Zu Grundlage und Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes: Probleme der Kleinbetriebsbeschlüsse des Bundesverfassungsgerichts [1 ed.] 9783428508686, 9783428108688

Die beiden Entscheidungen des BVerfG zu der sogenannten Kleinbetriebsklausel des § 23 Abs. 1 S. 2 und 3 KSchG haben nich

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German Pages 302 Year 2002

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Zu Grundlage und Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes: Probleme der Kleinbetriebsbeschlüsse des Bundesverfassungsgerichts [1 ed.]
 9783428508686, 9783428108688

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VOLKER STELLJES

Zu Grundlage und Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 206

Zu Grundlage und Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes Probleme der Kleinbetriebsbeschlüsse des Bundesverfassungsgerichts

Von

Volker Stelljes

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel hat diese Arbeit im Jahre 2002 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2002 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Peinted in Germany ISSN 0582-0227 ISBN 3-428-10868-X Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706@

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2001/2002 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel als Dissertation angenommen. Das Rigorosum fand am 31. Januar 2002 unter dem Dekanat von Professor Dr. Jörn Eckert statt. Herrn Professor Dr. Dieter Reuter danke ich für Anregungen zum Thema, für die Betreuung der Arbeit und die Erstellung des Erstgutachtens. Für das Zweitgutachten bedanke ich mich bei Herrn Professor Dr. Peter Bengelsdorf. Die Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. gewährte mir ein Promotionsstipendium, das mir in jeder Hinsicht eine wertvolle Förderung war und nicht unwesentlich zum guten Gelingen der Arbeit beitrug. Meinen Eltern verdanke ich mehr, als an dieser Stelle gesagt werden kann. Ihnen widme ich diese Arbeit aus Dankbarkeit für alles, was sie für mich getan haben. Hamburg, im Frühjahr 2002

Volker Stelljes

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15

A. Die Kleinbetriebsbeschlüsse des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

15

B. Bedeutung der Kleinbetriebsbeschlüsse des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

16

C. Ziel und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

1. Kapitel

Theorien des allgemeinen Kündigungsschutzes

22

A. Rechtstheoretische Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

B. Kündigungsschutz als wirtschaftlicher und sozialer Existenzschutz . . . . . . . . . . . . . . . . .

24

C. Kündigungsschutz als Schutz der Betriebszugehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26

D. Kündigungsschutz als Flankenschutz des betrieblichen Arbeitsverhältnisses . . . . . . . .

28

E. Vertragsdurchsetzung als Funktion des Kündigungsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

F. Kündigungsschutz als Schutz vor Arbeitnehmerwettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

2. Kapitel

Allgemeiner Kündigungsschutz im Kleinbetrieb

33

A. Die verschiedenen Auffassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33

I. Verfassungsrechtlich gebotener Mindestschutz des Arbeitsplatzes . . . . . . . . . . . .

34

II. Prinzip der grundrechtlich gebundenen Kündigungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36

8

Inhaltsverzeichnis 111. Abgeschwächte Inhaltskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

IV. Plausibilitätskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

39

V. Evidente Sozialwidrigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40

VI. Kein allgemeiner Kündigungsschutz außerhalb des KSchG . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

41

VII. Kündigungsschutz "zweiter Klasse" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

VIII. Diskriminierungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44

B. Zuordnung zu den Theorien des allgemeinen Kündigungsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

I. Die Auffassung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

Il. Zu den übrigen Auffassungen . . . .. . . .. . . . . .. . . . . . . .. . . .. . . .. . . .. .. . .. . .. . .. ..

46

3. Kapitel Die verfassungsrechtlich legitimierte Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

47

A. Art. 12 Abs. 1 GG und allgemeiner Kündigungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48

I. Art. 12 Abs. 1 GG und das Außenseiterproblem .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. ..

48

1. Die These des BVerfG von der Zweischneidigkeit des Bestandsschutzes . . .

49

2. Kündigungsschutz als Beeinträchtigung der Berufsfreiheit Arbeitsuchender

50

3. Die These vom Vorrang des Arbeitsplatzinhabers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52

II. Die Berufs- und Arbeitsplatzwahlfreiheit als Abwehrrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53

1. Gegenstand der verfassungsrechtlichen Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

2. Schutzbereich der Berufsfreiheit . .. . . . .. . . . . . .. .. . . . . .. .. . .. .. . . .. .. . .. .. .

55

a) Die Berufsfreiheit und die Arbeitsuchenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

55

b) Zum Erfordernis der Konkretheil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

3. Eingriff in die Berufsfreiheit Arbeitsuchender . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

a) Eingriffsqualität . . . . .. . . . .. . . . .. . . . .. .. .. . .. .. . . . . .. .. . .. .. . .. .. . . .. . . .

58

b) Eingriffsintensität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

4. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Bevorzugung von Arbeitsplatzinhabern ..... . .......... . ................. . .. . . . .. . . . .. ....... ... ....... ..

60

a) Regelung durch Gesetz? . . . .. . .. .. . . . . .. .. .. .. . . . . . . . . .. . . . . .. .. . .. .. ..

61

b) Regelungaufgrund eines Gesetzes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

Inhaltsverzeichnis c) Stufenlehre

9 65

aa) Anwendbarkeit der Stufenlehre bei Außenseiterproblern? . . . . . . . . . .

66

bb) Zweck des Kündigungsschutzes im Kleinbetrieb.................. .

68

cc) Legitimität des Zwecks............................................

69

dd) Erfordernis eines arbeitnehmerspezifischen Regelungszwecks . . . . .

71

ee) Unzulässigkeil des Schutzes vor Konkurrenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75

ff) Zur These vorn Vorrang des Arbeitsplatzinhabers . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75

5. Die verfassungsrechtliche Grenze und die Theorien zum allgerneinen Kündigungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

78

a) Kündigungsschutz als Schutz vor Arbeitnehmerwettbewerb . . . . . . . . . . . .

78

b) Kündigungsschutz als Schutz der Betriebszugehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . .

79

c) Kündigungsschutz als Flankenschutz des betrieblichen Arbeitsverhältnisses... . .... ..... .. ... ..... ......... ... .... . . ....... . ........ . ... .. ...

81

d) Kündigungsschutz als Vertragsdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82

III. Art. 12 Abs. I GG und grundrechtliche Schutzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82

I. Grundlagen der grundrechtliehen Schutzpflicht nach der Rechtsprechung des BVerfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

83

2. Ausdehnung der geschützen Güter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

3. Die grundrechtliche Schutzpflicht im ersten Kleinbetriebsbeschluß

85

4. Grundrechtliche Schutzpflichten im rechtsgeschäftliehen Bereich?

86

a) Schutz vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses als Anwendungsfall der Schutzpflicht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

b) Gefahr der Tendenz zur unmittelbaren Drittwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

89

c) Die grundrechtliche Schutzpflicht und die Arbeitsplatzwahlfreiheit Arbeitsuchender . . . . .. . . . .. . . . .. .. . . . . . . .. . . .. . . .. . .. . . . . . .. . . . . . . .. . . .

91

5. Schutzpflicht und Kompetenz .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .

94

a) Schutzpflichtunmittelbare Kompetenz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

95

b) Zur Kompetenz der Rechtsprechung . . .. . . . .. . .. . . .. . . . . .. . . .. . . . .. . . . .

96

B. Sozialstaatsprinzip und allgerneiner Kündigungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

98

I. Inhalt des Sozialstaatsprinzips für den Kündigungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

II. Adressat des Sozialstaatsprinzips .. . .. .. .. .. .. . .. .. .. . .. .. .. .. .. . .. .. .. .. .. .. . 101 III. Zur Anwendung des Sozialstaatsprinzips im ersten Kleinbetriebsbeschluß . . . . I 03 I. Das Sozialstaatsprinzip und die These von der Zweischneidigkeit des Kün-

digungsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104

2. Sozialstaatsprinzip als Errnöglichung beruflicher Entfaltung . . . . . . . . . . . . . . . 105

10

Inhaltsverzeichnis

C. Das Außenseiterproblem im einfachen Kündigungsschutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 I. Ablehnung der Berücksichtigung von Drittinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 II. "Aussichten auf dem Arbeitsmarkt" als Gesichtspunkt der Interessenahwägung bei der Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 1. Personen- und verhaltensbedingte Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110

2. Betriebsbedingte Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 a) Berücksichtigung des Kriteriums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 b) Ablehnung des Kriteriums bei der sozialen Auswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 111. "Aussichten auf dem Arbeitsmarkt" als Gesichtspunkt einer Richtlinie nach § 95 BetrVG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 IV. "Aussichten auf dem Arbeitsmarkt" als Ausdruck des Außenseiterproblems . . 113 V. Konsequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 VI. Zu Einwänden gegen die Berücksichtigung von Drittinteressen . . . . . . . . . . . . . . . 116

4. Kapitel

Die personelle Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

118

A. Kein allgemeiner Kündigungsschutztrotz Schutzbedürfnisses? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 I. Arbeitnehmerähnliche Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 1. Allgemeine Charakteristik arbeitnehmerähnlicher Personen . . . . . . . . . . . . . . . 120

2. Schutz vor Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 a) Beendigungsschutz der in Heimarbeit Beschäftigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 b) Beendigungsschutz der arbeitnehmerähnlichen Handelsvertreter . . . . . . . 126 c) Beendigungsschutz für arbeitnehmerähnliche Personen im allgemeinen

128

aa) Erweiterter Beendigungsschutz bei langer Einzelbefristung . . . . . . . . 128 bb) Beendigungsschutz bei unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen 129 (1) Orientierung am Schutz nach BVerfG-Rechtsprechung zum

Kleinbetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130

(2) Orientierung am Schutz nach BVerfG-Rechtsprechung zum Einigungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 II. Beendigungsschutz für Arbeitnehmer während der Wartezeit (§ 1 Abs. 1 KSchG) ............................. . ............. . .................. . ....... 133 1. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136

2. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 3. Beendigung durch Bedingungseintritt und Zeitablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139

Inhaltsverzeichnis

11

III. Befund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 IV. Ursache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 V. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 1. Kongruenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 2. Materieller Kündigungsschutz als Spezifikum des Arbeitsrechts . . . . . . . . . . . 148 3. Bestandsschutztheorie und Abstandsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 4. Entscheidungen des BAG als Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 B. Allgemeiner Kündigungsschutztrotz fehlenden Schutzbedürfnises? . . . . . . . . . . . . . . . . 153 I. Nebenbeschäftigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 1. Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 2. Ansichten in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 II. Doppelverdienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 I. Berücksichtigungsfähigkeit . ............. . ..... . ................... . .. . .. . . 161 2. Eingeschränkte Berücksichtigungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 III. Vermögen des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 1. Berücksichtigungsfähigkeit . ................ . .. . ... . ........ . ... . .. . . .. . . .. 163 2. Keine Berücksichtigungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 IV. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 1. Nebenbeschäftigung - Bestandsschutztheorie contra Wortlaut des KSchG 165 a) Zum Lehrerfall des BAG..... .. ......... . ... .. . . .... . . . . .. . . ... .. ... . . . 165 b) Nebenbeschäftigung und die Rechtsprechung zum Befristungsschutz . . . 167 c) Status quo als Schutzgut des allgemeinen Kündigungsschutzes? . . . . . . . . 169 2. Doppelverdienst und Vermögenssituation des Arbeitnehmers als Kriterien der Sozialauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 C. Die personelle Reichweite des KSchG nach den Theorien zum allgemeinen Kündigungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 I. Kündigungsschutz als Schutz der Betriebszugehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 II. Kündigungsschutz als Schutz vor Arbeitnehmerwettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 III. Kündigungsschutz als Vertragsdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 IV. Kündigungsschutz als Hankenschutz des betrieblichen Arbeitsverhältnisses . . 179

12

Inhaltsverzeichnis

5. Kapitel Die betriebliche Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

183

A. Zum Betriebsbegriff und Tendenzen in seiner Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 B. Erscheinungsformen des Betriebs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 I. Unternehmen mit mehreren Betrieben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 1. Der normzweckbestimmte Betriebsbegriff Joosts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 2. Die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 3. Der erste Kleinbetriebsbeschluß des BVerfG. . .. . . . . . ... . .......... . .. .. . .. 189 4. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 II. Gemeinsamer Betrieb mehrerer Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 1. Rechtsprechung und h.L. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195

2. Der normzweckbestimmte Betriebsbegriff Joosts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 III. Betrieb eines konzernangehörigen Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 1. Berechnungsdurchgriff im Konzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198

2. Ablehnung einer konzernweiten Schwellenzahlberechnung . . . . . . . . . . . . . . . . 199 IV. Nebenbetrieb (§ 4 S. 2 BetrVG a.F.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 V. Betriebsteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 C. Bewertung und Konsequenzen aus methodischer, historischer und objektiv-teleologischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203

I. Wirkung des Betriebsbegriffs des BVerfG in der Rechtsprechung des BAG . . . 204 II. Der Betriebsbegriff des BVerfG und die Methode der Auslegung . . . . . . . . . . . . . 206 III. Kleinbetrieb und Kündigungsschutz in der historischen Entwicklung . . . . . . . . . 209 1. Betriebsrätegesetz vom 4. 2. 1920 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209

2. Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20. 1. 1934 . . . . . . . . . . . . . . . . 211 3. Die Zeit nach Außerkrafttreten des AOG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 a) Der Rechtszustand in den verschiedenen Zonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 b) Das Wirtschaftsratsgesetz vom 20. 7. 1949 (,,Frankfurter Entwurf') . . . . 214 c) Der Hattenheimer Entwurf vom 13. 1. 1950 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 4. Das Gesetzgebungsverfahren des KSchG vom 10. 8. 1951 . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 a) DerRegierungsentwurfvom23. 1.1951 ........................ ...... . 215 b) Die Lesungen im Bundestag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 5. Das KSchG vom 10. 8. 1951 und seine Neubekanntmachung vom 25. 8. 1969 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218

Inhaltsverzeichnis 6. Das Beschäftigungsförderungsgesetz vom 26. 4. 1985

13 219

7. Das Arbeitsrechtliche Beschäftigungsförderungsgesetz vom 25. 9. 1996 . . . 220 8. Das Gesetz vom 19. 12. 1998 (Korrekturgesetz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 9. Ergebnisse und Bewertung der Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 IV. Konsequenzen aus der historisch-teleologischen Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . 229 V. Objektiv-teleologische Aspekte des Betriebsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 I. Gebot der Gleichbehandlung des Gleichartigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 2. Konkrete und abstrakte wirtschaftliche Belastbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 VI. Konsequenzen für eine Rechtsfortbildung bei § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG . . . . . . . . 234 D. Argumente für ein Verständnis des Betriebsbegriffs in § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG im Sinne der arbeitsorganisatorischen Einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 I. Erforderlichkeil als Grenze des allgemeinen Kündigungsschutzes . . . . . . . . . . . . 235 II. Die "besonders engen persönlichen Beziehungen" und ihre Konsequenzen für den allgemeinen Kündigungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 1. Charakteristik . .. .. . . .. .. . . .. .. .. .. .. . .. . .. . .. .. . . .. .. .. .. .. .. . . .. . . .. .. .. . 238

2. Auswirkungen der engen persönlichen Beziehungen auf das Kündigungsverhalten im Kleinbetrieb . .. . . . .. . .. . .. . . . . . . .. . . .. . . . . .. . . .. . . . . .. .. . . .. . 240 III. Von der technozentrischen zur anthropozentrischen Arbeitsorganisation . . . . . . 242 1. Bedeutung für das Verhältnis Arbeitnehmer- Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 2. Bedeutung für das Kündigungsverhalten im Kleinbetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 E. Die betriebliche Reichweite des KSchG nach den Theorien zum allgemeinen Kündigungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 I. Das Kriterium der wirtschaftlichen Belastbarkeit als Implikation der BeStandsschutztheorie 246

II. Die Kleinbetriebsausnahme und Kündigungsschutz als Schutz der Betriebszugehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 III. Kündigungsschutz als Schutz vor Arbeitnehmerwettbewerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 IV. Kündigungsschutz als Vertragsdurchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250

V. Der Betriebsbegriff des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG aus der Sicht der Flankenschutztheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 1. Bedeutung für die Kleinbetriebsklausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251

2. Die aus engen persönlichen Beziehungen resultierende Selbstorganisationsfähigkeit des Kleinbetriebs als Bestätigung der Flankenschutztheorie 252

I4

Inhaltsverzeichnis

F. Ergebnis und Konsequenzen

254

I. Zum Einwand der Umgehungsgefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 II. Konsequenzen für die Erscheinungsformen des Betriebs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 I. Unternehmen mit mehreren Betrieben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257

2. Gemeinsamer Betrieb mehrerer Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 3. Betrieb eines konzernangehörigen Unternehmens .. . ................. . ..... 258 4. Nebenbetrieb (§ 4 S. 2 BetrVG a.F.) und Kleinstbetrieb (§ 4 Abs. 2 BetrVG n.F.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 5. Betriebsteil (§ 4 Abs. I S. I BetrVG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260

6. Kapitel

Zur Frage eines allgemeinen Kündigungsschutzes außerhalb des KSchG

263

A. Überblick über wesentliche Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 B. Konsequenzen für einen allgemeinen Kündigungsschutz außerhalb des KSchG . . . . . 266 I. § 612a BGB als Ausdruck der Flankenschutztheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267

II. Bedeutung des§ 612a BGB für Kündigungen außerhalb des KSchG . . . . . . . . . . 269 I. Kleinbetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269

2. Wartezeit............... . .. . .................. . ... . ................. . . . . . . . 271

III. Konsequenzen für die Kriterien des BVerfG zum Kündigungsschutz im Kleinbetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 I. Schutz vor willkürlichen oder auf sachfremden Motiven beruhenden Kündigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272

2. Gebot eines gewissen Maßes an sozialer Rücksichtnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 3. Berücksichtigung eines durch langjährige Mitarbeit erdienten Vertrauens . . 278 IV. § 612a BGB als Grenze des allgemeinen Kündigungsschutzes außerhalb des KSchG . .. ... .. . . .. .. .............. . . . . ... . ...... . . ..... . . . . . . ...... . .. . ...... 279

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296

Einleitung A. Die Kleinbetriebsbeschlüsse des BVerfG Am 27. 1. 1998 ergingen zwei Entscheidungen des BVerfG, die sich mit der sog. Kleinbetriebsklausel des§ 23 Abs. 1 S. 2 und 3 KSchG befaßten 1• Dem ersten der beiden Beschlüsse lag ein Fall zugrunde, in dem gegenüber einem Arbeitnehmer in einem Betrieb mit drei anderen Arbeitnehmern und zwei Auszubildenden eine Kündigung wegen einer länger andauernden Krankheit ausgesprochen worden war. Das ArbG Reutlingen, durch das der Arbeitnehmer das Fortbestehen seines Arbeitsverhältnisses festgestellt wissen wollte, setzte das Verfahren aus und legte die Sache gern. Art. 100 GG dem BVerfG zur Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG in seinem damals geltenden Wortlaut vo~. Das Arbeitsgericht sah in der Vorschrift einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG. Arbeitnehmer in Kleinbetrieben seien nicht nur ohne wirksamen Rechtsschutz gegen Kündigungen. Ihnen bleibe auch keine realistische Möglichkeit zum Abschluß eines Abfindungsvergleichs. Aufgrund ihrer Ausnahme von einer Abfindungspflicht erhielten Kleinbetriebe einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil 3 . Mehr als elf Jahre nach dem Vorlagebeschluß des Arbeitsgerichts -die Vorschrift war inzwischen geändert worden4 - entschied das BVerfG im ersten Kleinbetriebsbeschluß, daß § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG mit dem Grundgesetz vereinbar sei, allerdings nur "nach Maßgabe der Entscheidungsgründe". Im zweiten Kleinbetriebsbeschluß hatte sich das BVerfG mit § 23 Abs. 1 S. 3 KSchG5 zu befassen. Das ArbG Bremen hatte die Norm mit Beschluß vom BVerfGE 97, S. 169 und E 97, S. 186. ArbG Reuttingen v. 11. 12. 1986, NZA 1987, S. 522; vgl. auch Kraushaar; ArbuR 1988, S. 137 sowie BVerfGE 97, S. 169 (171).- § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG lautete in der Fassung des Gesetzes v. 26. 4. 1985 (BGBL I S. 710) bis zum 30. 9. 1996: "Die Vorschriften des Ersten Abschnitts gelten nicht für Betriebe und Verwaltungen, in denen in der Regel fünf oder weniger Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten beschäftigt werden." 3 Vgl. BVerfGE 97, S. 169 (172). t

2

4 § 23 Abs. l S. 2 KSchG lautete in der Fassung des Gesetzes v. 25. 9. 1996 (BGBI. I S. 1476) vom 1. 10. 1996 bis zum 31. 12. 1998: "Die Vorschriften des Ersten Abschnitts gelten nicht für Betriebe und Verwaltungen, in denen in der Regel zehn oder weniger Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten beschäftigt werden." 5 § 23 Abs. 1 S. 3 KSchG lautete in der Fassung des Gesetzes v. 26. 4. 1985 (BGBI. I S. 710) bis zum 30. 9. 1996: "Bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer

16

Einleitung

26. 8. 1992 ebenfalls nach Art. 100 GG vorgelegt. In dem vom Arbeitsgericht zu entscheidenden Fall war einem Arbeitnehmer wegen vertragswidrigen Verhaltens gekündigt worden. Er war in einem Betrieb beschäftigt gewesen, in dem fünf Arbeitnehmer mit einer Arbeitszeit von mehr als zehn Wochenstunden und weitere 45 Arbeitnehmer mit geringerer Arbeitszeit, teilweise nur zwei Stunden pro Woche tätig waren. Das Arbeitsgericht bemängelte6 , nach der seinerzeit geltenden Rechtslage könnten Betriebe wegen der Nichtanrechnung der mit bis zu zehn Wochenstunden oder 45 Monatsstunden beschäftigten Arbeitnehmer im Ergebnis beliebig viele Arbeitnehmer einstellen, ohne in den Geltungsbereich des KSchG zu fallen; sachliche Gründe dafür, Arbeitnehmern den gesetzlichen Kündigungsschutz vorzuenthalten, gebe es aber nur bei kleineren Betrieben. Darin liege ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Beinahe fünfeinhalb Jahre später - auch § 23 Abs. 1 S. 3 KSchG hatte zwischenzeitlich eine Änderung erfahren7 - entschied das BVerfG und erachtete die fragliche Vorschrift für vereinbar mit dem Grundgesetz, doch ebenfalls nur "nach Maßgabe der Entscheidungsgriinde".

B. Bedeutung der Kleinbetriebsbeschlüsse des BVerfG Die Entscheidungsgründe der beiden Kleinbetriebsbeschlüsse sind für unterschiedliche Problembereiche von Bedeutung. Dazu gehört einmal die Frage nach der Möglichkeit und der Beschaffenheit eines Kündigungsschutzes im Kleinbetrieb. Ein solcher wird im ersten Kleinbetriebsbeschluß angenommen und inhaltlich konkretisiert. Dazu heißt es in der Entscheidung, durch die Herausnahme aus dem gesetzlichen Kündigungsschutz seien die Arbeitnehmer nicht völlig schutzlos' gestellt. Wo die Bestimmungen des KSchG nicht griffen, seien die Arbeitnehmer durch die zivilrechtliehen Generalklauseln vor einer sitten- oder treuwidrigen Ausübung des Kündigungsrechts des Arbeitgebers geschützt. Es gebe einen verfassungsrechtlich gebotenen Mindestschutz des Arbeitsplatzes vor Verlust durch private Disposition. In sachlicher Hinsicht gehe es vor allem darum, Arbeitnehmer vor willkürlichen oder auf sachfremden Motiven beruhenden Kündigungen zu schützen. Soweit unter mehreren Arbeitnehmern eine Auswahl zu treffen sei, gebiete der verfassungsrechtliche Schutz des Arbeitsplatzes in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip ein gewisses Maß an sozialer Rücksichtnahme. Schließlich dürfe auch ein durch langjährige Mitarbeit erdientes Vertrauen in den Fortbestand des nach Satz 2 sind nur Arbeitnehmer zu berücksichtigen, deren regelmäßige Arbeitszeit wöchentlich 10 Stunden oder monatlich 45 Stunden übersteigt." 6 Vgl. BVerfGE 97, S. 186 (189). 7 § 23 Abs. I S. 3 lautete in der Fassung des Gesetzes v. 25. 9. 1996 (BGBI. I S. 1476) vom 1. 10. 1996 bis zum 31. 12. 1998: "Bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer nach Satz 2 sind teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von nicht mehr als zehn Stunden mit 0,25, nicht mehr als 20 Stunden mit 0,5 und nicht mehr als 30 Stunden mit 0,75 zu berücksichtigen."

B. Bedeutung der Kleinbetriebsbeschlüsse des BVerfG

17

Arbeitsverhältnisses nicht unberücksichtigt bleiben8 . Bei diesem Problembereich handelt es sich zwar nicht um die in dem rechtlichen Verfahren streitige Frage; diese ging allein dahin, ob eine Unterscheidung von Betrieben in solche, die dem KSchG unterfallen, und solche, bei denen dies nicht der Fall ist, verfassungsgemäß ist; sie bezog sich demgegenüber nicht auf die logisch nachgeordnete, vom BVerfG gleichwohl in eben jenem Sinne beantwortete Fragestellung, ob bzw. welch ein Kündigungsschutz in den nicht vom KSchG erfaßten Betrieben existiert. Der erste Kleinbetriebsbeschluß sagt damit aus, daß die Unterscheidung in vom KSchG erfaßte und nicht erfaßte Betriebe mit dem Grundgesetz deshalb vereinbar ist, weil es einen in der von ihm beschriebenen Weise beschaffeneo Kündigungsschutz in denjenigen Betrieben gibt, die nicht vom KSchG erfaßt sind. Bedeutsam ist ferner die Begründung, die das BVerfG für einen solchen Kündigungsschutz nennt9 . Es handele sich hierbei um das Ergebnis praktischer Konkordanz als Ausgleich der widerstreitenden, grundrechtlich verankerten Interessen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Auf seiten des Arbeitnehmers wird für den Kündigungsschutz im Kleinbetrieb ausgeführt, der Arbeitsplatz sei die wirtschaftliche Existenzgrundlage für ihn und seine Familie; er bestimme nicht nur Lebenszuschnitt und Wohnumfeld, sondern ebenso soziale Stellung und SelbstwertgefühL Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses werde dieses ökonomische und soziale Beziehungsgeflecht in Frage gestellt. Die Aussichten auf Wiedererlangung eines Arbeitsplatzes seien in Zeiten struktureller Arbeitslosigkeit schlecht. Hierbei ist fraglich, ob diese Umstände zur Begründung allgemeinen Kündigungsschutzes hinreichen. Sicher ist mit dem Schutz vor den genannten Krisen die Wirkung des Kündigungsschutzes zutreffend umschrieben. Doch muß untersucht werden, ob in dem so beschriebenen Schutz auch Sinn und Zweck des Kündigungsschutzes seine ratio, sein "Wesen", sein Ziel oder seine Grundlage- erblickt werden dürfen. Ist - verallgemeinert - diese Sichtweise, Kündigungsschutz bezwecke den Schutz vor Verlust der ökonomischen und sozialen Existenzgrundlage, eine zutreffende Erklärung der Grundlage des Kündigungsschutzes? Als Erklärung geltenden Kündigungsschutzrechts ist diese These jedenfalls nur dann haltbar, wenn sie weder höherrangigem Recht noch dem Gegenstand ihrer Erklärung, dem geltenden Kündigungsschutzrecht, widerspricht; und nur in diesem Fall kann sie als Grundlage der Fortbildung des Kündigungsschutzrechts dienen und so etwa auch die Frage beantworten helfen, auf welche Art von Kündigungsschutz sich Personen außerhalb des Geltungsbereichs des KSchG berufen können. Ein weiterer, davon jedoch nicht isolierter und nicht zu isolierender Problemschwerpunkt betrifft den Betriebsbegriff. Dieser dient in § 23 Abs. 1 S. 2, 3 KSchG dazu, den Kreis derjenigen Arbeitnehmer einzugrenzen, die für die Berechnung der den Kündigungsschutz auslösenden Schwellenzahl zu berücksichtigen sind. Hier verweisen beide Kleinbetriebsbeschlüsse übereinstimmend aufeinander 10• s BVeifGE97,S.169(178f.). 9 BVerfGE 97, S. 169 (179 f.). 2 Stelljes

Einleitung

18

Was die Anknüpfung an den Begriff "Betrieb" betrifft, so sei diese nicht zu beanstanden. Als problematisch wird jedoch der Fall angesehen, in dem ein Betrieb einem Unternehmen mit weiteren Betrieben angehört. Unter den Betriebsbegriff könnten im Einzelfall auch Teile größerer Unternehmen fallen, für die die Gesichtspunkte nicht zuträfen, die eine Benachteiligung der Arbeitnehmer von Kleinbetrieben bei der Ausgestaltung des Kündigungsrechts rechtfertigten 11 • Zu diesen Gesichtspunkten, die die Herausnahme der Kleinbetriebe aus dem KSchG rechtfertigen, zählt das BVerfG die folgenden Umstände: In einem Kleinbetrieb hänge der Geschäftserfolg mehr als bei einem Großbetrieb von jedem einzelnen Arbeitnehmer ab, dessen Leistungsfähigkeit und Persönlichkeitsmerkmale für Zusammenarbeit, Außenwirkung und Betriebsklima von Bedeutung seien. Kleine Teams seien anfallig für Mißstimmungen und Querelen. Störungen des Betriebsklimas könnten zu Leistungsminderungen führen, die bei geringem Geschäftsvolumen spürbar auf das Ergebnis durchschlügen. Ausfalle ließen sich bei niedrigem Personalstand nur schwer ausgleichen. Typischerweise arbeite in kleinen Betrieben der Unternehmer selbst als Chef vor Ort mit, wodurch das Vertrauensverhältnis zu jedem seiner Mitarbeiter einen besonderen Stellenwert erhalte. Schließlich sei der Kleinbetrieb aufgrund regelmäßig geringerer Finanzausstattung häufig nicht in der Lage, Abfindungen zu zahlen oder weniger benötigtes oder genehmes Personal mitzutragen. Er werde durch den Verwaltungsaufwand, den ein Kündigungsschutzprozeß mit sich bringe, stärker belastet als ein größeres Unternehmen 12. Das BVerfG führt aus, der Betriebsbegriff des § 23 Abs. 1 KSchG lasse sich jedoch im Wege verfassungskonformer Auslegung auf die Einheiten beschränken, für deren Schutz die Kleinbetriebsklausel allein bestimmt sei. Durch eine solche am Sinn und Zweck der Kleinbetriebsklausel orientierte Interpretation des Betriebsbegriffs lasse sich vermeiden, daß Einheiten darunter fielen, für die der genannte Schutzgedanke des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG nicht zutreffe. Auch hier ist wieder zu fragen, ob der Betriebsbegriff, ebenso wie der Schutzzweck der Kleinbetriebsklausel, in dieser Weise zutreffend umschrieben ist. Dabei kann sich herausstellen, ob § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG tatsächlich den Betrieb oder - wie manche vertreten - das Unternehmen bzw. den Arbeitgeber meint. Das Ergebnis ist nicht zuletzt von Bedeutung für die weiterführende Problematik, ob es etwa einen vornehmlich nach Sinn und Zweck zu bestimmenden Betriebsbegriff gibt, der je nach Regelungsbereich oder sogar je nach Norm unterschiedlich ausfallen könnte, oder ob ein für das Arbeitsrecht grundsätzlich einheitlich zu verstehender Betriebsbegriff existiert.

10

11 12

BVerfGE 97, S. 169 (183) und E 97, S. 186 (194). BVerfGE 97, S. 169 (184). BVerfGE 97, S. 169 (177 f.).

C. Ziel und Gang der Untersuchung

19

C. Ziel und Gang der Untersuchung Diese Problembereiche bieten Anlaß, sich die Grenzen und damit die Reichweite allgemeinen Kündigungsschutzes zu vergegenwärtigen. In den Kleinbetriebsbeschlüssen des BVerfG wird mit der betrieblichen nur eine Grenze thematisiert. Weitere Grenzen werden dem positiven allgemeinen Kündigungsschutz etwa dadurch gezogen, daß seine Anwendbarkeit ein Arbeitsverhältnis voraussetzt sowie dessen mehr als sechsmonatigen Bestand fordert (§ 1 Abs. 1 KSchG). Allerdings handelt es sich hierbei um "äußere" Grenzen des positiven Kündigungsschutzes, die über sein "Ob" Auskunft geben, nicht dagegen um "innere", die die Schutzintensität des Kündigungsschutzes, etwa den Maßstab, an dem die Sozialwidrigkeit auszurichten ist, und damit sein "Wie" betreffen. Das BVerfG hat sich einer Begriindung, einer Zweckzuordnung oder einer (von ihm als solche angenommenen) Grundlage des Kündigungsschutzes bedient, um dessen betriebliche Grenze zu bestimmen. Es hat die Bedeutung des Kündigungsschutzes als Schutz vor Verlust der ökonomischen und sozialen Existenzgrundlage als Ausgangspunkt für die Annahme eines (geringeren) Kündigungsschutzes im Kleinbetrieb und damit für die Abgrenzung von Klein- und größerem Betrieb gewählt. Die Grundlage oder "Theorie" des Kündigungsschutzes war danach als allgemeinerer Satz bestimmend für seine konkretere betriebliche Grenze, die aus jenem gefolgert wurde. Nach diesem Vorbild soll auch die vorliegende Arbeit vorgehen und die Möglichkeiten einer Begrundung konkreter praktischer Problemlösungen aus einer allgemeineren Theorie untersuchen. Dabei üben die (abstraktere) Theorie von Sinn und Zweck des Kündigungsschutzes und die (konkretere) Grenze des allgemeinen Kündigungsschutzes eine Wechselwirkung aufeinander aus: Die konkrete rechtliche Problemlösung darf nicht in Widerspruch zu der Theorie (oder der Grundlage, dem Wesen oder Sinn und Zweck) des Kündigungsschutzes stehen, sondern muß sich aus ihm erschließen lassen, zumindest jedoch mit ihm vereinbar sein. Umgekehrt aber darf die abstrakte Theorie, will sie das positive Recht zutreffend beschreiben und den hinter ihm stehenden Wesen oder Sinn und Zweck erklären, sich nicht in Widerspruch zu dem konkreten positiven Recht befinden. So ist zu fragen, ob hinter den zu den praktischen Einzelproblemen vertretenen Standpunkten eine Theorie im genannten Sinne erkannt werden kann; diese ist auf ihre Eignung zur Erklärung der Grenzen des Kündigungsschutzes zu untersuchen. Dabei gilt es, eine Theorie zu finden, die eine zutreffende Erklärung vom "Wesen" oder der Grundlage des allgemeinen Kündigungsschutzes abzugeben vermag. Dazu ist sie auf innere Widerspruchsfreiheit zu überpriifen und mit dem Gegenstand ihrer Erklärung, dem konkreten positiven Recht, zu vergleichen. Erst eine "zutreffende" Theorie, die solche Widerlegungsversuche übersteht, kann sodann die Grundlage für eine Rechtsfortbildung, vor allem aber zur Herleitung (oder Überpriifung) einer Lösung für ein konkretes praktisches Einzelproblem - so etwa für die Abgrenzung des allgemeinen Kündigungsschutzes - werden. Die Bereitstellung einer Theorie bietet damit den Vorteil der Verträglichkeit der Lösung mit dem 2*

20

Einleitung

System des geltenden Rechts und wird zum Rahmen für die Lösung konkreter praktischer Einzelprobleme 13 . Solche Systematisierung begünstigt mit der Rückführbarkeit kündigungsschutzrechtlicher Probleme auf allgemeinere Grundlagen tendenziell die Bemühungen um Rechtssicherheit Aus diesem Grund sollen zunächst alle zur Grundlage des Kündigungsschutzes vertretenen allgemeinen Theorien dargestellt werden (Kap. 1). Darauf wird ein Überblick über das Spektrum der zum konkreten praktischen Problem - der betrieblichen Grenze des Kündigungsschutzes in Verbindung mit einem Kündigungsschutz im Kleinbetrieb - vertretenen Ansichten (Kap. 2) gegenübergestellt und der Versuch einer Einordnung in die Theorien unternommen. Sodann geht es - unter Heranziehung der Argumente aus der Diskussion um einen Kündigungsschutz im Kleinbetrieb - um die Bestimmung der Reichweite allgemeinen Kündigungsschutzes. Dazu soll zunächst seine allgemein zulässige Reichweite anhand des Verfassungsrechts eingegrenzt werden (Kap. 3). Hierbei geht es vor allem darum, zu untersuchen, inwieweit sich eine Grenze für die Theorie des allgemeinen Kündigungsschutzes aus verfassungsrechtlich geschützten Positionen arbeitsloser Arbeitsuchender ergeben kann. Besondere Aufmerksamkeit soll, schon wegen ihrer praktischen Bedeutung, der Rechtsprechung des BVerfG gewidmet werden, insbesondere soweit sie in den Kleinbetriebsbeschlüssen Ausdruck findet. Der Erörterung der verfassungsrechtlich legitimierten Reichweite folgt die Erörterung der personellen (Kap. 4) und der betrieblichen (Kap. 5) Reichweite allgemeinen Kündigungsschutzes. Jedes dieser beiden Kapitel soll so strukturiert sein, daß zunächst die praktischen Einzelprobleme erörtert werden, bevor sodann eine Herleitung der Problemlösungen aus den Theorien zum Kündigungsschutz versucht wird. So sollen in Kap. 4 zunächst die von der herrschenden Theorie vom Kündigungsschutz vertretenen Standpunkte (bzw. ihre Prognosen) für die praktischen Einzelprobleme des personellen Anwendungsbereichs des KSchG überprüft werden. Dazu sind die Lösungsansätze der Theorie mit dem positiven Recht zu vergleichen sowie auf innere Widerspruchsfreiheit kritisch zu überprüfen. Gleiches geschieht nach diesem Muster mit den übrigen Theorien. Am Ende soll eine Theorie stehen, die die personelle Reichweite schlüssig und widerspruchsfrei zu erklären und gleichzeitig anzugeben vermag, welcher materielle Gerechtigkeitsgehalt hinter ihr steht. Auch in Kap. 5 werden zunächst die zu den praktischen Einzelproblemen - hier der betrieblichen Reichweite - vertretenen Standpunkte zusammengetragen. Es wird gefragt, ob dahinter eine der Theorien zum allgemeinen Kündigungsschutz erkannt werden kann. Nach einer kritischen Betrachtung der Standpunkte wird auch hier wieder herauszufinden sein, ob eine der Theorien zum allgemeinen Kündigungsschutz eine widerspruchsfreie betriebliche Abgrenzung des KSchG ermöglicht und gleichzeitig einen dahinter stehenden Gerechtigkeitsgehalt verdeutlicht. Diejenige der Theorien, die diese kritischen Prüfungen übersteht, kann schließlich den rechtlichen Rahmen abgeben für die praktische Frage nach einem Kündi13

Vgl. i.e. Canaris, JZ 1993, S. 377 (378).

C. Ziel und Gang der Untersuchung

21

gungsschutz außerhalb des KSchG (Kap. 6). Vor diesem Hintergrund kann letztlich auch der Standpunkt des BVerfG zu jener Frage, wie er vor allem im ersten Kleinbetriebsbeschluß zum Ausdruck kommt, gewürdigt werden. Am Ende der Arbeit sollen so nicht nur Erkenntnisse über Grenzen und Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes der §§ 1 ff. KSchG als praktisch-konkrete Problemlösungen stehen. Vielmehr soll sich gleichzeitig erweisen, welche der zum allgemeinen Kündigungsschutz vertretenen Theorien sich als resistent gegen die vorzunehmenden Widerlegungsversuche erweist und damit als Grundlage einer Lösung auch anderer als der hier behandelten Probleme des Kündigungsschutzrechts dienen kann.

1. Kapitel

Theorien des allgemeinen Kündigungsschutzes Die Diskussionen um Probleme des allgemeinen Kündigungsschutzes finden auf unterschiedlichen Ebenen statt, bei denen nach Maßgabe ihrer Abstraktheil eine unmittelbar entscheidungsorientierte Ebene von einer allgemeineren Ebene unterschieden werden kann, die sich mit der Frage nach dem "Grundgedanken" oder der ratio legis des Kündigungsschutzrechts befaßt und für die dogmatische Systematisierung des geltenden Gesetzesrechts von Bedeutung ist 1• Was die letztgenannte Ebene betrifft, so werden unterschiedliche Auffassungen darüber vertreten, worin das Wesen des Kündigungsschutzrechts bestehe und welches die Grundgedanken und -prinzipien seien, die dem geltenden Kündigungsschutzrecht zugrundeliegen. Zu unterscheiden sind dabei im wesentlichen die hier so genannte Bestandsschutztheorie, die Lehre vom Schutz der Betriebszugehörigkeit und die Flankenschutztheorie. Hinzugetreten sind weitere Auffassungen, die die Funktion des Kündigungsschutzes in der Sicherung der Vertragsdurchsetzung bzw. in der Verhinderung von Arbeitnehmerwettbewerb erblicken. Diese verschiedenen Standpunkte wirken sich unterschiedlich auf die Interpretation des Kündigungsschutzrechts aus2 und sind damit auch für die unmittelbar entscheidungsorientierte Problemebene von nicht geringer Bedeutung. Im Rahmen dieser Arbeit sollen die Theorien nicht einer generellen und umfassenden Kritik unterzogen werden. Sie sollen vielmehr nur daraufhin überprüft werden, wie sie sich zu den nach dem KSchG vorgesehenen Grenzen des allgemeinen Kündigungsschutzes verhalten. Die Kritik der Theorien soll daher nicht Selbstzweck sein, sondern darüber Aufschluß geben, wie die Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes im Einzelfall zutreffend zu bestimmen ist. Der erste Kleinbetriebsbeschluß des BVerfG behandelt mit § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG eine der Grenzen des allgemeinen Kündigungsschutzes. Nach der Darstellung der Theorien zum allgemeinen Kündigungsschutz muß untersucht werden, inwiefern sich der Beschluß einer von ihnen zuordnen läßt, bevor erörtert werden kann, welches die Konsequenzen für andere Grenzbereiche des KSchG sind, ob Probleme entstehen und welche der Theorien ein widerspruchfreies Modell für die Grenzen des allgemeinen Kündigungsschutz abzugeben geeignet ist.

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2

Domdorf, ZfA 1989, S. 345 (346 f.). Preis, Prinzipien, S. 124; Rütten, Intsitutionelle Arbeitslosigkeit und Grundgesetz, S. 56.

A. Rechtstheoretische Vorbemerkungen

23

A. Rechtstheoretische Vorbemerkungen Bevor die Theorien im einzelnen behandelt werden, sollen Möglichkeiten und Grenzen ihrer Kritik aufgezeigt werden. Aus den Anforderungen, die an eine rechtsdogmatische Theorie im allgemeinen zu stellen sind, werden sich zugleich die Anforderungen an die Theorien des allgemeinen Kündigungsschutzes ergeben. Dabei meint man mit Theorie allgemeine Sätze, die nach den Kriterien der Ordnung und Einheit miteinander verbunden sind3 . Rechtsdogmatische Theorien haben vor allem zwei Funktionen: erstens die Erklärung gegebener (explikative Funktion), zweitens die Bereitstellung nicht gegebener Rechtssätze (heuristische Funktiont Der Gegenstand der Erklärung ist in der Rechtswissenschaft das gesetzte Recht5 . Die durch eine Theorie angestrebte dogmatische Einordnung von Problemlösungen soll einerseits deren Verträglichkeit mit dem System des geltenden Rechts gewährleisten, verdeutlicht dadurch aber zugleich den materiellen Gerechtigkeitsgehalt einer Problemlösung und stellt einen Rahmen für die Lösung von weiteren Problemen zur Verfügung6 . Um dies zu ermöglichen, sind gewisse Anforderungen an eine Theorie zu stellen, zu denen Konsistenz und Prüfbarkeit gehören7 . Inkonsistent ist eine Theorie stets dann, wenn sie einen logischen Widerspruch enthält8 • Doch auch ein Wertungswiderspruch einer Theorie führt zu ihrer Inkonsistenz, weil er einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungssatz und damit gegen das elementarste Prinzip der Rechtsanwendung und -findung darstellt9 . Inkonsistent ist eine Theorie des weiteren dann, wenn sie Ausnahmen von der ihr entsprechenden Regel zuläßt, ohne dafür einen einleuchtenden und mit ihren Prämissen verträglichen Grund angeben zu können, weil ansonsten beliebig viele Ausnahmen gemacht werden dürften, ohne daß dafür ein Grund angegeben werden müßte 10• Die Theorie muß ferner überprüfbar sein. Die Überprüfung rechtsdogmatischer Behauptungen erfolgt durch den Vergleich mit ,,Basis"- oder "Prüfsätzen" als Versuch der Falsifikation der Theorie; als Basissätze fungiert für juristische Theorien das geltende Recht, insbesondere das Gesetz 11 • Da eine juristische Theorie Aussagen über das geltende Recht macht, ist sie dann falsch, wenn sie bei folgerichtiger Durchführung zu einem Ergebnis führt, das mit dem geltenden Recht unvereinbar Canaris, JZ 1993, S. 377 (377 f. ; zur Weiterentwicklung der Definition 384). Neumann, Wissenschaftstheorie, S. 422 (432); Dreier, Zur Theoriebildung, S. 83; Canaris, JZ 1993, S. 377 (378); Wagner, JuS 1963, S. 457 (458 ff., 460 ff.). s Neumann, Wissenschaftstheorie, S. 422 (424). 6 Canaris, JZ 1993, S. 377 (379). 7 Dreier, Zur Theoriebildung, S. 83; Canaris, JZ 1993, S. 377 (384). 8 Canaris, JZ 1993, S. 377 (385). 9 Canaris, JZ 1993, S. 377 (385). IO Canaris, JZ 1993, S. 377 (385). II Larenz!Canaris, Methodenlehre, S. 280; Canaris, JZ 1993, S. 377 (386). 3

4

24

1. Kap.: Theorien des allgemeinen Kündigungsschutzes

ist 12 . Unzulässig ist hierbei die Einfügung einer ad hoc-Hypothese zur Rettung der Theorie, indem sie um die These ergänzt wird, daß die Theorie sich nicht auf den problematischen Fall beziehe oder ihn ausnehme. Hier gilt das Erfordernis, daß die Hypothese sich nicht in der Beseitigung derjenigen Schwierigkeit, zu deren Bewältigung sie aufgestellt ist, erschöpft, sondern einen dariiber hinausgehenden, zusätzlichen Informationsgehalt aufweist 13 • Dabei ist sicher, daß der Gedanke der Falsifikation nicht ebenso streng durchführbar ist wie etwa in den Naturwissenschaften, und eine einzige unvereinbare Beobachtung nicht die gesamte Theorie falsifiziert 14 • Es muß aber gelten, daß eine Theorie, je häufiger sie gegen die Anforderungen der Konsistenz und Prüfbarkeit verstößt, um so nachhaltiger abzulehnen ist. Auch kann eine rechtsdogmatische Theorie nicht allein mit dem Hinweis darauf verteidigt werden, daß sie Versuchen der Falsifizierung bisher widerstanden habe; vielmehr müssen Griinde für ihre Annahme vorgebracht werden 15 . Vor diesem Hintergrund sind auch die zu Sinn und Zweck des allgemeinen Kündigungsschutz vertretenen Theorien zu erörtern und daraufhin zu untersuchen, welche der Theorien, insbesondere unter den Gesichtspunkten der Vereinbarkeil mit dem geltenden Recht sowie der Freiheit von Wertungswiderspriichen bei der Erklärung des geltenden Rechts, den Falsifikationsversuchen standhält. Allein diejenige Theorie, auf die dies zutrifft, ist geeignet, die Grundlage für Auslegung und Fortbildung des Rechts darzustellen. Der mit der Rückführung des geltenden Kündigungsschutzrechts auf eine Theorie verbundene Vorteil besteht vor allem in der Erhöhung der Rechtssicherheit, kann doch die Entscheidung im Einzelfall aus der Theorie abgeleitet und so das Maß an Unsicherheit vor allem in der gerichtlichen Praxis reduziert werden.

B. Kündigungsschutz als wirtschaftlicher und sozialer Existenzschutz Nach herrschender Auffassung liegt der Grund für den allgemeinen Kündigungsschutz in der wirtschaftlichen und sozialen Bedeutung des Arbeitsplatzes für die Existenz des Arbeitnehmers, aus der ein Bedürfnis nach Schutz vor dem Verlust des Arbeitsplatzes folgen soll 16. Der Verlust des Arbeitsplatzes sei regelmäßig von schwerwiegenden Folgen für den Arbeitnehmer begleitet, weshalb die Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers gewissen Einschränkungen zu unterwerfen 12 13

14 15 16

Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 280; Canaris, JZ 1993, S. 377 (386). Canaris, JZ 1993, S. 377 (387). Neumann, Wissenschaftstheorie, S. 422 (429); Canaris, JZ 1993, S. 377 (386). Neumann, Wissenschaftstheorie, S. 422 (429)- Hervorhebungen im Original. Vgl. Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 273 f.

B. Kündigungsschutz als wirtschaftlicher und sozialer Existenzschutz

25

sei 17 : Der Arbeitnehmer, der seinen Unterhalt ftir sich und seine Familie durch Arbeit in fremdem Dienst erwerben müsse, werde durch den Verlust seines Arbeitsplatzes unmittelbar in seiner wirtschaftlichen Existenz bedroht, eine Kündigung könne ihm die Grundlage seiner Existenzsicherung entziehen 18 ; aber auch wenn er einen Arbeitsplatz wiederfinde, bedeute der Wechsel für ihn eine Belastung, die mit der Umstellung auf eine andere Umgebung, möglicherweise auch mit einem Umzug verbunden sei 19; der Arbeitsplatz stelle einen wichtigen Bestandteil der sozialen Lebensgestaltung jedes einzelnen dar, bei der er sich seiner Zugehörigkeit und Bedeutung für die Allgemeinheit bewußt werden könne20. Danach besteht also der Sinn und Zweck des allgemeinen Kündigungsschutzes in der Sicherung der wirtschaftlichen und sozialen Existenz des Arbeitnehmers vor sachlich nicht gerechtfertigter Vernichtung ihrer Grundlage21 . Dabei wird dem Kündigungsschutz nicht die Aufgabe der Verringerung allgemeiner Arbeitslosigkeit zuerkannt, vielmehr bezwecke er individuellen Schutz vor Arbeitslosigkeit: Das KSchG, das ein subjektives relatives, also gegenüber dem Arbeitgeber wirkendes Recht gewähre, schütze das Einzelinteresse des in einem Arbeitsverhältnis stehenden Arbeitnehmers und wolle ihn möglichst vor dem Verlust seiner Einkommensquelle bewahren22 ; dieses subjektiv-relative Recht sei gerade unabhängig von den Interessen arbeitsloser Arbeitsuchender3 • Nach dieser Auffassung bezweckt der allgemeine Kündigungsschutz letztlich die Sicherung des Interesses des Arbeitnehmers am Bestandsschutz des Arbeitsverhältnisses24; zwar werde damit nicht der Bestand des Arbeitsverhältnisses gleichsam wie eine Institution um ihrer selbst willen geschützt, es werde vielmehr der Bestand des Vertrages gesichert, weil seine Auflösung typischerweise den Arbeitnehmer als Vertragspartner in seiner sozialen Stellung beeinträchtige, die der Gesetzgeber als besonders schutzwürdig erachte 25 ; Schutzgut sei damit der soziale Besitzstand26 des Arbeitnehmers. Teilweise wird daraus ein "grundsätzliches Nikisch, Arbeitsrecht I, S. 748. Nikisch, Arbeitsrecht I, S. 749; KR/ M. Wolf (3. Aufl.), Grunds. Rn 44a; BAG v. 21. 10. 1954, BAGE 10, S. 288 (293); ähnl. MünchArbR/ Berkowsky § 131 Rn 42. 19 Nikisch, Arbeitsrecht I, S. 749. 2o KR/ M. Wolf(3. Aufl.), Grunds. Rn 44a. 21 Hilger; RdA 1981, S. 265 (267). 22 Wiedemann, RdA 1961, S. 1 (3); vgl. auch Nikisch, Arbeitsrecht I, S. 749. 23 Preis, Prinzipien, S. 125 f. 24 BAG V. 21. 10. 1954, BAGE I, s. 128 (131); V. 21. 10. 1954, BAGE I s. 136 (138); V. 12. 1. 1961, BAGE 10, S. 288 (293); Wiedemann, RdA 1961, S. 1 (2); KR/ M. Wolf(3. Aufl.), Grunds. Rn 623; Zöllner/Loritz, S. 273; Hueck/v. Hoyningen-Huene, Ein!. Rn lla; wwisch, Vorbem. zu§ 1, Rn 1 f.; von Stebut, S. 22; Preis, Prinzipien, S. 121; Kittner/Däubler/Zwanziger, § 1 KSchG Rn 3; Floretta, In memoriam Sir Otto Kahn-Freund, S. 437. 25 Preis, Prinzipien, S. 121; vgl. Begründung des RegE, RdA 1951, 58 (63): "Der Entwurf sieht als dieses (geschützte) Rechtsgut den Arbeitsplatz und die Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers an, die die Grundlagen seiner wirtschaftl. und sozialen Existenz bilden." 26 Von Stebut, S. 22. 17

18

1. Kap.: Theorien des allgerneinen Kündigungsschutzes

26

Recht des Arbeitnehmers auf Beibehaltung seines Arbeitsplatzes" gefolgert27 und bemerkt, die Kündigung sei nur mehr als zu rechtfertigende Ausnahme möglich28 . Die Grundlage des Bestandsschutzes wird im verfassungsrechtlichen Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG gesehen 29. Aufgrund dieser Charakterisierung wird das Interesse des Arbeitnehmers an materiellem und sozialem Existenzschutz durch Kündigungsschutz hiernach allein durch Interessen des Arbeitgebers relativiert. Das Kündigungsschutzrecht stelle sich als Ausgleich verschiedener gegenläufiger wirtschaftlicher und sozialer Interessen dar, nämlich des Arbeitnehmers am Bestand seines Arbeitsverhältnisses als Grundlage seiner wirtschaftlichen Existenz sowie des personellen Dipositionsinteresses des Untemehmers 30. Da der Bestand des Arbeitsverhältnisses den Gegenstand des Schutzes bildet, soll im folgenden von der Bestandsschutztheorie gesprochen werden, wenn die Auffassung gemeint ist, die im Erhalt des Arbeitsplatzes wegen seiner Bedeutung als wirtschaftliche und soziale Existenzgrundlage des Arbeitnehmers den Zweck des allgemeinen Kündigungsschutzes erblickt.

C. Kündigungsschutz als Schutz der Betriebszugehörigkeit Ausgangspunkt für ein anderes Verständnis des Kündigungsschutzrechts ist die Sichtweise vom Arbeitnehmer als "Betriebsbürger"31 . Das Arbeitsverhältnis erzeuge, wie jedes Dauerschuldverhältnis, eine Bindung auf Zeit; während dieser Zeit begebe sich der Arbeitnehmer in persönliche Abhängigkeit. Gleichzeitig entstehe durch die Einbindung des Arbeitsverhältnisses in den Betrieb auch eine "Teilhabe am Betrieb"32 und bedeute "Zugehörigkeit zu einer personenrechtlichen Gemeinschaft"33. Durch den Arbeitsvertrag werde der Anspruch begründet, Betriebsangehöriger zu sein34 und sich entsprechend zu betätigen. Grundlage dieses Verständnisses sei damit eine sozialstaatliche Betrachtungsweise, die an das im Grundgesetz vorgezeichnete Menschenbild anknüpfe und den Arbeitnehmer als gemeinschaftsbezogenen und -gebundenen Menschen sehe, der durch den Ausschluß aus Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht I, S. 628. Kittner I Däubler I Zwanziger, § 1 KSchG Rn 3; MünchArbR I Berkowsky, § 131 Rn 45; ähnl. Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht I, S. 628. 29 BAG v. 21. 10. 1954, E 1, S. 128 (131); v. 21. 10. 1954, E 1 S. 136 (138); KR/ M. Wolf (3. Aufl.), Grunds. Rn 627; Kittner/Däubler/Zwanziger, Ein!. Rn 10; Hilger, RdA 1981,265 (267). 30 MünchArbR/ Berkowsky, § 131 Rn 42. 31 Hersehe/, BB 1977, S. 708 (709). 32 Hersehe/, RdA 1975, S. 28 (32). 33 Benda, Industrielle Herrschaft, S. 531 f. 34 Benda, Industrielle Herrschaft, S. 531. 27 28

C. Kündigungsschutz als Schutz der Betriebszugehörigkeit

27

dem Sozialgebilde Betrieb auch dann beeinträchtigt würde, wenn ihm dafür eine volle Entschädigung so bezahlt würde, daß ein finanzieller Verlust nicht entstehen könnte 35 . Im "sozialen Organismus" Betrieb entfalteten sich intensive persönlichkeitsrelevante Beziehungen36• Eine so beschaffene Zugehörigkeit zum Betrieb, die vom Arbeitgeber aus nicht zwingenden Grunden zerstört werden könne, höhle den Wert der ganzen Institution aus37, denn dem Arbeitnehmer sei mit einem noch so sozial ausgestatteten Betrieb nicht vollkommen gedient, wenn er jederzeit aus dem Arbeitsverband aus unzulänglichen, willkürlichen Grunden gegen seinen Willen entfernt werden könne. Dies zu verhindem sei Aufgabe des Kündigungsschutzes38 . Der arbeitsrechtliche Bestandsschutz betreffe damit nicht mehr allein die Abwehr von Arbeitslosigkeit, sondern den Schutz der Betriebszugehörigkeit als Schutz der Teilhabe am Betrieb39• Bei diesem Anliegen handele es sich um einen so hohen Wert, daß selbst die Vorstellung eines - wenn auch annerkennenswerten - Interesses am Wettbewerb der Arbeitnehmer untereinander dahinter zuruckzustehen habe40. Das Interesse des Arbeitnehmers am Schutz seiner Betriebszugehörigkeit findet seine Grenze in den "berechtigten Interessen des Betriebes". Auf diese Grenze seien alle drei Kündigungsgrunde des § 1 Abs. 2 KSchG zuruckzuführen; sie bedingten die Kündigung nur dann, wenn ihre Folgen den Betrieb erheblich beeinträchtigten41. Der Ausschluß aus dem Sozialgebilde Betrieb durch Kündigung könne daher nur mit betrieblicher Notwendigkeit begrundet werden42. Damit sind auch nach dieser Sichtweise zwei Positionen miteinander in Ausgleich zu bringen: das Interesse des Arbeitnehmers an der Aufrechterhaltung seiner Zugehörigkeit zum Betrieb sowie das legitime betriebliche Interesse. Entsprechend diesem Schutzzweck ist das Kündigungsschutzrecht damit stets (nur) betriebsbezogen zu beurteilen43 .

Benda, Industrielle Herrschaft, S. 531 f. Herschel, BB 1977, S. 708 (709). 37 Herschel, RdA 1975, S. 28 (31). 38 Herschel, RdA 1975, S. 28 (31 f.); ders., RdA 60, S. 121 (122). Vgl. auch Begründung des RegE, RdA 1951, 58 (62): "Das Gesetz wendet sich nicht gegen Entlassungen, die aus triftigen Griinden erforderlich sind, sondern lediglich gegen solche Kündigungen, die hinreichender Begrundung entbehren und deshalb als eine willkürliche Durchschneidung des Bandes der Betriebszugehörigkeit erscheinen." 39 Benda, Industrielle Herrschaft, S. 531 f. 40 Herschel, RdA 1975, S. 28 (31). 41 Herschel, FS Schnorr von Carolsfeld, S. 157 (170 f.). 42 Herschel, DB 1973, S. 80 (82). 43 Herschel, DB 1973, S. 80 (82); ders., FS Schnorr von Carolsfeld, S. 157 (170 f.). 35

36

28

1. Kap.: Theorien des allgemeinen Kündigungsschutzes

D. Kündigungsschutz als Flankenschutz des betrieblichen Arbeitsverhältnisses Ähnlich wie die Lehre vom Schutz der Betriebszugehörigkeit bezweckt nach der Flankenschutztheorie der Kündigungsschutz nicht die Minderung der wirtschaftlichen Abhängigkeit des Arbeitnehmers. Vielmehr befinde sich der Arbeitnehmer in institutioneller Abhängigkeit, die ihrerseits einen allgemeinen Kündigungsschutz erfordere. Die institutionelle Abhängigkeit entstehe durch die Eingliederung des Arbeitnehmers in eine fremde arbeitsteilige Betriebsorganisation44, denn die Eingliederung bringe mit sich, daß individuelle Regelungen nach dem Vorbild des Einzelvertags wegen der wechselseitigen Verflochtenheit der einzelnen Arbeitsverhältnisse kaum möglich seien45 . Demnach kann die Arbeitsleistung niemals bereits bei Vertragsschluß vollständig determiniert sein; Ort, Zeit und Inhalt der Arbeit müssen vom Arbeitgeber bestimmt werden. Dies bringe die Gefahr mit sich, daß der so der Fremdbestimmung ausgesetzte Arbeitnehmer zum Gegenstand sachfremder Entscheidungen wird, die ihn in seiner Persönlichkeit beeinträchtigen. Zwar werde dieser Gefahr entgegengewirkt, indem der Arbeitnehmer mit betrieblichen Rechten und Freiheiten ausgestattet wird. Doch bestehe die Gefahr, daß der Arbeitgeber unter Mißbrauch seiner Machtposition den Arbeitnehmer kündige, wenn er seine betrieblichen Rechte wahrnehme und seine betrieblichen Freiheiten ausübe, oder daß der Arbeitnehmer die Inanspruchnahme seiner Rechte und Freiheiten aus Furcht vor einer Ahndung durch eine Kündigung des Arbeitgebers von vornherein unterlasse46. Diese Rechte und Freiheiten flankierend zu sichern, sei Aufgabe des allgemeinen Kündigungsschutzes. Hieraus ergibt sich auch die Grenze des Kündigungsschutzes: Die gesetzliche Konkretisierung untersage zwar Willkür47, unterbinde jedoch nicht durch den Zweck des Betriebes, nämlich die Erfüllung des arbeitstechnischen Auftrags, gedeckte Entlassungen48. Ein Kündigungsschutz, der über dieses Maß hinausgehe, sei nicht mehr gerechtfertigt und verschlechtere die Chancen der Arbeitsuchenden, Zugang zu einem Arbeitsplatz zu finden49, indem die Beendigung von Arbeitsverhältnissen über GeVgl. Reuter, Die Stellung des Arbeitsrechts, S. 34. Reuter, ZfA 1975, S. 85 (86). 46 Reuter, RdA 1978, S. 344 (349); ders. , FS 25 Jahre BAG, S. 405 (425 f.); ders. , ORDO Bd. 33 (1982), S. 165 (166); ders., ORDO Bd. 36 (1985), S. 51 (64); Schwerdtner, DB 1979, Beilage 12, S. 1 (4 f.); ders, ZfA 1977, S. 47 (76 f.); ders., ZIP 1984, S. 10 (21 f.). 47 Vgl. abermals Begründung des RegE, RdA 1951, 58 (62): "Das Gesetz wendet sich nicht gegen Entlassungen, die aus triftigen Gründen erforderlich sind, sondern lediglich gegen solche Kündigungen, die hinreichender Begründung entbehren und deshalb als eine willkürliche Durchschneidung des Bandes der Betriebszugehörigkeit erscheinen." 48 Reuter, ORDO Bd. 36 (1985), S. 51 (64). 49 Reuter, RdA 1973, S. 345 (353); ders., RdA 1978, S. 344 (349); ders., FS 25 Jahre BAG, S. 405 (418 ff.); ders., ORDO Bd. 33 (1982), S. 165 (187 f.); ders., ORDO Bd. 36 (1985), S. 51 (63 ff.); Schwerdtner, DB 1979, Beilage 12, S. 1 (4 f.); MünchKomrn-BGB/ Schwerdtner (2. Aufl.), vor§ 620 Rn 172, 175. 44

45

E. Vertragsdurchsetzung als Funktion des Kündigungsschutzes

29

bühr beschränkt und so die Verteilung der Arbeitsplätze zugunsten der bereits in Arbeit Stehenden verfestigt werde50. So würden durch einen Bestandsschutz, der über einen auf den Schutz der Rechte und Freiheiten im Betrieb beschränkten Flankenschutz hinausgeht, Privilegien für bereits Beschäftigte gegenüber Arbeitslosen geschaffen51 . Diese seien sachlich nicht begründet, da das "Interesse an Arbeit und Brot" bei den Arbeitslosen nicht geringer sei als bei den Inhabern der Arbeitsplätze52. Vielmehr liege darin ein unzulässiger Konkurrenzschutz zugunsten der Inhaber von Arbeitsplätzen53, der eine gerechte Verteilung der Arbeitsplätze verhindere54. Diese sei grundsätzlich nur über einen wettbewerblieh organisierten Arbeitsmarkt zu verwirklichen5 5 • Dementsprechend wird die dem Kündigungsschutz zugrundeliegende Problematik als Konflikt dreier Interessen verstanden: Zusätzlich zu Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteresse trete das Interesse der Bewerber um Arbeitsplätze am Zugang zu einem Arbeitsplatz56, das durch einen nicht erforderlichen Bestandsschutz beeinträchtigt werden könne. Diese Auffassung wird zumeist als "Willkürschutzkonzept" bezeichnet57 . Im Vordergrund dieser Theorie steht jedoch weniger die Willkür als Grenze der Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers als vielmehr die Eigenheit, die den Entstehungsgrund des allgemeinen Kündigungsschutzes darstellt. Dies ist das Bedürfnis nach Kündigungsschutz in Gestalt eines Flankenschutzes aufgrund institutioneller Abhängigkeit bei Eingliederung in eine fremde arbeitsteilige Organisation. Entsprechend dieser Eigenheit soll im folgenden von der Flankenschutztheorie die Rede sein.

E. Vertragsdurchsetzung als Funktion des Kündigungsschutzes Domdorf erblickt die Funktion des Kündigungsschutzes in dem Gedanken der Durchsetzung des Arbeitsvertrags und versteht darunter die Durchsetzung aller Vgl. Zöllner; 52. DJT (1978), GutachtenD S. 114. Schwerdtner; ZfA 1977, S. 47 (77); MünchKomm-BGB/Schwerdtner (2. Auf!.), vor § 620 Rn 175. 52 Reuter, ORDO Bd. 33 (1982), S. 165 (187 f .). 53 Reuter, FS 25 Jahre BAG, S. 405 (414). 54 Schwerdtner, DB 1979, Beilage 12, S. 1 (5). 55 Reuter; RdA 1973, S. 345 (353); wonach aber der Kündigungsschutz auch darauf gerichtet sein muß, die schutzbedürftigen Arbeimehmer, namentlich die trotz Vollbeschäftigung unterprivilegierten Gruppen wie die älteren Arbeitnehmer und die Arbetnehmer im Einzugsbereich monopolisierter Arbeitsmärkte zu schonen; mit ähnlicher Einschränkung Schwerdtner, DB 1979, Beilage 12, S. I (5). 56 Reuter; FS 25 Jahre BAG, S. 405 (410). 57 Vgl. Domdorf, ZfA 1989, S. 345 (348); Rütten, Institutionelle Arbeitslosigkeit, S. 59. 50

51

1. Kap.: Theorien des allgemeinen Kündigungsschutzes

30

Rechte und Pflichten, die das Arbeitsrecht den Vertragspartnern im Rahmen des Arbeitsverhältnisses auferlegt58. Dies leitet er aus einer Analyse der Kündigungsgründe vor allem der verhaltens- und der betriebsbedingten Kündigung her. Wäre das KSchG nicht anwendbar, dann könne die jederzeit drohende ordentliche Kündigung nicht nur als Nötigung gegenüber dem Arbeitnehmer zur ordnungsgemäßen Erfüllung des Arbeitsvertrags, sondern auch zu einem über seine Vertragspflichten hinausgehenden, "überobligationsmäßigen" Verhalten führen; der Arbeitnehmer, für den die Entlassung mit großen Nachteilen verbunden sei, würde in "vorauseilendem Gehorsam" den Interessen des Arbeitgebers weiter entgegenkonunen, als er dazu nach dem Arbeitsvertrag verpflichtet wäre59• Zwingende Schutznormen, die dem entgegenwirkten, könnten ihren Zweck nur erreichen, wenn die Gefahr ausgeschlossen werde, daß der Arbeitgeber beim nächsten Personalabbau nicht vorzugsweise solche Arbeitnehmer auswählte, die auf der Geltendmachung dieser zwingenden Rechte bestanden hätten60. Dies zu verhindern und insoweit die vertragsgemäße Durchführung des Arbeitsverhältnisses zu sichern, sei der Kündigungsschutz bestinunt. Das KSchG als Teil des Rechts der Beendigung des Arbeitsverhältnisses verfolge somit dieselben Ziele wie die arbeitsrechtlichen Normen und Grundsätze, die den Inhalt des Arbeitsverhältnisses im Interesse des Arbeitnehmerschutzes zwingend regelten61 . Zweck des Kündigungsschutzes sei es, "die verhaltensdisziplinierende Funktion der Kündigung strikt auf den Fall der Vertragsdurchsetzung einzugrenzen und den Arbeitnehmer vor der Zumutung überobligationsmäßigen Verhaltens zu schützen" 62 . Der mit dem allgemeinen Kündigungsschutz verbundene Schutz des Fortbestandes des Arbeitsverhältnisses sei insoweit nicht Zweck, sondern nur Mittel einer auf höherrangige Ziele gerichteten Politik des Gesetzes63 • Aus diesem Konzept ergebe sich, daß das Argument, der Kündigungsschutz solle den Arbeitnehmer vor Arbeitslosigkeit schützen, nicht zur Rechtfertigung des Kündigungsschutzes herangezogen werden könne; es gehe nicht um eine Privilegierung des Arbeitsplatzinhabers gegenüber dem Arbeitslosen, "sondern um den Schutz bestinunter kultureller Standards in der Arbeitswelt" 64.

58

59 60 61 62

63 64

Domdorf, ZfA 1989, S. 345 (350). Domdorf, ZfA 1989, S. 345 (354 f.). Dorndorf, ZfA 1989, S. 345 (358 f.). Domdorf, ZfA 1989, S. 345 (360)- Hervorhebungen im Original. Domdorf, ZfA 1989, S. 345 (364). Domdorf, ZfA 1989, S. 345 (360). Domdorf, ZfA 1989, S. 345 (372 f.).

F. Kündigungsschutz als Schutz vor Arbeitnehmerwettbewerb

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F. Kündigungsschutz als Schutz vor Arbeitnehmerwettbewerb Rieble65 begreift den Kündigungsschutz als ein System, das darauf gerichtet ist, den Wettbewerb auszuschalten. Der Kündigungsschutz regele bei betriebsbedingten Kündigungen den Verbleibewettbewerb zwischen den Arbeitsplatzinhabern, bei Einzelkündigungen (aus personen- oder verhaltensbedingten Griinden) den Austauschwettbewerb zwischen Arbeitsplatzinhabern und unternehmensexternen Arbeitnehmern. Vor der Aussprache betriebsbedingter Kündigungen komme es als Folge der verringerten Nachfrage nach Arbeit im Betrieb zu einem Unterbietungs- und zu einem Leistungsverdrängungswettbewerb um den Verbleib im Unternehmen. Der Unterbietungswettbewerb ergebe sich daraus, daß Arbeitnehmer dem Arbeitgeber ihren Verbleib im Betrieb durch Verzicht auf Entgelt oder geldwerte Leistungen abkaufen. Zu einem Leistungsverdrängungswettbewerb komme es dadurch, daß sich der Arbeitgeber diejenigen Arbeitnehmer aussuche, die besonders produktiv sind und sich deshalb mehr als andere rentieren. Dieser Wettbewerb um den Verbleib im Betrieb werde durch das Kündigungsschutzgesetz ausgeschaltet; die wettbewerbliehe Entscheidung des Arbeitgebers werde durch das Gebot der Sozialauswahl ersetzt, die die Auswahlentscheidung nach sozialen Gesichtspunkten ausrichtet. Das Gebot der Sozialauswahl, das den Wettbewerb ausschalten wolle, vollziehe die Wertung, daß das für den Arbeitnehmer regelmäßig existentielle Arbeitsverhältnis nicht zum Spielball des Wettbewerbs werden soll. Bei Kündigungen aus personen- oder verhaltensbedingten Griinden gehe es um den Austauschwettbewerb mit unternehmensexternen Arbeitnehmern66 : Sei ein Arbeitnehmer gelegentlich krank, lasse seine Leistung nach oder habe er den Arbeitgeber geärgert, solle er nicht befürchten müssen, daß ihm ein externer Bewerber die Arbeit "wegnehme"; der Kündigungsschutz nehme dem Arbeitgeber das Recht, einen weniger produktiven Arbeitnehmer zu entlassen, um den gesünderen, produktiveren oder preiswerteren Arbeitnehmer einzustellen. Damit verhindere das KSchG den Wettbewerb zwischen "Insiders" und "Outsiders" bereits von Rechts wegen; Arbeitsplatzinhaber sollten vor dem Wettbewerb durch Arbeitsuchende geschützt werden. Eine ungerechtfertigte Beeinträchtigung der Berufsfreiheit der Arbeitsuchenden, wie sie die These der "Zweischneidigkeit" des Bestandsschutzes zum Ausdruck bringt, sei nicht gegeben, denn das Arbeitsrecht sei befugt, aus sachlichen, insbesondere sozialpolitischen Erwägungen Arbeitnehmern unterschiedliche Wettbewerbschancen zuzuweisen; eine solche sachgerechte Erwägung sei die Verhinderung ruinösen Unterbietungswettbewerbs.

65 66

Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn 1012 f., 1014, 1015. Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn 1017 ff.

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1. Kap.: Theorien des allgemeinen Kündigungsschutzes

Der Gesetzgeber habe demnach mit dem Kündigungsschutz eine doppelte Entscheidung getroffen67 : Einmal billige er die mit dem Kündigungsschutz zwangsläufig verbundene Drittbelastung, die Rieble lediglich als Reflexwirkung bezeichnet; zugleich verordne er dem Arbeitsverhältnis eine Ausschließlichkeitsbindung, weil der einzelne Arbeitnehmer zu schwach wäre, sie als sinnvolle Bindung selbst auszuhandeln.

67

Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn 1020 f.

2. Kapitel

Allgemeiner Kündigungsschutz im Kleinbetrieb Die auch im ersten Kleinbetriebsbeschluß des BVerfG behandelte Frage nach einem materiellen allgemeinen Kündigungsschutz im Kleinbetrieb ist Gegenstand höchst unterschiedlicher Auffassungen. Dabei wird teilweise die Frage nach dem allgemeinen Kündigungsschutz im Kleinbetrieb in einen weiteren Zusammenhang eingebettet und auf die Frage nach einem allgemeinen Kündigungsschutz außerhalb des KSchG - also unter Einbeziehung etwa auch der Situation während der Wartezeit- erweitert. An dieser Erweiterung der Fragestellung läßt sich bereits ablesen, daß das Problem der "äußeren" Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes ein generelles ist, das nicht sinnvoll auf die Erörterung des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG zu beschränken ist. Dementsprechend wird die Darstellung nicht nur Aufschluß geben über das zu diesem Problem vertretene Meinungsspektrum; zugleich sollen die Begründungsansätze dargestellt und später daraufhin untersucht werden, inwiefern sie sich einer der zu Sinn und Zweck des allgemeinen Kündigungsschutzes vertretenen Theorien zuordnen lassen, bevor diese an anderen Grenzen als der betrieblichen erprobt werden können. Diese Darstellung bildet damit die Grundlage für die Frage, welche dieser Theorien und damit auch welche der einzelnen Auffassungen zum Kündigungsschutz im Kleinbetrieb geeignet ist, die Grenze des allgemeinen Kündigungsschutzes nach dem KSchG auch in anderer als nur in betrieblicher Hinsicht abzustecken.

A. Die verschiedenen Auffassungen Das Arbeitsrechtliche Beschäftigungsförderungsgesetz vom 26. 9. 1996 1, durch dessen Art. I der Schwellenwert der für die Geltung des KSchG erforderliche Zahl der Arbeitnehmer auf in der Regel zehn heraufgesetzt worden war, führte in der Literatur zu einer Reihe von Untersuchungen der Frage nach dem allgemeinen Kündigungsschutz im Kleinbetrieb. Doch auch die beiden Kleinbetriebsbeschlüsse des BVerfG vom 27. 1. 1998 zogen zahlreiche Äußerungen zu diesem Problembereich nach sich.

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BGBI. I S. 1467.

3 Stelljes

2. Kap.: Allgemeiner Kündigungsschutz im Kleinbetrieb

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I. Verfassungsrechtlich gebotener Mindestschutz des Arbeitsplatzes Anläßlich der Frage, ob es mit dem GG vereinbar ist, Kleinbetriebe vom Geltungsbereich des KSchG auszunehmen, leitet das BVerfG einige für die Kündigung im Kleinbetrieb maßgebliche Grundsätze aus Art. 12 Abs. 1 GG her. Dessen Schutzbereich bestimmt das BVerfG2 folgendermaßen: "Der einzelne wird in seinem Entschluß, eine konkrete Beschäftigungsmöglichkeit in dem gewählten Beruf zu ergreifen oder ein bestehendes Arbeitsverhältnis beizubehalten oder aufzugeben, vor staatlichen Maßnahmen geschützt, die ihn am Erwerb eines zur Verfügung stehenden Arbeitsplatzes hindem oder zur Annahme, Beibehaltung oder Aufgabe eines bestimmten Arbeitsplatzes zwingen". Zwar sei mit der Berufswahlfreiheit weder eine Bestandsgarantie für den einmal gewählten Arbeitsplatz verbunden, noch gewähre Art. 12 Abs. 1 GG einen unmittelbaren Schutz gegen den Verlust des Arbeitsplatzes aufgrund privater Disposition. Insofern obliege dem Staat aber "eine aus dem Grundrecht folgende Schutzpflicht, der die geltenden Kündigungsvorschriften Rechnung tragen". Bei dem Kündigungsschutz als privatrechtlicher Regelung, die der Vertragsfreiheit Grenzen setzt, gehe es um den Ausgleich widerstreitender Interessen, die regelmäßig grundrechtlich verankert seien. Das BVerfG3 sieht damit den Gesetzgeber vor dem Problem der praktischen Konkordanz, bei der die kollidierenden Grundrechtspositionen "in ihrer Wechselwirkung zu erfassen und so zu begrenzen" seien, "daß sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden". Bei diesem Interessenausgleich sieht das BVerfG für den Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsfreiraum eingeräumt. So liege "die Einschätzung der für die Konfliktlage maßgeblichen ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen (... )in seiner politischen Verantwortung ( ... ). Dasselbe gilt für die Bewertung der Interessenlage, das heißt die Gewichtung der einander entgegenstehenden Belange und die Bestimmung ihrer Schutzbedürftigkeit". In der Kleinbetriebsklausel steht nach Ansicht des BVerfG4 dem "Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes" das "Interesse des Arbeitgebers gegenüber, in seinem Unternehmen nur Mitarbeiter zu beschäftigen, die seinen Vorstellungen entsprechen, und ihre Zahl auf das von ihm bestimmte Maß zu beschränken". Diese Interessenlage wird genauer erläutert5 : Aufseiten des Arbeitnehmers sei zu beachten, daß er die durch Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete berufliche Tatigkeit ausschließlich durch den Abschluß und den Fortbestand von Arbeitsverträgen realisieren könne; der Arbeitsplatz sei "die wirtschaft2

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4 5

BVerfGE 91, S. 169 (175). BVerfGE91, S. 169 (176). BVerfGE 91, S. 169 (176 f.). BVerj'GE97, S.l69(177 f.).

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liehe Lebensgrundlage für ihn und seine Familie. Lebenszuschnitt und Wohnumfeld werden davon bestimmt, ebenso gesellschaftliche Stellung und Selbstwertgefühl". Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses werde "dieses ökonomische und soziale Beziehungsgeflecht in Frage gestellt". Die Aussichten, eine ähnliche Position ohne Einbußen zu finden, hingen vom Arbeitsmarkt ab und seien in Zeiten struktureller Arbeitslosigkeit vor allem für den älteren Arbeitnehmer schlecht. Gelinge es ihm nicht, alsbald einen neuen Arbeitsplatz wiederzufinden, könne er in eine Krise geraten, in der ihm durch die Leistungen der Arbeitslosenversicherung nur teilweise und nur für einen begrenzten Zeitraum geholfen werde. Auf der anderen Seite sei "auch das Kündigungsrecht des Kleinunternehmers in hohem Maße schutzwürdig", da in einem Betrieb mit wenigen Arbeitskräften der Geschäftserfolg mehr als bei Großbetrieben von jedem einzelnen Arbeitnehmer abhänge, auf dessen Leistungsfähigkeit es ebenso ankomme wie auf dessen "Persönlichkeitsmerkmale, die für die Zusammenarbeit, die Außenwirkung und das Betriebsklima von Bedeutung" seien. Kleine Teams seien für Mißstimmungen und Querelen anfällig, die zu Störungen des Betriebsklimas und damit zu Leistungsminderungen führen könnten und bei geringem Geschäftserfolg spürbar auf das Ergebnis durchschlügen. Ausfalle ließen sich bei niedrigem Personalstand nur schwer ausgleichen. Typischerweise arbeite "bei kleinen Betrieben der Unternehmer selbst als Chef vor Ort mit", wodurch das Vertrauensverhältnis zu jedem seiner Mitarbeiter einen besonderen Stellenwert bekomme. Aufgrund der regelmäßig geringeren Finanzausstattung sei "ein Kleinbetrieb häufig nicht in der Lage, Abfindungen (... ) zu zahlen oder weniger leistungsfähiges, weniger benötigtes oder auch nur weniger genehmes Personal mitzutragen". Schließlich belaste der durch einen Kündigungsschutzprozeß entstehende Verwaltungsaufwand den Kleinbetrieb stärker als ein großes Unternehmen. Hieraus folgert das BVerfG6 , daß "Arbeitnehmern in Kleinbetrieben das größere rechtliche Risiko eines Arbeitsplatzverlustes angesichts der schwerwiegenden und grundrechtlich geschützten Belange der Arbeitgeber zuzumuten" seien. Zusätzlich falle "ins Gewicht, daß die Arbeitnehmer durch ihre Herausnahme aus dem gesetzlichen Kündigungsschutz nicht völlig schutzlos gestellt" seien. Sie seien durch die zivilrechtliehen Generalklauseln vor einer sitten- oder treuwidrigen Ausübung des Kündigungsrechts des Arbeitgebers geschützt. Bei der Auslegung dieser Generalklauseln sei auch der objektive Gehalt der Grundrechte, insbesondere des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG, zu beachten, womit "der verfassungsrechtlich gebotene Mindestschutz des Arbeitsplatzes vor Verlust durch private Disposition" in jedem Fall gewährleistet sei. Zwar dürfe dies nicht dazu führen, daß dem Kleinunternehmer praktisch die im KSchG vorgegebenen Maßstäbe der Sozialwidrigkeit auferlegt werden. Jedoch wirke "der durch die Generalklauseln vermittelte Grundrechtsschutz um so schwächer, je stärker die mit der Kleinbetriebsklausel geschützten Positionen des Arbeitgebers im Einzelfall betroffen sind". 6

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BVerfGE 97, S. 169 (178 f.).

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2. Kap.: Allgemeiner Kündigungsschutz im Kleinbetrieb

In sachlicher Hinsicht gehe es "vor allem darum, Arbeitnehmer vor willkürlichen oder auf sachfremden Motiven beruhenden Kündigungen zu schützen". Soweit unter mehreren Arbeitnehmern eine Auswahl zu treffen sei, gebiete "der verfassungsrechtliche Schutz des Arbeitsplatzes in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip ein gewisses Maß an sozialer Rücksichtnahme". Schließlich dürfe "auch ein durch langjährige Mitarbeit erdientes Vertrauen in den Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses nicht unberücksichtigt bleiben". Weiter wird ausgeführt, daß der objektive Gehalt der Grundrechte auch im Verfahrensrecht Bedeutung erlangen könne. Für die Wirksamkeit des gerichtlichen Kündigungsschutzes sei die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast von besonderer Bedeutung. Zwar lasse sich nicht allgemein festlegen, wie "die Darlegungs- und Beweislast unter Beachtung verfassungsrechtlicher Positionen bei der Anwendung der Generalklauseln in §§ 138 oder 242 BGB zu beurteilen" sei, "für eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast bietet das Prozeßrecht aber geeignete Handhaben".

II. Prinzip der grundrechtlich gebundenen Kündigungsfreiheit Eine besondere Bedeutung für die Kündigung außerhalb des KSchG besitzen nach Oetker7 die zivilrechtliehen Generalklauseln §§ 138 und 242 BGB als allgemeine Kündigungsschranken. Nach seiner Auffassung ist die Rechtsprechung zu § 138 BGB, nach der für den Sittenverstoß ein verwerfliches Motiv des Kündigenden verlangt und exemplarisch "Rachsucht und Vergeltung als inkriminierte Beweggründe einer Kündigung" angeführt wurden, überprüfungsbedürftig. Sie sei zu der Zeit ergangen, in der § 7 Abs. 2 S. 3 KSchG 1951 die "aus offensichtlich willkürlich oder aus nichtigen Gründen unter Mißachtung der Machtstellung des Arbeitgebers in dem Betrieb" erfolgte Kündigung betraf, wobei es sich um einen Fall schwerer Sozialwidrigkeit gehandelt habe, der jedoch noch nicht zur Sittenwidrigkeit der Kündigung nach § 138 BGB führte. Sei "dieses rechtssystematische Fundament entfallen", so sei eine Neuorientierung bei § 138 BGB "unter Schulterschluß mit der allgemeinen Zivilrechtsdogmatik" notwendig. Daher müsse es zum einen ausreichen, wenn der Handelnde die Umstände kennt, aus denen sich die Sittenwidrigkeit ergibt; das Bewußtsein der Sittenwidrigkeit und eine Schädigungsabsicht seien jedoch nicht erforderlich. Zum anderen weist Oetker8 auf die Möglichkeit hin, "daß der Tatbestand des § 138 Abs. 1 BGB eine methodengerechte Präzisierung und Verfeinerung durch die Grundrechtsordnung erfahren" könne. Hieraus folgert er, daß "Kündigungen, die gerade wegen einer der in Art. 3 Abs. 3 GG genannten Gründe erklärt 7 Oetker, ArbuR 1997, S. 41 (47 f.). s Oetker, ArbuR 1997, S. 41 (48).

A. Die verschiedenen Auffassungen

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werden,( ...) sittenwidrig i.S.v. § 138 Abs. 1 GG9 " seien und Entsprechendes "aufgrund von Art. 4 Abs. 1 und 5 Abs. 1 GG für eine Kündigung (gelte), die gerade wegen einer Meinungsäußerung oder wegen eines religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses erklärt wird". Die wertsetzende Grundrechtsordnung stehe nicht zur Disposition des einfachen Gesetzgebers, weshalb "ein grundrechtlich gefordertes Resultat nicht mit dem Hinweis auf eine einfachgesetzlich getroffene Abgrenzungsentscheidung abgewehrt werden kann". Die Grundrechtsordnung sieht Oetker 10 auch als Korrektiv des § 242 BGB an. Für ihn gehört "für das Grundrecht der Berufsfreiheit (... ) die Existenz einer grundrechtliehen Schutzpflicht - trotz aller Vagheit im Hinblick auf Detailaussagen - zu dem Fundus an gesicherten Erkenntnissen". Aus dieser Schutzpflicht folge ein "Minimum an Arbeitsp1atzschutz"; deshalb müsse "durch die normativen Rahmenbedingungen sichergestellt sein, daß das Bestandsinteresse des ArbN als Faktor in die Rechtmäßigkeitspriifung einfließt" 11 • Solle die für alle Arbeitsverhältnisse gewährleistete grundrechtliche Schutzpflicht "überhaupt einen sinnvollen Anwendungsbereich finden", dann müsse "die grundrechtsgeleitete Interpretation der zivilrechtliehen Generalklauseln sicherstellen, daß der ArbN den Arbeitsplatz nicht ohne sachbezogene und anerkennenswerte Griinde gegen seinen Willen verlieren darl'', was Oetker als "Prinzip der grundrechtlich gebundenen Kündigungsfreiheit" bezeichnet 12• Hieraus sei für die freie Arbeitsplatzwahl die Forderung abzuleiten, "daß der ArbN den Arbeitsplatz aufgrundeiner Kündigung nicht verlieren darf, wenn keine sachbezogenen Griinde vorliegen, die mit dem Arbeitsverhältnis im Zusammenhang stehen". Zwar stehe "dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der grundrechtliehen Schutzpflicht ein weit zu bemessender Spielraum zu, er rechtfertigt es aber nicht, den Kündigungsschutz voll zu eliminierten oder ausschließlich auf einzelne Benachteiligungsverbote zu reduzieren. Die grundrechtliche Schutzpflicht besteht für alle ArbN und insbes. auch für diejenigen, die in den durch § 23 Abs. 1 KSchG ausgegrenzten Kleinbetrieben beschäftigt sind" 13 • Einer spezialgesetzlichen Ausformung bedürfe es nicht; vielmehr genüge es, "wenn ein grundrechtlich geleitetes Verständnis von Treu und Glauben dazu führt, daß eine ordentliche Kündigung nach § 242 BGB nichtig ist, wenn sich der Arbgeb. für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht auf einen sachbezogenen, im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Grund stützen kann". Ein solcher Grund liege insbesondere dann vor, "wenn Eigenschaften in der Person des ArbN oder im Verhalten des ArbN vorliegen, die auf das Arbeitsverhältnis ausstrahlen". Ebenso seien betriebliche Erfordernisse als ein solcher Grund anzuerkennen. Gemeint ist offenbar "BGB" statt "GG". Oetker; ArbuR 1997, S. 41 (49 f.). II Oetker; ArbuR 1997, S. 41 (51). 12 Oetker; ArbuR 1997, S. 41 (51). 13 Oetker; ArbuR 1997, S. 41 (52).

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2. Kap.: Allgemeiner Kündigungsschutz im Kleinbetrieb

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Für den Fall, daß unter mehreren Arbeitnehmern eine Auswahl getroffen werden muß, wird festgestellt: .,Muß der Arbgeb. aufgrund des Kündigungssachverhalts eine Auswahlentscheidung treffen, so darf er auch außerhalb des Anwendungsbereichs des KSchG diese nicht willkürlich vornehmen. Im Lichte der grundrechtliehen Schutzpflichten handelt der Arbgeb. nur dann entspr. den Geboten von Treu und Glauben, wenn er unter Berücksichtigung betrieblicher Belange denjenigen ArbN kündigt, die von ihr am wenigsten hart betroffen werden", weshalb die grundrechtliche Schutzpflicht es verbiete, daß Schwerbehinderte und alleinerziehende Arbeitnehmer .,zu den ersten gehören", die ihren Arbeitsplatz verlieren. Dem .,durch Art. 12 Abs. 1 GG geforderten Schutz" werde jedoch .,bereits dann ausreichend Rechnung getragen, wenn der Arbgeb. seine Auswahlentscheidung auf sachliche Gesichtspunkte stützt, die erkennen lassen, daß er die Belange besonders schutzbedürftiger ArbN nicht völlig unberücksichtigt gelassen hat" 14• Unter Berufung auf die grundrechtliche Schutzpflicht sowie auf das Postulat der Effektivität des Grundrechtsschutzes befürwortet Oetker 15 eine von der Rosenbergscben Normentheorie abweichende Beweislastverteilung, da es sonst zu der seiner Auffassung nach verfassungsrechtlich unzulässigen Situation kommen könnte, daß die Beweislastverteilung .,den durch zivilrechtliche Normen bewirkten Schutz grundrechtlicher Gehalte letztlich leerlaufen läßt". Der grundrechtliehen Schutzpflicht trage .,auch eine Lösung ausreichend Rechnung, die( ... ) ausschließlich auf die Rosenbergsehe Normentheorie abstellt und lediglich hinsichtlich des subjektiven Kausalitätserfordernisses eine Korrektur im Sinne einer Beweislastumkehr vornimmt".

Ill. Abgeschwächte Inhaltskontrolle Unter grundsätzlicher Billigung der verfassungsrechtlichen Ausführungen des BVerfG im ersten Kleinbetriebsentschluß bekämpft Wank 16 die Annahme, § 1 Abs. 2 KSchG sei generell als abschließende spezialgesetzliche Konkretisierung des Grundsatzes von Treu und Glauben vorrangig; vielmehr sei zu differenzieren: Während § 1 Abs. 2 KSchG innerhalb seines Anwendungsbereichs hinsichtlich der von ihm erfaßten Tatbestände eine Sperrwirkung für § 242 BGB entfalte, sei § 242 BGB außerhalb des Anwendungsbereichs der §§ 1 ff. KSchG uneingeschränkt anwendbar17. Auf der Grundlage des vom BVerfG ausgesprochenen von der Verfassung gebotenen Mindestschutzes gelangt Wank für den Bereich außerhalb des 14

Oetker, ArbuR 1997, S. 41 (52).

Oetker, ArbuR 1997, S. 41 (53). MünchArbR/Wank § 122 Rn 33 ff.; § 118 Rn 54;§ 119 Rn 8 f.; ders. , FS Hanau, S. 295 (304 f.). 17 MünchArbR/Wank § 122 Rn 33; vgl. auch ders., Anm. zu BAG v. 19. 4 . 1990, EzA § 23 KSchG Nr. 8 (S. 19); ders., ZIP 1986, S. 206 (210). 15

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A. Die verschiedenen Auffassungen

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KSchG zu einer abgeschwächten lnhaltskontrolle, die über § 242 BGB zu verwirklichen sei und nicht allein durch§§ 138, 612a BGB gewährleistet werden könne. Über § 242 BGB sei der Arbeitnehmer davor zu schützen, daß er seinen Arbeitsplatz gegen seinen Willen aus einem Grund verliere, der in keinem Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehe. Zur Feststellung eines solchen Zusammenhangs könne "auf die in § 1 KSchG verwandte Schrankentrias zurückgegriffen werden"18. Der verfassungsrechtliche Schutz des Arbeitsplatzes erfordere außerdem auch auf der Ebene der Auswahlentscheidung bei mehreren zu kündigenden Arbeitnehmern eine Mindestkontrolle über § 242 BGB. Zwar dürfe nicht der Maßstab des § 1 Abs. 3 KSchG auf die Fälle außerhalb des KSchG angewandt werden; vertretbar sei aber eine gegenüber § l Abs. 3 KSchG "stark abgeschwächte Willkürkontrolle". Korrekturen seien danach möglich, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl der konkret zu kündigenden Arbeitnehmer "soziale Belange evident grob vernachlässigt" habe, "z. B. hinsichtlich aller in Betracht kommenden Grunddaten: Dauer der Betriebszugehörigkeit, Lebensalter und Unterhaltsverpflichtungen des zu kündigenden Arbeitnehmers" 19.

IV. Plausibilitätskontrolle Ausgehend von der Anerkennung einer Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. 1 GG führt Lakies20 aus, daß, soll durch die Schutzpflicht ein Mindestschutz gewährt werden, "es irgendeine Form von Bestandsschutz geben muß", wobei der "Status quo des arbeitsrechtlichen Bestandsschutzes nicht grundrechtlich verfestigt" sei, sondern "vielmehr ein gesetzgebenscher Gestaltungsspielraum" bestehe, der "erst dann und nur dann überschritten wird, wenn ein Mindestmaß an Bestandsschutz unterschritten wird". Unterliege "die noch überwiegende Anzahl von Arbeitsverhältnissen (rund 2 I 3) dem gesetzlich ausgestalteten Kündigungsschutz durch das KSchG", dann sei "das Mindestmaß an Bestandsschutz noch nicht unterschritten". Dieser Bestandsschutz sei in Kleinbetrieben durch Rückgriff insbesondere auf die §§ 138, 242 BGB zu gewähren21 . Aufgrund der Ausstrahlungswirkung der Grundrechte sei der objektive Gehalt der Grundrechte vor allem bedeutsam bei der Interpretation zivilrechtlicher Generalklauseln wie § 242 BGB. Hier müsse der grundrechtliehen Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. 1 GG Rechnung getragen werden, "die nicht an die Existenz des einfachrechtlichen KSchG gebunden sind". Die "grundrechtsgeleitete Interpretation der zivilrechtliehen Generalklauseln" habe siMünchArbR/Wank § 122 Rn 34 ff.; ders., ZIP 1986, S. 206 (210). MünchArbR/Wank § 122 Rn 38. zo Lakies, DB 1997, S. 1078 (1079). 21 Lakies, DB 1997, S. 1078 (1081). 18

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2. Kap.: Allgerneiner Kündigungsschutz im Kleinbetrieb

eherzustellen ,.daß der Arbeitnehmer den Arbeitsplatz nicht ohne sachbezogene und anerkennenswerte Gründe verlieren darf". In verfassungskonformer Anwendung des § 242 BGB unterlägen ,.die vom Arbeitgeber im Prozeß vorzutragenden Kündigungsgründe (... )einer Plausibilitätskontrolle des Gerichts'm. Der Arbeitgeber müsse ,.seine einseitige, einzelne Arbeitnehmer belastende Auswahlentscheidung nach vernünftigen, sachlichen Gesichtspunkten treffen und billiges Ermessen wahren(§§ 242, 315 BGB)'m. Aufgrund des Sozialstaatsgebots des Art. 20 Abs. 1 GG und des Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG seien auch im Kleinbetrieb bei der Auswahl ,.soziale Gesichtspunkte ausreichend zu berücksichtigen. Dienstliche Gründe und soziale Belange sind gegeneinander abzuwägen". Als zu berücksichtigende soziale Gesichtspunkte kämen ,.wie bei § 1 Abs. 3 KSchG zunächst das Lebensalter und die Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers in Betracht". Maßstab für diese Auswahl soll nach Lakies24 die Vertretbarkeit sein, wobei er im Gegensatz zu § 1 Abs. 3 KSchG ,.von einem etwas erweiterten Beurteilungsspielraum des Arbeitgebers" ausgeht.

V. Evidente Sozialwidrigkeit Ausgehend von einer aus Art. 12 Abs. 1 GG folgenden grundrechtliehen Schutzpflicht, wie sie das BVerfG in seiner Abwicklungsentscheidung25 formuliert hat, fragt Otto, ob der Staat ausreichende Maßnahmen ergriffen hat, ,.die dazu führen, daß ein( ... ) angemessener und als solcher wirksamer Schutz erreicht wird (Untermaßverbot)"26, wobei er zu der Schlußfolgerung gelangt, daß der Gesetzgeber ,.willkürlichen Kündigungen entgegenwirken (muß), indem er entsprechende Kontrollnormen bereitstellt. Außerdem hat er für deren Effektivität zu sorgen, wozu auch die Anordnung einer Begründungspflicht gehören kann". Als eine solche Kontrollnorm betrachtet Otto27 vor allem § 242 BGB. Er hält es ,.nicht mehr für vertretbar, daß der Aspekt des Bestandsschutzes bei der Handhabung des § 242 BGB überhaupt keine Rolle spielen soll". Er betont, daß das ,.Verbot übermäßiger und unverhältnismäßiger Schädigung(...) einen elementaren Bestandteil der Lehre vom Rechtsmißbrauch" darstelle und daß der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als ein Baustein der Lehre von den grundrechtliehen Schutzpflichten nicht beliebig zur Disposition des Gesetzgebers stehe28 . Otto29 gelangt zu dem 22 23 24 25 26 27

2s 29

Lakies, DB 1997, S. 1078 (1083). Lakies, DB 1997, S. 1078 (1082). Unter Hinweis aufBAG v.19. l. 1995, EzA Art. 20 EV Nr. 43. BVeifGE 84, S. 133 (146 f.). Otto, FS Wiese, S. 353 (360). Otto, FS Wiese, S. 353 (365). Otto, FS Wiese, S. 353 (367 f.). Otto, FS Wiese, S. 353 (375).

A. Die verschiedenen Auffassungen

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Schluß, daß die ordentliche Kündigung nicht nur sittenwidrig sein oder gegen ein Gebotsgesetz verstoßen könne, sondern "im Hinblick auf die Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. 1 GG bzw. das Sozialstaatsprinzip und Art. 3 Abs. 1 GG "außerhalb des Anwendungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes uneingeschränkt der Rechtsmißbrauchskontrolle gemäß § 242 BGB" unterliege, und daß diese Rechtsmißbrauchskontrolle "unter besonderer Berücksichtigung der Dauer des Arbeitsverhältnisses und des Kündigungsanlasses (... ) solchen verhaltens-, personen-und betriebsbedingten Kündigungen" entgegenwirke, "die bei Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes evident sozialwidrig wären". Schließlich leitet Otto30 insbesondere aus dem Gedanken eines Mindestmaßes an Bestandsschutz, der "Vorkehrungen gegen unzulässig motivierte Kündigungen" verlange, sowie aus der aus Art. 12 Abs. 1 GG entwickelten Schutzpflicht eine Pflicht des Arbeitgebers zur Angabe des Kündigungsmotivs ab, als deren "mögliche Rechtsgrundlage" er die Treue- und Fürsorgepflicht gemäß § 242 BGB bezeichnet.

VI. Kein allgemeiner Bestandsschutz außerhalb des KSchG Nach Ansicht Stahlhackes31 gibt es keine gerichtliche Kontrolle einer Kündigung aus § 242 BGB für Arbeitsverhältnisse, die dem KSchG nicht unterliegen, da außerhalb des Geltungsbereichs des KSchG die privatrechtliche Gestaltungsfreiheit und die Vertragsfreiheit Vorrang habe. Auch wenn der Arbeitgeber keinen Grund nennt, sei die Kündigung deshalb nicht wegen eines Verstoßes gegen § 242 BGB nichtig, denn wo Kündigungsfreiheit herrsche, bedürfe es auch keiner Angabe von Kündigungsgründen. Erst das Hinzutreten weiterer qualifizierender Umstände könne einen Verstoß gegen Treu und Glauben begründen. Auch für§ 138 BGB gelte, daß eine Kündigung selbst dann, wenn sie "ohne erkennbaren Grund, d. h. willkürlich, ausgesprochen worden ist", nicht Sittenwidrigkeit zur Folge habe; dementsprechend sei eine Kündigung nur unter besonderen Umständen sittenwidrig32. Zwar könnten auch Grundrechtsverstöße durch eine Kündigung außerhalb des KSchG zur Unwirksamkeit führen. Dies sei aber "mangels spezialgesetzlicher Regelung nur bei krassen Grundrechtsverstößen" der Fall, da zum einen "nicht über eine allgemeine Grundrechtsahwägung de facto ein Kündigungsschutz konstruiert werden dürfe, den der Gesetzgeber während der ersten sechs Monate und in Kleinbetrieben ausdrücklich nicht wollte", und zum anderen der Gesetzgeber bei der Bestimmung der Ausnahmen des KSchG "bereits eine einfachrechtlich konkretisierte 30 31

32

Otto, FS Wiese, S. 353 (372, 375). Stahlhacke, FS Wiese, S. 513 (523). Stahlhacke, FS Wiese, S. 513 (525 f.).

2. Kap.: Allgemeiner Kündigungsschutz im Kleinbetrieb

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Grundrechtsahwägung vorgenommen" habe33 . Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der vom BVerfG auf Art. 12 Abs. I GG gestützten Schutzpflicht Der Verstoß gegen die Schutzpflicht als Untermaßverbot unterliege nur in beschränktem Umfang gerichtlicher Kontrolle; geprüft werden könne im Rahmen einer Evidenzkontrolle lediglich, ob "verfassungsrechtliche Schutzvorkehrungen entweder gar nicht oder nur in völlig unzureichender Weise getroffen worden waren"34, denn "die Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielräume" des Gesetzgebers könnten "nicht über den Faktor ,Angemessenheit' oder ,angemessenes Maß' eingeschränkt" werden, was namentlich für den arbeitsmarktpolitischen Bereich gelte. Deshalb sieht Stahlhacke die Schutzpflicht als nicht geeignet an, eine Einschränkung der Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers außerhalb des KSchG zu begründen. Zudem wird darauf hingewiesen, daß der Gesetzgeber einen Teil der Arbeitnehmer nicht grundlos vom allgemeinen Kündigungsschutz ausgenommen habe, sondern aus Gründen der Arbeitsmarktpolitik; die Erleichterung der Kündigung durch das Arbeitsrechtliche Beschäftigungsförderungsgesetz sollte die Schaffung neuer Arbeitsplätze in Kleinbetrieben fördern "und dabei auch die Interessen der Arbeitsplatzsuchenden berücksichtigen", was dem Sozialstaatsprinzip entspreche, das auch zu Sorge für diejenigen verpflichte, die keinen Arbeitsplatz haben. Eine solche Güterahwägung liege im Rahmen des Gestaltungsspielraums der Gesetzgebers35. Mit einem allgemeinen Bestandsschutz auch im Kleinbetrieb öffne man "wegen FehJens gesetzlicher Maßstäbe Tür und Tor für eine richterliche Billigkeitskontrolle"36. Auch Löwisch37 sieht in der Kleinbetriebsklausel unter Hinweis auf das BAG38 eine "Konkretisierung mit negativem Inhalt", nämlich die Entscheidung, daß außerhalb des Geltungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes "der Grund für die Kündigung auch nicht über § 242 BGB kontrolliert werden soll"; § 242 BGB könne in diesen Fällen "auf Kündigungen des Arbeitgebers nur insoweit angewandt (werden), als allgemeine Verstöße gegen Treu und Glauben in Betracht kommen, also widersprüchliches Verhalten, unangemessene Form der Kündigung oder ihr Einsatz zu vertragswidrigen Zwecken". Zudem sei der mit der Kleinbetriebsklausel verfolgte Zweck der Beschäftigungsförderung zu beachten. Beschäftigungsförderung zu betreiben und sich damit der Interessen derjenigen anzunehmen, die keinen Arbeitsplatz haben, gehöre, so Löwisch39 unter Bezugnahme auf Stahlhacke, FS Wiese, S. 513 (525 f.); Stahlhacke I Preis/Vossen Rn 159. Stahlhacke, FS Wiese, S. 513 (530) m. w. N. 35 Stahlhacke, FS Wiese, S. 513 (532). 36 Stahlhacke, FS Wiese, S. 513 (533). 37 Löwisch, BB 1997, S. 782 (786); ähnlich Hetzel, Das Arbeitsverhältnis im Kleinbetrieb, s. 188 ff., 212 f. 38 BAG v. 8. 10. 1959, AP Nr. 1 zu § 620 BGB Schuldrechtliche Kündigungsbeschränkungen = BB 1959, S. 1249. 39 Löwisch, BB 1997, S. 782 (787). 33

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das WDR-Urteil des BVerfG40, "genauso zu den Schutzpflichten des Gesetzgebers wie die Bestandsschutzpflicht". Außerdem ziele der Gesetzgeber mit § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG darauf, dem Kleinunternehmer die Kündigungsfreiheit zu sichern, wobei es ihm auch darum gehe, den Kleinunternehmer von den Unwägbarkeiten freizustellen, die mit einer Sozialauswahl verbunden sind. Aus diesem Grund könne über § 242 BGB auch keine, auch keine abgeschwächte, Verpflichtung zur Auswahl nach sozialen Gesichtspunkten eingeführt werden41 . Gegen ein Verständnis des § 242 BGB als Fundament eines allgemeinen Kündigungsschutzes wendet sich ebenfalls Annuß, der die allgemeine Überprüfung der Wirksamkeit einer Kündigung im Kleinbetrieb am Maßstab des § 242 BGB für ausgeschlossen hält42 . Annuß tritt der Auffassung des BAG43 entgegen, indem er darlegt, daß sich aus § 242 BGB nichts für die Notwendigkeit einer Sozialauswahl, insbesondere keine Pflicht des Arbeitgebers zur Berücksichtigung der jeweiligen ableiten lasse. Insgesamt erweise sich, daß rechtsdogmatisch weder ein auf Treu und Glauben gestützter allgemeiner materieller Kündigungsschutz noch das Erfordernis einer Sozialauswahl begründet werden könnten und folglich die dahingehenden Überlegungen von BVerfG und BAG keine Zustimmung verdienten.

VII. Kündigungsschutz "zweiter Klasse" In Anerkennung der Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 12 Abs. 1 GG, insbesondere der Abwicklungs- und Kleinbetriebsentscheidungen des BVerfG44, prüft auch Hanau, ob die geltenden Kündigungsvorschriften der aus Art. 12 GG folgenden Schutzpflicht hinreichend Rechnung tragen45 und hält die Anerkennung des "verfassungsrechtlichen Kündigungsschutzes" für "unausweichlich", der aber nach Abwägung mit den entgegenstehenden Grundrechten der Arbeitgeber außerhalb des KSchG nur einen "Kündigungsschutz zweiter Klasse" zulasse46• Bezogen auf die Kleinbetriebsklausel des § 23 Abs. 1 KSchG und die Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG geht es für Hanau "darum, ob man in dem Bereich, in dem das KSchG nicht gilt, aus Art. 12 GG in Verbindung mit § 242 BGB einen Kündigungsschutz zweiter Klasse ableiten kann"47 . Er weist auf die Tatsache hin, daß die Kleinbetriebe größer geworden seien und ein Drittel der gesamten Arbeitnehmerschaft urnfaßten und bezweifelt, daß "man dem Kleinbetriebsinhaber die Freiheit zu nicht nachBVeifGE 59, S. 231 (266). Löwisch, BB 1997, S. 782 (787). 42 Annuß, BB 2001, S. 1898 (1901). 43 BAG v. 21. 2. 2001, BB 2001, S. 1683 = NZA 2001 , S. 833. 44 BVeifGE 84, S. 133; E 97, S. 196. 45 Hanau, Die Rechtsprechung zu den Grundrechten der Arbeit, S. 73 (86); ders., Deregulierung des Arbeitsrechts, S. 29. 46 Hanau, FS Dieterich, S. 201 (209). 47 Hanau, Die Rechtsprechung zu den Grundrechten der Arbeit, S. 89. 40 41

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2. Kap.: Allgemeiner Kündigungsschutz im Kleinbetrieb

vollziehbaren, irrationalen oder gar diskriminierenden Entscheidungen" zugestehen könne48 • Nach dem "für die Abwägung der beiderseitigen Grundrechtspositionen maßgeblichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit" komme es darauf an, ob die Respektierung der Kündigungsmotive im Interesse des Kleinbetriebsinhabers und seiner Berufsfreiheit erforderlich sei. Auch in Kleinbetrieben sei "ein abgeschwächter Kündigungsschutz mit dem Inhalt vertretbar (...), den Kündigungsgrund plausibel zu machen und die Kündigungsgriinde darzulegen"49. Auch "bei der Zuriicknahme des Sozialschutzes durch die stärkere Beriicksichtigung betrieblicher Belange" sei "eine mittlere Linie dahin vorstellbar, daß die nach § 1 III S. 2 KSchG maßgeblichen betrieblichen Belange je gewichtiger sein müssen, desto gewichtiger die entgegenstehenden sozialen Belange sind"; die mit diesem Abwägungserfordernis verbundene Rechtsunsicherheit könne durch tarifvertragliche Regelungen nach § 1 Abs. 4 KSchG gemildert werden 50.

VIII. Diskriminierungsschutz Nach Ansicht Riebles reicht der Kündigungsschutz außerhalb des KSchG mindestens so weit wie der Schutz vor willkürlicher Nichteinstellung, für den eine dem § 26 Abs. 2 bis 4 GWB entsprechende Mißbrauchskontrolle gelte51 . Dazu gehöre der Sonderkündigungsschutz. Doch auch darüber hinaus müsse der Arbeitnehmer im bestehenden Arbeitsverhältnis "gewissen Schutz vor der Machtwillkür des Arbeitgebers erfahren"52• Dazu soll im Kündigungsrecht der Gleichbehandlungsgrundsatz gelten, denn die Diskriminierung sei eine "allgemeine privatrechtliehe Mißbrauchskategorie, die das Arbeitsrecht nicht beiseite schieben" könne; rechtstechnisch könne das Diskriminierungsverbot als Verbotsnorm im Sinne von § 134 BGB aufgefaßt werden 53 . Das Diskriminierungsverbot sei auf den vom KSchG frei gelassenen Bereich auszudehnen. Dabei sei es so zu verstehen, daß daraus nicht eine positive Verpflichtung zur gleichmäßigen Behandlung aller Arbeitnehmer folge, sondern nur das Gebot, Mißgriffe des Arbeitgebers zu verhindern. Könne der Arbeitgeber auf eine politische Betätigung oder Meinungsäußerung oder geschlechtliche Orientierung mit Kündigung reagieren, stünde der Arbeitnehmer unter einem unverhältnismäßigen Wohlverhaltensdruck; er müßte dann, so Rieble, sein Verhalten entweder ändern oder doch zwanghaft verheimlichen, um nicht das Arbeitsverhältnis zu gefährden54. Hanau, Die Rechtsprechung zu den Grundrechten der Arbeit, S. 89. Hanau, Die Rechtsprechung zu den Grundrechten der Arbeit, S. 86 mit Hinweis auf MünchArbR/ Wank (1. Aufl. 1993) § 116 Rn 13. 50 Hanau, Deregulierung des Arbeitsrechts, S. 29. 51 Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn 958. 52 Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn 960. 53 Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn 961 f. 54 Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn 963. 48

49

B. Zuordnung zu den Theorien des allgemeinen Kündigungsschutzes

45

B. Zuordnung zu den Theorien des allgemeinen Kündigungsschutzes Fraglich ist, ob hinter diesen Standpunkten eine der zum allgemeinen Kündigungsschutz vertretenen Theorien erkannt werden kann, so daß sich die praktischkonkrete Problemlösung auf eine allgemeinere Theorie zuriickführen ließe.

I. Die Auffassung des BVerfG Nach Ansicht des BVerfG findet die Beurteilung des allgemeinen Kündigungsschutzes, so auch seiner Grenze, ausschließlich zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber als Parteien des Arbeitsvertrags statt55 . Das Interesse des Arbeitnehmers verlangt nach einem allgemeinen Kündigungsschutz, der allein durch schutzwerte Interessen des Arbeitgebers begrenzt wird. Diese Interessen sind jeweils wirtschaftlicher, im Fall des Arbeitnehmers auch sozialer Natur. Aus Sicht des Arbeitnehmers wird für den Kündigungsschutz die Erwägung angeführt, der Arbeitsplatz sei die "wirtschaftliche Existenzgrundlage für ihn und seine Familie"; der Charakter des Arbeitsplatzes als soziale Existenzgrundlage wird darin gesehen, daß "Lebenszuschnitt und Wohnumfeld" davon bestinunt würden. Resümierend wird festgestellt: "Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses wird dieses ökonomische und soziale Beziehungsgeflecht in Frage gestellt. " 56 Bezweckt der allgemeine Kündigungsschutz also einen Schutz vor dieser Situation, so deckt sich das darin zum Ausdruck korrunende Verständnis des Kündigungsschutzes mit dem der Bestandsschutztheorie, nach der der Bestand des Arbeitsverhältnisses zum Schutz des Arbeitnehmers gegen den Verlust des Arbeitsplatzes als wirtschaftlicher und sozialer Existenzgrundlage abzusichern ist57• Grundlage des Kündigungsschutzes ist das Bedürfnis nach wirtschaftlich-sozialem Existenzschutz. Dem entspricht die Grenze, die das BVerfG dem allgemeinen Kündigungsschutz zuordnet. Sie wird markiert durch das schutzwürdige wirtschaftliche Interesse des Arbeitgebers58• Kennzeichen dafür ist vor allem die Begriindung, der Kleinbetrieb sei häufig nicht in der Lage, Abfindungen zu zahlen oder "weniger genehmes Personal mitzutragen" sowie das Argument, der Verwaltungsaufwand, den ein Kündigungsschutzprozeß mit sich bringe, belaste den Kleinbetrieb stärker als ein größeres Unternehmen. Auch die Anfälligkeit des Kleinbetriebs für "Mißstinunungen und Querelen" ist letztlich nur entscheidend für daraus entstehende Leistungsminderungen, ebenso wie Persönlichkeitsmerkmale der Arbeitnehmer wegen ihrer Re55 56 57 58

BVerfGE 97, S. 169 (176 ff.). BVerfGE 97. S. 169 (177).

Vgl. o. Kap. 1 B. BVerfGE 97, S. 169 (177 f.).

46

2. Kap.: Allgemeiner Kündigungsschutz im Kleinbetrieb

levanz für den Geschäftserfolg genannt werden. Nach Maßgabe dieser wirtschaftlichen Argumentation erfolgt eine Einordnung des Kündigungsschutzes auch aus Sicht der für den Arbeitgeber angeführten schutzwürdigen Gesichtspunkte in wirtschaftliche Kategorien. Damit ist es das wirtschaftlich-soziale Interesse des Arbeitnehmers, das den Kündigungsschutz begründet, und das wirtschaftliche Interesse des Arbeitgebers, dahin begrenzt. Daher ist die Position des BVerfG der Bestandsschutztheorie zuzuordnen.

II. Zu den übrigen Auffassungen Demgegenüber kann den übrigen zum allgemeinen Kündigungsschutz im Kleinbetrieb vertretenen Auffassungen eine explizite Berufung auf eine der Theorien zum allgemeinen Kündigungsschutz nicht entnommen werden. Gleichwohl kann zum einen festgestellt werden, daß - mit Ausnahme Stahlhackes59 - in sämtlichen Begründungsansätzen von einem Zweipersonenkonflikt als dem Kündigungsschutz zugrundeliegende Situation ausgegangen wird. Außerdem kehren bestimmte Argumentationen wieder. Dazu gehört die verfassungsrechtliche Argumentation vor dem Hintergrund des Art. 12 Abs. 1 GG. Besondere Beachtung findet dabei die aus diesem Grundrecht abgeleitete Figur der grundrechtliehen Schutzpflicht, die auf seiten des Arbeitnehmers für einen Kündigungsschutz vorgebracht wird. Kann auch eine Zuordnung zu den Theorien des allgemeinen Kündigungsschutzes dadurch noch nicht erfolgen, so müssen diese Einwände doch bei der Beurteilung der Frage nach den Grenzen des allgemeinen Kündigungsschutzes Berücksichtigung finden, hängen von ihnen doch verfassungsrechtliche Zulässigkeit bzw. Gebotenheit eines Kündigungsschutzes, mithin auch seine Reichweite und Grenze ab.

