Wörterbuch der phänomenologischen Begriffe 9783787322312, 9783787316892

Seit Husserl entfaltete sich die Phänomenologie zu einer eigenständigen Form der Philosophie, die sich in der Philosophi

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German Pages 699 [710] Year 2005

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Wörterbuch der phänomenologischen Begriffe
 9783787322312, 9783787316892

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Wörterbuch der phänomenologischen Begriffe

Unter Mitarbeit von Klaus Ebner und Ulrike Kadi herausgegeben von Helmuth Vetter

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

PHILOSOPHISCHE BIBLIOTHEK BAND 555

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte ­bi­­­blio­­­g ra­­phi­­­sche Daten sind im Internet a­ brufbar über ‹http://portal.dnb.de›. ISBN 978-3-7873-3913-6 ISBN eBook 978-3-7873-2231-2

Nachdruck 2020 © Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 2004. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, ­soweit es nicht §§  53 und 54 UrhG ausdrücklich gestatten. Druck und Bindung: Beltz, Bad Langensalza. Printed in Germany.

Inhalt

Vorwort des Herausgebers .............................................................

VII

Wörterverzeichnis A – Z ................................................................

1

Anhang Literaturverzeichnis .......................................................................

652

Werkausgaben und Zitation ..........................................................

696

Biographische Notiz zu den Autorinnen und Autoren ...............

696

Autorenkürzel .................................................................................

698

Schlußbemerkung ...........................................................................

699

Vorwort des Herausgebers

Dieses Wörterbuch phänomenologischer Begriffe ist bisher das erste seiner Art. Zwar liegt mit der Encyclopedia of Phenomenology (Embree et al. 1997 ∗) ein Werk vor, das ausführliche Informationen zu Grundbegriffen der Phänomenologie enthält; auch im Historischen Wörterbuch der Philosophie (HWPh) finden sich zahlreiche Stichworte aus dem Kontext phänomenologischen Philosophierens, ebenso in anderen philosophischen Nachschlagewerken wie dem Wörterbuch der philosophischen Begriffe der Philosophischen Bibliothek (Band 500). Eine so umfassende Dokumentation der einzelner Lemmata, wie sie hier vorliegt, ist dennoch im Bereich der Phänomenologie ein Desiderat gewesen. Dies hat den Herausgeber veranlaßt, 1996 anläßlich seiner Bestellung zum Präsidenten der Österreichischen Gesellschaft für Phänomenologie ein solches Projekt vorzuschlagen. Eine Anzahl von Mitgliedern der Gesellschaft wie auch der Gruppe Phänomenologie haben sich sehr bald zu den entsprechenden Vorbereitungsarbeiten bereit gefunden, Auswahlkriterien erstellt und Gesichtspunkte für die Bearbeitung festzulegen begonnen. Im folgenden ist davon insoweit zu berichten, als sie für das Wörterbuch relevant geworden sind. 1. Die phänomenologische Philosophie nimmt lebhaften Anteil an der Entwicklung der Philosophie unserer Zeit und steht gleichzeitig mit zahlreichen Wissenschaften in enger Verbindung; dies hat eine weitgefächerte Terminologie zur Folge. Nicht zuletzt dieses Faktum legt das Bedürfnis nach Ordnung und Sammlung nahe. Termini unterschiedlichen Gebrauchs bei verschiedenen Autoren sowie synonym verwendete Begriffe werden verglichen sowie terminologische Bezüge offengelegt – ein für Forscher auf dem Gebiet der Phänomenologie und nicht zuletzt auch für Studierende ein wichtiges Hilfsmittel. Über den engeren Kreis der Philosophie hinaus erleichtert ein solches Instrument das Gespräch mit jenen Disziplinen, die sich in ihrem Bereich zumindest partiell der phänomenologischen Methode bedienen. 2. Die Begriffe umfassen zwei Hauptgruppen: solche, die für die Entstehung und die weitere Entwicklung der Phänomenologie grundlegend waren und sind, z. B. „Intentionalität“, „Reduktion“ oder „Evidenz“; sowie Termini, die zwar auch außerhalb der Phänomenologie teils von außerordentlicher Bedeutung sind, innerhalb der Phänomenologie jedoch neu begründet werden, z. B. „Bewußtsein“, „Idealismus“, „Leiblichkeit“ oder „Welt“. 3. Die Grenzen eines solchen Unternehmens zeigen sich sehr rasch. Sie ergeben sich allein schon daraus, daß die Phänomenologie aus ihren deutschsprachigen Anfängen längst herausgewachsen ist und eine weltweite Wirkung entfaltet und damit wesentliche Impulse aus anderen europäischen und vor allem auch außer∗ Siehe

Anhang: Literaturverzeichnis

Vorwort

VIII

europäischen Ländern erhält. Die Öffnung anderen Sprachen gegenüber war im übrigen ein Merkmal der Phänomenologie seit ihren Anfängen. Husserl, ihr Begründer, war mährischer Herkunft und nicht zuletzt darin mögen Motive zu seiner frühen Aufnahme in den slawischen Sprachraum zu finden sein (so wäre als früher Vertreter der russische Philosoph Gustav Špet zu nennen, einer späteren Generation gehört der Tscheche Jan Pato cˇ ka an, um nur diese beiden zu nennen). Doch kommen sehr frühzeitig auch enge Kontakte zu französischen und zu japanischen Denkern hinzu. Sie alle waren meist nicht nur Rezipienten, sondern wurden auch aufgrund ihrer eigenen Tradition zu wesentlichen Anregern. So bedeutend nun diese internationalen Verflechtungen für Entwicklung und Fortbildung der Phänomenologie auch gewesen sind, ihnen zu entsprechen hätte den vorliegenden Rahmen bei weitem gesprengt. In gewissen Grenzen ist Frankreich eine Ausnahme: Die Verbindungen zur Deutschsprachigen Phänomenologie von Husserl bis Waldenfels und bis in die jüngste Gegenwart sind so eng, daß sich daraus auch eine unauflösliche Verflechtung der Begriffe ergibt. 4. Die Auswahl beschränkt sich demnach vor allem auf die Gründergeneration innerhalb der deutschsprachigen Philosophie, wobei auch hier Lücken beklagt werden können. So mag manchen der philosophische Lehrer Husserls, Franz Brentano, zu wenig berücksichtigt worden sein; ähnliches gilt für Phänomenologinnen der Frühzeit wie Edith Stein, Gerda Walther oder Hedwig Conrad-Martius. Dagegen sollte die Terminologie von Edmund Husserl und seinen ungetreuen Nachfolgern Max Scheler und Martin Heidegger in großer Breite dokumentiert werden. Dazu kommen wichtige Schüler dieser Philosophen, die für die Entwicklung der Phänomenologie Bedeutendes geleistet haben, auch wenn sie heute entweder kaum noch bekannt sind bzw. wieder neu entdeckt werden (z. B. Adolf Reinach) oder im speziellen Kontext ihren Platz gefunden haben (wie z. B. Schütz innerhalb der Sozialphilosophie). Weiters waren jene Angehörigen der phänomenologischen Bewegung, deren Wirkung in besonderer Weise in die Gegenwart ausstrahlt, einzubeziehen: Sartre und Merleau-Ponty, aber auch Ricœur oder Lévinas (die allerdings nur partiell der Phänomenologie zugerechnet werden können). Schließlich mußte der zeitliche Umfang limitiert werden; es schien gerechtfertigt, mit Bernhard Waldenfels eine zeitliche Grenze zu ziehen, auch wenn solche Festlegungen nie ohne Willkür sind. Daß jede(r) aufmerksame Leser(in) wichtige Personen vermissen oder unterrepräsentiert finden wird, mußte angesichts der Fülle des zu bewältigenden Materials bei allem Bedauern in Kauf genommen werden. ∗ Ein Projekt dieser Art könnte nicht zustande kommen, wenn es nicht Personen und Institutionen gäbe, die es auch in finanzieller Hinsicht tatkräftig unterstützen würden. Ihnen sei im folgenden aufrichtig gedankt. An erster Stelle gilt dieser Dank Frau DDr. Ulrike Kadi und Herrn Dr. Klaus Ebner für deren vielgestaltige redaktionelle Leistung sowie Mag. Matthias Flatscher für weitere mannigfaltige Hilfe. Dazu kommen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die das Projekt in einzelnen Phasen und mit unterschiedlichen Arbeitsschwerpunkten umsichtig begleitet

IX

Vorwort

haben: Mag. Michael Blamauer, Dr. Wolfgang Fasching, Mag. Sarah Kolb, Dr. Petra Plieger, David Unterholzner, Raphael Daum, Mag. Lukas M. Vosicky und Mag. Iris Weißenböck. Alle personelle Unterstützung bedarf der finanziellen Förderung. Hier gilt vor allem dem Jubiläumsfonds der Österreichischen Nationalbank der Dank des Herausgebers: Erst die großzügige Subventionierung durch diesen Fonds ließ überhaupt an eine Realisierung des Projekts denken. Weiters zu danken ist dem Kulturamt der Stadt Wien (Magistratsabteilung 7 – Wissenschafts- und Forschungsförderung), dem Österreichischen Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur, dem Dekanat der Fakultät für Human- und Sozialwissenschaften der Universität Wien und der Österreichischen Gesellschaft für Phänomenologie: Förderungsmittel und Stipendien haben es möglich gemacht, die Arbeit der an diesem Projekt Beteiligten finanziell zu entgelten. Der Dank gilt nicht zuletzt dem Institut für Philosophie der Universität Wien (nunmehr Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaften), daß die computergerechte Bearbeitung des Wörterbuchs großteils in seinen Räumlichkeiten durchgeführt werden konnte. Die Kooperation mit dem Felix Meiner Verlag war überaus angenehm. So seien abschließend die Herren Horst D. Brandt und Jens-Sören Mann für die ebenso kompetente wie freundliche Zusammenarbeit und nicht zuletzt für ihre Geduld herzlich bedankt. Wien, im Januar 2005

Helmuth Vetter

A Abendland. Das A. ist für Heidegger der verborgene → Anfang unserer Geschichte, aus der → Europa hervorgegangen ist. Die → Sprache dieses Abend-Landes muß noch erfragt werden. Über die Landschaft der → Erde kommt ein Abend, der den Morgen dieser Landschaft in sich noch verbirgt. Zu den Dichtern dieses noch verborgenen A.es zählt Heidegger Georg Trakl. Qu.: HeiGA 4, 152-181. – HeiGA 39, § 10. – HeiGA 12, 31-78. – Lit.: Gander 1993. HV

Abgrund. Vom A. spricht Heidegger im Umkreis von Sein und Zeit zunächst im Blick auf das jemeinige → Dasein, um derart die Endlichkeit des Daseins zu akzentuieren: Das Dasein ist abgründig und als so bestimmtes endlich, sofern es in seiner Seinsverfassung als „freies Seinkönnen“ von irreduzibler → „Geworfenheit“ gezeichnet, seine → Freiheit ab-gründig ist (HeiGA 9, 174; vgl. auch HeiGA 26, 234). Im Horizont des seinsgeschichtlichen Denkens, grundgelegt in den Beiträgen zur Philosophie, ist A. sodann Titel für den Zeit-Raum des → „Ereignisses“, der „Wahrheit des Seyns“. Das → Sein ereignet sich, indem es sich entzieht, sich verweigert und versagt als → Grund, Grund ist „im Sichverbergen“ (HeiGA 65, 379). Eine Abgründigkeit, die sich dem von Heidegger reklamierten Denken des „anderen Anfangs“ (→ Anfang) zu erkennen gibt (ebd., 185) und an der es partizipiert, sofern es sich von der „einzigen Leidenschaft“ bestimmt weiß, „die Gründung [...] des Ab-grundes, als welcher das Seyn west“, zu vollziehen

(HeiGA 66, 66). So kann selbst von der „Abgründigkeit dieses Denkens“ gesprochen werden (HeiGA 65, 461; vgl. auch HeiGA 79, 150 ff. u. 175), das nicht nur „die sogenannte Strenge des logischen Scharfsinnes [...] als eine ihrer selbst nicht mächtige Spielerei erscheinen“ läßt (HeiGA 65, 461), sondern überhaupt „nicht fernerhin ein Begründen sein“ will (HeiGA 79, 154). „Sein bleibt als Sein grund-los“, wie Heidegger in Der Satz vom Grund formulieren wird. Denn: „Jede Begründung und schon jeder Anschein von Begründbarkeit müßte das Sein zu etwas Seiendem herabsetzen [...]. Vom Sein bleibt der Grund, nämlich als ein es erst begründender Grund, weg und ab. Sein: der Ab-Grund“ (HeiGA 10, 166; vgl. auch HeiGA 66, passim; HeiGA 68, 15, 35, 37). Gleichsam ,geschichtsphilosoph.‘ konnotiert ist die im Anschluß an Hölderlin artikulierte Erwartung der Herkunft der „großen Wendezeiten der Völker aus dem A.“ seit der ersten HölderlinVorlesung 1934/35 (HeiGA 39, 106). Dichter wie Hölderlin, hält Heidegger in Wozu Dichter? fest, sind als solche nötig, die den „A. der Welt“ erfahren und derart im „Weltalter der Weltnacht“, einer „dürftigen“, götterlosen Zeit, eine „Wende“ anzuzeigen vermögen (HeiGA 5, 269 ff.). Mit Anklängen an Heidegger, jedoch in völlig anderem sachlichen Kontext, spricht Arendt in ihrem Spätwerk Vom Leben des Geistes vom „A. der Freiheit“, dem „A. der reinen Spontaneität“ oder auch dem vor jeder Tat sich öffnenden „A. des Nichts“, den die staatlichen Gründungslegenden mit ih-

Abschattung rem Hiat „zwischen Befreiung und der Schaffung von Freiheit“ indizierten (Arendt 1979b, 197, 206). Qu.: HeiGA 5, 269-320. – HeiGA 9, 123175. – HeiGA 10. – HeiGA 26. – HeiGA 39. – HeiGA 65. – HeiGA 66. – HeiGA 68. – HeiGA 79. – Arendt 1978b (1979b). AGO

Abschattung betrifft nach Husserl die Erscheinungsweise des → Gegenstandes der äußeren → Wahrnehmung. Für einen jeden solchen Gegenstand ist eine unbegrenzte Vielzahl von Wahrnehmungen aus verschiedenen → Perspektiven möglich. Daraus folgt, daß der Gegenstand nie „voll und ganz als derjenige gegeben [ist], welcher er selbst ist“ (Hua XIX/2, 589), z. B. können wir immer nur eine Seite, nicht aber alle Seiten eines räumlichen Gegenstands sehen (vgl. Hua III/1, 14). Trotzdem ist der gegenständliche Sinn der Wahrnehmung nicht die eigentlich gesehene Seite des Gegenstands, sondern der Gegenstand selbst. Dessen Wahrnehmung beinhaltet sowohl das eigentlich Wahrgenommene als auch das eigentlich Nichtwahrgenommene, wie z. B. die von dieser Perspektive nicht einsehbare Rückseite des Gegenstandes. Wahrnehmung eines äußeren Gegenstandes ist nur möglich im Zusammenspiel des originalen → Bewußtseins seiner perspektivisch bedingten A. mit dem „Mitbewußthaben“ oder „Mitmeinen“ seiner nicht eigentlich erscheinenden Seiten. Der abgeschattete Gegenstand ist immer so gegeben, daß das eigentlich Wahrgenommene auf Nichtwahrgenommenes desselben Gegenstandes verweist. Dingwahrnehmung ist eben ein „System von Verweisungen“ dieser Art (vgl. Hua XI, § 1) und bedeutet die → Erfassung des kontinuierlich Identischen von mannigfal-

2 tigen A.en (vgl. Hua III/1, 92). Also ist die A. im Unterschied zum traditionellen Begriff der → Erscheinung nicht einem „Ding an sich“ entgegengesetzt, sondern sie ist eine, wenn auch inadäquate, Selbstgebung des Gegenstandes. Sie ist auch nicht als ein → Bild des Gegenstandes zu verstehen; denn so wie es perzeptive A.en in der Wahrnehmung gibt, sind uns auch Bilder in A.en, nämlich imaginativen, gegeben (vgl. Hua XIX/2, 589-592; Hua III/1, 89-91). Die A. ist vom abgeschatteten Gegenstand dadurch unterschieden, daß sie erlebt, der Gegenstand aber erfahren wird. Es gibt demnach einen grundwesentlichen Unterschied „zwischen Sein als Erlebnis und Sein als Ding“ (Hua III/1, 87), der im Unterschied der Gegebenheitsart gründet. → Erlebnisse zeichnen sich dadurch aus, daß sie sich eben nicht abschatten, sondern → absolut gegeben sind, während ein Gegenstand sich durch seine unendliche Abschattungsreihe als transzendent, weil uneinholbar, erweist (vgl. ebd., 87-88). Husserl redet hier von einem „wahren Abgrund des Sinnes“ (ebd., 105), der absolut gegebenes Bewußtsein und inadäquat gegebene Gegenstände voneinander trennt. Qu.: Hua III/1. – Hua XI. – Hua XIX/2. JJ

Absolut. Ein in phänomenolog. Philosophien gebräuchlicher Terminus, der 1. zur Phänomenbeschreibung und 2. zur Auszeichnung des Bereichs der Phänomenalität bzw. dessen Abgrenzung gegenüber einem Bereich der → Transzendenz verwendet wird. Der Ausdruck „a.“ wird mit Bezug auf verschiedene Phänomene bzw. Probleme in verschiedenen Bedeutungen verwendet. Entsprechend ist mit verschie-

3 denen a./relativ-Unterscheidungen zu rechnen. 1. Zu den grundlegenden (ontolog.) Begriffen, die gemäß der a./relativUnterscheidung näher bestimmt werden, gehören etwa die Begriffe → Identität, Zeitbestimmung und → Inhalt. Alles, was in der → Zeit existiert, ist relativ identisch: Es bleibt dasselbe, indem es sich ändert, indem es kontinuierlich und partiell ein anderes wird. A. identisch, d. h. im Hinblick auf alle seine Bestimmungen dasselbe, kann nur ein nicht in der Zeit existierendes Etwas sein. Nach Husserls Zeitbewußtseinslehre erhält jeder Empfindungsinhalt beim Eintritt in das → Bewußtsein (→ „Urimpression“) eine a.e, im Bewußtseinskontinuum unverrückbare Zeitstelle, die nicht relational bestimmt, sondern durch ursprüngliche Zeitigung fixiert ist (Hua X, § 31). Im Gegensatz dazu sind relative Zeitbestimmungen solche, die nur mittels Bezugnahme auf andere Positionen im Zeitkontinuum vorgenommen und nur in Form von → Urteilen über Zeitverhältnisse zum Ausdruck gebracht werden können. Die Unterscheidung zwischen selbständigen („a.en“) und unselbständigen („relativen“) Inhalten findet sich in den formalontolog. Abschnitten von Husserls Logischen Untersuchungen. „A.“ kann ein Inhalt heißen, der selbständiger Teil insofern ist, als er nach Sein und Sosein unabhängig davon ist, ob Inhalte bestimmter anderer Art existieren oder nicht. Relative Inhalte sind solche, für die das nicht gilt. Ihr Sein und Sosein hängt davon ab, daß es Inhalte bestimmter anderer Art gibt, denen sie als unselbständige Momente anhängen. So gehört etwa die rote Färbung der Oberfläche eines → Gegenstandes in einer Weise an, da sie ohne diese nicht sein kann. Ebenso

Absolut ist ein phosphoreszierender Glanz von der Existenz einer gefärbten Oberfläche abhängig, an der er erscheint und ohne die er nicht existieren kann (Hua, XIX/1 , §§ 1-7, 10-17, 21). Unselbständige Inhalte sind ergänzungsbedürftige, durch andere Inhalte fundierte Inhalte. 2. Gemäß seinem nicht auf bestimmte Gegenstandsbereiche und gegenständliche Zusammenhänge, sondern auf die Sphäre der Gegenständlichkeit überhaupt bezogenen Gebrauch ist a. der höchste spekulative Begriff. A) Das subjektivkonstitutive A.e in Husserls Zeitbewußtseinslehre und transzendentaler Phänomenologie: Geht man von der etymologischen Grundbedeutung aus (lat. absolutum, das Losgelöste), so scheint das Problem des A.en in einer Phänomenologie, die sich als Bewußtseinsphilosophie und Intentionalitätslehre versteht, keinen systematischen Ort zu haben. In der frühen Phänomenologie kommt diese Schwierigkeit etwa in dem Disput über die Konsistenz oder Inkonsistenz der Logischen Untersuchungen Husserls zum Ausdruck: Wie läßt sich der logische Absolutismus der Prolegomena zur reinen Logik (I. Band), die These einer von aller Subjekt/Aktrelativität unabhängigen → Geltung logischer Gesetze, mit der per se aktgebundenen phänomenolog. → Beschreibung intentionaler → Beziehungen (II. Band) verbinden? Gemäß der Idee der intentionalen Beziehung wird alles, was für eine phänomenolog. → Betrachtung Gegenstand sein kann, gerade nicht „losgelöst“, sondern in seiner Relation zu intentionalen Erlebnissen erfaßt. Wird die Bedeutung des Terminus „relativ“ bezugnehmend auf die Grundstruktur der intentionalen Beziehung verstanden, d. h. im Sinne

