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German Pages 608 [620] Year 2013
VITRUV Zehn Bücher über Architektur
Lateinisch und deutsch. Übersetzt und mit Anmerkungen versehen von CURT FENSTERBUSCH
Umschlagabbildung: Säulenordnungen und Tempel. Schautafel aus: Album des Klassischen Altertums. Hrsg. von Hermann Rheinhard. Gera, C. B. Griesebach’s Verlag, 3. Aufl. 1891 (Ausschnitt). © akg-images. Umschlaggestaltung: Peter Lohse, Heppenheim Für die 3. Auflage wurde Abbildung 7,3 ausgewechselt.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. 7., unveränderte Auflage 2013 © 1964 by Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 5. Auflage 1991 Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de
ISBN 978-3-534-32011-0 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-73829-8 eBook (epub): 978-3-534-73830-4
IN MEMORIAM UXORIS CARISSIMAE ANNA FENSTERBUSCH EX GENTE HERRMANN
ZUM GEDENKEN AN MEINE FRAU ANNA FENSTERBUSCH GEB. HERRMANN
INHALTSVERZEICHNIS EINLEITUNG Die Person des Verfassers . . . . . . . . Das Werk. Die Zeit der Niederschrift. Die Quellen . . . . . . Die Sprache . . . . . . . . . . Das Nachleben Vitruvs . . . . . Die handschriftliche Überlieferung Ausgaben . Übersetzungen. . . . . . . . . Gestaltung und Einrichtung dieser Ausgabe . Literatur . . . . . . .
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ABKÜRZUNGEN. . . . . . . . . . . .
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VITRUV. ZEHN BÜCHER ÜBER ARCHITEKTUR (TEXT UND ÜBERSETZUNG) ERSTES BUCH Vorrede. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Ausbildung des Baumeisters . . . . . . 11. Die ästhetischen Grundbegriffe der Baukunst 111. Die Teilgebiete der Baukunst. . . . . . . . . IV. Von der Wahl gesunder Plätze . . . . . . V. Die Anlage der Türme und Mauern. . . . . . VI. Die Ausrichtung der Straßenzüge mit Rücksicht auf die Winde. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. AuswaW der Plätze für das Forum und die Göttertempel. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20 22 36 42 44 52
ZWEITES BUCH Vorrede. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vom Ursprung der Gebäude . . . . . . . . . . . 11. Die Ansichten der Naturphilosophen über die Grundstoffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 3 6 8 10 11 13 13 14
58 70
74 79 86
Inhaltsverzeichnis
VIll
111. IV. V. VI. VII. VIII. IX. X.
Über die Ziegel. . Vom Sande Vom Kalk . . . . . Über Puteolanerde Von den Steinbrüchen. . Die Arten des Mauerwerks. . Vom Bauholz . . . . . . Die Obermeer- und die Untermeertanne
86 90 92 94 100 102 116 128
DRITTES BUCH Vorrede . I. Von den Symmetrien der Tempel . . . 11. Von den verschiedenen Tempelformen . 111. Von den fünf Arten der Tempel . . . IV. Über die Fundamentierung der Tempel V. Der ionische Stil . . . . . . . . . .
132 136 142 144 152 154
VIERTES BUCH Vorrede. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Über die Entstehung der drei Säulenordnungen und die Maße der korinthischen Kapitelle . . . . 11. Von der Entstehung des Säulenschmucks . . . . . 111. Vom dorischen Baustil. . . . . . . . . IV. Vom Tempelinnern und dem Pronaon (Vorhalle) V. Über die Lage der Tempel . . . . . . . . . . VI. Von den Tempeltüren und ihren Umrahmungen VII. Vom tuskanischen Tempel . . VIII. Von den Rundtempeln . . . IX. Von der Anlage der Altäre. .
166 166 174 180 186 188 190 194 196 200
FÜNFTES BUCH Vorrede. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Von der Anlage der Märkte und der Basiliken. . . . 11. Von der Anordnung des Schatzhauses, des Kerkers und des Rathauses . . . . . . . . . . . . . . . 111. Die Auswahl des Platzes für das Theater . IV. Die Harmonielehre des Aristoxenos . ..... V. Über Schallgefäße im Theater. . . . . . .
202 204 210 212 214 220
Inhaltsverzeichnis
IX
VI. Auswahl des Platzes für das Theater nach örtlich gegebenen akustischen Verhältnissen . . . . . . . VII. Über die Durchführung des Theaterbaus . . . . . . VIII. Abweichungen in der Formgebung beim Theater der Griechen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Säulengänge und Wandelhallen hinter den Bühnenhäusern . . . . . . . . . . . . X. Über die Anlage von Bädern . . . . . . . . . XI. Über die Anlage von Ringschulen . . . . . . . XII. Über die Anlage von Häfen und Wasserbauten .
226 226 234 236 242 246 248
SECHSTES BUCH Vorrede. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Über die Berücksichtigung der klimatischen Verhältnisse bei der Anlage von Privatgebäuden . . . 11. Über die Symmetrien bei Privatgebäuden im allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111. Von der Anlage der Höfe, der Atrien, der Seitengemächer, der Tablinen und Peristyle, der Speisezimmer, der Exhedren und der Gemäldesäle und deren Größenmaßen . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Wie man bei der Anlage der einzelnen Räume auf die Himmelsrichtungen Rücksicht nehmen muß . . . . V. Über die Anordnung von Räumen für den Privatgebrauch und Anlage der Gebäude nach der sozialen Stellung der Bewohner . . . . . . . . . . . . . VI. Über die Anlage ländlicher Gebäude. . . . . . . . VII. Von den griechischen Wohnhäusern und ihrer Anordnung. . . . . . . . . . . . . . . VIII. Von unterirdischen Räumen, Gewölben und auf Pfeilern errichteten Gebäuden . . . . . . . .
256 262 270
272 280
282 284 288 294
SIEBENTES BUCH Vorrede. . . . . . . . . . . . I. Vom Estrich . . . . . . . 11. Vom Löschen des Kalks und die Herstellung von Stuck .
. . . . den . .
. . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorbereitungen für . . . . . . . . .
302 314 318
x
Inhaltsverzeichnis
111. Anlage von gewölbten Decken. Bereitung von Stuck und Verputz . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Über Verputz an feuchten Wänden, die Ausschmückung von Winterwohnräumen und Herstellung des Estrichs nach griechischer Methode . V. Von der Wandmalerei . . . . VI. Vom Marmor . . . . . . VII. Von den natürlichen Farben VIII. Über Zinnober und Quecksilber IX. Über die Zubereitung des Zinnobers, die Fundorte des Berggrüns, Armenischblau und Indigo. . X. Über künstliche Farben. Schwarz . . . . . . . . . XI. Stahlblau und Gelb . . . . . . . . . . . . . . . XII. Über Bleiweiß, Kupfergrün und Sandarak (Mennige). XIII. Vom Purpur . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIV. Von künstlichem Ersatz für Purpur, Attisch-Ocker, Berggrün und Indigo . . . . . . . . . . . . . .
320
328 332 338 338 340 342 346 348 348 350 350
ACHTES BUCH Vorrede. . . . . . . . . . . . . . . I. Von der Auffindung des Wassers 11. Vom Regenwasser . . . . . . . 111. Von den warmen Quellen und den Eigentümlichkeiten verschiedener Gewässer . . . . . . ..... IV. Von der Prüfung des Wassers . . . . . . . . . . V. Von den Methoden der Nivellierung . . . . . . . VI. Anlage einer Wasserleitung, Graben von Brunnen und Zisternen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
354 356 362 368 386 388 390
NEUNTES BUCH Vorrede. . . . . . . . . . . . I. Das Weltall und die Planeten . 11. Vom Monde . . . . . . . . . . . . 111. Wie die Sonne beim Durchgang durch die Sternbilder die Tagesstunden verkürzt oder verlängert . . IV. Die nördlichen Sterngruppen . ..... V. Die südlichen Sterngruppen VI. Über Astrologie . . . . . .
402 412 424 428 430 434 436
Inhaltsverzeichnis
XI
VII. Die Herstellung eines Analemma . . .~ . . . . . . 438 VIII. Über verschiedene Arten von Uhren und ihre Erfinder 444 ZEHNTES BUCH Vorrede. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Über Maschinen und ihren Unterschied zu Werkzeugen 11. Die Zug-Hebemaschine . . . . . . . . . . . . . 111. Über das Geradlinige und den Kreis als Grundfaktoren der Mechanik. . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die verschiedenen Arten der Wasserschöpfmaschinen . V. Über Wasserräder in Flüssen und Wassermühlen VI. Die Wasserschnecke. . . . . . . . . VII. Das Wasserdruckwerk des Ktesibios . VIII. Von der Wasserorgel . . . . . . IX. Die Einrichtung eines Taxameters . X. Von Katapulten und Skorpionen . XI. Die Einrichtung der Ballisten. . . . XII. Die Bespannung der Katapulte und Ballisten XIII. Über Belagerungsmaschinen . . . . . . . XIV. Die Schildkröte zum Einebnen von Gräben XV. Andere Schildkröten und die Schildkröte des Hegetor XVI. Über Verteidigung . . . . . . . . . . . . .
456 458 462 474 480 482 484 488 490 494 498 502 508 510 514 518 522
ANMERKUNGEN ZU TEXT UND ÜBERSETZUNG
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INDEX NOMINUM .