59

FS Wiese, S. 513 (533).

3. Kapitel

Die verfassungsrechtlich legitimierte Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes Ein wie auch immer gearteter Kündigungsschutz, ebenso wie das Fehlen jeglichen Kündigungsschutzes, muß stets mit dem höherrangigen Recht vereinbar sein. Hieran hat sich auch die Rechtsanwendung bei der Auslegung des Kündigungsschutzes im Einzelfall auszurichten. Das BVerfG beruft sich im ersten Kleinbetriebsbeschluß für einen Kündigungsschutz im Kleinbetrieb auf Art. 12 Abs. 1 GG und führt damit die Bestandsschutztheorie auf eine verfassungsrechtliche Grundlage zuriick. Ebenso spielt das verfassungsrechtliche Argument in der Auseinandersetzung der Literatur eine herausgehobene Rolle. Es ist daher geboten, die Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes verfassungsrechtlich abzustecken. Unter dem Gesichtspunkt der "äußeren" Grenze des Kündigungsschutzes ist die Frage relevant, inwieweit dem Kündigungsschutz verfassungsrechtliche Positionen von nicht an dem Arbeitsverhältnis beteiligten Dritten, arbeitsuebenden Arbeitslosen, entgegenstehen könnten. An den so festzustellenden verfassungsrechtlichen Grenzen sind die Theorien des allgemeinen Kündigungsschutzes auf ihre Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht zu überpriifen. Für das einfachrechtliche Kündigungsschutzrecht ergeben sich die einschlägigen höherrangigen Maßstäbe vor allem aus den Freiheitsrechten des Grundgesetzes, möglicherweise jedoch zusätzlich aus dem in Art. 20 Abs. 1 und 28 Abs. 1 S. 1 GG zum Ausdruck kommenden Sozialstaatsprinzip. Soweit die Kündigungsfreiheit oder der Kündigungsschutz von Arbeitsverhältnissen in Frage steht, kommt unter den Grundrechten als tatbestandlieh einschlägig zunächst die Berufs- und Arbeitsplatzfreiheit in Betracht. Fraglich ist, ob daneben oder statt dessen die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG betroffen sein kann, wenn die Vereinbarkeit einer Beschränkung des arbeitgeberseitigen Kündigungsrechts mit dem Verfassungsrecht zu beurteilen ist. Dies wird teilweise angenommen und feststellt, daß der Kündigungsschutz durch die Bindung der personalpolitischen Organisationsfreiheit das Arbeitgebereigentum einschränke 1 • Demgegenüber differenziert Scholz und sieht Art. 14 GG dann als betroffen an, wenn in die Unternehmensstruktur eingegriffen werde, an Art. 12 GG könnten dagegen nur Eingriffe in die Unternehmensfunktion gemessen wer-

I

Reuter, FS 25 Jahre BAG, S. 405 (418, 421).

48

3. Kap.: Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

den2 . Diese Frage spielte eine wesentliche Rolle in der Diskussion um die paritätische Mitbestimmung, kann aber bei der Beurteilung des Schutzes des Arbeitgebers vor Beschränkung seines Kündigungsrechts nur von nachrangiger Bedeutung sein, schon weil die Beschränkung der Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers die größere sachliche Nähe zum Regelungsgegenstand des Art. 12 GG, der Freiheit des Berufs, aufweist. Daher soll bei der verfassungsrechtlichen Bewertung des Kündigungsschutzes auf die Prüfung des Art. 14 GG verzichtet, dagegen der Bedeutung der Art. 12 Abs. 1 und 20 Abs. 1 GG besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden.

A. Art. 12 Abs. 1 GG und allgemeiner Kündigungsschutz Dabei kann das Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG einmal in seiner Funktion als staatsgerichtetes Abwehrrecht des Bürgers in Betracht kommen. Daneben könnte aus der Freiheit des Berufs eine grundrechtliche Schutzpflicht folgen, deren Existenz und Bedeutung es ebenfalls zu erörtern gilt.

I. Art. 12 Abs. 1 GG und das Außenseiterproblem Grundsätzlich kann die Problematik des Kündigungsschutzes für drei Personen verfassungsrechtlich relevant werden. Dies sind zunächst naturgemäß Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Aber auch für Dritte, die um ein Arbeitsverhältnis nachsuchen, kann allgemeiner Kündigungsschutz verfassungsrechtliche Relevanz entfalten. Es wird zunehmend darauf hingewiesen, daß die Beschränkung der Beendigungsfreiheit des Arbeitgebers die Verteilung der Arbeitsplätze zugunsten der bereits in Arbeit Stehenden verfestigt und damit auf die Chancen der Arbeitsuchenden auf Zugang zu einer Anstellung nachteilig zurückwirken könnte3 . Daher ist insbesondere zu fragen, ob die mit einer Gewährung von Kündigungsschutz verbundene Verfestigung der Arbeitsplatzverteilung mit der Freiheit des Berufs der Arbeitsuchenden als Außenseiter des Arbeitsverhältnisses vereinbar ist. Hierzu werden unterschiedliche Auffassungen vertreten, vor deren Hintergrund die verfassungsrechtliche Beurteilung der Grenze des allgemeinen Kündigungsschutzes wie im ersten Kleinbetriebsbeschluß des BVerfG später stattfinden soll. Scholz, Paritätische Mitbestimmung und Grundgesetz, S. 59. So Zöllner, 52. DJT, Gutachten D, S. 114; ferner z. B. Schnorr von Carolsfeld, Arbeitsrecht, S. 22 f.; Reuter, RdA 1973, 345 (353); ders., FS 25 Jahre BAG, S. 405 (418); ders., FS Dieterich, S. 473 (484); Lieb, FS Hilger/Stumpf, S. 409 (423 f.); F. Gamillscheg, DRdA 1981, S. 185 (186); Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 180; MünchArbR/ Berkowsky § 131 Rn 48, 36. 2

3

A. Art. 12 Abs. 1 GG und allgemeiner Kündigungsschutz

49

1. Die These des BVerfG von der Zweischneidigkeit des Bestandsschutzes Eine verfassungsrechtliche Stellungnahme des BVerfG zu dem Außenseiterproblem findet sich explizit in dem WDR-Beschluß vom 13. 1. 1982. In der Entscheidung stand die Beurteilung der Frage im Mittelpunkt, ob gewisse redaktionelle Mitarbeiter des WDR als freie Mitarbeiter oder als Arbeitnehmer im Sinne der arbeitsrechtlichen Bestimmungen einzustufen waren. Das BVerfG überprüfte die letztinstanzliehe Entscheidung des BAG an der Rundfunkfreiheit des Senders nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG und sah die Personalentscheidungen der Rundfunkanstalten als von der Rundfunkfreiheit geschützt an4 . Schranken konnten sich nach Ausführung des Gerichts aus dem KSchG als allgemeinem Gesetz im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG ergeben, das arbeitsrechtlichen Bestandsschutz gewähre, der seinerseits verfassungsrechtlich legitimiert sei5 • Hierzu wurde ausgeführt6 : "Der arbeitsrechtliche Bestandsschutz, der das Grundrecht der Rundfunkfreiheit nach Art. 5 Abs. 2 GG beschränkt, dient zwar der Verwirklichung des Sozialstaatsprinzips als eines Verfassungsprinzips; es sichert diejenigen Mitarbeiter, die diesen Bestandsschutz genießen, in ihrer beruflichen Position und damit in ihrer verfassungsrechtlich gewährleisteten Berufsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG). Es ist aber auch zu berücksichtigen, daß der arbeitsrechtliche Bestandsschutz nur festangestellten Mitarbeitern zugute kommt; da den Anstalten in dem Maße, in dem sie Mitarbeiter in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis zu beschäftigen haben, die Möglichkeit eines Wechsels weitgehend genommen ist, entfaltet er eine Sperrwirkung und verschlechtert damit die Chancen derjenigen, welche sich die Mitarbeit im Rundfunk zur Aufgabe machen wollen, insbesondere der Nachwuchskräfte, die im anderen Falle, wenn auch ohne feste Anstellung, Arbeit und Verdienst finden würden. Diese Auswirkung kann schwerlich im Sinne des Sozialstaatsprinzips liegen, das die Verwirklichung einer sozial gerechten Ordnung für alle gebietet, also gerade auch zur Sorge für diejenigen verpflichtet, die keinen Arbeitsplatz haben und einen solchen suchen. Zugleich wird es den zu diesem Kreis Gehörenden wesentlich erschwert, von ihrem Grundrecht auf freie Berufswahl Gebrauch zu machen. Die Anwendung der Regeln und Maßstäbe des Arbeitsrechts auf Rundfunkmitarbeiter erweist sich mithin unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten sozialen Schutzes als zweischneidig." Wenngleich mit diesem Diktum eine Verfassungswidrigkeit eines Kündigungsschutzes zulasten arbeitsuebender Dritter noch keineswegs festgestellt ist, so ist seine verfassungsrechtliche Zulässigkeit doch nicht unproblematisch, sondern bedarf genauerer Überprüfung.

4

5 6

BVerfGE 59, S. 231 (261). BVerfGE 59, S. 231 (264 f.). BVerfGE 59, S. 231 (266).

4 Stelljes

50

3. Kap.: Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

2. Kündigungsschutz als Beeinträchtigung der Berufsfreiheit Arbeitsuchender

Angesichts einer Gefahr des Eingriffs in Positionen der Arbeitsuchenden und der Zulässigkeit einer Beschränkung der Berufsfreiheit Arbeitsuchender vor Art. 12 Abs. 1 GG wurde das Außenseiterproblem Gegenstand der Erörterung auch in der verfassungsrechtlichen Lehre7 • Insbesondere anläßlich der Tagung der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer im Jahr 1984, die unter dem Thema "Art. 12 GG - Freiheit des Berufs und Grundrecht der Arbeit" abgehalten wurde, sowie in den sich anschließenden literarischen Diskussionen wurde mehrfach auf die verfassungsrechtlichen Konsequenzen des Bestandsschutzes für die Berufsfreiheit der Arbeitsuchenden hingewiesen und geäußert, daß der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Bestandsschutzes nicht nur die schutzwürdigen Belange der Arbeitnehmer, sondern die gleichfalls grundrechtlich fundierten Interessen derjenigen angemessen zu berücksichtigen habe, die noch über keinen Arbeitsplatz verfügen; zu berücksichtigen sei, daß ein Bestandsschutz für bestehende Arbeitsverhältnisse in Widerspruch zur Verteilungsgerechtigkeit treten könne, "weil der Bestandsschutz als Zugangssperre wirken und daher die Arbeitsplatzinhaber gegenüber den Arbeitsuchenden privilegieren kann"; es sei Aufgabe des Gesetzgebers, jene zwischen der Verteilungsgerechtigkeit und dem Bestandsschutz entstehende Spannungslage durch einen abgewogenen und angemessenen Interessenausgleich zu lösen oder zu entschärfen; eine Überdehnung des Bestandsschutzes müsse allerdings mit Art. 12 Abs. 1 GG kollidieren, soweit er die Arbeitsplatzchancen Arbeitsuchender und damit deren grundrechtlich verbürgtes Recht der freien Arbeitsplatzwahl unangemessen beeinträchtige8 • Zuvor schon waren im arbeitsrechtlichen Schrifttum Bedenken gegen einen zu weit gehenden arbeitsrechtlichen Bestandsschutz wegen seiner Sperrwirkung zum Nachteil der Arbeitsuchenden erhoben worden9 • Bereits bevor das BVerfG seine These von der Zweischneidigkeit des Bestandsschutzes entwickelt hatte, war von Reuter ausgeführt worden, daß die freie Wahl des Arbeitsplatzes "nur über einen wettbewerblieh organisierten Arbeitsmarkt zu verwirklichen" sei; dabei verringere der Bestandsschutz für diejenigen Arbeitnehmer, die nicht wechseln wollen, die Aussichten der anderen, den Arbeitsplatz ihrer Wahl zu bekommen. Der Kündigungsschutz müsse deshalb darauf gerichtet und beschränkt sein, die schutzbedürfti7 Vgl. Maunz/Dürig/Herzog/ Scholz Art. 12 Rn 84 ff.; Scholz, ZfA 1981, S. 265 (279 ff.). s Papier, DVBI. 1984, S. 801 (813); ähnlich Pietzcker, NVwZ 1984, S. 550 (556); Wendt, DÖV 1984, S. 601 (610); H. P. Schneider, VVDStRL Bd. 43 (1985), S. 7 (30 f.); Bryde, NJW 1984, 2177 (2181). 9 Schnorr von Carolsfeld, Arbeitsrecht, S. 22 f.; Reuter, RdA 1973, 345 (353); ders., FS 25 Jahre BAG, S. 405 (418); ders., FS Dieterich, S. 473 (484); Lieb, FS Hilger/Stumpf, S. 409 (423 f.); vgl. auch F. Gamillscheg, DRdA 1981, S. 185 (186). Den Vorrang des Arbeitsplatzbesitzers vorsichtig in Frage stellend auch MünchArbR/ Berkowsky § 131 Rn 38, vgl. andererseits ebd. Rn 37.

A. Art. 12 Abs. 1 GG und allgemeiner Kündigungsschutz

51

gen Arbeitnehmer, namentlich die trotzVollbeschäftigungunterprivilegierten Gruppen, zu schonen; was darüber hinausgehe, bedeute eine "Intervention zugunsten des zur Immobilität und zu Lasten des zur Mobilität neigenden Teils der Arbeitnehmerschaft", die durch die "wertsetzende Bedeutung des Rechts auf freie Wahl des Arbeitsplatzes" verboten werde 10• Differenziert wird der Bestandsschutz des Arbeitsverhältnisses an Art. 12 Abs. l GG gemessen. Reuter sieht in dem Kündigungsschutz einen Eingriff in die Berufs- und Arbeitsplatzwahlfreiheit der Arbeitsuchenden und ordnet diesen der Stufe der Berufswahl zu 11 . Soweit mit dem Kündigungsschutz die Zwecke der Verhinderung der Nachteile der Arbeitslosigkeit und der Schutz der Arbeitnehmer vor Verlust des Lebensmittelpunktes verfolgt werden sollen, verneint er eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung vor dem Grundrecht der Arbeitsuchenden aus Art. 12 Abs. 1 GG12• Vielmehr ließen sich Schranken für den Zugang zu einem Beruf niemals durch Forderung nach Konkurrenzschutz zugunsten der bereits im Beruf Tätigen vor Art. 12 GG legitimieren 13 . Diese Auffassung hat teilweise Zustimmung erhalten 14• Während also das BVerfG mit der Zweischneidigkeit des Kündigungsschutzes eine Verfassungswidrigkeit noch nicht ausspricht, ist dieser Auffassung zufolge ein nicht gerechtfertigter Eingriff in das Recht der Arbeitsuchenden aus Art. 12 Abs. 1 GG zu bejahen, wenn der Kündigungsschutz als Schutz vor den Folgen individueller Arbeitslosigkeit aufgefaßt wird. Von ökonomischer Seite wird der Kündigungsschutz unter dem Gesichtspunkt des Außenseiterproblems ("Insider-Outsider-Modell") noch schärfer kritisiert und vom Sachverständigenrat 15 sogar als Diskriminierung der Außenstehenden bezeichnet. Die Arbeitsplatzbesitzer würden durch eine ganze Reihe rechtlicher Regelungen vor dem Wettbewerb mit den Außenstehenden geschützt, so durch den Kündigungsschutz, der die Arbeitsplatzbesitzer in ihrer Beschäftigung absichere. Wer einen Arbeitsplatz besitze, habe ohnehin relativ zum Arbeitslosen große Vorteile, denn er eigne sich bei seiner Tätigkeit neue Kenntnisse an, darunter auch spezifische Fähigkeiten, die ihn für seinen Betrieb attraktiver machten, er sei über offene Stellen in seinem Unternehmen besser informiert, und er könne die sich im Unternehmen bietenden Chancen des Aufstiegs nutzen; seine Qualifikation sei dem Arbeitgeber relativ genau bekannt. "Angesichts dieser Vorteile der Arbeitsplatzbesitzer" bedeute "ihre Absicherung durch die Arbeitsmarktordnung, dass den Außenstehenden der Zugang in die Beschäftigung erheblich erschwert, wenn nicht verwehrt wird" 16. Während die Arbeitsplatzbesitzer geschützt würden, wirke der IO

11 12

Reuter, RdA 1973,345 (353). Reuter, FS 25 Jahre BAG, S. 405 (418). Reuter, FS 25 Jahre BAG, S. 405 (419 ff.).

13 Reuter, FS Dieterich, S. 473 (484) unter Hinweis auf BVeifGE 3, S. 377- Apothekenurteil. 14 Lieb, FS Hilger/Stumpf, S. 409 (423 f.); vgl. auch F. Gamillscheg, DRdA 1981, S. 185

(186). 15

16 4*

Jahresgutachten 1999/2000, S. 174. Sachverständigenrat, Jahresgutachten 1999/2000, S. 174.

3. Kap.: Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

52

Schutz gegen die Arbeitslosen 17 . Hierin könnten möglicherweise ebenfalls Umstände erblickt werden, die einen Eingriff in das Recht der Arbeitsuchenden aus Art. 12 Abs. 1 GG darstellen könnten.

3. Die These vom Vorrang des Arbeitsplatzinhabers Demgegenüber wird von anderer Seite ein verfassungsrechtlicher Verstoß gegen Rechte Arbeitsuchender ausgeschlossen und ein grundrechtlich begriindeter Vorrang des Bestandsschutzes des Arbeitsverhältnisses vor der Berufsfreiheit der Arbeitsuchenden behauptet 18. Dieser wird vor allem damit begriindet, daß es sich bei dem Wettbewerbsverhältnis zwischen Arbeitsuchenden und Arbeitsplatzinhabern um eine "nicht voll kompatible Wettbewerbsbeziehung" handele, denn der Arbeitnehmer, der einen Arbeitsplatz innehabe, behaupte bereits das Ergebnis eines vorangegangenen Wettbewerbs eben um den von ihm besetzten Arbeitsplatz und verfüge insoweit über eine qualitativ andere Position im fortdauernden Wettbewerb gegenüber dem späteren Konkurrenten, der sich um den gleichen Arbeitsplatz bewerbe. Daher könne die Rechtsordnung dem Bestandsschutz Priorität gegenüber dem nachfolgenden Wettbewerb einräumen 19• Die durch Art. 12 Abs. 1 GG und das Sozialstaatsprinzip legitimierten Kündigungsschutzvorschriften sollen dem Arbeitgeber bei der Auswahl seiner Mitarbeiter grundsätzliche Rücksichtnahme auf die Rechte des bereits eingestellten Arbeitnehmers gebieten; diesen Bestandsschutz müsse auch der konkurrierende Stellenbewerber gegen sich gelten lassen, zumal es sich um eine Rechtsposition handele, die in einem vorangegangenen Wettbewerb erworben worden sei20• Wiedemann erklärt die Privilegierung der Arbeitsplatzbesitzer gegenüber den Arbeitsplatzsuchenden mit dem Charakter des Bestandsschutzes als "ein Stück Friedensgarantie"21 ; der Bestandsschutz solle nicht nur einen permanenten Streit der Arbeitnehmer um die vorhandenen Arbeitsplätze verhindern, sondern dem einzelnen Arbeitnehmer auch das Gefühl von Sicherheit vermitteln, ohne das die Stellung als abhängiger Arbeitnehmer auf Dauer nicht erträglich sei; daß auf diese Weise Insider begünstigt würden, während sich die Situation für potentielle Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt möglicherweise verschlechtere, entspreche einer Wertung, die bereits durch das geltende Kündigungsschutzrecht vorgezeichnet see2 . Sachverstäruiigenrat, Jahresgutachten 1999/2000, S. 177. Benda, FS Sting1 (1984), S. 35 (47 f.); vgl. auch Floretta, In memoriam Sir Otto KalmFreund, S. 437 (438 ff.). 19 Maunz/Dürig/Herzog/ Scholz, Art. 12 Rn 84 f.; Scholz, ZfA 1981, S. 265 (280 f.). 20 Benda, FS Stingl, S. 35 (47 f.). 21 Wiedemann, FS 25 Jahre BAG, S. 635 (658 f.) mit Hinweis auf den von Zöllner, 52. DJT ( 1978), Gutachten D, S. 117 geprägten Terminus. 22 Wiedemann, FS 25 Jahre BAG, S. 635 (659). 17

18

A. Art. 12 Abs. 1 GG und allgemeiner Kündigungsschutz

53

Im Unterschied dazu erkennt Oetker die Möglichkeit an, daß durch den arbeitsrechtlichen Bestandsschutz in die Arbeitsplatzwahlfreiheit der Arbeitsuchenden eingegriffen werden könne; für ihn ist es jedoch eine Frage der Intensität, mit der durch die Ausgestaltung des Bestandsschutzes in das Recht der Arbeitsuchenden aus Art. 12 Abs. 1 GG eingegriffen werden dürfe; für eine Konfliktlage dieser Art sei aber nicht die zu Art. 12 GG entwickelte Stufenlehre der zutreffende Bewertungsmaßstab, denn diese würdige nicht hinreichend, daß sich der Gesetzgeber vor die Aufgabe gestellt sieht, konkurrierende Grundrechtspositionen auszugleichen; insoweit glichen die Arbeitsplatzwahlfreiheit der Arbeitsplatzbesitzer und diejenige der Arbeitsuchenden einem "System kommunizierender Röhren'm. Badura stellt fest, daß das Grundrecht des Art. 12 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG und "dem arbeitsrechtlichen Schutzprinzip" größeres Gewicht für einen gewissen Bestandsschutz des eingenommenen Arbeitsplatzes erlangt habe als für den Bewerber, der den Zugang zu einem Arbeitsplatz suche24 • Den Grund dafür sieht er in der "vergleichsweise schwachen privatrechtsgestaltenden Wirkung, die das Recht, den Arbeitsplatz frei zu wählen, gegenüber dem Arbeitgeber zu entfalten vermag", da es seinen Grund letztlich darin habe, daß es eine "Ausformung der arbeitsrechtlichen Vertragsfreiheit (vgl. § 105 GewO)" sei. Auch Löwisch bejaht einen Vorrang des Arbeitsplatzinhabers: Der Arbeitsplatz, der aufgrund eigener Qualifikation und häufig unter Verzicht auf andere mögliche Beschäftigungsverhältnisse erworben sei, stelle einen "Wert für sich" dar, der einen Schutz gegen grundlosen Entzug verdiene25 .

II. Die Berufs- und Arbeitsplatzwahlfreiheit als Abwehrrecht Insbesondere vor dem Hintergrund dieses Außenseiterproblems sind die Grenzen des Kündigungsschutzes vor Art. 12 Abs. 1 GG zu erörtern. Nach Formulierung des BVerfG, daß es den Arbeitsuchenden "erschwert" werde, "von ihrem Grundrecht auf freie Berufswahl Gebrauch zu machen" und von der Verschlechterung der Berufszugangschancen die Rede ist26, steht zu vermuten, daß darin ein Eingriff in die nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit der Arbeitsuchenden liegen könnte. Dies ist am Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG zunächst in seiner Funktion als gegen staatliche Eingriffe gerichtetes klassisch-liberales Abwehrrecht zu messen.

23 24

25 26

Oetker; RdA 1997, S. 9 (21). Badura, RdA 1999, S. 8 (11). Löwisch, KSchG, Vorbem zu§ 1, Rn 3. BVerfGE 59, S. 231 (266).

54

3. Kap.: Reichweite des allgerneinen Kündigungsschutzes

1. Gegenstand der verfassungsrechtlichen Prüfung Die Beeinträchtigung dieses Grundrechts der Berufsfreiheit besteht für die AIbeitsuchenden nach der These der Zweischneidigkeit in der Gewährung arbeitsrechtlichen Bestandsschutzes. Dieser kann einmal durch ein die Kündigungsfreiheit beschränkendes Gesetz eingeführt werden. Dieses müßte vor Art. 12 Abs. 1 GG Bestand haben. Doch muß sich auch eine Entscheidung eines Gerichts, durch die Bestandsschutz gewährt wird, in materiellrechtlicher Hinsicht an der Berufsfreiheit messen lassen. Denn der Richter ist, wenn er zu Einschränkung der Berufsfreiheit kommt, an dieselben Maßstäbe gebunden, die nach Art. 12 Abs. I S. 2 GG auch den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers einschränken; auch der Richter ist, wenn er Gesetzesbestimmungen auslegt, gehalten zu prüfen und darzulegen, ob, inwieweit und aus welchen Gründen seine Entscheidung in die Berufsfreiheit eingreift, ferner, daß dieser Eingriff den im Gesetz zum Ausdruck gekommenen Absichten des Gesetzgebers entspricht27 • Unter der Annahme, daß der Bestandsschutz, wie er vom BVerfG sowie der herrschenden Lehre zur Kündigung im Kleinbetrieb vertreten wird, von der Rechtsprechung übernommen und auf Kündigungen im Kleinbetrieb angewendet würde, müssen gerichtliche Entscheidungen, die solchen Bestandsschutz gewähren, vor Art. 12 Abs. I GG Bestand haben. Gegenstand der Verfassungsmäßigkeilsprüfung wären damit gerichtliche Entscheidungen als Maßnahme der öffentlichen Gewalt. Um deren Verfassungswidrigkeit zu bejahen, müßten sie einen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. I GG darstellen, der verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt ist. Naturgemäß kann dies nicht ohne weiteres für die Rechtsprechung des BVerfG zutreffen, die wegen ihrer Letztentscheidungsbefugnis keiner weiteren praktischen Überprüfung zugänglich ist. Dennoch kann prinzipiell auch das BVerfG in seiner Entscheidungstindung fehlgehen. Aus diesem Grund muß die Überprüfung der Ausführungen des BVerfG auf den materiellen Aspekt beschränkt bleiben. Gegenstand dieser materiell-verfassungsrechtlichen Prüfung ist damit die vom konkretgerichtlichen Fall abstrahierte Frage nach allgemeinem Kündigungsschutz im Kleinbetrieb, basierend auf den Überlegungen, wie sie das BVerfG im ersten Kleinbetriebsbeschluß anstellt. Diese Überprüfung der Grundsätze des BVerfG soll dabei auf die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts beschränkt werden, ganz so, als wären die zu überprüfenden Grundsätze als fremde vom BVerfG selbst zu überprüfen. Eine solche Verletzung liegt nur dann vor, wenn eine einschlägige Verfassungsnorm entweder ganz übersehen worden ist oder grundsätzlich falsch angewendet worden ist; bei Grundrechten kann dies auf den Schutzbereich auf die Rechtfertigung eines Eingriffs in den Schutzbereich und auf jede andere Grundrechtswirkung beziehen28 .

27

28

BVeljGE 54, S. 224 (235). BVeljGE 18, S. 85 (92 f.); Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn 1175.

A. Art. 12 Abs. 1 GG und allgemeiner Kündigungsschutz

55

2. Schutzbereich der Berufsfreiheit Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistet dem Einzelnen das Recht, jede Tätigkeit, für die er sich geeignet glaubt, als Beruf zu ergreifen, d. h. zur Grundlage seiner Lebensführung zu machen29. Neben der freien Wahl des Berufs garantiert Art. 12 Abs. 1 GG auch die freie Wahl des Arbeitsplatzes. Aus der Tatsache, daß Art. 12 Abs. 1 GG nicht zwischen dem selbständig und unselbständig ausgeübten Beruf unterscheidet, wird geschlossen, daß auch abhängige Arbeit als Beruf gewählt werden kann30• Aus diesem Grund ist die Arbeit - wie der Beruf - nicht nur in ihrem Wahlaspekt geschützt, wie S. 1 des Art. 12 Abs. 1 GG dies vorsieht, sondern ebenfalls in seinem Ausübungsaspekt, mag auch S. 2 des Art. 12 Abs. l GG nur die Ausübung des Berufs nennen.

a) Die Berufsfreiheit und die Arbeitsuchenden Dem einheitlichen Schutz von Beruf und Arbeit entsprechend konkretisiert das BVerfG in seiner Warteschleifenentscheidung 31 den Schutzbereich des Grundrechts auffreie Wahl des Arbeitsplatzes dahin, daß es den Einzelnen in seinem Entschluß schütze, eine konkrete Beschäftigungsmöglichkeit in dem gewählten Beruf zu ergreifen, beizubehalten oder aufzugeben, wenngleich mit der Wahlfreiheit kein Anspruch auf Bereitstellung eines Arbeitsplatzes eigener Wahl verbunden sei. Während es bei der Berufswahl um die Entscheidung des Einzelnen gehe, auf welchem Feld er sich beruflich betätigen will, betreffe die Arbeitsplatzwahl die Entscheidung, an welcher Stelle er dem gewählten Beruf nachgehen will. Gegenstand des Grundrechts auf freie Wahl des Arbeitsplatzes sei dementsprechend zunächst der Entschluß des Einzelnen, eine konkrete Beschäftigungsmöglichkeit in dem gewählten Beruf zu ergreifen. Nach Auffassung des BVerfG zählt dazu namentlich bei abhängig Beschäftigten außer der Wahl des Vertragspartners insbesondere der Zutritt zum Arbeitsmarkt. Das Grundrecht entfalte seinen Schutz jedoch gegen alle staatlichen Maßnahmen, die diese Wahlfreiheit beschränken. Das sei vor allem dann der Fall, wenn der Staat den Einzelnen arn Erwerb eines zur Verfügung stehenden Arbeitsplatzes hindert32. Diese Schutzbereichsdefinition wird auch im ersten Kleinbetriebsbeschluß wiedergegeben. Der einzelne werde durch die Garantie der freien Arbeitsplatzwahl in seinem Entschluß, eine konkrete Beschäftigungsmöglichkeit in dem gewählten Beruf zu ergreifen oder ein bestehendes Arbeitsverhältnis beizubehalten oder aufzugeben, vor staatlichen Maßnahmen geschützt, die ihn am Erwerb eines zur Verfügung stehenden Arbeitsplatzes hindern 33 • Explizit 29 30

31 32 33

BVerfGE 7, S. 377 (397); E 50, S. 290 (362). BVerfGE 7, S. 377 (398 f.). BVerfGE 84, S. 133. BVerfGE 84, S. 133 (146). BVerfGE 97, S. 169 (175).

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3. Kap.: Reichweite des allgerneinen Kündigungsschutzes

um die Berufsfreiheit der arbeitsuebenden Arbeitslosen geht es in der Entscheidung des BVerfG zur Verfassungskonformität des § lO Abs. 1 S. 1 BUrlG a.F. 34 Dort wird formuliert: "Der Abbau von Arbeitslosigkeit ermöglicht den zuvor Arbeitslosen, das Grundrecht aus Art. 12 I 1 GG zu verwirklichen, sich durch Arbeit in ihrer Persönlichkeit zu entfalten und darüber Achtung und Selbstachtung zu erfahren." Die Wertigkeit dieses Rechts der Arbeitslosen nimmt in der Entscheidung keinen geringen Stellenwert ein. Es wird mit dem Ziel der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ein Eingriff in die ohne ausdrücklichen Schrankenvorbehalt gewährte Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG gerechtfertigt. Die Berufsfreiheit der Arbeitsuchenden ist damit qualitativ keine andere als die derjenigen, die einen Beruf ausüben. Arbeitsuchende sind bestrebt, einen Arbeitsplatz zu besetzen und ihre Berufsfreiheit in der Variante abhängiger Arbeit zu verwirklichen. Ihnen geht es um das Ergreifen eines für geeignet gehaltenen Berufs im Bereich der abhängigen Arbeit. Solange ein gewünschter Arbeitsplatz besetzt ist, ist der Arbeitsuchende daran gehindert, diesen Entschluß umzusetzen. Wird das Freiwerden des Arbeitsplatzes erleichtert und die Arbeitsplatzverteilung flexibilisiert, wird auch das Ergreifen dieser Beschäftigungsmöglichkeit erleichtert. Wird das Freiwerden eines Arbeitsplatzes demgegenüber erschwert, etwa durch eine Verstärkung des Kündigungsschutzes, so wird dementsprechend das Ergreifen dieser Beschäftigungsmöglichkeit durch einen Arbeitsuchenden erschwert35. Das Niveau des Kündigungsschutzes im Kleinbetrieb hat damit Rückwirkungen auf die Umsetzbarkeit des Entschlusses der Arbeitsuchenden, eine Beschäftigungsmöglichkeit zu ergreifen. Solche staatlichen Maßnahmen tangieren damit grundsätzlich den Schutzbereich des Grundrechts der Arbeitsuchenden aus Art. 12 Abs. 1 GG unter dem Wahlaspekt der Arbeitsplatzfreiheit

b) Zum Erfordernis der Konkretheit Art. 12 Abs. 1 GG schützt nach der Formulierung des BVerfG nur dann vor staatlichen Maßnahmen, die das Ergreifen einer Beschäftigungsmöglichkeit beeinträchtigt, wenn diese "konkret" ist. Daran könnte es einem staatlichen Kündigungsschutz fehlen, wenn man sich vor Augen hält, daß nicht ein gewisser in Aussicht genommener Abschluß eines Arbeitsvertrages mit einer bestimmten arbeitsuebenden Person durch eine Verstärkung des Kündigungsschutzes vereitelt wird, denn es kann nicht mit letzter Sicherheit festgestellt werden, daß die Tatsache, daß ein Vertragsschluß mit einem Arbeitsuchenden unterbleibt, gerade auf eine Verstärkung des Kündigungsschutzes zurückgeführt werden muß; der Vertragsschluß kann vielmehr auch aus anderen Gründen unterbleiben. Es ist für die Frage des Vertrags34 BVerfG NZA 2001, S. 777 (insbes. 779) = BVe rfG AP Nr. 75 zu Art. 9 GG rn. Anrn. Thüsing /Zacharias. 35

Vgl. Zöllner, 52. DJT (1978), Gutachen D, S. 114.

A. Art. 12 Abs. 1 GG und allgemeiner Kündigungsschutz

57

schlusses nicht ausschließlich der staatliche Kündigungsschutz relevant, sondern es bedarf zusätzlich der Arbeitgeberentscheidung, die aus vielfältigen Gründen gegen einen Vertragsschluß mit einem Arbeitsplatzbewerber ergehen kann. Verstünde man das Erfordernis der Konkretheit allerdings in diesem Sinne, so wäre eine Beeinträchtigung der Berufsfreiheit der Arbeitsuchenden von vomherein ausgeschlossen. Denn gerade zur Wahrnehmung der Arbeitsplatzwahlfreiheit als Grundrecht, das sein Träger nur im Zusammenwirken mit einem anderen - dem Arbeitgeber (im nicht streng arbeitsrechtlichen Sinn) - ausüben kann, bedarf es wesensnotwendig einer Entscheidung eines dritten Subjekts zwischen Grundrechtsträger und Staat; machte man staatliche Verletzungen gerade dieses Grundrechts von dem Erfordernis der Konkretheit in dem genannten Sinn abhängig, so käme es wegen des notwendigen Dazwischentretens der dritten Person niemals zu einer Verletzung der Arbeitsplatzwahlfreiheit durch staatliche Maßnahmen. Das Erfordernis der Konkretheit muß daher im Sinne einer vom Einzelfall zu abstrahierenden adäquaten Kausalität zwischen staatlicher Maßnahme und Betroffenheit des Arbeitsuchenden als Grundrechtsträger verstanden werden. Es muß lediglich zur sinnvollen Begrenzung der staatlichen Verantwortung der Fall ausgeschlossen werden, in dem der Einzelne erfolgreich gegen eine staatliche Maßnahme durchdringt, obwohl ausgeschlossen ist, daß er auch ohne die Maßnahme die Beschäftigungsmöglichkeit erhalten hätte. Dies wird durch das Erfordernis einer abstrakten Kausalität gewährleistet. Insofern dient das Merkmal der Konkretheit allein der Ermittlung der staatlichen Mitverantwortlichkeit für eine Erschwerung der Beschäftigungsaufnahme. Es geht also um die von einem Einzelfall abstrahierte allgemeine Fragestellung, ob ein Kündigungsschutz für Arbeitnehmer als Schutz vor Verlust ihrer wirtschaftlich-sozialen Existenzgrundlage generell geeignet ist, das Ergreifen vieler einzelner, aber nicht einzeln nachzuweisender Beschäftigungsmöglichkeiten zu erschweren. Dabei ist lediglich nach der abstrakten Vereinbarkeit solchen Bestandsschutzes mit der Verfassung unabhängig vom (nicht nachweisbaren) Einzelfall gefragt. Daß eine solche abstrakte Interdependenz zwischen Kündigungsschutz und dem Ergreifen einer Beschäftigungsmöglichkeit besteht, wird durch die Erkenntnis belegt, daß der Beendigungsschutz die Arbeitsplatzverteilung zugunsten der in Arbeit Stehenden und zum Nachteil der Arbeitsuchenden verfestige 6 • Damit ist dem Erfordernis der Konkretheit der Vereitelung einer Beschäftigungsaufnahme durch staatlichen Kündigungsschutz genüge getan.

3. Eingriff in die Berufsfreiheit Arbeitsuchender

Ein arbeitsrechtlicher Bestandsschutz im Kleinbetrieb könnte ein Eingriff in das Grundrecht der Arbeitsuchenden aus Art. 12 Abs. 1 GG sein. Ein Eingriff ist stets dann gegeben, wenn dem einzelnen ein Verhalten, das vom Schutzbereich eines 36

Zöllner; 52. DJT (1978), Gutachen D, S. 114.

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3. Kap.: Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

Grundrechts umfaßt ist, durch den Staat verwehrt wird37 . Dieser Eingriff könnte in der Erschwerung des zum Schutzbereich des Art. 12 Abs. I GG umfaßten Ergreifens einer Beschäftigungsmöglichkeit liegen, die darin besteht, daß aus dem Verständnis des Kündigungsschutzes als Schutz der Arbeitnehmer vor Verlust ihrer wirtschaftlich-sozialen Existenzgrundlage einen allgemeinen Kündigungsschutz außerhalb des KSchG hergeleitet wird. a) Eingriffsqualität

Nach dem klassischen Begriff des Eingriffs hat dieser wenigstens folgende Voraussetzungen38: Er muß final und nicht bloß unbeabsichtigte Folge eines auf ganz andere Ziele gerichteten Staatshandeins sein. Er muß das betreffende Grundrecht unmittelbar verletzen und eine nicht eine bloß zwar beabsichtigte, aber mittelbare Folge des Staatshandeins darstellen. Er muß durch einen staatlichen Rechtsakt, im Unterschied zu bloß tatsächlichem Staatshandeln, erfolgen sowie mit Zwang und Befehl einseitig-hoheitlich durchgesetzt werden können. Verstärkt die Rechtsprechung den Bestand des Arbeitsverhältnis im Kleinbetrieb, indem sie an die Kündbarkeit erhöhte Anforderungen stellt, dann zielt sie nicht darauf ab, die Rechtsposition Arbeitsuchender zu verschlechtern. Vielmehr kommt in keiner der Entscheidungen beispielsweise des BAG zum Ausdruck, daß durch ihre Judikatur zum Kündigungsschutz Drittinteressen beeinträchtigt werden könnten. Damit fehlt es an der Finalität des Eingriffs. Der Bestandsschutz in Kleinbetrieben erfüllt also nicht die Voraussetzungen des klassischen Eingriffs. Die traditionellen Voraussetzungen des Eingriffs wurden jedoch zugunsten eines erweiterten, modernen Eingriffsbegriffs modifiziert. Eine Grundrechtsverletzung, die einen verfassungsrechtlichen Eingriff darstellt, wird nunmehr bereits bei faktischen Beeinträchtigungen der Grundrechte39 sowie bei ihrer mittelbaren Verletzung40 angenommen. Unter diesem modernen Eingriffsbegriff wird jedes staatliche Handeln verstanden, das dem einzelnen ein Verhalten, das in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, unmöglich macht41 • Dies gilt auch für einen Eingriff in die Berufsfreiheit Demnach kann eine Maßnahme auch dann in den Schutzbereich von Art. 12 Abs. I GG eingreifen, wenn sie nicht darauf abzielt, sondern lediglich in einem engen Zusammenhang mit der Berufsfreiheit steht und daher objektiv eine berufsregelnde Tendenz aufweist42 • Nach der Rechtsprechung des BVerfG Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn 207. Bleckmann, Die Grundrechte, S. 336; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn 238. 39 Gallwas, Faktische Beeinträchtigungen im Rahmen der Grundrechte, S. 87 f.; Alexy, Theorie der Gundrechte, S. 290 ff. 40 Kirchhof, Verwalten durch mittelbares Einwirken, S. 105 ff. 41 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn 240. 42 BVerfGE 13, S. 181 (186 f.).; E 16, S. 147 (162); E 29, S. 327 (333); E 37, S. 1 (17 f.). 37

38

A. Art. 12 Abs. 1 GG und allgemeiner Kündigungsschutz

59

kommt Art. 12 Abs. I GG als Maßstabsnorm nicht nur für solche Vorschriften in Betracht, die sich gerade auf die berufliche Betätigung beziehen und diese unmittelbar zum Gegenstand haben; der besondere Freiheitsraum, den das Grundrecht sichern will, kann auch durch Vorschriften berührt werden, die infolge ihrer tatsächlichen Auswirkungen geeignet sind, die Berufsfreiheit zu beeinträchtigen43 . Werden für die Kündigung im Kleinbetrieb Regeln aufgestellt, die die Kündigungsfreiheit einschränken, so hat dies tatsächliche Auswirkungen auf die Realisierbarkeit der Berufsfreiheit für Arbeitsuchende. Derartige Regeln betreffen die Berufsfreiheit der Arbeitsplatzinhaber unmittelbar, haben jedoch unter Berücksichtigung der arbeitsmarktbezogenen Auswirkungen auch Folgen für Arbeitsuchende. Der für die Eingriffsqualität erforderliche enge Zusammenhang ist damit auch für die Berufsfreiheit Arbeitsuchender zu bejahen. In einer im Kleinbetrieb Bestandsschutz gewährenden Rechtsprechung liegt also ein mittelbarer Eingriff in die Berufsfreiheit Arbeitsuchender.

b) Eingriffsintensität Ausgehend von der Erkenntnis, daß sich Wahl- und Ausübungsaspekt der Berufsfreiheit nicht konsequent trennen lassen, führt das BVerfG im Apothekenurteil aus, daß Art. 12 Abs. 1 GG ein einheitliches Grundrecht der Berufsfreiheit sei44 • Also erstreckt sich auch die Regelungsbefugnis des Art. 12 Abs. I S. 2 GG auf Berufsausübung und Berufswahl gleichermaßen, jedoch in unterschiedlicher Intensität. Sie ist um so freier, je mehr sie reine Ausübungsregelung ist, um so enger, je mehr sie auch die Berufswahl berührt45 . Der Eingriff kann sich damit auf verschiedene Stufen der Berufsfreiheit beziehen. Er kann die Berufsfreiheit mehr in ihrem Ausübungsaspekt oder mehr in ihrem Wahlaspekt betreffen. Ist von dem Eingriff die Wahl betroffen, kann diese entweder an subjektive oder an objektive Zulassungsvoraussetzungen anknüpfen. Objektive Zulassungsschranken verlangen für die Wahl eines Berufs die Erfüllung objektiver, dem Einfluß des Berufswilligen entzogener und von seiner Qualifikation unabhängiger Kriterien46 • Subjektive Zulassungsregelungen knüpfen die Wahl eines Berufs an persönliche Eigenschaften und Fähigkeiten, erworbene Abschlüsse und erbrachte Leistungen47. 43 BVeifGE 46, S. 130 (137 f.); E 22, S. 380 (384); E 41, S. 251 (262); Reuter; FS 25 Jahre BAG, S. 405 (418); Oetker; RdA 1997, S. 9 (21); Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 12 Rn 16; von Münch/ Gubelt, Art. 12 Rn 43. 44 BVerfGE 7, S. 377 (402 f.). 45 BVerfGE 7, S. 377 (403). 46 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn 826; BVerfGE 7, 377 (407). 47 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn 832.

60

3. Kap.: Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

Reine Berufsausübungsregelungen, die auf die Berufswahl nicht zurückwirken, bestimmen lediglich, in welcher Art und Weise die Berufsangehörigen ihre Berufstätigkeit im einzelnen zu gestalten haben48. Sie beziehen sich auf die Bedingungen, unter denen sich die berufliche Tätigkeit vollzieht49 • Hier können wiederum objektive und subjektive Ausübungsregelungen unterschieden werden50. Eine Zuordnung des Eingriffs in die Berufsfreiheit des Arbeitsuchenden zur Kategorie der reinen Berufsausübungsregelungen scheidet aus. Daß die Berufsausübung betroffen ist, setzt voraus, daß der Grundrechtsträger bereits einen Beruf ergriffen hat. Im Falle eines unselbständigen Berufs wie der Ausübung abhängiger Arbeit bedeutet dies, daß der Grundrechtsträger Inhaber eines Arbeitsplatzes ist. Dies trifft auf den Arbeitsuchenden gerade nicht zu. Auch wenn er einen "Beruf' erlernt hat, so übt er ihn doch nicht aus, solange er nicht im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses darin tätig ist. Damit kommt als Eingriffsqualität nur eine Berufswahlregelung in Betracht. Sollte es sich um eine subjektive Zulassungsvoraussetzung handeln, dann müßte der Arbeitsuchende durch in seiner Person liegende Gründe an der Aufnahme einer Beschäftigung gehindert sein. Voraussetzung für das Ergreifen eines Berufs in abhängiger Stellung ist, daß der Stellenbewerber die für den Arbeitsplatz erforderlichen Qualifikationen aufweist. Dabei handelt es sich um subjektive Zulassungsvoraussetzungen. Diese werden jedoch durch die Einführung eines Bestandsschutzes im Kleinbetrieb nicht berührt. Wenn es aber die Einführung arbeitsrechtlichen Bestandsschutzes im Kleinbetrieb ist, die den Berufszugang erschwert, dann ist dies ein außerhalb Person des Arbeitsuchenden liegender Umstand. Selbst wenn er also die nötige berufliche Qualifikation aufweist, ändert dies nichts an der Tatsache, daß der Zugang zum Beruf durch einen als Existenzschutz verstandenen allgemeinen Kündigungsschutz außerhalb des KSchG erschwert wird. Diese Tatsache ist von den persönlichen Fähigkeiten und Eigenschaften des Arbeitsuchenden unabhängig. Dies aber ist Kennzeichen der objektiven Zulassungsvoraussetzungen5 1• Damit hat der Eingriff die Qualität einer objektiven Zulassungsvoraussetzung und betrifft die höchste Stufe des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG.

4. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung der Bevorzugung von Arbeitsplatzinhabern Der Eingriff könnte verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG sieht einen Regelungsvorbehalt vor. Dieser kann durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes ausgeübt werden. In die Berufsfreiheit des Arbeitsuchenden wird 48 49

50 51

BVerfGE 1 , 377 (405 f.). Pierothl Schlink, Grundrechte, Rn 834. BVerfGE 86, 28 (39). Vgl. BVerfGE 1, S. 377 (407).

A. Art. 12 Abs. l GG und allgemeiner Kündigungsschutz

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eingegriffen, weil das BVerfG außerhalb des KSchG einen wirtschaftlich-sozialen Existenzschutz zugunsten des Arbeitnehmers errichtet, indem es kündigungsschutzerhöhende Regeln für die Kündigung im Kleinbetrieb aufstellt und so die Arbeitsplatzverteilung zum Nachteil der Arbeitsuchenden verfestigt. Dieser Eingriff bedarf der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. a) Regelung durch Gesetz ?

Damit stellt sich zunächst die Frage, ob der Regelungsvorbehalt in seiner ersten Variante überhaupt einen Eingriff gerade durch die Rechtsprechung, die einen als Existenzschutz des Arbeitnehmers verstandenen Kündigungsschutz außerhalb des KSchG gewährt, rechtfertigen kann. Die Kriterien, an denen die Kündigung im Kleinbetrieb dem BVerfG zufolge zu messen sind52, sind abstrakt-generell formuliert. Gleichwohl stellen sie trotzihrer abstrakt-generellen Wirkungsweise kein formelles Gesetz im Sinne des Vorbehalts des Art. 12 Abs. 1 GG dar. Damit ist die verfassungsrechtliche Kompetenz der Rechtsprechung zur Einschränkung der Berufsfreiheit zweifelhaft. Das BVerfG selbst hat mehrfach Bedenken darüber geäußert, ob "grundrechtseinschränkende Rechtsnormen, die der Richter lediglich unter Berufung auf Sinn, Zweck und Grundgedanken einzelner Grundrechtsbestimmungen gewinnt, (... ) dem Gesetzesvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG genügen" 53 . Die Grenzen der Kompetenz der Rechtsprechung ergeben sich aus dem Gewaltenteilungsgrundsatz, der seinerseits aus Rechtsstaats- und Demokratieprinzip folgt54 • Demzufolge ist die Rechtsprechung lediglich auf gesetzeskonkretisierendes Richterrecht beschränkt, nicht aber befugt, selbst gesetzeskonkurrierendes oder gesetzeskorrigierendes Recht zu setzen5 5 • Die Frage, ob die Rechtsprechung die Kompetenz hat, einen Bestandsschutz im Kleinbetrieb zu gewähren, hängt mithin von der Abgrenzung der Kompetenzen von Legislative und Judikative im Rechtsstaat ab. Eine Grenze ergibt sich deshalb aus der Wesentlichkeitslehre. Danach muß der Gesetzgeber "in grundlegenden normativen Bereichen, zumal im Bereich der Grundrechtsausübung, soweit diese staatlicher Regelung zugänglich ist, alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffen"56. Wesentlich für die Grundrechtsausübung ist eine Entscheidung dann, wenn sie Maßnahmen betrifft, ohne die der Grundrechtsgebrauch unmöglich ist oder beträchtlich erschwert wird, oder von denen eine erhebliche Gefahr für die grundrechtlich gesicherte Freiheit ausgeht57 . Eine Pflicht des BVerfGE 97, S. 169 (177). BVerfGE 34, S. 293 (301), E 16, S. 214 (219). 54 Scholz, BB 1980, Beilage 5, S. 11 . 55 Scholz, BB 1980, Beilage 5, S. 11. 56 BVerfGE 49, S. 89 (126); E 61, S. 260 (275); E 88, S. 103 (116); Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 246; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn 264. 57 BVerfGE 80, S. 124 (132). 52 53

62

3. Kap.: Reichweite des allgerneinen Kündigungsschutzes

Gesetzgebers, die Leitlinien selbst zu bestimmen, besteht, wenn miteinander konkurrierende grundrechtliche Freiheitsrechte aufeinandertreffen und deren jeweilige Grenzen fließend und nur schwer auszumachen sind58 . Wird den Arbeitnehmern im Kleinbetrieb Kündigungsschutz als Existenzschutz durch die Rechtsprechung gewährt, dann treffen die Grundrechte der Arbeitsplatzinhaber mit denen der Arbeitgeber, aber auch der Arbeitsuchenden aufeinander. Für die Arbeitsuchenden wird die Ausübung ihrer Berufsfreiheit erschwert. Dadurch, daß diese Beeinträchtigung sich als eine objektive Berufswahlregelung darstellt, ist die Erschwerung der Grundrechtsausübung für die Position der Arbeitsuchenden von höchstmöglicher Intensität. Die Frage des Kündigungsschutzes im Kleinbetrieb ist also jedenfalls für den Arbeitsuchenden in höchstem Maße grundrechtsrelevant und damit wesentlich im Sinne des Rechtsstaats- und Demokratieprinzips. Den Ausgleich zwischen den grundrechtlich geschützten Interessen der drei in diesem Bereich betroffenen Parteien kann nur der parlamentarische Gesetzgeber treffen, während die Kompetenz der Rechtsprechung auf die konkret-individuelle Streitentscheidung beschränkt ist. Ihr ist es verwehrt, über den zu entscheidenden Fall hinausgehende Rechtsnormen aufzustellen. Für die Setzung abstraktgenereller Normen verfügt allein der Gesetzgeber über die dazu erforderliche demokratische Legitimation. Wie ein Blick auf die Gesetzgebungsmaterialien zur Kleinbetriebsklausel zeigt59, ist sich der Gesetzgeber dieser Aufgabe in vollem Umfang bewußt gewesen und hat dementsprechend den arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz unter Ausgleich dieser drei Positionen geregelt. Dies zeigt einmal mehr, daß der notwendige Ausgleich zwischen den verschiedenen grundrechtliehen Positionen bereits wahrgenommen wurde, und zwar von der insoweit kompetenziell zuständigen Legislative, an deren Konkretisierung die Rechtsprechung nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung gebunden ist. Doch selbst dann, wenn dies noch nicht der Fall gewesen sein sollte, bliebe es bei der Kompetenz des Parlaments. Dem BVerfG wäre allein die Möglichkeit verblieben, die Norm des § 23 Abs. l S. 2 KSchG nach Art. 100 Abs. I GG, §§ 13 Nr. ll, 80 ff. BVerfGG für verfassungswidrig zu erklären, wenn es der Auffassung gewesen sein sollte, die Norm könne nicht ohne den von ihm, dem BVerfG, hinzugesetzten Existenzschutz im Kleinbetrieb aufrechterhalten werden. Keinesfalls aber besitzt ein Gericht auch nicht das BVerfG, wie der Umkehrschluß aus seiner Verwerfungskompetenz nach Art. 100 Abs. 1 GG belegt - die Kompetenz zu quasi-gesetzlicher Rechtsgestaltung in einem für Grundrechtsträger wesentlichen und daher dem Parlament vorbehaltenen Bereich. Demnach kann sich die Rechtsprechung, die einen Existenzschutz für Arbeitnehmer im Kleinbetrieb gewährt, nach der Kompetenzordnung nicht auf den Regelungsvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG in seiner ersten Variante stützen. 58 59

BVeifGE 83, S. 130 (142). V gl. nur Begründung des RegE, BT-Drucks. 13/4612, S. 8.

A. Art. 12 Abs. 1 GG und allgerneiner Kündigungsschutz

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b) Regelung aufgrundeines Gesetzes? Die Regeln über die Kündigung im Kleinbetrieb sind aus einer Interpretation des Art. 12 Abs. 1 GG sowie der§§ 138,242 BGB gewonnen60 und könnten daher im Sinne des Art. 12 Abs. 1 GG eine Regelung "aufgrund eines Gesetzes" darstellen. Dieser ausdrückliche Gesetzesvorbehalt kann jedoch prinzipiell nicht durch richterliche Normsetzung ausgefüllt werden61 • Das BVerfG räumt zwar ein, das Fehlen einer ausdruckliehen und bestimmten normativen Regelung bedeute noch nicht, daß eine die Berufsausübung einschränkende Gerichtsentscheidung den Anforderungen des Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG widersprechen müßte; auch aus einer Gesamtregelung könne sich "unter Beriicksichtigung ihrer Auslegung in Rechtsprechung und Schrifttum eine hirneichend erkennbare und bestimmte, den Anforderungen des Gesetzesvorbehalts genügende Regelung der Berufsausübung ergeben"62. Ob die Gewährung von Existenzschutz für Arbeitnehmer im Kleinbetrieb in Gestalt der vom BVerfG aufgestellten Voraussetzungen63 einer so beschaffenen Gesamtregelung entspricht, kann offenbleiben. Denn jedenfalls gilt auch insoweit für die Interpretation des Rechts durch die Rechtsprechung die Wesentlichkeitstheorie als kompetentielle Grenze richterlicher Rechtsfortbildung. Wenn die Frage des Kündigungsschutzes im Kleinbetrieb aber, wie dargelegt, in diesem Sinne wesentlich ist, dann kann auch die Annahme, die Rechtsprechung greife aufgrundeines Gesetzes, nämlich der§§ 138, 242 BGB, in die Berufsfreiheit der Arbeitsuchenden ein, nicht zur Rechtfertigung dieses Eingriffs führen. Dieses Ergebnis wird von einer weiteren Überlegung gestützt. Die Wesentlichkeitstheorie beantwortet nicht nur die kompetentielle Frage, ob überhaupt ein bestimmter Gegenstand gesetzlich geregelt sein muß. Sie ist vielmehr auch dafür maßgeblich, wie weit diese Regelungen inhaltlich im .einzelnen bestimmt sein müssen64• Eine Eingriffsermächtigung muß demnach um so bestimmter sein, je intensiver der Eingriff ist. Aus der Erkenntnis, daß die Rechtsprechung zum Existenzschutz im Kleinbetrieb einen Eingriff in die Berufsfreiheit Arbeitsuchender auf der Stufe der objektiven Zulassungsvoraussetzungen darstellt, folgt, daß dieser Eingriff für die Berufsfreiheit von höchstmöglicher Intensität ist. Daher müßte auch eine Eingriffsermächtigung grundsätzlich ein hohes Maß an Bestimmtheit verwirklichen und vom Gesetzgeber weitgehend konkret ausgestaltet sein. Wie 60

So BVerfGE 97, S. 169 (175 ff.).

Scholz, ZfA 1981, S. 265 (268); ders., BB 1980, Beilage 5, S. 11; ders., FS 25 Jahre BAG, S. 511 (519). 62 BVerfGE 54, S. 224 (234 f.) unter Hinweis auf E 37, S. 67 (77). 63 BVeljGE 97, S. 169 (177). 64 BVerfGE 83, S. 130 (152); E 34, S. 165 (192); E 49, S. 89 (127, 129); E 57, S. 295 (327). 61

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3. Kap.: Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

auch immer man die so erforderliche Bestimmtheit fassen mag, sicher ist, daß die §§ 138, 242 BGB, auf die der Kündigungsschutz im Kleinbetrieb gestützt wird, als in höchstem Maße unbestimmte Generalklauseln dieser Anforderung keineswegs gerecht werden. Daran vermag auch die Tatsache nichts zu ändern, daß deren Interpretation auf die Auslegung von Art. 12 Abs. 1 GG gestützt wird. Denn dieser Norm fehlt ebenfalls die nötige Bestimmtheit, um überhaupt konkrete Folgerungen für den arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz daraus herleiten zu können, ganz abgesehen von der soeben beschriebenen insoweit mangelnden Kompetenz des BVerfG zur Konkretisierung des Art. 12 Abs. 1 GG. Selbst das BVerfG bezweifelt lediglich, ob sich aus einer "Gesamtregelung" eine "hinreichend erkennbare und bestimmte, den Anforderungen des Gesetzesvorbehalts genügende Regelung der Berufsausübung " 65 ergeben kann, soweit die Berufsausübung, die unterste Stufe der Berufsfreiheit, in Frage steht. Diese Zweifel müssen also a minore ad maius ausgeräumt sein, wenn es um die objektiven Voraussetzungen der Berufswahl geht; denn diese verlangt, da sie den am stärksten einschneidenden Eingriff und somit ein Mehr gegenüber der Berufsausübung darstellt, die höchsten Anforderungen an die Eingriffsrechtfertigung66. Diesen werden die §§ 138, 242 BGB gerade nicht gerecht. Daß der Gesetzgeber dennoch davon abgesehen hat, für den Bereich außerhalb des KSchG die Kündigungsfreiheit im Sinne der Maßstäbe des BVerfG einzuschränken, kann also unter dem Gesichtspunkt der Wesentlichkeilstheorie nur bedeuten, daß hier kein allgemeiner Kündigungsschutz nach dem Vorbild eines Existenzschutzes der Arbeitnehmer zu gewähren ist, u. a. deshalb, um nicht die Entlassungsbarrieren zu erhöhen und damit die Berufszugangschancen Arbeitsuchender zu senken, wovor sie Art. 12 Abs. 1 GG schützt. Festzuhalten bleibt, daß die Gewährung von Existenzschutz für Arbeitnehmer im Kleinbetrieb durch die Rechtsprechung gegen die rechtsstaatliche Kompetenzordnung verstößt und inhaltlichen Anforderungen der Wesentlichkeilstheorie nicht genügt. Gelegentlich wird angenommen, für "verfassungsrechtliche Innovationen bzw. verfassungspolitisch konsitutive Entscheidungen" solcher Art fehle zwar den Arbeitsgerichten, nicht aber dem BVerfG die verfassungsrechtlich legitimierte Kompetenz67. Indes wird weder begründet noch ist zu erkennen, warum dem BVerfG bei der Reichweite der Wesentlichkeilstheorie ein größerer Interpretationsspielraum zukommen sollte. Auch das BVerfG gehört in der Funktionentrennung der Judikative an, mag es auch innerhalb der Judikative und wegen seiner Letztentscheidungskompetenz in der gesamten Staatsorganisation eine Sonderstellung einnehmen. Ihm sind jedoch durch die aus Rechtsstaats- und Demokratieprinzip abgeleitete Wesentlichkeitstheorie dieselben Grenzen gezogen wie den übrigen Organen der rechtsprechenden Gewalt. In diesem Zusammenhang kann nochmals auf die staatsorganisatorische Entscheidung des Verfassunggebers verwiesen werden, der dem BVerfG

66

BVerfGE 54, S. 224 (234 f.)- Hervorhebung v. Verf. Vgl. BVerfGE 7, S. 377 (407 f.).

67

Scholz, FS 25 Jahre BAG, S. 511 (519).

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A. Art. 12 Abs. 1 GG und allgemeiner Kündigungsschutz

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nach Art. 100 Abs. 1 GG zwar die Verwerfungs-, aber keine dieser korrespondierende Gestaltungskompetenz zugewiesen hat. Damit muß es dabei bleiben, daß die Kompetenz zur Regelung der Kündigung im Kleinbetrieb bei dem Gesetzgeber liegt, der Rechtsprechung daher jedenfalls insoweit die Kompetenz fehlt.

c) Stufenlehre Unter der Hypothese, daß ein Kompetenzverstoß nicht vorläge, wäre weiter zu fragen, ob der Eingriff in die Berufsfreiheit Arbeitsuchender materiell gerechtfertigt wäre. Dabei gelten für die Rechtsprechung dieselben Grenzen, die im Falle eines Eingriffs durch den Gesetzgeber diesem gegolten hätten, denn der Richter ist, wenn er zu einer Einschränkung der Berufsfreiheit kommt, an dieselben Maßstäbe gebunden, die nach Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG auch den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers einschränken; auch der Richter ist, wenn er Gesetzesbestimmungen auslegt, gehalten zu prüfen und darzulegen, ob, inwieweit und aus welchen Gründen seine Entscheidung in die Berufsfreiheit eingreift, ferner, daß dieser Eingriff den im Gesetz zum Ausdruck gekommenen Absichten des Gesetzgebers entspricht68 . Damit ist die staatliche Maßnahme auch an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden, der bei dem Grundrecht der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG eine besondere Ausprägung nach Maßgabe der Stufentheorie erfahren hat. Nach der Stufentheorie hängt der Umfang der Regelungsbefugnis von der jeweiligen Stufe der Berufsfreiheit ab, die von dem Eingriff betroffen ist69 • Mit Zunahme der Eingriffsintensität geht eine Abnahme der Gestaltungsfreiheit einher70• Demnach sind an den Zweck der Regelung besondere Anforderungen zu stellen, die von der Eingriffsintenistät abhängen. Diesen Zweck zu erreichen muß die Regelung geeignet und notwendig sein; ferner darf sie zu dem angestrebten Zweck nicht außer Verhältnis stehen. Am freiesten ist der Gesetzgeber, wenn er eine reine Ausübungsregelung trifft, die auf die Freiheit der Berufswahl nicht zurückwirkt. Hier können in weitem Maße Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit zur Geltung kommen; nach ihnen ist zu bemessen, welche Einschränkungen die Grundrechtsträger hinnehmen müssen, um Nachteile und Gefahren für die Allgemeinheit abzuwehren. Macht die Regelung dagegen schon die Aufnahme der Berufstätigkeit von der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen abhängig und berührt sie damit die Freiheit der Berufswahl, ist sie nur dann gerechtfertigt, soweit dadurch ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut, das der Freiheit des Einzelnen vorgeht, geschützt werden soll. Unter den die Berufswahl betreffenden Regelungen ist der legitime 68 69 70

BVerfGE 54, S. 224 (235). BVerfGE 7, S. 377 (405 - 408).

Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn 846; von Münch/ Gubelt, Art. 12 Rn 45.

5 Stelljes

3. Kap.: Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

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Zweck danach unterschiedlich, ob es sich um subjektive oder objektive Bedingungen der Zulassung handelt. Für die Regelung subjektiver Voraussetzungen gilt das Prinzip der Verhältnismäßigkeit in dem Sinne, daß die vorgeschriebenen Voraussetzungen zu dem angestrebten Zweck der ordnungsgemäßen Erfüllung der Berufstätigkeit nicht außer Verhältnis stehen dürfen. An die Regelung objektiver Zulassungsbedingungen, die die Freiheit des einzelnen in besonders empfindlicher Weise treffen, sind die höchsten Anforderungen zu stellen. Im allgemeinen wird nur die Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlicher schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut diesen Eingriff in die freie Berufswahl legitimieren; der Konkurrenzschutz der bereits im Beruf Tätigen ist ein Motiv, das einen Eingriff in das Recht der freien Berufswahl niemals rechtfertigen kann71 . aa) Anwendbarkeit der Stufenlehre bei Außenseiterproblem? Vereinzelt wird der Rückgriff auf die Dogmatik der Stufenlehre abgelehnt, wenn es die Frage zu klären gilt, mit welcher Intensität durch Ausgestaltung des arbeitsrechtlichen Bestandsschutzes in die berufsfreiheitsrechtliehen Gewährleistungen der Arbeitsuchenden eingegriffen werden darf. Dafür werden zwei Einwände geltend gemacht: Zum einen liege eine nicht voll kompatible Wettbewerbsbeziehung vor72• Außerdem würdige der Rückgriff auf die Stufenlehre nicht hinreichend, daß es bei dieser Frage um einen Ausgleich konkurrierender Grundrechtspositionen gehe, weswegen die Arbeitsplatzwahlfreiheit der Arbeitsplatzinhaber und diejenige der Arbeitsuchenden einem System kommunizierender Röhren glichen; dabei sei es grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn im Rahmen der betriebsbedingten Kündigung ein Vorrang der Arbeitsplatzbesitzer aufgestellt werde; ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Arbeitsplatzwahlfreiheit der Arbeitsuchenden liege erst vor, wenn die Arbeitsplatzchancen der Arbeitsuchenden unangemessen beeinträchtigt würden73 . Diese Argumentation ist Bedenken ausgesetzt. Unabhängig davon, was unter einer "nicht voll kompatiblen Wettbewerbsbeziehung" zu verstehen ist, welche Folgen sie hat und ob tatsächlich eine solche vorliegt, ist bereits zweifelhaft, ob eine "voll kompatible Wettbewerbsbeziehung" für die Anwendbarkeit der Stufentheorie überhaupt vorliegen muß. Oetkers gegen die Anwendbarkeit der Stufentheorie vorgebrachter Einwand, es liege eine nicht voll kompatible Wettbewerbsbeziehung vor, impliziert die Aussage, jede Anwendung der Stufenlehre setze das Vorliegen BVerJGE 1, S. 377 (408). n Oetker; RdA 1997, S. 9 (21) unter Hinweis auf Scho[z, ZfA 1981, S. 265 (281); zum Begriff der nicht voll kompatiblen Wettbewerbsbeziehung siehe oben Kap. 3 A I 3. 73 Oetker; RdA 1997, S. 9 (21) unter Hinweis auf Papier, DVBI. 1984, S. 801 (813). 71

A. Art. 12 Abs. 1 GG und allgemeiner Kündigungsschutz

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einer voll kompatiblen Wettbewerbsbeziehung voraus. Dies trifft indes nicht zu. Zunächst ist aus der Rechtsprechung des BVerfG als einer der Urheber der Stufenlehre kein Fall ersichtlich, in dem eine "voll kompatible Wettbewerbsbeziehung" auch nur der Sache nach Anwendbarkeilsvoraussetzung für die Stufenlehre im Dreipersonenverhältnis gewesen wäre. Doch vor allem kann gegen die Forderung nach einer voll kompatiblen Wettbewerbsbeziehung als Voraussetzung für die Anwendbarkeit der Stufenlehre vorgebracht werden, daß sie, obwohl dogmatisch nicht einmal näher begründet, das Außenseiterproblem von vornherein einer Beurteilung am Maßstab der Berufsfreiheit entzieht, ohne dafür einen Grund anzugeben. Eine Überprüfung des allgmeinen Kündigungsschutzes am Maßstab der Berufsfreiheit der Arbeitsuchenden kann nicht bereits mit der Behauptung negiert werden, daß die Wettbewerbsposition der Outsider eine andere sei als die der Insider, wenn die Hypothese gerade darin besteht, daß der allgemeine Kündigungsschutz die Wettbewerbsposition der Insider verbessere und gleichzeitig die der Outsider verschlechtere. Die Wettbewerbspositionen von Arbeitsplatzinhabern und Arbeitsuchenden sind wesensgemäß unterschiedlich; nur kann dieser Unterschied nicht als Argument gegen eine Überprüfung des Kündigungsschutzes nach Art. 12 GG dienen, wenn gerade dieser es sein soll, der -jedenfalls nach der Hypothese diesen Unterschied bewirkt. Anders gewendet bedeutete es demgegenüber einen Zirkelschluß, wollte man behaupten, daß die Hypothese, Kündigungsschutz verbessere die Wettbewerbsposition der Arbeitsplatzinhaber auf Kosten der Arbeitsuchenden, eben deshalb nicht nach Art. 12 GG überprüfbar sei, weil die Wettbewerbspositionen beider Gruppen unterschiedlich seien. Der allgemeine Kündigungsschutz kann arn Maßstab des Art. 12 GG gemessen werden und es steht mithin der Anwendbarkeit der Stufenlehre nicht entgegen, wenn die Wettbewerbspositionen der Arbeitsplatzinhaber und der Arbeitsuchenden unterschiedlich bzw. "nicht voll kompatibel" sind, wenn gerade der allgemeine Kündigungsschutz im Verdacht steht, Grund für den Unterschied bzw. die nicht nicht volle Kompatibilität zu sem. Auch das Vorliegen "konkurrierender Grundrechtspositionen" schließt die Anwendbarkeit der Stufenlehre nicht aus. Zunächst ist dazu anzumerken, daß der Terminus der "kollidierenden" Grundrechtspositionen die fragliche Situation treffender wiedergibt, denn während es sich bei der Grundrechtskonkurrenz um den Fall handelt, daß ein bestimmtes Handeln ein- und desselben Grundrechtsträgers unter den Tatbestand mehrerer Grundrechte fällt, stoßen bei Grundrechtskollisionen die Grundrechte verschiedener Grundrechtsträger aufeinander74• Allein letzteres ist in der Konstellation des Außenseiterproblems der Fall. Doch auch eine solche Grundrechtskollision hindert nicht die Anwendbarkeit der Stufenlehre. Die numerusclausus-Entscheidung des BVerfG75 indiziert vielmehr, daß die Stufenlehre auch dann zur Anwendung gelangt, wenn die Rechte mehrerer Grundrechtsträger aus 74 75

5*

Bleckmann, Die Grundrechte, S. 391. BVerfGE 33, S. 303 (337 f.).

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3. Kap.: Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

Art. 12 GG miteinander im Wettbewerb um die begehrte Begünstigung stehen. Die Grundrechtskollision ist eine für verfassungsrechtliche Fallgestaltungen typische Erscheinung, die unter dem Aspekt der Anwendung der Grundrechte und ihrer Dogmatik keine Sonderstellung einnimmt und damit auch nicht zur Ausnahme von der Stufenlehre Anlaß gibt. Weitere Beispiele aus der Praxis bieten Entscheidungen zu Subventions-76 und Konkurrentenklagen. Daß also kollidierende Grundrechtspositionen vorliegen, mag zugestanden werden, nicht aber die darauf gegründete These, daß deshalb die Stufenlehre unanwendbar sei. Auch daß, wie Oetker77 schreibt, ein "unangemessener Eingriff' nur dann angenommen werden könne, wenn die Arbeitsplatzchancen der Arbeitsuchenden "unangemessen beeinträchtigt" würden, kommt einer Tautologie nahe, zumal ,,Eingriff' und "Beeinträchtigung" als Synonyme gelten78, und besitzt demnach keinen Erkenntniswert Schließlich aber gilt auch hier das eben Gesagte, nämlich daß die Überprüfung des Kündigungsschutzesam Maßstab des Art. 12 GG nicht mit der Behauptung abgelehnt werden kann, es lägen "konkurrierende (besser: kollidierende) Grundrechtspositionen" vor, wenn der Hypothese nach gerade der Kündigungsschutz es ist, der zu dieser Kollision führt. Der Anwendung der Stufenlehre steht also nichts im Wege. Demnach kann und muß ein als Existenzschutz für die Arbeitnehmer aufgefaßter Kündigungsschutz im Kleinbetrieb darauf überprüft werden, ob die mit ihnen verfolgten Zwecke den Anforderungen der Stufenlehre genügen. Wenn solcher Kündigungsschutz einen Eingriff in die Berufsfreiheit der Arbeitsuchenden auf der Stufe der objektiven Zulassungsvoraussetzungen darstellt79, dann müssen die damit verfolgten Zwecksetzungen nach Maßgabe der Stufenlehre zur Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlicher schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut geeignet und erforderlich sein und dürfen diesen Zweck nicht nur unter unverhältnismäßigen Umständen erreichen 80. bb) Zweck des Kündigungsschutzes im Kleinbetrieb Zunächst ist deshalb festzustellen, worin der Zweck bestehen soll. Im besonderen Zusammenhang mit der Kündigung im Kleinbetrieb führt lediglich das BVerfG aus, worin der Zweck des ,,Mindestschutzes des Arbeitsplatzes" 81 liege. Danach stelle sich die Kleinbetriebsklausel dar als Ergebnis einer praktischen Konkordanz 76 Mit diesen Bereichen vergleicht in der Tat Rütten, Institutionelle Arbeitslosigkeit, S. 259 ff., die Außenseiterproblematik. 77 Oetker, RdA 1997, S. 9 (21). 78 Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn 208. 79 Vgl. o. Kap. 3 II 2 d. 80 Vgl. von Münch/ Gubelt, Art. 12 Rn 41. 8t BVerfGE 97, S. 169 (178).

A. Art. 12 Abs. 1 GG und allgemeiner Kündigungsschutz

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der kolliderenden Grundrechtspositionen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Für die Annahme eines Kündigungsschutzes im Kleinbetrieb wird angeftihrt, der Arbeitnehmer könne berufliche Tätigkeit ausschließlich durch den Abschluß und den Fortbestand von Arbeitsverträgen realisieren. Der Arbeitsplatz sei die wirtschaftliehe Existenzgrundlage für ihn und seine Familie. Lebenszuschnitt und Wohnumfeld würden davon bestimmt, ebenso gesellschaftliche Stellung und SelbstwertgefühL Mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses werde dieses ökonomische und soziale Beziehungsgeflecht in Frage gestellt. Die Aussichten, eine ähnliche Position ohne Einbuße an Lebensstandard und Verlust von Nachbarschaftsbeziehungen zu finden, hingen vom Arbeitsmarkt ab. In Zeiten struktureller Arbeitslosigkeit seien sie vor allem für den älteren Arbeitnehmer schlecht. Gelinge es ihm nicht, alsbald einen neuen Arbeitsplatz zu finden, gerate er häufig in eine Krise, in der ihm durch die Leistungen der Arbeitslosenversicherung nur teilweise und auch nur für einen begrenzten Zeitraum geholfen werde 82 • Diese Ausführungen, die zur Begründung des Kündigungsschutzes außerhalb des KSchG getroffen werden, lassen sich auf das Verständnis des allgemeinen Kündigungsschutzes nach der Bestandsschutztheorie zurückführen8 3 . Sinn und Zweck des allgemeinen Kündigungsschutzes ist es danach, den einzelnen Arbeitnehmer vor dem Verlust seines Arbeitsplatzes als Grundlage seiner wirtschaftlichen und sozialen Existenz zu schützen. cc) Legitimität des Zwecks Sodann muß gefragt werden, ob dieser Zweck im Sinne der Stufentheorie die Einschränkung der Berufsfreiheit des Arbeitsuchenden legitimieren kann. Da die Gewährung eines Mindestkündigungsschutzes im Kleinbetrieb durch die Rechtsprechung einen Eingriff in die Berufsfreiheit des Arbeitsuchenden auf der Stufe der objektiven Zulassungsvoraussetzung darstellt, kann dieser nur dann gerechtfertigt sein, wenn er der Abwehr nachweisbarer oder höchstwahrscheinlicher schwerer Gefahren für ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut dient84• Dabei ist fraglich, ob es sich bei der Verhinderung der Beeinträchtigung der wirtschaftlichen und sozialen Existenz des Arbeitsplatzinhabers durch Kündigungsschutz um ein Gemeinschaftsgut handelt. Der Schutzzweck, wie ihn das BVerfG umschreibt85 , ist vielmehr auf die individuellen Interessen eines zu kündigenden Arbeitnehmers ausgerichtet. Aufgezählt werden die Folgen, die eine Kündigung für den einzelnen von einer Kündigung betroffenen Arbeitnehmer mit sich bringen kann. Damit steht der Schutz vor individueller Arbeitslosigkeit im Vorder-

84

BVerfGE 97, S. 169 (176 f.). Vgl. o. Kap. 2 BI. BVerfGE 7, S. 377 (408).

85

BVerfGE 97, S. 169 (177).

82 83

70

3. Kap.: Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

grund86• Der so umschriebene Schutzzweck könnte daher der Eigenschaft, ein gemeinschaftlicher im Sinne der Stufenlehre zu sein, entbehren. Dies wäre jedoch unter zwei Bedingungen nicht der Fall. Erstens wäre zu fragen, ob der Schutzzweck nach Auffassung des BVerfG nicht dahin verstanden werden kann, daß er letztlich auf die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit an sich ausgerichtet ist. Als ein Gemeinschaftsgut, das sogar objektive Zulassungsvoraussetzungen legitimieren kann, ist die Vermeidung von Arbeitslosigkeit anerkannt87. Im Gegensatz zum Schutz der wirtschaftlichen und sozialen Existenzgrundlage als Zwecksetzung des BVerfG handelt es sich dabei um ein Gemeinschaftsgut, an dessen Erhaltung nicht nur der arbeitende oder zur Arbeit fähige Teil der Bevölkerung interessiert ist; wegen der volkswirtschaftlichen Auswirkungen eines hohen Beschäftigungsstandes auf das Sozialprodukt und damit die Gesamtwohlfahrt im Gemeinwesen ist der Gesamtheit aller Bürger an der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit gelegen. Doch ist fraglich, ob sich die Umschreibung der Bedeutung des Kündigungsschutzes durch das BVerfG in diesem Sinne auslegen läßt. Das Bemühen um Bekämpfung dieser allgemeinen Arbeitslosigkeit impliziert den Schutz aller von Arbeitslosigkeit Betroffenen oder Bedrohten. Zu diesen gehören auch die Arbeitsuchenden. Deren Interessen werden vom BVerfG aber gerade nicht in den Schutzzweck einbezogen, da es allein das Interesse "des Arbeitnehmers" und das "des Arbeitgebers" erörtert88. Es verhält sich also gerade umgekehrt: Der Kündigungsschutz, der nach dem BVerfG im Schutz vor Arbeitslosigkeit des Arbeitnehmers besteht, bewirkt gerade die aus Sicht der Arbeitsuchenden nachteilige Verfestigung der bestehenden Arbeitsverhältnisse und verringert bei angenommener konstanter Zahl von Arbeitsplätzen zwingend ihre Chancen auf Zugang zu einem solchen Arbeitsverhältnis. Dem BVerfG kann es also gerade nicht um die Bekämpfung der allgemeinen Arbeitslosigkeit gehen, wenn es den Zweck des Kündigungsschutzes im Schutz der Arbeitnehmer vor Verlust ihrer wirtschaftlich-sozialen Existenzgrundlage sieht89. Damit scheitert insoweit die Annahme eines Gemeinschaftsgutes als Zweck einer Eingriffsrechtfertigung i. S. d. Stufenlehre. Zum anderen könnte man möglicherweise den Schutzzweck so verstehen, daß die durch Kündigungen generell betroffenen Existenzbeeinträchtigungen der zu Kündigenden in ihrer Gesamtheit gemeint wären, eben in dem Sinne, daß als die "Gemeinschaft", deren Gut es zu schützen gilt, die Gemeinschaft aller jeweils von 86 So schon für den Kündigungsschutz nach dem KSchG: Reuter, FS 25 Jahre BAG, S. 405 (420). 87 BVerfGE 21, S. 245 (249 ff.); Maunz/Dürig/Herzog/ Scholz, GG, Art. 12 Rn 350. 88 BVerfGE 97, S. 169 (176 f.). 89 Abgesehen sei aus diesem Grunde von der Frage nach Eignung, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit i.e.S. eines Kündigungsschutzes im Kleinbetrieb zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit. Dafür kann jedoch kaum etwas anderes gelten als für den Kündigungsschutz nach dem KSchG. Vgl. deshalb Reuter, FS 25 Jahre BAG, S. 405 (419 und 421); Hersehe/, RdA 1975, S. 28 (30); Zöllner, 52. DJT (1978), Gutachen D, S. 32 und 113 f.; sowie die Diskussion um das Arbeitsrechtliche Beschäftigungförderungsgesetz 1996, oben Kap. 2 A.

A. Art. 12 Abs. 1 GG und allgemeiner Kündigungsschutz

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einer Kündigung im Kleinbetrieb bedrohten Arbeitnehmer zu verstehen wäre. In diesem Sinne aber handelte es sich um ein bloß partikulares Gemeinschaftsinteresse. Eine solche Verengung des Begriffs der Gemeinschaftsbezogenheit auf die jeweils von einer Regelung Betroffenen kann jedoch nicht zur Rechtfertigung eines Eingriffs in Art. 12 Abs. 1 GG herangezogen werden. Da sich nämlich jede beliebige Berufsregelung stets zugunsten irgendeines Kreises von Begünstigten auswirkt, könnte durch eine entsprechend verengte Definition des Gemeinschaftsgutes jeder beliebige Zweck in den Rang eines Gemeinschaftsgutes erhoben werden. Dieses Vorgehen würde zu einer Aushöhlung der Stufentheorie führen und den Schutz der Berufsfreiheit auf ihrer höchsten Stufe letztlich leerlaufen lassen. Die Abstufung der Eingriffsanforderungen nach der Intensität des Eingriffs würde damit nivelliert. Die Belange, die das BVerfG für den Kündigungsschutz im Kleinbetrieb anführt90, lassen sich also nicht als Gemeinschaftsgut im Sinne der Stufenlehre verstehen.

dd) Erfordernis eines arbeitnehmerspezifischen Regelungszwecks Selbst unter Annahme des Gegenteils wäre zweifelhaft, ob jene Belange zur Rechtfertigung des Eingriffs in die Berufsfreiheit der Arbeitsuchenden herangezogen werden könnten. Außer der Tatsache, daß die Maßnahme des Mindestkündigungsschutzes im Kleinbetrieb wie jeder Eingriff in ein Grundrecht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen müßte91 , ist an ihn eine weitere Anforderung zu stellen, aus der sich in sachlicher Hinsicht die größten Bedenken gegen die Argumentation des BVerfG ergeben. Wenn durch einen Eingriff in die Berufsfreiheit einer Gruppe, etwa der Arbeitsuchenden, eine andere Gruppe, die Arbeitsplatzinhaber, begünstigt werden soll, dann kann dieser Eingriff nicht mit Argumenten gerechtfertigt werden, die auf beide Gruppen gleichermaßen zutreffen und nach denen beide Gruppen zu dem Kreis derer gehören, die durch den Eingriff begünstigt werden müßten. Es können mit anderen Worten zur Rechtfertigung eines Eingriffs nur solche Umstände angeführt werden, die zwar bei Arbeitsplatzinhabern vorliegen, nicht aber bei Arbeitsuchenden, oder aber umgekehrt; Umstände, die bei beiden Gruppen vorliegen, eignen sich dagegen nicht zur Rechtfertigung eines Eingriffs in die Rechte nur einer Gruppe, hier: der Arbeitsuchenden. Den Mindestkündigungsschutz im Kleinbetrieb rechtfertigende Umstände müssen also arbeitnehmerspezifisch sein. Sie müssen so beschaffen sein, daß sie allein den Schutz der Arbeitsplatzinhaber begrunden und nicht gleichzeitig den der Arbeitsuchenden verlangen. Daran fehlt es bei den vom BVerfG für den Kündigungsschutz aufgeführten Merkmalen. Es definiert "bei ei90

91

BVerfGE 97, S. 169 (177). Bleckmann, Die Grundrechte, S. 368.

3. Kap.: Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

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ner Regelung des Kündigungsschutzes" als "gewichtige Belange" "auf seiten des Arbeitnehmers" ausschließlich solche Umstände, die nicht nur auf die Gruppe der Arbeitsplatzinhaber zutreffen, zu dessen Gunsten der Eingriff in die Berufsfreiheit der Arbeitsuchenden erfolgt, sondern die ebenfalls auf die Gruppe der Arbeitsuchenden selbst zutreffen, obwohl es gerade ihre grundrechtliche Freiheit ist, auf die der zu rechtfertigende Eingriff gerichtet ist. Dies soll an den einzelnen Merkmalen gezeigt werden: Als einen solchen Belang nennt das BVerfG zunächst die Tatsache, daß der Arbeitnehmer die berufliche Tätigkeit, für die Art. 12 Abs. 1 GO den erforderlichen Freiraum gewährleiste, ausschließlich durch den Abschluß und den Fortbestand von Arbeitsverträgen realisieren könne92• Diese Tatsache trifft nicht ausschließlich auf den Arbeitsplatzinhaber, sondern auch auf den Arbeitsuchenden zu: Auch er kann berufliche Tätigkeit nur ausüben, indem er einen Arbeitsvertrag abschließt und solange dieser fortbesteht. Durch einen als Existenzschutz zugunsten der Arbeitnehmer verstandenen Kündigungsschutz im Kleinbetrieb und die damit verbundene Verfestigung der Verteilung der Arbeitsplätze zugunsten der Arbeitsplatzinhaber93 wird aber die danach gleichermaßen schutzwürdige Abschlußfreiheit der Arbeitsuchenden gerade eingeschränkt statt geschützt. Daher kann der genannte Umstand nicht zur Begründung des Eingriffs in die Berufsfreiheit des Arbeitsuchenden herangezogen werden. Sodann führt das BVerfG aus, der Arbeitsplatz sei die wirtschaftliche Existenzgrundlage für den Arbeitnehmer und seine Familie94 . Auch dies ist kein Argument, die Berufszugangschancen des Arbeitsuchenden zu verringern, denn auch für ihn hat das Ausüben eines Berufs die Bedeutung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage. Keinesfalls kann er für die wirtschaftliche Existenzsicherung auf Sozialleistungen verwiesen werden. Sozialleistungen nach den §§ 116 ff. SGB III wie Arbeitslosengeld und -hilfe sind gerade nicht darauf angelegt, eine die Erwerbstätigkeit ersetzende und der Erwerbstätigkeit vergleichbar dauerhafte wirtschaftliche Existenzgrundlage darzustellen. Sie dienen nach § 1 Abs. 1 und vor allem § 4 SGB III vorrangig der Wiedereingliederung Ausbildung- und Arbeitsuchender in die Erwerbstätigkeit. Die Sozialversicherung ist schon ihrer Idee nach nur als Vorsorge gegen vorübergehende, temporäre Risiken gedacht, nicht dagegen als permanentes Substitut für Erwerbsarbeit Ganz abgesehen davon vermag keine wie auch immer beschaffene Leistung der Sozialversicherung die mit der Arbeitslosigkeit einhergehenden sozialen und seelischen Folgen95, wie etwa für das Selbstwertgefühl des Arbeitslosen, zu kompensieren.

92 93 94 95

BVerfGE 97, S. 169 (177). Vgl. Zöllner, 52. DJT (1978), Gutachen D, S. 114. BVerfGE 97, S. 169 (177). Dazu eingehend Wank, Das Recht der Arbeit, S. 18 ff. und BVerfGE 97, S. 169 (177)

selbst.

A. Art. 12 Abs. 1 GG und allgerneiner Kündigungsschutz

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Weiter wird gesagt, Lebenszuschnitt und Wohnumfeld würden vom Arbeitsplatz bestimmt, ebenso gesellschaftliche Stellung und Selbstwertgefühl; mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses werde dieses ökonomische und soziale Beziehungsgeflecht in Frage gestellt96. Wenn der Verlust des so beschriebenen ökonomischen und sozialen Beziehungsgeflechts als Nachteil für die davon betroffene Person betrachtet wird, vor dem es sie zu bewahren gilt, dann trifft dies gleichermaßen auf die Arbeitsuchenden zu. Denn daß Arbeitslose auch und gerade unter dem Gesichtspunkt des Selbstwertgefühls, das durch die Einbindung in den Arbeitsprozeß verbessert wird, nicht weniger schutzwürdig sind als die Arbeitsplatzinhaber, läßt sich aus der Entscheidung des BVerfG zur Verfassungskonformität des § 10 Abs. 1 S. 1 BUrlG (a.F.) ablesen, wenn davon die Rede ist, daß der Abbau von Arbeitslosigkeit den zuvor Arbeitslosen ermögliche, "das Grundrecht aus Art. 12 I 1 GG zu verwirklichen, sich durch Arbeit in ihrer Persönlichkeit zu entfalten und darüber Achtung und Selbstachtung zu erfahren'm. Schützt man aber den Arbeitsplatzinhaber vor dem Verlust dieses ökonomischen und sozialen Beziehungsgeflechts, dann wird gleichzeitig die Chance des Arbeitsuchenden, ein solches Beziehungsgeflecht durch das Ergreifen einer Erwerbstätigkeit überhaupt erst aufzubauen, verringert. Während ersterer vor dem Nachteil geschützt wird, muß der letztere, obwohl unter den genannten Gesichtspunkten mindestens ebenso schutzwürdig, die dadurch hervorgerufene Einbuße an Schutz hinnehmen. Nach den Ausführungen des BVerfG hängen die Aussichten, eine ähnliche Position ohne Einbuße an Lebensstandard und Verlust von Nachbarschaftsbeziehungen zu finden, vom Arbeitsmarkt ab, und in Zeiten struktureller Arbeitslosigkeit seien diese Aussichten vor allem für den älteren Arbeitnehmer schlecht; gelinge es ihm nicht, alsbald einen neuen Arbeitsplatz zu finden, gerate er häufig in eine Krise, in der ihm durch die Leistungen der Arbeitslosenversicherung nur teilweise und auch nur für einen begrenzten Zeitraum geholfen werde98 . An dieser Formulierung ist bemerkenswert, daß das BVerfG den Terminus des Arbeitsmarktes, zumal in Zusammenhang mit dem Kündigungsschutz, benutzt. Daraus kann zunächst gefolgert werden, daß auch aus der Sicht des BVerfG die Kategorien des Kündigungsschutzes und des Arbeitsmarktes nicht völlig beziehungslos nebeneinanderstehen. Diese Beobachtung stützt die These, daß die Frage des arbeitsrechtlichen Kündigungsschutzes nicht ohne Blick auf die Folgen für den Arbeitsmarkt und damit für arbeitsuchende Dritte beurteilt werden sollte, wie es die Flankenschutztheorie fordert99 . Fraglich ist aber, ob aus dem Hinweis auf die Aussichten auf dem Arbeitsmarkt ein zutreffender Schluß für die Frage des Kündigungsschutzes im Kleinbetrieb gezogen wird, wenn daraus ein Argument für den Kündigungsschutz als Schutz vor 96

BVerfGE 97, S. 169 (177).

97

BVerfG NZA 2001 , S. 777 (779).

98

BVerfGE 97, S. 169 (177).

99

s. o. Kap. 1 D.

74

3. Kap.: Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

Arbeitsplatzverlust hergeleitet wird. Führt das BVerfG zur Verteidigung des Schutzes der Arbeitsplatzinhaber die schlechten Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt an, dann liegt diesem Satz offenbar der Gedanke zugrunde, ein Arbeitnehmer sei vor dem Verlust seines Arbeitsplatzes zu schützen, weil er - im Falles des Verlustes des Arbeitsplatzes -nur schlechte Aussichten hätte, einen (ähnlichen) Arbeitsplatz wiederzuerlangen. Mit dieser Überlegung kommt auf das deutlichste zum Ausdruck, daß der Grund für den Kündigungsschutz als Arbeitsplatzschutz darin liegt, den Arbeitnehmer vor seiner individuellen Arbeitslosigkeit und damit davor zu bewahren, selbst zu der Gruppe der Arbeitsuchenden zu gehören. Warum aber deren Chancen oder "Aussichten" 100 der Arbeitsuchenden, einen Arbeitsplatz wiederzuerlangen, verringert werden dürfen, indem die Arbeitsplatzinhaber durch einen als Arbeitsplatzschutz verstandenen Kündigungsschutz vor der Situation geschützt werden sollen, in der sich der insofern ebenfalls schutzwürdige Arbeitsuchende gerade befindet, wird damit nicht begründet. Vielmehr wird dadurch die Frage aufgeworfen, warum, wenn denn die Arbeitslosigkeit als Nachteil betrachtet wird, die Arbeitsuchenden diesen Nachteil zum Vorteil der Arbeitsplatzinhaber hinzunehmen haben, indem die Verteilung der Arbeitsplätze verfestigt wird, warum also die eine Gruppe vor den Nachteilen zu schützen ist, während die andere die Nachteile zu ertragen hat, obwohl beide Gruppen gleichermaßen schutzbedürftig sind. Für diese Ungleichbehandlung ist ein sachlicher Grund erforderlich. Das Bedürfnis nach Sicherung der ökonomischen und sozialen Existenz kann einen sachlichen Grund jedenfalls nicht darstellen, denn unter diesem Gesichtspunkt müßten beide Gruppen gleich behandelt werden. Zudem führt diese Argumentation bei steigender Arbeitslosigkeit in der Konsequenz zu ihrer eigenen Selbstverstärkung: Werden die Aussichten, einen Arbeitsplatz wiederzufinden, schlecht, spräche dies für eine Verstärkung des Kündigungsschutzes; dadurch würde es zu einer weiteren Verfestigung der Arbeitsplatzverteilung, also einer Senkung der Berufszugangschancen der Arbeitsuchenden kommen, die wiederum Argument für eine weitere Verstärkung des Kündigungsschutzes wäre, um die Arbeitsplatzinhaber vor den Nachteilen der individuellen Arbeitslosigkeit zu bewahren. Dies kann auch nicht mit dem Hinweis auf die Aussichten der älteren Arbeitnehmer, für den die Aussichten auf dem Arbeitsmarkt "vor allem" schlecht seien 101 , beantwortet werden. Denn ihnen stehen auf dem Arbeitsmarkt die älteren Arbeitsuchenden gegenüber, die ihnen unter den vom BVerfG genannten Gesichtspunkten der wirtschaftlichen und sozialen Existenzfähigkeit 102 in nichts nachstehen. Der Hinweis auf die Situation auf dem Arbeitsmarkt ist also ebenfalls kein Umstand, mit dem sich der Kündigungsschutz im Kleinbetrieb rechtfertigen läßt, denn auch dabei handelt es sich nicht um eine arbeitnehmerspezifische Rechtfertigung.

101

Vgl. BVerfGE 97, S. 169 (177). BVerfGE 97, S. 169 (177).

102

BVerfGE97,S.169(177).

100

A. Art. 12 Abs. 1 GG und allgemeiner Kündigungsschutz

75

Es wird nicht deutlich, worin der sachliche Grund liegt, um dessenwillen die Benachteiligung der Arbeitsuchenden zum Vorteil der Arbeitsplatzinhaber gerechtfertigt wird. Das muß nicht bedeuten, daß es eine solche Rechtfertigung nicht gibt. Doch kann sie unter dem Aspekt der Zugangschancen der Arbeitsuchenden nicht in den vom BVerfG genannten Umständen liegen, da diese eher für eine Gleichals für eine Ungleichbehandlung sprechen. ee) Unzulässigkeil des Schutzes vor Konkurrenz Eine Tatsache, die Arbeitsplatzinhaber und Arbeitsuchende voneinander unterscheidet, ist das Innehaben eines Arbeitsplatzes. Deshalb könnte ein die Einschränkung der Zugangschancen der Arbeitsuchenden rechtfertigender Grund darin liegen, daß das bloße Haben eines Arbeitsplatzes an sich geschützt werden muß. Dieses Merkmal ist auch arbeitnehmerspezifisch, da naturgemäß nur die Arbeitnehmer das Merkmal des Innehabens eines Arbeitsplatzes aufweisen, und kommt also prinzipiell als ein die Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern und Arbeitsuchenden rechtfertigender Grund in Betracht. Doch erheben sich auch hiergegen Bedenken unter zwei Gesichtspunkten. Zunächst käme dieses Argument der Sichtweise vom Arbeitsverhältnis als in seinem Bestand geschützte Institution gleich, die einen Wert an sich darstelle; diese Ansicht wird jedoch so nicht vertreten 103 • Außerdem aber müßte dieses Argument vor Art. 12 Abs. I GG Bestand haben. Bei der Aufstellung objektiver Bedingungen für den Zugang zum Beruf wird die Gefahr des Eindringens sachfremder Motive als besonders groß erachtet; um ein solches Motiv handelt es sich vor allem bei dem Bestreben, eine Beschränkung des Zugangs zum Beruf zum Zwecke des Konkurrenzschutzes der bereits im Beruf Tätigen zu errichten. Dieses Motiv kann niemals einen Eingriff in das Recht der freien Berufswahl rechtfertigen 104• Reduzierte man aber den Zweck eines Kündigungsschutzes im Kleinbetrieb auf den Schutz des Arbeitsverhältnisses an sich, dann bestünde seine Wirkung ausschließlich darin, Arbeitsuchenden den Zugang zu einem Arbeitsverhältnis zu erschweren, um so die Arbeitsplatzinhaber vor Konkurrenz zu schützen 105 • Ein Schutz der Arbeitnehmer allein deswegen, weil sie einen Arbeitsplatz innehaben, verstößt aber gegen das Verbot des Konkurrenzschutzes durch Art. 12 Abs. 1 GG. ff) Zur These vom Vorrang des Arbeitsplatzinhabers

Die Vertreter der These vom Vorrang des Arbeitsplatzinhabers gehen teilweise von einer Wettbewerbssituation zwischen Arbeitsplatzinhaber und Arbeitsuchen-

104

Vgl. Preis, Prinzipien, S. 121; von Stebut, S. 22; s. auch oben Kap. 1 B. BVeifGE 7, 377 (408).

105

Vgl. Reuter; FS 25 Jahre BAG, S. 405 (421 f.); ders., FS Dieterich, S. 473 (484).

103

76

3. Kap.: Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

dem aus, sehen aber einen qualitativen Unterschied in der wettbewerbliehen Position beider. Dem Arbeitsplatzinhaber sei "Priorität gegenüber dem nachfolgenden Wettbewerb" einzuräumen, weil er "das Ergebnis eines vorangegangenen Wettbewerbs" um den Arbeitsplatz behaupte und damit über eine "qualitativ andere Position im fortdauernden Wettbewerb gegenüber dem späteren Konkurrenten" verfüge106; der Arbeitsuchende müsse diesen Vorrang gegen sich gelten lassen, weil es sich um eine Rechtsposition handele, "die in einem vorangegangenen Wettbewerb erworben" worden sei 107. In der Tat kann das aus Art. 12 Abs. 1 GG folgende Verbot des Konkurrenzschutzes nur dann wirken, wenn eine Konkurrenzsituation aufgrund von Wettbewerb entsteht. Wird aber solcher Wettbewerb verneint, kann auch das Konkurrenzschutzverbot des Art. 12 Abs. 1 GG nicht eingreifen. Ob aber der Vorrang des Arbeitsplatzinhabers im Außenseiterproblem auf diese Weise begründet werden kann, ist fraglich. Zweifelhaft ist vor allem die Behauptung Scholz' und Bendas, der Vorrang sei damit zu begründen, daß der Arbeitsplatzinhaber diese Position in einem vorangegangenen Wettbewerb erworben habe. Diese Behauptung impliziert notwendig die Vorstellung, ein Arbeitsplatzbewerber, der den Arbeitsplatz erhalten und sich gegenüber Mitbewerbern durchgesetzt habe, müsse allein aufgrund dieser Tatsache fortan dieses Wettbewerbs ein für allemal enthoben sein. Doch wird gerade dies durch das Verbot des Schutzes vor Konkurrenz untersagt: Das Motiv, die "Beschränkung des Zugangs zum Beruf solle dem Konkurrenzschutz der bereits im Beruf Tätigen dienen" ist "ein Motiv, das nach allgemeiner Meinung niemals einen Eingriff in das Recht der freien Berufswahl rechtfertigen könnte." 108 Ein Schutz vor Wettbewerbern kann gerade nicht mit der einmal erfolgreichen Durchsetzung im Wettbewerb begründet werden. Übertragen auf die Freiheit der Arbeitsplatzwahl bedeutet dies, daß die Schutzwürdigkeit des Innehabens eines Arbeitsplatzes gerade nicht mit dem Innehaben begründet werden kann. Jede andere Auffassung enthielte einen Zirkelschluß. Grundsätzlich bietet nicht die einmal erfolgreiche Durchsetzung im Wettbewerb, sondern die ständige Behauptung im Wettbewerb Schutz vor Konkurrenz. Selbstverständlich darf dem Arbeitsplatzinhaber die Behauptung im Arbeitsverhältnis gegen Konkurrenten nur maximal bis zur Grenze der Gefahr einer Gesundheits- oder Persönlichkeitsbeeinträchtigung zugemutet werden. Indes liegen gerade hierin zulässige Kriterien zur Begrenzung des Wettbewerbs und zum Schutz vor Konkurrenz, die (zumal arbeitnehmerspezifisch) auch der Arbeitsuchende gegen sich gelten lassen muß. Der Sache nach wird im Ergebnis auch in diesem Fall ein Schutz vor Konkurrenz errichtet, jedoch nicht mit der Begründung, der Arbeitsplatzinhaber habe sich einmal im Wettbewerb durchgesetzt, sondern mit über den bloßen Konkurrenzschutz hinausgehenden Erwägungen; in diesem Fall ist der Konkurrenzschutz nicht Zweck, sondern lediglich Reflex. Auch wenn damit aus 106 107

lOB

Maunz/Dürig/Herzog/ Scholz, Art. 12 Rn 84 f.; Scholz, ZfA 1981, S. 265 (280 f .). Benda, FS Sting1, S. 35 (47 f.). BVerfGE 7, S. 377 (408)- ApothekenurteiL

A. Art. 12 Abs. I GG und allgemeiner Kündigungsschutz

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Art. 12 Abs. 1 GG noch nicht zwingend die Gewährleistung eines wettbewerblieh organisierten Arbeitsmarktes abgeleitet werden kann, so ist nach alledem doch sicher, daß ein Schutz vor Konkurrenz nicht mit der Durchsetzung in einem vorangegangenen Wettbewerb begründet werden kann, wie letztlich selbst Scholz 109 anerkennt: "Die konkurrierende Ausübung der Berufsfreiheit durch jeweils voneinander unabhängige Grundrechtsträger impliziert (begründet) ein Wettbewerbsverhältnis, das durch Art. 12 zwar nicht - im ordnungspolitisch-wirtschaftsverfassungsrechtlichen Sinne - aufgegeben wird, das aber als natürliche Folge einer entsprechend surruniert-konkurrierenden Inanspruchnahme des Freiheitsrechts aus Art. 12 entsteht. In dieses Ergebnis freiheitlicher Grundrechtsausübung griffe eine Regelung oder Maßnahme zum Schutze einzelner Konkurrenten ein; wie sie diesen begünstigte, belastete sie dessen Konkurrenten. Belastungen stehen jedoch im Widerspruch zum Freiheitsrecht des Art. 12- jedenfalls solange, wie keine andere (verfassungskonforme) Legitimation für die konkret konkurrenzschützende Maßnahme gegeben ist". Soweit der Vorrang des Arbeitsplatzinhabers mit einer "durch das geltende Kündigungsschutzrecht vorgezeichneten Wertung" begründet wird 110, kann dies nicht über das Verbot des Konkurrenzschutzes der Arbeitsplatzinhaber aus Art. 12 Abs. 1 GG hinweghelfen. Dies folgt nach Iex superior derogat legi inferiori aus der Bedeutung des Verfassungsrechts für das einfache Kündigungsschutzrecht Wenn für den Vorrang des Arbeitsplatzinhabers angeführt wird, der Arbeitsplatz verdiene als "Wert an sich" einen Schutz gegen grundlosen Entzug, weil der Arbeitnehmer ihn durch eigene Qualifikation und unter Verzicht auf andere mögliche Beschäftigungsverhältnisse erworben habe 111 , so wird damit zwar nicht gegen das Verbot des Schutzes gegen Konkurrenz verstoßen; indes stellt diese Behauptung keine arbeitnehmerspezifische Begründung für den Vorrang des Arbeitsplatzinhabers dar: Der arbeitslose Arbeitsuchende würde hierauf sicherlich entgegnen, er "verzichte" gern auf "andere Beschäftigungsmöglichkeiten", böte sich ihm doch nur eine einzige. Mit dieser Behauptung, die nicht ein arbeitnehmerspezifisches Kriterium für das Bedürfnis nach Kündigungsschutz nennt, kann ein Kündigungsschutz, der die Arbeitsplatzverteilung verfestigt und für den Arbeitsuchenden den Zugang zur Beschäftigung gerade erschwert 112, kaum begründet werden. Nach allem kann also die These vom Vorrang des Arbeitsplatzinhabers in der Außenseiterproblematik nicht aufrecht erhalten werden.

109 110 111 112

Maunz/Dürig/Herzog/ Scholz, Art. 12 Rn 40. Wiedemann, FS 25 Jahre BAG, S. 635 (659). Löwisch, KSchG, Vorbem zu§ I, Rn 3. Zöllner, 52. DIT (1978), GutachtenD, S. 114.

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3. Kap.: Reichweite des allgerneinen Kündigungsschutzes

5. Die verfassungsrechtliche Grenze und die Theorien zum allgemeinen Kündigungsschutz Damit erweist sich die auch vom BVerfG im ersten Kleinbetriebsbeschluß vertretene Auffassung vom Kündigungsschutz als Schutz des Arbeitnehmers vor Verlust seines Arbeitsplatzes, der Grundlage seiner wirtschaftlichen und sozialen Existenz ist, als unvereinbar mit der Grenze, die das Grundrecht des Arbeitsuchenden aus Art. 12 Abs. 1 GG zieht. Bei Anwendung dieser Theorie fehlt dem Kündigungsschutz nicht nur ein arbeitnehmerspezifischer Regelungszweck, der bei Begünstigung der Arbeitnehmer unter gleichzeitiger Belastung der Arbeitsuchenden mindestens erforderlich ist; außerdem liegt in der Theorie ein Verstoß gegen das Verbot eines Konkurrenzschutzes der Arbeitnehmer zulasten der arbeitsuebenden Außenseiter. Eine Interpretation des allgemeinen Kündigungsschutzes im Sinne der Bestandsschutztheorie führte zu einem verfassungswidrigen Ergebnis und scheidet daher- mangels Vereinbarkeit mit geltendem (Verfassungs-) Recht- als Grundlage der Auslegung und Rechtsfortbildung des allgemeinen Kündigungsschutzrechts aus, weswegen auch der vom BVerfG auf diese Theorie gegründete Kündigungsschutz im Kleinbetrieb in Frage gestellt werden muß. Doch ist zunächst zu klären, ob eine andere bzw. welche der Theorien zum allgemeinen Kündigungsschutz vor der Grenze, wie sie sich aus Art. 12 Abs. 1 GG ergeben hat, besteht.

a) Kündigungsschutz als Schutz vor Arbeitnehmerwettbewerb

Die Auffassung Riebles 113 , der den Zweck des KSchG in der "Unterbindung von Arbeitnehmerwettbewerb" erblickt, ruft ebenfalls Bedenken wegen des Verbots des Schutzes der Arbeitnehmer vor Konkurrenz hervor. Soweit er ausführt, das KSchG regele "gezielt" den Arbeitnehmerwettbewerb, indem es einen Verbleibewettbewerb mit betriebsangehörigen Arbeitnehmern und einen Austauschwettbewerb mit externen Arbeitnehmern ausschalte und "den Wettbewerb zwischen ,Insidern' und ,Outsidern' bereits von Rechts wegen" verhindere, gerät diese Auffassung in Konflikt mit dem aus Art. 12 Abs. 1 GG folgenden Verbot des Schutzes der "Insider" gegen die Konkurrenz der "Outsider". Nach diesem Verständnis wäre der von Rieble angenommene Zweck verfassungswidrig. Bemerkt wird jedoch ferner, das Arbeitsrecht sei "befugt, aus sachlichen, insbesondere sozialpolitischen Erwägungen Arbeitnehmern unterschiedliche Wettbewerbschancen zuzuweisen", und das "Anliegen, ,ruinösen Unterbietungswettbewerb' zu verhindern", sei eine sachgerechte Erwägung 114• Demzufolge gibt es nach Ansicht Riebles einen über die Wettbewerbsverhinderung und den Konkurrenzschutz hinausgehenden Zweck, für den ein Konkurrenzschutz als Mittel er113 114

Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn 1012 ff. Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn 1019.

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forderlich ist: die Verhinderung der ruinösen Auswirkungen eines Unterbietungswettbewerbs für die Arbeitnehmer, nicht aber des Wettbewerbs per se. Ist mit der Verhinderung der ruinösen Auswirkungen die Verhinderung von Gefahren für Persönlichkeit und gesundheitliche Integrität des Arbeitnehmers gemeint, so handelt es sich hierbei um Ziele, hinter denen ein Wettbewerb (und mit ihm das Verbot des Schutzes gegen Konkurrenz) zurückstehen muß, weil der Wettbewerb dann nicht mehr seinem eigentlichen Zweck der Freiheitsverwirklichung diente, sondern die Freiheit der Arbeitsplatzinhaber geradezu in unerträglichem Maße einschränkte. Allein in dieser Interpretation ist die Auffassung Riebles haltbar; dann aber ist nicht die Ausschaltung des Wettbewerbs schlechthin Zweck des Kündigungsschutzes, sondern nur Mittel zum Zweck der Ausschaltung der mit freiem Wettbewerb verbundenen Gefahren für Person und Gesundheit des Arbeitnehmers aufgrund ,,ruinösen Unterbietungswettbewerbs". Das Verbot des Schutzes gegen Konkurrenz ist vor diesem Hintergrund nur so zu verstehen, daß es die Ausschaltung des Wettbewerbs um ihrer selbst willen untersagt. Dabei handelt es sich bei der Ausschaltung der Gefahren für Persönlichkeit und Gesundheit um Güter von einem solchen Stellenwert, daß sie bei Beachtung der Bedeutung der Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 und 2 GG als überragend wichtige Gemeinschaftsgüter im Sinne der Stufenlehre bezeichnet werden können und als solche auch objektive Zulassungsschranken für Arbeitsuchende rechtfertigen. Nach Maßgabe dieses Verständnisses hält auch die Theorie vom allgemeinen Kündigungsschutz als Schutz vor Arbeitnehmerwettbewerb, besser: als Schutz vor den ruinösen Folgen freien Arbeitnehmerwettbewerbs, den verfassungsrechtlichen Anforderungen aus Art. 12 Abs. 1 GG stand. Hier wird gleichfalls deutlich, daß die mit Kündigungsschutz stets einhergehende Sperrwirkung gegenüber Arbeitsuchenden keineswegs schlechthin gegen Art. 12 Abs. 1 GG verstößt, sondern daß sie als Reflex bzw. Begleiterscheinung einer auf andere Zwecke gerichteten Regelung sehr wohl gerechtfertigt sein kann; Art. 12 Abs. 1 GG schließt nur aus, die Sperrwirkung selbst zum Regelungszweck zu erheben.

b) Kündigungsschutz als Schutz der Betriebszugehörigkeit

Nach anderem Verständnis ist Sinn und Zweck des Kündigungsschutzes der Schutz der Zugehörigkeit zur personenrechtlichen Betriebsgemeinschaft, da diese Zugehörigkeit vielfältige persönliche Beziehungen und soziale Teilhabe am Betrieb zur Folge habe und deswegen nicht aus willkürlichen Gründen gegen den Willen des Arbeitnehmers zerstört werden dürfe. Wird die so charakterisierte Betriebszugehörigkeit als Schutzgut des allgemeinen Kündigungsschutz genannt, so handelt es sich dabei unter dem Gesichtspunkt eines arbeitnehmerspezifischen Regelungszwecks um einen zulässigen Anknüpfungspunkt. Die aus der Betriebszugehörigkeit erwachsenden sozialen Bindungen entstehen nur dem Arbeitnehmer, der in einem Betrieb tätig ist. Wird der Zweck

3. Kap.: Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

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des Kündigungsschutzes im Schutz dieser Bindungen gesehen, kann folglich ein Bedürfnis nach Kündigungsschutz nur bei dem Arbeitnehmer bestehen, der gewisse Zeit in dem Betrieb gearbeitet hat und zum "Betriebsbürger" geworden ist; ein Schutzbedürfnis, das bei den Arbeitsuchenden gerade nicht besteht. Zwar führt auch diese Ansicht zu einem Schutz der Arbeitsplatzinhaber gegen Konkurrenz durch die Arbeitsuchenden, weil auch ein Schutz der Betriebszugehörigkeit die Arbeitsplatzverteilung zulasten der Arbeitsplatzbewerber grundsätzlich verfestigt. Doch ist dieser Konkurrenzschutz hier nicht Selbstzweck, wie nach der Bestandsschutztheorie, deren Zweck des Kündigungsschutzes - Schutz vor individueller Arbeitslosigkeit - gleichzeitig eine Verhinderung des Zugangs der Arbeitsuchenden zur Beschäftigung impliziert. Vielmehr handelt es sich bei dem Schutz der Betriebszugehörigkeit und ihrer sozialen Wirkungen um einen über bloßen Konkurrenzschutz hinausgehenden Regelungszweck Daß ein Schutz vor Konkurrenz entsteht, ist nur ein Nebeneffekt der nach dieser Auffassung auf einen anderen Zweck gerichteten Regelung des Kündigungsschutzes, was deshalb nicht schädlich ist, weil Art. 12 Abs. 1 GG nur untersagt, den Schutz vor Konkurrenz selbst zum Zweck der Regelung zu erheben 115 . Wenn aber Kündigungsschutz notwendig von zugangsversperrender Wirkung für die Arbeitsuchenden ist 116 und daher eine objektive Zulassungsvoraussetzung in Sinne der Stufenlehre bildet, kann nur fraglich sein, ob der Schutz der Betriebszugehörigkeit als ein für die Rechtfertigung erforderliches "überragend wichtiges Gemeinschaftsgut" bezeichnet werden kann. Diese Frage kann nicht frei von Wertungen beantwortet werden. Dabei kann als sicher gelten, daß die Begrundung der Zugangsschranke mit dem Schutz vor den ruinösen Folgen eines Unterbietungswettbewerbs für Gesundheit und Persönlichkeit des Arbeitnehmers den Eingriff eher zu legitimieren vermag als die Begrundung mit dem Schutz vor dem Verlust der aus der Betriebszugehörigkeit erwachsenden sozialen Bindungen, die insofern einen im Vergleich zu Gesundheit und Persönlichkeit niedrigeren verfassungsrechtlichen Rang einnehmen. An dem Charakter dieses Schutzgutes als eines überragend wichtigen Gemeinschaftsgutes bestehen jedoch erhebliche Zweifel, wenn man sich die Folgen der Arbeitslosigkeit für den Arbeitsuchenden vor Augen führt. Ist diese mit dem Verlust sozialer Akzeptanz, der sozialen Stigmatisierung durch andere und einer Abnahme sozialer Kontakte verbunden 117, so relativieren die sozialen Nachteile des Kündigungsschutzes für die Arbeitsuchenden die sozialen Vorteile des Kündigungsschutzes als Schutz der sozialen Bindungen der Arbeitsplatzinhaber. Mögen letztere auch noch nicht zur Gänze aufgewogen werden, so hindert das Gewicht der sozialen Nachteile des Kündigungsschutzes doch die Annahme, der Schutz der Betriebszugehörigkeit in der Betriebsgemeinschaft sei als überragend wichtiges Gemeinschaftsgut zu bezeichnen. Aus diesem Grund wird 115 116

117

Vgl. BVerfGE 7, S. 377 (408). Zöllner; 52. DJT, GutachtenD (1978), S. 16, 114. Wank, Das Recht auf Arbeit, S. 22.

