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German Pages 310 Year 2015
Thomas Knubben, Petra Schneidewind (Hg.) Zukunft für Musikschulen Herausforderungen und Perspektiven der Zukunftssicherung öffentlicher Musikschulen
2007-11-06 13-57-09 --- Projekt: T619.kum.knubben / Dokument: FAX ID 0316162330785248|(S.
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) T00_01 schmutztitel.p 162330785288
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) T00_02 vakat.p 162330785304
Thomas Knubben, Petra Schneidewind (Hg.)
Zukunft für Musikschulen Herausforderungen und Perspektiven der Zukunftssicherung öffentlicher Musikschulen
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) T00_03 innentitel.p 162330785400
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. © 2007 transcript Verlag, Bielefeld Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: »It’s alternative (2)«, © DiAna, PhotoCase.de 2007 Korrektorat: Carolin Hartmann, Münster Satz: Jörg Burkhard, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-89942-619-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]
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Inhalt Vorwort THOMAS KNUBBEN/PETRA SCHNEIDEWIND
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TEIL 1: HERAUSFORDERUNGEN Zukunft für Musikschulen – ein Problemaufriss THOMAS KNUBBEN Musikschulen in Deutschland: Die Zukunft hat schon begonnen MARTIN MARIA KRÜGER/CHRISTIAN HÖPPNER
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Polit-Marketing für die Musikschule OLIVER SCHEYTT
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Der Arbeitsmarkt der Musikschullehrer/-innen SEBASTIAN FISCHER
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Musikschulleitung zwischen Kunst und Management. Neue Anforderungsprofile MICHAEL EBERHARDT Kooperationen allgemein bildender Schulen und öffentlicher Musikschulen: Stand und Perspektiven aus musikdidaktischer Sicht PETER IMORT
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TEIL 2: PERSPEKTIVEN »Jedem Kind ein Instrument« – Ein Zukunftsmodell für Musikschulen? MANFRED GRUNENBERG
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Der Weg ist das Ziel. Oder ist das Ziel im Weg? Musikschulen als Zentren gesellschaftlicher Musikalisierung JULIANE SCHMIDT/VOLKER GERLAND
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Die Einrichtung von Projektbereichen als Marketingaufgabe für Musikschulen FRIEDBERT HOLZ
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Neue Medien in Musikschulen ANDREAS FERVERS Meinen wir das Gleiche? Über die Notwendigkeit einer Neuordnung der Beziehungen zwischen Musikschulen und Musikhochschulen MATTHIAS HERRMANN Zielsteuerung der Musikschulen mit betriebswirtschaftlichen Instrumentarien PETRA SCHNEIDEWIND
177
195
203
Qualitätsmanagement in Musikschulen PETRA SCHNEIDEWIND
227
Value-Added-Services in Musikschulen HEIKE OERTEL
237
Das Musikschulwesen und die Musikschulforschung in Österreich FRANZ-OTTO HOFECKER
261
Autorinnen und Autoren
303
Vorw ort THOMAS KNUBBEN/PETRA SCHNEIDEWIND
Die öffentlichen Musikschulen in Deutschland stehen unter Druck. Nach Jahrzehnten stetiger Expansion drohen sie Opfer ihres eigenen Erfolges zu werden. Eingezwängt zwischen der Forderung nach verstärkter gesellschaftlicher Wirksamkeit einerseits und der Beschränkung der dafür notwendigen Ressourcen andererseits, sehen sie sich vor die Wahl gestellt zwischen Skylla und Charybdis, jenen zwei Klippen, zwischen denen kaum ein Durchkommen ist. Ob die gegenwärtige Lage der Musikschulen als eine Krisensituation aufzufassen ist, hängt davon ab, was man unter Krise versteht. Verbindet man damit die Vorstellung von einem baldigen, unwiderruflichen Untergang eines ganzen Systems, dann ist der Begriff gewiss überzogen und unangebracht. Wenn mit Krise hingegen ein Prozess gemeint ist, der einen Organismus durch das Zusammenwirken mehrerer ungünstiger Faktoren bis an die Grenzen seiner Belastbarkeit oder gar noch darüber hinaus bringt und deshalb die Überprüfung der Grundlagen und der Funktionsmechanismen in existenziellen Bereichen zwingend erforderlich macht, dann haben wir es sehr wohl mit einer Krise zu tun. Der vorliegende Band geht von einer solchen Sachlage aus. Er betrachtet die Entwicklung der Musikschulen als ein dynamisches Feld mit verschiedenen Akteuren und unterschiedlichen Kräften. Über rund 30 Jahre hinweg, von Mitte der 1960er bis Mitte der 1990er Jahre, haben diese Kräfte weitestgehend im Sinne der öffentlichen Musikschulen gewirkt. Getragen von einer prosperierenden Wohlstandsgesellschaft, die breiten Bevölkerungskreisen zu Gute kam, und befördert von der Bildungsexplosion wie auch einem gesellschaftspolitischen Aufbruch, der
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Kultur unter dem Signum eines Bürgerrechts und der Idee der Daseinsvorsorge grundsätzlich als öffentliche Aufgabe begriff, konnten sich die Musikschulen als außerschulische Bildungs- und Kultureinrichtungen ersten Ranges etablieren. Mit zeitweise über 1.000 Einrichtungen und annähernd einer Million Schülern zählten sie zu den erfolgreichsten kulturellen Bewegungen der alten Bundesrepublik und nach den Theatern, Konzerthäusern, Museen und Bibliotheken zugleich auch zu den am stärksten von der öffentlichen Hand geförderten kulturellen Institutionen. Seit etwas mehr als zehn Jahren haben sich die Rahmenbedingungen der Musikschularbeit indes grundlegend verändert – erst schleichend, dann immer gravierender und offensichtlicher. Schien es anfänglich lediglich um punktuelle, teilweise auch eher symbolische finanzielle Beiträge der Musikschulen zu unausweichlichen Haushaltskonsolidierungen zu gehen, haben sich mittlerweile einige für ihr Selbstverständnis und ihre Funktionsweise grundlegende Koordinaten verschoben. Hervorgehoben seien an dieser Stelle nur drei: • Auf der Anbieterseite musikalischer Erziehung sind mit privaten Musikschulen und immer mehr Privatmusiklehrern neue Konkurrenten hinzugekommen. Dies geschah gewiss nicht zuletzt als Folge der qualitativ wie quantitativ erfolgreichen Arbeit der öffentlichen Musikschulen, deren Abgänger ihre Ausbildung an den Musikhochschulen fortsetzten und danach ihren Platz im konzertanten, aber auch pädagogischen Musikbetrieb beanspruchten und mittlerweile auch besetzen. Die Musikschulen haben sich diese Arbeitsmarktlage durchaus auch zunutze gemacht, indem sie die Anstellungsverhältnisse immer mehr flexibilisierten, freilich um den Preis, dass sie ihre Musiklehrer nicht mehr exklusiv beschäftigen konnten und diese ihr Auskommen verstärkt als selbstständige Unternehmer finden müssen. • Auf der Nachfragerseite machen sich die vielfach diskutierten demographischen Veränderungen bemerkbar. Sie betreffen sowohl den erwarteten generellen Rückgang der Bevölkerung mit insgesamt geringeren Geburtenzahlen als auch Veränderungen in der Altersstruktur und regionale Verschiebungen mit deutlich unterschiedlichen Entwicklungsperspektiven in den einzelnen Regionen Deutschlands. Hinzu kommen die Folgen verstärkter Migration, die neue Anforderungen an Zugangsbedingungen, Inhalte und Vermittlungsformen auch in der außerschulischen musikalischen Erziehung richten. • Auf der Träger- und Fördererseite schließlich stellt sich immer häufiger die Frage nach der optimalen Allokation öffentlicher Gelder, also die Frage, wie begrenzte Mittel angesichts stetig komplexerer politischer Anforderungen am wirkungsvollsten eingesetzt werden können. Auch Musikschulen sehen sich in diesem Zusammenhang einem ver-
VORWORT | 9
stärkten Legitimationszwang hinsichtlich Zielsetzungen, Nutzerkreisen, Vorgehensformen und Wirkungsnachweisen ausgesetzt. Dieser Band verfolgt angesichts der geschilderten Ausgangssituation zwei Zielsetzungen. Zum einen geht es ihm darum, die heute schon erkennbaren Herausforderungen näher zu analysieren und in ihrer Wirkungskraft anschaulich zu machen; zum anderen will er zugleich auch mögliche Lösungsperspektiven aufzeigen. Er bietet dabei einen doppelten Zugang: von außen und von innen. Er vereint Kulturpolitiker und Wissenschaftler, die sich als Akteure und Beobachter von außerhalb der Musikschulen um deren Zukunftssicherung bemühen und er bezieht Praktiker aus den Musikschulen selbst mit ein, die durch Analysen und Initiativen wichtige Beiträge zur nachhaltigen Entwicklung der Musikschulen leisten. Viele Fragestellungen, die hier angesprochen werden, bedürfen weiterer Untersuchungen. Trotz zahlreicher Bemühungen des Verbands deutscher Musikschulen e.V. (VdM) und seiner Landesverbände und trotz einzelner Pilotstudien steckt die Musikschulforschung im gesamten deutschsprachigen Raum noch in ihren Anfängen. Viele, allzu viele Fragen sind ungeklärt. Dies darf insofern auch nicht verwundern, als Musikschulen entgegen dem Anschein, in ihrem Angebots- und Leistungsspektrum einfach, überschaubar und mehr oder weniger einheitlich strukturiert zu sein, in Wirklichkeit einem sehr komplexen Beziehungsgefüge unterliegen. Träger und Förderer, Leiter und Lehrer, Eltern und Schüler, Kooperationspartner, Politik und Öffentlichkeit richten hohe, nicht immer deckungsgleiche Erwartungen an die Arbeit und Wirkung der Musikschulen. Ihnen wie auch immer gerecht zu werden, erfordert ein hohes Maß an Informationen, Kenntnis der Wirkungszusammenhänge und ein gesichertes Bewusstsein der Handlungsspielräume und Handlungsfelder, die immer wieder neu erörtert und austariert werden müssen. Die öffentlichen Musikschulen in Deutschland haben sich den Herausforderungen in den vergangenen Jahren in vielfältiger und sehr unterschiedlicher Weise gestellt. Der Umgang mit den skizzierten Krisenmomenten reichte dabei, den föderalen Eigenheiten und spezifischen Sachlagen folgend, von Widerständen und Blockaden gegenüber allen Formen der Veränderung bis hin zu hochkreativen und innovativen Impulsen und Initiativen. Fasst man indes die übergreifenden Herausforderungen und Perspektiven, wie sie in den Beiträgen dieses Bandes dargelegt werden, in wenigen Punkten zusammen, so ergeben sich für die Zukunftssicherung der öffentlichen Musikschulen folgende vorrangige Aufgaben:
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•
•
• •
die verstärkte Verankerung der Musikschulen in der Mitte der Gesellschaft durch Öffnung für alle sozialen Gruppen (alle Generationen, Herkunfts- und Bildungsmilieus) und damit die weitergehende Verwirklichung der Uridee öffentlicher Musikschulen als ein Bildungs- und Erziehungsangebot für alle Bürger; damit zusammenhängend die nachhaltige Öffnung der Musikschulen für alle Formen musikalischen Ausdrucks und musikalischer Partizipation durch verstärkte Hinwendung zu aktuellen Formen der Musikproduktion und -rezeption; die Vernetzung der Musikschulen mit allen Akteuren der musischästhetischen Bildung als spezifische Kompetenzzentren über bisherige Schranken zur Schulmusik und zu privaten Anbietern hinweg; die Steuerung der Musikschulen mit Methoden und Instrumentarien des modernen Kulturmanagements, insbesondere der Zielsteuerung und der Evaluation.
Einige dieser Aufgaben werden von einigen Musikschulen schon heute vorbildlich erfüllt. Hierin artikulieren sich die langjährigen Bemühungen des VdM um Qualitätsentwicklung und -sicherung. Allerdings muss angemerkt werden, dass diese Bemühungen bislang zumeist Pioniercharakter haben und nur bei vergleichsweise wenigen der heute rund 920 öffentlichen Musikschulen umgesetzt sind. Vorrangige Aufgabe der einzelnen Musikschulen wie des Verbandes der Musikschulen müsste daher sein, die veränderten Rahmenbedingungen auch als Chance zur Weiterentwicklung und Neupositionierung der Musikschulen zu begreifen und bereits verfügbare Konzepte nachhaltig umzusetzen. Dieser Band versteht sich als eine Aufforderung und Ermunterung zur aktiven Zukunftssicherung der Musikschulen. Alle Beiträge wurden eigens für diesen Band verfasst. Unser Dank gilt daher zuvorderst allen Autorinnen und Autoren, die sich der politisch durchaus sensiblen Frage der Perspektiventwicklung und Neupositionierung öffentlicher Musikschulen gestellt haben. Einige Texte beruhen dabei auf Untersuchungen, die am Institut für Kulturmanagement der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg vorgenommen und teilweise von unserem Kollegen Prof. Dr. Armin Klein betreut wurden. Ihm danken wir hierfür besonders, ebenso wie Prof. Dr. Franz-Otto Hofecker vom Institut für Kulturwissenschaft und Kulturmanagement in Wien, der die aktuelle Situation der Musikschulen und der Musikschulforschung in Österreich darstellt und damit Perspektiven für weitere vergleichende Untersuchungen im gesamten deutschsprachigen Raum eröffnet. Thomas Knubben und Petra Schneidewind
Zuk unft für Mus iksc hule n – ein Proble maufriss THOMAS KNUBBEN
Die Geschichte der Musikschulen in Deutschland ist eine Erfolgsgeschichte, insbesondere, wenn man sie im Jahrhundertüberblick betrachtet. Eingebettet in den Aufstieg des Bürgertums als gesellschaftstragende und gesellschaftsprägende Schicht, haben nicht zuletzt die Musikschulen dafür gesorgt, dass die Musik den Weg von der mitunter gelangweilten Freizeitbeschäftigung exklusiver Milieus, sprich dilettierender höherer Töchter, in den Alltag breiterer Bevölkerungsschichten gefunden hat. Gelenkpunkt dieses gesellschaftlichen Umschwungs von der Spitze zur Breite, vom gut gemeinten und gewiss auch oftmals gut gemachten Dilettantismus in die pädagogische Professionalität, war die umfassende Reformbewegung Anfang des 20. Jahrhunderts. Diese Reformbewegung reagierte auf eine Fülle epochaler Veränderungen, die in der Summe als Übergang von der vormodernen in die moderne Welt gedeutet werden können. Zu diesen Wandlungen zählten die Umstrukturierung der bis dahin noch durchaus agrarisch geprägten Wirtschaft in eine Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft und die Ablösung überwiegend ländlicher Lebensräume durch die urbane Welt der Stadt. Mit beidem verbunden war die erstmalige Erfahrung der Massengesellschaft mit all ihren Ausprägungen von Hektik und Nervosität, von Verkehrslärm und Umweltverschmutzung, kurz: die Erfahrung einer umfassenden Metamorphose des Lebens, die beide Optionen bot: Aufstieg und Fall, Millionengewinn und persönlichen Ruin, Boom und Bankrott. Thomas Manns Roman über die Buddenbrooks, der im Jahr 1900 erschien und den Untertitel »Verfall einer Familie« trägt, ist eine beispielhafte und feinsinnige Wahrnehmung des Übergangscharakters dieser Epoche.
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Die Wahrnehmung dieses Übergangs bei Thomas Mann, Robert Musil und vielen anderen war das eine, die Reaktion darauf das andere. Die Zeitgenossen zu Anfang des 20. Jahrhunderts ließen es jedenfalls nicht bei der Krisendiagnostik und Krisenbeschreibung bewenden, sondern formulierten markante Gegenentwürfe. Mit der Jugendbewegung, der Frauenbewegung, der Lebensreformbewegung und auch der Reformpädagogik wurden Ideen entwickelt, die Impulse des gesellschaftlichen Wandels aufnahmen, ihn auch als Chance begriffen und zahlreiche Modelle zu dessen gesellschaftlich verträglichen Gestaltung entwickelten. Manche dieser Reformansätze, wie etwa die Jugendbewegung, fanden rasch Niederschlag im Alltag, anderen gelang der Durchbruch erst nach dem Ersten Weltkrieg. Im Falle der Musikpädagogik dauerte es nach ersten Aufbrüchen in Form von richtungweisenden musikpädagogischen Kongressen1 kurz nach der Jahrhundertwende bis zum Beginn der 1920er Jahre, als mit den Initiativen Fritz Jödes zur Gründung von Jugend- und Volksmusikschulen und den Reformen Leo Kestenbergs die Grundlagen für eine moderne, breite Bevölkerungskreise umfassende musikalische Bildungsarbeit geschaffen wurden (Gruhn 1993: 213-252). Diese historischen Zusammenhänge stehen aus zweierlei Gründen am Beginn unserer Überlegungen. Zum einen sind die Idee und die Konzeption öffentlicher Musikschulen unmittelbar mit dem tief greifenden Umbrüchen um 1900 als Ausgangspunkt verbunden, und zum anderen soll damit angeregt werden, die gegenwärtige Lage ähnlich der vor hundert Jahren als Ausdruck eines epochalen Wandels zu begreifen. Sie trägt deshalb nicht von ungefähr in vielerlei Hinsicht krisenhafte Züge und bedarf zu ihrer Bewältigung einer grundsätzlichen Analyse und daraus abzuleitenden konsequenten Schlussfolgerungen bis hin zu möglichen kompletten Neuorientierungen. War es vor hundert Jahren die Industrialisierung mit ihren Begleitumständen der Mobilisierung und Technisierung, der Bevölkerungsexplosion, der Verstädterung und der Verbürgerlichung hin zu einer Unternehmer-, Angestellten- und Dienstbotengesellschaft, die das Erscheinungsbild und den Wertekanon der Zeit komplett umgekrempelt hat (Hofmann/Klotz 1989) und ihren kulturellen Ausdruck nicht zuletzt in den vie1
Der »Erste Musikpädagogische Kongreß« fand 1903 in Berlin statt. Dem damaligen Verständnis von Musikpädagogik als außerschulischem Instrumental- und Gesangsunterricht folgend, widmete er sich noch ganz der außerschulischen Musikerziehung. Die bis 1911 nachfolgenden Kongresse öffneten sich dann auch dem schulischen Musikunterricht, der sich vor allem im Hinblick auf die Qualifikation der Musiklehrer als besonders reformbedürftig erwies; vgl. Gruhn 1993: 202ff.
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len Stadttheatern und Konzertsälen fand, die um 1900 gebaut wurden (Dienes 1999), so sind es heute bekanntermaßen die Globalisierung, der demographische Wandel, die wachsende Migration, die neuen Informations- und Unterhaltungstechnologien sowie die Biogenetik und Hirnforschung mit dem damit einher gehenden Wertewandel, die als Dynamisierungsfaktoren die über Jahrzehnte hinweg gewonnene Balance des gesellschaftlichen Miteinanders in Frage stellen (Zukunftskommission Gesellschaft 2000). Diese Balance aber, die sich kulturpolitisch im Bekenntnis der öffentlichen Hand zur Kultur als Daseinsvorsorge und Bürgerrecht niederschlug (Röbke 1993), war die Voraussetzung für den ungeheuren Erfolg, der der Musikschulbewegung in Deutschland in dem freilich kurzen Zeitraum von 25 Jahren beschieden war und der sich am leichtesten an der Zahl der öffentlichen Musikschulen im Verband der deutschen Musikschulen (VdM) ablesen lässt (vgl. Abb. 1). Abbildung 1: Zahl der Mitgliedschulen im VdM 1952 bis 1995 Musikschulen 1200 931
1000
1006
778
800
647
600
702
489 400
400
284 136
200 12 0 1952
1966
1970
1974
1978
1982
1986
1990
1991
1995
Jahr
Quelle: VdM 2007 Von 1970 bis 1995, dem absoluten Höhepunkt der Musikschulentwicklung, haben wir annähernd eine Vervierfachung der Zahl qualifizierter Musikschuleinrichtungen, für die die Mitgliedschaft im Verband steht – von 284 auf 1006 Musikschulen in ganz Deutschland (VdM 2006: 129). Hier spielt selbstverständlich auch die Wiedervereinigung herein; sie erklärt die Entwicklung aber nur zu einem kleinen Teil. Was den Musikschulen an Aufschwung und positiver Entwicklung gelang, das lässt sich auch für viele andere Einrichtungen des Kulturlebens feststellen. Auch die Bibliotheken nahmen einen ähnlichen Kurs. Ihre Zahl stieg gar noch gewaltiger: Von 1.244 Einrichtungen im Jahr 1977 auf 9.327 im Jahr 2001. Ähnliches gilt für Jugendkunstschulen und Volks-
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hochschulen, für soziokulturelle Zentren und für Museen (Klein 2007: 13). Wir haben es also gerade in den vergangenen 30 Jahren mit einem ungeheuren Boom des kulturellen Engagements zu tun – ein Engagement, das sich in sozialen Parametern, etwa in Form kultureller Partizipation und ehrenamtlichen Einsatzes, aber auch in ihren finanziellen Dimensionen darstellen lässt. Seit einigen Jahren ist freilich eine umgekehrte Tendenz festzustellen, eine Tendenz, die sich zudem verfestigt. Im Falle der Bibliotheken artikuliert sich diese Umkehr in Form von Todesanzeigen, die im Internet unter dem Stichwort »Bibliothekssterben« abgerufen werden können (www.bibinfo.de/bibliothekssterben) – insgesamt rund 250 Anzeigen aus jüngster Zeit. Nicht immer handelt es sich um gänzliche Schließungen, nicht immer sind es öffentliche Bibliotheken. Der scharfe Wind, der um die Einrichtungen fegt, ist aber nicht zu verkennen. Er betrifft in ähnlicher Weise Theater und Orchester, die zwar eher selten ganz aufgelöst, dafür häufig um einzelne Sparten gekürzt oder mit anderen Einrichtungen zusammengelegt werden. Besonders viele Häuser sind davon in Ostdeutschland betroffen (gewesen), die Gesamtschau zeigt jedoch, dass die Entwicklung ganz Deutschland betrifft, es sich also keineswegs um Einzelfälle, gewissermaßen lokale Verwerfungen handelt, wir es vielmehr mit einem strukturellen Problem zu tun haben. Dies gilt in ähnlicher Weise für die öffentlichen Musikschulen. Auch hier haben wir es, wenn wir die Zahlen des VdM zu Grunde legen, mit Schließungen und Zusammenlegungen von rund 80 Einrichtungen in den letzten zehn Jahren zu tun – und dies mit anhaltender Tendenz (vgl. Abb. 2). Abbildung 2: Schließungen und Zusammenlegungen von Musikschulen von 1995 bis 2007
Musikschulen 1200
1006
979
980
966
946
939
930
924
1995
1999
2001
2003
2004
2005
2006
2007
1000 800 600 400 200 0
Jahr
Quelle: VdM 2007
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Es dürfte daher nicht übertrieben sein, von einer manifesten Krise – im Sinne der Gefährdung der Belastbarkeit eines Organismus bis an seine Grenzen hin – zu sprechen. Es geht tatsächlich um die Zukunft der Musikschulen, um Perspektiven der Zukunftssicherung eines erfolgreichen, vielleicht sogar übererfolgreichen Modells, das sich neuen Herausforderungen gegenübergestellt sieht. Die Frage, die sich daran anschließt, ist jedoch, um was für eine Art von Krise es sich handelt.
W e l c h e Ar t v o n K r i s e ? In der Binnensicht der Musikschulen handelt es sich um eine reine Finanzkrise. Dies ist jedoch zu kurz gegriffen. Denn im Widerstreit politischer Entscheidungen geht es immer um den Wettbewerb und die Priorisierung unterschiedlicher politischer Ansprüche, die sich im politischen Meinungsbildungsprozess als mehr oder weniger legitim erweisen und durchzusetzen wissen. Politische Legitimität wiederum hängt nicht nur von der Zahl der Anhänger und Unterstützer ab, sondern immer mehr und immer öfter von der Einschätzung, welche Wirkungen mit politischen Maßnahmen erzielt werden und ob diese auch effizient erzielt werden. Dies führt zu dem Problem der präzisen Zieldefinition. Auf die Musikschulen bezogen etwa zur Frage, ob ihre Zielsetzung eher in einer musikalisch-instrumentalen Grundbildung zur späteren, gegebenenfalls auch passiven Partizipation am Musikleben besteht, ob sie ihre Schüler bei Neigung und Talent auf das Berufsfeld des Musikers vorbereiten sollen oder ob das Freizeit- und Laienmusizieren für den überwiegenden Teil der Abgänger angestrebt wird. Wie auch immer die Ziele im Einzelnen bestimmt werden, sofort stellt sich als nächstes Problem, wie die Ziele Erfolg versprechend angesteuert werden und ob andere Anbieter dies womöglich auch und vielleicht sogar finanziell günstiger versprechen. Zum Problem der Zieldefinition gesellt sich so das Steuerungs- und Konkurrenzproblem. Abbildung 3 versucht die Zusammenhänge zu veranschaulichen und verdeutlicht, warum wir es neben der Finanzkrise zugleich auch mit einer Legitimationskrise, einem Konkurrenzproblem, einem Problem der Zieldefinition, einem Steuerungsproblem und in der Zusammenfassung mit einer Identitätsfrage zu tun haben.
16 | THOMAS KNUBBEN
Abbildung 3: Komplex aktueller Problemstellungen öffentlicher Musikschulen
Finanzproblem
Legitimationsdruck
Konkurrenz förderungswürdiger Politikfelder: Integration, Sport etc.
Effektivitätsfrage
Zugänglichkeit
Spezifik
Konkurrenz der Anbieter
Effizienzfrage
Bedarf
Managementfragen
Problem der Zieldefinition
Musikal. Bildung
Berufsfeld Musik
Freizeit- und Laienmusik
Ganztagesschule
Abbau fester Strukturen
Auflösung trad. bürgerl. Milieus
Freizeitkonkurrenz
Demograph. Entwicklung
Finanzkrise Aus ihrer Selbstwahrnehmung heraus sind die Musikschulen zumeist geneigt, die herrschenden und wachsenden Finanzprobleme als im Grunde einziges Problem anzusehen. Es besteht der durchaus zutreffenden Gedanke, dass die Musikschulen einen wichtigen Beitrag zur individuellen Bildung und persönlichen Entwicklung wie auch zum öffentlichen Leben leisten. Verbunden mit der Einschätzung, dass bislang die Finanzierung auch möglich gewesen sei, die Wirtschaft zwar langsam, doch immerhin weiter wachse und die Kultur insgesamt nur einen verschwindend geringen Anteil am Staatsbudget ausmache, erwächst – so die Beobachtung in vielen Gesprächen – in den Musikschulen und anderen Kultureinrichtungen die Wunschvorstellung, man möge ihnen doch einfach das bisschen Geld geben, das sie benötigen – dann sei die Welt wieder weitestgehend in Ordnung. Dieser hier zugespitzt formulierten Auffassung liegen zwei Irrtümer zu Grunde. Zum einen das ökonomische Faktum, dass wir es im öffentlichen Leben wie im Wirtschaftsleben immer mit begrenzten Ressourcen zu tun haben – Finanz-, Personal-, Zeit-, Umweltressourcen –, und dass es in der Ökonomie wie in der Politik daher stets darum geht, unter der Maßgabe begrenzter Ressourcen einen Ausgleich unterschiedlicher ZieIe,
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Interessen oder Strategien vorzunehmen. Um welche öffentlichen Interessen es im Hinblick auf die spezifische Situation der Musikschulen gehen kann, wird gleich noch zu behandeln sein. Der zweite Irrtum liegt in der Annahme begründet, dass die Finanzmittel, die in den vergangenen Jahrzehnten in den Ausbau der Musikschulen und andere kulturelle oder soziale Einrichtungen investiert wurde, tatsächlich vorhanden gewesen seien. Dass diese Investitionen außerordentlich waren, lässt sich an ein paar Schlüsselzahlen des Kulturfinanzberichts des Statistischen Bundesamtes ablesen: Abbildung 4: Gesamtausgaben für Kultur in Deutschland 1975 bis 2003
Alte Flächenländer
Neue Flächenländer
Stadtstaaten
Bund
Mill. EUR 9000
1038,5
1012,9
1042,4 966,0
863,4
900,7
841,6
1662,8
1565,1
4752,4
4774,0
2001
2003 (Soll)
893,9 6000
972,7
900,7
1665,9 1525,9
1644,3
3976,6
4019,5
1995
1997
420,1 3000
462,5
338,2 208,5
4292,8
2715,1
1245,2 0 1975
1985
1999
Jahr
Quelle: Statistische Ämter 2003: 22 Die Zahlen veranschaulichen den enormen Sprung, den das öffentliche Engagement gerade in den Jahren von 1975 bis 1995 – die auch den Höhenflug der Musikschulbewegung markieren – gemacht hat. Legt man indes die Schuldenentwicklung der öffentlichen Hand im gleichen Zeit-
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raum daneben, müssen wir feststellen, dass diese und andere Ausgaben in der Summe betrachtet durch Schulden auf Kosten der nachfolgenden Generationen finanziert wurden (vgl. Abb. 5). Abbildung 5: Schuldenentwicklung der öffentlichen Hand von 1975 bis 1998
Quelle: Statistisches Bundesamt 1999 Das Geld fehlte also schon immer, doch ist man im Vertrauen auf ein zweites Wirtschaftswunder gelassen darüber hinweggegangen. Immer wieder gab es ja auch Hypes wie in den 1980er Jahren, als die Kulturwirtschaft als Wachstumslokomotive ohne ökologische Hypotheken entdeckt wurde, oder in den 1990er Jahren, als die »New Economy« der
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Computerbranche boomte. Alle diese Höhenflüge wirkten als Beruhigungspillen und suggerierten eine Besserung ohne Schmerzen. Mittlerweile ist der öffentliche Schuldenberg auf 1,5 Billiarden Euro angeschwollen und die Einsicht eingekehrt, dass nur eine konsequente und nachhaltige Haushaltssanierung die notwendigen Spielräume eröffnet, um die demographischen, ökonomischen und sozialen Herausforderungen der Zukunft zu bewältigen.2 Auch der Kultursektor und mit ihm die Musikschulen bleiben dabei nicht außen vor. Wie der neueste Kulturfinanzbericht der Statistischen Ämter ausweist, haben die öffentlichen Kulturausgaben in den vergangenen Jahren ihren Stand von etwas über 8 Milliarden Euro nominal zwar weitgehend behaupten können, real waren damit aber erhebliche Wertverluste verbunden (Statistische Ämter 2006: 23). Die Musikschulen sind davon nicht unerheblich betroffen, da der Gesamtumfang ihrer öffentlichen Förderung jährlich immerhin 408 Millionen Euro, also rund 5 % der Gesamtausgaben für Kultur beträgt (VdM 2006: 140). Angesichts dieser Rahmenvorgaben ist anzunehmen, dass die Musikschulen in der Phase der Sanierung der öffentlichen Haushalte von der Vorstellung Abstand nehmen müssen, der Wandel könnte ohne sie stattfinden oder sie könnten ohne Wandel in die Zukunft gelangen. Dies hängt, wie bereits angedeutet, mit dem zweiten Problem zusammen: der Legitimationsfrage.
Legitimationskrise Das Grundfaktum der begrenzten Ressourcen verlangt in Zeiten des Wandels und der Reformen nach ständiger Rechtfertigung und Positionierung in einem konkurrierenden Umfeld. Leistungen der Vergangenheit zählen nicht oder nur sehr begrenzt, Konsens muss immer wieder neu hergestellt werden. Die Musikschulen haben sich mit und in ihren Verbänden sehr um diese Legitimation bemüht, haben Studien mitgetragen und propagiert, die die besondere Bedeutung der Musik für die individuelle und gesellschaftliche Entwicklung unterstreichen sollen (Bastian 2000). Das ist ihnen zu einem guten Teil gelungen, stellt aber gleichwohl keinen Freibrief
2
Die konsequente Haushaltssanierung wurde nach Bayern mittlerweile von allen Bundesländern und dem Bund als vorrangiges Ziel deklariert und mit konkreten Zieldaten bis zum Jahr 2011 versehen.
20 | THOMAS KNUBBEN
für die Zukunft dar, da die Konkurrenz politischer Zielsetzungen3 groß ist und strukturelle Spannungen bestehen bleiben. Diese Spannungen lassen sich systematisch in zwei Formen darstellen: als Effektivitätsproblem und als Effizienzproblem.
Das Effektivitätsproblem Das Effektivitätsproblem stellt die Frage nach der Wirkung einer Maßnahme: Was sollen und was können die Musikschulen mit ihrem Angebot erreichen und bei wem? Welche Ziele verfolgen sie also mit welchen Zielgruppen und können sie die angestrebten Ziele und Zielgruppen tatsächlich erreichen? Die Musikschulen haben diese Frage natürlich auf Verbandsebene in der Formulierung eines Leitbildes und durch die Entwicklung von Strukturplänen für sich beantwortet. Sie haben auch vielerorts einen dezidierten oder stillen Konsens mit den Trägern ihrer Arbeit herstellen können. Dieser Konsens ist aber brüchig geworden und ist häufig bereits gebrochen – dort nämlich, wo eine Musikschule geschlossen wurde oder droht, durch Verweigerung entsprechender Unterstützung geschlossen zu werden. Probleme in der Bewahrung des bisherigen Konsenses und damit im Hinblick auf die Legitimation öffentlicher Förderung stellen sich in dreierlei Hinsicht: Erstens: Aus dem Demokratieprinzip und dem Prinzip der Gemeinnützigkeit heraus wird die Frage gestellt, ob die Zugänglichkeit zu den Musikschulen tatsächlich für alle in gleicher Weise gegeben ist. Die Ergebnisse der PISA-Studien haben die Sensibilität für das soziale Ungleichgewicht in unserem Bildungssystem deutlich erhöht. Soziale Herkunft und materielle Ausstattung auf der einen Seite und Bildungschancen auf der anderen Seite, das haben alle Erhebungen bestätigt, stehen in einem proportionalen Wirkungszusammenhang. Die Musikschulen sahen sich mit diesem Vorwurf schon immer konfrontiert. In Zeiten der Bildungsexplosion und solange auch die Zahl der Musikschulen und Musikschüler stetig wuchs, konnte man die Illusion hegen, dass irgendwann einmal tatsächlich jeder, der es wollte, den Zugang zur Musikschule fän3
Zu den aktuellen innenpolitischen Megathemen im politischen Diskurs zählen neben den Problemen der Arbeitslosigkeit, der Haushaltssanierung, des demographischen Wandels und des Klimawandels insbesondere die Vereinbarkeit von Arbeit und Beruf mit zusätzlichen öffentlichen Ausgaben für Kinderbetreuungsangebote in Milliardenhöhe.
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de. Angesichts neuer sozialer Fragen – diskutiert unter den Stichwörtern »Neue Armut«, »Hartz 4«, »Migrationshintergrund« – nimmt jedoch die Sensibilisierung zu und die Musikschulen geraten in eine höchst unbequeme Falle: Mit dem Rückgang öffentlicher Zuschüsse und der damit gekoppelten Notwendigkeit der Gebührenerhöhung steigt die Zugangsschwelle für sozial schwächere Familien. Damit gewinnt die Musikschule einen noch stärkeren Charakter der Exklusivität, was wiederum die Legitimation für öffentliche Förderung mindert. Die Musikschule gerät in einen Teufelskreis, aus dem sie nur herausfindet, wenn es ihr gelingt, musikalische Förderung und soziale Herkunft zu entkoppeln, etwa durch explizite Breitenarbeit, durch Projektarbeit4, durch stärkere Sozialförderung oder musikalische Sozialarbeit. Das Legitimationsproblem stellt sich, zweitens, in der Frage nach dem Spezifischen der Förderung von Musikschulen. Sie lautet zugespitzt: Es mag ja schön sein und förderlich für den Ausbau der Persönlichkeit, ein Musikinstrument zu erlernen. Genauso förderlich wäre es aber, mehr Sport zu treiben5, Fremdsprachen zu lernen oder eine bessere Medienkompetenz zu erlangen. Was uns hier entgegentritt, ist das Phänomen der postmodernen Angebotsvielfalt und Wahlfreiheit. Über rund 150 Jahre hinweg, im so genannten bürgerlichen Zeitalter, bestand ein unhinterfragter Konsens darin, dass die Musik in ihrer klassischen Ausprägung nicht nur im Zentrum der Kultur steht, sondern dass sie zusammen mit dem Theater die Kultur gewissermaßen solitär repräsentiert. Das Instrument des Bürgertums zur Artikulation seines kulturellen Selbstverständnisses waren die Konzerthäuser, Tonhallen und Stadttheater – Tempel der Kultur als ein in Stein gehauenes säkularisiertes Glaubensbekenntnis. Dieser bildungsbürgerliche Konsens ist spätestens seit den 1960er Jahren abhanden gekommen. Dafür gibt es vielerlei Gründe, die den sagenhaften Aufschwung der Musikschulen teilweise erst möglich gemacht haben, sich langfristig aber auch zu Gegenkräften entwickelten: etwa die Bildungsrevolution, die immer mehr Menschen am kulturellen Leben hat teilnehmen lassen, die Wohlstandsgesellschaft, die stets neue Begehrlichkeiten geschaffen und bereit gestellt hat, die Medien- und Freizeitgesellschaft, die neue Möglichkeiten der individuellen und gemeinschaftlichen Freizeitbeschäftigung bot. Alle zusammen haben 4
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Vgl. hierzu die Beiträge von Manfred Grunenberg über die Initiative »Jedem Kind ein Instrument« und von Friedbert Holz über verstärkte Projektarbeit in diesem Band. Vgl. hierzu die Initiative der Bundesregierung »Fit statt fett« vom Mai 2007.
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sie einen ungeheuren Markt der Möglichkeiten geschaffen, dem sich der Einzelne zwar oftmals hilflos gegenübergestellt sehen mag, in dem er aber immer eine Wahl treffen muss. Diese Wahl ist zwangsweise subjektiv, richtet sich nach individuellen Wertzuweisungen und persönlichen Erlebniswünschen – mit der Folge, dass eine objektive Vergleichbarkeit verloren geht. Alle Angebote, in unserem Zusammenhang alle Bildungs- und Freizeitangebote, stehen als Folge dieses Prozesses prinzipiell gleichwertig nebeneinander. Die Entscheidung, welche Option der einzelne trifft, ist ihm selbst überlassen, freilich auch die Verantwortung für seine Wahl und, auf der Basis einer Grundversorgung, auch die Finanzierung. Dieses Phänomen unserer postmodernen Gesellschaft, die dabei ist, Freiheit und Sicherheit gänzlich neu auszutarieren – sprich: Verantwortung ins Private rückzudelegieren –, betrifft alle Lebensbereiche, aktuell die Alters-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosigkeitsvorsorge, aber auch – wie an der Einführung von Studiengebühren zu sehen ist – die Frage der Bildungsinvestitionen. In diesem Wettstreit der Förderwünsche und Förderoptionen stehen die Musikschulen unter dem Druck, ihre Sonderstellung zu verlieren und sich gegenüber anderen förderwürdigen Einrichtungen, etwa des Sports oder der sozialen Integration, politisch neu positionieren zu müssen. Das Großthema kultureller Bildung bietet hierfür zukunftsträchtige Potenziale, bedarf aber über die reine Benennung hinaus spezifischer Ziel- und Realisierungskonzepte mit überprüfbaren Wirkungsnachweisen.6 Das dritte Problem der Legitimation ist die Überfülle kultureller Angebote. Keiner kann heutzutage mehr ernsthaft behaupten, es gäbe aufs Ganze gesehen zu wenig kulturelle Angebote. Die kulturellen Aufbrüche der letzten Jahrzehnte, von der Neuen Kulturpolitik der 1970er Jahre bis zur Eventkultur der 1990er Jahre, haben neben einer unbestreitbaren Professionalisierung des Kulturbetriebes eine solche Ausweitung von kulturellen Einrichtungen und Veranstaltungen hervorgebracht, dass der Tübinger Kulturwissenschaftler Hermann Bausinger sich veranlasst sah, von einem Gemeinwesen zu sprechen, das »von Kultur übersät [sei] wie mit Pickeln« (Bausinger 1996: 27). Ein solcher Befund hat auch Rückwirkungen auf die Legitimation bestehender Einrichtungen. Wenn es sowieso schon eher zu viel denn zu wenig Konzerte und mehr Musiker als im Arbeits- und Freizeitmarkt vermittelbar gibt, warum dann immer noch mehr und noch breiter dafür ausbilden, vor allem aber, warum öffentliche Strukturen über den als notwendig erachteten Bedarf hinaus vorhalten? Die 6
Vgl. dazu den Beitrag von Oliver Scheytt über Politikmarketing für Musikschulen in diesem Band.
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Frage spitzt sich zu, wenn es offensichtlich immer mehr Anbieter gibt, die auch ohne öffentliche Förderung existieren müssen und können.7 Damit wechseln wir innerhalb der Legitimationsproblematik auf die andere Seite – zur Effizienzfrage.
Das Effizienzproblem Musikschulen sehen sich nicht nur einer politischen Konkurrenz um gesellschaftliche Entwicklungsbedarfe sowie einer Kultur- und Freizeitkonkurrenz ausgesetzt, sondern auch einer Kernkonkurrenz im ureigenen Feld, der außerschulischen Musikerziehung. Ein Blick auf die ganze Palette der Anbieter in diesem Bereich zeigt, dass der Kampf um den Kuchen mittlerweile voll entbrannt ist. Im Wesentlichen handelt es sich dabei um drei konkurrierende Anbieter: • um die kommerziell durchorganisierten Musikschulen in Form der Franchise-Anbieter Yamaha (mit aktuell rund 230 Filialen) und Fröhlich (mit rund 540 Ablegern); • um die Privatmusiklehrer in wachsender Zahl und umfassender Präsenz, die sich in Ermangelung fester Anstellungen genötigt sehen, sich selbstständig zu machen und sich dabei gerne auch Musikschule nennen. Sie zählen zu den in den Statistiken der Künstlersozialkasse geführten »Freiberuflich Tätigen in der Sparte Musik«, deren Zahl sich von 1995 bis 2004 annähernd verdoppelt hat; • und schließlich um die verhältnismäßig neue Gruppe der qualifizierten Privatmusikschulen, die sich 1997 zu einem eigenen Verband zusammengeschlossen und damit 2004 auch Aufnahme in den Deutschen Musikrat gefunden haben. Alle diese Konkurrenten stellen eine ernst zu nehmende Herausforderung für die öffentlichen Musikschulen dar, weil sie den Markt der Nachfrager abschöpfen – Fröhlich deckt rund 50.000 Musikschüler ab, Yamaha wohl in ähnlicher Größenordnung – und ständig erweitern. »Schüler gewinnen und neue Märkte erschließen«, das war das erklärte Ziel von Yamaha auf seinem letzten »Music Education Kongress« im Januar 2006. Ein Weg zu diesem Ziel führt beispielsweise über die Kindergärten in Hamburg, wo
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Zu den Entwicklungen im Verhältnis öffentlich angestellter und privat unterrichtender Musiklehrer vgl. den Beitrag von Sebastian Fischer über den Arbeitsmarkt der Musikschullehrerinnen und -lehrer in diesem Band.
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Yamaha mittlerweile 400 Schüler in 20 Kindergärten betreut.8 Noch ist diese Zahl überschaubar. Der strategische Ansatz aber ist unverkennbar und mit seiner Orientierung an der gegenwärtig hoch diskutierten frühkindlichen Bildung berührt er unmittelbar das Selbstverständnis und die Interessen der öffentlichen Musikschulen. Wie eine bundesweite Umfrage von 1999 zur Nutzung des Klaviers in Haushalten aufzeigte, gab es schon damals mehr Klavierschüler mit privatem Unterricht (12 % ermittelte Haushalte mit entsprechenden Schülern) als solche, die ihre Ausbildung an öffentlichen Musikschulen erfuhren (9 %) (Kreuchel 2000: 232). Die wachsende Zahl der Konkurrenten ist darüber hinaus von Bedeutung, weil sie die Preise beeinflussen und weil sie in Service und PreisLeistungs-Verhältnis neue Standards setzen können. Hartmann-Gaul konnte in ihrer Pilotstudie über Privatmusikschulen in Deutschland nachweisen, dass diese zumindest in Einzelfällen durchaus in der Lage sind, ein den öffentlichen Musikschulen vergleichbares Angebot zu unterbreiten und dabei auch noch durch besondere Serviceleistungen aufzufallen wissen (Hartmann-Gaul 2005). Diese Herausforderungen im Sinne der Effizienz führen im Kern zur Frage eines zeitgemäßen Managements. Sie begründen neue Anforderungsprofile für Musikschulleitungen und erfordern zu ihrer Steuerung und Qualitätssicherung angemessene betriebswirtschaftliche Instrumente.9 Beide zentralen Problemlagen – die Effektivitätsfrage (»Was bewirken?«) und die Effizienzfrage (»Wie erreichen?«) – führen gleichermaßen zum Problem der angemessenen Zieldefinition.
Problem der Zieldefinition Keine Frage, der VdM und die ihm angeschlossenen Musikschulen haben ein dezidiertes Leitbild und erklärte Ziele (VdM o.J.). Zentrale Stichworte darin sind Qualitätssicherung, Spitzen- und Breitenförderung, Zugangsoffenheit, Netzwerke und Partnerschaften. Im strategischen wie im operativen Sinne müssen Ziele aber, wenn sie nicht nur Lippenbekenntnisse sein sollen, bestimmte Eigenschaften aufweisen, die im Managementkontext auf den Begriff ›smart‹ gebracht worden sind. Ziele müssen demnach spezifisch, messbar, erreichbar (achievable), realistisch und zeitlich präzisiert (time scaled) sein: 8 9
Siehe www.yamaha-europe.com/yamaha_europe/germany/service/500_ music_school (16.11.2006). Vgl. hierzu die Beiträge von Petra Schneidewind und Michael Eberhardt in diesem Band.
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»Spezifisch« würde im Hinblick auf die öffentlichen Musikschulen bedeuten, dass ihre Ziele hinreichend genau den Unterschied zu anderen Anbietern, etwa zu privaten Instrumentallehrern erkennbar machten (was im Hinblick auf die qualifizierten Privatschulen gar nicht mehr so einfach ist) oder dass die besonderen ästhetischen und pädagogischen Potenziale musikalischer Erziehung nicht nur prinzipiell, sondern immer wieder im Hinblick auf den eigenen Schülerkreis jeder Musikschule unterstrichen würde. »Messbar« würde heißen, dass die stets beteuerte Zugänglichkeit und Offenheit der Musikschulen für alle sozialen Gruppen oder für verschiedene Musikstile und musikalische Ausdrucksformen auch zahlenmäßig überprüft und in ihrem gewünschten Fortschritt gemessen wird. »Erreichbar« würde signalisieren, dass die anvisierten Ziele den verfügbaren Potentialen entsprechen und auch eine konkrete Strategie vorliegt, wie diese Ziele erreicht werden. Die Erweiterung des Musikschulangebots beispielsweise um Neue Medien bedingt entsprechende technologische Ausstattungen und Kompetenzen, aber auch spezifische pädagogische und organisatorische Vermittlungsformen, die bei der Zielmarkierung von vornherein miteinbezogen sein müssen. »Realistisch« würde in ähnlicher Weise bedeuten, dass die Ziele sich und den Umfeldbedingungen nicht widersprechen, tatsächlich auch angestrebt werden und nicht nur deklaratorischen Charakter haben; und »zeitbasiert«, dass die Ziele in einem klar definierten Zeitraum verwirklicht werden. So hat das Projekt »Jedem Kind ein Instrument« das erklärte Ziel, nicht irgendwann, sondern bis zum Jahr 2010 allen 212.000 Grundschülern im Ruhrgebiet die Möglichkeit zu schaffen, ein bis zwei Mal wöchentlich qualifizierten Unterricht an einem Instrument ihrer Wahl zu erhalten.
Wenn man nun vor dem Hintergrund dieser Zielanforderungen die Hauptaufgabenfelder der öffentlichen Musikschulen betrachtet, stößt man überall auf komplexe Problemlagen: Im Bereich musikalischer Bildung eröffnet sich ein Zielkonflikt zwischen der gesellschaftlichen Forderung nach einer Basisqualifikation allgemeiner Bildung und dem konkurrierenden Wunsch nach zusätzlicher und grundlegender ästhetischer Bildung. Von Seiten der Hauptanbieter und Hauptentscheider in Bildungsfragen, der Kultusministerien, wurde diese Frage bereits weitgehend beantwortet: durch den Abbau oder die Zusammenlegung ästhetischer Fächer und die dezidierte Stärkung der Basisfächer Deutsch, Mathematik, Fremdsprachen und Naturwissenschaften.
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Unter Konkurrenzgesichtspunkten könnte dies durchaus einen Vorteil für die Musikschulen bedeuten, da die entsprechende Kompetenz, so sie nachgefragt würde, von ihnen abgedeckt würde. Vermutlich wiegt aber der Nachteil schwerer, dass ihnen mit der Drosselung der ästhetischen Fächer in der Schule geborene Partner im Sinne der Musikerziehung immer mehr abhanden kommen.10 Von daher ist die Haltung des Deutschen Musikrates, dass die Verankerung des Bewusstseins von Musik als unverzichtbarem Bestandteil allgemeiner und kultureller Bildung nur über die allgemeinen Bildungsinstitutionen, d.h. Kindergärten und allgemein bildende Schulen, erfolgen könne, nachvollziehbar.11 Dass die Tendenz zur Ganztagsschule auf dem Radarschirm der Musikschulen sehr aufmerksam wahrgenommen wird, ist dokumentiert (VdM 2005). Wie die Kooperation aber in der Fläche organisiert und finanziert werden kann und welche pädagogischen Konzepte dabei zum Tragen kommen müssen, hierfür gibt es noch erheblichen Klärungsbedarf.12 Eine ähnliche Spannungslage zeigt sich in der Frage der Berufsvorbereitenden Arbeit der Musikschulen. Wenn man sich hier nur einmal die groben Zahlen anschaut, ist die Tendenz eindeutig: Während die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Anstellungen im Musikbereich kontinuierlich sinkt, steigt die Zahl der freiberuflich Tätigen unaufhörlich. Wie die Daten der Künstlersozialkasse und Analysen der Umsatzsteuerstatistik nahelegen, kommt aber nur ein Bruchteil davon über einen individuellen Umsatz von mehr als 16.600 Euro. Wir haben es also in den Musikerberufen schon heute mit einem überaus harten Verdrängungswettbewerb zu tun, angesichts dessen es fraglich ist, ihn auf breiter Basis zusätzlich anzuheizen. Bleibt der Sektor der Freizeit- und Laienmusik. Hier tun sich gewiss die umfassendsten Möglichkeiten auf. Aber auch hier wirken erhebliche Gegenkräfte. Sie wurden teilweise schon angesprochen im Hinweis auf die weiter zunehmende Freizeit- und Medienkonkurrenz und auf die lang10 Allein die Zahlenverhältnisse machen diese Wirkung deutlich: In BadenWürttemberg beispielsweise stehen der stolzen Zahl von 230 öffentlichen Musikschulen insgesamt rd. 4.000 allgemein bildende Schulen gegenüber. Es stellt sich daher die Frage, ob der Abbau ästhetischer Fächer in der allgemeinen Schulbildung für die Stellung der Musikerziehung insgesamt nicht erheblich mehr Risiken bringt, als er den Musikschulen womöglich an Chancen für neue operative Betätigungsfelder eröffnet. 11 Vgl. den Beitrag von Martin Maria Krüger und Christian Höppner in diesem Band. 12 Vgl. hierzu den Beitrag von Peter Imort in diesem Band.
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fristige demographische Entwicklung. Sie gelten freilich für viele öffentliche wie private Angebote. Eine spezifische Bedrohung für die Stellung der öffentlichen Musikschulen ergibt sich hingegen aus der veränderten Bedeutung der klassischen Musik im Alltagsleben. Auch wenn sich die Musikschulen in der Theorie und immer mehr auch in der Praxis als grundsätzlich offen für verschiedene Musikrichtungen und -stile erklären, offenbaren die Fächerstatistik, die Veranstaltungsübersicht und die Verteilung der Ensemblefächer des VdM doch, dass der Anteil populärer Musik (Jazz, Rock, Pop etc.) noch immer nur rund 10 % des Inputs wie des Outputs ausmachen, der überwiegende Anteil des Angebots aber nach wie vor der klassischen Musik im weitesten Sinne gewidmet ist. Das ist ohne Zweifel verdienstvoll im Sinne der Bewahrung einer spezifischen und einzigartigen deutschen Musikkultur. Allein die Welt draußen sieht anders aus und alle Studien weisen darauf hin, dass die einzigartige Stellung der klassischen Musik auch in Deutschland längst verloren gegangen ist (Hamann 2005). Die bereits weit fortgeschrittene Überalterung des Publikums nimmt weiter zu (GfK-Studie 2004; Eckhardt u.a. 2006), früher selbstverständliche Bindungen bürgerlicher Kreise werden abgelöst durch eine spartenübergreifende, multioptionale Kulturnutzung (Kreuchel 2005). Vor diesem Hintergrund werden auch die Musikschulen nicht umhin kommen, sich den aktuellen Herausforderungen in ihrer ganzen, hier skizzierten Komplexität verstärkt zu stellen und gemeinsam mit ihren Trägern, ihren Mitarbeitern, ihren Förderern, ihren Partnern und vor allem ihren Schülern neue Perspektiven zu entwickeln, wie sie ansatzweise in diesem Band vorgestellt werden.
Literatur Bastian, Hans Günther (2000): Musik(erziehung) und ihre Wirkung. Eine Langzeitstudie an Berliner Grundschulen, Mainz. Bausinger, Hermann (1996): »Kultur satt?« In: Allmende, 16. Jg., Nr. 48/49, S. 21-35, hier S. 27. Dienes, Gerhard M. (Hg.) (1999): Fellner & Helmer. Die Architektur der Illusion, Theaterbau und Bühnebild in Europa, Graz. Eckhardt, Josef/Pawlitza, Erik/Windgasse, Thomas (2006): »Besucherpotenzial von Opernaufführungen und Konzerten der klassischen Musik. Ergebnisse der ARD-E-Musikstudie 2005«. In: Media Perspektiven 5/2006, S. 273-282. Gruhn, Wilfried (1993): Geschichte der Musikerziehung. Eine Kultur- und Sozialgeschichte vom Gesangunterricht der Aufklärungspädagogik zu ästhetisch-kultureller Bildung, Hofheim.
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Hamann, Thomas Klaus (2005): Cultural Dynamics – Zur langfristigen Existenzsicherung von Kulturorchestern in Deutschland und der Schweiz. Dissertation der Universität St. Gallen, Hochschule für Wirtschafts-, Rechts- und Sozialwissenschaften (HSG), Bamberg. Hartmann-Gaul, Denise (2005): Privatmusikschule – eine potentielle Alternative zur Entlastung öffentlicher Haushalte? Masterarbeit am Institut für Kulturmanagement der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. Hoffmann, Hilmar/Klotz, Heinrich (Hg.) (1989): Die Kultur unseres Jahrhunderts, Band 1: 1900-1918, Düsseldorf u.a. Keuchel, Susanne (2000): Tasten, die die Welt bewegen. Daten und Fakten zur gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Dimension des Klavierspielens, München. Keuchel, Susanne (2005): »Das Kulturpublikum in seiner gesellschaftlichen Dimension. Ergebnisse empirischer Studien«. In: Birgit Mandel (Hg.) (2005): Kulturvermittlung zwischen kultureller Bildung und Kulturmarketing. Eine Profession mit Zukunft, Bielefeld. Klein, Armin (Hg.) (2007): Starke Marken im Kulturbetrieb, Baden-Baden. Musikmarkt/Bundesverband der Veranstaltungswirtschaft (Hg.) (2004): GfK-Studie 2004. Zum Konsumverhalten der Konzert- und Veranstaltungsbesucher in Deutschland, Hamburg. Röbke, Thomas (Hg.) (1993): Zwanzig Jahre Neue Kulturpolitik. Erklärungen und Dokumente 1972-1992, Essen. Scheytt, Oliver (1989): Die Musikschule. Ein Beitrag zum kommunalen Kulturverwaltungsrecht, Stuttgart u.a. Statistische Ämter des Bundes und der Länder (Hg.) (2004): Kulturfinanzbericht 2003, Wiesbaden. Statistische Ämter des Bundes und der Länder (Hg.) (2006): Kulturfinanzbericht 2006, Wiesbaden. Statistisches Bundesamt (Hg.): Datenreport 1999, Teil I, Wiesbaden. Verband deutscher Musikschulen (2005): Arbeitshilfe und Materialsammlung zur Kooperation von Musikschule und Ganztagsschule, Bonn. Verband deutscher Musikschulen (2006): Jahresbericht 2005. Themenschwerpunkte und statistische Daten, Bonn. Verband deutscher Musikschulen (o.J.): Leitbild des Verbandes deutscher Musikschulen e.V., Bonn. Zukunftskommission Gesellschaft 2000 (Hg.) (1999): Solidarität und Selbstverantwortung. Von der Risikogesellschaft zur Chancengesellschaft. Bericht und Empfehlungen der Zukunftskommission Gesellschaft 2000 der Landesregierung Baden-Württemberg, Stuttgart.
Musikschulen in Deutschland: Die Zukunft hat schon begonnen MARTIN MARIA KRÜGER/CHRISTIAN HÖPPNER
1. Musikschulen als ein Grundpfeiler des Musiklandes Deutschland: Siegeszug einer Idee »Wer Musikschulen schließt, gefährdet die innere Sicherheit«. Mit diesem Satz weist der ehemalige Bundesinnenminister Otto Schily den öffentlichen Musikschulen einen Platz im Rahmen der Grundversorgung der Gesellschaft zu. Dass sich ihre Wirkungsmacht dabei ganz anders darstellt als diejenige der Organe zur expliziten Wahrung der öffentlichen Ordnung, versteht sich von selbst. Der Satz des passionierten Hobbypianisten rekurriert auf die Strahlkraft der Musikschulen in ihr Umfeld hinein, auf ihren Beitrag zu Lebensfreude und -ertüchtigung, zur Förderung des Sozialverhaltens, zur Verankerung einer vertieften kulturellen Bildung und damit individuellen Kultivierung im Gemeinwesen. Das Wissen um den Zusammenhang von Musizieren und Friedfertigkeit ist im Übrigen uralt und lässt sich durch Zitate seit Luther belegen, am bekanntesten wohl durch einen Satz Johann Gottfried Seumes, dem der Volksmund die Form gab: »Wo man singt, da lass dich ruhig nieder; böse Menschen haben keine Lieder.« Schilys kantiger Satz reagiert auf Tendenzen in Kommunen, in Zeiten bedrängter öffentlicher Haushalte die musikalische Bildung im Portefeuille der Aufgaben als vergleichsweise minderrangig anzusiedeln. Altbundespräsident Johannes Rau kleidete seine Mahnung zur Sicherung musikalischer Bildung und Erziehung für jedes Kind anlässlich der erstmaligen
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Verleihung der »Inventio«-Preise für innovative musikpädagogische Projekte 2004 in Frankfurt a.M. in die Worte »Musik und musikalische Bildung sind nicht das Sahnehäubchen auf der Torte, sondern die Hefe im Teig.« Der einmalige kulturelle Schatz von annähernd 1.000 öffentlichen Musikschulen in Deutschland darf nicht aufgegeben werden, umso mehr, als er wenigstens zum Teil schwerwiegende Versäumnisse im Rahmen der allgemeinen Schulbildung kompensieren muss. Die Idee von »Volksmusikschulen«, welche klassenübergreifend allen Kindern und Jugendlichen den Zugang zu musikalischer Bildung und Betätigung durch Singen, Musizieren und Rhythmik ermöglichen sollten, wurde wohl erstmals 1913 durch Karl Storck skizziert. Wirksam wurde sie in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg: 1921 veröffentlichte Leo Kestenberg seine Schrift Musikerziehung und Musikpflege, deren Forderungen Fritz Jöde 1923 durch die Gründung einer staatlichen »Jugendmusikschule« im Schloss Berlin-Charlottenburg verwirklichte. Im gleichen Jahr entstand, ebenfalls auf Anregung Jödes, in Hamburg die erste »Volksmusikschule«, welche sich an Jugendliche und Erwachsene richtete. Von Anfang an war, neben dem Gedanken des benachteiligungsfreien Zugangs für alle Schichten, im Hinblick auf Auswüchse eines auf materiellen Gewinn ausgerichteten Privatunterrichts die Sicherung einer qualitätvollen und umfassenden musikalischen Bildung unter Einbindung von Singen und Hörerziehung von großer Bedeutung, welche auch die Ausbildung einer möglichst großen Zahl qualifizierter Musikpädagoginnen und -pädagogen voraussetzte. Beide Protagonisten nahmen Schlüsselstellungen ein, welche die rasche und nachhaltige Verbreitung von Idee und Praxis ermöglichten: Der ausgebildete Pianist Leo Kestenberg war Musikreferent im preußischen Kulturministerium, Fritz Jöde Professor für Methodik an der staatlichen Akademie für Kirchen- und Schulmusik in Berlin, welcher die Jugendmusikschule als Musterschule angegliedert war. Die systematische Strukturierung und Verankerung beider Typen außerschulischer musikalischer Bildung in »Musikschulen für Jugend und Volk« erfolgte durch Erlass des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung vom 10. Februar 1939, wobei jede dieser 1944 auf 160 angewachsenen Institutionen eine städtische Jugendmusikschule und eine Volksmusikschule in der Trägerschaft des Deutschen Volksbildungswerkes umfasste. Ungeachtet der ideologisch ausgerichteten Aspekte des Musikschulbetriebes ist festzustellen, dass hiermit die Erreichung des Ziels einer flächendeckenden vertieften, von sozialer Herkunft unabhängigen Musikerziehung in öffentlicher Trägerschaft erstmals weit fortgeschritten war.
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Bereits vor der Musikschulbewegung war 1905 durch Albert Greiner die »Städtische Singschule Augsburg« gegründet worden, welche eine Gründungswelle weiterer Singschulen in Süddeutschland auslöste. Ihr Grundgedanke war derselbe: Allen sozialen Schichten und Altersstufen über kultiviertes Singen zu vertieftem Erleben von und Wissen über Musik zu verhelfen. Für viele Singschüler wurde dies zum Anstoß für eine anderweitige instrumentale Ausbildung. Erst seit 1970 sind die Singschulen in den Verband deutscher Musikschulen (VdM) integriert und bis heute in der traditionsbewussten Namensgebung der bayerischen Sing- und Musikschulen präsent. 1952 wurde unter schwierigen Umständen der »Verband der Jugendund Volksmusikschulen« mit 12 Mitgliedern gegründet, dem es unter dem Vorsitz Wilhelm Twittenhoffs gelang, die Musikschulen neu zu strukturieren und, seit 1966 als »Verband deutscher Musikschulen e.V.« mit seinerzeit 136 Mitgliedsinstituten, auf einen beispiellosen Erfolgsweg zu führen, der durch Empfehlungen der kommunalen Spitzenverbände zwischen 1980 und 1986 maßgeblich gefördert und auf eine verlässlichere Grundlage gestellt wurde. Versagt blieb allerdings die Verankerung der Musikschulen als öffentliche Pflichtaufgabe. Die Zahl der Musikschulen in öffentlicher Trägerschaft erreichte 924 zu Jahresbeginn 2007 (VdM Jahresbericht 2006: 137). Vor allem aber veränderten die Musikschulen ihr Gepräge, wobei das seit der Reform Leo Kestenbergs und Fritz Jödes grundlegende Ideal einer auf aktivem Singen und Musizieren beruhenden, möglichst flächendeckenden musikalischen Bildung für Mitglieder aller sozialen Schichten unverändert gültig ist. Über 900.000 Schüler/innen aller Altersstufen vom Kleinkind bis zum Hochbetagten werden zur Zeit von diesem Angebot erreicht. Davon entfallen etwa 200.000 auf den Bereich der Elementaren Musikpädagogik von der Frühförderung bis zur Musikalischen Grundausbildung, hiermit grandios eine Forderung Jödes weiter entwickelnd, der bereits einen Beginn der Ausbildung im Vorschulalter für wünschenswert erklärt hatte. Neue Angebote erschließen selbst die Grenzbereiche des menschlichen Lebens, erste pränatale Musikerfahrungen und Sterbebegleitung. Die in der Gründungsidee und ersten Entwicklungsphase noch als Dualismus zwischen Schulen für Kindheit und frühe Jugend einerseits, für Jugendliche nach der Pubertät und Erwachsene andererseits angelegte Struktur wurde abgelöst durch die Musikschule als »Partner lebenslangen Lernens«, mehr noch: Erlebens. Das Unterrichtsspektrum reicht von der Anleitung zu ersten musikalischen Gehversuchen bis zur vorprofessionellen Leistung: Über 50 % der Preisträger des Bundeswettbewerbs »Jugend musiziert« werden an Musikschulen ausgebildet. Der seit Kestenberg und Jöde erhobene Qualitätsanspruch ist somit weiterentwickelt worden in künstlerische Bereiche hi-
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nein, welche traditionell von Konservatorien und Privatlehrern wahrgenommen wurden. Sie haben ein Programm zur Qualitätssicherung entwickelt, das sich vor allem auf laufende Weiterbildung der Lehrkräfte stützt. Längst wirken die Musikschulen nicht mehr nur mittelbar über die Unterrichtsergebnisse, sondern aktiv und gezielt durch eine Vielzahl von Maßnahmen in die Gesellschaft hinein: Für ihr lokales oder regionales Umfeld sind sie, vielerorts erweitert um andere Kunstsparten wie Tanz und Bildende Kunst, zu kulturellen Zentren von großer Vitalität geworden. Darüber hinaus haben sich der VdM, seine Landesverbände und viele einzelne Musikschulen in wachsamem Erfassen grundlegender Entwicklungen und Bedürfnisse zu klugen Netzwerkern entwickelt, welche durch Allianzen neue Wirkungsfelder erschließen.
2. Partnerschaft Schule – Musikschule: E i n Au f b r u c h »Ich bin fest davon überzeugt, dass einschließlich globaler Minderausgaben und gelegentlicher Kürzungsnotwendigkeiten in öffentlichen Haushalten der Kulturstaat Deutschland nicht in seinen Blüten bedroht ist, sondern in seinen Wurzeln.« Diese Diagnose formulierte Bundestagspräsident Norbert Lammert anlässlich eines Forums Musikpädagogik am 16. Januar 2007 in Berlin. Tatsächlich sind die statistischen Fakten so deprimierend, dass jeder, der mit Friedrich Nietzsche glaubt, ohne Musik sei das Leben »ein Irrtum«, in Alarmzustand versetzt werden muss: Bundesweit entfallen ca. 30 % des Musikunterrichts an Gymnasien und ca. 60 % des Musikunterrichts an Realschulen. Geschätzte 80 % des Musikunterrichts an Grund- und Hauptschulen werden von nicht genügend ausgebildeten Lehrkräften oder gar nicht erteilt. Förderschulen müssen fast zur Gänze auf musikalische Unterweisung verzichten. Diese Durchschnittswerte ergeben sich auf der Grundlage erheblicher Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern. So soll nicht verschwiegen werden, dass Bayern große Anstrengungen unternimmt, um die Situation an Grund- und Hauptschulen nachhaltig zu verbessern. Dies geschieht durch Einführung einer Pflichtveranstaltung Musik in die Lehrerausbildung, vor allem aber, als Reaktion auf den chronischen Mangel an universitär ausgebildeten Lehrkräften mit vertieftem Fach oder Didaktikfach – also quasi Haupt- oder Wahlfach – Musik, durch die Wiederaufnahme einer neu konzipierten Ausbildung von Fachlehrer/-innen unter Einbindung der nur in diesem Bundesland bestehenden Berufsfachschulen für Musik.
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Die kontinuierliche Abnahme des Musikunterrichts reicht auf die unterbliebene Reaktion der schulischen Musikpädagogik angesichts der gesellschaftlichen Veränderungen in den 1960er Jahren zurück. Der einseitig am »bürgerlichen« Bildungskanon orientierte, sich vor allem als Vermittlung von Grundlagenwissen verstehende Musikunterricht versäumte die Hinwendung zur sinnlichen Erfahrung durch fantasievoll angeregtes Hören und, vor allem, eigenes elementares Musizieren ebenso wie die Erschließung der neuen musikalischen Erlebniswelten von Kindern und Jugendlichen. Die daraus folgende Entfremdung der Schüler von den Unterrichtsinhalten sowie das Absinken von Beliebtheit und Ansehen des Musikunterrichts auf den letzten Platz im Ranking der Unterrichtsfächer hatten einen erheblichen Abbau in den Stundentafeln zur Folge, gefördert durch einen immer deutlicher werdenden Lehrermangel, der nicht einmal die Abdeckung des verbliebenen nominellen Bedarfs ermöglichte. Längst haben zahlreiche Musikpädagoginnen und -pädagogen und deren Fachverbände, »Verband Deutscher Schulmusiker« (VDS) und »Arbeitskreis für Schulmusik« (AfS), dies erkannt, werden aber weiterhin durch Lehrpläne an einer konsequenten Neuorientierung gehindert. Ganz anders verlief die bereits dargestellte Entwicklung der Musikschulen, deren Zahl sich in 30 Jahren bis zur Mitte der 1990er Jahre, selbst bei Bereinigung um die 1990 hinzugekommenen mehr als 150 ostdeutschen Institute, verfünffachte. Musik ist neben Sport die beliebteste Freizeitbeschäftigung, Ausdruck eines unverändert großen Bedürfnisses junger Menschen nach musikalischer Betätigung, dem mit pädagogischem Gespür, Fantasie und inhaltlicher wie methodischer Kompetenz begegnet werden muss. Den Musikschulen ist dies, wie der Erfolg zeigt, gelungen. Dennoch: Die Verankerung des Bewusstseins von Musik als unverzichtbarem Bestandteil allgemeiner und kultureller Bildung kann nur über die allgemeinen Bildungsinstitutionen, d.h. Kindergärten und allgemein bildende Schulen, erfolgen. Die Musikschule als Partnerin vorschulischer Ausbildung kann die Musikalische Früherziehung nur dort anbieten, wo sie gerufen wird. Daher muss die Forderung energisch aufrecht erhalten werden, dass Musik in allen Bundesländern einen festen Platz in der Ausbildung von Erziehern und Erzieherinnen sowie Kinderpflegerinnen und Kinderpflegern erhält. Gemäß der vierten von Sieben Thesen zur Musik in der Schule, die der Deutsche Musikrat im Juni 2005 verabschiedete, muss »Musikunterricht […] anregen, außerunterrichtliche und außerschulische Beschäftigung mit Musik zu erweitern und zu vertiefen«. Hierzu muss er »Freude an Musik wecken durch eigene wie auch gemeinsame Musizierpraxis
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(Singen, Tanzen, Instrumentalspiel), vielfältige Hörerlebnisse und Hörerfahrungen, eigenes musikalisches Gestalten und Erfinden« (Deutscher Musikrat 2006: 17). Dass die Schulmusikszene dies erkannt hat, bewies eindrucksvoll die Bundesschulmusikwoche, welche der VDS unter dem Motto »Stimme(n)« unter überwältigender Beteiligung im September 2006 in Würzburg durchführte. Es müssen nun in jedem einzelnen Bundesland die Rahmenbedingungen geschaffen werden, das deutlich gewordene enorme Potenzial an Kreativität und Kompetenz freizusetzen und wirksam werden zu lassen. Dies betrifft umfassende Änderungen der Lehrpläne – vergessen wir nicht: für diese sind Pädagogen und Ministerialbeamte, nicht oder nur bedingt aber die vielgescholtenen Politiker verantwortlich –, Stundentafeln, welche in allen Jahrgangsstufen aller Schularten Musikunterricht verbindlich vorsehen, Freiräume für Neigungsgruppen, und vor allem die erforderliche Zahl an qualifizierten Lehrkräften. Dass dieser Weg beharrlichen politischen Einsatz von Landesmusikräten im Verbund mit Musikhochschulen und musikpädagogischen Verbänden, vor allem aber den Versuch zur Einbindung und Mobilisierung der Elternbeiräte als wirkungsvollste Lobby für die Interessen der Kinder und Jugendlichen erfordert, darf nicht zu voreiliger Resignation führen. Zu viel steht auf dem Spiel für die Zukunft des Musiklandes Deutschland. Bewegung ist nicht nur in die Schulmusik gekommen, sondern, bedingt durch die Auswirkungen der kontinuierlichen Entwicklung zur Ganztagsschule, auch in die außerschulischen Anbieter musikalischer Bildung, zu denen die Musikschulen, die Verbände des Laienmusizierens und, als existenziell am unmittelbarsten betroffene Gruppe, die frei niedergelassenen Privatmusiklehrer/-innen, vertreten durch den Deutschen Tonkünstlerverband, gehören. Etwa seit der Jahrtausendwende sind die alten, von Standesdünkel auf Seiten der Schulmusiker nicht freien Barrieren zwischen Schulen und Musikschulen zunehmend ins Wanken geraten und vielerorts bereits einem kreativen Miteinander gewichen. Eines der Zauberworte ist »Klassenmusizieren«, und dies zu Recht. Eine der Grundforderungen an den Musikunterricht muss sein, Musiziererfahrung zu vermitteln und so überhaupt erst zu individueller Vertiefung anzuregen. Wer einmal die Resultate qualifiziert angeleiteten Klassenmusizierens erlebt hat, wird sich der Wirkung kaum entziehen können. Hier sind Musikschullehrer regelmäßig, sei es alleinverantwortlich oder im Zusammenwirken mit Schulmusikern, tätig. Ein weiterer Baustein der Zusammenarbeit ist die organisatorische Einbindung von Instrumentalunterricht in den schulischen Ganztagesablauf, sei es im Rahmen der Nachmittagsgestaltung oder durch rhythmisierte Einbindung in einen ganztägig angelegten Stundenplan im Wech-
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sel originär schulischer und zusätzlicher Angebote. Die Vielfalt der individuell gefundenen Lösungen ist bereits beträchtlich. Grundsätzlich allerdings gilt: »Die angesteuerten Kooperationen« mit außerschulischen Partnern »können nicht in der Weise realisiert werden, dass der schulische Musiklehrer durch außerschulische Kooperationspartner bzw. der Musikunterricht durch Instrumentalunterricht (der durchaus ein Moment des Musikunterrichts sein kann) ersetzt wird« (Deutscher Musikrat 2006: 27). Für die Musikschulen ist die zeitliche Verschränkung ihrer Unterrichtsangebote mit der Gestaltung des Schulalltags von existenzieller Bedeutung, da sonst das Zeitfenster für das umfangreiche Unterrichtspensum zu eng wird. Für die Schulen bedeutet dies die willkommene Möglichkeit der Bereitstellung qualifizierter Bildungsangebote im Rahmen des von ihnen zu verantwortenden Gesamtkonzeptes. Das notwendige, vor allem aber von Anfang an fruchtbare Zusammenwirken der Lehrkräfte für den Schulunterricht mit ihren »außerschulischen« Kolleginnen und Kollegen hat bereits Auswirkungen auf die musikpädagogische Ausbildung an manchen Hochschulen im Sinne einer gegenseitigen Aufnahme von Studieninhalten in die Studiengänge für schulische bzw. außerschulische Pädagogik gezeitigt. Dies reicht an einzelnen Hochschulen bis zur Bereitstellung eines »kombinierten« Musiklehrers für schulischen und außerschulischen Unterricht. Ein Scheitern der Zusammenarbeit zwischen Musikschulen und allgemein bildenden Schulen hätte für die Kinder und Jugendlichen einen dramatischen Rückgang der musischen Angebote zur Folge. Für die musikalische Bildung in Deutschland wird also der Erfolg des gemeinsam von Schulen und Musikschulen vollzogenen Aufbruchs zu vertieftem Zusammenwirken von größter Bedeutung sein. Im anzustrebenden Idealfall wird er eine neue, noch nie erreichte Qualität der musikalischen Breitenbildung hervorbringen. Angesichts der langen Zeitzyklen in der gegenseitigen Wechselwirkung bildungspolitischer Weichenstellungen und gesellschaftlicher Auswirkungen wird dies, um auf die Metapher Norbert Lammerts zurückzukommen, auch über den Erhalt der prachtvollen Blüten am Baum des deutschen Kulturlebens entscheiden.
3. Musikschule der Zukunft: Mitten im Leben Die vielschichtige Verankerung der Musikschulen in das Netzwerk der musikalischen Bildung in Deutschland ist ein Standbein ihrer Existenz. Das zweite Standbein lässt sich mit dem gesellschaftlichen Bewusstsein
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für den Wert der Kreativität umschreiben. Die Bedeutung, die unsere Gesellschaft der kulturellen Bildung beimisst, entscheidet letztlich über den steuerfinanzierten Ressourceneinsatz. Dazu gehört das noch nicht überall verbreitete Selbstverständnis, dass die musikalische Bildung als Teil der musisch-ästhetischen Erziehung eine Teilmenge der kulturellen Bildung ist. Erst diese ganzheitliche Betrachtung verleiht dem Ziel, mit einer qualifizierten und lebensbegleitenden musikalischen Bildung einen Beitrag zu einer humanen Gesellschaft zu leisten, Wirkung. Die Wirkungen der Musik und des Musizierens auf die Persönlichkeitsentwicklung sind oft beschrieben und beschworen worden. Weniger präsent ist der Missbrauch der Musik in Geschichte und Gegenwart zur politischen Indoktrination und Instrumentalisierungen in vielen gesellschaftlichen Bereichen, die heute zu einer regelrechten akustischen Umweltverschmutzung geführt haben. Gerade weil die Musik als unmittelbarste aller Künste einen starken Einfluss auf Menschen haben kann, liegen Wohltat und Manipulation so dicht beieinander. Die Erkenntnisse über die positiven Wirkungen der Musik haben in den letzten Jahren zu einem regelrechten Wettlauf um immer wieder neue (alte) Begründungen geführt, warum Musik und Musizieren so wichtig für unsere Gesellschaft sei. Diese Entwicklung wird zum einen aus der Hoffnung genährt, den kürzungsbedingten Raubbau an der bildungskulturellen Infrastruktur aufhalten zu können, und andererseits durch das Gerücht, dass Musizieren »schlau« mache, befördert. Die fortschreitende Ökonomisierung fast aller Lebensbereiche trägt ein Übriges dazu bei, dass das Prinzip des »L’art pour l’art« keinen Platz mehr im öffentlichen Bewusstsein hat. Wenn zunehmend werdende Eltern pränatales Musizieren nachfragen, damit die Synapsen des noch ungeborenen Kindes möglichst rasch wachsen, wird deutlich, dass wir in einer Verwertungsfalle sitzen. Alleine auf diesem Begründungsfundament lässt sich kein Bewusstsein für den Wert der Kreativtät aufbauen. Erst mit dem Bestreben, jedem Menschen kulturelle Teilhabe zu ermöglichen und damit das Individuum in seiner Selbstäußerung zu stärken, kann so etwas wie eine gesellschaftliche Übereinkunft über die Unverzichtbarkeit kulturellen Lebens entstehen. Diese Übereinkunft braucht das Engagement vor Ort – beispielsweise in der Musikschule. Das Netzwerk Eltern-Lehrer-Freunde-Schulkameraden-Verwandte ist ein idealer Verbund, um Meinungen zu bilden und nach innen und außen zu kommunizieren. Als Teil der Zivilgesellschaft Mitverantwortung für das Heute und Morgen zu tragen, erfordert Motivation, für die der ›Mikrokosmos Musikschule‹ ein idealer Ort ist. In der wechselseitigen Wirkung von Impuls und Echo besteht hier im Verbund mit künstlerischer Selbsterfahrung die Chance, diese Motivation zu erzeugen und am Leben zu erhalten.
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Diese Chance, ein Kraftfeld in der res publica sein zu können, ist heute oft noch zu wenig genutzt. Die Musikschule der Zukunft braucht dieses Selbstverständnis der gesellschaftlichen Mitverantwortung – eine Zukunft, die jeden Tag, jede Stunde und jede Sekunde von Neuem beginnt. Ein Selbstverständnis, welches Musikschule nicht als einen geschlossenen Kreislauf der »guten Welt« definiert, sondern als einen lebendigen Organismus kultureller Verdichtung. Ein Selbstverständnis, welches motiviert und aktiviert und nicht die Weiterdelegation befördert. Für die Folgen einer Verantwortungsdelegation »nach oben« gibt es leider zu viele Beispiele in den vergangenen Jahren, wo sich Eltern, Lehrer und Schüler mit kürzungsbedingten Verhältnissen oder gar Schließungen von Musikschulen abgefunden haben, die der Kulturnation Deutschland Hohn spotten; wo sich Bildungs- und Kulturpolitiker durch die Kürzungspolitik der Kämmerer zur Bedeutungslosigkeit degradieren ließen – mit fatalen Folgen insbesondere für Kinder und Jugendliche, denen dadurch ein Zugang zu kultureller Selbsterfahrung verwehrt blieb. So stehen seit Längerem bundesweit rund 100.000 Schüler/-innen vor verschlossenen Musikschultüren, weil kürzungsbedingt trotz oft hoher Entgelte keine Unterrichtsplätze zur Verfügung stehen – ein gesellschaftpolitischer Skandal. Die »Dunkelziffer« derjenigen, die nicht auf einer Warteliste erfasst sind, weil sie in vorauseilender Resignation erst gar nicht den Schritt der Anmeldung wagen, ist leider nicht statistisch belegt – ebenso wenig wie die Zahl der Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen, die potenzielle »Kunden« der Musikschulen wären, aber nie mit der Vielfalt der Musik in Berührung gekommen sind. Es ist nach wie vor eine Frage der Prioritäten, wie viele Steuermittel für Bildung und Kultur zur Verfügung gestellt werden. Dazu mangelt es mancherorts an Zivilcourage, insbesondere bei den politischen Verantwortungsträgern, die für das Ressort Bildung und Kultur Verantwortung tragen. Neben einem emotionalen Bezug zu diesem Bereich fehlt es zu oft an politischer Durchsetzungskraft, antizyklisch zur allgemeinen Kürzungspolitik zu handeln. Dabei ist seit Langem bekannt, dass sich Investitionen in Bildung und Kultur auch volkswirtschaftlich rechnen. Venezuela, Finnland und viele andere Länder führen es seit Jahren vor. Die alte Erkenntnis, dass Musik- bzw. Kulturpolitik Gesellschaftspolitik ist, hat sich noch nicht überall herumgesprochen. Deutschland ist auf diesem Gebiet Entwicklungsland, weil es gewaltige Kreativpotentiale brach liegen lässt. Die Musikschule der Zukunft steht mitten im Leben, weil sie dadurch ihre gesellschaftliche Wirkungskraft vervielfachen kann – nicht nur im Sinne des Ressourcenzuwachses. Mitten im Leben bedeutet, Bezüge zu den gesellschaftlichen Herausforderungen herzustellen und sie in den Wir-
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kungszusammenhang von Musikschularbeit zu stellen. Die vom VdM definierten Grundlagen und Rahmenbedingungen der »offenen Musikschule« sind eine gute Ausgangsbasis dafür. So bieten sich beispielsweise beim Thema Migration eine Reihe von Projekten und Strukturveränderungen an, die den interkulturellen Dialog stärker befördern. Das beginnt beim Lehrangebot im Einzel- und Ensembleunterricht, setzt sich bei den Wettbewerben »Jugend musiziert« mit der Einführung neuer Kategorien, wie zum Beispiel der Baglama (türkische Langhalslaute) fort und endet noch lange nicht mit der Forderung an die Musikhochschulen, ihr Ausbildungsangebot um ausgewählte Fächer der Migrantenkulturen zu erweitern. Der demographische Wandel eröffnet verstärkt Chancen intergenerationeller Angebote im Ensemblebereich und ist eine Herausforderung, Zugangshemmnisse insbesondere für ältere Menschen abzubauen. Dazu bedarf es einer kontinuierlich angelegten Erziehung im Sinne einer Orientierungshilfe und nicht weiterer Blitzlichter einer Eventkultur, wie sie mehr und mehr in der Förder- und Ausbildungspraxis von Kindern und Jugendlichen propagiert werden. Das wichtige Education-Programm der Berliner Philharmoniker ist ein Beispiel von vielen Aktivitäten der Berufsorchester in Deutschland und erreicht Kinder und Jugendliche aus sozialen Schichten, die von selbst mit ziemlicher Sicherheit niemals einen Schritt über eine Musikschultür gesetzt hätten. Wenn diese Jugendlichen nach einer dreimonatigen Arbeitsphase hoch motiviert und ganz neu sensibilisiert über ihre eigenen Ausdrucksmöglichkeiten diese Erfahrungen, zum Beispiel durch das Erlernen eines Instrumentes, ausbauen wollen, stehen sie zumeist vor verschlossenen (Musikschul-)Türen, weil der Staat mit immer weiteren Kürzungen an dieser Stelle massiv versagt. Für die privaten Musikschulen ist hier ein Markt entstanden. Sie müssen sich jedoch mit ihrer Arbeit an den Qualitätskriterien der kommunalen Musikschulen messen lassen. Das große Netzwerk des Laienmusizierens ist Partner, aber nicht Auffangbecken für die Versäumnisse in der kulturellen Bildung. Die Erfahrung einer kreativen Selbstverständlichkeit im Alltag eines jeden Menschen bleibt das Ziel einer Bildungs- und Kulturpolitik, die sich der kulturellen Vielfalt im Sinne des Erbes und dem Reichtum der Kulturen anderer Ethnien in unserem Land verpflichtet fühlt. Die Zusammenhänge von Ursache und Wirkung deutlich zu machen – von der musikalischen Frühförderung bis zum generationenübergreifenden Musizieren – und damit ein Umfeld zu schaffen, welches die Wirksamkeit dieser Arbeit noch um ein Vielfaches potenzieren könnte, ist eine notwendige und reizvolle Aufgabe nicht nur der Fachverbände, sondern auch der Lehrenden und Studierenden. Ein funktionierendes Netz-
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werk vom qualifizierten Musizieren im Kindergarten über einen sinnenreichen und regelmäßig stattfindenden Musikunterricht in der Schule, ergänzt durch ein breit angelegtes Angebot in Musikschule und Musikverein, bis hin zu Angeboten generationenübergreifenden Musizierens ist die unabdingbare Voraussetzung für die alte und (leider) immer wieder neue Forderung, dass jedes Kind die Chance auf ein breites und qualifiziertes Bildungsangebot haben muss. Gerade mit einem möglichst früh angelegten vielfältigen Angebot ergibt sich die Chance, Kindern in ihrer entscheidenden Prägungsphase selbst ihre Vorlieben und Stärken herauszufinden zu lassen. Jedes Neugeborene ist offen für alle Einflüsse. Kein Kind kommt mit einer Vorliebe für Barock- oder Popmusik auf die Welt. Die monokulturelle Einengung auf wenige Bereiche kommerzialisierter Popmusik in den Erlebniswelten der meisten Jugendlichen führt aber zu einer Verarmung kultureller Wahrnehmung. Es steht vor allem in der Verantwortung der Musikvermittler – ob Musiklehrer oder Hochschullehrer, ob Orchestermusiker oder Musikschullehrer –, die Balance von kulturellem Erbe und »zeitgenössischen Ausdrucksformen« herzustellen. Dieser Begriff bezieht sich dabei auf alle bekannten Formen kultureller Äußerung. So gehören die Neue Musik genauso dazu wie die sehr differenzierten Ausdrucksformen von Jugendlichen – also auch der Bereich der populären Musik – und die Kulturen der Migrantinnen und Migranten. Dazu bedarf es der Weiterentwicklung der differenzierten Ausbildungsgänge an den Hochschulen – und nicht ihres Abbaus. Das Bild vom orgelschlagenden Dorfschullehrer, welches so manchem Kämmerer reizvoll vor den Augen erscheint, führt in die Sackgasse pädagogischer und fachlicher Unzulänglichkeit. Die musikpolitische Arbeit des Deutschen Musikrates (DMR), begleitet von seinen Projekten, die nicht nur im Sinne beispielhafter Fördermaßnahmen für Jugendliche Impulse für das Musikleben vermitteln, sondern auch ein ideales Medium für die musikpolitischen Botschaften des DMR sind, will Bewusstsein für den Wert der Kreativität schaffen, denn Bewusstsein schafft wiederum Ressourcen. Ressourcen, die unser Land auf dem Weg zu einer Wissens- und Kreativgesellschaft dringend braucht. Mit seinen Berliner Appellen und der daraus folgenden musikpolitischen Arbeit hat der DMR wesentlich dazu beigetragen, die musikalische Bildung als Gemeinschaftsaufgabe nahezu aller gesellschaftlichen Gruppen und als ein wichtiges Fundament für die humane Gesellschaft stärker in das Bewusstsein der öffentlichen Wahrnehmung zu rücken. Die zahlreichen Initiativen zur Förderung der musikalischen Bildung von Kindern und Jugendlichen, wie zum Beispiel das Projekt »Jedem Kind ein Instrument« in Nordrhein-Westfalen oder die »Initiative: Musik« von Steffen Kampeter (haushaltspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfrak-
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tion) und Bernd Neumann (Kulturstaatsminister), sind erfreuliche Anzeichen dieser Bewusstseinsänderung. Diese Initiativen können wichtige Impulse setzen auf dem Weg, jedem Menschen in unserem Land kulturelle Teilhabe zu ermöglichen. Sie können aber nicht die ersten Orte kultureller Bildung – Krippe, Kindergarten, Schule und Musikschule – ersetzen. Musikalische Bildung beginnt neun Monate vor der Geburt in Bezug auf die Begleitung der werdenden Eltern und ist ein lebenslanges Kontinuum. Die Musikschule hat dabei als einzige Bildungs- und Kultureinrichtung die Chance, lebenslanger Partner zu sein.
Literatur Deutscher Musikrat (2006): Positionspapiere zur Musikalischen Bildung, 2. Aufl. in Kooperation mit dem VDS, Berlin. Kestenberg, Leo (1921): Musikerziehung und Musikpflege, Leipzig. Verband deutscher Musikschulen (2007): VdM Jahresbericht 2006, Bonn.
Politik-Marketing für die Musikschule OLIVER SCHEYTT
Welche Erwartungen haben Musikschulen an die Politik und umgekehrt? Dies ist eine viel zu selten gestellte Frage – es steht gar zu befürchten, dass diese Frage viel zu wenig in ihrer ganzen Tiefe ausgelotet wird. So bleiben die Erwartungen diffus oder auch lediglich von Vorurteilen geprägt. Immerhin lässt sich feststellen, dass die kulturelle Bildung in der Politik zunehmende Aufmerksamkeit erfährt, und Aufmerksamkeit ist die entscheidende Währung von Politik in der Öffentlichkeit. Politik will Aufmerksamkeit wecken, aufmerksam machen und letztlich Erwartungen der Wähler erfüllen. Die Musikschulen können in diesem Prozess eine viel größere Rolle einnehmen als bisher – so lautet die Ausgangsthese dieses Beitrages. Zunächst soll die Position der Musikschulen in der Politik herausgearbeitet werden (1.). Sodann geht es darum, den politischen Prozess und die »Kampagnenfähigkeit« der Musikschule näher zu betrachten (2.), um abschließend zu beleuchten, wie die Musikschule im politischen Prozess (neu) positioniert werden kann, dass sie auf der Basis eines politischen Konsenses über die Ziele für die Musikschularbeit in ihrer Ressourcenausstattung gesichert wird (3.).
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1. Die Position der Musikschule in der Kultur-, Jugend- und Bildungspolitik Musikschulen haben ohne Zweifel wesentliche Aufgaben, die den Musikschulakteuren aus der täglichen Arbeit und vielfältigen Argumentationspapieren bestens vertraut sind. Sind diese aber im Bewusstsein der Politikerinnen und Politiker? Welche Position hat die Musikschule in den einzelnen Politikfeldern? Musikförderung und musikalische Bildung sind eine wesentliche Sparte der Kulturpolitik. Doch gelten kulturpolitische Aufgaben gemeinhin (in verkürzter Auslegung vorhandener verfassungsrechtlicher und kommunalrechtlicher Normen [vgl. Scheytt 2005: 42ff.]) als »freiwillige« Aufgaben. Faktisch sind Musikschulen indes kulturelle Zentren der Städte, Kreise und Gemeinden. Sie leisten einen unverzichtbaren Beitrag zum kulturellen Leben und zur Kulturvermittlung. Musikschulen sind ein entscheidender Baustein im Gesamtkonzept einer »Kultur für alle« und einer kulturellen Grundversorgung, die auf eine chancengleiche kulturelle Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger ausgerichtet ist. Besonders starke Bezüge haben Musikschulen zum Bildungswesen und damit zur Bildungspolitik. Sie gelten sowohl als »außerschulische« Bildungseinrichtungen als auch als Einrichtungen kultureller Jugendbildung.1 Der Bildungsaspekt der Musikschularbeit ist in früheren Jahrzehnten zu wenig für die politische Positionierung genutzt worden. Der Charakter der Musikschule als eine »außerhalb« des Schulwesens stehende Institution wurde allzu sehr betont (aus einer zu recht kritischen Haltung gegenüber dem Schulwesen). Dies hat dazu geführt, dass Musikschulen ebenso wie Jugendkunstschulen und Bibliotheken in politischen und juristischen Analysen und Begründungen meist eher unter »Kultur« als unter »Bildung« subsumiert werden. Für die Positionierung als von der öffentlichen Hand zu fördernde Einrichtung ist diese nicht ganz eindeutige Zuordnung zu den Politikfeldern und die Charakterisierung als eher »freiwillige« Aufgabe ein gravierendes Problem. Die Strategie des Verbands deutscher Musikschulen (VdM), den Bildungscharakter der Musikschularbeit in den letzten Jahren stärker herauszustreichen, ist daher ein wesentlicher Ansatz zur Bewältigung dieser Problemlage. Die damit verknüpfte Strategie, Qualitätsmanagement in Musikschulen einzuführen und zu einem zentralen Thema des Musikschulmanagements werden zu lassen, ist ebenfalls von großer Bedeutung für eine Trendwende und eine Neupositionierung der Musikschulen in der Bildungs- und Kulturpolitik. 1
So ist die Musikschule in Baden-Württemberg gesetzlich im Jugendbildungsgesetz geregelt.