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ABBILDUNGEN
EINLEITUNG Die Person des Verfassers
Wider den Brauch des Altertums erscheint in allen Handschriften, die unmittelbar auf den Archetypus zurückgehen, als Name des Verfassers lediglich der Gentilname Vitruvius, und auch die Schriftsteller, die ihn zitieren, wie Plinius, Frontin, Faventin, Sidonius Apollinaris (um 430-480 n. Chr.), nennen ihn nur einfach Vitruvius. Erst seit Beginn des 15. Jh.s erscheinen in den Hs. Vornamen, bald L., bald C., bald M., bald M. L., die aber unter den gegebenen Umständen keinen Anspruch auf Zuverlässigkeit haben können. Ebenso wenig wie einen Vornamen überliefern die ältesten Hs. ein Cognomen, und wenn bei Faventin als Schriftsteller über Architektur Vitruvius Polio a/iique angeführt werden, so kann diese zweideutige! Stelle ebensowenig ein Be\veis für das Cognomen Polio sein wie die Angabe im Vatic. IX (Ausgang des 15. Jh.s) Vilruvii Pol/ionis perilissimi cl e/oquentissioJi viri etc. Da unser Autor nach seiner eigenen Angabe im Heere Caesars mit der Herstellung der Waffen für die Heeresartillerie beschäftigt war, liegt der Gedanke nahe, ihn mit dem von Plin. nato 36,48 erwähnten, in Formiae geborenen, römischen Ritter Mamurra zu identifizieren, der nach Plinius praefectus fabrum Caesars in Gallien war, und P. Thielscher hat RE IX A 1 487 ff. sich in mühsamer Kleinarbeit bemüht, diese Identität glaubhaft zu machen. Sieht man diesen Nachweis als gelungen an, dann wäre als voller Name L. Vitruvius Mamurra anzunehmen, der sein Werk aber aus irgendwelchen Gründen nur unter seinem Gentilnamen veröffentlicht hat. Wann der Verfasser geboren ist, läßt sich nicht mit Sicherheit bestimmen. Thielscher nimmt als Geburtsjahr das Jahr 84 v. Chr. an Auf die Zweideutigkeit dieser Stelle hat zuerst Choisy in seiner Ausgabe (Bd. 3,259) hingewiesen und die notwendige Folgerung daraus gezogen: "Nous risquons, entre les mots Vitruvius et Polio, l'interposition d'une virgule: Vitruvius, Polio et autres auteurs." Dans cet ordre d'idees, Polio se presenterait comme un personnage distinct, auteur d'un traite parallele a celui de Vitruve. ce 1
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Einleitung
und dürfte damit wohl den ungefähren Zeitpunkt getroffen haben. Der junge Vitruvius erhielt von seinen Eltern eine gediegene Ausbildung als Architekt, d. h. im Sinne der Antike als Ingenieur. Offensichtlich trat er früh in den Heeresdienst ein 2 • Unter Caesar gehörte er jedenfalls zu dessen Stab, leitete den Bau von Kriegsmaschinen und trat nach dessen Tod, 44 v. Chr., in gleicher Eigenschaft in die Dienste des Augustus. Wann seine Emeritierung erfolgte, läßt sich nicht mit Sicherheit bestimmen. Wie aus 207,5ff. und Frontin Kap. 25 3 zu schließen ist, war V. auch bei dem Bau der römischen Wasserleitung tätig. Vermutlich gehörte er als architectus zum Stabe des M. Vipsanius Agrippa, als dieser als Aedil die Versorgung der Privathäuser mit Wasser verwirklichte (33. v. Chr.). Da V. schwerlich zu dieser Zeit noch im Heeresdienst tätig sein konnte, ist wohl die Annahme berechtigt, daß seine Emeritierung vor 33 v. Chr. erfolgt sein muß. Auch nach seiner Endassung aus dem Heeresdienst hatte V. enge Beziehungen zum Kaiserhaus, besonders zu Augustus Schwester Octavia, auf deren Fürsprache hin V. von Augustus Geldzahlungen erhielt, die es ihm ermöglichten, sorglos seinen Lebensabend zu verbringen. V. hatte sich nach seiner eigenen Angabe (133,8) dem StudiuHl der Architektur gewidmet, nicht um damit Geld zu verdienen. Er hat sich nie darum bemüht, Bauaufträge zu bekommen und ist daher - ebenfalls nach seiner eigenen Angabe - zu seinen Lebzeiten ein wenig bekannter Architekt geblieben. Er erwähnt nur einen von ihm selbst ausgeführten Bau, die Basilika in Fano (106,12ff.), und es ist durchaus unwahrscheinlich, daß er noch andere Bauten ausgeführt hat. Seine Hauptbeschäftigung als Architekt scheint der Bau von Geschützen und die Betätigung beim Bau der römischen WasserI Ist V. mit Mamurra identisch, dann muß er, wie aus Catu1129,18 zu erschließen ist, schon im 1. Mithridatischen Krieg (66 v. ehr.) unter Pompejus Heeresdienst getan haben. S Postea modulus nec ab uncia nec ab alterutro digitorum originem accipiens inductus, ut quidam putant, ab Agrippa, ut alii a plumbariis per Vitruvium architectum in usum urbis exclusis prioribus venit, adpellatus quinariae nomine. ..• qui Vitru"ium et plumbario.f (allctorem Jaciunt, dicunt) ab eo, quod plumbea lammina plana quinque djgitorum latitlldinem habens circllmacta in rotundum hunc fistulae modulu11l efficiat. Vgl. hierzu Vitr.
207,25.
Das Werk. Die Zeit der Niederschrift
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leitungen gewesen zu sein. Wenn wir seinen Worten Glauben schenken dürfen, bedeutete ihm materieller Reichtum sehr wenig (133,15). Bescheidenen Besitz mit gutem Ruf schätzte er höher als Reichtum verbunden mit schlechtem Ruf. Seine Hoffnung, der Nachwelt bekannt zu sein, gründete er auf die Herausgabe seines Werkes. (Ist Vitruv mit Mamurra identisch, dann war er mindestens zeitweilig ein schwerreicher Mann. Er besaß auf dem Caelius ein Haus, dessen Wände mit Marmorplatten geschmückt und dessen Säulen massive Marmorsäulen waren!) Das Werk. Die Zeit der Niederschrift
De architectura ist das einzige aus dem Altertum erhaltene Werk über Architektur und bedeutete bei seinem Erscheinen insofern etwas Neues, als es als erstes das Gesamtgebiet der Architektur im weitesten Sinne umfaßt. Es ist dem Augustus gewidmet, damit er die Qualität der von ihm schon errichteten und nOt:h geplanten Bauten beurteilen könne, sollte aber doch zugleich eil.. Lehr- und Nachschlagebuch für FacWeute und Laien sein. Buch 1 behandelt die von V. für notwendig erachtete Ausbildung des Architekten, eine Definition der ästhetischen Grundbegriffe, die Einteilung der Architektur in ihre Einzelgebiete und schließt mit einer Vorschrift über die Anlage von Städten. Auf Buch 2, das die Baumaterialien behandelt, folgen in Buch 3 und 4 Vorschriften über den Tempelbau, in Buch 5 die zweckmäßige Anlage öffentlicher Gebäude, in Buch 6 und 7 die Anlage der Privathäuser und ihre Innenausstattung. Buch 8 bringt Anweisungen über Auffindung von Wasser und Bau von Wasserleitungen, Buch 9 nach einer Erörterung astronomischer Fragen den Bau von Uhren, Buch 10 schließlich den Bau von Maschinen. Die Anlage des Werkes folgt also der 15,5 gegebenen Einteilung der Architektur. Eingeschoben sind Buch 2 über die Bauinaterialien und Buch 8 über das Wasser. Jedes Buch bildet eine in sich abgeschlossene Einheit, und jedem Buch ist eine Vorrede vorangestellt. Diese Vorreden stehen iri keiner oder doch höchstens sehr loser Beziehung zum Inhalt des Buches, dem sie vorangestellt sind, enthalten aber eine kurze Inhaltsangabe der vorhergehenden Bücher und einen Hinweis auf. den Inhalt des
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Einleitung