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die Theorie vom Kündigungsschutz als Schutz der Betriebszugehörigkeit den Anforderungen aus Art. 12 Abs. 1 GG nicht gerecht.

c) Kündigungsschutz als Flankenschutz des betrieblichen Arbeitsverhältnisses Die Flankenschutztheorie bezweckt die Verhinderung der Gefahren, die dem Arbeitnehmer aus der institutionellen Abhängigkeit in der fremden arbeitsteiligen Organisation für seinen Arbeitsplatz erwachsen 118• Der Charakter des Arbeitsvertrags als unvollständiger Vertrag und die Verflochtenheit der Arbeitsabläufe im Betrieb machen eine die Arbeitsverhältnisse koordinierende Institution, den Arbeitgeber oder eine ermächtigte Person, erforderlich. Von dessen Fremdbestimmung abhängig, besteht für den Arbeitnehmer die Gefahr, Objekt willkürlicher Entscheidungen zu sein. Die diesem entgegenzusetzenden Rechte und Freiheiten könnte er ohne allgemeinen Kündigungsschutz nicht in Anspruch nehmen, ohne eine Disziplilnierung in Gestalt einer Kündigung fürchten zu müssen. Der Kündigungsschutz dient also dazu, die Inanspruchnahme der Rechte und Freiheiten des Arbeitnehmers im Betrieb durch einen flankierenden Schutz zu sichern, um zu ermöglichen, daß sich der Arbeitnehmer ohne Furcht vor einer Entlassung auf sie berufen kann. Letztlich besteht der Zweck des Kündigungsschutzes danach in einer Hilfstunktion gegenüber den Rechten und Freiheiten im betrieblichen Arbeitsverhältnis: Er bewahrt diese vor faktischem "Leerlaufen" und Obsolenz. Dabei handelt es sich um einen Zweck, der deshalb arbeitnehmerspezifischer Art ist, weil seiner nur Arbeitnehmer bedürfen, nicht jedoch auch arbeitsuchende Außenseiter, weil und solange sie über diese Rechte und Freiheiten schon nicht verfügen. Die Sperrwirkung, die der Kündigungsschutz ihnen gegenüber entfaltet, wird nicht mit unzulässigem Schutz vor Konkurrenz begründet, sondern mit dem Gedanken, daß die Rechte und Freiheiten im betrieblichen Arbeitsverhältnis nicht nur formal gewährt, sondern auch faktisch ausübbar sein müssen. Eine Furcht vor Disziplinierung durch Kündigung höhlte die Rechte des Arbeitnehmers aus und reduzierte sie auf eine nur formale Position, die für den Arbeitnehmer praktisch ohne jeden Wert wäre. Daß Rechtspositionen nicht um ihrer selbst willen, sondern stets mit Anspruch auf ihre soziale Wirksamkeit zu gewähren sind, folgt bereits aus der Idee des Rechts, das nicht, von der Realität abstrahiert, formaler Selbstzweck ist, sondern das aus der Wechselwirkung mit der sozialen Wirklichkeit gerade erst entsteht. Daß also Rechtspositionen - auch die des Arbeitnehmers - vor einem "Leerlaufen" geschützt werden müssen, stellt einen so hohen Wert dar, daß die Anforderungen an ein überragend wichtiges Gemeinschaftsgut im Sinne der Stufenlehre erfüllt sind. Ein Kündigungsschutz, der solchen Flankenschutz bezweckt, wird den Voraussetzungen des Art. 12 Abs. 1 GG gerecht und darf damit insoweit auch um ns Reuter, ORDO Bd. 33 (1982), S. 165 (183). 6 Stelljes

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3. Kap.: Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

den Preis der damit als Reflex einher gehenden Sperrwirkung zum Nachteil der arbeitsuebenden Außenseiter ergehen, doch eben nur so weit, wie das Bedürfnis der Arbeitnehmer nach Flankenschutz reicht, nicht aber darüber hinaus. d) Kündigungsschutz als Vertragsdurchsetzung

Auch die Vertragsdurchsetzung als Funktionszuordnung des allgemeinen Kündigungsschutzes ist ein Merkmal, das an spezifische Arbeitnehmerbedürfnisse anknüpft. Die Gefahr, daß sich der Arbeitnehmer zu überobligationsmäßigem Arbeitsverhalten genötigt sieht, weil er ansonsten eine Kündigung zu fürchten hätte, ist eine Besonderheit des in einem Beschäftigungsverhältnis stehenden Arbeitsplatzinhabers. Ausdrücklich verworfen wird das Argument, der Kündigungsschutz solle den Arbeitnehmer vor Arbeitslosigkeit schützen; denn nicht um eine Privilegierung des Arbeitsplatzinhabers gegenüber dem Arbeitslosen gehe es, sondern "um den Schutz bestimmter kultureller Standards in der Arbeitswelt" 119• Die mit Kündigungsschutz notwendigerweise verbundene Sperrwirkung zulasten Arbeitsuchender wird nicht mit verbotenem Schutz vor Konkurrenz gerechtfertigt; vielmehr ist Zweck des Kündigungsschutzes, daß die Zwecke anderer, zwingender arbeitsrechtlicher Schutznormen erreicht und eingehalten werden. Als Beispiel wird angegeben, der Zweck des BUrlG könne nur erreicht werden, wenn der Arbeitnehmer bei einer betriebsbedingten Kündigung nicht deshalb zur Entlassung ausgewählt werden könne, weil er Urlaubsansprüche geltend gemacht habe 120• In diesem Sinne beschränkt sich die Funktion des Kündigungsschutzes allerdings nicht mehr auf die Vertragsdurchsetzung, sondern bezieht sich auf die Durchsetzung aller zwingend-gesetzlichen und vertraglichen Rechte des Arbeitnehmers. Dadurch läuft die Theorie in der Sache letztlich auf die Idee der Flankenschutztheorie hinaus, derzufolge Kündigungsschutz zu verhindem bezwecke, daß der Arbeitnehmer die Inanspruchnahme aller ihm zustehenden Rechte, seien sie vertraglicher oder etwa betriebsverfassungsrechtlicher Natur, aus Furcht vor einer Kündigung unterläßt. Soweit also der Zweck des Kündigungsschutzes nach der Vertragsdurchsetzungstheorie betroffen ist - Verhinderung des "Leerlaufens" der Rechte des Arbeitnehmers - so kann auf das zur Flankenschutztheorie Ausgeführte verwiesen werden. Damit wird auch die Theorie vom Kündigungsschutz als Schutz der Vertragsdurchsetzung den aus Art. 12 Abs. 1 GG folgenden Anforderungen durchaus gerecht.

111. Art. 12 Abs. 1 GG und grundrechtliche Schutzpflicht Zu den wichtigstentopoizur Begründug des Kündigungsschutzes als wirtschaftlich-sozialer Existenzschutz gehört die Figur der grundrechtliehen Schutzpflicht 119 120

Domdorf. ZfA 1989, S. 345 (373). Domdorf. ZfA 1989, S. 345 (359).

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Darauf greift nicht nur das BVerfG zurück, wenn es den Mindestkündigungsschutz im Kleinbetrieb darauf gründet121 • Auch die Ansichten in der Literatur stützen ihre Argumentation, soweit ein solcher Mindestkündigungsschutz befürwortet wird, zumeist auf eine grundrechtliche Schutzpflicht 122 . Dabei muß aber gefragt werden, ob die Schutzpflicht grundsätzlich geeignet ist, zur Begründung eines solchen Kündigungsschutzes herangezogen zu werden. Nachdem auf die Problematik des Kündigungsschutzes für berufsfreiheitliche Positionen Arbeitsuchender hingewiesen wurde 123 , ist hier zu untersuchen, welche Konsequenzen die auf die grundrechtliche Schutzpflicht gestiitzte Argumentation von BVerfG und herrschender Lehre für die grundrechtlich geschützten Zugangsinteressen der Arbeitsuchenden haben und ob sie zu einem von der abwehrrechtlichen Erörterung des Art. 12 Abs. 1 GG abweichenden Ergebnis für das Außenseiterproblem führen können.

1. Grundlagen der grundrechtliehen Schutzpflicht nach der Rechtsprechung des BVerfG Grundrechtliche Schutzpflichten betreffen das rechtlich gebotene Verhalten des Staates angesichts von Verletzungen und Gefährdungen grundrechtlich geschützter Güter durch Dritte 124• Sie beinhalten die Pflicht des Staates, nicht nur unmittelbare Eingriffe in grundrechtlich geschützte Güter und Freiheiten zu unterlassen, sondern diese Güter und Freiheiten vor Eingriffen durch Dritte zu schützen 125• Die Grundrechte haben demnach nicht allein eine negatorische Funktion der Abwehr staatlichen Handelns. In der Schutzpflichtenkonstellation geht es zwar auch um Abwehr von freiheitsgefährdenden Maßnahmen. Diese drohen jedoch nicht vom Staat, sondern von Dritten. Hier eröffnet die grundrechtliche Schutzpflicht das an den Staat gerichtet Gebot, die gefährdete Freiheit gegen private Übergriffe zu schützen. Obwohl der so verstandenen Schutzpflicht damit auch eine Abwehrkomponente innewohnt, wird ihre Existenz nicht aus dem liberal-abwehrrechtlichen Grundrechtsverständnis hergeleitet. Denn dieses geht davon aus, daß Freiheit dem Staat vorgegeben, nicht von ihm geschaffen ist, wohl aber durch ihn beeinträchtigt werden kann; der Staat muß danach den Freiheitsraum der Bürger respektieren, denen die tatsächliche Realisierung der Freiheit überlassen bleibt; eine Gewährleistungsoder Garantiepflicht trifft den Staat dagegen nicht 126• Die Grundrechte schützen BVerfGE 97, S. 169 (175 ff.). Vgl. z. B. Oetker; ArbuR 1997, S. 41 (51 f.); Otto, FS für Wiese, S. 353 (359 ff.); Kittner/ Däubler!Zwanziger, KSchR, Art. 12 Rn 5 f.; K. Gamillscheg, Beendigung des Arbeitsverhältnisses, S. 37 ff.; 40 ff.; Urban, Kündigungsschutz außerhalb des KSchG, S. 58. 123 s. o. Kap. 3 A II. 124 E. Klein. NJW 1989, S. 1633. 125 BVeljGE 39, S. 1 ff.; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtliehen Schutzpflichten, 12 1

122

S.17m.w.N. 126

6*

Böckenförde, NJW 1974, S. 1529 (1530 f .).

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3. Kap.: Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

damit nach liberal-rechtsstaatlicher Vorstellung allein gegen staatliche, nicht gegen private Eingriffe. Sie reagieren nicht auf Gefahren, die aus gesellschaftlicher Macht hervorgehen können 127 . Vor diesen Gefahren soll die grundrechtliche Schutzpflicht bewahren. Vom BVerfG wird sie auf zwei Begründungen gestützt. Zunächst sieht das BVerfG das Verständnis der Grundrechte als objektive Werteordnung als Grundlage auch der Schutzpflicht Nach der Wertetheorie der Grundrechte werden durch diese grundlegende Gemeinschaftswerte festgelegt, durch die die einzelnen sich zu einem Volk integrieren 128 . Die Grundrechte stellen hiernach keine subjektiven Ansprüche einzelner dar, sondern haben den Charakter objektiver Normen, die in ihrer Gesamtheit eine objektive Werteordnung bilden 129. Diese Werte verlangen nicht nur die Abwehr staatlicher Eingriffe, sondern zusätzlich, sollen sie effektiv erhalten werden, den Schutz gegenüber Angriffen Dritter130. Dementsprechend führt das BVerfG aus, nach seiner ständigen Rechtsprechung enthielten die Grundrechtsnormen nicht nur subjektive Abwehrrechte des Einzelnen gegen den Staat, sondern sie verkörperten zugleich eine objektive Werteordnung, die als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts gelte und Richtlinien für Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung gebe; ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Staat zu rechtlichem Schutz von Verfassungs wegen verpflichtet sei, könne deshalb schon aus dem objektivrechtlichen Gehalt der grundrechtliehen Normen erschlossen werden 131 • Das Verständnis der Grundrechte als objektive Werteordnung wird außerdem zur Beurteilung des Inhalts der Schutzverpflichtung herangezogen. Sie ist demnach um so ernster zu nehmen, je höher der Rang des in Frage stehenden Rechtsgutes innerhalb der Werteordnung des Grundgesetzes anzusetzen ist 132• Zusätzlich wird die Schutzpflicht vom BVerfG mit dem Gebot des Schutzes der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. I S. 2 GG begründet. In der Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch, in der der Schutz des werdenden Lebens diskutiert wurde, hieß es, die Pflicht des Staates zum Schutz menschlichen Lebens lasse sich bereits unmittelbar aus Art. 2 Abs. 2 S. I GG ableiten, sie ergebe sich darüber hinaus auch aus der Vorschrift des Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG; denn das sich entwickelnde Leben nehme auch an dem Schutz der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG tei1 133 •

127 128 129 130 131

132 133

Böckenförde, NJW 1974, S. 1529 (1532). Böckenförde, NJW 1974, S. 1529 (1533). BVerfGE 7, S. 198 (205). Jarass, AöR Bd. 110 (1985), S. 363 (379); H. H. Klein, DVBl. 1994, S. 489 (490). BVerfGE 39, S. 1 (41 f.). BVerfGE 39, S. 1 (42). BVerfGE 39, S. 1 (41).

A. Art. 12 Abs. 1 GG und allgerneiner Kündigungsschutz

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2. Ausdehnung der geschützen Güter

In der Rechtsprechung des BVerfG zur grundrechtliehen Schutzpflicht sind zumeist beide Begründungsmodelle parallel angewendet worden 134. Doch die Schutzpflicht blieb nicht auf das Leben und die körperliche Unversehrtheit als gefährdetes Schutzgut beschränkt. Mittlerweile wurden auch im Bereich der Gefährdung durch rechtsgeschäftliche Handlungen Schutzpflichten erkannt 135 . So hat das BVerfG zum rechtsgeschäftlich begründeten nachvertraglichen Wettbewerbsverbot für einen Handelsvertreter festgestellt, bei der Konkretisierung und Anwendung der zivilrechtliehen Generalklauseln richte sich ein Schutzauftrag der Verfassung an den Richter, der diesen im Rahmen der Auslegung der Generalklauseln der §§ 138, 242 BGB zu beachten und den objektiven Grundentscheidungen der Grundrechte in Fällen gestörter Vertragsparität mit den Mitteln des Zivilrechts Geltung zu verschaffen habe 136• Diese Entscheidung ist Grundlage für weitere Erkenntnisse des BVerfG, in denen eine aus Art. 12 Abs. 1 GG folgende Schutzpflicht statuiert wird. Danach garantiere Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG neben der freien Wahl des Berufs auch die freie Wahl des Arbeitsplatzes. Diese beziehe sich auf den Willen des einzelnen, eine konkrete Beschäftigung beizubehalten oder aufzugeben. Das Grundrecht entfalte seinen Schutz demnach gegenüber allen staatlichen Maßnahmen, die diese Wahlfreiheit beschränkten. Das sei vor allem der Fall, wenn der Staat den Einzelnen am Erwerb eines zur Verfügung stehenden Arbeitsplatzes hindere oder die Aufgabe eines Arbeitsplatzes verlange. Dagegen sei mit der Wahlfreiheit weder ein Anspruch auf Bereitstellung eines Arbeitsplatzes eigener Wahl noch eine Bestandsgarantie für den einmal gewählten Arbeitsplatz verbunden. Ebensowenig verleihe das Grundrecht unmittelbaren Schutz gegen den Verlust des Arbeitsplatzes aufgrund privater Disposition. Insoweit obliege dem Staat lediglich eine aus Art. 12 Abs. 1 GG folgende Schutzpflicht, der die geltenden Kündigungsvorschriften hinreichend Rechnung trügen 137 . Damit ist der Schutzbereich der grundrechtliehen Schutzpflicht auf die Freiheit der Arbeitsplatzwahl erstreckt worden. Grundsätzlich wird nunmehr für möglich gehalten, daß Schutzpflichten aus jedem Grundrecht abgeleitet werden können 138 . 3. Die grundrechtliche Schutzpflicht im ersten Kleinbetriebsbeschluß

Die zitierten Ausführungen des BVerfG wurden, beinahe wortgleich, im Abwicklungsbeschluß sowie im ersten Kleinbetriebsbeschluß wiederholt 139 . Damit 134

BVerfGE 46, S. 160 (164).

Dazu Canaris, AcP Bd. 184 (1984), S. 201 (232). BVerfGE 81 , S. 242 (255 f.). 137 BVerfGE 84, S. 133 (146 f.). 138 Starck, Praxis der Verfassungsinterpretation, S. 63; Diederichsen, AcP Bd. 198 (1998), s. 171 (249). 135

136

3. Kap.: Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

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hat die grundrechtliche Schutzpflicht auch für das Arbeitsrecht, insbesondere für die Beendigung von Arbeitsverhältnissen, Bedeutung gewonnen. Auffällig ist aber, daß in den drei letztgenannten Entscheidungen eine Begründung für die Schutzpflicht völlig fehlt. Es ist lediglich von einer "aus dem Grundrecht folgenden Schutzpflicht" die Rede. Im Zusammenhang mit diesen Entscheidungen kann und muß das Wort Isensees, das Argument aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG leistete zunächst Geburtshelferdienste, habe aber jetzt seine Schuldigkeit getan 140, auf die objektivrechtliche Begründung der Schutzpflicht übertragen werden. Die Grundlage der Schutzpflicht wird nicht mehr erwähnt, die Schutzpflicht "emanzipiert" sich von ihrer Begründung und wird nur noch als "aus" dem jeweiligen Grundrecht folgend bezeichnet. Möglicherweise kommt darin zum Ausdruck, daß das BVerfG an der Begründung durch das Werteordnungsverständnis nicht mehr festhalten, sie aufgeben und für künftige Entscheidungen eine stille Änderung der Begründung angesichts der an der bisherigen Judikatur geübten Kritik141 eröffnen will. Sollte dies nicht der Fall sein, dann dürfen die Gefahren nicht unterschätzt werden, die aus der Aufgabe einer klaren Bestimmung der Grundlage der Schutzpflicht entstehen können. Daß die Schutzpflichtenjudikatur über ein großes Expansionspotential verfügt, hat sich bereits daran gezeigt, daß die Schutzpflicht, ursprünglich am Schutz ungeborenen Lebens entwickelt, mittlerweile aber auch für den Schutz gegen Fluglärm und Kündigungen von Arbeitsverhältnissen dienstbar gemacht wird. Angesichts der Verschiedenheit der Beeinträchtigungen - womit keinesfalls die Beeinträchtigung etwa durch Fluglärm bagatellisiert werden darf- ist es notwendig, die Schutzpflichtenlehre auf eine sichere dogmatische Grundlage zu stellen. Andernfalls wird sie, wie dies in einzelnen Entscheidungen bereits zum Ausdruck kommt142, zum bloßen Schlagwort in der Beurteilung der Beziehungen zwischen Privatrechtssubjekten.

4. Grundrechtliche Schutzpflichten im rechtsgeschäftliehen Bereich? Der erste Kleinbetriebsbeschluß stellt nach den Entscheidungen zur Bedarfskündigung nach dem Einigungsvertrag die Fortsetzung der Rechtsprechung zur Schutzpflicht im rechtsgeschäftliehen Bereich dar, wenngleich mit der Kündigung ein einseitiges Rechtsgeschäft in Frage steht. Nichtsdestoweniger scheint die Schutzpflichtenrechtsprechung des BVerfG nunmehr auch im rechtsgeschäftliehen Bereich fest Fuß gefaßt zu haben. BVeifGE 92, S. 140 (150); E 97, S. 169 (175). lsensee, HStR V, § 111 Rn 80. 141 E. Klein, NJW 1989, S. 1633 (1635); CaTUJris, AcP Bd. 184 (1984), S. 201 (227); zur grundsätzlichen Kritik an der Wertetheorie lsensse, HStR V,§ 111 Rn 81 und 184m. w. N.; anders Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtliehen Schutzpflichten, S. 33 ff. ; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtliehen Schutzpflichten, S. 64 ff.; Diederichsen, AcP Bd. 198 (1998), s. 171 (220 ff.). 142 So z. B. in BVeifGE 92, S. 140 (150); E 97, S. 169 (175). 139

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Die Anwendung der Schutzpflicht im rechtsgeschäftliehen Bereich wird teilweise begrüßt 143 • Der Staat sei aufgrund der Funktion der Grundrechte als staatsgerichteter Schutzpflicht verpflichtet, die in den Grundrechten zum Ausdruck gekommenen Werte und Rechtsgüter gegen Verletzungen zu schützen, und zwar auch gegen Verletzung durch andere Bürger, weswegen es auch um die Problematik der Drittwirkung gehe 144. Dabei sei die Schutzgebotsfunktion der Grundrechte das "missing link", um die unmittelbare Einwirkung der Grundrechte auf das Verhalten der Privatrechtssubjekte zu erklären und die diffuse Lehre von der "Ausstrahlungswirkung" auf ein festeres theoretisches Fundament zu stellen 145 • Unterschieden wird eine ,,Einwirkung der Grundrechte auf die Normen des Privatrechts - seien sie geschrieben oder im Wege richterlicher Rechtskonkretisierung und -fortbildung gewonnen - (die) eine mittelbare ist", und Akten von Privatrechtssubjekten, bei deren Überprüfung auf Vereinbarkeit mit den Grundrechten ihre Funktion als Schutzgebote einschlägig sei, und da diese regelmäßig der Umsetzung durch einfaches Recht bedürften, sei die Einwirkung der Grundrechte insoweit nur eine "mittelbare" 146• Die Anwendung der Schutzpflichtenlehre hat andererseits auch deutliche Kritik hervorgerufen. Hingewiesen wird darauf, daß es am privaten Eingriff fehle. Der Fall der Handelsvertreterentscheidung 147 habe nicht die grundrechtliehen Schutzpflichten zum Gegenstand, denn der Unternehmer, der mit dem Handelsvertreter ein Wettbewerbsverbot vereinbare, agiere, auch wenn ein noch so "starkes Übergewicht" vorliegen sollte, nicht gegen das Gesetz. Deshalb gehe es hier nicht um Täter und Opfer, sondern um den sozial Stärkeren und Schwächeren; der Staat interveniere nicht, weil ein Privater das Rechts des anderen verletze, sondern weil angesichts des "sozialen und wirtschaftlichen Ungleichgewichts" eine Voraussetzung für die reguläre Grundrechtsausübung im privatautonomen Interessenausgleich fehle und diese durch das staatliche Recht kompensiert werden solle. Dies aber sei nicht Gegenstand der grundrechtliehen Schutzpflicht, sondern der Schutzvorkehrungen des Sozialstaats 148 • Zöllner fordert, die Schutzgebotsfunktion der Grundrechte müsse darauf beschränkt sein, sie im Sinn eines die Einschaltung des parlamentarischen Gesetzgebers erfordernden Regelungsauftrags zu verstehen; wenn man dagegen in den Schutzauftrag den streitentscheidenden Richter einbeziehe, 143 Canaris, AcP Bd. 184 (1984), S. 201 (225 f.); ders., Grundrechte und Privatrecht, S. 37 f.; Dieterich, RdA 1992, S. 330 (332); ders. , RdA 1995, S. 129 (134); ders., NZA 1996, S. 673, (675); ders., Gern. Anm. zu BVerfG v. 27. 1. 1998, AR-Blattei ES 1020 Nr. 345 und 346; Kühling, FS Dieterich, S. 325 (327); ders., ArbuR 1994, S. 126 (128); ähnl. Hermes, NJW 1990, S. 1764 ff. 144 Canaris, AcP Bd. 184 (1984), S. 201 (225 f.). 145 Canaris, JuS 1989, S. 161 (172). 146 Canaris, AcP Bd. 184 (1984), S. 201 (228) - Hervorhebungen im Original; ders., Grundrechte und Privatrecht, S. 83. 147 BVerfGE 84, S. 242. 148

Isensee, HStR V,§ 111 Rn 131; vgl hierzu insbesondere u. Kap. 3 B.

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sei der Unterschied zur unmittelbaren Geltung der Grundrechte bei der Konkretisierung der Generalklausel im praktischen Ergebnis - zumindest weitgehend - obsolet. Auch sei es illusionär, der Gesetzgeber oder Richter könne dem Gebot umfassend nachkommen; er werde vielmehr immer nur Teilbereiche aufgreifen, diese nach dem Prinzip des geringsten Widerstandes auswählend 149. Diederichsen kritisiert, mit der Handelsvertreterentscheidung tue das BVerfG einen ersten Schritt, die der Privatautonomie vorbehaltenen Freiräume, die bislang lediglich im Rahmen der Inhaltskontrolle durch Generalklauseln beschränkt worden sei, mit inhaltlich gemeinten Vorgaben zu strukturieren; als Dogma verstanden bedrohe die Entscheidung daher die Vertragsfreiheit, die sie zu schützen vorgebe 150. a) Schutz vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses als Anwendungsfall der Schutzpflicht?

Diese Kritik läßt sich nur begrenzt auf die Ausweitung der Schutzpflicht auf die Beendigungsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien übertragen. Denn bei der Kündigung handelt es sich zwar um ein Rechtsgeschäft, jedoch ein einseitiges, bei dessen Ausübung das für den Vetragsschluß als zweiseitiges Rechtsgeschäft typische Aushandeln der Vertragsmodalitäten fehlt. Zudem ist die arbeitsrechtliche Vertragsbeendigung schon traditionell niemals ein Bereich typischer, unbegrenzter Privatautonomie gewesen. Die Beendigungsfreiheit des Arbeitgebers wurde und wird durch so viele Einschränkungen durchbrochen, daß de facto die freie Beendigung des Arbeitsverhältnisses die Ausnahme, ihre Einschränkung dagegen die Regel darstellt. Dennoch muß beachtet werden, daß das Arbeitsrecht in der Gesamtrechtsordnung ein Teil des Zivilrechtssystems darstellt, so daß wegen des Grundsatzes der Einheit der Rechtsordnung arbeitsrechtliche Besonderheiten stets vor dem Hintergrund der zivilrechtliehen "Normalregelungen" zu entwickeln und zu begründen sind 151 . Ebenso wie in der Handelsvertreterentscheidung (Fehlen eines "annähernden Kräftegleichgewichts" 152) geht es auch bei der arbeitsrechtlichen Vertragsbeendigung typischerweise um Ungleichgewichtslagen und um die Unterlegenheit des einen Vertragspartners. Dem Arbeitnehmer ist es wegen der strukturellen Funktionsdefizite der Vertragsfreiheit auf dem Arbeitsmarkt 153 nicht immer möglich, die Vertrags- und damit auch die Beendigungsbedigungen ihres Arbeitsverhältnisses frei auszuhandeln. Damit fragt sich in der Tat, ob nicht die Schutzpflicht in diesem Bereich nach der Rechtsprechung des BVerfG eine Funktion übernehmen soll, die ihr nicht -jedenfalls nicht nach ihrer ursprünglichen Idee zukommt, sondern die einen sehr viel engeren Zusammenhang mit dem Sozial149

Zöllner, AcPBd.196(1996),S.1 (11).

Diederichsen, AcP Bd. 198 (1998 ), S. 171 (250). Reuter, FS Hi1ger I Stumpf, S. 573 (579 und 593). 152 BVeljGE 81, S. 242 (I. Leitsatz). 150 151

153

V gl. Rütten, Institutionelle Arbeitslosigkeit, S. 48 ff.

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Staatsgedanken aufweist154 • Die Schutzpflicht wahrt nur bestehende, bereits vorhandene Rechtspositionen. Dies folgt aus ihrem Wesen, dessen Besonderheit im Unterschied zum Abwehrrecht einzig darin besteht, daß nicht vor Angriffen des Staates, sondern vor Eingriffen privater Dritter Schutz gewährt wird. Entscheidend ist dabei, daß jedenfalls vor Eingriffen geschützt wird. Die Schutzpflicht schafft also in jedem Fall keine neuen Freiheitsräume, sie verteidigt lediglich bestehende. Gerade in der Handelsvertreterentscheidung, aber auch im ersten Kleinbetriebsbeschluß soll die Schutzpflicht nach der Auffassung des BVerfG jedoch mehr leisten: Sie soll im Ergebnis eine Kompensation der Unterlegenheit der einen Vertragspartei bei Aushandeln des Vertrags bieten. In der Handelsvertreterentscheidung heißt dies: "Art. 12 Abs. 1 GG kann gebieten, daß der Gesetzgeber im Zivilrecht Vorkehrungen zum Schutz der Berufsfreiheit gegen vertragliche Beschränkungen schafft, nämlich wenn es an einem annähernden Kräftegleichgewicht der Beteiligten fehlt" 155 . Der Schutzgedanke des Art. 12 Abs. I GG soll also letztlich die "effektive Ausübbarkeit der Freiheit" 156 des Art. 12 GG ermöglichen. Dies ist mehr als nur der Schutz vor Eingriffen Privater. Darum geht es auch bei der Einschränkung der Beendigungsfreiheit bei Arbeitsverhältnissen. Der Schutz vor Kündigungen soll nach dem ersten Kleinbetriebsbeschluß der Sache nach bezwecken, dem Bürger Schutz vor den Risiken des Marktes zu gewährleisten und ihm damit die faktische Ausübbarkeit der formal bestehenden Freiheit, den Arbeitsplatz zu wählen und beizubehalten, gewährleisten. Damit geht es um die Schaffung der realen Voraussetzungen der Ausübung der Freiheit, nicht lediglich - wie der Schutzpflichtgedanke bezweckt -um die Abwehr von Eingriffen. Die Kündigung des Arbeitgebers kann gar keinen (privaten) Eingriff darstellen. Denn das Arbeitsverhältnis wurde im Bewußtsein seiner Beendbarkeit nach den jeweils geltenden arbeitsrechtlichen Regeln abgeschlossen. Damit kann es nur um den Ausgleich ungleicher gesellschaftlicher Machtverhältnisse gehen, was Thema des Sozialstaates ist 157 • Die Schutzpflicht soll nach dem ersten Kleinbetriebsbeschluß mehr leisten, als sie zu leisten gedacht ist. Dieses Mehr, die Schaffung der Voraussetzungen für die Ausübbarkeit der Freiheit, ist Aufgabe des Sozialstaatsprinzips. Eine grundrechtliche Schutzpflicht kann zu ihrer Begründung nicht herangezogen werden.

b) Gefahr der Tendenz zur unmittelbaren Drittwirkung Schwer wiegt ebenfalls der Einwand Zöllners, der Unterschied zur unmittelbaren Geltung der Grundrechte im Privatrecht werde obsolet, wenn man in die Schutzpflicht den streitentscheidenden Richter einbezieht 158 • Selbst dann also,wenn man 154 155 156 157 158

Vgl. lsensee, HStR V, § 111 Rn 131. BVerfGE 81 , 242 (1. Leitsatz). Isensee, HStR V, § 111 Rn 132. Isensee, HStR V,§ 111 Rn 132. Zöllner; AcP Bd. 196 (1996), S. 1 (11).

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einen Anwendungsfall der grundrechtliehen Schutzpflicht annimmt, ist dieser eine sich aus ihrem Wesen ergebende Grenze gezogen. Ausgangspunkt hierfür ist wiederum die Feststellung, daß sich die Wirkung der Schutzpflicht auf die Verteidigung und Wahrung bereits bestehender Rechte und Freiheiten beschränkt, nicht aber dazu dient, neue Freiheitsräume zu eröffnen oder die Voraussetzungen der faktischen Ausübbarkeil formaler Freiheit zu schaffen 159• Dann liegt die Besonderheit der Schutzpflicht im Vergleich zur liberal-rechtsstaatliehen Abwehrfunktion der Grundrechte allein darin, daß sie nicht Eingriffe des Staates, sondern privater Dritter abzuwehren bestimmt ist. Unter diesem Aspekt des Schutzes bestehender Freiheit kann also der Schutz des gefährdeten Grundrechtsträgers gegen "Eingriffe" Privater nicht weiter reichen als der Schutz gegen staatliche Eingriffe; dieser bildet zwangsläufig die Obergrenze der Schutzpflicht Speziell bei Art. 12 Abs. 1 GG ist der Schutz gegen staatliche Eingriffe aber ganz besonderen Regeln unterworfen, zu denen vor allem die vom BVerfG entwickelte Stufenlehre gehört. Der Schutz gegen staatliche Eingriffe in die nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Freiheit steht also immer unter dem Vorbehalt der nach Maßgabe der Stufenlehre differenzierten Eingriffsrechtfertigungen. Dabei stellt die Stufenlehre sich als Ausdruck des Spannungsverhältnisses zwischen den Interessen des Eingreifenden und des Grundrechtsträgers, also zwischen Gemeinwohl und individueller Freiheit 160 dar. Für die Schutzpflicht bedeutet dies, daß sie ebenfalls unter dem Vorbehalt der überwiegenden Interessen des Eingreifenden, hier: des privaten Dritten, steht. Freilich können die Regeln der Stufenlehre nicht "eins zu eins" auf das Verhältnis zwischen eingreifendem Dritten und gefährdetem Grundrechtsträger übertragen werden, doch ergibt sich aus dem Gedanken der Stufentheorie auch eine Obergrenze für die Schutzpflicht Wird diese bei staatlichen Eingriffen durch das Gemeinwohl markiert, ist es bei Eingriffen Privater die- grundrechtlich jedenfalls nach Art. 2 Abs. 1 GG ebenfalls geschützte 161 - Privatautonomie, die der Schutzpflicht eine Obergrenze setzt. Dabei muß aber im Verhältnis der Privaten untereinander der Privatautonomie ein größeres Gewicht zukommen als im Bürger-Staat-Verhältnis dem Gemeinwohl. Andernfalls wäre der eingreifende Private nämlich in derselben Intensität an die Grundrechte gebunden wie der Staat- eben unmittelbar. Wird mit anderen Worten im Ergebnis eine unmittelbare Grundrechtsbindung Privater abgelehnt, dann muß der gefährdete Grundrechtsträger einen geringeren Schutz vor Eingriffen Privater erfahren als vor staatlichen Eingriffen. Im Verhältnis der Privatrechtssubjekte untereinander muß stets das Primat der Privatautonomie beachtet werden. Diese bedeutet grundsätzlich Freiheitsverwirklichung, nicht Freiheitseinschränkung, während es sich bei staatlichen Maßnahmen grundsätzlich umgekehrt verhält. Solche oder ähnliche Erwägungen zu einer oberen Begrenzung der grundrechtliehen Schutzpflicht wurden im ersten Kleinbetriebsbeschluß nicht angestellt. 159 160 161

Isensee, HStR V, § 111 Rn 132. Rütten, Institutionelle Arbeitslosigkeit, S. 103. Bleckmann, Die Grundrechte, S. 404.

A. Art. 12 Abs. 1 GG und allgemeiner Kündigungsschutz

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c) Die grundrechtliche Schutzpflicht und die Arbeitsplatzwahlfreiheit Arbeitsuchender

Unter dem Gesichtspunkt der Stufentheorie kommt ein weiteres hinzu. Schutz des Opfers bedeutet im Privatrechtsverhältnis immer zugleich Belastung des Störers. Diese Belastung muß allen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen162. Damit muß die Zuerkennung der Schutzpflicht für den Arbeitnehmer, sofern man in der Konstellation des Kündigungsschutzes überhaupt einen ihrer Anwendungsfälle erblickt 163, auch vor dem ebenfalls nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Interesse des Arbeitgebers, die Zahl der in seinem Unternehmen beschäftigten Mitarbeiter auf das von ihm bestimmte Maß zu beschränken 164, gerechtfertigt werden. Wenn das BVerfG die Stufenlehre also schon nicht unter ihrem eingriffsrechtfertigenden Aspekt behandelt hat (der private Dritte, hier: der Arbeitgeber, darf mindestens so weit "eingreifen" wie der Staat), dann hätte es sie jedenfalls unter ihrem eingriffsbegrenzenden Aspekt (der Staat darf ein Privatrechtssubjekt, hier: den Arbeitnehmer, nur so weit schützen, wie der Schutz als Eingriff in Rechte Dritter, hier: der Arbeitsuchenden, gerechtfertigt werden kann) erwähnen müssen. Das setzt voraus, daß man die Frage der Schutzpflicht in dem Verhältnis zwischen Opfer und Staat sowie zwischen Drittem (oder Dritten) und Staat, also jeweils in ihrer Beziehung auf den Staat beurteilt. Stattdessen aber führt das BVerfG eine direkte Abwägung der privaten Interessen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber gegeneinander 165 durch. Dadurch werden die Rechtfertigungszwänge für staatliche Maßnahmen - zu denen auch solche des Schutzes gehören - außer acht gelassen. Dies gilt zumal für die besonderen Eingriffs- und Schrankenvoraussetzungen, die durch die Stufenlehre für Art. 12 Abs. 1 GG errichtet werden. Schutz ist Begünstigung des Opfers, doch gleichzeitig auch Belastung Dritter. Zu den Dritten gehört der Störer, gehören aber auch unbeteiligte Dritte. Im Fall der Kündigung sind all diese Rollen besetzt: Opfer ist in dieser Terminologie der Arbeitnehmer, störender Dritter der kündigende Arbeitgeber 166, unbeteiligte Dritte sind die arbeitslosen Arbeitsuchenden. Soweit der Schutzeingriff das Grundrecht eines Dritten, sei er Störer oder nicht, beriihrt, lebt die Abwehrfunktion der Grundrechte auf, mit ihr der Rechtfertigungszwang im Falle eines Eingriffs167. Dabei sind die Anforderungen an die Rechtfertigung strenger, wenn sich der Eingriff gegen einen Unbeteiligten, als wenn er sich gegen den Gefahr162 163 164 165

Isensee, HStR V,§ 111 Rn 168 ff. Anders o. Kap. 3 A 111 4 a. BVerfGE 97, S. 169 (176). BVerfGE 97, S. 169 (176 ff.).

So jedoch nur, wenn man mit dem BVerfG einen Anwendungsfall der Schutzpflicht bejahen will; abl. oben Kap. 3 A III 4a, ab!. ferner für den Unternehmer im Fall der Handelsvertreterentscheidung (BVerfGE 81, S. 242) /sensee, HStR V, § 111 Rn 131; zum Kündigungsschutz vgl. o. Kap. 3 A III 4 a. 167 /sensee, HStR V,§ 111 Rn 170. 166

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3. Kap.: Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

venmacher richtet 168• Bei Berücksichtigung dieser Grundsätze für die Schutzpflicht des Arbeitnehmers als Grundlage des Kündigungsschutzes ergäben sich folgende Konsequenzen aus der Anwendung der Stufenlehre: Durch die Errichtung eines Mindestkündigungsschutzes im Kleinbetrieb wird der Arbeitgeber in seinem Recht auf Bestimmung über Person und Umfang seiner Mitarbeiter, mithin in seiner Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG getroffen 169• Hierbei handelt es sich um bloße Modalitäten, unter denen sich die berufliche Tätigkeit des Arbeitgebers vollzieht. Eine entsprechende Betätigung ist also der Berufsausübungsfreiheit zuzuordnen, die bereits durch jede vernünftige Erwägung des Gemeinwohls legitimiert wird 170• Zu dieser Rechtfertigung müßte es jedoch erst dann kommen, wenn man erstens in der Kündigung des Arbeitgebers einen privaten Übergriff sieht, durch den der Arbeitgeber in die Rechtssphäre des Arbeitnehmers eingreift 171 , und wenn man zweitens der weiten Tatbestandstheorie folgt, derzufolge der Schutzbereich eines Grundrechts sein Sachthema vollständig abdeckt172, so daß die Kündigung durch den Arbeitgeber als Übergriff in das Grundrecht eines anderen überhaupt in den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG fällt und so die Eingriffs- und Schrankensystematik auslösen kann. Selbst wenn man sich über diese Probleme hinweghilft, mag sich Kündigungsschutz gegenüber dem Grundrecht des Arbeitgebers aus Art. 12 Abs. 1 GG noch rechtfertigen lassen, etwa indem man in einer besonderen Schutzbedürftigkeit der Arbeitnehmer eine vernünftige Erwägung des Gemeinwohls erkennt. Doch ist die Annahme einer Schutzpflicht jedenfalls dann nicht mehr möglich, wenn man die Schutzpflicht unter dem Blickwinkel der Belastung unbeteiligter Dritter, also der arbeitsuebenden Arbeitslosen, betrachtet. Hierfür kommt es nicht darauf an, ob man in der Kündigung einen (privaten) Übergriff erblickt oder ob man der weiten oder engen Tatbestandstheorie folgt, denn diese Aspekte betreffen die private Maßnahme der Kündigung; bei der Belastung der unbeteiligten Dritten durch die staatliche Maßnahme der Schutzgewährung kommt es darauf nicht an; der unbeteiligte Dritte wird hiergegen also "auf ganzer Linie" durch Abwehrrechte geschützt 173 • Für die arbeitsuebenden Außenseiter bedeutet die Zuerkennung eines Mindestkündigungsschutzes für Arbeitnehmer im Kleinbetrieb stets einen Eingriff in ihr Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG, und zwar auf der Stufe der Arbeitsplatzwahlfreiheit, wobei objektive Zulassungsbedinungen errichtet werden, weshalb ein Eingriff höchster Intensität stattfindet, der nur unter strengen Voraussetzungen 168 169 170

Isensee, HStR V, § 111 Rn 170. BVerfGE 97, S. 169 (176). Jarass /Pieroth, Art. 12 Rn 20a; BVerfGE 7, S. 377 (405 f.).

171 Bereits hieran fehlt es nach Isensee, HStR V, § 111 Rn 131, im Fall des nachvertraglichen Wettbewerbsverbots; vgl. auch o. Kap. 3 A II 4 c. 172 Vgl. Isensee, HStR V, § 111 Rn 171 ff. ; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 278 ff., 290 ff. 173 Isensee, HStR V,§ 111 Rn 171.

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zum Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter statthaft ist174. Damit bestehen wesentlich größere Schwierigkeiten, die Schutzpflicht zugunsten der Arbeitnehmer vor dem Grundrecht der Arbeitsuchenden aus Art. 12 Abs. 1 GG zu rechtfertigen. Daß hierfür die vom BVerfG genannten Umstände 175 nicht hinreichen, da die für den Schutz der Arbeitnehmer angeführten Erwägungen ebenso für einen Schutz der Arbeitsuchenden sprechen und damit nicht für eine Bevorzugung der Arbeitnehmer unter Beeinträchtigung der Zugangsinteressen Arbeitsuchender herangezogen werden können, wurde schon dargelegt 176• So gelangt man wiederum zu dem Punkt, an dem Art. 12 Abs. 1 GG in seiner Funktion als staatsgerichtetes Abwehrrecht eingreift. Auch bei einer Argumentation, die sich auf grundrechtliehe Schutzpflichten stützt, kommt man folglich nicht umhin, die Grenzen für den Kündigungsschutz zu beachten, die sich aus dem Abwehrrecht des Art. 12 Abs. 1 GG ergeben. Damit läßt sich Kündigungsschutz so, wie er von der Bestandsschutztheorie gedeutet wird, auch nicht durch die Figur der grundrechtliehen Schutzpflicht rechtfertigen. Dieser Aspekt der Rechtfertigungsbedürftigkeit der Schutzpflicht als Belastung gegenüber unbeteiligten Dritten gerät aus dem Blickfeld, wenn man das Ob und das Wie einer Schutzpflicht lediglich von einer direkten Abwägung der Interessen des Störers und des Opfers abhängig macht 177• Vielmehr muß die Schutzpflicht in jedem Fall stets in ihrem Bezug auf den Staat, der sie zu erfüllen hat und deshalb der Handelnde ist, gesehen werden; die abschließende Beurteilung der Schutzpflicht kann sich also nur aus einer Beurteilung der Beziehungen der Beteiligten (hier: Arbeitgeber, Arbeitnehmer, Arbeitsuchende) jeweils zum Staat ergeben. Die Beurteilung der Beziehung des privaten Störers (Arbeitgeber 178) zum Opfer (Arbeitnehmer) ist damit allenfalls- nämlich zur Feststellung des Eingriffs eines Privaten als Tatbestandsmerkmal einer Schutzpflicht 179 - notwendige, nicht aber hinreichende Bedingung für einen auf eine grundrechtliche Schutzpflicht gestützten Kündigungsschutz 180• Als Ergebnis kann daher festgehalten werden, daß eine Bejahung einer Schutzpflicht als Ergebnis einer zwischen den Positionen des "Störers" und des "Opfers" 174

Jarass!Pieroth, Art. 12 Rn 31; BVeifGE 7, S. 377 (408 f.); s. auch o. Kap. 3 A II 4 c aa.

m BVeifGE 97, S. 169 (177). 176 s.o. Kap. 3 A I1 4 c dd.

So aber auch K. Gamillscheg, Beendigung des Arbeitsverhältnisses, S. 40 f. Unterstellt, er sei Störer. 179 Isensee, HStR V,§ 111 Rn 97, 89. 180 Anders jedoch K. Gamillscheg, Beendigung des Arbeitsverhältnisses, S. 41, die ebenso wie das BVerfG eine direkte Abwägung vornimmt und die dem Staat durch die Rechte der Arbeitsuchenden gezogene Grenze deshalb nicht berücksichtigt: "Die Schutzpflicht zugunsten des Arbeitgebers ist damit gleichzeitig Grenze der Schutzpflicht zugunsten des Arbeitnehmers." Auch Urban, Kündigungsschutz außerhalb des KSchG, S. 50, greift zu kurz, wenn sie im Rahmen des Schutzauftfrags lediglich die Grundrechtswahrnehmung des Arbeitgebers und die des Arbeitnehmers in einen "gerechten Ausgleich" bringen will. 177

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3. Kap.: Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

gebildeten Konkordanz zu kurz greift. Zu beachten ist stets, daß die Erfüllung der Schutzpflicht durch eine staatliche Maßnahme erfolgen muß, die in ihrer Wirkung ambivalent ist, indem sie bei Begünstigung des Opfers Dritte belastet. Eine solche staatliche Maßnahme bedarf daher verfassungsrechtlicher Rechtfertigung vor den Grundrechten des störenden, vor allem aber des unbeteiligten Dritten. Deren Grundrechte werden dann in ihrer Funktion als liberal-rechtsstatliche Abwehrrechte aktuell und aktivieren die Schrankensystematik des beeinträchtigten Grundrechts, im Fall der Berufsfreiheit also die Rechtfertigungsanforderungen nach Maßgabe der Stufenlehre. Deren spezifische Erfordernisse werden übersehen, wenn man die Frage, ob "der Gesetzgeber seiner aus diesem Grundrecht abzuleitenden Pflicht zum Schutz der Arbeitnehmer vor Arbeitgeberkündigungen (... ) hinreichend nachgekommen ist", von einer "praktischen Konkordanz" im direkten Verhältnis von Arbeitnehmer und Arbeitgeber abhängig macht181 • Zur materiellen Rechtfertigung des Kündigungsschutzes bedarf es daher anderer als der von der Bestandsschutztheorie angenommenen Regelungszwecke, die sich bereits unter dem Gesichtspunkt der Rechtfertigung des staatlichen Eingriffs in das Abwehrrecht des Arbeitsuchenden als unzureichend erwiesen hat, schon weil der Eingriff nicht auf arbeitnehmerspezifische Schutzbedürfnisse gestützt wird und gegen das Verbot des Schutzes vor Konkurrenz verstößt182• Daran führt auch die Schutzpflichtkonstruktion nicht vorbei.

5. Schutzpflicht und Kompetenz

Adressat der grundrechtliehen Schutzpflicht ist nach § 1 Abs. 3 GG der Staat. In der Erfüllung der Schutzpflicht stehen dem Staat aber anders als im Fall der Abwehrrechte oft mehrere Maßnahmen zur Verfügung. "Abwehrrechte sind für den Adressaten Verbote, etwas zu zerstören, zu beeinträchtigen usw. Leistungsrechte sind für den Adressaten Gebote, etwas zu schützen, zu fördern usw. Wenn es verboten ist, etwas zu zerstören oder zu beeinträchtigen, dann ist jede Handlung, die eine Zerstörung oder Beeinträchtigung darstellt oder bewirkt, verboten. Demgegenüber ist dann, wenn es geboten ist, etwas zu schützen oder zu fördern, nicht jede Handlung, die einen Schutz oder eine Förderung darstellt oder bewirkt, geboten." 183 Damit besteht bei der Erfüllung der Schutzpflicht ein gewisser Gestaltungs- 184 bzw. Auswahlspielraum. Die Schutzpflicht wird also nicht schon durch ihre (u.U. gerichtliche) Feststellung, sondern erst durch Vollzugs- und Umsetzungsakte erfüllt 185 . So ergibt sich die Frage, welche staatliche Institution zur Erfüllung 181 So aber BVeifGE 97, S. 169 (176 ff.); wohl auch Jarass, AöR Bd. llO (1985), S. 363 (383 f.). 182 S.o. Kap. 3 A II 4 c ee. 183 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 420. 184 Wahl/Masing, JZ 1990, S. 553 (558). 185 Wahl/ Masing, JZ 1990, S. 553 (559).

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der Schutzpflicht durch Umsetzung unter Auswahl des Mittels kompetent ist. Die Frage stellt sich deshalb, weil durch die Schutzpflicht selbst keinerlei Kompetenzen oder Befugnisse geschaffen werden; diese werden vielmehr vorausgesetzt186 . Die Kompetenz zur Erfüllung der Schutzpflicht richtet sich damit nach der im demokratischen Rechtsstaat geltenden Kompetenzordnung. Aus diesem Grunde beansprucht auch der aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) für die Erfüllung der Schutzpflicht Geltung. Demzufolge bedürfen Eingriffe in die Rechts- und Freiheitssphäre von Grundrechtsträgem einer positiven rechssatzmäßigen Ermächtigung 187 • Durch den Gesetzesvorbehalt werden also die Handlungs- und Schutzmöglichkeiten der Verwaltung und der Gerichte zugunsten der Kompetenz der Legislativen eingeschränkt. Dem entspricht die herrschende Auffassung in der Literatur, wonach die Schutzpflicht grundsätzlich "gesetzesmediatisiert" 188, d. h. der Regelung durch den Gesetzgeber zu überantworten ist, der die Rechtsfolgen der Schutzpflicht bestimmt 189• Auch die Rechtsprechung selbst erblickt in der Gesetzgebung den primär zur Erfüllung der Schutzpflicht berufenen Adressaten 190, indem betont wird, bei der Erfüllung der Schutzpflicht komme dem Gesetzgeber ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsbereich zu, der auch Raum lasse, etwa konkurrierende öffentliche und private Interessen zu berücksichtigen 191 .

a) Schutzpflichtunmittelbare Kompetenz?

Demgegenüber wird teilweise behauptet, daß die Schutzpflicht selbst die Legitimation zum Eingriff in Grundrechte anderer darstelle. Im Zusammenhang mit der Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch wird ausgeführt: "Die Schutzpflicht enthält also zu Lasten der Mutter eine Eingriffsermächtigung. Die Schutzpflicht wird zur Berechtigung, ein anderes Grundrecht zu beschränken." 192 Zwar könnte man annehmen, dem Gesetzesvorbehalt sei insofern genüge getan, als man die Schutzpflicht selbst als unmittelbar aus den Grundrechten folgend anerkennt und so eine Legitimation durch Verfassungsrecht, also ein "Mehr" gegenüber dem (einfachen) Parlamentsgesetz, gegeben ist. Doch führt diese Ansicht letztlich zu einem lsensee, HStR V, § 111 Rn 148; Wahl! Masing, JZ 1990, S. 553 (559). Stern, Bd. I, § 20 IV 4. 188 Stern, Bd. III/ 1, § 76 IV 7. 189 Isensee, HStR V,§ 111 Rn 151 f.; Wahl/Masing, JZ 1990, S. 553 (559); E. Klein, NJW 1989, S. 1633 (1636); Starck, Praxis der Verfassungsinterpretation,S. 80; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtliehen Schutzpflichten, S. 69, Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtliehen Schutzpflichten, S. 23 f. 190 BVerfGE 39, S. 1 (44); E 46, S. 160 (164); E 77, S. 170 (214 f.); E 97, S. 169 (176); vgl. auch lsensee, HStR V,§ 111 Rn 162. 191 BVerfGE 77, S. 170 (214 f.). 192 Jarass, AöR Bd. 110 (1985), S. 363 (383). 186 187

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3. Kap.: Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

Verstoß gegen den aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Gewaltenteilungsgrundsatz. Denn zum Wesen der Schutzpflicht gehört die Abwehr eines Eingriffs durch eine privaten Störer; Schutzpflicht bedeutet für ihn Freiheitsbeschränkung 193, im Fall des ersten Kleinbetriebsbeschlusses dariiber hinaus auch für die Arbeitsuchenden als unbeteiligte Dritte 194. Die Legitimation dieser Eingriffe kann aber nur durch ein Gesetz des Parlaments erfolgen, das die Eingriffsvoraussetzungen abstrakt-generell im vorhinein mit der erforderlichen Rechtsklarheit festlegt und so die Wahl des Schutzmittels und damit die Entscheidung über das "Wie" der Erfüllung der Schutzpflicht unter Gewichtung aller beteiligten Interessen trifft. b) Zur Kompetenz der Rechtsprechung

Die Aufgabe der Rechtsprechung muß damit grundsätzlich darauf beschränkt bleiben, das "Ob" der Schutzpflicht festzustellen. Schon hierbei hat sie die vom Gesetzgeber bereits getroffenen Entscheidungen zunächst daraufhin zu überprüfen, ob sie der von ihr statuierten Schutzpflicht genügen, und dabei zu beachten, daß der Gesetzgeber nicht zu optimalem Schutz verpflichtet ist 195 • Daher kann- auch nach Ansicht des BVerfG 196 -eine Verletzung grundrechtlicher Schutzpflichten, d. h. das "Ob" der Schutzpflicht, nur dann festgestellt werden, wenn die staatlichen Organe gänzlich untätig geblieben sind oder wenn offensichtlich ist, daß die getroffene Maßnahme völlig ungeeignet oder unzulänglich ist197 . Für das "Wie", die Erfüllung der Schutzpflicht, besitzt allein der Gesetzgeber die erforderliche Kompetenz. Zwar kann die in der Schutzpflicht objektivrechtlich liegende Garantie eines Minimalschutzes eine Verengung des mit der Schutzpflicht grundsätzlich bestehenden Spielraums auf eine bestimmte Maßnahme haben 198 . Doch darf dies wegen der für den Rechtsstaat konstitutiven Bedeutung von Gewaltenteilung und Gesetzesvorbehalt nicht schon bei jeder Mangelhaftigkeit in der Erfüllung der Schutzpflicht angenommen werden. Zu bedenken ist, daß bereits die Frage, ob tatsächlich eine Verengung auf nur eine bestimmte Maßnahme gegeben ist, in die Einschätzungsprärogative der gesetzlichen Gewalt gehören kann. Diese kompetentiellen Grundsätze sind im ersten Kleinbetriebsbeschluß nur teilweise eingehalten worden. Zunächst fällt auf, daß - in Wiederholung der Formulie193 Dies jedenfalls dann, wenn man, wie z. B. Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 290 ff., der weiten Tatbestandstheorie folgt. 194 Sofern man, wie das BVerfG, in der Konstellation überhaupt einen Anwendungsfall der Schutzpflicht erblickt; ab!. hier, s.o. Kap. 3 A II 3. 195 Starck, Praxis der Verfassungsinterpretation, S. 80; ähnl. lsensee, HStR V, § 111 Rn 163. 196 BVerfGE 56, S. 54 (80 f.); E 77, S. 170 (214 f.); E 77, S. 381 (404 f.); E 97, S. 169 (176 f .). 197 /sensee, HStR V,§ 111 Rn 162. 198 Wahl/ Masing, JZ 1990, S. 553 (562).

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rung vorangegangener Entscheidungen 199 - der aus Art. 12 Abs. 1 GG folgenden Schutzpflicht "durch die geltenden Kündigungsvorschriften hinreichend Rechnung (ge)tragen" werde200. Zu den Kündigungsvorschriften gehört auch§ 23 Abs. 1 S. 2 KSchG sowie, soweit sie den Schutz vor Kündigungen betreffen, die zivilrechtliehen Generalklauseln der §§ 138, 242 BGB in der Ausformung, die sie vor dem ersten Kleinbetriebsbeschluß hatten, d. h. ohne die die Kündigungsmöglichkeit einschränkenden Voraussetzungen, wie sie in diesem Beschluß genannt werden 201 . Dennoch, also auch wenn bis dahin der Schutzpflicht genüge getan war, postuliert das BVerfG als ,. veifassungsrechtlich gebotenen Mindestschutz des Arbeitsplatzes"202 - mithin als Forderung ebendieser Schutzpflicht - die die Wirksamkeit der Kündigung im Kleinbetrieb einschränkenden Grundsätze. Dann aber kann es nur so gewesen sein, daß bis zu dieser Entscheidung der Schutzpflicht doch nicht hinreichend Rechnung getragen worden ist. Darin liegt ein Widerspruch. Das BVerfG beschränkt sich also im ersten Kleinbetriebsbeschluß nicht lediglich auf die Feststellung einer Schutzpflicht Vielmehr statuiert es selbst die zur Erfüllung der Schutzpflicht dienenden Maßnahmen, nämlich die Kündigung im Kleinbetrieb wegen Verstoßes gegen §§ 138, 242 BGB für unwirksam zu erklären, etwa wenn bei einer Auswahl "ein gewisses Maß an sozialer Rücksichtnahme" oder "durch langjährige Mitarbeit erdientes Vertrauen in den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses" unberiicksichtigt bleibt203 . Dabei hätte das BVerfG zunächst das "Ob" einer Schutzpflicht erörtern müssen. Dazu wären die Kündigungsvorschriften (in der bis dahin anerkannten Auslegung) daraufhin zu untersuchen gewesen, ob sie einen hinreichenden Schutz für die Arbeitnehmer im Kleinbetrieb gewähren, und ob die Gewährung von Schutz einen nicht gerechtfertigten Eingriff in grundrechtlich geschützte Positionen des Störers und unbeteiligter Dritter darstellt. Der Gesetzgeber hat den Kündigungsschutz bewußt (auch) mit Rücksicht auf die Zugangsinteressen Arbeitsuchender begrenzt204. Auch schützen die §§ 611a und 612a BGB, abgesehen vom besonderen Kündigungsschutz, auch in Kleinbetrieben vor Kündigungen. "Vollig schutzlos" gestellt sind Arbeitnehmer in Kleinbetrieben also auch ohne die Beschränkungen des BVerfG keineswegs. Aber es hätte auch auffallen müssen, daß sich eine Schutzpflicht mit einer auf die Bestandsschutztheorie gestützten Zweckzuordnung nicht ohne Verstoß gegen das Grundrecht der Arbeitsuchenden auf freie Wahl des Arbeitsplatzes bejahen läßt. Damit wäre bereits das "Ob" der Schutzpflicht fraglich gewesen. Besonders aber für die Postulierung des "verfassungsrechtlich gebotenen Mindestschutzes des Arbeitsplatzes" und seine konkrete Ausgestal199 200 201 202 203 204

BVeifGE 84, S. 133 (147); E 92, S. 140 (150). BVeifGE 97, S. 169 (175). BVeifGE 97, S. 169 (179). BVeifGE 97, S. 169 (178) - Hervorhebung v. Verf. BVeifGE 97, S. 169 (179). Vgl. nurBT-Drucks. 13/4612, S. 8.

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tung205 fehlt dem BVerfG jede Kompetenz. Dieser Mindestkündigungsschutz betrifft das "Wie" der Ausführung und Umsetzung der Schutzpflicht und stellt eine ganz bestimmte Maßnahme aus einem Bündel denkbarer Maßnahmen dar. Über die hierfür erforderliche Kompetenz verfügt allein der Gesetzgeber. Er ist demokratisch legitimiert, alle betroffenen Interessen in bestimmter Weise zu bewerten und seine Abwägung danach auszurichten; und er allein trägt für das von ihm beschlossene Ergebnis des parlamentarischen Diskurses die politische Verantwortung. Wenn dennoch die Judikative- und sei es das BVerfG- eine inhaltliche Konkretisierung der Schutzpflicht vornimmt, wie dies im ersten Kleinbetriebsbeschluß geschehen ist, dann liegt darin ein Verstoß gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz. Die Befürchtung, daß sich das BVerfG mit einer Ausweitung der Schutzpflicht "in bedenklicher Weise jenseits der Gewaltenteilung" manövriere206, erscheint vor diesem Hintergrund zutreffend. Soll damit nicht ein "schleichender Übergang zum Jurisdiktionsstaat"207 gefördert werden, darf diese Rechtsprechung keinen Bestand haben.

B. Sozialstaatsprinzip und allgemeiner Kündigungsschutz In der verfassungsrechtlichen Diskussion um den Kündigungsschutz wird neben den Grundrechten auch das Sozialstaatsprinzip der Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 S. 1 GG angeführt. Kündigungsschutz wird als ein Anwendungsfall des Sozialstaatsprinzips bezeichnet208 . Auch im ersten Kleinbetriebsbeschluß erwägt das BVerfG das Sozialstaatsprinzip als Prüfungsmaßstab des § 23 Abs. I S. 2 KSchG209• Dies gibt Anlaß zur Untersuchung der Frage, welche Vorgaben oder Grenzen aus dem Sozialstaatsprinzip für den Kündigungsschutz, insbesondere den Kündigungsschutz im Kleinbetrieb, folgen. Während die Diskussion weitestgehend auf die Erörterung der Bedeutung des Sozialstaatsprinzips für die Position der Arbeitnehmer als Arbeitsplatzinhaber abstellt, soll hier auch gefragt werden, wie sich das Sozialstaatsprinzip zur Position des arbeitslosen Arbeitsuchenden verhält. Dabei ergeben sich vor allem zwei Problembereiche. Deren erster betrifft die Frage, ob aus dem Prinzipangesichts seiner inhaltlichen Unbestimmtheit überhaupt konkrete Aussagen für den Kündigungsschutz gewonnen werden können. Das andere Problem ist kompetentieller Art: Wenn das Sozialstaatsprinzip als Auslegungsgebot an die Judikative gerichtet ist210, wie weit darf dann 205 206

BVerfGE 97, S. 169 (178 f.). Diederichsen, AcP Bd. 198 (1998), S. 171 (251 f.).

207 Wahl/Masing, JZ 1990, S. 553 (557). 2os Stern, Bd. I, § 21 II 3d.

BVerfGE 97, S. 169 (179, 185). Vgl. auch BVerfGE 36, S. 237 (249 f.); E 45, S. 376 (387); Stern, Bd. I,§ 21 III 4; von Münch/ Kunig, Art. 20 Rn 20. 209

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B. Sozialstaatsprinzip und allgemeiner Kündigungsschutz

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ihre auf das Sozialstaatsprinzip gestützte Interpretation gehen, ohne in den Kompetenzbereich der Legislativen einzugreifen? Über die Rechtsnatur des Soziaistaatsprinzips bestehen demgegenüber keine Meinungsverschiedenheiten mehr. So hat es nach nunmehr allgemeiner Überzeugung Rechtssatzcharakter und ist damit für alle Staatsgewalten verbindlich211 .

I. Inhalt des Sozialstaatsprinzips für den Kündigungsschutz Ohne den umfangreichen Meinungsstand zur inhaltlichen Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips im einzelnen nachzeichnen zu wollen, sollen einige Leitlinien herausgestellt werden, die insbesondere für die Rechtsprechung zum arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz von grundlegender Bedeutung sind. Ausgangspunkt für das Verständnis des Sozialstaatsprinzips ist dabei sein Verhältnis zum Rechtsstaatsprinzip212. Der aus diesem folgende Freiheitsbegriff ist zunächst nur ein formaler. Nach liberal-rechtsstaatlichem Verständnis muß diese dem Staat vorausliegende und nicht erst durch ihn geschaffene Freiheit vor Beschränkungen durch den Staat geschützt werden. Freiheit bedeutet danach Freiheit vom Staat. Doch trifft den Staat danach noch keine Pflicht zur Gewährleistung der Realisierbarkeit der Ausübung; die tatsächliche Realisierung bleibt damit dem Individuum überlassen; dieser Freiheitsbegriff urnfaßt also nicht die Gewährung der sozialen Voraussetzungen der Freiheitsverwirklichung213 . Den Aspekt der tatsächlichen Realisierbarkeit von Freiheit betrifft demgegenüber das Sozialstaatsprinzip. Im Sinne dieses Verfassungsprinzips liegt es, auch für die realen Bedingungen der Freiheitsentfaltung zu sorgen, um so ein Mindestmaß von Freiheit mittels materieller Gewährleistungen zu sichern214• Damit bedeutet Sozialstaatlichkeit nicht nur Freiheit vom Staat, sondern Freiheit durch den Staat215 . Im Unterschied zum liberal-rechtsstaatliehen Verständnis wird damit Freiheit nicht als dem Staat "vorausliegend" betrachtet, sondern sie wird durch den Staat erst ermöglicht; sie wird nicht als Freiheit von Zwang aufgefaßt, sondern als staatliche Ermöglichung der faktischen Ausübbarkeit individueller Freiheit. Dabei wird jedoch das "Primat der Selbstverantwortung" hervorgehoben. Der Sozialstaat basiere auf der Grundregel, daß jeder Erwachsene die Möglichkeit habe, aber auch darauf verwiesen sei, die Voraussetzungen der Stern, Bd. I,§ 21 III 1; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 161. Maunz I Dürig I Herzog I Scholz, Art. 20 Vlll Rn 29; auf die unterschiedlichen Positionen zu dieser Frage soll hier nicht eingegegangen werden; vgl. dazu Forsthoff VVDStRL Bd. 12 (1954), S. 8 ff.; Bachof, VVDStRL Bd. 12 (1954), S. 37 ff.; Benda, HbVerlR, § 17 Rn 91. 213 Böckenförde, NJW 1974, S. 1529 (1530 f.). 214 MaunziZippelius, § 14 I 1; Post, ZfA 1978, S. 421 (440); ErfKI Dieterich, GG, Vorb. Rn86. 215 Ähnlich Post, ZfA 1978, S. 421 (436). 211

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3. Kap.: Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

Freiheitsausübung selbst zu schaffen, etwa indem er Unterhalt für sich und seine Familie verdiene216• In dem Sozialstaatsprinzip wird das Gebot der Chancengleichheit gesehen. Im sozialen Rechtsstaat verbinde sich Freiheit mit Gleichheit; dem Rechtsstaat könne die Bewahrung der Freiheit nicht gleichgültig sein; Freiheit für alle bedeute demgemäß, daß Unterprivilegierte gezielt gefördert werden könnten, um Gleichheit der Chancen zu erreichen, die aber nicht zu Gleichmacherei führen dürfe217 • Das BVerfG sieht das Sozialstaatsprinzip allgemein als die Pflicht des Staates, für einen Ausgleich der sozialen Gegensätze und damit für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen; dabei bestimme Art. 20 Abs. 1 GG nur das "Was", das Ziel, die gerechte Sozialordnung; es lasse aber für das "Wie", d. h. für die Erreichung des Ziels, alle Wege offen218 • Mangels näherer Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips könne der Einzelne daraus nur dann mit einer Verfassungsbeschwerde vorgehen, wenn der Gesetzgeber diese Pflicht willkürlich, d. h. ohne sachlichen Grund versäumte219 • Für das BAG bedeutet der Grundsatz des sozialen Staates das Gebot, einem jeden ein der menschlichen Persönlichkeit entsprechendes Dasein zu ermöglichen. Auf diese Grundlage wird der Schutz des Arbeitnehmers gestützt. Die Vertragsfreiheit gelte zwar in gleicher Weise für den Arbeitgeber wie für den Arbeitnehmer; mit diesem formalen Inhalt sei sie aber für den Arbeitnehmer regelmäßig von geringerem Wert, denn bei seiner meist sozial und wirtschaftlich schwächeren Situation könne er von der gewährten Vertragsfreiheit nicht den gleichen Gebrauch machen wie der regelmäßig wirtschaftlich und sozial stärkere Arbeitgeber220• In dieser Argumentation wird der Arbeitnehmerschutz mit dem Sozialstaatsprinzip untermauert. So kommt es, daß im Arbeitsrecht einer der Hauptanwendungsbereiche des Prinzips erkannt wird221 • Doch die Anwendung des Sozialstaatsprinzips in der Rechtsprechung erfolgt mehr im Wege der Entwicklung einer umfangreichen Kasuistik als in der Herausarbeitung näher konkretisierender Leitlinien. Dabei wird das Sozialstaatsprinzip ganz überwiegend lediglich als schlagwortartiger Begriff zur Unterstützung eines zumeist schon feststehenden Ergebnisses verwendet. So dient das Sozialstaatsprinzip beispielsweise als Argument bei der Begründung der Einschränkung der Befristungsmöglichkeit bei Kettenarbeitsverträgen, bei einmaligen Befristungen, aber es wurde auch für den Urlaubsanspruch einer in Heimarbeit Beschäftigten sowie bezüglich des Mutterschutzlohnes bei einem individuellen Beschäftigungsverbot herangezogen222 • Auch zur Fundierung des KündigungsZacher; HStR, § 25 Rn 28. Benda, HbVerfR, § 17 Rn 169. 21 8 BVeifGE 22, S. 180 (204); E 27, S. 253 (283). 219 BVeifGE 1, S. 97 (105). 220 BAG v. 21. 10. 1954, BAGE 1, S. 128 (133 f.). 221 A. Hueck, FS für Apelt, S. 57 (58); Stern, Bd. I,§ 21 III 4b; Benda, RdA 1979, S. 1 ff.; ders., FS Stingl, S. 35 (44); Bleckmann, Staatsrecht I, Rn 770, 772. 222 Vgl. BAG V. 21. 10. 1954, BAGE 1, s. 128; V. 21. 10. 1954, BAGE 1, s. 136; V. 20. 4. 1956, BAGE 3, S. 23; v. 9. 8. 1963, BAGE 14, S. 304. 216

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B. Sozialstaatsprinzip und allgemeiner Kündigungsschutz

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schutzes wird das Sozialstaatsprinzip dienstbar gemacht. So wird es zur Begründung zweier unterschiedlicher Theorien über den allgemeinen Kündigungsschutz angeführt. Die Rechtsprechung sieht im Sozialstaatsprinzip eine der Grundlagen der Bestandsschutztheorie des Kündigungsschutzes223 . Deutlich wird dies insbesondere in der grundlegenden Entscheidung des BAG zur Kettenbefristung. Der nach dem KSchG bestehende Bestandsschutz verwirkliche in seinem Bereich den in Art. 20 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 S. 1 GG niedergelegten Grundsatz des sozialen Staates; die Rede ist dort ferner von dem Grundsatz der Sozialstaatlichkeit, wie er im KSchG verwirklicht sei sowie vom Verfassungsgrundsatz der Sozialstaatlichkeit in seiner durch das KSchG ausgeprägten Gestalt224. Aber auch die Theorie vom Kündigungsschutz als Schutz der Betriebszugehörikgkeit stützt sich maßgeblich auf das Sozialstaatsprinzip. Der Kündigungsschutz schütze die Zugehörigkeit zu einer personenrechtlichen Gemeinschaft und das Recht am Arbeitsplatz als einen durch Arbeitsvertrag begründeten Anspruch, Betriebsangehöriger zu sein und sich dementsprechend zu betätigen, und dies sei eine typisch sozialstaatliche Betrachtungsweise. Ein starker Kündigungsschutz entspreche daher an sich dem verfassungsrechtlichen Leitgedanken der Sozialstaatsklausel; der Schutz vor Entlassung liege in der Linie sozialstaatlicher Rechtsentwicklung, weil er der Arbeit der Charakter einer austauschbaren Ware nehme225 .

II. Adressat des Sozialstaatsprinzips Das Verfassungsprinzip des Sozialstaates ist nicht zu einem Rechtssatz ausgestaltet, in dem Tatbestand und Rechtsfolge deutlich umschrieben sind. Dennoch handelt es sich dabei um unmittelbar geltendes Recht, das als solches Ermächtigungs- und Verpflichtungskraft besitzt226 . Es schafft keine Kompetenzen für die Adressaten der Ermächtigung und Verpflichtung, sondern es setzt Kompetenzen voraus. Diese richten sich nach der Verteilung der Kompetenzen im Rechtsstaat. Wegen der besonderen Bedeutung des förmlichen Gesetzes für die Rechtsgestaltung ist in erster Linie der Gesetzgeber zur Verwirklichung des Sozialstaatsprinzips berufen227 . Der Gesetzgeber ist aber nicht nur legitimiert, die Sozialstruktur über-

223 BAG v. 21. 10. 1954, BAGE 1, S. 128 (131); v. 21. 10. 1954, BAGE 1 S. 136 (138); KR/ M. Wolf (3. Aufl.), Grunds. Rn 627; Kittner/Däubler/Zwanziger, Ein!. Rn 10; s. auch oben Kap. 1 B. 224 BAG v. 21. 10. 1954, BAGE 1, S. 128 (132). 225 Benda, Industrielle Herrschaft, S. 532 f. 226 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 161; Stern, Bd. I,§ 21 1112. 227 Zacher; HStR, § 25 Rn 108; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 161; Stern, Bd. I, § 21 111 3; von Münch/ Kunig, Art. 20 Rn 19; Benda, RdA 1979, S. 1 (3).

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3. Kap.: Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

haupt zu beeinflussen, sondern es richtet sich ein positiver Gestaltungsauftrag der Sozialstaatsklausel an ihn228 • Daneben richtet sich das Sozialstaatsprinzip aber auch an Exekutive und Judikative. Für letztere ist es als verbindliche Auslegungsregel zu beachten, die sich vor allem bei der Auslegung von Generalklauseln auswirkt229• Doch hat die Rechtsprechung bei der Konkretisierung einer Norm die Konkretisierung durch den Gesetzgeber zu beachten und darf keine eigene, abweichende Interpretation der Norm unter sozialstaatliehen Gesichtspunkten vornehmen. Insofern ist die Rechtsprechung an die Konkretisierung durch den Gesetzgeber gebunden und hat sie lediglich nachzuvollziehen 230. Wegen seiner Weite und Unbestimmtheit enthält es nach Auffassung des BVerfG keine unmittelbaren Handlungsanweisungen, die durch die Gerichte ohne gesetzliche Grundlage in einfaches Recht umgesetzt werden können231 . Die Rechtsprechung darf, falls der Gesetzgeber einen Gegenstand nicht geregelt hat, nur dann einen einklagbaren, auf das Sozialstaatsprinzip gestützten Schutz gewähren, wenn der Gesetzgeber den Auftrag, den Sozialstaat zu verwirklichen, in evidenter und willkürlicher Weise verletzt hat232 . Diese Abgrenzung resultiert aus der Notwendigkeit der Trennung von Recht und Politik. Rechtspolitische Erwägungen müssen, soweit durchführbar, dem Parlament vorbehalten bleiben. Der Vorrang des Gesetzgebers bei der Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips liegt so in der allgemeinen Kompetenzordnung begründet und hat keine spezifisch sozialstaatliche Grundlage. Gerade bei einer inhaltlich so wenig konkreten Norm wie dem Sozialstaatsprinzip ist die Gefahr, daß diese Trennung unterlaufen wird, besonders groß. Wegen seiner inhaltlichen Weite können mit dem Sozialstaatsprinzip grundsätzlich viele tagespolitische Forderungen mit "sozialer Absicht" in Verbindung gebracht werden. So entsteht die Gefahr des "Abgleitens des Verfassungsrechts auf die Ebene der bloßen tagespolitischen Auseinandersetzung"233 . Dies hat die Rechtsprechung bei der Rechtsanwendung stets zu beachten. Vorrangig vor eigenen sozialstaatliehen Erwägungen der Rechtsprechung ist also zu erforschen, ob der Gesetzgeber bei der Schaffung der in Frage stehenden Norm das Sozialstaatsprinzip beachtet oder in evident willkürlicher Weise außer acht gelassen hat.

Von Münch/ Kunig, Art. 20 Rn 19; Stern, Bd. I,§ 21 III 3. Stern, Bd. I,§ 21 III 4; von Münch/ Kunig, Art. 20 Rn 20; Zacher; HStR, § 25 Rn 107. 230 Zacher; HStR, § 25 Rn 108; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 161: "Konlcretisierungsprimat des Gesetzgebers". 231 BVerfGE 65, S. 182 (193). 232 Benda, RdA 1979, S. 1 (3). 233 Benda, RdA 1979, S. 1 (3). 228

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111. Zur Anwendung des Sozialstaatsprinzips im ersten Kleinbetriebsbeschluß Das BVerfG legt seinem ersten Kleinbetriebsbeschluß auch sozialstaatliche Erwägungen zugrunde. Die in dem Verfahren zur Prüfung stehende Norm des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG wird am Sozialstaatsprinzip gemessen. Das Gericht führt aus, die Norm stehe mit dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) im Einklang. Es begründe die Pflicht des Staates, für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen; bei der Erfüllung dieser Pflicht komme dem Gesetzgeber indessen ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Zu der Frage, inwieweit der betriebliche Geltungsbereich des KSchG eingeschränkt und damit den dort beschäftigten Arbeitnehmern der allgemeine Kündigungsschutz genommen werden könne, lasse sich diesem Prinzip jedoch nichts Näheres entnehmen234. An anderer Stelle erwähnt das BVerfG das Sozialstaatsprinzip im Zusammenhang mit dem verfassungsrechtlich gebotenen Mindestschutz des Arbeitsplatzes vor Verlust durch private Disposition. Soweit bei Kündigungen unter mehreren Arbeitnehmern eine Auswahl zu treffen sei, gebiete der verfassungsrechtliche Schutz des Arbeitsplatzes in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip ein gewisses Maß an sozialer Rücksichtnahrne235 . Damit scheint zunächst der Satz des BVerfG, wonach sich dem Sozialstaatsprinzip nicht entnehmen lasse, inwieweit den im Kleinbetrieb Beschäftigten der allgemeine Kündigungsschutz genommen werden könne, in Frage gestellt. Vielmehr wird durch die Verknüpfung der Sozialauswahl bei Kündigungen im Kleinbetrieb mit dem Sozialstaatsprinzip aus diesem ein Ergebnis gefolgert, das allein dem Gesetzgeber vorbehalten ist. Daß es sich bei der sozialen Auswahl um eine Regelungsmaterie handelt, deren genaue Ausgestaltung der Gesetzgeber für sich reklamiert, folgt aus § 1 Abs. 3 KSchG. Die Berücksichtigung sozialer Belange bei der Kündigung eines Arbeitnehmers hat der Gesetzgeber allein für Betriebe ab einer bestimmten Größe vorgesehen. Mit der Freistellung kleinerer Betriebe von den Erfordernissen des KSchG, also auch von der Auswahl der zu Kündigenden nach sozialen Gesichtspunkten, hat der Gesetzgeber das Sozialstaatsprinzip ausweislich der Gesetzesmaterialien aber gerade verwirklichen wollen236. Wenn dennoch das Gericht eine - wenn auch nur eine "gewisse" und nicht mit § 1 Abs. 3 KSchG identische - soziale Auswahl für die Kündigung im Kleinbetrieb statuiert, dann verstößt es damit in deutlichster Weise gegen den Vorrang der Gesetzgebung bei der Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips und damit gegen die demokratischrechtsstaatliche Kompetenzordnung. Der in ebendieser Entscheidung betonte "weite Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers"237 wird auf diese Weise von dem Gericht selbst mißachtet. 234 235 236

BVerfGE 97, S. 169 (185). BVerfGE 97, S. 169 (179). BT-Drucks. 13/4612, S. 8.

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1. Das Sozialstaatsprinzip und die These von der Zweischneidigkeit des Kündigungsschutzes

Im Zusammenhang mit der Überprüfung des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG am Maßstab des Sozialstaatsprinzips zitiert das BVerfG sein KPD-Urteil und sein WDRUrteif38. In beiden Entscheidungen formuliert das Gericht das Sozialstaatsprinzip ebenfalls als die Pflicht des Staates, für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen. Doch werden im WDR-Urteil, das Statusklagen von Rundfunkmitarbeitern um Anerkennung als Arbeitnehmer zum Gegenstand hat, noch weitergehende Ausführungen zur Konkretisierung des Sozialstaatsgrundsatzes gemacht. Danach diene der arbeitsrechtliche Bestandsschutz zwar der Verwirklichung eines Verfassungsprinzips; dabei sei aber auch zu beachten, daß der arbeitsrechtliche Bestandsschutz nur festangestellten Mitarbeitern zugute komme, eine Sperrwirkung entfalte und damit die Chancen deijenigen verschlechtere, die Arbeit und Verdienst suchten. Diese Auswirkung könne schwerlich im Sinne des Sozialstaatsprinzips liegen, das die Verwirklichung einer sozial gerechten Ordnung für alle gebiete, also gerade auch zur Sorge für diejenigen verpflichte, die keinen Arbeitsplatz hätten und einen solchen suchten239. Diese Ausführungen zum Sozialstaatsprinzip sind nur drei Seiten von dem im ersten Kleinbetriebsbeschluß zitierten Nachweis entfernt. Dennoch finden sie keinen Eingang in die Erörterung der Kleinbetriebsklausel, obwohl sich beide Entscheidungen mit dem arbeitsrechtlichen Bestandsschutz und dem Soziaistaatsprinzip befassen. Doch liegt gerade in den Ausführungen des WDR-Urteils der Schlüssel zum richtigen Verständnis. Entscheidend ist dabei die - im Kleinbetriebsbeschluß ausgelassene - Erwähnung, daß das Sozialstaatsprinzip zur Verwirklichung einer "für alle" gerechten Sozialordnung verpflichte. Diesem Merkmal entsprechend erweitert das BVerfG im WDR-Urteil das Blickfeld auf die Arbeitsuchenden als nicht unmittelbar am Arbeitsverhältnis Beteiligte. Diese Betrachtungsweise ist geboten, weil eine Verengung der Anwendung des Soziaistaatsprinzips auf Teilinteressen - wie die Reduzierung auf Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen im Kleinbetriebsbeschluß - nicht die Bezeichnung einer sozial gerechten "Ordnung" verdient, in der alle in einer Rechtsfrage in irgendeiner Weise berührten Interessen einem optimalen Ausgleich zugeführt werden. Dies wird im ersten Kleinbetriebsbeschluß verkannt. So wird offenbar, daß unter Verengung der Betrachtung auf Arbeitnehmer- und Arbeitgeberpositionen der Begriff der sozialen Gerechtigkeit einen ganz anderen Inhalt erhält als unter Einbeziehung der Positionen Arbeitsuchender. Im letzteren Fall führt die ,,Zweischneidigkeit" zu einer anderen Beurteilung des Kündigungsschutzes unter sozialstaatliehen Aspekten. Auch unter grundsätzlichen Gesichtspunkten über das Wesen des Sozialstaatsprinzips im Unterschied zum Rechtsstaatsprinzip ist es gerade das im WDR-Urteil 237 238 239

BVeifGE 97, S. 169 (185). BVeifGE 5, 85 (198) und E 59,231 (263). BVeifGE 59,231 (266).

B. Sozialstaatsprinzip und allgemeiner Kündigungsschutz

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zum Ausdruck kommende Verständnis, das mit der Grundidee des Sozialstaatsprinzips harmoniert. Wenn nämlich die Bedeutung des Sozialstaatsprinzips darin liegt, die Ausübung formal verbürgter Freiheit auch faktisch-materiell zu ermöglichen, dann folgt daraus für die Anwendung des Prinzips unter dem Gesichtspunkt des Kündigungsschutzes, daß dieser so beschaffen sein muß und nur so weit reichen darf, daß auch Arbeitsuchende in der Lage sind, ihre Freiheit der Arbeitsplatzwahl mit angemessener Aussicht auf tatsächliche Realisierbarkeil zu nutzen. Ihre durch die Berufswahlfreiheit geschützte Chance auf Zugang zum Beruf darf nicht ausgehöhlt werden und praktisch leerlaufen. Dies zu verhindem ist Aufgabe des Sozialstaatsprinzips. Zur Schaffung der realen Bedingungen der Freiheitsentfaltung durch das Sozialstaatsprinzip gehört deshalb auch, die faktischen Chancen für den Zugang zu Beruf und Erwerb gleichmäßig zu verteilen240. Dementsprechend wird in der Sozialstaatsklausel die Pflicht des Staates zur Sorge für einen hohen Beschäftigungsstand gesehen241 . Mögen auch die "sozial Schwächeren", deren Handlungsfreiheit sicherzustellen Aufgabe des Sozialstaatsprinzip ist242, im Verhältnis zum Arbeitgeber die Arbeitnehmer sein- im Verhältnis zu diesen sind die Arbeitsuchenden jedoch die sozial Schwächeren. Dies wird daran deutlich, daß diese nicht, anders als die Arbeitnehmer in Gestalt von Gewerkschaften und den Organen der Betriebsverfassung, über eine spezifische, institutionalisierte Interessenvertretung verfügen, die auch den von der Berufsfreiheit geschützten Betätigungen zur faktisch effektiven Durchsetzung verhelfen243 . Ihrer nimmt sich allein die Politik an. Gerade das Ziel, der Gruppe der Arbeitsuchenden, in der, ebenso wie unter den Arbeitnehmern, auch benachteiligte Personen wie Schwerbehinderte und ältere Arbeitnehmer vertreten sind, die notwendigen Voraussetzungen zu verschaffen, um ihre Berufswahlfreiheit faktisch angemessen gebrauchen zu können, liegt im ursprünglich verstandenen Sinn des Sozialstaatsprinzips. 2. Sozialstaatsprinzip als Ermöglichung beruflicher Entfaltung In diesem Lichte hätte das BVerfG die Generalklauseln der §§ 138, 242 BGB auslegen und den "Mindestschutz im Kleinbetrieb" erörtern müssen. Dies ist trotz des Hinweises auf die diesen Aspekt berücksichtigende WDR-Entscheidung unterlassen worden. Um so bemerkenswerter wirkt die Auslegung des SozialstaatsprinMaunz I Zippelius, § 14 I 1 - Hervorhebung im Original. So Papier; DVBI. 1984, S. 801 (811). 242 Vgl. Bleckmann, Staatsrecht I, Rn 767. 243 Freilich wird auch eine "kreativ-gestaltende Tatigkeit" der Koalitionen im Hinblick auf den Arbeitsmarkt sowie der Abbau und die Verhinderung von Arbeitslosigkeit als Gegenstand der Koalitionsbetätigungsfreiheit anerkannt, Säcker/Oetker; S. 65 f. und 276 ff. Doch gehören diese Inhalte keineswegs zu den primären von den Koalitionen behandelten Gegenständen; zudem bestehen weitere Zweifel unter dem Gesichtspunkt der Legitimation, weswegen von der Gewerkschaft als Wahrer der Interessen Arbeitsuchender letztlich nicht ernsthaft die Rede sein kann. 240 241

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3. Kap.: Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

zips durch denselben Ersten Senat des BVerfG, wie sie in einem lediglich fünfzehn Monate nach den Kleinbetriebsbeschlüssen ergangenen Beschluß zur Verfassungsmäßigkeit der Lohnabstandsklauseln nach § 275 II i.V.m. § 265 I SGB III zum Ausdruck kommt244. Dort wird in den Lohnabstandsklauseln ein Eingriff in die nach Art. 9 Abs. 3 GG garantierte Koalitionsfreiheit gesehen. Dieser wird jedoch durch das mit der Regelung verfolgte Ziel gerechtfertigt. Zu den Gründen heißt es, das Ziel, Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen, habe Verfassungsrang. Der Gesetzgeber könne sich dabei auf das Sozialstaatsprinzip berufen (Art. 20 Abs. 1 GG). Das Sozialstaatsprinzip, das einen Gestaltungsauftrag an den Gesetzgeber enthalte, verpflichte ihn, für einen Ausgleich der sozialen Gegensätze zu sorgen. Darüber hinaus gebiete es "staatliche Fürsorge für einzelne oder Gruppen, die aufgrund ihrer persönlichen Lebensumstände oder gesellschaftlicher Benachteiligungen an ihrer persönlichen oder sozialen Entfaltung gehindert sind". Die staatliche Fürsorge bei Arbeitslosigkeit sei nicht auf die finanzielle Unterstützung der Arbeitslosen beschränkt, sondern könne auch darauf gerichtet sein, die Zahl der Arbeitsplätze zu vermehren und auf diese Weise die Arbeitslosigkeit selbst zu bekämpfen245 . Neu an diesen Ausführungen ist nicht, daß zur Verwirklichung des Sozialstaatsprinzip auch die Fürsorge für die zur eigenen Entfaltung nicht Fähigen gehört; dies wurde schon für die Schädigung des nasciturus246 sowie für die Resozialisierung Strafgefangener247 festgestellt. Neu seit dem WDR-Urteil ist jedoch die Anwendung dieses Fürsorgegebotes auf Arbeitslose. Wenn diese unter die Gruppe der an der eigenen Entfaltung Gehinderten subsumiert werden, dann wird damit auf das Verständnis des Sozialstaatsprinzips des WDR-Urteils zurückgegriffen. Sozialstaatliche Fürsorge bedeutet so verstanden die Ermöglichung der persönlichen und sozialen Entfaltung der Arbeitsuchenden durch Erleichterung des Zugangs zu Arbeitsplätzen. Die Formulierung der Lohnabstandsklausel-Entscheidung zur Bedeutung des Sozialstaatsprinzips für die Arbeitslosen wird in der Entscheidung des BVerfG zur Verfassungskonformität des § 10 Abs. I S. I BUrlG (a.F.)248 wieder aufgegriffen. Dort heißt es ebenfalls, "das Ziel, Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen, hat auf Grund des Sozialstaatsprinzips Verfassungsrang (Art. 20 I GG)." Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit stelle "ein besonders wichtiges Ziel" dar. Dessen Wertigkeit hat das BVerfG in der Entscheidung zu § 10 BUrlG so hoch eingestuft, daß es darauf gar die Rechtfertigung eines Eingriffs in die Koalitionsfreiheit des Art. 9 Abs. 3 GG gestützt hat. Diese Aussage des Sozialstaatsprinzips ist der WDR-Entscheidung und denjenigen zu den Lohnabstandsklauseln und zu§ 10 BUrlG gemeinsam und unabhängig von der Tatsache, daß nur die erstere den arbeitsrechtlichen Bestandsschutz beBVerfG NJW 1999, S. 3033 = BVeifGE 100, S. 271 ff. BVerfG NJW 1999, S. 3033 (3034). 246 BVeifGE 45, S. 376 (387). 247 BVerfGE 35, S. 202 (236) - Lebach. 248 BVerfG NZA 2001, S. 777 (779). 244 245

B. Sozialstaatsprinzip und allgemeiner Kündigungsschutz

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trifft. Nimmt man aber zu der in der Lohnabstandsklausel-Entscheidung betonten Funktion des Sozialstaatsprinzips als Ermöglichung der persönlichen und sozialen Entfaltung im Beruf nur die Tatsache hinzu, daß eine Verstärkung des Kündigungsschutzes zu einer Verfestigung der Arbeitsplatzverteilung führt und so die Zugangschancen Arbeitsuchender verringert249, dann folgt daraus, daß das Soziaistaatsprinzip aus Sicht der Arbeitsuchenden gegen die Ausweitung des Kündigungsschutzes gerichtet ist. Nichts anderes beinhaltet das dieturn von der Zweischneidigkeit des arbeitsrechtlichen Bestandsschutzes250, das genau diese Ambivalenz zum Ausdruck bringt. Damit muß sich Kündigungsschutz, auch wenn das Sozialstaatsprinzip aus Sicht der Arbeitsplatzinhaber für einen solchen sprechen mag, vor dem Sozialstaatsprinzip aus Sicht der Arbeitsuchenden behaupten können. Von ihrem Standpunkt aus streitet das Sozialstaatsprinzip für die Verringerung der Sperrwirkung allgemeinen Kündigungsschutzes, nicht für ihre Verstärkung durch Ausweitung des Kündigungsschutzes. So wird auch an dieser Stelle deutlich, daß zur Begründung des Kündigungsschutzes ein arbeitnehmerspezifischer Regelungszweck zu nennen ist. Das Bedürfnis nach Kündigungsschutz, der notwendig Sperrwirkung entfaltet, kann nicht mit dem Bedürfnis nach persönlicher oder sozialer Entfaltung im Beruf begründet werden, wenn Ermöglichung persönlicher und sozialer Entfaltung des Arbeitslosen durch berufliche Tätigkeit (und die daher notwendige Verringerung der Sperrwirkung) gerade ein Gebot des Soziaistaatsprinzips ist. Unter dem Gesichtspunkt der Verwendung des Sozialstaatsprinzips als Argumentationstopos ist an der Entscheidung zu den Lohnabstandsklauseln weiter bemerkenswert, daß das zur Eingriffsrechtfertigung geeignete Ziel des Gesetzgebers, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, ganz überwiegend mit sozialstaatliehen Erwägungen begründet wird; es wird lediglich "auch" von Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG getragen 251 . Nach überwiegender Ansicht ist aber das Sozialstaatsprinzip wegen seiner inhaltlichen Offenheit nicht geeignet, den Grundrechten unmittelbare Schranken zu ziehen252 . Vor diesem Hintergrund verwundert es um so mehr, daß in der Entscheidung zu den Lohnabstandsklauseln der Eingriff fast ausschließlich auf sozialstaatliche Erwägungen gestützt wird. Dies verdeutlicht den Stellenwert der genannten Ausdeutung des Sozialstaatsprinzips und schließt es aus, darin eine wie von der Rechtsprechung häufig praktizierte253 - beiläufige, schlagwortartige Untermauerung eines bereits gefundenen und feststehenden Ergebnisses zu sehen. Schließlich hat die Dogmatik zum Sozialstaatsprinzip auch Auswirkungen auf die Frage nach der Grundlage des Kündigungsschutzes. Sowohl die Bestands249

Zöllner; 52. DJT (1978}, GutachtenD, S. 114.

250

BVerfGE 59, S. 231 (266)- WDR.

251

BVerfG NJW 1999, S. 3033 (3034).

252 BVerfGE 59, S. 231 (262 f .), ähnl. E 52, S. 283 (298); E 65, S. 182 (193); Stern, Bd. I, § 21 IV 4; lpsen, Staatsrecht I, Rn 871. 253 So etwa gerade in BVerfGE 97, S. 169 (179).

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3. Kap.: Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

schutztheorie wie auch die Auffassung vom Kündigungsschutz als Schutz der Betriebszugehörigkeit sehen die Legitimation ihrer Konzeptionen unter anderem im verfassungsrechtlichen Sozialstaatsprinzip254. Das Sozialstaatsprinzip wird dabei nur zur Argumentation aus Sicht der Arbeitsplatzinhaber herangezogen und dient so zur positiven Begründung des Kündigungsschutzes. Außer acht gelassen wird dabei die Sperrwirkung als Implikation für die Gruppe der Arbeitsuchenden, wie das BVerfG sie in den WDR- und Lohnabstandsklausel-Entscheidungen deutlich gemacht hat. Die Bedeutung des Prinzips für die Begrenzung des Kündigungsschutzes wird nicht erörtert. Insofern sind die Begründungsmodelle, soweit sie sich auf das Sozialstaatsprinzip stiitzen, unvollständig. Berücksichtigt man aber die Bedeutung des Sozialstaatsprinzips für die Arbeitsuchenden, so verliert dieses Prinzip als positive normative Begründung des Kündigungsschutzes zugunsten des Kündigungsschutzes an Tragfähigkeit. Abermals wird deutlich, daß die Grundlage des Kündigungsschutzes in solchen Umständen gesucht werden muß, die auf spezifischen Eigenschaften der Arbeitsplatzinhaber beruhen. Dies wird von der Bestandsschutztheorie sowie von der Auffassung vom Kündigungsschutz als Schutz der Betriebszugehörigkeit, soweit sich beide auf das Sozialstaatsprinzip gründen, nicht berücksichtigt.

C. Das Außenseiterproblem im einfachen Kündigungsschutzrecht Stellt damit die verfassungsrechtliche Position Arbeitsuchender eine Grenze für die Ausdehnung des Kündigungsschutzes dar, die bei einem Verständnis des allgemeinen Kündigungsschutzes im Sinne der Bestandsschutztheorie überschritten wird, dann fragt sich, was dies für das einfachrechtliche Kündigungsschutzrecht bedeutet. Die verfassungsrechtliche Grenze des Kündigungsschutzes bestimmt als höherrangiges Recht gleichzeitig die Grenze des einfachen Kündigungsschutzrechts. Damit hat die verfassungsrechtliche Position Arbeitsuchender Konsequenzen auch für die Beurteilung der Sozialwidrigkeit einer Kündigung. Bei der Auslegung dieses unbestimmten Rechtsbegriffs ist darauf Rücksicht zu nehmen, daß eine extensive Interpretation die Verfestigung der Arbeitsplatzverteilung fördern und damit die Chancen arbeitsuebender Dritter auf Begründung eines Arbeitsverhältnisses verringern kann255 • Eine solche Berücksichtigung von Drittinteressen wird zwar überwiegend abgelehnt; dennoch wird, wie dargelegt werden soll, diese Auffassung nicht konsequent durchgeführt. Sodann muß erörtert werden, ob bzw. wie die Be254 Bestandsschutz: BAG v. 21. 10. 1954, BAGE 1, S. 128 (131); v. 21. 10. 1954, BAGE 1 S. 136 (138); KRIM. Wolf(3. Aufl.), Grunds. Rn 627; Kittner/Däubler/Zwanziger, Ein!. Rn 10; Betriebszugehörigkeitsschutz: Benda, Industrielle Herrschaft, S. 531 f. 255 Vgl. Zöllner, 52. DJT (1978), GutachtenD, S. 114.

C. Das Außenseiterproblem im einfachen Kündigungsschutzrecht

109

rücksichtigung von Drittinteressen bei der Auslegung des einfachen Rechts erfolgen kann und muß.

I. Ablehnung der Berücksichtigung von Drittinteressen Die kündigungsschutzrechtliche Berücksichtigung der Interessen Dritter, d. h. solcher Personen, die nicht Parteien des Arbeitsvertrags sind, wird ganz überwiegend abgelehnt256. Dabei wird u. a. auf die relative Natur des Arbeitsverhältnisses hingewiesen und behauptet, das subjektive, relative Recht bestehe unabhängig von den Interessen Dritter wie etwa der Arbeitsuchenden257 ; im Kern werde der Bestand des vertraglich gestalteten Arbeitsverhältnisses geschützt258 . Das KSchG sei und bleibe in seiner normativen Reichweite unabhängig von der volkswirtschaftlichen Lage und von außerhalb der Vertragsbeziehung angesiedelten Drittinteressen; bei einer Berücksichtigung von Drittinteressen dagegen gäbe man "außervertraglichen Imponderabilien Einfluß auf eine zweiseitige Rechtsbeziehung" und verließe die Basis rechtssicherer Beurteilung259• Eine isolierte Herausnahme des individuellen Bestandsschutzes aus dem auch im übrigen am einzelnen Arbeitnehmer orientierten Schutz des geltenden Arbeitsrechts sei ohne Systembruch kaum möglich260• Doch unabhängig von der Berechtigung dieser Einwände gegen die Berücksichtigung der Interessen Arbeitsuchender wird dieser Ansatz in Rechtsprechung und Literatur nicht konsequent durchgehalten. Vielmehr legen auch Rechtsprechung und überwiegende Teile der Literatur der Interpretation des Kündigungsschutzrechts Erwägungen zugrunde, die der Sache nach die Berücksichtigung von Interessen Dritter, insbesondere Arbeitsuchender, beinhalten. Wenn dies auch nicht explizit formuliert wird, so ergibt es sich doch aus der genaueren Untersuchung vor allem der Interessenabwägung, aber auch der Kriterien der sozialen Auswahl bei der ordentlichen Kündigung, wie sogleich aufgezeigt werden soll.

256 BAG v. 13. 3. 1987, AP Nr. 37 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; Hueck/v. Hoyningen-Huene, Einl. Rn lla; Preis, Prinzipien S. 119 f., 125 f., 237 ff.; ders., DB 1988, S. 1387 (1392); Wiedemann, RdA 1961, S. 1 (3); Hersehe/, RdA 1975, S. 28 (30 ff.); Simitis, 52. DJT (1978), Referat M, S. 25 f.; Floretta, In memoriam Sir Otto KahnFreund, S. 433 (438 ff.); KRIM. Wolf(3. Aufl.), Grunds. Rn 626; von Stebut S. 310 ff.; Löwisch, vor§ I Rn 3; einschränkendjedoch § 1 Rn 433; ähnl. Zöllner, ZfA 1994, S. 423 (435). 257 Preis, Prinzipien, S. 126. 258 Wiedemann, RdA 1961, S. 1 (3). 259 Preis, Prinzipien, S. 126; ders., DB 1988, S. 1387 (1392). 260 Hueck/v. Hoyningen-Huene, Ein!. Rn lla.

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3. Kap.: Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

II. "Aussichten auf dem Arbeitsmarkt" als Gesichtspunkt der Interessenahwägung bei der Kündigung Nach h.M. ist zur Feststellung der Sozialwidrigkeit einer Kündigung stets eine umfassende Interessenahwägung erforderlich, bei der Interessen des Arbeitgebers sowie des Arbeitnehmers Berücksichtigung finden 261 . Zu den Abwägungsgesichtspunkten auf Seiten des Arbeitnehmers zählt nach h.M. auch das Kriterium der Aussichten auf dem Arbeitsmarkt für den Arbeitnehmer im Falle seiner Kündigung262. Bereits für die Kündigung nach § 84 BRG war anerkannt, daß sich der Gruppenrat, wenn er wegen der Kündigung eines Arbeitnehmers von diesem angerufen worden war, ein eingehendes Bild von den wirtschaftlichen und Familienverhältnissen des Gekündigten zu machen und dabei "wesentlich" auch auf die Lage des Arbeitsmarktes für den Beruf des Gekündigten zu achten hatte263 • Das BAG führte bei der Beurteilung einer nach § 626 BGB erfolgten Kündigung aus, die Wertung, daß der gekündigte Arbeitnehmer bei der seinerzeitigen Arbeitsmarktlage schnell wieder in Verdienst kommen könne und auch gekommen sei, sei rechtsfehlerfrei 264• Schließlich sieht auch das BVerfG im ersten Kleinbetriebsbeschluß eine Verbindung zwischen Kündigungsschutz und Arbeitsmarktchancen. Es bemerkt zur Erforderlichkeit des Kündigungsschutzes, bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses hingen die Aussichten, eine ähnliche Position zu finden, vom Arbeitsmarkt ab und seien in Zeiten struktureller Arbeitslosigkeit - vor allem für den älteren Arbeitnehmer - schlecht265 .

1. Personen- und verhaltensbedingte Kündigung

In einer anderen Entscheidung führte das BAG die bei der Kündigung wegen Krankheit für die Interessenahwägung grundsätzlich berücksichtigungsfähigen Kriterien auf, zu denen insbesondere die ,,Situation auf dem Arbeitsmarkt" gerechnet wurde266. Auch in neuerer Zeit wendet das BAG dieses Kriterium bei der personenbedingten Kündigung an und erläutert, daß das Berufungsgericht sich im Rahmen des tatrichterlichen Beurteilungsspielraumes halte, wenn es "die Aussichten für die Vermittlung eines neuen Arbeitsplatzes (...) im Hinblick auf 261 BAG v. 20. 10. I954, BAGE 1 S. ll7; Hueck/v. Hoyningen-Huene § I Rn 135 ff. m. w.N. 262 KR/ Etzel § 1 KSchG Rn 381, 434; Becker-Schaffner, ZTR 1997, S. 3 (7); ders., ZTR 1997, S. 49 (51); LAG Hamm v. 30. 5. 1996, NZA 1997, S. 1056). 263 Flatowl Kahn-Freund, BRG, § 84 V d I (S. 451); ähnlich auch LAG Frankfurt a.M. v. 11. 2. 1932, ARS Bd. 14 Nr. 7, S. 17. 264 BAG v. 22. 8. 1963, AP Nr. 51 zu§ 626 BGB (a.E.); zur außerordentlichen Kündigung heute ebenso KR/ Hillebrecht, § 626 BGB Rn 241, 243. 265 BVerfGE 97, S. 169 (177). 266 BAG v. 22. 2. 1980, BAGE 33, S. 1 (13).

C. Das Außenseiterproblem im einfachen Kündigungsschutzrecht

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die Arbeitsmarktlage im Arbeitsamtsbezirk günstig" beurteile267 . Bei der verhaltensbedingten Kündigung wird das Kriterium der Arbeitsmarktsituation im Rahmen der Interessenahwägung auch von der untergeordneten Rechtsprechung berücksichtigt268.

2. Betriebsbedingte Kündigung

Doch nicht nur bei personen- und verhaltensbedingter, sondern auch bei der betriebsbedingten Kündigung spielt der Gesichtspunkt der Aussichten auf dem Arbeitsmarkt eine Rolle. Hier soll das Kriterium nach umstrittener Ansicht im Rahmen der sozialen Auswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG zur Anwendung kommen.

a) Berücksichtigung des Kriteriums

Das Kriterium der Aussichten auf dem Arbeitsmarkt wird überwiegend als ein sozialer Gesichtspunkt im Sinne des § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG angesehen269. So führt das BAG aus, bei einer betriebsbedingten Kündigung seien alle Umstände in die soziale Auswahl und entsprechend auch bei deren Überprüfung einzubeziehen. Dazu gehöre auch die Vennittelbarkeit auf dem Arbeitsmarkt270. Es betont weiter, entscheidend sei, daß das Gewicht der verschiedenen Sozialdaten nicht unveränderlich feststehe, sondern u. a. abhänge von der "industriellen, arbeitsmarktpolitischen, wirtschaftlichen und sozialpolitischen Entwicklung"; habe der Senat in früheren Entscheidungen das Lebensalter für entscheidend gehalten, so sei dies vor dem Hintergrund früherer Hochkonjunktur geschehen, da es regelmäßig nur die alten Arbeitnehmer schwer gehabt hätten, einen neuen Arbeitsplatz zu finden; seien von der derzeitigen Massenarbeitslosigkeit dagegen auch sehr viele jüngere Arbeitnehmer betroffen, so verliere das Kriterium des Lebensalters an Gewicht271 . Teilweise wird die besondere Bedeutung des Kriteriums der Arbeitsmarktaussichten betont und ausgeführt, die soziale Schutzbedürftigkeit der von einer betriebsbeBAG v. 5. 7. 1990, NZA 1991, S. 185 (186). LAG Hamm v. 30. 5. 1996, NZA 1997, S. 1056 (Leitsatz 3). 269 BAG v. 18. I. 1990, AP Nr. 19 zu§ 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl (a.E.); KR/ Etzel, § 1 KSchG Rn 702; Berkowsky, Die Betriebsbedingte Kündigung,§ 8 Rn 146; HK/ Domdorf § 1 Rn 722; Knorr!Bichlmeier/Kremhelmer S. 429; Preis, Prinzipien S. 427; Schaub, RdA 1981, S. 371 (376); Klinkhammer!Klinkhammer, ArbuR 1984, S. 62 (64); Weller, RdA 1986, S. 222 (223); Jobs, DB 1986, S. 538 (540); Bitter/Kiel, RdA 1995, S. 26 (33); für die Berücksichtigung des Kriteriums im Rahmen einer (aunahmsweise vorgenonunenen) Interessenahwägung bei der betriebsbedingten Kündigung ArbG Passau v. 17. 8. 1994, BB 1994, s. 2207. 270 BAG v. 24. 3. 1983, BB 1983, S. 1665 f. (unter IV 1). 271 BAG v. 24. 3. 1983, BB 1983, S. 1665 f. (unter IV 2a); vgl. auch BAG v. 8. 8. 1985 und v. 18. I. 1990, AP Nr. 10 und 19 zu § 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl. 267 268

3. Kap.: Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

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dingten Entlassung bedrohten Arbeitnehmer werde ,.maßgeblich von ihren Zukunftsaussichten auf dem Arbeitsmarkt beeinflußt", da derjenige auf seinen bisherigen Arbeitsplatz am wenigsten angewiesen sei, der am ehesten einen neuen Arbeitsplatz finde 272 . b) Ablehnung des Kriteriums bei der sozialen Auswahl

Von anderer Seite wird die Beriicksichtigung der Aussichten auf dem Arbeitsmarkt bei der sozialen Auswahl abgelehnt273 . Gegen die Beriicksichtigung wird die Gefahr entstehender Rechtsunsicherheit274 sowie die Behauptung angeführt, die Arbeitsplatzchancen des gekündigten Arbeitnehmers stünden mit den vertraglichen Beziehungen in keinerlei Zusammenhang275 . Außerdem wird das Kriterium für uninteressant erachtet, weil die Sozialauswahl ohnehin nur zwischen betrieblich und auch weitestgehend sozial vergleichbaren Arbeitnehmern stattfinde, die damit allesamt gleichermaßen hart von der Entlassung betroffen sein dürften276. Gleichwohl halten auch einige Vertreter dieser Ansicht solche Umstände, die schlechtere Aussichten des Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt zur Folge haben können, als soziale Gesichtspunkte für beachtlich, ohne daß die Lage auf dem Arbeitsmarkt als gesondertes Merkmal zu priifen wäre, so etwa bei stark auf den Beschäftigungsbetrieb ausgerichteter Spezialisierung oder bei dort erlittener Gesundheitsschädigung277, oder es werden die Aussichten auf dem Arbeitsmarkt unter dem Kriterium des Lebensalters beriicksichtigt278.

111. "Aussichten auf dem Arbeitsmarkt" als Gesichtspunkt einer Richtlinie nach§ 95 BetrVG Auch in Verbindung mit personellen Maßnahmen nach §§ 92 ff. BetrVG wird angenommen, es könnten neben Familienstand und Dauer der Betriebszugehörigkeit auch die Eigenschaft als längere Zeit arbeitslose Person zum sozialen Gesichtspunkt einer Auswahlrichtlinie nach § 95 BetrVG gemacht werden279, wenn auch von anderer Seite die Möglichkeit abgelehnt wird, allgemeine Fragen der ArBerkowsky, Die Betriebsbedingte Kündigung,§ 8 Rn 146 und 148. Meise[, ZfA 1985, S. 213 (237); Hueck/v. Hoyningen-Huene, § 1 Rn 472; Ascheid, RdA 1997, S. 333 (337); ders., KSchR Rn 339; für eine Berücksichtung lediglich über das Lebensalter: Stahlhacke I Preis I Vossen Rn 667 a. 274 Meisel, ZfA 1985, S. 213 (237). 275 Hueck/v. Hoyningen-Huene, § 1 Rn472. 276 Preis, Prinzipien S. 427. 277 Preis, Prinzipien S. 427 f. 278 Ascheid, RdA 1997, S. 333 (337); Stahlhacke I Preis I Vossen Rn 667a. 279 FKHE § 95 Rn 16. 272

273

C. Das Außenseiterproblem im einfachen Kündigungsschutzrecht

113

beitsmarktpolitik auf dem Weg über die sozialen Gesichtspunkte zum Gegenstand der Auswahlkriterien zu machen, nachdem das Gesetz die in § 49 Abs. 1 BetrVG 1952 vorgesehene Berücksichtigung des Gemeinwohls gestrichen habe 280•

IV. "Aussichten auf dem Arbeitsmarkt" als Ausdruck des Außenseiterproblems Demzufolge erkennen Rechtsprechung und große Teile der Literatur die Berücksichtigung von Chancen des Gekündigten auf dem Arbeitsmarkt bei der Beurteilung der Sozialwidrigkeit der personen-, verhaltens- sowie betriebsbedingten Kündigung an. Fraglich ist, ob dann gleichzeitig die These der h.M. von der Unbeachtlichkeit von Drittinteressen im Kündigungsschutzrecht aufrechterhalten werden kann. Die Berücksichtigungsfahigkeit der Chancen auf dem Arbeitsmarkt bei gleichzeitiger Unbeachtlichkeit der Interessen Arbeitsuchender kann einen Widerspruch darstellen, der sich aus folgender Überlegung ergibt: Bei der Bewertung des Kriteriums der Aussichten auf dem Arbeitsmarkt wird untersucht, wie groß die Chancen des Gekündigten sind, in absehbarer Zeit einen angemessenen Arbeitsplatz wiederzufinden, genauer gesagt, wie groß die Chancen zum Abschluß eines entsprechenden Arbeitsvertrages sind. Sind sie gering, spricht dies eher für die Schutzbedürftigkeit und damit gegen die Kündbarkeit, als wenn sie groß sind281 • Die Chance zum Vertragsschluß spielt aber auch für die Arbeitsuchenden eine entscheidende Rolle, nur wird diese im geltenden Kündigungsschutzrecht für unbeachtlich gehalten 282. Mit dem Kriterium der Aussichten auf dem Arbeitsmarkt wird aber nichts anderes untersucht, als die Frage, welche Chancen der als Arbeitsuchender gedachte gekündigte Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt hätte. Werden die Chancen auf dem Arbeitsmarkt von der h.M. bei solchen Personen, die noch in einem (gekündigten) Arbeitsverhältnis stehen, für beachtlich gehalten, für unbeachtlich dagegen, wenn es sich um arbeitslose Arbeitsuchende handelt, dann liegt darin ein Wertungswiderspruch, der nicht gerechtfertigt werden kann. Denn soweit es um die Frage der Chancen auf dem Arbeitsmarkt zum Abschluß eines neuen Arbeitsvertrages geht, befinden sich sowohl der gekündigte Arbeitnehmer wie auch der bisher arbeitslose Arbeitsuchende in Bezug auf Arbeitsplätze in der Nachfrageposition. Auch und gerade wenn nach der Bestandsschutzkonzeption in dem Arbeitsverhältnis die Grundlage der sozialen und wirtschaftlichen Existenz gesehen wird283 , haben beide ein prinzipiell gleich hoch einzuschätzendes InterGalperinl Löwisch § 95 Rn 10- Hervorhebung im Original. Vgl. z. B. BAG v. 5. 7. 1990, NZA 1991, S. 185 (186); v. 22. 8. 1963, AP Nr. 51 zu § 626 BGB (a.E.). 282 Vgl. die unter Kap. 3 C I Genannten. 283 Vgl. BVeifGE 97, S. 169 (177). 280 281

8 Stelljes

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3. Kap.: Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

esse daran, einen Arbeitsplatz wiederzuerlangen. Qualitativ unterscheidet sich damit die Position des gekündigten Arbeitnehmers durch nichts von der des Arbeitsuchenden. Dennoch soll eine schlechte Situation auf dem Arbeitsmarkt zugunsten des noch im Arbeitsverhältnis stehenden Arbeitnehmers angeführt werden können, obwohl gerade dadurch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erschwert, damit die Verteilung der Arbeitsplätze verfestigt, die Fluktuation auf dem Arbeitsmarkt verringert wird und so schließlich die Chancen der arbeitsuebenden Außenseiter auf Abschluß eines Arbeitsvertrages ebenfalls verringert werden284. Ein Kriterium (das der Aussichten auf dem Arbeitsmarkt) führt so zur Begünstigung des einen (nämlich des Arbeitnehmers) unter Benachteiligung des anderen (des Arbeitsuchenden), obwohl sich beide Positionen im für die Begünstigung angenommenen Grund durch nichts unterscheiden, so daß diese Ungleichbehandlung mit diesem Grund nicht gerechtfertigt werden kann. Dieser Kritik ist auch der erste Kleinbetriebsbeschluß des BVerfG ausgesetzt. Dort wird unter den Belangen auf Seiten des Arbeitnehmers ausgeführt, die Aussichten, eine ähnliche (neue) Position zu finden, hingen vom Arbeitsmarkt ab und seien in Zeiten struktureller Arbeitslosigkeit vor allem für den älteren Arbeitnehmer schlecht285 . Gleichwohl beschränkt das Gericht die Beurteilung der Grundlagen des Kündigungsschutzes auf den Interessengegensatz zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Wenn dann die Aussichten auf eine neue Position und Erwägungen des Arbeitsmarktes angeführt werden, hätte es nahegelegen, die Chancen Arbeitsuchender in die Beurteilung des Kündigungsschutzes einzubeziehen und ihre - verfassungsrechtlich geschützten 286 - Interessen als Grenze des Kündigungsschutzes, speziell des Kündigungsschutzes im Kleinbetrieb, anzuerkennen. Diese Konsequenz wird jedoch nicht gezogen. Festzuhalten bleibt, daß bei großen Teilen von Rechtsprechung und Literatur trotz Ablehnung der Berücksichtigung von Interessen Arbeitsuchender der Sache nach ebendiese Interessen Berücksichtigung finden, da sie in dem Kriterium der "Aussichten auf dem Arbeitsmarkt" in seinen verschiedenen Erscheinungsformen verborgen sind. Dennoch geschieht diese Berücksichtigung nur einseitig: Die Aussichten auf dem Arbeitsmarkt finden nur Berücksichtigung, soweit es um einen gekündigten Arbeitnehmer geht, und können zur Verstärkung des Bestandsschutzes führen; daß sich daraus, soweit die Arbeitsuchenden in Frage stehen, eine Beeinträchtigung ihrer Aussichten auf dem Arbeitsmarkt ergeben kann, wird dagegen nicht beachtet. Anerkennt man jedoch die Aussichten auf dem Arbeitsmarkt als Gesichtspunkt für den Schutz des (gekündigten) Arbeitnehmers, dann kann man 284 Hier wird eine Selbstverstärkungstendenz des Kriteriums deutlich: Bei einmal schlechter Arbeitsmarktsituation führt es zur Verfestigung der Arbeitsplatzverteilung, damit zu noch schlechteren Aussichten auf dem Arbeitsmarkt, die wiederum nach hersehender Auffassung zu einem noch stärkeren Beendigungsschutz des zu kündigen Arbeitnehmers und zur entsprechenden Verringerung der Chancen Arbeitsuchender führen müssen. 285 BVerfGE 97, S. 169 (177). 286 s. o. Kap. 3 A II 2 a.

C. Das Außenseiterproblem im einfachen Kündigungsschutzrecht

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sich der Anerkennung für arbeitslose Arbeitsuchende nicht verschließen, weil es im Hinblick auf die Schwierigkeit, einen Arbeitsplatz (wieder-)zuerlangen, keinen Unterschied macht, ob der Arbeitswillige aus einem gekündigten Arbeitsverhältnis heraus einen neuen Arbeitsplatz suchen muß oder als jemand, der sich als Arbeitsloser eine Beschäftigung sucht: Schlechte Aussichten auf dem Arbeitsmarkt treffen beide prinzipiell gleich empfindlich - wenn nicht sogar den arbeitslosen Arbeitsuchenden noch härter, weil dieser während der Dauer seiner Arbeitslosigkeit berufsspezifische Qualifikationen eingebüßt oder eine Anpassung an neue Qualifikationserfordernisse versäumt haben könnte (oder ein potentieller Arbeitgeber dies zumindest befürchtet und daher den aus einem gekündigten Arbeitsverhältnis heraus stellensuchenden Arbeitnehmer dem arbeitslosen Arbeitsuchenden vorzieht). Hier wird deutlich, daß das Bedürfnis nach Schutz bei schlechten Arbeitsmarktaussichten kein arbeitnehmerspezifisches Schutzbedürfnis darstellt287 ; soll also der Beendigungsschutz zugunsten des Arbeitsplatzinhabers gerechtfertigt werden, so kann dies nicht mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit eines Schutzes bei schlechten Arbeitsmarktaussichten begrundet werden288 , weil unter diesem Gesichtspunkt der Arbeitsuchende, dessen Chancen auf dem Arbeitsmarkt durch Erhöhung des Beendigungsschutzes (wegen der damit verbundenen Verfestigung der Arbeitsplatzverteilung) gerade verringert werden289, nicht weniger schutzwürdig und schutzbedürftig ist als der Arbeitsplatzinhaber.