Absolut von „relational“ (= die Relation zwischen intentionalen Erlebnissen und Gegenständen betreffend), dann bezieht sich der Terminus „a.“ auf das, was nicht vermöge derartiger Relationen ist: was nicht Phänomen ist. Etwas ist a., insofern es Seiendes für sich bzw. aus sich selbst ist, zugleich aber Bedingung dafür ist, daß anderes Seiendes erkennbar ist. Dies trifft gemäß der Auffassung einer transzendentalen Phänomenologie, die Husserl nach den Logischen Untersuchungen entwickelt, einzig auf das reine, phänomenolog. reduzierte Bewußtsein zu. a) Das Transzendentale und das A.e: Daß das Bewußtsein in Husserls Phänomenologie als a.e Instanz eingeführt werden kann, gründet in seiner Doppelnatur: Bewußtsein ist in jedem Moment Gegenstand- und Akt/Selbstbewußtsein in eins. Nur deshalb ist es möglich, ein uneingeschränktes Für-sich-sein (Abgeschlossensein) des reinen Bewußtseins und in diesem Sinn dessen Selbständigkeit zu behaupten, weil Bewußtsein einerseits die unbegrenzte Mannigfaltigkeit der Phänomene einer Erfahrungswirklichkeit (potentiell) in sich enthält, andererseits aber in aller Selbsttranszendenz bei sich bleibt. Im Rahmen der phänomenolog. Untersuchungen Husserls bedeutet „Transzendenz“ nichts anderes als intentionale → Immanenz. Jede Transzendenzbewegung, wenn sie überhaupt bewußt sein soll, muß in einem (eo ipso bewußtseinsimmanenten) → Akt vollzogen werden. A. ist das Bewußtsein nicht im Hinblick auf seine gegenständliche (repräsentierende) Funktion, welche Gegenstände in Raum und Zeit nur partiell (in Abschattungen) erfaßt, sondern im Hinblick auf seine unmittelbare (irreflexive) Selbstbezüglichkeit, die auch in

4 jedem eigene Akte vergegenständlichenden Reflexionsakt als ursprüngliche Bewußtseinsfunktion vorausgesetzt ist. A. ist, was irrelativ, nur auf sich selbst relativ ist (Hua V, 153). A. ist das jeweils gegenwärtige Erlebnis, das sich „nicht dar[stellt]. Darin liegt, die Erlebniswahrnehmung ist schlichtes Erschauen von etwas, das in der Wahrnehmung als ,A.es‘ gegeben (bzw. zu geben) ist und nicht als Identisches von Erscheinungsweisen durch Abschattung“ (Hua III/1, 92). A. ist allein der aktuelle Vollzug des Aktes, nicht irgendeine bestimmte Gegebenheit im Bewußtsein. Für Bewußtsein im vorliegenden eingeschränkten Sinn als Bewußtsein des aktuellen Erlebnisvollzuges gilt: „Es ist eine Sphäre a.er Position. So ist denn in jeder Weise klar, daß alles, was in der Dingwelt für mich da ist, prinzipiell nur präsumptive Wirklichkeit ist; daß hingegen Ich selbst, für den sie da ist (unter Ausschluß dessen, was ,von mir‘ der Dingwelt zurechnet), bzw. daß meine Erlebnisaktualität a.e Wirklichkeit ist, durch eine unbedingte, schlechthin unaufhebliche Setzung gegeben.“ (ebd., 98) Die a.e Position des reinen Bewußtseins gründet in der evidenten Unmöglichkeit, sich des gegenwärtigen Vollzugs („Habens“) eines Erlebnisses nicht bewußt zu sein. Die Absolutheit des Bewußtseins liegt in der Gewißheit des (ego) cogito, welche nicht Irrtumssicherheit bezüglich des intendierten Gegenstandes einschließt. Nach Husserls Auffassung ist es eine Funktion der phänomenolog. → Reduktion, die cogito-Gewißheit von allen unberechtigten, nicht im Phänomen selbst ausweisbaren Hinzudeutungen freizuhalten. Diese Auffassung ist insbes. vorherrschend in den Vor-

5 lesungen von 1907 und in den Ideen I. 1907 präsentiert Husserl die phänomenolog. → Methode als den Weg zur a.en → Erkenntnis, ohne daß diese jedoch in eindeutiger Weise bestimmt würde. Sie wird zwar an das Vorliegen unbezweifelbarer, weil alle phänomentranszendenten → Setzungen ausschließender → Gegebenheiten gebunden, Husserl ist sich jedoch darüber im klaren, daß jede phänomenolog. Beschreibung schon allein infolge der unvermeidlichen sprachlichen Fixierung über das a., d. h. hier: voraussetzungslos Gegebene hinausgehen muß (Hua II, 47-51). In den Ideen I bezieht sich die Rede von a.er Gegebenheit vordringlich auf die Art und Weise, wie Bewußtsein (sc. das gegenwärtige Erlebnis) sich selbst gegeben ist im Unterschied zur Gegebenheitsweise der intendierten Gegenstände. Diesbezüglich wird ein „kardinaler“ Unterschied der Seinsweise „Sein als Ding“ (phänomenales → Sein) und Sein als Bewußtsein (a.es Sein) festgestellt (Hua III/1, §§ 44-46). Heißt „relatives Sein“ gemäß der Konzeption der Ideen I „vermöge der Noesis/Noema-Relation seiend“, so ist In-relativem-Sinn-Sein gleichbedeutend damit, intentional konstituiert zu sein. Das A.e ist demnach das, was nicht konstituierbar ist: was nicht als sinnvermittelt gegebener, intentionaler Gegenstand ist. Gemäß dieser Problemsicht sind die einzigen Anwärter für den Status des A.en, für ein im Problemgehalt einer phänomenolog. Intentionalitätslehre liegendes Transzendentes, das nicht bloß Transzendentes im schwachen Sinne der intentionalen Immanenz ist, das ursprüngliche zeitkonstituierende Bewußtsein und das Bewußtsein des alter ego. b) Das Transzendente und das A.e:

Absolut „Transzendental“ heißt das reine Bewußtsein vermöge der Sinnkonstitution des intentionalimmanenten („transzendenten“) Gegenstandes. „Das transzendentale ,A.e‘, das wir uns durch die Reduktionen herauspräpariert haben [sc. die reine Korrelation von Noesis und Noema, S.R.], ist in Wahrheit nicht das Letzte, es ist etwas, das sich selbst in einem gewissen tieferliegenden und völlig eigenartigen Sinn konstituiert und seine Urquelle in einem letzten und wahrhaft A.en hat.“ (Hua III/1, 182) Im Zusammenhang der Problematik des ursprünglichen Zeitbewußtseins, der Frage nach der → Konstitution der subjektiven Zeit des Bewußtseins (des Zeiterlebens) im Unterschied zur objektiven Zeit der in Raum und Zeit erfahrbaren Gegenstände tritt das A.e als Ursprung der intentionalen Struktur des Bewußtseins auf. Da → Intentionalität die Bedingung aller Erkenntnis überhaupt ist, zielt die Frage nach dem A.en demnach auf die im Rahmen einer phänomenolog. Philosophie letztmögliche Begründung. Das Letzte (A.e) kann als solches nicht durch anderes vermittelt sein: es muß sich selbst begründen. Da die ursprüngliche Zeitkonstitution auf der Ebene der vorgegenständlichen, reellen Bewußtseinsinhalte (Empfindungen, Erlebnisse) erfolgt, läßt ihre Untersuchung das Problem akut werden, daß das Modell der intentionalen Gegenstandsbeziehung nicht auf das Selbstverhältnis bzw. die Selbstkonstitution des Bewußtseins übertragbar ist. Zugleich überschreitet die Frage nach der ursprünglichen Zeitkonstitution die methodischen Grenzen einer phänomenolog. Untersuchung. Husserls Analyse des ursprünglichen Zeitbewußtseins endet mit der Feststellung einer nicht

Absolut mehr beschreibbaren Selbstkonstitution des konstituierenden Bewußtseins: der „Selbsterscheinung des Flusses“ (Hua X, 82 f., 381 f.). Dieser ursprünglich zeitkonstituierende → „Fluß“, der selbst nicht als in der Zeit seiend gedacht werden kann, wird lediglich in der dem Konstituierten angemessenen Sprache so genannt, „aber es ist nichts zeitlich ,Objektives‘. Es ist die a.e Subjektivität“ (ebd., 371). Die Radikalität der vom Anderen repräsentierten Transzendenz liegt darin, daß das alter ego als konstituierendes Subjekt nicht Gegenstand von sinnkonstituierenden Akten des ego sein kann. Die reine Ich-Funktion (Funktion der Intentionalität) des Anderen ist ebensowenig vom ego konstituiert, als dieses in der Lage ist, seine eigene Ich-Funktion nach dem Modell gegenständlicher Beziehungen zu konstituieren. Das eigene und das fremde → Ich, sofern es radikal Transzendentes ist, ist nur im Seiner-selbst-bewußt-Sein. Das Rätsel des alter ego, das als konstituierendes Subjekt gedacht wird, ist kein anderes als das Rätsel des ursprünglichen Zeitbewußtseins, das sich bereits im Rahmen einer egologischen Phänomenologie stellt. B) Das objektiv-transzendente A.e in Schelers Seinssphärenhierarchie und materialer Wertethik: Eine objektive Konzeption des A.en erfordert es, die Einschränkung der Phänomenologie auf eine Lehre der intentionalen Beziehung, und damit die Gleichsetzung von „Sein“ und „Gegenstand-für-einBewußtsein-sein“, aufzuheben. Scheler vollzieht diese Aufhebung. Seine Idee des A.en setzt einen von Husserls Auffassung abweichenden Begriff der Transzendenz voraus. Während das A.e in Husserls Philosophie als ein Problem der Selbstbegründung einer

6 transzendentalen Phänomenologie auftritt, geht Scheler über diese erkenntniskritische Dimension der Problemstellung hinaus. Als „Gottsucher“ hat der Mensch immer schon, unabhängig von allen theoretischen Erörterungen, → Interesse an einem A.en, das sich nicht der von einem Erkenntnissubjekt gesetzten Grenze zwischen Immanenz und Transzendenz verdankt, sondern „früher“ ist als jede Erkenntnistheorie. Beziehung zum A.en ist ursprüngliche Erfahrung. a) Daseinsrelative und nicht daseinsrelative Seinssphären: Scheler unterscheidet folgende irreduzible Seinssphären: die Sphäre 1. des ens a se, des a.en Seins, im Unterschied zu allem relativen Sein; 2. von Außenwelt und Innenwelt; 3. von → Lebewesen und → Umwelt; 4. des Ich/Du und der Gemeinschaft. Die verschiedenen Seinssphären stellen, mit Ausnahme der höchsten des a.en Seins, verschiedene Stufen der Daseinsrelativität von Gegenständen dar. Diesen Stufen entsprechen jeweils bestimmte → Einstellungen bzw. Interessen bezüglich der Gegenstände, die ihrerseits je nach ihrer Sphärenzugehörigkeit in einer bestimmten, im Wesen des Gegenstandes gründenden Erfahrungstypik gegeben sind. Soll der Gegenstand „als er selbst“ erfaßt werden, so kann mithin in bezug auf die je vorfindliche Daseinssphäre nicht beliebig zwischen alternativen Gegebenheitsweisen gewählt werden. Selbstgegebenheit des Gegenstandes (gemäß der jeweiligen Erfahrungstypik) ist eine Bedeutung der Rede von „a.er Erkenntnis“. Da phänomenolog. Erkenntnis in bezug auf jede Seinssphäre auf → Wesen und Wesenszusammenhänge, mithin auf metaphys. Wissen abzielt, dessen Gegenstand nicht daseinsrelativ auf das

7 → Leben ist, das zum Wesen einer Gegenstandsart Gehörige aber das ist, was für jede Erfahrung eines Gegenstandes der betreffenden Art a priori gilt, ist phänomenolog. Erkenntnis a.e Erkenntnis in dem Sinn, daß sie durch keine Beobachtung und Induktion zu bestätigen oder zu widerlegen ist, die Gültigkeit der von der Phänomenologie ausgesagten Wesenszusammenhänge vielmehr in jedem empirischen Urteil vorausgesetzt ist. b) Das A.e und das Relative in der → Ethik: Wird das Problem des A.en und Relativen gestellt, so ist darauf zu achten, daß die im Sinne der Seinssphärenlehre anzusetzende Differenz zwischen a.en und relativen Gegenständen nicht mit der Differenz a.er und relativer Erkenntnis von Gegenständen verwechselt wird. Unterbleibt diese Verwechslung, so kann die (je nach Gegenstandsart näher zu bestimmende) Daseinsrelativität eines Gegenstandes festgestellt werden, ohne damit eine relativistische Position zu vertreten. Die Eigenart der materialen Wertethik Schelers liegt gerade darin, daß sie die These eines Werteabsolutismus mit der Betonung der Historizität und Variabilität des menschlichen Ethos verbindet (ScheGW 2, 20, 22, 309 ff.). In Entsprechung zum logischen Absolutismus der Unabhängigkeit und logischen Vorgängigkeit des Seins der idealen Gegenstände vor dem Sein der realen Gegenstände (ScheGW 9, 196) formuliert Scheler seinen ethischen Absolutismus dahingehend, daß „Werte überhaupt (und auch deren Wertsein) sind und bestehen, nicht erst bedingt durch irgendwelche Reaktionen faktischer Lebewesen“ (ScheGW 2, 290). Dieser ethische Absolutismus bekundet sich in dem Versuch, eine objektive Werthierarchie (Rangordnung von → Wer-

Absolut ten) auszuweisen, die in ihrer Geltung unabhängig ist vom Dasein einer historisch sich verändernden Güterwelt, in welcher sich Werte und Wertverhältnisse manifestieren: in welcher sie objektiv und wirklich werden. Innerhalb der Wertesphäre sind relative und a.e Werte zu unterscheiden je nachdem, ob sie für ein reines, vom Wesen der Sinnlichkeit und des Lebens unabhängiges → Fühlen existieren oder nicht. Die Relativität des Seins der Wertarten hat, wie Scheler betont, ebensowenig mit der Relativität der Güterarten zu tun, welche Träger der Werte sind, wie sie mit der historischen und sozialen Relativität faktischer Wertschätzungen zu tun hat (ScheGW 2, 118). Die Wertordnung ist a priori gegenüber der Güterwelt (ebd., 40 f., 45 f., 67). Als Vermittlungsinstanz zwischen der objektiven Wertordnung und den geschichtlich sich wandelnden Formen und Institutionen der Sittlichkeit tritt die → Person auf. Schelers Ethik verteidigt den Standpunkt des sogenannten Personalismus, wonach alle Werte den Personwerten unterzuordnen sind (ebd., 115 f.). Während das Ich von Scheler als Gegenstand innerer Wahrnehmung verstanden wird, ist die → Person Ausgangspunkt und Träger aller, mithin auch der wertfühlenden Akte. Ebenso wie die Person können auch deren Akte nicht gegenständlich werden: Das Seinswesen der Akte ist ihr Vollzug; die Person ist nur als kontinuierliche Aktualität, als „nur aktual seiende Subjektivität“. Einzig für das, was gemeinhin, gemäß der herrschenden Idee positiver → Wissenschaft und wissenschaftlicher Objektivität, als das nur Subjektive gilt, nämlich die Person, gibt es das A.e: „[...] nur die Personform des Erkennens [vermag] Welttotalität

Absolut zu geben [...] und nur für Personform [ist] die a.e Daseinsstufe aller Dinge überhaupt zugänglich [...].“ (ScheGW 6, 19) C) Das vorontolog. und vorepistemologische A.e in der Philosophie des → Andern von Levinas: In Levinas‘ Denken ist das Problem des A.en mit den Ideen → Totalität und der Unendlichkeit verbunden, welche seinem emphatischen Erfahrungsbegriff zugrunde liegen. Als unmöglich erscheint die Beziehung zum A.en nur dann, wenn sie als Erkenntnisbeziehung zwischen einem immanenten, seiner selbst präsenten Bewußtsein und einem transzendenten A.n gedacht wird. Demgegenüber betont Levinas, daß die Bindung an das A.e jeder Erkenntnis vorgängig ist und nicht wie ein Gegenstand (Zustand, Ereignis) in der Welt, gemäß einer Subjekt-ObjektBeziehung, erkannt werden kann. Die intentionale Beziehung auf ein x, die nach Levinas eine Aktivität des Subjekts darstellt, kann nur solches erfassen, das einem Subjekt als Gegenstand gegenübertritt. Dagegen erschließt sich das A.e nur einer gänzlich passiven Erfahrung (→ Passivität). Für Levinas steht, ebenso wie für Scheler, die Bedeutung des A.en für das Selbstverständnis der menschlichen Existenz im Vordergrund. Mit der Feststellung, daß der Gesichtspunkt des intentionalen Bewußtseins ein beschränkter ist, der zugunsten der Einbeziehung einer echten, nicht bloß phänomenolog. („immanenten“) Transzendenz zu überwinden ist, knüpft Levinas an Scheler an. Mit der These, daß die Frage nach dem alter ego und die Frage nach dem Zeitbewußtsein einem Problemzusammenhang angehören, der im Hinblick auf das A.e von zentraler Bedeutung ist, schließt Levinas an

8 Husserl an. Beide Argumentationslinien laufen zusammen in der Konzeption des → Antlitzes (visage): A. ist, was nicht repräsentierbar ist; was uns mit Erfahrung im echten Sinn bekannt macht; was die Einheit der transzendentalen Apperzeption eines reinen Bewußtseins aufbricht, in welcher Immanenz immer über Transzendenz triumphiert; was anstelle der Autonomie des Subjekts die Begegnung mit dem Anderen (l’autrui), ein Sich-Öffnen für die → Andersheit (l’altérité) setzt, welche den Primat des Bewußtseins und die objektivierende Intentionalität zugunsten einer ursprünglichen Transitivität aufhebt (Levinas 1992, 148 ff., 223 f., 228 ff.). Die Art und Weise, wie ein Antlitz bedeutet, beruht nicht darauf, in einen Verweisungszusammenhang (Horizont) von Symbolsystemen eingebunden zu sein. Das Verstehen und Anerkennen des Faktums der Transzendenz im Antlitz des Anderen hat eine ethische Bedeutung. Es bringt mich in die Position dessen, der unbedingte → Verantwortung (für den Anderen, für das Universum) trägt. Das ethische Grundphänomen der Verantwortlichkeit (responsabilité) liegt in der Art des Berührtwerdens durch den Anderen, der nicht als Gegenstand zu beschreiben, zu erklären, zu konstituieren ist. In der Beziehung „von Angesicht zu Angesicht“ ereignet sich eine Gemeinschaftlichkeit, die nicht auf einem Verstehen beruht, vielmehr alles Verstehen erst ermöglicht (ebd., 113 ff., 117 ff.). Das mich im Antlitz heimsuchende Andere ist das einzige Seiende, das ich nicht mit Hilfe meines Verstandes besitzen kann, das nicht Gegenstand eines (durch Inbesitznahme zu befriedigenden) → Bedürfnisses (besoin) werden kann. Der Andere stellt meine →