folgenden Buches. Sie haben nach Schramm 4 den Zweck, auf den hohen Nutzen des Werkes hinzuweisen. Die Annahme Schramms, daß sie alle nach Vollendung des Werkes verfaßt sind, scheint mir bestätigt durch die Vorrede zu Buch 2. Hier (32,23) charakterisiert sich V. als einen Mann, dem das Alter das Gesicht entstellt, Krankheit die Kräfte genommen hat. Wäre V. vor der Abfassung von Buch 2 ein solcher kranker Mümmelgreis gewesen, "räre er kaum in der Lage gewesen, noch die übrigen 8 Bücher zu schreiben. Ob freilich die Vorreden alle der Reihe nach "wie aus einem Guß" niedergeschrieben sind, mag hier zunächst dahingestellt bleiben 5. Für die Entstehungszeit des Werkes haben wir nur einen direkten Hinweis auf den Beginn der Arbeit: Nach des Verfassers Angabe war der schon oben erwähnte Gnadenerweis des Augustus für ihn der Anlaß, das Werk zu beginnen, d. h. daß er seine Arbeit ein Jahr oder mehrere Jahre nach seiner Emeritierung begonnen hat. Ein bestimmtes Jahr ist damit nicht gewonnen, aber man wird nicht fehlgehen, wenn man den Beginn der Arbeit in die zweite Hälfte der dreißiger Jahre setzt, und zwar noch vor 33 v. Chr., da V. im dritten Buch (69,19) die porticus Metelli erwähnt, die nach 33 v. Chr. durch die porticus Octaviae ersetzt \vurde 6 • A. Schramm, Die Vorreden in Vitruvs de architectura. PhW. 1932, 860ff. Die Vorrede zu Buch 8 unterscheidet sich von denen aller anderen Bücher dadurch, daß sie allein keine Anrede an den Imperator enthält. - An der Vorrede zu Buch 10 ist die Art auffällig, in der auf den Inhalt der ~orhergehenden Bücher hingewiesen ist. Während die entsprechenden Angaben in Buch 8 (185,10: quol1iam in prioribu.r .reptem voluminibu.r ratio?te.r aedijiciorum .runt expo.ritae) und Buch 9 (218,15: prioribu.r .reptem de aedijicii.r, octavo de aquis) sehr genau und durchaus zutreffend sind, heißt es in Buch 10 (243,20): quoniam de aediftcii.r in prioribu.r voluminibu.r 'expo.rui, in hoc, quod jinitionem .rummlJm torpori.r habel con.rtitutam • . • Liegt in dieser unkorrekten Angabe eine Nachlässigkeit Vitruvs oder eine Lücke im Text vor? - Im Hinblick auf die Erfindungen des Ktesibios (260,20) findet sich die genauere Angabe: i/z priore volumine de horologiis, in hoc de expre.r.rionibu.r aquae dicendllm putavi. 6 Der Ersatzbau, die porticus Octaviae, erhielt wohl erst nach ihrer Vollendung, nach 23 v. Chr., den offiziellen Namen, aber, da V. die porticus Metelli als ein Beispiel anführt, kann doch nur der unversehrte Bau von vor 33 v. Chr. gemeint sein. - Ferner erwähnt V. ebenfalls im 3. Buch 71,20 den Cerestempel, der 31 v.Chr. ' abbrannte. - Den Beginn der Arbeit vor 31 v. Chr. nehmen außer anderen auch 4
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Das Werk. Die Zeit der Niederschrift
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Daß ein solches \\Terk, das umfassende Vorarbeiten erfordert, nicht in einigen wenigen Jahren verfaßt sein kann, liegt auf der Hand, aber wie lange V. daran gearbeitet hat, läßt sich nur aus einzelnen Stellen des Werkes selbst erschließen. 107,3 ist von dem aspectus pronai Augusti 7 die Rede. Augustus hieß der Kaiser erst seit 16. Januar 27 v. Chr. Folglich muß V. nach diesem Zeitpunkt an Buch 5 gearbeitet haben. Ferner hat Wistrand darauf hinge\lliesen, daß wohl 203,6 Africa parens et nutrix ferarum bestiarunl als eine Reminiszenz an Horaz Oden 1,22,15: nec Jubae teIbis generat, feonum arida ntltrix anzusehen ist. Da die 3 Bücher Oden Sommer 23 v. Chr. herausgegeben sind, kann, wenn Wistrands Vermutung zutrifft, Buch 8 frühestens 23 v. Chr. verfaßt worden sein. Dafür, daß man die Vollendung des Werkes noch weiter herabverlegen kann, liegen keine Anzeichen vor. In der Vorrede zu Buch 10 (243,19) spricht V. von der Ausrüstung der Spiele durch die Prätoren und Ädilen. Nach Dio Cassius wurde diese Ausrüstung 22 v. Chr. allein den Prätoren übertragen. Sind die Vorreden nach Vollendung des Werkes abgefaßt, dann muß also Buch 10 vor 22 v. Chr. fertig vorgelegen haben und damit das Gesamtwerk zu diesem Zeitpunkt vollendet gewesen sein 8 • Zwischen der Vollendung des Werkes und der Herausgabe hat V. nach der Vorrede zu Buch 1 (1,5ff.) eine gewisse Zeit verstreichen lassen. Thielscher weist darauf hin, daß in den Worten 1,6 non audebam, tantis occupationibus, de architectura scripta edere vielleicht eine Reminiszenz an Horaz Episteln 2,1,1 zu sehen ist: cum tot sustineas et tanta negotia solus, res Italas tuleris, moribus ornas, fegibus emendes: in publica commoda peccem, si fongo sermone morer lua tempora, Caesar. Da diese Epistel im Jahre 14 v. Chr. geschrieben ist, könnte die Vor-
rede zu Buch 1 frühestens 14 v. Chr. verfaßt und damit das Werk frühestens zu diesem Zeitpunkt herausgegeben worden sein. Dann an: Dieterich, Quaestionum Vitruvianarum specimen. Diss. Leipzig 1906, Kro hn (vor 31 v. ehr. verfaßt) und Sontheimer (vor 32 v. Chr. fertiggestellt). 7 Die Richtigkeit der Schreibung Augusti von Sontheimer, der dafür augusti = würdevoll lesen will, trotz der Zustimmung Sackurs mit Unrecht angezweifel t. Die Hs. S überliefert angusti. 8 Thielscher läßt das Werk frühestens 14 v. Chr. abgeschlossen sein, macht aber keinen Unterschied zwischen Abschluß des Werkes und Herausgabe.
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Einleitung
muß man also annehmen, daß die Vorreden nicht alle in einem Zuge und aus einem Guß verfaßt sind - die Vorrede zu Buch 10 muß ja, wie wir sahen, vor 22 v. Chr. verfaßt sein - und daß V. sein fertiges Werk etwa 8 Jahre hat liegen lassen. Ob ein so langer Zeitpunkt zwischen Vollendung und Herausgabe annehmbar ist, wage ich nicht zu entscheiden.
Die Quellen Die Quellenforschung hat bei Vitruv z. T. mit erheblichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Den Stoff für sein Werk boten Vitruv 1. der Unterricht bei verschiedenen Lehrern, 2. eigene Erfahrung und eigene Beobachtungen, 3. eine große Anzahl von, vornehmlich griechischen, Fachschriftstellern. Verhältnismäßig leicht lassen sich die Abschnitte erkennen, in denen V. wiedergibt, was er seinen Lehrern verdankt, weil er diese Abschnitte durch Hinweise wie quemadmodum a praeceptoribus accepi (z. B~ 91,11) kennzeichnet. Ob er hier, wie Sontheimer meint, zu "Unterrichtszwecken zugeschnittene Auszüge aus der Literatur der Alexandrinerzeit" zu Grunde gelegt hat oder eigene bei den Vorträgen seiner Lehrer gemachte Notizen, muß dahingestellt bleiben. Wer die Lehrer waren und wie sie hießen, wissen wir nicht und werden wir wohl nie erfahren, da Vitruv trotz der hohen Verehrung, die er für seine Lehrer hegt, nirgends ihre Namen nennt. Auf eigene Erfahrungen aus seiner praktischen Tätigkeit als Geschützbauer weist V. 269,11 (quae ipse faciundo cognovi), auf eigene Beobachtungen bei der Besprechung der Wasserquellen 204,7 (nonnulla ipse per me perspexi) hin. Sicherlich haben sich aber die eigenen Beobachtungen, die V. in seinem Werk verarbeitet hat, nicht auf solche an Wasserquellen beschränkt. Als Teilnehmer an den Feldzügen Caesars in Spanien, Gallien 9 und Britannien bot sich ihm ja I·Unerklärlich bleibt freilich, daß V. 190,16 unter den Flüssen, die von N. nach S. fließen, auch den Rhein nennt. Er sagt zwar, diese Angabe finde sich in Erdkarten und Erdbeschreibungen, aber wenn er, wie Thielscher annimmt, der Erbauer von Caesars Rheinbtücke war, mußte er doch erkennen, daß diese Angabe falsch ist, und es bleibt unverständlich, warum er sie dann doch weitergab, statt sie einfach wegzulassen.