V. Konsequenzen Daraus folgt zunächst, daß das Merkmal der Aussichten auf dem Arbeitsmarkt aufzugeben ist, solange es zur Begrundung der Verstärkung des Beendigungsschutzes dienen soll und damit einseitig zugunsten des Arbeitsplatzinhabers ins Feld geführt wird. Es kann also nicht als Gesichtspunkt der Interessenahwägung anerkannt werden. Dennoch ist das Merkmal nicht ohne gewissen Erkenntniswert für das Verständnis des allgemeinen Kündigungsschutzes, hat es doch zu dem Ergebnis geführt, daß ein Schutz des zu kündigenden Arbeitsplatzinhabers vor und bei schlechten Aussichten auf dem Arbeitsmarkt durch Beendigungsschutz allein auf Kosten der Verschlechterung der Arbeitsmarktaussichten der arbeitslosen Arbeitsuchenden erreicht werden kann, und dies, obwohl das Schutzbedürfnis von Arbeitsplatzinhabern und von Arbeitsuchenden bei schlechten Arbeitsmarktaussichten für beide prinzipiell gleich und daher kein arbeitnehmerspezifisches ist. Daraus folgt wiederum, daß Kündigungsschutz nicht mit dem Schutz gegen individuelle Arbeitslosigkeit des zu kündigenden Arbeitnehmers begrundet werden kann, weil mit 287 Zum Erfordernis einer arbeitnehmerspezifischen Begründung des allgemeinen Kündigungsschutzes vgl. schon o. Kap. 3 A li 4 c dd. 288 So aber BVerfGE 97, S. 169 (177). 289 So Zöllner, 52. DJT (1978), GutachtenD, S. 114.

8*

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3. Kap.: Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

solchem Schutz gleichzeitig die Arbeitslosigkeit der Arbeitsuchenden gerade verfestigt würde. Die konsequente Berücksichtigung der Aussichten auf dem Arbeitsmarkt kann daher gerade nicht zu Verstärkung des Beendigungsschutzes vorgebracht werden, sondern muß zu seiner Begrenzung führen. Diese Grenze wird markiert durch die ebensosehr schutzwürdigen - und vom verfassungsrechtlichen Schutz der Berufsfreiheit und des Sozialstaatsprinzips umfaßten - Interessen der arbeitslosen Arbeitsuchenden. Insofern handelt es sich bei dem Merkmal der Aussichten auf dem Arbeitsmarkt um den einfachrechtlichen Ausdruck des Außenseiterproblems, das der Bestandsschutztheorie als Begründung des allgemeinen Kündigungsschutzes wegen Außerachtlassens der Position der Arbeitsuchenden auch auf einfachrechtlicher Ebene entgegensteht. Im Ergebnis muß daher das Argument der Aussichten auf dem Arbeitsmarkt im einfachen Kündigungsschutzrecht tatsächlich Berücksichtigung finden, doch nicht in der Weise, wie die h.M. (als Gesichtspunkt der Interessenabwägung) dies tut, sondern als Argument gegen die Begründung des allgemeinen Kündigungsschutzes mit der Bestandsschutztheorie: Als Verstärkung des Arbeitsplatzschutzes des Arbeitnehmers vor einer ungünstigen Situation auf dem Arbeitsmarkt kann Kündigungsschutz nicht dienen, weil dieser Schutz nur durch die Verschlechterung der Aussichten arbeitsloser Arbeitsuchender auf dem Arbeitsmarkt wegen Verfestigung der Arbeitsplatzverteilung erkauft werden könnte, obwohl diese den Schutz vor einer ungünstigen Situation auf dem Arbeitsmarkt ebensosehr verdienen.

VI. Zu Einwänden gegen die Berücksichtigung von Drittinteressen

Damit gewinnt die Rechtsstellung der arbeitslosen Arbeitsuchenden letztlich auch Einfluß auf das Verständnis und die Interpretation des einfachrechtlichen Kündigungsschutzes. Gegen eine solche Berücksichtigungsfähigkeit der Interessen von nicht am Arbeitsverhältnis beteiligten Dritten werden jedoch eine Reihe von Einwänden erhoben. Dazu gehört die Befürchtung, die Beachtung von Drittinteressen führe zu Rechtsunsicherheit und gebe "Imponderabilien Einfluß"290. Doch erweist sich diese Befürchtung als unbegründet. Denn bei der hier vertretenen Berücksichtigung von Drittinteressen geht es nicht um ihre Beachtlichkeit im Fall einer ganz bestimmten Kündigung eines ganz bestimmten Arbeitnehmers, sondern um die Bestimmung der generellen, von Einzelfällen abstrahierten Reichweite des Kündigungsschutzes. Diesem werden durch die geschützte Position Arbeitsuchender allgemeine Grenzen gesetzt. Indem so der allgemeine Kündigungsschutz auf eine ihn zutreffend beschreibende allgemeine Theorie zurückgeführt werden soll, kann Rechtssicherheit gerade gefördert werden. Ein Beispiel dafür ist die damit notwen290

So Preis, Prinzipien, S. 126; ders., DB 1988, S. 1387 (1392).

C. Das Außenseiterproblem im einfachen Kündigungsschutzrecht

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dig verbundene Reduzierung der Interessenahwägung um das Kriterium der Aussichten auf dem Arbeitsmarkt. Rechtsunsicherheit wird demgegenüber gerade durch das Bestandsschutzkonzept hervorgerufen: Wenn danach die soziale und wirtschaftliche Existenz der Arbeitnehmer die Grundlage des Kündigungsschutzes darstellt, dann muß die Reichweite des Kündigungsschutzes abhängig sein von der Schutzbedürftigkeit des einzelnen gekündigten Arbeitnehmers. Diese Abhängigkeit des Kündigungsschutzes von individuellen Umständen ist es, die zum Einbruch von Imponderabilien in das Kündigungsschutzrecht führt. Sichtbares Zeichen einer solchen höchstindividuellen Beurteilung des Kündigungsrechtsstreits ist die Interessenahwägung mit ihrer Vielzahl von berücksichtigungsfähigen Kriterien, durch die ein nicht unerhebliches Maß an Rechtsunsicherheit hervorgerufen wird291. Gegen die Berücksichtigung der Position Arbeitsuchender als Grenze des Kündigungsschutzes kann auch nicht die Relativität des Arbeitsverhältnisses vorgebracht werden292. Denn bei der Begrenzung des allgemeinen Kündigungsschutzes geht es nicht um aus dem Vertragsverhältnis folgende Rechte und Pflichten der Vertragsparteien. Vielmehr geht es um zwingendes Gesetzesrecht, das die Beendbarkeit des relativen Arbeitsverhältnisses unter Ausgleich mehrerer als nur zweier betroffener Interessen regelt. Daß aus einem Schuldverhältnis aufgrund seiner Relativität Pflichten und (im Regelfall) Rechte nur für die Beteiligten folgen, schließt keineswegs aus, daß Auswirkungen, die nicht Rechte oder Pflichten sein müssen, für Dritte entstehen und diese rechtlich beeinträchtigen können. So ist beispielsweise im Arzthaftungsrecht anerkannt, daß die Haftung des Arztes aus dem (vertraglichen oder deliktischen) Schuldverhältnis mit dem Patienten im Interesse der Gesamtheit der Patienten zu begrenzen ist, denen aus einer "defensiven Medizin", die auf eine weite Haftung folgt, in der ärztlichen Versorgung letztlich mehr Nachteile als Vorteile entstünden, indem die ärztliche Tatkraft und medizinischer Fortschritt gelähmt würden293 . Obwohl also das Verhältnis zwischen Arzt und Patient ein relatives ist, werden Interessen der Gesamtheit der (nicht am Schuldverhältnis beteiligten) Patienten zu einer Begrenzung der ärztlichen Haftung angeführt. Letztlich vermag sich die Relativität des Arbeitsverhältnisses jedenfalls nicht darüber hinwegzusetzen, daß die Berücksichtigung der Position Arbeitsuchender bereits aus der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG und dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG folgt, die als verfassungsrechtliche Leges superiores dem einfachrechtlichen Arbeitsrecht vorgehen. Damit muß die Ablehnung der Berücksichtigung der Rechtsposition Arbeitsuchender dem Argument der Systematik der Rechtsquellen weichen.

Vgl. z. B. Rüthers, Beschäftigungskrise und Arbeitsrecht, S. 59 ff. So aber Preis, Prinzipien, S. 126. 293 Vgl. BGH NJW 1978, S. 1681 (1682) - Dammschnitt-Urteil; Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, § 107 Rn 7; R. Giesen, MedR 1997, S. 17 (19). 291

292

4. Kapitel

Die personelle Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes Für das BVerfG besteht das Wesen des Kündigungsschutzes in der Grundannahme eines Bedürfnisses nach Schutz der wirtschaftlichen und sozialen Existenz des Arbeitnehmers, relativiert durch schutzwürdige Interessen des Arbeitgebers 1• Auf der Grundlage dieses wirtschaftlichen und sozialen Bestandsschutzes folgert das BVerfG auch für Arbeitnehmer in Kleinbetrieben einen Mindestschutz des Arbeitsplatzes, also für Arbeitnehmer, die nach § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG nicht dem Anwendungsbereich des ersten Abschnitts des KSchG unterfallen. Die Bestandsschutzidee wird so zur Grundlage eines Kündigungsschutzes auch außerhalb des KSchG. Dieser bezieht sich zunächst nur auf Arbeitnehmer im Kleinbetrieb als Teil des vom KSchG nicht abgedeckten Bereichs. Zu fragen ist aber, ob nach dieser Begründung des Kündigungsschutzes als wirtschaftlich-sozialer Existenzschutz nicht auch anderen Personengruppen außerhalb des KSchG Kündigungsschutz gewährt werden müßte. Grundsätzlich müßten alle - aber auch nur - diejenigen Personen, die des wirtschaftlichen und sozialen Existenzschutzes bedürfen, in den Geltungsbereich des materiellen allgemeinen Kündigungsschutzes fallen. Fraglich ist, ob dann noch der Kreis der danach zu schützenden Personen kongruent ist mit dem der nach dem KSchG tatsächlich geschützten Personen. Falls er weiter sein sollte als dieser, dürfte der Kündigungsschutz nicht auf die nach KSchG geschützten Personen - vorbehaltlich besonderer Rechtfertigungen - beschränkt bleiben. Falls das KSchG demgegenüber auch solche Personen schützt, die nach den Kriterien der Bestandsschutztheorie nicht schutzwürdig sind, müßte der Kündigungsschutz für solche Personen reduziert sein. In jedem Fall muß also überprüft werden, ob eine Kongruenz des geltenden Kündigungsschutzes mit Kündigungsschutz nach der Prognose der Bestandsschutztheorie gefunden werden kann und ob die Prognose mit geltendem Recht vereinbar ist. Träfe dies nicht zu, wäre die Bestandsschutztheorie als Grundlage des Kündigungsschutzes in Frage gestellt. Sodann wäre zu erörtern, ob eine der übrigen zur Grundlage des Kündigungsschutzes vertretenen Theorien das geltende Recht schlüssig und widerspruchsfrei zu erklären vermag. Dazu soll zunächst untersucht werden, wie sich der Anwendungsbereich des Kündigungsschutzes, wie er nach dem von der Bestandsschutztheorie verstandeI

BVerfGE 91, S. 169 (177 f.); s.o. Kap. 2 BI.

A. Kein allgemeiner Kündigungsschutztrotz Schutzbedürfnisses?

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nen Schutzbedürfnis zu prognostizieren ist, zu dem nach der Iex lata gewährten positiven Kündigungsschutz verhält. Weil eine Theorie falsch ist, wenn sie bei folgerichtiger Durchführung zu einem Ergebnis führt, das mit dem geltenden Recht unvereinbar ist2, gilt: Sollte zwischen den beiden Bereichen des prognostizierten und des gesetzlichen Kündigungsschutzes Kongruenz erkannt werden können, würde die Bestandsschutztheorie gestützt; sollten demgegenüber erhebliche und nicht aus der Theorie zu rechtfertigende Abweichungen offenbar werden, wäre die Bestandsschutztheorie abzulehnen. Die Prüfung muß daher wenigstens zwei Fragen beantworten: Genießen nach positivem KSchG alle Personen Kündigungsschutz, die nach der Bestandsschutztheorie ein Bedürfnis nach Kündigungsschutz aufweisen (A.)? Weisen alle Personen nach der Bestandsschutztheorie ein Bedürfnis nach Kündigungsschutz auf, die nach positivem KSchG vom Kündigungsschutz erlaßt werden (B.)? Allgemein gefragt: Genießen genau die Personen allgemeinen Kündigungsschutz, die nach der Bestandsschutztheorie ein Bedürfnis nach Kündigungsschutz aufweisen? Sollte eine dieser Fragen zu verneinen sein, wäre zu untersuchen, ob eine bzw. welche der zum allgemeinen Kündigungsschutz vertretenen Theorien zur Bejahung dieser Fragen und damit zu einer zutreffenden Erklärung der personellen Reichweite des geltenden Kündigungsschutzrechts führen kann (C.).

A. Kein allgemeiner Kündigungsschutz trotz Schutzbedürfnisses? Wenn der Kündigungsschutz der Erhaltung der wirtschaftlichen und sozialen Existenzgrundlage dienen soll, dann müßte Kündigungsschutz allen Personen gewährt werden, die des Schutzes der Erhaltung ihrer Existenzgrundlage bedürfen. Für bestimmte, noch einzeln zu untersuchende Personengruppen könnte dies bedeuten, daß der gesetzliche Kündigungsschutz, der nur in gewissen Grenzen(§§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 KSchG) gilt, auf sie zu erweitern wäre, sofern sie ein Bedürfnis nach wirtschaftlich-sozialem Existenzschutz aufweisen. Eine Grenze des Kündigungsschutzes besteht auch darin, daß er nur für Arbeitsverhältnisse gewährt wird, nicht aber für andere Dienstverhältnisse (§ 1 Abs. 1 KSchG). Wenn die Grundannahme der Bestandsschutztheorie aber in der wirtschaftlichen und sozialen Schutzbedürftigkeit besteht, ist fraglich, ob Kündigungsschutz auf Arbeitsverhältnisse beschränkt bleiben darf, oder ob er nicht auch in bestimmten Fällen auf gewisse (andere) Beschäftigungsverhältnisse anzuwenden wäre, die nicht Arbeitsverhältnisse sind.

2 Larenz /Canaris, Methodenlehre, S. 280; Canaris, JZ 1993, S. 377 (386); vgl. o. Kap. I A.

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4. Kap.: Die personelle Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

I. Arbeitnehmerähnliche Personen Dazu könnten die arbeitnehmerähnlichen Personen zählen. Nach der gesetzlichen Definition des § 12a Abs. 1 Nr. 1 TVG gehört zu den Eigenschaften der arbeitnehmerähnlichen Personen, daß sie "wirtschaftlich abhängig und vergleichbar einem Arbeitnehmer sozial schutzbedürftig" sind. Das arbeitnehmerähnliche Beschäftigungsverhältnis ist aber kein Arbeitsverhältnis3 , denn dieses setzt nach Rechtsprechung und herrschender Literatur eine persönliche Abhängigkeit des Dienstverpflichteten voraus4 , die konstitutiv für die Arbeitnehmereigenschaft und damit die Anwendung des Arbeitsrechts ist. Die Eigenschaft als arbeitnehmerähnliche Person kommt dagegen nur dann in Betracht, wenn die Dienste in verhältnismäßiger persönlicher Unabhängigkeit geleistet werden, wenn auch im übrigen Gemeinsamkeiten mit der Arbeitnehmereigenschaft bestehen können5 .

1. Allgemeine Charakteristik arbeitnehmerähnlicher Personen

Die für Arbeitnehmerähnliche konstitutive Eigenschaft der wirtschaftlichen Abhängigkeit wird angenommen, wenn der Beschäftigte im wesentlichen für einen Auftraggeber tätig geworden ist und die hieraus fließende Vergütung seine Existenzgrundlage darstellt6 . Eine Beschäftigung für mehrere Auftraggeber schließt die Eigenschaft als arbeitnehmerähnliche Person zwar nicht aus, doch kann eine die Existenz beriihrende Abhängigkeit eher bei einer kleineren Zahl von Auftraggebern angenommen werden, weniger dagegen, wenn das Einkommen des Beschäftigten breit gestreut ist7 . Dies kommt auch in § 12a Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a TVG zum Ausdruck, der zur Voraussetzung der Arbeitnehmerähnlichen-Eigenschaft macht, daß der Beschäftigte überwiegend für eine Person tätig ist. Weiter zählt zur wirtschaftlichen Abhängigkeit das Vorliegen einer gewissen Dauerhaftigkeit des Beschäftigungsverhältnisses8 , da die einmalige kurzfristige Erbringung einer Dienst- oder Werkleistung in aller Regel nicht ein Entgelt zur Gegenleistung habe, das die wesentliche Existenzgrundlage des Beschäftigten darstelle; dies wird aus dem Vergleich zum Arbeitsverhältnis hergeleitet, das ebenfalls als Dauer-

KR/ Rost, Arbeitnehmerähnliche Personen Rn 15 mwN. KR/ Rost, Arbeitnehmerähnliche Personen Rn 2 mwN. 5 Anders Schmidt/Koberski/1iemann/Wascher, HAG, Anh. § 19 Rn 5 ff. 6 KR I Rost, Arbeitnehmerähnliche Personen Rn 17 - Hervorhebung im Original; so schon BAG v. 18. 2. 1956, AP Nr. 1 zu§ 5 ArbGG 1953; v. 8. 6. 1967, AP Nr. 6 zu § 611 BGB Abhängigkeit; v. 8. I. 1967, AP Nr. 7 zu§ 611 BGB Abhängigkeit; v. 2. 10. 1990, EzA § 12a TVG Nr. I. 7 KR I Rost, Arbeitnehmerähnliche Personen Rn 17. 8 KR/ Rost, Arbeitnehmerähnliche Personen Rn 21; BAG v. 6. 12. 1974, EzA § 611 BGB Nr. 18; Hromadka, NZA 1997, S. 1249 (1253 f.). 3

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A. Kein allgemeiner Kündigungsschutztrotz Schutzbedürfnisses?

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Schuldverhältnis gestaltet ist9 • Dabei ist die wirtschaftliche Abhängigkeit nach den gesamten Umständen zu beurteilen 10• Auch das zweite Merkmal der arbeitnehmerähnlichen Personen, die einem Arbeitnehmer vergleichbare soziale Schutzbedürftigkeit, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu beurteilen 11 • Diese soll vorliegen, "wenn ein Beschäftigter unter Berücksichtigung seiner wirtschaftlichen Abhängigkeit und der Art der geleisteten Dienste in seiner Gesamtbetrachtung einem Arbeitnehmer gleichkommt" 12. Das Merkmal der sozialen Schutzbedürftigkeit wird also nicht streng getrennt von dem der wirtschaftlichen Abhängigkeit beurteilt 13 . Anderer Formulierung nach wird darauf abgestellt, ob "das Maß der Abhängigkeit nach der Verkehrsanschauung einen solchen Grad erreicht, wie er im allgemeinen nur in einem Arbeitsverhältnis vorkommt, und die geleisteten Dienste nach ihrer soziologischen Typik mit denen eines Arbeitnehmers vergleichbar sind14. Teilweise wird zur Beurteilung der sozialen Schutzbedürftigkeit auf die Höhe des Einkommens abgestellt und das Merkmal bei sehr hohem Einkommen abgelehnt 15 • Andererseits wird die Höhe des Entgelts für unbeachtlich gehalten, weil nach geltendem Recht auch die "Besserverdienenden" arbeitsrechtlichen Schutz genössen 16 • Damit sind die arbeitnehmerähnlichen Personen vor allem durch ihre wirtschaftliche Abhängigkeit von der Beschäftigung als Existenzgrundlage sowie ihre einem Arbeitnehmer vergleichbare soziale Schutzbedürftigkeit gekennzeichnet, während eine persönliche Abhängigkeit fehlt. Nach der Rechtsprechung des BVerfG wird dem Arbeitsplatz die Bedeutung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage zugeschrieben, von dem der Arbeitnehmer auch in seiner sozialen Lebensgestaltung abhänge; gleichzeitig wird hieraus der Kündigungsschutz für den Arbeitnehmer gerechtfertigt17. Weil aber unter dem Aspekt der wirtschaftlichen Abhängigkeit sowie der sozialen Schutzbedürftigkeit im Beschäftigungsverhältnis die Ausgangssituation von Arbeitnehmer und arbeitnehmerähnlicher Person gleich ist, muß gefragt werden, ob deshalb beide Gruppen dasselbe Maß an Schutz vor Beendigung ihres Beschäftigungsverhältnisses erhalten. Dazu ist der Schutz der arbeitnehmerähnlichen Person vor Vertragsbeendigung zu untersuchen und mit dem des Arbeitnehmers zu vergleichen. Sollte das Wesen des Kündigungsschutzes im KR I Rost, Arbeitnehmerähnliche Personen Rn 21. KR/ Rost, Arbeitnehmerähnliche Personen Rn 21. 11 KR/ Rost, Arbeitnehmerähnliche Personen Rn 22. 12 KR/ Rost, Arbeitnehmerähnliche Personen Rn 22. 13 Krit. hierzu Hromadka, NZA 1997, S. 1249 (1252). 14 BAG v. 2. 10. 1990, EzA § 12a TVG Nr. 1; Löwisch/Rieble, TVG, § 12a Rn 7.

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15 BAG v. 2. 10. 1990, EzA § 12a TVG Nr. 1; KR/ Rost, Arbeitnehmerähnliche Personen Rn22. 16 Hromadka, NZA 1997, S. 1249 (1252); Kempen/Zachert, TVG, § 12a Rn 15; v. Hasel Lembke, BB 1997, S. 1095 (1096). 17 BVerfGE 97, S. 169 (177).

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4. Kap.: Die personelle Reichweite des allgerneinen Kündigungsschutzes

Schutz vor dem Verlust der wirtschaftlichen und sozialen Existenzgrundlage bestehen, wovon die Bestandsschutztheorie ausgeht, dann müßten beide Gruppen grundsätzlich dasselbe Maß an Beendigungsschutz genießen. Ware die nicht der Fall, spräche dies gegen die Bestandsschutztheorie. 2. Schutz vor Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses Zunächst kann festgehalten werden, daß auf arbeitnehmerähnliche Personen arbeitsrechtliche Vorschriften, weil diese naturgemäß das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses voraussetzen, nicht anwendbar sind, soweit nicht ausdrucklieh eine Gleichstellung mit Arbeitnehmern geregelt ist (z. B. §§ 2 S. 2 BUrlG, 12a Abs. 1 Nr. 1 TVG, 5 Abs. 1 S. 2 ArbGG). Damit können die Vorschriften des KSchG, da sie ein Arbeitsverhältnis erfordern (§ 1 Abs. 1 KSchG), nicht - jedenfalls nicht direkt - auf arbeitnehmerähnliche Personen angewendet werden. Der Schutz vor Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses ist nicht für alle arbeitnehmerähnlichen Personen gleich. Für besondere Gruppen arbeitnehmerähnlicher Personen gibt es Sonderregelungen, die auch Kündigungsvorschriften enthalten, so für die im Heimarbeit Beschäftigten die §§ 29 ff. HAG, für die (arbeitnehmerähnlichen) Handelsvertreter die §§ 89 ff. HGB. Im übrigen richten sich die Rechtsverhältnisse der arbeitnehmerähnlichen Personen, so auch die Vertragsbeendigung, grundsätzlich nach den für den jeweils zugrundeliegenden Vertragstypus geltenden Vorschriften, also zunächst nach denen des BGB. So kann ein Dienstvertrag, ein Werkvertrag oder ein atypischer Vertrag Grundlage des arbeitnehmerähnlichen Beschäftigungsverhältnisses sein 18 ; im ersten Fall sehen die §§ 620 ff. BGB Regeln für die Kündigung vor, während beim Werkvertrag eine Kündigung grundsätzlich nicht in Betracht kommt. Die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses arbeitnehmerähnlicher Personen, insbesondere durch Kündigung, soll im folgenden an verschiedenen Gruppen arbeitnehmerähnlicher Personen näher betrachtet werden. Dabei soll ggf. auch die Beendigung durch Befristung und Bedingungseintritt Beachtung finden, weil dies nach der von der h.M. vertretenen Theorie der objektiven Gesetzesumgehung 19 Rückschlüsse darauf zuläßt, inwieweit von einem umgehungsfähigen Bestandsschutz für die jeweilige Gruppe ausgegangen wird. a) Beendigungsschutz der in Heimarbeit Beschäftigten

Zu den arbeitnehmerähnlichen Personen gehört die Gruppe der in Heimarbeit Beschäftigten20. Sie zeichnen sich vor den übrigen arbeitnehmerähnlichen PersoKR/ Rost, Arbeitnehmerähnliche Personen Rn 32. St. Rspr. seit BAG v. 21. 10. 1954, BAGE 1, S. 128; v. 12. 10. 1969, AP Nr. 16 zu§ 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; v. 6. 6. 1984, NZA 1985, S. 90. 18

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A. Kein allgemeiner Kündigungsschutztrotz Schutzbedürfnisses?

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nen dadurch aus, daß sie nicht im Betrieb, sondern als Heimarbeiter gern. § 2 Abs. 1 S. 1 HAG in selbstgewählter bzw. als Hausgewerbetreibende gern. § 2 Abs. 2 S. 2 HAG in eigener Arbeitsstätte arbeiten, jedenfalls also nicht im Betrieb des Auftraggebers tätig sind. Gegenüber den Arbeitnehmern verfügen die in Heimarbeit Beschäftigten damit über mehr Handlungsfreiheit nicht nur bezüglich der Wahl der Arbeitsstätte, sondern auch bezüglich des Verhaltens bei der Arbeit und ihrer Gestaltung21 . Das HAG bewirkt im Fall der Kündigung einen Schutz des Beschäftigungsverhältnisses zum einen durch Kündigungsfristen, die nach der Dauer des Beschäftigungsverhältnisses gestaffelt sind(§ 29 Abs. 1-5 HAG), zum anderen durch eine Entgeltgarantie während der Dauer der Kündigungsfrist (§ 29 Abs. 7 HAG)22. Einen Schutz vor Kündigungen durch Bindung der Kündigung an gewisse Gründe findet sich nur in§ 29 Abs. 6 HAG i.V.m. § 626 BGB für die Kündigung aus wichtigem Grund sowie in § 29a HAG für die für Betriebsverfassungsorgane tätigen Beschäftigten. Die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung im allgemeinen ist nach dem HAG nicht an das Vorliegen besonderer Gründe gebunden. Daher kann der Auftraggeber das Beschäftigungsverhältnis jederzeit ohne Angabe von Gründen kündigen23 . Die Kündigung eines Heimarbeitsverhältnisses setzt damit insbesondere eine soziale Rechtfertigung i. S. d. KSchG nicht voraus24. Für die Kündigung eines Beschäftigungsverhältnisses mit einem in Heimarbeit Beschäftigten gelten jedoch die §§ 134, 138, 242 BGB als allgemeine Schranken der Privatautonomie. Zur Bestimmung der Sittenwidrigkeit der Kündigung sowie eines darin etwa liegenden Verstoßes gegen Treu und Glauben wird auf die dazu herausgebildeten Grundsätze über die Kündigung im Arbeitsverhältnis verwiesen25. Betont wird dabei jedoch, daß, insbesondere bei der Beurteilung eines Verstoßes gegen Treu und Glauben, die durch das KSchG geschaffene Konkretisierung dieses Grundsatzes zu beachten sei. Liege eine Kündigung vor, die von der sozialen Rechtfertigung i. S. d. § 1 Abs. 2 KSchG an sich abgedeckt wäre, wenn die Anwendbarkeit des KSchG gegeben wäre, dann dürfte eine zusätzliche Prüfung des § 242 BGB wegen desselben Sachverhalts nicht mehr erfolgen; denn der Gesetzgeber habe bewußt einen Schutz durch § 242 BGB ausschließen wollen, wenn der Fall der Sozialwidrigkeit an sich vorliege, aber wegen der fehlenden Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 KSchG (oder des § 23 KSchG) das KSchG gar nicht anwendbar sei. Die Kündigung eines Heimarbeitsverhältnisses könne aber wegen 2o MünchArbR/ Richardi § 21 Rn 4; KR/ Rost, Arbeitnehmerähnliche Personen Rn 77; Schaub § 9 I 1; Nikisch I, S. 136 f.; Hueck/Nipperdey I, S. 55; anders Otten, HAG, vor§ 1 Rn 11, Schmidt/ Koberski/Iiemann/Wascher, HAG, Anh. nach§ 19 Rn 5 ff. 21 MünchArbR I Heenen § 231 Rn 8. 22 MünchArbR/ Heenen § 231 Rn 91. 23 Schmidt/ Koberski/Iiemann/Wascher, HAG, § 29 Rn 20. 24 Otten, HAG,§ 29 Rn 8; BAG v. 24. 6. 1986, NZA 1987, S. 275 (276). 25 KR/ Rost, Arbeitnehmerähnliche Personen Rn 148, 149; Schmidt/Koberski/Iiemann/ Wascher, HAG, § 29 Rn 59.

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4. Kap.: Die personelle Reichweite des allgerneinen Kündigungsschutzes

Verstoßes gegen § 242 BGB sehr wohl unwirksam sein, wenn sie auf anderen Gründen beruhe als denen, die eine Kündigung im Rahmen des KSchG sozial ungerechtfertigt erscheinen ließen, so wenn sie "durch besonders erschwerende Umstände in ganz besonderem Maße treuwidrig oder willkürlich" erscheine26. Auch die Rechtsprechung betont, daß das KSchG auf die in Heimarbeit Beschäftigten nicht angewendet werden kann27 . In der Entscheidung vom 24. 6. 1986 hatte das BAG darüber zu befinden, ob die Nichtanrechnung von Beschäftigungszeiten vor Vollendung des 35. Lebensjahres für die Dauer der Kündigungsfrist für Heimarbeiter vor Art. 3 Abs. 1 GG Bestand haben könnte, während diese Nichtanrechnung bei Arbeitnehmern nicht stattfinde. Das Gericht räumte ein, daß zwar eine Angleichung der Rechtsstellung der arbeitnehmerähnlichen Personen an die der Arbeitnehmer stattfinde28 , erklärte aber, daß nach der geltenden Rechtslage keine Übereinstimmung erreicht sei, was vor allem für den Bestandsschutz gelte29 • Die Kündigung des Heimarbeitsverhältnisses setze eine soziale Rechtfertigung nicht voraus, sondern schütze den Betroffenen nur vor der sofortigen Beendigung des Rechtsverhältnisses. Zuzugeben sei, daß die Heimarbeiter in besonderer Weise eines sozialen Schutzes bedürften, zumal sie in wirtschaftlicher Abhängigkeit zu ihren Auftraggebern stünden; doch folge hieraus nicht, daß der Gesetzgeber von Verfassungs wegen verpflichtet sei, die vorhandenen und bewußt aufrechterhaltenen Unterschiede zwischen Heimarbeitern und Arbeitnehmern zu beseitigen. Es sei nicht willkürlich, daß die Kündigungsfristen bei Heimarbeitern ungünstiger ausgestaltet seien als bei Arbeitnehmern. Etwas anderes lasse sich auch nicht aus der Entscheidung des BVerfG30 zur (unerlaubten) Ungleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten im Hinblick auf die Kündigungsfristen herleiten31 • Die Frage der Zulässigkeit der Ungleichbehandlung von Heimarbeitern und Arbeitnehmern bei Kündigungen wurde auch in einer nach den Kleinbetriebsbeschlüssen des BVerfG ergangenen Entscheidung des BAG erörtert32• Dort verneinte das Gericht eine direkte wie entsprechende Anwendbarkeit des § 613a Abs. 4 BGB auf Heimarbeitsverhältnisse. Eine entsprechende Anwendung komme nur in Betracht, wenn die gesetzliche Regelung planwidrig lückenhaft erscheine, insbesondere der allgemeine Gleichheitssatz sie gebiete. Diese Voraussetzungen seien jedoch nicht gegeben. Soweit der Gesetzgeber bisher Heimarbeiter den Arbeitnehmern gleichstellen wollte, habe er dies durch entsprechende Verweisungen 26 Schmidt/Koberski/Tiemann/Wascher; HAG,§ 29 Rn 60 unter Verweis auf Hueck/v. Hoyningen-Huene § 13 Rn 90; ebenso KR/ Rost, Arbeitnehmerähnliche Personen Rn 149; vgl. auch Rieble, ZfA 1998, S. 324 (348). 27 BAG v. 24. 6. 1986, NZA 1987, S. 275 (276); v. 24. 3. 1998, NZA 1998, S. 1001. 28 BAG V. 20. 4. 1956, BAGE 3, S. 23 (26); V. 19. 6. 1957, BAGE 4, s. 262 (266); V. 24. 6. 1986, NZA 1987, S. 275 (276). 29 BAG v. 24. 6. 1986, NZA 1987, S. 275 (276). 30 BVerfGE 62, S. 256. 31 BAG v. 24. 6. 1986, NZA 1987, S. 275 (276). 32 BAG v. 24. 3. 1998, NZA 1998, S. 1001.

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oder Fiktionen ausdrücklich geregelt. Dies betreffe auch den Kündigungsschutz. Heimarbeiter genössen aber nur unter den besonderen Voraussetzungen des § 29 HAG allgemeinen Kündigungsschutz; sie erwürben damit regelmäßig keinen dem KSchG vergleichbaren Bestandsschutz. Zur Rechtfertigung der Ungleichbehandlung verweist das Gericht auf die Entscheidung vom 24. 3. 198633 . Die dort getroffenen Ausführungen gälten auch für die insgesamt schwächere Ausgestaltung des Kündigungsschutzes bei Heimarbeitern im Verhältnis zu dem der Arbeitnehmer. Das BAG stellt weiter fest, daß Heimarbeiter dadurch jedoch nicht schutzlos willkürlichen Kündigungen ausgesetzt seien; vielmehr seien die Generalklauseln in den§§ 134, 138 und 242 BGB maßgeblich 34. An dieser Stelle verweist das Gericht auf den ersten Kleinbetriebsbeschluß des BVerfG35 • Dieser Standpunkt wird in der Literatur vereinzelt geteilt36. Die Kündigung eines Heimarbeitsverhältnisses durch den Auftraggeber sei trotz der Unanwendbarkeit des KSchG nicht beliebig möglich; vielmehr sei auch jenen der durch Art. 12 Abs. 1 GG gebotene Minimalkündigungsschutz zu gewähren37 , zu dessen Konkretisierung ebenfalls auf den ersten Kleinbetriebsbeschluß verwiesen wird38 . Danach dürfe die Kündigung nicht willkürlich sein oder aufsachfremden Motiven beruhen; bei der Auswahl der zu kündigenden Personen sei ein gewisses Maß an sozialer Rücksichtnahme geboten und es dürfe ein durch langjährige Mitarbeit erdientes Vertrauen in den Fortbestand des Beschäftigungsverhältnisses nicht unberücksichtigt bleiben39• Nach diesen Auffassungen ist der Schutz der in Heimarbeit Beschäftigten bei Kündigungen nicht mehr nur auf einen bloßen Schutz durch Fristen, wie ihn § 29 HAG vorsieht, beschränkt. Vielmehr gewinnt der Beendigungsschutz eine inhaltliche Dimension. Werden die vom BVerfG im ersten Kleinbetriebsbeschluß postulierten Kriterien nicht beachtet, führt dies nicht - wie bei der Verletzung von Kündigungsfristen - zur bloßen Verzögerung der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses, sondern - soll die Beachtlichkeit der Kriterien überhaupt einen Sinn haben - zur endgültigen Unwirksamkeit der Kündigung. Dies ist ein Schutz, der nicht mehr bloß gegen die sofortige Beendigung durch Fristenschutz, sondern gegen die Beendigung an sich wirkt.

BAG NZA 1987, S. 275 (276). BAG v. 24. 3. 1998, NZA 1998, S. 1001 (1003). 35 BVerfG NZA 1998, S. 471 = NJW 1998, S. 1475 = E 97, S. 169. 36 Däubler; FS 50 Jahre Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 271 (285); Kittnerl DäubleriZwanziger §§ 29, 29a HAG Rn 18 ff. 37 Kittner I Däubler I Zwanziger§§ 29, 29a HAG Rn 20. 33

34

38 Kittner I DäubleriZwanziger §§ 29, 29a HAG Rn 20 i.V.m. Kittnerl DäubleriZwanziger § 242 BGB Rn 22 ff., insb. Rn 24, 25; Däubler; FS 50 Jahre Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 271 (285). 39 Kittner I Däubler I Zwanziger § 242 BGB Rn 25 unter Verweis auf BVerfG NZA 1998, S. 471 (472) = E 97, S. 169 (179).

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4. Kap.: Die personelle Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

Wenn der Auftraggeber das Beschäftigungsverhältnis jederzeit ohne Angabe oder Vorhandensein eines Grundes fristgemäß kündigen kann40, dann ist nach der von der h.M. vertretenen Theorie der objektiven Gesetzesumgehung41 für die Befristung eines Beschäftigungsverhältnisses mit einem in Heimarbeit Beschäftigten auch die Angabe eines sachlichen, zur Rechtfertigung der Befristung bestimmten Grundes nicht erforderlich. Dies wird jedoch teilweise anders beurteilt42. Trotz der Unanwendbarkeit des KSchG genössen auch die in Heimarbeit Beschäftigten einen gewissen, wenn auch geringen Schutz, der u. a. in dem Zwang zur Einhaltung von Kündigungsfristen bestehe. Gegen den Verlust dieses Schutzes müsse der in Heimarbeit Beschäftigte in gleicher Weise geschützt werden wie ein Arbeitnehmer, so daß die vom BAG entwickelten Grundsätze auch auf jene angewendet werden könnten43 . Die Befristung des Beschäftigungsverhältnisses auch der in Heimarbeit Beschäftigten sei daher unwirksam, wenn für sie kein sachlicher Grund bestehe44. Als sachliche Gründe werden die Vergabe von Saisonarbeit, die aushilfsweise Vergabe von Aufträgen oder die Vergabe von Aufträgen zur Probe genannt45 • b) Beendigungsschutz der arbeitnehmerähnlichen Handelsvertreter

Nach § 84 Abs. 1 S. 1 HGB ist Handelsvertreter, wer als selbständiger Gewerbetreibender ständig damit betraut ist, für einen Unternehmer Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen. Der Handelsvertreter kann unter den Voraussetzungen des § 84 Abs. 1 S. 2 HGB selbständig, aber auch unselbständig sein; dann gilt er nach § 84 Abs. 2 HGB als Angestellter. Zwischen diesen beiden Erscheinungsformen kann es eine dritte, den arbeitnehmerähnlichen Handelsvertreter, geben, was sich nach den vertraglichen oder tatsächlichen Gegebenheiten richtet46. Maßgebend für die Einordnung sind die allgemeinen Begründungsmerkmale für arbeitnehmerähnliche Personen, zu denen im wesentlichen gehört, daß der Person die für die Arbeitnehmereigenschaft charakteristische persönliche Abhängigkeit fehlt, während sie wirtschaftlich abhängig und einem Arbeitnehmer vergleichbar sozial schutzbedürftig ist47 • Die wirtschaftliche Abhängigkeit arbeitnehmerähnlicher Personen ist dadurch bestimmt, daß die Vergütung der BeschäftiSchmidt/Koberski/Tiemann/Wascher; HAG,§ 29 Rn 20. BAG (GS) v. 12. 10. 1960, AP Nr. 16 zu§ 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; weitere Nachweise bei KR/ Lipke § 620 Rn 82. 42 KR/ Rost, Arbeitnehmerähnliche Personen Rn 169, Schmidt/Koberski/Tiemann/Wascher, HAG,§ 29 Rn 20; Kittner/ Däubler/Zwanziger, § 620 BGB Rn 22. 43 Schmidt/Koberski/Tiemann/Wascher, HAG, vor§ 29 ff. Rn 12. 40

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KR/ Rost, Arbeitnehmerähnliche Personen Rn 169. Schmidt/ Koberski/Tiemann/Wascher; HAG, vor§ 29 ff. Rn 12; KR/ Rost, Arbeitnehmerähnliche Personen Rn 169. 46 APS I Preis, Grundlagen C., Rn 60. 47 KR/ Rost, Arbeitnehmerähnliche Personen Rn 194 i.V.m. Rn 10 ff. 44 45

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gung ihre Existenzgrundlage darstellt, was wiederum insbesondere dann der Fall ist, wenn die Person für nur wenige (idealiter einen) Auftraggeber tätig ist48 . Dem entspricht, daß insbesondere Einfirmenvertreter i. S. d. § 92a HGB arbeitnehmerähnliche Personen sein können49 . Auf das Merkmal der Tätigkeit für nur einen Auftraggeber stellt auch § 5 Abs. 3 ArbGG als Voraussetzung für die Zuständigkeit der Arbeitsgerichtsbarkeit in Handelsvertretersachen ab. Durch dieses Merkmal kommt die Arbeitnehmerähnlichkeit also in besonderem Maße zum Ausdruck. Insofern stellt der Einfirmenhandelsvertreter ein typisches Beispiel für eine arbeitnehmerähnliche Person aus der Gruppe der Handelsvertreter dar. Mangels Arbeitnehmereigenschaft der Einfirmenhandelsvertreter ist das KSchG auf sie nicht anwendbar. Für die ordentliche Kündigung sieht jedoch § 89 HGB die Einhaltung bestimmter Kündigungsfristen vor. Diese Regelungen verdrängen, soweit ihr Regelungsbereich ist, die Anwendung der allgemeinen Regelungen über die Kündigung von Dienstverhältnissen, so also etwa§§ 620 Abs. 2, 621 BGB50. Damit wird dem Handelsvertreter, auch wenn er als Einfirmenvertreter als arbeitnehmerähnliche Person einzustufen ist, nur durch Kündigungsfristen, nicht dagegen durch die Bindung der Kündigung an das Vorliegen oder Vorbringen besonderer Griinde (anders bei der außerordentlichen Kündigung nach§ 89a HGB) Schutz gewährt; der Schutz ist wiederum nur geeignet, die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses hinauszuschieben, nicht aber dazu, sie endgültig zu verhindern. Eine entsprechende Anwendung arbeitsrechtlicher Vorschriften wird abgelehnt51 , zumal der arbeitnehmerähnliche Handelsvertreter bezüglich der Einhaltung der Kündigungsfristen bereits besser dastehe als vergleichbare andere arbeitnehmerähnliche Personen5 2 . Wegen des FehJens eines Schutzes vor der Kündigung durch Bindung an Griinde wird die - auch mehrfache - Befristung von Beschäftigungsverhältnissen mit arbeitnehmerähnlichen Handelsvertrtetern für wirksam gehalten53 ; das Vorliegen und die Angabe eines sachlichen Grundes für die Befristung ist damit nicht erforderlich. Eine Einschränkung der Befristungsmöglichkeit wird jedoch für den Fall gemacht, daß ein einheitliches, sich über längere Zeit erstreckendes Vertragsverhältnis in mehrere gleiche oder ähnliche Zeitverträge aufgespalten wird. Da solche Kettenverträge zur Umgehung der Kündigungsvorschriften führen könnten, seien sie als auf unbestimmte Zeit abgeschlossene Verträge anzusehen, mit der Folge, 48 Zur allgemeinen Charakteristik s.o. Kap. 4 AI 1; vgl auch KR/ Rost, Arbeitnehmerähnliche Personen Rn 17. 49 Baumbach/Duden/ Hopt, HGB, § 92a Rn 1, 3; Staub/ Brüggemann § 92a Rn 1. so KR/ Rost, Arbeitnehmerähnliche Personen Rn 197, 197a i.V.m. 198; Baumbach/Duden/ Hopt, HGB, § 89 Rn 6. s1 KR/ Rost, Arbeitnehmerähnliche Personen Rn 213; anders Oetker, FS 50 Jahre Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 311 (325 ff., 328). 52 KR/ Rost, Arbeitnehmerähnliche Personen Rn 213. 53 KR/ Rost, Arbeitnehmerähnliche Personen Rn 197; Baumbach/Duden/ Hopt, HGB, § 89 Rn 20; Schlegelberger/ Sehröder § 89 Rn 6; BGH NJW 1996, S. 848; BGH NJW 1999, s. 2668.

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4. Kap.: Die personelle Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

daß das Vertragsverhältnis nicht bereits mit Zeitablauf (§ 620 Abs. 1 BGB) ende, sondern unter Einhaltung der Fristen des § 89 HGB zu kündigen sei54. Teilweise wird die Befristungsmöglichkeit darüber hinaus unter den Vorbehalt gestellt, daß die Befristung auch sonst "keine reine Willkürmaßnahme des Unternehmers unter Mißbrauch seiner nach Lage der Verhältnisse gegebenen wirtschaftlichen Überlegenheit" darstelle5 5 •

c) Beendigungsschutzfür arbeitnehmerähnliche Personen im allgemeinen Da nicht jede arbeitnehmerähnliche Person eine in Heimarbeit beschäftigte Person oder ein arbeitnehmerähnlicher Handelsvertreter ist, fragt sich, nach welchen Regeln sich die Kündigung solcher arbeitnehmerähnlichen Personen richtet, für die nicht die besonderen Bestimmungen der §§ 29 f. HAG, 89 ff. HGB gelten. Da ein Arbeitsverhältnis bei ihnen nicht vorliegt, kann allenfalls eine entsprechende Anwendung arbeitsrechtlicher Kündigungsvorschriften, etwa aufgrund einer vergleichbaren sozialen Lage, erwogen werden56, die teilweise abgelehnt wird57. Die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses arbeitnehmerähnlicher Personen richtet sich damit nach den Vorschriften des BGB, darunter zunächst nach denjenigen, die das zugrundeliegende Rechtsverhältnis (Dienst-, Werkvertrag) betreffen. aa) Erweiterter Beendigungsschutz bei langer Einzelbefristung Liegt dem Beschäftigungsverhältnis ein Dienstvertrag zugrunde, der für eine bestimmte Zeit eingegangen wurde, dann endet das Beschäftigungsverhältnis nach § 620 Abs. l BGB nach Ablauf der Zeit. Nach der Theorie der objektiven Gesetzesumgehung58 bedürfte diese Befristung keines sachlichen und zu ihrer Rechtfertigung bestimmten Grundes, da arbeitnehmerähnliche Personen weder einen materiellen allgemeinen Kündigungsschutz genießen noch für die Kündigung Arbeitnehmern gleichgestellt sind. Daher könnte ein Beschäftigungsverhältnis mit arbeit54 MünchKomm-HGB/v. Hoyningen-Huene § 89 Rn 35; vgl. auch BGH VersR 1959, S. 129; BGH NJW 1996, S. 848; BGH NJW 1999, S. 2668; Baumbach/Duden/ Hopt, HGB, § 89 Rn 20; Schlegelherger I Sehröder § 89 Rn 6; KR I Rost, Arbeitnehmerähnliche Personen Rn 197. 55 Schlegelherger I Sehröder § 89 Rn 6. 56 Hromadka, NZA 1997, S. 1249 (1254 ff.); KR/ Rost, Arbeitnehmerähnliche Personen Rn 32; Wank, Arbeitnehmer und Selbständige, S. 245 ff.; Beuthien/Wehler; RdA 1978, S. 2

(10).

57 KR/ Rost, Arbeitnehmerähnliche Personen Rn 34; KR/ Etzel § 1 KSchG Rn 89; Hueck/v. Hoyningen-Huene § 1 Rn 46; HK/ Domdorf§ 1 Rn 22. 58 s. o. Kap. 4 A I 2 c aa.

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nehmerähnlichen Personen vielmehr beliebig oft und in beliebiger Dauer ohne Angabe oder Vorhandensein von Gründen befristet werden. Dies gab dem BAG Anlaß, im Kameramann-Fall 59 einen demgegenüber erweiterten Beendigungsschutz zu schaffen. Ein Kameramann war drei Jahre lang aufgrundjeweils tageweise abgeschlossener Einzelverträge beschäftigt worden. Diese Beschäftigung beendete der Auftraggeber, indem er eines Tages keine weiteren Aufträge mehr erteilte. In Anlehnung an § 29 HAG verlangte das BAG, daß der Dienstherr auf das beabsichtigte Ende der Beschäftigung aufmerksam mache; der Dienstherr sei verpflichtet, "auf die Belange eines von ihm völlig abhängigen freien Mitarbeiters Rücksicht zu nehmen, d. h. insbes. diesen nicht plötzl. seiner Existenzgrundlage zu berauben"60• Danach konnte das Beschäftigungsverhältnis nur noch mit einer Ankündigungsfrist von zwei Wochen gelöst werden. Diese Rechtsprechung erhielt auch in der Literatur Zustimmung61 • Denn in den Bestimmungen der §§ 29 HAG, 89 HGB spiegele sich die Erkenntnis wider, "daß wirtschaftlich abhängige und sozial schutzbedürftige Personen eines Mindestschutzes gegen den plötzlichen Verlust ihrer Existenzgrundlage bedürfen"62. Die soziale Schutzbedürftigkeit der arbeitnehmerähnlichen Personen rechtfertige die Erweiterung des vorgezeichneten Schutzes vor einem abrupten Entzug der Existenzgrundlage63 . Mit dem Erfordernis der Einhaltung einer Ankündigungsfrist wird im Ergebnis jedoch kein Schutz vor der Vertragsbeendigung gewährt, der die Beendigung verhindert, sondern es wird die Beendigung allenfalls um eine gewisse Dauer hinausgeschoben. Der so verstandene Schutz gewährt Kündigungsschutz über Kündigungsfristen, beruht aber nicht auf der Obliegenheit des Kündigenden zur Angabe von Gründen und stellt damit keinen dem § 1 Abs. 2 KSchG vergleichbaren materiellen allgemeinen Kündigungsschutz dar. bb) Beendigungsschutz bei unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen Seither wird eine Anwendung dieser Grundsätze über die Ankündigungsfrist auch für den Fall befürwortet, daß das Beschäftigungsverhältnis nicht in einer langen Abfolge einzelner kurzer Befristungen, sondern in einem von Anfang an unbefristeten Dienstverhältnis besteht64. Teilweise soll für alle arbeitnehmerähnlichen BAG v. 8. 6. 1967, AP Nr. 6 zu § 611 BGB Abhängigkeit. BAG v. 8. 6. 1967, AP Nr. 6 zu § 611 BGB Abhängigkeit; bestätigt durch BAG v. 7. 1. 1971, AP Nr. 8 zu§ 611 BGB Abhängigkeit. 61 Falkenberg, DB 1969, S. 1409 (1413). 62 KR/ Rost, Arbeitnehmerähnliche Personen Rn 54- Hervorhebung im Original. 63 KR I Rost, Arbeitnehmerähnliche Personen Rn 56. 64 Beuthien/Wehler, RdA 1978, S. 2 (10); KR/ Rost, Arbeitnehmerähnliche Personen Rn 67; Hromadka, NZA 1997, S. 1249 (1256); Oetker, FS 50 Jahre Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 311 (324). 59

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4. Kap.: Die personelle Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

Personen wegen der vergleichbaren Schutzbedürftigkeit voll auf die Regelung des Rechts der in Heimarbeit Beschäftigten zurückgegriffen werden65 , so daß auch die Kündigungsfristen des§ 29 HAG einzuhalten wären, soweit nicht§ 621 BGB günstigere Regelungen treffe66 • Im übrigen wird ausgeführt, die Rechtsprechung habe die innere, wertungsmäßige Übereinstimmung der Rechtsordnung zu wahren, wobei sie den Sozialstaatsgedanken (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 S. 1 GG) und den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) konkretisieren dürfe; diese Verfassungsgrundsätze geböten, nicht einzelne sozial gleich schutzbedürftige Gruppen von arbeitnehmerähnlichen Personen schutzlos zu lassen, weshalb freien Mitarbeitern richterrechtlich jedenfalls der Sozialschutz zugesprochen werden solle, der den in Heimarbeit Tatigen kraftGesetzeszuerkannt worden sei67 • (1) Orientierung am Schutz nach BVerfG-Rechtsprechung zum Kleinbetrieb Einen ebenfalls verfassungsrechtlichen Ansatz wählt Oetker. Ausgangspunkt sind für ihn seine Ausführungen zu einer aus Art. 12 Abs. 1 GG folgenden grundrechtliche Schutzpflicht68 sowie die hieraus vom BVerfG im ersten Kleinbetriebsbeschluß abgeleiteten Grundsätze zur Kündigung im Kleinbetrieb69 . Er erachtet es aus grundrechtsdogmatischer Sicht für unhaltbar, die Eckpunkte des BVerfG auf die Beendigung von Arbeitsverhältnissen zu beschränken; die grundrechtlich geschützte Arbeitsplatzwahlfreiheit beziehe sich auf den Ort der beruflichen Tatigkeit und nicht nur auf den Ort, an dem eine "Berufstätigkeit im arbeitsrechtlichen Gewande" ausgeübt wird70. Demnach wirkten die vom BVerfG aufgestellten Leitmaximen zum Schutz von Kündigungen über das Arbeitsrecht hinaus und erzwängen nicht nur für Arbeitnehmer, sondern auch für arbeitnehmerähnliche Personen einen Mindestschutz gegenüber einer einseitigen Vertragsbeendigung durch den Vertragspartner71 • Hieraus folgert Oetker zunächst einen Dispositionsschutz in Gestalt der Kündigungsfristen des § 29 Abs. 2 bis 5 HAG für alle arbeitnehmerähnlichen Personen. Solle "der Schutz des von der arbeitnehmerähnlichen Person gewählten Arbeitsplatzes nicht sinnentleert werden, dann dürfen sich die Vorgaben der grundrechtliehen Schutzpflichten nicht nur auf einen Schutz vor willkürlichen Kündigungen beschränken"; wenn Art. 12 Abs. 1 GG einen Schutz vor dem Verlust des Arbeitsplatzes impliziere, dann sei darin denknotwendig ein Dispositionsschutz zugunsten des Arbeitsplatzbesitzers enthalten, damit dieser ausreichend Zeit besitze, sich auf 65

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Hromadka, NZA 1997, S. 1249 (1256). KR/ Rost, Arbeitnehmerähnliche Personen Rn 67. Beuthien/Wehler; RdA 1978, S. 2 (10). Oetker; RdA 1997, S. 9 (16 f.). BVeljGE 97, S. 169 (179). Oetker; FS 50 Jahre Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 311 (320m. w. N.). Oetker; FS 50 Jahre Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 311 (320).

A. Kein allgemeiner Kündigungsschutztrotz Schutzbedürfnisses?

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den Arbeitsplatzverlust einzustellen72 . § 621 Nr. 1 bis 4 BGB stehe einem Analogieschluß zu § 29 Abs. 2 bis 4 HAG nicht entgegen, weil jene Norm in keiner Weise der bei arbeitnehmerähnlichen Personen konstitutiven wirtschaftlichen Abhängigkeit Rechnung trage; auch Nr. 5 des§ 621 BGB lasse keinen Umkehrschluß gegen die Analogie zum HAG zu, da die Vorschrift den Sonderfall der nicht nach Zeitabschnitten bemessenen Vergütung betreffe. So wird die Ausdehnung der Sonderregelung des § 29 Abs. 2 bis 5 HAG auf alle arbeitnehmerähnlichen Personen im Wege einer entsprechenden Anwendung befürwortet; denn arbeitnehmerähnliche Personen benötigten aufgrund ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit nicht anders als Arbeitnehmer und in Heimarbeit Beschäftigte aufgrund ihrer Angewiesenheil auf den Fortbestand der Vertragsbeziehung einen gesteigerten Dispositionsschutz73. Doch bleibt Oetker nicht bei der Forderung nach einem Dispositionsschutz durch Kündigungsfristen stehen, sondern verlangt darüber hinaus einen Bestandsschutz zugunsten der arbeitnehmerähnlichen Personen, der durch die zivilrechtliehen Generalklauseln der §§ 138, 242 BGB zu beriicksichtigen sei74. Er verweist auf Herschee 5 , demzufolge auf den das KSchG tragenden Rechtsgedanken zuriickgegriffen werden könne, so daß die arbeitnehmerähnliche Person den Einwand der "unrichtigen Rechtsausübung" (§ 242 BGB) geltend machen könne; dem stehe die Gewährung bloßen Kündigungsfristenschutzes nach § 29 HAG nicht entgegen, da diese Norm keine negative Konkretisierungsfunktion besitze76 . Zwar dürften nach Oetker in die Generalklauseln nicht die Sozialwidrigkeitstatbestände des KSchG hineingelesen werden, da sonst die Wertentscheidung des Gesetzgebers, den spezifischen Bestandsschutz des KSchG ausschließlich Arbeitnehmern vorzubehalten, unterlaufen werde; doch sei nach Schnorr von Carolsfeld77 die Sozialwidrigkeit ein allgemeiner Rechtsgedanke des Sozialstaates, der fiir alle eines sozialen Schutzes bedürftigen Rechtsverhältnisse des Arbeitslebens gelte, und es sei deshalb richtig, diesen Grundgedanken auf die übrigen arbeitnehmerähnlichen Personen auszudehnen. Oetker gelangt zu dem Ergebnis, eine "grundrechtsgeleitete Interpretation der zivilrechtliehen Generalklauseln" müsse sicherstellen, "daß auch arbeitnehmerähnliche Personen den ,Arbeitsplatz' gegen ihren Willen nur durchsachbezogene Griinde verlieren, die mit dem Vertragsverhältnis in einem Zusammenhang stehen". Diese Formulierung werde im Grundsatz durch die in§ 1 Abs. 2 S. 1 KSchG n Oetker; FS 50 Jahre Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 311 (323).

Oetker; FS 50 Jahre Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 311 (324). Oetker; FS 50 Jahre Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 311 (325); ähnlich Endemann, ArbuR 1954, S. 210 (213); Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 55; Pfarr; FS Kehrrnann, S. 75 (93). 75 Hersehe/, DB 1977, S. 1185 (1189). 76 A.A. Rieble, ZfA 1998, S. 324 (346). 77 Schnorr von Carolsfeld, Arbeitsrecht, S. 371; auch Endemann, ArbuR 1954, S. 210 (213), wonach der Begriff "Treu und Glauben" nach den Grundgedanken des KSchG näher auszurichten bleibe. 73 74

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4. Kap.: Die personelle Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

genannte Trias anerkannter Kündigungsgründe konkretisiert. Dennoch sei die vom einfachen Gesetzgeber vorgenommene Grenzziehung zu beachten, so daß über § 242 BGB lediglich eine evident unverhältnismäßige Kündigung untersagt sei; damit würden nur diejenigen Kündigungen unterbunden, die i. S. d. früheren § 7 Abs. 2 S. 3 KSchG 1951 offensichtlich willkürlich oder aus nichtigen Gründen unter Mißachtung der Machtstellung des Arbeitgebers im Betrieb ausgesprochen würden78 • (2) Orientierung am Schutz nach BVerfG-Rechtsprechung zum Einigungsvertrag

Von anderer Seite wird der Schutz arbeitnehmerähnlicher Personen durch Institute des Arbeitsrechts auf die Rechtsprechung des BVerfG zur Kündigung nach dem Einigungsvertrag gegründet79• Danach sollen die dazu entwickelten Grundsätze auch eine Leitlinie der materiell-rechtlichen Ansprüche der Arbeitnehmerähnlichen sein80. Zu diesen gehöre, daß der Arbeitgeber nicht willkürlich handele und bei einer Auswahl auch die sozialen Belange ausreichend zu berücksichtigen habe; da die Gerichte sich in ihren Entscheidungen nicht auf das besondere Abhängigkeitsverhältnis des Arbeitnehmers gestützt, sondern allgemeine Grundsätze jenseits des KSchG formuliert hätten, seien diese Grundsätze auch auf die arbeitnehmerähnlichen Personen zwanglos zu übertragen. Festzuhalten sei, daß der Auftraggeber bei der Kündigung nach den Grundsätzen des § 242 BGB eine Abwägung unter Einbeziehung der sozialen Interessen des zu Kündigenden vornehmen müsse, wobei eine Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG "nicht erforderlich und geboten" sei; da das KSchG nicht greife, genüge "das Anführen vernünftiger betriebs-, personen- oder verhaltensbedingter Erwägungen, die zur Auflösung des Vertragsverhältnisses fuhren sollen"81 . In Ergänzung dazu führt Frantzioch aus, es sei zweifelhaft, ob die Beschränkung der lediglich auf die Umstände82 bezogenen Überprüfbarkeil einer Kündigung nach § 242 BGB dem staatlichen Untermaßverbot im Hinblick auf die freie Wahl des Arbeitsplatzes genüge; aus der Schutzpflicht des Staates ergebe sich, daß der Staat zumindest einen Kernbestand des Arbeitsplatzschutzes unabhängig vom Eingreifen des KSchG gewähren müsse und das Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers an seinem Arbeitsplatz nicht gänzlich unberücksichtigt lassen dürfe83 . Daher müsse das Willkürverbot auch bei der Auslegung der Generalklauseln im Hinblick auf den Kündigungsschutz für arbeitnehmerähnliche Personen zur GelOetker; FS 50 Jahre Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 311 (326 f.). Appell Frantzioch, ArbuR 1998, S. 93 (95 ff.). so Appell Frantzioch, ArbuR 1998, S. 93 (95 f.). 81 Appel/Frantzioch, ArbuR 1998, S. 93 (97). 82 So z. B. Hueck/v. Hoyningen-Huene § 13 Rn 91. 83 Frantzioch, S. 218 unter Verweis auf Dieterich, RdA 1995, S. 129 (134). 78

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A. Kein allgemeiner Kündigungsschutz trotz Schutzbedürfnisses?

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tung kommen. Für dessen Inhalt gelte, daß das KSchG, da es eine Konkretisierung von Treu und Glauben darstelle, einen Hinweis darauf enthalte, wie die Treuwidrigkeit außerhalb des KSchG zu konkretisieren sei. § I KSchG versuche, den widerstreitenden Grundrechtspositionen gerecht zu werden, so daß das KSchG eine Konkretisierung der maßgeblichen grundrechtliehen Interessen enthalte. Für die weitere Konkretisierung wird zustimmend auf die Überlegungen Oetkers84 zum "Prinzip der grundrechtlich gebundenen Kündigungsfreiheit" und seiner Konkretisierung durch die Trias des§ I Abs. 2 KSchG verwiesen 85 . Darüber hinaus verstoße eine Kündigung gegen § 242 BGB, bei der zwar ein Grund mit dem von Oetker geforderten Bezug auf das Beschäftigungsverhältnis vorliegt, die aber die Interessen einer Partei grundlegend mißachte; einer grundlosen Kündigung wird eine solche gleichgestellt, die zwar einen Grund habe, der aber die Interessen des Unternehmers nicht oder nur geringfügig berühre; schließlich seien bei einer Auswahlentscheidung des Arbeitgebers "für die Abwägung der Interessenlage der beiden beteiligten Teile" die in § I Abs. 3 KSchG genannten Kriterien zu berücksichtigen. Zwar sei die Kündigung arbeitnehmerähnlicher Personen nicht an die soziale Rechtfertigung nach § I Abs. 2 KSchG zu binden, doch ergebe sich für diese Personen "eine Art Kündigungsschutz zweiter Klasse" 86 bzw. "eine grundrechtliche Bindung des Prinzips der Kündigungsfreiheit" 87 • Im Ergebnis wird vertreten, bei einer Kündigung müßten Gründe vorliegen, für die als Anhaltspunkt die Trias des § I Abs. 2 KSchG gelte, so daß es sich um Gründe handeln müsse, die betriebs-, personen-oder verhaltensbedingt seien88 . Diese Standpunkte betreffen nicht mehr nur einen Schutz bei der Kündigung durch Fristen, sondern sie formulieren inhaltliche Maßgaben, die einen Schutz der arbeitnehmerähnlichen Personen vor Beendigung ihres Beschäftigungsverhältnisses durch Bindung der Kündigung an das Vorliegen von Gründen statuieren; die Beendigung soll nicht mehr nur hinausgeschoben oder eine bestimmte Zeit im voraus angekündigt werden müssen, sondern effektiv verhindert werden können.

II. Beendigungsschutz für Arbeitnehmer während der Wartezeit (§ 1 Abs. 1 KSchG) Nach § I Abs. I KSchG setzt die Anwendbarkeit des Schutzes vor sozialwidrigen Kündigungen voraus, daß das Arbeitsverhältnis in demselben Betrieb oder Unternehmen ohne Unterbrechung länger als sechs Monate bestanden hat. Zu der Oetker; ArbuR 1997, S. 41 (52). Frantzioch, S. 221. 86 Unter Verweis auf Hanau, ZRP 1996, S. 349 (353). 87 Unter Verweis auf Oetker; Der arbeitsrechtliche Bestandsschutz unter dem Firmament der Grundrechtsordnung, S. 38. 88 Frantzioch, S. 231. 84

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4. Kap.: Die personelle Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

Frage, welchen Einschränkungen die Kündigung unterliegt, die vor Ablauf dieser Wartezeit ausgesprochen wird und zugeht89, wird angenommen, es gelte der Grundsatz der Kündigungsfreiheit90, so daß es für die Wirksamkeit einer innerhalb der Wartezeit zugegangenen Kündigung nicht (abgesehen vom besonderen Kündigungsschutz) auf das Vorliegen personen-, verhaltens- oder betriebsbedingter Gründe i.S.v. §I Abs. 2 KSchG ankommt91 . Dennoch soll die freie Kündbarkeit gewissen Einschränkungen unterliegen. So wird etwa eine Kündigung durch den Arbeitgeber, die vor Ablauf der Wartezeit erfolgt, um den Zeitpunkt der Vollendung der Wartezeit zu vereiteln, als Rechtsmißbrauch angesehen, wenn sich aus weiteren Umständen ein zu mißbilligendes Verhalten ergibt92• Auch könne eine solche Kündigung dazu führen, daß in entsprechender Anwendung des § 162 BGB der Arbeitnehmer den allgemeinen Kündigungsschutz nach § I Abs. 2 KSchG in Anspruch nehmen könne, wenn in der Kündigung ein Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben zu sehen sei93• Da der Arbeitgeber aber grundsätzlich zur vollen Ausschöpfung gesetzlicher Fristen berechtigt sei, könne eine Kündigung kurz vor Ablauf der Wartezeit nicht ohne weiteres als treuwidrige Vereitelung des Kündigungsschutzes angesehen werden, sondern komme nur in Extremfällen in Betracht94. Einen solchen Fall hat die Rechtsprechung etwa dann verneint, wenn der Arbeitgeber kurz vor Ablauf der Wartezeit kündige, um einen Rechtsstreit über die etwaige Sozialwidrigkeit der Kündigung zu vermeiden95 . Ebenfalls verneint wurde die Anwendbarkeit des allgemeinen Kündigungsschutzes wegen treuwidriger Vereitelung der Vollendung der Wartezeit für den Fall, daß der Arbeitgeber aus einem sachlichen Grund kündige, der aber nicht notwendig den Anforderungen an eine sozial gerechtfertigte Kündigung(§ I Abs. 2 und 3 KSchG) genügen müsse96. Das BAG schränkte in den Gründen dieser Entscheidung die Möglichkeit der Inanspruchnahme des allgemeinen Kündigungsschutzes vor Ablauf der Wartezeit auch nicht mehr durch das bis dahin genannte Erfordernis ein, daß die Kündigung "kurz" vor Vollendung der Wartezeit erfolgt sein müsse, um treuwidrige Vereite89 Denn auf diesen Zeitpunkt ist für die Frage der Beendigung der Wartezeit abzustellen, vgl. Hueck/v. Hoyningen-Huene § I Rn 68. 90 BAG v. 12. 12. 1957, AP Nr. 12 zu § 276 BGB Verschulden bei Vertragsschluß; v. 18. 8. 1982, APNr. 24 zu§ 102 BetrVG 1972. 91 KR/ Etzel § 1 KSchG Rn 133; Berger-Delhey, BB 1989, S. 977 (981). 92 ErfK/ Ascheid § 1 KSchG Rn 112; BAG v. 28. 9. 1978, AP Nr. 19 zu § 102 BetrVG 1972; v. 18. 8. 1982, AP Nr. 24 zu§ 102 BetrVG 1972. 93 BAG v. 20. 9. 1957, BAGE 4, S. 306 (309 f.); v. 28. 9. 1978, AP Nr. 19 zu§ 102 BetrVG 1972; Hueck/v. Hoyningen-Huene § 1 Rn 69; Berger-Delhey, BB 1989, S. 977 (982). 94 Hueck/v. Hoyningen-Huene § 1 Rn 69, 69a; MünchArbR/Berkowsky § 132 Rn 76; BAG v. 18. 8. 1982, AP Nr. 24 zu § 102 BetrVG 1972. 95 BAG v. 18. 8. 1982, AP Nr. 24 zu§ 102 BetrVG 1972; zustimmend Hueck/v. Hoynin· gen-Huene § 1 Rn 69a. 96 BAG v. 28. 9. 1978, DB 1979, S. 1136.

A. Kein allgemeiner Kündigungsschutztrotz Schutzbedürfnisses?

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lung annehmen zu können97, sondern führte aus, maßgebend sei vielmehr, ob eine "vorzeitige" Kündigung im Hinblick auf die bevorstehende Erlangung des gesetzlichen Kündigungsschutzes von der Rechtsordnung zu mißbilligen sei98. Dagegen wird vertreten, von einer Vereitelung des allgemeinen Kündigungsschutzes könne dann nicht die Rede sein, wenn die Frist bis zum Ablauf der gesetzlichen Wartezeit noch einen größeren Zeitraum umfasse, da dem Arbeitnehmer eine längere Kündigungsfrist gewährt werde und es in seinem Interesse liege, so mehr Zeit für die Stellensuche zu haben99 . Die Kündigung vor Ablauf der Wartezeit unterliegt auch den Schranken der §§ 134, 138 und 242 BGB. Als Verbote i. S. d. § 134 BGB werden vor allem das in Art. 3 Abs. 3 GG enthaltene Diskriminierungsverbot, aber auch das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 GG angesehen 100. Fraglich ist jedoch insbesondere, inwieweit eine über den Vereitelungsgedanken hinausgehende Kontrolle der Kündigung am Maßstab des § 242 BGB, aber auch des § 138 BGB stattfindet. Grundsätzlich sollen bei einer Kündigung während der Wartezeit für die Beurteilung eines Verstoßes gegen Treu und Glauben nur solche Umstände herangezogen werden dürfen, die nicht schon durch § 1 KSchG erfaßt würden 101 . Eine Einschränkung der Kündigungsfreiheit besteht zumindest etwa aufgrund des allgemeinen Verbots des venire contra factum proprium, des Verbots der Kündigung in verletzender Form oder zur Unzeit sowie willkürlicher Kündigungen 102. Keinesfalls dürfe nämlich Arbeitnehmern, die nicht dem KSchG unterstehen, auf dem Umweg über § 242 BGB ein Kündigungsschutz auch bei bloßer Sozialwidrigkeit der Kündigung zugebilligt werden 103 . So sei eine inhaltliche Prüfung des Kündigungsgrundesam Maßstab von§ 242 BGB ausgeschlossen 104• Über dieses Verbot der Inhaltsüberprüfung der Kündigung außerhalb des KSchG am Maßstab des § 242 BGB wird jedoch teilweise hinausgegangen.

97 So noch BAG v. 20. 9. 1957, BAGE 4, S. 306 (309 f.) zur Kündigung vor Erwerb des seinerzeit noch von der Vollendung des 20. Lebensjahres abhängigen Kündigungsschutzes nach KSchG 1951. 98 Explizit auf "vorzeitig" statt auf "unmittelbar vor Ablauf der Wartezeit" abstellend BAG v. 28. 9. 1978, DB 1979, S. 1136; anders wieder BAG v. 18. 8. 1982, AP Nr. 24 zu§ 102 BetrVG 1972. 99 Berger-Delhey, BB 1989, S. 977 (982). 100 KR/ Etzel § 1 KSchG Rn 135; Berger-Delhey, BB 1989, S. 977 (982). 101 Berger-Delhey, BB 1989, S. 977 (982); KR/ Etzel § 1 KSchG Rn 137; BAG v. 23. 6. 1994, EzA § 242 BOB Nr. 39. 102 KR/ Etzel § 1 KSchG Rn 138; Berger-Delhey, BB 1989, S. 977 (982); Hueck/v. Hoyningen-Huene § 13 Rn 92a; BAG v. 23. 6. 1994, BB 1995, S. 204. 103 Löwisch § 1 Rn 32; Hueck/v. Hoyningen-Huene § 13 Rn 91 mwN. 104 Hueck/v. Hoyningen-Huene § 13 Rn 92c.

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4. Kap.: Die personelle Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

l. Rechtsprechung

Dies gilt einmal für die Rechtsprechung des BAG. In der Entscheidung vom 2. 11. 1983 105 erblickte das Gericht einen Verstoß der Kündigung gegen § 242 BGB darin, daß der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer während der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG wegen des Verdachts von Haschischkonsum gekündigt hatte, ohne sich um eine Aufklärung des durch Hörensagen entstandenen Verdachts bemüht zu haben. Auf diesen Verdacht hätte der Arbeitgeber eine ordentliche Kündigung nach Auffassung des Gerichts nur dann stützen können, wenn er die Verfehlungen durch Tatsachen konkretisiert und einlassungsfähig substantiiert hätte. In der Entscheidung vom 23. 4. 1994106 hielt das BAG es für rechtsmißbräuchlich, wenn der Arbeitgeber unter Ausnutzung der Privatautonomie dem Arbeitnehmer nur wegen seines persönlichen (Sexual-) Verhaltens innerhalb der Probezeit kündige. Bei der Konkretisierung des Grundsatzes von Treu und Glauben seien die Grundrechte als Richtlinien zu beachten. Mit der Kündigung wegen des Sexualverhaltens entziehe der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer "bei ungleichen Bedingungen im Verhältnis zu einem heterosexuell orientierten Arbeitnehmer", dem der Arbeitgeber bei erfolgreicher Zusammenarbeit nicht gekündigt hätte, "nur um deswillen die ökonomische Basis und beeinträchtigt damit auch die Möglichkeit der selbst gewählten Lebensführung" 107 . Insoweit kann nach dieser Rechtsprechung die Kündigung während der Wartezeit außer wegen der Umstände, unter denen sie erfolgte, auch wegen ihres Inhalts gegen § 242 BGB verstoßen und damit unwirksam sein. Von manchen Landesarbeitsgerichten wird in jüngerer Zeit das Maßregelungsverbot des§ 612a BGB als Prüfungsmaßstab für die Kündigung während der Wartezeit herangezogen. Das Maßregelungsverbot wird dabei teilweise als "Sonderform der sitten-oder treuwidrigen Kündigung" aufgefaßt 108 • Die Kontrolle des Inhalts der Kündigung scheint dabei jedoch einem weniger strengen Maßstab zu unterliegen als in den zu § 242 BGB geschilderten Entscheidungen. So wurde in zwei Fällen in einer Kündigung während der Wartezeit kein Verstoß gegen§ 612a BGB erkannt: Das LAG Sachsen-Anhalt führte aus, eine auf Krankheitsgründe gestützte Kündigung während der Probezeit stelle dann keine verbotene Maßregelung dar, wenn sie durch die Krankheit selbst einschließlich ihrer betrieblichen Auswirkungen veranlaßt sei; anders liege es etwa, wenn der Arbeitgeber in Ansehung der Erkrankung eines Arbeitnehmers diesen zur Arbeitsleitung auffordere und ihm kündige, weil der Arbeitnehmer sich weigere 109•

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BAG AP Nr. 29 zu§ 102 BetrVG 1972. BAG BB 1995, S. 204.

107

BAG v. 23. 6. 1994, BB 1995, S. 204 (205).

108

LAG Nürnberg v. 24. 4. 2001, LAGE§ 242 BOB Nr. 5. LAG Sachsen-Anhalt v. 27. 7. 1999, LAGE§ 613a BGB Nr. 6.

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A. Kein allgemeiner Kündigungsschutztrotz Schutzbedürfnisses?

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Das LAG Nürnberg hatte einen Fall zu entscheiden, in dem der Arbeitnehmer mit seinem als juristische Person gestalteten Unternehmen dem Arbeitgeber 40.000 DM schuldete, wobei sich abzeichnete, daß das Geld uneinbringlich war; der Arbeitnehmer weigerte sich, die persönliche Haftung zu übernehmen. Hierauf kündigte der Arbeitgeber; es konnte aber nicht festgestellt werden, daß dies das tragende Motiv für die Kündigung war. Das Gericht sah diesen Fall jedoch nicht als vom Normzweck des§ 612a BGB umfaßt an und fügte hinzu, daß der Arbeitnehmer als Kläger für das tragende Motiv der Kündigung beweispflichtig sei. Außerdem komme es nicht darauf an, ob der Vorfall ein Kündigungsgrund im Sinne des KSchG sein könne, denn der Arbeitgeber könne ohne Grund ordentlich kündigen.

2. Literatur Die Frage eines Kündigungsschutzes über § 242 BGB während der Wartezeit wird von der Literatur vielfach im Rahmen des allgemeineren Problems des Kündigungsschutzes außerhalb des KSchG behandelt, zu dem auch der Kündigungsschutz im Kleinbetrieb gehört. So soll nach Oetker für eine Kündigung außerhalb des Anwendungsbereichs des KSchG aufgrund einer aus Art. I2 Abs. I GG abgeleiteten Schutzpflicht das "Prinzip der grundrechtlich gebundenen Kündigungsfreiheit" gelten, demzufolge der Arbeitnehmer den Arbeitsplatz aufgrund einer Kündigung nicht verlieren dürfe, wenn keine sachbezogenen Griinde vorlägen, die mit dem Arbeitsverhältnis im Zusammenhang stünden 110. Zur Konkretisierung wird ausgeführt, "ein grundrechtlich geleitetes Verständnis von Treu und Glauben" führe dazu, daß eine ordentliche Kündigung nach § 242 BGB nichtig sei, "wenn sich der Arbeitgeber für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht auf einen sachbezogenen, im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Grund stützen" könne, was etwa gegeben sei, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis allein deshalb kündigen könne, weil das äußere Erscheinungsbild und das persönliche Auftreten des Arbeitnehmers dazu führten, daß er dem Arbeitgeber unsympathisch geworden sei; für eine weitere Konkretisierung könne "im Grundsatz auf die in § 1 Abs. 2 S. I KSchG genannte Trias anerkannter Kündigungsgrunde zuriickgegriffen werden". Einsachbezogener Grund sei demnach insbesondere dann anzunehmen, "wenn Eigenschaften in der Person des Arbeitnehmers oder im Verhalten des Arbeitnehmers vorliegen, die auf das Arbeitsverhältnis ausstrahlen'" 11 • Aus der Schutzpflicht nach Art. I2 Abs. I GG soll auch folgen, daß bei einer unvermeidlichen Auswahlentscheidung soziale Belange der gleichermaßen betroffenen Arbeitnehmer und ihre ggf. erhöhte Schutzbedürftigkeit Beriicksichtigung finden 112. 110 111 112

Oetker. ArbuR 1997, S. 41 (51); ders., RdA 1997, S. 9 (18), s. auch schon o. Kap. 2 A li. Oetker. ArbuR 1997, S. 41 (52). Oetker, RdA 1997, S. 9 (18).

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4. Kap.: Die personelle Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

Für andere sind Ausgangspunkt die Ausftihrungen des BVerfG zur Kündigung in Kleinbetrieben 113 • So gelten nach Däubler die Aussagen des ersten Kleinbetriebsbeschlusses im Grundsatz ebenfalls für die Kündigung während der Wartezeit 114• Zwar komme dem danach bestehenden Erfordernis der Berücksichtigung eines durch langjährigeMitarbeiterdienten Vertrauens in den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses ebenso wie des gewissen Maßes an sozialer Rücksichtnahrne 115 für die Kündigung im Kleinbetrieb keine große Rolle zu, doch gelte aufgrundder Feststellung des BVerfG, daß Arbeitnehmer vor willkürlichen oder aufsachfremden Motiven beruhenden Kündigungen zu schützen seien 116, das "Verbot der grundlosen Kündigung", wonach allein sachbezogene und anerkennenswerte Gründe eine Kündigung rechtfertigen könnten 117 • Bei diesen Anforderungen an den Grund der Kündigung werde der Arbeitnehmer bei einer Kündigung während der Wartezeit zudem für sich ins Feld führen können, daß es an der spezifischen Schutzbedürftigkeit des Arbeitgebers eines Kleinbetriebs fehle; soweit nicht mangelnde Bewährung in Rede stehe, müßten daher die Gründe für die Kündigung in der Wartezeit ein höheres Gewicht haben als die einer Kündigung im Kleinbetrieb 118 • Auch für Kittner sind die Ausführungen in dem ersten Kleinbetriebsbeschluß Ausgangspunkt für die Frage nach dem Kündigungsschutz während der Wartezeit. Auch wenn diese Entscheidung sich direkt nur auf den wegen § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG vom Kündigungsschutz nach § 1 Abs. 2 KSchG freigelassenen Bereich beziehe, dann bestehe doch die Notwendigkeit des Schutzes vor willkürlichen oder auf sachfremden Motiven beruhenden Kündigungen für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis noch keine sechs Monate bestehe (§ l Abs. 1 KSchG), in gleicher Weise; damit müsse auch für die Kündigung vor Ablauf der Wartezeit ein "rationales, mit der künftigen Durchführung des Arbeitsvertrages im Zusammenhang stehendes Motiv dargelegt werden können" 119 • Schließlich befürwortet Wank in Entsprechung zum Kündigungsschutz im Kleinbetrieb eine Willkürkontrolle des Inhalts, daß "der Arbeitgeber mit sachfremden Motiven keinen Erfolg haben" dürfe. Allerdings müsse die Kontrolle der Kündigung während der Wartezeit restriktiver sein, da die Probezeit den Arbeitgeber gerade der Notwendigkeit einer Begründung entheben solle 120• BVerfGE 97, S. 169 (179). Däubler; FS 50 Jahre Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 271 (285); Kittner I Däubler!Zwanziger § 242 BGB Rn 22. 11s BVerfGE 97, S. 169 (179). 116 BVerfGE 97, S. 169 (179). 117 Kittner/ Däubler/Zwanziger § 242 BGB Rn 23 i.V.m. Rn 27, unter Hinweis auf lAG Schleswig-Holstein v. 14. 4. 1998, ArbuR 1998, S. 37; Däubler; FS 50 Jahre Arbeitsgerichts113

114

barkeit Rhein1and-Pfalz, S. 271 (285). 11s Däubler; FS 50 Jahre Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 271 (285). 119 Kittner; NZA 1997, S. 731 (733). 120 Wank, FS Hanau, S. 295 (314, 305).

A. Kein allgemeiner Kündigungsschutztrotz Schutzbedürfnisses?

139

Otto 121 gelangt zu dem Schluß, daß die ordentliche Kündigung nicht nur sittenwidrig sein oder gegen ein Gebotsgesetz verstoßen könne; vielmehr unterliege sie im Hinblick auf die Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. I GG bzw. das Sozialstaatsprinzip und Art. 3 Abs. 1 GG "außerhalb des Anwendungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes uneingeschränkt der Rechtsmißbrauchkontrolle gemäß § 242 BGB"; er führt aus, daß diese Rechtsmißbrauchkontrolle "unter besonderer Beriicksichtigung der Dauer des Arbeitsverhältnisses und des Kündigungsanlasses (... ) solchen verhaltens-, personen- und betriebsbedingten Kündigungen" entgegenwirke, "die bei Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes evident sozialwidrig wären".

3. Beendigung durch Bedingungseintritt und Zeitablauf

Zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses durch Bedingungseintritt während der Dauer der Wartezeit hat das BAG in jüngerer Zeit entschieden. Unter Zugrundelegung der Theorie der objektiven Gesetzesumgehung auch für die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses durch Eintritt einer auflösenden Bedingung ist es zu dem Ergebnis gelangt, eine auflösende Bedingung unterliege dann nicht der arbeitsgerichtliehen Befristungskontrolle, wenn sie das Arbeitsverhältnis zu einem Zeitpunkt beende, in dem der Arbeitnehmer noch keinen gesetzlichen Kündigungsschutz nach den KSchG habe und auch keine andere Kündigungsschutzvorschrift umgangen werden könne 122• Habe die Arbeitnehmeein bei Eintritt der auflösenden Bedingung noch nicht die sechsmonatige Wartezeit zuriickgelegt, so könne ihr durch die vereinbarte auflösende Bedingung unabhängig davon, ob diese durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt sei, nicht der durch das KSchG gewährte Bestandsschutz entzogen werden 123• Dieser Standpunkt entspricht für den Fall der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses durch Fristablauf der ständigen Rechtsprechung sowie der h.L. 124. Gegen eine solche Freistellung der Befristung während der Wartezeit vom Erfordernis eines sachlichen Grundes wendet M. Wolf ein, das Schutzbedürfnis des Arbeitnehmers bestehe auch während der Wartezeit. Zur Sicherung dieses Schutzes biete die Umgehungsrechtsprechung keine Handhabe 125 .

121 122 123 124

Otto, FS Wiese, S. 353 (375). BAG v. 20. 10. 1999, NZA 2000, S. 717 f. BAG v. 20. 10. 1999, NZA 2000, S. 717 (718). BAG v. 17. 2. 1983, AP Nr. 74 zu§ 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; v. 9. 2. 1984,

AP Nr. 83 zu§ 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; v. 26. 4. 1985, AP Nr. 91 zu§ 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; v. 14. 2. 1990, AP Nr. 12 zu§ 1 BeschFG 1985; MünchKommBGB I Schwerdtner § 620 Rn 14; KR/ Lipke § 620 BGB Rn 95, Staudinger I Preis § 620 Rn 63; RGRK/ Dömer § 620 Rn 59; APS/ Backhaus § 620 BGB Rn 64.

140

4. Kap.: Die personelle Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

111. Befund Der Überblick über den Schutz von arbeitnehmerähnlichen Personen und Arbeitnehmern während der Wartezeit zeigt, daß allgemeiner materieller Kündigungsschutz als Bindung der Kündigung an Griinde nicht mehr streng auf den Geltungsbereich des KSchG beschränkt ist. Vielmehr ist in Rechtsprechung und Literatur eine Tendenz festzustellen, die dahin geht, auch den übrigen aufgeführten Personengruppen, für die das KSchG nicht gilt, einen materiellen Schutz vor der Beendigung ihres Beschäftigungsverhältnisses zukommen zu lassen. Vielfach beruft man sich hierbei auf die Ausführungen des BVerfG im ersten Kleinbetriebsbeschluß126, der auf diese Weise Bedeutung für die allgemeinere Frage nach einem Kündigungsschutz außerhalb des vom KSchG erfaßten Bereichs erhält. Dies gilt zunächst für den Kündigungsschutz der in Heimarbeit Beschäftigten. Sowohl Stimmen in der Literatur 127 als auch die nach den Kleinbetriebsbeschlüssen ergangene Rechtsprechung 128 legen der Interpretation der Generalklauseln auch für die Kündigung von Heimarbeitern die Maßstäbe des BVerfG 129 zugrunde. Verhältnismäßig wenig ausgeprägt ist diese Tendenz bei den arbeitnehmerähnlichen Handelsvertretern. Speziell für diese Gruppe arbeitnehmerähnlicher Personen ist es in der Diskussion um den Schutz bei Kündigungen bei einem (formellen) Schutz durch Kündigungsfristen geblieben. Daß man die Grundsätze des ersten Kleinbetriebsbeschlusses noch nicht für die arbeitnehmerähnlichen Handelsvertreter herangezogen hat, mag -außer einem möglichen Mangel entsprechender Streitigkeiten - daran liegen, daß diese unter den arbeitnehmerähnlichen Personen einen vergleichsweise hohen Schutz durch Kündigungsfristen genießen, wie ein Vergleich des § 89 Abs. 1 HGB mit § 29 Abs. 1 bis 4 HAG sowie mit § 621 BGB zeigt 130, und man die Gruppe der arbeitnehmerähnlichen Handelsvertreter so als ausreichend geschützt erachtet. Betrachtet man jedoch die Entwicklung im Beendigungsschutz der Gesamtheit der arbeitnehmerähnlichen Personen, so findet sich die Annahme einer Tendenz zur Ausweitung allgemeinen materiellen Kündigungsschutzes bestätigt. Für diese Entwicklung wurde mit der Kameramann-Entscheidung des BAG 131 der Grundstein gelegt, freilich vorerst hin zu einem der Sache nach formellen Kündigungsschutz, indem für den Fall eines abrupten Abbruchs derErteilungvieler kurzer, befristeter Aufträge eine zweiwöchige Ankündigungsfrist in Anlehnung an § 29 M. Wolf, RdA 1998, S. 270 (271). BVerfGE 97, S. 169. 127 Däubler. FS 50 Jahre Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 271 (285); Kittner/ Däubler/Zwanziger §§ 29, 29a HAG Rn 18 ff. 128 BAG V. 24. 3. 1998, NZA 1998, s. 1001 (1003). 129 BVerfGE 97, S. 169 (179). 130 Hierauf weist vor allem KR I Rost, Arbeitnehmerähnliche Personen, Rn 213 hin. 131 BAG v. 8. 6. 1967, AP Nr. 6 zu§ 611 BGB Abhängigkeit. 125

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141

HAG verlangt und auf diese Weise eine Art Kündigungsschutz durch Fristen im Bereich der von Kündigungsfristen naturgemäß freien Befristung von Beschäftigungsverhältnissen errichtet wird. Nunmehr zeigen sich jedoch im Fall der unbefristeten Beschäftigungsverhältnisse mit arbeitnehmerähnlichen Personen Bestrebungen, einen an das Vorliegen bestimmter Gründe gebundenen, mithin einen materiellen Kündigungsschutz zu erkennen 132. Dabei wird z.T. so weit gegangen, die "in § I Abs. 2 S. 1 KSchG genannte Trias anerkannter Kündigungsgründe" als Konkretisierung der bei der Kündigung arbeitnehmerähnlicher Personen vorzunehmenden "grundrechtsgeleiteten Interpretation der zivilrechtliehen Generalklauseln" zu bezeichnen 133 . Auch bei dieser Problematik wird auf die Ausführungen des BVerfG zur Kündigung in Kleinbetrieben rekurriert 134• Ähnliches gilt für die Kündigung vor Ablauf der Wartezeit des § 1 Abs. I KSchG. Hier soll ebenfalls, nicht nur wie bei der Kündigung im Kleinbetrieb, sondern generell das "Prinzip der grundrechtlich gebundenen Kündigungsfreiheit" gelten, wonach die ordentliche Kündigung nach § 242 BGB nichtig sei, wenn sich der Arbeitgeber nicht auf einen sachbezogenen, im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Grund stützen könne 135 ; auch hierfür wird zur Konkretisierung wiederum auf die in § I Abs. 2 S. I KSchG genannte "Trias anerkannter Kündigungsgründe" verwiesen 136. Andere beziehen sich explizit auf die Grundsätze des ersten Kleinbetriebsbeschlusses, die prinzipiell, wenn auch mit der Sache entsprechend unterschiedlichem Gewicht, für die Kündigung während der Wartezeit beachtlich seien 137• Auch die Rechtsprechung des BAG bleibt nicht darauf beschränkt, eine Kündigung während der Wartezeit wegen Verstoßes gegen § 242 BGB nur aufgrund ihrer Umstände für nichtig zu erklären; vielmehr zeigt die Entscheidung vom 23. 6. 1994138 deutlich, daß auch eine inhaltliche Prüfung am Maßstab des § 242 BGB vorgenommen wird 139. Damit stellt das BAG sein Dogma in Frage, wonach das KSchG die Voraussetzungen und Wirkungen des Grundsatzes von Treu und Glauben konkretisiert und abschließend geregelt habe, soweit es um den Bestandsschutz und das In132 Oetker, FS 50 Jahre Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 311 (325); ähnlichEndelrUlnn, ArbuR 1954, S. 210 (213); Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht, S. 55; Pfarr, FS Kehrmann S. 75 (93); Beuthien/Wehler, RdA 1978, S. 2 (10); Appel/Frantzioch, ArbuR 1998, S. 93 (95 ff.). 133 Oetker, FS 50 Jahre Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 311 (326 f.). 134 Oetker, FS 50 Jahre Arbeitsgerichtsbarkeit Rhein1and-Pfalz, S. 311 (320). 135 Oetker, ArbuR 1997, S. 41 (52); so auch für die Kündigung arbeitnehmerähnlicher Personen: ders., FS 50 Jahre Arbeitsgerichtsbarkeit Rhein1and-Pfalz, S. 311 (326 f.). 136 Oetker, ArbuR 1997, S. 41 (52); ders., RdA 1997, S. 9 (18). 137 Kittner/ Däubler/Zwanziger § 242 BGB Rn 23 i.V.m. Rn 27; Däubler, FS 50 Jahre Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 271 (285); ähnlich Kittner, NZA 1997, S. 731 (733). 138 BAG BB 1995, S. 204. 139 Kritisch dazu Hueck/v. Hoyningen-Huene § 13 Rn 91 m. w. N.

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4. Kap.: Die personelle Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

teresse des Arbeitnehmers an der Erhaltung des Arbeitsplatzes gehe, weswegen solche Umstände, die im Rahmen des § l Abs. 2 S. l KSchG zu würdigen seien, als Verstöße gegen Treu und Glauben nicht in Betracht kämen 140. Wenn auch damit in der Rechtsprechung des BAG die von der Literatur aus dem ersten Kleinbetriebsbeschluß gezogenen Konsequenzen noch nicht mit derselben Entschlossenheit auf die Kündigung während der Wartezeit übertragen werden, so ist doch mit der Entscheidung vom 23. 6. 1994 ein Schritt in Richtung auf die Überprüfbarkeit der Kündigungsgründe auch bei der Kündigung während der Wartezeit getan, was sich in das Bild von der Tendenz zur Ausweitung des materiellen allgemeinen Kündigungsschutzes einfügt. Für die untersuchten Personengruppen äußert sich diese Tendenz in zwei Schritten, deren ersten das BAG mit der Entscheidung im Kameramann-Fall getan hat. Dort wurde für die Zulässigkeit der Nichterteilung weiterer Aufträge nach langer Erteilung kurzer Einzelaufträge das Erfordernis einer Ankündigungsfrist errichtet. So wurde zunächst ein Kündigungsschutz in Gestalt eines formellen Schutzes über Kündigungsfristen (bzw. das diesen ähnliche Institut der Ankündigungsfrist) gewährt. In einem zweiten Schritt ist eine Entwicklung erkennbar, nach der dort, wo bestimmten Personengruppen ein Kündigungsschutz nur in Gestalt eines Fristenschutzes gewährt war (arbeitnehmerähnliche Personen: §§ 29 HAG, 89 HGB, 621 BGB, Arbeitnehmer in der Wartezeit), die Wirksamkeit einer Kündigung von bestimmten Gründen abhängen soll. Freilich soll es danach nicht allein auf die Existenz von Gründen ankommen, sondern zusätzlich darauf, ob sie gewissen inhaltlichen Anforderungen genügen, etwa "sachbezogen" sind und mit dem Arbeitsverhältnis in Zusammenhang stehen 141 bzw. zu deren Konkretisierung gar "im Grundsatz" auf § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG zurückgegriffen wird, wohingegen andere ein "Verbot der grundlosen Kündigung" erblicken und auf den ersten Kleinbetriebsbeschluß verweisen 142. So verweist auch das BAG 143 für den Schutz der Heimarbeiter vor Kündigungen auf den ersten Kleinbetriebsbeschluß und postuliert die Überprüfbarkeit einer solchen Kündigung auf das Vorliegen von Willkür oder sachfremden Motiven 144 • Materieller allgemeiner Kündigungsschutz erfährt auf diese Weise eine Ausweitung über den Anwendungsbereich des KSchG hinaus, wenngleich nicht in der vollen Intensität des § 1 Abs. 2 KSchG.

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BAG v. 23. 6. 1994, BB 1995, S. 204.

Oetker; ArbuR 1997, S. 41 (51); ders., RdA 1997, S. 9 (18). K.ittner I Däubler/Zwanziger § 242 BGB Rn 23 i.V.m. Rn 27; Däubler; FS 50 Jahre Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 271 (285); Kittner; NZA 1997, S. 731 (733). 143 BAG v. 24. 3. 1998, NZA 1998, S. 1001 (1003). 144 Vgl. BVeifGE 97, S. 169 (179). 141

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IV. Ursache Der erste Kleinbetriebsbeschluß des BVerfG enthält ebenfalls eine Ausweitung des materiellen allgemeinen Kündigungsschutzes, und zwar auf den Bereich der nach § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG wegen der Betriebsgröße vom Schutz nach § 1 Abs. 2 KSchG ausgenommenen Personen. Für die Gewährung eines solchen "Mindestschutzes des Arbeitsplatzes vor Verlust durch private Disposition" 145 wird die Bedeutung des Arbeitsplatzes als Grundlage der wirtschaftlichen und sozialen Existenz des Arbeitnehmers angegeben 146. Sieht man das Bedürfnis nach einem so beschaffenen Schutz als Grundlage des Kündigungsschutzes an, so kann er in der Tat nicht auf Arbeitnehmer beschränkt sein, die sechs Monate in demselben Unternehmen oder Betrieb einer gewissen Größe tätig waren. Diese Parameter sind für das Bedürfnis nach Schutz der materiellen und sozialen Existenzgrundlage irrelevant; ein solches Schutzbedürfnis besteht weder stets noch typischerweise ausschließlich bei solchen Arbeitnehmern, die in Betrieben mit der in § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG festgelegten Beschäftigtenzahl tätig sind. Gleiches gilt für Arbeitnehmer, die noch keine sechs Monate bei demselben Arbeitgeber beschäftigt waren. Schließlich muß das so umschriebene Schutzbedürfnis nicht einmal auf Personen in persönlicher Abhängigkeit - also Arbeitnehmer - beschränkt sein. Prinzipiell kommt also ein Bedürfnis nach Schutz des Beschäftigungsverhältnisses als materielle und soziale Existenzgrundlage auch bei anderen als den nach dem KSchG geschützten Personen in Betracht. Fraglich ist, ob bei diesem Verständnis der Bedeutung des Kündigungsschutzes für den Arbeitnehmer die Ausweitung materiellen Kündigungsschutzes auf die Kündigung im Kleinbetrieb beschränkt sein kann. Dieses Verständnis kommt zunächst als Ursache der Ausdehnung materiellen Kündigungsschutzes auf arbeitnehmerähnliche Personen in Betracht. Dies sind diejenigen, die- bereits nach der Legaldefinition des§ 12a Abs. 1 Nr. 1 TVG- wirtschaftlich abhängig und vergleichbar einem Arbeitnehmer sozial schutzbedürftig sind. Ihre wirtschaftliche Abhängigkeit kommt typischerweise dadurch zum Ausdruck, daß sie im wesentlichen für einen Auftraggeber tätig geworden sind und die daraus fließende Vergütung ihre Existenzgrundlage darstellt 147 • Die arbeitnehmerähnlichen Personen bedürfen damit grundsätzlich schon per definitionem des Schutzes ihres Beschäftigungsverhältnisses als wirtschaftlicher und sozialer Existenzgrundlage. Versteht man mit dem BVerfG den Kündigungsschutz als zur Erreichung dieses Zwecks geeignetes Mittel 148 , dann müssen nach dem Gebot der Gleichbehandlung des wesentlich Gleichen arbeitnehmerähnliche Personen zwin145

BVerfGE 97, S. 169 (178).

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BVerfGE 97, S. 169 (177).

KR I Rost, Arbeitnehmerähnliche Personen Rn 17 - Hervorhebung im Original; so schon BAG v. 18. 2. 1956, AP Nr. 1 zu § 5 ArbGG 1953; v. 8. 6. 1967, AP Nr. 6 zu § 611 BGB Abhängigkeit; v. 8. 1. 1967, AP Nr. 7 zu§ 611 BGB Abhängigkeit; v. 2. 10. 1990, EzA § 12a TVG Nr. 1. 148 Vgl. BVerfGE 97, S. 169 (177). 147

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4. Kap.: Die personelle Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

gend materiellen allgemeinen Kündigungsschutz genießen 149. Damit liegt es nur in der Konsequenz der Prämissen des BVerfG, daß der Schutz arbeitnehmerähnlicher Personen im Falle ihrer Kündigung nicht auf bloßen Fristenschutz beschränkt bleibt, sondern daß- jedenfalls in gewissem Umfang- die Wirksamkeit der Kündigung von der Angabe und dem Vorliegen von Gründen abhängt, die bestimmten inhaltlichen Anforderungen genügen müssen. Da eine dem Muster des § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG entsprechende Regelung dieses Inhalts im positiven Kündigungsrecht der arbeitnehmerähnlichen Personen fehlt, bleibt lediglich der Ausweg, diesen materiellen Kündigungsschutz in diejenigen Bestimmungen "hineinzulegen", die zum einen auf diesen Sachverhalt anwendbar sind und zum anderen die nötige Weite im Wortlaut besitzen, um die vom BVerfG judizierten Wirksamkeitseinschränkungen umfassen zu können. Hierfür bieten sich die Generalklauseln der §§ 138 und 242 BGB an. Im Fall der Kündigung von Heimarbeitern wird diese Überlegung in der Entscheidung des BAG vom 24. 6. 1986150 bereits im Ansatz berücksichtigt, indem dort ausgeführt wird, daß die Heimarbeiter in besonderer Weise eines sozialen Schutzes bedürften und, obwohl von Weisungen des Auftraggebers frei, regelmäßig in wirtschaftlicher Abhängigkeit stünden. Die Konsequenz aus dieser Schutzbedürftigkeit wird jedoch erst in der Entscheidung vom 24. 3. 1998 gezogen, in der auf diese Ausführungen verwiesen und festgestellt wird, daß Heimarbeiter nicht schutzlos willkürlichen Kündigungen ausgesetzt seien, sondern daß für sie die Generalklauseln in den §§ 134, 138 und 242 BGB maßgeblich seien, wobei auf den ersten Kleinbetriebsbeschluß verwiesen wird 151 • Damit nimmt das BAG auf der Grundlage des ersten Kleinbetriebsbeschlusses des BVerfG eine Erweiterung des materiellen allgemeinen Kündigungsschutzes auf die Gruppe der Heimarbeiter vor. Diese Folgerungen können nicht auf die Heimarbeiter beschränkt bleiben, sondern müssen auf die Gesamtheit der arbeitnehmerähnlichen Personen bezogen werden. Denn erstere zeichnen sich gegenüber den letzteren nur durch die Besonderheit des Ortes der Leistungserbringung aus; aus Sicht des Bedürfnisses nach Kündigungsschutz als Schutz der materiell-sozialen Lebensgrundlage aber ist diese Besonderheit belanglos. Diese Verallgemeinerung befürwortet Oetker unter Berufung auch auf den ersten Kleinbetriebsbeschluß 152, indem er einen über einen Dispositionsschutz durch Kündigungsfristen hinausgehenden Bestandsschutz in Gestalt einer Bindung der Kündigung an Gründe als durch §§ 138, 242 BGB i.V.m. Art. 12 Abs. 1 GG gewährt ansieht. 149 Vgl. schon Reuter, ORDO Bd. 33, S. 165 (170); dens., FS Hi1ger/Stumpf, S. 573 (580 ff.); dens., FS Dieterich, S. 473 (483). 150 BAG NZA 1987, S. 275 (276). 151 BAG NZA 1998, S. 1001 (1003); so auch Kittner/Däub/er/Zwanziger §§ 29, 29a HAG Rn 20 i.V.m. K.ittner/ Däubler/Zwanziger § 242 BOB Rn 22 ff., insb. Rn 24, 25 unter Verweis auf BVerfG NZA 1998, S. 471 (472) = E 97, S. 169 (179); Däubler, FS 50 Jahre Arbeitsgerichtsbarkeit Rhein1and-Pfa1z, S. 271 (285). 152 Oetker, FS 50 Jahre Arbeitsgerichtsbarkeit Rhein1and-Pfa1z, S. 311 (326 f.).

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Ein wenig anders verhält es sich bei dem Schutz von Arbeitnehmern vor Kündigungen während der Wartezeit. Arbeitnehmer, so auch jene, deren Wartezeit noch nicht vollendet ist, sind, im Gegensatz zu den arbeitnehmerähnlichen Personen, nicht notwendig durch wirtschaftliche Abhängigkeit und soziale Schutzbedürftigkeit, sondern in erster Linie durch persönliche Abhängigkeit definiert 153 • Aber auch sie können von ihrem Arbeitsplatz wirtschaftlich und sozial abhängig sein. Dies hat das BVerfG für die in Kleinbetrieben beschäftigten Arbeitnehmer angenommen154. Ist dem so, dann kann es unter dem Gesichtspunkt des Bedürfnisses nach Schutz der materiellen und sozialen Existenzgrundlage aus der Sicht des Arbeitnehmers155 keinen Unterschied machen, ob sein Arbeitsverhältnis noch nicht sechs Monate besteht oder er in einem Kleinbetrieb tätig ist; dieses Bedürfnis ist in beiden Fällen gegeben. Dementsprechend werden z.T. die Aussagen des ersten Kleinbetriebsbeschlusses auf die Kündigung während der Wartezeit übertragen 156. Teilweise werden beide Fälle ohne Unterscheidung behandelt 157 . Damit kann festgehalten werden, daß die Tendenz zur Ausweitung des materiellen allgemeinen Kündigungsschutzes auf vom KSchG nicht erfaßte Personenkreise durch das Modell des Kündigungsschutzes als Schutz der wirtschaftlichen und sozialen Existenzgrundlage erklärt werden kann. Dies tritt vor allem dort deutlich zutage, wo zur Begründung eines materiellen Kündigungsschutzes außerhalb des KSchG auf die Ausführungen des BVerfG, das dem Kündigungsschutz dieses Verständnis zugrundelegt, rekurriert wird. Doch auch ohne diese ausdrückliche Bezugnahme läßt sich die Extension des materiellen Kündigungsschutzes zwanglos durch die Bestandsschutztheorie erklären. Wenn überall dort materieller Kündigungsschutz zu gewähren ist, wo ein Bedürfnis nach Schutz der wirtschaftlichen und sozialen Existenzgrundlage besteht, dann kann materieller Kündigungsschutz weder an das Erfordernis der Vollendung der Wartezeit, noch an das der Beschäftigung mit mindestens fünf anderen Vollzeitarbeitnehmern geknüpft sein, noch selbst vor der Begrenzung des Kündigungsschutzes durch die Arbeitnehmereigenschaft haltmachen. Vielmehr gebietet die Bestandsschutztheorie in Verbindung mit dem Gebot der Gleichbehandlung des insoweit, d. h. in Bezug auf die Prämissen dieser Theorie, Gleichen - unter dem Vorbehalt von Ausnahmen, die jedoch vor diesem Grundsatz der Rechtfertigung bedürfen zwingend die Etablierung materiellen allgemeinen Kündigungsschutzes sowohl für Arbeitnehmer in Kleinbetrieben, als auch während der Wartezeit sowie für alle arbeitnehmerähnlichen Personen. 153

Staudinger I Richardi Vorbem. zu §§ 611 ff. Rn 136, 138, je m. zahlr. w.N.

154

BVerfGE 97, S. 169 (177).

155 Wohl aber unter Einbeziehung des Arbeitgebers, wodurch der Kündigungsschutz z. B. in einem wirtschaflieh anfalligen Kleinbetrieb zu relativieren wäre. 156 Kittner/Däub/er/Zwanziger § 242 BOB Rn 23 i.V.m. Rn 27; Däubler, FS 50 Jahre Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 271 (285); Kittner, NZA 1997, S. 731 (733). 157 Otto, FS Wiese, S. 353 (375); Oetker, ArbuR 1997, S. 41 ff.; ders., RdA 1997, S. 9 ff.; ähnl. Wank, FS Hanau, S. 295 (314).

10 Stelljes

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4. Kap.: Die personelle Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

V. Kritik Damit bleibt die Frage zu klären, ob eine solche extensive Anwendung materiellen Kündigungsschutzes richtig, insbesondere mit geltendem Recht vereinbar ist. Mit der Beantwortung dieser Frage steht und fällt die Bestandsschutztheorie als Theorie des Kündigungsschutzes, weil die Vereinbarkeil mit dem geltenden Recht grundsätzlich Voraussetzung einer zutreffenden Theorie des allgemeinen Kündigungsschutzes ist 158 • 1. Kongruenz

Zunächst ist aus dem Befund hervorgegangen, daß die Gewährung materiellen Kündigungsschutzes, setzte man die Grundannahme der Bestandsschutztheorie konsequent fort, kein Spezifikum des Arbeitsrechts mehr bleiben könnte. Dies hat sich bereits daran gezeigt, daß auch den arbeitnehmerähnlichen Personen, obwohl keine Arbeitnehmer, aufgrund ihrer definitionsgemäßen wirtschaftlichen Abhängigkeit und sozialen Schutzbedürftigkeit nach der Bestandsschutztheorie materieller Kündigungsschutz gewährt werden soll. Doch verlangt die konsequente Umsetzung der Bestandsschutztheorie noch weitergehende Extensionen. Es wäre nicht einzusehen, warum ein Dienstverpflichteter, der wirtschaftlich und sozial vom Bestand seines Dienstverhältnisses abhängig ist, nur dann materiellen Kündigungsschutz genießen soll, wenn er die Merkmale einer arbeitnehmerähnlichen Person aufweist. Auch selbständigen Dienstverpflichteten kann nicht von vornherein jede wirtschaftliche und soziale Schutzbedürftigkeit abgesprochen werden, wie § 7 Abs. 4 SGB IV zeigt, obwohl für das reine Dienstverhältnis gerade nur ein formeller Kündigungsschutz über Fristen(§ 621 BGB) besteht. Doch kann die Extension materiellen Kündigungsschutzes auch nicht auf das Dienstverhältnis beschränkt bleiben, wenn man bedenkt, daß Grundlage des Beschäftigungsverhältnisses arbeitnehmerähnlicher Personen nicht nur ein Dienst-, sondern auch etwa ein Werkvertrag sein kann 159• Es ist nicht prinzipiell ausgeschlossen, daß z. B. bei Erteilung eines Großauftrages der Werkunternehmer von diesem Auftrag wirtschaftlich und sozial abhängig ist; bei Beschäftigungsverhältnissen mit arbeitnehmerähnlichen Personen, denen ein Werkvertrag zugrundeliegt, ist dies begriffsnotwendig so. Aber die Vorstellung eines materiellen Kündigungsschutzes harmoniert schlecht mit dem Werkvertrag, der kein Dauerschuldverhältnis darstellt und im übrigen auch eigenen Regelungen über die Kündigung unterliegt, so z. B. der des § 649 BGB, wonach die Kündigung nicht einmal der Einhaltung einer Frist und (schon nach dem argurnenturn a rninore ad maius erst recht) nicht der Angabe von Gründen bedarf160, gleichgültig, wie sehr der Unternehmer wirtschaftlich und I oder sozial auf den Vertrag angewiesen sein mag. 158 159

s. o. Kap. 3 A. KR/ Rost, Arbeitnehmerähnliche Personen Rn 11, 71.

A. Kein allgerneiner Kündigungsschutztrotz Schutzbedürfnisses?

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Umgekehrt muß die wirtschaftliche und soziale Schutzbedürftigkeit nicht notwendig nur bei dem (Dienst-)Verpflichteten vorliegen. Zwar haben BVerfG 161 und BAG 162 den materiellen Kündigungsschutz auf Arbeitnehmer in Kleinbetrieben sowie auf Heimarbeiter erweitert, in jedem Fall also auf bestimmte Gruppen von Dienstverpflichteten. Ein Bedürfnis nach Schutz insbesondere der wirtschaftlichen Existenzgrundlage durch Verringerung der Kündbarkeit eines Beschäftigungsverhältnisses ist aber nicht einmal eine spezifische Eigenschaft des Dienstverpflichteten. Schnorr von Carolsfeld 163 bemerkt in Parenthese, der Schutz vor Kündigungen wirke "allerdings nur zugunsten des An, nicht auch zugunsten des Betriebes, welchem eine Kündigungsbeschränkung in Zeiten aufsteigender Konjunktur eines Wirtschaftszweiges oft außerordentlich wichtig wäre". Diese Bemerkung aus dem Jahr 1954 ist auch heute keineswegs anachronistisch. In den Medien wurden insbesondere aus der Zeit vor der Einführung der sog. "Greencard-Regelung" Fälle offenbar, in denen Gedeih und Verderb junger und kleiner Unternehmen im ganzen davon abhing, ob der hochqualifizierte IT-Spezialist aus dem Ausland die Bundesrepublik verlassen mußte oder nicht. Dieses Beispiel zeigt jedenfalls, daß wirtschaftliche und soziale Abhängigkeit des Dienstberechtigten und seiner Familie (und der übrigen Mitarbeiter) vom Dienstberechtigten also nicht per se negiert werden kann. Ein materieller Kündigungsschutz müßte, wenn man ihn als Schutz des Arbeitsverhältnisses als Grundlage der materiellen Existenz versteht, grundsätzlich auch dem Dienstberechtigten zugute kommen, wenn dessen Einkünfte aus dem Unternehmen für sich und seine Familie dieselbe Bedeutung haben wie das Einkommen des Arbeitnehmers aus unselbständiger Arbeit für sich und die Seinen. Der erstere Fall mag zwar weitaus seltener sein als der zweite, doch gilt keineswegs der Satz, daß der Unternehmer stets so stark abgesichert sei, daß er eines Schutzes seiner wirtschaftlichen und sozialen Existenzgrundlage niemals bedürfte. Ähnlich stellt dies bereits Hromadka fest, demzufolge "die Gleichung ,Selbständiger == zur eigenen Daseinsvorsorge fähig' und ,ArbNehmer = zur eigenen Daseinsvorsorge unfähig' in dieser Allgemeinheit heute nicht mehr zutrifft'" 64• Unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung des im wesentlichen Gleichen müßte es einen materiellen Kündigungsschutz, wenn man darin einen Schutz der materiellen und sozialen Existenzgrundlage erblickt, auch zugunsten der dieses Schutzes bedürftigen Dienstberechtigten geben. Einen solchen sieht das geltende Recht aber gerade nicht vor. Schon deshalb also kann der positive Kündigungsschutz nicht damit erklärt werden, er bezwecke den Schutz des Arbeits- bzw. Beschäftigungsverhältnisses als Grundlage der wirtschaftlichen und sozialen Existenz.

160 161 162 163 164

10*

Vgl. Jauernig I Schlechtriem, BGB, § 649 Rn 1. BVerfGE 97, S. 169 (179). BAG v. 24. 3. 1998, NZA 1998, S. 1001 (1003). Arbeitsrecht, S. 341. Hromadka, NZA 1997, S. 569 (579).

148

4. Kap.: Die personelle Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

Die eingangs 165 aufgeworfene Frage nach der Kongruenz zwischen geltendem (materiellem allgemeinem) Kündigungsschutz und einem nach der Grundannahme der Bestandsschutztheorie prognostizierten Kündigungsschutz muß nach alledem mit dem Ergebnis beantwortet werden, daß es zwischen beiden Bereichen nur eine Teilkongruenz gibt. So gibt es Arbeitnehmer (genauer: es trifft auf den Großteil der Arbeitnehmer zu), die des Schutzes des Arbeitsverhältnisses als wirtschaftlicher und sozialer Existenzgrundlage bedürfen und die nach dem KSchG materiellen Kündigungsschutz genießen. Umgekehrt gilt aber nicht, daß jeder dieses Schutzes Bedürftige auch materiellen Kündigungsschutz genießt. Fälle dieser Art lassen sich aus dem Wesen der Bestandsschutztheorie nicht erklären. Man könnte erwägen, die Theorie aufrechtzuerhalten, indem die genannten Fälle, in denen Wertungswidersprüche zum geltenden Recht auftreten, aus der Bestandsschutztheorie durch Definition ausgeklammert werden. Dies wäre jedoch eine unzulässige adhoc-Hypothese. Eine solche liegt vor, wenn sich die Hypothese in der Beseitigung derjenigen Schwierigkeit, zu deren Bewältigung sie aufgestellt worden ist, erschöpft und also keinen darüber hinausgehenden Informationsgehalt aufweist 166. Würden die genannten Personengruppen, für die trotz wirtschaftlichen und sozialen Schutzbedürfnisses materieller Kündigungsschutz nicht gilt, von der Bestandsschutztheorie ausgeschlossen, könnte dies nicht mit der eigenen Grundannahme der Theorie vereinbart werden. Die "Expansionskraft des Bestandsschutzgedankens" 167 führt zu einer Inkongruenz zwischen Bestandsschutztheorie und geltendem Kündigungsschutzrecht, die so groß ist, daß die Theorie grundlegend erschüttert ist und nicht als rechtsdogmatische Erklärungshypothese des Kündigungsschutzrechts aufrechterhalten werden kann.

2. Materieller Kündigungsschutz als Spezifikum des Arbeitsrechts Die Haupteinwände gegen die Bestandsschutztheorie ergeben sich jedoch aus zwei anderen Überlegungen, die eng miteinander verbunden sind. Wenn Kündigungsschutz gewährt wird, um einen Schutz gegen Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses als Grundlage der wirtschaftlichen und sozialen Lebensführung zu errichten, dann ist nicht zu erklären, warum sich der Kündigungsschutz nicht aus dem Recht der arbeitnehmerähnlichen Personen herausgebildet hat, sondern aus dem Recht der Arbeitnehmer, eben dem Arbeitsrecht. Dabei sind es gerade jene, deren wirtschaftliche Abhängigkeit und soziale Schutzbedürftigkeit konstitutiv für ihre Einordnung ist. Diese Schutzbedürftigkeit ist für arbeitnehmerähnliche 165

166 167

s. o. Kap. 3. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 281 f. Reuter; ORDO Bd. 33 (1982), S. 165 (171).