9 Freiheit in Frage. Er ist die unerreichbare, unendliche Quelle (infinité) meines Begehrens (désir) (Levinas 1992, 218 ff., 225, 239). In der Beziehung zum Anderen bin ich heteronom (ebd., 188 ff.). (Deshalb ist die Verantwortung für den Anderen nicht etwas, das ich mir als Pflicht abverlangen könnte.) Als irreduzibel auf meine Erfahrung von ihm ist der Andere, wie ebenso mein → Leib, apriorische Bedingung von Erkenntnis und Sein (ebd., 136). Ebenso wie in Husserls Philosophie ist in jener von Levinas die Entdeckung der Irreduzibilität des Anderen – was Husserl „radikale Transzendenz“, Levinas „ethischen Widerstand“ (Levinas 1987, 55, 171) nennt – mit der Überschreitung des Gedankens gegenstandsgerichteter Intentionalität und mit dem Problem eines ursprünglichen Zeiterlebens verknüpft. „The proximity of a neighbour remains a diachronic break, a resistance of time to the synthesis of simultaneity.“ (ebd., 167) Wird der Andere nicht bloß als Erscheinung, als in bestehende Ordnungen integriert genommen, sondern als Spur (trace) einer Transzendenz, so unterbricht die Erfahrung des Anderen die Kontinuität meines Bewußtseins. Sie verlangt eine „spaltbare Gegenwart [...], die sich noch in ihrer Punktualität ,destrukturiert‘. Die die Ordnung verwirrende Andersheit kann nicht zurückgeführt werden auf die Differenz, die der Blick sichtbar macht, der vergleicht und gerade dadurch das Selbe und das Andere vergleichzeitigt. Die Andersheit ereignet sich als ein Abstand und eine Vergangenheit, die keine Erinnerung zur Gegenwart zu erwecken vermöchte. Und dennoch vermag sich die Verwirrung nur als Dazwischenkunft. Es bedarf also eines Fremden, der kommt,

Achtung gewiß, aber der schon fort ist, bevor er ankommmt, absolut in seiner Erscheinung.“ (Levinas 1992, 249) Qu.: Hua XIX/1. – Hua II. – Hua III/1. – Hua IV. – Hua V. – Hua VIII. – Hua X. – Hua XV. – ScheGW 2. – ScheGW 3. – ScheGW 6. – ScheGW 9. – ScheGW 10. – Levinas 1947 (1997). – Levinas 1979 (1989). – Levinas 1979 (1989). – Levinas 1961 (1987). – Levinas 1974 (1992). – Levinas 1987b. – Levinas 1949 (1983). – Lit.: Adorno 1966 (3 1982). – Baumgartner 1980, 321-342. – Brand 1955. – Boehm 1959, 214-242. – Blum 1983, 145-168. – Cramer 1959. – deBoer 1973, 514-533. – Eigler 1961. – Findlay 1970. – HeiGA 20. – Krewani 1982, 107-127. – Krewani 1992. – Masterson 1983, 211-223. – Orth/Pfafferott 1994. – Priest 1999, 209222. – Rinofner-Kreidl 1999. – Sartre 1982, 39-96. – Schneck 1987. – Schulz 1981, 638. – Soffer 1991. – Sommer 1987. – Tietjen 1980. – Vasey 1981, 178-195. – Wittmann 1923 (2 1973). – Wyschogrod 1974. SRK

Achtung. In Schelers Klassifikation der Hauptarten der geistigen → Werte gehört die A. zu den Werten der reinen Wahrheitserkenntnis, näherhin zu „Antwortsreaktionen“ (ScheGW 2, 125), wie auch das Gefallen und Billigen sowie deren Gegenteil. Die → Akte, in denen solche Werte erfaßt werden, sind „Funktionen des geistigen Fühlens und Akte des geistigen Vorziehens und Liebens und Hassens“ (ebd., 124), die von den gleichnamigen vitalen Funktionen und Akten streng unterschieden werden müssen. Kants Begriff der A. ist für Scheler einer der Anlässe zu einer prinzipiellen Auseinandersetzung mit dessen imperativischer Ethik. In der Kritik der praktischen Vernunft (I. Teil, I. Buch, 3. Hauptstück) ist die A. für das Gesetz die einzige moralische Triebfeder. Mit

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Adäquation der Annahme eines solchen Gesetzes stimmt für Kant auch das Gebot der Gottes- und Nächstenliebe zusammen. Als Gebot fordert es „A. für ein Gesetz, das Liebe befiehlt“. Scheler kritisiert daran, daß mit der Auffassung jenes Wortes von Jesus als Gebot der Akt der Liebe dem Gesetz untergeordnet werde. Der Akt der A. erscheine dadurch wertvoller als der Akt der Liebe. Dagegen gilt für Scheler umgekehrt, daß Aktarten wie Liebe oder Ehrfurcht „aller A. weit an Wert überlegen sind“ (ScheGW 2, 230). Qu.: ScheGW 2, 124-125 u. 228-238. HV

Adäquation. Der Begriff der A. („Angleichung, Übereinstimmung“) ist in der philosoph. Tradition maßgeblich für die Bestimmung der → Wahrheit. „Veritas intellectus est adaequatio intellectus et rei.“ „Wahrheit ist Übereinstimmung der Erkenntnis und der Sache.“ (Thomas von Aquin: Summa contra gentiles, liber I, caput 59, Nr. 495; vgl. De veritate, quaestio 1, articulus 1.) Entsprechend sind für Husserl Fragen der A. solche der Wahrheit. Mögliche Wahrheit als Richtigkeit besagt mögliche A. an mögliche Sachen selbst. Der Begriff der → Richtigkeit macht den kritischen Begriff der Wahrheit aus und entspringt der evidenten Selbsthabe, → Evidenz als Richtigkeitsbewußtsein erwächst in aktueller A. Ein → Urteil zur A. zu bringen heißt, kategorial zu fassen, was in der einstimmigen → Erfahrung gegeben ist bzw. zu erfassen, daß es etwas prädiziert, das zwar sinngemäß zur entsprechenden Erfahrungssphäre gehört, aber im Widerstreit zu etwas Erfahrenem steht. Qu.: Hua XVII, §§ 46 u. 54.

HV

Affekt. Die Affektion gehört für Husserl zu den allgemeinen Strukturen der → Rezeptivität und geht der → Erfassung und Explikation voraus. Affizieren bedeutet Weckung des Erkenntnisinteresses. Der zu erkennende → Gegenstand geht aller → Erkenntnis voraus; indem er sich aus seiner Umgebung heraushebt, affiziert er ein → Ich. Was sich vom → Hintergrund abhebt, fällt auf und entfaltet damit eine affektive → Tendenz in Richtung auf jenes. Scheler behandelt A.e im Kontext der Phänomenologie und Soziologie des → Ressentiments. Er versteht darunter (in freier Nietzscherezeption) eine „seelische Selbstvergiftung“, deren Ursache in der Zurückdrängung bestimmter A.e liegt; dabei kommen vor allem Rache, Haß, Bosheit, Neid, Scheelsucht und Häme in Betracht, an erster Stelle steht der Racheimpuls. Zwischen diesen A.en einerseits, der Ohnmacht ihrer Entladung auf der anderen Seite baut sich eine Spannung auf, in deren Gefolge die A.e die Form des Ressentiments annehmen. Das Gefühl der Ohnmacht ist mit dem Bewußtsein des Nichtkönnens verbunden und wird dadurch zu einer Macht der Verdrängung. Als Beispiel für eine Entladung der A.e nennt Scheler die Strafjustiz, die von Rache reinigt. Wird dem A. die äußere Entladung verwehrt, übt er eine Wirksamkeit nach innen aus. Qualität und Richtung machen die Wirkung des A.s aus, seine zuständliche Seite hat in Viszeralempfindungen ihre Grundlage, was auch zu einer Beeinträchtigung des Leibgefühls führt. Während Scheler nicht genau zwischen A., Leidenschaft und → Gefühl unterscheidet, tut Heidegger eben dies. In seiner Auslegung von Nietzsches Bestimmung des Willens als A. erkennt er in diesem ein Außer-sich-sein,

11 das anfallsartig geschieht und rasch vergeht. Die Leidenschaft ist dagegen durch Sammlung und Hellsichtigkeit charakterisiert. Ein Gefühl wiederum ist der Zustand, in dem wir uns zu den Dingen, zu uns selbst und zu den Mitmenschen um uns befinden, ein Offenhalten im Verhältnis zum Seienden. Ricœurs Behandlung des Affektiven gehört in die Untersuchung der paradoxen Situation des Gefühls. Dieses ist einerseits intentional und somit auf Gegenstände und Personen bezogen. Doch sind diese intentionalen Korrelate nicht autonom, insofern den Gefühlen das positionale Moment fehlt, der Existenzglaube. Das Gefühl setzt kein Seiendes, sondern bekundet die Weise, wie der Fühlende affiziert, in seinem Innersten betroffen wird. Die Paradoxie des Gefühls begründet die affektive Zerbrechlichkeit. Die Intention auf Täuschungsfreiheit begründet für Henry die Bedeutung des A.s. Dieser ist in seinem Erleiden das einzig Unbestreitbare. Die phänomenolog. → Reduktion legt die radikale → Immanenz als transzendentale Affektivität frei, die das Wesen des Lebens und dessen Ipseität ausmacht: „Als A. ist das Leben als Leben.“ (Henry 1992, 199) Die transzendentale Affektion ist ursprüngliche Manifestation ihrer selbst, ein Selbsterweis, Selbstzeugung des Lebens in seiner Selbstaffektion und darin das verborgene Wesen der Gottheit. Qu.: Husserl 1939, § 17. – HeiGA 6.1, 40 ff. – Ricœur 1960a (1971, 110 ff). – Henry 1992. – Lit.: Kühn 1992. HV

Ahnung. Heidegger versteht unter A. jene → Stimmung, in der sich „das Geheimnis als solches eröffnet“, das durch die → Dichtung gestiftet wird;

Ähnlichkeit das Wort A. erscheint erstmals im Zusammenhang mit seiner Auslegung Hölderlins. Die A. der Ankunft des → Gottes im Leiden ist ein Wissen, das sich nicht vom Menschen her einrichten läßt. Dem Schein nach ein Wähnen, ist das Ahnen in Wahrheit das eigentliche Wissen, „die Halle, die alles Wißbare verhehlt, d. h. verbirgt“ (HeiGA 8, 211). Qu.: Heidegger 8, 210 f. – HeiGA 39, 257. – HeiGA 45, 176. – HeiGA 51, 12. – HeiGA 53, 34 u. 132. – HeiGA 8, 210 HV

Ähnlichkeit ist bei Husserl ein explizites Thema seiner Relationentheorie. Die Beschäftigung mit der Ähnlichkeitsrelation beginnt in der Philosophie der Arithmetik (Hua XII, 67, 72, 82, 119). Schon dort wird der Begriff „Ä.“ in der Bedeutung verwendet, die bei Husserl stets erhalten bleiben wird: Ä. ist die partielle → Identität zwischen mindestens zwei Phänomenen. Insbesondere in Erfahrung und Urteil wird dieses Ähnlichkeitsverständnis eingehend phänomenolog. analysiert. Das Ergebnis dieser Untersuchung führt zu vier Hauptthesen über die Ähnlichkeitsrelation: 1. „Völlige Gleichheit haben wir als Limes der Ä. begriffen.“ (Husserl 1985, 404) 2. Ä. ist das Produkt einer Deckungssynthesis, die „wir mit dem traditionellen Ausdruck [...] als Assoziation bezeichnen“ (ebd., 77). Umgekehrt gilt: „Alle unmittelbare Assoziation ist Assoziation nach Ä.“ (ebd., 78) 3. Ä. „ist die Grundlage für die unterste Stufe der Allgemeinheit“ (ebd., 405). 4. Es sind die totale (reine) und die partielle (unreine) Ä. zu differenzieren: „Zwei Inhalte stehen im Verhältnis reiner Ä., wenn kein unmittelbares Teil des einen dem des anderen unähn-

Aisthesis lich ist. Unreine Ä. ist getrübte Ä., getrübt durch Komponenten der Unähnlichkeit“ (ebd., 229) Weniger thematisiert, aber dafür an systematisch entscheidender Stelle tritt der Ähnlichkeitsbegriff auch in der Bildtheorie Husserls auf: „Bildvorstellungen im gemeinen Wortsinn“ definiert Husserl dort als „jene merkwürdigen Vorstellungen, bei denen ein wahrgenommener Gegenstand einen anderen durch Ä. vorstellig zu machen bestimmt und befähigt ist, und zwar in der bekannten Weise, in der das physische Bild das Original vorstellig macht“ (Hua XXIII, 17). Qu.: Hua XII. – Hua XXIII. – Husserl 1939 (6 1985). LW

Aisthesis. Hatte Husserl im Rahmen seiner phänomenolog. Untersuchungen zur Konstitution das materielle → Ding als „aistheton“ und den ihm zugehörigen, leibbezogenen „gegenständlichen Sinn“ als A. (vgl. Hua IV, § 18 u. 405 f.) gefaßt, so ist A. für Heidegger seit der Marburger Zeit ein an Aristoteles gewonnener Leitbegriff, der in mannigfaltigen Nuancierungen und unter verschiedenen Titeln bis ins Spätwerk bestimmend bleibt. In der Einführung in die phänomenologische Forschung heißt es: „A. ist die Weise des Daseins eines Lebenden in seiner Welt“, die „die Weisen des Vernehmens durch die Art des Vernommenen, des im Vernehmen Zugänglichen“ (HeiGA 17, 8) charakterisiere; in den vorbereitenden Bemerkungen zur Vorlesung über Platons Sophistes bezeichnet Heidegger die A. als „Grundverfassung des Menschen“, insbesondere in ihrer höchsten Form, im → Hören: „Mit dem Sprechen gehört das Hören zu seiner (sc. des Menschen) Mög-

12 lichkeit. Weil der Mensch hören kann, kann er lernen. Beide Sinne, das Hören und das Sehen, haben nach verschiedenen Richtungen hin einen Vorzug: das Hören ermöglicht die Mitteilung, das Verstandenwerden von anderen; das Sehen hat den Vorzug des primären Erschließens der Welt, so daß das Gesehene besprochen und im logos ausführlicher angeeignet werden kann.“ (HeiGA 19, 70) Zusammen mit der in der Vorlesung Die Grundfragen der antiken Philosophie getroffenen Bestimmung der A. als „eine(r) ursprünglich genuine(n) Art der Gebung, und zwar direkt“ (HeiGA 22, 150) ergeben diese Bestandteile des Begriffs schließlich in Sein und Zeit die bekannte Definition der A. bzw. ihrer Rolle im Hinblick auf die Ausarbeitung der Seinsfrage: Ursprünglicher noch als der logos, das „aufweisende Sehenlassen von etwas“, ist die A., „das schlichte, sinnliche Vernehmen von etwas. Sofern eine A. je auf ihre idia zielt, das je genuin nur gerade durch sie und für sie zugängliche Seiende, [...] dann ist das Vernehmen immer wahr“ (HeiGA 2, 44 f.), bar sogar der bloßen Möglichkeit des Verdeckens, die mit dem logos, der „im Aufweisen auf ein anderes rekurriert und so je etwas als etwas sehen läßt“, sehr wohl gegeben ist. Phänomenologie im Heideggerschen Sinn zielt mithin in letzter Instanz auf A. ab, verstanden als → aletheia: → Wahrheit als → Unverborgenheit. „ ,Hinter‘ den Phänomenen der Phänomenologie steht wesenhaft nichts anderes, wohl aber kann das, was Phänomen werden soll, verborgen sein. Und gerade deshalb, weil die Phänomene zunächst und zumeist nicht gegeben sind, bedarf es der Phänomenologie.“ (ebd., 48) Eine ausführliche Erläuterung erfährt

13 der A.-Begriff zudem in der Vorlesung Vom Wesen der Wahrheit angelegentlich Heideggers Auslegung von Platons Theätet. Dort wird A. in Beziehung gesetzt zur phantasia, der Erscheinung, dem Sich-zeigenden: „das Wahrgenommene als solches ist das Selbige wie das Sich-zeigende in seinem Sich-zeigen. [...] A. meint Wahrgenommenheit von etwas.“ (HeiGA 34, 164) Auch mehrere spätere Vorträge Heideggers lassen sich als Entfaltungen seiner Deutung der A. als gemäße Weise der Entdeckung des (etwa von der phone) Verdeckten im Sinne des Vernehmens oder des „Seinlassens“ verstehen, so, wenn es im Logos-Vortrag heißt: „Solange wir nur den Wortlaut als den Ausdruck eines Sprechenden anhören, hören wir noch gar nicht zu. [...] Wir haben gehört, wenn wir dem Zugesprochenen gehören. Das Sprechen des Zugesprochenen ist legein, beisammen-vor-liegenlassen.“ (HeiGA 7, 220) Qu.: Hua IV. – HeiGA 2. – HeiGA 7, 5-36 u. 212-234. – HeiGA 17. – HeiGA 19. – HeiGA 22. – HeiGA 34. ARB

Akt. Ein A. ist – allgemein gefaßt – der Vollzug psych. Erlebnisse. Diese werden von Brentano durch die → Intentionalität charakterisiert. Auch Husserl versteht in den Logischen Untersuchungen die A.e im weitesten Sinn als intentionale Erlebnisse. Dabei treten grundlegende Unterscheidungen mit Bezug auf die A.e im einzelnen zutage. Unterschieden wurden durch qualitative Differenz setzende A.e (aktuelle Identifizierung bzw. Unterscheidung) und nichtsetzende A.e (diese lassen das Sein ihres → Gegenstandes dahingestellt, dieser ist bloß vorgestellt); durch Differenz der Materie

Akt ergeben sich einstrahlige und mehrstrahlige A.e; ferner gibt es objektivierende und nicht-objektivierende A.e, fundierte und fundierende A.e, bedeutungserfüllende und bedeutungsgebende, bedeutungsverleihende A.e; schlichte und höherstufige A.e. Grundsätzlich sind reelle und intentionale Aktbestände zu unterscheiden: Zum reellen Inhalt eines A.s gehört alles, was ihn aufbaut, d. h. Aktmomente wie die hyletischen Daten sowie bestimmte Auffassungscharaktere (Empfindungsinhalte wie Farben-, Ton- und Tastdaten; nicht zu verwechseln mit dinglichen Momenten wie Farbigkeit oder Rauhigkeit), auch sensuelle Momente der Triebsphäre. Eine „sinngebende“ Schicht bringt aus dem Sensuellen das konkrete intentionale Erlebnis zustande. Die sensuelle hyle (die hyletischen Data) wird durch das geformt, was dem → Bewußtsein seine Eigentümlichkeit gibt, d. h. wodurch es Bewußtsein von etwas ist; es wird durch das noetische Moment (die → Noesis) zum intentionalen Bewußtsein. Die Noesen machen das Spezifische des Nus (der Vernunft im weitesten Sinne) aus, also die cogitationes und die intentionalen Erlebnisse überhaupt. Während die „reelle Analysis“ des Erlebnisses jene Komponenten enthüllt, durch welche jenes aufgebaut ist (die Empfindungsinhalte), legt die intentionale → Analyse jene → Momente frei, durch welche das intentionale → Erlebnis Bewußtsein von etwas ist (Hua III/1, §§ 85 u. 88). Das Erlebnis ist im Modus aktueller Zuwendung explizit Bewußtsein von einem Gegenstand, im Zustand der Inaktualität bloß potentielles Bewußtsein. Der Erlebnisstrom besteht nie aus bloßen → Aktivitäten, diese aber machen im präzisen Sinn den Begriff des → cogito aus („ich habe Bewußtsein

Aktivität von etwas, vollziehe einen Bewußtseinsakt“ (ebd., § 35)). Über die Logischen Untersuchungen hinausgehend widmet sich Husserl auch dem Unterschied zwischen intentionalem und intendiertem Gegenstand, d. h. der Relevanz der Differenz von bewußtseinsimmanenten und -transzendenten Gegenständen, eine Unterscheidung, die auch für die Aktanalyse relevant wird. Der Unterschied von bedeutungserfüllenden und bedeutungsgebenden A.en bereitet die Aufgabe vor, den für jede Erkenntnis bestimmenden Wahrheitsbegriff phänomenolog. zu explizieren. Reinach kritisiert an Brentano die Vermengung von A. und Intentionalität: Etwas kann intentional sein, ohne A. zu sein, z. B. die Überzeugung. Besondere Bedeutung hat die Unterscheidung in soziale und nichtsoziale A.e. Soziale A.e sind dadurch charakterisiert, daß sie nicht in sich selbst ruhen; sie haben ein anderes Subjekt zu ihrer Voraussetzung, dem sie sich kundgeben wollen; so ist das Gebet ein sozialer A. Jeder soziale A. gründet in einem inneren Erlebnis, das selbst kein sozialer A. ist; so hat die Frage die Nichtüberzeugung zur Voraussetzung. Durch soziale A.e – welche Spuren in der Welt hinterlassen – konstituieren sich soziale Verhältnisse. Scheler differenziert zwischen A. und Gegenstand und unterscheidet von diesem die im Aktvollzug lebende → Person. Ein weiterer Unterschied besteht zwischen A. und → Funktion: Funktionen sind psych.; zu ihnen gehören die Sinneswahrnehmungen sowie alle Arten der → Aufmerksamkeit und des vitalen Fühlens. Dagegen wird in A.en etwas gemeint, sie stehen außerdem zueinander in einem unmittelbaren Sinnzusammenhang. Funktionen können in A.en vergegenständ-

