Hauptverhandlung verwendet (vgl. KK-Gmel, Vor § 226; SSW-Beulke, Einl. Rn. 34). Er kann jedoch auch weiter im Sinne einer generellen Erforderlichkeit klarer, formaler Verfahrensabläufe verstanden werden. 120

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B. Fehlerhafte Entscheidungen und ihre Korrekturmöglichkeiten

übergeordnet.127 Die Einhaltung der verfahrensrechtlichen Vorschriften soll nicht zuletzt auch der Allgemeinheit signalisieren, dass Zufall oder Belieben im Strafverfahren keinen Platz finden.128 Als Element des Rechtsstaatsprinzips stellt die Justizförmigkeit klar, dass der Schutz von privaten Interessen, insbesondere der Freiheitsrechte des Einzelnen, auch ein öffentliches Interesse darstellt.129 Es besteht darüber hinaus auch ein unmittelbarer Bezug zu den Strafzwecken, speziell zur positiven Generalprävention: Die Ausgestaltung von Verfahrensrecht und -wirklichkeit ist von erheblicher Bedeutung, wenn das Strafrecht nicht nur über den Weg der Abschreckung funktionieren soll.130 Auch wenn nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts Abmilderungen des strengen Formalismus, der den Zeitgeist bei Schaffung der Strafprozessordnung maßgeblich prägte, „zugunsten differenzierterer Lösungen, die weniger Gefahr laufen, die Angemessenheit des Ergebnisses im Einzelfall zu verfehlen“ durchaus angezeigt sein sollen131 – die Justizförmigkeit verlangt die Einhaltung zumindest der wichtigsten prozessualen Regeln, um die notwendige Voraussetzung für die Akzeptanz einer Entscheidung zu schaffen.132 Der Auftrag formalisierter Konfliktverarbeitung muss dem Bestreben nach effektiver Strafverfolgung stets entgegengesetzt werden, obschon er vermehrt allgemeinpolitisch, verfahrensökonomisch und richterpsychologisch infrage gestellt und hierdurch bedroht wird.133 Ein rein ergebnisorientiertes Strafverfahren verstößt gegen die Subjektstellung des Angeklagten und damit gegen die verfassungsrechtliche Garantie des Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG.134 Bereits vor Schaffung des Grundgesetzes wurde der Wert der „schützenden Formen“ erkannt und als Errungenschaft des modernen Strafverfahrens begriffen.135 Die Befriedungsfunktion, die dem Strafrecht allgemein zuge127 Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 1 Rn. 4. Eindringlich auch Hassemer, StV 1982, 275 (278): Gesetzliches Strafunrecht zeichne sich nicht durch ein Zuwenig, sondern durch ein Zuviel an Effektivität aus. 128 Ähnlich Suchomel, FS Bumke, S. 135 (136). 129 Hassemer, StV 1982, 275 (278). 130 Krack, Rehabilitierung, S. 38 f. 131 BVerfGE 122, 248 (266) zur neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHSt 51, 298) hinsichtlich der Problematik der Rügeverkümmerung im Strafverfahren. 132 Krack, Rehabilitierung, S. 45, demzufolge die Justizförmigkeit zudem als Sammelbegriff für die dem Prozess zugrunde liegenden Wertprinzipien, insbesondere Wahrheitssuche und Wahrung der Freiheitsrechte, fungiert. 133 Hassemer, StV 1982, 275 (279 f.). 134 Wobei nichts dagegen spricht, zunächst Ausgangspunkt und Ziel festzulegen und unter dieser Prämisse den Lösungsweg zu entwickeln, sofern dieser sich mit der geltenden Verfahrensordnung vereinbaren lässt; auch die Entwicklung mehrerer zulässiger Lösungsmöglichkeiten ist nicht ausgeschlossen, vgl. Peters, FS Kern, S. 335 (360). 135 Vgl. den historischen Rekurs bei Zachariae, Handbuch Bd. 1, S. 133 ff. zur Rezeption des Inquisitionsprozess in Deutschland: „Der schützenden Formen, auch in Betreff der Besetzung des untersuchenden Gerichts, wurden immer weniger und man adoptierte mehr und mehr bei der Urtheilsfällung den Grundsatz, daß es auf Formalien gar nicht ankommen könne, wenn nur gewiß sey, daß in der Sache selbst kein Unrecht geschehe“ (S. 146).

II. Gänzliche Unwirksamkeit massiv fehlerhafter Entscheidungen?

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sprochen wird, hängt nicht unwesentlich auch von der Art und Weise ab, wie dieser Friede hergestellt wird, wodurch dem Verfahren als solchem ein Eigenwert zukommt.136 Zwar ist daraus nicht zu folgern, dass es nicht auch wesentlich auf die inhaltliche Qualität der ergangenen Entscheidung ankäme, solange nur das Verfahren prozessordnungsgemäß geführt worden ist.137 Das bedeutet jedoch nicht, dass Entscheidungen außerhalb eines formalisierten Verfahrens und ohne gesetzlich geregelte Formen ergehen oder aufgehoben werden dürfen. Eine Strafrechtspflege, die nur unter Missachtung ihrer eigenen Regeln funktioniert, kann letztlich nicht als funktionstüchtig bezeichnet werden.138 Eine krasse Fehlentscheidung dürfte das Rechtsbewusstsein erschüttern, ein ganz ähnlicher Effekt jedoch eintreten, wenn richterliche Entscheidungen ohne jegliche gesetzliche Grundlage beseitigt werden.139 Nicht zuletzt bestehen im Hinblick auf die Regelung des Art. 103 Abs. 3 GG verfassungsrechtliche Bedenken, sofern sich das Vorgehen zu Lasten des Betroffenen auswirkt.140 Ein Korrekturvorhaben muss daher in zweierlei Hinsicht positivrechtlich angeordnet sein, einmal bezüglich der Frage, wann es zulässig ist und zweitens, wie dabei zu verfahren ist.141 Ist dies nicht geschehen, wird Akzeptanz dieser prozessualen Lage erwartet – insofern gilt: Wer Rechtssicherheit verlangt, muss auch den Gedanken an Unrechtssicherheit verkraften können.142 Die mögliche Konsequenz, dass das Gericht trotz besserer Erkenntnis an eine fehlerhafte Entscheidung gebunden ist, ist demnach in erster Linie nicht als „schwer erträglich“ zu

136 Eingehend Müller-Dietz, ZStW 93 [1981], 1177 (1205 ff.) und auch Neumann, ZStW 101 [1989], 52 (62): die Strafrechtspflege als rechtsstaatliche Kategorie dürfe nicht auf die bloße Funktion der Verfolgung von Strafrechtsverstößen reduziert werden. 137 Hierzu Erb, FS Rieß, S. 77 (79). 138 Dies ist keine rein theoretische Überlegung, was nicht zuletzt die langjährige Rechtsprechung zur beschränkten Rechtskraft des Strafbefehls belegt. Bis zur Klarstellung durch den Gesetzgeber durch das StVÄG v. 27. 01. 1987 (BGBl. I Nr. 9, S. 475 ff.) wurde trotz der bereits in § 410 StPO a.F. angeordneten urteilsgleichen Wirkung und obwohl § 373a StPO a.F. die entsprechende Geltung der Wiederaufnahmevorschriften vorschrieb, seitens der Rechtsprechung die Wiederaufnahme zuungunsten bei Auftauchen neuer rechtlicher Gesichtspunkte außerhalb des formellen Wiederaufnahmeverfahrens allein durch erneute Anklageerhebung betrieben. 139 Schmitt, JZ 1961, 15 (17). 140 Herzog, Rechtskraft strafgerichtlicher Beschlüsse, S. 170 f. 141 Herzog, Rechtskraft strafgerichtlicher Beschlüsse, S. 100. 142 Fingas, Die Fehlentscheidung des Richters, S. 129 f.; Graf zu Dohna, Strafprozeßrecht, S. 209; Saliger, Radbruchsche Formel und Rechtsstaat, S. 59 f.; Volk, Prozeßvoraussetzungen, S. 199. Vgl. auch Radtke, Systematik, S. 48 f.: angesichts der höchst beschränkten menschlichen Erkenntnismöglichkeiten werde die Gefahr der Bestrafung auch von materiellrechtlich Unschuldigen bewusst in Kauf genommen. Extreme Position bei Hirschberg, Fehlurteil, S. 113, der Gesetzgeber sei von der „Fiktion der geheiligten Rechtskraft“ ausgegangen, das rechtskräftige Urteil solle „gegen Angriffe um jeden Preis geschützt werden, auch wenn es die Vernichtung eines Unschuldigen bedeutet“.

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B. Fehlerhafte Entscheidungen und ihre Korrekturmöglichkeiten

beklagen143, sondern als von der Verfahrensordnung so gewollt anzusehen. So kann etwa im Zusammenhang mit dem Verbrauch der Strafklage die von der Rechtsprechung vorgenommene weite Auslegung des Tatbegriffs zu unbilligen Ergebnissen führen, wenn ein möglicherweise unbedeutender Bruchteil des Gesamtgeschehens rechtskräftig abgeurteilt wurde, sich die Tat im Nachhinein jedoch als weitaus schwerwiegender darstellt – derartige dem Gerechtigkeitsempfinden zuwiderlaufende Ergebnisse werden jedoch grundsätzlich in Kauf genommen, um das hohe Maß an Rechtssicherheit, welches ein klar umrissener Tatbegriff bietet, nicht zu gefährden.144 In einigen Fällen scheint dieses Gerechtigkeitsempfinden indes derart gestört, dass Mittel und Wege geschaffen werden, dennoch das gewollte Ergebnis zu erzielen. Mal kann etwa der „Grundsatz gerechter Gesetzesauslegung“145 formalrechtliche Gesichtspunkte übertrumpfen, oder es wird das „Gebot der materiellen Gerechtigkeit“146 herangezogen, das nicht dulde, dass eine Tat von erheblichem Gewicht nicht verfolgt werden kann. Nichtsdestotrotz ist das Verlassen der vorgeschriebenen Bahnen, auch wenn es dem allgemeinen Billigkeitsgefühl entspricht, kein gangbarer Weg – umso mehr dann, wenn das gewünschte Ergebnis innerhalb der Verfahrensordnung erzielbar ist. Mit der Festlegung der Wiederaufnahmegründe hat der Gesetzgeber entschieden, dass andere Umstände den Bestand eines rechtskräftigen Urteils nicht beeinträchtigen sollen; mit der Schaffung eines eigenen Wiederaufnahmeverfahrens wurde zugleich verdeutlicht, dass die Geltendmachung von Urteilsmängeln nur auf diesem Wege zulässig ist.147 Dass diejenigen Fehlentscheidungen, die dem Verdikt der Nichtigkeit unterfallen sollen, sich anhand des geltenden Rechts lösen lassen, wird im Folgenden an jeweils passender Stelle gezeigt werden. Zunächst jedoch soll ein kursorischer Überblick darüber gegeben werden, welche Optionen zur Korrektur fehlerhafter Entscheidungen im Strafprozess generell zur Verfügung stehen.

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So jedoch Hecker, JR 1997, 4 (8), der demgegenüber ein „dynamisches“ Prozessverständnis favorisiert. 144 Helmken, MDR 1982, 715 (716). 145 BGHSt 23, 141 (149) zur Tatidentität mehrerer bei einer Fahrt unter Alkoholeinfluss begangener Verkehrsstraftaten. 146 BGHSt 29, 288 (296) zum Strafklageverbrauch bei mit § 129 StGB konkurrierenden Straftaten; die gegen die Entscheidung eingelegte Verfassungsbeschwerde wurde als unbegründet verworfen (BVerfGE 56, 22). 147 So treffend Grünwald, ZStW 76 [1964], 250 (256); zust. Leitmeier, NStZ 2014, 690 (692); ähnl. auch Dippel, GA 1972, 97 (110). Allgemein zur Funktion gesetzlicher Vorschriften als „Antwort“ auf Herausforderungen in Rechtsprechung und Rechtsdogmatik Loos, FS Wassermann, S. 123 (125).

III. Gesetzlich vorgesehene Korrekturmöglichkeiten

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III. Gesetzlich vorgesehene Korrekturmöglichkeiten Sowohl innerhalb der Strafprozessordnung als auch im Geltungsbereich anderer Verfahrensordnungen wird der Gefahr, dass menschliche Entscheidungen fehlerbehaftet sein können, Rechnung getragen und nach Möglichkeit Abhilfe geschaffen. Über die diversen Verfahren, die einen Zugriff auf gerichtliche Entscheidungen noch nach Eintritt der Rechtskraft ermöglichen, soll nachfolgend ein kurzer Überblick gegeben werden.148 Dieser Querschnitt durch die gesetzlich vorgesehenen Korrektursysteme ist insofern opportun, als ein mögliches Ineinandergreifen der Anwendungsbereiche Aufschluss darüber gibt, ob für eine Erweiterung des jeweiligen Korrektursystems – hier also konkret der Wiederaufnahme nach §§ 359 ff. StPO – überhaupt Notwendigkeit besteht.

1. Die Wiederaufnahme nach §§ 359 ff. StPO Die prominenteste Möglichkeit zur erneuten Überprüfung einer rechtskräftigen Entscheidung stellt die im Vierten Buch der Strafprozessordnung geregelte Wiederaufnahme des Verfahrens dar. Die §§ 359 – 373a StPO enthalten sowohl Vorgaben hinsichtlich der Voraussetzungen der Wiederaufnahme als auch im Hinblick auf den Verfahrensablauf und bilden insofern ein in sich geschlossenes Regelungssystem. Historisch betrachtet stellt die Wiederaufnahme einen Kompromiss dar, der mit der Abkehr vom schriftlichen, jederzeit reproduzierbaren Inquisitionsprozess getroffen werden musste.149 Gleichzeitig handelt es sich auch um eine Reminiszenz gerade an das inquisitorische Grundprinzip, Rechtsfrieden durch das wahre Urteil herzustellen.150 Zulässig ist die Wiederaufnahme sowohl zugunsten (§ 359 StPO) als auch zuungunsten (§ 362 StPO) des Verurteilten beziehungsweise des Angeklagten. Der Wortlaut des jeweils ersten Halbsatzes der Normen differiert, da im Fall der ungünstigen Wiederaufnahme der Antrag auch einen Freigesprochenen betreffen kann beziehungsweise dies für die Wiederaufnahme nach § 362 Nr. 4 StPO sogar vor-

148 Nicht Gegenstand der Darstellung sind demgegenüber diejenigen Mittel und Wege, die ausschließlich vor Eintritt der Rechtskraft sowie zur Anpassung an neue sachliche Gegebenheiten (bspw. die Aufhebung des Haftbefehls nach § 120 StPO bei Entfallen des dringenden Tatverdachts) bestehen. Zu den in diesem Kontext gewählten Terminologien (Rücknahme, Widerruf, Aufhebung, Abänderung) Wiedemann, Korrektur außerhalb des Rechtsmittelverfahrens, S. 25 ff. 149 Hanack, JZ 1973, 393 (394); Lampe, GA 1968, 33 (34 f.); Mayer, GerS 99 [1930], 299; Rieß, NStZ 1994, 153 (155). Zu den historischen Wurzeln der Wiederaufnahme propter nova im Inquisitionsprozess siehe auch Meyer, Wiederaufnahmereform, S. 55 ff. 150 LR-Gössel, § 359 Rn. 51; Dippel, GA 1972, 97 (104 f.); Grüner/Wasserburg, NStZ 1999, 286 (290); Wasserburg, ZRP 1997, 412 (413); anders Stoffers, ZRP 1998, 173 (174), der die Wurzeln des Wiederaufnahmerechts bereits im 17. Jahrhundert verortet.

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B. Fehlerhafte Entscheidungen und ihre Korrekturmöglichkeiten

ausgesetzt wird – insofern wäre dort die Bezeichnung „Verurteilter“ verfehlt.151 Um eine Wiederaufnahme zuungunsten handelt es sich, wenn die Schuld- und Strafbemessung – vorbehaltlich § 363 StPO – zulasten des Angeklagten geändert werden soll, betrachtet wird hierbei nur das Urteil selbst, nicht die rechtlich selbstständige Vollstreckung.152 Während sich die ersten drei Ziffern der §§ 359, 362 StPO entsprechen, liegt ein massiver Unterschied darin, dass die Wiederaufnahme propter nova153 zuungunsten des Angeklagten nur im Sonderfall des nachträglichen Geständnisses des Freigesprochenen154 und gerade nicht aufgrund neuer Erkenntnisse (§ 359 Nr. 5 StPO) möglich ist.155 Begründet wird dies zum einen mit der stärkeren Stellung der Staatsanwaltschaft, die im Hinblick auf das Belastungsmaterial von vornherein eine Befähigung und Pflicht zu umfassenden Ermittlungen treffe.156 Darüber hinaus findet sich auch verbreitet die Auffassung, dass die Verurteilung eines Unschuldigen stets schwerer zu ertragen sei als der nicht gerechtfertigte Freispruch eines Schuldigen.157 Wenngleich die Forderung nach der Erweiterung der Wiederaufnahme propter nova zuungunsten insbesondere bei schwersten Verbre-

151 Anders jedoch nunmehr die durch Gesetz v. 17. 07. 2015 (BGBl. I Nr. 31, S. 1332 [1338] Anlage 1 zu Art. 1 Nr. 13) eingefügte amtliche Überschrift zu § 362 StPO, die „Wiederaufnahme zuungunsten des Verurteilten“ lautet. 152 Maurer, JZ 1963, 666 (667); Weber-Klatt, Wiederaufnahme zu Ungunsten, S. 353 f. 153 Zu dem im Kontext der Wiederaufnahme gebräuchlichen Begriffspaar propter nova und propter falsa vgl. Dippel, in: Jescheck/Meyer, S. 13 (67); Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 57 Rn. 6 f. Speziell zur Wiederaufnahme propter falsa Überblick bei Weber-Klatt, Wiederaufnahme zu Ungunsten, S. 212 ff. Vor allem in der älteren Literatur findet sich auch der synonym gebrauchte Terminus restitutio ex capite novorum / ex capite falsi, vgl. v. Beling, Reichsstrafprozeßrecht, S. 431 f.; Eb. Schmidt, Lehrkommentar II Vor § 359 Rn. 12, aber auch aktuell LR-Gössel, § 359 Rn. 51. 154 Hier ebne sich der Freigesprochene den Weg zur erneuten Strafverfolgung selbst, so die BRAK-Denkschrift, S. 76. Zur Kritik und Antikritik eingehend Weber-Klatt, Wiederaufnahme zu Ungunsten, S. 366 ff., die sich für eine Restriktion im Bereich der Kleinkriminalität ausspricht und die Wiederaufnahme nur im Falle einer erwarteten Bestrafung wegen eines Verbrechens i.S.d. § 12 Abs. 1 StGB zulassen will (S. 398). 155 Hierzu auch Graf zu Dohna, Strafprozeßrecht, S. 209 f.: da ein Freispruch nicht nur bei festgestellter Unschuld, sondern auch aufgrund mangelnder Beweise erfolgen könne, bliebe bei Zulassung der Wiederaufnahme allein aufgrund nunmehr verdichtetem Beweismaterial von der Rechtskraft des freisprechenden Urteils nicht mehr viel übrig. 156 BT-Drs. 13/3594, S. 7; v. Hentig, Wiederaufnahmerecht, S. 108; Fingas, Die Fehlentscheidung des Richters, S. 135; Peters, Fehlerquellen Bd. 3, S. 41 f.; Saliger, Radbruchsche Formel und Rechtsstaat, S. 73 f. (Ausdruck der asymmetrischen Risikoverteilung im Prozess). In diese Richtung auch die BRAK-Denkschrift, S. 95. 157 Vgl. etwa BT-Drs. 13/3594, S. 7 („geringes kriminalpolitisches Bedürfnis“); Deml, Reform der Wiederaufnahme, S. 136 f.; Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 395; Meyer, Wiederaufnahmereform, S. 75; ders., ZStW 84 [1972], 909 (926); Peters, Strafprozeß, S. 671; Saliger, Radbruchsche Formel und Rechtsstaat, S. 74; Weber-Klatt, Wiederaufnahme zu Ungunsten, S. 217 f. Anders Binding, Strafprozeß, S. 339 f.: „schreiende Ungerechtigkeit“; abl. auch Grünewald, ZStW 120 [2008], 545 (568): empirisch nirgends abgesichert. Zweifelnd auch Ewald, Wiederaufnahme, S. 9 f.; Fingas, Die Fehlentscheidung des Richters, S. 135.

III. Gesetzlich vorgesehene Korrekturmöglichkeiten

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chen dem rechtspolitischen Diskurs durchaus nicht unbekannt ist,158 birgt eine Ausweitung der ungünstigen Wiederaufnahme jedenfalls im Hinblick auf das verfassungsrechtlich verbürgte Verbot der Doppelbestrafung Probleme. § 362 StPO als „hergebrachter“159 Wiederaufnahmegrund wird zwar als zulässige Durchbrechung des Grundsatzes ne bis in idem erachtet, der einen Eingriff in die durch Art. 103 Abs. 3 GG verbürgte Garantie erlaube.160 Auch eine nachträgliche Gesetzeskorrektur sei möglich, solange der Kern dessen, was als Inhalt dieses Grundsatzes herausgearbeitet wurde, erhalten bleibe.161 Unzulässig seien jedenfalls solche Gründe, die nach „althergebrachter und unbestrittener Rechtsüberzeugung zur Begründung eines Wiederaufnahmeverfahrens nicht geeignet sind“.162 Von einigen Vertretern des Schrifttums wird eine Einschränkung des Art. 103 Abs. 3 GG hingegen immer dann für zulässig erachtet, wenn das Festhalten an der Rechtskraft „zu schlechthin unerträglichen Ergebnissen führen würde“.163 Dabei spielt das Gerechtigkeitsempfin158 Bspw. sollte die ungünstige Wiederaufnahme Fällen geöffnet werden, in denen zum Zeitpunkt des Freispruchs nicht vorhandene technische Ermittlungsmethoden (insb. DNAAnalysen) später die Überführung wegen eines vollendeten Verbrechens nach § 211 StGB bzw. §§ 6 Abs. 1 Nr. 1; 7 Abs. 1 Nr. 1; 8 Abs. 1 Nr. 1 VStGB oder der vollendeten Anstiftung hierzu ermöglichen, vgl. BR-Drs. 655/07; BT-Drs. 16/7957; hierzu eingehend Schöch, FS Maiwald, S. 769 ff., der sich für den Einbezug sämtlicher Schwurgerichtssachen (§ 74 Abs. 2 GVG) ausspricht. Eine derartige Erweiterung der ungünstigen Wiederaufnahme ablehnend etwa LRGössel, Vor § 359 Rn. 194; Grünewald, ZStW 120 [2008], 545 f. u. 578 f. 159 Vgl. BVerfGE 2, 380 (403); krit. zur Einstufung des § 362 StPO jedenfalls als vorkonstitutionell Eschelbach, FS Stöckel, S. 199 (222 f.) und Weber-Klatt, Wiederaufnahme zu Ungunsten, S. 164 ff. 160 BVerfGE 3, 248 (252): der in Art. 103 Abs. 3 GG niedergelegte Rechtssatz nehme auf den bei Inkrafttreten des Grundgesetzes geltenden Stand des Prozessrechts und die Auslegung durch die herrschende Rechtsprechung Bezug. Hierzu auch HK-Temming, § 362 Rn. 1; LRGössel, § 362 Rn. 1; Meyer-Goßner/Schmitt, § 362 Rn. 1; Pfeiffer, § 362 Rn. 1; SK-Frister, § 362 Rn. 3 ff. Aufgrund der Konzeption als Abwehrrecht des Einzelnen gegen staatliches Handeln berührt die günstige Wiederaufnahme nach § 359 StPO den Schutzbereich hingegen nicht, so zutreffend Grünewald, ZStW 120 [2008], 545 (567). 161 BVerfGE 56, 22 (34 f.). Weber-Klatt, Wiederaufnahme zu Ungunsten, S. 384 ff. sieht in jeglicher Erweiterung der ungünstigen Wiederaufnahme propter nova, auch im Falle einer Beschränkung auf schwerste Delikte (Mord, Völkermord), diesen Kernbereich betroffen, der Kerngehalt des Art. 103 Abs. 3 GG stehe jedem Delinquenten ohne Ansehen der Schwere der Tat zu (S. 388). Krit. im Hinblick auf eine Ausdehnung der ungünstigen Wiederaufnahme auch Herzberg, JuS 1972, 113 (120). Hierfür jedoch etwa Stoffers, ZRP 1978, 173 (177 f.); v. Hentig, Wiederaufnahmerecht, S. 117 f. 162 BVerfGE 2, 380 (403). Dass eine derartige Definition die Reaktion auf nach Einführung des Grundgesetzes eingetretene Veränderungen tendeziell erschwert, merkt Hanack, FS Rieß, S. 709 (720) an. 163 Maunz/Düring-Schmidt-Aßmann, Art. 103 GG Rn. 270 m.N. § 362 StPO werde diesen Anforderungen gerecht, mit den derzeit existierenden Wiederaufnahmegründen sei jedoch materiell die verfassungsrechtlich gezogene Grenze erreicht. Krit. zu dieser „Unerträglichkeitsschranke“ SK-Frister, § 362 Rn. 5. Weitergehend Knoche, DRiZ 1971, 299, der gegen den Freispruch generell kein Rechtsmittel zulassen und auch die Wiederaufnahme in diesen Fällen abschaffen will. Zum generellen Verzicht auf die ungünstige Wiederaufnahme mit abl. Ergebnis Deml, Reform der Wiederaufnahme, S. 137 ff.

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B. Fehlerhafte Entscheidungen und ihre Korrekturmöglichkeiten

den in diesem Kontext eigentlich eher eine untergeordnete Rolle. § 362 StPO charakterisiert vielmehr gerade diejenigen Fehler, die das Verfahren in den Augen der Allgemeinheit besonders disqualifizieren.164 Die Defizite in diesem Bereich erlauben eine erneute Aufrollung des Prozesses unabhängig vom Gewicht der ungerechtfertigten Privilegierung, im Mordprozess ebenso wie im Fall eines einfachen Diebstahls.165 Der bereits erwähnte § 359 Nr. 5 StPO stellt demgegenüber einen „allgemeinen“166 Wiederaufnahmegrund zugunsten des Verurteilten dar, der den Zugriff auf die rechtskräftige Entscheidung in Fällen gestattet, in denen „neue Tatsachen oder Beweismittel beigebracht sind, die allein oder in Verbindung mit den früher erhobenen Beweisen die Freisprechung des Angeklagten oder in Anwendung eines milderen Strafgesetzes eine geringere Bestrafung oder eine wesentlich andere Entscheidung über eine Maßregel der Besserung und Sicherung zu begründen geeignet sind“. Insofern wird die Wiederaufnahme bei unrichtiger tatsächlicher Grundlage des Urteils in recht weitem Maße zugelassen.167 Die Voraussetzungen der „speziellen“ Wiederaufnahmegründe aus § 359 Nrn. 1 – 4 und Nr. 6 StPO liegen dagegen nur in praktisch seltenen Fällen vor.168 Da jedenfalls § 359 Nrn. 2 und 3 StPO die Behauptung einer Straftat implizieren,169 ist eine darauf gestützte Wiederaufnahme nach Maßgabe des § 364 StPO grundsätzlich nur dann möglich, wenn das strafbare Verhalten durch eine rechtskräftige Verurteilung bestätigt worden ist.170 Insbesondere der Nachweis der Verwirklichung des Rechtsbeugungstatbestands durch einen Berufsrichter ist in aller Regel äußerst schwierig zu führen und gelingt äußerst

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Radtke, Systematik, S. 80 (Fallgruppen fehlender Schutzwürdigkeit); Weber-Klatt, Wiederaufnahme zu Ungunsten, S. 169 und Saliger, Radbruchsche Formel und Rechtsstaat, S. 75 ff., der die einzelnen Wiederaufnahmegründe anhand der Radbruchschen Formel untersucht. Allerdings scheint eine sinnvolle Aufzählung hinsichtlich der in Betracht kommenden Straftaten nicht unproblematisch, wie Meyer, Wiederaufnahmereform, S. 91 anführt: der Fall der strafbaren unmittelbaren Einwirkung auf den Willen des Richters (§§ 240, 241 StGB) etwa wird vom Katalog des § 362 StPO nicht erfasst. Zur historischen Entwicklung dieser Wiederaufnahmegründe Grünewald, ZStW 120 [2008], 545 (549 f. u. 563). 165 Zu diesem Aspekt Neumann, ZStW 101 [1989], 52 (57). 166 Vgl. BGHSt 48, 153 (158); AK-Loos, § 359 Rn. 40; Eisenberg, JR 2007, 360; Meyer, JZ 1968, 7; Schorn, MDR 1965, 869; Waßmer, JURA 2002, 454 (456): „generalklauselartige Vorschrift“; Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 586; Neumann, System der Wiederaufnahme, S. 39. 167 Nüse, JR 1949, 265; so auch LR20-Kohlhaas, § 359 Rn. 19a, der hierauf jedoch mit einer entsprechend strengen Prüfung der Voraussetzungen reagieren will. 168 Hierzu und im Folgenden BGHSt 48, 153 (159 f.). 169 Betreffend § 359 Nr. 1 StPO herrscht Uneinigkeit, siehe dazu nachfolgend auf S. 84. 170 Anderes gilt nur, sofern „die Einleitung oder Durchführung eines Strafverfahrens aus anderen Gründen als wegen Mangels an Beweis nicht erfolgen kann“. Hierunter fallen Verfolgungshindernisse wie Verhandlungsunfähigkeit, Amnestie oder fehlende deutsche Gerichtsbarkeit (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, § 364 Rn. 1), nach BGHSt 48, 153 (155) auch der unbekannte Aufenthalt. Zur Verfahrenseinstellung aus Opportunitätsgründen (§§ 153 ff. StPO) siehe SK-Frister, § 364 Rn. 9 f.

III. Gesetzlich vorgesehene Korrekturmöglichkeiten

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selten.171 In dem von Peters ausgewerteten Material etwa fand sich kein einziger Fall, in dem eine richterliche Amtspflichtverletzung eine Rolle spielte.172 Der Wiederaufnahmegrund § 359 Nr. 4 StPO (Aufhebung eines zivilgerichtlichen Urteils) setzt die vorherige Durchführung eines förmlichen Verfahrens voraus, Gleiches gilt dem Wortlaut der Norm nach für die Feststellung einer Verletzung der Menschenrechtskonvention bei einer Wiederaufnahme gemäß § 359 Nr. 6 StPO173, weshalb es sich auch hier um Sonderkonstellationen handelt. Die Masse der Wiederaufnahmeanträge zugunsten des Verurteilten wird daher auf den Wiederaufnahmegrund des § 359 Nr. 5 StPO gestützt, auf dem auch im Rahmen dieser Arbeit der Fokus der Betrachtung liegt, sofern nicht besondere Konstellationen die Einschlägigkeit spezieller Wiederaufnahmegründe nahelegen. Klärungsbedarf besteht hier zunächst hinsichtlich der vom Gesetz verwendeten Konjunktion „oder“. Da sie die Alternativität von Möglichkeiten ausdrückt, entsteht der Eindruck, dass im Rahmen dieses Wiederaufnahmegrundes zwei Vorbringen zur Wahl stünden – das Beibringen von Tatsachen zum einen, das von Beweismitteln zum anderen.174 Eine derartige Unterscheidung muss indes nicht vorgenommen werden, und ist im Hinblick auf die praktische Normanwendung im ersten Schritt sogar eher abträglich. Denn § 359 Nr. 5 StPO ermöglicht die Wiederaufnahme generell dann, wenn die Richtigkeit der Entscheidung durch neue Erkenntnisse in Frage gestellt wird.175 Derartige Erkenntnisse lassen sich zwar auch aus offenkundigen Tatsachen und Erfahrungssätzen ziehen, sind davon abgesehen jedoch im Regelfall Ergebnis einer Beweiserhebung.176 Der in der Vorschrift implizit vorausgesetzte Vorgang der Erkenntnisgewinnung ist im Grunde genommen der gleiche, wie er vom Untersuchungsgrundsatz in § 244 Abs. 2 StPO beschrieben wird,177„Tatsachen oder Beweismittel“ stehen damit synonym für den Weg hin zu einem bestimmten Beweisergebnis, sie sind der Auslöser für die Erwartung einer bestimmten Erkenntnis, 171 Vgl. BT-Drs. 13/3594, S. 5 (l. Sp.); Bock et al., GA 2013, 328 (342 f.); Fornauf, StraFo 2013, 235 (238). Zur praktischen Bedeutung des Tatbestands auch NK-Kuhlen, § 339 StGB Rn. 4 ff. Neben § 339 StGB kommen insbesondere Amtsdelikte nach §§ 331 Abs. 2, 332 Abs. 2, 336, 343, 344, 348 StGB in Betracht, aber auch andere Straftaten wie §§ 239, 240, 257 oder 267 StGB, vgl. SK-Frister, § 359 Rn. 28. 172 Vgl. Peters, Fehlerquellen Bd. 3, S. 104. Auch Wiederaufnahmen im Hinblick auf Urkundenfälschungen waren selten. 173 A.A. etwa LG Ravensburg NStZ-RR 2001, 115. Zu dieser Entscheidung hier ab S. 185. 174 So bspw. KMR-Eschelbach, § 359 Rn. 124; Marxen/Tiemann, Wiederaufnahme, Rn. 168 in Fn. 300, die jeweils von zwei verschiedenen Alternativen ausgehen. 175 Ähnlich Eisenberg, JR 2007, 360: wegen zusätzlicher tatsächlicher Erkenntnisquellen; Meyer, JZ 1968, 7 (9): Wiederaufnahmegrund der nichtbenutzten Beweismittel; Neumann, System der Wiederaufnahme, S. 39 ff. In BT-Drs. 10/1313, S. 33 (r. Sp.) heißt es „Auslegung des Begriffs [Hervoh. d. Verf.] ,neue Tatsachen oder Beweismittel‘“. Knoche, DRiZ 1971, 299 (300 f.) möchte de lege ferenda den Ausdruck „Umstände“ verwenden. 176 Hierzu und im Folgenden SK-Frister, § 359 Rn. 35 f. 177 Dort werden Tatsachen und Beweismittel ebenso missverständlich (vgl. SK-Frister, § 244 Rn. 12 in Fn. 15) nebeneinandergestellt. Zur Parallelität auch m.w.N. Schünemann, ZStW 84 [1972], 870 (903): § 359 Nr. 5 StPO als nachgeschobener Beweisantrag.

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B. Fehlerhafte Entscheidungen und ihre Korrekturmöglichkeiten

einer durch geistige Verarbeitung gewonnenen Einsicht178. Dem Grunde nach geht es also einheitlich um neue, zu erwartende Beweisergebnisse. Klarstellungsfunktion kommt der Aufzählung auch dann nicht zu, wenn man mit dem überwiegenden Teil der Literatur unter „Beweismitteln“ nur die förmlichen Beweismittel des Strafverfahrens verstehen möchte179 und somit insbesondere den Widerruf eines Geständnisses hierüber nicht erfassen könnte. Denn das veränderte Aussageverhalten des Verurteilten allein ist auch keine neue Tatsache, da sich aus diesem Faktum noch keine neuen Erkenntnisse ziehen lassen.180 Die Erwartung eines neuen Beweisergebnisses, die § 359 Nr. 5 StPO voraussetzt, ist erst dann berechtigt, wenn der Vortrag über die bloße Behauptung des Gegenteils hinausgeht.181 Es muss also letztlich doch „Substanz“ präsentiert werden, die die reale Möglichkeit eines neuen Beweisergebnisses begründen und damit die zunächst einmal vermutete Richtigkeit der Erstentscheidung infrage stellen kann.182 Die reine Tatsachenbehauptung ist daher im Wiederaufnahmeverfahren noch kein hinreichendes Vorbringen – letztlich ergibt sich dies auch aus den gesetzlichen Regelungen, konkret aus §§ 366 Abs. 1, 368 Abs. 1 StPO, die eine Verpflichtung zur Angabe des Beweismittels aufstellen.183 Eine Berechtigung erhält die durchaus gebräuchliche184 Formulierung erst in Zusammenstellung mit dem Merkmal der Neuheit.185 Durch das gesonderte Auf-

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Duden Teilbd. 10, S. 343 (Stichwort „Erkenntnis“). So etwa KK-Schmidt, § 359 Rn. 23; LR-Gössel, § 359 Rn. 82; Meyer-Goßner/Schmitt, § 359 Rn. 26; Pfeiffer, § 359 Rn. 7; Marxen/Tiemann, Wiederaufnahme, Rn. 132; Theobald Barrieren, S. 27; a.A. Eisenberg, Beweisrecht, Rn. 439; Peters, Fehlerquellen Bd. 3, S. 72; Eb. Schmidt, Lehrkommentar II § 359 Rn. 20; Wasserburg, Wiederaufnahme, S. 316 f. 180 So auch Förschner, StV 2008, 443: Neue Tatsachen und neue Beweismittel könnten nur die Umstände sein, auf die sich der Geständniswiderruf stütze. 181 Vgl. BGH NStZ 2000, 218: das bloße Behaupten des Gegenteils sei nicht in der Lage, eine Wiederaufnahme zu rechtfertigen. 182 SK-Frister, § 359 Rn. 35; in diese Richtung jedoch Schmidt, NJW 1958, 1332 f. In der Praxis wird dem Antragssteller in derartigen Konstellationen eine sogenannte „erweiterte Darlegungslast“ auferlegt. Dieser müsse erklären, warum er die Tat in der Hauptverhandlung der Wahrheit zuwider zugab und weshalb er das Geständnis nunmehr widerruft, vgl. BGH NJW 1977, 59 = JR 1977, 217 m. Anm. Peters; OLG Hamm NStZ 1981, 155; OLG Köln NStZ 1991, 96 (97); OLG Düsseldorf NStZ 2004, 454 (455); LG Landau StV 2009, 237; Marxen/Tiemann, Wiederaufnahme, Rn. 131 und bereits Neumann, System der Wiederaufnahme, S. 41. Entsprechendes gilt etwa für den Vortrag des nunmehr abweichenden Aussageverhaltens eines Zeugen, auch hier müssen Gründe für die angebliche Unrichtigkeit vorgetragen werden, vgl. OLG Köln NJW 1963, 967 (968); Schünemann, ZStW 84 [1972], 870 (907 Fn. 164). Krit. SKFrister, § 359 Rn. 52 f.: entscheidend sei allein die reale Möglichkeit eines neuen Beweisergebnisses; sofern diesbezüglich keine Zweifel bestünden, so dürften fehlende Erläuterungen der Wiederaufnahme nicht entgegenstehen. Eingehend zu dieser Thematik auch Tiemann, Erweiterte Darlegungslast, S. 101 ff. und passim. 183 Vgl. auch Marxen/Tiemann, Wiederaufnahme, Rn. 169. 184 Neben bspw. §§ 174 Abs. 2, 211, 244 Abs. 2 StPO auch etwa Art. 410 Abs. 1 lit. a StPO (CH); § 353 Nr. 2 StPO(A). Art. 4 Abs. 2 des Protokolls Nr. 7 zur EMRK erwähnt hingegen lediglich „neue oder neu bekannt gewordene Tatsachen“. 179

III. Gesetzlich vorgesehene Korrekturmöglichkeiten

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führen der Erkenntnisquellen wird der Gefahr entgegengewirkt, Vorbringen, die bereits Gegenstand des Erstprozesses waren, per se die Anerkennung als „neu“ im Hinblick auf das Wiederaufnahmeverfahren zu verweigern. Ein mögliches Alibi des Täters, welches im vorangegangenen Verfahren thematisiert, dessen Vorliegen jedoch nicht bejaht wurde, muss selbstverständlich Gegenstand des Wiederaufnahmeverfahrens sein können, wenn sich etwa ein neuer, bislang nicht bekannter oder verschollener Entlastungszeuge findet. Die Neuheit muss also nicht kumulativ vorliegen; sowohl kann für bereits erörterte entscheidungserhebliche Tatsachen ein neues Beweismittel beigebracht werden als auch die Erwartung bestehen, dass sich aus bereits bekannten Beweismitteln neue Tatsachen ergeben. Zu beachten ist in diesem Kontext auch, dass das Merkmal der Neuheit nicht unbedingt neu entstandene Beweisergebnisse (nova producta) verlangt, sondern auch zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits existente, aber bislang dem Gericht unbekannt gebliebene Umstände (nova reperta) genügen lässt.186 Prägnant formuliert Peters: „Es kommt darauf an, was der Überzeugungsbildung zugrunde gelegen hat, nicht darauf, was der Überzeugungsbildung hätte zugrunde gelegt werden können“.187 Ausgangspunkt ist damit nicht der ideale Sollzustand, sondern das tatsächliche Haben.188 Diese Auslegung entspricht der Systematik des Strafverfahrens insgesamt wiederum insofern, als letztendlich nicht die unmittelbar den Straftatsachverhalt bildenden tatsächlichen Umstände, sondern die richterliche Überzeugung von ihrer Existenz nach § 261 StPO Grundlage von Urteil, Schuldspruch und Bestrafung ist.189 Ein weiteres Missverständnis entsteht im Rahmen der geläufigen Einordnung der in § 363 StPO sowie in § 359 Nr. 5 StPO getroffenen Regelungen.190 Gerade die in letzterer Norm enthaltene Aufzählung von Freisprechung, geringerer Bestrafung und anderer Entscheidung über eine Maßregel firmiert üblicherweise unter dem Schlagwort „Wiederaufnahmeziele“.191 Diese Umschreibung ist jedoch äußerst 185 Hierzu und im folgenden SK-Frister, § 359 Rn. 37; vgl. auch KK-Schmidt, § 359 Rn. 18; Schorn, MDR 1965, 869 (870); v. Hentig, Wiederaufnahmerecht S. 94 f.; Neumann, System der Wiederaufnahme, S. 43; Eb. Schmidt, Lehrkommentar II § 359 Rn. 19; Wasserburg, Wiederaufnahme, S. 302; implizit auch Eisenberg, Beweisrecht Rn. 440 i.V.m. Fn. 28. 186 BVerfG NJW 2007, 207 (208); LR-Gössel, § 359 Rn. 93; SK-Frister, § 359 Rn. 40; Ewald, Wiederaufnahme, S. 17; Neumann, System der Wiederaufnahme, S. 41 f. Achenbach, ZStW 87 [1975], 74 (97) deutet die Regelung sogar dahin, die Vorschrift beziehe sich „ihrem eigentlichen Sinn nach nicht auf neu eingetretene, sondern auf neu erkannte Tatsachen“. Unerheblich ist insbesondere auch, ob der Angeklagte diese gekannt hat, vgl. OLG Köln NJW 1963, 967; OLG Frankfurt MDR 1984, 74; KK-Schmidt, § 359 Rn. 24; Meyer-Goßner/Schmitt, § 359 Rn. 30; Meyer, FG Peters, S. 387 (388). Zur Filterfunktion im Bereich der Bagatellkriminalität Peters, FS Kern, S. 335 (355). 187 Strafprozeß, S. 672. 188 Ähnliche Formulierung bei KK(OwiG)-Lutz, § 85 Rn. 11. 189 Mitsch, NZV 2013, 63 (67). 190 Hierzu SK-Frister, § 359 Rn. 7 f. 191 Vgl. etwa BT-Drs. 13/3594, S.7; AK-Loos, § 359 Rn. 4; KMR-Eschelbach, § 359 Rn. 181; LR-Gössel, § 359 Rn. 54; Fingas, Die Fehlentscheidung des Richters, S. 133 f.; ge-

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B. Fehlerhafte Entscheidungen und ihre Korrekturmöglichkeiten

unglücklich gewählt. Es ist gerade nicht entscheidend, welches Ergebnis der Antragssteller im wiederaufgenommenen Verfahren anstrebt, darauf muss im Rahmen der Antragsstellung auch überhaupt nicht eingegangen werden, wie sich aus § 366 Abs. 1 StPO ergibt, der die Nennung des Grundes, nicht des Zieles verlangt.192 So hat auch der zum Zeitpunkt der Erstverurteilung verhandlungsunfähige Verurteilte durchaus ein berechtigtes Interesse an der Fehlerkorrektur, wenn er bis zur Erneuerung der Hauptverhandlung wieder verhandlungsfähig geworden ist und sich darin sachgerecht verteidigen kann.193 Die Aufzählung ist vielmehr rückbezüglich zu verstehen, sie verdeutlicht das allgemeine Prinzip, dass der Wiederaufnahmegrund im Widerspruch zur Erstentscheidung stehen muss.194 Entscheidend ist demnach, ob der Antragssteller Umstände darlegen kann, die zu einer Entscheidung mit oben genanntem Inhalt geführt hätten, hätte das Gericht sie im ersten Verfahren bereits gekannt.195 Im Mittelpunkt stehen demnach die Auswirkungen, die das Vorbringen hypothetisch auf die Erstentscheidung gehabt hätte – letztlich wird die Koexistenz des neuen und des alten Materials im abgeschlossenen Verfahren fingiert.196 In § 360 des Entwurfs eines Einführungsgesetzes zum Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuch und zum Strafvollzugsgesetz von 1930 wurde auch tatsächlich eine dahingehende Formulierung präferiert, dort wurden Tatsachen oder Beweismittel verlangt, die „geeignet gewesen wären […]“.197 Hierdurch filtert die Regelung diejenigen Vorträge heraus, die die Wahrscheinlichkeit verbürgen, dass im Falle ihrer Bewahrheitung das Grundurteil in seiner rechtsfriedensichernden Funktion erschüttert werden wird.198 Ewald bezeichnet dies als „hoch qualifizierten Erfolg“.199 Eine solche Erschütterung ist zwingend zu fordern. Es entspricht nicht dem Wesen der Wiederaufnahme, einen Eingriff in das Ersturteil zuzulassen, sofern bloß anhand der ringfügig anders Theobald, Barrieren, S. 23 Fn. 107: unmittelbares Antragsziel sei zwar die Wiederaufnahme des Verfahrens, darin müsse der Antragssteller jedoch ein zulässiges („mittelbares“) Antragsziel erstreben. 192 SK-Frister, § 359 Rn. 7, wenngleich dies von der wohl herrschenden Ansicht über den Wortlaut hinaus so verlangt wird, vgl. etwa AK-Loos, § 366 Rn. 1; KK-Schmidt, § 366 Rn. 1; LR-Gössel, § 366 Rn. 1 und krit. SK-Frister, § 366 Rn. 4, abl. auch KMR-Eschelbach, § 366 Rn. 11 ff. 193 Beispiel von KMR-Eschelbach, § 359 Rn. 199; vgl. auch SK-Frister, § 359 Rn. 13. 194 Vgl. hierzu Schünemann, ZStW 84 [1972], 870 (895 f.). 195 So auch BGHSt 17, 303 (304); SK-Frister, § 359 Rn. 7 f. und 55; Tiemann, Erweiterte Darlegungslast, S. 93. Vgl. auch Dickersbach, Prozessuale Tatsachen, S. 9 m. Verw. auf Ewald, Wiederaufnahme, S. 18 ff.; krit. angesichts der Verwendung des Präsens („geeignet sind“), i. Erg. jedoch zust. Neumann, System der Wiederaufnahme, S. 49. 196 Vgl. auch Neumann, System der Wiederaufnahme, S. 50 in Fn. 48 a.E. 197 Materialien zur Strafrechtsreform Bd. 7 (1954), S. 139. 198 Peters, Strafprozeß, S. 675, vgl. auch Fornauf/Heger, StraFo 2014, 284 (285). Zur durchaus gebräuchlichen Wendung der „Erschütterung“ w. N. bei Schünemann, ZStW 84 [1972], 870 (904 in Fn. 157). 199 Wiederaufnahme, S. 20.

III. Gesetzlich vorgesehene Korrekturmöglichkeiten

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noch verbliebenen Beweismittel, pointiert also wegen teilweisen Verlusts der Belastungsbeweise, gegenwärtig eine Verurteilung nicht mehr wahrscheinlich wäre.200 Damit wäre die Wiederaufnahme letztlich allein abhängig vom Zeitablauf und der hinreichenden Sicherung der Beweismittel. Umgekehrt hindert es die Wiederaufnahme nicht, wenn zugleich auch neue belastende Beweisergebnisse zu erwarten sind, sodass in der neuen Hauptverhandlung unter Beachtung des § 373 Abs. 2 Satz 1 StPO eine erneute Verurteilung ergehen könnte.201 Da dieses Erfordernis jedes Wiederaufnahmebegehren betrifft, kommt der durch § 359 Nr. 5 StPO vorgenommenen Eingrenzung trotz Fehlens eines eindeutigen sprachlichen Bezugs202 für alle Wiederaufnahmegründe Gültigkeit zu.203 Das Wiederaufnahmegesuch muss also in jedem Fall Umstände darlegen, aus denen sich ergibt, dass das Gericht im Erstverfahren hätte auf Freisprechung erkennen, eine mildere Verurteilung aufgrund eines anderen Strafgesetzes (§ 363 Abs. 1 StPO) hätte aussprechen oder eine wesentlich andere Entscheidung über eine Maßregel hätte treffen müssen. Nach § 140a Abs. 1 Satz 1 GVG, eingeführt durch das Erste Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts vom 09. 12. 1974,204 entscheidet im Wiederaufnahmeverfahren ein anderes Gericht mit gleicher sachlicher Zuständigkeit als dasjenige, gegen dessen Entscheidung sich der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens richtet; eine erneute Entscheidung des vorbefassten Spruchkörpers ist damit ausgeschlossen. Die Regelung ergänzt die Anordnung des § 23 Abs. 2 StPO, die jedenfalls den Richter, der bei der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat, von den Entscheidungen im Wiederaufnahmeverfahren ausschließt.205 Das Verfahren selbst ist 200

Neumann, System der Wiederaufnahme, S. 50. SK-Frister, § 359 Rn. 55. 202 HK-Temming, § 359 Rn. 2; Marxen/Tiemann, Wiederaufnahme, Rn. 69 ff., die allerdings für die übrigen Wiederaufnahmegründe mit Verweis auf BGHSt 48, 153 auch die bloße Schuldspruchänderung bei schwerer Belastung des Verurteilten gerade durch den Schuldspruch als zulässiges Antragsziel anerkennen. Diese nicht unumstrittene Frage (abl. etwa MeyerGoßner/Schmitt, § 363 Rn. 2; Radtke/Hohmann-Hohmann, § 363 Rn. 2; Ziemann, JR 2006, 409 ff.) fällt jedoch nicht in das Untersuchungsfeld der vorliegenden Arbeit. 203 AK-Loos, § 359 Rn. 4; BeckOK-Singelnstein, § 359 Rn. 7; KK-Schmidt, § 359 Rn. 4; LR-Gössel, § 359 Rn. 11 u. 124; SK-Frister, § 359 Rn. 8. 204 BGBl. I Nr. 132, S. 3393. Hierzu auch Meyer, Wiederaufnahmereform, S. 25 ff., nach dessen Ansicht eine Solidarisierung auch unter den Richtern derselben Instanz möglich sei, weshalb ders., die Zuständigkeitsverschiebung zu den Oberlandesgerichten befürwortet, wodurch der Wiederaufnahme Devolutivwirkung zukäme. Zu möglichen Solidarisierungseffekten auch Knoche, DRiZ 1971, 299 (302). 205 Eingeführt bereits durch Gesetz v. 19. 12. 1964, BGBl. I Nr. 63, S. 1067 (1074). Zur Rechtslage vor dem StPÄG Ewald, Wiederaufnahme, S. 23 ff., der dem vorbefassten Richter (außer in den Fällen der Wiederaufnahme nach §§ 359 Nr. 3, 362 Nr. 3 StPO) aufgrund der Möglichkeit zur Verfahrensrekonstruktion gerade eine besondere Eignung zuschreibt; krit. auch Hanack, JZ 1973, 393 (399). Merkwürdig anmutend jedenfalls die Gesetzesbegründung (BT-Drs. 3/2037, S. 17 [l. Sp.]): Abgesehen davon, dass sich der Verurteilte leichter von der Unbefangenheit der Beteiligten überzeugen ließe, so liege die Neuregelung „aber auch im Interesse der Richter, denen es erspart werden soll, bei der Entscheidung über die Notwendigkeit einer späten Korrektur ihrer früheren Entscheidung mitwirken zu müssen“. 201

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B. Fehlerhafte Entscheidungen und ihre Korrekturmöglichkeiten

dreistufig gestaffelt und mit relativ strengen Beweisanforderungen belegt. Durchlaufen werden muss das Aditionsverfahren206, in welchem die Zulässigkeit des Vorbringens geprüft wird; im anschließenden Probationsverfahren untersucht das Gericht, ob die behaupteten Umstände tatsächlich vorliegen. Erst dann kommt es zu einer neuen Verhandlung unter Wegfall des ergangenen Urteils. Der Abschluss des Verfahrens muss allerdings nicht zwingend abgewartet werden, bevor aus einer unrichtigen Verurteilung die drängendste Konsequenz gezogen werden kann: § 360 Abs. 2 StPO erlaubt eine Unterbrechung der Strafvollstreckung bereits in einem frühen Stadium des Wiederaufnahmeverfahrens – in besonders prekären Fällen bereits bei Antragseingang, sofern das Vorbringen einen solchen Grad innerer Wahrscheinlichkeit besitzt, dass die Vollstreckung des Urteils bedenklich erscheint.207 Die Dreistufigkeit des Verfahrens ist indes nicht in allen Fällen zwingend. Nach § 371 StPO kann auf eine erneute Hauptverhandlung verzichtet werden, wenn die Durchführung der Verhandlung im Falle eines bereits verstorbenen Verurteilten schon aus tatsächlichen Gründen nicht möglich ist (Abs. 1) oder aber bereits genügend Beweise und bei öffentlichen Klagen die Zustimmung der Staatsanwaltschaft vorliegen, um den Verurteilten sofort freisprechen zu können (Abs. 2), wobei die nachträglich festgestellte Schuldunfähigkeit des Verurteilten offenbar den praktisch häufigsten Anwendungsfall darstellt.208 Die Strafprozessordnung gestattet es also, eine in öffentlicher Verhandlung zu Unrecht ergangene Verurteilung ohne die erneute – im Falle des § 371 Abs. 2 StPO auch mögliche – Herstellung von Öffentlichkeit aufzuheben.209 Allein Nr. 171 Abs. 2 RiStBV hält die Staatsanwaltschaft bei der Erteilung der Zustimmung zumindest dazu an „zu berücksichtigen, daß der Verurteilte mitunter ein berechtigtes Interesse daran hat, daß seine Ehre in öffentlicher Verhandlung wiederhergestellt wird“. Zu beachten ist jedoch, dass die Wiederaufnahme zumindest nicht allein der Rehabilitierung des Verurteilten dient,210 sein Einverständnis mit dem Verzicht auf die Hauptverhandlung ist insofern auch nicht erforderlich. Zudem entspricht es nur der Systematik der Prozessordnung, in Fällen, 206

Teilw. auch als „Additionsverfahren“ bezeichnet, zur Wortherkunft jedoch LR-Gössel, Vor § 359 Rn. 104. 207 OLG Hamm MDR 1978, 691 f.; LG Gießen NJW 1994, 465 (467); AK-Loos, § 360 Rn. 4; LR-Gössel, § 360 Rn. 4; Meyer-Goßner/Schmitt, § 360 Rn. 3. 208 KK-Schmidt, § 371 Rn. 6. 209 Von § 371 Abs. 4 StPO einmal abgesehen. Krit. Graf zu Dohna, Strafprozeßrecht, S. 212: eine der größten Anomalien, die das Gesetz aufweise; ebenso v. Hentig, Wiederaufnahmerecht, S. 259 ff. Ob hierdurch, wie auch v. Hentig, Wiederaufnahmerecht, S. 262 annimmt, in eindeutigen Fällen von Fehlentscheidungen mittelbar das Ansehen der Gerichte geschont werden sollte, lässt BGHSt 8, 383 (387) ausdrücklich offen. BGHSt 14, 64 (66 f.) stellt dagegen die Vereinfachung und Beschleunigung des Verfahrens und damit prozesswirtschaftliche Gesichtspunkte in den Vordergrund. 210 Daneben wird jedenfalls auch die Wirkung auf das Ansehen des Rechtsstaats, der seine Fehler eingesteht und korrigiert, nicht zu vernachlässigen sein, vgl. Pfeiffer, FG Graßhoff, S. 271; a.A. wohl SSW-Kaspar, § 359 Rn. 17.

III. Gesetzlich vorgesehene Korrekturmöglichkeiten

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in denen nicht einmal mehr hinreichender Tatverdacht besteht, keine Hauptverhandlung durchzuführen. Schlussendlich kann zumindest bezweifelt werden, ob die Erneuerung der Hauptverhandlung mit sämtlichen damit verbundenen Belastungen211 für den Betroffenen überhaupt realiter einen Gewinn darstellt.212 Das Wiederaufnahmeverfahren kann nicht von Amts wegen betrieben werden. Über § 365 StPO finden die allgemein für Rechtsmittel geltenden Vorschriften (§§ 296 ff. StPO) Anwendung,213 initiativberechtigt sind damit grundsätzlich der Angeklagte beziehungsweise der Verurteilte und die Anklagebehörde.214 Diese kann nach §§ 296 Abs. 2, 365 StPO auch zugunsten des Verurteilten einen Wiederaufnahmeantrag stellen (vgl. auch § 373 Abs. 2 Satz 1 StPO). Diese Antragsberechtigung behält die Staatsanwaltschaft sogar nach dem Tode des Verurteilten.215 Allerdings scheint in der Praxis große Zurückhaltung beim Tätigwerden zugunsten des Verurteilten vorzuherrschen. Wiederaufnahmeverfahren werden zum Teil nicht eingeleitet, obwohl hinreichende Anhaltspunkte für das Vorliegen der Voraussetzungen vorliegen.216 Ob eine Verpflichtung der Staatsanwaltschaft zur Antragsstellung konstruiert werden kann, ist allerdings zweifelhaft.217 Bereits die Ent211 Hierzu etwa Achenbach, ZStW 87 [1975], 74 (86); Meyer-Lohkamp, StraFo 2012, 170 (171); Ulsenheimer, NStZ 1984, 440 (444); MAH Strafverteidigung-Nobis, § 10 Rn. 125. 212 Vgl. hierzu Schünemann, ZStW 84 [1972], 870 (888), der die erneute Hauptverhandlung angesichts der geringen Verurteilungsquote als „Farce“ bezeichnet, als „Schauspiel, das nur noch der Erbauung der Öffentlichkeit und daneben vielleicht noch einer effektvollen Rehabilitierung der Verurteilten dient“. Krit. auch SK-Frister, § 371 Rn. 11, das Ziel der Rehabilitierung lasse sich über eine Bekanntmachung nach § 371 Abs. 4 StPO besser erreichen. Einschränkend hinsichtlich der rehabilitierenden Wirkung der Hauptverhandlung auch Hecker, JR 1997, 4 (6 f.) und Ulsenheimer, NStZ 1984, 440 (444). 213 Die Wiederaufnahme selbst ist kein Rechtsmittel, sondern wird üblicherweise als (außerordentlicher) Rechtsbehelf verstanden, vgl. etwa OLG Bamberg NJW 1955, 1121; OLG Bremen NJW 1959, 353; OLG München NJW 1971, 577 (578); OLG Stuttgart NStZ-RR 2012, 290; LG Karlsruhe NStZ 2003, 108 (109); KK-Schmidt, Vor § 359 Rn 5; KMR-Eschelbach, Vor § 359 Rn. 23 f.; Meyer-Goßner/Schmitt, Vor § 359 Rn. 2. 214 Ebenfalls antragsberechtigt sind über § 298 StPO der gesetzliche Vertreter sowie der Erziehungsberechtigte (§ 67 Abs. 3 JGG); zur Antragsstellung durch den Verteidiger vgl. Dünnebier, FG Peters, S. 333 (335 ff.); zum Privat- und Nebenkläger etwa KK-Schmidt, § 365 Rn. 12 ff. Hinsichtlich der Beschwer wird entweder vertreten, dass die Staatsanwaltschaft durch jede unrichtige Entscheidung als beschwert anzusehen ist (so AK-Loos, vor § 359 Rn. 20 gestützt auf § 296 Abs. 2; LR-Gössel, Vor § 359 Rn. 124; Marxen/Tiemann, Wiederaufnahme, Rn. 52) oder der Staatsanwaltschaft unabhängig von einer Beschwer ein Antragsrecht zukommt (so KK-Schmidt, § 365 Rn. 2; Meyer-Goßner-Schmitt, Vor § 359 Rn. 6). 215 Zur praktischen Relevanz jedoch Alsberg, Justizirrtum, S. 68: Es gebe keine Regelung, die mehr ihr Dasein lediglich auf dem Papier friste. 216 Lantzke, ZRP 1970, 201 (204); Radtke, ZStW 110 [1998], 297 (320 in Fn. 92); MeyerGoßner, FS Salger, S. 345 (348 f.); Peters, Fehlerquellen Bd. 2, S. 260; eingehend auch Grüner/ Wasserburg, NStZ 1999, 286 ff., die in diesem Kontext gar auf mögliche Straftaten nach § 336 StGB oder hinsichtlich des wahren Täters wegen Strafvereitelung im Amt (§ 258a StGB) hinweisen (S. 291). 217 Die Fortgeltung des Legalitätsprinzips (§ 152 Abs. 2 StPO) wird jedenfalls überwiegend abgelehnt, vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, § 362 Rn. 1; SSW-Kaspar, § 362 Rn. 2; Kleinknecht,

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B. Fehlerhafte Entscheidungen und ihre Korrekturmöglichkeiten

scheidung über die Einlegung von Rechtsmitteln wird nach pflichtgemäßem Ermessen getroffen, hierzu besagt Nr. 147 Abs. 1 Satz 1 RiStBV, dass der Staatsanwalt ein Rechtsmittel nur einlegen soll, wenn wesentliche Belange der Allgemeinheit oder der am Verfahren beteiligten Personen es gebieten und wenn das Rechtsmittel aussichtsreich ist.218 Dies dürfte für den Rechtsbehelf der Wiederaufnahme entsprechend gelten.219 Damit leitet Nr. 147 Abs. 3 Satz 1 RiStBV das Ermessen aber auch dahingehend, dass ein Wiederaufnahmeantrag zugunsten des Verurteilten gestellt werden soll, wenn dieser durch einen Verfahrensverstoß oder durch einen offensichtlichen Irrtum des Gerichts benachteiligt worden ist. Durch das Erfordernis eines „offensichtlichen“ Irrtums wird die soeben gewonnene Ermessenslenkung jedoch sogleich wieder relativiert. Insofern wäre eine dem österreichischen Strafprozess (dort § 354 Satz 2 StPO[A]) nachgebildete Regelung, die die Staatsanwaltschaft ausdrücklich verpflichtet, bei Kenntniserlangung über einen die Wiederaufnahme zugunsten begründenden Umstand den Betroffenen oder sonst eine zur Stellung dieses Antrages berechtigte Person hierüber zu informieren oder selbst den Antrag zu stellen, in der Tat ein Gewinn.220 Auch aufseiten der Verteidigung erfreut sich das Wiederaufnahmeverfahren offenbar nicht sonderlich großer Beliebtheit. Die üblicherweise als gering eingeschätzten Erfolgsaussichten, die schon angedeutete Formstrenge des Verfahrens, der hohe Begründungsaufwand – all dies mindert die Attraktivität des Rechtsbehelfs.221 FS Bruns, S. 475 (476); Marxen/Tiemann Wiederaufnahme, Rn. 293; zurückhaltend auch SKFrister § 365 Rn. 4 f. A.A. etwa KK-Schmidt, § 362 Rn. 4; LR-Gössel, § 362 Rn. 1; Grüner/ Wasserburg, NStZ 1999, 286 (290 f.). 218 Statuiert wird damit der Grundsatz des zurückhaltenden Gebrauchs von Rechtsmitteln, hierzu BeckOK-Bartel, Nr. 147 RiStBV Rn. 10 ff. 219 SK-Frister, § 365 Rn. 4; Kleinknecht, FS Bruns, S. 475 (476); dagegen Marxen/Tiemann, Wiederaufnahme, Rn. 44: die Rehabilitierung des Verurteilten werde erst mit der Anordnung der Wiederaufnahme nach § 370 Abs. 2 StPO wieder zum Gegenstand des öffentlichen Interesses. Dies mag die Ablehnung der Einschlägigkeit des Legalitätsprinzips stützen, Nr. 147 Abs. 1 S. 1 RiStBV hat jedoch demgegenüber nicht nur die „Belange der Allgemeinheit“, sondern auch die „der am Verfahren beteiligten Personen“ im Blick. 220 Ähnliches gilt nach § 23 Abs. 2 S. 1 StPO[A] für die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes. Die im deutschen Verfahren fehlende behördliche Unterstützung bei Durchführung der Wiederaufnahme bemängelte bereits Alsberg, Justizirrtum, S. 68 ff. Vgl. auch die rechtsvergleichende Darstellung von Meyer, in: Jescheck/Meyer, S. 729 (762 f.) und Swoboda, HRRS 2009, 188 (192). Für eine Anpassung des deutschen Rechts bereits v. Hentig Wiederaufnahmerecht, S. 277, ebenso Grüner/Wasserburg, NStZ 1999, 286 (291), die de lege lata dem Verurteilten das Instrument der strafprozessualen Klageerzwingung zur Verfügung stellen wollen, auch damit über § 173 Abs. 3 StPO die Staatsanwaltschaft zu Ermittlungen zugunsten des Verurteilten verpflichtet werden kann. 221 Die BRAK-Denkschrift, S. 75 attestiert der Praxis eine „wiederaufnahmefeindliche psychologische Einstellung“, dort auch S. 82 ff.; vgl. auch KMR-Eschelbach, § 359 Rn. 122; SK-Paeffgen, § 458 Rn. 9: „Fata Morgana eines Rechtsbehelfs“); ders., GA 2013, 253 (265): „vergleichbar etwa der Chance, mit einem Schilfboot einen Tsunami zu überstehen“; Grünwald, ZStW 86 [1974] Beiheft, 94 (106); Peters, JR 1977, 218; ders., Fehlerquellen Bd. 3, S. 32; Fingas, Die Fehlentscheidung des Richters, S. 131 f. Zur Verteidigung in der Wieder-

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Allerdings wird derzeit offenbar in Konstellationen, in denen die Verurteilung auf einer einzigen Zeugenaussage beruht (Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen) die Wiederaufnahme als Mittel entdeckt, die Entscheidung erneut überprüfen zu lassen.222 Gleiches gilt für Entscheidungen, die im Rahmen einer Verständigung nach § 257c StPO ergangen sind.223 Zudem ist die praktische Handhabung des Wiederaufnahmeverfahrens über die Individualverfassungsbeschwerde (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, §§ 90 ff. BVerfGG) zumindest einer Letztkontrolle durch das Bundesverfassungsgericht unterworfen. Hier gilt, dass die Praxis jedenfalls von den Grundsätzen des Wiederaufnahmeverfahrens nicht so weit abweichen darf, dass der Zugang zur erneuten Überprüfung der Entscheidung in unzumutbarer, nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert wird und das Verfahren letztlich ineffektiv wird – dies würde dem Rechtsstaatsprinzip widersprechen und den Verurteilten in dessen Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz verletzen.224

2. Die §§ 174 Abs. 2, 211 StPO Die §§ 174 Abs. 2, 211 StPO betreffen das Klageerzwingungsverfahren und die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens. Gemein ist ihnen, dass sie die verbleibenden Aktionsmöglichkeiten nach Ergehen einer abschlägigen Entscheidung hinsichtlich eines gestellten Antrags aufzeigen, wobei dem § 211 StPO sowohl in der Theorie als auch in der Praxis die weitaus größere Bedeutung zukommt – die (erfolgreiche) Betreibung des Klageerzwingungsverfahrens hat vergleichsweise Seltenheitswert.225 Die §§ 172 – 177 StPO bieten dem durch die Tat Verletzten,226 der zugleich Strafanzeige (vgl. § 158 Abs. 1 StPO) erstattet hat, eine Reaktionsmöglichkeit für

aufnahme und den Problemen im Umgang mit dem Mandanten, mit eigenen Zweifeln und der Justiz eingehend Strate, StV 1999, 228 ff. u. ders., MAH Strafverteidigung § 27 Rn. 8 ff. 222 Hierzu insb. Schwenn, FPPK 2013, 258 (260 ff.). Vgl. auch MAH StrafverteidigungStrate, § 27 Rn. 124: „Die Praxis des Wiederaufnahmerechts hat es sich bislang im Dämmerschein behaglich gemacht. Es wird Zeit, sich ihrer scharfsichtig zu bemächtigen“. 223 KMR-Eschelbach, Vor § 359 Rn. 40; Brüssow/Gatzweiler/Krekeler/Mehle-Wasserburg, § 15 Rn. 36 ff. („Renaissance der Wiederaufnahme“) und hier ab S. 253. 224 BVerfG NJW 2007, 207 (208), vgl. auch BVerfGE 41, 23 (26); 44, 302 (305); 53, 115 (127 f.); Eschelbach, HRRS 2008, 190 (202); Geipel, StraFo 2011, 9 und Wasserburg/ Eschelbach, GA 2003, 335 (338). 225 LR-Graalmann-Scheerer, § 172 Rn. 3; SK-Wohlers, § 172 Rn. 4; Herzog, Rechtskraft strafgerichtlicher Beschlüsse, S. 124; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 41 Rn. 3; Volk/Engländer, Grundkurs StPO, § 12 Rn. 9. 226 Zum umstrittenen Begriff des „Verletzten“ i.S.d. § 172 Abs. 1 S. 1 StPO etwa KKMoldenhauer, § 172 Rn. 18 ff.; LR-Graalmann-Scheerer, § 172 Rn. 48 ff.; SK-Wohlers, § 172 Rn. 23 ff.; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 41 Rn. 5 f.

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B. Fehlerhafte Entscheidungen und ihre Korrekturmöglichkeiten

den Fall der Einstellung des Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft.227 Hat die zunächst vorgeschaltete Beschwerde nach § 172 Abs. 1 Satz 1 StPO keinen Erfolg, so kann der Verletzte innerhalb eines Monats die Entscheidung des Oberlandesgerichts beantragen (§ 172 Abs. 2 – 4 StPO). Dort wird entweder die Anklageerhebung angeordnet (§ 175 Satz 1 StPO) oder der Antrag mangels hinreichenden Tatverdachts228 verworfen (§ 174 Abs. 1 StPO). Dieser den Klageerzwingungsantrag verwerfende Beschluss ist Gegenstand der in § 174 Abs. 2 StPO getroffenen Regelung, welche anordnet, dass die öffentliche Klage nach dieser Entscheidung nunmehr nur „auf Grund neuer Tatsachen oder Beweismittel“ erhoben werden kann. Dieselbe Formulierung wurde in § 211 StPO gewählt, und auch in ihrer Wirkung stehen sich die Verwerfung des Klageerzwingungsantrags als unbegründet und die Entscheidung nach § 204 Abs. 1 StPO, mit der das Gericht nach Anklageerhebung seitens der Staatsanwaltschaft die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnt, gleich:229 Bei unveränderter Sachlage hat der Beschuldigte beziehungsweise Angeschuldigte kein erneutes Verfahren zu befürchten.230 Neu sind die Tatsachen oder Beweismittel parallel zu § 359 Nr. 5 StPO auch hier bereits dann, wenn sie dem Gericht bei der Entscheidung nicht bekannt waren.231 § 211 StPO spricht zudem ausdrücklich davon, dass in diesem Fall die Klage „wieder aufgenommen“ werden kann, thematisch geht es also wie im Rahmen der Wiederaufnahme nach §§ 359 ff. StPO um die Frage nach der Zulässigkeit der erneuten Befassung mit dem nämlichen Gegenstand.232 Tatsächlich sprach der erste Entwurf des § 210 StPO a.F. auch hier von der „Wiederaufnahme des Verfahrens“, die abweichende Formulierung wurde lediglich gewählt, um dem Missverständnis vorzubeugen, die Verfahrensvorschriften aus dem Vierten Buch der Strafprozessordnung seien unmittelbar oder sinngemäß anzuwenden.233 Auch § 174 Abs. 2 StPO 227

Nach gängiger Auffassung kann hierdurch die Einhaltung des Legalitätsprinzips gerichtlich überprüft werden, vgl. Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 41 Rn. 1; daneben wird teilweise ausschließlich, z. T. ergänzend auf den Schutz des durch die Straftat Verletzten abgestellt, vgl. die Nachweise bei SK-Wohlers, § 172 Rn. 2. Zum Verfahrensablauf kursorisch Volk/Engländer, Grundkurs StPO, § 12 Rn. 11. 228 BVerfG NStZ 2002, 606; OLG Rostock NStZ-RR 1996, 272; OLG Stuttgart NStZ-RR 2005, 113; KMR-Plöd, § 174 Rn. 3; LR-Graalmann-Scheerer, § 174 Rn. 5, zur Verwerfung wegen Unzulässigkeit dies., zuvor Rn. 2 ff. sowie SK-Wohlers, § 174 Rn. 2 ff. 229 KMR-Plöd, § 174 Rn. 8; LR-Graalmann-Scheerer, § 174 Rn. 14; SK-Wohlers, § 174 Rn. 12. 230 RGSt 46, 67 (69); OLG Köln NJW 1952, 1152 („kleine Rechtskraftwirkung“); Gantzer, Rechtskraft Beschlüsse, S. 141 f. Auch der Beschluss nach § 174 Abs. 2 StPO wirkt im Übrigen erga omnes: Auch andere durch die Tat Verletzte müssen neue Tatsachen und / oder Beweismittel vorbringen, vgl. OLG Koblenz NStZ-RR 1998, 339; SK-Wohlers, § 174 Rn. 14. 231 RGSt 56, 91 (92); BGHSt 7, 64 (65 f.); OLG Koblenz NStZ-RR 1998, 339; KK-Moldenhauer, § 174 Rn. 6; KMR-Plöd, § 174 Rn. 8; KMR-Seidl, § 211 Rn. 8; SK-Paeffgen, § 211 Rn. 5. 232 Ähnlich BGHSt 18, 225 (226); KMR-Seidl, § 211 Rn. 2; LR-Stuckenberg, § 211 Rn. 1. 233 Vgl. RGSt 43, 150 (152) sowie BGHSt 18, 225; Lobe, GerS 110 [1938], 238 (249); Herzog, Rechtskraft strafgerichtlicher Beschlüsse, S. 135.

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nimmt Rückbezug auf die ergangene Entscheidung, was schon die Verwendung des Adverbs „nur“ zeigt, welches man zwecks Verdeutlichung zu „nur noch“ ergänzen könnte.234 Die „Wiederaufnahme“ erfolgt in beiden Fällen jedoch stets zuungunsten, was sich aus den Verfahrenssituationen erklärt – in Rede steht der Zugriff auf einen für den Beschuldigten oder Angeschuldigten positiven, nämlich den Klageerzwingungsantrag beziehungsweise die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnenden Beschluss.

3. Anhörungsrüge nach §§ 33a, 311a StPO Die §§ 33a, 311a StPO betreffen die Nachholung der zuvor nicht erfolgten, verfassungsrechtlich aber notwendigen Gewährung rechtlichen Gehörs zu entscheidungserheblichen Tatsachen.235 Beide Regelungen inkorporieren die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 103 Abs. 1 GG in das einfache Recht236 und können daher gemeinsam behandelt werden.237 Die Einfügung dieser Regelungen, die nach einer Plenumsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 107, 395) noch durch § 356a StPO für Beschlüsse des Revisionsgerichts ergänzt wurden,238 untermauert das bereits dargestellte Erfordernis gesetzlich geregelter Verfahrensabläufe. Auch hier zeigt sich nämlich, dass der Gesetzgeber Nachbesserungen an gerichtlichen Entscheidungen grundsätzlich nur innerhalb formalisierter Bahnen zulassen möchte.239 So wurde mit der Erweiterung des § 33a StPO und der Einführung des speziellen Anhörungsrügeverfahrens gegenüber Revisionsentscheidungen nunmehr ein Großteil der zuvor über das nicht kodifizierte Institut der Gegenvorstellung behandelten Fälle einem gesetzlich geregelten Ver234 Vgl. auch KK-Moldenhauer, § 174 Rn. 6 und ähnl. Pfeiffer, § 174 Rn. 5: „erneut die öffentliche Klage erheben“; SK-Wohlers, § 174 Rn. 12 „Ermittlungen […] wieder aufnehmen“. 235 Entscheidungserheblichkeit soll vorliegen, wenn und soweit sich die unterbliebene Anhörung auf das Ergebnis ausgewirkt hat – sofern der Betroffene also nichts anderes vorgetragen hätte oder es sonst ausgeschlossen ist, dass das Gericht bei ordnungsgemäßer Anhörung anders entschieden hätte, ist der Gehörsverstoß nicht entscheidungserheblich, vgl. BTDrs. 15/3706, S.17 (r. Sp.). 236 KK-Maul, § 33a Rn. 1; Meyer-Goßner/Schmitt, § 33a Rn. 1, nach dessen Auffassung die gesetzliche Regelung in erster Linie der Entlastung des Bundesverfassungsgerichts dienen soll. In diese Richtung auch Hanack, JR 1974, 113 (115). 237 Nach der gesetzlichen Systematik verschafft § 311a StPO zwar jeweils nur dem Gegner des Beschwerdeführers das Recht auf nachträgliche Anhörung und ist für diese Fälle die speziellere Norm; sie ist aber inhaltlich deckungsgleich mit § 33a StPO, vgl. SK-Weßlau, § 33a Rn. 9. 238 Gesetz über die Rechtsbehelfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör vom 09. 12. 2004, BGBl. I Nr. 66, S. 3220 (3221), hierzu BT-Drs. 15/3706. Sie geht § 33a StPO vor (BT-Drs. 15/3706, S. 18), setzt jedoch im Gegensatz zur Anhörungsrüge nach § 33a einen fristund formgebundenen Antrag und die Glaubhaftmachung des Zeitpunkts der Kenntniserlangung voraus (§ 356a S. 2 u. 3 StPO), hierzu auch SK-Weßlau, § 33a Rn. 7. 239 So auch Herzog, Rechtskraft strafgerichtlicher Beschlüsse, S. 171 f.

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fahren zugeführt.240 Die Anwendbarkeit der genannten Vorschriften hat die anderweitige Nichtanfechtbarkeit zur Voraussetzung und erlaubt bei entsprechender Beschwer eine Korrektur, sofern die Nachholung nicht schon von Amts wegen erfolgt, was im Rahmen der §§ 33a, 311a StPO möglich ist.241 Darin liegt auch ein entscheidender Unterschied zu den zuvor vorgestellten Verfahren, die ein eigeninitiatives Tätigwerden des Gerichts nicht vorsehen.242 Der hier ermöglichte nachträgliche Zugriff auf die Materie trotz gegebenenfalls in der Zwischenzeit eingetretener Rechtskraft versetzt das Verfahren in den status quo ante zurück, was automatisch zur Gegenstandslosigkeit der zuvor ergangenen Entscheidung führen soll.243 Der Ansatzpunkt ist hingegen ein punktueller, das Verfahren als Ganzes ist nicht betroffen.244 Die Regelungen unterscheiden sich vom Wiederaufnahmeverfahren auch darin, dass das Anhörungsrügeverfahren nur durch einen bestimmten Verfahrensverstoß eröffnet wird.245 § 33a StPO rechtfertigt die Durchbrechung der formellen Rechtskraft dann, wenn die frühere Entscheidung auf der Verletzung des rechtlichen Gehörs beruht.246 Das Wiederaufnahmeverfahren nach §§ 359 ff. StPO stellt dagegen die Frage nach einem ursächlichen Zusammenhang mit Ausnahme der in § 370 Abs. 1 StPO genannten Konstellationen vom Grundsatz her nicht.

4. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, §§ 44 ff. StPO Der Wiedereinsetzungsantrag ist ein außerordentlicher Rechtsbehelf, der die Versäumung einer gesetzlichen oder richterlichen Frist, die nicht Ausschlussfrist ist, 240

SK-Frisch, Vor §§ 296 ff. Rn. 33a. Herzog, Rechtskraft strafgerichtlicher Beschlüsse, S. 137 f; KMR-Eschelbach/KettStraub, Einl. Rn. 27, die allerdings die Erfolgsquote der Anhörungsrügen bei „nahezu Null“ ansetzen. Ebenso krit. Eschelbach, FS Stöckel, S. 199 (204 ff.), es handle sich um einen systemfremden Rechtsbehelf, und der iudex a quo sei kaum jemals dazu bereit, seine Entscheidung kurzfristig zu ändern und dabei einen eigenen Verfassungsverstoß einzuräumen. 242 Nicht zu den Antragsberechtigten zählt die Staatsanwaltschaft, da sie sich dem Gericht gegenüber nicht auf das Grundrecht des Art. 103 Abs. 1 GG berufen kann, vgl. OLG Braunschweig NJW 1962, 753; LR-Graalmann-Scheerer, § 33a Rn. 8; Meyer-Goßner/Schmitt, § 33a Rn. 3; SK-Weßlau, § 33a Rn. 4. 243 KK-Maul, § 33a Rn. 8. 244 Herzog, Rechtskraft strafgerichtlicher Beschlüsse, S. 138; Trepper, Rechtskraft Beschlüsse, S. 138. 245 Zur Frage nach dem Verhältnis zur Wiederaufnahme KMR-Eschelbach/Kett-Straub, Rn. 150 mit dem Hinweis, dass unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht zur Kenntnis genommene Tatsachen oder Beweismittel ebenfalls „neu“ im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO seien. 246 Vgl. BT-Drs. 15/3706, S. 17; BeckOK-Larchner, § 33a Rn. 4; Schall, FS Stree/Wessels, S. 735 (749) u. krit. zur oberflächlichen Handhabung des Nachverfahrens in der Praxis Hanack, JR 1974, 113 (114). 241

III. Gesetzlich vorgesehene Korrekturmöglichkeiten

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zu heilen vermag.247 Da regelmäßig um Wiedereinsetzung in eine Rechtsmittel- oder Rechtsbehelfsfrist nachgesucht wird, kann auch die zwischenzeitlich eingetretene Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung überwunden werden – stellt der Eintritt der Rechtskraft doch gerade die mit der Fristversäumung verbundene Rechtsfolge dar, deren Beseitigung Ziel des Wiedereinsetzungsantrags ist.248 Die Wiedereinsetzung entzieht einer zwischenzeitlich ergangenen Entscheidung kraft Gesetz die Grundlage, sie verliert ebenfalls ihren Rechtsbestand, ohne dass es einer gesonderten Aufhebung bedürfte.249 Ob eine Wiedereinsetzung auch dann möglich ist, wenn das Verfahren durch eine Sachentscheidung des Rechtsmittelgerichts zum Abschluss gebracht wurde, ist allerdings umstritten.250 Das Versäumnis, noch weitere Verfahrensrügen innerhalb der gesetzlichen Frist zu erheben oder ordnungsgemäß zu begründen, soll die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand jedenfalls nicht rechtfertigen.251 Vor dem Hintergrund, dass die Rechtskraftdurchbrechung im Falle des § 44 StPO insbesondere auch zur Gewährung rechtlichen Gehörs gestattet wird,252 ist das Institut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand tatsächlich nicht darauf ausgelegt, inhaltliche Unvollständigkeiten eines an sich fristgerecht eingereichten Rechtsmittels zu heilen.253 Diese Rechtsprechung wird jedoch wiederum von zahlreichen Ausnahmen254 durchbrochen.255 Der Eignung als Korrekturinstrument sind jedenfalls systemimmanente Grenzen gesetzt. Säumen meint „mit der Ausführung von etwas warten“256, davon kann jedenfalls nicht gesprochen werden, wenn der 247

KK-Maul, § 44 Rn. 1; Meyer-Goßner/Schmitt, § 44 Rn. 1; SK-Weßlau/Deiters, § 44 Rn. 5. Nach § 329 Abs. 7 StPO kann darüber hinaus insbesondere auch das Versäumen des Hauptverhandlungstermins geheilt werden. 248 BVerfG Beschl. v. 08. 12. 1993 – 2 BvR 1173/93 –, juris Rn. 14; RGSt 53, 286 (288 f.); KMR-Ziegler, § 44 Rn. 2; Geppert, GA 1972, 165 (176); Schaper, NJW 1962, 1358; Wendisch, JR 1981, 131 (132); Ranft, Strafprozeßrecht, Rn. 1340; Wenzig, Rücknahme S. 114. 249 Dies lasse sich nach RGSt 61, 180 (181) auch aus dem Fehlen einer § 373 Abs. 1 StPO entsprechenden Formulierung schließen. Eine deklaratorische Aufhebung wird jedoch empfohlen, vgl. KMR-Ziegler, § 46 Rn. 7; LR-Graalmann-Scheerer, § 46 Rn. 14; Wendisch, JR 1981, 131 (132). 250 Dagegen insofern BGHSt 17, 94; 23, 102 (103); 25, 89 (91); BGHR StPO § 44 S. 1 Verfahrensrüge 2; krit hierzu Geppert, GA 1972, 165 (176); Hanack, JZ 1971, 89 (92); Schaper, NJW 1962, 1358. 251 BGHSt 1, 44; BGHR StPO § 44 Verfahrensrüge 1 u. 3; BGH NStZ 1985, 181; StV 2013, 552. 252 KMR-Ziegler, § 44 Rn. 2; SK-Weßlau/Deiters, § 44 Rn. 1. 253 So auch die zivilrechtliche Rspr. zu § 233 ZPO, vgl. etwa BGH NJW 1997, 1309 (1310) m.w.N. 254 Hierzu Meyer-Goßner/Schmitt, § 44 Rn. 7a; SK-Weßlau/Deiters, § 44 Rn. 12 f. 255 Krit. Geipel, StraFo 2011, 9 (12 f.), angesichts der hohen Zulässigkeitsanforderungen der Verfahrensrüge stünde zudem faktisch derjenige besser, dessen Verteidiger die Frist ganz verstreichen lässt und den Rechtsbehelf erst nach umfassender Einarbeitung einlegt als derjenige, dessen Verteidiger fristwahrend agiert und dadurch u. U. eine unzulässige Rüge erhebt. Geipel spricht sich allerdings für eine nachträgliche Ergänzungsmöglichkeit im Wege einer verfassungskonformen Auslegung des § 345 Abs. 1 StPO aus. 256 Duden Teilbd. 10, S. 787 (Stichwort „säumen“).

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B. Fehlerhafte Entscheidungen und ihre Korrekturmöglichkeiten

Betroffene den Korrekturbedarf nicht erkennt, demnach gar nicht aktiv werden möchte.257 § 44 StPO geht grundsätzlich davon aus, dass der Betroffene eine Frist einhalten wollte, dies jedoch aus bestimmten Umständen nicht konnte. Der Anwendungsbereich der Wiedereinsetzung ist somit grundsätzlich erst dann eröffnet, wenn ein Wille zur prozessualen Handlung innerhalb der Frist vorhanden war.258

5. Rechtsbehelfe im verfassungsrechtlichen Kontext Schließlich besteht mit der Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG die Möglichkeit, eine Verletzung des Grundgesetzes zu rügen und dadurch auch ein rechtskräftiges Urteil anzugreifen. Rügefähig im Kontext des Strafverfahrens sind insbesondere die Verletzung des Freiheitsgrundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, des Gleichheitssatzes oder auch der Verfahrensgarantien (Recht auf den gesetzlichen Richter, Grundsatz ne bis in idem). Der Grundrechtsbezug ist jedoch unabdingbare Voraussetzung,259 wobei Verstöße strafprozessualer Art vergleichsweise häufig auf die in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Artikel rückführbar sind.260 Konsequenz einer stattgegebenen Verfassungsbeschwerde ist nach § 95 Abs. 2 BVerfGG die Kassation der Entscheidung und die Zurückverweisung in das Ursprungsverfahren zur erneuten Befassung, mithin die Beseitigung der mangels Suspensiveffekts der Verfassungsbeschwerde bereits eingetretenen Rechtskraft.261 Insoweit ist das Ergebnis vergleichbar mit einem erfolgreich durchgeführten Verfahren nach den §§ 359 ff. StPO. Abweichend von der in § 140a Abs. 1 GVG getroffenen Anordnung ist jedoch eine Rückverweisung an das mit der Sache vertraute Fachgericht, dessen Entscheidung aufgehoben wurde, regelmäßig zulässig.262 Insbesondere Lampe sieht in der Verfassungsbeschwerde ein Mittel zur Korrektur „grob ungerechter“ rechtskräftiger Strafurteile.263 Art. 3 Abs. 1 257

KMR-Ziegler, § 44 Rn. 15. Peters, FS Kern, S. 335 (345). 259 So das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahre nach seiner Errichtung: „Die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Tatbestandes, die Auslegung der Gesetze und ihre Anwendung auf den einzelnen Fall sind daher nach wie vor grundsätzlich allein Sache der Strafgerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen, es sei denn, daß spezifisches Verfassungsrecht verletzt ist“ (BVerfGE 1, 418 [420]). 260 Geppert, GA 1972, 165 (180). 261 Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge-Hömig, § 95 BVerfGG Rn. 20. 262 Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge-Hömig, § 95 BVerfGG Rn. 28. Anders nur, wenn dies im Einzelfall erforderlich ist, um sachfremde Einflüsse auf das Verfahren zu verhindern, vgl. BVerfGK 6, 380 (384). 263 Lampe, GA 1968, 33 (40 ff.). Der von Lampe favorisierte Lösungsweg ist nicht zuletzt von Eb. Schmidt, JZ 1968, 681 (682 ff.) scharf kritisiert worden. Auch Lampe selbst bezeichnet den Vorschlag in seiner Replik (JZ 1969, 287 [289]) einschränkend nur als einen „ersten Hinweis“ auf das Problem. 258

III. Gesetzlich vorgesehene Korrekturmöglichkeiten

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GG verbiete die Willkür bei Verhängung hoheitlicher Maßnahmen, der Definition des Bundesverfassungsgerichts nach Entscheidungen, die bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich sind und bei denen sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruhen.264 Eine deutliche Einschränkung ergibt sich jedoch schon aus dem grundsätzlich gegebenen Erfordernis der Erschöpfung des Rechtswegs sowie daraus, dass die Verfassungsbeschwerde gemäß § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG binnen eines Monats erhoben werden muss.265 Die von Lampe angeregte Korrektur über die Verfassungsbeschwerde wäre in der Praxis nur dann von allgemeinem Nutzen, wenn deren strenge Subsidiarität gelockert und sie auch bei versäumter Erschöpfung des Rechtswegs und länger als einen Monat zugelassen würde,266 worin jedoch zugleich die Gefahr liegt, tatsächlich die vom Bundesverfassungsgericht beständig abgelehnte „Superrevisionsinstanz“ zu schaffen.267 Die Bedeutung der Verfassungsbeschwerde zur Einflussnahme auf strafprozessuale Urteile darf daher nicht unterschätzt, allerdings auch nicht überbewertet werden.268 § 79 Abs. 1 BVerfGG hingegen dient der Bewältigung der Folgen der dem Bundesverfassungsgericht überantworteten Normenkontrollverfahren, in denen die Möglichkeit einer Verwerfungsentscheidung nach § 31 Abs. 2 BVerfGG besteht.269 Er versetzt Personen, die auf die Einlegung einer Verfassungsbeschwerde verzichtet haben, unter bestimmten Voraussetzungen in dieselbe Lage wie denjenigen, der mit einer Verfassungsbeschwerde die Aufhebung eines Strafurteils erreicht hat.270 Die 264

St. Rspr., vgl. BVerfGE 4, 1 (7); 13, 132 (150); 47, 239 (249); 59, 128 (160 f.). Hierzu Lemke, ZRP 1978, 281 (282); Meyer, Wiederaufnahmereform, S. 116 und Luther, ZStW 70 [1958], 87 (102), der davon ausgeht, dass die Verfassungswidrigkeit des Strafurteils häufig erst nach Ablauf der Monatsfrist offenbar wird. 266 So tatsächlich auch in der Replik von Lampe, JZ 1969, 287 (288): Unschädlichkeit der Versäumung der Rechtswegerschöpfung bei Rechtsunkenntnis sowie Verlängerung der Beschwerdefrist auf ein Jahr. 267 Meyer, Wiederaufnahmereform, S. 122. 268 In diesem Sinne auch KMR-Eschelbach/Kett-Straub, Einl. Rn. 154: Je mehr die Verteidigungsmöglichkeiten beengt und staatliche Eingriffsmaßnahmen ausgeweitet würden, desto größere Bedeutung erlange die Verfassungsbeschwerde für die Strafverteidigung. Angesichts der hohen Zulässigkeitsvoraussetzungen und des eingeschränkten Maßstabs für die Prüfung der Begründetheit seien die Erfolgschancen indes begrenzt. 269 Neben den objektiven Normenkontrollverfahren (insb. Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG) ist eine Normenkontrolle in auf subjektiven Rechtsschutz angelegten Verfahren ebenfalls möglich, weshalb § 79 Abs. 1 BVerfGG über den Verweis in § 95 Abs. 3 S. 3 BVerfGG etwa auch im Nachgang einer Individualverfassungsbeschwerde Anwendung findet, vgl. Maunz/SchmidtBleibtreu/Klein/Bethge-Bethge, § 79 BVerfGG Rn. 1 u. 15 f. Auf vorkonstitutionelle Rechtsnormen, die keine Gültigkeit mehr besitzen, ist das Verfahren hingegen nach überwiegender Auffassung nicht anwendbar, hierzu Brauns, JZ 1995, 492 (498 f.), der für diese Fälle einen eigenen Wiederaufnahmegrund schaffen möchte. Zur Einstufung der Strafprozessordnung als nachkonstitutionelles Recht in diesem Kontext Klug, FS Spendel, S. 679 (685). 270 Bajohr, Aufhebung rechtsfehlerhafter Strafurteile, S. 24 f. Der praktische Anwendungsbereich der Vorschrift wird hingegen als gering eingeschätzt, so etwa von Fornauf/Heger, StraFo 2014, 284 („Schattendasein“). 265

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B. Fehlerhafte Entscheidungen und ihre Korrekturmöglichkeiten

Vorschrift betrifft den speziellen Fall einer Entscheidung, die auf einer mit dem Grundgesetz unvereinbaren Norm oder auf verfassungswidriger Normauslegung beruht.271 Hier enthält § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG den Grundsatz, dass nicht mehr anfechtbare Entscheidungen, auch wenn sie auf einer für nichtig erklärten Norm beruhen, unberührt bleiben, also gerade nicht infrage gestellt werden. Für das Strafrecht wurde jedoch eine Ausnahme geschaffen. Da niemand gezwungen sein soll, mit dem Makel einer Strafe belastet zu bleiben, die auf einem verfassungswidrigen Strafgesetz beruht, hat der Gesetzgeber in § 79 Abs.1 BVerfGG einen zusätzlichen Wiederaufnahmegrund geschaffen, der auf das Wiederaufnahmeverfahren nach §§ 359 ff. StPO verweist.272 Hierbei müssen zwar nicht die dort aufgestellten sachlichen, wohl aber die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen erfüllt sein, es handelt sich praktisch um eine „Nr. 7“ des § 359 StPO.273 Korrigiert wird primär ein Fehler des Gesetzgebers, der sich freilich auf die angegriffene Entscheidung durchgeschlagen hat.274 Ein Einbezug ureigen richterlicher Fehler, die ihrerseits einen Verfassungsverstoß darstellen, ist angesichts des gewollt engen Anwendungsbereichs und der spezifischen Verfahrenskonstellation nach dem Standpunkt des Bundesverfassungsgerichts nicht vorzunehmen.275 Der einzige speziell richterliche Fehler, der in diesem Verfahren geltend gemacht wird, ist die Nichtausübung der in Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG statuierten Aussetzungs- und Vorlagepflicht.276 § 79 Abs. 1 BVerfGG stellt demnach ebenfalls nur ein sehr spezifisches Korrekturinstrument dar.

271 Ob die Vorschrift nur zugunsten des Verurteilten Anwendung findet, wurde kontrovers diskutiert. Wohl überwiegend wird die Wiederaufnahme zuungunsten mit Hinweis auf Materialien und Normzweck abgelehnt, vgl. LG Aachen NJW 1962, 1973 (1974 f.); KMREschelbach, § 362 Rn. 12 ff.; Maurer, JZ 1963, 666 (667); Wasserburg, StV 1982, 237 in Fn. 4; Bajohr, Aufhebung rechtsfehlerhafter Strafurteile, S. 27 ff.; Marxen/Tiemann, Wiederaufnahme, Rn. 514; Ranft, Strafprozeßrecht, Rn. 2270; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 57 Rn. 7 sowie ausführlich und wegen Unvereinbarkeit mit Art. 103 Abs. 3 GG ebenfalls ablehnend Weber-Klatt, Wiederaufnahme zu Ungunsten, S. 338 ff. m.w.N. 272 BVerfGE 11, 263 (265); 12, 338 (340); 115, 51 (63). 273 KG NJW 2012, 2985; Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge-Bethge, § 79 BVerfGG Rn. 25; SK-Frister, § 359 Rn. 78; Wasserburg, Wiederaufnahme, S. 227. Zu möglichen Verfahrensvereinfachungen Maurer, JZ 1963, 666 (669 f.). 274 Eb. Schmidt, Lehrkommentar II Vor § 359 Rn. 9. Insofern könnte dem Gericht vorgeworfen werden, es sei seiner Prüfungspflicht nicht hinreichend nachgekommen, so Weber-Klatt, Wiederaufnahme zu Ungunsten, S. 345 m.N. Dieser Fehler ist jedoch, nicht zuletzt mit Blick auf die Praxis, sicherlich nicht der entscheidende Vorwurf. Aus diesem Grunde wird auf die Konstellation einer Verurteilung beruhend auf einer mit dem Grundgesetz für unvereinbar oder nichtig erklärten Norm oder auf einer derartigen Auslegung in dieser Arbeit nur kursorisch im Rahmen der Doppelverurteilung (dort speziell die sog. Zeugen-Jehovas-Prozesse) eingegangen, vgl. hier ab S. 250. Ausführlicher hierzu Weber-Klatt, Wiederaufnahme zu Ungunsten, S. 336 ff. 275 Dagegen auch Lantzke, ZRP 1970, 201 (203). 276 Meyer, Wiederaufnahmereform, S. 115, allerdings mit dem Hinweis in Fn. 674, dass diese nur entsteht, sofern der Richter von der Ungültigkeit der Norm überzeugt ist, Zweifel oder

III. Gesetzlich vorgesehene Korrekturmöglichkeiten

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6. Individualbeschwerde nach Art. 34 EMRK Mittels Individualbeschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte kann die Verletzung von Konventionsrechten gerügt werden. Ziel des Verfahrens ist neben dem individuellen Rechtsschutz auch die generelle Fortentwicklung des Menschenrechtsschutzes nach der EMRK, also die Bestimmung und Einhaltung bestimmter Standards in den Konventionsstaaten.277 Im Bereich des Strafprozesses sind insbesondere auch die Verfahrensgarantien des Art. 6 EMRK von erhöhter Relevanz und können eine solche Individualbeschwerde stützen.278 Ein daraufhin ergehendes Urteil des Gerichtshofs vermag jedoch weder die Rechtskraft der angegriffenen Entscheidung zu durchbrechen, noch kann der Gerichtshof selbst eine Wiederaufnahme des Verfahrens anordnen.279 Nachdem das Bundesverfassungsgericht entschied, dass im Falle einer festgestellten Verletzung der Menschenrechtskonvention die Wiederaufnahme des Verfahrens nach innerstaatlichem Recht (durch eine erweiternde Auslegung des § 359 Nr. 5 StPO) zumindest verfassungsrechtlich nicht zwingend sei,280 wurde mit der Anfügung von § 359 Nr. 6 StPO281 ein eigener Wiederaufnahmegrund für den speziellen Fall geschaffen, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Verletzung der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten oder ihrer Protokolle festgestellt hat und das Urteil auf dieser Verletzung beruht. Die Regelung stellt im System der Wiederaufnahme insoweit eine Besonderheit dar, als sie die Rechtskraftdurchbrechung nicht (allein) zugunsten materieller Wahrheit vorsieht, sondern im Sinne einer „konventionsfreundlichen Ausgestaltung des innerstaatlichen Rechts“ auch zugunsten fehlerfreier Rechtsanwendung.282 Ihre praktische Relevanz ist jedoch als gering einzuschätzen, da der Weg über die Wiederaufnahme nach § 359 Nr. 6 StPO konzeptionell erst dann eröffnet ist, wenn der Gerichtshof die Konventionswidrigkeit im konkreten Fall festgestellt, der Betroffene die Entschei-

bloße Bedenken genügen hingegen nicht, vgl. auch BVerfGE 1, 184 (189); 2, 406 (411); 16, 188 (189). 277 Meyer-Ladewig, Art. 34 EMRK Rn. 2. 278 Jedoch bietet das Recht auf ein faires Verfahren keinesfalls einen umfassenden Schutz vor Fehlurteilen, hierzu Krack, Rehabilitierung, S. 105 f., insbesondere gebe die Unschuldsvermutung hierfür nichts her, da diese nicht durch falsche, sondern nur durch voreilige Ergebnisse verletzt werde. 279 Vgl. etwa KMR-Eschelbach/Kett-Straub, Einl. Rn. 186, die der Beschwerde zum EGMR ungeachtet dessen zunehmende praktische Bedeutung attestieren. 280 BVerfG NJW 1986, 1426. 281 Gesetz zur Reform des strafrechtlichen Wiederaufnahmerechts v. 09. 07. 1998, BGBl. I Nr. 44, S. 1802 (weitere Regelungen wurden hierdurch nicht getroffen). 282 BT-Drucks. 13/10333, S. 4 (r. Sp.); BeckOK-Singelnstein, § 359 Rn. 35. Allerdings soll erforderlich sein, dass die Konventionsverletzung auch tatsächlich Niederschlag in der abschließenden Entscheidung gefunden hat, was insbesondere dann ausscheide, wenn sie im weiteren Verlauf des Verfahrens korrigiert worden ist (BT-Drs. a.a.O).

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B. Fehlerhafte Entscheidungen und ihre Korrekturmöglichkeiten

dung also selbst erstritten hat.283 Eine weitere Einschränkung des Anwendungsbereichs erfährt der Wiederaufnahmegrund angesichts der seit 2004 durchgeführten „Pilotverfahren“, wo im Falle gleichartig gelagerter Beschwerden nur noch in einem Musterverfahren entschieden wird und die weiteren anhängigen Beschwerden in den Parallelverfahren für ungültig erklärt und aus dem Register gestrichen werden.284

7. Gerichtliche Entscheidung im Strafvollstreckungsverfahren (§ 458 Abs. 1 StPO) Schließlich besteht auch noch in der Phase der Vollstreckung der rechtskräftigen Entscheidung die Möglichkeit eines korrigierenden Eingriffs. Sofern „über die Auslegung eines Strafurteils oder über die Berechnung der erkannten Strafe Zweifel entstehen oder wenn Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Strafvollstreckung erhoben werden“, kann nach § 458 Abs. 1 StPO eine Entscheidung des Vollstreckungsgerichts herbeigeführt werden. In den ersten beiden Fällen der als abschließend zu verstehenden Aufzählung handelt es sich um reine „Auslegungsbehelfe“, während die dritte Modalität in begrenzter Weise eine Angriffsmöglichkeit hinsichtlich der zu vollstreckenden Entscheidung bietet und somit einen echten Rechtsbehelf darstellt.285 Antragsberechtigt ist im Rahmen des § 458 Abs. 1 Var. 3 StPO unstrittig der Verurteilte selbst. Betreffend die Berechtigung der Vollstreckungsbehörde geht die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte dagegen überwiegend davon aus, dass Bedenken gegen die Zulässigkeit der Strafvollstreckung eigenverantwortlich zu klären sind.286 Falls ein Verurteilter von sich aus also untätig bleibt oder zwecks Anregung zum Tätigwerden nicht mehr erreichbar ist, so muss es bei dem möglicherweise unrichtigen Zustand verbleiben, da ein Einschreiten seitens der Staatsanwaltschaft oder sonst von Amts wegen nicht zulässig ist.287 Als echtes Korrekturmittel taugt § 458 Abs. 1 Var. 3 StPO auch deshalb wenig, weil die Vorschrift keine Kriterien für die zu treffende Entscheidung selbst enthält, sondern nur die Zuständigkeit regelt, also die Frage, wer über Einwendungen gegen 283

OLG Karlsruhe OLGSt StPO § 359 Nr. 18 S. 2; OLG Bamberg OLGSt StPO § 359 Nr. 20 S. 2 f.; KK-Schmidt, § 359 Rn. 41; LR-Gössel, § 359 Rn. 194; Meyer-Goßner/Schmitt, § 359 Rn. 52. 284 Hierzu Swoboda, HRRS 2009, 188 (192). Für eine Erweiterung der derzeitigen gesetzlichen Regelung auch SK-Frister, § 359 Rn. 89; zum entsprechenden Änderungsvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in der 13. Wahlperiode krit. Bajohr, Aufhebung rechtsfehlerhafter Strafurteile, S. 97 ff. A.A. das LG Ravensburg NStZ-RR 2001, 115, welches bereits de lege lata § 359 Nr. 6 StPO auf eine im Wiederaufnahmeverfahren festgestellte Verletzung der EMRK analog anwendet; so auch Marxen/Tiemann, Wiederaufnahme, Rn. 281. 285 SK-Paeffgen, § 458 Rn. 4. 286 Vgl. die Nachw. bei Meyer-Goßner/Schmitt, § 458 Rn. 7; SK-Paeffgen, § 458 Rn. 16. 287 Krit. daher LG Krefeld NJW 1973, 1205 (1206).

III. Gesetzlich vorgesehene Korrekturmöglichkeiten

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die Zulässigkeit der Strafvollstreckung zu befinden hat.288 Aus der systematischen Einordnung ergibt sich, dass das Gericht im Falle einer erhobenen Einwendung lediglich sicherzustellen hat, dass die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen vorliegen und keine Vollstreckungshindernisse bestehen, geprüft werden Einwendungen gegen das „Ob“ der Vollstreckung.289 Der Eingriff in den materiellen Bestand der zu vollstreckenden Entscheidung selbst ist ausgeschlossen. Dies ergibt sich schon aus dem Entscheidungsvorrang290 der Vollstreckungsbehörde, also der Staatsanwaltschaft (§ 451 Abs. 1 StPO), welche zunächst darüber zu befinden hat, ob sie den Einwendungen selbst abhilft. Zweck des Verfahrens ist effektiver Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) in der Straf- und Maßregelvollstreckung gegen Entscheidungen der Vollstreckungsbehörde, die gerichtliche Entscheidung ist demnach eine Überprüfungsentscheidung.291 Bestand und Rechtmäßigkeit einer möglicherweise fehlerhaften richterlichen Entscheidung werden auf diesem Wege also nicht infrage gestellt.292 Eine rechtskräftige Entscheidung muss allein aufgrund ihrer Rechtskraft vollstreckt werden, für die Nachprüfung, ob die Strafvollstreckung zu unterbleiben hat, weil die Entscheidung auf einem tatsächlichen, unter Umständen auch rechtlichen Irrtum beruht, ist § 458 Abs. 1 Var. 3 StPO nicht konstruiert.293 Es ist nicht Zweck dieses Verfahrens, unrichtige Urteile richtig zu machen, sondern es sollen auf 288 Rieß, JR 1981, 522 (523); Schall, FS Stree/Wessels, S. 735 (750), zust. LG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2003, 80. 289 OLG Düsseldorf NJW 1977, 117 f.; KK-Appl, § 458 Rn. 10; LR-Graalmann-Scheerer, § 458 Rn. 6. SK-Paeffgen, § 458 Rn. 8 nennt als zulässige Vorbringen etwa: Verstoß gegen § 67 Abs. 1 StGB; Vortrag, die Vollstreckung sei erledigt, gnadenweise erlassen oder zur Bewährung ausgesetzt; Personenverschiedenheit von Vollstreckungs-Adressat und Verurteilten (hierzu auch BVerfG Beschl. v. 10. 09. 2010 – 2 BvR 2242/09 -, BeckRS 2010, 54625; KG NStZ-RR 2004, 240). Darüber hinaus kann auch das Eingreifen eines Straffreiheitsgesetzes eine Einwendung begründen, sofern aus diesem ein Vollstreckungshindernis resultiert (vgl. BGHSt 7, 97 [98]). Ob auf diesem Wege unter Geltendmachung neuer Tatsachen gegen einen rechtskräftigen, die Strafaussetzung zur Bewährung widerrufenden Beschluss vorgegangen werden kann, ist umstritten, für die Anwendbarkeit der Verfahrensvorschriften etwa OLG Oldenburg NJW 1962 1169 u. zust. Hanack, JR 1974, 113 (115); OLG Düsseldorf MDR 1993, 67 = StV 1993, 87; LG Bremen StV 1990, 311; zust. etwa KMR-Stöckel, § 458 Rn. 11; LR-GraalmannScheerer, § 458 Rn. 9 jeweils m.w.N. Abl. hingegen bspw. KK-Appl, § 458 Rn. 15. 290 OLG Koblenz Rpfleger 1978, 148; KG StraFo 2007, 432; KK-Appl, § 458 Rn. 3; KMRStöckel, § 458 Rn. 15; LR-Graalmann-Scheerer, § 458 Rn. 1; Meyer-Goßner/Schmitt, § 458 Rn. 6; SK-Paeffgen, § 458 Rn. 12. 291 KG StraFo 2007, 432; KMR-Stöckel, § 458 Rn. 1. 292 OLG Saarbrücken NStZ-RR 2003, 180; LG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2003, 80; LG Duisburg NStZ 2004, 104 (105) u. zust. Hellebrand, NStZ 2004, 64 (65). 293 Vgl. RGSt 73, 331 (333 f.); OLG Düsseldorf JR 1992, 126 m. Anm. Wendisch, der allerdings im Fall „gröbster Verstöße gegen fundamentale Vorschriften“, die die Aufrechterhaltung der Entscheidung unerträglich werden lassen, eine Durchbrechung dieses Grundsatzes für zulässig erachtet (S. 127 l. Sp.), so auch LR-Graalmann-Scheerer, § 458 Rn. 11. Auch das Bundesverfassungsgericht scheint § 458 Abs. 1 Var. 3 StPO als gangbaren Weg zur Geltendmachung erheblicher Verfahrensfehler (dort: rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung) anzuerkennen, vgl. BVerfG Beschl. v. 08. 04. 2013 – 2 BvR 2567/10 –, juris Rn. 16; ähnl. OLG Karlsruhe NStZ-RR 1997, 253.

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B. Fehlerhafte Entscheidungen und ihre Korrekturmöglichkeiten

diesem Wege vornehmlich Zweifel hinsichtlich des vom Gericht Gewollten behoben werden.294 Der entsprechende Eintrag im Bundeszentralregister bleibt, da eine Entfernung nur im Falle eines erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens erfolgt (§ 16 Abs. 2 Satz 1 BZRG), ebenso bestehen wie das sozialethische Unwerturteil der Rechtsgemeinschaft über den Verurteilten.295 Statt einer Beseitigung vermag dieses Verfahren nur die – zugegebenermaßen wichtigste – Folge der Fehlentscheidung zu mildern.296 Dass die bloße Verhinderung der Vollstreckung jedoch nicht zwingend eine hinreichende Kompensation darstellen muss, manifestiert sich nicht zuletzt in der bereits vorgestellten Regelung des § 79 Abs. 1 BVerfGG. Auch hier genügt es dem Gesetzgeber offenbar nicht, das rechtskräftige Strafurteil, das auf einer mit dem Grundgesetz für unvereinbar oder nach § 78 BVerfGG für nichtig erklärten Norm oder auf einer verfassungswidrigen Auslegung beruht, schlicht für nicht vollstreckbar zu erklären – diese Rechtsfolge ergibt sich bereits aus der in § 79 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG getroffenen Anordnung. Vielmehr wird hier die Beseitigung des Urteils selbst für erforderlich gehalten.297 Dies gilt es im Blick zu halten, wenn als sogenannte „vollstreckungsrechtliche Lösung“ § 458 Abs. 1 Var. 3 StPO als pragmatische Alternative zur Wiederaufnahme nach §§ 359 ff. StPO ins Felde geführt wird.298

8. Gnadenverfahren Begnadigung als Verzicht auf eine gesetzlich vorgesehene Bestrafung kann sich zum einen in der Nichtverfolgung bestimmter Taten äußern (sog. Abolition), als Begnadigung im engeren Sinne betrifft sie jedoch den Eingriff in das dem Urteil folgende Vollstreckungsverfahren.299 Es handelt sich bei Letzterem um einen besonderen Weg zur Korrektur von im Rechtsweg zustande gekommenen und in diesem nicht mehr zu ändernden Entscheidungen.300 Die Begnadigung bewirkt die Milde294 Vgl. Müller, JR 1997, 124 (125); Appl, FS Tolksdorf, S. 179 (185); Wiedemann, Korrektur außerhalb des Rechtsmittelverfahrens, S. 44. 295 LG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2003, 80; Maatz, MDR 1986, 285 (287). 296 LG Stuttgart NStZ 1997, 455; LG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2003, 80. 297 LR-Gössel, Vor § 359 Rn. 155; Maurer, JZ 1963, 666 (669). Ob § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG der Vollstreckung auch des strafrechtlichen Urteils entgegensteht und die Staatsanwaltschaft aufgrund eigener Entschließung von dieser absehen darf, ist allerdings umstritten, vgl. die Nachweise bei LR-Gössel, Vor § 359 Rn. 155. 298 Hierfür bspw. das OLG Koblenz NStZ 1981, 195 = JR 1981, 520 m. abl. Anm. Rieß; KMR-Stöckel, § 458 Rn. 12; Meyer-Goßner/Schmitt, § 458 Rn. 9; SK-Paeffgen, § 458 Rn. 9. 299 Peters, Strafprozeß, S. 698 f. Im Unterschied zur Begnadigung i. e.S., die sich nur auf den Einzelfall auswirkt, erfasst die Abolition eine unbestimmte, nach Typen gekennzeichnete Zahl von Straftaten, schafft Straffreiheit und / oder Strafermäßigung für viele nach generellabstrakten Merkmalen, vgl. MAH Strafverteidigung-Birkhoff, § 26 Rn. 8 f. 300 BVerfGE 25, 352 (358), damit habe das Begnadigungsrecht, befreit vom kultisch-sakralen Element, in der modernen demokratischen Gesellschaft „die Funktion, Härten des

III. Gesetzlich vorgesehene Korrekturmöglichkeiten

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rung oder Aufhebung rechtskräftig ausgesprochener und noch bestehender Rechtsnachteile im Wege der (Ermessens-)Einzelentscheidung.301 Es handelt sich um einen Eingriff der Exekutive in die rechtsprechende Gewalt, wie ihn der Gewaltenteilungsgrundsatz an sich nicht zuließe.302 Nach Art. 60 Abs. 2 GG steht das Begnadigungsrecht für den Bund dem Bundespräsidenten zu, was jedoch eine bundesgerichtliche Durchführung des Strafverfahrens von erster bis letzter Instanz erfordert. Daher liegt das Schwergewicht des Begnadigungswesens bei den von den Landesverfassungen ausgewiesenen „Gnadenherren“, üblicherweise bei den Ministerpräsidenten oder der gesamten Landesregierung.303 Das Gnadenverfahren kann auf Antrag des Verurteilten, eines Dritten, aber auch von Amts wegen eingeleitet werden, ist jedoch subsidiär nur dann zulässig, wenn eine Entscheidung des Gerichts oder der Vollstreckungs- beziehungsweise Vollzugsbehörde nicht erreicht werden kann.304 Hierbei können solche Umstände Beachtung finden, die bei der Rechtsfolgenentscheidung nicht berücksichtigt wurden, weil sie zum damaligen Zeitpunkt nicht bekannt waren oder erst nachträglich eingetreten sind – in solchen Fällen kommt insbesondere auch der Vollstreckungsbehörde ein Initiativrecht zu. Mögliche Überschneidungen mit dem Wiederaufnahmeverfahren ergeben sich im Bereich der Gnadenakte, die Mängel des Urteils korrigieren sollen. Seiner Konzeption nach soll das Gnadenverfahren zwar dort Abhilfe schaffen, wo die richtige Anwendung des Rechts zu unbilligen Ergebnissen führt, weil die besonderen Umstände des Einzelfalls bei Anwendung des Gesetzes nicht gebührend berücksichtigt werden konnten.305 Dass das Gnadenverfahren jedoch auch ein Mittel zu Fehlerbehebung darstellen kann, bestätigt nicht zuletzt das Bundesverfassungsgericht, wenn es ihm die Funktion zuschreibt, auch bei Irrtümern im Bereich der Urteilsfindung gleichsam „helfend und korrigierend einzugreifen, wo die Möglichkeiten des Gerichtsverfahrens nicht genügen“306. Das Verfahren könnte damit zur Korrektur der Entscheidung herangezogen werden, wenn das (vorrangige) Wiederaufnahmeverfahren nach § 359 StPO keine Lösungsmöglichkeit bietet – etwa dann, wenn vor dem Urteilsspruch eine dem Gericht nicht bekannte Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu einem Straftatbestand eingetreten ist, sodass der Angeklagte bei Anwendung dieser neuen Rechtsprechung oder Rechtsauffassung auf den

Gesetzes, etwaige Irrtümer im Rahmen der Urteilsfindung sowie Unbilligkeiten bei nachträglich veränderten allgemeinen oder persönlichen Verhältnissen auszugleichen“ (S. 360). 301 BeckOK-Klein, § 452 Rn. 1; KK-Appl, § 452 Rn. 1; KMR-Paulus/Stöckel, § 452 Rn. 3; LR-Graalmann-Scheerer, § 452 Rn. 1; Pfeiffer, § 452 Rn. 1. 302 BVerfGE 25, 352 (361 f.). 303 Maunz/Dürig-Herzog, Art. 60 GG Rn. 33; MAH Strafverteidigung-Birkhoff, § 26 Rn. 11 f. Von dort wird das Gnadenrecht üblicherweise durch die Gnadenordnung weiterdelegiert, vgl. etwa § 3 GnO NW; § 1 BayGnO; § 1 RPGnO. 304 KMR-Paulus/Stöckel, § 452 Rn. 3; LR-Graalmann-Scheerer, § 452 Rn. 8. 305 Suchomel, FS Bumke, S. 135 (144 f.). 306 BVerfGE 25, 352 (361); krit. hierzu Meyer, Wiederaufnahmereform, S. 60.