A. Kein allgemeiner Kündigungsschutztrotz Schutzbedürfnisses?

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Personen also essentielles, für Arbeitnehmer dagegen nur akzidentielles Merkmal, das vorliegen kann, aber nicht vorliegen muß, weil die Subsumtion unter den Typus Arbeitnehmer - jedenfalls in erster Linie - durch das Merkmal der persönlichen Abhängigkeit erfolgt 168 . Diese kann mit wirtschaftlicher und sozialer Abhängigkeit einhergehen (und tut dies realiter auch meistens), muß es aber nicht notwendig. Notwendig ist dieses Merkmal allein für arbeitnehmerähnliche Personen. Wenn aber Kündigungsschutz im Ursprung ein Spezifikum des Arbeitnehmers, also des Arbeitsrechts, ist, wie noch das geltende Recht belegt, dann harmoniert dies nicht mit dem Verständnis des Kündigungsschutzes als Kompensation bei wirtschaftlicher und sozialer Abhängigkeit, wonach der Kündigungsschutz im Ursprung ein Spezifikum des Rechts der arbeitnehmerähnlichen Personen hätte sein müssen. Danach hätte es allenfalls eine - umgekehrte - Tendenz zur Ausweitung des Kündigungsschutzes auf Arbeitnehmer, nicht - wie festgestellt - von Arbeitnehmern auf arbeitnehmerähnliche Personen geben können. Jedenfalls aber müßten nach diesem Verständnis primär die arbeitnehmerähnlichen Personen die typischerweise vom Kündigungsschutz erfaßten Personen sein. Dies ist, wie allein der Vergleich der §§ 29 HAG, 89 HGB und 621 BGB mit § 1 KSchG zeigt, keineswegs der Fall.

3. Bestandsschutztheorie und Abstandsgebot Dies führt zum zweiten Haupteinwand gegen die Bestandsschutztheorie. Ausgangspunkt ist die soeben erläuterte Feststellung, daß, wenn Kündigungsschutz der Absicherung gegen Gefahren für das Beschäftigungsverhältnis als Grundlage der materiellen und sozialen Lebensführung dient, der Kündigungsschutz grundsätzlich und in erster Linie denen zukommen müßte, die dieser Absicherung typischerweise bedürfen, also denen, bei denen dieses Schutzbedürfnis Definitionsmerkmal ist, nämlich den arbeitnehmerähnlichen Personen. Dies bedeutet, daß - will man Wertungswiderspruche vermeiden, indem man wesentlich Gleiches nicht willkürlich ungleich behandelt - den arbeitnehmerähnlichen Personen grundsätzlich kein geringerer Schutz gewährt werden dürfte als solchen Arbeitnehmern, bei denen dieses Schutzbedürfnis ebenfalls gegeben ist 169. Zu dieser Erkenntnis steht das vom BVerfG im ersten Kleinbetriebsbeschluß bekräftigte 170 und von Däubler so bezeichnetem "Abstandsgebot" in Widerspruch. Nach der Formulierung des BVerfG darf der durch die Generalklauseln vermittelte Schutz "nicht dazu führen, daß dem Kleinunternehmer praktisch die im Kündigungsschutzgesetz vorgegebeVgl. Staudinger I Richardi Vorbem. zu§§ 611 ff. BGB Rn 138. Reuter; ORDO Bd. 33 (1982), S. 165 (170); ders., FS Hilger/Stumpf, S. 573 (580 ff.); ders., FS Dieterich, S. 473 (483); und Zöllner/ Loritz, Arbeitsrecht,§ 4 VI 2 b, S. 55. 170 BVerfGE 97, S. 169 (178 f.). 171 Däubler; FS 50 Jahre Arbeitsgerichtsbarkeit Rhein1and-Pfa1z, S. 271 (279). 168 169

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4. Kap.: Die personelle Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

nen Maßstäbe der Sozialwidrigkeit auferlegt werden" 172. Dieses Abstandsgebot ist allgemein akzeptiert 173 . Wenn aber erstens der Arbeitsplatz als "wirtschaftliche Existenzgrundlage" bezeichnet und seine Bedeutung für das "soziale Beziehungsgeflecht"174 hervorgehoben wird, und wenn zweitens arbeitnehmerähnliche Personen allgemein per definitionem wirtschaftlich abhängig und sozial schutzbedürftig sind, dann kann das Abstandsgebot nicht mehr sinnvoll aufrechterhalten werden, weil bei einem so formulierten Schutzzweck Arbeitnehmer und arbeitnehmerähnliche Personen gerade gleich zu behandeln wären; bzw. kann andersherum nicht gleichzeitig das Abstandsgebot behauptet und die Bedeutung des Kündigungsschutzes im Schutz der wirtschaftlichen und sozialen Existenzgrundlage gesehen werden, weil dann die arbeitnehmerähnlichen Personen bei gleichem Schutzbedürfnis ungleich in bezugauf das Niveau des Kündigungsschutzes behandelt würden. Entweder gewährt man beiden Gruppen gleichen Schutz, weil nach dem Kriterium des wirtschaftlich-sozialen Existenzschutzes das Schutzbedürfnis gleich ist; dann aber muß das Abstandsgebot aufgegeben werden. Oder man erhält das Abstandsgebot aufrecht; dann aber ist nicht begründbar, warum bei gleichem Schutzbedürfnis beider Gruppen ein unterschiedliches Schutzniveau (eben mit "Abstand") existieren darf. Allgemein gesprochen: Die Bestandsschutztheorie verträgt sich nicht mit dem Abstandsgebot Wer beides für gleichzeitig gültig hält 175, argumentiert nicht widerspruchsfrei. Kann aber nicht beides gleichzeitig aufrechterhalten werden, fragt sich, welches von beiden - Bestandsschutztheorie oder Abstandsgebot - Geltung beanspruchen darf. Nachdem bereits verschiedene Mängel der Bestandsschutztheorie aufgezeigt worden sind, fallt die Entscheidung auch hier zugunsten des Abstandsgebotes aus. Der Gesetzgeber kann auf verschiedene Arten allgemeinen Kündigungsschutz gewähren. Möglich ist, daß er formellen Kündigungsschutz, etwa durch Kündigungsfristen(§§ 29 HAG, 89 HGB, 621 f. BGB), gewährt, er kann aber auch materiellen Kündigungsschutz durch das Erfordernis des Vorliegens, der Angabe und der inhaltlichen Überprüfbarkeil von Kündigungsgründen (§ 1 KSchG) errichten. Beide Kategorien können scharf voneinander getrennt werden. Ist bei einer Personen172

BVerfGE 97, S. 169 (178 f.).

St. Rspr.: BAG v. 23. 9. 1976, BAGE 28, S. 176 (184); v. 23. 6. 1994, BAGE 77, S. 128 (133); v. 2. 1. 1983, BAGE 44, S. 201 (209); v. 16. 2. 1989, BAGE 61, S. 151 (160); ähnl. auch schon BAG v. 8. 10. 1959, BAGE 8, S. 132 (140); v. 30. 11. 1960, BAGE 10, S. 207 (211); v. 28. 9. 1972, S. 438 (445); und h.L.: Hueck/v. Hoyningen-Huene § 13 Rn 90; KR/ Friedrich § 13 KSchG Rn 233m. w. N.; Däubler, FS 50 Jahre Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 271 (279); Kittner, NZA 1998, S. 731 (732); Wank, FS Hanau, S. 295 (304); Stahlhacke, FS Wiese, S. 513 (523); Otto, FS Wiese, S. 353 (366); Lakies, DB 1997, S. 1078 (1081); Hetzet, Das Arbeitsverhältnis im Kleinbetrieb, S. 191; G. Müller, DB 1960, S. 1037 (1041). 174 BVerfGE 97, S. 169 (177). 175 Z. B. BAG v. 24. 3. 1998, NZA 1998, S. 1001 (1002 und 1003); Frantzioch, S. 221; Däubler, FS 50 Jahre Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 271 (278 und 279); Oetker, FS 50 Jahre Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 311 (325 f. und 327). 173

A. Kein allgemeiner Kündigungsschutztrotz Schutzbedürfnisses?

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gruppe nach positivem Recht materieller Kündigungsschutz gegeben (so für die Arbeitnehmer in § 1 KSchG), für andere Personengruppen dagegen nur formeller (so für die arbeitnehmerähnlichen Personen), dann kann mit dem argurnenturn e contrario geschlossen werden, daß für letztere kein materieller Kündigungsschutz gelten soll, jedenfalls aber, daß für sie kein ebenso beschaffener Kündigungsschutz gelten soll wie für die durch die ausdrückliche Regelung materiellen Kündigungsschutzes Geschützten. Genau dies ist der Inhalt des Abstandsgebotes, dessen Geltung damit begründet ist. Andernfalls hätte § 1 KSchG lediglich deklaratorische Bedeutung, und es wäre nicht zu erklären, warum nur für Arbeitnehmer eine ausdrückliche Regelung besteht, während eine solche bei den arbeitnehmerähnlichen Personen fehlt. Hieraus rechtfertigt sich das Abstandsgebot, so daß der Schutz nach §§ 138, 242 BGB nicht das Niveau des Schutzes nach § 1 KSchG erreichen darf. Dann aber kann die Grundlage des Kündigungsschutzes nicht im Schutz der wirtschaftlichen und sozialen Existenzgrundlage liegen, weil unter diesem Blickwinkel gerade kein "Abstand" in bezug auf den Kündigungsschutz, d. h. keine Ungleichbehandlung zwischen Arbeitnehmer und arbeitnehmerähnlichen Personen bestehen darf. Damit setzt sich das Abstandsgebot gegenüber der Bestandsschutztheorie durch und ist ein Grund mehr für deren Ablehnung.

4. Entscheidungen des BAG als Beispiele Dies kann durch zwei Entscheidungen des BAG exemplifiziert werden. In der Entscheidung vom 24. 6. 1986176 stellt das Gericht fest, daß bezüglich des Bestandsschutzes nach geltendem Recht zwischen Heimarbeitern und Arbeitnehmern eine Übereinstimmung nicht bestehe und vom Gesetzgeber auch nicht erstrebt sei. Obwohl das Gericht einräumt, daß "die Heimarbeiter in besonderer Weise eines sozialen Schutzes bedürfen" und in wirtschaftlicher Abhängigkeit stünden, behauptet es, daraus folge nicht, daß der Gesetzgeber verpflichtet sei, die rechtlichen Unterschiede zu beseitigen. Diese Ungleichbehandlung erscheine nicht willkürlich und verstoße nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG 177 • Bemerkenswert ist daran, daß in keiner Weise nach einem Grund, der die Ungleichbehandlung rechtfertigen könnte, gesucht wird. Die vom Gericht gebilligte Absicht des Gesetzgebers, Heimarbeiter und Arbeitnehmer insoweit unterschiedlich zu behandeln, wird zwar erkannt, doch nicht hinterfragt. Dies ist um so erstaunlicher, als das Gericht selbst die besondere Schutzbedürftigkeit des Heimarbeiters herausstellt. Mit der bloßen unbegründeten Negation einer willkürlichen Ungleichbehandlung weicht das Gericht vor der Beantwortung der Frage aus, aus welchem Grund denn gerade bei sozialer und wirtschaftlicher Schutzbedürftigkeit des Heimarbeiters diesem kein ebensolcher Bestandsschutz gegeben ist wie dem BAG NZA 1987, S. 275. m BAG NZA 1987, S. 275 (276).

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4. Kap.: Die personelle Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

Arbeitnehmer. Der schlichte Hinweis auf das positive Recht führt vor diesem Hintergrund in der Sache nicht weiter. In der Entscheidung vom 24. 3. 1998 178 wird-anläßlich der Frage der Anwendbarkeit des § 613a Abs. 4 BGB auf Heimarbeiter - auf diese Ausführungen verwiesen und abermals erklärt, die Ungleichbehandlung sei, auch in Hinblick auf Art. 3 Abs. I GG, verfassungskonform 179, ohne mit einem Wort mögliche Gründe hierfür zu erörtern. Doch wird diesmal, im Gegensatz zur erstgenannten Entscheidung, zur Begründung auf den nach dem ersten Kleinbetriebsbeschluß zu gewährenden Kündigungsschutz hingewiesen, obwohl zwei Absätze zuvor noch bekräftigt wurde: "Allgemeiner Kündigungsschutz besteht nur nach § 29 HAG." 180 Erstens wäre eine mit diesen Worten beschriebene Rechtslage, wie sie auch schon vorher angenommen wurde 181 , verfassungswidrig, wenn es richtig ist, daß, wie das BVerfG ausführt182, das Verfassungsrecht den Mindestschutz vor Kündigungen in der näher bezeichneten Weise "gebietet"; zweitens müßten Heimarbeiter einen im Vergleich zu diesem Mindestschutz der Kleinbetriebsarbeitnehmer höheren Kündigungsschutz genießen, da zwar der Kündigungsschutz im Kleinbetrieb, nicht aber (notwendig) derjenige der Heimarbeiter durch schutzwürdige Belange des (Klein-) Arbeitgebers begrenzt wird. Am schwersten wiegt jedoch ein dritter Einwand: Wenn es stimmt, daß "Heimarbeiter in besonderer Weise eines sozialen Schutzes bedürfen" und "in wirtschaftlicher Abhängigkeit" stehen 183, und wenn es außerdem stimmt, daß der Kündigungsschutz nach dem BVerfG der Erhaltung des Arbeitsplatzes und damit der Sicherung der wirtschaftlichen und sozialen Existenzgrundlage dient 184 , dann ist nicht begründbar, warum zwischen Arbeitnehmern und Heimarbeitern im geltenden Kündigungsrecht überhaupt ein Unterschied gemacht wird. Daß vom BAG in dieser Entscheidung kein Grund für die Ungleichbehandlung angegeben wird, liegt daran, daß nach seiner Auffassung vom Kündigungsschutz kein Grund angegeben werden kann, weil es danach keine Ungleichbehandlung geben darf Dann aber hätte der Gesetzgeber gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen, wenn er, wie vom BAG selbst festgestellt, eine Ungleichbehandlung zwischen Arbeitnehmern und arbeitnehmerähnlichen Personen im Hinblick auf den Kündigungsschutz beabsichtigt hat. Diese Entscheidung manifestiert auf deutlichste Weise, daß die Bestandsschutztheorie des Kündigungsschutzes zu dem geltenden Kündigungsschutzrecht nicht 178 179 180

BAG NZA 1998, S. 1001. BAG NZA 1998, S. 1001 (1002). BAG NZA 1998, S. 1001 (1003).

BAG v. 24. 6. 1986, NZA 1987, S. 275 (276). BVerfGE 97, S. 169 (178 f.). 183 BAG v. 24. 6. 1986, NZA 1987, S. 275 (276); dieser Entscheidung stimmt das BAG v. 24. 3. 1998, NZA 1998, S. 1001 (1003) zu. 184 BVerfGE 97, S. 169 (177 f.); auch diese Entscheidung wird in BAG v. 24. 3. 1998, NZA 1998, S. 1001 (1003) zustimmend zitiert. 181

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B. Allgemeiner Kündigungsschutztrotz fehlenden Schutzbedürfnisses?

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paßt. Sie vermag die (von ihr selbst mit dem Abstandsgebot anerkannte) Tatsache nicht zu erklären, warum arbeitnehmerähnliche Personen keinen Kündigungsschutz in der Intensität des § I Abs. I, 2 KSchG erhalten. Unter Zugrundelegung der Prämissen der Bestandsschutztheorie liegt in dieser gesetzlichen Regelung ein Verstoß gegen das Gebot der Gleichbehandlung des Gleichartigen. Die Bestandsschutztheorie gelangt - sofern sie, wie etwa das BAG, diese positivrechtliche Situation anerkennt - nach ihrer Interpretation des allgemeinen Kündigungsschutzes als Schutz der wirtschaftlich-sozialen Existenzgrundlage zu dem Ergebnis, daß eine Gruppe den Schutz der §§ I ff. KSchG erhält, während die andere Gruppe trotz gleichen Schutzbedürfnisses davon ausgeschlossen bleibt. Die Bestandsschutztheorie enthält damit bereits insoweit einen Wertungswiderspruch, der unweigerlich zur Ablehnung einer jeden rechtsdogmatischen Theorie führt 185 •

B. Allgemeiner Kündigungsschutz trotz fehlenden Schutzbedürfnisses? Wurde im vorangegangenen Abschnitt gefragt, ob es bei Zugrundelegung der vom BVerfG 186 vertretenen Bestandsschutztheorie als Erklärungsmodell des Kündigungsschutzes Personen gibt, die zwar nach dieser Theorie Kündigungsschutz genießen müßten, jedoch nach geltendem Recht nicht in den allgemeinen Kündigungsschutz einbezogen sind, so soll jetzt die umgekehrte Fragestellung behandelt werden, nämlich die, ob es Personen gibt, die zwar vom Anwendungsbereich des positiven KSchG erfaßt sind, gleichwohl nach den Kriterien der Bestandsschutztheorie kein Bedürfnis nach Kündigungsschutz aufweisen. Wäre dies der Fall, müßte weiter gefragt werden, ob Rechtsprechung und Lehre, soweit diese die Bestandsschutztheorie vertreten, diese Theorie durch Herausnahme solcher nicht schutzbedürftiger Personen aus dem KSchG folgerichtig umsetzen. Sollte dies geschehen, so müßte nach einer Rechtfertigung der Abweichung vor dem positiven KSchG gesucht werden; sollte diese Herausnahme dagegen nicht erfolgen, wäre eine besondere Rechtfertigung vor der Bestandsschutztheorie zu verlangen. Wenn nach der Bestandsschutztheorie der Kündigungsschutz der Sicherung der wirtschaftlichen und sozialen Existenzgrundlage dient, dann dürften prinzipiell solche Personen sich nicht auf materiellen Kündigungsschutz nach dem KSchG berufen können, bei denen kein Bedürfnis nach dem so verstandenen Schutz besteht, weil sie auf diese Sicherung nicht - wenigstens nicht in demselben Maße wie andere - angewiesen sind; andernfalls läge unter dem Gesichtspunkt des so definierten Schutzbedürfnisses eine Gleichbehandlung des Ungleichartigen vor. Als solche kommen diejenigen Personen in Betracht, deren Existenzgrundlage auf andere Weise als durch das zu kündigende Arbeitsverhältnis wirtschaftlich und sozial si185 186

Canaris, JZ 1993, S. 377 (385). BVeifGE 97, S. 169 (177).

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4. Kap.: Die personelle Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

ehergestellt ist, etwa weil sie in einem (zusätzlichen) Hauptarbeitsverhältnis stehen und nur eine Nebenbeschäftigung ausüben; weil ft.ir ihre Existenzgrundlage durch das Einkommen anderer Personen, etwa des Ehegatten, gesorgt wird oder sie möglicherweise besonders vermögend sind. An diesen drei Fallgruppen soll untersucht werden, wie sich die nach der Bestandsschutztheorie prognostizierte Reichweite des Kündigungsschutzes und die nach positivem KSchG bemessene Reichweite zueinander verhalten. Sollte aber eine Inkongruenz zu erkennen sein, bedürfte sie der Rechtfertigung vor dem positiven Recht; sollte zwischen beiden Bereichen dagegen eine Kongruenz bestehen, wäre die Bestandsschutztheorie ein (insoweit) taugliches Erklärungsmodell für den Kündigungsschutz; zu erklären wäre dann jedoch, warum des wirtschaftlichen und sozialen Schutzes nicht bedürftige Personen Kündigungsschutz genießen, wenn dieser gerade solchem Schutz dienen soll.

I. Nebenbeschäftigung Unter einer Nebenbeschäftigung wird im allgemeinen ein solches Arbeitsverhältnis verstanden, das die Arbeitskraft des Beschäftigten zeitlich nicht voll in Anspruch nimmt, so daß er zusätzlich dazu in einem weiteren, dem Haupt-Arbeitsverhältnis oder auch in einem Beamtenverhältnis (Hauptbeschäftigung) stehen kann, wobei weiter charakteristisch ist, daß der Beschäftigte mit der Nebenbeschäftigung nicht seinen vollen Lebensunterhalt verdient, sondern daß seine Existenzgrundlage durch die Hauptbeschäftigung sichergestellt ist 187• Insoweit besteht ein Unterschied zum Teilzeitarbeitsverhältnis, das zwar ein Nebenbeschäftigungsarbeitsverhältnis sein kann, aber nicht sein muß, weil es auch das einzige Arbeitsverhältnis eines Beschäftigten darstellen kann. Weil aber die Nebenbeschäftigung dadurch definitionsgemäß niemals die volle Arbeitszeit eines Beschäftigten in Anspruch nimmt, kann das Nebenbeschäftigungsverhältnis (nämlich dann, wenn es die Merkmale eines Arbeitsverhältnisses erfüllt) ein Unterfall des Teilzeitarbeitsverhältnisses sein. Auch im folgenden soll nur dasjenige Nebenbeschäftigungsverhältnis betrachtet werden, das ein Arbeitsverhältnis ist, weil nur in diesem Fall die Frage der Anwendbarkeit des KSchG für die Bestandsschutztheorie problematisch sein kann, während es andernfalls bereits nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 1 KSchG keinen Kündigungsschutz genießt. Wenn also die Nebenbeschäftigung dadurch gekennzeichnet ist, daß nicht sie, sondern die Hauptbeschäftigung die Funktion der Sicherung der materiellen und sozialen Existenzgrundlage übernimmt, dann liegt es nahe, die Nebenbeschäftigung unter einen geringeren Kündigungsschutz zu stellen als das Hauptbeschäftigungsverhältnis, sofern man das Wesen des Kündigungsschutzes eben in dem Schutz der wirtschaftlichen und sozialen Existenzgrundlage erblickt. Ist nämlich 187 BAG v. 10. 8. 1994, NZA 1995, S. 30; MünchKomm-BGB I Schwerdtner § 620 Rn 46; KR/ Lipke § 620 BGB Rn 174.

B. Allgerneiner Kündigungsschutztrotz fehlenden Schutzbedürfnisses?

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das wirtschaftliche und soziale Schutzbedürfnis in der Nebenbeschäftigung nicht (oder doch nicht in demselben Maße) vorhanden, dann ist nach den Prämissen der Bestandsschutztheorie auch kein (oder kein ebenso großes) Bedürfnis nach Kündigungsschutz gegeben wie in der Hauptbeschäftigung. Die Konsequenz aus dieser Feststellung wäre nach der Bestandsschutztheorie die Nichtgeltung des materiellen Kündigungsschutzes nach KSchG (oder die Geltung eines geringeren Maßes an Kündigungsschutz). Dies hätte nicht nur für den Kündigungsschutz, sondern bei Zugrundelegung der Theorie der objektiven Gesetzesumgehung auch für den Befristungsschutz zu gelten. 1. Rechtsprechung

Dementsprechend wurde zunächst in der Entscheidung des BAG vom 16. 12. 1957 188 die sachliche Rechtfertigung der Befristung eines Lehrauftrags damit begriindet, daß der Lehrauftrag als Nebenbeschäftigung ausgeübt werde und der Lehrbeauftragte auf die Vergütung aus dieser Tatigkeit nicht angewiesen sei. Auch in anderen, unveröffentlichten Entscheidungen soll die Tatsache, daß das Arbeitsverhältnis eine Nebentätigkeit darstelle, die Befristung gerechtfertigt haben 189 . Eine Wendung dieser Rechtsprechung erfolgte mit dem sog. Lehrerfall des BAG vom 13. 3. 1987 190• Die Nebentätigkeit eines im hauptamtlichen Beamtenverhältnis stehenden Lehrers war von dem beklagten Land, das gleichzeitig Arbeitgeber im Nebenbeschäftigungsverhältnis und Dienstherr im Beamtenverhältnis war, gekündigt worden; als Grund war angegeben worden, daß beabsichtigt sei, arbeitslose Lehrer einzustellen. Das BAG hielt die Kündigung für unwirksam. In den Entscheidungsgriinden hat es sich mit drei Fragen auseinandergesetzt Deren erste betrifft die Anwendbarkeit des KSchG auf das Nebenbeschäftigungsverhältnis. Die Bestimmungen des KSchG seien, so das Gericht, auf das Nebenbeschäftigungsverhältnis anwendbar; die Anwendbarkeit sei auch nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Kläger nicht sozial schutzbedürftig sei; vielmehr fielen auch solche Arbeitnehmer unter die§§ 1 bis 14 KSchG, die neben einer hauptberuflichen Beamtentätigkeit Arbeitsleistungen im Rahmen einer Nebenbeschäftigung erbrächten. Der Begriff des Arbeitnehmers im Sinne des § 1 KSchG umfasse nach allgemeiner Ansicht auch Teilzeitarbeitnehmer, und dies ohne Rücksicht auf den Umfang ihrer Arbeitszeit. Davon könne die Rechtsprechung "angesichts der insoweit eindeutigen Gesetzeslage wegen der ihr obliegenden Gesetzesbindung (Art. 20 III GG)" nicht solche Teilzeitarbeitnehmer ausklammern, die ihre Arbeitsleistung in Form einer Nebenbeschäftigung erbrächten. Es wird weiter bekräftigt, der entscheidende Senat 188 BAG AP Nr. 3 zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten; so auch ArbG Frankfurt a.M. v. 1. 3. 1977, NJW 1978, S. 725. 189 BAG v. 16. 6. 1982, v. 18. 8. 1982, v. 13. 2. 1983, Nachw. bei APS/ Backhaus § 620

BGB Rn418. 190 BAG AP Nr. 37 zu§ 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung.

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4. Kap.: Die personelle Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

verkenne nicht, daß in Teilzeit ausgeübte Nebenbeschäftigung in der Regel nicht die wirtschaftliche Existenzgrundlage darstelle, doch sei die Rechtsprechung nicht dazu berechtigt, wegen dieser charakteristischen geringeren sozialen und wirtschaftlichen Schutzbedürftigkeit "den persönlichen Geltungsbereich des allgemeinen Kündigungsschutzes entgegen der insoweit klaren gesetzl. Regelung in § 1 KSchG unter Ausklammerung dieser Arbeitnehmergruppe einzuschränken". Die zweite im Lehrerfall behandelte Frage betrifft das Vorliegen eines personenbedingten Grundes. Die fehlende soziale Schutzbedürftigkeit als solche sei kein personenbedingter Grund; die soziale Schutzbedürftigkeit sei zwar "Grundlage für die Schaffung des KSchG" gewesen, doch wenn der Gesetzgeber ihr Fehlen als Kündigungsgrund hätte ausreichen lassen wollen, hätte er, so das BAG, dies im Gesetz festlegen müssen. Auch wird - drittens - eine soziale Rechtfertigung wegen dringender betrieblicher Erfordernisse abgelehnt. Eine Austauschkündigung aus beschäftigungspolitischen Gründen stelle auch bei Vorhandensein einer hohen Arbeitslosenquote kein dringendes betriebliches Erfordernis dar, zumal ein (Weiter-) Beschäftigungsbedürfnis bestehe, so daß kein Überhang an Arbeitskräften entstanden sei. Hatte das BAG also noch in der Entscheidung vom 16. 12. 1957 191 den Befristungsschutz für eine Nebenbeschäftigung restringiert, wodurch nach der Theorie der objektiven Gesetzesumgehung auf einen restriktiven Kündigungsschutz zurückgeschlossen werden muß, so hat es im Lehrerfall das Fehlen der wirtschaftlichen und sozialen Schutzbedürftigkeit in der Nebenbeschäftigung für die Anwendung des KSchG und seine Reichweite für unerheblich gehalten. Hierin liegt eine Wende, deren Ergebnis sich in der Rechtsprechung seitdem gefestigt hat192• So führte das BAG in der Entscheidung vom 10. 8. 1994193 aus, der Umstand, daß der Arbeitnehmer mit einer Nebentätigkeit nicht seinen vollen Lebensunterhalt verdiene, rechtfertige allein noch nicht die Befristung des Arbeitsvertrages. Das BAG stelle, so wird weiter erläutert, bei der Prüfung, ob eine Befristung wirksam sei, nicht auf die unterschiedliche Schutzbedürftigkeit von Arbeitnehmern ab. Die Befristung sei nicht schon immer deshalb sachlich begründet, weil der Arbeitnehmer nur wenige Stunden in der Woche arbeite und deshalb angeblich weniger schutzbedürftig sei. Auch Befristungen für sog. Nebentätigkeiten seien nur dann sachgerecht, wenn verständige und verantwortungsbewußte Parteien eine Befristung des Arbeitsvertrages vereinbaren würden 194• Hat das BAG so die von ihm entwickelte Befristungskontrolle unterschiedslos auf die Nebenbeschäftigungsverhältnisse erstreckt, impliziert dies nach der Theorie der objektiven Gesetzesumgehung, daß 191

BAG AP Nr. 3 zu§ 611 BGB Lehrer, Dozenten.

192

Vgi.BAGv.11.12.199l,EzA§620BGBNr. 112.

193

BAG NZA 1995, S. 30.

194 BAG v. 11. 12. 1991, EzA § 620 BGB Nr. 112; ferner v. 10. 8. 1994, NZA 1995, S. 30 (31) unter Verweis auf BAG v. 12. 10. 1960, BAGE 10, S. 65 (72) und BAG v. 4. 4. 1990, BAGE 65, S. 86.

B. Allgemeiner Kündigungsschutztrotz fehlenden Schutzbedürfnisses?

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für diese auch unter dem Gesichtspunkt des Kündigungsschutzes kein Unterschied zum Hauptarbeitsverhältnis besteht. In Parallele dazu hat sich die Behandlung der Nebenbeschäftigung im Verhältnis zur Hauptbeschäftigung auf dem Gebiet der Entgeltfortzahlung entwickelt. In dem Urteil vom 22. 8. 1990 entschied das BAG noch, es könne hinsichtlich der Vergütung sehr wohl einen sachlichen Grund im Sinne des § 2 Abs. 1 BeschFG 1985 für eine unterschiedliche Behandlung darstellen, wenn ein im (Vollzeit-) Beamtenverhältnis Stehender nebenberuflich als teilzeitbeschäftigter Lehrer arbeite. Der Beschäftigte, hauptberuflich Pfarrer, hatte für seine Nebentätigkeit einen geringeren Stundensatz erhalten als eine vergleichbare vollbeschäftigte Lehrkraft. In Hinblick auf diese Ungleichbehandlung des in Nebentätigkeit lehrenden Pfarrers im Vergleich zu einem Vollzeitlehrer hielt der Senat es für zulässig, die soziale Lage eines teilzeitbeschäftigten Lehrers als einen sachlichen Grund für die unterschiedliche Behandlung zu werten, wenn er neben der Teilzeitbeschäftigung einer Haupttätigkeit nachgehe, aus der er für sich und seine Farnilie eine auskömmliche und gesicherte Existenzgrundlage gewinne. Demgegenüber könne auch das Argument "gleicher Lohn für gleiche Arbeit" nicht überzeugen. Unter expliziter Aufgabe dieser Rechtsprechung erging die Entscheidung vom 1. 11. 1995 195. Danach darf die Teilzeitarbeit "nicht deswegen schlechter bezahlt werden als Vollzeitarbeit, weil der Teilzeitarbeitnehmer einen Hauptberuf ausübt und dadurch eine gesicherte Existenzgrundlage hat". Die Nebenberuflichkeil sei ein sachfremdes Kriterium; zwar könne nach den Gesetzesmaterialien die "soziale Lage" eine unterschiedliche Behandlung des Teilzeitarbeitsverhältnisses rechtfertigen, jedoch nicht für die Bemessung des Stundensatzes des Arbeitsentgelts erheblich sein. Eine unterschiedliche Bemessung des Stundensatzes für sozial durch eigene Erwerbseinkünfte abgesicherte, nebenberuflich beschäftigte Teilzeitkräfte lasse sich auch nicht mit der Erwägung rechtfertigen, daß sie weniger sozial schutzbedürftig seien als die Teilzeitkräfte, die (auch) auf die Einkünfte aus ihrer Teilzeittätigkeit angewiesen sind. ,;zwar mag der für die Annahme eines Arbeitsverhältnisses erforderliche Grad der persönlichen Abhängigkeit zu verneinen sein, wenn und weil der Nebentätige in einem Hauptberuf seine Existenzgrundlage habe196. Indessen können derartige Nebentätigkeiten durchaus in einem Arbeitsverhältnis ausgeübt werden. Werden sie aber in einem Arbeitsverhältnis ausgeübt, so ist§ 2 I BeschFG 1985 uneingeschränkt anwendbar." Damit stellt auch im Bereich der Entgeltzahlung die Tatsache, daß ein im Nebenarbeitsverhältnis Beschäftigter durch seine Hauptbeschäftigung wirtschaftlich und sozial in seiner Existenzgrundlage abgesichert ist, keinen Grund (mehr) dar, der die Zahlung eines geringeren Stundensatzes für in Nebentätigkeit Beschäftigte rechtfertigt. Macht also nach dieser Rechtsprechung die geringere wirtschaftliche BAG AP Nr. 45 zu§ 2 BeschFG 1985 m. Anm. Schüren. Vgl. insoweit Richardi, NZA 1992, S. 625 (628); ähnl. Preis, Vertragsgestaltung, S. 314 f. 195

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4. Kap.: Die personelle Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

und soziale Schutzbedürftigkeit im Bereich der Entgeltzahlung keinen Unterschied, dann ist anzunehmen, daß das BAG auch im Bereich des Kündigungs- und Befristungsschutzes die geringere wirtschaftliche und soziale Schutzbedürftigkeit des in einer Nebentätigkeit Beschäftigten nicht (mehr) zum Anlaß nehmen wird, Kündigungs- und Befristungsschutz zu reduzieren. Vielmehr kann davon ausgegangen werden, daß sich diese kündigungsrechtliche Unerheblichkeit der Existenzsicherung durch die Hauptbeschäftigung, wie sie in der Entscheidung vom 10. 8. 1994 197 zum Ausdruck kommt, in der Rechtsprechung festigen wird, das Nebenarbeitsverhältnis im Hinblick auf den Kündigungsschutz also ebenso behandelt wird wie das Hauptarbeitsverhältnis.

2. Ansichten in der Literatur In der Literatur sind die Ansichten über diese Frage geteilt. Z. T. wurde in Entsprechung zur Entscheidung des BAG vom 16. 12. 1957 198 vertreten, die Befristung von Arbeitsverhältnissen als Nebentätigkeit sei unbedenklich, weil in diesem Fall die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nicht seinen Lebensunterhalt bilde; daher bestehe hier nicht im gleichen Maß das soziale Bedürfnis nach einer Garantie des Arbeitsplatzes, das zur Einführung des allgemeinen Kündigungsschutzes geführt habe; der Arbeitnehmer solle sich darauf verlassen können, eine gleichbleibende Lebensgrundlage zu erhalten; weil ein solches Vertrauen im Falle von Nebentätigkeiten nicht geweckt werde, könne und brauche es nicht geschützt zu werden 199. Diese Ansicht findet auch heute noch Unterstützung in der Literatur200. Dies driickt sich vor allem in einer ablehnenden Haltung vieler Stimmen der Literatur gegenüber der Lehrerentscheidung des BAG201 aus. Kritisiert wird, die "glücklichen Arbeitsplatzbesitzer" würden so noch zusätzlich begünstigt, obwohl sie dies gar nicht so nötig hätten, während die Unglücklichen noch mehr benachteiligt würden, die vergeblich Arbeit suchten202• Die Auswege, die aus dieser vielfach als unbefriedigend empfundenen Konstellation des Lehrerfalls gesucht werden, sind vielfältig. So wird etwa versucht, eine Lösung über die Arbeitnehmereigenschaft und ihre Merkmale zu finden, indem bei dem Kläger im Lehrerfall eine "arbeitnehmerunähnliche Person" angenommen wird, bei der die Abweichung zum Normaltypus BAG NZA 1995, S. 30. BAG AP Nr. 3 zu§ 611 BGB Lehrer, Dozenten. 199 Wiedemann, FS Lange, S. 395 (404); Wiedemann/Palenberg, RdA 1977, S. 85 (93). 200 Staudinger I Preis § 620 Rn 68; Preis, Vertragsgestaltung, S. 315; Hartmann, SAE 1995, S. 332 (338); Winkler v. Mohrenfels, Anm. zu BAG v. 11. 10. 1995, AP Nr. 20 zu§ 620 BGB Bedingung. 2o1 BAG v. 13. 3. 1987, AP Nr. 37 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung. 2o2 Adomeit, Arbeitsrecht für die 90er Jahre, S. 68 (69). 197

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B. Allgemeiner Kündigungsschutz trotz fehlenden Schutzbedürfnisses?

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des Arbeitnehmers darin bestehe, daß die Schutzbedürftigkeit fehle. In der Konsequenz sei der Schutz des KSchG zu versagen203 . Auch wird vorgeschlagen, im Lehrerfall eine außerordentliche Kündigung nach § 626 BGB zuzulassen; das Soziaistaatsprinzip gebiete die Verwirklichung einer sozial gerechten Ordnung für alle, so auch für die Arbeitsuchenden, weswegen in dem Fall, da ein wirtschaftlich und sozial abgesicherter Lehrer in seiner Nebentätigkeit gekündigt werden soll, um arbeitslose Lehrer einzustellen, einen Extremfall darstelle, bei dem die umfassende Interessenahwägung nach § 626 BGB ausnahmsweise zugunsten der Kündbarkeit ausfalle204. Noch anders wird vertreten, ungeschriebene Voraussetzung für die Anwendbarkeit des KSchG sei das Vorhandensein der sozialen Schutzbedürftigkeit und -würdigkeit; Bestandsschutz nach dem KSchG solle nur detjenige beanspruchen können, der ihn nötig habe, weil er sozial schutzbedürftig sei; Zweifel an dieser Schutzbedürftigkeit seien anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer durch die Kündigung weder wirtschaftlich noch sozial gefährdet würde. Dies treffe auf den Lehrer in der Nebentätigkeit zu, so daß für ihn die Anwendbarkeit des KSchG zu verneinen sei205 . Preis206 sieht zwar nach geltendem Recht keine Möglichkeit einer Kündigung, gibt jedoch zu bedenken, ob nicht de lege ferenda Nebenbeschäftigungsverhältnisse, die mit vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern oder Beamten eingegangen werden, aus dem Schutzbereich des KSchG ausgeklammert werden sollen. Andere gehen demgegenüber ebenfalls von der uneingeschränkten Anwendbarkeit des KSchG auf Nebenbeschäftigungen aus207 und verweisen lediglich auf eine Berücksichtigung der Einkünfte aus der Nebenbeschäftigung bei einer betriebsbedingten Kündigung im Rahmen der sozialen Auswahl zulasten des Arbeitnehmers208. Der Schutzzweck des KSchG, nämlich Schutz der wirtschaftlichen und sozialen Existenz des Arbeitnehmers, gebiete es nicht, die Kündigung von Nebenbeschäftigungsverhältnissen besonders zu schützen, sofern der Arbeitnehmer daneben in einem ungekündigten Hauptarbeitsverhältnis stehe; es erscheine daher geboten, bei der Kündigung eines Nebenbeschäftigungsverhältnisses einen weiteren Verdienst des Arbeitnehmers bei der Sozialauswahl zum Nachteil des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, sofern der weitere Verdienst die Haupterwerbsquelle des Arbeitnehmers darstelle209. 203 Adomeit, Arbeitsrecht für die 90er Jahre, S. 68 (71); ähnl. zuvor schon Beuthien/Wehler; RdA 1978, S. 2 (6, insb. Fn 37), wonach die soziale Schutzbedürftigkeit eigener Bestandteil des Arbeitnehmerbegriffs sei. 204 Löwisch, Anm. zu BAG v. 13. 3. 1987, AR-Blattei (D) Kündigungsschutz, E 277; unter Verweis aufBVerfGE 59, S. 231 (266)- WDR. 205 Hahn, DB 1988, S. 1015 (1016 f .). 206 Preis, Anm. zu BAG v. 13. 3. 1987, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung

Nr.44. 207

Däubler; Arbeitsrecht, S. 228.

Rn 6; Berkowsky, Die betriebsbedingte Kündigung,§ 8 Rn 139; Linck, Die soziale Auswahl, S. 106; Künzl, ZTR 1996, S. 385 (391 f.). 209 Linck, Die soziale Auswahl, S. 104. 2os Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 43

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4. Kap.: Die personelle Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

Der Reduzierung des Kündigungsschutzes für die Nebenbeschäftigung im Sinne der erstgenannten Ansichten entspricht der Standpunkt, demzufolge auch bei der Befristung von Arbeitsverhältnissen sich für einen in Nebentätigkeit Beschäftigten aufgrund seiner wirtschaftlichen und sozialen Absicherung durch den Hauptberuf ein geringerer Kündigungsschutz und damit ein geringerer Befristungsschutz ergebe210. So unterliege das mit einem nebenberuflich Beschäftigten eingegangene Arbeitsverhältnis einer "großzügigeren Beurteilung bei der Priifung des Befristungsgrundes". Teilweise wird die Befristungskontrolle bei nebenberuflich Tätigen, deren wirtschaftliche und soziale Existenzgrundlage durch eine Vollzeitbeschäftigung gesichert ist, zur Gänze für überflüssig gehalten211 • Dieser Gruppe, die noch im Einklang mit der friiheren SAG-Rechtsprechung steht, ist eine Ansicht gegenübergetreten, die die neuere Tendenz der Rechtsprechung des BAG favorisiert, wonach der fehlende existenzsichemde Charakter der Nebenbeschäftigung weder für die Anwendbarkeit des KSchG noch der Befristungskontrolle entscheidend sein soll 212 • Eine Befristungskontrolle entfalle danach auch bei fehlender sozialer Schutzbedürftigkeit nicht213 ; die Tatsache der Nebenbeschäftigung sei weder als ein Sachgrund für die Befristung anzuerkennen, noch könnten bei Nebentätigkeit geringere Anforderungen an den Sachgrund gestellt werden214. Unter Verweis auf den Lehrerfall des BAG wird ausgeführt, das KSchG gelte uneingeschränkt für nebenberufliche Tätigkeiten, und eine grundsätzliche Differenzierung des Kündigungsschutzes nach der sonstigen finanziellen Situation des Arbeitnehmers sei nicht vertretbar; Gleiches müsse für die sachliche Rechtfertigung einer Befristung gelten, da diese eine Umgehung des Kündigungsschutzes ausschließen solle215 . Die entsprechende Position wird für den Fall der auflösend bedingten Nebenbeschäftigung bezogen 216. Zur Begrundung wird angegeben, die Kündigungsschutzregelungen seien auch in Fällen der Nebentätigkeit anwendbar, weil man den Existenzschutz durch das Kündigungsschutzrecht nicht auf einen Schutz vor dem völligen Entzug der Lebensgrundlage reduzieren müsse; er umfasse vielmehr "auch den Schutz der Grundlagen für die gewohnte Lebensführung- mag diese auch auf der Grundlage mehrerer Arbeitsverhältnisse erarbei210 MünchArbR!Wank § 116 Rn 33; Preis, Vertragsgestaltung, S. 315; Staudinger/Preis § 620 Rn 68; Hromadka, RdA 1983, S. 88 (92); LAG Nümberg v. 28. 3. 1994, LAGE BGB § 620 Nr. 34; Wink/er v. Mohrenfels, Anm. zu BAG v. 11. 10. 1995, AP Nr. 20 zu§ 620 BGB Bedingung; Kittner/ Däubler!Zwanziger § 620 BGB Rn 104m. w. N. 211 Hartmann, Anm. zu BAG v. 10. 8. 1994, SAE 1995, S. 335 (338). 212 KR/ Lipke § 620 BGB Rn 95, 174a; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 43 Rn 6; APS/ Backhaus § 620 BGB Rn 420; HK/ Höland, Anh. Rn 16; Treber; Anm. zu BAG v. 29. 10. 1998, SAE 1999, S. 312 (314); ähnl. Linck, Die soziale Auswahl, S. 207; wohl auch Mayer-Maly, Anm. zu BAG v. 13. 3. 187, ZTR 1988, S. 61. 213 KR/ Lipke § 620 BGB Rn 174a. 214 APS I Backhaus § 620 BGB Rn 420. 21s APS/ Backhaus § 620 BGB Rn 420 216 APS/ Backhaus § 620 BGB Rn 420; Enderlein, RdA 1998, S. 90 (103); i.E. Wink/er v. Mohrenfels, Anm. zu BAG v. 11. I 0. 1995, AP Nr. 20 zu § 620 BGB Bedingung.

B. Allgerneiner Kündigungsschutztrotz fehlenden Schutzbedürfnisses?

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tet sein". Für ein solches weites Verständnis des Schutzzwecks spreche auch der Inhaltsschutz des Vertrages: So entfalle z. B. das Erfordernis der sozialen Rechtfertigung im Sinne des § 2 KSchG im Fall einer Änderungskündigung nicht schon deswegen, weil die vertragliche Arbeitszeit von einem besonders hohen auf ein betriebsübliches Maß reduziert werde, obwohl der Arbeitnehmer auch bei reduzierter Tätigkeit noch eine Existenzgrundlage habe217 . Die Befristungskontrolle entfalle nicht bei Nebenbeschäftigungen, da der Kündigungsschutz keine wirtschaftliche Abhängigkeit voraussetze und für alle Arbeitnehmer unabhängig davon gelte, ob sie eine Voll-, Teilzeit- oder eine Nebenbeschäftigung ausübten, so daß der dem Befristungsschutz zugrundeliegende Umgehungsgedanke auch bei Nebenbeschäftigungen greife218 .

II. Doppelverdienst Unter Doppelverdienst ist eine solche Fallgestaltung zu verstehen, in der zu dem Verdienst des Arbeitnehmers der Verdienst einer anderen, insbesondere einer ihm zum Unterhalt verpflichteten Person wie z. B. des Ehegatten, hinzutritt, so daß der Arbeitnehmer hierüber zumindest teilweise disponieren kann219 . Nicht gemeint ist also die der Nebenbeschäftigung zugrundeliegende Situation, in der der Arbeitnehmer selbst ein zweites Einkommen aus einer anderen als der Hauptbeschäftigung bezieht. Ob die Tatsache des Doppelverdienstes in der Ehe des zu kündigenden Arbeitnehmers für die soziale Auswahl nach § l Abs. 3 KSchG Beachtung findet, ist umstritten. 1. Berücksichtigungsfahigkeit

Teilweise wird die Berücksichtigungsfähigkeit des Einkommens des Ehepartners, das zum Unterhalt auch des zu kündigenden Arbeitnehmers beiträgt, bejaht. Diesen Standpunkt hat die Rechtsprechung des BAG bezogen220. Aber auch Teile des Schrifttums teilen diese Auffassung22 1. Soweit diese Auffassung begründet wird, geschieht dies unter Hinweis auf das "Prinzip des Angewiesenseins auf den Enderlein, RdA 1998, S. 90 (103). Treber, Anm. zu BAG v. 29. 10. 1998, SAE 1999, S. 312 (314). 219 Vgl. Linck, Die soziale Auswahl, S. 93, v. Hoyningen-Huene, NZA 1986, S. 449 (450). 22o BAG v. 30. 11. 1956, AP Nr. 26 zu§ 1 KSchG; v. 12. 10. 1979, AP Nr. 7 zu§ 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; v. 24. 3. 1983, DB 1983, S. 1822 (1824); v. 8. 8. 1985, AP Nr. 10 zu§ I KSchG 1969 Soziale Auswahl, soweit das Zweitkeinkommen nicht zum Bestreiten des Lebensunterhalts erfoderlich ist; auch LAG Hamm v. 4. 10. 1983, DB 1984, S. 131. 221 Berkowsky, Die betriebsbedingte Kündigung, § 8 Rn 131 ; ders. , NJW 1989, S. 1292 (1296); Meisel, DB 1991, S. 92 (96); Schaub, NZA 1987, S. 217 (222); ders., Arbeitsrechtshandbuch, § 129 Rn 8 und § 132 Rn 14; KR/ Etzel § 1 KSchG Rn 702; Neyses, DB 1983, S. 2414 (2417); Schröder, ZTR 1995, S. 394 (400); Wlotzke, BB 1997, S. 414 (417). 217

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11 Stelljes

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4. Kap.: Die personelle Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

Arbeitsplatz"; da die verdienenden Ehegatten Unterhaltsansprüche gegeneinander nach § 1360 BGB hätten, liege es auf der Hand, daß derjenige, der einen solchen Unterhaltsanspruch habe, im Prinzip weniger auf seinen Arbeitsplatz angewiesen sei als derjenige, der keinen solchen Anspruch habe; auch sei der Unterhaltsanspruch gegenüber dem Ehegatten das Gegenstück zur- nach h.M. zu berücksichtigenden - Unterhaltsverpflichtung: Erhöhe diese die soziale Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers, müsse ein entsprechender Unterhaltsanspruch sie zwangsläufig verringern222; auch nach der Funktion der Sozialauswahl sei die Berücksichtigung von existenzsichernden Unterhaltsansprüchen zwingend geboten, denn es könne nicht gerechtfertigt werden, einen ledigen Arbeitnehmer ohne Unterhaltsansprüche zu kündigen und ihn so seiner Existenzgrundlage zu berauben, während ein anderer, aufgrund anderer Sozialdaten schutzwürdiger verheirateter Arbeitnehmer mit Unterhaltsansprüchen gegen den Ehepartner nicht gekündigt werde. Die Berücksichtigungsfahigkeit des Ehegatteneinkommens führe nur vordergründig zu negativen Folgen; die Berücksichtigung sei ein sachlicher Grund, so daß sie nicht als mittelbare Diskriminierung der Frauen gewertet werden könne223 .

2. Eingeschränkte Berücksichtigungsfähigkeit Von anderen wird dieser Standpunkt nur bedingt geteilt. Einmal soll dem Ehegatteneinkommen eine nur subsidiäre Bedeutung bei der Sozialauswahl zukommen224. Die Subsidiarität wird daraus gerechtfertigt, daß der Doppelverdienst eine "von außen kommende Einwirkung auf das Arbeitsverhältnis" darstelle und nicht originär vertraglicher Natur sei; er habe wegen des Arbeitsplatzrisikos des Zweitverdieners nur beschränkte Aussagekraft; auch wäre der Arbeitgeber bei Annahme der Berücksichtigungsfähigkeit zu umfangreicheren Befragungen über die Vermögensverhältnisse der Arbeitnehmer gezwungen; schließlich könne die dadurch entstehende mittelbare Diskriminierung von Frauen nicht außer acht gelassen werden, deren Ehegatte regelmäßig ein für beide auskömmliches Gehalt beziehe, während der umgekehrte Fall weitaus weniger zutreffe225 . Andere befürworten zwar die Berücksichtigungsfähigkeit des Doppelverdienstes, dies jedoch nur, soweit aufgrund des Ehegatteneinkommens Unterhaltspflichten des zu kündigenden Arbeitnehmers verringert und so seine soziale Schutzwürdigkeit bezogen auf das für § 1 Abs. 3 KSchG relevante Datum der Unterhaltsver222 Berkowsky, Die betriebsbedingte Kündigung, § 8 Rn 131; ähnl. LAG Hamm v. 4. 10. 1983, DB 1984, S. 131. 223 Kittner/Däubler/Zwanziger § 1 KSchG Rn 474. 224 v. Hoyningen-Huene, NZA 1986, S. 449 (451); Hueck/v. Hoyningen-Huene § Rn 469 f., 471; Linck, Die soziale Auswahl, S. 97. 225 v. Hoyningen-Huene, NZA 1986, S. 449 (450 f.); Hueck/v. Hoyningen-Huene § Rn 471 ; ähnl. Linck, Die soziale Auswahl, S. 97.

B. Allgerneiner Kündigungsschutztrotz fehlenden Schutzbedürfnisses?

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pflichtung reduziert wird; dagegen soll nicht darauf verwiesen werden können, daß für den Arbeitnehmer eine über Einkommen verfügende, ihm nahestehende Person, insbesondere sein verdienender Ehegatte, aufkommen könne226. Auch hierfür werden die Relativität des Arbeitsverhältnisses, die Unvorhersehbarkeit der Entwicklung des Zweiteinkommens sowie die Gefahr der Diskriminierung der Frau geltend gemacht; dies setze sich letztlich auch gegenüber der Tatsache durch, daß die wirtschaftliche Existenz des Arbeitnehmers über den gut verdienenden Ehegatten durchaus erhalten bleiben könne227•

111. Vermögen des Arbeitnehmers Schließlich ist die Frage, ob ein Vermögen des Arbeitnehmers oder seine Schulden im Fall einer Kündigung rechtliche Beachtung finden können, umstritten.

1. Berücksichtigungsfabigkeit

Dies wird teilweise bejahe28 und aus dem Grundsatz hergeleitet, daß der Vermögende auf einen Arbeitsplatz weniger angewiesen sei als der Unvermögende, wobei "Vermögen" eine Größenordnung bezeichne, die existenzsichemden Charakter habe; es sei nicht nachzuvollziehen, den Lottogewinner mit einem Millionenvermögen gegenüber einem Arbeitnehmer, der seinen Lebensunterhalt künftig durch den Bezug von Arbeitslosengeld oder -hilfe bestreiten müsse, für sozial schutzwürdiger zu erklären; ähnliches habe gegenüber Arbeitnehmern zu gelten, die etwa durch Mieteinnahmen aus einem Mietshaus ihren Lebensunterhalt hinreichend bestreiten könnten; allerdings seien Guthaben, die sich erheblich unterhalb existenzsichernder Größenordnungen befänden, bei der Sozialauswahl schlechthin nicht zu berücksichtigen229 • Das LAG Köln hat die Berücksichtigungsfähigkeit dieses Merkmals zwar nicht explizit bejaht, doch festgestellt, "die private Vermögenssituation des Arbeitneh226 Löwisch § 1 Rn 336; Lincl,, Die soziale Auswahl, S. 201 ; APS/ Kiel § 1 KSchG Rn 723; ErfK/ Ascheid § 1 KSchG Rn 543; Ascheid, KSchR, Rn 337; Künzl, ZTR 1996, S. 358 (390 f.); HK/ Domdorf§ 1 Rn 1076; Preis, Prinzipien, S. 425; ders., OB 1988, S. 1387 (1395); ders., RdA 1999, S. 311 (317); Stahlhacke/Preis/Vossen Rn 667b; Bemd Preis, DB 1986, S. 746 (747, Fn 11); ebenfalls krit. bis abl. Schwerdtner; ZIP 1984, S. 10 (16); Ehmann, BlStSozArbR 1984, S. 209 (214). 227 Künzl, ZTR 1996, S. 358 (390 f.); auch APS/ Kiel§ 1 KSchG Rn 723. 228 Berkowsky, Die beuiebsbedingte Kündigung, § 8 Rn 136; ders., NJW 1983, S. 1292 (1296); KR/ Etzel § 1 KSchG Rn 702; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 132 Rn 14; ders., NZA 1987, S. 217 (222); BAG v. 26. 6. 1964, AP Nr. 15 zu § 1 KSchG Beuiebsbedingte Kündigung. 229 Berkowsky, Die beuiebsbedingte Kündigung, § 8 Rn 136. 11*

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4. Kap.: Die personelle Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

mers (Verschuldung, Hausbau)" falle "bei der sozialen Auswahl im allgemeinen nicht nennenswert ins Gewicht'm0 .

2. Keine Berücksichtigungsfähigkeit

Der Großteil des Schrifttums bezieht demgegenüber den gegenteiligen Standpunkt231, während aus der Rechtsprechung nach der genannten Entscheidung232 noch kein Fall bekannt ist, in dem das Vermögen in diesem Zusammenhang Erwähnung gefunden hätte. Gegen die Berücksichtigungsfähigkeit werden im wesentlichen die Privatheit der Lebensverhältnisse und ein daraus abgeleiteter mangelnder Bezug zum Arbeitsverhältnis sowie praktisch-prozessuale Schwierigkeiten in Hinblick auf die für diese Frage relevanten Daten angeführt. Es erscheine absurd, wenn ein vorsichtiger, in geordneten finanziellen Verhältnissen lebender Arbeitnehmer schlechter dastünde als ein Kollege, der sich übermäßig verschuldet habe233 . Dies führe zu dem nicht einsichtigen Ergebnis, daß ein Arbeitnehmer, der mit seinem Einkommen erfolgreich zurechtzukommen versucht habe, dafür bestraft werde, während ein anderer, der das Geld mit vollen Händen ausgebe und über seine Verhältnisse lebe, belohnt werde234. Probleme in praktischer Hinsicht ergäben sich für den Arbeitgeber, dem die persönlichen Vermögensverhältnisse des Arbeitnehmers unbekannt seien, wenn er die in die Auswahl einzubeziehenden Arbeitnehmer eingehend über ihre Vermögensverhältnisse zu befragen hätte und der Arbeitnehmer genötigt wäre, dem Arbeitgeber seine private Sphäre zu öffnen, um Nachteile zu vermeiden235 .

IV. Kritik Der Überblick zeigt, daß in den Diskussionen um Kündigungs- und Befristungsschutz bei Nebenbeschäftigungen sowie um die Berücksichtigungsfähigkeit des Doppelverdienstes und der Vermögenslage des Arbeitnehmers der Topos der BelAG Köln v. 12. 5. 1995, NZA-RR 1996, S. 48. Huecklv. Hoyningen-Huene § 1 Rn 473; Stahlhacke!Preis!Vossen Rn 667b; Preis, Prinzipien, S. 426 f.; ders., RdA 1999, S. 311 (317); APS I Kiel § 1 KSchG Rn 724; Kittner I Däubler I Zwanziger§ 1 KSchG Rn 476; Linck, Die soziale Auswal!l, S. 103; Lück, Probleme der Sozialauswal!l, S. 204 ff.; Klinckhammerl Klinckhammer; ArbuR 1984, S. 62 (64); Meise/, ZfA 1985, S. 213 (238); Wank, RdA 1986, S. 222 (224); Hillebrecht, ZfA 1991, S. 87 (117); Künz/, ZTR 1996, S. 385 (391); ErfKIAscheid § 1 KSchG Rn 545; ders., RdA 1997, S. 333 (337); noch unter Einschränkungen ders., KSchR, Rn 338. 232 BAG v. 26. 6. 1964, AP Nr. 15 zu§ 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung. 233 So z. B. Preis, Prinzipien, S. 426. 234 Künz/, ZTR 1996, S. 385 (391); Meise/, ZfA 1985, S. 213 (238). 235 Vgl. Meise/, ZfA 1985, S. 213 (238). 230 231

B. Allgemeiner Kündigungsschutztrotz fehlenden Schutzbedürfnisses?

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dürftigkeit nach Schutz der wirtschaftlichen und sozialen Existenzgrundlage eine hervorgehobene Rolle spielt. Dies entspricht der Sichtweise vom Kündigungsschutz als Schutz der wirtschaftlich-sozialen Lebensgrundlage. Soll diese Sichtweise zutreffen, wie durch das BVerfG im ersten Kleinbetriebsbeschluß 236 bekräftigt wird, dann muß gefragt werden, wie sich dies auf die Reichweite des Kündigungsschutzes im Blick auf die drei untersuchten Bereiche auswirkt und ob die so bemessene Reichweite mit dem KSchG deckungsgleich ist. Nach dem Überblick muß diese Frage jedoch verneint werden.

1. Nebenbeschäftigung - Bestandsschutztheorie contra Wortlaut des KSchG

Dies gilt vor allem für den Kündigungsschutz bei Nebenbeschäftigungen. Soll das KSchG die Gewähr für den möglichst weitgehenden Erhalt insbesondere der materiellen Lebensgrundlage dienen, dann ist nicht einsichtig, warum auch solche Personen Kündigungsschutz nach dem KSchG erhalten sollen, deren Lebensgrundlage durch ein Hauptarbeitsverhältnis nicht nur materiell, sondern auch sozial abgesichert ist. a) Zum Lehmfall des BAG

Dieses Defizit der Bestandsschutztheorie hat auch das BAG in der Lehrerentscheidung gesehen. Es hat sich jedoch auf den Wortlaut des KSchG zuriickgezogen mit der Bemerkung, die Rechtsprechung sei nicht berechtigt, den persönlichen Geltungsbereich des allgemeinen Kündigungsschutzes entgegen dem Wortlaut einzuschränken, obwohl die Gruppe der bloß in Nebentätigkeit Beschäftigten durch geringere soziale und wirtschaftliche Schutzbedürftigkeit charakterisiert sei. Diese Art formalistisch-positivistischer Entscheidungstindung durch das BAG mag zwar prinzipiell zu begriißen sein237 , doch erstens steht dieses Beharren auf dem Wortlaut in scharfem Kontrast zu der im übrigen weniger stark den Buchstaben des Gesetzes verhafteten und mit Rechtsfortbildungen nicht sparsamen Praxis des BAG; als aussagekräftiges Beispiel für eine Rechtsfortbildung contra Legern, in der sich das Gericht vergleichsweise wenig um den Wortlaut des KSchG und ihm dadurch etwa auferlegte "Einschränkungen" sorgte, möge die bekannte Entscheidung des BAG zu § 1 Abs. 2 S. 2 KSchG dienen, dessen Tatbestände der Weiterbeschäftigungsmöglichkeit danach - dann gern. § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG - zur Sozialwidrigkeit auch in dem Fall führen können, in dem der Betriebsrat nicht widersprochen hae38 . Zweitens bleibt die Frage unbeantwortet, ob dem KSchG nach seiner for236 237 238

BVeljGE 97, S. 169. In diesem Sinne Mayer-Maly, Anm. zu BAG v. 13. 3. 1987, ZTR 1988, S. 61. BAG v. 13. 9. 1973, AP Nr. 2 zu§ 1 KSchG 1969.

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4. Kap.: Die personelle Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

malen Wortlautinterpretation, wie sie im Lehrerfall Ausdruck findet, auch ein "materieller Gerechtigkeitsgehalt" innewohnt, der hinter dem positiven Wortlaut steht und diesem "Sinn" verleiht; das BAG hätte dies überprüfen müssen, zumal das Bewußtsein für das Problem der Anwendbarkeit des KSchG auf die Nebenbeschäftigung vorhanden war. Diese Frage hätte dann zwangsläufig zu der Untersuchung führen müssen, ob nicht - wenn das KSchG den Schutz der wirtschaftlichen und sozialen Existenz bezwecken soll, sein Wortlaut aber das Bedürfnis nach wirtschaftlichem und sozialem Schutz gar nicht verlangt - der Wortlaut des KSchG aufgrund einer teleologischen Reduktion einzuschränken ist. Dies wäre nach dem Schutzzweckverständnis des BAG zu bejahen gewesen, wird im Lehrerfall jedoch nicht angenommen. So kommt es, daß der beamtete Lehrer auch ohne ein Bedürfnis nach wirtschaftlichem und sozialem Existenzschutz in seiner Nebenbeschäftigung dem Anwendungsbereich des allgemeinen Kündigungsschutzes ebenso unterstellt wird wie ein Arbeitnehmer, der dieses Schutzes dringend bedarf, ohne daß hierfür ein Grund angegeben wird. Dabei handelt es sich um eine grundlose Gleichbehandlung des Ungleichartigen und damit einen Wertungswiderspruch, den es bei der Auslegung von Nonnen gerade zu vermeiden gilt239. Lösungen dieses Widerspruchs hätten, wie ausgeführt, über eine teleologische Reduktion des Wortlauts oder aber die Aufgabe des Schutzzweckverständnisses bereitgestanden. Die aufgrund dieses Falles entstandenen Zweifel wurden in der Literatur erörtert. Soweit sich diese ablehnend gegenüber der Lehrerentscheidung verhält, wird doch zumeist von der Anwendbarkeit des KSchG stillschweigend oder explizit ausgegangen und die Lösung in einer Modifikation des Arbeitnehmerbegriffs240, der Zulässigkeil einer außerordentlichen Kündigung241 oder in der Herausnahme der abgesicherten Personen aus dem KSchG de lege ferenda 242 gesucht. Vom Standpunkt der Bestandsschutztheorie aus erscheint aber der Lösungsansatz Hahns konsequenter: Danach soll das Vorhandensein der sozialen Schutzbedürftigkeit und -Würdigkeit des Arbeitnehmers "ungeschriebene Voraussetzung für die Anwendbarkeit des KSchG" sein; Zweifel an deren Vorliegen sollen anzunehmen sein, wenn der Arbeitnehmer durch die Kündigung weder wirtschaftlich noch sozial gefährdet würde243• Diese "ungeschriebene Anwendungsvoraussetzung" könnte methodisch mit Hilfe der teleologischen Reduktion gerechtfertigt werden, so daß eine Kündigung dann nicht im Sinne des § 1 KSchG sozial ungerechtfertigt wäre, wenn der Arbeitnehmer nicht in der beschriebenen Weise durch die Kündigung gefährdet würde. Im Ergebnis wäre also der Anwendungsbereich des KSchG im genannten Sinne einzuschränken. Damit wäre die Problemlösung gerade unter ZuVgl.l..arenz/Canaris, Methodenlehre, S. 155. MünchArbR/ Berkowsky § 132 Rn 9; Beuthien/Wehler, RdA 1978, S. 2 (6); Adomeit, Arbeitsrecht ftir die 90er Jahre, S. 71. 241 Löwisch, Anm. zu BAG v. 13. 3. 1987, AR-B1attei (D) KündigungsschutzE 277. 242 Preis, Anm. zu BAG v. 13. 3. 1987, EzA § 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung Nr. 44. 243 Hahn, DB 1988, S. 1015 (1016). 239 240

B. Allgemeiner Kündigungsschutztrotz fehlenden Schutzbedürfnisses?

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grundelegung der Bestandsschutztheorie nicht in der Zulässigkeil der außerordentlichen Kündigung zu suchen oder auf die Rechtspolitik zu verlagern, sondern auf der Ebene der Anwendbarkeit des KSchG zu verorten. b) Nebenbeschäftigung und die Rechtsprechung zum Befristungsschutz

Diesen Aspekt hatte das BAG ursprünglich bei der Frage des Befristungsschutzes von Nebenbeschäftigungen implizit berücksichtigt und konsequent umgesetzt, indem es für die Befristung eines Nebenbeschäftigungsverhältnisses eines Lehrers die Tatsache des Nebenbeschäftigungscharakters als sachlichen Grund anerkannte und darauf verwies, daß der Lehrbeauftragte auf die Vergütung aus dieser Tatigkeit nicht angewiesen sei244. Freilich erging diese Entscheidung zu einer Zeit, da die Theorie der objektiven Gesetzesumgehung noch nicht endgültig durch das BAG formuliert war245 , denn sonst hätte die Begründung anders ausfallen müssen: Wo das KSchG wegen Fehlens des Schutzzwecks nicht anwendbar ist, kann es nicht objektiv umgangen werden, so daß die Befristungskontrolle insgesamt entfiele und nicht erst der Nebenbeschäftigungscharakter einen sachlichen Grund darstellte und der Befristungskontrolle standhielte. Dagegen liegt es in der Linie der Lehrerentscheidung, wenn das BAG nunmehr die Befristungskontrolle auch dann anwendet, wenn der Lebensunterhalt durch andere als Nebenbeschäftigungsverhältnisse gesichert ist246, so daß die wirtschaftliche und soziale Schutzbedürftigkeit für die Heranziehung der Befristungskontrolle nicht (mehr) erheblich ist. Gerade dieses Ergebnis steht jedoch in klarem Widerspruch nicht nur zu der Grundlage des Kündigungsschutzes, sondern zu der vom BAG einst bestimmten Grundlage der Befristungskontrolle selbst. Denn in der grundlegenden Entscheidung des Großen Senats vom 12. 10. 1960247 stellte das BAG fest: ,,Die wirtschaftlichen oder sozialen Verhältnisse der Parteien oder jedenfalls einer Partei müssen für die (Befristung der248 ) Verträge sprechen."249 Wenn also den wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen ein maßgeblicher Einfluß auf die Zulässigkeit der Befristung eingeräumt wird, dann kann nicht für die Befristungskontrolle heute dahingestellt bleiben, wie es um die soziale Schutzbedürftigkeit bei der Nebenbeschäftigung bestellt ist250. Wollte man die aktuelle Rechtsprechung des BAG zur obligatorischen Befristungskontrolle von Nebenbeschäftigungen aufrechterhalten, so könnte dies nur unter BAG v. 16. 12. 1957, AP Nr. 3 zu§ 611 BGB Lehrer, Dozenten. Dies geschah erst in BAG (GS) v. 12. 10. 1960, BAGE 10, S. 65 (72). 246 BAG v. 10. 8. 1994, NZA 1995, S. 30. 247 BAGE 10, S. 65 (71). 248 Eingefügt vom Verf. 249 So noch heute z. B. KR/ Lipke § 620 BGB Rn 126, 142; auch BAG v. 3. 7. 1970, AP Nr. 33 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag. 250 So aber dennoch BAG v. 10. 8. 1994, NZA 1995, S. 30 f. 244

245

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4. Kap.: Die personelle Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

Aufgabe jener Grundlage der Befristungskontrolle geschehen. Damit aber würde im Ergebnis die auf eben diesem wirtschaftlichen und sozialen Grund ruhende Rechtsprechung zur Befristungskontrolle aufgegeben. Wollte man dagegen - umgekehrt - die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse als eine Grundlage der Befristungskontrolle unangetastet lassen, so wäre dies nur möglich, wenn man für die Anwendbarkeit der Befristungskontrolle bei Nebenbeschäftigungen auf eine anderweitige Existenzsicherung Rücksicht nähme und deshalb in dieser Fallgestaltung auf die Befristungskontrolle völlig verzichtete. Ein solcher Verzicht ist aber gerade nach positivem Recht nicht mehr zulässig, denn nunmehr unterstellt§ 14 Abs. 1 S. 1 TzBfG jedes Arbeitsverhältnis der Befristungskontrolle unabhängig davon, ob es ein Nebenarbeitsverhältnis darstellt oder nicht. Vor dem Hintergrund der soeben gewonnenen Erkenntnisse kann man den Befristungsschutz also nicht mehr als einen Schutz vor Umgehung eines die wirtschaftlich-soziale Existenzsicherung bezweckenden Kündigungsschutzes auffassen. Ware der Befristungsschutz dies, dann wäre nicht erklärbar, warum er auch bei Nebentätigkeitsarbeitsverhältnissen eingreift, obwohl hier doch mangels wirtschaftlich-sozialer Angewiesenheit auf den Arbeitsplatz ein Kündigungsschutz, der die wirtschaftlich-soziale Existenzsicherung bezweckt, nicht zu gewähren und damit nicht umgehungfähig wäre. Wenn aber der Befristungsschutz nach § 14 Abs. 1 S. 1 TzBfG gerade unabhängig von wirtschaftlich-sozialer Angewiesenheit auf den Arbeitsplatz gewährt wird, dann kann er schwerlich als Schutz vor Umgehung eines auf wirtschaftlich-soziale Existenzsicherung gerichteten Kündigungsschutzes verstanden werden, weil auch der wirtschaftlich und sozial abgesicherte Arbeitnehmer in den Genuß des Befristungsschutzes kommt, dagegen der wirtschaftlich und sozial schutzbedürftige Arbeitnehmerähnliche davon ausgeschlossen bleibt. Selbst wenn man in der Nebenbeschäftigung einen die Befristung sachlich rechtfertigenden, in der Person des Arbeitnehmers liegenden Grund im Sinne des § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 TzBfG sähe, dann änderte dies nichts daran, daß die Befristungskontrolle immer noch Anwendung findet und lediglich - auf einer nächsten Stufe - sachlich gerechtfertigt ist; erblickt man die Grundlage des Befristungsschutzes aber im Schutz vor der Umgehung eines auf wirtschaftlich-soziale Existenzsicherung gerichteten Kündigungsschutzes, so entfällt im Fall des wirtschaftlich und sozial abgesicherten Arbeitnehmers bereits das Bedürfnis für die Anwendung des Befristungsschutzes und ist nicht erst - auf einer nächsten Stufe ein sachlicher Grund für die Befristung gegeben. Wie man sich auch wendet, niemals ist zu begründen, warum eine im Nebenarbeitsverhältnis tätige Person Befristungsschutz erhält, wenn man ihn als Schutz vor Umgehung eines die wirtschaftlich-soziale Existenzsicherung bezweckenden Kündigungsschutzes begreift. Die These vom Befristungsschutz als Schutz vor Umgehung eines die wirtschaftlichsoziale Lebensgrundlage sichemden Kündigungsschutzes läßt sich also insbesondere angesichts der gesetzlichen Regelung des § 14 Abs. l S. 1 TzBfG, der nach wirtschaftlich-sozialer Abgesichertheit gerade nicht differenziert, nicht mehr aufrechterhalten. Daß nach dem Wortlaut dieser Norm Arbeitnehmer unabhängig von

B. Allgemeiner Kündigungsschutztrotz fehlenden Schutzbedürfnisses?

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einem Bedürfnis nach wirtschaftlich-sozialer Existenzsicherung geschützt sind und arbeitnehmerähnliche Personen auch bei einem Bedürfnis nach wirtschaftlich-sozialer Existenzsicherung nicht geschützt sind, führt unweigerlich zu einem Wertungswiderspruch, wenn man im allgemeinen Kündigungsschutz mit der Bestandsschutztheorie den Schutz der wirtschaftlich-sozialen Existenzgrundlage und im Befristungsschutz den Schutz vor seiner objektiven Umgehung erblickt. Dieser Wertungswiderspruch zwingt zur Ablehung der Bestandsschutztheorie. Wer dem Wortlaut des§ 14 Abs. 1 S. 1 TzBfG und (wie z. B. das BAG im Lehrerfall) des§ 1 Abs. 1 KSchG folgt, wonach nur Arbeitnehmer, aber auch alle Arbeitnehmer vom Schutz erfaßt sind, muß zum Ausschluß von Wertungswiderspriichen die Bestandsschutztheorie aufgeben. c) Status quo als Schutzgut des allgemeinen Kündigungsschutzes?

Diesem Urteil verfallen ebenfalls die Stimmen in der Literatur, die diese Rechtsprechung stützen251 . Damit wird auch am Beispiel der Befristungskontrolle deutlich, daß der wirtschaftliche und soziale Exsistenzschutz als ratio des KSchG bei wortlautgebundener Anwendung des KSchG zu seiner eigenen Widerlegung führen muß. Dem kann auch mit den Annahmen Enderleins nicht begegnet werden. Er verneint die freie Beendigungsmöglichkeit von Nebenbeschäftigungen wegen fehlenden Bedürfnisses nach Unterhaltssicherung und Existenzschutz mit dem Verweis darauf, daß der Gesetzgeber für Nebenbeschäftigungen keine Ausnahmeregelung im KSchG getroffen habe; ferner müsse man den "Existenzschutz durch das Kündigungsschutzrecht nicht auf einen Schutz vor dem völligen Entzug der Lebensgrundlage reduzieren", vielmehr erfasse er "auch den Schutz der Grundlagen für die gewohnte Lebensführung" 252• Freilich muß auch hier eingeräumt werden, daß Nebenbeschäftigungsverhältnisse ebenso vom Wortlaut urnfaßt sind wie Vollzeitarbeitsverhältnisse. Aber ebenso klar ist, daß, wenn man auf diesen Wortlaut abstellen muß, die These, der Kündigungsschutz diene dem Schutz vor Verlust der wirtschaftlichen und sozialen Existenzgrundlage, nicht mehr aufrechterhalten werden kann, weil das KSchG nach dem Kriterium der Bedürftigkeit dieses Schutzes gerade nicht unterscheidet. Indem Endedein nun unter "Existenzschutz" den Schutz der Grundlagen für die "gewohnte Lebensführung" faßt, versucht er, die Vereinbarkeil der Bestandsschutztheorie mit dem auch die Nebenbeschäftigung umfassenden Wortlaut des KSchG zu retten. Doch sind "Existenzschutz" und "Schutz der gewohnten Lebensführung" bereits nach allgemein-sprachlichem Verständnis zweierlei. Aber auch in sachlicher Hinsicht vermag die Position Enderleins nicht zu überzeugen: Für den Existenzschutz wird in den meisten Fällen weniger erforderlich sein als für den Schutz der gewohnten Lebensführung. Dies gilt 251 KR I Lipke § 620 BGB Rn 95, 174a; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 43 Rn 6; APS I Backhaus § 620 BGB Rn 420. 252

Enderlein, RdA 1998, S. 90 (I 03) - Hervorhebung im Original.

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4. Kap.: Die personelle Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

jedenfalls dann, wenn der Arbeitnehmer durch ein Hauptarbeitsverhältnis sowohl wirtschaftlich als auch sozial abgesichert ist. Soll der Kündigungsschutz den Schutz des status quo bezwecken, so daß er auch das Nebenarbeitsverhältnis einschließt, das für die wirtschaftlich-soziale Existenzsicherung gerade nicht erforderlich ist, dann kann der Sinn des Kündigungsschutzes nicht mehr ernsthaft im Schutz eben der wirtschaftlich-sozialen Existenz gesehen werden. Angesichts der Tatsache, daß Kündigungsschutz die Arbeitsplatzverteilung verfestigt und damit die nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Zugangschancen der Arbeitsuchenden beeinträchtigt, muß die Ansicht, der Kündigungsschutz sichere den status quo der Arbeitnehmer, geradezu als gruppenegoistischer Zynismus erscheinen: Derstatus quo der beati possidentei53 wird gegen Verschlechterungen um den Preis der Verringerung der Zugangschancen Arbeitsuchender abgeschottet, denen das tautologische Argument genannt wird, ein solcher status quo verdiene den Schutz des allgemeinen Kündigungsschutzes. Damit ist als Ergebnis festzuhalten, daß sich eine Sichtweise wie die des BVerfG im ersten Kleinbetriebsbeschluß, daß der allgemeine Kündigungsschutz den Schutz der wirtschaftlichen und sozialen Existenzgrundlage des Arbeitnehmers bezwecke, nicht mit der Tatsache vereinbaren läßt, daß auch Nebenbeschäftigungsverhältnisse dem Wortlaut des KSchG unterfallen. Hierin liegt wiederum eine Inkongruenz zwischen dem nach der Bestandsschutztheorie prognostizierten und dem nach dem Wortlaut des Gesetzes bemessenen Anwendungsbereich des KSchG. Entgegengesetzt zu dem Ergebnis der Problematik der arbeitnehmerähnlichen Personen müßte im Fall der Nebenbeschäftigung der Anwendungsbereich des KSchG nach der Bestandsschutztheorie enger sein, als er es nach positivem Recht ist. Dies wird jedoch weder von der Rechtsprechung noch von anderen Befiirwortem der Bestandsschutztheorie vertreten. Insofern befinden diese sich im Widerspruch zu ihrer eigenen Theorie, ohne die Abweichung zu erklären oder gar zu rechtfertigen. Dies ist ein Gesichtspunkt mehr, der zur Ablehnung der Bestandsschutztheorie Anlaß gibt.

2. Doppelverdienst und Vermögenssituation des Arbeitnehmers als Kriterien der Sozialauswahl Unter diesem Gesichtspunkt ist auch die von Rechtsprechung und Literatur vorgenommene Einordnung der Problematik um die Rolle des Doppelverdienstes und des Vermögenssituation des Arbeitnehmers nicht schlüssig. Dabei ist zunächst zweifelhaft, ob die Berücksichtigungsfähigkeit des Doppelverdienstes überhaupt den Wertungen des geltenden Rechts entspricht. Verfassungsrechtliche Bedenken ergeben sich aus Art. 6 Abs. I GG, weil sich die Berücksichtigungsfähigkeit bei gleicher wirtschaftlicher Ausgangslage zwar zulasten eines verheirateten, aber nicht zulasten eines in nichtehelicher Lebensgemeinschaft 253

Lieb, FS Hilger/Stumpf, S. 409 (424).

B. Allgemeiner Kündigungsschutz trotz fehlenden Schutzbedürfnisses?

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lebenden Arbeitnehmers auswirkte und die Ehe so diskriminiert würde. Doch auch auf einfachrechtlicher Ebene gerät diese Sichtweise mit gesetzlichen Wertungen in Konflikt: Wenn die Befürworter der Berücksichtigungsfähigkeit des Doppelverdienstes die Möglichkeit anerkennen, daß ein Arbeitnehmer auf das Einkommen und die Unterhaltsleistungen beispielsweise seines Ehepartners verwiesen wird und deshalb auf sein Arbeitseinkommen vorrangig vor anderen Arbeitnehmern zu verzichten hat, dann liegt dem die Betrachtung zugrunde, daß die Unterhaltsleistungen als Substitut für das Arbeitseinkommen fungieren; umgekehrt kann daraus auf eine Sichtweise vom Arbeitseinkommen als Mittel des Unterhalts geschlossen werden. Im Ergebnis wäre bei Berücksichtigungsfähigkeit von Unterhaltsansprüchen das Arbeitseinkommen subsidiär im Verhältnis zu den Unterhaltsleistungen des Ehegatten: Erst wenn der Arbeitnehmer diese nicht erhält, ist er in der Sozialauswahl bessergestellt und hat er die Aussicht, sein Arbeitseinkommen weiter zu erhalten. Aufgrund familienrechtlicher Wertungen verhält es sich jedoch genau entgegengesetzt: Die§§ 1360, 1361 254 (vgl. dessen Abs. 2) und 1577 BGB zeigen, daß die Unterhaltsleistungen selbst susidiär zum Arbeitseinkommen des Ehegatten sind; damit ist es gerade unvereinbar, das Arbeitseinkommen im Kündigungsschutzprozeß als subsidiär gegenüber den Unterhaltsleistungen des anderen Ehegatten einzustufen, indem der Arbeitnehmer darauf verwiesen wird, seine materielle Existenzsicherung durch die Unterhaltsleistungen des Ehegatten substituieren zu können. Hinzu kommt, daß in einer Ehe niemals nur ein Ehegatte allein Unterhalt leistet; nach§ 1360 BGB sind es immer beide, wenngleich nicht zwingend jeweils mit ihrem vollen Einkommen; eine Berücksichtigungsfähigkeit des Ehegatteneinkommens zum Nachteil des zu kündigenden Arbeitnehmers würde damit zwangsläufig zu einer Erhöhung der Unterhaltspflicht des Ehegatten führen und sich für diesen auch dann, wenn er sie durch sein Einkommen voll zu erfüllen imstande wäre, als rechtlicher Nachteil auswirken, da er damit über den bis dahin nicht zum Unterhalt erforderlichen, "freien" Teil seines Einkommens nicht mehr frei disponieren könnte. Diese Nachteile einer "Kündigung zulasten Dritter" werden vermieden, wenn man mit der Gegenansicht die Berücksichtigungsfähigkeit des Doppelverdienstes ablehnt. Für alle zur Frage der Berücksichtigungsfähigkeit von Doppelverdienst und Vermögenssituation vertretenen Auffassungen - gleich, ob Befürworter oder Gegner, mithin auch die Vertreter der Bestandsschutztheorie - ist jedoch kennzeichnend, daß diese Probleme ausschließlich als solche der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG angesehen werden: Jene, die Doppelverdienst und Vermögen des Arbeitnehmers für beachtlich halten, geben, soweit überhaupt eine Begründung genannt wird, an, das "Prinzip des Angewiesenseins auf den Arbeitsplatz" gebiete die Berücksichtigungsfähigkeit255 • Doch bei der Formel vom "Prinzip des Angewiesenseins auf den Arbeitsplatz" 254 255

Jauemig/Teichmann §§ 1360-1361 Rn 1, 5. Vgl. v.a. Berkowsky, Die betriebsbedingte Kündigung,§ 8 Rn 131 f., 136.

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4. Kap.: Die personelle Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

handelt es sich lediglich um eine Umformulierung des Bedürfnisses nach Existenzschutz, was deutlich wird, wenn gefragt wird, worin die Angewiesenheil auf den Arbeitsplatz bestehen kann. Als Antwort liegt die besondere wirtschaftliche und soziale Bedeutung des Arbeitsplatzes für die Lebensführung des Arbeitnehmers auf der Hand. So soll nach der Bestandsschutztheorie der Kündigungsschutz dem Schutz des Arbeitsplatzes dienen, weil der Arbeitnehmer auf dessen möglichst weitgehenden Erhalt wirtschaftlich und sozial angewiesen ist. Das nach Berkowsky bei der Sozialauswahl geltende "Prinzip des Angewiesenseins auf den Arbeitsplatz" fällt daher mit dem von der Bestandsschutztheorie angenommenen Schutzzweck des KSchG insgesamt. Zusammen damit wird die Berücksichtigungsfähigkeit von Doppelverdienst und Vermögenssituation der Sache nach mit dem Bedürfnis nach wirtschaftlichem und sozialem Bestandsschutz des Arbeitsverhältnisses begründet, mit denjenigen Annahmen also die für den Zweck des KSchG insgesamt gehalten werden, und dies auf der Ebene der Sozialauswahl, nicht auf der Ebene der Anwendbarkeit des KSchG. Doch auch jene, die die Berücksichtigungsfähigkeit von Doppelverdienst und Vermögenssituation verneinen, erörtern das Problem ebenfalls auf der Stufe der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG. Damit unterstellen beide Ansichten implizit die grundsätzliche Anwendbarkeit des KSchG. Sie gehen mithin davon aus, daß es zu kündigende Arbeitnehmer geben kann, die - sei es durch ein entsprechend hohes Einkommen des Ehegatten, sei es aufgrund eines ausreichenden eigenen Vermögens - im Fall einer Kündigung in ihrer wirtschaftlichen Existenzgrundlage ausreichend abgesichert sind und die doch prinzipiell dem Anwendungsbereich des KSchG unterfallen. Wenn nämlich der "Lottogewinner mit einem Millionenvermögen" im Rahmen der Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG weniger schutzbedürftig sein soll als ein vermögender Arbeitnehmer256, dann setzt diese Einordnung des Problems denknotwendig voraus, daß auch gegenüber einem solchen "Lottogewinner" die Kündigung als betriebsbedingte zunächst überhaupt der sozialen Rechtfertigung im Sinne von§ 1 Abs. 1, 2 KSchG bedarf, daß also eine in dieser Weise abgesicherte Person dem Anwendungsbereich des KSchG unterfällt Wenn aber das Wesen des Kündigungsschutzes im wirtschaftlichen und sozialen Existenzschutz gesehen wird, dann ist mehr als fraglich, warum der ,,Lottogewinner mit einem Millionenvermögen" überhaupt in den Schutzbereich des KSchG fallen soll, obgleich er diesen Schutz doch kaum nötig hätte. Die Parallele zur Frage der Anwendbarkeit des KSchG auf Nebenbeschäftigungsverhältnisse ist offenkundig. Wie dort, so müßte auch hier vom Standpunkt der Bestandsschutztheorie aus eine teleologische Reduktion bereits des Anwendungbereichs des KSchG befürwortet werden. Denn wenn das KSchG den Schutz der materiellen Existenzgrundlage tatsächlich bezweckte, wäre nicht einzusehen, weswegen auch der ,,Lottogewinner" oder jeder andere materiell abgesicherte Arbeitnehmer vom Schutz durch das KSchG erlaßt sein sollte. Eine Proble256

Berkowsky, Die betriebsbedingte Kündigung, § 8 Rn 136.

C. Die personelle Reichweite des KSchG

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matisierung der Frage der Anwendbarkeit ist jedoch nicht erkennbar, weswegen auch eine teleologischen Reduktion des Anwendungsbereiches des KSchG, wie sie von der Warte des Bestandsschutztheorie einzig konsequent wäre, nirgends erwogen wird. Zwar mag der möglichst weitgehende Erhalt der materiellen Existenzgrundlage für denjenigen Arbeitnehmer, der des Erhalts am meisten bedarf, Schutzzweck der sozialen Auswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG sein. Aber gerade die Bejahung dieses Satzes schließt es aus, in diesem Schutzzweck gleichzeitig den Schutzzweck des KSchG an sich zu sehen. Denn bei Erklärung des KSchG aus dem Schutzzweck des Bestandsschutzes könnte es niemals zur Beurteilung der sozialen Schutzwürdigkeit nach § I Abs. 3 KSchG kommen, weil die anders als durch das Arbeitsverhältnis abgesicherten Arbeitnehmer bereits aus dem Anwendungsbereich des KSchG auszuscheiden hätten.

C. Die personelle Reichweite des KSchG nach den Theorien zum allgemeinen Kündigungsschutz In den vorangegangenen Abschnitten wurde deutlich, daß die Bestandsschutztheorie nicht mit den persönlichen Grenzen des geltenden Kündigungsschutzrechts übereinstimmt. Einerseits wurde nach dem Vorbild des ersten Kleinbetriebsbeschlusses ein - wenn auch im Vergleich zu § 1 KSchG minderer - allgemeiner materieller Kündigungsschutz auf Personen ausgedehnt, die nicht dem KSchG unterfallen, weil sie der Arbeitnehmereigenschaft entbehren257 ; dies wurde mit dem von der Bestandsschutztheorie so verstandenen Zweck des Kündigungsschutzes als Schutz der wirtschaftlichen und sozialen Existenzgrundlage begründet. Im Widerspruch dazu wurde ein Schutz nach § 1 KSchG auch solchen Personen zuerkannt, die nach dem Verständnis der Bestandsschutztheorie eines allgemeinen Kündigungsschutzes gar nicht bedürften258 ; dies wurde aber nicht mit dem Schutzzweck, sondern mit dem Wortlaut des KSchG begründet. Berief man sich im ersten Fall auf den Schutzzweck des allgemeinen Kündigungsschutzes unter Außerachtlassen des Wortlauts, der eine Bindung der Kündigung an die Angabe, das Vorliegen und/ oder die Überprüfbarkeit von Gründen weder bei arbeitnehmerähnlichen Personen noch bei Arbeitnehmern im Kleinbetrieb vorsieht, so beschritt man im zweiten Fall den entgegengesetzten Weg, indem man "angesichts der insoweit eindeutigen Gesetzeslage"259 dem Wortlaut des KSchG folgte und auch Arbeitnehmer in ihrer Nebenbeschäftigung dem Schutz des KSchG unterstellte, während eine Schutzzweckbetrachtung unterblieb, die hier zu dem Ergebnis hätte führen müssen, daß der Anwendungsbereich des KSchG teleologisch zu reduzieren gewesen wäre. Der gelegentlich erhobene Vorwurf einer "Einbahn257 258 259

s. o. Kap. 4 A I 2 c bb. s. o. Kap. 4 B I. BAG v. 13. 3. 1987, AP Nr. 3 zu§ 611 BGB Lehrer, Dozenten (Lehrerfall).

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4. Kap.: Die personelle Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

straße des Arbeitsrechts"260 besitzt hier volle Berechtigung: Aufgrund einer Schutzzweckargumentation werden die Schutzrechte der Beschäftigten ausgeweitet, während man sich dort, wo nach gleichem Maßstab eine Einschränkung geboten wäre, auf Argumente bezieht, die zu der eigenen Argumentation in Widerspruch stehen, um einer Verkürzung von Schutzrechten zu entgehen. Nach dieser Vorgehensweise kann Kündigungsschutz nur ausgeweitet werden. Kann also die Bestandsschutztheorie den allgemeinen Kündigungsschutz nicht schlüssig erklären, weil sie zu anderen Ergebnissen gelangt, als der Gegenstand der Erklärung, das KSchG, dies vorsieht, dann fragt sich, ob eine andere Theorie des allgemeinen Kündigungsschutzes dies vermag. Unter diesem Gesichtspunkt sind die zur Theorie des Kündigungsschutzes vertretenen Auffassungen zu überpriifen. Die Anforderung an eine stichhaltige Theorie ergeben sich aus dem Gesetz. Danach muß in jedem Fall mindestens beachtet werden, daß das KSchG einen allgemeinen Kündigungsschutz zunächst nur für Arbeitnehmer vorsieht. Eine Theorie, die den Anspruch erhebt, den allgemeinen Kündigungsschutz schlüssig zu erklären, muß folglich begrunden können, warum dieser nur auf Arbeitnehmer, aber eben auch auf alle Arbeitnehmer (die die Bedingungen der §§ 1 Abs. 1 und 23 Abs. 1. S. 2 KSchG erfüllen) anwendbar und anzuwenden ist. Nach dem Muster der Untersuchung in den beiden vorangegangenen Abschnitten läßt sich diese Anforderung auf zwei Teilanforderungen konkretisieren: So muß die Theorie erstens eine Antwort darauf geben können, warum etwa die arbeitnehmerähnlichen Personen im allgemeinen sowie die arbeitnehmerähnlichen Personen jeweils in ihren besonderen Erscheinungsformen nach dem positiven KSchG keinen allgemeinen Kündigungsschutz im Sinne einer Bindung der Kündigung an (die Angabe, das Vorliegen und/ oder die Überpriifung von) Griinde(n) vorsieht; zweitens, warum für Personen, deren Existenz, wie beispielsweise der in Nebenbschäftigungsverhältnissen tätigen oder vermögenden Personen, anderweitig abgesichert ist, dagegen ein allgemeiner Kündigungsschutz vorgesehen ist.

I. Kündigungsschutz als Schutz der Betriebszugehörigkeit Was die Sichtweise vom Kündigungsschutz als Schutz der Betriebszugehörigkeit angeht, so genügt sie der ersten dieser beiden Teilanforderungen, weil aus ihr hervorgeht, warum nur Arbeitnehmer Kündigungsschutz genießen, nicht aber etwa arbeitnehmerähnliche Personen. Dies leuchtet bereits unmittelbar ein, wenn man bedenkt, daß der allgemeine Kündigungsschutz nach § 1 Abs. 1 KSchG von der Betriebszugehörigkeit abhängt. Zu demselben Ergebnis gelangt man, wenn man, der Eingliederungstheorie folgend, für die Arbeitnehmereigenschaft die Einordnung in eine fremde arbeitsteilige Organisation, den Betrieb des Arbeitgebers, als 260

Vgl. Adomeit, Arbeitsrecht für die 90er Jahre, S. 68 (70).

C. Die personelle Reichweite des KSchG

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konstitutives Merkmal betrachtet261 , denn des Schutzes seiner Betriebszugehörigkeit durch den allgemeinen Kündigungsschutz bedarf naturgemäß nur, wer in einem Betrieb beschäftigt ist, mithin im Sinne der Eingliederungstheorie nur - aber auch alle - Arbeitnehmer, nicht aber die nicht in eine fremde Arbeitsorganisation eingegliederten freien Mitarbeiter bzw. arbeitnehmerähnlichen Personen. Schließlich ist auch noch nach heutigem Verständnis die Eingliederung in den Betrieb ein gewichtiges Kriterium, das in Abgrenzung zur arbeitnehmerähnlichen Person für die Annahme der Arbeitnehmereigenschaft spricht262, so daß nach dieser Auffassung die arbeitnehmerähnlichen Personen, insbesondere Außendienstmitarbeiter, mangels Eingliederung in den Betrieb per se keine wie ein "Heimatrecht" zu schützende Betriebszugehörigkeit entwickeln können, womit erklärt wäre, warum arbeitnehmerähnliche Personen keinen allgemeinen Kündigungsschutz beanspruchen können. Mit dem Gedanken des Betriebszugehörigkeitsschutzes läßt sich ebensogut das Erfordernis der sechsmonatigen Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG herleiten. Dieses Erfordenis kann nämlich damit begründet werden, daß eine Betriebszugehörigkeit, aus der soziale Bindungen von einer gewissen Festigkeit resultieren und die so die Bedeutung eines "Heimatrechts im Betrieb" gewonnen hat, nicht bereits am ersten Arbeitstag entsteht; vielmehr ergeben sich die schutzwürdigen intensiven persönlichen Beziehungen, die der Arbeitnehmer im "sozialen Organismus" Betrieb263 entwickelt, erst nach einem gewissen Zeitablauf. Dennoch paßt in dieses Konzept nicht hinein, daß es gern. § l Abs. 1 KSchG für den Lauf der Wartezeit nicht auf die tatsächliche Beschäftigung ankommt, sondern allein auf den rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses, so daß eine tatsächliche Beschäftigung, bei der allein soziale Bindungen der beschriebenen Art entstehen können, gar nicht erforderlich ist. Fragt man allerdings, ob diese Theorie mit der zweiten Anforderung harmoniert, nach der zu erklären ist, warum alle Arbeitnehmer eines Betriebs - freilich mit Ausnahme derer, die die Anforderungen der §§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 S. 2 KSchG nicht erfüllen - sich auf das KSchG berufen können, so ist die Antwort negativ. Denn die Theorie scheitert an der Tatsache, daß nach § 1 KSchG auch Nebenbeschäftigungsverhältnisse allgemeinen Kündigungsschutz erhalten. Für diese ist jedoch charakteristisch, daß ein Hauptarbeits- (oder -beamten-) Verhältnis besteht, das nicht nur die Grundlage der wirtschaftlichen Existenz darstellt, sondern in das der Arbeitnehmer auch den größten Teil seiner Arbeitskraft und Arbeitszeit investiert. Die festeren soziale Beziehungen werden daher in dem Hauptbeschäftigungsbetrieb entstehen. Gerade in dem Arbeitsverhältnis, auf das der Arbeitnehmer auch wirtschaftlich angewiesen ist, wird er am nachhaltigsten versuchen, mit Kollegen und Vorgesetzten zurechtzukommen und so dort seinen sozialen Schwer261 262 263

Nikisch, Arbeitsrecht I, S. 91 f. KR/ Rost, Arbeitnehmerähnliche Personen Rn 16m. w. N. Vgl. Herschel, BB 1977, S. 708 (709).

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4. Kap.: Die personelle Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

punkt bilden. Folglich befindet sich seine "betriebliche Heimat" eben nicht in dem Betrieb, in dem der Arbeitnehmer in nur geringem zeitlichem Umfang seiner Nebenbeschäftigung nachgeht, sondern in dem Betrieb der Hauptbeschäftigung, in dem sich weitaus engere persönliche Beziehungen herausbilden, die zu der zu schützenden, schließlich in einem "Heimatrecht'" resultierenden Betriebszugehörigkeit führen können. Wenn auch einzuräumen ist, daß starke persönliche Bindungen im Nebenbeschäftigungsbetrieb nicht notwendig gänzlich unterbleiben, so darf dennoch nicht verkannt werden, daß die Herausbildung sozialer Beziehungen im Hauptbeschäftigungsbetrieb von ungleich stärkerer Intensität sein wird, das Hauptbeschäftigungsverhältnis daher stets eines stärkeren Schutzes bedarf als das Nebenbeschäftigungsverhältnis. Wenn demgegenüber das KSchG beide Arbeitsverhältnisse gleichermaßen und in gleicher Intensität schützt, so läge darin nach dieser Theorie eine grundlose Gleichbehandlung des wesentlich Ungleichartigen. Unter diesem Aspekt gelangt auch die Theorie vom Schutz der Betriebszugehörigkeit zu einem wertungswidersprüchlichen Ergebnis, und kann somit nur eine unzureichende Erklärung für den Untersuchungsgegenstand darstellen.

II. Kündigungsschutz als Schutz vor Arbeitnehmerwettbewerb Den eingangs aufgestellten Kriterien genügt die Theorie vom Kündigungsschutz als Schutz vor Arbeitnehmerwettbewerb 264 ebenfalls nicht. Kernanliegen des Kündigungsschutzes ist danach die Verhinderung ruinösen Unterbietungswettbewerbs265. Auf dem auch zur Kritik der Bestandsschutztheorie beschrittenen Weg muß auch hier gefragt werden, ob dieses Schutzanliegen mit den Grenzen der personellen Reichweite des KSchG übereinstimmt. Dies muß jedoch verneint werden. Denn bei dem Bedürfnis nach Verhinderung eines Unterbietungswettbewerbs handelt es sich nicht um ein arbeitnehmerspezifisches Bedürfnis. Es kann vielmehr unabhängig von der Arbeitnehmereigenschaft bestehen, denn es bieten z. B. auch die arbeitnehmerähnlichen Personen ihre Dienst- und Werkleistungen wie eine "Arbeitskraft" auf einem Markt an, auf dem sie dem Gesetz von Angebot und Nachfrage unterworfen sind und prinzipiell ebenfalls - wie Arbeitnehmer - genötigt sein können, sich ihre Vertragsbindungen durch "ruinöses Unterbieten" unter Durchsetzung gegen die Konkurrenz "erkaufen" zu müssen; da sie somit ebenso schutzbedürftig sind Uedenfalls aber grundsätzlich es sein können), läge dem KSchG ein Wertungswiderspruch zugrunde, wenn man ihnen bei gleicher Schutzwürdigkeit einen allgemeinen Kündigungsschutz vorenthielte, weil sie keine Arbeitnehmer sind. Eine Auslegung, die zu einem Wertungswiderspruch führt, ist aber abzulehnen266. In Umkehrung dazu kann die Gefahr eines ruinösen Unterbie264 265 266

s. o. Kap. 1 F. Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn 1017 ff. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 155.

C. Die personelle Reichweite des KSchG

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tungswettbewerbs bei stark nachgefragten, weil etwa hochqualifizierten und -spezialisierten Arbeitskräften gering sein oder sogar fehlen (man denke beispielsweise an Spezialisten der IT-Branche), auch wenn sie im arbeitsrechtlichen Sinn Arbeitnehmer sind267 , so daß wiederum fraglich wäre, warum solchen Personen nach § 1 KSchG dennoch ein als Schutz vor ruinösem Unterbietungswettbewerb verstandener allgemeiner Kündigungsschutz zugutekommen sollte. Im Ergebnis bedeutete eine solchermaßen definierte Funktion des allgemeinen Kündigungsschutzes, daß dieser zum einen stets in Reaktion auf die allgemeine Situation auf dem Arbeitsmarkt zu bestimmen wäre, und zum anderen von der konkreten persönlichen Marktposition eines Kündigungskandidaten abhinge. Ein arbeitsmarktabhängiger Kündigungsschutz kann jedoch wenigstens im Blick auf ein Bedürfnis nach Rechtssicherheit weder im Interesse der Arbeitgeber noch der Arbeinehmer liegen. Auch der Einwand, dem KSchG liege insoweit eine generalisierende Betrachtung zugrunde, kann zu keinem anderen Ergebnis führen, denn gerade bei generalisierender Betrachtung wären die typischerweise ebenso marktabhängigen arbeitnehmerähnlichen Personen in das KSchG einzubeziehen. Jedenfalls aber ist eine Begründung dieser Theorie dafür, warum Kündigungsschutz nur für Arbeitnehmer im spezifisch arbeitsrechtlichen Sinne gilt, nicht gegeben, noch läßt sich ohne weiteres aus der Idee der Verhinderung von Unterbietungswettbewerb eine solche Beschränkung ableiten. Diese Theorie ist damit, ebenso wie die Bestandsschutztheorie, der Kritik der mangelnden Kongruenz mit dem von ihr zu erklärenden Phänomen, dem allgemeinen Kündigungsschutz, ausgesetzt.

111. Kündigungsschutz als Vertragsdurchsetzung Diese Kritik kann auch der Anschauung, nach der der allgemeine Kündigungsschutz als Vertragsdurchsetzung fungiert, nicht erspart bleiben. Grund dafür ist die Tatsache, daß es sich bei dem Bedürfnis nach Vertragsdurchsetzung und Verhinderung der Gefahr, durch die Möglichkeit einseitiger Vertragsbeendigung zu überobligationsmäßigem Verhalten genötigt zu sein, nicht um ein arbeitnehmerspezifisches Bedürfnis handelt. Dem scheint die Begründung zu widersprechen, die Dorndorf für die Funktion des Kündigungsschutzes als Durchsetzung des Arbeitsvertrags angibt: Die Regeln der Vertragsdurchsetzung wiesen im Arbeitsrecht im Vergleich zum allgemeinen Leistungsstörungsrecht erhebliche Besonderheiten auf; diese bestünden u. a. in der Vollstreckungsproblematik der Erfüllungsklage (§ 888 Abs. 2 ZPO) sowie in den Sonderregeln über die Haftung im Arbeitsverhältnis, die den Schadensersatzanspruch als Leistungsstörungsinstitut modifizierten; wichtigster Rechtsbehelf im arbeitsvertragliehen Leistungsstörungsrecht sei damit die 267 Denn eine fachliche Weisungsgebundenheit wird für die Bejahung der Arbeitnehmereigenschaft gerade nicht verlangt; vgl. Staudinger I Richardi, Vorbem zu §§ 611 ff. Rn 145 m.w. N.

12 Stelljes

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4. Kap.: Die personelle Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

Kündigung268 • Bei fehlendem Kündigungsschutz resultiere aus einer jederzeit drohenden Kündigung die Gefahr der Nötigung des Arbeitnehmers zu Überobligationsmäßigern Verhalten 269, der der Kündigungsschutz entgegenzuwirken bestimmt sei. Damit liegt die Annahme nahe, daß der Kündigungsschutz als Vertragsdurchsetzung nur dort nötig sei, wo die genannten arbeitsrechtlichen Besonderheiten gelten, die die Bedeutung der Kündigung und eines entsprechenden Schutzes ausmachen, mithin im Arbeitsrecht als dem Sonderrecht der Arbeitnehmer. Doch in Wirklichkeit ist das Bedürfnis nach Vertragsdurchsetzung kein arbeitnehmerspezifisches Phänomen. Es besteht vielmehr bei allen Dauerschuldverhältnissen, die von einer Partei einseitig für die Zukunft beendet werden können und bei denen die andere Partei deshalb ein besonders großes Interesse am Fortbestand der Vertragsbeziehung hat, weil ihr im Falle der Vertagsbeendigung deutlich höhere (wirtschaftliche, soziale oder ideelle) Nachteile entstehen als der Partei, die den Vertrag beendet. Es kommt für das Bedürfnis nach Vertragsdurchsetzungsschutz allein darauf an, daß die eine Partei über die einseitige Beendigungsmöglichkeit bei relativ geringen Beendigungskosten verfügt; für dieses Bedürfnis ist dagegen ohne Bedeutung, ob während des Bestands des Dauerschuldverhältnisses eine Vollstreckung nach § 888 Abs. 2 ZPO ausgeschlossen ist oder nicht oder ob die Haftung arbeitsrechtlich modifiziert ist oder nicht. Allein die einseitige Beendigungsmöglichkeit, verbunden mit relativ hohen Nachteilen für die andere Vertragspartei, ist hinreichende Bedingung, um das Bedürfnis nach Schutz vor der Nötigung zu überobligationsmäßigem Verhalten, geschaffen durch jederzeitige Kündigungsmöglichkeit, zu begründen. Arbeitsrechtliche Besonderheiten sind hierfür gänzlich unerheblich. Daher ist auch das Bedürfnis nach Kündigungsschutz verstanden als Vertragsdurchsetzungsschutz kein arbeitnehmerspezifisches Bedürfnis. Zwar ist es regelmäßig der Arbeitnehmer, der ein wesentlich höheres Interesse an der Aufrechterhaltung seiner vertraglichen Dauerbeziehungen hat als der Arbeitgeber, der das Vertragsverhältnis einseitig beendet. Die dem Arbeitnehmer entstehenden Nachteile, die in dem Risiko der Beschäftigungslosigkeit, des Wechsels von Wohnort und Bekanntenkreis, den Kosten der Arbeitsplatzsuche und den mit der Kündigung verbundenen Folgen für das Selbstwertgefühl270 gesehen werden können, entstehen ebenfalls beispielsweise der arbeitnehmerähnlichen Person, wenn ihr Vertragsverhältnis gekündigt wird, zumal angenommen wird, sie sei von dem Bestand ihrer Vertragsbeziehung "wirtschaftlich abhängig und vergleichbar einem Arbeitnehmer sozial schutzbedürftig" (§ 12a Abs. 1 Nr. 1 TVG). Nach dem Maßstab des Umstandes, der das Bedürfnis nach Kündigungsschutz als Vertragsdurchsetzungsschutz begründet, müßten auch die arbeitnehmerähnlichen Personen in den allgemeinen Kündigungsschutz der §§ 1 ff. KSchG einbezogen sein. Domdorj; ZfA 1989, S. 345 (351). Domdorj; ZfA 1989, S. 345 (355 f.). 270 Zu solchen rechtstatsächlichen Folgen einer Kündigung ausführlicher Wank, Das Recht auf Arbeit, S. 18 ff. 268 269

C. Die personelle Reichweite des KSchG

179

Wenn aber allgemeiner Kündigungsschutz expressis verbis nur für Arbeitnehmer und gerade nicht für arbeitnehmerähnliche Personen gilt (§ 1 Abs. 1 KSchG), dann läge dem KSchG nach dieser Auffassung ein Wertungswiderspruch zugrunde. Aus diesem Grund ist die Auffassung, die dem allgemeinen Kündigungsschutz die Funktion der Vertragsdurchsetzung zuordnet und damit die dogmatische Systematisierung des geltenden Gesetzesrechts bezweckt271 , als Erklärungsmodell des geltenden KSchG ungeeignet.

IV. Kündigungsschutz als Flankenschutz des betrieblichen Arbeitsverhältnisses

Damit bleibt zu klären, wie sich die Theorie vom Kündigungsschutz als Flankenschutz für betriebliche Rechte und Freiheiten272 zu den beiden Anforderungen verhält. Danach entsteht das Bedürfnis nach Kündigungsschutz originär durch die Eingliederung des Arbeitnehmers in einen Betrieb als eine fremde arbeitsteilige Organisation, die die für den Arbeitsvertrag typische Unbestimmtheit von Ort, Zeit und Inhalt der Arbeitsleistung mit sich bringt. In Ausübung seines Direktionsrechts kann der Arbeitgeber (oder die von ihm ermächtigte Person) Ort, Zeit und Inhalt gegenüber dem Arbeitnehmer konkretisieren. Aufgrund dieser Fremdbestimmung besteht die Gefahr, daß der Arbeitnehmer zum Objekt fremder und willkürlicher Entscheidungen herabgewürdigt und in seiner Persönlichkeit beeinträchtigt wird. Dieser Gefahr soll mit der Garantie betrieblicher Rechte und Freiheiten begegnet werden, die ihre Wirkung jedoch nur dann entfalten können, wenn der Arbeitnehmer nicht die Ahndung durch Kündigung fürchten muß. Um dies sicherzustellen, wird den Rechten und Freiheiten des Arbeitnehmers als flankierender Schutz ein allgemeiner Kündigungsschutz zur Seite gestellt. Bereits aus dem Ansatz dieser Theorie folgt ihre Beschränkung auf Arbeitnehmer. In der so beschriebenen, das Bedürfnis nach Kündigungsschutz auslösenden institutionellen Abhängigkeit bei der Ausübung des Direktionsrechts können sich nur Arbeitnehmer befinden, wenn und weil sie in eine fremde arbeitsteilige Organisation eingegliedert und aufgrunddessen mit ihrer Person der Fremdbestimmung ausgesetzt sind. Nur Arbeitnehmer können in die Gefahr geraten, durch willkürliche Entscheidungen des Arbeitgebers in ihrer Persönlichkeit beeinträchtigt zu werden. Diese Gefahr besteht für arbeitnehmerähnliche Personen nicht, weil sie, wie etwa der Handelsvertreter, hinsichtlich der Ort, Zeit und Inhalt ihrer Arbeit weitgehend ungebunden sind; anders dagegen der im betrieblichen Verbund mit anderen tätige Arbeitnehmer, dessen Arbeitsbeitrag mit dem seiner Kollegen zu koordinieren ist und dessen Arbeitsbedingungen daher auf die der Kollegen abzustimmen sind. Diese Organisationsleistung erbringt der Arbeitgeber. Dies führt zu dem Tat27t 272

12*

Domdorf, ZfA 1989, S. 345 (347). Vgl. o. Kap. 1 C.

180

4. Kap.: Die personelle Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

bestand der institutionellen Abhängigkeit, der erst das Bedürfnis nach Kündigungsschutz auslöst. Die arbeitnehmerähnlichen Personen sind, da gerade nicht in den Betrieb eingegliedert, nicht - jedenfalls nicht in demselben Maße - von den zur Organisation und Koordination des Arbeitsablaufs im Verbund erforderlichen Fremdentscheidungen abhängig und befinden sich damit auch nicht in der gerade für das betriebliche Arbeitsverhältnis kennzeichnenden institutionellen Abhängigkeit. Aus diesem Grund ist nur folgerichtig, daß sie nicht den allgemeinen Kündigungsschutz erhalten, der der Flankierung der Rechte dient, die das betriebliche Arbeitsverhältnis als Kompensation der institutionellen Abhängigkeit bereithält. Es ist eben der Verbundcharakter eines Arbeitsverhältnisses, der das Bedürfnis nach Kündigungsschutz auslöst, bei arbeitnehmerähnlichen Personen aber - wie das Beispiel des in Heimarbeit Beschäftigten zeigt - fehlt. Damit vermag die Flankenschutztheorie den Umstand zu erklären, daß nur Arbeitnehmer vom KSchG erfaßt sind, und verdeutlicht zugleich den materiellen Sinn, der hinter dieser positiven Regelung steht. Sodann muß geklärt werden, ob der Flankenschutzgedanke als Erklärung des allgemeinen Kündigungsschutzes angesichts der Tatsache taugt, daß auch Personen in das KSchG einbezogen sind, deren wirtschaftliche und soziale Existenz, wie im Fall der in Nebenbeschäftigung tätigen Arbeitnehmer, abgesichert ist. Sofern in Nebenbeschäftigung tätige Arbeitnehmer ihr Arbeitsverhältnis in einem Betrieb ausüben, sind sie der Fremdbestimmung und der damit verbundenen Gefahr willkürlicher Entscheidungen durch den Arbeitgeber ebenso ausgesetzt wie ein Kollege, der in dem Betrieb seinem Hauptarbeitsverhältnis nachgeht. Die Tatsache, daß ersterer wegen des Nebenbeschäftigungscharakters geringere Zeit im Betrieb tätig ist, hat nicht zur Folge, daß die mit der Fremdbestimmung verbundene Gefahr entfiele. Während der Dauer seiner Arbeitszeit ist er ebenso der Gefahr willkürlicher Entscheidungen ausgesetzt wie ein Arbeitnehmer im Hauptarbeitsverhältnis und bedarf ebenso sehr des Flankenschutzes, um vor Disziplinierung durch Kündigung bei Ausübung seiner gegen Entscheidungswillkür gerichteten Rechte und Freiheiten geschützt zu sein. Deshalb muß auch die in einem Nebenarbeitsverhältnis stehende Person in das KSchG einbezogen sein. In dieser Herleitung liegt mehr als nur die Berufung auf den positiven Wortlaut des § 1 Abs. l KSchG. Es kann mit Hilfe der Flankenschutztheorie aufgewiesen werden, worin der materielle Geltungsgrund dieser Regelung besteht. So erhält der Wortlaut des KSchG mit der Flankenschutztheorie einen materiellen Sinn. Eine solche Begründung läßt die Lehrerentscheidung des BAG273 vermissen, wenngleich ihr mit der Flankenschutztheorie im Ergebnis - keine Möglichkeit der Kündigung des Nebenarbeitsverhältnisses des Lehrers - zuzustimmen ist. Dieses Ergebnis überzeugt auch aus anderen Gründen. Es sind bei der Beurteilung dieser Entscheidung zunächst jedoch drei verschiedene Problembereiche auseinanderzuhalten: die Kündigung eines Arbeitnehmers, weil er (in seiner wirtschaftlichen und 273

BAG v. 13. 3. 1987, AP Nr. 37 zu§ 1 KSchG Betriebsbedingte Kündigung.

C. Die personelle Reichweite des KSchG

181

sozialen Existenz) abgesichert ist; die Kündigung abgesicherter zur Einstellung (wirtschaftlich und sozial) schutzbedürftiger Arbeitnehmer und die Einstellung abgesicherter Arbeitnehmer. Gegenstand des Lehrerfalls waren die beiden ersten Problembereiche. Die Möglichkeit der Kündigung, weil der Lehrer abgesichert war, wurde nicht als personenbedingter Grund angesehen. Die Möglichkeit der Kündigung des abgesicherten Lehrers zur Einstellung eines schutzbedürftigen Arbeitnehmers wurde nicht als betriebsbedingter Grund angesehen, weil das Weiterbeschäftigungsbedürfnis und damit der Arbeitsplatz nicht weggefallen war. Das Ergebnis keine Kündigungsmöglichkeit - hätte außerdem auf eine dritte Erwägung gestützt werden können: Ebenso wie es dem Arbeitgeber freisteht, schutzwürdige Arbeitnehmer einzustellen und zu beschäftigen, ist es ihm aufgrund der privatautonomen Abschlußfreiheit möglich, abgesicherte Arbeitnehmer einzustellen und zu beschäftigen. Von der letztgenannten Möglichkeit hatte der Arbeitgeber des Lehrerfalls in Kenntnis des Nebentätigkeitscharakters- Gebrauch gemacht. Im Laufe der Zeit mußte der Arbeitgeber seine Auffassung geändert haben, wenn er nicht weiter gewillt war, den abgesicherten Arbeitnehmer zu beschäftigen. Ließe man eine darauf gestützte Kündigung zu, dann wäre ein auf dieser beliebig möglichen Willensänderung beruhender Kündigungsgrund gegeben; der Arbeitnehmer wäre der Gefahr ausgesetzt, daß er trotz vertragstreuen Verhaltens jederzeit eine Kündigung erhielte. Die Kündigungsmöglichkeit gewönne an Disziplinierungspotential. Dagegen zu schützen muß gerade Aufgabe des Kündigungsschutzes sein. Solange der Arbeitnehmer die ihm zustehenden Rechte und Freiheiten nicht überschreitet und seine Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß erfüllt, darf er keine Kündigung fürchten müssen. Dies entspricht dem Gedanken der Flankenschutztheorie. Weil es dem Arbeitgeber freisteht, abgesicherte Arbeitnehmer einzustellen, muß er sich, sollte er dies tun, an seinem Willen festhalten lassen, kann ihn nicht nach Belieben ändern und kündigen; ansonsten wäre ihm ein venire contra factum proprium vorzuwerfen. Dieses Ergebnis mag beschäftigungspolitisch sehr bedauerlich sein, liegt jedoch in der privatautonomen Entscheidungsfreiheit des Arbeitgebers begründet, auch solche Personen einzustellen, die der mit der Einstellung verbundenen wirtschaftlichen und sozialen Vorzüge nicht bedürfen, und von der Einstellung bedürftigerer Personen abzusehen. An dieser Entscheidung muß sich der Arbeitgeber jedoch festhalten lassen, um ihm das Mittel der Disziplinierung durch die sonst jederzeit mögliche Kündigung des vertragstreuen Arbeitnehmers zu nehmen. Damit ist die Rechtsprechung des BAG274, die den Nebentätigkeitscharakter als Kündigungsgrund ausschließt und die Befristung von Nebenarbeitsverhältnissen von dem Erfordernis eines sachlichen Grundes nicht freistellt, zwar von seinem eigenen Standpunkt der Bestandsschtztheorie aus unschlüssig, im Ergebnis nach der Flankenschutztheorie jedoch grundsätzlich zu begrüßen, weil auch Arbeitnehmer im Nebenarbeitsverhältnis eines flankierenden Kündigungsschutzes bedürfen.