14 licht werden (z. B. indem das Sehen zu anschaulicher Gegebenheit gebracht wird), sie können auch als Medium fungieren, durch welches hindurch der A. auf einen Gegenstand gerichtet ist, ohne daß die Funktion vergegenständlicht wird (z. B. im Sehen und daraufhin Hören eines Gegenstandes, während das → Urteil in Identität denselben Sachverhalt vermeint). A.e sind weder psych. noch phys., sondern psychophys. indifferent. Scheler gebraucht für die gesamte Sphäre der A.e den Terminus → „Geist“. Weil zum Wesen des Geistes gehört, daß er Person ist (Person als die wesensnotwendige Form des konkreten Geistes), deshalb gehört es zum Wesen der Person, daß sie im Vollzug intentionaler A.e lebt. Und ebenso wie der A. wesensmäßig zur Person gehört, gehört jeder Gegenstand zu einer Welt, beide in Korrelation zueinander. A.e sind Träger von → Werten, wobei die Träger der spezifisch sittlichen Werte nicht einzelne konkrete A.e sind, sondern die Richtungen des sittlichen „Könnens“ einer Person, deren „Tugenden“ und „Laster“. Qu.: Hua III/1. – Hua XIX/1. – Reinach 1989. – ScheGW 2, 45 ff., 382 ff. HV

Aktivität. Innerhalb der Fundierungsschichten im Rahmen von Husserls Konstitutionstheorie (→ Konstitution) ist die A. die oberste → „Schicht“ des intentionalen Verhaltens zur → Welt: vollbewußtes, vernunftmäßiges und als solches leiblich-kinästhetisches waltendes Ichleben. Als höchste Schicht in dieser Fundierungsfolge ruht die A. auf den tieferen der → Passivität auf, die aktives Verhalten wie Wahrnehmen, Handeln, Werten etc. erst ermöglicht oder motiviert. Alle A. ist somit

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Aletheia

motiviert durch tiefere Bewußtseinsleistungen, die ihrerseits nicht homogen, d. h. völlig passiv sind, sondern eine Stufenfolge von passiv zu passiv-aktiv und schließlich aktiv aufweisen. Ist alles Bewußtseinsleben gemäß der Husserlschen Konstitutionstheorie ein Leisten, so kann man folglich von Bewußtseinssynthesen sprechen, die von der passiven bis zur aktiven Stufe hinaufreichen. Wichtig hierbei ist, daß alle A. auf passiven Unterstufen steht. Qu.: Hua XVII, 319 f. – Lit.: Holenstein 1972. SL

Aktualität. Dies ist für Husserl die Grundform des aktuellen Lebens. Die aktuellen → Erlebnisse (ausgezeichnet durch das „Gerichtetsein auf“) sind von einem „Hof“ von inaktuellen Erlebnissen umgeben. Husserl unterscheidet zwischen A. und Potentialität der → Setzung, der übergeordnete Titel ist „positionales Bewußtsein“. Jener Unterschied steht in einer gewissen Nähe zu den Aktualitätsunterschieden der → Aufmerksamkeit und Unaufmerksamkeit, fällt aber nicht mit ihnen zusammen: Mit Rücksicht auf die „Neutralitätsmodifikation“ (sich bloß Hineindenken in ein Glauben, Vermuten usf., es nicht wirklich gesetzt haben) wird die Rede von A. doppeldeutig. Qu.: Hua III/1, §§ 35, 113.

HV

Aletheia. Der griech. Terminus A. ist ein Grundwort von Heideggers Philosophie und zieht sich wie ein roter Faden durch die Genese seines Denkweges. In seinen Marburger Vorlesungen (vgl. HeiGA 20 sowie HeiGA 21) entwickelt Heidegger jene Gedanken zur A., wie sie dann in seinem Hauptwerk Sein und Zeit (HeiGA 2, § 44) ihren sy-

stematischen Niederschlag finden. Im Zuge der Ausführungen zu der Frage nach dem Sinn von → Sein, die ihren Ausgang von der fundamentalontolog. Analytik des menschlichen → Daseins nehmen, stößt Heidegger auf das Problem der → Wahrheit. Der Begriff „Wahrheit“ ist die traditionelle Übersetzung für die griechische A. Heidegger zeigt auf, daß die traditionelle Übersetzung der A. mit Wahrheit dem ursprünglichen Phänomen der A., die er mit → Unverborgenheit übersetzt, nicht gerecht wird. Das gründet für Heidegger weitgehend darin, was gemeinhin als „Wahrheit“ verstanden wird. Der traditionelle Begriff der Wahrheit läßt sich für Heidegger seit Aristoteles durch zwei Punkte charakterisieren: 1. Der Ort der Wahrheit ist die → Aussage bzw. das prädikative → Urteil. Dieses kann wahr oder falsch sein. Und 2. hat die Wahrheit ihr Wesen in der Übereinstimmung von Verstand (intellectus) und Sache (res). Eine Wesensbestimmung der Wahrheit, die ihre Wurzel in der Weiterentwicklung der aristotelischen Lehre durch die mittelalterliche Scholastik hat (vgl. HeiGA 2, 284). In einem kritischen Abbau (Destruktion) dieser Auffassung der Wahrheit als Richtigkeit von Aussage und Übereinstimmung weist nun Heidegger in eine ursprünglichere Dimension des Phänomens der Wahrheit im Sinne der A., die den oben genannten Auffassungen von Wahrheit erst ihr Fundament gibt. Diese Dimension ist jene der Un-verborgenheit (A.) des Seienden selbst. Damit Urteil, Aussage und Übereinstimmung möglich sein sollen, muß das Seiende sich als Dieses oder Jenes schon gezeigt haben. Die Unverborgenheit bzw. Entdeckheit des Seienden geht somit jeglicher wahrer oder falscher Aussage vorher und gibt

Aletheia dieser erst ihre → Möglichkeit (HeiGA 34, 34). In den Bahnen von Sein und Zeit liegt diese Ermöglichung als Unverborgenheit des Seienden (A.) in der horizonthaften Welt- bzw. Seinsoffenheit des menschlichen Daseins, die sich in einem ursprünglichen Weltentwurf konstituiert. Mit → Entwurf meint Heidegger die jeglichem Sichzeigen von Seiendem vorgängige Erschlossenheit eines Bedeutungshorizonts (→ Welt) innerhalb dessen ein Erscheinen von Etwas als Etwas überhaupt erst möglich wird. Dieses Erschließen ist zugleich ein Entbergen des Seienden in seine Unverborgenheit (A.). Wahrheit im Sinne der A. fällt so mit der Seinserschlossenheit des Daseins als → Inder-Welt-sein (HeiGA 2, 304) in ein und dasselbe Geschehen zusammen. Dieses erste Aufgreifen des Phänomens der A. stellt für Heidegger aber keineswegs ein Ende des Fragens dar, zumal gerade die A. zum Leitphänomen seines Denkens nach der → Kehre wird. Heideggers Fragen gewinnt zunehmends eine geschichtliche Dimension in der die Frage nach der A., nun verstanden als die Unverborgenheit des Seins selbst, eine zentrale Stellung einnimmt und die in seinem Konzept einer Seinsgeschichte ihren Niederschlag findet. Das ist so zu verstehen, daß Heidegger nun nicht mehr ausgehend von der Daseinsanalytik die Frage nach dem Sinn von Sein in den Blick nimmt, sondern nach dessen universaler, geschichtlich verfasster Offenheit (A.) selbst fragt, in welche der Mensch wesensmäßig eingelassen ist. A. wird jetzt nicht ausschließlich als Grundzug des Seienden als Unverborgenes bzw. Sich-selbst-Zeigendes verstanden, sondern hinsichtlich ihrer Zuordnung auf das menschliche Verhalten zum Seienden im Ganzen im Kon-

16 text einer Geschichte des Seins betrachtet. Heidegger findet bei Platon einen Bruch und Wandel im Seinsverständnis des Menschen von einer ursprünglichen Seinsoffenheit, d. h. der Zugehörigkeit des → Menschen zu einem ihm nicht verfügbaren und sichverbergenden → Grund, hin zu einer bloßen Richtigkeit des „Blickes“ im Hinblick auf die Unverborgenheit der Essenz des Seienden, seinem Wassein, seiner Idee (HeiGA 9, 231). Es vollzieht sich in dem Wandel der A. (nun verstanden als → Lichtung des Seins selbst) zur Richtigkeit des Vorstellens (hinsichtlich der Idee) somit nicht bloß ein begrifflicher Umbruch, sondern eine Umkehrung des menschlichen Selbstverständnisses in seiner Stellung zum Seienden im Ganzen. Die Gesamtheit des Seienden wird nun zur vorstellbaren Idee in Hinordnung auf ein vorstellendes Subjekt. Die ursprüngliche Eingelassenheit des Menschen in die → Offenheit des Seins, d. h. die A.., bleibt unbedacht. Nach Heidegger geschieht in diesem Umbruch die Grundlegung der gesamten abendländischen → Metaphysik und damit in eins gehend die Verfügbarmachung des Seienden im Ganzen für und durch den Menschen. Die ursprüngliche Zusammengehörigkeit von Sein und Menschenwesen, d. h. ihr dia-logisches Verhältnis eines gegenseitigen Brauchens, das Heidegger in dem Begriff → Ereignis (das „Leitwort“ seiner Philosophie nach der Kehre; ebd., 316) wieder zu denken sucht, gerät in Vergessenheit. Für Heidegger ist somit die Geschichte der abendländischen Metaphysik, die ihren Anfang in jenem → Vergessen der A. zugunsten der Richtigkeit des „Blickes“ auf die Idee nahm, eine Geschichte der Vergessenheit des Seins, das sein

17 eigentliches → Wesen in ebenjener ursprünglichen Zusammengehörigkeit von Mensch und Sein, dem Ereignis des Da-seins hat. Qu.: HeiGA 2. – HeiGA 9, 177-238. – HeiGA 20. – HeiGA 21. – HeiGA 34. – HeiGA 45. – Heidegger 1957. Lit.: Helting 1997. – Herrmann 2002. – Schönleben 1987. – Wiplinger 1961. – Ziegler 1991. MB

Allgemeinheit. Die Begriffe „A.“ und „Allgemeines“ sind zentrale Kategorien der eidetischen Phänomenologie Husserls. Die Aufgabe der → Eidetik besteht darin, durch „Wesenserschauung [...] nicht Einzelheiten des Daseins, sondern Wesen von niederster A. oder Arten und Gattungen von höherer A.“ (Hua V, 47) methodisch zu erschließen. Diese Erschließung verschiedener „Stufen von A.“ (Husserl 6 1985, § 84) vollzieht sich nicht wie im Empirismus durch → Abstraktion von Einzelvorstellungen aus der sinnlichen → Anschauung, sondern impliziert Husserl zufolge eine besondere subjektive → Einstellung, ein Allgemeinheitsbewußtsein. Dieses sorgt für die konsequente „Ausschaltung aller Setzungen wirklichen Seins“ (ebd., 426) und richtet sich intuitiv auf die den empirischen Gegenständen immanente, in sinnlicher Anschauung jedoch verdeckte „Wesens-A.“ (Hua III/1, 12). Das originäre Medium der → Erfassung dieser A.en ist die → Phantasie. Dieser dient das besondere Exemplar der sinnlichen Anschauung lediglich als äußerer → Anhalt zur Erzeugung bzw. Modellierung der im Empirischen selbst liegenden A. Im dritten Abschnitt von Erfahrung und Urteil konkretisiert Husserl das Verfahren der Generierung von A.en, indem er deren → „Konstitution“ (Husserl 6 1985, §§ 81 ff.) auf verschiede-

Allgemeinheit nen Ebenen nachzeichnet. Dies führt zur grundlegenden Unterscheidung einerseits der „typischen“ (ebd., § 84) bzw. „empirischer A.en“ (ebd., § 86), denen die Kontingenz der faktischen → Erfahrung anhaftet, und andererseits der „reinen A.en“, deren Bildung „nicht von der Zufälligkeit des faktisch gegebenen Ausgangsgliedes und seiner empirischen Horizonte abhängig ist“ (ebd., 409 f.). Die Spannweite des Allgemeinen reicht so gesehen von den aus „der Typik der natürlichen Erfahrungsapperzeption“ (ebd., § 83) resultierenden A. bis hin zu den eidetisch geschauten „obersten Wesensallgemeinheit“ (Hua III/1, 13; Husserl 6 1985, § 94 f.), deren letzte Stufe die Gattung des ,Etwas-überhaupt‘ darstellt. In dieser Hierarchie der A.en weicht laut Husserl die Sachhaltigkeit des Allgemeinen – also die „materiale A.“ (Hua III/1, 26) der unteren Stufen – mit aufsteigender Tendenz zunehmend einer „formalen“ bzw. „leeren A.“ (Hua XVII, 278). Merleau-Ponty entwickelt in der Phänomenologie der Wahrnehmung ein subjektphilosoph. Verständnis des Begriffs der A. Dessen Bedeutung erschließt sich durch die Ablehnung von Sartres Annahme einer vorprädikativen ,Anwesenheit bei sich‘, die laut Sartre der Erfahrung bzw. Setzung von Differenz vorausliegt und subjektiver Ursprung eines radikalen Für-sich-seins des individuellen Bewußtseins ist. Gegenüber dieser Idee einer „primitiven Gegenwart“ (Schmitz) betont MerleauPonty, daß „ich mich ursprünglich als zu mir selbst exzentrisches Sein erfassen“ (Merleau-Ponty 1966, 509) muß, daß also die vermeintlich unmittelbare → Gegenwart bei sich immer schon „durch A. vermittelt“ (ebd., 511) ist. Die ursprüngliche Instanz

Allgemeines dieser Vermitteltheit ist laut MerleauPonty die „leibliche Selbstvorgegebenheit“: diese impliziert stets „einen zeitlichen Verzug, der jedem Denken und Handeln den nachträglichen Charakter einer Wiederaufnahme oder Wiederaufführung, einer reprise verleiht“ (Waldenfels 1992, 61). Grundsätzlich fungiert A. bei Merleau-Ponty als Inbegriff sämtlicher überpersönlicher (,allgemeinmenschlicher‘) Erfahrungsstrukturen, die dem willkürlichen Zugriff des individuellen → Bewußtseins vorausliegen: darunter etwa die → „Geschlechtlichkeit“ (MerleauPonty 1966, § 28), die Intersubjektivität, durch die das individuelle Ich in einen „ ,Hof‘ von A.“ (ebd., 509) zurückgebettet wird, sowie das Faktum der Geburt und des Todes in ihrer entindividualisierenden bzw. A. stiftenden Funktion. Sofern der Begriff der A. für die Unmöglichkeit der „absoluten Individuierung“ (ebd., 486) steht, kann Merleau-Ponty den Begriff auch mit dem der „Passivität“ (ebd.) in Verbindung bringen. Qu.: Hua III/1. – Hua V. – Hua XVII. – Husserl 1939 (6 1985). – Merleau-Ponty 1945 (1966). TR

Allgemeines. → Allgemeinheit Alltag. In seiner Interpretation des Alltagsverständnisses menschlichen Handelns geht es Schütz darum zu beschreiben, wie „hell-wache“ (d. h. in Einstellung völliger Aufmerksamkeit befindliche) Erwachsene die intersubjektive Welt des A.s sehen. Diese ist durchaus nicht privat, sondern von Anbeginn an intersubjektiv, eine Welt der Mitmenschen, die durch soziale → Handlungen miteinander verbunden sind; dies setzt → Kommunikation voraus. Diese alltägliche Welt

18 des Wirkens geht vom Platz aus, den der → Leib einnimmt, und von dessen grundlegendem Orientierungsschema (rechts/links, nah/fern usw.), innerhalb dessen die Wirkwelt in verschiedene Wirklichkeitsschichten gegliedert ist: die Welt in tatsächlicher Reichweite des Individuums, in wiederherstellbarer Reichweite, in erlangbarer Reichweite. Sie ist primär kein Gegenstand des Denkens, sondern ein zu beherrschender Raum. Wenn Arendt von Alltagswirklichkeit spricht, meint sie die unseren Sinnen gegebenen beobachtbaren Tatsachen. Auch der bedeutende Denker braucht die Fähigkeit zum Alltagsdenken, um zu überleben, und auch die Wissenschaften müssen auf die Alltagserfahrung zurückgehen. Mit deren Hilfe lassen sich die meisten vom „Erkenntnisdrang“ aufgeworfenen Fragen beantworten. So sind auch gewöhnliche Alltagserfahrung der Ursprung metaphys. Fragen und philosoph. Spezialprobleme. Qu.: Schütz 1971a, 350 ff., 376 ff. – Arendt 1978a (1979a). HV

Alltäglichkeit. Heidegger thematisiert u. d. T. „A.“ jene Seinsweise des → Daseins, aus der heraus es „zunächst und zumeist“ durchschnittlich existiert. Die alltägliche Indifferenz des Daseins heißt → „Durchschnittlichkeit“. Auch in der A. geht es dem Dasein um sein → Sein, allerdings in der Weise der Flucht vor diesem. Das hängt damit zusammen, daß das Dasein in der A. nicht in seinem eigensten Seinkönnen auf sich zukommt, sondern seiner in der Seinsart des Besorgens (einer Weise der → Sorge) gewärtig ist. Zur Seinstendenz der A. gehört die Erschließung des Daseins aus den Möglichkei-

19 ten des → Man, d. h. der → Entwurf auf das Besorgbare der alltäglichen Beschäftigung. Die A. gehört somit nach Heidegger zum → Verfallen und zur → Uneigentlichkeit des Daseins. Patoˇckas verstreute Hinweise zur A. nehmen einerseits Heideggers Analysen auf und verorten diese anderseits in seiner Theorie der → Bewegung der Existenz. Die A. ist der Grund dafür, daß die Aufgabe des Durchbruchs zur dritten Bewegung (Zugang zur Gewinnung des eigenen Selbst in Annahme seiner Endlichkeit) verdeckt bleibt: „Anonymität, Nicht-Verantwortlichkeit und Nivellierung bilden die Bewegung der A.“ (Patoˇcka 1990, 274) Allerdings bleibt Patoˇcka Heidegger gegenüber kritisch, insofern der Aufbruch zur → Verantwortung eine bei diesem defizitäre Behandlung der Probleme der Leiblichkeit und der Gemeinschaft bedarf. Qu.: HeiGA 2, §§ 9, 26-27, 51, 71. – Patoˇcka 1990 pass.; TDB, 397 ff. HV

Alterität. → Anderer Ambiguität. Levinas versteht unter A. das Zugleich von phänomenaler Bedeutung und ethischem Anspruch. So siedelt er in seiner Frühphilosophie die Liebe an der Grenze zwischen dem seinsimmanenten Bedürfnis und dem seinstranszendenten Begehren an. Die Sterblichkeit als der Grund der A. ist ausgezeichnet sowohl durch die Fähigkeit des Willens als auch durch die drohende Gewalt des → Todes, der jedem Können ein Ende setzt. In der Spätphilosophie besteht die A. des Ich im Zugleich der lustvollen Selbstbehauptung und der Verwundbarkeit durch den anderen Menschen. Die im → Antlitz des oder der Anderen begegnende → Transzendenz als das „Jenseits-des-

Analogie sein“ ist zugleich ein → „In-der-Weltsein“ (Levinas 1992, 334). Denn im Gesagten als der weitergegebenen und verfügbaren Information wird im → Sagen vom Zeichengeben selbst Zeichen gegeben. So sind durch das Bewußtsein faßbarer Sinn des Gesagten und Sinnüberschuß des Sagens in A. verknüpft. Qu.: Levinas 1961 (1987). – Levinas 1974 (1992). – Lit.: Wiemer 1988. RE

Amphibologie. Mit diesem Ausdruck charakterisiert Levinas das Verhältnis zwischen dem → Sein und dem Seienden. Statt der ontolog. → Differenz bei Heidegger spricht Levinas von einer Identität bzw. von originärer Doppeldeutigkeit (A.) von Sein und Seiendem. Dies folgt unmittelbar aus seiner Interpretation des Seinsgeschehens, wo sich das sich zeitigende (An-)Wesen („essance“) je schon als → Sprache bzw. als Denomination des Seienden ereignet. In dieser Doppeldeutigkeit kann das „Nomen (Seiendes) als Verb (Sein) erklingen und das Verb der Apophansis zum Nomen werden“ (Levinas 1992, 103). Das ursprüngliche Geschehen der Transzendenz wird damit nicht im Sein gesucht (Heidegger), sondern in der absoluten Differenz zwischen dem Selben und dem Anderen. Qu.: Levinas 1974 (1992), 96-106.