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Diese Trendwende ist umso mehr zu begrüßen, als einer der neuen »Megatrends« in der Kultur- und Bildungspolitik die »Kulturelle Bildung« geworden ist. Nachdem in den 1970er Jahren Kulturpolitik als Gesellschaftspolitik begründet worden ist und das Leitwort »Kulturarbeit« lautete, war die Melodie der 1980er Jahre, Kulturpolitik in ihren ökonomischen Dimensionen zu beleuchten; man redete dementsprechend vom »Kulturbetrieb«. In den 1990er Jahren wurde immer deutlicher, dass wir in einer »Erlebnisgesellschaft« leben, das Leitwort der Kulturpolitik wurde »Kulturevent«. Nunmehr deutet alles darauf hin, dass der begriffliche Trend der nächsten fünf bis zehn Jahre »Kulturelle Bildung« sein wird. Umso wichtiger ist es, dass Musikschulen neue Allianzen mit dem Gesamtbereich von Schule und Bildung eingehen und auf diese Weise die Musikschule neu positioniert wird. Die eigenständige Rolle, die die Musikschulen in diesem Prozess einnehmen, auch wenn sie etwa Leistungen im Ganztagsbetrieb von Grundschulen übernehmen, ist dabei unbedingt herauszuarbeiten. Das größte Vorhaben auf diesem Feld ist die Initiative des Landes Nordrhein-Westfalen und der Bundeskulturstiftung, im Ruhrgebiet anlässlich der Vorbereitung zur europäischen Kulturhauptstadt »Ruhr.2010« jedem Grundschüler das Erlernen eines Instrumentes zu ermöglichen. In die Realisierung des bis 2010 mit 50 Millionen Euro kalkulierten Gesamtprogramms sind 39 Musikschulen eingebunden.2
2 . Ak t i v e P o s i t i o n i e r u n g i n i n h a l t l i c h e r , prozessualer und struktureller Hinsicht Nach dieser kurzen Trendanalyse, die Stärken und Schwächen politischer Argumentation mit wenigen Schlaglichtern belegt hat, ist nunmehr auf der Basis einer Analyse des »politischen Geschäfts« zu fragen, wo Strategien zu einer Positionierung der Musikschulen anknüpfen sollten. Folgende Fragen einer Ziel-, Umwelt- und Institutsanalyse können sowohl für die Musikschulen generell (in Verbänden, politischen Parteien etc.) gestellt werden als auch im Bezug auf die jeweilige Einzelsituation in einer Kommune: • Welche Ziele verfolgt die Institution Musikschule? • Welche Zielvorgaben gibt es von Politik und Verwaltung? • Welche Zielgruppen sollen angesprochen werden – zum einen durch das Angebot der Musikschule, aber auch durch die Öffentlichkeitsarbeit und in der kultur- und bildungspolitischen Argumentation?
2
Vgl. den Beitrag von Manfred Grunenberg in diesem Band.
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• •
Welche Rahmenbedingungen sind zu beachten (örtliche Verhältnisse, Bedarf der Bürgerinnen und Bürger) Wie sieht es mit und in der Institution Musikschule hinsichtlich Image, Ressourcen und Leistungspotenzial aus?
Diese und weitere, sich aus der spezifischen Lage ergebenden Fragen zur Situationsanalyse sind Basis für die Entwicklung einer Strategie für die Innen- und die Außenpolitik der Musikschule. Zentrale Frage der Innenpolitik ist, wie die Einrichtung im politischen Prozess bewegt wird und welche Partner und Verbündete vorhanden sind. Alle nachfolgend exemplarisch aufgeführten Personengruppen sind sowohl Adressaten als auch Akteure in der politischen Kommunikation: • Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Musikschule; • Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen anderer städtischer Ämter (Kulturamt, Presseamt, Personalamt etc.); • Eltern und Schüler; • Kommunalpolitiker; • freie Kulturträger; • Schulen und Bildungseinrichtungen. Zentrale Frage der Außenpolitik der Musikschule ist, wie die Musikschule in das Zentrum des öffentlichen Bildungs- und Kulturinteresses bewegt werden kann. Ansprechpartner und Zielgruppen sind dabei die Bürgerinnen und Bürger in und außerhalb der Stadt, die gesellschaftlichen Gruppierungen, die Wirtschaft und die Medien. Ohne ein qualitätsvolles Musikschulangebot und -konzept wird es nicht gelingen, all die genannten Partner zu überzeugen. Die Überzeugungsarbeit sollte auf einer stringenten Argumentation basieren, zu deren Entwicklung es unzählige Papiere gibt: Stellungnahmen der kommunalen Spitzenverbände, zahlreiche Positionspapiere und Handreichungen des VdM, Konzeptionen zur kulturellen Bildung des Deutschen Kulturrates, Empfehlungen von anderen Fachverbänden und Institutionen, zum Beispiel der »Bundesvereinigung kulturelle Jugendbildung«, Programme der politischen Parteien und kommunalpolitischen Vereinigungen. Aus all diesen Dokumenten lassen sich für die jeweils individuelle Situation und politische Argumentation fundierte Begründungen herausdestillieren. Angesichts der Vielzahl der Akteure sollte bei der Zusammenstellung der (politischen) Argumente darauf geachtet werden, dass es letztlich um eine »politische Kampagne« geht, wenn die Musikschule vor Ort (neu) positioniert werden soll. Eine Kampagne lebt von klaren, zugespitzten Botschaften, die von den Partnern und Akteuren leicht aufgegriffen und vermittelt werden können. Auch für die Adressaten der Kampag-
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ne – das sind letztlich die führenden Politikerinnen und Politiker – sind klare, verständliche Botschaften notwendig. Ein Beispiel für eine erfolgreiche Argumentationskette ist das Stichwort »kulturelle Grundversorgung«, das ausgehend vom VdM Mitte der 1990er Jahre bundesweit Eingang in (kultur-)politische Argumentationen und Papiere gefunden hat. Gerade weil dieser Begriff nicht unumstritten war, hat er zu einem neuen Bewusstsein geführt: Es wurde deutlich, dass Musikschulen grundständige Bildungseinrichtungen sind, die nicht als rein »freiwillige« Aufgaben der Kommunen behandelt werden dürfen. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass es wichtig ist, eine Argumentation nicht nur aufzuschreiben, sondern daraus auch eine Kampagne mit Handlungsschritten zu entwickeln. Politik hat nicht nur eine inhaltliche, sondern auch eine prozessuale und strukturelle Dimension. Dies wird in dem einfachen Zirkelkreislauf deutlich, der sich mit zwei »Wenn-dann-Sätzen« beschreiben lässt: Wenn wir über Politik reden, dann reden wir über Steuerung, und wenn wir über Steuerung reden, dann reden wir über Politik. Die folgende Frage ist daher gerade auch politisch zu beantworten: Wer steuert eine Musikschule oder das Musikschulwesen insgesamt? Die Beantwortung ist mit einer weiteren Vorfrage verknüpft: Was wird eigentlich gesteuert? Zunächst wird die Bereitstellung von Ressourcen gesteuert (Finanzen, Personal, Sachmittel etc.). Es wird sodann danach gefragt, welche Leistung durch den Ressourceninput erbracht wird (z.B. Zahl der Schüler, Unterrichtsstunden, Ensembles, Kostendeckungsgrad). Spannend und schwierig ist es indes, die Wirkung der Musikschule zu beschreiben. Musikschulen bekommen Finanzen, Gebäude, unterrichten eine bestimmte Anzahl von Schülerinnen und Schülern in einer erfassbaren Zahl von Fächern, und für die gesamte Arbeit gibt es Kostengrößen, die erfasst werden. Aber welche Wirkung Musikschulen letztlich erzielen, lässt sich kaum ermessen. Sich jedoch Gedanken darüber zu machen, wie die Wirkung von Musikschulen bewusst gemacht werden kann, ist indes ein entscheidender Punkt. Politikmarketing für die Musikschule darf sich nicht darauf beschränken, zu fordern: »Wir brauchen Geld, weil wir dies und das leisten!« Viel effektiver ist es, die Wirkung von Musikschularbeit herauszufinden, zu beschreiben und mit ihr zu argumentieren. Meist werden diese Wirkungen mit Schlagworten belegt wie »Kreativität«, »soziales Verhalten« etc. Je deutlicher die Wirkung von Musikschularbeit beschrieben werden kann sowohl mit rationalen als auch emotionalen Argumenten, desto eher wird Politik aufmerksam, sich mit Musikschulzielen und arbeit zu identifizieren. Es muss der Politik klar werden, dass sie mit dem
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Thema Musikschule in der Öffentlichkeit auch Aufmerksamkeit und Zustimmung erzielen kann.
3 . K o n s e n s d u r c h Z i e l d i s k u s s i o n u n d - ve r e i n b a r u n g Wenn Politikerinnen und Politikern die Ziele für die Musikschularbeit ins Bewusstsein gebracht werden, ist ein entscheidender Schritt vollbracht. Dabei sind Ziele unterschiedlicher zeitlicher Dimension zu berücksichtigen: Die Aufgaben der Musikschulen haben eine langfristige Perspektive, die als erstes ins Bewusstsein gebracht werden sollten. Die mittelfristige Perspektive ist darauf ausgerichtet, was in den nächsten drei oder vier Jahren mit der Musikschularbeit erreicht werden soll; dies kann in Leitlinien formuliert werden. Schließlich können Jahresziele vereinbart werden, sowohl mit der Verwaltung in der Führung der Institution selbst als auch in der Politik. Der Zielbildungsprozess ist darauf auszurichten, im Gegenstromverfahren Konsens zu bilden. Zielbildung und Zielvereinbarung sind wichtige Prozessfaktoren. Das Gespräch mit der Politik über die Ziele, die lang-, mittel- und kurzfristig avisiert werden, ist Basis des Konsenses. Letztlich sind dann die Erfolge, die mit der Zielerreichung verbunden sind, gemeinsam mit der Politik zu feiern. Daher sollte über die Zielverwirklichung in fest vereinbarten Zeiträumen berichtet werden. Folgende Elemente sind demnach zu beachten: • Verständigung über einen einheitlichen Zielbildungsprozess; • Abgleich und Vereinbarung der Ziele im Verhältnis der Organisationsebenen untereinander (Gegenstromverfahren); • Systematischer Prozess als Voraussetzung für durchgängige Identifikation mit den Zielen (gemeinsame Verantwortung für die Zielerreichung). Als Zielkriterien sind zu nennen: die strategische Bedeutung; die Steuerungsrelevanz; Ziele sollten eindeutig, fordernd, realistisch und messbar sein.
• • •
Eine generelle Erfahrung ist, dass der Kommunikationsprozess mit allen Akteuren, besonders mit den Politikerinnen und Politikern, Zeit braucht. Dieser Prozess sollte auf Vertrauen basieren und auf Verantwortlichkeit abzielen. Die Mitarbeiterschaft ist in den Prozess einzubeziehen. Befreundete Partner, aber auch Gegner sind ins Visier zu nehmen, um letztlich einen Zielbildungsprozess zu initiieren, in den die Erwartungen der
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Beteiligten einfließen können und offengelegt werden. Das Berichtswesen kann Handeln und die Zielerreichung transparent machen und bietet mit Blick auf die Politik große Chancen, da die wechselseitigen Erwartungen geklärt werden. Es kann auch für ein entsprechendes (Politik-) Marketing genutzt werden. Die Erfahrung lehrt, dass bei einem solchen Vorgehen eine Rollenklärung erfolgt und ein Bewusstsein für die Prioritäten wächst, die gemeinsam verfolgt werden können und sollen. Konkrete Aktionen in Politik und Öffentlichkeit stärken den Konsens. Oft werden Sponsoren mehr »gepflegt« als Politikerinnen und Politiker, obwohl Letztere für den Großteil des Zuschussbudgets Verantwortung tragen. Daher ist sehr genau zu überlegen, wann und wie Politiker in die öffentliche Kommunikation eingebunden werden. Feiern, Geburtstage, PR-Aktionen, Konzerte – es gibt unzählige Möglichkeiten, Aufmerksamkeit zu erzielen und die Politikerinnen und Politiker mit den positiven Seiten der Musikschularbeit in das öffentliche Gespräch zu bringen. Politik ist von Personen abhängig. Die persönlichen Anknüpfungspunkte gehören daher auch zu den Analysethemen für ein erfolgreiches Politikmarketing. Gleiches gilt natürlich auch für die Mehrheitsverhältnisse und die Fraktionszusammensetzungen des jeweiligen Parlaments. Kommunikation und Argumentation sind darauf zuzuschneiden. Letztlich geht es darum, ein Netzwerk von politischen Bündnispartnern zu knüpfen. Zusammengefasst ist zu empfehlen: Inhalte, Argumente und Konzepte der Musikschularbeit sind immer wieder in das Bewusstsein der politischen Akteure zu rufen. Die Verantwortlichen für die Musikschularbeit sollten sich in den politischen Prozess aktiv einbringen und darauf hinarbeiten, dass die Institution Musikschule langfristig gesichert wird. Basis dafür ist ein aktiver, auch politisch ausgerichteter Kommunikationsprozess, der den Zielkonsens und die öffentliche Aufmerksamkeit bewirkt.
Literatur Scheytt, Oliver (1989): Die Musikschule. Ein Beitrag zum kommunalen Kulturverwaltungsrecht, Stuttgart. Scheytt, Oliver (2005): Kommunales Kulturrecht, München.
Der Arbeitsmarkt der Mus iksc hullehrer/-innen SEBASTIAN FISCHER
Einleitung In diesem Beitrag wird eine Analyse des nationalen1 Arbeitsmarktes der Musiklehrer/-innen2 unternommen. Ziel dabei ist die integrale Darstellung eines sehr komplexen Phänomens auf mehreren Ebenen zur Bereitstellung wichtiger Erkenntnisse und als Diskussionsgrundlage. Prinzipiell wird von der These der Normalisierung der Musikberufe innerhalb der Gesellschaft und damit von deren Vergleichbarkeit mit anderen Berufen ausgegangen. Als wesentliche Erkenntnismethode werden Vergleiche genutzt. Dabei schwingen immer Fragen von Vergleichbarkeit und Qualität der zu Grunde liegenden Daten mit. Verknüpft wird dies mit der Darstellung der Selbstbeschreibung der Musikschulen zum angezeigten Thema.
Zahlen/Daten Zunächst eine statistische Größenordnung: 2005 wurden in Deutschland etwa 42,5 Millionen Erwerbspersonen registriert.3 Gehen wir vorab von 1 2
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Der Hinweis auf eine nationale, in diesem Sinne nicht lokale oder regionale Beobachtungsperspektive sei betont. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im folgenden lediglich die männliche Berufsbezeichnung verwendet, sie schließt immer die weibliche Form mit ein. Diese Zahl beinhaltet sowohl Erwerbstätige als auch Erwerbslose.
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etwa 35.000 Musikschullehrern aus, so entspricht das einer Quote von 0,08 % der gesamten Erwerbsbevölkerung. Das sind je nach Standpunkt wenig oder viel; jedenfalls sind es aber zu wenig, um unter normalen Umständen das Interesse der offiziellen Arbeitsmarkt- und Berufsforschung zu gewinnen. Im deutschen Sozialrecht existiert eine Polarisierung mit der Differenz selbstständig/angestellt. Nun sind die Musikschullehrer weder ein Beispiel für typische Angestellte des öffentlichen Dienstes noch für den klassischen Typus eines Unternehmers. Diese ungewöhnliche Situation bestimmt in ihrer Paradoxie das aktuelle Geschehen mit, denn innerhalb des Musiklehrerberufes gibt es bei einer Unterscheidung, die der Polarisierung dient, aktuell fast genau eine Halbierung. Das folgende Datenmaterial entstammt vier unterschiedlichen Quellen: Dem Verband der Musikschulen (VdM), der Bundesagentur für Arbeit (BA), dem Bundesamt für Statistik und der Künstlersozialkasse.
Die Statistik des VdM Die Entwicklung von Arbeitsmarktzahlen an den Musikschulen steht im unmittelbaren Kontext mit der gesamten Entwicklung der VdM-Musikschulen in Deutschland. Eine zeitliche Übersicht zeigt folgenden Verlauf: Abbildung 1: Mitgliedsschulen des VdM von 1952 bis 2007 Musikschulen 1200 931
1000
1006 979
980
966
946
939
930
924
778
800 647 600
702
489 400
400
284 136
200 12 0
1952 1966 1970 1974 1978 1982 1986 1990 1991 1995 1999 2001 2003 2004 2005 2006 2007
Jahr
Quelle: VdM
DER ARBEITSMARKT DER MUSIKSCHULLEHRER/-INNEN | 51
Nach den gewaltigen Steigerungsraten in den 1970er und 1980er Jahren und auf Grund der deutschen Wiedervereinigung wurde im Jahr 1994 der Scheitelpunkt erreicht, die ominöse Zahl 1000 überschritten. In den darauf folgenden Jahren ergaben sich langsame, aber stetige Rückgänge, Anfang 2007 waren 924 Musikschulen Mitglied im VdM. Das enorme und schnelle Wachstum der 1970er und 1980er Jahre war durchaus überraschend. Noch im Künstler-Report von 1975 wurde angemerkt, dass sich zum einen die Anzahl der Berufsangehörigen der Musikberufe zwischen 1950 und 1970 beinahe halbiert hätte, zum anderen der Berufsnachwuchs bei den Musikerziehern fehle: »Die Nachwuchssituation im Berufsbereich MUSIK ist danach als ausgesprochen schlecht, wenn nicht katastrophal zu bezeichnen […]. Besonders ungünstig ist die Nachwuchssituation bei den M u s i k e r z i e h e r n, deren Berufsgruppe stark überaltert ist und die dem enormen Wachstum von Musikschulen und ihrem Bedarf nicht mehr gerecht werden können.« (Fohrbeck/Wiesand 1975: 21ff.)
Die Statistiken des VdM zeichnen die eigene stetig gewachsene Themenvielfalt und Komplexität nach: »Seit 1967 veröffentlicht der VdM die statistischen Daten der Musikschulen in Deutschland. Grundlage hierfür sind die jährlichen Berichte der Musikschulen an ihren Verband. Die Berichtsbögen enthalten Angaben zu Trägerschaft, Schulleitung und Lehrkräften, Verwaltung, Unterrichtsstätten, Schülerzahl und alter, Fächerbelegungen, Instrumental-, Vokal-, Ensemble- und Ergänzungsfächern, Studienvorbereitender Ausbildung, Musikunterricht für Menschen mit Behinderung, Veranstaltungen der Musikschule, Internationalen Jugendbegegnungen, Schulleiter- und Lehrerfortbildungen, Eltern- und Fördervereinen, Kooperationen, Qualitätsmanagement, Unterrichtsgebühren und Finanzierung. Anhand der erhobenen Daten kann der VdM Entwicklungen aufzeigen, die Grundsatzaussagen zum Musikschulwesen ermöglichen, wie sie z.B. im ›Ergänzungsplan Musisch-kulturelle Bildung‹ zum Bildungsgesamtplan der BundLänder-Kommission für Bildungsplanung (BLK) und im ›Gutachten Musikschule‹ der Kommunalen Gemeinschaftsstelle (KGSt) aufgenommen worden sind. Seit 1984 übernehmen das Statistische Bundesamt und mehrere Landesämter für Statistik allgemeine Daten des VdM. Das Berichtswesen des VdM bietet eine jährliche Bestandsaufnahme. In seiner Auswertung und Publikation als ›Statistisches Jahrbuch der Musikschulen in Deutschland‹ ist es eine Selbstdarstellung4 der Musikschulen und ermöglicht ihnen, sich jedes Jahr im Kontext mit allen anderen VdM-Musikschulen zu se-
4
Hervorhebung durch den Verf.
52 | SEBASTIAN FISCHER
hen. Gleichzeitig bietet sie Kommunen und Ländern Vergleichs-, Argumentations- und Entscheidungshilfen für ihre Kultur- und Bildungspolitik.« (VdM 2006)
Das statistische Jahrbuch des VdM ist tatsächlich eine Fundgrube für zahlreiche wissenswerte Daten. Direkte Informationen zum Arbeitsmarkt der Musikschullehrer liefert seit Langem die Tabelle »Hauptamtliche/ hauptberufliche und teilbeschäftigte Lehrkräfte«, Erkenntnisse indirekter Art sind über die Tabellen »Vergütung der Schulleiter«, »Vergütung der stellvertretenden Schulleiter«, aber auch über die meisten anderen Statistiken wie »Schülerzahlen« und »Finanzierung« möglich. Zur zentralen Tabelle »Hauptamtliche/hauptberufliche und teilbeschäftigte Lehrkräfte«, deren Grundaussagen im Statistischen Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland abgedruckt werden, ist jedoch anzumerken, dass in der Grundgesamtheit5 der Anteil von Mehrfachbeschäftigungen einzelner Lehrkräfte nicht wiedergegeben wird.6 Derartige Mehrfachbeschäftigungen sind alles andere als selten, in bestimmten Regionen eher die Regel, und werden sich in der aktuellen Situation noch vermehren. Die Statistik gibt daher lediglich eine Gesamtzahl von Beschäftigungsverhältnissen wieder, welche die Zunahme an Patchwork nicht darstellen kann und somit den Einblick in die tatsächlichen Veränderungen eher verschleiert: Nahm die Zahl der VdM-Mitgliedsschulen von 2000 bis 2005 von 980 auf 939 ab, so nahm im gleichen Zeitraum die Zahl der Beschäftigungsverhältnisse von 34.714 auf 34.787 zu. Wahrscheinlich hängt dies zusammen mit der Zunahme der Honorarvertragsverhältnisse. Gleichzeitig sind jedoch auch die Schülerzahlen von 867.961 (2000) auf 893.538 (2005) trotz des Verlustes an VdM-Musikschulen angestiegen. Eine eindeutige Interpretation kann hier nicht stattfinden. Die Gesamtzahl der hauptamtlichen/hauptberuflichen und teilbeschäftigten Lehrkräfte ist somit nicht zutreffend, sondern in unbestimmbarer Weise zu hoch angesetzt, darauf aufbauende Schlussfolgerungen sind folglich zu relativieren oder einfach falsch.7
5 6
7
Diese wird verschiedentlich als 35.000 auch werbewirksam veröffentlicht, z.B. im VdM-Gütesiegel, in der Broschüre Aufgaben des VdM u.a. Dies führt dazu, dass beispielsweise eine Lehrkraft, die zwei Aufträge an VdM-Musikschulen gleichzeitig erfüllt, als zwei Lehrkräfte in der Statistik geführt wird. Hirsch/Gayer (2001: 99) zitieren Loritz (1998: 7) bereits dahingehend, dass »Musikschullehrer in Deutschland rein zahlenmäßig ihre Kollegen an allgemeinbildenden Schulen übertreffen«. Dies ist auf Grund der hier beschriebenen Situation sehr unwahrscheinlich.
DER ARBEITSMARKT DER MUSIKSCHULLEHRER/-INNEN | 53
Dennoch geht aus den vorhandenen Zahlen klar hervor, dass der Anteil der Selbstständigen (Honorarkräfte) deutlich zugelegt hat, während der Anteil der »hauptamtlichen/hauptberuflichen«, sowie der »hauptamtlichen/nebenberuflichen« Lehrkräfte deutlich sank. Weitere Segmentierungen, etwa nach Alter oder Nationalität, finden nicht statt. Der Anteil an Frauen wird bisher nicht veröffentlicht, zu arbeitslosen Musikschullehrern gibt es keine Informationen. Tabelle 1: Schüler, Lehrkräfte und Finanzierung der Musikschulen im VdM8 Schüler Musikschulen
2
Lehrkräfte
Finanzierung
Insgesamt
bis 6 Jahre
6-25 Jahre
über 26 Jahre
Insgesamt
Anzahl
Anzahl
%
%
%
Anzahl
%
in Mio. €
%
1997
976
865.880
9,5
84,5
6,0
34.967
36,0
684
42,8
1998
979
862.454
8,8
84,8
6,4
34.878
33,7
699
43,7
1999
980
867.516
11,4
80,2
6,4
34.411
32,9
710
44,6
2000
980
867.961
14,0
79,6
6,5
34.714
33,2
727
44,2
2001
968
879.764
16,4
77,0
6,6
34.883
32,6
743
44,0
2002
966
890.079
18,6
74,9
6,5
34.546
32,7
752
44,0
2003
946
859.903
18,1
75,7
6,2
32.779
33,7
752
44,3
2004
939
888.347
18,1
75,4
6,6
34.926
32,2
791
45,0
2005
930
893.538
18,1
75,2
6,6
34.878
31,5
788
46,6
Jahr
1
davon aus Hauptamtlich/ GeUnterrichtsHauptberuflich samtetat gebühren
Hinweis: Die Musikschulen des Landesverbandes Berlin waren zum Zeitpunkt der Datenerhebung und -auswertung für das Jahr 2003 nicht Mitglied im Verband deutscher Musikschulen. Statistisches Jahrbuch 2002: in Berlin 12 Musikschulen, insgesamt 37.839 Schüler, 1.936 Lehrer und 33.163.430 € Gesamtetat. 1 Datenstand jeweils 1. Januar des angegebenen Jahres; bei der Anzahl der Musikschulen jeweils 1. Januar des Folgejahres. 2 Ohne Mehrfächerbelegung Quelle: zusammengestellt und berechnet vom Deutschen Musikrat nach: Statistisches Jahrbuch der Musikschulen in Deutschland. Dokumentation 1997 bis 2005, hrsg. v. Verband deutscher Musikschulen, Bonn 19982006. Stand: 11.04.2006 8
Abdruck der Tabelle 1 und 2 sowie der Abbildung 2 mit freundlicher Genehmigung des Deutschen Musikinformationszentrums/Deutscher Musikrat gGmbH.
54 | SEBASTIAN FISCHER
D a t e n d e r B u n d e s a g e n t u r f ü r Ar b e i t ( B A) Zwei Besonderheiten müssen bei den Berufsstatistiken der BA berücksichtigt werden: • Es werden nur Angestellte, nicht aber Beamte und Selbstständige erfasst. • Innerhalb der beruflichen Klassifizierung wird strikt getrennt zwischen Musikern und Musiklehrern (»Lehrern für musische Fächer«).9 In der beruflichen Segmentierung der Gesamtarbeitsmarktstatistiken gelangen die BA-Statistiken nicht bis zu den Musikschullehrern. Bei den so genannten »Dreistellern« (insgesamt 319 »Berufsordnungen«) findet man unter 875 die »Lehrer für musische Fächer«; der »Viersteller« unterscheidet »Kunst- und Zeichenlehrer« (8751) und »Musik- und Gesangslehrer« (8752). Daten erhält man aktuell aber nur für den Dreisteller10, so dass man die angestellten Kunst- und Zeichenlehrer noch abziehen muss. Erwartungsgemäß gehen diese Zahlen in den letzten Jahren zurück. Tabelle 2: Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung und Arbeitslosigkeit in Musikberufen und verwandten Berufen Lehrer/innen für musische Fächer außerhalb der allgemein bildenden Schulen sozialversicherungspflichtig Beschäftigte
2000
2002
2004
2005 18.809
20.094
19.988
19.624
Frauen (in %)
53,4
53,4
53,5
54,2
Männer/Frauen in Teilzeit (in %)
66,1
67,5
68,9
68,2 2.278
Arbeitslose
2.162
2.301
2.073
Arbeitslosenquote Männer (in %)
6,0
6,6
6,0
6,7
Arbeitslosenquote Frauen (in %)
12,7
13,3
12,4
14,0
Quelle: BA Hinsichtlich der Arbeitslosenzahlen der »Lehrer für musische Fächer« möchte man zunächst aufatmen, liegen Sie doch unter dem Durchschnitt bundesweiter Arbeitslosigkeit. Kombiniert man jedoch die beiden Statistiken, so kann man vermuten, dass der Rückgang der Arbeitslosigkeit vor 9
Die Musiker (831) werden der Berufsgruppe »Künstler und zugeordnete Berufe« zugerechnet, die »Lehrer für musische Fächer« gehören zu der Berufsgruppe »Lehrer«. 10 Der Viersteller wird nur bei den Arbeitslosenstatistiken verwendet.
DER ARBEITSMARKT DER MUSIKSCHULLEHRER/-INNEN | 55
allem auf eine Abwanderung in die Selbstständigkeit zurückzuführen ist. Hier, an der Schnittstelle zwischen Arbeitslosigkeit und Selbstständigkeit, wären interessante soziale Zusammenhänge über Gesellschaft, Kunst und Kultur zu erfahren. Lassen sich aus den Gesamtarbeitsmarkt-Statistiken also nur unzureichende Daten entnehmen, bietet die BA im Bereich »BerufeNet« (vgl. http://infobub.arbeitsagentur.de/berufe/index.jsp) dagegen erstaunlich differenzierte Beschreibungen, so etwa unter »Musiklehrer/in (Uni) – Instrumental« oder unter »Musiklehrer/in (Uni) – Elementare Musikerziehung«. Diese fassen grundlegende Aspekte der jeweiligen Tätigkeit und nötigen Ausbildung für Berufssuchende zusammen und vermeiden dabei Bewertungen im Hinblick auf relative Chancen für Berufssuchende.11 Durch die Differenzierung Musiker/Musiklehrer entsteht eine Zweiteilung mit ausgeschlossenem Dritten: Entweder man ist Musiker oder man ist Musiklehrer. Weiter oben wurde bereits ein anderer semantischer Dual in der Polarisierung selbstständig/angestellt angesprochen. In beiden Fällen wird die Realität am Arbeitsmarkt der Musikschullehrer und in diesem Fall auch am Arbeitsmarkt der Musiker ungenügend erfasst; beide Male haben derartige Einteilungen aber durchaus reale Folgen für die Beteiligten: Zweiwertige Formschemata behindern die Einsicht und wohl auch mögliche Entwicklungen. Die Problematik unzureichender Klassifizierungen wird in der Forschung seit Langem diskutiert, bislang ohne zufriedenstellende Konsequenzen. Denn diese Fremdbeschreibung bedeutet mehr als nur die Möglichkeit, beim Finanzamt typische Lehreraufwendungen absetzen zu können. Es ist ein Stück weit die »normale« gesellschaftliche Sicht auf Musiker und Musikpädagogen, die von mehr Distanz gekennzeichnet ist. Sie muss insoweit Ernst genommen werden, als erfolgte Klassifizierungen und Einordnungen ebenso wie andere sprachliche Phänomene realitätsbildende Wirkung haben, ganz nach dem Lieblingszitat des Kulturforschers Wiesand: »What people belief to be real is real in its consequences (Thomas-Axiom).« (Zitiert nach Wyrwoll 2005: 5)
Daten des Statistischen Bundesamtes Im so genannten Mikrozensus, einer 1 %-Stichprobe der Gesamtbevölkerung, welcher eine hohe Aussagekraft eingeräumt wird, ergibt sich überraschend ein ganz anderer Befund. Hier zeigt sich zwischen 1993 und 11 Der Unterschied in der Differenzierung ist auf die Trennung von Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, unterschiedliche Intentionen und Dimensionen dieser Disziplinen zurückzuführen.
56 | SEBASTIAN FISCHER
2004 insgesamt ein deutlicher Anstieg der Gesamtzahlen (mit Selbstständigen und Beamten) der Lehrer für musische Fächer, und dies bei einer deutlichen, wachsenden Mehrheit der Frauen mit einem Anteil von rund 60 % im Jahr 2004. Tabelle 3: Lehrer/-innen für musische Fächer nach dem Mikrozensus (in Tausend) Berufsgruppe, Berufsordnung
Geschlecht
875 alle Lehrer/Lehrerinnen männlich für musische Fächer weiblich
’93
’95
’96
’97
’98
’99
’00
’01
’02
’03
’04
34
35
39
39
41
43
45
43
45
44
47
16
16
17
16
18
19
29
18
18
16
18
18
19
22
23
23
24
26
25
27
28
30
Wiederum können auf Grund der Klassifizierung nur Vermutungen angestellt werden – es liegt jedoch nahe, dass dieses Anwachsen, das auf den ersten Blick nicht von den Musikschullehrern (Entwicklung nach 1994!) und zudem wohl auch nicht wesentlich von Kunst- und Zeichenlehrern verursacht wurde, stark mit Musiklehrern zu tun hat, die privat arbeiten und deswegen nur in dieser Statistik erfasst wurden. Diese Vermutung korrespondiert mit Studien über ein Anschwellen des Arbeitsmarktes für Kulturschaffende insgesamt sowie mit Zahlen von Abgängern der Musikhochschulen.
Künstlersozialkasse Die Künstlersozialkasse gibt aus Datenschutzgründen nur Grunddaten heraus. Ähnlich wie beim Mikrozensus erkennt man beim Musikerberuf, der nicht mehr untergliedert wird, ein starkes Ansteigen in den vergangenen zehn Jahren.
DER ARBEITSMARKT DER MUSIKSCHULLEHRER/-INNEN | 57
Abbildung 2: Freiberuflich Tätige in der Sparte Musik nach Versichertenbestand der Künstlersozialkasse
Jahr 50.000 40.000 30.000 20.188
22.372
24.289
25.870
1996
1997
1998
27.742
29.464
1999
2000
31.375
33.097
2001
2002
35.134
36.974
2003
2004
20.000 10.000 0 1995
Personen
Quelle: Künstlersozialkasse
Zusammenfassung der Datenbasis Die Aussagekraft der vorhandenen Daten ist sehr begrenzt. Absolute Werte liegen nicht hinreichend vor, so dass nur relative Bezüge möglich sind. Das Fehlen einer verlässlichen Größenordnung über die statistische Grundgesamtheit N in der VdM-Statistik wiegt zu schwer. Die anderen Zahlen differenzieren nicht bis zu den Musikschullehrern. Als Zwischenergebnis kann daher festgehalten werden: • Auf Grund kommunaler Finanzkrisen und Sparmaßnahmen nahmen Honorarverträge in deutlichem Ausmaß zu und Festanstellungen ab. • Die Zahl der Beschäftigungsverhältnisse stieg überraschend in den vergangenen Jahren leicht an, was vermutlich mit der gestiegenen Anzahl von Honorarvertragsverhältnissen in Verbindung steht. • Der Anteil der Frauen ist in Künstlerarbeitsmärkten überdurchschnittlich, bei den Musikschulen ist er möglicherweise besonders hoch. • Der Arbeitsmarkt der »Lehrer für musische Fächer« stieg außerhalb der Musikschulen deutlich an. • Die Arbeitslosigkeit der »Lehrer für musische Fächer« ist gegenüber dem Durchschnitt der Berufe geringer. Hier wäre Bedarf für weitere Forschung.
58 | SEBASTIAN FISCHER
D e r W e g z u m Ar b e i t s m a r k t M u s i k s c h u l e Studium Die Ausbildung am Instrument beginnt bei den Musikschullehrern lange vor dem Studienantritt. Als Kind bereits oder spätestens als Jugendlicher müssen die Fähigkeiten am Hauptinstrument – häufig in der Ausbildung an einer Musikschule – erworben werden. Das Selektionsverfahren vor Beginn eines Studiums, die Aufnahmeprüfung, führt in seit Jahrzehnten steigendem Ausmaß zur erschwerten Aufnahme eines Musikstudiums überhaupt. Patrick Dinslage, bis Anfang 2006 Vorsitzender der Rektorenkonferenz der Musikhochschulen, spricht von etwa dem zehnfachen Andrang gegenüber den später tatsächlich an diesen Ausbildungsinstituten Studierenden (Dinslage 2006: 1). Die Studiengänge an deutschen Musikhochschulen beinhalten künstlerische und pädagogische Elemente. Seit Beginn der 1970er Jahre »drängten Musikschulverbände in Verbindung mit dem Deutschen Musikrat auf eine stärkere Zuschneidung der Ausbildungsinhalte auf die sich damals offensichtlich wandelnde Praxis in den Musikschulen« (Hirsch/ Gayer 2001: 109). Nach Kritik an zu starker künstlerischer Gewichtung des Instrumentalmusikstudiums wurde mit einer Empfehlung der Kultusministerkonferenz 1984 eine Entwicklung eingeleitet, welche durch das Hochschulrahmengesetz 1995 und den hierauf basierenden Landeshochschulgesetzen zur Installierung einer eigenständigen Ausbildung zu Musikschullehrern an den Musikhochschulen führte.12 Die Anzahl der Studierenden in Studiengängen für Musikberufe schwankte zwischen 25.028 (2005) und 26.587 (2003).13 Im Bereich »Musikerziehung im freien Beruf und an Musikschulen« pendelte die Zahl der Studenten zwischen 2.860 (1995/1996) und 3.499 (2001/2002) mit spürbarer Aufwärtsbewegung, vor allem bei der Zahl der Erstsemester. In den Studiengängen bleibt die Nähe der später getrennten Berufe deutlich sichtbar: Doppelstudien sind nicht selten, vielerorts findet die
12 Zum genaueren Stand vgl. Hirsch/Gayer 2001: 109ff. 13 Die einzelnen Schwankungen in den »Nachbarberufen« »Lehramt Musik an allgemein bildenden Schulen« und »Instrumentalmusik/Orchestermusik« erscheinen aufschlussreich: Im Bereich Schulmusik fand ein signifikanter Rückgang statt, während sich das Studium »Instrumentalmusik/Orchestermusik« trotz warnender Stimmen weiterhin großer Beliebtheit erfreut.
DER ARBEITSMARKT DER MUSIKSCHULLEHRER/-INNEN | 59
Entscheidung zwischen künstlerischer und pädagogischer Ausrichtung erst nach dem Vordiplom statt. Im Zusammenhang mit der ungünstigen Arbeitsmarktentwicklung existieren bereits Vorhaben auf Reduzierung der Studentenzahlen in Bezug auf das Ziel einer mittelfristigen Absenkung der Studentenzahlen insgesamt; in den »Empfehlungen der Expertenkommission Musikhochschullandschaft Bayern«14 ist die Rede von 15-20 % als Vorgabe der bayerischen Politik, die Kommission empfiehlt 10 %. Ferner wird festgehalten, dass die Rektorenkonferenz die Zahl der Musikhochschulen mit 23 als »völlig ausreichend, wenn nicht schon zu hoch« einschätze. Die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt Musik wird also kritisch betrachtet: »Dieser Anstieg der Anzahl der Studierenden in den Instrumentalfächern lässt angesichts eines sich stark verändernden Arbeitsmarkts mit einem Rückgang der Arbeitsplätze in den deutschen Orchestern, knapper werdenden staatlichen und kommunalen Finanzen, Schließung von Musikschulen usw. Besorgnis aufkommen.« (Dinslage 2006: 2)
Reagiert wird u.a. mit dem Versuch, den Absolventen auch selbstmanageriales Rüstzeug und weitere Kompetenzen mit auf den Weg zu geben.15
Rekrutierung/Bewerbung Der unschöne Begriff der »Rekrutierung« bezeichnet den Übergang vom Studium zur Erwerbstätigkeit auf dem Arbeitsmarkt, allerdings nur einseitig: Wie rekrutieren sich die Musikschulen ihre neuen Lehrer, ihren pädagogischen Nachwuchs?16 Veröffentlicht werden Stellenanzeigen v.a. in der neuen musikzeitung (nmz), in Mitteilungen und auf Websites des VdM und seiner Landesverbände, im System der Arbeitsagentur, in Kleinanzeigen und auf schwarzen Brettern (z.B. Musikhochschule). Aus einer kleinen Untersuchung der Stellenanzeigen in der nmz (von Dezember 2002 bis November 2003) konnte geschlossen werden, dass nur ein geringer Teil der offenen Beschäftigungsverhältnisse an damals ca. 960 Musikschulen in der Zeitung veröffentlicht wurde, in welcher der VdM seine offiziellen Mitteilungen publiziert. Die wenigen vollen Stellen waren
14 Siehe www.stmwfk.bayern.de/downloads/hs_musikhochschulempfehlun gen.pdf (10.01.2007). 15 Vgl. den Beitrag von Hermann in diesem Band. 16 Die andere Seite – die Sicht der Absolventen – wäre die Bewerbungszeit.
60 | SEBASTIAN FISCHER
zumeist Leitungspositionen, die weiteren ausgeschriebenen Angebote waren nicht repräsentativ, sondern lagen vermutlich über dem durchschnittlichen Niveau angebotener Beschäftigungen hinsichtlich Anstellungsverhältnis und Stundenzahl. In den vergangenen Jahren hat sich dieser Befund – wenige Ausschreibungen, wenige volle Stellen – noch verschlechtert. Im Onlinesystem der Bundesagentur für Arbeit finden sich kaum Stellen der öffentlichen Musikschulen, stattdessen gibt es hier zahlreiche Angebote privater Musikschulen. Dafür etablierten sich in den vergangenen Jahren auf den Websites des VdM und verschiedener Landesverbände eigene Stellenmärkte. Grundsätzlich ist die Prämisse der neoklassischen Arbeitsmarkttheorie (Gleichgewichtstheorie), dass innerhalb eines Arbeitsmarktes jeder Beteiligte über vollständige Informationen verfügen, dementsprechend reagieren und sich somit ein Gleichgewicht über den Anreiz der Löhne bilden kann, unerfüllbar. So realitätsfern und modellhaft dieser Ansatz auch sein mag: Das auf Künstlerarbeitsmärkten waltende Netzwerkprinzip, das hier seinen Ausdruck findet, hat Nachteile und Risiken. Es droht ein Mangel an Transparenz, Chancengleichheit und Qualitätsdenken.
Berufsbild/Professionalisierung Berufsbild Gibt es ein eigenes Berufsbild der Musikschullehrer, das sich grundlegend von privaten Musiklehrern, von Lehrern im öffentlichen Schulwesen im Fach Musik und vom »zusätzlich unterrichtenden Musiker« (AbelStruth 1985: 420) unterscheidet? Zunächst ist festzustellen, dass eine zeitliche Diskrepanz zwischen zwei sehr alten Berufen (Instrumentalmusiker, private Musiklehrer) und der jüngeren Entwicklung im Musikschulbereich liegt. Während es im 17. Jahrhundert ohne Weiteres gängig war, Musiker und Musiklehrer als eine Einheit zu sehen und zu behandeln, entwickelte »sich im 19. Jahrhundert nicht nur eine berufsständische Trennung zwischen Musikern und Musiklehrern, sondern auch die zusätzliche innerhalb der Berufsgruppe nach Funktionen innerhalb und außerhalb der Schule« (vgl. Abel-Struth 1985: 424). Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden im Umfeld von Reformpädagogik und Jugendmusikbewegung neue Ansprüche der Musikpädagogik, welche mit der »Kestenbergreform« von 1921 ihren Ausdruck fanden. Im Nationalsozialismus wurden viele Ideen der Musikschulbewegung vorangetrieben, aber
DER ARBEITSMARKT DER MUSIKSCHULLEHRER/-INNEN | 61
auch ideologisiert.17 Nach dem Krieg wandelten sich die Musikschulen kontinuierlich zur »neuen« Musikschule. Die »Erfolgsstory« der 1970er und 1980er Jahre mit der Folge von über 1.000 Musikschulen im VdM ist bekannt. In Bezug auf die Verberuflichung des Musikschullehrers muss indes noch einmal auf das enorme Tempo und den kurzen Zeitraum, in dem sich diese Entwicklung abspielte, hingewiesen werden. Die »Zwei-Schwellen-Theorie«, welche in der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung eine wichtige Rolle spielt (vgl. Mertens 1982: 10 und Dostal 2005: 177-179), betrachtet den Übergang von schulischer Bildung in berufliche Ausbildung und denjenigen von beruflicher Ausbildung in das Arbeitsleben als zwei unabhängige Entscheidungen, die gesondert zu analysieren sind. Das ist in der Berufsforschung nicht unumstritten (vgl. Gembris/Langer 2005: 14-15), aber die Musikschullehrer scheinen ein Beispiel dafür darzustellen, dass eine solche Unterscheidung sinnvoll ist. Eine Untersuchung von Loritz stellte fest, dass 48 % der befragten Musikschullehrer als Grund zur Aufnahme eines Musikschullehrerstudiums das Motiv »Liebe zur Musik bzw. zum Instrument« angaben, gefolgt von einer empfundenen »Freude am eigenen Musizieren« (knapp 17 %) sowie einer vermuteten Begabung (14,2 %). Mit 13 % vergleichsweise wenige Nennungen fielen in die Kategorie »Freude am Unterricht«, in die Kategorie »Interesse an Pädagogik« gar nur 3,9 %. Weniger als die Hälfte, gerade mal 42,4 % der Antwortenden hatten den Beruf des Musikschullehrers ursprünglich als Studienziel gehabt. Es liegt der Schluss nahe, dass viele Musikschullehrer über den Wunsch nach einer Ausbildung und Laufbahn als Musiker in ihren Beruf »hineingeschlittert« sind und eine Identifikation mit diesem Beruf erst spät entwickelt haben. Dies wird durch die hohe Vermischung des Musikschullehrer-Berufs mit anderen Musikberufen noch verstärkt. So bezeichnet Abel-Struth (1985: 423) »Doppeltätigkeiten« noch vorsichtig als »recht zahlreich […]; man unterrichtet an einer Musikschule und hat zugleich einen privaten Schülerkreis.« Nach wie vor gibt es zahlreiche Orchestermusiker sowie private Musiker, welche als Nebenjob ein paar Stunden oder Nachmittage an einer Musikschule unterrichten, was gegenwärtig dadurch noch verstärkt wird, dass Festanstellungen oder gar Vollzeitstellen an Musikschulen immer seltener geworden sind und dass das Mischen verschiedener Jobs als Lebensgrundlage sich immer weiter verbreitet. 17 Die Musikschulideen waren vor allem in der Nachkriegszeit als nachträgliche Reaktion auf die Ideologisierung einem prinzipiellen Wandel unterworfen. Es wäre sinnvoll, den Entwicklungen und Diskussionen aus heutigem Kenntnisstand heraus nachzugehen.
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Hirsch/Gayer (2001: 51-54) beschreiben den Beruf des Musikschullehrers in einem Berufsleitbild (»Soll-Analyse«), bei dem fachlichdidaktische, methodische, diagnostische und metakognitive Kompetenzen im Kernbereich, planerische und organisatorische Kompetenzen im Bereich Schulmanagement sowie persönliche Eigenschaften, Erfahrungen und die Arbeitseinteilung im Individualbereich eingefordert werden. Bei ihrer »Ist-Analyse« kommen die Autoren dagegen zu dem Schluss, dass das »gegenwärtig bestehende Berufsbild des Musikschullehrers […] insgesamt als ›recht diffus und in wesentlichen Bereichen falsch« (Zitat Loritz bei Hirsch/Gayer 2001: 118) betrachtet werden kann. Dies wird sowohl auf das Selbstbild der Musikschullehrer18 hinsichtlich Berufsentscheidung und -praxis bezogen, als auch auf das Fremdbild, das bei weiten Teilen der Bevölkerung ein hohes Maß an Unkenntnis gegenüber der Situation der Musikschullehrer offenbart. Erklärt werden die Fehleinschätzungen des Selbstbildes mit stark unterschiedlichen Bedingungen und Schwerpunkten der jeweiligen Musikschullehrer sowie mit einer problematischen Zusammenführung eines harmonischen Bildes zwischen Künstler- und Lehrertypus (Hirsch/Gayer 2001: 108).
Professionalisierung Der Ausdruck Professionalisierung19 gehört zu den »großen« Begriffen, deren häufiger Gebrauch in unterschiedlichen Zusammenhängen eine Bedeutungsvielfalt bewirkt hat, die sich nicht mehr ohne Weiteres zu einer widerspruchsfreien Definition reduzieren lässt. In einem weiteren Sinne bedeutet er die Entwicklung einer privat oder ehrenamtlich ausgeübten Tätigkeit zu einem Beruf (entspricht: Verberuflichung). Haben die Musikschullehrer die dabei häufig verwendeten Kriterien durchlaufen? Ein Phasenmodell der Professionalisierung sieht wie folgt aus: • Der Job wird in Vollzeit geleistet; • es gibt eine Ausbildungsstätte; • es gibt einen Studiengang; 18 Loritz (1998: 415ff.) bezieht dies vor allem auf das Fremdbild. 19 Der Begriff Professionalisierung stammt vom in den USA favorisierten Begriff »profession« ab, was nur bedingt als für deutsche Berufsforschung adaptierbar gilt. Zur Diskussion um den Begriff vgl.: DOSTAL (2006: 8ff.). Auf Grund der Widersprüche der Begrifflichkeiten wird der Begriff und dessen weite Auslegung hier nur als ein Anhaltspunkt verwendet, der im Umgang mit neuen Berufen ohnehin keine absolute Gültigkeit beanspruchen kann.
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• • • •
ein lokaler Berufsverband entsteht; ein nationaler Berufsverband wird gegründet; staatliche Anerkennung; es entsteht ein berufsethischer Kodex.20
Hinsichtlich Ausbildungsstätte, Studiengang und staatlicher Anerkennung bestehen keine Zweifel. Die Frage nach der Arbeitstätigkeit in Vollzeit mündet in die Frage nach dem Normalarbeitsverhältnis. Dieses wird seit einiger Zeit kontrovers dahingehend diskutiert, ob es nun erodiert oder nicht. Häufig wird es definiert als ein Erwerbsverhältnis mit einem auf Dauer angelegten Arbeitsvertrag, vertraglich normiertem Lohn oder Gehalt, Sozialversicherungspflicht und einer Vollzeitbeschäftigung. Überträgt man dies auf die Musikschulen, stößt man auf die musikschulinterne Definition der »hauptamtlichen/hauptberuflichen und teilbeschäftigten Lehrkräfte«. In einer engen Auslegung des Begriffs Normalarbeitsverhältnis erreichen die Musikschullehrer heute einen Wert von 9,67 %, Tendenz sinkend. Zum Vergleich: Auf dem gesamten Arbeitsmarkt sank die Quote nach und nach auf 50 %. Aktuell mehren sich allerdings die Zeichen für eine allmähliche Erholung. In der weiteren, musikschulinternen Auslegung herrscht die Terminologie der »nicht vollbeschäftigten, aber hauptamtlichen/hauptberuflichen Lehrkräfte« vor. Hier war man 2005 bei etwas mehr als 30 %. Der Grad an beruflicher Organisation wird über den VdM gewährleistet. Doch vertritt der Verband vor allem die Interessen der Musikschulen über die Ebene der Leiter, ist also kein originärer Berufsverband, sondern eher einer der Arbeitgeber. Ein kleiner Teil der Musikschullehrer ist in der Gewerkschaft ver.di vertreten, aber ein eigener Verband existiert nach wie vor nicht.21 Im Vergleich mit anderen Berufsgruppen wird dies deutlich: So haben z.B. die Lehrer an den öffentlichen Schulen in Deutschland zahlreiche Verbände geschaffen.22 Die Schulmusiker in Deutschland haben allein 20 Wilensky 1964, zitiert nach Dostal 2006/11. 21 Die Vertretung der Musikschullehrer über den Deutschen Tonkünstlerverband macht lediglich deutlich, wie eng die Berufe der Instrumentalpädagogen – entgegen einer eigenen Verberuflichung der Musikschullehrer – miteinander verflochten sind. 22 So versteht sich der Deutsche Lehrerverband als eine »Lehrerorganisation außerhalb der Gewerkschaften des Deutschen Gewerkschaftsbundes«, welche die »Dachorganisation von 160.000 Lehrern ist, die in
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mehrere Verbände; darüber hinaus gibt es den »Verband der Musiktherapeuten«, den »Verband der Gesangspädagogen in Deutschland«, die »Deutsche Orchestervereinigung« und andere mehr. Dies sind in der Regel Berufsverbände, in denen die Berufshierarchien nicht in den Verband hinein transportiert werden. Es bleibt die Frage, warum die Musikschullehrer bisher keine derartige Organisation geschaffen haben. Grundsätzlich bedeutet eine neue Verberuflichung auch eine klare Unterscheidung zum vorherigen Zustand, eine Unterscheidung zu den Berufen, aus denen der neue hervorging sowie ein tiefer gehendes, gesellschaftliches Bedürfnis nach Ausdifferenzierung dieses Berufes. Ein wirklich deutlicher Unterschied zu den privaten Musiklehrern kann aber durchaus angezweifelt werden, weil • ein Großteil der Musikschullehrer auch privat unterrichtet, also das Gleiche leistet; • die angezeigten, noch schwachen Daten das zahlenmäßige Aufholen privater Musiklehrer verdeutlichen. Abel-Struth (1985: 423) sah im Unterschied zu Loritz23 bereits 1985 ein starkes Maß an Übereinstimmung: »Nach ursprünglicher Distanz zwischen privaten Musiklehrern und ihren Kollegen an Musikschulen, die sich bis zu konkurrierenden Ideologien steigerte, hat sich vor allem in den vergangenen beiden Jahrzehnten zunehmend eine Annäherung vollzogen. Sie hat pragmatische Hintergründe; denn die Lehrer an Musikschulen können, dank institutioneller Sicherungen und öffentlicher Bezuschussung ihrer Institutionen, mit mehr sozialer Sicherheit rechnen als die allein ihr ›Gewerbe‹ betreibenden Privat-Musiklehrer. […] Von der Ausbildung her gesehen ist die Gruppe dieser Musiklehrer letztlich homogen geblieben; alle werden durch das Studium auf eine instrumentale Unterrichtstätigkeit außerhalb der allgemeinbildenden Schule, deren Musikunterricht ergänzend und spezialisierend, vorbereitet.«
Bundesverbänden organisiert sind«, z.B. Deutscher Philologenverband, Verband Deutscher Realschullehrer etc. (www.lehrerverband.de). 23 »Kann man nun beim Musikschullehrer von einem voll professionalisierten, eigenständigen Beruf sprechen? Ich würde vorsichtig mit ja antworten, wenn es auch noch viele offene Fragen gibt und nach wie vor viele Einschränkungen zu machen sind.« (Loritz 1999)
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B e s o n d e r h e i t e n d e s Ar b e i t s m a r k t e s für Musikschulen Der Aspekt »Besonderheiten« berührt Vergleichsmomente zwischen den Musikschullehrern und anderen Berufen, die auf statistisch größeren Ebenen stattfinden. In »Arbeitsmärkte für Künstler und Publizisten – Modelle einer zukünftigen Arbeitswelt?« (1999)24 geben Haak/Schmid als Besonderheiten der Künstlerarbeitsmärkte eine geringe Beschäftigungssicherheit, hohe Qualifikation und Bildung, niedrig bezahlte Dienstleistung, steigende Tendenz von Einkommensrisiken und Ungleichheit, zunehmende Bedeutung des privatwirtschaftlichen Sektors und ein innovatives Risikomanagement an. Das Abgleichen dieser Punkte erlaubt neben relevanten Informationen über den Arbeitsmarkt Musikschule auch einen Vergleich mit den beschriebenen Arbeitsmärkten für Künstler und Publizisten. Das Maß der Beschäftigungssicherheit sinkt selbstverständlich mit der Zunahme von Honorarverträgen. Diese sind ihrer Natur nach befristet und damit ist ihre jeweilige Verlängerung zum neuen Schuljahresbeginn eben nicht gewährleistet. Gerade die Schwäche dieser Vertragsform lässt die ohnehin »billigeren« Honorarkräfte auch in Krisenzeiten erzittern: Sie sind am einfachsten zu kündigen. Ein weiteres Moment sind die verbreiteten Änderungskündigungen: An vielen Musikschulen werden die Verträge alljährlich oder halbjährlich nach der aktuellen Schülerzahl, der Nachfrage also, neu bewertet. Im Falle negativer Modeerscheinungen (man unterrichtet ein unmodernes Instrument; es bildet sich eine billigere Konkurrenz vor Ort) kann dies schnell soziale Auswirkungen auch auf vermeintlich solide Vertragsverhältnisse haben. Dennoch scheint bei den Musikschullehrern wie bei den Künstlern und Publizisten eine relativ geringe Fluktuation vorzuliegen, obwohl die Aufstiegschancen auch im Optimalfall gering bleiben. Als »Gründe für die Akzeptanz der Unsicherheiten auf diesen [Künstler-] Arbeitsmärkten« führen Haak/Schmid (1999: 18) »Faktoren wie Kompetenzerwerb durch Diversifikation der Tätigkeiten und die damit verbundene Steigerung des Marktwerts im Zeitverlauf oder Selbstbestimmtheit der
24 Eine arbeitspolitisch-soziale Querschnittsanalyse des Wissenschaftlichen Zentrums Berlins, deren Kernfrage ist, »inwieweit Arbeitsmärkte der Künstler und Publizisten zukunftsweisend für Beschäftigungssysteme sein können« (Haak/Schmidt 1999: Zusammenfassung), und dies vor allem in Hinblick auf die Fähigkeiten dieser Gruppe, mit zunehmenden Unsicherheiten und widrigen Verhältnissen umzugehen.
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Arbeit und der Arbeitszeiten ohne Rücksichtnahme auf Hierarchien und Unternehmen« an. Die Tätigkeit als Musikschullehrer setzt die Qualifikation über ein abgeschlossenes Musikstudium voraus. Obwohl es hier auch Ausnahmen gibt, dürfte die Quote von Akademikern diejenige des Bundesdurchschnitts aller Erwerbstätigen (15 %) weit und diejenige der erwerbstätigen Künstler mit Universitätsabschluss deutlich übersteigen. Haak/Schmid (1999: 19) bemerken hierzu: »Da es sich bei den Berufen im Kultur- und Medienbereich um sehr wissensintensive Tätigkeitsfelder handelt und es sich bei vielen nicht mehr um Berufe im klassischen Sinne handelt, sondern die Qualifikationen durch Volontariate, in Praktika oder on-the-job erworben werden, verschwinden traditionelle Berufsbilder allmählich und Qualifikation gewinnt zunehmend an Bedeutung.«
Betrachtet man z.B. die Entwicklungen des Konzeptes »Musikschule 2000« an den Musikschulen in Nordrhein-Westfalen, so kann man diese Einschätzung bequem auf die Musikschulen übertragen, ja es erscheint sogar, als ob durch das Erwerben einer großen Zahl von Kompetenzen künstlerischer als auch pädagogischer Art ein besonders hohes Qualifikationsniveau als »Soll-Berufsleitbild« zum Standard werden könnte. Die Einkommensrisiken zahlreicher Musikschullehrer liegen auf Grund der hohen Zahl von Honorarverträgen, der seltenen Vollzeitstellen sowie der Übung der Änderungskündigungen auf der Hand. So kann man hier ein hohes Maß an Ungleichheit, ja sogar einen schwelenden Generationenkonflikt innerhalb der Musikschulen feststellen.25 Die Einkommensrisiken korrespondieren dabei mit den Beschäftigungsrisiken. Auslaufende Honorarverträge, welche vom Wohlwollen der Schulleitung, aber auch von der Schülersituation fest angestellter Kollegen oder dem Verbleib einzelner Schüler abhängig sind, können eine starke Belastung darstellen. Da sich die Situation an den öffentlichen Musikschulen für viele, vor allem jüngere Musiker perspektivlos darstellt, erscheint das Aufblühen der privaten »Konkurrenz« als logisch und zwingend. Die Zahlen der Künstlersozialkasse wie auch des Tonkünstlerverbandes sowie die Messungen des Mikrozensus lassen ein Anwachsen privater Musikschulen und der Zahl privater Musiklehrer vermuten. Es handelt sich dabei aber
25 Auch diese Thematik kann einen lähmenden Effekt haben. Sind auf der einen Seite innerhalb einer »zu kurz« gekommenen jüngeren Generation oder bei Privatmusiklehrern Ressentiments zu spüren, die verständlich wirken, so sind andererseits Phänomene wie eine schlechte Stellensituation grundsätzlich nichts Ungewöhnliches.
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um eine Konkurrenz besonderer Art, welche das Vertrauen in den Sinn der öffentlichen Musikschulen zu untergraben droht. Aus Sicht der öffentlichen Musikschulen ist es eine Konkurrenz, die die Legitimation langfristig gefährdet.26 Dies wird durch das Risiko des Marktgedankens untermauert: Ursprünglich gegen den Markt gegründet, soll nun die Teilnahme am Markt und die Aufnahme des Marktdenkens geschehen. Die Argumente für die öffentliche Unterstützung von Musikschulen (Möglichkeiten zum kostenlosen Ensemblespiel, langfristige Betreuung) erscheinen durch weitere Sparmaßnahmen immer dünner. Ein Teufelskreis tut sich auf. Das »innovative Risikomanagement« wird von Haak/Schmid als besonderes Kennzeichen der Arbeitsmärkte von Künstlern und Publizisten angesehen. Mag dies zunächst als »zynisch« im Verhältnis von Ausdrucksweise (»innovatives Risikomanagement«) und realen, ungesicherten Lebensumständen erscheinen, so wird es – gerecht oder nicht – gerade in Zukunft immer wichtiger werden, sich auch im Musikschulbereich hiermit auseinander zu setzen. Dabei spielen die häufig beklagten Mischverhältnisse der Musikerberufe die »positive« Rolle eines Sicherheitsankers, schaffen die Netzwerke ein wenigstens subjektives Moment an Sicherheit und dient die hohe Qualifikation – wenn schon nicht als Grundstein für eine große Karriere – als eine »Funktion der Versicherung gegen hohe Einkommensrisiken« (Haak/Schmid 1999: 19).
Z u s a m m e n f a s s u n g u n d Au s b l i c k Das Ziel dieses Textes sind Aussagen über den Arbeitsmarkt der Musikschullehrer auf wissenschaftlicher Basis, welche Diskussionen anregen und etwaige Verbesserungen ermöglichen sollen. Die Datensituation ist insgesamt nicht befriedigend. Der VdM muss sich prinzipiell überlegen, was er über seine eigenen Lehrer erfahren will und ob er Verbindungen zu anderen Berufen und leistungsfähige Vergleiche ermöglichen will. Dieser Text versteht sich als ein Votum dafür, hier mehr zu leisten. Die Relation zu vermutender, realistischerer Zahlen der Musikschullehrer zu dem Anstieg der Zahlen privat arbeitender »Lehrer für musische Fächer« verändert das Bild der bisher suggerierten Größenverhältnisse. 26 Wenngleich der VdM seit mehreren Jahren dagegenhält: »Obgleich von ›Privatisierung öffentlicher Aufgaben‹ vermehrt die Rede ist, kann derzeit durchaus noch keine Tendenz für Musikschulen abgeleitet werden« (VdM 2005: 11, ebenso in den Vorjahresstatistiken).
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Aussagen über den Arbeitsmarkt der Musikschullehrer sind somit immer auch Aussagen über alle Instrumentalpädagogen in Deutschland, was auf dieser Ebene eine neue Rezeption nahe legt. Die nicht mehr auflösbare Paradoxie besteht dabei nicht in der geringen Aufnahme der jungen Generation gut ausgebildeter Absolventen, sie besteht auch nicht in zahllosen Gerechtigkeitsdefiziten: Sie besteht darin, dass sehr viele der Lehrer an VdM-Musikschulen selbst simultan im privaten Bereich tätig sind. Insofern relativiert sich aus dieser Perspektive die Frage nach den Unterschieden zu den privaten Musikschulen bereits, bevor sie überhaupt gestellt wird. Die Reduzierung der Begrifflichkeit auf »private Anbieter« (z.B. Göschel 2006: 5) – oder im ›Telekomdeutsch‹: Fremdanbieter – bringt auf beruflicher Ebene einen Scheingegensatz hervor, der politisch zweckdienlich sein mag, aber von der Realität am Arbeitsmarkt nicht getragen wird. Die Frage nach dem Weg der Musikschullehrer auf den Arbeitsmarkt ist relevant für alle, die sich mit diesem Gedanken tragen. Wichtiger als bisherige Perspektiven erscheinen dabei zukünftige Entwicklungen im Zusammenhang mit den öffentlichen Schulen. Deren Wandel – und dies im Kontext mit aktuellen wissenschaftlichen Studien – bringt die Instrumentalpädagogik in eine interessante Position. Es könnte sein, dass über diesen Weg deutlich mehr Kinder und Jugendliche erreicht würden. Dies hätte auch zur Folge, dass – neben der Hoffnung auf mehr und bessere Beschäftigungsverhältnisse – durch andere Unterrichtsformen wie dem Klassenunterricht sich ein eigenes Berufsbild deutlicher ausprägen könnte. Die Trennschärfe hinsichtlich des eigenen Berufsbildes ist trotz der Themenvielfalt nicht gegeben, es gibt zu viele Lehrer, die auch erfolgreich Gruppenunterricht, Klassenunterricht, Früherziehung u.a. auf privater Basis geben und erfolgreich geben könnten. Eine Trennschärfe wäre nur über eben jene Themenvielfalt und nur auf der Ebene der gesamten Organisation Musikschule erreichbar, auf der beruflichen Ebene der Lehrer wären diese selbst innerhalb der Musikschulen zu unterschiedlich. Der Begriff von Professionalisierung deutet auf viele Entwicklungsmöglichkeiten hin. Dennoch muss darauf verwiesen werden, dass Professionalisierung als ein zeitintensiver, sozialevolutionärer Vorgang keiner unmittelbaren Steuerung unterliegt. Das verhindert die modellhafte Vorstellung einer Professionalisierung nach Rezept oder ›nach Rechenschieber‹. Die aktuellen Hoffnungen liegen auf einer Besserung der wirtschaftlichen Situation sowie auf der erfolgreichen Kooperation mit den allgemein bildenden Schulen.
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Ein Prognosemodell müsste sehr viele Faktoren, Unwägbarkeiten und Kontingenzen berücksichtigen und sehr im Allgemeinen verharren. Stattdessen seien drei Thesen zur Diskussion gestellt: 1. Es existiert eine Hierarchie innerhalb der Musikerberufe zu Ungunsten der Musikpädagogik. Im Sinne heutiger wissenschaftlicher Studien27, welche der Musikpädagogik und der Instrumentalpädagogik einen deutlichen Antrieb geben könnten, wirkt diese Hierarchie nicht mehr zeitgemäß. Das Heranwachsen, Lernen und Erleben künftiger Schülergenerationen müsste noch stärker in den beruflichen Mittelpunkt gestellt werden. 2. Der Arbeitsmarkt der Musikschullehrer, dessen Interdependenzen zu benachbarten Berufsgruppen stärker thematisiert (und nicht dethematisiert) werden sollten, entwickelt sich paradoxerweise im selbstständigen Bereich weiter. Ob die allgemeine Besorgnis gegenüber erkennbaren Veränderungen realistisch ist, hängt von vielen komplizierten Faktoren ab, etwa der Entwicklung der Gehaltsstrukturen insgesamt, dem Stellenwert der Musikpädagogik gegenüber anderen Schulfächern und dem Grad politischer Handlungsfreiheit. 3. Die Ausdifferenzierung eines Berufs ist ein sehr langatmiges Verfahren. Blickt man ein paar Jahrzehnte zurück, sieht man ein großes Wachstum und eine rasche Zunahme an thematischer Vielfalt bei den Musikschulen. Die weitere Entwicklung sollte in Maßnahmen wie fortgesetzter Professionalisierung der Musikschullehrer, verbesserter Kommunikation, Verbesserung der Eigenwirtschaftlichkeit, Erwerben von Managementkompetenzen in jedem Falle energisch vorangetrieben werden, egal wie der weitere Verlauf in welchen Zeitintervallen und in welcher Region nun auch sein mag.
Literatur Abel-Struth, Sigrid (1985): Grundriß der Musikpädagogik, Mainz. Dinslage, Patrick (2006): »Berufliche Musikausbildung in Deutschland«. In: www.miz.org/static/themenportale/einfuehrungstexte_pdf/01_Bildung Ausbildung/dinslage.pdf (10.01.2007). Dostal, Werner (2005): Berufsforschung. Beiträge zur Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Band 296, Nürnberg. Dostal, Werner (2006): Berufsgenese. Beiträge zur Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Band 302, Nürnberg.
27 V.a. in den Bereichen Entwicklungspsychologie oder Neurophysiologie.
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Empfehlungen der Expertenkommission Musikhochschullandschaft Bayern: »März 2006«. In: www.stmwfk.bayern.de/downloads/hs_musik hochschulempfehlungen.pdf (10.01.2007). Fohrbeck, Karla/Wiesand, Andreas Johannes (1975): Der KünstlerReport. Musikschaffende, Darsteller, Realisatoren, Bildende Künstler, Designer, München/Wien. Gembris, Heiner/Langner, Daina (2005): Von der Musikhochschule auf den Arbeitsmarkt. Erfahrungen von Absolventen, Arbeitsmarktexperten und Hochschullehrern, Augsburg. Göschel, Albrecht (2006): Die Musikschule als Realität und Utopie. Eröffnungsvortrag zur Hauptarbeitstagung des VdM am 12. Mai 2006 in Aschaffenburg. Haak, Caroll/Schmidt, Günther (1999): »Arbeitsmärkte für Künstler und Publizisten. Modelle einer zukünftigen Arbeitswelt?« In: http://skylla.wzberlin.de/pdf/1999/p99-506.pdf (10.01.2007). Hirsch & Gayer Consulting (2001): Optimierungsansätze zur Umsetzung der Leitlinien von Musikschule 2000 in den Musikschulen des Landes NRW, Düsseldorf. Loritz, Martin D. (1997): »Musikalische und pädagogische Biographien von Musikschullehrern in Bayern. Einige Ergebnisse einer schriftlichen Befragung«. In: Rudolf-Dieter Kraemer (Hg.) (1997): Musikpädagogische Biographieforschung. Fachgeschichte – Zeitgeschichte – Lebensgeschichte. In: Musikpädagogische Forschung, Band 18, Essen. Loritz, Martin D. (1998): Berufsbild und Berufsbewusstsein der hauptamtlichen Musikschullehrer in Bayern. Studie zur Professionalisierung und zur aktuellen Situation des Berufs des Musikschullehrers, Augsburg. Loritz, Martin (1999): »Mehr als nur Unterricht. Das aktuelle Berufsbild des Musikschullehrers«. In: www.musikschulen.de/seiten/projekte/mk/ mk99/MKplan08.htm (10.01.2007). Mertens, Dieter (Hg.) (1982): Konzepte der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. Eine Forschungsinventur des IAB, BeitrAB 70, Nürnberg. Verband deutscher Musikschulen (2006): Musikschulen stehen für Qualität (Broschüre), Bonn. Wilensky, Harold L. (1964): »The professionalization of everyone?« In: The American Journal of Sociology, Vol. 70, No. 2, S. 37-158. Wyrwoll, Regina (Hg.) (2005): Kulturforschung als Kulturschaffen. Festschrift zum 60.Geburtstag von Andreas Wiesand, Bonn.
Musikschulleitung zw isc he n Kunst und Ma na ge me nt. Ne ue Anforderungs profile MICHAEL EBERHARDT
Zahlreiche Leitungskräfte öffentlich geförderter Musikschulen bemerken eine wachsende Diskrepanz zwischen den tatsächlichen Anforderungen und der von ihnen vornehmlich in die Tätigkeit eingebrachten Vorbildung als Musiker bzw. Musikpädagogen. Immer häufiger treten in Verbindung mit deren Anforderungsprofilen Begriffe wie Management und Marketing in den Vordergrund. Diese Entwicklung wirft nicht nur für die in der Verantwortung stehenden Musikschulleiter1, sondern auch für die Träger, Dachverbände und Hochschulen grundlegende Fragen bzgl. des eigenen Selbstverständnisses, der Wahrnehmung des Umfeldes sowie einer angemessen Reaktion auf die veränderten Rahmenbedingungen auf.2
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Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Folgenden lediglich die männliche Berufsbezeichnung verwendet, sie schließt immer die weibliche Form mit ein. Die folgenden Ausführungen basieren in weiten Teilen auf einer im Jahr 2003 erstellten Masterarbeit im Fach Kulturmanagement. Stichprobenartige Überprüfungen bestätigen die Aktualität der darin getroffenen Feststellungen.
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1. Berufsbild »Musikschulleiter« Rückblick Um diese offensichtliche Diskrepanz im Berufsbild »Musikschulleitung« zu veranschaulichen, ist ein Blick auf die Vorläufer heutiger Musikschulstrukturen notwendig. Bereits in den 1920er Jahren kristallisierte sich die Empfehlung heraus, Musikschulleitern nahe zu legen, die staatliche Musiklehrerprüfung abzulegen bzw. eine staatliche Anerkennung zu erlangen (Scheytt 1989: 64). Und zu Zeiten der Musikschulneuordnung nach 1945 wurde Mitte der 1950er Jahre eine Denkschrift des Verbandes der Jugend- und Volksmusikschulen e.V.3 herausgegeben, die basierend auf den Erfahrungswerten der davor liegenden drei Jahre seit Verbandsgründung bezüglich der Qualifikation eines Leiters folgende Festlegungen zum Inhalt hatte: »a) Der Leiter muss eine abgeschlossene Fachausbildung in Volks- oder Jugendmusik nachweisen. Das geschieht durch Ablegen einer der nachfolgenden genannten Prüfungen: Staatl. Prüfung für Privatmusiklehrer mit Hauptfach ›Jugend- und Volksmusik‹, Abschlussprüfung nach einem mindestens viersemestrigen Studium an einem Seminar für Volks- und Jugendmusik. b) Unerlässliche Vorraussetzungen für die Eignung als Leiter sind: Vielseitigkeit im Fachbereich; in praktischer Arbeit erwogene Erfahrungen im musischen und menschlichen Umgang mit der Jugend und in der Leitung von Musiziergemeinschaften; Vertrautheit mit den neuzeitlichen Lehrverfahren, mit den Grundlagen der Methodik der Singschulung und der Instrumentalerziehung; Einfühlungsgabe für die Erfordernisse lebendigen Jugendmusizierens; Verständnis für Verwaltungsfragen; überlegene organisatorische Begabung und Verhandlungsgeschick; eine sichere und glückliche Hand für die Auswahl und die Führung der Mitarbeiter. c) Hat ein Leiter ein anderes wie unter a) aufgeführtes musikpädagogigsches Examen abgelegt z.B. als Anwärter für das künstlerische Lehramt – Musik – an höheren Schulen, als Realschullehrer mit dem Hauptfach Musik, als Volksschullehrer mit dem Wahlfach Musik, die PMP [Privatmusikpädagogikprüfung, Anm. d. Verf.] in einem Instrumental- oder theoretischen Fach, Kirchenmusikexamen A oder B und erfüllt er die unter b), genannten Vorraussetzungen, so kann in der Übergangszeit eine gleichwertige praktische und
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Der »Verband der Jugend- und Volksmusikschulen e.V.« war der Vorgänger des Verbandes deutscher Musikschulen (VdM); die Namensänderung wurde 1966 vollzogen.
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pädagogische Betätigung auf musikerzieherischem Gebiet als Nachweis seiner fachkundlichen Eignung anerkannt werden.« (Hemming 1977: 214)
Auch der Deutsche Musikrat sah sich in der Verantwortung und gab im Jahr 1966 im Plan zum Ausbau der Musikschulen in der Bundesrepublik Deutschland eine Empfehlung für zukünftige Einstellungen heraus: »Für neu einzurichtende Musikschulen sollte von vornherein die Anstellung eines hauptamtlichen Leiters ins Auge gefasst werden, da von seiner Wirksamkeit die Entwicklung der Schule entscheidend abhängt. […] Der Leiter einer Musikschule muss eine abgeschlossene musikalisch-pädagogische Fachausbildung, in der Regel ein abgeschlossenes Studium, nachweisen. Er soll über Erfahrungen in der Musikerziehung verfügen, organisatorisches Geschick und Verständnis für Verwaltungsfragen besitzen.« (Hemming 1977: 278)
Die »Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung« (KGSt) kommt in ihrem 1978 über Musikschulen erstellten Gutachten zu einer beinahe gleich lautenden Beurteilung. Das Gutachten verweist lediglich auf einen größeren Anteil an Erfahrungswerten, indem es als Voraussetzung für eine Musikschulleitertätigkeit einen Nachweis für eine mehrjährige Praxis als Musikerzieher an einer Musikschule für erforderlich hält (Wucher 1994: 303). Mit den bis heute gültigen Empfehlungen des Verbands deutscher Musikschulen (VdM) zum Beschäftigungsverhältnis von Musikschulleitern aus dem Jahre 19894 ist der Ausgangspunkt wieder erreicht. Sie stimmen in ihrem Kern mit den bereits aufgeführten Aussagen überein, weisen jedoch gegenüber der Erstfassung von 1955 Zugeständnisse bezüglich der Billigung von Ausnahmen bzw. vergleichbarer Voraussetzungen auf und beinhalten nicht mehr nur die Abfrage nach dem Verständnis für Verwaltungsangelegenheiten, sondern bereits die Erbringung eines Nachweises für deren Bewältigung: »Der Leiter einer Musikschule muss eine abgeschlossene musikalisch-pädagogische Fachausbildung, in der Regel ein abgeschlossenes Studium, nachweisen. Darüber hinaus soll er sich für die Leitungsaufgabe zusätzliche pädagogische und verwaltungsmäßige Fähigkeiten erworben haben und diese nachweisen können. Bei Ausnahmen von diesen Regelungen sind vergleichbar strenge Maßstäbe anzulegen.« (Wucher 1994: 524)
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Hierzu ergänzend die Hinweise zum Beschäftigungsverhältnis von Musikschulleitern des VdM aus dem Jahr 1997, die jedoch keine Veränderung aufzeigen; vgl. auch www.musikschulen.de/intern/index.php?Sess ID=e465t15aoe (15.11.2006).
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Dies bedeutet aber, dass im Zeitraum von mehr als 50 Jahren keine grundlegenden Änderungen der Einstellungskriterien von Musikschulleitern in Erwägung gezogen bzw. durchgeführt wurden.
Aufgabenstellung Einstellungskriterien sind im Regelfall die Konsequenz aus einer konkreten Aufgabenstellung und den für diese Tätigkeit notwendigen Mindestanforderungen. Deswegen soll zunächst der gängige Aufgabenbereich eines Musikschulleiters näher untersucht werden. Ausschlaggebend ist hierfür üblicherweise die vom jeweiligen Träger erstellte Satzung, die sich wiederum stark an den Vorgaben des VdM anlehnt. Für Musikschulen, die nach 1978 gegründet wurden, spielen auch die Bewertungen des KGSt-Gutachtens eine Rolle, das sich sehr ausführlich zu sämtlichen Führungspositionen innerhalb des Musikschulbereichs äußert. In einer Zusammenfassung der wesentlichen Merkmale ergibt sich daraus folgendes Bild:5 Die Musikschulleitung beinhaltet: a) im organisatorischen Bereich • Festsetzung und Koordinierung der Arbeits- und Stundenpläne; • Stundenpläne abstimmen und Leistungsnachweise überprüfen; • Unterbreitung von Vorschlägen für die Auswahl, Einstellung und Verpflichtung von Lehrkräften; • Öffentlichkeitsarbeit, Bildungswerbung und Pflege der Kontakte zu den Eltern und den musikalischen Vereinen der Verbandsmitglieder; • Organisation und Abrechnung der Lehrveranstaltungen; • musikalischer Ausbau und Weiterentwicklung der Musikschule; • Aufstellung von Statistiken, Analysen und Planungen als aussagekräftige Entscheidungsgrundlagen; • Zusammenarbeit im örtlichen und überörtlichen Bereich mit Vertretern anderer kommunaler Einrichtungen und kultureller Organisationen; • Ermittlung des Personal-, Finanz-, Sach- und Raumbedarfs für die Durchführung des Unterrichtsangebots. 5
Vgl. Wucher 1994: 293 und die Satzungen folgender Musikschulen: Musikschule der Samtgemeinde Land Wursten (Dorum), Musikschule der Stadt Langefeld, Musikschule der Bundesstadt Bonn, Musikschule Neckargemünd e.V., Städtische Sing- und Musikschule Kaufbeuren, Musikschule Holzminden, Sing- und Musikschule Freising, Musikschule der Stadt Neu-Ulm sowie Musikschule Iller-Weihung.
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b) im pädagogischen Bereich • Aufsicht über die Lehrkräfte; • Beaufsichtigung von Lehr- und Unterrichtsveranstaltungen; • Einarbeitung und Fortbildung der Lehrkräfte; • pädagogische Auswertung von Statistiken und Analysen; • musikpädagogische Forschung und Entwicklung zur Förderung der Qualität der Musikschule; • Pflege der fachlichen Beziehungen zu benachbarten Musikschulen und zu den überörtlichen Stellen und Einrichtungen der Musikerziehung; • fachliche Dienstbesprechungen in Form von Lehrerkonferenzen; • mittel- und langfristige Planung des Unterrichtsangebotes und Umsetzung pädagogischer Leitlinien; • Koordinierung der Einstellung von haupt- und nebenberuflichen Mitarbeitern. c) im übergreifenden Bereich künftige Entwicklungen und Veränderungen betreffs des Aufgabenbestandes, Personalbedarfs, der Arbeitsweisen und des Verhaltens der Mitarbeiter erkennen; • pädagogische und organisatorische Planung des Unterrichtsprogramms.
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Hinzu kommen generelle Führungsaufgaben im administrativen Bereich wie die Anwendung von Unterschriftsvollmachten oder die Teilnahme an diversen Fachausschüssen und als einer der Kernpunkte ein Lehrauftrag, dessen Umfang von der Größe der Einrichtung abhängt. Je größer die Musikschule und der daraus resultierende organisatorische Aufwand, desto geringer ist das zu leistende Unterrichtsdeputat. Zur Führungsebene einer Musikschule zählen im Übrigen auch Lehrkräfte in der Position eines stellvertretenden Musikschulleiters, eines Fachbereichs-, Bezirksoder Zweigstellenleiters. Deren Aufgabenbereich ergibt sich aus den jeweils spezifischen Fachkenntnissen und den tatsächlichen Erfordernissen vor Ort. Sie stehen gemeinhin dem Musikschulleiter zur Erfüllung der oben angeführten Aufgaben zu Seite.
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Praxiserkenntnisse Aus Stellenausschreibungen wird ersichtlich, dass neben pädagogischem und organisatorischem Sachverstand die musikalische Kompetenz eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt. Der Musikschulleiter in seiner Funktion als künstlerischer Leiter, als ausübender Künstler und/oder als Konzertunternehmer ist ausdrücklich erwünscht. Exemplarisch seien hier drei Auszüge aus Stellenausschreibungen der Jahre 2002 bis 2006 aufgeführt, in denen dies anschaulich zu Tage tritt (Hervorhebungen durch den Verf.): Die Stadt Braunschweig (ca. 240.000 Einwohner) sucht zum nächstmöglichen Zeitpunkt für die städtische Musikschule eine/einen Schulleiterin/Schulleiter Von den Bewerberinnen/Bewerbern werden insbesondere erwartet: • eine erfolgreich abgeschlossene Ausbildung in den Bereichen Musikpädagogik, Künstlerische Ausbildung und Musikschulmanagement • mehrjährige Führungserfahrung in der Leitung und Verwaltung einer Musikschule • Übernahme eines Unterrichtsdeputats • Überdurchschnittliche Einsatzbereitschaft und hohe Belastbarkeit • Betriebswirtschaftliche Fähigkeiten (Quelle: Neue Musikzeitung [nmz], Ausgabe 12/02-1/03)
Für die Musikschule in Ismaning bei München, ca. 25 Lehrer, 350 Wochenstunden, eigenes Schulgebäude suchen wir zum 1. September 2002 oder später eine/n Schulleiter/in. Eventuell kann auch die Betreuung der Konzertreihe der Gemeinde übernommen werden. Wir erwarten eine musikpädagogisch qualifizierte Führungspersönlichkeit […]. (Quelle: nmz, Ausgabe 6/02)
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Stadtjugendmusik- und Kunstschule Winnenden Zum 1. September 2007 ist die Stelle der/des Schulleiterin/Schulleiters zu besetzen, da der Stelleninhaber in den Ruhestand geht. Wir erwarten: • Abgeschlossene musikalisch-pädagogische Ausbildung in einem instrumentalen Hauptfach mit beliebigem Zusatzfach oder vergleichbare Ausbildung (Schulmusik) • Befähigung zur Orchesterleitung in allen Ausbildungsstufen, Vertrautheit mit der elementaren Musikerziehung, Kenntnisse von der Kunsterziehung • Erfahrung in der Leitung einer Musikschule, eines Fachbereichs oder einer vergleichbaren Einrichtung und/oder erfolgreicher Abschluss des VdM-Lehrgangs »Führung und Leitung einer Musikschule« • Kompetenz in den Bereichen Kulturmanagement, Marketing und Öffentlichkeitsarbeit • Vertrautheit mit Verwaltungsabläufen, Haushalts- und Rechnungswesen sowie die Fähigkeit, wirtschaftlich zu denken und zu handeln. (Quelle: nmz, Ausgabe 11/06) Die Nachfrage nach den künstlerischen Qualitäten ist nachvollziehbar, weist doch die Statistik des VdM jährlich an die 80.000 öffentliche Musikschulveranstaltungen auf (VdM 2006: 136). Die Bandbreite dieser Veranstaltungen reicht u.a. von internen Klassenvorspielen, öffentlichen Schülervorspielen, Schülerkonzerten, Lehrerkonzerten, Ensembleaufführungen, Aktionstagen, Tagen der offenen Tür bis hin zu Chorkonzerten, Orchesterkonzerten und Musiktheaterproduktionen. In vielen dieser Aufführungen ist der Musikschulleiter nicht nur organisatorisch eingebunden, sondern muss immer wieder auch seine eigene musikalische Kompetenz als aktiv mitwirkender Künstler unter Beweis stellen. Ebenfalls gefragt ist sein musisches Fachwissen, wenn es um die Darstellung der Institution Musikschule bei repräsentativen außerschulischen Veranstaltungen oder privatwirtschaftlichen Anlässen geht. Daran ist zu erkennen, dass die Musikschule eben nicht nur als Bildungseinrichtung in Erscheinung tritt, sondern mit ihren musikpraktischen Anstrengungen wesentlich zum kulturellen Leben einer Gemeinde, Stadt oder Region beiträgt. In strukturschwachen Gebieten stellt mitunter die Musikschule die einzige profes-
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sionell agierende Kultureinrichtung dar. Die sich daraus ergebende musikalische Verantwortung ist erheblich und kann nur von entsprechend qualifiziertem Personal übernommen werden. Die angeführten Beispiele zeigen allerdings auch, dass dem Aspekt der zielgerichteten Unternehmensführung von Seiten des Arbeitgebers eine erhebliche Bedeutung zugemessen wird. Es finden sich deutliche Abfragen nach den Managementqualitäten des zukünftigen Amtsinhabers, im Falle der Schulleiterauschreibung der Stadt Braunschweig wird sogar explizit ein Abschluss im Fach Musikschulmanagement gefordert. Erstaunlicherweise wird hier eine Qualifikation abverlangt, die es in dieser Form noch gar nicht gibt. Die Beispiele im Bezug auf die Managementfrage sind aber keine Einzelfälle. So taucht mittlerweile in mindestens jeder dritten Stellenausschreibung das Wort »Management« auf, und auch bei den meisten anderweitigen Offerten werden zumindest Teilanforderungen aus dem Managementbereich beschrieben.6
2. Veränderte Rahmenbedingungen Politische Weichenstellungen Die 1970er und 1980er Jahre waren geprägt von einer kultur- und bildungspolitischen Aufbruchstimmung, in deren Verlauf nahezu 500 Musikschul-Neugründungen zu verzeichnen waren. 1990 führte der VdM 778 angeschlossene Musikschulen in seiner Jahresbilanz auf. Im Zuge der Wiedervereinigung traten zahlreiche Musikschulen in Ostdeutschland bei. Dadurch erreichte der Verband einen einmaligen Höchststand von über 1.000 Mitgliedern (VdM 2006: 129). Die Solidarität mit den neuen Bundesländern erforderte zusätzlich zum Länderfinanzausgleich gesonderte finanzielle Kraftanstrengungen. Erhebliche Geldmittel für Ausgleichszahlungen mussten bereitgestellt 6
Die derzeit noch gültigen Eingruppierungsempfehlungen für Musikschulleiter konterkarieren allerdings die Bestrebungen der Musikschulträger, durch die verstärkte Einbindung von Managementkompetenzen eine finanzielle Besserstellung für die Institution zu erreichen, wird doch eine erfolgreiche Musikschulleitertätigkeit immer noch am kostenintensiven Wachstum der Jahreswochenstunden und nicht an der Umsetzung pädagogischer oder betriebswirtschaftlicher Ziele gemessen; d.h. je größer die Anzahl aller wöchentlich geleisteten Unterrichtsstunden, desto eher die Aussicht für den Stelleninhaber, in eine höhere Besoldungsgruppe aufzusteigen.
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werden, die mit Hilfe beträchtlicher Einsparungen in allen Bereichen der Länder- und Gemeindehaushalte herbeigeführt wurden. Die Musikschulen bekamen diese Auswirkungen auf sehr drastische Weise zu spüren, waren doch viele von ihnen erst den Empfehlungen des Verbandes kommunaler Arbeitgeber (VKA)7 gefolgt und hatten unter großen Mühen den Anteil an fest angestellten Lehrkräften erhöht. Den Musikschulen in der ehemaligen DDR ging es nicht besser, mussten sie doch von der behüteten Allmacht zentralstaatlicher Versorgung Abschied nehmen und sich den kulturhoheitlichen Normen der für sie zuständigen neuen Bundesländer unterordnen. Nach einer kurzfristigen Aufbruchs- und Nachholeuphorie traf die allgemeine finanzielle Misere auch die Musikschulen in den neuen Ländern in ihrer ganzen Härte.
Finanzwirtschaftliche und arbeitsrechtliche Herausforderungen Diese Ausgangslage führte dazu, dass sämtliche Musikschulbereiche wie Gebührenkalkulation, Personalbestand, Unterrichtsformen, Unterrichtsarten, Vermögenswerte, Zusatzaufgaben usw. auf den Prüfstand kamen. Im Detail bedeutete dies, dass zunächst mit Hilfe kurzfristiger Lösungen wie Gebührenerhöhungen (mancherorts stiegen die Gebühren um mehr als 30 %), Schüleraufnahmebeschränkungen, Auswärtigen- und Erwachsenenzuschlägen und genereller Ausgabensperren in bereits verabschiedeten Haushalten versucht werden sollte, der misslichen Lage Herr zu werden. Eine langfristige Planung sah für zahlreiche Musikschulen im Bereich Personalpolitik eine Kehrtwendung um 180 Grad vor. Der Anstellung freier Mitarbeiter8 war absolute Priorität einzuräumen. Zudem kamen Auflagen, den kostenintensiveren Einzelunterricht zu Gunsten von Gruppenunterrichtsformen zu begrenzen. Auch die Budgetierung, eine für Musikschulen bis dato unübliche Form der Finanzplanung, sollte verstärkt als Instrument zur Kostenreduzierung zum Einsatz kommen. Von ihr versprachen sich die Verantwortlichen durch Festschreibung von Fördersummen eine vertraglich festgelegte Leistung zu erhalten, im Falle der Musikschule die fachgerechte Unterrichtsdurchführung, wobei der Musikschulleitung in einer Art Selbstregulativ wesentliche Freiheiten hinsichtlich der Verwendung und des 7
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Vgl. auch BWGZ Nr. 5 vom 15. März 1990 und Gt-info (Gemeindetag Baden-Württemberg) vom 28. Februar 1990 zur Gleichbehandlung Teilzeitbeschäftigter. Als freie Mitarbeiter werden hier als selbstständige Unternehmer agierende und durch Auftragserteilung an die Musikschule gebundene Lehrkräfte verstanden.
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Einsatzes dieser Mittel zugestanden wurden (vgl. Heinrichs/Klein 2001: 51). Und so mancher Träger einer kommunalen Musikschule überraschte seinen Leiter mit der Änderung der Rechtsform seiner mittlerweile zu teuer gewordenen Institution. Privatisierungen, vornehmlich in Fortführung als eingetragene Vereine, waren ebenso zu verzeichnen wie die, bei Musikschulen eher selten anzutreffende, Umwandlung in eine GmbH.9
Herausforderung durch Konkurrenz Trotz öffentlicher Zuschüsse nehmen auch Musikschulen mit ihrem Angebot am Bildungsmarkt teil und stehen deswegen mit anderen Anbietern in Konkurrenz. War dies in früheren Zeiten lediglich der Privatmusikerzieher, zeigt sich heutzutage die Konkurrenz nicht mehr ausschließlich im selben Marktsegment. Ausschlaggebend für diese Entwicklung sind zahlreiche Faktoren wie ein generell umfangreicheres Bildungsangebot, die größere Mobilität in der Gesellschaft oder die im Zuge der Informationsvielfalt durch die neuen Medien verbesserte Verbreitung von Offerten. Ungern bestätigt, aber doch ein Faktum, ist die interne Konkurrenz zwischen den VdM-Musikschulen. Trotz eines für alle Mitgliedsschulen verbindlichen Mindestangebotes herrschen zum Teil erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Bildungsanstalten vor, die ihre Wirkung weder auf den Besucher noch auf das Lehrpersonal verfehlen. So können Musikschulen in strukturschwächeren Randgebieten ihren Lehrkräften seltener ein so sicheres und interessantes Umfeld bieten wie Musikschulen in Zentren und Ballungsräumen. Abwanderungen und Abwerbungen hochkarätiger Pädagogen sind vorprogrammiert. Musikschulen mit einem qualifizierterem Lehrpersonal, einem ansprechenderen Raumangebot, einem umfangreicheren Ergänzungsfächerangebot und einer großzügigeren Finanzierungsgrundlage bieten dem Besucher augenscheinlich entscheidende Vorteile und können dessen Wahl nachhaltig beeinflussen. Eine ernst zu nehmende Herausforderung im Bereich der spartenspezifischen Konkurrenz, und das mit wachsender Tendenz, stellen seit geraumer Zeit die ebenfalls unter der Bezeichnung »Musikschule« auftretenden privaten Unternehmen dar. Da den Begriff »Musikschule« trotz der Unterstützung des deutschen Städtetages (VdM 2002: 10) bisher lediglich die Bundesländer Bayern, Brandenburg und Sachsen für gesetzlich schützenswert erachten, können dieses Markenzeichen durchaus auch private Anbieter, die meist nur ein für sie lukratives, nach den jewei-
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Z.B. die Musikschule Offenburg/Ortenau.