Die Quellen
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zu Beobachtungen verschiedenster Art reichlich Gelegenheit. Zweifellos geht z. B. das, was V. 59,17 über die Unverbrennbarkeit des Lärchenholzes sagt, auf eigene Beobachtung bei der Belagerung von Larignum zurück. Freilich steht hier die Quellenforschung oft vor Schwierigkeiten und Unsicherheiten, da V. außer an der oben angeführten Stelle keine Hinweise gibt. Jedoch läßt z. B. die malerische Ortsbeschreibung von Halikarnaß (49,26) darauf schließen, daß V. hier aus eigener Anschauung schildert, also (vielleicht auf einer Studienreise?) einmal in Halikarnaß war und dann wohl auch andere Orte Kleinasiens besucht hat. Bei den Fachschriftstellern nennt V. nur vereinzelt für besondere Abschnitte ihre Namen, z. B. 8,5 Pytheos (ait in suis commentariis), 110,25 Aristoxenos (ex Aristoxenis scripturis interpretabor), 260,20 Ktesibios, 275,18 Diades. Im allgemeinen jedoch faßt er die Schriftsteller in Katalogen zusammen, ohne im einzelnen anzugeben, für welche Stelle er einen der im Katalog genannten Schriftsteller benutzt hat. So werden beispielsweise von den 12 Schriftstellern über das Maschinenwesen, die er 162,2ff. als seine Quellen anführt (quorum ex commentariis, quae uti/ia esse his rebus animadverti, co//ecta in unum corpus coegi), 6 später überhaupt nicht wieder erwähnt 1o• In solchen Fällen wird die Quellenfrage schwierig, so daß die Ergebnisse der Quellenforschung, soweit sie gesichert erscheinen, nur in großen Zügen wiedergegeben werden können. Außer Zweifel steht, daß die naturphilosophische Weltanschauung, die im ganzen Werk immer wieder zum Ausdruck kommt, aus Lucretius de rerum natura geflossen ist. Von lateinischen Schriftstellern hat Vitruv sonst noch aus Varros antiquitates und de re rustica geschöpft. Für den Abschnitt über die Wasserquellen (192,10ff.) ist außer einem Einschub aus der Mirabilienliteratur und eigenen Beobachtungen Vitruvs von den 204,6 genannten Schriftstellern Poseidonios 7tEpt WXECl'JOU die Hauptquelle. Auch die Geographie der Rassen (134,32ff.) dürfte als aus Poseidonios stammend anzusehen sein. Für die astronomischen Kapitel im 9. Buch schließlich ergibt 159,1 gibt V. einen Katalog von FachschriftsteIlem über Symmetrie, anschließend, 160,2, einen von Fachschriftstellern über Maschinenbau. 204,6 sagt er nur allgemein: cetera in /ihris Graecis scripta inveni, quorum scriptorum hi sunt auctores: Theophrastus, Timaeus, Posidinios, Hegesias, Herodotus, Aristides, Metrodorus. 10
8
Einleitung
sich als Hauptquelle, neben einer Aratparaphrase und einer wG>hl nach einem Globus gearbeiteten Schrift, Arat 11 • Die oben besprochenen Quellen haben den Stoff für den größten Teil des Werkes geliefert, aber doch auch wieder nicht allen. Aus Vitruv selbst als schöpferisch-planendem Baumeister stammt der Entwurf der Basilika in Fano (106,12ff.). Und daß auch der Gedanke, das \Vasser in die Stadt Rom von 3 getrennten Sammelbecken aus zu leiten, von Vitruv stammt, zeigen seine Worte 207,13: haec autem quare ditJisa cOl1stituerim, hae sunt causae, wie man sich denn überhaupt bei den technischen Kapiteln über die ~Tasserleitung (205,17 ff.) des Eindrucks schwer erwehren kann, daß hier der Wasserbauingenieur Vitruv, ohne auf eine Quelle zurückzugreifen, zu uns spricht. Vielleicht gehört zu diesen von Vitruv selbst erdachten Entwürfen auch die Grundrißkonstruktion des theatrum latinum. Jedenfalls legt der verkrampfte Versuch, mit 5 Dreiecksecken die compositio scenae zu bestimmen, den Gedanken nahe, daß es sich hier um einen (nie zur Ausführung gelangten!) Reißbrettentwurf handelt, zu deIn die (in Priene wirklich ange\vandte) Grundrißkonstruktion des theatrum Graecorum mit Hilfe von 3 Quadraten als Vorbild gedient hat. Sicher. läßt sich auch sonst noch rein vitruvianisches Gedankengut ausfindig machen (z. B. die Kritik an der zeitgenössischen Wandmalerei 173,1), und es \väre angebracht, daß die Quellenforschung auch hierauf einmal ihr Augenmerk richtete. Die Sprache 12
Vitruvs Sprache ist oft bitterer Kritik ausgesetzt gewesen. Man hat den Stil abstoßend, ungehobelt, ungebildet, die Sprache unverständ.. lich genannt, und in der Tat ist de architectura gewiß kein literarisches Kunstwerk. Jedoch darf man nicht außer acht lassen, daß V., wie er 11 Wenn V. 231,18 sagt, er habe die Sternbilder natllra divil1aqlle mente designa/a s uti Democrito physico placuit, dargestellt, so kann das, da er ohne Zweifel aus den angeführten Quellen geschöpft hat, nicht bedeuten, daß er sie nach den Schriften Demokrits dargestellt hat. Die Worte ut Democrito physico plac!{it können sich nUf auf die vorhergehenden Worte natura divinaque mente designata beziehen. 12 Von neueren Arbeiten über Vitruvs Sprache sei besonders hingewiesen auf di, von E. Wistrand: Vitruviusstudier und De Vitruvii sermone. Apophoreta Goto burgensia. Göteborg 1936, 16 ff.
Die Sprache
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selbst betont, als Architekt, d. h. als Mann der Praxis, schrieb, und Männer der Praxis schreiben zu allen Zeiten anders als Philosophen, Rhetoren oder andere Gelehrte. V.s Sprache ist für uns ein seltsames Gebilde. Neben deutlichen Spuren der Volkssprache finden sich einerseits altertümliche Formen (z. B. die alten Genitive materies 58,24; 60,12. notities 133,9. planities 233,21), andererseits sprachliche Erscheinungen, die sich im allgemeinen erst im Spätlatein finden, so daß man V. ins 3. oder 4. nachchristliche Jh. setzen wollte13 • Es ist unmöglich, im Rahmen dieser Einleitung die Besonderheiten ausführlich zu behandeln, und ich muß mich damit begnügen, nur einige hervorzuheben. Zu den Besonderheiten gehören: 1. der Gebrauch einzelner Worte in einer vom allgemeinen Sprachgebrauch abweichenden Bedeutung (z. B. 7,20 und 76,17 templum = gradus und 96,5 eadem = simul), 2. die Vorliebe für den Gebrauch abstrakter Substantive, 3. eine gewisse Vorliebe für den Gebrauch von Substantiven, die nach der u-Deklination gebildet sind, 4. die Neubildung von Worten, zu der die Übertragung von griechischen Fachausdrücken zwang (z. B. commensus als Übersetzung des grieche aUlllL€'t'p(a, eine Neubildung, die übrigens in die lat. Sprache keine Aufnahme gefunden hat.). Syntaktisch ist bemerkenswert die Angleichung des unpersönlichen Hauptsatzes an den Nebensatz (z. B. 28,22 exspectanda est, dutJJ decrescat), eine Erscheinung, die aus der familiären Sprache zu stammen scheint, die Verstärkung des Possessivpronomens durch den Dativ des Personalprononlens (207,18 in suo sibi canalis excidatur), ein Sprachgebrauch, der in Prosa zuerst bei V. zu beobachten ist, ferner der Gebrauch der Apposition statt der Unterordnung (z. B. in singulis tignis extremis partibus). Mehrfach findet sich bei transitiven Verben als Objekt nicht der Gegenstand, sondern das Ergebnis der Handlung, z.B. 26,14 und 29,11 bei distribuere und dividere, weshalb von Wistrand mit Recht 181,27 die Lesung von H E G purpura inftcitur gegen das in S überlieferte efftcittlr verteidigt wird. Aus der Umgangssprache stammt der Gebrauch des Genitivs loci, locorum nach Ortsad13 J. L. Ussing, Betragtninger over Vitruvii de architectura libri decem. Kgl. Danske Vidensk. Se1sk. Skr. 6, Raekke, hist. og 610s. AEd. IV, 3. Kopenhag. 1896. - Dagegen: Krohn, PhW. 1897, Sp. 773. - Degering, RhM. 57, 1902. H. Morgan, Proceedings oE the American Academy oE Arts and Sciences. 41, 1906, 467-502.
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Einleitung
verbien (50,13; 199,8), ebenso die Vorliebe für den Genitivus qualitatis. Vulgär ist ferner 53,12 si sit optima seu vitiosa. Dare mit dem Infinitiv (180,23 dabit imitari) findet sich sonst nur bei Dichtern, ein Objektsakkusativ beim Dativ Gerundü (34,17 vitando imbres et aestus), außer bei Vitruv nur viermal bei Plautus, einmal bei Ovid, und in der Prosa nur einmal bei Livius! V. liebt Fülle des Ausdrucks (z. B. 37,7 ne obscura, sed perspicua). Als bewußtes Stilmittel ist wohl der ausgedehnte Gebrauch des Genitivus definitivus anzusehen, vor allem aber das Streben nach Wechsel im Ausdruck: 148,27 1/t sint non obscurae - uti non sint ignotae. 26,14 distribuenda sunt. 29,11 dividendae sunt. 74,7-22 constituatur - fiat perficiatur. - habeat contracturae rationem - contrahantur. 200,4-19 discutiant - dissipant - discutiantur - dissolvatur - dissipabitur potest per se dissolvere - dissiliunt et dissolvuntur. Hierzu gehört auch,
daß V. häufig nach einem Verbum compositum im weiteren Verlauf das Simplex gebraucht. Daß durch das Zusammentreffen so vieler Sprachelemente die Sprache Vitruvs uns oft wunderlich erscheint und schwer verständlich ist, läßt sich nicht leugnen. Man sollte aber die Augen nicht davor verschließen, daß V. auch bewußt Mittel der Sprache angewendet hat, um seinem Werk einen gewissen Reiz zu verleihen. Das Nachleben Vitruvs 14
Vitruv lebte der Hoffnung, daß sein Name durch sein Werk der Nachwelt bekannt sein würde. Diese Hoffnung hat ihn nicht getäuscht. Am Ende des 1. Jh.s n. Chr. nennt ihn Plin. nato 35 und 36 unter seinen Quellenschriftstellern und wenig später erwähnt ihn Frontin. M. Cetius Faventinus macht (wohl im 3. Jh. n. Chr.) einen Auszug aus seinem Werk. Durch Benutzung des Faventin wieder ist er im 4. Jh. n. Chr. dem Palladius bekannt. Im 5. Jh. n. Chr. erwähnt Sidonius Apollinaris (um 430-480) Vitruvs Namen. Im 6./7. Jh. n. Chr. kennt ihn Isidor von Sevilla (etwa 570-636) durch Benutzung des Auszugs, den Faventin gemacht hatte. Daß er dem Angelsachsen Alcuin, Abt von Tours, kein Unbekannter war, beweisen die beiden, Eine umfassende Darstellung gibt Herbert Koch, Vom Nachleben Vitruvs. Baden-Baden 1951.