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B. Fehlerhafte Entscheidungen und ihre Korrekturmöglichkeiten

festgestellten Sachverhalt hätte freigesprochen oder nach einer milderen Strafnorm verurteilt werden müssen.307 Auch wenn dem Institut nach wie vor eine Daseinsberechtigung attestiert wird,308 bleibt der Gnadenweg indes ein stark defizitäres Korrekturverfahren.309 Eine rechtliche Fixierung und Bindung des Gnadenrechts an bestimmte rechtliche Maßstäbe ist schon der Natur der Sache nach nur begrenzt möglich, solange die Losung „Gnade vor Recht“ Gültigkeit beansprucht und eine Fokussierung auf den Einzelfall erfolgt.310 Die Begnadigung ergeht in einem internen Verfahren,311 das keine justizförmigen Garantien und insbesondere auch keinen Rechtsanspruch auf Gnade kennt – Gnadenentscheidungen sind folglich nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts auch nicht justiziabel.312 Abgesehen davon führt die Begnadigung nicht zu der im Hinblick auf die Rehabilitierung notwendigen Aufhebung der Verurteilung, ebenso wenig kann eine Entschädigung verlangt werden.313 Das Gnadenverfahren stellt daher zwar eine Korrekturmöglichkeit für besondere Einzelfälle dar, für die Lösung grundsätzlicher Rechtsprobleme ist es dagegen kaum geeignet.314

9. Gegenvorstellung Der vom Bundesverfassungsgericht315 auch für das Strafverfahren anerkannte formlose Rechtsbehelf der Gegenvorstellung beinhaltet als Ausfluss des Petitionsrechts (Art. 17 GG) die Aufforderung an eine Stelle, eine bereits erlassene eigene Entscheidung von Amts wegen aufzuheben oder abzuändern, und zwar gestützt auf 307

MAH Strafverteidigung-Birkhoff, § 26 Rn. 23. BVerfGE 25, 352 (359 ff.); LR-Böttcher, Vor § 12 – 21 GVG Rn. 14. Zur Praxis des Gnadenrechts MAH Strafverteidigung-Birkhoff, § 26 Rn. 137 ff., nach dessen Einschätzung (Rn. 18) sich die Literatur der Thematik nur unzureichend zuwendet und Auskünfte von den zuständigen Stellen – wenn überhaupt – nur ausweichend gegeben werden. 309 So bereits v. Hentig, Wiederaufnahmerecht, S. 90 f.: „Die Korrektur von gesetzlichen Konstruktionsfehlern und richterlichen Fehlurteilen dem Begnadigungsrecht zu überlassen ist immer ein Ausweg der Hilflosigkeit und widerspricht den Grundsätzen des Rechtsstaats“. 310 Vgl. BVerfGE 45, 187 (243 f.). 311 Eingehend zum Verfahrensablauf MAH Strafverteidigung-Birkhoff, § 26 Rn. 26 ff. 312 BVerfGE 25, 352, die Entscheidung erging mit vier zu vier Stimmen, ist jedoch zur ständigen Rechtsprechung des BVerfG geworden, vgl. die Nachw. bei MAH StrafverteidigungBirkhoff, § 26 Rn. 188. Dagegen Maunz/Düring-Schmidt-Aßmann, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 80: Durch die Einbettung in die Materie des Strafvollzuges läge nach heutigem Verständnis ein Rechtsakt vor, dessen gerichtliche Überprüfung grundsätzlich ebenso wenig ausgeschlossen sein könne wie die anderer Hoheitsakte. 313 Full, NJW 1947/48, 369; Meyer, Wiederaufnahmereform, S. 61. Peters, Fehlerquellen Bd. 3, S. 40 spricht daher von einer Aushilfsmöglichkeit, die möglichst zu umgehen sei, ebenso Lantzke, ZRP 1970, 201 (204); Maatz, MDR 1986, 285 (287); Dippel, in: Jescheck/Meyer, S. 13 (89). 314 LG Stuttgart NStZ 1997, 455; Kunz, StV 2000, 569 (571). 315 Vgl. etwa BVerfGE 9, 89; 40, 237 (241); 107, 395 (397); BVerfG NStZ-RR 2002, 109. 308

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sowohl übersehene, verkannte als auch auf neue Gesichtspunkte tatsächlicher wie rechtlicher Art.316 Mit der Gegenvorstellung kann damit die Tatsachengrundlage der Entscheidung faktisch nachträglich verbreitert werden.317 Die Anerkennung der Gegenvorstellung hängt mit der Vorstellung zusammen, dass in gewissen Konstellationen eine Abänderung der Entscheidung möglich sein muss, insbesondere wenn eine gesetzliche Vorschrift falsch angewendet oder gänzlich übergangen worden ist oder der Entscheidung ein grober Gesetzesverstoß zugrunde liegt, der zu einem anders nicht zu beseitigenden „groben prozessualen Unrecht“ führt.318 Allerdings kommt die Gegenvorstellung nur gegenüber solchen Entscheidungen in Betracht, welche die um Aufhebung oder Änderung ihrer Entscheidung ersuchte Stelle selbst ändern kann.319 Damit muss sich der Anwendungsbereich konsequenterweise von vornherein auf den Bereich gerichtlicher Beschlüsse und Verfügungen beschränken, hieraus kommen wiederum nur Entscheidungen in Betracht, gegen die das Rechtsmittel der einfachen Beschwerde zulässig ist, welcher das Gericht gemäß § 306 Abs. 2 1. Hs. StPO selbst abhelfen kann, oder aber die nur deshalb nicht angefochten werden können, weil § 305 Satz 1 StPO entgegensteht.320 Insofern dürfte es zu Überschneidungen mit den Korrekturmöglichkeiten betreffend die hier interessierenden Entscheidungen kaum kommen.321 Zusätzlich hat sich die praktische Bedeutung der gesetzlich nicht geregelten Gegenvorstellung mit der Erweiterung der Anhörungsrügeverfahren (§§ 33a, 311a StPO) und schließlich der Einführung des spezielleren § 356a StPO deutlich reduziert.322

316 KMR-Plöd, Vor § 296 Rn. 4; Meyer-Goßner/Schmitt, § Vor 296 Rn. 23; SK-Frisch, Vor §§ 296 ff. Rn. 32. 317 Hohmann, JR 1991, 10 (11). 318 Weis, NJW 1987, 1314 (1315) m.N., dort auch Beispiele für zulässige Gegenvorstellungen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 63, 77 [78 f.]) soll bei Verletzung eines Verfahrensgrundrechtes auf eine Gegenvorstellung hin die Entscheidung vom erlassenden Gericht auch nach Eintritt der formellen Rechtskraft korrigiert werden können. Dem zust. etwa KMR-Bockemühl, § 22 Rn. 19. 319 OLG Koblenz NStZ-RR 1996, 300 (301); OLG Frankfurt NStZ-RR 1997, 273; SKFrisch, Vor §§ 296 ff. Rn. 33; Hohmann, JR 1991, 10 (11); a.A. OLG Karlsruhe NStZ-RR 2002, 45 für den Fall der Geltendmachung eines schweren Verfahrensfehlers. 320 KMR-Plöd, Vor § 296 Rn. 4; Meyer-Goßner/Schmitt, Vor § 296 Rn. 24; SK-Frisch, Vor §§ 296 ff. Rn. 33. In diesem Bereich kann die Gegenvorstellung jedoch in weiten Bereichen Anwendung finden, nach Hohmann, JR 1991, 10 (12) insbesondere in Haftsachen. 321 Die Rechtsprechung gestattet allerdings z. T. die Aufhebung von auf unrichtiger Tatsachengrundlage ergangenen rechtskräftigen Beschlüssen nach § 349 Abs. 1 StPO und auch eine darauf abzielende Gegenvorstellung, anders wiederum bei § 349 Abs. 2 StPO, vgl. hierzu KK-Paul, Vor § 296 Rn. 4 m.w.N. Diese Entscheidungen auf Rechtsmittelinstanz sind jedoch, wie eingangs erläutert, ebenfalls nicht Gegenstand der vorliegenden Betrachtungen. 322 Vgl. allerdings Hohmann, JR 1991, 10 (11) zu den Vorteilen der Gegenvorstellung gegenüber den Nachholungsverfahren.

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B. Fehlerhafte Entscheidungen und ihre Korrekturmöglichkeiten

IV. Korrigierbarkeit als Frage der Rechtskraft? 1. Die herkömmliche Orientierung an der Rechtskraftfähigkeit der Entscheidung Anders als etwa die noch relativ junge schweizerische Strafprozessordnung, welche die Voraussetzungen der Rechtskraft in ihrem Art. 437 ausdrücklich normiert,323 vertraut der deutsche Strafprozess auf selbige als Fundament des rechtsstaatlichen Verfahrens, ohne sich um eine ausdrückliche Festlegung zu bemühen. Hinter der Idee der Rechtskraft verbirgt sich der Grundgedanke des Prozessierens an sich, dessen Ziel es ist, nach allem Voranschreiten eine endgültige Entscheidung zu treffen.324 Rieß sieht im Rechtskraftbegriff daher eine „Abbreviatur von bestimmten funktionalen Zusammenhängen“, insbesondere der Forderung, dass die systemimmanenten Kontroll- und Überprüfungsmechanismen an einer bestimmten Stelle ihren Schlusspunkt erreichen müssen.325 Die Rechtskraft im formellen Sinne soll nach herkömmlicher Definition einsetzen, sofern beziehungsweise sobald eine Entscheidung im selben Verfahren nicht oder nicht mehr angefochten werden kann und ruft insbesondere die Vollstreckbarkeit hervor (§ 449 StPO), wohingegen die materielle Rechtskraft bewirkt, dass derselbe Prozessstoff nicht erneut zum Gegenstand eines Verfahrens gemacht werden darf.326 Dabei kann die Rechtskraft zugunsten wie zuungunsten des Angeklagten wirken, sie dient also nicht einseitig ihm zum Vorteil.327

323

Die Regelung findet sich im 1. Kapitel des 11. Titels (Rechtskraft und Vollstreckung der Strafentscheide): (1) Urteile und andere verfahrenserledigende Entscheide, gegen die ein Rechtsmittel nach diesem Gesetz zulässig ist, werden rechtskräftig, wenn: a. die Rechtsmittelfrist unbenützt abgelaufen ist; b. die berechtigte Person erklärt, auf ein Rechtsmittel zu verzichten, oder ein ergriffenes Rechtsmittel zurückzieht; c. die Rechtsmittelinstanz auf das Rechtsmittel nicht eintritt oder es abweist. (2) Die Rechtskraft tritt rückwirkend auf den Tag ein, an dem der Entscheid gefällt worden ist. (3) Entscheide, gegen die kein Rechtsmittel nach diesem Gesetz zulässig ist, werden mit ihrer Ausfällung rechtskräftig. 324 Siehe dazu bereits in der Einleitung. 325 Rieß, NStZ 1994, 153 (157). Darüber hinaus wird der Rechtskraft auch oftmals eine Sanktionsfunktion für unzureichende Ermittlungen zugeschrieben, vgl. dazu etwa Achenbach, ZStW 87 [1975], 74 (87 f.); Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 52 Rn. 8 im Anschluss an v. Beling, Reichsstrafprozeßrecht, S. 257; zweifelnd Loos, JZ 1978, 592 (593 Fn. 9); WeberKlatt, Wiederaufnahme zu Ungunsten, S. 63 f.; Radtke, Systematik, S. 68 f. 326 Geppert, GA 1972, 165 (169); Eb. Schmidt, Lehrkommentar I Rn. 267 ff.; Roxin/ Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 52 Rn.1 ff.; Volk/Engländer, Grundkurs StPO, § 32 Rn. 1 ff. 327 BGHSt 21, 256 (259).

IV. Korrigierbarkeit als Frage der Rechtskraft?

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Die grundsätzliche Notwendigkeit der Beständigkeit von Akten der öffentlichen Gewalt resultiert aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit als wesentlicher Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips nach Art. 20 Abs. 3 GG.328 Diese setzt sich nach herkömmlichem Verständnis aus Orientierungssicherheit und Realisierungssicherheit zusammen, wobei letztere die erstere bedingt.329 Die Orientierungssicherheit charakterisiert sich dadurch, dass der Rechtsunterworfene sich am geltenden, faktisch auch durchgesetzten Recht orientieren kann, was einmal größtmögliche inhaltliche Bestimmtheit und zum anderen, und dies ist hier von Relevanz, Stabilität im Sinne von Unabänderbarkeit erfordert.330 Die dafür erforderliche Bindung des Gerichts an die einmal getroffene Entscheidung hat zur Folge, dass nach deren vollgültigem Erlass eine Aufhebung oder Abänderung grundsätzlich nicht mehr möglich ist. Darüber hinaus spielen rechtspolitische Gründe wie der Schutz des Betroffenen, die Prozessökonomie und das Interesse an einer erfolgreichen Beweisführung eine nicht unerhebliche Rolle.331 Diese Bindungswirkung wird üblicherweise aus der Rechtskraft hergeleitet.332 Zum Teil wird die formelle Rechtskraft als Begründung herangezogen, als deren Folge eine nachträgliche Änderung des Urteils ausgeschlossen sei.333 Das vermag freilich nicht zu erklären, warum das Gericht nach ganz allgemeiner Auffassung334 bereits vor Eintritt der formellen Rechtskraft an die Entscheidung im Sinne einer Unwiderruflichkeit gebunden sein soll.335 Dementsprechend erfolgt die Herleitung insbesondere auch in der älteren Rechtsprechung336 auch aus der materiellen Rechtskraft, was sich wiederum daran stößt, dass längst nicht alle Teile einer Entscheidung beziehungsweise darüber hinaus nach über328 BVerfGE 2, 380 (403); 15, 313 (319); 25, 269 (290); 60, 253 (267); 86, 288 (327); BGHSt 52, 213 (216 f.). 329 Achenbach, ZStW 87 [1975], 74 (85 in Fn. 46); Radtke, Systematik, S. 40 f. 330 Radtke, Systematik, S. 40 f. 331 Geppert, GA 1972, 165 (170). 332 Vgl. etwa Peters, JR 1970, 392: Frage nach der Unveränderlichkeit als Teil der Rechtskraftlehre. Hierzu auch Geppert, GA 1972, 165 (170) m.N. zu Vertretern beider Ansichten aus der älteren Literatur in Fn. 41 – 43. 333 LR-Matt, Vor § 304 Rn. 56 f.; Meyer-Goßner/Schmitt, Einl. Rn. 164; v. Beling, Reichsstrafprozeßrecht, S. 259 ff. Offen gelassen etwa bei KMR-Plöd, Vor § 304 Rn. 6: „beurteilt sich nach der materiellen Rechtskraft oder der Sperrwirkung der formellen Rechtskraft, soweit diese besteht“. Anders wohl BayObLGSt 1953, 15 (16); OLG Karlsruhe NStZ 1993, 88 (89): „[…] wobei die Rechtskraft in ihren beiden Erscheinungsformen nicht geeignet ist, die Frage der Abänderbarkeit von Beschlüssen zu klären“. 334 Vgl. die Nachweise etwa bei SK-Frisch, Vor § 304 Rn. 25 in Fn. 90. 335 Geppert, GA 1972, 165 (171) m.w.N.; hierzu auch Wiedemann, Korrektur außerhalb des Rechtsmittelverfahrens, S. 4 f. 336 Vgl. etwa BGHSt 17, 94 (97); insb. aber auch BVerfGE 47, 146 (161): „Funktion der [scil.: materiellen] Rechtskraft richterlicher Entscheidungen ist es, durch die Maßgeblichkeit und Rechtsbeständigkeit des Inhalts der Entscheidung über den Streitgegenstand für die Beteiligten und die Bindung der öffentlichen Gewalt an die Entscheidung [Hervorh. d. Verf.] die Rechtslage verbindlich zu klären und damit dem Rechtsfrieden zwischen den Beteiligten zu dienen“.

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B. Fehlerhafte Entscheidungen und ihre Korrekturmöglichkeiten

wiegend vertretener Ansicht längst nicht alle Entscheidungen der materiellen Rechtskraft fähig sind, die Konsequenz einer beliebigen Abänderbarkeit durch das Gericht jedoch nicht gezogen wird.337

2. Eigener Ansatz Bereits einige Monographien haben sich mit der Frage nach der Rechtskraft strafgerichtlicher Entscheidungen befasst, und dies in der Regel mit Fokus auf ausgewählte Entscheidungsformen. Zu nennen sind hier insbesondere die Arbeiten von Gantzer338, Herzog339, Radtke340 und Trepper341. Die Bezeichnung einer Entscheidung als rechtskräftig respektive überhaupt rechtskraftfähig ist abstrakt betrachtet jedoch nur die Antwort auf die Frage nach ihrer (nachträglichen) Korrigierbarkeit.342 So wird der Nichteröffnungsbeschluss nach § 204 StPO gemeinhin als nur beschränkt der Rechtskraft fähig bezeichnet, da § 211 StPO explizit die Fälle benennt, in denen die Entscheidung ihre Bindungswirkung verliert und auf die Sache erneut zugegriffen werden kann.343 Was rechtskräftig ist, ist beständig und grundsätzlich nicht korrigierbar.344 Was nachträglich ohne weiteres korrigiert werden kann, soll keine oder zumindest nicht vollumfänglich Rechtskraft für sich beanspruchen können. Wie herum argumentiert wird, ist beliebig, solange das Vorliegen oder Nichtvorliegen gesetzlich normierter Eingriffsmöglichkeiten den Ausschlag gibt. Daraus folgt, dass die Bezeichnung einer Entscheidung als „der Rechtskraft fähig“ nicht viel mehr ist als das Anbringen eines bestimmten Etiketts. Dieses Etikett ist das Ergebnis einer Bewertung der nachträglichen Zugriffsmöglichkeit auf die Entscheidung und keine Begründung hierfür.345 Genau diese Begründung ist erst im 337

Wiedemann, Korrektur außerhalb des Rechtsmittelverfahrens, S. 8. Die Rechtskraft strafprozessualer Beschlüsse und Verfügungen (1967). 339 Die Rechtskraft strafgerichtlicher Beschlüsse und ihre Beseitigung (1971). 340 Zur Systematik des Strafklageverbrauchs verfahrenserledigender Entscheidungen im Strafprozeß (1994). 341 Zur Rechtskraft strafprozessualer Beschlüsse (1996). 342 In diese Richtung auch Loos, JZ 1978, 592 (599). Hinzu kommt, dass noch nicht einmal Einigkeit darüber herrscht, ob der Strafprozess überhaupt eine unbedingte Rechtskraft kennt, hierzu Schünemann, ZStW 84 [1972], 870 (884 f.); Peters, in: Probleme der Strafprozeßreform, S. 107 (111). Die Konstruktion der „beschränkten“ Rechtskraft abl. Gantzer, Rechtskraft Beschlüsse, S. 183 ff. 343 In diese Richtung schon Binding, Strafprozeß, S. 316: „Schon hier aber leuchtet ein, daß die ganze Anerkennung der Rechtskraftwirkung des Urteils weiter gar nichts ist als ein Anwendungsfall des großen staatsrechtlichen Grundsatzes der Einmaligkeit definitiver Staatsaktion“. 344 Anders Eschelbach, HRRS 2008, 190 (199), nach dessen Auffassung die Rechtskraft im Strafprozess stets „nur eine durch die tatsächliche Richtigkeit des Urteils bedingte“ ist. 345 Vgl. auch Neu-Berlitz, Bestandskraft der Einstellungsverfügung, S. 31; Radtke/Busch, NStZ 2003, 281 (285 f.); Bock et al., GA 2013, 328 (330) („Kunstfigur“, „fiktive[] Zäsur338

IV. Korrigierbarkeit als Frage der Rechtskraft?

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Einzelfall zu finden. Eine bloß auf die Rechtskraft der Entscheidung gestützte Argumentation ist damit nicht mehr als ein petitio principii. Schlussendlich kann der konkreten gerichtlichen Entscheidung das Prädikat der vollen Rechtskraftfähigkeit oder einer entsprechenden Abstufung hiervon verliehen werden, ein nennenswerter Mehrwert wird dadurch nicht erzielt. Aus diesem Grunde ist die vorliegende Arbeit auch keine Abhandlung über die Rechtskraft.346 Frei von terminologischen Festlegungen347 stellt sich jeweils die Frage, ob nach der Systematik der Verfahrensordnung eine bestimmte Entscheidung Bestand haben soll und wenn ja, ob, wie und von wem dieser Bestand nachträglich angegriffen werden kann. Daher ist es überaus problematisch, wenn in der Literatur die Rechtskraft teilweise völlig unabhängig von denkbaren Korrekturmöglichkeiten erörtert wird.348 a) Bindung als Ausfluss des Vertrauensschutzes Warum aber ist die Vorstellung, ein Gericht könne seine einmal getroffene Entscheidung beliebig abändern, derart befremdlich? Die Antwort darauf könnte lauten: Weil der mit staatlicher Autorität, hier in Form der rechtsprechenden Gewalt, konfrontierte Bürger sich ab einem gewissen Punkt auf den hoheitlichen Ausspruch verlassen können muss.349 Diese Erwartung bezieht sich nicht nur auf den jeweiligen Spruchkörper, sondern auf die Strafjustiz insgesamt. Dies schon deshalb, weil diese

grenze“) und LR-Kühne, Einl. Abschn. K Rn. 65 („wertende Entscheidung“). In diesem Sinne auch Wiedemann, Korrektur außerhalb des Rechtsmittelverfahrens, S. 6 mit Bezug auf Wenzig, Rücknahme, S. 56, die Unwiderruflichkeit gerichtlicher Entscheidungen könne nicht gleichzeitig Voraussetzung und Element der Rechtskraft sein. In diese Richtung auch SK-Frisch, Vor § 304 Rn. 28 f.; Geppert, GA 1972, 165 (172 f.); Rieß, NStZ 2008, 297 (298). 346 Auch Volk, Prozeßvoraussetzungen, S. 198 warnt davor, die Problematik unrichtiger Entscheidungen allein als Problem der Rechtskraft zu begreifen; zust. Radtke, Systematik, S. 35 in Fn. 50. 347 Insbesondere darf auch die Frage gestellt werden, ob eine Entscheidung Bestand hat, ihre Beständigkeit angegriffen, ihre Bestandskraft infrage gestellt werden kann, obwohl terminologisch gesehen der gerichtlichen Entscheidung „Rechtskraft“ zukommen, sonst hoheitliches Handeln, insbesondere in Form eines Verwaltungsakts, dagegen „Bestandskraft“ haben soll, vgl. BVerfGE 35, 65 (73); 60, 253 (269); 103, 111 (139); Neu-Berlitz, Bestandskraft der Einstellungsverfügung, S. 7; Radtke, Systematik, S. 160 f. Die Verwendung des Begriffs der Bestandskraft auch für gerichtliche Entscheidungen ist jedoch keineswegs unüblich, vgl. etwa Meyer-Goßner/Schmitt, Einl. Rn. 186; Schlüchter, Strafverfahren, Rn. 406.2 u. 615 in Fn. 10; Volk/Engländer, Grundkurs StPO, § 16 Rn. 14. Auch Rieß, NStZ 2008, 297 diskutiert in seiner Anmerkung zu der die Arbeit initiierenden Entscheidung BGHSt 52, 119 die „Bestandskraft“ verfahrenseinstellender Beschlüsse und des Einstellungsurteils. 348 Ähnlich Grünwald, ZStW 86 [1974] Beiheft, S. 94 (95); Volk, Prozessvoraussetzungen, S. 87 und Krack, Rehabilitierung, S. 235 Fn. 57 gegen LR25-Rieß, Einl. Abschn. J Rn. 94. 349 Hierzu Grünewald, ZStW 120 [2008], 545 (568). Auch Stratenwerth, JZ 1961, 392 stellt darauf ab, ob die nachträgliche Entscheidung einen „Widerruf“ der Erstentscheidung bedeuten würde. Bedenklich Hecker, JR 1997, 4 (8), dessen „dynamisches“ Prozessverständnis die Bindung des Gerichts an eine einmal getroffene Entscheidung letztlich stark relativiert.

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B. Fehlerhafte Entscheidungen und ihre Korrekturmöglichkeiten

dem Angeklagten als Einheit gegenübertritt und das erkennende Gericht letztlich nur die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs im konkreten Fall übernimmt. Diese Überlegung lässt sich unter dem Topos des Vertrauensschutzes zusammenfassen. Dessen Herleitung erfolgt zumeist aus dem Gebot der Rechtssicherheit.350 Geschützt wird das Vertrauen darauf, dass die mit abgeschlossenen Tatbeständen verknüpften Rechtsfolgen anerkannt bleiben,351 mithin die Erwartung von Kontinuität im Recht.352 Wesentlicher Bestandteil des Vertrauensschutzes ist demnach ein Widerspruchsverbot, welches ein beliebiges „Hin und Her“353 oder „Heute so, morgen anders“354 der staatlichen Hoheitsmacht verbietet. Dass dies auch für das Strafverfahren gilt, kann schon in Anbetracht der verfassungsrechtlichen Herleitung nicht bezweifelt werden, obschon das formelle Strafrecht in der Strafprozessordnung eine ausgesprochen detaillierte und umfassende gesetzliche Regelung erfahren hat, was Rückgriffe auf allgemeine Prinzipien vom Grundsatz her entbehrlich macht.355 Der Charakter des Strafverfahrens als „angewandtes Verfassungsrecht“356 macht den Einbezug verfassungsrechtlicher Grundsätze jedoch unumgänglich. So wird beispielsweise der Strafklageverbrauch für einen einmal abgeurteilten geschichtlichen Vorgang unter anderem mit dem Vertrauensschutz begründet,357 und auch im Kontext der sogenannten Mauerschützen-Entscheidungen358 wurde mit diesem argumentiert.

350 BVerfGE 7, 89 (92); 13, 261 (271); 14, 288 (297); 25, 269 (290); 74, 129 (152); BGHSt 46, 310 (319). Allerdings ist diese Herleitung im öffentlich-rechtlichen Schrifttum außerhalb der Problematik der Zulässigkeit von Rückwirkungen von Gesetzen nicht unbestritten, siehe hierzu Radtke, Systematik, S. 63 ff. 351 BGHSt 48, 331 (334) zum Strafklageverbrauch bei § 153 Abs. 2 StPO, darüber hinaus auch BVerfGE 13, 261 (271); 30, 367 (386); 63, 215 (223 f.). 352 Maunz/Düring-Grzeszick, Art. 20 GG Abschn. VII Rn. 69. 353 Angelehnt an v. Beling, Reichsstrafprozeßrecht, S. 257: „Auch drängen die Staatsbelange dahin, daß nicht der Anschein des leichten Hin- und Herfahrens erweckt werde“. 354 Angelehnt an Binding, Strafprozeß, S. 352: „Das [scil.: dass es mit dem irrtümlichen Urteil sein Bewenden hat] ist viel weniger übel, als wenn derselbe Staat genau denselben Fall heute so und morgen entgegengesetzt entscheidet“. 355 Neu-Berlitz, Bestandskraft der Einstellungsverfügung, S. 41. 356 BVerfGE 32, 373 (383); BGHSt 19, 325 (330); vgl. auch KMR-Eschelbach/Kett-Straub, Einl. Rn. 47; Hohmann, JR 1991, 10; Eb. Schmidt, Lehrkommentar I Rn. 333; Peters, Strafprozeß, S. 26 ff. Dies erklärt sich angesichts der erheblichen Bedeutung des Grundrechtseingriffs der strafrechtlichen Freiheitsentziehung für den Betroffenen und für die Gesellschaft sowie die damit korrespondierende besondere Bedeutung des Strafverfahrens, vgl. Maunz/ Düring-Grzeszick, Art. 20 GG Abschn. VII Rn. 142. 357 BGHSt 29, 288 (296): „Vertrauensschutz, dem die rechtliche Einrichtung des Strafklageverbrauchs neben anderen Zwecken dient“; hierzu auch Helmken, MDR 1982, 715 (717 f.). 358 BGHSt 40, 48 (59), wobei ein schützenswerter Vertrauenstatbestand im konkreten Fall verneint wurde.

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Im Schrifttum wird der Vertrauensgrundsatz oftmals eher mit der Problematik der Änderung einer (langjährigen) Rechtsprechung assoziiert.359 Im Kern dreht es sich aber auch hier um Beständigkeit, wenngleich die Situation insofern eine andere ist, als dort die Rechtsprechung als Ganzes, hier die eines einzelnen Gerichts bei einer einzelnen Entscheidung in den Blick genommen wird. Wenn aber schon hinsichtlich der angesichts der richterlichen Unabhängigkeit unumgänglichen Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung360 bei beabsichtigter Abweichung von zuvor gefällten Entscheidungen anderer Gerichte Zurückhaltung, Behutsamkeit, gegebenenfalls sogar „Warnurteile“ gefordert werden361, so muss der Vertrauensschutz noch in viel stärkerem Maße für die Entscheidung ein und desselben Falles greifen, der unvermittelt abweichend gelöst werden soll. Dass der Aspekt des Vertrauensschutzes gerade auch im modernen Strafprozess den gerichtlichen Entscheidungsspielraum begrenzen kann, zeigt das relativ junge Regelwerk362 zur Verständigung im Strafverfahren. § 257c Abs. 4 StPO normiert in den Sätzen 1 und 2 den Wegfall der Bindung des Gerichts an die im Rahmen einer Verständigung getroffenen Zusagen. Dass sich eine generell existierende Bindungswirkung nur aus einem Umkehrschluss ergibt und eine ausdrückliche Normierung offenbar nicht für notwendig gehalten wurde, ist ein in diesem Kontext durchaus optimistisch stimmender Befund. Die Gesetzesbegründung stellt hier unmittelbar auf das schützenswerte Vertrauen hinsichtlich der Bestandskraft der Verständigung ab, welchem im Hinblick auf den Grundsatz eines auf Fairness angelegten Strafverfahrens Rechnung getragen werden müsse.363 Auch das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG verbietet ein überraschendes Hin- und Herspringen der rechtsprechenden Gewalt.364 Im Zivilrecht ist als positive Funktion des § 318 ZPO („Bindung des Gerichts“) anerkannt, dass sich das Gericht nicht zu seiner eigenen Entscheidung in Widerspruch setzen darf.365 Wenn auf die Frage nach berechtigtem Vertrauen abgestellt wird, darf dies nicht zu der Einschätzung verleiten, die (Nicht)Korrigierbarkeit einer Fehlentscheidung 359 Vgl. etwa Maunz/Düring-Grzeszick, Art. 20 GG Abschn. VII Rn. 101 ff; KK(OwiG)Rogall, § 3 Rn. 48 ff.; Sch/Sch-Lenckner et al., § 2 StGB Rn. 7. 360 BVerfGE 78, 123 (126); 87, 273 (278); 126, 369 (395); 131, 20 (72); Maunz/DüringDüring/Scholz, Art. 3 Abs. 1 GG Rn. 410. 361 Maunz/Düring-Grzeszick, Art. 20 GG Abschn. VII Rn. 106. 362 Eingeführt durch das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren v. 29. 07. 2009 (BGBl. I Nr. 49, S. 2353). 363 BT-Drs. 16/11736, S. 12 (r. Sp.). 364 Maunz/Düring-Düring/Scholz, Art. 3 Abs. 1 GG Rn. 407; vgl. auch Rieß, NStZ 1981, 2 (9): Mindestbereich einer Sperrwirkung sei das verfassungsrechtliche Willkürverbot (zur staatsanwaltlichen Einstellungsverfügung). 365 Hierzu Wiedemann, Korrektur außerhalb des Rechtsmittelverfahrens, S. 8, nach dessen Ansicht ist der in § 318 ZPO niedergelegte Verfahrensgrundsatz der innerprozessualen Bindungswirkung als Erscheinungsform des Rechtsstaatsprinzips allgemeingültig sein und trotz Fehlens einer entsprechenden Regelung auch Geltung im Strafprozess beanspruchen soll (S. 10 ff.).

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richte sich ausschließlich nach den Interessen des Beschuldigten, Angeschuldigten oder Angeklagten. Gerichtsurteile sind Staatsakte eigener Art, die immer auch Ausstrahlungswirkung auf die Allgemeinheit haben, welche wiederum ein berechtigtes Vertrauen in die Rechtssicherheit setzt, das ebenfalls nicht erschüttert werden darf.366 b) Vertrauensschutz als Mittel zur Sicherung des Prozessziels Der Bestimmung des „richtigen“ Prozessziels widmet sich eine Vielzahl wissenschaftlicher Auseinandersetzungen, die hier weder nachgezeichnet werden können noch sollen. Die wichtigsten Strömungen nennen, ausschließlich oder in Kombination, Wahrheit, Gerechtigkeit, Rechtssicherheit oder den allgemeinen Rechtsfrieden als Ziel(e) des Strafverfahrens. Für diese auf Suche nach Korrekturmöglichkeiten angelegte Arbeit ist die letztgenannte Ansicht, die als Ziel des Strafprozesses die Wiederherstellung und Erhaltung von Rechtsfrieden bestimmt, die vielversprechendste Wahl.367 Die Fokussierung auf das Streben nach Wahrheit als singuläres Prozessziel läuft Gefahr, allein mit der materiell-rechtlichen Seite assoziiert zu werden, die Konzentration auf die Frage, ob der „wahre Täter“ gefunden und dem Verfahren zugeführt wurde, vermag etwa in Fällen übersehener Verfahrenshindernisse keine Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Zieht man allein die Gerechtigkeit heran, so ist anhand dieses komplexen Begriffs kaum zu bestimmen, ob es gerechter erscheint, einen Fehler auf sich beruhen zu lassen oder stattdessen ein neues Verfahren, gegebenenfalls auch erst nach Beseitigung des Erstverfahrens, anzustrengen.368 Rechtssicherheit im Sinne der Verlässlichkeit der Entscheidung als Verfahrensziel würde konsequenterweise jeden nachträglichen Eingriff in diese und 366

Luther, ZStW 70 [1958], 87 (90); Peters, in: Probleme der Strafprozeßreform, S. 107 (110); vgl. auch Grünewald, ZStW 120 [2008], 545 (573 f.): die Ebene der Allgemeinheit müsse stets in die Betrachtung mit einbezogen werden, eine einseitig die Interessen des Betroffenen fokussierende klassisch-liberale Lösung sei im Strafrecht konzeptionell von vornherein unzulänglich. 367 Für dieses Verfahrensziel sprechen sich aus etwa KMR-Paulus, § 244 Rn. 302; LRKühne, Einl. Abschn. K Rn. 65; Meyer-Goßner/Schmitt, Einl. Rn. 4; Lampe, GA 1968, 33 (38); Müller-Dietz, ZStW 93 [1981], 1177 (1205 f.); Kerner/Kanowski, FS Kühne, S. 579 (581); Krack, Rehabilitierung, S. 32 ff.; Rieß, FS Schäfer, S. 155 (168 ff.); Volk, Prozeßvoraussetzungen, S. 183 ff.; Weber-Klatt, Wiederaufnahme zu Ungunsten, S. 100 ff. In diese Richtung auch SK-Velten, § 264 Rn. 5: das Verfahren diene der Lösung eines Konflikts zwischen Täter und Gesellschaft durch Klärung der Schuld- und Straffrage hinsichtlich der vorgeworfenen Tat, diese Klärung habe Befriedungsfunktion. Auch die zur Verständigung im Strafverfahren ergangene Entscheidung BGHSt 43, 195 (209) stellt auf das Verfahrensziel des Rechtsfriedens ab. Die Wahl dieses Prozessziels wird im Folgenden bewusst lediglich mit Bezug auf den Untersuchungsgegenstand begründet, hinsichtlich einer allgemeinen Darstellung des Streitstands sei auf die Nachw. bei den genannten Vertretern verwiesen. 368 Hinzu kommt, wie Radtke, Systematik, S. 42 f. zutreffend ausführt, dass ein erneutes Verfahren selbst bei Gewissheit über das Vorliegen einer Fehlentscheidung nicht notwendigerweise zu einem Mehr an Gerechtigkeit führt.

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damit jegliche Korrektur ablehnen, ein Bemühen um die Konstruktion von Korrekturmöglichkeiten würde sich mit einem so verstandenen Verfahren nicht in Einklang bringen lassen.369 Statt der Betonung eines Einzelaspekts erscheint daher der Gedanke attraktiv, die miteinander in Einklang zu bringenden Prinzipien unter dem gemeinsamen Hauptziel zusammenzufassen, Rechtsfrieden herzustellen und aufrechtzuerhalten. Der Prozess soll der durch den Rechtsbruch gestörten Ordnung wieder Wirkung verschaffen und die Gültigkeit der sozialethischen Grundsätze für das Gemeinschaftsleben zum Ausdruck bringen.370 Nach der von Schmidhäuser geprägter Definition handelt es sich hierbei im Hinblick auf den Verdacht eines mit Strafe bedrohten Rechtsbruches um einen Zustand, „bei dem von der Gemeinschaft vernünftigerweise erwartet werden kann, daß sie sich über den Verdacht einer Straftat beruhige“.371 Die Definition ist bewusst normativ gewählt, sie ist also nicht als „faktisch allgemeiner Zustand in der Psyche aller Gemeinschaftsmitglieder“372 misszuverstehen. Vielmehr geht es darum, dass die Beruhigung erwartet werden kann. Darin liegt der bestechende Vorteil, dass zwar nur das gewissenhafte Streben nach Wahrheit und Gerechtigkeit den Weg zum Rechtsfrieden bereitet, sofern dieser beschritten wurde, das Verfahren das Prozessziel jedoch auch dann erreichen kann, wenn sich später die Fehlerhaftigkeit der Entscheidung herausstellt.373 Nicht jeder Fehler muss korrigierbar sein und korrigiert werden. Das Bewusstsein der Allgemeinheit kann sich nur dann vernünftigerweise beruhigen, wenn sie sich grundsätzlich auf die einmal getroffene Entscheidung verlassen kann. Der Rechtsfrieden gerät also durch zwei diametrale Risiken gleichsam in Gefahr: Einerseits stellt der unbegrenzte Zugriff auf eine einmal getroffene Entscheidung deren Autorität und Befriedungsfunktion permanent infrage.374 Andererseits kann ein der Entscheidung anhängender Mangel eine solche Unsicherheit auslösen, dass die Befriedungsfunktion aufgehoben und ein Zugriff zur Wiederherstellung des Rechtsfriedens nötig wird.375 Dieser Zugriff wiederum muss in im Vorhinein festgeschriebenen Bahnen 369 Dass dies schon vom Ansatz her fehlgeht, zeigt die Existenz der gesetzlich vorgeschriebenen Korrekturmöglichkeiten insbesondere im Rahmen der §§ 359 ff. StPO. In Reinform wird dies, soweit ersichtlich, auch nicht vertreten, vgl. dazu Weber-Klatt, Wiederaufnahme zu Ungunsten, S. 97 in Fn. 345. 370 Peters, ZStW 68 [1956], 374 (376). 371 Schmidhäuser, FS Eb. Schmidt, S. 511 (522). 372 Schmidhäuser, FS Eb. Schmidt, S. 511 (522); vgl. auch Weber-Klatt, Wiederaufnahme zu Ungunsten, S. 102: keineswegs sei ein Zustand der „allgemeinen Zufriedenheit“ gemeint. 373 Schmidhäuser, FS Schmidt, S. 511 (523). Andere müssten an dieser Stelle eine Verfehlung des Prozessziels einräumen und einen Ausnahmefall konstruieren, der am generellen Verfahrensziel nichts ändert, vgl. dazu Weber-Klatt, Wiederaufnahme zu Ungunsten, S. 53 f. 374 Radtke, Systematik, S. 38 f.; wobei Hanack, JZ 1973, 393 (394) zutreffend darauf hinweist, dass eine Entscheidung durch nochmalige Überprüfung selbstverständlich auch an Autorität gewinnen kann. 375 Radtke, Systematik, S. 50; Weber-Klatt, Wiederaufnahme zu Ungunsten, S. 106. Daher kann Meyer, ZStW 84 [1972], 909 f. nicht gefolgt werden, nach dessen Auffassung allein die

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erfolgen, sofern die getroffene Entscheidung vom Vertrauensschutz erfasst wird. Die Allgemeinheit ist insofern tangiert, als der konkret betroffene Angeklagte gleichsam stellvertretendes Verfahrenssubjekt für die Bevölkerung ist, die zwar gegenwärtig über ihn urteilt (§ 268 Abs.1 StPO), jedoch in der entsprechenden Situation die gleichen Garantien erwartet.376 Damit bewahrheitet sich die These, dass der Anerkennung des Vertrauensschutzes tatsächlich auch eine rechtsfriedenssichernde Funktion zukommt und dieser überindividuell positiv wirkt. c) Vertrauensschutz als Grundlage tatsächlicher Verfahrensgestaltung Der Vertrauensgrundsatz ist stets im Kontext der dahinterstehenden Rechtspositionen zu betrachten.377 Nicht zu bezweifeln ist, dass das Strafverfahren in seiner Konzeption für den Angeklagten eine besondere Belastung darstellt.378 Bereits vor Erhebung der Anklage kann es zu gewichtigen Grundrechtseingriffen kommen – beispielsweise im Rahmen der §§ 81a ff. und §§ 94 ff. StPO, insbesondere aber durch die Anordnung von Untersuchungshaft.379 Schon angesichts der bloßen Möglichkeit derartiger Maßnahmen und des ungewissen Ausgangs des Ermittlungsverfahrens kann damit eine erhebliche seelische, soziale und auch wirtschaftliche Belastung entstehen.380 Um diese nicht länger als notwendig aufrechtzuerhalten, ordnet § 170 Abs. 2 StPO auch bei Fehlen hinreichenden Tatverdachts eine explizite Abschlussverfügung der Staatsanwaltschaft an, geknüpft an die Pflicht zur unverzüglichen Einstellung bei Einstellungsreife. Insoweit besteht ein echter actus contrarius zur Anklage, der über eine bloße Nicht-Anklage hinausgeht.381 Die Öffentlichkeit der Hauptverhandlung schließlich kann manifeste Einbußen in der sozialen Achtung und Rechtskraft der Rechtsfriedenssicherung dienen, die Wiederaufnahme hingegen dem „unerträglichen Gerechtigkeitsverstoß“ entgegenwirken soll. In diese Richtung jedoch auch KMREschelbach/Kett-Straub, Einl. Rn. 26. 376 Eingehend zur Stellung des Beschuldigten Müller-Dietz, ZStW 93 [1981], 1177 (1205 ff.). 377 Neu-Berlitz, Bestandskraft der Einstellungsverfügung, S. 40. 378 Grünwald, ZStW 86 [1974] Beiheft, 94 (106); Hecker, JR 1997, 4; Radtke, Systematik, S. 39; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 52 Rn. 8; vgl. auch Herzberg, JuS 1972, 113 (115 f.), der das Interesse des tatsächlich Schuldigen jedoch nicht für schutzwürdig hält. 379 Diesem Umstand trägt auch das StrEG dadurch Rechnung, dass nach § 9 StrEG bereits bei Einstellung des Verfahrens durch die Staatsanwaltschaft für die in § 2 genannten Strafverfolgungsmaßnahmen eine Entschädigung gewährt werden kann. Auch Medienöffentlichkeit kann bereits zu diesem Zeitpunkt bestehen, vgl. dazu jedoch die tendenziell restriktiven Vorgaben in Nr. 23 RiStBV. 380 KMR-Plöd, Vor § 158 Rn. 3; Neu-Berlitz, Bestandskraft der Einstellungsverfügung, S. 50 ff., die darin auch die Begründung für die Existenz des Art. 46 Abs. 2 GG erblickt, der bereits eine Verhaftung eines Abgeordneten ohne Genehmigung des Bundestages verbietet. 381 BGH JZ 1956, 374; SK-Wohlers, § 170 Rn. 15 ff. Daneben dient § 170 Abs. 2 StPO auch der Eröffnung der Möglichkeit des Klageerzwingungsverfahrens, vgl. Neu-Berlitz, Bestandskraft der Einstellungsverfügung, S. 56.

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der persönlichen Würde bedeuten.382 Dem Strafprozess ist eine stigmatisierende Wirkung eigen, die letztlich vom Ausgang desselben selbst im Falle eines Freispruchs unabhängig ist.383 Die heute in Prozessen von (vermeintlich) erhöhtem Interesse der Bevölkerung – ausgelöst durch die Tat, den Angeklagten oder das Opfer – hergestellte Medienöffentlichkeit verstärkt diesen Effekt um ein Vielfaches. Ein am Schutz der Persönlichkeitsrechte des Betroffenen ausgerichtetes Verfahren hat daher, wie namentlich die Absicherung durch die Verfassung (Art. 103 Abs. 3 GG) zeigt, grundsätzlich seine Einmaligkeit zuzusichern. Der Zusammenhang zwischen dem Erfordernis der Beständigkeit der Entscheidung und dem Schutz des Angeklagten wurde im älteren Schrifttum teils vehement zurückgewiesen,384 mittlerweile ist jedoch allgemein anerkannt, dass der Schutz des Betroffenen hier zumindest auch eine wesentliche Komponente darstellt.385 Ein schutzwürdiges Vertrauen in die Einmaligkeit besteht in jedem Fall, wenn das Verfahren unter Einhaltung der formellen Vorgaben aufgrund korrekter Tatsachengrundlage zu einem Abschluss gebracht wird. Jedoch schafft auch das fehlerhafte Verfahren einen Vertrauenstatbestand.386 Dies macht die Strafprozessordnung nur allzu deutlich, wenn sie etwa im Rahmen des Wiederaufnahmeverfahrens nach §§ 359 ff. StPO die Unzulässigkeit der ungünstigen Wiederaufnahme propter nova ausspricht. In den Fällen der Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten normiert § 359 StPO die Fälle, in denen auch die Allgemeinheit kein Interesse mehr an der Aufrechterhaltung hat; dies gilt insbesondere auch im Falle des § 359 Nr. 5 StPO, wo die Feststellungen des Erstprozesses durch neue Erkenntnisse widerlegt oder doch zumindest angegriffen werden. Hier besteht gerade kein schützenswertes Vertrauen mehr, sondern im Gegenteil die berechtigte Erwartung, dass eine weitere Ent382

Achenbach, ZStW 87 [1975], 74 (86); Meyer-Lohkamp, StraFo 2012, 170 (171); Ulsenheimer, NStZ 1984, 440 (444); MAH Strafverteidigung-Nobis, § 10 Rn. 125. Die Auffassung von Peters, ZStW 68 [1956], S. 374 (380 f.), angesichts von Art. 6 Abs. 2 EMRK sei die Sozialstellung des Angeklagten als noch nicht Tatverurteilter nach Eröffnung des Hauptverfahrens noch unangetastet, wird der Rechtswirklichkeit nicht gerecht. 383 Krack, Rehabilitierung, S. 51 ff.; Meyer, Wiederaufnahmereform, S. 86; Weber-Klatt, Wiederaufnahme zu Ungunsten, S. 386. Loos, JZ 1978, 592 (598) sieht allein schon im bis zur Hauptverhandlung gelangten Verfahren eine „Sanktionierung im untechnischen Sinn“. 384 Vgl. etwa Binding, Strafprozeß, S. 317 („schwächliche Rechtfertigung“) und v. Kries, Lehrbuch des Deutschen Strafprozeßrechts, S. 594: „als ob der Grundsatz der Rechtskraft irgend welchen Erwägungen der Billigkeit entsprungen sei, als ob es insbesondere dem Angeklagten nicht zugemutet werden dürfe, wiederholt die Pein und Not eines Strafverfahrens durchzumachen“. Dies begründet v. Kries damit, dass andernfalls der Angeklagte durch seine Zustimmung zum erneuten Verfahren über die Rechtskraft disponieren könnte. 385 Zaczyk, GA 1988, 356 (368); Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 52 Rn. 8 und Weber-Klatt, Wiederaufnahme zu Ungunsten, S. 23 in Fn. 9 m. N. 386 Die Auffassung, dass auch das Vertrauen in rechtswidrige Staatsakte schützenswert ist, entwickelte sich erst Anfang der Fünfzigerjahre, erfuhr dann aber insbesondere im Verwaltungsrecht (§ 48 VwVfG des Bundes) konkrete Ausprägung, hierzu Neu-Berlitz, Bestandskraft der Einstellungsverfügung, S. 33 ff.

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scheidung nunmehr den erhofften Rechtsfrieden zu schaffen vermag. Die Fälle, in denen das Streben nach einer materiell gerechten Entscheidung das berechtigte Vertrauen in die Beständigkeit staatlicher Akte überwiegt, hat der Gesetzgeber in § 362 StPO abschließend normiert und damit die notwendige Abwägung bereits getroffen.387 Damit ist zugleich der mögliche Vorbehalt widerlegt, der Vertrauensgrundsatz sei generell zu vage, als dass aus ihm Wertungen auch für das durch eine hohe Regelungsdichte gekennzeichnete Strafverfahren gezogen werden könnten. Der Betroffene mag zwar grundsätzlich auch in die Bestandskraft einer fehlerhaften Entscheidung vertrauen dürfen,388 § 362 StPO besagt jedoch, wann dieses Vertrauen nicht überwiegt. Rechtswidrige Verfahrensmanipulation führt grundsätzlich zu einer Herabsenkung des durch die Rechtskraft bewirkten Schutzes und des berechtigten Vertrauens.389 Diese Wertung findet sich nicht nur im Strafprozess, sondern zeigt sich etwa auch im Bereich des Allgemeinen Verwaltungsrechts. Wenn § 48 Abs. 2 Satz 3 VwVfG des Bundes postuliert, dass sich auf Vertrauensschutz nicht berufen kann, wer den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat, erinnert dies durchaus an die Modalitäten des § 362 Nr. 1 StPO, bei entsprechender Einflussnahme auf Zeugen390 auch an § 362 Nr. 2 StPO.391 Ihrer ursprünglichen Konzeption nach reagiert die ungünstige Wiederaufnahme propter falsa tatsächlich auf ein manipulatives, durch den Angeklagten veranlasstes „verbrecherisches“ Verhalten, durch welches eine Entscheidung zustande gekommen ist, welche ohne diesen Einfluss so nicht ergangen wäre – man war der Auffassung, dass niemand die Früchte seiner strafbaren Handlung genießen dürfe.392 Dass in diesen Fällen auch für den Betroffenen kein Vertrauenstatbestand existiert, liegt auf der 387

Radtke, Systematik, S. 65. Grünewald, ZStW 120 [2008], 545 (568). 389 Hierzu Grünewald, ZStW 120 [2008], 545 (574 f.); Marxen, JZ 1997, 630 (631); Eschelbach, FS Stöckel, S. 199 (223 f.). Auch die BRAK-Denkschrift, S. 76 argumentiert mit dem Vertrauen des Angeklagten. 390 Sofern diese Einflussnahme ein bestimmtes Maß, nämlich die Massivität eines Nötigungsnotstandes erreicht, bestehen im Zusammenspiel mit § 364 S. 1 StPO allerdings Widersprüchlichkeiten, vgl. KG JZ 1997, 629 m. Anm. Marxen; hierzu auch LR-Gössel, § 362 Rn. 6; Meyer-Goßner/Schmitt, § 362 Rn. 3; Loos, FS Schreiber, S. 277 ff. Für das Verfahren zugunsten des Angeklagten ist die Situation dadurch entschärft, dass das manipulierte Aussageverhalten ggf. über § 359 Nr. 5 StPO Berücksichtigung finden kann, so auch das KG JZ 1997, 629, S. 629 f. 391 Die übrigen verwaltungsrechtlichen Ausschlussgründe für schutzwürdiges Vertrauen finden im Strafprozess keine Entsprechung. Dass der Betroffene „die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte“ (§ 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 VwVfG des Bundes), wird angesichts der im Strafprozess bestehenden Selbstbelastungsfreiheit ebenso toleriert wie eine begünstigende Entscheidung, die er „durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren“ (§ 48 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 VwVfG des Bundes). Ein solches „Recht zur Lüge“ resultiert freilich aus dem nemotenetur-Grundsatz allein nicht, vgl. Fezer, FS Stree/Wessels, S. 663 (671) und hier auf S. 167 f. 392 Materialien Bd. 3 Abtl. 1, S. 263 f.; Grünewald, ZStW 120 [2008], 545 (562). 388

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Hand. Relativ bald wurde allerdings dieser Begründungszusammenhang aus pragmatischen Erwägungen vernachlässigt und eine Ausweitung auch auf verbrecherisches Verhalten Dritter vorgenommen. Der Angeklagte bediene sich zur Einflussnahme in der Regel oder doch jedenfalls häufig Komplizen, weshalb ein Leerlauf der Wiederaufnahmegründe befürchtet wurde.393 Überwiegend wird heute nicht einmal die Zurechenbarkeit der Verfahrensmanipulation gefordert.394 Der Aspekt berechtigten Vertrauens in die Beständigkeit der Entscheidung findet sich in den gesetzlich normierten Wiederaufnahmegründen jedoch nach wie vor, und zwar in § 362 Nr. 4 StPO. Der Wiederaufnahmegrund beschreibt eine Konstellation, in der – angesichts eines öffentlichen und glaubwürdigen Geständnisses des Freigesprochenen – das Vertrauen der Allgemeinheit in die Richtigkeit der Entscheidung nachträglich entfällt. Der auf Wiederherstellung des Rechtsfriedens angelegte und beendete Prozess kann dort seine Funktion nicht mehr erfüllen, was zu einem neuen Versuch der „Entstörung“ berechtigt. Hier kann auch der Betroffene kein berechtigtes Vertrauen in die Endgültigkeit der Entscheidung setzten, da er die Befriedigungsfunktion des freisprechenden Urteils selbst wieder beseitigt hat.395 Die Betrachtung der gesetzlich zugelassenen Wiederaufnahmegründe zeigt demnach, dass sich der hier gestattete nachträgliche Zugriff auf die ergangene Entscheidung mit dem Vertrauensprinzip erklären lässt: Sie sind ihrer Grundkonzeption nach Fälle eines fehlenden oder entfallenden Vertrauenstatbestandes. d) Bezugspunkt des Vertrauens Vertrauen im Hinblick auf die Beständigkeit kann von vornherein nur in eine Entscheidung entstehen, die den Anspruch erhebt, eine Frage endgültig und vollumfänglich beantwortet zu haben.396 Eine nur vorläufige Entscheidung kann kein dauerhaftes Vertrauen begründen.397 Endgültigkeit bezieht sich hier jeweils auf den 393 Grünewald, ZStW 120 [2008], 545 (575) m.N. zu dieser bereits Mitte des 19. Jahrhunderts angestellten Überlegung. 394 Vgl. etwa BeckOK-Singelnstein, § 362 Rn. 4; KK-Schmidt, § 362 Rn. 8; Pfeiffer, § 362 Rn. 2. Krit. hierzu Grünewald, ZStW 120 [2008], 545 (575 f.), die Vorschrift habe sich „von ihrer freiheitstheoretisch gut abzusichernden Grundlage entfernt“. Für das Kriterium der Zurechenbarkeit jedenfalls de lege ferenda AK-Loos, § 362 Rn. 8 f. 395 Grünewald, ZStW 120 [2008], 545 (576 f.); BRAK-Denkschrift, S. 76. 396 Auch Peters, Strafprozeß, S. 517 stellt zur Beantwortung der Frage nach der Rechtskraft des Einstellungsurteils auf das Erfassen „des ganzen Vorgangs auf die Dauer“ ab. Ähnliche Kriterien stellt auch Herzog, Rechtskraft strafgerichtlicher Beschlüsse, S. 111 f. in den Mittelpunkt seiner Überlegungen, freilich ohne den Aspekt des Vertrauensschutzes damit zu kombinieren. Dieser ist aber für die Bestimmung der Bindungswirkung gerade essentiell. 397 Loos, JZ 1978, 592 (594); Wiedemann, Korrektur außerhalb des Rechtsmittelverfahrens, S. 11 („aufgrund eines abgeschlossenen Tatbestandes“); vgl. jedoch den Hinweis von NeuBerlitz, Bestandskraft der Einstellungsverfügung, S. 58 in Fn. 191 auf die trotz ihres vorläufigen Charakters anerkannte Bindungswirkung einer Zusicherung gemäß § 38 VwVfG des Bundes.

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B. Fehlerhafte Entscheidungen und ihre Korrekturmöglichkeiten

zur Entscheidung berufenen Spruchkörper, sodass eine eventuelle Anfechtbarkeit der Endgültigkeit im konkreten Verfahrensstadium nicht entgegensteht. Eine sich nur zu Teilfragen des geschichtlichen Vorgangs äußernde Entscheidung kann auch nur für diesen Teilbereich Vertrauen beanspruchen. Vollumfänglichkeit bezieht sich auf die vom Gericht erwarteten Aufklärungsmaßstäbe, sodass sie sich nicht an der unter Umständen schwer zu rekonstruierenden tatsächlich erfolgten Aufklärung misst, sondern an dem, was die Verfahrensordnung für die Beantwortung der Frage an Aufklärung verlangt.398 Der Umfang des berechtigten Vertrauens bemisst sich demnach nach der Kognitionspflicht des Gerichts und dem konkreten Entscheidungsinhalt.399 Fragen, die die konkrete Entscheidung nicht beantwortet, können ohne weiteres Gegenstand nochmaliger Befassung werden, ohne dass dies mit dem berechtigten Vertrauen in deren Beständigkeit in Konflikt geriete. e) (Verzichtbare) Kriterien Dem Kriterium der Kognitionspflicht wurde in mehreren Abhandlungen zum Strafklageverbrauch wesentliche Bedeutung zugemessen. In seinem Beitrag zur „beschränkten Sperrwirkung“ hält es Loos für entscheidend, ob das Gericht zu einer umfassenden Ermittlung des Tathergangs verpflichtet ist und ob eine Verpflichtung zur Dokumentation der Entscheidungsgründe besteht.400 Radtke entwickelt diesen Ansatz weiter und wählt als Kriterien den Umfang der Kognitionspflicht des Gerichts, die Methode der Sachverhaltsaufklärung und das Vorhandensein einer Begründung der Entscheidung.401 Der Umfang der Kognitionspflicht ist gegebenenfalls für die Beantwortung der Frage von Interesse, was Gegenstand der konkreten Ent398 Sandherr, NZV 2010, 41 (42); Radtke, Systematik, S. 121 u. 326 f. Vgl. auch Achenbach, ZStW 87 [1975], 74 (90), eine Analyse der seinerzeitigen Ermittlungssituation führe zu einer „völligen Individualisierung der Rechtskraft“ und damit zu einer unzumutbaren Relativierung der Orientierungssicherheit. Im Kontext des Strafklageverbrauchs konstatiert auch die ganz herrschende Meinung, dass es auf die rechtliche Aburteilungsmöglichkeit ankommt und nicht darauf, ob das Gericht tatsächlich dazu in der Lage war respektive die Aufklärung tatsächlich betrieben wurde: RGSt 32, 57 (58); 46, 363 (368); 49, 272 (274); 56, 161 (166); BGHSt 6, 92 (95); 15, 259 f.; BeckOK-Eschelbach, § 264 Rn. 3; LR-Stuckenberg, § 264 Rn. 16; SK-Velten, § 264 Rn. 21; Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 387 f.; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 52 Rn. 11; Eb. Schmidt, Lehrkommentar I Rn. 296. Das Zusammenspiel von Aufklärungsmöglichkeiten und Strafklageverbrauch spielt auch in der Diskussion um die Rechtskraft des Strafbefehls eine wesentliche Rolle, wo der summarische Charakter des Verfahrens das Hauptargument für einen nur eingeschränkten Verbrauch der Strafklage stellt, vgl. dazu BVerfGE 3, 248 (252 ff.); 65, 377 (382 f.); krit. Binding, Strafprozeß, S. 318 und hier ab S. 143. 399 Vgl. auch BGHSt 54, 1 (6): „Je umfangreicher die Möglichkeiten für eine Ermittlung des Schuldvorwurfs und je ausgeprägter die Sicherungen für eine sachgerechte Entscheidung waren, umso mehr Vertrauen darf der Angeklagte in den Bestand und die Endgültigkeit der getroffenen behördlichen Entscheidung setzen“. Zur Rechtskraft als Spiegel der Kognitionspflicht auch Achenbach, ZStW 87 [1975], 74 (88 f.). 400 JZ 1978, 592 (598 ff.). 401 Die Systematik des Strafklageverbrauchs, passim u. insb. S. 323 ff.

IV. Korrigierbarkeit als Frage der Rechtskraft?

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scheidung war beziehungsweise sein sollte. Als selbstständiges Kriterium zur Beantwortung der Frage nach dem Ob der Zugriffsmöglichkeit taugt es jedoch nicht. Die Methode der Sachverhaltsaufklärung könnte Aufschluss darüber geben, in welchem Umfang das zur konkreten Entscheidung führende Verfahren auf Erzielung größtmöglicher Richtigkeit hin ausgestattet ist.402 Eine defizitäre Methodik beseitigt jedoch nicht das Vertrauen in die Beständigkeit der Entscheidung, solange dadurch nicht deren Vollumfänglichkeit tangiert wird. Das Entstehen eines Vertrauenstatbestandes ist schließlich von der Dokumentation der Entscheidung völlig unabhängig. Inwieweit die Hintergründe der Entscheidung fixiert werden, gewinnt erst auf zweiter Stufe, also bei der Frage nach dem Wie der Korrektur, an Relevanz.403 Zusammenfassend gilt daher, dass die Möglichkeit des Zugriffs auf eine einmal getroffene gerichtliche Entscheidung davon abhängt, zu welchen Fragen sie Stellung nimmt und welche sie unbeantwortet lässt. Die nicht behandelten Aspekte stehen einer erneuten Behandlung ohne weiteres offen. Hinsichtlich des tatsächlichen Entscheidungsinhalts gelten Bindung und Widerspruchsverbot in der Form, dass die bereits erfolgte Beantwortung der Frage eine gegenteilige Entscheidung grundsätzlich ausschließt. Anders ist dies, wenn das Vertrauen in die Beständigkeit der Entscheidung nicht mehr berechtigt erscheint, da die rechtsfriedenstiftende Funktion des Verfahrensabschlusses nicht mehr gewährleistet ist. Diese Fälle hat der Gesetzgeber insbesondere in den §§ 359 ff. StPO beschrieben. Wie deren Anwendungsbereich zu bestimmen ist und insbesondere, ob die Form der Entscheidung für die Frage nach einer Korrekturmöglichkeit den entscheidenden Ausschlag geben kann, wird in den beiden nachfolgenden Kapiteln untersucht werden. Die Herausforderungen, die sich der Rechtsanwendung in diesem Bereich stellen, lassen sich abschließend mit den Worten von Karl Peters verdeutlichen: „Wird der Gerechtigkeitsgedanke einseitig betont, so verliert das Verfahren Form, Sicherheit und Bestimmtheit. Das bedeutet Gefährdung der Rechtssicherheit, der Freiheit des Bürgers und schließlich der Gerechtigkeit selbst. Wird der Rechtssicherheitsgedanke zu stark hervorgehoben, so führt das zur Auflösung des Rechtsbewußtseins, der Achtung vor dem Recht zur Rechtsauflösung und damit zur Rechtsunsicherheit. Soll die eine oder andere Gefahr vermieden werden, so bedarf es bei der Rechtsanwendung einer sorgfältigen Abwägung, deren Ergebnis vom Bürger verstanden und als eine vernünftige und billige Lösung hingenommen wird.“404

402 Diesen Aspekt möchte auch LR-Kühne, Einl. Abschn. K Rn. 65 neben dem Bestehen innerprozessualer Kontrollmöglichkeiten zur Bestimmung des Umfangs der Rechtskraft berücksichtigen. 403 Dies insbesondere dann, wenn für die Zulässigkeit der „Wiederaufnahme“ (untechnisch gesprochen) auf das Vorliegen von nova abgestellt wird. 404 Peters, JR 1970, 392.

C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung Zunächst werden diejenigen Fälle in Betracht genommen, die an einer unzutreffenden Erkenntnisgrundlage leiden. Dem Gericht waren im Zeitpunkt der Entscheidung bestimmte Umstände nicht bekannt, deren Kenntnis dem Verfahren eine andere Wendung gegeben hätte.

I. Sachurteile Als Sachurteile werden gemeinhin diejenigen Entscheidungen bezeichnet, die nicht lediglich die bloße Regelung, Angemessenheit oder Zulässigkeit des Verfahrens betreffen, sondern die auf die Auswertung des Prozessgegenstandes bezogen sind.1 Betroffen ist das „Fehlurteil“ im engeren Sinne, eine strafgerichtliche Erkenntnis in Urteilsform2, die auf Freispruch oder Verurteilung lautet. Dass das durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossene Verfahren grundsätzlich Gegenstand der Wiederaufnahme sein kann, besagt bereits der Titel des Vierten Buches der Strafprozessordnung. Über die fehlerhafte Entscheidung aus materiell-rechtlichen Gründen hinaus, die, wie eingangs erläutert, nicht Gegenstand dieser Untersuchung ist, können weitere tatsächliche Gründe zu einer Fehlentscheidung führen. So dürfen unter bestimmten Voraussetzungen Verfahren erst gar nicht geführt (sogenannte Verfahrenshindernisse) oder bestimmte Umstände zur Erlangung des Verfahrensergebnisses nicht herangezogen werden (Beweisverwertungsverbote). Darüber hinaus gibt es eine Reihe weiterer Vorgaben und Bestimmungen, deren Einhaltung für die Qualität des Verfahrens von entscheidender Bedeutung ist (sonstige Verfahrensfehler). Ob die Wiederaufnahme auch für Entscheidungen offensteht, deren Fehlerhaftigkeit ihren Ursprung in den soeben genannten Bereichen hat, wird im nun folgenden Teil untersucht. 1

So auch die Differenzierung von Peters, ZStW 68 [1956], 374. Das Urteil wird üblicherweise definiert als formgebundene Entscheidung des erkennenden Gerichts, die nach dem Gesetz eine mündliche Verhandlung und eine öffentliche Verkündung voraussetzt und den Verfahrensabschnitt endgültig abschließt, wobei Sachurteile in Abgrenzung zu Prozessurteilen als reine Formalentscheidungen zum Tatgeschehen und zur materiellen Rechtslage Stellung nehmen, vgl. etwa Peters, Strafprozeß, S. 469; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 48 Rn. 1. Daher ist das Vorliegen eines Bekenntnisses zur Schuldfrage kein Alleinstellungsmerkmal; reinen Prozessurteilen (Einstellung des Verfahrens, Verwerfung von Rechtsmitteln als unzulässig) stehen Beschlüsse gegenüber, die abschließend über die Schuld des Täters entscheiden (vgl. BGHSt 8, 383 [385]). 2

I. Sachurteile

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1. Sachurteile im Kontext der klassischen Verfahrenshindernisse Die Strafprozessordnung nimmt zwar an einzelnen Stellen (§§ 206a Abs. 1, 260 Abs. 3 StPO) auf das „Verfahrenshindernis“ Bezug, definiert aber diesen Begriff ebenso wenig wie den der „Verfahrensvoraussetzung“.3 Einem Verfahrenshindernis werden nach der in der Rechtsprechung vorherrschenden Definition diejenigen Umstände subsumiert, die nach dem ausdrücklich erklärten oder aus dem Zusammenhang ersichtlichen Willen des Gesetzes für das Strafverfahren so schwer wiegen, dass von ihrem Vorhandensein (im Falle eines Verfahrenshindernisses) oder Nichtvorhandensein (im Falle einer Prozessvoraussetzung) die Zulässigkeit des Verfahrens im Ganzen abhängig gemacht werden muss.4 Peters spricht anschaulich von „Prozeßmauern, die den Weg zu einer Sachentscheidung verhindern“.5 Bloße Formulierungsfrage ist hierbei, ob auf das Fehlen einer Prozessvoraussetzung oder auf die Existenz eines Prozesshindernisses abgestellt wird.6 Verfahrenshindernisse sollen auch dadurch gekennzeichnet sein, dass ihr Vorliegen aus den Umständen zweifelsfrei festgestellt werden kann, ohne eine wertende Betrachtung zu erfordern.7 Ihre Feststellung erfolgt in der Praxis grundsätzlich im Freibeweisverfahren.8 a) Strafunmündigkeit Die durch § 19 StGB gesetzte starre Altersgrenze schließt die Strafverfolgung von Personen unter vierzehn Jahren aus und bildet ein absolutes Strafverfolgungshin3 BGHSt 26, 84 (88), in Literatur und Rechtsprechung werden die Begriffe üblicherweise synonym verwendet, dem wird auch hier gefolgt. Krit., aber letztlich ebenso vorgehend MeyerGoßner, FS Eser, S. 373 (374). 4 BGHSt 15, 287 (290); 26, 84 (89); 33, 183 (186); 46, 159 (168 f.); BGH NStZ 1984, 419; BayObLGSt 1995, 99. Krit. hinsichtl. der Aussagekraft dieser Definition etwa Rieß, JR 1985, 45 (46 f.); Sowada, JR 1995, 257; Krack, Rehabilitierung, S. 247 f.; Volk, Prozeßvoraussetzungen, S. 205 ff. Jedenfalls beginnt die Unzulässigkeit des Verfahrens erst im Moment der Feststellung (ex nunc), der Weg zu dieser Feststellung hin ist nicht als unzulässig anzusehen, vgl. MeyerGoßner, FS Eser, S. 373 (387). Auflistung anerkannter Verfahrenshindernisse etwa bei SKPaeffgen, Anh. zu § 206a Rn. 3 ff.; Burhoff, Handbuch Hauptverhandlung, Rn. 1324 ff. 5 ZStW 68 [1956], 374 (375). 6 LR-Kühne, Einl. Abschn. K Rn. 37; Eb. Schmidt, Lehrkommentar I Rn. 193 f.; Krack, Rehabilitierung, S. 219. 7 BGHSt 24, 239 (240); 32, 345 (351); 41, 72 (75); 43, 53 (57). Diese Einschätzung ist sehr zweifelhaft, auch „klassische“ Verfahrenshindernisse sind teils Gegenstand wertender Betrachtung, so zutreffend Rieß, JR 1985, 45 (47); Sowada, JR 1995, 257 (258); Volk, StV 1986, 34 (36 f.). Allerdings dürfte nichts dagegen sprechen, im Sinne der Rechtssicherheit bei Umständen, die stets und nicht nur im Grenzbereich eine wertende Betrachtung erfordern, die Tauglichkeit als Verfahrenshindernis kritisch zu hinterfragen, zu dieser Problematik auch hier ab S. 263. 8 BGHSt 14, 137 (139); 16, 164 (166); KK-Ott, § 260 Rn. 48; Krit. etwa SK-Paeffgen, § 206a Rn. 15; SK-Velten/Schlüchter, § 260 Rn. 51; Többens, NStZ 1982, 184 ff.; Volk, Prozessvoraussetzungen, S. 83 in Fn. 246.

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

dernis.9 Ein dennoch angestrengtes Verfahren darf nicht etwa mit Freispruch enden, denn die Zulässigkeit des Strafverfahrens besteht ausnahmslos nur gegen Strafmündige, sodass jedwede Entscheidung in der Sache ausgeschlossen ist.10 Zu reagieren ist daher mit der Einstellung des Verfahrens nach §§ 260 Abs. 3, 206a StPO. Wird irrtümlich von einem Alter über vierzehn Jahren ausgegangen und in der Sache entschieden, so liegt ebenso eine fehlerhafte Entscheidung vor, wie wenn irrtümlich von einem späteren Zeitpunkt der Handlung (§ 8 StGB) ausgegangen wird, zu welchem die Strafmündigkeit bereits eingetreten war. Die dritte denkbare Konstellation, in der das Gericht irrtümlich von einer niedrigeren Altersgrenze hinsichtlich der Strafmündigkeit ausgeht und den etwa erst zwölfjährigen Angeklagten ganz bewusst verurteilt, fällt hingegen unter die Kategorie der aus rechtlichen Gründen fehlerhaften Entscheidungen, die Gegenstand der Erörterungen in Teil D. sind. Angesichts des erhöhten Schutzbedürfnisses Minderjähriger wird bei fehlerhaften altersbezogenen Feststellungen teils Urteilsnichtigkeit angenommen,11 teils auf den Gnadenweg verwiesen12. Häufig wird jedoch das Wiederaufnahmeverfahren als zutreffende Lösung angesehen.13 Ungeachtet der bereits eingangs dargestellten Gründe, die Lehre von der Urteilsnichtigkeit grundsätzlich abzulehnen, fehlt es oftmals auch an den Voraussetzungen für eine solche Urteilsnichtigkeit. Für jedermann offensichtlich wird die Strafunmündigkeit allenfalls bis zu einer bestimmten Altersgrenze sein, je mehr sich das tatsächliche Alter des Kindes der Strafmündigkeitsgrenze nähert, desto weniger drängt sich die Fehleinschätzung im geforderten Maße auf. Dies würde im Ergebnis eine unterschiedliche Behandlung von 9 Ist der Betroffene Jugendlicher oder Heranwachsender, auf den Jugendstrafrecht angewendet wird (§ 105 Abs. 1 JGG), so besteht ein Verfahrenshindernis lediglich hinsichtlich des beschleunigten Verfahrens, des Privatklageverfahrens und des Strafbefehls, vgl. RadtkeHohmann-Radtke, Einl. Rn. 55. 10 Meyer-Goßner, FS Rieß, S. 331 (340). Nach der von demselben in Prozessvoraussetzungen, passim entwickelten Differenzierung liegt in Abgrenzung zum bloßen Bestrafungsverbot ein Befassungsverbot vor. Zu diesem Ansatz BGHSt 51, 202 (205), HK-Gercke/Temming, Einl. Rn. 68; KMR-Eschelbach/Kett-Straub, Einl. Rn. 209: „folgerichtig“; SK-Paeffgen, § 206a Rn. 3a: „wohl schon h.L.“; zweifelnd hinsichtlich des Erkenntnisgewinns jedoch Radtke/Hohmann-Radtke, Einl. Rn. 50 „keine wesentlichen Vorteile“. 11 So etwa MüKo(StGB)-Streng, § 19 Rn. 11; Ostendorf, § 1 JGG Rn. 13; SSW-Beulke, Einl. Rn. 323; Frehsee, ZStW 100 [1988], 290 (296); Dickersbach, Prozessuale Tatsachen, S. 32 f; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 52 Rn. 26 (Fall der Entscheidung „mit einem offensichtlich unzulässigen Inhalt“) und insb. Potrykus, NJW 1953, 93 (94)., nach dessen Ansicht in solchen Fällen „die Rechtssicherheit […] unbeachtet bleiben muß“ und das Urteil [dort: Verurteilung eines Jugendlichen nach Erwachsenenstrafrecht] als nullum zu betrachten ist. 12 Meyer-Goßner, FS Rieß, S. 331 (345). 13 Vgl. etwa OLG Hamburg NJW 1952, 1150 (Verurteilung eines Jugendlichen nach Erwachsenenstrafrecht); LG Landau NStZ-RR 2003, 28 (Strafbefehl gegen Jugendlichen); KKSchmidt, § 359 Rn. 34; Meyer-Goßner/Schmitt, § 359 Rn. 39; Radtke/Hohmann-Hohmann, § 359 Rn. 29; Eb. Schmidt, Lehrkommentar II § 359 Rn. 30; SSW-Kaspar, § 359 Rn. 4; Neumann, System der Wiederaufnahme, S. 40 in Fn. 2; Peters, Fehlerquellen Bd. 3, S. 61 f.; ders., Strafprozeß, S. 676; differenzierend Eisenberg, § 1 JGG Rn. 49 f. u. § 79 JGG Rn. 6.

I. Sachurteile

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eindeutigen und zweifelhaften Fällen (sprich: von extrem jungen und „bloß“ jungen Delinquenten) bedeuten, die erstens sachlich nicht vertretbar ist14 und zweitens für letztere eben auch keine Lösungsmöglichkeit bietet. Weder mit der Nichtigkeit des Urteils noch mit dem lediglich rudimentär durch verwaltungsrechtliche Gnadenordnungen geregelten Gnadenverfahren15 müsste gearbeitet werden, sofern die Strafprozessordnung selbst den Zugriff auf die Fehlentscheidung ermöglicht. In einigen Fällen, insbesondere bei im Ausland geborenen Tatverdächtigen, kann zur Feststellung des Alters ein anthropologisches Sachverständigengutachten erforderlich sein.16 Daher könnte eine auf § 359 Nr. 2 StPO gestützte Wiederaufnahme in Betracht kommen, wenn das Gutachten den tatsächlichen Verhältnissen widersprechende Angaben enthält. Da schriftliche Erklärungen keine „Aussagen“ sind, ist das schriftlich eingereichte Sachverständigengutachten jedoch nicht §§ 153 ff. StGB subsumierbar17 und damit keine Verletzung der Eidespflicht oder uneidliche Falschaussage, wie im Rahmen dieses Wiederaufnahmegrunds erforderlich. Wird die gutachterliche Feststellung in die Hauptverhandlung eingeführt und damit tatsächlich eine Aussage getätigt, so kann diese allerdings schon falsch sein, wenn darin Bewertungen eines Sachverhalts oder Schlussfolgerungen enthalten sind, die dem Stand der vom Gutachter betriebenen Wissenschaft nicht entsprechen, oder wenn es Erfahrungssätze und Erkenntnisse unvollständig wiedergibt.18 Was zwar in objektiver Hinsicht des Öfteren vorkommen mag, wird jedoch in den wenigsten Fällen vorsätzlich geschehen – das fahrlässig falsche Gutachten ermöglicht jedoch lediglich dann die Wiederaufnahme, wenn eine (in der Praxis äußerst unübliche) Vereidigung des Sachverständigen nach § 79 Abs. 1 Satz 1 StPO erfolgt, da in diesem Falle eine Strafbarkeit nach § 161 StGB begründet werden könnte.19 Nimmt man nun noch die zusätzliche Hürde des § 364 StPO mit dem darin normierten generellen20 Erfordernis einer rechtskräftigen Verurteilung hinzu, so ergibt sich, dass über § 359 Nr. 2 StPO in einer Vielzahl der Fälle keine Lösung zu erwarten ist. Gleiches gilt für die natürlich auch denkbaren Fälle, in denen die Fehlvorstellung über Alter oder Tatzeit aus einer falschen Zeugenaussage resultiert. Möglich ist auch, dass die Fehlvorstellung des Gerichts aus einer hinsichtlich Alter oder Tatzeit manipulierten Urkunde resultiert, beispielsweise durch gefälschte 14

So auch LR-Kühne, Einl. Abschn. K Rn. 121; Roeder, ZStW 79 [1967], 250 (287 f.); abl. auch Dallinger, MDR 1954, 398 (401) angesichts der oft doch schwierigen Ermittlungen hinsichtlich Alter und Tatzeit. 15 Siehe dazu bereits hier ab S. 62. 16 Hierzu etwa Ostendorf, § 1 JGG Rn. 12. 17 Vgl. MüKo(StGB)-Müller, § 153 Rn. 8; Sch/Sch-Lenckner/Bosch, Vor § 153 StGB Rn. 22. 18 SK(StGB)-Rudolphi, Vor § 153 Rn. 46. 19 Radtke, ZStW 110 [1998], 297 (320). 20 § 364 S. 1 StPO macht hiervon dann eine Ausnahme, sofern „die Einleitung oder Durchführung eines Strafverfahrens aus anderen Gründen als wegen Mangels an Beweis nicht erfolgen kann“.

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

Ausweisdokumente, die ein früheres Geburtsjahr angeben. Wird daraus auf die Strafmündigkeit des Angeklagten geschlossen, hat diese als Beweismittel einen für ihn ungünstigen Einfluss auf die Entscheidung des Gerichts über das Vorliegen der Verfahrensvoraussetzungen gehabt, was für eine auf § 359 Nr. 1 StPO gestützte Wiederaufnahme Voraussetzung ist. In diesem Fall müsste der Antragssteller die in Frage stehende Urkunde, die Art der Verwendung in der Hauptverhandlung sowie die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Unechtheit oder Verfälschung ergibt.21 Dass die Benutzung des Dokuments die Entscheidung zu seinen Ungunsten beeinflusst hat, wird zum einen nach § 370 Abs. 1 StPO vermutet, steht in der vorliegenden Konstellation auch außer Frage. Fraglich ist jedoch, ob der Anwendungsbereich von § 359 Nr. 1 StPO auch dann eröffnet ist, wenn die Verfahrensbeteiligten keine Kenntnis von der Fälschung hatten. Ob auch das Vorbringen der Urkunde in strafbarer Weise erfolgen muss und § 364 StPO Anwendung findet, wird unterschiedlich beurteilt.22 Dafür spricht neben dem Wortlaut, der ausdrücklich nur § 359 Nr. 5 StPO ausklammert,23 ein Vergleich mit § 359 Nr. 2 StPO, denn hier wie dort geht es um eine massive Einwirkung auf die Entscheidungsgrundlage, weshalb die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme entsprechend ausgestaltet sein sollten. Im Zuge einer historischen Auslegung ließe sich auch die bereits erwähnte ursprüngliche Konzeption der Wiederaufnahme propter falsa ins Feld führen, welche den Zugriff auf die Entscheidung in diesen Fällen an ein vom Angeklagten oder von Dritten im Interesse des Angeklagten begangenes Verbrechen knüpfte.24 Bei Fehlen einer Strafbarkeitsvoraussetzung kommt jedoch § 359 Nr. 5 StPO als Auffangtatbestand in Betracht. Das Vorbringen, dass die entscheidungserhebliche Urkunde gefälscht war, begründet die Erwartung eines hinsichtlich der Verfahrensvoraussetzung „Strafmündigkeit“ anderen Beweisergebnisses und damit die Erwartung einer anderweitigen gerichtlichen Erkenntnis. Demnach erscheint der Rückgriff auf die „Generalklausel“ erfolgversprechend. Gleichzeitig zeigt sich jedoch erstmals am praktischen Fall die bereits im Rahmen der allgemeinen Ausführungen zum Wiederaufnahmeverfahren (S. 39 ff.) kritisierte mangelnde Präzision des § 359 Nr. 5 StPO. Seitens der Befürworter der Anwendbarkeit des Wiederaufnahmeverfahrens wird häufig ohne näheren Begründungsaufwand angeführt, das Alter des Angeklagten zur Tatzeit sei eine dem Beweis 21

LR-Gössel, § 359 Rn. 27. Vgl. einerseits etwa KMR-Eschelbach, § 359 Rn. 57; LR-Gössel, § 359 Rn. 21; andererseits KK-Schmidt, § 359 Rn. 9; SK-Frister, § 359 Rn. 20; Marxen/Tiemann, Wiederaufnahme, Rn. 139 jeweils m.w.N. Einschränkend Neumann, System der Wiederaufnahme, S. 77 f. („in der Regel“). Joecks, § 364 Rn. 1 diskutiert die Frage nicht einmal, sondern geht schlicht davon aus, dass die Norm Wiederaufnahmeanträge nach §§ 359 Nrn. 1 – 3, 362 Nrn. 1 – 3 StPO betrifft, ebenso Ranft, Strafprozeßrecht, Rn. 2269 und noch LR20-Kohlhaas, § 364 Rn. 3. 23 Auch die Motive belegen, dass die Erörterung um das Erfordernis der rechtskräftigen Verurteilung die Wiederaufnahmegründe der Nrn. 1 – 3 insgesamt betraf (Materialien Bd. 3 Abtl. 1, S. 264 f.). Hierzu auch v. Hentig, Wiederaufnahmerecht, S. 64. 24 KK-Schmidt, § 359 Rn. 9; SK-Frister, § 359 Rn. 20 und bereits hier auf S. 76. 22

I. Sachurteile

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zugängliche Tatsache im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO.25 Aber soll tatsächlich die bloße Behauptung, der Angeklagte sei jünger als seitens des Gerichts angenommen beziehungsweise habe die Tat früher begangen, eine Wiederaufnahme des Verfahrens begründen können – unter Umständen sogar dann, wenn das Gericht diese Behauptung im Erstverfahren zurückgewiesen hat? Die Antwort muss ganz klar negativ ausfallen, allein der Begründungsaufwand variiert. So könnte man die Frage, ob das Gegenteil einer im Erstverfahren festgestellten Tatsache eine neue Tatsache im Rahmen des § 359 Nr. 5 StPO ist, danach beantworten, ob mit der Feststellung denknotwendig das Nichtvorliegen des Gegenteils verbunden ist.26 Diese Frage ist für die Beurteilung der Strafmündigkeit eindeutig zu beantworten. Man behilft sich, indem man Einzelheiten für das behauptete gegenteilige Geschehen verlangt, die den Schluss auf das Gegenteil der getroffenen Feststellungen tragen sollen, um dann auf die Neuheit dieser „(Zusatz-)Tatsachen“27 abstellen zu können. Im Ergebnis bedeutet dies nichts anderes als das Erfordernis eines anderen Beweisergebnisses. Der Antragssteller hat also Umstände darzulegen, aus denen sich sein geringeres Alter oder der frühere Zeitpunkt der Tatzeit ergibt. Dies kann etwa durch Vorlage der (korrekten) Ausweisdokumente oder neue Zeugenaussagen geschehen. Eine beliebte Streitfrage im Rahmen des § 359 Nr. 5 StPO ist auch die wiederaufnahmerechtliche Relevanz eines abweichenden Sachverständigengutachtens.28 Sofern aber beispielsweise ein mit überlegenen Forschungsmitteln angefertigtes anthropologisches Gutachten die Schuldunfähigkeit zur Tatzeit darlegt, liegt darin jedenfalls eine neue Erkenntnisquelle, die die Wiederaufnahme begründen kann. Prüfungsgegenstand im Rahmen der Wiederaufnahme nach § 359 Nr. 5 StPO ist darüber hinaus, ob die richtige Beurteilung des Alters beziehungsweise der Tatzeit geeignet ist, „die Freisprechung des Angeklagten oder in Anwendung eines milderen Strafgesetzes eine geringere Bestrafung […] oder eine wesentlich andere Entscheidung über eine Maßregel der Besserung und Sicherung zu begründen“. Aus dieser Formulierung wird teilweise die Forderung abgeleitet, dass die neuen „Tatsachen oder Beweismittel“ einen Bezug zur Schuldfrage aufweisen müssen,29 was zumindest für den vorliegenden Fall jedoch noch kein Ausschlusskriterium darstellt. Die zugrunde liegende materiell-rechtliche Vorschrift des § 19 StGB lässt am Bezug zur Schuldfrage keinen Zweifel. Fraglich ist jedoch, ob das zu erwartende neue 25

Vgl. etwa OLG Hamburg NJW 1952, 1150; LG Landau NStZ-RR 2003, 28; Eisenberg, § 79 JGG Rn. 6; LR-Gössel, § 359 Rn. 62; Noack, JA 2005, 539 (542). 26 Hierzu BGH NStZ 2000, 218; OLG Karlsruhe NJW 1958, 1247; LR-Gössel, § 359 Rn. 99 ff.; Eisenberg, JR 2007, 360 (362). 27 BGH NStZ 2000, 218; KK-Schmidt, § 359 Rn. 24. 28 Hierzu etwa KK-Schmidt, § 359 Rn. 26 f.; KMR-Eschelbach, § 359 Rn. 173 ff.; LRGössel, § 359 Rn. 115 ff.; SK-Frister, § 359 Rn. 41 u. 69 f. 29 OLG Hamburg bei Alsberg, Bd. 2, Nr. 274; OLG Stettin bei Alsberg, Bd. 2, Nr. 275; OLG München bei Alsberg, Bd. 2, Nr. 280; KG GA 1974, 25 (26); LR20-Kohlhaas, § 359 Rn. 21; Eb. Schmidt, Lehrkommentar II § 359 Rn. 17; in diese Richtung allerdings auch OLG Celle NStZ-RR 2010, 251 (252). Anders bereits Binding, Strafprozeß, S. 339, der ganz allgemein von der „Frage der Strafbarkeit“ spricht.

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

Beweisergebnis im vorangegangenen Verfahren geeignet gewesen wäre, die in § 359 Nr. 5 StPO aufgezählten Folgen herbeizuführen. Nach der üblichen Terminologie30 wird gefragt, ob das Vorbringen zur Erreichung eines „Wiederaufnahmeziels“ geeignet ist. Angelehnt an die ursprüngliche Fassung von § 259 Abs. 1 Satz 2 StPO, nach der „das Urtheil […] nur auf Freisprechung, Verurtheilung oder Einstellung des Verfahrens lauten [kann]“31, hielten sich Rechtsprechung und Lehre zunächst eng an die Terminologie und ließen nur eine Freisprechung im technischen Sinne genügen.32 Bereits im Jahre 1889 stellte das Reichsgericht jedoch die Überlegung an, ob in extensiver Auslegung des Wortlauts des § 399 Nr. 5 StPO a.F. (der heutige § 359 Nr. 5 StPO) unter „Freisprechung“ nicht all diejenigen Entscheidungen zu verstehen seien, welche keine zuungunsten des Angeklagten lautende Entscheidung in der Schuldfrage beinhalten, ohne Rücksicht auf ihre äußere Form.33 Die gelte jedenfalls für die endgültige Einstellung des Verfahrens. Gestützt wurde die Argumentation auf § 56 StGB a.F., nach der der zwischen zwölf und achtzehn Jahre alte Angeschuldigte freizusprechen war, wenn er bei Begehung der strafbaren Handlung die zur Erkenntnis ihrer Strafbarkeit erforderliche Einsicht nicht besaß (vgl. insoweit heute § 3 Satz 1 JGG). Wenn hier auf Freispruch erkannt werden konnte, so dürfe der gänzlich Strafunmündige nicht schlechter stehen, nur weil gegen ihn schon generell die Strafverfolgung nicht betrieben werden dürfe.34 Die sich hinsichtlich des Wortlauts ergebenden Komplikationen erklären sich aus der Historie des Prozessrechts. Für die Beendigung des Hauptverfahrens gab es nach der ursprünglichen Konzeption der Strafprozessordnung grundsätzlich nur zwei Optionen, nämlich Freispruch oder Verurteilung. Allein für den Fall, dass der erforderliche Strafantrag fehlte oder rechtzeitig zurückgenommen wurde, sah § 259 Abs. 2 StPO a.F. die Einstellung des Verfahrens vor, und auch diese Möglichkeit der Verfahrensbeendigung war im ursprünglichen Entwurf nicht einmal vorgesehen.35 Ihr wurde damals jedoch nicht annähernd die Bedeutung zugemessen, die ihr heute in der Rechtspraxis zukommt – allgemein wurde davon ausgegangen, es handle sich lediglich um eine andere Form der Freisprechung.36 Die jetzige Fassung des § 260

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Siehe bereits die allgemeinen Ausführungen hier ab S. 45. Diese Ergänzung bestand als § 260 Abs. 1 S. 2 StPO bis Mitte der siebziger Jahre fort, wurde dann jedoch durch das Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch vom 02. 03. 1974 (BGBl. I Nr. 22, S. 469 ff.) gestrichen. 32 Dickersbach, Prozessuale Tatsachen, S. 36. Eine ausdrückliche Differenzierung findet sich auch heute noch in der Verfahrensordnung, vgl. v. Spindler, GA 1906, 433 (434) zu § 394 Abs. 1 StPO in der bis 01. 04. 1924 geltenden Fassung, welche dem heutigen § 354 Abs. 1 StPO entspricht. 33 RGSt 20, 46 (49). 34 RGSt 20, 46 (49). Zur weiteren Entwicklung der Rechtsprechung Dickersbach, Prozessuale Tatsachen, S. 36 ff. 35 Hierzu auch OLG Köln bei Alsberg, Bd. 2, Nr. 271 d). 36 Volk, Prozeßvoraussetzungen, S. 161 f. m.N. 31

I. Sachurteile

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Abs. 3 StPO geht auf das Vereinheitlichungsgesetz aus dem Jahre 195037 zurück. Erst Mitte des 20. Jahrhunderts wurde demnach der in der Zwischenzeit gefestigten38 Lehre von den Prozessvoraussetzungen Rechnung getragen, nach der eben auch andere Hindernisse das Prozessieren an sich verbieten.39 Die hierdurch bestehende Möglichkeit der Verfahrenseinstellung durch Urteil wurde bei den nachfolgenden Änderungsvorhaben nicht stets berücksichtigt. Auch die kostenrechtliche Regelung des § 467 Abs. 1 StPO wurde erst im Jahre 196440 dahingehend erweitert, dass nunmehr auch bei Einstellung des Verfahrens die Kostentragungspflicht des Angeschuldigten entfallen kann. Vor dieser gesetzlichen Änderung erfolgte die Gleichstellung im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung.41 Insbesondere aber schlugen sich die Änderungen nicht bis in die Regelungen zum Wiederaufnahmeverfahren durch.42 Damit ist zumindest die Annahme widerlegt, der Gesetzgeber habe durch die in § 359 Nr. 5 StPO getroffene Wortwahl eine auf Verfahrenseinstellung gerichtete Wiederaufnahme unterbinden wollen.43 Für die Überlegung, den Freispruch der Einstellung des Verfahrens gleichzustellen, spricht die weitere Normhistorie des § 359 StPO. Durch die Dritte Verordnung zur Vereinfachung der Strafrechtspflege vom 29. 05. 194344 erfuhr das Wiederaufnahmerecht weitreichende Modifikationen mit dem Ergebnis der Erleichterung der Wiederaufnahmemöglichkeiten. Damit verbunden waren zum einen drastische Änderungen betreffend die Wiederaufnahme zuungunsten des Angeklagten, welche nun allgemein auch aufgrund neuer Tatsachen oder Beweismittel betrieben werden konnte.45 Darüber hinaus veränderte sich jedoch auch der Wortlaut des heutigen § 359 StPO hinsichtlich der Wiederaufnahme zugunsten. Die damalige Fassung erlaubte die auf das Vorliegen von nova gestützte Wiederaufnahme zugunsten, wenn 37 Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete der Gerichtsverfassung, der bürgerlichen Rechtspflege, des Strafverfahrens und des Kostenrechts v. 12. 09. 1950, BGBl. I Nr. 40, S. 455 ff. 38 Die Lehre von den Prozessvoraussetzungen wurde zunächst im Zivilrecht entwickelt und dann durch v. Kries, ZStW 5 [1885], 1 ff. auf den Strafprozess übertragen, hierzu auch Grossmann, Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses, S. 21. 39 BGHSt 15, 203 (207 f.); LR-Stuckenberg, § 260 Rn. 112. Einige Jahre zuvor war durch Verordnung vom 13. 08. 1942, RGBl. I Nr. 86, S. 512 (513) eine dem heutigen § 206a StPO entsprechende Vorschrift eingeführt worden. 40 BGBl. I Nr. 63, S. 1067 (1079). 41 BGHSt 13, 75 (77 ff.); KG VRS 22 [1962], 120 (121); OLG Hamm JMBlNW 1962, 166 (167). Auch heute noch wird im Übrigen gefordert, dass für den Eintritt der Kostenfolge die Einstellung dem Freispruch oder der Ablehnung der Eröffnung gleichstehen müsse, vgl. LG Koblenz StV 1997, 35; KK-Gieg, § 467 Rn. 2. 42 OLG Köln bei Alsberg, Bd. 2, Nr. 271 d); Volk, Prozeßvoraussetzungen, S. 162 in Fn. 299. Auch BT-Drs. 13/3594, S. 9 (r. Sp.) konzediert hier eine „Lücke“. 43 So auch Dickersbach, Prozessuale Tatsachen, S. 44. 44 RGBl. I Nr. 57, S. 342 ff. 45 § 359 Abs. 1 Nr. 2 StPO in der Fassung vom 15. 06. 1943 bis 01. 10. 1950. Die erneute Verfolgung musste zudem gemäß Abs. 2 der Vorschrift „zum Schutze des Volkes notwendig“ sein.

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

diese geeignet waren, „die Freisprechung eines Verurteilten oder eine wesentlich mildere Ahndung oder statt der Verurteilung die Einstellung des Verfahrens zu begründen“. Diese Wortlautänderung wurde durch das Vereinheitlichungsgesetz nicht übernommen.46 Weder die Einbeziehung der wesentlich milderen Ahndung noch die der Einstellung als zulässige Ziele der Wiederaufnahme zugunsten erscheinen für sich genommen jedoch ideologisch geprägt.47 Vielmehr wurde die schon durch das Reichsgericht vertretene Auffassung, die Ziele seien weit im Sinne von für den Angeklagten insgesamt günstigen Entscheidungen zu verstehen, in das Gesetz übernommen. Dies dürfte auch grundsätzlich noch mit dem allgemeinen Sprachgebrauch in Einklang stehen, der unter einem „Freispruch“ durchaus eine richterliche Erkenntnis versteht, die den Angeklagten vor der Strafverfolgung und Strafvollstreckung bewahrt.48 Auch ein Erst-Recht-Schluss aus der zweiten Alternative, der geringeren Bestrafung in Anwendung eines milderen Strafgesetzes, spricht für die Gleichstellung – es ist nicht nachvollziehbar, warum das Gesetz einen Angeklagten, der überhaupt nicht hätte bestraft werden dürfen, schlechter stellen sollte als den zu Recht, wenngleich zu hart Verurteilten.49 Hinzu kommt ein weiteres Argument. Die richterrechtlich entwickelte Grenzziehung zwischen Strafbarkeits- und Prozessvoraussetzungen ist weder eindeutig noch zwingend. Wie gerade der Fall der Strafunmündigkeit zeigt, enthält ein Merkmal oftmals sowohl einen materiell-rechtlichen (das Kind ist nicht schuldfähig, die Tat nicht strafbar) als auch einen prozessrechtlichen Charakter (das Verfahren darf nicht geführt werden). Aufgrund der Tatsache, dass die Prozessvoraussetzungen als solche nicht gesetzlich normiert sind,50 sollte die Eröffnung der Korrekturmöglichkeit im Wiederaufnahmeverfahren nicht von der aktuellen Einschätzung betreffend die Folgen des Mangels (Freispruch oder Einstellung) und damit von technisch-juristischen Fragen abhängen.51 Dass das Gericht im vorangegangenen Verfahren angesichts der nunmehr vorgetragenen Beweisergebnisse nach §§ 260 46 Im Reformentwurf zum Wiederaufnahmerecht aus dem Jahre 1993 sollte die Verfahrenseinstellung allerdings wieder in den Kreis der wiederaufnahmerechtlich relevanten Entscheidungen aufgenommen werden, vgl. BT-Drs. 12/6219, S. 3 u. ebenso der Reformentwurf von 1996, BT-Drs. 13/3594, S. 3. 47 Bereits der Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuch und zum Strafvollzugsgesetz von 1930 erwähnte die Einstellung neben der Freisprechung, hierzu Dippel, GA 1972, 97 (112 f.). 48 So auch Dickersbach, Prozessuale Tatsachen, S. 43. 49 Zu diesem verbreiteten Argument etwa v. Spindler, GA 1906, 433 (435); Dickersbach Prozessuale Tatsachen, S. 50 f.; Neumann, System der Wiederaufnahme, S. 53 f. 50 Positiv ist dies insoweit, als damit eine flexible Reaktionsmöglichkeit auf neue Entwicklungen ermöglicht wird; andererseits wirft jedes Auftauchen eines neuen Fehlertyps (als Beispiele seien genannt etwa der Lockspitzeleinsatz oder die konventionswidrige Verfahrensverschleppung) die Frage nach der Grenzziehung zwischen „bloßem“ Verfahrensfehler und Verfahrenshindernis neu auf. Zur Schwierigkeit einer graduellen Abstufung auch Wasserburg/ Eschelbach, GA 2003, 335 (345). 51 Dickersbach, Prozessuale Tatsachen, S. 54 f.; Peters, Fehlerquellen Bd. 3, S. 57.

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Abs. 3, 206a StPO dieses hätte einstellen müssen, ist demnach ein geeignetes Vorbringen im Rahmen des § 359 Nr. 5 StPO. Demnach lässt sich das Urteil im Wege der Wiederaufnahme korrigieren, ohne dass die erheblichen Bedenken im Hinblick auf die Rechtssicherheit eintreten, die mit der Behandlung derartiger Urteile als nichtig oder mit dem Rückgriff auf das Gnadenverfahren verbunden wären. b) Verjährung der Tat Mit Ablauf der Verjährungsfrist endet der staatliche Strafanspruch. Die Verjährung der Verfolgung der Tat stellt ein von Amts wegen in allen Verfahrensstadien zu prüfendes, nicht behebbares Verfahrenshindernis dar.52 Schon die Einleitung des Strafverfahrens verbietet sich, die Eröffnung des Hauptverfahrens muss nach § 204 StPO abgelehnt werden. Wird das Verfahren dennoch anhängig, ist nach § 260 Abs. 3 StPO respektive außerhalb der Hauptverhandlung im Beschlusswege über § 206a StPO einzustellen.53 Wird hingegen irrtümlich die Verjährung der Tat angenommen, so ist die die Einstellung verfügende Entscheidung fehlerhaft. Dieses wird erst im Rahmen der Prozessurteile relevant (S. 162 ff.). Hier interessiert die folgende Konstellation: Das Gericht kennt zum Zeitpunkt seiner Entscheidung Umstände nicht, die das Verdikt der Verjährung begründen. Dies kann etwa auf einer mangelhaften Dokumentation im Hinblick auf den Zeitpunkt der Tat (§ 8 StGB), das Ruhen der Verjährung (§ 78b StGB) oder die Vornahme verjährungsunterbrechender Handlungen beruhen. Eine Verquickung mit den Feststellungen zur Schuldfrage entsteht, wenn die Verjährung zu Unrecht verneint wird, weil die Tat fälschlich als schwerwiegender bewertet wird, insbesondere weil das Gericht irrtümlich von der Verwirklichung qualifizierender Umstände ausgeht.54 Hiervon ist wiederum der Fall abzugrenzen, dass das Gericht eine längere Verjährungsfrist annimmt als für die jeweilige Tat nach § 78 Abs. 2, 3 StGB vorgesehen, etwa davon ausgeht, dass vorsätzliche Tötungsdelikte allgemein nicht der Verjährung unterworfen sind.55 Dann liegt keine aus tatsächlichen, sondern aus rechtlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung vor, die in Teil D. gesondert behandelt wird. 52

So die h.M., vgl. RGSt 66, 328; 76, 159 (160); BGHSt 4, 226 (227); 18, 274 (278 f.); differenzierend hingegen der Ansatz von Meyer-Goßner (nur auf zulässig erhobener Sachrüge hin), vgl. dazu Meyer-Goßner/Schmitt, Einl. Rn. 150 u. ders., Prozessvoraussetzungen, S. 41 ff. 53 Zu den Ausnahmen (Vorrang der Sachentscheidung vor der Verfahrenseinstellung) etwa Sch/Sch-Sternberg-Lieben/Bosch, Vor § 78 StGB Rn. 4 und SK-Velten/Schlüchter, § 260 Rn. 52 m.w.N und hier ab S. 267. 54 So etwa im Fall BGH NStZ-RR 2010, 374, wo anstelle des (bereits verjährten) einfachen Diebstahls nach § 242 StGB das Vorliegen eines Wohnungseinbruchdiebstahls (§ 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB) bejaht wurde. „Verquickung“ deshalb, da der Vortrag entlastende Umstände betrifft, die in Anwendung eines milderen Strafgesetzes eine geringere Bestrafung begründen könnten, im Ergebnis jedoch zur Einstellung des Verfahrens wegen der nichtqualifizierten Tat führen. 55 Vgl. jedoch Schöneborn, MDR 1975, 6 (11), der davon ausgeht, dass Rechtskenntnis hinsichtlich der Verjährungsfristen grundsätzlich unterstellt werden kann.

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

Die Anwendbarkeit des Wiederaufnahmeverfahrens für den Fall der aufgrund einer defizitären Erkenntnisgrundlage verkannten Verjährung wurde erst kürzlich vom Fünften Strafsenat des Bundesgerichtshofs obiter dictum bejaht: Zur Berücksichtigung neuer Tatsachen, nach denen sich die prozessuale Tat als verjährt darstellen könnte, sei (allein) das Wiederaufnahmeverfahren geeignet.56 Auch nach der Konzeption von Peters sollen im Rahmen des § 359 Nr. 5 StPO neben Sachverhaltsund Beweismitteltatsachen, die den festgestellten Sachverhalt beziehungsweise den Wert der verwendeten Beweismittel und damit die Frage betreffen, ob der Verurteilte wegen der vorgeworfenen Tat tatsächlich strafbar ist, auch solche Tatsachen berücksichtigungsfähig sein, die die Sachverhaltsfeststellung, genauer das objektiv richtige Verhalten des Beurteilenden, den objektiv einwandfreien Vorgang der richterlichen Entscheidungsfindung betreffen.57 Dies sind Prozesstatsachen, Umstände, die dem Richter erst die Möglichkeit des Sachurteils eröffnen und somit das Vorliegen beziehungsweise Nichtvorliegen von Prozessvoraussetzungen und Prozesshindernissen betreffen.58 Die heute herrschende Ansicht in der Literatur hält Wiederaufnahmevorbringen betreffend die Verjährung der abgeurteilten Tat ebenfalls für zulässig. Die Begründung freilich variiert, abgestellt wird etwa auf „Urteilsgleichheit“59, die strafklageverbrauchende Wirkung der auf Verjährung gestützten Einstellungsentscheidung60, auf die Endgültigkeit der Einstellung61, auf den unmittelbaren Bezug dieser Sachurteilsvoraussetzung zur Tat62 oder auf die Verletzung elementarer Prozessprinzipien63. Anders als zuvor ist zumindest der Bezug zur Schuldfrage nicht eindeutig. Die dogmatische Rechtfertigung des Instituts der Verjährung ist umstritten, sie wird teils aus dem Schwinden der materiellen Strafberechtigung, aber auch verfahrensrechtlich aus der Vergänglichkeit der Beweismittel („Beweismittelschwund“) abgeleitet,

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BGH wistra 2011, 27 (28). Peters, Fehlerquellen Bd. 3, S. 57 ff. und Abb. auf S. 71; zusammenfassend ders., Strafprozeß, S. 674. 58 Daneben sollen auch sog. wissenschaftliche Tatsachen (Gültigkeit von Denkgesetzen und zwingende Erfahrungssätze) und Rechtstatsachen (von subjektiven Bewertungen unabhängige Rechtsregeln) unter den Tatsachenbegriff fallen, zu letzteren ausführlich hier ab S. 231. 59 Wasserburg, Wiederaufnahme, S. 329; in diese Richtung auch Stoffers, ZRP 1978, 173 (176 f.), der sogar eine Aufnahm dieses „Wiederaufnahmeziels“ in die gesetzliche Regelung für entbehrlich hält, da der Begriff der Freisprechung allgemein nicht wörtlich genommen werde. 60 LR-Gössel, § 359 Rn. 67; Eisenberg, Beweisrecht, Rn. 438a in Fn. 27. 61 AK-Loos, § 359 Rn. 13; BeckOK-Singelnstein, § 359 Rn. 31; SSW-Kaspar, § 359 Rn. 4; Mayer, GerS 99 [1930] 299 (337 f.); Peters, Fehlerquellen Bd. 3, S. 90. 62 HK-Temming, § 359 Rn. 27; KK-Schmidt, § 359 Rn. 34; Meyer-Goßner/Schmitt, § 359 Rn. 39; Pfeiffer, § 359 Rn. 13; Radtke/Hohmann-Hohmann, § 359 Rn. 42. 63 Marxen/Tiemann, Wiederaufnahme, Rn. 81, die allerdings zugleich auch auf die dauerhafte Verfahrensbeendigung abstellen (Rn. 79). 57

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sodass ihr häufig ein Doppelcharakter attestiert wird.64 Ein Unrechtsaufhebungsgrund, bei dessen Vorliegen auf Freispruch zu erkennen sei, läge jedenfalls nicht vor.65 Betrifft die Verjährung die Schuldfrage also nach überwiegender Ansicht nicht, so stellt sich die Frage, ob überhaupt zu fordern ist, dass die nova im Rahmen des § 359 Nr. 5 StPO einen Bezug zur Schuldfrage aufweisen. Bereits zuvor wurde herausgestellt, dass der erst durch die Rechtsprechung entwickelte Grundsatz, dass bei Fehlen der Verfahrensvoraussetzungen das Verfahren einzustellen und nicht etwa freizusprechen ist, in die Ursprungsfassung der Strafprozessordnung noch keinen Einzug halten konnte. Eine fehlerhafte Verurteilung beruhte also nach damaligem Verständnis, vom Nichtvorliegen beziehungsweise der Rücknahme eines für die Verfolgbarkeit entscheidenden Strafantrags einmal abgesehen,66 auf der fehlerhaften gerichtlichen Überzeugung in Bezug auf die Schuldfrage. Konsequenterweise wurde dies dann auch zum Angriffspunkt der Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten. So heißt es in den Motiven zum Entwurf des § 320 Nr. 5 StPO, aus dem der heutige § 359 Nr. 5 StPO hervorging, der Entwurf habe dem Grundsatz Ausdruck gegeben, dass „einer nochmaligen Prüfung der Schuldfrage die Rechtskraft nicht entgegenstehen darf, wenn neue Thatsachen oder Beweismittel vorliegen, nach welchen die ausgesprochene Verurtheilung als begründet nicht ferner erachtet werden kann“67. Die in der vorangegangenen Konstellation der Strafunmündigkeit gezogene Parallele von Freispruch und Einstellung im Rahmen des § 359 Nr. 5 StPO korrespondiert mit der Vorstellung, dass § 359 Nr. 5 StPO nach dem Willen des Gesetzgebers nur die Schuldfrage betreffende Umstände umfasse.68 Auch das Reichsgericht konstatiert, es stünde außer Zweifel, dass weder der offenbarste Verstoß gegen das materielle Recht noch die Verkümmerung des klarsten Prozessrechts – von § 399 Nr. 3 StPO (nunmehr § 359 Nr. 3 StPO) einmal abgesehen – den Rechtsbestand des Urteils infrage stellen könne; Tendenz des Wiederaufnahmegesuches müsse die Freisprechung von Schuld sein.69 64 Eingehend zur „Lehre von der Doppelnatur“ Schäfer, Strafprozeßrecht, Einl. Kap. 12 Rn. 79 ff.; vgl. auch BGHSt 18, 274 (278); MüKo(StGB)-Mitsch, § 78 Rn. 1 ff; Peters, Strafprozeß, S. 11; ders., ZStW 68 [1956], 374 (386). 65 RGSt 41, 167 und 76, 159 (160): an der Schuld des Täters und an seiner Strafbarkeit ändere der bloße Zeitablauf nichts. 66 Dazu bereits zuvor auf S. 86. 67 Materialien Bd. 3 Abtl. 1, S. 262 f. 68 LR20-Kohlhaas, § 359 Rn. 21; Peters, FS Kern, S. 335 (339). Auch nach Ansicht von Peters berührt das Wiederaufnahmeverfahren „im Kern“ die mangelhafte Beweisgrundlage, vgl. auch Peters, Strafprozeß, S. 668 und ders., Fehlerquellen Bd. 2, S. 318; zust. etwa Dippel, GA 1972, 97 (104). A.A. bereits Olbricht, GA 1901, 100 (107), nach dessen Ansicht den Materialien und Beratungen nicht zu entnehmen sei, dass der Gesetzgeber lediglich eine erneute Erörterung der Schuldfrage habe zulassen wollen. Vgl. hierzu auch Binding, Strafprozeß, S. 339 („Frage der Strafbarkeit“); Mayer, GerS 99 [1930] 299 (337 f.) und Krüger, Überprüfung der tatsächlichen Grundlagen durch das Revisionsgericht, S. 118. 69 RGSt 19, 321 (323); Eb. Schmidt, Lehrkommentar II Vor § 359 Rn. 7. Krit. zu dieser unbewiesenen Behauptung v. Kries, Lehrbuch des Deutschen Strafprozeßrechts, S. 706 in Fn. 1.

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

Verfahrenshindernisse jedoch betreffen nicht die Schuldfrage, sie verbieten eine Entscheidung zu ihr. Im Ergebnis hieße das, dass fehlerhafte Feststellungen in Bezug auf die Schuldfrage im Rahmen des Wiederaufnahmeverfahrens angegriffen werden können, nicht jedoch die Tatsache, dass diese, ob fehlerhaft oder nicht, überhaupt gar nicht erst hätten erfolgen dürfen. Historische Argumente hinsichtlich der ursprünglichen Konzeption der Verfahrensordnung überzeugen zur Rechtfertigung einer derartigen Ungleichbehandlung der Fälle knapp 140 Jahre nach Inkrafttreten und entsprechender Weiterentwicklung der Verfahrensordnung nicht.70 Die prinzipiell verbindliche historische Auslegung stößt dort an ihre Grenzen, wo angesichts eines Wandels der Strukturen ein derartiger „Machtanspruch“ keine Anerkennung mehr verdient.71 Zudem lassen sich die „schuldbezogenen“ Prozessvoraussetzungen schwerlich von den „sonstigen“ Verfahrenshindernissen trennen, da die Nähe zum Täterverhalten nicht hinreichend abstrakt bestimmbar ist.72 Einen Schuldfragebezug fordert der Wortlaut nicht, und die Systematik spricht dagegen. So kann sich zum einen die Wiederaufnahme auch gegen ein Revisionsurteil richten, also gegen eine Entscheidung, die zur Schuldfrage überhaupt nicht Stellung nimmt.73 §§ 359 Nrn. 1 – 3, 362 Nrn. 1 – 3 StPO zeigen, dass die Wiederaufnahme insgesamt jedenfalls nicht auf die Schuld- und Straffrage beschränkt ist, sondern vielmehr auch ein ordnungsgemäßes Verfahren gewährleisten will.74 Würde sich das Protokoll, welches die die Verjährung unterbrechenden Akte bekundet, als Fälschung herausstellen, wäre an eine Wiederaufnahme nach § 359 Nr. 1 StPO zu denken. Denn während früher vertreten wurde, dass Dokumente, die allein Einfluss auf prozessuale Entscheidungen haben, nicht unter § 359 Nr. 1 StPO fallen können,75 besteht heute Einigkeit, dass deren Einsatz zur Einflussnahme auf die Entscheidung über das Vorliegen der Verfahrensvoraussetzung genügt, ein Bezug zur Sachentscheidung wird nicht mehr für erforderlich gehalten.76 Dies legt auch die Fassung des § 370 Abs. 1 StPO nahe, die neutral von „auf die Entscheidung Einfluß gehabt“ spricht.

70 Krit. hierzu bereits Olbricht, GA 1901, 100 (101 ff.). Dieser zieht darüber hinaus eine Parallele zu § 210 StPO a.F. (jetzt § 211 StPO), dort subsumiere man auch andere als lediglich sog. Beweistatsachen, wenngleich die Normen „zwei ganz verschiedene Dinge“ beträfen (S. 108). 71 Schünemann, ZStW 84 [1972], 870 (889); vgl. auch Larenz, Methodenlehre, S. 328 ff. 72 Geppert, GA 1972, 165 (178); Marxen/Tiemann, Wiederaufnahme, Rn. 80; Peters, Strafprozeß, S. 676. 73 v. Kries, Lehrbuch des Deutschen Strafprozeßrechts, S. 706 in Fn. 1; Neumann, System der Wiederaufnahme, S. 22 f. 74 Geppert, GA 1972, 165 (179) und bereits LR20-Kohlhaas, Vor § 359 Rn. 3a, vgl. jedoch demgegenüber die Ausführungen zu § 359 StPO in Rn. 21. 75 v. Henting, Wiederaufnahmerecht S. 60; im Ergebnis wohl auch RGSt 19, 321 (323). 76 KK-Schmidt, § 359 Rn. 8; KMR-Eschelbach, § 359 Rn. 56; LR-Gössel, § 359 Rn. 25; Neumann, System der Wiederaufnahme, S. 22; Wasserburg, Wiederaufnahme, S. 279. Ob das auch bei Beeinflussung anderer Verfahrensfragen gilt, ist ungeklärt, befürwortend KMREschelbach, § 359 Rn. 56; differenzierend LR-Gössel, § 359 Rn. 26.

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Bleibt die Einwirkung auf die Erkenntnisgrundlage unterhalb dieser Schwelle, differieren die Sachverhalte dennoch nicht in einem Maße, dass eine Ungleichbehandlung zu rechtfertigen ist.77 Im Rahmen der erneuerten Hauptverhandlung bestehen zudem keine Einschränkungen hinsichtlich der möglichen Entscheidung, es ist gemäß § 373 Abs. 1 StPO „anderweit in der Sache zu erkennen“, weshalb allseitig davon ausgegangen wird, dass eben auch die endgültige Verfahrenseinstellung eine mögliche Entscheidung im wiederaufgenommenen Verfahren darstellt.78 Dass dies dann wiederum doch eingeschränkt nur dann der Fall sein könnte, wenn sich die Wiederaufnahme auf die zuvor genannten Ziffern stützt, ist nicht plausibel. Auch kann nicht verlangt werden, dass der Verurteilte gleichsam die Verfahrenseinstellung nur durch die Hintertür erreichen kann, also dann, wenn es ihm zusätzlich gelingt, schuldfragerelevante nova vorzutragen und die Wiederaufnahme über § 359 Nr. 5 StPO zu erreichen.79 Der Bezug zur Schuldfrage kann somit nicht Charakteristikum der nova im Rahmen des § 359 Nr. 5 StPO sein, er ist weder vom Wortlaut der Norm vorgeschrieben, noch aus systematischen, historischen oder teleologischen Gründen zu fordern. Aus der Zulassung der Wiederaufnahme zugunsten beim Vorliegen neuer Tatsachen oder Beweismittel ergibt sich, dass der Gesetzgeber der wahrheitsgemäßen Aufklärung der Entscheidungsgrundlage entscheidendes Gewicht beimisst.80 Dieses Interesse besteht hinsichtlich der umfassenden Feststellung verfahrensrelevanter Umstände in keinem geringeren Maße als betreffend die Schuld des Täters. Die Frage, ob überhaupt verurteilt werden darf, wird von beiden Faktoren gleichermaßen bestimmt. Der substantiierte Vortrag, dass die Tat bei Erlass des Ersturteils bereits verjährt war, erschließt eine neue Erkenntnisquelle selbst für den Fall, dass sich die Umstände schon aus dem Aktenmaterial ergeben sollten. Entscheidend ist, wie eingangs dargestellt, die tatsächliche Unkenntnis des Gerichts. Kann der Antragssteller demnach dartun, dass eine etwaige Unterbrechungshandlung nicht oder nicht zum dokumentierten Zeitpunkt stattgefunden hat oder der Beginn der Verjährung (§ 78a StGB) tatsächlich früher lag als angenommen, so steht ihm auch die Wiederaufnahme nach § 359 Nr. 5 StPO offen. Gleiches gilt, wenn sein Vorbringen die materielle Tatseite 77

Vgl. hierzu Olbricht, GA 1901, 100 (104); Dickersbach, Prozessuale Tatsachen, S. 50. Anders offenbar BGHSt 48, 153 (158): angesichts der „besonders schwerwiegenden und im allgemeinen offenkundigen“ Rechtsverstöße sei eine Ungleichbehandlung der verschiedenen Wiederaufnahmegründe sachgerecht. Hierzu auch v. Beling, Reichsstrafprozeßrecht, S. 432 Fn. 1 im Vergleich zu S. 433 Fn. 1. 78 BeckOK-Singelnstein, § 373 Rn. 5 f.; LR-Gössel, § 373 Rn. 17; Meyer-Goßner-Schmitt, § 373 Rn. 4a; SK-Frister, § 373 Rn. 9. 79 Während der angetretene Beweis in der neuen Hauptverhandlung nicht zum Vorrang der Sachenentscheidung führt, erkennt das Gericht das Verfahrenshindernis und stellt gleichwohl das Verfahren ein, hierzu Dickersbach, Prozessuale Tatsachen, S. 52 und Olbricht, GA 1901, 100 (104 f.). Ein derart bedenklicher „Umweg“ wurde von Eb. Schmidt, Lehrkommentar II Vor § 359 Rn. 8. jedoch für den Fall der Gesetzesänderung nach Rechtskraft für probat gehalten (Angriff der Beweisgrundlage, um die Änderung geltend zu machen). 80 Meyer, JZ 1968, 7 (8).

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betrifft, er also Umstände beibringt, bei deren Kenntnis das Gericht im Erstverfahren ein milderes Strafgesetz anzuwenden gehabt hätte mit der Folge, dass das Verfahren wegen dieser (weniger schweren) Tat aufgrund bereits eingetretener Verjährung einzustellen gewesen wäre. c) Strafantragserfordernis Das deutsche Strafrecht kennt zahlreiche Delikte, die teils gänzlich, teils nur unter bestimmten Voraussetzungen als Antragsdelikte konzipiert sind. Eine solche Ausgestaltung kann beispielsweise vor dem Hintergrund erfolgen, die Erörterung von Fragen aus dem Bereich der engeren Privatsphäre im Rahmen einer Hauptverhandlung zu ersparen oder um bestimmte Tatsachen der Öffentlichkeit vorzuenthalten; darüber hinaus handelt es sich um Fälle, die durch ein relativ geringes Maß an Unrecht oder durch eine enge persönliche Beziehung zwischen Täter und Opfer (§ 247 StGB, auf den §§ 263 Abs. 4, 266 Abs. 2 StGB verweisen) gekennzeichnet sind.81 In derartigen Fällen besteht die berechtigte Erwartung, dass die Konfliktbewältigung auch durch ein zivilprozessuales Vorgehen des Antragsberechtigten, durch ein Schlichtungsgespräch oder gänzlich ohne Einbeziehung der Gegenseite durch bloße Verarbeitung des Tatgeschehens erfolgen kann.82 Soll jedoch auf die Rechtsgutsverletzung mit den Mitteln des Strafrechts reagiert werden, ist ein hierauf gerichteter Antrag unabdingbare Verfahrensvoraussetzung, sofern es sich nicht um ein relatives Antragsdelikt handelt, bei dem auch das Vorliegen eines besonderen öffentlichen Interesses die Strafverfolgung ermöglicht (vgl. etwa §§ 183 Abs. 2, 230 Abs. 1 Satz 1, 238 Abs. 4, 248a, 301, 303c StGB). Geht das Gericht irrtümlich von einem wirksam gestellten und auch nicht wieder zurückgenommenen83 Strafantrag aus, wird das Fehlen einer Prozessvoraussetzung84 übersehen. Alternativ besteht auch hier wie im Rahmen der Verjährung die Möglichkeit, dass aufgrund einer fehlerhaften tatsächlichen Erkenntnisgrundlage verkannt wird, dass lediglich ein Antragsdelikt vorlag, ein diesbezüglicher Antrag jedoch nicht gestellt war.85

81 Auch schlagwortartig als Bagatell-, Versöhnungs- und Intimitätsgedanke bezeichnet, hierzu krit. Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, S. 907 f. m.N.; vgl. auch NK-Kargl, Vor § 77 StGB Rn. 8 ff.; Sch/Sch-Sternberg-Lieben/Bosch, § 77 StGB Rn. 5. 82 Krack, Rehabilitierung, S. 252. 83 Dies ist nach § 77d Abs. 1 StGB bis zum rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens möglich. 84 Vgl. nur BGHSt 6, 155 f. Gleiches gilt für das Fehlen des behördlichen Strafverlangens im Fall des § 104a StGB oder der behördlichen Ermächtigung in den Fällen der §§ 90 Abs. 4, 90b Abs. 2, 97 Abs. 3, 104a, 194 Abs. 4, 353a Abs. 2, 353b Abs. 4 StGB; die Ausführungen gelten hierfür entsprechend. 85 Allerdings soll nach Nr. 6 Abs. 2, 3 RiStBV in Fällen, in denen eine von Amts wegen zu verfolgende Straftat zugleich eine nur auf Antrag verfolgbare Tat enthält, auf die entsprechende Antragsstellung hingewirkt werden.