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ligen momentanen Trends ausgerichtetes Marktsegment anbieten, für sich vereinnahmen. Wer heutzutage an Musikunterricht und praktischer Musikausübung interessiert ist, hat aber nicht nur die bisher angesprochenen Auswahlmöglichkeiten zur Verfügung. Öffentliche Musikschulen sehen sich überdies verstärkt mit einer genrespezifischen Konkurrenz konfrontiert. Deren Vertreter bewegen sich auf ähnlichem kultur- und bildungspolitischem Terrain, nehmen für sich ebenso wie Musikschulen die Gemeinnützigkeit in Anspruch und werden teilweise sogar vom selben Träger gefördert. So offerieren Familienbildungsstätten frühmusikalische Förderungen für Mütter und Kleinkinder oder schreiben Volkshochschulen im Erwachsenenbereich Kurse für klassische Gitarre oder Folkgitarre aus. Und auch Musik- und Gesangvereine, mit denen sich Musikschulen in den zurückliegenden Jahren zu Kooperationen zusammengefunden haben, beginnen auf Grund erhöhter Benutzerentgelte und aus Sorge, den heftig umworbenen Nachwuchs an anderweitige Gruppierungen wie z.B. Sportvereine zu verlieren, wieder mit eigenen, teils kostenfreien Ausbildungsmaßnahmen. Ihr Angebot umfasst Kurse in musikalischer Früherziehung, Blockflötenmusizieren in Gruppen, Instrumental- oder Theorieunterricht, und sie verweisen als nicht von der Hand zu weisendes Kriterium auf ihre langjährige Kompetenz in der Jugendarbeit. Wenn sich Musikschulen zudem nicht mehr ausschließlich als Jugendbildungseinrichtungen definieren, kann auch im Zuge eines Erwachsenenbildungsangebotes eine Kultur- und Freizeitkonkurrenz auftreten. Die heutige postmoderne Gesellschaft zeigt Verhaltensstrukturen, die mit den traditionellen kulturellen Konsumentenpräferenzen früherer Tage nicht mehr viel gemein haben (Heinrichs 1999: 52 und 261). Gerhard Schulze beschreibt diesen Zustand in seiner kultursoziologischen Abhandlung mit dem Begriff der »Erlebnisgesellschaft«. Eines ihrer Merkmale ist die Gleichwertigkeit der Angebote. Für Musikschulen bedeutet dies, dass sich ein generell musisch interessierter Personenkreis nicht ausschließlich dem Bereich musikalischer Bildung zuwenden muss. Ebenso gut kann und wird ein potenzieller Nutzer bzw. Besucher einer Musikschule auch ein Bildungsangebot der Volkshochschule oder einer entsprechenden Einrichtung in Erwägung ziehen. Somit sind vorab all jene Angebote, die eine aus der Sicht des Konsumenten vergleichbare und gleichwertige Leistung und Befriedigung erbringen, wie z.B. Malkurse, Laienspielgruppen, Volkstanzgruppen, als direkte Konkurrenten der Musikschulen zu betrachten. Neben den zunehmenden Freizeitmöglichkeiten stellen auch die Betreuungsangebote eine ernste Herausforderung dar. Durch deren Ausbau wie auch durch verstärkten Nachmittagsunterricht der allgemein bil-
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denden Schulen erfahren die Musikschulen schwerwiegende Eingriffe in ihren Kernzeitbereich. Sie laufen damit Gefahr, eine ihrer wichtigsten Zielgruppen, nämlich Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 4 und 15 Jahren, zu verlieren. Es steht daher außer Frage, dass in den kommenden Jahren eine immense Verantwortung auf den Schultern von Musikschulführungskräften ruht, um die anstehenden Herausforderungen zu bewältigen.
3 . N e u e An f o r d e r u n g e n Bisher haben die Musikschulen und ihre Leiter den Veränderungen Rechnung getragen, sonst wäre das Erfolgsmodell »öffentliche Musikschule« schon längst nicht mehr existent. Der zunehmend schneller von statten gehende gesellschaftliche Wandel mit seinen immer kürzer verlaufenden Trendphasen, die im Zuge der Globalisierung entstandenen und entstehenden politischen und wirtschaftlichen Veränderungen und die rasanten technischen Entwicklungen zwingen allerdings auch die Musikschulen, wenn es um die Verteilung von Marktanteilen geht, zur Anwendung zeitgemäßer Strategien. Dabei haben sich die grundsätzlichen Ziele, derer sich die Musikschulleitung annehmen sollte, nicht nachhaltig verändert. Nach wie vor stehen • die Besucherbindung, • die Gewinnung neuer Nutzer, • die Festigung der finanziellen Basis und damit • die Sicherung der strukturellen Grundlage im Vordergrund. Angesichts veränderter Rahmenbedingungen erscheinen sie jedoch in einem völlig neuen Licht.
Besucherbindung In der Privatwirtschaft ist es längst kein Geheimnis mehr, dass die Bindung eines bestehenden Kundenkreises wesentlich kostengünstiger ist als die Gewinnung neuer Kunden. Laut Schätzungen kommt eine Neuakquisition bis zu fünf Mal so teuer. Daher sollten auch öffentliche Einrichtungen wie Musikschulen diesen Aspekt nicht außer Acht lassen und den Blick zunächst auf die eigenen Schüler richten. Musikschulen verfügen generell über gute Vorraussetzungen für eine erfolgreiche Besucherbindung, finden doch prinzipielle Überlegungen für die Musikschulwahl bereits im Vorfeld statt und der Erstkontakt mit dem
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Institut geht häufig mit einem direkten Anmeldevorgang einher. Mit der Verwertung dieser Daten und Informationen sind ohne größeren Aufwand umfangreiche Serviceleistungen leistbar.10 Auch sind die Möglichkeiten der Einbeziehung von Partnern vielfältig. Dabei kommen in erster Linie die Unternehmen und Institutionen in Frage, die bereits von der Existenz der Musikschule profitieren. In der Regel sind das Musikalienhändler, die ein musikschulspezifisches Warenangebot wie Noten oder Instrumente bereitstellen. Interessant ist auch die Kooperation mit Konzertveranstaltern oder Musiktheatern. Die Abwicklung kann durch eine Kundenkarte erfolgen, die mit einem Lichtbild und einer Jahresmarke versehen ist. Bei dieser Art der Vorteilsgewährung handelt es sich in der Regel um eine Rabattleistung. Eine erfolgreiche Besucherbindung lässt sich aber nicht nur durch besondere Serviceleistungen erzielen. Die Qualität des Unterrichts ist und bleibt das Aushängeschild einer öffentlichen Musikschule und muss daher – etwa mit dem vom VdM bereits eingesetzten »Qualitätssystem Musikschule« (QsM)11 – einer ständigen Prüfung unterzogen werden. Ebenso wichtig ist neben dem Qualitätsmanagement die Mitarbeiterführung. Für eine besucherorientierte Einrichtung wie die Musikschule, deren Leistungserbringung in der Hauptsache über den direkten Kontakt ihrer Mitarbeiter erfolgt, ist die interne Kommunikation als Teil der Öffentlichkeitsarbeit und Servicepolitik unverzichtbar. Dabei wird spätestens hier die Tragweite einer gelebten Identifikation mit der eigenen Institution sichtbar. Denn nur eine gemeinsam erstellte und gelebte Corporate Identity schafft eine Mitarbeiterzufriedenheit, die sich wiederum unmittelbar auf die Besucher auswirkt.
Musikschul-Marketing Die Corporate Identity als grundlegendes Selbstverständnis bietet allen an der Einrichtung interessierten Personen und Gruppierungen eine messbare Standortbestimmung und wichtige Anhaltspunkte für deren Entscheidungsprozess. Sie bildet zudem den Einstieg in den »MarketingManagementprozess«, mit dessen Hilfe neue Zielgruppen erschlossen und Wettbewerbsvorteile gesichert werden können. Musikschulen können durch die Anwendung und den gezielten Einsatz derartiger Marketingstrategien nennenswert profitieren, da entgegen dem ursprünglichen Verständnis von Marketing, das sich anfänglich als reines Instrument zur Absatzsteigerung definierte, beim Marketing im 10 Vgl. dazu den Beitrag von Heike Oertel in diesem Band. 11 Vgl. den Beitrag von Petra Schneidewind in diesem Band.
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Managementprozess (Klein 2001) dem Kundenwunsch bereits in einem sehr frühen Stadium eine wichtige Rolle eingeräumt wird. Die Orientierung an den Bedürfnissen der Kunden bedeutet aber nicht, das Produkt selbst in Frage zu stellen, sondern beschreibt lediglich eine Anpassung an die jeweilige Zielgruppe. Auf die Situation der Musikschulen angewendet bedeutet dies, das eigene Angebot regelmäßig zu durchleuchten, um sich eventuell von Althergebrachtem zu lösen und um auf die aktuellen Anforderungen, Bedürfnisse und Wünsche geeigneter zu reagieren, andererseits aber die Grundwerte bisheriger Musikschularbeit zu bewahren, d.h. neben einer breiten Basisarbeit auch eine spezielle Förderung besonders begabter Schülerinnen und Schüler, einschließlich ihrer Vorbereitung auf ein etwaiges musikalisches Berufsstudium, beizubehalten. Folgendes Beispiel soll die Vorgehensweise näher erläutern: Eine Musikschule im ländlichen Raum verfügt über einen breiten, den Vorgaben des VdM entsprechenden Fächerkanon. Sie wurde mit dem Vorhaben gegründet, das Musizieren in der Familie zu fördern und kooperierende Blasmusikvereine zu unterstützen. Gemäß ihrer Vorgabe hebt die Musikschule in ihrem Mission Statement eine speziell für den Vereinsbedarf sowie das häusliche Musizieren bereitgestellte Fächerangebotspalette im Bereich der akustischen Instrumente hervor. Nach Jahren stetigen Wachstums weist die Gesamtbelegung trotz Zuwächsen im vorschulischen Angebot stagnierende, tendenziell sogar rückläufige Schülerzahlen auf. Die Musikschule nimmt diese Ausgangslage zum Anlass mit Hilfe einer Marketinganalyse zu klären, welche Gründe bzw. Faktoren für den Besucherschwund verantwortlich sind und welche Möglichkeiten, Ressourcen und Maßnahmen zur Verfügung stehen, um auf diese Entwicklung zu reagieren. Zunächst erscheint es nahe liegend, nachzufragen, inwiefern weitere Mitbewerber am Markt vorhanden sind und mit welchen Angeboten sie möglicherweise direkten Einfluss auf die Musikschule haben. Die Konkurrenzanalyse gibt hierzu erste Anhaltspunkte. Dabei ist festzuhalten, dass sich die Untersuchung nicht nur auf so augenfällige Praxisfelder wie der Konkurrenz durch private Musikschulen oder der vereinsinternen Unterrichtsdurchführung beschränken darf, sondern dass die Analyse auch, wie beschrieben, Offerten des weiteren Umfelds, die ebenso für eine geringere Nachfrage der eigenen Angebote verantwortlich sein könnten, einschließen muss. Mit einer sich anschließenden Umweltoder Umfeldanalyse lassen sich grundsätzliche Veränderungen der Rahmenbedingungen feststellen. Ihr Fokus richtet sich auf die politischen, wirtschaftlichen, technologischen und demographischen Entwicklungen. Die Musikschule kann damit aber auch Änderungen hinsichtlich
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des Lebensstils und durch Medienoffensiven wie Gesangs-Castings ausgelöste aktuelle Trends festhalten. Die Nachfrageanalyse beschäftigt sich mit dem Verhaltensmuster der Besucher und gibt Aufschluss, ob sich das derzeitige Angebot der Musikschule mit dem tatsächlichen Besucherwunsch deckt. Und die Beschaffungsanalyse geht der Frage nach, welche materiellen und personellen Mittel zur Zufriedenstellung der Besucheranliegen nötig sind. Um an diese Informationen zu gelangen, müssen nicht grundsätzlich aufwändige Methoden angewendet werden. Mittels eigener Musikschulstatistiken sowie Verlautbarungen des VdM, Haushaltsplänen, Mitarbeiter- und Besucherbefragungen, amtlicher Veröffentlichungen des Trägers, Vereinsnachrichten oder öffentlich zugängiger Werbung von Mitbewerbern lassen sich bereits eine Vielzahl von aussagekräftigen Ergebnissen erzielen. Weitere Quellen sind Tages-, Wochen-, Monatsmedien, statistische Erhebungen von Landes- und Bundesämtern, aber auch parteipolitische Programme und Milieustudien können herangezogen werden. Im Anschluss an die Prüfung dieser externen Faktoren hat die Musikschule in einer internen Untersuchung zu klären, welche neuen Ziele sie unter Berücksichtigung der bisherigen Erkenntnisse anstrebt, und ob sie in der Lage ist, diese Zielsetzung mit den ihr zur Verfügung stehenden finanziellen, personellen, strukturellen und organisatorischen Möglichkeiten zu realisieren. Hier kommt zunächst die Zielanalyse und im Anschluss daran die Potenzialanalyse zum Einsatz. Als geeignetes Abfragemittel der eigenen Möglichkeiten hat sich in diesem Zusammenhang besonders die Stärken-Schwäche-Analyse bewährt, die bereits in der Konkurrentenanalyse zum direkten Vergleich mit Konkurrenzangeboten herangezogen werden kann. Nach Abschluss der Analyse-Phase stellt sich in unserem Beispiel heraus, dass die Nachfrage nach geschultem Bläsernachwuchs seitens der Vereine ungebrochen ist, jedoch dem Trend zu elektroakustischen Instrumenten und Angeboten, hervorgerufen durch eine Jazz-, Rock- und Popoffensive der allgemein bildenden Schulen, bisher zu wenig Aufmerksamkeit entgegengebracht wurde. Zudem hat ein privater Anbieter die Gelegenheit genutzt und mit seinen offensiv platzierten Konkurrenzangeboten wie E-Piano, Keyboard und E-Gitarre wertvolles Terrain gewonnen und Musikschüler abgezogen. Trotzdem erscheint die Ausgangslage für die Musikschule nicht schlecht. So hat die Abfrage nach den eigenen Möglichkeiten ergeben, dass nicht nur die räumlichen und ausstattungsmäßigen Vorraussetzungen für eine Erweiterung des Fächerkanons vorhanden sind, sondern auch Musikschullehrkräfte der Fachbereiche Tasten- und Zupfinstrumente, teils durch private Bandprojekte, teils durch Fortbildungen, sich durchaus in der Lage sehen, an einer Konzeption zur
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Aufstellung eines neuen Fächerangebots im Bereich U-Musik mitzuwirken und letztendlich auch den Unterricht zu übernehmen. Das sich hier bereits abzeichnende veränderte Profil lässt die Musikschule als erstes Anzeichen ihrer neuen Ausrichtung in die Corporate Identity einfließen. Es erfolgt eine abschließende Prüfung der inhaltlichen Ziele und Marketingziele. Innerhalb dieser Zielpräzisierung, in der unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Marketinganalyse die Zielsetzung noch einmal kritisch hinterfragt und eventuell überarbeitet werden kann, kommt unsere Musikschule zu dem Entschluss, vornehmlich Angebote aus dem Bereich der Rockmusik zu formulieren und herauszustellen. In der darauf folgenden Strategieplanung hat sie nun zu beurteilen, in welche Zielgruppen sich der Markt hinsichtlich ihrer sich selbst vorgegebenen Zielausrichtung aufteilen lässt (Segmenting), wie die jeweiligen Zielgruppen bezüglich ihrer Attraktivität für die Musikschule zu werten sind (Targeting), und mit welchen Angeboten möglichst viele unterschiedliche Zielgruppen angesprochen werden können (Positioning). Dabei ergeben sich in unserem Fall mehrere Alternativen: So lässt sich etwa die ortsansässige Band-Szene als relevante Größe fassen und bedienen, oder es lassen sich attraktive Zielgruppen wie Schülerbands oder RockAGs mit entsprechen Großgruppenprojekten wie Bandmusizieren und Bandcoaching erreichen, oder es zeigt sich, dass die Weitergabe spezifischer Instrumental- und Spieltechniken innerhalb eines Einzel- oder Kleingruppenunterrichts die größere Aussicht auf Erfolg hat. Je nach Analyseergebnissen wird die Musikschule ihre Strategie wählen. Sind diese Fragen hinreichend beantwortet, erfolgt mit Hilfe eines Marketingmix aus operativen Marketingprogrammen und -instrumenten die Umsetzung der Zielvorgaben. Die Produktpolitik bestimmt die Aufstellung und differenzierte Bewertung der Angebotspalette. Die Musikschule legt damit fest, inwieweit sie neue Angebote aufstellen, bestehende Angebote modifizieren und sich von schwach frequentierten Angeboten trennen möchte. So ist nachvollziehbar, dass ein Instrumentalfach wie Heimorgel, allein schon auf Grund technischer Weiterentwicklungen, zugunsten von Keyboard und E-Piano aufgegeben werden sollte, dahingegen das Instrumentenkarussell, ein ursprünglich für die Absolventen der Musikalischen Früherziehung vorgesehenes Einsteigermodell für den Instrumentalunterricht, in überarbeiteter Form unter dem Slogan »Rock around« für die Zielgruppe der 10- bis 16-Jährigen die Angebotspalette ergänzen kann. Das beste Angebot kann sich aber schnell als Ladenhüter herausstellen, wenn die dafür zu erbringende finanzielle Gegenleistung nicht der Erwartung und den Möglichkeiten der Zielgruppe entspricht. Eine besonders heikle Rolle spielt daher die Preispolitik. Die richtige Gebührenge-
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staltung ist entscheidend für die Annahme der Unterrichtsofferte. Hier können Ermäßigungen auf die üblichen Musikschulentgelte für Schüler aus kooperierenden Schulen oder für fest bestehende Rock-Gruppierungen die Einstiegshürde erheblich mindern und darüber hinaus sogar noch das Interesse für einen vertiefenden Unterricht unter normalen Gebührenvoraussetzungen wecken. Die Kommunikationspolitik beinhaltet sämtliche Public Relationsund Werbemaßnahmen mit denen die Musikschule die Aufmerksamkeit auf sich und ihre Angebote lenkt. Von zentraler Bedeutung ist dabei die auf die Verhaltensweisen der Zielgruppe abgestimmte Wahl der Kommunikationsformen. Im Hinblick auf das angeführte Beispiel ist eine Veröffentlichung oder Werbung in einer Tageszeitung mit Sicherheit nicht der richtige Weg. In Zeiten von Mobilfunk und Internet sind Plattformen wie die eigene Homepage bzw. ein entsprechender Link auf einer SzeneHomepage zum eigenen Internetauftritt eher geeignet, das Interesse für die neuen Angebote der Musikschule zu wecken. Zudem muss die Werbung aber auch dort platziert werden, wo sie die Zielgruppe erreicht und wo sie wahrgenommen wird. Dies können z.B. der Aushang und die Auslage von Plakaten und Flyern in Schulen und Jugendhäusern, der Auftritt einer Rockband bestehend aus Musikschullehrkräften in Schulen oder Szenekneipen, oder als besonderes Highlight ein Promotionact in Gestalt eines Rockkonzertes mit Musikern aus der Region bewerkstelligen. Die Erreichbarkeit ist ebenfalls zentrales Thema der Distributionspolitik. Übliche Vorgehensweisen sind: Verlängerte Musikschulöffnungsund besucherfreundliche Beratungszeiten, übersichtlich gestaltete Anmeldeformulare, flexible Einstiegmöglichkeiten in den Unterrichtsbetrieb – prinzipiell also all jene Instrumente, die den Zugang zu den Angeboten der Musikschule erleichtern. Daher sollte weder der Anmeldevorgang noch die Unterrichtsaufnahme aus Sicht des zukünftigen Nutzers ein zu großes Hindernis darstellen. Vor dem Hintergrund einer im Jugendbereich anvisierten Zielgruppe bedeutet dies für die Musikschule auch Anmeldungen über das Internet oder Schulsekretariat zu ermöglichen sowie die Unterrichtsdurchführung an leicht erreichbaren Orten, wie Haupt- und Realschulen oder Gymnasien, anzubieten. Die bereits angesprochene Servicepolitik schließlich hat sich zum unverzichtbaren Bestandteil des Marketings entwickelt. Mit ihr verbunden sind sämtliche das Musikschulangebot ergänzende Serviceleistungen, welche dem Besucher einen Zusatznutzen versprechen. Herauszustellen ist z.B. die Möglichkeit für Einzelinstrumentalisten in einer Band zu spielen oder die Einladung bekannter Szenemusiker für zusätzliche hausinterne Kurse. Dazu zählt aber auch ein aktives Beschwerdemanagement, da zufriedene Besucher als hervorragende Multiplikatoren auftreten.
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Die Musikschule in unserem Beispielfall hat die entsprechenden Schritte in die Wege geleitet und kann mit Beginn des neuen Schuljahrs mit Einzel- und Gruppenunterrichtstunden in den Instrumentalfächern Rock-Piano, Keyboard, E-Gitarre und E-Bass aufwarten und sogar zwei betreute Bandprojekte vorweisen. Trotzdem besteht noch kein Anlass sich zurückzulehnen. Am Ende des Marketing-Management-Prozesses steht das Controlling, das sowohl rückwärts betrachtet als Kontrollwerkzeug im herkömmlichen Sinn, als auch darüber hinaus in Form einer zukunftsorientierten Bewertung zum Einsatz kommt. Schlussendlich muss ein »Soll-Ist-Vergleich« nachprüfen, ob die Zielvorgaben erfüllt wurden. Die konkrete Fragestellung heißt: Wurde die Gesamtschülerzahl stabilisiert, sind die neuen Angebote aus dem Rockbereich angenommen worden, haben sämtliche Bausteine dieser Angebotspalette überzeugt, und wurden die anvisierten Zielgruppen tatsächlich erreicht? Je genauer die Ziele im Vorfeld formuliert wurden, desto exakter lassen sich an dieser Stelle etwaige Irritationen feststellen.
Finanzmanagement Die Kostenkontrolle ist untrennbar mit der Verfolgung institutioneller Ziele verbunden und demzufolge auch dem Managementbereich zuzuordnen. War in der Vergangenheit die Kameralistik oder die kaufmännische Rechnungsführung häufig die Angelegenheit beigestellter Verwaltungsfachleute, so kann sich heute kein Musikschulleiter mehr erlauben, die finanzielle Planung und Ausstattung seines Hauses ausschließlich der Obhut Dritter anzuvertrauen. Dies zeigt vor allem das Beispiel der Budgetierung, da hier die Musikschulleitung bereits im Vorfeld eigenverantwortlich eine detaillierte Disposition bezüglich der Verwendung der ihr zur Verfügung gestellten und zu erwartenden finanziellen Einsatzmittel treffen muss. Dabei stellt das bereits angesprochene Controlling, nun aber im Sinne eines Steuerungsinstruments für den Finanzbereich, als planerisches Frühwarnsystem ein zeitgemäßes und unentbehrliches Hilfsmittel dar. Wie brisant dieser Aspekt in der zukünftigen Musikschulleitertätigkeit ist, zeigt sich, wenn die Musikschulfinanzierung auch unter dem Gesichtspunkt der Kostendeckung bzw. im Hinblick auf einen ausgeglichenen Haushalt betrachtet wird. Diese basiert in der Regel auf zwei Säulen: den Nutzerentgelten und den öffentlichen Zuwendungen, die sich wiederum in eine Förderung der Länder, Kreise und Kommunen aufteilen lässt. Angesichts zunehmender Geldmittelknappheit in den öffentlichen Haushalten und der Einsicht, dass dem Besucher nur bedingt die Fehlbetragskosten zugemutet werden können, kommen immer wieder Überlegungen
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auf, Musikschulen auch durch Drittmittel zu finanzieren. Eine häufig genutzte Möglichkeit dazu bietet der Förderverein, durch dessen Hilfe über Einzelprojektförderungen wie Instrumentenspenden oder Begabtenunterstützung der Musikschulhaushalt entlastet werden kann. Aber auch Schlagwörter wie Fundraising, d.h. die systematische Akquisition von Spendengeldern, und Sponsoring im Sinne eines Geschäfts auf Gegenseitigkeit im Austausch von Image und Kommunikationsleistungen gegen Geld, Dienst- oder Sachleistungen machen die Runde. Die mäzenatische Ausrichtung des Fundraising bietet Musikschulen die Möglichkeit durch gezielten Aufbau von Beziehungen vornehmlich Privatpersonen auch langfristig zu Unterstützungsleistungen zu bewegen. Vordergründig handelt es sich hierbei um Zuwendungen, mit denen sich der Geber persönlich identifizieren und seinen karitativen Ansatz verfolgen kann. Mögliche Einsatzbereiche sind etwa die Kostenübernahme für die Wartung und Stimmung von Tasteninstrumenten oder die Bereitstellung von Preisen für einen hausinternen Wettbewerb. Die Unterstützung kann aber auch die Einrichtung und Ausstattung kostenintensiver Fachbereiche, in Ausnahmefällen sogar die Finanzierung ganzer Musikschulgebäude beinhalten.12 Mit Sponsoring-Maßnahmen kann die Musikschule vorwiegend singuläre Ziele oder Großprojekte wie Konzerte, Musikschuljubiläen und Orchesterreisen angehen. Ansprechpartner sind im Gegensatz zum Fundraising meist Unternehmen, die sich als Gegenleistung für ihre Unterstützung durch Imagetransfer einen Nutzen versprechen und damit kommunikative Ziele verfolgen. Beide Formen der Drittmittelbeschaffung bergen aber auch Risiken. So zwingen gesetzliche Regelungen wie der §331 StGB oder die GemO BW §78.4 die Musikschulleitung, zu klären, von wem sie welche Spenden überhaupt annehmen darf, ohne sich dem Vorwurf der Vorteilsannahme auszusetzen. Das Sponsoring hingegen erweist sich in der Regel als sehr aufwändig und zeitintensiv. Bevor der erhoffte Geldsegen eintrifft, sind nicht zu unterschätzende, teilweise sogar mit erheblichen Kosten verbundene Vorlauf- und Planungsphasen zu leisten. Außerdem ist zu beachten, dass bereits geringe Nachlässigkeiten oder Fehler im Umgang mit dem jeweiligen Partner zu massiven Vertrauensverlusten und damit auch zu Einnahmeausfällen führen können.
12 So etwa geschehen bei der Bruno-Frey-Musikschule in Biberach an der Riss.
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Projektmanagement Neben der Besucherbindung, der Akquise neuer Schüler und einer aktiven Marktpolitik, kommt dem Feld der Projektplanung und -ausführung innerhalb einer Musikschulleitungstätigkeit eine zentrale Bedeutung zu. Lassen sich einfacher strukturierte, finanziell und zeitlich leicht überschaubare Vorgänge noch mit Hilfe von Checklisten abbilden und umsetzen, bedürfen aufwändigere inner- und außerschulische Veranstaltungen genauerer Planungsinstrumente. Daher macht es Sinn, teilweise auch wiederkehrende Ereignisse wie Tage der offenen Tür, Themenkonzerte, Kinderopern- oder Musicalproduktionen in Projekte zu transformieren und sie mit den Mitteln des Projektmanagement zu realisieren (Klein 2004). Projekte zeichnen sich im Gegensatz zu laufenden Musikschulaufgaben wie der Unterrichtsplanung dadurch aus, dass sie azyklisch auftreten, zeitlich begrenzt sind, eine einmalige Aufgabenstellung beinhalten und sich innerhalb eines vorgegebenen Budgets bewegen. Dies bietet mehrere Vorteile: • So lässt sich die bestehende hierarchische Struktur durch Teambildung innerhalb des schuleigenen Personals kurzfristig aufheben und mit der Übertragung zusätzlicher Kompetenzen und Verantwortungen dessen Identifikation mit der Musikschule stärken. • Temporär können zusätzliche Mitarbeiter über befristete Werkverträge ohne umständliche und langfristige Ausschreibung im Stellenplan eingestellt und • neue Finanzierungsquellen durch die Einbeziehung leistungsfähiger Partner erschlossen werden. • Außerdem kann eine Ablauforganisation nach den sich am jeweiligen Sachverhalt orientierenden Anforderungen flexibel ausgerichtet werden. Um dies zu verdeutlichen, soll noch einmal das Beispiel aus dem Management-Marketing-Prozess aufgegriffen werden. Besagte Musikschule ist nach einer ausführlichen Marketinganalyse zu dem Entschluss gekommen, eine neue Konzeption für den U-Musikbereich mit dem Schwerpunkt »Rockmusik« zu erarbeiten. Die sich daraus ergebenden Offerten sollen zwei Monate vor Anmeldeschluss mit einer Promotionveranstaltung in Form eines Rockkonzertes beworben werden. Um daraus ein Projekt zu erstellen, könnte die Musikschule wie folgt vorgehen: Zunächst beginnt sie mit der Klärung und Festlegung der Rahmenbedingungen. Die Zielvorgabe ist bekannt und heißt: Innerhalb eines Zeitraums von 13 Wochen muss eine Unterrichtskonzeption für den neu einzurichtenden Fachbereich Rockmusik inklusive entsprechender Angebote
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für den Instrumentalunterricht ausgearbeitet und in einer anschließenden Werbeveranstaltung vorgestellt werden. Mit Hilfe eines Projektstrukturplans werden zunächst einzelne Arbeitspakete und ihre logischen Zusammenhänge ermittelt und ein erster Kostenplan erstellt. Die Musikschule stellt zur Deckung eines Teils ihrer Ausgaben einen Zuwendungsantrag. Den Löwenanteil der Kosten für die an der Einführungsveranstaltung beteiligten Bands übernimmt ein ortsansässiges Musikhaus, das sich dadurch einen Image-Gewinn und die Erschließung eines neuen Kundenkreises verspricht. Der Projektstrukturplan bildet die Grundlage für die Aufstellung zeitlich und inhaltlich begrenzter Teilaufgaben, wie beispielsweise die Vorbereitungsphase, die Erstellung des bereits angesprochenen pädagogischen Konzepts, die Auswahl der Instrumentalangebote, die Einbeziehung von Kooperationspartnern, den Druck und Versand von Flyern und Einladungen oder die Festlegung des Veranstaltungsablaufs. Diese Teilaufgaben werden unter Berücksichtigung ihrer Dauer und ihres zeitlichen Vorlaufs in die Ablaufplanung entweder in der Darstellung eines Balkendiagramms, als Meilensteinplanung oder mit Hilfe der Netzplantechnik eingebracht. In unserem Beispiel zeichnet sich ab, dass es ratsam wäre, für eines der Arbeitspakete innerhalb der Rockkonzeption zum Thema »Spezielle Spieltechniken auf E-Bass und E-Gitarre« Wissen von Außen mit einzubeziehen. Hierfür wird eine qualifizierte Szenegröße auf Honorarbasis zeitlich begrenzt verpflichtet. Der Musikschulleiter stellt in seiner Funktion als Projektleiter ein Projektteam aus fachkundigen Musikschullehrkräften zusammen, da er aber von Hause aus studierter Holzbläser ist, tritt er maßgebliche Entscheidungskompetenzen an seine Mitarbeiter ab.
4 . R e a k t i o n e n , An g e b o t e u n d P e r s p e k t i ve n Meinungsbild unter Musikschulleitern Mit der Aufzeichnung veränderter Anforderungen und den zur Verfügung stehenden Lösungsansätzen stellt sich die Frage, inwieweit die unmittelbar von diesem Entwicklungsprozess Betroffenen ihre Arbeit im Rückblick betrachtet sehen und wie sie die heutige Situation bewerten. Dazu fanden sich im Frühjahr 2003 zehn Musikschulleiterinnen und Musikschulleiter sowohl kommunaler als auch vereinsgetragener Musikschulen im Alter zwischen 36 und 66 Jahren aus 5 verschiedenen Bundesländern – Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, Sachsen, Bayern und BadenWürttemberg – zu einem Interview bereit, in dem sie Auskunft auf die Frage gaben, welche Voraussetzungen bezüglich der Leitungstätigkeit
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einer Musikschule sie bei Amtsantritt in die Stelle einbrachten, welche Weiterbildungen von ihnen in Anspruch genommen wurden und wie sie die Ausbildung zukünftiger Kollegen sehen. Die Schulleiter konnten eine Berufserfahrung zwischen zehn und 30 Jahren vorweisen und hatten in dieser Zeit entweder den Schülerstand bewahrt oder aber deutlich vergrößert. Alle Befragten verfügten bei Einstellungsbeginn über die für den VdM erforderlichen pädagogischen Abschlüsse. Die Abfrage ergab folgendes Ergebnis: Sämtliche Teilnehmer begannen ihre Musikschulleitertätigkeit ohne leitungsspezifische Vorkenntnisse und verwiesen hinsichtlich ihres erworbenen Fachwissens auf ein »Learning by doing«. Zwei Musikschulleiter haben im unmittelbaren Anschluss an die Aufnahme ihrer Tätigkeit den vom VdM angebotenen Musikschulleiterlehrgang in Trossingen besucht, ein Teilnehmer nach 13jähriger Berufstätigkeit. Einer der Befragten besuchte ein entsprechendes Fortbildungsangebot der Akademie Remscheid für musische Bildung und Medienerziehung e.V. Weitere Kompetenzen wurden durch die regelmäßige Teilnahme an Musikschulleitertagungen erworben. Auf die Nachfrage nach den Veränderungen des Berufsbildes und der Arbeitsbedingungen seit Beginn ihrer Tätigkeit wurden folgende Aussagen getroffen: • Die betriebswirtschaftlichen Anforderungen nehmen stetig zu; • Geldbeschaffungsmaßnahmen, Budgetierung, generelle Forderungen nach wirtschaftlicherem Arbeiten stehen heute im Vordergrund; • Managementkompetenzen spielen verstärkt eine Rolle; • die politische Arbeit nimmt mehr Raum ein; • die Defizite in heutzutage notwendigen Bereichen wie der Öffentlichkeitsarbeit und der Konfliktbewältigung treten deutlich zu Tage; • die Anforderungen durch Erweiterung des Fächerkanons sind generell höher; • der Arbeitsaufwand im Veranstaltungsbereich und im Bereich der neuen Medien wächst kontinuierlich. Auf die Frage, ob ein an einer Musikhochschule angesiedeltes Studienangebot »Musikschulmanagement« in der heutigen Zeit eine Einstiegserleichterung für zukünftige Musikschulleiter darstellen könnte, bejahten neun Teilnehmer diese Frage von Grund auf, einer der Befragten wollte erst Informationen darüber haben. Die Umfrage bestätigt im Kern die bereits gewonnenen Erkenntnisse hinsichtlich der Zunahme von Managementaufgaben für die Musikschulleitung und führt hin zu der Überlegung, welche grundsätzlichen Qualifizierungsmöglichkeiten derzeit überhaupt zur Verfügung stehen.
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Ausbildungsmöglichkeiten Der Begriff »Learning by doing« als Synonym für Wachsen mit den Anforderungen wurde von den befragten Schulleitern mehrfach verwendet. Der betriebswirtschaftliche Fachbegriff dafür lautet »Training on the Job«. Auch diese Art der Aneignung von Fachwissen, in direkter erstmaliger Konfrontation mit den reellen Arbeitsbedingungen, hat seine Vorteile und stellt eine ernstzunehmende Ausbildungsalternative dar, ist sie doch anwendungsorientiert und praxisnah. Die Nachteile sind: Dieses so genannte »Management aus dem Bauch« bringt kein zusätzliches Wissen von Außen. Außerdem ist man als Musikschulleiter ständig auf Hilfestellungen der Verwaltungsprofis aus dem eigenen Haus angewiesen. Auch im heute notwendigen Austausch mit der freien Wirtschaft zeigt sich deutlich die eigene Unterlegenheit, und häufig entsteht dabei eine Sammler- und Jäger-Mentalität, d.h. Erfahrungen sammeln und Erfolgen hinterherjagen. Wer wie der VdM Richtlinien und Empfehlungen als Voraussetzungen für die Anstellung von Leitungskräften vorgibt, muss sich natürlich auch bzgl. der Aus- und Fortbildung von Musikschulleitern in die Pflicht nehmen lassen. Der VdM kommt dieser Aufgabe mit beträchtlichem Aufwand nach. Neben regelmäßigen Weiterbildungsofferten besteht bereits seit 1967 von Seiten des Verbandes ein Lehrgangsangebot zur Führung und Leitung von Musikschulen, das in der Vergangenheit von mehr als 1.000 Teilnehmern wahrgenommen wurde.13 Es richtet sich an Musikschulleiter und ihre Stellvertreter, Bezirksleiter, Zweigstellenleiter und Fachbereichsleiter in Mitgliedsschulen des VdM, die für den Funktionsbereich Musikschulleitung erforderliche Managementkompetenzen durch Weiterbildung verbessern oder grundsätzlich erwerben wollen. Der Lehrgang wurde früher in Zusammenarbeit mit der Musikhochschule Hamburg und nun in Kooperation mit der Universität der Künste (UdK) Berlin durchgeführt – berufsbegleitend in vier mehrtägigen Akademiephasen und mit einer zusätzlichen Fachtagung im Zeitraum eines knappen Jahres. Veranstaltungsort ist die Bundesakademie für musikalische Jugendbildung in Trossingen. Die Inhalte erstrecken sich über vier große Themenbereiche: • Grundlagen der Musikschularbeit; • Bereiche und Formen der Musikschularbeit; • Musikschule als Betrieb; • Musikschule in der Öffentlichkeit.
13 Auskunft laut telefonischer Anfrage in der Bundesgeschäftsstelle des VdM.
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Zum Ende des Lehrgangs werden die Inhalte in einer Prüfung abgefragt und der erfolgreiche Abschluss in einem Zeugnis bestätigt.
Angebote der Musikhochschulen Irgendwann muss der Ersteinstieg in die Führungsposition erfolgen, aber es wäre falsch, nur von der Tatsache auszugehen, dass lediglich arrivierte, über eine lange Praxiserfahrung verfügende Musikschulpädagogen für diese Arbeit in Frage kommen. Auch in der Vergangenheit haben Abgänger einer Musikhochschule in direktem Anschluss an ihr Studium eine Musikschulleitertätigkeit angetreten. Dass dies in der heutigen Zeit nur mit entsprechender fachlicher Vorbildung möglich ist, versteht sich nach dem bisher Geschilderten eigentlich von selbst. Deshalb stellt sich die Frage: Haben die Musikhochschulen den veränderten Anforderungen Rechnung getragen und bieten sie ein entsprechend qualifiziertes Ausbildungsangebot für angehende Musikschulleiter an? Eine hierfür im Frühjahr 2003 erfolgte Hochschulbefragung wurde nach folgenden Kriterien durchgeführt: • Gegenstand der Untersuchung: Sämtliche 23 deutsche Musikhochschulen einschließlich ihrer ausgelagerten Unterabteilungen. • Ziel der Abfrage: Studienangebote zum Zweck der Befähigung zur Leitung einer Musikschule. • Primäre Voraussetzung: Ein musikpädagogisches Ausbildungsangebot als Ausgangsbasis und etwaiger Schnittpunkt mit dem der Untersuchung zu Grunde liegenden Thema. Alle befragten Musikhochschulen bilden Studierende zu Instrumental- oder Gesangspädagogen für Musikschulen aus. • Einschränkungen: Die fachspezifischen und konfessionell gebundenen Kirchenmusikhochschulen wurden nicht einbezogen, da deren Angebot auf eine Zielgruppe abgestimmt ist, die für die vorliegende Arbeit nicht relevant ist.14 Das Ergebnis gibt zu denken: Trotz intensiver Recherche ergab sich bei keiner einzigen der aufgeführten Musikhochschulen ein Hinweis, dass 14 Mit Ausnahme der Folkwanghochschule Essen und der Hochschule für Musik und Theater Felix Mendelssohn Bartholdy Leipzig, die trotz Anfrage kein Informationsmaterial zugesendet haben, lagen für die Auswertung alle Vorlesungsverzeichnisse des Wintersemesters 2002/2003 vor. Es erfolgte zudem ein Abgleich mit den auf der Homepage zur Verfügung gestellten Informationen. Gesucht wurde nach Studienzweigen, Seminarangeboten und Einzelvorlesungen.
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dieses spezifische Thema in irgendeiner Form aufgegriffen wurde. Zudem blieb die Frage offen, wo die Angebote aus Hamburg und Berlin abgeblieben waren, deren Musikhochschulen sich bereits in die Materie eingearbeitet hatten und mit dem VdM bei den Musikschulleiterlehrgängen kooperiert hatten. Ein völliges Verschließen vor der Realität konnte aber nicht allen Anstalten unterstellt werden. In einigen Musikhochschulen wurden Lehrveranstaltungen angeboten bzw. waren und sind zum Teil bis heute Fachabteilungen integriert, die zumindest im näheren oder weiteren Umfeld Berührungspunkte zu den Bereichen Kultur-, Theaterund Projektmanagement erkennen ließen. Für die wenigsten dieser Angebote waren jedoch Studenten des musikpädagogischen Studienganges zugelassen. Eine neuerliche im Herbst 2006 durchgeführte Untersuchung lässt allerdings ein zumindest in Ansätzen ersichtliches Bestreben deutscher Musikhochschulen zur Vermittlung von Managementkompetenzen erkennen. So bestehen an der Staatlichen Hochschule für Musik in Karlsruhe, an der Hochschule für Musik Nürnberg/Augsburg und an der Hochschule für Musik und Theater Hannover Angebote für Medien-, bzw. Musik- und Projektmanagement. Die Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt a.M. bietet den Studiengang Theater-, Orchester- und Kulturmanagement an. Als auffälligstes Angebot sticht eine Lehrveranstaltung zum Thema Selbstmanagement der Hochschule für Musik und Theater Hamburg hervor, lässt sie doch die Vermutung zu, dass die gegenwärtige Entwicklung auf dem deutschen Arbeitsmarkt mit der notwendigen Positionierung von freischaffenden Musikern und Musikpädagogen, auch angesichts rückläufiger Tendenzen bei Festanstellungen an Musikschulen, erkannt wurde. Trotz alledem: Ein Vorlesungs- oder Seminarangebot einer deutschen Musikhochschule zum Thema »Musikschulmanagement« existiert bis zum heutigen Tage nicht.
5. Fazit Der Aufgabenbereich des Musikschulleiters hat in den zurückliegenden Jahren eine starke Veränderung erfahren. Konnte sich die Musikschulleitung in früheren Zeiten noch überwiegend pädagogischen und musikalischen Inhalten ihrer Arbeit widmen, so stehen nun, bedingt durch Veränderungen im politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umfeld, zunehmend administrative und betriebswirtschaftliche Anforderungen im Vordergrund. Managementwissen und die Anwendung von Managementtechniken sind zum unverzichtbaren Instrumentarium gegenwärtiger Musikschularbeit geworden. Sowohl die Musikschulleiter selbst, als auch die
96 | MICHAEL EBERHARDT
Arbeitgeber und nicht zuletzt auch der VdM haben die Tragweite dieser Entwicklung erkannt und entsprechend darauf reagiert. Bedauerlicherweise konnten sich ausgerechnet die Bildungsanstalten, die an sich die pädagogische Grundversorgung für Musikschulen in Form der Bereitstellung des Lehrernachwuchses heranbilden, noch zu keinem Ausbildungsangebot für Musikschulführungskräfte durchringen. In Anbetracht von 930 Musikschulen und einer entsprechenden Anzahl von Schulleitern, Stellvertretern, Fachbereichs- sowie Bezirks- und Außenstellenleiter handelt es sich um eine beachtliche Zielgruppe, die auch Musikhochschulen für ihre eigene Positionierung nicht vernachlässigen sollten. Gleichwohl, auch das neue Anforderungsprofil für Musikschulleiter kann nicht ausschließlich die Nachfrage nach der Managementkompetenz beinhalten. Dies hätte zur Folge, dass zukünftig nur noch Managern oder Verwaltungsfachleuten der Aufgabenbereich einer Musikschulleitung anvertraut werden könnte. Der Unterricht und die künstlerische Substanz bilden nach wie vor die nach außen hin sichtbaren Eckpfeiler der Musikschularbeit. Daher ist, um einer pädagogischen und musikalischen Gesamtverantwortung gerecht zu werden, eine umfassende musikalische Hochschulausbildung für Musikschulleiter nach wie vor unentbehrlich. Bei der Formulierung eines entsprechenden neuen Profils muss daher beiden Kompetenzen gleichwertig Rechnung getragen werden. Im Wortlaut könnte dies heißen: Der Leiter bzw. stellv. Leiter einer Musikschule muss über ein abgeschlossenes musikalisch-pädagogisches Studium verfügen und sollte ein hohes Maß an künstlerischem Sachverstand in die Position mit einbringen. Darüber hinaus hat er den Nachweis über die Kompetenz zu zielgerichtetem Handeln in Form einer managerialen Ausbildung zu leisten. Betriebswirtschaftliche Grundkenntnisse werden vorausgesetzt
Literatur Bortoluzzi Dubach, Elisa/Frey, Hansrudolf (2000): Sponsoring, 2. Aufl., Bern/Stuttgart/Wien. Heinrichs, Werner (1999): Kommunales Kulturmanagement. Rahmenbedingungen – Praxisfelder – Managementmethoden, Baden-Baden. Heinrichs, Werner/Klein, Armin (2001): Kulturmanagement von A – Z, 2. Aufl., München. Hemming, Dorothea (1977): Dokumente zur Geschichte der Musikschule (1902-1976), Regensburg.
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Klein, Armin (2001): Kulturmarketing, Das Marketingkonzept für Kulturbetriebe, München. Klein, Armin (2004): Projektmanagement für Kulturmanager, Wiesbaden. Scheytt, Oliver (1989): Die Musikschule, Stuttgart. Verband deutscher Musikschulen e.V. (2002): Dokumentation 2001. Statistisches Jahrbuch der Musikschulen in Deutschland, Bonn. Verband deutscher Musikschulen e.V. (2006): Dokumentation 2005. Statistisches Jahrbuch der Musikschulen in Deutschland, Bonn. Wucher, Diethard (Hg.) (1994): Die Musikschule, Band II, 2. Aufl., Mainz.
Kooperationen allgemein bildender Schulen und öffentlicher Musikschulen: Stand und Perspektiven aus musikdidaktischer Sicht PETER IMORT
Die schulmusikalische Landschaft floriert – zumindest was die Diskussion über Kooperationen zwischen allgemein bildenden Schulen und öffentlichen Musikschulen betrifft. Schul- und bildungspolitische Themen wie Einführung der Ganztagsschule, Profilbildung, achtjähriges Gymnasium sowie Studien- bzw. Bildungsplanrevisionen in zahlreichen Bundesländern und Diskussionen um den Stellenwert musikalischer Bildung verändern Aufgaben-/Arbeitsfelder und erfordern Strukturveränderungen von Schule und Unterricht. Gegenwärtig wird das Verhältnis von Musikunterricht in allgemein bildenden Schulen und öffentlichen Musikschulen neu austariert. Dem Verband Deutscher Schulmusiker (vds) und dem Verband Deutscher Musikschulen (VdM) zufolge stehen beide in keinem Konkurrenzverhältnis. Sie tragen gemeinsame Verantwortung für die musikalische Förderung und ergänzen einander in ihrem schulischen Angebot (VdM 2005: 6). Das gemeinsame Anliegen ist die qualifizierte Vermittlung von Musik an Kinder und Jugendliche. Zudem belegt die zunehmende Fülle an erfolgreichen Kooperationsprojekten den partnerschaftlichen Anspruch in der schulischen Praxis. Trotzdem klingt die häufige Wiederholung manchmal wie eine Beschwörungsformel, denn das Thema ist nicht ohne Brisanz. Offene Fragen ergeben sich durch strukturelle und inhaltliche Differenzen der institutionell getrennten Bereiche: Sie betreffen Fragen zum Berufsfeld, zur Ausbildung, zu Organisationsformen, zu pädagogischen Ansätzen, zu Zielgruppen und zu Zielvorstellungen. Schließ-
100 | PETER IMORT
lich geht es auch um den Arbeitsplatz Schule, also spielen nicht zuletzt standespolitische Überlegungen eine Rolle, die allerdings in diesem Beitrag nicht weiter erörtert werden. Wo bestehen Gemeinsamkeiten und Unterschiede, wo liegen positive Entwicklungsperspektiven dieser Kooperationen? Der Einblick in exemplarische Projekte verrät Aufbruchstimmung. Allerdings werden als Ausgangspunkte relativ häufig Projektideen genannt, die zunächst aus der Not geboren werden: Eine chronische Unterversorgung mit Musiklehrern und Musiklehrerinnen bedeutet nach Zahlen verschiedener vds-Landesverbände besonders für die Grundschulen, dass lediglich 20-30 % des Musikunterrichts von fachspezifisch ausgebildeten Kräften und 70-80 % überhaupt nicht oder fachfremd unterrichtet werden. Dieser Beitrag nähert sich strukturellen und inhaltlichen Aspekten der Zusammenarbeit im Arbeitsfeld der allgemein bildenden Schulen zunächst durch exemplarische Einsichten in bestehende Kooperationen. Die Frage nach musikdidaktischen Orientierungen der Kooperationsprojekte trifft auf eine Vielfalt regional wie konzeptionell unterschiedlicher Vorhaben und Ansätze, die zu einigen Befunden bzw. Erfordernissen aus musikdidaktischer Sicht verdichtet werden und tendenziell Auswirkungen auf die Realität und das Verständnis von Musikunterricht an allgemein bildenden Schulen verdeutlichen.
B e s t e h e n d e K oo p e r a t i o n e n u n d R a h m e n ve r e i n b a r u n g e n Funktionierende Kooperationen zwischen Musikschule und allgemein bildender Schule sind nicht neu und haben schon länger Tradition. Die von vds und VdM installierte Arbeitsgruppe »Gemeinsam für Musikalische Bildung« knüpft 2001 in ihrer Erklärung zum Musikunterricht (VdM/vds 2001) nicht nur an die guten Vorsätze der Vorgängerschrift aus dem Jahr 1979 an, sondern beruft sich darauf, dass auf der Verbandsebene »[…] – durchaus in der Tradition Jödes und Kestenbergs – der gegenseitige Gedankenaustausch seit jeher Tagesgeschäft von VdM und Verband Deutscher Schulmusiker« sei (VdM 2005: 7). Relativ neu ist hingegen die Verve, mit der seit einigen Jahren die bestehenden Kooperationen verbandspolitisch begleitet bzw. bildungspolitisch unterstützt werden. Noch 2000 wunderte sich Wolfhagen Sobirey über den »Frieden unter den Funktionären«, die auf Verbandsebene Möglichkeiten von Kooperationen ausloteten (Sobirey 2000). Seine z.T. rhetorisch überspitzten Fragen zum Verhältnis von Musikschule und allgemein bildender Schule berührten zudem grundlegende Aufgaben, Inhalte und Orientierungen von Musikunterricht, z.B.: »Schafft es die Schulmusik insgesamt noch ausreichend genug, die
KOOPERATIONEN: STAND UND PERSPEKTIVEN AUS MUSIKDIDAKTISCHER SICHT | 101
Kinder und Jugendlichen zu interessieren?«, »Führt die Zunahme des Praktischen im Musikunterricht tatsächlich zum Ende der Schulmusik?«, »Öffnen sich die Musikschulen andererseits ausreichend für die Musik, ›die gehört wird‹?« (Sobirey 2000) Die Frage, ob die Mitarbeit der Musikschule in der Grundschule eine Sparmaßnahme oder eine Chance für die Kinder und die Musik ist, hatte angesichts der 1996 eingeführten »Verlässlichen Halbtagsgrundschule« in Hamburg besondere Bedeutsamkeit; heute könnten Grundschulen aus vielen Regionen der Bundesrepublik erfahrungsreich Stellung beziehen. Die kritischen Fragen wurden damals von kompetenter Seite gestellt: Sobirey, von Haus aus Musiklehrer am Gymnasium, arbeitet als Leiter der Hamburger Jugendmusikschule an einer zentralen Schnittstelle. Seine provokanten Überlegungen in Anbetracht der vielleicht allzu friedlichen Begegnung wurden seitdem durch die entstandene Kooperationspraxis relativiert. Jedoch haben viele der grundsätzlichen Fragen nichts an Aktualität verloren bzw. stellen sich immer wieder neu. Allerdings ist einiges von dem, was damals angemahnt wurde, inzwischen ein ganzes Stück auf den Weg gebracht worden. Damals wie heute setzen allgemein bildende Schulen auf MusikschulKooperationsprojekte mit reichlich Musikpraxis. Auf kommunaler wie auf Landesebene werden die Kooperationen auf breiter Basis begrüßt, wenn auch unterschiedlich akzentuiert. Auf kultusministerieller Ebene gibt es derzeit Rahmenvereinbarungen mit Brandenburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein, die u.a. Ziele und Organisatorisches (z.B. Finanzierungsfragen, den Einsatz von Lehrkräften und von Räumlichkeiten) gesetzlich regeln (VdM 2005: 8-35). In Berlin beispielsweise ist eine solche Rahmenvereinbarung anders akzentuiert: Hier besteht der Kooperationsrahmen zwischen Schulen und der »Landesvereinigung Kulturelle Jugendbildung«. Die gemeinsame Aufgabe besteht in einem ergänzenden Kulturangebot, an dem 35 Mitgliedsorganisationen beteiligt sind. Hier ist die Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) der Berliner Musikschulleiter/-innen eine Anbieterin in einem großen Kreis von Mitgliedsorganisationen, wie z.B. der »Interessengemeinschaft Berliner Tanzpädagogen«, dem »LV Jeunesses Musicales Deutschland«, der Jugendkunstschulen, der Evangelischen Jugend, dem »AK Medienpädagogik«, verschiedenen Jugendkultur- und -bildungszentren und Museen (Rahmenvereinbarung Berlin 2006). Ein Netz vielfältiger Vereinbarungen unterschiedlicher Kulturträger, z.B. auch mit Musikvereinen oder der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung, besteht in der ganzen Republik, wenn auch nicht auf Basis von Rahmenvereinbarungen. Ebenso sind die Landesverbände der Musikschulen in eine Fülle von Kooperationsinitiativen zum Musikunterricht an allgemein
102 | PETER IMORT
bildenden Schulen involviert, wobei die aktuelle NRW-Kampagne »Jedem Kind ein Instrument« nur einen momentanen Höhepunkt markiert.1 Vernetzungen mit Schulen genießen also einen hohen Stellenwert, auch wenn es um Fragen nach Zukunftsfähigkeit von Musikschulen geht: Nicht nur in dem NRW-Projekt »Musikschule 2000« und in »Zukunft@Musikschule« des Landesverbands Niedersächsischer Musikschulen spielt der Kooperationsschwerpunkt Schule bzw. Schule und Kindergarten eine wichtige Rolle. In Niedersachsen besteht zudem ein Zusammenhang zur strategischen Entwicklung einer »Marke Musikschule« mit Marketingkonzept, alternativen Finanzierungswegen, Managementkonzept und zur Frage der Erschließung neuer Zielgruppen.
E x e m p l a r i s c h e T h e m e n vo n K o o p e r a t i o n e n Die Durchsicht der »Arbeitshilfe und Materialsammlung zur Kooperation von Musikschule und Ganztagsschule« (VdM 2005) gibt exemplarisch einen lebendigen Überblick über eine große Anzahl bestehender Modellbeispiele, an denen VdM-Musikschulen beteiligt sind. Hier sind auch einige wesentliche Verbandschriften zur Thematik im Anhang abgedruckt. Eine erweiterte Projektsammlung mit Praxisbeispielen steht auch in ständig aktualisierter Fassung auf den VdM-Serviceseiten im Internet zur Verfügung (VdM 2007). Auf diesen VdM-Seiten sind, nach Schultyp sortiert, 57 Projekte mit Grund-, 18 Projekte mit Haupt-, 8 Projekte mit Real-, 8 Projekte mit Gesamt-, 10 Projekte mit Sonder-/Förderschulen sowie 30 Projekte mit Gymnasien aufgeführt. Allerdings ist die stattliche Zahl von 131 Projekten nicht immer mit verschiedenen Projekten an verschiedenen Schulen gleichzusetzen. Synergien ergeben sich zum Teil durch jahrgangsstufen- und schulartenübergreifende Kooperationen zwischen Musikschule und den Schulen vor Ort, so dass sich insgesamt 97 Projekte auf 61 Schulen verteilen. Das Anliegen dieser Aufstellung ist es nicht, einen auch nur annähernd vollständigen Überblick über Kooperationen in diesem Bereich zu geben. Gleich am Anfang der Homepage wird auf zwei weitere WebAdressen mit Beispielen hingewiesen. Zudem führen die Landesverbände zum Teil eigene, umfangreiche Zusammenstellungen, wie z.B. der LV Baden-Württemberg, in dessen Zusammenstellung 137 Kooperationen Berücksichtigung finden, die sich nur zum kleinen Teil mit dem o.g. Angebot decken (VdM LV BW 2004). Dennoch gibt die Stichprobe aufschlussreich Einblick in Themen und Rahmenbedingungen verschiedener 1 Vgl. dazu den Beitrag von Manfred Grunenberg in diesem Band.
KOOPERATIONEN: STAND UND PERSPEKTIVEN AUS MUSIKDIDAKTISCHER SICHT | 103
Kooperations-Praxen. Ein Quercheck zum baden-württembergischen Angebot bestätigt ebenfalls wesentliche Tendenzen. Tabelle 1: Exemplarische Kooperationsprojekte von Musikschulen und allgemein bildenden Schulen Angebot
… wendet
vor-/nach-
sich an
mittags
Stadt/Region
Schulform Instrumentalunterricht/Klassenmusizieren (1) Gemeinsames Musizieren in der GS
GS
v
Bad Friedrichshall
(2) Instrumental-AG Trompete
GS
n
Bad Saulgau
(3) Klassenmusizieren Holz-, Blechbläser
RS
v
GS, HS
v/n
(4) Nährboden für Musikkapellen
Berchtesgadener Land
(5) Jedem Kind ein Instrument
GS, FS/SoS
v/n
Bochum
(6) Bläserprojekt Pennenfeld
HS
v/n
Bonn
(7) Bläserklasse
GY
v
(8) Musikwerkstatt und Schulchor
GS
v/n
(9) Streicherklassen nach P. Rolland
GY
v/n
GS, HS
v/n
Erlangen
(11) Bläserklasse
GS
v/n
Essenbach
(12) Pesta-Bläser
GS, HS
v/n
Friedrichshafen
(13) Bläserklassen
GY
v/n
Gauting-Stockdorf
(10) Die Singschule lebt in den Schulen der
Cochem-Zell Dresden
Stadt
(14) Liedbegleitung auf der Gitarre
GY
n
(15) Gründung einer Schüler-Band
FS/SoS
v/n
(16) »Jedem Kind ein Instrument«
GS, GY
v/n
Göppingen
Görlitz
(17) Nachwuchsförderung mit Bläserklassen
GS
v/n
Grassau
(18) Bläserklassen
GeS
v/n
Grünberg
(19) Rockband
GeS
n
(20) Klassenmusizieren mit Streichinstrumen-
GS
v
Halle/S.
v
Ostkreis Hannover
ten (21) Bläserklasse
GY
(22) Keyboard-Klasse
v
(23) Keyboard-AG
v
(24) Instrumentalunterricht im Ganztag
GS
v
Kamenz
(25) Orff-Klassenmusizieren
GS
v
Lörrach
104 | PETER IMORT (26) »Jedem Kind ein Instrument«
GS
v/n
Meißen
(27) Klasse(n) Musik mit Gitarren
GS
n
Mosbach
(28) Singende GS
GS
v/n
Münster
(29) Streicherklassen an GS im sozialen
GS
v/n
(30) Klassenmusizieren mit Blasinstrumenten
GY
v
(31) Nürnbergs erste Streicherklasse
GS
v
(32) Gepfiffen und geblasen
GS
v
(33) Bläserklasse
GeS
v
Odenwald
(34) Klassenmusizieren
GY
v
Oelsnitz
(35) Blockflötenklasse
GS
n
Reutlingen
(36) Blockflötenspielkreis
GS
n
(37) Offene Band-Arbeit
RS
n
(38) Bläserklassen
GY
v
(39) Instrumentalunterricht in der Mittagspau-
GY
v/n
GS, RS
v
(41) Instrumentalunterricht in Halbklassen
GS
v/n
(42) Instrumentaler Gruppenunterricht im
GS
v/n
Brennpunkt
Nürnberg
se (40) Beispielhafte Bläserklassenarbeit
Vormittagsstundenplan
Rothenburg o.d.T. Schwäbisch-Gmünd SeligenstadtHainburgMainhausen
(43) Bläserklassen mit städt. Förderung
GS
v/n
Traunreut
(44) Kurse im Fach Gitarre und Blockflöte
GS
v/n
Uecker-Randow
(45) Kurse im Fach Gitarre und Pop-Gesang
GY
n
(46) Klassenmusizieren
RS, GY
v/n
(47) Klassenmusizieren
HS
v
Waghäusel
(48) Streichklassenunterricht an der GS
GS
v
Weimar Winnenden
(49) Bläserunterricht 5./6. Klasse
HS
v
FS/SoS ?
n
(51) Klassenmusizieren
GS
v/n
(52) Musikunterricht und Ensemblespiel
GY
v
(53) Klassenmusizieren mit Perkussionsinst-
GS
v/n
(50) Perkussions-AG
Unterhaching
Wössen Zeitz Zerbst
rumenten Weitere thematische Schwerpunkte (54) Musik für die »Zirkuskinder«
GS
v
Berlin TempelhofSchöneberg
(55) Netzwerk Klassik, Konzerte von Jugend- HS, RS, GY, lichen für Jugendliche
GeS
v/n
Essen
KOOPERATIONEN: STAND UND PERSPEKTIVEN AUS MUSIKDIDAKTISCHER SICHT | 105 (56) »Hänsel und Gretel«
GS
v/n
Essenbach
(57) Kindersingspiel »Till Eulenspiegel«
GS
v/n
Friedrichshafen
(58) Rap
HS
v/n
(59) Musiktheater
GS
v
(60) Instrumentenkarussell
GS
v
FS/SoS
v/n
GY
v/n
Herrenberg
(63) Sport und Musik im Ganztag
GS
v/n
Hilden
(64) Talentförderklasse Musik
GY
v
FS/SoS
v
GS, HS, RS,
v/n
Meppen
(61) Karneval der Tiere (62) »Musik unter dem Stiefel« – Veranstal-
Halle/S.
tungszyklus zum Thema »Musik im 3. Reich«
(65) Rhythmik »Lernbehinderten-Gruppe« (66) »Krieg und Frieden«
Leonberg
GY (67) Musiktheater integrativ
FS/SoS
v/n
München
(68) Romeo und Julia
HS, GY
v/n
Offenburg/Ortenau
(69) Symphonic Air Connection
GY
n
Weilheim
(70) Musik und Tanz
GS
v
Zeitz
Offene Themenformulierung, »Motto« (71) Musikschule »Plus MinusX« II
GS,HS,RS,
n
Bad Pyrmont
GY (72) Musikzweig am Gymnasium (73) Koop mit FS für geistig Behinderte (74) Kooperationsangebote an die allgemein bildenden Schulen (75) Auf die Grundschulen zugehen (76) Jahres-Zertifikate der Musikschule
GY
v/n
Bonn
FS/SoS
v/n
Dresden
GS, HS,
v/n
Freiburg
GS
v/n
Gladbeck
GS, HS, RS,
n
Göppingen
Grünberg
GY, GeS
GY GS
n
GeS
n
FS/SoS
v/n
(79) Einrichtung einer Musik-Klasse
HS
v/n
(80) Angebote für die Verlässliche Halbtags-
GS
v
Hamburg
GS, HS, GY
n
Hof
GY
v/n
(77) Nachmittagsangebot an der Grundschule Nachmittagsprogramm in der Ganztagsschule (78) Mit Musik in die Zukunft
Haan
grundschule (81) Musische Bildung für alle Schulstufen (82) Kulturelles Engagement braucht Partner
106 | PETER IMORT (83) Musik und Schule
GS, HS,
v/n
Köln
GS
v/n
Langenfeld
GS, weiterf.
v/n
Meppen
GS
v
Monheim
GS, HS
v/n
Münster
GS
v/n
Neu-Ulm
FS/SoS
v/n
Ostfildern
(90) Erste Musik-Hauptschule Bayerns
HS
v/n
Passau
(91) Kreativkarussell
GS
v/n
Reutlingen
(92) Teamwork – eine tolle Sache!
GS
v/n
Saarbrücken
GS, HS, RS,
v/n
Traunreut
GY, GeS (84) Langenfelder Bildungsoffensive (85) Gemeinsam – mit Musik !
Schulen (86) Persönlichkeitsentwicklung durch Musikerziehung (Instrumentalunterricht) (87) Erlebnis- und wahrnehmungsorientierter Musikunterricht in Ganztagsschulen (88) Das MusikMobil (89) Integrativer Unterricht als sonderpädagogisches Projekt
(93) Zusammenarbeit mit den allgemein bild. Schulen im Zweckverband
GY GS
v
FS, SoS
v
(96) Modellprojekt »Musik«
GS
n
(97) Modellprojekt des LVdM NRW und des
GS
v/n
(94) Erster Einstieg in die Kooperation (95) Kooperation mit E.-Lesch-Schule zur
Unterhaching
Lernförderung
vds NRW
Wuppertal Bergkamen, Dortmund, Düsseldorf, Straelen
Quelle: VdM 2007, Zusammenstellung und Bearbeitung von Peter Imort Bündelt man die Kooperationen thematisch, so lassen sich, unabhängig von der Schulform, drei große Blöcke bilden: • Die größte Gruppe bilden 53 Angebote zu Klassenmusizieren bzw. zum Ensemblespiel im Verbund mit Instrumentalunterricht. Musikschulen engagieren sich traditionell in verschiedenen Formen des Klassenmusizierens: Bläser-, Streicher-, Keyboard-, Blockflöten-, Orff-, Gitarren- und Gesangsensembles decken ein großes Spektrum an Möglichkeiten in diesem Bereich ab. • Weitere 17 Titel behandeln zum Teil zeitlich begrenzte Themen. Dazu zählen bestimmte Musikwerke wie z.B. die Schüleraufführung »Hänsel und Gretel«, das Kindersingspiel »Till Eulenspiegel«, der »Karneval der Tiere« oder ein Projekt zu »Musik im Dritten Reich«, aber auch durchgängig angelegte Projekte wie »Musik für Zirkuskin-
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der«, »Rhythmik für die Lernbehindertengruppe« oder das »Netzwerk Klassik«. Die dritte Projektgruppe bevorzugt offene Formulierungen. Die Palette an 27 offenen, allgemein gehaltenen Titeln wie »Musische Bildung für alle Schulstufen«, »Angebote für die Verlässliche Halbtagsgrundschule«, »Langenfelder Bildungsoffensive«, »Mit Musik in die Zukunft«, »Auf die Grundschulen zugehen«, »Kulturelles Engagement braucht Partner« oder »Persönlichkeitsentwicklung durch Musikerziehung« bündeln häufig eine ganze Anzahl von Kooperationsangeboten. Besonders die offenen Formulierungen stehen nicht selten stellvertretend für ein ganzes Netz an Aktivitäten, das mit den vor Ort vorhandenen Schulen geknüpft wird.
Das Angebot konkretisiert und differenziert sich jeweils in den angehängten Projektbeschreibungen, die aufschlussreich inhaltliche und organisatorische Aspekte deutlich werden lassen und im Folgenden zu einigen Befunden bzw. Erfordernissen aus musikdidaktischer Sicht verdichtet werden.
S t r u k t u r e l l e u n d i n h a l t l i c h e As p e k t e z u m S t a n d der Kooperationen aus musikdidaktischer Sicht Die folgende Auswertung der Stichprobe hat aus musikdidaktischer Perspektive Gegenstände, Methoden und Ziele des Musikunterrichts an allgemein bildenden Schulen im Blick. Im Folgenden werden einige Befunde herausgestellt und mit wünschenswerten Forderungen bzw. Tendenzen verknüpft.
a) Die Entwicklung einer gemeinsamen Musikpraxis von Schüler/-innen erfordert die Einbettung in ein umfassendes, breit angelegtes didaktisches Konzept von Musikunterricht Die Entwicklung einer gemeinsamen Musikpraxis von Schüler/-innen bildet einen Kernpunkt der Kooperationen. Das gemeinsame Musizieren korreliert mit der gegenwärtig starken musikdidaktischen Tendenz, musikpraktische Anteile des Unterrichts zu erhöhen. Diese Gewichtung erfordert theoretisch-konzeptionelle wie unterrichtspraktische Überlegungen zu Orientierungen von Musikunterricht in allgemein bildenden Schulen (vgl. Kraemer/Rüdiger 2001; Schäfer-Lembeck 2005). Wie und womit sollten Kinder zur Musik geführt werden? Hier wird die tätige musikpraktische Erfahrung zur Grundlage des musikalischen Lernprozesses, Musik soll also gewissermaßen an Musik gelernt werden. Die Zunahme des
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Musikpraktischen wird nicht nur als eine attraktive Ergänzung eines traditionellen, primär auf Hörerziehung zielenden Musikunterrichts gesehen, sondern fördert zudem ein jugendliches Gestaltungs- und Ausdrucksbedürfnis, das Musik als Ausdrucks- und Reflexionsmedium für die eigene Lebenssituation nutzt. Die plausible Stärke dieser musikpädagogischen Ausrichtung lässt sich besonders in aktuellen musikpädagogischen und bildungspolitischen Diskussionen um positive Transfereffekte des Musizierens umfassend nachvollziehen und stützen. Kritisch betrachtet, umfasst Musikunterricht jedoch ein breit angelegtes Schulfach, und diese inhaltliche Breite erschließt sich durch das reine Musikmachen nicht automatisch. Wesentliche Bereiche des Musikunterrichts zielen nach wie vor auf Sensibilisierung und Differenzierung der Hörwahrnehmung, auf Erschließung von musikalischem Wissen und auf das vielgestaltige Kennenlernen von eigener und fremder Musikkultur in Geschichte und Gegenwart. Unter musikdidaktischem Blickwinkel erscheinen daher integrativ angelegte Konzepte, in denen die schulische Musizierpraxis in das Konzept eines umfassenden Musiklernens eingebunden wird, besonders gewinnbringend und zukunftsträchtig. Beispielhafte Ergebnisse liefern Kooperationsprojekte wie die in Hessen und Rheinland-Pfalz entwickelten Modelle zum Klassenmusizieren, die z.T. umfangreich wissenschaftlich begleitet wurden (Bähr/Jank/Schwab 2001 und Striegel 2005). In diesem Bereich ist weitere Unterrichtsforschung, insbesondere zur Evaluation musikpädagogischer Praxis, nötig.
b) Die konzeptionelle Ausrichtung der Kooperationsprojekte auf musikalische Breitenförderung ist aus musikdidaktischer Sicht begrüßenswert Auch wenn die unterrichtliche Realität noch in vielen Schulen anders aussieht: Musikunterricht ist verbindlich in allen Stundentafeln der Länder verankert, er soll alle Schüler/-innen erreichen. Musik ist nach wie vor ein akzeptiertes, unverzichtbares Unterrichtsfach, auch wenn die Bedingungen je nach Bundesland schwanken. Es leistet »einen unverzichtbaren Beitrag zur Erziehung des jungen Menschen« (KMK 1998: 11) und es besteht bildungspolitischer Konsens darüber, dass musikalische Bildung allen schulpflichtigen Kindern zukommen soll, nicht nur den besonders Interessierten und Begabten. Es entspricht demnach dem Auftrag und dem Selbstverständnis des allgemein bildenden Musikunterrichts, musikalische Breitenarbeit zu gewährleisten. Es ist feststellbar, dass die meisten Kooperationsinitiativen dieser Grundorientierung entsprechen. Fast alle aufgeführten Kooperationen zielen auf musikalische Breitenförderung, nur zwei Projekte an Gymnasien in Bonn und Hilden werden in den
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Projektansätzen eindeutig als musikalische Begabtenförderung definiert. Diese äußerst kleine Zahl dürfte das tatsächliche Vorkommen, besonders an Gymnasien mit Musikprofil, nicht realistisch repräsentieren. Anzunehmen ist, dass das spezielle Profil nicht erst mit Beginn der Kooperation aufgesetzt wird. Vielmehr wird es, wie in diesen Beispielen, an Standorten mit besonderer musischer Tradition, besonders im gymnasialen Bereich, ausgebaut und erweitert. Besonders hier besitzt musikalische Begabtenförderung weiterhin Attraktivität, Relevanz und Stellenwert. Sie ist selbstverständlich zu unterstützen, auch vor dem Hintergrund notwendiger künstlerischer und musikpädagogischer Nachwuchsförderung. Die Frage, ob die Musikschule nur für die Spitze oder für die gesamte Breite qualifiziert, ist also in der Praxis oft schon beantwortet. Allerdings ist die Tatsache, dass sich viele Projekte die breite Musikalisierung aller Schüler/-innen zur Aufgabe gemacht haben, gleichzeitig Novität wie Herausforderung für eine Musikschulpädagogik, in deren Zentrum klassischerweise die freiwillige Ausbildung an einem Instrument steht. Zwar bestehen seit ehedem reiche Erfahrungen mit einer breiten Palette an (klein-) gruppenorientierten Spezialangeboten von musikalischer Früherziehung bis zur Vorbereitung auf das Musikstudium. Dennoch werden hier zusätzliche und grundsätzliche musikpädagogische Akzentverschiebungen in einer auf private Initiative setzenden Instrumentalpädagogik für musikalisch besonders Interessierte und Motivierte deutlich wie notwendig.
c) Musikalische Profilbildung soll nicht zur Entwicklung von musikalischer Monokultur führen Schulen nutzen Kooperationsangebote erfolgreich als Profilbildungselement. Zumindest was die Literaturlage angeht, konnte noch vor einigen Jahren der Eindruck entstehen, als ob die Initiative zu entsprechenden Kooperationsangeboten eher von Musikschulen ausgehen und sich die Schulmusikpädagogik eher zögerlich der Thematik annehmen würde. Vielleicht bestand, auch angesichts knapper Kassen, ein größerer Öffnungsdruck auf Seiten einer traditionell auf den instrumentalen Einzelunterricht fokussierten Institution. Diese Einschätzung trifft heute definitiv nicht zu, der Eindruck hat sich grundlegend gewandelt. Nicht nur vor dem Hintergrund einer kommunal gewollten Öffnung von Schule im Stadtteil, sondern auch angesichts der Notwendigkeit von Profilbildung nutzen Schulen zunehmend den Kontakt zu örtlichen Musikschulen und deren Kompetenzen. Die inhaltlichen und organisatorischen Rahmenbestimmungen von Musikunterricht ermöglichen und fordern inhaltliche Breite und methodische Vielfalt, während die konkrete Ausgestaltung eine Sache des Fachs bzw. der Schulen vor Ort ist und zunehmend in ein profi-
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lierendes Schulcurriculum einfließt. Die öffentlichen Musikschulen sind hier kompetente, zuverlässige und gut organisierte Kooperationspartner mit verbindlichem Strukturplan, mit durch Fachlehrkräfte garantierter Unterrichtsqualität und einer breiten Angebotspalette. Darüber ist sich der VdM selbstbewusst im Klaren (VdM 2005: 6); so kennen und schätzen es die Schulen, besonders im Zusammenhang der Vermittlung von Fähigkeiten zur praktischen Musikausübung. Gerade verschiedene Formen des institutionalisierten Klassenmusizierens, der Bläser-, Streicher- oder Chorklassen, werden von Schulen verstärkt als Profilbildungselement entdeckt und genutzt. Diese prinzipiell wünschenswerte, weil das Fach auch schulpolitisch stärkende Schwerpunktsetzung, sieht sich vor die Aufgabe einer Vermeidung von musikalischer Monokultur gestellt. Wie kann man Profilbildung ohne musikalische Monokultur erreichen? Die Projektbeschreibungen verdeutlichen, dass das Verhältnis von Breite und Profil sich vor Ort entscheidet. Profile werden nicht aufgesetzt, sondern entsprechende Rahmenbedingungen vor Ort zusammengeführt. Kooperationen entstehen auf Grund schulorganisatorischer Vorgaben, aber auch auf Grund personeller Konstellationen und persönlicher Initiativen. Welche Breite kann aus dem Profil heraus ›sternenförmig‹ gebildet werden? Die Entwicklung von Profilen, die weiterhin eine inhaltlich wie methodisch breite Grundorientierung von Musikunterricht zum Ziel haben, ist m.E. zur Zeit eine der anspruchsvollsten Herausforderungen, wenn es um die musikalische Arbeit mit dieser speziellen Form von Musikklassen geht.
d) Kooperationsprojekte im Bereich populärer, jugendkulturell orientierter Musik sollten verstärkt werden Musikunterricht der allgemein bildenden Schule stellt den Kontakt mit vielfältigen musikalischen Erscheinungsformen her. Die Auseinandersetzung mit eigenen und fremden musikalischen Traditionen der Vergangenheit und Gegenwart erfordert eine Einbindung von zeitgenössischer Musik sowie der Musik anderer Kulturen. Musikunterricht erfasst im Sinne eines Kultur erschließenden Anspruchs auch Formen jugendkultureller Musik, einschließlich deren spezifischer Rezeptions- und Ausdrucksformen. Musiklehrer/-innen sollten hier die nötige Offenheit besitzen und eine Breite garantieren, die sich nicht auf die Erscheinungsvielfalt der Klassischen Musik verengt. Öffnet sich Schul- bzw. Musikschulunterricht hinreichend für die Musik, die von Jugendlichen gehört wird? Die Stichprobe zeigt, dass sich bislang das Kennenlernen von und der Umgang mit Musik sehr auf Kunstmusik beschränken. Projekte zu populärer, jugendkultureller Musik sind unterrepräsentiert. Besonders medial bzw. technisch gestützte
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Formen der Produktion und Vermittlung jugendkultureller Musik werden in den bisherigen Kooperationen noch zu wenig unterstützt. Dem entspricht allerdings das reale Angebotsprofil vieler Musikschulen, deren Kapazitäten im populärmusikalischen Bereich eher klein sind. Welche musikpädagogischen Konsequenzen ergeben sich daraus? Ein zeitgemäßer Musikunterricht sollte Schüler/-innen orientierter, Subjekt stärkender Unterricht sein. Dazu müssen soziokulturelle Kontexte, Schülerbiographien, -interessen und -erfahrungen berücksichtigt werden. Musikunterricht ist gefordert, vorhandene musikalische Kompetenzen der Schüler/-innen verstärkt aufzugreifen. Empirische Untersuchungen z.B. zur fanspezifischen Nutzung von Popmusik und zur Rezeption jugendlicher Musikvideoproduktionen belegen, dass gerade im Bereich jugendkulturell wirksamer Musik Kompetenzen und Umgehensweisen vorhanden sind, die jedoch von den Musiklehrern und -lehrerinnen wie auch von den Jugendlichen selbst nicht als ernstzunehmende Wissensbestände wahr- und angenommen werden. Es wird auch deutlich, dass insbesondere populärmusikalisch interessierte und jugendkulturell aktive Jugendliche den Eindruck haben, ihre musikalisch-medialen Erfahrungen und Kompetenzen seien für den Musikunterricht wertlos. Hier kommt musikalischen Praktiken, die im Alltag außerhalb von Schule erworben wurden, eine besondere Rolle zu. Eine musikpädagogische Perspektive ist, die oft beträchtlichen Kompetenzen in verschiedenen musikalischen und medialen Bereichen für den Musikunterricht fruchtbar zu machen (Imort 2002; Müller 2002; Münch 1997). Wünschenswert ist, dass Musikunterricht hier mehr Gestaltungsräume bietet bzw. kompetent öffnet und bereitstellt. Kooperationsangeboten im Bereich medial vermittelter Populärer Musik kommt hier eine besondere Rolle zu.
Ab s c h l i e ß e n d e Ü b e r l e g u n g e n u n d Au s b l i c k Beobachtbar ist, dass sich inhaltliche und organisatorische Rahmenbedingungen von Musikunterricht durch die Kooperationen verändern. Die traditionelle Differenzierung, nach der der Schulmusik der Vormittag und der Musikschule der Nachmittag gehört, verliert in vielen Kooperationen zunehmend Kontur, nicht nur im Ganztagstagsbetrieb. Auffällig ist der hohe Anteil an Veranstaltungen, die in der traditionellen Kernzeit von Schulunterricht, also am Vormittag, stattfinden. Daneben gibt es eine Reihe von Angeboten, die sich auf die Randstunden konzentrieren. Ganztagsschulen ermöglichen hier sicherlich mehr zeitliche und strukturelle Flexibilität. Der Position des VdM ist zuzustimmen, dass Ganztags-
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angebote der allgemein bildenden Schule die Chance gewähren, sowohl für den Kernbereich des Unterrichts, für den AG- oder Wahlbereich sowie in den Betreuungszeiten von der Kooperation zu profitieren (VdM Arbeitshilfe Präambel). Musikschullehrer/-innen sind in allgemein bildenden Schulen willkommen, da sie über gefragte musikalische Kompetenzen verfügen. Schulmusiker/-innen und Musikschullehrer/-innen stehen hier in einem arbeitsteiligen Zusammenhang. Welche Strategien der Arbeitsteiligkeit sind anzutreffen? Vielfältige Antworten darauf entwickeln sich gegenwärtig in der Praxis, jeweils vor Ort. Eine wünschenswerte wie gebräuchliche Möglichkeit ist, dass Schulmusiker/-innen und Musikschullehrer/-innen im Tandem, mit unterschiedlicher Aufgabenverteilung, unterrichten. Idealerweise ergänzen sich beide in ihren Kompetenzen. Ein Beispiel: Ein Diplom-Instrumentallehrer bringt in seiner Rolle als Lehrer an allgemein bildenden Schulen Elan und künstlerische Kompetenz mit, ist jedoch für die spezielle Lernsituation in der Klasse im Normalfall rudimentär ausgebildet. Sein Studium stellt ihm, jedenfalls bislang, kein ausreichendes methodisch-didaktisches Handwerkszeug für diese Zielgruppe zur Verfügung. Andersherum sucht etwa ein Schulmusiker, dessen Studienschwerpunkt vielleicht mehr auf der wissenschaftlichen Seite der Ausbildung gelegen hat, eine Brücke zur Kulturerschließung über die neuen Kollegen und Kolleginnen, die instrumentale und künstlerische Kompetenzen einbringen. Arbeitsteiligkeit und Angebote zur Weiterbildung sind grundlegende Bedingungen der Kooperationen. Es sollte Konsens darüber bestehen, dass es kein tragfähiges Konzept sein kann, zu wenige Schulmusiker/-innen auf breiter Front durch Instrumentallehrer/-innen zu kompensieren. Die Kooperationen bringen eine Tendenz zur Ausweitung der Kerngeschäfte von Schulmusikern und -musikerinnen sowie Instrumentalmusiklehrerinnen und -lehrern mit sich. Hier reichen Kompetenzen, die sich einerseits auf Instrumental-Einzelunterricht und andererseits auf vielleicht eher rezeptiv ausgerichteten Musikunterricht beschränken, für die zukünftige Entwicklung schlüssiger Kooperationskonzepte nicht aus. Bläserund Streicherklassenlehrer/-innen sollten eine spezielle Ausbildung machen, so wie sie verschiedene Weiterbildungs-Institutionen wie die Akademie für Musikpädagogik Mainz bereits anbieten. Zu fragen ist allerdings auch, welche Auswirkungen die Tendenzen zu Profilbildung und Kooperation auf die traditionellen Musik-Studiengänge, die Schul- und Instrumentallehrer/-innen ausbilden, haben werden. Das Diplom-Musiklehrerstudium mit dem für den Einzelunterricht auf hohem, künstlerischem Niveau ausgebildeten Fachlehrer/-innen und das Schulmusikstudium, dessen inhaltliche Breite durch die Breite in der Musik- bzw. Schulkultur legitimiert ist, bedürfen einer Schnittmenge. Es deutet sich bereits an,
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dass Kooperation und Profilbildung Auswirkungen auf Studienkonzepte sowohl an den Wissenschaftlichen als auch an den Musikhochschulen haben werden. Auch vor dem Hintergrund europäisierender, standardisierender Bildungsbemühungen ergibt sich die Chance, bestimmte Ausbildungsstränge neu zu akzentuieren, etwa wie es der Bundesfachausschuss Musikpädagogik im Memorandum zur Ausbildung für musikpädagogische Berufe vorgeschlagen hat (BuFa 2000: 26-27). Dazu gehören u.a. eine intensive Vernetzung der musikalischen Ausbildungsgänge innerhalb eines Gesamtkonzepts, das Primat des Vermittlungsaspekts in allen Fächern sowie deutlich auf Berufsfelder bezogene Studienangebote, wie sie allerdings auch in den entsprechenden zukünftigen Bachelor-/ Master-Studiengängen intendiert sind.
Literatur Bähr, Johannes/Jank, Werner/Schwab, Christoph (2001): »Musikunterricht und Ensemblespiel im Rahmen der Kooperation von allgemein bildender Schule und Musikschule«. In: Rudolf-Dieter Kraemer/Wolfgang Rüdiger (Hg.) (2001): Ensemblespiel und Klassenmusizieren in Schule und Musikschule, Augsburg, S. 131-154. Bundesfachausschuss Musikpädagogik (2000): »Memorandum zur Ausbildung für musikpädagogische Berufe«. In: Deutscher Musikrat (Hg.) (2005): Musik bewegt. Positionspapiere zur Musikalischen Bildung, Berlin, S. 25-38. Deutscher Musikrat (Hg.) (2005): Musik bewegt. Positionspapiere zur Musikalischen Bildung, Berlin. Imort, Peter (2002): »Der Song sprach in Rätseln, so wie unser bisheriges Leben verlaufen war. Zur medialen Konstruktion musikalischer Lebenswelten in eigenproduzierten Musikvideos Jugendlicher«. In: Renate Müller/Patrick Glogner/Stefanie Rhein/Jens Heim (Hg.) (2002): Wozu Jugendliche Musik und Medien gebrauchen, Weinheim/München, S. 9-26. Kraemer, Rudolf-Dieter/Rüdiger, Wolfgang (Hg.) (2001): Ensemblespiel und Klassenmusizieren in Schule und Musikschule, Augsburg. Landesvereinigung Kulturelle Jugendbildung Berlin e.V. (Hg.) (2006): »Rahmenvereinbarung zwischen der Landesvereinigung Kulturelle Jugendbildung Berlin e.V. (LKJ) und dem Senator für Bildung, Jugend und Sport Berlin zur Zusammenarbeit mit Schulen«. In: www.lkjberlin.de/kultur_trifft_schule/download.htm (15.03.2007). Müller, Renate/Glogner, Patrick/Rhein, Stefanie/Heim, Jens (2002): »Zum sozialen Gebrauch von Musik und Medien durch Jugendliche«. In:
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Renate Müller/Patrick Glogner/Stefanie Rhein/Jens Heim (Hg.) (2002): Wozu Jugendliche Musik und Medien gebrauchen, Weinheim/München, S. 9-26. Münch, Thomas (1997): »Jugend, Musik und Medien«. In: Dieter Baacke (Hg.): Handbuch Jugend und Musik, Opladen, S. 383-400. Nimczik, Ortwin (2006): »Musikunterricht in den allgemein bildenden Schulen«. In: www.miz.org/themenportale.html, Rubrik »Bildung und Ausbildung« (15.03.2007). Schäfer-Lembeck, Hans-Ulrich (Hg.) (2005): Klassenmusizieren als Musikunterricht!? Theoretische Dimensionen unterrichtlicher Praxen (= Musikpädagogische Schriften der Hochschule für Musik und Theater), München. Sobirey, Wolfhagen (2000): »Vom Frieden unter den Funktionären. 22. Bundesmusikschulwoche in Potsdam«. In: Neue Musikzeitung, Heft 07/08 (47. Jg.), Regensburg. Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder in der BRD (KMK) (1998): Zur Situation des Unterrichts im Fach Musik an den allgemein bildenden Schulen in der Bundesrepublik Deutschland. Bericht der KMK vom 10.03.1998, S. 11ff. Striegel, Ludwig (2005): »Klassenmusizieren als integratives Unterrichtskonzept. Das Mainzer Modell«. In: Hans-Ulrich Schäfer-Lembeck (Hg.): Klassenmusizieren als Musikunterricht!? Theoretische Dimensionen unterrichtlicher Praxen (= Musikpädagogische Schriften der Hochschule für Musik und Theater), München, S. 125-137. Verband deutscher Musikschulen (Hg.) (2005): Arbeitshilfe und Materialsammlung zur Kooperation von Musikschule und Ganztagsschule, 3. Aufl., Bonn. Verband deutscher Musikschulen (Hg.) (2007): »Kooperation von Musikschule und allgemein bildender Schule. Modellbeispiele aus VdMMusikschulen« (wird laufend ergänzt, Stand: 22. Januar 2007). In: www.musikschulen.de/seiten/projekte/kooperation-beispiele.htm (15.03.2007). Verband deutscher Musikschulen, LV Baden-Württemberg (Hg.) (2004): »Kooperationen zwischen Musikschulen und allgemein bildenden Schulen in Baden-Württemberg«. In: www.musikschulen-bw.de/pdf/ DokumentationKooperationsprojekte.pdf (15.03.2007). Verband deutscher Musikschulen/Verband deutscher Schulmusiker (2001): »Gemeinsam für musikalische Bildung«. In: Verband deutscher Musikschulen (Hg.) (2005): Arbeitshilfe und Materialsammlung zur Kooperation von Musikschule und Ganztagsschule, 3. Aufl., Bonn, S. 76-79.
»Jedem Kind ein Instrume nt« – Ein Zukunftsmodell für Musikschulen? MANFRED GRUNENBERG
1 . Au s g a n g s l a g e Angesichts der letzten 15 bis 20 Jahre würde kein ernsthafter Kenner der Lage den Musikschulen eine erfreuliche Zukunft attestieren. Die Signale sind ernüchternd bis alarmierend: Im Zuge der Finanznot in Kommunen und Ländern wird die öffentliche Unterstützung fast überall gekürzt. Viele hundert Arbeitsplätze wurden bereits vernichtet. Dafür wird die Arbeit als MusikschulLehrkraft auf einer Honorarhöhe angeboten, die nicht einmal für die Ernährung einer Familie reicht. Gleichzeitig wurde die Arbeit der Musikpädagogen verdichtet, indem die Unterrichtszeiten zulasten der Vorbereitungszeiten erweitert wurden. Und die Anzahl der Schüler, die eine Lehrkraft betreut, stieg an; Gruppenunterricht wurde eingeführt, ohne dass entsprechende Fortbildungen voraus gingen. Gleichzeitig sank die Kaufkraft der Familien. Gerade der Mittelstand ist betroffen, dem der überwiegende Teil der bisherigen Schülerschaft entstammt. Als Folge schrumpfen die finanziellen Spielräume für Freizeitaktivitäten der gesamten Zielgruppe. Wenn man dann noch die intensive gemeinsame Anstrengung von Bund und Ländern betrachtet, flächendeckend die Ganztagsschule einzuführen, scheint es, als ginge es den Musikschulen an den Kragen. In gewisser Weise muss man dieser Analyse zustimmen: Die Musikschule, wie wir sie aus der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts kennen, droht, nicht mehr überlebensfähig zu sein. Nur ein kleines, erlesenes und notwendig elitäres Publikum wird der Musikschule unter diesen Bedingun-
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gen noch treu bleiben können. Sie hat ihre natürlichen Grenzen im Umfang der Zielgruppe, die den Weg zur Musikschule aus eigenem Antrieb auch dann noch findet, wenn der gesamte Tag mit der allgemein bildenden Schule ausgefüllt ist. Nur noch Familien, in denen das Musikinstrument traditionell zu Hause ist, stehen den Musikschulen als Klientel dann noch zur Verfügung. Diese Sichtweise ist aber nicht die einzig mögliche. Gehen die Musikschulen den Weg enger Kooperation mit der allgemein bildenden Schule, eröffnen sich ganz andere Perspektiven. Auch im Zeitalter der Ganztagsschule haben Kinder das Bedürfnis nach instrumentaler Ausbildung – ein Bedürfnis, das dann eben innerhalb der Ganztagsschule organisiert werden muss. Warum sollten Musikschulen ihren Unterricht nicht innerhalb der Schulen anbieten? Hier ist Phantasie und institutionelle Flexibilität gefragt. Wenn die Musikschulen sich bisher prächtig in der Freizeit der Kinder und Jugendlichen entwickelt haben, warum sollten sie das nicht auch in enger Kooperation, in einer festen strategischen Verbindung mit der Schule können – vielleicht noch viel besser können? Die Musikschulen warten dann nicht mehr auf den Zeitpunkt, an dem der Schüler an die Tür klopft und sich anmeldet – die Schüler sind schon da, und zwar potenziell alle. Genau hier setzt das Projekt »Jedem Kind ein Instrument« an. Die Bochumer Musikschule legt ein Konzept vor, mit dem ein Teil der Musikschule in die Grundschule verlegt wird. Gleichzeitig wird dabei die eigenständige Profession des Instrumentalpädagogen gestärkt und die Zielgruppe auf alle Kinder ausgedehnt. Das Erlernen eines Musikinstruments wird in den erweiterten Kanon der öffentlichen Bildungsinhalte aufgenommen. Die Musikschule sorgt dafür, dass der instrumentale Teil der allgemeinen Bildung innerhalb der Schulen in hoher Qualität stattfindet. Musikschulen im Ruhrgebiet entwickeln sich zu Dienstleistern der Schulen. Sie unterstützen die Schule dabei, die Grundfähigkeiten des Instrumentalspiels in den Kanon der zu vermittelnden Inhalte der Grundschule zu integrieren. Ab August 2007 wird dieses Konzept im gesamten Ruhrgebiet mit seinen mehr als 40 Musikschulen und ca. 1.000 Grundschulen realisiert. Bis zum Schuljahr 2010/2011 sollen alle Grundschulen einbezogen sein. Alle 200.000 Grundschulkinder sind eingeladen; mindestens 160.000 (80 %) sollen erreicht werden. Diesen großen Impuls wird das Ruhrgebiet als einen Beitrag für die Aktivitäten der Kulturhauptstadt Europas setzen. Der Anstoß zu diesem immensen Projekt kommt nicht allein aus der Musikpädagogik. Zunächst ermöglichte die Verbindung zwischen Musikschule und einem bürgerschaftlichen Engagement vor Ort im Umfeld einer Bank, dass die Idee an sich und das Projekt in Bochum entstehen konnten. Danach brach sich politischer Gestaltungswille auf Landes- und Bundesebene Bahn und führte, zusammen mit der Chance der Kulturhauptstadt 2010 im
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Ruhrgebiet, zum großen Projekt. Diese Entwicklung ist allerdings nur möglich gewesen, da sich im letzten Jahrzehnt ein breiter gesellschaftlicher Konsens über die Leistungsfähigkeit der kulturellen Bildung gebildet hat. PISASchock und die Rezeption der Arbeiten von Hans Günther Bastian (vgl. Bastian 2000 und 2001) auf breitester medialer Front seien hier nur angedeutet. Die Strömungen werden in den anderen Beiträgen dieses Bandes ausgiebig gewürdigt.