274

Vgl. o. Kap. 4 BI 1.

182

4. Kap.: Die personelle Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

Diese von der Einstellungsfreiheit sowie vom Verbot widersprüchlichen Verhaltens (§ 242 BGB) ausgehenden Überlegungen stellen eine Bestätigung der Flankenschutztheorie dar, die damit eine überzeugende Erklärung für den Umstand abzugeben vermag, daß das KSchG seinen Schutz auch den wirtschaftlich und sozial abgesicherten Arbeitnehmern nicht vorenthält und eine Differenzierung nach wirtschaftlich-sozialer Abgesichertheit gar nicht vornimmt. Daher muß der Schutz der wirtschaftlichen und sozialen Existenz als Zweckzuordnung ausscheiden. Die personelle Grenze des KSchG, die die Kündigung auch nur der Arbeitnehmer, aber auch aller Arbeitnehmer (unabhängig von ihren wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen) unter das Erfordernis der sozialen Rechtfertigung stellt, wird allein von der Flankenschutztheorie zutreffend erklärt.

5. Kapitel

Die betriebliche Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes Nach § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG gelten die §§ 1-14 KSchG nicht für "Betriebe und Verwaltungen", in denen regelmäßig eine bestimmte Anzahl Arbeitnehmer beschäftigt ist. Auf den ersten Blick scheint damit die Frage, auf welche Gruppe von Arbeitnehmern es zur Ermittlung der den allgemeinen Kündigungsschutz auslösenden Schwellenzahl ankommt, beantwortet zu sein, so- für den Bereich der Privatwirtschaft- im Sinne des Betriebs. Der Betrieb ist zwar nicht positivrechtlich definiert, hatjedoch im Anschluß an Jacobi 1 heute eine im Grundsätzlichen akzeptierte Ausprägung gefunden2 • In seinem ersten Kleinbetriebsbeschluß stellt das BVerfG jedoch die ausschließliche Geltung dieses Betriebsbegriffs für § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG in Frage. Tendenzen zur Neuausrichtung des Betriebsbegriffs insbesondere der Kleinbetriebsklausel hat es aber schon früher gegeben3 . Da die Bestimmung des Betriebsbegriffs in § 23 Abs. I S. 2 KSchG über das Ob der Anwendbarkeit des allgemeinen Kündigungsschutzes für den einzelnen Arbeitnehmer entscheiden kann, ist es geboten, eine Antwort auf die Frage nach der zutreffenden Interpretation dieses Tatbestandsmerkmals zu suchen, um die Grenze des allgemeinen Kündigungsschutzes bestimmen zu können. Dazu sollen zunächst die zum Betriebsbegriff vertretenen Auffassungen jeweils an den einzelnen rechtlichen Erscheinungsformen des Betriebs (A., B.) untersucht werden; sodann geht es um Bewertung und Konsequenzen der dabei gefundenen Ergebnisse (C.). Auf dieser Grundlage wird eine Bestimmung des Betriebsbegriffs vorgeschlagen werden, die eine konsistente Erklärung für die betriebliche Grenze des allgemeinen Kündigungsschutzes abzugeben vermag (D.). Schließlich ist danach zu fragen, welche der zum allgemeinen Kündigungsschutz vertretenen Theorien eine solche widerspruchsfreie Abgrenzung des betrieblichen Geltungsbereichs des KSchG ermöglicht (E.), wobei zunächst die Implikationen der Theorien für den Betriebsbegriff herauszuarbeiten und diese sodann auf ihre Vereinbarkeit mit den zur Bestimmung des Betriebsbegriffs gefundenen Vorgaben zu untersuchen sind. Auch hier geht es also wieder darum, eine in sich konsiststente Erklärung des allgemeinen Kündigungsschutzes zu suchen, auf deren Grundlage eine widerspruchsfreie Auslegung des Betriebsbegriffs gefunden werden kann. 1 2

3

Betrieb und Unternehmen, S. 9, 36 ff.; ders., Grundbegriffe des Arbeitsrechts, S. 286. Staudinger I Richardi Vorbem. zu§§ 611 ff. Rn 418 ff. So vor allem von Joost, Betrieb und Unternehmen, S. 335 ff.

184

5. Kap.: Die betriebliche Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

A. Zum Betriebsbegriff und Tendenzen in seiner Entwicklung Der Betrieb wird bereits positivrechtlich (vgl. BetrVG, MitbestG, § 1 KSchG) vom Unternehmen unterschieden4 • Wahrend unter Betrieb diejenige organisatorische Einheit verstanden wird, in der ein arbeitstechnischer Zweck verfolgt wird, dient das Unternehmen einem wirtschaftlichen Zweck, der regelmäßig die Vorgaben für die von ihm abhängige und ihm dienende arbeitstechnische, also betriebliche Umsetzung bestimmt5 . Nach allgemeiner Definition handelt es sich bei dem Betrieb um eine organisatorische Einheit, innerhalb derer ein Unternehmer allein oder in Gemeinschaft mit seinen Mitarbeitern mit Hilfe von sächlichen und immateriellen Mitteln bestimmte arbeitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt, die sich nicht in der Befriedigung von Eigenbedarf erschöpfen6 . Als Kriterium für die danach konstitutive Einheit der Organisation wird das Vorhandensein eines einheitlichen Leitungsapparates angesehen7 . Dieser Betriebsbegriff wurde lange als allgemeingültig aufgefaßt und, wo immer er im positiven Recht auftrat, in diesem Sinne verstanden. Mithin war er grundsätzlich dem BetrVG ebenso zugrunde zu legen wie dem KSchG8 . Von dieser Überzeugung ist teilweise abgeriickt worden. An die Stelle der einheitlichen Begriffsbestimmung soll nach einer sich immer mehr durchsetzenden Auffassung eine ausschließlich teleologische oder "normzweckbestimmte Begriffsbestimmung" treten9• Ausgangspunkt dieser Kritik am herkömmlichen Betriebsbegriff ist ein Pessimismus gegenüber der Eignung der Einheit der Organisation zur Bestimmung des Betriebsbegriffs. Das Merkmal der organisatorischen Einheit bleibe in einem Ausmaß konturenlos, das seine Verwendung als wesentlichen definitorischen Bestandteil des Betriebsbegriffs ausschließe; weder gelinge eine Präzisierung des Organisationsbegriffs, noch sei eine Präzisierung durch Verknüpfung mit der einheitlichen Leitung zu erreichen 10. Diese sei nur zu erreichen, indem man eine am Zweck der jeweiligen Regelungsmaterie orientierte Begriffs4 Jacobi, Betrieb und Unternehmen, S. 20; Staudinger I Richardi Vorbem. zu §§ 611 ff. Rn 419,425 ff. 5 Vgl. Staudinger I Richardi Vorbem. zu §§ 611 ff. Rn 418 ff.; Nikisch, Arbeitsrecht I, s. 156. 6 Nikisch, Arbeitsrecht I, S. 150 f.; BAG v. 3. 12. 1954, BAGE 1, S. 175 (178); Hueck/ Nipperdey, Arbeitsrecht I, S. 93. 7 BAG v. 26. 8. 1971, AP Nr. 1 zu § 23 KSchG 1969; Staudinger I Richardi Vorbem. zu §§ 611 ff. Rn 421; Nikisch, Arbeitsrecht I, S. 154. 8 BAG v. 23. 3. 1984, AP Nr. 4 zu§ 23 KSchG 1969; weitere Nachw. bei Joost, Betrieb und Unternehmen, S. 337 Fn 11. 9 Joost, Betrieb und Unternehmen, S. 341 ff.; F Gamillscheg, ArbuR 1989, S. 33 (33 ff.); Staudinger I Richardi Vorbem. zu §§ 611 ff. Rn 422 ff. IO Joost, Betrieb und Unternehmen, S. 129; Staudinger I Richardi Vorbem. zu §§ 611 ff. Rn422.

B. Erscheinungsformen des Betriebs

185

bestimmung vornehmen. Daraus ergebe sich, daß bei unterschiedlicher ratio legis der Betriebsbegriff im KSchG einen anderen Inhalt haben könne als im BetrVG. Diese durch die Abkehr vom herkömmlichen einheitlichen Betriebsbegriff gekennzeichnete und auf teleologische Begriffsbestimmung gerichtete Kritik findet ihren Niederschlag auch und vor allem in der Diskussion um den Betriebsbegriff des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG einschließlich seiner verschiedenen Erscheinungsformen.

B. Erscheinungsformen des Betriebs Bei der Untersuchung der unterschiedlichen Erscheinungsformen des Betriebs geht es vor allem um sein Verhältnis zum Unternehmen. Als Ausgangsposition möge die Fallkonstellation angenommen werden, in der ein Unternehmen existiert, das genau einen Betrieb hat und keinem Konzern angehört. In diesem Fall macht es keinen Unterschied, ob man den Betriebsbegriff des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG im herkömmlichen Sinne eng, oder etwa im Sinne von "Unternehmen" oder "Arbeitgeber"12 verstehen will. Es käme für die Berechnung der Schwellenzahl stets und nur auf die Arbeitnehmer des einen Betriebs an, die auch zugleich Parteien der Arbeitsverträge mit dem Arbeitgeber bzw. Unternehmen sind. Insofern gelangt man hier nach allen Auffassungen zu gleichen Resultaten, gleichgültig, wie Betrieb und Unternehmen gegeneinander abgegrenzt werden.

I. Unternehmen mit mehreren Betrieben Darüber hinaus sind jedoch noch andere Konstellationen im Verhältnis von Betrieb und Unternehmen denkbar, so der Fall, daß einem Unternehmen mehrere Betriebe zugeordnet sind (Mehrbetriebsunternehmen). Dies ist etwa dann möglich, wenn der im Unternehmen verfolgte Zweck in mehreren Einheiten verfolgt wird, die jeweils selbständige Betriebe im allgemeinen Sinne bilden 13 • Bei engem Verständnis des Betriebsbegriffs in § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG kommt es für die Berechnung der Schwellenzahl allein auf die in dexjenigen arbeitstechnischen Einheit beschäftigten Arbeitnehmer an, in der auch der zu kündigende Arbeitnehmer tätig ist. Sind dort nicht mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigt, so gelten die§§ 1-14 KSchG nicht, gleichgültig, ob bzw. wieviel andere Arbeitnehmer im Unternehmen oder einem anderen Betrieb des Unternehmens beschäftigt sind. Bei diesem Ergebnis lassen es die Vertreter der normzweckbestimmten Begriffsbestimmung für § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG nicht bewenden. 11

12

13

Joost, Betrieb und Unternehmen, S. 341 f. So z. B. Joost, Betrieb und Unternehmen, S. 344 ff. FKHE § 1 Rn 146.

186

5. Kap.: Die betriebliche Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

1. Der normzweckbestimmte BetriebsbegritT Joosts

Joost geht davon aus, daß sich die Problematik des Betriebsbegriffs bei normzweckbestimrnter Betrachtung für das Kündigungsschutzrecht wesentlich anders darstelle als für das Betriebsverfassungsrecht 14• Die Tatsache, daß das Kündigungsschutzrecht eine Mindestarbeitnehmerzahl voraussetze, bezeichnet er als ,,reines Zufallsprodukt", das geschichtlich durch den Umstand bedingt sei, daß das Kündigungsschutzrecht ursprünglich mit dem Recht der Arbeitnehmervertretung geregelt war, das seinerseits eine Mindestarbeitnehmerzahl erforderte. Mit der Herauslösung des Kündigungsschutzrechts aus dem Betriebsverfassungsrecht sei eine eigene Begründung der Schwellenzahl notwendig geworden. Zur Ermittlung des Regelungszwecks der Kleinbetriebsklausel führt er die Gesetzgebungsmaterialien an. Daraus folge, daß nach den Beratungen von einem besonderen persönlichen Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber im Kleinbetrieb ausgegangen worden sei; außerdem sei der Kündigungsschutz dem Arbeitgeber in solchen Fällen wirtschaftlich nicht zumutbar. Diesen beiden Aspekten entsprechend sei die Kleinbetriebsklausel so zu verstehen, daß der Inhaber eines Kleinbetriebs wegen seiner persönlichen Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber und seiner geringen Ertragskraft von den Anforderungen des KSchG freigestellt sein solle 15• Diese beiden Regelungsziele kämen nur unzureichend im Gesetzestext zum Ausdruck, indem an die Belegschaftszahl des Betriebs angeknüpft werde, obwohl der Sinn der Regelung nicht die Interessen des Betriebs, sondern die eines "selbst tätigen Unternehmers mit wenigen Arbeitnehmern" betreffe, dem der Gesetzgeber den Zwang zur Fortsetzung einer einmal freiwillig begründeten persönlichen Zusammenarbeit nicht zumuten wolle. Daher müsse der Betriebsbegriff des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG so gefaßt werden, daß er das gesetzgebensehe Regelungsziel zum Ausdruck bringe. Bestehe dieses Ziel darin, daß der mit wenigen Arbeitnehmern zusammenarbeitende Arbeitgeber von den Erfordernissen des KSchG freigestellt sein solle, dann umschreibe der Ausdruck Betrieb nicht anderes als den Geschäftsbereich des Arbeitgebers. Für die Kategorien von Betrieb und Unternehmen bedeute dies, daß Betrieb bei § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG mit Unternehmen im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne identisch sei 16• Zu diesem Resultat gelange man insbesondere, wenn man das Regelungsziel der finanziellen Entlastung des Kleinbetriebs betrachte. Der Betrieb im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne könne überhaupt nicht finanziell entlastet werden, da er nur die arbeitstechnische Seite der Organisation zum Ausdruck bringe und deshalb notwendig frei von allen finanziellen Gesichtspunkten sei. Diese Überlegung sei im SchwbG folgerichtig umgesetzt, das wegen der mit der Pflicht zur Beschäftigung Schwerbehinderter verbundenen finanziellen Belastungen nicht auf den Be14

15

16

Joost, Betrieb und Unternehmen, S. 342. Joost, Betrieb und Unternehmen, S. 343. Joost, Betrieb und Unternehmen, S. 344.

B. Erscheinungsformen des Betriebs

187

trieb, sondern auf den Arbeitgeber abstelle 17 • In Wahrheit handele es sich auch bei der bezweckten finanziellen Entlastung des Kleinbetriebs um eine Entlastung des Arbeitgebers mit nur kleinem unternehmerischem Tätigkeitsbereich, der wiederum durch die Mindestbeschäftigtenzahl ausgedruckt werde 18. Ist nach dieser Auffassung für die Schwellenzahl auf den im Sinne von "Arbeitgeber" bzw. "Unternehmen" verstandenen Betriebsbegriff in § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG abzustellen, so kann dies in einem Mehrbetriebsunternehmen dazu führen, daß auch Arbeitnehmer in einem solchen Betrieb, in dem nur bis zu fünf Arbeitnehmer beschäftigt sind, Kündigungsschutz nach § § 1 ff. KSchG genießen, wenn nur die Gesamtzahl der im gesamten Unternehmen tätigen Arbeitnehmer die Zahl fünf übersteigt. 2. Die Rechtsprechung Auch in der Rechtsprechung zeigen sich deutliche auf eine teleologische und bereichsspezifische Interpretation gerichtete Tendenzen. Ursprünglich folgte die Rechtsprechung des BAG der Vorstellung von einem einheitlichen Betriebsbegriff, der im Ausgangspunkt Geltung sowohl für das BetrVG wie auch das KSchG beanspruchte19. Dabei wurde in einem Teil der den Betriebsbegriff behandelnden Entscheidungen, die zum KSchG ergingen, der Regelungszweck berücksichtigt und bisweilen zur argumentativen Stützung des Ergebnisses herangezogen 20. Einmal wurde ausgeführt, daß das Kündigungsschutzrecht auf ein anderes Ziel gerichtet sei als das Betriebsverfassungsrecht, weshalb der Betriebsbegriff nicht ohne weiteres gleich sei21 • Dennoch blieb in dieser Rechtsprechung der allgemeine Betriebsbegriff Ausgangspunkt auch für Fragen des Kündigungsschutzrechts; teleologische Erörterungen im Zusammenhang mit kündigungsschutzrechtlichen Problemen beschränkten sich auf die Untermauerung eines jeweils bereits gefundenen Ergebnisses. Von dieser Rechtsprechung unterscheidet sich die heutige Rechtsprechung des BAG. Bedeutende Vorarbeit für einen Wandel in der Interpretation des Begriffs hat das BAG mit seiner Entscheidung vom 19. 4. 199022 geleistet. Gegenstand der Joost, Betrieb und Unternehmen, S. 345. Joost, Betrieb und Unternehmen, S. 346. 19 BAG v. 25. 9. 1956, AP Nr. 18 zu§ 1 KSchG; v. 28. 12. 1956, AP Nr. 1 zu § 22 KSchG, v. 4. 7. 1957, AP Nr. 1 zu§ 21 KSchG; v. 5. 8. 1965, AP Nr. 2 zu§ 21 KSchG; v. 26. 8. 1971, AP Nr. 1 zu§ 23 KSchG 1969; v. 23. 3. 1984, AP Nr. 4 zu§ 23 KSchG 1969. 20 BAG v. 4. 7. 1957, AP Nr. 1 zu§ 21 KSchG; v. 26. 8. 1971, AP Nr. 1 zu § 23 KSchG 1969. 21 BAG v. 1. 2. 1963, AP Nr. 5 zu § 3 BetrVG. 22 BAG EzA § 23 KSchG Nr. 8 m. Anm. Wank; vgl. jedoch auch schon Hönsch, DB 1988, S. 1650 (1650 f.); Kraushaar; DB 1988, S. 2202 (2203); Kraushaar!Storz, BB 1992, S. 1787 (1788). 17

18

188

5. Kap.: Die betriebliche Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

Entscheidung ist ein Fall, in dem der gekündigte Arbeitnehmer der Auffassung war, daß § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG verfassungswidrig sei, und deshalb die Geltung der §§ 1 ff. KSchG auch für seinen Betrieb beanspruchte, in dem insgesamt fünf Arbeitnehmer beschäftigt waren. Das BAG ist, wie auch schon die Vorinstanz, von der Verfassungswirdrigkeit nicht überzeugt und widerspricht insbesondere der Auffassung, die Norm verstoße wegen unzulässiger Ungleichbehandlung der Arbeitnehmer in Klein- und solchen in größeren Betrieben gegen Art. 3 Abs. l GG. Den sachlichen Grund für die Ungleichbehandlung leitet das Gericht aus der Entstehungsgeschichte des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG ab und gelangt zu dem Ergebnis, der Gesetzgeber habe mit dieser Regelung dreierlei Absichten verfolgt, die zugleich sachliche, die Ungleichbehandlung rechtfertigende Griinde darstellten: - die engen persönlichen Beziehungen des Kleinbetriebsinhabers, die erforderlich seien, um das Funktionieren einer kleinen Betriebseinheit zu gewährleisten, wobei sich ein gesetzlicher Kündigungsschutz hinderlich auswirken könne; - die geringere verwaltungsmäßige und wirtschaftliche Belastbarkeit der Kleinbetriebe, die sich aus der Notwendigkeit eventueller Prozeßführung, arbeitsrechtlich und wirtschaftlich bedingter Vorhaltekosten und eventuellen Abfindungszahlungen ergebe, sowie - die Gewährleistung größerer arbeitsmarktpolitischer Freizügigkeit des Kleinunternehmers, die sowohl verläßliche marktwirtschaftliche Rahmenbedingungen für kleinunternehmerische Betätigung schaffe sowie gleichzeitig eine größere Flexibilität bei Schwankungen in der Auftragslage ermögliche, die besonders im Kleinbetrieb existenzgefährdend sein könne. Aufgrund dieser drei Besonderheiten könne sich die durch das KSchG herbeigeführte Einschränkung der Vertragsfreiheit persönlich und finanziell stärker auswirken als beim Inhaber eines Mittel- oder Großbetriebs. Eine Unterscheidung zwischen Klein- und größeren Betrieben beim Kündigungsschutz, wie § 23 Abs. l S. 2 KSchG sie vorsehe, sei damit vor Art. 3 Abs. 1 GG sachlich gerechtfertigt. Damit arbeitet das Gericht zwar die ratio legis der Norm heraus, unterläßt es jedoch noch, diese auf den Betrieb des gekündigten Arbeitnehmers anzuwenden und zu überpriifen, ob es sich dabei um einen Betrieb handelt, auf den diese historisch-teleologischen Gesichtspunkte zutreffen und er deshalb vom Kündigungsschutz freizustellen ist. Diese Priifung ist deshalb entbehrlich gewesen, weil nicht dargelegt worden war, daß die Bekl. außer den fünf Arbeitnehmern im Betrieb des Gekündigten (mit Ausnahme der Auszubildenden) weitere Arbeitnehmer beschäftigte. Jedenfalls wurde mit dieser Entscheidung noch nicht der Schritt zu einem Betriebsbegriff getan, der insofern vom herkömmlichen Begriff abweicht, als er sich ausschließlich nach dem Vorliegen der genannten Merkmale richtet. Dennoch hat die Herausbildung und Betonung des Zwecks des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG auf die nachfolgende, schließlich in eine rein normzweckbestimmte Begriffsbestimmung mündende Entwicklung der Rechtsprechung nachhaltigen Einfluß ausgeübt.

B. Erscheinungsformen des Betriebs

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Der entscheidende Schritt zu einer Beschränkung des Betriebsbegriffs in § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG wurde, soweit ersichtlich, zuerst vom ArbG Harnburg in seiner Entscheidung vom 10. 3. 199723 vollzogen. Das Gericht folgt der in der Entscheidung vom 19. 4. 1990 niedergelegten Auffassung des BAG über den Regelungszweck des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG sowie der Position des BAG-Richters Bepler24, demzufolge der nach dem Schutzbereich der Regelung zu beurteilende Privilegierungsgrund des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG entfalle, wenn ein Arbeitgeber mehrere Betriebe unterhalte und insgesamt mehr als die in § 23 Abs. 1 KSchG genannte Zahl von Arbeitnehmern beschäftige. Die Folge sei, daß der Betriebsbegriff des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG im Sinne von "Arbeitgeber" oder "Unternehmer" zu verstehen sei. Indem das ArbG Harnburg dem ausdrücklich zustimmt, befürwortet es einen Betriebsbegriff, der sich ausschließlich nach dem Vorliegen der als Regelungsziel erkannten Gesichtspunkte richtet, mithin einen ausschließlich normzweckbestimmten Betriebsbegriff.

3. Der erste Kleinbetriebsbeschluß des BVerfG

Ebenso wie in der Entscheidung des BAG vom 19. 4. 1990 war Gegenstand des ersten Kleinbetriebsbeschlusses des BVerfG25 - hier als Vorlage nach Art. 100 GG - die Frage, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar sei, Kleinbetriebe vom Geltungsbereich des KSchG auszunehmen. Unter dem Gesichtspunkt eines potentiellen Verstoßes gegen die Arbeitsplatzfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) des Arbeitnehmers führt es aus, das Interesse des Arbeitnehmers an Kündigungsschutz sei durch das schutzwürdige Interesse am Kündigungsrecht "des Kleinunternehmers" begrenzt26: In einem Betrieb mit wenigen Arbeitskräften hänge der Geschäftserfolg mehr als bei Großbetrieben von jedem einzelnen Arbeitnehmer ab; auf seine Leistungsfähigkeit komme es ebenso an wie auf Persönlichkeitsmerkmale, die für die Zusammenarbeit, die Außenwirkung und das Betriebsklima von Bedeutung seien. Kleine Teams seien anfällig für Mißstimmungen und Querelen. Störungen des Betriebsklimas könnten zu Leistungsminderungen führen, die bei geringem Geschäftsvolumen spürbar auf das Ergebnis durchschlügen. Ausfälle ließen sich bei niedrigem Personalbestand nur schwer ausgleichen. Typischerweise arbeite bei kleinen Betrieben der Unternehmer selbst als Chef vor Ort mit. Damit bekomme das Vertrauensverhältnis zu jedem seiner Mitarbeiter einen besonderen Stellenwert. Ein Kleinbetrieb sei häufig nicht in der Lage, Abfindungen bei Auflösung eines Arbeitsverhältnisses zu zahlen oder weniger leistungsfähiges, weniger benö23 24

25 26

DB 1997, S. 2439. ArbuR 1997, S. 54. BVerfGE 97, S. 169. BVerfGE 97, S. 169 (177 f.).

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5. Kap.: Die betriebliche Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

tigtes oder auch nur weniger genehmes Personal mit durchzutragen. Schließlich belaste auch der Verwaltungsaufwand, den ein Kündigungsschutzprozeß mit sich bringe, den Kleinbetrieb stärker als ein größeres Unternehmen. Aufgrund dieser Umstände sei ein Verstoß gegen die Arbeitsplatzwahlfreiheit der Arbeitnehmer bei Herausnahme aus dem Kündigungsschutz nach§§ 1 ff. KSchG nicht gegeben. Auf diese Ausführungen wird auch bei der Erörterung einer Verletzung des Art. 3 Abs. I GG Bezug genommen 27. Die Sachgesichtspunkte, die es rechtfertigten, die Arbeitnehmer in Kleinbetrieben in ihrer Arbeitsplatzwahlfreiheit zu beschränken, rechtfertigten zugleich auch eine Ungleichbehandlung dieser Arbeitnehmer im Vergleich zu denen, die in größeren Betrieben tätig seien. Dies gelte einmal für die zahlenmäßige Abgrenzung des Kleinbetriebs, aber auch für die Anknüpfung an den Begriff "Betrieb"; letzteres jedoch nur bei "verfassungskonformer Auslegung". Mit der quantitativen Grenzziehung nach der Arbeitnehmerzahl habe der Gesetzgeber eine hinreichend genaue Abgrenzung der wegen enger persönlicher Zusammenarbeit und geringer Finanzausstattung und Verwaltungskapazität schutzwürdigen Kleinbetriebe vorgenommen. Zwar sei auch die qualitative Abgrenzung des Kündigungsschutzes durch die Verwendung des Begriffs "Betrieb" als Unterscheidungsmerkmal nicht zu beanstanden. Das BVerfG stellt jedoch weiter fest, daß unter diesen Begriff im Einzelfall auch Teile größerer Unternehmen fallen, für die die Gesichtspunkte nicht zuträfen, die eine Benachteiligung der Arbeitnehmer in Kleinbetrieben rechtfertigten; in einem solchen Fall sieht das BVerfG eine Unvereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 GG als gegeben an28 . Dennoch hält es an der Verwendung des Betriebsbegriffs fest, will ihn jedoch "im Wege verfassungskonformer Auslegung auf die Einheiten beschränken, für deren Schutz die Kleinbetriebsklausel allein bestimmt ist. (... )Durch eine am Sinn und Zweck der Kleinbetriebsklausel orientierte Interpretation des Betriebsbegriffs läßt sich vermeiden, daß Einheiten darunter fallen, für die der Schutzgedanke des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG nicht zutrifft."29 Der Anwendungsbereich der Norm werde so auf Fälle beschränkt, für die die Benachteiligung der betroffenen Arbeitnehmer sachlich begrundet sei. Mit diesen Ausführungen, die für den Betriebsbegriff der Kleinbetriebsklausel von zentraler Bedeutung sind, hat das BVerfG nicht nur begrifflich, sondern auch vollinhaltlich den normzweckbestimmten, streng teleologisch ausgerichteten Betriebsbegriff übernommen. Auf ihn wird im zweiten Kleinbetriebsbeschluß 30 bei der Überpriifung des § 23 Abs. I S. 3 KSchG verwiesen. Die Position Joosts3 1 ist insoweit durch die Rechtsprechung des BVerfG etabliert und bekräftigt worden. In der Folgezeit des ersten Kleinbetriebsbeschlusses hat sich diese Sichtweise auch in 27 28 29

30

31

BVeifGE 97, S. 169 (182). BVerfGE 97, S. 169 (183). BVerfGE 97, S. 169 (183 f .). BVerfGE 97, S. 186 (196). Betrieb und Unternehmen, S. 335 ff.

B. Erscheinungsformen des Betriebs

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der Rechtsprechung des BAG durchgesetzt. So zitiert das BAG in der Entscheidung vom 12. 11. 199832 in langen Passagen jene Ausführungen des BVerfG zum Betriebsbegriff. Damit hat sich der Betriebsbegriff, der ausschließlich nach teleologischen Gesichtspunkten definiert und daher bei einem Mehrbetriebsunternehmen im Sinne von "Unternehmen" verstanden wird, in der Rechtsprechung zu § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG fest etabliert.

4. Literatur In der Literatur beschrieb man schon früh den Zweck der Kleinbetriebsklausel, der darin bestehen sollte, "den besonderen Verhältnissen der kleinen Betriebe Rechnung (zu) tragen, in denen bei der engen persönlichen Zusammenarbeit der Beteiligten Kündigungsbeschränkungen zu unerwünschten Reibungen führen könnten"33 ; auch werde der Inhaber eines Kleinbetriebs durch den Zwang zur Fortsetzung eines ihm nicht mehr erwünschten Arbeitsverhältnisses im Hinblick auf die kleineren Verhältnisse vielfach auch finanziell schwerer belastet als der Inhaber eines Groß- oder Mittelbetriebs34• Dennoch unterließ man es zunächst, diese Zweckzuschreibung für die Bestimmung des Betriebsbegriffs dienstbar zu machen, erst recht jedoch, den Begriff allein nach ihr auszurichten; vielmehr wurde unausgesprochen von einem einheitlichen Betriebsbegriff ausgegangen35 . Diese Situation änderte sich, vor allem im Gefolge von Joost36 und der Entscheidung des BAG vom 19. 4. 199037 , deutlich, und nicht zuletzt durch die Erhöhung der Schwellenzahl von fünf auf zehn Arbeitnehmer durch das Arbeitsrechtliche Beschäftigungsförderungsgesetz 1996 wurden Äußerungen aus der Literatur zum Betriebsbegriff des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG hervorgerufen, die durch eine klare Hinwendung zu einem normzweckbestimmten und damit normspezifischen Betriebsbegriff gekennzeichnet sind. Ergebe sich aus der Entstehungsgeschichte der Norm wie aus der Norm selbst der Regelungszweck, den Arbeitgeber bzw. Unternehmer durch Nichtanwendung des Kündigungsschutzes zu privilegieren, wenn er aufgrunddes aus der Beschäftigtenzahl ablesbaren geringen Umfangs ihrer unternehmefischen Aktivitäten und der sich daraus ergebenden besonderen Nähe zu den einzelnen Beschäftigten durch die Anwendung des KSchG unverhältnismäßig belastet würde, dann bestehe dieser Schutz- oder Privilegierungsbedarf nicht, wenn EzA § 23 KSchG Nr. 20. Nikisch, Arbeitsrecht I, S. 753. 34 Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht I, S. 631. 35 Vgl. Nikisch, Arbeitsrecht I, S. 752. 36 Betrieb und Unternehmen, S. 335 ff.; für ein Verständnis des Betriebs in § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG im Sinne von "Arbeitgeber" freilich schon früher Simitis, 52. DJT, Referat M, S. 32; Hetzet, Das Arbeitsverhältnis im Kleinbetrieb, S. 171 ff.; Herschel/Löwisch, KSchG (6. Aufl. 1984), § 23 Rn 4 und Hönn, Anm. zu BAG v. 23. 3. 1984, SAE 1985, S. 130 (130 f.). 37 EzA § 23 KSchG Nr. 8. 32 33

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5. Kap.: Die betriebliche Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

der Arbeitgeber mehrere Betriebe mit insgesamt mehr als fünf Arbeitnehmern unterhalte. In einem solchen Fall sei § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG teleologisch zu reduzieren, so daß es zu der Befreiung vom KSchG nur komme, wenn der Arbeitgeber bzw. Unternehmer in all seinen Betrieben nicht mehr Arbeitnehmer beschäftige, als die Schwellenzahl vorsehe38. Diese Argumentation entspricht der normzweckbestimmten Deutung des Betriebsbegriffs, wie sie schließlich vom BVerfG im ersten Kleinbetriebsbeschluß vertreten wurde. Dementsprechend erhielt das BVerfG mit dieser Entscheidung breite positive Resonanz aus der Literatur, die die Auffassung des BVerfG beinahe ausnahmslos teile9 . Es wird angeführt, im Kern sei der Kündigungsschutz nicht betriebs-, sondern unternehmens- oder arbeitgeberbezogen ausgestaltet, wobei auf die sechsmonatige Beschäftigung im Unternehmen nach § 1 Abs. 1 KSchG und die unternehmensbezogene Weiterbeschäftigungsobliegenheit nach § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG verwiesen wird40. Aus grundrechtlicher Sicht gehe es nicht um die Frage des Geltungsbereichs des KSchG, sondern darum, ob ein Unternehmen klein genug sei, damit die eigene Grundrechtsposition des Kleinbetriebsinhabers diejenige der Arbeitnehmer überwiegen könne; für diese Entscheidung sei aber das Unternehmen als unteilbarer Grundrechtsträger in seiner Gesamtheit zu würdigen41 . Schließlich wird eine Umgehungsgefahr befürchtet, wenn man "Betrieb" in § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG im engen Sinne verstehe. Würden davon auch Kleinbetriebe mittlerer und großer Unternehmen erfaßt, könne dies dazu führen, daß von der Arbeitnehmerzahl her vergleichbare Unternehmen ungleich behandelt würden, indem sich ein Teil dieser Unternehmen in Kleinbetriebe aufspalten könnte, während andere vergleichbare Unternehmen dies wegen ihrer Struktur nicht könnten42 . Vielmehr würden so bei gleich großer Beschäftigtenzahl diejenigen Unternehmen bevorzugt, die aufgrund ihrer Organisationsstruktur in der Lage seien, sich in zahlreiche selbständige Betriebe aufzuspalten, um damit die Anwendung des KSchG zu vermeiden43 . 38 Bepler; ArbuR 1997, S. 54 (57 f.); ders., AuA 1997, S. 325 (328 f.); in diesem Sinne ebenfalls Preis, NJW 1996, S. 3369 (3370); ders., NZA 1997, S. 1073 (1074 ff.); Löwisch, NZA 1996, S. 1006 (1009); Lakies, DB 1997, S. 1078 (1080); Wlotzke, BB 1997, 414 (415); Kittner; ArbuR 1997, S. 182 (190); Stahlhacke/Preis/Vossen Rn 604; Wank, FS Hanau, S. 295 (302 ff.); Däubler, Arbeitsrecht, S. 228; Franzen, Anm. zu BAG v. 29. 4. 1999, SAE 2000, S. 106 (108 f.); Hanau, 63. DJT (2000), Gutachten C, S. 56. 39 Fa/der, NZA 1998, S. 1254 (1257); Kittner; NZA 1998, S. 731 (732); KassHdb/ Isenhardt 6.3 Rn 395; Löwisch § 23 Rn 9; ders., JZ 2000, S. 806; K. Gamillscheg, Beendigung des Arbeitsverhältnisses, S. 144 ff.; KR/Weigand § 23 KSchG Rn 26; Kittner/Däubler/Zwanziger § 23 KSchG Rn 14; ErfK/ Ascheid § 23 KSchG Rn 4; Preis, RdA 1999, S. 311 (313); Otto, FS Dieterich, S. 353 (357 f.); ders., Anm. zu BVerfG v. 27. 1. 1998, JZ 1998, S. 852 (854); Jacobs, Anm. zu BAG v. 12. 11. 1998, EzA § 23 KSchG Nr. 20, S. 13 (16 f.); Gragert/ Kreutzfeldt, Anm. zu BAG v. 12. 11. 1998, AP Nr. 20 zu§ 23 KSchG 1969 (Bl. 1113). 40 Preis, NZA 1997, S. 1073 (1075); ders., RdA 1999, S. 311 (314); ders., RdA 2000, S. 257 (270 f.). 41 Kittner; NZA 1998, S. 731 (732). 42 Wlotzke, BB 1997, 414 (415); Urban, Der Kündigungsschutz außerhalb des KSchG, S. 92; ähnl. Preis, RdA 2000, S. 257 (263).

B. Erscheinungsformen des Betriebs

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Diesem Standpunkt wird heute im Schrifttum nur noch vereinzelt entgegengetreten44. Einem Verständnis des Betriebsbegriffs des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG im Sinne von "Arbeitgeber" oder "Unternehmen" stehe entgegen, daß das KSchG erkennbar zwischen Betrieb und Unternehmen differenziere und Anhaltspunkte dafür, daß der Gesetzgeber den Betriebsbegriff in § 23 Abs. 1 KSchG anders als herkömmlich gebraucht habe, nicht vorlägen. Vielmehr habe es der Gesetzgeber trotz entsprechender Hinweise bei dem Betriebsbezug des § 23 Abs. 1 KSchG belassen, so daß der Betriebsbegriff dort nach wie vor in einem allgemeinen arbeitsrechtlichen Sinne zu verstehen sei. Der Gesetzgeber habe an dem Betriebsbegriff in § 23 Abs. 1 KSchG festgehalten, obwohl ihm die Vorschläge bekannt gewesen seien, die dahin gingen, auf den Arbeitgeber bzw. das Unternehmen abzustellen; dem Betriebsbegriff liege angesichts der Gesetzesentwicklung und der Gesetzesgrundlagen eine erkennbare gesetzgebensehe Entscheidung zugrunde, an der die Rechtsanwendung in einem demokratischen Rechtsstaat nicht ohne weiteres vorbeigehen könne45 . Ferner werden methodische Bedenken gegen die vom BVerfG vorgenommene verfassungskonforme Auslegung erhoben, zumal sie faktisch den Betriebsbegriff mit dem Unternehmen gleichsetze; außerdem sei die Rechtssicherheit beeinträchtigt, wenn sich die betriebliche Praxis auf drei unterschiedliche Betriebsbegriffe, nämlich die der §§ 1, 4 BetrVG, des § 1 Abs. 1 KSchG sowie des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG, einzustellen habe46. Von dieser Seite wird demnach ein Betriebsbegriff im engen Sinne befürwortet, der es ausschließt, in einem Mehrbetriebsunternehmen Arbeitnehmer anderer Betriebe für die Schwellenzahl rnitzuberücksichtigen.

II. Gemeinsamer Betrieb mehrerer Unternehmen Wenngleich der Fall, daß ein Unternehmen einen oder mehrere Betriebe bildet, den Regelfall darstellt, so gibt es doch daneben die Möglichkeit, daß mehrere Unternehmen einen (oder mehrere) gemeinsame(n) Betrieb(e) unterhalten (Gemeinschaftsbetrieb). Dies hat das BAG frühzeitig angenomrnen47. Heute steht die rechtliche Existenz eines solchen Gebildes - zunächst nach ihrer impliziten gesetzlichen Anerkennung durch § 322 Abs. 2 UmwG, jedenfalls jedoch nach dem durch die Betriebsverfassungsreform neu geschaffenen § 1 Abs. 2 BetrVG - außer Frage. 43 Preis, NZA 1997, S. 1073 (1074); ähnl. Buschmann, ArbuR 1996, S. 285 (286); Otto, Anm. zu BVerfG v. 27. 1. 1998, JZ 1998, S. 852 (854). 44 APS/ Moll§ 23 KSchG Rn 8; Bader, NZA 1996, S. 1125 (1126); ders., NZA 1999, S. 64 (66); Fischermeier, NZA 1997, S. 1089 (1090); undeutlich Hueck/v. Hoyningen-Huene § 23 Rn 16b; Ascheid, KSchR, Rn 174; Gragert, NZA 2000, S. 961 (962 f.); unklar noch Gragert I Kreutifeldt, NZA 1998, S. 567 (569). 45 APS/ Moll§ 23 KSchG Rn 8; Gragert, NZA 2000, S. 961 (963). 46 Ehrich, Anm. zu BVerfG v. 27. 1. 1998, EWiR § 23 KSchG 2/1998, S. 509 (510). 47 BAG v. 4. 7. 1957, AP Nr. 1 zu§ 21 KSchG m. Anm. Hueck.

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5. Kap.: Die betriebliche Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

Die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Gemeinschaftsbetriebs waren im einzelnen nicht unumstritten. Die Rechtsprechung des BAG ging dabei für das Betriebsverfassungs- wie für das Kündigungsschutzrecht vom Begriff des Betriebs im herkömmlichen Sinne aus48 . Entscheidend kam es danach auf die Einheit der Organisation an, so daß ein einheitlicher Betrieb dann vorlag, wenn die in einer Betriebsstätte vorhandenen materiellen und immateriellen Betriebsmittel für den oder die verfolgten Zwecke zusammengefaßt, geordnet und gezielt eingesetzt werden und der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert wird. Soll der Betrieb, so das BAG, von mehreren Unternehmen geführt werden, so müssen sich die beteiligten Unternehmen zur gemeinsamen Führung des Betriebs rechtlich verbunden haben, wobei die einheitliche Leitung nicht in einer ausdrücklichen vertraglichen Vereinbarung bestehen muß, sondern es genügt, daß eine solche Vereinbarung stillschweigend geschlossen worden ist und sich ihre Existenz aus den tatsächlichen Umständen herleiten läßt. Dafür war dem BAG zufolge erforderlich, daß die Funktionen des Arbeitgebers in den sozialen und personellen Angelegenheiten des Betriebsverfassungsrechts institutionell einheitlich für die beteiligten Unternehmen hinsichtlich der Organisationseinheit wahrgenommen werden, die den Gemeinschaftsbetrieb bilden soll49 . Diese Definition des Gemeinschaftsbetriebs hat durch das Betriebsverfassungs-Reformgesetz in dem Vermutungstatbestand des § 1 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG Niederschlag gefunden. Sie wird ganz überwiegend als auch für § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG gültig erachtet50• Teilweise wird jedoch bezweifelt, ob die Führungsvereinbarung rechtlichen Charakter haben muß, und behauptet, die Existenz eines Gemeinschaftsbetriebs setze einen rechtlichen Zusammenschluß der beteiligten Unternehmen nicht voraus51. Darüber hinaus will Joost ganz auf das Erfordernis einer einheitlichen Organisation verzichten. Er faßt den Betrieb als eine bloß tatsächliche Erscheinung auf, weshalb sich die Arbeitgeber bei der Führung des gemeinsamen Betriebs auch von Fall zu Fall auf rein tatsächlicher Basis abstimmen könnten52 •

48 BAG v. 14. 9. 1988, AP Nr. 9 zu§ 1 BetrVG 1972; v. 23. 3. 1984, AP Nr. 4 zu§ 23 KSchG 1969; v. 13. 6. 1985, AP Nr. 10 zu§ 1 KSchG 1969; v. 18. 1. 1990, AP Nr. 9 zu§ 23 KSchG 1969. 49 BAG v. 14. 9. 1988, AP Nr. 9 zu§ 1 BetrVG 1972 m. Anm. Reuter; v. 18. 1. 1990, AP Nr. 9 zu§ 23 KSchG 1969. 50 Hueck/ v. Hoyningen-Huene § 23 Rn 10 f.; ErfK/ Ascheid § 23 KSchG Rn 5; APS I Moll § 23 KSchG Rn 14; Löwisch § 23 Rn 10; HK/ Kriebel § 23 Rn 7; Staudinger I Richardi Vorbem zu §§ 611 ff. Rn 574; Reuter, Anm. zu BAG v. 14. 9. 1988, AP Nr. 9 zu § 1 BetrVG 1972. 51 F. Gamillscheg, ZfA 1975, S. 357 (360); Wendeling-Schröder, NZA 1984, S. 247 (249); Konzen, ArbuR 1985, S. 341 (353 f.); Joost, Betrieb und Unternehmen, S. 260 ff.; Berkowsky, Die personen- und verhaltensbedingte Kündigung, § 2 Rn 126 ff. 52 Joost, Betrieb und Unternehmen, S. 261 f., 265.

B. Erscheinungsformen des Betriebs

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Demgegenüber wird von anderen Teilen der Literatur eine rechtliche Vereinbarung über die Führung eines gemeinsamen Betriebs für erforderlich gehalten53 . Zur Begründung wird angegeben, die Zusammenfassung von Arbeitnehmern verschiedener Unternehmen zu einem Arbeitsverband bringe die Notwendigkeit mit sich, daß die Arbeitgeber ihre Direktionsrechte koordiniert ausüben und ihre Personalpolitik verabreden; dieses notwendige Zusammenwirken sei als BGB-Innengesellschaft zu qualifizieren, deren gemeinsamer Zweck in der Gründung und Aufrechterhaltung des gemeinsamen Arbeitsverbandes bestehe54• Darüber hinausgehend wird von manchen verlangt, daß die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmer im Gemeinschaftsbetrieb von den beteiligten Unternehmen auf die BGB-Gesellschaft übertragen werden müßten5 5 • Diese Positionen haben auch Auswirkungen auf die Frage der Berechnung der Schwellenzahl des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG. Vor dem Hintergrund der Diskussion um einen normzweckorientierten Betriebsbegriff, der eine betriebsüberschreitende unternehmensweite Berechnung der Arbeitnehmerzahl zur Folge haben kann, ist zu erörtern, wie die Berechnung im Fall eines Gemeinschaftsbetriebs zu erfolgen hat. Hierfür sind (mindestens) drei Möglichkeiten denkbar: Entweder kommt es für die Schwellenzahl auf alle Arbeitnehmer im Gemeinschaftsbetrieb an, gleich, mit welchem Unternehmen ihr Arbeitsvertrag abgeschlossen ist (oder ob etwa im Sinne Krafts die BGB-Gesellschaft Arbeitgeber geworden ist); oder es kommt auf die Zahl aller Arbeitnehmer an, die demjenigen Unternehmen angehören, dem auch der zu kündigende Arbeitnehmer angehört; drittens könnte es auf die Zahl aller Arbeitnehmer ankommen, die in den beiden (bzw. allen) Unternehmen beschäftigt sind, die den Gemeinschaftsbetrieb unterhalten.

1. Rechtsprechung und h. L. Sind die Voraussetzungen für die Bildung eines Gemeinschaftsbetriebs, zu dem nach der herrschenden Ansicht insbesondere die Vereinbarung über die gemeinsame Führung mit rechtlichem Charakter gehört, erfüllt, dann soll es für die Berechnung der Schwellenzahl auf alle, aber auch nur die Arbeitnehmer - im Sinne der ersten der soeben aufgezählten Möglichkeiten - ankommen, die im Gemeinschaftsbetrieb beschäftigt sind, wobei unerheblich ist, mit welchem der beteiligten Unternehmen ihr Arbeitsverhältnis begründet worden ist. Damit übereinstimmend betont das BAG in seiner Entscheidung vom 23. 3. 198456 , das Gesetz mache den allgemeinen Kündigungsschutz von der Zahl 53 Kraft, FS Hilger/ Stumpf, S. 395 (398, 401 f.); Reuter, Anm. zu BAG v. 14. 9. 1988, AP Nr. 9 zu§ 1 BetrVG 1972; Löwisch, RdA 1976, S. 35 (37); ders., § 23 Rn 10; Hönn, Anm. zu BAG v. 23. 3. 1984, SAE 1985, S. 130 (131 ff.); ErfK/Ascheid § 23 KSchG Rn 5. 54 Reuter, Anm. zu BAG v. 14. 9. 1988, AP Nr. 9 zu§ 1 BetrVG 1972. 55 Kraft, FS Hilger/Stumpf, S. 395 (404). 13*

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5. Kap.: Die betriebliche Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

der beschäftigten Arbeitnehmer abhängig, nicht dagegen von der Zahl der Arbeitnehmer, die gerade derjenige Arbeitgeber beschäftige, gegen den sich nach § I KSchG der Bestandsschutz richte. In der Entscheidung vom 13. 6. 1985 57 wurde dieser Standpunkt implizit nochmals bekräftigt. Nachdem sich das BVerfG im ersten Kleinbetriebsbeschluß dem teleologischen Betriebsbegriff zugewandt hat, ist es nach der Rechtsprechung des BAG zum Gemeinschaftsbetrieb jedoch bei der herkömmlichen Bestimmung im genannten Sinne verblieben, ohne daß teleologische Erwägungen verstärkt Beriicksichtigung gefunden hätten, geschweige denn ausschließlich zur Begriffsbestimmung herangezogen worden wären. Dies belegt die Entscheidung vom 12. 11. 199858 . Zwar läßt das BAG die Annahme eines Gemeinschaftsbetriebs am Fehlen einer institutionalisierten Leitung scheitern, es unterläßt es jedoch, die hergebrachte Begriffsbestimmung des Gemeinschaftsbetriebs im Sinne von § 23 Abs. I S. 2 KSchG nach teleologischen Gesichtspunkten zu überpriifen, obgleich die Ausführungen des BVerfG aus dem ersten Kleinbetriebsbeschluß in weiten Teilen referiert werden. Ebenso verhält es sich in der Entscheidung vom 29. 4. 199959, wenngleich auch hier das Vorliegen eines Gemeinschaftsbetriebs bereits am Fehlen einer ausreichenden Führungsvereinbarung scheiterte. Nichtsdestoweniger wurde auch hier die traditionelle Begriffsbestimmung nicht in Frage gestellt. Dementsprechend kann festgestellt werden, daß die Rechtsprechung des BAG zum Gemeinschaftsbetrieb bei § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG eine offene Abkehr vom hergebrachten und eine Hinwendung zum normzweckbestimmten Betriebsbegriff des BVerfG (noch) nicht vollzogen hat. Ein Verständnis des Betriebsbegriffs in einem engen Sinn hält auch ein Großteil des Schrifttums für maßgebend60.

2. Der normzweckbestimmte BetriebsbegritT Joosts Im Unterschied zu diesem engen Betriebsbegriff von Rechtsprechung und h.L. vertritt Joost auch im Fall des Gemeinschaftsbetriebs eine normzweckbestimmte Interpretation und wendet sich strikt gegen das Zugrundelegen eines einheitlichen Begriffs vom Gemeinschaftsbetrieb bei betriebsverfassungs- und bei kündigungsschutzrechtlichen Fragestellungen. Während es dort darum gehe, ob eine gemeinsame Repräsentation gegenüber verschiedenen Arbeitgebern sinnvoll sei, habe es das KSchG mit der Beschränkung des Arbeitnehmerschutzes bei bestimmten Arbeitgebern zu tun. Dementsprechend untersucht Joost im folgenden die Bedeutung BAG AP Nr. 4 zu§ 23 KSchG 1969. BAG AP Nr. 10 zu§ 1 KSchG 1969. 58 BAG EzA § 23 KSchG Nr. 20. 59 BAG NZA 1999, S. 932 (933). 60 Hueck/ v. Hoyningen-Huene § 23 Rn 10 ff.; ErfK./ Ascheid § 23 KSchG Rn 5; APS/ Moll§ 23 KSchG Rn 14 ff. ; Löwisch § 23 Rn 10. 56 57

B. Erscheinungsformen des Betriebs

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der beiden Normzwecke des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG für die Problematik des Gemeinschaftsbetriebs61. Soweit der Normzweck darin bestehe, den Kündigungsschutz dem Arbeitgeber wegen der besonderen persönlichen Zusammenarbeit nicht zuzumuten, sei es sinnvoll, die Schwellenzahl auf die Gesamtzahl der im Gemeinschaftsbetrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu beziehen, denn regelmäßig nehme die Intensität der persönlichen Zusammenarbeit eines Arbeitnehmers mit seinem Arbeitgeber ab, weil dieser auch mit anderen Arbeitnehmern, denen des anderen Arbeitgebers, zusammenarbeiten werde. Etwas anderes gelte jedoch, wenn man den anderen Normzweck, nämlich den Schutz der Inhaber von Kleinbetrieben vor wirtschaftlicher Belastung, beriicksichtige. Wirtschaftliche Belastungen seien nicht vom Gemeinschaftsbetrieb, sondern vom jeweiligen Arbeitgeber für die mit ihm durch das Arbeitsverhältnis verbundenen Arbeitnehmer zu tragen. Insofern dürfe es für die Schwellenzahl nur auf die Zahl der Arbeitnehmer des einzelnen Arbeitgebers ankommen; eine Zusammenrechnung der Arbeitnehmer des gemeinsam geführten Betriebs sei also insoweit normzweckwidrig62. Im Ergebnis dürfe dies, auch wenn das Fehlen der besonderen persönlichen Zusammenarbeit im Gemeinschaftsbetrieb für die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzes spreche, nicht außer Betracht gelassen werden, weil die gesetzliche Beschränkung des Kündigungsschutzes bereits bei Vorliegen eines der beiden Normzwecke gelten müsse. Demnach ist also festzuhalten, daß nach Ansicht Joosts bei einem Gemeinschaftsbetrieb für die Berechnung der Schwellenzahl auf die Zahl aller Arbeitnehmer, die der jeweilige Arbeitgeber des zu kündigenden Arbeitnehmers beschäftigt (sei es im Gemeinschafts- oder in einem anderen Betrieb), zu beriicksichtigen sind. Auch im Fall des Gemeinschaftsbetriebs ist danach der Begriff "Betrieb" in § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG im Gegensatz zu Rechtsprechung und h.L. nach normzweckbestimmter Betrachtung im Sinne von "Arbeitgeber" als Wirtschaftssubjekt zu verstehen63 .

111. Betrieb eines konzernangehörigen Unternehmens Als weitere Fallgestaltung ist die Situation denkbar, in der ein Betrieb einem Unternehmen angehört, das seinerseits zusammen mit einem oder mehreren anderen Unternehmen einen Konzern bildet. Bei dem Konzern kann es sich um einen Unterordnungskonzern im Sinne von § 18 Abs. 1 AktGoderum einen Gleichordnungskonzern im Sinne von § 18 Abs. 2 AktG handeln. Aus dem Grund der Häu61 62 63

Joost, Betrieb und Unternehmen, S. 350. Joost, Betrieb und Unternehmen, S. 350 f. Joost, Betrieb und Unternehmen, S. 351.

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5. Kap.: Die betriebliche Reichweite des allgerneinen Kündigungsschutzes

figkeit in der Praxis soll hier lediglich die erstgenannte Art betrachtet werden. Sollte sich ergeben, daß zwischen beiden Arten unter dem Gesichtspunkt des § 23 Abs. l S. 2 KSchG kein Unterschied gemacht wird, hätte diese Betrachtung exemplarischen Charakter auch für den Gleichordnungskonzern. Gibt es im Unterordnungskonzern wenigstens ein herrschendes und wenigstens ein abhängiges Unternehmen, so können, will man von einer engen Betrachtung des Betriebsbegriffs in § 23 Abs. l S. 2 KSchG absehen, wiederum zwei Möglichkeiten für die Berechnung der Schwellenzahl unterschieden werden: Falls in dem Betrieb des (oder eines) abhängigen Unternehmens gekündigt werden sollte, wäre zu fragen, ob Arbeitnehmer im Betrieb des herrschenden Unternehmens mitzuzählen sind; sollte dagegen in diesem eine Kündigung ausgesprochen werden, wäre umgekehrt zu fragen, ob Arbeitnehmer aus dem (oder den) Betrieb(en) des oder der abhängigen Unternehmen(s) mitzuzählen sind.

1. Berechnungsdurchgriff im Konzern

Teilweise wird ein solcher "Berechnungsdurchgriff im Konzern" bei der Berechnung der Schwellenzahl des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG befürwortet, wonach bei einer Kündigung im Betrieb des einen Unternehmens die Beschäftigten in Betrieben anderer konzernangehöriger Unternehmen beriicksichtigt werden sollen64. Die Grundlage für diese Auffassung wird im Normzweck des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG gesehen, der in der wirtschaftlichen Entlastung finanziellleistungsschwacher Unternehmen bestehe, wofür die Beschäftigtenzahl einen Maßstab bilde. Bei einem Kleinbetrieb, der von einem aufgrundeiner Konzernbindung abhängigen und tatsächlich fremdgeführten Tochterunternehmen unterhalten wird, sei dieser Privilegierungsbedarf nicht gegeben; eine Privilegierung des Tochterunternehmens durch § 23 Abs. l S. 2 KSchG komme aufgrundvon dessen tatsächlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit im wesentlichen dem Mutterunternehmen zugute. Dessen Privilegierung stehe jedoch der Sinn und Zweck des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG entgegen, denn die Gesichtspunkte von Finanzkraft und Verwaltungskapazität, auf die für die Herausnahme aus dem KSchG abzustellen sei, seien vom herrschenden Unternehmen fremdbestimmt65 . Die Privilegierung sei für rechtlich und wirtschaftlich selbständige Kleinbetriebe geschaffen worden; an dieser Selbständigkeit fehle es bei einem untergeordneten Kleinbetrieb im Konzernverbund66. Danach sollen also sowohl bei einer Kündigung im Betrieb des konzernangehörigen Tochterunternehmens die Arbeitnehmer des Mutterunternehmens als auch umgekehrt bei einer 64 Bepler, ArbuR 1997, S. 54 (58 f.); ders., AuA 1997, S. 325 (329); Kittner, NZA 1997, S. 731 (732); ders. , ArbuR 1997, S. 182 (190); Kittner/Däubler/Zwanziger § 23 KSchG Rn 11a; Buschmann, ArbuR 1998, S. 210; Urban, Der Kündigungsschutz außerhalb des KSchG, S. 100. 65 Bepler; ArbuR 1997, S. 54 (58); Kittner; NZA 1997, S. 731 (732). 66 Urban, Der Kündigungsschutz außerhalb des KSchG, S. 99.

B. Erscheinungsformen des Betriebs

199

Kündigung im Betrieb des Mutterunternehmens die Arbeitnehmer des Tochterunternehmens mitzuzählen sein67•

2. Ablehnung einer konzernweiten Schwellenzahlberechnung

Demgegenüber wird eine konzernweite Berechnung der Schwellenzahl überwiegend abgelehnt68. Eine Berechnung, die das Unternehmen, bei dem der zu kündigende Arbeitnehmer beschäftigt ist, übersteigt, soll allein bei dem Vorliegen eines gemeinsamen Betriebs mehrerer (in diesem Fall: konzernangehöriger) Unternehmen zulässig sein69; eine bloß unternehmecisehe Zusammenarbeit allein, z. B. aufgrund von Beherrschungsverträgen, sei daher nicht ausreichend70• Zur Begründung wird darauf verwiesen, der Gesetzgeber habe am Betriebsbegriff festgehalten, obwohl im Gesetzgebungsverfahren ein Abstellen auf das Unternehmen diskutiert worden sei71 • Dieser Standpunkt werde auch durch § 322 Abs. 2 UmwG belegt: Indem der Gesetzgeber sich dort einer Fiktion bedient habe, bringe er zugleich zum Ausdruck, daß er den Fall eines gemeinsamen Betriebs mehrerer Unternehmen an sich nicht mehr vom Normgehalt des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG umfaßt sehe; ein konzernweiter Berechnungsdurchgriff sei daher ein solch massiver Eingriff in die gesetzgebensehe Entscheidung, daß er grundsätzlich nicht mehr im Wege der Auslegung erfolgen könne72• Eine arbeitgeberübergreifende Berechnung der Schwellenzahl, wie sie mit dem Abstellen auf die Arbeitnehmer im Konzern erfolge, sei abzulehnen.

Bepler, ArbuR 1997, S. 54 (58 f.). BAG v. 12. 11. 1998, AP Nr. 20 zu§ 23 KSchG 1969; v. 29. 4. 1999, NZA 1999, S. 932 (934); APS/Moll § 23 KSchG Rn 8 a.E.; Gragert!Kreutz;feldt, NZA 1997, S. 567 (569); dies., Anm. zu BAG v. 12. 11. 1998, AP Nr. 20 zu§ 23 KSchG 1969; Löwisch § 23 Rn 11 (Ausnahme: Arbeitsvertrag ist konzembezogen); so auch Preis, NZA 1997, S. 1073 (1075 f.); Falder, NZA 1998, S. 1254 (1258); KR/Weigand § 23 KSchG Rn 25 f. (anders noch Voraufl.); Jacobs, Anm. zu BAG v. 12. 11. 1998, EzA § 23 KSchG Nr. 20; in diese Richtung auch schon Wiedemann!Strohn, Anm. zu BAG v. 18. 10. 1976, AP Nr. 3 zu§ 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; Windbichler, Anm. zu BAG v. 27. 11. 1991, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Konzern. 69 Preis, NZA 1997, S. 1073 (1076); BAG v. 12. 11. 1998, AP Nr. 20 zu § 23 KSchG 1969. 70 Falder, NZA 1998, S. 1254 (1258); BAG v. 18. 1. 1990, AP Nr. 9 zu§ 23 KSchG 1969; v. 12. 11. 1998, AP Nr. 20 zu§ 23 KSchG 1969. 71 BAG v. 29. 4. 1999, NZA 1999, S. 932 (934); v. 12. 11. 1998, AP Nr. 20 zu § 23 KSchG 1969; APS/ Moll§ 23 KSchG Rn 8; Schwedes, BB 1996, Beil. 17, S. 2. 72 BAG v. 12. 11. 1998, AP Nr. 20 zu§ 23 KSchG 1969, v. 29. 4. 1999, NZA 1999, S. 932 (934); Gragert/Kreutz;feldt, NZA 1997, S. 567 (569); in diesem Sinne auch Preis, RdA 1999, S. 311 (315). 67

68

200

5. Kap.: Die betriebliche Reichweite des allgerneinen Kündigungsschutzes

IV. Nebenbetrieb (§ 4 S. 2 BetrVG a.F.) Das Betriebsverfassungsrecht kannte jedenfalls bis zur Reform des Betriebsverfassungsgesetzes 2001 die Figur des Nebenbetriebs. Der Nebenbetrieb wies danach alle Begriffsmerkmale eines selbständigen Betriebs auf; seine Besonderheit bestand darin, daß er einen gegenüber dem Hauptbetrieb eigenen selbständigen arbeitstechnischen Zweck verfolgt, der jedoch auf den Hauptbetrieb ausgerichtet ist. Der Nebenbetrieb hatte, obwohl organisatorisch eigenständig, eine Hilfsfunktion gegenüber dem Hauptbetrieb, indem er dessen Betriebszweck unterstützt73 • Für den Fall, daß in einem Nebenbetrieb weniger als fünf Arbeitnehmer (mit den in § 1 BetrVG bezeichneten Eigenschaften) beschäftigt waren, ordnete § 4 S. 2 BetrVG a.F. an, daß sie dem Hauptbetrieb zuzuordnen sind. In Entsprechung dazu läßt sich auch für § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG die Frage aufwerfen, ob im Fall einer Kündigung im Nebenbetrieb eine "Zuordnung" zu dem Hauptbetrieb auch in kündigungsschutzrechtlicher Hinsicht erfolgen soll, die darin bestehen könnte, daß die im Nebenbetrieb tätigen Arbeitnehmer zu denen des Hauptbetriebs zur Berechnung der Schwellenzahl zu addiert würden, mit der Folge, daß der Schwellenwert für die Nebenbetriebsarbeitnehmer eher erreicht werden könnte. Zu diesem Ergebnis könnte man nur über eine - direkte oder entsprechende -Anwendung der Regel des § 4 S. 2 BetrVG a.F. auf das Merkmal "Betrieb" in § 23 Abs. 2 S. 1 KSchG gelangen. Äußerungen aus dem Schrifttum zu dieser Fragestellung sind rar sowie uneinbeidich und teilweise wenig konkret. So heißt es beispielsweise, auch Nebenbetriebe könnten Betriebe im Sinne des KSchG sein74, ohne etwa Voraussetzungen näher zu benennen; ferner, ein Nebenbetrieb im Sinne von § 4 S. 2 BetrVG sei grundsätzlich als Betrieb im Sinne von § 23 Abs. 1 KSchG anzusehen75 , wobei zu möglichen Abweichungen von diesem Grundsatz keine weiteren Ausführungen getroffen werden. Auch die Behauptung, Nebenbetriebe nach § 4 S. 2 BetrVG (a.F.) "sind bei eigenständiger Betriebsorganisation trotz ihrer Hilfsfunktion für den Hauptbetrieb (... ) ebenfalls Betriebe i. S. d. KSchG"76, gibt für die Frage, ob bei der Berechnung der Schwellenzahl Arbeitnehmer aus dem Hauptbetrieb zu beriicksichtigen sind, in dieser Allgemeinheit noch nichts her. Nach Preis77 jedenfalls ist die Auffassung, die Abgrenzung des § 4 BetrVG (a.F.) sei auch für die betriebliche Abgrenzung des Kündigungsschutzes maßgebend, abzulehnen. Joost78 äußert sich ebenfalls kritisch zu einer Übernahme der Regelung 73 Hess/Schlochauer/Glaubitz § 4 Rn 12; GK/ Kraft§ 4 Rn 46; FKHE § 4 Rn 16; BAG v. 29. l. 1992, AP Nr. 1 zu§ 7 BetrVG 1972;je rn. w. N. 74 HK/ Kriebel § 23 Rn 5. 75 APS/ Moll§ 23 KSchG Rn 12. 76 Hueck/v. Hoyningen-Huene § 23 Rn 9. 77 RdA 1999, S. 311 (314); ders., RdA 2000, S. 257 (263). 78 Betrieb und Unternehmen, S. 341.

B. Erscheinungsformen des Betriebs

201

des § 4 BetrVG a.F. in das Kündigungsschutzrecht und stellt die Notwendigkeit einer auch insoweit normzweckbestimmten Interpretation des Betriebsbegriffs heraus, ohne aber hieraus konkrete Schlußfolgerungen für das Verhältnis von § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG und § 4 S. 2 BetrVG (a.F.) abzuleiten. Berkowsk/9 arbeitet im Zusammenhang mit dieser Problematik mit einer Unterscheidung von "Filialbetrieben" und "Gesamtbetrieb" und will für die Frage, ob das KSchG anzuwenden sei, auf die Zahl der Belegschaft des "Gesamtbetriebes" abstellen. Zur Bekräftigung seiner Position nennt Berkowsky die Entscheidung des BAG vom 26. 8. 1971 80• Darin hatte das Gericht die Anwendbarkeit der§§ 1 ff. KSchG auf eine von einer zentralen Verwaltungsstelle geleiteten Verkaufsstelle zu erörtern. Bestandteil der Argumentation war jedoch nicht die betriebsverfassungsrechtliche Regelung über den Nebenbetrieb, sondern diejenige über den Betriebsteil, weswegen diese Entscheidung für das Problem des § 4 S. 2 BetrVG (a.F.) direkt nichts herzugeben vermag81 . Kania I Gilberg82 äußern sich hierzu unter der Fragestellung nach dem Betrieb als Grenze der Sozialauswahl und vertreten, "die enge Verzahnung von Betriebsverfassungs- und Kündigungsrecht gebietet eine möglichst weitgehende Harmonisierung von kündigungsrechtlichem und betriebsverfassungsrechtlichem Betriebsbegriff'. Da der gesetzgebensehen Entscheidung für die Betriebsfiktion des § 4 BetrVG auch kündigungsrechtlich relevante Argumente zugrundelägen, erscheine eine Übertragung der Wertung des § 4 BetrVG ins Kündigungsschutzrecht geboten. Die neue Fassung, die sich nunmehr in § 4 Abs. 2 BetrVG findet, spricht nicht mehr von Nebenbetrieben, sondern nur noch von "Betrieben". Hierin dürfte eine Aufgabe des Merkmals der Hilfsfunktion liegen83• Indes stellt sich auch hier die Frage, ob entsprechend der Zuordnung nach § 4 Abs. 2 BetrVG auch eine Addition der für die Schwellenzahl nach § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG maßgeblichen Arbeitnehmer stattzufinden hat. Im übrigen fehlt eine deutliche Stellungnahme zu dieser Frage.

V. Betriebsteil Als Betriebsteile im Sinne von § 4 S. 1 BetrVG in seiner bis zur Betriebsverfassungsreform geltenden Fassung, die der neuen Regelung in § 4 Abs. 1 S. 1 BetrVG bis auf die redaktionelle Änderungen des Verweises auf nunmehr § 1 Abs. 1 S. 1 79

Die personen- und verhaltensbedingte Kündigung, § 2 Rn 118.

80

BAG AP Nr. 1 zu§ 23 KSchG 1969.

81

Dies gilt ebenfalls für die von Preis (RdA 1999, S. 311 (314)) zitierte Entscheidung des

BAG v. 25. 11. 1993, EzA § 14 KSchG Nr. 3.

Kania!Gilberg, NZA 2000, S. 678 (680 ff.). Vgl. auch Löwisch, BB 2001 , S. 1734 (1735); krit. zu diesem Merkmal schon DKK/ Trümner § 4 Rn 59. 82

83

202

5. Kap.: Die betriebliche Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

BetrVG gleicht, wurden und werden räumlich oder organisatorisch abgrenzbare unselbständige Teile eines Betriebes bezeichnet, die keinen eigenen Betriebszweck haben, sondern dem Zweck des Gesamtbetriebs dienen; erforderlich ist des weiteren das Vorhandensein einer eigenen Leitung für ihn, die Weisungsrechte des Arbeitgebers ausübt84. Betriebsteile, die die Voraussetzungen des § 4 S. 1 BetrVG a.F. erfüllen, werden qua Fiktion als Betriebe angesehen. Dies hat betriebsverfassungsrechtlich zur Folge, daß in ihnen ein Betriebsrat gewählt werden kann. Fraglich ist, ob diese Fiktion auch für das Kündigungsschutzrecht gelten kann oder soll. Die Folge wäre, daß Betriebsteile auch für § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG als selbständige Betriebe zu gelten hätten, wodurch eine Berücksichtigung der Arbeitnehmer des Hauptbetriebs nicht in Betracht käme, sondern eine Schwellenzahlberechnung vielmehr allein auf den (fingierten) Betrieb zu beschränken wäre. Die praktische Bedeutung dieser Frage ist allerdings dann, wenn die Schwellenzahl der Kleinbetriebsklausel nah bei derjenigen des§ 4 Abs. I S. 1 i.V.m. § 1 BetrVG liegt, gering. Denn für das Auslösen der Fiktion des § 4 Abs. I S. 1 BetrVG ist die in § I BetrVG genannte Zahl von fünf Arbeitnehmern erforderlich; wären im fraglichen Betriebsteil weniger als fünf Arbeitnehmer beschäftigt, käme die Fiktion des § 4 Abs. 1 S. 1 BetrVG nicht in Betracht; damit wäre fur § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG auf die Arbeitnehmer des "Betriebs", also auch die des Hauptbetriebs, abzustellen, so daß wahrscheinlich die für die Geltung der§§ 1 ff. KSchG erforderliche Schwellenzahl erreicht werden dürfte; wären im fraglichen Betriebsteil dagegen mehr als fünf Arbeitnehmer beschäftigt, könnte die Fiktion des § 4 Abs. I S. I BetrVG eingreifen; dann wäre zwar der Betriebsteil als "Betrieb" anzusehen, aber in diesem Fall könnten sich seine Arbeitnehmer ohnehin auf die §§ I ff. KSchG berufen, weil die Schwellenzahl des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG überschritten wäre. Relevanz entfaltet die Frage also bei einer Schwellenzahl von fünf(§ 23 Abs. 1 S. 2 KSchG) nur in dem Fall, in dem im fraglichen Betriebsteil genau fünf Arbeitnehmer mit den in § 1 Abs. 1 S. 1 BetrVG genannten Eigenschaften beschäftigt sind. An diesem Mangel an praktischer Relevanz mag es liegen, daß Stellungnahmen zur Frage der Anwendbarkeit des § 4 (Abs. 1) S. 1 BetrVG auf § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG vereinzelt geblieben sind. Insofern kann auf die literarischen Äußerungen zum Nebenbetrieb verwiesen werden, soweit diese zwischen der Anwendbarkeit des S. 1 (jetzt Abs. 1 S. 1) und des S. 2 (jetzt Abs. 2) von § 4 BetrVG auf§ 23 Abs. 1 S. 2 KSchG nicht differenzieren85 . Im übrigen wird die Anwendung der Fiktion unter Hinweis auf die Unerheblichkeit der räumlichen Einheit für den Kündigungsschutz teils abgelehnt86, teils befürwortet87 .

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GKI Kraft§ 4 Rn 50; Hess I Schlochauer I Glaubitz § 4 Rn 11; je m. w. N. Vgl. Preis, RdA 1999, S. 311 (314); Joost, Betrieb und Unternehmen, S. 341. Stahlhacke I Preis I Vossen Rn 605. APS I Moll § 23 KSchG Rn 9a.

C. Bewertung und Konsequenzen

203

Auch die Rechtsprechung verhält sich hierzu uneinheitlich. In der Entscheidung des BAG vom 26. 8. 1971 88 war zu klären, ob bereits eine einzelne mit bis zu fünf Arbeitnehmern besetzte, einheitlich und zentral gelenkte Verkaufsstelle oder erst die Gesamtheit aller Verkaufsstellen zusammen mit der zentralen Verwaltungsstelle einen "Betrieb" im Sinne des KSchG bildete. Das Gericht führte aus, entscheidend hierfür sei die Einheit der Organisation, während der räumlichen Verbundenheit weniger Bedeutung beizumessen sei, und gab als Beleg die Fiktion des mit dem § 4 BetrVG 1.972 ihnhaltsgleichen damaligen § 3 BetrVG 1952 an: Aus der Fiktion sei rückzuschließen, daß die räumliche Entfernung einzelner Betriebsteile nicht ausschließe, sie als einen Betrieb anzusehen. Auf dieses Urteil verweist das BAG in seiner Entscheidung vom 25. 11. 199389, als es bestätigt, die räumliche Einheit der Betriebsstätte sei für den Betriebsbegriff nicht wesensnotwendig; soweit Betriebsteile wegen § 4 BetrVG als selbständige Betriebe gälten, sei dies auch für den Betriebsbegriff im Rahmen des KSchG maßgeblich. Den entgegengesetzten Standpunkt nimmt das BAG jedoch in der Entscheidung vom 21. 6. 199590 ein. Die Vorschrift des § 23 KSchG differenziere nicht zwischen Betrieb und räumlich entferntem Betriebsteil, der nach § 4 S. 1 Nr. 1 BetrVG als selbständiger Betrieb gelten könne; die Norm stelle nicht auf die räumliche, sondern vielmehr auf die organisatorische Einheit ab. Dieser letztmals zum Betriebsteil im Zusammenhang mit § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG geäußerten Auffassung nach wäre die Anwendbarkeit der Fiktion des § 4 S. 1 BetrVG auf das Betriebsverfassungsrecht beschränkt.

C. Bewertung und Konsequenzen aus methodischer, historischer und objektiv-teleologischer Sicht Der teleologische Betriebsbegriff, vor allem als "normzweckbestimmter Betriebsbegriff' von Joost an bestimmten Erscheinungsformen des Betriebs entwikkelt und erweitert, hat sich inzwischen auch in der Rechtsprechung etabliert, jedoch (noch?) nicht mit letzter Konsequenz. Zwar hat das BVerfG der kündigungsschutzrechtlichen Kleinbetriebsklausel den streng teleologischen Betriebsbegriff zugrunde gelegt, doch wurden dessen Folgen allein am Fall des Mehrbetriebsunternehmens exemplifiziert, wonach ein Klein-"Betrieb" im Sinne von § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG dann nicht vorliege, wenn dieser Teil eines größeren Unternehmens sei, für das die die Kleinbetriebsprivilegierung rechtfertigenden Gesichtspunkte nicht zuträfen91. Damit wurde allerdings lediglich eine von mehreren Erscheinungsformen des Betriebs behandelt, während offen geblieben ist, was aus der streng teleologischen Betrachtung für die übrigen, hier vorstehend aufgeführten ErscheinungsforBAG AP Nr. 1 zu § 23 KSchG 1969 m. Anm. A. Hueck. BAG EzA § 14 KSchG Nr. 3. 90 BAG AP Nr. 16 zu § 1 BetrVG. 91 BVerfGE 97, S. 169 (184 f.).

88 89

204

5. Kap.: Die betriebliche Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

men zu gelten hat. Dieses Defizit des ersten Kleinbetriebsbeschlusses läßt sich auch nicht etwa damit begründen, daß sämtliche Erscheinungsformen gar nicht Gegenstand der Entscheidung gewesen seien; denn dies trifft ebenso auf das Mehrbetriebsunternehmen zu, das, obgleich ebenfalls nicht Entscheidungsgegenstand92 , hingegen vom BVerfG erörtert wird. Diese Entscheidung ultra petita nährt den Verdacht, das Verfahren werde zum Anlaß genommen, eine dogmatische Weichenstellung für die Bestimmung des Betriebsbegriffs vorzunehmen, um auf diese Weise dem teleologischen Betriebsbegriff auch in der Rechtsprechung zum Durchbruch zu verhelfen.

I. Wirkung des Betriebsbegriffs des BVerfG in der Rechtsprechung des BAG Dem ist das BAG weitgehend, doch bisher nur bis zu einem gewissen Grad gefolgt. Auf fruchtbaren Boden fielen die Ausführungen des BVerfG im Fall des Mehrbetriebsunternehmens93 , in dem allerdings zuvor schon das BAG selbst Ansätze zur späteren streng teleologischen Begriffsbestimmung gebildet hatte94. Eine vergleichbare Umsetzung des Betriebsbegriffs des BVerfG fehlt dagegen für die Figur des Gemeinschaftsbetriebs. Nach dem ersten Kleinbetriebsbeschluß ergingen zwei Entscheidungen des BAG, in denen im Zusammenhang mit § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG das Vorliegen eines Gemeinschaftsbetriebs zwar erörtert, aber kein Problembewußtsein für die lmplikationen des ersten Kleinbetriebsbeschlusses für den Gemeinschaftsbetrieb entwickelt wurde95 . Diese Entscheidungen hätten Anlaß geben müssen, eine Modifikation der bisherigen Sichtweise der SAG-Rechtsprechung zu erwägen. Denn wenn das BVerfG annimmt, ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG sei gegeben, wenn unter den Betriebsbegriff des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG auch Teile größerer Unternehmen fallen, für die aber die Gesichtspunkte nicht zutreffen, die eine Herausnahme aus dem allgemeinen Kündigungsschutz rechtfertigen, dann wäre grundsätzlich zu untersuchen gewesen, ob nicht auch der Gemeinschaftsbetrieb als ein solcher Teil (mindestens) eines größeren Unternehmens (und - bejahendenfalls - welchen Unternehmens) anzusehen sein könnte. Vom Standpunkt des BVerfG aus hätte es nahegelegen zu überprüfen, ob nicht beim Gemeinschaftsbetrieb schlechthin die das Privilegierungsbedürfnis des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG auslösenden Schutzgesichtspunkte fehlen, so daß der Gemeinschaftsbetrieb in keinem Fall als "Betrieb" im Sinne des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG anzusehen wäre. Stellt man nämlich mit dem BVerfG darauf ab, daß die RücksichtVg!.BVeifGE97,S.l69(171)undArbGReutlingenv.l!.I2.1986,NZA 1987,S. 522. So implizit in BAG v. 12. 11. 1998, EzA § 23 KSchG Nr. 20, S. 7. 94 BAG v. 19. 4. 1990, EzA § 23 KSchG Nr. 8. 95 BAG v. 12. 11. 1998, EzA § 23 KSchG Nr. 20, S. 7 und v. 29. 4. 1999, NZA 1999, S. 932 (934). 92 93

C. Bewertung und Konsequenzen

205

nahme auf geringe wirtschaftliche Belastbarkeit bei Einheiten, die Teil eines größeren Unternehmens sind, als Privilegierungsgrund entfällt, dann könnte auch der Gemeinschaftsbetrieb eine solche Einheit darstellen. Daß dies vom BAG nicht erörtert wird, kann nicht auf fehlendes Fallmaterial zurückgeführt werden. Denn nach dem ersten Kleinbetriebsbeschuß erging eine Entscheidung des BAG, in der das Gericht die Frage aufwarf, ob die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze über den Gemeinschaftsbetrieb bei § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG auf den öffentlichen Dienst- im Streit befanden sich eine Kirchengemeinde und ihr Kantor - übertragen werden könne96. Obwohl das Gericht Ausführungen aus dem ersten Kleinbetriebsbeschluß des BVerfG, insbesondere die auf den Betriebsbegriff bezogenen, in weiten Teilen referierte, ließ das BAG die Übertragung an der institutionalisierten Leitung des fraglichen Gemeinschaftsbetriebs scheitern; näher gelegen hätte allerdings, die Figur des Gemeinschaftsbetriebs als Teil "eines" größeren Unternehmens nach den Grundsätzen des BVerfG als "Betrieb" im Sinne von § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG generell in Frage zu stellen. Ebenso verfährt das BAG in seiner Entscheidung vom 29. 4. 199997 • Auch hier wird die Anwendbarkeit des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG auf den Gemeinschaftsbetrieb im Grundsatz unproblematisch angenommen; sie scheitert lediglich an einer hinreichenden Führungsvereinbarung. Dieses fehlende Problembewußtsein ist vor dem Hintergrund des ersten Kleinbetriebsbeschlusses wenig schlüssig. Es kann jedenfalls festgestellt werden, daß die Rechtsprechung des BAG den teleologischen Betriebsbegriff, wie ihm das BVerfG Gestalt verliehen hat, weder konsequent umgesetzt noch eine Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung angedeutet hat. Dazu hätte es sich auf Joost stützen können, der die Bedeutung der von ihm herausgearbeiteten Normzwecke auch für den Gemeinschaftsbetrieb auslotet und zu dem Resultat gelangt, daß bei einer Kündigung im Kleinbetrieb auf die Zahl aller vom jeweiligen Arbeitgeber beschäftigten Arbeitnehmer - unternehmensweit - abzustellen ist98 . Zu den übrigen Erscheinungsformen des Betriebs liegt, soweit ersichtlich, noch kein Fallmaterial vor, aufgrund dessen die konsequente fachgerichtliche Umsetzung des Betriebsbegriffs des BVerfG überprüft werden könnte. Doch abgesehen von der Stringenz der Durchführung des teleologischen Betriebsbegriffs in der arbeitsgerichtliehen Praxis erheben sich grundsätzliche Zweifel an seinem Erkenntniswert. Diese bestehen in zwei Überlegungen, deren erste eine methodische ist.

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BAG v. 12. 11. 1998, EzA § 23 KSchG Nr. 20m. Anm. Wank. BAG v. 29. 4. 1999, NZA 1999, S. 932 (933). Joost, Betrieb und Unternehmen, S. 350 f.

206

5. Kap.: Die betriebliche Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

II. Der BetriebsbegritT des BVerfG und die Methode der Auslegung Eine Interpretation des Betriebsbegriffs, wie sie das BVerfG in seinen Kleinbetriebsbeschlüssen darlegt, läuft Gefahr, gegen die methodischen Regeln der Auslegung zu verstoßen. Zu den klassischen canones der Auslegung gehören jedenfalls neben dem historisch-teleologischen modus der Wortsinn, der Bedeutungszusammenhang des Gesetzes sowie objektiv-teleologische Kriterien99. Im ersten Kleinbetriebsbeschluß, so auch bei Joost, wird aber einzig der modus der historisch-teleologischen Auslegung zur Bestimmung des Bedeutungsinhalts des Begriffs "Betrieb" herangezogen. So nennt Joost ihn denn auch den "normzweckbestimmten"; das BVerfG will jene Einheiten aus dem Tatbestandsmerkmal "Betrieb" in § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG ausklammern, auf die die als Normzwecke erkannten Gesichtspunkte nicht zutreffen. Durch diese ausschließlich auf den teleologischen modus beschränkte Interpretation wird ein modus den übrigen übergeordnet. Zwar soll nicht unterschlagen werden, daß sich die herkömmlichen Auslegungsregeln nicht strikt voneinander trennen lassen, sondern einander vielmehr "ergänzen und abstützen"100. Dennoch darf die Auslegung nicht auf einen möglichen Weg beschränkt bleiben, sondern sie muß den fraglichen Begriff mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln auf seinen Bedeutungsgehalt priifen. So gerät das Ergebnis dieser "Auslegung" leicht in Konflikt mit der Auslegung nach systematischen Gesichtspunkten. In deren Sinn kann darauf hingewiesen werden, daß ein Verständnis des Merkmals "Betrieb" im Sinne von "Arbeitgeber" oder "Unternehmen" sich nicht zunächst nur schwer mit der Tatsache vereinbaren läßt, daß das KSchG im übrigen sehr wohl zwischen Betrieb und Unternehmen, wie es § 1 Abs. 1 KSchG am deutlichsten herausstellt, unterscheidet. So kann mit dem systematischen Argument eingewandt werden, der Begriff "Betrieb" habe einen anderen Bedeutungsinhalt als der des "Unternehmens", da ansonsten die Nennung beider Begriffe im KSchG (z. B. in § 1 Abs. 1) überflüssig wäre. Joost zieht dem die historisch-teleologische Auslegung vor, weil auch andere Gesetze, wie das BeschFG oder das SchwbG, die - ebenso wie seiner Auffassung nach das KSchG Rücksicht auf finanzielle Belastbarkeit nähmen, an den Arbeitgeber anknüpften statt an den Betrieb 101 . Dem kann aus systematischer Sicht wiederum nur entgegengehalten werden, daß aus der Anknüpfung dieser Gesetze an den Arbeitgeber per argurnenturn e contrario gerade auf ein Festhalten am "Betrieb" in § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG geschlossen werden kann: Geht es im Schwerbehindertenrecht um die Vermeidung einer finanziellen Belastung und hat der Gesetzgeber an das vermögensfähige Subjekt "Arbeitgeber" angeknüpft, während er dies in der Kleinbetriebsklausei des KSchG nicht getan hat, dann legt dies den Schluß nah, daß der Larenz /Canaris, Methodenlehre, S. 163 ff. wo Fr. Müller, Juristische Methodik, S. 211; Larenz /Canaris, Methodenlehre, S. 149. IOI Joost, Betrieb und Unternehmen, S. 345 f.

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C. Bewertung und Konsequenzen

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"Betrieb" gerade nicht im Sinne des vermögensfähigen Subjekts "Arbeitgeber" oder "Unternehmen" zu verstehen ist. Hinzu kommt, daß es sich bei Betrieb und Unternehmen um Begriffe handelt, nach denen nicht allein das KSchG differenziert, sondern daß die Begriffe im großen systematischen Kontext im gesamten Arbeitsrecht kategorial unterscheiden werden und mit grundlegend unterschiedlichen Rechtsfolgen verknüpft sind, denkt man nur an das Recht der Betriebsverfassung und der Unternehmensrnitbestimmung. Obgleich damit noch nicht zu beantworten ist, inwiefern diese Unterscheidung auch bei § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG durchgehalten werden muß, stellt diese Überlegung ein Argument dar, das demjenigen, der von dem gleichen Verständnis gleicher Begriffe abrücken will, die Begründungslast aufbürdet. Gleichwohl muß konzediert werden, daß das systematische Argument nicht überbewertet werden darf, da sich manche Regelungen nicht stets einem begrifflichen System einordnen lassen und das Gesetz sich bisweilen nicht an diese Systematik hält 102. Doch fragt sich darüber hinaus, ob das vom BVerfG gefundene Ergebnis hinsichtlich des Betriebsbegriffs überhaupt auf dem Wege der Auslegung begründet werden kann, oder ob es sich dabei nicht vielmehr um das Ergebnis einer Rechtsfortbildung handelt 103 . Auslegung und Rechtsfortbildung werden durch die Grenze des möglichen Wortsinns unterschieden; eine Deutung, die jenseits des sprachlich möglichen Wortsinns liegt, scheidet als Ergebnis einer Auslegung aus, kann aber im Wege einer Rechtsfortbildung gefunden werden 104. Wenn das BVerfG als "Betrieb" im Sinne von § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG solche Betriebe nicht ansieht, die Teile eines größeren Unternehmens sind, dann bleibt diese Deutung hinter dem möglichen Wortsinn des Begriffs "Betrieb" zurück; die Deutung, es handele sich bei dieser Erscheinung doch um einen "Betrieb", weil von dessen Wortsinn nach herkömmlicher Bestimmung umfaßt, soll danach von den nach dem Wortsinn möglichen Erscheinungen ausgenommen werden. Damit wird die Breite der nach dem Wortlaut in Betracht kommenden Deutungsmöglichkeiten eingeschränkt, der Wortsinn also "unterschritten". Dabei kann es sich um eine teleologische Reduktion handeln. Diese besteht darin, daß der Anwendungsbereich einer Norm durch die Hinzufügung einer Einschränkung eingeengt wird 105. Im Fall des Betriebsbegriff besteht diese Einschränkung durch die vom BVerfG vorgenommene Interpretation106 sinngemäß darin, daß zu dem Merkmal "Betrieb" in§ 23 Abs. 1 S. 2 KSchG die Einschränkung: "der nicht Teil eines größeren Unternehmens ist, auf das die eine Herausnahme aus dem allgemeinen Kündigungsschutz rechtfertigenden teleologischen Gesichtspunkte nicht zutreffen" hinzugefügt wird. Dadurch wird eine Einschränkung der nach dem Wortlaut an sich möglichen Bedeutungen erreicht. Es 102

103

(510). 104 105 106

Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 164.

Zweifel bei Ehrich, Anm. zu BVerfG v. 27. l. 1998, EWiR § 23 KSchG 2 I 1998, S. 509

Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 143 f. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 211. Vgl. BVeifGE 97, S. 169 (184 f.).

208

5. Kap.: Die betriebliche Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

liegt also der Sache nach im Ergebnis eine teleologische Reduktion vor, die vom BVerfG fälschlicherweise als "Auslegung" bezeichnet wird 107. Daran kann auch die Charakteristik der Auslegung als eine "verfassungskonforme"108 nichts ändern. Das Gebot der Verfassungskonformität einer Auslegung findet dann Anwendung, wenn unter mehreren in Betracht kommenden Deutungsmöglichkeiten innerhalb des Wortsinns einer Norm mindestens eine Deutung gegen Verfassungsrecht verstößt, mindestens eine andere dagegen nicht. Es kann in einem solchen Fall allein zur Folge haben, daß unter diesen Deutungsmöglichkeiten eine solche gewählt werden muß, die nicht verfassungswidrig ist 109. Keinesfalls aber darf sich die verfassungskonforme Auslegung, wenn sie Auslegung bleiben will, über die Grenzen hinwegsetzen, die sich aus dem möglichen Wortsinn und dem Bedeutungszusammenhang des Gesetzes ergebenll 0 • Ebendies geschieht jedoch, indem das BVerfG die Wortsinngrenze durch Einschränkung des Begriffs "Betrieb" in § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG unterschreitet. Dies schließt eine Rechtsfortbildung, die den Vorgaben des Verfassungsrechts genügt, keineswegs aus, hindert jedoch die Annahme, dieses Ergebnis sei durch Auslegung zu erreichen. Die Konsequenzen dieses Befundes sind nicht unerheblich. Als Form der Rechtsfortbildung werden an die teleologische Reduktion strengere Anforderungen gestellt als an eine Auslegung. Voraussetzung ist das Vorliegen einer Gesetzeslükke, bei der es sich um eine planwidrige Unvollständigkeit des Gesetzes handeltll 1• Ist eine solche festgestellt, kann sie im Fall der teleologischen Reduktion nach dem Gebot der Gerechtigkeit ausgefüllt werden, Ungleiches ungleich zu behandeln, also die von einer Wertung her gebotenen Differenzierungen vorzunehmen112. Sowohl für die Feststellung einer Lücke als auch für Ermittlung einer solchen, eine Differenzierung gebietenden Wertung kommt es darauf an, die Regelungsabsieht und die dem Gesetz selbst innewohnende Teleologie zu ermitteln; insbesondere bedarf die Frage nach dem Vorliegen einer Lücke der Erörterung der mit dem Gesetz verfolgten Zwecke und eines gesetzgebensehen "Plans" 113 . Diese Erfordernisse werden übergangen, wenn man eine Deutung im Wege der Auslegung zu finden meint, wo in Wahrheit eine Rechtsfortbildung vorgenommen worden ist. Vom Standpunkt des BVerfG liegt es nah, diejenigen teleologischen Erwägungen, die für Auslegung herangezogen worden sindll 4, auch zur Begrundung einer Gesetzeslücke und ihrer Ausfüllung in dem genannten Sinn anzuführen. Dies wären, auf einen Nenner gebracht, die Schutzwürdigkeit des Kleinbetriebs, weil 107 10s 109

110 111 112

113

114

BVerfGE 97, S. 169 (184). BVerfGE 97, S. 169 (184).

Vgl. Fr. Müller, Juristische Methodik, S. 86; Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 160. So Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 161. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 194. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 211. Larenz/ Canaris, Methodenlehre, S. 194 f., 211. BVerfGE 97, S. 169 (184 i.V.m. 177 f.).

C. Bewertung und Konsequenzen

209

(und wenn) er wirtschaftlich nur gering belastbar ist und auf die besonders engen persönlichen Verhältnisse Rücksicht genommen werden muß. Damit hängt die Richtigkeit der Interpretation des Betriebsbegriffs durch das BVerfG davon ab, inwieweit in dieser Weise die legislatorischen Regelungsabsichten und eine der Norm objektiv immanente Teleologie zutreffend beschrieben sind. Erst anband dieser Untersuchung kann die Frage beantwortet werden, ob überhaupt eine planwidrige Unvollständigkeit der gesetzlichen Regelung vorliegt, die ihrerseits wiederum Voraussetzung für eine Untersuchung wäre, mit welchem Inhalt eine mögliche planwidrige Regelungslücke im Wege der teleologischen Reduktion gegebenenfalls ausgefüllt werden könnte.

111. Kleinbetrieb und Kündigungsschutz in der historischen Entwicklung Dies führt also zunächst zu der Frage, ob die Rücksichtnahme auf geringe wirtschaftliche Belastbarkeit und auf besonders enge persönliche Beziehungen mit den Regelungsabsichten des Gesetzgebers identifiziert werden können. Mit der Beantwortung dieser Frage steht und fallt der teleologische Betriebsbegriff des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG, soweit er auf diesen Zweckzuordnungen beruht 115 • Eine solche Untersuchung wird Aufschluß dariiber geben, ob bei § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG tatsächlich eine Lücke hinsichtlich des einem Mehrbetriebsunternehmen angehörigen Kleinbetriebs vorliegt und ob - bejahendenfalls - eine solche, gemessen an den Vorstellungen des Gesetzgebers, "planwidrig" ist. Erst dann, wenn dies der Fall ist, darf eine Rechtsfortbildung im Wege der teleologischen Reduktion vorgenommen werden. Für diesen Fall könnte die historische Untersuchung außerdem Rückschlüsse auf die Maßstäbe zulassen, die der Ausfüllung der Lücke dienen können. Zugleich aber kann eine historisch-teleologische Erörterung verdeutlichen, wie groß die Sicherheit oder Unsicherheit bei der Errnittelbarkeit bestimmter subjektiver Regelungsabsichten ist, wovon wiederum der Wert einer vor allem hierauf basierenden teleologischen Begriffsbestimmung abhängt. Vor diesem Hintergrund soll die Entstehungsgeschichte dessen, was heute die Kleinbetriebsklausel des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG ausmacht, überblicksweise beleuchtet werden.

1. Betriebsrätegesetz vom 4. 2.1920 116 Eine Unterscheidung des Kündigungsschutzes nach der Größe des Betriebs wurde zunächst im Betriebsrätegesetz (BRG) von 1920 vorgenommen. Nach dessen § 1 waren in allen Betrieben, die in der Regel mindestens zwanzig Arbeitnehmer HS 116

So z. B. BVerfGE 97, S. 169 (184 f.); Joost, Betrieb und Unternehmen, S. 350. RGBI. I S. 147.

14 Stelljes

210

5. Kap.: Die betriebliche Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

beschäftigten, Betriebsräte zu errichten; in Betrieben mit mindestens fünf Arbeitnehmern war ein Betriebsobmann zu wählen(§ 2 Abs. 1 BRG). In§ 84 BRG war vorgesehen, daß Arbeitnehmer im Falle einer Kündigung durch den Arbeitgeber bei dem Arbeiter- oder Angestelltenrat gegen die Kündigung Einspruch erheben konnte, wenn der Verdacht vorlag, daß der Arbeitnehmer wegen gewisser Eigenschaften oder Tatigkeiten durch die Kündigung diskriminiert wurde (§ 84 Abs. 1 Nr. 1 BRG), wenn die Kündigung ohne Angabe von Gründen erfolgt war (Nr. 2), wenn sie deshalb erfolgt war, weil der Arbeitnehmer eine andere als die vertraglich vereinbarte Arbeit zu leisten sich weigerte (Nr. 3) und schließlich dann, "wenn die Kündigung sich als eine unbillige, nicht durch das Verhalten des Arbeitnehmers oder durch die Verhältnissse des Betriebs bedingte Härte" darstellte. Der Betriebsobmann besaß gemäß § 92 BRG, der in seiner Aufzählung § 84 BRG nicht nannte, die Befugnisse des § 84 BRG nicht. In Betrieben, in denen es lediglich einen Betriebsobmann gab, weil dort nur fünf bis neunzehn Arbeitnehmer beschäftigt waren, konnte also kein Einspruch gegen Kündigungen im Sinne des § 84 BRG erhoben werden. Hieraus wurde geschlossen, daß das Einspruchsrecht in Betrieben mit weniger als fünf Arbeitnehmern erst recht nicht galt 117 • Die Regelung des § 1 BRG bestimmte den Anwendungsbereich der betrieblichen Mitbestimmung insgesamt. Diese war zur Ausführung des Art. 165 WRV im BRG erstmals gesetzlich geregelt worden 118. Die Bestimmung sollte ein Versuch sein, "den Rätegedanken verfassungsrechtlich zum Ausdruck zu bringen"119; das BRG sollte dementsprechend "den Aufbau des wirtschaftlichen Rätesystems in die Tat umsetzen" 120. Hieraus folgt, daß die betriebliche Mitbestimmung und damit auch der Kündigungseinspruch nicht - jedenfalls nicht in erster Linie - den Schutz des einzelnen Arbeitnehmers bezweckte, sondern ihn allenfalls als Reflex enthielt. Dem entspricht, daß der Arbeitnehmer im Fall seiner Kündigung den Schutz nach § 84 ff. BRG nicht allein erreichen konnte, sondern auf die Mitwirkung des Angestellten- bzw. Arbeiterrats angewiesen war, bevor der Weg zum Arbeitsgericht beschritten werden konnte (§ 86 Abs. 1 BRG). Daher wird der Kündigungsschutz des BRG als ein kollektivrechtlicher verstanden 121 . Damit aber hatte auch die Begrenzung dieses Kündigungsschutzes auf Betriebe im Sinne von § 1 BRG nicht den Zweck, einen Teil der Arbeitnehmerschaft durch Gewährung des Schutzes zu begünstigen und den Schutz einem anderen Teil vorzuenthalten. Vielmehr unterlag die Kündigung nur in solchen Betrieben der Mitbestimmung, in denen aufgrund ihrer Beschäftigtenzahl überhaupt ein Bedürfnis bestand und es möglich war, den Rätegedanken zu verwirklichen. Dieser Gedanke wird gestützt durch die Staffelung der Mitbestimmungsrechte Mansfeld, BRG, vor § 1 Anm. 4. Flatow/Kahn-Freund, BRG, Einleitung Anm. 2 (S. 21 ff.), dort auch Abdruck des Art. 165 WRV. 119 Stier-Somlo, BRG, Einführung Anm. X (S.XXI). 120 Mansfeld, BRG, Einleitung (S. 1). 121 Hueck/v. Hoyningen-Huene, KSchG, Einleitung Rn 19 f. 117

118

C. Bewertung und Konsequenzen

211

nach der Zahl der Beschäftigten (bei mindestens fünf Beschäftigten ein Betriebsobmann mit den Rechten nach § 92 BRG; bei mindestens zwanzig Beschäftigten alle Organe mit allen Mitbestimmungsrechten), die erkennen läßt, daß Repräsentationsfähigkeit und Repräsentationsbedürfnis der Arbeitnehmerschaft für die Anwendbarkeit des BRG und seines Kündigungsschutzes entscheidend waren. Nicht nur der Regelungszweck des BRG, sondern auch die systematische Stellung des Kündigungsschutzes (§ 84 BRG) einerseits und der Regelungen über den Anwendungsbereich des BRG (§§ 1 ff.) andererseits macht deutlich, daß § 1 BRG nicht speziell den Kündigungsschutz einzuschränken bestimmt war. Diese Norm befand sich im Abschnitt I der allgemeinen Bestimmungen und bezog sich damit nicht ausschließlich auf den Schutz des Arbeitnehmers gegen Kündigungen, sondern sie betraf den gesamten Anwendungsbereich der betrieblichen Mitbestimmung, während die Entgegennahme des Kündigungseinspruchs nach § 84 BRG im Abschnitt III über Aufgaben und Befugnisse der Betriebsvertretungen unter "B. Arbeiterrat und Angestelltenrat" lediglich als eine unter mehreren Aufgaben genannt war. Damit fehlt der Kleinbetriebsklausel des § 1 BRG ein speziell kündigungsrechtlicher Bezug und eine speziell kündigungsrechtliche Funktion.

2. Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20.1. 1934 122 Im Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit (AOG) war der Kündigungsschutz in einem eigenen Abschnitt, der auch diesen Titel trug, geregelt. Nach § 56 Abs. 1 AOG konnte ein Arbeitnehmer nach einjähriger Beschäftigung in einem Betrieb mit in der Regel mindestens zehn Beschäftigten beim Arbeitsgericht mit Antrag auf Widerruf einer Kündigung klagen, wenn diese unbillig hart und nicht durch die Verhältnisse des Betriebes bedingt war. Damit war der Kündigungsschutz von der Mitwirkung eines Mitbestimmungsorgans, wie sie das BRG vorsah, gelöst und als individueller Kündigungsschutz ausgestaltet worden. Im Vergleich zum BRG ist in systematischer Hinsicht bemerkenswert, daß der Anwendungsbereich des AOG nach der Beschäftigtenzahl nicht, wie noch im BRG, allgemein am Anfang für alle Regelungsgegenstände des Gesetzes bestimmt wurde, sondern daß unterschiedliche Regelungsbereiche des AOG unterschiedliche Mindestbeschäftigtenzahlen voraussetzten. So waren etwa für die Wahl des Vertrauensrates zwanzig Beschäftigte erforderlich (§ 5 Abs. 1 AOG), für den Erlaß einer Betriebsordnung ebenfalls zwanzig (§ 26 AOG) und für den Kündigungsschutz zehn (§ 56 Abs. 1 AOG). Dadurch wird deutlich, daß die jeweils erforderliche Beschäftigtenzahl je nach Regelungsbereich differenziert und auf den jeweiligen Regelungsbereich abgestimmt worden war. Damit läßt sich für den Kündigungsschutz der§§ 56 ff. AOG feststellen, daß die Kleinbetriebsklausel hier- im 122 14*

RGBl. I S . 35.

212

5. Kap.: Die betriebliche Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

Gegensatz zu § 1 BRG - erstmals einen direkten inhaltlichen Bezug zum Kündigungsschutz bekommen hatte und deshalb speziell zur Regelung des Kündigungsschutzes bestimmt war. Gesetzeszweck des AOG war die "Bestimmung der Gemeinschaft aller im Betrieb Arbeitenden" im Sinne einer "schicksalsmäßigen Verbundenheit von Unternehmern und Arbeitern", die ,.Übertragung des Führergedankens in den Betrieb und in das Arbeitsrecht überhaupt" und damit die "Eingliederung der betrieblichen Arbeit in das Leben der ganzen Nation, d. h. Auffassung und Wertung der Arbeit als Dienst an Volk und Staat" 123• Dementsprechend diente das Kündigungsschutzrecht dazu, den "Gefolgschaftsangehörigen" dagegen zu sichern, "ohne triftigen Grund seine Arbeitsstelle zu verlieren", damit er sich "für seinen Betrieb einsetzen und sich als wirklicher Mitarbeiter des Betriebes fühlen" und sich ,,rückhaltlos für seinen Betrieb einsetzen" konnte 124• Der Sinn des Ausschlusses von Betrieben mit weniger als zehn Beschäftigten wurde darin gesehen, daß "in derartigen Betrieben die Zusammenarbeit zwischen Führer und Gefolgschaft besonders enge persönliche Beziehungen zur Folge hat und deshalb der Führer in der freien Bestimmung dariiber, mit wem er zusammenarbeiten will, nicht beschränkt werden soll. Auch würde die Pflicht zur Zahlung einer Entschädigung den kleinen Unternehmer besonders schwer belasten." 125 Die finanzielle Leistungsfähigkeit des Unternehmers spielte auch innerhalb des AOG für die Höhe der Entschädigung eine Rolle, die nach einer Ablehnung des Widerrufs der Kündigung nach §§ 56, 57 AOG zu zahlen war. Gemäß § 58 AOG war bei der Bemessung der Höhe der Entschädigung die wirtschaftliche Lage des Gekündigten und des Betriebes sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses zu berücksichtigen. Der Zweck des Kündigungsschutzes im AOG, die "Sicherung des Einsatzes für Volk und Staat", war also durch den Ausschluß der Kleinbetriebe vom Kündigungsschutz der Rücksicht auf die vermutete geringere finanzielle Leistungsfaltigkeil des Kleinunternehmers nachgeordnet

3. Die Zeit nach Außerkrafttreten des AOG Durch das Kontrollratsgesetz Nr. 40 vom 30. 11. 1946 126 der Militärregierungen trat das AOG mit Wirkung vom 1. I. 1947 außer Kraft. Es existierte fortan keine einheitliche gesetzliche Regelung mehr, die den Kündigungsschutz explizit regelte. In der Folgezeit gingen die Länder daher unterschiedliche Wege.

123

(S. 9).

A. Hueck I Nipperdey I Dietz, AOG, § 1 Anm. 1; vgl. auch Dersch, AOG, Einleitung

125

A. HueckiNipperdey IDietz, AOG, Vorbem. §§56 ff., Anm. 1. A. HueckiNipperdeyiDietz, AOG, Vorbem. §§56 ff., Anm. 3.

126

Amtsbl. KR 1947, S. 229, zitiert in RdA 1951, 61.

124

C. Bewertung und Konsequenzen

213

a) Der Rechtszustand in den verschiedenen Zonen

In der britischen Zone bedienten sich die Gerichte zur Kontrolle von Kündigungen der zivilrechtliehen Generalklauseln der §§ 138, 242 BGB. Hier kam es am 23. I. 1947 zum Erlaß des Präsidenten des Zentralamtes für Arbeit: "Eine Kündigung ist, selbst wenn sie die Zustimmung des Betriebsrates und des ArbA gefunden hat, jedenfalls dann nichtig, wenn sie sich als Rechtsmißbrauch darstellt (§ 242 BGB). Ein Mißbrauch der formalen Kündigungsbefugnis durch den Arbeitgeber liegt immer dann vor, wenn die Kündigung nicht notwendig, also willkürlich ist. Es obliegt dem Arbeitgeber, in jedem einzelnen Streitfall den Nachweis zu erbringen, daß die Kündigung entweder durch die Person des Arbeitnehmers (Leistungsunfähigkeit usw.), oder durch sein Verhalten (Diebstahl usw.) oder durch die Verhältnisse des Betriebes (Arbeitsmangel usw.) zwingend geboten ist. Wo dieser Nachweis nicht gelingt, erweist sich die Kündigung als eine unrichtige Rechtsausübung, die vor dem Gericht keinen Bestand haben kann, d. h. sie ist ohne Recht erfolgt und nichtig." 127 Von den Gerichten wurden die Generalklauseln bei der Bewertung von Kündigungen aber in ganz unterschiedlicher Weise interpretiert. Die Zahl der im Betrieb Beschäftigten spielte in dieser Judikatur jedoch keine Rolle. In den Ländern der amerikanischen und französischen Zone wurde der Kündigungsschutz gesetzlich geregelt, jedoch von Land zu Land unterschiedlich 128• Zumeist waren diese Gesetze dem BRG nachgebildet, so daß der Kündigungsschutz kollektivrechtlich ausgestaltet war und das Bestehen eines Betriebsrates voraussetzte, der wiederum nur in Betrieben mit einer bestimmten Mindestzahl von beschäftigten Arbeitnehmern gebildet werden konnte. So waren z. B. in Hessen 129 ebenso wie in Bremen130 mindestens fünf wahlberechtigte Arbeitnehmer zur Bildung eines Betriebsrates erforderlich, der seine Zustimmung zur Kündigung eines Arbeitnehmers verweigern konnte, während in Rheinland-Pfalz 131 erst ab elf Arbeitnehmern ein Betriebsrat eingerichtet werden konnte, bei dem der gekündigte Arbeitnehmer Einspruch gegen die Kündigung erheben konnte.

127 Erlaß vom 23. l. 1947- III/95/47, Arbeitsblatt für die britische Zone 1947 S. 72, auch zitiert in RdA 1951, S. 62. 128 A. Hueck, BlStSozArbR 1949, S. 118 ff., 131 ff.; Überblick auch in RdA 1951, S. 61 f.; Zum Vergleich zwischen württemberg-badischer, bayerischer und rheinland-pfälzischer Kündigungsschutzgesetzgebung A. Hueck, RdA 1948, S. 169. 129 §§ 2, 42 Betriebsrätegesetz für das Land Hessen, GVOBI. für das Land Hessen 1948, S.ll7ff. 130 §§ 1, 39 Brernisches Betriebsrätegesetz, GBI. der Freien Hansestadt Bremen 1949, S. 7 ff. 131 §§ 1, 46 Abs. 1 Landesverordnung über die Errichtung und die Tätigkeit von Betriebsräten, VOBI. Rheinland-Pfalz 1947, S. 258 ff.

214

5. Kap.: Die betriebliche Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

b) Das Wirtschaftsratsgesetz vom 20. 7. 1949 ("Frankfurter Entwuif") 132

Dieser Zustand der Uneinheitlichkeit sollte durch ein Gesetz über den Kündigungsschutz behoben werden. So beschloß der Wirtschaftsrat der zum Vereinigten Wirtschaftsgebiet verbundenen amerikanischen und britischen Zone am 20. 7. 1949 in Frankfurt ein Kündigungsschutzgesetz. Dieses Gesetz trat jedoch nicht in Kraft, weil die Militärregierungen ihre Genehmigung verweigerten, um das Gesetz für die Bundesgesetzgebung zurückzustellen. Der Frankfurter Entwurf regelte den Schutz gegen sozialwidrige Kündigungen und enthielt in seinem § 17 Abs. 4 die Beschränkung seines Anwendungsbereiches auf Betriebe, die nicht mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigen, die ohne Unterbrechung länger als ein Jahr im gleichen Betriebe oder Unternehmen beschäftigt sind. Die Herausnahme der Kleinbetriebsarbeitnehmer aus dem Kündigungsschutz wurde bemängelt 133, weil der Grund, der die Beschränkung des BRG auf Betriebe einer gewissen Größe bedingt habe, entfallen sei: Habe hier der Gedanke der Mitbestimmung im Mittelpunkt gestanden und einen Ausschluß der kleineren Betriebe gerechtfertigt, gelte dies für den Kündigungsschutz, der nunmehr die Mitwirkung des Betriebsrates völlig zurliektreten lasse, nicht mehr, so daß die Ausdehnung des Kündigungsschutzes auf Kleinbetriebe naheliege. Gleichwohl wird für die Ausnahme der Kleinbetriebe geltend gemacht, daß "in Kleinbetrieben der Arbeitgeber durch den Zwang zur Fortsetzung eines ihm nicht mehr genehmen Arbeitsverhältnisses und im Hinblick auf die kleinen Verhältnisse auch finanziell besonders schwer belastet werden kann", was jedoch von den Gerichten "bei der Würdigung des einzelnen Falles" berücksichtigt werden könne 134• Schließlich könne auch eine Kündigung im Kleinbetrieb eine "sehr erhebliche Härte" darstellen, "die keinerlei Rücksicht auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers, die von ihm in der Vergangenheit geleisteten Dienste, seine heutige Lage, seinen FarnBienstand usw. nimmt" und damit "im stärksten Maße sozial ungerechtfertigt sein kann" 135 . c) Der Hattenheimer Entwuifvom 13. 1. 1950136

In der Zeit vom 9. bis zum 13. 1. 1950 kamen in Hattenheim Vertreter der Spitzenorganisationen der Arbeitnehmer (Deutscher Gewerkschaftsbund) und der Ar132 133 134 135 136

Indirekt zitiert beiA. Hueck, RdA 1949, S. 331. A. Hueck, RdA 1949, S. 331 (333). A. Hueck, RdA 1949, S. 331 (333). A. Hueck, RdA 1949, S. 331 (333). RdA 1950, S. 63.

C. Bewertung und Konsequenzen

215

beitgeber (Vereinigung der Arbeitgeberverbände) zusammen und einigten sich u. a. auf einen Entwurf eines Kündigungsschutzgesetzes. Dieser war stark an dem Frankfurter Entwurf orientiert und übernahm einen großen Teil seiner Regelungen. Nach§ 21 Abs. 4 des Hattenheimer Entwurfs galt der erste Abschnitt dieses Gesetzes, der den Allgemeinen Kündigungsschutz betraf, "nicht für Betriebe, in denen drei oder weniger Arbeitnehmer ausschließlich der Lehrlinge beschäftigt werden". Hierin lag ein wesentlicher Unterschied zum Frankfurter Entwurf, der als Schwellenwert noch die Zahl von zehn Arbeitnehmern vorgesehen hatte. Wenn auch damit die Zahl der vom allgemeinen Kündigungsschutz ausgenommenen Arbeitnehmer gesenkt wurde, blieb die Frage wichtig, was für die Kündigung von Arbeitnehmern in diesen Betrieben zu gelten hatte. Dazu wurde kritisch angemerkt, daß eine klare Regelung für die Kündigung eines vom allgemeinen Kündigungsschutz ausgenommenen Arbeitnehmers dringend geboten sei, die sich insbesondere mit der Frage befasse, wie weit neben dem Kündigungsschutz eine Anwendung der§§ 138, 242 BGB wegen Sozialwidrigkeit einer Kündigung möglich ist 137•

4. Das Gesetzgebungsverfahren des KSchG vom 10. 8. 1951 138 a) Der Regierungsentwuifvom 23. 1. 1951 139 Ein gutes Jahr nach der Abfassung des Hattenheimer Entwurfs verabschiedete die Bundesregierung zwei vom Bundesarbeitsminister vorgelegte Gesetzesentwürfe zum Arbeitsrecht, darunter den Entwurf eines Kündigungsschutzgesetzes (Regierungsentwurf). Grundlage hierfür war der Hattenheimer Entwurf der Spitzenorganisationen. Durch das neue Kündigungsschutzgesetz sollte die seinerzeit bestehende Rechtszersplitterung beseitigt werden, die nach der Begründung des Regierungsentwurfs die Übersichtlichkeit des Rechts störte, die Rechtssicherheit beeinträchtigte und die Rechtsverfolgung erschwerte 140. Ebenso wie der Hattenheimer Entwurf sah der Regierungsentwurf in § 21 Abs. 1 S. 2 vor, daß die Vorschriften über den allgemeinen Kündigungsschutz nicht für Betriebe und Verwaltungen gelten, "in denen in der Regel drei oder weniger Arbeitnehmer ausschließlich der Lehrlinge beschäftigt werden". In dem Entwurf wird darauf hingewiesen, daß die Sozialpartner während der Hattenheimer Verhandlungen darum gestritten hatten, ob ein Kleinbetrieb ein solcher mit höchstens fünf Beschäftigten einschließlich der Lehrlinge oder aber ein solcher mit höchstens drei Beschäftigten ausschließlich der Lehrlinge sein sollte. Im Regierungsentwurf fiel die Entscheidung wie in Hattenheim für die zweite Alternative aus, denn da137 138 139 140

A. Hueck, RdA 1950, S. 65 (67). BGBI. I S. 499. BT-Drucks. 1/2090; auch abgedruckt in RdA 1951, S. 58. Begründung des Kündigungsschutzgesetzes, RdA 1950, S. 61 (62).