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Die Rechtsprechung gewährt recht großzügig die Möglichkeit zur Nachholung des Strafantrags: Eine solche wird selbst noch nach begonnener Hauptverhandlung und sogar in der Rechtsmittelinstanz für zulässig erachtet,86 sodass das Fehlen vor dem endgültigen Verfahrensabschluss in weitem Maße korrigierbar ist. Ist die mit drei Monaten ab Kenntnis des Antragsberechtigten bemessene Strafantragsfrist jedoch bereits abgelaufen, führt das Fehlen der Prozessvoraussetzung zur Notwendigkeit der Einstellung des Verfahrens.87 Gleiches gilt in den Fällen der Rücknahme des Strafantrags (vgl. § 77d Abs. 1 Satz 3 StGB), sofern nicht von weiteren Berechtigten die Antragsstellung zu erwarten ist. Die nachträgliche Verneinung des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung seitens der Staatsanwaltschaft führt ebenfalls dazu, dass das Verfahren, sofern nicht zusätzlich Strafantrag angebracht wurde, nach §§ 260 Abs. 3, 206a StPO – und nicht etwa nach § 153 Abs. 2 StPO – eingestellt wird.88 Eine Korrektur nach Rechtskraft über das Wiederaufnahmeverfahren wurde jedoch in einer älteren, aber offensichtlich zeitgeistgeprägten Entscheidung des Kammergerichts ausdrücklich verneint.89 Wiederum wird argumentiert, für die – grundsätzlich befürwortete – Gleichsetzung von Freispruch und Einstellung im Rahmen des § 359 Nr. 5 StPO sei stets ein Bezug zur Schuldfrage erforderlich, was bei Fehlen einer bloß prozessualen Voraussetzung wie des Strafantrags nicht der Fall sei.90 In diese Richtung argumentiert auch das Oberlandesgericht Danzig und setzt hinzu, wenn das Vorhandensein des Strafantrags im Freibeweisverfahren geklärt werden könne, dem Angeklagten hier also bereits von vornherein der Schutz der strafprozessualen Beweisregeln versagt werde, so bestehe kein Anlass, zur Wiederaufrollung der Frage ihm die „Wohltat“ des § 359 Nr. 5 StPO zu gewähren.91 Dagegen vertrat das Oberlandesgericht Köln92 die entgegengesetzte Auffassung mit der Begründung, auch im Rahmen von § 359 Nrn. 1 und 2 StPO seien außerhalb der 86 RGSt 68, 120 (124 f.); 73, 113 (114); BGHSt 3, 73 (74); 6, 155 (157). In gewisser Weise korrespondiert dies mit der ebenfalls großzügig zugelassenen Möglichkeit zur Antragsrücknahme (§ 77d Abs. 1 S. 2 StGB), wenngleich es hierbei lediglich um das nachträgliche Entfallen, nicht um die erstmalige Schaffung einer Prozessvoraussetzung geht. 87 Zur Entscheidung des Gerichts bei „Freispruchreife“ Meyer-Goßner, Prozessvoraussetzungen, S. 34. 88 BGHSt 19, 377 (380); KG NJW 1961, 569 (570). 89 KG Beschl. v. 27. 07. 1934 – 2 Ws 632/34 = JR 1935, 227: ein Wiederaufnahmeverfahren könne immer nur auf die Nachprüfung der Schuldfrage gerichtet sein, die Geltendmachung von Verstößen gegen prozessuale Vorschriften sei unzulässig, schließlich sei „der jetzige Staat auf die Wahrung des Ansehens der Gerichte und ihrer rechtskräftigen Entscheidungen besonders bedacht“. Hierzu deutlich Wasserburg, Wiederaufnahme, S. 308: „Die Begründung, die das KG dafür gibt, liegt allerdings nach geläutertem Rechtsverständnis völlig neben der Sache“. 90 KG JR 1935, 227. 91 OLG Danzig bei Alsberg, Bd. 2, Nr. 271 a). Ebenso zuvor das OLG Braunschweig bei Alsberg, Bd. 2, Nr. 271 b), wenngleich anerkannt wird, dass die Einstellung wegen eines fehlenden, nicht nachholbaren Strafantrags hinsichtlich der dem Angeklagten zuteilwerdenden Schutzfunktion dem Freispruch gleichkomme. 92 OLG Köln bei Alsberg, Bd. 2, Nr. 271 d).

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

Schuldfrage liegende Beweisgrundlagen angreifbar, eine Ungleichbehandlung sei als unbillige Härte mit der im Zentrum des Wiederaufnahmeverfahrens stehenden Gerechtigkeitsidee unvereinbar. Materiell ungerecht und gleichsam das materielle Schutzrecht des Angeklagten verletzend sei auch eine Verurteilung trotz Fehlen einer für Beginn und Fortsetzung des Verfahrens erforderlichen Voraussetzung. Es steht nicht zur Diskussion, ob dem Verurteilten eine „Wohltat“ zu gewähren ist, sondern wie das Fehlen einer elementaren Prozessvoraussetzung im Bereich der Antragsdelikte und damit eine unzulässige Verurteilung korrigiert werden kann. Die Form der Beweiserhebung in der Hauptverhandlung kann nur insofern mittelbare Aussagen zum Wiederaufnahmeverfahren treffen, als das Freibeweisverfahren betreffend Feststellungen hinsichtlich der Schuld- oder Rechtsfolgenfrage ausgeschlossen ist.93 Insofern lässt sich die Argumentation des Oberlandesgerichts Danzig dahingehend deuten, dass die (hypothetische) Anwendbarkeit des Freibeweisverfahrens im Rahmen der Hauptverhandlung eine Aussage darüber enthält, ob das Vorbringen die Schuldfrage betrifft. Nicht ernstlich kann jedoch davon ausgegangen werden, der Verzicht auf die Einhaltung strenger Förmlichkeiten bei der Beweiserhebung treffe hinsichtlich des Schutzbedürfnisses des Angeklagten vor einer diesbezüglich fehlerhaften Feststellung irgendeine Aussage. Wenn dem Gericht gestattet ist, hinsichtlich Auswahl und Heranziehung von Beweismitteln nach pflichtgemäßem Ermessen ohne feste Bindung an die Grundsätze der Mündlichkeit, Unmittelbarkeit und Öffentlichkeit zu entscheiden, so schöpft es bei fortgeltender gerichtlicher Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) weiterhin alle ihm zugänglichen Erkenntnisquellen aus. Dass fehlerhafte Feststellungen in diesem Bereich „verzeihlicher“ oder weniger folgenschwer sind, wird dadurch nicht erklärt. In der Tat handelt es sich allerdings hinsichtlich des Fehlens des Strafantrags um eine Prozessvoraussetzung, die die Schuldfrage nicht betrifft.94 Dies ändert jedoch nichts an der Anwendbarkeit des Wiederaufnahmeverfahrens; die Entbehrlichkeit dieses Bezuges wurde im Rahmen der letzten Konstellation bereits dargelegt.95 Gelingt es dem Antragsteller also beizubringen, dass es sich hinsichtlich des bei den Akten befindlichen Strafantrags um eine Fälschung handelt oder eine wirksame Rücknahme des Strafantrags erfolgt ist – hierzu wäre etwa eine Zeugenaussage des Antragsberechtigten ein geeigneter Beweis – steht jedenfalls die Wiederaufnahme nach § 359 Nr. 5 StPO zur Verfügung. Entsprechend können auch entlastende Umstände beigebracht werden, die die materielle Tatseite betreffen, sodass das Gericht im Erstverfahren allein wegen eines Antragsdelikts hätte verurteilen können.96 Bei Vorliegen eines absoluten Antragsdelikts beziehungsweise Nichtvorliegen 93 Vgl. KK-Krehl, § 244 Rn. 8; SK-Frister, § 244 Rn. 44; Eisenberg Beweisrecht, Rn. 35 ff. Dagegen wird nach st. Rspr. das Vorliegen der Verfahrensvoraussetzungen im Freibeweisverfahren überprüft, vgl. etwa RGSt 38, 39 (40); 45, 128 f; 51, 71 (72); BGHSt 16, 164 (166). 94 Für eine Doppelnatur jedoch insb. SK(StGB)-Rudolphi/Wolter, Vor § 77 Rn. 8 m.w.N. 95 Für die Anwendbarkeit konkret in dieser Konstellation etwa auch Peters, Strafprozeß, S. 676; Wasserburg, Wiederaufnahme, S. 329. 96 Hierzu Neumann, System der Wiederaufnahme, S. 54.

I. Sachurteile

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eines öffentlichen Interesses und Nichtnachholbarkeit des Strafantrags hätte auch hieraus im Ergebnis eine Einstellung des Verfahrens resultieren müssen. Das Vorbringen ist damit von einer die Wiederaufnahme rechtfertigenden Qualität. d) Amnestie Die Anwendbarkeit des Wiederaufnahmeverfahrens wurde in Literatur und Rechtsprechung auch im Falle einer Verurteilung trotz Eingreifen eines Straffreiheitsgesetzes bejaht. Selbiges schafft ein Strafverfolgungshindernis für alle amnestiefähigen Straftaten, sodass die Einleitung oder Fortführung des Verfahrens untersagt ist.97 Daneben sah vor allem die ältere Rechtsprechung in der Amnestie zugleich einen Strafaufhebungsgrund, nahm also auch hier einen Doppelcharakter an.98 Nach früherer Regelungstechnik führte zudem der Eintritt der Amnestie zur Niederschlagung des Verfahrens kraft Gesetzes, sodass sämtliche weitere Prozesshandlungen als nichtig angesehen wurden, während die jüngeren Straffreiheitsgesetze zwischen der gesetzlichen Straffreiheitsgewährung und der ihr folgenden Entscheidung trennen.99 Somit kann nunmehr von einem ganz regulären Verfahrenshindernis ausgegangen werden. Trotz des regelmäßig gegebenen Erfordernisses einer materiell-rechtlichen Würdigung in Bezug auf die Voraussetzungen100 wird das Eingreifen eines Straffreiheitsgesetzes demnach durch eine Formalentscheidung festgestellt, also keine Entscheidung in der Sache getroffen. Die Amnestie erfolgt per Gesetz für eine unübersehbare und unbestimmte, nach Typen gekennzeichnete Zahl von Straftaten – auch wenn typischerweise Einzelfälle Anlass oder Beweggrund für ihre Schaffung sind, sind sie jedenfalls nicht Gegenstand der Regelung.101 Das jüngste Straffreiheitsgesetz im Bereich des allgemeinen Strafrechts stammt aus dem Jahre 1970, es ist mittlerweile aufgehoben.102 Im Bereich des Steuerstrafrechts werden Amnestien jedoch noch immer zur Förderung der Steuerehrlichkeit eingesetzt.103 97

BVerfGE 2, 213 (221); 10, 234 (238 f.); RGSt 69, 124 (126). BGHSt 3, 134 (136); 4, 287 (289); 24, 262 (265); vgl. auch LR-Böttcher, Vor § 12 – 21 GVG Rn. 24. 99 Hierzu Schöneborn, MDR 1975, 6 (8 f.) m.w.N. 100 So schloss bspw. § 9 Abs. 2 StrFG vom 17. 07. 1954 (BGBl. I Nr. 21, S. 203 [205]) die Straffreiheit von Taten aus, die auf Gewinnsucht beruhten oder eine „gemeine Gesinnung“ des Täters erkennen ließen, hierzu Peters, ZStW 68 [1956], 374 (375). 101 Vgl. BVerfGE 2, 213 (222). 102 BGBl. I Nr. 45, S. 509 ff., aufgehoben durch Art. 50 Nr. 2 des Gesetzes über die weitere Bereinigung von Bundesrecht vom 08. 12. 2010 (BGBl. I Nr. 63, S. 1864 [1871 f.]). Anlass war zum einen die Einschränkung des materiellen Strafrechts durch das Dritte Strafrechtsreformgesetz, darüber hinaus betraf es Straftaten, die zwischen 1965 bis 1969 durch politische Demonstrationen oder in ihrem Kontext begangen wurden. 103 Vgl. etwa das Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit / Strafbefreiungserklärungsgesetz (StraBEG) vom 23. 12. 2003, BGBl. I Nr. 66, S. 2928 ff. 98

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

Aus tatsächlichen Gründen kann die Entscheidung in Bezug auf dieses Verfahrenshindernis etwa fehlerhaft sein, wenn aufgrund einer fehlerhaften Sachverhaltsfeststellung die Tat nicht für amnestiefähig gehalten wird.104 Von Relevanz ist ebenso eine fehlerhafte Feststellung im Hinblick auf die Zeit der Tat (§ 8 StGB), sofern das Straffreiheitsgesetz auf einen bestimmten Tatzeitraum abstellt.105 Bereits das Oberlandesgericht Bamberg vertrat in diesem Kontext die Auffassung, es könne nicht der Wille des Gesetzgebers gewesen sein, dass der Angeklagte, dessen Verurteilung überhaupt nicht hätte eintreten können, schlechter gestellt werde als ein zu Recht Verurteilter, dessen Bestrafung nur milder hätte ausfallen müssen und ließ die Wiederaufnahme zu.106Auch in der Literatur wurde angenommen, dass der nachträgliche Vortrag von Tatsachen, die die Anwendung eines zum Zeitpunkt der Verurteilung bereits geltenden Straffreiheitsgesetzes begründen, über § 359 Nr. 5 StPO im Wiederaufnahmeverfahren Berücksichtigung finden kann.107 Mit der Einschränkung, dass die bloße Behauptung des Eingreifens die Wiederaufnahme noch nicht zulässig macht, sondern neue Beweisergebnisse im Hinblick auf die Amnestiefähigkeit angeboten werden müssen, ist dem ebenso wie in den zuvor besprochenen Fallkonstellationen zuzustimmen. e) Verbot der Doppelbestrafung („ne bis in idem“) Das Verbot, wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals zu bestrafen, ergibt sich, obschon der Rechtssatz in der Strafprozessordnung selbst keinen positiven Niederschlag gefunden hat, implizit schon aus den Vorschriften des Vierten Buches der Strafprozessordnung.108 Er hat durch Art. 103 Abs. 3 GG den Rang eines Verfassungsrechtssatzes erhalten,109 seine Grundlage nimmt er jedoch ebenfalls im Rechtsstaatsprinzip: Hat der Staat im Rahmen eines Strafverfahrens über die Tat entschieden, ist der staatliche Strafanspruch verbraucht; das Gebot der Rechtssicherheit fordert, dass die Sache einer endgültigen Erledigung 104

Zur Illustration: Der wegen schwerer Körperverletzung im Rahmen einer der Meinungsbildung in öffentlichen Angelegenheiten dienenden Demonstration Verurteilte hätte nachträglich mittels einer neuen Erkenntnisquelle dartun können, dass er lediglich eine einfache Körperverletzung begangen hat und somit der Ausschluss nach § 2 Abs. 3 Nr. 1 b) StrFG 1970 nicht eingreift. 105 Weitere Fallbeispiele bei Peters, Fehlerquellen Bd. 3, S. 59 f. 106 NJW 1955, 1121 (1122). Für die Zulässigkeit der Wiederaufnahme auch bereits OLG Dresden HRR 1942, Nr. 516. 107 KK-Schmidt, § 359 Rn. 34; LR-Gössel, § 359 Rn. 142 und Vor §§ 359 ff. Rn. 118 u. bereits LR20-Kohlhaas, Vor § 359 Rn. 5; Meyer-Goßner/Schmitt, § 359 Rn. 39; Eb. Schmidt, Lehrkommentar II § 359 Rn. 30; Mittelbach, NJW 1950, 172 (173); Schorn, MDR 1965, 869 (870); Marxen/Tiemann, Wiederaufnahme, Rn. 81; Peters, Fehlerquellen Bd. 3, S. 59. 108 So bereits RGSt 2, 347 (348); 15, 237 (239 f.); vgl. auch Grünwald, ZStW 86 [1974] Beiheft, 94 (96); speziell zu § 362 StPO auch Dünnebier, FG Peters, S. 333 (345 f.) m.N. 109 Vgl. nur BVerfGE 3, 248 (252); 12, 62 (66); BGHSt 5, 323 (328); zur Inkorporation der hergebrachten Vorstellungen vom Grundsatz ne bis in idem auch Schlehofer, GA 1997, 101 f.

I. Sachurteile

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zugeführt wird.110 Auch die vorkonstitutionelle Rechtsprechung sah sich an den rechtsgeschichtlich überlieferten Satz ne bis in idem gebunden; so bejahte das Reichsgericht dessen (Fort)Geltung im deutschen Strafprozess bereits im Jahre 1880.111 Unzulässig ist nach allgemeiner Meinung nicht erst eine zweite Verurteilung, sondern bereits eine zweite Verfolgung der Tat; des Weiteren wird der Schutzbereich über den Wortlaut hinaus („mehrmals bestraft“) auch auf den Freigesprochenen ausgeweitet.112 Während Art. 103 Abs. 3 GG allein die mehrmalige Aburteilung durch innerdeutsche Gerichte betrifft,113 übernimmt dies auf europarechtlicher Ebene Art. 54 SDÜ.114 Nach rechtskräftiger Aburteilung durch eine Vertragspartei, wozu auch der Freispruch und die gerichtliche Einstellung des Verfahrens gehören,115 darf kein weiteres Verfahren durchgeführt werden. Art. 14 Abs. 7 IPbpR und Art. 4 Abs. 1 des Protokolls Nr. 7 zur EMRK116 verbieten ebenfalls die doppelte Verfolgung und Aburteilung von Straftaten innerhalb desselben Staates, für die der Betroffene bereits nach dem Gesetz und Strafverfahrensrecht des betreffenden Staates rechtskräftig abgeurteilt wurde.117 Mit Art. 50 der Grundrechtecharta (GrCh) besteht nunmehr auch eine Regelung über den Strafklageverbrauch im Primärrecht, die enthaltene Garantie geht sogar insofern über die bereits in Art. 54

110

Maunz/Dürig-Schmid-Aßmann, Art. 103 GG Rn. 260. RGSt 2, 347 (348 f.), hierzu auch Herzberg, JuS 1972, 113. Seinen Ursprung hat der Rechtssatz bereits im römischen Strafprozess (Prinzip der res iudicata), zum rechtsgeschichtlichen Hintergrund etwa Zachariae, Handbuch Bd. 2, S. 655 ff.; vgl. auch Graf zu Dohna, Strafprozeßrecht, S. 217 ff. 112 BVerfGE 12, 62 (66); BGHSt 5, 323 (329 f.); 35, 60 (61); 38, 54 (57); 44, 1 (3); BTDrs. 13/3594, S. 7 (r. Sp.); Maunz/Düring-Schmidt-Aßmann, Art. 103 GG Rn. 295; Herzberg, JuS 1972, 113; Radtke, NStZ 2012, 479 (480). Krit. hinsichtlich der Wortlautgrenze Schlehofer, GA 1997, 101 (102), der den Strafklageverbrauch in diesen Fällen jedoch aus einer Analogie herleitet. 113 BVerfGE 12, 62 (66); 75, 1 (15 f.); LR-Esser, Art. 6 EMRK (Art. 14 IPBPR) Rn. 1018. 114 Näher zum transnationalen Strafklageverbrauch Radtke/Busch, NStZ 2003, 281 ff. und Radtke, NStZ 2012, 479 (481 ff.). Allerdings bestehen nicht unerhebliche Einschränkungen durch das ausdrückliche Erfordernis der bereits erfolgten, gerade laufenden oder nicht mehr möglichen Vollstreckung sowie der Möglichkeit nach Art. 55 Abs. 1 SDÜ, in spezifischen Fallgruppen Vorbehalte gegen die Geltung des Grundsatzes zu erklären, vgl. auch BVerfG StraFo 2008, 151 (153 r. Sp.). 115 EuGH Urt. v. 28. 09. 2006 – C-467/04 – Gasparini et al., Slg. 2006, I-09199 Rn. 22 ff. = NJW 2006, 3403 f.; BGH NStZ 2001, 557; OLG Stuttgart StV 2008, 402 (403); BeckOKInhofer, Art. 54 SDÜ Rn. 17 ff.; MüKo(StGB)-Ambos, Vor § 3 Rn. 68. 116 Letzteres von der Bundesrepublik Deutschland allerdings nicht ratifiziert. Zudem enthält auch Art. 4 7. ZP-EMRK in Absatz 2 den Vorbehalt, dass in bestimmten Fällen die Wiederaufnahme des abgeschlossenen Verfahrens möglich bleibt. 117 Vgl. Swoboda, HRRS 2009, 188 (189). Zu ne bis in idem auf internationaler Ebene LREsser, Art. 6 EMRK (Art. 14 IPBPR) Rn. 1023 ff. 111

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

SDÜ enthaltenen Gewährleistungen hinaus, als ein Mehrfachverfolgungsverbot auch innerhalb der einzelnen Mitgliedstaaten aufgestellt wird.118 Erneut sind hier allein die Fälle von Interesse, in denen das Gericht aus tatsächlichen Gründen den Strafklageverbrauch ablehnt, von der Erstverurteilung also keine Kenntnis besitzt. Der Verstoß gegen den Grundsatz ne bis in idem beschäftigt die Rechtspraxis mehr, als man angesichts der Gewichtigkeit des Verbotes der Doppelbestrafung meinen könnte – es handelt sich keineswegs nur um einen Lehrbuchfall.119 Im Material von Peters finden sich 47 Fälle unzulässiger Doppelbestrafung, was immerhin knapp 5 % des von ihm untersuchten Gesamtmaterials ausmacht.120 Eine weitere Fehlerquelle besteht bei der Einbeziehung von Vorverurteilungen im Rahmen der Gesamtstrafenbildung. Konsequenterweise werden die Fälle der mehrfachen Verurteilung wegen ein und derselben Tat und die mehrfache Einbeziehung einer Vorverurteilung in der Praxis gleichbehandelt.121 In beiden Konstellationen wirkt sich dieselbe Tat zweifach negativ aus – der Unterschied liegt lediglich darin, dass der Täter hier nicht zweimal wegen ein und derselben Tat schuldig gesprochen und bestraft wird, sondern nur einmal eine Verurteilung erfolgt, die dann aber durch die zweifache Einbeziehung auf Rechtsfolgenseite gleichsam doppelt zu Buche schlägt.122 Diese zweifache Einbeziehung hat häufig praxisbedingte Gründe: Zwischen Rechtskrafteintritt und Eintragung der Entscheidung ins Bundeszentralregister liegt insbesondere bei Urteilen, deren Absetzung länger dauert und bei denen die Eintragung dementsprechend später verfügt wird, immer ein gewisser Zeitraum. Darüber hinaus erfolgt die obligatorische Anforderung der Registerauskunft teilweise bereits eine gewisse Zeit im Voraus, die Auskunft ist also bei Urteilsfällung nicht mehr zwingend aktuell. In dem sich so ergebenden Zeitfenster könnten sich die tatsächlichen Umstände vom Gericht unbemerkt dahingehend ändern, dass die in Rede stehende Vorverurteilung schon anderweitig einbezogen ist. Potenziert wird dieses Risiko im Bereich der Straftaten mit hoher Verurteilungsfrequenz, bei häufiger Straftatenbegehung und hoher Rückfallquote des Täters (etwa Ladendiebstähle, Verkehrsdelikte oder Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz) sowie durch die Mitwirkung unterschiedlicher Gerichte und unterschiedlicher Staatsanwaltschaften. Resultat ist auch hier ein Verstoß gegen ne bis in idem, wobei wiederum an dieser Stelle nur die Fälle zu betrachten sind, in denen das Gericht im Rahmen der Gesamtstrafenbildung vom anderweitigen Einbezug keine Kenntnis hat. 118

Zum Schutzbereich von Art. 50 GrCh näher Radtke, NStZ 2012, 479 (481 f.). Vgl. auch EuGH Urt. v. 27. 05. 2014 – C-129/14 PPU – Spasic (noch nicht in der Slg. veröffentlicht) = StV 2014, 449 (450) zur Übertragung der Vollstreckungsbedingung des Art. 54 SDÜ. 119 Peters, FS Kern, S. 335 (336), die Fälle der Doppelverurteilungen seien sogar „über Erwarten hoch“. Zurückhaltender Rieß, JR 1981, 522: statistische Rarität, in der absoluten Häufigkeit jedoch „von einigem Gewicht“. 120 Peters, Fehlerquellen Bd. 1, S. 6 u. S. 473 f. 121 OLG Düsseldorf NStZ 1989, 44 (45) m. Anm. Feiber; OLG Saarbrücken NStZ-RR 2003, 180; LG Duisburg NStZ 2004, 104. 122 Hierzu und zu den nachfolgend genannten Gründen Hellebrand, NStZ 2004, 64.

I. Sachurteile

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Wird festgestellt, dass die Sache bereits von einem anderen Gericht rechtskräftig entschieden wurde, wäre das dennoch angestrengte Zweitverfahren aufgrund des Vorliegens eines Verfahrenshindernisses durch Einstellung zu beenden.123 In der Praxis endet jedoch das an sich schon unzulässige Zweitverfahren durchaus mit einer erneuten Verurteilung; häufig wird der Umstand der Doppelverurteilung erst im Strafvollstreckungsverfahren entdeckt.124 Die vorliegende Fallkonstellation ist der wohl prominenteste Fall in der Kasuistik der nichtigen Urteile, teils wird sogar angenommen, sie sei gerade für die Fälle der Doppelbestrafung entwickelt worden.125 Der Verstoß gegen den Grundsatz der Einmaligkeit des Strafverfahrens wiege, sofern die Doppelverurteilung offensichtlich gewesen sei, so schwer, dass das zuletzt ergangene Urteil nichtig sein müsse.126 Die sogenannte „vollstreckungsrechtliche Lösung“ befürwortet, teils in Kombination mit der Urteilsnichtigkeit, eine gerichtliche Entscheidung im Vollstreckungsverfahren nach § 458 Abs. 1 Var. 3 StPO, da die Doppelverurteilung, wie soeben ausgeführt, zumeist gerade in diesem Stadium zu Tage tritt.127 Für die doppelte Einbeziehung im Rahmen der Gesamtstrafenbildung wird eine (analoge) Anwendung des § 460 StPO diskutiert.128 Aufgrund der grundgesetzlichen Verankerung in Art. 103 Abs. 3 GG kommt darüber hinaus die Individualverfassungsbeschwerde in Betracht; erweist sich diese als begründet, wird die Entscheidung nach § 95 Abs. 2 BVerfGG aufgehoben.129 Nach weit verbreiteter Ansicht ist das Problem jedoch über das Wiederaufnahmeverfahren nach §§ 359 ff. StPO zu lösen.130 Welchen Weg die 123 RGSt 62, 153 f.; 72, 99 (102); BGHSt 5, 323 (328). Auf Freispruch darf nicht erkannt werden, auch wenn das Gericht im zweiten Verfahren bezüglich der gesamten prozessualen Tat von der Unschuld überzeugt sein sollte; andernfalls wären zwei sich widersprechende Urteile in der Welt, vgl. Krack, Rehabilitierung, S. 244; Meyer-Goßner, FS Rieß, S. 331 (340). 124 Peters, FS Kern, S. 335 (336); ders., Fehlerquellen Bd. 1, S. 7. 125 Lantzke, ZRP 1970, 201 (203 f.). 126 LG Darmstadt NJW 1968, 1642 (1643); AG Hagen JMBlNW 1969, 184 (185); SSWBeulke, Einl. Rn. 323; Eb. Schmidt, Lehrkommentar II Vor § 359 Rn. 5; Dippel, in: Jescheck/ Meyer, S. 13 (82 in Fn. 326); v. Hippel, Strafprozeß, S. 375 in Fn. 5; Peters, Fehlerquellen Bd. 3, S. 13; ders., Strafprozeß, S. 520 ff.; Ranft, Strafprozeßrecht, Rn. 1873; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 52 Rn. 6. Auch Eisenberg, JR 2007, 360 (362) geht davon aus, dass das zweite Urteil im Falle eines evidenten Verstoßes nichtig sei, allerdings liege eine solche Evidenz nur in den seltensten Fällen vor. 127 Hierfür OLG Koblenz NStZ 1981, 195 = JR 1981, 520 m. abl. Anm. Rieß; Feiber, NStZ 1989, 45 und Meyer-Goßner/Schmitt, § 458 Rn. 9 sowie Meyer-Goßner/Schmitt, § 359 Rn. 39, die jedoch auch die Wiederaufnahme zulassen; ebenso AK-Loos, § 359 Rn. 14; KMR-Stöckel, § 458 Rn. 12; LR20-Niethammer, Einl. § 15 und SK-Paeffgen, § 458 Rn. 9. Zw. Radtke/Hohmann-Baier, § 458 Rn. 6, abl. LR-Graalmann-Scheerer, § 458 Rn. 11. 128 Im Ergebnis abl. OLG Saarbrücken NStZ-RR 2003, 180 (181). 129 LR-Graalmann-Scheerer, § 458 Rn. 11; SSW-Beulke, Einl. Rn. 328; Meyer-Goßner, FS Salger, S. 345 (353); Schäfer, Strafprozeßrecht, Einl. Kap. 12 Rn. 60. 130 BayObLG DStrZ 1917, 439; OLG Jena OLGSt StPO § 458 Nr. 6 S. 4; OLG Saarbrücken NStZ-RR 2003, 180; LG Krefeld NJW 1973, 1205; KK-Schmidt, § 359 Rn. 20; KK-Appl, § 458 Rn. 13 u. ders., FS Tolksdorf, S. 179 (185); LR-Gössel, § 359 Rn. 70; LR-Kühne, Einl. Abschn.

102

C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

Gerichte einschlugen, hing zumindest im von Peters untersuchten Zeitraum seiner Einschätzung nach von den örtlichen Gepflogenheiten ab.131 Mit der Nichtigkeit des Urteils zu arbeiten, birgt zunächst die mit der Theorie der Nichtigkeit generell verknüpften und oben132 bereits dargestellten Probleme. Hinsichtlich der Schwere des Verstoßes ist kein entscheidender Unterschied darin zu erkennen, ob ein Unschuldiger einmal oder ein Schuldiger wegen derselben Tat zweimal verurteilt wird.133 Auch hier kann die Lösung nicht darin liegen, anhand des Kriteriums der Offensichtlichkeit „einfache“ Doppelverurteilungen und komplexe Sachverhalte unterschiedlich zu beurteilen.134 Der Rückgriff ist darüber hinaus auch unnötig, wenn das Verfahren selbst alternative Lösungsmöglichkeiten bietet. Bereits die den Voraussetzungen nach gegebene Möglichkeit der Individualverfassungsbeschwerde gegen ein rechtskräftiges Strafurteil, das gegen das Verbot der Doppelbestrafung verstößt, schließt die Annahme von Urteilsnichtigkeit aus.135 Ebenso ist der Verweis auf den Gnadenweg zur Beseitigung insbesondere der registerrechtlichen Folgeproblematik weder sachdienlich noch zumutbar.136 Die vollstreckungsrechtliche Lösung führt ebenfalls zu keinem befriedigenden Ergebnis. Das Problem liegt zum einen darin, dass die Herleitung der „Einwendung“ nicht aus der Verfahrensordnung, sondern direkt aus Art. 103 Abs. 3 GG erfolgt, der die mehrfache Bestrafung verbietet, über ein Verbot der „Doppelvollstreckung“ jedoch nichts aussagt.137 Darüber hinaus ist die Beurteilung des Vorliegens einer unzulässigen Doppelbestrafung unter Umständen derart diffizil, dass die Aufdeckung des Verstoßes dem Betroffenen nicht gelingt. Einwendungsberechtigt sind jedoch lediglich der Verurteilte, sein Bevollmächtigter, gesetzliche Vertreter sowie K Rn. 119; Pfeiffer, § 359 Rn. 6 u. 13; Radtke/Hohmann-Hohmann, § 359 Rn. 42; Grünwald, ZStW 76 [1964] 250 (259); Maatz, MDR 1986, 285 (287 f.); Eisenberg, Beweisrecht, Rn. 438; Marxen/Tiemann, Wiederaufnahme, Rn. 82 f.; Neumann, System der Wiederaufnahme, S. 62 f.; Schlüchter, Strafverfahren, Rn 769.3; Wasserburg, Wiederaufnahme, S. 306 f. Angedeutet auch bereits bei Olbricht, GA 1901, 100 (108). 131 Peters, FS Kern, S. 335 (337). 132 S. 29 ff. 133 So treffend das OLG Koblenz NStZ 1981, 195 = JR 1981, 520. 134 So bereits Sarstedt, JR 1955, 351 (352), man dürfe dem Verstoß gegen ne bis in idem außerdem nicht nur deshalb ein derartiges Gewicht beimessen, weil er seltener sei oder begrifflich monströs erscheine. Anders jedoch Peters, Fehlerquellen Bd. 3, S.13. 135 So zutreffend LG Hannover NJW 1970, 288 (290). 136 LG Stuttgart NStZ 1997, 455; Hellebrand, NStZ 2004, 64 (65): „vollends indiskutabel“; Peters, FS Kern, S. 335 (341): „schwerfällig und verwickelt“. 137 Rieß, JR 1981, 522 (523), der zudem darauf hinweist, dass bei Anerkennung eines derartigen Vollstreckungshindernisses nicht primär das Gericht, sondern in erster Linie die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde auf den Plan gerufen wäre und man sich dadurch „in gefährliche Nähe“ zur Nichtigkeit der Entscheidung begeben würde. Das OLG Koblenz hatte in seinem vorstehenden Beschluss (JR 1981, 520 [521]), auf den sich die Anmerkung bezieht, hingegen argumentiert, dem Verbot des Art. 103 Abs. 3 GG käme seinem Sinn nach eine Doppelfunktion hinsichtlich Verfahren und Vollstreckung zu.

I. Sachurteile

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Nebenbeteiligte, nach überwiegender Ansicht nicht die Vollstreckungsbehörde selbst, obwohl diese offenbar an vorderster Front steht, wenn es um die Aufdeckung von Doppelverurteilungen geht.138 Das Hauptargument ist jedoch, dass auf diesem Wege die Fehlentscheidung selbst nicht beseitigt werden kann.139 Sie bleibt existent, was im Falle eines Verstoßes gegen ne bis in idem der Bedeutung dieses Grundsatzes nicht gerecht wird, der schon den Anschein einer weiteren Verurteilung verbietet.140 Auch eine Änderung des Urteilstenors im Falle der mehrfachen Einbeziehung in eine Gesamtstrafe und deren Neubildung ist über § 458 Abs. 1 Var. 3 StPO nicht möglich.141 Es ließe sich allein die Feststellung treffen, dass aus dem Urteil nur eine geringere Freiheitsstrafe vollstreckt werden könnte, wo hingegen sich der Wegfall der Einbeziehung nur inzidenter aus den Gründen ergeben würde. Auch die analoge Anwendung des § 460 StPO überzeugt nicht. Erforderlich ist die Analogie, da § 460 StPO eine unterbliebene Gesamtstrafenbildung voraussetzt, der Verstoß gegen ne bis in idem aber gerade bei Bildung der Gesamtstrafe unterlief und gerade diese Entscheidung korrigiert werden soll. Mit „Gründen der Praktikabilität” allein kann eine analoge Anwendung nicht gerechtfertigt werden.142 Es fehlt an der notwendigen Regelungslücke, da die Korrektur der gegen das Verbot der Doppelbestrafung verstoßenden Entscheidung über §§ 359 ff. StPO zu erreichen ist. Auf eine Dopplung ist grundsätzlich mit einem Angriff auf die zweite Entscheidung zu reagieren.143 Wenn sich die rechtskräftige Erstentscheidung erst nach Erlass des Zweiturteils herausstellt, kann dieses Vorbringen die Wiederaufnahme nach § 359 Nr. 5 StPO begründen.144 Die Präsentation eines neuen zu erwartenden Beweisergebnisses wird dem Antragssteller mittels Vorlage der entsprechenden Urkunde leicht gelingen. Die Unkenntnis in Bezug auf das Verbot ne bis in idem reiht sich dementsprechend in die Fallgruppen von Fehleinschätzungen betreffend die Strafmündigkeit, verjährungsunterbrechende Handlungen, den Strafantrag oder das Eingreifen einer Amnestie nahtlos ein. Dies wird übersehen, wenn die Doppelverurteilung stets als herausstechender Sonderfall im Wiederaufnahmerecht behandelt wird. Ob das Prozesshindernis „rechtskräftige Entscheidung in derselben Sache“ die Schuldfrage berührt, wird unterschiedlich beurteilt. Das Bayerische Oberlandesge138 OLG Saarbrücken NStZ 2003, 180; LG Stuttgart NStZ 1997, 455; SK-Paeffgen, § 458 Rn. 16 f. Peters zählt insgesamt sieben Fälle der Doppelverurteilung, in denen die Staatsanwaltschaft die Initiative zur Wiederaufnahme ergriff (Fehlerquellen Bd. 2, S. 259 f.). Rieß, JR 1981, 522 (523) spricht daher von der Möglichkeit einer Korrektur „von Amts wegen“. Um Missverständnissen vorzubeugen, sollte dieser Terminus jedoch nur der Eingriffsbefugnis des Gerichts vorbehalten bleiben. 139 OLG Saarbrücken NStZ-RR 2003, 180; LG Duisburg NStZ 2004, 104 (105) m. zust. Anm. Hellebrand, NStZ 2004, 64 (65) und LG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2003, 80. 140 LG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2003, 80; Marxen/Tiemann, Wiederaufnahme, Rn. 83. 141 LG Duisburg NStZ 2004, 104 (105), zust. Hellebrand, NStZ 2004, 64 (65). 142 So auch das OLG Saarbrücken NStZ-RR 2003, 180 (181). 143 Hierzu Peters, FS Kern, S. 335 (338 ff.). 144 So etwa auch Peters, FS Kern, S. 335 (339); Schlüchter, Strafverfahren, Rn. 769.3.

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

richt etwa vertrat die Auffassung, dass insofern als die rechtskräftige Erstaburteilung den staatlichen Strafanspruch zum Erlöschen bringe, die Schuld getilgt sei, weshalb der Wiederaufnahmeantrag tatsächlich die Schuldfrage betreffe.145 Die Frage braucht nicht entschieden werden, da der Bezug zur Schuldfrage, wie bereits dargestellt, keine Voraussetzung im Rahmen der Wiederaufnahme nach § 359 Nr. 5 StPO bildet. Angesichts der dem Urteil zugeschriebenen strafklageverbrauchenden Wirkung liegen jedenfalls sowohl die Nähe der Sachurteilsvoraussetzung zur Tat als auch die Endgültigkeit der Verfahrensbeendigung vor, weshalb die seitens der übrigen Literatur gestellten Anforderungen erfüllt sind.146 Der im Erfordernis des zeitlich gestreckten Wiederaufnahmeverfahrens liegenden Gefahr einer Doppelverbüßung lässt sich schließlich über § 360 Abs. 2 StPO begegnen.147 Darüber hinaus bietet sich in eindeutigen Fällen die Nutzung der verfahrensvereinfachenden Möglichkeiten an, die das geltende Recht eröffnet. In den Fällen der mehrfachen Einbeziehung der Strafe im Rahmen der Gesamtstrafenbildung bedarf es meist keiner Beweisaufnahme nach § 369 StPO. Zwar ist die Anordnung der Wiederaufnahme ohne Prüfung des Wiederaufnahmevorbringens etwa mittels Wahrunterstellung unzulässig, richtigerweise ist jedoch anerkannt, dass die Beweisaufnahme verzichtbar ist, wenn die Begründetheit des Vorbringens ohne weiteres aus Urkunden oder anderen Schriftstücken zu entnehmen ist oder das neue Beweisergebnis sonst offenkundig ist.148 Entfällt die Beweisaufnahme, sollte die Entscheidung über die Zulässigkeit zugleich gemäß § 370 Abs. 2 StPO die Wiederaufnahme des Verfahrens anordnen.149 Zudem könnte in analoger Anwendung des § 371 Abs. 2 StPO auch auf die erneute Hauptverhandlung verzichtet werden. Wenn die Gleichstellung von Freispruch und Einstellung schon im Rahmen der Wiederaufnahmevoraussetzungen erfolgt, erscheint eine Übertragung auf das Verfahren nur konsequent.150 Dies ist auch insoweit unbedenklich, als die ersparte Erneuerung der Hauptverhandlung und die dadurch bewirkte Straffung des Verfahrens im Sinne des Verurteilten liegen dürfte, dessen Interesse an einer Rehabilitierung, sofern man es denn überhaupt anerkennen will,151 im Falle einer Doppelverurteilung deutlich gemindert sein dürfte. Im Falle der

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BayObLGSt DStrZ 1917, 439, so auch die bei Alsberg, Bd. 2, Nrn. 238, 238 a)–c) zitierten Entscheidungen; für eine „Doppelnatur“ das Reichsgericht, RGSt 49, 170; 62, 153 (154). 146 Hierzu bereits auf S. 90. Vgl. auch Hassemer, NJW 1983, 2353 (2356). 147 OLG Jena OLGSt StPO § 458 Nr. 6 S. 4; Rieß, JR 1981, 522 (523). 148 LG Duisburg NStZ 2004, 104 (105); LR-Gössel § 369 Rn. 6; Meyer-Goßner/Schmitt, § 369 Rn. 2; Hellebrand, NStZ 2004, 64 (65). Zur Entbehrlichkeit der Verlesung OLG Jena NStZ-RR 1997, 47; SK-Frister, § 369 Rn. 4 f. 149 LG Duisburg NStZ 2004, 104 (105); LR-Gössel § 369 Rn. 7; abl. Weber-Klatt, Wiederaufnahme zu Ungunsten, S. 319. 150 Hierfür LG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2003, 80 (81); LG Duisburg NStZ 2004, 104 (105); LR-Gössel, § 371 Rn. 18 m.w.N.; SK-Frister, § 371 Rn. 13; Hellebrand, NStZ 2004, 64 (65 f.). 151 Hierzu bereits auf S. 48 f.

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mehrfachen Einbeziehung der Strafe ist gleichzeitig eine neue Gesamtfreiheitsstrafe zu bilden.152 Ein Fall aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs153 zeigt jedoch, wo im Kontext der (scheinbaren) Mehrfachverurteilung das Wiederaufnahmeverfahren an seine Grenzen stößt. Ein wegen Hehlerei zu einer bereits vollstreckten Einzelfreiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilter Angeklagter wurde in einem weiteren Verfahren bezogen auf zumindest einen Teil derselben Beute wegen Raubes verurteilt. Auf die Revision des Angeklagten hin befand der Vierte Strafsenat am Bundesgerichtshof entgegen der Ansicht der Verteidigung und des Generalbundesanwalts, dass durch die Verurteilung zunächst wegen Hehlerei und anschließend wegen Raubes das in Art. 103 Abs. 3 GG verbürgte Verbot ne bis in idem nicht verletzt sei und ließ die zweite Verurteilung bestehen. Die Anklagen hätten jeweils zeitlich und räumlich andere Lebensvorgänge zum Gegenstand, sodass keine einheitliche Tat im prozessualen Sinne vorliege – die bloße Alternativität von Handlungsvorgängen habe, sofern nur einer der Vorgänge Gegenstand der zugelassenen Anklage war, nicht zwingend den Verbrauch der Strafklage für den anderen Vorgang zur Folge.154 Vor dem Hintergrund des materiell-rechtlichen Exklusivitätsverhältnisses von Raub und Hehlerei existierten damit zwei widersprüchliche rechtskräftige Entscheidungen. Sofern sich der Angeklagte nach § 249 Abs. 1 StGB strafbar gemacht hat, hätte er als Täter der Vortat nicht wegen Hehlerei, die schon dem Wortlaut nach gerade eine fremde Tat voraussetzt („Sache, die ein anderer gestohlen oder sonst […] erlangt hat“), verurteilt werden können. Zur Vermeidung derartiger Konstellationen wurde in der älteren Literatur teils vertreten, das an zweiter Stelle urteilende Gericht an die Feststellungen zur tatsächlichen Tatbegehung zu binden, um den durch widersprüchliche Urteile drohenden Autoritätsverlust der Gerichte zu verhindern.155 Für den vorliegenden Fall hätte dies bedeutet, dass eine Verurteilung wegen Raubes im zweiten Verfahren nicht hätte ergehen können, da die tatsächliche Begehung des § 259 Abs. 1 StGB unverrückbar festgestanden hätte. Derartiges zog der Bundesgerichtshof nicht einmal in Erwägung. Letztlich ist dies auch nicht zu beanstanden, denn es stellt einen nicht minder empfindlichen Autoritätsverlust dar, wäre das zweite Gericht an ein unter Umständen offensichtlich fehlerhaftes Urteil gebunden

152 Deren Bildung im Beschlusswege ist schon in §§ 460, 462 Abs. 1 StPO vorgesehen und stellt so für das Strafverfahren kein Novum dar, so auch LG Duisburg NStZ 2004, 104 (105). 153 BGHSt 35, 60 = JZ 1988, 258 m. Anm. Roxin. 154 BGHSt 35, 60 (61 ff.) mit Bezugnahme auf BGHSt 32,146 (149), zust. Roxin, JZ 1988, 260 f. 155 Mayer, GerS 99 [1930] 36, (114 f.); anders Binding, Strafprozeß, S. 352 ff.: obligatorische Wiederaufnahme beider Prozesse und Verbindung zu einem Wiederaufnahmeverfahren; für die Nichtigkeit des zweiten Urteils Graf zu Dohna, Strafprozeßrecht, S. 222: die logische Unmöglichkeit sei stärker als alle dogmatischen oder rechtspolitischen Erwägungen. Im Übrigen lehnt ders. allerdings die Möglichkeit nichtiger Urteile ab.

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und müsste dem noch eine zweite, ebenfalls fehlerhafte Entscheidung hinzufügen,156 weshalb eine derartige Bindungswirkung überwiegend abgelehnt wird.157 Allerdings sah der Senat eine Härte darin, dass der Angeklagte wegen Ansichbringens der geraubten Gegenstände bereits nach § 259 StGB bestraft und diese Strafe bereits verbüßt wurde. Dies hätte im zweiten Verfahren unabhängig von der Frage berücksichtigt werden müssen, ob die Verurteilung wegen Hehlerei in einem späteren Wiederaufnahmeverfahren wegfallen und insoweit eine Entschädigung des Angeklagten infrage kommen könnte.158 Diese Berücksichtigung wurde vom Senat „nachgeholt“, indem er die ausgesprochene Strafe um die Einzelstrafe milderte, die in dem früheren Verfahren wegen Hehlerei ausgesprochen worden war.159 Seitens des Angeklagten wurde anschließend ein Wiederaufnahmeantrag gegen die Erstverurteilung gestellt, der nach Ablehnung durch das Amtsgericht im Beschwerdeverfahren das Landgericht Saarbrücken erreichte und dort erfolgreich war. Das Geständnis des Angeklagten, den Raub begangen zu haben, sei eine neue Tatsache i.S.d. § 359 Nr. 5 StPO sowie geeignet, dessen Freispruch herbeizuführen.160 Dass der Bundesgerichtshof zuvor bereits die Strafe wegen Raubes um die sechs Monate gemildert hatte, lasse die für die Zulässigkeit der Wiederaufnahme erforderliche Beschwer nicht entfallen, diese liege bereits in dem im Bundeszentralregister einzutragenden Schuldspruch als solchem.161 Dass tatrichterliche Feststellungen nachträglich durch Entscheidungen anderer Gerichte objektiv ins Wanken geraten, ist angesichts der richterlichen Unabhängigkeit kein außergewöhnliches Phänomen. Die Problematik konnte im vorliegenden Fall insofern gelöst und die widersprüchliche Verurteilung beseitigt werden, als mit dem im zweiten Verfahren abgelegten Geständnis im Hinblick auf die Raubtat sowie später bekannt gewordenen Zeugenaussagen neue Erkenntnisquellen hervortraten, 156

Radtke, Systematik, S. 74; so bereits Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 392. RGSt 33, 303 (304 f.); 44, 254 (256 f.); OLG Hamm NJW 1959, 1982; BeckOKEschelbach, § 262 Rn. 14; LR-Stuckenberg, § 262 Rn. 37, ausdrückliche gesetzliche Anordnung wie etwa in § 190 StGB vorbehalten (hierzu Schäfer, Strafprozeßrecht, Einl. Kap. 13 Rn. 53; krit. mit Hinweis darauf, dass es sich nicht um denselben Täter handle Grunsky, FS Kern, S. 223 [230]). Anders beurteilt wurde das Präjudiz im Rahmen der Straffrage. Dort war allgemein anerkannt, dass die Vorverurteilung zur Beurteilung des Rückfalls oder des Merkmals des Gewohnheitsverbrechers (§ 20a StGB a.F.) nicht in Zweifel zu ziehen war; vgl. dazu Grunsky, FS Kern, S. 223 (230) und Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 391. 158 BGHSt 35, 60 (66). 159 Nach Ansicht von Gössel, NStZ 1989, 547 liegt darin eine „Überschreiten seiner Kompetenz zur Vermeidung eines evident ungerechten Ergebnisses“; die Anordnung des Wegfalls der Einzelstrafe wegen Hehlerei setze den Wegfall auch des Schuldspruchs voraus, und dies sei allein dem Wiederaufnahmerichter vorbehalten. Die Strafzumessung im zweiten Verfahren wegen Raubes hätte ohne Einbezug der „Vorstrafe“ erfolgen und das Wiederaufnahmeverfahren gegen die Verurteilung wegen § 259 StGB abgewartet werden müssen, in welchem dann eine Entschädigung zu gewähren gewesen wäre. 160 LG Saarbrücken NStZ 1989, 546 m. zust. Anm. Gössel. 161 LG Saarbrücken NStZ 1989, 546 (547). 157

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die, wären sie bei der ersten Urteilsfindung präsent gewesen, zu einem Freispruch vom Vorwurf der Hehlerei geführt hätten.162 Dass ein anderes Gericht denselben Sachverhalt abweichend würdigt, macht die erste Entscheidung jedoch zum einen noch nicht zwingend fehlerhaft und rechtfertigt insbesondere auch nicht die Wiederaufnahme.163 Hätte im vorliegenden Fall im zweiten Verfahren das Gericht ohne neue Erkenntnisse lediglich die Beweislage anders gewürdigt und wäre dadurch zu der Annahme der Täterschaft hinsichtlich der Raubtat gekommen, verbliebe es bei zwei materiell widersprüchlichen Verurteilungen. An diesem Punkt stößt, wie eingangs bereits angekündigt, die Korrektur über das Wiederaufnahmeverfahren an seine Grenzen. Vorliegend konnte das Landgericht Saarbrücken jedoch die auf § 359 Nr. 5 StPO gestützte Wiederaufnahme anordnen. Letztlich verblieb es also „nur“ bei der Verurteilung wegen Raubes. Nun könnte man die Überlegung anstellen, ob diese Vorgehensweise angesichts der doch deutlich verschiedenen Strafrahmen – bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe für die Hehlerei gegenüber einer Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr bei einer Verurteilung wegen Raubes – tatsächlich die Bezeichnung als „Wiederaufnahme zugunsten“ verdient und als solche zugelassen werden kann.164 Diese „unter dem Strich“ schärfere Bestrafung resultiert jedoch allein aus der vorgenommenen Begrenzung der Reichweite des prozessualen Tatbegriffs und der Ablehnung des Strafklageverbrauchs für das zweite Verfahren.165 Die Wiederaufnahme zugunsten dient nicht dazu, die für den Verurteilten angenehmste Situation zu schaffen, sondern soll die Befriedungsfunktion des Urteils wiederherstellen, die durch die neu zutage getretenen Beweise gestört ist. Dies bewältigt sie in dieser Konstellation einwandfrei, indem sie die auf unrichtiger Tatsachenbasis erfolgte Verurteilung wegen Hehlerei aus der Welt schafft. Ob der Angeklagte letzten Endes besser oder schlechter dasteht, ist für die Beurteilung der Ausrichtung der Wiederaufnahme ohne Belang.166 162 LG Saarbrücken NStZ 1989, 546. Vgl. aber Roxin, JZ 1988, 260 (262), der zumindest für die Alternativität von Diebstahl und Begünstigung bezweifelt, ob sich eine Wiederaufnahme und anschließende Neuanklage angesichts der gleichbleibenden Unrechtsdimension wirklich „lohnt“. Zumindest vorliegend kann hinsichtlich des Verhältnisses von Hehlerei (Vergehen nach § 12 Abs. 2 StGB) und Raub von einer solchen Vergleichbarkeit, wie Roxin selbst anführt (S. 261, r. Sp.), jedoch nicht ausgegangen werden. 163 Vgl. hierzu das AG und LG Mannheim StV 1992, 103 f. m. krit. Anm. Wasserburg sowie Stern, NStZ 1993, 409 (410). Sehr missverständlich jedenfalls Meyer-Goßner, FS Salger, S. 345 (350): „Daß das wegen Raubes ergangene Urteil eine neue Tatsache ist, wird man nicht bestreiten können“. 164 So geht Peters, Fehlerquellen Bd. 3, S. 42 f.; ders., Strafprozess, S. 678; ders., FS Kern, S. 335 (356 f.) davon aus, dass eine Wiederaufnahme dann unzulässig sei, wenn sie sich innerhalb einer Gesamtbetrachtung zuungunsten auswirkt. Dagegen Meyer-Goßner, FS Salger, S. 345 (350 f.) m.w.N. 165 Vgl. auch Meyer-Goßner, FS Salger, S. 345 (350 f.). 166 Hierzu auch Marxen/Tiemann, StV 1992, 534 (537); Weber-Klatt, Wiederaufnahme zu Ungunsten, S. 153 f.

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

Eine weitere Vermeidungsstrategie im Vorfeld hat für derartige Fälle MeyerGoßner167 entwickelt. Dem erkennenden Gericht im zweiten Verfahren (übertragen auf den vorliegenden Fall: bezüglich des Vorwurfs des Raubes) sollte gestattet werden, mittels einer entsprechenden Anwendung des § 371 Abs. 2 StPO von Amts wegen die erste, rechtskräftige Verurteilung (hier: wegen Hehlerei) aufzuheben und eine bereits vollstreckte Strafe über § 51 Abs. 2 StGB anzurechnen. Das förmliche Wiederaufnahmeverfahren biete in derartigen Konstellationen keine hinreichende Lösungsmöglichkeit, die Aufhebung der Erstverurteilung sei nämlich keineswegs sicher.168 Fraglich ist jedoch, worin die notwendige planwidrige Regelungslücke liegen soll. Allein die Tatsache, dass eine förmliche Wiederaufnahme umständlicher oder im Ausgang ungewiss ist, hilft nicht darüber hinweg, dass grundsätzlich eine gesetzlich vorgesehene Korrekturmöglichkeit existiert.169 Das in §§ 359 ff. StPO vorgesehene Verfahren wird zudem derart modifiziert, dass von einer „entsprechenden Anwendung“ nur schwerlich gesprochen werden kann, denn letztlich wird ein Tätigwerden von Amts wegen innerhalb des Zweitverfahrens gleichsam im Rahmen einer „Vorfrage“ zugelassen. Abzulehnen ist die Ansicht Meyer-Goßners auch angesichts der Tatsache, dass der Verurteilte bei formloser Aufhebung des ersten Urteils den Schutz des Art. 103 Abs. 3 GG verliert, wegen des die Hehlerei betreffenden Lebenssachverhalts demnach theoretisch erneut verfolgt werden könnte. Die implizite Aufhebung der Verurteilung wegen Hehlerei wird eine derartige Sperrwirkung wohl kaum auslösen können.170 Die Frage ist eher, ob der Auffassung des Bundesgerichtshofs hinsichtlich der Verschiedenheit der zunächst angenommenen Hehlereitat von der Raubtat auch im Sinne des § 264 StPO, woraus die Gesamtproblematik erst resultiert, gefolgt werden muss.171 Die gegen das Urteil 167

Meyer-Goßner, FS Salger, S. 345 (352 ff.); vgl. auch Meyer-Goßner/Schmitt, § 264 Rn. 13 und LR-Gössel, § 359 Rn. 80, der diese Vorgehensweise befürwortet. 168 Meyer-Goßner, FS Salger, S. 345 (353). Für den Fall, dass das Gericht (wie der Bundesgerichtshof im vorliegenden Fall) im zweiten Verfahren die erlittene Strafhaft bereits bei der Strafzumessung berücksichtigt, würde eine im Wiederaufnahmeverfahren zusätzlich zugesprochene Entschädigung nach § 1 Abs. 1 StrEG darüber hinaus den Verurteilten ungerechtfertigt begünstigen. Hier bliebe nur die Option, das Vorliegen eines Schadens zu verneinen und dadurch ein unbilliges Ergebnis zu vermeiden (Meyer-Goßner, FS Salger, S. 345 [352]). 169 Abl. daher auch Weber-Klatt, Wiederaufnahme zu Ungunsten, S. 153. Für die Anwendbarkeit des § 359 StPO trotz möglichen Scheiterns der Wiederaufnahme AK-Loos, Anh. zu § 264 Rn. 43 und vor § 359 Rn. 7. LR-Gössel, § 359 Rn. 81 möchte das Wiederaufnahmeverfahren generell für beide Verurteilungen betreiben, die Feststellungen in jedem der beiden Verfahren seien für das jeweils andere neu, und angesichts der vorliegenden rechtskräftigen Urteilssprüche auch zur Freisprechung im jeweils anderen Verfahren geeignet. 170 Weber-Klatt, Wiederaufnahme zu Ungunsten, S. 153. 171 Zust. Gössel, NStZ 1989, 547; Roxin, JZ 1988, 260 (261); offen gelassen bei MeyerGoßner, FS Salger, S. 345 (347), abl. Gillmeister, NStZ 1989, 1 (3 f.), der demgegenüber davon ausgeht, dass sich der abgeurteilte Lebenssachverhalt stets auch auf die Vortat erstrecke, weshalb Strafklageverbrauch anzunehmen sei. Gegen diesen Ansatz wiederum AK-Loos, Anh. zu § 264 Rn. 61; Radtke, Systematik, S. 135 f.; Weber-Klatt, Wiederaufnahme zu Ungunsten, S. 150 f. Fn. 581: Der Umfang der Rechtskraft könne nicht von der Zufälligkeit abhängen, ob zunächst die Vortat oder die Anschlusstat angeklagt wird. Eine Erstverurteilung wegen Raubes

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des Vierten Strafsenats eingelegte Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen.172 Auf die Problematik der Reichweite des prozessualen Tatbegriffs kann und soll an dieser Stelle jedoch nicht weiter eingegangen werden. f) Verhandlungsunfähigkeit Neben dem Schutz der Subjektstellung des Betroffenen dient die sicherzustellende Verhandlungsfähigkeit im Verfahren auch dem dort geltenden Grundsatz der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit.173 Ein verhandlungsunfähiger Angeklagter präsentiert in der Hauptverhandlung unter Umständen ein verzerrtes Bild seiner Persönlichkeit und den nur scheinbaren Eindruck einer umfassenden Verteidigung, was Fehler im Bereich der Feststellungen zur Schuld- und Straffrage entsprechend potenziert.174 Daher gilt der Angeklagte üblicherweise auch dann als ausgeblieben, wenn er zwar körperlich anwesend ist, aber mangels Verhandlungsfähigkeit dem Prozess nicht folgen kann.175 Das Vorliegen der Verhandlungsfähigkeit ist zu vermuten, ein (dauernder) Ausschluss derselben kommt in der Regel nur bei schweren geistigen, psychischen oder körperlichen Mängeln in Betracht.176 Nach der in der Rechtsprechung gebräuchlichen Definition setzt die rechtsstaatlichen Anforderungen genügende Durchführung des Strafverfahrens die physische und psychische Kapazität des Angeklagten voraus, seine Interessen vernünftig wahrnehmen, seine Verteidigung in verständiger Weise führen sowie Erklärungen abgeben und entgegennehmen zu können, wobei jeweils die Fähigkeit hierzu im konkreten Verfahrensstadium entscheidet.177 Hinsichtlich der Frage nach dem Erfordernis von Verhandlungsfähigkeit auch im Revisionsverfahren werden angesichts der begrenzten Möglichkeiten der Einflussnahme seitens des Angeklagten tendenziell geringere Anforderungen an die Verhandlungsfähigkeit gestellt.178 Der Bundesgerichtshof

würde keine Feststellungen zu Anschlusstaten beinhalten, somit Strafklageverbrauch hierfür nicht eintreten. 172 BVerfG 2 BvR 1394/87 (unveröffentlicht) nach Gillmeister, NStZ 1989, 1 (4). 173 Rath, GA 1997, 214 (216) und eingehend BT-Drs. 18/3562, S. 47 f. 174 BGHSt 26, 84 (92). 175 BVerfGE 41, 246 (249); 51, 324 (344); BGHSt 23, 331 (334); OLG Düsseldorf JR 1991, 294 (295); KK-Gmel, § 230 Rn. 3; LR-Becker, § 230 Rn. 7; Meyer-Goßner/Schmitt, § 230 Rn. 15; dagegen jedoch SK-Deiters, § 230 Rn. 7 ff. Vgl. jetzt auch § 329 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 StPO, hierzu BT-Drs. 18/3562, S. 71 f. 176 BVerfG NStZ 1995, 391 (392); NStZ-RR 1996, 38; BGH NJW 1970, 1981; LR-Stuckenberg, § 205 Rn. 21. 177 BVerfG NStZ 1995, 391; NStZ-RR 1996, 38; BGHSt 41, 16 (18) = JR 1995, 472 m. Anm. Rieß; BGH NStZ 1996, 242; LR-Stuckenberg, § 205 Rn. 23; SSW-Beulke, Einl. Rn. 93; SK-Paeffgen, § 205 Rn. 6. 178 Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 21 Rn. 12 und LR-Stuckenberg, § 205 Rn. 25, der, wie schon LR-Rieß,25 § 205 Rn. 15 f., speziell von „Hauptverhandlungsfähigkeit“ spricht (Rn. 23 f.). Widmaier, NStZ 1995, 361 zufolge tritt der Angeklagte als Person im Re-

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erwog in einem obiter dictum sogar, es genügen zu lassen, dass der Angeklagte bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist des § 341 Abs. 1 StPO verhandlungsfähig war; die Überprüfung habe sich ob der zeitlichen Nähe der Frist zur Hauptverhandlung nach denselben Grundsätzen zu richten, nach denen das Revisionsgericht die Verhandlungsfähigkeit während der Hauptverhandlung vor dem Tatrichter feststellt.179 Dass die Bedeutung der Verhandlungsfähigkeit im Revisionsverfahren als gering(er) einzuschätzen ist, wird auch mit § 350 Abs. 2 Satz 2 StPO begründet, wonach der inhaftierte Angeklagte – im Übrigen auch verfassungsrechtlich – keinen Anspruch auf Anwesenheit in der Hauptverhandlung vor dem Revisionsgericht hat.180 Untersucht wird hier jedoch allein die seitens des Gerichts übersehene oder aufgrund falscher Erkenntnisgrundlage verneinte Verhandlungsunfähigkeit bereits in der Tatsacheninstanz. Die erwiesene Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten stellt ein Verfahrenshindernis dar, welches bereits im Ermittlungsverfahren zu beachten ist.181 Ein Urteil in der Sache darf erstinstanzlich grundsätzlich nicht ergehen,182 das Verfahren ist im Falle einer dauerhaften Verhandlungsunfähigkeit nach §§ 260 Abs. 3, 206a StPO endgültig zu beenden.183 Bei Zweifeln daran, ob die Verhandlungsunfähigkeit nicht nur eine vorübergehende ist, ist hingegen nach § 205 StPO vorläufig einzustellen.184 Da dem Merkmal der Verhandlungsfähigkeit auch verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt, ist grundsätzlich der Weg zum Bundesverfassungsgericht eröffnet. Schuldprinzip und Unschuldsvermutung, der Grundsatz des fairen Verfahrens und visionsverfahren nur äußerst selten in Erscheinung, die Einschätzung, dass ein Revisionsrichter höchstens jeden 50. Angeklagten zu Gesicht bekäme, sei nicht übertrieben. 179 BGHSt 41, 16 (20); offen gelassen von BVerfG NStZ 1995, 391 (392); krit. Rieß, JR 1995, 473 (475); abl. Rath, GA 1997, 214 (224 ff.) u. a. mit Hinblick auf die sog. erweiterte Revision, hinsichtlich derer der Angeklagte sehr wohl förderliche Beiträge leisten könne; für eine Sperre nur hinsichtlich Entscheidungen zuungunsten Widmaier, NStZ 1995, 361 (363). 180 BVerfGE 54, 100 (116 f); 65, 171 (177). Hierzu Rieß, JR 1995, 473 (474 ff.); Widmaier, NStZ 1995, 361 (362); einschränkend Schäfer, Strafprozeßrecht, Einl. Kap. 12 Rn. 99. Auch hierin zeigt sich jedoch zumindest der Bezug zur zuvor thematisierten Fallkonstellation. 181 Krack, Rehabilitierung, S. 266 f., dies ergebe sich aus dem Wortlaut des § 414 Abs. 3 StPO (Hinzuziehung eines Sachverständigen bereits im Ermittlungsverfahren bei anstehendem Sicherungsverfahren). Zur Schwierigkeit derartiger Feststellungen gerade bei dem sich „rollengemäß“ verhaltenden Angeklagten Peters, Untersuchungen zum Fehlurteil, S. 17 f. 182 Krack, Rehabilitierung, S. 288 ff. erwägt jedoch, ob trotz Verhandlungsunfähigkeit nicht dennoch eine Entscheidung in der Sache ergehen dürfe und zieht eine Parallele zu den Ausnahmetatbeständen von der Anwesenheitspflicht. Konkret die Wertung des § 233 StPO sei bei „Hauptverhandlungsunfähigkeit“ aufgrund längerer Dauer oder Öffentlichkeit der Hauptverhandlung bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen (insb. der Möglichkeit einer kommissarischen Vernehmung im Zustand der Verhandlungsfähigkeit) übertragbar. Für die Freisprechung des Angeklagten bei „Freispruchreife“ auch Meyer-Goßner, Prozessvoraussetzungen, S. 35; a.A. Volk, Prozeßvoraussetzungen, S. 246: auch ein solcher Freispruch sei dem Vorwurf ausgesetzt, ein bloßes „Objekt“ des Verfahrens zu treffen. 183 Zum Ausschluss der Überleitung in ein Sicherungsverfahren nach §§ 413 ff. StPO siehe BGHSt 46, 345. 184 BGH NStZ 1996, 242; OLG Saarbrücken StV 2007, 178 (179).

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die Neutralitätspflicht des Gerichts verlangen, dass eine eingeschränkte psychische oder physische Leistungsfähigkeit Berücksichtigung finden muss.185 Aus Art. 1 Abs. 1 GG und dem Rechtsstaatsprinzip wird schließlich der verfassungsrechtliche Auftrag hergeleitet, den Angeklagten nicht als bloßes Objekt des Strafverfahrens zu behandeln, sondern ihm zur Wahrung seiner Interessen die Möglichkeit zu geben, auf den Verfahrensgang und das Ergebnis des Prozesses Einfluss zu nehmen.186 Besteht darüber hinaus die konkrete Gefahr, dass der Beschuldigte bei Durchführung der Hauptverhandlung sein Leben einbüßen oder schwerwiegenden Schaden an seiner Gesundheit nehmen würde, so verletzt ihn die Fortsetzung des Verfahrens in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG.187 Betreffend die Frage nach einer möglichen Wiederaufnahme des Verfahrens im Falle einer unerkannt gebliebenen Verhandlungsunfähigkeit schildert Peters in seinen „Fehlerquellen“ einen Fall, in dem ein Verurteilter nachträglich geltend machte, er habe während der Hauptverhandlung unbemerkt an einer Amnesie gelitten und infolgedessen Umstände zugegeben, die sich so nicht zugetragen hätten.188 In dieser Konstellation wurde das Wiederaufnahmebegehren also letztlich zum einen auf die übersehene Verhandlungsunfähigkeit, zum anderen aber ganz wesentlich auf den Widerruf des damaligen Vorbringens und auf neue, damals unberücksichtigt gebliebene Umstände gestützt.189 Von Interesse ist vorliegend jedoch, ob auch das erste Vorbringen allein eine Wiederaufnahme des Verfahrens ermöglicht hätte, was die überwiegende Ansicht190 verneinen würde. Dass der Angeklagte verhandlungsunfähig ist, steht mit Tat und Tatgeschehen in keinem Zusammenhang.191 Dies ergibt sich schon daraus, dass die Verhandlungs185

LG Ellwangen Beschl. v. 27. 02. 2014 – 1 Ks 9 Js 94162/12 –, juris (Rn. 14) zur Anklage gegen einen zu diesem Zeitpunkt 94-Jährigen wegen NS-Verbrechen. 186 BVerfG NJW 1995, 1951 f.; BT-Drs. 18/3562, S. 47 m.w.N.; LR-Stuckenberg, § 205 Rn. 17. 187 BVerfGE 51, 324 (346 ff.); LR-Stuckenberg, § 205 Rn. 27. Zwar liegen bloße Grundrechtsgefährdungen noch im Vorfeld verfassungsrechtlich relevanter Grundrechtsbeeinträchtigungen, dies kann jedoch unter bestimmten Umständen bereits einer Verletzung gleichkommen, BVerfGE 51, 324 (346 ff.) mit Verweis auf BVerfGE 49, 89 (141 f.). 188 Peters, Fehlerquellen Bd. 3, S. 61. 189 So stellt auch Peters, Fehlerquellen Bd. 3, S. 61 darauf ab, dass die aufgrund der Verhandlungsunfähigkeit zurückgehaltenen oder fälschlich angegebenen Tatsachen das Wiederaufnahmeverfahren aus sich heraus begründen konnten und daher die Anwendbarkeit des § 359 Nr. 5 StPO unproblematisch gegeben sei; in diese Richtung auch Alsberg, Justizirrtum, S. 51 in Fn. 1. 190 OLG Hamburg JZ 1927, 1290; JZ 1929, 70; LG Regensburg Beschl. v. 24. 07. 2013 – 7 KLs 151 Js 4111/13 WA, 7 KLs 151 Js 22423/12 WA –, BeckRS 2013, 12543 unter B. IV. 6. (Fall Mollath); HK-Temming, § 359 Rn. 27; KK-Schmidt, § 359 Rn. 34; LR-Gössel, § 359 Rn. 74; Meyer-Goßner/Schmitt, § 359 Rn. 39; Pfeiffer, § 359 Rn. 13; Radtke/HohmannHohmann, § 359 Rn. 42; Marxen/Tiemann, Wiederaufnahme, Rn. 84; Neumann, System der Wiederaufnahme, S. 40 in Fn. 1. 191 Beachte aber OLG Frankfurt NJW 1983, 2398 (2399): Der Täter und seine Fähigkeit, den Prozess durchzustehen, seien „das Bindeglied zur Tat“.

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

unfähigkeit zeitlich der Tatbegehung nachgelagert sein kann und oft auch nachgelagert ist, wobei freilich nicht zu verkennen ist, dass sich aus der zu einem später liegenden Zeitpunkt festgestellten Verhandlungsunfähigkeit unter Umständen mittelbar Schlüsse auf die Zurechnungsfähigkeit bei Tatbegehung ziehen lassen.192 Dies führt zu der Problematik, ob entsprechend der im Schrifttum vertretenen Ansicht ein derartiger unmittelbarer Bezug der Sachurteilsvoraussetzung zur Tat zu fordern ist, was freilich nur den Anwendungsbereich des § 359 Nr. 5 StPO betrifft. Kann der Angeklagte geltend machen, dass der zur Verhandlungsfähigkeit befragte Sachverständige einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Verletzung der Eidespflicht oder einer vorsätzlichen falschen uneidlichen Aussage schuldig ist oder dass das diese bestätigende Gutachten gefälscht war, müsste die Wiederaufnahme zugunsten bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen zugelassen werden. Bis zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Zugriff auf die rechtskräftige Entscheidung im Wiederaufnahmeverfahren besteht kein vernünftiges praktisches Interesse, Prozesshindernisse dahingehend voneinander zu unterscheiden, ob sie mit der Tat in Berührung stehen oder nicht – von einer Tat im Rechtssinne kann nur innerhalb eines rechtsförmigen Verfahrens die Rede sein.193 Eine Beschränkung auf bestimmte „tatnahe“ Prozessvoraussetzungen sollte im Rahmen der Wiederaufnahme ebenso wenig vollzogen werden. Wird ein konkreter Vorgang oder Zustand als Sachurteilsvoraussetzung verstanden, muss sein Vorliegen beziehungsweise Nichtvorliegen unbedingte Beachtung finden, wenn der Prozess ordnungsgemäß geführt werden soll. Dem Angeklagten steht in Konsequenz dessen auch ein Anspruch auf Berücksichtigung sämtlicher (und nicht nur einiger ausgewählter) Verfahrensvoraussetzungen zu, weshalb ihm bei Vorliegen eines in § 359 StPO genannten Wiederaufnahmegrundes auch das Recht zur Überprüfung der gerichtlichen Annahme hinsichtlich ihres Vorliegens eingeräumt werden muss – das berechtigte Interesse an der Fehlerkorrektur hängt nicht von der (ohnehin nicht eindeutig vornehmbaren) Typisierung des jeweiligen Prozesshindernisses ab.194 Insofern kann Peters195 nicht gefolgt werden, der die Überlegung anstellt, dass das Verfahrensergebnis, sofern kein „prozessual untragbare[r]“ Fehler vorliege, durchaus sachgerecht sein könne. Wird ein Umstand zur Prozessvoraussetzung erklärt, so verbietet sich ein Abstellen auf den Ausgang dieses Prozesses beim Fehlen derselbigen insofern, als es dieses Ergebnis eigentlich gar nicht geben dürfte. Ebenso wenig, wie ein sachgerecht geführtes Verfahren ein nicht sachgerechtes Ergebnis egalisiert, kann dieses Unternehmen im umgekehrten Fall gelingen.

192

Hierzu Hassemer, NJW 1953, 2353 (2354 in Fn. 11). Hassemer, NJW 1983, 2353 (2355) und Marxen, Straftatsystem und Strafprozess, S. 345. 194 KMR-Eschelbach, § 359 Rn. 199; SK-Frister, § 359 Rn. 14; Geppert, GA 1972, 165 (179). 195 Fehlerquellen Bd. 3, S. 62. 193

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Entscheidend sollte sein, ob eine Sachentscheidung zuungunsten des Betroffenen hypothetisch möglich war.196 Im Falle der dauerhaften Verhandlungsunfähigkeit ist diese Frage zu verneinen. Ohne dass auf die Bindungswirkungen derartiger Prozessentscheidungen hier vorgreifend einzugehen wäre, liegt in der endgültigen Verfahrenseinstellung nach §§ 260 Abs. 3, 206a StPO die Aussage, dass der Staat gerade keine Möglichkeit sieht, den präsumierten Strafanspruch im Verfahren noch durchzusetzen, denn andernfalls würde die Hauptverhandlung nach § 228 Abs. 1 StPO unterbrochen, ausgesetzt oder das Verfahren nach § 205 StPO vorläufig eingestellt. Wenn darin demnach die Einschätzung liegt, dass eine Sachentscheidung zuungunsten des Betroffenen nicht mehr möglich ist, muss dieses Ziel auch vom Betroffenen verfolgbar – und eben auch im Wiederaufnahmeverfahren überprüfbar sein.197 Gleiches gilt auch dann, wenn der Betroffene inzwischen überraschend doch wieder verhandlungsfähig geworden ist. Im Strafprozess besteht ein Anspruch des Angeklagten, nur bei Vorliegen sämtlicher für eine Verurteilung notwendiger Voraussetzungen auch tatsächlich verurteilt zu werden.198 Eine ohne das Vorliegen dieser Voraussetzungen ergangene Entscheidung ist fehlerhaft, und zwar ganz unabhängig davon, ob die entsprechende Voraussetzung nachträglich (wieder) vorliegt. Ein diesbezüglicher Vortrag ist im Wiederaufnahmeverfahren genauso zulässig wie ein auf materiell-rechtliche Gründe gestützter Angriff der ergangenen Verurteilung. Wirkt die Verhandlungsunfähigkeit jedoch fort, ist fraglich, ob dies der Durchführung auch des Wiederaufnahmeverfahrens entgegensteht. Hinsichtlich des Korrekturbedürfnisses müsste es sich eigentlich verbieten, die (noch) bestehende Verhandlungsunfähigkeit, die schon dem ersten Urteil entgegengestanden hätte, als tatsächlichen Hinderungsgrund anzusehen, zumal nach § 361 Abs. 1 StPO selbst der Tod des Verurteilten einer Korrektur nicht entgegensteht.199 Mangels Anwesenheitspflicht bei einer etwaigen Beweisaufnahme (vgl. § 369 Abs. 3 StPO) ist die Verhandlungsfähigkeit des Verurteilten zur Anordnung des Verfahrens zumindest nicht zwingend erforderlich.200 Wird daraufhin die Erneuerung der Hauptverhandlung beschlossen, so stünde dieser die (Haupt)Verhandlungsunfähigkeit des Verurteilten entgegen; das nach § 373 Abs. 1 StPO eigentlich vorgesehene Urteil dürfte 196 Ähnlich Hassemer, NJW 1983, 2353 (2356), freilich in Bezug auf die erst im Wiederaufnahmeverfahren eingetretene Verhandlungsunfähigkeit. 197 Daneben ist das Kriterium der „Endgültigkeit“ der erstrebten Einstellung erfüllt, welches u. a. von Peters, Fehlerquellen Bd. 3, S. 90 gefordert wird. Die Frage nach der strafklageverbrauchenden Wirkung der Entscheidung, wie sie etwa LR-Gössel, § 359 Rn. 67 verlangt, wird im Rahmen der Prozessurteile beantwortet werden (hier ab S. 94). Die „irreversible Verletzung fundamentaler Prozess- und Verfassungsnormen“ (Marxen/Tiemann, Wiederaufnahme, Rn. 81) sollte angesichts der Bedeutung der Verhandlungsfähigkeit für die Subjektstellung des Angeklagten (Art. 1 Abs. 1 GG) eigentlich nicht zu verneinen sein. Dennoch sprechen sich dies. für die Unzulässigkeit eines derartigen Wiederaufnahmeantrags aus (Rn. 84). 198 Hierzu und zum Nachfolgenden SK-Frister, § 359 Rn. 14. 199 Eine derartige Gleichsetzung erwägt etwa Lobe, GerS 110 [1938], 239 (257 f.). 200 SK-Frister, § 361 Rn. 5.

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

jedenfalls nicht ergehen. Dieser Umweg ist jedenfalls dann unnötig, wenn die staatsanwaltschaftliche Zustimmung zum Vorgehen nach § 371 Abs. 2 StPO vorliegt und, wie oben befürwortet, auch hier die Verfahrenseinstellung als mögliche Entscheidung aufgenommen wird. Die Zustimmung ist nach Nr. 171 Abs. 2 RiStBV zu erteilen, sofern es „wegen der besonderen Umstände des Falles unzweckmäßig ist, die Hauptverhandlung zu erneuern“. Dass dies hinsichtlich einer aufgrund Verhandlungsunfähigkeit nicht durchführbaren Hauptverhandlung der Fall ist, sollte außer Frage stehen. Demnach bietet die sofortige Einstellung entsprechend § 371 Abs. 2 StPO in dieser Konstellation eine geeignete Lösungsmöglichkeit. g) Fehlen der deutschen Gerichtsbarkeit Der Terminus Gerichtsbarkeit umfasst zum einen die sogenannte Gerichtsunterworfenheit, also die Frage, inwiefern eine Person überhaupt dem rechtsprechenden Machtbereich eines Staates unterworfen ist, was durch diplomatische Immunität sowie bedingt nach dem NATO-Truppenstatut („Exterritorialität“) oder durch parlamentarische Immunität ausgeschlossen sein kann.201 Die fehlende Gerichtsbarkeit verhindert bereits die staatsanwaltschaftliche Ermittlungstätigkeit202 und verbietet darüber hinaus auch jede gerichtliche Sachentscheidung. Der Begriff beantwortet darüber hinaus die Frage nach der Entscheidungsgewalt gerade der inländischen Rechtspflege (§§ 3 ff. StGB), wovon jedoch die Frage nach der gerichtlichen Zuständigkeit, die das Verhältnis der einzelnen Gerichte eines Rechtswegs untereinander betrifft, zu unterscheiden ist.203 Teile des Schrifttums204 und der Rechtsprechung205 gehen davon aus, dass Handlungen deutscher Gerichte, die trotz fehlender Gerichtsbarkeit vorgenommen werden, wirkungslos und unbeachtlich, also nichtig sind. Die schlechthin entfallene Befugnis der Sachbefassung gehe in

201

Hierzu etwa LR-Stuckenberg, § 206a Rn. 51 ff. BGHSt 33, 97 (98), BGH NStZ 2013, 600 (Telekommunikationsüberwachung von Mitgliedern konsularischer Vertretungen i.S.v. § 19 Abs. 1 GVG) sowie SK-Frister, Vor §§ 18 – 21 GVG Rn. 38. 203 Geppert, GA 1972, 165 (167). 204 So etwa KK-Barthe, § 18 GVG Rn. 7; Roeder, ZStW 79 [1967], 250 (289 f.) (nach seiner Ansicht allerdings ein Fall des Nichturteils); Dippel, in: Jescheck/Meyer, S. 13 (57); Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 258; Eb. Schmidt, Lehrkommentar I Rn. 123 („ohne alle Wirkung“) u. Rn. 254; Schäfer, Strafprozeßrecht, Einl. Kap. 16 Rn. 3 als einzig anerkannter Fall der Nichtigkeit. So auch das Rundschreiben des Auswärtigen Amtes vom 19. 09. 2008 503–90–507.00 (abgedruckt bei SK-Frister, Vor §§ 18 – 21 GVG Rn. 56), zur Klärung, ob Immunität bestand oder nicht, seien jedoch Rechtsmittel zulässig. 205 OLG Braunschweig MDR 1947, 37 u. BayObLGSt 1959, 317, die Fälle betrafen jedoch das Verhältnis von Besatzungsrecht und deutschem Recht; die Unwirksamkeit war hier ausdrücklich gesetzlich geregelt, vgl. dazu LR-Kühne, Einl. Abschn. K Rn. 120. Für die Nichtigkeit eines die Immunität einer Partei zu Unrecht verneinendes Zwischenurteils nach § 280 ZPO jedoch BGH NJW 2009, 3164 (3165). 202

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ihrer Bedeutung weit über den Mangel der sachlichen Zuständigkeit und der Zulässigkeit des Rechtsweges hinaus.206 Jedoch muss auch in den Fällen der Exemtion keine Urteilsnichtigkeit angenommen werden. Die fehlende Gerichtsunterworfenheit bildet ein schwerwiegendes, aber reguläres und von Amts wegen zu berücksichtigendes Verfahrenshindernis,207 ebenso die Unanwendbarkeit des deutschen Strafrechts.208 Irrtümer über das Vorliegen der sachlichen Voraussetzungen in diesem Bereich machen die dennoch ergangene Entscheidung fehlerhaft und anfechtbar, zur Annahme von Urteilsnichtigkeit berechtigen sie hingegen nicht.209 Insbesondere Kühne weist zutreffend darauf hin, dass zum einen kein Grund ersichtlich sei, einem rechtskräftig unter Nichtbeachtung der Immunität Freigesprochenen den Schutz der Sperrwirkung zu versagen, was die Konsequenz der Annahme der Nichtigkeit des Urteils wäre; dass darüber hinaus auch der Verstoß gegen völkerrechtliche Immunität jedenfalls regelmäßig nicht derart offen zutage liege, dass von seiner Evidenz gesprochen werden könne.210 Gleiches gilt für die Nichtanwendbarkeit des deutschen Strafrechts bei Vorliegen einer nicht unter §§ 5 ff. StGB subsumierbaren Auslandstat.211 Fraglich ist daher, ob die unter Missachtung des Fehlens deutscher Gerichtsbarkeit ergangene Entscheidung Gegenstand des Wiederaufnahmeverfahrens sein kann. Als mögliche Gründe für eine unrichtige Entscheidungsgrundlage kämen etwa Verfälschungen entscheidender Dokumente oder diplomatischer Noten in Bezug auf das Vorliegen von Immunität, Fehlvorstellungen über den Ort der Tat (§ 9 StGB) oder hinsichtlich der Staatsangehörigkeit von Täter oder Opfer in Betracht. Für die Gleichstellung des Freispruchs mit der Einstellung aufgrund eines Verfahrenshindernisses im Rahmen des § 359 Nr. 5 StPO stellt das Schrifttum, wie bereits erwähnt, unterschiedliche Anforderungen. Insbesondere hinsichtlich der Endgültigkeit212 der 206

BayObLGSt 1959, 317 (318). LR-Böttcher, § 18 GVG Rn. 6; Meyer-Goßner/Schmitt, § 18 GVG Rn. 4; MüKo(StGB)Ambos, Vor § 3 Rn. 122; SK-Frister, Vor §§ 18 – 21 GVG Rn. 46; in diese Richtung auch BeckOK-Valerius, § 18 GVG Rn. 12 ff.; Grünwald, ZStW 76 [1964] 250 (259 f.). Mangels Befassungskompetenz ist auch hier das Verfahren wegen Fehlens einer Prozessvoraussetzung einzustellen, ein Freispruch darf nicht erfolgen, vgl. Meyer-Goßner, FS Rieß, S. 331 (340) und ders., Prozessvoraussetzungen, S. 32. 208 BGHSt 14, 137 (139); 34, 1 (3 f.); BGH NJW 1995, 1844 (1845) auch zur Behebbarkeit in den Fällen des § 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB (Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege); NStZRR 1997, 257; OLG Saarbrücken NJW 1975, 506 (509); Wolfslast, NStZ 1987, 433; Roxin/ Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 5 Rn. 2. 209 So auch bereits Rüping, FS Kleinknecht, S. 397 (408 f.). 210 SK-Frister, Vor §§ 18 – 21 GVG Rn. 46; vgl. auch LR-Kühne, Einl. Abschn. K Rn. 120, der in Fn. 374 die Entscheidung BGHSt 32, 275 anführt, in der sich der Dritte Strafsenat auf immerhin 15 Seiten mit der Frage nach der Immunität eines Sonderbotschafters / ad-hocBotschafters nach § 20 GVG auseinanderzusetzen hatte. 211 BGHSt 34, 1 (3); OLG Saarbrücken NJW 1975, 506 (509); SSW-Beulke, Einl. Rn. 87. 212 Dies verlangen bspw. BeckOK-Singelnstein, § 359 Rn. 31; Mayer, GerS 99 [1930] 299 (337 f.); Peters, Fehlerquellen Bd. 3, S. 90. 207

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im Erstverfahren eigentlich vorzunehmenden Verfahrenseinstellung könnten Bedenken bestehen. Die parlamentarische Immunität stellt sich regelmäßig als lediglich vorübergehendes Verfahrenshindernis dar, denn auch wenn sie nicht wie beantragt213 aufgehoben wird, kann die Straftat unter Berücksichtigung der Verjährungsvorschriften jedenfalls dann verfolgt werden, wenn das Abgeordnetenmandat nicht mehr besteht.214 Auch die diplomatische Immunität besteht nur für den Zeitraum der dienstlichen Tätigkeit, ihr Wegfall hat zur Folge, dass die Strafverfolgung nunmehr grundsätzlich zulässig ist.215 Die Aussicht, die Strafverfolgung irgendwann einmal doch betreiben zu können, hat jedoch keine der Stimmen in Literatur und Rechtsprechung daran gehindert, die gegen eine aktuell bestehende Immunität verstoßende Entscheidung als nichtig anzusehen. Darüber hinaus ist die Einstellung nach §§ 206a, 260 Abs. 3 StPO, die die im Erstverfahren einzig denkbare Abschlussentscheidung dargestellt hätte, zweifellos eine endgültige. Mit ihr endet das Verfahren, die schlichte Weiterführung ist nicht möglich, was sich nicht zuletzt aus der Gegenüberstellung mit § 205 StPO ergibt, der eben die vorläufige Einstellung des Verfahrens bei vorübergehenden Hindernissen behandelt. Die Frage, inwiefern die endgültige Verfahrenseinstellung vor einer erneuten Strafverfolgung schützt, geht freilich darüber hinaus. Sie soll an dieser Stelle noch offenbleiben und im Kontext eben dieser Einstellungsentscheidungen beantwortet werden. Gössel, der das Kriterium des Strafklageverbrauchs für entscheidend hält,216 lässt jedenfalls die Einstellung wegen bereits bei der Erstentscheidung fehlender deutscher Gerichtsbarkeit als Entscheidung im Wiederaufnahmeverfahren grundsätzlich zu.217 Dann sollte dem Angeklagten konsequenterweise auch nicht verwehrt werden können, eben diese Entscheidung zu begehren und sein Wiederaufnahmevorbringen darauf zu stützen. Ergeben sich nachträglich Anhaltspunkte, dass der Angeklagte zur Zeit der Verurteilung der deutschen Gerichtsbarkeit nicht unterworfen war und das Verfahren hätte eingestellt werden müssen, so steht der Anwendbarkeit des Wiederaufnahmeverfahrens demnach nichts entgegen, sofern das Gericht die tatsächlichen Umstände nicht kannte, aus denen sich die fehlende Gerichtsbarkeit ergibt. Die Fall-

213

Zur Vorgehensweise der Staatsanwaltschaft siehe Nr. 192 RiStBV. KMR-Seidl, § 205 Rn. 17; LR-Stuckenberg, § 205 Rn. 11; Meyer-Goßner/Schmitt, Einl. Rn. 145; Wolfslast, NStZ 1987, 433. 215 BeckOK-Valerius, § 18 GVG Rn. 16; allerdings bleibt die Immunität nach Art. 39 Abs. 2 S. 2 des Wiener Übereinkommens über diplomatische Beziehungen (WÜD) in Bezug auf die in Ausübung der dienstlichen Tätigkeit als Mitglied der Mission vorgenommenen Handlungen auch weiterhin bestehen, insofern ist die Verfolgbarkeit also tatsächlich permanent ausgeschlossen. 216 LR-Gössel, § 359 Rn. 67. 217 LR-Gössel, § 368 Rn. 5 f. Anders allerdings, sofern die Wiederaufnahme zugunsten betrieben wird und die Unzulässigkeit erst nach Rechtskraft der Erstentscheidung eintritt; dann überwiege das Rehabilitationsinteresse des Betroffenen. 214

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konstellation fügt sich als schweres218 Verfahrenshindernis insofern nahtlos in die zuvor behandelten Fehlentscheidungen ein.219 h) Verstoß gegen den Spezialitätsgrundsatz Der im internationalen Strafrecht beheimatete Spezialitätsgrundsatz untersagt, sofern keiner der genannten Ausnahmefälle greift, den Ausgelieferten wegen einer anderen, vor der Übergabe begangenen Handlung als derjenigen, die der Auslieferung zugrunde lag, zu verfolgen, zu verurteilen, zur Vollstreckung einer Strafe oder Maßregel der Sicherung und Besserung in Haft zu halten oder einer sonstigen Beschränkung seiner persönlichen Freiheit zu unterwerfen.220 Seine Verletzung stellt nach ständiger Rechtsprechung ebenfalls ein Verfahrenshindernis dar.221 Allerdings besteht die Möglichkeit, vom ausliefernden Staat nachträglich eine Zustimmung zur Strafverfolgung zu erlangen (das sogenannte Nachtragsersuchen, vgl. Nr. 56 der Auslandsverkehr-Strafrechtsrichtlinien [RiVASt]). Aus diesem Grunde stellt die fehlende Bewilligung im laufenden Prozess unter Umständen lediglich ein vorübergehendes Verfahrenshindernis dar, nicht zuletzt da dessen Behebung auch noch in der Rechtsmittelinstanz möglich sein soll.222 Auch kann die Spezialitätsbindung aus anderen Gründen entfallen.223 Entfällt die Vorläufigkeit, also steht schlussendlich fest, dass die Spezialitätsbindung bestehen bleiben wird, so ist das Verfahren hingegen wegen Vorliegens eines nicht behebbaren Verfahrenshindernisses endgültig einzustellen.224 Eine andere Lösung wird für Konstellationen vertreten, in denen die Auslieferung auf Grundlage des Europäischen Haftbefehls erfolgte. Hier spricht sich der Euro218

Eb. Schmidt, Lehrkommentar I Rn. 123: „das schwerstwiegende Verfahrenshindernis […], das sich überhaupt denken läßt“. 219 Für die Zulässigkeit auch Grünwald, ZStW 76 [1964], 250 (259 f.). Tritt die Exemtion erst nach Verurteilung ein oder bestand sie ggf. schon davor, dauert jedoch auch noch an, sei angesichts des gleichzeitig vorliegenden Vollstreckungshindernisses der Anwendungsbereich für eine gerichtliche Entscheidung nach § 458 StPO eröffnet. 220 Art. 14 Abs. 1 des Europäisches Auslieferungsübereinkommens vom 13. 12. 1957 (EuAlÜbk), BGBl. II 1964 Nr. 51, S. 1369 ff. sowie Art. 27 Abs. 2 des Rahmenbeschlusses 2002/584/JI des Rates vom 13. 06. 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten. Hierzu etwa LR-Stuckenberg, § 206a Rn. 70 ff. 221 BGHSt 19, 118 (119); BGH NJW 1960, 2201 (2202); NStZ 1993, 45; NStZ-RR 2013, 251 (252). 222 BGHSt 57, 138; NStZ-RR 2013, 251 (252). 223 So kann der Ausgelieferte auf die Einhaltung des Grundsatzes der Spezialität verzichten und sich mit der uneingeschränkten Strafverfolgung einverstanden erklären. Des Weiteren entfällt das Verfolgungsverbot nach Art. 14 Abs. 1 lit. b EuAlÜbk bzw. § 83 h Abs. 2 Nr. 1 IRG, wenn der Ausgelieferte das Staatsgebiet innerhalb von 45 Tagen nach seiner endgültigen Freilassung nicht verlässt und ihm diese Rechtsfolge bekannt war, vgl. auch BGHSt 57, 138 (143). 224 BGH NStZ-RR 2013, 251 (253).

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päische Gerichtshof nunmehr gegen das Vorliegen eines Verfahrenshindernisses aus, es bestehe lediglich ein Vollstreckungshindernis und das Verbot freiheitsbeschränkender Maßnahmen.225 Daraus folgt, dass hinsichtlich der Konsequenzen des Eingreifens des Spezialitätsgrundsatzes künftig unterschieden werden muss: Ist der ersuchte Staat Mitglied der Europäischen Union, kann auch ohne seine Zustimmung eine Verurteilung ergehen, die Beachtung des Spezialitätsvorbehalts als bloßes Hafthindernis obliegt damit vorrangig der Staatsanwaltschaft.226 Handelt es sich nicht um einen EU-Mitgliedsstaat, so ist weiterhin das Gericht gehalten, eine vorläufige beziehungsweise endgültige Einstellung des Verfahrens zu veranlassen, denn hier gebietet der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit nach wie vor, dem Spezialitätsvorbehalt eine möglichst weite, an der souveränen Entscheidung des ausliefernden Staates ausgerichtete Geltung beizumessen.227 Als Prozessvoraussetzung, die die zu verfolgende Sache betrifft,228 kann das übersehene Eingreifen des Spezialitätsvorbehalts jedoch entsprechend den bereits besprochenen Konstellationen im Wiederaufnahmeverfahren berücksichtigt werden.229 Im Rahmen der soeben dargestellten Fallkonstellation wird deutlich, wie sehr die Fehlerfolgen und bereits die Einstufung als „Fehler“ der Wertung der Rechtsordnung unterliegen. Der innerhalb der Europäischen Union zu schaffende Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts und die dahingehende Kooperation der Mitgliedsstaaten230 bewirkt, dass ein Verstoß, aus dem zwar schon nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts nicht die Nichtigkeit der Entscheidung resultierte,231 nun nicht einmal mehr die Anfechtbarkeit der Entscheidung begründet. Die gleichzeitige „Aberkennung“ des Status eines Verfahrenshindernisses hat zudem unmittelbare Auswirkungen auf den Anwendungsbereich des Wiederaufnahmeverfahrens, welches gezwungen ist, jedem diesbezüglichen Wandel der Rechtsprechung gleichsam nachzufolgen.232

225 Vgl. EuGH Urt. v. 01. 12. 2008 – C-388/08 PPU – Leymann u. Pustovarov, Slg. 2008, I08993, Rn. 73 = NStZ 2010, 35 (39) m. Anm. Heine; im Anschluss daran auch BGH NStZ 2012, 100. 226 Heine, NStZ 2010, 39 (40). Zumindest denkbar ist damit die Konsequenz, dass bei endgültigem Feststehen der Spezialitätsbindung, also wenn die Zustimmung verweigert wird und die Bindung auch aus anderen Gründen nicht mehr entfallen kann, ein rechtskräftiges, jedoch niemals vollstreckbares Urteil geschaffen wird – das Verfahren nach § 458 StPO vermag den Bestand des Urteils an sich ja gerade nicht anzugreifen. Die abschlägige Entscheidung auf ein Nachtragsersuchen wird jedoch kaum den Regelfall darstellen. 227 Heine, NStZ 2010, 39 (40). 228 SK-Paeffgen, Anh. zu § 206a Rn. 22. 229 Anders OLG Hamm NJW 1956, 1936: es bliebe nur der Gnadenweg offen. 230 Hierzu Heine, NStZ 2010, 39 (40). 231 Vgl. RGSt 72, 77 (78); OLG Hamm NJW 1956, 1936. 232 Hierzu in umgekehrter Konstellation erneut auf S. 139 ff.

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i) Fehlende Anklage und fehlender Eröffnungsbeschluss Eine wirksame Anklage und der daraufhin ergehende Eröffnungsbeschluss nach § 203 StPO bilden das „Drehbuch“233 eines jeden Verfahrens und sind nach allgemeiner Ansicht zugleich unabdingbare Voraussetzungen desselben.234 Bereits hinsichtlich der Anklageschrift muss die sogenannte Umgrenzungsfunktion gewahrt sein, die das Gericht in persönlicher und sachlicher Hinsicht genau über den Verfahrensgegenstand informiert.235 Diesbezügliche Mängel können auf den Eröffnungsbeschluss durchschlagen.236 Der Inhalt des Eröffnungsbeschlusses ist wiederum die Grundlage der Hauptverhandlung, aus ihm muss sich zweifelsfrei entnehmen lassen, innerhalb welcher tatsächlichen Grenzen sich die Hauptverhandlung und die Urteilsfindung gemäß §§ 155, 264 StPO zu bewegen haben und welche Vorgänge später von der Rechtskraft umfasst werden.237 Zu einem tatsächlichen Fehlen der Verfahrensvoraussetzungen kann es kommen, wenn versehentlich insgesamt oder hinsichtlich einzelner Taten oder Angeschuldigter keine Anklage erhoben wurde oder keine Eröffnungsentscheidung ergangen oder als Urkunde nicht existent ist, weil die Beschlussfassung nicht schriftlich fixiert wurde. Zwar ist die Schriftform des Eröffnungsbeschlusses nicht ausdrücklich vorgesehen, sie ergibt sich jedoch indirekt aus dem Zustellungserfordernis nach §§ 215 Satz 1, 35 Abs. 2 StPO.238 Das Gesetz geht demnach angesichts ihrer Bedeutung als Grundlage des Hauptverfahrens und mit Rücksicht auf die Erweislichkeit der Beschlussfassung in weiteren Verfahrensstadien239 von einer schriftlichen Nie233

So anschaulich Krack, Rehabilitierung, S. 263. BGHSt 5, 225 (227); 6, 109 (113); 10, 278 (279); BGHR StPO § 1 Anklage, fehlende 1; BGH NStZ-RR 2011, 150 (151); NStZ 2012, 225 (226); KMR-Seidl, § 203 Rn. 4; LR-Stuckenberg, § 207 Rn. 5; ders., StV 2013, 133; Meyer-Goßner/Schmitt, § 203 Rn. 1; SSWBeulke, Einl. Rn. 101. Gleiches gilt auch für den die Wiederaufnahme des Verfahrens anordnenden Beschluss nach § 370 Abs. 2 StPO – als Rechtsgrundlage des neuen Verfahrens wird er zur Prozessvoraussetzung erhoben, im Falle seines Fehlens muss das wiederaufgenommene Verfahren eingestellt werden, vgl. KMR-Eschelbach, § 370 Rn. 32; Pfeiffer, FG Graßhoff, S. 271 (285). 235 Meyer-Goßner/Schmitt, § 200 Rn. 2. Hierfür kann allerdings (bspw. bei Taten nach den §§ 174 ff. StGB) schon genügen, den zeitlichen Rahmen der Tatserie, die Höchstzahl der nach dem Anklagevorwurf innerhalb dieses Rahmens begangenen Taten, das Tatopfer und die wesentlichen Grundzüge des Tatgeschehens zu bezeichnen, vgl. BGHSt 44, 153 (154 f.); BGH NStZ 1995, 245; NStZ 2014, 49. Neben der Umgrenzungsfunktion kommt der Anklageschrift anerkanntermaßen auch eine – im Wesentlichen auf den Angeschuldigten gemünzte – Informationsfunktion zu; sie vermittelt die für die Durchführung des Verfahrens und für die Verteidigung notwendigen Erkenntnisse, hierzu etwa LR-Stuckenberg, § 200 Rn. 4 ff. 236 BGHSt 5, 225 (227); BGH GA 1973, 111; OLG Köln StraFo 1995, 21 (22); LR-Stuckenberg, § 207 Rn. 48. 237 BGHSt 10, 137 (139). 238 BGH NJW 1990, 1055; StV 1996, 5 (6); StV 2013, 132 m. Anm. Stuckenberg; BayObLGSt 1989, 102 (103); OLG Stuttgart NStZ-RR 2010, 343; KK-Schneider, § 207 Rn. 15; Stuckenberg, StV 2013, 133. 239 OLG Zweibrücken NStZ-RR 1998, 74. 234

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

derlegung dieser Entscheidung aus, eine bloß mündliche Beschlussfassung macht die Entscheidung als solche noch nicht existent.240 Die sich daran unmittelbar anschließende Frage ist, ob darüber hinaus auch die Unterzeichnung durch alle beteiligten Richter des zuständigen Spruchkörpers noch zu den Grundvoraussetzungen für die tatsächliche Existenz des Beschlusses zählt. Zum einen wird dadurch sichergestellt, dass es sich nicht um einen bloßen Entwurf handelt, zum anderen, dass auch wirklich alle zuständigen Richter daran beteiligt waren, was vor allem bei Beschlussfassung im Umlaufverfahren von entscheidendem Wert ist.241 Der Begriff der Schriftlichkeit an sich umfasst jedoch nicht die Unterzeichnung durch den Verfasser, die Strafprozessordnung kennt insofern auch keine gesetzliche Definition der Schriftform vergleichbar § 126 Abs. 1 BGB.242 Für die Einlegung von Rechtsmitteln, die schriftlich erfolgen muss (vgl. §§ 314 Abs. 1, 341 Abs. 1 StPO), soll gleichwohl eine handschriftliche Unterzeichnung zur Wirksamkeit der Erklärung nicht unbedingt erforderlich sein.243 Umgekehrt ist die schriftliche Unterzeichnung in einigen Vorschriften ausdrücklich angeordnet, etwa in § 275 Abs. 2 StPO bei Absetzung des Urteils.244 All dies spricht dafür, dass für die Strafprozessordnung die Unterzeichnung durch den Urheber für die Wirksamkeit der Entscheidung nicht unerlässlich ist.245 Für den Bundesgerichtshof wurde die Frage soweit ersichtlich bislang nicht entscheidungserheblich.246 Es ist daher davon auszugehen, dass im Falle der nicht erfolgten schriftlichen Abfassung, nicht aber bei Fehlen aller oder einiger notweniger Unterschriften von der Nichtexistenz der Entscheidung zu sprechen ist.247 Diesbezügliche auf einer mangelhaften Erkenntnisgrundlage beruhende Fehlvorstellungen – das Gericht geht irrtümlich von der Existenz einer derartigen Urkunde aus – sind angesichts der grundsätzlich gegebenen Identität von eröffnendem und erkennendem Richter248 naturgemäß selten.249 Die zur fehlenden Anklage be240

BGH NStZ 1981, 448; StV 2013, 132 m. Anm. Stuckenberg. Vgl. BGH StV 1981, 329; NJW 1990, 1055; Stuckenberg, StV 2013, 133. 242 BGHSt 12, 317; BayObLGSt 1989, 102 (104); OLG Stuttgart NStZ-RR 2010, 343. 243 BVerfGE 15, 288 (291); RGSt 63, 246 (247 f.); 67, 385 (388); BGHSt 2, 77 (78); 31, 7; BGH NStZ-RR 2000, 305; Meyer-Goßner/Schmitt, Einl. Rn. 128. 244 Darüber hinaus in §§ 172 Abs. 3 S. 2; 345 Abs. 2; 366 Abs. 2; 390 Abs. 2 StPO, wobei der notwendigen Unterzeichnung hier insb. die Bedeutung zukommt, die sachgerechte Fassung des Vorbringens im Wege der Vorprüfung durch eine rechtskundige Person zu sichern. 245 OLG Düsseldorf OLGSt StPO § 203 Nr. 3; BayObLGSt 1989, 102 (104); OLG Stuttgart NStZ-RR 2010, 343. 246 Hierzu eingehend Stuckenberg, StV 2013, 133 (134 f.), die Rezeption der Frage in der Rechtspraxis sei ein „Lehrbeispiel für das Verwirrungspotential ungenauer obiter dicta“. 247 So auch Stuckenberg, StV 2013, 133 (135), der allerdings die Schaffung einer gesetzlichen Formvorschrift für erwägenswert hält. 248 KK-Schneider, § 199 Rn. 4; LR-Stuckenberg, § 199 Rn. 3; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 8 Rn. 5. 249 So auch LR-Stuckenberg, § 200 Rn. 84 betr. das Fehlen der Anklage. 241

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ziehungsweise zum fehlenden Eröffnungsbeschluss ergangenen Entscheidungen250 beschäftigen sich überwiegend mit Fällen des Fehlens einer wirksamen Verfahrensgrundlage.251 Die vermeintlich „fehlende“ Verfahrensgrundlage ist dort also lediglich eine fehlerhafte, die jedoch als fehlend behandelt wird. Ihr wird die Fähigkeit abgesprochen, die Grundlage für das weitere Verfahren bilden zu können.252 In diesen Fällen ergeht die fehlerhafte, weil „ohne Drehbuch“ ergangene Endentscheidung nicht aufgrund einer unrichtigen Tatsachenbasis (Unkenntnis hinsichtlich des Fehlens der Verfahrensvoraussetzung), sondern aufgrund einer unrichtigen Rechtsaufassung (Unkenntnis hinsichtlich der Unwirksamkeit als Verfahrensvoraussetzung). Aus diesem Grunde werden die Erörterungen zu dieser Problematik im Teil D. der Arbeit fortgesetzt. Liegt nun der Fehler tatsächlich darin, dass das Gericht irrig davon ausgeht, das Verfahren hinsichtlich sämtlicher Taten und Angeklagten eröffnet zu haben, dies de facto jedoch nicht geschehen ist,253 beruht die Endentscheidung auf der irrigen Annahme der Existenz eines Eröffnungsbeschlusses und damit auf einer fehlerhaften tatsächlichen Grundlage. Aus dem Fehlen einer Verfahrensvoraussetzung resultiert die Notwendigkeit der Einstellung des Verfahrens. Damit würde der Angeklagte, der darzulegen vermag, dass es einen das Hauptverfahren eröffnenden Beschluss nie gegeben hat, Umstände vortragen, die bei Kenntnis im ersten Verfahren zur Verfahrenseinstellung hätten führen müssen. Gleiches würde für das völlige Fehlen der Anklageschrift gelten.254 Die konjunktivische Formulierung ist dem Umstand geschuldet, dass die Rechtsprechung in sehr großzügiger Weise die Nachholung der Verfahrensvoraussetzungen erlaubt.255 Damit begibt sie sich jedoch in einen schweren dogmatischen Widerspruch. Denn wird ein bestimmter Umstand als Verfahrenshindernis anerkannt, so trifft dies der traditionellen Definition nach eine Aussage über die Statthaftigkeit des gesamten Prozesses. Wenn das Verfahren als Ganzes jedoch unzulässig ist, dürfte sich konsequenterweise die Frage nach einer „Nachholbarkeit“ in eben diesem unstatthaften Verfahren gar nicht stellen.256 Ein 250 Vgl. etwa BGH GA 1973, 111 (unzureichende Darstellung der Einzelakte); NStZ 1986, 276 (fehlende Unterschrift); NStZ-RR 2011, 150 (vermeintliche Ersetzung durch Übernahmebeschluss bzw. Termins- und Ladungsverfügung); NStZ 2012, 225 (fehlende Unterschrift); instruktiv auch OLG Zweibrücken Beschl. v. 02. 05. 2008 – 1 Ws 142/08 –, juris (Verwendung von Vordrucken). 251 Dazu zählt nach hier vertretener Auffassung dann auch der nicht von allen beteiligten Richtern unterschriebene Eröffnungsbeschluss. 252 LR-Stuckenberg, § 207 Rn. 48. 253 Zur Praxis der Verwendung von vorformulierten Entscheidungsvordrucken erneut das OLG Zweibrücken Beschl. v. 02. 05. 2008 – 1 Ws 142/08 –, juris. Die Kurzwiedergabe in NJWSpezial 2008, 410 ist im Übrigen betitelt mit „Freiheit per Textbaustein“. 254 LR-Stuckenberg, § 200 Rn. 84. 255 BGHSt 29, 224; 33, 167 (168); 50, 267; w. N. etwa bei LR-Stuckenberg, § 200 Rn. 87 f. u. § 207 Rn. 57 ff.; SK-Paeffgen, § 200 Rn. 29 u. § 207 Rn. 27. 256 So die berechtigte Kritik von Meyer-Goßner, FS Eser, S. 373 (378); ders., Prozessvoraussetzungen S. 13 f.; zust. etwa SK-Paeffgen, § 207 Rn. 27 m.w.N. aus der Lit.

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weiterer Bruch mit der Verfahrenssystematik ergibt sich angesichts der Tatsache, dass der Angeklagte der Nachholung widersprechen und die Aussetzung der Hauptverhandlung verlangen kann257. Durch die Lösung der Rechtsprechung wird damit faktisch eine nicht disponible258 Verfahrensvoraussetzung dem Konsens der Beteiligten überantwortet.259 Konsequenterweise lehnt die herrschende Lehre derartige nachträgliche „Heilungsmöglichkeiten“ in der Hauptverhandlung ab.260 Sofern man sogar einen tatsächlich nicht existenten Eröffnungsbeschluss „nachholen“ kann, ist er entgegen seiner vom Gesetz zugewiesenen Bedeutung nicht einmal mehr eine bloße Förmlichkeit, denn eine Anordnung, deren Nichteinhaltung unschädlich ist, verdient nicht einmal mehr diese Bezeichnung.261 Bleibt man konsequent dabei, dass auf das Fehlen einer Verfahrensvoraussetzung mit der Einstellung des Verfahrens zu reagieren ist, so ist für diese Fallkonstellation ebenfalls der Anwendungsbereich des Wiederaufnahmeverfahrens eröffnet.

2. Sachurteile im Kontext von Beweisverwertungsverboten Bislang wurde der Frage nachgegangen, ob und unter welchen Voraussetzungen in Fällen des Fehlens einer Verfahrensvoraussetzung beziehungsweise des Vorliegens eines Prozesshindernisses im Erstverfahren die Wiederaufnahme zulässig ist. Nun stellt sich die Frage, ob auch Fehler hinsichtlich der Beweisverwertung im Rahmen der §§ 359 ff. StPO Beachtung finden können. Die Pflicht zur Erforschung der materiellen Wahrheit besteht im Strafprozess nur in begrenztem Umfang.262 Bestimmte Umstände dürfen nicht zum Gegenstand der Beweisführung gemacht, bestimmte Beweismittel nicht verwendet, bestimmte Mittel zur Beweisgewinnung nicht angewandt werden.263 Nach Ansicht der Rechtsprechung führen selbst schwere Verstöße in diesem Bereich jedoch regelmäßig nur zu einem Verbot der Verwertung 257

BGHSt 29, 224 (230); KK-Schneider, § 207 Rn. 21. Vgl. RGSt 55, 159; BGH NStZ-RR 1999, 14 (15). 259 LR-Stuckenberg, § 207 Rn. 60. 260 So etwa KK-Schneider, § 207 Rn. 21; SK-Paeffgen, § 207 Rn. 27 jeweils m.w.N. Auf diese Problematik wird im Rahmen der Ausführungen in Teil D. (S. 263 ff.) erneut eingegangen, da sich die Frage nach einer möglichen Heilung insbesondere auch im Rahmen der bloß fehlerhaften Verfahrensgrundlage stellt. Will man für fehlerhafte Anklagen und Eröffnungsbeschlüsse eine Heilung zulassen, so sollte dies Konsequenzen für die Anerkennung als Verfahrenshindernis haben. 261 Stuckenberg, StV 2013, 133 (134). 262 Feststehender Terminus hier: keine Wahrheitserforschung „um jeden Preis“ vgl. etwa BGHSt 14, 358 (365); 52, 11 (17). Hierzu Neumann, ZStW 101 [1989], 52 (62): eine Strafprozessordnung, in der anderes gelten würde, könne sich nicht mehr als rechtliche Verfahrensordnung bezeichnen. 263 SSW-Beulke, Einl. Rn. 248; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 24 Rn. 15; Volk/Engländer, Grundkurs StPO, § 28 Rn. 1 ff. 258

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des konkreten Beweises, nicht zu einem Prozesshindernis.264 Im Hinblick auf die Diversität der Beweisverbote265 und die regelmäßig für den jeweiligen Einzelfall festzustellende und zu bewertende266 Zuwiderhandlung ist dies auch durchaus nachvollziehbar. Die Verstöße haben also lediglich zur Folge, dass bestimmte Informationen und Beweisergebnisse nicht in die Beweiswürdigung und Entscheidungsfindung einfließen dürfen.267 Neben den Beweisverwertungsverboten aus oben genannten Gründen sind darüber hinaus auch bestimmte Fälle anerkannt, in denen die Beweisgewinnung selbst nicht fehlerhaft war, es aber dennoch verboten ist, den Beweis zu verwerten.268 a) Verkennen des Eingreifens eines Beweisverwertungsverbotes Anders als in den zuvor besprochenen Konstellationen, in denen bei Erlass der Entscheidung das Gericht von einem wesentlichen Umstand keine Kenntnis besaß, existiert hier plastisch ausgedrückt „eine Erkenntnisquelle zu viel“. Das Gesetz selbst schließt nun prinzipiell nicht aus, dass auch ein auf unverwertbaren Beweisen basierendes Urteil Gegenstand der Wiederaufnahme sein könnte. Wie im vorherigen Unterkapitel bereits dargestellt, enthalten die §§ 359 ff. StPO gerade keine Begrenzung derart, dass nur die Überprüfung der materiell-rechtlichen Grundlagen der Entscheidung zulässig wäre.269 Die offene Gestaltung von § 359 Nrn. 1 – 3 StPO lässt Raum für Vorbringen, die die (verbotene) Beweisverwertung betreffen. So erlaubt etwa § 359 Nr. 3 StPO angesichts des davon erfassten rechtsbeugenden Verhaltens270 zweifellos die Wiederaufnahme im Falle einer bewussten, etwa das Verbot des § 136a Abs. 3 StPO missachtenden Verwertung eines unzulässig erlangten Geständnisses; über § 359 Nr. 2 könnten etwa Fallgestaltungen erfasst werden, in denen die gerichtliche Überzeugung vom ordnungsgemäßen Zustandekommen des Be-

264 Vgl. etwa BGHSt 38, 214 (222); 42, 191 (193); 45, 321 (334) zu § 136a StPO. Zu der darunter stehenden Reaktionsmöglichkeit, die lediglich auf eine Beeinträchtigung des Beweiswerts abgestellt und das Problem auf der Ebene der Beweiswürdigung behandelt (Beweiswürdigungslösung) etwa BGHSt 46, 93 (104 f.) und KMR-Eschelbach, § 359 Rn. 144. 265 Hierzu etwa die alphabetische Auflistung möglicher Beweisverwertungsverbote bei Burhoff, Handbuch Hauptverhandlung, Rn. 967 ff.; vgl. auch SSW-Beulke, Einl. Rn. 275 ff. 266 Zu den „absoluten“ Beweisverwertungsverboten, die nicht erst aufgrund einer Interessenabwägung festzustellen sind, sondern sich kategorisch aus einer Verletzung des absolut geschützten Kernbereichs der Persönlichkeitsentfaltung (Art 1 Abs. 1 GG) ergeben etwa BeckOK-Eschelbach, § 261 Rn. 27 f. 267 SSW-Beulke, Einl. Rn. 248; Eisenberg, Beweisrecht, Rn. 356. 268 Dies betrifft etwa sog. Zufallserkenntnisse, die anlässlich einer aus anderem Grund angeordneten Maßnahme gewonnen wurden, hierzu etwa SSW-Beulke, Einl. Rn. 251; Volk/ Engländer, Grundkurs StPO, § 28 Rn. 5. 269 Vgl. auch SK-Frister, § 359 Rn. 9. 270 Vgl. hierzu etwa BGH NStZ 1995, 605 (606 f.); MüKo(StGB)-Uebele, § 339 Rn. 45.