2. »Jedem Kind ein Instrument« – Entstehungsgeschichte Die »Zukunftsstiftung Bildung« wurde als unselbstständige Stiftung innerhalb der GLS-Treuhand Bochum gegründet. Zu ihrem Aufgabenspektrum gehört die »[…] Förderung von Initiativen des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens, die auf eine nachhaltige Erneuerung der Bildung und ihrer Strukturen abzielen.« Im Rahmen dieser Zielsetzung ging die Stiftung im Jahre 2000 mit der Frage auf die Musikschule Bochum zu, ob man gemeinsam eine nachhaltige Innovation im Bereich der Musikschulen entwickeln und durchführen könne. Als neu gegründete Stiftung hatte sie auch ein gewisses Interesse daran, mit einer spektakulären Fördermaßnahme bekannt zu werden. Die Gründung der Stiftung kam in einer Zeit zustande, in der sich die GLS-Bank durch den Zukauf der Frankfurter Öko-Bank von einer Sparten-Bank für den Bereich der anthroposophischen Institutionen zu einer bundesweiten Bank ausdehnte. So verband sich das persönliche Engagement der dort handelnden Personen mit einem Bedarf der GLS-Gruppe an überregional wirksamen Projekten. Die Stiftung hatte zur gleichen Zeit ein ähnliches Projekt an der Waldorfschule in Bochum-Langendreer betreut und gefördert, in dem ebenfalls alle Kinder ein Instrument erlernen sollten. Es war aber den Rahmenbedingungen der Waldorfschulen angepasst und bot sich für die Ausdehnung an den staatlichen Grundschulen nicht an. Die Anfrage der Stiftung kam zu einem Zeitpunkt, als sich die Leitung der Musikschule Bochum darüber Gedanken machte, wie eine Erneuerung der Musikalischen Grundausbildung aussehen müsste. Die Attraktivität der konventionellen Musikalischen Grundausbildung (MAG) war offensichtlich geschwunden. Die MGA war schon in den 1960er Jahren entwickelt worden, setzte die Blockflöte oder orffsche Instrumente ein und war, inhaltlich komplett von der Grundschule getrennt, im nachmittäglichen Freizeitbereich angesiedelt. Gesucht wurde ein Konzept für die elementare musikalische Arbeit mit Grundschulkindern. Es sollte idealtypisch den hier aufgeführten Kriterien folgen:
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Alle Kinder sind im Blick. Alle Ausschlussgründe im Strukturellen und Finanziellen sollen minimiert werden, damit alle oder zumindest fast alle Kinder teilnehmen können. Die Musikschule soll im Rahmen der Grundschule tätig werden, möglichst eng kooperativ und langfristig eingeflochten im Vormittagsunterricht. Alle Musikinstrumente sind einbezogen. Eine Beschränkung auf »Vor-« oder »Kinderinstrumente« wie Blockflöte, Xylophon oder Melodika sollte es nicht mehr geben. Das individuelle instrumentale Lernen im Gruppenunterricht steht im Mittelpunkt. Ihm ist eine einjährige Phase des klassenweisen Lernens elementarer musikalischer Inhalte vorgeschaltet, die eine sehr intensive Instrumenteninformation umfasst. Das instrumentale Lernen soll im zweiten Schuljahr in Gruppen von vier bis sieben Kindern stattfinden. Der Beginn der Aktion liegt im ersten Schuljahr. Musikinstrumente werden von privater Seite finanziert.
Das Ergebnis der mehrmonatigen Konzeptentwicklung war das Projekt »Jedem Kind eine Instrument« in seiner ersten, der Bochumer Fassung. Beteiligt waren neben den Lehrkräften der Musikschule Bochum auch Lehrer/innen und Leiter/-innen der Bochumer Grundschulen und Vertreter/-innen der Zukunftsstiftung Bildung.
3. Das Bochumer Konzept Es besteht im Kern aus einem zweijährigen Unterricht der Musikschule in Form einer zusätzlichen Unterrichtsstunde in der Grundschule. Im ersten Schuljahr werden elementare musikalische Inhalte vermittelt, überwiegend jedoch das Wissen um die Musikinstrumente, die im zweiten Jahr angeboten werden. Alle Instrumente werden physisch vorgestellt, die Kinder können sie anfassen, erste Töne hervorlocken und eine Beziehung zu ihnen entwickeln. Im ersten Jahr unterrichten eine Lehrkraft der Musikschule und eine der Grundschule gemeinsam, gleichsam im »Tandem«. Die Beteiligung zweier pädagogischer Fachkräfte lässt im ersten Jahr große Gruppen bis hin zur Klassengröße zu. Musikschul-Lehrkräfte sind für den Einzelunterricht, bestenfalls für den Gruppenunterricht ausgebildet. Haben sie eine Ausbildung im Fach »Elementare Musikpädagogik«, sind sie auf Gruppen in der Größenordnung von zwölf Kindern vorbereitet – nicht aber auf die Klassengröße. Die Idee, zwei Kräfte aus Grundschule und Musikschule gemeinsam tätig werden zu lassen, stammt ursprünglich von der Grundschulseite, die sich
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von einem solchen Tandem große Vorteile für den Alltag in der Grundschule erwartete. Nachdem die Kinder im ersten Schuljahr die Instrumente kennen gelernt haben, wählen sie bis Ostern drei Lieblingsinstrumente aus. Der Akt der Entscheidung des Kindes für drei Instrumente ist wichtig für die Standhaftigkeit am Instrument und damit ein Qualitätskriterium des Konzepts. Die Musikschule organisiert für den Beginn des zweiten Schuljahres den instrumentalen Unterricht in den Grundschulen und versucht, die Wünsche der Kinder zu realisieren. Dabei gibt es auch gemischte Gruppen, in denen mehrere Musikinstrumente gleichzeitig unterrichtet werden. Die Lehrkräfte aktivieren dafür auch ihre Zweit- und sogar ihre Drittinstrumente. Angesichts des großen Anregungspotenzials, das mit dieser einjährigen instrumentalen Begegnungsphase in Bochum verbunden ist, ist das Verfahren akzeptabel. Die Kinder lernen im zweiten Schuljahr die ersten Handhabungen auf ihrem Instrument in Gruppen mit durchschnittlich fünf Kindern. In der Praxis bedeutet dieser Durchschnittswert, dass es auch einige größere Gruppen geben kann. Lehrkräfte, die bereits Erfahrungen mit dem Streicher-Klassenunterricht haben, sind in der Regel imstande, eine größere gemischte Gruppe gut zu führen. Damit werden auch einige kleinere Gruppen möglich, da die Bilanz der Gruppengrößen insgesamt eingehalten wird. Die Kosten für die teilnehmenden Kinder betragen in der Bochumer Konzeption 15 € monatlich im ersten Schuljahr und 25 € monatlich im zweiten Schuljahr. Empfänger von Sozialhilfe und Arbeitslosengeld II sind gebührenfrei; darüber hinaus gibt es individuelle Stipendien. Zur Umsetzung des Bochumer Projekts wurde ein Zeitplan verabredet. Es begann mit zehn Grundschulen im Jahre 2003. Bis 2010 sollen jährlich bis zu zehn weitere Grundschulen in das Projekt aufgenommen werden, bis schließlich alle 60 Grund- und ca. zehn Förderschulen einbezogen sind. Mit den ersten positiven Ergebnissen des Projektes erwachte ein überregionales Interesse: Nachdem in Bochum bereits zum dritten Mal neue Erstklässler aufgenommen worden und 32 von 60 Grundschulen einbezogen waren, geriet das Bochumer Konzept zu Beginn des Jahres 2006 in den Blick der Landsregierung von Nordrhein-Westfalen; wenig später zeigte auch die Kulturstiftung des Bundes Interesse an dem Projekt. Die Landesregierung NRW erwog eine Ausbreitung des Bochumer Konzeptes auf die Städte des Ruhrgebiets anlässlich der sich abzeichnenden Wahl des Ruhrgebietes zur Kulturhauptstadt Europas. Ihr Motiv war die Anreicherung der schulischen Bildung mit kulturellen Inhalten und eine Verbesserung der gesamten kulturellen Basis im Bundesland Nordrhein-Westfalen. Die Kulturstiftung des Bundes wiederum suchte ein Projekt im Rahmen der Kulturhauptstadt 2010, das ihren Vorstellungen einer nachhaltige Förderung der
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Kultur im Ruhrgebiet entsprach: mit örtlichen Mitteln, aber in ihrer Wirkung weit über das Ruhrgebiet hinausweisend.1
4. »Jedem Kind ein Instrument« – das Ruhrgebiets-Konzept ab 2007 Gegenüber dem Bochumer Konzept wurden einige Elemente geändert: • Die Laufzeit beträgt vier statt zwei Jahre: Das erste Jahr soll immer im Tandem, gemeinsam mit einer Grundschul-Lehrkraft unterrichtet werden; im zweiten bis vierten Jahr erteilen Musikschullehrer/-innen instrumentalen Gruppenunterricht mit durchschnittlich ca. fünf Kindern. • Gebühren: Der Preis für den Unterricht des ersten Jahres wird deutlich gesenkt. Das dritte und vierte Jahr ist allerdings erheblich teurer angesetzt: 10 € monatlich im ersten Schuljahr, 20 € monatlich im zweiten Schuljahr, 35 € monatlich im dritten Schuljahr,35 € monatlich im vierten Schuljahr. • Mindestens 80 % aller Kinder sollen erreicht werden. Um das zu erreichen, sind die Empfänger von Sozialhilfe und Arbeitslosengeld II gebührenfrei; darüber hinaus gibt es individuelle Stipendien. Insgesamt sollen bis zu 25 % aller Kinder von der Zahlung einer Gebühr befreit werden können. • An allen Grundschulen sollen die Musikschulen im dritten und vierten Schuljahr den Instrumentalkindern ein Ensemble anbieten, in dem alle Instrumente mitwirken können. • Das Koordinationsbüro »Jedem Kind ein Instrument« stellt den Musikschulen und den Grundschulen zur Seite. Es wird das gesamte Projekt steuern und alle Aufgaben übernehmen, die überregional gebündelt werden müssen. Dazu gehören die Organisation der Geldflüsse und der Fortbildungen, die Informationspolitik, die Mittelbeschaffung und die Beratung der Musikschulen. Als Basis dient eine Liste von »Projektstandards«, die von der Landesregierung NRW und der Kulturstiftung des Bundes definiert wurden. Mit diesen Änderungen ist das Vorläufermodell aus Bochum in wesentlichen Punkten ausgedehnt und intensiviert worden. Es bezieht sich nun auf die gesamte vierjährige Grundschulzeit. 1
Die detaillierte Begründung dieser sehr interessanten kulturellen Position des Bundes ist in der Beschreibung des Projekts auf der Website der Kulturstiftung des Bundes zu finden (www.kulturstiftung-bund.de). Weitere Auskünfte über die politischen Hintergründe können einige Rundfunkinterviews geben, die auf der Internetseite www.JedemKind.de zu hören sind.
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Der Zeitplan Die Forderung, jedem Kind im Ruhrgebiet die Möglichkeit des Instrumentalunterrichts im Rahmen der Grundschule zu geben, ist nicht auf Knopfdruck zu erfüllen. Sie ist nur in einzelnen Schritten umzusetzen. Der Zeitplan wird von einem Ereignis diktiert: 2010, dem Jahr der Kulturhauptstadt Europas im Ruhrgebiet. Dann sollen tatsächlich alle Grundschulen und damit auch alle Kinder eingeladen sein. Bei entsprechender Nachfrage sollen im ersten Schuljahr 2010 auch wirklich alle Schüler/-innen versorgt werden können. Allerdings ist die Umsetzung des Projektes dann noch lange nicht beendet. Denn die Kinder der Grundschulen, die 2010 erstmalig in das Projekt einsteigen, werden vier Jahre lang als »letzter Zuwachs« durch das Projekt laufen und dafür sorgen, dass die absolute Zahl der teilnehmenden Kinder im Projekt noch bis zum Jahr 2014 weiter steigen wird. Also gibt es einen Stufenplan. Der Starttermin ist mit dem Schuljahresanfang im August 2007 gesetzt. Es beginnen etwa 6.600 Kinder in 165 Grundschulen. Das Auftaktjahr ist quantitativ moderat gehalten, um den beteiligten Projektpartnern eine Anlauf- und Gewöhnungszeit zu gönnen, in der die nötigen Abläufe und Verfahren entwickelt werden können, ohne dass man bereits durch große Zahlen und Mengen erdrückt zu werden droht. In weiteren Schritten sollen dann die Kinderzahlen, die jährlich in das Projekt neu aufgenommen werden, stark ansteigen: • 35 % der Jahrgangsbreite (ca. 18.000 Kinder) im Jahr 2008; • 50 % (ca. 26.000 Kinder) im Jahr 2009; • 70 % (ca. 37.000 Kinder) im Jahr 2010; • 80 % (ca. 42.000 Kinder) im Jahr 2011. Ziel ist es, im Jahre 2010 oder spätestens 2011 alle Grundschulen im Projekt zu haben, damit das zentrale Anliegen des Vorhabens erfüllt ist und »Jedem Kind« die Chance eigener Erfahrung mit einem Musikinstrument gegeben werden kann.
Wissenschaftliche Begleitung Zum Zweck der Evaluation, der Qualitätssicherung und der Erfolgsmessung, wird das Projekt wissenschaftlich begleitet.2 Während der Einführungszeit bis zum Jahr 2010 soll die wissenschaftliche Begleitung die Projektleitung bei der Frage nach eventuell nötigen Nachjustierungen der Projektstandards 2
Als dieser Beitrag verfasst wurde, gab es jedoch noch keine Entscheidungen über den konkreten Umfang und die detaillierten Zielsetzungen der wissenschaftlichen Begleitung.
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unterstützen. Das Projekt soll in einer Intensität dokumentiert und evaluiert werden, dass dessen Übertragbarkeit auf andere Räume und Gebiete unterstützt wird.
Kulturelle Integration Das Projekt wird allen Kindern angeboten. Also sind auch alle Kinder angesprochen, die in Migrantenfamilien aufwachsen. Im Projekt sollen alle Strukturen vermieden werden, die Kinder aus Migrantenfamilien ausschließen oder benachteiligen. Im Gegenteil: Das Projekt wird Hilfen für Musikschulen und Grundschulen entwickeln und bereitstellen, die es erlauben, offensiv werbend gerade auf solche Kinder zuzugehen. Darüber hinaus werden die Musikschulen dazu verpflichtet, auch Musikinstrumente aus den Herkunftsländern der Migranten anzubieten (z.B. Baglama, Busuki, Domra, Balalaika). Damit kann das Projekt einerseits sein Image in Migrantenkreisen verbessern, andererseits sollen diese Musikinstrumente eine bessere Chance bekommen, sich in unseren kulturellen Zusammenhängen zu etablieren. Die möglichst hohe Präsenz von Kindern »mit Migrationshintergrund« im Projekt ist ein außerordentlich wichtiges Anliegen aller Initiatoren.
Beschaffung der Musikinstrumente »Jedem Kind ein Instrument« – das bedeutet auch, dass alle Kinder, die dies wünschen, ein Musikinstrument für drei Jahre kostenlos in die Hand bekommen. Denkt man an die angestrebte Beteiligung von 80 % aller Kinder, müssten etwa 160.000 Musikinstrumente zur Verfügung stehen. Sicher muss man damit rechnen, dass ein gewisser Anteil der Kinder das Projekt vor Ablauf der vier Grundschuljahre auch wieder verlässt. Ein solcher Schwund wird dazu führen, dass nur etwa 100.000 bis 120.000 Musikinstrumente benötigt werden. Das entspricht einer Investitionssumme von 30 bis 40 Millionen Euro. Eine stolze Zahl! Der Betrag müsste bis zum Jahr 2014 aufgebracht sein. Doch muss auch bedacht werden, dass sich im Laufe des Projekts eventuell andere Formen der Bereitstellung der Instrumente entwickeln oder einige Familien eigene Instrumente besitzen wollen. Solche Effekte, die die Investitionssumme deutlich senken, sind heute, vor Beginn des Projektes, noch nicht konkret abzusehen. Es bleibt aber bei einem hohen zweistelligen Millionenbetrag, der überwiegend von Sponsoren aufgebracht werden muss. Daher wird Sponsoring in diesem Projekt eine große Rolle spielen.
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5. Herausforderungen Das Projekt eröffnet viele Chancen. Aber auch von einigen Herausforderungen und Risiken muss die Rede sein. Die beiden dominierenden sind sicher der noch ungedeckte Finanzbedarf für die Musikinstrumente und die komplexe Frage, wie das pädagogische Personal gefunden und qualifiziert werden kann. Musikschulen und Koordinierungsbüro stehen dabei vor großen Aufgaben.
Lehrerversorgung Die Musikschulen verfügen zu Beginn des Projektes bei weitem nicht über die nötigen Kapazitäten, um das Projekt personell komplett auszustatten. Allein die Besetzung der Tandems in den ersten Schuljahren erfordert ab dem Jahr 2010 einen Umfang von 60 bis 80 vollen Stellen für Musikschullehrer, die eine Qualifikation in elementarer Musikpädagogik haben müssen. Und die zweiten, dritten und vierten Unterrichtsjahre brauchen bei einer realistischen und doch vorsichtigen Schätzung der Nachfrage und des Schülerschwundes grob 500 volle Stellen für Musikschullehrer mit instrumentaler Qualifikation und Zusatzqualifikation im Gruppenunterricht. Sind alle diese Zahlen auch noch kaum ernsthaft belastbar, muss man sie doch als Größenordnung ernst nehmen. Das bedeutet, dass die Musikhochschulen immense Anstrengungen unternehmen müssen, um dieser Nachfrage in so kurzer Zeit zu entsprechen. Sollten sich die Hochschulen dieser Aufgabe verweigern, muss das Projekt selbst die Initiative ergreifen und Parallelstrukturen aufbauen, die die Versorgung mit qualifiziertem Personal sicherstellen können. Neben der rein quantitativen Problematik liegt ein erhebliches Qualifikationsdefizit bei den Lehrkräften der Musikschulen vor. Sowohl das Tandem des ersten Schuljahres als auch die Instrumentalgruppen mit durchschnittlich fünf Kindern erfordern Qualifikationen, die nicht den vorherrschenden Profilen der bisher unterrichtenden Musikschullehrkräfte entsprechen. Die Arbeitsform des ersten Schuljahres mit einem Tandem erfordert eine spezifische Vorbereitung. Die Lehrkräfte der Musikschule müssen zusätzlich zu ihrer Lehrbefähigung für den elementaren Unterricht eine zusätzliche »Tandemqualifikation« erwerben. Die Grundschullehrer/-innen, die sich am Tandem beteiligen, sollten idealerweise ausgebildete Fachlehrer/-innen sein, müssen es aber nicht. Auch andere Lehrkräfte, bestenfalls die Klassenlehrer/-innen, können den Grundschulteil des Tandems übernehmen. Sie haben die Chance, die wöchentliche Tandemstunde als Weiterbildung zu nutzen und können die musikalische Stimmung in den Alltag der Schulklasse und der ganzen Grundschule mitnehmen.
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Instrumentallehrkräfte Sie haben in ihrer Ausbildung und in ihrer bisherigen beruflichen Tätigkeit den Einzelunterricht als Zentrum der didaktischen Bemühungen erlebt. Der Gruppenunterricht beschränkt sich in aller Regel auf Kleingruppen mit zwei, drei, oder seltener auch mit vier Kindern. Das Projekt beruht hingegen auf dem Prinzip, Gruppen mit einer durchschnittlichen Besetzung von fünf Kindern zu unterrichten. Eine weitere Anforderung an die Flexibilität der Musikschullehrer/-innen kommt hinzu: Will man die Instrumentenwünsche der Kinder in den einzelnen Grundschulen weitgehend erfüllen, müssen auch die Zweitinstrumente der Lehrkräfte aktiviert werden, um auch instrumenten-gemischte Gruppen einrichten zu können. Lehrkräfte müssen gleichsam eine »Jedem Kind«-Qualifikation erwerben, die sie in die Lage versetzt, Kinder in einer Gruppe von drei bis sieben Teilnehmerinnen und Teilnehmern zu unterrichten – gegebenenfalls auch in Gruppen mit gemischten Instrumenten. Dabei können die Lehrkräfte durchaus auf die Grundlagen ihres eigenen beruflichen Erfahrungsschatzes zurückgreifen, sie müssen aber lernen, die Symbiose aus Gruppendynamik und Instrumentalpädagogik herzustellen, eine Forderung, die in der Praxis der Musikschulen oft nur sehr schlecht erfüllt wird. Die gesamte Problematik der Versorgung mit Lehrkräften rückt auch die Kooperation der kommunalen Musikschulen mit den privaten Musikschulen und den Privatmusiklehrern und -lehrerinnen in ein neues Licht. Hatten sich die Anbieter auf dem Markt bisher überwiegend als Konkurrenten und Konkurrentinnen wahrgenommen, so steht nun eher die Frage nach den gemeinsamen Anstrengungen im Mittelpunkt. Kommerzielle Institutionen können nicht beteiligt werden, da sich deren Aktivitäten in öffentlichen Schulen verbieten. Private gemeinnützige Musikschulen aber können in das Projekt einsteigen, wenn sie imstande sind, die allgemeinen Qualitätskriterien einzuhalten, die für das Projekt gelten. Unter der Federführung der jeweiligen Stadtverwaltung werden die nichtkommunalen Anbieter einbezogen.
Beschaffung finanzieller Mittel Das Finanzvolumen des Projekts bis 2010 wird mit 50 Millionen Euro angegeben. Davon kommen 36,5 Millionen Euro aus sicheren Einnahmequellen, nämlich von der Kulturstiftung des Bundes, vom Land Nordrhein-Westfalen und von den teilnehmenden Familien. Die fehlenden 12,5 Millionen Euro müssen über Sponsoren noch beschafft werden. Das Sponsoring-Konzept sieht eine breite Streuung von einzelnen Sponsoring-Elementen vor: Lokale und überregionale Sponsoren sollen angesprochen werden. Aber auch klei-
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nere Patenschaften für einzelne Grundschulen und für einzelne Kinder bieten sich an. Das Koordinierungsbüro plant die Entwicklung mehrerer Sponsoringmodelle für die unterschiedlichen Bedürfnisse und Ebenen.
Akzeptanz in finanzschwachen und bildungsfernen Milieus Die Erfahrungen in Bochum zeigen, dass etwa 50 % der Kinder in das Projekt geholt werden können, wenn eine Gebühr von 15 Euro erhoben wird und die sozialschwachen und bildungsfernen Gruppen nicht intensiv umworben werden. Das ruhrgebietsweite Projekt »Jedem Kind ein Instrument« soll mindestens 80 % der Erstklässler/-innen einer Jahrgangsbreite umfassen. Die Herausforderung besteht darin, gemeinsam mit Musikschulen und Grundschulen wirksame Maßnahmen zu entwickeln, um Kinder aus diesen Milieus in das Projekt zu holen. Dabei kommen finanzielle Hilfen ebenso in Betracht wie eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit, die dem Projekt ein attraktives Image verschaffen kann.
Profilproblem der Musikschulen Im Zuge des Projekts bietet die Musikschule in einer Stadt oder einem Kreis ein deutlich anderes Bild. Während sie bisher in eigenen Räumen und gastweise am Nachmittag in leerstehenden Räumen der allgemein bildenden Schulen in Erscheinung trat, präsentiert sie sich im Ruhrgebiet zukünftig mit Kindern im Grundschulalter fast ausschließlich im Rahmen der Grundschulen. Damit ist ein gewisser Profilverlust verbunden, der allerdings mit der Präsenz der Musikschule in fast allen oder sogar in allen Grundschulen mehr als ausgeglichen wird. Vor diesem Hintergrund wächst der Musikschule die wichtige neue Aufgabe zu, das Profil der Unterrichtsangebote, die über das Grundschulalter hinausgehen, neu und schärfer zu konturieren. Insbesondere muss die Förderung von besonders begabten und leistungsbereiten Schülerinnen und Schülern neu justiert werden.
6. Erfolgskriterien War das Projekt ein Erfolg? Diese Frage wird ganz sicher sehr deutlich gestellt werden. Selten wurde ein Entwicklungsprojekt in der musikpädagogischen Szene derart groß angekündigt und medial gestreut, spektakulär mit öffentlichen Mitteln ausgestattet und griff derart breit in zwei zentrale Institutionen der kulturellen Erziehung ein. Was aber ist ein Erfolg? Und was müsste als ein Misserfolg gewertet werden?
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Die wissenschaftliche Begleitung wird sich diesen Fragen stellen müssen, aber natürlich auch die Politiker/-innen, die die eingesetzten Steuermittel legitimieren müssen. Und auch die Projektleitung und die pädagogisch Verantwortlichen müssen die Frage beantworten, ob ihre Bemühungen erfolgreich waren oder nicht. Im besten Fall soll das Projekt sogar als Vorlage für andere Regionen und Bundesländer dienen. Ein Erfolgskriterium ist sicherlich die Intensität der Nachfrage, mit der die Partner in dieses Projekt hinein drängen, also die Grundschulen, die Kinder selbst und deren Familien. Die ersten beiden Erfolgskriterien sind demnach die schließlich erreichte Teilnahmequote, orientiert an den ca. 1.000 Grundschulen und den ca. 50.000 Kindern, die alljährlich im Ruhrgebiet in die ersten Grundschulklassen eintreten. Ein zweites Kriterium ist die Frage der nachhaltigen Wirkung. Wie beständig ist die Anregung in der Grundschule, Musik zu einem Teil des Lebens zu machen? Dieses Kriterium wird nur in biographisch bedeutsamen Zeiträumen zuverlässig zu beantworten sein; kurzfristig hingegen kann die Rate der Kinder beobachtet werden, die während ihrer individuellen Projektzeit ausscheiden, also der »Schwund« an teilnehmenden Kindern. Die dabei zutage tretenden Gründe für einen Ausstieg aus dem Projekt sind eine wichtige Datenquelle für die permanente Qualitätskontrolle. Noch interessanter wird es freilich sein, die Rate derer zu kennen, die nach den vier Grundschuljahren ihre instrumentale Ausbildung weiterverfolgen wollen und sich bei weiterführenden Musikschulen oder Privatmusikerziehern und -erzieherinnen anmelden. Eines der interessantesten Erfolgskriterien ist aber zweifellos die »soziale Reichweite« des Projektes. Da den Musikschulen noch immer ein eher elitäres Image anhaftet und das Projekt sich intensiv auf die Strukturen der Musikschulen stützt, ist genau zu beobachten, ob es auch die elitäre Ausstrahlung der Musikschulen erbt. Es sollte also gelingen, im Zuge des Projekts eine größere »soziale Reichweite« als im Vorläuferprojekt zu erreichen: 50 %, die in Bochum ohne Mühen erreicht wurden, wären fraglos zu wenig. Eine praktische und ganz konkrete Messung der sozialen Reichweite ist möglich, indem die Beteiligung der Kinder aus Grundschulen mit dem schulischen Sozialindex verglichen wird. Der Sozialindex jeder einzelnen Grundschule wird von den zuständigen Schulverwaltungen definiert und basiert auf einem Bündel von Sozialdaten des Einzugsgebietes der Grundschule. Ein Abgleich der Kinderzahlen mit diesem Sozialindex kann zuverlässig Auskunft über die »soziale Reichweite« des Projekts geben.
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7. Projektion 2010 Wenn das Projekt bis zum Jahr 2010 erfolgreich umgesetzt worden ist, kann man damit rechnen, dass die folgenden Verbesserungen in Grundschulen und Musikschulen des Ruhrgebiets eingetreten sind: • Das Erlernen eines Musikinstruments ist in den Grundschulen zu einem Standardangebot für alle Kinder geworden. • Musikschulen (kommunale, private, Privatmusiklehrer/-innen) sind feste Kooperationspartner der Grundschulen geworden. • Jede Grundschule hat ein Schulorchester. • Musikschulen gewinnen mit der neuen Aufgabe an öffentlicher Bedeutung: Sie sorgen für die qualitative Verbesserung der Grundschule; über den freiwilligen Bereich hinaus beteiligen sie sich am gesetzlich definierten Bildungsbereich. • Musikschullehrer/-innen und Musikschullehrer haben ihre Qualifikation im Bereich des Tandem- und vor allem des Gruppenunterrichts deutlich ausgeweitet. • Kinder aus allen gesellschaftlichen Gruppen erlernen die Grundlagen des Instrumentalspiels. • Kinder aus Familien aller Kulturkreise musizieren gemeinsam. • Musikinstrumente unterschiedlicher Kulturkreise sind einbezogen.
Literatur Bastian, Hans Günther (2000): Musik(erziehung) und ihre Wirkung. Eine Langzeitstudie an Berliner Grundschulen, Mainz. Bastian, Hans Günther (2002): Kinder optimal fördern – mit Musik, Mainz.
Der Weg ist das Ziel. Oder ist das Ziel im Weg? Musikschulen als Zentren gesellschaftlicher Musikalisie rung JULIANE SCHMIDT/VOLKER GERLAND
Musikschulen sind konservativ. Und zwar im positiven Sinn. Sie bewahren, pflegen und ermöglichen eines der wertvollsten Kulturgüter überhaupt: das Musizieren als lebendigsten Umgang mit der Musik. Instrumentallehrer sind Traditionalisten. Sie haben eine ihrer Kernkompetenzen, das Musizieren auf hohem künstlerischen Niveau, in einer Meister-Lehrling-Ausbildung erlernt, in einer intensiven und engen Beziehung, in der die persönliche Weitergabe von Können und Erfahrung das Zentrum ist, und nicht Innovation und steter Wandel. Die andere Kernkompetenz, das Unterrichten, ist gelegentlich rezeptartig vermittelt worden: Man nehme eine Instrumentalschule, ein Instrument, einen Unterrichtsraum, einen Schüler … Aber was tun, wenn sich die Beschaffenheit der Zutaten ändert? Die Leiter der Musikschulen geraten regelmäßig an ihre Grenzen, sind sie doch selbst traditionsbewusst ausgebildet und mit hohem Qualitätsanspruch, aber eben auch in der Verantwortung für ein stolzes Schiff mit unklarem Kurs auf unruhiger Fahrt mit einer zum Teil wenig flexiblen Mannschaft. Dazu kommt noch der stete finanzielle Druck, der die Problemlage zusätzlich verschärft. Ist dieses Bild richtig? Gibt es nicht auch Musikschulen, die mit Engagement und Erfolg Traditionen bewahren, aber auch Herausforderungen annehmen? Gibt es nicht auch Lehrkräfte, die nicht nur immer wieder neue Leistungsträger ins Sinfonieorchester schicken, sondern auch re-
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gelmäßig neue Ideen und Konzepte entwickeln, um mit dem Wandel der Voraussetzungen Schritt zu halten? Gibt es nicht auch Musikschulleitungen, denen es gelingt, stetige Veränderungs- und Anpassungsprozesse so in ihre Organisationen zu integrieren, dass auf Grundlage eines klaren Kurses mancher Schlenker und manche zusätzliche Aufgabe nicht als Belastung, sondern als Bereicherung empfunden wird? Es gibt keine allgemeine Krise des öffentlichen Musikschulwesens. Die stete Nachfrage und die hohe Qualität der Arbeit sprechen eine klare Sprache. Aber dafür gibt es keine Bestandsgarantie, daran erinnern die Pressemeldungen über geplante und tatsächliche tiefe Einschnitte, bis hin zur Schließung oder Umwandlung, die fast wöchentlich irgendwo in Deutschland zu lesen sind. Wenn auch zukünftig eine allgemeine Krise vermieden werden soll, müssen in verschiedenen Problemfeldern Lösungen gefunden werden. Dabei gibt es hinsichtlich der Dringlichkeit der Probleme nicht nur ein sehr unterschiedliches Empfinden der Verantwortlichen, sondern tatsächlich unterschiedliche Ausgangslagen. Richtigerweise haben viele Musikschulen längst begonnen, auf ihr unterschiedliches gesellschaftliches und politisches Umfeld mit individuellen Entwicklungsprozessen und Schwerpunktsetzungen zu reagieren. Der Strukturplan des Verbands deutscher Musikschulen (VdM) ist kein Grundgesetz und die VdM-Lehrpläne sind nicht das Evangelium – so wichtig weithin erkennbare Gemeinsamkeit der öffentlichen Musikschulen auch sein mag. Einige der Handlungsfelder aus der Sicht der Musikschulen in NRW sollen hier untersucht und beschrieben werden, denn die Erfahrung der letzten Jahre hat gelehrt, dass sich viele Probleme, wenn auch in unterschiedlicher Intensität und mit unterschiedlichem Tempo, letztlich fast überall wiederfinden lassen.
1. Die Spar-Schrumpf-Falle Jede Woche gehen in NRW rund 186.000 Kinder, Jugendliche und Erwachsene in ihre Musikschule, um dort zu musizieren. Verglichen mit dem Jahr 2000 (182.077) ist das eine deutliche Steigerung. Die Zahl der angebotenen Wochenstunden ist dagegen gesunken (von ca. 87.000 auf 83.000) – höhere Leistung trotz verringerter Ressourcen. Viele Musikschulen haben ihre Anstrengungen beim Angebot für Kinder im Vorschulalter (Elementarbereich) verstärkt. Gleichzeitig hat aber, auch durch die demographische Entwicklung, die Altersgruppe »60 plus« den prozentual größten Zuwachs. Beide Bereiche bieten auf Grund des möglichen Angebots an Gruppen- bzw. Klassenunterricht (z.B. Musikali-
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sche Früherziehung, Spiel- und Instrumentalkreise für Senioren) die Gelegenheit, einen günstigen Deckungsbeitrag zu erwirtschaften. Die Musikschulen reagieren auf den gesellschaftlichen Wandel. Abbildung 1: Entwicklung der Altersstruktur der Musikschüler
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M a x im a l
Der Spagat zwischen musikpädagogischem Anspruch und finanziellem Druck prägt viele Bereiche des Musikschulalltags. Der Gesamtetat der Musikschulen in NRW ist um 5,5 % gestiegen, der Lebenshaltungsindex im Vergleichszeitraum um knapp 7 %. An dieser Steigerung tragen die Nutzer mit € 7,36 Millionen den größten Anteil. Die öffentlichen Mittel, in NRW zu rund 96 % aufgebracht durch Städte, Gemeinden und Kreise, sind um »nur« € 1,73 Millionen gestiegen. Die Unterrichtsgebühren sind im Durchschnitt deutlich stärker gestiegen als der Lebenshaltungsindex. Die prozentuale Entwicklung bei den maximal verlangten Preisen lässt vermuten, dass hier zum Teil in Bereiche vorgestoßen wird, die am Markt nicht mehr durchsetzbar sind, so dass ganze Bevölkerungsschichten vom Zugang zu den öffentlichen Musikschulen ausgeschlossen werden. Möglicherweise zeigen sich bereits negative Auswirkungen auch in der betriebswirtschaftlichen Betrachtung. Abbildung 2: Steigerung der Unterrichtsgebühren (in %) 8000 6705 6582
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Die Steigerung der Einnahmen ist vielfach die einzige Möglichkeit, Sparziele zu erreichen, ohne die Leistungen drastisch einzuschränken. Der Etat der Musikschulen geht praktisch nur in die musikpädagogische Arbeit (83,32 % in 2005) und zum kleinen Teil in damit zusammenhängende Verwaltungs- (7,4% in 2005) und Sachkosten (9,28 % in 2005). Die dort zu verzeichnenden Kostensteigerungen, die durch die Musikschulen nur geringfügig zu beeinflussen sind, führen bereits zu einem Abschmelzen der anteiligen Aufwendungen für die eigentliche musikpädagogische Arbeit. Die Begrenzung der Ausgaben für das pädagogische Personal ist zu einem erheblichen Teil durch das Ausweichen von festen Beschäftigungsverhältnissen in Honorar- und Werkverträge erreicht worden. Abbildung 3: Beschäftigungsverhältnis der Lehrkräfte 8000 6705 6582
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Die dadurch zu erzielenden Einsparungen werden allerdings durch eine vergleichsweise geringe Einbindung der freiberuflichen Lehrkräfte in den Schul- und Unterrichtsbetrieb und durch eine hohe Fluktuation erkauft. Die häufig geringen Stundenzahlen der jeweiligen Lehrer führen außerdem zu einer schwächeren Identifikation mit der Musikschule als Arbeitgeber und zu einem ungleich höheren Koordinations- und Verwaltungsaufwand durch ständig wachsende Kollegien.
Das Problem: Mehr Geld für weniger Musik Die derzeitige Ausgangslage lässt sich auf folgende Punkte bringen: • Die Nachfrage nach Musikschulunterricht ist ungebrochen groß. • Viele Musikschulen haben ihre Wirtschaftlichkeit u.a. durch Erhöhung der Schülerzahl und Erschließung neuer Zielgruppen bei sinkenden Wochenstundenzahlen gesteigert.
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Die überproportional gestiegenen Unterrichtsgebühren lassen kaum noch Spielraum für Erhöhungen. Der Lösungsansatz der ungebremsten Umwandlung fester Beschäftigungsverhältnisse in Honorar- und Werkverträge wird sich für die Unterrichtsqualität, die Verlässlichkeit, die Steuerung und den Verwaltungsaufwand auf Dauer als kontraproduktiv erweisen.
Eine Lösung: Mehr Kinder – mehr Musik In vielen Musikschulen sind die sinnvollen Einsparpotentiale und einfachen Möglichkeiten zur Einnahmesteigerung ausgeschöpft. Bleibt man in den bestehenden Mechanismen, trifft ein überteuertes Angebot mit einem verminderten Leistungsspektrum zusammen – dies hätte letztlich eine sinkende Akzeptanz bei der Bevölkerung und den verantwortlichen Politikern zur Folge. Eine so »kaputtgesparte« Musikschule braucht möglicherweise weniger Zuschuss, kann aber keine adäquate Leistung mehr erbringen und ist deshalb unwirtschaftlich. Wenn eine Musikschule funktionieren und sinnvoll Leistung erbringen soll, gibt es Mindestanforderungen hinsichtlich der Struktur und Größe. Da es aber eine lebhafte Nachfrage nach den Bildungsangeboten der öffentlichen Musikschulen gibt, scheint ein anderer Weg aussichtsreicher zu sein: Die Musikschulen müssen darüber nachdenken, ihre Basis zu verbreitern und das instrumental-didaktische Spektrum zu ergänzen. »Breitere Basis« bedeutet in diesem Zusammenhang nicht nur einen weiteren konsequenten Ausbau des Klassenunterrichts im Elementarbereich, sondern auch die Entwicklung von Angeboten für den Instrumentalunterricht, die möglichst viele Kinder in Gruppen zu einem erschwinglichen Preis musizieren lassen. Unfruchtbare Diskussionen über die Frage, ob nun Einzel- oder Gruppenunterricht die bessere Form ist, sollten endlich beendet werden. Es ist an der Zeit, die Ausbildungsziele der Musikschulen gründlich zu diskutieren und zu vervollständigen und erst dann Antworten aus methodischer Sicht zu formulieren, anstatt Methoden zu Zielen zu ideologisieren. Erfolgreiche Streicher- und Bläserklassen machen vor, wie es geht: Motivation muss ganz oben stehen – das geht durch begeisternde Klang- und Gemeinschaftserlebnisse beim Zusammenspiel. Jeder muss mitgenommen werden: Das kann durch vielfältige und breit angelegte Lernfelder erreicht werden, in denen jeder Schüler Erfolge erleben kann, ohne einseitige Überbetonung einzelner, insbesondere technischer Anforderungen. So erhalten alle Schüler Zeit, sich ohne unangemessenen Druck zu umfassend musikalisierten Instrumentalisten zu entwickeln.
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Hand aufs Herz: Muss wirklich von der ersten Stunde an so gearbeitet werden, als wenn jeder Geigenschüler später das Beethoven-Violinkonzert, jeder Klavierschüler einen Sonatenabend und jeder Celloschüler Tschaikowskis Rokoko-Variationen als Minimum bewältigen müsste? Bleibt bei einer solchen Denkweise nicht der Blick für die vielen Schülerinnen und Schüler auf der Strecke, die diesen Ansprüchen nicht genügen wollen oder können, sehr wohl aber im Zusammenspiel mit anderen wunderbare Erfahrungen mit sich und der Musik machen können? Wenn aber, insbesondere am Anfang, Instrumentalunterricht und Zusammenspiel weiter getrennt bleiben, wenn die Ensemblearbeit bei Sparzwängen als Erstes auf der Strecke bleibt, wird sich die Attraktivität des Produkts Instrumentalunterricht nicht steigern lassen. Dabei gibt es funktionierende Modelle, in denen Gruppenunterricht, eventuell sogar mit Flexibilität in der Zusammenstellung der Gruppe, mit Orchester- bzw. Ensemblespiel verbunden ist – und zwar von Anfang an. Es gibt Musikschulen, die Strukturen der Streicherklassen, die sonst nur in Kooperation mit allgemein bildenden Schulen angeboten werden, mit großem Erfolg auf den Unterricht innerhalb der Musikschule übertragen haben. Gebührenordnungen können so umgebaut werden, dass es möglich ist, in Kooperation mehrerer Lehrkräfte den Einzel- und Gruppenunterricht phasenweise durch Ensemble- oder Orchesterspiel zu ersetzen. Dabei ergibt sich für die Schüler eine längere Musizierzeit in der Musikschule, die Lehrkräfte überwinden ihre Isolation und alle ›tanken‹ eine Menge Motivation. Eine Musikschule mit breiterer Basis hat weniger Probleme mit der gesellschaftspolitischen Legitimation, mehr Chancen für eine bessere Refinanzierungsquote und ein breiteres Angebot durch ein differenziertes didaktisches Spektrum. Sinn und Zweck der Musikschularbeit der Zukunft muss also die musikalische Förderung möglichst vieler Kinder und Jugendlicher sein – und zwar nicht anstatt einer speziellen Begabtenförderung, sondern als deren Fundament. Mögliche Modelle zur Bildung dieses Fundaments können beispielsweise Klassenmusizieren, Gruppenunterricht oder kombinierte Unterrichtsformen sein, die durch das gemeinsame Musizieren die Entwicklung der musikalischen Potentiale der Kinder und Jugendlichen in den Vordergrund stellen. Die Ziele, die in der Vergangenheit Musikschularbeit erfolgreich geprägt haben, dürfen jetzt nicht im Weg stehen.
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2 . B e g r a b e n u n t e r d e r Al t e r s p yr a m i d e : Didaktik für Erwachsene und Senioren Zwei gesellschaftliche Entwicklungen werden, zumindest mittel- und langfristig, verändertes Denken und Handeln auch im Musikschulbereich erfordern: Migration und die demographische Entwicklung. Die Bevölkerungszahl nimmt insgesamt nicht nur weiter ab, es wird auch weniger Kinder und immer mehr ältere Menschen geben. Die stark besetzten Jahrgänge, die derzeit im mittleren Alter sind, rücken in höhere Altersklassen auf, und die künftigen jüngeren Jahrgänge werden schwächer besetzt sein. Die Zahl der 60-Jährigen wird mit gut einer Million im Jahr 2050 doppelt so hoch sein wie die Zahl der Neugeborenen, während es 2005 fast genauso viele Neugeborene wie 60-Jährige gab. Die Zahl der Kinder und Jugendlichen im Betreuungs- und Schulalter sinkt ebenso wie die der jungen Menschen im Ausbildungsalter. Dagegen wird sich die Zahl der 80-Jährigen und Älteren von heute nicht ganz vier Millionen auf zehn Millionen im Jahr 2050 nahezu verdreifachen. Die öffentlichen Musikschulen haben traditionell einen starken Schwerpunkt bei Kindern und Jugendlichen bis 18 Jahre. Da diese Altersgruppe aber am stärksten, absolut und anteilig, zurückgehen wird, wird vielerorts die Frage gestellt, ob es nicht sinnvoll ist, wenn die Musikschulen im gleichen Maße schrumpfen. Ansonsten bleiben nur zwei Wege: Entweder, man erreicht einen höheren Prozentsatz innerhalb der Kinder und Jugendlichen, oder man versucht, größere Anteile bei den Erwachsenen und Senioren hinzuzugewinnen. Insbesondere die Angebote für eine immer größere Gruppe von aktiven und gut situierten Ruheständlern sollten nicht nur unter finanziellem Aspekt betrachtet werden. Obwohl das kulturelle Freizeitverhalten der älteren Menschen noch nicht besonders gut untersucht ist, kann davon ausgegangen werden, dass sich bei entsprechendem Bedarf sehr schnell ein Markt neben den öffentlichen Musikschulen für diese zahlungskräftige Klientel bilden wird. Damit geht nicht nur potenzieller Marktanteil, sondern insbesondere auch politische Unterstützung verloren, denn auch der wählende Bürger unterstützt eher Einrichtungen, von denen er direkt oder zumindest indirekt profitieren kann. Der größte Teil des Musikschulangebots ist aber, entsprechend den Lehrplänen, auf eine kontinuierliche Ausbildung, beginnend im Kindergartenalter, angelegt und deckt in Zielsetzung und Struktur nur einen Teil der Wünsche von Erwachsenen und Senioren ab. Manchmal passt dieser »Kernbereich« – aber häufig werden andere Formen und Inhalte gewünscht, wie sich auch am lebhaften Interesse an zielgruppenorientierten Kursen und Projekten ablesen lässt. Dabei lassen sich die, ebenfalls unzureichend erforschten Bedürfnisse der 19- bis über 80-Jährigen kei-
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nesfalls über einen Kamm scheren. Einleuchtend ist jedoch, dass für Menschen mit sehr unterschiedlichem Alter, in unterschiedlichen Lebenssituationen und mit unterschiedlichem Schwerpunkt im Freizeitverhalten nicht nur methodisch differenzierte Wege, sondern insbesondere auch didaktisch begründete vielfältige Schwerpunktsetzungen nötig sind. An der Musikschule Dortmund wird mit Förderung der Landesregierung derzeit eine Studie angefertigt, die einen Beitrag zur Entwicklung von abgestimmten Angebotsformen leisten soll. An vielen anderen Orten sind etwa Vorbereitungskurse für Wiedereinsteiger in das Blasorchester oder flexible Zeitmodelle für berufstätige Musikschulschüler erfolgreiche Bestandteile des Angebots. Dringend ist es zu erkennen, dass diese Entwicklungen eine wichtige politische Dimension haben und nicht nur eine momentane Randerscheinung sind. Die Ergänzung des Profils zur Steigerung der Attraktivität für Erwachsene und Senioren, die ja durchaus schrittweise geschehen kann, ist ein Teil aktiver Zukunftssicherung.
3 . B o u r r é e a u f d e r B a g l a m a , H i p H o p i n d e r Au l a : Von der kulturellen Vielfalt Vor über 50 Jahren, 1952, schlossen sich 12 (Jugend-)Musikschulen zu einem Verband zusammen. Zu diesem Zeitpunkt und auch in den weiteren Anfangsjahren der Musikschulbewegung in der BRD gab es eine große Einigkeit über Zielsetzung und Ausrichtung einer musischen Bildung, die durch Singen, rhythmische Erziehung und elementares Musizieren geprägt war. Heute dominiert Vielfalt: in den Musikschulen und noch viel mehr in der Gesellschaft, für die sie wirken. Die Diskussion über Rock- und Popmusik als Unterrichtsgegenstand hat sich mehr oder weniger von selbst erledigt. E-Gitarre, E-Bass und Keyboard, Schlagzeug haben ihren Platz neben Klavier und Blockflöte gefunden. Die Bigband, der Jazzchor oder die Popgruppe können das stolze Aushängeschild der Musikschule sein, ebenso wie das Sinfonieorchester oder das Ensemble für Alte Musik. Aber ist das die Musik, mit der sich die Jugendlichen, sagen wir, zwischen 12 und 20 tatsächlich beschäftigen, die in ihren »Peergroups« identitätsstiftend ist und die ihren Lebensstil prägt? Die vitale und kreative Musikszene spielt sich außerhalb des Bereichs der Musikschulen ab, informell, in Schulkellern, in Jugendheimen und Jugendtreffs, in selbstorganisierten Proberäumen. Lebendige Jugendkultur, die immer einen Anteil Protest beinhaltet, entzieht sich per definitionem einem Einbezug in feste Strukturen. Trotzdem kann es gute Gründe geben, sich als Musikschule mit diesem Bereich auseinanderzusetzen.
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Wenn Musikschulen auch als Bildungseinrichtungen begriffen werden wollen, kann nicht ein enger Fokus auf Kinder aus wirtschaftlich starken, kulturnahen und bildungsbewussten Elternhäusern stillschweigende Geschäftsgrundlage sein. Die Fassade einer beteuerten Offenheit für alle Bevölkerungsschichten und alle musikalischen Ausdrucksformen verschwindet sonst schnell im Schatten einer elitären und bildungsbürgerlichen Sichtweise, die uns Musikern und Musikpädagogen gerne nachgesagt wird. Lohnt sich der mühselige Versuch, in Gesellschaftsbereiche vorzudringen, für die wir oft gar nicht so gerne zuständig wären? Einige Beispiele: Schon seit Jahren versuchen neonazistische Aktivisten, ihre fremdenfeindliche und undemokratische Ideologie durch attraktive musikalische Verpackung vor Schulhöfen, aber auch in Veranstaltungen und Jugendtreffs zu verbreiten. Dadurch, dass die musikalische Sprache der verschiedenen jugendkulturellen Stile missbraucht wird, sollen die menschenverachtenden Inhalte unterschwellig mittransportiert werden. Den Jugendlichen wird vorgegaukelt, dass hier ihr Lebensgefühl getroffen wird. So wichtig »Rock gegen Rechts« in allen Veranstaltungsformen auch sein mag: Musikschulen können in diesem Zusammenhang mehr bieten als eine reine Veranstaltungsarbeit. Sie können, wie beim Dortmunder Projekt »Kontra«, in Zusammenarbeit mit Trägern der Jugendhilfe Jugendliche anleiten, mit Rap und HipHop ihr Lebensgefühl auszudrücken – mit allen Problemen und Zukunftsängsten, aber auch mit allem Stolz, sehr persönlich und geprägt vom Willen zu einem friedlichen und partnerschaftlichen Miteinander, auch und gerade in sozialen Brennpunkten. Dazu müssen andere Arbeits- und Unterrichtsformen entwickelt werden. Die Lernprozesse laufen vielfach informell ab, der Lehrer ist eher Moderator als Anleiter. Als Lehrkräfte kommen eigentlich nur Musiker und Tänzer in Frage, die selbst Szenekünstler sind und von den Jugendlichen als authentisch akzeptiert werden können. Ob Händel oder HipHop: Kunst muss ernst genommen werden. Hier kann für Musikschulen eine Aufgabe liegen, wenn sie in einer Partnerschaft mit Jugendhilfe und Szenekünstlern ihre Stärken einbringt. Auch in Förderschulen für Erziehungshilfe wurde dieses bei »Kontra« erprobte Verfahren mit authentischen Szenekünstlern vor Ort erfolgreich praktiziert. Organisation, Konzeption und Betreuung war Aufgabe der Musikschule. Denn wir sollten nicht nur immer wieder sagen, dass Musik unabdingbar wichtig für die Entwicklung junger Menschen ist, sondern selbst auch daran glauben. Musikschulen, die sich diesen Herausforderungen stellen, leisten eine wertvolle Arbeit, außerdem erwerben sie viel politisches Kapital.
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Noch eine weitere Entwicklung war bei dem Neuaufbruch des Musikschulwesens nach dem Zweiten Weltkrieg nicht abzusehen: Deutschland ist, offiziell zugegeben oder nicht, ein Einwanderungsland. Je nach Definition von »Migrationshintergrund« wachsen beispielsweise in Dortmund Kindergenerationen heran, die bereits heute zu 30-40 % einen migrationsspezifischen sozialen und kulturellen Hintergrund haben. In Anbetracht der Tatsache, dass die kulturelle Heterogenität in vielen Städten zunimmt und der Umgang mit diesem Thema die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft maßgeblich beeinflussen wird, stellen sich in vielen Gebieten der Kommunalpolitik – und nicht nur in der Sozial-, sondern auch der Kulturpolitik –, dringliche Fragen. Es gibt keine flächendeckenden Untersuchungen über den Musikschulbesuch von Migranten, ebenso wenig wie über den Besuch von Museen oder Theater- und Konzertaufführungen. Die zahlreichen türkischen und russischen Musikschulen, die Unterrichtsangebote in Kultur- und Heimatvereinen und die gefühlte Unterrepräsentanz von Migranten in öffentlichen Musikschulen ergeben zusammengenommen aber eher das Bild, dass hier Nachholbedarf besteht. In der Musikschule besteht die Chance, dass Violine und Baglama, Bouzouki und Fagott in benachbarten Räumen unterrichtet werden, dass man neugierig auf das werden kann, was nebenan geschieht. Deshalb müssen die Musikschulen auch in diesem Punkt an einer glaubwürdigen Öffnung arbeiten, mit einer ernstgemeinten Wertschätzung für die kulturellen Leistungen der zugewanderten Mitbürger. Das Kultursekretariat NRW in Wuppertal hat mit Landesmitteln in vielen Musikschulen die Entwicklung eines Unterrichtsangebots für Baglama initiiert, nach Berlin gibt es dieses türkische Zupfinstrument nun auch in NRW bei »Jugend musiziert«, zunächst als Pilotmodell in Duisburg und Dortmund, bald aber auch im Landeswettbewerb. Dieses Beispiel lässt sich auch auf andere Herkunftsländer und andere Instrumente übertragen. Die Musikschulen werden so die Gesamtproblematik des interkulturellen Zusammenlebens nicht lösen, können aber in ihrem Verantwortungs- und Einflussbereich einen Beitrag leisten.
4. Im Dschungel der Kooperationen: M u s i k s c h u l e – Q u o va d i s ? Im Gespräch zwischen Musikschulleitern in NRW vergeht selten viel Zeit, bis über die Zukunft der Musikschulen nachgedacht wird, und zwar mit Sorgenfalten auf der Stirn. Dabei geht es zunehmend nicht nur um die bekannten ständigen Finanznöte, sondern immer häufiger auch um die
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Angst vor einem Identitätsverlust durch eine immer stärkere Vernetzung der Musikschulen mit anderen Bildungseinrichtungen, vor allem mit Schulen und Kindergärten. Die aktuelle Sorge um das zukünftige Profil der Musikschulen hängt eng mit den Ergebnissen des Konzepts »Musikschule 2000« zusammen, dessen wesentlicher Bestandteil unter anderem die Öffnung der Musikschule für Kooperationen und Partnerschaften mit anderen Bildungsträgern ist. Die Idee war, die Musikschule durch eine intensivere Vernetzung an den gesellschaftlichen Wandlungsprozessen teilhaben zu lassen.
Wo spielt die Musik? Überall! Nicht nur durch PISA rückt der Bildungsbereich immer mehr in den Mittelpunkt des politischen und gesellschaftlichen Interesses. In den Musikschulen wurde deshalb das bisherige Etikett »Kulturinstitut« in Richtung »Bildungseinrichtung« erweitert bzw. modifiziert. Die Einrichtung von Bläser- und Streicherklassen, meist an den weiterführenden Schulen, standen ganz am Anfang der Kooperationsprozesse. Weiter wurden gemeinsame Ensembles oder vielfältige Angebote der Musikschulen im fakultativen Bereich der allgemein bildenden Schulen (AG’s, Projekte im Rahmen der Ganztags-Angebots-Schulen etc.) entwickelt. Musikschulen hatten folglich einen großen Anteil daran, dass allgemein bildende Schulen musikalische Schwerpunkte einrichten konnten, oder einen durch Fachlehrermangel bislang vernachlässigten – aber für die persönliche Entwicklung der Kinder sehr wichtigen – Bereich wieder kontinuierlich und kompetent anzubieten hatten. Seit 2000 wurde die politische Forderung nach einem Ausbau der schulischen Ganztagsangebote in NRW immer lauter. Der Landesverband der Musikschulen und der Verband Deutscher Schulmusiker starteten an vier Standorten mit einem Modellversuch, um im curricularen »Vormittagsbereich« die Stärken und Chancen einer Zusammenarbeit von Schulmusik und Musikschule, orientiert an den gemeinsamen Bildungszielen, zu erproben. In diesem sehr erfolgreichen Projekt erhielten alle Kinder der 2. Schuljahre Instrumentalunterricht durch Lehrkräfte der Musikschule – zusätzlich zum regulären Musikunterricht. Da, wo tatsächlich gemeinsame Konzeptionen entwickelt und die jeweiligen Stärken sinnvoll genutzt wurden, entstand für die Schülerinnen und Schüler ein großer zusätzlicher Bildungseffekt. In den Grundschulen wurde durch den musikalischen Schwerpunkt auch ein positiver Effekt in anderen Bereichen spürbar. Zur gleichen Zeit wurden auch im Elementarbereich konzeptionelle Neuorientierungen erforderlich. Früher waren die Musikschulen mit der
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»Musikalischen Früherziehung« Gast im Kindergarten, zunehmend wurden stärker vernetzte, offenere und deutlicher in den Betrieb des Kindergartens integrierte Unterrichtsformen gefordert. Aus der Problematik heraus, dass auch beim pädagogischen Personal der Kindergärten häufig nicht die notwendigen Fertigkeiten vorhanden sind, um einen ausreichend qualifizierten Einbezug der Musik in den Alltag des Kindergartens zu garantieren, entwickelten der Landesverband der Musikschulen in NRW gemeinsam mit der Bertelsmann-Stiftung und dem Landesverband der Volkshochschulen eine Qualifizierungsoffensive unter dem Titel »Kita macht Musik«. Mit dem Start der »Offenen Ganztagsgrundschule« haben die Musikschulen, unter anderem wieder mit Modellprojekten des Landesverbands, Wege zur Zusammenarbeit gesucht. Die organisatorischen, konzeptionellen und finanziellen Rahmenbedingungen stellten und stellen in der Praxis aber immer noch schwer zu lösende Aufgaben. Die Mitarbeit in diesem Bereich – von der Landesregierung ausgesprochen begrüßt und durch eine Rahmenvereinbarung geregelt – erfordert einen großen personellen und konzeptionellen Aufwand, dessen Nutzen auch vielfach kritisch hinterfragt wird. Der mit den Hauptschulen beginnende Ausbau der Sekundarstufe I in Richtung gebundener Ganztagsformen hat in einzelnen Musikschulen auch bereits konzeptionelle Resonanz gefunden. Auch das Programm »Kultur und Schule« als Initiative der Kulturabteilung der Staatskanzlei, das zu einer verstärkten Mitarbeit von Künstlern in allen Schulformen führen soll und aus dem Stand zu einer großen Zahl von Projekten geführt hat, wird von den Musikschulen, zum Teil auch in einer moderierenden und organisierenden Rolle zwischen Künstlern und SchulPädagogik, aufgegriffen. Das bisher größte vorstellbare Projekt der Mitarbeit von Musikschulen an der Musikalisierung in der Breite wird bis zum Jahr 2010 in der Kulturhauptstadt Ruhrgebiet durchgeführt werden: 212.000 Grundschulkinder sollen im Rahmen des Projekts »Jedem Kind ein Instrument«1 von den 39 öffentlichen Musikschulen im Ruhrgebiet in Kooperation mit den jeweiligen Grundschulen erreicht werden. Nach einer Orientierungsphase im ersten Schuljahr soll es Instrumentalunterricht in Gruppen geben, ab dem 3. Schuljahr kommt Ensemblespiel hinzu. Günstige Gebühren und umfangreiche Sozialfonds sollen dafür sorgen, dass sich 80 % der Kinder am Projekt beteiligen können. Für die Musikschulen bedeutet dies mindestens eine Verdopplung der bisherigen Schülerzahl. Allerdings nicht in der ganzen Breite des bisherigen Angebots, sondern bezogen auf einen
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Vgl. dazu den Beitrag von Manfred Grunenberg in diesem Band.
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Bereich, der durch die enge Kooperation und den Unterrichtsort Grundschule wenig zur eigenen Profilbildung der Musikschulen beitragen wird.
Musikschule – Quo vadis? Vor diesem Hintergrund stellen sich viele Leitungen und Kollegien der Musikschulen die bange Frage, ob am Ende dieses Prozesses die Musikschulen so weit in die allgemein bildenden Schulen integriert sind, dass sie sich als eigenständige Institutionen auflösen. Soll man sich zurücksehnen nach seligen Zeiten? Als in den Elternhäusern Musik noch eine Rolle spielte und das Erlernen eines Musikinstruments, zumindest in bürgerlichen Kreisen, eine Selbstverständlichkeit war? Als öffentliche Mittel für Musikschularbeit nicht immer und immer wieder legitimiert werden mussten, sondern selbstverständlich waren? Als Musizieren gefördert wurde, weil es für die Gesellschaft wichtig ist, und nicht immer zusätzliche Argumentationslinien aus dem sozial- oder bildungspolitischen Zusammenhang helfen mussten? Aber gab es diese Zeiten überhaupt je? Was wäre geschehen, wenn sich die Musikschulen im Glauben an eine nicht erschütterbare gesellschaftliche Wertschätzung in den 1990er Jahren nicht auf den Weg gemacht hätten, Positionen zu überdenken und durch geschickte Vernetzung stärker an die gesellschaftlichen Wandlungsprozesse angekoppelt zu bleiben? Zugegeben: Leider gibt es immer wieder Situationen, in den Musikschulen, die im besten Sinn ihr Profil weiterentwickelt haben und einen engagierten und effektiven Beitrag zur kulturellen Bildungslandschaft ihrer Kommunen leisten, im Strudel der Haushaltskonsolidierung kaputtgespart oder direkt zur Disposition gestellt werden. Gegen diese Art Ignoranz ist kein Kraut gewachsen. Aber: Häufig ist es auch anders. Die ursprünglich vorhandene politische Lobby und engagierte Elternvertretungen beklagen sich über mangelnde Innovationsfähigkeit, verschlafene Chancen zur Neuorientierung und unzureichende Dialogbereitschaft. Ganze Kollegien versuchen im festen Glauben an die eigene Wichtigkeit, den Kopf in den Sand zu stecken und auf bessere Zeiten zu warten. Dabei sind die besseren Zeiten möglicherweise schon da. Aber nur dann, wenn es die Musikschulen verstehen, in den vielfältigen oben beschriebenen Kooperationszusammenhängen ihre Stärken wirksam werden zu lassen und die Musikalisierung in der Breite mit hohem professionellen Anspruch als zentrale Aufgabe zu begreifen – und nicht als ungeliebtes Stiefkind zu behandeln. Denn wenn die Musikschulen ihren hohen musikpädagogischen und künstlerischen Anspruch in eine erkennbar hohe Qualität der Arbeit umsetzen, wird auch in Kooperationszusammen-
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hängen ein unverwechselbares Profil deutlich sein und bleiben. Im Ruhrgebiet wird sich erstmalig die Chance auftun, in wirklich großer Breite Kindern die Möglichkeit zu geben, ihr musikalisches Interesse zu erproben und Talente zu entwickeln. Wenn es gelingt, dafür sinnvolle Rahmenbedingungen zu schaffen, hängt der weitere Erfolg wesentlich von der Bereitschaft, der didaktischen Kompetenz und der methodischen Flexibilität der Lehrkräfte ab. Natürlich macht es nur Sinn, in diesen und anderen Projekten bei Kindern und Jugendlichen Interesse an der Musik zu wecken, wenn danach auch die Möglichkeit besteht, sich nach allen Regeln der Kunst weiter mit Musik zu beschäftigen. Im Unterricht und im Ensemblespiel, mit Theorie- und Ergänzungsfächern und mit besonderer Förderung für besondere Begabungen.
5. Die Zukunft beginnt jetzt Die Attraktivität der öffentlichen Musikschulen hängt von der Qualität ihrer Angebote ab, am wichtigsten ist dabei nach wie vor der kontinuierliche Instrumental- oder Vokalunterricht mit den entsprechenden begleitenden Fächern. Die Verzahnung von Unterricht, Ensemble und Theorie ist das Beispiel eines guten Produkts: So funktioniert systematische Ausbildung wirkungsvoll. Vielleicht lässt sich diese Wirkung steigern, wenn Schüler und Lehrer während der Woche über Internet Aufgabenstellungen und -kontrolle, Fragen, Musikbeispiele und Begleitstimmen als MP3 austauschen könnten. Zukunftsmusik? So erfolgreich praktiziert in Musikschulen in Belgien und den Niederlanden. Virtuelle Musikschulen können glücklicherweise unsere Arbeit nicht ersetzen. Die große Verbreitung und Beliebtheit der Neuen Medien bei der jüngeren Generation lässt aber viele Möglichkeiten erkennen, die Qualität unseres klassischen Produkts weiter zu steigern.2 Kurse und Projekte in Ergänzung des Kernbereichs prägen bei vielen Musikschulen das positive Bild in der öffentlichen Wahrnehmung. Hier gibt es Angebote für bestimmte Zielgruppen, die so auch von der Musikschule profitieren können, ein Feld für Experimente und Raum für Exoten, wie Dudelsack oder Didgeridoo. Hier könnten aber auch Angebote zusammenfassend profiliert werden, beispielsweise für die Felder Familie, Gesundheit, Unternehmen.
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Vgl. hierzu den Beitrag von Andreas Fervers in diesem Band.
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Musik und Familie (Groß-)Eltern-Kind-Gruppen gehören vielerorts inzwischen zum Standard, weil wir eingesehen haben, dass viele Familien Anleitung brauchen (und auch wollen!), um mit ihren Kindern zu Hause elementar Musik zu machen. Aber warum setzen wir erst bei sechs Monaten an? Hören ist die erste und letzte menschliche Verbindung von der Innen- zur Außenwelt. Es ist längst klar, dass sich das Gehör des Kindes schon im Bauch der Mutter entwickelt. Sind pränatale Mutter-Kind-Kurse, vielleicht sogar integriert in die üblichen Schwangerschaftskurse in Kooperation mit Hebammen, wirklich unvorstellbar? Warum müssen die (Groß-)Mütter und (Groß-)Väter auf dem Gang oder in der Cafeteria auf das Ende der Lehrstunde der Musikalischen Früherziehung (MFE) warten? Vielleicht lassen sich familienfreundliche Parallelangebote einrichten, entweder ganz klassisch, als Instrumentalunterricht, oder auf die Qualifizierung des gemeinsamen Musizierens mit den eigenen Kindern bezogen.
Musik und Gesundheit Gesundheit ist ein hohes (und teures) Gut. Musik, richtig betrieben, kann eine gesundheitsfördernde oder sogar therapeutische Wirkung haben. Einige Musikschulen machen bereits qualifizierte musiktherapeutische Angebote. Außer einer regulären Einzel- oder Gruppentherapie, beispielsweise für Kinder und Jugendliche oder chronisch Kranke, sind aber weitere Formen denkbar. Entspannungstraining nach musiktherapeutischen Gesichtspunkten kann bei unterschiedlichsten Zivilisationserkrankungen präventiv und therapeutisch sinnvoll sein, ebenso wie Kleingruppentherapie für Senioren bei beginnenden Demenzerkrankungen. Schlaganfallpatienten, die ihre Rehabilitation weiter flankieren möchten, wären möglicherweise dankbar, wenn es auch unter einem musiktherapeutischen Ansatz weiterführende Angebote für sie gäbe.
Musik und Business Überlebenstraining in der Natur, gemeinsame Kletterübungen an der Felswand, ein Segeltörn auf hoher See: Viele Führungskräfte mussten zur Entwicklung hilfreicher Kommunikations- und Problemlösungsstrategien schon ausgefallene Dinge tun. Am Verhalten, auch großer Konzerne, ist erkennbar, dass kulturelle Techniken in diesem Zusammenhang eine größere Wertschätzung erfahren. Kommunikation, Reaktion in der Gruppe, Weiterentwicklung von Gedanken und Impulsen, Darstellung und
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Lösung von Konflikten – wichtige Dinge, die sich auch mit künstlerischen Mitteln erfahren lassen. Vielleicht ein Ansatz, um Beziehungen, die sich bisher im wesentlichen als Einbahnstraßen des Sponsoring gestaltet haben, auf eine breitere und tragfähigere Grundlage zu stellen. Führungskräfte, die eigene gute Erfahrungen mit Musik gemacht haben, verfügen dann vielleicht über ein offeneres Ohr, auch für spezielle Anliegen der Musikschule …
Der Weg ist das Ziel Die Entwicklungen sind vielfältig, es gibt unterschiedliche Wege, die im Moment bedacht und erprobt werden. Nicht jeder Weg kann immer und überall sinnvoll sein. Erst die Zukunft wird zeigen, wo Pfade zu Wegen und Transportstrecken relevanter Zukunftsideen werden. Das übergeordnete Ziel kann nur sein, die Musikschulen möglichst wirkungsvoll und ausgerichtet auf ihre spezifischen Stärken in die gesellschaftlichen Musikalisierungsprozesse einzubringen. Dazu müssen auch bisherige Grenzen überschritten werden. Gute Musikschularbeit ist kein Punkt, der am Ende eines Entwicklungsprozesses erreicht werden kann, sondern ein Weg, der immer wieder neu beschritten werden muss. Dafür müssen Methoden und Ziele stets neu geprüft und diskutiert werden. Dieser Prozess einer ständig lernenden Organisationsform ist der Weg zu effektiver Musikschularbeit.
Die Einrichtung von Projektbereichen als Marketingaufgabe für Musikschulen FRIEDBERT HOLZ
Die folgenden Ausführungen gehen von der Annahme aus, dass Projektarbeit als Ergänzung zum herkömmlichen Unterrichtsangebot in weit stärkerem Maße als bisher üblich an Musikschulen institutionalisiert werden muss, um zukünftigen Herausforderungen im externen Umfeld der Einrichtungen mit flexibleren Angebotsstrukturen begegnen zu können. Mehr oder weniger sporadisch bietet jede Musikschule Projekte an, sei es der vielzitierte »Tag der offenen Tür« oder ein »Probenwochenende«. Daneben haben sich aber an manchen Musikschulen große Projektbereiche etabliert, deren Angebot sich aus der Perspektive eines strategischen Marketings systematisieren lässt. Unter der Bezeichnung »Projekt« sollen hier bevorzugt Kursangebote und Workshops zusammengefasst werden.1
Projektarbeit an Musikschulen Der im Jahr 1998 aktualisierte Strukturplan des Verbands deutscher Musikschulen (VdM) weist ausdrücklich auf die Möglichkeit von Projektangeboten hin. Projekte in Form von Kursen, Workshops, Exkursionen, Kooperationen und »anderen geeigneten Organisationsformen« werden ebendort den »zusätzlichen musikalischen Angeboten« der Musikschule 1
Andere Projektformen, etwa im Bereich der Kooperation von Musikschulen mit allgemein bildenden Schulen, werden hier ausgeklammert; vgl. hierzu den Beitrag von Peter Imort in diesem Band.
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zugeordnet. Besonderheit ist ihre zeitliche Begrenzung und inhaltliche Abgeschlossenheit, vorzugsweise in Hinblick auf spezifische Themenstellungen. Zur Zielsetzung von Projekten heißt es: »Sie ermöglichen [der Musikschule] ein flexibles Eingehen auf Nachfragen nach speziellen, fachlich geleiteten Angeboten, auf Erweiterungen des Angebots für ihre eigenen Schülerinnen und Schüler, auf die Gewinnung neuer Zielgruppen und auf die Erprobung neuer Angebote. Projekte sind eine praktikable Ebene für Kooperationen mit Partnern der Musikschule, mit denen musikalische Kräfte und andere Ressourcen zusammengeführt werden können.«2
Projekte an Musikschulen hat es immer schon gegeben. Das Projekt als Aktivitätsform wurde in den 1990er Jahren durch das Konzept »Musikschule 2000« des nordrhein-westfälischen Landesverbandes der Musikschulen quasi ›wiederbelebt‹. Das Konzept forderte eine Intensivierung der Breitenarbeit über die Ansprache neuer Zielgruppen durch neue Unterrichtsinhalte und -formen. Konstitutiv für »Musikschule 2000« erschien die Differenzierung zweier Aktionsfelder von Musikschularbeit. Der Projektbereich sollte das kontinuierliche Unterrichtsangebot des Kernbereichs ergänzen. Nicht verschwiegen sei, dass in der Projektarbeit fortan nicht nur ein Mittel für mehr Innovation und Öffentlichwirksamkeit, sondern auch für mehr Wirtschaftlichkeit gesehen wurde. Denn Projekte kann man von vornherein kostendeckend konzipieren und sie führen nicht zu bindenden Strukturen, etwa in Form von festen Stellenplänen. Inhaltlich darf man die »Musikschule 2000« als überholt bezeichnen. Sie ist längst in bundesweite Initiativen übergegangen. Aktueller denn je sind jedoch die gesellschaftlichen Veränderungen, die das Konzept herbeigeführt haben. Nach wie vor bleibt die finanzielle Lage vieler öffentlicher Haushalte angespannt, wächst der privatwirtschaftliche Konkurrenzdruck auf Musikschulen, stellen Demographie, Migration und ein sich änderndes Freizeitverhalten die Musikschulen vor große Herausforderungen.
P r o j e k t e – An t w o r t a u f g e s e l l s c h a f t l i c h e n W a n d e l Die Welt meldete am 21.12.2005, dass nach Angaben des Statistischen Bundesamtes fast jede zweite Akademikerin zwischen 37 und 40 Jahren keinen minderjährigen Nachwuchs habe. Zweierlei lässt sich aus dieser
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Vgl. hierzu den VdM-Strukturplan unter www.musikschulen.de/musik schulen/strukturplan/index.html.(09.08.07).
DIE EINRICHTUNG VON PROJEKTBEREICHEN ALS MARKETINGAUFGABE | 147
Notiz ableiten. Erstens: Unsere Gesellschaft altert. In Folge dessen nimmt die Bedeutung eines lebenslangen Lernens zu. Viele ältere Menschen verspüren heute aus ganz unterschiedlichen Gründen den Wunsch, noch einmal ein Instrument zu erlernen oder unter fachlicher Anleitung gemeinsam zu musizieren. Zweitens: Das Milieugefüge innerhalb der Gesellschaft ändert sich. Ein klassisches Bildungsbürgertum, dem die Musikschulen ganz wesentlich ihre Ursprünge verdanken, schwindet. Zuwanderung und Globalisierung sorgen dafür, dass unterschiedliche kulturelle Identitäten in unsere Gesellschaft integriert werden müssen. Die Beschäftigung mit Musik kann helfen, Brücken zu bauen. Seit den 1980er Jahren ist ein fortschreitender Individualisierungsprozess in der Gesellschaft zu beobachten. Erlebnisnachfrage und Lebensstilorientierung sind für die Musikschularbeit in mehrfacher Hinsicht bedeutsam. So ist durchaus mit einem steigenden Bedarf an musischen Angeboten zu rechnen, denn angesichts der Quasi-Beliebigkeit verschiedener Lebensentwürfe erzeugt und dokumentiert Musik »Zugehörigkeit, die Identität vermitteln (soll)« (Frevel 1997: 82). Allerdings entwickeln sich die Ansprüche und Bedürfnisse potenzieller Nachfrager an den Musikschulunterricht immer verschiedenartiger, da nicht mehr von einem einheitlichen, kulturellen Werteschema auszugehen ist. Um ein extremes Beispiel zu wählen: Jemand, der sich die Fernsehsendung »Deutschland sucht den Superstar« als Vorbild nimmt, pflegt nicht nur einen anderen Lebensstil als jemand, der etwa der Violinistin Anne Sophie Mutter nachstrebt, er wird sich auch einem anderen Milieu zuordnen (wollen) und in Folge dessen ganz andere Erwartungen an den Musikschulunterricht haben. Während die angehende Geigenvirtuosin bzw. deren Eltern gerne eine langjährige, möglichst schon im frühesten Alter beginnende Musikschulausbildung auf sich nehmen werden, nützt dem angehenden »Superstar« eine mehrjährige klassische Gesangsausbildung zunächst einmal wenig. Er wird vielmehr als Quereinsteiger testen wollen, ob er Freude am Singen entwickeln kann oder ob seinen individuellen Bedürfnissen an der Musikschule überhaupt entsprochen wird, etwa indem er dort auf Gleichgesinnte trifft. Ein Blick in die statistischen Jahrbücher des VdM offenbart, dass sich die Zahl der Musikschüler/-innen zwischen der Sekundarstufe I (10-14Jährige) und der Sekundarstufe II (15-18-Jährige) mehr als halbiert. Demgegenüber belegt eine Studie des Hamburger Instituts für Kulturund Medienmanagement, dass »die Beschäftigung mit Musik, sei es durch den Einfluss der Musikindustrie oder eigene musikalische Interessen, als Freizeitbeschäftigung« sehr wohl im Fokus jugendlicher Zielgruppen steht (KMM 2003: 2ff.). Jugendliche Musikschüler/-innen hören
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gerne Pop (64 %), Rock (46 %), HipHop/Rap (37 %) und Klassik (33 %). Zugleich spielen sie aber selber gern Klassik (60 %), gefolgt von Pop (39 %) und Rock (28 %). Dieses verblüffende Ergebnis ist sicher mit auf ein überwiegend klassikorientiertes Angebot der Musikschulen zurückzuführen. Soziologische Studien untermauern aber zugleich den Befund, demzufolge »in den jüngeren Generationen gehäuft ein statushoher Typ des Musikhörers auftritt, der klassische Musik, Rock, Pop, Jazz, Hip Hop und andere Stile gleichermaßen genießt.« Als Grund hierfür wird ein zunehmender »Medialisierungsprozess« angeführt (vgl. Motte-Haber/Neuhoff 2007: 391ff.). Natürlich ist es lobenswert, wenn es den Musikschulen offensichtlich gelingt, Jugendliche an klassische Musik heranzuführen. Umgekehrt drängt sich aber doch angesichts einer mit fortschreitendem Alter rückläufigen Zahl von Musikschülerinnen und -schülern die Frage auf, inwieweit die Lehrkräfte, die in der Regel ein hochspezialisiertes Studium absolviert haben, einer pluralistischen Geschmacksausprägung ihrer Schüler/-innen immer gerecht werden können. Die Lehrenden und Lernenden scheinen mitunter noch eine sehr unterschiedliche Erwartungshaltung an den Unterricht zu haben. Trotz aller Bemühungen, Studien- und Ausbildungsgänge zu reformieren, wird es daher auf absehbare Zeit zusätzlich einzusetzender Projektangebote bedürfen, um auf die (wechselnden) Bedürfnisse der Nachfrager flexibel und kurzzeitig reagieren zu können.
Die Positionierung von Kursangeboten Im Jahr 2001 legte eine Unternehmensberatung ein Gutachten zur Umsetzung von »Musikschule 2000« vor. Dr. Hirsch & Gayer Consulting (2001: 227ff.) verweist in ihm auf ein grundlegendes Problem der Musikschularbeit: »Es besteht an jeder Musikschule die Diskrepanz zwischen dem Ziel, Schüler auf ein Musikstudium bzw. auf eine Solo- oder Orchestermusikkarriere (einschl. Laienorchester) vorzubereiten, und dem Ziel der meisten Interessenten, lediglich Grundkenntnisse auf einem Instrument zu erwerben. Hier besteht sicherlich das Aufgabenfeld, diesen Widerspruch mittels einer klaren strategischen Ausrichtung zu relativieren. Dabei ist z.B. zu überdenken, ob die zumeist anzutreffende strategische Gleichbehandlung beider Zielgruppen angemessen ist. Eventuell sind – freilich unter einem Dach – zwei verschiedene, jedoch eng integrierte Bereiche nebeneinander zu etablieren, um stärker auf die jeweiligen Bedürfnisse hinzuarbeiten.«
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Hier wird die Einrichtung von Projektbereichen als Marketingaufgabe für Musikschulen angesprochen. Sie ist der strategischen Planungsebene im Marketing-Management-Prozess zuzuordnen. In der Einrichtung von Projektbereichen wäre gemäß der Zielbestimmung von »Musikschule 2000« ein Instrument zur Diversifikation der Angebotsstrukturen zu sehen. Neue (sowie bereits vorhandene) Zielgruppen sollen mit innovativen Angeboten erschlossen werden. Der besondere Anspruch der Programmpolitik im Projektbereich muss darin bestehen, Kursangebote und Workshops themenspezifisch bzw. zielgruppenorientiert zu unterbreiten. Auf Grund eines weit gefassten Verständnisses von Marketing stellt der einzelne Musikschulkurs eine künstlerische Dienstleistung, ein Produkt dar, welches einer Person oder Personengruppe zur Befriedigung von Bedürfnissen angeboten wird. »Daher sollte der Begriff Produkt präziser definiert werden als ein Set von möglichen Nutzen bzw. Vorteilen, und zwar aus der Perspektive, wie diese von einem Nachfrager wahrgenommen werden.« (Vgl. Klein 2003: 87ff.) Nicht die (Ab-)Sicht des Anbieters oder der Anbieterin, sondern der Produktnutzen aus Kundenperspektive ist entscheidend für das mögliche Zustandekommen eines Austauschprozesses. Dabei kann zwischen vier verschiedenen Nutzendimensionen von kulturellen Produkten unterschieden werden: dem Kernnutzen (im Falle der Musikschulen der erwünschte Lernerfolg), dem sozialen Nutzen (das Gruppenerlebnis), dem symbolischen Nutzen (etwa erkennbar in der Wahl bestimmter Instrumente als Ausdruck des Selbstbildes) und dem Servicenutzen (etwa das Gefühl, gut versorgt zu werden).3 Ausgehend von bestehenden Kursprogrammen ist zu fragen, mittels welcher Positionierungskonzepte für einzelne Kurse auf welche Zielsegmente des Marktes geschlossen werden kann. Dies setzt voraus, dass man für den Markt selbst zuvor geeignete Segmentierungsvariablen findet. Bei Eltern von bis zu 10-jährigen Kindern dürfte die Initiative zur Kursteilnahme stellvertretend von den Eltern ausgehen. Jugendliche werden hingegen selbstbestimmt über ihre Freizeit verfügen wollen. Erwachsene bilden in sich noch keine homogene Zielgruppe. Sie lassen sich beispielsweise in Studenten und Studentinnen, Erwerbstätige, Senioren und Seniorinnen oder etwa auch nach spezifischeren Zielgruppen wie z.B. Migranten und Migrantinnen, Erzieher/-innen usw. unterteilen. Für eine noch genauere Differenzierung empfiehlt sich aber eine Marktsegmentierung nach unterschiedlichen Lebensstilen. Es stellt sich die Frage, welchen Nutzen Angehörige bestimmter gesellschaftlicher Milieus aus einzelnen Kursangeboten ziehen können. 3
Dazu detaillierter Klein 2003: 87ff.
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Der Sinus-Lebensstilansatz Soziale Milieus bilden sich heute weniger in Folge von klassen- oder schichtspezifischen Beziehungsvorgaben, als vielmehr über Beziehungswahlen: »Milieus werden dem Menschen in einer gesellschaftlichen Situation, wie sie für Nationen mit einem hohen Lebensstandard charakteristisch sind, nicht einfach verordnet. Man kann wählen, mehr noch, man muss wählen, wenn man überhaupt noch irgendwo dazu gehören möchte.« (Schulze 2000: 177)
Das Heidelberger Sinus-Institut hat seit den 1980er Jahren als eines der ersten sozialwissenschaftlichen Institute den Lebensstilansatz aufgegriffen und für die strategische Marketingplanung genutzt. Abgesehen von der empirisch-sozialwissenschaftlichen Forschung widmet sich »Sinus Sociovision«, so der heutige Name, der (kommerziellen) MarketingBeratung. Führende Markenartikelhersteller, Dienstleistungsunternehmen, Medienunternehmen u.a. nutzen die Sinus-Milieus im Bereich der Marken- und Produktpositionierung, des Innovations-Managements, der Werbung und Kommunikation. »Sinus Sociovision« nimmt in regelmäßigen Abständen eine Segmentierung der Bevölkerung in Deutschland vor. Dabei werden dem sozialen Status – geprägt durch Ausbildung, Berufsprestige, Einkommen – die Werteorientierungen der Bürger/-innen gegenüber gestellt. Ziel ist es, die Lebenswelt von Zielgruppen unter Berücksichtigung des Wertewandels zu erfassen. »›Lebenswelt‹ meint […] alle bedeutsamen Erlebnisbereiche des Alltags (Arbeit, Familie, Freizeit, Konsum usw.), die bestimmend sind für die Entwicklung und Veränderungen von Einstellungen, Werthaltungen und Verhaltensmustern.« (Flaig/Meyer/Ueltzhöffer 1997: 51)
In diesem Sinne werden große Repräsentativerhebungen durchgeführt. Die in Fragebögen ermittelten Merkmalsausprägungen und Einstellungen werden alle insgesamt miteinander korreliert. Dort, wo auf Grund einer Cluster-Analyse Häufungen auftreten, können soziale Milieus klassifiziert werden. Im Jahr 2001 wurde das erste gesamtdeutsche Modell der Sinus-Milieus entwickelt. Nachfolgend eine Kurzcharakteristik (Stand: 2006):
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Sinus-Milieus 2006: Kurzcharakteristik Gesellschaftliche Leitmilieus Etablierte – 10 % Das selbstbewusste Establishment: Erfolgs-Ethik, Machbarkeitsdenken und ausgeprägte Exklusivitätsansprüche Postmaterielle – 10 % Das aufgeklärte Nach-68er-Milieu: Liberale Grundhaltung, postmaterielle Werte und intellektuelle Interessen Moderne Performer – 9 % Die junge, unkonventionelle Leistungselite: intensives Leben – beruflich und privat, Multi-Optionalität, Flexibilität und Multimedia-Begeisterung Traditionelle Milieus Konservative – 5 % Das alte deutsche Bildungsbürgertum: konservative Kulturkritik, humanistisch geprägte Pflichtauffassung und gepflegte Umgangsformen Traditionsverwurzelte – 14 % Die Sicherheit und Ordnung liebende Kriegs-/Nachkriegsgeneration: verwurzelt in der kleinbürgerlichen Welt bzw. in der traditionellen Arbeiterkultur DDR-Nostalgische – 6 % Die resignierten Wende-Verlierer: festhalten an preußischen Tugenden und altsozialistischen Vorstellungen von Gerechtigkeit und Solidarität Mainstream-Milieus Bürgerliche Mitte – 16 % Der statusorientierte moderne Mainstream: Streben nach beruflicher und sozialer Etablierung, nach gesicherten und harmonischen Verhältnissen Konsum-Materialisten – 11 % Die stark materialistisch geprägte Unterschicht: Anschluss halten an die Konsum-Standards der breiten Mitte als Kompensationsversuch sozialer Benachteiligungen Hedonistische Milieus Experimentalisten – 8 % Die extrem individualistische neue Boheme: Ungehinderte Spontaneität, Leben in Widersprüchen, Selbstverständnis als Lifestyle-Avantgarde
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Hedonisten – 11 % Die Spaß-orientierte moderne Unterschicht/untere Mittelschicht: Verweigerung von Konventionen und Verhaltenserwartungen der Leistungsgesellschaft (Quelle: Sinus Sociovision 2006a: 12) Der Kurzcharakteristik liegen weit ausführlichere Kurzbeschreibungen der Milieus mit Angaben zum jeweiligen Kulturverhalten zu Grunde (Sinus Sociovision 2006b). Diese können helfen, Musikschulkurse auf bestimmte Zielgruppen hin auszurichten, wobei ein entsprechendes Musikverhalten wohl abgeleitet, kaum jedoch bewiesen werden kann. Noch effektiver wäre eine Evaluation von Kursarbeit durch Musikschulen. Musische Präferenzen, soziographische Merkmale (wie Alter, Geschlecht, Beruf) sowie Verhaltensmerkmale jeweiliger Kursteilnehmer/-innen (z.B.: Welche Kursoder Unterrichtsangebote der Musikschule sind bereits genutzt worden? Welches sind die Gründe für eine Kursteilnahme? Wie gedenkt der Kursteilnehmer bzw. die Kursteilnehmerin das Erlernte zu verwenden?) wären zu erfragen.
Projektbereiche in der Musikschulpraxis Anhand des Kursbereiches der »Westfälischen Schule für Musik der Stadt Münster« soll nachfolgend beispielhaft die Planung und Umsetzung von Projektarbeit im Sinne einer Marketingaufgabe dargestellt werden. Ergänzend dazu wird das Kursprogramm der Musikschule »Johann Sebastian Bach« in Leipzig betrachtet und mit den musikalischen Zusatzangeboten der Musikschule Unterhaching e.V. eine alternative Form der Etablierung von Projektarbeit vorgestellt.4
Westfälische Schule für Musik der Stadt Münster (WSfM Münster) Die WSfM Münster hat 1994 auf Grundlage des Konzeptes »Musikschule 2000« eine organisatorisch weitgehend unabhängige Abteilung »Projektbereich« eingerichtet. Zur damaligen wie heutigen Zielsetzung des Projektbereiches heißt es auf der Homepage der Musikschule:
4
Die Angaben beruhen u.a. auf persönlichen bzw. telefonischen Befragungen des Verf.
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»Nicht nur Kinder und Jugendliche nutzen das breite Angebot der Musikschule, verstärkt orientiert sich das Angebot auch an Studenten und Berufstätigen, die sich mit Musik auseinandersetzen möchten. Mit dem Projektbereich, in dem im Gegensatz zum sonstigen, auf Kontinuität ausgerichteten Musikunterricht zeitlich begrenzte Kurse und Workshops angeboten werden, öffnet sich die Musikschule neuen Zielgruppen und trägt einem veränderten Freizeitverhalten Rechnung.«5
Die zweimal jährlich in einer Auflagenhöhe von jeweils 6.000 Exemplaren erscheinende Broschüre WSfM Ständiges Unterrichtsangebot, Kurse, Workshops gibt eine Übersicht der aktuellen Angebote des Projektbereichs (WSfM 2006; Stand: August 2006 bis Januar 2007): Grundlagen der Musik Musikalische Grundkenntnisse für Erwachsene: Grundkurs; Aufbaukurs; Vom-Blatt-Singen/Komponieren für alle/Musik hören und lesen/ Klassik-Highlights/Crashkurs Klassik/Beethoven. Die Wiener Zeit./Mozart kompakt Singen und mehr Wenn die Stimme stimmt/Der lange Atem/Grundtechniken des klassischen Gesangs/Toll, wenn man im Rhythmus landet!/Stimme, Atem, Obertöne/Beschwingtes Singen/Chor »bon Tempo«/Chor 60 plus Holz- und Blechblasinstrumente Blockflöte für Kinder/Blockflötentechnik für Erwachsene/ Kammermusikbörse für Blockflötenspieler/ Erfahrung mit der Blockflöte: Das Spiel auf der Altflöte/ Blockflötenensemble für Erwachsene/ Con flauti dolci. Blockflötenensemble für Erwachsene/ Flirty Flutes/ Saxofon zum Kennenlernen: Orientierungskurs; Aufbaukurs/ Saxofon-Ensemble/Saxomania. Saxofon-Orchester/ Sax’n Drums. Saxofon-Ensemble plus Schlagzeug/ Trompete: Einstieg für Kinder/ Wochenendkurse: Trompeten-Ensemble/Trompete & Orgel/Fürst-Pless-Horn für Einsteiger Alles was Saiten hat: Gitarre bis Kontrabass Gitarre für Kinder/Erwachsene: Orientierungskurs; Aufbaukurs/ 5
Siehe hierzu auch www.muenster.de/stadt/musikschule/index_ueberuns.html (09.08.07).