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Das Nachleben Vitruvs
I
Die handschriftliche Überlieferung
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nur bei Vitruv überlieferten Anekdoten von Deinokrates und Aristipp, die Alcuin in einem Brief an Karl den Gr. wiedergibt. Einhard (170 bis 840) schließlich fragt in einem Brief an seinen Schüler Vussin nach der Bedeutung dunkler Worte bei Vitruv. Seit dem Ende des 9. Jh.s wird de architectura wiederholt abgeschrieben. Lionardo da Vinci (1452-1519) kennt ebenso wie Michelangelo (1475-1564) Vitruv. Bereits 1487 erschien de architectura im Druck. 1542 wurde sogar in Rom eine besondere Akademie, die Accademia della virtu, gegründet mit dem Ziel, einen einwandfreien Text herzustellen.
Die handschriftliche Überlieferung 15 Alle bekannten Handschriften (etwa 55) gehen, darüber kann kein Zweifel bestehen, direkt oder indirekt auf einen einzigen, verlorenen Archetypus (A) zurück, der in angelsächsischer Minuskel geschrieben war. Darüber jedoch, welche Handschriften direkte Abschriften von A sind, gehen die Meinungen auseinander. Granger hält den Harleianus 2767 (H) für die einzige direkte Kopie. Rose hält auch den Gudianus 69 (G) und den Gudianus Epitomatus 132 (E) noch für direkte Abschriften von A, Degering und Thielscher darüber hinaus noch den Scletstatensis 1153 bis (5), und die Vaticani reginenses 1328 und 2079. Zum mindesten alle übrigen Handschriften sind Abschriften von einer dieser Handschriften 15. Die älteste Handschrift ist nach allgemeiner Ansicht H. Sie gehört, auf nicht einwandfreiem Leder geschrieben, noch ins 9. Jh. und ist die getreueste Kopie von A. Wo H entstanden ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Grangers Annahme, H sei in England geschrieben, ist auf starken Widerspruch gestoßen und kaum haltbar. Degering nimmt an, H sei der codex Einhards und eine Abschrift Eine Sammlung des gesamten Schrifttums bei Bodo Ebhardt, Die zehn Bücher Vitruvs und ihre Herausgeber seit 1484. Mit einem Verzeichnis der vorhandenen Ausgaben und Erläuterungen. Berlin 1918, jetzt wieder zugänglich d:urch einen autorisierten Neudruck: The Ten Books of Vitruvius and their editors since the 15th century. With a bibliography of the editions. New York: William Salloch 1962. - Vgl. auch Thielscher, RE IX 1 481ff. - Die reichhaltige Sammlung von Vitruvau sgaben und Vitruvliteratur Ebhardts befindet sich jetzt im Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München, ist aber nur als Praesenzbibliothek zu benutzen. 15
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Einleitung
des angelsächsischen Exemplars Alcuins, B. Bischof, Ph\'1 62, 1904, 504, vermutet als Entstehungsort das Grenzgebiet zwischen Ost- und Westfranken, etwa Aachen. Der Schreiber war der lateinischen Sprache offensichtlich wenig kundig. H zeigt Wort- und Reihenlücken, die nicht in G und E sind. G, nach Rose im Anfang des 11. Jh.s geschrieben, gehörte nach Degering ursprünglich nach Köln. Daß G von H unabhängig ist, zeigen nach Rose etwa 56 Stellen, die in G, aber nicht in H stehen, und fast ebenso viele Stellen, die in H stehen, aber in G fehlen. Zweifellos war der Schreiber von G im Lateinischen bewanderter als der Schreiber von /-1, und er suchte den verderbten Text von A zu emendieren (nicht immer gut, wie 96,5 zeigt, wo G aedem statt eadem = simul schreibt). Daß jedoch die Ausfüllung nicht aller Lücken von H durch G reine Konjekturen des Schreibers von G sind, zeigt außer anderen Stellen 77,14, wo die \Vorte quartae - torlls in H ausgelassen sind. Entweder hat hier der Schreiber von H, veranlaßt durch das sich wiederholende Wort torus, eine Zeile übersprungen oder aber er hat einen Nachtrag am Rande übersehen. S, eine von sechs abwechselnd schreibenden Schreibern gefertigte Pergamenthandschrift, zeigt 2 große Lücken: 200,26-208,25 und 258,2-267,21. Die Lesungen stimmen im allgemeinen mit J-! überein, doch zeigt S auch selbständige Zusätze (1,17; 2,8; 46,25) und n1ehrfach Wortumstellungen. Rose setzt die Handschrift noch ins ausgehende 10. Jh., Krohn hält sie für einen Enkel von l-I, Degering für eine direkte Abschrift von A, Thielscher für die letzte Abschrift vonA. E enthält Exzerpte aus Buch 1-3 und 6-10, durchsetzt mit einzelnen Kapiteln aus Faventin. Rose setzt die Handschrift noch ins 10. Jh. In dem von Degering noch für eine direkte Abschrift aus ~4 gehaltenen Vatic. Reginensis 1328 fehlen 200,26-208,25, die auch in S fehlen. Vom Schicksal A ergibt sich nach Thielscher aus der Blattversetzung (Vgl. Anm. 461) und den großen Lücken in Vatic. 1328 und in S folgendes Bild: Zuerst wurde in A das Blatt, das mit 175,22 auf der Vorderseite begann und mit 178,25 auf der Rückseite endete, lose und seitenverkehrt eingeklebt. In diesem Zustand \vurden H, E und G abgeschrieben. Dann wurde, nachdem A 200,26-208-;25 verloren hatte, der Vatic. 1328 abgeschrieben und SChließlich, nach dem weiteren Verlust von 258,2-267,21~ s.
Die handschriftliche überlieferung
I Ausgaben I
Übersetzungen
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Alle übrigen Handschriften sind als Abschriften von Abschriften für die Textherstellung wertlos, so daß auf den Versuch, einen vollständigen Stammbaum aller Handschriften herzustellen, verzichtet werden kann.
Ausgaben 16 Die erste gedruckte Ausgabe erfolgte durch Giovanni Sulpicio da Veroli ohne Angabe von Drucker, Ort und Zeit, nach Degering \vahrscheinlich 1487. Der Drucker ist nicht ermittelt. Die zweite Auflage erschien 1495/96 in Florenz (editio Florentina), eine dritte 1497 in Venedig (editio Veneta). Es folgten: 1511 die Ausgabe von Fra Giovanni Giocondi da Verona (Joc[undus]) mit in den Text ohne Kennzeichnung als Erläuterungen eingeschobenen Zusätzen, 1540 (1544, 1545, 1550, 1552, 1564, 1586) die von Philander, 1543 die in Straßburg in der officina Knoblochiana per Georg. 1fachaeropoeum (Georg lVlesserschmidt als Drucker) hergestellte Ausgabe, 1567 die Ausgabe von (Dan.) Barbaro, 1649 die von J. de Laet in Amsterdam, 1590 und 1660 die von G. A. Rusconi, 1758 in Neapel die von Bernardo Galiani, 1800 die vom Kabinettsrat A. Rode, zu der 1801 ein B'ändchen mit Kupfern erschien, 1807/08 die sogenannte Bipontina in Straßburg und die Ausgabe von Joh. Gottlob Schneider. Es folgten 1825-30 eine Ausgabe von Joh. Polenus und seinem Sch"\viegersohn Pontedera (die Herausgabe hatte der Venetianer Simone Stratico übernommen). Eine hervorragende Leistung war die dann folgende Ausgabe von Aloisio Marini, Rom 1836. Aus neuerer Zeit sind zu nennen die Textausgaben von Valentin Rose und Herrn. Müller-Strübing 1867, die zweite Ausgabe von Val. Rose allein 1899, schließlich die Textausgabe von Fritz Krohn 1912. (Weitere mit Übersetzungen verbundene Ausgaben siehe unter Über... setzungen.)
Übersetzungen 17 Vitruvs Werk ist ins Italienische, Französische, Spanische, Englische, Holländische, Deutsche und sogar ins Polnische übersetzt worden. 16 17
Siehe Fußnote 15, Seite 11. Siehe Fußnote 15, Seite 11.
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Einleitung
Italienische Übersetzungen: 1521 (Verlag Gotardo da Ponte, Citadino Milanese) von Cesare Cesariano, 1524 (Venedig) von den fratelli da Salio, besorgt von Lucio Durantino, 1536 (perugia) von Giov. Batt. Caporali, 1556 (Venedig) von Dan. Barbaro, 1758 (Neapel) von Galiani, 1802 (Perugia) von Bald. Orsini, 1825-33 (Udine) von Quirino Viviani, 1829 (Mailand) von C. Amati, 1836 von Aloisio Marini, 1933 (Mailand) von U. Fleres. Die neueste Ausgabe von Silvio Ferri, Rom 1960, bringt Text und Übersetzung nur von den Teilen, die sich auf Architektur im engeren Sinne beziehen. Französische Übersetzungen: Nach einer ersten, 1539 bei Simon de Collines in Paris erschienenen Teilübersetzung folgten: 1547 (Paris) von Jan Martin, 1673 (Paris) von Claude Perrault, 1816 (Brüssel) von de Brioul, 1909 Text mit Ubersetzung von Auguste Choisy. Von der großen beabsichtigten französischen textkritischen Gesamtausgabe mit Übersetzung, bei der die einzelnen Bücher von verschiedenen Gelehrten bearbeitet werden, sind bisher nur erschienen: Vitruve, De l'architecture. Livre I X. Texte etabli, traduit et commente par Jean Soubiran. Paris 1969; und Livre VIII par Louis Callebat. Paris 1973. Spanische Übersetzungen: 1542 (Toledo) von Diego di Sagredo (bietet nur Exzerpte), 1582 die vollständige Übersetzung von Miguel de Urrea, schließlich 1787 (Madrid) von Jos. Ortiz y Sanz. Englische Übersetzungen: 1730 (London, mit lat. Text) von Rob. CasteIl, 1771 Buch 1-5,1792 Buch 6-10 (London) von M. Newton, 1812 (London) von William Wilkins (nur Buch 3-6), 1826 (London) von J. Gwilt, 1914 (Oxford) von M. H. Morgan, 1931 (1944, 1955) Bd. 1; 1934 (1956) Bd. 2, Text und Übersetzung von Frank Granger (Ausgabe Loeb). Holländische Übersetzungen: 1914 (Maastricht) von J. A. H. Miälaret. Deutsche Übersetzungen: 1514 (Basel), 1548 (Nürnberg) von Rivius, 1796 (Leipzig) vonA. Rode, 1857 (Gotha) von C. Lorentzen (nur Buch 1-5), 1865 (Stuttgart) von Franz Reber, 1912-14 (Straßburg) von J. Prestel, 1938 (Essen) von E. Stuerzenacker (gibt nur Auswahl). (Eine von H. Grimm im Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel - Frankfurter Ausgabe - Nr. 100, 1962, zitierte deutsche Übersetzung zu Basel aus dem Jahre 1567 habe ich nicht aufspüren können.)