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weises auf einer die unzulässige Vernehmungsmethode leugnenden strafbaren Falschaussage des Vernehmungsbeamten beruht.271 Hinsichtlich der Zulässigkeit eines auf § 359 Nr. 5 StPO gestützten Vorbringens in diesem Bereich ist die Meinung in der Literatur jedoch geteilt. Nach Ansicht von Peters kann auch der Verstoß gegen Beweismittelverbote272 (§§ 52 – 55, 81c Abs. 3 StPO) und die Beweismethodenverbote des § 136a StPO den Anwendungsbereich von § 359 Nr. 5 StPO eröffnen.273 Die entgegenstehende Ansicht vertritt hingegen die Auffassung, dass derartige die Verwertung von Beweisen betreffenden Vorbringen sich nicht dem Begriff der „Tatsachen oder Beweismittel“ im wiederaufnahmerechtlichen Sinne subsumieren ließen.274 Der Verfahrensordnung lässt sich jedoch nichts entnehmen, was eine derartige Einschränkung275 stützen würde, im Gegenteil: Ebenso, wie der Angeklagte – unabhängig von der tatsächlichen Tatbegehung – anerkanntermaßen einen Anspruch darauf hat, nur bei Vorliegen aller Verfahrensvoraussetzungen verurteilt zu werden (hierzu im vorherigen Teil), kann er verlangen, nur aufgrund rechtmäßig erlangter und im Hinblick auf die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens verwertbarer Beweise verurteilt zu werden.276 Die Verfahrensgarantien der Prozessordnung, die durch Beweisverwertungsverbote geschützt werden, wirken auch nach Ende des Verfahrens fort, weshalb ihre (erneute) Geltendmachung auch im Rahmen eines Wiederaufnahmeverfahrens zulässig sein muss.277 Kann der Verurteilte nunmehr die Umstände, die die unverwertbare Aussage herbeigeführt haben – etwa eine körperliche Misshandlung beim Verhör oder das Verabreichen von Mitteln, vgl. § 136a Abs. 1 Satz 1 – mittels neuer Erkenntnisquellen, etwa die Aussage eines Zeugen, der zuvor zur Aussage nicht bereit war, dartun, so liegt darin selbstverständlich ein Vorbringen von durch § 359 Nr. 5 StPO geforderten nova.278 Gleiches gilt, wenn neue Erkenntnisse betreffend das Vorliegen eines – unter Umständen auch 271

Beispiele auch bei SK-Frister, § 359 Rn. 9. Zu den Begrifflichkeiten erneut etwa Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 24 Rn. 15 ff. 273 Peters, Fehlerquellen Bd. 3, S. 54 f.; ders., Strafprozeß, S. 674. Zust. KMR-Eschelbach, § 359 Rn. 141 ff.; SK-Frister, § 359 Rn. 10; Wasserburg/Eschelbach, GA 2003, 335 (351 f.); Bock et al., GA 2013, 328 (344); Krüger, Überprüfung der tatsächlichen Grundlagen durch das Revisionsgericht, S. 120 f.; Marxen/Tiemann, Wiederaufnahme, Rn. 81 (Verstoß gegen § 136a StPO); Einschränkend Eisenberg, JR 2007, 360 (362): „im Allgemeinen zumindest vertretbar“. 274 HK-Temming, § 359 Rn. 16; KK-Schmidt, § 359 Rn. 18; Meyer-Goßner/Schmitt, § 359 Rn. 22. Einschränkend LR-Gössel, § 359 Rn. 74: nur im Falle eines schwerwiegenden, die Sachentscheidung endgültig verhindernden Verstoßes. 275 Hierzu auch KMR-Eschelbach, § 359 Rn. 124; Dickersbach, Prozessuale Tatsachen, S. 8. 276 Dies auch gerade vor dem Hintergrund, dass etwa § 136a StPO in seiner Gesamtheit als prozessrechtliche Ausformung des Leitgedankens der Rechtsstaatlichkeit verstanden wird und die Subjektqualität des Angeklagten sichert, vgl. KK-Diemer, § 136a Rn. 1; KMR-PauckstadtMaihold, § 136a Rn. 1. 277 So auch KMR-Eschelbach, § 359 Rn. 141; SK-Frister, § 359 Rn. 10. 278 Zu den Beweisschwierigkeiten in diesem Bereich Jahn, Gutachten 67. DJT, C 108 f. 272

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lediglich zuvor nicht zugebilligten – Zeugnisverweigerungsrechts präsentiert werden. Hätte das Gericht im ersten Verfahren beispielsweise die Umstände gekannt, die ein bestehendes Verlöbnis und damit ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 52 Abs. 1 Nr. 1 StPO belegen, hätte es bei Geltendmachung dieses Rechts durch den Zeugen die Verurteilung auf dessen Aussage nicht stützen dürfen (§ 252 StPO); handelt es sich um das Hauptbelastungsmoment, hätte es freisprechen müssen.279 Sofern das Gericht sich der das Beweisverwertungsverbot begründenden Umstände nicht bewusst war, droht auch keine Überschreitung der Kompetenzen gegenüber einem Rechtsmittelgericht, sodass eine Umgehung der gesetzlichen Rechtsmittelfristen drohen könnte.280 Angriffspunkt ist hier nämlich gerade nicht die fälschliche Ablehnung eines Verfahrensverstoßes, sondern die fehlerhafte Tatsachengrundlage des im Erstverfahren verurteilenden Gerichts zur Beurteilung dieses Verstoßes. Eine Besonderheit besteht, sofern das Beweisverwertungsverbot erst auf rechtzeitigen Widerspruch der Verteidigung hin entsteht. Die in diesem Bereich von der Rechtsprechung entwickelte „Widerspruchslösung“ betrifft Beweisinhalte, die ihrem Wesen nach der Dispositionsmacht der Verteidigung unterliegen und gilt etwa für Beweisverwertungsverbote bei Verstoß gegen die Belehrungspflicht nach § 136 StPO oder bei heimlichen Ermittlungsmaßnahmen, etwa der Überwachung der Telekommunikation oder bei Einsatz eines verdeckten Ermittlers.281 Der nachträgliche Vortrag der das Verwertungsverbot begründenden Umstände allein konstruiert in diesem Fall dann rückwirkend betrachtet gerade nicht die Unverwertbarkeit des Beweises im Rahmen der ersten Entscheidung. In diesen Fällen ist also der Anwendungsbereich des Wiederaufnahmeverfahrens erst dann eröffnet, wenn im Erstverfahren tatsächlich auch ein Widerspruch erfolgte, der jedoch ohne Erfolg blieb, etwa weil er nicht hinreichend überzeugend begründet werden konnte. Die Widerspruchslösung bürdet dem Betroffenen insoweit eine Darlegungslast im Erstverfahren auf, der er unter Umständen mangels Kenntnis nicht nachkommen kann, bei nachträglicher Kenntniserlangung wird ihm dennoch eine Wiederaufnahmemöglichkeit versagt – dies ist nach Eschelbach282 ein durchschlagendes 279 Beispiel nach Krüger, Überprüfung der tatsächlichen Grundlagen durch das Revisionsgericht, S. 120 ff., der auch Umstände das Bestehen eines Vereidigungsverbotes nach § 60 StPO betreffend als geeignetes Vorbringen im Wiederaufnahmeverfahren einstuft (verminderte bzw. erhöhte Glaubwürdigkeit des Beweismittels). Wäre ohne Vereidigung des Zeugen das Gericht nicht von der Schuld des Angeklagten überzeugt gewesen, sollte die Vereidigung also tatsächlich „das Zünglein an der Waage“ gewesen sein, ist dies systematisch durchaus stimmig. Die praktische Relevanz dieser Konstruktion erscheint jedoch äußerst gering. 280 So aber die Kritik des LG Landau StV 2009, 237 (238); vgl. auch Schünemann, ZStW 84 [1972], 870 in Fn. 4. Zur Berechtigung der Nichtbefristung der Wiederaufnahme Nüse, JR 1949, 265 (268) und Ewald, Wiederaufnahme, S. 13 f. 281 Hierzu etwa BeckOK-Eschelbach, § 257 Rn. 20 ff.; Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 460a; MAH Strafverteidigung-Krause, § 7 Rn. 181 ff. Zur besonderen Verantwortung des Verteidigers in diesem Bereich auch KK-Laufhütte/Willnow, Vor § 137 Rn. 6. 282 KMR-Eschelbach, § 359 Rn. 142. Vgl. jedoch Burhoff, ZAP 2003, 377 (388), nach dessen Einschätzung in einer mit gänzlich neuer Beweiserhebung verbundenen neuen

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dogmatisches Argument gegen die Widerspruchslösung; ändert an der Gültigkeit dieses Erfordernisses, wie auch jener konstatiert, jedoch nichts. Im Rahmen der Beweisverwertungsverbote ist es zwar oftmals nicht der konkret geschilderte Vorgang allein, der die Schlussfolgerung trägt, dass die Verurteilung auf so erlangte Beweise nicht gestützt werden darf. Zwischengeschaltet ist in aller Regel die Bewertung der konkreten Umstände. Dies ist jedoch keine Besonderheit gerade der vorliegenden Fallkonstellation. Nahezu jedes neue Beweisergebnis, das nachträglich präsentiert wird, erfordert eine wertende Betrachtung in Bezug auf die Einbettung in den schon bekannten Sachverhalt, und auch manches Verfahrenshindernis kommt ohne Betrachtung des konkreten Falls nicht aus.283 Der Eröffnung des Anwendungsbereichs der Wiederaufnahme nach § 359 Nr. 5 StPO steht dies hier284 nicht entgegen, diese existiert ja gerade als Verfahren und bietet Gelegenheit zur Würdigung der beigebrachten neuen Erkenntnisquellen. Jedoch besteht ein struktureller Unterschied zum nachträglich erkannten Verfahrenshindernis, welches die Verfolgbarkeit der Tat und die Bestrafungsmöglichkeit an sich betrifft und bei Vorliegen stets die entsprechende Reaktion fordert.285 Das Verwertungsverbot berührt nicht das Verfahren als Ganzes, sondern den Inhalt des Schuld- und Strafausspruchs und dies letztlich nur dann, sofern das einzige oder zumindest doch das Hauptbelastungsmittel betroffen ist.286 Stellt sich jedoch eben dieser Allein- oder Hauptbelastungsbeweis als unverwertbar heraus, führt dies zur Beendigung des Verfahrens durch Freispruch.287 Denkbar ist darüber hinaus, dass mit dem verbotswidrig verwendeten Beweismittel taterschwerende288 Umstände belegt wurden, etwa das Beisichführen oder Verwenden einer Waffe bei Begehung eines Raubes, wodurch die Anwendung eines milderen Strafgesetzes (§ 249 Abs. 1 StGB anstelle von §§ 250 Abs. 1 Nr. 1 lit. a, Abs. 2 Nr. 1 StGB) ausgeschlossen wurde. Hätte das im ersten Verfahren verurteilende Gericht Zugriff auf die nunmehr präsenten Erkenntnisquellen (die Zeugenaussage; das die Vernehmung zeigende Videomaterial etc.) gehabt, hätte es den Beweis nicht verwertet. Liegt darin zugleich das Hauptbelastungsmoment, hätte es ebenfalls eine der in § 359 Nr. 5 StPO erwähnten Entscheidungen treffen müssen. Nach hergebrachter Terminologie ist das Hauptverhandlung auch die Nachholung eines zuvor nicht erklärten Widerspruchs möglich sein soll. 283 Zu letzterem auch BGHSt 46, 159 (171). 284 Zur Berücksichtigung von Rechtsfehlern im Bereich der Beweisverwertungsverbote hier auf S. 266. 285 BGHSt 51, 202 (206). 286 Hierbei kann sich auch die Frage stellen, ob die Unverwertbarkeit des einen Beweismittels auch auf andere Beweismittel durchgreift, zur Frage einer solchen Fernwirkung etwa Meyer-Goßner/Schmitt, Einl. 57; SSW-Beulke, Einl. Rn. 265 ff.; Eisenberg, Beweisrecht, Rn. 403 ff.; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 24 Rn. 59 ff. 287 Meyer-Goßner/Schmitt, Einl. Rn. 55 auch m. N. zur abweichenden Mindermeinung (Verfahrenseinstellung). 288 Zur Beschränkung der Wiederaufnahme durch § 363 Abs. 1 StPO hier ab S. 243.

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Vorbringen demnach auf zulässige „Wiederaufnahmeziele“ gerichtet, jedenfalls ist es von wiederaufnahmerechtlich relevanter Qualität. Somit bleibt festzuhalten, dass der Verstoß gegen ein Beweisverwertungsverbot im Erstverfahren insbesondere auch dann Gegenstand der Wiederaufnahme sein kann, wenn es dem Verurteilten gelingt, hinsichtlich der den Verstoß begründenden Umstände neue Erkenntnisquellen aufzuzeigen und dadurch die Unverwertbarkeit eines die Verurteilung wegen des konkreten Tatbestands wesentlich stützenden Beweises belegt. b) Fehlerhafte Annahme eines Beweisverwertungsverbotes Erstmals soll an dieser Stelle auch die spiegelbildliche Konstellation in den Blick genommen werden, in der das Gericht bedingt durch einen Irrtum im tatsächlichen Bereich fälschlich vom Vorliegen eines bestimmten Umstands ausgeht und darauf entsprechend reagiert.289 Die durch Annahme eines Beweisverwertungsverbotes geschmälerte Beweisgrundlage kann sich theoretisch sowohl zugunsten (ein Belastungsbeweis wird als gesperrt angesehen) als auch zuungunsten (ein entlastender Umstand wird nicht verwertet) auswirken. Ob rechtswidrig erlangte Beweismittel mit entsprechender Zustimmung gegebenenfalls dennoch zugunsten des Angeklagten verwertet werden dürfen, ist im Einzelnen allerdings umstritten. Insbesondere der Einsatz neuer Ermittlungsmethoden kann zu Beweisergebnissen führen, deren Verwertung unabhängig von der Rechtswidrigkeit ihrer Gewinnung wegen ihres entlastenden Beweiswertes für den Angeklagten von Interesse ist.290 Im Hinblick auf die gesetzgeberische Wertung in § 136a Abs. 3 Satz 2 wird jedenfalls dort überwiegend angenommen, dass eine Verwertung sowohl zugunsten als auch zulasten des Angeklagten stets untersagt ist.291 Die Frage nach dem Anwendungsbereich der Wiederaufnahme bereitet nach den vorstehenden Erörterungen jedenfalls – 289 Die fälschliche Bejahung des Vorliegens eines Verfahrenshindernisses führt zur Verfahrenseinstellung nach §§ 206a, 260 Abs. 3 StPO, es ergeht gerade kein Urteil in der Sache. Diese Konstellation findet daher gesonderte Betrachtung in jeweils eigenen Unterkapiteln (S. 161 ff.). 290 Vgl. die BRAK Stlln. Nr. 17/2012, S. 6 f., die eine Dispositionsbefugnis des Betroffenen über die ihn schützenden Beweisverwertungsverbote auch dann annimmt, wenn Grund- und Verfahrensrechte verletzende Beweiserhebungen in Rede stehen. 291 Meyer-Goßner/Schmitt, § 136a Rn. 27; LR-Gleß, § 136a Rn. 71; SK-Rogall, § 136a Rn. 99, jeweils m.w.N. A.A. etwa Jahn, Gutachten 67. DJT, C 112 ff.; Roxin/Schäfer/Widmaier, StV 2006, 655 (656) („Mühlenteichtheorie“): Sofern die „kontaminierte“ Aussage zugleich Entlastendes etwa zum Schuldumfang oder zum Maß strafrechtlicher Verantwortlichkeit enthalte, so verstieße ein Außerachtlassen ebenso gegen das Rechtsstaatsprinzip wie die zuvor angewandte Vernehmungsmethode. Tendenziell dahingehend auch BGHSt 50, 206 (215) für den Fall eines dem Kernbereich zuzurechnenden aufgezeichneten Selbstgesprächs. BGH NStZ 2008, 706 (707) ließ hinsichtlich § 136a Abs. 3 S. 2 StPO ausdrücklich offen, ob „entgegen dem klaren Wortlaut des Gesetzes aus übergeordneten verfassungs- oder menschenrechtlichen Prinzipien die Verwertung derartiger Erkenntnisse dennoch in Betracht kommen könnte“. Zur Dispositionsbefugnis im Rahmen des § 136a Abs. 3 StPO bereits eingehend Frister, ZStW 106 [1994], 303 (323 ff.).

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

anders als die soeben angeschnittene Thematik – keine systematischen Probleme. Sofern man die Verwertung eines entlastenden Umstandes im konkreten Fall für zulässig erachtet, würde es sich hinsichtlich des Angriffs der Nichtverwertung um einen Fall der Wiederaufnahme zugunsten handeln. Sofern es sich um einen Entlastungsbeweis mit derartiger Durchschlagskraft handelt, dass eine Verurteilung angesichts der veränderten Beweislage nicht mehr oder nur aufgrund eines milderen Strafgesetzes hätte erfolgen können, begründet die Präsentation neuer Erkenntnisquellen, die belegen, dass die das Verwertungsverbot begründenden Umstände tatsächlich nicht vorlagen, die Möglichkeit der Wiederaufnahme. Anders im Fall der Nichtverwertung eines belastenden Umstands – hier könnte die Berücksichtigung des Belastungsbeweises nur über eine Wiederaufnahme zuungunsten des Angeklagten erfolgen, in deren Rahmen nova einzig über § 362 Nr. 4 StPO im Falle eines Freispruchs und bei Vorliegen eines entsprechenden Geständnisses292 Berücksichtigung finden könnten; auf den bloßen Vortrag, die das Verwertungsverbot stützenden Umstände hätten tatsächlich nicht vorgelegen, kann die Wiederaufnahme des Verfahrens gerade nicht gestützt werden.

3. Sachurteile im Kontext sonstiger Verfahrensfehler Der Strafprozess reagiert nicht auf alle Verfahrensfehler in gleicher Weise. Die Verfahrenseinstellung als ultima ratio ist nicht in allen Fällen geboten, soll doch damit gerade nur auf solche Umstände reagiert werden, die so schwer wiegen, dass von ihnen die Zulässigkeit des Verfahrens im Ganzen abhängig gemacht werden muss.293 Die Frage nach einer Korrektur bei fehlerhaften Entscheidungen beschränkt sich jedoch nicht allein auf das Verkennen von Verfahrenshindernissen oder Beweisverwertungsverboten, sondern stellt sich grundsätzlich, wenn bei der Anwendung von formellem Recht von falschen tatsächlichen Ereignissen und Verhältnissen ausgegangen wird.294 Einige solche Mängel des Verfahrens sollen im Folgenden exemplarisch betrachtet werden. Insofern als bereits die in §§ 359 Nrn. 1 – 3, 362 Nrn. 1 – 3 StPO beschriebenen Konstellationen durchaus als „Verfahrensfehler“ interpretiert werden,295 könnte auch darüber hinaus das Wiederaufnahmeverfahren im Falle sonst verfahrensfehlerhafter Entscheidungen zur Verfügung stehen.

292

Hierzu noch eingehender ab S. 240. Zur Definition des Verfahrenshindernisses siehe bereits die Nachweise in Fn. 4. 294 Vgl. auch Deml, Reform der Wiederaufnahme, S. 69. 295 So etwa Neumann, ZStW 101 [1989], 52 (56 f.); Peters, Fehlerquellen Bd. 3, S. 54; Tiemann, Erweiterte Darlegungslast, S. 128 f. 293

I. Sachurteile

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a) Fehleinschätzungen im Hinblick auf die gerichtliche Zuständigkeit § 13 GVG eröffnet den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für Strafsachen, mithin für alle Verfahren, in denen nach dem geltenden formellen und materiellen Recht eine Kriminalstrafe verhängt werden soll.296 Die Spezialisierung der Gerichte auf bestimmte Verfahrensarten soll eine adäquate Aufarbeitung des jeweiligen Stoffes sichern, auch das Fortschreiten auf dem richtigen Rechtsweg ist damit für die rechtsfriedenssichernde „Entstörung“ der jeweiligen Konfliktlage relevant.297 Die Befugnis zur Festsetzung von Unrechtsfolgen liegt allein bei der Strafgerichtsbarkeit. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG schließt es insbesondere aus, dass verfassungsrechtlich dem Richter vorbehaltene Zuständigkeiten (vgl. Art. 92 GG) durch Gesetz den Verwaltungsbehörden zugewiesen werden, weshalb die Verhängung einer Kriminalstrafe durch eine Verwaltungsbehörde zugleich eine Entziehung des gesetzlichen Richters darstellen würde.298 Zuständigkeitsfragen im Verhältnis zur Verwaltungsgerichtsbarkeit können sich etwa ergeben, sofern Verfahren gegen Justizverwaltungsakte nach §§ 23 ff. EGGVG betroffen sind.299 Auch die Überprüfung strafprozessualer Eingriffe, etwa im Kontext erkennungsdienstlicher Maßnahmen oder DNA-Identitätsfeststellungen nach §§ 81b, 81g StPO, kann Abgrenzungsschwierigkeiten mit sich bringen. Hierfür existiert mit § 17a Abs. 2 GVG die Möglichkeit einer bindenden Verweisung. Darüber hinaus birgt die Rechtswegfrage kein nennenswertes Fehlerpotenzial.300 Darüber hinaus muss der Entscheidungsträger örtlich nach den §§ 7 ff. StPO, sachlich, also im Sinne der erstinstanzlichen Verteilung der Rechtssachen auf verschiedene Spruchkörper nach Art oder Schwere des Delikts, und instanziell beziehungsweise funktional, das heißt als Rechtsmittelinstanz, in Abgrenzung zu Sonderkammern sowie innerhalb des Spruchkörpers zuständig sein.301 Die fehlerhafte Annahme der Zuständigkeit soll die grundsätzliche Wirksamkeit der Entscheidung nicht tangieren,302 insbesondere auch dann nicht, wenn die die Unzuständigkeit 296

KK-Barthe, § 13 GVG Rn. 1; LR-Böttcher, § 13 GVG Rn. 2; hierzu auch BVerfGE 22, 49 (Verhängung von Kriminalstrafen durch die Finanzbehörden). 297 Volk, Prozeßvoraussetzungen, S. 221. 298 BVerfGE 22, 49 (73 ff.); LR-Böttcher, § 13 GVG Rn. 2. Demgegenüber ist die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten durch die Verwaltungsbehörde mit Art. 92 GG vereinbar, da die staatliche Reaktion auf Ordnungswidrigkeiten nicht mit einem ethischen Schuldvorwurf verbunden und die Geldbuße damit nicht als kriminalrechtliche Sanktion eingeordnet wird, vgl. BVerfGE 9, 167 (171); 22, 49 (79); Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 6 Rn. 1. 299 Hierzu etwa KK-Barthe, § 17b GVG Rn. 3. 300 LR-Böttcher, §§ 17 – 17b GVG Rn. 2; SK-Paeffgen, Anh. zu § 206a Rn. 13. 301 Zu diesen Begrifflichkeiten etwa Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 6 Rn. 2. 302 RGSt 40, 271 (272 f.); 71, 377 (378) m.w.N.; BGHSt 27, 329 (331); KK-Scheuten, Vor §§ 7 – 21 Rn. 1 u. § 6 Rn. 8; SK-Weßlau, Vor §§ 7 – 21 Rn. 13 u. § 6 Rn. 8. Dies gilt auch im Fall der willkürlichen Annahme der Zuständigkeit, vgl. BGHSt 38, 212; 40, 120; 42, 205; BGH NStZ 1999, 578.

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

begründenden Umstände dem Gericht nicht bekannt waren.303 Im Rahmen der Fehleinschätzung hinsichtlich der sachlichen Zuständigkeit sind Irrtümer die Erkenntnisgrundlage betreffend kaum vorstellbar. Ein Amtsrichter, der den Angeklagten wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt, handelt unter Verstoß gegen §§ 24 Abs. 1 Nr. 1, 74 Abs. 2 Nr. 4 GVG massiv rechtsirrig, ist sich jedoch über die tatsächlichen Umstände seiner Entscheidung im Klaren.304 Gleiches gilt für die funktionale Zuständigkeit, die oft auch nur als Unterfall der sachlichen Zuständigkeit angesehen wird.305 Die nach §§ 7 ff. StPO zu beurteilende örtliche Zuständigkeit prüft das Gericht bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens von Amts wegen, nach diesem Zeitpunkt ist der fehlende Gerichtsstand unbeachtlich, sofern nicht der Angeklagte dies bis zu Beginn seiner Vernehmung gerügt hat (§ 16 StPO) – die örtliche Zuständigkeit ist für den Prozess also lediglich bis zu einem gewissen Zeitpunkt von Interesse.306 Dass ihr insofern weniger Gewicht beigemessen wird, mag daran liegen, dass die Begründung eines allgemeinen oder besonderen Gerichtsstands dem Gericht die Möglichkeit der Befassung mit der Sache zwar erst eröffnet, über die Qualität der Sachentscheidung selbst jedoch keine Aussage trifft.307 Dementsprechend wird der Staatsanwaltschaft üblicherweise ein grundsätzlich nicht überprüfbares Wahlrecht zugesprochen, vor welchem von mehreren örtlich zuständigen Gerichten Anklage erhoben wird, was auch die Formulierung in § 200 Abs. 1 Satz 2 StPO nahelegt („Gericht, vor dem die Hauptverhandlung stattfinden soll“).308 Zwar kann die Wahl des Gerichts in örtlicher Hinsicht für den Angeklagten faktisch durchaus spürbare Konsequenzen haben, wenn beispielsweise die Spruchpraxis in einem Gerichtsbezirk als besonders „streng“ gilt.309 Jedoch spricht auch die fehlende gesetzliche Bestimmung einer Rangordnung der verschiedenen nach §§ 7 ff. StPO in Betracht kommenden Gerichtsstände dafür, dass der örtlichen Zuständigkeit keine verfahrenstragende Rolle zukommt.310 Bleibt die Unzuständigkeit des Gerichts unbemerkt, wird die Zustän303

Hierzu etwa BGH NJW 1953, 393 (394). Zu dieser Konstellation hier ab S. 260. 305 Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 6 Rn. 2. 306 Vgl. RGSt 65, 267 (268); BGH NStZ 2001, 588; BeckOK-Bachler, § 16 Rn. 2; KKScheuten, § 16 Rn. 1; Meyer-Goßner/Schmitt, Vor § 7 Rn. 7. 307 Meyer-Goßner/Schmitt, § 16 Rn. 1: „Gleichwertigkeit der Rechtsprechung“. 308 KK-Scheuten, Vor §§ 7 – 21 Rn. 3, wenngleich durchaus umstritten ist, ob dieses Wahlrecht nicht im Hinblick auf Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG verfassungsrechtlich bedenklich ist, vgl. die Nachw. bei OLG Hamm NStZ-RR 1999, 16 f.; Meyer-Goßner/Schmitt, Vor § 7 Rn. 10 und eingehend Sowada, Gesetzliche Richter, S. 631 ff. Bedingung dürfte jedoch in jedem Fall sein, dass die Auswahl der Staatsanwaltschaft nicht auf unsachlichen, sich von gesetzlichen Maßstäben völlig entfernenden Erwägungen beruht, vgl. OLG Hamm NStZ-RR 1999, 16; Sowada, Gesetzliche Richter, S. 642. 309 Zu weiteren möglichen Interessen des Angeklagten an der Auswahl des Gerichtsstands MAH Strafverteidigung-Wehnert, § 5 Rn. 43. 310 Hierzu OLG Hamm NStZ-RR 1999, 16 (17); Sowada, Gesetzlicher Richter, S. 633 f.; krit. SK-Weßlau, Vor §§ 7 – 21 Rn. 9. 304

I. Sachurteile

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digkeit schlicht fingiert und das an sich unzuständige Gericht von Rechts wegen für zuständig angesehen.311 Der Anwendungsbereich des Wiederaufnahmeverfahrens ist im Regelfall deshalb nicht eröffnet, weil auch die Kenntnis der örtlichen Unzuständigkeit im Erstverfahren ohne den rechtzeitigen Einwand des Angeklagten (§ 16 StPO) nicht zu einer Einstellung des Verfahrens geführt hätte. Wurde ein derartiger Einwand jedoch vor Beginn der Vernehmung zur Sache erhoben,312 hätte die Entscheidung nach allgemeiner Ansicht auf Einstellung nach §§ 206a, 260 Abs. 3 StPO lauten müssen.313 Eine solche wird – anstelle einer als deutlich ökonomischer erscheinenden Verweisung an das örtlich zuständige Gericht – als erforderlich angesehen, da andernfalls in das oben beschriebene Wahlrecht der Staatsanwaltschaft zwischen den unter Umständen noch verbleibenden Gerichtsständen eingegriffen werden würde.314 Der Anwendungsbereich des Wiederaufnahmeverfahrens wäre daher in der Tat eröffnet, wenn das Gericht sich irrtümlich für örtlich zuständig gehalten hat, sich diese Annahme aufgrund der Präsentation neuer315 tatsächlicher Erkenntnisquellen als falsch herausstellt – etwa weil der Angeklagte nunmehr darzulegen vermag, dass der Tatort (§ 7 Abs. 1 StPO) in einem anderen Gerichtsbezirk liegt als angenommen und der Gerichtsstand auch sonst nicht begründet war – und die örtliche Unzuständigkeit rechtzeitig (§ 16 Satz 3 StPO), aber erfolglos gerügt wurde. Dieser Befund ist an sich nicht überraschend, da die örtliche Zuständigkeit durchaus auch als Prozessvoraussetzung angesehen wird.316 Dass ein unzuständiges Gericht sich grundsätzlich einer Sachentscheidung enthalten muss, ist eigentlich selbstverständlich. Dennoch wird die naheliegende Konsequenz, die Zuständigkeit generell als Prozessvoraussetzung anzuerkennen, nicht durchgängig gezogen, weshalb auf

311 RGSt 65, 267 (268); BGH NStZ 2009, 404 (zur funktionellen Zuständigkeit StPO); KKScheuten, § 16 Rn. 3; Meyer-Goßner/Schmitt, § 16 Rn. 3. 312 Die tatsächliche Erhebung ist parallel auch zwingende Voraussetzung im Rahmen der auf § 338 Nr. 4 StPO gestützten Revision, hierzu BGHSt 40, 120 (124); LR-Erb, § 16 Rn. 18. Insofern besteht auch eine Verwandtschaft mit dem zuvor (S. 125) dargestellten Problem des Einbezugs von Verstößen gegen Beweisverwertungsverbote im Zusammenspiel mit der Widerspruchslösung der Rechtsprechung. 313 OLG Stuttgart NStZ 1981, 105; OLG Koblenz NStZ 2011, 95 (96); KK-Scheuten, § 16 Rn. 6; LR-Stuckenberg, § 206a Rn. 74; Meyer-Goßner/Schmitt, § 16 Rn. 4; Pfeiffer, § 16 Rn. 2. A.A. Gössel, GedS H. Kaufmann, S. 977 (983): Beschluss über die Unzuständigkeit. Einem derartigen, vom Gesetz nicht vorgesehenen Beschluss soll jedoch dieselbe Wirkung zukommen, vgl. BGHSt 18, 1; OLG Düsseldorf NZV 1991, 244 (245); LR-Erb, § 16 Rn. 14. 314 Meyer-Goßner, FS Eser, S. 373 (375). 315 Die Möglichkeit des Vorbringens neuer Tatsachen und Beweismittel besteht durchaus, und das trotz des Zusatzerfordernisses der erstinstanzlichen Zuständigkeitsrüge: Denkbar ist, dass der Angeklagte die örtliche Unzuständigkeit im ersten Verfahren nicht hinreichend belegen konnte und das Gericht den Einwand der Unzuständigkeit daher verworfen hat. Präsentiert er nun weitere Erkenntnisquellen hierfür, genügt dies für das Merkmal der Neuheit. 316 So etwa Meyer-Goßner, FS Eser, S. 373 (375); in diese Richtung auch AK-Loos, Anh. zu § 206a Rn. 18; SK-Paeffgen, Anh. zu § 206a Rn. 16 („mit gewissen Vorbehalten“).

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

eine Einordnung bereits in den Teil C. I. 1. verzichtet wurde.317 Das Vorbringen betrifft mit der gebotenen Entscheidung nach §§ 206a, 260 Abs. 3 StPO unter den dargelegten Voraussetzungen jedenfalls eine wiederaufnahmerechtlich relevante Rechtsfolge, weshalb konsequenterweise auch hier eine Wiederaufnahme zugelassen werden muss. Ob die nachträgliche Rüge der Unzuständigkeit dem Verurteilten faktisch einen Gewinn bringt, ist für die systematisch zu klärende Frage nach der grundsätzlichen Eröffnung des Anwendungsbereichs der Wiederaufnahme hingegen ohne Belang. b) Unzulässige Abwesenheit des Angeklagten Gegen den nicht anwesenden (§ 285 Abs. 1 Satz 1 StPO) oder ausgebliebenen (§ 230 Abs. 1 StPO) Angeklagten darf, von Ausnahmetatbeständen und Fällen zulässiger Vertretung318 einmal abgesehen, keine Hauptverhandlung geführt werden. Dieser im deutschen Strafprozess geltende Grundsatz wird im Wesentlichen durch zwei Aspekte begründet: Einmal soll die persönliche Anwesenheit in der Hauptverhandlung die Wahrheitsermittlung fördern, indem das Gericht sich einen unmittelbaren Eindruck vom Angeklagten, von seinem Auftreten und seinen Einlassungen verschaffen kann, darüber hinaus wird dessen „allseitige und uneingeschränkte Verteidigung“ gesichert.319 Die unzulässige Abwesenheit des Angeklagten kann einen absoluten Revisionsgrund nach § 338 Nr. 5 StPO darstellen, unter Umständen kommt jedoch eine Heilung des Fehlers bereits im selben Verfahren durch Wiederholung des entsprechenden Teils der Hauptverhandlung in Betracht.320 In der älteren Rechtsprechung bestand darüber hinaus lange keine einhellige Meinung dahingehend, ob die vorschriftswidrige Abwesenheit des Angeklagten in erster Instanz zudem ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis darstellt. Während die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte zur Annahme eines Verfahrenshindernisses neigte, blieb die Frage durch den Bundesgerichtshof lange Zeit unbeantwortet.321 Auf einen Vorlagebeschluss nach § 121 Abs. 2 GVG hin verneinte der Erste Strafsenat am Bundesgerichtshof schließlich diese Frage: Aus den zahlreichen Ausnahmevorschriften lasse sich entnehmen, dass der Gesetzgeber die 317 Vgl. auch LR-Stuckenberg, § 206a Rn. 73: über die genaue Zuordnung von Zuständigkeitsfragen zu den Prozessvoraussetzungen bestünden „nach wie vor Unsicherheiten“. 318 §§ 231 ff, 247, 329 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 bzw. §§ 329 Abs. 2 S. 1 Alt. 1; 350 Abs. 2, 387 Abs. 1, 411 Abs. 2 S.1 StPO; insb. aber auch BT-Drs. 18/3562 S. 48 ff. zur Neufassung des § 329 StPO (BGBl. I Nr. 31 v. 24. 07. 2015, S. 1332). 319 BVerfG StraFo 2009, 190 (191 f.); BGHSt 3, 187 (190 f.); 26, 84 (90); Meyer-Goßner/ Schmitt, § 230 Rn. 3; Radtke/Hohmann-Britz, § 230 Rn. 4. Korrespondierend dazu ergebe sich ein Anwesenheitsrecht aus dem Erfordernis der Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG), vgl. Krack, Rehabilitierung, S. 276 ff. auch zu den weiteren Begründungsansätzen. 320 BGHSt 30, 74; 54, 184 (187 ff.); BGH NStZ 2014, 223; BeckOK-Gorf, § 230 Rn. 22; KK-Gmel, § 230 Rn. 19 f. 321 Ausdrücklich offen gelassen in BGHSt 15, 287 (288). Nachweise zur oberlandesgerichtlichen Rechtsprechung in BGHSt 26, 84 (88 f.).

I. Sachurteile

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Anwesenheit des Angeklagten „nicht überbewerten“ wollte, darüber hinaus sei eine Differenzierung zwischen der völligen und der nur zeitweisen Abwesenheit, welche zweifellos nicht von Amts wegen zu beachten sei, nicht vertretbar.322 Dem stünde auch nicht entgegen, dass die Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten wiederum als Verfahrenshindernis gewertet werde, die Rechtslage sei nicht vergleichbar.323 Diese Einordnung als lediglich rügefähiger Verfahrensfehler entspricht heute der überwiegenden Ansicht,324 weshalb die Fallgruppe entsprechend einsortiert wurde. Fehlerquellen im Hinblick auf das in § 230 Abs. 1 StPO statuierte Gebot liegen sicherlich zum einen darin, dass das Gericht die benannten Ausnahmevorschriften fehlerhaft auslegt, also im rechtlichen Bereich. Es ist im Einzelfall und im Hinblick auf die umfangreiche Kasuistik325 durchaus schwierig zu subsumieren, wann etwa eine verschuldete Herbeiführung der Verhandlungsunfähigkeit im Sinne des § 231a StPO vorliegt oder der Angeklagte sich, wie im Rahmen des § 231 Abs. 2 StPO zusätzlich gefordert,326 „eigenmächtig“ entfernt. Feststellungen hinsichtlich dieser Merkmale, deren Vorliegen dem Angeklagten im Wege des Freibeweises nachgewiesen werden müssen,327 können jedoch auch aus tatsächlichen Gründen fehlerhaft sein, etwa wenn dem Gericht unbekannt geblieben ist, dass der Angeklagte seine Verhandlungsunfähigkeit tatsächlich nicht selbst verursacht hat328 oder durch nicht in seiner Macht stehende Umstände329 gehindert war, den Termin wahrzunehmen. In diesem Kontext existiert darüber hinaus eine spezielle Konstellation, die sich in der Praxis offenbar durchaus ereignet330 und als „Verurteilung des falschen Angeklagten“ bezeichnet werden könnte. Hierbei wird ein Dritter entweder ohne sein Zutun 322 BGHSt 26, 84 (89 ff.). Genau entgegengesetzt OLG Hamburg JR 1969, 310 m. zust. Anm. Eb. Schmidt: der Gesetzgeber messe dem Gebot des § 230 Abs. 1 StPO gerade „besondere Bedeutung“ bei. Zuzugeben ist, dass die konkrete Norm selbst eine zwingende Vorschrift darstellt, auf deren Beachtung der Angeklagte nicht verzichten und von deren Einhaltung das Gericht nicht befreien kann, vgl. BGHSt 3, 187 (191); 22, 18 (20). Die zugelassenen Ausnahmen sind aber in der Tat beachtlich, vgl. nur die Auflistung in BT-Drs. 18/3562, S. 48 ff. 323 BGHSt 26, 84 (92), abl. KMR-Eschelbach, § 230 Rn. 52, der der Rspr. hier Inkonsequenz vorwirft. 324 Vgl. nur LR-Becker, § 230 Rn. 47; Meyer-Goßner/Schmitt, § 230 Rn. 26; Pfeiffer, § 230 Rn. 6; anders etwa noch Eb. Schmidt, JR 1969, 310, das die unzulässige Abwesenheit erkennende Revisionsgericht habe jedoch nicht nach § 260 Abs. 3 StPO einzustellen, sondern die Sache zurückzuverweisen. 325 So BGHSt 37, 249 (251), es gebe eine „Vielzahl von unterschiedlichen Fällen und Fallvarianten“; Nachw. etwa bei Meyer-Goßner/Schmitt, § 231 Rn. 12 ff. 326 BGHSt 10, 304 f.; 25, 317 (319); 37, 249 (251); BGH NStZ 1984, 41; KMR-Eschelbach, § 231 Rn. 17 ff.; LR-Becker, § 231 Rn. 11; krit. etwa SK-Deiters, § 231 Rn. 16 ff., der auf die Freiwilligkeit der Abwesenheit abstellen möchte. 327 KK-Gmel, § 231 Rn. 3; LR-Becker, § 231 Rn. 12. 328 Unter „Sichversetzen“ im Sinne des § 231a Abs. 1 StPO kann eine täterschaftliche Selbstschädigung verstanden werden, hierzu SK-Deiters, § 231a Rn. 15 f., Bsp. auch bei Meyer-Goßner/Schmitt, § 231a Rn. 7. 329 Beispiele bei LR-Becker, § 231 Rn. 14 ff. 330 Vgl. etwa die Fälle OLG Bamberg NStZ 2007, 292 und LG Lüneburg MDR 1949, 767.

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

irrtümlich für den Angeklagten gehalten oder die Verwechslung gezielt herbeigeführt, um dem wahren Angeklagten das Erscheinen in der Hauptverhandlung – aus welchen Gründen auch immer – zu ersparen. Teilweise wird die Nichtigkeit der dennoch ergangenen Entscheidung postuliert.331 Von anderer Seite wird angenommen, dass sich der Fall nicht so wesentlich von demjenigen unterscheide, in dem aus anderen Gründen in unzulässiger Weise in Abwesenheit des Angeklagten verhandelt wurde, das Urteil sei gegen den nicht erschienenen wirklichen Angeklagten rechtswirksam, aber anfechtbar.332 Vereinzelt wurde auch vertreten, das Urteil wirke immer gegen den tatsächlich Erschienenen.333 Davon abzugrenzen sind die Fälle bloßer Namenstäuschung, in denen der richtige Angeklagte unter falschem Namen an der Hauptverhandlung teilgenommen hat. Hierin liegt weder eine Verletzung des § 230 Abs. 1 StPO noch bestehen Zweifel an der Wirksamkeit des Urteils – der wahre Namensträger soll allerdings den Rechtsschein, wegen einer Straftat verurteilt worden zu sein, ohne Eingriff in die Rechtskraft des Urteils durch Anregung einer Berichtigung der Personalien im Rubrum des Strafurteils erreichen können.334 Für die Annahme der Nichtigkeit des Urteils besteht auch hier weder Bedarf noch ist sie vertretbar. Wenn die Nichtanwesenheit des Angeklagten seitens der Rechtsprechung schon nicht als ein von Amts wegen zu beachtendes Verfahrenshindernis behandelt wird, sondern nur einen nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO rügebedürftigen Verfahrensfehler darstellt, kann der Verstoß in leicht abgewandelter Form nicht zur Nichtigkeit führen.335 Angesichts der Tatsache, dass das Gericht den durch Anklage und Eröffnungsbeschluss bezeichneten Täter und nicht irgendeine beliebige, erschienene Person verurteilen wollte, ist das Urteil auch nicht gegen den Erschienenen ergangen. Es macht insofern keinen Unterschied, ob überhaupt kein Angeklagter anwesend ist und irrtümlich nach den objektiven Gegebenheiten vom Eingreifen 331

SSW-Beulke, Einl. Rn. 323; Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 386; Peters, Strafprozeß, S. 523. Teilweise wird lediglich die „Wirksamkeit“ oder „Beachtlichkeit“ verneint, vgl. KKGmel, § 230 Rn. 7; LR-Becker, § 230 Rn. 9, Eb. Schmidt, Lehrkommentar I Rn. 293, womit letztlich dasselbe gemeint sein dürfte. 332 OLG Bamberg NStZ 2007, 292; LG Lüneburg MDR 1949, 767 f.; KMR-Eschelbach, § 230 Rn. 22; LR-Kühne, Einl. Abschn. K Rn. 122; Meyer-Goßner/Schmitt, § 230 Rn. 27, eingehend auch ders., ZIS 2009, 521 ff.; SK-Deiters, § 230 Rn. 38; Grünwald, ZStW 76 [1964] 250 (259). 333 OLG Köln MDR 1983, 865; AK-Loos, Anh. zu § 264 Rn. 26; Grobler, MDR 1949, 768 f. 334 BVerfG Beschl. v. 10. 09. 2010 – 2 BvR 2242/09 –, BeckRS 2010, 54625 unter II 2 a); BGH NStZ-RR 1996, 9; OLG Düsseldorf NStZ 1994, 355; KG NStZ-RR 2004, 240 (241 f.); LR-Becker, § 230 Rn. 9; Meyer-Goßner/Schmitt, Einl. Rn. 174; Peters, Strafprozeß, S. 523. Darüber hinaus sollen auch Rechtsmittel des Namensträgers zulässig sein, sofern die Berichtigung noch nicht erfolgt ist, so KK-Gmel, § 230 Rn. 7 m.w.N. Zur Frage nach der Kostentragung, wenn durch zwischenzeitliche Berichtigung die Beschwer entfällt etwa Perels, NStZ 1985, 538 (539 f.), welcher sich für eine analoge Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO ausspricht. Wird das Urteil bereits vollstreckt, soll das Bestreiten der Identität mit dem Verurteilten darüber hinaus als Einwendung gem. § 458 Abs. 1 Var. 3 StPO zulässig sein (BVerfG BeckRS 2010, 54625 unter II 2 b], KG NStZ-RR 2004, 240 (242). 335 So auch KMR-Eschelbach, § 230 Rn. 22.

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eines Ausnahmetatbestands nach den §§ 231 ff. StPO ausgegangen wird oder ob eine beliebige Person gleichsam als „Statist“ vor Gericht erscheint – die richterliche Erkenntnis ist auf den im Anklagesatz bezeichneten Täter gemünzt, nur mit diesem will sie sich befassen.336 Schließt man sich der wohl überwiegenden Auffassung an, die Entscheidung wirke gegen den nicht erschienenen337 tatsächlichen Angeklagten, so kann dieser, sobald er von der Verurteilung durch Zustellung der Entscheidung erfährt, gestützt auf eine Verletzung des § 230 Abs. 1 StPO die Entscheidung anfechten. Angesichts der Tatsache, dass bereits die Abwesenheit während eines wesentlichen Teils der Hauptverhandlung einen absoluten Revisionsgrund darstellt (§ 338 Nr. 5 StPO), wird diese Anfechtung auch den gewünschten Erfolg bewirken. Dass dem Angeklagten dies in jedem Falle möglich ist, ist allein schon dadurch gesichert, dass die Rechtsmittelfrist erst mit Zustellung des Urteils an ihn zu laufen beginnt. Gleiches gilt für die sonstigen zuvor beschriebenen Irrtümer des Gerichts. Wird allerdings die Rechtsmittelfrist versäumt, kann der Fehler nicht mehr korrigiert werden. Eine Möglichkeit zur Wiederaufnahme im Hinblick auf diesen Verfahrensfehler besteht nicht. Das Wissen um die die unzulässige Abwesenheit begründenden Umstände im früheren Verfahren hätte weder zu einem Freispruch noch zu einer diesem gleichzustellenden Einstellung geführt, die Hauptverhandlung wäre vielmehr unterbrochen oder ausgesetzt (§ 228 Abs. 1 StPO), maximal vorläufig eingestellt worden (§ 205 StPO). De facto handelt es sich nämlich um ein behebbares Verfahrenshindernis, was bereits die allgemein akzeptierte Heilungsmöglichkeit durch Wiederholung des entsprechenden Verhandlungsteils zeigt. Nicht ausgeschlossen ist freilich die Wiederaufnahme im Hinblick auf die zu Last gelegte Tat. Eine Wiederaufnahme nach § 359 Nr. 5 StPO könnte allerdings nur dann gelingen, wenn nunmehr neue Beweisergebnisse hinsichtlich der Schuld- und Straffrage angeboten werden, was von Seiten eines Betroffenen selten zu erwarten ist, da er sich schon mit ordentlichen Rechtsmitteln nicht gegen das in seiner Abwesenheit ergangene Urteil zur Wehr gesetzt hat.338 c) Mitwirkung einer ausgeschlossenen oder befangenen Gerichtsperson Zur Sicherung einer unvoreingenommenen Entscheidung und Förderung des Vertrauens der Prozessbeteiligten sowie der Allgemeinheit in die Objektivität des Gerichts sieht die Strafprozessordnung sowohl gesetzliche Ausschlussgründe (§§ 22, 23 StPO) als auch die Möglichkeit vor, eine Gerichtsperson bei Besorgnis der Be336

So auch Meyer-Goßner, ZIS 2009, 522 (524). „Erscheinen“ meint in diesem Kontext nicht allein die körperliche Anwesenheit im Sitzungssaal, sondern erfordert auch, dass der Angeklagte sich als solcher zu erkennen gibt (vgl. auch BT-Drs. 18/3562, S. 69). Auch der unbemerkt im Zuschauerraum sitzende Angeklagte ist somit nicht erschienen. 338 Vgl. auch Meyer-Goßner, ZIS 2009, 522 (524). 337

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

fangenheit mit entsprechendem Antrag abzulehnen.339 In erster Linie betreffen die §§ 22 – 30 StPO die Berufsrichter, die hier ebenfalls im Fokus stehen sollen; entsprechendes gilt durch die gesetzliche Verweisung in § 31 Abs. 1 StPO jedoch für Schöffen, Urkundsbeamte und andere als Protokollführer zugezogene Personen. Wirkt ein ausgeschlossener oder ablehnbarer Richter dennoch mit, so ist die ergangene verfahrensabschließende Entscheidung unter Umständen340 anfechtbar (§ 338 Nrn. 2, 3 StPO), jedoch nach allgemeiner Auffassung nicht unwirksam.341 Fehleinschätzungen im rechtlichen Bereich interessieren an dieser Stelle erneut nicht – vielmehr kann es nur um die Fälle gehen, in denen die das Mitwirkungsverbot begründenden Umstände dem Richter selbst nicht bekannt waren. Beispiele hierfür wären etwa die nachträgliche Aufdeckung eines in § 22 Nr. 3 StPO beschriebenen Verwandtschaftsverhältnisses oder Konstellationen, in denen nach einem Wechsel des Richters an ein höheres Gericht in der auf Rechtsmittelinstanz ergehenden Entscheidung übersehen wird, dass derselbe Richter bereits an der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat (§ 23 Abs. 1 StPO). Möglich ist sogar, dass der Richter darüber in Unkenntnis ist, dass er selbst durch die Tat Verletzter im Sinne des § 22 Nr. 1 StPO ist.342 Im Zivilprozess begründet die unzulässige Mitwirkung die Nichtigkeitsklage nach § 579 Nrn. 2, 3 ZPO – im Strafverfahren fehlt343 eine derartige Möglichkeit, die Entscheidung noch nach der Rechtskraft anzugreifen. Henkel, der mit Verweis auf RGSt 72, 176 (181) offenbar von der Zulässigkeit der Wiederaufnahme auch im Strafverfahren ausgeht,344 verkennt, dass das Reichsgericht sich in der betreffenden 339 Zum Gesetzeszweck der §§ 22 ff. StPO auch KMR-Bockemühl, Vor § 22 Rn. 1; Peters, Strafprozeß, S. 146. Wegen Besorgnis der Befangenheit ergeht eine konstitutive Entscheidung des Gerichts auch nach einer Selbstanzeige (§ 30 StPO) der betroffenen Gerichtsperson. 340 Im Falle bloßer Ablehnbarkeit setzt dies voraus, dass in der Tatsacheninstanz ein Ablehnungsgesuch gestellt wurde; eine nachträgliche Geltendmachung ist, wie sich aus § 338 Nr. 3 StPO ergibt, ausgeschlossen. Diese Differenzierung zwischen Ausschließungs- und Ablehnungsgrund setzt sich im Rahmen der Verfassungsbeschwerde fort, dazu sogleich und SK-Weßlau, Vor § 22 Rn. 32. 341 RGSt 72, 176 (181); KMR-Bockemühl, § 22 Rn. 18; LR-Siolek, § 22 Rn. 54 ff.; MeyerGoßner/Schmitt, § 22 Rn. 21; Pfeiffer, § 22 Rn. 4; SK-Weßlau, Vor § 22 Rn. 23; v. Hippel, Strafprozeß, S. 131 in Fn. 2; Peters, Strafprozeß, S. 152; a.A. Zachariae, Handbuch Bd. 1, S. 335 u. 342; Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 130 Fn. 6, der allerdings dennoch auf die Zulässigkeit sowohl der Revision als auch der Wiederaufnahme hinweist. 342 So der Fall von RGSt 33, 309: Geschworener als Inhaber der Firma, die sich als eine Konkursgläubigerin herausstellte; vgl. auch BGHSt 29, 351 (Richter als durch eine der verbreiteten Schriften Verletzter). Wie bei den übrigen gesetzlichen Ausschließungsgründen kommt es nicht darauf an, ob im konkreten Falle tatsächlich eine unsachgemäße Entscheidung zu befürchten war, was im Falle der Unkenntnis logischerweise verneint werden müsste. Die abstrakte Gefahr der Parteilichkeit genügt (vgl. BGHSt 9, 193 [194 f.]; 14, 219 [221]; 31, 358 [359]; KK-Scheuten, § 22 Rn. 1 u. 20; Meyer-Goßner/Schmitt, § 22 Rn. 1). 343 Krit. hierzu v. Hippel, Strafprozeß, S. 130 in Fn. 7: widerspruchsvoll angesichts der größeren Bedeutung des Strafprozesses. 344 Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 130 in Fn. 6.

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Passage auf die ordentliche Gerichtsbarkeit insgesamt bezieht und der Hinweis auf die mögliche Wiederaufnahme des Verfahrens – so nämlich auch der Titel des Vierten Buches der Zivilprozessordnung – nur auf die besagte Nichtigkeitsklage nach § 579 ZPO zielt. Der Verstoß gegen ein Mitwirkungsverbot erfüllt keinesfalls per se den Wiederaufnahmegrund des § 359 Nr. 3 StPO345 – und bei Unkenntnis der den Verstoß begründenden Umstände ist er denklogisch ausgeschlossen. Wenn sich erst nachträglich herausstellt, dass ein Ausschlussgrund oder die Voraussetzungen für die Ablehnung eines Richters vorgelegen haben beziehungsweise ein bereits abgelehnter Richter am Verfahren mitgewirkt hat, so reicht dieser Verfahrensfehler auch insbesondere zur strafrechtlichen Verfahrenswiederaufnahme nach dem praktisch wichtigsten Wiederaufnahmegrund des § 359 Nr. 5 StPO nicht aus.346 Die Anwendung der Wiederaufnahme propter nova scheitert daran, dass die begehrte Feststellung zu keiner relevanten Auswirkung im wiederaufnahmerechtlichen Sinne geführt hätte. Hier zeigt sich einmal mehr die Verwirrung, die der Begriff „Wiederaufnahmeziel“ stiftet. Denn freilich kann der Verurteilte, der sich durch einen „befangenen“ Richter ungerecht bestraft fühlt, mit einem auf gesetzlichen Ausschluss oder Ablehnbarkeit gestützten Vorbringen das Ziel verfolgen, im wiederaufgenommenen Verfahren nunmehr freigesprochen oder doch zumindest milder bestraft zu werden – dies wird sogar regelmäßig sein Bestreben sein. Das ist jedoch nicht der entscheidende Punkt. Die Auswirkung des Mangels auf das Verfahren muss ein messbarer sein insoweit, als aus seinem Vorhandensein zwingend347 ein bestimmtes Ergebnis – Freisprechung beziehungsweise Verfahrenseinstellung, geringere Bestrafung in Anwendung eines milderen Strafgesetzes, wesentlich andere Entscheidung über eine Maßregel der Besserung und Sicherung – resultiert hätte.348 Erst dadurch entsteht die berechtigte Erwartung einer besseren Entscheidung. Ablehnungs- und Ausschließungsgründe besitzen diese notwendige Qualifikation nicht. Der gesetzlich ausgeschlossene oder erfolgreich abgelehnte Richter scheidet als verhindert aus und wird durch seinen nach der Geschäftsverteilung berufenen Vertreter ersetzt, notfalls muss die bereits fortgeschrittene Hauptverhandlung wiederholt werden.349 Diese im Erstverfahren gebotene Reaktion hat nicht die zur Wiederaufnahme nach § 359 Nr. 5 StPO notwendige Qualität.350 Der spiegelbildliche Fall – der Richter nimmt irrig Umstände an, die seinen Ausschluss von Gesetzes wegen be345

KMR-Eschelbach, § 359 Rn. 106; SK-Frister, § 359 Rn. 28. So auch etwa LR-Siolek, § 22 Rn. 23; Deml, Reform der Wiederaufnahme, S. 70 in Fn. 318; Peters, Fehlerquellen Bd. 3, S. 55. 347 Vgl. auch Dickersbach, Prozessuale Tatsachen, S. 10: „Tatsachen […], bei deren Vorhandensein ein bestimmtes Endergebnis des Verfahrens unabweisbar ist“. 348 In diese Richtung auch Deml, Reform der Wiederaufnahme, S. 70. 349 LR-Siolek, § 22 Rn. 52 ff. auch zu den Auswirkungen auf bereits vorgenommene Amtshandlungen. 350 Eine Wiederaufnahme über § 359 Nr. 6 StPO, gestützt auf die Verletzung der in Art. 6 Abs. 1 EMRK verbürgten Garantie („von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht“) und mit einer entsprechenden Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist allerdings denkbar, hierzu SK-Weßlau, Vor § 22 Rn. 32 ff. 346

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

gründen oder ein Verhältnis, das seine Ablehnung rechtfertigen351 könnte – wäre insoweit nicht anders zu beurteilen. Wäre bekannt gewesen, dass das Mitwirkungsverbot auf einer falschen Tatsachengrundlage beruht, wäre in der ursprünglichen Besetzung entschieden worden. Dieser Befund ist nicht dazu geeignet, die Überzeugungskraft des ergangenen Urteils hinreichend zu erschüttern. Allerdings besteht die Möglichkeit des Angriffs auf die rechtskräftige, ein Mitwirkungsverbot verkennende Entscheidung mittels einer auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gestützten Individualverfassungsbeschwerde. Neben der Forderung, dass eindeutige Regelungen darüber bestehen müssen, welches Gericht, welcher Spruchkörper und welcher Richter zur Entscheidung des Einzelfalles berufen ist, wird dem Anspruch auf den gesetzlichen Richter gemeinhin ein materieller Gewährleistungsgehalt dahingehend zugesprochen, dass die richterliche Tätigkeit von einem unbeteiligten Dritten ausgeübt werden muss.352 In diesem Rahmen ist jedoch zum einen speziell der Grundsatz der Subsidiarität im Verfassungsbeschwerdeverfahren zu beachten, insbesondere muss bei Besorgnis der Befangenheit ein dahingehendes Ablehnungsgesuch tatsächlich angebracht worden sein.353 Ferner begründet nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht jede fehlerhafte Anwendung der §§ 24 ff. StPO einen Verfassungsverstoß, vielmehr wird ein solcher erst dann angenommen, wenn sich die Handhabung der Vorschriften im Einzelfall als willkürlich oder offensichtlich unhaltbar erweist oder wenn die richterliche Entscheidung über das Ablehnungsgesuch Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennt.354 Dies ist jedoch ebenfalls ausgeschlossen, sofern die Fehlentscheidung allein aus der Unkenntnis der das Mitwirkungsverbot begründenden tatsächlichen Umstände resultiert. Gleiches gilt auch für den umgekehrten Fall, in denen das Vorliegen eines Ausschließungs- oder Ablehnungsgrundes zu Unrecht angenommen wird. Hat das Gericht einen Verhinderungsgrund angenommen, obwohl in Wirklichkeit keiner vorlag, war es zwar vorschriftswidrig besetzt,355 auch hier greift jedoch der Grundsatz der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass durch einen error in procedendo niemand seinem gesetzlichen Richter entzogen wird.356 351 Da der Richter allein auf die Möglichkeit einer Besorgnis der Befangenheit abzustellen hat und nicht darauf, wie er die Frage selbst beurteilt (vgl. LR-Siolek, § 30 Rn. 8), sind auch dahingehende Fehleinschätzungen denkbar. 352 Vgl. etwa BVerfGE 3, 377 (381); 4, 331 (346); 18, 241 (255); 60, 175 (214). A.A. etwa SK-Weßlau, Vor § 22 Rn. 7 ff., die den Anspruch demgegenüber aus dem fair-trial-Grundsatz herleiten will. 353 BVerfG NJW 1993, 2926; NJW 2010, 669. Zum Teil wird daher versucht, die Lösung über eine willkürliche Verletzung der Selbstanzeigepflicht herzuleiten, offen gelassen bei BGHSt 27, 96 (99); vgl. auch KK-Scheuten, § 30 Rn. 7; KMR-Bockemühl, § 30 Rn. 9. 354 BVerfGE 82, 286 (299); 87, 282 (285); BVerfG NJW 2005, 3410 (3411); NJW 2010, 2036. 355 BGHSt 25, 122 (125); LR-Siolek, § 22 Rn. 64. 356 BVerfGE 3, 359 (365); 4, 412 (416 f.); 29, 45 (48); vgl. auch BGHSt 11, 106 (110) und krit. Bernsmann, JZ 2000, 215 (216).

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d) Verfahrensmängel, denen mit der Strafzumessungslösung begegnet wird Die sogenannte Strafzumessungslösung kann, insofern ähnlich der Beweiswürdigungslösung im Verhältnis zum Beweisverwertungsverbot, als eine Art Vorstufe zum Verfahrenshindernis bezeichnet werden.357 Vermieden wird auch hier eine Entscheidung nach dem Prinzip „Alles oder Nichts“,358 der Verstoß wird erst auf Rechtsfolgenebene durch mildere Bestrafung berücksichtigt („kompensiert“). In der Rechtsprechung findet die Strafzumessungslösung traditionell im Fall einer dem Staat zuzurechnenden Tatprovokation Anwendung.359 Wie sich allerdings bereits im Kontext des Spezialitätsgrundsatzes gezeigt hat,360 befindet sich die Rechtsprechung im Bereich der Verfahrenshindernisse in steter Entwicklung, die Dinge sind hier „im Fluss“.361 Nachdem der Zweite Strafsenat des Bundesgerichtshofs zunächst in „außergewöhnlichen Einzelfällen“ die Berücksichtigung einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung als Verfahrenshindernis anerkannt hat,362 und auch das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich offen ließ, ob „in Extremfällen tatprovozierenden Verhaltens“ aus dem Rechtsstaatsprinzip nicht auch ein Verfahrenshindernis hergeleitet werden könne,363 hat nunmehr der Bundesgerichtshof – erneut eine Entscheidung des Zweiten Senats – in einem Fall krass rechtsstaatswidriger Tatprovokation ein zur endgültigen Einstellung des Verfahrens zwingendes Verfahrenshindernis angenommen.364 Offen gelassen wurde allerdings, ob diese Rechtsfolge in allen Fällen einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation eintreten müsse, wozu die Entscheidung allerdings augenfällig tendiert. Demgegenüber stünde ein „abgestuftes“ Konzept je nach der konkreten Schwere der Menschenrechtsverlet357 Vgl. KMR-Eschelbach, § 359 Rn. 145 u. Hillenkamp, NJW 1989, 2841 (2847): Verfahrensabbruch als „Extrem auf einer gleitenden Schwereskala“. 358 So explizit BGHSt 45, 321 (334). 359 BGHSt 32, 345 (355); 45, 321 (325 ff.); 47, 44 (47 ff.); BGH NStZ 2009, 405; NStZ 2014, 277, zur wechselhaften Rspr. in diesem Bereich vgl. etwa Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 37 Rn. 7. 360 Dort (S. 117 ff.) war es die umgekehrte Konstellation, die „Aberkennung“ des Status als Verfahrenshindernis. 361 So auch Marxen/Tiemann, Wiederaufnahme, Rn. 81. 362 BGHSt 46, 159, allerdings sah sich der Senat zu einer abschließenden Beurteilung nicht in der Lage; der Akteninhalt erlaube zwar die Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK, nicht aber eine Entscheidung dahingehend, ob unter Berücksichtigung aller Umstände des Falls, insbesondere auch des Schuldumfangs, nicht auch eine Berücksichtigung des Verstoßes im Rahmen einer Rechtsfolgeentscheidung genüge (S. 175 f.). Zur Entwicklung der Rspr. betreffend die Verfahrensverzögerung als Verfahrenshindernis etwa SK-Paeffgen, Anh. zu § 206a Rn. 30 ff. 363 BVerfG NJW 2015, 1083 (1084). Abseits vom „Extremfall“ bleibe jedoch eine Verurteilung wegen der provozierten Tat bei ausreichender Kompensation im gerichtlichen Verfahren grds. möglich, und dies auch unter Berücksichtigung der (jüngsten) Rechtsprechung des EGMR, BVerfG NJW 2015, 1083 (1085), aus der Rspr. des EGMR vgl. hier insb. EGMR Urt. v. 23. 10. 2014 – Nr. 546408/09 (Furcht ./. Deutschland) = StV 2015, 405. 364 BGHSt 60, 276.

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

zung, wodurch der Strafzumessungslösung ein Anwendungsbereich verbleiben würde. Ein Argument gegen eine derartige Differenzierung ergibt sich daraus, dass sich die Strafzumessungslösung mit dem geltenden Wiederaufnahmerecht ohnehin nur schwerlich in Einklang bringen lässt.365 In Anbetracht der Komplexität des Vorgangs der Rechtsfolgenbemessung hat der Gesetzgeber in § 363 Abs. 1 StPO die Wertung getroffen, Vorbringen von der Wiederaufnahme auszuschließen, die allein neue Erkenntnisquellen betreffend die Strafzumessung aufgrund desselben Strafgesetzes präsentieren.366 Die Erwartung einer „richtigeren“ Entscheidung durch eine etwaige neue Erkenntnis wird nämlich insbesondere durch die dem Zeitablauf geschuldete Verschlechterung der übrigen, im Erstverfahren vorhandenen Erkenntnisquellen erschüttert, die jedoch nach wie vor für die Strafzumessung relevant sind.367 Um eben ein solches Vorbringen handelt es sich jedoch jedenfalls nach bisheriger Rechtsprechung, sofern der Verurteilte etwa erst nachträglich vorträgt, durch eine von der Polizei geführte Vertrauensperson zur Tat verleitet worden zu sein, und dies durch geeignete Beweismittel dem Gericht darlegt. Eine auf § 359 Nr. 5 StPO gestützte Wiederaufnahme würde angesichts der – bislang – in solchen Fällen anzuwendenden Strafzumessungslösung an dem Verbot der Strafzumessungswiederaufnahme scheitern. Gleiches gilt, wenn umgekehrt fehlerhaft vom Vorliegen derartiger kompensationsbedürftiger Umstände ausgegangen wurde und die Strafmilderung nicht angezeigt war. Der Angriff der ungerechtfertigten Strafmilderung würde sich zuungunsten des Angeklagten auswirken, weshalb nur eine Wiederaufnahme nach § 362 StPO in Betracht käme. § 362 Nr. 4 StPO setzt den Freispruch des Angeklagten voraus und scheidet daher in dieser Konstellation aus. Denkbar wäre zwar der Fall, dass die polizeilich gelenkte Vertrauensperson aus eigener Verbundenheit zum Angeklagten wahrheitswidrig angibt, auf diesen wiederholt und hartnäckig eingeredet zu haben, um ihn zur Begehung der Tat zu überreden,368 während diese jedoch tatsächlich eigeninitiativ durch den Angeklagten erdacht und geplant wurde. Auch wenn diese Angabe die Voraussetzungen von §§ 362 Nr. 2, 364 StPO erfüllen würde, so stünde dem Wiederaufnahmebegehren noch immer § 363 Abs. 1 StPO entgegen. Nun wird im Rahmen der Wiederaufnahme aufgrund einer vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte festgestellten Verletzung der EMRK oder ihrer Protokolle nach § 359 Nr. 6 StPO überwiegend die Ansicht vertreten, dass die Be-

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So auch in anderem Kontext Endriß/Kinzig, NStZ 2000, 271 (272 f.). Zur Entstehungsgeschichte der Vorschrift Ziemann, JR 2006, 409 (410). Zur Problematik der Korrektur des Rechtsfolgenausspruchs Marxen/Tiemann, StV 1992, 534 ff. und hier erneut ab S. 243. 367 SK-Frister, § 363 Rn. 2 f.; allgemeiner Dippel, GA 1972, 97 (102). 368 Zur unzulässigen, nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK verbotenen Tatprovokation etwa BeckOK-Valerius, Art. 6 EMRK Rn. 12 m.w.N.; Meyer-Ladewig, Art. 6 EMRK Rn. 161. 366

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schränkung des § 363 StPO hier keine Anwendung finde.369 Dies verdient Zustimmung angesichts der Tatsache, dass dieser nachträglich in den Katalog des § 359 StPO aufgenommene Wiederaufnahmegrund die Reaktion auf einen Rechtsfehler (Konventionsverstoß) ermöglicht, worauf die Vorschrift des § 363 StPO ihrer oben dargestellten Konzeption nach (Ausschluss neuer, lediglich strafzumessungsrelevanter Erkenntnisquellen) gar nicht zugeschnitten ist.370 Auch ist gerade die unzulässige Tatprovokation ein sehr häufig gerügter Konventionsverstoß im Hinblick auf strafrechtliche Verurteilungen.371 Dies hilft dem unzulässig zur Tat provozierten Verurteilten indes wenig, sofern er den Konventionsverstoß nicht selbst durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte feststellen lässt – denn wiederaufnahmeberechtigt ist de lege lata nur derjenige, der das Urteil über die Verletzung der EMRK oder deren Protokolle selbst erstritten hat.372 Allein könnte zu überlegen sein, ob angesichts der oben dargestellten Konzeption der Vorschrift § 363 StPO auch hinsichtlich der Wiederaufnahme nach § 362 Nr. 3 StPO, welche ebenfalls nicht auf das Vorhandensein neuer Erkenntnisquellen zugeschnittenen ist, keine Anwendung findet.373 Auf die geringe praktische Relevanz dieses Wiederaufnahmegrundes wurde jedoch bereits mehrfach hingewiesen. Festzuhalten bleibt, dass die Anerkennung von Verfahrenshindernissen aus verfassungsrechtlichen Gründen stets auch unmittelbare Auswirkungen auf den Anwendungsbereich des Wiederaufnahmeverfahrens hat. Sofern sich die Einstellung des Verfahrens als einzige Reaktionsmöglichkeit auf den Verfahrensverstoß herausbildet, ist die Möglichkeit einer Wiederaufnahme nach § 359 Nr. 5 StPO entsprechend den in Teil C. I. 1. vorgestellten Fallkonstellationen eröffnet. Andernfalls müsste stets zusätzlich vorgetragen werden, dass es sich tatsächlich auch um einen so schwerwiegenden Fall rechtsstaatswidriger Tatprovokation gehandelt hat, dass das Gericht im Erstverfahren zu einer Einstellung des Verfahrens gezwungen gewesen wäre.

369 KK-Schmidt, § 359 Rn. 40; KMR-Eschelbach, § 363 Rn. 15; LR-Gössel, § 359 Rn. 198; Meyer-Goßner/Schmitt, § 359 Rn. 52; SSW-Kaspar, § 363 Rn. 1; SK-Frister, § 359 Rn. 76; Marxen/Tiemann, Wiederaufnahme, Rn. 279. Differenzierend Bajohr, Aufhebung rechtsfehlerhafter Strafurteile, S. 90 ff.: Entscheidend soll sein, wie sich der Konventionsverstoß auf das Urteil ausgewirkt hat und ob bereits eine Kompensation durch Strafminderung stattgefunden hat. Nur in diesem Fall soll § 363 StPO Anwendung finden. Zweifelnd allerdings OLG Celle NStZ-RR 2010, 251 (252), die gesetzliche Regelung gebe für eine solche extensive Auslegung nichts her. 370 SK-Frister, § 363 Rn. 4. 371 SK-Frister, § 359 Rn. 76; Endriß/Kinzig, NStZ 2000, 271 (273). 372 LR-Gössel, § 359 Rn. 191 ff.; Meyer-Goßner/Schmitt, § 359 Rn. 52; SK-Frister, § 359 Rn. 75 und hier bereits ab S. 59. A.A. LG Ravensburg NStZ-RR 2001, 115; Marxen/Tiemann, Wiederaufnahme, Rn. 281. 373 So insb. SK-Frister, § 363 Rn. 5: Gerade im Rahmen der Strafzumessungen sei das Durchschlagen strafbarer Handlungen besonders wahrscheinlich, da dem Richter faktisch hierbei der größte Ermessensspielraum eingeräumt wird.

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

e) Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass die sonstigen Fehler im Verfahren, die nicht das Vorliegen von Prozesshindernissen oder Beweisverwertungsverboten betreffen, in der Regel eine erfolgreiche Wiederaufnahme nicht begründen können. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass sie nicht in der Lage gewesen wären, im Erstverfahren zu einem der in § 359 Nr. 5 StPO beschriebenen und denen gleichstehenden, qualifizierten Verfahrensergebnisse zu führen.374 Insbesondere hat sich erneut gezeigt, welche Missverständnisse durch das Abstellen auf sogenannte „Wiederaufnahmeziele“ gerade im Kontext der sonstigen Verfahrensfehler drohen. Der durch ein örtlich unzuständiges Gericht Verurteilte, der in einem wichtigen Teil der Hauptverhandlung Abwesende oder derjenige, der die Befangenheit des erkennenden Richters vermutet – sie alle mögen sich die Freisprechung oder eine mildere Bestrafung nach einem anderen Strafgesetz in der Wiederaufnahme zum Ziel gemacht haben. Doch dieses Ziel vermag ihrem Vorbringen nicht zum Erfolg verhelfen. Die simple Kontrollfrage, ob die entsprechende Entscheidung bereits im Ursprungsverfahren hätte getroffen werden müssen, wenn nur das Gericht auf die nunmehr präsentierte Erkenntnisquelle Zugriff gehabt hätte, scheidet das zulässige Vorbringen vom unzulässigen. Denn nur im ersten Fall besteht hinreichend Grund für die Annahme, dass die in einem erneuerten Verfahren ergehende Entscheidung besser sein wird als diejenige, die bereits Rechtskraft erlangt hat.

4. Strafbefehlsverfahren nach §§ 407 ff. StPO In Anbetracht seiner durch § 410 Abs. 3 StPO angeordneten urteilsgleichen Wirkung im Falle der Nichtanfechtung bietet es sich an, die Eingliederung des Strafbefehls in das System der Wiederaufnahme im Anschluss an die Erörterung der durch Sachurteil ergehenden Entscheidungen zu betrachten. Inhaltlich erfüllt der Strafbefehl die Merkmale eines Urteils, auch wenn er in Beschlussform ergeht.375 Darüber hinaus wird das Strafbefehlsverfahren, sofern gegen den Strafbefehl innerhalb der Zweiwochenfrist des § 410 Abs. 1 StPO Einspruch eingelegt wird, ins Regelverfahren übergeleitet, dort ergeht dann ein reguläres Sachurteil, das nicht über den Strafbefehl, sondern die Tat entscheidet.376 Auch diese Fallkonstellation, in der sich auch die Problematik des Verbotes ne bis in idem ein weiteres Mal stellt, wird im Folgenden erörtert.

374 Dies gilt insbesondere im Bereich von Verstößen gegen die Grundsätze der Unmittelbarkeit, Mündlichkeit und Öffentlichkeit der Hauptverhandlung und die Verletzung von Ordnungsvorschriften, vgl. KMR-Eschelbach, § 359 Rn. 137 u. 140. 375 Luther, ZStW 70 [1958], 87 (93). 376 Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 68 Rn. 10 ff.; Volk/Engländer, Grundkurs StPO, § 33 Rn. 8.

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a) Erlass des Strafbefehls Im Jahre 2013 wurden von den Staatsanwaltschaften rund 550.000 Strafbefehle beantragt.377 In nur knapp einem Prozent der Fälle wurde dem Antrag nicht entsprochen und nach § 408 Abs. 3 StPO eine Hauptverhandlung anberaumt, der Anteil an antragsgemäß erlassenen Strafbefehlen ist damit extrem hoch.378 Nach wie vor gilt das Strafbefehlsverfahren als prozessökonomische und ressourcenschonende Möglichkeit, Fälle von leichter bis mittlerer Kriminalität abzuwickeln.379 Auch deshalb wird in Nr. 175 Abs. 3 RiStBV für das Verhältnis Strafbefehl – Durchführung der Hauptverhandlung ein Regel-Ausnahme-Verhältnis aufgestellt. So soll vom Antrag auf Erlass eines Strafbefehls nur dann abgesehen werden, wenn die vollständige Aufklärung aller für die Rechtsfolgenbestimmung wesentlichen Umstände oder Gründe der Spezial- oder Generalprävention die Durchführung der Hauptverhandlung verlangen.380 Im 6. Buch der Strafprozessordnung als besondere Art des Verfahrens geregelt handelt es sich, wie allerorts zu lesen ist, um ein „summarisches“ Verfahren, in dem die Verhängung strafrechtlicher Rechtsfolgen auf schriftlichem Wege erfolgt.381 Die dadurch beschleunigte Verfahrenserledigung bietet neben der insbesondere für die staatliche Strafgerichtsbarkeit entscheidenden Zeitersparnis auch die für den Betroffenen unter Umständen interessante Option einer kostensparenden und diskreten Erledigung der Sache.382 Angesichts des Fehlens einer förmlichen Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung entscheidet der Richter über den Erlass des Strafbefehls allein aufgrund des Akteninhalts; verglichen mit der Überzeugungsbildung aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung (§ 261 StPO) ist die Beurteilungsgrundlage dem377

tis.de.

Statistisches Bundesamt (2014) Fachserie 10 Reihe 2.3, S.14, abrufbar unter www.desta

378 SK-Weßlau, Vor §§ 407 ff. Rn. 6 mit Erklärungsansätzen. In absoluten Zahlen ausgedrückt wurden im Jahre 2013 lediglich 6741 Verfahren auf diese Weise eingeleitet, vgl. Statistisches Bundesamt (2014) Fachserie 10 Reihe 2.3, S. 22. 379 Allerdings besteht seit der Einführung des § 153a StPO durch das EGStGB vom 02. 03. 1974 (BGBl. I Nr. 22, S. 496 ff.) eine Verfahrensalternative, dazu bereits BT-Drs. 10/1313, S. 13 (l. Sp.). Diese wird insbesondere seitens der Verteidigung bevorzugt, da eine Einstellung nach § 153a StPO keinen Schuldspruch und keine Registereintragung nach sich zieht, vgl. dazu Brüssow/Gatzweiler/Krekeler/Mehle-Lammer, § 7 Rn. 25. 380 Auch steht nunmehr nach der ausdrücklichen Anordnung in Nr. 175 Abs. 3 S. 2 RiStBV die Erwartung eines Einspruchs des Angeschuldigten – entgegen der früheren Fassung – dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlass eines Strafbefehls nicht mehr entgegen, hierzu LRGössel, § 407 Rn. 50. 381 KK-Maur, Vor § 407 Rn. 1; Meyer-Goßner-Schmitt, Vor § 407 Rn. 1; SSW-Momsen, § 407 Rn. 1; SK-Weßlau, Vor §§ 407 ff. Rn. 2; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 68 Rn. 2; Graf zu Dohna, Strafprozeßrecht, S. 242: unverkennbare Parallele zum zivilprozessualen Mahnverfahren. 382 So ausdrücklich das BVerfG: „verhältnismäßig billig und auch diskret, ohne Zeitverlust und Aufsehen“ (BVerfGE 25, 158 [165]); Meyer-Goßner/Schmitt, Vor § 407 Rn. 1; Radtke, Systematik, S. 289.

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

nach schmaler, woraus auf eine höhere Fehleranfälligkeit geschlossen wird.383 Wohl überwiegend wird, auch in Hinblick auf den Wortlaut des § 408 Abs. 2 Satz 1 StPO („nicht für hinreichend verdächtig“), davon ausgegangen, dass zum Erlass des Strafbefehls bereits der hinreichende Tatverdacht genügt.384 Demgegenüber halten andere auch für das Strafbefehlsverfahren eine vollständige richterliche Überzeugung für erforderlich.385 Mit dem Schuldprinzip vereinbar sei das Strafbefehlsverfahren nur unter der Prämisse, dass ein für eine Verurteilung erforderlicher Gewissheitsgrad auch ohne Hauptverhandlung erreicht werden kann.386 Ein solcher Verzicht auf die Hauptverhandlung sei möglich, wenn in dieser eine wesentliche Abweichung vom Ergebnis der Ermittlungen nicht zu erwarten ist, bereits der Akteninhalt die Gewinnung einer einwandfreien Überzeugung ermöglicht und die strafzumessungsrelevanten Tatsachen für eine angemessene Sanktionsbemessung geklärt sind.387 Zu beachten ist, dass nach § 79 Abs. 1 JGG gegen Jugendliche ein Strafbefehl nicht erlassen werden darf388 und § 407 Abs. 2 StPO nur einen bestimmten Katalog an Rechtsfolgen der Tat anbietet. Ferner besteht angesichts der möglichen Überschneidung der Erledigungsarten Strafbefehl und Opportunitätseinstellung die Gefahr eines Verstoßes gegen das Verbot ne bis in idem im Zusammenspiel mit bereits erfüllten Auflagen und Weisungen nach § 153a Abs. 1 StPO. Zur Einwirkung auf den gerichtlich erlassenen Strafbefehl besteht für den Angeklagten die Möglichkeit des Einspruches (§ 410 Abs. 2 StPO), der die Überleitung in ein ordentliches Verfahren mit Urteilsfindung nach dem Ergebnis der Hauptver383 Murmann, NStZ 2003, 618 und v. a. BVerfGE 65, 377 (383): „erheblich größere Gefahr fehlerhafter Beurteilung der Tat“, ähnlich bereits BVerfGE 3, 248 (253): „seiner Natur nach mit Unzulänglichkeiten behaftet“. Zur Entscheidung nach Aktenlage ist der Strafrichter freilich nicht gezwungen, § 408 Abs. 3 S. 2 StPO ermöglicht die Anberaumung der Hauptverhandlung, wenn Bedenken bestehen, ohne eine solche zu entscheiden. 384 BeckOK-Temming, § 408 Rn. 11; Meyer-Goßner/Schmitt, Vor § 407 Rn. 1; SSWMomsen, § 407 Rn. 3; Meyer-Lohkamp, StraFo 2012, 170 (171); MAH StrafverteidigungNobis, § 10 Rn. 82; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 68 Rn. 7. Eingehend SKWeßlau, Vor §§ 407 ff. Rn. 12 ff. Vgl. auch die Formulierung in BVerfGE 3, 248 (254): „vom Richter mangels eigener Feststellungen als wahr unterstellten Tatbestand“. 385 KK-Maur, § 408 Rn. 15; KMR-Metzger, Vor § 407 Rn 24; LR-Gössel, Vor § 407 Rn. 25; Murmann, NStZ 2003, 618 f.; Rieß, JR 1988, 133 f.; Radtke, Systematik, S. 287 ff. Weitere Nachweise bei SK-Weßlau, Vor §§ 407 ff. Rn. 13 in Fn. 30. 386 SK-Weßlau, Vor §§ 407 ff. Rn. 18; Murmann, NStZ 2003, 618 f. 387 BT-Drs. 10/1313, S. 34 (r. Sp.). 388 Gleiches gilt für Heranwachsende, auf die materielles Jugendstrafrecht angewandt wird, vgl. § 109 Abs. 2 S.1 i.V.m. § 105 JGG. Gegen die Durchführung eines Strafbefehlsverfahrens sollen sowohl erzieherische Gründe als auch die Annahme sprechen, Jugendliche würden seltener als Erwachsene gegen ungerechtfertigte Strafbefehle Einspruch einlegen, hierzu BayObLG NJW 1957, 838 und Eisenberg, § 79 JGG Rn. 2. Ein versehentlich gegen einen Heranwachsenden beim allgemeinen Strafgericht oder gegen einen Erwachsenen beim Jugendgericht beantragter Strafbefehl soll dagegen formlos an den zuständigen Richter weitergeleitet werden können, vgl. KK-Maur, § 407 Rn. 25 auch zu weiteren Zuständigkeitsfragen.

I. Sachurteile

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handlung (§ 264 Abs. 1 StPO) bewirkt. Lässt er ihn hingegen in Rechtskraft erwachsen, so erklärt § 373a StPO gegen den mit urteilsgleicher Wirkung ausgestatteten Strafbefehl die Regelungen des Wiederaufnahmeverfahrens für anwendbar, allerdings mit der Besonderheit, dass nach § 373a Abs. 1 StPO die Wiederaufnahme zuungunsten propter nova zulässig ist, sofern dadurch die Möglichkeit einer Verurteilung wegen eines Verbrechens begründet wird.389 Die Wiederaufnahme zuungunsten soll nach überwiegender Ansicht insbesondere auch dann möglich sein, wenn sich die Qualifizierung der Tat als Verbrechen erst unter Berücksichtigung nachträglich eingetretener Umstände, also konkret späterer Tatfolgen, ergibt.390 Darin liegt eine ganz erhebliche Modifikation des Wiederaufnahmeverfahrens – Ziel ist nicht mehr die Korrektur einer von Anfang an aufgrund unvollständiger oder unrichtiger Entscheidungsgrundlage fehlerhaften Entscheidung. Zum Zeitpunkt seines Erlasses entsprach der Strafbefehl vollständig der prozessualen Wirklichkeit. Diese erhebliche Erweiterung des Anwendungsbereichs der Wiederaufnahme ist indes nicht gerechtfertigt. Der nur beschränkte Strafklageverbrauch durch den rechtskräftigen Strafbefehl wurde vom Reichsgericht bereits früh und fortan in ständiger Rechtsprechung mit dem besonderen Charakter des Strafbefehlsverfahrens begründet, der eine vollumfängliche richterliche Kognition ausschließe und den Erkenntnismöglichkeiten in der Hauptverhandlung deutlich nachstünde.391 Mayer392 vergleicht die Rechtskraft mit der eines zivilrechtlichen Urteils: Entschieden werde über einen konkreten Anspruch auf die im Antrag festgesetzte Strafe – erfahre die Klagebehauptung nachträgliche Verschärfung, so sei über diesen zweiten Anspruch noch gar nicht entschieden. Dass die Rechtskraftwirkung von Strafurteil und Strafbefehl differiert, belege schließlich auch § 373a Abs. 2 StPO, den es bei wahrhaftiger Gleichstellung nicht bedurft hätte, da in diesem Falle die §§ 359 ff. StPO schon unmittelbar Anwendung finden würden.393 389 Zum dadurch beigelegten Streit um die Rechtskraftwirkung des Strafbefehls vgl. etwa BT-Drs. 10/1313; KK-Schmidt, § 373a Rn. 1 ff.; LR-Gössel, § 373a Rn. 1 ff., interessant in diesem Kontext die Einschätzung bei LR20-Kohlhaas, § 373a Rn. 2, wonach mit der Einfügung „keine Stärkung der nur beschränkten Rechtskraftwirkung“ verbunden sein soll. Zur Verknüpfung mit der Problematik um die Zulässigkeit einer Ergänzungsklage bei nachträglichem Eintritt schwerer Tatfolgen sogleich sowie Achenbach, ZStW 87 [1975], 74 (101 f.). Friktionen hinsichtlich der Erneuerung der Hauptverhandlung als konstituierendes Element der Wiederaufnahme sehen Kerner/Kanowski, FS Kühne, S. 579 (590 ff.). 390 KK-Schmidt, § 373a Rn. 5; LR-Gössel, § 373a Rn. 10; Maunz/Düring-Schmidt-Aßmann, Art. 103 GG Rn. 299; Meyer-Goßner/Schmitt, § 373a Rn. 2; Weber-Klatt, Wiederaufnahme zu Ungunsten, S. 333. 391 RGSt 4, 243 (245); 9, 321 (323); 15, 112 (113); dem folgend BVerfGE 3, 248; BGHSt 3, 13, sodann Übernahme in die gesetzgeberische Argumentation in BT-Drs. 10/1313, S. 32 f. Auf eine erhöhte Fehleranfälligkeit abstellend auch der DE-Rechtsmittelgesetz 1975 der BundLänder Arbeitsgruppe Strafverfahrensreform, S. 68 (r. Sp.). 392 GerS 99 [1930], 36 (125). 393 So die Argumentation in BVerfGE 3, 248 (254 f.).

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

Wird gestattet, das Verfahren über § 373a Abs. 1 StPO bei nachträglicher Änderung des Sachverhalts durch Eintritt einer schwereren Tatfolge wieder aufzunehmen, wird genau das ermöglicht, was im Kontext des ordentlichen Verfahrens unter dem Stichwort „Ergänzungsklage“ diskutiert und allgemein als gegen Art. 103 Abs. 3 GG verstoßend abgelehnt wird.394 Dass noch nicht Geschehenes bei der Entscheidungsfindung nicht berücksichtigt werden kann, ist nun wahrhaftig kein Spezifikum des Strafbefehls.395 In dieser Hinsicht hat sich der Staat eine freiwillige Begrenzung seines Rechts auf Verfolgung strafbarer Handlungen um der Rechtssicherheit willen auferlegt, es handelt sich um ein allgemeines Rechtskraftproblem.396 Wenn jedoch nach dem Willen des Gesetzgebers „nur Mängel, die diesen Umstand [scil.: die weniger zuverlässige Erkenntnisgrundlage im Strafbefehlsverfahren] betreffen, Abweichungen vom allgemeinen Wiederaufnahmerecht der StPO rechtfertigen“,397 so müssen entsprechende Unterschiede zum Regelverfahren auch vorliegen, im Übrigen müsste Gleiches auch gleich behandelt werden.398 Die nachträgliche Erschwerung des Vorwurfs könnte aus zwei Gründen für den Strafbefehl spezifisch sein und eine Abweichung erlauben. In BGHSt 18, 141 (143) begründet der Erste Strafsenat die Zugriffsmöglichkeit auf den Strafbefehl damit, dass nicht in jedem Einzelfall geprüft werden könne, was hypothetisch passiert wäre, wenn das Gericht keinen Strafbefehl erlassen, sondern eine Hauptverhandlung anberaumt hätte, auf deren Grundlage es (erg.: möglicherweise später?) zu einem Urteil gekommen wäre. Aus der (zu) schnellen Verfahrenserledigung ein Argument für die erleichterte Zugriffsmöglichkeit auf das Ergebnis ziehen zu wollen,399 kann angesichts des für das gesamte Strafverfahren geltenden Beschleunigungsgebotes (Art. 6 394 BVerfGE 56, 22 (31 f.); 65, 377 (381); eingehend Achenbach, ZStW 87 [1975], 74 ff. Bejahend hinsichtlich nachträglich eintretender Tatfolgen jedoch Bruns, JZ 1960, 585 (589 ff.); w.N. zur Streitfrage bei Schnarr, NStZ 1984, 326 (327 in Fn. 17). Zumindest wird durch das Erfordernis des Verbrechens die Hochstufung von § 229 auf § 222 StGB ausgeklammert, was gerade im Bereich der Straßenverkehrsdelikte von hoher Relevanz sein dürfte, hierzu Kerner/ Kanowski, FS Kühne, S. 579 (589 Fn. 72) und zu der vor Einführung des § 373a Abs. 1 StPO widersprüchlichen Rechtslage im Hinblick auf § 153a Abs. 2 StPO Kleinknecht, JR 1977, 479. 395 So auch BVerfGE 65, 377 (383); OLG Koblenz JZ 1960, 607 f.; Schnarr, NStZ 1984, 326; dagegen jedoch OLG Stuttgart JZ 1960, 608. 396 BVerfGE 56, 22 (31 f.); Bruns, JZ 1960, 585 (586); Mitsch, NZV 2013, 63 (66); WeberKlatt, Wiederaufnahme zu Ungunsten, S. 328. 397 BT Drs. 10/1313, S. 33 (l. Sp.). Auf die Rechtfertigung der Abweichung nur durch die Besonderheiten des summarischen Verfahrens weist auch der DE-Rechtsmittelgesetz 1975, S. 109 f. hin. 398 Auch das Bundesverfassungsgericht stellt hinsichtlich einer erneuten Verurteilung wegen eines schwereren Vergehens auf einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG und nicht etwa Art. 103 Abs. 3 GG ab, vgl. BVerfGE 65, 377 (384 ff.). Die Entscheidung erging zur Rechtslage vor dem StVÄG v. 27. 01. 1987 (BGBl. I Nr. 9, S. 475 ff.) und der damit einhergehenden Änderung des § 373a StPO und nahm insbesondere zur erneuten Verfolgung als Verbrechen nicht Stellung, hierzu Neumann, NJW 1984, 779 (780). 399 So jedoch OLG Stuttgart JZ 1960, 608 (609) u. ebenso AK-Loos, § 373a Rn. 5; Mitsch, NZV 2013, 63 (66); Weber-Klatt, Wiederaufnahme zu Ungunsten, S. 328.

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Abs. 1 Satz 1 EMRK) jedoch nicht ernsthaft in Erwägung gezogen werden, will man die zügige Verfahrensdurchführung nicht in ein Danaergeschenk für den Betroffenen transformieren. Andererseits wird im ordentlichen Verfahren das Tatopfer zumeist in den Zeugenstand geladen, sodass das Ausmaß der Schädigung sich hier notwendigerweise herausstellt beziehungsweise entsprechend terminiert oder ausgesetzt werden kann.400 Diese Erkenntnisquelle besteht im Strafbefehlsverfahren in der Tat nicht. Wenn das Gericht jedoch davon ausgeht, auf eigene Tatsachenfeststellungen im Rahmen einer Hauptverhandlung verzichten zu können – denn nur dann hat es dem Antrag der Staatsanwaltschaft zu entsprechen, § 408 Abs. 3 StPO – kann dies nicht zu einer Verkürzung des Bestandsschutzes der Entscheidung führen. Das Erfordernis von nova soll prinzipiell gerade verhindern, dass der Angeschuldigte für Fehlleistungen der Justiz haftet.401 An der die Zulässigkeit des Erlasses begründenden Wertung, Sachverhalt und Strafzumessungstatsachen seien hinreichend aufgeklärt – dazu zählt auch, dass die (zu erwartenden) Folgen der Tat hinreichend sicher feststehen – muss sich das Gericht festhalten lassen. Wenn nach Ansicht des Gesetzgebers allein die summarische Prüfung im Strafbefehlsverfahren die der Anordnung des § 410 Abs. 3 StPO widersprechende ungleiche Behandlung von rechtskräftigem Urteil und Strafbefehl rechtfertigen soll, so muss die zuvor erörterte, im Rahmen der entsprechend konzipierten402 Wiederaufnahme propter nova nach § 359 Nr. 5 StPO nicht denkbare Erweiterung der Wiederaufnahmemöglichkeit abgelehnt werden. § 373a Abs. 1 StPO kann nur die Fälle erfassen, in denen die Sachverhaltsfeststellung aufgrund unzureichender Beweislage zum Zeitpunkt der Entscheidung tatsächlich fehlerhaft war.403 Aber auch dann haftet der Angeklagte angesichts der Zulassung der ungünstigen Wiederaufnahme propter nova dafür, dass das Gericht sich mit den aus den Akten ersichtlichen Feststellungen begnügt und diese Entscheidungsgrundlage sich nachträglich als unzureichend herausstellt. Wie erklärt sich diese Erweiterung, auch in Anbetracht der Tatsache, dass § 410 Abs. 3 StPO in negativer Hinsicht unbeschränkt wirkt, der Strafbefehl also wie ein rechtskräftiges Urteil vollstreckbar ist?404 Der schlichte Verweis darauf, dass die Wahrheitsfindung im Strafbefehlsverfahren von

400 Achenbach, ZStW 87 [1975], 74 (101) auch mit Hinweis darauf, dass, wenn selbst in der Hauptverhandlung das Ausmaß der Verletzungen nicht erkannt worden ist, sich zwangsläufig auch die Frage nach der Kausalität und nach der Erkennbarkeit der Gefährlichkeit der Verletzungshandlung stellt. 401 Groth, MDR 1985, 716 (717); Weber-Klatt, Wiederaufnahme zu Ungunsten, S. 325; vgl. auch DE-Rechtsmittelgesetz 1975, S. 69 l. Sp. 402 § 373a Abs. 1 StPO ist insofern, abgesehen vom Erfordernis des Vorwurfs des Verbrechens, parallel ausgestaltet, vgl. hierzu BT-Drs. 10/1313. 403 So auch SK-Frister, § 373a Rn. 7; Bruns, JZ 1960, 585 (588): Wo die Unzulänglichkeit des Verfahrens sich schlechterdings nicht auf die Entscheidung auswirken könne, werde auch der Einschränkung der Rechtskraft der Boden entzogen (Gesichtspunkt der Kausalität). 404 SK-Frister, § 373a Rn. 5 und 1: „rechtspolitisch fragwürdig“; zust. Kerner/Kanowski, FS Kühne, S. 579 (589).

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

minderer Qualität sei,405 dass nicht so sorgfältig geprüft werde406 und daher die Gerechtigkeit eher eine nochmalige Aburteilung erfordern könne,407 stellt noch keine hinreichende Begründung dar. Das summarische Verfahren muss nicht zwingend das schlechtere sein. Die Pflicht zur umfassenden Würdigung der gewonnenen Beweise, womit die berechtigte Erwartung der Richtigkeit der getroffenen Entscheidung verbunden ist, besteht uneingeschränkt.408 Die Hauptverhandlung bildet, auch wenn sie nach wie vor als primäre Form der Erkenntnisgewinnung gilt, nicht den einzigen Weg zur Erlangung einer strafrechtliche Sanktionen rechtfertigenden richterlichen Überzeugung.409 Dies gilt insbesondere auch in Anbetracht der vor den Amtsgerichten massengeschäftlich anfallenden „Normalverfahren“, denen in der Praxis durchaus ebenfalls ein „summarischer“ Charakter zukommen kann.410 Auch wenn die Einschätzung, im Strafbefehlsverfahren sei sogar eher eine gründliche und sorgfältige Subsumtion des Sachverhalts garantiert als im Rahmen einer solch hektischen und eng terminierten Hauptverhandlung,411 fern der tatsächlichen Praxis liegen dürfte, so ist die generelle Herabsetzung der Qualität der im Strafbefehl getroffenen Entscheidung jedoch ebenso wenig berechtigt. Die in § 373a Abs. 1 StPO getroffene Regelung könnte sich daraus erklären, dass sich der erlassene Strafbefehl gar nicht auf die Verbrechensperspektive bezieht.412 Wäre dies richtig, so läge schon gar kein Eingriff in die Bestandskraft im eigentlichen Sinne vor, da die Entscheidung sich zum betreffenden Gegenstand gar nicht äußern und keine Feststellung revidiert werden würde. Es ist in der Tat fernliegend, dass die Staatsanwaltschaft in ihren Antrag auf Erlass eines Strafbefehls Sachverhaltselemente aufnimmt, deren Subsumtion den Verdacht eines Verbrechens begründen, 405

Mitsch, NZV 2013, 63 (66). BVerfG NJW 1993, 2735 (2736); NJW 2007, 207 (208) und Meyer-Goßner/Schmitt, § 373a Rn. 3. Vgl. jedoch demgegenüber BVerfGE 112, 185 (205): Betreffend die Revisionsverwerfung durch Beschluss sei es „eine bloße Vermutung, dass der Bundesgerichtshof nach einer Hauptverhandlung die vorgebrachten Ausführungen sorgfältiger gewürdigt hätte“. 407 BGHSt 6, 122 (124). 408 Hierzu insb. auch Potthoff, JR 1951, 679 (681): „Was heißt auch ,summarisches Verfahren‘! Irrtümer können dem Gericht und der StA bei jeder Art des Verfahrens unterlaufen. Bei sorgfältiger Prüfung ist aber die Gefahr einer irrigen Entscheidung bei den sog. summarischen Verfahren nicht größer als bei einem Verfahren mit einer Hauptverhandlung“. 409 BGHSt 17, 94 (97) zum Beschluss nach § 349 Abs. 2 StPO; vgl. auch LR-Gössel, Vor § 407 Rn. 28; Peters, ZStW 68 [1956], 374 (384 f.); Herzog, Rechtskraft strafgerichtlicher Beschlüsse, S. 117. 410 Peters, Strafprozeß, S. 513; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 54 Rn. 4 und MAH Strafverteidigung-Nobis, § 10 Rn. 2 ff., der allerdings betont, dass auch durch diese Verfahren letztlich Rechtsfrieden zur Zufriedenheit aller Beteiligten hergestellt werden könne, dies zeige nicht zuletzt die über 80 % liegende Quote der in dieser Instanz rechtskräftig werdenden Verfahren. Ähnlich Jehle, FPPK 2013, 220 (225). 411 So jedoch Potthoff, JR 1951, 679 (681). 412 In diese Richtung Maunz/Düring-Schmidt-Aßmann, Art. 103 GG Rn. 299; Weber-Klatt, Wiederaufnahme zu Ungunsten, S. 329. Ähnlich Sandherr, NZV 2010, 41 (42) zur Entscheidung nach § 47 Abs. 2 OwiG. 406

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denn dann wäre das Strafbefehlsverfahren schon gar nicht zulässig, wie sich aus § 407 Abs. 1 Satz 1 StPO ergibt. Vielmehr soll seitens der Staatsanwaltschaft gemäß Nr. 176 Abs. 1 Satz 1 RiStBV zur Vereinfachung und Beschleunigung des Geschäftsgangs dem Gericht mit den Akten bereits ein alle notwendigen Angaben enthaltender Strafbefehlsentwurf übersandt werden. Dieser ist in der Praxis so gefasst, dass der Strafrichter zum Erlass des Strafbefehls nur noch Datum und Unterschrift anbringen muss.413 Verbrechensrelevante Tatsachen liegen somit im Regelfall außerhalb des Erkenntnishorizonts, auf dessen Grundlage der Richter über den Erlass eines Strafbefehls entscheidet.414 Dennoch betrifft der Strafbefehl die gesamte Tat im Sinne von Art. 103 Abs. 3 GG, § 264 StPO; die nach § 407 Abs. 2 StPO festzusetzenden Rechtsfolgen beziehen sich auf den gesamten geschichtlichen Vorgang unabhängig davon, ob und wie dessen Darstellung im Strafbefehlsantrag erfolgt. Indem das Gesetz in § 407 Abs. 1 Satz 1 StPO die Anwendungsvoraussetzungen für das Strafbefehlsverfahren darlegt, erwartet es gleichzeitig, dass bezüglich ihres Vorliegens ein bestimmtes Maß an Gewissheit vorliegt.415 Zwar ist zu berücksichtigen, dass das erklärte Ziel der Verfahrensvereinfachung und Verfahrensbeschleunigung im Bereich der leichten bis mittleren Kriminalität kaum erreicht werden könnte, wenn man dem Gericht ein echtes Negativattest abverlangen würde. Sofern der Strafbefehlsantrag dazu keinen Anlass gibt, ist der Strafrichter nicht verpflichtet, zusätzliche Nachforschungen hinsichtlich des (Nicht)Vorliegens verbrechensrelevanter Tatsachen anzustellen. Nichtsdestotrotz ergibt sich aus § 408 Abs. 3 Satz 2 StPO, dass das Gesetz eine eigene rechtliche Würdigung des Richters erwartet. Die Durchführung einer Hauptverhandlung ist nach der gesetzlichen Anordnung auch dann angezeigt, wenn der Richter von der rechtlichen Beurteilung im Strafbefehlsantrag abweichen oder eine andere als die beantragte Rechtsfolge festsetzen will und die Staatsanwaltschaft auf ihrem Antrag beharrt. Praktisch bedeutet dies, dass zunächst eine Einigung zwischen Gericht und Staatsanwaltschaft versucht werden muss, was sich schon mittelbar aus dem Wortlaut ergibt, denn ein „Beharren“ setzt die vorherige Befragung voraus.416 Jedenfalls erfordert die Entscheidung, ob der geschilderte Sachverhalt anders zu würdigen ist, eine eigene Überzeugungsbildung. Nach diesem abstrakt möglichen und konzeptionell vorgesehenen, nicht nach dem tatsächlichen Umfang der Prüfung bestimmen sich jedoch der Inhalt und damit auch die Reichweite der Bestandskraft der Entscheidung.417 Die Nichtqualifizierung der Tat als Verbrechen liegt damit grundsätzlich ebenfalls in der Perspektive des Strafbefehls.

413

BeckOK-Temming, Nr. 176 RiStBV Rn. 1. Mitsch, NZV 2013, 63 (67). 415 In diese Richtung auch Kerner/Kanowski, FS Kühne, S. 579 (596 f.) zur Einstellung nach § 153a Abs. 2 StPO. 416 KK-Maur, § 408 Rn. 17. Darüber hinaus geben die Richtlinien diese Vorgehensweise vor, vgl. Nr. 178 Abs. 1 RiStBV. 417 LR-Kühne, Einl. Abschn. K Rn. 88 f.; Radtke, Systematik, S. 107 ff. u. 329 ff. 414

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Die Frage aus welchem Grund der Angeklagte sich mit dem im Vergleich zum Regelverfahren noch immer geringeren Bestandsschutz zufrieden geben muss, ist demnach noch immer nicht beantwortet. Sie ist jedoch bereits unzutreffend gestellt, denn: Er muss es nicht. Mit der Entscheidung über die Einlegung des Einspruchs liegt es an ihm, ein nur in den engen Grenzen des § 362 StPO nachteilig abänderbares Urteil zu erlangen oder auf ein solches zu verzichten. Letzteres erspart ihm die öffentliche Hauptverhandlung und die damit einhergehende psychische, soziale und unter Umständen auch wirtschaftliche Belastung.418 Groth419 misst diesem Argument angesichts der Tatsache, dass der Angeklagte selbst keinen Anspruch auf Durchführung des Strafbefehlsverfahrens hat, nur geringen Wert bei. Ein Vorteil beruht jedoch nicht konstitutiv darauf, dass man auf ihn einen Anspruch hat – gerade im umgekehrten Fall wird der Mehrwert üblicherweise subjektiv als besonders hoch empfunden. Die Vermeidung der öffentlichen, mit stigmatisierender Wirkung verbundenen Hauptverhandlung bildet ein klassisches Ziel der Strafverteidigung420 und kann für den Betroffenen zweifellos einen Vorteil darstellen, selbst wenn er das Strafbefehlsverfahren selbst nicht initiieren kann. Auch wenn das etwa von Mayer421 und v. Beling422 vertretene vertragsähnliche Modell des Strafbefehlsverfahrens heute abgelehnt wird,423 kann nicht geleugnet werden, dass ein gewisses Verhältnis von Leistung und Gegenleistung besteht. Die diskrete Form der Erledigung424 erreicht der Angeklagte dadurch, dass er sich des Schutzes des nicht modifizierten Wiederaufnahmerechts begibt. Der sich in diesem Kontext herausbildenden Frage, ob der volle Schuldnachweis im Strafprozess mittlerweile eine praktisch verzichtbare Größe darstellt und ob dieser Verzicht nicht die durch Nichteinlegung des Einspruchs eigentlich erbrachte Leistung des Angeklagten ist,425 kann und soll an diesem Orte nicht nachgegangen werden. Parallelen sowohl zur Praxis der Verständigung (§ 257c StPO) als auch zur Einstellung aus Opportunitätsgründen426 bestehen in jedem Fall, wenn auch der Vergleich der Bestandskraft der daraus jeweils hervorgehenden Entscheidungen zeigt, dass der Konsens allein die erleichterte Zugriffsmöglichkeit 418 BayObLG JR 1977, 477 (478); Neumann, NJW 1984, 779 (780); Weber-Klatt, Wiederaufnahme zu Ungunsten, S. 329. 419 MDR 1985, 716 (717). 420 Vgl. etwa Brüssow/Gatzweiler/Krekeler/Mehle-Lammer, § 7 Rn. 3 u. 24; MAH Strafverteidigung-Nobis, § 10 Rn. 124 ff. 421 Mayer, GerS 99 [1930], 36 (65 f.). 422 v. Beling, Reichsstrafprozeßrecht, S. 472: „vertragsähnliche (zweiseitig-rechtsgeschäftliche) Abmachung“. 423 Eingehend zum unterschiedlichen Verständnis vom Wesen des Strafbefehlsverfahrens LR-Gössel, Vor § 407 Rn. 27 ff. u. dort insb. Rn. 32. 424 Vgl. erneut BVerfGE 25, 158 (165); Radtke, Systematik, S. 289. Hinzu kommt als weiterer positiver Effekt die geringeren Kosten des Verfahrens, hierzu auch SSW-Momsen, § 407 Rn. 4. 425 Zu dieser Überlegung SK-Weßlau, Vor §§ 407 ff. Rn. 14. 426 Auch die Einstellung unter Auflagen und Weisungen bedarf der Zustimmung des Beschuldigten, Angeschuldigten bzw. Angeklagten, § 153a Abs. 1 S.1 u. Abs. 2 S.1 StPO.

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nach der Rechtskraft nicht zu erklären vermag.427 Das Missverhältnis im Zusammenspiel mit § 410 Abs. 3 StPO – volle Vollstreckbarkeit bei nur begrenztem Strafklageverbrauch – wird jedenfalls durch die für den Betroffenen positiven Effekte zumindest gemildert, wenn nicht egalisiert. Letztlich besteht also für den Fall, dass die strafrechtliche Sanktion der Tat in einem rechtskräftig gewordenen Strafbefehl verhängt wurde, eine Wiederaufnahmemöglichkeit propter nova sowohl zugunsten als auch zuungunsten.428 Insofern sind die bislang zum Anwendungsbereich insbesondere von § 359 Nr. 5 StPO gefundenen Ergebnisse übertragbar. Betreffend die Frage nach der Neuheit des Vorbringens sind jedoch die Eigenarten des schriftlichen Verfahrens zu berücksichtigen: Die Neuheit beurteilt sich zunächst nach den Verfahrensakten und dem Text des Strafbefehls selbst.429 Ebenso wie in der Hauptverhandlung jedoch auch beigebrachte Tatsachen neu sein können, wenn der Richter sie erst gar nicht zur Kenntnis genommen hat oder sie ihm wieder entfallen sind,430 kann auch eine in den Akten enthaltene Angabe das Kriterium der Neuheit erfüllen, wenn feststeht, dass sie überlesen oder schlichtweg nicht als relevant erachtet wurde. Zwar bedarf es für die Annahme, dass entgegen der Pflicht zur umfassenden Kognition aktenkundige Tatsachen nicht berücksichtigt worden sind, besonderer Anhaltspunkte,431 eine entsprechende dienstliche Erklärung des Richters dürfte jedoch genügen. In einer vom Landgericht Landau zu entscheidenden Fallkonstellation wurde bei der Entscheidung beispielsweise ein den Angaben in den Akten nicht entsprechender Tatzeitraum zugrunde gelegt, was zu der irrigen Annahme führte, der Angeklagte sei zum Tatzeitpunkt Heranwachsender gewesen und gegen ihn das Strafbefehlsverfahren zulässig (vgl. § 109 Abs. 1 Satz 1 JGG).432 Die zutreffende Tatzeit war demgegenüber neu im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO und begründete die Wiederaufnahme des Verfahrens.433 427 Die vor dem Hintergrund einer Verständigung ergangene Entscheidung als Urteil genießt vollen Bestandsschutz. Hierzu krit. KMR-Eschelbach, § 362 Rn. 62 f., der sich mangels ausreichender Legitimation durch Verfahren de lege ferenda für einen reduzierten Bestandsschutz der auf eine Verständigung hin ergangenen Entscheidung entsprechend § 373a StPO ausspricht. 428 Hierzu BT-Drucks 10/1313, S. 33 (r. Sp.); LR-Gössel, § 373a Rn. 8; SK-Frister, § 373a Rn. 7: spiegelbildlicher Anwendungsbereich. 429 BVerfG NJW 1993, 2735 (2736); NJW 2007, 207 (208); LR-Gössel, § 359 Rn. 90a; Noack, JA 2005, 539 (542). 430 Vgl. SK-Frister, § 359 Rn. 46. 431 LG Landau NStZ-RR 2003, 28. 432 Ein entgegen § 79 Abs. 1 JGG gegen einen Jugendlichen erlassener Strafbefehl wird überwiegend als wirksam angesehen, es soll kein Fall der Nichtigkeit vorliegen, vgl. BayObLG NJW 1957, 838; KK-Maur, § 407 Rn. 27; LR-Gössel, Vor § 407 Rn. 51; Meyer-Goßner/ Schmitt § 407 Rn. 3; SK-Weßlau, Vor §§ 407 ff. Rn. 9. A.A. im Falle der Verhängung einer nach Jugendstrafrecht unzulässigen Sanktion Eisenberg, § 79 JGG Rn. 6. Diskutiert wird dann, ob bei nicht eingelegtem Einspruch die Vollstreckung über § 458 Abs. 1 Var. 3 StPO angegriffen werden kann, abl. Maur, Gössel und Eisenberg jeweils a.a.O. 433 LG Landau NStZ-RR 2003, 28; zust. SK-Weßlau, Vor §§ 407 ff. Rn. 9. Darüber hinaus stellte sich die Frage, ob das Jugendgerichtsgesetzes als milderes Strafgesetz im Sinne des § 359

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

Von besonderer Relevanz ist auch im Strafbefehlsverfahren der Verstoß gegen den Grundsatz ne bis in idem, wobei nach Einschätzung von Peters die Schriftlichkeit des Verfahrens derartige Doppelverurteilungen begünstigt.434 Die Gefahr einer Dopplung erhöhte sich auch dann, wenn – wie in der Praxis häufig435 – Verkehrsdelikte der gesonderten Bearbeitung zugeführt werden, auch wenn sie im Zusammenhang mit Delikten der allgemeinen Kriminalität begangen wurden.436 Wenngleich die Kombination Strafbefehl – nachfolgende Verurteilung im Regelverfahren in der Praxis ebenso anzutreffen ist,437 interessiert in diesem Kontext nur der unzulässig in derselben Sache ergangene Strafbefehl. Besonderes Fehlerpotenzial birgt hier offenbar eine vorangegangene Opportunitätseinstellung nach § 153a Abs. 1 StPO. Durch vollständige und fristgerechte Erfüllung der verhängten Auflagen und Weisungen wird hinsichtlich der Verfolgung als Vergehen Strafklageverbrauch herbeigeführt, wie sich aus § 153a Abs. 1 Satz 5 StPO ergibt. Erhebt der Angeklagte gegen einen anschließend in derselben Sache erlassenen Strafbefehl keinen Einspruch, so ist er ob der urteilsgleichen Wirkung (§ 410 Abs. 3 StPO) in doppelter Form sanktioniert.438 An und für sich dürften angesichts dieses Befundes keine Unterschiede zu der hier ab

Nr. 5 StPO zu bewerten ist, was das Landgericht bejahte; ebenso OLG Hamburg NJW 1952, 1150 (jedenfalls Gleichstellung); Eisenberg, § 79 JGG Rn. 6; Meyer-Goßner/Schmitt, § 359 Rn. 41; LR-Gössel, § 359 Rn. 62 in Fn. 133: regelmäßig milder; Peters, Fehlerquellen Bd. 3, S. 14. A.A. etwa Luther, ZStW 70 [1958], 87 (95 u. 101); Noack, JA 2005, 539 (543): Betrachtung im Einzelfall; Potrykus, NJW 1953, 93 f. Der mildere Charakter der Jugendstrafe ergibt sich jedoch bereits aus der Ersetzung des Vergeltungs- durch den Erziehungs- bzw. Fürsorgegedanken, der für das Jugendstrafrecht prägend ist (Peters, Strafprozeß, S. 618). Die Mindestfreiheitsstrafe von sechs Monaten nach § 18 Abs. 1 S. 1 JGG ist daher auch nicht „strenger“ als § 38 Abs. 2 StGB, der hierfür lediglich einen Monat vorsieht. § 47 Abs. 1 StGB relativiert diesen prima facie erheblichen Unterschied dadurch, dass die Verhängung einer Freiheitsstrafe unter sechs Monaten nur in Ausnahmefällen erfolgt. Das Jugendstrafrecht hält eine erfolgreiche erzieherische Einwirkung über einen kürzeren Zeitraum hinweg de facto nicht für möglich, hierzu Eisenberg, § 18 JGG Rn. 4a (allerdings mit Hinweis auf die fehlende empirische Bestätigung dieser Annahme). § 47 Abs. 1 StGB beruht auf ähnlichem Gedanken, vgl. insb. BT-Drs. 5/4094, S. 5 (r. Sp.): „Aus den Erfahrungen des Strafvollzuges vertritt man die Auffassung, daß eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten nicht ausreicht, um eine erzieherische Wirkung [Hervorh. d. Verf.] zu erzielen“. Dass im Einzelfall kürzere Freiheitsstrafen dennoch möglich sind, spielt keine entscheidende Rolle. 434 Peters, Fehlerquellen Bd. 1, S. 473 f; vgl. auch LR-Graalmann-Scheerer, § 458 Rn. 11: Doppelbestrafung „meist durch Strafbefehl“; SK-Paeffgen, § 458 Rn. 9: „Problem namentlich bei Strafbefehlen“. 435 Deutliche Kritik in BGH NZV 2013, 93 (94) m. Anm. Mitsch, NZV 2013, 63 ff.; vgl. auch Kalormiris, NStZ 1998, 500: ein „in der staatsanwaltschaftlichen Praxis gar nicht seltener“ Fall. 436 So auch der Fall des BGH NZV 2013, 93: Trunkenheitsfahrt und gleichzeitiger Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge; die Fahrt diente gerade dem Transport der Betäubungsmittel. 437 Vgl. etwa LG Krefeld NJW 1973, 1205. 438 Vgl. den der Entscheidung LG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2003, 80 zugrunde liegenden Fall.

I. Sachurteile

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S. 98 erörterten Konstellation bestehen.439 Allerdings handelt es sich bei den in § 153a Abs. 1 Satz 2 StPO aufgeführten und sonst möglichen Auflagen und Weisungen nicht um strafrechtliche Sanktionen, das Verfahren endet ohne gerichtliche Bestrafung und auch ohne Schuldspruch.440 Die Erfüllung der auferlegten Pflichten bleibt dem Beschuldigten trotz seiner Zustimmung (§ 153a Abs. 1 Satz 1 StPO) zur Einstellung frei.441 Die Bezeichnung als unzulässige Doppelbestrafung ist, abgesehen davon, dass sich der Betroffene durch den Strafbefehl subjektiv selbstverständlich „doppelt bestraft“ fühlen wird,442 demnach zumindest sprachlich ungenau. Nach der vollständigen Erfüllung der Auflagen und Weisungen stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren jedoch endgültig ein.443 § 153a Abs.1 Satz 5 StPO bewirkt dann bezüglich der Verfolgung als Vergehen insoweit Gleiches wie ein freisprechendes Urteil: Eine erneute Ahndung ist in beiden Fällen ausgeschlossen, ne bis in idem hat hinsichtlich der Verfolgung als Vergehen in der Norm sogar ausdrücklichen Niederschlag gefunden. Demzufolge spricht in der Tat nichts dagegen, derartige Fälle entsprechend den Verstößen gegen das Verbot der Doppelbestrafung aus Art. 103 Abs. 3 GG zu behandeln.444 Die Erfüllung der Auflagen und Weisungen bildet im konkreten Fall einen Umstand, der bereits dem Erlass eines (weiteren) Strafbefehls entgegengestanden hätte. Auch das Landgericht Frankfurt am Main wählte den Weg über die Wiederaufnahme, welcher über §§ 359 Nr. 5, 371 Abs. 2 StPO „ohne den Aufwand einer Hauptverhandlung vorliegend im Ergebnis zu einer Einstellung des Verfahrens wegen des Verfahrenshindernisses des beschränkten Strafklageverbrauchs“ führe.445 Im Hinblick auf die Stimmigkeit des „Wiederaufnahmeziels“ wurde bislang stets gefragt, ob eine entsprechend qualifizierte Entscheidung in der ersten Hauptverhandlung ergangen wäre, hätte das Gericht auf die 439 Entsprechend halten auch BeckOK-Beukelmann, § 153a Rn. 58; Meyer-Goßner/ Schmitt, § 153a Rn. 46; Kalormiris, NStZ 1998, 500 die Wiederaufnahme für zulässig. 440 BGHSt 28, 174 (176); BT-Drs. 7/1261, S. 27 f.; BT-Drs. 7/550, S. 298 (r. Sp.); MeyerGoßner/Schmitt, § 153a Rn. 2; Pfeiffer, § 153a Rn. 1. Nach EuGH Urt. v. 11. 02. 2003 – C-187/ 01 u. C-385/01 – Gözütok u. Brügge, Slg. 2003, I-01345 Rn. 25 ff. = NStZ 2003, 332 (333) soll allerdings das in Art. 54 SDÜ aufgestellte Verbot der Doppelbestrafung auch für staatsanwaltschaftliche Einstellungen nach § 153a Abs. 1 StPO gelten. 441 LR-Beulke, § 153a Rn. 9; Meyer-Goßner/Schmitt, § 153a Rn. 12; SK-Weßlau, § 153a Rn. 32. Natürlich bleibt die Nichterfüllung nicht ohne Konsequenzen – das reguläre Verfahren wird in aller Regel durch Erhebung der öffentlichen Klage fortgeführt, wobei bereits erbrachte Leistungen gemäß § 153a Abs. 1 S. 6 StPO nicht erstattet werden. 442 Kalormiris, NStZ 1998, 500. 443 Da bereits mit der Erfüllung der Auflagen und Weisungen alle Voraussetzungen für das Verfolgungshindernis des § 153a Abs. 1 S. 5 StPO vorliegen, ohne dass dies seitens des Gerichts oder der Staatsanwaltschaft weiterer Feststellungen bedürfe, hat diese Einstellungsverfügung lediglich deklaratorischen Charakter, hierzu KK-Diemer, § 153a Rn. 46; KMR-Plöd, § 153a Rn. 49; LR-Beulke, § 153a Rn. 101; Meyer-Goßner/Schmitt, § 153a Rn. 45; Pfeiffer, § 153a Rn. 9. 444 LG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2003, 80; Kalormiris, NStZ 1998, 500. Vgl. auch Maunz/ Düring-Schmidt-Aßmann, Art. 103 GG Rn. 296. 445 LG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2003, 80 f.

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

nunmehr dargebotenen Erkenntnisquellen Zugriff gehabt. Nun führen im Kontext des Strafbefehls derartige Überlegungen zwar nicht zwingend in eine Hauptverhandlung zurück – der „doppelverurteilende“ Strafbefehl kann auch vom Betroffenen schlicht hingenommen worden sein und Rechtskraft erlangt haben, wie im Übrigen auch im Fall des Landgerichts geschehen. Aber erneut – in Rede steht die urteilsgleiche Wirkung des Strafbefehls. Auch die Frage nach der hypothetischen Entscheidung muss daher modifiziert werden: Wie wäre über den Strafbefehlsantrag entschieden worden, hätte der Richter auf die nunmehr dargebotenen Erkenntnisquellen – hier beispielsweise das Anschreiben der Staatsanwaltschaft und der entsprechende Einzahlungsbeleg – zum Zeitpunkt des Erlasses Zugriff gehabt? Der Antrag wäre abgelehnt worden, § 408 Abs. 2 Satz 1 StPO. Nach § 408 Abs. 2 Satz 2 hätte diese Entscheidung in ihrer Wirkung dem Nichteröffnungsbeschluss nach § 204 StPO, konkret der Nichteröffnung aus Rechtsgründen, gleichgestanden. Diese Nichteröffnungsentscheidung ist wiederum die Vorstufe einer Einstellungsentscheidung nach §§ 206a, 260 Abs. 3 StPO. Erkennt das Gericht das Bestehen eines endgültigen Verfahrenshindernisses bereits im Zwischenverfahren, so hat es erst gar nicht in das Hauptverfahren einzutreten.446 Dass im „Optimalfall“447 also gar keine Entscheidung nach §§ 206a, 260 Abs. 3 StPO ergeht, ist zum einen ein Befund, der im Regelverfahren gleichsam Gültigkeit beansprucht und zum anderen dem Vorbringen nicht die grundsätzliche Fähigkeit zu Herbeiführung dieser Rechtsfolge nimmt. Es hat in jedem Fall die Qualität, die Verhängung einer strafrechtlichen Sanktion massiv infrage zu stellen und zu einer Erschütterung des Rechtsfriedens zu führen. Im Ergebnis ist daher der Entscheidung des Landgerichts Frankfurt am Main zum Anwendungsbereich des Wiederaufnahmeverfahrens zuzustimmen; darüber hinaus auch, was die Einschätzung der Entbehrlichkeit der Hauptverhandlung (Verfahren nach § 371 Abs. 2 StPO) anbelangt. Gleiches gilt selbstverständlich für zwei Strafbefehle, die dieselbe Tat im Sinne des Art. 103 Abs. 3 GG, § 264 Abs. 1 StPO betreffen. b) Urteil nach Einspruch gegen den Strafbefehl, § 411 Abs. 4 StPO Nach Ablauf der zweiwöchigen Einspruchsfrist des § 410 Abs.1 Satz 1 StPO, aber auch nach Einspruchsrücknahme oder bei wirksamem Verzicht auf denselbigen448 hat der Strafbefehl gemäß § 410 Abs. 3 StPO urteilsgleiche Wirkung, das heißt er ist

446 OLG Zweibrücken NStZ-RR 2004, 298 (299); KK-Schneider, § 206a Rn. 2; KMRSeidl, § 206a Rn. 1; LR-Stuckenberg, § 206a Rn. 9; Pfeiffer, § 206a Rn. 1. 447 Ungeachtet der Verfahrenseinstellung bereits im Ermittlungsverfahren (§ 170 Abs. 2 StPO) durch die Anklagebehörde selbst. Beides ist freilich nur dann möglich, sofern – wie hier im Falle des Strafklageverbrauchs – das Verfahrenshindernis bereits besteht, die Durchführung des Verfahrens also von Anfang an unmöglich ist. 448 Näheres hierzu im Anschluss; zur Form LR-Gössel, § 410 Rn. 15.