BK

Analogie. In Zusammenhang mit dem Problem der „Fremderfahrung“ bezeichnet Husserl in den Cartesianischen Meditationen das erscheinende „Fremdsubjekt“ als „Analogon“ des konstituierenden → Ichs. „Der ,Andere‘ verweist seinem konstituierten Sinne nach auf mich selbst, der Andere ist Spiegelung meiner selbst, und doch nicht eigentlich Spiegelung; Analogon

Analyse meiner selbst, und doch wieder nicht Analogon im gewöhnlichen Sinne. [...] Zunächst betrifft das irgendwelche alter ego’s, dann aber kurzum eine objektive Welt in der eigentlichen und vollen Bedeutung.“ (Hua I, 25 f.) Heidegger spricht von A. in Zusammenhang mit der scholastischen Auffassung des → Seins als eines transcendens: „Die Einheit dieses transzendental ,Allgemeinen‘ gegenüber der Mannigfaltigkeit der sachhaltigen obersten Gattungsbegriffe hat schon Aristoteles als die Einheit der A. erkannt.“ (HeiGA 2, 4) Im ersten Bd. Von Zeit und Erzählung betont Ricœur gegen Braudel die Notwendigkeit an der A. „zwischen der Zeit der Individuen und derjenigen der Kulturen“ festzuhalten und rekapituliert dabei die wichtigsten Funktionen der A.: „Diese A. auf der Ebene der Zeitlichkeit ist von der gleichen Art wie die A., die wir auf der Ebene der Verfahren zwischen kausaler Zurechnung und Fabelkomposition, dann auf der Ebene der Entitäten des Dramas zu bewahren versuchten.“ (Ricœur 1988, 337) Im dritten Bd. dieses Werkes sucht Ricœur „die Frage nach der Repräsentanz der ,wirklichen‘ Vergangenheit durch die historische Erkenntnis“ (Ricœur 1991, 222), d. h. das Problem wie „das Vergangensein der Vergangenheit zu denken“ (ebd., 225) sei, mit Hilfe der drei „ ,großen Gattungen‘ des Selben, des Anderen und des Analogen“ (ebd., 225) zu klären. Wird die Vergangenheit „Im Zeichen des Selben“ gesehen, so stellt sich die Historie als „,Nachvollzug‘ der Vergangenheit in der Gegenwart“ (ebd., 225) dar. „Im Zeichen des Anderen“ wird die Vergangenheit „gegenüber allen Versuchungen und Versuchen von ,Einfühlung‘ “ (ebd., 234) als das An-

20 dere und Fremde gesehen. Da diese Weisen der Vergangenheitsbetrachtung beide einseitig seien, kommt Ricœur zum Schluß: „Eine Weise, ihre jeweiligen Beiträge zur Frage nach dem letzten Referenten der Geschichte zu ,retten‘, besteht darin, ihre Anstrengungen im Zeichen einer ,großen Gattung‘ zu vereinen, die selbst das Selbe mit dem Anderen verbindet. Das Ähnliche ist eine solche große Gattung. Oder besser: das Analoge, das eher eine Ähnlichkeit zwischen Relationen als zwischen einfachen Gliedern ist.“ (ebd., 241) Qu.: Hua I. – HeiGA 2. – Ricœur 1983 (1988). – Ricœur 1985 (1991) MW

Analyse. Die phänomenolog. A. hat nichts mit einer Zerlegung in Elemente zu tun, wie es die A. im gewöhnlichen Sinne erfordert. Denn die → Intentionalität als Thema der A. ist nicht als ein Außereinander, sondern als ein Ineinander der darin beschlossenen intentionalen Gehalte zu verstehen. Es geht Husserl darum, die Horizontstruktur der Intentionalität durch die „Enthüllung der in den Bewußtseinsaktualitäten implizierten Potentialitäten“ (Hua I/, 83) aufzuwickeln. Diese Entfaltung der intentionalen Implikationen ist vor allem als deskriptive A. zu verstehen, da sie zu einer systematischen → Beschreibung des Mitgemeinten führt, und läßt verschiedene Modalitäten zu. In der natürlichen → Einstellung ist sie eine psycholog. A. der menschlichen → Seele und ihrer → Erlebnisse. Nach der → Epoché vollzieht die → transzendentale A. eine Erschließung der konstitutiven Funktionen, um die → Korrelation von → Welt und Weltbewußtsein aufzuweisen. Transzendentale A. ist sta-

21 tisch, wenn sie die verschiedenen → Typen von → Gegenständen als fertige → Einheiten betrachtet. Im Gegensatz dazu „ist die genetische Intentionalanalyse auf den ganzen konkreten Zusammenhang gerichtet, in dem jedes Bewußtsein und sein intentionaler Gegenstand als solcher jeweils steht“ (Hua XVII, 316). Hier kommt in Frage die Geschichte des Bewußtseinslebens und wird ein Höhepunkt der A. erreicht, indem alle intentionalen Einheiten aus einer → Genesis hervorgehen. Merleau-Ponty ist ein Kritiker der bloßen reflexiven A., insofern die → Reflexion Abstand von den Gegenständen nimmt und das → Bewußtsein als ein ganz sich selbst gegenwärtiges Sein darstellt. Folglich plädiert er für eine existentielle A., die die Alternative von Erklärung und Reflexion nicht mehr bestehen lasse, um eine Dialektik von Form und Inhalt, d. h. eine Rationalität in der Kontingenz zu entdecken. Qu.: Hua I, 83-86, 170-171. – Hua VI, 161163. – Hua VIII, 120-145. – Hua XVII, 214-216, 315-319. – Merleau-Ponty 1945 (1966, 4-11, 147-169). – Merleau-Ponty 1964, 284, 296-298; (1986, 293, 307-309). – Lit.: Fink 1966, 201-223. RW

Analytik des Daseins. Heidegger hat das Wort „A.“ aus Kants Kritik der reinen Vernunft übernommen (Heidegger 1987, 148). Das → Dasein ist die ontische wie ontolog. Bedingung aller → Ontologien, weil zu seinem → Sein Seinsverständnis gehört. Dessen expliziten Aufweis leistet die A.d.D. Sie ist nicht Auflösung (Analysis) in einzelne Elemente, sondern vielmehr „ein ,Auflösen‘ als auflockerndes Freilegen der Keime der Ontologie“ (HeiGA 3, 41)

Anderer Qu.: HeiGA 2, § 5. – HeiGA 3, § 8. – Heidegger 1987. – Lit.: Herrmann 1987, § 5. – McDonald 1997. HV

Anarchie. (frz.: l’anarchie) Etymologisch bedeutet „A.“ die Privation einer „arché“ – eines Ursprungs bzw. eines Prinzips. Der späte Levinas verwendet diesen Ausdruck für die Konstitution der ethischen Subjektivität. Den Kern der Subjektivität stellt „der-Andere-inmir“ (l’Autre-dans-le-Même) dar, der das Subjekt früher (vorursprünglich oder ohne Anfang) bestimmt als sich dieses im Selbstbewußtsein aktiv wahrzunehmen vermag. Gerade die Unmöglichkeit, die an-archische Störung (dérangement) des → Anderen in die Ordnung bzw. Herrschaft (arché) des (Bewußt-)Seins zu überführen, spiegelt die ursprüngliche → Passivität des ethischen Subjekts wider. Dabei handelt es sich um eine positive Bedeutung dieser ethischen „Unordnung“: als A. des Guten, das je schon das Subjekt als → Verantwortung für den Anderen gewählt hat. Qu.: Levinas 1974 (1992, 219-227).

BK

Anderer. (frz.: l’autre, l’autrui ) Der Begriff des A.en ist für die „Sozialontologie der Gegenwart“ (Theunissen 1965) von zentraler Bedeutung. Dabei ergeben sich Berührungen wie Überschneidungen zwischen verschiedenen philosoph. Richtungen, namentlich zwischen dialogischen Denkern wie Buber, Rosenzweig, Ebner, Rosenstock-Huessy und Angehörigen der Phänomenologie, wobei Philosophen wie Grisebach, Löwith oder Jaspers eine Zwischenstellung einnehmen. Innerhalb der Phänomenologie sind außer Husserl vor allem Heidegger, Schütz (der allerdings ganz an

Anderer Husserl orientiert ist), Sartre, Levinas und Waldenfels zu nennen, die sich mit dem A.en thematisch auseinandergesetzt haben, während bei Scheler, Schapp (im Spätwerk), Binswanger, Reinach, Arendt u. a. die damit verflochtenen Probleme und Themen zwar präsent sind, doch nicht unter dem Leitbegriff „A.“ (was auch z. T. auf die genannten Dialogiker zutrifft). Husserls Konzept des A.en bzw. weiterführende Ansätze dazu finden sich in der Formalen und transzendentalen Logik (Hua XVII) und vor allem in den Cartesianischen Meditationen (Hua I), außerdem in den Manuskripten, die jetzt u. d. T. Zur Phänomenologie der Intersubjektivität (Hua XIII-XV) vorliegen. Das Problem des A.en stellt sich explizit im Horizont der transzendentalen Problematik der → Intersubjektivität und intersubjektiven → Welt (Hua XVII, § 96). Es ist die Aufgabe, verständlich zu machen, wie „mein“ → transzendentales → Ego ein anderes transzendentales Ego konstituieren kann, das als anderes „absolut unzugänglich“ sein muß und gleichwohl als „seiendes“ erkannt werden kann, weil es sonst außerhalb jeglicher → Erfahrung stünde. Die Entfaltung der damit verbundenen Problematik führt zu einer Stufenfolge der → Konstitution des A. Auf der konstitutiven Unterstufe (der → primordialen Welt) weist der A. auf mich als psychophys. Ich zurück. Darin liegt zugleich der Rückverweis auf meine Leiblichkeit (→ Leib) und damit auf mich als Glied einer ersten Natur, die in originaler Erfahrung noch kein fremdes Ich enthält. Doch liegt darin schon das Fundament für die Konstitution eines ersten Ich-Fremden, d. h. des A.en in der Form „anderes Ich“ (das zweite Ego als „alter ego“, Hua I, 125). Daß mir etwas bewußt

22 ist, das ich selbst nicht bin, setzt voraus, daß zu meinen eigenen Bewußtseinsweisen auch solche gehören, die nicht unter die Modi des Selbstbewußtseins subsumiert werden können. Auf dem Untergrund dieser primordialen Welt erfolgt die Konstitution des A. in mehreren Stufen. Das an sich erste → Fremde ist das andere Ich. Hier steht der A. leibhaft da, ohne daß damit das andere Ich ursprünglich gegeben wäre. Diese Mitvergegenwärtigung des A.en („Als-mitgegenwärtig-bewußtmachen“, ebd., 139) nennt Husserl → Appräsentation. Diese zeigt sich schon als ein Moment der äußeren Erfahrung, indem mit der Vorderseite eines → Dinges auch dessen Rückseite appräsentiert wird. In der Fremderfahrung muß eine Ausweisung durch → Wahrnehmung allerdings ausgeschlossen werden: Innerhalb der primordialen Sphäre ist der A. als anderer Leib in analogisierender → Auffassung gegeben. Diese „verähnlichende Apperzeption“ (ebd., 141) ist aber kein Schluß, sondern verweist auf eine → Urstiftung zurück: Ego und alter ego sind immer schon in ursprünglicher → „Paarung“ gegeben. Diese ist ihrerseits eine Urform der → passiven Synthesis, u. zw. als → „Assoziation“ deren ursprüngliches Prinzip (vgl. ebd., § 39). Indem das in Analogisierung Präsentierte zur Präsenz kommt, ist der Leib des A.en nicht ein zweiter eigener, sondern ein fremder Leib. Er bekundet sich als solcher in seinem wechselnden Gebaren, das aber in sich stetig verläuft. „In dieser Art bewährbarer Zugänglichkeit des original Unzugänglichen gründet der Charakter des seienden Fremden.“ (ebd., 144) In der primordialen Sphäre wird der A. als Ich appräsentativ apperzipiert, d. h. als „Funktionszentrum für sein Wal-

23 ten“ (ebd., 146). Der Leib des A.en tritt in meiner monadischen Sphäre in Erscheinung, u. zw. liegt in dieser die Anzeige auf jenen Leib im Modus „Dort“. Der Leib des A.en wird als Leib einer anderen Welt in Analogie zur eigenen primordialen Welt apperzipiert. Damit wird bereits eine höherstufige → Apperzeption vollzogen. Der erste Gehalt der Kenntnis des alter ego liegt im Verstehen der Leiblichkeit des A. Gehalte der höheren psych. Sphäre (die als leibliche zur Erscheinung kommen: im Gehaben des Zornigen, des Fröhlichen usw.) werden durch → Einfühlung erfahren. Im „Einverstehen in den Anderen“ (ebd., 149) werden neue Verständnismöglichkeiten eröffnet, die in wechselseitiger Auswirkung auch das eigene Seelenleben mit neuen Assoziationen bereichert. Diese Wechselwirkung zwischen primordialen Ich und appräsentativ erfahrenen A.en stellt die Grundlage für die stufenweise sich fortbildenden Formen der Gemeinschaft dar: Die A.en haben für mich → Sinn und → Geltung, indem sie sich in mir als A.e konstituieren. Heidegger thematisiert den A. unter der existenzialen Bestimmung des → Mitseins. Mit der Frage nach dem Wer des → Daseins zeigt sich dieses zwar als jenes, das ich je selbst bin; doch ist dieses Ich nie ohne die A.en gegeben. Deren Mitdasein wird zunächst am alltäglichen Mitsein aufgewiesen: „Der A. begegnet in seinem Mitdasein in der Welt.“ (HeiGA 2, 160) Das Verhältnis zum A.en interpretiert Heidegger im Ausgang vom Phänomen der → Sorge (als der Grundstruktur des → In-der-Welt-seins). Er bezeichnet es deshalb als „Fürsorge“. Diese umfaßt zwei extreme Möglichkeiten: Die einspringende Fürsorge nimmt dem

Anderer A.en dessen Sorge ab und springt für ihn ein; sie kann ihn damit in Abhängigkeit bringen. Die vorausspringende Fürsorge gibt dem A.en dessen Sorge erst eigentlich zurück, d. h. sie verhilft ihm dazu, für sich selbst durchsichtig und frei zu werden. Zwischen diesen beiden Extremen gibt es zahlreiche Mischformen. Im Modus der Alltäglichkeit ist der A. zunächst in der besorgenden Fürsorge erschlossen, d. h. im Besorgen der gemeinsamen Welt. Indem die A.en als das begegnen, was sie treiben, ist das Dasein darum besorgt, sich gegen die A.en zu unterscheiden: das Moment der Abständigkeit. Indem im alltäglichen Miteinandersein die A.en die Herrschaft über das Dasein übernehmen, steht dieses in deren Botmäßigkeit. Die A.en dieses alltäglichen Miteinanderseins nennt Heidegger das → Man. Es ist ein Neutrum, unauffällig und nicht zu fassen, und übt dadurch seine Diktatur aus. Es besorgt die → Durchschnittlichkeit und ebnet alle Seinsmöglichkeiten ein. Mit den Charakteren der Abständigkeit, Durchschnittlichkeit und Einebnung wird die Öffentlichkeit konstituiert, die das einzelne Dasein entlastet und seiner Tendenz entgegenkommt, es sich leicht zu machen. Demgegenüber ist das eigentliche Mitsein mit A.en diesen in einem gemeinsamen Geschehen, dem → Geschick, verbunden. Es existiert „wesenhaft im Mitsein mit A.“ (ebd., 508) geschichtlich. Sartres Darstellung der menschlichen Realität geht vom Cogito aus und entdeckt als dessen Grundstruktur das Für-sich-sein (pour-soi). Ein Aspekt dieses → Seins enthüllt sich in der → Scham (honte). Zu deren Struktur gehört untrennbar, sich vor jemandem zu schämen, sich darin zu erkennen, wie der A. mich sieht. Damit stellt sich

Anderer das Problem, dessen Sein eigens zu bestimmen. Aufzuklären ist, wie der A. nicht nur als ein Objekt der Welt, sondern als anderes Subjekt erfahren wird. Sartre führt die fundamentale Verbindung zum A.en auf die permanente Möglichkeit zurück, vom A.en gesehen zu werden. Er expliziert dies in einer umfassenden Analyse des → Blicks (regard). Primär begreife ich den A.en als das, wofür ich als Objekt existiere. Erst sekundär erfasse ich ihn in seinem → Leib. Mit dessen Thematisierung zeigen sich aber grundlegende Strukturen im Verhältnis zum A.en. Nun ist mein eigener Leib jener Standoder Gesichtspunkt (point de vue) innerhalb meiner Welt, dem gegenüber kein externer Standpunkt mehr möglich ist, ein Instrument, das selbst nicht weiter instrumentalisiert werden kann. Umgekehrt erscheint aber der A. als ein solcher Gesichtspunkt bzw. als Instrument, das ich zusammen mit anderen Werkzeugen benützen kann. Darin liegt der radikale Unterschied zwischen dem Leib des A.en und meinem eigenen Leib: Er ist das Werkzeug (outil), das ich nicht bin und das ich benütze bzw. das mir Widerstand leistet. Der A. selbst erscheint als „Transzendenz-als-Gegenstand“ (comme transcendance-instrument) (Sartre 1943/1952, 406/440). Die Erkenntnis des A.en (und reziprok die Erkenntnis meiner selbst) liegt im wechselseitigen Füreinandersein als Objekt. Dieser Leib des A.en ist in seiner → Faktizität von der Situation, in der er erscheint, nicht zu trennen; er ist ursprünglich gegeben als „Leib-in-Situation“ (corps en situation) (ebd., 410/446). Das gilt für den Leib als Ganzes wie für seine mit ihm in synthetischer Einheit verbundenen Organe und unterscheidet ihn von einem Leichnam (weshalb

24 kein Weg von der Anatomie oder Physiologie zum Leib des A.en führt). Die Erfahrung des Leibes setzt ein zeitlichräumliches Ganzes voraus. Als das, was er ist, gibt sich der A. in seinem Charakter (caractère). Dadurch erfahre ich ihn als frei. → Freiheit ist eine objektive Eigenschaft des A.en, seine unabdingbare Macht, die Verhältnisse (les situations) zu verändern. In der grundlegenden Verbindung mit dem A.en lassen sich ontolog. drei Dimensionen leibhaftigen Existierens herausstellen: die Existenz des eigenen Leibes; der eigene Leib, der vom A.en erkannt und benützt wird; der A. als Subjekt, der mich in meinem Leib erkennt. Ausgehend von diesen fundamentalen Bestimmungen untersucht Sartre die konkreten Beziehungen zum A.en. Sie manifestieren sich in drei Gruppen von Einstellungen (attitudes) gegenüber dem A.en: in Liebe, Sprache und Masochismus; in Indifferenz, Begierde, Haß und Sadismus; schließlich in „Mitsein“ (être-avec) und „Wir“. Während die ersten beiden Gruppen fundamentale Beziehungen bzw. Konflikte zum Ausdruck bringen, sind Mitsein und Wir abgeleitete Formen, die auf besondere Fälle beschränkt sind: Das Sein-für-den-A.en (l’être-pour-l’autre) geht dem Sein-mit-dem-A.en (l’êtreavec-autre) voraus und begründet es (ebd., 486/529). Dabei unterscheidet Sartre zwischen dem Objekt-„Wir“ (le „Nous“-objet) und dem Subjekt-Wir (le nous-sujet). Jenes entspringt der Erfahrung einer Gemeinschaft von entfremdeten Ichs, namentlich in der Welt der Arbeiter im Kollektiv einer unterdrückten Klasse. Als Subjekt-Wir versteht Sartre erst den abgeleiteten und sehr flüchtigen Fall, sich als Subjekt zu erleben („ein rein subjektives ,Erlebnis‘ “, (une ,Erlebnis‘ purement