Gestaltung und Einrichtung dieser Ausgabe
I Literatur
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Gestaltung und Einrichtung dieser Ausgabe Die vorliegende Ausgabe ist als Arbeitsbuch gedacht. Daher konnte im textkritischen Apparat auf manche Angabe verzichtet werden, die in einer streng wissenschaftlichen Textausgabe hätte verzeichnet werden müssen. Nicht verzeichnet sind 1. offensichtliche Schreibfehler, die sich nur in dieser oder jener Handschrift finden (z. B. octidie statt cotidie, genorum statt genuorum, 2. Umstellungen einzelner Worte, wie sie vornehmlich in S vorkommen, 3. die entstellt überlieferten Bezeichnungen der Töne (111,15 ff.), da die Bezeichnungen einwandfrei richtig hergestellt sind und derjenige, der sich mit diesem Abschnitt näher befassen will, gut daran tut, die Abhandlung von A. Wilmanns in Comm. in honor. Mommseni 1877 einzusehen. Bei den griechischen Worten im Text, die die Schreiber fast ausnahmslos in lateinischen Buchstaben wiedergeben, ist die griechische Schreibung wieder hergestellt, wobei auf die Angabe der lateinischen Schreibung, wie die Hs. sie bieten, verzichtet wurde, wenn die lateinische Schreibung nicht wesentlich von der griechischen abweicht. Bei Zusätzen im Text und in den Text übernommenen Konjekturen wurde der Autorname in der Regel fortgelassen. Soweit in den oben besprochenen Haupthandschriften die Überlieferung übereinstimmt, ist nach Vorgang von Rose und Krohn das Sigel x verwendet. Als notwendig erachtete Zusätze zum überlieferten Text sind durch< bezeichnet, Tilgungen durch [ ]. Der Text gibt am Rande die Seiten- und Zeilenzahlen der ersten Ausgabe von Val. Rose und Müller-Strübing (Leipzig 1867), so daß auch der Index Vitruvianus von Nohl (Leipzig 1876. Neudruck der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft geplant) verwendbar ist. Für die Übersetzung wurden außer den deutschen von Rode, Lorentzen, Reber, Prestel und Stuerzenacker, die französische von Choisy, die englische von Granger und die italienische von Ferri zu Rate gezogen. Um so weit wie möglich den eigentümlichen Stil Vitruvs zum Ausdruck zu bringen, wurde grundsätzlich eine möglichst wortgetreue Übersetzung angestrebt, \venn dabei auch der deutsche Ausdruck etwas ungelenk wurde. Die Anmerkungen zum Text wurden aus drucktechnischen Gründen an das Ende der Ausgabe gesetzt. Die wichtigsten Literaturangaben finden sich in den Anmerkungen
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16
Einleitung
zu den einzelnen Kapiteln, so daß das Literaturverzeichnis auf wenige Angaben beschränkt werden konnte. Literatur
F. Pellati, Nuovi elementi per la datazione deI trattato di Vitruvio. Atti III Congr. Studi Romani 1933, I, 48-51. Axel Bocthius, A proposito di una osservazione importante sullo stilo dorico. Eranos 38, Göteborg 1936. Axel Boethius, Vitruvius ant the Roman architecture of his age. Acta Instituti Romani regni Sueciae, Series altera I, Lund 1939, 114-143. Felix Peeters. Le codex Bruxellensis 5233 (b) de Vitruve. Melanges F. Grat. Paris 1949, tom. 11,119-143. Hans Riemann, Vitruv und der griechische Tempel. AA 1952, 1 ff. Heinrich Drerup, Pytheos und Satyros. JDAI 69,1954, 1ff. Pierre Ruffel. Notes sur le manuscr. G. Pallas 11, 1954, 80-94. Pierre Ruffel et Jean Soubiran. Recherches sur la tradition manuscrite de Vitruve. Pallas IX, 1960, 3-154. P. Ruffel et Jean Soubiran. Vitruve ou Mamurra? Pallas XI, 1962, 123-169. H. Altrogge, Zum Problem der scamilli impares bei Vitruv. AA 1963. J.-P. Chausserie-Lapree. On nouveau stemma Vitruvien. REL 47, 1969, 347 ff. H. Plommer. Vitruvius and later Roman building manuals. Cambridge 1973.
a) Einzelwerke und Einzelabhandlungen Birnbaum Choisy ed.FI. ed. Yen. Faventin Ferri Frontin Gazzaniga Granger Joc(undus) Jolles Judeich Krohn Krom.-Veith Lorentzen Marini Prestel Reber Rode Sackur Schlikker Sontheimer
=
A. Birnbaum, Vitruv und die grieche Architektur. Denkschr. Kais. Akad. Wien Bd. 57, 4. Abh. Wien 1914. Auguste Choisy, Vitruve. Paris 1909. editio Florentina 1496. editio Veneta 1497. M. Ceti Faventini liber artis architectonicae ed. Fr. Krohn. 1912. Silvio Ferri, Vitruvi de architectura quae pertinent ad disciplinas archaeologicas selegit, recensuit, vertit. Rom 1960. Frontinus de aqu. urbis Romae. ed. Krohn 1922. Ignazio Gazzaniga in "La Parola deI Passato". 1961. Frank Granger, Vitruvius on architecture ed. from the Harleian Ms. 2767. London 1931 (1955). Fra Giovanni Giocondi, Vitruvius. 1511, 1513, 1522, 1523. A. Jolles, Vitruvs Ästhetik. Diss. Freiburg 1906. Walter Judeich, Topographie von Athen l • München 1931. Fritz Krohn, Vitruvii de architectura libri decem. Leipzig 1912. Kromayer-Veith, Heerwesen und Kriegführung der Griechen und Römer. München 1929. C. Lorentzen, Vitruvius. Text und Übers. Gotha 1857 (erschienen nur Teil I Buch 1-5). Vitruvii de architectura libri decem. ed. Aloisio Marini. Rom 1836. Jakob Prestel, Zehn Bücher über Architektur des Marcus Vitruvius Pollio. Straßburg 1912-1914. Fr. Reber, Des Vitruvius zehn Bücher über Architektur. Stuttgart 1865. August Rode, Des M. Vitruvius Pollio Baukunst aus der römischen Urschrift übersetzt. Leipzig 1796. W. Sackur, Vitruv und die Poliorketiker. Berlin 1925. Friedr. Wilh. Schlikker, Hellenistische Vorstellungen von der Schönheit des Bauwerks nach Vitruv. Diss. Münster 1940. Ludwig Sontheimer, Vitruv und seine Zeit. Diss. Tübingen 1908.
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Abkürzungen
E. Stuerzenacker, Vitruvius über die Baukunst. Essen 1938. Stuerzenacker Thieme-Becker = Thieme-Becker, Allgemeines Lexikon bildender Künstler. Wistrand Vittuviusstudier = Erik Wistrand, Vitruviusstudier. Diss. Göteborg 1933. b) Sammelwerke, Zeitschriften, Periodica AA AM HSPh H JDAI JPhPäd Philol PhW RE RM RhM SDAW SHAW SPrAW
Archäologischer Anzeiger. Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts. Athenische Abteilung. Harvard Studies in Classical Philology. Hermes. Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts. Jahrbücher für Philologie und Pädagogik. Fleckeisen. Philologus. Philologische Wochenschrift. Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft. Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts. Römische Abteilung. Rheinisches Museum. Sitzungsberichte der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Klasse für Sprachen, Literatur und Kunst. Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Phil.-hist. Kl.