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Moderne Kinderlieder mit Gitarrenbegleitung: Orientierungskurs; Aufbaukurs/Workshop Flamenco-Gitarre/Baglama für alle!/ Gambe zum Kennenlernen/Kontrabass zum Kennenlernen Klavier und Keyboard und Computer Wiedereinstieg Klavier: Hinsetzen und Losspielen/ Klavier spielen – leichter, besser, entspannter!/ Keyboardkurs für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Orientierungsund Aufbaukurs/Keyboard zum Kennenlernen Musik digital Popmusik und DJ-ing am Computer Schlagzeug und andere Perkussionsinstrumente Schnupperkurse: Schlagzeug zum Kennenlernen/ Schlagzeug für Anfänger/ Schlagzeug für Fortgeschrittene/ Die Reise zu den Trommelinseln/ Djembe-Trommelkurs für Kinder/Erwachsene/ Samba – Trommeln wie die Weltmeister/ Indische Musik: Tabla. Einführungskurs; Aufbaukurs Musik und Bewegung Tänze der Mozartzeit Die WSfM Münster verfügt über gute institutionelle Voraussetzungen für Projektarbeit. Das Kollegium umfasst 140 Fachlehrkräfte. Räume und Instrumente sind in ausreichender Anzahl vorhanden. Spezifisch ist die gehobene Sozialstruktur der Stadt Münster mit einem Bevölkerungsanteil von rund 50.000 Studenten und Studentinnen. Insbesondere ältere Jugendliche sowie junge Erwachsene fragen das Musikschulangebot verstärkt nach. Die langen Wartelisten der Musikschule zeugen von einem starken Markt für musische Weiterbildungsangebote. Zur Planung und Umsetzung der Projektarbeit beschäftigt die Musikschule eine Projektbereichsleiterin. Diese ist auch für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zuständig. In organisatorischer Hinsicht gelten für den Projektbereich eigene Regelungen und Gebühren. Drei neue Funktionen übernimmt die Musikschule in der Projektarbeit. Sie ist Anbieterin, Partnerin und Vermittlerin bei innovativen Musikschulangeboten (vgl. WSfM Münster 2000: 25ff). Unter die Rubrik »Musikschule als Anbieterin« fallen Projekte, bei denen die Musikschule neue musikpädagogische
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Konzepte erprobt. Als »kompetente Partnerin« erweist sich die Musikschule in der Zusammenarbeit mit allgemein bildenden Schulen, Behindertenschulen, sozialen Einrichtungen und weiteren Kultur- und Bildungseinrichtungen. Nicht zuletzt können so auch Förderer und Förderinnen eingeworben werden. In unserem Zusammenhang interessiert vor allem der Bereich »Musikschule als Vermittlerin«. Der Kursbereich im engeren Sinne bietet qualifizierten Musikpädagoginnen und -pädagogen ein Forum, eigene, selbst entwickelte Themenstellungen an die WSfM heranzutragen und im Rahmen des Projektbereichs anzubieten. Als Dozenten und Dozentinnen kommen im Kernbereich beschäftigte, aber auch freischaffende Pädagoginnen und Pädagogen in Frage. Die Themenstellung eines Kurses muss jedoch zur Konzeption des Projektbereiches passen. Die Vermittlerrolle spiegelt sich dann im Vertragsverhältnis zwischen Kursleitern bzw. Kursleiterinnen und Musikschule wieder. Nach einem sogenannten »Agentur-Prinzip« geht die zu treffende Vereinbarung von der selbstständigen Tätigkeit der Dozentinnen und Dozenten aus. Dies ist formal von Bedeutung, weil §2 des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD) mehrere gleichzeitige Beschäftigungsverhältnisse zu demselben Arbeitgeber nur dann erlaubt, wenn sie nicht in einem unmittelbaren Sachzusammenhang stehen. Die Musikschule betreut die Lehrer/-innen bei der Kurskonzeption, sie übernimmt die Werbung und Öffentlichkeitsarbeit, die Organisation von Räumlichkeiten, sie verwaltet das Anmeldeverfahren und zieht die Teilnahmegebühren ein. Die Kursleiter/-innen erwirtschaften selbstständige, zu versteuernde Einnahmen aus den Teilnahmegebühren. Die Musikschule behält von den Gebührenerlösen im Regelfall eine Provision von 20 % ein, die in einen Projektbereichsfonds fließen. Dieser dient der Kostendeckung im Bereich der Werbung oder der Bezuschussung von Sonderprojekten. Eine erforderliche Mindestteilnehmerzahl für die einzelnen Kurse wird mit den jeweiligen Dozenten und Dozentinnen vertraglich vereinbart. Insofern übernimmt die Musikschule keine Haftung für das Zustandekommen eines Kurses. Selbstverständlich können Kurse auch auf eine konkrete Nachfrage hin angeboten werden. Mitunter bitten feste Interessengruppen (z.B. Schulklassen, Hausmusikensembles usw.) um die Vermittlung einer Lehrkraft. Die Teilnehmer/-innen der Kurse bzw. Workshops profitieren von zusätzlichen Serviceleistungen. Sie können nicht nur Musikbibliothek und Instrumentenpool nutzen, ihnen stehen für die Dauer eines Kurses außerhalb des Unterrichtbetriebes auch Räumlichkeiten der Schule für Übzwecke zur Verfügung. Außerdem wird den Teilnehmern und Teilnehmerinnen zum Ende einer Kursphase die Möglichkeit geboten, anlässlich eines öffentlichen Vortragsabends, »Projektmusik« genannt, Erlerntes vorzutragen.
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Eine Zielgruppenanalyse bestätigt, dass die Musikschule über Kurse Personengruppen erreicht, die sich in Bezug auf Altersverteilung und Lernbedürfnisse bzw. Lernvoraussetzungen deutlich von den Schülerinnen und Schülern des Kernbereichs unterscheiden. Mehr als 80 % der derzeit angebotenen Kurse richten sich an Erwachsene, ca. 50 % an Jugendliche, ca. 20 % an Kinder. Der Anteil der Einsteiger- und Wiedereinsteiger-Angebote entspricht sich weitgehend. Nahezu alle Kurse werden in Gruppenform angeboten. Nur rund ein Viertel umfasst auch die Möglichkeit zum Einzelunterricht.
Programmangebote für verschiedene Lebensstile Die Programmkonzeption der WSfM basiert auf Erfahrungswerten. Demgegenüber werden im Folgenden die Sinus-Milieus als Segmentierungsvariablen in dem Bestreben verwendet, die Zielgruppenarbeit der WSfM aus der Marketingsicht zu systematisieren, auch wenn eine Anwendung auf den Musikschulbereich bis zu einem gewissen Grad spekulativ bleiben muss, solange diesbezügliche Forschungsergebnisse nicht gesichert vorliegen. Zwei Tendenzen sind erkennbar. Erstens bietet der Projektbereich Kurse für Zielgruppen an, die den Besuch der Musikschule sonst eher scheuen würden, sei es durch das gesellschaftliche Umfeld, mangelnde Vorkenntnisse oder weil sie sich nicht festlegen möchten. Zweitens reagiert die WSfM mit den Kursen zugleich auf die ortsspezifisch große Nachfrage nach anspruchsvollen Bildungsangeboten, wie sie durch die relativ starke Repräsentanz gesellschaftlicher Leitmilieus bzw. junger Milieus gegeben ist. Einsteiger- oder Schnupperkurse bieten allen Milieus einen Servicevorteil. Man kann Instrumente erst einmal ausprobieren und muss sich nicht längerfristig binden. Ganz besonders sind solche Vorteile für bildungsferne Schichten relevant, mit denen die Musikschule über ihre Kooperationen mit allgemein bildenden Schulen durchaus in Kontakt kommt. Die Konsum-Materialisten möchten als ›normale Bürger‹ gelten, haben aber oft das Gefühl in der Gesellschaft benachteiligt zu sein« (Sinus Sociovision 2006b). Sie verfügen über nur begrenzte finanzielle Mittel, die sie gemäß ihrer Namensgebung nicht primär für Kultur und Bildung einsetzen werden. Insofern dürften die Orientierungskurse für Blockflöte, Gitarre, Keyboard, Schlagzeug oder Trompete helfen, Hemmschwellen zum Besuch einer Musikschule abzubauen. Insbesondere den Kindern kann man so ermöglichen, was den Eltern verwehrt blieb. Für das jüngere Milieu der Hedonisten – »immer auf der Suche nach Fun und Action« (Sinus Sociovision 2006b) – eignen sich ganz besonders Trommelkurse, z.B. »Samba – Trommeln wie die Weltmeister« oder »Djembe«. Hier wird vor allem der symbolische Nutzen zählen: Trommeln
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als Lebensgefühl. Selbst Angehörige des Mainstream-Milieus Bürgerliche Mitte mögen als Erwachsene vor dem Besuch einer Musikschule zurückschrecken, sofern dies nicht die eigenen Kinder betrifft. Zwar darf man ein allgemeines Interesse an musischen Dingen unterstellen, d.h. man will mitreden können. Doch dürfte eine einschlägige musikalische Vorbildung schon lange Zeit zurückliegen. Auch ist das zur Verfügung stehende Zeitbudget in der Regel durch Beruf und Familie stark eingeschränkt. Die Nachfrage wird sich an »gängigen« Instrumenten orientieren wie Blockflöte, Klavier, Gitarre, Chorsingen oder musiktheoretische Kurse zur Wiederauffrischung. Gerade für ältere Menschen sollte der soziale Nutzen solcher Kurse an Bedeutung gewinnen. Daneben existieren noch weitere Kursangebote für spezielle Zielgruppen. An Senioren richtet sich »Chor 60 plus«, »Baglama für alle« zielt (nicht nur) auf türkische Mitbürger/-innen, »Moderne Kinderlieder mit Gitarrenbegleitung« ist ein speziell für Lehrer/-innen und Erzieher/-innen interessantes Angebot. Bei diesen Berufsgruppen handelt es sich um wichtige Multiplikatoren der Musikschularbeit. Die große Nachfrage nach anspruchsvollen musischen Weiterbildungsangeboten geht in Münster vor allem auf den hohen Bevölkerungsanteil der Studenten zurück. Die Studenten sind den Milieus Postmaterielle, Moderne Performer und Experimentalisten zuzurechnen. Gemeinsam ist den drei Milieus ihre weitgehend gesicherte bis gehobene soziale Lage bei zugleich progressiver Werteorientierung, d.h. das Anspruchsdenken gegenüber musischen Angeboten wird ausgeprägt sein. Man ist nicht auf bestimmte Musikrichtungen festgelegt und kann es sich im Sinne der Erlebnisstimulans leisten, situationsabhängig zu wählen. Die Postmateriellen bilden im Vergleich das älteste, wohl auch reflexivste Milieu. »In hohem Maße sind sie interessiert an Literatur, Kunst und Kultur. Weiterbildung ist ein lebenslängliches Thema, weil sie sich mehr über Intellekt und Kreativität definieren als über Besitz und Konsum« (Sinus Sociovision 2006b). Als Kinder der »Alt-68er« sehen sie in der Musik bzw. in der Kreativität allgemein einen wichtigen Ausgleich zum gesellschaftlichen »Modernisierungsstress«. Sie werden sich insofern von Kursangeboten wie »Der lange Atem oder Klavier spielen – leichter, besser, entspannter« angesprochen fühlen. Zugleich dürften die Postmateriellen aber auch dem sozialen Aspekt des gemeinsamen Musizierens, etwa in dem Kurs »Flirty Flutes – Flötenliteratur der Romantik« aufgeschlossen gegenüberstehen. Gegen die »Flirty Flutes« sollten auch die Experimentalisten nichts einzuwenden haben.
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»Ihr Hauptinteresse richtet sich auf Musik, Kunst, Kultur, auf einschlägige Filme und Bücher. Sie haben ein großes Bedürfnis nach Kommunikation und Unterhaltung, sind ständig in Bewegung und dort zu finden, wo etwas Spannendes, Neues los ist.« (Sinus Sociovision 2006b)
In diesem Milieu wird die Nachfrage nach Modeinstrumenten wie Saxofon sowie nach experimentellen Musikformen/Crossover groß sein. Wichtig dürfte den Experimentalisten vor allem das schnelle Erfolgsversprechen im Selbermachen sein. Deshalb werden sie gegenüber Angeboten wie »Crashkurs Klassik« oder »Wiedereinstieg Klavier – Hinsetzen und Losspielen«, aber auch gegenüber »Popmusik und DJ-ing am Computer« kaum Vorbehalte haben. Bei den Modernen Performern wird das symbolische Nutzenversprechen eines Kursangebots noch stärker zählen. Man gibt sich nicht nur progressiv, man will sich auch abheben. Vielleicht könnte dies mit der Teilnahme am Kurs »Stimme, Atem und Obertöne – Entdecke deine Stimme neu!« oder am Workshop »Flamenco Gitarre« gelingen. Nochmals sei jedoch gesagt, dass die Postmateriellen, Experimentalisten und Moderne Performer vieles gemeinsam haben. Weltoffenheit, Spontaneität und ein insgesamt sehr hohes Anspruchsniveau lassen sie als ideale Zielgruppe für teils exotische Angebote erscheinen, so z.B. für »Indische Musik: Tabla«.
Bilanz der Projektarbeit in Münster Die Bilanz des Projektbereichs liest sich eindrucksvoll. Im Jahr 2005 wurden allein 323 Kurse mit 1.090 Teilnehmern in 2.723 Unterrichtsstunden gegeben. Die seit der Einführung des Projektbereiches kontinuierlich gestiegene Zahl der realisierten Kurse zeigt insofern, dass es der WSfM nicht nur gelungen ist, die Musikschule für neue Zielgruppen zu öffnen, sondern außerdem einen spezifischen Bedarf an innovativen Musikschulangeboten zu befriedigen. Der Kernbereich der WSfM hat von dem Ausbau des Projektbereiches profitiert. Lag das Unterrichtsvolumen im ständigen Unterrichtsangebot zwischen 1993 und 2003 konstant bei ca. 1.430 Jahreswochenstunden, werden mittlerweile 3.127 Schüler/-innen in 1.604 Wochenstunden unterrichtet. Davon entfallen 1.297 Stunden auf TVöD-Beschäftigungsverhältnisse, 307 auf Freie Mitarbeiter-Verhältnisse (Stand: 2005). Von der Qualität der geleisteten Arbeit zeugen ferner die zahlreichen Ensembles sowie die Erfolge der Musikschüler/-innen bei »Jugend musiziert« und dem »Deutschen Orchesterwettbewerb«. Es stellt sich nunmehr die Frage nach gegenseitigen Wechselwirkungen zwischen der Arbeit im Projekt- und Kernbereich.
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Wechselwirkungen zwischen Projekt- und Kernbereich Auf pädagogischer Ebene eignet sich der Projektbereich zur Erprobung neuer Unterrichtsinhalte und (Gruppen-)Unterrichtsformen in Hinblick auf ihre Verwendbarkeit im Kernbereich. Beispielsweise wird für das Jahr 2007 erstmals ein Kursangebot »Elementare Musikerziehung für Erwachsene« erprobt und evaluiert. Die freie Tätigkeit der Dozentinnen und Dozenten im Projektbereich gewährt Flexibilität, die Unterrichtstätigkeit der festangestellten, im Kernbereich tätigen Lehrer/-innen hingegen Kontinuität in der pädagogischen Arbeit. Auf die Besonderheiten der Nachfragesituation in Münster wurde bereits verwiesen. Ein Problem mag darin gesehen werden, dass externe Dozenten und Dozentinnen Schüler/-innen aus dem Projektunterricht für private Unterrichtszwecke abwerben können. Andererseits übernehmen auch Dozentinnen und Dozenten der WSfM gelegentlich Schüler/-innen vom Projekt- in den Kernbereich. Die WSfM erfasst das wechselseitige Nachfrageverhalten zwischen Projekt- und Kernbereich nicht systematisch. Offensichtlich ist die Nachfrage in beiden Abteilungen, unabhängig voneinander, so groß, dass hierfür bislang keine Notwendigkeit gesehen wird. Sicherlich helfen die Schnupperkurse des Projektbereiches zunächst einmal, Wartezeiten bei Neuanmeldungen des Kernbereichs zu überbrücken. Das mag Betroffene davon abhalten, nach Konkurrenzangeboten Ausschau zu halten. Auf der Marketing-Ebene steigert das wechselnde Kursprogramm die öffentliche Präsenz der gesamten Musikschule. Die Broschüre Ständiges Unterrichtsangebot, Kurse, Workshops spricht zudem auch ehemalige Schüler/-innen/Eltern an. In der Musikschulpraxis dient der Projektbereich insbesondere der Erprobung des Nachfrageverhaltens. Beispiele für Nachfragetrends, auf die man erst durch die Projektarbeit aufmerksam geworden ist, sind die Fächer Gesang oder auch das große Interesse Erwachsener an den Instrumenten Gitarre und Saxophon. Dies hat zu entsprechenden Erweiterungen des Unterrichtangebots im Kernbereich geführt. Auf institutioneller Ebene kann die WSfM Münster schließlich die Breitenwirkung des gesamten Musikschulangebots in die politische Diskussion vor Ort einbringen. Die Angebotsstrukturen sind flexibilisiert und das musikpädagogische Angebot erweitert worden. Die Schüler- bzw. Teilnehmerzahlen aus dem Kern- und Projektbereich belegen summarisch einen größeren Gemeinnutzen der Musikschularbeit. Gleiches gilt für die Vernetzung der Musikschule mit anderen Institutionen auf Basis von Kooperationsprojekten. Bezüglich des Finanzierungsaufwands ergibt sich eine Mischform aus einem kostenintensiven Kernbereich und einem weit weniger kostenintensiven Projektbereich.
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Der Direktor der WSfM der Stadt Münster, Ulrich Rademacher, ist überzeugt, dass sich die mit der Etablierung des Projektbereiches verfolgten Strategien unter dem Aspekt einer vorausschauenden Problemfrüherkennung bewährt haben. Indem es der WSfM gelungen ist, das Bild einer einseitig mittelschichtorientierten Musikschule zu widerlegen und den Gemeinnutzen der Musikschularbeit anhand konkreter Zahlen und Fakten, sprich anhand der Bilanzen aus Kern- und Projektbereich zu belegen, konnte verhindert werden, dass die Musikschule von drastischeren Einsparmaßnahmen betroffen wurde.
Musikschule Leipzig »Johann Sebastian Bach« Die Differenzierung zwischen einer Förderung des Laienmusizierens und einer speziellen Begabtenförderung hat in Leipzig traditionelle Wurzeln. So bestand vormals in der Landesmusikschule Leipzig ein durchaus elitäres Institut, während das städtische Unterrichtskabinett sich der musischen Breitenbildung widmete und somit als Vorläufer des heutigen Kursbereiches bezeichnet werden darf. Die Musikschule »Johann Sebastian Bach« entstand 1996 aus der Zusammenlegung beider Einrichtungen. In der Broschüre Unterricht, Kurse, Veranstaltungen. Schuljahr 2006/2007 stellt sich die Musikschule folgendermaßen vor: »Als Eigenbetrieb der Stadt Leipzig werden wir unterstützt durch den Freistaat Sachsen. Mit unseren 7.000 Schülerinnen und Schülern, die in 3.750 wöchentlichen Unterrichtsstunden betreut werden, sind wir die zweitgrößte Musikschule in Deutschland. Vielfältige Unterrichtsmöglichkeiten vom Einzelunterricht bis zum Lernen in der Gruppe, eine große Zahl von Orchestern und kleineren Ensembles, ein umfangreiches zusätzliches Kursangebot, die Leipziger Schulkonzerte sowie eine enge Zusammenarbeit mit allgemeinbildenden Schulen und anderen Kulturinstitutionen wie dem Gewandhaus und der Oper sind Kennzeichen unserer Arbeit.« (Musikschule Leipzig »J. S. Bach« 2006)
Zur Bedeutung des Kursangebots heißt es ferner: »Kurse und Projekte in den Bereichen Musik, Tanz und Bildende Kunst ergänzen und bereichern das Unterrichtsangebot der Musikschule Leipzig »Johann Sebastian Bach«. Sie sind im Gegensatz zum Instrumental- und Vokalunterricht zeitlich befristet und werden über eine Teilnahmegebühr abgerechnet. Das Kurs- und Projektprogramm richtet sich an Kinder, Jugendliche und Erwachsene, die zeitlich begrenzt etwas Neues ausprobieren, bereits erworbene Fähigkeiten auffrischen oder sich mit speziellen Bereichen auseinander setzen
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möchten. Hier erworbene Kenntnisse können im ständigen Unterrichtsangebot der Musikschule fortgesetzt und weiterentwickelt werden. Kurse können auch auf speziellen Wunsch angeboten werden, wenn z.B. feste Teilnehmergruppen (Hausmusikensembles, Gesangsgruppen, Rockbands, Schulklassen usw.) qualifizierte Lehrkräfte für eine zeitlich begrenzte ›Intensivkur‹ in den Bereichen Musik, Tanz oder Bildende Kunst suchen.« (Ebd.)
Die Kursbereiche in Leipzig und Münster sind ähnlich organisiert. Unterschiede bestehen vor allem hinsichtlich der programmatischen Ausrichtung. Das Kursprogramm der Musikschule Leipzig ist nicht nach verschiedenen Instrumentengruppen wie in Münster, sondern nach den Themenbereichen »Musische Elementarfächer«, »Musik« und »Bildende Kunst/weitere Kursangebote« unterteilt, wobei unter »weiteren Kursangeboten« derzeit vor allem solche aus dem Bereich der Darstellenden Kunst zu verstehen sind. Musische Elementarfächer werden natürlich auch in Münster angeboten. Dort sind sie weitgehend dem Kernbereich zugeordnet. Auffälligstes Kennzeichen des Kursprogramms in Leipzig bleibt sein interdisziplinärer Ansatz: Musische Elementarfächer Das Instrumentenkarussell/Kunst und Klänge/Eltern-Kind-Kurse »Babys«, »Spatzen«/Farben und Töne/Die kleinen Nachtigallen/Tanz-Zwerge Musik Korrepetition/Arrangieren von Liedern für Orff-Instrumente/ Auf der Suche nach dem Wunschinstrument/ Ritmo de Cuba/Percussion für Kinder ab 8 Jahren und Erwachsene/ Musiktheorie intensiv – Prüfungskurs/ Gitarre für Anfänger – Liedbegleitung und einfaches Melodiespiel/ Didjeridoo – die australische »Holztrompete«/Consortspiel für Gamben Bildende Kunst/weitere Kursangebote Unterwegs nach Hollywood oder: Julia Roberts hat auch mal klein angefangen/ Musiktheater für Teens/Malerei und Musik/ Grundlagenseminare Bildende Kunst/ Einführung in die Ölmalerei/Einführung in die Aquarellmalerei/ Druckgrafik – Techniken und Möglichkeiten der Kaltnadelradierung/ Manga & Dragon Ball – Comic-Zeichnen leicht gemacht/ Malen und Zeichnen unterwegs und auf Reisen (Quelle: Ebd., Schuljahr 2006/2007)
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Im Gegensatz zu Münster wird der Kursunterricht in Leipzig ausschließlich in Gruppenform erteilt. Auch fokussiert das Kursprogramm der Musikschule Leipzig stärker jugendliche und jüngste Zielgruppen. Der Bereich »Musische Elementarfächer« richtet sich an Kinder im Alter von 4 Monaten bis zu 12 Jahren. Innerhalb dieser Spanne werden für jede Altersstufe geeignete Kurse angeboten. Die Verbindung von Singen, Tanzen, Malen und elementarem Musizieren sollte Eltern aller gesellschaftlichen Milieus ansprechen. Im Besonderen scheint das Angebot aber auf die Bedürfnisse der Postmateriellen zugeschnitten. Dieses familien- und musikschulfreundliche Milieu, formal hochgebildet bei progressiver Werteorientierung, wird – der eigenen Grundeinstellung entsprechend – einer allgemeinen, ganzheitlichen Förderung von Kreativität bei der (musischen) Kindererziehung hohen Stellenwert beimessen (vgl. Sinus Sociovision 2006b). Sehr attraktiv ist das Kursprogramm der Musikschule Leipzig für Jugendliche gestaltet. Zunächst sind Jugendliche zu unterscheiden, die bereits die Musikschule besuchen oder über eine vergleichbare Vorbildung verfügen, von solchen, welche erst noch als Quereinsteiger/-in ein Instrument erlernen wollen. Zu den Quereinsteigern und Quereinsteigerinnen ist festzuhalten, dass sie tendenziell einem musikschulferneren Milieu entstammen dürften, da das jeweilige Elternhaus einen früheren Musikschulbesuch nicht veranlasst hatte. Ein passendes Schnupperangebot für Jugendliche ab 13 Jahre sowie Erwachsene wäre insofern »Auf der Suche nach dem Wunschinstrument«, bei dem der Unterricht auf einem ausgewählten Instrument vier Wochen lang kostengünstig getestet werden kann. Jugendliche, die bereits den kontinuierlichen Musikschulunterricht wahrnehmen bzw. wahrgenommen haben, dürften schwerpunktmäßig aus Elternhäusern kommen, welche den Milieus Etablierte, Postmaterielle, Bürgerliche Mitte zuzurechnen sind. Gemeinsam ist diesen Milieus, dass sie musischen Interessen mehr oder weniger aufgeschlossen gegenüber stehen und dies bei der Erziehung entsprechend berücksichtigen werden. Dabei sind die musischen Präferenzen dieser Gruppierungen durchaus pluralistisch zu nennen. Unter dem Aspekt einer »Erlebnisorientierung« erscheint die Unterscheidung von ernster und unterhaltender Musik nachrangig, selbst wenn man sich von einer Trivialkultur (Volksmusik, Schlager) abgrenzen mag.6 6
1995 legte die Bertelsmann-Stiftung einen Zwischenbericht der Musikschulen der Städte Bielefeld, Dortmund, Mannheim, Münster, Wuppertal im Rahmen des Projektes »Wirkungsvolle Strukturen im Kulturbereich« vor. In Schüler-/Elternbefragungen wurden als wichtigste Gründe für den
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Für die relativ wenigen Schüler/-innen, die primär leistungsorientiert denken, hält die Musikschule Leipzig einige spezielle Kursangebote bereit, z.B. »Korrepetition« oder »Musiktheorie intensiv – Prüfungskurs«. Diese Kurse können insbesondere der Wettbewerbsvorbereitung bzw. der Vorbereitung auf ein Studium dienen. Die zahlreichen freizeitorientierten Musikschulschüler/-innen, seien sie nun musisch vorgebildet oder nicht, werden sich neben dem Lernerfolg noch sehr stark für den sozialen und symbolischen Nutzen des Musikunterrichts interessieren. Ein geeignetes Angebot wäre beispielsweise »Gitarre für Anfänger – Liedbegleitung und einfaches Melodiespiel«. Stärker auf Jugendkulturen zielen einige Kurse aus dem Bereich »Bildende Kunst/weitere Kursangebote«: »Manga & Dragon Ball – Comic-Zeichnen leicht gemacht«, »Musiktheater für Teens« und »Unterwegs nach Hollywood oder: Julia Roberts hat auch mal klein angefangen«: »Habt ihr Euch nicht schon einmal die Frage gestellt: Wie funktioniert eigentlich ein Casting? Wie arbeite ich mit einem Drehbuch? Wie spiele ich vor der Kamera? Wie führe ich ein Interview? Dies und andere Geheimnisse aus der Glitzerwelt des Films soll unser Workshop lüften. Wir unternehmen eine Abenteuerreise in das Reich der ›bewegten Bilder‹. Der Dozent ist Schauspieler und bekannt aus den Serien ›Marienhof‹ und ›Balko‹.« (Kursbeschreibung, ebd.) Milieuspezifische Angebote sind unter anderem »Ritmo de Cuba« (Hedonisten) oder »Didgeridoo – die australische ›Holztrompete‹« (Experimentalisten). Bezeichnenderweise werden Jugendliche von den Sinus-Milieus Moderne Performer, Experimentalisten, Hedonisten mit erfasst. Was solMusikschulbesuch angeführt: 1. sinnvolle Freizeitgestaltung; 2. um selbst aktiv zu sein; 3. musischer Ausgleich (vgl. Pröhl 1995: 78ff.). Ferner bestätigte sich der Eindruck einer Mittelschichtorientierung, abzulesen an den Einkommensverhältnissen der Eltern. Schließlich waren Mitbürger ausländischer Staatsangehörigkeit in Relation zum städtischen Bevölkerungsanteil an den Musikschulen vergleichsweise unterrepräsentiert. Ebenfalls eine wichtige Rolle für den potenziellen Musikschulbesuch spielt die musische Vorbildung innerhalb der Familie. Im Rahmen der bereits zitierten Studie Music & Kidz des Hamburger Instituts für Kultur- und Medienmanagement gaben 79 % der befragten Schüler/-innen an, dass ein weiteres Familienmitglied musisch aktiv sei (KMM 2003: 14).
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che »jungen Milieus« vereint, könnte man salopp ausgedrückt so formulieren: »Öfter mal was Neues probieren …«
Musikschule Unterhaching e.V. Die Musikschulen in Münster und Leipzig haben ihre Kursbereiche auf der Grundlage bestehender Konzeptionen eingerichtet (Musikschule 2000; Fusion von Landesmusikschule und Unterrichtskabinett). Demgegenüber resultiert das Projektangebot der Musikschule Unterhaching e.V. (Bayern) aus dem Prozess einer kontinuierlichen Organisationsentwicklung. Die Musikschule Unterhaching, an der ca. 1.800 Schüler/-innen in 810 Jahreswochenstunden unterrichtet werden, hat sich im Jahr 2002/ 2003 nach 3-jähriger Praxis mit dem Qualitätsmanagementsystem »Qualitätssystem Musikschule« (QsM) einer externen Prüfung unterzogen und ist in Folge dessen mit einem Zertifikat für ihre qualitätsorientierte Arbeit nach europäischen Standards ausgezeichnet worden (vgl. www.musikschulen.de). Das gemeinsam von der Frey Akademie (Mainz) und dem VdM konzipierte QsM basiert auf dem »Excellence Modell« der »European Foundation for Quality Management« (EFQM), mit dem »Organisationen die Qualität ihres Handelns zuverlässig beschreiben, einschätzen und kontinuierlich verbessern können« (vgl. VdM 2001). Hierfür werden die Kriterien Führung und Leitung, Politik und Strategie, Mitarbeiterorientierung, Partnerschaft und Ressourcen, Prozesse, Zufriedenheit der Adressaten, Mitarbeiterzufriedenheit, Auswirkungen auf die Gesellschaft und Leistungsbilanz herangezogen. QsM beinhaltet 500 Merkmale guter Musikschularbeit. Jedes Subkriterium bietet fünf Qualitätsstadien zur Selbsteinschätzung an. Im Ergebnisteil werden rund 300 Aspekte in Ergebnisfeldern bewertet. Auf Grund einer Punktewertung ergibt sich ein vergleichbares Qualitätsprofil einzelner Musikschulen. QsM eignet sich besonders gut für eine innerbetriebliche Implementierung von Marketingdenken, da es die Mitarbeiter/-innen gemäß einer sachorientierten Führungskonzeption (»Management by objectives«) in notwendige Veränderungsprozesse involviert.7 In dem Leitbild der Musikschule Unterhaching heißt es: »Es ist ihr öffentlicher Auftrag, abendländische Kultur nachhaltig zu pflegen und ein Forum für musikalische Jugendkultur zu schaffen […]. Die Musikschule führt Schüler/innen in Ensembles, Kammermusiken, Spielkreisen, Orchestern, Chö-
7
Vgl. hierzu auch den Beitrag von Petra Schneidewind zum Qualitätsmanagement in Musikschulen in diesem Band.
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ren und Bands fächerübergreifend zusammen, in denen sie langfristig miteinander Musik erleben. Die Musikschule unterstützt hierbei die Einbindung aller Generationen, Kulturen und sozialer Gruppen.«8
Das Unterrichtsangebot der Musikschule Unterhaching erscheint enorm ausdifferenziert. Der angebotene Instrumentalunterricht deckt eine stilistische Bandbreite von Klassik, Jazz, Rock und Pop bis hin zur traditionellen Volksmusik ab. Gleiches lässt sich von den zahlreichen Ensembleangeboten sagen. Kursunterricht wird befristet angeboten, z.B. für kleinere Kinder in der Früherziehung über den Zeitraum von 2 Jahren. Er wird aber ansonsten kontinuierlich im Semesterrhythmus von ausschließlich festangestellten Lehrkräften erteilt. Abgesehen von den musischen Elementarfächern, die ebenso wie in Leipzig dem Kursbereich zugeordnet werden, verzeichnet die Gebührentabelle für Kursunterrichte des Jahres 2006/2007 vor allem spartenübergreifende Angebote und solche aus dem Bereich der Popularmusik: Musikgarten/Grundausbildung/Singen-Spielen-Tanzen/Früherziehung/ Musikwerkstatt/Musiktheater/Tanz und Bewegung/ Musical-Song-Workshop/Ballett/Jazztanz/Jazz-Rock-Pop-Workshop Besonderer Clou sind jedoch die sogenannten musikalischen »Zusatzangebote« der Musikschule. Sie richten sich an alle Altersgruppen und Leistungsstufen und werden in einer gesonderten Broschüre zusammengefasst. Die Idee hierzu ist in einer Arbeitsgruppe des Kollegiums entstanden: Jeder Schüler und jede Schülerin verzichtet einmal jährlich auf eine Unterrichtsstunde. Innerhalb der freiwerdenden Kapazitäten organisieren die Lehrkräfte ein musikalisches Zusatzangebot. Dieses umfasst im Schuljahr 2006/2007 23 »Fortlaufende Kammermusikangebote«, 42 »Einmalige Kammermusikangebote«, 11 »Externe Zusatzangebote«, 6 »Fortlaufende Theorieangebote« und 35 »Einmalige Theorieangebote«. Jeder Schüler und jede Schülerin darf sich kostenfrei für beliebig viele Zusatzangebote anmelden. Externe Teilnehmer/-innen zahlen pro Kurs eine Gebühr von 10 €. Die Musikschule Unterhaching legt Wert darauf, dass das Zusatzangebot mit den festen Deputaten der TVöD-Lehrkräfte verrechnet wird, d.h. freie Mitarbeit findet keine Anwendung. Hier eine repräsentative Auswahl der Zusatzkurse9:
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Vgl. hierzu www.musikschule-unterhaching.de/inhalt/_rubric/index.php? rubric=Unser+Leitbild (09.08.07). Vgl. ebd.
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Fortlaufende Kammermusikangebote Junge Pianisten begleiten – Weihnachtsmusik/Blockflötenensemble zum Kennenlernen/Bayerische Volkstänze für Kinder/Klaviertrios/Wer reitet mit zur Ponderosa?/Improvisieren kann jeder/Musizieren und Tanzen wie bei Hofe Einmalige Kammermusikangebote Ferien ohne Musik ist langweilig/Wir vertonen eine Geschichte/Körperrhythmen – Body Talks – Musical Walks/Querflötenchor/Solo und Accampagnato für Cellisten – die Sprache der Barockmusik/Mehrhändiges Klavierspiel Externe Zusatzangebote Besuch beim Gitarrenbauer/Orgelführung/Arbeit in einem Studio – Wie kommt die Musik auf die CD?/Abenteuer Oper Fortlaufende Theorieangebote Einführung in die Grundkenntnisse der Harmonielehre/Bluesharmonieund Formenlehre/Musiksprache/Die Musik der Beatles jenseits von Starkult und Mythos/Grundkenntnisse/Rhythmik Einmalige Theorieangebote Von der Pentatonik bis zur Zwölftontechnik/Musik und Entspannung/ Noten lernen macht Spaß/Das Akkordkompendium/Musik-KinesologieVortrag/Die spannendste Art, Musik zu hören: Interpretationen im Vergleich/Gehörbildung Die Zusatzkurse der Musikschule orientieren sich nicht nur an den Bedürfnissen ihrer Nutzer/-innen. Zugleich sollen sie auch Motivation und Eigenverantwortung der Lehrkräfte bzw. der Fachbereiche stärken. »Aufgrund von Kundennachfragen erarbeiten Arbeitsgruppen […] bedarfsorientierte Lösungen, die durch individuelle Kompetenzen der Mitarbeiter/innen stetig ergänzt werden.« (Schülerbefragung 200410) Das musikalische Zusatzangebot wurde erstmals im Jahr 2005/2006 unterbreitet. Die aktuelle Broschüre berichtet von über 1.000 Teilnahmen im Vorjahr. Überhaupt scheinen die Unterhachinger mit ihrer Musikschule sehr zufrieden zu sein. Hiervon zeugen zumindest die Ergebnisse einer Öffentlichkeitsbefragung aus dem Jahr 2004. Demnach halten 87 % der Befragten den kulturellen Beitrag der Musikschule in Hinblick auf das 10 Vgl. hierzu www.musikschule-unterhaching.de/inhalt/_rubric/index.php? rubric=Umfrageergebnisse (09.08.07).
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Gemeindeleben für sehr wichtig. Der Bekanntheitsgrad der Einrichtung liegt mit 91,9 % höher als der Vergleichswert von VHS, Gemeindebücherei oder Jugendkulturwerkstatt. Gerade im Verhältnis zur Jugendkulturwerkstatt kann die Musikschule auf Zuwachsraten verweisen. »Hier werden die Aktivitäten der Musikschule im Bereich Jugendkultur – Aufbau und Betreuung von Rockbands – deutlich, die einen großen Zuspruch der Jugendlichen finden. 2003 hatte die Musikschule über 23 % der altersgleichen Bevölkerung – Jugendliche im Alter zwischen 15-18 Jahren – in der musikalischen Ausbildung.«11
Der Bekanntheitsgrad der Programminformation der Musikschule konnte zwischen den Jahren 2000 und 2004 um mehr als 10 % auf 62,9 % gesteigert werden. Im Jahr 2000 konnten sich 52,3 % der Befragten vorstellen, das Angebot der Musikschule selbst einmal zu nutzen. 2004 waren es immerhin schon 57,3 %. Fazit: »Mit ihrem Programm, das seine Basis in der musikalischen Früherziehung hat, kann die Musikschule über Jugendkulturangebote bis hin zur Einbeziehung der Erwachsenen bzw. Seniorinnen und Senioren in die Ausbildung als neue Zielgruppe und dem umfangreichen Angebot an Ensembles ihr potenzielles Kundenniveau sichern und erhöhen.«12
Mit den musikalischen Zusatzangeboten, die das auf Nachhaltigkeit angelegte kontinuierliche Unterrichtsangebot ergänzen, setzt die Musikschule Unterhaching den eingeschlagenen Weg zu mehr Kundenorientierung konsequent fort.
Projektbereiche erfolgreich einrichten Die Praxisbeispiele der Musikschulen in Münster, Leipzig und Unterhaching zeigen, dass sich die strategischen Zielsetzungen der Projektarbeit in allen drei Fällen grundsätzlich ähneln. Jedes Mal geht es darum, neue Zielgruppen nicht nur einmalig zu gewinnen, sondern die Breitenwirkung des gesamten Musikschulangebots dauerhaft zu erhöhen. Die Wege dorthin unterscheiden sich jedoch. Die Frage, inwieweit die beschriebenen Projektbereiche für andere Musikschulen Vorbildfunktion haben, kann daher nicht generell für jede einzelne Musikschule gleich beantwor11 Vgl. www.musikschule-unterhaching.de/inhalt/_rubric/detail.php?nr=346& rubric=Umfrageergebnisse& (09.08.07). 12 Ebd.
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tet werden. Jedenfalls sollte die Einrichtung eines Projektbereiches immer Bestandteil eines schlüssigen Marketing-Konzeptes sein, das auf der sorgfältigen Analyse und kontinuierlichen Beobachtung der örtlich voneinander abweichenden Rahmenbedingungen von Musikschularbeit beruht. Wenn die Einrichtung eines Projektbereiches also ein flexibles Eingehen auf Nachfragen, die Erweiterung des musikpädagogischen Angebots, die Gewinnung neuer Zielgruppen und die Erprobung neuer Angebote ermöglichen soll (vgl. VdM-Strukturplan), ist dies entsprechend in einem strategischen Leitbild zu berücksichtigen. Die Leitbilder der Musikschulen in Leipzig und Unterhaching treffen wesentliche Aussagen zu Aufgaben, Angebot, Zielgruppen, Partnern bzw. Partnerinnen und Qualitätsmerkmalen der Musikschulen vor Ort. Noch umfangreicher ist der Leitfaden der WSfM Münster für Mitarbeiter/-innen einschließlich der Führungskräfte. Immer geht es darum, ein erweitertes Verständnis von Musikschularbeit gegenüber der Öffentlichkeit sowie gegenüber den eigenen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen zu dokumentieren. Das Leitbild fasst die »Gesamtheit der Organisationsgrundsätze« (Klein 2001: 109) zusammen und bildet die Grundlage für alle weiteren strategischen Überlegungen. Die Analyse der Handlungsbedingungen (Umwelt-, Konkurrenz-, Potential- und Nachfrageverhalten) zur Einrichtung von Projektbereichen dient dazu, Chancen und Risiken besser erfassen zu können. Eine Möglichkeit ist es, Projektarbeit nach dem Vorbild der Musikschule Unterhaching in den Kernbereich zu integrieren. Die festangestellten Lehrkräfte der Musikschule erteilen den Kursunterricht auf Grund ihrer bestehenden Unterrichtsdeputate. Die Schüler/-innen verzichten für Zusatzangebote auf eine Stunde Unterricht im Jahr. Vorteil: Die organisatorische Einheit der Musikschule bleibt gewahrt. Die Eigenverantwortung der Lehrkräfte wird gestärkt. Das Zusatzprogramm entwickelt sich direkt aus den Lehrer-Schüler/Eltern-Kontakten und kann den Musikschülern und Musikschülerinnen einen echten Service-Vorteil bieten, da verschiedene Angebote mehrfach kostenlos belegt werden dürfen. Nachteil: Die Möglichkeiten für innovative Angebotserweiterungen bzw. interdisziplinäre Angebote sind durch den festen Kreis der zur Verfügung stehenden Lehrkräfte von vornherein begrenzt. Die Integration von Zusatzangeboten in das Kernangebot erfordert ein gewisses Maß an Flexibilität seitens der Schüler/-innen und bei der Verwaltung. Es ist nicht auszuschließen, dass solche Zusatzangebote mehr innerhalb als außerhalb der Musikschule wirken. Eine Alternative besteht darin, Projektarbeit nach dem Vorbild der Musikschulen in Münster und Leipzig über einen organisatorisch weitgehend eigenständigen Kursbereich anzubieten. Die Musikschule vermittelt
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hierbei lediglich eine selbstständige Tätigkeit der Dozenten und Dozentinnen. Als solche kommen sowohl Privatlehrer/-innen als auch im Kernbereich tätige Lehrkräfte in Frage. Vorteil: Eigenständige Kursbereiche bieten ein Höchstmaß an Flexibilität in Hinblick auf innovative Inhalte, die Organisation sowie die freie Auswahl geeigneter Dozenten und Dozentinnen. Es ergeben sich gute Möglichkeiten zur Vernetzung mit anderen Institutionen bzw. Initiativen (Synergieeffekte). Nachteil: Es bestehen an der Musikschule nunmehr zwei Abteilungen, deren Aufgabenbereiche einerseits deutlich differenziert, andererseits aber auch in Einklang gebracht werden müssen. Durch die freie Tätigkeit selbstständiger Dozenten und Dozentinnen können der Musikschule (potenzielle) Schüler/innen abgeworben werden. Ein Problem, das gerade in kleineren Städten nicht zu unterschätzen ist. Schließlich existieren rechtliche Beschränkungen hinsichtlich einer selbstständigen Tätigkeit von Kursleitern und leiterinnen im Projektbereich, die zugleich im Kernbereich derselben Einrichtung festangestellt sind (vgl. §2 TVöD). Grundsätzlich wird sich die Marktsituation für Musikschulkurse in Abhängigkeit von lokalen Bedingungen unterscheiden. Zunächst ist daher zu prüfen, welche Rolle der Musikschule im Bildungs-, Kultur- und Freizeitangebot einer jeweiligen Stadt überhaupt zukommt. Gibt es vor Ort noch andere Vereine, Volkshochschulen, Jugendzentren usw., die ähnliche Kurse anbieten? Inwiefern kann man sich gegebenenfalls qualitativ abgrenzen, Konkurrenzkonflikte vermeiden oder gar miteinander kooperieren? Gesellschaftliche Milieus verteilen sich von Ort zu Ort verschieden. In Großstädten (Leipzig) ist eher mit Mainstream- bzw. hedonistischen Milieus zu rechnen; in mittleren Universitätsstädten (Münster) mit gesellschaftlichen Leitmilieus; in prosperierenden bayerischen Kleinstädten (Unterhaching) mit traditionell bürgerlichen Milieus. Die Kurse der Musikschulen in Leipzig, Münster und Unterhaching sind allesamt gerade auch für bildungsfernere Schichten oder Erwachsene attraktiv. Dennoch gibt es graduelle Unterschiede. In Leipzig und Unterhaching gibt es Angebote, die spezifisch auf Jugendkulturen zielen. In Münster dürften sich dagegen ältere Jugendliche bzw. Studenten und Studentinnen bevorzugt von einigen Kursthemen angesprochen fühlen. Für die sinnvolle Positionierung von Kursangeboten sollte man die lokale Nachfragesituation realistisch einschätzen können. Notwendige Fragestellungen sind deshalb: Wer sind die (potenziellen) Kursteilnehmer/innen und Musikschulschüler/-innen? Was weiß man über sie? Was erwarten sie? Vorbildlich sind die Befragungen der Schüler/-innen, Mitarbeiter/-innen sowie der Öffentlichkeit, welche die Musikschule Unterhaching in regelmäßigen Abständen durchführt. Die sorgfältige Analyse der Rah-
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menbedingungen von Musikschularbeit ermöglicht erst die Generierung von Zielen, die ausreichend präzise formuliert und vor allem überprüfbar sein müssen. Auf der Ebene der Strategieplanung besitzen Musikschulen zahlreiche Möglichkeiten, ihre Breitenarbeit gezielt über Kurse auszubauen. Die grundlegende Bedeutung eines sogenannten STP-Marketings (Segmenting, Targeting, Positioning = Marktsegmentierung, Auswahl eines Marktsegments, Marktpositionierung) wurde bereits in Zusammenhang mit der möglichen Positionierung von Kursangeboten angedeutet. Bei der Einrichtung von Projektbereichen handelt es sich jedenfalls um eine Strategie der Diversifikation. Dies trifft für die organisatorisch eigenständigeren Kursbereiche in Münster und Leipzig im Besonderen zu. Das musikalische Zusatzangebot der Musikschule Unterhaching öffnet sich zwar auch neuen Zielgruppen, tendiert aber etwas stärker zur Besucherbindung hin, da es sich programmatisch direkt aus bestehenden Schüler-LehrerKontakten entwickelt. Daneben verfolgen alle drei Musikschulen über ihr Kursangebot Strategien der Konkurrenzbegegnung. Bei der Einrichtung von organisatorisch weitgehend unabhängigen Projektbereichen (Münster, Leipzig) ist darauf zu achten, dass interne Konkurrenzen zum Kernbereich vermieden werden. Kursangebote müssen sich in ihren Eigenschaften (inhaltlich abgeschlossen; zeitlich begrenzt; bedarfs- und zielgruppenorientiert; in der Regel Nutzung von Gruppenarbeit) von dem herkömmlichen Unterrichtsangebot einer Musikschule unterscheiden. Denn öffentlich gefördert werden Musikschulen für ihre kontinuierliche Bildungsarbeit mit langfristiger Perspektive. Nicht jedes Kursangebot der vorgestellten Musikschulen ist daher bedenkenlos zu übertragen. Ein Kurs wie z.B. »Gitarre für Kinder« (Orientierung und Aufbau) mag in Münster vor allem der ortsspezifisch hohen Nachfrage geschuldet sein. Er unterscheidet sich in seiner Beschreibung aber nicht signifikant genug von dem ständigen Angebot Gitarrenunterricht. Nicht jede Musikschule hat das Problem der WSfM, über lange Wartelisten zu verfügen, die abgebaut werden sollen. Für eine striktere Trennung von Kern- und Projektbereich empfehlen sich folgende Abgrenzungskriterien: • Musikschulen können sich im Projektbereich auf Schnupperkurse oder solche Unterrichtsfächer beschränken, die im Kernbereich nicht angeboten werden. • Zeitlich begrenzte Angebote konzentrieren sich auf besondere Themenstellungen (z.B. Trommel, Liedbegleitung auf der Gitarre) bzw. Zielgruppen (z.B. Erwachsene, Migranten und Migrantinnen). • Kursunterricht wird nur in größeren Gruppen erteilt (mindestens vier Teilnehmer/-innen).
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Es können Kurse in Verbindung mit anderen Sparten angeboten werden (z.B. Kindertanz, Theater, Musical, Malen und Zeichnen, Musik und Gesundheit, Musiktherapie, Musik und Computer).
Der konkrete Einsatz verschiedener Marketinginstrumente (Programm-, Preis-, Distributions-, Kommunikations- und Servicepolitik) kann an dieser Stelle unmöglich in seiner ganzen Komplexität dargestellt werden. Er ist bereits am Beispiel der vorgestellten Projektbereiche ansatzweise erläutert worden. Es sei nochmals explizit darauf hingewiesen, dass Kurse die Möglichkeit bieten, ein Musikschulangebot auch preislich zu diversifizieren. Dort, wo Dozentinnen und Dozenten über Kurse selbstständige, steuerpflichtige Einnahmen erwirtschaften (Münster, Leipzig), müssen sich die Kursgebühren vorzugsweise am Marktniveau orientieren. Nur im Ansatz kostenorientiert sind dagegen die 10 € Gebühr zu nennen, welche Nicht-Schüler/-innen an die Musikschule Unterhaching für eine Kursteilnahme zahlen. Und wenn Unterhachinger Musikschüler/-innen für den Verzicht auf eine jährliche Unterrichtsstunde an beliebig vielen Kursen umsonst teilnehmen können, möchte man vielmehr schon von einem ›Sonderrabatt‹ sprechen.
Projektbereiche – Chancen und Grenzen Eine Internetrecherche mit den Suchbegriffen »Kursbereich/Projektbereich« sowie »Musikschule« führt rasch zu der Erkenntnis, dass es innerhalb Deutschlands große Unterschiede bei der Umsetzung von Projektarbeit an Musikschulen gibt. Beispielsweise finden sich relativ häufig Hinweise auf Projektbereiche in Nordrhein-Westfalen. Ganz anders sieht es in Baden-Württemberg aus, um nur ein weiteres für sein leistungsfähiges Musikschulangebot bekanntes Bundesland zu nennen. Zwar existieren hier vereinzelt Kursangebote, kaum jedoch innerhalb von größeren Kursbereichen. Dies verhält sich nicht zufällig so. Es bestehen in der Musikschulentwicklung sowohl auf Landesebene als auch regional deutliche Ungleichheiten (vgl. Holz 2004). So erhielten die baden-württembergischen Musikschulen im Jahr 2005 auf Grund einer gesetzlich garantierten Landesförderung einen Landeszuschuss von insgesamt 15,7 Millionen € (vgl. VdM 2006). In NRW fehlen vergleichbare gesetzliche Regelungen. Entsprechend mussten sich die Musikschulen hier 2005 mit nur 1,8 Millionen € an Landesmitteln begnügen. Während sich das Musikschulwesen in Baden-Württemberg bis vor wenigen Jahren noch sehr stabil entwickelte, sorgte eine stärkere Abhängigkeit von kommunalen Gegeben-
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heiten in NRW schon mit Beginn der 1990er Jahre für einen existenziellen Druck auf Musikschulen. Inzwischen haben Musikschulen aber bundesweit ähnliche Probleme. Der Anteil einer öffentlichen Finanzierung am Musikschulwesen sinkt. Gleichzeitig steigen die Unterrichtsgebühren überproportional an. Immer häufiger werden festangestellte Lehrkräfte durch freie Mitarbeiter/-innen ersetzt. Vor diesem Hintergrund erscheint es durchaus angemessen, provokant zu fragen: Ist in der Ausweitung der Projektarbeit an Musikschulen überhaupt eine zukunftsweisende Errungenschaft zu sehen oder könnte es sich hierbei nicht vielmehr um das Symptom eines schleichenden Verfalls des Musikschulwesens handeln? Manfred Grunenberg, Direktor der Musikschule Bochum, war sich der Problematik dieser Fragestellung schon vor Jahren bewusst: »Eine brandgefährliche Versuchung lauert am Weg: Die bauernschlaue Umdefinition einer langfristigen Aufgabe in kurzfristige Zeitscheiben, die man dann ›Projekt‹ nennt und finanziell dürftig honoriert, ist unredlich und leistet der Pädagogik einen Bärendienst: Oftmals ist es die verschleierte Verabschiedung der öffentlichen Hand aus der öffentlichen Aufgabe. Konkret: Wird aus ›Gitarrenunterricht‹ das Projekt: ›Wir lernen Gitarre‹, erlebt also der Schüler eine Folge von Projekten, es ändert sich aber in Konzept und Zielsetzung nichts, so ist dies nicht zu vertreten. Es ist blanker Etikettenschwindel und dazu noch recht brisant: Wie soll man einem Politiker erklären, dass ›Gitarre‹ als Projekt keinen Zuschuss benötigt, während das scheinbar Gleiche bei langfristigem Unterricht mit weit über 500 Euro jährlichen Steuergeldern unterstützt werden muss.« (Grunenberg 2002: 15)
Tatsächlich ist in der Aushöhlung der Beschäftigungsverhältnisse an Musikschulen jedoch eine Problematik zu sehen, die weit über die Fragestellung hinausreicht, ob projektbezogenes Arbeiten einer solchen Entwicklung Vorschub leiste oder nicht. Projektarbeit nach dem Vorbild der Musikschulen in Münster und Leipzig bietet sogar die Möglichkeit, klarere Abgrenzungskriterien zwischen Festanstellungen und freier, selbstständiger Tätigkeit zu schaffen. Und das Beispiel der Musikschule Unterhaching zeigt, dass es sehr wohl möglich ist, auch mit festangestellten Lehrkräften in großem Umfang ein zusätzliches Kursangebot bereitzustellen. Entscheidend sind letztlich die Voraussetzungen, unter denen Projektarbeit betrieben wird. Die in diesem Beitrag vorgestellten Musikschulen haben nicht aus finanziellen Beweggründen bzw. aus finanziellen Zwängen heraus Projektbereiche eingerichtet. Beabsichtigt war und ist vielmehr der gezielte Ausbau einer Breitenarbeit. Dabei gelingt es insbesondere der Musikschule Unterhaching, über eine stärkere Nachfrageorientierung hinaus mit zahlreichen Zusatzangeboten im Bereich Popu-
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larmusik, Musiktheorie und Kammermusik wichtige Aufgabenfelder der Musikschularbeit gemäß VdM-Strukturplan abzudecken. Richtig ist, dass Projektarbeit perspektivisch den kostendämpfenden Ausbau einer Breitenarbeit an Musikschulen ermöglichen kann. Falsch wäre es, deshalb in der Einrichtung von Kursbereichen vorrangig eine Möglichkeit für kurzfristige (und kurzsichtige) Einsparmaßnahmen zu sehen. Kursbereiche ergänzen das kontinuierliche Unterrichtsangebot von Musikschulen, ersetzen es aber nicht! Voraussetzung ist, dass eine eindeutige Differenzierung zwischen Kern- und Projektbereich in inhaltlicher, organisatorischer und formaler Hinsicht stets gewahrt bleibt. In der Intensivierung von Breitenarbeit besteht eine Marketingaufgabe für Musikschulen. Eine »Musikschule für alle« wird zu einer Erweiterung der pädagogischen Aufgaben und Zielsetzungen von Musikschularbeit führen müssen. Dies erfordert unter dem Aspekt von Effektivität und Effizienz eine stärkere Differenzierung von Angebotsstrukturen hinsichtlich von Unterrichtsformen und -inhalten. Daher erscheint es notwendig, dass Musikschulen »ihr Selbstverständnis zwischen gesellschaftlichem Auftrag und den an sie gestellten Anforderungen« regelmäßig überprüfen (vgl. Hirsch & Gayer 2001: 95). Das Beispiel der Musikschule Unterhaching zeigt, dass sich im Idealfall die Konzeption eines Kursbereichs aus dem Prozess eines kontinuierlichen Marketings entwickeln kann. Wenn der Direktor der WSfM Münster von »Strategien einer vorausschauenden Problemfrüherkennung« spricht, steht dies durchaus in Übereinstimmung mit der allgemeinen Begründung eines Marketing-Managements für öffentliche Kultureinrichtungen: »Je unsicherer, unklarer und damit risikoreicher die Zukunft wird, desto dringlicher ist eine langfristige strategische Planung, die Alternativen und Handlungsmöglichkeiten für die unterschiedlichsten Entwicklungsszenarios bereithält. Durch die verschärfte Konkurrenz unterschiedlicher Anbieter, den Rückgang öffentlicher Zuwendungen und Privatisierungstendenzen im öffentlichen Bereich, den Wandel des Kulturbegriffs und das Wegbrechen traditioneller Kundensegmente, durch die wachsende Mobilität der Kunden, durch Lebensstilund Erlebnisorientierung usw. wird auch im öffentlichen Kulturbetrieb in Zukunft wenig so bleiben wie es früher war.« (Klein 2004: 388)
Es bedarf keiner hellseherischen Fähigkeiten, um zu erkennen, dass sich das Musikschulwesen insgesamt mitten in einem Transformationsprozess befindet. Der gesellschaftliche Diskurs um den Stellenwert einer musischen Bildung – gerade auch in Zusammenwirken mit den allgemein bildenden Schulen – zeugt davon. In Zeiten gut gefüllter Kassen mochte es
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für Musikschulen ausreichend erscheinen, auf Veränderungen zu reagieren. In Zeiten eines Verteilungskampfes um öffentliche Mittel ist es aber absolut notwendig, zu agieren und Zukunftspotenziale einer Musikschularbeit perspektivisch zu sichern. Den hier vorgestellten Musikschulen ist dies über die Etablierung von Projektarbeit zweifellos gelungen.
Literatur Die Welt (2005): Kinderlose Akademiker und eine überraschende Studie, Ausgabe vom 21.12. 2005. Flaig, Berthold Bodo/Meyer, Thomas/Ueltzhöffer, Jörg (1997): Alltagsästhetik und Politische Kultur. Zur ästhetischen Dimension politischer Bildung und politischer Kommunikation, 3. Aufl., Bonn. Frevel, Bernhard (1997): »Musikschule im Wandel«. In: Der Kulturmanager, Stadtfelden. Grunenberg, Manfred (2002): »Schnuppern statt Lernen? Projekte in der Musikpädagogik – Konzession an den Zeitgeist oder zukunftsweisende Errungenschaft?« In: Üben & Musizieren, Ausgabe 2002/4, Mainz, S. 13-15. Hirsch & Gayer Consulting (2001): »Optimierungsansätze zur Umsetzung der Leitlinien von Musikschule 2000 in den Musikschulen des Landes NRW« (Gutachten, erstellt für den LVdM-NRW). In: www.lvdmnrw.de/download/StudieMusikschule2000komplett.pdf.2003. Holz, Friedbert (2004): Das Konzept Musikschule 2000 und seine Umsetzung an der Westfälischen Schule für Musik der Stadt Münster – ein Modell für baden-württembergische Musikschulen?, Masterarbeit im Aufbaustudiengang Kulturmanagement, Ludwigsburg. Klein, Armin (2001): Kultur-Marketing. Das Marketingkonzept für Kulturbetriebe, München. Klein, Armin (2003): Besucherbindung im Kulturbetrieb. Ein Handbuch, Wiesbaden. Klein, Armin (Hg.) (2004): Kompendium Kulturmanagement. Handbuch für Studium und Praxis, München. KMM (Institut für Kultur- und Medienmanagement Hamburg) (2003): Music & Kidz. Ausgewählte Ergebnisse einer Studie des Instituts für Kultur- und Medienmanagement Hamburg an Musikschulen in sechs europäischen Ländern. Das Musikverhalten Jugendlicher im Alter von 10 bis 20 Jahren, Hamburg. LVdM-NRW (Landesverband der Musikschulen in NRW) (Hg.) (1994): Musikschule 2000. Wege in die Zukunft, 2. Ausgabe, vollständig überarbeitete und revidierte Fassung, Düsseldorf.
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Motte-Haber, Helga de la/Neuhoff, Hans (2007): »Musiksoziologie«. In: Handbuch der Systematischen Musikwissenschaft, Bd. 4, Regensburg. Musikschule Leipzig »J. S. Bach« (Hg.) (2006): Unterricht, Kurse, Veranstaltungen – Schuljahr 2006/2007, Leipzig. Musikschule Unterhaching (Hg.) (2006): »Zusatzangebote im Schuljahr 2006/2007«, Unterhaching. Pröhl, Marga (Hg.) (1995): Wirkungsvolle Strukturen im Kulturbereich. Zwischenbericht zum Städtevergleich der Musikschulen, Gütersloh. Schulze, Gerhard (2000): Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, 8. Aufl., Frankfurt. Sinus-Sociovision (2006a): Informationen zu den Sinus-Milieus 2006, Heidelberg. Sinus-Sociovision (2006b): Kurzbeschreibung der Sinus-Milieus 2006, Heidelberg. VdM (2001): Qualitätssystem Musikschule. Das EFQM Excellence Modell in der Spezifikation für Musikschulen im VdM, Bonn. VdM (2006): Statistisches Jahrbuch der Musikschulen in Deutschland 2005, Bonn. VdM (Verband der Musikschulen) (2007): »Strukturplan für Musikschulen«. In: www.musikschulen.de/musikschulen/strukturplan/index.html. WSfM Münster (2000): Richtungsweisende Entwicklungen und Entscheidungen 1990-1999, Münster. WSfM Münster (Westfälische Schule für Musik der Stadt Münster) (Hg.) (2006): Ständiges Unterrichtsangebot, Kurse, Workshops. August bis Januar 2007, Münster.
Neue Medien in Musikschulen ANDREAS FERVERS
1. Einleitung PC und Internet gehören heutzutage vor allem bei der jungen Generation zu den ganz selbstverständlich genutzten Medien. Neueste Studien belegen, dass ca. 60 % der Bundesbürger über einen Internetanschluss verfügen, bei den Haushalten, in denen Kinder und Jugendliche aufwachsen, sind es sogar knapp 90 %. Über drei Viertel (76 %) aller Jugendlichen zwischen zwölf und 19 Jahren sitzen täglich bzw. mehrmals pro Woche am PC (vgl. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2005). Angesichts dieser Zahlen und eines sich ständig aktualisierenden Angebots an elektronischen Musikinstrumenten und entsprechender Software stellt sich für Musikschulen die Frage, ob und in welcher Form diese Neuen Medien sinnvoll in ihre Arbeit integriert werden könnten. Es soll im Folgenden erörtert werden, worin die pädagogischen und künstlerischen Chancen einer solchen Arbeit bestehen, welche organisatorischen und betriebswirtschaftlichen Konsequenzen für die Musikschulen als öffentlich geförderte Institutionen entstehen, und inwieweit der Einsatz Neuer Medien ein Gewinn für die Positionierung der Musikschulen und ihre Verankerung in langfristige gesellschaftliche Prozesse sein könnte.
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2. Einsatzbereiche Neuer Medien an Musikschulen Jede Musikschule, die Neue Medien sinnvoll in ihre Arbeit integrieren will, steht immer wieder vor einem Orientierungsproblem: Hard- und Software, die die Arbeit sinnvoll ergänzen und unterstützen können, gibt es inzwischen in einer kaum mehr überschaubaren Vielfalt. Das Internet bietet mannigfache Möglichkeiten der Informationsbeschaffung und des Informationsaustauschs, ermöglicht den Download und Austausch von Sounddateien sowie die Nutzung von Free- und Shareware. Darüber hinaus entwickelt sich die gesamte Technologie-Branche mit hoher Geschwindigkeit, der Markt ist ausgesprochen kurzlebig. Laufend wird das bestehende Angebot ergänzt und erweitert, neue Potenziale eröffnen sich innerhalb sehr kurzer Zeiträume. Permanent stellen sich Fragen: Welche Hardware-Ausstattung wird benötigt, welche Chancen bietet welche Software, in welcher Form kann das Internet zum gegebenen Zeitpunkt in die Arbeit integriert werden? Um zu einer sinnvollen Entscheidung über Einsatzbereiche und Ausstattung zu kommen, ist es für die jeweilige Institution unerlässlich, die Ziele klar zu bestimmen, die durch den Einsatz Neuer Medien erreicht werden sollen. Diese können von sehr unterschiedlichem Charakter sein: Geht es um die Erweiterung des Unterrichtsangebotes, um die Verbesserung des Service, um die Veränderung der Kommunikations- und Kooperationsbedingungen, um das Image der Musikschule? Diese Überlegungen müssen sowohl auf die grundlegenden Ziele der Institution als auch auf das schon bestehende Angebot der Schule abgestimmt sein. Dies gilt grundsätzlich sowohl für künstlerisch-pädagogische als auch für betriebswirtschaftliche Aspekte. Konkrete Konzepte sind dann vor diesem Hintergrund im Zusammenspiel mit der jeweiligen Technologie und dem vorhandenen oder noch zu entwickelnden Knowhow zu entwerfen. Unabhängig von diesen strategischen Überlegungen soll im Folgenden zunächst versucht werden, die möglichen Einsatzbereiche Neuer Medien nach ihrer inhaltlichen Bestimmung zu ordnen.
Unterricht Neue Medien können im Unterricht zunächst behandelt werden wie traditionelle Instrumente auch: Welche Musik kann man mit diesem Instrument machen? Wie spielt man das Instrument, und wie kann man sich musikalisch differenziert darauf ausdrücken? Welche Möglichkeiten bietet es für das Zusammenspiel mit anderen Instrumenten? Von der Seite der Pädagogik her stellt sich darüber hinaus die Frage, welche besonderen
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Fähigkeiten und Kompetenzen im Rahmen des Unterrichts entwickelt werden sollen. In der Regel wird es für einen solchen Unterricht unabdingbar sein, dass die Schüler grundlegende musikalische Kompetenzen auch schon im traditionellen Instrumental- oder Gesangsunterricht erlangt haben. Die Frage nach der Funktionsweise der elektronischen Instrumente bzw. der jeweiligen Software wird einen breiten Raum einnehmen und die Gefahr besteht, dass technische Fragen den musikalischen Impuls überlagern oder gar verdrängen könnten. Nichtsdestoweniger werden diese Mittel heutzutage ganz selbstverständlich genutzt. Gerade die moderne PopMusik ist ohne Synthesizer, Sampler, Effektgeräte und Ähnliches nicht mehr vorstellbar, manche Genres wie z.B. Techno basieren ausschließlich auf elektronischer Klangerzeugung und -verarbeitung. Aber auch im Bereich der Klassik, z.B. bei Konzerten mit live-elektronischer Musik, stellen sie eine echte Bereicherung dar. Es liegt also nahe, auch an einer Musikschule die Kompetenzen und das Wissen zu vermitteln, derer es zum Spielen dieser Instrumente bedarf. Ein besonderer Fall des Unterrichts mit Neuen Medien ergibt sich, wenn PC und elektronische Instrumente zur Komposition und Produktion eigener Stücke eingesetzt werden. Dies eröffnet sowohl im klassischen Bereich – in Form von elektronischer Musik oder so genannter akustischer Kunst – als auch im Bereich populärer Musik in vielen künstlerischen Genres erhebliche Möglichkeiten kreativer Gestaltung und dementsprechender tief greifender Lerneffekte. Auch im Bereich traditionell eher nachgeordneter musikalischer Parameter wie Instrumentation, Arrangement und Remix tun sich durch die Arbeit mit dem PC heutzutage neue Möglichkeiten auf: Notations- und Sequenzerprogramme erlauben es, die komponierte Musik in der Fassung eines bestimmten Arrangements oder einer Instrumentation direkt anzuhören bzw. differenziert zu bearbeiten und zu verändern. Zu erwähnen sind auch die inzwischen zahlreichen Softwareangebote im Bereich Musiktheorie, Gehörbildung, Instrumentenkunde, Akustik, allgemeine Musiklehre etc. Diese Fächer, die in den traditionellen Unterrichtskanon einer Musikschule gehören, können durchaus auch am PC unterrichtet werden. Allerdings sollte sehr bewusst mit der Frage der Vermittlung durch die Lehrkraft umgegangen werden, da sich die Präsentation der Unterrichtsinhalte – z.B. ihre multimediale Aufbereitung – nicht immer mit den Unterrichtszielen und -inhalten decken wird. Durchaus diskutabel wäre es darüber hinaus für eine Musikschule, die Potenziale der Neuen Medien zu nutzen, um Fächer in das Unterrichtsangebot aufzunehmen, die traditionell nicht dazugehören, die aber heutzutage von großer Relevanz sind und sich mit musikalischer Ausbil-
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dung zumindest überschneiden. Hierzu kann die Produktion von Hörspielen, Filmmusik und Radiobeiträgen ebenso gehören wie z.B. die Vermittlung einer Grundausbildung in Studiotechnik, die vielen Schülern gerade im Bereich populärer Musik sehr nützlich sein kann.
Unterstützung des Unterrichts Neben dem direkten Unterricht mit und an Neuen Medien ist es auch denkbar, sie nur zur Unterstützung des traditionellen Unterrichts einzusetzen. Im Zentrum stünden dann wie gehabt Instrumental- und Gesangsunterricht, Ensemblearbeit, Theorie und Gehörbildung oder welches Kernfach auch immer. Die Möglichkeiten der Neuen Medien werden in diesem Fall in erster Linie genutzt, um die Qualität des Unterrichts zu verbessern und das Angebot umfassender zu gestalten. Im Zentrum der Erwägungen zu ihrem Einsatz steht dann immer die Frage nach dem bisherigen Profil des Unterrichts und der wünschenswerten Ergänzung bzw. Modifikation. Hierbei kann es z.B. um das Arrangieren und Instrumentieren von benötigtem Unterrichtsmaterial gehen, um das Mitschneiden des Spiels der Schüler oder das Produzieren von Soundtracks, die als Begleitung im Unterricht dienen können. Manches wird hier grundsätzlich erst durch den Einsatz des PC möglich, für einige Arbeitsbereiche werden aber auch die Qualität verbessert und die Bedingungen vereinfacht.
Präsentation Aus der Einbindung Neuer Medien in das Unterrichtsangebot folgt auch die Möglichkeit, mit den Arbeitsergebnissen an die Öffentlichkeit zu gehen und diese für Konzerte und Darbietungen aller Art zu nutzen. Zunächst bedeutet dies eine Bereicherung des Konzertangebotes der Musikschule. Von Schülern komponierte oder produzierte Musik kann zur Aufführung gebracht werden. Darüber hinaus bieten sich in diesem Zusammenhang innovative Konzert- und Präsentationsformen an, sei es z.B. durch den Einbezug von Live-Elektronik in Improvisationen, durch Installationen, durch eine eigens produzierte Beschallung bestimmter Räume etc. Der Einsatz von Internet und PC vereinfacht auch die Zusammenarbeit mit den klassischen Medien. So gibt es in den meisten Bundesländern so genannte offene Kanäle, eine Art Bürgerfunk, der auch die Beteiligung von Institutionen wie Musikschulen erlaubt. Hier werden die Interessen aller Bereiche der Schulen – auch der ganz traditionellen – berührt, da die Frage der inhaltlichen Akzentuierung eine rein redaktionelle ist. Zur Übertragung können sowohl klassische Konzerte als auch Wort-
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beiträge, Interviews, Popmusik, Hörspiele, experimentelle Avantgarde u.v.m. kommen.
Archivierung Es sei noch auf die Bedeutung der Neuen Medien für die Dokumentation und Archivierung der Musikschularbeit hingewiesen. Noch nie war es so einfach, große Datenmengen auf entsprechenden Speichermedien Platz sparend und übersichtlich zu archivieren. Das gilt auch für Sounddateien, die ohne Probleme in großen Mengen auf CD, DVD oder auch externe Festplatten gespeichert und dadurch systematisch dokumentiert werden können. Abgesehen davon, dass es für eine Musikschule sehr aufschlussreich sein kann, ihre Entwicklung mit Hilfe eines solchen Archivs langfristig zu beobachten, eröffnen sich auch hier interessante Varianten für die Öffentlichkeitsarbeit, z.B. Dokumentationsreihen mit Preisträgern bei Wettbewerben, das Verschenken von alten Aufnahmen an Abgänger der Schule oder auch an Ehemalige, an Förderer, Sponsoren, Politiker und sonstige Entscheidungsträger in der Gemeinde oder Stadt.
Kooperationen und Kommunikation PC und Internet bilden eine Schnittstelle, sowohl im technischen als auch im inhaltlichen Sinn. Durch die Flexibilität der Neuen Medien rücken unterschiedliche Arbeitsbereiche näher zusammen. Gerade Kooperationen mit Partnern aus dem Bildungsbereich können hier profitieren: Theaterarbeit, Hörspielproduktion, Musical, Oper und Operette, journalistisch orientierte Radioarbeit u.v.m. wird zu ganz anderen und stark vereinfachten Bedingungen möglich. Jede Institution kann ihre spezifischen Beiträge einbringen, mit Hilfe von PC und Internet werden diese dann nicht nur produziert, sondern auch zusammengeführt. So kann z.B. in Zusammenarbeit mit einer allgemein bildenden Schule ein Hörspiel produziert werden, das seine Thematik und die Auswahl und Zusammenstellung der Texte aus dem Deutsch- oder Geschichtsunterricht bezieht. Von Seiten der Musikschule könnten z.B. die musikalische Gestaltung, das SoundDesign, die Erstellung von O-Tönen und die studiotechnische Realisation des Hörspiels übernommen werden. Kooperationen sind grundsätzlich nicht länger nur auf den regionalen Einzugsbereich beschränkt, je nach Sachlage können sie überregional, national, europa- oder sogar weltweit stattfinden. In diesem Zusammenhang ist die Idee der Vernetzung ganz zentral: Kommunikation mit Partnern findet zu relativ geringem Kosten- und Zeitaufwand statt, wenn nötig
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weltweit. Es liegt nahe, diese Bedingungen für den Aufbau von Netzwerken zu nutzen, deren Teilnehmer ein gemeinsames Interesse verfolgen. Dies hat auch erhebliche Konsequenzen im Rahmen von Musikschularbeit. Im Zeitalter der Komprimierung von Audiodaten und MP3 sowie der immer weiteren Verbreitung von Breitbandtechnologie und DSL können nicht länger nur schriftlich fixierte Daten schnell und kostengünstig über das Internet kommuniziert werden. Auf Grund dieser technischen Bedingungen ist es z.B. möglich, musikalische Beiträge ins Netz zu stellen, Informationen in klingender Form auszutauschen, Partnerschaften zu initiieren und zu pflegen, Wettbewerbe und Kompositionskurse im Internet zu veranstalten, einen Internetauftritt gezielt einzusetzen, um bisherige Kunden zu binden und neue Zielgruppen zu erreichen. Der Phantasie sind bei der Gestaltung all dieser Möglichkeiten – zumindest technisch – keine Grenzen gesetzt, von der einfachen Website bis hin zum überregional organisierten Internetbetrieb – z.B. in Form eines Internet-Radios – ist alles vorstellbar. Hiervon kann die gesamte Schule profitieren, ganz unabhängig davon, wie deren pädagogisches und künstlerisches Profil ansonsten ausgerichtet ist. Wie wenig gerade die kommunikativen Potenziale Neuer Medien bislang gesehen bzw. genutzt werden, zeigen die Ergebnisse eine Umfrage, die im Winter 2005/2006 an 402 Musikschulen im gesamten Bundesgebiet durchgeführt wurde (Abb. 1). Abbildung 1: In welchen Bereichen kommen Neue Medien zum Musikschuleinsatz? Antworten von 402 Musikschulleitungen in Deutschland. 160 140 120 100 80 60 40 20 0
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Quelle: Fervers 2006
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Hier ist ein regelrechter Knick bei den kommunikativen Aspekten Netzwerke, Kooperationen und Öffentlichkeitsarbeit zu beobachten.
3. Institutionelle Konsequenzen Bei der Integration Neuer Medien in die Musikschularbeit handelt es sich um Entscheidungen von strategischem Charakter. Das bedeutet, dass einerseits die Planung langfristig und auf Dauer angelegt sein muss, und dass es zweitens um Kontexte geht, die nur teilweise oder noch gar nicht vorhersehbar sind (vgl. Heinrichs/Klein 2001: 364-365). Je nach Art und Ausmaß hat die Integration Neuer Medien dementsprechend erhebliche Konsequenzen für die gesamte Institution, ihr Profil und ihre Positionierung im Verhältnis zu anderen Kulturbetrieben.
Konsequenzen in Bezug auf das Angebot Mit der Aufnahme Neuer Medien in die Angebotspalette einer Musikschule verändern sich die internen Konstellationen der angebotenen Leistungen möglicherweise erheblich. Über das Gelingen der Integration wird in allererster Linie die Frage entscheiden, ob zu den bestehenden Unterrichtsangeboten eine stimmige und sinnvolle Balance hergestellt werden kann. Die Erörterung der Einsatzbereiche Neuer Medien hat gezeigt, dass ein quasi traditioneller Instrumentalunterricht in diesem Bereich nur eine von vielen Möglichkeiten ist. Es sind deshalb auch sehr unterschiedliche Unterrichtsformen möglich und sinnvoll. Der Unterricht kann als Einzelunterricht stattfinden, als Unterricht in Klein- und Großgruppen oder sogar im Rahmen von Klassenunterricht. Mit der Wahl reagiert man nicht nur auf die Anforderungen der jeweiligen Inhalte, die auf die eine oder andere Weise am sinnvollsten vermittelt werden können; sie zeitigt auch Konsequenzen für Kooperationen und Finanzierung: Je nach Unterrichtsform bietet sich etwa eine Zusammenarbeit mit allgemein bildenden Schulen an, je nach der Anzahl der beteiligten Schüler werden die Eigeneinnahmen höher oder weniger hoch ausfallen. Ähnliche Erwägungen gelten für die Unterrichtsdauer und die Frage, ob die Arbeit als Ergänzungs- oder Hauptfach oder projektweise angeboten wird. Es zeichnen sich hier in der Praxis Probleme ab, die ihren Ursprung in ganz verschiedenen Formen des Lernens bzw. Lehrens haben. Gerade beim Einsatz Neuer Medien geht es wesentlich um die Frage, ob der Ansatz ein eher informeller oder ein institutioneller sein sollte. Beim informellen Lernen geht es um selbst gesteckte Ziele und deren Erreichung
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in Eigenverantwortung. Eine Bindung an einen Lehrplan, ein Curriculum oder Vorgaben von Seiten einer Lehrperson besteht nicht oder nur in sehr loser Form. Im Zusammenhang mit der Frage, welche Unterrichtsform für eine konkrete Medienarbeit die geeignete ist, wäre also auch die Frage zu erörtern, ob sich die Gesamtbedingungen eher dem informellen oder dem institutionellen Lernen nähern sollten. Auch hier ginge es wieder wesentlich um eine stimmige Balance zum bestehenden Angebot im Rahmen des Schulprofils. Es ist grundsätzlich wichtig, dass man sich darüber klar ist, dass neue Medien sehr fundamentale Eigenschaften besitzen, die sie von traditionellen Instrumenten deutlich unterscheidet: Ihr grundsätzlich non-linear orientiertes Denken, ihr Verhältnis zur Schrift, zum Haptischen bzw. Motorischen, ihre Potenziale für einen experimentellen und spielerischen Umgang. Trotz der großen Unterschiede zum traditionellen Instrumentalspiel hält eine Mehrzahl der Musikschulleiter in Deutschland die Arbeit mit Neuen Medien für pädagogisch sinnvoll (Abb. 2). Abbildung 2: Zustimmungswerte von Musikschulleitungen zu der Aussage: »Der Einsatz Neuer Medien an Musikschulen ist pädagogisch sinnvoll.«
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Quelle: Fervers 2006 Bei der Gestaltung der Angebotspalette geht es immer auch darum, in der Gegenwart den zukünftigen Erfolg zu sichern. Musikschulen unterscheiden sich hierin nicht von anderen Kulturbetrieben oder sonstigen
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Unternehmen. Dafür ist es unabdingbar, nicht nur die eigenen Stärken und Schwächen zu kennen, sondern auch langfristige gesellschaftliche, technologische, demographische und wirtschaftliche Entwicklungen, die für die Institution von Relevanz sind, zu analysieren, zu reflektieren und mit dem Angebot entsprechend darauf zu reagieren.1 Für den konkreten Fall der Integration Neuer Medien bedeutet dies, dass im Interesse einer nachhaltigen Positionierung Entwicklungen wie die des MP3-Formats und daran sich anknüpfende neu entstehende Kommunikationskulturen wie Webradios oder »Podcasting«2 zur Kenntnis genommen und auf mögliche Konsequenzen für die eigene Arbeit überprüft werden. Auch das Nutzungsverhalten und -interesse der Jugendlichen sollte in diese Überlegungen einbezogen werden. Dabei geht es nicht darum, den Bedürfnissen und Entwicklungen im Verhältnis 1:1 zu entsprechen, es geht um Ideen und Hilfen zur Gestaltung der Kommunikation, die zum Erfolg einer langfristigen und nachhaltigen Planung beitragen, weil sie die sich wandelnden Bedürfnisse und Wertvorstellungen der Jugendlichen zur Kenntnis nehmen. Die Integration Neuer Medien ist nicht nur unter inhaltlichen, sondern auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten in eine Balance mit dem bestehenden Angebot zu bringen. Im Sinne eines nachhaltigen Erfolges geht es um die Herstellung eines ausgewogenen Portfolios (vgl. Heinrichs/Klein 2001: 309-312). Bei den Neuen Medien besteht offensichtlich eine anhaltend hohe Nachfrage auf Seiten der Bevölkerung und eine dynamische Entwicklung des Angebots auf Seiten der Technologie. Es ist deshalb sehr wahrscheinlich, dass Investitionen sich langfristig lohnen werden. Wenn es Musikschulen gelingt, sich hier eine Position im Bereich der außerschulischen Bildung zu sichern, der auch mit ihren inhaltlichen Zielen in Übereinstimmung steht, dann wird dies ein Faktor zur langfristigen Sicherung der Existenz und Legitimation sein können. Zuletzt sei noch bemerkt, dass es für die öffentlichen Musikschulen nicht nur um pädagogische, organisatorische und wirtschaftliche Fragen geht: Es geht immer auch um künstlerische Wertvorstellungen. Neben 1 2
Vgl. zu den entsprechenden Analysetechniken und -instrumenten Klein 2005 und Heinrichs/Klein 2001: 324-325. »Podcasting«: Zusammengesetzt aus Anteilen der Worte »Broadcasting« und iPod, bezeichnet eine Art Abonnementsystem in Form eines »Radio on demand«. Kurze Radiobeiträge werden – meist in regelmäßigen Zyklen – im MP3-Format ins Netz gestellt und können automatisch von MP3-Playern heruntergeladen werden. Hier deutet sich für die Zukunft eine stärker individuelle und mobile Nutzung des Rundfunks an.
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den zentralen Aspekt der künstlerischen Qualität treten hier auch weitere: Aspekte der Aktualität, der Modernität und der Innovationskraft. Der Einsatz Neuer Medien birgt auch eine besondere Chance, den Kontakt zu den künstlerischen Ausdrucksformen unserer Zeit zu halten, sei es im Rahmen der populären Musik und des Jazz, sei es im Bereich von EMusik und neuen Formen der Kunst wie Multimedia, Installationen, elektronischer Musik, akustischer Kunst und Live-Elektronik. Dies sollte gerade unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit in planerische Überlegungen einbezogen werden.
Konsequenzen für den Bereich des Marketing3 Mit dem Einsatz Neuer Medien können sich die Bedingungen und Voraussetzungen für den Marketing-Erfolg erheblich verschieben. Je nach Art und Umfang der Integration ist der Planungsprozess in seiner systematischen Gesamtheit berührt. Dies beginnt auf der Ebene des »Mission-Statements« bzw. des strategischen Leitbildes. Hier sollte die Formulierung der fundamentalen Ziele der Institution grundsätzlich überdacht werden. Je nach Wertvorstellungen kann eine Schule die Hinführung zu modernen Formen des Musizierens, die Entwicklung von Medienkompetenz, die prinzipielle Zukunftsorientierung, die Mitwirkung am Umbau zur Wissens- und Informationsgesellschaft und Ähnliches in den Kanon ihrer Ziele aufnehmen. Eine Modifizierung der Strategieplanung schließt sich logisch an. In der Mehrzahl der Fälle wird es der Einsatz Neuer Medien möglich machen, neue Zielgruppen anzusprechen. Dies kann sich als Konsequenz aus der erweiterten Angebotspalette, aus dem veränderten Image der Schule, der modifizierten Konzeption von Veranstaltungen etc. ergeben. Auch bietet jegliche Einbindung in Kooperationen und Netzwerke Potenziale, durch eine gute Arbeit für die eigene Sache zu werben und in der Folge neue Nutzergruppen zu erschließen. Gerade bei grundsätzlichen Um- und Neuorientierungen sollten deren Wertvorstellungen und Interessen allerdings möglichst gründlich bedacht werden: Sehr wahrscheinlich erhoffen sich Kinder und Jugendliche von der musikalischen Arbeit mit PC und Internet einen anderen Nutzen als durch das Erlernen eines klassischen Instrumentes. So spielt bestimmt eine grundsätzliche Technikbegeisterung eine Rolle, aber auch andere künstlerische Vorbilder und Assoziationen, vielleicht einfach Neugier oder das Bedürfnis, zu einer Szene zu gehören. Im Umgang mit all diesen Bedürfnissen der Jugendlichen 3
Zu den besonderen Möglichkeiten des Kulturmarketing im Internet vgl. Martin: 2004.
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sollte genau darauf geachtet werden, dass es nicht zu einer Verunklarung der Ziele oder des Profils der Musikschule kommt. Das könnte sich im negativen Fall kontraproduktiv auswirken. Die Potenziale für konkrete Marketinginstrumente (insbesondere Produkt-, Kommunikations- und Servicepolitik) wurden in einigen Aspekten oben gezeigt. Besonders sei noch auf die Möglichkeiten für die Evaluation hingewiesen, die sich z.B. durch Gästebücher, die Auswertung von Beiträgen in Gesprächsforen und ähnliche Nutzungsvarianten eröffnen. Bei der schon zitierten Umfrage ergab sich, dass die weitaus meisten Musikschulleiter auch erhebliche Erwartungen an einen entsprechenden Nutzwert der Arbeit mit PC und Internet knüpfen. Abbildung 3 zeigt die Antworten auf die Frage nach der Gewinnung neuer Interessengruppen. Abbildung 3: Zustimmungswerte von Musikschulleitungen zu der Aussage: »Durch die Arbeit mit Neuen Medien kann die Schule neue Interessentenkreise ansprechen.« 120
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Quelle: Fervers 2006
Konsequenzen für Fragen der Finanzierung Wenn Neue Medien nicht einfach nur im Sinne eines klassischen Unterrichts eingesetzt werden, dann ergibt sich in der Praxis sehr häufig eine projektorientierte Arbeit. Die Zusammenarbeit mit allgemein bildenden Schulen oder Institutionen der Jugendbildung im Rahmen einer gemeinsamen Hörspielproduktion, einer Theateraufführung, einer Open-AirVeranstaltung oder Ähnlichem wird in der Regel nur in dieser Form konzipiert werden können. Somit müssen die Ziele sowie die gesamte Pla-
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nung für den jeweiligen Fall entwickelt werden, und in der Folge stellt sich die Frage der Finanzierungsmöglichkeiten unter ganz anderem Blickwinkel.4 Durch die strukturelle Ausgliederung aus dem laufenden Betrieb werden die anfallenden Kosten detailliert erfasst und der Blick auf alternative Formen der Finanzierung als der ausschließlich institutionell gegebenen gelenkt. Insbesondere im Bereich der Finanzierung durch private Drittmittel wie Sponsoring und durch partnerschaftliche Finanzierungsformen wie »Matching Funds«5 oder »Public-Private-Partnership« eröffnen sich hier vielfältige Möglichkeiten für Musikschulen, die gezielt auf innovative und zukunftsorientierte Arbeit setzen. Die Tendenz Neuer Medien zur Projektarbeit hat also für Finanzierungsfragen ganz unmittelbare Konsequenzen, die erkannt und genutzt werden sollten. Natürlich bieten sich auch im Rahmen einer institutionellen Finanzierung neue Möglichkeiten durch alternative Unterrichtsformen und eine erweiterte Angebotspalette. Für große Institutionen oder Netzwerke wäre auch eine komplette Ausgliederung eines Teils der Schule zu erwägen, z.B. in Form eines Internetradios oder einer Internetplattform. Diese könnten die Medienarbeit leisten und sich aus der wirtschaftlichen Unabhängigkeit heraus den Finanzierungsfragen unter den oben beschriebenen Gesichtspunkten widmen.
4 . D a s ö f f e n t l i c h e I n t e r e s s e a n d e r I n t e g r a t i o n vo n Medienarbeit an Musikschulen Musikschulen werden in erheblichem Umfang von der öffentlichen Hand gefördert. Im Bundesdurchschnitt bestreiten sie seit vielen Jahren deutlich über 50 % ihrer Einnahmen aus öffentlichen Mitteln (vgl. VdM 2004: 34-35). Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, inwieweit ihre Legitimation auch von der Einbindung in langfristige gesellschaftliche und politische Prozesse abhängt. Konkret heißt das: Wo, inwieweit und in welchem Sinn berühren sich die Interessen der Musikschulen mit denen der Öffentlichkeit, wenn es um die Integration Neuer Medien geht? Welchen spezifischen Beitrag können sie als öffentlich geförderte Bildungsinstitutionen beim Übergang von der Industrie- zur Wissens- und Informationsgesellschaft leisten? 4 5
Vgl. zur Gegenüberstellung von institutioneller Finanzierung und Projektfinanzierung Heinrichs 1997: 212-216. Eine Finanzierungsvariante, in der sich die öffentliche Hand verpflichtet, für jeden privat oder anderweitig eingeworbenen Euro einen weiteren dazu zu geben.
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Medienkompetenz Die fundamentale Bedeutung der Entwicklung von Medienkompetenz auf breiter gesellschaftlicher Basis scheint inzwischen unbestritten. Einigkeit herrscht weitgehend auch über die Erkenntnis, dass Medienkompetenz eine der Schlüsselqualifikationen in der Wissens- und Informationsgesellschaft darstellt. Ganz erhebliche Schwierigkeiten und Differenzen in der Bewertung entstehen aber, wenn es darum geht, diese abstrakten Begriffe inhaltlich zu füllen und die Wirkungsbereiche von Medienkompetenz näher zu bestimmen. Die Arbeit der Musikschulen lässt sich unschwer im Bereich kreativer Mediengestaltung verorten. In den weitaus meisten Fällen wird das Gewicht auf diesem Aspekt von Medienkompetenz liegen. Wissensvermittlung, technisches Knowhow und kritische Reflexion mögen zwar wichtige Voraussetzungen darstellen und einen entsprechenden Unterricht unterstützen. Wirklich Sinn macht die Integration Neuer Medien an Musikschulen in erster Linie aber dann, wenn das Hauptaugenmerk auf kreativer bzw. musisch-künstlerischer Tätigkeit liegt. Hier liegt das zentrale Anliegen der Musikschulen, und in diesem Punkt berühren sich ihre ureigenen Interessen mit denen sonstiger Medienarbeit. Der Medieneinsatz spielt heutzutage in allen musikalischen Genres einschließlich der klassischen eine erhebliche Rolle. Insbesondere aber die vielfältigen Szenen der musikalischen Jugendkulturen sind ohne diesen nicht mehr vorstellbar. Es geht hier nicht um ein Entweder-Oder verschiedener Kompetenzen, es geht um die Vermittlung von Fähigkeiten, die sich gegenseitig ergänzen, bedingen und, im Idealfall, gegenseitig befruchten. Einerseits kann jegliche Medienarbeit erheblich von den kreativen Impulsen profitieren, die eine umfassende und fundierte musikalische Ausbildung an Musikschulen mit sich bringt. Die hier gemachten Erfahrungen und erlernten Fähigkeiten sind für Arbeitsformen und Projekte, die Medien thematisieren oder diese wenigstens einbeziehen, von großem Wert. Musikschulen können sich deshalb im Rahmen von Medienarbeit als Partner empfehlen, die sich von Hause aus im musisch-künstlerischen Bereich bewegen und damit Entscheidendes zur Förderung ästhetischer Medienkompetenz beitragen können. Von der anderen Seite her betrachtet fügt die Beschäftigung mit Neuen Medien der Ausbildung an einer Musikschule eine Komponente hinzu, die mehr ist als eine einfache Ergänzung. Hier besteht die Chance, sich eigene, noch weitgehend unerforschte neue Wege zu erschließen, sowie kreative und produktive Neugier zu stimulieren und sinnvoll zu nutzen.