25 subjective, ebd., 502/547). Nicht das „Mitsein“, sondern der Konflikt (le conflit) macht das Wesen der Beziehungen zwischen Individuen, die mit Bewußtsein ausgestattet sind, aus. Während das → Fremde dem Eigenen entgegengesetzt ist, bildet das Andere den Gegenbegriff zum Selben. Levinas möchte im Unterschied zu einer bloß „logischen Andersheit“, die sich in begrifflicher Differenzierung erschöpft (Levinas 1985, 257), oder zur Alterität der Negation eine Alterität etablieren, die nicht durch eine übergeordnete → Totalität nivelliert werden kann. Es geht ihm um eine Alterität, die weder durch das Selbe integriert noch durch dieses begrenzt oder bloß als Umkehrung der Identität verstanden wird. Im Unterschied dazu findet er in der Begegnung des Ich mit dem anderen Menschen eine radikale und absolute Alterität: Im → Antlitz wird das verfügbare andere (frz. l’autre ist als das bzw. der andere lesbar) zu dem oder der unverfügbaren A.en (frz. l’autrui) (Levinas 1987, 44). In der Begegnung mit dem anderen Menschen ist für Levinas nicht bloß ein „Anderssein (être autrement)“, sondern ein „Anders-alssein (autrement qu’ être)“ erschlossen. Die radikale Alterität liegt „außerhalb (en dehors)“ bzw. „jenseits (au-delà)“ des → Seins und äußert sich im ethischen → Anspruch, der das Ich in → Freiheit und → Verantwortung einsetzt (Levinas 1992, 31 f.). Die im ethischen „Bezug“ gegebene Alterität ist nicht aufzuheben, weder in synchronisierbarer Zeit noch durch eine sonstige Synthese. Sie ist Transzendenz, die vor jeder integrierenden Verfügbarkeit durch das Bewußtsein zur Verantwortung und Stellvertretung für den anderen Menschen zwingt. Levinas charakterisiert die Andersheit durch das → Sagen (di-

Anderer re), das im Unterschied zum Gesagten (dit) das Ich mit einem bleibenden ethischen Anspruch konfrontiert, dessen das Ich nicht Herr werden kann. Wie sich das Sagen nicht völlig in Gesagtes transformieren läßt, ist auch die andere Person nicht in die Selbstheit des Ich integrierbar. Vielmehr bleibt die irreduzible Alterität des A.en als solche mit dem Ich verstrickt. So ist in Levinas’ Spätphilosophie die Alterität konstitutiv für Subjektivität, und zwar in der Struktur des „der-Andere-imSelben (l’Autre-dans-le-Même)“ (Levinas 1992, 69). Ricœur begreift Andersheit (alterité) als zum Sinngehalt und zur ontolog. Konstitution der → Selbstheit (ipseité) gehörig, u. zw. so, daß sie sich phänomenolog. in der Passivität bezeugt: in der Erfahrung des Eigenleibes (corps propre) bzw. des Leibes (chair), der zwischen Selbst und Welt vermittelt; im Verhältnis zum Fremden als dem A.en (l’autre) in der intersubjektiven Beziehung; im Gewissen. Die Passivität des Leibes wird in seiner ganzen Dimension im Leiden (souffrance) offenbar, wobei Ricœur im besonderen von Lebensgeschichten ausgeht. Aus dieser Perspektive erscheint das Leiden in der Unfähigkeit zu erzählen oder in der Weigerung dazu. Jedesmal übt jemand Macht über den A.en aus, womit er ihm – etwa in der Verachtung – Leiden zufügt. Die Passivität mit Bezug auf den Fremden bedeutet, daß der Handelnde durch den A.en die Urheberschaft seiner eigenen Handlungen zugeschrieben bekommt. Das Selbst wird hier durch den A.en affiziert (affecté). Aus dieser Affektion durch den A.en erwächst auf der Ebene von Ricœurs Ethik die Verpflichtung für den A.en. In der Passivität des Gewissens meldet sich eine Stimme, die ein Aufgefor-

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Anders denken, leben dertsein (être-enjoint) durch den A.en bekundet. Im Anruf des A.en liegt eine Aufforderung an das Selbst: „anzuerkennen, daß man aufgefordert ist, gut zu leben, mit den A.en und für sie (avec et pour les autres) in gerechten Institutionen und sich selbst als Träger dieses Gelöbnisses zu schätzen“ (Ricœur 1990/1996, 406/423). Bei Waldenfels wird der A. im Kontext von Fremdheit thematisiert. Wenn Andersheit durch Abgrenzung vom Selben bestimmt wird, ist Fremdheit davon zu unterscheiden: Sie ist nicht einfach ein Anderes, sondern (in einer von mehreren Bedeutungen) solches, das einem A.en gehört (Waldenfels 1997, 20). Qu.: Hua XVII, § 96. – Hua I, V. Meditation. – Hua VI, § 54. – Hua XIII (bes. Nr. 7). – Hua XIV (bes. Nr. 7, 11-13, 35). – Hua XV (bes. Nr. 1, 6, 27, 28, 30, 32, 35). – HeiGA 2, §§ 25-27, 71. – Sartre 1943 (1952). – Levinas 1979 (1989). – Levinas 1949 (1983). – Levinas 1961 (1987). – Levinas 1982 (1985). – Levinas 1974 (1992). – Ricœur 1990 (1996) (bes. 10. Abhandlung). – Waldenfels 1997 (bes. Kap. 1). – 1998. – Lit.: Dastur 1998. – Grathoff 1995. – Hagel u. a. 2002. – Hartmann 1983. – Hauck 1990. – Held 1991. – Huizing 1988. – Kampits 2004. – Labarrière 1998. – Michalski 1997. – Theunissen 1965. – Waldenfels/Därmann 1998. – Welsen 2003. HV (RE: Levinas)

Anders denken, leben. (frz.: penser, vivrer autrement) Darunter versteht Foucault ein Denken der Überschreitung. Die Aufgabe der Philosophie liegt in der Anstrengung zu erkunden, „wie und wie weit es möglich wäre, anders zu denken“ (Foucault 1986a, 16). Philosophie wäre demnach die kritische Arbeit des Denkens an sich selber, die auch als → Askese bezeichnet wird. Denken und Wahrneh-

men ist nicht An-Eignung, sondern ein Denken, das sich in einem permanenten Prozeß des Sich-von-sich-Lösens vom Fremden und Anderen in Frage stellen läßt. Eine → Ethik als Ästhetik der Existenz versteht sich als Analyse und Ausarbeitung neuer Formen des Selbstverhältnisses, als Suche nach Möglichkeiten des A.l.s, die einen Ort des Widerstands gegen die individualisierenden und totalisierenden Mechanismen moderner → Macht darstellen können. Qu.: Foucault 1984a (1986a). – Lit.: Dreyfus/Rabinow 1982 (1987). – Kögler 1994. RS

Andersheit. → Anderer Anfang. Der A. ist nach Heidegger in herausragender Weise Problem der Philosophie. Er ist Problem der Philosophie zunächst i. S. des genitivus objectivus: Philosophie hat es als Philosophie mit dem A. zu tun, der Frage nämlich nach dem → Sein als demjenigen, was Seiendes in dem, was und wie es ist, bestimmt. Derart ist die Frage nach dem Sein die Frage der Philosophie. Sie ist es als Frage nach dem A., der „arché“, als dem bestimmenden → Ursprung des Seienden. Die Umgrenzung dieser Frage bei Aristoteles markiert, so Heidegger, den wesentlichen Abschluß der abendländischen Philosophie in ihrem Anfang: Was das Seiende sei, wird hinfort „Leitfrage der Metaphysik“. Insofern diese aber „in ihrem eigenen Gefüge nicht weiter entfaltet“ wurde – ein Desiderat, das sich bis hin zu Nietzsche fortsetze, dessen Denken deshalb „Ende der Metaphysik“ schlechthin sei (vgl. HeiGA 44, 205 ff. u. 225 ff.) –, erscheint das Anfangsproblem zugleich als Problem der Philosophie i. S. des

27 genitivus subjectivus: Die von der metaphys. „Leitfrage“ bestimmte philosoph. Tradition erweist diese insgesamt selbst als Problem. Aus der Perspektive eines „anderen A.s“, d. h. der Sicht eines die → Metaphysik „verwindenden“ Denkens (vgl. HeiGA 7, 69 ff.), offenbart sich die Notwendigkeit, „anfänglicher“, „ursprünglicher“ zu fragen – nicht mehr nur nach dem Seienden, sondern nach dem Sein selbst und seiner → Wahrheit. So wandelt sich die „Leitfrage“ der Metaphysik zur „Grundfrage“ eines „ursprünglicheren“ Denkens (vgl. HeiGA 65, passim; HeiGA 44, 230), wird der A. ,vor‘ dem A. der griech. Philosophie bei Platon und Aristoteles zur Herausforderung. Das Ende der Metaphysik bei Nietzsche, erklärt Heidegger, „ist die Not des anderen Anfangs“ (HeiGA 47, 319). Dieser wird Sache eines → Denkens, das in der „Zwiesprache“ vor allem mit „anfänglichen“ Denkern wie Anaximander, Parmenides und Heraklit und der → Dichtung namentlich Hölderlins dem im ersten A. Ungedachten – der Wahrheit des Seins, der → „aletheia“ als der „Lichtung des Sichverbergens“ – auf die Spur zu kommen sucht. Der A., der demgemäß im Gespräch mit einem „anfänglichen“, vor-metaphys. Denken und Dichten als zu Denkendes in den Blick kommt, ist für Heidegger indessen gleichzeitig eine Größe, in der die Zukunft einer anderen Geschichte beschlossen ist. Er ist ihm das „alle Geschichte Bestimmende“ (HeiGA 54, 1), jenes, was als „das Zukünftigste“ allem Gewöhnlichen und Gewohnten vorausgreift, was, um als das „Ungewöhnliche“ zur Macht zu kommen, jedoch „die Umwälzung des Gewöhnlichen, die Revolution“ erfordert (HeiGA 45, 40 f.). In diesem Sinne er-

Anfang kennt Heidegger seit 1934/35 vorzüglich in Hölderlins Dichtung ein Anfängliches, das als „anderer Anfang“ des Denkens und der Geschichte gegen die vom „ersten“, metaphys. A. initiierte Geschichte zur Geltung zu bringen sei: Hölderlin, sagt Heidegger, hat „den Anfang einer anderen Geschichte gegründet“ (HeiGA 39, 1), weshalb es geboten sei, „im Übergang zum anderen Anfang“ solcher Dichtung „vorzudenken“, das anfängliche Wesen der Wahrheit denkerisch „vorzubereiten“ (vgl. HeiGA 45, 127, 135, 190; sowie HeiGA 65, 422; HeiGA 5, 318). In nicht minder exzeptioneller Weise ist das Problem des A.s im politischem Denken Arendts präsent, wenn sie das → Handeln als „Anfangen“ oder „Neuanfangen“ bestimmt (vgl. Arendt 1960, 15, 166 f., 174, 199, 242 f.; Arendt 1965, 272 ff.; Arendt 1994, 124 f., 218 ff., 224), den A., gemäß der Bedeutung des griech. „arché“, als Prinzip des Handelns begreift (vgl. Arendt 1960, 180 f.; Arendt 1994, 218). Ein Anfangen, das Arendt (unter wiederholtem Verweis auf Augustin) in der „Gebürtlichkeit“ (→ Geburt), der „Natalität“ des Menschen begründet sieht: Das Faktum des Geborenseins ist „die ontolog. Voraussetzung dafür [...], daß es so etwas wie Handeln überhaupt geben kann“ (Arendt 1960, 243), „Handeln als Neuanfangen [...] realisiert in jedem Einzelnen die Tatsache des Geborenseins“ (ebd., 167). Handeln vermag sich jedoch nicht in Isolation zu vollziehen, Grundbedingtheit des Handelns ist Pluralität. „Handeln [...] kann man nur mit der Hilfe der anderen und in der Welt“, weshalb es darauf angewiesen bleibt, „daß neue Anfänge gleichsam dauernd neu in das einmal Begonnene nachströmen“ (Arendt

Angst 1994, 224). Der „Sinn des Politischen“ (ebd., 218) verbindet sich für Arendt mit diesem Anfangenkönnen, das aber eben die „Gründung“ der im Handeln erfahrenen Freiheit notwendig macht – eine Einsicht, die sich ihr im Blick auf die röm. Antike und neuzeitl. vornehmlich im Ereignis der Amerikanischen Revolution demonstriert. Hier, so Arendt, begegnet das Ineins von Freiheitsgedanke und „Pathos des Neubeginns“ (Arendt 1965, 41), ein unableitbarer A., der freilich das strukturelle Problem in sich birgt, als dieser A. institutionell nicht faßbar zu sein. Der sich in der Revolution manifestierende „Geist“ des A.s versagt sich einer Konservierung in Institutionen (vgl. ebd., 298 f., 360). So stellen sich denn Arendt denkbare Freiheitsräume schließlich lediglich noch im Bild von „Oasen in der Wüste zufälliger Willkür“ dar (ebd., 354). Qu.: HeiGA 6.1. – HeiGA 6.2. – HeiGA 7. –HeiGA 5. – HeiGA 39. – HeiGA 65. – HeiGA 44. – HeiGA 45. – HeiGA 54. – Arendt (1958) 1960. – Arendt (1963) 1965. – Arendt 1994. – Lit.: Canovan 1995, 130 ff. – Gadamer GW 3, 375 ff. – Gottsegen 1994, 98 ff. – Großmann 1996, 95 ff. – Großmann 1997 35-47. – Pöggeler 1963 (3 1990), 189 ff. – Pöggeler 1992, 283 ff. – Schürmann 1982. AGO

Angst. Der A. kommt unter Bezugnahme auf Kierkegaard in der Phänomenologie eine erweckende Funktion zu; sie wirft den Menschen auf sich selbst zurück und führt ihn an den Punkt, an dem er die Möglichkeit seiner Freiheit erkennt. Die A. ist daher nicht selbst Freiheit, sie ist aber auch nicht gänzlich unfrei, vielmehr ein wesentlicher Schritt in Richtung Freiheit. Daß Erscheinungen wie A. oder Schwermut (Depression) auch krankhaft sein

28 können (Angstneurose), wird dabei in Rechnung gestellt. Bei Heidegger fungiert die A. als Grundstimmung, die dem → Dasein das → Nichts enthüllt und so jenes vor sich selbst bringt. Sie ist eine ausgezeichnete → Erschlossenheit des Daseins und nicht mit Furcht zu verwechseln. In der A. enthüllt sich die Nichtigkeit des → In-der-Welt-seins, d. h. die Unmöglichkeit, sich in der alltäglichen → Existenz einzurichten. Binswanger setzt Heideggers durch Tod, A. und Schuld gekennzeichnete Endlichkeit des Daseins die Zeitlichkeit der → Liebe entgegen, relativiert dies aber später unter dem Eindruck von Heideggers Kritik. Für Sartre ist der Mensch dasjenige Seiende, das sich seine → Existenz entwirft, so aber, daß ihm in diesem Für-sich die Verantwortlichkeit für die ganze Welt bewußt wird. Dies wird in der A. erfahren, in der sich das Für-sich vor die Aufgabe gestellt sieht, über den Sinn seines Seins zu entscheiden; zumeist flieht es aber vor dieser A. Ricœur unterscheidet zwischen wahrer und falscher A. und zugleich zwischen verschiedenen Formen der A.: der vitalen vor dem Tod, der psych. der Entfremdung, der geschichtlichen des UnSinns, der existenziellen der Wahl und des Schuldigseins und der metaphys. A. (mythisch im Motiv vom Zorn Gottes). Ihr Gegensatz ist die Hoffnung, so aber, daß diese der A. stets ausgesetzt bleibt. Qu.: Kierkegaard 1844 (ND 1984). – HeiGA 2, § 40. – HeiGA 42. – HeiGA 9. – Heidegger 1987. – Binswanger AW 2, 39, 13-238. – Sartre 1943 (1993). – Ricœur 1955 (1974). – Lit.: Düe 1986. HV

Anhalt. (frz. prise) In der Phänomenologie der Wahrnehmung entnimmt

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Anonymität

Merleau-Ponty der Redeweise eines Patienten, des durch die hirnpathologische Untersuchung Goldsteins und Gelbs berühmt gewordenen Schneider, den Ausdruck „Anhaltspunkte“ (Merleau-Ponty 1966, 134) und verwendet, terminologisch daran anknüpfend, das frz. Wort „prise“, um die Seinsweise des inkarnierten → Subjekts, der wesenhaft als „zur-Weltseiend“ (ebd., 7, 10) verfaßten → Existenz zu bezeichnen. Nach MerleauPonty hat das normale und gesunde Subjekt in der sinnlichen → Wahrnehmung unmittelbar einen A. an seinem → Leib. Er ist gleichzeitig „A. des Subjekts an seiner Welt“ (ebd., 293). Dieser A. ist der „Ursprung des Raumes“ (ebd.): Der Abstand eines → Gegenstandes wird durch seine Situation bezüglich unseres „Anhaltsvermögens“ (ebd., 305), durch unser leibliches Uns-zu-ihm-Verhalten bestimmt: Die Teile des Raumes nach Breite, Höhe oder Tiefe koexistieren dadurch, daß sie sämtlich von einem „einzigen A. unseres Leibes an der Welt“ (ebd., 320) umfaßt sind. Den A. aber ermöglicht und begründet die lebendig „erlebte Gegenwart“ (ebd.), die → Vergangenheit und → Zukunft in ihre Dichte (epaisseur) schließt, und diese → Gegenwart hat ihrerseits im stillschweigenden cogito nur einen „gleitenden A.“ (ebd., 459) an sich selbst und an der Welt. Der A. ist also zwar immer unvollständig, aber macht doch als „Offenheit zur Welt“ (ebd., 345) die → Wahrheit der Wahrnehmung erst möglich. Qu.: Merleau-Ponty 1945 (1966).

TS

Anonymität. Husserl versteht darunter einerseits die Verschlossenheit der weltbildenden → transzendentalen

Subjektivität für den in der Welt Lebenden, dem die → Welt „das All des für ihn Geltend-Seienden“ ist. Ein solcher ist für die transzendentale Problemdimension blind, sie bleibt „in einer verschlossenen A.“ (Hua VI, § 58). Diese A. kommt als solche durch die → Leistung der transzendentalen → Reduktion in den Blick. Indem die mundanen Objektivitäten außer Kraft gesetzt sind, öffnet sich die → Erfahrung für das transzendentale → Ich – dafür, daß ich ein transzendentales Leben lebe, in der Form eines Gegenwartslebens mit dem „beiderseits endlosen Lebensstrom“ (Hua VIII, 86). Die Reduktion bringt aber auch zur Erfahrung, daß das letztfungierende Ich prinzipiell nicht erfaßt werden kann und solcherart notwendig „anonym“ bleibt. Sie gewahrt die A., weil sie das Selbst trifft, daß dieses gerade noch oder schon nicht mehr ist: Ich kann mich selbst nicht als fungierendes Ich erfassen, „weil ich das erfassende Subjekt selbst bin“ (Held 1966, 120). Wenn auch das phänomenologisierende Ich (vgl. Hua VIII, 440) das phänomenolog. transzendentale Ich nie in Vollständigkeit enthüllen kann, ist dieses aber doch nicht anonym wie etwas, das hinter dem Sichtbaren läge, sondern als etwas, das in seiner A. im Sichtbaren „lebt“. Nitta interpretiert Husserls A. als „Medium“; so fungiert der → Leib als Nullerscheinung an sich selbst anonym und läßt darin zugleich die → Umwelt erscheinen. Die A. des Mediums liegt nicht darin, daß es hinter den → Gegenständen erscheint, sondern in seiner grundsätzlichen Ungegenständlichkeit. Für Merleau-Ponty ist das „Sein-zurWelt“ der konkrete Träger einer doppelten A.: im Sinne absoluter Individualität des eigenen Lebens, des-

Anschauung sen Sinn ich nicht konstituiere (des Für-sich-seins), und i. S. des Lebens im Verhältnis zu Anderen (des FürAndere-seins), die nicht notwendig und niemals gänzlich Gegenstand für mich sind. A. der Anderen ist die des Man, A. des Für-sich-seins die des Bewußtseins, beide als Generalität und Individualität zueinander korrelativ. Qu.: Hua VI, 207-212. – Hua VIII. – Nitta 1991. – Merleau-Ponty 1945 (1966), §§ 31 u. 33. – Lit.: Held 1966. – Hoffmann 2001, 118-132. HV

Anschauung. Im allgemein philosoph., hauptsächlich auf Kant zurückgehenden Sinn meint A. sowohl den Gegenstand als auch den Zustand eines Gerichtetseins auf etwas, das dem Subjekt gegenwärtig gegeben ist. A. heißt Erkenntnis einer Sache durch die Anwesenheit der Sache selbst. Man spricht also von A., wenn die Sache dem Subjekt unmittelbar, d. h. ohne Vermittlung durch anderes (z. B. durch das Denken), erscheint. Dies kann zweifach geschehen: als geistige Schau, Anblick übersinnlicher Wesenheiten, und als sinnliche Erfahrung, z. B. Wahrnehmung sinnlicher Gegenstände. In der Phänomenologie wird die A. im Einklang mit Kant als die unmittelbare Gebung eines Gegenstandes verstanden, nicht aber als das Gegebene (der Gegenstand). Sie ist ein Akttypus, eine Erlebnisweise. Vor allem wurde der phänomenolog. Anschauungsbegriff von Husserl und Scheler entfaltet. Husserl übernimmt die Leibnizsche Unterscheidung zwischen intuitiver (anschaulicher) und symbolischer Erkenntnis, versteht sie aber in einer ganz neuen Weise. Für ihn heißt solche Unterscheidung keine Gegenüberstellung von einfacher Vorstellung und diskur-