VI1~RUVII
DE ARCHITECTURA LIBRI DECEM
VITRUV ZEHN BÜCHER ÜBER ARCHITECTUR
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LIBER PRIMUS
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1. Cum l divina tua mens et numen, imperator Caesar, imperio potiretur orbis terrarum invietaque virtute eunctis hostibus stratis triumpho vietoriaque tua eives gloriarentur 2 et gentes omnes subaetae tuum speetarent nutum populusque I Romanus et senatus liberatus 3 timore amplissin1is tuis cogitationibus eonsiliisque gubernaretur, non audebam, tantis oeeupationibus, de architectura scripta et magnis eogitationibus explieata edere, metuens, ne non apto tempore interpellans subirem tui animi offensionem. 2. Cum vero adtenderem te non I solum de vita eommuni omnium euram pubJieaeque rei eonstitutione habere, sed etiam de opportunitate publieorum aedifieiorum, ut eivitas per te non solum provineiis esset aueta, verum etiam ut maiestas imperii publieorum aedificiorum egregias haberet auetoritates, non putavi praetermittendum, I quin primo quoque tempore de his rebus ea tibi ederem, ideo quod primum parenti tun de eo fueram notus et eius virtutis studiosus. I Cum autem eoneilium eaelestium in sedibus inmortalitatis eum dedieavisset et imperium parentis in tuam potestatem transtulisset, idem studium meum in eius memoria permanens in te eontulit favorem. Itaque eum M. Aurelio et P. Minidio et Cn. Cornelio ad apparationem ballistarum 4 I et seorpionum reliquorumque tormentorum < et eorum refeetionem fui praesto et eum eis eommoda 5 aeeepi, quae, eum primo mihi tribuisti recognitionem, per sororis commen-
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1,11 constitutione S Ge, -nem H, -ne G 2,6 Quecüq, pr. G 7 recognotionem S
17 (virtutis) erat S
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ERSTES BUCH VORREDEl
1. Als Dein göttlicher Geist und Wille, Imperator Caesar, damit beschäftigt war, sich der Weltherrschaft zu bemächtigen, als sich die Bürger, nachdem alle Feinde durch Deine unbesiegte Tapferkeit zu Boden geschlagen waren, Deines Triumphes und Sieges2 rühmten, als alle Völker als Unterworfene auf Deinen Wink ihren Blick richteten, als das römische Volk und der Senat, von Furcht befreit3 , nach Deinen erlauchten Gedanken und Plänen geleitet wurden, wagte ich nicht, weil Du von Staatsgeschäften so sehr in Anspruch genommen warst, das herauszugeben, was ich über Architektur geschrieben und mit viel Nachdenken erörtert hatte. Ich fürchtete nämlich, ich könnte bei Dir dadurch, daß ich Dich zu ungelegener Zeit störte, Unmut gegen mich erregen. 2. Als ich jedoch bemerkte, daß Deine Sorge sich nicht nur auf die allgemeine Wohlfahrt und die Einrichtung des Staates richtete, sondern auch auf die dem allgemeinen Nutzen dienende Anlage öffentlicher Bauten, damit der Staat durch Dich nicht nur durch Provinzen bereichert sein, sondern auch die Würde des Reiches hervorragende, das Ansehn erhöhende öffentliche Bauten besitzen sollte, da glaubte ich, es nicht unterlassen zu dürfen, im ersten geeigneten Augenblick diese Bücher über diese Dinge mit einer Zueignung für Dich herauszugeben, weil ich ja zunächst auf diesem Gebiet Deinem Vater bekannt und seiner mannhaften Persönlichkeit zugetan gewesen war. Als aber der Rat der Himmlischen ihn in die Gefilde der Unsterblichkeit versetzt und die Herrschaft Deines Vaters in Deine Macht gegeben hatte, da übertrug die gleiche Dienstbeflissenheit meinerseits, die im Gedenken an ihn unverändert fortbestand, meine Anhänglichkeit auf Dich. Daher war ich mit M. Aurelius, P. Minidius und Cn. Cornelius beim Bau von Ballisten4 , Skorpionen und der übrigen Wurfmaschinen und ihrer Ausbesserung tätig, und ich habe mit ihnen (bei meiner Entlassung)5 Gebührnisse erhalten, die Du mir, als Du mir zunächst die Prüfung (meiner Verhältnisse) gewährt hast, durch die empfehlende Vermittlung Deiner
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Liber primus, I
dationem servasti. 3. Cum ergo eo beneficio essem obligatus, ut ad exitum vitae non haberem inopiae timorem, haee tibi seribere 10 coepi; quod I anitnadverti multa te aedificavisse et nune aedifieare, reliquo quoque tempore et publieorum et privatorum aedifieiorum, pro amplitudine rerurn gestarurn ut posteris memoriae traderentur, euram habiturum, eonscripsi praescriptiones terminatas, ut eas 15 adtendens et ante facta et futura qualia sint opera, per I te posses nota habere; namque his voluminibus aperui omnes diseiplinae rationes. I
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1. Arehiteeti est seientia pluribus disciplinis et variis eruditionibus ornata, euius iudicio probantur omnia quae ab eeteris artibus per20 fieiuntur opera. Ba naseitur ex fabrica et I ratiocinatione. Fabrica6 est eontinuata ae trita usus meditatio ad propositum deformationis, quae manibus perficitur e materia, euiuscumque generis opus est. Ratiocinatio 7 autem est, quae res fabrieatas sollertiae ae rationis pro portione demonstrare atque explieare potest. 2. Itaque architecti, 25 qui sine litteris I eontenderant, ut manibus essent exercitati, non 'potuerunt effieere, ut haberent pro laboribus auctoritatem; qui autem I ratioeinationibus et litteris solis eonfisi fuerunt, umbram non rem persecuti videntur. At qui utrumque perdidieerunt, uti omnibus armis ornati eitius eum auetoritate, quod fuit propositum, 5 sunt adseeuti. 3. Cum in omnibus enim rebus, tum I maxime etiam in arehitectura haee duo insunt: quod signifieatur8 et quod signifieat.
2,7 (servasti) in animo S (fabrica) G S: & H 3,1 fuerant G
18 cuius probantur - omnia G S, om. H
19 ex
Die Ausbildung des Baumeisters
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Schwester weiterhin gewährt hast. 3. Da ich also durch diesen Gnadenakt, durch den ich bis zu meinem Tode keine Furcht mehr vor Not zu haben brauchte, mich Dir verpflichtet fühlte, begann ich, diese Bücher für Dich zu schreiben; weil ich bemerkte, daß Du schon viel gebaut hast, jetzt noch baust und auch in der noch übrigbleibenden Zeit Deine Sorge öffentlichen und privaten Bauten zuwenden wirst, damit sie entsprechend der Größe Deiner Taten der Nachwelt zum Gedächtnis überliefert werden, habe ich festumrissene Vorschriften zusammengestellt, damit Du bei ihrer Beachtung die Beschaffenheit der Bauten, die Du schon geschaffen hast und noch schaffen wirst, selbst beurteilen kannst, denn ich habe in diesen Büchern alle Lehren der Baukunst dargelegt. ERSTES KAPITEL
Die Ausbildung des Baumeisters 1. Des Architekten Wissen umfaßt mehrfache wissenschaftliche und mannigfaltige elementare Kenntnisse. Seiner Prüfung und Beurteilung unterliegen alle Werke, die von den übrigen Künsten geschaffen werden. Dieses (Wissen) erwächst aus fabrica (Hand-werk) und ratiocinatio (geistiger Arbeit). Fabrica6 ist die fortgesetzte und immer wieder (berufsmäßig) überlegt geübte Ausübung einer praktischen Tätigkeit, die zum Ziel eine Formgebung hat, die mit den Händen aus Werkstoff, je nachdem aus welchem Stoff das Werk besteht, durchgeführt wird. Ratiocinati07 ist, was bei handwerklich hergestellten Dingen aufzeigen und deutlich machen kann, in welchem Verhältnis ihnen handwerkliche Geschicklichkeit und planvolle Berechnung innewohnt. 2. Daher konnten Architekten, die unter Verzieht auf wissenschaftliche Bildung bestrebt waren, nur mit den Händen geübt zu sein, nicht erreichen, daß sie über eine ihren Bemühungen entsprechende Meisterschaft verfügten. Die aber, die sich nur auf die Kenntnis der Berechnung symmetrischer Verhältnisse und wissenschaftliche Ausbildung verließen, scheinen lediglich einem Schatten, nicht der Sache nachgejagt zu sein. Die aber, die sich beides gründlich angeeignet haben, haben, da mit dem ganzen Rüstzeug ihres Berufes ausgestattet, schneller mit Erfolg ihr Ziel erreicht. 3. Wie nämlich auf allen Gebieten, so gibt es ganz besonders auch in der Baukunst folgende zwei Dinge: was angedeutet wird und was an-
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Significatur proposita res, de qua dieitur; hane autem signifieat demonstratio rationibus doctrinarum explicata. Quare videtur utraque parte exereitatus esse debere, qui se arehitectum profiteatur. Itaque eum etiam I ingeniosum oportet esse et ad disciplinam doellem; neque enim ingenium sine diseiplina aut disciplina sine ingenio perfeetum artifieem potest efficere. Et ut litteratus sit, peritus graphidos, eruditus geometria, historias eomplures noverit, philosophos diligenter audierit, musicam scierit, medicinae I non sit ignarus, responsa iuriseonsultorum noverit, astrologiam eaelique rationes eognitas habeat. 4. Quae cur ita sint, haee sunt causae. Litteras architectum seire oportet, uti commentarüs memoriam firmiorem effieere possit. Deinde graphidis scientiam habere, quo facilius I exemplaribus pietis quam velit operis speciem deformare valeat. Geometria autem plura praesidia praestat architecturae; et primum ex euthygrammis circini tradit usum, e quo maxime facilius aedificiorum in areis expediuntur descriptiones normarumque et librationum et linearum directilones. Item per opticen in aedificüs ab eertis regionibus caeli lumina recte ducuntur. Per arithmeticen vero sumptus aedifieiorum eonsummantur, mensurarum rationes explicantur, difficilesque symmetriarum quaestiones geometricis rationibus I et methodis inveniuntur. 5. Historias autem plures novisse oportet, quod multa ornamenta saepe in operibus architecti designant, de quibus argumentis rationem, eur fecerint, quaerentibus reddere debent. Quemadmodum si quis statuas marmoreas muliebres stolatas, quae earyatides dicuntur, pro I eolumnis in opere statuerit et insuper mutulos et eoronas conlocaverit, pereontantibus ita reddet rationem. Carya 9, eivitas Peloponnensis, eum Persis hostibus contra Graeciam eonsensit.