I. Sachurteile

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unabänderbar, vollstreckbar und verbraucht die Strafklage.449 Legt der Angeklagte hingegen Einspruch ein, führt dies zu einer Überleitung ins Regelfahren. Im Jahre 2013 wurden so rund 150.000 Verfahren eingeleitet.450 Das Regelverfahren darf selbstverständlich nicht durchgeführt, die Hauptverhandlung also nicht nach § 411 Abs. 1 Satz 2 StPO anberaumt werden, wenn der Strafbefehl bereits durch die oben genannten Ereignisse rechtskräftig geworden ist, sofern die Rechtskraft nicht im Wege der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand durchbrochen wird.451 Bleibt die bereits eingetretene Rechtskraft des Strafbefehls jedoch unentdeckt, existiert nach Abschluss des Regelverfahrens parallel zum Strafbefehl ein Urteil in derselben Sache, dessen Rechtsfolgen zudem divergieren können.452 Das Verbot der Doppelbestrafung ist erneut tangiert. Entsprechend wurde das im Regelverfahren ergangene Urteil teils als nichtig angesehen.453 Heute überwiegt demgegenüber die Ansicht, dass die auf einen unzulässigen Einspruch hin ergangene und unangefochten gebliebene Entscheidung wirksam ist und durch sie die Rechtskraft des Strafbefehls gleichsam beseitigt wird.454 Dies allerdings der Kommentierung Gössels zufolge nur, solange sie nicht im Wege der Wiederaufnahme oder der Verfassungsbeschwerde beseitigt werde.455 Dieser Hinweis auf die Anwendbarkeit des Wiederaufnahmeverfahrens auch in dieser abgewandelten Fallkonstellation von ne bis in idem bleibt ohne nähere Ausführungen. Die Parallele zu der hier ab S. 98 dargestellten Konstellation ist indes nicht so leicht zu ziehen, wie es auf den ersten Blick scheint. Es wurde bereits herausgearbeitet, dass dem im Erstverfahren gebotenen Freispruch die Verfahrenseinstellung nach §§ 260 Abs. 3, 206a StPO gleichzusetzen ist. Nun besteht jedoch vorliegend die Besonderheit, dass insbesondere nach Ansicht der Rechtsprechung das Gericht in der dennoch anberaumten Hauptverhandlung auf die bereits eingetretene Rechtskraft des Strafbefehls jedenfalls nicht in allen Fällen mit 449

Rn. 6.

KMR-Metzger, § 410 Rn. 15; Meyer-Goßner/Schmitt, § 410 Rn. 12; Pfeiffer, § 410

450 Statistisches Bundesamt (2014) Fachserie 10 Reihe 2.3, S. 22, abrufbar unter www.destatis.de. Die Einspruchshäufigkeit ist tendenziell steigend, die Begründung sieht BTDrs. 10/1313, S. 13 (r. Sp.) in „einer allgemein gestiegenen Bereitschaft, von Rechtsbehelfen Gebrauch zu machen, und […] einer vermehrten Rechtsberatung durch Rechtsanwälte“. 451 LR-Gössel, § 411 Rn. 5. 452 Das Verbot der reformatio in peius gilt im Strafbefehlsverfahren gerade nicht (§ 411 Abs. 4 StPO, Ausnahme: § 411 Abs. 1 S. 3 2. Hs. StPO), weshalb das Gericht nach allg. Ansicht nicht gehindert ist, auch bei unverändertem Sachverhalt eine höhere Strafe als im Strafbefehl ausgesprochen festzusetzen (vgl. KK-Maur, § 411 Rn. 34 m.w.N.). 453 OLG Dresden JW 1929, 2773; dem noch zustimmend Eb. Schmidt, Lehrkommentar II § 411 Rn. 15, anders jedoch im Nachtragsband § 411 Rn. 15 b) im Anschluss an BGHSt 13, 306. 454 BGHSt 13, 306 (309); 18, 127 (129), letztere Entscheidung zum Bußgeldverfahren und zust. zu beiden Hanack, JZ 1974, 54 (56); BayObLGSt 1953, 34 (35); 1961, 195 (201); OLG Karlsruhe DAR 1960, 237 (238); KK-Maur, § 411 Rn. 6; LR-Gössel, § 411 Rn. 9; MeyerGoßner/Schmitt, § 411 Rn. 12 a.E. 455 LR-Gössel, § 411 Rn. 9. Für die Beseitigung im Wiederaufnahmeverfahren auch SSWMomsen, § 407 Rn. 7.

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

der Einstellung des Verfahrens nach § 260 Abs. 3 StPO reagieren soll. Wurde lediglich die Unzulässigkeit des Einspruchs – im Wesentlichen also die verspätete Einlegung – übersehen, so soll die Entscheidung auf nachträgliche Verwerfung des Einspruchs durch Urteil (§ 260 Abs. 1 StPO) lauten.456 Zwar ist das Ergebnis auch hier das Wiedererstarken des – freilich zu keiner Zeit tatsächlich in seiner Wirksamkeit suspendierten – Strafbefehls. Genaugenommen müsste jedoch nunmehr auch die „Verwerfung als unzulässig nach Eintritt in die Hauptverhandlung“ neben der endgültigen Verfahrenseinstellung in den Kreis der zur Wiederaufnahme berechtigenden Entscheidungen aufgenommen werden. Wird im laufenden Verfahren erkannt, dass der Entscheidung das Verbot der res iudicata entgegensteht, so darf keine erneute Entscheidung ergehen. Für derartige Fälle existiert die in § 260 Abs. 3 StPO vorgesehene Entscheidungsform der Verfahrenseinstellung durch Prozessurteil. Insbesondere im Berufungs-, aber auch im Revisionsverfahren bestehen allerdings mit § 322 Abs. 1 Satz 2 und § 349 Abs. 5 i.V. Abs. 1 StPO Sonderregeln, die dem Rechtsmittelgericht gestatten, den Rechtskrafteintritt deklaratorisch durch Urteil festzustellen.457 Deklaratorisch deshalb, da die angefochtene Entscheidung – genau wie in der hier diskutierten Fallkonstellation – bereits ohne Zutun des Gerichts durch Fristablauf rechtskräftig geworden ist. Im Strafbefehlsverfahren dagegen ist die Verwerfung des verspätet eingelegten oder sonst unzulässigen Einspruchs durch Beschluss nach in § 411 Abs. 1 Satz 1 StPO getroffenen Anordnung („wird […] verworfen“) an sich zwingend, die Entscheidung soll gerade nicht der Hauptverhandlung über den (unzulässigen) Rechtsbehelf vorbehalten bleiben.458 Steht der Entscheidung in der Hauptverhandlung der durch Fristablauf rechtskräftig gewordene Strafbefehl entgegen, so wäre in Ermangelung einer speziellen Regelung an sich auf die allgemeine Systematik zurückzugreifen. Die Verwerfung eines Rechtsmittels oder Rechtsbehelfs als unzulässig nach Eintritt in die Hauptverhandlung ist eigentlich eine widersinnige Konstruktion, insofern als das Gericht im Rahmen der Hauptverhandlung gleichsam entscheidet aufgrund des Strafklageverbrauchs als Befassungsverbot459 gar nicht entscheiden zu dürfen. Das Prozedieren an sich ist bereits aufgrund des Verbotes ne bis in idem untersagt. Zwar soll es ebenso „allgemeine Regel“ sein, eine Hauptverhandlung durch Urteil abzuschließen,460 dies spricht jedoch nicht gegen den Abschluss durch ein das Verfahren 456

BGHSt 13, 306; 26, 183; BayObLGSt 1961, 195; OLG Hamm VRS 41 [1971], 381; anders OLG Hamm JMBlNW 1954, 60: Einstellung unter gleichzeitiger Verwerfung des Einspruchs, zust. noch Eb. Schmidt, Lehrkommentar II § 411 Rn. 15. Der neueren Rspr. zust. etwa BeckOK-Temming, § 411 Rn. 1a; KK-Maur, § 411 Rn. 3; KMR-Metzger, § 411 Rn. 6; LR-Gössel, § 411 Rn. 5; Pfeiffer, § 411 Rn. 1; Ranft, Strafprozeßrecht, Rn. 2315. 457 KK-Paul, § 322 Rn. 3; Meyer-Goßner/Schmitt, § 322 Rn. 2. Gleiches gilt für die verspätet eingelegte Revision, vgl. RGSt 53, 235 (236); KK-Gericke, § 346 Rn. 25; LR-Franke, § 346 Rn. 22. 458 KK-Maur, § 411 Rn. 3; LR-Gössel, § 411 Rn. 3. 459 OLG Hamm NStZ-RR 2008, 383; Meyer-Goßner/Schmitt, Einl. Rn. 143. 460 BayObLGSt 1961, 195 (196 f.) mit Bezugnahme auf BGHSt 8, 383 (384); KK-Maur, § 411 Rn. 3; Meyer-Goßner, NJW 1987, 1161 (1168).

I. Sachurteile

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einstellendes Urteil. Auch dass die Einstellung immer das Gesamtverfahren betreffe und daher notwendigerweise auch den Strafbefehl tangieren würde,461 ist kein zwingender Schluss. Die Einstellung betrifft das Gesamtverfahren konzeptionell gerade deshalb, weil bislang noch keine rechtskräftige Entscheidung vorliegt. Die von den Beteiligten unbemerkt eingetretene Rechtskraft des Strafbefehls setzt jedoch eine Zäsur im Verfahren, durch welches sich dieses gerade nicht mehr als Einheit darstellt.462 Die Entscheidung zielt für alle Beteiligten erkennbar primär auf den Abschluss der unzulässig beanspruchten Instanz. Die Annahme, dass auch im Falle der anberaumten Hauptverhandlung trotz Unzulässigkeit des Einspruchs dieser durch Urteil zu verwerfen sei, beruht auf einer Übertragung der im Rechtsmittelverfahren bestehenden Rechtslage. Die Entscheidung BGHSt 13, 306 stützt sich im Wesentlichen auf die Vergleichbarkeit der Situation zu derjenigen, wie sie gegeben ist, wenn eine Revision nach Ablauf der Einlegungsfrist oder nach einem wirksamen Rechtsmittelverzicht eingelegt worden ist, auch dort werde über einen dem Eintritt der Rechtskraft nachfolgenden Teil des Verfahrens entschieden und dieser zur Erledigung gebracht.463 Für die vorliegende Konstellation liegt näher noch eine entsprechende Anwendung des § 322 Abs. 1 Satz 2 StPO, den auch Gössel für seine Lösung heranzieht.464 Wird demnach allein mit Hilfe einer Analogie eine Entscheidungsmöglichkeit eröffnet, die nunmehr aus dem Kreis der wiederaufnahmerechtlich relevanten Erfolge ausbricht, sollte dies der Anwendung der §§ 359 ff. StPO nicht entgegenstehen. Aus diesem Grunde ist es vertretbar, die seitens der Rechtsprechung richterrechtlich konstruierte nachträgliche Verwerfung als unzulässig unter gleichzeitiger Feststellung der Rechtskraft des Strafbefehls gleichsam wie eine endgültige Verfahrenseinstellung zu behandeln. Hierfür spricht auch, dass in Fällen, in denen lediglich eine wirksame Rücknahme des Einspruchs oder ein wirksamer Verzicht auf diesen übersehen wurde, wiederum regulär nach § 260 Abs. 3 StPO einzustellen sein soll.465 Klärungsbedarf besteht bereits hinsichtlich der Gleichstellung des zuvor erklärten Verzichts auf den Rechtsbehelf mit der Rücknahme desselbigen. Verzicht und Rücknahme werden im Kontext des § 302 StPO verbreitet als Erklärungen gleicher Wirkung verstanden und bilden ein geläufiges Begriffspaar.466 Im Grunde macht der vor Ablauf der Frist erklärte Verzicht den anschließend dennoch eingelegten Rechtsbehelf jedoch lediglich unzulässig, beseitigt aber nicht dessen Existenz.467 Anders an sich die 461

Vgl. BGHSt 13, 306 (308); OLG Karlsruhe DAR 1960, 237 (238). Anders BGHSt 13, 306 (308 f.): „weiteres Verfahren“. 463 BGHSt 13, 306 (309). LR-Gössel, § 411 Rn. 5 räumt dieser Grundentscheidung der Verfahrensordnung gegenüber der Einstellungsentscheidung, die anscheinend auch seiner Ansicht nach geboten wäre, den Vorrang ein. 464 LR-Gössel, § 411 Rn. 5. 465 KMR-Metzger, § 411 Rn. 6; LR-Gössel, § 411 Rn. 11; SK-Weßlau, § 411 Rn. 5. 466 Vgl. etwa KK-Paul, § 302 Rn. 1; wegen der begrifflichen Unterschiede krit. SK-Frisch, § 302 Rn. 2 u. 5. 467 BGH NJW 1984, 1974 (1975); NStZ 1984, 181; Meyer-Goßner/Schmitt, § 302 Rn. 26. 462

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

Rücknahme eines bereits eingelegten Einspruchs – hier heben sich die Erklärungen gegenseitig auf und führen dazu, dass insgesamt kein Einspruch vorliegt, also ist die Situation an sich ähnlicher der des von vornherein nicht (rechtzeitig) eingelegten Einspruchs. Erklärlich wird die Einordnung vielmehr dadurch, dass in der Rücknahme nach Ansicht der Rechtsprechung regelmäßig auch ein Verzicht auf die nochmalige Einlegung gesehen wird und die Rücknahme demnach ebenso ad hoc Auswirkungen auf die Rechtskraft der Entscheidung hat, also nicht der Ablauf der Rechtsmittel- oder Rechtsbehelfsfrist abgewartet werden muss.468 Diese unmittelbare Wirkung von Verzicht und Rücknahme im Strafbefehlsverfahren ergibt sich aus der alleinigen Entscheidungsgewalt des Betroffenen über den Angriff auf den ergangenen Strafbefehl. Anders als im Rechtsmittelrecht kann bereits seine Erklärung die Beständigkeit der Entscheidung bewirken. Eine Differenzierung ist jedoch angebracht, wenn der fristgerechte Einspruch „sonst unzulässig“ im Sinne des § 411 Abs. 1 1. Hs. Alt. 2 StPO ist.469 Die Nichteinhaltung der Form suspendiert den rechtzeitig eingelegten Einspruch nicht in gleicher Weise. Diese Einschätzung des Gesetzgebers hat in §§ 316 Abs. 1, 343 Abs. 1 StPO Niederschlag gefunden, die allein der rechtzeitigen Einlegung eines Rechtsmittels Auswirkungen auf die Rechtskraft zuschreiben.470 Zieht man hier die tatsächlich angebrachte Parallele zwischen Strafbefehls- und Rechtsmittelverfahren, hat die fristgerechte, lediglich nicht formgerechte Einlegung des Einspruchs nicht den Strafklageverbrauch zur Folge. Da in diesem Fall kein Verfahrenshindernis in Form eines Befassungsverbotes besteht, ist die Entscheidung durch Urteil lediglich verfahrensfehlerhaft, sodass eine Korrektur über das Wiederaufnahmeverfahren ausscheidet. Demnach wäre das auf entsprechende Dokumente gestützte Vorbringen, dass der Einspruch anders als seitens des Gerichts angenommen erst nach Ablauf der Zweiwochenfrist eingelegt, zurückgenommen oder von vornherein auf ihn verzichtet wurde, als im Rahmen der ersten Hauptverhandlung zur Einstellung beziehungsweise nach ständiger Rechtsprechung zur Verwerfung des Einspruchs als unzulässig führende Erkenntnis im Wiederaufnahmeverfahren an sich zulässig. Die tatsächliche Korrekturmöglichkeit der Entscheidung in dieser Konstellation hängt jedoch ganz entscheidend von dem in der (unzulässigen) Zweitentscheidung enthaltenen Rechtsfolgenausspruch ab: Im Rahmen der Wiederaufnahme nach § 359 Nr. 5 StPO kommt eine Korrektur des trotz rechtskräftigem Strafbefehl ergangenen Urteils nur dann in Betracht, wenn der im Strafbefehl enthaltene Ausspruch milder war als die Festsetzung im Urteil, was angesichts § 411 Abs. 4 StPO möglich, aber nicht 468 BGHSt 10, 245 (247); BGHR StPO § 302 Abs. 2 Rücknahme 2 u. 7; BayObLGSt 1974, 57; anders jedoch dann, sofern sich aus einem entsprechenden Vorbehalt oder den Begleitumständen der Erklärung das Fehlen eines Verzichtwillens ergibt. 469 Dies betrifft den Fall des nicht in der gebotenen Form oder nicht von der einspruchsberechtigten Person eingelegten Einspruchs, vgl. BeckOK-Temming, § 411 Rn. 1. 470 Hierzu auch BayObLGSt 1953, 97 (98); Stratenwerth, JZ 1961, 392.

II. Prozessurteile

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zwingend ist.471 Für die umgekehrte Konstellation, in welcher die Rechtsfolgen des Urteils für den Betroffenen günstiger sind, ist eine Wiederaufnahme nur nach § 362 Nrn. 1 – 3 StPO, also gerade nicht bei bloßem Vortrag von nova betreffend den bereits rechtskräftigen Strafbefehl möglich.

II. Prozessurteile Das zweite Unterkapitel im Bereich der aus tatsächlichen Gründen fehlerhaften Entscheidung hat spiegelbildlich diejenigen Konstellationen zum Gegenstand, die im Rahmen der Verfahrenshindernisse in den Blick genommen wurden. Dort war ein zugunsten des Betroffenen wirkender, nämlich ein Verfahrenshindernis begründender Umstand dem Gericht unbekannt, nunmehr interessieren die umgekehrten Fälle, in denen vom Vorliegen derartiger Umstände irrig ausgegangen und daraus die entsprechende Konsequenz gezogen wurde. Stets geht es um Fälle, in denen die Fehleinschätzung im tatsächlichen Bereich die Verfahrenseinstellung und damit den Verzicht auf die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs respektive die Rehabilitation des Nichtüberführbaren durch Freispruch472 zu einer fehlerhaften Entscheidung werden lassen. Handelt es sich lediglich um ein behebbares Hindernis, ist die Hauptverhandlung auszusetzen oder zu unterbrechen (vgl. § 228 Abs. 1 StPO). Nach allgemeiner Ansicht kann auch § 205 StPO, der nach Wortlaut und systematischer Stellung lediglich im Zwischenverfahren gilt, analog angewandt werden und zu einer vorläufigen Einstellung auch in späteren Verfahrensstadien führen.473 Ist der Wegfall des Hindernisses hingegen nicht zu erwarten, liegt also ein nicht behebbares und endgültiges474 Hindernis vor, ist die endgültige Einstellung des Verfahrens auszusprechen.475 Nach Eintritt in die Hauptverhandlung erfolgt dies durch Entscheidung nach § 260 Abs. 3 StPO als Prozessurteil, außerhalb findet § 206a StPO Anwendung.476 471 LR-Gössel, § 411 Rn. 56 ff. mit nachdrücklichem Hinweis darauf, dass die Einspruchseinlegung als solche selbstverständlich nicht strafschärfend berücksichtigt werden dürfe. 472 Hierzu Rieß, JR 1985, 45 und eingehend Krack, Rehabilitierung, S. 219 ff. 473 KK-Schneider, § 205 Rn. 2; KMR-Stuckenberg, § 260 Rn. 78; Meyer-Goßner/Schmitt, § 205 Rn. 3; SSW-Beulke, Einl. Rn. 119. 474 Die Begriffe werden synonym verwendet. 475 Dies freilich erst, sofern das Zwischenverfahren bereits durchlaufen wurde, andernfalls verbietet sich erneut bereits die Eröffnung der Hauptverhandlung, vgl. KK-Schneider, § 204 Rn. 5; LR-Stuckenberg, § 204 Rn. 9; Meyer-Goßner/Schmitt, § 204 Rn. 2. 476 Hierzu ab S. 187. Umstritten ist die Rechtslage im Falle der nach §§ 228 f. StPO unterbrochenen Hauptverhandlung. Ein Argument für das Erfordernis einer Entscheidung nach § 260 Abs. 3 StPO dürfte nach Krack Rehabilitierung, S. 222 f. sein, dass nach einmaliger Herstellung von Öffentlichkeit auch die Einstellung des Verfahrens öffentlich, also durch Prozessurteil und nicht durch nichtöffentlichen Beschluss zu erfolgen hat.

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

Diese Entscheidungsmöglichkeiten gelten im Rechtsmittelverfahren fort.477 Ein Blick in die Strafverfolgungsstatistik zeigt, dass über 80 % der Aburteilungen nach allgemeinem Strafrecht tatsächlich auch Verurteilungen darstellen, gegen den Angeklagten also Freiheitsstrafe, Strafarrest oder Geldstrafe – gegebenenfalls auch durch einen rechtskräftigen Strafbefehl – verhängt wird.478 Kommt es nicht zu einer solchen Verurteilung, dominiert die Verfahrenseinstellung ihrer Häufigkeit nach jedoch klar den Freispruch oder sonstige Entscheidungen.479 Da die als Einstellung des Verfahrens geltenden Entscheidungen jedoch sämtliche endgültigen Einstellungen durch ein Gericht nach den Vorschriften der Strafprozessordnung sowie nach den Bestimmungen des § 47 JGG und aufgrund einer Amnestie umfassen,480 sagt dies speziell für die Häufigkeit der Einstellung aufgrund eines Verfahrenshindernisses noch nichts aus.481 Zu bedenken ist auch, dass mit der staatsanwaltlichen Verfahrenseinstellung nach § 170 Abs. 2 Satz 1 StPO und der Ablehnung der Eröffnung der Hauptverhandlung nach § 204 StPO noch zwei wichtige Kontrollinstanzen vorgeschaltet sind.482 Im Rahmen der nachfolgenden Erörterungen werden Entscheidungen zu § 260 Abs. 3 StPO, darüber hinaus der ihnen zugrunde liegenden Konstellation wegen auch Fälle in den Blick genommen, in denen die Einstellung nach § 206a StPO erfolgte. Die jeweils erfolgenden Verfahrenseinstellungen unterscheiden sich nicht in ihren sachlichen Voraussetzungen, sondern nur der Form nach – wie die Verfahrenseinstellung jeweils erfolgt, wird allein durch die konkrete Verfahrenslage bestimmt.483

477 Auch die Vorschriften, die sich mit Berufung und Revision befassen, tragen allerdings der im Wesentlichen erst nach dem Inkrafttreten der Strafprozessordnung entwickelten Lehre von den Verfahrensvoraussetzungen und den Verfahrenshindernissen noch immer nicht ausdrücklich Rechnung, vgl. BGHSt 15, 203 (207 f.). 478 Statistisches Bundesamt (2015) Fachserie 10 Reihe 3, S. 58 und zur Begriffsbestimmung dort auf S. 15, abrufbar unter www.destatis.de. 479 Statistisches Bundesamt (2015) Fachserie 10 Reihe 3, S. 59, den 110.284 Verfahrenseinstellungen standen im Jahre 2013 26.079 Freisprüche gegenüber. Die Anzahl der übrigen „anderen Entscheidungen“ (selbstständige Anordnung von Maßregeln; Freispruch mit Maßregeln sowie Absehen von der Strafe) ist dagegen verschwindend gering. 480 Zur Begriffsbestimmung erneut Statistisches Bundesamt (2015) Fachserie 10 Reihe 3, S. 13. 481 Nach Einschätzung von SSW-Franke, § 260 Rn. 7 soll das Einstellungsurteil in der Praxis gar von untergeordneter Bedeutung sein. 482 Zu diesem Aspekt auch schon Peters, Fehlerquellen Bd. 2, S. 224. Dies trifft selbstverständlich nicht die Fälle, in denen das Verfahrenshindernis erst im Laufe des Hauptverfahrens entsteht. 483 LR-Kühne, Einl. Abschn. K Rn. 85; SK-Velten/Schlüchter, § 260 Rn. 53; Gantzer, Rechtskraft Beschlüsse, S. 174 f.; Kleinknecht, FS Bruns, S. 475 (480).

II. Prozessurteile

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1. Prozessurteile im Kontext der klassischen Verfahrenshindernisse a) Behebbare Verfahrenshindernisse Eine Gruppe von Verfahrenshindernissen betrifft das Fehlen prozessualer Substanz (Anklage, Eröffnungsbeschluss, Zuständigkeit), die nachträglich geschaffen werden kann.484 Beim Vorliegen derart behebbarer Verfahrenshindernisse, bei denen dennoch nach § 260 Abs. 3 StPO endgültig eingestellt wurde, kann das Verfahren erneut initiiert werden, sobald die fehlende Verfahrensvoraussetzung nachgeholt wird.485 Die Einstellung besagt nämlich allein, dass zum Entscheidungszeitpunkt ein Prozesshindernis bestand, ein auf einer neu geschaffenen Verfahrensvoraussetzung aufbauendes Zweitverfahren steht hierzu nicht im Widerspruch, da nicht jegliches Strafverfahren, sondern nur die Fortführung des laufenden untersagt wurde.486 Allein die – vor dem Hintergrund der Prozessökonomie durchaus attraktive – Möglichkeit der schlichten Fortführung des Verfahrens ist hierdurch gesperrt.487 Deutlich wird dies etwa am Beispiel des fälschlich für fehlend gehaltenen Eröffnungsbeschlusses. Wenn schon bei tatsächlichem Vorliegen des Hindernisses einer Neuanklage nichts entgegensteht,488 so kann dies erst recht nicht bei bloß irriger Annahme der Fall sein. Bindungswirkung entfaltet insofern allein die Feststellung des Mangels, es bedarf also einer Wiederholung dieser Prozesshandlung, der erste Eröffnungsbeschluss wäre im Falle des Wiederauffindens für einen erneuten Zugriff gesperrt. Ob stets auch eine erneute Anklageerhebung seitens der Staatsanwaltschaft vonnöten ist, wird vereinzelt bezweifelt.489 Dem Grunde nach müsste das Fehlen einer Prozessvoraussetzung nur bis zu dem Zeitpunkt zurückwirken, zu dem ihr Vorliegen erstmalig verlangt wird; des Weiteren streiten Prozessökonomie und das Beschleunigungsgebot für einen Verzicht hierauf.490 Für die Wiederholung auch der verfahrensein484

Rieß, JR 1985, 45 (47), der insofern von „transitorischer Natur“ spricht. Vgl. bspw. RGSt 46, 363 (368) (Strafantrag); 67, 59 (62) und BGH NStZ 2011, 650 (Anklageschrift); OLG Hamm JMBlNW 1962, 166 (167) (Zuständigkeit); OLG Köln NJW 1962, 1358 f. (Eröffnungsbeschluss); KK-Ott, § 260 Rn. 49; KMR-Stuckenberg, § 260 Rn. 82; LR-Kühne, Einl. Abschn. K Rn. 87; Meyer-Goßner/Schmitt, § 260 Rn. 48; Eb. Schmidt, Lehrkommentar II § 206a Rn. 9; Kohlhaas, NJW 1954, 1792 (1793); Schützeberg, StRR 2008, 178 f.; Marxen/Tiemann, Wiederaufnahme, Rn. 23; Möllmann, Anwendungsbereich der §§ 206a, 206b StPO, S. 62; Weber-Klatt, Wiederaufnahme zu Ungunsten, S. 172. 486 Vgl. RGSt 41, 152 (155 f.); LR-Stuckenberg, § 206a Rn. 114. 487 OLG Köln NJW 1981, 2208; Kohlhaas, NJW 1954, 1792 (1793). 488 BGH GA 1973, 111 (112); NStZ 1995, 245 f. 489 Vgl. hierzu OLG Frankfurt NStZ 1987, 573 (574) m.w.N. Abl. etwa Peters, JR 1970, 392 (393). 490 Vgl. die Erwägungen bei Rieß, JR 1988, 347 (348), der sich im Ergebnis für eine Zwischenlösung ausspricht: Grds. sei das gesamte Verfahren erfasst, die Einstellungsentscheidung könne jedoch ausdrücklich bestimmen, dass Anklageerhebung und Zustellung nach § 201 StPO nicht tangiert seien. Die Zulässigkeit einer derart beschränkten Einstellung ist jedoch ebenfalls nicht unproblematisch, krit. dazu etwa LR-Stuckenberg, § 207 Rn. 87 m.w.N. 485

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

leitenden Maßnahme spricht jedoch, dass die Entscheidung nach § 260 Abs. 3 StPO konzeptionell491 das Verfahren von der Anklageerhebung an erfasst, wodurch der Strafkammer untersagt würde, erneut über die Zulassung der nämlichen Anklage zu entscheiden, sie gleichsam als „verbraucht“ angesehen werden könnte.492 Auch können durch die erneute Einreichung der Anklage und die Wiederholung des Zwischenverfahrens zwischenzeitlich eingetretene Änderungen hinsichtlich der Beurteilung der Tat Berücksichtigung finden. Überwiegend wird die Erhebung einer neuen Anklage gefordert und in der Praxis auch so verfahren.493 Die Rückversetzung in eine vorherige Verfahrenslage ist eine singulär angeordnete Fehlerfolge in §§ 33a, 44 StPO, die Nachholung der fehlenden Verfahrensvoraussetzung im formell selben Verfahren scheint mit dem Charakter der Verfahrenseinstellung tatsächlich nur schwer vereinbar.494 Allein die praktische Überlegung, dass eine neue Anklageerhebung zusätzlichen Arbeits- und Zeitaufwand notwendig macht, kann eine anderweitige Entscheidung jedenfalls nicht tragfähig begründen.495 Die Aufrechterhaltung des auf falschen tatsächlichen Annahmen beruhenden Einstellungsbeschlusses tangiert das weitere Verfahren jedenfalls ebenso wenig wie die Staatsanwaltschaft oder der Angeklagte dadurch beschwert ist.496 In der Welt ist eine fehlerhafte, jedoch folgenlose Entscheidung, eines Zugriffs auf sie bedarf es nicht. Demgegenüber existieren Verfahrenshindernisse, bei deren Vorliegen feststeht, dass das Verfahren keinen Abschluss im Sachurteil finden wird. Einige Verfahrenshindernisse, die im Teil C. I. 1. bereits Gegenstand der Erörterungen waren, werden im Folgenden exemplarisch betrachtet, um den Anwendungsbereich der Wiederaufnahme weiter zu untersuchen. b) Verjährung der Tat Ausgehend von dem nach Maßgabe des § 8 StGB festgelegten Zeitpunkt der Tat ist den §§ 78 – 78c StGB zu entnehmen, welches Zeitfenster für die Ahndung der Straftat zur Verfügung steht. Der Bemessungsvorgang an sich ist nur bedingt fehleranfällig. Die Regelungen zur Verjährung haben insgesamt eine recht detaillierte Normierung erfahren, was insbesondere hinsichtlich der Verjährungsunterbrechung gilt. Hier stellt § 78c Abs. 1 StGB einen abschließenden Katalog verjährungsun491

Zu den möglicherweise bestehenden Ausnahmen siehe zuvor auf S. 157. OLG Frankfurt NStZ 1987, 573 (574); Rieß, JR 1988, 347 (348). 493 BayObLGSt 1979, 120 (121); 1985, 52 (56); OLG Frankfurt NStZ 1987, 573; OLG Koblenz StraFo 2013, 116 f.; LR-Stuckenberg, § 207 Rn. 86; Meyer-Goßner/Schmitt, § 207 Rn. 12 jeweils m.w.N. 494 LR-Stuckenberg, § 207 Rn. 87, nach dessen Ansicht sich eine eindeutige Haltung der Rspr. jedoch noch nicht herausgebildet hat. 495 So auch OLG Köln NJW 1981, 2208. 496 Ebenso OLG Köln NJW 1981, 2208. Zwar werde der Angeklagte, wenn eine neue Anklage erhoben wird, kostenmäßig ggf. stärker belastet, andererseits gewinne er jedoch auch zwei neue Tatsacheninstanzen. 492

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terbrechender Handlungen zusammen, nachdem es lange nicht gelungen war, der offenen Fassung des § 68 Abs. 1 StGB a.F. Kontur zu geben.497 Jedoch kann die Entscheidungsgrundlage dadurch fehlerhaft werden, dass die Tatzeit selbst falsch bestimmt wird oder verjährungsunterbrechende Verfolgungshandlungen übersehen werden. Direkte Auswirkung auf die (fälschliche) Annahme der Verjährung hat jedoch die Zuordnung des jeweiligen Sachverhalts zu den Normen des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches, aus denen sich im Zusammenspiel mit § 78 StGB die spezifische Verjährungsfrist ergibt. Wird die Tat im prozessualen Sinne aufgrund fehlerhafter Beweislage lediglich als Vergehen gewertet, und stellt sich nach erfolgter Einstellung heraus, dass tatsächlich ein Verbrechen vorlag, etwa weil der Täter die Sache doch gewaltsam weggenommen hat, also § 249 StGB statt § 242 StGB anzunehmen gewesen wäre, so war die Annahme einer dreijährigen Verjährungsfrist nach § 78 Abs. 3 Nr. 5 StGB fehlerhaft.498 Die Staatsanwaltschaft kann die Stimmigkeit der Annahme eines Prozesshindernisses im Rechtsmittelverfahren durch Einlegung von Berufung oder Revision überprüfen lassen. Bezüglich des Angeklagten ist dies streitig und hängt von der Beantwortung der Frage ab, ob er durch die Einstellung des Verfahrens beschwert ist, was jedoch insbesondere von der Rechtsprechung regelmäßig verneint wird.499 Bereits das Reichsgericht vertrat die Ansicht, dass nach Einstellung des Verfahrens wegen Verjährung die erneute Verfolgung wegen desselben strafrechtlichen Gesichtspunktes ebenso wenig zulässig sei wie nach Freisprechung wegen nicht erwiesener Schuld.500 Dementsprechend wird der Entscheidung eine dem die Strafklage verbrauchenden Sachurteil gleichkommende Wirkung zugeschrieben; mit der Attestierung der materiellen Rechtskraft tut sich die Literatur angesichts der fehlenden Entscheidung über die Berechtigung des strafrechtlichen Tat- und Schuldvorwurfs dagegen traditionell schwer,501 wenngleich sie von einigen Stimmen durchaus in Erwägung gezogen wird.502 Immerhin wird nach Eintritt der formellen 497

Sch/Sch-Sternberg-Lieben/Bosch, § 78c StGB Rn. 1. Beispiel nach LR-Gössel, Vor § 359 Rn. 44. 499 BGHSt 23, 257 (259); BGHR StPO § 333 Beschwer 2; BGH NJW 2007, 3010 (3011), anders allerdings, wenn wegen eines behebbaren Verfahrenshindernisses eingestellt wurde und der Angeklagte ein weiteres, nicht behebbares Prozesshindernis geltend macht (BGHR StPO § 333 Beschwer 4). Eingehend zur Frage nach der Beschwer Krack, Rehabilitierung, S. 239 ff. 500 RGSt 66, 51 (53). Mit Bezugnahme auf eben diese Entscheidung BGHSt 32, 209 (210): „Wirkung eines die Strafklage verbrauchenden (freisprechenden) Sachurteils“. Vgl. auch BayObLGSt 1989, 33: wirken „praktisch wie ein die Strafklage verbrauchendes Sachurteil“. 501 Vgl. MüKo(StGB)-Mitsch, § 78 Rn. 8; Ewald, Wiederaufnahme, S. 29; Ranft, Strafprozeßrecht Rn. 2254; Weber-Klatt, Wiederaufnahme zu Ungunsten, S. 175; w.N. bei Trepper, Rechtskraft Beschlüsse, S. 39 in Fn. 184. 502 LR-Stuckenberg, § 260 Rn. 123 („beschränkte materielle Sperrwirkung“) sowie bereits LR20-Kohlhaas, Vor § 151 Rn. 22e; Meyer-Goßner/Schmitt, Einl. Rn. 143b u. 172: im Fall eines Bestrafungsverbotes auch materielle Rechtskraft; Schützeberg, StRR 2008, 178; Többens, NStZ 1982, 184 (186); v. Hippel, Strafprozeß, S. 374 (abstellend auf die sachlich bindende Wirkung); Peters, Strafprozeß, S. 517 f.; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 52 Rn. 18: volle Rechtskraft; Eb. Schmidt, Lehrkommentar I1 Rn. 270 („volle Rechtskraftwirkung 498

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

Rechtskraft überwiegend eine neue Verhandlung über die Tat für unzulässig gehalten.503 Andere halten eine erneute Anklage durch die Staatsanwaltschaft für möglich und verneinen insbesondere den Bedarf oder die Anwendbarkeit eines förmlichen Wiederaufnahmeverfahrens nach §§ 359 ff. StPO.504 Gössel spricht sich hingegen für die Anwendbarkeit aus, wenngleich er dies als „Ausnahmefall“ deklariert.505 Kleinknecht befürwortet die Anwendung des § 211 StPO, also erneute Anklage bei Vorliegen neuer „Tatsachen oder Beweismittel“.506 Gegen den letztgenannten Lösungsweg spricht, dass die Verfahrenssituation bei Einstellung erst nach Eröffnung des Hauptverfahrens nicht mit der Situation im Zwischenverfahren vergleichbar ist. Die positive Entscheidung des Gerichts nach § 203 StPO setzt zwar allgemein voraus, dass die Tat sanktioniert werden dürfte.507 Somit ist eine bereits verjährte Straftat betreffend schon die Eröffnung des Hauptverfahrens abzulehnen, wenn auch strenggenommen § 78 StGB lediglich „die Ahndung der Tat“ ausschließt.508 Nach Eröffnung der Hauptverhandlung erwartet die Verfahrensordnung jedoch in jedem Fall eine vollumfängliche Prüfung der Umstände, Wahrscheinlichkeiten genügen nicht mehr. Nun können bei Einstellung des Verfahrens vor seinem regulären Abschluss durch Urteilsverkündung spezifische der materiellen Rechtskraft“, die zweite Auflage attestiert in diesem Kontext dagegen lediglich „Zweifel aller Art“, vgl. Rn. 316 in Fn. 555). 503 KMR-Stuckenberg, § 260 Rn. 83; LR-Kühne, Einl. Abschn. K Rn. 86; Meyer-Goßner/ Schmitt, § 260 Rn. 48; MüKo(StGB)-Mitsch, § 78 Rn. 8; Schäfer, Strafprozeßrecht, Einl. Kap 12 Rn. 38. Vgl. auch OLG Stuttgart StV 2008, 402 (403). Nach der Rechtsprechung des EuGH löst die gerichtliche Feststellung der Verjährung einer Straftat ebenfalls das Verbot der Mehrfachverfolgung nach Art. 54 SDÜ aus und gilt insofern uneingeschränkt als rechtskräftige Aburteilung, vgl. EuGH Urt. v. 28. 09. 2006 – C-467/04 – Gasparini et al., Slg. 2006, I-09199 Rn. 22 ff. = NJW 2006, 3403 f. 504 KMR-Eschelbach, Vor § 359 Rn. 16; Meyer-Goßner/Schmitt, Vor § 359 Rn. 4; Pfeiffer, Vor § 359 Rn. 2; Ewald, Wiederaufnahme, S. 29; Ranft, Strafprozeßrecht Rn. 2254; Trepper, Rechtskraft Beschlüsse, S. 148; Volk/Engländer, Grundkurs StPO, § 38 Rn. 2; Weber-Klatt, Wiederaufnahme zu Ungunsten, S. 172 ff. Zw. KK-Schmidt, Vor § 359 Rn. 10, jedenfalls fehle i. d. R. der Wiederaufnahmegrund. 505 LR-Gössel, Vor § 359 Rn. 43 f., als weitere Ausnahme nennt dieser die Einstellung wegen fehlenden Strafantrags bei verkanntem Offizialdelikt – in anderen Fällen irrtümlicher Annahme eines Verfahrenshindernisses sei eine erneute Anklageerhebung jedoch stets zulässig. Für die Anwendbarkeit der §§ 359 ff. StPO auch AK-Loos, § 362 Rn. 6 i.V.m. Anh. zu § 264 Rn. 11; KK-Schmidt, § 362 Rn. 10; Krack, Rehabilitierung, S. 233 ff.; Marxen/Tiemann, Wiederaufnahme, Rn. 23. Tendenziell auch Rieß, NStZ 2008, 297 (299). 506 FS Bruns, S. 475 (480). Zu dieser Lösung gelangt ders. über eine Parallele zu Korrektur des Beschlusses nach § 204 StPO, der bei früherem Erkennen des Verfahrenshindernisses die gebotene Entscheidung gewesen wäre. 507 MüKo(StGB)-Mitsch, § 78 Rn. 7; Sch/Sch-Sternberg-Lieben/Bosch, § 78 StGB Rn. 4. Im Grunde beträfe § 260 Abs. 3 StPO damit konzeptionell nur den Fall, dass die Verjährung erst nach Eröffnung des Hauptverfahrens eintritt. Da diese jedoch verjährungsunterbrechend wirkt (§ 78c Abs. 1 Nr. 7 StGB), ist dies eine Überlegung eher theoretischer Natur. 508 Insofern besteht eine Parallele zu Art. 103 Abs. 3 GG, der jedoch, wie gezeigt, ebenfalls nicht erst die mehrmalige Bestrafung, sondern zugleich auch die mehrfache Verfolgung ausschließt.

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Defizite hinsichtlich der Sachverhaltsaufklärung auftreten.509 Für eine bloß vorläufige Bewertung das Verfahrenshindernis betreffend ist jedoch kein Raum. Die fehlende Prozessvoraussetzung ist im Urteil zu bezeichnen, sie ist in revisionsrechtlich überprüfbarer Weise festzustellen und zu begründen.510 Da hier das Verfahrenshindernis eng mit der strafrechtlichen Würdigung der Sache zusammen hängt – entscheidet doch gerade die Art des Deliktes nach § 78 Abs. 3 StGB über die geltende Verjährungsfrist – sind zur sicheren Beantwortung der Verjährungsfrage gegebenenfalls eine umfassende Beweisaufnahme und detaillierte Feststellungen zum Tatgeschehen anzustellen.511 Dass das Vorliegen von Prozesshindernissen nach überwiegender Auffassung im Freibeweisverfahren erfolgen kann, steht dieser Wertung nicht entgegen. Denn zum einen besteht kein Zwang zum Verzicht auf den Strengbeweis, zum anderen streben beide Verfahren den identischen Grad an gerichtlicher Überzeugung an.512 Die Beurteilung hat demnach eine andere Qualität als zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens,513 weshalb eine an diesem Verfahrensstadium orientierte „Wiederaufnahme“ nach § 211 StPO mangels Vergleichbarkeit der Entscheidungssituation nicht infrage kommen kann. Zur Klärung der Frage nach der nachträglichen Zugriffsmöglichkeit muss der Inhalt der Entscheidung in den Blick genommen werden. Die Einstellung des Verfahrens wegen Verjährung besagt, dass der zu bewertende historische Vorgang als solcher nach Ansicht des Gerichts der Strafverfolgung nicht mehr zugänglich ist.514 Es wird die endgültige Bewertung getroffen, dass die in §§ 78 ff. StGB getroffene gesetzgeberische Wertung der Aburteilung endgültig entgegensteht. Die Endgültigkeit der Bewertung ergibt sich daraus, dass in Zweifelsfällen das Verfahren aus Gründen der Prozessökonomie nicht nach § 260 Abs. 3 StPO einzustellen, sondern vorübergehend auszusetzen wäre, bis die zur Beurteilung notwendigen Feststellungen getroffen sind. Die Endgültigkeit des Hindernisses ergibt sich daraus, dass die Verfolgungsverjährung ihrer Natur nach ein nicht behebbares Verfahrenshindernis

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So Hassemer, NJW 1983, 2353 (2354). BGHSt 56, 6 (8); KK-Ott, § 260 Rn. 48; NK-Salinger, Vor § 78 StGB Rn. 13; Krack, Rehabilitierung, S. 232. Die Darstellung erfolgt in den Urteilsgründen, der Tenor lautet lediglich auf Einstellung des Verfahrens, vgl. LR-Stuckenberg, § 260 Rn. 126. 511 BGHSt 46, 159 (171): „aufgrund einer umfassenden Gesamtwürdigung“; BGH NStZ 2012, 511 (512). 512 Eisenberg, Beweisrecht, Rn. 36; Krack, Rehabilitierung, S. 234. Hierzu auch KK-Ott, § 260 Rn. 48; SK-Velten/Schlüchter, § 260 Rn. 51; Többens, NStZ 1982, 184 (185 f.). Anders Trepper, Rechtskraft Beschlüsse, S. 51 f., der eine Gleichbehandlung gerade aufgrund der unterschiedlichen Beweisverfahren ablehnt. 513 Zur Vorläufigkeit der Entscheidung über die Zulassung der Anklage auch bspw. BGHSt 23, 304 (306); 48, 331 (336); Ulsenheimer, NStZ 1984, 440 (442). 514 So bereits v. Hippel, Strafprozeß, S. 374: bindende Entscheidung, dass ein Sachurteil unzulässig ist. Ebenso LR-Kühne, Einl. Abschn. K Rn. 86; Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 390 f.; im Umkehrschluss auch Stratenwerth, JZ 1961, 392: das im förmlichen Hauptverfahren ergangene Urteil entscheide definitiv über die Zulässigkeit des Verfahrens. 510

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

ist, das nicht durch nachträgliche Ereignisse aufgehoben werden kann.515 Daneben enthält die Einstellung jedoch noch eine weitere Feststellung, die thematisch über die der Verjährung hinausgeht: Sie beinhaltet die konkludente Aussage, dass die Tat andere, noch nicht verjährte Straftatbestände nicht erfüllt, denn andernfalls hätte das Gericht unter Beachtung der Hinweispflicht des § 265 StPO den Betroffenen auf der Basis eben dieses Straftatbestandes verurteilen müssen.516 Eine Einstellung des Verfahrens wegen des Tatvorwurfs nach § 212 StGB besagt demnach gleichzeitig, dass auch der Tatbestand des (keinesfalls verjährten, vgl. § 78 Abs. 2 StGB) Mordes nach § 211 StGB nicht erfüllt ist. Dieser Erklärungsinhalt ist logische Folge der richterlichen Pflicht zur allseitigen Kognition, welche im Rahmen der Hauptverhandlung uneingeschränkt gilt – ob die Pflicht im vollen möglichen Umfang tatsächlich erfüllt wurde, ist hierfür ohne Belang.517 Wenn nach der Rechtsprechung des Fünften Strafsenats am Bundesgerichtshofs die Nicht-Einstellung die Nicht-Verjährung miterklärt,518 so kann die umgekehrte Konstellation nicht anders bewertet werden: Vollumfängliche Einstellung besagt zugleich vollumfängliche Verjährung. Dass diese aus dem Gesamtinhalt der Entscheidung resultierende Wirkung aus der Urteilsformel äußerlich nicht erkennbar ist, diese im Beispielsfall also nicht auf Freispruch vom Vorwurf des Mordes neben der Einstellung wegen Totschlags lautet, liegt darin begründet, dass derartige Parallelerkenntnisse von der Verfahrensordnung generell nicht vorgesehen sind.519 Dies spricht jedoch nicht gegen den so hergeleiteten Erklärungsinhalt. Das richterliche Votum, dass die Tat nicht mehr verfolgt werden kann, berechtigt demnach das Vertrauen des Angeklagten, dass es mit der Sache in ihrer Gesamtheit nun sein Bewenden hat, diese nunmehr abgeschlossen ist. Auch das Interesse der Allgemeinheit, die Entscheidung als final zu behandeln, ist schützenswert. Die Verfahrenseinstellung bringt zum Ausdruck, dass kein Konflikt mehr existiert, der einer Auflösung bedarf.520 Insofern ist Volk521 zuzustimmen: Die Einstellung erklärt nicht bloß die Unzulässigkeit des weiteren Prozedierens und den Verzicht auf die Entscheidung des Konflikts – sie entscheidet den Konflikt selbst. Auf dieses Votum muss sich auch die Allgemeinheit verlassen können, wenn der Verfahrensabschluss

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MüKo(StGB)-Mitsch, § 78 Rn. 8. So auch Mitsch, § 78 Rn. 8; Möllmann, Anwendungsbereich der §§ 206a, 206b StPO, S. 62; Peters, Strafprozeß, S. 517 f. 517 RGSt 46, 363 (368). Abstellend auf die richterliche Kognition auch Krack, Rehabilitierung, S. 231 f.; Radtke, Systematik, S. 324 f. und 342 ff. 518 BGH wistra 2011, 27 (28): Die Teileinstellung nach § 206a StPO erklärt, dass das Verfolgungshindernis der Verjährung für sämtliche nicht eingestellte Taten nicht entstanden ist. 519 RGSt 46, 363 (366 f.). Nach RGSt 66, 51 (53 f.) gilt dies auch umgekehrt für den Freispruch, der ein verjährtes Delikt unerwähnt lässt – die Reichweite der Rechtskraft ergebe sich aus dem Inhalt der Gründe, nicht aus der Formel. 520 SK-Velten/Schlüchter, § 260 Rn. 48. 521 Prozeßvoraussetzungen S. 217; ders., StV 1986, 34 (36). 516

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weiterhin der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden dienen soll.522 Dies gilt auch für den Fall, dass irrtümlich vom Vorliegen des Prozesshindernisses ausgegangen wurde. Auch hier kann angesichts der bindenden Feststellung die nachträgliche Veränderung der Beurteilungsgrundlage allein noch über von der Verfahrensordnung vorgesehene Korrekturverfahren Berücksichtigung finden. Für einen Angriff auf das Einstellungsurteil bleibt demnach nur der Weg über §§ 359 ff. StPO.523 Nun ist etwa im Falle der irrtümlichen Bewertung der Tat als minder schwer und der daraus resultierenden Annahme der Verjährung die Entscheidung fälschlich zugunsten des Angeklagten ausgefallen. Indem sie die Aburteilung der Tat verhindert, wirkt sich die Entscheidung nach § 260 Abs. 3 StPO, wie de facto alle Verfahrenseinstellungen, für den Angeklagten im Ergebnis günstig aus.524 Die Korrektur stellt sich damit als Wiederaufgreifen zuungunsten des Angeklagten dar.525 De lege lata genügen damit neue Erkenntnisse, die zu einer anderen Beurteilung hinsichtlich der Verjährung führen, gerade nicht. Im Rahmen der § 362 Nrn. 1 und 2 StPO kann die Verfälschung der Beurteilungsgrundlage Berücksichtigung finden, wenn hierdurch die Täuschung über den Tatzeitpunkt nach § 8 StGB oder die Vornahme beziehungsweise den Zeitpunkt zwischenzeitlicher Untersuchungshandlungen nach § 78c StGB gelungen ist. Dies freilich nur dann, wenn zu diesem Zwecke eine verfälschte Urkunde gebraucht wird oder die Information aus einem Delikt nach §§ 153 ff. StGB herrührt, was freilich nur die Zeugen und Sachverständigen betrifft. Täuschungen des Angeklagten selbst können damit lediglich § 362 Nr. 1 StPO unterfallen. Zwar wird ihm im Strafprozess kein „Recht zur Lüge“ zugestanden insoweit, als die Möglichkeit einer Strafbarkeit nach den allgemeinen Strafgesetzen durch unwahre Angaben sehr wohl besteht.526 Der prozes-

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Zu dieser überindividuellen Komponente der Verfahrenseinstellung, allerdings gemünzt auf § 154 Abs. 1 StPO, BGHSt 54, 1 (7); vgl. auch Krack, Rehabilitierung, S. 230 f. 523 So auch SK-Frister, Vor § 359 Rn. 17; Krack, Rehabilitierung, S. 235 f. u. angedeutet bei Rieß, NStZ 2008, 297 (299). Anders wohl Radtke, der sich mit dem Strafklageverbrauch der Entscheidungen nach §§ 260 Abs. 3, 206a StPO zwar nicht gesondert befasst, jedoch das formelle Wiederaufnahmeverfahren mit der Notwendigkeit der richterlichen Schuldüberzeugung verknüpft, vgl. Systematik, S. 320 ff. Abl. auch Weber-Klatt, Wiederaufnahme zu Ungunsten, S. 174 f. angesichts einer angeblichen, allerdings nicht näher begründeten verringerten Schutzwürdigkeit des Angeklagten. 524 Dies bestärkt noch einmal die Berechtigung der zuvor vorgenommenen Gleichsetzung von Freispruch und endgültiger Verfahrenseinstellung im Rahmen des § 359 Nr. 5 StPO. 525 Da nach allgemeiner Ansicht die Verfahrenseinstellung den Angeklagten nicht beschwert, er also keinen generellen Anspruch auf die freisprechende Erkenntnis hat, wäre die Wiederaufnahme zugunsten nur in den (wenigen) Fällen denkbar, in denen nach st. Rspr. dem Freispruch zwingend der Vorrang zu geben ist, vgl. etwa SK-Velten/Schlüchter, § 260 Rn. 52 und hier ab S. 267. Zur grundsätzlichen Frage nach einem Anspruch des Angeklagten auf Fortführung der Beweisaufnahme und damit nach der Existenz eines „Rehabilitierungsanspruchs“ für diese Fälle die Untersuchung von Krack, Rehabilitierung, S. 219 ff. und passim. 526 Vgl. BGH NStZ 2005, 517 (518). Insbesondere kommt eine Strafbarkeit nach §§ 145d, 164, 185 ff. StGB in Betracht, vgl. KK-Diemer, § 136 Rn. 20. Eingehend hierzu Fezer, FS Stree/

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sualen Wahrheitspflicht unterliegt er hingegen nicht.527 § 362 Nr. 3 StPO ist anwendbar, sofern der Richter die Verjährung der eigentlich unverjährten Tat unter Verletzung seiner Amtspflichten angenommen haben sollte.528 Hinsichtlich der Eröffnung des Anwendungsbereichs von § 362 Nr. 4 StPO bestehen gleich in mehrerer Hinsicht Bedenken. Das Verfahren endete mit einem Einstellungsurteil, somit formell nicht mit einem Freispruch, wie es die ungünstige Wiederaufnahme propter nova voraussetzt. In der Literatur wurde die Wiederaufnahme dennoch unter dem Gesichtspunkt für zulässig erklärt, dass bezüglich einer etwaigen nicht verjährten Tat die Verfahrenseinstellung gleichsam einen Freispruch beinhalte und diese somit „Freispruchwert“ im Sinne des § 362 Nr. 4 StPO besitze.529 Fraglich ist jedoch, ob für die übrigen Konstellationen, in denen tatsächlich nur die scheinbar verjährte Tat Gegenstand des Angriffs sein soll, die Wiederaufnahme ebenfalls zulässig ist. Denkbar wäre, auch hier die Gleichstellung von Verfahrenseinstellung und Freispruch zu vollziehen, anstatt letzteren in erstere hinzulesen. Eine uneinheitliche Deutung innerhalb desselben Regelungskomplexes (in § 359 Nr. 5 StPO einerseits, in § 362 Nr. 4 StPO andererseits) wäre nur dann zwingend, wenn im Hinblick auf das Prozessziel auch tatsächlich eine Ungleichheit der Fälle bestehen würde. Jedoch gefährdet der ungerechtfertigte Freispruch das Prozessziel gleichermaßen wie die ungerechtfertigte Verfahrenseinstellung, insoweit als in beiden Fällen keine zuungunsten des Angeklagten lautende Entscheidung in der Schuldfrage530 ergeht. Erneut muss die Frage, was unter dem „Freigesprochenen“ im Sinne der Regelung zu verstehen ist, vom historischen Standpunkt aus beantwortet und die Tatsache berücksichtigt werden, dass die heutige Lehre von den Prozessvoraussetzungen damals noch am Anfang ihrer Entwicklung stand und die Einstellung des Verfahrens erst allmählich an die Stelle des Freispruchs trat.531 Wenn sich die Verfahrenseinstellung demnach ursprünglich aus dem Freispruch als Unterkategorie herausgebildet hat und die Einteilung der verfahrenserledigenden Entscheidungen sinngemäß bloß Verurteilung – Nichtverurteilung532 lautet, kann auch die Einstellung Wessels, S. 663 ff., der hier jedoch „in beträchtlichem Umfang“ (S. 677) zu einer Straffreiheit des Beschuldigten gelangt und in eben diesen Bereichen ein Recht zur Lüge bejaht. 527 BGHSt 3, 149 (152); 38, 345 (352); BGH NJW 1958, 956; StV 1985, 356 (357); SKRogall, Vor §§ 133 ff. Rn. 72; Brüssow/Gatzweiler/Krekeler/ Mehle-Johnigk, § 1 Rn. 77. 528 Diese Konstellation wählt KK-Schmidt, § 362 Rn. 10 als Beispiel für die ungünstige Wiederaufnahme nach Einstellungsurteil. Angesichts der praktischen Hürde des § 364 StPO taugt dies allerdings wohl mehr zur Illustration denn zur tatsächlichen Korrektur. 529 Peters, Fehlerquellen Bd. 3, S. 107. Zustimmend AK-Loos, § 362 Rn. 16 (Wiederaufnahme gegen den „verdeckten Freispruch“); KK-Schmidt, § 362 Rn. 10; KMR-Eschelbach, § 362 Rn. 94; LR-Gössel, Vor § 359 Rn. 44 und § 362 Rn. 11; Meyer-Goßner/Schmitt, § 362 Rn. 4; Weber-Klatt, Wiederaufnahme zu Ungunsten, S. 172 f. 530 Vgl. erneut RGSt 20, 46 (49) zur Gleichsetzung von Verfahrenseinstellung und Freispruch im Rahmen der Wiederaufnahme, dort freilich zugunsten des Angeklagten. 531 KMR-Eschelbach, § 362 Rn. 94; Peters, Fehlerquellen Bd. 3, S. 106 f. 532 Hierzu Dickersbach, Prozessuale Tatsachen, S. 57. Hierfür spricht nicht zuletzt die kostenrechtliche Regelung des § 467 Abs. 1 StPO, nach welcher seit Anpassung Mitte der

II. Prozessurteile

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des Verfahrens vom Freispruch als mit umfasst angesehen werden.533 Demnach könnte auch im Rahmen des § 362 Nr. 4 StPO das Einstellungsurteil dem Freispruch gleichgestellt werden, sodass die erste Tatbestandsvoraussetzung dieses Wiederaufnahmegrunds erfüllt ist. Daraufhin stellt sich die Frage, ob konsequenterweise auch die weiteren Voraussetzungen dieses Wiederaufnahmegrunds kontextbezogen verstanden werden müssen. Die Vorschrift erfordert das „Geständnis der Straftat“, also der Tat im verfahrensrechtlichen Sinne nach § 264 StPO.534 Der Täter bekundet gerade das Gegenstück dessen, was im ersten Prozess als Ergebnis festgehalten wurde.535 Dieser tradierte ungünstige Wiederaufnahmegrund soll verhindern, dass das Rechtsbewusstsein der Allgemeinheit (erneut) dadurch erschüttert wird, dass der Angeklagte nach dem Freispruch „sich ungestraft des Verbrechens selbst bezichtigen, oder gar rühmen darf“.536 Ersichtlich steht hier nicht das reumütige Schuldeingeständnis im Vordergrund, sondern gerade der letzte Teil der Begründung – der öffentliche537 Triumph, der gerechten Bestrafung entkommen zu sein. Diesbezüglich macht es keinen Unterschied, ob der Angeklagte gesteht, aufgrund eines falschen Alibis einen Freispruch oder durch falsche Angaben hinsichtlich des Tatzeitpunktes oder sonstiger verjährungsrelevanter Umstände538 eine Verfahrenseinstellung erlangt zu haben. Dass es sich beim nachträglichen Geständnis um einen „praktisch kaum jemals vorkommenden“539 Fall handeln soll, steht dem nicht entgegen, die (mediale) sechziger Jahre (BGBl. I 1964, Nr. 63, S. 1067 [1079]) auch im Falle einer Einstellung des Verfahrens die Kostentragungspflicht des Angeschuldigten bzw. Angeklagten grds. entfällt – die nichtamtliche Überschrift im Kommentar von Meyer-Goßner/Schmitt zu § 467 StPO spricht insofern von „Kosten und Auslagen bei Nichtverurteilung“. Vor der gesetzlichen Änderung erfolgte auch in diesem Bereich eine Gleichsetzung von Freispruch und Verfahrenseinstellung, vgl. etwa KG VRS 22 [1962], 120 (121) m.N. Im Übrigen wird heute noch gefordert, dass für den Eintritt der Kostenfolge die Einstellung dem Freispruch oder der Ablehnung der Eröffnung gleichstehen müsse, vgl. KK-Gieg, § 467 Rn. 2 und aus der Rspr. LG Koblenz StV 1997, 35. 533 So auch Marxen/Tiemann, Wiederaufnahme, Rn. 306; Weber-Klatt, Wiederaufnahme zu Ungunsten, S. 260. A.A. KMR-Eschelbach, § 362 Rn. 94; SSW-Kaspar, § 362 Rn. 8. Zur Zulässigkeit einer Analogie im Bereich der ungünstigen Wiederaufnahme eingehend ab S. 202. Hier sei zunächst die prinzipielle Stimmigkeit dieser Deutung aufgezeigt. 534 KK-Schmidt, § 362 Rn. 12. 535 Vgl. auch die offene Definition bei LR-Gössel, § 362 Rn. 14: „alle Erklärungen des Freigesprochenen, durch die die tatsächliche Unrichtigkeit des freisprechenden Urteils unmittelbar oder mittelbar eingestanden wird“. 536 Materialien Bd. 3 Abtl. 1, S. 264; Ewald, Wiederaufnahme, S. 12; Ziemba, Wiederaufnahme zuungunsten, S. 56. Krit. etwa KMR-Eschelbach, § 362 Rn. 84. 537 Wem gegenüber die Offenbarung erfolgt, ist irrelevant, die Wendung „vor Gericht oder außergerichtlich“ dient lediglich der Klarstellung und nicht der Begrenzung, vgl. SK-Frister, § 362 Rn. 17. 538 Denkbar wäre z. B. auch, dass der Täter im Nachhinein Tötungsvorsatz gesteht, nachdem das Verfahren wegen fahrlässiger Tötung eingestellt wurde. 539 KMR-Eschelbach, § 362 Rn. 86, dessen Hinweis auf die weitaus größere Häufigkeit der öffentlichen Vorverurteilung als gegenläufiges Phänomen den Befund einer tatsächlichen Störung des Rechtsfriedens im konkreten Fall jedoch letztlich nicht zu beseitigen vermag.

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

Empörung wird deshalb im konkreten Einzelfall keineswegs geringer ausfallen. Aus diesem Grund sollte auch das Merkmal des Geständnisses umstandsspezifisch als Geständnis in Bezug auf die die Einstellung begründende Tatsache ausgelegt werden. Auch wenn die Berechtigung des Wiederaufnahmegrundes nach § 362 Nr. 4 StPO etwa von Eschelbach insgesamt infrage gestellt wird,540 so könnte jedoch de lege lata trotz nicht gegebener Wahrheitspflicht auch eine Täuschung541 durch den Angeklagten im Hinblick auf den telos des Wiederaufnahmegrundes Berücksichtigung finden. Im Ergebnis bietet § 362 StPO damit in bestimmten Fällen eine Korrekturmöglichkeit. Ausgeschlossen ist allerdings die schlichte Fortführung des eingestellten Verfahrens von Amts wegen einerseits, durch dasselbe Gericht andererseits (§ 140a GVG).542 Dieser Umweg ist nach der gesetzgeberischen Entscheidung unvermeidbar, die Verfahrensregeln hierfür sind zwingend. Ermangelt es jedoch einer (strafbaren) manipulativen Einwirkung auf das Verfahren, einer strafbaren Verletzung der richterlichen Amtspflichten bezüglich der Verfahrenseinstellung oder eines Geständnisses im Hinblick auf verjährungsrelevante Umstände, ist die schlicht falsche Tatsachenfeststellung das Prozesshindernis der Verjährung betreffend nicht korrigierbar, die Einstellung hat Bestand.

c) Strafantragserfordernis Um einige Punkte noch näher herauszuarbeiten, wird als weitere Konstellation die des (vermeintlichen) Fehlens des notwendigen Strafantrags in den Blick genommen. Bei Vorliegen eines absoluten543 Antragsdelikts darf die Strafverfolgung zwar von Amts wegen begonnen,544 ohne entsprechenden Strafantrag des Verletzten aber nicht zum Abschluss gebracht werden.545 Bei Ablauf der Antragsfrist wird das VerfahJoecks, § 362 Rn. 4 und Volk/Engländer, Grundkurs StPO, § 38 Rn. 16 bezeichnen § 362 Nr. 4 StPO dagegen sogar als praktisch wichtigsten Fall der Wiederaufnahme zuungunsten. 540 KMR-Eschelbach, § 362 Rn. 83 ff. mit Bezug u. a. auf Meyer, Wiederaufnahmereform, S. 78 f. 541 Eine derartige Verfahrensmanipulation ist freilich nicht vorausgesetzt; auch zuungunsten desjenigen Angeklagten, der im Verfahren von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht und auf die gerichtliche Fehlvorstellung nicht eingewirkt hat, könnte wiederaufgenommen werden. 542 Hierzu auch SK-Frister, Vor § 359 Rn. 18. 543 Für die relativen Antragsdelikte gelten die Ausführungen nur in begrenztem Maße, gerade bei Zusammentreffen mit einem Offizialdelikt wird die Staatsanwaltschaft in der Praxis bei Wegfall desselben das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung hinsichtlich des verbliebenen Antragsdelikts in der Regel bejahen, hierzu Kohlhaas, NJW 1954, 1792 f. 544 Vgl. allerdings Nr. 6 Abs. 1 S. 1 RiStBV: „Wegen einer Straftat, die nur auf Antrag zu verfolgen ist, wird der Staatsanwalt in der Regel erst tätig, wenn ein ordnungsgemäßer Strafantrag vorliegt“. 545 Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 12 Rn. 8 f.; Volk/Engländer, Grundkurs StPO, § 18 Rn. 3.

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renshindernis zu einem endgültigen, auf das dementsprechend mit endgültiger Einstellung zu reagieren ist.546 Nun kann sich die Tat im Nachhinein wiederum als schwerwiegender als zunächst angenommen erweisen, sich etwa herausstellen, dass gelegentlich eines Hausfriedensbruchs (absolutes Antragsdelikt, § 123 Abs. 2 StGB) ein Diebstahl verübt wurde.547 Andererseits kann die Fehleinschätzung auch die Verfolgungsvoraussetzung selbst betreffen, also den Strafantrag, der anders als angenommen tatsächlich und rechtzeitig gestellt oder in Wirklichkeit nicht zurückgenommen wurde. Kernaussage des Einstellungsurteils ist wiederum das Bestehen eines Verfahrenshindernisses, in diesem Fall das Fehlen der Prozessvoraussetzung Strafantrag. Denknotwendig setzt diese Aussage die Annahme voraus, dass ein solcher Strafantrag für die Verfolgung der Tat (vgl. Wortlaut in § 77 Abs. 1 StGB) und damit letztlich natürlich auch für deren Aburteilung erforderlich ist. Damit hat die Entscheidung folgenden Inhalt: 1. Der vom Eröffnungsbeschluss bezeichnete Lebensvorgang berechtigt nicht zu einer Verfolgung ex officio; 2. Es handelt sich um ein absolutes Antragsdelikt beziehungsweise es besteht kein hinreichendes öffentliches Interesse zur Verfolgung des relativen Antragsdelikts und 3. Dieser erforderliche Antrag ist nicht oder nicht rechtzeitig gestellt. An diesen Überlegungen, die die Einstellungsentscheidung tragen, muss sich das Gericht festhalten lassen.548 Dies gilt insbesondere auch für die Bewertung, die Tat nicht kraft Amtes verfolgen zu dürfen. Anderorts lässt die nachträgliche Erkenntnis erhöhter Tatschwere die Möglichkeit der Verfolgung allerdings wieder aufleben (§§ 153a Abs. 1 Satz 5, 373a Abs. 1 StPO). Man könnte argumentieren, dass insofern, als das Verfahren in der vorliegenden Konstellation sogar ohne für den Angeklagten belastende Maßnahmen endete, eine erneute Verfolgung doch erst Recht möglich sein müsse. Hinsichtlich des 546 Ist der Antrag noch nachholbar oder kommen auch möglicherweise noch weitere Antragsberechtigte in Betracht, ist in erster Linie die Hauptverhandlung auszusetzen, um die notwendigen Nachforschungen anzustellen, vgl. Kohlhaas, NJW 1954, 1792 (1793). 547 Freilich ist zu beachten, dass nach st. Rspr. der schwerer wiegende Vorwurf den Urteilsspruch bestimmt: Ist ein schwereres (Offizial-)Delikt mit angeklagt und müsste wegen diesem freigesprochen werden, so kann nicht auf endgültige Einstellung des Verfahrens erkannt werden, vgl. BGHSt 1, 231 (235); 7, 256 (261); 36, 340 f.; 50, 16 (30); BGH bei Becker, NStZRR 2005, 257 (259); BayObLGSt 1991, 39 (40 f.); KK-Ott, § 260 Rn. 51; Meyer-Goßner/ Schmitt, § 260 Rn. 46. Weitergehend noch Eb. Schmidt, Lehrkommentar II § 260 Rn. 27 f.: genereller Vorrang der Sachentscheidung vor der Einstellung wegen eines unbehebbaren Verfahrenshindernisses. Zu § 259 Abs. 2 StPO a.F. noch RGSt 46, 363 (365 f.): Die Verfahrenseinstellung nach dieser Vorschrift setze zwar grds. ein Antragsdelikt als alleinigen Gegenstand der Aburteilung voraus; ein Freispruch käme jedoch nicht infrage, sofern die Schuldfrage nicht als Ganzes verneint werden könne. 548 So auch bspw. LR-Gössel, Vor § 359 Rn. 44; LR-Kühne, Einl. Abschn. K Rn. 86; MüKo (StGB)-Mitsch, Vor § 77 Rn. 13; Graf zu Dohna, Strafprozeßrecht, S. 219 f.; Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 390 f.; Krack, Rehabilitierung, S. 235; Peters, Strafprozeß, S. 518; ders., ZStW 68 [1956], 374 (392). Andeutungsweise auch in BGH NJW 2007, 3010 (3011 f.): die Verfahrenseinstellung bewirke, „dass die Angekl. nicht verfolgt werden dürfen, solange sich die Umstände, die nach Auffassung des LG zur Annahme des Verfahrenshindernisses geführt haben, nicht verändert haben“.

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

Strafbefehls wurde jedoch bereits erörtert, wodurch diese speziell geringere Bestandskraft der Entscheidung begründet werden kann.549 Im Rahmen der Opportunitätseinstellung dürften die Überlegungen im Ergebnis ähnlich ausfallen. Darüber hinaus kann die Frage, ob das Verfahren mit einer Sanktionierung des Betroffenen beendet wird, allein schon vor dem Hintergrund des § 362 Nr. 4 StPO nicht für die Entbehrlichkeit des förmlichen Wiederaufnahmeverfahrens von Belang sein, auch wenn das subjektive Korrekturbedürfnis teils an das Vorliegen einer Sanktion geknüpft zu werden scheint.550 Auch der Freispruch hat umfassenden Verbrauch der Strafklage zur Folge.551 Daraus ergibt sich, dass die Verfahrenseinstellung den Angeklagten vor einer Verfolgung des im Verfahren nicht gewürdigten552 schwereren Delikts umfassend schützt. Gleiches gilt auch, wenn das Fehlen des Strafantrags lediglich irrtümlich angenommen wurde, dieser sich etwa versehentlich nicht bei den Akten befand.553 Dass dies teilweise anders gesehen wird,554 ist inkonsequent, da das Nichtvorliegen der Verfahrensvoraussetzung als Feststellung vom Urteil ebenso erfasst wird wie das zuvor erörterte Nichtvorliegen eines Offizialdelikts. Hinsichtlich des Vorliegens der Prozessvoraussetzung Strafantrag ergeben sich somit folgende Konsequenzen, die ebenfalls unbequem erscheinen mögen, jedoch bei Anerkennung des vertrauensschützenden Widerspruchsverbotes unvermeidbar sind: Das Gericht hat auf eine erneute Antragsstellung hinzuwirken, denn allein zu diesem neuen Antrag hat es noch keine Aussage getroffen, wodurch er als Grundlage für ein neues Verfahren taugt. Dies setzt jedoch voraus, dass der Strafantrag noch nachholbar ist, die Prozessvoraussetzung also noch nachträglich geschaffen werden kann. Wie häufig diese Konstellation praktisch vorkommen kann, ist fraglich, bedarf es doch einer Abwicklung des Hauptverfahrens innerhalb der Antragsfrist nach § 77b StGB, was angesichts einer durchschnittlichen Verfahrensdauer vor den Amtsgerichten von 3,8 Monaten etwa im Jahre 2013555 nicht in jedem Fall erwartet werden kann. Ist die Antragsfrist bereits verstrichen, kann die Einstellungsentscheidung wiederum nur über die ungünstige Wiederaufnahme korrigiert werden; ein praktisch denkbarer Fall 549

Siehe zuvor ab S. 143. So anklingend etwa bei OLG Hamm JMBlNW 1952, 221; OLG Bremen NJW 1959, 353. 551 BVerfGE 12, 62 (66); BGHSt 5, 323 (330 f.); Maunz/Düring-Schmidt-Aßmann, Art. 103 GG Rn. 295; w.N. zuvor in Fn. 112. 552 Konstellationen, in denen das Antragsdelikt schwerer wiegt als das (nicht beweisbare) Offizialdelikt und wo daher die Einstellung den Urteilsspruch bestimmt (Meyer-Goßner/ Schmitt, § 260 Rn. 46), sind zwar theoretisch denkbar (vgl. etwa das relativ hohe Strafmaß des § 248b StGB), jedoch zu vernachlässigen. 553 So auch LR-Kühne, Einl. Abschn. K Rn. 86; Kohlhaas, NJW 1954, 1792 (1793). 554 So etwa MüKo(StGB)-Mitsch, Vor § 77 Rn. 13, bei bloß irriger Annahme sei die Verfolgung der Tat in einem neuen Verfahren zulässig. Ähnl. LR-Gössel, § 362 Rn. 22, die irrtümliche Annahme stünde einem nachträglichen Wegfall gleich. 555 Statistisches Bundesamt (2014) Fachserie 10 Reihe 2.3, S. 38, abrufbar unter www.destatis.de. Knapp 60 % der Verfahren wurden in weniger als drei Monaten zum Abschluss gebracht. 550

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wäre etwa der, dass es sich bei der schriftlichen Rücknahme des Strafantrags um eine gefälschte Urkunde i.S.d. § 362 Nr. 1 StPO handelt.556 d) Verhandlungsunfähigkeit Eine nicht nur vorübergehende (dann: § 205 StPO) Verhandlungsunfähigkeit zwingt grundsätzlich ebenfalls zur endgültigen Einstellung des Verfahrens.557 Der Angeklagte muss dauerhaft physisch und psychisch in der Lage sein, die in der Hauptverhandlung stattfindende komplexe Interaktion mental zu verarbeiten und auf sie sachgerecht zu reagieren.558 Verhandlungsunfähigkeit kann mit Schuldunfähigkeit zusammentreffen, dann ist die Verurteilung normativ wie prozedural ausgeschlossen.559 Die Beurteilung der körperlichen und geistigen Verfassung des Angeklagten ist Kerninhalt der einstellenden Entscheidung und in dieser bindend festgestellt. Problematisch ist in diesem Bereich, dass diese Feststellungen im Hinblick auf die endgültige Undurchführbarkeit des Verfahrens prognostischer Art sind, eine unerwartete Verbesserung des Gesundheitszustandes ist kaum jemals auszuschließen. Dementsprechend bejahte der Zweite Strafsenat am Bundesgerichtshof die Möglichkeit einer Neueinleitung des Verfahrens in einer Konstellation, in der die Aktivitäten des Angeklagten und seine Lebensführung nach der endgültigen Verfahrenseinstellung die Richtigkeit der Prognose infrage gestellt hatten.560 Die dort anzutreffende Argumentation, die die Zulässigkeit des zuungunsten des Angeklagten angesetzten neuen Verfahrens allein auf „neue Tatsachen“ und damit 556

S. 13.

Beispiel auch bei KK-Schmidt, § 362 Rn. 10; Neumann, System der Wiederaufnahme,

557 Eine Überleitung ins Sicherungsverfahren nach §§ 413 ff. StPO ist nach Beginn der Hauptverhandlung unzulässig, da es an einer § 416 StPO entsprechenden Überleitungsvorschrift fehlt, BGHSt 46, 345 (347 f.); KK-Maur, § 413 Rn. 7; KMR-Metzger, § 416 Rn. 20 ff. Jedoch könnte dieser Weg ggf. anschließend beschritten werden; das Sicherungsverfahren erfordert die Verhandlungsfähigkeit des Betroffenen gerade nicht, vgl. KK-Maur, § 413 Rn. 5. BeckOK-Temming, § 413 Rn. 9 bejaht diese Möglichkeit ausdrücklich mangels Strafklageverbrauch des Einstellungsurteils. Auch nach hier vorgeschlagener Betrachtungsweise stünde einer selbstständigen Anordnung von Maßregeln (vgl. § 71 StGB) im Anschluss nichts im Wege, das Gericht würde sich zu seiner Erstentscheidung nicht in Widerspruch setzen, sondern im Gegenteil lediglich die Konsequenz aus dem zuvor Festgestellten ziehen. 558 KK-Schneider, § 205 Rn. 10 f.; SK-Paeffgen, Anh. zu § 206a Rn. 6 ff. auch zu der Frage, inwieweit darüber hinaus Lebens- oder (schwerwiegende) Gesundheitsgefahr gerade durch die Hauptverhandlung Berücksichtigung finden können. 559 Hierzu KK-Maur, § 413 Rn. 9 f.; NK-Pollähne, § 71 StGB Rn. 4 u. 6, der die Bezugnahme auf zwei derart unterschiedlichen Kategorien in § 71 StGB („Strafverfahren wegen Schuldunfähigkeit oder Verhandlungsunfähigkeit des Täters undurchführbar“) kritisiert. Zur Parallelität der Betrachtungsweisen auch Peters, ZStW 68 [1956], 374 (391). Zur fehlerhaften Verhängung von Maßregeln der Besserung und Sicherung Radtke, ZStW 110 [1998], 297 (319 ff.). 560 BGH wistra 1986, 69. Die Verfahrenseinstellung erfolgte dort zwar im Beschlusswege nach § 206a StPO, um nicht vorgreifen zu müssen (zur Parallelität der Entscheidungen siehe im Folgenden S. 187 ff.) soll dieser Umstand hier außer Betracht bleiben.

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

offenbar auf eine Wiederaufnahme entsprechend § 211 StPO561 stützt, ist jedoch, wie bereits dargelegt wurde,562 nicht haltbar. Freilich unterscheidet das prognostische Element die vorliegende Konstellation von den zuvor besprochenen. Wenn nicht die Feststellung der aktuell fehlenden Verhandlungsfähigkeit sich als falsch erweist, sondern anschließend eine überraschende Besserung des Gesundheitszustands eintritt, könnte zu überlegen sein, ob eine Berücksichtigung dieses nachträglich eingetretenen Umstands nicht doch mit dem Widerspruchsverbot zu vereinbaren ist. Zu betonen ist jedoch, dass die endgültige Einstellung des Verfahrens stets die ultima ratio darstellt und dem Gericht im Rahmen der Prozessordnung durchaus die Möglichkeit geboten wird, die Entwicklung einer Sachlage abzuwarten. Immer dann, wenn vorstellbar ist, dass der dem Fortgang des Verfahrens entgegenstehende Hinderungsgrund noch wegfällt, ist der Anwendungsbereich der vorläufigen Einstellung nach § 205 StPO eröffnet.563 Auch darin liegt ein gewisser förmlicher Abschluss,564 der gerade dazu dient, die Zugriffsmöglichkeiten auf den Prozessstoff offen zu halten, und dies darüber hinaus ohne gesetzlich vorgeschriebene zeitliche Begrenzung. Und nicht ohne Grund gilt die Verhandlungsunfähigkeit als Hauptanwendungsfall der Vorschrift.565 Mit Sicherheit auszuschließen ist eine Besserung des Gesundheitszustandes wenn überhaupt, dann nur im seltensten Fall. Dahingehende Prognosen sind zwar möglich, jedoch mit erheblichen Unwägbarkeiten belastet.566 Sobald jedoch Zweifel bezüglich des Vorliegens einer dauerhaften Verhandlungsunfähigkeit bestehen, ist eine endgültige Einstellung nicht geboten.567 Möchte das Gericht dennoch von der „Rechtsklarheit schaffenden dauerhaften Entscheidung“568 Gebrauch machen, so muss auch die weitreichende Konsequenz daraus in Kauf genommen werden, dass das Verfahren unweigerlich völlig abgeschlossen wird.569 Auch gerichtliche Prognosen schaffen einen Vertrauenstatbestand und damit Bindungswirkung. Nicht ohne Grund wurde der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach § 66b StGB der Charakter einer Wiederaufnahme zum 561

Dies ergibt sich mittelbar aus den in der Entscheidung angeführten Belegen, insb. Kleinknecht/Meyer36, § 206a Rn. 11, der dort wiederum auf den Festschriftbeitrag Kleinknecht, FS Bruns, S. 475 (477 ff.) verweist, wo ders. den Rückgriff auf § 211 StPO für alle Fälle der Einstellung für zulässig hält. 562 Siehe zuvor S. 164 f. 563 KK-Schneider, § 205 Rn. 6; LR-Stuckenberg, § 205 Rn. 11. 564 SK-Paeffgen, § 205 Rn. 2: „interimistische Gewissheit“ für die Beteiligten; Schneidewin, JR 1962, 369 (371). 565 KK-Schneider, § 205 Rn. 9; SK-Paeffgen, § 205 Rn. 6. 566 Zur diesbezüglichen Prognose-Problematik speziell SK-Paeffgen, § 206a Rn. 20 ff. 567 BGH NStZ 1996, 242; OLG Nürnberg MDR 1968, 516; LG Hannover StV 1988, 520 (521) selbst für den Fall, dass diese Zweifel voraussichtlich dauerhaft nicht behebbar sind, weil hierfür die nicht zu erwartende Mitwirkung des Angeklagten (Zustimmung zur psychiatrischen Begutachtung) erforderlich ist. 568 So die Formulierung des LG Hannover StV 1988, 520 (521). 569 So auch Schneidewin, JR 1962, 369 (371): keine prozessuale Möglichkeit, diese Entscheidung später wieder umzustoßen.

II. Prozessurteile

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Nachteil des Verurteilten zugesprochen570 – ihrem Inhalt nach ist sie die gegenteilige Beantwortung der bereits im Rahmen der Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB zu stellenden Frage hinsichtlich der künftigen Gefährlichkeit des Täters,571 also ebenfalls einer Prognose. Die naturgemäß erhöhte Fehleranfälligkeit im Vergleich zu sonstigen tatsächlichen Feststellungen ändert hieran nichts. Das Gericht legt sich fest, dass der Angeklagte derzeit verhandlungsunfähig ist und dies dauerhaft bleiben wird. Zugriff auf diese Feststellungen ermöglicht daher erneut nur das Wiederaufnahmeverfahren. Da die Person des Angeklagten im Mittelpunkt der Wertung steht, liegt die größte Fehlerquelle in der Täuschung über den tatsächlichen Gesundheitszustand. Möglich wäre die Wiederaufnahme etwa dann, wenn die Verhandlungsunfähigkeit aufgrund einer unechten oder verfälschten Urkunde (§ 362 Nr. 1 StPO) den Gesundheitszustand des Angeklagten betreffend angenommen wurde. Für den Fall eines hinzugezogenen Sachverständigen572 könnte zudem an § 362 Nr. 2 StPO gedacht werden, jedoch wurde bereits dargelegt, dass das unrichtige Gutachten die Wiederaufnahme in der Regel nicht begründen kann.573 Die strafbare Amtspflichtverletzung des beurteilenden Richters (§ 362 Nr. 3 StPO) vernachlässigend könnte § 362 Nr. 4 StPO wiederum dahingehend verstanden werden, dass gemünzt auf die vorliegende Konstellation der Angeklagte Umstände gesteht, aus denen sich ergibt, dass er in Wirklichkeit verhandlungsfähig war.574 Dies kann – muss jedoch nicht, insofern als der Wiederaufnahmegrund eine Täuschung nicht voraussetzt – in der Einräumung der Simulation des krankhaften Zustandes liegen. Die Anwendbarkeit des § 362 Nr. 4 StPO wird in der Literatur jedenfalls dann bejaht, wenn die Simulation gleichzeitig auch das Vortäuschen eines die Anwendbarkeit des § 20 StGB begründenden Zustands umfasst, da hierdurch zugleich die innere Voraussetzung der Straftat betroffen sei.575 Unter Wertungsgesichtspunkten kann es aber keinen Unterschied machen, ob der Angeklagte lediglich über seinen derzeitigen Gesundheitszustand täuscht und damit die Erforschung des Sachverhalts verhindert oder den Defekt gleichsam auf den Zeitpunkt der Tatbegehung und damit auf materiell-rechtliche Strafbarkeitsvoraussetzungen ausdehnt. Eine erhebliche 570

BGHSt 50, 373 (380); MüKo(StGB)-Ullenbruch/Drenkhahn, § 66b Rn. 30. Hanack, FS Rieß, S. 709 (717 u. 719). 572 Die Klärung des medizinischen bzw. seelischen Zustands zur Beurteilung der Verhandlungsfähigkeit erfordert im Regelfall die Einschaltung eines Sachverständigen, vgl. KKSchneider, § 205 Rn. 11 (Hinzuziehung „in aller Regel unerlässlich“); MAH StrafverteidigungKrause, § 7 Rn. 51. 573 Siehe zuvor S. 83. 574 Zur Anwendbarkeit des § 362 Nr. 4 StPO in diesem Kontext Peters, ZStW 68 [1956], 374 (391 Fn. 31). 575 LR-Gössel, § 362 Rn. 10; Meyer-Goßner/Schmitt, § 362 Rn. 4; Marxen/Tiemann, Wiederaufnahme, Rn. 103; Peters, Strafprozeß, S. 678; ders., Fehlerquellen Bd. 3, S. 43 und 174 f.; ders., ZStW 68 [1956], 374 (391 in Fn. 31). Dem zugeneigt auch OLG Hamm JMBlNW 1949, 202 (203). 571

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

Störung des Rechtfriedens tritt auch durch einen Täter ein, der aufgrund der fälschlichen Annahme eines Defekts der Bestrafung entgangen ist und sich anschließend öffentlich damit rühmt.576 Eine gegebenenfalls erfolgte Verhängung einer Maßregel der Besserung und Sicherung im Sicherungsverfahren nach §§ 413 ff. StPO ändert hieran nichts, die Maßregelanordnung gegen einen Schuldunfähigen steht nach herrschender Ansicht einem Freispruch gleich.577 Angesichts des mit dem Sicherungsausspruch ebenfalls verbundenen Strafklageverbrauchs muss dem, trotz des in der Maßregelanordnung liegenden massiven Eingriffs,578 zugestimmt werden.579 Unterliegt das Gericht hinsichtlich der die Verhandlungsunfähigkeit begründenden Umstände einem Irrtum und wird dies im Anschluss durch den Angeklagten an die Öffentlichkeit580 getragen, so lässt auch dieser Fall konzeptionell eine ungünstige Wiederaufnahme zu. e) Verbot der Doppelbestrafung („ne bis in idem“) Die bislang vorgestellten Konstellationen haben es bereits gezeigt: Die Korrektur der Einstellungsurteile nach § 260 Abs. 3 StPO spiegeln die zuvor bereits behandelten Verfahrenshindernisse, allein dass hier ihre fälschliche Bejahung, im Rahmen der Sachurteile das Übersehen derselbigen, Gegenstand der Betrachtung ist. Die Entsprechung zum Fall des gegen das Verbot der Doppelbestrafung verstoßenden Sachurteils bildet die fehlerhafte Annahme einer rechtskräftigen Verurteilung in derselben Sache mit Folge der Einstellung des vermeintlich zweiten Verfahrens. Wichtig ist zu beachten, dass es erneut nicht darum geht, dass diese Entscheidung an einer fehlerhaften rechtlichen Würdigung krankt. Dies wäre der Fall, wenn dem Gericht bei der Bestimmung der Reichweite des prozessualen Tatbegriffs ein Rechtsfehler unterläuft, was angesichts der Komplexität dieser Rechtsfrage gerade in Grenzbereichen praktisch nicht selten vorkommen dürfte. Dieser Frage kann jedoch erst in Teil D. (S. 250 ff.) nachgegangen werden. Aus tatsächlichen Gründen fehlerhaft ist die Verfahrenseinstellung vielmehr dann, wenn eine Erstverurteilung tatsächlich gar nicht existiert. Bei Straftaten mit hoher Verurteilungsfrequenz, häufiger Straftatenbegehung und einer hohen Rückfallquote des Täters581 und Beteiligung unterschiedlicher Gerichte und unterschiedlicher Staatsanwaltschaften kann es passieren, dass eine Tat irrtümlich für bereits abgeurteilt gehalten wird, diese jedoch tatsächlich nie Gegenstand eines Strafverfahrens war. Ergibt sich nun im 576

So auch Radtke, ZStW 110 [1998], 297 (323). BeckOK-Singelnstein, § 362 Rn. 5; KK-Schmidt, § 362 Rn. 5; Pfeiffer, § 362 Rn. 3; LRGössel § 362 Rn. 10. 578 BGH StV 1997, 466: „beschwert den Betroffenen außerordentlich“; zweifelnd daher auch AK-Loos, § 362 Rn. 15. 579 So auch SK-Frister, § 362 Rn. 15. 580 Das anderweitige Bekanntwerden genügt keinesfalls, vgl. auch Radtke, ZStW 110 [1998], 297 (319). 581 Hierzu erneut Hellebrand, NStZ 2004, 64. 577

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Nachhinein, dass die vermeintliche Erstverurteilung eine ganz andere Tat betraf und dies – etwa wegen sehr ähnlicher Begehungsweise und einer relativ kurzen Zeitspanne dazwischen – übersehen wurde, stellt sich die Frage, ob ein erneutes Verfahren angestrengt werden kann. Die Antwort ergibt sich aus dem bereits Dargestellten. Das Gericht darf sich zu der in der rechtskräftigen Einstellung des Verfahrens enthaltenen Aussage, die Strafklage sei verbraucht, nicht in Widerspruch setzen. Soll die Tat verfolgt werden, muss das Einstellungsurteil angegriffen werden, und dieser Angriff kann wiederum nur über das Wiederaufnahmeverfahren erfolgen. Die Konstellationen, in denen dies möglich ist, sind ebenfalls bekannt. Neben einer Manipulation der zur Feststellung der vermeintlichen Erstverurteilung herangezogenen Dokumente (§ 362 Nr. 1 StPO) käme auch hier in Betracht, dass der Angeklagte nach Abschluss des Verfahrens offenbart, eigentlich habe es sich ja um „zwei verschiedene Sachen“ gehandelt und damit eine Wiederaufnahme nach § 362 Nr. 4 StPO möglich wird. f) Verfahrenshindernisse bei Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens Eine Konstellation, die im Rahmen der Sachurteile keine gesonderte Erörterung gefunden hat, bestärkt das gefundene Ergebnis noch einmal: das Vorliegen von schwerwiegenden Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens, die im konkreten Fall eine Verfahrenseinstellung erforderlich machen.582 Eine dem Rechtsstaatsgebot und Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK zuwiderlaufende, dem Staat zuzurechnende überlange Verfahrensdauer soll ausnahmsweise eine Einstellung des Gesamtverfahrens rechtfertigen können, wenn ihr Ausmaß einen Schweregrad erreicht, der aus sich heraus zu einem vollständigen Ausgleich der Tatschuld führt.583 Im Falle einer völkerrechtswidrigen Entführung oder sonstigen schweren völkerrechtlichen Verstößen wird ebenfalls über das Vorliegen eines Verfahrenshindernisses diskutiert.584 Im Einzelnen ist hier vieles umstritten.585 Aus diesem Grunde soll hier auch nur knapp erörtert werden, ob Fehleinschätzungen derartige Verfahrens582

Vgl. hierzu etwa LR-Stuckenberg, § 206a Rn. 78 ff.; Radtke/Hohmann-Radtke, Einl. Rn. 62 ff.; SK-Paeffgen, Anh. zu § 206a Rn. 30 ff. und Hillenkamp, NJW 1989, 2841 ff. 583 BVerfG NStZ 2006, 680 (681); BGHSt 46, 159 (171); OLG Saarbrücken StV 2007, 178 (179), andernfalls wird eine Kompensation über die sog. Vollstreckungslösung erreicht (vgl. LR-Stuckenberg, § 206a Rn. 82 f.; Radtke/Hohmann-Radtke, Einl. Rn. 63 in Fn. 182; MAH Strafverteidigung-Krause, § 7 Rn. 60 ff.). In diesen Fällen kommt es ebenso zu Friktionen im Bereich der Wiederaufnahme wie bei Anwendung der Strafzumessungslösung, vgl. hier bereits S. 139 ff. und OLG Celle NStZ-RR 2010, 251 (252). 584 Radtke/Hohmann-Radtke, Einl. Rn. 66; SK-Paeffgen, Anh. zu § 206a Rn. 32 m.w.N.; offen gelassen von BVerfG NJW 1986, 1427 (1428 f.); NJW 1986, 3021 (3022). Kein Verfahrenshindernis soll jedenfalls der nachträgliche Widerruf einer Rechtshilfebewilligung darstellen, vgl. BGHSt 51, 202 (205 f.), Fall Schreiber. 585 HK-Julius, § 206a Rn. 8 spricht bezeichnend von „apokryphen“ Verfahrenshindernissen.

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

hindernisse betreffend allgemein Gegenstand eines Wiederaufnahmeverfahrens sein können. Wenn Verstößen in diesem Bereich die Qualität eines Verfahrenshindernisses zugeschrieben wird, besteht die Besonderheit, dass jenes Verfahrenshindernis nicht an Umstände anknüpft, deren Vorliegen schlicht festgestellt werden muss,586 sondern stets und nicht nur im Grenzfall Ergebnis einer konkreten Einzelfallbewertung ist. Ob der festgestellte Verstoß derart schwer wiegt, dass eine Kompensation im Verfahren nicht mehr in Betracht kommt und sich daher die Weiterführung desselbigen insgesamt verbietet, kann nicht abstrakt und zudem regelmäßig nicht ohne Feststellungen zur Tatschuld des Angeklagten beurteilt werden.587 Somit fließen in die eigentliche Prozessentscheidung zu großen Teilen für die Sachentscheidung relevante Gesichtspunkte mit ein, welche im Einstellungsurteil in nachprüfbarer Weise darzulegen sind.588 Einer derart mit Feststellungen zur Sache angereicherten Einstellungsentscheidung kommt selbstverständlich ebenso Bindungswirkung zu wie in den zuvor thematisierten Fallgruppen, deutlich wird hier besonders, wie systemwidrig ein müheloses Beiseiteschieben dieser Entscheidung nur aufgrund „neuer Tatsachen und Beweismittel“ in Anwendung des § 211 StPO wäre. Die Wiederaufnahme ist auch hier das einzig statthafte Mittel zur Überwindung dieser Feststellungen.589 Dies bedeutet: Hat das Gericht etwa die zur Verfahrenseinstellung führende überlange Verfahrensdauer aufgrund manipulierter Tatsachengrundlage (§ 362 Nrn. 1 und 2 StPO) oder unter Verletzung richterlicher Amtspflichten (§ 362 Nr. 3 StPO) bejaht, so ist eine Korrektur über das Wiederaufnahmeverfahren möglich. Sind dagegen die Feststellungen aus sonstigen Gründen fehlerhaft, handelt es sich um eine gerichtliche Fehleinschätzung, deren Korrektur nicht möglich ist. Eine erneute Verfolgung der Tat ist in diesem Fall – vorbehaltlich einer Wiederaufnahme propter nova nach § 362 Nr. 4 StPO – ausgeschlossen. g) Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass die gerichtlichen Feststellungen zum Vorliegen eines endgültigen Verfahrenshindernisses insoweit bindend wirken, als eine gegenteilige Beurteilung angesichts des Widerspruchsverbotes nur über eine ungünstige Wiederaufnahme zu erreichen ist. Hierbei ist die Reichweite dieses 586

Hierzu einerseits BGHSt 24, 239 (240); 32, 345 (351); 43, 53 (56 f.), andererseits BGHSt 46, 159 (171); vgl. auch Hillenkamp, NJW 1989, 2841 (2846); Volk, StV 1986, 34 (36). Das gleiche Problem stellt sich im Übrigen, sofern man mit einer Vordringen befindlichen Meinung im Rahmen der relativen Antragsdelikte das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung als Verfahrensvoraussetzung ansieht, so bspw. LG München StV 1990, 400 (401); NKPaeffgen, § 230 StGB Rn. 14; Sch/Sch-Stree/Sternberg-Lieben, § 230 StGB Rn. 3 jeweils m.w.N. 587 BGHSt 46, 159 (174) zur rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung. 588 BGHSt 46, 159 (175 f.). 589 So auch Brüssow/Gatzweiler/Krekeler/Mehle-Wasserburg, § 15 Rn. 63, allerdings sei diese Materie für den Wiederaufnahmerechtler noch „Neuland“.

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Verbotes stets am Inhalt der Verfahrensentscheidung zu messen.590 Im Hinblick auf unbehebbare Verfahrenshindernisse, die nicht durch Neuschaffung der Verfahrensvoraussetzung überholt werden können, bedeutet dies, dass aufgrund der entgegenstehenden gerichtlichen Feststellung eine erneute Anstrengung des Verfahrens allein aufgrund neuer Erkenntnisse den tatsächlichen Irrtum betreffend ausgeschlossen bleibt.

2. Prozessurteile im Strafbefehlsverfahren a) Verwerfung des Einspruchs wegen Ausbleibens des Angeklagten Nach zulässigem Einspruch des Angeklagten gegen den Strafbefehl ist in der nunmehr anberaumten Hauptverhandlung im Falle des Ausbleibens des Angeklagten entsprechend § 329 Abs. 1, 3, 6 und 7 StPO zu verfahren, § 412 Satz 1 StPO. Diese gesetzliche Anordnung ermöglicht eine Verwerfung des Rechtsbehelfs durch Prozessurteil auf erster Instanz, wobei das Strafbefehlsverfahren hierfür keine eigenen Verfahrensvorschriften enthält, sondern auf die in § 329 Abs. 1 StPO getroffene Regelung zur Verwerfung der seitens des Angeklagten eingelegten Berufung ohne Verhandlung zur Sache zurückgreift.591 Diese insoweit dem zivilprozessualen Versäumnisurteil ähnelnde592 Entscheidung hat gemäß § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO zur Voraussetzung, dass der Angeklagte trotz ordnungsgemäßer Ladung unentschuldigt zum Hauptverhandlungstermin nicht erscheint und auch nicht durch einen mit schriftlicher Vertretungsvollmacht ausgestatteten Verteidiger vertreten wird. Die gesetzliche Regelung erfuhr zuletzt erhebliche Änderungen. Auslöser war eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Jahre 2012,593 nach der Art. 6 Abs. 1 i.V.m Abs. 3 lit. c EMRK verletzt sei, sofern im Verfahren nach § 329 Abs. 1 StPO a.F. das Rechtsmittel des Angeklagten trotz Anwesenheit eines verteidigungsbereiten Verteidigers verworfen werde. Nachträglich ergangene Entscheidungen verschiedener Oberlandesgerichte setzten sich zunächst über dieses 590

Vgl. auch BGHSt 18, 1 (5) zur Sperrwirkung einer Unzuständigkeitserklärung. Aus diesem Grunde beziehen die nachfolgenden Ausführungen, soweit nötig, auch die Frage nach der Wiederaufnahmemöglichkeit nach einer Verwerfung der Berufung gemäß § 329 Abs. 1 StPO mit ein. 592 So etwa BeckOK-Eschelbach, § 329 Rn. 6; Graf zu Dohna, Strafprozeßrecht, S. 244; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 54 Rn. 22. Nach LR20-Jagusch, § 329 Rn. 8 a.E. soll gar ein Sachurteil vorliegen; abl. hierzu LR-Gössel, § 329 Rn. 78 in Fn. 294, der zudem darauf hinweist, dass anders als beim „echten“ Versäumnisurteil die Unterstellung eines bestimmten Sachverhalts als zugestanden in Verbindung mit einer rechtlichen Schlüssigkeitsprüfung hier gerade nicht stattfindet. 593 EGMR Urt. v. 08. 11. 2012 – Nr. 30804/07 (Neziraj ./. Deutschland) = StraFo 2012, 490; zuvor hatte das BVerfG die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers (2 BvR 1872/03) nicht zur Entscheidung angenommen (BVerfG StraFo 2009, 190). Krit. zur Entscheidung des EGMR etwa BeckOK-Eschelbach, § 329 Rn. 7, die Entscheidung scheine das System des deutschen Strafprozesses nicht ausreichend berücksichtigt zu haben. 591

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

Verdikt hinweg, die Möglichkeit einer konventionskonformen Auslegung wurde bezweifelt.594 Durch Art. 1 Nr. 5 und Nr. 10 des Gesetzes zur Stärkung des Rechts des Angeklagten auf Vertretung in der Berufungsverhandlung und über die Anerkennung von Abwesenheitsentscheidungen in der Rechtshilfe vom 17. 07. 2015595 erfolgte eine Neufassung von § 329 StPO und eine entsprechende Anpassung des § 412 StPO. Ein „Recht auf Abwesenheit“ des Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung besteht allerdings auch nach neuer Rechtslage nicht.596 Dies verdeutlicht auch der auf die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz hin gewählte Wortlaut des § 329 Abs. 2 Satz 1 StPO, der eine positive Feststellung dahingehend verlangt, dass die Anwesenheit des Angeklagten in der Hauptverhandlung nicht erforderlich ist.597 Darüber hinaus wurden im Zuge der Neufassung eine Reihe neuer Verwerfungsgründe auch für die laufende Hauptverhandlung geschaffen, § 329 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 – 3 StPO.598 Zunächst interessiert jedoch die Grundkonstellation: Der Angeklagte bleibt zum angesetzten Hauptverhandlungstermin aus und lässt sich auch nicht durch einen Verteidiger vertreten, was im Strafbefehlsverfahren schon vor der gesetzlichen Neuregelung möglich war (§ 411 Abs. 2 StPO). In diesem Fall ist das Gericht nach wie vor verpflichtet, die Berufung des Angeklagten beziehungsweise seinen Einspruch gegen den Strafbefehl ohne Verhandlung zur Sache durch Urteil zu verwerfen, wenn das Ausbleiben nicht genügend entschuldigt ist.599 In beiden Verfahren ist seit jeher umstritten, ob besagtes Verwerfungsurteil ergehen darf, wenn das erstinstanzliche Urteil respektive der Strafbefehl aufgrund des Fehlens einer Verfahrensvoraussetzung oder aufgrund eines Verfahrenshindernisses gar nicht hätte ergehen dürfen oder die für eine Verwerfungsentscheidung notwendigen Prozessvoraussetzungen nicht vorliegen.600 Denkbar wäre, dass die auch hier grundsätzlich von Amts wegen erforderliche Prüfung der Verfahrensvoraussetzungen durch das (Rechtsmittel)Gericht erfordert, dass dieses in zulässiger Weise mit der Sache befasst 594

Vgl. etwa OLG Düsseldorf StV 2013, 299; OLG München NStZ 2013, 358; w.N. in BTDrs. 18/3562, S. 62; vgl. auch Meyer-Goßner/Schmitt, § 329 Rn. 15a; BeckOK-Eschelbach, Vor § 329. 595 BGBl. I Nr. 31, S. 1332. 596 So ausdrücklich BT-Drs. 18/3562, S. 61. 597 BT-Drs. 18/5254, S. 3. Die Formulierung im Gesetzesentwurf der Bundesregierung lautete demgegenüber noch „soweit nicht besondere Gründe die Anwesenheit des Angeklagten erfordern“ (s. BT-Drs. 18/3562, S. 7), krit. Frisch, NStZ 2015, 69 (72): hierdurch werde das Regel-Ausnahme-Verhältnis verkehrt. 598 Hierzu BT-Drs. 18/3562, S. 70 ff., ratio sei es, auch nach Beginn des Termins eine Verzögerung oder Vereitelung der Sachentscheidung durch den Angeklagten zu verhindern. Krit. erneut Frisch, NStZ 2015, 69 (72), die zusätzlichen Verwerfungstatbestände seien „überkompliziert, empirisch nicht fundiert und in ihren Wertungen nicht überzeugend“. 599 BT-Drs. 18/3562, S. 67. 600 Eine sehr ähnliche Grundsatzproblematik existiert im Rahmen der mit Devolutiveffekt ausgestatteten Rechtsmittel und lässt sich dort bezeichnen als Frage nach der Berücksichtigungsfähigkeit von Prozesshindernissen bei Unzulässigkeit des Rechtsmittels.

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worden ist und alle Voraussetzungen für eine Prüfung der Sache erfüllt sind, wozu vorliegend eben auch das Erscheinen des Angeklagten in der Hauptverhandlung zählen könnte.601 Dann wäre die Verwerfungsentscheidung bei Vorliegen der sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen schon nicht fehlerhaft. Geht man demgegenüber davon aus, dass die Existenz von Verfahrenshindernissen jedweder Durchführung des Verfahrens entgegen steht und jede auf andere Gründe als ihr Fehlen gestützte verfahrensbeendende Entscheidung von vornherein ausschließt,602 wäre das Verfahren endgültig wegen Vorliegen eines Verfahrenshindernisses einzustellen. In diesem Fall betritt man jedoch wiederaufnahmerechtlich „gewohntes Terrain“ insofern, als das Beibringen neuer Erkenntnisquellen, aus denen sich das Vorliegen eines Verfahrenshindernisses ergibt, im Hinblick auf die gebotene Einstellung anstelle der Verwerfung des Rechtsmittels beziehungsweise Rechtsbehelfs ein zulässiges Vorbringen darstellt. So entschied auch das Landgericht Berlin603 in einem Fall unzulässiger Doppelbestrafung: Nach zulässigem Einspruch gegen den Strafbefehl hatte das Amtsgericht das Verfahren in der Hauptverhandlung nach § 153a Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt. Der Zahlungsauflage kam der Angeklagte fristgerecht, aber vom Gericht unbemerkt nach, welches dann nach erneuter Anberaumung der Hauptverhandlung nach §§ 412, 329 StPO verfuhr. Das Landgericht bejahte die Zulässigkeit des nach Rechtskraft der Verwerfungsentscheidung gestellten Wiederaufnahmeantrags, denn die vollständige und fristgerechte Erfüllung der Auflage habe konstitutiv zu einem Strafklageverbrauch geführt, soweit es um die rechtliche Bewertung der Straftat als Vergehen gehe; dies sei wiederaufnahmerechtlich wie ein Verstoß gegen das Verbot der Doppelbestrafung zu behandeln. Dass eigentlich wegen eines Verfahrenshindernisses die Verfahrenseinstellung nach § 206a StPO geboten gewesen wäre, sei demnach ein zulässiges Vorbringen im Zuge einer auf § 359 Nr. 5 StPO gestützten Wiederaufnahme.604 Darüber hinaus stellt sich die Frage nach den Konsequenzen einer irrigen Annahme der tatbestandlichen Verwerfungsvoraussetzungen,605 insbesondere die tat601 So beispielhaft die in BGHSt 46, 230 wiedergegebene Argumentation des OLG Koblenz; dort auch Überblick über den Meinungsstand. Vertreter dieser Ansicht ist insb. MeyerGoßner/Schmitt, § 329 Rn. 8; ders., FS Eser, S. 373 (376); ders., GA 1973, 366 (369 ff.); zust. etwa KK-Paul, § 329 Rdn. 13; KMR-Brunner, § 329 Rn. 4; Pfeiffer, § 329 Rn. 3. Eine Einstellung des Verfahrens wird lediglich dann für zulässig erachtet, wenn das Verfahrenshindernis erst nachträglich eintritt. 602 OLG Stuttgart DAR 1964, 46; OLG Karlsruhe NJW 1978, 840; HK-Rautenberg, § 329 Rn. 5; KK-Maur, § 412 Rn. 12; LR-Gössel, § 329 Rn. 64 f.; vgl. auch Hanack, JZ 1971, 218 (220). 603 LG Berlin NStZ 2012, 352. 604 Da im dortigen Fall die Erfüllung der Auflage und somit das Verfahrenshindernis erst nach Einlegung des Einspruchs eintrat (denn erst in der daraufhin anberaumten ersten Hauptverhandlung war hierfür durch Einstellung nach § 153a Abs. 2 StPO die Grundlage geschaffen worden), wäre auch hier nach der von Meyer-Goßner et al. (vgl. zuvor Fn. 601) vertretenen Ansicht die Einstellung des Verfahrens auszusprechen gewesen. 605 Zu den Voraussetzungen des Verwerfungsurteils etwa LR-Gössel, § 412 Rn. 4 ff.; SKWeßlau, § 412 Rn. 3 ff.

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

sächliche Unkenntnis606 betreffend das Vorliegen einer ordnungsgemäßen Ladung oder einer genügenden Entschuldigung für das Ausbleiben. Bezogen auf letztere muss das Gericht vor Erlass eines Verwerfungsurteils jedenfalls die Akten nach einem möglichen Entschuldigungsgrund durchsehen, etwa ob ein Vertagungsantrag oder die Mitteilung einer bevorstehenden Reise vorliegt,607 denn entscheidend ist nicht, ob der Betroffene sich genügend entschuldigt hat, sondern ob er genügend entschuldigt ist.608 Zur erstgenannten Konstellation des nicht ordnungsgemäß geladenen609 und dann ausgebliebenen Angeklagten existieren diverse obergerichtliche Entscheidungen. Nach einer zu dieser Thematik ergangenen Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe610 soll das Gericht sein auf irriger Tatsachengrundlage ergangenes Verwerfungsurteil für „gegenstandslos“ erklären können. Dieser Lösungsweg hat jedoch wie es scheint keine Anhänger gefunden, und dies zu Recht: Bezüglich des Bestehens oder Nichtbestehens des staatlichen Strafanspruchs äußert sich die Entscheidung nach § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO zwar nicht, insbesondere wird auch nicht implizit das erstinstanzliche Urteil bestätigt.611 Bestätigt wird jedoch das objektive Vorliegen der Voraussetzungen der Rechtsmittelverwerfung, diesbezüglich enthält sie vollumfängliche tatsächliche Feststellungen.612 Zu diesen Feststellungen 606

Rechtliche Bewertungen dagegen erfordert insbesondere das Votum hinsichtlich des „Genügens“ der Entschuldigung, wozu eine umfangreiche Kasuistik existiert (hierzu etwa LRGössel, § 329 Rn. 36 ff.). Fehler in diesem Bereich sind als Rechtsfehler hier nicht Gegenstand der Betrachtung. 607 OLG Hamm NJW 1963, 65 (66); OLG Düsseldorf StV 1983, 193; KK-Paul, § 329 Rn. 8; LR-Gössel, § 329 Rn. 22. Noch weitergehend OLG Frankfurt NJW 1974, 1151 (Erkundigungspflicht nach Eingängen bei der Geschäftsstelle). 608 BGHSt 17, 391 (396); OLG Hamm NStZ-RR 2000, 84 (85); SSW-Brunner, § 329 Rn. 19. 609 Zum Vorliegen von „Ladungsfehlern“ und den entsprechenden Fehlerfolgen LR-Gössel, § 329 Rn. 12 ff. Generell wird man davon ausgehen können, dass nur solche Fehler die Verwerfungsentscheidung hindern, die bewirken können, dass der erscheinungswillige Angeklagte die Hauptverhandlung versäumt oder sich der Folgen seines Ausbleibens nicht bewusst ist (Rn. 14 u. 16). Hierzu auch BT-Drs. 18/3562, S. 69. 610 JR 1981, 129 m. abl. Anm. Wendisch. Für die ein Rechtsmittel als unzulässig verwerfenden Beschlüsse wird dies freilich z. T. für möglich gehalten, sofern die Verwerfung auf einem tatsächlichen Irrtum beruht und andernfalls der Betroffene „rechtlos“ gestellt werden würde. Auch dies ist, entgegen einer umstrittenen, aber verbreiteten Meinung (Nachweise bei LRFranke, § 346 Rn. 35 u. Rieß, JR 1978, 523 f. für eine Rücknahmebefugnis selbst bei Verwerfung durch Urteil), jedoch abzulehnen, so auch SK-Frister, Vor § 359 Rn. 19 u. eingehend Schmitt, JZ 1961, 15 ff. 611 KK-Paul, § 329 Rn. 14; LR-Gössel, § 329 Rn. 78. Ebenso wenig nimmt die Entscheidung nach § 412 StPO zur Frage nach der materiellen Richtigkeit des Strafbefehls Stellung, so bereits Ewald, Wiederaufnahme, S. 30. 612 Vgl. auch SK-Frister, Vor § 359 Rn. 19. Zu den Urteilsgründen KK-Paul, § 329 Rn. 14 m.N.: Es müssen sich daraus „alle Tatsachen ergeben, die als Entschuldigungsgründe vorgebracht wurden oder für das Gericht hätten Anlass sein sollen, sie unter diesem Aspekt zu prüfen […] Das Gericht muss abgelehnte Vertagungsanträge, vorgelegte ärztliche Atteste oder andere die Abwesenheit des Angeklagten erklärbar machende Tatsachen schildern und die Erwägungen mitteilen, die es veranlasst haben, das Ausbleiben als unentschuldigt zu werten“.