30 sivem Denken. Während nach der philosoph. Tradition die A. → Intuition eines Schlichten, ihr Gegenüber synthetische → Erfassung eines Gegliederten ist, heißt A. für Husserl unmittelbare, erfüllte → Gegebenheit einer beliebigen Sache, ihr Gegenüber leere, unbestimmte Vorstellung derselben Sache. Die Anschaulichkeit wird also nicht durch die Art und Weise des → Gegenstandes, sondern durch diejenige seiner → Vorstellung bezeichnet. Jede erkennbare Sache kann unanschaulich gemeint sein, dann wird ihre → Bedeutung in leerer Weise verstanden. Oder sie kann anschaulich erfahren werden, dann schauen wir sie direkt an, haben wir sie vor Augen. Die Veranschaulichung besteht in einer → Erfüllung der Bedeutung (Intention) durch intuitiv erfahrene → Momente. Solche Erfüllung erzeugt eine Näherbestimmung der Sache und dadurch einen Erkenntniszuwachs. Erkenntnis findet für Husserl durch Veranschaulichung leerer Intentionen statt. Geschieht die Veranschaulichung allseitig, d. h. werden alle Momente an der gemeinten Sache intuitiv erfüllt, dann hat man adäquate → Evidenz der → Sache selbst. Normalerweise aber, etwa in der sinnlichen → Erfahrung, hat man eine nur einseitige, evtl. mehrseitige Erfüllung: die Evidenz ist dann eine inadäquate. Veranschaulichung gibt es für Husserl sowohl in der sinnlichen Erfahrung als auch in der ideierenden Erkenntnis. Wichtige Anschauungsweisen in der sinnlichen Erfahrung sind → Wahrnehmung, → Erinnerung und alle Formen der Einbildung. Nur Wahrnehmung ist aber originär gebende A., Bewußtsein, „den Gegenstand ,originär‘, in seiner ,leibhaftigen‘ Selbstheit zu erfassen“ (Hua III/1, 14 f.). Erinnerung ist nämlich bloße Vergegenwärtigung des Ge-

31 genstandes, Einbildung seine Neutralisierung („nicht positionale“ A., d. h. diejenige, die das Sein des Gegenstandes nicht setzt). Die ideierende Anschauungsweise heißt bei Husserl Wesensschau (bzw. -erschauung) und ist der → Akt, wodurch das → Allgemeine (die „Idee“) zum aktuellen Gegebensein kommt. „Wesenserschauung ist also A., und ist sie Erschauung im prägnanten Sinn und nicht eine bloße und vielleicht vage Vergegenwärtigung, so ist sie eine originär gebende A., das Wesen in seiner ,leibhaften‘ Selbstheit erfassend“ (ebd., 15). Auch Scheler versteht unter A. die Erfahrung, in welcher „die Tatsachen selber und unmittelbar“ gegeben sind (ScheGW 10, 433). Wie bei Husserl stellt er der A. die bloße Vermeinung von etwas gegenüber. Er versteht aber diese letzte als eine „transzendierende Erfahrung“ (ebd.) und behauptet, das Meinen gehöre der A. nicht. Für ihn ist die A. keine perspektivistische Erfahrung, keine intuitive Erfüllung von leer vorgestellten → Abschattungen der Sache, sondern intuitive Gegebenheit der Sache selbst als ein Ganzes. Erkenntnis ist für Scheler folgerichtig keine Konstruktion des Verstandes aufgrund eines sinnlichen Empfindungsinhalts (wie dies vor allem bei Kant der Fall war), sondern direkte A. (Intuition) der → Tatsache selbst, welche in ihr unmittelbar gegeben ist. Dem gegenüber stellt jeder sinnliche Empfindungsinhalt eine Abwendung von der echten → Wahrheit dar: „Die Sinnesfunktionen ordnen nur die A. in das Spiel der organischen Funktionen“, sie „haben dabei niemals eine positive, schöpferische Bedeutung, sondern nur einen negativen, selektorischen, unterdrückenden, analysatorischen Wert“ (ebd., 438). In dieser Hinsicht unter-

Anspruch scheidet Scheler zwischen der reinen, phänomenolog. A. und der von den Sinnesfunktionen geprägten, natürlichen Weltanschauung. In der späteren Phänomenologie, welche der erkenntnistheoretische Frage weniger Bedeutung beimißt, kommt der Anschauungsbegriff selten vor. Selbst Merleau-Ponty entfaltet seine Phänomenologie der Wahrnehmung ohne jedwede Beziehung auf das Thema der A. Levinas gibt eine vollständige Interpretation der Husserlschen Anschauungslehre mit der Absicht, zu zeigen, daß gerade die A. (intuition) jene Erlebnisweise darstellt, in welcher der Sinn des Daseins auftaucht. Sie ist für ihn der Ort, wo sich Phänomenologie und Ontologie berühren. Qu.: Hua III/1. – Hua XIX/2. – ScheGW 10. – Merleau-Ponty 1945 (1966). – Levinas 1930. – Lit.: Pieper 1993. – Tugendhat 1967. – Volonté 1997. PV

Anspruch bezeichnet nicht nur eine rechtliche Größe, sondern auch ein ethisches Geschehen, das rechtliche und moralische Ordnungssysteme unterläuft. Mit dem A. korrespondiert nach Reinach die Verbindlichkeit (→ Anspruch und Verbindlichkeit). So hat z. B. im Versprechen die versprechende → Person Verbindlichkeiten gegenüber der Person, der gegenüber das Versprechen geleistet wurde und die ihrerseits A.e gegenüber der versprechenden Person hat. Für Reinach ist ein A. genauso wie die Verbindlichkeit ein „rechtliches Gebilde“ (Reinach 1989, 143). Ein solches darf nicht als etwas Psychologisches mißverstanden werden, sondern hat ein unabhängiges Sein und ist ein zeitlicher Gegenstand. Von ihm gelten apriorische, d. h. allgemeine und notwendige, Sätze. A. und Ver-

Anspruch bindlichkeit gründen also nicht im positiven → Recht, sondern sind apriorische Rechtsverhältnisse, die sozialen Akten entspringen. Im Unterschied zu sittlichen Rechten und Verbindlichkeiten haben A. und Verbindlichkeit ihren Ursprung in freien Akten von Personen. Den sozialen Akten wiederum liegt ein inneres Erlebnis zugrunde. Reinach unterscheidet den relativen A. vom absoluten. Während sich der relative A. nur auf fremdes Verhalten beziehen kann, ist der absolute A., den Reinach auch absolutes Recht nennt, nur auf das eigene Verhalten bezogen. Levinas schreibt dem → Antlitz des anderen Menschen einen ethischen A. zu, den dieses dem Ich gegenüber zur Geltung bringt. Das Antlitz versperrt sich dem Zugriff durch das Ich im „ethischen Widerstand“ und konfrontiert es mit dem A. des Tötungsverbotes (Levinas 1987, 284 ff.). Dieser A. ist dadurch charakterisiert, daß das Antlitz in seiner Manifestation dem Ich nicht in Neutralität gegenübertritt, sondern mit einem „Ersuchen (sollicitation)“, das als „Anruf (appel)“ das Ich „angeht (s’impose)“ (ebd.). Ein solcher Anruf kann nicht abgewehrt werden, da er die Freiheit dem anderen Menschen gegenüber unterläuft, indem er sie erst stiftet. Als solcher ist der Anruf ein ethischer A., der die Freiheit des Ich auf den Anderen oder die Andere verpflichtet (obligation) und sie der grenzenlosen → Verantwortung für den anderen Menschen unterstellt. Der A. des Antlitzes ist so einerseits unhintergehbarer „Befehl (commandement)“ zur Gewaltlosigkeit (Levinas 1953 u. Levinas 1987). Darüber hinaus eröffnet er nach Levinas andererseits auch objektivierende → Sprache und Rede. Der A. des Antlitzes,

32 den Levinas gemäß seinem sprachlichen Moment auch → „Ausdruck (expression)“ nennt, ist zugleich aber auch Bedingung für das Zustandekommen eines Gesprächs und dafür, daß etwas zum Zeichen wird. Der „Ausdruck“ des Antlitzes des oder der Anderen ist ein wortloses Sinngeschehen, das Rede bedingt und ihr vorausliegt. Waldenfels bestimmt den A. als „Appell, auf den wir antworten“ (Waldenfels 1994a, 585). Im Unterschied zu dem, was geantwortet wird, und dem, was beantwortet wird, ist der A. dasjenige, worauf geantwortet wird. Es besteht eine „triadische Relation“ (ebd., 571), in der nicht nur die ansprechende andere Person und das angesprochene Ich von Belang sind, sondern auch der Mitanspruch eines Dritten. So gilt für den A. die „responsive Differenz“ (ebd., 242 u. 634), d. h. daß zwischen dem A. und der → Antwort eine nicht überbrückbare Kluft besteht. A. und Antwort sind weder durch Entsprechung noch durch wechselseitige Passung aufeinander bezogen. Vielmehr verknüpft Waldenfels mit dem A. einen ethischen Impuls, der vor rechtlichen oder moralischen Geltungsansprüchen angesiedelt ist und der das Ich zum Antworten nötigt, wie immer die Antwort lauten mag. So ist der A. die Fremdheit schlechthin, die sich der verfügbaren → Ordnung des Ich entzieht. Insofern dieser A. nicht erfüllbar ist und die Erfüllung einer → Norm oder das Erreichen eines Zieles überschreitet, ist er ein „Überanspruch“ (ebd., 635 u. 355). Dieser begegnet auch in der Gleichzeitigkeit unvereinbarer A.e und in der Unmöglichkeit, das fremde Antlitz zu vereinnahmen. Dem angesprochenen Ich ist etwas zu sagen oder zu tun aufgegeben, ohne daß es dem darin gestellten

33

Antizipation

A. jemals hinreichend gerecht werden könnte. Qu.: Reinach 1989. – Levinas 1953. – Levinas 1961 (1987). – Waldenfels 1994a. – Lit.: Waldenfels/Därmann 1998. RE

Anspruch und Verbindlichkeit. Sie gehören in Reinachs apriorischer Rechtslehre zu den sozialen Akten, die in einem Träger, der Person, fundiert sind. Sie stehen in einem korrelativen Verhältnis zueinander, der Gegner einer V. ist zugleich Träger eines inhaltsidentischen A.s. Beide können absolut oder relativ sein und entspringen freien Akten einer Person: eine relative V. oder ein relativer A. z. B. aus erteilten oder empfangenen Versprechen, ein absoluter A. (ein absolutes → Recht) aus einem Akt der Übertragung, eine absolute V. aus einem Akt der Übernahme. Sie unterscheiden sich dadurch prinzipiell von sittlichen Verpflichtungen und Rechten, die niemals aus willkürlichen Akten begründbar sind. Ursprung beider – der Grund, auf den immer wieder zu ihrer Legitimierung zurückgegangen werden muß – ist das Versprechen. Es gibt zwei Erlöschensarten von A. und V.: eine auf Grund äußerer Unmöglichkeit der Einlösung, eine zweite durch Verzicht. Qu.: Reinach 1989.

HV

Antizipation. Als Gattungsbegriff für alle Arten von Vorgriffen auf Zukünftiges umfasst A. bei Husserl zwei Typen von A.en: solche, die selbständige → Akte (intentionale → Erlebnisse) sind, und solche, die unselbständige Teile (→ Momente) von Akten sind. Zum ersten Typus gehören insbesondere die Akte, die den Charakter von → Vergegenwärtigungen oder „Vorveranschaulichungen“, (Husserl 5 1976, 31) künf-

tiger Ereignisse, Zustände, Erlebnisse etc. haben, aber z. B. auch die wissenschaftlichen Induktionen und die auf Theorien beruhenden Vorhersagen. Zum zweiten, erst eigentlich von Husserl entdeckten Typ von A. gehören die in allen Akten und insbesondere in der → Wahrnehmung als konstitutive Momente aufweisbaren Horizontintentionen, die Husserl auch „Leerantizipationen“ (ebd., 34 u. 140) oder „ursprüngliche“ bzw. „unmittelbare Induktionen“, nennt (ebd., 28; vgl. Hua XXXII, 138). Ein Teil dieser A.en fällt mit den Protentionen, den ursprünglichsten, passiv erwachsenden A.en zusammen. Eine → Protention ist das mit → Urimpression und → Retention zum → Präsenzfeld der lebendigen → Gegenwart gehörige Moment des Gewärtigens des Nächstkommenden, das im stetigen Übergang zur nächsten lebendigen Gegenwart durch die neue Urimpression positive oder negative Erfüllung findet. Die protentionalen A.en sind inhaltlich bestimmt als jeweils retentional und urimpressional motivierte Vorgriffe auf typisch Bekanntes. So sind Protentionen konstitutiver Bestandteil des Horizontbewußtseins, in dem z. B. ein Tisch als → Ding eines bestimmten Gestalttypus wahrnehmungsmäßig als etwas, das eine Rückseite hat, bewußt ist. Zur Wahrnehmung eines Dinges gehört nämlich die den Dingsinn wesentlich bestimmende vorprädikative „Verweisung von den eigentlich wahrgenommenen Seiten des Wahrnehmungsgegenstandes auf die mitgemeinten, noch nicht wahrgenommenen, sondern nur erwartungsmäßig und zunächst in unanschaulicher Leere antizipierten Seiten – als nunmehr wahrnehmungsmäßig ,kommenden‘ eine stetige Protention, die mit jeder Wahrnehmungsphase

Antizipation neuen Sinn hat“ (Hua I, 82). Das Horizontbewußtsein vom Ding greift aber als Typus-Apperzeption (→ Apperzeption) über die jeweilige Protention und das Nächstvorgezeichnete hinaus, sofern es auch auf weitere → Erfahrung vom selben Ding vorweist, „in typischer Weise Bestimmtes als typisch Vorvertrautes antizipierend“ (Husserl 5 , 32). Das im „Innenhorizont“ der jeweiligen Dingauffassung als mitgegenwärtig Gesetzte (z. B. die Rückseite) läßt erwarten, daß, wenn ich das und das tue (etwa um den Tisch herumgehe), jenes Mitgesetzte (seine appräsentierte Rückseite) zur Selbstgegebenheit kommen wird. Das noetische „läßt erwarten“ gehört zum im → Typus allgemein Appräsentierten als einem Wahrnehmbaren und durch Wahrnehmung zur Selbstgebung zu Bringenden. Diese A. künftiger vorgezeichneter Selbstgebungen liegt im Bewußtsein des „ich kann fortwahrnehmen“, das Husserl ein Bewußtsein der „Vermöglichkeit“ nennt, und ist konstitutiver Bestandteil der Dingwahrnehmung; als eine Elementarform von → Praxis ist die Dingwahrnehmung wie jede Form von Praxis wesentlich durch A.en bestimmt. Der → Appräsentation der jeweils unsichtigen Seiten bzw. der den Dingsinn bestimmenden „noematischen“ Verweisung auf diese korrespondiert so auf „noetischer“ Seite das antizipative Bewusstsein der Vermöglichkeit der Bewährung des appräsentierend Gesetzten in einem durch den jeweiligen apperzeptiven Typus allgemein vorgezeichneten Stil. Gegenüber der Dingerfahrung und der für sie charakteristischen Art der A. hat die Erfahrung des Anderen als Alter Ego in der sog. → Einfühlung einen völlig anderen Charakter. Hier verbindet sich mit der durch die Leib-

34 erfahrung motivierten Appräsentation fremden Seelenlebens eine A. ganz anderer Art: antizipiert wird nicht wie bei der Dingerfahrung die künftige und vermögliche Selbstgebung des Appräsentierten – denn eine originale, das Erleben des Anderen selbstgebende Erfahrung ist prinzipiell unmöglich – , sondern antizipiert wird der auch künftig einstimmige, die appräsentierende Ausgangssetzung „seiender Anderer“ bewährende Verlauf ebensolcher Appräsentationen. Diese den Sinn „seiender Anderer“, konstitutierende Erfahrungsart und die ihr zugehörige A. hat einen „eigenen Bewährungsstil“, da der Andere prinzipiell nur selbstgegeben sein kann „in der Art bewährbarer Zugänglichkeit des original Unzugänglichen“ (Hua I, 144). Da A.en notwendig zur Erfahrung aller Typen von Weltlichem gehören und jedes „Vermeinte in jedem Moment mehr ist (mit einem Mehr Vermeintes), als was im jeweiligen Moment als explizit gemeintes vorliegt“ (ebd., 84), haben wir es in jedem Moment mit einer „durch und durch von A.en übersponnenen Welt“ (Hua XI, 11) zu tun. Und auch die in aller Erfahrung implizierte Horizontgewißheit der einen seienden Welt ist eine stetige, durch die vergangene Welterfahrung wohlmotivierte A. einer in infinitum einstimmig fortlaufenden Totalerfahrung. Obwohl der Terminus „A.“ in der Daseinsanalytik Heideggers keine Rolle spielt, findet gleichwohl A. im formalen Sinne eines Verhaltens zur → Zukunft in ihr eine prominente Stelle, und zwar in der existenzialen Bestimmung des „Sich-vorweg-Seins“: Da das → Dasein ein Seiendes ist, „dem es in seinem Sein um dieses selbst geht“, ist es „ihm selbst in seinem Sein je schon vorweg“ (HeiGA 2, 254 f.); es

35 kommt immer schon auf sich zu, das heißt: es ist „in seinem Sein überhaupt zukünftig“ (ebd., 431). Da das Sich-Entwerfen des Daseins auf das „Umwillen seiner selbst“ in der Zukunft gründet, ist der primäre Sinn der Existenzialität als der Seinsart des Daseins die Zukunft (ebd., 433). Das „Sich-vorweg-Sein“ macht eines der drei Bestimmungsmomente der Strukturganzheit aus, die Heidegger → „Sorge“ nennt : „Sich-vorweg-schon-seinin-(der-Welt-) als Sein-bei (innerweltlich begegnendem Seienden)“ (ebd., 256). Die Sorgestruktur, die das → Sein des Daseins ausmacht, hat ihre ursprüngliche Einheit in der ekstatisch (→ Ekstase) verfaßten Zeitlichkeit (ebd., 432-436). Für Sartre ist jede A. i. S. einer thematischen Vorhersage künftiger Ereignisse oder Zustände nur denkbar, wenn das Subjekt (das „Für-sich“) „das Sein ist, das von der Zukunft her zu sich selbst kommt und nur in der Weise existiert, daß es sein Sein außerhalb seiner selbst in der Zukunft hat“ (Sartre 1952, 184). Dieser ursprüngliche Zukunftsbezug ist kein Vorstellen von Zukunft, sondern eine Sinnbestimmung jedes gegenwärtigen Verhaltens „von der Zukunft her“ (ebd., 185): „Es gibt keinen Moment meines Bewußtseins, der nicht [...] durch die innere Beziehung zu einer Zukunft bestimmt wäre.“ (ebd., 185) Qu.: Hua I, §§ 19-20 u. 52. – Hua X, §§ 24, 26, 29. – Hua XI, 3-24. – Hua XXXII, 134149 u. 256-262. – Hua XXXIII, §§ 1-4. – Husserl 1939 (5 1976), § 8. – HeiGA 2, §§ 41 u. 65. – Sartre 1943 (1952, 183-190). – Lit.: Gurwitsch 1957 (1974, §§ 37, 42 u. 43). – Held 1966, 39-45. ROSO

Antlitz. (frz.: visage) Levinas schreibt: „Die Weise des Anderen, sich darzu-

Antwort stellen, indem er die Idee des Anderen in mir überschreitet, nennen wir nun Antlitz.“ (Levinas 1987, 63) Der → Andere offenbart sich (→ Epiphanie) in seinem Gesicht, das aber jeweils schon über das Gesichtete hinausgeht. Das A. ist kein Phänomen, weil es sich der intentionalen → Korrelation mit dem erkennenden Bewußtsein entzieht und somit seine → absolute Andersheit als ein Überschuß an Sinn bewahrt. Das A. drückt sich in eigener Macht (kath’ auto) aus und sein → Ausdruck ist zugleich der Ursprung der → Sprache, der als ethischer → Anspruch fungiert. Das A. gebietet in seiner → Nacktheit und Not. Sein Gebot lautet: „Du wirst nicht töten“. Qu.: Levinas 1961 (1987, 267-365).