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Netzwerke Der Begriff des Netzwerks hat sich zur »Signatur unserer Epoche« (Rolf 2004: 88) herausgebildet. In der Diskussion über Organisationsformen der Zukunft ist er allgegenwärtig. Dabei scheint er sich in einem ganz fundamentalen Sinn an Bedingungen zu binden, die die Neuen Medien von sich aus mitbringen: Digitalisierung, Globalisierung und Konvergenz (vgl. hierzu ausführlich z.B. Rolf 2004). Für das öffentliche Interesse an medienbezogener Arbeit von Musikschulen ist die Idee der Vernetzung insbesondere unter der Fragestellung relevant, inwieweit diese Organisationsform in Zusammenhang mit Medienarbeit in besonderer Weise in der Lage ist, den Bildungsauftrag zu erfüllen, in welchem Sinn gerade sie den Interessen der Öffentlichkeit entgegenkommt und inwieweit die Entstehung etwaiger Synergie-Effekte gerade auf dieser Organisationsform beruht. Unter dem Gesichtspunkt einer langfristigen und tragfähigen Entwicklung von Medienkompetenz muss dem Aufbau von Netzwerken eine erhebliche Bedeutung zuerkannt werden: Medienkompetenz ist ein gesamtgesellschaftliches Querschnittsthema, das technische, wirtschaftliche, soziale, kulturelle und ästhetische Aspekte berührt (vgl. Baacke 2004: 37). Ganzheitliche Konzepte dürfen sich nicht in individueller Förderung erschöpfen, sie brauchen die Verbindung zur organisatorischen bzw. gesellschaftlichen Ebene. In diesem Sinne könnten auch öffentliche Musikschulen dazu beitragen, abstrakte Konzepte in konkrete Gestaltungsprozesse umzusetzen, die die entwickelten Kompetenzen auf gesamtgesellschaftlicher Ebene einbinden und tragen (vgl. Gapski 2005: 26). Im Fall medienbezogener Arbeit an Musikschulen bedeutet das, dass dem Aspekt der Vernetzung ein angemessener Raum zugewiesen werden muss, wenn erhebliche Potenziale nicht verschenkt werden sollen. Dies gilt einerseits im überschaubaren Umfeld der Institution, andererseits aber auch überregional im Austausch mit Partnern gleichen Interesses. Die Neuen Medien verändern nicht nur die Bedingungen der Kommunikation fundamental, ihre ihnen innewohnende Tendenz zur Globalisierung stellt auch qualitativ völlig neue Anforderungen auf der organisatorischen Ebene: Anders als durch den Aufbau von effizient arbeitenden Netzwerken – unter welchen Vorzeichen und zu welchem Zweck auch immer sich diese formieren – ist deren Bewältigung derzeit kaum vorstellbar.
Soziale Aspekte Viele öffentliche Musikschulen kommen ihrer besonderen gesellschaftlichen Verantwortung durch spezielle Unterrichtsangebote etwa für Behinderte, besondere Projekte und Kooperationen mit sozialen Einrichtungen
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oder auch durch gestaffelte Unterrichtsgebühren für sozial benachteiligte Gruppen nach. Auch der Einsatz Neuer Medien kann unter diesem Gesichtspunkt gesehen werden: Es stellt sich die Frage, inwieweit hier ein Beitrag zum Ausgleich von Benachteiligungen persönlicher, ökonomischer oder bildungsbedingter Art geleistet werden kann oder sollte. Die Studie »Jugend, Information, (Multi-)Media« (JIM) 2005 hat gezeigt, dass heutzutage inzwischen 89 % der Haushalte in der BRD, in denen Jugendliche aufwachsen, mit einem Internetanschluss versehen sind. In der Realität der BRD im Jahr 2005 kann also von Wissensklüften, was die reinen Zugangsmöglichkeiten zu den Neuen Medien angeht, tendenziell nicht mehr die Rede sein. Das gleiche gilt für die Nutzungsintensität. Die für die BRD und damit auch für die öffentlichen Musikschulen relevanten Fragen in Bezug auf digitale Spaltung stellen sich am ehesten im Bereich der Nutzungsqualität: Gibt es schichtenspezifische, bildungsbedingte Unterschiede der Art der Nutzung? Von welchen Nutzergruppen werden PC und Internet in erster Linie als Bildungs- und Informationsmedien gesehen und genutzt, und für wen sind sie primär den Unterhaltungsmedien zuzurechnen? Für die Arbeit mit sozial oder bildungsmäßig Benachteiligten scheint es spezifische Bedingungen zu geben, die von Musikschulen sehr umfassend zu bedenken sind. Niesyto (2000) weist z.B. darauf hin, dass es vor allem deshalb so wenig zielgruppenspezifische Angebote in diesem Bereich gibt, weil die meisten Einrichtungen der Jugendbildung in Mittelschicht-Milieus arbeiten – eine Beobachtung, die auch für Musikschulen vermutlich im Wesentlichen zutrifft. Es stellt sich also zunächst ganz schlicht die Frage nach der pädagogischen Kompetenz bzw. Erfahrung der Mitarbeiter für die Arbeit mit sozial- und bildungsbedingt benachteiligten Jugendlichen. Insbesondere gibt es wohl eine Reihe von Zugangsformen zu Medienarbeit, die in diesem Arbeitszusammenhang problematisch sind: Offensichtlich finden Ausschreibungen, die stark themenorientiert sind, wie z.B. die Arbeit in einem ›Offenen Kanal‹, oder auch stark an Institutionen gebundene Angebote wenig Interesse bei der in Frage stehenden Gruppe der Jugendlichen. Auch Angebote, die langfristig konzipiert sind oder zu teuer erscheinen, finden wenig Resonanz. Vielfach scheitern Medienprojekte auch an unterschiedlichen Vorstellungen vom Arbeitsrhythmus von betroffenen Jugendlichen und Erwachsenen bzw. der jeweiligen Institutionen.6 Auch für Musikschulen würde sich damit die ganz praktische Frage nach räumlicher Mobilität – auch unter Beachtung der entstehenden Kosten – und zeitlicher Flexibilität stellen. Für diese Art der pädago6
Vgl. zu diesen Punkten ausführlich Niesyto 2000: 9.
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gischen Arbeit wären also besondere persönliche, organisatorische und infrastrukturelle Voraussetzungen zu schaffen. Trotzdem spricht einiges dafür, dass Musikschulen diesen Arbeitsbereich in ihre Überlegungen zum Einsatz Neuer Medien einbeziehen: die kreativen Kompetenzen der Mitarbeiter, die sie für den Bereich der Mediengestaltung – in dem offene, unakademische und unorthodoxe Arbeitsformen häufig Sinn machen – prädestinieren; die Möglichkeit, die Arbeit mit sozial Benachteiligten ergänzend, z.B. in Form von Kooperationsprojekten, anzubieten; die Charakteristik Neuer Medien, die eine sehr hohe Flexibilität und oftmals eine differenzierte Dosierung der Anforderungen erlauben. Als Hypothese sei formuliert, dass die Arbeit mit sozial und bildungsbedingt benachteiligten Kindern und Jugendlichen für die Mehrzahl der Musikschulen in der BRD Neuland wäre. Eine entsprechende Studie müsste dies überprüfen. Jedes konkrete Engagement von Musikschulen in diesem Bereich wäre sorgfältig zu durchdenken und zu planen, böte aber insbesondere im Zusammenhang mit dem Einsatz Neuer Medien erhebliche Chancen, wie die Untersuchung bestehender Projekte zeigt (vgl. Niesyto 2000).
5 . F a z i t u n d Au s b l i c k Die Potenziale, die eine Integration Neuer Medien an öffentlichen Musikschulen mit sich bringt, sind beträchtlich. Allerdings entstehen für den Unterrichtsbetrieb und die gesamte Musikschule Konsequenzen, die pädagogisch, künstlerisch und managerial bewältigt werden müssen. Es deutet einiges darauf hin, dass wesentliche Aspekte der Arbeit mit Neuen Medien derzeit nur von einer Minderheit der Schulen genutzt werden. Hier sind vor allen Dingen die Chancen angesprochen, die PC und Internet für Kommunikation, Kooperation und Vernetzung bieten. Gerade an dieser Stelle liegt aber eine besonders große Stärke der Neuen Medien und die eigentliche Herausforderung an Organisation und Management sowohl der einzelnen Schulen als auch der öffentlichen Musikschulen in ihrer Gesamtheit. Zweifellos leisten einzelne Institutionen auch in diesem Bereich eine hervorragende und innovative Arbeit. Es wäre aber auf eine Potenzierung der Effekte zu hoffen, wenn sich der Ausbau entsprechender Netzwerke großflächig und überregional durchsetzen würde. Technologisch sind die Bedingungen hierzu längst geschaffen. Für viele betroffene Institutionen wird sich auch die Frage nach einer angemessenen Umsetzung stellen. Aus dem Bereich des Managements wurden hierzu einige Aspekte in der vorliegenden Arbeit angedeutet. Es
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sollte aber nicht übersehen werden, dass eine adäquate Umsetzung auch pädagogischer und didaktischer Konzepte bedarf, die sich explizit auf den musikalischen Bereich beziehen. Es spricht einiges dafür, dass diese nur in einer engen Kooperation aller Beteiligten, mit einer ausdrücklichen Orientierung an der Praxis, entwickelt werden können. Das Problem der Pädagogik besteht insbesondere auch darin, dass in einem Bereich gelehrt wird, in dem sich die heutige junge Generation meist viel selbstverständlicher bewegt als die Pädagogen selbst. Das spricht nicht gegen pädagogische und didaktische Konzepte; ihre Entwicklung gestaltet sich aber unter völlig neuen Bedingungen. Die derzeitige politische Situation und die Finanznot der öffentlichen Hand bringt für viele öffentliche Musikschulen eine sehr prekäre Situation mit sich, in der sie sich mit dem Rücken zur Wand sehen und in der die Existenzfrage quasi allgegenwärtig im Raum steht. Vielfach wurde versucht, die Situation durch die Änderung der Rechtsform der Institution, durch die Implementierung neuer Steuerungsmodelle und veränderter Finanzierungsformen sowie durch eine verstärkte Besucherorientierung zu entschärfen. Auch die Integration Neuer Medien bietet die Chance, diesen existentiellen Problemen offensiv entgegenzutreten und einen wesentlichen Teil zur Sicherung der Legitimation und der Zukunft der Musikschulen beizutragen. Hier wäre zweifellos gegenüber dem gesamten Umfeld der betroffenen Institution Überzeugungs- und Vermittlungsarbeit zu leisten, denn es geht um grundlegende inhaltliche Fragen, um Wertvorstellungen, um Risiken und natürlich um Geld. Es sollte aber immer das Ziel sein, sich langfristig als Partner im öffentlichen Bildungsbereich zu etablieren, auf den die anderen Beteiligten nicht so ohne Weiteres verzichten können und wollen. Man kann an die Medienproblematik eine Wertediskussion knüpfen und sehr grundsätzliche philosophische und existentielle Fragen dazu stellen. Hier soll aber für eine pragmatische Sichtweise plädiert werden: PC und Internet sind in erster Linie Instrumente, deren spezifische Charakteristik man sich zu eigen machen muss und die man nutzen kann, um pädagogische, künstlerische, betriebswirtschaftliche und organisatorische Ziele zu erreichen. Jede Institution hat die Freiheit und die Aufgabe, diese Ziele eigenverantwortlich für sich zu formulieren. Über den Sinn der Integration Neuer Medien entscheidet also letztlich deren angemessener Gebrauch und die Art und Weise, wie sie zur Zielerreichung beitragen.
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Literatur Baacke, Dieter (2004): »Medienkompetenz als zentrales Operationsfeld von Projekten«. In: Susanne Bergmann/Jürgen Lauffer, Jürgen et al. (Hg.) (2004): Medienkompetenz. Modelle und Projekte. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn, S. 28-39 der beigelegten CD. Fervers, Andreas (2006): Neue Medien in der Arbeit öffentlicher Musikschulen – Chancen, Potentiale, Risiken, Masterarbeit an der PH Ludwigsburg. Gapski, Harald (Hg.) (2005): Leitbilder für die Wissensgesellschaft. Fallbeispiele, Strategien, Reflexionen. Schriftenreihe Medienkompetenz des Landes Nordrhein-Westfalen, Bd. 1, Düsseldorf/München. Heinrichs, Werner (1997): Kulturpolitik und Kulturfinanzierung. Strategien und Modelle für eine politische Neuorientierung der Kulturfinanzierung, München. Heinrichs, Werner/Klein, Armin (2001): Kulturmanagement von A-Z. 600 Begriffe für Studium und Beruf, München. Klein, Armin (2005): Kulturmarketing. Das Marketing-Konzept für Kulturbetriebe, München. Klein, Armin (Hg.) (2004): Kompendium Kulturmanagement. Handbuch für Studium und Praxis, München. Martin, Dan J. (2004): »Kulturmarketing im Internet«. In: Klein, Armin (Hg.) (2004): Kompendium Kulturmanagement. Handbuch für Studium und Praxis, München, S. 401-410. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (Hg.) (2005): »JIMStudie 2005. Jugend, Information, (Multi-)Media«. In: www.mpfs.de/ studien/jim/JIM-Studie2005.pdf (7.1.06). Niesyto, Horst (2000): »Medienpädagogik und soziokulturelle Unterschiede. Eine Studie zur Förderung der aktiven Medienarbeit mit Kindern und Jugendlichen aus bildungsmäßig und sozial benachteiligten Verhältnissen«. In: www.mpfs.de/ftp/soziokulturell.pdf (6.1.06). Rolf, Arno (2004): »Informationstechnologien in Organisationen und Gesellschaft. Arbeitsabläufe und ihr Wandel anhand von Beispielen«. In: Hans-Dieter Kübler/Elmar Elling (Hg.) (2004): Wissensgesellschaft. Neue Medien und ihre Konsequenzen, Bonn, S. 80-111 der beigelegten CD. VdM (Hg.) (2004): Statistisches Jahrbuch der Musikschulen in Deutschland, Bonn.
Meinen w ir das Gleiche? Über die Notw endigkeit einer Neuordnung der Beziehungen zw ischen Musikschulen und Musikhochschulen MATTHIAS HERRMANN
»Ihre Absolventen verbringen den Großteil ihres Lebens bei uns in der Musikschule, mit einer kleinen Unterbrechung durch ihre Studienzeit an der Musikhochschule.«1
Setzt man den Beginn der Instrumentalausbildung mit etwa sechs Jahren an, so haben Kinder bis zu einer Aufnahmeprüfung etwa nach dem Abitur 13 Jahre an der Musikschule verbracht, sofern sie ihre musikalische Ausbildung nicht im Privatunterricht durchliefen. Sie kennen ihre Lehrer/innen, deren methodische Kniffe, sie kennen die vielfältige Vernetzung der Musikschule nach innen und außen – durch Ensembles, durch Wettbewerbe (wie beispielsweise »Jugend musiziert«), durch Klassenvorspiele und Konzerte, und oft auch durch Reisen. Nach dem Studium stehen dann für diejenigen, die als Musiklehrer/-in wieder an die Musikschule zurückkehren, ca. 40 Berufsjahre an, die der zum Musiklehrer ausgebildete Instrumentalist oder Sänger wieder als Angestellter in einer Musik1
Ein Vorstandsmitglied des Landesverbandes der Musikschulen BadenWürttembergs im Gespräch mit dem Autor am Rande einer Sitzung der gemeinsamen Arbeitsgruppe der Musikschulen und Musikhochschulen in Baden-Württemberg.
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schule verbringen kann. So kann ein Musikerleben bis zum Eintritt in den Ruhestand 60 berufsbezogene Jahre umfassen. Die Zeit in der Musikhochschule umfasst davon lediglich ca. 7 % bis 10 % – im neuen Studienmodell von Bachelor und Master vier (Bachelor) bis sechs Jahre (vier Jahre Bachelor plus zwei Jahre Master). Es gilt, die Frage zu stellen, welche Aufgabe der Musikhochschule als Ausbildungspartner der Musikschulen zukommen kann.
Bestandsaufnahme Die Ziele einer Ausbildung zum Musiklehrer bzw. zur Musiklehrerin sind folgendermaßen beschreibbar: »Das Studium dient der künstlerischen und pädagogisch-didaktischen Ausbildung von Musikern, um sie zu einer künstlerischen Tätigkeit sowie zu einer Lehrtätigkeit an Musikschulen und ähnlichen Einrichtungen oder als Privatlehrer zu befähigen.«2
Es sind also zwei Schwerpunkte, die im Mittelpunkt der Ausbildung stehen: der künstlerische und der pädagogische. Dabei genießt die künstlerische Kompetenz nach wie vor einen hohen Stellenwert – zu Recht. In Fortführung der künstlerischen Erfahrungen, die Studienanfänger aus ihrer jahrelangen Musikausbildung bereits mitbringen, wird die künstlerische Kompetenz auf ein professionelles Niveau gehoben. Diese Kompetenz beruht dabei nicht nur auf den Fertigkeiten im instrumentalen Hauptfach, sondern in besonderem Maße auch in Kompetenzen in den interpretationsunterstützenden Fächern wie Musiktheorie und Hörerziehung. Hier weist die Ausbildung an Musikschulen in Deutschland gegenüber Ausbildungsformen in anderen Ländern (besonders in den osteuropäischen Ländern) leider eine eklatante Schwachstelle auf: So ist es selbstverständlich, dass zu einer Ausbildung an einer entsprechenden Schwerpunktschule Musik beispielsweise in Polen neben dem instrumentalen Hauptfach auch regelmäßiger Unterricht in Musiktheorie (Harmonielehre, Satzlehre, Grundlagen musikalischer Form), Hörerziehung und Klavier gehören. Diese Fächer werden zum Teil über mehrere Jahre unterrichtet und sind fester Bestandteil einer Musikschul-Ausbildung. An deutschen Musikschulen sucht man dieses Verständnis einer Musikausbildung ver-
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Präambel der derzeit gültigen Studien- und Prüfungsordnung des Diplom-Studiengangs Musiklehrer an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart.
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gebens. Der Verweis auf den Unterricht an den allgemein bildenden Schulen, insbesondere den Musikunterricht an Gymnasien wird zum unzureichenden Argument, da dort nur Kenntnisse der Allgemeinbildung vermittelt werden, die aber in keinem Verhältnis zu einer berufsvorbereitenden Qualifizierung stehen. Auch die gelegentlich an Musikschulen angebotenen Schnellkurse zur Vorbereitung auf eine Aufnahmeprüfung in den Fächern Musiktheorie und Hörerziehung bleiben punktuelles Stückwerk und können dem Anspruch nicht gerecht werden, fundierte Kenntnisse zu vermitteln. Die Hochschulen müssen in diesem Bereich dann oftmals Inhalte vermitteln, die eigentlich mit einer Aufnahmeprüfung an einer Hochschule als bekannt vorausgesetzt werden müssten. Allzu einseitig konzentriert sich aber die Musikausbildung auf das Instrumentalspiel und vergibt eine Chance zu einem wesentlich breiteren Musikdenken bereits bei Kindern und Jugendlichen. Es ist richtig, dass von Instrumentallehrer/-in zu Instrumentallehrer/-in unterschiedlich auch Aspekte der so genannt theoretischen Fächer in den Unterricht einfließen, aber in diesen Fällen geht eine derartige Vermittlung auf Kosten der Instrumentalzeit. Zudem verfügen die Musikschulen über keine Fachkräfte in den genannten Bereichen. So ist eine der ersten Aufgaben der Musikhochschule, den Begriff des Musikdenkens neu zu etablieren bzw. zu erweitern. Auch in diesen Bereichen könnten Musikhochschulen eine Fortführung erworbener Kenntnisse problemlos leisten, doch liegen häufig nur äußerst rudimentäre Grundkenntnisse vor, die zum Ausgangspunkt für weitergehende Erörterungen gemacht werden könnten. Umgekehrt werden von den Musikschulen Kompetenzen angefragt, die in der Musiklehrerausbildung nicht oder nicht ausreichend vermittelt werden. Diese Defizite betreffen vor allem Führungs- und Leitungskompetenzen, den Bereich der Improvisation sowie Flexibilitäten in der Ensemblepraxis (sowohl in dirigentischer als auch in bearbeitungspraktischer Hinsicht). Es kommt so zu einem doppelten Paradigmen-Wechsel: Im Übergang von der Musikschule zur Musikhochschule erfährt der junge Musiker seine »Welt Musik« als neue, viel breiter vernetzte Disziplin. Umgekehrt kommt beim Wechsel von der Hochschule in den Beruf der – in vielen Branchen bekannte – Praxisschock zum Tragen, wo sich die Absolventen mit Alltagsfragen konfrontiert sehen, für die sie in ihren Ausbildungsgängen nicht ausreichend ausgebildet wurden. Ein heikles Gebiet im Zusammenwirken von Musikschulen und Musikhochschulen stellt die Förderung von hochbegabten Jugendlichen dar. Es erfordert viel Fingerspitzengefühl, dass Hochschulen im Bereich der Vorklassen bzw. Jungstudenten nicht in Konkurrenz zu den Musikschulen treten, sondern dass es hier zu einem konstruktiven Miteinander kommt.
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Was ist zu tun? Die Hochschulausbildung muss im Bereich der neuen Bachelor-Abschlüsse marktorientiert sein. Der Bachelor stellt einen berufsqualifizierenden Ausbildungsabschluss dar. Als Beschäftigungsprofile an Musikschulen werden dabei zunehmend Teilzeitstellen angeboten, oder Stellen, auf denen mehrere Qualifikationen verlangt sind. Hierauf müssen die Musikhochschulen mit Studienmodellen reagieren, die bereits im Grundstudium beispielsweise folgende Qualifikationsvarianten anbieten: • eine instrumentalpädagogische Ausbildung, die Lehrbefähigung auf einem Nebeninstrument einschließt (als häufig nachgefragte »DoppelQualifikation« finden sich beispielsweise die Kombinationen Klarinette/Saxophon, Violine/Viola, Klavier/Keyboard, Flöte/Blockflöte u.a.m.). Insbesondere an kleineren Musikschulen sind derartige Mehrfachqualifikationen nahezu eine »conditio sine qua non«. Für den Bewerber erhöhen sich Stundendeputat und damit die Einbindung in die Musikschule automatisch, da gleichzeitig mehrere Klassen betreut werden können, besonders in Situationen, wenn einzelne Klassen nur begrenzt nachgefragt werden; • eine instrumentalpädagogische Ausbildung, die Kompetenzen im Bereich Ensembleleitung anbietet (dazu gehören die Fächer Schlagtechnik und Probentechnik ebenso wie Unterricht in Bearbeitungspraxis) – für Lehrkräfte, die später Ensembles der Musikschule (von der Kammermusikbesetzung über Blas-, Kammer- und Sinfonie-Orchester bis hin zur Bigband) leiten können. Die Erfahrung zeigt, dass die Identifikation mit der eigenen Musikschulen neben der Bindung an den jeweiligen Instrumentallehrer gerade über die Erfahrungen in den Ensembles hergestellt wird. Die Musikhochschulen sind den Musikschulen in diesem Bereich in besonderer Weise eine gute Ausbildung schuldig, da diese Kompetenzen nur an der Hochschule gelernt werden können; • eine instrumentalpädagogische Ausbildung, die Lehrbefähigung im Bereich der musikalischen Früherziehung beinhaltet. Mit dem neuen Selbstverständnis der Kindergärten als Bildungseinrichtung kommen auf Musiker/-innen neue Aufgabenfelder zu: So gibt es immer mehr Kindergärten, die qualifizierte Angebote im Bereich musikalischer Früherziehung zum festen Bestandteil ihres Alltags machen wollen. Der Kindergarten kann so in besonderer Weise für die Musikschulen ein Feld werden, wo Kinder als potenzielle »Kunden« geworben werden können, die möglicherweise früher gar nicht erreicht worden wären. Musiklehrer/-innen, die auch über die Kompetenzen verfügen, im Bereich der Früherziehung zu unterrichten, werden zum wichtigen »Werbefaktor« ihrer Musikschule. Auch eine Weiterbildung in Ele-
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mentarer Musikpädagogik sollte an den Musikhochschulen in einem Masterstudiengang Instrumentalpädagogik enthalten sein; eine instrumentalpädagogische Ausbildung, die Lehrbefähigung in den Fächern Musiktheorie und Hörerziehung einschließt. Musikhochschulen haben bereits damit begonnen, die Ausbildung in den Vorklassen auf die theoretischen Fächer auszudehnen. Die Schüler/innen der Vorklassen haben dabei die Möglichkeit, zu bestimmten, vereinbarten Terminen Unterricht in Musiktheorie (Harmonielehre, literaturbezogene Analyse) und Hörerziehung zu besuchen. Insbesondere werden dort genau diejenigen Stücke analysiert, die die Vorklassen-Schüler/-innen gerade selbst spielen. Dieses Angebot sollte aber auf keinen Fall ein Privileg der Ausbildung an einer Hochschule bleiben. Hier sind die Musikschulen dringend gefordert, zu einem wirklichen Ausbildungspartner der Hochschulen zu werden; eine instrumentalpädagogische Ausbildung, die eine Qualifizierung im Bereich Musikmanagement einschließt. Diese Qualifizierung sollte dann in einem Masterstudium (etwa Kulturmanagement) erweitert werden können. Absolventen dieses Studienprofils können Kompetenzen in den Feldern Projektentwicklung und -planung, Projektmanagement und Projektvermarktung in die Musikschule einbringen, die für diese wiederum ein Potenzial zur Neuausrichtung im öffentlichen Musikleben des jeweiligen Standorts darstellt. Zudem bietet die Projektarbeit selbstverständlich auch Ansätze für die Entwicklung neuer pädagogischer Konzepte. Der Bereich des Musikmanagements kann sehr wohl zur Schnittstelle pädagogischer Innovation werden. Darüber hinaus werden in diesem Bereich potenzielle Bewerber für Führungspositionen in Musikschulen ausgebildet. Dies ist umso wichtiger, als Musikschulen in Zukunft aller Voraussicht nach verstärkt auf partielle Eigenfinanzierung angewiesen sein werden.
Weitere Vertiefungen bzw. Spezialisierungen sollten als postgraduierte Master-Studien möglich sein. Von den Absolventen der Musikhochschulen in den künstlerischen und künstlerisch-pädagogischen Studiengängen werden die meisten in der einen oder anderen Form mit Unterrichten zu tun haben – nur eine Minderheit hat ihren Arbeitsplatz später im Orchester. Dies lässt sich mit den Verteilungen der Studierenden auf die jeweiligen Studiengänge nicht oder nur unzureichend darstellen, da auch eine Vielzahl der Absolventen der künstlerischen Studiengänge (wie im Übrigen auch des Lehramtsstudiengangs) im späteren Berufsleben instrumental- bzw. vokalpädagogisch tätig ist. Das Modell der Bachelor-Studiengänge an der Stuttgarter Mu-
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sikhochschule reagiert auf diese Tatsache dergestalt, dass jeder Bachelor-Absolvent eine gegenüber heute deutlich ausgeweitete Ausbildung in den pädagogisch-methodischen Fächern hat. Absolventen mit einem pädagogischen Schwerpunkt erwerben automatisch eine der oben genannten Zusatzqualifikationen. Zudem ist ein Praktikum an einer Musikschule Bestandteil der Studienpläne. In diesem Praktikum sollen sich die Studierenden ein umfassendes Bild vom Leben an einer Musikschule aus der Sicht von Musikschulleitung und Lehrenden verschaffen. Insofern versuchen die Musikhochschulen, »für« den Markt auszubilden.
K r e a t i ve V e r u n s i c h e r u n g Eine Hochschule muss aber auch autonom sein und den Markt beeinflussen. Hierbei geht es um kreative Verunsicherungen, wodurch Studierende bewusst lernen, etablierte Unterrichts-, Vermittlungs- und Präsentationsformen kritisch zu überdenken sowie neue Inhalte und Modelle zu entwickeln. Nur dann kann eine Hochschulausbildung plausibel sein. Derart kreative Verunsicherungen beziehen sich auf: • Erweiterungen der Repertoire-Kenntnisse (besonders im Bereich der Neuen und aktuell komponierten Musik); • Kenntnisse mit satztechnischer Praxis – von der Bearbeitungspraxis (d.h. der Übertragung von Vorlagen auf bestimmte Ensembles) über die Anfertigung von Stilkopien bis hin zu Grundlagen kompositorischer Praxis; • Neuformulierung des Musikbegriffs (beispielsweise in den Bereichen historisch fundierter Analyse, ästhetischer Konzeption, insbesondere im Bereich der Neuen Musik, sowie Kunstphilosophie und -soziologie); • Erwerb von Kompetenzen im Bereich der Musikvermittlung – von der inhaltlichen Ausgestaltung bis zu methodisch-konzeptuellen Fragen; • Kenntnisse im Bereich der musiktechnologischen Entwicklung (insbesondere im Bereich der Computermusik). Die hier genannten Bereiche sind sicherlich zu den »Domänen« der Hochschulausbildung zu zählen.
Veränderungen des Musik- und Bildungslebens Es bleibt nach wie vor schwer verständlich, warum sich Musikschulen der unter Jugendlichen weit verbreiteten Computermusik nicht schon seit Jahren annehmen. Es ist davon auszugehen, dass hier eine neue Klientel
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von Jugendlichen erschlossen werden könnte, die an Musikschulen in einem entsprechenden Unterrichtsfach lernen könnten, wie sie mit ihrem Computer noch in ganz anderer Weise Musik machen könnten, als sie dies zu Hause tun. Lehrangebote könnten neben der Unterweisung in kompositorischen Fragestellungen auch Bereiche umfassen, die der Musikschule in ihrem Alltag wieder direkt zu Gute kommen – in Form von Kenntnissen im Bereich des Notensatzes, der Live-Beschallung oder auch Grundlagen der Aufnahme- und Schneidetechnik.3 Auch im Bereich der Popularmusik sind die meisten Musikschulen nach wie vor eher unzureichend aufgestellt. Neben den oben genannten Studienprofilen bietet das Bachelor-Modell der Stuttgarter Musikhochschule auch eine Schwerpunktbildung im Bereich Jazz/Pop an. Dieses Feld findet einerseits zögerlich (nahezu im Sinne einer falsch verstandenen »vornehmen klassischen Zurückhaltung«) Eingang in den Kanon etablierter Wettbewerbe. Andererseits gibt es eine beträchtliche Zahl freier Musikschulen, die nicht zuletzt auf Grund einer Spezialisierung in diesem Bereich äußerst erfolgreich arbeiten. Es ist dringend erforderlich, auch im Bereich Jazz/Pop neue Aktivitäten zu entwickeln, und vielleicht verstärkt durch gezielte Projektarbeit attraktive Zusatzangebote zu schaffen. Ein qualifiziert angebotenes Projekt Jazz/Pop gefährdet das »Niveau« einer Musikschule in keiner Weise. Auch diesbezüglich ist der an Musikschulen tradierte Musikbegriff auf den Prüfstand zu stellen. Das Berufsfeld des Musiklehrers bzw. der Musiklehrerin wird sich mit der flächendeckenden Einführung der Ganztagesschule verändern – neue Kooperationsmodelle zwischen allgemein bildenden Schulen und Instrumentallehrerinnen und -lehrern werden in vielfältiger Weise bereits erprobt, und es ist wichtig, dass die Ausbildung auf diese Veränderungen reagiert. So werden künftig die Methodik des Gruppen- und Klassenunterrichts zum unverzichtbaren Bestandteil der pädagogischen Ausbildung gehören müssen, auch in Verbindung mit Formen des Aufbaus und der Leitung von Ensembles. Die künftige Vernetzung von allgemein bildenden Schulen und Musikschulen, von öffentlichem Musikleben und Musikschulen stellt für alle Seiten eine Chance dar. Die Musikhochschulen sind hier gefragt, die Ausbildungskonzepte zu entwickeln, die ihre Absolventen dazu befähigen, zu kreativen Multiplikatoren an diesen Schnittstellen zu werden. Zentrum einer instrumentalpädagogischen Ausbildung ist die Förderung einer künstlerischen Identität. Ohne eine gelebte künstlerische Identität kann pädagogische Vermittlung nur zu begrenzten Erfolgen führen. 3
Vgl. hierzu auch den Beitrag Neue Medien in Musikschulen von Andreas Fervers in diesem Band.
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Die Ausbildung zum Musiklehrer bzw. zur Musiklehrerin muss im ureigensten Interesse der Musikhochschulen sein. Nur gut ausgebildete, hoch motivierte Musiklehrer/-innen werden Kinder so an die Musik heranführen, dass sie zum Nachwuchs der Musikhochschulen als potenzielle Studierende heranwachsen können. Ohne eine gute Musiklehrerausbildung kappen die Musikhochschulen den Ast, auf dem sie sitzen. Oder sie werden zu Dienstleistern für Instrumentalisten, die ihre Ausbildung im Ausland genossen. An Musikschulen angestellte und freiberuflich tätige Musiklehrer/innen sind das regenerative Potenzial einer Musikhochschule – sie allein ziehen den Nachwuchs heran, der zur Aufnahmeprüfung an eine Musikhochschule kommt, bei der die instrumentale Kompetenz und die musikalische Lebensfantasie zentrale Fähigkeiten sind, die über das Gelingen einer musikalischen Berufslaufbahn entscheiden. Die Ausbildung von Musiklehrern und -lehrerinnen muss ein vitales Eigeninteresse einer Hochschule sein, sind sie doch vielfältige Multiplikatoren – in der Ausbildung des Hochschulnachwuchses für kommende Generationen, und in der Initiierung ›musiksüchtiger‹ Konzertbesucher. Umgekehrt müssen die Musikschulen offen sein für Veränderungen des Musik- und Bildungslebens, die auch auf Impulsen aus den Hochschulen beruhen. Gemeinsame Arbeitsgruppen aus Vertretern von Musikschulen und Musikhochschulen, unter Einbeziehung von Vertretern aus der Kommunalpolitik, sollten zu einem wichtigen Kommunikationsinstrument werden, um zu einer besseren Vernetzung zweier Institutionen zu kommen, die in besonderer Weise Partner sind – für die Ausbildung von Musikern im Besonderen, und für das gesamte Kulturleben Musik im Allgemeinen. Erziehungs-Arbeit (sic!) mit Kindern macht Spaß. Es ist ein Privileg, dies mit einem künstlerischen, kreativen Gegenstand zu tun. Die Musiklehrer/innen bilden das Fundament einer musiklebendigen Gesellschaft und sorgen in langjähriger Arbeit für den beruflichen Nachwuchs. Die Aufgabe der Hochschulen liegt in der Professionalisierung der Liebe zur Musik. Das heißt, die Hochschule müssen ihre Absolventen dahin gehend qualifizieren, dass sie ihr Leben als Instrumental- oder Gesangslehrer/-in künstlerisch-professionell, kreativ, konzeptuell-innovativ und pädagogisch-sensibel gestalten können.
Ziels te uerung de r Musiksc hule n mit betriebsw irtschaftlichen Instrumentarien PETRA SCHNEIDEWIND
Dem Beitrag wird die vielversprechende These vorangestellt: »Der optimale Einsatz von betriebswirtschaftlichen Instrumentarien führt zur bestmöglichen Informationsversorgung sämtlicher Entscheidungsträger und Mitglieder von Musikschulen und sichert so in finanziell schwierigen Zeiten die inhaltliche und operative Beweglichkeit in den zentralen Aufgabenfeldern dieser musikalischen Bildungseinrichtungen«. Dieser Beitrag stützt die These und zeigt den Weg zu einem effektiven Informationssystem. Es geht dabei im Kern nicht um Kostenreduktion oder das Erkennen von Einsparpotentialen, was vielfach unter dem Label »Betriebswirtschaft« vermutet wird, sondern vielmehr um entscheidungsorientierte bzw. -unterstützende Informationen. Der Faktor Information hat in der Betriebswirtschaftslehre deutlich an Bedeutung gewonnen und wird heute vielfach als vierter Produktionsfaktor neben den Klassikern Arbeit, Kapital und Boden genannt. Wettbewerbsvorteile sind heute gleichzusetzen mit einem Informationsvorsprung. Bei solchen Aussichten sollte eigentlich jede Musikschule ein großes Interesse daran haben, mit entsprechenden Instrumentarien zu arbeiten, gerade im Kontext der mehrdimensionalen Krise, die im Beitrag von Knubben identifiziert wurde. Dass man bei diesem Thema trotz offensichtlicher Attraktivität für das Musikschul-Management eher auf Ablehnung als auf Euphorie trifft, liegt an den Erfahrungen, die die Musikschulbetriebe in den letzten Jahren mit der Einführung oder dem Ausbau von betriebswirtschaftlichen Instrumentarien gemacht haben, nicht an der
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Funktionalität der Instrumentarien selbst. Vielerorts wurden bereits Anstrengungen unternommen, betriebswirtschaftliche Steuerungsinstrumente einzuführen. Die Initiative dazu kam in den meisten Fällen von außen, von den Trägern der Musikschuleinrichtungen, und damit waren Akzeptanzprobleme vorprogrammiert. Auf Grund der finanziellen Zwänge, die die Arbeit der Kommunen seit Jahren dominieren, war die Motivation zur Einführung von betriebswirtschaftlichen Steuerungsinstrumenten immer verbunden mit der Hoffnung, damit Einsparungen zu erzielen. Diese Wirkung ist gar nicht oder nur in minimaler Ausprägung eingetroffen. Es konnten weder die optimistischen Erwartungen der Träger erfüllt werden, etwa eine kostengünstigere Einrichtung, noch die Hoffnungen der Musikschulen, dass sich ihre wirtschaftliche Lage stabilisieren ließe, um die Einrichtungen langfristig zu sichern. Spürbar wurden pessimistische Einschätzungen, wie Mehrarbeit oder das Gefühl der Fremdkontrolle. Dass es zu diesem Ergebnis kam bzw. kommen musste, liegt nicht an den Instrumenten selbst, sondern an der falschen Einführung und einer falschen bzw. überzogenen Erwartungshaltung, mit der die Implementierung begleitet wurde. Die betriebswirtschaftlichen Instrumentarien benötigen folglich eine zweite Chance, um ihre Wirkung im Sinne der oben vorgestellten These unter Beweis zu stellen. Ob dies gelingt, ist in hohem Maße von ihrer Einführung abhängig. Voraussetzung für eine positive Wirkung ist das richtige Verständnis der Instrumente, die damit verbundene realistische Erwartungshaltung und die richtige Einführungstaktik. Es ist vor allem darauf zu achten, dass der Aufbau von unten nach oben vorgenommen wird, damit das Ganze stabil wird – vergleichbar mit dem Bau eines Hauses, wo man die einzelnen Stockwerke aufeinander baut und nicht den Keller und darauf sofort das Dach. Darüber hinaus ist es wichtig, über die Aktivitäten zu kommunizieren und Ziele damit zu verbinden.
D e r B e t r i e b M us i k s c h u l e Ein möglicher Weg zum wirkungsvollen Einsatz betriebswirtschaftlicher Instrumentarien soll im Folgenden aufgezeigt werden. Zum Einstieg einige betriebswirtschaftliche Vorüberlegungen: Betriebswirtschaftliche Instrumentarien sind in einer Musikschule nichts völlig Neues. Die Musikschule ist ein Betrieb im betriebswirtschaftlichen Sinne, nämlich eine planvoll organisierte Einheit, in der Sachgüter oder Dienstleistungen erstellt und abgesetzt werden. Eine Musikschule, vor allem die Mitgliedsschulen des Verbands deutscher Musikschulen (VdM), die sich an einheitlichen Richtlinien und Rahmenlehrplänen sowie an dem Strukturplan
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des VdM orientieren, die Stundenpläne und Statistiken führen und Qualitätsmanagement betreiben, können sicherlich als planvoll organisierte Einheiten identifiziert werden. Die Kernleistung, die Musikschulen anbieten, ist Musikunterricht in unterschiedlicher Ausprägung. Man findet in einer Musikschule den für einen Betrieb klassischen Aufbau in Kernfunktionen (Beschaffung, Produktion, Absatz) und Servicefunktionen (Führung, Finanzierung, Rechnungswesen, Marketing u.a.), mit der Besonderheit, dass bei einer Musikschule die Phasen Produktion und Absatz zusammenfallen. Musikunterricht ist ein Produkt, das nicht konservierbar ist. Der »Kunde« kommt zum Produkt und konsumiert es unmittelbar. Schüler/-innen bringen nichts Gegenständliches mit nach Hause, sondern schrittweise Fortschritte bei ihrer musikalischen Ausbildung, ihren technischen und interpretatorischen Fähigkeiten. Die Kernfunktionen konzentrieren sich auf die Erstellung der Leistungen, also auf das Angebot des Betriebes, die Servicefunktionen agieren flankierend, dazu zählen das Rechnungswesen, das Finanzwesen, das Controlling, das Marketing, das Personalmanagement u.a. Die Aufgabe all dieser Servicefunktionen ist es, Transparenz herzustellen, indem Informationen bereitgestellt werden. An diese Informationen werden gewisse Anforderungen gestellt. Sie müssen aktuell, vollständig und konsistent sein. Abbildung 1: Betriebswirtschaftliches Funktionensystem
Betriebswirtschaftliches Funktionensystem
Kernfunktionen
Beschaffung
-
Produktion
Servicefunktionen
-
Absatz Rechnungswesen / Controlling / Finanzen
Management / Personalwesen
Marketing
Ein weiteres Kennzeichen für Betriebe ist die Tatsache, dass sie nicht isoliert, sondern in sehr komplexe Beziehungsgefüge mit entsprechenden
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Abhängigkeiten eingebunden sind. So sind Betriebe in jedem Fall mit ihren Absatz- und Beschaffungsmärkten verbunden und sie agieren innerhalb gesetzlicher Rahmenbedingungen. Zu den relevanten Märkten bei Musikschulen zählen der Arbeitsmarkt für Lehrkräfte/Pädagogen, Verwaltungspersonal, die Märkte für die Beschaffung von Instrumenten, Noten, Zubehör, Büromaterial, Ausstattung, die Märkte für finanzielle Mittel wie öffentliche Zuschüsse, Spenden, Fördergelder, Sponsorenmittel, und auf der anderen Seite der Absatzmarkt für die Musikschulleistung. Gerade auf dieser Seite gibt es viele Entwicklungen und Veränderungen, die beobachtet werden müssen, weil sie unmittelbaren Einfluss auf die Gestaltung des Musikschulangebots haben. Dazu zählen die demographischen Entwicklungen in der Stadt oder Region, die sich gerade radikal verändernden Gegebenheiten im öffentlichen Schulwesen, oder Moden und Trends. Musik ist die beliebteste Freizeitbeschäftigung der Jugendlichen – dies schlägt sich jedoch nicht in den Unterrichtszahlen der Musikschulen nieder. Auch Einkommensentwicklungen, also allgemeine wirtschaftliche Entwicklungen, sind relevant. Schon bei dieser unvollständigen Aufzählung zeigt sich, dass zur Steuerung eines Musikschulbetriebs viele verschiedene Informationen, sowohl quantitative als auch qualitative, aus ganz unterschiedlichen Informationsquellen benötigt werden. Das nachfolgende Kausaldiagramm visualisiert die Zusammenhänge. Ein Betrieb kann auch als »Rädchenwerk« gesehen werden, die einzelnen Teile sind verzahnt, so dass beim zielorientierten Handeln entsprechende Übersetzungswirkungen eintreten. Das Management muss sämtliche Rädchen des Betriebes kennen, deren Verhalten einschätzen können, die Kausalzusammenhänge und die jeweiligen Einflussfaktoren überblicken. Wenn diese Informationen zur Verfügung stehen, lassen sich sämtliche Wenn-dann-Fragen beantworten, man gewinnt Sicherheit für den laufenden Betrieb und kann Risiken der Zukunft besser abschätzen sowie Entscheidungen für zukünftige Maßnahmen durch fundierte Aussagen über die zu erwartenden Wirkungen unterstützen.
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Abbildung 2: Kausalzusammenhänge in einer Musikschule
Gebührenstruktur Private Anbieter Vereinsausbildung Andere Freizeitangebote
Politik Kulturpolitische Ziele Bildungspolitische Ziele Finanzpolitische Ziele Rechtliche Rahmenbedingungen Tarifpolitik
Leitbild
Ziele Ressourcen
Konkurrenz
MUSIKSCHULE
Servicefunktionen
Personal Finanzen Räume
Freizeit
Beschaffung
Musikpädagogen
Produktion
Kernprozesse
Hochschulausbildung Weiterbildung Arbeitsmarkt
Absatz
Musikschüler Eltern Moden, Trends Demograph. Entw.
Allg. Schulwesen
Die Controlling-Funktion Die betriebswirtschaftliche Funktion, die den geforderten »Informationsservice« leistet, ist das Controlling. Es übernimmt die zielorientierte Steuerung, indem es Informationspools erschließt, Informationswege kanalisiert und die gewonnenen Informationen bedarfsgerecht/empfängerorientiert zur Verfügung stellt. Die Informationsflüsse sind in erster Linie intern ausgerichtet, können jedoch gezielt auch für externe Informationsempfänger genutzt werden. Der Informationspool, der durch das Controlling erstellt wird, muss in der Lage sein, den Betrieb ganzheitlich abzubilden und jeden Informationsbedarf zu befriedigen. Das klingt zunächst nach einem riesigen Arbeitsvolumen. Die Arbeit beginnt jedoch nicht »bei Null«. Vielmehr kann man auf eine ganze Menge Informationen zurückgreifen, die bereits vorhanden sind (Schülerdaten, Unterrichtsdaten, Einnahmen, Personaldaten). Allerdings ist die Informationsqualität nicht immer optimal. Trotz Schwächen, die mehr oder weniger ausgeprägt sind, stellen die in jeder Musikschule bereits vorhandenen Datenquellen eine hervorragende Ausgangsposition dar. Diese Informationen müssen zusammengestellt, verbessert und um noch fehlende Informationen ergänzt werden, so dass man auf einen Informationspool zurückgreifen kann, der sämtliche relevanten Daten beinhaltet. Wenn die Informationsbasis derart gesichert ist, müsste jede Fragestellung mit diesem Material zeitnah beantwortet werden können. Vereinfacht sieht das so aus:
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Abbildung 3: Informationsfluss
Jede einzelne Musikschule muss für sich konkret die folgenden Fragen beantworten: • Welche betriebswirtschaftlichen Instrumente werden bisher eingesetzt? • Welche Informationen sind vorhanden? • Welcher Informationsbedarf besteht? • Sind die Voraussetzungen für den Einsatz betriebswirtschaftlicher Instrumentarien gegeben? • Wie kann ein Musikschul-Informationssystem aufgebaut werden? Um eine erfolgreiche Implementierung zu sichern, sind die folgenden Empfehlungen zu beachten: Der Aufbau eines Controlling-Systems muss schrittweise erfolgen und benötigt Zeit. Für eine Musikschule ist von einem Zeithorizont von ca. einem Jahr auszugehen – dies variiert selbstverständlich mit der Größe der Schule und den Kapazitäten, die für die Entwicklung zur Verfügung stehen. Ganz wesentlich für einen erfolgreichen Aufbau ist, dass ein Controlling-System individuell entwickelt wird. Sicherlich kann man sich die eine oder andere Anregung bei anderen Schulen und Betrieben holen, die individuellen Gegebenheiten müssen aber immer zuerst berücksichtigt werden. Der interne Informationsbedarf gibt die Richtung vor. Bei der Definition der gewünschten Informationen sollte man ganz egoistisch vorgehen! Ist »das richtige Klima« vorhanden, sind die folgenden Punkte abzuarbeiten: 1. Diagnose der Ausgangslage; 2. Zielsetzung des Controlling-Systems; 3. Ausbau des Rechnungswesens;
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Aufbau einer Jahresplanung; Ausbau zu einer Mehrjahresplanung; Aufbau der strategischen Planung; Aufbau eines umfassenden Informations-Versorgungssystems und Schaffung einer Controlling-Organisation.
1. Diagnose der Ausgangslage: Dem ersten Schritt kommt eine besonders große Bedeutung zu. Bei der Analyse des Istzustandes werden in den meisten Organisationen Ansätze einer Controlling-Konzeption in Erscheinung treten. Sie stellen den Ausgangspunkt für die Weiterentwicklung dar (z.B. die Daten des externen Rechnungswesens, die Daten der VdM-Statistik, ggfs. Kennzahlendaten aus EDu®). 2. Zielsetzung des Controlling-Systems: Die Einführung eines Controlling-Systems bzw. die Erarbeitung einer auf die individuellen Bedürfnisse zugeschnittenen Konzeption muss mit Zielen verbunden sein. Warum benötigt man ein Controlling-System, was möchte man damit erreichen? Diese Fragen müssen vor allem für die betroffenen Mitglieder der Organisation beantwortet werden können. Die Voraussetzungen sind schlecht, wenn die Antworten lauten, »Der Träger verlangt die Einführung«; »Das ist heute so üblich« oder »Wir wollen Einsparungen erzielen«. Keines dieser Motive fördert eine erfolgreiche Einführung von Controlling. Das Ziel sollte sein, mit Hilfe von Controlling-Instrumentarien Transparenz im Musikschulbetrieb herzustellen und damit die Zielerreichung zu fördern und zu unterstützen. Die Transparenz ist vor allem in den immer wieder zu führenden Legitimationsdebatten hilfreich. Gelingt es, die Zusammenhänge wirklich deutlich zu machen, lässt sich auch gegenüber den politischen Gremien und der Öffentlichkeit mehr Verständnis für die Komplexität einer Musikschule und deren Abläufe erreichen, was die Diskussion um die Zukunftsfähigkeit des Betriebes und seine politische Legitimität versachlicht. 3. Ausbau des Rechnungswesens: Die zentrale und wichtigste Informationsquelle des Controllings ist das Rechnungswesen. In jedem Betrieb ist auf Grund der gesetzlichen Pflicht ein externes Rechnungswesen (kaufmännisches Rechnungswesen oder kameralistisches Rechnungswesen) vorhanden. Dieses hat aber im Hinblick auf die geforderte Führungsunterstützung zahlreiche Schwächen. Um Transparenz zu erreichen, ist es notwendig, dem externe Rechnungswesen eine Kosten-undLeistungs-Rechnung hinzuzufügen, die insbesondere auf die Fragen: was für Kosten und Leistungen entstehen? Wo im Betrieb und wofür? Antworten findet. Ergänzt wird die Kosten-und-Leistungs-Rechnung um eine Planungs-Rechnung, ggfs. auch eine Investitions-Rechnung. Da das Rechnungswesen unterschiedliche Kosten-und-Leistungs-Rechnungssys-
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teme kennt, muss bei diesem Konzeptionsschritt eine Auswahl getroffen werden, welches die Zielsetzung am besten unterstützt. In dieser Phase muss immer bewusst sein, dass die Entscheidungsunterstützung des Rechnungswesens für zukünftige Aufgaben im Vordergrund steht und nicht die Dokumentation der Vergangenheit. 4. Aufbau einer Jahresplanung: Sind die ersten drei Schritte bewältigt, orientiert man sich in die für das Controlling entscheidende Richtung: Die Zukunft. Hier geht es zuerst um die Erstellung von Plangrößen (Kosten, Leistungen, Budgets) für den Zeitraum von einem Jahr. Dabei werden die Zielgrößen auf alle Unternehmensbereiche heruntergebrochen und später wieder zusammengeführt. An dieser Stelle müssen auch Informationsabläufe und Verantwortungen festgelegt werden. 5. Ausbau zu einer Mehrjahresplanung: Aufbauend auf der entwickelten Jahresplanung wird der Fokus weiter in die Zukunft gerichtet und daraus eine Mehrjahresplanung entworfen. Auch dafür müssen Teilpläne erstellt und wieder zu einer Gesamtplanung koordiniert werden. 6. Aufbau der strategischen Planung: Ein weiterer Schritt ist der Aufbau einer strategischen Planung. Für das Controlling stellt sich dabei insbesondere die Aufgabe, das strategische Management mit Informationen zu versorgen. Diese Informationen sind qualitativer Natur und haben zumeist den Charakter von Frühwarninformationen. 7. Aufbau eines umfassenden Informations-Versorgungssystems und Schaffung einer Controlling-Organisation: Die letzte Stufe schließlich klärt die Frage, wie das Controlling in die Aufbauorganisation eingegliedert wird und wie dann die Informationswege verlaufen. Auch für die Gestaltung der Aufbauorganisation gibt es keine Pauschallösung; sie richtet sich insbesondere nach der Größe der betroffenen Organisation. Für Musikschulen sind gegenwärtig die Stufen 1-4 abzuarbeiten. Vor allem das Rechnungswesen muss ausgebaut werden und eine Einjahresplanung muss als Minimalstandard eingeführt werden. Auf diese Teilschritte konzentriert sich dieser Beitrag im Folgenden. Fragen wir zuerst nach der Zielsetzung/Motivation zur Einführung eines Controlling-Systems. Musikschulen müssen ebenfalls das Ziel verfolgen, Transparenz herzustellen, also Antworten zu finden auf folgende »klassische« Controlling-Fragen, die häufig auch von Seiten der Politik gestellt werden: • Welches Ergebnis erwirtschaftet die einzelne Leistung? • Welche Kosten verursacht die einzelne Leistung? • Wie setzt sich das Gesamtergebnis zusammen? • Was treibt die Kosten in die Höhe?
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• • •
Wie entwickeln sich die Schülerzahlen/Schülerpotenziale? Welche Trends sind im Umfeld zu erkennen? Was wollen Schüler/-innen in zehn Jahren lernen?
• •
Welche neuen Produkte können entwickelt werden? Gibt es neue Zielgruppen?
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Läuft alles nach Plan oder läuft etwas aus dem Ruder? Wie wirken sich bestimmte Maßnahmen auf das Ergebnis aus?
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Welchen Personalentwicklungs-Bedarf gibt es?
Um all diese Frage beantworten zu können, muss ein weiter Transparenzbegriff angewendet werden, also nicht nur bezogen auf Kosten- und Leistungen, sondern eher im Sinne des modernen Wissensmanagements. Welche Datenquellen werden dafür benötigt und sind diese in den Musikschulen bereits vorhanden, können sie ggfs. zugänglich gemacht werden oder müssen sie ganz neu generiert werden? Die folgende Abbildung zeigt zentrale Datenquellen einer Musikschule. Abbildung 4: Mögliche Datenquellen einer Musikschule
Preise, Konzerte/ Veranstaltungen Musikstudierende,…
+ Stunden- Projektangebote plan
Medien/Presse
Personaldaten
Schnittstelle Personalamt
Kundendaten
ErgebnisRechnung (Kosten/Leistungen)
KostenStellen-/ Trägerverz.
Haushaltsrechnung Einnahmen/ Ausgaben
Schnittstelle Kämmerei
Gebührenordnung
Schnittstelle Politik
Die Grafik macht deutlich, dass im Grunde alle wesentlichen Datenquellen vorhanden sind. Im Istzustand stehen sie nebeneinander. Zu bemän-
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geln ist eine fehlende Gesamtsystem-Betrachtung, so dass aktuell keine Steuerung im Hinblick auf die Gesamtziel-Erreichung der Musikschule möglich ist. Die Datenqualität kann sehr unterschiedlich sein. Diejenigen Daten, die von Seiten der Träger gepflegt werden (z.B. Personaldaten), orientieren sich auch vorrangig an deren Interessen und müssen in der Regel für Musikschulbelange aufbereitet werden. Musikschulintern gepflegte Daten sind dagegen sehr aussagekräftig (z.B. Kundendaten1). Die Daten des Rechnungswesens konzentrieren sich meist auf ihre Hauptfunktionen – Dokumentation und Kontrolle – was für interne Steuerungsfragen keine ausreichende Informationsqualität besitzt. Die generelle Schwäche des Istzustandes besteht in der mangelnden Koordination verschiedener Datenquellen, z.B. sollten die Daten aus der Quelldatei der Personalkosten mit der der Schülerdaten verknüpft werden. Darauf aufbauend wäre eine weitere Verknüpfung mit Kosten- und Leistungsdaten wünschenswert, und um dies zu erreichen, muss Schritt 3 der Controlling-Einführung umgesetzt werden, nämlich der Ausbau des Rechnungswesens – das heißt konkret: die Erweiterung des bestehenden externen Rechnungswesens (Haushaltsrechnung oder Finanzbuchhaltung) um eine Kosten-und-Leistungs-Rechnung. Dafür wiederum müssen notwendigen Strukturen geschaffen werden. Konkret sind Kostenstellen und Kostenträger und damit auch der Grad der Detaillierung zu definieren. Dazu ein kurzer Exkurs in die Theorie der Kosten-und-Leistungs-Rechnung.
Die Kosten-und-Leistungs-Rechnung Die Kosten-und-Leistungs-Rechnung ist Teil des internen Steuerungssystems eines Betriebes. Sie kann individuell gestaltet werden, da keine gesetzlichen Regelungen greifen. Es lassen sich mehrere Funktionen und Aufgaben unterscheiden: 1. Bereitstellen von Daten zur Entscheidungsunterstützung: Für die ständig anfallenden betrieblichen Entscheidungen sind die Fragen, wie sich bestimmte Maßnahmen kostenmäßig auswirken und welche Einflüsse auf das Betriebsergebnis zu erwarten sind, von großer Relevanz. Entscheidungsträger streben in der Regel an, dass sie zu jedem Zeitpunkt 1
Für die Musikschulverwaltung werden mehrere Datenverarbeitungs-Programme angeboten. Damit lassen sich musikschulspezifische Auswertungen generieren, wie bspw. ein Schülerlebenslauf, Auswertung nach Alter, Wohnort, die VdM-Statistik u.a. (vgl. www.brandtsoftware.de; www. mduetschler.ch; www.virtuoso.de; www.msvplus.de).
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Transparenz über die im Betrieb erbrachten Leistungen und die dadurch verursachten Kosten haben. 2. Bereitstellung von Preisinformationen: Diese Aufgabe kann zum einen sein, den Angebotspreis zu kalkulieren, zum anderen die Preisuntergrenze festzustellen. Diese Funktion der Kosten-und-LeistungsRechnung hat sich sehr stark verändert, sie war ursprünglich die wichtigste Funktion der Kosten- und Leistungsrechnung. Bei den gegenwärtigen Marktbedingungen hat sie jedoch sehr stark an Bedeutung verloren, da Preispolitik heute vom Kunden ausgeht: Was ist der Kunde bereit zu bezahlen? Bei öffentlichen Angeboten wie einer Musikschule werden die Preise politisch festgesetzt, so dass die Preiskalkulation hier eine untergeordnete Rolle spielt. Aber gerade da, wo man glaubt, auf die Funktion verzichten zu können, gewinnt sie an Bedeutung. Zusatzangebote, Projekte etc. werden von den politischen Entscheidungsträgern häufig nur unter der Voraussetzung genehmigt, dass sie kostendeckend angeboten werden. 3. Kontrolle der Wirtschaftlichkeit: Um eine wirksame Wirtschaftlichkeitskontrolle durchzuführen, werden neben den Istdaten des Betriebes auch Soll- und Plandaten benötigt. Mit den Istdaten alleine sind lediglich Zeitvergleiche oder Betriebsvergleiche möglich. Besser ist es, eine Kosten- und Erlösplanung durchzuführen und entsprechende Sollkosten zu definieren. Damit lässt sich ein Soll-Ist-Vergleich durchführen, der eine Kostenkontrolle ermöglicht. Die entstehenden Abweichungen müssen als Informationsgewinn gesehen werden. Aus der Abweichungsanalyse entstehen wertvolle Informationen für die Zukunft. 4. Ermittlung des Betriebsergebnisses: Durch die Ermittlung des Betriebsergebnisses füllt die Kosten-und-Leistungs-Rechnung eine wesentliche Informationslücke des externen Rechnungswesens. Beim Kameralen Rechnungswesen wird gar kein Ergebnis ausgewiesen, da hier nur die Ein- und Auszahlungsströme im Fokus sind. Die einmalige Ergebnisermittlung im Rahmen des Jahresabschlusses der Finanzbuchhaltung ist ebenfalls völlig unzureichend. Für die Betriebssteuerung ist es überlebenswichtig, Fehlentwicklungen, Störereignisse, Abweichungen und Risiken frühzeitig zu erkennen. Die kurzfristige Erfolgsrechnung zeigt daher monatlich das Betriebsergebnis in Summe und zusätzlich in seiner Zusammensetzung, also beispielsweise Bereichsergebnisse (Streicher, Blechbläser, Projekte etc.) oder Produktergebnisse (»Gitarre Einzelunterricht«). Zusammenfassend lassen sich die Aufgaben der Kosten-und-LeistungsRechnung wie folgt beschreiben: Die Kosten-und-Leistungs-Rechnung hat die Aufgabe, die in der Abrechnungsperiode anfallenden Kosten voll-
214 | PETRA SCHNEIDEWIND
ständig und richtig zu erfassen und sie mit den Leistungen der Periode zu verrechnen, um so das Betriebsergebnis zu ermitteln. Es soll also Transparenz bzgl. der Kosten und Leistungen des Betriebes hergestellt werden, um damit sämtliche Entscheidungsprozesse zu unterstützen. Die Kosten-und-Leistungs-Rechnung ist dreistufig aufgebaut, gegliedert in Kostenarten-, Kostenstellen- und Kostenträgerrechnung. Die Kostenartenrechnung bildet die erste Stufe. Bei ihr steht die Frage: »Was für Kosten und Leistungen fallen an?« im Mittelpunkt. Sie erfasst alle Kosten und Leistungen, die bei der Erstellung und Verwertung betrieblicher Leistungen anfallen. Die Erfassung der Kosten ist vollständig, periodengerecht und geordnet vorzunehmen. Die Kostenartenrechnung ist die Schnittstelle von externem und internem Rechnungswesen.2 Die Kostenarten können individuell definiert und differenziert werden, und so ist es machbar, dass auch spezifische Kostenarten eines Kulturbetriebes wie bspw. eine Kostenart für GEMA-Abrechnung, Künstlersozialkasse, Notenmaterial, Instrumente gebildet werden. (Der Kostenartenplan orientiert sich in der Regel am Kontenplan der Finanzbuchhaltung oder auch den Haushaltsstellen.) Die Kostenartenrechnung ist als Vorstufe der Kostenstellenrechnung zu sehen. Sie kann jedoch auch eigenständige Aussagen für Kontroll- und Vergleichszwecke machen, indem einzelne Kostenarten oder Kostenblöcke analysiert werden. Man gewinnt mit ihr einen Überblick über das Kostenniveau und die Kostenstruktur eines Betriebes. Wird das Rechnungswesen durch die Musikschule selbst gepflegt, können die Daten für die externen Auswertungen (Haushalt, Finanzbuchhaltung) in einem Erfassungsvorgang mit denen der Kostenund-Leistungs-Rechnung vorgenommen werden. Sind die Strukturen erst einmal geschaffen, gewinnt man durch einen minimalen Mehraufwand bei der Erfassung eine deutlich bessere Informationsqualität. Die beiden weiteren Stufen der Kosten-und-Leistungs-Rechnung sind die Kostenstellenrechnung, die die Frage beantwortet, wo im Betrieb Kosten und Leistungen entstehen, und die Kostenträgerrechnung, welche sich auf die Frage, wofür Kosten und Leistungen entstehen, konzentriert. Beide Rechnungsstufen haben die Aufgabe, Kosten und Leistungen nach dem Prinzip der »Verursachungsgerechtigkeit« zu verteilen, während es bei der Kostenartenrechnung zunächst um die Zusammenstellung sämtlicher Kosten und Leistungen des Betriebes geht, also der Erfassung der Gesamtkosten und Gesamtleistungen, die zu verteilen sind.
2
Zur detaillierten Trennung von Aufwand aus der Finanzbuchhaltung und Kosten der Kosten-und-Leistungs-Rechnung siehe Schneidewind (2006): 102ff.
ZIELSTEUERUNG DER MUSIKSCHULEN | 215
Abbildung 5: Aufbau der Kosten-und-Leistungs-Rechnung
Um die Verteilung von Kosten und Leistungen vornehmen zu können, muss nun der Betrieb mit einer entsprechenden Struktur ausgestattet werden, d.h. man muss ihn nach Kosten-Leistungsrechnungs-Kriterien gliedern. Zur Abgrenzung der Kostenstellen orientiert man sich in der Regel an der Aufbauorganisation des Betriebes oder an einem Geschäftsverteilungsplan.3 Für eine Musikschule könnten entsprechende Kostenstellen sein: die Musikschulleitung, das Sekretariat, die Fachbereiche, die Gebäude etc. Auf Kostenstellen werden so genannte Gemeinkosten verteilt, also bspw. die Personalkosten des Musikschulleiters. Es lässt sich nur sehr schwer ermitteln, wie viel der Musikschulleiter für ein einzelnes Unterrichtsangebot arbeitet, seine Leistung kann einem einzelnen Unterrichtsangebot nicht zugerechnet werden. Man würde folglich die Kosten des Musikschulleiters der Kostenstelle Musikschule zuordnen. Ein weiteres Beispiel wären die Kosten des Reinigungsdienstes. Diese werden der Kostenstelle Gebäude zugerechnet etc. Die Kostenträger-Stückrechnung fragt nach dem Wofür. Sie wird auch bezeichnet als »Kalkulation« oder »Selbstkostenrechnung« und ermittelt die Selbst- bzw. Herstellkosten einer betrieblichen Leistungseinheit. In einem Musikschulbetrieb können das die unterschiedlichen Angebote sein, also bspw. der Einzelunterricht Klavier, der Gruppenunterricht Keyboard, die BigBand, das Projekt Trommelworkshop u.a. Den Kostenträgern werden Einzelkosten weitergeleitet, das sind Kostenarten, die von einem Kostenträger verursacht wurden, also bspw. die anteiligen Personalkosten des Klavierpädagogen für das Angebot Klavier Einzelunterricht oder die Rechnung des Klavierstimmers für das entsprechende Unterrichtsinstrument. 3
Für die Bildung von Kostenstellen sollten bestimmte Grundsätze beachtet werden, siehe dazu Schneidewind (2006): 112.
216 | PETRA SCHNEIDEWIND
Die Kosten-und-Leistungs-Rechnung geht also folgendermaßen vor: Sie ermittelt zunächst in der Kostenartenrechnung die Gesamtkosten des Betriebes (Kostenerfassung). In einem zweiten Schritt werden die Kosten hinsichtlich ihres Charakters in Einzel- bzw. Gemeinkosten getrennt und entweder direkt dem Kostenträger oder einer Kostenstelle weiterverrechnet (Kostenverteilung). Die Frage der Zurechenbarkeit orientiert sich immer an dem für die Kosten-und-Leistungs-Rechnung dominanten Prinzip der »Verursachungsgerechtigkeit«. Jedem Produkt sollen nur diejenigen Kosten zugerechnet werden, die dieses verursacht hat. Das Verursachungsprinzip gilt analog auch für Kostenstellen – diese sollten nicht als Sammelobjekte verstanden werden für Kosten, die man sonst nirgends zuordnen kann. Auf den Kostenstellen werden Kosten gesammelt, die für die Infrastruktur eines Betriebes notwendig sind und damit die Realisation der Kernleistung erst möglich machen. Ein Kostenträger ist gegenüber der Kostenstelle eine differenziertere Einheit und für die Zielsetzung der Transparenzgewinnung wäre es erstrebenswert, möglichst viele Kosten im Sinne von Einzelkosten auf Kostenträger zu verrechnen. Eine Musikschule könnte bei der Differenzierung von Kostenstellen und Kostenträgern beispielsweise nach folgendem Muster verfahren: Tabelle 1: Kostenstellen-/Kostenträgerverzeichnis einer Musikschule (Grundstruktur, Muster) Allgemeines
0-100 Musikschulleitung 0-101 Musikschulsekretariat 0-102 Musikschul-Hausdienst 0-103 Musikschulgebäude A 0-104 Musikschulgebäude B
FB 1 Streicher 1-100 Fachbereich 1-101 Geige
Einzelunterricht (EU)
1-102 Geige
Gruppenunterricht (GU2)
1-103 Geige
Gruppenunterricht (GU3)
1-104 Bratsche
Einzelunterricht (EU)
1-105 Bratsche
Gruppenunterricht (GU2)
1-106 Bratsche
Gruppenunterricht (GU3)
1-107 Cello
Einzelunterricht (EU)
1-108 Cello
Gruppenunterricht (GU2)
ZIELSTEUERUNG DER MUSIKSCHULEN | 217
FB 2 Zupfer
FB 3 Holzbläser
1-109 Cello
Gruppenunterricht (GU3)
1-110 Kontrabass
Einzelunterricht (EU)
1-111 Kontrabass
Gruppenunterricht (GU2)
1-112 Kontrabass
Gruppenunterricht (GU3)
2-200 Fachbereich 2-201 Gitarre
Einzelunterricht (EU)
2-202 Gitarre
Gruppenunterricht (GU2)
2-203 Gitarre
Gruppenunterricht (GU3)
2-204 E-Gitarre
Einzelunterricht (EU)
2-205 E-Gitarre
Gruppenunterricht (GU2)
2-206 E-Gitarre
Gruppenunterricht (GU3)
2-207 E-Bass
Einzelunterricht (EU)
2-208 E-Bass
Gruppenunterricht (GU2)
2-209 E-Bass
Gruppenunterricht (GU3)
2-210 Mandoline
Einzelunterricht (EU)
3-300 Fachbereich 3-301 ……………….
… FB 10 Ensembles Projekte ….
Die Frage, wie stark Kostenstellen und Kostenträger differenziert werden, hängt von zwei Faktoren ab. Zum einen ist es eine Frage der Wirtschaftlichkeit, man muss abwägen zwischen zusätzlichem Erfassungsaufwand und zusätzlichem Informationsgewinn. Es ist aber auch möglich, nach ersten Erfahrungen Feingliederungen einzustellen oder grobe Gliederungen stärker aufzulösen. Zum anderen ist der Informationsbedarf zu beachten: Welche Information soll gewonnen werden, welcher Detaillie-
218 | PETRA SCHNEIDEWIND
rungsgrad ist notwendig? Gerade bei der Einführung eines Kosten- und Leistungsrechnungsverfahrens ist diese Flexibilität ein großer Vorteil, denn auch mit beschränkten Ressourcen ist eine Weiterentwicklung in kleinen Schritten möglich. Die verschiedenen Aufgaben, die der Kosten-und-Leistungs-Rechnung zugeordnet werden, lassen sich nicht mit ein und demselben Werkzeug bearbeiten, vielmehr entwickelten sich im Zuge der Anforderungen verschiedene Spezialwerkzeuge. Es würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen, diese alle vorzustellen und ihre Vor- und Nachteile für den Einsatz im Kulturbetrieb zu diskutieren. Wir wollen daher direkt das Verfahren einführen, das die Zielsetzung Transparenz über Kosten und Leistungen des Musikschulbetriebs unterstützt. In der Grafik (Abb. 5), die den dreiteiligen Aufbau der Kosten-und-Leistungs-Rechnung zeigt, ist auch eine Verbindung zwischen Kostenstellen und Kostenträgerrechnung eingezeichnet. Diese gilt für die klassische Vollkostenrechnung, die zu Zwecken der Preiskalkulation eingesetzt wurde. Will man über den Verkaufspreis sämtliche zur Herstellung notwendigen Kosten eines Produktes wieder erwirtschaften, muss man in den Preis sowohl die Einzelkosten als auch die Gemeinkosten einkalkulieren, und so wurden in dem ersten Verfahren der Kalkulation sämtliche Gemeinkosten mittels Zuschlagsätzen auf die Einzelkosten der Kostenträger umgelegt. Diese Umlagen waren teilweise recht willkürlich und die Ungenauigkeit stieg mit wachsendem Anteil der Gemeinkosten an den Gesamtkosten eines Betriebes. Für die Musikschulziele ist es also empfehlenswert, auf diese Umlage zu verzichten und vielmehr das Ergebnis der Musikschule als Summe mehrerer Einzelergebnisse darzustellen, nämlich aus der Summe sämtlicher Kostenstellenergebnisse und der Summe sämtlicher Kostenträgerergebnisse. Abbildung 6 zeigt die Zusammenhänge entsprechend. Abbildung 6: Verfahren der Teilkostenrechnung für Musikschulen
ZIELSTEUERUNG DER MUSIKSCHULEN | 219
Dieses Verfahren wäre bei den sogenannten Teilkostenrechnungen einzuordnen. Das heißt nun allerdings nicht, dass ein Teil der Kosten und Leistungen bei der Anwendung dieses Verfahrens unter den Tisch fiele; es bedeutet nur, dass nicht alle Kosten und Leistungen auf Kostenträger verrechnet werden. Das heißt auch, dass bei diesem Verfahren das Verursachungsprinzip sehr ernst genommen wird und dadurch eine maximale Transparenz von Kosten und Leistungen und damit der Zusammensetzung des Ergebnisses der Musikschule entstehen kann. Was muss nun dafür in den Musikschulbetrieben gemacht werden? Betrachten wir zunächst die typische Kostenstruktur einer Musikschule. In den Musikschulbetrieben wird im Allgemeinen zwischen Personalkosten und Sachkosten unterschieden. Diese Unterscheidung ist auf die bislang vorherrschende kamerale Haushaltsrechnung zurückzuführen. Diese beiden Kostenartengruppen stehen etwa in einem Verhältnis von 90/10. Eine Musikschule ist wie viele andere Kulturbetriebe ein sehr Personalkosten intensiver Betrieb. Betrachtet man die Personalkosten genauer, haben diese aber in den Musikschulen in sehr hohem Maße den Charakter von Einzelkosten. Die Personalkosten von Klavierlehrer A sind eindeutig dem Unterrichtsangebot Klavier zuzurechnen, ggfs. sogar differenziert in die einzelnen Angebotsformen, also bspw. 18 der insgesamt 30 Deputatsstunden werden als Einzelunterricht erteilt, fünf Stunden sind 2er Gruppenunterricht, zwei weitere Deputatstunden bekommt der Lehrer für die Fachbereichsleitung angerechnet, zwei Stunden entfallen auf die Leitung der BigBand und drei Stunden leistet die Lehrkraft im Projektbereich. Eine solche Differenzierung lässt sich für den größten Teil der Personalkosten durchführen, und auch im Bereich der Sachkosten gibt es noch einige Positionen, welche sich verursachungsgerecht einem Bereich oder einem Produkt zurechnen lassen. Die Kosten für die Stimmung der Klaviere ist dem Fachbereich Klavier zuzurechnen, die Anschaffung neuer Noten für den Primarbereich dem Angebot musikalische Früherziehung. Die Kostenträger-Zeitrechnung, die vielfach auch als kurzfristige Erfolgsrechnung bezeichnet wird, ist eine Periodenrechnung und ermittelt die Gesamtkosten einer Periode gegliedert nach Leistungsarten. Mit Hilfe der kurzfristigen Erfolgsrechnung können Aussagen zum Betriebsergebnis und dessen Zusammensetzung gemacht werden. Sie ist die entscheidende Rechnung für die Herstellung von Transparenz. Dies ist unter anderem dadurch gewährleistet, dass sie auch die Erlösseite berücksichtigt. Anbei nun einige mögliche Auswertungen einer Kosten- und Leistungsrechnung, hier für den Kostenträger 1-101 »Geige Einzelunterricht«:
220 | PETRA SCHNEIDEWIND
Abbildung 7: Auswertung der Kosten-und-Leistungs-Rechnung für »Geige Einzelunterricht« 1-101 Geige Einzelunterricht
Schuljahr 2006/2007
PLAN
IST
Sch Erl Dep Pko Sko Sep
50
DB
2.900
Sch Erl Dep Pko Sko 50
A.
30
2.400
30
B.
20
1.600
20
1.600
50
4.000
50
4.000
2.400
Okt
50
2.900
50
2.900
0 - 1.100
50
2.900
50
2.900
30
2.400
30
B.
20
1.600
20
1.600
50
4.000
50
4.000
30
2.400
Nov
2.900
50
2.900
A.
30
B.
Dez
50
2.900
50
2.900
A. B.
Jan
50
2.900
50
2.900
A.
20
1.600 4.000
B. 50
2.900
2.900
50
2.900
0 - 1.100
50
2.900
50
2.900
2.400
20
1.600
50
4.000
30
50
2.400
50
30
0 - 1.100
0 - 1.100
50
2.900
50
2.900
2.400
20
1.600
50
4.000
0 - 1.100
50
Abw
2.400
A
50
DB
2.900
2.900
20
1.600
50
4.000
30
2.400
20
1.600
50
4.000
30
2.400
20
1.600
50
4.000
0 - 1.100
78
0 - 1.100
0
0 - 1.100
0
0 - 1.100
74
0 - 1.100
78
(Sch=Schüler, Erl=Erlöse, Dep=Deputat, Pko=Personalkosten, Sko=Sachkosten, DB=Deckungsbeitrag, Abw=Abweichung)
Der Ausschnitt zeigt, welche Informationen in einer Kostenträgerauswertung stecken. Hier wurde bei der Konzeption des Formulars von vornherein ein Planungsbereich angelegt. Dies zu berücksichtigen ist sehr empfehlenswert, auch wenn ggfs. noch keine Planungsdaten generiert werden. Im Einzelnen wird nun erfasst, wie viele Schülerinnen und Schüler das Angebot »Geige Einzelunterricht« nachfragen, wie viel Erlöse dadurch erwirtschaftet werden, welche Lehrkräfte mit welchen Deputaten die Leistung erbringen, wie viele anteilige Personalkosten auf das Angebot entfallen und welche Sachkosten direkt zurechenbar sind. Es ergibt sich ein Kostenträgerergebnis (Spalte DB) pro Monat und für das gesamte Schuljahr. Das ausgewiesene Ergebnis ist der sogenannte Deckungs-
ZIELSTEUERUNG DER MUSIKSCHULEN | 221
beitrag (DB). Er macht eine Aussage bezüglich des Anteils am Zuschussbedarf, den das Angebot »Geige Einzelunterricht« benötigt. Die Einzelergebnisse können zu Fachbereichsergebnissen zusammengefasst, also verdichtet werden, das wäre bei der vorgeschlagenen Differenzierung in einer Musikschule auf der Kostenstellenebene. Die Auswertung des Fachbereichs Streicher würde dann die folgenden Informationen beinhalten: Abbildung 8: Auswertung des Fachbereichs Streicher Schüler Erlöse Deputat Personal- Sach- DB kosten kosten Plan
50
2900
50
4000
0 -1100
September 1-100 Streicher 1-101 Geige EU 1-102 Geige GU 2 1-103 Geige GU 3 1-104 Bratsche EU 1-105 Bratsche GU 2 1-106 Bratsche GU 3 1-107 Cello EU 1-108 Cello GU 2 1-109 Cello GU 3 1-110 Kontrabass EU 1-111 Kontrabass GU 2 1-112 Kontrabass GU 3
49
2842
49
3920
100 -1178
Oktober 1-100 Streicher 1-101 Geige EU 1-102 Geige GU 2 1-103 Geige GU 3 1-104 Bratsche EU 1-105 Bratsche GU 2 1-106 Bratsche GU 3 1-107 Cello EU 1-108 Cello GU 2 1-109 Cello GU 3 1-110 Kontrabass EU 1-111 Kontrabass GU 2 1-112 Kontrabass GU 3
50
2900
50
4000
0 -1100
Insgesamt stellt sich der Informationsfluss im Kosten-und-LeistungsRechnungssystem einer Musikschule dann wie folgt dar:
222 | PETRA SCHNEIDEWIND
Abbildung 9: Kosten-und-Leistungs-Rechnungssystem (KLR) im Musikschulbetrieb
Musikschulergebnis 0-100 Allgemeines 1-100 Fachbereich Streicher 2-200 Fachbereich Zupfen 3-300 Fachbereich Holzbläser ………
Detailzusammensetzung
Musikschulergebnis
Kostenträgerrechnung
Kostenstellenrechnung
2-201 Gitarre EU
2-200 FB Zupfen
……….
……….
Ergebnis 1-102 Geige GU
0-101 MS-Sekr.
1-101 Geige EU
0-100 MS-Ltg
Ergebnis Erlöse Kosten
Erlöse Kosten
Ergebnis
Personalkosten
Ergebnis
Sachkosten
Erlöse aus Entgelten
Zuschüsse
Kostenartenrechnung
Die Informationen, die auf diese Weise nun ganzheitlich zusammengetragen wurden, haben die Qualität von Steuerungsinformationen. Zunächst entsteht eine genaue Sicht auf die tatsächliche Verwendung der zur Verfügung stehenden Ressourcen. Durch Einpflegen in den Planungsbereich werden auch Wenn-dann-Fragen beantwortet, bspw. »Wie würde es sich auf das Ergebnis auswirken, wenn die Wartelisten im Bereich Blasinstrumente mit Hilfe einer zusätzlichen Honorarkraft abgebaut würden?«. Auch andere angedachte Maßnahmen können hier bzgl. ihrer quantifizierbaren Wirkung im Vorhinein überprüft werden. Die Musikschulen haben für den Aufbau einer Kosten-und-Leistungs-Rechnung als wesentliche Informationsquelle eines Musikschul-Informationssystems sehr gute Voraussetzungen, denn die Strukturen von Musikschulen sind trotz großer Veränderungen im Umfeld stabil und überschaubar. Die notwendigen Daten sind zum größten Teil vorhanden oder leicht erreichbar. Der Betrieb ist gut planbar, i.d.R. halbjährlich. Dieses Zeitfenster lässt es zu, zu agieren und zu gestalten.
ZIELSTEUERUNG DER MUSIKSCHULEN | 223
Au s b l i c k : » B a l a n c e d S c o r e c a r d « Wir haben uns hier mit betriebswirtschaftlicher Steuerung im Musikschulbetrieb beschäftigt. In diesem Zusammenhang war die Servicefunktion Controlling relevant. Ihre grundsätzliche Idee der zielorientierten Steuerung ist für Musikschulen interessant, benötigt aber zur Realisierung ein funktionsfähiges Rechnungswesen, also den Aufbau einer Kosten-undLeistungs-Rechnung. Darüber hinaus werden auch andere Instrumentarien genutzt, die die Betriebswirtschaft zur Verfügung stellt. Da sind vor allem die Management-Instrumente im Bereich Planung, Prognose, Kommunikation zu nennen, aber auch Kennzahlensysteme des Qualitätsmanagements oder das Konzept der »Balanced Scorecard«. Die Zielsetzung und Funktionsweise der »Balanced Scorecard« soll hier noch kurz diskutiert werden. Es ist ein Konzept, dem die Erkenntnis zu Grunde liegt, dass in einem Betrieb »alles mit allem zusammenhängt« (siehe auch Kausalzusammenhänge einer Musikschule). Das bedeutet für das Management, dass sich ein Betrieb nicht ausschließlich durch ein finanzwirtschaftlich geprägtes Kennzahlensystem steuern lässt. Die klassischen Erfolgskriterien wie Umsatz, Budgeteinhaltung werden durch weitere Indikatoren ergänzt, z.B. Kundenzufriedenheit, Qualität der Leistung, Image, Mitarbeiterzufriedenheit etc. Es wird verlangt, dass sich ein ausgewogenes Verhältnis von kurz- und langfristigen Zielen, monetären und nicht-monetären Kennzahlen, Spät- und Frühindikatoren sowie externer und interner Perspektiven ergibt. Das Konzept hat auf den ersten Blick gerade für den Einsatz in einem Kulturbetrieb viele Vorteile. Es arbeitet ganzheitlich, zielorientiert und dabei mehrdimensional, das Instrument lässt sich auch hervorragend als Kommunikationsinstrument einsetzen. Der Grundgedanke ähnelt dem Qualitätssicherungssystem EDu®, welches in das Kennzahlensystem die Bereiche Auftragserfüllung, Kundenzufriedenheit, Mitarbeiterzufriedenheit und Wirtschaftlichkeit integrierte. Im Mittelpunkt von EDu® stand allerdings die Außensicht, da man mittels Kennzahlenvergleichen Rückschlüsse zur Verbesserung der eigenen Leistungsfähigkeit ziehen wollte. Beim Konzept der »Balanced Scorecard« dominiert eher die Innensicht. Es geht um Zielerreichung und Zielsteuerung und es sollte im Sinne der Controlling-Funktion als laufendes Informationssystem einen betriebswirtschaftlichen Service leisten. Dies heißt nun wieder, dass es auf bestehenden Basissystemen aufbauen muss, die die laufende Informationsgewinnung garantieren, und auch hier stellt die Kosten-und-Leistungs-Rechnung eine ganz wesentliche Informationsquelle dar.
224 | PETRA SCHNEIDEWIND
Fazit Welches Fazit lässt sich nun im Zusammenhang mit der eingangs aufgestellten These ziehen? Im heute vorherrschenden komplexen Umfeld benötigt jeder Musikschulbetrieb zur zielorientierten Steuerung die richtigen Informationen. Optimal wäre ein Musikschul-Informationssystem, welches im Sinne der betriebswirtschaftlichen Controlling-Funktion sämtliche entscheidungsrelevanten Daten bereitstellt. Dieser Pool entsteht aus verschiedenen Datenquellen, die teilweise bereits vorhanden sind und teilweise noch erfasst, aktualisiert oder bearbeitet werden müssten. Die Defizite der Musikschulen liegen vor allem bei einer fehlenden Kosten-undLeistungs-Rechnung und der ganzheitlichen Koordination der Information. Wenn es gelingt, diese Lücken zu schließen, können Musikschulen ihre Gesamtzusammenhänge mehrdimensional transparent machen, die Zielerreichung von kurz- und langfristigen Zielen steuern, monetäre und nicht monetäre Kennzahlen erstellen, Vergangenheitsdaten auswerten und Zukunftsszenarien aufstellen. Sie wären folglich für die Zukunft gerüstet. Beim Aufbau des anzustrebenden Musikschul-Informationssystems sollten die folgenden Punkte berücksichtigt werden: • Der Aufbau braucht Zeit und sollte schrittweise erfolgen. • Controlling-Systeme müssen individuell entwickelt werden. • Zielvorgaben sind zwingend erforderlich. • Die anfänglich Konzentration auf rein quantitative Daten und Zusammenhänge ist üblich. • Die eigenen, internen Informationsbedürfnisse stehen im Mittelpunkt. • Die entstehenden Informationen müssen aktuell sein. • Grundsätzliche Orientierung in die Zukunft. • Die Beteiligten von Anfang an mit einbeziehen. • Das Gesamtsystem immer im Auge behalten, keine neuen Insellösungen schaffen. • Laufende Information über die Entwicklung. • Eine mögliche unterstützende Software sollte sich dem Konzept anpassen und nicht umgekehrt. • Das Controlling-Verfahren selbst muss wirtschaftlich sein. • Ein Controlling-System ist nicht statisch, es ist nie fertig, sondern durch dynamische Anpassungen geprägt. • Controlling funktioniert Prozess begleitend. Der Ausbau zu einem Musikschul-Management-Informationssystem wäre die konsequente Fortsetzung der bereits abgeschlossenen Strukturver-
ZIELSTEUERUNG DER MUSIKSCHULEN | 225
änderungen und des Projektes QsM. Auf weiterhin hohem Qualitätsniveau und gleichzeitig hoher Transparenz kann die Zukunft beginnen.
Literatur Schneidewind, Petra (2006): Betriebswirtschaft für den Kulturbetrieb. Ein Handbuch, Bielefeld
Qualitätsmanagement in Musikschulen PETRA SCHNEIDEWIND
Kunden – und das sind im Fall der Musikschulen Schüler, Schülerinnen und Eltern – verlangen Qualität. Diese wiederum hängt nicht in erster Linie vom Geld, sondern von den Inhalten und Serviceleistungen ab. Für die Musikschule ist die Berücksichtigung und Einbeziehung der Kundenerwartungen von großer Bedeutung. Die Kunden haben die Wahl, treten heute entschiedener auf, vergleichen und entscheiden letztlich unter Berücksichtigung des Kosten-Nutzen-Verhältnisses, wobei Nutzen sich zusammensetzt aus Kernnutzen (Musikausbildung) und Zusatznutzen (Serviceleistungen). Musikschulen stehen für Qualität – so der Titel einer vom Verband deutscher Musikschulen (VdM) herausgegebenen Broschüre. Es ist Musikschulen ein Kernanliegen, bei den eigentlichen Inhalten die Sicherung und Entwicklung von Qualität nicht aus den Augen zu verlieren. Die öffentlichen Musikschulen des VdM garantieren Qualität durch: • bewährte, regelmäßig aktualisierte Unterrichtskonzepte; • erprobte Unterrichtsorganisation; • Unterricht durch fundiert ausgebildete und erfahrene Lehrkräfte; • regelmäßige Qualitätskontrolle; • Qualitätssicherung und -entwicklung. Die Managementlehre stellt zur Sicherung von Qualität Instrumente bereit, die das Ziel verfolgen, die Effizienz einer Arbeit oder von Geschäftsprozessen zu erhöhen. Zu einem nachhaltigen Qualitätsmanagement gehören demnach eine kritische Bestandsaufnahme sowie die Entwicklung von Zielen und Veränderungswegen. Die systematische Auseinanderset-
228 | PETRA SCHNEIDEWIND
zung mit der Qualität der Organisationen hat auch in den Kulturbetrieben stark an Bedeutung gewonnen (siehe bspw. den Bibliotheksindex BIX1). Entsprechend adaptierte Qualitätsmanagement-Verfahren wurden auch zur Qualitätssicherung für Musikschulen entwickelt. Zu den musikschulspezifischen Instrumenten zählen: • das jährliche Berichtswesen; • der Interkommunale Leistungsvergleich EDu®; • das »Qualitätssystem Musikschule« (QsM) sowie • Fragebögen für Schüler-, Eltern-, Mitarbeiter und Imagebefragungen. Die Instrumente wurden in der genannten Reihenfolge entwickelt, wobei die älteren Verfahren nicht durch die jüngeren abgelöst wurden, vielmehr bestehen die drei ersten Systeme parallel nebeneinander. Die Fragebögen und deren Auswertung sind Bestandteil von EDu® und QsM, sie können aber auch unabhängig davon von den Musikschulen zur Verbesserung ihrer Arbeit eingesetzt werden.
Der Berichtsbogen Der Berichtsbogen ist bereits seit 1967 fester Bestandteil des MusikschulManagements. Er liefert Inputs für die Musikschulstatistik, die seit 1967 vom VdM herausgegeben wird. Darin enthalten sind Angaben zu Trägerschaft, Schulleitung und Lehrkräften, Verwaltung, Unterrichtsstätten, Schülerzahl, Altersstruktur der Schüler, Fächerbelegungen, Instrumental-, Vokal-, Ensemble- und Ergänzungsfächern, Studienvorbereitender Ausbildung, Musikunterricht für Menschen mit Behinderung, Veranstaltungen der Musikschule, Internationalen Jugendbegegnungen, Schulleiter- und Lehrerfortbildungen, Eltern- und Fördervereinen, Kooperationen, Qualitätsmanagement, Unterrichtsgebühren und Finanzierung. Die auf diese Weise gewonnenen Daten werden auch vom Statistischen Bundesamt und einigen Landesämtern für Statistik übernommen. Die Musikschulstatistik insgesamt gibt im Längsschnittvergleich die Entwicklung der Musikschulstrukturen und -angebotsformen wieder und ist damit Orientierung für die einzelnen Musikschulen hinsichtlich ihrer eigenen Struktur. Der Berichtsbogen ist flächendeckend in allen VdM-Musikschulen verbreitet. Die Verwaltungsabläufe vor Ort sind auf Grund der langjährigen Erfahrung und der Kontinuität auf den Dateninput für den Bericht abgestimmt. Bei den erhobenen Daten handelt es sich ausschließlich um quantifizierte Vergangenheitsdaten. Es werden damit keine Entwick1
Siehe auch www.bix-bibliotheksindex.de.
QUALITÄTSMANAGEMENT IN MUSIKSCHULEN | 229
lungsziele formuliert und es gibt keine Informationen, ob bestehende Ziele erreicht wurden. Die Auswertung dokumentiert ausschließlich statistische Veränderungen und quantitative Entwicklungen. Die Aussagen, die damit gewonnen werden, ermöglichen neben einer aktuellen Bestandsaufnahme auch Aussagen über die Entwicklung einer Musikschule auf Grund eines mehrjährigen Datenvergleichs. Der VdM-Berichtsbogen wird von Musikschulen wie auch von der Politik für Vergleiche genutzt sowie für Argumentations- und Entscheidungshilfen.
I n t e r k o m m u n a l e r L e i s t u n g s ve r g l e i c h E D u ® : Eine weit verbreitete Technik, wenn es um Qualität geht, ist das Vergleichen (Benchmarking). Wo stehen wir, wo stehen die Anderen, warum sind wir besser, schlechter etc. Hier setzt die Bertelsmann Stiftung seit 1993 im Rahmen des Projektes »Wirkungsvolle Strukturen im Kulturbereich« mit Interkommunalen Leistungsvergleichen zwischen Kultureinrichtungen an. Der Leistungsvergleich zielte darauf ab, eine Wettbewerbssituation zwischen den sich vergleichenden Einrichtungen herzustellen und gleichzeitig für die Einrichtungen selbst ein Instrument zur Selbststeuerung zu entwickeln. Mit diesem Projekt konnten zahlreiche spürbare Erfolge erzielt werden. Aufbauend auf den Erfahrungen dieser Leistungsvergleiche entwickelten die Bertelsmann-Stiftung und der VdM gemeinsam das Produkt »Interkommunaler Leistungsvergleich EDu®«. Dieses ist ein Instrument, mit dessen Hilfe die einzelne Schule, ausgehend von einer Standortbestimmung, der Evaluation der eigenen Leistung, Erkenntnisse und Impulse für ihre Qualitätsentwicklung gewinnen kann. Es sollen vorrangig Stärken und Entwicklungspotenziale der eigenen Organisation erkannt und Veränderungen angeregt werden (Haefs/Froese 2001: 2). EDu® versucht mit Hilfe von objektiven Kriterien die Zielerreichung zu messen. Die am EDu®-Projekt beteiligten Musikschulen vergleichen sich auf der Basis von Kennzahlen bzw. Indikatoren. Aus dem Dialog unter den sich vergleichenden Schulen sollen Rückschlüsse zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit gezogen werden. Im Mittelpunkt steht dabei eine konsequente Außensicht, damit Bürger, Politiker und die Musikschule selbst die Kennzahlen und Indikatoren unmittelbar nachvollziehen können. Sie können den Stand und damit den Rang der eigenen Einrichtung im Vergleich zu den Partnern direkt ermitteln. Im Dialog ergibt sich die Möglichkeit zur Einschätzung, wie gut die eigene Musikschularbeit ist und in welchen Bereichen Verbesserungsmaßnahmen notwendig sind (VdM/Bertelsmann Stiftung 2001: 5).