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dürfte sich das Gericht schon nicht in Widerspruch setzen und gleichfalls erneut in die Hauptverhandlung eintreten, erst recht existiert nach der Verfahrensordnung keine Befugnis des iudex ad quem zur formlosen Aufhebung des ergangenen Prozessurteils. Die Durchführung der Hauptverhandlung, die auch das Oberlandesgericht Karlsruhe letztlich erreichen wollte,613 kann jedoch am einfachsten über eine analoge Anwendung von § 329 Abs. 7 StPO i.V.m. §§ 44, 45 StPO erreicht werden.614 Analog deshalb, weil die Wiedereinsetzung Säumnis voraussetzt, säumig jedoch nur derjenige sein kann, der ordnungsgemäß geladen wurde, denn andernfalls beginnt keine Frist zu laufen, die versäumt werden könnte.615 Wiedereinsetzung soll generell auch derjenige erhalten können, der zwar tatsächlich keine Frist versäumt hat, aber (irrtümlich) so behandelt wurde.616 Insofern soll der Betroffene nicht verpflichtet werden, den Mangel der Ladung auf dem Rechtsmittelweg geltend zu machen; vielmehr sei es geboten, ihm ebenso wie einem schuldlos säumigen Angeklagten die Möglichkeit zu geben, die Korrektur der Verwerfungsentscheidung auf einfacherem Wege zu erreichen.617 In diesem Fall könnte der Angeklagte binnen einer Woche nach der Zustellung des Verwerfungsurteils die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen618 (§ 329 Abs. 7 StPO) und die Durchführung der Hauptverhandlung erreichen. Auch aus Perspektive der Prozessökonomie ist der Weg über § 44 StPO attraktiv, da er eine unmittelbare Fortsetzung des Verfahrens durch das vorbefasste Gericht ermöglicht. Die vereinzelt anzutreffende gegenteilige Auffassung, die allein eine Korrektur über das Rechtsmittelverfahren für statthaft hält,619 vermag dem keine überzeugenden Argumente entgegenzubringen. Insofern ist es in der Tat geboten, dem Betroffenen zunächst den Rechtsbehelf zu ermöglichen, der ihm allem Anschein nach zukommt, und das ist die in § 329 Abs. 7 StPO vorgesehene Wieder613

Wendisch, JR 1981, 131 (132). OLG Frankfurt NStZ-RR 2003, 174; KK-Maul, § 44 Rn. 8; KMR-Ziegler, § 44 Rn. 7 u. 18; LR-Gössel, § 329 Rn. 117; Meyer-Goßner/Schmitt, § 329 Rn. 41; SSW-Brunner, § 329 Rn. 43; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 54 Rn. 27; a.A. Schmitt, JZ 1961, 15 (16 f.). Die ausdrückliche Verweisung auf die Wiedereinsetzung erklärt sich dadurch, dass Termine keine Fristen sind, weshalb bei deren Versäumung ohne eine derartige gesetzliche Anordnung grundsätzlich keine Wiedereinsetzung gewährt werden könnte, vgl. KMR-Ziegler, § 44 Rn. 6. 615 BGHSt 24, 143 (149 f.); KG JR 1976, 425; OLG Karlsruhe JR 1981, 129 f. und im Anschluss Wendisch, JR 1981, 131. 616 BGHR StPO § 44 Anwendungsbereich 1; BGH NJW 1987, 1776 (1777); BGH bei Miebach, NStZ 1988, 209 (210); OLG Frankfurt JR 1978, 522 (523); NStZ-RR 2003, 174; Burhoff, Handbuch Hauptverhandlung, Rn. 3529; Meyer-Goßner/Schmitt, § 44 Rn. 2; vgl. auch SK-Frister, Vor § 359 Rn. 19. 617 Wendisch, JR 1981, 131. 618 Ob eine Wiedereinsetzung von Amts wegen möglich ist, ist streitig, hierfür KMRBrunner, § 329 Rn. 39; dagegen etwa LR-Gössel, § 329 Rn. 113; SK-Frisch, § 329 Rn. 58, wobei beide Ansichten den Wortlaut des § 329 Abs. 7 StPO („beanspruchen“) für sich heranziehen. 619 KG JR 1976, 425 f. m. abl. Anm. Wendisch; JR 1984, 78 f.; OLG Saarbrücken MDR 1987, 695. 614

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

einsetzung in den vorigen Stand. Welche (irrtümlichen) Erwägungen hinter der gerichtlichen Entscheidung stehen, ist für den Rechtsunkundigen unter Umständen gar nicht erkennbar.620 Zwar soll die Urteilsbegründung, für die als Prozessurteil die Vorschrift des § 34 StPO gilt, erkennen lassen, dass und wodurch die Verwerfungsvoraussetzungen erfüllt sind, es besteht also eine spezifische Darlegungs- und Begründungslast; eine lediglich formularmäßige Begründung wird hierdurch im Einzelfall jedoch nicht ausgeschlossen.621 Trotz der Möglichkeit, gegen das Verwerfungsurteil Rechtsmittel einzulegen, besteht – unabhängig von den deutlich höheren Erfolgsaussichten eines Wiedereinsetzungsgesuchs insbesondere im Vergleich zur Revision622 – eine Rechtsschutzlücke, da dem Betroffenen aufgrund eines aus der Sphäre des Gerichts rührenden Fehlers jedenfalls eine Instanz vorenthalten wird.623 Dieser Aspekt wird noch verstärkt durch die in § 44 Satz 2 StPO getroffene gesetzgeberische Wertung, nach der die Versäumung einer Rechtsmittelfrist bei unterbliebener Rechtsmittelbelehrung, ebenfalls ein Fehler aus der gerichtlichen Sphäre, als unverschuldet gilt. Aus diesem Grunde ist die analoge Anwendung der Wiedereinsetzungsvorschriften zugunsten des Nichtsäumigen nach ganz allgemeiner Ansicht ein probates Mittel zur Reaktion auf irrtümliche Verwerfungsentscheidungen bei Ladungsfehlern. Fraglich ist jedoch, ob der Verurteilte auch im Wege der Wiederaufnahme gegen das rechtskräftige Prozessurteil vorgehen könnte, etwa wenn er nunmehr die notwendigen Belege für ein entschuldigtes Fernbleiben erbringen oder das Nichtvorliegen der sonstigen Verwerfungsgründe nach § 329 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 – 3 StPO darlegen kann. In dem Verfahren, das Gegenstand der Verwerfungsentscheidung geworden ist, war eine (erneute) Prüfung der Sache möglich und auch vorgeschrieben.624 Um diese Befassung durch eine zweite Instanz, hinsichtlich des Strafbefehlsverfahrens um die erstmalige Erörterung der Sache im Rahmen einer regulären Hauptverhandlung und im Falle des § 329 Abs. 1 Satz 2 um eine abschließende Sachentscheidung, wird der Angeklagte im Ergebnis ungerechtfertigt gebracht, weshalb eine Korrektur sich zu seinen Gunsten auswirken könnte. Er hätte in der von ihm angerufenen Instanz unter Umständen einen Freispruch oder zumindest eine mildere Bestrafung erreichen können, im Berufungsverfahren kommt hinzu, dass eine nachteilige Abänderung des Urteils in Art und Höhe der Rechts620

Wendisch, JR 1976, 426 (427). RGSt 66, 150 (151); OLG Hamm NJW 1963, 65 (66); SSW-Brunner, § 329 Rn. 33. Näher zu den Anforderungen an die Begründung LR-Gössel, § 329 Rn. 69 f.; SK-Frisch, § 329 Rn. 43. 622 Zur übermäßigen Beschlussverwerfung nach § 349 Abs. 2 StPO etwa die BRAKDenkschrift, S. 53; Hanack, FS Dünnebier, S. 301 (308). 623 Wendisch, JR 1976, 426 (427); zu dieser Argumentation auch BGHSt 36, 139 (143 f.): dass das Grundgesetz nach st. Rspr. des BVerfG insofern keine mehrstufige Gerichtsbarkeit gebietet (vgl. etwa BVerfGE 4, 74 [94 f.]; 11, 232 [233]; 83, 24 [31]), lasse die Benachteiligung nicht entfallen. 624 Vgl. BGHSt 30, 98 (99). 621

II. Prozessurteile

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folgen der Tat angesichts des dort geltenden Verbotes der reformatio in peius nach § 331 Abs. 1 StPO sogar ausgeschlossen gewesen wäre. Erneut darf man sich jedoch nicht von etwaigen „Wiederaufnahmezielen“ irreleiten lassen. Wie zuvor bei Betrachtung der Fälle des mit einem sonstigen Verfahrensfehler behafteten Sachurteils deutlich wurde, kann das etwaige und in aller Regel auch tatsächlich verfolgte Ziel, in der nun doch durchgeführten Hauptverhandlung freigesprochen oder zumindest milder bestraft zu werden, die Zulässigkeit der Wiederaufnahme nach § 359 Nr. 5 StPO nicht begründen. Hätte das Gericht vom Nichtvorliegen der Verwerfungsvoraussetzungen Kenntnis gehabt, hätte dies weder zwangsläufig in einen Freispruch, noch einer diesem gleichzusetzenden Verfahrenseinstellung, noch einer milderen Bestrafung gemündet. Die bloße (Weiter)Betreibung des Verfahrens als gebotene Entscheidungsalternative mit ungewissem Ausgang vermag den Zugriff auf das ergangene Verwerfungsurteil nach § 329 Abs. 1 StPO nicht zu rechtfertigen, mangels Gewähr einer besseren Entscheidung muss die Wiederaufnahme hier notwendigerweise ausscheiden.625 Angesichts der zur Verfügung stehenden regulären Rechtsmittel626 und insbesondere der soeben dargestellten Option eines Wiedereinsetzungsbegehrens analog § 44 StPO ist der Angeklagte gegenüber der aus tatsächlichen Gründen fehlerhaften Entscheidung des Gerichts nicht rechtlos gestellt. Nach Ablauf der durch § 329 Abs. 7 StPO normierten Frist, bei deren unverschuldeter Versäumung im Übrigen ebenfalls die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung nach §§ 44, 45 StPO besteht,627 hat es mit der Prozessentscheidung jedoch ihr Bewenden. b) Verwerfung des Einspruchs wegen Unzulässigkeit Bereits im Rahmen des aufgrund zwischenzeitlich eingetretener Rechtskraft des Strafbefehls gegen das Verbot der Doppelbestrafung verstoßenden Urteils nach § 411 Abs. 4 StPO (hier ab S. 154) wurde darauf hingewiesen, dass nach ständiger Rechtsprechung ein verspätet eingelegter oder aus sonstigen Gründen unzulässiger Einspruch in der dennoch anberaumten Hauptverhandlung nicht durch Beschluss nach § 411 Abs. 1 Satz 1 StPO, sondern in der Hauptverhandlung durch Urteil zu 625 So auch KG GA 1974, 25 (26); letztlich auch Schmitt, JZ 1961, 15 (17) zu § 349 Abs. 1 StPO, dessen Ergebnis allerdings aus dem hier abgelehnten Verständnis der „Wiederaufnahmeziele“ resultiert. 626 KK-Maur, § 412 Rn. 17 ff; LR-Gössel, § 412 Rn. 40 ff. 627 Die Wochenfrist des § 329 Abs. 7 StPO ist als lex specialis zu § 45 Abs. 1 StPO keine Ausschlussfrist, auch wegen ihrer Versäumung kann deshalb unter den Voraussetzungen des § 44 StPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden, vgl. OLG Düsseldorf NJW 1982, 60 (61); OLG Nürnberg NJW-Spezial 2010, 345; BeckOK-Eschelbach, § 329 Rn. 46; Meyer-Goßner/Schmitt, § 329 Rn. 44a; SK-Frisch, § 329 Rn. 59. § 452 Abs. 2 StPO in der bis 1924 geltenden Fassung erwähnte die Wiedereinsetzung gegen den Ablauf der Einspruchsfrist noch explizit, schränkte diese jedoch wie folgt ein: „Ein Angeklagter, welchem gegen den Ablauf der Einspruchsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt worden war, kann die letztere nicht mehr gegen das Urtheil beanspruchen“.

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

verwerfen sei. Begründet wird dies mit der „allgemeinen Regel“, nach der die in der Hauptverhandlung ergehende und diese abschließende Entscheidung eben das Urteil sei.628 Die Verwerfung eines Rechtsmittels oder wie vorliegend eines Rechtsbehelfs als unzulässig im Rahmen der Hauptverhandlung stellt dann ein Prozessurteil dar, welches bindend feststellt, dass das eingelegte Rechtsmittel respektive der Rechtsbehelf unzulässig war.629 Auch diese Entscheidung kann aus tatsächlichen Gründen fehlerhaft sein. Ein anschauliches Beispiel aus der Praxis630: Der per Fax eingelegte Einspruch wird als verspätet verworfen; wie sich allerdings nachträglich herausstellt, wurde am Amtsgericht versäumt, das Fax-Empfangsgerät rechtzeitig von Sommerauf Winterzeit umzustellen, sodass der Einspruch gegen den Strafbefehl tatsächlich rechtzeitig eingegangen war. Infolgedessen beantragte der Betroffene im beschriebenen Fall nach erfolglosem, weil (tatsächlich) verspätetem Wiedereinsetzungsersuchen die Wiederaufnahme des Verfahrens mit der Begründung, es sei eine wesentlich geringere Bestrafung zu erwarten gewesen, wenn er Gelegenheit gehabt hätte, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vor Gericht darzulegen. Das Landgericht Ravensburg gab der sofortigen Beschwerde gegen den ablehnenden Beschluss des Amtsgerichts statt und wählt hierfür eine, gelinde ausgedrückt, kreative Begründung: Der Wiederaufnahmeantrag sei in analoger Anwendung des § 359 Nr. 6 StPO wegen Verletzung des in Art. 6 Abs. 1 EMRK verbürgten Rechts auf gerichtliche Entscheidung zulässig, die nicht erfolgte Feststellung der Verletzung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte stünde jedenfalls einer analogen Anwendung insofern nicht entgegen, als die Vorschriften der Konvention schließlich als innerstaatliches Recht in jedem Strafverfahren zu beachten seien.631 Dass das Landgericht damit, wenn auch in Bemühung um ein gerechtes Ergebnis, den bei Schaffung des Wiederaufnahmegrunds klar hervorgetretenen gesetzgeberischen Willen übergeht, liegt auf der Hand.632 Dadurch wurde zugleich auch die Problematik umgangen, dass der Betroffene bei Durchführung der Hauptverhandlung eben nur mit einer geringeren Bestrafung rechnete – ein Vorbringen, was im Rahmen von §§ 359 Nr. 5, 363 StPO die Wiederaufnahme gerade nicht zulässt. Dass diese Einschränkung im Rahmen der Wiederaufnahme nach § 359 Nr. 6 StPO nach überzeugender Ansicht nicht gelten soll, wurde bereits ausgeführt (hier ab S. 140). Die Kommentarliteratur633 zitiert die Entscheidung des Landgerichts Ravensburg sogar teilweise als Beleg für die Unanwendbarkeit, wenngleich das Landgericht selbst sich zu dieser Frage gar nicht äußert. Der Weg über § 359 Nr. 6 StPO analog verbietet sich jedenfalls aufgrund des klar entgegenstehenden Willens des Gesetz628

BGHSt 8, 383 (384); BayObLGSt 1961, 195 (196 f.); KK-Maur, § 411 Rn. 3. Vgl. SK-Frister, Vor § 359 Rn. 19. 630 So der der Entscheidung LG Ravensburg NStZ-RR 2001, 115 zugrunde liegende Verfahrensgang. 631 LG Ravensburg NStZ-RR 2001, 115 (116), dies gelte „jedenfalls bei offensichtlichen Verstößen wie hier“. 632 Hierzu bereits im Rahmen der allgemeinen Ausführungen zu § 359 Nr. 6 StPO ab S. 59. 633 KMR-Eschelbach, § 363 Rn. 15 u. SK-Frister, § 363 Rn. 4. 629

III. Urteilsersetzende Beschlüsse

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gebers. Auch hier hätte die analoge Anwendung der Wiedereinsetzung nach §§ 44, 45 StPO Abhilfe schaffen können, auch hätte hinsichtlich der zweiwöchigen Einspruchsfrist die Möglichkeit bestanden, bei unverschuldetem Versäumen der Frist in diese wiedereingesetzt zu werden. Wurde dieser Rechtsbehelf nicht genutzt, kann über das Wiederaufnahmeverfahren die Durchführung der Hauptverhandlung hingegen nicht erreicht werden.

III. Urteilsersetzende Beschlüsse Nachdem nunmehr die Eröffnung des Anwendungsbereichs der Wiederaufnahme für Prozessurteile untersucht wurde, stellt sich die Frage, ob bei Ersetzung dieser Urteile durch einen entsprechenden Beschluss die gefundenen Ergebnisse übertragbar sind. In einigen Abhandlungen hat die Problematik bereits Betrachtung gefunden, allerdings wiederum fokussiert auf die Rechtskraft von Beschlüssen und damit vom entgegengesetzten Standpunkt aus.634 Die Rechtsprechung in diesem Bereich ist ebenso mannigfaltig wie uneinheitlich.635 Die Einwendungen, die sich speziell gegen die Erweiterung auf den Einstellungsbeschluss nach § 206a StPO beziehen, also die Entscheidungsform, die BGHSt 52, 119 zu korrigieren suchte, sollen im Rahmen der nachfolgenden Ausführungen im Vordergrund stehen.

1. Urteilsersetzende Beschlüsse im Kontext der klassischen Verfahrenshindernisse – Vorbehalte gegen den Einbezug ins Wiederaufnahmeverfahren Zur Stärkung der Verfahrensökonomie, speziell zur Vermeidung überflüssiger Hauptverhandlungen,636 ermöglicht der 1950 in die Prozessordnung aufgenommene § 206a StPO637 bei Vorliegen eines Verfahrenshindernisses die Einstellung eines schon eröffneten Verfahrens außerhalb der Hauptverhandlung durch Beschluss. Damit wurde der Grundsatz aufgelöst, dass das einmal eröffnete Verfahren stets 634

Gantzer, Die Rechtskraft strafprozessualer Beschlüsse und Verfügungen (1967); Herzog, Die Rechtkraft strafgerichtlicher Beschlüsse und ihre Beseitigung (1971); Trepper, Zur Rechtskraft strafprozessualer Beschlüsse (1996). 635 Müller, JR 1997, 124: „Kette sich seit Jahrzehnten widersprechender Entscheidungen zur Rechtskraftdurchbrechung bei Beschlüssen“. 636 BGHSt 24, 208 (212); Ulsenheimer, NStZ 1984, 440 (441). 637 Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit v. 12. 09. 1950 (BGBl. I Nr. 40, S. 455 [651]). Zuvor wurde bereits durch VO über die Beseitigung des Eröffnungsbeschlusses v. 13. 08. 1942 (RGBl. I Nr. 86, S. 512 [513]) im gleichlautenden § 206 StPO die Möglichkeit der Verfahrenseinstellung durch Beschluss geschaffen. Zur Gesetzesgenese auch SK-Paeffgen, § 206a Rn. 1.

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

durch eine öffentliche Hauptverhandlung beendet werden müsse.638 Wurde bereits in die Hauptverhandlung eingetreten oder bedarf es einer solchen, um das Vorliegen des Verfahrenshindernisses festzustellen, so ist die Anwendung des § 206a StPO allerdings ausgeschlossen.639 Daher erklärt sich die Formulierung „kann“ lediglich mit Rücksicht auf die Form der Entscheidung (Beschluss statt Urteil), die Einstellung selbst ist im Falle des Vorliegens eines Verfahrenshindernisses zwingend.640 Gegen den Einstellungsbeschluss ist nach § 206a Abs. 2 StPO die Einlegung von Rechtsmitteln möglich, so kann die Staatsanwaltschaft bei Zweifeln am Vorliegen des Verfahrenshindernisses innerhalb Wochenfrist (§§ 206a Abs. 2, 311 Abs. 2 StPO) die sofortige Beschwerde gegen das Unterlassen der weiteren Verfahrensbetreibung erheben. § 206a StPO und § 260 Abs. 3 StPO unterscheiden sich, wie oben641 bereits angemerkt, in der Entscheidungsform, nicht jedoch in ihren Voraussetzungen; der außerhalb der Hauptverhandlung ergehende Einstellungsbeschluss nach § 206a StPO ist vom Gesetzgeber – trotz seiner Verortung im Abschnitt „Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens“ – vielmehr allgemein als zulässiger Ersatz für das Einstellungsurteil vorgesehen worden.642 Sind die Entscheidungen demnach gleichen Inhalts, so müsste nach hier vertretener Ansicht auch die Korrekturfrage zum gleichen Ergebnis führen.643 Die Differenzierung nach der Entscheidungsform überzeugt nicht, sie kann höchstens die vorhandenen Aufklärungsmöglichkeiten indizieren.644 Wenn der Inhalt der Entscheidung, zu welchem sich das Gericht nicht ohne Beschreiten eines förmlichen Verfahrens in Widerspruch setzen darf, im Mittelpunkt der Betrachtung steht, kann für den das Verfahren unter denselben Gesichtspunkten, jedoch außerhalb einer öffentlichen Hauptverhandlung einstel638 LR-Stuckenberg, § 206a Rn. 1; Grossmann, Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses, S. 63 ff. 639 SK-Velten/Schlüchter, § 260 Rn. 53. Hinsichtlich einiger Prozesshindernisse ist tatsächlich zweifelhaft, ob der Weg über eine Beschlusseinstellung überhaupt gangbar ist, da detaillierte Feststellungen zur Tat für eine angemessene Beurteilung nahezu unausweichlich sind. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Frage einer möglichen Verjährung sowie betreffend die Verhandlungs- und Schuldfähigkeit. Hier dürfte zudem die Feststellung solcher „doppelrelevanten“ Tatsachen im Freibeweisverfahren jedenfalls gesperrt sein, hierzu etwa SKPaeffgen, § 206a Rn. 15; Többens, NStZ 1982, 184 ff. 640 Meyer-Goßner, FS Rieß, S. 331 (332). 641 S. 160. 642 BGHSt 24, 208 (212); hierzu Meyer-Goßner, GA 1973, 366 (367 f.). 643 Diesen Gleichlauf sieht auch KMR-Eschelbach, Vor § 359 Rn. 16, wenngleich er daraus die gegenteilige Konsequenz zieht (Ablehnung auch der Wiederaufnahme gegen Prozessurteile nach § 260 Abs. 3 StPO). Wie hier jedoch KK-Schmidt, § 362 Rn. 10; LR-Stuckenberg, § 206a Rn. 113; Radtke/Hohmann-Reinhart, § 206a Rn. 9; Eb. Schmidt, Lehrkommentar II § 206a Rn. 9; SK-Paeffgen, § 206a Rn. 31 g; SK-Frister, Vor § 359 Rn. 21; Geppert, GA 1972, 165 (172); Herzog, Rechtskraft strafgerichtlicher Beschlüsse, S. 117 f. und bereits v. Kries, Lehrbuch des Deutschen Strafprozeßrechts, S. 703 f. zur Rechtsmittelverwerfung durch Beschluss. 644 Zum Aspekt der Ermittlungspflichten und -möglichkeiten auch Loos, JZ 1978, 592 (599 f.).

III. Urteilsersetzende Beschlüsse

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lenden Beschluss nichts anderes gelten als das zuvor für § 260 Abs. 3 StPO Festgestellte. Eine auf prozessökonomischen Gründen beruhende Ersetzung durch Beschlussverfahren vermag an sich die unterschiedliche Behandlung der Prozessentscheidungen nicht zu rechtfertigen.645 Dies hätte zugleich zur Konsequenz, dass der Anwendungsbereich des Wiederaufnahmeverfahrens eröffnet werden müsste. Sicherlich ist der Titel des Vierten Buches „Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens“ programmatisch. Jedoch steht jeder Normenkomplex als mehr oder minder historisches Konstrukt in untrennbarer Verbindung mit der Zeit seiner Entstehung.646 Dem Recht darf eine gewisse Dynamik nicht abgesprochen werden, trotz gleichbleibenden Wortlauts müssen in gewissem Umfang Entwicklungsmöglichkeiten bestehen, die seine Handhabung unter Umständen auch weitreichenden Änderungen unterwerfen können.647 Bei Ablehnung eines derartigen Potenzials wäre das Wiederaufnahmeverfahren in Anbetracht der zwischenzeitlichen Veränderungen in anderen Bereichen der Verfahrensordnung tatsächlich nichts weiter als eine „fossile Rechtswelt“648. a) Grundsätzlich andere Sperrwirkung Die Argumentation, im Beschlusswege ergangenen Entscheidungen müsste in jedem Fall eine andere Sperrwirkung zukommen als Urteilen, ist in zwei entgegengesetzte Richtungen denkbar: Beschlüsse könnten entweder leichter oder überhaupt nicht korrigierbar sein. Beide Annahmen stünden einem Einbezug in das für Urteile vorgesehene Verfahren entgegen. Letztere Position findet sich etwa in einer älteren Entscheidung des Landgerichts Hamburg, welches davon ausgeht, dass von Beschlüssen ohnehin nie eine derart folgenschwere Wirkung ausgehe, dass durch sie der Rechtsfrieden oder das Gerechtigkeitsempfinden merklich gestört werden könnten und die Möglichkeit nachträglicher Korrektur angezeigt wäre.649 Dem muss zunächst entschieden entgegengetreten werden. Mit der stetigen Zunahme650 der 645

So auch LR-Stuckenberg, § 206a Rn. 113 u. bereits LR25-Rieß, § 206a Rn. 78; ders., JR 1978, 523 f.; Hanack, JR 1974, 113 (115 in Fn. 8 zum Bewährungswiderruf); BRAK-Denkschrift, S. 80 (im Kontext des § 349 Abs. 2 StPO); Graf zu Dohna, Strafprozeßrecht, S. 220; Krack, Rehabilitierung, S. 236 f.; Möllmann, Anwendungsbereich der §§ 206a, 206b StPO, S. 50. 646 Larenz, Methodenlehre, S. 350. 647 Reichlich pathetisch BGHSt 10, 157 (160): das Gesetz sei „nicht toter Buchstabe, sondern lebendig sich entwickelnder Geist, der mit den Lebensverhältnissen fortschreiten und ihnen sinnvoll angepaßt weitergelten will, solange dies nicht die Form sprengt, in die er gegossen ist“. 648 Begriff von Wasserburg/Eschelbach, GA 2003, 335. 649 LG Hamburg MDR 1975, 246. Für die unbeschränkte Rechtskraft auch LG Freiburg JR 1979, 161 (162); AG Lahn-Gießen MDR 1980, 595 u. erneut LG Hamburg NStZ 1991, 149 (150); Graf zu Dohna, Strafprozeßrecht, S. 208 in Fn. 218. 650 Marxen/Tiemann, Wiederaufnahme, Rn. 30: Tendenz zu urteilsersetzenden Beschlüssen.

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

attraktiven, weil ressourcenschonenderen Möglichkeit der Entscheidungsfindung im Beschlusswege ergehen mittlerweile vermehrt für die Verfahrensbeteiligten einschneidende Entscheidungen außerhalb der Hauptverhandlung. Dies gilt sowohl für urteilsersetzende651 als auch für urteilsergänzende Beschlüsse. Prägnantes Beispiel für letztere ist der Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56 f StGB.652 Die im Beschlussverfahren ergehende Widerrufsentscheidung wirkt sich für den Verurteilen angesichts der nun folgenden Freiheitsstrafe oftmals existenzbedrohend aus und ist damit subjektiv für ihn meist folgenschwerer als der noch zur Bewährungsaussetzung führende Urteilsausspruch.653 Es wird dem Betroffenen nur schwer vermittelbar sein, dass er gegen das Grundurteil im Wiederaufnahmeverfahren nach den §§ 359 ff. StPO vorgehen kann, der nachfolgend ergangene Beschluss hingegen für einen Angriff in diesem Korrekturverfahren gesperrt ist.654 Dass die Strafe gleichwohl nach § 57 StGB erneut zur Bewährung ausgesetzt werden kann, ist ein schwacher Trost, da hierfür mindestens die Hälfte der Freiheitsstrafe tatsächlich verbüßt werden muss, § 57 Abs. 2 StGB.655 Bedenklich ist zudem, dass zugestanden wird, dass in der Praxis Widerrufsverfahren in der Regel nicht mit der Gründlichkeit und dem Aufklärungsaufwand betrieben werden, wie es im an bestimmte Verfahrensgrundsätze gebundenen Urteilsverfahren der Fall ist.656 Der Verweis auf den Gnadenweg wird wiederum dem Rehabilitierungsinteresse des Verurteilten nicht 651 Oftmals ist die Beschreitung des Beschlussweges nicht zwingend, das Gericht kann vielmehr auch wahlweise durch Urteil entscheiden, vgl. Herzog, Rechtskraft strafgerichtlicher Beschlüsse, S. 117, auch zu den Ausnahmen hierzu. Dies gilt für das hier interessierende Verhältnis von § 206a StPO zu § 260 Abs. 3 StPO besonders, siehe auch Meyer-Goßner, FS Eser, S. 373. 652 Hierzu auch Marxen/Tiemann, Wiederaufnahme, Rn. 30; Trepper, Rechtskraft Beschlüsse, S. 147 f. 653 Groth, MDR 1980, 595 (596); Kunz, StV 2000, 569 (570); Lemke, ZRP 1978, 281 (282); Müller, JR 1997, 124; Schall, FS Stree/Wessels, S. 735 (737). Zu den stigmatisierenden Wirkungen des (unberechtigt) angeordneten Vollzugs der Haftstrafe Hohmann, NStZ 1991, 507 f. Anders OLG Stuttgart wistra 2001, 239: der Widerruf treffe immerhin einen zu Recht Verurteilten. 654 Dies umso mehr, als durch die begehrte Wiederaufnahme die Vollstreckung des Urteils nicht gehemmt wird, § 360 Abs. 1 StPO. 655 Schall, FS Stree/Wessels, S. 735 (745): der Verweis auf diese Option könne nur als zynisch bezeichnet werden, zust. Kunz, StV 2000, 569 (571). So jedoch OLG Stuttgart wistra 2001, 239 und Gössel, JR 1992, 125 (126), der in dieser speziellen Anpassungsmöglichkeit den Grund für die Nichtanwendbarkeit der §§ 359 ff. StPO auf den Beschluss nach § 56 f StGB sieht. Die Thematik ist noch immer als umstritten zu bezeichnen (Überblick über den Meinungsstand etwa bei Hohmann, NStZ 1991, 507), soll jedoch angesichts des auf § 206a StPO gelegten Schwerpunkts hier keine weitere Erörterung finden. 656 OLG Hamm VRS 90 [1996], 136 (138); LG Hamburg NStZ 1991, 149 (150); Groth, MDR 1980, 595 (596); Lemke, ZRP 1978, 281 (282): nicht zwingend unrichtige, oft jedoch unvollständige Entscheidungsgrundlage; darüber hinaus auch zum Aspekt der Chancen(un) gleichheit der anwaltlich vertretenen und nicht vertretenen Betroffenen. Im Hinblick auf die Fehlerhäufigkeit bei Beschlüssen nach §§ 346, 349 StPO Schmitt, JZ 1961, 15: Beschlüsse auf irriger Grundlage seien „nicht allzu selten“; die Irrtümer teilweise „geradezu beschämend“ (Fn. 1).

III. Urteilsersetzende Beschlüsse

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gerecht, vor allem wenn die widerrufene Strafaussetzung zur Bewährung bereits ganz oder teilweise vollstreckt wurde – dann spielt auch die Frage nach einer Entschädigung eine wichtige Rolle.657 Die Auffassung des Landgerichts Hamburg ist ebenso als überholt anzusehen wie der Befund des Oberlandesgerichts Hamm,658 dass bei Einstellungsbeschlüssen das Vorkommen von Fehlern im Interesse des Rechtsfriedens als das kleinere Übel in Kauf genommen wird. Dass es um die Bereitschaft zur Inkaufnahme nicht allzu gut bestellt ist, zeigt nicht zuletzt die der vorliegenden Arbeit zugrunde liegende Fallkonstellation BGHSt 52, 119.659 So wird auch überwiegend die entgegengesetzte Position vertreten, oftmals verbunden mit einem argumentum a maiore ad minus: Wenn die Strafprozessordnung schon den Eingriff in die Bestandskraft von Urteilen in Grenzen zuließe, so muss die im Beschlusswege ergangene Entscheidung doch erst Recht einem nachträglichen Zugriff offen stehen.660 Dieser Schluss ist im Grunde nicht zu kritisieren, doch resultiert aus ihm oftmals dann nicht die Gleichbehandlung der Entscheidungsformen, sondern eine Herabstufung der Bestandskraft des Beschlusses. Die extremste Konsequenz daraus wäre die Negation jeglicher Bestandskraft. In der Tat findet sich insbesondere in Entscheidungen älteren Datums die Auffassung, bei „grobem prozessualen Unrecht“ sei eine formlose Aufhebung zulässig. Hinter diesem Terminus verbirgt sich die Überlegung, dass Beschlüsse, hinsichtlich derer keine Anfechtungsmöglichkeit besteht, insbesondere im Falle eines Irrtums über verfahrenserhebliche Tatsachen korrigiert werden müssen, um die Verfahrensbeteiligten nicht rechtlos zu stellen.661 Die Übertragung des bezeichneten Konstrukts auf den mit einem befristeten Rechtsbehelf (§ 206a Abs. 2 StPO) anfechtbaren Einstellungsbeschluss wurde jedoch soweit ersichtlich nie ernsthaft erwogen.662 Aus diesem 657

Hierfür jedoch OLG Hamm VRS 90 [1996], 136 (138); OLG Zweibrücken NStZ 1997, 55 (56). Hierzu auch Groth, MDR 1980, 595 (597); Hohmann, NStZ 1991, 507 (508): „reduziert die Problemlage auf die gewillkürte Einzelfallentscheidung“ und Stern, NStZ 1993, 409 (410). 658 JMBlNW 1952, 221. 659 Dazu sogleich ab S. 216. 660 BayObLGSt 1955, 47; OLG Oldenburg NJW 1962, 1169; LG Bremen StV 1990, 311; Groth MDR 1980, 595 (596); Müller, JR 1997, 124 (125); Schmitt, JZ 1961, 15 (17); Wasserburg, Wiederaufnahme, S. 227. 661 Vgl. OLG Rostock NZV 1994, 287 (288) m.w.N., hierzu auch LR-Gössel, Vor § 359 Rn. 53; Ziemann, HRRS 2008, 364 (366) m.w.N. in Fn. 35; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 52 Rn. 30; Wenzig, Rücknahme S. 130 ff. Im Grunde besteht Verwandtschaft zur Theorie der Urteilsnichtigkeit, so thematisiert etwa Meyer-Goßner/Schmitt, Einl. Rn. 108 diese Ansätze im Zusammenhang. Übertragbar ist damit auch die Kritik im Hinblick auf die fehlenden Verfahrensgarantien. 662 Ausdrückl. abl. BayObLGSt 1970, 115 (116 f.). Anders insoweit noch für das Zivilverfahren OLG Frankfurt NJW 1970, 715: bei grundsätzlicher Bejahung der Abänderbarkeit könne es dann auch keinen Unterschied mehr ergeben, ob eine (sofortige) Beschwerde stattfinde oder nicht. Das OLG Hamm (JMBlNW 1972, 35) hält zwar die Aufhebung eines auf unrichtiger Tatsachengrundlage basierenden Einstellungsbeschlusses „aus Gründen einer gerechten Entscheidung des Einzelfalls“ mit der Folge des Wiederauflebens der erstinstanzlichen Verurteilung für zulässig, beruft sich jedoch nicht ausdrücklich auf das „grobe prozessuale

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

Grunde kann sich die Betrachtung denjenigen Ansichten zuwenden, die dem Einstellungsbeschluss lediglich eine geringere Bestandskraft zugestehen wollen. Nach Schäfer ist die Verzehrwirkung des Einstellungsbeschlusses eine nur beschränkte, die einem neuen Verfahren dann nicht entgegenstehe, wenn neue Tatsachen das Nichtvorliegen des angenommenen Hindernisses ergeben.663 Auch Seidl verneint die Sperrwirkung explizit dann, wenn festgestellt wird, dass das Prozesshindernis in Wirklichkeit nicht bestand.664 Im Ergebnis wird damit erneut für zulässig erachtet, den Irrtum des Gerichts über das Bestehen eines Prozesshindernisses, der in einer rechtskräftigen Entscheidung seinen Niederschlag gefunden hat – und damit die Entscheidung selbst – schlicht zu ignorieren. Die Akzeptanz einer Bindungswirkung, die so weit reicht wie der Inhalt der Entscheidung, liegt darin nicht. Vielmehr wird dem Gericht gestattet, sich über seine einmal getroffene Feststellung hinwegzusetzen, „heute so, morgen anders“ zu entscheiden. Eine derartig selbsttätige Abhilfe665 ist weder akzeptabel, wenn die Entscheidung in Urteilsform ergeht noch, wenn es sich um ihr als Beschluss ergehendes Pendant handelt. Peters differenziert ebenfalls hinsichtlich der Bestandskraft von Urteilen und Beschlüssen und begründet dies mit der „Kraft der Hauptverhandlung“.666 Speziell in Bezug auf die Verfahrenseinstellung nach § 206a StPO vertritt er die Ansicht, die Verortung der Norm in den Vorschriften über das Zwischenverfahren bewirke die Teilhabe an der nur beschränkten Rechtskraft nach § 211 StPO – es handle sich auch hier um eine „vorwegnehmende“ Entscheidung.667 Die Vorschriften mögen nur durch Unrecht“ – dies wohl auch, da sich die Rücknahme des Einstellungsbeschlusses, wie der Senat selbst anführt, für den Angeklagten nachteilig auswirkt. 663 Schäfer, Strafprozeßrecht, Einl. Kap 12 Rn. 40. Ebenso Kohlhaas, NJW 1954, 1792 (1793) und Meyer-Goßner/Schmitt, § 206a Rn. 11, letzterer jedoch allein für den Fall der täuschenden Einflussnahme auf den Einstellungsbeschluss (angelehnt an BGHSt 52, 119). Offen gelassen bei BGH NJW 1951, 771, die Endgültigkeit auch der in Beschlussform ergangenen Entscheidung (dort: § 349 Abs. 1 StPO) sei aber jedenfalls dann zu bejahen, wenn dem Gericht alle zur Beurteilung notwendigen Tatsachen bekannt waren. 664 KMR-Seidl, § 206a Rn. 48. 665 Ein Zugriff auf den Beschluss über § 33a StPO kommt regelmäßig nicht in Betracht, weil keine Tatsachen zum Nachteil der Staatsanwaltschaft verwertet werden, zu denen sie noch nicht gehört wurde, vgl. hierzu OLG Köln NJW 1981, 2208. 666 Peters, JR 1970, 392 f. und ders., JR 1979, 162. In diese Richtung auch Kohlhaas, NJW 1954, 1792 (1793), der beschleunigten Abwicklung ohne mündliche Hauptverhandlung könne als summarische Prüfung nicht die volle Urteilswirkung zukommen. Für die entsprechende Anwendung des § 211 StPO auf den Einstellungsbeschluss auch AK-Loos, § 206a Rn. 11; KKSchneider, § 206a Rn. 15; KMR-Seidl, § 206a Rn. 47; SK-Paeffgen, Anh. zu § 206a Rn. 7 f; Appl, FS Tolksdorf, S. 179 (182); Wenzig, Rücknahme, S. 128a ff. 667 Peters, JR 1970, 392 f. Demgegenüber versagt Peters dem Beschluss nach § 56 f StGB jegliche Bindungswirkung, eine derartige Entscheidung mit „Reaktionsbeweglichkeit“ trage „trotz ihrer Rechtskraft die Möglichkeit der Abänderung in sich“, vgl. ders., JR 1979, 162, in diese Richtung auch OLG Stuttgart NStZ-RR 1996, 176 (Flexibilität der Regelungen der §§ 56 ff. StGB). Abl. Groth, MDR 1980, 595 (596): Umfassende Kognitionspflicht, Grundlage für die Strafvollstreckung; Kunz, StV 2000, 569 (570); Schall, FS Stree/Wessels, S. 735 (745 f.).

III. Urteilsersetzende Beschlüsse

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fünf Paragraphen voneinander getrennt sein, zwischen den Verfahrenssituationen, in denen sie Anwendung finden, liegt jedoch mehr, als ihre Positionierung suggeriert. Zum einen ist die Verortung des § 206a StPO in den Vorschriften für das Zwischenverfahren ohnehin nicht sonderlich geglückt, denn die Norm findet erst nach Eröffnung des Hauptverfahrens Anwendung – wenn das Verfahrenshindernis bereits im Zwischenverfahren erkannt wird, so hat das Gericht bereits die Eröffnung des Hauptverfahrens abzulehnen (§ 204 StPO).668 Wenn sich der Anwendungsbereich der Vorschriften demnach schon nicht deckt,669 ist dies ein deutlicher Hinweis, dass die durch sie ausgesprochenen Entscheidungen nicht auf dieselbe Weise korrigiert werden sollen. Hinsichtlich § 211 StPO – im Übrigen auch betreffend § 174 Abs. 2 StPO und §§ 33a, 311a StPO – handelt es sich um Spezialvorschriften, die auf einen ganz bestimmten Beschluss beziehungsweise auf einen speziellen, stets gleichbleibenden Verfahrensmangel zugeschnitten sind.670 Die dort beschriebenen Situationen liegen hier jedoch nicht vor. Der Funktion nach besteht einzig eine Verwandtschaft mit § 260 Abs. 3 StPO – beide Entscheidungen stellen das Vorliegen eines Verfahrenshindernisses fest und sind auf den endgültigen Abschluss des Hauptverfahrens gerichtet.671 Wenn das Gericht die Auffassung vertritt, die Verfahrenseinstellung in dieser Weise vorwegnehmen zu können und über das Prozesshindernis nicht im Rahmen der Hauptverhandlung entscheiden zu müssen, so darf das dem Angeklagten nicht zum Nachteil gereichen.672 Ihm wird gegen die Verfahrenseinstellung nach § 206a StPO üblicherweise kein Beschwerderecht zugebilligt, er kann eine Entscheidung in der Hauptverhandlung demnach nicht erzwingen.673 Hierin liegt der entscheidende Unterschied zum Strafbefehlsverfahren, in welchem die ersparte Hauptverhandlung tatsächlich mit einer geringeren Bestandskraft einhergeht. Dort liegt es jedoch am Angeklagten zu entscheiden, ob er sich auf diese Form der Erledigung einlassen möchte. Es kann nicht derselbe Entscheidungsinhalt einmal in der Variante mit und einmal ohne umfassenden Bestandsschutz existieren und die Auswahl allein in das Belieben des Gerichts gestellt werden. Nicht zuletzt wird die Gefahr forciert, dass in die Wahl der Entschei-

668 OLG Zweibrücken NStZ-RR 2004, 298 (299); KK-Schneider, § 206a Rn. 2; SK-Paeffgen, § 206a Rn. 2. Darüber hinaus soll die Vorschrift in jedem Verfahrensstadium, insbesondere auch im Revisionsverfahren, Abwendung finden können vgl. BGHSt 24, 208 (212) u. eingehend SK-Paeffgen, § 206a Rn. 4 ff. 669 So auch Schall, FS Stree/Wessels, S. 735 (749), die Norm sei speziell auf den Beschluss nach § 204 StPO zugeschnitten. 670 Herzog, Rechtskraft strafgerichtlicher Beschlüsse, S. 181. 671 Krack, Rehabilitierung, S. 237. 672 In diese Richtung auch Geppert, GA 1972, 165 (173 f.), es scheine „im Interesse des betroffenen Einzelnen wie übrigens auch der Rechtspflege insgesamt nicht erlaubt, aus der Wahl der prozeßabschließenden Entscheidungsart dem Betroffenen irgendwelche Nachteile entstehen zu lassen“. 673 OLG Jena NStZ-RR 2006, 311 (Ls.); KK-Schneider, § 206a Rn. 13; SK-Paeffgen, § 206a Rn. 28; Hecker, JR 1997, 4 (6).

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

dungsform unsachgemäße Kriterien einfließen – das hieße im konkreten Fall: Hin zur Einstellung nach § 206a StPO, die im „Notfall“ leichter zu korrigieren ist.674 Das Oberlandesgericht Hamburg weist, insoweit zutreffend, darauf hin, dass es an einer § 410 Abs. 3 StPO gleichkommenden Vorschrift fehle, die Urteile und Beschlüsse einander ausdrücklich gleichstelle.675 Vor dem Hintergrund der Gesetzgebungsgeschichte verfängt das Argument jedoch nicht. Ein argumentum e contrario ist nur dann berechtigt, wenn die Beschränkung der in der Norm angeordneten Rechtsfolge auf den erfassten Tatbestand ersichtlich vom Gesetzgeber gewollt oder zumindest teleologisch geboten ist, die Regelung also implizit ein „nur“ enthält.676 Durch die im Jahre 1987 erfolgte Neufassung,677 nach der der unangefochten gebliebene Strafbefehl nicht nur die Wirkung eines rechtskräftigen Urteils erlange, sondern einem rechtskräftigen Urteil gleichstehe, sollte der Rechtsprechung von der beschränkten Rechtskraft des Strafbefehls nach dem Willen des Gesetzgebers „der Boden entzogen werden“.678 Es handelt sich um die Reaktion auf eine Rechtsprechung, die sich jahrzehntelang über die gesetzliche Anordnung hinweggesetzt und den nachträglichen Zugriff auf den Strafbefehl weitestgehend gestattet hatte.679 Der Rechtszustand in Bezug auf den Einstellungsbeschluss nach § 206a StPO ist kaum als derart prekär einzuschätzen, dass es einer ähnlichen gesetzgeberischen „Notbremse“ bedürfe. Einer Norm jeweils eine Erklärung beizufügen, welche Wirkung der auf sie gestützten Entscheidung zukommt, kann angesichts der Tatsache, dass die Strafprozessordnung nicht einmal die Wirkung des rechtskräftigen Urteils selbst normiert, ebenfalls nicht ernstlich gefordert werden. Insofern erlaubt auch das Fehlen einer § 410 Abs. 3 StPO entsprechenden Regelung keine andere Wertung. Gleiches gilt im Übrigen für die Argumentation, die sich auf den in engem gesetzgeberischen Kontext stehenden § 373a StPO stützt.680

674

Vgl. auch Wasserburg, Wiederaufnahme, S. 226 (zu § 349 StPO). Ob die Zulassung der Wiederaufnahme andererseits die Qualität der Einstellungsentscheidungen zu verbessern und präventiv Fehlentscheidungen verhindern vermag (zu dieser Überlegung im Rahmen der Beschlüsse nach § 56 f Abs. 1 StGB Hohmann, NStZ 1991, 507 [508]), erscheint zweifelhaft. 675 OLG Hamburg JR 2000, 380 (381) m. Anm. Gössel. So auch die Argumentation von Neumann, System der Wiederaufnahme, S. 20. 676 Larenz, Methodenlehre, S. 390; Trepper, Rechtskraft Beschlüsse, S. 145. 677 Strafverfahrensänderungsgesetz v. 27. 01. 1987, BGBl. I Nr. 9, S. 475 (477). 678 BT-Drs. 10/1313, S. 38 (r. Sp.). 679 Eingehend zur Entwicklung Dippel, in: Jescheck/Meyer, S. 13 (50 ff.). Krit. bereits Graf zu Dohna, Strafprozeßrecht, S. 243; v. Kries, Lehrbuch des Deutschen Strafprozeßrechts, S. 596 f. 680 OLG Hamburg JZ 1951, 185; OLG Hamm JMBlNW 1952, 221; OLG Bremen NJW 1959, 353; OLG Hamburg JR 2000, 380 (381); LG Stuttgart NJW 1957, 1686; LG Hamburg MDR 1975, 249. Diese Argumentation abl. auch Gössel, JR 2000, 383 (384): allzu überdehnende Interpretation des gesetzgeberischen Willens; Geppert, GA 1972, 165 (177 f.): These erscheine „verfehlt“.

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Auch die Existenz von § 211 und dem verwandten681 § 174 Abs. 2 StPO an sich spricht nicht gegen die generelle Anwendung des förmlichen Wiederaufnahmeverfahrens auf Beschlüsse.682 Vielmehr wurde für die Entscheidungen im Zwischenverfahren eine eigene Wiederaufnahmeregelung geschaffen, die speziell auf die dortige Verfahrenssituation zugeschnitten ist.683 Wie bereits angeführt sprach der Entwurf der damaligen Regelung noch von der „Wiederaufnahme des Verfahrens“, die jetzige Fassung des § 211 StPO sollte allein dem Missverständnis vorbeugen, die Vorschriften des Vierten Buches der Strafprozessordnung seien unmittelbar oder entsprechend auch hier anzuwenden.684 Dem Grunde nach stimmt die Gestaltung des Verfahrens mit der der Wiederaufnahme nach §§ 359 ff. StPO überein.685 Das Bedürfnis, hier eine Spezialregelung zu schaffen, deren Herzstück die Möglichkeit der Wiederaufnahme propter nova zuungunsten darstellt, lässt sich mit der besonderen Entscheidungssituation erklären.686 Der die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnende Beschluss nach § 204 StPO enthält den Ausspruch, dass der Angeschuldigte nicht, wie von § 203 StPO vorausgesetzt, einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint. Die Entscheidung betrifft jedoch nur die Bewertung „nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens“, was ebenfalls bereits aus dem Wortlaut von § 203 StPO hervorgeht.687 Dieser Vorläufigkeit des Ergebnisses trägt § 211 StPO spiegelbildlich Rechnung, wenn er bei neuen Tatsachen oder Beweismitteln, übersetzt also bei neuen Ergebnissen eines vorbereitenden Verfahrens, (untechnisch) die Wiederaufnahme zulässt, welche die Beteiligten freilich in ein deutlich früher liegendes Prozessstadium zurückführt.688 Dies umfasst, da es eben auf die veränderte Tatsachengrundlage der Entscheidung ankommt, auch die Möglichkeit, bislang unbekannt gebliebene Tatsachen zu berücksichtigen.689 Schutz besteht nach der ratio legis nur, aber immerhin, gegen eine erneute Verfolgung bei gleichbleibender 681

Vgl. die allgemeinen Ausführungen hier ab S. 51. So jedoch OLG Hamm VRS 90 [1996], 136 (138); OLG Zweibrücken NStZ 1997, 55 f.; HK-Temming, Vor § 359 Rn. 5. 683 So auch Geppert, GA 1972, 165 (174); Herzog, Rechtskraft strafgerichtlicher Beschlüsse, S. 181. 684 RGSt 43, 150 (152). 685 Deutlich auch BGHSt 18, 225 (226): „Insoweit besteht im Hinblick auf den Zweck des Gesetzes zwischen der Zulässigkeit der ,Wiederaufnahme‘ des Verfahrens nach § 211 StPO und der Möglichkeit der Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens kein grundsätzlicher Unterschied“; vgl. auch Geppert, GA 1972, 165 (174 in Fn. 72); Radtke, NStZ 1999, 481 (483 f.); Herzog, Rechtskraft strafgerichtlicher Beschlüsse, S. 126 ff. 686 Auch Geppert, GA 1972, 165 (174 in Fn. 72 a.E.) hält die Differenzierung für kriminalpolitisch vertretbar. 687 Denkbar ist natürlich auch, dass die Nichtstrafbarkeit bzw. Nichtverfolgbarkeit bereits positiv feststeht, vgl. Herzog, Rechtskraft strafgerichtlicher Beschlüsse, S. 131. Dies setzt der Beschluss nach § 204 StPO, anders als die hier in Rede stehenden Entscheidungen nach §§ 260 Abs. 3, 206a StPO jedoch nicht voraus. 688 Kleinknecht, FS Bruns, S. 475 (478). 689 BGHSt 7, 64 (66). 682

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

Sachlage,690 gleiches gilt für die in § 174 Abs. 2 StPO getroffene Wertung. Aus dieser punktuellen Sonderregelung kann jedoch nicht die Befugnis hergeleitet werden, anderen Fällen ohne entsprechende gesetzliche Anordnung gänzlich außerhalb der geschriebenen Verfahrensordnung zu begegnen, dann käme der lediglich situativen Einschätzung im Rahmen des Zwischenverfahrens im Ergebnis eine noch stärkere Bindung zu, als der nach umfassender Sachaufklärung ergehenden Entscheidung nach § 206a StPO. b) Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege Die Öffnung des Wiederaufnahmeverfahrens wird darüber hinaus mit mahnendem Hinweis auf die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege kritisiert.691 Das Landgericht Hamburg692 sieht gar den Rechtsstaat zum „Rechtsmittelstaat“ verkommen, sollten auch Beschlüsse im Wiederaufnahmeverfahren angreifbar sein. Durch ein mögliches Vorenthalten von Tatsachen, um sie anschließend in einem Wiederaufnahmeverfahren als neu einführen zu können, bestehe die Gefahr der Verfahrensverschleppung und sich ständig wiederholender Wiederaufnahmeverfahren.693 Für die hier betrachtete Einstellungsentscheidung ist diese Annahme schon gar nicht einschlägig, da im Rahmen der ungünstigen Wiederaufnahme derart zurückgehaltene Tatsachen keine Beachtung mehr finden könnten, ein derartiges Verhalten seitens der Staatsanwaltschaft also, ganz unabhängig vom grundsätzlichen Verständnis ihrer Rolle im Verfahren, nicht zu erwarten ist. Dass der Angeklagte in anderen Fällen durch Zurückhalten von Tatsachen versuchen könnte, sich eine zusätzliche Instanz schaffen, ist theoretisch zwar möglich. Die Wiederaufnahme zugunsten enthielt in ihrer ursprünglichen Fassung noch eine dahingehende Begrenzung, dass in Verfahren mit zwei Tatsacheninstanzen nur solche Tatsachen oder Beweismittel als neu beigebracht werden durften, „welche der Verurtheilte in dem früheren Verfahren einschließlich der Berufungsinstanz nicht gekannt hatte oder ohne Verschulden nicht geltend machen konnte“.694 Nach heutiger Gesetzeslage besteht diese Einschränkung nicht mehr. Selbst wenn ein Angeklagter also aus welchen Gründen auch immer Beweismittel zurückgehalten hat, kann er sie im Wiederaufnahmeverfahren als neu vorbringen. Es obliegt dem Staat, die Schuld des Täters zu beweisen – der Beschuldigte trägt für das Gelingen dieser Leistung keine 690

Hierzu bereits die Nachweise in Fn. 230. OLG Zweibrücken NStZ 1997, 55 (56). 692 MDR 1975, 246. Dagegen Trepper, Rechtskraft Beschlüsse, S. 147: polemische Behauptung, die der Grenzziehung keineswegs dienlich ist. 693 LG Hamburg MDR 1975, 249; zweifelnd Wasserburg, Wiederaufnahme, S. 226. 694 § 399 Nr. 5 S. 2 StPO in der Fassung vom 01. 02. 1877, RGBl. I Nr. 8, S. 253 ff. Krit. hierzu etwa Alsberg, Justizirrtum, S. 52 ff. Aufgehoben durch die Dritte Verordnung zur Vereinfachung der Strafrechtspflege, RGBl. I 1943 Nr. 57, S. 342 ff. und beibehalten durch das Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit vom 12. 09. 1950 (BGBl. I Nr. 40, S. 455 ff.). Zur ratio dieses engeren Neuheitsbegriffs Meyer, Wiederaufnahmereform, S. 45. 691

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Verantwortung.695 Wenn der Gesetzgeber das Phänomen einer Präklusion in diesem Zusammenhang ablehnt,696 so sind daraus resultierende Funktionsbeeinträchtigungen einkalkuliert. Ein planmäßiges Zurückhalten entlastender Tatsachen dürfte darüber hinaus jedoch selten anzutreffen sein.697 Zwar wird beobachtet, dass in Verfahren mit mehreren Tatsacheninstanzen die erste Instanz teilweise vernachlässigt oder gleichsam als „Erprobungsfeld“ für die Verteidigung erachtet wird in dem gedanklichen Mitbewusstsein, etwaige Fehler noch korrigieren zu können.698 Dass jedoch in zweiter oder alleiniger Tatsacheninstanz nicht sämtliche Mittel der Verteidigung ausgeschöpft werden und sprichwörtlich nicht das gesamte Pulver verschossen wird, ist angesichts der nicht unerheblichen Hürden hin zur tatsächlichen Durchführung des Wiederaufnahmeverfahrens doch stark zu bezweifeln.699 Jedenfalls ergeben sich hieraus keine stichhaltigen Argumente, die gegen die Wiederaufnahme bei im Beschlussverfahren ergangenen Entscheidungen sprechen würden. Letztlich liegt die Gefahr eines übermäßigen Wiederaufgreifens von im Beschlusswege abgeschlossenen Verfahren schon durch die Bindung an die geltenden Wiederaufnahmegründe nicht vor.700 Auch im Zivilprozess, wo die analoge Anwendung der Wiederaufnahmevorschriften auf das Verfahren rechtskräftig beendende Beschlüsse bereist zugelassen wird, ist ein solcher Effekt nicht zu verzeichnen.701 Zudem lässt die Befürchtung das Grundverfahren in trübem Licht erscheinen, wenn man das Gedankenspiel zulässt, dass die Wiederaufnahme umso großzügiger zuzulassen ist, je besser das vorangegangene Verfahren konzipiert ist.702 695

Murmann, NStZ 2003, 618 (619). Hierzu auch Hellebrand, NStZ 2004, 413 (415); bedenklich daher LG Karlsruhe NStZ 2003, 108 m. abl. Anm. Murmann, NStZ 2003, 618 f. Allerdings trifft den Angeklagten im Wiederaufnahmeverfahren wiederum eine erweiterte Darlegungslast aufgrund widersprüchlichen Prozessverhaltens, er muss einleuchtende Gründe dafür anführen, warum er das Vorbringen bzw. das Beweismittel nicht bereits in der Hauptverhandlung zu seiner Entlastung genutzt hat, vgl. etwa OLG Stuttgart NStZ-RR 2003, 210; HK-Temming, § 359 Rn. 32; LRGössel, § 359 Rn. 180; Meyer-Goßner/Schmitt, § 359 Rn. 46 ff.; einschränkend SK-Frister, § 359 Rn. 52 f. 697 Trepper, Rechtskraft Beschlüsse, S. 146 f. Die Betonung liegt hierbei auf „planmäßig“, denn dass im Verfahren entlastende Tatsachen nicht vorgetragen werden, ist ein durchaus reales Phänomen. Peters, Strafprozeß, S. 672 f. nennt als mögliche Erklärungsansätze: Unfähigkeit des Angeklagten zur geschickten Verteidigung, Resignation, Nicht-zu-Wort-Kommen, sicheres Vertrauen auf einen Freispruch sowie mögliche Schonung anderer. Zur psychischen Ausnahmesituation des Beschuldigten dort auf S. 396 ff. und auch Kaut, JR 1989, 137. 698 Vgl. hierzu MAH Strafverteidigung-Nobis, § 10 Rn. 3 f. zum Verfahren vor den Amtsgerichten. 699 So auch Lemke, ZRP 1978, 281 (282 f.) im Kontext der die Strafaussetzung zur Bewährung widerrufenden Beschlüsse. 700 Groth, MDR 1980, 595 (596); Hohmann, NStZ 1991, 507 (508); Schall, FS Stree/ Wessels, S. 735 (752). 701 Trepper, Rechtskraft Beschlüsse, S. 147. 702 Meyer, Wiederaufnahmereform, S. 57 mit Bezug auf Schaffmeister, in: Jescheck/Meyer, S. 429 (474 f.) zum niederländischen Wiederaufnahmerecht. Allerdings spricht dieser konkret 696

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c) Förderung vorschneller Verfahrenseinstellungen In unmittelbarem Zusammenhang zum vorgenannten steht ein weiteres allgemeines Argument: Leichtere Korrigierbarkeit im Nachhinein führe zu weniger Sorgfalt im Vorhinein. Dieses „generalpräventive“Argument kann für den Einzelfall, in dem tatsächlich ein Fehler geschehen ist, ohnehin nie das Bedürfnis nach Korrektur entfallen lassen. Insbesondere lässt es aber die zuvor noch ins Feld geführten knappen Ressourcen der Justiz außer Acht, deren Interesse keineswegs in einer Zweitbefassung mit dem nämlichen Verfahren liegt.703 Durch den Einbezug von Einstellungsbeschlüssen bleiben die Wiederaufnahmegründe selbst unangetastet, in Rede steht also keine erleichterte Wiederaufnahme, sondern eine Wiederaufnahmemöglichkeit in einer größeren Zahl von Fällen. Daraus dürfte sich gerade kein psychologischer Unterschied ergeben. Die Gerichte gehen mit einem Freispruch auch nicht nachlässiger um als mit einer milderen Verurteilung, weil hinsichtlich ersterem die Chance einer Korrektur über § 362 Nr. 4 StPO existiert, und so werden sie auch nicht in anderer Weise hinsichtlich der Frage nach dem Verzicht auf den staatlichen Strafanspruch durch Verfahrenseinstellung zu einem Weniger an Sorgfältigkeit animiert werden. Letztlich passt das hier anklingende, von v. Beling704 entwickelte „Gründlichkeitsargument“, welches die psychologische Bedeutung der Unwiderruflichkeit von Entscheidungen erklärt, in diesem Kontext schlicht nicht. Insofern als hierdurch die Notwendigkeit von Beständigkeit gestützt wird, ist anzumerken, dass Beständigkeit, die Rechtssicherheit schafft, in erster Linie bedeutet, dass das Gericht nicht nach Gutdünken eine einmal getroffene Entscheidung revidieren und das Gegenteil judizieren darf. Die Korrektur von Beschlüssen in einem förmlichen, mit entsprechenden Garantien ausgestatteten Wiederaufnahmeverfahren gerät mit diesem Gedanken nicht in Konflikt.705 d) Wiederaufnahme als Ausnahmeerscheinung Dass einer Ausweitung auf Beschlüsse insbesondere der Ausnahmecharakter der Wiederaufnahme entgegenstünde, ist dagegen ein tatsächlich häufig anzutreffendes,706 jedoch letztlich nicht treffendes Argument. Der Ausnahmecharakter der von der Kopplung an die Möglichkeit der tatrichterlichen Nachprüfung bereits im normalen Instanzenzug und nicht lediglich von einem „guten“ Hauptverfahren. 703 Zum Aspekt möglicher Mehrarbeit auch Krack, Rehabilitierung, S. 237. 704 Reichsstrafprozeßrecht, S. 257; zust. etwa Marxen, JZ 1997, 630 (631); Schmitt, JZ 1961, 15 (17); Deml, Reform der Wiederaufnahme, S. 137; Gantzer, Rechtskraft Beschlüsse, S. 185; Radtke, Systematik, S. 68 f.; Eb. Schmidt, Lehrkommentar I Rn. 283. 705 Anders jedoch LG Hamburg MDR 1975, 246 und Marxen, JZ 1997, 630 (631) in seiner Anm. zu KG JZ 1997, 629 (Wiederaufnahme bei Nötigung eines Zeugen zur Falschaussage). 706 BGHSt 11, 361 (364); 48, 153 (160); OLG Hamm VRS 90 [1996], 136 (138); OLG Zweibrücken NStZ 1997, 55; OLG Stuttgart NStZ-RR 2012, 290; LG Hamburg MDR 1975, 246; LG Freiburg JR 1979, 161 (162); LG Hamburg NStZ 1991, 149 (150); KK-Schmidt, Vor § 359 Rn. 5; LR-Gössel, Vor § 359 Rn. 16; SK-Paeffgen, § 206a Rn. 31 f u. Anh. zu § 206a

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Wiederaufnahmevorschriften ist nicht viel mehr als eine Behauptung, auf welche die These der Nichterweiterbarkeit gestützt wird.707 Richtig ist zwar, dass die Wiederaufnahme in einem besonderen Verfahren ausgestaltet und in einem gesonderten Abschnitt der Prozessordnung geregelt ist.708 Darüber hinaus zeigt sich ein Ausnahmecharakter im Gesetzestext selbst nicht.709 Zwar könnte man angesichts der konkreten Gestaltung der §§ 359, 362 StPO andenken, ob eine ziffernmäßige Aufführung bestimmter Tatbestände nicht stets implizit ein Regel-Ausnahme-Verhältnis ausdrückt.710 Dies ist allerdings wenig überzeugend, da exemplifikatorische Aufzählungen in der Gesetzgebungstechnik mindestens ebenso häufig anzutreffen sind.711 Auch die gängige Bezeichnung als außerordentlicher Rechtsbehelf712 hat im Wesentlichen systematische Bedeutung in Abgrenzung zu den sogenannten ordentlichen Rechtsmitteln.713 Das subjektive Empfinden, dass Wiederaufnahmeverfahren an sich selten sind, begründet den Ausnahmecharakter der sie regelnden Bestimmungen natürlich ebenfalls nicht – wie Peters es treffend umschrieb: Die statistisch geringe Zahl an Verbrechen nach § 211 StGB macht auch den Mord nicht zum „Ausnahmetatbestand“.714 Wenn der Prozess auf inhaltlich und sachlich richtige Gestaltung abzielt, ist eine die Rechtskraft auflockernde Bestimmung keine Ausnahmeregelung, sondern Ausdruck eines den Prozess beherrschenden Prinzips.715 Rn. 7e; Jahn, JuS 2008, 459 (460); ders., JuS 2011, 83 (84); Marxen, JZ 1997, 630 (631); Schorn, MDR 1965, 869; Mayer, in: Jescheck/Meyer, S. 729 (776); Ranft, Strafprozeßrecht, Rn. 2290. Hierzu auch Dickersbach, Prozessuale Tatsachen, S. 59 ff. und zur parallelen Problematik im Zivilrecht Gaul, Grundlagen des Wiederaufnahmerechts, S. 24 ff. 707 So auch Marxen/Tiemann, Wiederaufnahme, Rn. 30: petitio principii. 708 Zur zivilrechtlichen Restitution auch Gaul, Grundlagen des Wiederaufnahmerechts, S. 35. 709 Eschelbach, HRRS 2008, 190 (201); Peters, Fehlerquellen Bd. 3, S. 3. Zur Problematik der Festlegung des „Ausnahmecharakters“ einer Regelung auch Larenz, Methodenlehre, S. 355 f. 710 Zum Hintergrund des Enumerationsprinzips Gaul, Grundlagen des Wiederaufnahmerechts, S. 36 f. u. S. 42 f. 711 Gaul, Grundlagen des Wiederaufnahmerechts, S. 42 f. 712 KK-Schmidt, Vor § 359 Rn. 5; KMR-Eschelbach, Vor § 359 Rn. 23 f.; Meyer-Goßner/ Schmitt, Vor § 359 Rn. 2; Pfeiffer, FG Graßhoff, S. 271. Vgl. demgegenüber Graf zu Dohna, Strafprozeßrecht, S. 209, der von einem außerordentlichen Rechtsmittel spricht. 713 Gaul, Grundlagen des Wiederaufnahmerechts, S. 42; ähnlich Ewald, Wiederaufnahme, S. 28, es handle sich um einen „äusserst (sic) wenig besagenden Zusatz“. 714 Peters, Fehlerquellen Bd. 3, S. 4; ders., in: Probleme der Strafprozeßreform, S. 107 (111 f.); ähnl. Grünewald, ZStW 120 [2008], 545 (571); zust. LR-Gössel, Vor § 359 Rn. 15 f., der den Ausnahmecharakter allerdings aufgrund der Beschränkung auf bestimmte Wiederaufnahmeziele bejaht. Zur Kritik an diesem Verständnis s. bereits die einleitenden Ausführungen zu §§ 359 ff. StPO (S. 39 ff.). 715 Peters, Fehlerquellen Bd. 3, S. 3; ders., in: Probleme der Strafprozeßreform, S. 107 (111 f.); zust. Meyer, Wiederaufnahmereform, S. 48 f. Tatsächlich wohnt vermeintlichen Sonderregelungen oftmals ein allgemeingültiger Grundgedanke inne, der sich auch in vom Gesetz nicht vorgesehenen Fällen behaupten kann, vgl. Gaul, Grundlagen des Wiederaufnahmerechts, S. 44.

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Die demgegenüber von Gössel716 vorgebrachte Kritik, der Annahme eines „Regelvorgangs“ stünde entgegen, dass dann etwa auch die straflose bloß fahrlässige Falschaussage und die evident fehlerhafte Beweiswürdigung in einem rechtskräftigen Urteil Wiederaufnahmegründe sein müssten, widerlegt diese These nicht. Einmal kann die straflose bloß fahrlässige Falschaussage de lege lata schon über § 359 Nr. 5 StPO zumindest im Rahmen der Wiederaufnahme zugunsten Beachtung finden, auch hinsichtlich des Verstoßes gegen Beweisverwertungsverbote wurde dies bereits gezeigt. Zum anderen erhält ein Regelungskomplex nicht bereits dadurch einen Ausnahmecharakter, dass er aus systematischen Gründen bestimmte Vorgänge nicht in seinen Anwendungsbereich einschließt. So betitelt auch niemand das Revisionsverfahren als Ausnahmeerscheinung, nur weil es auf die Feststellung von Gesetzesverletzungen und dadurch grundsätzlich auf die Überprüfung von Rechtsfragen beschränkt ist. Die Wiederaufnahme wurde gerade als Instrument zur Korrektur von Fehlern geschaffen, die durch das ordentliche Rechtsmittelsystem nicht hinreichend bewältigt werden konnten.717 Der bestimmungsgemäße Einsatz dieses Instruments kann in Fällen einer solchen Nichtbewältigung nicht verwehrt werden. Die eigentlich illegitime Ausnahme ist die mit dem Wiederaufnahmeantrag bekämpfte fehlerhafte Entscheidung.718 Selbstverständlich sollen Eingriffe in rechtskräftige Entscheidungen im funktionierenden Rechtssystem die Ausnahme darstellen. Wenn die der prozessualen Wahrheit entsprechende Entscheidung die Regel, ihr Gegenteil die Ausnahme sein soll, so hat natürlich auch die Beständigkeit die Regel, die Korrektur die Ausnahme zu sein. Dies spricht aber nicht gegen letztere, sofern sie im konkreten Fall erforderlich ist. Nicht das Wiederaufnahmeverfahren ist demnach die Ausnahme, sondern die Situationen, in denen es angewandt wird. Hinsichtlich der in Urteilsform abgeschlossenen Entscheidungen sind diese Situationen in §§ 359, 362 StPO speziell normiert.719 Treffend umschreibt daher RGSt 19, 321 (323) den Charakter des Wiederaufnahmeverfahrens als Hilfe, die „in ganz einzelnen genau umgrenzten Fällen teils in weiteren, teils in engeren Schranken als in anderen Prozeßordnungen“ geboten ist. Genau diese teils weiten Schranken – hier insbesondere die großzügige Zulassung des Vortrags von nova im Rahmen der günstigen Wiederaufnahme – sind es, die sogar die entgegengesetzte Argumentation zulassen würden: Dann wäre plötzlich die Beschränkung der neuen Erkenntnisquellen auf solche zur Erreichung der herkömmlich sogenannten Wiederaufnahmeziele die 716

LR-Gössel, Vor § 359 Rn. 16. Waßmer, JURA 2002, 454. In diese Richtung auch Eschelbach, HRRS 2008, 190 (200): „integraler Bestandteil des strafprozessualen Kontrollsystems“. 718 Vgl. Eschelbach, HRRS 2008, 190 (202). 719 Herzog, Rechtskraft strafgerichtlicher Beschlüsse, S. 180; zust. Geppert, GA 1972, 165 (178): abschließende Ausnahmevorschrift hinsichtlich der Möglichkeiten der Rechtskraftdurchbrechung bei Urteilen (enumerativ aufgezählte Wiederaufnahmegründe). Vgl. auch Schall, FS Stree/Wessels, S. 735 (751); Trepper, Rechtskraft Beschlüsse, S. 151; Wasserburg, Wiederaufnahme, S. 227. 717

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Ausnahme vom Regelfall, nämlich der Korrigierbarkeit der Entscheidung im Falle des nachträglichen Neuvortrags entlastender Umstände.720 Hieran schließt sich ein weiterer Argumentationsstrang an. Denn andererseits wird vorgebracht, wenn der Gesetzgeber schon die günstige Wiederaufnahme beim Vorliegen von nova so großzügig zuließe, dann sei diesem Umstand durch eine möglichst strenge Auslegung der Regelung des § 359 Nr. 5 StPO zu begegnen.721 Schünemann722 und auch bereits v. Hentig723 sehen diese verbreitete Überzeugung insbesondere einer lange im Löwe-Rosenberg724 enthaltenen Wendung geschuldet, nach der das nachträgliche Beibringen von entlastendem Material einem großen Teil der Verurteilten beziehungsweise deren Angehörigen ohne größere Schwierigkeiten gelänge, während die Widerlegung dieser neubeschafften Beweise mit dem Laufe der Zeit immer schwieriger werde.725 Dem ist zunächst entgegenzuhalten, dass der Zeitablauf genauso auch zulasten der Überzeugungskraft eines Entlastungsbeweises wirkt, selbst das Geständnis, welchem im Rahmen der richterlichen Überzeugungsbildung im Erstverfahren gemeinhin große Bedeutung zukommt, büßt an Durchschlagskraft ein – die auf den Zeitablauf gestützten Argumente heben sich demnach auf.726 Und unbeschadet der Verjährungsregelungen hindert der bloße Zeitablauf nun auch keineswegs die Durchführung des Erstverfahrens.727 Sofern das in Aussicht gestellte Beweisergebnis wirklich neu ist und in der vorangegangenen Hauptverhandlung die entsprechenden Auswirkungen gehabt hätte, immerhin Voraussetzungen, die an und für sich nun keineswegs sonderlich anspruchslos sind, ist nach der Zielsetzung des Wiederaufnahmeverfahrens darüber hinaus für eine besondere „Strenge“ der Auslegung kein Platz.728 Die Wiederaufnahme ist keine „Rechtswohltat“, die durch Verschärfung von Tatbestandsmerkmalen teilweise entzogen werden darf, eine derartige Lesart verfehlt massiv den Wesensgehalt des 720 Zu dieser Überlegung Schünemann, ZStW 84 [1972], 870 (884 f.). Die Klassifikation als „Regel“ oder „Ausnahme“ sei zur Lösung jedweden Auslegungsproblems jedenfalls ungeeignet. 721 Vgl. die Nachw. bei Schünemann, ZStW 84 [1972], 870 (885 in Fn. 77 und 78). 722 Schünemann, ZStW 84 [1972], 870 (885 f.). 723 Wiederaufnahmerecht, S. 91 f. 724 So etwa noch LR20-Kohlhaas, § 359 Rn. 19a, ohne eine derart strenge Prüfung drohe eine Gefahr für die Strafrechtspflege. Für eine im Grundsatz restriktive Auslegung heute noch LRGössel, Vor § 359 Rn. 16. 725 In diese Richtung auch bereits Binding, Strafprozeß, S. 298; Graf zu Dohna, Strafprozeßrecht, S. 209. 726 Ewald, Wiederaufnahme, S. 11; v. Hentig, Wiederaufnahmerecht, S. 92; Peters, Fehlerquellen Bd. 1, S. 14 f. 727 Schünemann, ZStW 84 [1972], 870 (886 ff.), der auch auf die verschiedenen Mechanismen (insb. §§ 168, 273 Abs. 2 und 3 StPO) zur Verhinderung eines derartigen Beweisverlustes hinweist. Im Ergebnis seien dadurch die Belastungsbeweise erheblich besser konserviert als die nunmehr vorgebrachten Entlastungsmomente. Letztlich beruhe die angeführte Argumentation auf empirisch unbegründeten Spekulationen. 728 So auch v. Hentig, Wiederaufnahmerecht, S. 92 f.

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

Rechtsbehelfs.729 Schließlich wird das Argument der Nicht-Erweiterbarkeit des Wiederaufnahmeverfahrens durch die Inkonsequenz desavouiert, dass die Gleichsetzung von Freispruch und Verfahrenseinstellung im Rahmen des § 359 Nr. 5 StPO – als erhebliche Ausdehnung des Anwendungsbereichs – im Schrifttum soweit ersichtlich nur Beifall erhalten hat und allgemein akzeptiert wird.730 e) Unzulässigkeit einer Analogie Darüber hinaus besagt selbst das Vorliegen einer Ausnahmevorschrift nicht, dass eine erweiternde Auslegung oder analoge Anwendung per se unstatthaft wäre.731 Dass bei der Auslegung einer Ausnahmevorschrift immer diejenige zu wählen ist, die den Anwendungsbereich am stärksten einschränkt, ist weder rechtlich fixiert noch denklogisch zwingend.732 Auch eine Analogie bleibt statthaft, wenn sie die Grenzen des Grundgedankens der so titulierten Ausnahmevorschrift einhält.733 Die Nichterwähnung eines bestimmten Umstands lässt jeweils nur dann einen Umkehrschluss zu, wenn es sich bei der betrachteten Materie um ein in sich geschlossenes Gebilde handelt; nur dann besagt, abstrakt ausgedrückt, die Formel a = x, dass b, c, d und so weiter nicht x sind.734 Dies trifft jedoch auf das Wiederaufnahmeverfahren nicht zu, da die vom historischen Gesetzgeber noch nicht prognostizierte Entwicklung der vermehrten Entscheidungsfindung im Beschlusswege darin keine Abbildung finden konnte.735 Insofern bleibt beim Auftreten einer vergleichbaren Interessenlage grundsätzlich Raum für Rechtsfortbildung. Eine analoge Normanwendung erfolgt auf Ebene praeter legem, demnach auf einer höheren Stufe als die Auslegung, jedoch im gleichen gedanklichen Verfah729

Im Kontext der Beweisverwertungsverbote ebenso Jahn, Gutachten 67. DJT, C 112. Vgl. hierzu Peters, Fehlerquellen Bd. 3, S. 27 ff., der die sechs wesentlichen bereits damals in ständiger Rechtsprechung vorgenommenen Ausweitungen aufzeigt. 731 BGHZ 2, 300 (306); BGHSt 27, 96 (97); 30, 168 (170 f.); 42, 314 (318); BGH NJW 1994, 465; Larenz, Methodenlehre, S. 355; vgl. auch Joerden, JZ 1994, 582; Kunz, StV 2000, 569 (570); Schünemann, ZStW 84 [1972], 870 (884); Wasserburg, StV 1982, 237 (243); Gantzer, Rechtskraft Beschlüsse, S. 194; Gaul, Grundlagen des Wiederaufnahmerechts, S. 37 ff.; Stache, Abschaffung § 357 StPO, S. 50. SSW-Kaspar, Vor §§ 359 ff. Rn. 14 fordert bspw. hinsichtlich der Wiederaufnahme zugunsten ausdrücklich eine extensive Auslegung. 732 So auch Dickersbach, Prozessuale Tatsachen, S. 61. 733 Bajohr, Aufhebung rechtsfehlerhafter Strafurteile, S. 31 und eingehend Würdinger, AcP 2006, 946 (956 ff.). 734 Gaul, Grundlagen des Wiederaufnahmerechts, S. 40. 735 Vgl. auch RGSt 9, 34 (35): die Bestimmungen zur Wiederaufnahme seien „lückenhaft“; Geppert, GA 1972, 165 (174); Marxen/Tiemann, Wiederaufnahme, Rn. 30; allgemein auch Larenz, Methodenlehre, S. 379. Auch in anderen Rechtsordnungen wurde ein dahingehender Bedarf erkannt, vgl. Suchomel, FS Bumke, S. 135 (143) im Hinblick auf die österreichische Nichtigkeitsbeschwerde; die auf Urteile zugeschnittene gesetzliche Regelung wurde ebenfalls als zu eng befunden, weshalb der österreichische Oberste Gerichtshof sich ebenfalls relativ schnell über den Wortlaut des Gesetzes hinwegsetzte und die Korrektur von Beschlüssen zuließ. 730

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ren.736 Auslegung bedeutet dabei den Einbezug eines problematischen Falls in den Normanwendungsumfang, die Analogie den Einbezug in den Geltungsbereich eines Rechtsgrundsatzes.737 Die Auslegung will die Norm nicht fortbilden, sondern lediglich die dahinterstehende Bedeutung erkennen, oder wie es in der Methodenlehre heißt: Der Text soll zum Sprechen gebracht werden, aber nichts weggenommen oder hinzugefügt werden.738 Die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftigen Einstellungsbeschluss abgeschlossenen Verfahrens zuungunsten des Angeklagten ist vom Wortlaut des § 362 StPO nicht mehr erfasst. Methodisch überschreitet der Einbezug der Entscheidung nach § 206a StPO damit die Grenzen der Auslegung hin zur Analogie, also der Übertragung der gesetzlichen Regel für den Tatbestand A auf den gesetzlich nicht geregelten, aber wertungsmäßig gleich zu erachtenden Tatbestand B.739 Die Berechtigung zur Analogie resultiert aus dem Prinzip der Gleichbehandlung von Fällen, die unter normativen Gesichtspunkten im Wesentlichen gleich liegen.740 Von einer Gesetzeslücke kann methodologisch dann ausgegangen werden, wenn das Gesetz ersichtlich für einen bestimmten Bereich eine einigermaßen vollständige Regelung anstrebt, eine bestimmte Frage umfassend beantwortet wissen will.741 Von derartigen Ambitionen müsste an sich hinsichtlich der Zulässigkeit der Durchbrechung der die Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens sichernden742 Rechtskraft ausgegangen werden. Unzulässig ist eine Analogie jedoch dann, wenn ein planmäßiges Schweigen des Gesetzes vorliegt.743 Wenn Entscheidungen inhaltlich weitestgehend übereinstimmen und das Gesetz nur für einen Teil dieser Entscheidungen materielle Wiederaufnahmevoraussetzungen statuiert, könnte zwar im Umkehrschluss vom Fehlen einer planwidrigen Lücke hinsichtlich des verbliebenen Teils auszugehen sein.744 Dies gilt jedoch nur dann, wenn der Gesetzgeber bei der Normsetzung diese Entscheidungsalternative auch bedacht hat. Die Frage nach der Wiederaufnahme von im Beschlusswege beendeten Verfahren wurde jedoch im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens nicht erörtert.745 Der historische Gesetzgeber 736

Larenz, Methodenlehre, S. 366 f. Bajohr, Aufhebung rechtsfehlerhafter Strafurteile, S. 107 f. 738 Larenz, Methodenlehre, S. 313. Vgl. auch BGHSt 8, 66 (70). 739 Larenz, Methodenlehre, S. 381. 740 AK-Loos, Einl. III Rn. 21. 741 Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 371 f. Das Gesetz ermöglicht bei derartigen Regelungslücken zwar eine Antwort, die jedoch nicht befriedigt – nämlich, dass der betreffende Sachverhalt ohne Regelung bleibt. 742 Hierzu BVerfGE 2, 380 (403); 3, 225 (237); 22, 322 (329); Maunz/Düring-Grzeszick, Art. 20 GG Abschn. VII Rn. 101. 743 Ein solches bejahend jedoch OLG Hamm VRS 90 [1996], 136 (138); OLG Stuttgart NStZ-RR 1996, 176; LG Hamburg NStZ 1991, 149 (150). 744 Radtke, NStZ 1999, 481 (483) im Kontext der Sperrwirkung der staatsanwaltschaftlichen Einstellungsverfügung nach § 170 Abs. 2 StPO. 745 Groth, MDR 1980, 595 (596) mit dem Hinweis darauf, dass bereits kurz nach Inkrafttreten der StPO die entsprechenden Kontroversen im Schrifttum begannen. Vgl. auch SKPaeffgen, § 206a StPO Rn. 31 f.; Hohmann, NStZ 1991, 507; Kunz, StV 2000, 569 (570). 737

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

war zu einer umfassenden Gestaltung schlichtweg nicht in der Lage, da er noch nicht alle Konstellationen kannte, auf die heute eine Antwort erwartet wird. Auch die bisherige Untätigkeit des Gesetzgebers erlaubt insofern keinen gegenteiligen Schluss.746 Die bloße Passivität der Legislative lässt eine einmal festgestellte Lücke nicht entfallen, vielmehr muss sie solange durch analoge Anwendung gefüllt werden, bis es zur erwarteten Normsetzung kommt. Zudem lässt sich der Befund denklogisch stets auch umgekehrt begründen, nämlich dahingehend, dass der Gesetzgeber in Akzeptanz der von Rechtsprechung und Schrifttum gefundenen Lösungswege eine ausdrückliche Normierung nunmehr für unnötig erachtet.747 Jedenfalls ist keine Tendenz dahingehend erkennbar, dass der Gesetzgeber mit der jeweiligen Zulassung einer Entscheidung im Beschlusswege zugleich – durch Nichtanpassung der §§ 359 ff. StPO – die Frage nach der Korrekturmöglichkeit bei irrtümlicher Annahme der tatbestandlichen Entscheidungsvoraussetzungen regeln wollte.748 An der Vergleichbarkeit der Sach- und Interessenlage kann angesichts des nämlichen Entscheidungsinhalts zu § 260 Abs. 3 StPO nicht gezweifelt werden.749 Im Zivilprozess wird die analoge Anwendung der dortigen Wiederaufnahmevorschriften (§§ 578 ff. ZPO) mittlerweile allgemein zugelassen.750 Soweit die ZPO eine Beendigung des Verfahrens durch urteilsersetzenden Beschluss vorsehe, müsse die Wiederaufnahme in demselben Umfang statthaft sein, denn andernfalls entstünde eine empfindliche Rechtsschutzlücke.751 Zwar besteht hinsichtlich der Verfahrensordnungen nur eine begrenzte Vergleichbarkeit insoweit, als einerseits die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs, andererseits die privater Rechte betroffen ist.752 Hinsichtlich letzterer sind die Folgen einer Fehlentscheidung jedoch im Re746

So jedoch OLG Stuttgart NStZ-RR 1996, 176; OLG Zweibrücken NStZ 1997, 55; OLG Stuttgart wistra 2001, 239. 747 Kunz, StV 2000, 569 (570). Vgl. auch Stoffers, ZRP 1998, 173, (176 f.), der bei Bestehen einer gefestigten Rechtsprechung (dort: Einbezug des „Wiederaufnahmeziels“ der Verfahrenseinstellung in den Katalog des § 359 Nr. 5 StPO) die dahingehende Anpassung einer Norm sogar für überflüssig erachtet. 748 So auch Trepper, Rechtskraft Beschlüsse, S. 144; Wasserburg, Wiederaufnahme, S. 227. 749 A.A. SK-Paeffgen, § 206a StPO Rn. 31 f, jedoch ohne nähere Begründung. 750 Vgl. BVerfG NJW 1992, 1030 (1031): „unstreitig“; NJW 1993, 3256 (3257); MüKo (ZPO)-Braun, § 578 Rn. 21 ff.; Musielak/Voit-Musielak, § 578 ZPO Rn. 13; die Wiederaufnahmeregelungen der ZPO gelten in anderen Verfahren entsprechend, vgl. § 79 S. 1 ArbGG, § 179 Abs. 1 SGG, § 153 Abs. 1 VwGO und § 134 FGO. Auch hier wurde jedoch lange darauf beharrt, dass angesichts der „außerordentlichen Natur“ der Wiederaufnahme bzw. wegen ihres angeblichen Ausnahmecharakters die Wiederaufnahmevorschriften einer erweiternden Auslegung oder analogen Anwendung unzugänglich seien, vgl. MüKo(ZPO)-Braun, Vor § 578 Rn. 7 f.; Gantzer, Rechtskraft Beschlüsse, S. 190 ff. und eingehend Gaul, Grundlagen des Wiederaufnahmerechts, S. 24 ff. 751 MüKo(ZPO)-Braun, § 578 Rn. 22. 752 Gegen eine Übertragung der dort geltenden Grundsätze auch OLG Hamm JMBlNW 1952, 221. Gegenüberstellung bei Meyer, Wiederaufnahmereform, S. 62 („schlagwortartigvergröbernd“): Parteiprozess – obrigkeitliches Verfahren; Verhandlungsgrundsatz – Legalitätsprinzip sowie formelle Wahrheit – materielle Wahrheit.

III. Urteilsersetzende Beschlüsse

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gelfall noch leichter zu ertragen.753 Wenn darüber hinaus höchstrichterlich konstatiert wird, dass „nach der Strafprozeßordnung die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens erheblich leichter erreicht werden kann als im Zivilprozeß“754, legt dies umso mehr einen Erst-Recht-Schluss nahe.755 Dasselbe Wortlautproblem besteht im Übrigen im Rahmen des § 79 Abs. 1 BVerfGG, der ebenfalls nur auf „ein rechtskräftiges Strafurteil“ abstellt. Hier wird der Einbezug anderer Straferkenntnisse nach allgemeiner Ansicht keineswegs ausgeschlossen, vielmehr soll jede auf strafprozessualen Regeln beruhende hoheitliche Erkenntnis erfasst sein.756 Eine einheitliche Interpretation drängt sich insbesondere dann auf, wenn man die Vorschrift gleichsam als „Nr. 7“ des § 359 StPO begreifen will.757 Dass sich das geltende Wiederaufnahmerecht auch in seinem unmittelbaren Anwendungsbereich durchaus über den begrifflichen Unterschied zwischen Entscheidungen im Beschlusswege und in Urteilsform hinwegsetzt, zeigt sich im Rahmen der Verfahrensregelungen, konkret bei der Handhabung der Zuständigkeitsregelungen. Nach § 140a Abs. 1 Satz 2 GVG entscheidet über den Wiederaufnahmeantrag ein in Revisionsinstanz ergangenes Urteil betreffend ein anderes Gericht der Ordnung des Gerichts, gegen dessen Urteil die Revision eingelegt war. Man könnte nun auf den Gedanken kommen, dass für den Fall der Verwerfung der Revision nach § 349 Abs. 1 oder Abs. 2 StPO (beziehungsweise einer positiven Entscheidung nach § 349 Abs. 4 StPO), die im Beschlusswege erfolgt, es mangels Sonderregelung bei dem in § 140a Abs. 1 Satz 1 GVG festgelegten Grundsatz (anderes Gericht mit gleicher sachlicher Zuständigkeit) bliebe. Ein Irrtum, denn die entsprechende Anwendung der Vorschrift auf Beschlüsse wird ausdrücklich bejaht und die Zuständigkeit des Revisionsgerichts verneint.758 Sollte dies auch von dem Bestreben motiviert sein, die Revisionsgerichte von Entscheidungen im Wiederaufnahmeverfahren schlechthin zu befreien,759 so 753

Hierzu KMR-Eschelbach, Vor § 359 Rn. 5; Bock et al., GA 2013, 328 (333); Nüse, JR 1949, 265 (267); Schünemann, ZStW 84 [1972], 870 (906 Fn. 160). 754 BGHSt 45, 37 (39), was belegt wird durch einen Vergleich von §§ 359 Nr. 5, 362 Nr. 4 StPO mit § 580 Nr. 7 ZPO; der Restitutionsklage komme zudem lediglich Hilfsnatur zu (§ 582 ZPO), wohingegen nova i.S.d. § 359 Abs. 5 StPO selbst dann vorlägen, wenn sie der Verurteilte gekannt habe. 755 Wenngleich in anderem Kontext so auch Meyer, Wiederaufnahmereform, S. 63 f. 756 KK-Schmidt, Vor § 359 Rn. 20: der Begriff des Strafurteils sei extensiv auszulegen; Fornauf/Heger, StraFo 2014, 284 (285); Wasserburg, StV 1982, 237 (239); ders., Wiederaufnahme, S. 227; vgl. auch LR-Gössel, Vor § 359 Rn. 162. 757 KG NJW 2012, 2985; Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge-Bethge, § 79 BVerfGG Rn. 25; SK-Frister, § 359 Rn. 78; Wasserburg, Wiederaufnahme, S. 227. 758 BGH bei Holtz, MDR 1985, 445 (447 f.) und bei Pfeiffer/Miebach, NStZ 1985, 492 (496): „Für die Annahme, daß die Beantwortung der Zuständigkeitsfrage davon abhängig sei, ob das Revisionsgericht durch Urteil oder Beschluß entschieden habe, lassen sich keine sachlichen Gründe anführen. Der Wortlaut des Gesetzes, in dem nur vom ,Urteil‘ die Rede ist, steht einer entsprechenden Anwendung auf Beschlüsse des Revisionsgerichts nicht entgegen […]“. Hierzu auch LR-Franke, § 140a GVG Rn. 6; Meyer-Goßner/Schmitt, § 140a GVG Rn. 7; SK-Frister, § 140a GVG Rn. 16. 759 Hierzu KK-Schmidt, § 140a GVG Rn. 6; SK-Frister, § 140a GVG Rn. 16.

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

liefert dies doch zumindest den Hinweis, dass die Wortlautgrenze derzeit bereits überwunden wird.760 Darüber hinaus erhält auch der Einbezug der das Revisionsverfahren abschließenden Beschlüsse großen Zuspruch.761 Tatsächlich wurde die analoge Anwendbarkeit des Wiederaufnahmeverfahrens auf Beschlüsse auch vom Bundesgerichtshof bereits diskutiert. Der Zweite Strafsenat befand in einer Entscheidung aus dem Jahre 1999, dass das Wiederaufnahmeverfahren „in Ausnahmefällen auch für Entscheidungen durch Beschluß entsprechende Anwendung finden kann“.762 Dieses Zugeständnis hat allerdings leider nur begrenzte Aussagekraft, da es zunächst einmal nicht entscheidungserheblich war, insbesondere aber vor dem Hintergrund eingeordnet werden muss, dass in der zitierten Passage gegen die Statthaftigkeit einer außerordentlichen Beschwerde im Strafverfahren argumentiert wird. Der Senat zeigt dort anderweitige Rechtsschutzmöglichkeiten zur Beseitigung „greifbarer Gesetzeswidrigkeiten“ auf, um den Befund der ausreichenden und abschließenden gesetzlichen Regelung zu stützen, und nimmt gerade nicht zur Zulässigkeit eines konkreten Wiederaufnahmevorbringens Stellung. Die Großzügigkeit an dieser Stelle darf daher nicht überbewertet werden, zumal anschließend für „offensichtliche Unbilligkeiten“ sogar das Gnadenrecht als Abhilfemöglichkeit präsentiert wird, welches, wie bereits gezeigt, im Regelfall zur Fehlerkorrektur absolut untauglich ist. Auch die dort als Beleg aufgeführte763 Entscheidung aus dem Jahre 1985, welche sich mit der bereits angesprochenen Zu760

Überraschend ist allein, dass eine solche Wortlautproblematik überhaupt existiert. Immerhin wurde § 140a GVG durch das 1. StVRG vom 09. 12. 1974 (BGBl. I Nr. 132, S. 3393 [3407]) eingefügt und ist somit knapp einhundert Jahre jünger als die §§ 359 ff StPO. In der Zwischenzeit wurde neben der immer schon möglichen Verwerfung als unzulässig (§ 389 Abs. 1 StPO i. d. F. von 1877) insbesondere die Möglichkeit des „OU-Beschlusses“ geschaffen. Auch Abs. 4 ist jüngeren Datums (Einführung durch Gesetz vom 19. 12. 1964, BGBl. I Nr. 63, S.1067 ff.). Die durch Beschluss erledigten Revisionen waren bei Einführung des § 140a GVG vielleicht nicht derart omnipräsent, wie sie es heute sind (90 % der im Jahre 2014 erledigten Revisionen am Bundesgerichtshof wurden durch Beschluss entschieden, vgl. die Übersicht über den Geschäftsgang bei den Strafsenaten des Bundesgerichtshofes im Jahre 2014 – Jahresstatistik –, abrufbar unter http://www.bundesgerichtshof.de/DE/BGH/Statistik/StatistikStraf/Statis tikStraf2014/statistikStraf2014_node.html; hierzu auch MAH Strafverteidigung-Dahs/Müssig, § 12 Rn. 2). Ihre Nichtbeachtung bei der Normsetzung ist dennoch unverständlich. Die Erläuterungen des Rechtsausschusses sprechen zwar neutral von der „im Revisionsverfahren erlassene[n] Entscheidung“, vgl. BT-Drs. 7/2600, S. 11 (l. Sp.), für den Normtext wurde jedoch die nun gültige Fassung gewählt (S. 54). 761 Man beachte die Formulierung bei HK-Temming, Vor § 359 Rn. 5: „selbstverständlich zulässig“; darüber hinaus BGH bei Holtz, MDR 1985, 445 (447 f.) und bei Pfeiffer/Miebach, NStZ 1985, 492 (496); OLG Braunschweig NJW 1950, 36; OLG Hamburg NJW 1963, 503; AK-Loos, vor § 359 Rn. 10 „allg. M.“; Joecks, Vor § 359 Rn. 2; Meyer-Goßner/Schmitt, Vor § 359 Rn. 5 a.E.; SSW-Kaspar, Vor §§ 359 ff. Rn. 22; SK-Frister, Vor § 359 Rn. 20; Leitsatz 40 der BRAK-Denkschrift, S. 80; Deml, Reform der Wiederaufnahme, S. 153 f.; Dippel, in: Jescheck/Meyer, S. 13 (50); Wasserburg, Wiederaufnahme, S. 226 f. 762 BGHSt 45, 37 (39). 763 BGH MDR 1985, 447, 448, scil. BGH bei Holtz, MDR 1985, 445 (447 f.), s. bereits Fn. 758.

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ständigkeitsfrage im Rahmen des § 140a Abs. 1 GVG befasst, führt in eine „Sackgasse“. Mit Verweis auf die damalige Kommentierung bei Kleinknecht/Meyer vertritt der Bundesgerichtshof dort die Auffassung, der Wortlaut des § 359 StPO, in dem nur vom Urteil die Rede sei, stehe einer entsprechenden Anwendung auf Beschlüsse des Revisionsgerichts nicht entgegen, denn „auch sonst werden im Wiederaufnahmerecht Beschlüsse – unter bestimmten Voraussetzungen – den Urteilen gleichgestellt“. Welche sonstigen Fälle und insbesondere welche bestimmten Voraussetzungen dies sind, wird indes nicht weiter erläutert, auch die zitierte Kommentarstelle764 bringt keine weiterführenden Erkenntnisse, denn dort heißt es lediglich, dass es auch gegen urteilsgleiche Beschlüsse eine Wiederaufnahme gebe, was „im Prinzip“ durch § 373a StPO und § 85 OwiG bestätigt würde. Nachfolgend heißt es in der Kommentierung zu § 359 StPO dann, dem Urteil stünde ein Beschluss nach § 349 StPO gleich, wenn die Wiederaufnahme nach Nr. 3 StPO beantragt werde.765 Beides stützt den Beschluss des Bundesgerichtshofs an sich nicht. Gleiches gilt auch für den einzig weiteren in BGHSt 45, 37 (39) aufgeführten Beleg aus dem Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung. Die Vorbemerkungen von Schmidt zu §§ 359 ff. StPO in Randnummer 14, welche abgesehen von aktualisierten Belegstellen inhaltlich zu der in der Entscheidung verwendeten 4. Auflage unverändert geblieben sind, erklären die Wiederaufnahme ebenfalls allein für Beschlüsse nach § 349 StPO und auch wiederum nur gestützt auf §§ 359 Nr. 3, 362 Nr. 3 StPO für zulässig.766 Die Zulässigkeit einer Analogie hinsichtlich der hier interessierenden Frage ist damit noch nicht belegt. Nach Ansicht von Marxen767 existiert ein „sektorales strafverfahrensrechtliches Analogieverbot“ im Rahmen der Wiederaufnahme zuungunsten, was dieser allerdings im Wesentlichen darauf stützt, dass die Verfassung, konkret Art. 103 Abs. 3 GG, zu einer strikten Orientierung am Leitgedanken der Rechtssicherheit verpflichte. Durch das Hinwegsetzen über den Wortlaut werde die Rechtsanwendung unsicher, weshalb auf die Methode der Analogie zu verzichten sei. Rechtssicherheit und Vertrauensschutz spielen zwar auch im Kontext verfahrensrechtlicher Bestimmungen eine Rolle, auch wenn das Vertrauen in verfahrensrechtliche Regelungen aus verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten generell weniger geschützt sein soll als das Vertrauen in materielle Rechtspositionen.768 Rechtsfortbildung und Rechtssicherheit 764

Kleinknecht/Meyer36, Vor § 359 Rn. 3. Kleinknecht/Meyer36, § 359 Rn. 1. So auch der Vorschlag des Strafrechtsausschusses in der BRAK-Denkschrift, Leitsatz 40 (S. 80). 766 KK4-Schmidt, Vor § 359 Rn. 14; ebenso in der aktuellen 7. Auflage. 767 JZ 1997, 630 (631). Die Anmerkung befasst sich freilich nicht mit der Ausweitung der Wiederaufnahme auf Beschlüsse, sondern auf die Erweiterung des § 362 Nr. 2 StPO auf den im Nötigungsnotstand (§ 35 StGB) falsch aussagenden Zeugen. Einem Analogieverbot im Wiederaufnahmerecht zugeneigt auch SK-Paeffgen, § 206a Rn. 31 f; Jahn, JuS 2008, 459 (460); Ziemann, HRRS 2008, 364 (366); Brüssow/Gatzweiler/Krekeler/Mehle-Wasserburg, § 15 Rn. 70. 768 BVerfGE 63, 343 (359); vgl. auch BVerfGE 25, 269 (286 ff.); 39, 156 (167). 765

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

sind jedoch durchaus miteinander in Einklang zu bringen, solange die Grenze der vom Wortlaut nicht mehr gedeckten Erweiterung hinreichend bestimmt ist. Das dem Rechtsstaatsprinzip immanente Postulat der Rechtssicherheit fordert, dass der Bürger ihm gegenüber mögliche staatlichen Eingriffe voraussehen und sich dementsprechend einrichten kann.769 Eine Erweiterung der Wiederaufnahmegründe über jedes voraussehbare Maß hinaus wäre daher in der Tat mit dem Prinzip der Rechtssicherheit nicht vereinbar.770 Mit Einbezug des Einstellungsbeschlusses in den Anwendungsbereich des § 362 StPO ist die Reichweite der trotz Rechtskraft bestehenden Zugriffsmöglichkeit jedoch nach wie vor hinreichend klar, über den Geltungsbereich wird nicht erst „mit der konkreten Fallentscheidung informiert“, woraus nach Marxen771 die Unzulässigkeit der Analogie herrühren soll. Entscheidende Bedenken hinsichtlich der Zulässigkeit einer Analogie resultieren hingegen aus dem Umstand, dass hier eine Zugriffsmöglichkeit auf die Entscheidung eröffnet wird, welche sich zuungunsten des Angeklagten auswirken kann, denn ihm droht möglicherweise die erneute Strafverfolgung in der endgültig eingestellten Sache. Bemerkenswert ist hierbei, dass die Ansichten, die für die vorliegende Konstellation für einen Rückgriff auf die Regelung des § 211 StPO plädieren, diese Überlegung offensichtlich überhaupt nicht anstellen.772 Denn auch die Korrektur des Einstellungsbeschlusses über § 211 StPO setzt sich über den eindeutigen Wortlaut des Normtextes hinweg, in Rede steht gerade nicht ein die Eröffnung des Hauptverfahrens ablehnender Beschluss, vielmehr wurde das Hauptverfahren bereits eröffnet. Dennoch wird ein mögliches Analogieverbot nicht problematisiert und das, obwohl der mit dieser Lösung ermöglichte Zugriff propter nova zuungunsten für den Angeklagten verglichen mit der Wiederaufnahme nach § 362 StPO noch eine weitaus erheblichere Belastung darstellt. Eine Stellungnahme zu dieser Problematik sollte hingegen nicht verabsäumt werden. Bereits die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe ist eine Freiheitsbeschränkung im Sinn des Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG. Auch wenn isoliert betrachtet der Strafausspruch die Freiheit noch nicht beschränkt, bildet er nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zusammen mit der ihm folgenden Strafvollstreckung einen „Gesamtvorgang“ des Freiheitsentzugs.773 Die Einschränkung des Freiheitsrechts des Einzelnen ist nach Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG einem Gesetzesvorbehalt unterstellt, welcher durch Art. 104 Abs. 1 GG noch verstärkt wird.774 Art. 104 Abs. 1 GG enthält nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Aussage, dass das 769 St. Rspr., vgl. BVerfGE 21, 73 (79); 25, 269 (290), 32, 346 (362); 112, 304 (315); BGHSt 46, 310 (318). 770 Vgl. hierzu auch BVerfGE 2, 380 (403 ff.). 771 JZ 1997, 630 (631). 772 Zur generellen Ignoranz des dahinterstehenden Problems krit. Krey, ZStW 101 [1989], 838 (855 f.). 773 BVerfGE 14, 174 (186). 774 Vgl. BVerfGE 10, 302 (322 f.); 29, 183 (195); 58, 208 (220); 105, 239 (247).

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Grundgesetz im Bereich der Freiheitsentziehungen eine besonders förmliche Regelung fordere und den Gesetzgeber zwinge, Freiheitsentziehungen in berechenbarer, messbarer und kontrollierbarer Weise zu regeln – hieraus resultiere ein spezielles Analogieverbot im Bereich des Art. 104 Abs. 1 GG, das den Zweck verfolge, den Betroffenen gegen nicht voraussehbare Freiheitsentziehungen zu sichern.775 Die Wiederaufnahme zuungunsten durch Zugriff auf einen rechtskräftig gewordenen Einstellungsbeschluss kann eine Kausalkette in Gang setzen, an deren Ende eine Verurteilung und anschließende Freiheitsentziehung stehen könnte. Da das gesamte Strafverfahren jedoch letztlich auf die Ermöglichung der Ahndung einer Straftat zugeschnitten ist, aus welcher unter Umständen eine anzutretende Freiheitsstrafe resultiert, bliebe vom Grundsatz der generellen Zulässigkeit einer Analogie überall dort, wo sie nicht ausdrücklich ausgeschlossen und geboten ist,776 im Bereich des Strafprozesses nicht mehr viel. Das Setzen einer bloßen Erstursache für einen möglichen Freiheitsentzug am Ende eines komplexen Gesamtvorgangs berührt auch nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts den Schutzbereich der Art. 2 Abs. 2 Satz 2, 104 Abs. 1 Satz 1 GG nicht.777 Eine neue materiell-gesetzliche Grundlage für eine Freiheitsentziehung wird hierdurch gerade nicht geschaffen, der analogen Anwendung von Verfahrensvorschriften steht Art. 104 GG grundsätzlich nicht entgegen.778 Nebenbei sei angemerkt, dass das wiederaufgenommene Verfahren natürlich ebenso mit Freispruch enden kann – da in der Sache bislang nicht entschieden wurde, ist die Ungewissheit hinsichtlich des Ausgangs sogar noch größer als im Fall der ungünstigen Wiederaufnahme nach einer Verurteilung. Es bleibt jedoch der in der ungünstigen Wiederaufnahme liegende Eingriff779 in das Verfahrensgrundrecht des vor mehrfacherer Verfolgung schützenden Art. 103 Abs. 3 GG, der eine ausdrückliche Normierung erfordern könnte. Das in Art. 103 Abs. 2 GG, § 2 StGB enthaltene strafrechtliche Analogieverbot bezieht sich auf die gesetzlichen Voraussetzungen der Strafbarkeit und die Strafandrohung, das Ver-

775 BVerfGE 29, 183 (195 ff.), die Entscheidung betraf einen Haftbefehl in einer Auslieferungssache, ausweislich des zweiten Leitsatzes entspricht die analoge Heranziehung einer Vorschrift als materiell-gesetzliche Grundlage für eine Freiheitsentziehung nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Nach Einschätzung von Krey, ZStW 101 [1989], 838 (856) wurde diese Entscheidung in Strafjudikatur und Strafprozesslehre jedoch nur „ganz vereinzelt“ zur Kenntnis genommen. 776 Hierzu Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 69; Peters, Strafprozeß, S. 91. 777 So auch BVerfGE 57, 9 (23) zur „Erstursache“ Auslieferungsersuchen. Auch aus der bereits angeführten Entscheidung BVerfGE 14, 174 (186) ist nicht ersichtlich, dass der dort ins Felde geführte „Gesamtvorgang“ derart ins Vorfeld auszudehnen ist. Auch LR-Lüderssen/Jahn, Einl. Abschn. M Rn. 47 beziehen sich im Rahmen ihrer Ausführungen zum Analogieverbot im Strafprozessrecht lediglich auf Zwangs- und sonstige Verfahrensmaßnahmen, die den Beschuldigten belasten. Eine „Maßnahme“ steht hier indes nicht in Rede. 778 BVerfGE 83, 24 (31 f.). 779 AK-Loos, vor § 359 Rn. 2; KK-Schmidt, § 362 Rn. 1; Weber-Klatt, Wiederaufnahme zu Ungunsten, S. 163 ff.

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

fahrensrecht gilt grundsätzlich als hiervon nicht erfasst.780 Mangels expliziter Ausschlussregelung müsste eine entsprechende Anwendung gesetzlicher Regelungen im Strafprozess demnach, anders als im materiellen Strafrecht, auch zuungunsten des Angeklagten möglich sein.781 Grenzen der Auslegung ergeben sich daher zunächst einmal nur aus dem allgemeinen, im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Vertrauensschutz, der sich vom speziellen ausgeformten Vertrauensschutz nach Art. 103 Abs. 2 GG insofern unterscheidet, als nur letzterer gerade auch das Vertrauen auf den Wortlaut einer Norm schützt.782 Darüber hinaus existiert allerdings auch der Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes, wonach die staatliche Eingriffsbefugnis vom Vorliegen gesetzlich bestimmter Voraussetzungen abhängt.783 Aus diesem Gesetzesvorbehalt bei Grundrechtseingriffen könnte ebenfalls ein Analogieverbot zuungunsten resultieren, was insofern im Bereich des sonstigen öffentlichen Rechts diskutiert wird und damit gleichermaßen für den Strafprozess, der seiner Natur nach ebenfalls dem öffentlichen Recht zugehört, gelten könnte.784 Auch hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass es sich nicht um eine Erweiterung der hergebrachten Wiederaufnahmegründe zuungunsten785 handelt. In Rede steht weder ein Eingriff in 780

BVerfGE 112, 304 (315) m.w.N.; BGHSt 7, 256 (258); 50, 318 (328 f.); AK-Loos, Einl. III Rn. 22; Maunz/Dürig-Schmid-Aßmann, Art. 103 Abs. 2 Rn. 233; Meyer-Goßner/Schmitt, Einl. Rn. 198; Bottke, JURA 1987, 356 (362); Krey, ZStW 101 [1989], 838 (854); Gantzer, Rechtskraft Beschlüsse, S. 194 in Fn. 633; Henkel Strafverfahrensrecht, S. 69; Neumann, System der Wiederaufnahme, S. 13 und Peters, Strafprozeß, S. 91 f., dieser gerade auch zur Analogie im Rahmen der Wiederaufnahme zuungunsten; andeutungsweise auch Kühl, NJW 2008, 1009 (1010). 781 Aus der Rspr. etwa OLG Hamm NJW 1974, 1667 (entsprechende Anwendung des § 112a Abs. 1 Nr. 1 StPO, ebenso bereits OLG Frankfurt NJW 1965, 1728); KG NJW 1979, 1668 (Analogie zu § 81b StPO). 782 BVerfGE 112, 304 (315); BVerfG NJW 2005, 352 (353); s. auch KMR-Eschelbach/KettStraub, Einl. Rn. 52. 783 Vgl. etwa BVerfGE 8, 155 (166 f.); 33, 1 (16); 40, 237 (248 f.); Maunz/DüringGrzeszick, Art. 20 GG Abschn. VI Rn. 75 ff.; Schünemann, ZStW 84 [1972], 870 (882) und eingehend Krey, Gesetzesvorbehalt, S. 41 ff. 784 Ein derartiges Analogieverbot bejaht insbesondere Krey, Gesetzesvorbehalt, S. 240 ff.; ders., ZStW 101 [1989], 838 (855). Zust. etwa OLG Stuttgart StV 1996, 271 (272); AK-Loos, Einl. III Rn. 22; Amelung, NJW 1977, 833 (835 f.); Bottke, JURA 1987, 356 (362); mit anderer Herleitung LR-Lüderssen/Jahn, Einl. Abschn. M Rn. 47 (Gleichordnung des strafrechtlichen und strafprozessualen Eingriffs); differenzierend KMR-Eschelbach/Kett-Straub, Einl. Rn. 61 ff. 785 Eine Analogie im Bereich des § 362 StPO halten ausdrückl. für unzulässig KG JZ 1997, 629 (630) m. Anm. Marxen; KMR-Eschelbach, § 362 Rn. 4; LR-Gössel, Vor § 359 Rn. 146 u. § 362 Rn. 21 f.; SK-Frister, § 359 Rn. 18; Loos, FS Schreiber, S. 277 (283) u. bereits v. Kries, Lehrbuch des Deutschen Strafprozeßrechts, S. 708. Vgl. aber KK-Schmidt, § 359 Rn. 6 und Weber-Klatt, Wiederaufnahme zu Ungunsten, S. 219 ff., die im Rahmen des § 362 Nr. 1 StPO eine Analogie für zulässig halten, sowie Peters, Strafprozeß, S. 92 u. 678 und wohl auch Roxin/ Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 57 Rn. 11 für die Zulässigkeit von Analogien im Rahmen des § 362 Nr. 4 StPO; für eine Analogie „in sehr engen Grenzen“ auch Wasserburg, Wiederaufnahme, S. 271. Darüber hinaus operiert BGHSt 52, 119 (121) ebenfalls mit der analogen Anwendung der Wiederaufnahmegründe nach § 362 StPO.

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die grundlegende Wertung des Art. 103 Abs. 3 GG noch in den Grundgedanken786 der traditionell auf zwei Aspekte (Genuss der Früchte eines weiteren Verbrechens sowie ungestraftes sich Rühmen mit der begangenen Tat) beschränkten ungünstigen Wiederaufnahme. Auch der generelle öffentlich-rechtliche Gesetzesvorbehalt ist darauf beschränkt, Schutz der individuellen Freiheit vor richterlicher Willkür zu gewährleisten.787 Es handelt sich vorliegend aber nicht nur um eine Erweiterung des Anwendungsbereichs, die sich nahtlos in den allgemeinen Rahmen der Wiederaufnahme einfügt,788 sondern um eine gesetzessystematisch unbedingt erforderliche Lückenschließung, die noch dazu exakt umrissen ist und somit die Kriterien der Voraussehbarkeit, Messbarkeit und Berechenbarkeit erfüllt.789 Auch Krey, der die Geltung eines aus dem allgemeinen Gesetzesvorbehalt resultierenden umfassenden Analogieverbotes für den Strafprozess bejaht, bezieht dies in erster Linie auf prozessuale Zwangsmaßnahmen.790 Dass darüber hinaus auch „alle sonstigen hoheitlichen Eingriffe in die Rechtssphäre des Bürgers“ erfasst sein sollen, bleibt bis auf einen konkreten Hinweis auf die Problematik bei Einführung der §§ 138a-c StPO791 unerörtert. Auch in letzterem Fall handelt es sich jedoch um eine Konstellation, in der ein unmittelbarer Eingriff in die Rechtssphäre des Bürgers – hier die anwaltliche Berufsausübung nach Art. 12 Abs. 1 GG – erfolgte. Demgegenüber ist hier allein der Anwendungsbereich des § 362 StPO betroffen.792 Wenn zwei Fälle jedoch absolut gleich gelagert sind, liegt darin keine Steigerung der Intensität der generell hinsichtlich Art. 103 Abs. 3 GG schon bestehenden Eingriffsmöglichkeit.793 Wenn keine neuen Eingriffstatbestände konstruiert, sondern einzig die Zugriffsmöglichkeiten auf gleichgeartete gerichtliche Entscheidungen in ein einheitliches, noch dazu den Angeklagten angesichts des Verbotes der Wiederaufnahme propter nova weitgehend 786 787

243 ff.

Vgl. SK-Frister, § 362 Rn. 1. Zum Grundgedanken des Gesetzesvorbehalts Krey, Gesetzesvorbehalt, S. 206 ff. u.

788 Dies soll auch nach BGHSt 5, 323 (331) für die Verträglichkeit der Einschränkung der Rechtskraft genügen. 789 Zu diesen Anforderungen etwa BVerfGE 118, 212 (243); BGHSt 46, 310 (319); Maunz/ Düring-Schmidt-Aßmann, Art. 103 GG Rn. 270; Ziemba, Wiederaufnahme zuungunsten, S. 79 u. 210. 790 Krey, Gesetzesvorbehalt, S. 240 ff.; ders., ZStW 101 [1989], 838 (854 ff.). Ebenso Bottke, JURA 1987, 356 (362): Grundrechtseingriffe durch Strafverfolgungsorgane; Eb. Schmidt, DRiZ 1962, 401 (406): nulla coactio sine lege. 791 Krey, Gesetzesvorbehalt, S. 42 m. Fn. 31 u. ders., ZStW 101 [1989], 838 (857 u. 859). Zum sog. Schily-Beschluss die Entscheidungen BGH NJW 1972, 2140 einerseits und BVerfGE 34, 293 andererseits (Ausschluss des Strafverteidigers bei dringendem Teilnahmeverdacht). Schlagwortartige Zusammenstellung von Fällen, in denen die Rechtsprechung dagegen die analoge Bildung von Rechtssätzen zur Rechtfertigung von Eingriffen abgelehnt hat, bei LRLüderssen/Jahn, Einl. Abschn. M Rn. 42 in Fn. 108. 792 Zu dieser Unterscheidung auch Dickersbach, Prozessuale Tatsachen, S. 60. 793 Auch Krey, erlaubt im Übrigen die Rechtsfindung contra legem beim Vorliegen von Wertungswidersprüchen, vgl. ZStW 101 [1989], 838 (869 ff.), dies sogar im materiellen Strafrecht.

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

vor einem zweiten Verfahren schützendes System gebracht werden, liegt darin weder eine prozessuale Zwangsmaßnahme noch ein in der Intensität mit dem von Krey angeführten Fall vergleichbarer Eingriff. Daher ist die hier vorgenommene Analogie im Anwendungsbereich der ungünstigen Wiederaufnahme insgesamt als zulässig anzusehen.794 f) Ruf nach dem Gesetzgeber Jedoch besteht grundsätzlich noch ein Unterschied hinsichtlich der richterlichen Erweiterungsmöglichkeiten einerseits, der gesetzgeberischen andererseits.795 Insbesondere Art. 20 Abs. 3 GG bindet die Rechtsprechung an „Gesetz und Recht“ und konkretisiert einmal den Gewaltenteilungsgrundsatz und zum anderen das Demokratieprinzip – mit diesen Vorgaben wäre es unvereinbar, wenn sich die Gerichte aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz begeben, sich also der Bindung an Gesetz und Recht bei objektiver Betrachtung entziehen würden.796 Der Vorrang des Gesetzes verbietet dem Richter allerdings nicht, das Recht fortzuentwickeln: In dem Maße, in dem sich aufgrund eines „Alterungsprozesses“ des Gesetzes Regelungslücken bilden, verliert selbiges seine Fähigkeit, für alle Fälle, auf die seine Regelung abzielt, eine gerechte Lösung bereitzuhalten, in diesem Fall sind die Gerichte zur Schließung dieser Lücken befugt und verpflichtet.797 Dennoch wird der Erweiterung der Wiederaufnahme der Vorwurf gemacht, über die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung hinauszugehen.798 Der Gewaltenteilungsgrundsatz 794 So im Ergebnis auch KK-Schmidt, Vor § 359 Rn. 14, der allerdings unpräzise von einer „gegen den Wortlaut […] gerichtete[n] Auslegung“ spricht; LR25-Rieß, § 206a Rn. 78; LRStuckenberg, § 206a Rn. 113; Eisenberg, JR 2007, 360; Marxen/Tiemann, Wiederaufnahme, Rn. 29 ff. Eine Differenzierung zwischen einer Erweiterung des Anwendungsbereichs und der Wiederaufnahmegründe wird auch Gössel vornehmen, dessen Ausführungen in LR-Gössel, Vor § 359 Rn. 49 einerseits, Vor § 359 Rn. 146 und § 362 Rn. 21 f. andererseits sonst zueinander in eklatantem Widerspruch stünden. 795 Hierzu Loos, FS Schreiber, S. 277 (286 in Fn. 58); LR-Gössel, § 362 Rn. 6 (betreffend das Schulderfordernis in § 362 Nr. 2 StPO). 796 BVerfGE 87, 273 (280); 96, 375 (394); 122, 248 (282); Maunz/Düring-Grzeszick, Art. 20 GG Abschn. VI Rn. 148. 797 Vgl. BVerfGE 82, 6 (12); 96, 375 (394 f.). Ähnlich bereits BVerfGE 34, 269 (287): „Der Richter ist nach dem Grundgesetz nicht darauf verwiesen, gesetzgeberische Weisungen in den Grenzen des möglichen Wortsinns auf den Einzelfall anzuwenden. Eine solche Auffassung würde die grundsätzliche Lückenlosigkeit der positiven staatlichen Rechtsordnung voraussetzen, ein Zustand, der als prinzipielles Postulat der Rechtssicherheit vertretbar, aber praktisch unerreichbar ist“. Zur Berücksichtigung nicht bedachter, veränderter Verhältnisse durch richterliche Rechtsfortbildung auch Lotz, NJW 1996, 2130. 798 OLG Hamm JMBlNW 1952, 221 (Anwendbarkeit lediglich de lege ferenda); OLG Stuttgart NStZ-RR 1996, 176; KG JZ 1997, 629 (630) m. Anm. Marxen; AG Lahn-Gießen MDR 1980, 595; SK-Paeffgen, § 206a StPO Rn. 31 f. Ob und in welchem Maße auch der Gesetzgeber Beschränkungen hinsichtlich einer Erweiterung der ungünstigen Wiederaufnahme unterliegt, ist im Detail wiederum umstritten, hierzu eingehend Weber-Klatt, Wiederaufnahme zu Ungunsten, S. 378 ff., auch zur angeblich den Art. 103 Abs. 3 GG begrenzenden verfas-

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werde verletzt, sobald die Rechtsprechung sich selbst gestatte, die ihr durch die Rechtskraft gesetzten Grenzen eigenmächtig verschieben zu können.799 Gegen eine an der Rechtskraft orientierte Argumentation in diesem Bereich wurde sich bereits eingangs ausgesprochen, denn letztlich setzt die Rechtskraft selbst keine Grenzen, sondern bezeichnet lediglich das Ergebnis der gerade zu beantwortenden Frage nach der Zugriffsmöglichkeit auf eine Entscheidung. Dass – von welchem Startpunkt auch immer – eine problematische Grenzverschiebung vorliegt, setzt jedenfalls voraus, dass vom Gesetzgeber diese Grenze überhaupt gezogen wurde. Hinsichtlich der durch Beschluss beendeten Verfahren ist dies, wie zuvor bereits erläutert wurde, jedoch gerade nicht der Fall. Nur eine richterliche Rechtsfortbildung, die den klaren Wortlaut des Gesetzes hintanstellt, ihren Widerhall nicht im Gesetz findet, vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich oder stillschweigend gebilligt wird und so im Parlament nicht erreichbar gewesen wäre, greift unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ein.800 Steht die Erweiterung des Normenbereichs darüber hinaus mit den Wertungen der Verfassung, namentlich den Grundrechten im Einklang, kann die einfachgesetzliche Lücke geschlossen werden.801 Hier ist es insbesondere das Gebot der Gleichbehandlung, welches es verbietet, dem Urteil nach § 260 Abs. 3 StPO eine abweichende Bestandskraft zu verleihen als der identischen Entscheidung im Beschlusswege. Wenn von zwei Entscheidungen gleichen Inhalts die eine nur über das Wiederaufnahmeverfahren korrigierbar, die andere mangels ausdrücklicher Regelung unantastbar oder formlos überwindbar sein soll, ist dies ist vor dem Hintergrund des Art. 3 Abs. 1 GG nicht verständlich. Dies insbesondere dann nicht, wenn das Ergebnis letztlich vom Zufall abhängt, im vorliegenden Falle also davon, wann das Verfahrenshindernis erkannt wird.802 Die unterschiedliche Behandlung wertungsmäßig gleicher Sachverhalte beinhaltet einen Widerspruch, den der Normanwender ebenso vermeiden muss wie der Gesetzgeber.803 Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts bestehen trotz Eröffnung des Schutzbereiches auch hinsichtlich der Reichweite des Grundsatzes ne bis in idem für „neu auftauchende Gesichtspunkte, die sich der Prozeßrechtswissenschaft und der Rechtsprechung so noch nicht gestellt hatten“ Entwicklungsmöglichkeiten, und das auch im Rahmen richterlicher Rechtsfortbildung.804 Der „Ruf nach dem Gesetzgeber“ kann einer systemimmanent erzielbaren Lösung der Prosungsimmanenten „Unerträglichkeitsschranke“. Abl. zu dieser Argumentationslinie SK-Frister, § 362 Rn. 5. 799 Marxen, JZ 1997, 630 (631). 800 BVerfGE 118, 212 (243); 122, 248 (283). 801 Vgl. auch BVerfGE 82, 6 (12 f.). 802 Kleinknecht, FS Bruns, S. 475 (480). Die von § 260 Abs. 3 StPO vorgeschriebene Urteilsform der Einstellung treffe Aussagen lediglich über die Zulässigkeit von Rechtsmitteln, nicht jedoch über die Sperrwirkung. Konsequenz hierzu soll nach dort vertretener Ansicht der Rückgriff auf die Sperrklausel des § 211 StPO sein. 803 Vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 334. 804 BVerfGE 56, 22 (34).