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5. Kap.: Die betriebliche Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

durch werde "vermieden, daß die Einstellung eines Lehrlings unterbleibt, weil der Betrieb andernfalls unter den Geltungsbereich des Gesetzes fiele" 141 . b) Die Lesungen im Bundestag

Sogleich nach Bekanntwerden des Regierungsentwurfs geriet diese Kleinbetriebsklausel in die Kritik. In der ersten Beratung im Bundestag am 11. 4. 1951 teilte Bundesarbeitsminister Storch mit: "Nun sind uns im Arbeitsministerium ( ... ) vor allem aus den Kreisen des Handwerks und der Landwirtschaft Bedenken gegen einige Formulierungen in diesem Gesetz mitgeteilt worden. (... ) Es wird auch Aufgabe des Ausschusses sein, die Bedenken zu prüfen, die vor allen Dingen von den Betrieben des Handwerks und der Landwirtschaft wegen der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer im Betriebe vorgetragen worden sind." 142 Eine Besprechung des Regierungsentwurfs war in der ersten Beratung nicht vorgesehen; er wurde an den Ausschuß für Arbeit überwiesen. Nach dem mündlichen Bericht des Ausschusses für Arbeit vom 21. 6. 1951 war aber keine Änderung an der Kleinbetriebsklausel vorgeschlagen worden, obwohl er im übrigen eine Vielzahl von Änderungsempfehlungen enthielt 143 . In der zweiten Beratung vom 5. 7. 1951 wurden ausschließlich drei Punkte des Regierungsentwurfs diskutiert, die allesamt die Voraussetzungen für die Anwendung des allgemeinen Kündigungsschutzes betrafen: die Dauer der Betriebszugehörigkeit, ein Mindest1ebensalter des Arbeitnehmers sowie die Schwellenzahl der Kleinbetriebsklausel 144. Vor allem von den konservativen Parteien waren Anträge gestellt worden, die Schwellenzahl von drei auf zehn zu erhöhen. Dagegen wurde insbesondere von der SPD, aber auch von Teilen der CDU, geltend gemacht, daß rund vier Millionen Arbeitnehmer von dem Kündigungsschutz ausgenorrunen würden, wenn man die Schwellenzahl auf zehn Beschäftigte festlegte; daher sei auch daran zu denken, "den Menschen, die in mittleren und kleinen Betrieben beschäftigt sind, eben doch diesen Schutz in diesem Umfang zu geben" 145 . Das Argument der großen Zahl ausgeschlossener Arbeitnehmer führte auch die SPD an; zudem sei bereits genügend Rücksicht auf die Kleinbetriebe genommen worden, denn "über die Bestirrunung der sogenannten betrieblichen Erfordernisse bestehen wirklich Möglichkeiten für die kleineren Betriebe, über Härten hinwegzukorrunen"; an verschiedenen Stellen sei irruner wieder betont worden, daß auch die Richter Rücksicht auf den Schutz der kleinen Betriebe nehmen müßten. Schließlich widerspreche die Erhöhung der Schwellenzahl den Interessen der Kleinbetriebsinhaber, 141 142 143 144

145

Begründung des Kündigungsschutzgesetzes, RdA 1951, S. 61 (63). Sten. Ber. Bd. 7, 133. Sitzung, S. 5121 (B). BT-Drucks. 1/2384, S. 9. Verhandlungen des Deutschen Bundestages, Sten. Ber. Bd. 8, 156. Sitzung, S. 6210 ff. Abg. Sabel (CDU), Sten. Ber. Bd. 8, 156. Sitzung, S. 6214 (C).

C. Bewertung und Konsequenzen

217

denn "wenn soundsoviele Menschen von dem Schutz ausgeschlossen sind, dann werden sie das Bestreben haben, in solche Betriebe nicht hineinzugehen" 146• Im Gegensatz dazu sprachen sich andere Teile der CDU und die Zentrumspartei dafür aus, die Schwellenzahl zu erhöhen und unter Kleinbetrieben solche mit bis zu zehn Beschäftigten zu verstehen. Dadurch sollte der Schutz der kleinen und mittleren Betriebe stärker herausgestellt werden; zu beachten sei, daß "in der Mittelwirtschaft, im Handwerk usw. ganz andere Gesetze maßgebend sind als in der Großwirtschaft" 147 • Ferner wurde auf die begrenzte Verwaltungskapazität des Kleinbetriebs hingewiesen, die es dem Betriebsinhaber erschwere, den Nachweis des Vorliegens eines Kündigungsgrundes zu führen, sowie darauf, daß die Existenz des Kleinbetriebsinhabers gefährdet sei, wenn er einen Arbeitnehmer "durchziehen" müsse, obwohl er keine Verwendung für ihn habe, oder wenn er eine Abfindung zahlen müsse; zudem sei in Betrieben bis zu einer Größe von zehn Beschäftigten das Arbeitsverhältnis zwischen den Beteiligten "so eng und so vertraulich, daß überflüssige Entlassungen praktisch nicht erfolgen, weil die Beteiligten viel zu sehr mit ihrer Existenz aufeinander angewiesen sind" 148 • Schließlich bestehe auch "kein Bedürfnis für einen besonderen Schutz" in einer Zeit, in der "händeringend nach jungen Facharbeitern" gesucht werde 149• Mehrfach wurde von verschiedenen Parteien darauf hingewiesen, daß der Regierungsentwurf maßgeblich auf dem Hattenheimer Entwurf beruhe, der eine Kompromißlösung darstelle zwischen der Gruppe der Arbeitgeber, die vor allem die Industrie vertrete, und dem Deutschen Gewerkschaftsbund, der überwiegend auch nur die Interessen der Industriearbeiter vertrete 150 ; deswegen seien der Hattenheimer und damit auch der Regierungsentwurf nicht ebenso repräsentativ wie die Entscheidungen des Parlaments 151 ; zudem hätten die Landwirtschaft und die freien Berufe als Branchen, in denen Kleinbetriebe typisch seien, nicht an den Hattenheimer Verhandlungen teilgenommen 152. Am Ende der zweiten Beratung erhielt der Antrag, die Schwellenzahl auf zehn anzuheben, mit 162 zu 141 Stimmen bei drei Enthaltungen eine knappe Mehrheit. Die dritte Beratung des Regierungsentwurfs fand am 10. 7. 1951 statt und hatte ebenfalls ausschließlich den Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes zum Gegenstand. Die Fronten wie auch ihre Argumente blieben zumeist dieselben. Von der CDU kam der Vorschlag, die Schwellenzahl nicht mehr auf zehn, sondern nur noch auf fünf anzuheben 153 , während die FDP auf der Zahl zehn bestand, die 146 147 148 149 150 151 152 153

Abg. Ludwig (SPD), Sten. Ber. Bd. 8, 156. Sitzung, S. 6215 (C) und (D). Abg. Günther (CDU), Sten. Ber. Bd. 8, 156. Sitzung, S. 6213. Abg. Dr. Reismann (Zentrum), Sten. Ber. Bd. 8, 156. Sitzung, S. 6217. Abg. Dr. Atzenroth (FDP), Sten. Ber. Bd. 8, 156. Sitzung, S. 6216 (8). Abg. Frau Kalinke (DP), Sten. Ber. Bd. 8, 156. Sitzung, S. 6215 (A). Abg. Dr. Atzenroth (FDP), Sten. Ber. Bd. 8, 156. Sitzung, S. 6216 (A). Abg. Dr. Reismann (Zentrum), Sten. Ber. Bd. 8, 156. Sitzung, S. 6213 (C). Abg. Sabel (CDU), Sten. Ber. Bd. 8, 159. Sitzung, S. 6358 (D).

218

5. Kap.: Die betriebliche Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

bereits vom Wirtschaftsrat vorgeschlagen worden sei 154. In der Beratung zu§ 21 des Regierungsentwurfs führte der CDU-Abgeordnete Pelster aus, es sei nicht so, "daß, wenn dieses Gesetz durchginge, überhaupt keine Kündigung mehr möglich sei". Tatsache sei, "daß durch dieses Gesetz nur eine willkürlich ausgesprochene Kündigung bekämpft werden soll". 155 Die Zentrumspartei nannte als Argument für die Anhebung der Schwellenzahl auf zehn die persönliche Haftung des Betriebsinhabers: Während in einem Großbetrieb die Aufsicht so durchorganisiert sei, daß keine Gefahr bestehe, sei es in kleineren Betrieben oft nur eine einzige Aufsichtsperson, nämlich der Meister oder der Inhaber des Geschäfts; in solchen Betrieben sei es, wenn sie bis zu zehn Arbeitnehmer beschäftigten, "unmöglich, diesen Inhaber des Betriebes für das haften zu lassen, was seine Angestellten, die er nicht loswerden kann, anrichten" 156. Außerdem könne sich der Kündigungsschutz auch als ein Einstellungshemmnis darstellen: "Wenn dieses Gesetz so ergehen wird, wird es zur Folge haben, daß man sich hütet, die Zahl von 5 Beschäftigten zu überschreiten. ( ...) Man darf es doch den Menschen der Wirtschaft nicht allzu schwer machen, Arbeit zu schaffen und zu vergeben." 157 Die Bayernpartei mahnte die Beriicksichtigung der besonderen Verhältnisse der einzelnen Wirtschaftszweige an und wies auf die Einschränkung der Wettbewerbsfähigkeit der Kleinbetriebe hin, wenn die Austauschbarkeit ungeeigneter Kräfte erschwert werde, indem man die Schwellenzahl zu niedrig ansetze 158. Die Schlußabstimmung brachte als Ergebnis, daß zum einen die Dauer der Betriebszugehörigkeit gegenüber dem Hattenheimer Entwurf um drei Monate auf sechs Monate heraufgesetzt, zum anderen die Zahl der im Kleinbetrieb Beschäftigten auf höchstens fünf herabgesetzt wurde. Für die Herabsetzung der Schwellenzahl stimmte ebenfalls nur eine knappe Mehrheit der anwesenden Abgeordneten.

5. Das KSchG vom 10. 8. 1951 und seine Neubekanntmachung vom 25.8.1969 159 Nachdem der vom Bundestag abgeänderte und so beschlossene Regierungsentwurf die Zustimmung des Bundesrates erhalten und am 10. 8. 1951 ausgefertigt worden war, trat es vier Tage später in Kraft. Der Regelungszweck dieses Gesetzes wurde darin gesehen, daß "beim Kündigungsschutz nicht mehr( ...) das Interesse an der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit (. . .), sondern das Interesse des einzelnen Arbeitnehmers an seiner Arbeitsstelle im 154 155 156 157 158 159

Abg. Dr. Weilhausen (FDP), Sten. Ber. Bd. 8, 159. Sitzung, S. 6360 (B). Abg. Pe/ster (CDU), Sten. Ber. Bd. 8, 159. Sitzung, S. 6363 (D). Abg. Dr. Reismann (Zentrum), Sten. Ber. Bd. 8, 159. Sitzung, S. 6360 (D). Abg. Dr. Reismann (Zentrum), Sten. Ber. Bd. 8, 159. Sitzung, S. 6365 (A) und (B). Abg. Dr. Etzel (BP), Sten. Ber. Bd. 8, 159. Sitzung, S. 6361 (B) und (D). BGBI. I S. 1317.

C. Bewertung und Konsequenzen

219

Vordergrund" stehe 160. Deshalb wurde die Tatsache bemängelt, "daß kein Kündigungsschutz besteht für alle Arbeitnehmer in Kleinbetrieben", da auch eine Kündigung im Kleinbetrieb "im stärksten Maße sozialwidrig sein kann" 161 . Ebenso wurde bedauert, daß das Verhältnis des Kündigungsschutzes nach dem KSchG zu den §§ 138, 242 BGB nicht gesetzlich geregelt worden war. Dabei wurde eingeräumt, daß man "dem offensichtlichen Willen des Gesetzgebers, in diesen Fällen keinen Kündigungsschutz zu gewähren, Rechnung tragen" müsse, "auch wenn man de lege ferenda anderer Ansicht ist"; man könne also nicht über dem Umweg der §§ 138, 242 BGB Schutz gegen sozialwidrige Kündigungen gewähren, müsse aber die Unterscheidung zwischen sozialwidriger und sittenwidriger Kündigung beibehalten und eine Beurteilung am Maßstab des§ 138 BGB zulassen 162. Die Kleinbetriebsklausel des § 21 Abs. 1 S. 2 KSchG 1951 blieb bis zu dessen Neufassung durch das 1. Arbeitsrechtsbereinigungsgesetz vom 14. 8. 1969 163 unverändert. Aber auch die Neufassung brachte für diese Norm außer einer leichten Veränderung der Rechtschreibung lediglich eine geänderte Paragraphenzählung, weshalb sich die Kleinbetriebsklausel seitdem in§ 23 Abs. 1 S. 2 KSchG befindet.

6. Das Beschäftigungsförderungsgesetz vom 26. 4. 1985 164 Eine deutlichere Änderung erfuhr die Norm erstmals durch das Beschäftigungsförderungsgesetz vom 26. 4. 1985 (BeschFG 1985). Ziel dieses Gesetzes war es nach der Begründung des Entwurfs der aus CDU I CSU und FDP gebildeten Regierung165, "zusätzliche Beschäftigungsmöglichkeiten zu eröffnen"; ihm liege der Gedanke zugrunde, "unmittelbar oder mittelbar die seit längerem schwierige Beschäftigungslage zu verbessern"; der Entwurf sei damit "Teil einer politischen Gesamtstrategie zur Verbesserung der Beschäftigungslage". Für § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG hatte das Gesetz zur Folge, daß der Begriff "Lehrlinge" durch die Worte "zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten" ersetzt wurde, um die Norm dem Sprachgebrauch des Berufsbildungsrechts anzupassen 166. Außerdem wurden die Sätze 3 und 4 angefügt. Satz 3 sah vor: "Bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer nach Satz 2 sind nur Arbeitnehmer zu berücksichtigen, deren regelmäßige Arbeitszeit wöchentlich 10 Stunden oder monatlich 45 Stunden übersteigt." Satz 4 brachte eine Übergangsklausel für bereits 160 161 162 163 164 165 166

A. Hueck, RdA 1951, 281 (282); ähnlich Bötticher, RdA 1951, 81 (83). A. Hueck, RdA 1951,281 (282 f.). A. Hueck, RdA 1951, 281 (283). BGBI. I S. 1106. BGBI. I S. 710. BT-Drucks. 10/2102, S. 14. BT-Drucks. 10/2102, S. 28.

220

5. Kap.: Die betriebliche Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

bestehende Arbeitsverhältnisse. Der Grund für die Ausnahme gewisser Teilzeitkräfte bei der Ermittlung der für § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG maßgeblichen Beschäftigtenzahl war, daß die bis dahin gültige Regelung von den Arbeitgebern häufig als Hindernis für die weitere Einstellung von Teilzeitarbeitnehmern angesehen werde, so daß die Neuregelung die Einstellung von Teilzeitbeschäftigten erleichtern und damit Anreize für die Schaffung zusätzlicher Teilzeitarbeitsplätze geben sollte 167 • Zwar beruhe die Ausnahme der Kleinbetriebe nach § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG "auf den besonders engen persönlichen Beziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmern, die in diesen Betrieben in der Regel bestehen", weswegen eine grundsätzliche Differenzierung zwischen voll- und teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmern bei der Bestimmung der Arbeitnehmerzahl nicht gerechtfertigt sei, wohl aber sei es "gerechtfertigt, jene teilzeitbeschäftigten Arbeitnehmer (... ) nicht mitzurechnen, die wegen ihrer geringfügigen Arbeitsleistung für die Betriebsgröße kaum eine Rolle spielen" 168 •

7. Das Arbeitsrechtliche Beschäftigungsförderungsgesetz vom 25. 9. 1996 169

Elf Jahre später wurde von der Bundesregierung der ,,Entwurf eines arbeitsrechtlichen Gesetzes zur Förderung von Wachstum und Beschäftigung (Arbeitsrechtliches Beschäftigungsförderungsgesetz) 170 eingebracht, der unter anderem eine Änderung der Kleinbetriebsklausel vorsah. Kleinbetriebe sollten danach vom allgemeinen Kündigungsschutz ausgenommen werden, wenn sie bis zu zehn Arbeitnehmer beschäftigten. Diese Erhöhung des Schwellenwerts war schon im "Aktionsprogramm der Bundesregierung für Investitionen und Arbeitsplätze" angekündigt worden 171 • Darin sah sie es als "zentrale Herausforderung" an, "Arbeitsplätze zu sichern und zu schaffen". Dazu gehöre, bessere Rahmenbedingungen für Existenzgriinder und kleine und mittlere Unternehmen zu setzen, denn "neue Arbeitsplätze entstehen zumeist in neugegriindeten Unternehmen und im Mittelstand", wobei jede Existenzgriindung im Durchschnitt vier Arbeitsplätze schaffe 172• Auch nach der Begriindung des Gesetzentwurfs 173 sah sich die Bundesregierungangesichts einer Arbeitslosenzahl von über vier Millionen veranlaßt, ein "Programm für mehr Wachstum und Beschäftigung" umzusetzen, mit dem Ziel, "zusätzliche Arbeitsplätze zu BT-Drucks. 10/2102, S. 17 und 29. BT-Drucks. 10/2102, S. 29. 169 BGB1. I S. 1476. 110 BT-Drucks. 13/4612. m NZA 1996, S. 688 (690). 172 NZA 1996, S. 688 (688). 173 BT-Drucks. 13/4612, S. 8. 167 168

C. Bewertung und Konsequenzen

221

schaffen und die wirtschaftlichen Fundamente des Sozialstaates zu sichern". Das Kündigungsrecht sei "ein wichtiger arbeitsrechtlicher Beitrag zur Lösung arbeitsmarktpolitischer Probleme", doch bereite seine Anwendung insbesondere für kleinere Unternehmen Schwierigkeiten. Durch den "komplizierten, teilweise unübersichtlichen" Kündigungsschutz erhöhten sich die Beschäftigungskosten durch Kündigungsfristen, Abfindungszahlungen, Weiterbschäftigungs- und Gerichtskosten, was sich negativ auf die Einstellungsbereitschaft auswirke. Daher würden bei zusätzlichem Arbeitskräftebedarf eher Überstunden angeordnet als Neueinstellungen vorgenommen. Auch bei der Heraufsetzung der Schwellenzahl bleibe der "Charakter des Kleinbetriebes" noch gewahrt, "in dem der Betriebsinhaber noch so eng mit seinen Mitarbeitern zusammenarbeitet, daß im Interesse des Betriebsfriedens und der Funktionsfähigkeit des Betriebs notwendige Entlassungen erleichtert möglich sein sollen". Zudem könnten kleine Betriebe häufig kaum Reserven bilden und müßten "deshalb Schwankungen der Auftragslage durch personalwirtschaftliche Flexibilität ausgleichen". Neue Arbeitsplätze seien "vor allem in kleineren und mittleren Unternehmen (... ) zu erwarten, weswegen es hier "besonders dringend" erscheine, "einstellungshemmende Vorschriften zu überprüfen und sozial ausgewogene Änderungen vorzunehmen, die sowohl die Interessen der Arbeitsplatzbesitzer als auch die der Arbeitsuchenden berücksichtigen. Damit wird auch dem Sozialstaatsprinzip entsprochen, das die Verwirklichung einer sozial gerechten Ordnung für alle gebietet, also auch zur Sorge für diejenigen verpflichtet, die keinen Arbeitsplatz haben.'.t 74 Ferner sah der Entwurf die Änderung der Berechnung der für den Schwellenwert maßgeblichen Arbeitnehmerzahl in § 23 Abs. 1 S. 3 KSchG vor. Die bis dahin bestehende Regel, die entweder keine oder die volle Anrechnung von Teilzeitarbeitnehmern je nach der Dauer ihrer wöchentlichen oder monatlichen Arbeitszeit vorsah, sollte ersetzt werden durch eine anteilige Anrechnungsregel, nach der die Teilzeitbeschäftigten je nach Umfang ihrer Arbeitszeit mit 0,25, 0,5 oder 0,75 berücksichtigt werden. Indem so auf das Gesamtarbeitsvolumen des Betriebes abgestellt werde, solle ausgeschlossen werden, "daß Arbeitgeber geringfügig Beschäftigte in unbegrenztem Umfang einstellen können, ohne vom Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes erfaßt zu werden" 175 • Nach der ersten Beratung am 23. 5. 1996 wurde der Entwurf an den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung überwiesen 176. In der von dem Ausschuß durchgeführten Anhörung der Sachverständigen 177 gab es gerade zur Neuregelung der Schwellenzahl zahlreiche ausführliche und kontroverse Stellungnahmen. Bei dieser Anhörung führten die wissenschaftlichen Institute aus, daß es keine empirischen Grundlagen hinsichtlich zu erwartender Beschäftigungseffekte gebe; gleich174

175 176

177

BT-Drucks. 13/4612, S. 9. BT-Drucks. 13/4612, S. 10. Sten. Ber. Bd. 184, 107. Sitzung, 9406 (A). BT-Drucks. 13/5107, S. 7.

222

5. Kap.: Die betriebliche Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

zeitig bewerteten sie den Gesetzentwurf aber als "Schritt in die richtige Richtung"178. Unter den Einzelsachverständigen 179 erachtete Buchner es als "dringend notwendig, durch Flexibilisierung des Arbeitsrechts und Behebung der Erstarrung mehr Arbeitsplätze zu schaffen und Hemmnisse abzubauen; Löwisch sah die vorgeschlagene Regelung unter dem Gesichtspunkt des Gleichbehandlungsgrundsatzes als "verfassungsrechtlich unbedenklich" an und betonte, daß der Arbeitgeber 600 Fälle zum Kündigungsschutzgesetz, die das Bundesarbeitsgericht entschieden habe, im Auge behalten müsse, was die unternehmecisehe Tätigkeit behindere. Die Anhebung der Schwellenzahl war für ihn nur eine numerische Frage. Demgegenüber verhielten sich die Einzelsachverständigen Hanau und Dieteeich skeptisch gegenüber der beschäftigungsfördernden Wirkung des Gesetzes. Beide brachten der Anhebung des Schwellenwertes verfassungsrechtliche Bedenken entgegen und vertraten die Ansicht, das Gesetz erleichtere lediglich Entlassungen. Hanau nannte das Gesetz ein "Beschäftigungsabbaugesetz". Dieteeich problematisierte schließlich die Bezugnahme des Gesetzes auf Betriebe statt auf Unternehmen, weswegen auch etwa bestimmte Servicebetriebe von Großunternehmen von der Anwendung des Kündigungsschutzgesetzes ausgenommen würden. Die Arbeitnehmervertreter180 äußerten die Befürchtung, daß in Zukunft in Betrieben mit unter zehn Beschäftigten willkürlich Entlassungen möglich sein würden. Insbesondere die Vertreter der IG Bauen-Agrar-Umwelt prognostizierten, durch die Anhebung des Schwellenwertes werde es in viel höherem Maße dazu kommen, daß die Unternehmen im Vorgriff auf den Winter Beschäftigte entlassen. Die Arbeitnehmervertreter181 waren sich darin einig, daß das Gesetz fördere, was es zu bekämpfen vorgebe. Die Arbeitgeberverbände bezeichneten die Vorlage als einen "Schritt in die richtige Richtung" und wiesen darauf hin, daß es im Handwerk so etwas wie ein ,,hire and fire"-Prinzip nicht gebe, was auf die enge Zusammenarbeit zwischen Betriebsinhaber und Beschäftigten zurückgeführt wurde. Doch sei die Heraufsetzung notwendig, da sich viele Betriebsinhaber noch scheuten, über fünf Arbeitnehmer hinaus einzustellen. Bei den Stellungnahmen der Fraktionen 182 nannten die Mitglieder der CDU I CSU die Argumente, die zur Begründung des Entwurfs angeführt worden waren. Von den Mitgliedern der FDP-Fraktion wurde betont, daß insbesondere kleinere Unternehmenaufgrund der Rechtsunsicherheit bei einer Kündigung Neueinsteilungen scheuten und Überstunden vorzögen. Die Entwicklung habe dazu geführt, daß "die Schutzzäune zugunsten von Arbeitsplatzbesitzern immer höher gezogen" worden seien, so daß es für außenstehende Arbeitslose um so schwieriger sei, in diese Schutzräume hineinzukommen. Dem setzten die Oppositionsvertreter, die Mitglieder der Fraktionen von SPD und Bündnis 90 I Die Grünen, entgegen, die Vorlage verstoße gegen die soziale Gerechtigkeit; nach dem 178 179 180 181 1s2

BT-Drucks. 13/5107, S. 22. BT-Drucks. 13/5107, S. 23 f. BT-Drucks. 13/5107, S. 24 f. BT-Drucks. 13/5107, S. 25 f. BT-Drucks. 13/5107, S. 28 f.

C. Bewertung und Konsequenzen

223

Entwurf werde es in Betrieben mit bis zu zwanzig Halbzeitkräften keinen Kündigungsschutz mehr geben; schließlich wurde bezweifelt, daß durch die AushebeJung des Kündigungsschutzes neue Arbeitsplätze entstünden, da es weder mehr Aufträge gebe, noch die Firmen mehr Umsatz machten und deshalb mehr Menschen beschäftigten. Gleichwohl führte die Abstimmung im Ausschuß zu der Empfehlung an den Bundestag, die im Regierungsentwurf vorgeschlagene Erhöhung der Schwellenzahl unverändert zu beschließen. Nach dreistündiger zweiter und dritter Beratung wurde der Gesetzentwurf der Bundesregierung schließlich in namentlicher Abstimmung am 29. 8. 1996 mit einer knappen Mehrheit von 326 zu 313 Stimmen ohne Enthaltungen angenommen183. Das Gesetz trat am 1. 10. 1996 in Kraft.

8. Das Gesetz vom 19. 12. 1998 (Korrekturgesetz) 184 Bereits wenige Wochen nach der Bundestagswahl am 27. 9. 1998 brachten die Koalitionsfraktionen SPD und Bündnis 90 I Die Grünen am 17. 11. 1998 einen "Entwurf eines Gesetzes zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte" ein 185. Betreffend das KSchG sah dieser neben Änderungen der sozialen Auswahl auch die Änderung der Schwellenzahl der Kleinbetriebsklausel vor; die Erhöhung der Zahl der im Kleinbetrieb Beschäftigten von fünf auf zehn Arbeitnehmer sollte rückgängig gemacht und damit wieder auf fünf festgelegt werden 186. Die Koalitionsfraktionen 187 sahen das Ziel des Arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetzes 1996, die Förderung von Neueinstellungen, als nicht erfüllt an, vielmehr habe es den sozialen Frieden als wichtige Rahmenbedingung für Motivation und Leistung beeinträchtigt, während für Neueinsteilungen letztlich die konjunkturelle Situation ausschlaggebend gewesen sei. Vielmehr würden nach dem Auslaufen der Bestandsschutzregelung für Betriebe mit sechs bis zehn Beschäftigten zwei Millionen Arbeitnehmer den allgemeinen Kündigungsschutz verlieren, so daß ein Beschäftigungsabbau drohe, dem keine nennenswerten Neueinstellungen gegenüberstünden. Sie waren der Auffassung, Voraussetzung für wirtschaftliches Wachstum und für die Schaffung neuer Arbeitsplätze sei soziale Stabilität.

183 Sten. Ber. Bd. 184, 117. Sitzung, 10620 (A). Die Beschlußempfehlung des angerufenen Vermittlungsausschusses, diesen Beschluß aufzuheben (BT-Drucks. 13/5447), blieb erfolglos, Sten. Ber. Bd. 184, 119. Sitzung, 10696 (A). 184 BGBI. I S. 3843. 185 BT-Drucks. 14/45. 186 BT-Drucks. 14/45, S. 11. 187 BT-Drucks. 14/45, S. 16.

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5. Kap.: Die betriebliche Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

Die in § 23 Abs. 1 S. 3 KSchG geregelte anteilige Anrechnung teilzeitbeschäftigter Arbeinehmer auf die Schwellenzahl sollte dagegen unverändert bestehen bleiben. Damit reagierten die Entwurfsverfasser auf den zweiten Kleinbetriebsbeschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 27. 1. 1998. Demzufolge war die generelle Nichtanrechnung der Teilzeitbeschäftigten mit einer Arbeitszeit von bis zu zehn Stunden wöchentlich oder 45 Stunden monatlich, wie sie nach dem BeschFG 1985 eingeführt worden war, nur bei "verfassungskonforrner Auslegung", nämlich unter Zugrundelegung der anteiligen Anrechnungsmodalität in der seit dem Arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetz 1996 geltenden Fassung, mit dem Grundgesetz vereinbar 188 . Kurz zuvor hatte die Fraktion der FDP einen eigenen "Entwurf eines Gesetzes zur beschäftigungswirksamen Änderung des Kündigungsschutzgesetzes" eingebracht, dessen - von der Regelung über das Inkrafttreten abgesehen - einziger Regelungsgegenstand die Erhöhung der Schwellenzahl auf zwanzig war189• In der Entwurfsbegründung 190 wurde nochmals die Bedeutung des Kündigungsschutzes als Einstellungshemmnis für Kleinbetriebe, ihre Schwierigkeit der Personalverwaltung und Gefahrdung durch Abfindungsverpflichtungen sowie der Bedarf an Transparenz und Rechtssicherheit im Kündigungsschutzprozeß dargelegt. Betont wurde auch die Wirkung des Kündigungsschutzes als Einstellungshürde für die, die "arbeitslos außen vor stehen und eine neue Stelle suchen". In den namentlichen Schlußabstimmungen am 10. 12. 1998 191 erhielt der FDPEntwurf lediglich die 35 Stimmen der eigenen Fraktion; das Korrekturgesetz wurde mit 375 gegen 236 Stimmen angenommen. Seither sind die §§ 1- 14 KSchG nur in Betrieben mit nicht mehr als fünf dort beschäftigten Arbeitnehmern anwendbar.

9. Ergebnisse und Bewertung der Entwicklung Nach diesem Überblick über die Geschichte des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG erweisen sich die Rücksichtnahme auf eine geringe wirtschaftliche Belastbarkeit sowie auf enge persönliche Beziehungen nicht derart eindeutig als Regelungsziele der Kleinbetriebsklausel, wie dies teilweise angenommen wird. Zunächst ist festzuhalten, daß die Wurzel des Kündigungsschutzes im Betriebsverfassungsrecht liegt. Kündigungsschutz wurde nur dort gewährt, wo es Arbeitnehmer gab, die aus dem BRG Rechte herleiten konnten; dies wiederum war nur dort der Fall, wo eine Belegschaft so groß war, daß Repräsentationsbedürfnis und Repräsentationsfähigkeit gegeben waren. Diese Konnexität zwischen Betriebsverfassung und Kündigungsschutz blieb - auch formal als in einem Gesetzeswerk zusarnmengefaßt - im AOG 188 189 190 19 1

BVeljGE 97, S. 186 (187, 196). BT-Drucks. 14/44, S. 2. BT-Drucks. 14/44, S. 3. Sten. Ber. Bd. 194, 14. Sitzung, 903 (D) und 899 (D).

C. Bewertung und Konsequenzen

225

erhalten. In der Interpretation seiner kündigungsrechtlichen Kleinbetriebsklausel durch die Literatur taucht, soweit ersichtlich, erstmals die Formulierung der "besonders engen und persönlichen Beziehungen" sowie die "wirtschaftliche Lage" des Betriebs auf. Auch wenn Folgerungen aus dieser Gesetzgebung wegen ihrer ideologischen Ausrichtung der damaligen Zeit nur mit großer Zurückhaltung gezogen werden können und sollten, so läßt sich doch wertfrei feststellen, daß die "wirtschaftliche Lage" seinerzeit nicht zur Begründung der Herausnahme der Kleinbetriebe herangezogen wurde und deshalb auch nicht für das "Ob" des Kündigungsschutzes entscheidend war, sondern - dem "Ob" logisch nachgeordnet allein für die Frage nach der Höhe der "Entschädigung" maßgeblich war, die nach Ablehnung des Widerrufs einer nicht rechtmäßigen Kündigung vom Arbeitgeber zu zahlen war. Die Kleinbetriebsausnahme selbst wurde jedenfalls mit diesen wirtschaftlichen Erwägungen nicht gerechtfertigt. Mit dem lokrafttreten des KSchG 1951 wurde die äußere Einheit von Betriebsverfassung und Kündigungsschutz aufgelöst, so daß fraglich wurde, wie die Kleinbetriebsklausei jetzt zu rechtfertigen war 192. In den Beratungen war von Schutz der kleinen und mittleren Betriebe, ihrer begrenzten Verwaltungskapazität sowie von engen und vertraulichen Verhältnissen die Rede. Hinzu trat die Bemerkung, der Kündigungsschutz könne sich als ein Einstellungshemmnis erweisen, indem Arbeitgeber sich hüteten, die Zahl von fünf Beschäftigten zu überschreiten. Damit wurde in der Kleinbetriebsklausel erstmals erklärtermaßen eine beschäftigungspolitische Funktion gesehen. In dieser Charakteristik als Einstellungshemmnis kommt die Vorstellung zum Ausdruck, daß über die Kleinbetriebsklausel das Einstellungsverhalten der Arbeitgeber beeinflußt und auf diese Weise auf die Beschäftigungslage Einfluß ausgeübt werden kann. Damit ist noch nicht erklärt, daß der Hervorhebung dieser Funktion die Qualität einer Regelungsabsicht zuzuerkennen wäre, zumal der Äußerung einzelner Abgeordneter im Gesetzgebungsverfahren nicht derselbe Rang zukommen dürfte wie etwa einer amtlichen Begründung eines später unverändert verabschiedeten Gesetzesentwurfs 193 . Dennoch sind Bemerkungen dieser Art Symptom für einen sich nach und nach vollziehenden Wandel im Verständnis der Funktion der KleinbetriebsklauseL Das Ergebnis dieses Wandels tritt schließlich im BeschFG 1985 stark hervor, in dessen Titel bereits die Intention zum Ausdruck gebracht wird, durch die Gesetzesänderung eine Verbesserung der Beschäftigungssituation herbeizuführen, die Mitte der achtziger Jahre angesichts hoher Arbeitslosenquoten ein besonders dringliches Ziel staatlicher Politik war 194. Zwar betrafen die im BeschFG 1985 vorgenommenen Änderungen den S. 2 des § 23 Abs. 1 KSchG nur marginal, doch tritt in der neuen bedingten Anrechnung von Teilzeitarbeitnehemem (§ 23 Abs. 1 S. 3 KSchG) bereits deutlich der Gedanke in Erscheinung, daß durch eine Modifikation in der Berechnung der Schwellenzahl 192 193 194

Vgl. Joost, Betrieb und Unternehmen, S. 342. Vgl. Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 165. Vgl. Rüthers, Beschäftigungskrise und Arbeitsrecht, S. 46.

15 Stelljes

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5. Kap.: Die betriebliche Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

Einfluß auf das Einstellungsverhalten und damit auf die Beschäftigungslage genommen werden kann und soll. Der Rücksichtnahme auf eingeschränkte wirtschaftliche Belastbarkeit als ratio der Kleinbetriebsklausel war bis dahin keine annähernd so große Bedeutung verliehen worden. Sie entstammt vielmehr der arbeitsrechtlichen Literatur, die die Kleinbetriebsklausel relativ früh mit dieser Zweckzuordnung versah 195 • Daß die "neue" Funktion der Beeinflussung der Beschäftigung erst allmählich größere Gewichtung erfuhr, ist auf die dem KSchG 1951 zugrundeliegende, noch völlig andere soziale Lage zurückzuführen. Seinerzeit waren die Chancen, eine Anstellung zu finden, ungleich höher etwa als Mitte der achtziger Jahre. Daß erst im Laufe der Zeit der Beschäftigungsförderung größeres Augenmerk geschenkt worden ist, ist vor diesem Hintergrund einsichtig. Von der Gesetzgebung wurde die Absicht, mit der Ausgestaltung der Kleinbetriebsklausel auf die Beschäftigungssituation einzuwirken, nochmals mit dem Arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetz 1996 bekundet, das nunmehr eine Veränderung auch des S. 2 des § 23 Abs. I KSchG mit sich brachte, indem dessen Schwellenzahl auf zehn erhöht wurde. Auch damit ging es der den später gebilligten Entwurf einbringenden Regierung ihrem erklärten Willen zufolge vordringlich darum, zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen, weil sie von einem Zusammenhang zwischen Schwellenzahl und Einstellungsbereitschaft ausging 196• Für die Diskussion um die Beschränkung des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG auf solche Betriebe, die nicht einem größeren Unternehmen angehören, ist hierbei entscheidend, daß dieses Ziel nicht explizit auf derartige "Kleinbetriebsunternehmen" beschränkt wurde; abgestellt wurde nach Angaben der amtlichen Entwurfsbegründung vielmehr nur "insbesondere" auf kleinere Unternehmen, während aus der Entwurfsbegründung keineswegs eine Absicht der Beschränkung allein auf solche Einheiten hervorgeht, die Unternehmen mit nur einem einzigen (Klein-)Betrieb darstellen. Zu diesem Resultat aber gelangt das BVerfG, das die Norm sehr wohl nur auf solche Betriebe angewendet wissen will, die von einem Kleinunternehmen unterhalten werden 197 . Vom telos der Beschäftigungsförderung gesehen ist die Position, die im Regierungsentwurf eingenommen wird, auch plausibel, denn für das Ziel der Schaffung von Arbeitsplätzen ist es gerade gleichgültig, ob diese in Kleinunternehmen entstehen, die insgesamt weniger Arbeitnehmer beschäftigen, als der Schwellenzahl entspricht, oder ob die Arbeitsplätze in Betrieben entstehen, die einem Mehrbetriebsunternehmen angehören, dessen Beschäftigtenzahl die Schwellenzahl insgesamt überschreitet. Dem Ziel der Beschäftigungsförderung ist in beiden Fällen gedient. Sicherlich ist zuzugeben, daß gewisse Passagen der Entwurfsbegründung allein auf Kleinunternehmen zutreffen, so die Formulierung, "kleine Betriebe" könnten häufig kaum Reserven bilden, doch wird stets betont, neue Arbeitsplätze seien "vor Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht I, S. 631. Inwiefern diese Annahme zutreffend ist oder nicht, ist ökonomisch nicht unumstritten; diese Frage liegt jedoch auf einer anderen Ebene als die nach der legislatorischen Intention und braucht hier nicht auf ihre ökonomische Stichhaltigkeit gepriift zu werden. 197 BVerfGE 97, S. 169 (184). 195

196

C. Bewertung und Konsequenzen

227

allem" und "insbesondere" in kleineren und mittleren Unternehmen zu erwarten, weswegen es dort "besonders" dringend erscheine, einstellungshemmende Vorschriften zu überpriifen. Das Kleinunternehmen ist danach lediglich als ein Spezialfall derjenigen Organisationseinheiten angesehen worden, in denen es durch Modifikation der Schwellenzahl zu Einstellungen kommen sollte. Damit kann die Annahme einer strikten Beschränkung auf Kleinunternehmen als Regelungsabsicht des Gesetzgebers als widerlegt gelten. Dieses Ergebnis wird bestätigt, wenn man die von dem Ausschuß fiir Arbeit und Sozialordnung durchgeführte Anhörung der Sachverständigen betrachtet. Wahrend Buchner im Sinne der Entwurfsbegriindung die Notwendigkeit des Abbaus von Einstellungshemmnissen und die Schaffung von Arbeitsplätzen betonte, gab Dieterich zu bedenken, daß bei der geplanten Formulierung des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG, die auf "Betriebe" und nicht auf "Unternehmen" abstellte, auch bestimmte Betriebe von Großunternehmen von der Anwendung der§§ 1-14 KSchG ausgenommen würden. Dennoch verblieb es bei der von Anfang an beabsichtigten Fassung des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG. Spätestens seit dieser Anhörung also war dem Gesetzgeber die Problematik der Herausnahme des Kleinbetriebs eines großen Mehrbetriebsunternehmens bekannt, auch wenn sie in Rechtsprechung 198 und Literatur 199 freilich bereits friiher erörtert worden war. Wenn es der Gesetzgeber trotzdem bei dem Begriff "Betrieb" beließ, kann das historisch-teleologische Argument schwerlich für eine Beschränkung des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG auf Kleinunternehmen vorgebracht werden. Daß das Regelungsziel der Beschäftigungsförderung durch Modifikation der Kleinbetriebsklausel für den Gesetzgeber (und nicht nur für ihn) von eminenter Bedeutung war, wird nicht zuletzt durch die Tatsache belegt, daß diese Ziel argumentativ auf das Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG gestützt wurde, das wie in der Entwurfsbegrundung mit den Worten des BVerfG200 zur ,,Zweischneidigkeit des Kündigungsschutzes" dargelegt wurde - "die Verwirklichung einer sozial gerechten Ordnung für alle gebietet, also auch zur Sorge für diejenigen verpflichtet, die keinen Arbeitsplatz haben". Nach dem Regierungsentwurf wurde also die Beschäftigungsförderung in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BVerfG201 als verfassungsrechtlich legitimiertes, wenn nicht gebotenes Regelungsziel eingeordnet. Der vom Gesetzgeber des Arbeitsrechtlichen BeschFG 1996 angenommene ökonomische Zusammenhang zwischen der Erhöhung der Schwellenzahl und Erhöhung der Beschäftigung wurde vom Gesetzgeber des Korrekturgesetzes 1998 in Zweifel gezogen. Dementsprechend wurde die zuvor erfolgte Erhöhung der BAG v. 19. 4. 1990, EzA § 23 KSchG Nr. 8. Joost, Betrieb und Unternehmen, S. 335 ff. 200 BVerfGE 59, S. 231 (266)- WDR; Begründung des RegE, BT-Drucks. 13/4612, S. 9. 2o1 Vgl. aus neuerer Zeit den verfassungsrechtlichen Rang der Beschäftigungsförderung bestätigend BVerfG NJW 1999, S. 3033 (3034 f.) und BVerfG NZA 2001, S. 777 (779). 198

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5. Kap.: Die betriebliche Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

Schwellenzahl wieder zurückgenommen. Die mit der alten Regelung bezweckte Förderung von Neueinstellungen sei nicht erreicht worden. Nichtsdestoweniger impliziert auch dieses Vorgehen, daß der Gesetzgeber von 1998 einen (wenn auch anders beschaffenen) Zusammenhang zwischen Kleinbetriebsklausel und Beschäftigung angenommen haben muß, denn sonst hätte er eine Änderung der Schwellenzahl nicht mit dem Ziel der Verhinderung eines Beschäftigungsabbaus vorgenommen. Zudem hat der Gesetzgeber des Korrekturgesetzes 1998 es bei dem Tatbestandsmerkmal "Betrieb" belassen und ebenfalls auf eine Änderung in "Unternehmen" verzichtet. Dies ist um so erstaunlicher, als zuvor die beiden Kleinbetriebsbeschlüsse des BVerfG ergangen waren, in deren erstem das BVerfG den einem großen Unternehmen angehörigen Betrieb nicht als einen Betrieb im Sinne des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG ansah. Wahrend die Begründung des Regierungsentwurfs des Korrekturgesetzes auf den zweiten K.leinbetriebsbeschluß, der sich auf die Anrechnungsregel des § 23 Abs. 1 S. 3 KSchG bezog, ausdrücklich Bezug nimmt, unterbleibt dies für den am seihen Tag ergangenen ersten K.leinbetriebsbeschluß, den der Entwurfsverfasser gleichwohl gekannt haben wird. Die ausdrückliche Billigung des zweiten bei Nichterwähnung des ersten Kleinbetriebsbeschlusses deutet jedenfalls nicht zwingend auf eine uneingeschränkte Billigung auch des ersten Kleinbetriebsbeschlusses hin. Vielmehr wäre es dem Gesetzgeber ein leichtes gewesen, da die Kleinbetriebsklausel ohnehin verändert wurde, auch den Begriff "Betrieb" durch den des "Unternehmens" zu ersetzen, was ganz im Sinne des ersten Kleinbetriebsbeschlusses gelegen hätte. Sollte das Gesetz aber nur ein "Korrektur"-Gesetz sein, das die Änderung durch das Arbeitsrechtliche BeschFG 1996 einzig wieder rückgängig zu machen bestimmt war, so wäre eine Änderung oder Ersetzung des Betriebsbegriffs über diesen Plan hinausgegangen. Das Beibehalten des Betriebsbegriffs muß daher als ein Beibehalten auch von dessen traditionellem Sinn verstanden werden, der in einem engen Verständnis besteht und auch den Betrieb eines größeren Mehrbetriebsunternehmens umschließt. Der Gesetzgeber des Korrekturgesetzes hat jedenfalls, bei aller Kritik an den legislatorischen Maßnahmen seines Vorgängers, keine eigene, neue Zweckzuordnung vorgenommen. Demgemäß kann festgehalten werden, daß die Regelungsabsicht des Gesetzgebers der Kleinbetriebsklausel - außer auf die Rücksichtnahme auf besonders enge persönliche Zusammenarbeit im Kleinbetrieb - letztlich gerichtet war auf die (positive) Beeinflussung der Beschäftigungssituation beabsichtigte. Eine Privilegierung der Kleinbetriebe wegen ihrer wirklichen oder angenommenen geringeren wirtschaftlichen Belastbarkeit als Regelungsziel tritt demgegenüber in den Hintergrund und wird allenfalls genannt, wenn begründet wird, warum die Beschäftigungsförderung "vor allem" und "insbesondere" in Kleinunternehmen wirken soll. Der Charakter eines eigenständigen Regelungsziels kann der Rücksichtnahme auf geringere wirtschaftliche Belastbarkeit jedoch nicht zuerkannt werden. Sie ist vielmehr eine gelegentlich vorliegende Eigenschaft der durch die Kleinbetriebsklausel privilegierten Betriebe, während die Kleinbetriebsklausel im

C. Bewertung und Konsequenzen

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ganzen auf zwei darüber hinausgehende Ziele gerichtet sind: die Rücksichtnahme auf besonders enge persönliche Beziehungen im Kleinbetrieb sowie die Beschäftigungsförderung, mit welchen ökonomischen Begründungen diese auch immer erreicht werden soll. Mit der Kleinbetriebsklausel wurde also vor allem Beschäftigungspolitik betrieben. Es hat sich gezeigt, daß keineswegs ohne weiteres von der Rücksichtnahme auf die geringere wirtschaftliche Belastbarkeit als Regelungsabsicht bei § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG gesprochen werden kann. Dabei handelt es sich vielmehr um eine Zweckzuordnung, die insbesondere die arbeitsrechtswissenschaftliche Literatur früh 202 , aber auch später noch203 und mit ihr die Rechtsprechung204 vorgenommen hat. Dabei wird vielfach auf die Gesetzesmaterialien des KSchG 1951 oder sogar die Lage davor205 rekurriert, eine Einbeziehung neuerer legislatorischer Akte dagegen weitestgehend ausgeblendet. Hieran wird auch deutlich, daß der Zweck einer Norm nicht als ein für allemal feststehend betrachtet werden kann, sondern daß bei veränderter sozialer und positivrechtlicher Situation stets von neuem zu überprüfen ist, ob sich eine einmal erkannte Zweckzuordnung immer noch als zutreffend erweist. Die Regelungsabsicht, wie sie hier herausgearbeitet wurde, soll, ebensowenig wie die Methode der historisch-teleologischen Begriffsbestimmung, keinesfalls absolut gesetzt, die Bestimmung des Betriebsbegriffs in§ 23 Abs. 1 S. 2 KSchG keinesfalls hiervon allein abhängig gemacht werden. Daher muß im folgenden noch gefragt werden, welcher Bedeutungsinhalt dem Begriff objektiv-teleologisch innewohnt. Doch für den, der die Interpretation des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG auf die historisch-teleologische Methode maßgeblich, wenn nicht ausschließlich gründet, kann eine Erschütterung des angenommenen Regelungszwecks aber zur Folge haben, daß die Interpretation im ganzen in Frage gestellt werden muß. Inwiefern dies der Fall ist, muß eine Erörterung der Konsequenzen der hier gefundenen Regelungsabsicht erweisen.

IV. Konsequenzen aus der historisch-teleologischen Untersuchung Eine auf der eben charakterisierten Regelungsabsicht beruhende teleologische Interpretation des Betriebsbegriffs könnte vom Betriebsbegriff, wie er durch das BVerfG geprägt wurde, abweichen. Dazu sollen die Auswirkungen, die die Ergebnisse der historisch-teleologischen Untersuchung auf das Verständnis des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG hat, betrachtet werden. Hueck/Nipperdey, Arbeitsrecht I, S. 631. Joost, Betrieb und Unternehmen, S. 350. 204 BVerfGE 97, S. 169 (184 f .). 2os So BVerfGE 97, S. 169 (184). 202 203

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5. Kap.: Die betriebliche Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

Solange als Regelungsabsicht (auch) die Rücksichtnahme auf eine geringere wirtschaftliche Leistungs- und Belastungsfähigkeit des Kleinbetriebs angenommen wird, ist die Beschränkung der Kleinbetriebsprivilegierung des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG auf Einheiten, die nicht einem größeren Mehrbetriebsunternehmen angehören, schlüssig; dies jedoch nur dann, wenn entweder dieses Mehrbetriebsunternehmen seinerseits tatsächlich über eine entsprechend hohe wirtschaftliche Belastbarkeit verfügt, um ihm den allgemeinen Kündigungsschutz zuzumuten, oder aber wenn wenigstens eine Gesetzmäßigkeit gilt, kraft derer ein Mehrbetriebsunternehmen mit einer die Schwellenzahl überschreitenden Zahl von Arbeitnehmern typischerweise diese wirtschaftliche Belastbarkeit aufweist. Es wurde bereits angedeutet, daß es sich anders verhält, wenn man auf die Absicht der Beschäftigungsförderung abstellt. Besteht danach der legislatorische Zweck in der Verbesserung der Beschäftigungssituation, indem Entlassungen verhindert oder Anreize zu Einstellungen geschaffen werden sollen, dann spielt es keine Rolle mehr, ob dies in einem Kleinbetrieb geschieht, der etwa einem größeren Mehrbetriebsunternehmen angehört, oder der von einem Kleinunternehmen geführt wird. Für die Verbesserung der Beschäftigungssituation ist allein von Bedeutung, daß Einstellungen erfolgen bzw. Entlassungen verhindert werden, nicht dagegen, wo dies geschieht. Ein Arbeitsplatz, der in einem Kleinbetrieb eines Mehrbetriebsunternehmens entsteht, ist ebenso gut wie einer, der in einem Kleinunternehmen neu entsteht. In beiden Fällen wird das Ziel der Verbesserung der Beschäftigungslage gefördert. Hieraus läßt sich auch erklären, warum gerade in der Begrundung des Arbeitsrechtlichen BeschFG 1996 das Kleinunternehmen immer nur "insbesondere" und "vor allem", stets also als Spezialfall, jedoch niemals ausschließlich als Anwendungsfall der zu ändernden Kleinbetriebsklausel angeführt wurde. Entsprechendes gilt für die mit der Regelung bezweckte Rücksichtnahme auf besonders enge persönliche Beziehungen in Kleinbetrieben 206. Die so charakterisierten Verhältnisse sind kein Spezifikum des Kleinunternehmens mit einem einzigen Betrieb. Das besondere persönliche Näheverhältnis ist ebenfalls in einem Kleinbetrieb vorhanden, der einem größeren Mehrbetriebsunternehmen angehört. Daß in diesem nicht notwendig "der Unternehmer selbst als Chef vor Ort" mitarbeitet207, ist für das Vorliegen schutzwürdiger enger persönlicher Beziehungen bedeutungslos. Denn diese kommen in Kleinbetrieben unabhängig davon zustande, ob der "Chef" der Arbeitgeber ist oder eine Person, der vom Arbeitgeber die Ausübung des Direktionsrecht insoweit übertragen worden ist. Bei dieser Art von Beziehungen handelt es sich eher um ein soziologisches Faktum, für das es ausschließlich darauf ankommt, daß es überhaupt eine Person gibt, die - untechnisch gesprochen - Anordnungen zu treffen berechtigt ist und sich mit den wenigen Beschäftigten arrangieren muß, nicht dagegen darauf, daß diese Person rechtlich als Arbeitgeber zu qualifizieren ist. 206 207

Vgl. auch Falder, NZA 1998, S. 1254 (1257). BVerfGE 97, S. 169 (178).

C. Bewertung und Konsequenzen

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Vor diesem Hintergrund ist es tatsächlich schlüssig, wenn der Gesetzgeber den Begriff "Betrieb" - auch und gerade im herkömmlichen Sinne verstanden - beibehält208 und Vorschlägen zur Begrenzung der Kleinbetriebsausnahme auf solche Einheiten, die nicht einem größeren Mehrbetriebsunternehmen angehören, nicht folgt.

V. Objektiv-teleologische Aspekte des BetriebsbegritTs Über die Erschließung des Willens des historischen Gesetzgebers hinaus bedarf es der Beantwortung der Frage, inwiefern die Rücksichtnahme auf geringere wirtschaftliche Belastbarkeit mit den Regelungen des objektiven Rechts und den in ihnen objektiv, d. h. unabhängig vom legislatorischen Willen zum Ausdruck gelangenden Grundsätzen und Zwecken harmoniert.

1. Gebot der Gleichbehandlung des Gleichartigen Für die Ermittlung des Bedeutungsinhalts einer Norm ist nicht allein nach den Absichten des historischen Gesetzgebers zu fragen. Vielmehr kommt es ebenfalls auf die Erschließung des dem Gesetz objektiv innewohnenden Sinnes an. Daher muß die Norm objektiv-teleologisch auch nach den aus dem "Gedanken der Gerechtigkeit" folgenden Anforderungen messen lassen 209. Zu diesen gehört auch das Gebot der Gleichbehandlung des Gleichartigen. Dieses Gebot könnte jedoch beeinträchtigt werden, wenn man die Rücksichtnahme auf geringe wirtschaftliche Belastbarkeit als Regelungszweck des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG ansieht und hieraus den Betriebsbegriff erklärt. Träfe diese Annahme vom Zweck der Norm zu, dann müßte eine Auslegung der Kleinbetriebsklausel in der Tat mit der ganz h.M. dahin gehen, unter "Betrieb" nicht solche Einheiten zu verstehen, die, etwa wegen ihrer Zugehörigkeit zu einem großen und finanzstarken Mehrbetriebsunternehmen, dieser Rücksichtnahme nicht bedürfen. Führte man diese Annahme jedoch konsequent fort, so wären nicht nur solche Einheiten von der Subsumtion unter "Betrieb" in § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG ausgeschlossen, die einem großen und finanzstarken Mehrbetriebsunternehmen angehören; es dürfte umgekehrt ein solcher Betrieb gerade nicht ausgeschlossen sein, der zwar der einzige des Unternehmens ist, dessen (Klein-) Unternehmen aber über eine Finanzausstattung verfügt, die so hoch ist, daß es die mit dem Kündigungsschutz verbundenen Verwaltungs-, Prozeßkosten und Abfindungen leicht verschmerzen könnte. Zudem kann es viele Betriebe geben, deren Beschäftigtenzahl die Schwellenzahl nur um ein geringes überschrei2os A.A. Joost, Betrieb und Unternehmen, S. 343, der der Auffassung ist, durch die Anknüpfung an die Belegschaftszahl des Betriebes komme das Regelungsziel nur unvollkommen zum Ausdruck. 209 Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 137, 155.

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5. Kap.: Die betriebliche Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

tet, die aber finanziell derart schlecht dastehen, daß ihnen der Kündigungsschutz unter dem finanziellen Gesichtspunkt weitaus weniger zugemutet werden kann als manchem vermögenden Kleinunternehmen. Dennoch müßte nach wirtschaftlichteleologischer Interpretation eine analoge Erstreckung der Kleinbetriebsausnahme wegen des Gebots der Gleichbehandlung des Gleichartigen zumindest erwogen werden. Dies wären die Folgerungen aus der an der wirtschaftlichen Belastbarkeit orientieren Begriffsbestimmung, wie sie auch das BVerfG vornimmt. Im Gegensatz zu diesen Folgerungen formuliert jedoch das BVerfG210 : "Bei Betrieben in dieser Größenordnung (wie § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG sie vorsieht, Anm. d. Verf.) können die Verhältnisse durchaus noch so liegen, wie der Gesetzgeber annimmt. (... ) Sicherlich gibt es zahlreiche hochautomatisierte Betriebe mit kleiner Belegschaft, die so finanzstark sind, daß ihnen der gesetzliche Kündigungsschutz ohne weiteres zugemutet werden könnte, und die bei der Auflösung eines Arbeitsverhältnisses auch angemessene Abfindungen zahlen können. Andererseits gibt es aber auch personalintensive Betriebe mit größerer Belegschaft, für die das nicht in gleichem Umfang zutrifft. Vergleichendes Zahlenmaterial, aus dem sich ergäbe, daß der Gesetzgeber die Verhältnisse mit der von ihm vorgenommenen Grenzziehung gröblich verkannt hätte, liegt nicht vor." Erst bei einem hiervon abweichenden empirischen Befund sei "der Gesetzgeber gehalten, seine Regelung zu überprüfen". In den beiden genannten Fällen folgt das BVerfG also dem positiven Wortlaut des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG, während es im Fall des Kleinbetriebs innerhalb eines Mehrbetriebsunternehmens eine den Wortlaut "unterschreitende" Rechtsfortbildung vornimmt. Der Hinweis auf fehlende empirische Untersuchungen vermag schon deshalb nicht zu überzeugen, weil er sich ebenfalls auf den Fall des Kleinbetriebs innerhalb eines Mehrbetriebsunternehmens bezieht. So setzt sich das BVerfG in Widerspruch zu seiner eigenen Prämisse, d. h. der Ableitung des "Betriebs"-Begriffs aus dem angenommenen Zweck der Rücksichtnahme auf geringere wirtschaftliche Belastbarkeit. 2. Konkrete und abstrakte wirtschaftliche Belastbarkeit

Dies kann nur so erklärt werden, daß es nach dieser vom BVerfG wie auch der ganz h.L. vertretenen Auffassung auf die tatsächliche oder konkrete wirtschaftliche Belastbarkeit eines Unternehmens gar nicht ankommt. Vielmehr wird ein Kleinbetrieb bereits dann nicht mehr als "Betrieb" im Sinne von § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG aufgefaßt, wenn er nur einem Mehrbetriebsunternehmen angehört und die Schwellenzahl insgesamt überschritten wird, ohne Rücksicht auf die aktuelle Finanzlage des Unternehmens. Dies kann nur so verstanden werden, daß es sich nach der herrschenden Auffassung typischerweise oder abstrakt so verhält, daß ein Unternehmen mit entsprechend hoher Beschäftigtenzahl auch über eine ausreichend hohe wirtschaftliche Belastbarkeit verfügt, um Verwaltungs-, 210

BVerfGE 97, S. 169 (183 f.).

C. Bewertung und Konsequenzen

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Prozeß-, Abfindungs- und ähnliche Kosten tragen zu können. Rechtstechnisch läge darin letztlich eine Vermutung, und zwar des Inhalts, daß von der Beschäftigtenzahl auf die wirtschaftliche Belastbarkeit geschlossen werden kann. Weil dabei - und dies folgt aus der soeben zitierten Passage aus dem ersten Kleinbetriebsbeschluß - die tatsächliche oder konkrete wirtschaftliche Belastbarkeit gar keine Rolle spielt und stets nur die typische oder abstrakte entscheidend ist, ist die Vermutung unwiderleglich. Diese Vermutung kann aber nur dann befürwortet werden, wenn man in der Beschäftigtenzahl einen verläßlichen Indikator für die wirtschaftliche Belastbarkeit erblicken darf. An dessen Genauigkeit sind aufgrund der Tatsache, daß dem Arbeitgeber wegen der Unwiderleglichkeit ein Gegenbeweis abgeschnitten ist, hohe Anforderungen zu stellen. Eine solche Indikatoreigenschaft der Beschäftigtenzahl bejahend schreibt Joost211 : "Die vom Gesetzgeber bezweckte finanzielle Entlastung des Kleinbetriebs ist eine Entlastung des Arbeitgebers mit nur kleinem Unternehmerischen Tätigkeitsbereich, wiederum ausgedrückt durch die Mindestbeschäftigtenzahl." Diese Annahme bedürfte jedoch der Überprüfung durch die Ökonomie. Doch ist erstens eine solche ökonomische Gesetzmäßigkeit nicht bekannt und wird teilweise sogar ausdrücklich bezweifelt212. Des weiteren implizierte eine solche Gesetzmäßigkeit die Vorstellung, daß bei beschäftigungsstarken Unternehmen aufgrund ihrer hohen wirtschaftlichen Belastbarkeit die Gefahr einer Insolvenz gering wäre; daß dies nicht zutrifft, belegt der in der Praxis immer wieder zu beobachtende Umstand der Insolvenz auch von Großunternehmen mit vielen Beschäftigten. Möglich ist zwar, daß man in diesen Zusammenhang allenfalls als typischerweise gegeben, nicht dagegen im Sinne einer strengen Gesetzmäßigkeit versteht. Doch dann wäre drittens - nicht einzusehen, warum sich finanzschwache Unternehmen, deren Arbeitnehmer die Schwellenzahl überschreiten, nicht erfolgreich auf den Nachweis ihrer fehlenden wirtschaftlichen Belastbarkeit berufen können. Aber selbst wenn man die teleologische Begriffsbestimmung nach Maßgabe wirtschaftlicher Belastbarkeit konsequent umsetzte, wäre dies für die arbeitsrechtliche Praxis kaum sinnvoll. Denn dadurch käme es zu einer "Aufweichung" des Begriffs des Betriebs und seiner faktischen Ersetzung durch betriebswirtschaftliche Unternehmensbewertungen. Verbunden damit wäre ein erhebliches und unerträgliches Maß an Rechtsunsicherheit Damit ist selbst eine konsequente und Wertungswidersprüche vermeidende Interpretation des Betriebsbegriffs aufgrund wirtschaftlicher Belastbarkeit abzulehnen.

Betrieb und Unternehmen, S. 346. Vgl. Nachw. bei Ramm, ArbuR 1991, S. 257 (262 und Fn 46), demzufolge die Verbände der gewerblichen Industrie mehrheitlich darauf hingewiesen hätte, daß die kleinen und mittleren Unternehmen keine homogene wirtschaftliche Einheit bildeten und die Maßziffer der Beschäftigtenzahl mit zunehmender Automatisierung und damit verbundener Kapitalintensität an Aussagekraft verliere. 211

212

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5. Kap.: Die betriebliche Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

VI. Konsequenzen für eine Rechtsfortbildung bei § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG Diese Erkenntnisse aus der Untersuchung teleologischer Gesichtspunkte sind von Bedeutung für die eingangs aufgeworfene Frage nach der Zulässigkeit einer Rechtsfortbildung im Wege der teleologischen Reduktion. Für das Vorliegen einer hierfür erforderlichen planwidrigen Lücke wurde gesagt, daß entscheidend auf historisch- und objektiv-teleologische Erkenntnisse abzustellen ist. Nunmehr kann gesagt werden, daß eine solche Lücke bei § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG nach den hier gewonnenen Resultaten nicht existiert. Stellt man nämlich auf den beschäftigungspolitischen Aspekt der Regelung ab und betrachtet zudem die Rücksichtnahme auf besonders enge persönliche Beziehungen als Normmotiv, dann ist die Verwendung des Begriffs "Betrieb" - gerade nach seinem herkömmlichen Verständnis - nur folgerichtig213, so daß eine Lücke als Grundlage einer Rechtsfortbildung nicht gegeben ist. Gleichwohl nimmt das BVerfG in der Sache eine Rechtsfortbildung vor214. Ein solcher Verstoß gegen die korrekte Anwendung der juristischen Methode wiegt nicht leicht, ist doch durch die zulässige Anwendung juristischer Methoden der Kompetenz der Rechtsprechung eine Grenze gezogen. Überschreitet sie diese Grenze, so kommt es zu einem Verstoß gegen den rechtsstaatliehen Grundsatz der Gewaltenteilung215 . Stellte man dagegen mit dem BVerfG216 auf die Rücksichtnahme auf wirtschaftliche Belastbarkeit als Regelungszweck ab, dann läge ebensowenig eine Lücke vor, weil die Norm danach bereits als verfassungswidrig zu beurteilen wäre. Im Rahmen des konkreten Normenkontrollverfahrens -und ein solches lag den beiden Kleinbetriebsbeschlüssen zugrunde - ist eine Norm u. a. dann verfassungswidrig, wenn sie gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt. Innerhalb dieses Grundsatzes ist die Geeignetheit der Maßnahme zu überprüfen. Geeignet ist eine Maßnahme dann, wenn sie den mit ihr verfolgten Zweck zu fördern vermag217 . Sollte der Gesetzgeber wirklich die Rücksichtnahme auf geringere wirtschaftliche Belastbarkeit bezweckt haben, wie dies vom BVerfG angenommen wird, dann ist die Verwendung des Begriffs "Betrieb" schlichtweg ungeeignet, diesen Zweck zu fördern, und zwar aus ebendem vom BVerfG selbst benannten Grund, daß - wenn man einen typischen Zusammenhang zwischen Beschäftigtenzahl und Finanzkraft gelten läßt - unter "Betrieb" in § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG auch "Teile größerer Uns.o. Kap. 5 C IV. Vgl. o. Kap. 5 C II. 215 Krit. Rüthers, Auf dem Weg zum Richterstaat, F.A.Z. v. 2. 11. 2000, S. 12: "Wenige Juristen, auch wenige Richter der obersten Gerichte, sind sich bewußt, daß Fragen der ,Methodenwahl' und der Auslegung Verfassungsfragen sind, die über die rechtsstaatliche Gewaltentrennung und Dienstfunktion der Rechtsprechung gegenüber den demokratisch legitimierten Gesetzen entscheiden." 216 BVerfGE 97, S. 169 (177 f .). 217 Vgl. Lerche, HStR V,§ 122 Rn 16. 213

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D. Argumente für ein Verständnis des Betriebsbegriffs

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ternehmen fallen, für die die (wirtschaftlichen, Anm. d. Verf.) Gesichtspunkte nicht zutreffen, die eine Benachteiligung der Arbeitnehmer von Kleinbetrieben (... ) rechtfertigen" 218• Nicht durch den Begriff "Betrieb" wird der nach Ansicht des BVerfG bezweckte Zustand treffend umschreiben, sondern durch den des "Unternehmens". Der Begriff des Betriebs ist mithin nicht geeignet, die nach Auffassung des BVerfG mit der Regelung intendierten Rechtsfolgen eintreten zu lassen. Die fehlende Geeignetheit einer Norm führt wegen Verstoßes gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz grundsätzlich zu ihrer Nichtigkeit. Im ersten Kleinbetriebsbeschluß aber nimmt das BVerfG statt dessen verbal eine verfassungskonforme Auslegung, der Sache nach eine Rechtsfortbildung vor, die letztlich auf das Ergebnis hinausläuft, daß der Betriebsbegriff des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG mit dem des "Unternehmens" oder des "Arbeitgebers" gleichgesetzt wird. Dieses Ergebnis ist, selbst von dem Standpunkt aus, daß die Kleinbetriebsklausel die Rücksichtnahme auf geringere wirtschaftliche Belastbarkeit bezwecke, unschlüssig. Die Möglichkeit einer Rechtsfortbildung besteht also nach diesem Ansatz ebensowenig.

D. Argumente für ein Verständnis des Betriebsbegriffs in § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG im Sinne der arbeitsorganisatorischen Einheit Jedoch kann sich die Suche nach dem Bedeutungsinhalt des Begriffs "Betrieb" im Sinne von § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG nicht in der Widerlegung der dazu vertretenen Auffassungen erschöpfen; vielmehr ist nach einer positiven Begründung zu fragen, die eine Bestimmung des Begriffsinhalts ermöglicht. Dazu sollen außer den Erkenntnissen aus der teleologischen Untersuchung der Kleinbetriebsklausel auch jene über die zum allgemeinen Kündigungsschutz vertretenen dogmatischen Theorien herangezogen werden.

I. Erforderlichkeit als Grenze des allgemeinen Kündigungsschutzes Als Ausgangspunkt für die Bestimmung des Bedeutungsinhalts des Betriebsbegriffs soll der (hier als solcher erkannte) beschäftigungspolitische Regelungszweck des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG dienen. Unter diesem Gesichtspunkt ist die Wirkung allgemeinen Kündigungsschutzes nicht neutral; er kann sich nach ökonomischen Erkenntnissen auf die Beschäftigungssituation auswirken219 ; Regelungen des BVerfGE 97, S. 169 (184). So z. B. Schellhaaß, ZfA 1984, S. 139 (157); krit. auch Hanau, 63. DJT (2000), Gutachten C, S. 31 und 34. 21 s

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5. Kap.: Die betriebliche Reichweite des allgerneinen Kündigungsschutzes

Marktabgangs (durch die Reglementierung der Beendigung des Arbeitsverhältnisses) haben immer auch Effekte auf den Marktzugang, das Einstellungsverhalten der Arbeitgeber220. Aus Sicht der Arbeitsuchenden können dabei zwei Arten negativer, weil möglicher beschäftigungshemmender Wirkungen von Kündigungsschutz erkannt werden: Einmal eine unmittelbare, die wegen des die Arbeitsplatzverteilung verfestigenden Effekts von Kündigungsschutz entsteht, weil ein von einem anderen besetzter Arbeitsplatz bei rigidem Kündigungsschutz weniger einfach freigemacht und mit einem Arbeitsuchenden besetzt werden kann (so etwa im Fall einer personen- oder verhaltensbedingten Kündigung); zum anderen eine mittelbare, die entsteht, wenn der Arbeitgeber bei rigidem Kündigungsschutz zum Nachteil Arbeitsuchender von Neueinsteilungen absieht, befürchtend, den neueingestellten Arbeitnehmer im Konjunkturtief oder anderen belastenden Situationen nicht wieder "loswerden" zu können und "durchziehen" zu müssen, obwohl dadurch das Kosten-Nutzen-Kalkül für den Arbeitgeber nachteilig ausfällt. Auch vom Sachverständigenrat wird angenommen, daß Kündigungsschutz zu einem solchen Einstellungshemmnis werden könne und Regelungen, die dazu betrügen, daß die Nachfrage nach Arbeit und das Angebot von Arbeitsplätzen schneller und besser zusammenfänden, zur Beschäftigungsförderung beitrügen221 . Gleichwohl ist zu betonen, daß die Wirkungen von Kündigungsschutz auch für den Arbeitgeber nicht schlechthin nachteilig sind; anerkannt ist etwa, daß ein allgemeiner Kündigungsschutz für eine gewisse Sicherheit des Arbeitnehmers auf seinem Arbeitsplatz sorgt, die sich motivierend und dadurch leistungsfördernd auf sein Arbeitsverhalten auswirken kann; wegen dieser relativen Arbeitsplatzsicherheit ist der Kündigungsschutz von einer für den Arbeitgeber günstigen, weil effizienzsteigemden Wirkung222. Aus der Sicht des Arbeitsuchenden sind die nachteiligen unmittelbaren und mittelbaren Wirkungen des Kündigungsschutzes jedoch trotzdem nicht von der Hand zu weisen. Wegen seiner negativen Auswirkungen, die der Kündigungsschutz durch die Verfestigung der Arbeitsplatzverteilung auf die nach Art. 12 Abs. l GG geschützten Zugangschancen der Arbeitsuchenden hat223 , muß gesetzlicher allgemeiner Kündigungsschutz schon nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auf das erforderliche Maß beschränkt bleiben. Er darf aufgrund seines Charakters als grundrechtlicher Eingriff in die Berufsfreiheit Arbeitsuchender224 also nur gewährt werden, soweit er erforderlich ist, d. h. nur solange das (ebenfalls Vgl. Sachverständigenrat, Jahresgutachten 1999 I 2000, S. 177. Sachverständigenrat, Jahresgutachten 1989/90, S. 170; Jahresgutachten 1993/94, S. 243 f.; Jahresgutachten, 1994/95 S. 266. 222 Vgl. Sachverständigenrat, Jahresgutachten 1989/90, S. 171; ferner z. 8. positive Wirkung wegen des Zustandekoromens von Investitionen des Arbeitgebers für die Bildung betriebsspezifischen Hurnanverrnögens: Kleinhenz, 63. DJT (2000), Gutachten 8 , S. 66. 223 s. o. Kap. 3 A II 4 und 5; diese Wirkung mißt auch der Sachverständigenrat dem Kündigungsschutz bei; vgl. Jahresbericht 1989/90, S. 170; Jahresgutachten 1993/94, S. 243, Jahresgutachten 1994/95, S. 186. 224 Vgl. o. Kap. 3 A II 4. 220 221

D. Argumente für ein Verständnis des Betriebsbegriffs

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nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützte) Bedürfnis der Arbeitsplatzinhaber nach relativer Sicherheit des Arbeitsplatzes225 grundsätzlich gegeben ist und nicht auf andere Weise als durch einen die Arbeitsuchenden belastenden gesetzlichen Kündigungsschutz sichergestellt ist. Dies gilt auch für den durch § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG vom allgemeinen Kündigungsschutz der§§ 1 ff. KSchG freigestellten Bereich. Wie die Existenzjener Norm zeigt, hat der Gesetzgeber in gewissen Einheiten (eben in denen nach § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG, deren genaue Beschaffenheit - Betrieb oder Unternehmen - hier in Frage steht) einen allgemeinen Kündigungsschutz nach dem Muster der §§ 1 ff. KSchG aus bestimmten Gründen nicht für erforderlich oder nicht für verhältnismäßig i.e.S. gehalten, während die Erforderlichkeit für die den§§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 S. 2 KSchG unterfallenden Arbeitnehmern bejaht wurde. Damit stellt sich die Frage nach dem Grund der Herausnahme der kleinen Einheiten. Der Grund für die Herausnahme ermöglicht sodann wiederum einen Rückschluß auf die notwendige Beschaffenheit derjenigen Einheit, die von dieser Herausnahme betroffen sein muß, denn es ist genau diejenige Einheit, auf die der Grund für die Herausnahme zutrifft. Die Frage nach der Beschaffenheit der aus den §§ 1 ff. KSchG herauszunehmenden Einheit beinhaltet demzufolge zwei Aspekte: Zum einen ist nach dem Grund für die Herausnahme zu suchen; ist dieser gefunden, kann die Beschaffenheit der herausgenommenen Einheit bestimmt werden; die Herausnahme ist auf diejenigen Einheiten zu beschränken, die dem Grund für die Herausnahme unterfallen. Nachdem sich die Rücksichtnahme auf geringere wirtschaftliche Belastbarkeit als Grund für die Herausnahme als untauglich erwiesen hat226 , ist zu prüfen, ob das Warum der Ausnahme nicht in dem zweiten der vom BVerfG genannten Gesichtspunkte, dem der Berücksichtigung der besonderen persönlichen Beziehungen, gesehen werden kann. Die Erforderlichkeit eines Kündigungsschutzes nach Maßgabe der§§ 1 ff. KSchG könnte möglicherweise überall dort entfallen, wo so wenig Arbeitnehmer beschäftigt sind, daß eine besonderes enge persönliche Nähebeziehung zwischen den Arbeitnehmern besteht, so wie sie auch vom BVerfG227 charakterisiert worden ist. Insofern stellten die engen persönlichen Beziehungen eine Grenze der Erforderlichkeit des allgemeinen Kündigungsschutzes dar, der sich ferner, da die Arbeitsplatzverteilung verfestigend, vor dem Grundrecht Arbeitsuchender aus Art. 12 Abs. 1 GG verantworten muß. Außer aus diesem Grundrecht ergäbe sich also aus dem der besonderen persönlichen Nähebeziehung eine weitere, eben die betriebliche Grenze des allgemeinen Kündigungsschutzes. Die Folge wäre, daß die herausgenommene Einheit nur eine solche sein könnte, in der das Entstehen der engen persönlichen Beziehungen möglich ist. Dies träfe jedenfalls 22s Ob dieses Bedürfnis auf der von der Bestandsschutztheorie angenommenen Notwendigkeit des wirtschaftlichen und sozialen Existenzschutzes oder auf anderen Umständen beruht, kann hier vorerst dahinstehen. 226 Vgl. o. Kap. 3 C V 2. 227 BVerfGE 97, S. 169 (177 f.).

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5. Kap.: Die betriebliche Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

nicht auf das Unternehmen mit mehreren Betrieben zu, weil das Entstehen jener engen persönlichen Beziehungen allenfalls bei persönlichem Zusammenwirken in der arbeitsorganisatorischen Einheit möglich ist, nicht aber mit Kollegen in anderen Betrieben des Unternehmens, mit denen ein ebenso starker persönlicher Kontakt und Austausch gar nicht bestehen kann.

II. Die "besonders engen persönlichen Beziehungen" und ihre Konsequenzen für den allgemeinen Kündigungsschutz Wie bereits bemerkt228, können besonders enge persönliche Beziehungen nur dort, aber auch überall dort entstehen, wo wenige Arbeitnehmer in einer arbeitstechnischen Einheit zusammenwirken. Dabei kommt es gerade nicht darauf an, daß diese Einheit die Qualität eines Rechtssubjekts hat; die bei enger Zusammenarbeit entstehende Nähebeziehung ist als soziales Phänomen von der rechtlichen Qualifikation als Rechtssubjekt insoweit unabhängig. Eine solche Einheit ist damit grundsätzlich die arbeitsorganisatorische Einheit, der Betrieb, in dem die Arbeitsverhältnisse zusammengefaSt sind und in der persönlicher Kontakt als Voraussetzung für enge persönliche Beziehungen entsteht. Um die Wirkungen der besonderen persönlichen Nähebeziehung für den Kündigungsschutz erfassen zu können, soll zunächst der Versuch einer Beschreibung derartiger Beziehungen und der Einheiten, in der sie entstehen, unternommen werden. 1. Charakteristik

Das BVerfG beleuchtet vornehmlich die wirtschaftlichen Besonderheiten einer kleinen Einheit, in der die persönlichen Nähebeziehungen entstehen können, indem auf die Effekte für den Geschäftserfolg, die regelmäßig geringere Finanzausstattung, einen höheren Verwaltungsaufwand sowie stärker belastende Prozeßkosten hinweist229 . Nachdem sich diese wirtschaftliche Betrachtung als unzutreffend herausgestellt hat, soll vor allem die Bedeutung der engen persönlichen Beziehungen für das Verhalten der Beteiligten und für die Arbeitsabläufe eingeschätzt werden. Ein Betrieb, in dem wenige - es kann sich durchaus um eine Gruppe von bis zu fünf Arbeitnehmern handeln - zusammenwirken, wird schon aufgrund dieser geringen Beschäftigtenzahl nur eine flache vertikale Hierarchisierung aufweisen und im allgemeinen kaum mehr als zwei Hierarchieebenen ausbilden. Dem Hierarchiegedanken kommt in derart kleinen Einheiten insofern eine relativ nachrangige Rolle zu. Eine flache Hierarchie ermöglicht sowohl einen schnellen Informationsfluß zwischen Betriebsleitung und Beschäftigten, zum anderen werden im gleichen Ma22s s. o. 229

Kap. 5 C IV.

BVerfGE 97, S. 169 (177 f.).

D. Argumente für ein Verständnis des Betriebsbegriffs

239

ße unbürokratische Abstimmungen über Arbeitsbedingungen zwischen Leitung und Belegschaft begünstigt. Demgemäß können Probleme und Konflikte innerhalb des Betriebs auf eine wenig komplizierte Weise beigelegt werden; Meinungsverschiedenheiten können gleichsam "von Angesicht zu Angesicht" geklärt werden. In einem Kleinbetrieb ist die Anonymität zwischen den in ihm tätigen Personen gering. Bei nur bis zu fünf Arbeitnehmern tritt die Individualität eines jeden Arbeitnehmers deutlich in den Vordergrund. Damit verringert sich die Gefahr, daß der Arbeitnehmer bloß auf einen betriebswirtschaftliehen Produktionsfaktor reduziert werden könnte. Hinzu kommt der Effekt, den die Zuordnung von Leistung und Verfehlung zu dem einzelnen Arbeitnehmer hat. Diese Zuordnung ist im Kleinbetrieb sehr viel eindeutiger möglich als in einer größeren Einheit. Zum einen wird die Gefahr des "Untergehens" einer eigenen Verfehlung, das in dem Zusammenwirken vieler Arbeitnehmer möglich ist, im Kleinbetrieb verringert, mit der Folge, daß im Kleinbetrieb jeder Arbeitnehmer für sein ihm leichter zuzuordnendes Fehlverhalten einzustehen hat und sein Anreiz zur Vermeidung von Verfehlungen um so größer ist. Zum anderen ist aber auch die Zuordnung positiven Leistungsverhaltens im Kleinbetrieb einfacher, mit der Folge, daß positive Bemühungen eines einzelnen Arbeitnehmers ebensowenig in einer Anonymität untergehen können, so daß der Anreiz zu positivem Leistungsverhalten im Kleinbetrieb ebenfalls größer ist, weil der Arbeitnehmer mit einer Honorierung gerade seiner Person stärker rechnen kann als innerhalb der Belegschaft eines Großbetriebs. Auch hierin driickt sich wieder eine vergleichsweise große "Individualität" des Arbeitsverhältnisses im Kleinbetrieb aus. All dies resultiert aus der großen persönlichen Nähe in einer mit wenigen Beschäftigten besetzten arbeitsorganisatorischen Einheit. Diese Nähe bringt ein höheres Maß auch an gegenseitigem Interesse an der Person des anderen, jedenfalls soweit diese für den Arbeitsablauf von Relevanz ist, mit sich, weil davon zu einem gewissen Grad auch das eigene Verhalten bei der Arbeit abhängt. Damit kann auch ein höheres Maß wechselseitiger moralischer Verantwortung im Arbeitsablauf einhergehen als in der anonymen Masse eines Großbetriebs. So bestehen gravierende qualitative Unterschiede hinsichtlich der Art der persönlichen Beziehungen zwischen Klein- und größeren Betrieben. Daß der Gesetzgeber die Grenze, scheinbar willkürlich, gerade bei fünf Arbeitnehmern festlegt, ist durch das Erfordernis der strikten Grenzziehung bedingt; die Grenze hätte ebenfalls bei zehn liegen können, wie es der Bewertung durch den Gesetzgeber des Arbeitsrechtlichen BeschFG 1996 entsprach. Jedenfalls läßt sich sagen, daß die Nähe der persönlichen Beziehungen mit sinkender Beschäftigtenzahl abnimmt, während diese Stetigkeit dem Merkmal der wirtschaftlichen Belastbarkeit fehlt, die naturgemäß bei geringer Beschäftigtenzahl hoch und bei hoher Beschäftigtenzahl gering sein kann. Insofern handelt es sich bei der Beschäftigtenzahl um einen verläßlicheren Indikator für die Nähe der persönlichen Beziehungen, die wiederum für die Herausnahme aus dem allgemeinen Kündigungsschutz maßgebliches Kriterium ist.

240

5. Kap.: Die betriebliche Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

2. Auswirkungen der engen persönlichen Beziehungen auf das Kündigungsverhalten im Kleinbetrieb

Damit ist jedoch noch nicht die Frage nach dem Zusammenhang zwischen den engen persönlichen Beziehungen und einem Kündigungsschutz im Kleinbetrieb beantwortet. Doch in der Tat verringert sich, wie verdeutlicht werden muß, die Bedeutung eines gesetzlichen allgemeinen Kündigungsschutzes im Kleinbetrieb aufgrund der engen persönlichen Beziehungen und der damit verbundenen größeren Individualität der Arbeitsverhältnisse. Ausgangspunkt hierfür ist die Erkenntnis, daß enger persönlicher Kontakt im hierarchiearmen Bereich einen unbürokratischen Informationsfluß ermöglicht. Dies wirkt Mißverständnissen entgegen und erlaubt eine effektive Konflikt- und Problemlösung. Dies trifft auch auf solche Konflikte zu, die grundsätzlich zum Anlaß für eine Kündigung genommen werden könnten. Zur präventiven Vermeidung der Kündigung ist etwa im Kleinbetrieb bei engen persönlichen Beziehungen das autoritäre Mittel der Ahmahnung weniger hilfreich; bei der dort vorhandenen größeren Individualität vermag persönliche Motivation mehr zu bewirken als in der Anonymität des Großbetriebs. Einem kleinen Kreis von Arbeitnehmern fühlt der Arbeitgeber sich oftmals auch in einem moralischen Sinne persönlich enger verbunden230. Floskelhaft ausgedrückt kann er einen beliebigen Arbeitnehmer leichteren Herzens hinauswerfen als einen, dem er täglich die Hand gegeben hat. Außerdem kann der Gefahr der Kündigung schon durch klärende Gespräche im Vorfeld leichter begegnet werden. Bereits diese Erwägungen verdeutlichen, daß mit zunehmender Nähe der persönlichen Beziehungen die Bedeutung des Zwangsmittels der Kündigung abnimmt, während motivierendes Verhalten und einvernehmliche Problemlösungen an Bedeutung gewinnen. In diesem Sinne wird in der betrieblichen Praxis davon gesprochen, neben der Tätigkeit des Unternehmers seien "Teamgeist und Motivation der Mannschaft erfolgsentscheidend", wobei letztere mit einer "Sportmannschaft" verglichen wird, bei der jeder wisse, daß es auf ihn selbst ankomme und daß nur gemeinsam Erfolg und Sicherheit des Arbeitsplatzes erreicht werden könnten231 . Neben diesen Erwägungen gibt es einen weiteren Aspekt, der die Erforderlichkeit des gesetzlichen Kündigungsschutzes im Kleinbetrieb verringert. Dieser Aspekt besteht in der Rückwirkung des Fehlverhaltens des einzelnen Arbeitnehmers auf die anderen Arbeitnehmer. Die Rückwirkung ist wegen der größeren Bedeutung des individuellen Arbeitsbeitrags bei engen persönlichen Beziehungen im Kleinbetrieb höher einzuschätzen als in größeren Einheiten. Der stärkeren Rück230 Vgl. den Beitrag des Abg. Dr. Reisrrumn (Zentrum) in der zweiten Lesung des KSchG 1951, Sten. Ber. Bd. 8, 156. Sitzung, S. 6217: In Betrieben bis zu einer Größe von zehn Beschäftigten sei das Arbeitsverhältnis zwischen den Beteiligten "so eng und so vertraulich, daß überflüssige Entlassungen praktisch nicht erfolgen, weil die Beteiligten viel zu sehr mit ihrer Existenz aufeinander angewiesen sind" ; s. auch o. Kap 5 C 111 4b. 231 Hamer, F.A.Z. v. 2. 11. 2000, S. 19.

D. Argumente für ein Verständnis des Betriebsbegriffs

241

wirkung des Verhaltens eines einzelnen auf andere Arbeitnehmer korrespondiert die größere Bedeutung gegenseitiger Angewiesenheit und wechselseitiger Verläßlichkeit. Aufgrund dessen kann im Falle von Fehlverhalten, das auf die anderen Arbeitnehmer negativ zurückwirkt, ein Gruppendruck entstehen, der auf Vermeidung des Fehlverhaltens gerichtet ist. Der kleineren Belegschaft wohnt damit eine gewisse "Selbstregulierungskraft" inne. Bestätigung findet diese Annahme in der betrieblichen Praxis, wenn davon die Rede ist, daß die Mitarbeiter der kleinen Einheiten selbst es sind, die "Scheinkranke, Simulanten oder Störer zur Ordnung gerufen haben"232. Insofern ist dem "freien Spiel der Kräfte" im Kleinbetrieb Raum zu belassen, das mißliebige Verhaltensweisen auf effizientere Art sanktioniert, als ein Kündigungsschutzprozeß dies vermag. Die Auswirkungen, die die engen persönlichen Beziehung und die mit ihr einhergehende größere Individualität des Kleinbetriebsarbeitsverhältnisses haben, gehen also dahin, daß hier das Bedürfnis nach relativer Arbeitsplatzsicherheit auf andere Weise befriedigt wird als durch gesetzlich detailliert reglementierten Kündigungsschutz. Die genannten Effekte sind es, die willkürlichen Kündigungen entgegenwirken und schon im vorrechtliehen Bereich einen präventiven Schutz vor willkürlicher Kündigung entfalten. Sofern bemängelt werden sollte, daß dieser Schutz nicht an das Niveau des § l KSchG heranreicht, so sollte bedacht werden, daß das Kleinbetriebsarbeitsverhältnis aufgrund seiner größeren Individualität und der engen persönlichen Beziehungen sensibler ist als das in einem Großbetrieb, was vom BVerfG mit den Worten auf den Punkt gebracht wird: "Auf seine (des Arbeitnehmers, Anm. d. Verf.) Leistungsfähigkeit kommt es ebenso an wie auf Persönlichkeitsmerkmale, die für die Zusammenarbeit, die Außenwirkung und das Betriebsklima von Bedeutung sind. Kleine Teams sind anfällig für Mißstimmungen und Querelen." 233 Dies rechtfertigt, daß der "vorrechtliche" Kündigungsschutz nicht zu einer ebenso hohen Kündigungsschranke führt wie § 1 KSchG. Jedenfalls fehlt es für einen gesetzlichen Kündigungsschutz an der Erforderlichkeit. Dies muß, da allgemeiner Kündigungsschutz die Arbeitsplatzverteilung verfestigt, so die Zugangschancen Arbeitsuchender verringert und deshalb vor deren Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG bestehen muß, zur Ablehnung eines gesetzlichen oder richterlichen Kündigungsschutzes im Kleinbetrieb führen. Festzuhalten bleibt, daß die Erforderlichkeit solchen Kündigungsschutzes überall dort fehlt, wo bei geringer Arbeitnehmerzahl enge persönliche Beziehungen entstehen und zu einem individuellen Charakter des Arbeitsverhältnisses führen. Die Einheit, in der dies der Fall ist, ist der Kleinbetrieb im Sinne des § 23 Abs. l S. 2 KSchG, unabhängig davon, ob dieser Teil eines größeren Mehrbetriebsunternehmens oder gar eines Konzerns ist. Aus diesem Grund ist die gesetzliche Regelung des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG, wenn -und gerade weil- sie auf den Betrieb und nicht auf das Unternehmen oder den Arbeitgeber abstellt, sinnvoll und richtig. F.A.Z. v. 2. 11. 2000, S. 19. BVerfGE 97, S. 169 (177).

232 Hamer; 233

16 Stelljes

242

5. Kap.: Die betriebliche Reichweite des allgerneinen Kündigungsschutzes

111. Von der technozentrischen zur anthropozentrischen Arbeitsorganisation In der sozialen Wirklichkeit der Arbeitswelt wird ein grundlegender Wandel konstatiert. Dieser Wandel ist durch die Abkehr von der technozentrischen, tayloristisch orientierten bei gleichzeitiger Hinwendung zu einer anthropozentrischen Arbeitsorganisation gekennzeichnet234. Nach tayloristischer Idee wird dem Menschen in der technisierten Arbeitswelt nur eine Hilfsfunktion gegenüber der Technik zugewiesen235. Die tayloristische Arbeitsorganisation beruht auf dem Gedanken der "Trennung von Kopf und Hand", d. h. von Planung und Ausführung der Arbeit im Betrieb, was zu weitestgehender horizontaler und vertikaler Arbeitsteilung und starker Hierarchisierung im Betrieb führt; die Arbeitsausführung unterliegt damit ausgefeilter Kontrolle in sachlicher und zeitlicher Hinsicht236. Dem steht ein als anthropozentrisch bezeichnetes Konzept der Arbeitsorganisation gegenüber, nach der das Verhältnis zwischen Mensch und Technik geradezu umgekehrt gesehen wird. Denn während die technozentrische Produktion darauf gerichtet ist, "die menschliche Arbeitskraft gegenüber der Maschine auf eine Restgröße zu reduzieren oder zu ersetzen, rückt das anthropozentrische Paradigma den arbeitenden Menschen in den Mittelpunkt und sucht dessen spezifische, dispositiven und innovativen Fähigkeiten für den Produktionsprozeß fruchtbar zu machen" 237 . Nach diesem Konzept sollen die kreativen ebenso wie die produktiven Fähigkeiten des Menschen stärker zur Entfaltung gebracht werden238. Die anthropozentrische Arbeitsorganisation "setzt gezielt auf den Menschen, d. h. auf die Qualifikation, das Flexibilitäts- und Kommunikationspotential des einzelnen Arbeitnehmers und unterstützt ihn durch organisatorische Maßnahmen und technische Hilfsmittel" 239. Wenngleich in anthropozentrischen Arbeitsorganisationen die Chance gesehen wird, eine "Humanisierung der Arbeitsbedingungen" zu erreichen, besteht hierin nicht der ausschließliche Zweck dieser Konzeption. Vielmehr sind Humanisierung und Demokratisierung eine Folge des primären Unternehmerischen Ziels der Gewinnmaximierung durch Erhöhung der Produktivität der Arbeitnehmer und als solche eine Rationalisierungsmaßnahme. Doch auch wenn die damit einhergehende Humanisierung eher als ein Nebeneffekt gesehen wird, werden anthropozentrische Produktionssysteme von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite gleichermaßen positiv bewertee40. Bei anthropozentrischen Systemen handelt es sich also nicht um 234 Minssen, Tayloristisch? Anthropozentrisch?, S. 85 ff.; Reuter, ORDO Bd. 48 (1997), S. 437 (445 ff.); Boysen, Betriebsverband und Arbeitsverhältnis, S. 159 ff. 235 Vgl. Boysen, Betriebsverband und Arbeitsverhältnis, S. 159. 236 Minssen, Tayloristisch? Anthropozentrisch?, S. 85 f. 237 Nolte, ,,Anthropozentrik" als Kriterium, S. 168. 238 Minssen, Tayloristisch? Anthropozentrisch?, S. 86. 239 Von Bandemer, Anthropozentrische Produktionssysterne, S. 19. 240 Eichener, Chancen und Risiken, S. 50 f.; vgl. auch Minssen, Tayloristisch? Anthropozentrisch?, S. 93.

D. Argumente für ein Verständnis des Betriebsbegriffs

243

eine zwangsweise etablierte Arbeitsorganisation, sondern um ein nach unternehmeciseher Vernunft verwirklichtes System, das aufgrund seiner Humanisierungsund Demokratisierungseffekte auch die Zustimmung der Arbeitnehmer erhält. Die Bedeutung dieses gewandelten Verständnisses wird nicht gering geschätzt. Man spricht davon, es handele sich nicht lediglich um einen graduellen Unterschied, vielmehr sei der Übergang von der technozentrischen zur anthropozentrischen Arbeitsorganisation einem "qualitativen Sprung" mit der Bedeutung eines grundlegenden Wandels in der Auffassung vom Zusammenwirken von Mensch und Maschine zu beschreiben241 .

1. Bedeutung für das Verhältnis Arbeitnehmer - Arbeitgeber

Von ebensolcher Bedeutung ist der Wandel damit auch für die Stellung des Arbeitnehmers. Während der Taylorismus den Arbeitnehmer als "beherrschtes, unmündiges Objekt der Führungsentscheidungen und Kontrolle übergeordneter Hierarchien" auffaßt, sieht das anthropozentrische Konzept in ihm einen "mündigen Beteiligten in einer Kooperationskultur"242. Die bipolar-kontradiktorische Betrachtungsweise des Verhältnisses zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wird aufgegeben zugunsten der Vorstellung von den Beteiligten als "Unternehmensmitgliedern"243. So ist bisweilen auch von Unternehmern zu vernehmen, daß sie ihre Mitarbeiter gar als "Mitunternehmer" oder "unselbständige Selbständige"244 bezeichnen. Die Folge ist, daß Fremdkontrolle ersetzt wird durch Information, Kommunikation, Kooperation und Motivation245 . Damit verändert sich auch die Aufgabe des Vorgesetzten. Bei der tayloristisch-technozentrischen Vorstellung vom unselbständigen Arbeitnehmer bestand diese Aufgabe darin, die Arbeitspflicht durch "Kommandos" zu konkretisieren246 . Demgemäß werden die historischen Verhältnisse charakterisiert: Bei "starker Autoritätsstruktur" und ,,hierarchischer Ordnung des Betriebes" war das Verhältnis zum Unternehmer "entpersonalisiert"; viele Arbeitnehmer "fühlten sich, auch und gerade im Verhältnisse zu den unmittelbaren Vorgesetzten, die anordneten und kontrollierten, als Menschen zweiter Klasse behandelt. Autoritätsgehabe und -gefalle waren schroff, eher rigide, Anordnung und Gehorsam bestimmten den Stil. " 247

Minssen, Tayloristisch? Anthropozentrisch?, S. 86. Boysen, Betriebsverband und Arbeitsverhältnis, S. 160. 243 Vgl. Boysen, Betriebsverband und Arbeitsverhältnis, S. 160. 244 So Trittin, NZA 2001, S. 1003 (1011). 245 Boysen, Betriebsverband und Arbeitsverhältnis, S. 160, m. w. N. 246 Boysen, Betriebsverband und Arbeitsverhältnis, S. 163. 247 Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte, S. 309 f. - Zitat gefunden bei Reuter, FS Dieterich, S. 473 (488 f.). 241

242

16*

244

5. Kap.: Die betriebliche Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

Demgegenüber hat sich heute die Erkenntnis durchgesetzt, daß "Druck und Angst" in der Realität nicht die gewünschte Arbeitsmotivation erzeugten, weswegen in gut geführten Unternehmen längst bekannt sei, "daß Arbeitsmotivation in erster Linie von positiven Maßnahmen (Vertrauen, Anerkennung von HandlungsspielräumendesArbeitnehmers usw.) erwartet werden kann"248 . Der Sachverständigenrat formuliert: "Anstatt eines Arbeitnehmers, für den in einem Herrschaftsverhältnis der Arbeitgeber durch Weisung die Arbeitspflicht konkretisiert - eine Sicht, die in der juristischen Deutung des Arbeitsverhältnisses oft noch mitschwingt -, steht heutzutage der Mitarbeiter mit eigener Kompetenz im Vordergrund. An diesen Entwicklungen kann die Interpretation des Arbeitsverhältnisses durch die Gesellschaft, das heißt auch durch die Gesetzgebung und Rechtsprechung, nicht vorbeigehen. " 249 Dementsprechend besteht die Führungsaufgabe in der modernen anthropozentrischen Arbeitsorganisation darin, den Arbeitnehmer nicht als Befehlsempfänger, sondern als aktiven Mitgestalter in den Betrieb im Wege der Kooperation zu integrieren. Insgesamt wird damit die Hierarchisierung des Arbeitsprozesses durch hierarchiearme Organisationsformen, die auf kooperativen Führungsstil gegründet sind, ersetzt250. 2. Bedeutung für das Kündigungsverhalten im Kleinbetrieb Dieser Wandel bleibt auch für die Bedeutung des Kündigungsschutzes nicht ohne Folgen. Gewinnen Kooperation, Kommunikation und Motivation an Einfluß, so verringert sich zwangsläufig die Bedeutung autoritärer Maßnahmen, denen vor allem die einseitig-rechtsgestaltende Kündigung als Mittel einer endgültigen Beendigung des Arbeitsvehältnisses zuzurechnen ist. Vor dem Hintergrund der anthropozentrischen Betriebsorganisation kann sich eine unberechtigt oder willkürlich erscheinende Kündigung selbst dann, wenn der von ihr betroffene Arbeitnehmer den Betrieb verläßt, motivations- und damit produktivitätshemmend auswirken, wenn und weil die übrigen Arbeitnehmer befürchten müssen, selbst einmal von einer solchen Kündigung betroffen zu sein. Solches Kündigungsverhalten kann zudem dahin führen, daß die Attraktivität der Arbeitsplätze in einem solchen Betrieb sinkt, was insbesondere dann auf den Betrieb negativ zurückwirken kann, wenn sich dieses Verhalten herumspricht und der (Klein-) Arbeitgeber seine Arbeitskräfte aus der näheren Umgebung rekrutiert. Mit der Verringerung autoritärer Maßnahmen und der gestiegenen Bedeutung von Motivation und Kooperation geht also auch ein gewisser genereller Bedeutungsverlust autoritär-einseitiger Instrumente, wie beispielsweise einer "willkürlichen" Kündigung, einher. Dorndorf, ZfA 1989, S. 345 (374). Sachverständigenrat, Jahresgutachten 1999/2000, S. 175. 250 Boysen, Betriebsverband und Arbeitsverhältnis, S. 162 f., m. w. N. Vgl. auch Beaucamp, NZA 2001, S. 1011 (1012), der von "früheren Zeiten des Unterworfenseins und Abhängigseins des Arbeitnehmers vom dominierenden Willen des Arbeitgebers" spricht, während heute die Suche nach Problernlösungen "dialogisch" geführt werde. 248

249

D. Argumente für ein Verständnis des Betriebsbegriffs

245

Vollzieht sich der Wandel von der technozentrischen Arbeitsorganisation mit stark ausgeprägter Spezialisierung in horizontaler und vertikaler Richtung, die zu starker Hierarchisierung führt, hin zu einer anthropozentrischen Arbeitsorganisation, die wegen des Bedeutungsverlusts autoritären Führungsstils vergleichsweise hierarchiearm ist, so bleibt dies nicht ohne Auswirkung auf das Kündigungsverhalten speziell im Kleinbetrieb. Insbesondere bei dem Kleinbetrieb handelt es sich um eine Einheit, in der es selbst bei Vorherrschen einer tayloristisch-technozentrischen Arbeitsorganisation wegen seiner geringen Beschäftigtenzahl mit nicht mehr als fünf Vollzeitarbeitnehmern zur Ausprägung vor allenfalls zwei Hierarchieebenen kommen wird. Bei dem Kleinbetrieb handelt es sich also bereits wesensgemäß um eine hierarchiearme Arbeitsorganisation. Um so stärker hat sich die Notwendigkeit und Tiefe der Hierarchiebildung im Kleinbetrieb im Zuge der Etablierung einer anthropozentrischen und auf Konsens ausgerichteten Arbeitsorganisation verringert. Insofern bildet der Kleinbetrieb gleichsam den "Nährboden" dieser modernen Arbeitskonzeption, in der deren Effekte am stärksten Fuß fassen und wirken konnten und können. Nach dem oben Gesagten ist mit der Verringerung der Hierarchisierung gleichzeitig eine Verringerung der Notwendigkeit und Bereitschaft zur Kündigung verbunden, handelt es sich doch schon nach historischem Urteil bei der "Entlassungsmöglichkeit" um den "Kern der Autoritätsstruktur"251 • Von dem allgemeinen Bedeutungsverlust der Kündigung bei anthropozentrischer Arbeitsorganisation und dem damit verbundenen allgemeinen Bedeutungsverlust der Hierarchiebildung wird also speziell das Kündigungsverhalten im bereits wesensgemäß hierarchiearmen Kleinbetrieb in stärkstem Maße betroffen. Diese Einsicht stellt die Erforderlichkeit eines rigiden gesetzlichen oder richterrechtlichen Kündigungsschutzes für den Kleinbetrieb nachhaltig in Frage, stärkt sie doch nochmals die Annahme der Effektivität eines "vorrechtlichen" Schutzes vor Kündigung. Die Einheit, in der aufgrund besonderer persönlicher Nähe und der damit verbundenen erhöhten Individualität der Arbeitsverhältnisse die Erforderlichkeit solchen Kündigungsschutzes mangels erhöhter Verflochtenheit fehlt, ist jedenfalls der Betrieb im strengen Sinne der arbteitstechnischen Organisation, nicht etwa das Unternehmen oder der Arbeitgeber. Denn für Kommunikations- und Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit kommt es nicht darauf an, daß die eine Seite rechtlich als "Arbeitgeber" zu qualifizieren ist, sondern allein darauf, daß sie diesem "zuzuordnen" ist und seine Interessen wahrnimmt. So führen auch diese Erkenntnisse zur Ablehnung der nach wirtschaftlicher Belastbarkeit ausgerichteten teleologischen Bestimmung des Betriebsbegriffs und zur Bestätigung der Interpretation des Betriebsbegriffs des § 23 Abs. I S. 2 KSchG im klassischen Sinne der arbeitsorganisatorischen Einheit.

251

Th. Nipperdey, Deutsche Geschichte, S. 310.

246

5. Kap.: Die betriebliche Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

E. Die betriebliche Reichweite des KSchG nach den Theorien zum allgemeinen Kündigungsschutz In diesem Abschnitt ist zu untersuchen, welcher Betriebsbegriff jeweils aus den zum allgemeinen Kündigungsschutz vertretenen Theorien abgeleitet werden kann. Beansprucht eine solche Theorie die zutreffende Erklärung des geltenden allgemeinen Kündigungsschutzes, dann muß aus ihr zunächst folgen, warum überhaupt eine Herausnahme bestimmter Einheiten aus den §§ 1 ff. KSchG, wie § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG sie bestimmt, sinnvoll sein kann. Die hierfür zu nennenden Begründungen werden darüber Aufschluß geben, welcher Begriff - Betrieb, Unternehmen, Arbeitgeber - für diese Herausnahme maßgeblich sein muß. Das auf diese Weise herauszuarbeitende Ergebnis ist den Erkenntnissen gegenüberzustellen, die bereits über die Begriffsbestimmung des "Betriebs" im Sinne von § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG gewonnen werden konnten. Unter den Theorien zum allgemeinen Kündigungsschutz wird schließlich wiederum diejenige vorzuziehen sein, die vor dem erarbeiteten Hintergrund eine konsistente Erklärung der Kleinbetriebsklausel abzugeben vermag.

I. Das Kriterium der wirtschaftlichen Belastbarkeit als Implikation der Bestandsschutztheorie Ordnet man der Kleinbetriebsklausel (auch) den Zweck der Rücksichtnahme auf geringere wirtschaftliche Belastbarkeit zu, dann bedeutet dies letztlich, daß der Arbeitnehmer allgemeinen Kündigungsschutz nur dann erhält, wenn sein Arbeitgeber damit wirtschaftlich "belastet" werden kann. Die Grenze des Kündigungsschutzes wäre danach durch die finanzielle Zumutbarkeit gezogen. Dies spricht das BVerfG252 offen aus, wenn es formuliert, es könne auch Betriebe mit kleiner Belegschaft geben, "die so finanzstark sind, daß ihnen der gesetzliche Kündigungsschutz ohne weiteres zugemutet werden könnte". Die wirtschaftliche Zumutbarkeit als Grenze des Kündigungsschutzes korrespondiert deshalb mit dem von den Vertretern der Bestandsschutztheorie als Geltungsgrund angenommenen Charakter des Kündigungsschutzes als Schutz (auch) der wirtschaftlichen Existenzgrundlage des Arbeitnehmers. Auf diese Weise fügen sich wirtschaftlicher Geltungsgrund und wirtschaftliche Geltungsgrenze des Kündigungsschutzes ineinander; das Kriterium der wirtschaftlichen Belastbarkeit kann damit als Implikation der Bestandsschutztheorie angesehen werden und gibt die Begründung für die Herausnahme gewisser Einheiten aus dem allgemeinen Kündigungsschutz der §§ 1-14 KSchG. Dies verdeutlicht, daß der arbeitsrechtliche Kündigungsschutz von den Anhängern der Bestandsschutztheorie, denen nach den Kleinbetriebsbeschlüssen auch das BVerfG zuzurechnen ist, wirtschaftlichen Kategorien zugeord252

BVerfGE 97, S. 169 (183).

E. Die betriebliche Reichweite des KSchG

247

net wird: Wirtschaftliche Bedürftigkeit des Arbeitnehmers verlangt nach der Geltung allgemeinen Kündigungsschutzes, der durch wirtschaftliche Zumutbarkeit für den Arbeitgeber relativiert wird. Daß diese Vorstellung weder mit den positivrechtlichen Grenzen der personellen Reichweite des Kündigungsschutzes übereinstimmt, noch als rechtspolitisches oder zur Rechtsfortbildung dienendes Modell mit dem Recht der Arbeitsuchenden aus Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar ist, wurde bereits ausgeführt. Nun zeigt sich, nachdem sich die wirtschaftliche Belastbarkeit als Erklärung des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG nach eingehender Kritik als unzutreffend erwiesen hat253 , unter dem Gesichtspunkt der betrieblichen Reichweite ebenfalls, daß der allgemeine Kündigungsschutz, soweit man ihn im Sinne der Bestandsschutztheorie auffaßt, mit den geltenden Grenzen des Kündigungsschutzes nicht deckungsgleich ist. Ist nämlich der Kündigungsschutz durch die wirtschaftliche Zumutbarkeit für den Arbeitgeber als Korrelat der wirtschaftlichen Bedürftigkeit des Arbeitnehmers begrenzt, dann ist schwerlich zu erklären, weshalb § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG als Grenze des Kündigungsschutzes ausgerechnet die Arbeitnehmerzahl im Betrieb vorsieht, die zunächst - ohne ökonomische Analyse nichts über die wirtschaftliche Zumutbarkeit für den Arbeitgeber aussagt. Vom Standpunkt der Bestandsschutztheorie wäre dieses Tatbestandsmerkmal durch die wirtschaftliche Zumutbarkeit zu ersetzen, oder es wäre, etwa in dem Versuch, die wirtschaftliche Zumutbarkeit zu verobjektivieren, der Jahresnettogewinn oder ein anderes, die wirtschaftliche Belastbarkeit treffender wiedergebendes Tatbestandsmerkmal zu verwenden254. Da jedoch der Gesetzgeber hierauf erklärtermaßen verzichtet hat und statt dessen auf die Arbeitnehmerzahl im Betrieb zuriickgreift, ist die Bestandsschutztheorie, um vor dieser Erkenntnis zu bestehen, gehalten, in diesem Tatbestandsmerkmal einen Indikator für die wirtschaftliche Zumutbarkeit zu erkennen. Daß die Arbeitnehmerzahl im Betrieb hierfür nicht taugt, wurde bereits gezeigt, ebenso wie die Tatsache, daß dieses wirtschaftliche Verständnis des Kündigungsschutzes nicht mit dem nicht vermögensfähigen "Betrieb" harmoniert, sondern ein Rechtssubjekt wie das Unternehmen (soweit dieses eine juristische Person ist) oder den Arbeitgeber erfordert. Damit vermag die Bestandsschutztheorie keine schlüssige Erklärung für die Arbeitnehmerzahl im Betrieb als Abgrenzungsmerkmal für den allgemeinen Kündigungsschutz gern. § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG abzugeben. Dies wiederum bietet weiteren Anlaß, die Eignung der Bestandsschutztheorie als Erklärung des allgemeinen Kündigungsschutz insgesamt und damit auch als Grundlage ftir Rechtsfortbildungen innerhalb des allgemeinen Kündigungsschutzes abzulehnen.

s. o. Kap. 5 C V 2. So erwägt z. B. Ramm, ArbuR 1991, S. 257 (261) tatsächlich den Umsatz als Kriterium für das wirtschaftliche Leistungsvermögen des Unternehmens. 253

254

248

5. Kap.: Die betriebliche Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

II. Die Kleinbetriebsausnahme und Kündigungsschutz als Schutz der Betriebszugehörigkeit Die Grundannahme für die Notwendigkeit allgemeinen Kündigungsschutzes besteht nach der Theorie, die im Kündigungsschutz den Schutz der Betriebszugehörigkeit erblickt, in der Überzeugung, der Arbeitnehmer bilde als "Betriebsbürger" aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer personenrechtlichen Gemeinschaft soziale Beziehungen aus, die ihm nicht ohne zureichenden Grund entzogen werden dürften. Soziale Bindungen dieser Art können nur in der arbeitsorganisatorischen Einheit des Betriebs entstehen. In einem Unternehmen, das grundsätzlich auch mehrere Betriebe unterhalten kann, ist der persönliche Kontakt der Arbeitnehmer, der zur Ausbildung der schutzwürdigen sozialen Beziehungen führt, nicht notwendig gegeben, weswegen nach dieser Ansicht nicht schlicht auf "Unternehmen" oder "Arbeitgeber" abgestellt werden kann. Vor dem Hintergrund dieser Theorie ist jedoch fraglich, ob es nach ihren Kriterien überhaupt zu einer Unterscheidung zwischen Betrieben mit und ohne Kündigungsschutz kommen darf. Denn das Bedürfnis eines Schutzes der sozialen Bindungen ist im Kleinbetrieb gewiß nicht geringer; aufgrund der dort entstehenden besonders engen persönlichen Beziehungen dürfte eher von dem Gegenteil auszugehen sein: Mit abnehmender Beschäftigtenzahl nimmt die Nähe der persönlichen Beziehungen sogar noch zu, so daß danach der Arbeitnehmer eher eines stärkeren Schutzes im Kleinbetrieb bedürfte; die Kündigung hätte in einem solchen Fall einen stärkeren Eingriff in die soziale Position des Arbeitnehmers zur Folge, so daß ein hiergegen gerichteter Schutz gerade ein höheres Maß an Kündigungsschutz erforderte. Die betriebliche Notwendigkeit, durch die das Interesse des Arbeitnehmers an dem Schutz seiner Betriebszugehörigkeit begrenzt wird255 , müßte im Kleinbetrieb also gerade schwerer wiegen als diejenige bei einer Kündigung in einem größeren Betrieb. Daß die betriebliche Notwendigkeit bei einer Kündigung im Kleinbetrieb strengeren Anforderungen unterliegt, steht aber gerade in Widerspruch zu § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG, der die Anforderungen der das Erfordernis der Angabe, der Überprüfung und der rechtlichen Billigung des Kündigungsgrundes im Kleinbetrieb gerade mindert, wenn nicht beseitigt. Eine Relativierung des Kündigungsschutzes im Kleinbetrieb kann vom Standpunkt dieser Theorie aus auch nicht mit einem Hinweis auf eine angenommene wirtschaftliche Entlastung des Kleinbetriebs begründet werden. Die wirtschaftliche Seite der Organisation spielt nämlich in der Begründung des Kündigungsschutzes nach der Theorie vom Schutz der Betriebszugehörigkeit gerade keine Rolle. Es handelt sich dabei also um einen nicht theorieimmanenten Bestandteil, mit dem die Kleinbetriebsausnahme nicht gerechtfertigt werden kann. Zwar folgt aus dieser Theorie, daß der Betrieb im kündigungsschutzrechtlichen Sinne nur als Arbeitsorganisation und nicht als wirtschaftliche Einheit verstanden werden kann und vermag daher vor der positiven Unterscheidung des KSchG nach 255

Hersehe[, DB 1973, S. 80 (82).

E. Die betriebliche Reichweite des KSchG

249

Betrieb und Unternehmen zu bestehen. Doch kann danach nicht erklärt werden, warum der im Kleinbetrieb größeren Intensität der sozialen Bindungen aufgrund enger persönlicher Beziehungen ausgerechnet das Fehlen eines allgemeinen Kündigungsschutzes gegenübersteht. Insoweit vermag auch diese Theorie keinen überzeugenden Erklärungsansatz für § 23 Abs. I S. 2 KSchG abzugeben.

111. Kündigungsschutz als Schutz vor Arbeitnehmerwettbewerb Ebenso fehlt eine theorieimmanente Begrenzung des allgemeinen Kündigungsschutzes, wenn man ihn als Schutz vor Arbeitnehmerwettbewerb auffaßt. Die Gefahr eines Wettbewerbs um den Verbleib im Betrieb bzw. die Gefahr eines Austauschs mit leistungsfähigeren externen Arbeitnehmern, die nach dieser Auffassung verhindert werden soll256, besteht gleichermaßen im Klein- wie im größeren Betrieb. Nach dieser Vorstellung verdienten Arbeitnehmer im Kleinbetrieb einen ebensolchen Schutz vor "ruinösem Unterbietungswettbewerb" 257 wie die Arbeitnehmer, die sich auf das solchen Schutz bezweckende KSchG berufen können. Sie verdienten vielmehr einen stärkeren Schutz, weil Fehlverhalten dem einzelnen Arbeitnehmer aufgrund größerer persönlicher Nähe und größerer Transparenz im Kleinbetrieb leichter zugeordnet werden kann und sein Anreiz zu Überobligationsmäßigern Verhalten in der kleinen Arbeitsorganisation dadurch eher höher wäre als in der Anonymität großer Betriebe. Statt dessen sollen jedoch Arbeitnehmer im Kleinbetrieb lediglich einen Beendigungsschutz erfahren, der "gewissen Minimalanforderungen" entspricht, die durch einen Sonderschutz vor geschlechtsbezogener oder koalitionsspezifischer Diskriminierung sowie den Gleichbehandlungsgrundsatz gewährleistet werden sollen258 . Dies wirft jedenfalls die Frage auf, warum die Arbeitnehmer in Kleinbetrieben einerseits und diejenigen in größeren Betrieben tätigen Arbeitnehmer andererseits bei identischem Bedürfnis nach einem als Unterbietungsschutz definierten Kündigungsschutz überhaupt ungleich behandelt werden dürfen. Hierin liegt ein Wertungswiderspruch aufgrund einer Ungleichbehandlung des Gleichartigen, für die aus der Theorie kein sachlicher Grund herzuleiten ist. Nach dem Begriindungsansatz dieser Theorie müßte diese gesetzliche Ungleichbehandlung widerspriichlich sein. Nach Rieble soll der Kündigungsschutz als Beendigungsschutz mindestens so weit reichen wie der Schutz vor willkürlicher Nichteinstellung, weswegen marktbeherrschende (Arbeitskraft-) Nachfrager einer § 26 Abs. 2 bis 4 GWB entsprechenden Mißbrauchskontrolle unterlägen259. Allerdings kann die Grenze des § 23 Abs. I S. 2 KSchG kaum als Grenze zwischen marktbeherrschenden und nicht marktbeherrschenden Nachfragern ge256 257 258 259

Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn 1012 ff., 1017 ff. Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn 1019. Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn 957 ff., 963. Rieble, Arbeitsmarkt und Wettbewerb, Rn 958.

250

5. Kap.: Die betriebliche Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

deutet werden, da eine Marktmacht, die die Folgen des§ 26 Abs. 2-4 GWB auszulösen geeignet ist, von einer anderen Größenordnung sein dürfte als diejenige Marktmacht, über die Unternehmen mit bis zu fünf, zehn oder auch zwanzig Arbeitnehmern verfügen. Damit vermag auch diese Auffassung keine Begründung für die Existenz des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG abzugeben und ist als Erklärung des allgemeinen Kündigungsschutzes nicht geeignet. Demgemäß können aus der Theorie auch keine Aufschlüsse über die Bestimmung des Betriebsbegriffs der Kleinbetriebsklausel gewonnen werden.

IV. Kündigungsschutz als Vertragsdurchsetzung Die Auffassung, die dem allgemeinen Kündigungsschutz die Funktion der Vertragsdurchsetzung zuordnet, sieht dessen Ziel darin, "die verhaltensdisziplinierende Funktion der Kündigung strikt auf den Fall der Vertragsdurchsetzung einzugrenzen und den Arbeitnehmer vor der Zumutung überobligationsmäßigen Verhaltens zu schützen"260. Die Gefahr, daß sich der Arbeitnehmer bei fehlendem Kündigungsschutz zu überobligationsmäßigem Arbeitsverhalten genötigt sehen könnte, besteht nicht nur in Betrieben, die die Schwellenzahl des § 23 Abs. l S. 2 KSchG überschreiten. Sie besteht vielmehr, allgemein gesprochen, überall dort, wo die eine Vertragspartei ein wesentlich höheres Interesse an der Aufrechterhaltung einer vertraglichen Dauerbeziehung hat als die andere Partei. Dieses Interesse hat also immer diejenige Partei, für die die Vertragsbeendigung mit den höheren Kosten (die wirtschaftlicher, sozialer oder ideeller Art sein können) verbunden ist. Die höheren Kosten dürften regelmäßig dem Arbeitnehmer entstehen, wenngleich die Vertragsbeendigung auch Abwanderungskosten für den Arbeitgeber mit sich bringen kann261 • Die Kosten des Arbeitnehmers bestehen jedoch unabhängig davon, ob er in einem Klein- oder größeren Betrieb beschäftigt ist. Daher ist die Gefahr, daß der Arbeitnehmer sich zu überobligatorischem Verhalten genötigt sieht, im Kleinbetrieb nicht geringer als in jedem anderen Betrieb, ein zur Vermeidung dieser Gefahr dienender Kündigungsschutz im Kleinbetrieb also ebenso unentbehrlich. Nach dieser Theorie kann der allgemeine Kündigungsschutz nicht vor dem Kleinbetrieb haltmachen, was in Widerspruch zu § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG steht. Als Theorie, die bezweckt, zu einer dogmatischen Systematisierung des geltenden Gesetzesrechts beizutragen262, ist diese Sichtweise mangels Übereinstimmung mit den Grenzen des geltenden Gesetzesrechts abzulehnen. Folgt aus ihr keine Begrenzung des Kündigungsschutzes auf größere Betriebe, können aus ihr auch keine Erkenntnisse über die Interpretation des Betriebsbegriffs in § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG abgeleitet werden. 260

261 262

Domdorf. ZfA 1989, S. 345 (364). Domdorf. ZfA 1989, S. 345 (357). Domdorf. ZfA 1989, S. 345 (347).