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In anderen Beiträgen dieses Bandes wird immer wieder die komplexe Problemstellung von Musikschulen betont, das ebenso komplexe Beziehungsgeflecht und die Dynamik von Entwicklungen, die das Musikschulwesen beeinflussen. Aus dieser Erkenntnis lässt sich folgern, dass es unmöglich ist, Musikschularbeit einzig über einen Faktor, z.B. den notwendigen finanziellen Einsatz, zu bemessen. Vielmehr muss die Beurteilung im Zusammenwirken mehrerer Dimensionen erfolgen. EDu® hat sich dabei in Anlehnung an die für die Namensgebung zu Grunde liegende Tonart mit vier Kreuzen auf vier Dimensionen festgelegt und beurteilt den Erfolg einer Musikschule in Bezug auf die Auftragserfüllung, die Kundenzufriedenheit, die Mitarbeiterzufriedenheit und die Wirtschaftlichkeit. EDu® baut auf zwei wesentlichen Kernfragen auf: Was eigentlich macht eine gute Musikschule aus? Und wie kann eine Musikschule ihre eigene Qualität zielgerichtet verbessern (VdM/Bertelsmann Stiftung 2001: 5)? Diese Fragen sollen durch die von der Projektgruppe gemeinsam entwickelten 18 Kernkennzahlen beantwortet werden. Dabei wurde berücksichtigt, dass das Verfahren aussagekräftig ist und im Erhebungsaufwand für jede Musikschule leistbar (VdM/Bertelsmann Stiftung 2001: 6). Tabelle 1: EDu® – Die Kernkennzahlen 1. Auftragserfüllung
2. Kundenzufriedenheit
3. Mitarbeiterzufrie-
4. Wirtschaftlichkeit
denheit Übergeordnetes Ziel ist: Übergeordnetes Ziel ist: Übergeordnetes Ziel ist: Übergeordnetes Ziel ist: • •
Breite musikalische
•
Zufriedenheit der
Bildung
Kunden mit der Mu-
Begabtenfindung
sikschule
•
Zufriedenheit der
•
Mitarbeiter
Effektivität des Ressourceneinsatzes
•
und -förderung
Effizienz des Ressourceneinsatzes
Vielfalt des Angebots:
Gesamtzufriedenheit
Gesamtzufriedenheit
Verhältnis Fachbele-
Anteil der abgedeckten
der Schüler ab 10 Jah-
mit der Tätigkeit
gungen zur Jahreswo-
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chenstundenzahl
Marktsegmenten Anteil am Gesamtan-
Gesamtzufriedenheit
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Kosten einer Jahreswo-
gebot: Anteil aller durch der Eltern mit der Mu-
chenstunde (bezogen
eigenes Angebot abge- sikschule
auf Gesamtkosten)
deckter Marktsegmente im Verhältnis zum Gesamtangebot in der Kommune
QUALITÄTSMANAGEMENT IN MUSIKSCHULEN | 231 Exklusivangebot:
Durchschnittliche Ver-
Fortbildungsausga-
Kosten einer Jahreswo-
Anteil nur durch eige-
weildauer an der Mu-
ben/Lehrer
chenstunde (bezogen
nes Angebot abgedeck- sikschule
auf Kosten für pädago-
ter Marktsegmente im
gisches Personal)
Verhältnis zum Gesamtangebot in der Kommune Anteil Jahreswochen-
Anteil der ausgefalle-
Fortbildungstage/Lehrer Kosten einer Jahreswo-
stunden Ensemble- und nen Unterrichtstunden
chenstunde (bezogen
Ergänzungsfächer an
an den Jahreswochen-
auf Gesamtpersonal-
Gesamtjahreswochen-
stunden
kosten)
stunden Anteil Schüler Ensemb-
Unterrichtsgebühren/
le- und Ergänzungsfä-
Gesamtkosten
cher an Gesamtzahl der Musikschüler Anzahl Musikschüler
Unterrichtsgebühren/
einer Altersstufe im
Kosten für pädagogi-
Verhältnis zur Anzahl
sches Personal
der Einwohner in diesen Jahrgängen Fachbelegungen pro
Unterrichtsgebühren/
Schüler
Gesamtpersonalkosten
Anteil der Musikschüler,
Anteil des kommunalen
die an »Jugend musi-
Zuschusses des Trä-
ziert« teilnehmen, an
gers an den Gesamt-
der Gesamtzahl der
personalkosten
Musikschüler Anteil des kommunalen Zuschusses des Trägers am Gesamthaushalt der Musikschule Anteil aller Zuschüsse an den Gesamtpersonalkosten
Der Einsatz eines Qualitätsmanagement-Verfahrens bedeutet zunächst einmal einen Mehraufwand. Wenn es sich um ein betriebsspezifisches Verfahren handelt, wie bei EDu®, werden allerdings deutlich weniger Akzeptanzprobleme auftauchen. Es ist ein gewisses Vertrauen geschaffen, die Quellen sind bekannt und für die Musikschulleitung ist es ein Leichtes, mit den Daten zu argumentieren. Welcher zusätzliche Nutzen entsteht nun aber für die Praxis, sind konkrete Verbesserungen erkennbar? Einige Erfahrungen und Meinungen sollen hier genannt werden:
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• • • • • • •
Das Problembewusstsein in den Einrichtungen wird gestärkt und ein zielgerichtetes, optimiertes Management angeregt. Die Sensibilität für betriebliche Prozesse und Entwicklungen wird geschärft. Die interne Kommunikation wird verstärkt und damit auch das »WirGefühl« im Kollegium. Die im Zusammenhang mit EDu® einhergehenden Umfragen sind wichtige, zukunftsweisende Instrumente und gleichzeitig zusätzliche Anknüpfungspunkte für Kommunikation. Die Positionierung der Musikschulen in der Kommune wird gestärkt. Seitens der Träger steigt die Anerkennung, wenn sich eine Musikschule selbstbewusst einem solchen Vergleich stellt. Daten allein bewirken jedoch noch keine Veränderungen, sie geben nur Anhaltspunkte, im besten Fall die Richtung der Entwicklung vor.
» Q u a l i t ä t s s ys t e m M u s i k s c h u l e « ( Q s M ) Ab 2000 wurde vom VdM das »Qualitätssystem Musikschule« (QsM) entwickelt, eine musikschulspezifische Branchenversion auf Basis des »Excellence Models« (EFQM: European Foundation for Quality Management). Das EFQM-Modell erlaubt die Bewertung von Organisationen bzw. ihres Managements im Hinblick auf nachhaltig hervorragende Leistungen für alle Anspruchsgruppen durch systematisches Management. Es unterstützt Wettbewerb und das Streben nach ständiger Weiterentwicklung (www. olev.de/e/efqm.htm). Das Modell hat auch im öffentlichen Bereich eine hohe Akzeptanz. Die Möglichkeit der schrittweisen Einführung ist gerade für Betriebe im Kultur- und Bildungsbereich günstig, denn sowohl Berührungsängste und Unsicherheiten, als auch Ressourcenknappheit stellen Probleme dar, die neue Modelle verhindern oder blockieren. QsM beginnt mit einer ausführlichen, mehrstufigen Selbstbewertung. Die Grundstruktur besteht aus neun Kriterien, die zur Bewertung des Fortschrittes einer Organisation in Richtung »Excellence« herangezogen werden. Auf Grund der Änderungen des EFQM-Modells wurde 2004/2005 durch den QsM-Beirat des VdM eine Überarbeitung von QsM, verbunden mit einer grundlegenden Revision des QsM-Ordners vorgenommen. Der Qualitätsmanagement-Ansatz beruht auf folgender Prämisse: »Exzellente Ergebnisse im Hinblick auf Leistung, Kunden, Mitarbeiter und Gesellschaft werden durch eine Führung erzielt, die Politik und Strategie, Mitarbeiter, Partnerschaften, Ressourcen und Prozesse auf ein hohes Niveau hebt.« (EFQM-Broschüre Excellence einführen, 2003)
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Abbildung 1: EFQM Excellence Model im QsM
Die Kriterien und Teilkriterien stellen sich für das QsM der VdM-Musikschulen wie folgt dar: Tabelle 2: QsM-Kriterien Kriterium 1: Führung und Leitung 1.1
Die Leitung entwickelt ein Leitbild und setzt sich persönlich für dessen Anwendung ein.
1.2
Die Leitung sorgt für die Entwicklung und Anwendung eines Managementsystems.
1.3
Die Leitung pflegt den Kontakt zu Schülern/Eltern, Partnern, dem Träger sowie Personen des öffentlichen Lebens.
1.4
Die Leitung motiviert und unterstützt die Mitarbeiter, gibt Rückmeldung und Anerkennung.
1.5
Leiter erkennen Veränderungen und meistern diese in ihrer Musikschule.
Kriterium 2: Politik und Strategie 2.1
Die Planungen beruhen wesentlich auf den Bedürfnissen und Erwartungen der Schüler und anderer Nutzer.
2.2
Die Planungen beziehen fachliche Erkenntnisse und relevante Sachinformationen ein.
2.3
Die Planungen werden ausgearbeitet, regelmäßig überprüft und aktualisiert.
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2.4
Die Planungen der Musikschule werden mit allen Beteiligten in einem Netzwerk von Schlüsselprozessen umgesetzt.
Kriterium 3: Mitarbeiterorientierung 3.1
Die Personalplanung ist aus der inhaltlichen Planung (Politik und Strategie) abgeleitet.
3.2
Die Kompetenzen der Mitarbeiter werden erkannt, erhalten und weiterentwickelt.
3.3
Die Mitarbeiter werden einbezogen, beteiligt und mit Verantwortung ausgestattet.
3.4
Die innerbetriebliche Kommunikation wird ausgebaut.
3.5
Die Mitarbeiter werden persönlich in ihrer Leistung gewürdigt.
Kriterium 4: Ressourcen 4.1
Die Musikschule pflegt ein Netzwerk von externen Partnerschaften.
4.2
Die Finanzen werden professionell bewirtschaftet.
4.3
Gebäude und Ausstattung werden nutzungsorientiert verwaltet.
4.4
Instrumente und Geräte werden nutzungsorientiert verwaltet.
4.5
Information, Wissen und Unterrichtsmaterialien werden gemanagt.
Kriterium 5: Prozesse 5.1
Die Mitarbeiter identifizieren ihre Schlüsselprozesse und gestalten sie systematisch.
5.2
Die Prozesse werden auf Verbesserungsmöglichkeiten hin überprüft.
5.3
Verbesserungspotenzial für die Prozesse wird innovativ, kreativ und nutzerorientiert entwickelt.
5.4
Veränderungen der Prozesse werden durchgeführt und bewertet.
5.5
Die Beziehungen zu den Adressaten/Nutzern werden systematisch aufgebaut, gemanagt und vertieft.
Kriterium 6: Zufriedenheit der Adressaten 6.1
Einschätzungen aus Sicht der Adressaten
6.2
Indikatoren der Musikschule
Kriterium 7: Mitarbeiterzufriedenheit 7.1
Einschätzungen aus Sicht der Mitarbeiter
7.2
Indikatoren der Musikschulleitung
Kriterium 8: Auswirkungen auf die Gesellschaft 8.1
Einschätzungen aus Sicht des Umfeldes
QUALITÄTSMANAGEMENT IN MUSIKSCHULEN | 235
8.2
Indikatoren der Musikschule
Kriterium 9: Leistungsbilanz 9.1
Kosten und Leistungen
9.2
Leistungsumfang der Schlüsselprozesse
Jedes Teilkriterium wird wiederum praxisnah in fünf Qualitätsstufen beschrieben, so dass im Ergebnis etwa 500 Merkmale für eine gute und erfolgreiche Musikschularbeit sowie eine Fülle weiterer Ergebnisfaktoren kompiliert werden (Scheytt/Zimmermann 2006: 8-9). Von QsM gehen Anregungen zur Verbesserung der Organisation aus. Es ist ein Managementinstrument, dessen Stärke in der Anleitung zum systematischen und kontinuierlichen Verbesserungshandeln liegt (VdM). Die Konzentration richtet sich ganz auf die Organisation Musikschule, weniger auf den Vergleich mit anderen Musikschulen. Dadurch schlüpfen die Beteiligten selbst in die Rolle von Gutachtern und Beratern, was die Akzeptanz, Motivation und Eigenverantwortung fördert und innovative Impulse auslöst. In den Musikschulen (2004 haben ca. 70 Schulen das Verfahren angewendet) konnten schnell brauchbare Ergebnisse erarbeitet werden. Der Wandel zur selbst lernenden Organisation erfolgte in vielen Fällen. Die Dokumentation des Leistungsstandes jeder Schule ist von außen leicht nachvollziehbar, so dass durchaus auch eine entsprechende Außenwirkung eintritt und QsM in einigen Fällen sogar die Existenz der Musikschule sichern konnte. Als positiver Effekt wird auch bei diesem Instrument immer wieder die verbesserte Kommunikation zwischen Schulleitung und Kollegium und die verbesserte Kooperation unter den Lehrkräften genannt. Diese Ergebnisse fordern jedoch einen hohen Arbeitsaufwand zusätzlich zum operativen Geschäft.
Umfragen an Musikschulen Wichtiger Bestandteil des Qualitätsmanagements sowohl bei EDu® als auch bei QsM ist die Einschätzung der Musikschule aus verschiedenen Blickrichtungen. Dadurch ergeben sich wertvolle Hinweise für ihre Arbeit, ihre Qualitätssicherung und -entwicklung. Hierzu stellt der VdM seit 2005 seinen Mitgliedsschulen einheitliche Fragebögen für Schüler-, Eltern-, Mitarbeiter- und Öffentlichkeitsbefragungen sowie zum Image der Musikschule zur Verfügung, ergänzt durch eine abgestimmte Auswertungssoftware. Eine zentrale Datenbank des VdM ermöglicht in einem zweiten Schritt, sich dazu im Rahmen eines Benchmarking mit anderen Musik-
236 | PETRA SCHNEIDEWIND
schulen zu vergleichen und weitere Anregungen für Verbesserungsmaßnahmen zu erhalten (VdM: Musikschulen stehen für Qualität). Die vorgestellten Verfahren EDu® und QsM sind sehr wertvolle und zukunftsweisende Reaktionen auf die Herausforderungen, mit denen die Musikschulen konfrontiert werden. Vor allem die spezifische Entwicklung für eine pädagogisch-kulturelle Einrichtung macht beide Verfahren wertvoll. Der ganzheitliche Ansatz ist wesentliches Qualitätskriterium für die Verfahren selbst, es setzt auf Nachhaltigkeit, Existenzsicherung und Kontinuität. Gleichwohl sind ein langer Atem und eine hohe Motivation notwendig, ein solches System einzuführen, was sich jedoch in den Ergebnissen für die Musikschule in hohem Maße auszahlt. Perspektivisch muss die flächendeckende Nutzung angestrebt werden und gleichzeitig der Ausbau zu einem umfassenden MusikschulInformationssystem, das die Datenbasis, die z.B. mit Hilfe von QsM erarbeitet wird, um fehlende Daten ergänzt (Kosten-und-LeistungsRechnung, strategische Ziele, Szenarien etc.). Abschließender Schritt könnte dann der überregionale Dialog und Vergleich in einem Musikschulnetzwerk sein.
Literatur Haefs, Sabine/Froese, Doris (2001): »EDUR-Leistungsvergleich für Musikschulen«. In: Handbuch Kulturmanagement (A 2.18), Stuttgart. Landesverband Niedersächsischer Musikschulen (Hg.) (o.J.): Qualitätssystem Musikschule. Ein Projekt im Landesverband niedersächsischer Musikschulen e.V. 2001 bis 2004, Hannover. Pröhl, Marga (Hg.) (1995): Wirkungsvolle Strukturen im Kulturbereich. Zwischenbericht zum Städtevergleich der Musikschulen der Städte Bielefeld, Dortmund, Mannheim, Münster und Wuppertal, Gütersloh. Scheytt, Oliver/Zimmermann, Michael (2006): »Qualitätsmanagement in Kultureinrichtungen«. In: Friedrich Look/Oliver Scheytt (Hg.): Kulturmanagement & Kulturpolitik. Die Kunst, Kultur zu ermöglichen, Berlin. Verband deutscher Musikschulen e.V. (Hg.) (o.J.): Musikschulen stehen für Qualität. Verband deutscher Musikschulen e.V./Bertelsmann Stiftung (Hg.) (2001): Zwischenbericht zu den Leistungsvergleichen von Musikschulen EDu®. Zukunft hoch vier, Bonn/Gütersloh.
Va lue- Adde d-Se rvic es in Mus iksc hule n HEIKE OERTEL
Die Kernaufgabe aller Musikschulen ist es nach wie vor, einen qualitativ hochwertigen Instrumental- bzw. Vokalunterricht zu gewährleisten. Damit ist es jedoch nicht (mehr) getan, wenn die Nutzer einer Musikschule in vollem Umfang zufrieden gestellt werden sollen. Diese werden auf Grund der finanziellen Haushaltslage immer mehr zur Kasse gebeten, und erwarten selbstverständlich auf Grund der ständig ansteigenden Unterrichtsgebühren eher ein »Mehr« an Leistung als eine Reduzierung. Hier stellt sich die Frage, ob sich eine kommunale Musikschule, gerade in Zeiten finanzieller Knappheit, nicht zumindest zum Teil auch dadurch legitimiert, dass sie auf Grund ihrer besonders intensiven Kundenorientierung sehr gute Akzeptanz und hohen Zuspruch in der Bevölkerung genießt. Knüpft man an diese Überlegung an, bedeutet das, dass es für Musikschulen immer wichtiger wird, ihren Nutzern neben qualitativ hochwertigen Leistungen interessante Zusatzleistungen, so genannte »Value-Added-Services« (VAS) zu bieten, um sich besser positionieren zu können.
D e r B e g r i f f V a l u e - Ad d e d - S e r vi c e Der explizite Gebrauch des Begriffs erfolgte zunächst im anglo-amerikanischen Sprachraum vorwiegend für Dienstleistungen im Telekommunikationsbereich (Laakmann 1995: 7). Seither hat sich dieser Branchenfokus geöffnet und VAS werden inzwischen neben anderen Gebieten, jedoch eher selten, auch im kulturellen Bereich diskutiert. Sie werden als
238 | HEIKE OERTEL
Marketinginstrument eingesetzt und können sowohl entgeltlich als auch unentgeltlich angeboten werden. Speziell in Musikschulen handelt es sich bei VAS um zum Hauptfachunterricht hinzugefügte Sekundärleistungen, die aus materiellen und/oder immateriellen Komponenten bestehen und den Wert der Primärleistung steigern sollen. VAS können intern (von den Musikschulen selbst) als auch extern angeboten werden und eine sehr hohe, mittlere oder nur geringe Affinität zum Kernprodukt, dem Hauptfachunterricht, haben. Viele Musikschulen beschränken sich in ihren Zusatzleistungen immer noch weitgehend auf Standardleistungen, obwohl zusätzliche Dienstleistungen, die in ihrer Affinität durchaus differieren können, die Primärleistung gegenüber der Konkurrenz deutlich abheben können (vgl. Klein 2001: 475). Es erscheint daher sinnvoll, eine Systematisierung von Zusatzleistungen an Musikschulen vorzunehmen mit dem Ziel, die zur Erfüllung der Kundenerwartungen bzw. die zur Steigerung der Kundenzufriedenheit relevanten Zusatzkategorien näher herauszuarbeiten und zu differenzieren.
S ys t e m a t i s i e r u n g v o n V a l u e - Ad d e d - S e r vi c e s Zur Systematisierung von VAS an Musikschulen wird eine Unterscheidung der Dimensionen »Erwartungshaltung der Nachfrager« und »Affinität zum Kernprodukt« vorgenommen (vgl. Bruhn, 2003: 76). Die Erwartungsdimension analysiert, inwieweit der Kunde eine Zusatzleistung zwingend erwartet oder ob er sie als VAS lediglich positiv bewertet (»nice to have«) (vgl. Bruhn, 2003: 76). Hierbei können drei Abstufungen vorgenommen werden: • Muss-Zusatzleistung: Zu den Muss-Zusatzleistungen zählen sämtliche Serviceleistungen, die aus Sicht des Kunden zwingend im Leistungskatalog einer Musikschule enthalten sein müssen. An Musikschulen wird selbstverständlich erwartet, dass entsprechende Räumlichkeiten vorhanden sind, um die Durchführung des Unterrichts überhaupt zu ermöglichen. Inzwischen kommen zu diesen selbstverständlichen Leistungen auch Standardleistungen, die von sämtlichen Musikschulen erbracht werden, so dass der Kunde das Vorhandensein dieser Leistung voraussetzt. Eine Musikschule zum Beispiel, die kein ergänzendes Ensemblespiel anbietet, wird vermutlich hinsichtlich der Kundenorientierung nicht nur eine schlechte Beurteilung erhalten, sie wird wahrscheinlich auch keine besonders große Warteliste aufweisen können.
VALUE-ADDED-SERVICES IN MUSIKSCHULEN | 239
•
•
Soll-Zusatzleistung: Die Soll-Zusatzleistungen hingegen werden von den Kunden einer Musikschule nicht unbedingt zwingend vorausgesetzt und stellen somit in der Regel kein Ausschlusskriterium zur Inanspruchnahme der Primärleistung einer Musikschule dar. Zu dieser Kategorie zählen Leistungen, die aus Kundensicht erfreulich sind und einer Musikschule die Möglichkeit bieten ihre Kundenorientierung unter Beweis zu stellen. So kann eine Musikschule beispielsweise auf den aktuellen Trend von Kunden reagieren, sich nicht zu lange an ein Institut binden zu wollen, indem sie eine höhere Flexibilität in der Vertragsgestaltung anbietet. Das Angebot von Soll-Zusatzleistungen trägt allerdings auch dazu bei, dass sich eine entsprechende Erwartungshaltung auf der Nutzerseite entwickelt (vgl. Laakmann 1995: 14). Kann-Zusatzleistung: Die Kann-Zusatzleistungen erhöhen die Attraktivität des Leistungsangebots. Sie werden vom Nutzer nicht erwartet, da sie von anderen Musikschulen noch nicht erbracht werden und überraschen ihn daher positiv. Die Einrichtung eines Warteraums für Eltern während der Unterrichtszeit ihrer Kinder, oder auch eines Hausaufgabenraums, falls es sich für die Schüler nicht lohnt, zwischen Schul- und Musikschulunterricht nach Hause zu gehen, stiftet zum Beispiel einen für die Musikschulleitung oft ungeahnt hohen Nutzen. Kann-Dienstleistungen scheinen zu einer Profilierung im Sinne einer Abgrenzung gegenüber Wettbewerbern besonders geeignet (vgl. Laakmann 1995: 14), allerdings sollte darauf geachtet werden, dass die erbrachte Leistung in einem sinnvollen Verhältnis zur Primärleistung steht, damit eine Profilierung am Markt tatsächlich auch realisiert werden kann.
Die zweite Dimension – Affinität zum Kernprodukt – beschreibt den sachlogischen und inhaltlichen Zusammenhang der angebotenen Zusatzleistung zur Primärleistung (vgl. Bruhn 2003: 77), sie können demnach direkt bei den Eigenschaften der Primärleistung ansetzen oder nur eine entfernte Affinität mit dieser haben. So weist z.B. die Möglichkeit, ein Musikinstrument von der Schule auszuleihen eine hohe, die Herausgabe einer Musikschulzeitung eine mittlere und die Einrichtung einer Cafeteria im Musikschulgebäude eine geringe Verwandtschaft zur Primärleistung, dem Musikschul-Hauptfachunterricht, auf. Das Angebot von immer wieder neuen Zusatzleistungen steigert die Erwartungshaltung der Kunden stetig. Was erfolgreich eingeführt und angenommen wurde, ist für den Nutzer in der Regel nach einiger Zeit eine Standard-Zusatzleistung. So wächst der Leistungskatalog nach und nach und die Kosten wachsen mit, was eine permanente Herausforderung für das Management einer Musikschule darstellt.
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V a l u e - Ad d e d - S e r v i c e s i m L e i s t u n g s k a t a l o g von Musikschulen Die diesem Beitrag zu Grunde liegende Untersuchung nahm zwei deutsche öffentliche Musikschulen exemplarisch im Hinblick auf ihre Leistungspolitik und die Verwendung von VAS unter die Lupe und verglich sie miteinander. Die empirische Studie, in der Eltern und Schüler dieser beiden Musikschulen befragt wurden, gab darüber Auskunft, wie bestimmte VAS von den Nutzern in ihrer Wichtigkeit beurteilt wurden. Die Ergebnisse sollten Aufschluss darüber geben, ob der Einsatz von VAS die Zufriedenheit der Nutzer in Musikschulen steigert. Da es sich bei der Erstellung der Musikschuldaten um eine »Momentaufnahme« aus dem Jahr 2004 handelt und beide Musikschulen sich in ihrem Leistungsangebot inzwischen wesentlich weiterentwickelt oder verändert haben, wird auf die Benennung der Namen verzichtet, so dass im weiteren Verlauf des Textes exemplarisch von einer Musikschule A und einer Musikschule B die Rede sein wird. Um ein vollständiges Bild über die VAS beider Musikschulen zu erhalten, wurden neben den statistischen Angaben zuerst die äußeren Umstände und Gegebenheiten, wie z.B. Lage und Zustand der Musikschulgebäude untersucht. Des Weiteren wurde ein Katalog der Ergänzungsund Zusatzangebote beider Musikschulen erstellt.
Musikschule A Statistische Angaben Die Musikschule A hat ihren Sitz in einer Stadt mit damals ca. 50.000 Einwohnern. Die Gesamtschülerzahl betrug 570 Schüler. 13 volle BATStellen (heute TVöD), die auf 22 Lehrkräfte verteilt waren, und neun Honorarlehrkräfte mit kleineren bis mittleren Deputaten unterrichteten an dieser Musikschule insgesamt 343 Wochenstunden.
Lage Die Musikschule liegt in der Nähe des Zentrums und ist durch öffentliche Verkehrsmittel gut erreichbar. In der näheren Umgebung gibt es wenige Parkplätze.
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Gebäude Das Gebäude, das der Stadt gehört und ausschließlich von der Musikschule genutzt wird, ist circa 100 Jahre alt. Es wirkt insgesamt hell und freundlich. In den Unterrichtsräumen und in den Gängen der Musikschule herrscht Rauchverbot. Im Winter können die Heizungen nicht reguliert werden. Es wird demnach entweder sehr warm, oder, wenn die Heizung ganz abgedreht wird, zu kühl. Es gibt keine Klimaanlage, dementsprechend kann es in den Räumen im Sommer unerträglich heiß werden. Im ganzen Haus gibt es zahlreiche renovierungsbedürftige Stellen an den Wänden. Dies erweckt den Eindruck der Verwahrlosung. Zu Instandhaltungszwecken stellte die Stadt im Jahr 2004 allerdings nur 700 € zur Verfügung. Auf die allgemein übliche Reinigung im Gebäude wird geachtet.
Unterrichtsräume Im Haus befinden sich 19 mit ausreichend Licht versehene Unterrichtsräume, die, wenn man von den schäbig aussehenden Vorhängen absieht, einen ansprechenden Eindruck erwecken. Nahezu jeder Lehrer hat einen eigenen Unterrichtsraum, es besteht demnach keine Raumknappheit. Dies macht eine Verlegung des Unterrichts bei Terminproblemen auf einen anderen Wochentag möglich.
Konzertsaal Der Vortragsraum der Musikschule präsentierte sich als äußerst renovierungsbedürftig. Hier sind massiv schadhafte Stellen an den Wänden, die sofort ins Auge springen. Gerade in diesem Raum, der bei Musikschulveranstaltungen der Öffentlichkeit präsentiert wird, wären Renovierungsarbeiten dringend angezeigt.
Aufenthaltsraum für Eltern und Schüler Es existiert ein Aufenthaltsraum für Eltern und Schüler, der am Beobachtungstag häufig frequentiert wurde.
Sekretariat Das Sekretariat und das Zimmer des Schulleiters befinden sich direkt neben dem Eingangsbereich. Hier können rasch Informationen eingeholt werden, ohne lange auf der Suche zu sein. Allerdings orientieren sich die Öffnungszeiten wenig an den Bedürfnissen der Nutzer. In dringenden
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Fällen können sich Nutzer jedoch außerhalb der Öffnungszeiten direkt an den Musikschulleiter wenden.
Corporate Design Das Logo der Musikschule, welches auf allen ihren Dokumenten erscheint, ist eher unauffällig. Da es von mehreren Institutionen der Stadt verwendet wird, trägt es wenig dazu bei, den Erkennungswert der Musikschule zu steigern.
Warteliste Eine Warteliste, die in einzelnen Bereichen bestand, konnte durch die Einstellung von Honorarlehrkräften abgebaut werden.
Ergänzungs- und Zusatzangebote der Musikschule A
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Die Musikschule bietet Instrumentenberatung in Form eines, für den potenziellen Nutzer unentgeltlichen, Orientierungstages an. Durch zusätzliche Beratungsgespräche haben Interessierte die Möglichkeit, sich noch detaillierter zu informieren. Im Schuljahr 2003/2004 wurde die Orientierungsstufe eingerichtet. Diese besteht aus vier Teststunden, für die eine einmalige geringe Gebühr erhoben wird. Durch die Einführung der Orientierungsstufe konnte eine höhere Flexibilität in der Vertragsgestaltung erreicht werden, da vorerst keine sechsmonatige Vertragsbindung eingegangen werden muss. Die Musikschule besitzt Leihinstrumente, die den Nutzern gegen ein Entgelt zur Verfügung gestellt werden. Familien, die im Besitz eines Familienpasses sind, erhalten eine Unterrichtsgebühren-Ermäßigung. Aus finanziellen Gründen dachte die Stadt über die Abschaffung des Familienpasses nach, entschied sie sich im Januar 2005 jedoch für dessen Beibehaltung. Die Lehrer der Musikschule sind verpflichtet, ein bis zweimal im Jahr Klassenvorspiele durchzuführen, um die Eltern über den Leistungsstand ihrer Kinder zu informieren. Auf Wunsch kann zum Ende eines Schuljahres eine Leistungsbeurteilung ausgestellt werden. Dieses Angebot wurde jedoch bisher von Eltern und Schülern nicht wahrgenommen. Auf circa 178 Instrumental- und Vokalfachbelegungen1 kommt eine Korrepetitionsstunde pro Woche. Für die zwei Vokalensembles der Instrumentalfachbelegungen, die keine Korrepetition benötigen, wie zum Beispiel die Klavier- oder Gitarrenfachbelegungen, wurden nicht mitgerechnet.
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Musikschule steht eine Wochenkorrepetitionsstunde zusätzlich zur Verfügung. Nach Ermessen der Lehrer und mit Zustimmung der Schulleitung können zusätzlich zum Hauptfachunterricht Ensemblestunden angeboten werden. Es existiert ein Kinderstreichorchester, das einmal pro Woche probt. Zuletzt wurden an den Wochenenden verstärkt Workshops (z.B. Improvisationskurse) oder Projekte angeboten, für die der Nutzer nur ein geringes oder gar kein Entgelt zu entrichten hatte. Dieses Angebot erzielte Zustimmung und wurde entsprechend stark besucht. Im Jahr 2004 gab es etwa 34 öffentliche Auftrittsmöglichkeiten, an welchen circa 300 Mitwirkende beteiligt waren und die von insgesamt etwa 2400 Zuhörern frequentiert wurden. Musizierstunden im Musikschulgebäude werden eher selten eingerichtet, diese Termine erscheinen auch nicht in der Presse. Im Jahr 2004 wurde ein Schulfest ausgetragen. Die Musikschule verfügt über einen hervorragenden Internetauftritt mit aktuellen Informationen rund um das Musikschulgeschehen. Ein Förderverein unterstützt die Arbeit der Musikschule. Er hat sich die Aufgabe gestellt, die Musikschule in ihrem Bildungsauftrag zu unterstützen, indem er Wochenendprojekte, Workshops und Kurse finanziell unterstützt. Außerdem ist er beim Erwerb neuer Instrumente behilflich. Die Musikschule bemüht sich, Kooperationen mit staatlichen Schulen und Vereinen einzugehen.
Es sollen auch einige Zusatzangebote genannt werden, die die Musikschule A nicht bzw. nicht mehr anbietet: • Kostenlose Schnupperstunden über einen längeren Zeitraum werden nicht angeboten, die Musikschule hat an deren Stelle die Orientierungsstufe konzipiert (siehe oben). • Einige Zeit bot die Musikschule kostenlosen Theorieunterricht zusätzlich zum Hauptfachunterricht an. Dieses Angebot richtete sich allerdings ausschließlich an Schüler, die sich auf ein Musikstudium vorbereiteten. Aus finanziellen Gründen und, nach Aussage des Musikschulleiters, auf Grund mangelnden Interesses der Nutzer wurde dieses Angebot aufgegeben. • Eine Orchesterfreizeit fand im Jahr 2004 nicht statt. • Der Leistungskatalog der Musikschule sieht keine Begabtenförderung, zum Beispiel durch zusätzlichen kostenlosen Hauptfachunterricht, vor. • Eine Musikschulzeitung wird von der Musikschule nicht herausgegeben.
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Es gibt keine Cafeteria im Musikschulgebäude. Überlegungen, einen Getränkeautomaten oder Wasserspender im Aufenthaltsraum der Eltern einzurichten, waren während der Untersuchung in der Planungsphase.
Musikschule B Statistische Angaben Die Musikschule B steht in einer Großstadt mit rund 590.000 Einwohnern. Im Jahr 2004 wurden an der Musikschule ca. 4.000 Schüler unterrichtet. 88 volle BAT-Stellen (heute TVöD) waren auf 165 Lehrkräfte verteilt, die insgesamt 2.480 Jahreswochenstunden unterrichteten. Es gibt keine Honorarlehrkräfte an der Musikschule. Bei den Angaben zum Gebäude wird hier ausschließlich auf das Hauptgebäude eingegangen, in dem 1063 der insgesamt 2480 Jahreswochenstunden erteilt wurden.
Lage Das Hauptgebäude der Musikschule liegt direkt im Zentrum, an einem Hauptverkehrsknotenpunkt der Stadt. Die Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel ist ideal. Eine öffentliche Tiefgarage mit zahlreichen gebührenpflichtigen Parkplätzen steht im Hause zur Verfügung.
Gebäude Im Gebäude, das der Stadt gehört, sind außer der Musikschule weitere kulturelle Einrichtungen, darunter die VHS untergebracht. Zusätzlichen Service bieten eine Hausinformations- und eine Kartenvorverkaufsstelle, eine Cafeteria und ein Sanitätsraum. Seit 2005 herrscht im ganzen Gebäude ein allgemeines Rauchverbot. Die Raumtemperaturen lassen sich in den Wintermonaten sehr gut regulieren, in den Sommermonaten dagegen sind die Temperaturen mangels Klimaanlage teilweise unerträglich. Dieser Zustand wurde von den Nutzern im Befragungsbogen mehrfach moniert. Zu Renovierungs- und Einrichtungszwecken stand der Musikschule im Jahr 2004 ein Betrag von 45.000 Euro zur Verfügung, wovon die Hälfte für Einrichtungs- und Instandhaltungsmaßnahmen im Hauptgebäude der Musikschule verwendet wurde. Da das Gebäude noch verhältnismäßig neu ist, befindet es sich insgesamt in einem ordentlichen Zustand.
VALUE-ADDED-SERVICES IN MUSIKSCHULEN | 245
Unterrichtsräume Im Hauptgebäude der Musikschule befinden sich 26 Unterrichtsräume. Alle Unterrichtsräume sind hell, ausreichend groß und ordentlich gereinigt. Hier ist die Raumkapazität allerdings viel zu gering. Das hat die Konsequenz, dass Lehrer, die nur einen oder zwei Tage im Hauptgebäude der Musikschule unterrichten, den Unterricht, falls er verschoben werden muss, nur auf das Wochenende verlegen können.
Konzertsaal Im Gebäude befinden sich zwei größere Säle, die sich für Ensembleproben, Klassenvorspiele und kleinere öffentliche Veranstaltungen eignen. Für Orchesterproben sind beide Säle allerdings zu klein. Eine Klimaanlage macht den Aufenthalt in den beiden Sälen auch an heißen Sommertagen erträglich. Bis zum Herbst 2005 steht ein größerer Saal für Orchesterproben an einem Tag pro Woche zur Verfügung. Ab Herbst 2005 wird dieser der Musikschule an zwei Wochentagen bereitgestellt. Auf diesen Saal, der circa 200 Sitzplätze fasst, kann die Musikschule auf Anfrage auch bei größeren Musikschulveranstaltungen zurückgreifen.
Aufenthaltsraum für Eltern und Schüler Einen speziellen Aufenthaltsraum für Eltern stellt die Musikschule nicht zur Verfügung. Jedoch bestehen Im Hauptgebäude der Musikschule ausreichend Aufenthaltsmöglichkeiten während des Unterrichts der Kinder, ohne diese Zeit wartend vor dem Unterrichtszimmer verbringen zu müssen. Im ganzen Gebäude stehen Tische und Stühle zur Verfügung. Zusätzlich bieten die Mediothek und die Cafeteria eine Möglichkeit, Wartezeiten zu überbrücken.
Sekretariat Wenn das Sekretariat der Schülerverwaltung, das sich hauptsächlich mit den Anliegen der Nutzer auseinandersetzt, geschlossen ist, können neben der telefonischen Auskunft auch Informationen im Sekretariat der stellvertretenden Schulleitung eingeholt werden, so dass man pauschal von nutzerfreundlichen Öffnungszeiten sprechen kann.
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Corporate Design Im Jahr 2004 entwickelte eine Werbeagentur ein neues Logo für die Musikschule, mit dem das Erscheinungsbild erneuert und ein Bild des Qualitätsanspruches der Musikschule wiedergegeben werden soll. Das neue Logo hat außerdem die Aufgabe, den Erkennungswert der Musikschule auf allen Plakaten, Handzetteln, Flyern und Programmen zu steigern.
Warteliste Es existiert eine Warteliste, auf der sich zeitweise über 1000 Kinder befinden. So muss bei besonders beliebten Instrumenten wie z.B. Violine oder Klavier mit erheblichen Wartezeiten gerechnet werden.
Ergänzungs- und Zusatzangebote der Musikschule B
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Instrumentenberatung in Form eines kostenlosen Orientierungstages. Zur Beratung bietet die Musikschule das Instrumentenkarussell an. Innerhalb von sechs Monaten lernen Interessenten alle Fachbereiche der Musikschule kennen, allerdings ohne intensiveren Kontakt zu einem bestimmten Instrument zu bekommen. Für dieses Angebot ist eine vertragliche Bindung von sechs Monaten erforderlich. Nutzer, die nicht im Zentrum der Stadt wohnen, haben die Möglichkeit, Unterricht in einer der Zweigstellen zu erhalten. Diese befinden sich ebenfalls wie das Hauptgebäude in U- und S-Bahnnähe und bieten für viele Schüler eine »Grundversorgung« quasi »um die Ecke«. Es wird eine Mehrfächerermäßigung bzw. Geschwisterermäßigung gewährt. Zusätzlich erhalten Familien, die im Besitz einer Familien- oder Sozialkarte der Stadt sind, eine weitere Ermäßigung. Die Musikschule besitzt Leihinstrumente, die dem Nutzer gegen ein Entgelt zur Verfügung gestellt werden. Auch bei den Leihinstrumenten werden Inhabern der Familien- und Sozialkarte seit dem Schuljahr 2004/2005 Ermäßigungen gewährt. Die Lehrkräfte sind dazu angehalten, ein- bis zweimal im Jahr Klassenvorspiele durchzuführen, um die Eltern über den Leistungsstand ihrer Kinder zu informieren. Circa 1446 Instrumental- und Vokalfachbelegungen der Musikschule teilten sich neun Korrepetitionsstunden pro Woche. Die Musikschule bietet kostenlosen Theorieunterricht zusätzlich zum Hauptfachunterricht an. Dieses Angebot richtet sich an alle
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Schüler der Musikschule, dementsprechend gibt es Kurse für jeden Leistungsstand. Im Jahr der Untersuchung gab es an der Musikschule 99 Spielgruppen, Instrumentalgruppen, Ensembles oder Bands. Zusätzlich zu diesen Ensembles existierten zwei Singgruppen, drei Streichorchester, ein Sinfonieorchester, fünf Zupforchester, drei Blasorchester und ein Akkordeonorchester. Die Möglichkeit des Besuches der Theaterwerkstatt rundet das Angebot an unentgeltlichen Zusatzleistungen der Musikschule ab. Gegen ein zusätzliches Entgelt können folgende Kurse an der Musikschule in Anspruch genommen werden: Theoriekurs für die Hochschulvorbereitung, Feldenkrais, Musiktherapie für Behinderte und Kompositionsunterricht. Im Jahr 2003 wurden sieben Orchesterfreizeiten durchgeführt. Von den entstandenen Kosten übernahm die Musikschule 25 %, die verbleibenden 75 % wurden von den Teilnehmern selbst getragen. Neben 165 öffentlichen Schülervorspielen gab es im Jahr 2003 zusätzlich 34 größere Veranstaltungen der Musikschule wie Orchesterkonzerte oder Tanz- und Musiktheater. Der Leistungskatalog der Musikschule sieht Begabtenförderung in Form der Studienvorbereitenden Ausbildung (SVO) vor. Nach bestandenem Vorspiel vor einer Prüfungskommission kommen die Jugendlichen in den Genuss einer wöchentlichen Zusatzstunde und erhalten außerdem die Gelegenheit, mit dem einmal pro Monat durchgeführten »Podium« sich regelmäßig in der Öffentlichkeit zu präsentieren und dadurch »Vorspielroutine« zu sammeln. Für die Begabtenförderung stellt die Musikschule 25 Plätze zur Verfügung. Eine weitere zusätzliche Förderung erhalten alle Schüler, die am Wettbewerb »Jugend musiziert« teilnehmen. Sie bekommen in der Vorbereitungsphase wöchentlich eine kostenlose Verlängerung ihres Unterrichts um 15 Minuten. Die Musikschule gibt zweimal im Jahr eine kostenlose Musikschulzeitung heraus, bestehend aus abwechslungsreichen Berichten, die das Musikschulleben widerspiegeln. Die Musikschule verfügt über einen ansprechenden Internetauftritt. Im Musikschulgebäude befindet sich eine Cafeteria. Die Musikschule ist bereits Kooperationen mit staatlichen Schulen eingegangen. Der Förderverein der Musikschule unterstützt ideell und materiell • die Schule bei großen Produktionen wie Opern, Musicals und CDEinspielungen;
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bedürftige Schüler bei Orchesterfahrten und Instrumentenausleihe; begabte Schüler bei besonderen Kursen und Reisen zu Wettbewerben; alle Schüler durch Zuschüsse bei Aufführungen und EnsembleFreizeiten.
Die folgenden Zusatzleistungen sind nicht im Katalog enthalten oder waren zum Zeitpunkt der Untersuchung noch in der Planungsphase: • Kostenlose Schnupperstunden sind im Leistungskatalog der Musikschule B nicht enthalten. • Auf Wunsch sollen in Zukunft in Verbindung mit dem Landesverband Leistungsbeurteilungen in Form eines »Qualipasses« ausgestellt werden. Dieses Angebot bestand im Jahr 2004 jedoch noch nicht. • In Anbetracht der geplanten Einführung von Ganztagesschulen bemüht sich die Musikschule verstärkt um eine Ausweitung ihrer Kooperationen mit staatlichen Schulen. Innerhalb dieser Kooperationen sind für die Zukunft unter anderem auch Überlegungen vorhanden, im Nachmittagsprogramm der staatlichen Schulen Angebote der Musikschule einzuplanen, z.B. Hilfe beim Üben. • Außerdem wird geplant, dass der Theorieunterricht über das Internet angeboten wird. Auf diese Weise würde Schülern der lange Anfahrtsweg zur Musikschule erspart.
Value-Added-Services beider Musikschulen im Vergleich Rahmendaten der Musikschulen Musikschule A
Musikschule B
Gesamtschülerzahl
570
4036
Unterrichtsbelegungen
667
4975
Jahreswochenstunden
343
2480
Schülerzahl prozentual zur Einwohnerzahl der 0-20-Jährigen
5,7 %
3,9 %
Städtischer Zuschuss je Musikschüler
962 €
990 €
Städtischer Zuschuss je Einwohner
9,56 €
6,77 €
Prozentuale öffentliche Deckung der Gesamtausgaben
53,0 %
62,3 %
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Unterrichtsgebühren-Situation Monatliche Unterrichtsgebühren Einzelunterricht: 45 min
Musikschule A
Musikschule B
99,00 €
81,00 €
Zweiergruppe: 45 min
46,50 € 47 % des Einzelunterrichtspreises
51,00 € 63 % des Einzelunterrichtspreises
Dreiergruppe: 45 min
31,50 € 23 % des Einzelunterrichtspreises
36,00 € 44 % des Einzelunterrichtspreises
Vierergruppe: 45 min
25,50 € 26 % des Einzelunterrichtspreises
36,00 € 44 % des Einzelunterrichtspreises
Fünfergruppe: 45 min
20,50 21 % des Einzelunterrichtspreises
27,00 € 34 % des Einzelunterrichtspreises
Bei der Gestaltung der Hauptfachunterrichts-Gebühren betreiben die Musikschulen eine vollkommen unterschiedliche Politik. Der Einzelhauptfach-Unterricht fällt in der Großstadtmusikschule B wesentlich günstiger aus als in Musikschule A. Unterricht in der Gruppe wird dafür in A höher subventioniert und dadurch billiger als in B. Während Gruppenunterricht der Musikschule B schon ab einer 2er-Gruppe wesentlich mehr Einnahmen erbringt als der Einzelunterricht, werden beim Unterricht in der Musikschule A erst ab einer 4er-Belegung höhere Einnahmen als durch Einzelunterricht erzielt. Die Statistik der Musikschule A vom 30.06.2004 weist keine einzige 4er- oder 5er-Hauptfach-Gruppenbelegung auf, somit erzielt sie entgegen der Regel, dass Gruppenunterricht den Musikschulen höhere Einnahmen beschert, die höchsten Einnahmen durch die Erteilung von Einzelunterricht. Die Nutzer dieser Musikschule lassen sich von den im Verhältnis besonders hohen Einzelunterrichts-Gebühren wenig abschrecken. 78,5 % der Hauptfach-Jahreswochenstunden werden dort dennoch durch Einzelunterricht abgehalten. Davon ausgehend, dass die Mehrheit der Nutzer Einzelunterricht dem Gruppenunterricht vorzieht, bietet die Musikschule B in Bezug auf die Hauptfachunterrichts-Gebühren somit wesentlich bessere Konditionen als die Musikschule A.
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Daten zu Ermäßigungen Auch die Gewährung von Ermäßigungen stellt einen VAS dar, den sich die Kommunen einiges kosten lassen. Beide Musikschulen gewähren Familien- und Sozialermäßigungen. Allerdings bietet die Großstadtmusikschule B eine zusätzliche Preisreduzierung an, wenn mehrere Fächer belegt werden, und senkt die Gebühren im Idealfall um 36 %, während die Musikschule A eine Reduzierung von höchstens 25 % vorsieht. Demnach erhalten Familien, die an der Musikschule B vier Fächer und mehr belegen und im Besitz einer Familienkarte sind, 45 Minuten Einzelunterricht zu einem Preis von 51,84 Euro. Sie zahlen damit monatlich 22,68 Euro weniger Unterrichtsgebühren als die Nutzer der Musikschule A, für die bei einer Familienermäßigung eine Unterrichtsgebühr von 74,52 Euro anfällt. Die Musikschule A gewährt eine Sozialermäßigung von 75 % und senkt den Einzelunterrichtspreis für Berechtigte damit auf monatlich 24,75 Euro. Für Nutzer der Musikschule B, die eine Sozialermäßigung bekommen, wird der Preis sogar um 90 % gesenkt. Sie erhalten 45 Minuten Einzelunterricht für eine monatliche Unterrichtsgebühr von 6,41 Euro.
Unentgeltlich angebotene Value-Added-Services Musikschule A
Musikschule B
ja
ja
Theaterwerkstatt
wird nicht angeboten
ja
Kostenloser Theorieunterricht
wird nicht angeboten
ja
Ensemblespiel
ja
ja
Orchester
ja
ja
Begabtenförderung
wird nicht angeboten
ja
Zusatzunterricht bei Teilnahme am Wettbewerb »Jugend musiziert«
wird nicht angeboten
ja
nein
Ja
Auftrittsmöglichkeiten in der Öffentlichkeit
ja
ja
Insgesamt gehaltene Wochenstunden ohne zusätzliche Gebühr
23,3
240
Prozentualer Anteil an den gehaltenen Gesamt-Jahreswochenstunden
6,79 %
9,68 %
Korrepetition
Musikschulzeitung
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23,3 Jahreswochenstunden, also 6,79 % der Gesamt-Jahreswochenstunden werden an der Musikschule A ohne für den Nutzer zusätzlich anfallende Gebühren angeboten. 23,3 Jahreswochenstunden entsprechen 68,5 % einer vollen Tarifstelle dieser Musikschule. 832 Schüler würden sich demnach Leistungen einer vollen BAT-Lehrkraft teilen, die ausschließlich unentgeltliche VAS anbietet. Die Personalkosten für unentgeltliche Zusatzleistungen können an dieser Musikschule mit circa 34.250 Euro pro Jahr veranschlagt werden. 240 Jahreswochenstunden stehen den Nutzern der Musikschule B zur Verfügung, ohne dass ein zusätzliches Entgelt fällig wird. Dies entspricht 9,68 % der gehaltenen Gesamt-Jahreswochenstunden. 240 Wochenstunden entsprechen etwa 7,2 vollen Tarifstellen an der Musikschule B. Auf eine mit vollem Deputat angestellte Lehrkraft, die ausschließlich unentgeltliche VAS zusätzlich zum Hauptfachunterricht anbietet, kommen hier 561 Schüler. Die Personalkosten für diese unentgeltlichen Zusatzleistungen können an der Musikschule B mit circa 360.000 Euro pro Jahr veranschlagt werden.
Entgeltlich angebotene Value-Added-Services Musikschule A
Musikschule B
Orientierungsstufe
Instrumentenkarussell
Leistung
vier Unterrichtseinheiten zum Ausprobieren
Kennenlernen aller Fachbereiche
vertragliche Bindung
vier Unterrichtseinheiten
sechs Monate
einmalig 31,50 €
21,00-27,00 € pro Monat
Bereitstellung von Leihinstrumenten
6,00-17,00 € (keine Ermäßigungen)
10,00-25,00 € (Ermäßigungen bis zu 36 %)
Orchesterfreizeiten (2003)
0
7
Hochschulvorbereitung
wird nicht angeboten
ja
Feldenkrais
wird nicht angeboten
ja
Musiktherapie
wird nicht angeboten
ja
Komposition
wird nicht angeboten
ja
Kennenlern-Angebot
Kosten
Der Vergleich der VAS in diesem Kapitel verdeutlicht, dass die Musikschule B ihren Nutzern, trotz insgesamt geringerer Unterrichtsgebühren,
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ein größeres Angebot an unentgeltlichen sowie entgeltlichen VAS bietet, als die Musikschule A. Allerdings soll an dieser Stelle auch darauf hingewiesen werden, dass es nicht ausschließlich darum geht, besonders viele Leistungen in Form von zusätzlichen Unterrichtsangeboten anzubieten, um die Nutzer einer Musikschule in allen Belangen zu überzeugen. Die Musikschule A punktet zum Beispiel bei der Anzahl der zur Verfügung stehenden Unterrichtsräume. Während hier pro Raum durchschnittlich 17 Unterrichtsstunden abgehalten werden, sind es im Hauptgebäude der Musikschule B mit 38 Wochenstunden pro Unterrichtsraum mehr als doppelt so viele. Dies führt in Musikschule B inzwischen dazu, dass sich mehrere Lehrkräfte am Tag einen Unterrichtsraum teilen müssen. Unterrichtsverschiebungen auf Wunsch der Nutzer sind dadurch kaum möglich. Die Musikschule B ist unter der Vorgabe des Stellenplanes außerdem seit vielen Jahren nicht in der Lage, den tatsächlichen Bedarf nach Musikunterricht von Kindern und Jugendlichen zu erfüllen. Sie schiebt eine Warteliste von rund 1.000 angemeldeten Schülern vor sich her. Eine Chancengleichheit auf Musikunterricht für alle interessierten Kinder und Jugendlichen ist dadurch nicht garantiert. Durch die Möglichkeit, Honorarlehrkräfte einzustellen, konnte die Musikschule A bestehende Wartelisten abbauen, ohne dadurch in finanzielle Engpässe zu geraten. Dies ist zwar optimal, um auf die Wünsche der Nutzer eingehen zu können und Wartelisten abzubauen, allerdings bedeutet es für Honorarlehrkräfte – im Gegensatz zu einer Festanstellung – massive finanzielle und soziale Einbußen.
N a c h f r a g e a n a l ys e Die Auflistung und Gegenüberstellung der VAS beider Musikschulen sagt noch nichts darüber aus, wie die vorhandenen Angebote bei den jeweiligen Musikschulnutzern ankommen. Um diese entscheidende Information zu gewinnen, ist es sinnvoll, eine Befragung durchzuführen. Eine Nachfrageanalyse ermöglicht es, ein genaueres Bild über die Bedürfnisse und Wünsche des Personenkreises zu bekommen, der untersucht werden soll. Die Befragung von Schülern und Eltern der Musikschulen hatte zum Ziel, Erkenntnisse darüber zu erhalten, welche VAS für einen Großteil der Nutzer besonders attraktiv sind. Im Elternfragebogen konnten zusätzlich Angaben gemacht werden, welche Zusatzleistungen ausschlaggebend für die Anmeldung an einer speziellen Musikschule wären, oder ob es VAS gibt, für deren Bereitstellung vom Nutzer sogar ein zusätzliches Entgelt bezahlt würde.
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Die Nutzer einer Musikschule sind manchmal näher in den Musikschulalltag involviert als die Schulleitung selbst. Aus diesem Grund macht es Sinn, gerade die Nutzer zu fragen, ob ihnen VAS einfallen, die in einer Musikschule bisher noch überhaupt nicht diskutiert wurden. Der Fragebogen gab die Möglichkeit, hierzu Angaben zu machen. Wie schon beschrieben, steigert das Angebot von neuen Zusatzleistungen die Erwartungshaltung der Kunden. Was erfolgreich eingeführt und angenommen wurde, ist für den Nutzer in der Regel nach einiger Zeit eine Standard-Zusatzleistung. Die Auswertung sollte Aufschluss darüber geben, ob sich dieses bei den Nutzern der beiden Musikschulen bestätigt. Im Vergleich zwischen den beiden Musikschulen konnte herausgestellt werden, dass die Nutzer der Musikschule B deutlich mehr VAS erhalten als die der Musikschule A. Die Auswertung des Fragebogens sollte darüber Auskunft erteilen, ob es sich zumindest in dieser Studie bewahrheitet, dass der Einsatz von VAS in Musikschulen die Kundenzufriedenheit steigert. Es wird darauf hingewiesen, dass diese Studie bestenfalls Tendenzen aufzeigen kann, auf den Anspruch der Repräsentativität wird jedoch verzichtet.
Au s w e r t u n g d e r F r a g e b ö g e n Im Fragebogen wurden die Nutzer zur Wichtigkeit von insgesamt 31 VAS befragt. An dieser Stelle wird auf einige besonders interessante Ergebnisse eingegangen. Wie schon angedeutet, gibt es VAS, die als absolutes Muss in den Leistungskatalog einer Musikschule gehören. Die Befragung hat gezeigt, dass die Instrumentenberatung sowie die Bereitstellung von Leihinstrumenten auf alle Fälle dazu gehören. Genauso wird von einer deutlichen Mehrheit der Nutzer erwartet, dass der Unterricht in sauberen, geheizten und ansprechenden Räumen abgehalten wird. Eine ebenso wichtige und für viele Befragte auch ausschlaggebende Einrichtung sind Zusatzangebote wie Ensemblespiel und die Möglichkeit in einem Musikschulorchester mitzuwirken. Kleinere Musikschulen wie die Musikschule A haben allerdings auf Grund ihrer geringen Schülerzahl meistens nicht die Möglichkeit, Orchester für jedes Niveau und Alter anzubieten. Eine Lösungsmöglichkeit bieten Kooperationen mit anderen Schülerorchestern im Umkreis der Musikschule, falls vorhanden. Für 88 % aller Nutzer ist es ebenfalls wichtig bis sehr wichtig, dass der Lehrer sich Zeit für Beratungsgespräche auf Wunsch nimmt. Hier zeigt sich die Ten-
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denz, dass einige Nutzer sogar bereit wären, für diese Zusatzleistung ein zusätzliches Entgelt zu entrichten. Eine flexiblere Vertragsgestaltung erachten 49 % der Nutzer als wichtig und 17,7 % sogar als sehr wichtig, so dass dieser Service als Soll-Leistung einer Musikschule erbracht werden müsste. Besonders zu Beginn einer »Musikschullaufbahn« geht es erst einmal darum, zu testen, ob der Wunsch, ein Musikinstrument zu erlernen, überhaupt längere Zeit anhält. Gerade in dieser Zeit kann Interessierten die »Bindungsangst« genommen werden, indem zum Beispiel eine sechsmonatige Probezeit vereinbart wird, in der jederzeit gekündigt werden kann. Die Musikschule A hat mit dem Angebot der Orientierungsstufe ein Zusatzangebot geschaffen, das genau auf diese Tendenz der Nutzer reagiert, sich nicht von Beginn an längerfristig an einen Vertrag binden zu wollen. Die Orientierungsstufe wurde von den Nutzern der Musikschule A sehr gut angenommen, so dass sie dort in der Wichtigkeit wesentlich höher eingestuft wird als von den Nutzern der Musikschule B, denen diese Zusatzleistung in der Form nicht angeboten wird. Sie hat sich bei der Musikschule A demnach rasant von einer Kann- in eine Soll-Zusatzleistung entwickelt. Dadurch, dass sie entgeltlich angeboten wird, bietet sie gerade Musikschulen, deren finanzielle Lage besonders angespannt ist, die Möglichkeit, sich zu positionieren und von der Konkurrenz abzuheben. Kostenlose Schnupperstunden werden von beiden Musikschulen nicht angeboten, alle Nutzer beurteilen sie allerdings als wichtig bis sehr wichtig. Sie ist demnach eine Zusatzleistung, welche als Kann-Leistung einer Musikschule gute Chancen bieten würde, sich gegenüber anderen Musikschulen zu profilieren. An dieser Stelle muss allerdings auf die Grenzen einer Musikschule im Hinblick auf die Finanzierung und die Kapazität hingewiesen werden. Die Musikschule B hat eine lange Warteliste, die Deputate der Lehrkräfte sind vollkommen ausgeschöpft. In diesem Kontext ist das Angebot von kostenlosen Schnupperstunden fast unmöglich. Anders sah es bis vor wenigen Monaten bei der Musikschule A aus. Die Deputate der Lehrkräfte waren nicht der tatsächlichen Schülerzahl angepasst. Es gab Lehrer, die noch Kapazitäten frei hatten. Da es in den meisten Fachbereichen keine Wartelisten gab, wäre hier die Möglichkeit vorhanden gewesen, sich durch kostenlose Schnupperstunden zu profilieren und damit die »Hemmschwelle« für Interessierte abzubauen. Die Zusatzleistung Bereitstellung professioneller Klavierbegleitung bei öffentlichen Auftritten wird von den Nutzern beider Musikschulen sehr unterschiedlich in ihrer Wichtigkeit bewertet. Die Musikschule A kann ihren Schülern nur noch zwei Korrepetitionsstunden pro Woche zur Verfügung stellen. Die Nutzer scheinen sich damit abzufinden, nur so
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lassen sich die 61,6 % erklären, die diese Zusatzleistung als unwichtig empfinden. Auch an der Musikschule B stehen viel zu wenig Korrepetitionsstunden zur Verfügung. Mit der Erwartungshaltung der Nutzer sieht es hingegen vollkommen anders aus. Die Bereitstellung professioneller Klavierbegleitung bei öffentlichen Auftritten wird hier als sehr wichtig empfunden und stellt damit in der Musikschule B eine Standardleistung dar. Dies ist ein Zustand, den die vollkommen überlasteten Korrepetitoren der Musikschule deutlich zu spüren bekommen, indem sie um ein Vielfaches mehr an Korrepetitionsstunden erteilen, als es ihr Deputat eigentlich vorsieht. Dass es sehr wichtig ist, das im Instrumentalunterricht erlernte Können auch in der Öffentlichkeit zu präsentieren, darüber sind sich alle Nutzer einig. Deshalb sollte der Service Auftrittsmöglichkeiten in der Öffentlichkeit eine Standardleistung jeder Musikschule darstellen. Diese Zusatzleistung steht absichtlich direkt unter der Zusatzleistung Bereitstellung professioneller Klavierbegleitung bei öffentlichen Auftritten. Etwa 90 % der Befragten der Musikschule A empfinden Auftrittsmöglichkeiten als wichtig. Da die Bereitstellung der für öffentliche Auftritte oft benötigten Klavierbegleitung nur in unzureichendem Maß gegeben ist, kann dem Wunsch der Nutzer wohl kaum entsprochen werden. Die Schulordnung der Musikschule A macht darauf aufmerksam, dass auf Wunsch zum Ende eines Schuljahres Leistungsbeurteilungen ausgestellt werden. Dieses Angebot wurde bisher nach Aussage des Musikschulleiters noch nie in Anspruch genommen. Die Hälfte der Nutzereltern der Schule empfindet diese Leistung jedoch als wichtig. Es kann davon ausgegangen werden, dass viele Nutzer die Schulordnung nicht oder nicht genau durchgelesen haben und auf Grund der unzureichenden Kommunikation seitens der Musikschule überhaupt nicht wissen, dass die Musikschule diese Zusatzleistung anbietet. Bei einer zunehmend leistungsorientierten Umwelt ist anzunehmen, dass die Ausstellung von Leistungsbeurteilungen in Zukunft für die Nutzer einer Musikschule immer wichtiger sein wird. Insgesamt 4,1 % der Befragten finden diese Zusatzleistung für eine Anmeldung an einer bestimmten Musikschule bereits ausschlaggebend. Die Musikschule B bietet mit Zusatzleistungen wie Orchesterfreizeiten, Begabtenförderung, Musikschulzeitung, einer Cafeteria im Musikschulgebäude oder kostenlosem Theorieunterricht eine ganze Reihe von VAS, die im Leistungskatalog der Musikschule A nicht vorkommen. Die Erwartungshaltung der Nutzer hat sich dementsprechend überwiegend geändert. Während die Nutzer der Musikschule A bei diesen Zusatzleistungen von Kann-Leistungen ausgehen, betrachten die
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Nutzer der Musikschule B diese Services inzwischen schon mindestens als Soll-Leistungen. Hilfe beim Üben wird von beiden Musikschulen noch nicht angeboten. Die Auswertung zeigte, dass bei allen Gruppen durchaus der Wunsch für die Einführung dieser Zusatzleistung besteht. Im Hinblick auf die geplante Einführung der Ganztagesschulen wäre mit dieser Zusatzleistung eine weitere Möglichkeit gegeben, Kooperationen mit staatlichen Schulen einzugehen.
Erwartungshaltung der Nutzer Die Auswertung verdeutlicht sehr anschaulich, dass das Angebot von immer wieder neuen Zusatzleistungen eine Spirale in Gang setzt und die Erwartungshaltung der Kunden beständig steigert. An der Musikschule B werden eindeutig mehr VAS angeboten als an der Musikschule A. Folglich ist die Erwartungshaltung der Befragten der Musikschule B, besonders bei den Leistungen, die dort angeboten werden und in A nicht, insgesamt deutlich höher, als die der Befragten von Musikschule A. Was gestern eine innovative Kann-Leistung war, zählt heute zur Soll-Leistung und wird morgen als Muss-Leistung vorausgesetzt. Aus der Sicht des Kunden kann dies als erfreulich wahrgenommen werden, für die Kultureinrichtung selbst stellt es eine permanente Herausforderung dar, wenn der Kunde weiterhin optimal zufrieden gestellt werden soll.
Zufriedenheit der Nutzer Zufriedenheit mit PreisLeistungs-Verhältnis
Sehr zufrieden
zufrieden
Weniger zufrieden
überhaupt nicht zufrieden
Nutzer Musikschule A
15,4 %
61,5 %
23,1 %
0%
Nutzer Musikschule B
41,7 %
52,1 %
6,2 %
0%
Zumindest in dieser Studie bewahrheitet es sich, dass der Einsatz von VAS in Musikschulen die Kundenzufriedenheit steigert. Keiner der Befragten ist mit der Leistung ihrer Musikschule überhaupt nicht zufrieden. Es ist anzunehmen, dass Interessierte, die mit dem Preis-LeistungsVerhältnis einer Musikschule überhaupt nicht zufrieden sind, die Leistung dieses Instituts erst gar nicht in Anspruch nehmen werden. Ein Großteil aller Nutzer ist mit der Leistung ihrer Musikschule zufrieden. Ein deutlicher Unterschied zeigt sich bei den Nutzern, die sehr zufrieden sind. Hier
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kann die Musikschule B mit 41,7 % ein deutlich besseres Ergebnis als die Musikschule A vorweisen.
Profilierungsfelder Die Auswertung der Nachfrageanalyse und der Vergleich der VAS beider Musikschulen verdeutlichen, dass eine allgemeingültige Profilierung von VAS, die auf jede Musikschule zutrifft, nicht möglich ist. Jede Musikschule hat auf Grund ihrer Gegebenheiten wie zum Beispiel ihrer Lage, ihrer Größe, ihrer finanziellen Möglichkeiten, aber auch der inzwischen aufgebauten Erwartungshaltung ihrer Nutzer Vorgaben, die berücksichtigt werden müssen. Aus diesem Grund muss jede Musikschule eine individuelle Profilierung vornehmen, welche intern erstellte Auswertungen, Musikschulvorgaben, die sich beispielsweise aus der Satzung ergeben können, und Wünsche der Nutzer berücksichtigt. Eine optimale Profilierung erreicht eine Musikschule durch das zusätzliche Angebot von VAS, die sich durch eine mittlere bis hohe Affinität zur Kernleistung auszeichnen und sowohl als Kann- oder SollZusatzleistung erwartet werden. »Besonders in diesem Bereich kann eine Profilierung dadurch erreicht werden, indem durch das Angebot dieser Value-Added-Services die Kundenerwartungen übertroffen werden.« (Vgl. Bruhn 2003: 79) Eine individuelle Profilierung in diesem Bereich könnte bei den beiden Musikschulen mit dem Angebot folgender zusätzlicher VAS erreicht werden.
Musikschule A
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kostenlose Schnupperstunden; Bereitstellung professioneller Klavierbegleitung bei öffentlichen Auftritten und im Unterricht; Theorieunterricht; Orchesterfreizeiten/Orchesterreisen; Kooperationen mit anderen Orchestern im Umkreis; weitere Kooperationen mit staatlichen Schulen; zusätzliche Fortbildungsangebote an Wochenenden oder in den Ferien; Hilfe beim Üben; Musikschulchor; musikschulinterne Wettbewerbe; nutzerfreundlichere Öffnungszeiten des Sekretariats; Musikschulzeitung; Instrumentenbörse.
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Musikschule B
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zusätzliche professionelle Klavierbegleitung auf Wunsch, gegen ein zusätzliches Entgelt; zusätzliche Fortbildungsangebote an Wochenenden oder in den Ferien; Hilfe beim Üben; Theorieunterricht über das Internet; Orientierungsstufe; musikschulinterne Wettbewerbe; jährliche Ausstellung einer Leistungsbeurteilung; Mitgliedsausweis in der Musikbibliothek; Instrumentenbörse; flexiblere Vertragsgestaltung.
Eine ausgeprägte Kundenorientierung wird jenen Musikschulen bescheinigt werden, die den Belangen ihrer Nutzer angepasste individuelle Profilierungsfelder entwickeln und dadurch Zuspruch, Zufriedenheit und damit auch die Anerkennung in der Bevölkerung steigern.
Zusammenfassung Die Kommunen ziehen sich finanziell immer weiter aus der Verantwortung zurück, folglich müssen die Gebühren mehr und mehr auf die Nutzer einer Musikschule übertragen werden. Die Realität spiegelt dies wider. Nachdem in der Musikschule B erst im September 2004 die Gebühren erhöht wurden, folgte im Jahr 2006 bereits die nächste Gebührenerhöhung. Um die Nutzer trotzdem weiterhin zufrieden zu stellen, bedarf es nützlicher und interessanter VAS, die den Wert des Angebotes heben. Nutzerbefragungen sind dabei eine sinnvolle und gewinnbringende Hilfe zur Beurteilung eines vorhandenen Angebots, zur Einführung neuer VAS oder zur Verbesserung der Marktpositionierung beziehungsweise der Kundenakzeptanz (vgl. Heinrichs 1995: 21). Viele Zusatzleistungen, die sich Nutzer in den Leistungskatalog ihrer Musikschule wünschen, sind auf Grund der finanziellen Ressourcen nicht erfüllbar, jedoch hat die Untersuchung deutlich gezeigt, dass es durchaus VAS gibt, die auch in Zeiten finanzieller Knappheit denkbar sind und den Nutzern einer Musikschule einen höheren Wert des Angebots vermitteln können.
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Nicht die Musikschulleitung entscheidet, sondern die Nutzer entscheiden über den Leistungserfolg einer Musikschule. Die Beurteilung der Qualität jeder Dienstleistung liegt in der Diskrepanz zwischen Besuchererwartung und dem, was tatsächlich passiert. Erfolgreiche Besucherorientierung heißt, Erwartungen in allen Bereichen zu übertreffen (vgl. Weberse 2000: 14).
Literatur Bruhn, Manfred (2003): Kunden-Orientierung. Bausteine für ein exzellentes Customer Relationship Management (CRM), München. Heinrichs, Werner (1995): »Publikumsbefragungen im Kulturmarketing. Methodische Grundlagen zur Informationsgewinnung für Kulturinstitutionen«. In: Handbuch Kultur-Management (D 2.3), Stuttgart. Klein, Armin (2001): Kultur-Marketing. Das Marketingkonzept für Kulturbetriebe, München. Klein, Armin (2003): Besucherbindung im Kulturbetrieb, Wiesbaden. Laakmann, Kai (1995): Value added services als Profilierungsinstrument im Wettbewerb. Analyse, Generierung und Bewertung, Frankfurt a.M. Weberse, Helena von (2000): »Besucherorientierung als Instrument des Kulturmarketing«. In: Handbuch Kultur-Management (D 1.7), Stuttgart.
Das Musikschulw esen und die Musiksc hulforsc hung in Österre ic h FRANZ-OTTO HOFECKER
Die Pluralität der Verantwortungsträger Wie lässt sich authentisch zum Musikschulwesen in Österreich berichten, wie ein Befund zu den Zukunftschancen des gleichermaßen kulturpolitisch wie bildungspolitisch wichtigen Tätigkeitsfeldes entwickeln? Muss es sich hier primär um repräsentative Einzelanalysen zum praktischen Tun an den insgesamt 1.426 Musikschulstandorten in Österreich handeln und im Ergebnis um einen musikpädagogischen Befund? Oder hat die Beschreibung des Musikschulwesens in Österreich vorwiegend die musikschulpolitischen Konzepte aus neun Bundesländern zu sichten, um daraus Einschätzungen zum organisatorischen Überbau vorzustellen? Geht es hier vor allem um einen kulturpolitischen Befund? Praktisch gesehen muss der Bericht wohl beides sein und hier liegt schon eine erste Herausforderung zur Analyse des Musikschulwesens in Österreich: Es muss sowohl von der Stimmungslage und den Entwicklungen an der Basis ein Eindruck vermittelt werden, als auch eine Situationsbeschreibung zum Musikschulwesen in Österreich aus musikschulpolitischer Sicht gegeben werden. Allerdings wird bei beiden Forschungsstrategien der Vergleich nach Bundesländern das dominierende Analyseraster sein. Nachhaltig wirksame Musikschulpolitik kann und wird selbstverständlich nur auf der übergeordneten Ebene gemacht, von hier aus werden die Möglichkeiten und Rahmenbedingungen der Basis entworfen und die Voraussetzung für eine erfolgreiche Praxis vor Ort erst gelegt. Von der politischen Tatkraft
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und den musikschulpolitischen Visionen der Landesebene hängt es am Ende auch ab, welche musikpädagogischen Ergebnisse konkret vor Ort möglich sind. Von dieser Ebene aus bestimmt sich aber auch der Handlungsrahmen der musikschulpolitischen Akteure an der Basis. Trotz alledem liegt sehr viel an der politischen Tatkraft und den musikschulpolitischen Visionen jener, die an den 1.426 Standorten die Musikschulpolitik vor Ort gestalten. Das Musikschulwesen in Österreich ist vielfältig und ein Bericht dazu muss dem ausreichend entsprechen. Für alle Blickrichtungen unserer Analyse, zur unmittelbar tätigen Basis vor Ort, zum bundeslandspezifischen Ergebnis für sich genommen und im Vergleich zu den anderen Bundesländern bis hin zum österreichweiten Gesamtergebnis gilt: Wegen der Vielzahl autonom tätiger Akteure kann das Thema Musikschulwesen immer nur als ein facettenreiches Gesamtes dargestellt werden. Die Berichte zum Musikschulwesen in Österreich müssen immer einen Eindruck von der Vielzahl tatsächlich vorhandener, durchaus miteinander konkurrierender »best practice«-Modelle vermitteln und weniger einer letztlich doch nur konstruierten Homogenität huldigen. Für die im Bereich Kundigen, eine der Kerngruppen der Musikschulforschung, ist evident, dass es diese weder gibt und auch nirgendwo angestrebt wird. Die erste und wohl wichtigste Botschaft dieses Beitrages ist: Es ist schwierig, riskant und am Ende vielleicht gar nicht notwendig, sich um einen gültigen Gesamtbefund zum Musikschulwesen in Österreich zu bemühen. Die vorgelegte Beschreibung lässt ein sehr unterschiedliches, in der internen Differenzierung zunächst noch gar nicht besonders kommentiertes buntes Nebeneinander von gleich gültigen, weil empirisch vorhandenen Strukturen zur Förderung des Musikschulwesens absichtsvoll bestehen. Ein mosaikartig aufgebautes Bild vom Musikschulwesen in Österreich spiegelt die Realität wider und bietet Anhaltspunkte zur Diskussion von »best practice«-Modellen. Gegen eine allzu kompakte und vereinheitlichende Gesamtsdarstellung sprechen zum gegenwärtigen Zeitpunkt aber auch forschungspragmatische Gründe: Noch immer ist die Musikschulforschung in Österreich vergleichsweise wenig entwickelt und führte bislang zu einer nur sehr geringen Ausbeute an hinreichend verifiziertem Überblickswissen und die Musikschulpolitik leidet an viel zu wenigen theoretisch-analytisch reflektierenden Arbeiten.1 Dies am Beginn des Beitrages zum Musikschulwesen in Österreich hervorzuheben ist wichtig, weil es auf die Diskrepanz verweist, dass es 1
Derzeit sind mehrere Dissertationsprojekte zum Musikschulwesen in Österreich in Arbeit, deren Ergebnisse mit Spannung erwartet werden. Verwiesen sei auch auf die Publikationen von Röbke (2004) und Bailer (2006).
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hierzulande trotz eines unbestritten hohen Maßes an praktischer musikpädagogischer Tätigkeit, damit verbunden an praktischem Erfolg und einer in vielen Landstrichen beeindruckend starken Akzeptanz der Institution Musikschule, auch trotz einer hohen Bereitschaft öffentlicher Stellen zu deren materiellen Unterstützung nur wenige, größer angelegte theoriegebundene empirische Forschungsprojekte gibt. Eine damit unmittelbar verbundene Konsequenz ist, dass in Österreich bislang ein viel zu geringer öffentlicher Diskurs zu den Grundlagen, dem Entwicklungsstand und wesentlichen Zukunftsfragen zum Musikschulwesen in Österreich geführt wird. Damit ist ein erstes Paradoxon in dem gebrochenen Verhältnis von Forschung und praktischer (Musikschul-)Politik zu sehen. Nun ist der Bedarf an Diskurs und differenzierender Feinsicht groß, der Nutzen für die Entscheidungsträger der Kulturpolitik daraus evident. Die Probleme einer landesweit gültigen wissenschaftlich-systematischen Beschäftigung mit dem Kulturbetrieb Musikschule in Österreich tauchen schon an Stellen auf, die für wissenschaftlich fundierte Arbeiten außer Streit gestellt sein müssen, um überhaupt Ergebnisse im Sinne neuer Erkenntnisse zeitigen zu können. So müssen etwa zu Beginn jeder wissenschaftlichen Untersuchung die Definitionsfragen zu den Grundkategorien geklärt und als solche nicht Thema des Disputs sein. Selbst unter den Experten der Kultur- bzw. Musikschulforschung gibt es (noch lange) keinen Konsens zum Gegenstandsbereich des Musikschulwesens. Es vermengen sich hier mit scheinbar reinen Sachdiskussionen musikschulpolitische Grundsatzüberlegungen2 von hoher praktischer Relevanz. Nun mag eingewendet werden, das Forschungsfeld Musikschulwesen sei noch zu jung, um schon auf einige, von der Politik und Forschung mit breitem Konsens getragene Definitionen verweisen zu können. Weder in der Forschung noch in der Musikschulpraxis reichte die Zeit zum Heranreifen abgeklärter Begriffe. Auch wenn an einer Reihe von Instituten der Österreichischen Musikuniversitäten schon zahlreiche Diplomarbeiten und vereinzelt auch Dissertationen zum Musikschulwesen vorliegen, so liegt das forschungspolitische Defizit im Fehlen eines Gesamtbefunds von aktueller Gültigkeit. Die bislang publizierte wissenschaftliche Literatur 2
Verwiesen sei hier auf das latent vorhandene Konfliktpotenzial in dem Disput, ob man sich im Kontext der Musikschulforschung nur mit den öffentlich getragenen (und auch primär öffentlich finanzierten) Musikschulen beschäftigen soll oder auch mit dem zunehmend wichtiger werdenden Bereich privater Anbieter. Diese in die Musikschulstatistik und -dokumentation gleichwertig mit einzubeziehen – oder eben zu ignorieren – ist für viele der hier Aktiven für sich genommen schon eine musikschulpolitische Grundsatzentscheidung ersten Ranges.
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zum Musikschulwesen umfasst Spezialuntersuchungen von einem nur eingegrenzten Beobachtungsradius. Sie versammeln primär statistisches Material und kommentierten dieses nur kurz. Als Publikationsbeispiel hierfür lassen sich die Statistischen Jahrbücher zu den Musikschulen in Österreich, die hoffentlich nur vorläufig eingestellt wurden, nennen. Es wurde in Österreich bislang auch völlig vernachlässigt, hinreichend ausgestattete strukturelle Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sich die Musikschulforschung entwickeln kann.3 Wie soll es aber weitergehen, wo muss für einen Neubeginn angesetzt werden? Trotz aller Unkenrufe ist unmissverständlich festzustellen: Die Musikschulforschung in Österreich beginnt sich zu konsolidieren und es darf schon jetzt mit Spannung erwartet werden, zu welchen Ergebnissen man dabei mittelfristig kommen wird. Dies festzustellen ist schon bedeutender, als nur in der Kritik zu verharren. Dem hier vorgelegten Sammelband zur Zukunft des Musikschulwesens im deutschsprachigen Raum kommt als Partner und externer Impulsgeber der Musikschulforschung in Österreich beträchtliche Bedeutung zu. Dabei wäre es naheliegend, dass es zum Thema Musikschulwesen in Österreich allein schon aus strukturellen Gründen zu heftiger, interner, wissenschaftlich belegter Fachdiskussion kommt. Da ist die primäre politische Verantwortlichkeit der Länder4 im Bereich Musikschulen, die zu einer direkten Konkurrenz von Förderungsmodellen, Erfolgseinschätzun3
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Aus der Konferenz der Musikschulwerke Österreichs (KOMU) konnte bislang nicht einmal ansatzweise eine ähnlich leistungsfähige Arbeitsstruktur wie die des Verbandes deutscher Musikschulen e.V. (VdM) entwickelt werden, mit all den damit verbundenen Konsequenzen für die Musikschulstatistik, Dokumentation und der Aktivierung eines qualifizierten Potenzials zur Organisation fachwissenschaftlicher Kongresse. Umgekehrt ist aber der Bedarf an wissenschaftlich fundierter Betriebsberatung groß, wie laufend an prominente Firmen der Wirtschaftsberatung vergebene Aufträge zeigen. Aus all diesen Gründen ist ein Professionalisierungsschub für die Musikschulforschung in Österreich mehr als überfällig. Die Bundesgesetzgebung kennt den Begriff »Musikschule« erst gar nicht. Bislang kommt dem Bund nur über das Gebot zur Fachaufsicht unmittelbar Bedeutung zu. Die das Musikschulwesen prägenden Gesetze wurden auf Länderebene entwickelt. Wien ausgenommen, verfügen alle Bundesländer zumindest über ein Musikschulgesetz, in manchen Bundesländern gibt es dazu bereits die dritte Novelle. Ein Umstand, der nicht Indiz von Mängeln ist, sondern auf die Dynamik der letzten Jahr(zehnt)e in diesem Bereich verweist.
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gen und Nachhaltigkeitskalkülen führt. In dem vergleichsweise kleinen Österreich gibt es im Musikschulbereich in zumindest neunfacher Ausfertigung eine völlig autonom konzipierte Musikschulpolitik. Aus methodischer Sicht lässt sich die scheinbar nachteilige Unübersichtlichkeit aber auch als Vorteil, nämlich als nahezu laborähnliche Situation zur Durchführung sozialwissenschaftlicher Untersuchungen definieren. Naheliegend wären laufend durchgeführte Analysen im Auftrag der Verantwortungsträger in den Ländern, um eigene Förderungsambitionen abzusichern und die Modellhaftigkeit der Musikschulpolitik des eigenen Bundeslandes nach außen, zumindest aber in die benachbarten Bundesländer zu tragen. Ganz vordergründig betrachtet sprechen also schon lokalpatriotische (politische) Argumente für diese Vermutung, weil es hier stets auch im politischen Sinn um Wettbewerbssituationen, um die unmittelbare Bewährung gegenüber kulturpolitischer Konkurrenz geht. Aber nicht nur die (kultur-)politische Konkurrenz unter Österreichs Bundesländern spricht für ein starkes, wissenschaftlich belegtes Interesse am Vergleich: Man weiß auch in den Musikschulkreisen selbst hinreichend genau um die Stärken, Qualitäten, besonderen Ergebnisse des Musikschulwesens Bescheid und so könnte man meinen, dass aus einem wohl begründeten Selbstvertrauen der Musikschulexponenten diese aus Eigeninteresse für Evaluationsprojekte sorgen. Jedenfalls schneidet in allen bisher bekannten Vergleichen des heimischen Musikschulwesens mit anderen Ländern der Musikschulbetrieb in Österreich äußerst gut ab. Aber selbst dort, wo das Ergebnis der Vergleiche dem heimischen Musikschulwesen gegenüber kritische Befunde und Nachholbedarf konstatiert, ließen sich für die Musikschulpraxis vor Ort Zusatzargumente für hinreichende Mittelausstattung, für eine stärkere Kenntnisnahme und Anbindung an »best practice«-Modelle anderswo ableiten. In Kreisen der Forschung und im wohl verstandenen Interesse einer Wissenschaftsgesellschaft wird davon ausgegangen, dass genauere Beobachtung und Beschreibung als Hintergrund für die Durchsetzung von Eigeninteressen immer gut und hilfreich sind. Umso unverständlicher ist die geringe Präsenz und der bislang nur wenig differenzierende Diskurs zur Situation und den Zukunftschancen des Musikschulwesens in Österreich in Sammelbänden, in Fachzeitschriften und bei Expertentagungen. Wenn in diesem Beitrag zum Musikschulwesen und zur Musikschulpolitik in Österreich insgesamt berichtet wird, wäre es naheliegend, beim Bund und den von ihm gesetzten Aktivitäten zu beginnen. Allerdings lässt sich von dieser Ebene gegenwärtig nur wenig berichten. In großer Resistenz hat man auf Bundesebene während der letzten Jahrzehnte den musikschulpolitischen Diskurs in der Öffentlichkeit weitgehend verweigert,
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indem man sich selbst in diesen Dingen als nicht zuständig erklärte. Schon gar nicht ließ man sich darauf ein, im Bereich Musikschule auf nachhaltig wirksame förderungspolitische Initiativen zu setzen. Damit wurde das Faktum der Musikschulpolitik in Österreich als ein ausschließlich landespolitisches Thema und landespolitisches Verantwortungsfeld noch zusätzlich zementiert. Die wahrzunehmende Haltung des Bundes war aber nicht immer so und wird wohl noch viel weniger in Zukunft so bleiben können. Eine kulturpolitische Präsenz und anfänglich auch eine praktische Förderungsbereitschaft des Bundes im Politikfeld Musikschulwesen entstand etwa in den frühen 1970er Jahren. Das öffentliche Interesse auf Bundesebene in Musikschulfragen gab es bereits einige Jahre vor den großen musikschulpolitischen Entwürfen der Bundesländer, insbesondere jenem von Oberösterreich. Vielleicht hilft allein die Erinnerung daran dem Bund, in einer zweifelsfrei ganz anderen Situation seine bislang so distanzierte Haltung zum Bereich Musikschule zu überdenken. Nachdem nach drei Jahrzehnten des Aufbaus von Grundstrukturen und der Expansion sich der Bereich Musikschule in Österreich immer stärker dem Betrieb eines Regelschulsystems angenähert hat und heute schon die Mehrzahl der Musikschulbetriebe mit Öffentlichkeitsrecht5 ausgestattet ist, unterliegen diese ohnehin bereits der Schulaufsichtspflicht des Bundes.6 Schließlich ist zur Frage, ob dem Bund im Musikschulbereich überhaupt Verantwortung zukommen kann, auch noch zu bedenken: Durch eine bereits in der Mitte der 1970er Jahre begonnene direkte Förderung von Musikschulen hat der Bund bereits bewiesen, dass er im Bereich Musikschule durchaus auch förderungspolitisch aktiv sein kann, wenn dem kultur- wie auch bildungspolitisch gesehen hinreichend Bedeu5
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Damit entsteht für beide Seiten, die beaufsichtigende Stelle und die beaufsichtigten Schulen, ein Beziehungsgeflecht von Rechten und Pflichten, zu dem angesichts der Entwicklungen der letzten Jahrzehnte eine Thematisierung in beiderlei Interesse stehen sollte. »Musikschulen mit Öffentlichkeitsrecht unterliegen der schulbehördlichen Aufsicht, sind den öffentlichen Schulen gleichgestellt und berechtigt, staatsgültige Zeugnisse auszustellen. Die Kooperation von Musikschulen und allgemein bildenden Schulen wird dadurch wesentlich erleichtert« (Rehorska 2004: 1545). Die Verleihung des Öffentlichkeitsrechtes muss vom Schulträger beim zuständigen Bundesministerium beantragt werden. Dazu ist der Nachweis des erzieherischen Zieles im Schulbetrieb, eine umfassende pädagogische Konzeption und eine solide wirtschaftliche Basis zu erbringen. Musikschulen mit Öffentlichkeitsrecht sind grundsätzlich gemeinnützig organisiert und zumeist überwiegend aus öffentlichen Mitteln finanziert.
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tung beigemessen wird. Gründe, mit Vertretern des Bundes im Bereich Musikschule erneut ins Gespräch zu treten, gibt es also sehr viele. Die Musikschulpolitik wird in Österreich in ihren Grundsätzen seit Jahrzehnten nahezu ausschließlich von den Ländern definiert und vollzogen. Aus der Wahrnehmung der aktuellen Praxis scheint dies auch ganz im Sinne der Kompetenzaufteilung zwischen den Gebietskörperschaften zu sein. Die musikschulpolitischen Basiskonzepte der neun Bundesländer in Österreich unterscheiden sich jeweils sehr deutlich voneinander. Der Spannungsbogen reicht dabei von einem Bundesland mit der bereits dritten Fassung eines Musikschulgesetzes, nämlich Niederösterreich auf der einen Seite und dem bisweilen als Welthauptstadt der Musik titulierten Bundesland Wien, wo bis dato nicht einmal ein Gesetzesentwurf für die Entwicklung eines Musikschulgesetzes zustande gekommen ist. Soweit die Unterschiede auf der Inputseite. Ebenso groß sind die Unterschiede bei Fragen der Umsetzung und der damit zusammenhängenden Ergebnisse, also auf der Outputseite. Aber auch die organisatorische Führung des Musikschulwesens ist als Konsequenz der Länderzuständigkeit in den neun Bundesländern Österreichs völlig unterschiedlich strukturiert. Hier reicht der Spannungsbogen7 von einem völlig zentralen Musikschulsystem – das Landesmusikschulwerk ist Teil der Landesverwaltung und alle landesweit tätigen Musikpädagogen sind Landesangestellte – bis hin zu einem völlig dezentralen System, bei dem die jeweilige Gemeinde in allen strategisch wichtigen Punkten die letztentscheidende Instanz ist. Die Stärke und Bedeutung der Bundesländer im Bereich Musikschule hat direkte Konsequenzen auch in Bezug auf die Fragen der Forschung und Dokumentation.
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Obwohl es einzelne Bundesländer gibt, die nahezu prototypisch die eine oder andere Polarität verkörpern, haben andere Bundesländer innerhalb der eigenen Grenzen beide Typen, also ein an das Land gebundenes Landesmusikschulwerk und zusätzlich völlig autonom geführte Musikschulbetriebe. Das Bundesland Tirol ist ein Bespiel dafür. Zu einem nahezu stufenlosen Übergang von dem einen zum anderen Modell kommt es in der Praxis aber auch deshalb, weil ein zentralistisch organisiertes Landesmodell in wesentlichen Punkten mit den Gemeinden kooperiert und auf deren aktiver Zusammenarbeit gründet, wie umkehrt bei einem völlig dezentralen Modell zumindest ein Drittel der Musikschulkosten vom Land getragen wird und dieses die Bereitstellung an Bedingungen knüpft (Steuerungsmotive wie Schulabschlussqualität bei Neueinstellungen, Lehrplanbedingungen, Gebührenbedingungen etc.).