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blematik durch sachgemäße Weiterentwicklung des zugrunde liegenden Regelungsgedankens nicht entgegenstehen,805 und negiert zudem im Ergebnis die Zulässigkeit jeglicher Rechtsfortbildung.806 g) Umständlichkeit des Verfahrens Stuckenberg, der sich im Ansatz ähnlich dagegen ausspricht, das, was einmal Gegenstand der Entscheidung war, in einem neuen Verfahren wieder aufzurollen, will aus dieser spezifischen Bestandskraft jedoch nicht den Schluss ziehen, dass auch das formelle Wiederaufnahmeverfahren zu beschreiten sei – es soll vielmehr lediglich im neu angestrengten zweiten Verfahren als „eine besondere Prozessvoraussetzung“ zu prüfen sein, ob entsprechende Wiederaufnahmegründe vorliegen.807 Faktisch wird damit die Norm des § 362 StPO aus ihrem Regelungskomplex isoliert. Dies jedoch nur in den Fällen des § 206a StPO praktizieren zu wollen, ist zunächst einmal inkonsequent. Es wird zudem der Bedeutung nicht gerecht, die auch der Verfahrenseinstellung nach § 206a StPO zukommt. Die Vorschrift besitzt die Macht808, das Verfahren ebenso endgültig zu erledigen wie die in § 260 StPO vorgesehenen Entscheidungen. Das Vierte Buch der Strafprozessordnung hat für den Eingriff in derart endgültige Entscheidungen neben der konkreten Normierung der Eingriffsvoraussetzungen eben auch ein spezielles Verfahren vorgesehen, das zusätzlich mit weiteren Garantien ausgestattet ist, die im Rahmen der Wiederaufnahme zuungunsten im Wesentlichen dem Schutz des Angeklagten dienen.809 Diesen „Schutz durch Verfahren“810 zu beseitigen und das „Ob“ des Eingriffs lediglich im Rahmen einer Vorfrage zu erörtern, ist vor dem Hintergrund des Art. 103 Abs. 3 GG, der bereits die erneute Verfolgung zu verhindern sucht, kein gangbarer Weg.811 Mangels anderer Verfahrensregeln muss auch das Verfahren zur Korrektur des Einstellungsbeschlusses den Vorschriften über die Wiederaufnahme von Urteilen

805

Gaul, Grundlagen des Wiederaufnahmerechts, S. 105 mit Hinweis auf Art. 20 Abs. 3 GG – Bindung an „Gesetz und Recht“. 806 Groth, MDR 1980, 595 (596); zust. Trepper, Rechtskraft Beschlüsse, S. 152. 807 LR-Stuckenberg, § 206a Rn. 113 u. bereits LR25-Rieß, § 206a Rn. 78. In Richtung einer „formlosen“ Wiederaufnahme auch etwa OLG Hamm JMBlNW 1955, 227 (228); krit. SKFrister, Vor § 359 Rn. 18. 808 So ausdrückl. OLG Nürnberg MDR 1968, 516, diese „Macht“ sei daher zurückhaltend einzusetzen. 809 Allgemeiner LG Stuttgart NStZ 1997, 455: besonderes Verfahren „zum Schutz der Rechtssicherheit“. 810 Hierzu bereits in Fn. 135–137. 811 So auch Radtke, Systematik S. 321: speziell das formelle Wiederaufnahmeverfahren trage dem individuellen Schutzzweck des Art. 103 Abs. 3 GG Rechnung, die Kombination aus Aditions- und Probationsverfahren biete die notwendige Gewähr für das Vorliegen der materiellen Wiederaufnahmevoraussetzungen.

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entsprechend verlaufen.812 Möglich ist allein, das Verfahren dort, wo sich Gelegenheit zur Straffung bietet, der Situation entsprechend anzupassen. Die Wiederaufnahme muss gerade nicht eine Totalerneuerung des Verfahrens zur Folge haben.813 Dies impliziert schon der Begriff „Wiederaufnahme“, denn wird etwas wieder aufgenommen, knüpft man an etwas an, greift etwas auf, kommt man auf etwas zurück.814 Die Anordnung der Wiederaufnahme versetzt das Verfahren sinnvollerweise in den status quo ante, also in die Verfahrenslage, die vor dem die Wiederaufnahme begründenden Ereignis gegeben war (Verfahrensidentität).815 Die bis dahin geschaffenen Grundlagen können erhalten bleiben. Auch darüber hinaus lässt sich, wie bereits im Rahmen einiger Fehlerkonstellationen angeklungen ist, die Korrektur der Entscheidung durchaus auf prozessökonomischem Wege führen. Steht der Wiederaufnahmegrund zweifelsfrei fest, so kann auf eine Beweisaufnahme verzichtet und durch eine Verbindung von Aditions- und Probationsentscheidung eine Verfahrensverkürzung erreicht werden. Dieses Vorgehen stellt zwar eine verfahrensrechtliche Ausnahme dar, wird jedoch überwiegend für zulässig gehalten, sofern die Beweiserhebung nach § 369 StPO tatsächlich entbehrlich sein sollte.816 Eine weitere mögliche Straffung erhält das Verfahren durch

812 So konsequent auch LG Stuttgart NStZ 1997, 455; vgl. auch Ziemann, HRRS 2008, 364 (368): Dass die Durchführung eines neuen Verfahrens Zeit und Geld koste, sei als Ausdruck der Justizförmigkeit des Prozessrechts insbesondere bei Entscheidungen zu Lasten des Beschuldigten rechtsstaatlich geboten und hinzunehmen. 813 Rieß, NStZ 2008, 297 (298), zust. SK-Frister, Vor § 359 Rn. 18. 814 Duden Teilbd. 8, S. 1084 (Stichwort „wieder aufnehmen“). Vgl. auch RGSt 43, 150 (151 f.): eine weg- oder niedergelegte Sache ergreifen; auf die Verhandlung, die Beziehung, den Streit zurückkommen. 815 LR-Gössel, § 370 Rn. 35; Radtke, NStZ 1999, 481 (484); Rieß, NStZ 2008, 297 (298); Marxen/Tiemann, Wiederaufnahme, Rn. 393. 816 RGSt 35, 351 (352) zu § 410 StPO a.F.; OLG Bremen GA 1960, 216 (217); OLG Brandenburg NStZ-RR 2010, 22; LG Landau NStZ-RR 2003, 28; KK-Schmidt, § 370 Rn. 9; Meyer-Goßner/Schmitt, § 370 Rn. 1; SSW-Kaspar, § 368 Rn. 12; Meyer, Wiederaufnahmereform, S. 145; zur Entbehrlichkeit der Beweisaufnahme s. SK-Frister, § 369 Rn. 3 ff.; Neumann, System der Wiederaufnahme, S. 149. Abl. jedoch AK-Loos, § 369 Rn. 7 f.; v. Hentig, Wiederaufnahmerecht, S. 226 f.; Weber-Klatt, Wiederaufnahme zu Ungunsten, S. 319; einschränkend auch Peters, Fehlerquellen Bd. 3, S. 163; Eb. Schmidt, Lehrkommentar II § 370 Rn. 9 (vgl. jedoch auch den Nachtrag zu § 369 StPO in Rn. 2). Der Hinweis auf die Erklärungsfrist des § 369 Abs. 4 StPO, der eine Zäsur der Prozessstadien bewirke, überzeugt jedenfalls in diesen Konstellationen nicht – da die Aufforderung zur weiteren Erklärung der Gewährung rechtlichen Gehörs nach erfolgter Beweisaufnahme dient, ist sie dann obsolet, sofern keine bislang unbekannten Umstände nachteilig verwertet werden (vgl. § 33 Abs. 3 StPO). Wenn aufgrund von Entbehrlichkeit keine neuen Beweise erhoben werden, ist davon automatisch auszugehen, vgl. hierzu SK-Frister, § 369 Rn. 7. Auch wird das Beschwerderecht der Staatsanwaltschaft hierdurch nicht überholt (so jedoch Peters, Fehlerquellen Bd. 3, S. 163), der die Aditionsentscheidung betreffende Teil des Beschlusses unterliegt nach wie vor der Anfechtung (so zu Recht die h.M., vgl. LR-Gössel, § 372 Rn. 12 m.w.N.).

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

die Zulassung einer Gleichsetzung von Freispruch und Einstellung auch im Rahmen des § 371 Abs. 2 StPO.817 h) Anwendung auf BGHSt 52, 119 Nunmehr soll das gefundene Ergebnis im Hinblick auf die Entscheidung erprobt werden, die die vorliegende Arbeit initiierte. Betrachtet man die Entscheidungsgründe, überzeugt zunächst die Feststellung des Zweiten Strafsenats, der Beschluss nach § 206a StPO könne nicht anders beurteilt werden als das entsprechende Urteil nach § 260 Abs. 3 StPO, er sei formeller und materieller Rechtskraft fähig.818 Was als Ergebnis jedoch am Ende steht, ist das genaue Gegenteil, nämlich die völlige Ignoranz819 der Verbindlichkeit des Einstellungsbeschlusses, über welchen sich der Senat außerhalb jeglichen gesetzlichen Verfahrens hinwegsetzt.820 Die Operation mit einer aus dem actus contrarius resultierenden Korrekturbefugnis führt das Rechtsmittelsystem in die Absurdität. Wenn letztlich jede unrichtige Entscheidung gestützt auf die Befugnis zum Ersterlass zurückgenommen und durch eine inhaltlich zutreffende neue ersetzt werden könnte, bliebe von der sonst so hochgehaltenen Rechtskraft nicht mehr viel.821 Muss man eventuell sogar befürchten, dass angesichts der eingangs durch den Senat vorgenommenen Gleichsetzung ebenso praktiziert worden wäre, wäre die Einstellung über § 260 Abs. 3 StPO gelaufen? Oder hängt es letztlich doch wieder an der Zufälligkeit des Zeitpunkts der Feststellung des Verfahrenshindernisses? Denn wäre das vermeintliche Hindernis bereits im Zwischenverfahren erkannt worden, so hätte die Eröffnung der Hauptverhandlung aus Rechtsgründen abgelehnt werden müssen. Schon der Beschluss nach § 204 StPO 817 Allg. Meinung, vgl. etwa KMR-Eschelbach, § 371 Rn. 18; LR-Gössel, § 371 Rn 18; Meyer-Goßner/Schmitt, § 371 Rn. 8; differenzierend noch ders., GA 1973, 366 (375); SKFrister, § 371 Rn. 13; Hellebrand, NStZ 2004, 64 (65 f.); Marxen/Tiemann, Wiederaufnahme, Rn. 444 u. aus der Rspr. LG Frankfurt a.M. NStZ-RR 2003, 80; LG Duisburg NStZ 2004, 104 (105). 818 BGHSt 52, 119 (120 f.): „grundsätzlich dieselben Rechtswirkungen“, ähnlich bereits BGHSt 24, 208 (211) zur Erstreckung des Einstellungsbeschlusses nach § 206a StPO auf Mitbetroffene (§ 357 StPO). Treffend bezeichnet SK-Paeffgen, Anh. zu § 206a Rn. 7d dieses Zugeständnis jedoch als „vordergründig“. 819 Demgegenüber Rieß, NStZ 2008, 297, der die Entscheidung als „gelungenen Akt richterlicher Rechtsfortbildung“ wertet. 820 Dies ist letztlich auch der von Ziemann, HRRS 2008, 365 (367 f.) eingeschlagene Weg, wenn er zwar nicht die Aufhebung der Einstellung, jedoch eine neue Anklageerhebung seitens der Staatsanwaltschaft zulassen will (ebenso bereits Peters, JR 1970, 392 [393]). Anders als im Rahmen der behebbaren Verfahrenshindernisse ändert der Neustart des Verfahrens nichts an der zuvor getroffenen Feststellung, dass in der Sache endgültig kein Verfahren durchgeführt werden kann oder darf. Diese bleibt bestehen und verhindert eine gegenteilige Entscheidung in der Sache, solange die Einstellungsentscheidung nicht beseitigt wurde. 821 Geppert, GA 1972, 165 (183), der bereits dort die auf einen actus contrarius gestützte Befugnis nachdrücklich ablehnt. Vgl. allerdings Hecker, JR 1997, 4 (7), der hinsichtlich der Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses durchaus mit dieser Konstruktion argumentiert.

III. Urteilsersetzende Beschlüsse

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kann jedoch, was sich aus § 211 StPO ergibt, nicht nonchalant durch Fortsetzung des Verfahrens übergangen werden. Die Lösung als „ergebnisorientiert“ zu bezeichnen, ist recht euphemistisch. Zwar ist die bestmögliche Erzielung von Gerechtigkeit im Einzelfall legitimes Motiv bei der richterlichen Entscheidungsfindung, und sicherlich bestand hier eine bestimmte Erwartungshaltung, wie auf eine derartige Täuschungshandlung zu reagieren ist. Man sollte jedoch erwarten dürfen, dass die richterliche Bereitschaft besteht, angesichts des geschriebenen Verfahrensrechts diese Erwartungen zu enttäuschen.822 Die entgegenstehende Rechtsprechung823 überwindet der Senat mit der Betonung des Aspekts, dass in den dort entschiedenen Fällen der Irrtum jeweils aus der Sphäre der Justiz herrührte, wohingegen im zu entscheidenden Fall der Irrtum über das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen eines Verfahrenshindernisses durch täuschendes Verhalten des Beschuldigten selbst respektive ein diesem zuzurechnendes Täuschungsverhalten eines Dritten verursacht worden sei.824 Der Senat argumentiert, die durch den Angeklagten oder durch ein ihm zurechenbares Verhalten Dritter „arglistig herbeigeführte“ Verfahrenseinstellung könne keinen Vertrauenstatbestand begründen, der der Aufhebung des Beschlusses entgegenstünde.825 Nun verbindet man mit dem Merkmal der Arglist gewiss nicht primär das Strafrecht, geschweige denn das Strafprozessrecht. Die arglistige Täuschung ist vielmehr ein in anderen Rechtsordnungen benannter Anlass, eine einmal getroffene Entscheidung anfechten oder zurücknehmen zu können. Prominentes Beispiel ist hierfür § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG des Bundes.826 Im Bereich des Strafrechts begegnet sie dem Rechtsanwender lediglich in § 109a StGB und meint dort ein ausgeklügeltes, raffiniertes Vorgehen, welches über „plumpe Täuschungshandlungen“ hinausgeht.827 Ausgeklügelte Verteidigungsstrategien und Raffinesse begründen im Strafprozess gemeinhin aber gerade kein Verwerflichkeitsurteil. Der Angeklagte hat vielmehr das Recht auf effektive Verteidigung (Art. 6 Abs. 3 lit. c EMRK). Zwar untersagt § 43a Abs. 3 Satz 2 BRAO dem Verteidiger standesrechtlich die bewusste Verbreitung von Unwahrheiten.828 Der Angeklagte selbst kann, auch wenn er nicht vor der Verfolgung 822 Zum Motiv des Strebens nach einer gerechten Fallentscheidung im Rahmen der Auslegung Larenz, Methodenlehre, S. 348 ff. Zu dieser Problematik auch Helmken, MDR 1982, 715 (716) und eingehend zur Gefährdung der richterlichen Unabhängigkeit durch das öffentliche Urteil Eb. Schmidt, DRiZ 1962, 401 ff. 823 BayObLGSt 1970, 115 = JR 1970, 391 (betr. die Verjährung der Tat); OLG Köln NJW 1981, 2208 (betr. das Fehlen des Eröffnungsbeschlusses). 824 BGHSt 52, 119 (121). 825 BGHSt 52, 119 (123), zust. Kühl, NJW 2008, 1009 (1010). 826 Darüber hinaus auch §§ 130 Abs. 2 Nr. 2, 172 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 lit. c AO; § 4 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 AÜG; § 12 Abs. 1 Nr. 1 BeamtStG; § 123 Abs. 1 BGB; § 14 Abs. 1 Nr. 1 BBG; § 40 Abs. 3a S. 1 GWB; § 5 Abs. 4 Nr. 1 PflVG; § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 SGB X; § 22 VVG. 827 MüKo(StGB)-Müller, § 109a Rn. 8 f.; Sch/Sch-Eser, § 109a StGB Rn. 7 – 9. 828 Zum Verhältnis von Verteidigungsauftrag und Wahrheitspflicht des Strafverteidigers eingehend Brüssow/Gatzweiler/Krekeler/Mehle-Johnigk, § 1 Rn. 68 ff.

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

nach entsprechenden Delikten verschont bleibt,829 zu seiner Verteidigung grundsätzlich jedes Mittel wählen, insbesondere auch das der Täuschung.830 Damit unterscheidet sich das Strafverfahren eklatant von den übrigen Rechtsgebieten, die auf derartige Übervorteilungen mit Entzug der gewährten Rechtsposition reagieren. Vor dem Hintergrund des Art. 103 Abs. 3 GG steht außer Frage, dass dem aufgrund eines fingierten Alibis Freigesprochenen selbstverständlich ein Vertrauenstatbestand hinsichtlich des ergangenen Urteils zuzusprechen ist, ganz gleich wie raffiniert er dabei vorgegangen ist.831 Gleiches muss jedoch gelten, wenn das günstige Ergebnis nicht die Form eines Freispruchs, sondern die einer einstellenden Entscheidung hat. Sofern man annimmt, dass mit Erlass eines Einstellungsbeschlusses im Rechtsmittelverfahren das erstinstanzliche Urteil ohne das Erfordernis einer ausdrücklichen Aufhebung gegenstandslos wird,832 so hätte der Senat gleichsam hier ein gegenstandslos gewordenes Urteil von den Toten auferstehen lassen.833 Wenn zur Legitimierung der Korrektur zuungunsten des Angeklagten § 362 StPO herangezogen wird, so wurde zudem schon zuvor darauf hingewiesen, dass es sich verbietet, eine Norm aus ihrem Wirkungskomplex herauszulösen. Vielmehr hätte konsequent auf die §§ 359 ff. StPO mitsamt der dortigen Verfahrensregeln abgestellt werden müssen.834 Dies hätte jedoch zur Folge gehabt, dass eben nicht die vom Senat angesichts des befürchteten Verlusts bisheriger Prozessergebnisse erstrebte Fortführung des Verfahrens,835 sondern nach § 370 Abs. 2 StPO lediglich eine Erneuerung des Verfahrens hätte erreicht werden können. § 140a Abs. 1 GVG trifft hier eine eindeutige Regelung gegen die erneute Entscheidung des vorbefassten Gerichts.836 Die Prozessordnung gestattet es dem Gericht zudem nur an wenigen Stellen, die eigene Entscheidung „aufzuheben“, und die dort eingeräumten Befugnisse betreffen im Großteil vorläufige Nebenentscheidungen.837 Die Möglichkeit eigeninitiativer Ab829

Hierzu bereits auf S. 167. Appl, FS Tolksdorf, S. 179 (181). Vgl. auch BGHSt 38, 345 (352), auch in diesem Fall sollte durch den vorgetäuschten Tod das Verfahren zugunsten des Angeklagten gestaltet werden (dort: Haftverschonung). Bei der Sterbeurkunde handelte es sich um eine Totalfälschung. Für unerlaubt hält eine derartige Täuschung jedoch Kühl, NJW 2008, 1009 (1010). 831 So argumentierte auch das OLG Köln NJW 1955, 314 (315) für die Bestandskraft des Beschlusses nach § 370 Abs. 2 StPO im Falle der „Erschleichung“ durch Anstiftung eines Zeugen zur Falschaussage. 832 So etwa BGHR StPO § 467 Abs. 3 Verfahrenshindernis 2; BGH Beschl. v. 10. 7. 2001 – 1 StR 235/01 –, juris. Diese Auffassung bezeichnet der Zweite Strafsenat nunmehr als „zweifelhaft“ (BGHSt 52, 119 [123]). 833 Appl, FS Tolksdorf, S. 179 (181). 834 Vgl. SK-Frister, Vor § 359 Rn. 18 u. 21 und zuvor S. 214 ff. 835 Dieses Motiv vermutet Jahn, JuS 2008, 459 (460). 836 Zur darin liegenden Umgehung der Zuständigkeitsvorschriften auch SK-Frister, Vor § 359 Rn. 18. Unkritisch allerdings Schützeberg, StRR 2008, 178 (179). 837 Jahn, JuS 2008, 459 (460) mit Verweis auf § 111a Abs. 2 StPO (vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis); § 111n Abs. 2 S. 1 StPO (Beschlagnahme von Druckwerken); § 120 Abs. 1 StPO (Haftbefehl) und, insoweit nicht recht passend, § 211 StPO. 830

III. Urteilsersetzende Beschlüsse

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hilfe besteht etwa auch im Rahmen der §§ 33a, 311 Abs. 3 Satz 2 StPO, eine derartige Befugnis zum selbstständigen Tätigwerden bedarf aber jedenfalls ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung, die für das Wiederaufnahmeverfahren eindeutig fehlt.838 Am markantesten belegt dieses Erfordernis nicht zuletzt der Anklagegrundsatz als Prozessmaxime, der dem Gericht ein Tätigwerden aus eigener Initiative heraus untersagt.839 Untersucht werden soll nunmehr, ob § 362 StPO denn tatsächlich zur akuten Fehlerkorrektur entsprechend hätte herangezogen werden können. Dass der Senat hier selbst einen Analogieschluss vornimmt, ergibt sich aus dem Klammerzusatz, der „zur analogen Anwendung von § 362 StPO“ auf die Kommentierung von Rieß in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 206a Rn. 78 verweist.840 Die manipulative Einwirkung auf das Verfahren dürfte jedenfalls außer Frage stehen. Zunächst wurde die Todesbescheinigung verfälscht, daraufhin mit dieser eine Sterbeurkunde erlangt. Fraglich ist, ob dies noch § 362 Nr. 1 StPO subsumierbar ist. Zunächst ist umstritten, ob auch hier die Begehung einer Straftat zu verlangen ist.841 Ein Vergleich mit den nachfolgenden Formulierungen der Nrn. 2 und 3 der Vorschrift, die im Zusammenspiel mit § 364 Satz 1 StPO eine erhöhte Anforderung an das Wiederaufnahmevorbingen stellen, legt die Verneinung dieses Erfordernisses zumindest nahe. Anknüpfungspunkt ist dem Wortlaut nach das Vorbringen einer unechten oder verfälschten Urkunde, es geht wesentlich um die erfolgte objektive Täuschung des Gerichts und das darin liegende Fehlurteilsrisiko, was die volle Erfüllung des Straftatbestands an sich nicht erfordert.842 Andererseits leuchtet nicht ein, warum diese objektive Täuschung im Rahmen von § 362 Nr. 2 StPO nicht genügen sollte – dort wird die strafbare Verwirklichung jedoch unstreitig vorausgesetzt.843 Während 838

Meyer, Wiederaufnahmereform, S. 134 in Fn. 787 hält angesichts des Antragsrechts des Betroffenen die Möglichkeit des Einschreitens von Amts wegen generell auch für nicht erforderlich. A.A. Ortloff, GerS 23 [1871], 184 (194 f.): „Unmöglich“ sei es, der kontradiktorischen Form die Gerechtigkeit zu opfern. Jedoch sei die „offizielle“ Wiederaufnahme zur beantragten subsidiär. Zu früheren derartigen Regelungen in den Partikulargesetzen v. Hentig, Wiederaufnahmerecht, S. 278 in Fn. 2; rechtsvergleichend Meyer, in: Jescheck/Meyer, S. 729 (762 f.). 839 KMR-Plöd, § 151 Rn. 2; SSW-Beulke, Einl. Rn. 42; Ziemann, HRRS 2008, 364 (367). 840 BGHSt 52, 119 (121 a.E.), so auch Jahn, JuS 2008, 459 (460); Schützeberg, StRR 2008, 178 (179); Ziemann, HRRS 2008, 364 (365). Anders Rieß selbst (NStZ 2008, 297 [298]), demzufolge es sich um einen Lückenschluss durch „Rückgriff auf den dieser Regelung zugrunde liegenden Rechtsgedanken im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung“ handeln soll. Die Analogie zählt jedoch gerade zu den Methoden richterlicher Rechtsfortbildung, vgl. Larenz, Methodenlehre, S. 381 ff. 841 Dieses Erfordernis abl. etwa OLG Nürnberg NJW 2013, 2692 (2694) (Fall Mollath); KMR-Eschelbach, § 359 Rn. 57 ff.; LR-Gössel, § 359 Rn. 21; Meyer-Goßner/Schmitt, § 359 Rn. 6; SSW-Kaspar, § 359 Rn. 11; Eb. Schmidt, Lehrkommentar II § 359 Rn. 4. 842 KMR-Eschelbach, § 359 Rn. 57 u. 59. 843 Für das Erfordernis einer Straftat daher KK-Schmidt, § 359 Rn. 9; SK-Frister, § 359 Rn. 20; Marxen/Tiemann, Wiederaufnahme, Rn. 139; Peters, Fehlerquellen Bd. 3, S. 47; s. auch hier bereits S. 84.

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

eine tatsächlich auch strafbare Manipulation des Verfahrens nach den geschilderten Geschehnissen gar nicht einmal fernliegen muss, ist weitaus problematischer jedoch das Merkmal der Unechtheit respektive Verfälschung. Die Beurteilung soll nach überwiegender Ansicht anhand der Maßstäbe des materiellen Rechts (§ 267 StGB) erfolgen.844 Daran schließt sich oft die Feststellung an, dass aus diesem Grunde die „schriftliche Lüge“ nicht unter den Tatbestand der §§ 359 Nr. 1, 362 Nr. 1 StPO fallen könne.845 Hinsichtlich der Sterbeurkunde sind wahrer Aussteller und scheinbarer Aussteller identisch. Wenn der zur Beurkundung eines Sterbefalles zuständige Beamte einer Fehlinformation (etwa eben auch in Form einer gefälschten Totenbescheinigung) erliegt, liegt vielmehr ein Fall des § 271 StGB vor.846 Jener Tatbestand schützt nach allgemeiner Diktion den Rechtsverkehr jedoch nicht vor unechten, sondern vor inhaltlich unwahren öffentlichen Urkunden, womit der spezifische Rechtsgüterschutz des § 271 StGB noch über das von § 267 StGB geschützte Interesse hinausgeht.847 Das Schrifttum zum materiellen Strafrecht zieht insoweit eine Parallele zu den Aussagedelikten: Nach Freund kommt es hier wie dort auf das spezifische Interesse an einer manipulationsfreien Entscheidungsgrundlage an.848 Diese Parallelwertung trifft im Strafprozess ebenfalls, auch hier geht es in beiden Fällen, sowohl in Nr. 1 als auch in Nr. 2 der §§ 359, 362 StPO, um Angriffe auf die Beweisgrundlage, die Wiederaufnahmegründe bilden insoweit eine Einheit.849 Dem Beweismittel der Zeugenaussage kommt nicht zuletzt aufgrund der immerhin in beachtlicher Weise normativ durch §§ 153 ff StGB abgesicherten Richtigkeitsgewähr erhebliche Bedeutung zu.850 Gleiches gilt für eine in die Hauptverhandlung eingebrachte Urkunde, der per se schon eine hohe Suggestivwirkung zukommt.851 Der öffentlichen Urkunde im Sinne des § 271 StGB wird demgegenüber jedoch noch gesteigertes, nämlich praktisch uneingeschränktes Vertrauen entgegengebracht. In einer öffentlichen Urkunde, die nicht den wirklichen Sachverhalt bezeugt, liegt für jedes gerichtliche Verfahren noch ein weitaus höheres Gefährdungspotenzial. Berechtigt diese Manipulation der Entscheidungsgrundlage den Angriff auf ein rechtskräftiges Urteil, so müsste nach Sinn und Zweck der Regelungen der §§ 359 Nr. 1, 362 Nr. 1 StPO die inhaltlich unwahre öffentliche Urkunde noch eher erfasst sein als die bloße Täuschung über die Identität des Ausstellers im Sinne des § 267 StGB. Hätte ein Dritter zugunsten des Angeklagten eine täuschend echt aussehende Sterbeurkunde vorgelegt, hätte dies ohne Weiteres die Wiederaufnahme begründen 844 HK-Temming, § 359 Rn. 5; KK-Schmidt, § 359 Rn. 9; KMR-Eschelbach, § 359 Rn. 42; LR-Gössel, § 359 Rn. 20; Meyer-Goßner/Schmitt, § 359 Rn. 6; SK-Frister, § 359 Rn. 19. 845 LR-Gössel, § 359 Rn. 20; Meyer-Goßner/Schmitt, § 359 Rn. 6. 846 Vgl. MüKo(StGB)-Freund, § 271 Rn. 34. 847 MüKo(StGB)-Freund, § 271 Rn. 3; Sch/Sch-Heine/Schuster, § 271 StGB Rn. 1. 848 MüKo(StGB)-Freund, § 271 Rn. 5. 849 Peters, Fehlerquellen Bd. 3, S. 47. 850 MüKo(StGB)-Freund, § 271 Rn. 6; vgl. auch Fezer, FS Stree/Wessels, S. 663 (669 u. 672). 851 KMR-Eschelbach, § 359 Rn. 61.

III. Urteilsersetzende Beschlüsse

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können; geht er gar noch einen Schritt weiter und lässt sich das vermeintliche Ableben amtlich beurkunden, kann die Zulässigkeit der Wiederaufnahme nicht anders beurteilt werden. Auch in letzterem Falle hat er eine ihm günstige Entscheidung durch eine weitere Straftat erlangt, was die ungünstige Wiederaufnahme nach § 362 Nrn. 1 und 2 StPO gerade als Anknüpfungspunkt nimmt.852 Der Wortlaut mag dem § 267 StGB nachgebildet sein, der telos der Vorschriften verbietet es jedoch, die strafbare Einwirkung auf eine öffentliche Urkunde aus der Wiederaufnahme auszublenden.853 Der ursprüngliche Wortlaut der §§ 399 Nr. 1, 402 Nr. 1 StPO a.F. hätte den Einbezug noch leichter gestaltet, sprach dieser doch, wie heute noch § 580 Nr. 2 ZPO, von einer Urkunde, die „fälschlich angefertigt oder verfälscht war“.854 Jedoch kann ein unter § 271 StGB fallendes Verhalten auch noch unter den heutigen Wortlaut der Norm gefasst werden. Jedenfalls der allgemeine Sprachgebrauch würde sich nicht scheuen, diese „falsche“ Sterbeurkunde für „unecht“ zu halten. Das Reichsgericht bezeichnete den Tatbestand des § 271 StGB zudem durchweg als „intellektuelle Urkundenfälschung“.855 Wenn teilweise schon der Einbezug von technischen Aufzeichnungen (§ 268 StGB) in den Wiederaufnahmegrund nach §§ 359 Nr. 1, 362 Nr. 1 StPO erwogen wird,856 so muss der noch mit dem Wortlaut zu vereinbarende Einbezug der aus einer mittelbaren Falschbeurkundung herrührenden Urkunde, der aus oben genannten Gründen um ein Vielfaches mehr pressiert, zulässig sein. Hierdurch wird kein weiterer Wiederaufnahmegrund geschaffen, sondern lediglich der Zielsetzung des bestehenden Wiederaufnahmegrundes Ausdruck verliehen. Die Sterbeurkunde wurde zugunsten des Angeklagten, jedoch nicht „in der Hauptverhandlung“ vorgebracht, zu einer solchen kam es – wie beabsichtigt – schon gar nicht mehr. Wird jedoch der Anwendungsbereich des § 362 StPO auf den außerhalb der Hauptverhandlung ergehenden Beschluss des § 206a StPO ausgedehnt, so müssen die Merkmale des Wiederaufnahmegrundes wiederum situationsbedingt verstanden werden. Das Merkmal „in der Hauptverhandlung vorgebracht“ bedeutet 852 Vgl. Materialien Bd. 3 Abtl. 1, S. 263 f.; SK-Frister, § 362 Rn. 1. Die Wiederaufnahmegründe propter falsa sollen klarstellen, dass deliktische Manipulationen des Verfahrens sich letztlich nicht auszahlen. Die durch Begehung einer erneuten Straftat gezogenen Vorteile sollen wieder entzogen werden, hierin sieht Meyer, Wiederaufnahmereform, S. 87 f. eine gewisse Parallele zu den Instituten des Verfalls und der Einziehung (§§ 73, 74 StGB). 853 Für den Einbezug auch SK-Frister, Vor § 359 Rn. 17 und bereits v. Kries, Lehrbuch des Deutschen Strafprozeßrechts, S. 704 f., abl. jedoch v. Henting, Wiederaufnahmerecht S. 61 f. 854 Im Zivilprozess ist anerkannt, dass sich die Restitution auf §§ 267 ff. StGB stützen kann, diskutiert (und überwiegend bejaht) wird insoweit allein der Einbezug auch der Urkundenunterdrückung nach § 274 StGB, vgl. MüKo(ZPO)-Braun, § 580 Rn. 17; Musielak/Voit-Musielak, § 580 ZPO Rn. 7 u. v. Henting, Wiederaufnahmerecht S. 61 f. 855 RGSt 9, 288; 10, 243; 14, 11 (12); 28, 336; 31, 262; 63, 363. 856 Joecks, § 359 Rn. 2; KK-Schmidt, § 359 Rn. 6; Meyer-Goßner/Schmitt, § 359 Rn. 5; Radtke/Hohmann-Hohmann, § 359 Rn. 7; SSW-Kaspar, § 359 Rn. 10; Ranft, Strafprozeßrecht, Rn. 2265. Im Bereich der Wiederaufnahme zuungunsten ist dies wiederum sehr problematisch, vgl. hierzu bereits die Nachweise hier in Fn. 785.

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C. Die aus tatsächlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

lediglich, dass der gedankliche Inhalt der Urkunde in das jeweilige Verfahren eingeführt worden ist, wann und wo dies geschieht, ist ebenso wenig ausschlaggebend wie die Art und Weise der Einführung.857 Es muss allein sichergestellt sein, dass die Urkunde Gegenstand der richterlichen Kognition wurde. Dies jedoch ist unproblematisch der Fall. Während die Entscheidung nach § 260 Abs. 3 StPO allein vom Geschehen in der Hauptverhandlung bestimmt wird, so kann sich der Beschluss nach § 206a StPO nur nach dem richten, was sich nach Eröffnung des Hauptverfahrens, jedoch außerhalb der Hauptverhandlung ereignet. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass das Vorbringen zum jeweils entscheidungserheblichen Zeitpunkt erfolgt. Im vorliegenden Fall war der Angeklagte für die Täuschung zudem nach Zurechnungsgesichtspunkten unzweifelhaft verantwortlich. Dies wird, obschon der Zweite Senat seine Argumentation maßgeblich auf den Aspekt der Zurechnung stützt,858 angesichts der Entstehungsgeschichte859 und des uneingeschränkten Wortlauts des § 362 StPO überwiegend ebenso wenig gefordert wie das Wissen des Betroffenen um die Manipulation.860 An der Tatsache, dass ein defizitäres Verfahren vorlag, ändert die Frage nach der Verantwortlichkeit tatsächlich nichts, die Wiederaufnahme propter falsa stellt kein Sanktionsinstrument für den Angeklagten und sein Prozessverhalten dar, sondern dient eben im Wesentlichen der Korrektur eines manipulierten Urteils.861 Unter den dargestellten Prämissen wäre somit der Fall des Zweiten Strafsenats über § 362 Nr. 1 StPO im formellen Wiederaufnahmeverfahren tatsächlich lösbar gewesen.

857

So auch KMR-Eschelbach, § 359 Rn. 55; Brüssow/Gatzweiler/Krekeler/Mehle-Wasserburg, § 15 Rn. 71 für den Einbezug auch von im Freibeweisverfahren vorgebrachten Urkunden. 858 Darauf wird bereits im Leitsatz von BGHSt 52, 119 abgestellt, darüber hinaus S. 121: „durch ein täuschendes Verhalten des Beschuldigten selbst oder ein diesem zuzurechnendes Täuschungsverhalten eines Dritten“; S. 122: „der Beschuldigte selbst oder in seinem Auftrag ein Dritter“; „aus der Sphäre des Beschuldigten herrührenden aktiven Täuschung“; S. 123: „ihm zurechenbares Verhalten“. 859 Vgl. Materialien Bd. 3 Abtl. 1, S. 263 f. 860 KK-Schmidt, § 362 Rn. 8; LR-Gössel, § 362 Rn. 5; SK-Frister, § 362 Rn. 10 und zum entsprechenden rechtsvergleichenden Befund Swoboda, HRRS 2009, 188 (193). Hierfür jedoch etwa AK-Loos, § 362 Rn. 9. Im Rahmen der Wiederaufnahme wegen strafrechtlicher Amtspflichtverletzung nach § 359 Nr. 3 StPO spielen Zurechnungskriterien allerdings durchaus eine Rolle, hierzu etwa LR-Gössel, § 359 Rn. 43 und Neumann, System der Wiederaufnahme, S. 34. Weber-Klatt, Wiederaufnahme zu Ungunsten, S. 230 zieht hieraus ein argumentum e contrario. 861 Hierzu auch Weber-Klatt, Wiederaufnahme zu Ungunsten, S. 404. Nicht zuletzt werden Beweisprobleme ausgeschaltet, wenn § 362 Nrn. 1 – 3 StPO die Verantwortung für die Verfahrensmanipulationen über eine unwiderlegliche Zurechnungsvermutung generell dem Verantwortungsbereich des Beschuldigten zuweist, vgl. Swoboda, HRRS 2009, 188 (194 in Fn. 82) mit Verweis auf Grünewald, ZStW 120 [2008], 545 (575 in Fn. 172).

III. Urteilsersetzende Beschlüsse

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2. Urteilsersetzende Beschlüsse im Strafbefehlsverfahren Ist der Einspruch verspätet eingelegt oder sonst unzulässig, so wird er ohne Hauptverhandlung durch Beschluss verworfen. § 411 Abs. 1 Satz 1 StPO legt mit der Formulierung („wird […] verworfen“) die Alternativlosigkeit dieser Beschlussverwerfung nahe – wie bereits gezeigt, ist dies nach allgemeiner Auffassung nicht der Fall, vielmehr erfolgt die Verwerfung des Einspruchs als unzulässig durch Prozessurteil, sofern trotz unzulässigem Einspruch in die Hauptverhandlung eingetreten wurde.862 Im Regelfall wird jedoch im Beschlusswege entschieden. Zwar liegt die Einstufung als „urteilsersetzender“ Beschluss demnach hier nicht so auf der Hand wie im Rahmen der ordentlichen Rechtsmittel, wo die Entscheidungsalternativen jeweils innerhalb derselben Norm aufgezeigt werden (§ 322 Abs. 1 Satz 1 u. Satz 2 und § 349 Abs. 1 u. 5 StPO), faktisch ist die Situation die nämliche. Handelt es sich demnach um Entscheidungen gleichen Inhalts, führt auch die Frage nach der Eröffnung des Anwendungsbereichs der Wiederaufnahme zum gleichen Ergebnis, wie zuvor ausführlich dargestellt wurde.863 Für die Verwerfung des Einspruchs gegen den Strafbefehl bedeutet dies, dass das Wiederaufnahmeverfahren demnach zwar grundsätzlich anwendbar, nach hier vertretener Ansicht jedoch der nicht gewährte Eintritt in die Hauptverhandlung der Wiederaufnahme nicht zum Erfolg verhelfen kann, da die neu beigebrachte Erkenntnisquelle nicht in der Lage gewesen wäre, eine der im Gesetz genannten oder ihr gleichgestellten Entscheidungen zu erreichen. Auf die entsprechenden Ausführungen zum Prozessurteil wird verwiesen.

862

Siehe bereits hier ab S. 156 u. S. 185. Für die Anwendbarkeit auf die ein Rechtsmittel verwerfenden Beschlüsse ebenso SKFrister, Vor § 359 Rn. 21 a.E. 863

D. Die aus rechtlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung Den im vorangegangenen Kapitel vorgestellten Konstellationen war gemein, dass sich die Fehlerhaftigkeit der Entscheidung aus dem Hinzutreten neuer Erkenntnisquellen ergab, ein Irrtum im tatsächlichen Bereich trat zutage. Die Entdeckung eines Rechtsfehlers hingegen beruht nicht auf neuen Beweisergebnissen, sondern erfolgt als kognitiver Prozess. Da die tatsächliche Erkenntnisgrundlage demnach unverändert bleibt,1 ist zweifelhaft, ob auch bei nachträglicher Aufdeckung eines Fehlers bei der Rechtsanwendung die Wiederaufnahme des abgeschlossenen Verfahrens zu gestatten ist. Für den Verurteilten nachteilig ist das Ergebnis zunächst einmal unabhängig davon, ob die Unrichtigkeit des Urteils auf einem Rechtsfehler beruht oder er aufgrund einer fehlerhaften Beweisgrundlage oder Sachverhaltsfeststellung verurteilt wird, entsprechend schwer vermittelbar ist eine heterogene Korrekturmöglichkeit für die Allgemeinheit.2 Auch dass die Häufigkeit rechtskräftig gewordener Entscheidungen, die auf einem Rechtsfehler beruhen, merklich geringer sein sollte als die der an unrichtiger Tatsachenbasis krankenden Entscheidungen ist wenig wahrscheinlich.3 Die Nichtaufnahme von Rechtsanwendungsfehlern in den Katalog der §§ 359, 362 StPO durch den historischen Gesetzgeber von 1877 wird zum Teil damit begründet, dass im Hinblick auf die damalige Überschaubarkeit des materiellen Rechts und eine entsprechend gefestigte Rechtsprechung das Risiko für Fehlentscheidungen nicht im Bereich der Subsumtion, sondern auf tatsächlichem Gebiet verortet wurde,4 wenngleich diese Begründung nur bedingt überzeugt, da die rechtsfehlerhafte Entscheidung sicherlich kein neuzeitliches Phänomen darstellt. Darüber hinaus gab es Überlegungen dahingehend, die Wiederaufnahme auch als Ersatz für die hinsichtlich einiger Entscheidungen nicht gewährte zweite Tatsacheninstanz zu verstehen, wohingegen die Möglichkeit zur rechtlichen Überprüfung stets, wenn auch fristge-

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Missverständlich daher Stache, Abschaffung § 357 StPO, S. 8: die Wiederaufnahme diene der Beseitigung rechtsfehlerhafter Entscheidungen. 2 Nüse, JR 1949, 265 (266); vgl. auch BT-Drs. 13/3594, S. 6 (r. Sp.) u. 8 (r. Sp.); Meyer, ZRP 1993, 284; Peters, Fehlerquellen Bd. 3, S. 63. 3 Hierzu Full, NJW 1947/48, 369; Nüse, JR 1949, 265. 4 So Hanack, JZ 1973, 393 (401); Lantzke, ZRP 1970, 201 (202); Wasserburg, ZRP 1997, 412 (414) und Grünberg, Nichtigkeitsbeschwerde, S. 215. Nach Ansicht der genannten Autoren lässt sich diese Einschätzung heute angesichts stetiger Änderungen des Strafgesetzbuches und einer sehr differenzierten höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht mehr aufrechterhalten.

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bunden, gegeben war.5 Die Materialien belegen die damals vorherrschende Einschätzung, dass „eine Wiederaufnahme auf Grund neuer Thatsachen zu Gunsten des Verurtheilten nicht zu entbehren ist, sobald das Gesetz keine Berufungsinstanz gewährt“.6 Der ursprünglich im Regierungsentwurf zur Reichsstrafprozessordnung vorgesehene gänzliche Verzicht auf die Berufung konnte sich dann freilich nicht durchsetzen, § 354 StPO in der Fassung vom 01. 02. 1877 erklärte sie gegen die Urteile der Schöffengerichte für statthaft.7 Ob der Wiederaufnahme eine derartige „Berufungsersatzfunktion“ zukommt beziehungsweise jemals zukommen konnte, ist jedoch zweifelhaft.8 Konzeptionell ist das Wiederaufnahmeverfahren zur Übernahme zentraler Berufungsfunktionen (Korrektur fehlerhafter Beweiswürdigung beziehungsweise Strafzumessung) jedenfalls weder bestimmt noch in der Lage.9 Während das gemeine Recht durchaus Angriffsmöglichkeiten gegen die Verletzung des materiellen Strafrechts oder wesentlicher Verfahrensgrundsätze vorsah,10 war die Korrektur einer aus Rechtsgründen fehlerhaften Entscheidung unter Geltung der Strafprozessordnung lediglich für einen kurzen Zeitraum ausdrücklich gestattet.11 Bereits der Entwurf eines Einführungsgesetz zum Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuch und zum Strafvollzugsgesetz aus dem Jahre 1930 plante zwar die Einführung der Wiederaufnahme aus Rechtsgründen, allerdings nur für den Fall der Verhängung einer gesetzlich nicht vorgesehenen Strafe und des Verstoßes gegen den Grundsatz ne bis in idem.12 Man entschied sich jedoch letztlich gegen eine Ein5 So etwa Ewald, Wiederaufnahme, S. 13 f.: Rechtsmittel gegen Rechtsverletzungen gebe es seit jeher. Das hinsichtlich der Rechtsmittel bestehende Fristerfordernis sei auch insofern unschädlich, als Rechtsverletzungen bereits vor Eintritt der Rechtskraft begangen und wahrnehmbar seien; eine Ausnahme bestehe lediglich hinsichtlich der strafbaren Amtspflichtverletzung. Ähnlich v. Kries, Lehrbuch des Deutschen Strafprozeßrechts, S. 708 f. 6 Materialien Bd. 3 Abtl. 1, S. 262. 7 Hierzu auch Brauns, JZ 1995, 492 (493) mit Verweis auf Meyer, Wiederaufnahmereform, S. 44 f.; Ortloff, GerS 23 [1871], 184 (200 f.); Alsberg, Justizirrtum, S. 33 ff. u. 47; Eschelbach, FS Stöckel, S. 199 (207 ff); v. Hentig, Wiederaufnahmerecht, S. 96 f.; 8 Zw. auch Rieß, NStZ 1994, 153 (155); Ewald, Wiederaufnahme, S. 15 f. Nach Ansicht von Schünemann, ZStW 84 [1972], 870 (899), der die Konzeption als solche anerkennt, führte zumindest die Abschaffung der Präklusionsregelung des § 359 Nr. 5 StPO bei Amtsgerichtssachen zum Wegfall dieser subjektiven Gesetzesgrundlage. In einigen Darstellungen klingt das Zusammenspiel von fehlender zweiter Tatsacheninstanz und Wiederaufnahmeverfahren jedoch nach wie vor an, vgl. etwa Fornauf, StraFo 2013, 235 ff. 9 A.A. Graf zu Dohna, Strafprozeßrecht, S. 209: einziger Unterschied sei der Wegfall der Befristung. 10 Hierzu Nüse, JR 1949, 265 (267 f.) und eingehend Suchomel, FS Bumke, S. 135 (136 ff.). 11 Vgl. dazu auch den kurzen Rekurs bei Bajohr, Aufhebung rechtsfehlerhafter Strafurteile, S. 131 f. sowie ausführlich Grünberg, Nichtigkeitsbeschwerde, S. 51 ff. Im internationalen Vergleich erlauben gravierende Rechtsfehler in der Auslegung oder Anwendung von Gesetzen zumindest in den skandinavischen Ländern die Wiederaufnahme, hierzu Swoboda, HRRS 2009, 188 (192). 12 Vgl. die Materialien zur Strafrechtsreform Bd. 7 (§ 360a des Entwurfes) und Suchomel, FS Bumke, S. 135 (140 f.) zur hieran geübten Kritik.

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gliederung in das Wiederaufnahmerecht und für die Schaffung eigenständiger Rechtsbehelfe. Zum einen wurde durch Art. 2 § 3 Abs. 1. des Gesetzes vom 16. 09. 193913 der Außerordentliche Einspruch kreiert, der bereits durch seine Einlegung eine Entscheidung zu beseitigen vermochte, wenn der Oberreichsanwalt binnen Jahresfrist wegen schwerwiegender Bedenken gegen die Richtigkeit des Urteils eine neue Verhandlung und Entscheidung in der Sache für notwendig hielt. Entsprechendes galt gem. § 7 des Gesetzes für rechtskräftige, verfahrensabschließende Beschlüsse. Nach überzeugender Einschätzung von Grünberg14 kam dem Außerordentlichen Einspruch angesichts der Intensität der Rechtskraftdurchbrechung unter minimalen Anforderungen nicht bloß die Eigenschaft eines außerordentlichen Rechtsbehelfs, sondern eines besonderen politischen Machtmittels zu, welches sich auch in das damalige Prozessrecht nicht einfügte. Daneben wurde jedoch durch Verordnung vom 21. 02. 194015 die ebenfalls dem Oberreichsanwalt zustehende Nichtigkeitsbeschwerde eingeführt. Diese erlaubte zugunsten wie zuungunsten innerhalb eines Jahres nach Rechtskraft gegen Urteile, Strafbefehle und Beschlüsse vorzugehen, die hinsichtlich der „Anwendung des Rechts auf die festgestellten Tatsachen“ fehlerhaft erschienen.16 Allerdings genügte nicht allein das bloße Vorhandensein eines Rechtsfehlers. Die Entscheidung musste darüber hinaus aufgrund des Fehlers „ungerecht“ sein. Dies war nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts nicht erst dann der Fall, wenn sicher feststand, dass der Tatrichter bei Vermeidung des Rechtsfehlers zu einem ganz anderen Ergebnis hätte kommen müssen, sondern bereits bei der sehr naheliegenden Möglichkeit hierzu.17 Die Nichtigkeitsbeschwerde wurde allerdings durch Art. 7 § 2 der Verordnung zur weiteren Vereinfachung der Strafrechtspflege vom 13. 08. 194218 dahingehend erweitert, dass nun auch erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der festgestellten Tatsachen oder gegen den Strafausspruch ihre Einlegung zuließen, wodurch der Rechtsbehelf im Grunde seine ursprüngliche Ausrichtung auf sachlich-rechtliche Fehler verlor.19 Das Institut wurde durch Gesetz vom 12. 09. 195020 wieder beseitigt und in der Bundesrepublik auch durch keinen vergleichbaren Rechtsbehelf ersetzt, wenngleich die Bestimmungen 13

RGBl. I Nr. 183, S. 1841 (1842). Nichtigkeitsbeschwerde, S. 50 ff., dieser beinah schrankenlose, nur aus der Machtstellung der politischen Führung erklärbare Rechtsbehelf stellt sich somit, anders als die sogleich zu erörternde Nichtigkeitsbeschwerde, als vom nationalsozialistischen Denken geprägte Institution dar. 15 RGBl. I Nr. 35, S. 405 (410). 16 Verfahrensfehler konnten dagegen nicht gerügt werden, vgl. Full, NJW 1947/48, 369 (370). 17 RGSt 74, 261 (262 f.); 75, 114 (115); vgl. auch Luther, ZStW 70 [1958], 87 (102 f.), der in diesem Erfordernis einen stimmigen Ausgleich zwischen den Interessen der Allgemeinheit und denen des Betroffenen sieht und sich de lege ferenda für die Wiedereinführung dieses Instituts ausspricht, ebenso Full, NJW 1947/48, 369 (370). 18 RGBl. I Nr. 86, S. 508 (509). 19 Hierzu Nüse, JR 1949, 265 (266 f.) und Grünberg, Nichtigkeitsbeschwerde, S. 72. 20 Gesetz zur Wiederherstellung der Rechtseinheit (BGBl. I Nr. 40, S. 455 ff.). 14

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ihrem Ursprung nach nicht nationalsozialistisches Ideengut waren.21 Vielmehr wurde damit auf ein Korrekturinstrument verzichtet, welches offenbar zum einen in der Praxis durchaus häufig und anfangs zudem überwiegend zugunsten des Verurteilten eingesetzt wurde – Nüse22 nennt eine Quote von 85 % im ersten Jahr nach Einführung betreffend Anregungen zugunsten; mit steigender Einflussnahme der politischen Führung auf die Justiz war das Verhältnis immerhin noch ausgeglichen. In der DDR wurde mit der Kassation (§§ 311 ff. StPO [DDR]) hingegen ein auch hinsichtlich der Zulässigkeitsvoraussetzungen durchaus vergleichbares Rechtsmittel geschaffen.23 Gerügt werden konnte, ebenfalls aber nicht vom Betroffenen selbst (vgl. § 312 StPO [DDR]), sondern bestenfalls auf sein Ersuchen hin, dass die Entscheidung entweder auf der Verletzung eines Gesetzes beruhe, sie im Strafausspruch gröblich unrichtig oder die Begründung der Entscheidung unrichtig sei.24 Die Kassation diente zwar offiziell der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, jedoch im Sinne einer ideologiekonformen und die aktuelle politische Strömung unterstützenden Rechtsprechung, die zu diesem Zwecke hinreichend flexibel sein musste und für die daher Beständigkeit und Voraussehbarkeit ebenso wenig im Mittelpunkt standen wie der Schutz des Angeklagten vor den Folgen gerichtlicher Fehlentscheidungen.25 Änderungen im materiellen Recht oder der Rechtsprechung lassen eine Entscheidung erst rückwirkend unrichtig erscheinen und werden dem allgemeinen Anwendungsbereich der §§ 359 ff. StPO zu Recht generell entzogen.26 Nach der heutigen Rechtslage existieren nunmehr Sonderkonstellationen, die die Wiederaufnahme einer auf fehlerhafter Rechtsanwendung beruhenden Entscheidung ermöglichen. § 359 Nr. 6 StPO erlaubt die Aufhebung einer auf einem Verstoß gegen die EMRK beruhenden Entscheidung, während die Wiederaufnahme nach § 79 Abs. 1 BVerfGG dem Zweck dient, auf grundgesetzwidrige Rechtsanwendung 21 Grünberg, Nichtigkeitsbeschwerde, S. 98 ff. Vgl. auch OLG Dresden NJW 1947/48, 396, die Nichtigkeitsbeschwerde stelle „einen nicht zu entbehrenden Ausgleich dar, um in einzelnen Fällen besonders erheblicher Fehlentscheidungen dem Recht zum Siege zu verhelfen“; ähnlich Full, NJW 1947/48, 369 (370): „erfahrungsgemäß außerordentlich segensreich“. 22 JR 1949, 265 (267). Auch seiner Einschätzung nach handelte es sich ebenso wenig um ein ideologisch geprägtes Rechtsinstitut wie die noch heute existierende Wiederaufnahme. 23 Tatsächlich wurde die Nichtigkeitsbeschwerde, wenn auch in modifizierter Form, aus dem österreichischen Strafverfahren übernommen, zur Entstehungsgeschichte auch Full, NJW 1947/48, 369 (370) und Grünberg, Nichtigkeitsbeschwerde, S. 102 ff. 24 § 311 Abs. 2 Strafprozeßordnung der Deutschen Demokratischen Republik v. 12. 01. 1968 (GBl. I S. 49). 25 Grünberg, Nichtigkeitsbeschwerde, S. 125; vgl. auch Lampe, GA 1968, 33 (37 f.), dessen Zusammenschau zeigt, dass die Achtung vor der Rechtskraft oftmals antiproportional zur Machtkonzentration in der Exekutive und der dort reduzierten Bereitschaft zur Hinnahme politischen Intentionen zuwiderlaufender Urteile verläuft. 26 BVerfGE 12, 338 (340); BGHSt 39, 75 (79); LG Hannover NJW 1970, 288 (290); KKSchmidt, § 359 Rn. 19; KMR-Eschelbach, § 359 Rn 146 ff.; LR-Gössel, § 359 Rn. 78; MeyerGoßner/Schmitt, § 359 Rn 24; SK-Frister, § 359 Rn. 38; Lantzke, ZRP 1970, 201 (206); NeuBerlitz, Bestandskraft der Einstellungsverfügung, S. 72 f.

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reagieren zu können.27 Darüber hinaus sollen Verstöße bei der Rechtsanwendung, selbst die grobe Fehlerhaftigkeit des Verfahrens, nach allgemeiner Auffassung nur dann eine Korrektur über das Wiederaufnahmeverfahren ermöglichen, sofern sich der Mangel den speziellen Wiederaufnahmegründen des § 359 Nrn. 1 – 3 und entsprechend § 362 Nrn. 1 – 3 StPO subsumieren lässt.28 Andernfalls werde der Rechtsfehler mit Rechtskraft des Urteils geheilt.29 Wenn die strafbare Amtspflichtverletzung gerade in der fehlerhaften Anwendung des Rechts auf den richtig festgestellten Sachverhalt zu sehen ist, besteht insbesondere die Möglichkeit einer Wiederaufnahme nach §§ 359 Nr. 3, 362 Nr. 3 StPO, auf die in diesem Kontext recht häufig verwiesen wird.30 Die geringe praktische Relevanz dieses Wiederaufnahmegrundes war bereits Gegenstand der Erörterung im Rahmen der allgemeinen Ausführungen zu den §§ 359 ff. StPO, weshalb die theoretische Einschlägigkeit dieses Wiederaufnahmegrundes zugunsten wie auch zuungunsten im Rahmen der nachfolgenden Ausführungen gleichsam als „miterklärt“ anzusehen ist, diese jedoch nicht stets gesondert aufgeführt wird. Interessanter ist vielmehr die Frage, ob die Grenze des Anwendungsbereichs der Wiederaufnahme tatsächlich im Wesentlichen identisch mit derjenigen ist, die schlicht richterliches Fehlverhalten zur strafbaren Verletzung der Amtspflichten werden lässt.

I. Die hinsichtlich der materiellen Rechtslage fehlerhafte Entscheidung Zur Überprüfung, ob das materielle Recht auf den Sachverhalt richtig angewendet worden ist, dient im Strafprozess insbesondere das Revisionsverfahren. Ob auch das Wiederaufnahmeverfahren Abhilfe gegen eine auf einem Rechtsfehler im materiellrechtlichen Bereich beruhende Entscheidung schaffen kann, ist Thema des folgenden Unterkapitels.

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LR-Gössel, Vor § 359 Rn. 166; Wasserburg, StV 1982, 237 (239). BGHSt 39, 75 (79); KK-Schmidt, § 359 Rn. 19; LR-Gössel, Vor § 359 Rn. 15 und § 359 Rn. 75; Meyer-Goßner/Schmitt, § 359 Rn. 25; Brauns, JZ 1995, 492 (493); Eisenberg, JR 2007, 360 (361); einschränkend Rieß, NStZ 1994, 153 (158): solange keine befriedigenden Abgrenzungskriterien gefunden sind, ähnl. AK-Loos, vor § 359 Rn. 40; SK-Frister, § 359 Rn. 87. Zur Sonderrolle des § 359 Nr. 6 StPO dagegen bereits hier ab S. 59. 29 Dippel, GA 1972, 97 (120); ders., in: Jescheck/Meyer, S. 13 (57); Fornauf/Heger, StraFo 2014, 284 (285); Bajohr, Aufhebung rechtsfehlerhafter Strafurteile, S. 19. 30 Vgl. etwa BT-Drs. 13/3594, S. 5 (l. Sp.); LR-Gössel, Vor § 359 Rn. 15; Eb. Schmidt, Lehrkommentar II Vor § 359 Rn. 7; SK-Frister, Vor § 359 Rn. 8 u. § 359 Rn. 5; Ziemba, Wiederaufnahme zuungunsten, S. 102 f. 28

I. Die hinsichtlich der materiellen Rechtslage fehlerhafte Entscheidung

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1. Verurteilung ohne gesetzliche Grundlage Die Anwendung einer ungültigen, nicht (mehr) existenten oder noch nicht geltenden Rechtsnorm stellt einen Verstoß gegen das sachliche Recht dar. Beispielhaft wird hier oft die fälschliche Annahme einer Versuchsstrafbarkeit angeführt. Tatsächlich treten Verurteilungen etwa wegen versuchter Untreue in der Praxis durchaus auf.31 Derartige Verstöße gegen das Gesetzlichkeitsprinzip bilden zunächst einen weiteren klassischen Fall im Rahmen der Diskussion um nichtige Entscheidungen.32 Gegen die Annahme der Nichtigkeit der Entscheidung spricht im konkreten Fall jedoch insbesondere auch die Existenz des § 79 Abs. 1 BVerfGG, der bei der Annahme der Verfassungswidrigkeit eines Strafgesetzes, ebenfalls ein Fall des rechtlichen „Nichtbestehens“, lediglich die Wiederaufnahme des Verfahrens ermöglicht.33 Zudem ist der Grundsatz nullum crimen, nulla poena sine lege durch Art. 103 Abs. 2 GG verfassungsmäßig garantiert, unterfällt damit als grundrechtsgleiches Recht der Möglichkeit der Individualverfassungsbeschwerde und der Rechtsfolge des § 95 Abs. 2 BVerfGG.34 Der etwa von Lantzke35 vorgebrachte Einwand, diese Option bliebe angesichts des Erfordernisses der Rechtswegerschöpfung demjenigen verschlossen, der die erstinstanzliche Entscheidung im Vertrauen auf die Justiz, aus Geldmangel oder nur deshalb annehme, weil der Fehler von der Verteidigung unbemerkt geblieben ist, kann in dieser Pauschalität die Korrekturmöglichkeit nicht entwerten. Zum einen spricht Lantzke selbst bereits im Jahre 1970 von einem gesellschaftlichen Wandel, durch den das Bild vom Obrigkeitsstaat aufgelöst und das Unterwerfungsverhältnis des Bürgers im Sinne des unbedingten Vertrauens in die Justiz zumindest gelockert sei,36 was heute umso mehr zutreffen dürfte, als die Richtigkeit des Richterspruchs eher einmal mehr zu Unrecht angezweifelt als vertrauensvoll hingenommen wird. Das Spezifikum der Rechtswegerschöpfung trägt dem Bürger die Verantwortung an, sich im dafür vorgesehenen Verfahren gegen die als unrichtig empfundene Entscheidung zu wehren. Vor dem Hintergrund, dass das Rechtsstaatsprinzip auch die Effektivität des Rechtsschutzes zu sichern hat, ist es vertretbar, zur Erzielung einer möglichst sach- und zeitnahen Korrektur diese in 31 Siehe bspw. BGH Beschl. v. 23. 11. 2000 – 4 StR 234/00 –, juris; Beschl. v. 21. 01. 2014 – 5 StR 439/13 –, juris. 32 Nachweise bei Spendel, ZStW 67 [1955], 556 (561 f.). 33 LR-Kühne, Einl. Abschn. K Rn. 125. 34 Maunz/Düring-Schmidt-Aßmann, Art. 103 GG Rn. 193; Missverständlich LR-Kühne, Einl. Abschn. K Rn. 126, nach dem die Entscheidung den „verfassungsrechtlichen Kontrollmaßstäben des § 79 Abs. 1 BVerfGG“ unterliegen soll; dieser ermöglicht jedoch gerade keine Korrektur ureigen richterlicher Fehler, s. dazu bereits im Rahmen der allgemeinen Ausführungen ab S. 57. 35 Lantzke, ZRP 1970, 201 (203), die daher für die Einführung eines neuen Wiederaufnahmegrundes zur Berücksichtigung von Subsumtionsfehlern plädiert (Formulierungsvorschlag auf S. 206). Deutl. Kritik dagegen von Schünemann, ZStW 84 [1972], 870: progressistischer Ansatz, der zu einer Paralyse der Strafrechtspflege führen würde. 36 Lantzke, ZRP 1970, 201 (202). Bereits Mayer, GS 99 [1930], 299 (318) spricht von einem „Zeitalter der Justizkritik“.

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D. Die aus rechtlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

erster Linie durch die Fachgerichte vornehmen zu lassen, auch wenn dadurch unter Umständen erhöhte finanzielle Belastungen für den Angeklagten entstehen.37 Es ist dem Bürger damit zuzumuten, die bestehende Möglichkeit, eine subjektiv als solche empfundene Fehlentscheidung einer fachgerichtlichen Kontrolle zu unterziehen, auch zu nutzen. Mangelhafte Verteidigung schließlich ist, wie auch im Übrigen die vorangegangenen Kritikpunkte, sicherlich keine spezifische Gefahr im Rahmen der Verfassungsbeschwerde. Zuzugeben ist allein, dass angesichts der Verteilung des Initiativrechts das Übersehen des Verstoßes von keiner anderen Seite gerügt werden kann und sich eine fehlerhafte oder unvollständige Rechtsberatung hinsichtlich der verbleibenden Rechtschutzmöglichkeiten nicht durch andere Verfahrensbeteiligte auffangen lässt. Es bleibt die Frage nach der Möglichkeit fachgerichtlicher Kontrolle nach Rechtskraft der Entscheidung im regulären Wiederaufnahmeverfahren. Die Erkenntnis, dass eine angewandte Strafnorm nicht existiert, also etwa, um beim gängigen Beispiel zu bleiben, der Versuch eines bestimmten Delikts nicht strafbar ist, erschüttert die sachliche Entscheidungsgrundlage des Urteils nicht. Die Prozessbeteiligten mögen zwar nunmehr „schlauer“ geworden sein, dies beruht jedoch eben nicht auf einer neuen Erkenntnisquelle. Die Frage nach dem grundsätzlichen Bestehen von Versuchsstrafbarkeit ist allerdings keine vom jeweiligen Einzelfall abhängige Entscheidung. Die Konstellation ist insofern strikt von der Beurteilung der Frage zu trennen, ob der Täter sich wegen eines vollendeten oder lediglich eines versuchten Delikts strafbar gemacht hat, was in der Praxis im konkreten Anwendungsfall und auch unabhängig von bestimmten Deliktsgruppen oftmals Schwierigkeiten bereiten kann.38 Man könnte im Beispielsfall frei formulieren: Die Nichtstrafbarkeit der versuchten Untreue ist aufgrund der in §§ 12 Abs. 2, 23 Abs. 1 StGB getroffenen Anordnung eine unbestreitbare und unverrückbare Tatsache.39 Sie dürfte den Beteiligten auch „neu“ sein, jedenfalls war sie dem damals erkennenden Gericht offensichtlich nicht bekannt, andernfalls wäre keine Verurteilung ergangen.40 Dass sie erkennbar gewesen wäre (hier: mit Blick ins Gesetz) ist wie auch sonst für 37

Vgl. hierzu BVerfGE 107, 395 (410 ff.). Vgl. etwa BGH NStZ 1981, 435 (§ 242 Abs. 1, 2 StGB); StV 1997, 518 (§ 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB); StV 1998, 661 (§ 253 Abs. 1, 3 StGB); OLG Dresden NStZ-RR 1999, 370 (§ 370 Abs. 1 Nrn. 1, 2 AO); BayObLGSt 2003, 116 (§ 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 2 BtMG); OLG Frankfurt NJW 2010, 3107 (§ 265a Abs. 1, 2 StGB). 39 Dies bedeutet selbstverständlich nicht, dass die gesetzgeberische Wertentscheidung sich nicht ändern könnte, so war die Einführung einer Versuchsstrafbarkeit im Rahmen des § 266 StGB durchaus schon vorgesehen, vgl. BT-Drs. 13/8587, S. 10 u. S. 43 (l. Sp.); hierzu MüKo (StGB)-Dierlamm, § 266 Rn. 285. 40 Für die denkmögliche Konstellation, dass der Richter bewusst trotz fehlender Versuchsstrafbarkeit wegen Versuchs verurteilt, wird man den objektiven Rechtsbeugungstatbestand nach § 339 StGB nicht verneinen können (vgl. LK-Hilgendorf, § 339 StGB Rn. 70: Anwendung einer nicht bestehenden Rechtsnorm). Der subjektive Schuldvorwurf ist dann eine Frage des jeweiligen Einzelfalles. Jedenfalls kommt die Wiederaufnahme in diesen Konstellationen nur über § 359 Nr. 3 StPO in Betracht, freilich mit dem zusätzlichen Erfordernis einer dementsprechenden Verurteilung (§ 364 StPO). 38

I. Die hinsichtlich der materiellen Rechtslage fehlerhafte Entscheidung

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das Merkmal der Neuheit irrelevant. Die fehlende Strafbarkeit des Versuchs war jedenfalls nicht Bestandteil des richterlichen Vorstellungsbildes zum Zeitpunkt der Entscheidung. Stellt sich in der Hauptverhandlung heraus, dass das in der zugelassenen Anklage beschriebene Verhalten des Angeklagten nicht strafbar ist, ist darauf mit Freispruch zu reagieren. Bei unbefangenem Lesen des § 359 Nr. 5 StPO könnte der Anwendungsbereich der Wiederaufnahme eröffnet sein. Die allgemeine Ablehnung des Einbezugs von Rechtsanwendungsfehlern in das Wiederaufnahmeverfahren erklärt sich grundsätzlich mit der Überlegung, dass mangels neuer Erkenntnisquellen bei erneuter Entscheidung nicht zu erwarten ist, dass diese „richtiger“ ist als die Erstentscheidung, es sich höchstens um ein zweites Bemühen handeln kann, das geltende Recht korrekt auszulegen.41 Diese Bedenken treffen jedoch offensichtlich dann nicht, wenn es um die Anwendung nicht auslegungsbedürftiger oder -fähiger Rechtssätze geht. Hier bedarf es keines „Bemühens“: Der Umstand, dass der Versuch eines bestimmten Delikts nicht strafbar ist, ist für jedes Strafverfahren allgemeingültig42 und von subjektiven Bewertungen unabhängig. Damit liegt per definitionem eine Rechtstatsache nach Peters43 vor. Dieser Terminus ist leider überwiegend negativ besetzt, insbesondere auch durch die harsche Kritik des Dritten Strafsenats am Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung zum Fall v. Ossietzky:44 Der Einbezug von Rechtsfehlern heble die vom Gesetzgeber gewollte Begrenzung der Wiederaufnahme aus und führe zum Verlust des Funda41

SK-Frister, Vor § 359 Rn. 8 mit Hinweis auf den infiniten Verfahrensregress, zust. Stache, Abschaffung des § 357 StPO, S. 156 f. In diese Richtung argumentieren auch Deml, Reform der Wiederaufnahme, S. 56 f. und Peters, Fehlerquellen Bd. 3, S. 69 u. eingehend S. 29 ff.: eine wesentliche Einschränkung des Wiederaufnahmerechts sei der Gesichtspunkt der Garantie des besseren Urteils. Hierzu krit. jedoch Grünewald, ZStW 120 [2008], 545 (556): mit dieser Überlegung ließe sich die Sinnhaftigkeit des Verfahrensziels der materiellen Wahrheit insgesamt in Frage stellen. 42 Vgl. auch BT-Drs. 13/3594, S. 9 (l. Sp.), wo hinsichtlich der Möglichkeit der Wiederaufnahme bei Rechtsfehlern ebenfalls auf die Allgemeingültigkeit abstellt wird. Erneut sei darauf hingewiesen, dass hiervon strikt die Frage zu unterscheiden ist, ob der Täter sich im konkreten Fall wegen Versuchs strafbar gemacht hat. 43 Fehlerquellen Bd. 3, S. 63; ders., Strafprozeß, S. 674; vermeintlich zust. Klug, FS Spendel, S. 679 (684 f.); tendenziell wohl auch Joerden, JZ 1994, 582. 44 BGHSt 39, 75. Ende des Jahres 1992 hatte der Senat den Wiederaufnahmeantrag der Tochter Carl v. Ossietzkys, Journalist und Herausgeber der Zeitschrift „Die Weltbühne“, gegen dessen Verurteilung wegen Verrats militärischer Geheimnisse durch das RG im Jahre 1931 verworfen; zum Verfahrenshergang s. etwa die kurze Einleitung bei Meyer, ZRP 1993, 284. Das Verfahren gab der Diskussion um die Notwendigkeit einer Reform der Wiederaufnahme neuen Aufschwung, wenngleich es ob der sehr speziellen, das Rechtsgefühl allein schon in Anbetracht des historischen Kontexts in besonderem Maße tangierenden Fallgestaltung nur ein bedingt geeigneter Anknüpfungspunkt hierfür war. Als Beispiel sei genannt der Vorschlag von Brauns, JZ 1995, 492 ff. (Schaffung eines Wiederaufnahmegrunds für vorkonstitutionelle Urteile, die auf einem verfassungswidrigen Strafgesetz oder einer solchen Auslegung beruhen). Krit. hierzu auch Bajohr, Aufhebung rechtsfehlerhafter Strafurteile, S. 141: zur Lösung von Problemen, wie sie im Fall v. Ossietzky auftraten, sei vielmehr die Schaffung spezieller Rehabilitationsgesetze angebracht.

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D. Die aus rechtlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

ments des Tatsachenbegriffs, welcher mit Rechtsgrundlagen, rechtlichen Bewertungen oder Rechtsfolgen, die eine bestimmte Beurteilung von Tatsachen enthalten oder zu einer solchen führen, in unzulässiger Weise vermengt werde.45 Diese Kritik wird im Schrifttum weitestgehend ohne nähere Auseinandersetzung übernommen. Der Ausdruck „Rechtstatsache“ fungiert nunmehr überwiegend als Oberbegriff für die Veränderung der rechtlichen Bewertung des Sachverhalts durch Wegfall oder Änderung des angewendeten Gesetzes oder durch einen Wandel der Rechtsprechung.46 Damit wird der Konstruktion massiv Unrecht getan, denn nachträgliche Veränderungen der Urteilsgrundlage sind gerade nicht Inhalt der von einigen Stimmen47 sogar als „a.A.“ zitierten Darstellung in Band 3, S. 63 ff. der „Fehlerquellen“. Besonders grotesk an dieser Verkennung ist, dass Peters selbst in seinen Ausführungen den Einbezug derartiger Umstände explizit ablehnt: „Sicherlich ist klar, daß eine spätere Gesetzesänderung oder ein späterer Wandel in der Rechtsauffassung keine Tatsache im Sinne des § 359 Z. 5 ist. Das Wiederaufnahmeverfahren dient der Beseitigung von Fehlurteilen. Ein Urteil, das der damaligen Rechtsprechung oder damals möglichen Auslegungs- und Anwendungsregeln folgt, stellt kein Fehlurteil dar.“48

Dies wird leider auch von Klug verkannt. Im vielerorts als „zustimmend“ zitierten Festschriftbeitrag49 geht dieser ebenfalls davon aus, dass die Gesetzesänderung betreffend § 93 Abs. 2 StGB als Rechtstatsache im Fall v. Ossietzky § 359 Nr. 5 StPO subsumierbar sei und meint, die Auffassung von Peters damit zu treffen. Tatsächlich von Peters benannte Beispiele für Rechtstatsachen sind dagegen: Fehlende Ver45

BGHSt 39, 75 (79 f.).; zust. OLG Karlsruhe OLGSt StPO § 359 Nr. 18 S.1. AK-Loos, vor § 359 Rn. 7 f.; Bohnert, § 85 OwiG Rn. 17; HK-Temming, § 359 Rn. 15; KK(OwiG)-Lutz, § 85 Rn. 8; KMR-Eschelbach, § 359 Rn. 146; Meyer-Goßner/Schmitt, § 359 Rn. 24; Radtke/Hohmann-Hohmann, § 359 Rn. 30; SSW-Kaspar, § 359 Rn. 24. So leider auch Klug, FS Spendel, S. 679 (684 f.). Weitere Verwirrung stiftet die Verwendung des Begriffes in völlig anderen Zusammenhängen. So werden im Kontext der Anforderungen an die Beweiswürdigung die zusammenfassende Bewertung von Tatsachen mit einem Rechtsbegriff (bspw. „Notwehr“ oder „Fremdheit der Sache“) als Rechtstatsache bezeichnet, vgl. BGH NStZ 1993, 501 (502) und Dahs, Revision im Strafprozess, Rn. 422. Darüber hinaus wird er auch synonym für „rechtstatsächliche“, scil. statistische oder empirische Informationen gebraucht, vgl. etwa NK-Böllinger/Dessecker, § 66a StGB Rn. 38; MüKo(StGB)-Ullenbruch/Drenkhahn/Morgenstern, § 66 Rn. 10. 47 HK-Temming, § 359 Rn. 15; KMR-Eschelbach, § 359 Rn. 146; LR-Gössel, § 359 Rn. 78 in Fn. 180; Meyer-Goßner/Schmitt, § 359 Rn. 24. Korrekte Differenzierung hingegen bei BeckOK-Singelnstein, § 359 Rn. 21; Marxen/Tiemann, Wiederaufnahme, Rn. 173 Fn. 312. 48 Peters, Fehlerquellen Bd. 3, S. 66 f. Als rückbezügliche Tatsachen dagegen anerkannt: Die nachträgliche Aufhebung der rückfallbegründenden Vortat, die nachträgliche Feststellung einer bloßen Scheinvaterschaft bei einer Verurteilung wegen Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 172b StGB a.F. sowie die rückwirkende Aufhebung eines Verwaltungsaktes, gegen den der Verurteilte verstoßen hat (S. 67). 49 FS Spendel, S. 679 ff. Die aus drei Sätzen bestehende Stellungnahme dort auf S. 684 f. beschränkt sich jedoch darauf, die Richtigkeit der von Peters vertretenen Auffassung zu betonen, welche sich hier „besonders deutlich“ ergebe; eine inhaltliche Auseinandersetzung findet nicht statt. 46

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suchsstrafbarkeit, vorangegangene Aufhebung des Strafgesetzes, nicht vorgesehene Strafart (Freiheitsstrafe), Prozesshindernisse, untaugliche Vortat im Sinne der Rückfallbestimmungen sowie die (Nicht)Existenz ausländischer Normen.50 Doch auch bei richtigem Grundverständnis drohen Fehlinterpretationen. Ein Beispiel bietet die Argumentationslinie von Gössel, ebenfalls mit Bezug auf die Entscheidung BGHSt 39, 75: Nach Peters sei die Nichtexistenz von Strafgesetzen als Rechtstatsache beachtlich, das Wissen der französischen Regierung um die durch v. Ossietzky mitgeteilten Tatsachen schließe die Annahme eines Geheimnisses aus, damit die Existenz einer Strafnorm für sein Verhalten, damit läge eine nach Peters‘ Konstruktion beachtliche Rechtstatsache vor.51 Dass das Nichtvorliegen strafrechtlich relevanten Verhaltens nicht mit der Nichtexistenz einer Norm gleichzusetzen ist, dürfte jedoch klar sein. Die Frage, ob das Verhalten v. Ossietzkys den Tatbestand des Geheimnisverrats erfüllt, hat weder Allgemeingültigkeit noch gilt sie für alle Fälle in gleicher Weise. Im Ergebnis des richterlichen Subsumtionsvorgangs läge auch nach Peters gerade keine (Rechts)Tatsache. Mit der Grundwertung des Wiederaufnahmeverfahrens steht die Konstruktion im Einklang, sofern man sie in ihrem ursprünglichen, gewollt begrenzten Sinne versteht: Wenn eine Frage von Auslegung und Wertung unabhängig ist, also nicht lediglich nach persönlicher Überzeugung, sondern nur objektiv richtig oder falsch sein kann,52 besteht im Falle einer erstmaligen Falschbeantwortung bei erneuter Befassung tatsächlich eine erhöhte Richtigkeitsgewähr. In Ermangelung eines Beurteilungsspielraums im Hinblick auf die im Wiederaufnahmevorbringen vorgetragene „Rechtstatsache“ kann die Richtigkeit der Entscheidung im zweiten Verfahren erwartet werden. Übertragen auf den Beispielsfall: Da angesichts der im Hinblick auf § 266 StGB gesetzlich nicht angeordneten Versuchsstrafbarkeit bei Nichtvollendung der Tat alternativlos auf Freispruch erkannt hätte werden müssen, ist die Erwartung eines „besseren Urteils“ im Zweitverfahren berechtigt. Zu prüfen ist daher, ob das Vorliegen eines Fehlers mit anderer subjektiver Bewertung verneint werden könnte. Für das Fehlen eines zur Verurteilung herangezogenen Strafgesetzes trifft dies ersichtlich nicht zu. Das Argument, damit werde die gesetzlich gewollte Beschränkung53 des Wiederaufnahmeverfahrens auf Angriffe gegen die tatsächliche Urteilsbasis untergraben, ist schon in seiner Ausgangsthese nicht stimmig. Mit §§ 359 Nr. 3, 362 Nr. 3 StPO existieren zum einen ganz offensichtlich Wiederaufnahme50

Peters, Fehlerquellen Bd. 3, S. 64. Gössel, NStZ 1993, 565. Die von Gössel darüber hinaus angestellten Überlegungen zum Verstoß gegen eindeutige Rechtsregeln treffen die Ansicht von Peters schon eher, werden jedoch nicht deutlich genug von bloßen Subsumtionsfehlern geschieden. 52 Insoweit parallel zum Tatsachenbegriff des § 186 StGB, vgl. etwa Sch/Sch-Lencker/ Eisele, § 186 StGB Rn. 3 f. Auch das BVerfG konstatiert lediglich, dass für das, was sich allein als rechtliche Zuordnung tatsächlicher Feststellungen, also als juristischer Subsumtionsvorgang darstellt, keine Wiederaufnahmemöglichkeit nach § 359 StPO bestehe (NStZ-RR 2007, 29 [30]). 53 Vgl. etwa LR-Gössel, § 359 Rn. 77; Ewald, Wiederaufnahme, S. 13. 51

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gründe, die die Tatsachengrundlage des Urteils überhaupt nicht berühren müssen, da es dort gerade nicht darauf ankommt, ob ein Ursachenzusammenhang zwischen der behaupteten Amtspflichtverletzung und dem Urteilsspruch besteht.54 Mitnichten muss sich also die Pflichtverletzung auf die Feststellung des zugrunde liegenden Sachverhalts beziehen, solange sie nur „in Beziehung auf die Sache“ geschieht. Gleiches gilt für § 359 Nr. 6 StPO, der gerade zur nachträglichen rechtlichen Beanstandung des Urteils geschaffen wurde.55 Die Ausrichtung der §§ 359 ff. StPO ist also gerade nicht derart eindimensional, dass eine Aufnahme von Rechtsfehlern in den Kreis der Angriffsobjekte vollständig ausgeschlossen wäre. Die Argumentation trifft aber auch im Hinblick auf § 359 Nr. 5 StPO insofern nicht, als eben auch die genannten Rechtsregeln als tatsächliche Basis des Urteils angesehen werden können. Durch die (Nicht)Anwendung der Rechtsregel auf eine bestimmte Situation wird nach der Konstruktion von Peters eine sachverhaltsbezogene Tatsache im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO geschaffen.56 Die Kritik ist darüber hinaus nur unter der Annahme haltbar, dass Tatsachen- und Rechtsfragen stets eindeutig voneinander unterschieden werden könnten. Dies ist jedoch weder im vorliegenden Kontext noch im verwandten Bereich der Revision der Fall.57 Peters verdeutlicht dies am Beispiel des § 263 StGB.58 Für die Bejahung der Strafbarkeit müssen einmal die tatsächlichen Feststellungen zum Eintritt des Vermögensschadens korrekt getroffen und andererseits der Schadensbegriff richtig auf den Sachverhalt angewandt werden. Das Ergebnis ist aber in beiden Fällen die Feststellung eines Vermögensschadens, wenngleich diese Feststellung in ersterem Fall offenbar auf tatsächlichen, in letzterem auf rechtlichen Erwägungen beruht. Und selbst wenn die Grenzziehung exakt gelänge – die Rechtswirklichkeit hat sich mit Anerkennung der erweiterten Revision schon längst von einer scharfen Trennung verabschiedet.59 Wenn das Revisionsgericht zur Vermeidung von Unbilligkeiten die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz auf ihre Vollständigkeit und logische Konstanz abklopfen kann, so leuchtet nicht ein, warum im Rahmen des Wiederaufnahmeverfahrens die Beachtung eindeutiger Rechtsregeln nicht überprüft werden darf, obschon sie dem § 359 Nr. 5 StPO subsumierbar ist. 54 Vgl. BGHSt 31, 365 (372), Meyer-Goßner/Schmitt, § 359 Rn. 14. Ewald, Wiederaufnahme, S. 13 f. erklärt die Aufnahme in den Kreis der Wiederaufnahmegründe damit, dass sich im Falle der strafbaren Amtspflichtverletzung die Rechtsverletzung kaum innerhalb der Rechtsmittelfrist offenbaren wird. 55 BeckOK-Singelnstein, § 359 Rn. 35; KMR-Eschelbach, § 359 Rn. 218. 56 Peters, Fehlerquellen Bd. 3, S. 64. 57 Gössel, NStZ 1993, 565 (567); Grünberg, Nichtigkeitsbeschwerde, S. 73; Meyer, Wiederaufnahmereform, S. 123. Zum Revisionsrecht Dahs, Revision im Strafprozess, Rn. 422; Hamm, Revision in Strafsachen, Rn. 1272 ff.; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 55 Rn. 17 ff. 58 FS Kern, S. 335 (346). 59 So etwa auch Hanack, FS Dünnebier, S. 301 (303): Die Trennung zwischen Tat- und Rechtsfrage sei in der Praxis längst in erheblichem Umfang obsolet geworden.

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Auch muss als Unterscheidungsmerkmal nicht, wie teilweise hinsichtlich Peters’ Ansatz behauptet wird,60 Offensichtlichkeit oder Schwergewicht des Fehlers herangezogen werden. Dass die Offenkundigkeit des Fehlers entscheidendes Kriterium sein soll, könnte höchstens aus zwei kurzen Passagen seiner Ausführungen geschlossen werden: Im Falle einer sich gerade erst entwickelnden Rechtsauffassung hinsichtlich eines neuen Strafgesetzes soll es darauf ankommen, ob die Auffassung des früheren Gerichts „offensichtlich falsch, ob sie vertretbar oder nicht vertretbar war“ – bestehe hinsichtlich der Überschreitung der Spannweite des Gesetzes Eindeutigkeit, so könne von einer Rechtstatsache gesprochen werden.61 Aus dieser Spezialkonstellation, die zudem eher an den Anwendungsbereich von § 79 Abs. 1 Var. 3 BVerfGG erinnert, jedoch ein stets zu forderndes Evidenzkriterium zu ziehen, ist weder zwingend noch erforderlich noch sinnvoll. Denn gerade das Merkmal der Evidenz birgt größte Unsicherheiten; dies ist nicht anders zu beurteilen als im Rahmen der Kritik an der Lehre von der Urteilsnichtigkeit. Die Passage auf S. 70 hingegen, in der die Begriffe „eindeutig offenliegendes Recht“ beziehungsweise „offensichtliches Recht“ fallen, bezieht sich auf die korrekte Rechtsanwendung durch die Gerichte und beschäftigt sich gerade nicht mit der Evidenz des Fehlers, sondern der Eindeutigkeit im Sinne von Nichtinterpretierbarkeit und damit der Definition der Rechtstatsache. Meyer, der sich ausführlich mit der Lösung von Peters auseinandersetzt, erachtet die mangelnde Differenzierung nach dem Gewicht des eigentlichen Fehlers demgegenüber gerade als Schwachpunkt der Überlegungen.62 Realiter liegt darin die Stärke des Ansatzes, den Meyer zwar als überzeugenden Vorschlag für die Gestaltung des künftigen Rechts ansieht,63 letztlich jedoch konterkariert, indem er als Reformvorschlag die Wiederaufnahme gegen „offensichtliche materielle Rechtsfehler“ konstruiert.64 Mitte der neunziger Jahre gab es tatsächlich auch dahingehende Reformbestrebungen der SPD-Bundestagsfraktion, die inhaltlich zu großen Teilen mit den Vorschlägen von Meyer übereinstimmten.65 Unter 60

So etwa AK-Loos, vor § 359 Rn. 7; Brauns, JZ 1995, 492 (497). Peters, Fehlerquellen Bd. 3, S. 65. 62 Meyer, Wiederaufnahmereform, S. 124. 63 Meyer, Wiederaufnahmereform, S. 124. 64 Vgl. den Normtext des Reformvorschlags auf S. 157 (§ a Abs. 1 Nr. 2). Ganz ähnlich der Ansatz von Deml, Reform der Wiederaufnahme, S. 120 ff., der auf einen „evidenten“ Rechtsfehler abstellt. Die Begriffe „offensichtlich“, „offenkundig“ und „evident“ sind Synonyme, vgl. Duden Teilbd. 8, S. 674 (Stichwort „offensichtlich“). Nicht anders dürfte im Ergebnis die von Waßmer, JURA 2002, 454 (460) verwendete Formulierung des „eindeutigen“ Rechtsfehlers zu verstehen sein. 65 Vgl. jeweils die Entwürfe eines Gesetzes zur Reform des strafrechtlichen Wiederaufnahmerechts, BT-Drs. 12/6219 und 13/3594, hierzu Stoffers, ZRP 1998, 173 (174): Die Kongruenz ergebe sich aus dem Umstand, dass die Entwürfe unter Mitarbeit Meyers als Bundestagsabgeordneter entstanden seien. Dort auch umfassende Nachweise zu den Reformbestrebungen im Schrifttum (S. 175 in Fn. 34). Krit. zu den Entwürfen Bajohr, Aufhebung rechtsfehlerhafter Strafurteile, S. 134 ff. Für eine Umsetzung nach wie vor Waßmer, JURA 2002, 454 (460). Letztlich konnten sich die Änderungsvorschläge nicht durchsetzen. Insbesondere nach Ansicht der Koalitionsfraktion aus CDU und FDP in der 13. Wahlperiode hätten sich aus der 61

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einem „offensichtlichen“ Rechtsfehler wurde ein solcher verstanden, der auch für den juristischen Laien ohne weiteres erkennbar sei.66 Dagegen wurde vorgebracht, die Definition sei insofern untauglich, als ein massiver Rechtsfehler auch dann vorliegen könne, wenn er dem Rechtsunkundigen nicht ins Auge falle.67 In der Begründung zum zweiten Gesetzesentwurf68 erfuhr das Merkmal tatsächlich eine dahingehende Erweiterung: Hinsichtlich eines Fehlers, der dem Rechtsunkundigen mangels elementarer Rechtskenntnisse nicht ohne weiteres auffallen könne, von jedem Rechtskundigen aber als offensichtlich angesehen werde, sei auf die Sicht des Rechtsunkundigen nur insoweit abzustellen, als es um das klare und einfache Nachvollziehen des Rechtsfehlers gehe. Dadurch wurde die Unbestimmtheit verlagert, aber nicht aufgelöst.69 Das Gewicht eines Fehlers ist schlicht nicht objektivierbar. Auch wenn das Offensichtlichkeitskriterium graduell noch eher eingrenzbar sein dürfte als das Abstellen auf eine wie auch immer geartete „Erheblichkeit“70 – das wägende Element bleibt.71 Begriffe wie offenbar, offensichtlich, offenkundig oder evident sind Einbruchstellen, die es ermöglichen, eine klare Subsumtion durch subjektive Wertung, wenn nicht gar bloße Behauptung zu ersetzen.72 Dem steht nicht entgegen, dass die Verfahrensordnung an anderer Stelle durchaus mit diesem Begriff operiert. Tatsächlich findet sich der Begriff in der geltenden Strafprozessordnung durchaus, etwa in § 26a Abs. 1 Nr. 3 StPO (offensichtliche Verschleppungsabsicht) oder § 87 Abs. 1 StPO (Hinzuziehung eines Arztes offensichtlich nicht erforderlich). Er wird dort etwa umschrieben als „ohne weitere Nachforschungen feststellbar“,73 „ohne jeden gerichtlichen Praxis der letzten Jahrzehnte keinerlei Anhaltspunkte für die Notwendigkeit der Einführung eines neuen Wiederaufnahmegrundes wegen offensichtlicher Rechtsfehler ergeben, vgl. BT-Drs. 13/10333. 66 BT-Drs. 12/6219, S. 9 (l. Sp.). 67 So etwa Wasserburg, ZRP 1997, 412 (414); Bajohr, Aufhebung rechtsfehlerhafter Strafurteile, S. 139 f. 68 BT-Drs. 13/3594, S. 9 (l. Sp.). 69 Bajohr, Aufhebung rechtsfehlerhafter Strafurteile, S. 140, denn nunmehr müsse bestimmt werden, wann ein Fehler nicht „ohne weiteres“ auffällt und wie lange er dennoch klar nachvollziehbar bleibt. 70 Vgl. dazu etwa die Diskussion über die Fassung des § 313 Abs. 2 S. 1 StPO, der zunächst „in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht nicht unerhebliche Bedenken“ verlangte (BTDrs. 12/1217, S. 7 u. 68 [l. Sp.]), dann jedoch aufgrund Bedenken hinsichtlich der Klarheit und Bestimmtheit in „nicht offensichtlich unbegründet“ umformuliert wurde (BT-Drs. 12/3832, S. 100 u. S. 41 [l. Sp.]). 71 Aufgrund der Unbestimmtheit ablehnend auch LR-Gössel, § 359 Rn. 77; ders., NStZ 1993, 565 (576); SK-Frister, § 359 Rn. 87; Brauns, JZ 1995, 492 (497); Stoffers, ZRP 1998, 173 (175); Wasserburg, ZRP 1997, 412 (414). So konzediert auch Deml selbst, dass das von ihm vorgeschlagene Evidenzkriterium keine exakte Bestimmung ermöglicht (Reform der Wiederaufnahme, S. 122). 72 Wiedemann, Korrektur außerhalb des Rechtsmittelverfahrens, S. 32. 73 KK-Scheuten, § 26a Rn. 10.

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Zweifel zutage liegend“74 oder „sich dem zuständigen Strafverfolgungsorgan aufgrund seines Fallwissens und seiner Erfahrung unmittelbar und damit ohne Rücksicht auf weitere Ermittlungen aufdrängen[d]“.75 Die prominenteste und in ihrer Auswirkung wohl auch am ehesten vergleichbare „Offensichtlichkeit“ findet sich in § 349 Abs. 2 StPO, der eine Verwerfung der Revision im Beschlusswege als „offensichtlich unbegründet“ ermöglicht. Diese Wertung bezieht sich jedoch auf die Offensichtlichkeit der Unbegründetheit des Rechtsmittels, nicht auf die Schwere des Rechtsverstoßes.76 Es geht demnach um die Existenz erfolgversprechender Rügen, nicht um eine qualitative Einstufung des Schweregrades eines gerügten Rechtsfehlers. Darüber hinaus gerät die Offensichtlichkeit in Konflikt mit dem Erfordernis der nova, wie auch Meyer festgestellt hat („Schwierigkeit des Nachweises, daß neu sei, was offensichtlich ist“), weshalb dieser im Rahmen seines Reformvorschlags letztlich auf das Merkmal der Neuheit der Erkenntnisse im Bereich der Rechtsfehler verzichtete.77 Im Rahmen einer Untersuchung, die sich mit dem Anwendungsbereich der Wiederaufnahme de lege lata befasst, ist daraus jedoch ein weiteres Argument gegen die Kritik der mangelnden Differenzierung nach dem Schweregrad des Rechtsfehlers und für die von Peters entwickelten Lösung zu ziehen. Ob ein Fehler offensichtlich ist, darüber kann trefflich gestritten werden. Ob der Versuch der Untreue strafbar ist, entzieht sich jeder subjektiven Wertung und damit auch jeder Diskussion. Hinzu kommt, dass die „offensichtlich falsche Rechtsanwendung“ in der Praxis Seltenheitswert haben dürfte, sich die Fehler im Regelfall vielmehr im Grenzbereich der noch zulässigen Auslegung ansiedeln. Ganz zu schweigen davon, dass es vor dem Hintergrund der ohnehin restriktiven Wiederaufnahmepraxis fernliegt zu erwarten, die Gerichte würden sich leicht damit tun, den Entscheidungsträgern eines abgeschlossenen Verfahrens einen „offensichtlichen Rechtsfehler“ zu diagnostizieren.78 Dass ein Rechtsfehler weder vom Angeklagten beziehungsweise von seinem Verteidiger, noch von der Staatsanwaltschaft im Rechtsmittelverfahren gerügt wurde, indiziert bereits die mangelnde Offensichtlichkeit. Kam es zum Rechtsmittelverfahren und wurde der Fehler vom Rechtsmittelgericht nicht behoben, 74

LR-Siolek, § 26a Rn. 27, ähnlich SK-Deiters, § 26a Rn. 20. SK-Rogall, § 87 Rn. 11. 76 Bajohr, Aufhebung rechtsfehlerhafter Strafurteile, S. 138 f. Vgl. auch BGH NStZ 2001, 334 u. krit. zur Bestimmbarkeit auch hier Wiedemann, Korrektur außerhalb des Rechtsmittelverfahrens, S. 32 ff. Hierzu auch die Einschätzung der Bund-Länder Arbeitsgruppe Strafverfahrensreform im DE-Rechtsmittelgesetz 1975, S. 94 l. Sp. zum Merkmal der Offensichtlichkeit: „Es hat sich, wie die Praxis der Beschlußentscheidungen gezeigt hat, als Einschränkungsmerkmal, als das es ursprünglich gedacht war, nicht bewährt. Über den Inhalt dieses Begriffes konnte trotz seiner nunmehr fast fünfzigjährigen Geltung keine Klarheit herbeigeführt werden“. 77 Meyer, Wiederaufnahmereform, S. 125 f. u. Normtext des Reformvorschlags auf S. 157 (§ a Abs. 1 Nr. 2). 78 Hierzu Grünwald, ZStW 76 [1964] 250 (260 f.): Die Offensichtlichkeit des Fehlers könne nur festgestellt werden, indem zugleich den Richtern des Erstverfahrens die Eigenschaft, einsichtig zu sein, abgesprochen werde. Eher sei wohl gemeint, dass es um einen Fehler geht, der jedem Einsichtigen offenkundig sein müsste. 75

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gilt dasselbige. Wenn eine Verurteilung „wegen Untreue in 26 Fällen, versuchter Untreue in einem Fall sowie wegen Beitragsvorenthaltung in 14 Fällen“79 Rechtskraft erlangt, trifft dies nach dem hier vertretenen Ansatz gerade keine Aussage über die Zulässigkeit der Wiederaufnahme. Denn ob die Unrichtigkeit der Verurteilung den Beteiligten hätte ins Auge springen müssen, ist bei Verzicht auf ein Offensichtlichkeitskriterium schlicht irrelevant. Damit ist ein Großteil der Kritik bereits widerlegt, sofern sie überhaupt wesentlich über den Vorwurf unzulässiger Ausweitung des angeblich „engen“ Tatsachenbegriffs hinausgeht. Angesichts der dem Begriff der Rechtstatsache immanenten Begrenzung liegt im dadurch ermöglichten Einbezug spezieller Rechtsfehler auch keine Zulassung der Wiederaufnahme bereits wegen jeder unrichtigen Anwendung des Gesetzes. Denn insofern ist richtig, dass eine Gleichsetzung der inhaltlichen Anforderungen mit denen der ordentlichen Rechtsmittel nicht widerspruchsfrei möglich ist. Es kann nicht das, was der Rechtskraft vorgelagert und zu ihrer Legitimation erforderlich ist, nämlich dass das Gesetz bei der Entscheidungsfindung nicht verletzt wurde (§ 337 Abs. 1 StPO), umgekehrt schon zu ihrer Überwindung ausreichen.80 Andernfalls würde tatsächlich eine „Hyper-Revision“81 geschaffen, welche mit der Konzeption der ordentlichen Rechtsmittel und insbesondere den dortigen Form- und Fristerfordernissen nicht zu vereinbaren wäre. Gewisse Überschneidungen hingegen sind unschädlich und im Interesse der Fehlerkorrektur hinzunehmen,82 die Verfahrensordnung verlangt insoweit auch sonst keine Alternativlosigkeit der Handlungsoptionen, was Regelungen wie etwa § 342 StPO verdeutlichen. Der letztlich noch erhobene Einwand, eine derartige Erweiterung könne nur durch den Gesetzgeber erfolgen,83 ist ebenso pauschal wie beliebig. Letztlich kann auch hier der „Ruf nach dem Gesetzgeber“ jede begründete Stellungnahme zur Zulässigkeit eines erweiterten Normverständnisses torpedieren. Beruht der Rechtsfehler demnach auf der Verkennung einer eindeutig normierten, wertungsfreien Rechtsregel wie hier der Nichtstrafbarkeit des Versuchs oder generell betreffend das Vorliegen eines gesetzlich normierten Straftatbestands, kann das Bestehen dieser Rechtsregel als dem § 359 Nr. 5 StPO subsumierbare Rechtstatsache eine Wiederaufnahme begründen. Da im Erstverfahren auf Freispruch wegen der Tat hätte erkannt werden müssen, hat das Vorbringen auch die nötige Qualität, eine wiederaufnahmerechtlich anerkannte Folge zu bewirken.

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Vgl. erneut BGH Beschl. v. 23. 11. 2000 – 4 StR 234/00 –, juris. Rieß, NStZ 1994, 153 (157). 81 Diesen Begriff verwenden etwa Gössel, NStZ 1993, 565 (567) und Stoffers, ZRP 1998, 173, (175); hierzu auch Brauns, JZ 1995, 492 (494); Lantzke, ZRP 1970, 201 (205). 82 So auch KMR-Eschelbach, § 359 Rn. 122. 83 In diese Richtung erneut Meyer, Wiederaufnahmereform, S. 124. Vgl. auch Bajohr, Aufhebung rechtsfehlerhafter Strafurteile, S. 129, in dessen Stellungnahme sich auch darüber hinaus eine recht wortlautgetreue Wiedergabe der sonstigen Kritik findet. 80

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2. Ignoranz von Tatbestandsmerkmalen Die Beurteilung, ob ein strafrechtlich relevantes Verhalten vorliegt, erfordert die Subsumtion sämtlicher gesetzlich vorgesehener Tatbestandsmerkmale. Dass der Betrug nach § 263 Abs. 1 StGB einen Vermögensschaden voraussetzt, es zur Vollendung des § 242 Abs. 1 StGB einer Wegnahme bedarf oder der Entschuldigungsgrund des § 35 Abs. 1 Satz 1 StGB das Abwenden einer Gefahr zugunsten eines Angehörigen oder einer nahestehenden Person erfordert, sind wiederum abstrakte Anforderungen, die der Gesetzgeber allgemein und unabhängig vom Einzelfall – dies natürlich auch vor dem Hintergrund des Art. 103 Abs. 2 GG – getroffen hat. Geht das Gericht nun davon aus, zur Erfüllung des Betrugstatbestandes genüge eine Täuschung des Opfers und eine daraufhin vorgenommene irrtumsbedingte Vermögensverfügung und bleibt an diesem Punkt der Prüfung stehen, liegt darin die Nichtbeachtung einer Rechtstatsache. Das Erfordernis des Tatbestandsmerkmals des Vermögensschadens ist wertungsunabhängig und gilt für jeden zur Beurteilung stehenden Fall. Fehlt es an Feststellungen zu diesem Vermögensschaden, kann die Verurteilung wegen vollendeten Delikts keinen Bestand haben. Auch wenn eine Versuchsstrafbarkeit bestehen bleiben sollte, genügt dieses Vorbringen, um eine der Strafherabsetzung auf Grund eines milderen und anderen Gesetzes und damit eine von § 359 Nr. 5 StPO anerkannte Folge herbeizuführen.84 Ungeschriebenen Tatbestandsmerkmale dagegen, welche zusätzlich in den Tatbestand des Delikts hineingelesen werden, sich aus selbigem jedoch nicht ausdrücklich ergeben, mangelt es an der Qualität einer Rechtstatsache. Die Ignoranz ungeschriebener Tatbestandsmerkmale bedeutet vielmehr das Hinwegsetzen über die ständige Rechtsprechung, über ein „gefestigtes Verständnis“85 der Norm. Gleiches gilt für Verstöße gegen das vom Bundesverfassungsgericht aufgestellte Verbot der Verschleifung beziehungsweise Entgrenzung von Tatbestandsmerkmalen, welches besagt, dass einzelne Tatbestandsmerkmale im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG auch innerhalb ihres möglichen Wortsinns nicht so weit ausgelegt werden dürfen, dass sie vollständig in anderen Tatbestandsmerkmalen aufgehen und dadurch zwangsläufig mit diesen verwirklicht werden.86 Eine bewusste Überdehnung eines Straftatbestandes kann, ebenso wie die bewusste Verurteilung ohne gesetzliche Grundlage87, im Einzelfall § 339 StGB subsumiert werden88 und damit eine Wiederaufnahme nach § 359 Nr. 3 StPO ermöglichen. § 359 Nr. 5 StPO steht hier jedoch nicht zur Verfügung. 84

Zur Zulässigkeit der Wiederaufnahme gestützt auf eine nur versuchte Tat OLG Hamm NJW 1964, 1040 (1041); KMR-Eschelbach, § 359 Rn. 192; LR-Gössel, § 359 Rn. 148; MeyerGoßner/Schmitt, § 359 Rn. 41; v. Hentig, Wiederaufnahmerecht, S. 103. Eingehend zum anderen, milderen Gesetz sogleich. 85 Zu dieser Begrifflichkeit BVerfGE 126, 170 (199 f.). 86 BVerfGE 87, 209 (229) zu § 131 Abs. 1 StGB; 92, 1 (16 f.) zu § 240 Abs. 1 StGB sowie BVerfGE 126, 170 (198); BVerfG StV 2013, 80 (81 f.) jeweils zu § 266 StGB. 87 Hierzu bereits in Fn. 40. 88 BGHSt 40, 30 (42 f.); 41, 247 (260); BGH NStZ-RR 1998, 172; MüKo(StGB)-Uebele, § 339 Rn. 47. Dagegen wird in der bloßen Abweichung von der herrschenden Meinung oder der

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Das Verkennen des Erfordernisses geschriebener Tatbestandsmerkmale im Bereich etwa des § 35 Abs. 1 Satz 1 StGB müsste dagegen unter den Anwendungsbereich des § 362 StPO fallen. Dies liegt daran, dass die Ignoranz eines notwendigen Tatbestandsmerkmales im Rahmen eines Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrundes und die dadurch erfolgte rechtsfehlerhafte Annahme desselben sich – sofern tatsächlich keine Beanstandung seitens der Anklage erfolgen sollte89 – zugunsten des Angeklagten auswirkt, die Wiederaufnahme demnach zuungunsten erfolgen müsste. Hier kann jedenfalls das Verkennen einer Rechtstatsache mangels Entsprechung zur § 359 Nr. 5 StPO die Wiederaufnahme nicht begründen. Eine den Angeklagten begünstigende Einwirkung auf die nicht Gegenstand der Erörterung im Verfahren bildende richterliche Rechtskunde (iura novit curia) durch die in §§ 362 Nrn. 1 und 2 StPO genannten Fälle kommt ersichtlich nicht in Betracht. Freilich kann die bewusste Nichtbeachtung des der Rechtfertigung oder Entschuldigung der Tat entgegenstehenden Merkmals ebenfalls eine Amtspflichtverletzung begründen und bei Vorliegen der von § 364 StPO aufgestellten weiteren Voraussetzung der Wiederaufnahmegrund des § 362 Nr. 3 StPO eine Wiederaufnahme ermöglichen. Fraglich ist, ob das Verfahren darüber hinaus zuungunsten des mangels Rechtswidrigkeit oder Schuld Freigesprochenen nach § 362 Nr. 4 StPO wiederaufgenommen werden kann, wenn dieser nachträglich öffentlich ein Geständnis ablegt. Zunächst einmal fordert § 362 Nr. 4 StPO keinen manipulativen Eingriff in das Strafverfahren, keinen „erschlichenen“ Freispruch. Ein solcher kann auch völlig ohne Zutun des hinsichtlich seiner Mitwirkung am Verfahren freien Angeklagten ergangen sein, weshalb der Umstand, dass vorliegend der Fehler allein aus der Sphäre der Justiz rührt, der Anwendbarkeit nicht entgegensteht. Der ungünstige Wiederaufnahmegrund propter nova stellt darüber hinaus dem Wortlaut nach keine weiteren Anforderungen an den Hintergrund des Freispruchs. Zwar wird in den Motiven90 auf den Verbrecher abgestellt, der „wegen mangelnden Beweises freigesprochen“ wurde und sich anschließend der Tat selbst bezichtigt oder rühmt, was jedoch wiederum darin begründet liegen könnte, dass die rechtsfehlerbehaftete Entscheidung zum damaligen Zeitpunkt nicht im Fokus des Gesetzgebungsverfahrens lag.91 Zentrales Argument ist jedoch die dadurch befürchtete Irreführung des Rechtsbewusstseins der Allgemeinheit. Aus dieser Konzeption des Wiederaufnahmegrunds ergibt sich, dass über den Wortlaut hinaus in Fällen, in denen mangels Rechtswidrigkeit oder Schuld keine Verurteilung erfolgte, das Geständnis auch diese Umstände betreffen muss.92 Der ständigen Rechtsprechung anderer, auch übergeordneter, Gerichte regelmäßig kein rechtsbeugendes Verhalten gesehen, hierzu MüKo(StGB)-Uebele, § 339 Rn. 24 m.w.N. 89 Darauf weist Ziemba, Wiederaufnahme zuungunsten, S. 220 f. zu Recht hin. 90 Materialien Bd. 3 Abtl. 1, S. 264. 91 Hierzu bereits die Nachweise in Fn. 4. 92 KK-Schmidt, § 362 Rn. 11; LR-Gössel, § 362 Rn. 15 a.E.; Meyer-Goßner/Schmitt, § 362 Rn. 5; Pfeiffer, § 362 Rn. 4; Eb. Schmidt, Lehrkommentar II § 362 Rn. 9; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 57 Rn. 11; Schlüchter, Strafverfahren, Rn. 769.2; Weber-Klatt, Wiederaufnahme zu Ungunsten, S. 263.

I. Die hinsichtlich der materiellen Rechtslage fehlerhafte Entscheidung

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Freigesprochene, dessen Tat nach Ansicht des Gerichts durch Notwehr gerechtfertigt war, erschüttert das Rechtsbewusstsein der Allgemeinheit nicht mit der nachträglichen, im Falle des Zugeständnisses der Tatbestandsverwirklichung bereits im Verfahren sogar erneuten öffentlichen Schilderung seiner vorsätzlichen Tat. Erst, wenn er Angaben hinzufügt, die ergeben, dass etwa der Angriff zum Zeitpunkt der Tat schon längst beendet war oder tatsächlich nie stattgefunden hat, kann und muss auf diese wiederholte Störung des Rechtsfriedens mit der Wiederaufnahme reagiert werden.93 Mithin ergibt sich aus dem telos des § 362 Nr. 4 StPO die Vorgabe, dass das Geständnis gleichsam spiegelbildlich zu den den Freispruch begründenden Tatsachen erfolgen muss.94 Bezogen auf die vorliegende, in der Literatur jedoch – wie offenbar insgesamt die Auswirkung von sich zugunsten des Angeklagten auswirkenden Rechtsfehlern – nicht bedachten Konstellation bedeutet dies, dass das Geständnis des Freigesprochenen sich gerade auf den dem Gericht unterlaufenen Rechtsfehler, hier also im Bereich der erforderlichen Merkmale eines Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrundes, beziehen muss. Wenn nun der von einem Rechtsfehler profitierende Angeklagte diesen Umstand an die Öffentlichkeit trägt, seinen dadurch begründeten Freispruch unter Umständen sogar medial ausschlachtet,95 liegen nach Wortlaut und ratio der Norm hinreichende Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme nach § 362 Nr. 4 StPO auch bei einem rechtsfehlerhaften Freispruch vor.

3. Sonstige Subsumtionsfehler Ob ein bestimmtes Merkmal zur Erfüllung eines Tatbestandes erforderlich ist, beurteilt sich abstrakt anhand des Gesetzes. Ob ein bestimmter Umstand die Verwirklichung dieses Tatbestandsmerkmals darstellt, beurteilt sich anhand des Einzelfalls. Während dieses Subsumtionsvorgangs auftretende Fehler96 sind zwar ebenfalls rechtlicher Natur: Eine Vorschrift des Allgemeinen oder des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches wird nicht so angewendet, wie es der durch Auslegung zu 93

Umgekehrt wird das Rechtsbewusstsein der Bevölkerung auch nicht in dem vom Gesetzgeber erdachten Ausmaß erschüttert, sofern der Angeklagte zwar die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes einräumt, zugleich aber ausschließende Angaben betreffend Vorsatz, Rechtswidrigkeit oder Schuld hinzufügt – eine Wiederaufnahme müsste folglich in solchen Fällen ausscheiden, vgl. hierzu Radtke/Hohmann-Hohmann, § 362 Rn. 5; SSW-Kaspar, § 362 Rn. 10; SK-Frister, § 362 Rn. 16; Peters, Fehlerquellen Bd. 3, S. 105; dem zugeneigt auch AKLoos, § 362 Rn. 18. 94 Anschaulich auch AK-Loos, § 362 Rn. 18: Wann ein Geständnis vorliege, richte sich nach den Feststellungen im Grundverfahren, deren Korrektur (Dementi oder Ergänzung) das Geständnis darstelle. 95 Zu diesem Aspekt in anderem Kontext SK-Frister, § 362 Rn. 13. 96 Zur Häufigkeit Lantzke, ZRP 1970, 201 (205): Einerseits sei die subsumtionsfehlerhafte Entscheidung der häufigste Fall einer auf Rechtsfehlern beruhenden Entscheidung, andererseits werde gerade dieser Fehler auf Rechtsmittelinstanz regelmäßig korrigiert.

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D. Die aus rechtlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

konkretisierende Wille des Gesetzgebers erfordert. Dabei handelt es sich jedoch notwendigerweise um eine Anwendung des Rechts auf den Einzelfall. Dessen konkrete Gestaltung kann die Einschlägigkeit des Tatbestands oder das Vorliegen eines unrechtserhöhenden Merkmals relativ leicht infrage stellen. Ist ein mit Nieten besetzter Lederhandschuh schon ein verbotener Schlagring im Sinne des Waffengesetzes?97 Steigt jemand, der durch einen gekippten Türflügel in die Wohnung hineingreift und die Tür öffnet, bereits im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB in einen umschlossenen Raum ein?98 Ein Subsumtionsvorgang ohne Wertungselement ist schlicht nicht vorstellbar.99 Der nach der traditionellen Methodenvorstellung die Rechtsanwendung bestimmende, syllogistische Schluss von der Rechtsnorm auf den Sachverhalt kann nur dann funktionieren, wenn die Lösung der Fragestellung bereits als solche im Gesetz selbst steckt und gleichsam lediglich noch „entdeckt“ werden muss.100 Dann gäbe es in der Tat nur eine richtige Möglichkeit zur Beantwortung der konkreten, an den jeweiligen Rechtsanwender gestellten Frage. Die Alternativlosigkeit der Ergebnisse scheitert jedoch regelmäßig bereits an der mangelnden Präzision der Sprache.101 Die in einer Norm verwendeten Begrifflichkeiten bedürfen, anders als mathematische Symbole oder Formeln, einer Interpretation und unterliegen damit einem zwischengeschalteten Vorgang eigener Rezeption und Deutung. Auch die Auswahl zwischen verschiedenen zur Verfügung stehenden, unter dem Stichwort „Auslegungsmethoden“ zusammengefassten Deutungsinstrumenten obliegt dem zur Entscheidung des Falles berufenen Richter. Aus diesem Grunde steht am Ende der richterlichen Subsumtion ein Ergebnis, dessen Bewertung als „richtig“ oder „falsch“ im Regelfall pauschal nicht möglich ist.102 Darin liegt der Unterschied zur Beantwortung der Frage, ob für ein abstraktes umrissenes Verhalten ein entsprechender Straftatbestand existiert. Da nicht feststellbar ist, ob ein diesen Vorgang wiederholender anderer Richter eine der materiellen Gerechtigkeit besser entsprechende Entscheidung zu treffen vermag, kann das Wiederaufnahmeverfahren für derartige Fragen nicht zur Verfügung stehen. Das 97

§ 2 Abs. 3 i.V.m. Anlage 2 Abschn. 1 Nr. 1.3.2 WaffG; zugrundeliegender Fall: OLG Celle NStZ 1988, 280; Bericht aus der Praxis von Stern, NStZ 1993, 409 (410). 98 Zugrundeliegender Fall: BGH StV 2011, 17. 99 Einschränkend Lantzke, ZRP 1970, 201 (205): es seien „nur wenige“ Subsumtionsfehler vorstellbar, bei denen weder ein Auslegungsspielraum noch eine Wahl zwischen verschiedenen Rechtsauffassungen existiere. Ein Beispiel hierfür sei die als Diebstahl gewertete Mitnahme eines gebrauchten, herrenlosen Radiogeräts von einer Müllkippe. Die fehlende Fremdheit der Sache ist jedoch auch in diesem Fall das Ergebnis eines Wertungsvorgangs, eine Dereliktion kann im Einzelfall nämlich dann ausgeschlossen sein, wenn das Interesse des Eigentümers einer unkontrollierten Preisgabe an Dritte entgegensteht (vgl. NK-Kindhäuser, § 242 StGB Rn. 22 m.N.). 100 Hierzu und im Folgenden Häuser, BJ 2011, 151 f. 101 Hierzu auch Larenz, Methodenlehre, S. 343. 102 Vgl. Neumann, ZStW 101 [1989], 52 (56); Peters, Strafprozeß, S. 605 und insb. Häuser, BJ 2011, 151 (154): aus diesem Grunde bewege man sich heute eher in den Kategorien „vertretbar“ und „nicht vertretbar“.

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zunächst gefundene Ergebnis durch das Resultat eines anderen Subsumtionsvorgangs zu ersetzen, ist mit der Konzeption der Wiederaufnahme nicht zu vereinbaren und würde in der Tat zu einem „infiniten Verfahrensregress“103 führen, da die Fragestellung, ob die das Erstverfahren bestimmende Rechtsauffassung oder aber die des an zweiter Stelle befassten Gerichts richtiger oder auch nur „vertretbarer“ ist, wiederum nur Gegenstand eines weiteren Verfahrens sein kann. Das Vorbringen, dass der nietenbesetzte Lederhandschuh beim Schlag eine weitaus geringere Wirkung besessen hätte, als es der Gesetzgeber hinsichtlich der Wirksamkeit eines Schlagringes vor Augen gehabt hat, und daher das Tragen eines solchen Handschuhs keinem waffenrechtlichen Verbotstatbestand unterfällt,104 ist demnach für das Wiederaufnahmerecht – vorbehaltlich der Einschlägigkeit des § 359 Nr. 3 StPO – irrelevant. Hat sich der Subsumtionsfehler für den Angeklagten positiv ausgewirkt, gilt allerdings, dass das nachträgliche Geständnis nach der im vorstehenden Unterkapitel geschilderten Maßgabe die Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 362 Nr. 4 StPO begründet, dies freilich nur, sofern der Angeklagte nicht verurteilt, sondern freigesprochen wurde.