E. Die betriebliche Reichweite des KSchG

251

V. Der Betriebsbegriff des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG aus der Sicht der Flankenschutztheorie Nach der Flankenschutztheorie besteht das ein Bedürfnis nach allgemeinem Kündigungsschutz auslösende Moment in der institutionellen Abhängigkeit, in der sich ein Arbeitnehmer kraft Eingliederung in eine fremde Arbeitsorganisation befindet. Die aus der Eingliederung resultierende wechselseitige Verflochtenheit der einzelnen Arbeitsverhältnisse sowie der Charakter des Arbeitsverhältnisses als Dauerschuldverhältnis und unvollständiger Vertrag bedingen, daß eine individuelle, von vornherein im einzelnen festlegbare Leistungsbestimmung hinsichtlich des Inhalts der Arbeitspflicht nicht möglich ist. Deswegen ist der Arbeitnehmer der Fremdbestimmung und der damit verbundenen Gefahr willkürlicher Entscheidungen ausgesetzt. Zwar sind gegen solche Entscheidungen Schranken in Gestalt von betrieblichen Freiheiten und Rechten errichtet worden, doch könnten diese obsolet werden, wenn der Arbeitnehmer im Fall ihrer Inanspruchnahme eine Kündigung zu befürchten hätte, die bereits im Vorfeld als Disziplinierungsmittel eingesetzt werden könnte, um den Arbeitnehmer dem Arbeitgeber "gefügig" zu machen. Dies zu verhindern und die Rechte und Freiheiten im betrieblichen Arbeitsverhältnis insoweit flankierend zu sichern, ist nach Auffassung der Flankenschutztheorie Aufgabe des allgemeinen Kündigungsschutzes.

1. Bedeutung für die Kleinbetriebsklausel

Bereits nach dem Ansatz dieser Theorie kann Kündigungsschutz nicht schon bei einem singulären Arbeitsverhältnis gewährt werden. Denn der Kündigungsschutz besteht danach nur bei Disziplinierungsgefahr, die ihrerseits wiederum nur bei einer gewissen Verflochtenheit von Arbeitsverhältnissen - die eben eine Mehrzahl von Arbeitsverhältnissen impliziert - entstehen kann, weil erst hier der Arbeitgeber (oder die dazu ermächtigte Person) "koordinierend" tätig werden muß und dabei sein Direktionsrecht unsachgemäß ausüben könnte. Bei einem einzelnen Arbeitsverhältnis besteht diese Gefahr für den Verpflichteten grundsätzlich ebensowenig wie etwa bei einem einzelnen Werkvertrag, bei denen die Leistung kraft individueller Abrede bestimmt werden kann. Erst die Abhängigkeit von der Organisation eines arbeitsteiligen Prozesses erhöht die Gefahr sachwidriger Entscheidungen des Arbeitgebers und begründet ein Bedürfnis nach Kündigungsschutz263 • Hierin liegt eine Erklärung dafür, warum nach § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG Kündigungsschutz erst ab einer gewissen Mehrzahl von Arbeitsverhältnissen gewährt wird. Soweit solcher Kündigungsschutz dazu dient, die Rechte flankierend zu sichern, die aus dem Eintritt in ehendiesen arbeitsteiligen Prozeß - den Betrieb - resultieren, mithin die aus der Betriebsverfassung fließenden Rechte, liegt der Betriebsbe263

Reuter, ORDO Bd. 33 (1982), S. 165 (183)- Hervorhebung im Original.

252

5. Kap.: Die betriebliche Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

griff der Flankenschutztheorie auch für § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG auf der Hand: Nur dort, wo derlei betriebliche Rechte bestehen, hat auch ein sie flankierender Kündigungsschutz Sinn, also in den Einheiten, in denen Beschäftigte nach Maßgabe der §§ 1, 4 BetrVG Rechte aus der Betriebsverfassung herleiten können. Danach müßte der Begriff "Betrieb" im Kündigungsschutzrecht wie im Recht der Betriebsverfassung einheitlich und im Sinne der arbeitstechnischen Organisationseinheit interpretiert werden. So wäre auch dem Betriebsbegriff des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG das herkömmliche und einheitliche Verständnis des Betriebs im Gegensatz zu einer Interpretation im Sinne von "Unternehmen" oder "Arbeitgeber" zugrunde zu legen. Aufgrund ihrer Unabhängigkeit von wirtschaftlichen Begründungen des Kündigungsschutzes ist diese Theorie also geeignet zu erklären, warum § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG den Betrieb als arbeitsorganisatorische Einheit verwendet.

2. Die aus engen persönlichen Beziehungen resultierende Selbstorganisationsfähigkeit des Kleinbetriebs als Bestätigung der Flankenschutztheorie Es hat sich herausgestellt, daß aufgrund enger persönlicher Beziehungen und einer daraus folgenden stärkeren Individualität der Arbeitsverhältnisse im Kleinbetrieb sowie aufgrund des Wandels von der technozentrischen zur anthropozentrischen Arbeitsorganisation ein gesetzlicher oder richterrechtlicher allgemeiner Kündigungsschutz nach § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG erst in Einheiten mit einer bestimmten Arbeitnehmerzahl zu gewähren ist, wobei die Einheit diejenige der arbeitstechnischen Organisation meint. Die daraus abzuleitende Einsicht, daß allgemeiner Kündigungsschutz ein Phänomen ist, das die Einordnung in eine Organisation mit einer bestimmten Mehrzahl von Arbeitsverhältnissen voraussetzt, stellt ihrerseits wiederum eine Bestätigung der Flankenschutztheorie dar: In der kleinen arbeitsorganisatorischen Einheit herrscht nach bisheriger Erkenntnis ein hohes Maß an Kooperations- und Koordinationsfähigkeit zwischen den beteiligten Personen vor, das sich aus engen persönlichen Beziehungen und besonderer Individualität der Arbeitsverhältnisse ergibt, sowie an Kooperations- und Koordinationsbereitschaft, das sich aus der beobachteten Hinwendung zur anthropozentrischen Arbeitsorganisation ergibt. Es läßt sich also sagen, daß sich Verflechtungen zwischen den Arbeitsverhältnissen in derartigen Einheiten spontaner, gleichsam eher "von selbst", regulieren. Die arbeitsorganisatorische Einheit der wenigen Beschäftigten besitzt damit insofern ein hohes Maß an Selbstorganisationsfähigkeit Dies ist nur möglich, weil in diesem Bereich der individuelle Charakter des Arbeitsverhältnisses überwiegt. Bei zunehmender Anzahl von Arbeitsverhältnissen dagegen nimmt zwangsläufig die Komplexität ihrer wechselseitigen Verflechtungen und Rückwirkungen zu, während die Fähigkeit der Einheit zur spontanen Selbstorganisation im selben Maße abnimmt. An einem bestimmten Punkt hat diese Komplexität ein solches Ausmaß erreicht, daß es einer Institution bedarf, die

E. Die betriebliche Reichweite des KSchG

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die wechselseitig verflochtenen Arbeitsverhältnisse sinnvoll koordiniert. Bei dieser Institution handelt es sich um den Arbeitgeber (oder die von ihm zu diesem Zweck eingesetzte Person), der insoweit die verlorengegangene Fähigkeit zur spontanen Selbstorganisation kompensiert. Es entsteht erst jetzt ein Zustand, der dem der institutionellen Abhängigkeit entspricht, wie er nach der Flankenschutztheorie den Anlaß für allgemeinen Kündigungsschutz gibt. Gleichzeitig entsteht die Gefahr, daß diese Koordinationsaufgabe nicht sachgemäß ausgeführt wird. Um dieser Gefahr begegnen zu können, verfügt der Arbeitnehmer über eine Reihe von Freiheiten und Rechten, die jedoch leerlaufen, wenn er im Fall ihrer Inanspruchnahme eine Kündigung zu befürchten hat. Ebendiese Disziplinierungsgefahr schaltet der die Freiheiten und Rechte flankierende allgemeine Kündigungsschutz aus. Er setzt also immer schon dann, aber auch erst dann ein, wenn eine insitutionalisierte Abhängigkeit des Arbeitnehmers besteht, die die Gefahr unsachgemäßer Koordinationsentscheidungen mit sich bringt. Dies wiederum hängt vom Grad der Komplexität der wechselseitigen Verflechtung der Arbeitsverhältnisse ab, die ihrerseits mit abnehmender Arbeitnehmerzahl abnimmt, wie in Kleinbetrieben, in denen eine hinreichend große Fähigkeit zur spontanen Selbstorganisation der Einheit mit hinreichend großer Richtigkeitsgewähr264 besteht, so daß die Leitung des Betriebs sich insoweit - d. h. selbstverständlich nur bis zu einem gewissen Grad - zurücknehmen kann. Hieraus rechtfertigt sich, daß hier ein expliziter rechtlicher Kündigungsschutz fehlt und dies sinnvoll und richtig ist. Der allgemeine Kündigungsschutz ist ein "kollektives" Phänomen, das auf die erhöhte Verflochtenheilssituation des betrieblichen Arbeitsverhältnisses reagiert. Jedenfalls beschränken sich diese Effekte stets auf die arbeitsorganisatorische Einheit, den Betrieb, und haben mit dem Unternehmen oder Arbeitgeber nichts zu tun; soweit in diesem Abschnitt vom "Arbeitgeber" die Rede war, läßt sich dieser nach der hier vertretenen Auffassung stets durch eine in seinem Interesse handelnde Person substituieren, die nicht Partei des Arbeitsvertrages ist. Dem mag entgegengehalten werden, daß es sich bei der Komplexität der Verflechtungen sowie der Fähigkeit zur spontanen Selbstorganisation in Abhängigkeit von der Arbeitnehmerzahl immer nur um graduelle Unterschiede handeln kann, während § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG eine scharfe Trennung in Gestalt einer Stufe vorsieht. Diese Abgrenzung beruht indes auf dem Erfordernis einer strikten Grenzziehung, das einerseits aus der Notwendigkeit der Rechtssicherheit folgt, und andererseits berücksichtigen muß, daß eine verschiedenen Graden korrespondierende Abstufung in der Intensität allgemeinen Kündigungsschutzes weder rechtlich noch praktisch durchführbar ist. So steht die Flankenschutztheorie sowohl mit der betrieblichen Grenze des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG als auch mit der Tatsache in Einklang, daß ein gesetzlicher all264 In einer kleinen Einheit dürfte das "Was du nicht willst, daß man dir tu' ..." wegen des größeren Risikos eigener Betroffenheit des einzelnen Arbeitnehmers stärker wirken als in der größeren Anonymität größerer Betriebe.

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5. Kap.: Die betriebliche Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

gemeiner Kündigungsschutz nicht vorgesehen ist. Gleichzeitig kann nach dieser Theorie eine Erklärung dafür abgegeben werden, warum die Herausnahme des Kleinbetriebs aus dem allgemeinen Kündigungsschutz richtig, insbesondere mit höherrangigem Recht vereinbar ist. Vor dem Hintergrund der verschiedenen Theorien über den allgemeinen Kündigungsschutz verdient damit auch nach Untersuchung der betrieblichen Grenze des KSchG die Flankenschutztheorie den Vorzug.

F. Ergebnis und Konsequenzen Als Ergebnis kann zunächst festgehalten werden, daß die Interpretation des Betriebsbegriffs in § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG, wie sie das BVerfG in seinen Kleinbetriebsbeschlüssen vornimmt und die der Sache nach auf eine Reduktion auf Unternehmen oder Arbeitgeber hinausläuft, abzulehnen, ein Verständnis im Sinne der arbeitsorganisatorischen Einheit dagegen zu befürworten ist. Ebenso zu befürworten ist damit die Flankenschutztheorie, nach der sich die Kleinbetriebsausnahme des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG ebenso wie die Anknüpfung an den Betrieb erklären und rechtfertigen lassen. Nachdem die Rücksichtnahme auf geringere wirtschaftliche Belastbarkeit kleiner Einheiten sowohl unter historisch-teleologischen Gesichtspunkten in Zweifel gezogen, als auch als objektiv-teleologischer Ansatz für die Begriffsbestimmung des Merkmals "Betrieb" in § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG abgelehnt werden mußte, hat sich die Berücksichtigung der Besonderheiten der kleinen Einheiten wegen ihrer engen persönlichen Beziehungen als anzuerkennender Grund für die Herausnahme der kleinen Einheiten aus den §§ 1 ff. KSchG und damit als Rechtfertigung des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG erwiesen: Dort, wo derartige enge persönliche Beziehungen exisitieren, sind die Arbeitsverhältnisse von hoher Individualität geprägt; die wechselseitige Verflochtenheit der Arbeitsverhältnisse und -bedingungen ist auf ein Mindestmaß reduziert, weil eine kleine Gruppe ein hohes Maß an Selbstorganisationsfähigkeit besitzt, die ihrerseits autoritäre Anordnungen durch den Arbeitgeber (oder den Inhaber des Direktionsrechts) weitergehend entbehrlich macht als in großen Einheiten. Im gleichen Maße nimmt die Gefahr der institutionellen Abhängigkeit des Arbeitnehmers von möglicherweise willkürlicher Ausübung der Leitungsmacht im Betrieb ab, wodurch ein Kündigungsschutz, der solcher Willkür entgegengesetzte Rechte und Freiheiten des Arbeitnehmers im Betrieb flankierend schützt, an Bedeutung verliert. Das gegenseitige Aufeinanderangewiesensein ist in der kleinen Einheit stärker ausgeprägt als in der größeren, was wiederum zu einem gewissen "vorrechtlichen" Kündigungsschutz in den kleinen Einheiten führt und die Erforderlichkeit eines starken gesetzlichen Kündigungsschutzes dort herabsenkt. Besteht der Grund für die Herausnahme gewisser Einheiten aus dem Kündigungsschutz der§§ 1 ff. KSchG in diesen Umständen, so bedeutet dies, daß diese Umstände gleichzeitig für die Beschaffenheit der herausgenommenen Einheiten bestimmend sind. Hierfür kommen allein solche Einheiten in Betracht, in denen

F. Ergebnis und Konsequenzen

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die engen persönlichen Beziehungen, die letztlich die Herausnahme bedingen, entstehen können. Dies ist die arbeitsorganisatorische Einheit, der Betrieb nach herkömmlichem Verständnis, nicht dagegen die wirtschaftliche, denn diese kann auch mehrere arbeitsorganisatorische Einheiten umfassen, zwischen denen keine engen persönlichen Beziehungen in der bezeichneten Art mit den für den Kündigungsschutz entscheidenden Konsequenzen entstehen können. Daher ist die gesetzliche Regelung des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG, gerade weil sie auf die arbeitsorganisatorische Einheit des "Betriebs" und nicht auf das "Unternehmen" oder den "Arbeitgeber" abstellt, unter historisch- und objektiv-teleologischen ebenso wie unter systematischen Gesichtspunkten sinnvoll, richtig und schlüssig. Diese Zusammenhänge konnten mit Hilfe der Flankenschutztheorie erklärt werden. Diese Theorie kann damit einen Vorrang vor den übrigen Theorien für die Herleitung anderer Problemlösungen beanspruchen und herangezogen werden, wenn es um die Frage geht, wie die Berechnung der Schwellenzahl des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG bei dem Betrieb eines Mehrbetriebsunternehmens, einem Gemeinschaftsbetrieb und anderen Erscheinungsformen des Betriebs zu erfolgen hat.

I. Zum Einwand der Umgehungsgefahr Bevor dies geschieht, soll zunächst jedoch ein gegen einen solchermaßen verstandenen Betriebsbegriff erhobener Einwand geprüft werden. Dabei handelt es sich um die Behauptung, es würden bestimmte Unternehmen sachwidrig bevorzugt, die sich in zahlreiche selbständige Betriebe aufspalten und damit die Anwendung der§§ 1-14 KSchG vermeiden könnten, während dies anderen Unternehmen wegen ihrer Struktur nicht möglich sei265 • Doch die Annahme der Gefahr einer Umgehung des allgemeinen Kündigungsschutzes im Wege der Betriebsaufspaltung erscheint unbegründet. Eine Aufspaltung, die nach Ausgliederung etwa einer Abteilung zur Errichtung eines neuen Kleinbetriebs führt, setzte voraus, daß eine eigenständige Einheit der Organisation mit einheitlichem Leitungsapparat geschaffen würde. Eine solche Maßnahme wird für ein Unternehmen in aller Regel mit erheblichen Kosten verbunden sein. Dem stehen mögliche Einsparungen aufgrund des im ausgegliederten Kleinbetrieb, d. h. bei höchstens fünf Vollzeitarbeitnehmern nicht anzuwendenden allgemeinen Kündigungsschutzes gegenüber. Ob dieser "Nutzen" die damit verbundenen Umstrukturierungskosten des Unternehmens decken, ist mehr als zweifelhaft, zumal sich nicht präzise berechnen läßt, welche Kosten die in dem Kleinbetrieb tätigen Arbeitnehmer bei unterbliebener Ausgliederung durch allgemeinen Kündigungsschutz konkret verursacht hätten. Doch selbst falls die Einsparungen als hoch genug bewertet werden sollten, wäre in der Praxis einer durch Ausgliederung erreichten "Umge265 Wlotzke, BB 1997, 414 (415); Preis, NZA 1997, S. 1073 (1074); Urban, Der Kündigungsschutz außerhalb des KSchG, S. 92; ähnl. auch Preis, RdA 2000, S. 257 (263).

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5. Kap.: Die betriebliche Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

hung" des allgemeinen Kündigungsschutzes mit dem Betriebsbegriff der h.M. kaum beizukommen. Wenn nach dieser h.M. bei der Kündigung in einem Kleinbetrieb eines größeren Mehrbetriebsunternehmens die Arbeitnehmer des gesamten Unternehmens für die Schwellenzahl zu veranschlagen sind, wäre es aus unternehmenscher Sicht ein leichtes, auch hier der Anwendbarkeit des allgemeinen Kündigungsschutzes zu entgehen. Der Unternehmer könnte nämlich die ausgegliederten Kleinbetriebe mit eigener Rechtspersönlichkeit ausstatten und zu abhängigen Unternehmen machen, so daß auch eine unternehmensweite Berechnung der Schwellenzahl dann für die Arbeitnehmer des ausgegliederte Kleinunternehmens gern. § 323 Abs. 1 UmwG nach zwei Jahren, für Neueingestellte sofort zur Unanwendbarkeit der§§ 1-14 KSchG führte. Die rechtliche Verselbständigung der kleinen Einheit dürfte im Vergleich zu den Kosten der betrieblichen Ausgliederung nur einen Bruchteil der Kosten verursachen und so nur einen geringen, aber unter dem Gesichtspunkt der "Umgehung" überaus lohnenswerten Unternehmerischen Schritt darstellen, der den zusätzlichen Vorteil hätte, daß sich die gern. § 1 Abs. 2 S. S. 2 Nr. 1b KSchG unternehmensweite Weiterbeschäftigungsobliegenheit des Arbeitgebers auf die neue kleine Einheit beschränkte, falls diese die Schwellenzahl einmal überschreiten sollten. Die Interpretation des "Betriebs" in § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG im Sinne von "Unternehmen" stellt insofern praktisch kein geeignetes Mittel zur Verhinderung einer angenommenen Umgehung durch Ausgliederung dar. Man müßte schon eine konzernweite Schwellenzahlberechnung zulassen, wollte man auch solchen Maßnahmen einen Riegel vorschieben. Doch dann geriete der wirtschaftlich-teleologische Betriebsbegriff mit seinen eigenen Prämissen in Widerspruch: Entscheidet über die Herausnahme aus dem allgemeinen Kündigungsschutz die wirtschaftliche Belastbarkeit, dann kann es nur auf ein Rechtssubjekt ankommen, das im Gegensatz zum Betrieb als Arbeitsorganisation allein fähig ist, Inhaber vermögenswerter Rechte zu sein, weshalb diese Auffassung zu der Interpretation des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG im Sinne des "Unternehmens" oder "Arbeitgebers" gelangt266. Dann aber kann es mangels Rechtssubjektivität des Konzerns nicht darauf ankommen, ob diesem ein Kündigungsschutz zugemutet werden kann. Wird einerseits eine "rechtssubjektsunterschreitende" Schwellenzahlberechnung abgelehnt, indem gerade nicht auf den Betrieb als Teil eines Mehrbetriebsunternehmens abgestellt wird267 , kann nicht andererseits eine "rechtssubjektsüberschreitende" befürwortet werden, was jedoch geschieht, wenn man 268 dem abhängigen Unternehmen das Vermögen der von ihr als Rechtsperson zu unterscheidenden Muttergesellschaft "zurechnet". Selbst dann also, wenn man eine Umgehungsgefahr überhaupt annehmen will, stellt der wirtschaftlich-teleologische Betriebsbegriff keine geeignete Lösung zur Verringerung der Gefahr dar. Joost, Betrieb und Unternehmen, S. 345. BVeifGE 97, S. 169 (184); Joost, Betrieb und Unternehmen, S. 345. 268 Wie z. B. Bepler, ArbuR 1997, S. 54 (58 f.); ders., AuA 1997, S. 325 (329); vgl. auch Urban, Der Kündigungsschutz außerhalb des KSchG, S. 99. 266

267

F. Ergebnis und Konsequenzen

257

II. Konsequenzen für die Erscheinungsformen des Betriebs Nachdem begründet worden ist, warum das Merkmal des Betriebs in § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG im Sinne der arbeitsorganisatorischen Einheit zu verstehen ist, soll aufgezeigt werden, welche Folgen sich daraus für die Berechnung der Schwellenzahl bei den einzelnen Erscheinungsformen des Betriebs ergeben.

1. Unternehmen mit mehreren Betrieben Sind für die Herausnahme aus dem allgemeinen Kündigungsschutz, wie ausgeführt269, enge persönliche Beziehungen entscheidend, die letztlich einen flankierenden Kündigungsschutz entbehrlich machen, so darf gerade keine unternehmensoder arbeitgeberweite Schwellenzahlberechnung stattfinden. Derartige Beziehungen können nur in der arbeitsorganisatorischen Einheit bestehen, nicht aber zwischen sämtlichen Betrieben eines Unternehmens, weil es insoweit am notwendigen persönlichen Kontakt fehlt. Dieser Aspekt der engen persönlichen Beziehungen wird im ersten Kleinbetriebsbeschluß zugunsten einer Betrachtung nach wirtschaftlicher Belastbarkeit weitestgehend außer acht gelassen, obwohl das BVerfG selbst in diesen engen Beziehungen einen Umstand für die Kleinbetriebsausnahme erblickt270. Im Ergebnis muß jedoch streng auf den Betrieb als arbeitsorganisatorische Einheit abgestellt werden. Die Schwellenzahlberechnung beschränkt sich auf die Arbeitnehmer in dem Betrieb, auch wenn er Teil eines größeren Mehrhertriebsunternehmens ist.

2. Gemeinsamer Betrieb mehrerer Unternehmen Kommt es auf die arbeitsorganisatorische Einheit an, dann muß die Schwellenzahlberechnung bei Kündigung in einem Gemeinschaftsbetrieb auf genau diesen beschränkt bleiben. Im Gegensatz zu Joost271 kann die Herausnahme aus dem Kündigungsschutz nicht von der finanziellen Leistungsfähigkeit des jeweiligen Arbeitgebers abhängen; gleichgültig ist auch, daß die Arbeitnehmer des einen Arbeitgebers zu diesem keine engen persönlichen Beziehungen entwickeln können, falls der Gemeinschaftsbetrieb von einem anderen Arbeitgeber geführt werden sollte. Denn für das Entstehen solcher Beziehungen ist nicht entscheidend, daß die Führung des Betriebs durch die juristisch als Arbeitgeber zu qualifizierende Person übernommen wird, sondern allein, daß sie in seinem Interesse handelt und von den beteiligten Unternehmen zur Führung des Gemeinschaftsbetriebs eingesetzt wor269

21o

271

s.o. Kap. 5 E V 2 und D II. BVerfGE 97, S. 169 (184, 185). Joost, Betrieb und Unternehmen, S. 351.

17 Stelljes

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5. Kap.: Die betriebliche Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

den ist. Die potentiell erhöhte Verflochtenheit, die das Bedürfnis nach Kündigungsschutz auslöst, beschränkt sich auf die arbeitsorganisatorische Einheit, den (Gemeinschafts-) Betrieb. Auch hier ist also für§ 23 Abs. 1 S. 2 KSchG allein die Arbeitnehmerzahl im Gemeinschaftsbetrieb maßgebend. Insofern ist die Rechtsprechung des BAG, die auch nach dem ersten Kleinbetriebsbeschluß eine wirtschaftlich-teleologische Begriffsbestimmung des Gemeinschaftsbetriebs bei der Kleinbetriebsklausel bislang unterlassen hat272, zu begriißen, mag sie auch wegen der wirtschaftlich-teleologischen Begriffsbestimmung des BAG im Fall eines Mehrbetriebsunternehmens inkonsequent sein.

3. Betrieb eines konzernangehörigen Unternehmens Ist die Schwellenzahlberechnung allein von der arbeitsorganisatorischen Einheit abhängig, so kann es erst recht keinen konzernweiten Berechnungsdurchgriff geben. Zu diesem ist nochmals anzumerken, daß seine Vertreter sich in Widerspruch zu dem eigenen Ansatz befinden: Eine konzernweite Berechnung, die sich auf die Annahme stützt, nur die wirtschaftlich nicht mit Kündigungsschutz belastbare Einheit sei vom allgemeinen Kündigungsschutz freizustellen, überschreitet die Grenzen des Rechtssubjekts, obwohl die wirtschaftliche Belsatbarkeit sich stets nur nach dem jeweiligen Rechtssubjekt richten kann, will man nicht an die Stelle der wirtschaftlichen Zumutbarkeit des Kündigungsschutzes die Zumutbarkeit der Beschaffung von Finanzmitteln setzten und so dem konzernangehörigen Kleinunternehmen einen Kündigungsschutz aufbürden, der sich finanziell zulasten Dritter, d. h. anderer konzernangehöriger Unternehmen, auswirkt. Soweit Urban273 vertritt, daß die Privilegierung vom Gesetzgeber für rechtlich und wirtschaftlich selbständige Kleinbetriebe geschaffen worden sei und diese Selbständigkeit dem untergeordneten Kleinbetrieb im Konzernverbund fehle, so ist dies bereits deshalb widerspriichlich, weil sowohl der Unterordnungskonzern gern. §§ 18 Abs. 1 S. 1, 17 Abs. 1 AktG als auch der Gleichordnungskonzern gern. § 18 Abs. 2 AktG die rechtliche Selbständigkeit des abhängigen bzw. gleichgeordneten Unternehmens als Rechtssubjekt gerade voraussetzen. Mit der rechtlichen Selbständigkeit geht die wirtschaftliche einher, weil das betreffende Unternehmen als Rechtssubjekt, nicht aber der Konzern, Träger der vermögenswerten subjektiven Rechte ist. Keinesfalls aber kann, wie Bepler274 meint, die Zurechnung der Finanzkraft des herrschenden Unternehmens zu dem abhängigen Unternehmen auch in umgekehrter Richtung stattfinden. Nach seiner eigenen Begrundung soll diese Zurechnung, die zum Berechnungsdurchgriff führt, auf der Abhängigkeit des Tochterunternehmens beruhen275 . Dann aber bedarf es für den umgekehrten Durchgriff eines anderen Ar212 273 274 275

Vgl. Kap. 5 CI. Der Kündigungsschutz außerhalb des KSchG, S. 99. ArbuR 1997, S. 54 (58 f.). Bepler, ArbuR 1997, S. 54 (58).

F. Ergebnis und Konsequenzen

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guments, weil das herrschende Unternehmen dieser Abhängigkeit naturgemäß entbehrt. Auch in dem Fall der Kündigung in einem Betrieb, der Teil eines konzernangehörigen Unternehmens ist - und sei dies herrschend oder abhängig - kommt eine Schwellenzahlberechnung allein die Arbeitnehmerzahl dieses Betriebs in Betracht.

4. Nebenbetrieb (§ 4 S. 2 BetrVG a.F.) und Kleiostbetrieb (§ 4 Abs. 2 BetrVG n.F.) Für den Nebenbetrieb, der seit der Betriebsverfassungsreform nicht mehr Gegenstand eigener gesetzlicher Regelung ist, gilt Folgendes: Der Nebenbetrieb zeichnet sich nach h.M. durch seine Hilfsfunktion gegenüber dem Hauptbetrieb bei organisatorischer Selbständigkeit aus. Die Hilfsfunktion impliziert eine gegenseitige Beeinflussung der Arbeitsabläufe im Haupt- und Nebenbetrieb, die über ihre arbeitstechnischen Zwecke zustande kommt. Dementsprechend besteht auch eine wechselseitige Beeinflussung der Arbeitsbedingungen für die Arbeitnehmer in Haupt- und Nebenbetrieb. Aufgrund der Hilfsfunktion, die der Nebenbetrieb für den Hauptbetrieb übernimmt, besteht wesensnotwendig eine wechselseitige Verflochtenheit zwischen den Arbeitsabläufen im Neben- und im Hauptbetrieb. Dies wiederum führt zu dem Bedürfnis nach einer abgestimmten Koordination aller daran beteiligten Arbeitsverhältnisse; eine spontane Selbstorganisation der Arbeitsverhältnisse ist im kleinen (§ 4 S. 2 i.V.m. § l BetrVG) Nebenbetrieb trotz geringer Beschäftigtenzahl wegen der notwendigen Wechselwirkungen mit dem Hauptbetrieb nicht mehr möglich. Deshalb ist es sinnvoll, den Arbeitnehmern des Nebenbetriebs ebenfalls Kündigungsschutz zugute kommen zu lassen. Denn durch die Verflochtenheit mit dem Hauptbetrieb besteht auch eine erhöhte institutionelle Abhängigkeit, aus der sich die Gefahr der Disziplinierung sowie schließlich das Bedürfnis nach Kündigungsschutz ergibt, der die Inanspruchnahme insbesondere der betriebsverfassungsrechtlichen Rechte und Freiheiten, die aufgrund der Zuordnung des § 4 S. 2 BetrVG im Nebenbetrieb entstehen, flankierend sichert. Demnach ist eine Abstimmung von kündigungsschutzrechtlichem und betriebsverfassungsrechtlichem Betriebsbegriff, d. h. eine entsprechende Anwendung des § 4 S. 2 BetrVG auf§ 23 Abs. 1 S. 2 KSchG, zu befürworten. Zur Ermittlung der Schwellenzahl ist auf die Gesamtzahl der im Nebenbetrieb i.S.v. § 4 S. 2 BetrVG und im Hauptbetrieb beschäftigten Arbeitnehmer abzustellen. Für die Rechtslage seit der Reform des BetrVG kann dies entsprechend gelten. Nach dem neuen § 4 Abs. 2 BetrVG ist die betriebsverfassungsrechtliche Zuordnung des "Kleinstbetriebs" zum Hauptbetrieb unabhängig von seiner Eigenschaft als " Nebenbetrieb"; die Zuordnung findet bereits bei jedem "Betrieb" statt. Darin wird ein Verzicht auf das Erfordernis der Riffsfunktion gegenüber dem Hauptbetrieb gesehen werden müssen, die der Nebenbetrieb und damit die Zuordnung nach 17*

260

5. Kap.: Die betriebliche Reichweite des aUgemeinen Kündigungsschutzes

§ 4 S. 2 BetrVG a.F. nach bisheriger h.M. verlangten276. Zugleich entfallt die wechselseitige Verflochtenheit der Arbeitsverhältnisse des Haupt- und des ihm zuzuordnenden Betriebs. Hierin liegt ein Systembruch mit der Idee der Mitbestimmung: Soll diese die Unmöglichkeit der individuellen Regelung der Arbeitsbedingungen in einer arbeitsteiligen Organisation kompensieren 277, dann besteht ein Bedürfnis nach Mitbestimmung nur dort, wo diese individuelle Regelung der Arbeitsbedingungen nicht möglich ist, also bei großer Verflochtenheit der Arbeitsabläufe und -verhältnisse. Diese fehlt jedoch in einem Betrieb unterhalb der Schwellenzahl des § 1 Abs. I S. 1 BetrVG, der keine Hilfsfunktion gegenüber dem zugeordneten Betrieb erfüllt; mithin entfällt auch das Bedürfnis nach Mitbestimmung. Es kommt zu einem Wertungswiderspruch, denn nach dem neuen § 4 Abs. 2 BetrVG wird dennoch auch der Kleinbetrieb ohne Hilfsfunktion in die Betriebsverfassung einbezogen, und dies allein aufgrund der Existenz eines weiteren größeren Betriebs in demselben Unternehmen. Weil aber die Verflochtenheit der Arbeitsverhältnisse fehlt, ist die Fähigkeit der arbeitsorganisatorischen Einheit zu spontaner Selbstorganisation gegeben, flankierender Kündigungsschutz also entbehrlich und § 4 Abs. 2 BetrVG nicht auf § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG zu beziehen. In der Konsequenz liegt es, allein diejenigen arbeitsorganisatorischen Einheiten, die nicht nur die Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 BetrVG erfüllen, sondern zusätzlich eine Hilfsfunktion für den Hauptbetrieb haben, dem Hauptbetrieb zuzuordnen 278 , mit der Folge, daß die Arbeitnehmer beider Einheiten zur Berechnung der Schwellenzahl nach § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG zu addieren sind. Nicht dagegen darf diese Zusammenrechnung für die Schwellenzahlermittlung bei solchen Kleinstbetrieben i.S.v. § 4 Abs. 2 BetrVG erfolgen, denen keine Hilfsfunktion für den Hauptbetrieb zukommt und denen daher nach den Maßstäben der alten Rechtslage die Nebenbetriebseigenschaft fehlte.

5. Betriebsteil (§ 4 Abs. 1 S. 1 BetrVG) Auf die geringe Bedeutung der Frage, ob Betriebsteile in Entsprechung zu § 4 Abs. 1 S. 1 BetrVG auch kündigungsschutzrechtlich als Betriebe fingiert werden können, mit der Folge, daß es für die Berechnung der Schwellenzahl des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG allein auf die im Betriebsteil beschäftigten Arbeitnehmer ankäme, wurde bereits hingewiesen 279. Sie ist dadurch bedingt, daß die Fiktion des Vgl. auch Löwisch, BB 2001 , S. 1734 (1735). Vgl. Reuter, ZfA 1975, S. 85 (86 ff.). 278 Ganz ähnlich Löwisch, BB 2001, S. 1734 (1735), der fordert, daß wenigstens ein "arbeitstechnischer Zusammenhang" gegeben sein müsse, der bereits dann bestehe, wenn in dem Kleinstbetrieb der gleiche arbeitstechnische Zweck verfolgt werde wie im Hauptbetrieb. Ein Kleinstbetrieb, in dem ein eigenständiger arbeitstechnischer Zweck (z. B. eine neue Geschäftsidee) verfolgt werde, könne nicht zugeordnet werden, auch wenn er einem Unternehmen angehöre, in dem andere betriebsratsfähige Betriebe bestünden. 279 s. o. Kap. 5 B V. 276 277

F. Ergebnis und Konsequenzen

261

Betriebs nach § 4 Abs. 1 S. 1 BetrVG eine den Schwellenwert des § 1 BetrVG erreichende Arbeitnehmerzahl voraussetzt, die damit die Schwellenzahl des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG praktisch zumeist überschreiten dürfte. Ferner wurde die Bedeutung dadurch verringert, daß in Betriebsteilen, die nach der Fiktion des § 4 Abs. 1 S. 1 BetrVG nicht selbst betriebsratsfähig sind, nunmehr nach § 4 Abs. 1 S. 2 BetrVG die Möglichkeit besteht, an der Wahl des Betriebsrats im Hauptbetrieb teilzunehmen. Im übrigen aber ist eine entsprechende Anwendung der Fiktion des § 4 Abs. 1 S. 1 BetrVG auf die Schwellenzahlberechnung des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG nach der hier vertretenen Auffassung zu befürworten, so daß der Betriebsteil, der die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 S. 1 BetrVG erfüllt, auch im Sinne der kündigungsschutzrechtlichen Kleinbetriebsklausel als "Betrieb" anzusehen ist. Zwar liegt hierin eine Abweichung von der grundsätzlichen Gleichsetzung des Merkmals "Betrieb" mit der arbeitsorganisatorisch selbständigen Einheit, denn der Betriebsteil ist definitionsgemäß niemals "Betrieb" und kann nur kraft Fiktion als solcher gelten. Doch ist dies nach den hier herausgearbeiteten Erkenntnissen gerechtfertigt: Bei räumlich weiter Entfernung (Nr. I des § 4 Abs. 1 S. 1 BetrVG) oder Eigenständigkeit durch Aufgabenbereich und Organisation (Nr. 2) verringert sich die Verflochtenheit der Arbeitsverhältnisse des Betriebsteils mit denen des übrigen Betriebs; gleichzeitig entstehen auf den Betriebsteil beschränkte enge persönliche Beziehungen, gewinnen die einzelnen Arbeitsverhältnisse an Individualcharakter und erstarkt die Fähigkeit der Einheit zu spontaner Selbstorganisation der Arbeitsbedingungen; die Bedeutung der institutionalisierten Leitung nimmt ab und mit ihr die Gefahr sachfremder Arbeitgeberentscheidungen und die Notwendigkeit eines flankierenden Kündigungsschutzes. Daher ist auch ein Betriebsteil, der die Voraussetzungen des § 4 S. 1 BetrVG erfüllt, aus dem allgemeinen Kündigungsschutz herauszunehmen, sofern er - was zugegebenermaßen selten der Fall sein dürfte nicht die Schwellenzahl des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG überschreitet. Die Fiktion des § 4 Abs. 1 S. 1 BetrVG wäre danach allein im Fall von fünf ständig wahlberechtigten Arbeitnehmern, von denen drei wählbar sind, auch auf§ 23 Abs. 1 S. 2 KSchG anzuwenden. In der so beschaffeneo Einheit gälten die§§ 1-14 KSchG nach§ 23 Abs. 1 S. 2 KSchG nicht. Insbesondere die Konsequenzen für Neben- I Kleiostbetrieb und Betriebsteil zeigen, daß eine Harmonisierung der betrieblichen Abgrenzung zwischen Kündigungsschutz und Betriebsverfassung ratsam ist280, weil beide Institute auf einem Tatbestand beruhen, der eine gewisse Vielzahl von Arbeitsverhältnissen vorauszso Ähnlich im Ergebnis und mit überzeugender Argumentation Kania/Gilberg, NZA 2000, S. 678 (681 f.): "Die enge Verzahnung von Betriebsverfassungs- und Kündigungsrecht gebieten eine möglichst weitgehende Harmonisierung von kündigungsrechtlichem und betriebsverfassungsrechtlichem Betriebsbegriff Da der gesetzgebensehen Entscheidung für die Betriebsfiktion des § 4 BetrVG auch kündigungsrechtlich relevante Argumente zugrundeliegen, erscheint eine Übertragung der Wertung des § 4 BetrVG ins Kündigungsschutzrecht geboten."

262

5. Kap.: Die betriebliche Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes

setzt. Wird diese Zahl unterschritten, überwiegt der individuelle Charakter des Arbeitsverhältnisses, und der als Flankenschutz verstandene allgemeine Kündigungsschutz entfallt ebenso wie die Regelungen des BetrVG. Wird die Zahl überschritten, überwiegt dagegen der betriebliche Charakter des Arbeitsverhältnisses, der ein größeres Maß an institutioneller Abhängigkeit zur Folge hat und daher die Betriebsverfassung sowie allgemeinen Kündigungsschutz erfordert, der die Rechte und Freiheiten des betrieblichen Arbeitsverhältnisses als Flankenschutz absichert. Daß auch, aber nicht nur erhebliche praktische Bedürfnisse für diese Sichtweise sprechen, legen Kania/Gilberg281 dar. Auf die Abstimmung zwischen Kündigungsschutz und Betriebsverfassung sollte im übrigen auch de lege ferenda hingewirkt werden. Jedenfalls sollten Rechtsprechung und Literatur bestehende Divergenzen nicht durch eine normspezifisch unterschiedliche Betrachtungsweise noch weiter vertiefen.

281

Kania/Gilberg, NZA 2000, S. 678 (680).

6. Kapitel

Zur Frage eines allgemeinen Kündigungsschutzes außerhalb des KSchG War Anlaß dieser Arbeit der erste Kleinbetriebsbeschluß des BVerfG, der sich mit der Frage nach dem Kündigungsschutz im Kleinbetrieb und der Bestimmung des Kleinbetriebs im Sinne des § 23 Abs. I S. 2 KSchG befaßte 1 , so bot sich die Gelegenheit zur Beantwortung dieser Fragen in einem weiteren Kontext: Wie ist die Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes generell - und nicht nur im Fall seiner betrieblichen Grenze- zu bestimmen? Wie muß sein Anwendungsbereich abgegrenzt werden? Dazu war nach einer hinter dem gesetzlichen allgemeinen Kündigungsschutz stehenden dogmatischen Theorie gefragt worden, die seine positivrechtliche Reichweite widerspruchsfrei erklären und damit als Grundlage für die Bereitstellung einer Antwort auf nicht positiv geregelte Fragen des Kündigungsschutzes dienen kann.

A. Überblick über wesentliche Ergebnisse Unter dem Gesichtspunkt der Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes, so hat sich herausgestellt, vermag allein die Flankenschutztheorie den Anforderungen an eine dogmatische Theorie2 zu genügen. Dies gilt zunächst für die im 3. Kapitel untersuchte verfassungsrechtlich legitimierte Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes insbesondere gegenüber der verfassungsrechtlich geschützten Position des Arbeitsuchenden. Wenngleich die Flankenschutztheorie nicht die einzige dogmatische Theorie ist, die eine verfassungswidrige Interpretation des Kündigungsschutzes vermeidet, so wurde offenbar, daß jedenfalls nach Maßgabe der Art. I2 Abs. I und Art. 20 Abs. I GG die von der h.M. dem Kündigungsschutz zugrundegelegte Bestandsschutztheorie abzulehnen ist, weil der allgemeine Kündigungsschutz danach letztlich einen verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigten Eingriff in verfassungsrechtlich geschützte Positionen des Arbeitsuchenden darstellt3 • Hieran vermag auch eine Betrachtung der Berufsfreiheit als Schutzpflicht nichts zu ändern4 • Der Sinn des allgemeinen I

2

3 4

BVeifGE 97, S. 169. Vgl. o. Kap. 1 A. Kap. 3 A II 4 c; A II 5; B; C. Kap. 3 A III.

264

6. Kap.: Zur Frage eines allgemeinen Kündigungsschutzes außerhalb des KSchG

Kündigungsschutzes kann nach Maßgabe der Art. 12 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 1 GG also nicht in einem Schutz der wirtschaftlichen und sozialen Existenzgrundlage erblickt werden, weil sich ein solcher als ein "Schutz zulasten Dritter" auswirkte, denn die (dadurch belasteten) arbeitsuebenden Dritten haben ein ebenso hohes verfassungsrechtlich legitimes Interesse am Schutz ihrer wirtschaftlichen und sozialen Existenzgrundlage wie die (dadurch begünstigten) Arbeitsplatzinhaber. Damit ist nicht gesagt, daß allgemeiner Kündigungsschutz prinzipiell keinen Eingriff in die Rechte der Arbeitsuchenden darstellen darf; erforderlich ist vielmehr allein, daß der Eingriff vor den verfassungsrechtlich geschützten Positionen der arbeitsuebenden Dritten gerechtfertigt werden muß. Ein solcher Eingriff kann nur mit Umständen gerechtfertigt werden, die ein arbeitnehmerspezifisches Schutzbedürfnis belegen, nicht hingegen durch solche, die gleichzeitig auch den Schutz der Arbeitsuchenden verlangen. Mit den von der Bestandsschutztheorie genannten Umständen5 kann demnach allgemeiner Kündigungsschutz verfassungsrechtlich jedenfalls nicht gerechtfertigt werden6 . Das 4. Kapitel hat für die personelle Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes ergeben, daß die Bestandsschutztheorie bei konsequenter Umsetzung ihrer Prämissen zu einem Anwendungsbereich des KSchG führen müßte, der sich mit dem nach positivem Recht geltenden Anwendungsbereich des KSchG nicht deckt. Diese Theorie wäre daher einerseits genötigt, den Anwendungsbereich des KSchG entgegen seinem Wortlaut einzuschränken, weil etwa ein Arbeitnehmer in einem Nebenarbeitsverhältnis des wirtschaftlichen und sozialen Existenzschutzes gar nicht bedarf, der nach der Bestandsschutztheorie mit dem allgemeinen Kündigungsschutz bezweckt wird; dies aber steht im Gegensatz zum Wortlaut des KSchG, das auch Neben- wie andere Teilzeitarbeitsverhältnisse in seinen Anwendungsbereich ohne Unterschied einbezieht. Andererseits müßte nach der Bestandsschutztheorie der Anwendungsbereich des KSchG entgegen seinem Wortlaut ausgeweitet werden, weil etwa eine arbeitnehmerähnliche Person des wirtschaftlichen und sozialen Existenzschutzes nicht minder bedarf als ein Arbeitnehmer (vgl. schon § 12a Abs. 1 Nr. 1 TVG); gleichwohl beschränkt sich der Anwendungsbereich des KSchG auf Arbeitnehmer. Ein materieller Kündigungsschutz für arbeitnehmerähnliche Personen, der nicht das Niveau der§§ 1 ff. KSchG erreicht7 , vermag diesen Widerspruch nicht zu entkräften, fehlt doch dann immer noch ein sachlicher Grund für die Ungleichbehandlung (hinsichtlich des Schutzniveaus des Kündigungsschutzes) von Arbeitnehmerähnlichen und Arbeitnehmern, deren Interessen unter dem Gesichtspunkt des Bedürfnisses nach wirtschaftlich-sozialem Existenzschutz wesentlich gleich zu bewerten sind. Die personelle Reichweite des s Vgl. z. B. BVeifGE 97, S. 169 (177).

Kap. 3 A II 4 und B 111 4 c. So etwa vertreten von Oetker, FS 50 Jahre Arbeitsgerichtsbarkeit Rheinland-Pfalz, S. 311 (324 ff.); Appell Frantzioch, ArbuR 1998, S. 93 (95 ff.); Frantzioch, S. 221; vgl. Kap. 4 AI 2 c bb. 6 7

A. Überblick über wesentliche Ergebnisse

265

KSchG vermag widerspruchsfrei nur von der Flankenschutztheorie erklärt zu werden8 und ist damit den übrigen Theorien auch insoweit überlegen. Zu den Defiziten der übrigen Theorien gehört des weiteren, daß sie, was im 5. Kapitel zutage getreten ist, im Gegensatz zu der Flankenschutztheorie aus sich heraus keine Begrundung dafür liefern können, daß allgemeiner Kündigungsschutz nach Maßgabe der §§ 1 ff. KSchG - wie § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG vorsieht - nicht für jedes Arbeitsverhältnis gilt, sondern erst dann, wenn es in Verbindung mit einer gewissen Anzahl anderer Arbeitsverhältnisse ausgeübt wird9 • Kann aber schon kein Grund für eine solche Unterscheidung angegeben werden, so erubrigt sich die logisch nachgeordnete Frage, wie die Einheit, in der erst der Kündigungsschutz der §§ 1 ff. KSchG beginnen soll, beschaffen sein muß, d. h. ob diese Einheit arbeitsorganisatorisch oder etwa wirtschaftlich zu verstehen ist. Hier verwickelt sich wiederum insbesondere die Bestandsschutztheorie in unlösbare Widerspruche, wenn sie - ihrer Prämisse noch getreu -die Kleinbetriebsausnahme als Rücksichtnahme auf eine geringere wirtschaftliche Belastbarkeit als Begrenzung des korrespondierenden arbeitnehmerseitigen Bedürfnisses nach wirtschaftlichem (und sozialem) Existenzschutz auffaßt 10• Diese Widerspruche entstehen vor allem deshalb, weil unter diesem Blickwinkel die Regelung des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG bei gängiger systematischer Unterscheidung auf die wirtschaftliche Einheit des Unternehmens, nicht, wie ihr Wortlaut, auf die arbeitsorganisatorische Einheit des Betriebs, abstellen müßte. Für eine Rechtsfortbildung, durch die allein diesem Widerspruch beizukommen wäre, fehlt allerdings die erforderliche planwidrige Regelungslücke, wie die historische und objektiv-teleologische Untersuchung gezeigt hat 11 • Bereits mit Hilfe der Flankenschutztheorie läßt sich wiederum eine widerspruchsfreie Erklärung für § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG und die Verwendung gerade des Merkmals der arbeitsorganisatorischen Einheit Betrieb finden 12• Daher ist eine Rechtsfortbildung, etwa nach dem Muster des BVerfG 13, mangels erforderlicher Lücke nicht zulässig. Hauptresultat der Untersuchung in den Kapiteln 3 bis 5 ist, daß allein die Flankenschutztheorie eine den Anforderungen einer dogmatischen Theorie genügende Erklärung der verfassungsrechtlich legitimierten, der personellen und der betrieblichen Reichweite des allgemeinen Kündigungsschutzes abzugeben vermag 14.

s Kap. 4C. Kap. 5 E.

9

Kap. 5 C V. Kap. 5 C III9, IV, VI. 12 Kap. 5 E V. 13 BVerfGE 97, S. 169 (184 f.). 14 Zu den Konsequenzen im einzelnen vgl. Kap. 3 C; Kap. 4 C IV; Kap. 5 E V und F.

10

11

266

6. Kap.: Zur Frage eines allgemeinen Kündigungsschutzes außerhalb des KSchG

B. Konsequenzen für einen allgemeinen Kündigungsschutz außerhalb des KSchG Anhand der so gewonnenen Erkenntnisse soll eine Beurteilung der Frage nach einem allgemeinen Kündigungsschutz außerhalb der Grenzen des KSchG versucht werden. Denn bei der Abgrenzung des Anwendungsbereichs des KSchG konnten auch Erkenntnisse darüber erzielt werden, ob ein - und bejahendenfalls welcher materieller allgemeiner Kündigungsschutz jenseits der Reichweite des KSchG existiert oder existieren muß: Die Frage der Abgrenzung kann nicht beantwortet werden ohne Untersuchung der Frage, was sich diesseits und was sich jenseits der Grenze befindet; eine Grenze kann nur dort sein, wo auf beiden Seiten Unterschiedliches ist. Daher können nun diese - gleichsam als notwendige Nebenprodukte angefallenen - Erkenntnisse zusammengetragen werden, um vor dem Hintergrund der Flankenschutztheorie Aufschluß über die Frage nach einem allgemeinen Kündigungsschutz zu gewähren. Fraglich ist dabei, ob es einen verfassungsrechtlich gebotenen Mindestschutz des Arbeitsplatzes, wie ihn das BVerfG sieht15 , das Prinzip der grundrechtlich gebundenen Kündigungsfreiheit 16, eine Plausibilitäts- 17 oder eine abgeschwächte Inhaltskontrolle18, eine Prüfung auf evidente Sozialwidrigkeit19 oder einen Kündigungsschutz zweiter Klasse20 jenseits der Grenzen des KSchG geben kann. Vor dem Hintergrund der vorangegangenen Untersuchung muß im Ansatz von der Flankenschutztheorie ausgegangen werden. Danach resultiert die Notwendigkeit allgemeinen Kündigungsschutzes aus den Gefahren des betrieblichen Arbeitsverhältnisses21: Im betrieblichen Arbeitsverhältnis ist der Arbeitnehmer der Entscheidung des Arbeitgebers über Zeit, Ort und Inhalt der zu verrichtenden Arbeit ausgesetzt. Der Gefahr, daß diese Entscheidungen willkürlich sind und den Arbeitnehmer in seiner Persönlichkeit beeinträchtigen, wird durch die Gewährung von Rechten und Freiheiten begegnet, die jedoch leerliefen, wenn nicht der Arbeitnehmer über einen flankierenden Kündigungsschutz verfügte, der zur Angabe eines rechtfertigenden Kündigungsgrundes zwingt und auf diese Weise verhindert, daß dem Arbeitnehmer wegen der Ausübung der Rechte und Freiheiten gekündigt werden könnte. Aus diesem Ansatz folgt, daß allgemeinen Kündigungsschutz nur erhalten kann, wer ein Arbeitsverhältnis im Verbund mit anderen Arbeitsverhältnissen in einem Betrieb als arbeitsorganisatorischer Einheit ausübt. Ist dies nicht der Fall, so fehlt

16

BVerfGE 97, S. 169 (178); vgl. Kap. 1 AI. Oetker; ArbuR 1997, S. 41 (51); vgl. Kap. 1 A II.

17

Lakies, DB 1997, S. 1078 (1083); vgl. Kap. 1 A IV.

15

18 19

2o 21

MünchArbR/ Wank§ 122 Rn 34 ff.; vgl. Kap. 1 A III. Otto, FS Wiese, S. 353 (375); vgl. Kap. 1 A V. Hanau, FS Dieterich, S. 201 (209); vgl. Kap. I A VII. Vgl. ausführlicher Kap. I D m. zal!lr. Nachw.

B. Konsequenzen für einen allgemeinen Kündigungsschutz außerhalb des KSchG 267

die aus der betrieblichen Eingliederung des Arbeitsverhältnisses folgende beschriebene institutionelle Abhängigkeit als Auslöser des Bedürfnisses nach allgemeinem Kündigungsschutz. So wird verständlich, warum von vomherein arbeitnehmerähnliche Personen, die in die betriebliche Arbeitsorganisation nicht wie Arbeitnehmer eingegliedert sind, aus einem allgemeinen materiellen Kündigungsschutz, auch außerhalb des KSchG, ausscheiden müssen22 . Die Frage kann also darauf beschränkt werden, ob bzw. welchen allgemeinen Kündigungsschutz Arbeitnehmer in Kleinbetrieben und während der Wartezeit genießen, weil nur diese Personengruppen das erforderliche Merkmal des betriebsbezogenen Arbeitsverhältnisses aufweisen und nicht in das KSchG einbezogen sind.

I. § 612a BGB als Ausdruck der Flankenschutztheorie Es darf vermutet werden, daß der Gesetzgeber außerhalb des KSchG eine "unsoziale Kündigung" nicht zulassen wollte23 . Auch unter dem Blickwinkel der Flankenschutztheorie darf ein Kündigungsschutz hier nicht völlig fehlen, weil auch Arbeitnehmer in Kleinbetrieben und während der Wartezeit über Rechte und Freiheiten verfügen, die zum Schutz vor institutioneller Abhängigkeit von den Entscheidungen des Arbeitgebers bestimmt sind (z. B. die Bestimmungen der Arbeitssicherheit, die Rechte nach ArbeitszeitG und BUrlG, nach EFZG, bei entsprechender Betriebsgröße die Rechte aus der Betriebsverfassung). Grundsätzlich sind also auch Arbeitnehmer in Kleinbetrieben und während der Wartezeit gegen die Gefahr der Disziplinierung durch eine bei Inanspruchnahme dieser Rechte drohende Kündigung zu schützen. Indes muß zunächst geprüft werden, ob der erforderliche Schutz nicht bereits durch geschriebenes Recht gewährt ist, bevor dazu übergegangen werden kann, ungeschriebene Wirksamkeitsvoraussetzungen zu postulieren. Außer den Generalklauseln der §§ 138 und 242 BGB ist für die Frage nach materiellem Kündigungsschutz vor allem das Maßregelungsverbot des § 612a BGB zu beachten. Ihrem Wortlaut nach schützt die Norm den Arbeitnehmer bei zulässiger Ausübung seiner Rechte vor einer Benachteiligung "bei einer Vereinbarung oder einer Maßnahme". Wenn auch der Begriff etwa der "Maßnahme" weit zu verstehen ist24 und außer Rechtsgeschäften auch Rechtshandlungen und sonstige tatsächliche Maßnahmen urnfaßt25 , so gehört zu solchen Maßnahmen jedenfalls auch eine Kündigung26 . GeVgl. ausführlicher Kap. 4 C IV. Anders die Einschätzung von Hetze[, Das Arbeitsverhältnis im Kleinbetrieb, S. 191. 24 ErtK/ Preis§ 612a BGB Rn 8. 25 Staudinger I Richardi § 612a BGB Rn 13. 26 BAG v. 2. 4. 1987, AP Nr. 1 zu§ 612a BGB m. Anm. Kramer; v. 16. 2. 1989, AP Nr. 46 zu § 138 BGB m. Anm. Pröbsting; Staudinger I Richardi § 612a BGB Rn 12; ErtK/ Preis § 612a BGB Rn 13; Preis, NZA 1997, S. 1256 (1265). 22 23

268

6. Kap.: Zur Frage eines allgemeinen Kündigungsschutzes außerhalb des KSchG

rade der Schutz gegen Entlassungen bei zulässiger Rechtsausübung war Enstehungsanlaß dieser Norm. Die Richtlinie 75 I 177 I EWG v. 10. 2. 197527 verpflichtete in ihrem Art. 5 zu staatlichen Maßnahmen zum Schutz der Arbeitnehmer gegen Entlassungen wegen einer Beschwerde im Betrieb oder einer Klage auf Einhaltung des Grundsatzes des gleichen Entgelts, später ergänzt durch den Entlassungsschutz des Art. 7 der Richtlinie 761207 IEWG v. 9. 2. 197628 wegen Beschwerden oder Klagen auf Einhaltung des Grundsatzes der Gleichbehandlung29. Damit gehört die Kündigung als Fall einer "Maßnahme" gerade zu dem nach historischen Gesichtspunkten ursprungliehen Anwendungsbereich dieser Norm, die erst nach ihrer konkreten gesetzlichen Ausgestaltung durch das Arbeitsrechtliche EGAnpassungsgesetz v. 13. 8. 198030 auch andere Rechtsgeschäfte oder tatsächliche Handlungen umfaßt. Doch auch ein weiteres Tatbestandsmerkmal wurde in der gesetzlichen Ausgestaltung durch den nationalen Gesetzgeber im Unterschied zur Vorgabe durch die Richtlinien weiter gefaßt: So ist die Entlassung nicht nur dann unzulässig, wenn der Arbeitnehmer wegen berechtigter betrieblicher Beschwerden oder gerichtlicher Klagen auf Einhaltung der Grundsätze der Gleichbehandlung oder des gleichen Entgelts entlassen wurde, sondern bereits dann, wenn dies wegen jeder zulässigen Ausübung der Rechte des Arbeitnehmers geschah. So ist§ 612a BGB zu einer Art Generalklausel geworden, die in Verbindung mit § 134 BGB (auch) jede Kündigung mit der Rechtsfolge der Nichtigkeit sanktioniert, die ergangen ist, weil der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Der Idee der Norm nach soll der Arbeitnehmer nicht aus Angst davor, mit Benachteiligungen rechnen zu müssen, von der Ausübung eines ihm zustehenden Rechts absehen müssen3 1. In dieser Form verkörpert sie den der Flankenschutztheorie zugrundeliegenden Gedanken: Damit dem Arbeitgeber die Drohung mit einer Kündigung für den Fall verwehrt ist, daß der Arbeitnehmer von den ihm zu Gebote stehenden Rechten und Freiheiten, die gegen arbeitgeberseitige Entscheidungswillkür gerichtet sind, Gebrauch macht, wird dem Arbeitnehmer ein allgemeiner Kündigungsschutz gewährt. Das Disziplinierungspotential der Kündigung wird beseitigt; es wird die wegen zulässiger Rechtsausübung ergangene Kündigung vor Gericht für unwirksam erklärt werden. Dies wissend wird der Arbeitgeber bereits im Vmfeld davon absehen, die Drohung mit einer Kündigung als Disziplinierungsmittel gegen seine Arbeitnehmer einzusetzen. Gleiches bezweckt nach der Flankenschutztheorie der allgemeine Kündigungsschutz. Er soll der bei betrieblichen Arbeitsverhältnissen entstehenden Situation vorbeugen, daß der Arbeitnehmer wegen Ausübung seiner Rechte und Inanspruchnahme seiner Freiheiten, die gegen die ab einer bestimmten Betriebsgröße besonders akuten Gefahr willkürli27

28 29

30 31

ABI. EG Nr. L 45. ABI. EG Nr. L 39/40. Vgl. auch Staudinger I Richardi § 612a BGB Rn 1; ErfK/ Preis§ 612a BGB Rn 1. BGBI. I S. 1308. Thüsing, NZA 1994, S. 728 (731).

B. Konsequenzen für einen allgemeinen Kündigungsschutz außerhalb des KSchO 269

eher arbeitgeberseitiger Entscheidungen gerichtet sind, gekündigt wird. Daher ist das Maßregelungsverbot des § 612a BGB Ausdruck der dem Kündigungsschutz nach der Flankenschutztheorie zugrundeliegenden ratio. Beide sichern den Arbeitnehmern die Ausübung ihrer Rechte gegen diszplinierende Kündigung(sdrohung)en mit Hilfe eines diese Rechte flankierenden Kündigungsschutzes.

II. Bedeutung des§ 612a BGB für Kündigungen außerhalb des KSchG Die Norm des § 612a BGB bezieht sich schon ihrem Wortlaut nach nur auf Arbeitnehmer. Dies hat nach der Flankenschutztheorie seinen Sinn: Arbeitnehmerähnliche Personen befinden sich wesensgemäß nicht in derselben Gefährdungssituation wie Arbeitnehmer32• Für sie ist kennzeichnendes Merkmal, daß sie gerade nicht in derselben Weise in die betriebliche Arbeitsorganisation eingegliedert sind wie die Arbeitnehmer, mithin auch die aus dieser Eingliederung resultierende Gefahr willkürlicher Entscheidungen nicht ebenso hoch ist wie für die Arbeitnehmer; sie bedürfen daher des Kündigungsschutzes, den die Arbeitnehmer genießen, nicht in gleicher Weise. Der Abstimmungsbedarf mit den Rechten anderer Beschäftigter ist für in den betrieblichen Arbeitsablauf eingegliederte Arbeitnehmer höher als z. B. für die in Heimarbeit Beschäftigten; erstere sind auf die sie schützenden Rechte daher stärker angewiesen als letztere. Außerhalb der "Überwachung" durch den Arbeitgeber tätige Personen sind der Disziplinierungsgefahr nicht in gleicher Weise ausgesetzt wie im Betrieb tätige Arbeitnehmer. Daß sich § 612a BGB nur auf Arbeitnehmer bezieht und nicht auch arbeitnehmerähnliche Personen erfaßt, ist, ausgehend von der Flankenschutztheorie, folgerichtig 33 . Für die Frage nach einem Kündigungsschutz jenseits der Reichweite des KSchG verbleibt für§ 612a BGB also nur noch Raum im Fall der Kündigung eines Arbeitnehmers im Kleinbetrieb (§ 23 Abs. 1 S. 2 KSchG) und während der Wartezeit (§ 1 Abs. 1 KSchG). 1. Kleinbetrieb

Die Norm des § 612a BGB ist unabhängig von einer bestimmten Betriebsgröße und gilt deshalb auch in den Einheiten, die wegen § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG nicht von den §§ 1-14 KSchG erfaßt werden. Daß aber die Schutzintensität des § 612a BGB nicht an die der §§ I ff. KSchG heranreicht, ist nicht schädlich. Vgl. ausführlicher Kap. 4 C IV. Für eine Anwendung des § 6l2a BOB auch auf arbeitnehmerähnliche Personen: Staudinger/ Richardi § 6l2a BOB Rn 7; MünchKomm-BOB/ Schaub§ 612 Rn 5, jedoch außer auf Berufung auf "Sinn und Zweck" ohne weitere Begründung. 32 33

270

6. Kap.: Zur Frage eines allgemeinen Kündigungsschutzes außerhalb des KSchG

Wie bereits erläutert34, existieren im Kleinbetrieb, verstanden als arbeitsorganisatorische Einheit, Mechanismen, die die Erforderlichkeil eines dezidierten gesetzlichen allgemeinen Kündigungsschutzes senken; weil aber Kündigungsschutz in die grundrechtlich geschützten Positionen Arbeitsuchender eingreift, ist er stets auf das erforderliche Maß zu begrenzen. Dies bedeutet keinesfalls, daß die Arbeitnehmer im Kleinbetrieb schutzlos zu stellen wären; es ist vielmehr so, daß sie wegen der Besonderheiten des Kleinbetriebs nur eines geringeren Schutzes bedürfen und die Einhaltung dieses Schutzes auch ohne einen differenzierten Kündigungsschutz wie den der §§ l ff. KSchG sichergestellt ist. Als Beispiel sei nochmals auf das vom BVerfG selbst umschriebene besondere Aufeinanderangewiesensein der Partner im Kleinbetrieb hingewiesen35, ferner auf den beobachteten Wandel von der technozenztrischen zur anthropozentrischen Arbeitsorganisation mit seinen Konsequenzen für den Kündigungsschutz36. Die institutionelle Abhängigkeit des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber, nach der Flankenschutztheorie Auslöser des allgemeinen Kündigungsschutzes, verringert sich mit abnehmender Arbeitnehmerzahl im Betrieb. Denn die Gefahr, Gegenstand willkürlicher Entscheidungen des Arbeitgebers zu werden, ist für den Arbeitnehmer in einem Kleinbetrieb wegen geringerer Verflochtenheit der Arbeitsbedingungen und der besonderen Verhältnisse im Kleinbetrieb geringer als in einem größeren Betrieb; der Kleinbetriebsarbeitnehmer braucht daher eine Disziplinierung durch Drohung mit einer Kündigung weniger stark zu befürchten als in einem Großbetrieb. Folglich sinkt auch die Erforderlichkeil eines die Arbeitnehmerrechte flankierenden allgemeinen Kündigungsschutzes. Das nun noch erforderliche Maß an Kündigungsschutz wird durch § 612a BGB abgedeckt. Die mit diesem Kündigungsschutz verbundene Belastung müssen Arbeitsuchende gegen sich gelten lassen, denn daß den abhängig Beschäftigten nicht nur Rechte eingeräumt werden, sondern auch ein (Kündigungs-)Schutz, der diese Rechte flankierend schützt, ihre Ausübbarkeit auch faktisch sichert und so vor einem "Leerlaufen" wegen einer sonst drohenden Kündigung bewahrt, ist eine arbeitnehmerspezifische Erwägung, die eine verfassungsrechtlich legitime Rechtfertigung der Belastung darstellt37 . Die Norm des § 612a BGB wird also den Besonderheiten des Kleinbetriebs gerecht. Sie gewährleistet den in der kleinen Einheit erforderlichen Schutz, beschränkt sich aber andererseits auch auf das erforderliche Maß des Schutzes und stellt daher keinen Verstoß gegen verfassungsrechtlich geschützte Positionen der arbeitslosen Arbeitsuchenden dar.

34

35 36

37

Vgl. hierzu ausführlich Kap. 5 D II und III. BVeifGE 97, S. 197 (177f.). V gl. Kap. 5 D Ill. Vgl. Kap. 3 A 115 c.

B. Konsequenzen für einen allgemeinen Kündigungsschutz außerhalb des KSchG 271

2. Wartezeit

Der Kündigungsschutz durch § 612a BGB ist ferner von der Dauer des Bestandes des Arbeitsverhältnisses unabhängig. Auch in der Wartezeit verfügen damit Arbeitnehmer über ein gewisses Maß an Kündigungsschutz und sind deshalb ebenso wie in Kleinbetrieben bereits von Gesetzes wegen nicht schutzlos gestellt, auch wenn die Schutzintensität hier ebenfalls nicht an die der §§ 1 ff. KSchG heranreicht. Grund für dieses Zurückbleiben hinter dem KSchG ist der Erprobungscharakter der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses38 • Manche Autoren befürworten einen Schutz, der über § 612a BGB hinausgeht. So soll z. B. die Kündigung auch während der Wartezeit nicht ohne einen sachbezogenen Grund, der mit dem Arbeitsverhältnis in einem Zusammenhang steht, wirksam sein können39 ; oder es sei die Kündigung einer "abgeschwächten Inhaltskontrolle" unterworfen, die an der "Schrankentrias" des § 1 KSchG zu messen sei40. Doch ist zu beachten, daß ein allgemeiner Kündigungsschutz dieses Ausmaßes während der Wartezeit für den Arbeitnehmer letztlich nutzlos sein kann. Solange nämlich die Erprobung einen sachlichen Grund für die Befristung des Arbeitsverhältnisses darstellt(§ 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 TzBfG), könnte der Arbeitgeber, um einem solchen Kündigungsschutz zu entgehen, für die Dauer der Wartezeit ohne weiteres auf eine Befristung des Arbeitsverhältnisses ausweichen. Er bräuchte bei Unzufriedenheit mit dem Arbeitnehmer nur die Verlängerung des Arbeitsverhältnisses nach Ablauf der Befristung zu verweigern, um das Risiko zu vermeiden, vor Gericht mit einer Kündigung in der Wartezeit den Anforderungen eines an die "Schrankentrias" des § 1 KSchG angelehnten Kündigungsschutzes standhalten zu müssen. Je stärker der Kündigungsschutz in der Wartezeit also wäre, um so eher würde der Arbeitgeber auf die Vereinbarung eines - nach Maßgabe des § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 5 TzBfG unproblematischen - befristeten Arbeitsverhältnisses ausweichen. Von dem Schutz würde der Arbeitnehmer nicht profitieren. Daraus ergibt sich bereits eine natürliche Höchstgrenze eines Kündigungsschutzes während der Wartezeit, die nicht zuletzt eben auch durch die Akzeptanz von Seiten der Arbeitgeber gezogen wird. Je weiter ein solcher Schutz über § 612a BGB hinausginge, um so größer wäre die Wahrscheinlichkeit, daß die Arbeitnehmer von dem Schutz gerade nicht profitieren könnten und in ein befristetes Arbeitsverhältnis mit aller Ungewißheit über eine spätere Festanstellung abgedrängt würden. Die Kontraproduktivität eines solchen Schutzes liegt auf der Hand. Der Arbeitnehmer ist damit während der Wartezeit keineswegs schutzlos gestellt, wenn man eine Kündigung allein dem Maßstab des§ 612a BGB unterwirft41 • Bereits§ 612a BGB gewährleiVgl. nur Hueck/v. Hoyningen-Huene § 1 Rn 64 m. zahlr. w. N. Oetker; ArbuR 1997, S. 41 (51). 40 MünchArbR/ Wank§ 122 Rn 34 ff.; ders. , ZIP 1986, S. 206 (210). 41 Vgl. z. B. zur Kündigung wegen Krankheit während der Wartezeit differenzierend LAG Sachsen-Anhalt v. 27. 7. 1999, LAGE§ 613a BGB Nr. 6; dazu o. Kap. 4 A II 1. 38

39

272

6. Kap.: Zur Frage eines allgemeinen Kündigungsschutzes außerhalb des KSchG

stet also nicht nur dem Arbeitnehmer im Kleinbetrieb, sondern auch während der Wartezeit das erforderliche Maß an Schutz gegen Kündigungen.

111. Konsequenzen für die Kriterien des BVerfG zum Kündigungsschutz im Kleinbetrieb Auf dieser Grundlage sollen die von BVerfG im ersten Kleinbetriebsbeschluß herausgestellten Kriterien zur Überprüfung einer Kündigung im Kleinbetrieb42 gewürdigt werden. Insbesondere ist deren Erforderlichkeit angesichts eines vorhandenen gesetzlichen Kündigungsschutzes, wie ihn§ 612a BGB gewährt, zu untersuchen. Wäre die Erforderlichkeit der vom BVerfG aufgestellten Kriterien zu verneinen, so dürfte eine Rechtsfortbildung dieses Inhalts nicht vorgenommen werden. Denn die ,,Rechtsprechung darf( . . .) nicht etwa nach dem Modell einer konkurrierenden Zuständigkeit immer schon dann die Lösung eines Problems in die Hand nehmen, wenn der Gesetzgeber keine Regelung getroffen hat, sondern muß die Erforderlichkeit einer Rechtsfortbildung (... )wenigstens aus den Erfordernissen der Gesamtrechtsordnung mit spezifisch juristischen Argumenten - und nicht etwa lediglich mit rechtspolitischen Zweckmäßigkeitserwägungen -herleiten. Gelingt ihr das nicht, dann hat sie die fragliche Rechtsfortbildung auf Grund eines ,argumentum e silentio legis' zu unterlassen."43 Fraglich ist damit, ob die Kriterien des BVerfG für eine Kündigung im Kleinbetrieb diesen Erfordernissen angesichts eines gesetzlich geregelten Schutzes durch § 612a BGB standhalten.

1. Schutz vor willkürlichen oder aufsachfremden Motiven beruhenden Kündigungen Aufgrund einer auf Art. 12 Abs. 1 GG gestützten Auslegung der zivilrechtliehen Generalklauseln gelangt das BVerfG zu dem Ergebnis, "in sachlicher Hinsicht" gehe es "vor allem darum, Arbeitnehmer vor willkürlichen oder auf sachfremden Motiven beruhenden Kündigungen zu schützen"44. Indes ermöglicht bereits§ 612a BGB die Überprüfung der Kündigung auf willkürliche oder unsachliche Motive; es sind dies solche, die die zulässige Rechtsausübung durch den Arbeitnehmer zum Anlaß einer Kündigung nehmen. Insofern liefert § 612a BGB bereits eine konkrete Bestimmung dessen, was "willkürliche" oder "unsachliche" Motive sind, und vermeidet so eine durch schwer berechenbare gerichtliche Ausfüllung dieser Begriffe entstehende Rechtsunsicherheit 42

BVerfGE 97, S. 169 (179).

43

Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 247m. w. N. - Hervorhebungen im Original; ähnl.

BVerfGE 34, S. 269 (288). 44 BVerfGE 97, S. 169 (179).

B. Konsequenzen für einen allgerneinen Kündigungsschutz außerhalb des KSchG 273

Einzuräumen ist, daß der Schutz durch§ 612a BGB nicht das Niveau des Schutzes nach §§ 1 ff. KSchG erreicht. So liegt beispielsweise die Beweislast nach §§ 612a, 134 BGB bei dem Arbeitnehmer, während nach§ 1 Abs. 2 S. 4 KSchG der Arbeitgeber die Beweislast für die Rechtfertigung der Kündigung trägt; nach § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG gibt es einen positiven numerus clausus der Kündigungsgründe, während bei§ 612a BGB lediglich negativ ausgegrenzt wird, was nicht als Kündigungsgrund hinreicht. Doch folgt zum einen bereits aus der Existenz einer Begrenzung des Anwendungsbereichs des KSchG (§§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 S. 2), daß der Schutz im Kleinbetrieb nicht mit dem Niveau der §§ 1 ff. KSchG identisch sein darf (Abstandsgebot)45 . Zum anderen wurde festgestellt, daß im Kleinbetrieb nur ein im Vergleich zu den §§ 1 ff. KSchG geringerer Kündigungsschutz erforderlich ist46• Dies ist durch die Besonderheiten des Kleinbetriebs bedingt: Wenige Arbeitsverhältnisse im Verbund bedeuten geringe Verflochtenheit der Arbeitsbedingungen. Dies führt nicht nur zu einem "vorrechtlichen" Kündigungsschutz, sondern ermöglicht in Verbindung mit den in der kleinen Arbeitsorganisation vorherrschenden engen persönlichen Beziehungen ein höheres Maß an Selbstorganisationsfähigkeit, die wiederum die Abhängigkeit des Arbeitnehmers von möglicherweise willkürlichen Entscheidungen des Arbeitgebers verringert. Im gleichen Maße sinkt die Erforderlichkeil von hiergegen gerichteten Rechten und Freiheiten und damit eines diese Rechte und Freiheiten flankierenden Kündigungsschutzes. Noch verbleibende Gefährdungen des Arbeitnehmers sanktioniert § 612a BGB. Diese Norm gewährleistet also einen der geringeren Erforderlichkeit im Kleinbetrieb angepaßten Schutz vor Kündigungen und gibt außerdem klar Auskunft über Beweislastverteilung und Unwirksarnkeitstatbestände, wodurch Rechtsunsicherheit weitestgehend unterdrückt wird. Über§ 612a BGB hinaus besteht daher keine Erforderlichkeit eines allgemeinen Kündigungsschutzes im Kleinbetrieb. Für einen weitergehenden, etwa richterrechtlichen Kündigungsschutz ist kein Raum. Hierbei ist der Arbeitnehmer keinesfalls schutzlos gestellt. Grundsätzlich verhindern die§§ 612a, 134 BGB, daß ein Arbeitnehmer wegen mißliebigen, aber zulässigen Verhaltens ausgewählt werden sollte. So schafft§ 612a BGB bereits eine Grenze der Unternehmerischen Entscheidungsfreiheit. Die Befürchtung einer "Kündigung nur eben so"47 erweist sich bei genauerem Hinsehen als Scheinproblem: Kein Gericht wird wegen des bloßen Vortrags eines Arbeitnehmers, er sei "nur eben so" gekündigt worden, die Unwirksamkeit einer Kündigung aussprechen. Möglich ist, daß der Arbeitgeber ein anderes Kündigungsmotiv verdecken will. Doch ist dies ein Problem der Darlegungs- und Beweislast, nicht dagegen der materiellen Anforderungen an eine Kündigung. Gerade dabei kommt§ 612a BGB dem Arbeitnehmer insoweit entgegen, als dieser sich auf die Grundsätze des Allscheinsbeweises stützen kann48 . Im übrigen ist kein Interesse vorstellbar, das den 45 46 47 48

BVeifGE 97, S. 169 (178 f.); vgl. ausführt. Kap. 4 A V 3. Ausführt. Kap. 5 D II und III, E V. K. Gamillscheg, Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, S. 80. Vgl. APS/ Linck § 612a BGB Rn 12.

18 Stelljes

274

6. Kap.: Zur Frage eines allgemeinen Kündigungsschutzes außerhalb des KSchG

Arbeitgeber allein "nur eben so" zur Kündigung eines Mitarbeiters bewegen könnte; ferner ist nicht anzunehmen, daß der Arbeitgeber etwas tut, woran er kein Interesse hat. Jedenfalls können extreme Mißbräuche immer noch über§ 138 BGB abgefangen werden. Ein Mißbrauch liegt jedoch nicht bereits dann vor, wenn die Auswahlentscheidung nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten ergeht49•

2. Gebot eines gewissen Maßes an sozialer Rücksichtnahme Soweit unter mehreren Arbeitnehmern eine Auswahl zu treffen sei, gebiete der verfassungsrechtliche Schutz des Arbeitsplatzes in Verbindung mit dem Soziaistaatsprinzip ein gewisses Maß an sozialer Rücksichtnahme50• Dieses Kriterium ist von der Rechtsprechung des BAG unlängst übernommen worden51 • Es hat das Kriterium konkretisiert und im zweiten Leitsatz ausgeführt: "Ist bei einem Vergleich der grundsätzlich vom Arbeitnehmer vorzutragenden Sozialdaten evident, daß dieser erheblich sozial schutzbedürftiger ist als ein vergleichbarer weiterbeschäftigter Arbeitnehmer, so spricht dies zunächst dafür, daß der Arbeitgeber das erforderliche Maß an sozialer Rücksichtnahme außer acht gelassen hat und deshalb die Kündigung treuwidrig (§ 242 BGB) ist. Setzt der Arbeitgeber dem schlüssigen Sachvortrag des Arbeitnehmers weitere (betriebliche, persönliche etc.) Gründe entgegen, die ihn zu der getroffenen Auswahl bewogen haben, so hat unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben eine Abwägung zu erfolgen. Es ist zu prüfen, ob auch unter Berücksichtigung der vom Arbeitgeber geltend gemachten Gründe die Kündigung die sozialen Belange des betroffenen Arbeitnehmers in treuwidriger Weise unberücksichtigt läßt. Der Unternehmerischen Freiheit des Arbeitgebers im Kleinbetrieb kommt bei dieser Abwägung ein erhebliches Gewicht zu." Unter strikter Vermeidung der rechtstechnischen Begriffe der Darlegungs- oder Beweislast sowie der Substantiierungsobliegenheit ist die Rede davon, der Arbeitnehmer habe "vorzutragen", der Arbeitgeber könne "entgegensetzen" oder "geltend machen". In materieller Hinsicht bemerkenswert an dieser Konkretisierung ist die vom BAG vorgenommene inhaltliche Differenzierung der Voraussetzungen des Kriteriums des "gewissen Maßes an sozialer Rücksichtnahme". Dem unbefangenen Leser des § 242 BGB und des ersten Kleinbetriebsbeschlusses des BVerfG stellt sich die Frage, welche Daten als berücksichtigungsfahige Sozialdaten in Betracht kommen, die der Arbeitnehmer vorzutragen hat, denn es können weder aus dem Wortlaut oder der bisherigen Auslegung des § 242 BGB, noch aus den Ausführungen des ersten Kleinbetriebsbeschlusses des BVerfG Begriffe wie persönliche und betriebliche Gründe, Abwägung, Unternehmerische Freiheit oder Evidenz Vgl. z. B. Polzer/Powietzka, NZA 2000, S. 970 (976). BVelfiJE 97, S. 169 (179). 51 BAG v. 21. 2. 2001, NZA 2001 , S. 833 ff. = SAE 2001, S. 319 ff. m. Anm v. Hoyningen-Huene; s. dazu auch Gragert/Wiehe, NZA 2001, S. 934 ff. 49

50

B. Konsequenzen für einen allgemeinen Kündigungsschutz außerhalb des KSchG 275

der sozialen Schutzbedürftigkeit herausgelesen werden. Dies führt zu der Frage nach der Methode, die vom BAG in der Entscheidung vom 21. 2. 2001 zur Gewinnung der genannten Ergebnisse herangezogen worden ist. Auch darüber gibt die Entscheidung keinen Aufschluß. Es entsteht der Eindruck, daß nicht strikt zwischen der Erforderlichkeit einer Rechtsfortbildung und rechtspolitischen Zweckmäßigkeitserwägungen52 getrennt worden ist. Doch ist die Entscheidung einem weiteren Kritikpunkt ausgesetzt. In Konkretisierung der der "Kündigungsentscheidung zugrunde liegenden betriebliche(n) Gründe" führt das BAG aus: "Wenn der Bekl. gemeint hat, er könne durch die Weiterbeschäftigung des Kl. anstatt des anderen ArbN die effektive Fortfuhrung des Betriebes auf Dauer nicht sichern, so hätte er angeben müssen, welche Überlegungen (Leistungsgesichtspunkte, persönliche Momente, besondere Kenntnisse und Fähigkeiten, wirtschaftliche Überlegungen etc.) ihn zu dieser Überlegung veranlaßt haben."53 Diese Umstände sind jedoch keine betrieblichen Gründe, die sich aus dem Gegensatz zu den unternehmefischen Gründen ergeben. Leistung, besondere Kenntnisse und Fähigkeiten und wirtschaftliche Überlegungen sind gerade Gesichtspunkte der wirtschaftlichen Entscheidung, die der Entscheidung über die betriebliche, d. h. arbeitsorganisatorische Umsetzung vorgelagert sind. Sie sind grundsätzlich Bestandteil der freien Unternehmerentscheidung, die einer Überprüfung allein danach zugänglich ist, ob sie "offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich erscheint''54. Fordert das BAG nun aber mehr, indem es verlangt, der Arbeitgeber hätte genauer angeben müssen, welche der genannten Überlegungen ihn zu seiner Auswahlentscheidung veranlaßt haben, so unterzieht es die Unternehmerentscheidung im Kleinbetrieb einer strengeren Prüfung als in einem größeren Betrieb. Es spricht aber gerade vieles für die Vermutung, daß der Kleinbetriebsinhaber seine Auswahlentscheidung nach seinem wirtschaftlichen Rationalitätskalkül ausrichtet und der ökonomisch effizienten Unternehmensführung die Präferenz einräumt. Es kann also grundsätzlich präsumiert werden, daß der Unternehmer die vom BAG geforderten Umstände - schon in seinem eigenen Interesse - erwogen und für seine Entscheidung berücksichtigt hat. Es hätte zunächst die gesetzliche Regelung auf eine planwidrige Lückenhaftigkeit untersucht werden müssen. Das Institut einer sozialen Auswahl ist nur in § 1 Abs. 3 KSchG, mithin nur innerhalb der Grenzen des KSchG vorgesehen; § 612a BGB, der alle Arbeitsverhältnisse betrifft, sagt darüber nichts aus, wenn man nicht davon ausgeht, daß das Verlangen des Arbeitnehmers nach sozialer Auswahl die zulässige Ausübung eines ihm zustehenden Rechts darstelle. Indes ist fraglich, ob es ein richterrechtliches, der sozialen Auswahl ähnliches Institut im Kleinbetrieb geben muß. Das Erfordernis des BVerfG bei der Auswahl aus mehreren Arbeitnehmern ("gewisses Maß an sozialer Rücksichtnahme", "durch langjährige Mitarbeit erdientes 52 53 54

18*

Zu dem Erfordernis dieser Trennung Larenz/Canaris, Methodenlehre, S. 247m. w. N. BAG v. 21. 2. 2001, NZA 2001, S. 833 (837). So die h.M.; vgl. Hueck/v. Hoyningen-Huene, § 1 Rn 378m. w. N.

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6. Kap.: Zur Frage eines allgemeinen Kündigungsschutzes außerhalb des KSchG

Vertrauen in den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses"55 ) und die Prüfung des BAG, das auf das Alter des Arbeitnehmers, Unterhaltsverpflichtungen und Dauer der Betriebszugehörigkeit abstellt56, weisen deutliche Ähnlichkeit zu den Kriterien der sozialen Auswahl bei der betriebsbedingten Kündigung nach § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG auf. Das BVerfG führt aber ebenfalls, vom BAG in der genannten Entscheidung wörtlich wiedergegeben, aus, in einem Betrieb mit wenigen Arbeitskräften hänge der Geschäftserfolg mehr als bei Großbetrieben von jedem einzelnen Arbeitnehmer ab; auf dessen Leistungsfähigkeit komme es ebenso an wie auf Persönlichkeitsmerkrnale, die für die Zusammenarbeit, die Außenwirkung und das Betriebsklima von Bedeutung seien; kleine Teams seien anfallig für Mißstimmungen und Querelen; Störungen des Betriebsklimas könnten zu Leistungsminderungen führen, die spürbar auf das Geschäftsergebnis durchschlügen57• Gerade in dieser Charakteristik drückt sich die Wichtigkeit des persönlichen Zueinanderpassens aus, dem im Kleinbetrieb ein besonders hoher Stellenwert zukommt. Diesen Umständen gegenüber sind jedoch die formalen Kriterien der Betriebszugehörigkeit, der Unterhaltsverpflichtungen und das Lebensalter "blind". Dies fallt bei einer Vielzahl von Beschäftigten in einer großen Arbeitsorganisation weniger ins Gewicht. Im Kleinbetrieb darf es jedoch eben wegen der vom BVerfG herausgestellten Wichtigkeit des persönlichen Zueinanderpassens nicht dazu kommen, daß dieses hinter die formalen Auswahlkriterien zurückzutreten hat, denn Beeinträchtigungen im persönlichen Zueinanderpassen sind im Kleinbetrieb weit weniger einfach kompensationsfähig, wenn dort, wie das BVerfG es formuliert, Persönlichkeitsmerkrnale für die Zusammenarbeit, die Außenwirkung und das Betriebsklima von hoher Bedeutung sind. Möglicherweise ließe sich darüber hinaus auch sagen, daß es sich bei dem allgemeinen Kündigungsschutz der §§ 1 ff. KSchG um ein Institut mit kollektivem Charakter handelt, weil es eine gewisse Vielzahl von Arbeitsverhältnissen erfordert. Kündigungsschutz wird insoweit als ein Phänomen der Gleichbehandlung mehrerer gesehen, das für die "Benachteiligung" einzelner Arbeitnehmer im Vergleich zu anderen sachliche Gründe fordert58 • Der Kündigungsschutz hätte so eine Egalisierungsfunktion und stellte sicher, daß Willkür unterbunden und relative Zufriedenheit im Betrieb gefördert wird. Dabei vergrößert sich die Gefahr sachwidriger Auswahlentscheidungen mit zunehmender Komplexität der Auswahlmöglichkeiten, also insbesondere bei einer zahlreichen und stark heterogenen Belegschaft. Hier sind differenziertere und formalisierte Handlungsmaßstäbe für die Auswahlentscheidung nötig und hilfreich. Demgegenüber verringern sich die Probleme einer Auswahlentscheidung bei geringerer Arbeitnehmerzahl und einfacherer Überschaubarkeil der zu berücksichtigenden Auswahlparameter. In einer arbeitsorgani55

BVeifGE 97, S. 169 (179).

56

BAG v. 21. 2. 2001, NZA 2001 , S. 833 (8361. Sp. unter bb und r. Sp. unter aa). BVerfGE 97, S. 169 (177 f.), BAG v. 21. 2. 2001, NZA 2001, S. 833 (836). Reuter; RdA 1995, S. 1 (9); vgl. auch Buchner, RdA 1970, S. 225 (228); KR/ Etzel, § I

57 58

KSchG Rn 18.

B. Konsequenzen für einen allgemeinen Kündigungsschutz außerhalb des KSchG 277

satorischen Einheit von nur bis zu fünf Arbeitsverhältnissen kann es dem Arbeitgeber zugemutet werden, diese weniger komplexe Auswahlentscheidung auch ohne formalisierte Regeln sachgerecht zu fallen. Im übrigen ist zu beachten, daß eine Gleichbehandlung nach sachlichen Gründen außerhalb der diese konkretisierenden sozialen Auswahl des KSchG allenfalls nach dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz in Betracht kommt. Dieser gilt jedoch nach ganz überwiegender Auffassung im Kündigungsschutzrecht grundsätzlich nicht59; darüber hinaus folgt auch aus einer unterstellten Geltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes noch nicht zwingend, daß eine solche Gleichbehandlung nach sozialen Gesichtspunkten (statt etwa nach Gesichtspunkten der Leistungsfähigkeit) vorzunehmen wäre. Denn allein bei § 1 Abs. 3 KSchG stellt das wirtschaftliche Bedürfnis des Arbeitgebers einen der sozialen Auswahl nachgeordneten Vorbehalt dar; wo diese Norm, die die grundsätzliche Unternehmerische Entscheidungsfreiheit einschränkt, nicht gilt, dort muß es schon aus diesem rechtssystematischen Grund bei dem Primat der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit verbleiben. Es ist daher rechtssystematisch zu bezweifeln, ob eine Begrenzung der Auswahlentscheidung im Kleinbetrieb nach dem Vorbild des BVerfG und des BAG angenommen werden kann. Die hier favorisierte Lösung, die den Kündigungsschutz außerhalb des KSchG auf§ 612a BGB beschränkt und die Auswahlentscheidung im übrigen der Unternehmerischen Entscheidungsfreiheit überläßt, hat zudem den Vorteil der Rechtsklarheit für sich, während das BAG die Auswahlentscheidung mit einer Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe begrenzt sieht60: Es kommt danach darauf an, ob ein Arbeitnehmer erheblich schutzbedürftiger ist als ein anderer, ob dies evident ist; es hat eine Abwägung zu erfolgen; der Unternehmerischen Freiheit kommt erhebliches Gewicht zu. An Maßstäben zur Ausfüllung der Begriffe Evidenz, Erheblichkeit sowie an Kriterien für die Abwägung fehlt es. Dadurch besteht die Gefahr, daß sich die "soziale Auswahl" im Kleinbetrieb nur begrifflich von der des § 1 Abs. 3 KSchG unterscheidet, sachlich aber gegen diese tendiert. Auf diese Weise wird die Norm des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG insoweit obsolet. Eine klare Trennung und Wahrung des "Abstandsgebots" ist nur möglich, wenn man auf eine Ausrichtung der Auswahlentscheidung im Kleinbetrieb an § 1 Abs. 3 KSchG verzichtet. Der erforderliche Schutz des Arbeitnehmers gegen diskriminierende Auswahl wird grundsätzlich über§ 612a BGB sichergestellt. Schließlich ist gegen die Berücksichtigung dieses Kriteriums einzuwenden, daß es nicht auf einer arbeitnehmerspezifischen Rechtfertigung beruht61 • Vom Standpunkt des arbeitslosen Arbeitsuchenden aus ist nicht einzusehen, warum zwar der Arbeitsplatzinhaber soziale Rücksichtnahme verdient, die zum Bestehenbleiben seines Arbeitsverhältnisses beitragen kann, während dadurch die Zugangschancen 59

Hueck/v. Hoyningen-Huene, § 1 Rn 153m. zahlr. w. N.

60

BAG v. 21. 2. 2001, NZA 2001 , S. 833 (Leitsatz 2 und S. 836); zur Kritik vor allem

Annuß, BB 2001, S. 1898 (1902). 61 Vgl. o. Kap. 3 A li 4 c dd.

278

6. Kap.: Zur Frage eines allgemeinen Kündigungsschutzes außerhalb des KSchG

des Arbeitsuchenden verringert werden, obwohl er möglicherweise nach dem Kriterium der sozialen Rücksichtnahme des Arbeitsplatzes mindestens ebenso dringend bedarf. Dies wird vermieden, wenn man den Schutz des Arbeitnehmers im Kleinbetrieb auf§ 612a BGB beschränkt, dem der Gedanke des Flankenschutzes der Arbeitnehmerrechte innewohnt. Dies ist eine arbeitnehmerspezifische Erwägung, die auch Arbeitsuchende gegen sich gelten lassen müssen.

3. Berücksichtigung eines durch langjährige Mitarbeit erdienten Vertrauens Schließlich dürfe, so das BVerfG, auch ein durch langjährige Mitarbeit erdientes Vertrauen in den Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses nicht unberiicksichtigt bleiben62. Dieses Erfordernis überschneidet sich mit dem Gebot gewisser sozialer Rücksichtnahme, wenn man die Dauer der Betriebszugehörigkeit oder das Lebensalter als Gesichtspunkte ansieht, die soziale Rücksichtnahme verlangen. Insofern wäre das Merkmal als auf eine betriebsbedingte Kündigung bezogen zu betrachten. Daher kann auf das zur "gewissen sozialen Rücksichtnahme" soeben Ausgeführte verwiesen werden. Es ist jedoch nicht klar, ob das Gericht die Beriicksichtigung der langjährigen Mitarbeit auf eine betriebsbedingte Kündigung beschränkt wissen will, oder ob sie nicht auch bei einer personen- oder verhaltensbedingten Kündigung von Bedeutung sein könnte. Jedenfalls ist auch hier wieder zweifelhaft, ob diese rechtliche Wirksamkeitsvoraussetzung erforderlich ist. Zwar kann die Produktivität eines Arbeitnehmers mit zunehmendem Alter abnehmen. Doch je länger die Dauer der Betriebszugehörigkeit ist, um so höher ist auch die betriebsspezifische Qualifikation und damit die Produktivität des Arbeitnehmers. Auch hier zeigt sich die Bedeutung eines "vorrechtlichen" Kündigungsschutzes im Kleinbetrieb: Der nach eigenen Interessen handelnde Arbeitgeber wird diesen Effekt beriicksichtigen und nicht willkürlich kündigen. Im übrigen bleibt wiederum zweifelhaft, woraus eine Beriicksichtigungsobliegenheit dieser Art hergeleitet werden könnte. Weder § 138 noch § 242 BGB und auch nicht Art. 12 Abs. I GG geben Anlaß zu dieser konkreten Voraussetzung. Sie kann nur so erklärt werden, daß sie mit Blick auf das Kriterium der Dauer der Betriebszugehörigkeit als sozialer Gesichtspunkt (§ I Abs. 3 KSchG) gefunden wurde. Insgesamt entsteht der Eindruck, als ob Regelungen des KSchG in verkleinerter Form in den Bereich des Kleinbetriebs hineinprojiziert worden seien. Damit folgen die Kriterien letztlich nicht aus den §§ 138, 242 oder aus Art. 12 Abs. I GG. Läßt man die Regelungen des KSchG dagegen außer Betracht, so findet sich kein gesetzlicher Anhaltspunkt für eine explizite Beriicksichtigungsobliegenheit eines durch langjährige Mitarbeit erdienten Vertrauens.

62

BVerjGE 97, S. 169 (179).

B. Konsequenzen für einen allgemeinen Kündigungsschutz außerhalb des KSchG 279

IV. § 612a BGB als Grenze des allgemeinen Kündigungsschutzes außerhalb des KSchG Als Ergebnis kann festgehalten werden, daß Arbeitnehmer bereits von Gesetzes wegen weder im Kleinbetrieb noch während der Wartezeit völlig schutzlos gestellt sind. Sie verfügen über einen allgemeinen Kündigungsschutz nach Maßgabe des § 612a BGB. Dieser Schutz ist nicht unbeträchtlich: Er verhindert, daß dem Arbeitnehmer wegen zulässiger Ausübung seiner Rechte gekündigt werden kann. Damit ist dieser Schutz Ausdruck des Grundgedankens der Flankenschutztheorie. Diese befindet sich nicht nur mit verfassungsrechtlichen Vorgaben im Einklang, weil sie eine legitime Rechtfertigung auch für eine Belastung arbeitsloser Arbeitsuchender bereitstellt. Darüber hinaus ermöglicht sie auch eine schlüssige und von Widersprüchen freie Abgrenzung des Kündigungsschutzes nach den §§ 1-14 KSchG. Das erforderliche und zulässige Maß an Kündigungsschutz wird also bereits durch § 612a BGB gewährleistet. Damit ist einer Rechtsfortbildung schon aus methodischen Gründen der Weg versperrt. Insbesondere verbleibt für die Voraussetzungen der Kündigung im Kleinbetrieb, wie sie das BVerfG im ersten Kleinbetriebsbeschluß aufgestellt hat63 , kein Raum mehr. Hinzu tritt - freilich in Ausnahmefällen - eine Beschränkung des Kündigungsrechts durch die allgemeinen Schranken der Privatautonornie, so insbesondere durch §§ 138 und 242 BGB. Einer spezifisch kündigungsrechtlichen Interpretation dieser Generalklauseln bedarf es jedoch nicht. Sie sind auf ihre allgemein zivilrechtliehen Inhalte zu beschränken. Die Wirksamkeit einer Kündigung außerhalb des Anwendungsbereichs des KSchG ist begrenzt durch die gesetzlich positivierten Bestimmungen, unter denen § 612a BGB eine bedeutende Rolle spielt. Ein darüber hinausgehender Schutz ist, nicht zuletzt im Interesse Arbeitsuchender, weder erforderlich noch zulässig.

63

BVerfGE 97, S. 169 (179).

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Sachverzeichnis Abfindung 18, 188, 189,221,232 Abhängigkeit - institutionelle 28, 81, 179 f., 253, 259 - persönliche 26, 157 - wirtschaftliche 120 f., 124, 126, 129, 161, 178, 198 Abstandsgebot 149 ff., 273, 277 Abwägung, auch grundrechtliche 44, 93, 274 Abwehrrecht, Berufsfreiheit als A. 48 ff., 53 ff. Abwicklungsentscheidung des BVerfG (s. auch Warteschleifenentscheidung) 40, 43, 55,85 ad hoc-Hypothese 24, 148 Ankündigungsfrist 129, 142 Anonymität im Betrieb 239 f. Anrechnung von Arbeitnehmern 15 f. anthropozentrische Arbeitsorganisation 242 f. Arbeitgeberverbände, auch Vereinigung der A. 215, 222 arbeitnehmerähnliche Personen 120 ff. - und Abstandsgebot 149 ff. - allgemeine Charakteristik 120 ff. - und allgemeiner Kündigungsschutz 148 f., 178 f. - Beendigungsschutz 122 ff., 128 - und Bestandsschutztheorie 148 f. - und Flankenschutztheorie 180 - und Kleinbetriebsrechtsprechung des BVerfG 130 ff. - und Rechtsprechung des BVerfG zum Einigungsvertrag 132 f. - soziale Schutzbedürftigkeit 121 - und Wartezeit 145 - wirtschaftliche Abhängigkeit 121 f., 124, 126, 129 arbeitnehmerspezifischer Regelungszweck, Erfordernis eines a. R. 71 ff. , 81 f., 115, 176, 178, 270, 277 f.

Arbeitslosigkeit 17, 25, 27, 30, 35, 218 - und Berufsfreiheit 51, 56 - individuelle /kollektive 69 f., 80 Arbeitsmarkt 29, 35, 177 Arbeitsplatzwahl, Freiheit der A. 34, 37, 50, 132 - als Abwehrrecht 53 ff. - Eingriff 51, 57 ff. - Eingriffsrechtfertigung 60 ff., 65 ff. , 78 ff. - und Kleinbetriebsklausel 189 - Schutzbereich 55 f. Arbeitsrechtliches Beschäftigungsförderungsgesetz 33, 42, 220 ff. Arbeitsuchende 25, 28, 42, 270 (s. auch Außenseiter, Outsider) - und Berufsfreiheit 50 ff., 56, 71 ff. , 236 f. - und grundrechtliche Schutzpflicht 91 ff. - und Sozialstaatsprinzip I 04 ff., 221 Arbeitsverband 195 Arbeitsvertrag - als unvollständiger Vertrag 28, 81 , 251 Auslegung 199 - und Betriebsbegriff 206 ff. - verfassungskonforme 207 ff., 224, 235

18,

190,

193,

- Wortsinngrenze 207 f. Außenseiter 51 (s. auch Arbeitsuchende, Outsider) Aussichten auf dem Arbeitsmarkt 73 f., 112 f. - und Außenseiter 113 ff. - als Gesichtspunkt der Interessenahwägung 110 ff. Austauschkündigung 156 Auswahl 16,31,35,38,39,40,43 - soziale 31 , 43, 132, 159, 162 f., 171 ff., 276 f.

Sachverzeichnis Beamtenverhältnis 154, 155 Beherrschungsvertrag 199 Belastbarkeit, finanzielle bzw. wirtschaftliche 187 f., 198, 206, 214, 224 ff., 228 ff., 232 ff., 246 f. Berechnungsdurchgriff im Konzern 198 ff., 258 f. Berufsfreiheit 34, 37 - als Abwehrrecht 48 ff., 53 ff. - und Arbeitslosigkeit 51, 56 - der Arbeitsuchenden 50 ff. - und Außenseiter 48 ff. - Eingriff 51 - Eingriffsrechtfertigung 56, 60 ff., 65 ff., 78 ff. - Gesetzesvorbehalt 61 - Schutzbereich 55 ff. - als Schutzpflicht 82 ff. Beschäftigungsförderung 42, 219 ff., 225 ff., 230 Bestandsschutztheorie 24 ff., 45, 118 f., 173f. - und Abstandsgebot 149 ff. - und arbeitnehmerähnliche Personen 148 f. - und Betriebsbegriff 246 f. - und Nebenbeschäftigung 154 f., 165 ff. - und Wartezeit 145 Betrieb - und Arbeitgeber 18, 185, 189, 193, 197, 205, 206 ff., 235, 245, 248 - Begriff 17f., 186 ff. - und Bestandsschutztheorie 246 f. - Betriebsteil 201 ff., 260 ff. - Betriebszweck 202 - eines konzernangehörigen Unternehmens 197 ff., 258 f. - Erscheinungsformen 185 ff. - und erster Kleinbetriebsbeschluß 189 ff., 228 - Filialbetrieb 201 - Gemeinschaftsbetrieb 193 ff., 204, 257 f. - Gesamtbetrieb 201 - als Grenze des Kündigungsschutzes 19 - Hauptbetrieb 200 - Nebenbetrieb 200 f., 259 f. - Organisationsstruktur 192 - als sozialer Organismus 27

297

- und Unternehmen 18, 184 ff., 189, 193, 203, 206 ff., 226 ff., 232 f., 235, 248 Betriebsbürger 26, 80, 248 Betriebsgemeinschaft 26, 79, 101 Betriebsteil 201 ff., 260 ff. - räumliche Einheit 202 f. Betriebszugehörigkeit 26 ff., 79 - Dauer derB. 39, 214 Betriebszweck 202 Bündnis 90/Die Griinen 222 f. CDU 216 ff., 222 Daseinsvorsorge 147 Demokratieprinzip 61 ff., 95 Deutscher Gewerkschaftsbund 214, 217 Dienstverpflichteter 146 f. Direktionsrecht 179, 195 Diskriminierung, D.-Schutz 44, 163, 171, 249 Disziplinierung 30, 181, 250 f., 253, 259, 268 Doppelverdienst 161 ff., 164 f., 170 ff. Drittinteressen 58, 73, 90 - Beriicksichtigung im einfachen Recht 108 ff. Eingliederung in fremde Arbeitsorganisation 28 f., 174 f., 179,251, 269 Eingriff - Finalität 58 - mittelbarer E. 58 Einheit der (Arbeits-) Organisation 184, 194, 203,238,245,251,254,257 Einschätzungsprärogative des Gesetzegebers 96 Einstellungshemnmis, Kündigungsschutz als E. 218,221 , 224 f., 236 enge persönliche Beziehungen I Zusammenarbeit 188, 191, 197, 209, 217, 221, 224 ff., 228 ff., 237 ff., 240 ff., 248, 252 ff. Entgeltfortzahlung 157 Existenzgrundlage, Arbeitsplatz als wirtschaftliche und soziale E. 17, 19, 24 ff., 34 f., 45, 69, 118 - und arbeitnehmerähnliche Personen 147 ff.

298

Sachverzeichnis

- und Flankenschutztheorie 81 f. - und Nebenbeschäftigung 154 f., 160, 166 f., 181 f. - und Wartezeit 145 FDP 217,219,222,224 Filialbetrieb 20 l finanzielle Belastbarkeit, Finanzausstattung 18,186,188,198,206,214 Flankenschutztheorie 28 f., 179 ff., 251 ff. - und arbeitnehmerähnliche Personen 180 - und Berufsfreiheit 81 f. - und Nebenbeschäftigung 180 ff. Flexibilität 188, 221 freie Mitarbeiter 49 freie Unternehmerentscheidung 275 Führungsvereinbarung 194 f., 196, 205 Gemeinschaftsbetrieb 193 ff., 204, 257 f. Generalklauseln, zivilrechtliche 16, 35 f., 36, 39, 40, 41 ff., 213, 215, 219 - und arbeitnehmerähnliche Personen 123, 131 f., 141, 144 - und Wartezeit 135 ff., 141, 145 Gesamtbetrieb 201 Gesellschaft bürgerlichen Rechts 195 Gesetzeslücke 208 f., 234, 275 Gewaltenteilung 61 f., 64, 96 ff. Gleichbehandlungsgrundsatz 15 f., 23, 124, 153,208,268 - und arbeitnehmerähnliche Personen 143, 145, 147, 152 f. - und Kleinbetriebsklausel 15 f., 188, 190, 222, 231 ff. - und Kündigungsschutz 36 f., 44, 176, 249,276 f. Grundrechte - liberal-abwehrrechtlicher Charakter 83 f., 90, 94 - objektive Theorie 35 f. - als Schutzpflicht: s. dort - als Werteordnung 37, 51, 84 Grundrechtskollision 67 Grundrechtskonkurrenz 53, 67 Handelsvertreter, arbeitnehmerähnliche 126 ff. - und Befristung 127

Handelsvertreterentscheidung des BVerfG 85, 87 ff. Hauptbeschäftigung 154, 180 Hauptbetrieb 200, 259 Heimarbeit, in H. Beschäftigte 122 ff. Heimatrecht im Betrieb 175 f. Hierarchie im Betrieb 238 f., 243 f. Hilfsfunktion des Nebenbetriebs 200 f. Humanisierung der Arbeitsbedingungen 242 f. IG Bauen-Agrar-Umwelt 222 Inhaltskontrolle - abgeschwächte I. 38 f. - Plausibilitätskontrolle 39 f. Insider 31, 51, 67, 78 Kleinbetriebsbeschlüsse 15 ff., 22, 34 ff., 55 f., 96 ff. - und Abstandsgebot 149 ff. - und Anrechnung von Teilzeitbeschäftigten 15 f., 224 f., 228 - und arbeitnehmerähnliche Personen 130 ff., 143 - und Betriebsbegriff 189 ff., 203 ff., 228 - und Sozialstaatsprinzip 103 ff. - und Wartezeit 145 Kleinbetriebsklausel 15 - Anrechnung von Teilzeitarbeitnehmern 16,221,224 - und Beschäftigungsförderung 225 ff. , 230 - Entstehungsgeschichte 209 ff. - und Lehrlinge 215 f., 219 - Sinn und Zweck 18 Kleinstbetrieb (§ 4 Abs. 2 BetrVG) 259 Kleinuntemehmer, Kleinunternehmen 189, 230 Kompetenz 61 f. - und Schutzpflicht 94 ff. Kongruenz 118 ff., 146 ff. Konkordanz, praktische 17, 34, 68,93 f. Konkurrenzschutz 29, 51,75 ff., 78, 81 f. Konzern 197 ff., 258 - Berechnungsdurchgriff im K., konzernweite Schwellenzahlberechnung 198 f., 256,258 f. Kündigung - als unbillige Härte 210, 211

Sachverzeichnis - außerordentliche 159 - eines Nebenarbeitsverhältnisses 155 f., 158 ff., 165 ff., 181 Kündigungseinspruch 211, 213 Kündigungsfreiheit 43 - Prinzip der grundrechtlich gebundenen K. 36 ff. Kündigungsschutz - als Bestandsschutz 26, 45, 118 f., 149 ff., 145, 148 f., 165 ff., l73f. - als Diskriminierungsschutz 44 - als Einstellungshemmnis 218, 221, 224 f., 236 - als Flankenschutz 28 f., 81 f., 179 ff., 251 ff. - als Schutz der Betriebszugehörigkeit 26 ff., 79 ff., 174 ff. - als Schutz vor Arbeitnehmerwettbewerb 31 f., 78 f., 176 f. - als wirtschaftlicher und sozialer Existenzschutz 24 ff., 78, 168 ff., 172 - und arbeitnehmerähnliche Personen 148 f., 178 f., 269 - außerhalb des KSchG 145, 266 ff. - Betriebsbezogenheil 27 - durch Fristen 123, 125, 127 - im Kleinbetrieb 16, 33 ff., 269 f. - durch Maßregelungsverbot 97, 136 f. - und Nebenbeschäftigung 154 ff., 165 ff. - und Ökonomie 51 f. - und Sozialstaatsprinzip 99 ff., 107 - verfassungsrechtlich gebotener Mindestschutz 16, 35 - zur Vertragsdurchsetzung 29 f., 82, 177 ff., 250 - "vorrechtlicher" K. 241, 245, 254 - während der Wartezeit 41, 43, 133 ff., 271 ff. - K. "zweiter Klasse" 43 f., 133 Lehrerfall des BAG 155 f., 158 ff., 165 ff., 180 ff. Lehrlinge 215 f., 219 Leitungsapparat, einheitlicher 184, 194 Maßregelungsverbot 97, 136 f., 267 ff. Mehrbetriebsunternehmen 185 ff., 191, 193, 203, 228, 230 f., 256, 258

299

Nebenbeschäftigung 154 ff. - als Befristungsgrund 155 f., 160, 167 ff. - und Bestandsschutztheorie 154 f., 165 ff. - und Entgeltfortzahlung 157 - und Flankenschutztheorie 180 ff. Nebenbetrieb 200 f., 259 f. - HUfsfunktion 200 f., 259 Outsider 31, 51, 67,78 Plausibilitätskontrolle 39 f. Privatautonomie - und Schutzpflicht 87, 89 Rätegedanke 210 Rechtsfortbildung 19, 207 ff., 234 f., 247 Rechtsmißbrauchkontrolle 41 Rechtsstaatsprinzip 62 ff., 95 Rechts(-un-)sicherheit 24, 44, 193, 233, 272 f. Reduktion, teleologische 166, 172, 192, 234 Relativität des Arbeitsverhältnisses 109, 117, 163 Rückwirkung von Fehlverhalten 240 f. Schutzpflicht, grundrechtliche 35 f. , 37, 39, 41, 42 ff., 82 ff. - Abgrenzung zum Sozialstaatsprinzip 87, 88 f. - und Arbeitsuchende 91 ff. - und arbeitsrechtlicher Beendigungsschutz 88 f. - Grundlage 83 - und Kompetenz 94 ff. - und Kündigung außerhalb des KSchG 139 - und Privatautonomie 87, 89 - im rechtsgeschäftliehen Bereich 86 ff. - und Stufenlehre 90 f. - und zivilrechtliche Generalklauseln 85 Schutzprinzip, arbeitsrechtliches 53 Schwellenzahl 17, 33, 183, 185, 193, 195, 197 ff., 202, 223 - Entstehungsgeschichte 209 ff., 216 ff. Sozialauswahl 31, 43, 132, 159, 162 f., 171 ff., 276 f. soziale Rücksichtnahme, Gebot der s. R. 274 ff.

300

Sachverzeichnis

Sozialstaatsprinzip 26, 35, 40, 41, 49, 52, 98 ff., 130, 221, 227 - Adressat 101 ff. - Abgrenzung zur grundrechtliehen Schutzpflicht 87, 88 f. - und Arbeitslosigkeit 106 ff. - im ersten Kleinbetriebsbeschluß 103 ff. - und Kompetenz 101 ff. - Konkretisierung 102 - und Kündigung außerhalb des KSchG 139 - und Kündigungsschutz 99 ff., 107 f. - und liberal-rechtsstaatliche Theorie 99 f. - und Zweischneidigkeit 104 f. Sozialwidrigkeit 135 - evidente 40 f. SPD 216,222 f. Sperrwirkung 49 f., 79, 82, 107 Stufenlehre 66 ff., 79 - Anwendbarkeit 53, 66 ff. - Ausübungsregelungen 60 - berufsregelnde Tendenz 58 - Berufswahl 51 - Eingriffsrechtfertigung 65 ff. - und grundrechtliche Schutzpflicht 90 f. - objektive Zulassungsschranken 59 f. - subjektive Zulassungsregelungen 59 Taylorismus 242 f., 245 technozentrische Arbeitsorganisation 242 f., 245 Teilhabe am Betrieb 26 Teilzeitarbeitsverhältnis 154, 155, 157, 220, 221 teleologische Reduktion 166, 172, 192, 207 ff. Theorie, dogmatische - ad hoc-Hypothese 24, 148 - Begriff und Funktion 23 - Konsistenz 23 - des Kündigungsschutzes 19 f., 22 ff. - und positives Recht 19 f., 23, 78 - Prüfbarkeil 23 f. Theorie der objektiven Gesetzesumgehung 128, 156

überobligationsmäßiges 30, 82, 249 f.

Arbeitsverhalten

Umgehungsgefahr 192, 255 f. Unterbietungswettbewerb 31, 78, 176 f., 249 Unterhaltsverpflichtungen 39, 162, 171 Untermaßverbot 40, 42, 132 Unternehmen, Unternehmer 18, 184 ff., 189, 203, 226 ff., 230, 235, 248 - abhängiges/herrschendes U. 198 f., 256, 258 f. unvollständiger Vertrag 28, 81, 251 Verbot des widersprüchlichen Verhaltens, venire contra factum proprium 135, 182 verfassungskonforme Auslegung 18, 190, 193, 207 ff., 224, 235 Verfassungsrechtlich schutz 16, 35

gebotener

Mindest-

Verfestigung der Arbeitsplatzverteilung 29, 48, 57, 114 Verflochtenheit der Arbeitsbedingungen 28, 81, 251 ff., 259 f. Verhältnismäßigkeilsgrundsatz 40, 44, 234 f. - Erforderlichkeil 235 ff. Vermögen des Arbeitnehmers, V.- Verhältnisse 162, 163 ff., 170 ff. Verteilungsgerechtigkeit 50 Vertragsdurchsetzung 29 f., 82, 177 f., 250 Vertragsfreiheit 41 Vertrauensverhältnis im Betrieb 18, 186, 189 Verwaltungsaufwand 18, 190, 217, 238 Verwerfungskompetenz 62, 65 Vorbehalt des Gesetzes 61, 95 Warteschleifenentscheidung des BVerfG (s. auch Abwicklungsentscheidung) 40, 43, 55,85 WDR-Entscheidung des BVerfG 43, 49, 104 ff. Werkunternehmer 146 Wertordnung der Grundrechte 37, 51

Sachverzeichnis Wertungswiderspruch 23, 148, 153, 169, 176,233,249,260 Wesentlichkeitslehre 61 f., 63 f. Wettbewerb 27, 29, 49, 52, 67, 75 f., 249 - um Verbleib im Betrieb 31, 249 Wettbewerbsbeziehung, nicht voll kompatible W. 52, 66 f. Willkür, W.-Schutz 16, 27, 28, 35 f., 38, 40, 79, 81, 124, 130, 138, 179, 213, 241, 244, 251, 268, 272 ff.

wirtschaftliche Belastbarkeit 188, 224 ff., 228 ff., 232 ff., 246 f. Wortsinngrenze 207 f.

301 197,

Zentrum 217 Zugang zum Arbeitsverhältnis 48, 50 f., 72 f., 97, 105, 236,277 Zumutbarkeit, finanzielle bzw. wirtschaftliche Z. 186, 230, 232, 246 f. Zweischneidigkeit 31,49 ff., 104 ff., 227