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Für den Vollzug der Musikschulpolitik stehen in Österreich in einem erheblichen Ausmaß zahllose Akteure der kommunalen Ebene. Deren Bedeutung in Bezug zum musikschulpolitischen Gewicht der Landesebene einzuschätzen, fällt schwer. Allein darüber systematisch zu berichten, ist schon insofern ein komplexes Unterfangen, als es auf kommunaler Ebene keinen österreichweiten organisatorisch-politischen Zusammenschluss etwa zur Darstellung und Formulierung gemeinsamer politischer, ökonomischer oder strukturabhängiger Interessen gibt, zudem aber die gemeindespezifischen Beiträge und Probleme im Musikschulkontext je nach Bundesland sehr unterschiedlich sind. Auch liegen bislang keine größeren Analysen und noch weniger eine laufend erstellte Dokumentation zu Musikschulfragen nach gemeindesystematischen Gesichtspunkten vor. Dabei ist zu bedenken, dass es in Österreich statistisch gesehen bereits in rund jeder zweiten Gemeinde eine Musikschule gibt. Es ist nun schwer, mit all den genannten Interessensträgern zu kommunizieren, von ihnen ein gemeindespezifisches Gesamtresümee der Ergebnisse in Musikschulfragen, geschweige denn der Handlungslogik ihrer Entscheidungen zu erstellen. Aber wenn schon dies ein Unterfangen mit beträchtlichem Aufwand ist, so mag vielleicht der Austausch von zunächst nur sehr punktuellen Einsichten in umgekehrter Richtung, nämlich die Übermittlung der Einschätzung der Musikschulforschung an die Akteure an der Basis musikschulpolitischer Entscheidungsfindung auch in kurzer Frist gelingen. Hier kommt einer strategisch angelegten Musikschulforschung generell zur Bereitstellung einer laufend aufbereiteten Basisinformation und zur Aufbereitung der spezifischen Beratungsdienstleistung an politische Entscheidungsträger der kommunalen Ebene entscheidender Stellenwert zu. Im Anschluss an die strukturbezogenen Kommentare noch einige kurze Anmerkungen inhaltlicher Natur. Für eine Darstellung und Analyse der Musikschulpolitik eines Landes ist der musikpädagogische Blick zwar nur ein Teilaspekt des Gesamten, auf den zudem im hier vorgelegten Bericht zum Musikschulwesen in Österreich nur wenig eingegangen werden kann; wiewohl die musikpädagogische Sicht letztlich das Kernstück jeglicher Expertise zum Musikschulwesen sein muss, auch einer primär kulturpolitisch ausgerichteten. Diese Grundverortung jeglicher Musikschulforschung sei hier ausdrücklich und nahezu dogmatisch8 festgestellt. Ne8
In den letzten Jahren wurden Firmen der klassischen Betriebsberatung immer wieder für Studien und Analysen beauftragt. So wie es außer Streit steht, dass die Beiziehung externer Kompetenzen schon grundsätzlich zu befürworten ist, so bleibt hier doch zu fragen, ob und in wel-
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ben der inhaltlichen Beschränkung dieses Berichts liegt aber auch eine Konzentration nach typologisch-institutionellen Gesichtspunkten vor: Der vorgelegte Bericht ist auf die Beschäftigung mit der Musikschule klassischen Zuschnitts konzentriert. Die Musikschulforschung im hier dargebotenen Sinn aus Österreich beschäftigt sich nur mit einem Spezialbereich von Institutionen der musikalischen Unterweisung, nämlich mit jenen Musikschulinstitutionen klassischen Zuschnitts. In diesem Beitrag ausdrücklich nicht enthalten sind daher die musikpädagogischen Einrichtungen außerhalb der Musikschulstruktur: Es fehlen etwa die, wie bereits weiter oben erwähnt, privat organisierten musikpädagogischen Angebote.9 Es sind dies – gemäß der Altersstruktur und dem Qualifikationsniveau der Schüler – die auf gleicher »Augenhöhe« zu den Angeboten dieser Musikschulen klassischen Zuschnitts sich befindlichen privaten Musikschulen. Ob und in welcher Weise das musikpädagogische Gesamtkonzept der beiden Schultypen sich erheblich voneinander unterscheidet, wird wohl späteren Untersuchungen und definitorischen Festlegungen vorbehalten sein müssen. Schon jetzt und vor allem unter Einbeziehung musikschulpolitischer Gesichtspunkte kann aber festgehalten werden, dass in der musikschulpolitischen Auseinandersetzung aktuellen Zuschnitts
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chem Ausmaß bei diesen Beauftragungen die Berücksichtigung musikpädagogischer Sichtweisen gewährleistet ist. Die Frage ist insbesondere vor dem gesteigerten Hintergrund in der wissenschaftlichen Kompetenz von Mitarbeitern des Musikschulwesens zu stellen (eine beträchtliche Anzahl von Dissertationsprojekten zum Musikschulbereich, die von Spitzenkräften des Musikschulmanagements bzw. der Musikschulpolitik betrieben werden). Vor allem in absehbarer Zukunft sei hier sowohl auf die Qualität der jeweils spezifischen Kompetenzen, aber auch für sich genommen aus rein quantitativen Gesichtspunkten schon bedeutungsvollen »Think Tank« verwiesen. Bei neuerlichen, extern vergebenen Beratungsaufträgen muss dieser in seiner Kompetenz überboten werden, soll es tatsächlich zu hilfreichen Beratungsprozessen kommen. Die Palette reicht hier von der privaten Musikschule (als Betriebsform) bis hin zu musikpädagogischen Angeboten (Unterricht) von privaten Einzelpersonen (Privatunterricht). Gerade in Städten (Wien, Graz, Salzburg) und Landstrichen (Niederösterreich als Umland zu Wien) mit einer großen Zahl von Musikuniversitäten (bzw. -studenten), professionell geführten klassischen Symphonieorchestern und sonstigen Berufsmusikern, dürfte die so bereitgestellte musikpädagogische Unterweisung den Musikschulen ebenbürtig und mengenmäßig nicht unbedeutend eingestuft werden. Dringend erforderlich wären auch dazu genauere Studien.
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gerade im Gegensatz öffentliche versus private Musikschulen sogar ausdrücklich von einer wichtigen Polarität im Diskurs auszugehen ist. Wie komplex in der Praxis, in der Politik, aber auch in der Forschung sich Abgrenzungsfragen gestalten, sei auch mit dem Hinweis unterstrichen, dass in Österreich in bestimmten Bundesländern bei der Aufzählung der Musikschulangebote auch das musikpädagogische Leistungsspektrum der Volkshochschulen10 genannt wird. Genau diese Gleichstellung wird umgekehrt von anderen Bundesländern und deren Musikschulwesen ausdrücklich abgelehnt. Im Leistungsniveau qualitativ und der Ausbildungskarriere den Musikschulen übergeordnet11 befinden sich die Konservatorien und die Musikuniversitäten. Auch auf diesen Bereich wird im vorliegenden Bericht mit keinem Wort eingegangen, obwohl es hier an vielen Punkten für beide Ausbildungsbereiche höchst bedeutsame Schnittflächen12 gibt. In den vorgelegten Zahlen zum Musikschulwesen in Österreich fehlt auch gänzlich der Musikunterricht an den Pflichtschulen. Reicht nun aber das ausgewählte Beobachtungsfeld nach inhaltlichinstitutionellen Gesichtspunkten aus, um authentisch zu den Problemen, Chancen und Erfolgen des Musikschulwesens in Österreich berichten zu können? Eine wohl schwierige Frage, mit der sich der Kreis zu den Einleitungsüberlegungen, nämlich dem Fragenblock zu den notwendigerweise 10 Diese Position wird insbesondere bei musikschulpolitischen Diskussionen in einer breiteren Öffentlichkeit von (musikschul-)politischen Verantwortungsträgern in Wien eingenommen, insbesondere aus dem weiter oben schon genannten Grund, für Wien zu höheren Musikschülerzahlen zu kommen bzw. um damit die hohen Musikschülerzahlen in anderen Bundesländern zu relativieren. Nur bei deren Bewährung kann mittelfristig die krasse und in Fachkreisen völlig unbestrittene Unterversorgung Wiens mit Musikschulplätzen abgebaut werden. Wie die bisherige Praxis und das über dreißig Jahre konstant bleibende Musikschuldefizit gezeigt hat, handelt es sich hier aber tatsächlich um eine sehr große Herausforderung. 11 So wird etwa in einer Studie zur musikalischen Vorbildung der Studierenden an den Musikhochschulen in Wien, Salzburg und Graz (Bundesministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst 1995) festgestellt, dass die Studierenden an Österreichs Musikhochschulen zu rund 60 % von den Musikschulen kommen bzw. dort zumindest begonnen haben. Weit abgeschlagen davon rangieren der Privatunterricht und die Musikgymnasien. 12 Die Einstiegsqualität der Nachwuchsstudenten aus Österreich an den Musikuniversitäten wird primär von der Abgangsqualität an den heimischen Musikschulen definiert. Umgekehrt stellen die Musikschulen mit derzeit schon rund 7.000 Beschäftigten den mit Abstand wichtigsten Arbeitgeber der Absolventen von Musikuniversitäten.
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für eine wissenschaftliche Abhandlung im Vorfeld zu klärenden Definitionsfragen wieder schließt: Für die Musikschulforschung in Österreich stellt die Einladung für die Bereitstellung dieses Beitrages uns schon jetzt vor einem Bündel in dieser Arbeit nur vorläufig erörterten Fragen. Die Einladung zum Diskurs ist vor allem aber eine Herausforderung für die Zukunft. Beiden Anforderungen muss man sich stellen, sollen die Potenziale der Zukunft nicht wissentlich verwirkt werden. Auch dies sei als ein ganz grundsätzlicher Aspekt der Verantwortung einer wertegebundenen Musikschulforschung hervorgehoben und so der weiteren Vertiefung zur Orientierung anheim gestellt.
Die Bedeutung der Musikschulforschung für die Politik Die Musikschulforschung aus kulturpolitischer Sicht Musikschulen als pädagogische Einrichtungen sind allein für sich genommen schon ein unbestritten wichtiges Thema, sind aber als exemplarischer Kulturbetrieb eines der regsamsten Aktivitätsfelder des Kulturbereiches insgesamt. Dies beginnt schon bei den Überlegungen ihrer breitenwirksamen Popularität. Das Musikschulwesen in Österreich steht für tagtägliche kulturelle Betätigung von rund 200.000 Kindern und Jugendlichen13 mit nachhaltiger Wirksamkeit. Musikschulkinder sind die größte und zuverlässigste Gruppe der kulturell Engagierten in diesem Land. Die Zuverlässigkeit und der Umfang ihrer laufend praktizierten kulturellen Tätigkeit übersteigt nach vielen Kriterien die Bindung des Publikums etwa über Abonnementstrukturen im Theater- und Konzertbereich: In der Musikschule erscheinen die Kinder zumindest wöchentlich einmal. Eine einzige Musikschulstunde bewirkt nach einschlägigen Untersuchungen im Schnitt rund das Siebenfache an Übungszeit zu Hause. Nur in der Musikschule wird musikalisches, gar künstlerisch eigenes aktives Tun begründet. Hinter den Jugendlichen des aktiven Musikschulbesuches stehen 13 Dies ist die nur leicht nach oben revidierte Zahl der Jugendlichen an öffentlichen Musikschulen in Österreich. Die Zahl der Jugendlichen mit musikpädagogischer Unterweisung liegt wohl deutlich darüber, wenngleich bei derartigen Gesamtstatistiken neben der Unterscheidung nach Altergruppen und Schultypen (Musikschulbereich, Pflichtschulbereich, AHS-Bereich etc.) sehr rasch auch zu einer Differenzierung nach qualitativen Gesichtspunkten (im Angebot wie auch in den Abgangsqualitäten) übergegangen werden sollte.
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natürlich deren Familien und das mit ihnen verbundene soziale Umfeld. Rechnet man hier nahe liegende Aktivierungsmultiplikatoren hoch, so gibt es in Österreich kaum einen Kulturbetrieb mit einer auch nur ansatzweise gleich großen Aktivierungsleistung. Jedenfalls ist aus kulturpolitischer Sicht das Aktivitätsfeld der Musikschulen als Modellbeispiel zur Aktivierung und Qualifizierung des unmittelbaren Zugangs zu Kunst und Kultur für breite Bevölkerungsschichten beeindruckend groß. Man kann die kulturpolitische Bedeutung der Musikschulen aber auch in ihrer direkten Beziehung zu den Institutionen des Kulturbetriebes darstellen. Etwa in ihrer symbolischen aber auch praktischen Funktion als Plattform und Austragungsort von Kulturveranstaltungen der verschiedensten Art. Das Tätigkeitsfeld der Musikschulen hat in Österreich in den Bundesländern für sich genommen schon jetzt einen sehr hohen kulturpolitischen Stellenwert.14 Musikschule ist aber bei weitem nicht (mehr) ein Betrieb, in dem es ausschließlich um die Organisation und Bereitstellung musikpädagogischer Unterrichtsleistungen geht. Gerade in kleineren und mittleren Gemeinden kommt den Musikschulen oftmals die Funktion eines Kulturzentrums zu. Über die materielle (Bauten) wie personelle (Musikschuladministration wie Musikpädagogen) Infrastruktur der Musikschulen werden vielfach die Aktivitäten auch in den anderen Kunstsparten (Literatur, Theater, Film, bildende Kunst) durchgeführt. Für ein Land wie Österreich, in dem die Kulturpolitik und der Kulturbetrieb schon generell einen vergleichsweise sehr hohen gesellschaftlichen Wert hat, kommt daher auch vor diesem Hintergrund den Musikschulen kulturpolitisch wie gesellschaftspolitisch eine wichtige Funktion zu, die grundsätzlich über die Bedeutung der Musikschule als pädagogische Einrichtung im engeren 14 Bei der Entwicklung der großen Musikschulentwicklungsmodelle, allen voran sei hier jenes von Oberösterreich genannt, gab es in Österreich eine sehr heftig geführte Diskussion zum Kulturgefälle Stadt-Land. Im Vorfeld dieser für die Kulturpolitik des Bundes wichtigen Diskussion gab es groß angelegte sozialwissenschaftliche Studien zum Kulturverhalten der Österreicher. Nachdem dieses Gefälle sozusagen auch wissenschaftlich abgesichert in öffentliches Bewusstsein Eingang gefunden hatte, wurde an Strategien zu dessen Abbau, zumindest aber Minderung gearbeitet. Eine der sechs konkret im kulturpolitischen Maßnahmenkatalog empfohlenen Handlungsstrategien lag in der Entwicklung und in dem Ausbau des Musikschulwesens. Ironie der (kulturpolitischen) Geschichte: Die Maßnahme wurde zwar auf Bundesebene erdacht und empfohlen, tatsächlich umgesetzt und zu einem der erfolgreichsten kulturpolitischen Modelle der Zweiten Republik wurde es jedoch durch die Projekte, Modelle und faktische Förderungsbereitschaft der Länder.
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Sinn weit hinaus reicht. Jedenfalls ist die Musikschule in Österreich schon jetzt ein äußerst wichtiger Partner der Kulturpolitik ganz generell, er wird dies aus vielerlei Gründen in Zukunft aber noch sehr viel mehr sein. Musikschulen stellen aber auch zur Bewährung, Stabilisierung und Bestätigung des Musiklandes Österreich einen nicht unterschätzbaren Basisbereich dar. Kommt es hier zu Versäumnissen, ist etwa der Verlust der Konkurrenzfähigkeit der heimischen Nachwuchskünstler eine erste unmittelbare Folge. Allerdings gibt es bislang nur wenige Analysen, wie hier Zusammenhänge bestehen und die jeweils spezifischen Beiträge zum heimischen Musikleben »produziert« werden. Was leisten die Musikschulen bislang etwa zur Absicherung des Nachwuchses unter den gegebenen Rahmenbedingungen tatsächlich? Hier entwickelte Argumentationen werden auf eine Erläuterung der Unverzichtbarkeit des Beitrages der Musikschulen zur Absicherung des für den Musikbetrieb Österreichs erforderlichen überdurchschnittlich hohen professionellen Rekrutierungsniveaus bei Nachbesetzungen hinauslaufen müssen. Ein anderes Thema, das auch auf die Folgen der Kompetenzentwicklung durch das Musikschulangebot Bezug nimmt, ist im Kausalzusammenhang von analoger Bedeutung, in der Breitenwirksamkeit aber noch viel folgenreicher. Die konkrete Fragestellung richtet sich hier nach den Konsequenzen der breitenwirksam angelegten musikpädagogischen Arbeit für die Qualifizierung von Publikumskompetenzen, der Aktivierung und der Bindung breiter Bevölkerungsschichten an die Angebote des heimischen Konzertbetriebes. Vereinfacht als Arbeitshypothese formuliert gilt: Nur aus einer aktiven und kundigen Eigenbeschäftigung mit den Werken der Musikkultur kann Publikum auf Dauer gebunden werden. Das Erlernen eines Instruments mag dafür das Mittel sein. Auch hier ist ein Befund zu den bislang schon vom Musikschulwesen erzielten Ergebnissen von ebenso großer Bedeutung wie eine Analyse der über einen weiteren Ausbau des Musikschulwesens hier noch zusätzlich aktivierbaren Potenziale. Auch wenn man sich über die Grundzusammenhänge durchaus verständigen kann, so sind in einer ersten Runde hier jedenfalls zu den Funktionalitäten noch genauere Analysen durchzuführen. Österreich hat sich in Europa und weltweit als Kulturland positioniert. Österreich als Kulturnation war schon für die Beitrittsverhandlungen zur Europäischen Union selbst von Bedeutung, dies war aber auch für die Argumentation und das Lebensgefühl Österreichs hernach und im politischen Alltag ein wichtiger Mentalitätshintergrund. Nicht weniger gezielt wurde das Bild der Kulturnation bei der Präsentation während der Ratspräsidentschaft Österreichs für die Europäische Union eingesetzt. In Ös-
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terreich selbst gibt es dafür historische Gründe, und das Bild der Kulturnation Österreichs wurde schon in zahlreichen Analysen ausführlich beschrieben, bisweilen beschworen. Im Kontext zur Kulturnation Österreich kommt dem Musikbereich aber ein besonderer Stellenwert zu. Die heimische Musikkultur war und ist hier immer schon ein zentrales Element im Kulturverständnis Österreichs gewesen. Musikschulen sichern dieses nun ab – vor allem ist das für die Zukunft zu unterstreichen. Das Musikschulwesen Österreichs in der bestehenden Ausprägung ist ein Ergebnis des sukzessiven Ausbaus während der letzten Jahrzehnte. Vor dreißig und mehr Jahren gab es hier eine völlig andere, keineswegs so lebendige Situation. Selbstverständlich wurden aber auch schon davor musikpädagogische Erfordernisse den damaligen Rahmenbedingungen gemäß bedient. Das Musikland Österreich und dessen exponierte Aushängeschilder15 basierten stets und zu allen Zeiten auf der Absicherung eines qualifizierten strukturellen Hintergrundes, um sich gegebenen Wettbewerbssituationen gegenüber bewähren zu können. Zweifelsfrei gab es hier im gegenständlichen Untersuchungszeitraum einen an vielen Punkten merkbaren Professionalisierungsschub. Das Musikschulwesen aktuellen Zuschnitts hat sich indes einer neuen gesellschaftlichen, generell politischen wie auch kulturpolitischen Situation gegenüber zu bewähren. Auch dies gilt es im Kontext einer der Kulturpolitik verbundenen und praxisnahen Musikschulforschung ins Blickfeld zu bringen. Mit dem Themenfeld und dem Tätigkeitsbereich der Musikschule in Verbindung stehen viele andere Subthemen von ebenfalls hoher gesellschaftspolitischer Relevanz. Einige davon erlangten während der letzten Jahre im Kontext der Kulturpolitik große Bedeutung. Eine ›Themenkarriere‹ betraf etwa die Diskussionen zur Kultur- und Kreativwirtschaft. Eng damit verbunden sind die Themen von Kultur und Beschäftigung. Auch hier hat die Musikschule schon jetzt große Bedeutung und es kann über die Musikschulforschung große Anschaulichkeit entwickelt werden. Auch aus beschäftigungspolitischen Gründen ist die Musikschule in Österreich ein wichtiges Thema. Die Zahl der Musikpädagogen an Österreichs Musikschulen ist genau so groß wie die beschäftigungslos gemeldeten Akademiker. Auch hier sei auf die exemplarische Bedeutung dieser Bereichsdiskussion für die Abhaltung eines kulturpolitischen Diskurses verwiesen. Eine musikschulpolitische Diskussion in den Kontext der allgemein geführten beschäftigungspolitischen Diskussion zu stellen, ist allein schon deshalb wichtig, weil es gegenwärtig keine andere Kunstsparte mit einem so großen, schon jetzt gegebenen Beschäftigungsvolumen gibt. 15 Als Synonym dafür mögen zunächst die heimischen Spitzenorchester bzw. der damit verbundene Opern- und Konzertbetrieb genommen werden.
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Der Bereich eines (erfolgreich ausgebauten) Musikschulwesens könnte sich so als Prototyp für andere Kunstsparten erweisen, die es in späteren Jahren dann ebenso Zug um Zug auszubauen gilt.
Die Musikschulforschung aus bildungspolitische Sicht Die Bedeutung des Musikschulbetriebes als Teil des Schul- und Bildungswesens in Österreich ist ebenso evident wie die Notwendigkeit eines systemübergreifenden Diskurses dazu. Die Musikschulforschung im hier vorgestellten Sinn leistet dies. Unbestritten ist der Beitrag der wissenschaftlichen Expertise bei der Beobachtung und Begleitung von Schulversuchen, bei der Konzeptionierung und Positionierung neuer pädagogischer Modelle, bei der Vorbereitung schulpolitischer Grundsatzentscheidungen. Erfreulicherweise kommt bei den schulpolitischen Diskussionen jüngeren Datums in Österreich den Vernetzungsdiskussionen im Sinne von Regelschulsystem und gesellschaftlichen Anliegen im Bereich berufsbezogener Aus- und Weiterbildung, Verortung des Stellenwerts von Allgemeinbildung ganz generell und der musisch-kulturellen Bildung im Besonderen ein erhöhter Stellenwert zu. In diesem Zusammenhang gilt es auch die Beobachtung und Analyse der Schnittstelle zwischen Regelschulwesen und Musikschulwesen geradezu als Prototyp für eine Diskursverschmelzung von grundsätzlicher Bedeutung zu sehen. Die Ergebnisse daraus sind schon für die Weiterentwicklung des Regelschulwesens wichtig, nicht zuletzt, weil auch in Österreich wegen der PISA-Ergebnisse die Schulpolitik unter Erfolgsdruck geraten ist. Ab sofort darf also kein Aspekt von Faktoren, die Erfolgsparameter beeinflussen, außer Acht gelassen werden. Diskursinteresse gibt es aber auch aus umgekehrter Richtung: Für das Musikschulwesen ist die Bewältigung sie unmittelbar betreffender Konsequenzen von nahezu existenzieller Bedeutung: Hier kann die Zukunft ebenso verstellt werden, wie neue Chancen daraus entwickelt werden können. In jedem Fall wird aber eine verantwortungsvolle Musikschulpolitik, im Vorfeld dazu auch die Musikschulforschung, gut beraten sein, lange vor den Entscheidungen zu den bislang vorhandenen Optionen umfassend zu recherchieren. Das Gebot der Diskursverschränkung gilt für jeglichen durch die PISA-Studien ausgelösten Diskurs – ergebnis- und rankingorientiert wie modell- und methodenorientiert. Generell werden über ein zunehmend dichter werdendes Forschungsprogramm ständig neue Beobachtungsfelder und Handlungsperspektiven dazu eröffnet. Nun ist hier nicht der Ort für Grundsatzbewertungen, doch sei im Zusammenhang mit dem inhaltlichen Anliegen dieses Beitrags festgestellt, dass zumindest bei den breit in der Öffentlichkeit wahrnehmbaren PISA-Diskussionen und bei der
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Entwicklung von Zukunftsstrategien zum Schulwesen dem musisch kulturellen Bereich viel zu wenig, weitgehend sogar überhaupt keine Beachtung geschenkt wird. Dies ist für ein Land wie Österreich, in dem der Bereich Kunst und Kultur einen gesellschaftlich hohen Stellenwert hat, ein auf Dauer nicht haltbares Manko. Das in Österreich überaus erfolgreich entwickelte Musikschulwesen bietet sich daher nahezu als Prototyp für eine Verschränkung von so wichtigen bildungs- und kulturpolitischen Zukunftsdiskussionen an. Die PISA-Diskussion hat gezeigt: Auch die vereinfachende Quantifizierung verschafft Aufmerksamkeit und kann so zum Auslöser ernsthafter qualifizierter inhaltlicher Diskussion werden. Gleichwohl sichert erst die öffentliche Diskussion nachhaltig wirksame Folgeschritte ab. Die Ergebnisse der Musikschulausbildung werden in einer nicht geringen Breite in der Öffentlichkeit wahrgenommen und sind für die Gesellschaft präsent und relevant. Das Themenfeld Musikschule ist in Österreich für jede qualifizierte bildungspolitische Diskussion unverzichtbar. Verwiesen sei hier etwa auf Erörterungen zum Bildungsbegriff, auf Fragen, wofür die Schule überhaupt ausbilden soll und wie sich Qualitäten messen lassen. Der Musikschule als Institution kommt für bildungspolitische Diskussionen geradezu ein Laborcharakter zu. Etwa bei Überlegungen zur Leistungs- und Begabtenförderung, unabhängig davon ob sich die Diskussion auf das einzelne Kind bezieht oder Themen wie Gruppenarbeit und Teamfähigkeit erörtert werden. Der Musikschulbereich kann auch zu vielen anderen Fragen der Bildungs- und Jugendpolitik wichtige Beiträge und Lösungsmodelle anbieten. Exemplarisch sei nur auf Themen wie Multikulturalität und ein kundiges Miteinander fremder Kulturen verwiesen.
Die Ergebnisse der Musikschulforschung in Österreich Bisher hat das Statistische Jahrbuch der Musikschulen nur mit den Daten der Musikschulen selbst argumentiert. Mit diesem Bericht wird die Musikschulanalyse verstärkt mit der Bildungs- und Schulstatistik verbunden. In der folgenden Präsentation zentraler Ergebnisse wird eine Gegenüberstellung von Musikschule und Kindergarten, Musikschule und Volksschule, Musikschule und allgemein bildender Höherer Schule (AHS), sowie Musikschule und Lehrerbildungsanstalten (pädagogische Akademien) vorgenommen. Damit wird eine gezielte Integration von Schulstatistik und Musikschulstatistik eröffnet. Hier werden die Relationen der Institutionen dargestellt und dabei auf die Ebene von Lehreranalysen, Schüleranalysen etc. übertragen. Eine weitere Ebene sortiert die Musikschülerzahlen nach demographischen Gesichtpunkten. Des Weiteren erfolgt eine Darstellung der Relationen von Musikschulkennzahlen und Einwohnern. Dies
DAS MUSIKSCHULWESEN UND DIE MUSIKSCHULFORSCHUNG IN ÖSTERREICH | 277
ist wiederum der Beginn der Darstellung erreichter Versorgungsqualitäten, deren Anschaulichkeit und politische Relevanz in den nächsten Jahren noch gesteigert wird.
Die Entwicklung der Schülerzahlen Insgesamt stieg in Österreich die Zahl der Musikschüler allein während der Jahre 2001 bis 2004 von 155.427 auf 171.981. Über den gesamten Beobachtungszeitraum ist dies eine Zunahme von 10,65 %. Allein vom Jahr 2001 auf 2002 betrug die Zunahme 4,7 %. Nach Bundesländern unterschieden, stieg in Kärnten die Musikschülerzahl von 7.539 auf 10.984. Dies entspricht auf den gesamten Beobachtungszeitraum bezogen, einer Zunahme an Musikschülern von plus 45,70 %. Umgekehrt gab es nur ein einziges Bundesland, nämlich die Steiermark, das auf den gesamten Beobachtungszeitraum bezogen ein Minus von 1,67 % zu verzeichnen hatte. Tabelle 1: Musikschülerentwicklung in Österreich im Bundesländervergleich. Anzahl der Hauptfachschüler in den Jahren 2001 bis 2004 Bundesland
Musikschüler 2001
2002
2003
Veränderung in % 2004
Schülerzugang
2001/ 2002/ 2003/ 2001/ 2001/ 03
04
4,34
0,56
1,31
6,3
315
1,90
10.984 19,83
3,44 17,54
45,7
3.445
20,81
04
Burgenland
5.002
5.219
5.248
Kärnten
7.539
9.034
9.345
45.529
46.772
49.023
50.809
2,73
4,81
3,64 11,60
5.280
31,90
36.696
38.417
38.922
39.709
4,69
1,31
2,02
8,21
3.013
18,20
8.350
8.748
9.406
9.413
4,77
7,52
0,07 12,73
1.063
6,42
Steiermark
20.468
20.911
20.241
20.126
2,16
-3,20 -0,57 -1,67
-342
-2,07
Tirol
14.225
15.040
15.800
16.259
5,73
2.034
12,29
Vorarlberg
12.677
13.471
12.212
13.497
6,26
6,47
820
4,95
4.941
5.123
5.491
5.867
3,68
7,18
6,85 18,74
926
5,59
155.427 162.735 165.688
171.981
4.70
1,81
3,80 10,65 16.554 100,00
Niederöster-
5.317
04
%
02
reich Oberösterreich Salzburg
Wien Gesamt
5,05
2,91 14,30
-9,35 10,52
Quelle: IKM-Datawarehouse Musikschulstatistik, Statistische Jahrbücher der Musikschulen in Österreich, Kulturstatistik 2004
278 | FRANZ-OTTO HOFECKER
Die Zunahme der Musikschüler belief sich auf 16.554. Bei den Zunahmen fällt auf, dass sich diese neben dem schon oben erwähnten Kärnten aus den Schülerzuwächsen der musikschulstarken Bundesländer Nieder- und Oberösterreich ergeben. Die zusätzlichen Zunahmen von Musikschülern kommen zu 50 % allein aus diesen beiden Bundesländern. Rechnet man die Musikschüler aus Kärnten noch den musikschulexpansiven Bundesländern hinzu, kommt man auf einen Anteilswert von über 70 % allein aus diesen drei Bundesländern. Im Gegensatz dazu fällt auf, dass die Zunahme von Musikschülern in Wien von der eigenen Ausgangsbasis berechnet mit einem plus von 18,74 % zunächst hoch erscheint, was jedoch auf den äußerst geringen Ausgangswert zurückzuführen ist. Im österreichweiten Verhältnis ist der Anteil Wiens nur mit 5,59 % zu bewerten. Soll es also österreichweit aus mittlerer Sicht zu einer nachhaltig gültigen Steigerung der Musikschülerzahlen kommen, wird dies erst dann möglich sein, wenn es in Wien über mehrere Jahre hinweg zu einer stetigen Steigerung der Musikschülerzahlen kommt.
Die Entwicklung der Musikschulen nach Standorten Bei der Darstellung und Analyse der Entwicklung nach Musikschulstandorten gilt es zwischen Hauptanstalten und weiteren Unterrichtsorten zu unterscheiden. Hauptanstalten sind Musikschulen mit eigener Direktion und zumeist sind ihnen weitere Unterrichtsorte zugeordnet. Bei der Kennzeichnung »Hauptanstalten« wird nur auf das Kriterium der organisatorischen Leitung, nicht aber auf die Musikschulgröße (Zahl der Musikschüler, Zahl der Lehrkräfte, eigenes Gebäude oder Unterbringung in einem anderen, zumeist Schulgebäude etc.) eingegangen. Bei den Hauptanstalten kam es während der letzten Jahre ganz offensichtlich zu einer Strukturbereinigung, etwas neutraler formuliert, zu einer Strukturangleichung. Während Oberösterreich 2001 65 Hauptanstalten hatte, waren es in Niederösterreich (flächenmäßig wie einwohnermäßig ähnlich groß und auch nach den Musikschülerzahlen ein vergleichbares Bundesland) im gleichen Jahr mit 168 Hauptanstalten nahezu dreimal so viel. Bis 2004 stiegen in Oberösterreich gemäß einem langfristig entwickelten Ausbauplan die Hauptanstalten auf 68, in Niederösterreich wurden diese um 25 Standorte abgebaut. Somit gab es in Niederösterreich im Jahr 2004 nur mehr 143 Hauptanstalten. In allen anderen Bundesländern blieb die Zahl der Hauptanstalten über den Beobachtungszeitraum hinweg entweder konstant oder stieg nur geringfügig an. Somit kam es auf ganz Österreich bezogen zu einem Rückgang an Hauptanstalten von
DAS MUSIKSCHULWESEN UND DIE MUSIKSCHULFORSCHUNG IN ÖSTERREICH | 279
415 auf 402, begründet allerdings weitgehend nur durch die Strukturbereinigungsmaßnahmen in Niederösterreich. Tabelle 2: Musikschulstandortentwicklung in Österreich im Bundesländervergleich. Anzahl der Hauptanstalten und weiteren Unterrichtsorte in den Jahren 2001 bis 2004 Bun-
Hauptanstalten
Weitere Unterrichtsorte
Musikschulen
Verände-
desland Burgen-
rungen 2001 2002 2003 2004 2001 2002 2003 2004 2001 2002 2003 2004 abs.
In %
16
16
16
16
96
99
100
105
112
115
116
121
9
9,28
Kärnten
40
38
47
49
10
14
16
17
50
52
63
66
16
16,49
Nieder-
168
155
152
143
171
265
199
200
339
420
351
343
4
4,12
65
66
67
68
81
77
88
94
146
143
155
162
16
16,49
20
20
18
18
94
98
103
104
114
118
121
122
8
8,25
47
47
47
47
173
180
180
180
220
227
227
227
7
7,22
Tirol
26
26
26
26
184
184
184
184
210
210
210
210
0
Vorarl-
16
20
18
18
94
83
122
126
110
103
140
144
34
35,05
17
17
17
17
11
13
14
14
28
30
31
31
3
3,09
415
405
408
402
land
österreich Oberösterreich Salzburg Steiermark
berg Wien Gesamt
914 1.013 1.006 1.024 1.329 1.418 1.414 1.426
Quelle: IKM-Datawarehouse Musikschulstatistik, Statistische Jahrbücher der Musikschulen in Österreich, Kulturstatistik 2004 Bleibt noch auf die Veränderung bei den weiteren Unterrichtsorten zu verweisen. Diese weisen sich dadurch aus, dass sie einer anderen Musikschuldirektion zugeordnet sind, also über keine eigene Direktion verfügen, wenngleich auch an dislozierten Orten Leitungsstellen (etwa als stellvertretende Leiter von Hauptanstalten) eingerichtet sein können. Allein aus dem Faktum weiterer Unterrichtsorte kann aber nichts über die Größe (Schüler, Lehrer, Gebäude), noch über die Breite des Fächerangebotes ausgesagt werden, wenngleich es sich dabei in der Regel um eingeschränkte Betriebsformen handelt. Weitere Unterrichtsorte können andere
97 100,00
280 | FRANZ-OTTO HOFECKER
Gemeindegebiete, aber auch andere Unterrichtsorte im gleichen Gemeindegebiet (Bezirk, wie dies in Wien zumeist der Fall ist) sein. Die weiteren Unterrichtsorte wurden in allen Bundesländern, ausgenommen Tirol, ausgebaut. In Summe nahmen die weiteren Unterrichtsorte auf den gesamten Beobachtungszeitraum bezogen um über 10 % zu. Somit korreliert diese Zahl ziemlich genau mit der Steigerung der Musikschülerzahlen. Die aus der Musikschüler- bzw. Elternperspektive wichtigste Kennzahl der Musikschulstandortentwicklung betrifft wohl die Zahl der Musikschulen. Dies ergibt sich aus der Addition von Hauptanstalten und weiteren Unterrichtsorten und betrifft jene Adressen in Österreich, an denen über mehrere Wochen durchgehender Musikschulunterricht stattfindet. Diese Zahl wird daher auch als Bezugsgröße des Musikschulvergleichs, mit der Zahl der Kindergärten und den Schulstandorten im Regelschulsystem herangezogen. Stehen diese Zahlenwerte in enger Relation, so kann generell von einer kinder- bzw. bedarfsgerechten Versorgungslage im Musikschulbereich ausgegangen werden. Liegen sie auseinander, so ist dies nicht der Fall. Es ist daher auch nicht verwunderlich, wenn gerade in jenen Ländern, in denen große Differenzen vorliegen, auch nur sehr mangelhafte Versorgungsraten erreicht werden. Es erstaunt dann auch nicht, wenn der Ausbau des Musikschulwesens nach Standorten zu rund 70 % von jenen Bundesländern getragen wird, in denen schon jetzt die höchsten Versorgungslagen erreicht sind (Vorarlberg und Oberösterreich, oder die trotz vergleichsweise guter Versorgungslage in den letzen Jahren mit enormen Steigerungsraten von Musikschülerzahlen aufwarten konnten wie Kärnten). Umgekehrt verwundert es wenig, wenn Wien als musikschulmäßig am schlechtesten versorgtes Bundesland beim Ausbau des Musikschulwesens nach Standorten in den letzten vier Jahren nur mit 3 % Anteil beteiligt ist. Auch hier gilt, dass ein Gleichziehen Wiens mit den übrigen Bundesländern nur möglich sein wird, wenn es über mehrere Jahre zu deutlichen, über den Österreichschnitt liegende Zuwachsraten kommt.
Zur Entwicklung der Lehrenden an den Musikschulen Auch für diese Tabelle sei ausdrücklich unterstrichen, dass es sich hierbei um die einfachste Form der Analyse und Beobachtung handelt. Es werden die an Musikschulen tätigen Lehrkräfte nur nach Köpfen, jeweils in ihren Gesamtzahlen nach Jahren und Bundesländern gezählt. Aus dieser Erfassung lässt sich weder eine Einschätzung zur Fluktuation (wie groß war im Vergleich zum Vorjahr jeweils die Anzahl der Zu- und Abgänge), noch zum Beschäftigungsausmaß, zur Qualifikation oder Altersstruktur entwickeln. Hier gibt es aber bezüglich der Einschätzung der Qualitäten bei den pädagogischen Mitarbeitern wirklich wichtige Fragen. Sehr hohe
DAS MUSIKSCHULWESEN UND DIE MUSIKSCHULFORSCHUNG IN ÖSTERREICH | 281
oder im Vergleich sehr geringe Mitarbeiterzahlen können also ganz unterschiedlich motiviert sein: Hohe Mitarbeiterzahlen können aus einem vergleichsweise starken Anteil an nur geringfügig Beschäftigten führen, vergleichsweise geringe Beschäftigtenzahlen aus einem vergleichsweise hohen Anteil an Vollbeschäftigten. Analoges betrifft auch die musikschulpolitischen Konsequenzen aus diesen Zahlen: Ein hoher Anteil an Mitarbeitern in den höchsten Dienstklassen kann vergleichsweise hohe Personalkosten begründen, überwiegend junge und nur über Werkverträge gebundene Mitarbeiter verursachen vergleichsweise viel geringere Personalkosten(anteile). Eine wesentliche Herausforderung wird sein, zukünftig auf diesen Ebenen Untersuchungen im Mehrländervergleich zu führen. Tabelle 3: Entwicklung der Lehrenden in Österreich im Bundesländervergleich. Anzahl der Musikpädagogen in den Jahren 2001 bis 2004 Bundes-
Musikpädagogen 2001
Veränderungen im Jahresintervall
2002 2003 2004
2001/02
2002/03
2003/04
Veränderungen 2001/04 Zugang
Abgang
land
Burgen-
abs.
in %
abs.
in %
abs.
179
187
176
176
8
4,5
-11
-5,9
-11
270
283
312
371
13
4,8
29
10,2
2.411 2.180 2.211 2.223
-231
-9,6
31
1,4
31
Oberös- 1.308 1.353 1.320 1.327
45
3,4
-33
-2,4
-33
in % abs.
in %
abs.
0,0
in %
3
1,4
188
87,44
land Kärnten Nieder-
29 18,9 101
35,94
0,5 119
österreich 0,5
15
6,76
5,34
terreich Salz-
371
359
380
386
-12
-3,2
21
5,8
21
1,6 117
720
805
820
837
85
11,8
15
1,9
15
2,1
Tirol
603
599
599
601
-4
-0,7
0
0,0
0
0,3
2
0,93
Vorarl-
544
574
569
522
30
5,5
-5
-0,9
-5
-8,3
22
10,23
307
311
336
336
4
1,3
25
8,0
25
0,0
Gesamt 6.713 6.651 6.723 6.779
-62
-0,9
72
1,1
72
0,8 281 100,00 215 100,00
burg Steier-
41,64
mark
berg Wien
29
10,32
Quelle: IKM-Datawarehouse Musikschulstatistik, Statistische Jahrbücher der Musikschulen in Österreich, Kulturstatistik 2004
282 | FRANZ-OTTO HOFECKER
Zunächst kann festgestellt werden, dass auf den gesamten Untersuchungszeitraum bezogen die Zahl der an Musikschulen Beschäftigten um 66 Personen gestiegen ist. Anteilsmäßig handelt es sich dabei österreichweit um einen Zugang von rund einem Prozent. Wird nach Zu- und Abgängen bei den Gesamtsummen nach Bundesländern unterschieden, so ergeben sich die Zugangswerte in einem hohen Ausmaß aus zwei Bundesländern, der Steiermark und Kärnten, die zusammengenommen für fast 75 % des Zuganges an Beschäftigten stehen. Umgekehrt wird der Abgang an Beschäftigten zu fast 90 % von einem einzigen Bundesland (Niederösterreich) begründet. In beiden Fällen dürfte es sich um die Konsequenzen aus Strukturbereinigungen handeln: Es wurden neue Schulstandorte aufgebaut oder ein zunächst sehr verzweigtes Netz mit vielen kleinen Musikschulorten auf leistungsstärkere Angebotsorte konzentriert.
Indikatorenentwicklung zur Standardisierung von Beurteilungskriterien Die Unterschiede in den Versorgungslagen nach Bevölkerungszahlen Tabelle 4: Musikschulstandorte in Österreich im Bundesländervergleich. Indikatoren zur Musikschulstandortentwicklung in den Jahren 2001 bis 2004 Bundes-
Musikschulen
land 2001
2002
2003
112
115
116
50
52
63
66
339
420
351
146
143
Salzburg
114
Steiermark
Burgenland Kärnten
2004
Musikschulen pro 10.000
Musikschulen pro 10.000
Kinder/Jugendliche
Einwohner
2001
2004
2001
2002
2003
2004
121 17,82 18,48 18,81 19,77
4,05
4,16
4,20
4,36
2003
3,87
4,73
5,00
0,89
0,93
1,13
1,18
343
9,32 11,53
9,6
9,34
2,20
2,71
2,26
2,19
155
162
4,17
4,07
4,41
4,60
1,06
1,03
1,12
1,16
118
121
122
8,83
9,13
9,35
9,42
2,21
2,27
2,32
2,33
220
227
227
227
7,85
8,10
8,14
8,16
1,85
1,91
1,91
1,90
Tirol
210
210
210
210 12,23 12,17 12,14 12,12
3,12
3,09
3,07
3,05
Vorarlberg
110
103
140
144 11,73 10,93 14,81 15,19
3,13
2,91
3,93
4,01
28
30
31
Niederös-
3,70
2002
terreich Oberösterreich
Wien Gesamt
31
0,88
0,92
0,93
0,90
0,18
0,19
0,19
0,19
1.329 1.418 1.414 1.426
6,98
7,41
7,36
7,38
1,65
1,75
1,74
1,74
Quelle: IKM-Datawarehouse Musikschulstatistik, Statistische Jahrbücher der Musikschulen in Österreich, Kulturstatistik 2004
DAS MUSIKSCHULWESEN UND DIE MUSIKSCHULFORSCHUNG IN ÖSTERREICH | 283
Zunächst wird in Tabelle 4 das Ergebnis der Tabelle 2 nochmals wiederholt und die Gesamtzahl der Musikschulen nach Standorten aufgelistet: Österreichweit wurden im Jahr 2004 Musikschulen im hier definierten Sinn an 1.426 Standorten geführt. Dies ist ein grundlegender Indikator für das Angebot, aber auch der Erreichbarkeit der Musikschulwesens in Österreich. Um diesen Indikator noch zusätzlich zu veranschaulichen, wurde er nach zwei, wenngleich miteinander in Verbindung stehenden Richtungen hin differenziert. Die Zahl der Musikschulen wurde auf die Kinder und Jugendlichen (Altersgruppe zwischen fünf und fünfundzwanzig Jahren) und auf die Zahl der Einwohner bezogen. Anliegen der hier vorgestellten Indikatoren ist vor allem eine praktische Anschauung zur Angebots- und Leistungsstruktur der Musikschulen zu geben. 10.000 Jugendliche sind etwa fünf mal die Sitzplatzanzahl im Musikverein oder einmal die Stadthalle Wien. Für diese Zahl an Jugendlichen stehen nun in Österreich im Schnitt 7,4 Musikschulen zur Verfügung. Allerdings unterscheiden sich die Chancen tatsächlich einen Platz in einer Musikschule zu bekommen, je nach Bundesland erheblich. Im Burgenland standen für 10.000 Kinder und Jugendliche im Jahr 2004 fast 20 Musikschulen zur Verfügung, in Vorarlberg 15, in Tirol und Niederösterreich 12 bzw. 9, in Wien nicht einmal eine (0,90). Ein ähnliches Anliegen, nämlich praktische Anschaulichkeit zu entwickeln, liegt im zweiten in Tabelle 4 entwickelten Indikator, nämlich den Musikschulen pro 10.000 Einwohner.
Quelle: IKM-Datawarehouse Musikschulstatistik, Statistische Jahrbücher der Musikschulen in Österreich, Kulturstatistik 2004, Demographisches Jahrbuch 2004
Tabelle 5: Musikschuldichte in Österreich im Vergleich der Bundesländer. Anteilswerte der Musikschüler an Kindern und Jugendlichen in den Jahren 2001 bis 2004
284 | FRANZ-OTTO HOFECKER
Die Musikschülerdichte als Erfolgsindikator
DAS MUSIKSCHULWESEN UND DIE MUSIKSCHULFORSCHUNG IN ÖSTERREICH | 285
Tabelle 5 führt den Indikator Zahl der Musikschüler pro 100 Jugendliche ein. Anders formuliert: Der Prozentanteil an Jugendlichen, die tatsächlich einen Musikschulplatz erhalten haben. Wenn dies nun in den letzten Jahren im österreichweiten Schnitt rund 9 % waren, so bedeutet dies, dass von hundert Jugendlichen nur neun tatsächlich einen Ausbildungsplatz erhalten haben. Sehr ungleich stellt sich auch die Situation dar, was die Veränderung in den Schülerzahlen, und die Veränderung in der Versorgungslage betrifft. Hier ist auf der einen Seite festzustellen, dass von den musikschulstarken Bundesländern (Niederösterreich und Oberösterreich) wesentlich größere Potenziale auch in den Zuwachsraten aktiviert wurden, als von den musikschulschwächeren Bundesländern. Umgekehrt hat aber Kärnten durch besonders starke Leistungssteigerungen in den Schülerzahlen bewiesen, dass mittelfristig deutlich über dem Durchschnitt liegende Steigerungsraten sehr wohl auch die Positionierung eines Bundeslandes verändern können. Gut nachvollziehen lässt sich dieser Sachverhalt bei einer genaueren Beobachtung der Veränderung in den Versorgungslagen. Während Kärnten auf der einen Seite mit einem Plus von 2,74 % den höchsten Zugewinn beim Versorgungsindikator Musikschülerdichte hatte, steigerte sich Niederösterreich als vergleichsweise bereits gut versorgtes Bundesland immer noch um 1,32 %. Auch hier gibt Wien – abgesehen von der Steiermark, mit einem Rückgang der Schülerzahlen insgesamt – mit einem Hinzugewinn von lediglich 0,16 % wieder das Schlusslicht ab.
Quelle: IKM-Datawarehouse Musikschulstatistik, Statistische Jahrbücher der Musikschulen in Österreich, Kulturstatistik 2004, Demographisches Jahrbuch 2004
Tabelle 6: Indikatoren zum Musikschulwesen in Österreich im Bundesländervergleich. Kennzahlenentwicklung in den Jahren 2001 bis 2004
286 | FRANZ-OTTO HOFECKER
Die Unterschiede in der Musikschulstruktur
DAS MUSIKSCHULWESEN UND DIE MUSIKSCHULFORSCHUNG IN ÖSTERREICH | 287
Tabelle 6 führt drei weitere Indikatoren ein, die in besonderer Weise die praktischen Betriebsstrukturen des Musikschulwesens beschreiben. Zum einen die durchschnittlichen Schülerzahlen pro Musikschule und zum anderen die Zahl der Lehrer pro Musikschule. Beide Indikatoren geben einen Hinweis auf die Größe der Musikschulen ab, dargestellt nach zumindest zwei Kapazitätsindikatoren. Österreichweit liegt die Zahl der Musikschüler pro Musikschule im Jahr 2004 bei knapp über 120 Schülern. Deutlich über diesem Durchschnitt liegen zwei Bundesländer mit einem im Direktvergleich sehr unterschiedlich ausgebauten Musikschulwesen. Dies ist auf der einen Seite Oberösterreich mit durchschnittlich 245 Schülern pro Musikschule (Angabe für 2004). Oberösterreich steht für ein sehr früh ausgebautes, systematisch entwickeltes Musikschulsystem, aber eben vergleichsweise sehr großen Musikschulen. Wien hat zwar eine sehr geringe Versorgungslage insgesamt, an den jeweils gegebenen Standorten aber eine vergleichsweise große Schülerzahl. 2004 waren dies im Schnitt fast 190 Musikschüler. Stellt man die Schülerzahl der Musikschulen im Burgenland in Relation zu den Zahlen aus Oberösterreich, sind das weniger als ein Fünftel. Eine analoge Beschreibung zum bisherigen Ergebnis ergibt sich auch bei näherer Betrachtung der Lehrer pro Musikschule. Generell werden auch hier die Bundesländer mit eher großen Musikschulen auch vergleichsweise viele Lehrkräfte je Musikschule beschäftigt haben. Allerdings haben sich hier zumindest die Spitzenränge getauscht: Nach Lehrkräften liegt nun Wien mit 10,84 % pro Musikschule an der Spitze, gefolgt von Oberösterreich mit durchschnittlich nur 6,30 Lehrkräften pro Musikschule. Schlusslicht ist das Burgenland mit einem Durchschnittswert von 1,45 Lehrkräften. Wenn man bedenkt, dass es sich hier um den Durchschnittswert für 115 Musikschulen handelt, so wird damit gleichzeitig auch festgestellt, dass es im Burgenland sehr viele Musikschulstandorte mit nur einer Lehrkraft gibt. Der dritte in Tabelle 6 bereitgestellte Indikator setzt nun die ersten beiden miteinander in Beziehung. Hier wird die Zahl der Musikschüler pro Musikpädagoge angegeben. Die Zahl der Musikschüler pro Lehrkraft kann für die den Schülern im Schnitt bereitgestellte Betreuungsqualität stehen. Eine Lehrkraft mit nur wenigen Schülern kann sich grosso modo dem einzelnen Kind mehr widmen als eine Lehrkraft mit hohen Schülerzahlen. Hohe Durchschnittswerte an Schüler pro Lehrkraft können aber auch mit hohen Anteilen an Instrumental-Gruppenunterricht korrelieren (Früherziehung, Blockflöte etc.), geringe Musikschülerzahlen pro Lehrkraft mit einem hohen Instrumental-Einzelunterricht (Klavier). Ein hoher Durchschnittswert kann sich aber auch aus einem vergleichsweise stark vertretenen Ensemblespiel ergeben. Auch hier stellen die vorgestellten
288 | FRANZ-OTTO HOFECKER
Beobachtungen noch keine musikpädagogisch relevante Analyse dar, sondern vermitteln nur ein Gefühl für die hier in den Blick zu bringende Komplexität. Jedenfalls weicht bei einer ersten Betrachtung der sich ergebende Eindruck in seiner Struktur deutlich von bisherigen Zuordnungen bzw. Reihenfolgen ab. Während der Schnitt aller Bundesländer eng zusammen liegt, weicht davon nur Wien deutlich ab. Österreichweit betreute eine Lehrkraft je Musikschule im Schnitt 25,4 Schüler, in Wien waren es im Jahr 2004 nur 17,4.
Musikschul-Finanzierungsindikator: An s a t z z u r E va l u a t i o n d e r P o l i t i k Musikschulfinanzierung im Kontext der Kulturpolitik Die Tabellen sieben bis zwölf stellen einen Überblick über die Kulturausgaben der Bundesländer dar. Die Basis zu den hier angeführten Zahlenreihen sind die Kulturberichte der Bundesländer, die weitgehend seit 1995 auf einer einheitlichen Systematik (Systematik nach dem »Lech Internationales Kultur- und Umweltsymposium, kurz LIKUS) basieren. Die Ausarbeitungen in den bereitgestellten Tabellen beziehen sich hier auf die Jahre 2001 und 2004. Insgesamt geht es bei dieser Tabellengruppe ohnehin viel mehr um die grundsätzliche Veranschaulichung der dahinter liegenden Sachverhalte, nicht aber um stichhaltige Beweisführung.
Quelle: Kulturförderungsberichte der Bundesländer, IKM-Datawarehouse Musikschulstatistik, eigene Berechnung
Tabelle 7: Kulturausgaben 2001 in ausgewählten Bundesländern nach LIKUS
DAS MUSIKSCHULWESEN UND DIE MUSIKSCHULFORSCHUNG IN ÖSTERREICH | 289
290 | FRANZ-OTTO HOFECKER
Tabelle 8: Budgetanteile im Bereich Kultur in ausgewählten Bundesländern nach LIKUS für 2001 Bereich
Bgl.
Museen, Archive,
Ktn.
NÖ.
OÖ
Sbg.
Tir.
Vbg.
BL
6,70
17,97
6,53
10,71
36,27
21,51
17,61
16,66
Musik
5,13
3,31
14,16
9,03
6,63
6,11
3,15
8,12
Darstellende Kunst
0,72
22,27
15,29
10,94
12,17
10,66
7,58
12,73
11,49
0,25
4,00
6,76
1,81
2,34
1,95
4,12
53,20
37,90
39,34
45,70
11,60
43,80
38,59
40,20
Großveranstaltungen
10,74
5,84
2,48
5,85
9,44
0,02
7,00
4,99
Sonstige Kategorien
12,02
12,46
18,20
11,00
22,07
15,56
24,13
13,19
Wissensch.
Kulturinitiativen, -zentren Ausbildung, Weiterbildung
Summe
100,00 100,00 100,00 100,00 100,00 100,00 100,00 100,00
Quelle: Kulturförderungsberichte der Bundesländer, IKM-Datawarehouse Musikschulstatistik, eigene Berechnung Tabelle 9: Pro-Kopf-Ausgaben im Bereich Kultur in ausgewählten Bundesländern für 2001 Bereich
Bgl.
Ktn.
NÖ.
OÖ
Sbg.
Tir.
Vbg.
BL
in € Museen, Archive, Wissensch.
3,10 13,42
2,76
9,75 32,97
Musik
2,37
2,47
5,99
8,22
6,03
6,71
2,45
5,87
Darstellende Kunst
0,33 16,62
6,47
9,95 11,06
11,71
5,90
9,20
Kulturinitiativen,-zentren
5,31
1,69
6,16
2,57
1,52
2,98
Ausbildung, Weiterbildung
0,18
1,65
24,58 28,29 16,64 41,59 10,55
Großveranstaltungen
4,96
4,36
1,05
Sonstige Kategorien
5,55
9,30
7,70 10,01 20,06
Summe
5,33
8,58
23,62 13,70 12,04
48,10 30,04 29,07 0,02
5,45
3,61
17,09 18,78
9,54
46,20 74,65 42,30 91,00 90,90 109,81 77,84 72,31
Quelle: Kulturförderungsberichte der Bundesländer, Statistisches Jahrbuch Statistik Austria, IKM-Datawarehouse Musikschulstatistik, eigene Berechnung
Quelle: Kulturförderungsberichte der Bundesländer, IKM-Datawarehouse Musikschulstatistik, eigene Berechnung
Tabelle 10: Kulturausgaben 2004 in ausgewählten Bundesländern nach LIKUS
DAS MUSIKSCHULWESEN UND DIE MUSIKSCHULFORSCHUNG IN ÖSTERREICH | 291
292 | FRANZ-OTTO HOFECKER
Tabelle 11: Budgetanteile im Bereich Kultur in ausgewählten Bundesländern nach LIKUS für 2004 Bereich Museen, Archive,
Bgl.
Ktn.
NÖ.
OÖ
Sbg.
Tir.
Vbg.
BL
4,48
16,85
6,98
8,15
39,90
17,18
21,45
15,32
Musik
3,82
3,73
5,48
8,87
5,95
7,31
3,93
6,52
Darstellende Kunst
0,38
19,80
16,28
12,06
10,92
12,99
8,88
13,00
Kulturinitiativen,
8,41
0,28
4,75
6,00
3,40
2,54
5,25
4,30
65,50
41,59
41,04
46,82
10,24
40,47
26,30
36,68
Großveranstaltungen
4,48
2,66
3,89
10,18
10,75
0,61
8,88
6,50
Sonstige Kategorien
12,94
15,08
21,59
7,93
18,82
18,91
25,30
15,68
Wissensch.
-zentren Ausbildung, Weiterbildung
Summe
100,00 100,00 100,00 100,00 100,00 100,00 100,00 100,00
Quelle: Kulturförderungsberichte der Bundesländer, IKM-Datawarehouse Musikschulstatistik, eigene Berechnung Tabelle 12: Pro-Kopf-Ausgaben im Bereich Kultur in ausgewählten Bundesländern für 2004 Bereich Museen, Archive,
Bgl.
Ktn.
NÖ.
OÖ
Sbg.
Tir.
Vbg.
BL
2,86
14,67
3,49
7,91
44,88
16,38
16,42
12,34
Musik
2,44
3,25
2,74
8,62
6,69
6,96
3,01
5,25
Darstellende Kunst
0,24
17,24
8,15
11,71
12,29
12,39
6,79
10,47
Kulturinitiativen,
5,37
0,25
2,38
5,83
3,83
2,42
4,02
3,46
41,85
36,21
20,54
45,47
11,52
38,58
20,13
31,15
Großveranstaltungen
2,86
2,32
1,94
9,89
12,09
0,58
6,79
5,23
Sonstige Kategorien
8,27
13,13
10,81
7,70
21,17
18,03
19,36
12,62
63,90
87,08
50,05
97,12
112,48
95,34
76,53
80,53
Wissensch.
-zentren Ausbildung, Weiterbildung
Summe
Quelle: Kulturförderungsberichte der Bundesländer, Statistisches Jahrbuch Statistik Austria, IKM-Datawarehouse Musikschulstatistik, eigene Berechnung
DAS MUSIKSCHULWESEN UND DIE MUSIKSCHULFORSCHUNG IN ÖSTERREICH | 293
Die Tabellen 7 bis 12 stellen 5 der insgesamt 20 LIKUS-Kategorien einzeln dar, die restlichen Kategorien werden unter dem Sammelposten »sonstige Kategorien« angeführt.
Musikschulfinanzierung im Kontext der Bildungspolitik Die Tabellen 13 bis 15 beziehen sich wieder auf alle Bundesländer und schließen somit direkt an die Tabellenserie eins bis sechs zu den Grundstrukturen des Musikschulwesens in Österreich an. Sie geben einen Einblick in die Budgets der Musikschulfinanzierung auf Länderebene. Hinlänglich genaue, auf alle Bundesländer bezogene Aussagen zu den Musikschulbudgets waren deshalb nicht möglich, weil gegenwärtig (noch) nicht von allen Bundesländern Kulturförderungsberichte nach LIKUS vorgelegt werden. Eine zweite Ursache, warum bei einer auf alle Bundesländer bezogenen Einschätzung zu den Musikschulbudgets auf eine alternative Quelle zurückgegriffen werden musste, liegt in der Tatsache begründet, dass auch noch nicht alle Bundesländer, die bislang einen Förderbericht nach LIKUS darlegen, die für unsere Zwecke notwendige Genauigkeit erreicht haben. Tabelle 13: Ausgaben für Musikschulen nach Bundesländern gemäß Budgetgruppe 320 Bundesland
1999
2000
2001
2002
2003
2004
in tausend € Burgenland
6.560
6.755
7.482
7.498
7.586
7.737
Kärnten
27.732
25.467
26.766
27.976
29.612
31.763
Niederösterreich
24.238
29.504
32.693
30.492
32.685
32.744
Oberösterreich
73.666
78.608
82.271
84.518
88.889
91.692
Salzburg
16.689
18.262
16.826
16.817
17.344
18.132
Steiermark
34.794
40.278
39.653
39.064
38.818
44.779
Tirol
30.803
31.917
35.884
38.603
40.938
39.780
Vorarlberg
13.597
14.759
15.053
15.107
16.573
19.175
Wien
107.699 101.186 102.035 105.403 106.581 116.380
Summe d.
335.778 346.736 358.663 365.478 379.026 402.182
Bundesländer
Quelle: Statistik Austria, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, öffentliche Haushalte
294 | FRANZ-OTTO HOFECKER
Tabelle 14: Pro-Kopf-Ausgaben für Musikschulen Bundesland
1999
2000
2001
2002
2003
2004
in € Burgenland
23,63
24,33
26,95
27,01
27,33
27,87
Kärnten
49,56
45,51
47,84
50,00
52,92
56,77
Niederöster-
15,50
18,87
20,91
19,50
20,90
20,94
Oberösterreich
52,88
56,43
59,06
60,67
63,81
65,83
Salzburg
31,82
34,82
32,09
32,07
33,07
34,58
Steiermark
29,11
33,70
33,17
32,68
32,48
37,46
Tirol
44,75
46,37
52,13
56,08
59,47
57,79
Vorarlberg
37,83
41,07
41,89
42,04
46,11
53,35
Wien
66,76
62,72
63,25
65,33
66,06
72,14
Summe d.
41,08
42,42
43,87
44,71
46,37
49,20
reich
Bundesländer
Quelle: Statistik Austria, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung, öffentliche Haushalte, eigene Berechnung Die in den Tabellen 13 und 14 verwendeten Daten lassen sich aus zwei Überlegungen heraus begründen. Auf der einen Seite entstammen sie der in einigen Punkten (Aufgabenfeldern) erstaunlich klar reglementierten, definierten und somit in ihren Ergebnissen auch harmonisierten Haushaltsrechung auf der Ebene der Länder und Gemeinden. Innerhalb dieser Haushaltssystematik gibt es nämlich eine Budgetzeile 320, deren definitorische Vorgaben den genannten Gebietskörperschaften vorschreiben, hier die Ausgaben für Musikschulen zu verbuchen. Konkret heißt es, dass im Haushaltsansatz 320 »die Gebarungen im Zusammenhang mit Musikschulen, Konservatorien, Seminaren sowie ähnlichen Ausbildungsveranstaltungen« zu verbuchen sind. Damit ist budgettechnisch klar vorgeschrieben, dass die Ausgaben der Länder und Gemeinden für Musikschulen grundsätzlich hier und nicht im Schulbudget abgebildet werden müssen. Wenn also einzelne Länder und Gemeinden neben den Musikschulen auch noch über andere Ausbildungseinrichtungen verfügen, so erhöht sich in diesen Fällen die an dieser Stelle zu veranschlagende Ausgabenposition. Gemäß den Budgetgrundsätzen der
DAS MUSIKSCHULWESEN UND DIE MUSIKSCHULFORSCHUNG IN ÖSTERREICH | 295
Budgetwahrheit müssen aber in allen Haushaltsdarstellungen die Musikschulausgaben hier enthalten sein. Prinzipiell sollte daher eine Verständigung über die Relation der in den Tabellen 7 und 10 auf der einen Seite und in Tabelle 13 auf der anderen Seite zueinander korrespondierenden Zahlen hergestellt werden können. Vergleicht man nämlich die in Tabelle 13 ausgewiesenen Ausgabensummen der Jahre 2001 und 2004 mit den Ausgabensummen der Bundesländer in Tabelle 7 und 10 in der Zahlenreihe Aus- und Weiterbildung, so fällt auf, dass sich diese in keinem Fall decken. Auch die bislang verfügbaren Ausführungen der Kulturberichte zu den Untergliederungen der LIKUS-Kategorie Aus- und Weiterbildung lassen noch keine klaren Schlüsse zu. Ganz im Gegenteil: Die Unterschiede sind in vielen Fällen so groß, dass zu den bislang vorhandenen Ausgabensummen wissenschaftlich nachvollziehbar noch gearbeitet werden muss, bevor mit einer Hypothesenentwicklung über mögliche Kausalzusammenhänge zwischen Fördersummen und Ausbringungserfolgen spekuliert werden kann. Es muss daher auch hier vorweg beim Einstieg in die Diskussion und einer ersten Kommentierung bleiben, die eigentliche Vertiefung in den Kernfragen aber auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden.
Die Musikschule und Bildungspolitik: Erste Indikatorenversuche Wie oben ausgeführt versprechen also die Datenzusammenstellungen in Tabelle 13 für sich genommen die größte Plausibilität: Der Budgetansatz 320 ist klar definiert, er ist für alle Gebietskörperschaften verbindlich vorgeschrieben und zielt in der Hauptsache auf genau jene Institution, die analysiert wird, nämlich die Musikschule im engeren Sinn. Damit bietet die in Tabelle 13 abgebildete Zahlenreihe die bislang bestmögliche Gewähr für einen unmittelbar schon gültigen Direktvergleich jeweils real erbrachter Förderungsanstrengungen durch die Bundesländer. Dies gilt in besonderer Weise für die hier zu beurteilende Frage des Ausgabenvergleichs der Bundesländer im Bereich Musikschule und der damit verbundenen Konsequenzen. Denn eine zentrale Frage aus der Deskription und der Kennzahlenentwicklung zum Musikschulwesen in Österreich (Zahlen der Schulen, Lehrer, Musikschüler im Bundesländervergleich und die damit verbundenen Indikatoren) bleibt nach wie vor bestehen: Wie lassen sich die in Österreich so beträchtlich großen Unterschiede in den Ausbringungsmengen und der Bereitschaft zum Musikschulbesuch erklären? Eine Hypothese ist, als Begründung dafür die Unterschiede im Förderungsengagement zu sehen. Aus diesem Grund werden in Tabelle 14 die Pro-Kopf-Ausgaben für die Musikschulen in Österreich einander gegen-
296 | FRANZ-OTTO HOFECKER
übergestellt: Trägt die öffentliche Hand wesentlich zur Musikschulfinanzierung bei, dann gibt es eine hohe Ausbringungsmenge, ist sie wenig aktiv, gibt es auch nur ein geringes Versorgungsniveau. Die Summen in Tabelle 14 beinhalten in jedem Fall die Ausgaben der Länder für das Musikschulwesen, da dies die Budgetprinzipien zwingend vorschreiben. In einigen Bundesländern sind in der Ausgabensumme aber auch die Mittel für die Konservatorien enthalten und Finanzierungsbeiträge für Ausbildungseinrichtungen auf universitärem Niveau. Dies ist nicht zuletzt aus den Vergleichen mit den Ausbildungssummen aus den Kulturförderungsberichten ersichtlich. Bevor es hier also zur Verifizierung der oben genannten Hypothesen zur Abhängigkeit der Ausbildungsleistungen und Versorgungsqualitäten von den öffentlichen Förderungsanstrengungen kommen kann, müssen die Ausgabensummen der Tabellen 7, 10 und 14 auf ihre Stringenz zueinander noch genauer abgeprüft werden. Dabei gilt für die Hypothesenentwicklung zur Musikschulfinanzierung, dass aus der bislang gegebenen Faktenlage nur sehr vordergründige Einschätzungen möglich sind und die eigentliche Arbeit noch geleistet werden muss. Gleichzeitig ist es aber notwendig, schon jetzt mit der Hypothesenbildung zu beginnen, weil nur dies Druck auf eine weitere Präzisierung und Abklärung der Datenlage macht. Damit ist gemeint: Wenn schon für den Budgetansatz 320 eine für alle Gebietskörperschaften klare und verbindlich von allen anzuwendende Definition vorliegt, so gilt es die daraus darstellbaren Unterschiede zu dokumentieren und zu bewerten, um davon ausgehend im nächsten Vertiefungsschritt für diese Unterschiede zwischen den Bundesländern eine Kommentierung durch die jeweiligen kulturpolitischen Verantwortungsträger zu stimulieren. Im geschickten Zusammenspiel von Kulturforschung und Kultur- bzw. Musikschulpolitik gilt es auf die Entwicklung einer praktischen Anschaulichkeit der damit verbundenen Konsequenzen16 hinzuarbeiten. Das Zwischenergebnis dieser Behandlungsrunde mag aber auch darin liegen, 16 Etwa: Hinter einem hohen Ausgabenniveau steht die Absicht, eine höhere Angebotsmenge (wofür der Indikator Musikschuldichte zunächst als Maßstab heranzogen wird), eine höhere Qualifikation der im Musikschulbereich Beschäftigten (wofür der Indikator Anteil der Universitätsabsolventen an den insgesamt im Bereich Beschäftigten zunächst als Maßstab heranzogen wird), eine faire Entlohnung (gemäß ihrem Ausbildungsniveau und der dafür erforderlichen Sonderbegabung) und soziale Absicherung der Beschäftigen abzusichern etc. Oder als umgekehrte These formuliert: Auch nur halb so hohe Förderungsbeträge reichen aus, um die gleichen, von allen als unbestritten anerkannten Ziele abzusichern.
DAS MUSIKSCHULWESEN UND DIE MUSIKSCHULFORSCHUNG IN ÖSTERREICH | 297
dass noch viel stärker die realen Unterschiede in den Bundesländern herausgearbeitet werden müssen, bevor eine Hypothesenbildung ernsthaft begonnen werden kann. Anders formuliert: Bevor also über so komplexe Zusammenhänge, wie sie hier zu analysieren sind, zu spekulieren begonnen wird, muss ein Maximum an empirisch gesicherter Abklärung des Faktischen gewährleistet sein. Es liegen noch zu viele Funktionszusammenhänge im Dunkeln und daher sind primär klare Vorgaben für die musikschulpolitische Grundlagenforschung zu entwickeln, bevor das viel komplexere Geschäft der Politikberatung betrieben werden kann. Auf Basis der bisherigen Faktenlage erscheint es nicht einmal möglich bzw. sinnvoll, auf Querverweise und mögliche Korrelationen zwischen den verschiedenen Tabellenserien dieses Beitrages einzugehen, wiewohl einige Einzelergebnisse dazu anregen. So kann jenseits der Spekulationen von nur scheinbar geklärten Kausalzusammenhängen das Ergebnis der Tabelle 14 völlig kontrovers interpretiert werden: Ein klarer Befund ist die klar abgeschlagene Positionen Niederösterreichs in den Pro-KopfAusgaben im Bereich Musikschule. Niederösterreich liegt also in diesem Punkt ähnlich weit abgeschlagen hinter allen anderen Bundesländern, wie dies im Fall des Vergleiches der Versorgungslagen mit Musikschulplätzen für Wien zutrifft. Umgekehrt bilden das ausgabenfreudige Spitzenfeld die auch nach den anderen Indikatoren musikschulstarken Bundesländer Oberösterreich, Tirol und Vorarlberg. Die Herausforderung an eine nachvollziehbare, für die Praxis der Musikschulpolitik hilfreiche Interpretation werden aber noch zusätzlich durch das Faktum gesteigert, dass diesmal der Spitzenplatz an das sonst so abgeschlagen liegende Bundesland Wien geht. Wie kann man also das Ergebnis von Tabelle 14 interpretieren? Ansätze dafür gibt es mehrere. Auf der einen Seite sind, wie im Kommentar zu Tabelle 13 bereits ausgeführt, in der Gesamtsumme Wien auch die Ausgaben für die Privatuniversität Konservatorium Wien enthalten. Dessen Finanzierungssumme beansprucht den Hauptteil der hier veranschlagten Ausgabensummen. Es wird aber auch den in Wien an Musikschulen beschäftigten Lehrkräften im Vergleich zur Situation in gleich mehreren Bundesländern ein im Verhältnis zur Ausbildungszeit und Sonderbegabung viel angemesseneres Gehaltsschema zugestanden. Auch die Wiener Musikschultarife sind im Vergleich zu einigen Bundesländern (etwa Niederösterreich) günstiger und familienfreundlicher. Allerdings: Wie aus den Vergleichen mit den Versorgungsraten hervorgeht, betrifft dies nur eine vergleichsweise kleine Gruppe von »Begünstigten«. Wie also interpretieren, wie die Leistungen der Musikschulpolitik im Bundesländervergleich benoten? Die hier für die Musikschulforschung
298 | FRANZ-OTTO HOFECKER
gegebene Herausforderung und Verantwortung steigert sich noch, wenn man den (kultur-)politischen Hintergrund hinzunimmt: Gerade das Musik(bundes)land Wien steht bildungspolitisch für eine offensive, sozialund gesellschaftspolitisch ambitionierte Bildungspolitik. Wiens mit absoluter Mehrheit ausgestattete Regierungspartei plakatierte den Grundsatz »Bildung darf kein Privileg sein« bei den letzen Wahlen flächendeckend. Die Musikschulforschung ist in ihrer Interpretationskunst zweifelsfrei und jenseits des kulturpolitischen Kräfteparallelogramms i.e.S., aber auch in ihrer Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und dem politischen System per se gefordert. Die Tabelle 15 stellt eine Reihe von Indikatoren zum Musikschulwesen bereit, deren Berechnung sich aus einer Verschränkung der Musikschulstatistik mit der Schulstatistik zum Pflichtschulbereich inkl. der Kindergartenstatistik ergibt. Tabelle 15: Musikschulindikatoren in Österreich im Bundesländervergleich Bundesland
Musikschulen
Kindergärten
Volksschulen
Pro Musikschule Burgenland
Musikschulen pro AHS
PÄDAK
115
1,88
1,82
10,45
57,50
52
4,50
5,48
2,17
10,40
420
2,59
1,55
8,08
38,18
Oberösterreich
143
5,01
4,03
3,04
10,21
Salzburg
118
2,46
1,57
4,72
23,60
Steiermark
227
3,53
2,44
4,63
16,21
Tirol
210
2,07
1,93
8,40
17,50
Vorarlberg
103
2,51
1,65
7,92
34,33
30
27,00
9,10
0,35
1,50
1.418
3,42
2,33
4,28
16,49
Kärnten Niederösterreich
Wien Ö-Schnitt
Quelle: IKM-Datawarehouse Musikschulstatistik, Statistisches Jahrbuch 2002, Wien 2004
DAS MUSIKSCHULWESEN UND DIE MUSIKSCHULFORSCHUNG IN ÖSTERREICH | 299
Musikschulen versus Kindergärten Im Burgenland gibt es 1,88 Kindergärten pro Musikschule, in Wien gibt es hingegen 27 Kindergärten pro Musikschule. Im Burgenland steht also neben jedem zweiten Kindergarten eine Musikschule. In Wien jedoch stehen hinter einer einzigen Musikschule 27 Kindergärten.
Musikschulen versus Volksschulen Das Volksschulalter ist das Eintrittsalter in die Musikschule. Wer es in dieser Zeit nicht schafft, kommt nie wieder in die Musikschule und zu einem professionellen Unterricht. Im Bereich Volksschule besteht Schulpflicht – für die öffentliche Hand also auch die Verpflichtung, für bedarfsgerechte Angebotsstrukturen zu sorgen. In Niederösterreich kommen auf eine Musikschule 1,55 Volksschulen, in Wien kommen auf eine Musikschule 9,10 Volksschulen. In Niederösterreich steht in zwei von drei Ortschaften neben der Volksschulen auch eine Musikschule, in Wien hingegen müssen sich die Kinder von fast 10 Volksschulen anstellen, um einen Musikschulplatz zu bekommen.
Musikschulen versus AHS-Schulen Grundidee dieser Gegenüberstellung ist, dass hinter dem Besuch einer AHS-Schule die Ambition eines höher gesteckten (Aus-)Bildungszieles steht. Verbunden mit der Entscheidung, eine AHS zu besuchen, ist die Absicht zum Schulabschluss mit Matura, also die Universitätsreife zu erreichen. Die Relation der AHS-Schulen zur Musikschule ist deshalb wichtig und richtig, weil die Musikschule für den gehobenen Bildungsanspruch im musisch-musikalischen Bereich steht. Im Burgenland gibt es im Umfeld einer AHS-Schule 10,45 Musikschulen, in Wien hingegen sind es nur 0,35. In Wien teilen sich also drei Gymnasien eine einzige Musikschule. Die zweitniedrigste Relation AHS zu Musikschule ist in Kärnten. Hier gibt es allerdings pro AHS-Schule 2,17 Musikschulen, dann kommt Oberösterreich mit 3 Musikschulen je AHS.
Musikschulen versus pädagogische Akademien Die grundlegende Frage bei der Relation Musikschule versus pädagogische Akademie ist, ob unsere (künftigen) Volkschullehrer auch Klavier, Gitarre oder Blockflöte spielen können. Bis in die 1970er Jahre galt als Aufnahmebedingung für die pädagogischen Akademien die Beherrschung von zwei Instrumenten. Nur weil dies so war, war das Klischee
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vom Dorfschullehrer als Musiklehrer möglich. Allerdings: Dies war kein Klischee, sondern Schulrealität. Im Burgenland stehen hinter einer pädagogischen Akademie 57,50 Musikschulen, in Niederösterreich sind es 38,18 und in Vorarlberg 34,33. Deutlich schwächer sind die Ergebnisse in Kärnten mit 10,40 und in Oberösterreich mit 10,21 Musikschulen. Eine Klasse für sich genommen ist wieder Wien. In Wien stehen hinter einer pädagogischen Akademie nur 1,5 Musikschulen. Würden in Vorarlberg nur 5,34 % der Musikschüler eine pädagogische Akademie besuchen, dann wären alle künftigen Lehrer im Land auch Absolventen der Musikschulen. In Niederösterreich liegt dieser Prozentsatz bei 5,68 %, im Burgenland bei 12,89 % der Musikschulkinder. Anders ist die Situation in Wien. Wien ist das einzige Bundesland, in dem es weniger Musikschüler als Studenten an pädagogischen Akademien gibt. Selbst wenn in Wien alle 5.123 Musikschüler eine pädagogische Akademie besuchen würden, gäbe es 2.069 Absolventen, die keinen musikalischen Hintergrund haben. In Wien gibt es 7.192 Studierende an Lehrerbildungsanstalten.
F a z i t u n d Au s b l i c k Im Brennpunkt der Musikschulforschung stehen längst nicht mehr nur musikschulpolitische Fragen im engeren Sinn. In der Zwischenzeit geht es auch um die Frage, ob und in welchem Ausmaß Pädagogik-Absolventen gefordert werden sollten bzw. in umgekehrter Formulierung, dass bei entsprechender (Zusatz-)Qualifikation einschlägige Berufschancen steigen. Absolventen von Musikschulen mit der Absicht in den Lehrerberuf zu gehen, haben bessere Berufseinstiegschancen als die Kollegen ohne diese Kompetenz. Diese wird vermindert, wenn es den Musikschulen schlecht geht, weil die musisch-musikalische Bildung Teil der Berufsqualifikation im Lehrerberuf auf elementarer Ebene ist. Die Frage des Musikschulwesens ist, wie auch hier erkennbar wird, in vielfältiger Weise mit der gesamten Bildungslandschaft in Österreich vernetzt und berührt Kernmomente der österreichischen Identität als Musikund Kulturland. Angesichts dessen ist es mehr als bedauerlich, dass die Musikschulforschung in Österreich trotz punktueller Ansätze bislang noch nicht den Stellenwert gewonnen hat, der ihr im Hinblick auf die zahlreichen ungeklärten Fragen und aktuellen Herausforderungen zukommen muss. In nächster Zukunft wird es daher darum gehen müssen, hinreichende empirische Grundlagen für eine wissenschaftlich fundierte Diskussion
DAS MUSIKSCHULWESEN UND DIE MUSIKSCHULFORSCHUNG IN ÖSTERREICH | 301
aller relevanten Problemstellungen innerhalb und im Umkreis der Musikschulen zu schaffen. Dies sollte bestenfalls in Vergleichsform für alle deutschsprachigen Länder geschehen, um unterschiedliche Erkenntnisse und Erfahrungen gegenseitig fruchtbar zu machen. Auf bestehende Datenbanksysteme kann hierbei zurückgegriffen werden; diese müssen jedoch immer kritisch reflektiert, ergänzt und aktualisiert werden. Hinreichende empirische Daten sind auch die notwendige Grundlage für eine Musikschulforschung, die sich unter wesentlicher Einbeziehung der musikpädagogischen Akteure als Kompetenz- und Beratungszentrum und als musik- wie kulturpolitisches Frühwarnsystem begreift. Weil eine so verstandene Musikschulforschung den Bereich gut kennt und laufend beobachtet, kann sie auch auf tagesaktuelle Themen präzise und professionell reagieren. Die ersten Schritte in diese Richtung sind getan, die eigentliche Arbeit muss aber erst noch beginnen.
Literatur Bailer, Noraldine (2006): Musik lernen und vermitteln, Wien. Hofecker, Franz-Otto (Hg.) (2002): Musikschulen in Österreich. Statistisches Jahrbuch, Wien. Hofecker, Franz-Otto (Hg.) (2004): Musikschulen in Österreich. Statistisches Jahrbuch, Wien. Röbke, Peter (2004): Musikschulen – Wozu?, Atzenbrugg.
Au torinne n und Autore n
Michael Eberhardt, Jahrgang 1960, ist heute nach Anstellungen als Solo-Trompeter bei den Hamburger Symphonikern und stellv. Solo-Trompeter im Nationalorchester Mannheim als Musikschulleiter beim Zweckverband »Musikschule Iller-Weihung« tätig. Er gehörte zu den ersten Absolventen des im Jahr 2001 neu geschaffenen Masterstudiengangs für Kulturmanagement an der Pädagogischen Hochschule in Ludwigsburg. Andreas Fervers, 1957 in Solingen geboren, absolvierte von 1976 bis 1986 eine Pianistenausbildung mit Solistenexamen in Köln und Wuppertal sowie ein Kompositionsstudium in Köln und Freiburg i.Br. und erwarb 2006 den Master of Arts am Institut für Kulturmanagement in Ludwigsburg. Er war Stipendiat der Heinrich-Strobel-Stiftung und ist Preisträger mehrerer nationaler und internationaler Kompositionswettbewerbe, u.a. des »Mendelssohn-Wettbewerbs« und des »Ensemble Intercontemporain Paris«. Er arbeitet als Komponist, freier Rundfunkautor, Konzertpianist sowie als Musikpädagoge für Instrumentalunterricht, Kammermusik und Musiktheorie an verschiedenen Musikschulen. Sebastian Fischer, 1967 geboren, schloss sein Musikstudium in Würzburg mit der Meisterklasse für Violine ab und leitet seit 2000 die Musikschule Wolfschlugen. Von 2002 bis 2004 absolvierte er das Masterstudium am Institut für Kulturmanagement der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. Er verfasst derzeit seine Dissertation über »Das Erwerbsarbeitssystem der Musiker«.
304 | ZUKUNFT FÜR MUSIKSCHULEN
Volker Gerland, Jahrgang 1957, ist Leiter der Musikschule Dortmund, Vorsitzender des Landesverbands der Musikschulen in NRW und Sprecher des Arbeitskreises der Musikschulen im Ruhrgebiet. Mehrjährige Lehrtätigkeit im Fach »Allgemeine Didaktik des Vokal- und Instrumentalunterrichts« an den Hochschulen für Musik in Dortmund und Detmold. Manfred Grunenberg, 1952 geboren, studierte Schulmusik in Frankfurt a.M. mit Hauptfach Gitarre. Von 1977 bis 1983 leitete er die Musikschule Rüsselsheim; von 1983 bis 1996 war er Stellvertretender Leiter der Musikschule Bochum, seit 1996 ist er deren Leiter. Er war Lehrstuhlvertreter im Fach Musikpädagogik an der Universität Potsdam und leitete zahlreiche Lehrgänge zu Elementarunterricht, Instrumentalunterricht, Ensembleleitung an Musikschulen wie Musikhochschulen und ist Initiator des Projektes »Jedem Kind ein Instrument«. Prof. Matthias Herrmann, 1960 in Ludwigsburg geboren, studierte Schulmusik, Germanistik und Dirigieren. Er ist Schüler von Helmut Lachenmann, dessen Schriften er auch ins Polnische übersetzte. Seit 1991 ist er Professor für Musiktheorie an der Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Stuttgart; bis 2007 leitete er dort auch die Studienkommission Musiklehrer, seit 2007 ist er Prorektor. Gastprofessuren führten ihn nach Krakau, Warschau, Kattowitz, Poznan, Lodz, Kiew und Moskau. Als Gastdirigent arbeitete er mit u.a. mit dem Ensemble Modern, dem Lucerne Festival Orchestra, dem Radiosinfonieorchester Stuttgart, dem SWR-Sinfonieorchester Freiburg und Baden-Baden, der London Sinfonietta, dem Tokyo Symphony Orchestra, dem Taipeh National Symphony Orchestra und dem SWR Vokal-Ensemble. Er ist Dozent bei zahlreichen Sommerkursen für Neue Musik, Komponist und Autor von Büchern zur Analyse Neuer Musik. Christian Höppner, 1956 in Berlin geboren, erhielt an der Hochschule der Künste Berlin eine Ausbildung zum Instrumentallehrer, Musikpädagogen und Cellisten mit anschließendem Dirigierstudium. 1984 übernahm er die Leitung der Musikschule Berlin-Wilmersdorf und 2001 der fusionierten Musikschule Charlottenburg-Wilmersdorf. Seit 1986 unterrichtet er als Lehrbeauftragter für Violoncello an der Universität der Künste Berlin (ehemals HdK). Christian Höppner ist u.a. Präsident des Landesmusikrates Berlin, stellvertretender Vorsitzender des Deutschen Kulturrates und Sprecher für die Sektion Musik im Deutschen Kulturrat sowie Chefredakteur des Magazins Musikforum. Von 2000 bis 2004 war er Präsidiumsmitglied bzw. Vizepräsident des Deutschen Musikrates, seit 2004 ist er
AUTORINNEN UND AUTOREN | 305
Generalsekretär des Deutschen Musikrates, den er auch in der Deutschen UNESCO-Kommission vertritt. Prof. Dr. Franz-Otto Hofecker, 1952 geboren, studierte Sozial- und Volkswirtschaft in Linz und Wien. Er leitet das Institut für Kulturmanagement und Kulturwissenschaft an der Universität für Musik und Darstellende Kunst Wien. Er ist Mitglied in verschiedenen kulturpolitischen Beratungs- und Expertengremien (UNESCO, Europarat, Eurostat, Österreichisches Bundeskanzleramt u.a.), außerdem Mitgesellschafter des Zentrums für Kulturforschung in Bonn und Vorstandsmitglied des Europäischen Instituts für vergleichende Kulturforschung (ERICArts). Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in Kulturpolitik, Kulturökonomie, Kulturstatistik mit Spezialuntersuchungen zu Musikschulen und regionaler Kulturförderung sowie zur Kreativwirtschaft. Friedbert Holz, 1966 geboren, Klavierstudium (Instrumentalpädagogik; künstlerisches Hauptfach) in Essen und Stuttgart, unterrichtet an der Musikschule Weil der Stadt, Kreis Böblingen. Ein berufsbegleitendes Studium am Institut für Kulturmanagement in Ludwigsburg schloss er 2004 mit dem Master of Arts ab. Prof. Dr. Peter Imort, 1960 geboren, studierte Schulmusik, Kirchenmusik und Systematische Musikwissenschaft in Köln und Hamburg. Er ist heute Professor für Musikwissenschaft und Musikpädagogik an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg und dort auch Koordinator des Interdisziplinären Zentrums für Medienpädagogik und Medienforschung. Zu seinen aktuellen Arbeitsschwerpunkten zählen kulturwissenschaftlich orientierte Musikforschung, Musik und Neue Medien sowie Musiklernen und frühe Bildung. Prof. Dr. Thomas Knubben, geb. 1960, studierte Geschichte, Germanistik und Empirischen Kulturwissenschaft an den Universitäten Tübingen und Bordeaux und promovierte zum Dr. phil. an der Universität Essen. Von 1985 bis 2002 war er im Kulturmanagement tätig als Leiter des Kulturamtes Fellbach und als Kulturreferent der Stadt Ravensburg. Seit 2003 ist er Professor für Kulturwissenschaft und Kulturmanagement an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. Seine Veröffentlichungen verbinden Fragen zur Kulturgeschichte, zum Kulturmanagement und zur zeitgenössischen Kunst.
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Martin Maria Krüger, geboren 1954 in Solingen, absolvierte ein Privatstudium für Gitarre bei Siegfried Behrend, Berlin. Nach dem Abitur studierte er zusätzlich Schlagzeug bei Siegfried Fink und Gitarre bei Dieter Kirsch an der Hochschule für Musik Würzburg, jeweils mit künstlerischen Diplomabschlüssen, sowie Dirigieren bei Günter Wich und Hannes Reinartz. Sein internationales Debüt gab er 1973 als Solist des Heidelberger Kammerorchesters auf einer Skandinavientournee. Tourneen führten ihn in mehrere Erdteile als Solist und Kammermusiker, insbesondere als Duopartner Siegfried Behrends im Deutschen Gitarrenduo. 1982 wurde er Direktor des Würzburger Hermann-Zilcher-Konservatoriums (inzwischen integriert in die Hochschule für Musik Würzburg); seit 1987 ist er Direktor des Richard-Strauss-Konservatoriums der Stadt München. Er ist Deutscher Ehrenpräsident und Professor der Mianyang Normal University, China und seit 2003 Präsident des Deutschen Musikrates. Heike Oertel, Jahrgang 1969, studierte Schulmusik an der Staatlichen Hochschule für Musik Karlsruhe und Orchestermusik mit Hauptfach Viola an der Musikhochschule in Nürnberg. Von 2003 bis 2005 absolvierte sie ein Kulturmanagement-Aufbaustudium am Institut für Kulturmanagement Ludwigsburg. Neben ihrem Engagement im SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg unterrichtet sie seit 2002 an der Stuttgarter Musikschule. Prof. Dr. Oliver Scheytt, geb. 1958, studierte Musik und Rechtswissenschaften. Von 1986 bis 1993 war er beim Deutschen Städtetag beschäftigt, zuletzt als Beauftragter für die Städte in den neuen Bundesländern. 1993 wurde er zum Kulturdezernenten der Stadt Essen gewählt und betreute viele Jahre lang auch die Ressorts Bildung und Jugend. Die erfolgreiche Bewerbung »Essen für das Ruhrgebiet. Kulturhauptstadt Europas 2010« hat er von 2004 bis 2006 als Moderator gesteuert und ist seit Ende 2006 Geschäftsführer der RUHR.2010 GmbH. Daneben ist er Präsident der Kulturpolitischen Gesellschaft e. V. und Mitglied einer Reihe von Kulturorganisationen wie der Enquete-Kommission »Kultur in Deutschland« des Deutschen Bundestages, des Verbandes Deutscher Musikschulen, des Vorstandes der Stiftung Zollverein, der Kulturausschüsse der Deutschen UNESCO-Kommission und des Deutschen Städtetages. Er ist Autor zahlreicher Publikationen zu Kulturpolitik und Kulturmanagement u.a. zur Musikschule, und seit 2007 Honorarprofessor für Kulturpolitik und kulturelle Infrastruktur an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg.
AUTORINNEN UND AUTOREN | 307
Juliane Schmidt, Jahrgang 1980, ist diplomierte Musik- und Instrumentalpädagogin und freie Mitarbeiterin für mehrere Tageszeitungen. Sie unterrichtet unterschiedliche Elementar-, Instrumental- und Ensemblefächer an der Musikschule Dortmund. Zur Zeit absolviert sie ein MasterAufbaustudium der Musiktherapie in Heidelberg. Dr. Petra Schneidewind, geb. 1965, studierte Betriebswirtschaftslehre an der Universität Mannheim und darauf aufbauend Kulturmanagement am Institut für Kulturmanagement Ludwigsburg. Seit 1996 ist sie dort wissenschaftliche Mitarbeiterin. Sie promovierte zum Thema »Entwicklung eines Theater-Managementinformationssystems«. Ihr Arbeitsschwerpunkt sind die Einsatzmöglichkeiten des betriebswirtschaftlichen Instrumentariums in den Kulturbetrieben.
Kultur- und Museumsmanagement Hartmut John, Anja Dauschek (Hg.) Museen neu denken Perspektiven der Kulturvermittlung und Zielgruppenarbeit
Carmen Mörsch, Landesverband der Kunstschulen Niedersachsen (Hg.) Schnittstelle Kunst – Vermittlung
Dezember 2007, ca. 200 Seiten, kart., ca. 23,80 €, ISBN: 978-3-89942-802-5
September 2007, 390 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-732-5
Hartmut John, Bernd Günter (Hg.) Das Museum als Marke Branding als strategisches Managementinstrument für Museen
Patrick S. Föhl, Stefanie Erdrich, Hartmut John, Karin Maaß (Hg.) Das barrierefreie Museum Theorie und Praxis einer besseren Zugänglichkeit. Ein Handbuch
Dezember 2007, ca. 200 Seiten, gebunden, durchgängig farbig mit zahlr. Abb., ca. 35,00 €, ISBN: 978-3-89942-568-0
August 2007, 518 Seiten, kart., 46,80 €, ISBN: 978-3-89942-576-5
Thomas Knubben, Petra Schneidewind (Hg.) Zukunft für Musikschulen Herausforderungen und Perspektiven der Zukunftssicherung öffentlicher Musikschulen
Marc Grellert Immaterielle Zeugnisse Synagogen in Deutschland. Potentiale digitaler Technologien für das Erinnern zerstörter Architektur
November 2007, 310 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-619-9
Juni 2007, 606 Seiten, kart., zahlr. Abb., 37,80 €, ISBN: 978-3-89942-729-5
Laura J Gerlach Der Schirnerfolg Die »Schirn Kunsthalle Frankfurt« als Modell innovativen Kunstmarketings. Konzepte – Strategien – Wirkungen
Reinhold Knopp, Karin Nell (Hg.) Keywork Neue Wege in der Kultur- und Bildungsarbeit mit Älteren
Oktober 2007, 242 Seiten, kart., zahlr. Abb., 26,80 €, ISBN: 978-3-89942-769-1
Juni 2007, 262 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN: 978-3-89942-678-6
Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de
Kultur- und Museumsmanagement Birgit Mandel Die neuen Kulturunternehmer Ihre Motive, Visionen und Erfolgsstrategien
Viktor Kittlausz, Winfried Pauleit (Hg.) Kunst – Museum – Kontexte Perspektiven der Kunstund Kulturvermittlung
März 2007, 146 Seiten, kart., 16,80 €, ISBN: 978-3-89942-653-3
2006, 308 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-582-6
Heike Kirchhoff, Martin Schmidt (Hg.) Das magische Dreieck Die Museumsausstellung als Zusammenspiel von Kuratoren, Museumspädagogen und Gestaltern
Tobias Wall Das unmögliche Museum Zum Verhältnis von Kunst und Kunstmuseen der Gegenwart
März 2007, 172 Seiten, kart., 18,80 €, ISBN: 978-3-89942-609-0
Roswitha Muttenthaler, Regina Wonisch Gesten des Zeigens Zur Repräsentation von Gender und Race in Ausstellungen
2006, 312 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN: 978-3-89942-522-2
Sonja Vandenrath Private Förderung zeitgenössischer Literatur Eine Bestandsaufnahme 2006, 254 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN: 978-3-89942-417-1
Januar 2007, 268 Seiten, kart., zahlr. Abb., 26,80 €, ISBN: 978-3-89942-580-2
Stiftung Niedersachsen (Hg.) »älter – bunter – weniger« Die demografische Herausforderung an die Kultur
Petra Schneidewind Betriebswirtschaft für das Kulturmanagement Ein Handbuch
2006, 232 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN: 978-3-89942-505-5
2006, 204 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN: 978-3-89942-546-8
Werner Heinrichs Der Kulturbetrieb Bildende Kunst – Musik – Literatur – Theater – Film 2006, 294 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN: 978-3-89942-532-1
Leseproben und weitere Informationen finden Sie unter: www.transcript-verlag.de