3,10 disciplina H, -nas G 13 graphidis S 17 sunt h~ G 4,9 cariatides H S 11 percunctantibus S Ge 11 caria X
24 aeris S
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deutetB. Angedeutet wird der beabsichtigte Gegenstand (das Ziel), von dem man spricht. Diesen aber deutet an die mit wissenschaftlichen Methoden entwickelte Darstellung. Deshalb muß der, der sich als Architekt ausgeben will, in beidem geübt sein. Daher muß er begabt sein und fähig und bereit zu wissenschaftlich-theoretischer Schulung. Denn weder kann Begabung ohne Schulung noch Schulung ohne Begabung einen vollendeten Meister hervorbringen. Und er muß im schriftlichen Ausdruck gewandt sein, des Zeichenstiftes kundig, in der Geometrie ausgebildet sein, mancherlei geschichtliche Ereignisse kennen, fleißig Philosophen gehört haben, etwas von Musik verstehen, nicht unbewandert in der Heilkunde sein, juristische Entscheidungen kennen, Kenntnisse in der Sternkunde und vom gesetzmäßigen Ablauf der Himmelserscheinungen besitzen. 4. Die Gründe hierfür sind folgende: Schreibgewandt muß der Architekt sein, damit er durch schriftliche Erläuterungen (zu seinem Werk) ein dauerndes Andenken begründen kann. Zweitens muß er den Zeichenstift zu führen wissen, damit er um so leichter durch perspektivische Zeichnungen das beabsichtigte Aussehn seines Werkes darstellen kann. Die Geometrie aber bietet der Architektur mehrere Hilfen: und zwar vermittelt sie zuerst nach dem Gebrauch des Lineals den Gebrauch des Zirkels, wodurch sie ganz besonders das Aufzeichnen von Gebäuden auf dem Zeichenbrett und das Ausrichten rechter Winkel, waagerechter Flächen und gerader Linien erleichtert. Ferner wird, wenn man die Optik beherrscht, von bestimmten Stellen des Himmels das Licht richtig in die Gebäude geleitet. Durch die Arithmetik aber werden die Gesamtkosten der Gebäude errechnet, die Maßeinteilungen entwickelt, und die schwierigen Fragen der symmetrischen Verhältnisse werden auf geometrische Weise und mit geometrischen Methoden gelöst. 5. Mancherlei geschichtliche Ereignisse aber muß der Architekt kennen, weil die Architekten oft an ihren Bauten viel Schmuck anbringen, über deren Bedeutung sie denen, die danach fragen, warum sie ihn angebracht haben, Rechenschaft ablegen müssen. Z. B. wenn einer mit langen Obergewändern bekleidete '\\reibliche Marmorstatuen, die Karyatiden heißen, an Stelle von Säulen an seinem Bau aufgestellt und darüber Kragsteine und Kranzgesimse gelegt hat, wird er denen, die danach fragen, folgendermaßen dafür Rechenschaft ablegen. Karya 9 , eine peloponnesische Stadt, stand mit ihrer Gesinnung auf Seiten der persischen
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Postea Graeci per victoriam gloriose bello liberati eommuni consilio 15 Caryatibus bellum indixerunt. Itaque oppido I eapto, viris interfeetis, civitate deflagrata matronas eorum in servitutem abduxerunt, nee sunt passi stolas neque ornatus matronales deponere, uti non uno triumpho dueerentur, sed aeterno, servitutis exemplo, gravi eontumelia pressae poenas pendere viderentur pro civitate. Ideo qui tune 20 architecti I fuerunt aedificüs publicis designaverunt earum imagines oneri ferundo conlocatas, ut etiam posteris nota poena peecati Caryatium memoriae traderetur. 5. Non minus Lacones, Pausania 5 Agesilae lO filio duce, Plataico proelio pauca manu I infinitum numerum exercitus Persarum cum superavissent, aeto eum gloria triumpho spoliorum et praedae, porticum Persicam11 ex manubüs, laudis et virtutis civium indicem, vietoriae posteris pro tropaeo eonsti5 tuerunt. Ibique eaptivorum I simulacra barbarieo vestis ornatu, superbia meritis eontumellis punita, sustinentia tectum eonloeaverunt, uti et hostes horrescerent timore eorum fortitudinis effectus, et cives id exemplum virtutis aspieientes gloria ereeti ad defendendam libertatem essent parati. Itaque ex eo multi statuas Persi10 eas I sustinentes epistylia et ornamenta eorum eonlocaverunt, et ita ex eo argumento varietates egregias auxerunt operibus. Item sunt aliae eiusdem generis historiae, quarum notitiam arehitectos tenere oporteat. 7. Philosophia vero perficit architeetum animo magno et 15 uti non sit adrogans, sed potius I faeilis, aequus et fidelis, sine avaritia, quod est maximum; nullum enim opus vere sine fide et castitate fieri potest; ne sit cupidus neque in muneribus accipiendis habeat animum occupatum, sed euro gravitate suam tueatur dignitatem
4,15 declarata x ill(a)e polidos x
17 una x 20 (designaverunt) quod S 23 Agesilae Sehn.: hagest 23 Plataico: pitalco x
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Feinde gegen Griechenland. Als die Griechen später durch ihren Sieg ruhmreich vom Kriege befreit waren, erklärten sie auf gemeinsamen Beschluß den Karyaten den Krieg. Und so führten sie nach Einnahme der Stadt, Ermordung der Männer und völliger Zerstörung der Gemeinde deren Frauen in die Knechtschaft ab und gestatteten ihnen nicht, ihre langen Gewänder und Schmuckstücke, wie Frauen sie tragen, abzulegen, damit sie nicht in dem einmaligen Triumphzuge vorgeführt würden, sondern in einem ewigen Triumphzug, einem Musterbild der Knechtschaft, mit schwerer Schande belastet für ihre Bürgerschaft zu büßen schienen. Daher schufen die damaligen Architekten Nachbilder von ihnen, die an öffentlichen Gebäuden zum Tragen einer Last aufgestellt waren, damit auch der Nachwelt die Bestrafung des Vergehens der Karyaten als bekannt überliefert werde. 6. Ebenso haben die Lakedämonier, als sie unter Führung des Pausanias, des Sohnes des Agesilas lo, in der Schlacht bei Platää mit ihrer kleinen Schar die unendliche Masse des Perserheeres überwunden hatten, nach einem glorreichen Triumph, in dem die erbeuteten Waffen und sonstige Beute mitgeführt wurden, aus der Beute als Mahnmal des Ruhms und der Tapferkeit der Bürger die persische Hallel1 als Siegeszeichen für die Nachwelt errichtet. Und sie stellten dort Nachbildungen der Gefangenen - ihr Übermut wurde mit verdienter Schmach bestraft - in ausländischer Tracht auf, die das Dach trugen, damit die Feinde aus Furcht vor dem Erfolg ihrer Tapferkeit sich entsetzten und die Bürger beim Anblick dieses Wahrzeichens der Tapferkeit, aufgerichtet durch den Ruhm, zur Verteidigung der Freiheit bereit wären. Und so haben viele seitdem Perserstatuen aufgestellt, die Gebälk und dessen Schmuck tragen, und sie haben so aus diesem geschichtlichen Stoff in erhöhtem Maße ihren Werken hervorragende Ab\vechslung verliehen. Ebenso gibt es andere geschichtliche Begebenheiten gleicher Art, die die Architekten im Kopfe haben müssen. 7. Die Philosophie aber bringt den vollendeten Architekten mit hoher Gesinnung hervor und läßt ihn nicht anmaßend, sondern eher umgänglich, billig denkend und zuverlässig, und, was das Wichtigste ist, ohne Habgier sein. Kein Werk kann nämlich in der Tat ohne Zuverlässigkeit und Lauterkeit der Gesinnung geschaffen werden. Er soll nicht begehrlich und nicht dauernd darauf aus sein, Geschenke zu bekommen, sondern er soll mit charakterlichem Ernst dadurch seine Würde wahren, daß er in gutem Ruf steht. Auch das
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20 bonam famam habendo; et haee enim philosophia praeseribit. I Praeterea de rerum natura, quae graeee cpUO'LOAoyLOC12 dieitur, philosophia explieat. Quam neeesse est studiosius novisse, quod habet multas et varias naturales quaestiones. Ut etiam in aquarum duetionibus. Ineursibus enim et eireuitionibus et librata planitie expressionibus 25 spiritus naturales aliter atl que aliter fiunt, quorum offensionibus mederi nemo poterit, nisi qui ex philosophia principia rerum naturae noverit. Item qui Ctesibü13 aut Arehimedis14 et eeterorum, qui eiusdem generis praeeepta eonseripserunt, leget, sentire non poterit, nisi 6 his I rebus a philosophis erit institutus. 8. Musieen autem seiat oportet, uti eanonieam rationem et mathematieam15 notam habeat, praeterea ballistarum, eatapultarum, seorpionwn temperaturas 16 5 possit recte faeere. In eapitulis enim dextra ae sinistra I sunt foramina hemitoniorum17, per quae tenduntur sueulis et veetibus e nervo torti funes, qui non praeeluduntur nee praeligantur, nisi sonitus ad artifieis aures eertos et aequales feeerint. Braeehia enim, quae in eas tentiones ineluduntur, eum extenduntur, aequaliter et pariter utraque 10 plagam mittere' debent; quodsi non homotona fuerint, inpedient direetam telorum missionem. 9. Item theatris vasa aerea, quae in eellis sub gradibus mathematiea ratione eonloeantur sonitum ex diserimine, quae Graeei llXELOC18 appellant, ad symphonias musieas, 15 sive eoneentus, eomponuntur divisa in eireinatione dialtessaron et diapente et