4. Fehler auf Strafzumessungsebene Hier sollte nicht allzu vorschnell angenommen werden, dass rechtliche Fehler angesichts der Komplexität und Einzelfallbezogenheit des Strafzumessungsvorgangs wiederaufnahmerechtlich ebenfalls keine Rolle spielen könnten. Auch hier gibt es zwingende und allgemeingültige Anordnungen. So ist etwa die Strafe des Gehilfen obligatorisch zu mildern (§ 27 Abs. 2 Satz 2 StGB), ganz gleich, wie verwerflich das Gericht seinen Beitrag im Einzelfall beurteilt.105 Was also, wenn der Betroffene wegen Beihilfe verurteilt wurde, die obligatorische Milderung nach § 49 Abs. 1 StGB jedoch rechtsfehlerhaft unterblieben ist? Dass gemildert werden muss, ist „Tatsache“, einzelfall- und wertungsabhängig ist allein, wo innerhalb dieses modifizierten Strafrahmens die schuldangemessene Strafe letztlich angesiedelt wird. Die Nichtbeachtung der Rechtstatsache, dass der Regelstrafrahmen bei bloßer Beihilfe zur Tat auf ein bestimmtes Maß herabgesetzt ist, ist nach hier vertretener Auffassung ein wiederaufnahmerechtlich relevanter Vortrag. Er bezieht sich auch auf eine wiederaufnahmerechtlich relevante Rechtsfolge, denn hier greift eins ins andere: Mit der bloßen Möglichkeit einer richtigeren Entscheidung möchte sich auch § 363 Abs. 1 StPO nicht zufriedengeben, die Norm fordert eine dahingehende Gewährleistung.106 Ebenso liegt eine Rechtstatsache erst dann vor, wenn sichergestellt 103

SK-Frister, Vor § 359 Rn. 8. Vgl. erneut das OLG Celle NStZ 1988, 280 (281). 105 Die Beachtung der zwingenden Strafmilderung muss jeweils aus den Urteilsgründen hervorgehen, vgl. MüKo(StGB)-Joecks, § 27 Rn. 113; Sch/Sch-Heine/Weißer, § 27 StGB Rn. 39. 106 Vgl. hierzu SK-Frister, § 363 Rn. 2. 104

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ist, dass die nochmalige Beurteilung der Frage zu einer besseren Entscheidung führt, dies ist erst dann der Fall, wenn sie aufgrund ihrer Wertungsunabhängigkeit nur eine Antwortmöglichkeit bietet. Zulässig wird die Wiederaufnahme, wenn durch den Vortrag ein messbar anderes Ergebnis erzwungen wird. Übertragen auf das Verbot der Strafmaßwiederaufnahme bedeutet dies, dass lediglich eine andere, ebenfalls mögliche Bemessung der Strafe im Wege der Wiederaufnahme aus dieser ausscheiden muss. Sofern jedoch durch den Vortrag der Vorgang der Strafbemessung selbst zwingenden Änderungen unterworfen wird, kann berechtigt ein besseres Ergebnis erwartet werden. Zwang geht im Bereich der Strafzumessung in erster Linie vom gesetzlich vorgesehenen Höchst- und Mindestmaß der Strafe aus. Nicht umsonst spricht man vom Strafrahmen, innerhalb dessen der Vorgang der Strafzumessung stattzufinden hat. Verschiebt sich dieser, ist die Strafzumessung gezwungen, mitzuziehen. Aus dem so begründeten telos des § 363 Abs. 1 StPO ergibt sich, dass ein Vorbringen, was die Verschiebung des Strafrahmens begründet, vom Wiederaufnahmeverfahren akzeptiert wird.107 Die Nichtanwendung derjenigen gesetzlichen Regelungen, die zu einer derartigen Verschiebung führen, ist jedoch erst dann ein wiederaufnahmerechtlich relevanter Umstand, wenn nicht nur die Strafzumessung in einen anderen Rahmen gezwungen wird (§ 363 Abs. 1 StPO), sondern auch die Verschiebung als solche zwingend ist. Erst dann wird auch § 359 Nr. 5 StPO Genüge getan, der die Berücksichtigung von Rechtsfehlern nur erlaubt, wenn die zugrunde liegende Regelung dem Rechtsanwender keine Entscheidungsoption belässt – denn nur in diesem Fall ist ein besseres Ergebnis nicht nur möglich, sondern gewährleistet. Bei obligatorischen Strafmilderungsgründen ist dies der Fall. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn im wiederaufgenommenen Verfahren das Strafmaß letztlich trotz Anwendung des richtigen Strafrahmens nicht reduziert wird.108 Aus Sicht des Betroffenen mag damit zwar „unterm Strich“ dasselbe Ergebnis erzielt worden sein, de facto handelt es sich jedoch um das materiell-rechtlich richtige und damit bessere Resultat. Die grundsätzliche Akzeptanz einer exakt übereinstimmenden Entscheidung im Wiederaufnahmeverfahren belegt schon der Wortlaut des § 373 Abs. 1 StPO, der die Möglichkeit der Aufrechterhaltung des Urteils vorsieht.109 Der Befund, dass die Perspektive einer im Strafmaß gleichen Entscheidung in der neuen Hauptverhandlung der Wiederaufnahme nicht entgegensteht, resultiert jedoch daraus, dass die dortige Entscheidung nicht der Kontrolle des nunmehr wirkungslosen Urteils des Erstgerichts dient, sondern zu einer originär neuen Entscheidung

107

So im Ergebnis auch SK-Frister, § 363 Rn. 13 ff. Die Grundlage der Strafzumessung ist die individuelle Schuld des Beteiligten, weshalb die Strafe des Gehilfen der des Haupttäters gleichkommen oder sie sogar übersteigen kann, vgl. RGSt 2, 383; 51, 106 (112); LK-Schünemann, § 27 StGB Rn. 77; MüKo(StGB)-Joecks, § 27 Rn. 113. 109 Dies allerdings nur dann, sofern das Gericht nach eigener Überzeugung von der vollständigen Richtigkeit der Erstentscheidung ausgeht. Bei der Bezugnahme auf das frühere Urteil handelt es sich um eine besondere Form der Tenorierung, vgl. AK-Loos, § 373 Rn. 12; KMREschelbach, § 373 Rn. 17; SK-Frister, § 373 Rn. 8. 108

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der Tatsacheninstanz führt.110 Das Gericht ist hierbei – abgesehen vom Verbot der reformatio in peius – weder an das Erst- noch an das Wiederaufnahmeverfahren gebunden.111 Die rechtsirrige Nichtverschiebung des Strafrahmens kann über das Wiederaufnahmeverfahren demnach auch noch nach der Rechtskraft Beachtung finden. Wird eine Strafschärfung nicht vorgenommen, obwohl ihre tatbestandlichen Voraussetzungen vorliegen, rechtsirrig also der Strafrahmen des Grunddelikts herangezogen, obwohl die Erfüllung eines Qualifikationstatbestandes bejaht wurde, bewegt man sich im Bereich des § 362 StPO. Neben der theoretisch bestehenden Möglichkeit der Wiederaufnahme wegen einer strafbaren Amtspflichtverletzung ist zu beachten, dass selbst bei entsprechendem Geständnis der Weg über § 362 Nr. 4 StPO hier nicht eröffnet ist. Derjenige, der aufgrund eines Rechtsfehlers von einer Strafschärfung verschont blieb, wurde dennoch – wenngleich zu milde – bestraft. Die gesetzliche Wertung, nach § 362 Nr. 4 StPO nur denjenigen der ungünstigen Wiederaufnahme propter nova zu unterwerfen, der jeglicher Bestrafung entronnen ist, steht der Wiederaufnahme hier eindeutig entgegen.112

5. Verhängung einer gesetzlich nicht vorgesehenen Rechtsfolge Die Fallgruppe der Verhängung einer gesetzlich nicht vorgesehenen Strafart wurde bereits von Peters113 als Beispiel für die Rechtstatsache aufgeführt. Hierbei bezog sich dieser speziell auf die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe wegen eines Vergehens, das lediglich eine Ahnung mit Geldstrafe vorsah. Die Verhängung einer nicht angedrohten Haupt- oder Nebenstrafe oder Maßregel stellt genauso wie die Über- oder Unterschreitung des gesetzlichen Strafrahmens einen technischen Fehler der Straffestsetzung114 und einen abstrakt feststellbaren Rechtsfehler dar. Die Lösung erfolgt daher parallel der zuvor vorgestellten Fallgruppe, in der durch Nichtbeachtung einer obligatorischen Strafmilderung oder -schärfung der falsche Strafrahmen gewählt wurde. Gleiches müsste an sich für das Strafbefehlsverfahren gelten, denn dort normiert § 407 Abs. 2 StPO abschließend, welche Rechtsfolgen der Tat, allein oder nebeneinander, durch Strafbefehl festgesetzt werden können. Anders als im Bereich der Verurteilung im Regelverfahren, hinsichtlich derer der Zweite Strafsenat des Bundesgerichtshofs bereits im Jahre 1953 feststellte, dass, sofern lediglich eine 110

KMR-Eschelbach, § 373 Rn. 17; Meyer-Goßner/Schmitt, § 373 Rn. 6 jew. m.w.N. BGHSt 14, 64 (68); AK-Loos, § 373 Rn. 19; Joecks, Vor § 359 Rn. 6 gegen die Einordnung der neuen Verhandlung als „dritte Stufe“; SK-Frister, § 373 Rn. 8. 112 A.A. allerdings Peters, Strafprozeß, S. 678: Zulässigkeit der Analogie bei absoluter Unverhältnismäßigkeit der Strafen. 113 Fehlerquellen Bd. 3, S. 64. 114 Hierzu LR-Gössel, § 318 Rn. 75. 111

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D. Die aus rechtlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

im konkreten Fall nicht zulässige andere Strafart des deutschen Strafensystems gewählt wurde, das ergangene Urteil als wirksam anzusehen sei,115 so wird der keine oder eine unzulässige Rechtsfolge beinhaltende Strafbefehl teilweise für nichtig gehalten.116 Die durch die Unwirksamkeit des Strafbefehls bewirkte Unzulässigkeit der Strafvollstreckung könne der Betroffene durch Erhebung der Einwendung nach § 458 Abs. 1 Var. 3 StPO feststellen lassen.117 Einer weiteren Ansicht nach soll Nichtigkeit nur dann vorliegen, sofern gegen den Strafbefehl kein Einspruch eingelegt wird, seine Funktion als Eröffnungsbeschluss für die Überleitung ins Regelverfahren könne er jedoch ohne weiteres erfüllen.118 Nach anderer Auffassung bleibt die Wirksamkeit des Strafbefehls unberührt.119 Bei Durchführung einer Hauptverhandlung nach Einspruch des Betroffenen wäre die Begrenzung ohnehin entfallen, weshalb der Fehler per se schon nicht von die Nichtigkeit begründender Schwere sein könne.120 Gegen die zweitgenannte „Zwischenlösung“ spricht jedenfalls, dass eine solch massive Folge wie die Nichtigkeit einer gerichtlichen Entscheidung nicht von der Anfechtung durch den Betroffenen abhängen kann.121 Der Nichtigkeit soll ja gerade eigen sein, dass sie nicht im Wege eines formellen Verfahrens geltend zu machen ist, sondern jedem zu jeder Zeit gestattet, die richterliche Entscheidung zu ignorieren122 – damit wäre die Wirkung der Nichtigkeit gleichzeitig zu ihrer Voraussetzung erhoben und die Beweisführung ein Zirkelschluss. Die Annahme der Unwirksamkeit des Strafbefehls hätte jedoch generell, ob geknüpft an die Nichtanfechtung oder nicht, zur Folge, dass das Gericht ohne weiteres und ohne Verstoß gegen ne bis in idem gleichsam einen zweiten Strafbefehl erlassen könnte. Der Betroffene sähe sich mit zwei ihm wohlmöglich wirksam erscheinenden, inhaltlich voneinander abweichenden richterliche Entscheidungen konfrontiert. Dass dies im Hinblick auf den Aspekt der Rechtssicherheit völlig verfehlt ist, bedarf keiner näheren Erläuterung. Jedoch muss mit der Nichtigkeit nach hier vertretener Ansicht 115 BGH bei Dallinger, MDR 1954, 398 (401), anders sei dies nur bei einer dem Strafensystem völlig unbekannten Strafe wie der Prügel- oder Todesstrafe. Zu diesen „Phantasiefällen“ bereits im Rahmen der Kritik zur Lehre vom nichtigen Urteil (hier ab S. 29). 116 So etwa OLG Düsseldorf MDR 1984, 690; KMR-Metzger, § 409 Rn. 18; LR-Gössel, § 409 Rn. 17. 117 Gegen die Korrektur im Strafvollstreckungsverfahren bringt Vent, JR 1980, 400 (402) zwar vor, ein Widerspruch von Tenor und Gründen sei hier, anders als beim Strafurteil, nicht denkbar, weshalb das allein auf die Beseitigung derartiger Zweifel ausgerichtete Verfahren nicht anwendbar sei. Hiergegen ließe sich allerdings die lediglich urteilsgleiche Wirkung des Strafbefehls anführen, die ein gewisses Maß an Flexibilität hinsichtlich der Anwendung von konzeptionell auf die Entscheidungsform Urteil zugeschnittenen Vorschriften erfordert. 118 KK-Maur, § 409 Rn. 24 f.; Pfeiffer, § 409 Rn. 11; SK-Weßlau, § 409 Rn. 32. 119 OLG Koblenz NStZ 2000, 41 (42); Meyer-Goßner/Schmitt, § 409 Rn. 7; SSW-Momsen, § 407 Rn. 14. 120 Peters, Strafprozeß, S. 565, die Vollstreckung sei allerdings unzulässig, was über § 458 Abs. 1 StPO festzustellen sei. 121 Zutreffend LR-Gössel, § 409 Rn. 17. 122 Hierzu erneut RGSt 40, 271 (273); BGHSt 29, 351 (352); Dickersbach, Prozessuale Tatsachen, S. 28; Neumann, System der Wiederaufnahme, S. 11.

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schon deshalb nicht operiert werden, da über das Wiederaufnahmeverfahren zugunsten des Betroffenen eine hinreichende Korrekturmöglichkeit im formellen Verfahren besteht. Zwar wird das Strafbefehlsverfahren hierdurch regelmäßig ins Regelverfahren übergeleitet, da ein Beschluss nach § 371 Abs. 2 StPO nicht infrage kommt – eine Verurteilung soll ja nach wie vor erfolgen. Im Hinblick auf die Rechtsklarheit ist dieser Lösungsweg gegenüber dem Erlass eines zweiten, in den Rechtsfolgen abweichenden Strafbefehls jedoch unbedingt zu bevorzugen. Das Wiederaufnahmevorbringen ist nicht nur auf eine Rechtstatsache im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO, sondern auch darauf gestützt, dass dem Gericht ein anderer als der dem Strafbefehl zugrunde gelegte Strafrahmen zur Verfügung gestanden hätte (§ 363 Abs. 1 StPO), wodurch auch die weiteren Voraussetzungen eines zulässigen Vorbringens gegeben sind. Dass in der erneuten Hauptverhandlung, in der der Strafbefehl die Funktion eines Eröffnungsbeschlusses erlangt,123 der Katalog des § 407 Abs. 2 StPO insoweit nicht von Relevanz ist, steht dem nicht entgegen. Vor einem nachteiligen Abweichen der Rechtsfolgen ihrer Art und Höhe nach ist der Betroffene jedenfalls durch das Verbot der reformatio in peius (§ 372 Abs. 2 StPO) geschützt.

6. Verjährung der Tat Ein Rechtsfehler im Bereich der Verfolgungsverjährung kann sich wiederum diametral auswirken. Zuungunsten wirkt sich der Fehler aus, wenn das Gericht rechtsirrig die Nichtverjährung der Tat annimmt und anstelle der gebotenen Einstellung124 eine Verurteilung ausspricht. Für den Angeklagten günstig wirken sämtliche Fehlbeurteilungen, die die Verjährung fälschlich bejahen und daher im Regelfall zu einer ungerechtfertigten Prozessentscheidung nach §§ 206a, 260 Abs. 3 StPO führen. Hierbei sind verschiedenste Konstellationen denkbar: Rechtsfehler im Bereich der Subsumtion können sich auf die rechtliche Beurteilung der Tat auswirken und dazu führen, dass der Beurteilung die falsche Verjährungsfrist (§ 78 Abs. 2, 3 StGB) zugrunde gelegt wird, etwa im Fall, dass zulasten des durch einen gekippten Türflügel in die Wohnung hineingreifenden und die Tür öffnenden Täters eine Verfolgungsverjährung erst nach Ablauf von zehn Jahren (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 StGB) angenommen wird, obwohl die Tat rechtlich als Diebstahl – möglicherweise auch in einem unbenannten besonders schweren Fall – bereits nach § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB verjährt war.125 Dem richterlichen Subsumtionsvorgang ist nach Feststellung der Tatbestandsverwirklichung in diesem Fall lediglich noch eine weitere Entscheidung hintan gestellt, in der sich der Grundmangel vertieft. Die Lösung des Falls unterscheidet sich daher im Ergebnis nicht von der Grundkonstellation des sonstigen richterlichen Subsumtionsfehlers. Obwohl nun nicht mehr die Bejahung des Tatbestands, sondern die Bejahung der Verjährung infrage steht, liegt doch derselbe 123 124 125

Meyer-Goßner/Schmitt, § 373a Rn. 4; SK-Frister, § 373a Rn. 8. Dazu bereits ab S. 89. Hierzu erneut BGH StV 2011, 17 f.

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Rechtsfehler zugrunde, weshalb auf die Ausführungen ab S. 241 verwiesen werden kann. Gleiches gilt für die (Nicht)Annahme der Verjährung bedingt durch die rechtsfehlerhafte Feststellung des Verjährungsbeginns. Nach § 78a StGB beginnt die Verjährung, sobald die Tat beendet ist; sofern allerdings ein zum Tatbestand gehörender Erfolg erst später eintritt, erst mit diesem Zeitpunkt. Gemeint ist hier nicht der Moment, in dem alle Tatbestandsmerkmale verwirklicht wurden, entscheidend soll vielmehr das Ende der auf Verwirklichung des tatbestandlichen Unrechts gerichteten Gesamttätigkeit sein.126 Die Frage, wie lange das Verhalten des Täters von der Motivation geprägt ist, die Tat zu verwirklichen, sich etwa ihre Früchte zu sichern oder sonst ihren Erfolg zu festigen,127 und damit die Frage nach dem Zeitpunkt des soeben umschriebenen Verjährungsbeginns, kann ebenfalls nur durch eine einzelfallbezogene richterliche Bewertung beantwortet werden. Auch Fehler im Rahmen dieses Vorgangs sind nur in den zuvor aufgezeigten Grenzen wiederaufnahmerechtlich relevant. Demgegenüber folgt der Schluss von der festgestellten Tat auf die Verjährungsfrist einer abstrakten und wertungsfreien Betrachtungsweise, denn maßgebend ist allein das gesetzliche Höchstmaß der angedrohten Strafe.128 Wurde also festgestellt, dass der Angeklagte nach § 242 Abs. 1 StGB strafbar ist, geht es im nächsten Schritt darum, diese Information mit denen des § 78 StGB zu kombinieren, um daraus auf die maßgebliche Verjährungsfrist schließen zu können. Dieser Vorgang ist frei von jeglicher subjektiven Bewertung. Daraus resultiert, dass der Angeklagte in diesem Fall mit dem Vorbringen, das Gericht habe zur korrekt festgestellten materiell-rechtlichen Tat die falsche (längere) Verjährungsfrist aus § 78 StGB in Bezug gesetzt, die Nichtbeachtung dieser Rechtstatsache über § 359 Nr. 5 StPO im Wiederaufnahmeverfahren geltend machen kann. Gleiches gilt für die gesetzgeberische Entscheidung, die Frist ohne Rücksicht auf Schärfungen oder Milderungen, die nach den Vorschriften des Allgemeinen Teils oder für besonders schwere oder minder schwere Fälle vorgesehen sind, zu bemessen (§ 78 Abs. 4 StGB). Orientiert sich das Gericht nicht an dem verwirklichten Straftatbestand, sondern an einer strafrahmenmodifizierenden Vorschrift wie etwa § 243 Abs. 1 StGB,129 so liegt darin ebenfalls die Nichtbeachtung einer Rechtstatsache. Die irrtümliche Verfahrenseinstellung wegen einer zu kurz bemessenen Frist wäre nur über § 362 StPO angreifbar, denn auch insoweit verbietet das Widerspruchsverbot, die Tat heute als verjährt, morgen als unverjährt zu behandeln. Um abstrakte Festlegungen sind auch die Vorschriften zum Ruhen beziehungsweise zur Unterbrechung der Verjährung nach §§ 78b, 78c StGB bemüht, was sich besonders im Vergleich zur Vorgängernorm § 68 Abs. 1 StGB a.F. zeigt, nach der 126 RGSt 40, 402 (405); BGHSt 11, 345 (346 f.); 16, 207 (209); 24, 218 (220); Sch/SchSternberg-Lieben/Bosch, § 78a StGB Rn. 1. 127 Vgl. BGH NStZ 1983, 559. 128 Sch/Sch-Sternberg-Lieben/Bosch, § 78 StGB Rn. 10 („abstrakte Betrachtungsweise“). 129 Vgl. MüKo(StGB) § 78 Rn. 21 f.

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jede „Handlung des Richters, welche wegen der begangenen That gegen den Thäter gerichtet ist“, zur Verjährungsunterbrechung führen sollte.130 Die rechtsfehlerhafte Annahme der Einschlägigkeit wirkt sich zulasten, ihre Nichtannahme zugunsten des Betroffenen aus. Die insoweit abschließenden Regelungen erlauben zwar die Feststellung, dass andere als die dort genannten Umstände die Verjährung nicht tangieren. Ein Blick in die einschlägige Kommentarliteratur zeigt jedoch, dass die §§ 78b, 78c StGB, anders als der den juristischen Syllogismus ermöglichende § 78 StGB, nicht von selbst sprechen können.131 Auch hier bedarf es der zwischen Gesetz und Sachverhalt vermittelnden Beantwortung der Frage, ob der infrage stehende Umstand beziehungsweise das konkrete Verfahrensereignis vom jeweiligen Katalog erfasst wird oder nicht.132 Will man sich der Konturen des Begriffs der Rechtstatsache nicht begeben, so müssen rechtsfehlerhafte Einschätzungen die Einschlägigkeit der §§ 78b, 78c StGB betreffend von der Wiederaufnahme nach § 359 Nr. 5 StGB ausgeschlossen bleiben. Notwendigerweise wertungsfrei und daher gleichsam beachtlich sind hingegen Fehler in der Rechtsanwendung, die sich als schlichte Rechenfehler darstellen, die also ausgehend vom zugrunde gelegten Verjährungsbeginn (§ 78a StGB) für den Eintritt der Verfolgungsverjährung das falsche Datum bestimmen. Hier kommt im Regelfall zwar eher eine Berichtigung der Entscheidung in Betracht.133 Auch dieses Vorbringen würde jedoch systematisch eine Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten über § 359 Nr. 5 StPO ermöglichen. Zuungunsten könnte der unbewusst unterlaufene134 Rechenfehler Berücksichtigung finden, sofern ein entsprechendes Geständnis die Wiederaufnahme eröffnet. Die aufgrund eines Rechtsirrtums des Gerichts ungerechtfertigt erlangte Verfahrenseinstellung steht insofern dem Freispruch im Rahmen des § 362 Nr. 4 StPO gleich.135

7. Strafantragserfordernis Auch die Regelungen zum Strafantragserfordernis sind derart verfestigt, dass sie keiner Auslegung bedürfen.136 Die Wiederaufnahme zugunsten würde der auf die 130

Hierzu auch Sch/Sch-Sternberg-Lieben/Bosch, § 78c StGB Rn. 1. Zu dieser Terminologie erneut Häuser, BJ 2011, 151. 132 Ganz abgesehen von der umstrittenen Frage, wie mit rechtsfehlerhaften, rückgängig gemachten oder sachlich unbegründeten Handlungen umzugehen ist, hierzu etwa MüKo (StGB)-Mitsch, § 78c Rn. 7; Sch/Sch-Sternberg-Lieben/Bosch, § 78c StGB Rn. 3; Jescheck/ Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, S. 915. 133 Hierzu bereits S. 24 ff. 134 Für die bewusste Festsetzung des falschen Verjährungsdatums stünde wiederum nur §§ 359 Nr. 3, 362 Nr. 3 StPO bereit. 135 Hierzu bereits auf S. 168 f. 136 Wiederum ist zu betonen, dass es nicht um die Frage geht, ob das konkrete Verhalten des Täters den Tatbestand eines Antrags- oder eines Offizialdelikts verwirklicht. 131

250

D. Die aus rechtlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

beigebrachte Urteilsurkunde gestützte Vortrag begründen, das Gericht habe trotz fehlendem Strafantrag etwa wegen Hausfriedensbruchs (absolutes Antragsdelikt) verurteilt in der irrigen Annahme, bereits das seitens der Strafverfolgungsbehörde bejahte besondere öffentliche Interesse ermögliche die Ahndung der Tat. In eine Wiederaufnahme zuungunsten müsste ein Wiederaufnahmeantrag münden, der sich etwa gegen die gerichtliche Verfahrenseinstellung wendet, die auf der irrigen Annahme beruht, dass es auch im Hinblick auf die Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung nach §§ 223, 224 StGB eines Strafantrags bedürfe. Beide Entscheidungen sind rechtsfehlerhaft, beide Entscheidungen sind nach hier vertretener Ansicht im Wiederaufnahmeverfahren korrigierbar. Die erste deshalb, weil das Erfordernis eines Strafantrags abstrakt für alle Fälle des Hausfriedensbruchs besteht und die Nichtbeachtung dieser Rechtstatsache, die der Verurteilung entgegenstand, über § 359 Nr. 5 StPO die Möglichkeit zur Wiederaufnahme des Verfahrens begründet. Eine Wiederaufnahme zuungunsten des Angeklagten ist in der zweiten Konstellation dann möglich, wenn die nachträgliche öffentliche Kundgabe dieses Rechtsfehlers den Strafverfolgungsbehörden zugetragen wird.

8. Verstoß gegen ne bis in idem Der Verstoß gegen das Verbot der Doppelbestrafung ist kein Phänomen der aus tatsächlichen Gründen fehlerhaften Entscheidung. Im Gegenteil – den Fällen der Unkenntnis über das Vorliegen einer bereits rechtskräftigen Entscheidung in derselben Sache dürfte eine Vielzahl an Entscheidungen gegenüberstehen, in denen die Reichweite des Tatbegriffs und damit des prozessualen Strafklageverbrauchs rechtsfehlerhaft eingeschätzt wurde.137 In derartigen Fällen ist die Erstverurteilung bekannt,138 weshalb die für die ab S. 98 dargestellte Konstellation gefundene Lösung über § 359 Nr. 5 StPO nicht passt. Auch in einem erneuten Verfahren könnte sich das nunmehr entscheidende Gericht jedoch lediglich um eine andere Begrenzung des mitunter schwer zu erfassenden139 Tatbegriffs bemühen, eine abstrakte Bestimmung ist in diesem Bereich nicht möglich, weshalb auch die Erfassung als Rechtstatsache gesperrt ist. Praktisch relevant wurde die unzulässige Doppelbestrafung aus rechtlichen Gründen in der Geschichte des deutschen Strafprozesses insbesondere im

137 Hierzu Lantzke, ZRP 1970, 201 (203); Maatz, MDR 1986, 285; Peters, Strafprozeß, S. 605. Vgl. auch BT-Drs. 13/3594, S. 8 (r. Sp.) zum Reformentwurf, der den Verstoß gegen das Verbot der Doppelbestrafung als einen der Hauptanwendungsfälle für den neuen Wiederaufnahmegrund wegen „offensichtlicher Rechtsfehler“ (§ 359 Abs. 1 Nr. 2 StPO[E]) nennt. 138 Vgl. auch LG Hannover NJW 1970, 288 (290). 139 Zu den Schwierigkeiten in diesem Bereich exemplarisch etwa BGHSt 29, 288 (Strafklageverbrauch bei mit § 129 StGB konkurrierenden Straftaten), hierzu auch Schlehofer, GA 1997, 101 ff.

I. Die hinsichtlich der materiellen Rechtslage fehlerhafte Entscheidung

251

Kontext der sogenannten Zeugen-Jehovas-Prozesse,140 die zu mehrfachen Verurteilungen von Ersatzdienstverweigerern führten. Grundproblematik war darin die mehrmalige Anknüpfung an eine einmalige Gewissensentscheidung. Eine Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 23, 191) führte schließlich dazu, dass sich etliche zuvor ergangene Verurteilungen für die Beteiligten nunmehr als verbotene Doppelbestrafungen darstellten. Die Möglichkeit zur Korrektur dieser Urteile wurde im Wesentlichen über das Wiederaufnahmeverfahren nach § 79 Abs. 1 BVerfGG gesucht.141 Dieser spezielle Wiederaufnahmegrund142 wurde gerade im Nachgang der bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung dahingehend erweitert, dass mit der nunmehr neu hinzugefügten dritten Variante auch diejenige gerichtliche Entscheidung erfasst wird, die „auf der Auslegung einer Norm beruht, die vom Bundesverfassungsgericht für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden ist“.143 Dennoch wurde eine Wiederaufnahme über § 79 Abs. 1 Var. 3 BVerfGG teilweise für unzulässig erachtet: Ihr wurde entgegengehalten, dass zur Eröffnung des Anwendungsbereichs dieses Wiederaufnahmegrundes die Verfassungswidrigkeit des Rechtsanwendungsakts in der Norm selbst begründet liegen müsse, und dass nur zur Vermeidung der Nichtigbeziehungsweise Unvereinbarerklärung des Gesetzes als „Minusmaßnahme“ eine verfassungskonforme Auslegung angeordnet wurde – ergebe sich die Verfassungswidrigkeit der Auslegung allein aus dem Rechtsanwendungsvorgang, seien die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme nicht gegeben.144 Da im Kontext der Zeugen-Jehovas-Prozesse und der infrage stehenden Doppelverurteilung das gerichtliche Verständnis des Tatbegriffs Anknüpfungspunkt war, hätte die Verfassungswidrigkeit demzufolge in Art. 103 Abs. 3 GG beziehungsweise § 264 StPO begründet liegen müssen, was sehr zweifelhaft erscheint – die Annahme einer „Minusmaßnahme“ zur Nichtigkeitserklärung der genannten Normen liegt jedenfalls eindeutig fern.145 Diese einengende Auslegung findet jedoch im Wortlaut der Norm 140 Vgl. etwa den Titel des Beitrags von Peters, FS Engisch, S. 468 ff. und ders., Fehlerquellen Bd. 3, S. 13: es handle sich, da aufgrund von Rechtserwägungen vorgenommen, um Fälle „verdeckter“ Doppelverurteilungen. Hierzu auch Wasserburg, StV 1982, 237 (242 f.). 141 Hierfür etwa Böckenförde, NJW 1970, 870, der allerdings aufgrund der damaligen Fassung von § 79 Abs. 1 BVerfGG von einer analogen Anwendung ausgehen musste. Anders LG Darmstadt NJW 1968, 1642 m. zust. Anm. Hofmann; AG Hagen JMBlNW 1969, 184: Bindungswirkung nach § 31 Abs. 1 BVerfGG als „neue Tatsache“ i.S.d. § 359 Nr. 5 StPO. 142 Hierzu SK-Frister, § 359 Rn. 78 ff. 143 BGBl. I 1970, Nr. 116, S. 1765 ff.; hierzu auch BT-Drs. 6/1471, S. 6 (r. Sp.). 144 So etwa Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge-Bethge, § 79 BVerfGG Rn. 32 ff. m.w.N. In dieser Konsequenz verneint Bethge auch die Anwendbarkeit im Nachgang der Sitzblockade-Entscheidung (BVerfGE 92, 1); die vom Bundesverfassungsgericht dort beanstandete „Entgrenzung“ des Gewaltbegriffs in § 240 StGB sei kein Fall einer unumgänglichen verfassungskonformen Auslegung des Straftatbestandes selbst, sondern lediglich eine Rüge falscher Rechtsanwendung. Dagegen etwa SK-Frister, § 359 Rn. 83. 145 Wobei Böckenförde, NJW 1970, 870 durchaus von einer „verfassungskonformen Auslegung des Art. 103 Abs. 3 GG und des § 264 StPO“ spricht. Dagegen stellt das LG Bochum

252

D. Die aus rechtlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

keine Stütze. § 79 Abs. 1 BVerfGG dient speziell der Schaffung materieller Gerechtigkeit, und die nachträgliche Aufnahme der dritten Variante erfolgte gerade, um der strafgerichtlichen Praxis entgegenzuwirken, die verfassungskonforme Auslegung strafrechtlicher Vorschriften durch das Bundesverfassungsgericht nicht für eine Wiederaufnahme genügen zu lassen.146 Daher muss § 79 Abs. 1 Var. 3 BVerfGG auch auf Fälle bezogen werden, in denen die herrschende Gesetzesauslegung bezogen auf bestimmte Sachverhalte für verfassungswidrig erklärt wurde.147 Die Wiederaufnahme ist bereits dann zulässig, wenn eine Entscheidung des Verfassungsgerichts über den Einzelfall hinausreichende Auslegungsmaßstäbe setzt, an welche die Gerichte bei ihrer künftigen Rechtsprechung in gleichgelagerten Fällen gebunden sind.148 Abseits dieses Spezialfalls kann eine rechtsfehlerhafte Ablehnung des Strafklageverbrauchs im Wiederaufnahmeverfahren jedoch nicht korrigiert werden.

9. Zwischenergebnis Nach den ersten Ausführungen zur Problematik der Berücksichtigung von Rechtsfehlern im Rahmen der Wiederaufnahme kann ein erstes Zwischenfazit gezogen werden. Das von Peters im Anwendungsbereich des § 359 Nr. 5 StPO entwickelte Konzept der Rechtstatsache kann, in seiner ursprünglichen engen Begrenzung verstanden, in einigen Konstellationen eine Korrektur der rechtsfehlerhaften Entscheidung ermöglichen. Dafür ist zwingend erforderlich, dass es sich um eine Rechtsfrage handelt, deren Beantwortung nur in eine Richtung möglich ist, denn nur dann ist ausgeschlossen, dass die Wiederaufnahme des Verfahrens nicht mehr wäre als lediglich ein zweites Bemühen um die korrekte Rechtsanwendung, wodurch letztlich ein Dacapo hinter jedes Strafverfahren gesetzt werden würde. Neben der Möglichkeit der Wiederaufnahme nach §§ 359 Nr. 3, 362 Nr. 3 StPO, die im Hintergrund stets besteht, von praktischer Relevanz im Regelfall jedoch nicht ist, besteht die Perspektive einer ungünstigen Wiederaufnahme nach § 362 Nr. 4 StPO, die ihrem telos nach nicht darauf ausgerichtet ist, auf eine gezielte Verfahrensmanipulation des Angeklagten zu reagieren, sondern allein an ein das Rechtsbewusstsein der Allgemeinheit erschütterndes Verhalten nach Abschluss des Verfahrens anknüpft. Daher ist es irrelevant, ob die Entscheidung an einer fehlerhaften Tatsachengrundlage oder an einem Rechtsfehler krankt, sofern gerade dieser nachträglich in die Öffentlichkeit MDR 1970, 259 (260) auf den damals geltenden § 37 Abs. 1 Ersatzdienstgesetz ab. Zur generellen Anwendbarkeit des § 79 Abs. 1 BVerfGG auch auf Verfahrensnormen SK-Frister, § 359 Rn. 81 f. 146 BVerfGE 115, 51 (64); Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge-Bethge, Vor § 79 BVerfGG; Wasserburg, StV 1982, 237 (242). 147 Ebenso Waßmer, JURA 2002, 454 (457); Bajohr, Aufhebung rechtsfehlerhafter Strafurteile, S. 56 ff. Zweifelnd angesichts der Rspr. des Bundesverfassungsgerichts jetzt auch Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge-Bethge, § 79 BVerfGG Rn. 33a. 148 BVerfGE 115, 51 (67). Allein die Verfehlung der Vorgaben des Grundgesetzes bei der rechtlichen Subsumtion im Einzelfall genügt nicht.

II. Die hinsichtlich des Verfahrens fehlerhafte Entscheidung

253

getragen wird. Diese vermeintlich maximale Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Wiederaufnahme wird sogleich dadurch wieder auf ein Minimum zurückgesetzt, dass das den Strafverfolgungsbehörden zugetragene Geständnis des Freigesprochenen in der Praxis von absolutem Seltenheitswert sein dürfte. Entschließt sich aber der Freigesprochene tatsächlich, nach Abschluss des Verfahrens seine Geschichte beispielsweise medienwirksam zu vermarkten, so ist dies auch – wenn nicht sogar gerade – im Fall des rechtsfehlerhaften Freispruchs ein Grund, den Zugriff auf die rechtskräftige Entscheidung zu gestatten.

II. Die hinsichtlich des Verfahrens fehlerhafte Entscheidung Nunmehr stehen diejenigen Entscheidungen im Mittelpunkt, die rechtliche Fehler auf dem Weg zur Entscheidungsfindung betreffen.149 Dass auch Verfahrensfehler durchaus eine Bedeutsamkeit erlangen können, die den Zugriff auch auf eine bereits rechtskräftige Entscheidung erlauben, belegt etwa Art. 4 Abs. 2 des Protokolls Nr. 7 zur EMRK,150 der die Anordnung einer Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens nach dem Recht des betreffenden Staates auch dann für zulässig erklärt, wenn „das vorausgegangene Verfahren schwere, den Ausgang des Verfahrens berührende Mängel aufweist“. Mit Hinweis auf die bei strafbarer Verletzung richterlicher Amtspflichten bestehende Ausnahme werden derartige Fehlentscheidungen dem Anwendungsbereich der Wiederaufnahme de lege lata jedoch üblicherweise ebenfalls generell entzogen. Dass dies pauschal so jedenfalls nicht angenommen werden muss, zeigen die nachfolgenden Fallkonstellationen.

1. Verstöße gegen die Vorschriften zur Verständigung (§ 257c StPO) Die Zulässigkeit von Verfahrensabsprachen kann durchaus als das strafprozessuale Schwerpunktthema der letzten Jahre bezeichnet werden. Auch nach Schaffung der gesetzlichen Rahmenbedingungen durch das Gesetz zur Regelung der Verständigung im Strafverfahren vom 29. 07. 2009151 scheint die Problematik nur bedingt einer befriedigenden Lösung zugeführt worden zu sein. Markantes Beispiel ist ein Beschluss des Zweiten Strafsenats am Oberlandesgericht München vom 17. 05. 2013,152 der auf sofortige Beschwerde hin das erstinstanzliche Urteil des Schöf149 Vgl. BGHSt 19, 273 (275) zum verfahrens- oder sachlichrechtlichen Charakter einer Rechtsnorm. 150 Von der Bundesrepublik nicht ratifiziert. 151 BGBl. I Nr. 49, S. 2353 f. 152 NJW 2013, 2371 = StV 2013, 495 m. Anm. Förschner.

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D. Die aus rechtlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

fengerichts, welches unter massiven Verstößen gegen die gesetzlichen Regelungen und das vom Bundesverfassungsgericht aufgestellte Verbot informeller Verständigungen153 ergangen war, für unheilbar nichtig erklärte. Der Verfahrensgang vor dem Amtsgericht wird in der veröffentlichten Entscheidung in mehrseitiger Sachverhaltsdarstellung nachvollzogen, das Oberlandesgericht stellt dort folgende Verstöße fest: Die Besprechung im Dienstzimmer sei nicht aktenkundig gemacht (§ 202a Satz 2 StPO) und die Verständigung in der Hauptverhandlung nicht mitgeteilt und protokolliert worden (§§ 243 Abs. 4, 273 Abs. 1a StPO); die Belehrungspflicht nach § 257c Abs. 5 StPO wurde nicht erfüllt und die qualifizierte Rechtsmittelbelehrung nicht erteilt; schließlich der Rechtsmittelverzicht entgegen § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO nicht unterbunden. Das Urteil sei damit eindeutig rechtswidrig.154 Die darüber noch hinausgehende Konsequenz der Nichtigkeit stützte das Oberlandesgerichts auf den Befund, das Schöffengericht habe sich entgegen § 261 StPO keine eigene Überzeugung aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung gebildet und sich damit der Erfüllung seiner Kernaufgabe, nämlich der Fällung eines eigenen Urteils, verweigert und vielmehr „lediglich die ohnehin rechtswidrig getroffene Vereinbarung mit StA und Verteidigung in die äußerliche Form eines Urteils umgesetzt“155. Wurde damit nunmehr ein praxisrelevantes Beispiel für die Urteilsnichtigkeit gefunden?156 Dass befeuert durch diese Entscheidung die Lehre vom nichtigen Urteil tatsächlich Einzug in die gerichtliche Praxis erhält, ist hoffentlich nicht zu erwarten.157 Mit einem zeitlichen Abstand von nur zwei Wochen hatte jedenfalls der Erste Strafsenat desselben Oberlandesgerichts über ein in puncto Rechtsverstöße durchaus vergleichbares absprachegeneriertes Urteil zu entscheiden; er erklärte es für rechtswidrig und verwies das Verfahren in die Berufungsinstanz zurück.158 Eine mögliche Nichtigkeit wird – trotz ausdrücklicher Bezugnahme auf die Entscheidung des Zweiten Strafsenats – nicht einmal erwogen.159 Der Bundesgerichtshof hat bereits in einer älteren Entscheidung die Urteilsnichtigkeit allein aufgrund einer unzulässigen Verfahrensabsprache ausdrücklich verneint,160 und auch das Bundes153

BVerfGE 133, 168 (212 f.). OLG München NJW 2013, 2371 (2376), vgl. auch die Schilderung bei Leitmeier, NStZ 2014, 690 (691). Zur besonderen Verpflichtung der Staatsanwaltschaft, Verstöße gegen die Vorgaben des Verständigungsgesetzes einer revisionsgerichtlichen Kontrolle zuzuführen BVerfGE 133, 168 (220 f.) u. BeckOK-Bartel, Nr. 147 RiStBV Rn. 26 ff. („Wächterfunktion der Staatsanwaltschaft“). 155 OLG München NJW 2013, 2371 (2377). 156 Ähnlich die einleitende Fragestellung bei Kudlich, NJW 2013, 2316. 157 Vgl. auch die deutlichen Worte von Meyer-Goßner, StV 2013, 613 (615): „Hoffentlich findet die Entscheidung in dieser Hinsicht keine Anhänger, hoffentlich findet der BGH bald Gelegenheit, diesen Irrweg zu verbauen“; abl. auch Kudlich, NJW 2013, 3216 (3218). Zustimmend jedoch Förschner, StV 2013, 502 (503), der als Verteidiger am Verfahren beteiligt war. 158 OLG München StV 2013, 493. 159 Hierzu Leitmeier, NStZ 2014, 690 (694): „ziemlich deutliche Aussage“. 160 BGH wistra 1992, 309 (310). 154

II. Die hinsichtlich des Verfahrens fehlerhafte Entscheidung

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verfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zur gesetzlichen Regelung der Verständigung im Strafprozess (BVerfGE 133, 168) über weite Passagen die mangelhafte und teils rechtswidrige Handhabung der Verständigung in der Praxis erörtert, schließlich drei Landgerichtsurteile aufgehoben – jedoch wurde in der gesamten Entscheidung nirgends in Erwägung gezogen, dass auch nur eines dieser Urteile nichtig sein könnte.161 Insbesondere diente auch in einem der dort angegriffenen Verfahren ein „inhaltsleeres Formalgeständnis“ als Grundlage der Verurteilung, auch dort wurde also die Pflicht zur bestmöglichen Erforschung der materiellen Wahrheit massiv verletzt – das Urteil wurde aufgehoben, aber nicht etwa für unwirksam erklärt.162 Der Griff in die „prozessuale Trickkiste“ hatte für den Betroffenen im konkreten Fall zudem eine äußerst unbequeme Konsequenz: Bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in die Rechtsmittelfrist nach §§ 44 ff. StPO, welche das Oberlandesgericht hier auch grundsätzlich bejahte,163 wäre es zur Zurückverweisung an das Landgericht zur Durchführung des Berufungsverfahrens gekommen, dort hätte das Verbot der reformatio in peius (§ 331 Abs. 1 StPO) gegolten. Durch die vom Oberlandesgericht als Folge der Nichtigkeit vorgenommene „Zurückverweisung an die erste Instanz“164 blieb ihm diese äußerst günstige165 Ausgangslage verwehrt. Die dadurch umgangene Bindungswirkung hinsichtlich der Strafobergrenze im Rechtsmittelverfahren, immerhin einer der bedeutsamsten Grundsätze desselbigen,166 rechtfertigt nicht den Rückgriff auf die Lehre von der

161 Vgl. auch Leitmeier, NStZ 2014, 690 (693). Gegen Nichtigkeit spreche auch, dass das BVerfG bei Falschangaben über die Verständigung im Protokoll eine mögliche Strafbarkeit wegen Falschbeurkundung im Amt (§ 348 StGB) anführt (vgl. BVerfGE 133, 168 [213 f.]). § 348 StGB sei gegenüber § 339 StGB das weniger schwere Delikt; wenn schon ein auf Rechtsbeugung beruhendes Urteil wegen § 359 Nr. 3 StPO nicht zur Nichtigkeit führe, sei dies für ein auf § 348 StGB beruhendes Urteil kaum begründbar. 162 BVerfGE 133, 168 (239 f.). 163 OLG München NJW 2013, 2371 (2374 f.), der Rechtsmittelverzicht sei analog § 302 Abs. 1 S. 2 StPO unwirksam, auf die Möglichkeit der Urteilsanfechtung wurde der Angeklagte jedoch erst durch seinen neuen Verteidiger hingewiesen. Zur Frage der Anwendbarkeit des Verständigungsgesetzes auf informelle Verständigungen und den damit verbundenen Schwierigkeiten eingehend Niemöller, GA 2014, 179 ff. 164 Für die erneute Verhandlung über die bereits zugelassene Anklage der Staatsanwaltschaft wurde § 210 Abs. 3 StPO analog angewendet, „um die Entscheidung eines von den bisherigen Vorgängen völlig unbelasteten Gerichts zu gewährleisten“, OLG München NJW 2013, 2371 (2377). 165 Hierzu auch Meyer-Goßner, StV 2013, 613 (614 f.) sowie Leitmeier, NStZ 2014, 690 f.: aus der vermeintlich jedenfalls sicheren Bewährungsstrafe hätte damit eine Vollzugsstrafe werden können. 166 Meyer-Goßner, StV 2013, 613 (615), der auf ein weiteres einhergehendes Problem hinweist, nämlich die zwingende Rückforderung der (rechtsgrundlos) geleisteten Bewährungsauflagen vom sozialen Träger. Nach Leitmeier, NStZ 2014, 690 (694) werde zudem die Wertung des § 373 Abs. 2 S. 1 StPO negiert, wonach auch die Wiederaufnahme eines Verfahrens auf Antrag nur des Verurteilten das Urteil nicht verschärfen darf.

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D. Die aus rechtlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

Urteilsnichtigkeit,167 sondern desavouiert dieses Vorgehen über seine dogmatische Zweifelhaftigkeit hinaus. Man könnte dem Beschluss allerhöchstens zugutehalten, dass er sich erfolgreich um den größtmöglichen Tadel der amtsgerichtlichen Entscheidung bemüht hat.168 Interessant ist, dass in den zu dieser Entscheidung veröffentlichten Besprechungen auffallend häufig auf eine mögliche Rechtsbeugung nach § 339 StGB hingewiesen wird.169 Generell hat im Schrifttum der Zusammenhang von informeller Verständigung und möglicher Strafbarkeit nach § 339 StGB bereits Beachtung gefunden.170 Vorangetragen wird dies nicht zuletzt durch eine neuere Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur subjektiven Tatseite des Rechtsbeugungstatbestands. Hiernach sei es jedenfalls bei der fehlerhaften (Nicht)Anwendung von zwingendem Recht nicht erforderlich, dass der Richter entgegen seiner eigenen Überzeugung oder aus sachfremden Erwägungen agiere. Sofern er die Unvertretbarkeit seiner Ansicht erkenne oder jedenfalls für möglich halte, läge höchstens ein unbeachtlicher Subsumtionsirrtum vor, sofern der Richter gleichwohl sein Handeln für gerecht erachte, weil er etwa die gesetzliche Regelung selbst ablehnt oder ihre Anwendung im konkreten Fall für überflüssig hält.171 Darüber hinaus hat der Bundesgerichtshof in anderem Zusammenhang bereits entschieden, dass auch im Streben nach Arbeitsersparnis ein sachfremdes Motiv liegen kann.172 Damit wäre die Nichtbeachtung des durch das Verständigungsgesetz geschaffenen zwingenden Rechtsrahmens durch einen informellen „Deal“ nicht zuletzt im geschilderten Fall des Oberlandesgerichts München dem § 339 StGB subsumierbar. Über den Fall des gänzlichen Fehlens eigener Überzeugungsbildung auf der Grundlage einer rein formalen Einräumung des Vorwurfs durch den Angeklagten hinaus gilt Gleiches auch etwa für den Einsatz 167

Exakt so jedoch das OLG München NJW 2013, 2371 (2377): „Im Übrigen lässt sich nur durch die Annahme der Nichtigkeit […] verhindern, dass ein Angekl. mit Hilfe seines Verteidigers […] zunächst ein rechtswidriges Verständigungsurteil mit entsprechend herabgesetzter Strafe möglichst unter Bewilligung von Strafaussetzung zur Bewährung anstrebt, nach dessen Rechtskraft aber mit Hilfe eines neuen Verteidigers und unter entsprechender Glaubhaftmachung, die nicht zu widerlegen ist, Wiedereinsetzung in die versäumte Rechtsmittelfrist und die Fortsetzung des Verfahrens mit der Gewissheit erlangt, dass die ausgesprochene Strafe wegen des Verbotes der reformatio in peius allenfalls noch weiter ermäßigt werden kann“. Leitmeier, NStZ 2014, 690 (695) zufolge liegt darin letztlich eine unzulässige Instrumentalisierung um der Verhinderung zukünftiger Missbrauchsfälle willen und ein Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG. 168 Vgl. auch Kudlich, NJW 2013, 3216 (3218): „eine besonders schallende ,Watschn‘ für den Tatrichter“. 169 Förschner, StV 2013, 502 (503); Kudlich, NJW 2013, 3216 (3218); Meyer-Goßner, StV 2013, 613 (614). 170 BeckOK(StGB)-Bange, § 339 Rn. 14.1 (Punkt 6) m.w.N.; BeckOK-Eschelbach, § 257c Rn. 55; Lackner/Kühl-Heger, § 339 StGB Rn. 5b; MüKo(StGB)-Uebele, § 339 Rn. 48; Bock et al., GA 2013, 328 (341 ff.) und eingehend auch zu weiteren Straftatbeständen und einer (Teilnehmer)Strafbarkeit der übrigen Verfahrensbeteiligten Erb, StV 2014, 103 ff. 171 BGHSt 59, 144 (148), hierzu auch BeckOK-Eschelbach, § 257c Rn. 55. 172 BGHSt 44, 258 (261 f.).

II. Die hinsichtlich des Verfahrens fehlerhafte Entscheidung

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einer „Sanktionsschere“ oder hinsichtlich eines Vorgehens, das die Überprüfung der Entscheidung in der Rechtsmittelinstanz vereiteln soll. Mit der gesetzlichen Regelung, die bestimmte Inhalte von Verfahrensabsprachen explizit für unzulässig erklärt, besteht ein ausdrückliches gesetzliches Verbot, dessen Nichtbefolgung zugleich Rechtspositionen des Angeklagten spürbar beeinträchtigt beziehungsweise den staatlichen Strafanspruch in erheblichem Umfang verkürzt und zu dem seitens der Rechtsprechung im Rahmen des § 339 StGB geforderten „elementaren Rechtsbruch“ führen kann.173 Liegt daher endlich ein praxisrelevanter Anwendungsfall für den als bedeutungslos174 eingestuften Wiederaufnahmegrund nach §§ 359 Nr. 3, 362 Nr. 3 StPO vor? Dem könnte ungeachtet der zusätzlichen Hürde des § 364 StPO zunächst entgegenstehen, dass in der Praxis die Ansicht vertreten wird, nach vorangegangener Verständigung sei das Wiederaufnahmerecht quasi verwirkt – das Wiederaufnahmebegehren nach einem „Vergleich“ im Erstverfahren wird offenbar als eine Art Vertragsbruch empfunden, weshalb gegen den Wiederaufnahmeantrag das allgemeine prozessuale Missbrauchsverbot175 ins Feld geführt wird.176 Dass der Betroffene durch seine Mitwirkung an der (informellen) Verständigung seine Rechtsschutzansprüche gleichsam verwirke, mag als subjektive Einschätzung der Beteiligten noch nachvollziehbar sein. Schon die tatsächliche Freiwilligkeit der Zustimmung des Angeklagten zu derartigen Vorgehensweisen ist angesichts der auf ihm lastenden Drucksituation, insbesondere bei Einigkeit der übrigen Verfahrensbeteiligten inklusive seines Verteidigers, allerdings bereits oftmals zweifelhaft. Die Einschränkung des Wiederaufnahmeantragsrechts und damit des Rechts auf effektiven Rechtsschutz177 ist jedoch weder eine im Gesetz angelegte noch vertretbare Deutung. Die Nachprüfbarkeit der verständigungsgenerierten Entscheidung entspricht klar dem gesetzgeberischen Willen, der sich in § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO niedergeschlagen hat.178 Der vorangegangene Konsens vermag die insbesondere im Falle einer möglichen Wiederaufnahme nach § 359 Nr. 3 StPO eingetretene Störung des Rechtsfriedens nicht zu egalisieren, er ist im konkreten Fall vielmehr die Quelle der Störung. Zwar kennt die Strafprozessordnung durchaus Verwirkungstatbestände,179 jedoch nicht in Bereichen, in denen über das „Ob“ der Angriffsmöglichkeit auf 173

Hierzu auch Erb, StV 2014, 103 (105). BT-Ds 13/3594, S. 5: Praxisbedeutung „denkbar gering“; KMR-Eschelbach, § 359 Rn. 102; LR-Gössel, § 359 Rn. 34; Bock et al., GA 2013, 328 (342); Brüssow/Gatzweiler/ Krekeler/Mehle-Wasserburg, § 15 Rn. 80. 175 Vgl. etwa BGHSt 38, 111 (112 f.); 51, 88 (92). 176 Nachweise bei Eschelbach, HRRS 2008, 190 (203 in Fn. 179 f.). 177 Zur Bedeutung der Wiederaufnahme für den Anspruch auf effektiven Rechtsschutz Eschelbach, FS Stöckel, S. 199 (211 ff.) und ders., HRRS 2008, 190 (202). 178 BT-Drucks 16/12310, S. 2 u. 15 (r. Sp.) im Rückgriff auf BGHSt 50, 40 (56). 179 BGHSt 38, 111 (112 f.) nennt die „Sonderfälle“ der § 241 Abs. 1 und § 138a Abs. 1 Nr. 2 StPO; ferner zeige sich auch in §§ 26a Abs. 1 Nr. 3, 29 Abs. 2, 137 Abs. 1 S. 2, 244 Abs. 3 S. 2, 245 Abs. 2 S. 3 und 266 Abs. 3 S. 1 StPO der Gedanke der Verhinderung eines Rechtsmiss174

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D. Die aus rechtlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

eine Gesamtentscheidung entschieden wird. Aus § 365 i.V.m. § 296 Abs. 2 StPO wiederum folgt, dass die Wiederaufnahme des Verfahrens nicht zuletzt auch Aufgabe der Rechtsgemeinschaft ist, über deren Erfüllung der Verurteilte nicht verfügen kann – die Staatsanwaltschaft kann die Wiederaufnahme auch zugunsten des Verurteilten und sogar gegen dessen Willen betreiben.180 Wenn der Verurteilte durch den Verzicht auf einen Wiederaufnahmeantrag schon nicht über die Rechtsverwirklichung disponieren kann, dann kann ihm diese Möglichkeit auch nicht durch sein Prozessverhalten im Ausgangsverfahren eröffnet werden.181 Die Wiederaufnahme steht demnach auch dem auf einer Verständigung basierenden Urteil offen.182 Allerdings setzt die besondere Zulässigkeitsvoraussetzung des § 364 StPO dem Antrag eine ganz entscheidende Hürde, da er sich auf die Behauptung einer Straftat stützt und damit grundsätzlich die rechtskräftige Verurteilung des Richters nach § 339 StGB erfordert. Sofern jedoch die vom Bundesgerichtshof im materiellen Recht gesetzten Maßstäbe sich, wie etwa von Jahn183 erwartet, auf die Beförderung der bislang unterbliebenen Strafverfolgung als Reaktion auf informelle Verständigungen durchschlagen, könnte die Wiederaufnahme wegen strafbarer Amtspflichtverletzung tatsächlich an Relevanz gewinnen. Die harsche Kritik des Ersten Strafsenats am Münchener Oberlandesgericht das Agieren der Beteiligten betreffend184 lässt zumindest eine dahingehende Sensibilisierung vermuten. Angesichts der gesetzgeberischen Forderung, nach der Bestandteil jeder Verständigung ein Geständnis sein soll (§ 257c Abs. 2 Satz 2 StPO), könnte auch die Wiederaufnahme zugunsten nach § 359 Nr. 5 StPO erhöhte Konjunktur erlangen, und zwar im Falle des Geständniswiderrufs. Wasserburg spricht in diesem Zusammenhang gar von einer „Renaissance des Wiederaufnahmerechts“.185 Gerade wenn die Verurteilung, wie in verständigungsgenerierten Entscheidungen häufig der Fall, im Wesentlichen auf dem abgelegten Geständnis beruht, ist dessen Widerruf auch oftmals zur Erreichung eines Freispruchs geeignet. Bei einem „schlanken“ Geständnis kann dem Wiederaufnahmevorbringen in Form des substantiierten Gebrauchs. Nach BT-Drs. 18/3562, S. 51 soll auch die Möglichkeit der Berufungsverwerfung nach § 329 StPO „in gewissem Umfang“ auf dem Rechtsgedanken der Verwirkung beruhen. 180 Murmann, NStZ 2003, 618 (619). 181 Murmann, NStZ 2003, 618 (619). Nachweise zu Entscheidungen, die die Wiederaufnahme zuließen bei Eschelbach, HRRS 2008, 190 f. Fn. 13 und Marxen/Tiemann, Wiederaufnahme, Rn. 243. 182 KMR-Eschelbach, § 362 Rn. 62 f. erwägt in diesem Zusammenhang sogar, angesichts des summarischen Charakters zumindest de lege ferenda die Wiederaufnahme zuungunsten gleich dem Strafbefehl zu behandeln. 183 JuS 2014, 850 (852). 184 Man habe es mit einer „krass rechtsstaatswidrigen“ Entscheidung zu tun, die wirkliche Rechtssicherheit ohnehin nicht herbeiführen könne (OLG München NJW 2013, 2371 [2377]). 185 Brüssow/Gatzweiler/Krekeler/Mehle-Wasserburg, § 15 Rn. 36 ff.; vgl. auch KMREschelbach, Vor § 359 Rn. 40 u. § 359 Rn. 122. Zum Geständniswiderruf aus der Rspr. etwa OLG Köln StV 1989, 98; OLG Stuttgart NJW 1999, 375; KG NStZ 2006, 468; LG Landau StV 2009, 237.

II. Die hinsichtlich des Verfahrens fehlerhafte Entscheidung

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ständniswiderrufs im Einzelfall sogar ein Mehr an Aussagekraft zukommen als dem erstinstanzlichen Urteil.186 Die Erwartung einer „besseren“ Entscheidung ist in derartigen Fällen also berechtigt. Über den bloßen Widerruf hinaus wird zur Begründung hinreichender Erfolgsaussicht zwar im Rahmen der sogenannten erweiterten Darlegungslast eine plausible Erklärung für den Widerruf gefordert,187 und diese Forderung beansprucht auch bei vorangegangener Verständigung Geltung.188 Jedoch stellt diese zusätzliche Anforderung im gegebenen Kontext keine sonderliche Hürde dar, da die Behauptung, das Geständnis sei rein taktisch, insbesondere zur Erlangung einer in Aussicht gestellten Strafmilderung, abgelegt worden, oftmals kaum widerlegbar ist.189 Ob die nach den Akten gegebenenfalls vorliegenden weiteren belastenden Umstände die Verurteilung dann noch tragen würden, bedarf einer Beweiswürdigung, die dem Wiederaufnahmegericht im Zulassungsverfahren verwehrt ist, es darf demnach nicht geprüft werden, ob das Geständnis der Wahrheit entsprach.190 Insbesondere ist es unzulässig, gleichsam substituierend im Aditionsoder Probationsverfahren an die Stelle des Geständnisses den Akteninhalt treten zu lassen, dem gerade wegen des Geständnisses in der ursprünglichen Hauptverhandlung keine Beachtung geschenkt wurde.191 Im Regelfall hat also die Anordnung der Wiederaufnahme des Verfahrens zu erfolgen. Dies hat freilich zur Konsequenz, dass faktisch die verständigungsgenerierte Entscheidung vom Fortbestand des Geständnisses abhängt und damit gewissermaßen zur Disposition des Verurteilten gestellt wird.192 Dieser sicherlich bedenklich anmutende Befund wurzelt jedoch in den speziellen mit der Verständigung verbundenen Verfahrensfehlern und kann gegen die Eindeutigkeit der Rechtslage das Wiederaufnahmeverfahren betreffend nichts ausrichten. Es rächt sich hier die Arbeitsersparnis im Erstverfahren – eine Hinterfragung und hinreichende Konkretisierung des Geständnisses, weitere Beweiserhebung und 186

BeckOK-Eschelbach, § 257c Rn. 55; Wasserburg/Eschelbach, GA 2003, 335 (341). BGH NJW 1977, 59 = JR 1977, 217 m. krit. Anm. Peters; BGHR StPO § 359 Neue Tatsachen 5; OLG Bremen NJW 1952, 678; OLG Köln NJW 1963, 967; OLG Stuttgart NStZRR 2003, 210 (211); LR-Gössel, § 359 Rn. 181; Meyer-Goßner/Schmitt, § 359 Rn. 46 f.; einschränkend SK-Frister, § 359 Rn. 52 f. und Hellebrand, NStZ 2004, 413 (416 f.): es bestünde jedenfalls „Patt“ zwischen Geständnis und Widerruf, sodass es Tatsachen bedürfe, die die Beweiswürdigung zugunsten des gewandelten Prozessverhaltens ausfallen lassen und die erforderliche Wahrscheinlichkeit für den Freispruch darlegen (S. 417). Abl. Kaut, JR 1989, 137 ff. mit Verweis auf Peters, Strafprozeß, S. 672 f. 188 OLG Nürnberg OLGSt StPO § 359 Nr. 6; BayVGH NStZ 2004, 447 (449); KG NStZ 2006, 468 (469); LG Landau StV 2009, 237; SSW-Kaspar, § 359 Rn. 35. 189 KG NStZ 2006, 468 (469): „häufiger als sonst ein einleuchtendes Motiv“; Eschelbach, HRRS 2008, 190 (204 ff., auch zu anderen speziellen Hürden im weiteren Verfahren); Marxen/ Tiemann, Wiederaufnahme, Rn. 243. 190 BVerfG NJW 1995, 2024 (2025); EuGRZ 2007, 586 (588 ff.); OLG Stuttgart NJW 1999, 375 (376); BeckOK-Eschelbach, § 257c Rn. 55.4; Förschner, StV 2008, 443 (444). 191 BVerfG EuGRZ 2007, 586 (590); Hellebrand, NStZ 2008, 374 (379). 192 Hierzu OLG München NJW 1981, 593 (594) und Hellebrand, NStZ 2004, 413 (414): Das Geständnis werde abgelegt, wenn die Vorteile überwiegen, und widerrufen, wenn es die erhofften Vorteile nicht oder nicht in vollem Umfang erbringt. 187

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D. Die aus rechtlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

eine ausführlichere Urteilsbegründung würden dem Geständniswiderruf eine weitaus geringere Erfolgsaussicht bescheren.193 Der bereits angesprochene, durch das Verständigungsgesetz geschaffene zwingende Rechtsrahmen mit seinen ausdrücklichen Verboten führt allerdings nicht dazu, dass über die Konstruktion der Nichtbeachtung von Rechtstatsachen auch unbewusste Verstöße des Gerichts gegen die maßgeblichen Vorschriften ebenfalls in der Wiederaufnahme Beachtung finden könnten. Das Verbot über die Verständigung hinsichtlich des Schuldspruchs (§ 257c Abs. 2 Satz 3 StPO) etwa ist zwar an sich durchaus wertungsfrei und einzelfallunabhängig, es fehlt jedoch an der Eignung des Rechtsfehlers zur Bewirkung einer qualifizierten Entscheidung im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO im Erstverfahren. Insofern gilt nichts anderes als im Rahmen der aus tatsächlichen Gründen sonst verfahrensfehlerhaften Entscheidungen.194 Auch die Kenntnis der Rechtstatsache „ausgeschlossener Verständigungsinhalt“ hätte nicht die dort geforderten Auswirkungen gehabt, weshalb ein dahingehendes Vorbringen für die Wiederaufnahme nicht genügt.

2. Missachtung der sachlichen Zuständigkeit Ist der Anwendungsbereich der Wiederaufnahme eröffnet, wenn der Strafrichter den Angeklagten unter Verstoß gegen §§ 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 74 Abs. 2 Nr. 4 GVG wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt oder der in § 24 Abs. 2 GVG limitierte amtsgerichtliche Strafbann überschritten wird?195 Die genannten Normen enthalten ebenfalls für jedes Strafverfahren klar und abstrakt getroffene gesetzliche Grundsatzentscheidungen, deren Nichtbeachtung demzufolge als Rechtstatsache über § 359 Nr. 5 StPO gerügt werden könnte.196 Das Amtsgericht hätte gar keine andere Entscheidung treffen können, als sich angesichts der Überschreitung der eigenen Kompetenz hinsichtlich der Verurteilung wegen Mordes für sachlich unzuständig zu erklären. Es hätte auch nicht auf eine höhere Strafe als vier Jahre 193 Hellebrand, NStZ 2004, 413 (415 u. 420). So bspw. im Fall des LG Landau StV 2009, 237 (238), dort fand eine hinreichende Verifizierung durch außerhalb der Geständnisse gefundene Beweisergebnisse statt. 194 Hier ab S. 128. Gegen die Wiederaufnahme bei Verstößen gegen das Verständigungsgesetz im Ergebnis auch LG Landau StV 2009, 237 (238 f.); BeckOK-Singelnstein, § 359 Rn. 21 a.E. 195 Der Strafbann des Amtsgerichts wurde durch Art. 3 des Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege v. 11. 01. 1993 (BGBl I Nr. 2, S. 50) von drei auf vier Jahre erhöht. Unzuständigkeit nach § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und Nr. 2 GVG dürfte nach wie vor oftmals zusammenfallen, zwingend ist dies jedoch nach heutiger Rechtslage nicht mehr. Nicht alle Delikte im die erstinstanzliche Zuständigkeit des Amtsgerichts ausschließenden Katalog des § 74 Abs. 2 GVG sehen eine Mindestfreiheitsstrafe von vier Jahren oder mehr vor, so etwa §§ 221 Abs. 3, 227 StGB (§ 74 Abs. 2 Nrn. 7 u. 8 GVG): Mindestfreiheitsstrafe drei Jahre. 196 Gleiches gilt für die absolute erstinstanzliche Zuständigkeit der Oberlandesgerichte nach § 120 Abs. 1 GVG.

II. Die hinsichtlich des Verfahrens fehlerhafte Entscheidung

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Freiheitsstrafe erkennen oder die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, allein oder neben einer Strafe, oder in der Sicherungsverwahrung anordnen können. Sobald mit genügender Sicherheit197 erkennbar wird, dass eine Sachentscheidung zu treffen ist, die in die sachliche Zuständigkeit des höherrangigen Gerichts fällt, muss sich das niederrangige Gericht einer eigenen Sachentscheidung enthalten. Die Prüfung der sachlichen Zuständigkeit erfolgt in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen (§ 6 StPO), weshalb es, anders als im Hinblick auf die örtliche Zuständigkeit (vgl. § 16 Satz 2 StPO), auch nach Eröffnung des Hauptverfahrens keines Einwands der Unzuständigkeit bedarf.198 Allein wäre nicht die Einstellung des Verfahrens die Folge gewesen.199 Die gesetzlich vorgeschriebene Reaktion ist vielmehr in § 270 Abs. 1 Satz 1 StPO bestimmt und liegt in der Verweisung der Sache an das zuständige Gericht höherer Ordnung. Ihrem Charakter nach ist die sachliche Zuständigkeit jedoch eine Verfahrensvoraussetzung; bei sachlicher Unzuständigkeit darf keine Entscheidung in der Sache ergehen.200 Daher ersetzt der Verweisungsbeschluss nach § 270 StPO dem Grunde nach nur die Entscheidung nach §§ 206a, 260 Abs. 3 StPO und macht eine erneute Anklageerhebung vor dem sachlich zuständigen höherrangigen Gericht entbehrlich.201 Auch diese verfahrensökonomische Entscheidung, auf die eigentlich erforderliche Verfahrenseinstellung zu verzichten und eine direkte Verweisung zu ermöglichen, ändert jedoch nichts an der Tauglichkeit der sachlichen Unzuständigkeit, eine an sich wiederaufnahmerechtlich relevante Rechtsfolge herbeizuführen. Der rechtsfehlerhaft vom Amtsgericht wegen einer Katalogtat nach § 74 Abs. 2 GVG oder in Überschreitung des Strafbanns Verurteilte könnte daher über § 359 Nr. 5 StPO die Wiederaufnahme des Verfahrens und darin eine Verhandlung vor dem sachlich zuständigen Gericht

197

BGHSt 45, 58 (60): Verweisung grds. erst bei verfestigter Straferwartung bzw. feststehendem Schuldspruch; eine dem hinreichenden Tatverdacht entsprechende „hinreichende Straferwartung“ existiere nicht. § 24 Abs. 2 GVG enthalte lediglich das Verbot, auf eine den Strafbann überschreitende Sanktion „zu erkennen“. Hierzu auch OLG Frankfurt StV 1996, 533 u. krit. SK-Frister, § 270 Rn. 10 f. 198 Anders ist dies im Hinblick auf die funktionale Zuständigkeit. § 6a StPO sieht eine Prüfung von Amts wegen nur bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens vor, danach darf die Zuständigkeit einer besonderen Strafkammer nur auf rechtzeitigen Einwand des Angeklagten hin Beachtung finden. Bei berechtigtem Einwand ist dann ebenfalls § 270 StPO maßgeblich, hierzu etwa SK-Frister, § 270 Rn. 16 ff. Wie im Rahmen der örtlichen Unzuständigkeit (hier ab S. 129) ist demnach die tatsächliche Erhebung des Einwands auch für die Zulässigkeit der Wiederaufnahme erforderlich. 199 Auch hier besteht also ein Unterschied zu der ab S. 129 dargestellten fehlerhaften Entscheidung. Nach Eröffnung des Hauptverfahrens wird das Verfahren dort auf Grund des berechtigten Einwandes nach § 206a bzw. § 260 Abs. 3 StPO eingestellt, eine Abgabe oder Verweisung an ein örtlich zuständiges Gericht ist im ersten Rechtszug ausgeschlossen. 200 BGHSt 18, 79 (81); KK-Scheuten, § 6 Rn. 1; LR-Siolek, § 24 GVG Rn. 30; Pfeiffer, § 6 Rn. 1. 201 Hierzu auch LR-Erb, § 6 Rn. 5; SK-Weßlau, § 6 Rn. 6 f.; Meyer-Goßner, FS Eser, S. 373 (374 f.).

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D. Die aus rechtlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

erreichen. Insoweit ist auch hier der Anwendungsbereich der Wiederaufnahme eröffnet. Anders ist dies jedoch im Hinblick auf die in § 24 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 2 und 3 GVG getroffenen Regelungen, des Öfteren als „bewegliche Zuständigkeit“202 bezeichnet. Das Vorbringen, es sei eine höhere Strafe oder die Anordnung einer Unterbringung (§ 63 StGB) oder Sicherungsverwahrung (§§ 66 ff. StGB) zu erwarten gewesen, diese Erwartung sei lediglich enttäuscht worden, kann wiederaufnahmerechtlich ebenso wenig Beachtung finden wie eine Fehlbeurteilung im Hinblick auf den Opferzeugenschutz, den besonderen Umfang oder die besondere Bedeutung des Falls (§ 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GVG, hierzu auch Nr. 113 RiStBV).203 Die Einschätzungen in diesem Bereich erfordern eine Prognose beziehungsweise Prüfung im jeweiligen Einzelfall204 und können daher nicht als Rechtstatsache behandelt werden. Betreffend die umgekehrte Konstellation entspricht es der ständigen Rechtsprechung, dass es den Angeklagten nicht beschwert, wenn seine Sache vor einem Gericht höherer Ordnung als „notwendig“ verhandelt wird.205 Grundgedanke ist hier, dass die Zuständigkeit des höherrangigen Gerichts grundsätzlich diejenige des niederrangigen umfasst.206 Ab Beginn der Hauptverhandlung bleibt daher aus Gründen der Prozessökonomie das angerufene Gericht höherer Ordnung zuständig, § 269 StPO erklärt den Zuständigkeitsmangel für unbeachtlich.207 Im Rahmen der Abwägung von gerichtlicher Zuständigkeit und Verfahrensfortgang gebührt letzterem also grundsätzlich der Vorrang, weshalb die Entscheidung des höherrangigen Gerichts im Regelfall auch nicht rechtsfehlerhaft ist. Vor dem Hintergrund des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG wird der in § 269 StPO enthaltene Grundsatz nach ständiger Rechtsprechung erst dann eingeschränkt, wenn die Rechtsauffassung unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich der Schluss aufdrängt, dass die Entscheidung über die Zuständigkeit auf sachfremden Erwägungen beruht, mithin, wenn die sachliche Zuständigkeit willkürlich bejaht wurde.208 Nun liegt in der Missachtung einer Rechtstatsache notwendigerweise eine unter keinem denkbaren Aspekt vertretbare Rechtsauffassung, da sich über eine Rechtsregel hinweggesetzt wird, die keinerlei Auslegungsspielräume belässt. Angesichts der zusätzlich stets 202 Vgl. etwa NStZ 2009, 348 (350); BeckOK-Eschelbach, § 24 GVG Rn. 2 f.; ders., in MAH Strafverteidigung § 30 Rn. 147; KK-Scheuten, § 1 Rn. 9. 203 Krit. zur Antizipation der Opferrolle und generell angesichts der Unbestimmtheit der Zuständigkeitsmerkmale BeckOK-Eschelbach, § 24 GVG Rn. 12 ff. 204 KK-Barthe, § 24 GVG Rn. 4 ff. 205 BGHSt 43, 53 (55); 46, 238 (240); BGH NStZ 2012, 46; krit. hinsichtlich des drohenden Verlustes einer Tatsacheninstanz und der „Abwälzung“ unliebsamer Verfahren HK-Julius, § 270 Rn. 1; ebenso Sowada, JR 1995, 257 (258). 206 Sowada, JR 1995, 257 (258), allerdings krit. zu der Vorstellung („Klischee“), dass der höhere Richter für eine im Grundsatz bessere Rechtsverwirklichung stehe. 207 BGHSt 40, 120 (124); 46, 238 (240); SSW-Beulke, Einl. Rn. 89; SK-Weßlau, § 6 Rn. 1. 208 St. Rspr., vgl. etwa BGHSt 40, 120 (122); 42, 205 (207 f.); 43, 53 (55 f.); 45, 58 (63); 47, 16 (18).

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möglichen Zuständigkeitsbegründung des höherrangigen Gerichts über die Regelungen zur beweglichen Zuständigkeit wird sich jedoch die Frage niemals ohne spezifische Wertung – besonders deutlich wird dies am Zuständigkeitsmerkmal der „besonderen Bedeutung des Falles“ (§ 74 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 24 Abs.1 Satz 1 Nr. 3 GVG) – beurteilen lassen, weshalb die Wiederaufnahme über § 359 Nr. 5 StPO nicht gelingen kann. Im Falle einer tatsächlich willkürlichen Annahme der Zuständigkeit, was in der Praxis nur selten bejaht wird,209 bliebe hier lediglich die Möglichkeit einer Wiederaufnahme nach § 359 Nr. 3 StPO.210

3. Fehlerhafte Anklage und fehlerhafter Eröffnungsbeschluss Die Existenz einer Anklage und eines entsprechenden Eröffnungsbeschlusses sind unabdingbare Verfahrensvoraussetzungen. Sollte das Gericht tatsächlich rechtsirrig davon ausgegangen sein, in der Sache entscheiden zu dürfen ohne dass diese Verfahrensvoraussetzungen vorliegen, so wäre dieser wertungsunabhängige Rechtsfehler als Rechtstatsache beachtlich. In der Praxis weitaus relevanter dürfte die existente, aber fehlerhafte Prozessgrundlage sein. Anknüpfend an die Ausführungen zur tatsächlich fehlenden Verfahrensgrundlage (hier ab S. 119) soll nunmehr geklärt werden, ob der Anwendungsbereich der Wiederaufnahme auch in Fällen des Fehlens einer wirksamen Verfahrensgrundlage – Anklage und Eröffnungsbeschluss sind tatsächlich existent, sollen aber aufgrund ihrer Fehlerhaftigkeit dennoch nicht Grundlage des weiteren Verfahrens bilden können – und eines diesbezüglichen Irrtums eröffnet ist. Problematisch wird die vorliegende Fallkonstellation dadurch, dass nach der Rechtsprechung nicht jeder Mangel bei Zustandekommen oder im Hinblick auf den Inhalt der Entscheidung zur rechtlichen Nichtexistenz von Anklage oder Eröffnungsbeschluss führen soll. Hierzu existiert eine umfangreiche Kasuistik, die an dieser Stelle nicht nachgezeichnet werden kann, eine Zusammenstellung findet sich etwa bei Kuckein.211 Für die Beurteilung der Frage, ob bestimmte der 209

Eingehend hierzu Sowada, Gesetzlicher Richter, S. 202 ff. Krit. etwa BeckOKEschelbach, Vor § 24 GVG. Auch Bernsmann, JZ 2000, 215 vertritt die Einschätzung, das Institut des gesetzlichen Richters werde selbst vom BVerfG „nicht sonderlich ernst genommen“. Anders Sowada, JR 1995, 257: während die Hürde des Willkürerfordernisses lange Zeit als unüberwindbar gegolten habe, seien die Gerichte nunmehr häufiger bereit, erstinstanzliche Judikate als willkürlich einzustufen. Andererseits diagnostiziert auch ders., einen „Trend […], der die Beachtlichkeit von Zuständigkeitsmängeln kontinuierlich einschränkt“ (S. 258). 210 Entfällt in diesen Fällen die Beschränkung des § 269 StPO, so ergibt sich erneut der Befund, dass die fehlende sachliche Zuständigkeit ein Prozesshindernis bildet, welches lediglich aus Gründen der Verfahrensökonomie – anders als andere Prozesshindernisse – nicht zur Einstellung des Verfahrens, sondern zur Verweisung an das zuständige Gericht führt (BGHSt 42, 205 [211], LR-Siolek, § 24 GVG Rn. 30) – an der wiederaufnahmerechtlichen Relevanz ändert dies jedoch nichts. 211 StraFo 1997, 33 ff.; vgl. auch LR-Stuckenberg, § 200 Rn. 77 ff. und § 207 Rn. 62 ff.; Meyer-Goßner/Schmitt, § 200 Rn. 25 ff. und § 207 Rn. 11; SK-Paeffgen, § 200 Rn. 26 ff. und

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Entscheidung anhaftende Fehler durchschlagen und deren Unwirksamkeit zur Folge haben oder nicht, existieren schlicht keine allgemeingültigen Kriterien. Ein gewisser Schweregrad des Mangels in Anklageschrift oder Eröffnungsbeschluss soll deren Unwirksamkeit bewirken, alles, was sich unter dieser Schwelle hält, folgenlos bleiben. Insofern erinnert die Thematik erneut an die Frage nach der Urteilsnichtigkeit und birgt ebenso wie dort eine nicht zu leugnende Rechtsunsicherheit.212 Wenn das Gesetz aber weder ausdrücklich erklärt noch sich aus ihm ersichtlich ergibt, ab wann ein Fehler in der Anklageschrift oder des Eröffnungsbeschlusses die Statthaftigkeit des Verfahrens im Ganzen berührt,213 so dürfte die bloße Mangelhaftigkeit per definitionem eigentlich nicht als Verfahrenshindernis gewertet werden. Die endgültige Einstellung des Verfahrens ist die massivste Fehlerfolge, die der Prozess kennt. Gerade aus diesem Grunde wird hinsichtlich der Einstufung eines bestimmten Umstands als Prozesshindernis seitens der Rechtsprechung traditionell Zurückhaltung geübt, und dies insbesondere, sofern die Bejahung eines Verfahrenshindernisses nur nach umfassender Prüfung aller Einzelheiten des konkreten Falles gelingen kann.214 Bei reinem Anknüpfen an bestimmte Wertungsergebnisse besteht grundsätzlich die Gefahr, dass die Rechtsfigur des Verfahrenshindernisses konturlos wird.215 Die grundsätzliche Bedeutung einer den Förmlichkeiten entsprechenden und inhaltlich korrekten Anklage und eines entsprechenden Eröffnungsbeschlusses soll hier nicht infrage gestellt werden.216 Jedoch darf überlegt werden, ob ein Umstand, in dessen Kontext Fehler faktisch ohne bestimmbare Kriterien in die Kategorien „schwerwiegend“, „weniger schwerwiegend“ und „leicht, also unbeachtlich“ eingeteilt werden müssen,217 im Hinblick auf die Rechtssicherheit für alle Beteiligten tatsächlich noch als Verfahrensvoraussetzung gelten sollte. Dies gilt in gleichem Maße für formelle wie auch für inhaltliche Mängel, insofern als nicht einmal hinsichtlich des Rahmens der zur Erfüllung der Umgrenzungsfunktion unbedingt erforderlichen Angaben Klarheit herrscht.218 Die § 207 Rn. 23 ff.; Beukelmann, NStZ 2009, 588; Grossmann, Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses, S. 20 ff. 212 Bezeichnend hierfür der Beitrag von Kuckein, StraFo 1997, 33 ff, der ein Konglomerat von Begriffen wie „Zweifelsfälle“, „umstritten“, „grundsätzlich“, „regelmäßig“ aufweist. 213 Zur üblichen Definition des Verfahrenshindernisses bereits hier S. 81. 214 LR-Kühne, Einl. Abschn. K Rn. 46 m.w.N. 215 BGHSt 32, 345 (352) zum tatprovozierenden Verhalten polizeilicher Lockspitzel. 216 Zum hohen Stellenwert eindringlich OLG Zweibrücken Beschl. v. 02. 05. 2008 – 1 Ws 142/08 –, juris Rn. 10 ff., vgl. auch Meyer-Goßner, Prozessvoraussetzungen, S. 29; Volk, Prozeßvoraussetzungen, S. 219 f. 217 Hierzu LR-Stuckenberg, § 207 Rn. 48 u. § 200 Rn. 79. Bezeichnend auch die Argumentation in BGHSt 29, 351 (355): der Fehler sei „nicht so gänzlich unerträglich, daß dem Eröffnungsbeschluß angesichts seiner Fehlerhaftigkeit jede Wirkung abgesprochen werden müßte“. 218 Vgl. BGH NStZ 1984, 229: „Welche tatsächlichen Angaben hierzu erforderlich sind, läßt sich nicht allgemein sagen, sondern ist eine Frage des Einzelfalls“. Kuckein, StraFo 1997, 36 ff. zählt hierzu die Person des Angeklagten, Ort, Zeit, und wesentliche Umstände der Tatbegehung, um anschließend auf die Ausnahmen von diesem Grundsatz einzugehen.

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im Zwischenverfahren durch den Erlass des Eröffnungsbeschlusses stattfindende Kontrolle soll in erster Linie die Durchführung einer Hauptverhandlung mit allen nachteiligen Konsequenzen für den Betroffenen verhindern, sofern das Gericht abweichend von der Staatsanwaltschaft die Anklage nicht für schlüssig oder den Tatverdacht nicht für ausreichend hält.219 Es handelt sich um einen letzten vorbereitenden Akt vor der Durchführung der Hauptverhandlung.220 Wurde diese bereits begonnen, bleibt von dieser wichtigen Schutzfunktion indes nicht viel übrig, auch der Betroffene gewinnt durch die Einstellung des Verfahrens nichts: Da diese lediglich besagt, dass derzeit das Verfahren auf ungenügendem Fundament geführt wird, steht einem neuen Verfahren unter Wiederholung der verfahrenseinleitenden Maßnahme nichts im Wege.221 Die Wiederholung als solche ist demnach unproblematisch möglich. Das stärkste Argument hiergegen gibt jedoch die Praxis selbst. Die Rechtsfolge des „Fehlens“ ist bei Weitem nicht so eindeutig, wie angesichts der ersichtlich nirgends bestrittenen Einordnung als unabdingbare Prozessvoraussetzung zu erwarten wäre. Die Rechtsprechung erkennt in großzügigem Maße die Möglichkeit einer Heilung der an sich unwirksamen Verfahrensvoraussetzung auch nach Eröffnung des Hauptverfahrens an.222 Der hierin liegende dogmatische Widerspruch wurde bereits aufgezeigt.223 Letztlich setzt sich die Rechtsprechung damit über die selbst aufoktroyierte, aber eigentlich zwingende Fehlerfolge hinweg. Möchte man aus prozessökonomischen Gründen an der Möglichkeit der Heilung bei lediglich fehlerhaften Anklageschriften und Eröffnungsbeschlüssen festhalten, so wäre es konsequent, sich von der Gleichsetzung der tatsächlich nicht ergangenen Entscheidung mit dem weitaus häufigeren Fall der groben Fehlerhaftigkeit zu verabschieden, da letzterer ohnehin aufgrund seiner eindeutigen Wertungsabhängigkeit mit der Konzeption der Verfahrenshindernisse nur schwer zu vereinen ist. Ein Fehler, von dessen Vorliegen eben nicht die Zulässigkeit des Verfahrens als Ganzes abhängt, kann auch im Verfahren selbst geheilt werden, ohne zu Brüchen in der Systematik zu führen. In Ermangelung eindeutiger Anforderungen an die Wirksamkeit der Verfahrensgrundlage – man blicke erneut auf die umfangreiche Kasuistik – stellt ein Verstoß in diesem Bereich jedenfalls keine Rechtstatsache im Sinne des § 359 Nr. 5 StPO dar, sodass der Vortrag massiver Mängel an Anklage oder Eröffnungsbeschluss das Wiederaufnahmebegehren nicht stützen kann. Erachtet man, wie hier vorgeschlagen, die fehlerhafte Anklage und den fehlerhaften Eröffnungsbeschluss lediglich als „sonstigen Verfahrensfehler“, so ist auch mangels hypothetisch erziel-

219 BGHSt 29, 224 (229); BT-Drs. 4/178, S. 19 (l. Sp.); Eschelbach, HRRS 2008, 190 (194 f.) m. krit. Anm. zur Praxis; Hecker, JR 1997, 4; Ulsenheimer, NStZ 1984, 440 (443); Gantzer, Rechtskraft Beschlüsse, S. 130. 220 Peters, ZStW 68 [1956], 374 (380). 221 BGH GA 1973, 111 (112); BGH NStZ 1995, 245 f. 222 BGHSt 29, 224; 33, 167 (168); 50, 267 (268); w. N. etwa bei LR-Stuckenberg, § 200 Rn. 87 f. u. § 207 Rn. 57 ff.; SK-Paeffgen, § 200 Rn. 29 u. § 207 Rn. 27. 223 Siehe oben S. 119 ff.

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D. Die aus rechtlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

barer Verfahrenseinstellung im Erstverfahren der Anwendungsbereich der Wiederaufnahme gesperrt.

4. Rechtsfehler im Bereich der Beweisverwertungsverbote Die Erkenntnis, dass die Verurteilung auf bestimmte Beweise nicht gestützt werden darf, beruht wie bereits im entsprechenden Kapitel des Teils C. angedeutet wurde224 auf einem zwischengeschalteten Subsumtionsvorgang. So sind Vernehmungen im Zustand der Ermüdung nach § 136a Abs. 1 Satz 1 Var. 2 StPO unzulässig, anstrengende Befragungen oder auch Vernehmungen zur Nachtzeit aber nicht per se untersagt.225 Das Verabreichen von betäubenden, enthemmenden, einschläfernden und aufputschenden Mitteln (§ 136a Abs. 1 Satz 1 Var. 4 StPO) ist untersagt, indes das Anbieten (wie auch das Vorenthalten) von Kaffee, Tee, Zigaretten und anderen Genussmitteln durchaus gestattet.226 Rechtstatsachen entbehren hingegen einer wertenden Betrachtung und verlangen in jedem Fall eine eindeutige Feststellbarkeit. Wertet das Gericht im Erstverfahren trotz vollständig bekannter Umstände die Beweisgewinnung nicht als rechtsstaatlich untersagt, besteht hinsichtlich eines erneuten Verfahrens die Garantie eines besseren Urteils nicht, da diese entfällt, sobald eine vertretbare Entscheidungsalternative besteht, im vorliegenden Fall also hinsichtlich des Vorliegens einer rechtsstaatswidrigen Beweisgewinnung. Selbst in Fällen ausnahmslos verbotener227 Methoden wie der Hypnose (§ 136a Abs. 1 Satz 1 Var. 7 StPO) besteht keine Sicherheit dahingehend, ab wann eine bloße Einwirkung auf das Vorstellungsbild zu einer Beeinflussung des Bewusstseins hin zu einer bestimmten, gewünschten Vorstellungsrichtung wird.228 Da der Einbezug eines Rechtsfehlers in diesem Bereich nicht ohne Aufweichen der für den Tatsachenbegriff des § 359 Nr. 5 StPO zuvor entwickelten Abgrenzungskriterien möglich ist, muss der Anwendungsbereich der Wiederaufnahme hier verschlossen bleiben. Lediglich im Falle eines bewussten Verstoßes bleibt die Option einer Wiederaufnahme nach § 359 Nr. 3 StPO. Für die rechtsfehlerhafte Annahme eines Beweisverwertungsverbotes hinsichtlich entlastender Umstände gilt Entsprechendes; die rechtsfehlerhafte Nichtverwertung belastender Umstände wäre nur einer Wiederaufnahme zuungunsten unter den dort notwendigen Voraussetzungen zugänglich.

224

S. 122 ff. BGHSt 1, 376; 38, 291 (294); KK-Diemer, § 136a Rn. 12. 226 KMR-Pauckstadt-Maihold, § 136a Rn. 11. 227 BeckOK-Monka, § 136a Rn. 22; KK-Diemer, § 136a Rn. 28; KMR-Pauckstadt-Maihold, § 136a Rn. 16. 228 Zur Definition des Hypnosebegriffs etwa KK-Diemer, § 136a Rn. 28; Meyer-Goßner/ Schmitt, § 136a Rn. 19; SK-Rogall, § 136a Rn. 70. 225

II. Die hinsichtlich des Verfahrens fehlerhafte Entscheidung

267

5. Mitwirkung einer ausgeschlossenen oder befangenen Gerichtsperson In praktisch seltenen229 Fällen, in denen die äußeren Umstände, die den Ausschließungs- oder Ablehnungsgrund ergeben, offenliegen und dem Gericht bekannt sind, kann die Frage, ob ein Mitwirkungsverbot besteht, dennoch fälschlich verneint werden. Rechtliche Irrtümer können bei der Auslegung des Rechtsbegriffs des „Verletzten“ (§ 22 Nrn. 1 und 2 StPO) oder hinsichtlich der Frage unterlaufen, was unter der „Sache“ im Sinne von § 22 Nrn. 4 und 5 StPO zu verstehen ist, oder ob und wann dienstliche Äußerungen eines Richters seinen Ausschluss nach § 22 Nr. 5 StPO bewirken.230 Die Frage, ob ein gesetzlich von der Mitwirkung ausgeschlossener Richter an der Entscheidung mitgewirkt hat, ist auch nach Ansicht des Bundesgerichtshofs nicht „mit einem Blick zu entscheiden“231. Insofern kann auch hier schon nicht vom Vorliegen einer Rechtstatsache ausgegangen werden. Wird der Ausschluss- oder Ablehnungsgrund rechtsirrig bejaht, wurde zwar in einer anderen als der eigentlich vorgesehenen Besetzung entschieden. Aber auch dieser Befund ist, ebenso wie der der fehlerhaften Besetzung aufgrund eines Irrtums im tatsächlichen Bereich,232 als sonstiger Verfahrensfehler nicht dazu geeignet, die Überzeugungskraft des ergangenen Urteils zu erschüttern und kann die Wiederaufnahme nicht ermöglichen.

6. Einstellung des Verfahrens als nicht gebotene Entscheidungsform In ständiger Rechtsprechung sind Konstellationen anerkannt, in denen trotz Bestehens eines Verfahrenshindernisses ein Freispruch erfolgen muss. Dies insbesondere dann, wenn die Unschuld des Angeklagten bereits sicher feststeht233 und ebenfalls, wenn bei Zusammentreffen eines schwereren und eines leichteren Tatvorwurfs der schwerere nicht nachzuweisen ist und bezüglich des leichteren das Verfahren einzustellen wäre.234 Da in diesen Konstellationen dem Angeklagten faktisch ein „Recht auf Freispruch“ zukommt,235 müsste er ausnahmsweise durch die 229

So auch die Einschätzung in BGHSt 29, 351 (355). Beispiele von BGHSt 29, 351 (355 f.). 231 BGHSt 29, 351 (356). 232 Vgl. hierzu bereits S. 135 ff. 233 BGHSt 13, 268 (273) betr. das Eingreifen eines Straffreiheitsgesetzes; 20, 333 (335) betr. mangelndes öffentliches Interesse; KK-Ott, § 260 Rn. 50a; Meyer-Goßner/Schmitt, § 260 Rn. 44; SSW-Franke, § 260 Rn. 7 u. näher Grossmann, Aufhebung des Eröffnungsbeschlusses, S. 98 ff. 234 Siehe dazu bereits die Nachweise hier auf S. 171 in Fn. 547. Zu einem darüber hinausgehenden Anspruch auf Sachentscheidung trotz Bestehens eines Prozesshindernisses eingehend Krack, Rehabilitierung, S. 241 ff. 235 Kohlhaas, NJW 1954, 1792 (1793). 230

268

D. Die aus rechtlichen Gründen fehlerhafte Entscheidung

lediglich erfolgte endgültige Einstellung des Verfahrens als beschwert anzusehen sein. Ein Angriff der Verfahrenseinstellung, sofern möglich, würde damit zu seinen Gunsten erfolgen. Jedoch ist der prominenteste Wiederaufnahmegrund des § 359 Nr. 5 StPO aus mehreren Gründen gesperrt. Das Vorbringen des Angeklagten, dass trotz Freispruchreife beziehungsweise trotz nicht nachweisbarer schwererer Tat auf Verfahrenseinstellung erkannt wurde, ist lediglich der Vorwurf des Hinwegsetzens über die (ständige) Rechtsprechung. Zudem nimmt es für sich in Anspruch, dass der Sachverhalt rechtlich anders zu bewerten sei als das Gericht es getan hat. Aus der bereits feststehenden Unschuld soll vermeintlich nicht die richtige Konsequenz gezogen respektive nicht beachtet worden sein, dass der schwerer wiegende Vorwurf stets den Urteilsspruch bestimmen soll. Diese gegenteilige Rechtsauffassung kann für eine Wiederaufnahme nicht genügen. Es besteht keine berechtigte Erwartung einer „richtigeren“ Entscheidung, da die der Beurteilung zugrunde liegenden Faktoren (Freispruchreife, Nichterweislichkeit) als solche nicht objektivierbar sind. Darüber hinaus entbehrt es nicht einer gewissen Widersprüchlichkeit, einerseits, wie allgemein praktiziert, im Rahmen des § 359 Nr. 5 StPO den Freispruch der Verfahrenseinstellung gleichzustellen, andererseits einen Austausch dieser Entscheidungsinhalte über den nämlichen Wiederaufnahmegrund zuzulassen. Die Wiederaufnahme propter nova ist nicht möglich. Ebenfalls fehlerhaft ist die Entscheidung nach §§ 260 Abs. 3, 206a StPO dann, wenn das Gesetz selbst eine andere Entscheidung vorsieht. Die örtliche Unzuständigkeit kann nur dann zu einer Verfahrenseinstellung nach § 260 Abs. 3 StPO führen, wenn sie vom Angeklagten bis zum Beginn seiner Vernehmung zur Sache geltend gemacht wurde (§ 16 StPO). Bei sachlicher Unzuständigkeit ist regelmäßig236 nicht einzustellen, sondern zu verweisen (vgl. §§ 270 Abs. 1, 328 Abs. 2, 355 StPO). Wird wegen Unzuständigkeit eingestellt, anstatt die aus prozessökonomischen Gründen geschaffene Möglichkeit der Verweisung zu nutzen, so handelt es sich um einen Rechtsanwendungsfehler. Eine vollumfängliche und endgültige Entscheidung über den Strafanspruch liegt darin jedoch ersichtlich nicht. Auch das Vertrauen des Angeklagten kann nur die Feststellung umfassen, dass das erkennende Gericht sich für sachlich beziehungsweise örtlich nicht zuständig erachtet. Daran muss es sich festhalten lassen. Eine erneute Anklageerhebung vor demselben Gericht scheidet damit aus; vor einem anderen Gericht wäre eine solche jedoch bedenkenlos möglich. Die Stimmigkeit dieser mit dem Widerspruchsverbot gefundenen Lösung zeigt in diesem Kontext ein Abgleich mit der Entscheidung BGHSt 18, 1. Der Vierte Strafsenat am Bundesgerichtshof bestätigt darin zunächst die Bindungswirkung auch einer unrichtigen Unzuständigkeitserklärung. Jener Erklärung käme zwar kein Strafklageverbrauch hinsichtlich der Entscheidung in der Sache zu, jedoch Sperr236

Allerdings soll nach ständiger Rspr. für den Fall, dass ein Gericht höherer Ordnung seine Zuständigkeit objektiv willkürlich bejaht hat, das diesen „Eröffnungsfehler“ rechtzeitig erkennende Gericht das Verfahren wegen seiner Unzuständigkeit gemäß §§ 260 Abs. 3, 206a StPO einstellen, weil in diesem Fall nicht § 269 StPO, sondern § 6 StPO gelte, hierzu KKSchneider, § 209 Rn. 18.

II. Die hinsichtlich des Verfahrens fehlerhafte Entscheidung

269

wirkung dahingehend, dass die Kammer hinsichtlich der Taten, für deren Aburteilung sie sich für unzuständig erklärt hat, auch künftig unzuständig bleibt.237 Gestützt auf v. Beling238 ist der Senat der Auffassung, dass ein neuer Prozess „insoweit unzulässig ist, als dadurch gegen den Angeklagten die Unzuständigkeitserklärung des früheren Gerichts beiseitegeschoben werden müßte, um die Zulässigkeit bejahen zu können“. Dies sei jedoch nur dann der Fall, wenn gerade diese Kammer auf Grund einer neuen Anklage erneut gegen den Beschuldigten vorginge. Bemerkenswert an dieser Entscheidung ist insbesondere, dass einmal nicht mit dem abstrakten und wenig weiterführenden Terminus der (beschränkten) Rechtskraft gearbeitet, sondern ganz ähnlich dem hier befürworteten Vorgehen konkret mit dem Aussageinhalt der Entscheidung argumentiert wird. Dadurch erhält die hier vom Senat vertretene Lösung eine Plausibilität, derer man sich schwerlich entziehen kann. Doch nicht nur hinsichtlich dieser Argumentationslinie sticht die Entscheidung heraus. Inmitten der Ausführungen findet sich ein Passus, der sich in diese so selbstverständlich einfügt, dass man ihn fast überlesen könnte: „Allerdings geht die Sperrwirkung nicht weiter, als der Inhalt der Verfahrensentscheidung reicht.“ Dies ist letztlich die Bestätigung der Konstruktion eines Widerspruchsverbotes, welches unabhängig von Spekulationen über eine möglicherweise nur beschränkte Rechtskraft konkret besagt, welche Entscheidungen aufgrund ihrer auf den Entscheidungsinhalt bezogenen Bindungswirkung allein noch mittels des Wiederaufnahmeverfahren angreifbar sind.

237 Hierzu und im Folgenden BGHSt 18, 1 (5). Bestätigt durch BGH NStZ 1988, 371. Zustimmend etwa KMR-v. Heintschel-Heinegg, § 6 Rn. 4; KMR-Seidl, § 206a Rn. 47; LRStuckenberg, § 211 Rn. 5; Roxin/Schünemann, Strafverfahrensrecht, § 52 Rn. 19. 238 Reichsstrafprozeßrecht, S. 271. Dem zustimmend LR-Kühne, Einl. Abschn. K Rn. 86 und ähnlich Henkel, Strafverfahrensrecht, S. 390 f. (Sperrwirkung insoweit, als Feststellungen nicht abgeändert werden dürfen). Vgl. zudem bereits BGHSt 7, 64 (66): die Begründung einer unanfechtbaren Entscheidung (dort: § 204 StPO) dürfe „nicht beiseite geschoben werden“.

E. Fazit Es hat sich gezeigt, dass das mit 18 Paragraphen kürzeste Buch der Strafprozessordnung1 ein Verfahren beinhaltet, welches in seinem Anwendungsbereich deutlich weiter reicht, als gemeinhin angenommen. Begrenzungen fallen, sobald man sich von der dogmatisch nicht überzeugenden Bindung der Wiederaufnahme an schuldfragerelevante Umstände löst und im Rahmen des § 359 Nr. 5 StPO den Freispruch der endgültigen Einstellung des Verfahrens gleichstellt. Schon werden all diejenigen Sachurteile erfasst, die in Ansehung des Vorliegens eines Verfahrenshindernisses nicht hätten ergehen dürfen, die dies begründenden Umstände dem Gericht jedoch verborgen geblieben sind. Eines Rückgriffs auf die abzulehnende Theorie der Urteilsnichtigkeit bedarf es demnach auch in den hier klassisch angeführten Konstellationen, etwa dem Fall eines Verstoßes gegen den Grundsatz ne bis in idem, nicht. In demselben Maße wie der Angeklagte den Anspruch erheben kann, nur bei Vorliegen sämtlicher Verfahrensvoraussetzungen verurteilt zu werden, so kann er verlangen, dass dies nur aufgrund rechtsstaatlich erhobener, einwandfreier Beweise geschieht. Auch eine die Umstände des Vorliegens eines Beweisverwertungsverbotes verkennende Entscheidung kann auf diesen Vortrag hin Gegenstand eines Wiederaufnahmeverfahrens sein, sofern die dort ergangene Verurteilung ohne den Belastungsbeweis nicht möglich gewesen wäre. Der soeben verwendete Konjunktiv spielt zugleich auf eine ganz verbreitete Ungenauigkeit an. Wenn der Verurteilte vernimmt, er sei hinsichtlich seines Wiederaufnahmebegehrens an bestimmte Ziele gebunden, nämlich einen Freispruch oder zumindest eine geringere Bestrafung, wird ihm dies kaum Kopfzerbrechen bereiten – liegt darin doch wahrlich keine empfindliche Einschränkung. Nur erliegt er in diesem Moment nicht minder einem Irrtum als zuvor möglicherweise das über ihn urteilende Gericht. Nicht die Entscheidung, die er nunmehr begehrt, sondern die, die hätte ergehen müssen, begrenzt die Wiederaufnahme. Die Verfahrensordnung muss, um die Nichtnormierung der Rechtskraft nicht faktisch in deren Nichtexistenz umzumünzen, an das Vorbringen im Rahmen der Wiederaufnahme gewisse Qualitätsansprüche stellen. Dass ein anderes Gericht anders entscheiden kann, ist vor dem Hintergrund des Art. 97 Abs. 1 GG eine an sich nicht zu explizierende Selbstverständlichkeit. Deshalb horcht das Wiederaufnahmeverfahren nicht auf, wenn die Möglichkeit einer anderen Entscheidung angeführt wird. Seine Aufmerksamkeit erlangt erst, wer vorträgt, dass anders hätte entschieden werden müssen, und zwar 1

So auch die einleitenden Worte von Dünnebier, FG Peters, S. 333 (334).

E. Fazit

271

nicht „irgendwie anders“, sondern merklich anders (§ 359 Nr. 5 StPO). Dieser Anforderung werden Verstöße gegen sonstige Verfahrensvorschriften in der Regel nicht gerecht. Im Strafbefehlsverfahren zeigt sich dann, dass diese Ausrichtung des Wiederaufnahmeverfahrens auch schützende Schranken konstruiert. So lässt sich mit den soeben dargestellten Grundsätzen nicht vereinbaren, die Wiederaufnahme auch dann über § 373a Abs. 1 StPO zuzulassen, wenn erst Ereignisse nach Erlass des Strafbefehls die Tat zum Verbrechen heraufstufen. Das Gericht hätte in diesem Fall nicht einmal „irgendwie anders“, sondern genauso entscheiden müssen. Eine notwendige Entscheidung in der Sache unterbleibt hingegen in den Fällen, in denen auf falscher Tatsachengrundlage ein Verfahrenshindernis bejaht wird. Anstelle eines Sachurteils nach § 260 Abs. 1 StPO wird nach § 260 Abs. 3 StPO die Einstellung des Verfahrens im Urteil ausgesprochen. Die Judikate trennen Absätze, nicht einmal Paragraphen – mit Blick in das einschlägige Schrifttum wiederaufnahmerechtlich jedoch offenbar Welten. Es scheint tatsächlich eine Begründung dafür erforderlich zu sein, dass das „Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens“ lautende Programm des Vierten Buches der Strafprozessordnung die Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil nach § 260 Abs. 3 StPO abgeschlossenen Verfahrens erfasst. Nun denn: Wenn der Gedanke der Rechtssicherheit verlangt, dass der Richterspruch verlässlich sein muss, um den notwendigen Rechtsfrieden zu schaffen, bedeutet das, dass nicht „heute so, morgen anders“ entschieden werden kann. Weil dies im Einzelfall jedoch tatsächlich einmal notwendig werden kann, wurde das Wiederaufnahmeverfahren geschaffen, in welchem die Existenz der vermeintlichen Fehlentscheidung allerdings gerade nicht negiert wird. Dies ergibt sich schon aus der Formulierung des § 373 Abs. 1 StPO, nach der in der erneuten Hauptverhandlung entweder das frühere Urteil aufrechtzuerhalten oder unter seiner Aufhebung anderweit in der Sache zu erkennen ist. Wenn es mit dem Bedürfnis nach Rechtssicherheit nicht zu vereinen ist, dass der Täter heute für schuldig, morgen für unschuldig erklärt wird, wie soll es dann angehen können, dass seine Tat heute als verjährt, morgen als unverjährt gilt? Im nächsten Schritt kann es dann auch keinen Unterschied machen, ob diese Entscheidung heute und morgen in Urteilsform ergeht oder durch einen Beschluss gleichen Inhalts. Überlegungen betreffend eine vermeintlich beschränkte Rechtskraft von Beschlüssen sind für dieses Ergebnis irrelevant, unabhängig davon, dass das Etikett „beschränkt rechtskraftfähig“ ohnehin erst nach Auswertung der Korrekturmöglichkeiten auf die Entscheidung angebracht wird und sich als petitio principii erwiesen hat. Ausführlich wurde erörtert, ob der Wiedereintritt ins Verfahren nach einer Entscheidung im Beschlusswege mit höherrangigem Recht in Konflikt gerät insofern, als die vom Wortlaut nicht mehr gedeckte Anwendung des Wiederaufnahmeverfahrens gegen ein möglicherweise bestehendes Analogieverbot zuungunsten des Täters verstößt – eine Frage, die im Rahmen dieser Problematik

272

E. Fazit

überraschenderweise kaum Beachtung findet, im Ergebnis indes verneint werden muss. Die Probe auf das Exempel der „strafprozessualen Kuriosität“ BGHSt 52, 119 hat gezeigt, dass auch der Anwendungsbereich der ungünstigen Wiederaufnahme, die nur begrenzt auf nova gestützt werden kann, einiges an Korrekturmöglichkeiten bietet. Die Bezugnahme auf das Strafbefehlsverfahren hat dahingehend Klarheit geschaffen, dass der bloße (Wieder)Eintritt in die Instanz kein durch die Wiederaufnahme verfolgbares Begehren darstellt und dass sich auch hier am Ergebnis nichts ändert, wenn die Verwerfung des Rechtsbehelfs im Beschlusswege erfolgt. Wendet man sich denjenigen Konstellationen zu, in denen eine gerichtliche Entscheidung nicht an einer unzutreffenden Tatsachengrundlage krankt, sondern dem Gericht bei der Anwendung des Rechts Fehler unterlaufen sind, betritt man wiederaufnahmerechtlich – nicht zuletzt vom Bundesgerichtshof im Rahmen des v. Ossietzky-Beschlusses – vermintes Terrain. Dort hat sich indes gezeigt, dass eine von Karl Peters in seinen Studien zu den Fehlerquellen im Strafprozess entwickelte Konstruktion entgegen der verbreiteten und häufig ungeprüft übernommenen Kritik eine Lösung bereithält, die unzulässige von zulässigen Vorbringen abzugrenzen vermag. Denn dass, um bei dem bereits verwendeten Beispiel zu bleiben, auch die rechtsfehlerhafte Ablehnung der Verjährung der Tat ein Korrekturbedürfnis begründet, wird selbst von den schärfsten Kritikern nicht geleugnet. Der Einbezug von Rechtsfehlern in die Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten erfolgt hierbei über § 359 Nr. 5 StPO und den Begriff der „Rechtstatsache“. Hierunter sind diejenigen Rechtsregeln zu verstehen, die aufgrund ihrer Allgemeingültigkeit wertungsunabhängig sind und deren Anwendung nur „richtig oder falsch“ sein kann – bestehen Spielräume und Auslegungsmöglichkeiten, liegt dagegen keine Rechtstatsache vor. Dadurch, dass bei Vorliegen einer solchen Rechtstatsache nicht bloß die Möglichkeit einer alternativen Entscheidung besteht, sondern diese zwingend geboten ist, wird das Vorbringen wiederaufnahmerechtlich relevant. Als derartige Rechtsregeln wurden identifiziert etwa die in §§ 78 Abs. 2, 3 StGB getroffenen gesetzgeberischen Entscheidungen zur Verjährung der Tat, das Strafantragserfordernis oder der gesetzlich vorgegebene Strafrahmen. Der klassische Subsumtionsfehler fällt hierunter notwendigerweise nicht. Da es im Bereich richterlicher (Fehl)Vorstellungen über die Rechtslage den auf Verfälschung der Tatsachenbasis abzielenden Wiederaufnahmegründen der §§ 359 Nrn. 1 und 2, 362 Nrn. 1 und 2 StPO an Einschlägigkeit, der Wiederaufnahme ob richterlicher Amtspflichtverletzung durch die grundsätzlich erforderliche rechtskräftige Verurteilung (§ 364 StPO) an praktischer Relevanz mangelt, ist im Kontext einer sich zugunsten des Angeklagten auswirkenden Fehlentscheidung insbesondere der Wiederaufnahmegrund propter nova nach § 362 Nr. 4 StPO von Interesse. Mit Blick auf die dahinterstehende gesetzgeberische Zielsetzung wird deutlich, dass § 362 Nr. 4 StPO auch dann einschlägig sein kann, wenn der Freispruch auf einem Rechtsfehler beruht, da die Sanktionierung manipulativen Verhaltens hier gerade

E. Fazit

273

nicht Hintergrund der Wiederaufnahme ist. Die tatsächliche Möglichkeit, ein derartiges Wiederaufnahmeverfahren durchzuführen, ist angesichts der Rarität des zu den Strafverfolgungsbehörden durchdringenden Geständnisses allerdings erheblich reduziert. Rechtsfehler, die das Verfahren betreffen und im Rahmen der Revision nicht mit der Sach-, sondern der Verfahrensrüge anzugreifen gewesen wären, spiegeln ebenso die Diversität der wiederaufnahmerechtlichen Zugriffsmöglichkeit. Während die oftmals nicht klar zu definierende Grenze verfahrensrechtlicher Zulässigkeit im Hinblick auf den Anwendungsbereich des Wiederaufnahmeverfahrens häufig zu einem negativen Befund führt, könnten Entscheidungen, die eine unzulässige Verfahrensabsprache in ihrer Entstehungsgeschichte vorweisen, dem „außerordentlichen“ Rechtsbehelf tatsächlich zu mehr Geltung in der Rechtswirklichkeit verhelfen. Deutlich hervorgetreten ist jedenfalls, dass in den §§ 359 ff. StPO großes Potential steckt, auf breiter Basis Fehler aufzufangen, die auch ein bestmöglich ausgeformtes Strafverfahren nicht ausschließen kann.2 Sinnvoll genutzt kann damit das gesamte Verfahren seinem Ziel, der Sicherung von Rechtsfrieden, ein deutliches Stück nähergebracht werden.

2 Zu dieser Bestimmung Grünewald, ZStW 120 [2008], 545 (572); Hanack, JZ 1973, 373; Rieß, NStZ 1994, 153 (155); Deml, Reform der Wiederaufnahme, S. 34 ff.

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Sachregister Absprache siehe Verständigung Abwesenheit des Angeklagten 132 – 135 actus contrarius 13, 74, 216 Aditionsverfahren 47 f., 214 f., 259 Amnestie 97 f. Analogieverbot 202 – 212 Änderung der Rechtsprechung 71, 227 f. Anhörungsrüge 53 f., 162, 192, 193, 218 f. Anklage, fehlende 119 – 122, 161 f., 263 – 266 Arglist siehe Verfahrensmanipulation außerordentliche Beschwerde 33, 206 außerordentlicher Einspruch 226 Befangenheit 135 – 138, 267 Begnadigung siehe Gnadeverfahren Behauptung einer Straftat siehe Rechtskräftige Verurteilung Berichtigungsklage siehe Ergänzungsklage Beschleunigungsgebot siehe Verfahrensverzögerung Bestandskraft 69 Bewährungswiderruf siehe Widerruf der Strafaussetzung Beweismittelverlust 201 Beweisverwertungsverbote 122 – 128, 266 BGHSt 52, 119, 187, 191, 216 – 222 Bindungswirkung – Beginn 22 – 24 – der Feststellungen im Erstverfahren 105 f. Carl Larenz siehe Methodenlehre Carl von Ossietzky siehe Ossietzky-Entscheidung Darlegungslast, erweiterte 44, 197, 259 DDR, Strafverfahren 27, 227 Deal siehe Verständigung Doppelbestrafung siehe ne bis in idem

Einspruch – außerordentlicher siehe außerordentlicher Einspruch – Strafbefehl siehe Strafbefehlsverfahren Einstellung des Verfahrens – als Verfahrensabschluss 86 f., 187 f. – als Wiederaufnahmeziel 86 – 88, 93, 153 f., 155 f., 167 – Beschwer des Angeklagten 110, 163, 167, 171, 267 – 269 – Verhältnis zur Verwerfung 180 f. – vorläufige 110, 174 Ergänzungsklage 16, 38, 146 Eröffnungsbeschluss, fehlender 119 – 122, 161 f., 263 – 266 Erweiterung der Wiederaufnahme siehe Wiederaufnahmereform europäischer Haftbefehl 117 f. Evidenz des Fehlers siehe Offensichtlichkeitskriterium falscher Angeklagter 133 – 135 fehlerhafte Entscheidungen 19 f. Fehlerquellen siehe Peters, Karl Fortführung des Verfahrens 161 f., 183 Freibeweisverfahren 95 f., 165, 188, 222 Freispruchreife siehe Einstellung des Verfahrens, Beschwer Gegenvorstellung 53 f., 64 f. gerichtliche Zuständigkeit siehe Zuständigkeit Gerichtsbarkeit 114 – 117 Geständnis – als Wiederaufnahmegrund siehe Wiederaufnahmegründe – Gegenstand 169 f., 175 f., 241 – Häufigkeit 169 f. – Widerruf 44, 258 – 260 Gnadeverfahren 62 – 64, 82 f., 102, 118, 190 f.

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Sachregister

greifbare Gesetzeswidrigkeit siehe außerordentliche Beschwerde Gründlichkeitsargument 198 historische Auslegung 92 Ignoranz von Tatbestandsmerkmalen 239 – 241 Individualbeschwerde (EMRK) 59 f. Individualverfassungsbeschwerde siehe Verfassungsbeschwerde Justizförmigkeit 35 – 37 Justizirrtum 20 Karl Peters siehe Peters, Karl Klageerzwingungsverfahren 51 – 53, 193, 195 f. Kognitionspflicht des Gerichts 78 f., 149, 166 Larenz, Carl siehe Methodenlehre Lockspitzeleinsatz 88 Methodenlehre 92, 189, 194, 202 f., 213, 219, 242 Mittelbare Falschbeurkundung 220 f. Mitwirkungsverbot siehe Befangenheit Motive zur Reichstrafprozessordnung siehe Reichstrafprozessordnung Namenstäuschung 134 ne bis in idem 35, 41 f., 56, 75, 98 – 109, 152 – 154, 155 – 159, 176 f., 181, 225, 246, 250 – 252 Nichteröffnungsbeschluss 154, 195 Nichtigkeit 28 – 38, 82 f., 101 f., 114 f., 134, 151, 155, 229, 235, 246, 253 – 256, 264 Nichtigkeitsbeschwerde 202, 226 f. Nichtigkeitsklage 136 f. Nichturteile 27 nova reperta 45, 93, 151, 230 f. offensichtliche Fehler siehe Schreib- und Rechenfehler Offensichtlichkeitskriterium 28, 31 f., 235 – 238 Opportunitätseinstellung 152 f., 181

Ossietzky-Entscheidung 231 – 233 Österreich, Strafverfahren 24, 44, 50, 227 Peters, Karl 15 f., 79, 90, 100, 111, 231 – 238, 245, 251 Pilotverfahren 60 Präklusion siehe Tatsachen und Beweismittel, Zurückhalten Probationsverfahren 47 f. Prozesshindernis siehe Verfahrenshindernis Prozessökonomie 189 Prozesstatsachen 90 Rechenfehler siehe Schreib- und Rechenfehler rechtliches Gehör 53 f., 55 Rechtsbeugung siehe Wiederaufnahmegründe Rechtsfortbildung, richterliche 87, 202, 212 – 214 Rechtskraft 66 – 69, 75 Rechtskräftige Verurteilung – als Wiederaufnahmevoraussetzung 42 f., 84, 219 f. – nicht vorgesehene Rechtsfolge 245 – 247 Rechtstatsache 231 – 238, 252, 266 Reform siehe Wiederaufnahmereform Rehabilitation 27, 48 f., 62, 231 Reichsstrafprozessordnung 15, 86, 91, 169, 185, 196, 206, 224 f., 240 Sachurteil 80 Sachverständigengutachten 83, 175 Schreib- und Rechenfehler 24 – 26, 249 Schuldunfähigkeit 48, 188 Schweiz, Strafverfahren 44, 66 Sicherungsverfahren 173, 176 Spannungsverhältnis 14 f. Spezialitätsgrundsatz 117 f. Staatsanwaltschaft, Rolle der 49 f. Strafantrag 94 – 97, 161 f., 170 – 173, 249 f. Strafbefehlsverfahren 78, 143, 179 – 187, 245 – 247 Strafklageverbrauch – beschränkter 145 – 151, 171 f. – Prozessurteil 163 – 170 Strafunmündigkeit 81 – 89

Sachregister Strafvollstreckungsverfahren 60 – 62, 101 – 103, 246 Strafzumessungslösung 139 – 141 Strafzumessungswiederaufnahme 140 f., 243 – 245, 247 Subsumtionsfehler 229, 241 – 243, 247 summarisches Verfahren 143 – 148, 192, 258 Tatfolgen, Verschärfung der 145 – 147 Tatprovokation 139 f. Tatsachen oder Beweismittel – Begriffskritik 43 – 45, 84 f. – bewusstes Zurückhalten 196 f. – Bezug zur Schuldfrage 85 f., 90 – 93, 96, 103 f. – Bezug zur Tat 112 Täuschung siehe Verfahrensmanipulation Tod des Angeklagten siehe BGHSt 51, 119 Unzulässige Abwesenheit siehe Abwesenheit des Angeklagten Urteilsergänzende Beschlüsse 190 f. Urteilsnichtigkeit siehe Nichtigkeit Verbot der Doppelbestrafung siehe ne bis in idem Vereinheitlichungsgesetz 86 – 88, 226 Verfahrensablauf siehe Wiederaufnahmeverfahren Verfahrenseinstellung siehe Einstellung des Verfahrens Verfahrenshindernis – aus verfassungsrechtlichen Gründen 177 f. – Bezug zur Tat 112 – Definition und Entwicklung 81, 86 f., 118, 160, 168, 264 – vorübergehendes 113, 116, 117, 135, 159, 161 f., 173, 265 Verfahrensmanipulation, Zurechnung 76 f. Verfahrensverzögerung 61, 88, 177 f. Verfahrensziel 72 – 74 Verfassungsbeschwerde 51, 56 f., 101 f., 110 f., 138, 229 Verhandlungsunfähigkeit 109 – 114, 133, 173 – 176, 188 Verjährung 89 – 94, 162 – 170, 188, 247 – 249 Verletzung der EMRK siehe Wiederaufnahmegründe

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Vernehmungsmethoden, verbotene siehe Beweisverwertungsverbote Verständigung 51, 71, 150 f., 253 – 260 Versuchsstrafbarkeit 229 Vertrauensschutz 70 – 72, 75, 166 f., 173 – 175, 178 f., 188 f., 207 f., 210, 268 f. Verurteilung – eines Unschuldigen 22, 40 – ohne gesetzliche Grundlage 229 – 238 Vervollständigungsklage siehe Ergänzungsklage Verwaltungsverfahren 28 f., 76 Verweisungsbeschluss 261 f., 268 f. Verwerfung des Einspruchs 157, 179 – 187 vollstreckungsrechtliche Lösung siehe Strafvollstreckungsverfahren

Wahrheit, forensische 20 f. Widerruf – der Strafaussetzung 61, 190 f., 192 – des Geständnisses siehe Geständnis widersprüchliche Entscheidung 105 – 109 Widerspruchslösung 125 f. Widerspruchsverbot siehe Vertrauensschutz Wiederaufnahmegründe – Falschaussage 123 f., 140, 200 – Geständnis 77, 106, 128, 168 – 170, 175 f., 240 f., 243, 245, 249, 250, 252 – Rechtsbeugung 30 f., 42 f., 123, 137, 141, 168, 228, 230, 233 f., 239, 240, 245, 249, 252, 255, 256 – 258, 263, 266 – Urkundenfälschung 83 f., 92, 96, 167, 172 f., 175, 219 f. – Verletzung der EMRK 43, 59 f., 137, 140 f., 186 f., 227, 234 Wiederaufnahmereform 40 f., 235 f., 250 Wiederaufnahmeverfahren – Ausnahmecharakter 198 – 202 – Berufungsersatz 224 f. – Erfolgsaussichten 50 f. – nach Entscheidung des BVerfG 57 f., 205, 227, 235, 251 f. – Straffung 104, 113 f., 154, 215 f. – Verfahrensablauf 47 f. – Verwirkung 257 f. Wiederaufnahmeziele 45 – 47, 86 – 88, 126 f., 137, 142, 153 f., 185, 223, 265 f., 268

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Sachregister

Wiedereinsetzung 54 – 56, 162, 183 – 184, 187, 255 Willkürverbot 31, 51, 56 f., 71, 213 Zeugen-Jehova-Prozesse 58, 250 – 252 Zurechenbarkeit der Täuschung 170, 217, 222

Zuständigkeit – fehlerhafte Beurteilung 32, 129 – 132, 161 f., 260 – 263, 268 – im Wiederaufnahmeverfahren 47 f., 170, 205 f., 218 f.