BK

Antwort. Die → Differenz von Eigenem und → Fremdem bezeichnet die Dimension, innerhalb derer Waldenfels sein Antwortregister entwickelt. Mit dem Ausdruck „Register“ bezieht er sich auf die Bewegung des Antwortens (vom lat. regere „zurücktragen, zurückbringen, erwidern, eintragen“ – ein Bogen vom Einschreiben bis zum Einhören). In der A. wird das Fremde nicht nur als Angebot, sondern auch als → Anspruch verstanden, wobei das A.en auf fremde Ansprüche den Verzicht auf Aneignung und Gleichmachung des Fremden voraussetzt. Die A. knüpft an eine Frage oder Aufforderung an und wird dadurch über schon Gesagtes hinaus an etwas gebunden, das noch zu sagen ist. Insbesondere auf zwei Momente ist zu achten: daß die A. als eine zu realisierende Möglichkeit bevorsteht und daß sie wie eine erst zu leistende Zahlung aussteht. Sie ist nun zwar auf etwas aus (darin Husserls → Protention vergleichbar),

36

Anwesenheit doch hat sie das ihr Ausständige nicht schon in einem gemeinsamen Sinnhorizont im Griff, sondern bleibt stets für Überraschungen empfänglich. Zu der von Waldenfels untersuchten Antwortlogik zählt eine Reihe von Momenten: der Hiatus von → Frage und A., der jedes Ganze sprengt; die Irreziprozität zwischen Anspruch und A.; die Asymmetrie von Frage und A., die es verwehrt, die A. bloß als einen Gesprächsakt unter anderen zu interpretieren; die Nachträglichkeit der A. in der Diastase; der Überschuß des Sagens im Gesagten. Das → Hören wie das Antworten verweist auf eine leibliche Nähe und Ferne, das Hören und Antworten erweist sich darin als responsive Leiblichkeit und leibhaftige Responsivität. Qu.: Waldenfels 1994a.

HV

Anwesenheit. Mit „A.“ gibt Heidegger das griech. ousia interpretierend wieder. → Sein, griech. verstanden, ist nicht in seinem → Bezug auf ein → Subjekt als das von diesem gesetzte gedacht, sondern als es selbst. Dieses eigene → „Wesen“ (verbal) des Seins erfahren die Griechen als A.: „das aus der Verborgenheit her in die Unverborgenheit vor-Währen“ (HeiGA 9, 441). A. geschieht als Entbergen, Hervorkommen in die → Unverborgenheit (→ aletheia, → „Wahrheit“). Wenn die Griechen das Sein als A. auslegen und das Sein in höchster Instanz als reine A., liegt darin der Bezug zur Zeit: A. als → Gegenwart. Ungedacht bleibt dabei, daß die A. aus dem Abwesen hervorkommt und daß das Anwesende aus der Unverborgenheit aufgegangen ist. Ausgehend von Heideggers schon in Sein und Zeit getroffener Feststellung, „Sein“ sei als A. mit Rücksicht auf den Zeitmodus der Gegenwart verstanden

worden, weist Derrida darauf hin, daß der Vorrang der Gegenwart von Parmenides bis Husserl gar nicht in Frage gestellt werden konnte, weil Gegenwart Evidenz bedeutet, das Element des Denkens schlechthin. Derrida geht in einer von Heidegger nicht beachteten Richtung weiter, indem er das Problem der A. mit der geschriebenen → Spur verbindet, wobei er die Mehrdeutigkeit des griech. gramme aufnimmt: Linie, Spur (vor allem aber „Schriftzug“). Die von Heidegger ausgehende Erschütterung der → Metaphysik der A. (Präsenz) steht noch im Bann der Grammatik der Metaphysik selbst, indem Uneigentliches und Eigentliches, ursprüngliche Zeitlichkeit und vulgärer Zeitbegriff unterschieden werden. Während Heidegger in Sein und Zeit A. noch mit Präsenz zusammendenkt, wird diese später als Beschränkung des Anwesens gedacht; letzteres in seinem inneren Bezug zum Abwesen. Derrida fordert eine Lektüre, welche die Überschreitung der Metaphysik leistet, indem sie die Spur zu einem ganz anderen Text legt – eine Spur freilich, die nicht zu einem neuen → Ursprung führt, und auch keine eigentliche Spur, da es kein Zentrum gibt. An die Stelle der verschiedenen Zentren der durch Präsenz bestimmten Metaphysik (eidos, arche, telos, energeia, ousia, aletheia, Transzendentalität, Bewußtsein, Gott, Mensch) tritt ein unendlicher Austausch von Zeichen. Qu.: HeiGA 5, 346 ff. – HeiGA 9.– HeiGA 7, 141 ff. – Derrida 1967 (1972, 422 ff.). – Derrida 1972 (1976, 38 ff.). – Derrida 1967 (1979). HV

Anzeige, formale. Heidegger versteht unter f.r A. die besondere Art der philosoph. bzw. phänomenolog. Begrifflichkeit. Mit „formal“ bezeichnet er

37 die Allgemeinheit der Begriffe, doch ist diese uneigentlich. Das Eigentliche (→ Eigentlichkeit) wird mit dem Wort „A.“ bezeichnet: Damit kommt zum Ausdruck, daß alle philosoph. Begriffe von bloß hinweisendem und prohibitivem Charakter sind (d. h. die Aufgabe haben, von einem im → Verfallen des → Daseins gründenden stets möglichen Irrweg fernzuhalten); nur, wenn sie so genommen werden, geben sie die echte Möglichkeit des Begreifens. Qu.: HeiGA 60, 1. T., § 13. – HeiGA 61, 33 ff. u. 141 ff. – HeiGA 29/30, § 70. – Lit.: Dijk 1991. – Imdahl 1997. HV

Apodiktizität, apodiktisch. Das Wort „a.“ wird seit der 1. Hälfte des 18. Jh.s in der Philosophie für „unumstößlich beweisend“ gebraucht. So unterscheidet Kant (Logik § 30) die Urteile der Modalität nach in problematische, assertorische und a.e Urteile (vom Bewußtsein der bloßen Möglichkeit, der Wirklichkeit, der Notwendigkeit begleitet). Husserl unterscheidet zwischen dem assertorischen Sehen eines individuellen → Sachverhaltes und dem a.en Einsehen eines Wesensverhaltes, das insofern modifiziert sein kann, als es die Notwendigkeit des Soseins eines Einzelnen erkennt. In der Forderung nach einer a.en und an sich ersten → Evidenz folgt er Descartes. Eine solche a.e Evidenz kann auch an inadäquaten Evidenzen auftreten. Die höchste Dignität der A. zeigt sich darin, daß nicht nur Seinsgewißheit der evidenten Sachverhalte gegeben ist (was keinen Rekurs auf „Evidenzgefühle“ bedeutet, sondern die Aufgabe einer → Auslegung der fungierenden → Intentionalität in sich schließt (vgl. Hua XVII, § 59)), sondern durch kritische → Re-

apophantische Logik flexion deren Nichtsein als undenkbar enthüllt wird. Eine a.e Begründung gelingt dann, wenn sie auf die einzige absolute → Urevidenz aller wissenschaftlichen Philosophie zurückführt (Hua VI, 80). Qu.: Hua I (I. Med.) – Hua III/1, § 137. – Hua XVII, § 59. HV

Apophantik ist bei Husserl die Lehre von den prädikativen → Urteilen als bloßen → Bedeutungen. Ihre Aufgabe ist die Fixierung der reinen Bedeutungskategorien, d. h. der Grundbegriffe von den verschiedenartigen Satzformen, Satzgliedern, Subjektformen, Prädikatsformen, Formen der Verknüpfung von Sätzen zu neuen Sätzen usw. Während die apophantische Noematik diese Urteilsgebilde erforscht, hat die apophantische Noetik die korrelativen Urteilserlebnisse zum Thema. Qu.: Hua III/1, 25-30, 339-342. – Hua XVII, 76-93, 110-135. – Hua XVIII, 244246. – Lit.: Heffernan 1989. RW

apophantische Logik. Die formale Logik ist zum einen als a. L. auf prädikative → Urteile überhaupt und zum anderen als formale → Ontologie auf Gegenständlichkeit überhaupt und alle ihre Abwandlungsgestalten eingestellt. Als formale Analytik der Urteile teilt sich die a. L. in zwei Unterschichten ein. Erstens ist die Formenlehre der → Bedeutungen eine Theorie der verstehbaren Bedeutungsformen. Sie schließt nur das Unsinnige („ein rundes oder“) aus; deshalb gehören zu ihr alle Formen von widersprechenden Urteilen. Zweitens läßt die Logik der Widerspruchslosigkeit das Widersinnige („kein Viereck hat vier Ecken“) außer Betracht. Die zweite Schichte zeigt sich als Bedingung der Möglichkeit der

Aporien der Zeitlichkeit → Wahrheit, denn ein → Widerspruch im bloßen Urteilen schaltet die → Adäquation an die vermeinten Sachen aus. Qu.: Hua III/1, 25-28. – Hua XVII, 53 f. – Hua XIX/1, 326-348. – Lit.: Bachelard 1957. – Heffernan 1989. RW

Aporien der Zeitlichkeit. Nach Ricœur führt die philosoph. Reflexion über die → Zeit nicht nur faktisch, sondern notwendigerweise zu Aporien (vgl. Ricœur 1988, 131). Ricœur nennt drei grundlegende A.d.Z. (Ricœur 1991, 390-392): 1. die gegenseitige Verbergung der phänomenolog. und der kosmologischen Perspektive auf die Zeit (ebd., 392-400); 2. das Problem, die Zeit als Ganzheit zu denken (ebd., 400-417); 3. die Aporie der Unerforschlichkeit der Zeit (ebd., 417437). Die erstgenannte Aporie resultiert bei Ricœur aus der Gegenüberstellung des Augustinischen und des Aristotelischen Zeitdenkens. Sie besteht darin, daß weder die kosmologische Zeit im Sinne einer Abfolge von „Jetztpunkten“ aus der phänomenolog. Zeit i. S. einer → Zukunft und Vergangenheit implizierenden → Gegenwart abgeleitet werden kann noch umgekehrt. Diese Aporie findet in der „Poetik der Erzählung“ zwar keine Auflösung, aber doch eine „Replik“: in der Konstruktion einer zwischen phänomenolog. und kosmologischer Zeit vermittelnden „dritten“ Zeit, die durch den Akt des Erzählens konstituiert wird (→ Narrativität). Die zweite Aporie – wie läßt sich die in die drei → „Ekstasen“ Zukunft, Vergangenheit und Gegenwart zerfallende Zeit als Einheit begreifen, sodaß wir berechtigterweise von „der“ Zeit als „Kollektivsingular“ sprechen können? – findet hingegen in

38 der Theorie der Narrativität keine „adäquate“ Replik mehr (Ricœur 1991, 417). Für die dritte A. – jene „seltsame temporale Situation, die uns sagen läßt, daß alle Dinge – wir selbst mit einbegriffen – in der Zeit sind, nicht in dem Sinne, den irgendeine ,vulgäre‘ Auffassung diesem ,in‘ gibt, wie es der Heidegger von Sein und Zeit wollte, sondern in dem Sinne, wie die Mythen sagen, daß uns die Zeit mit ihrer Unermeßlichkeit umfaßt“ (ebd., 392) – gibt es nach Ricœur kein narratives Äquivalent mehr. Daraus folgt, „daß auch die Erzählung nicht die Macht des Wortes erschöpft, das die Zeit refiguriert“ (ebd., 392). Im Prinzip bedeutet dieses „Eingeständnis der Grenzen der Erzählung“ (ebd., 436) eine Relativierung der Grundthese von Zeit und Erzählung, nämlich der These von der strikten „Reziprozität von Narrativität und Zeitlichkeit“ (Ricœur 1988, 13 u. ebd., 131 f.). Qu.: Ricœur 1983 (1988). – Ricœur 1985 (1991). FP

Apperzeption. Der Terminus wird philosoph. zuerst von Leibniz gebraucht, um von den schlafenden oder bewußtlosen Monaden die im Wachzustand zu unterscheiden; jene haben (wie alle Monaden) Perzeption, diese auch A. oder Bewußtsein (Monadologie, § 14). Husserl greift die Unterscheidung von Perzeption und A. auf und erkennt in letzterer einen Überschuß, der im → Erlebnis selbst liegt: als Aktcharakter, der die → Empfindung beseelt, sodaß wir nicht nur indifferent empfinden, sondern Gegenständliches distinkt wahrnehmen (diesen Baum sehen, jenes Klingeln hören u. dgl.) Er gebraucht für A. auch → „Aufmerk-

39 samkeit“ und setzt „Auffassungs- und Erfahrungsart“ mit A. gleich. Qu.: Hua XIX/1. – Hua III/1, 116-118. HV

Appräsentation. Mit der um 1916 erfolgenden Einführung des A.s-Begriffs vertieft und modifiziert Husserl den Gehalt der unter den Titeln Kompräsentation, → Apprehension und Appräsenz geführten früheren Untersuchungen. (Hua XIII, 33 ff; u. Hua IV, 162 ff.; 165 f.) Im Rahmen der die Dingwahrnehmung betreffenden Analysen stellt das terminologische Paar → Präsentation/A. eine Fortsetzung der in den Ideen I gemachten Entdeckung von Kern und → Horizont dar: Das eigentlich Selbstgegebene des → Dinges fungiert als Kern eines Horizontes uneigentlicher Mitgegebenheit. (Hua III/1, 91) Unter der Voraussetzung der methodischen Neuerung der genetischen Phänomenologie bestimmt Husserl die A. als durch → Assoziationen mit dem Kern von Präsentation verbundenene Vergegenwärtigung. Als passiv miteinander Verschmolzene stehen Mitwahrnehmung und eigentliche → Wahrnehmung „in der Funktionsgemeinschaft einer Wahrnehmung, die in sich zugleich präsentiert und appräsentiert“ (Hua I, 150). Der Überschußcharakter der Wahrnehmung zeichnet sich dadurch aus, daß sie kraft A. stets mehr als das, „was sie wirklich präsent macht“, zu setzen vermag. (Hua I, 151) Sekundäre A.en ermöglichen zudem die Mitwahrnehmung der dinglichen Umgebung. (Hua XIII, 31) Während zum Wesen der transzendenten Wahrnehmung die prinzipielle Möglichkeit gehört, daß das Appräsentierte präsent gemacht werden kann, läßt die in der Fremderfahrung wirksa-

Appräsentation me A. keinerlei Erfüllung durch Präsentation zu. Husserls Exposition der transzendentalen Fremderfahrung setzt mit der primordialen → Reduktion auf die Eigenheitssphäre (→ Originalsphäre) ein, innerhalb derer der vormals → Andere als bloß eigenheitlich gefaßter → Körper in originaler Präsentation zur Erfahrung kommt. Sie motiviert die A. des Anderen, ist mit jener verflochten und macht den Wahrnehmungscharakter der Fremderfahrung aus. Die A. der psych. Innerlichkeit und Leiblichkeit (→ Leib) des Anderen kann sich prinzipiell nur in synthetisch einstimmig verlaufenden neuen A.en bewähren. Der Mittelbarkeit dieser → Intentionalität entspricht die Unzugänglichkeit des → Fremden, durch die er als Fremder für das ego zur Erfahrung gelangt. Genauer besehen findet die A. des Anderen in Form apperzeptiver Übertragung statt, die ihren Ausgang von der den Sinn alter ego urstiftenden Originalität des → ego nimmt. Die A. des Anderen bedarf daher grundsätzlich der Präsenz des ego (Hua XIV, 529). Die apperzeptive Sinnübertragung kompliziert ihren → Gehalt insofern, als sie im Sinne einer assoziativen Ähnlichkeitspaarung (Hua XV, 27) statthat. Der andere → Körper weckt die Außenerscheinungsweise des zuvor in seiner Innengegebenheit erfahrenen eigenen Leibes, er erinnert an das eigene körperliche Aussehen, „wenn ich dort wäre“ (Hua I, 147). Der andere Körper „dort“ weckt jedoch nicht nur die Körperlichkeit des eigenen Leibes „hier“, sondern damit zugleich auch die eigene Leiblichkeit, die wiederum beim Anderen jene Leiblichkeit weckt, welche die A. der fremden Leiblichkeit ermöglicht, von der alle höherstufigen

Apprehension A.en des Psychischen, Personalen und Fremdsubjektiven ihren Ausgang nehmen. Unter Preisgabe ihres transzendentalen Status hat Schütz Husserls Phänomenologie der Fremderfahrung in Verbindung mit Max Webers Handlungstheorie für den programmatischen Aufriß einer verstehenden Soziologie fruchtbar gemacht. In Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt skizziert Schütz mit der Formel von der „Generalthesis des alter ego“ die Grundzüge einer Theorie des Fremdverstehens, die ihren Ausgang vom „Verstehen eines fremden Leibes als Leib“ (Hua XIV, 110) nimmt. Das echte Fremdverstehen des Appräsentierten ist in Akten der Selbstauslegung des Verstehenden selbst fundiert. Die Collected Papers setzen gegenüber dem egologischreflexiven Ansatz des früheren Werks neue Akzente. Die Möglichkeit von Sinnbildung wird nun in der alltäglichen → Lebenswelt selbst verortet, die einer gesellschaftlich-kulturellhistorischen Konstitution unterliegt. In dem Maße, in dem Schütz den leiblichgestischen Ausdruck, die Äußerung eines Wortes oder ein Artefakt als Ausdruckshandlungen bestimmt, die „von mir als Zeichen und Symbole von Ereignissen im Bewußtsein des Anderen gedeutet“ werden (Schütz GA I, 171), kann er Husserls „Theorie der A.“ für die Klärung der Paarbeziehung von Zeichen und Bezeichnetem, von Symbol und Symbolisiertem überhaupt in Anspruch nehmen: Zeichen und Symbol stellen Mittel der Bewältigung vielfältiger Erfahrungen von Transzendenz dar, die das hic et nunc des Individuums übersteigen. Der Analyse der spezifischen Formen von Transzendenz muß die der unterschiedlichen Appräsentationsbeziehungen ent-

40 sprechen. Insofern zeichenhafte und symbolische A.en sozial-kulturell bestimmt sind, ermöglichen sie zeichenhafte und symbolische Erfahrung von Intersubjektivität und sozialen Gruppen. (ebd., 401) Die Beziehung zwischen appräsentiertem und appräsentierendem Gegenstand läßt sich durch die Zugehörigkeit zu einem von vier Bezugssystemen (Apperzeptions-, A.s-, Verweisungs-, Rahmen- bzw. Deutungsschema) klären, deren typische → Relevanz nicht nur für die eigene biographische Situation, sondern auch für die der Anderen fraglose Geltung hat. Im → Alltag sind Appräsentationsverweisungen der Aufgabe unterstellt, die „ ,immanente Transzendenz‘ “ (ebd., 407) des Anderen und die seiner Welt zu bewältigen. Dagegen transzendiert die symbolische Verweisung den Alltag insofern, als das appräsentierte Glied einem anderen geschlossenen Sinnbereich angehört (Wissenschaft, Kunst, Religion, Politik, Phantasie), während nur das appräsentierende Symbol der Wirklichkeit des Alltags entstammt. Qu.: Hua I, 138-156. – Hua VI, 162-169. – Hua XIII, 21-35, 55-60, 224-226. – Hua XIV, 516-519. – Schütz 1932. – Schütz GA I, 162-173, 331-411. – Lit.: Grathoff 1983, 87-120. – Held 1972, 3-60. – Holenstein 1972, 153-166. ID

Apprehension steht bei Husserl im systematischen Zusammenhang seiner Theorie der → Auffassung eines → Gehaltes. 1. In der Frühphase, v. a. in den Logischen Untersuchungen, unterscheidet Husserl in der Analyse der Auffassung zwischen Auffassungsform, Auffassungsmaterie und aufgefaßtem → Inhalt. Letzteren nennt er „Repräsentanten“. Die → Einheit aus

41 → Form, Materie und Repräsentant ist die → Repräsentation selbst. Diese Repräsentation hat begrifflichen Charakter. Das Gelingen einer solchen Repräsentation nennt Husserl „A.“. A. ist zu unterscheiden von → Apperzeption. Apperzeption ist ein → Akt, der → Empfindungen derart erleben läßt bzw. „beseelt“, daß sie als Gegenständliches, als repräsentierender Inhalt erscheinen. Der apperzipierte Inhalt hat aber im Gegensatz zum apprehendierten Inhalt anschaulichen Charakter. In diesen Bedeutungen der Begriffe „A.“ und „Apperzeption“ zeigt sich deutlich Husserls Verbundenheit mit der Philosophie Kants. 2. In den Ideen II setzt Husserl A. mit → Appräsentation gleich. Appräsentation bedeutet das Mitgegenwärtigmachen von etwas originaliter nicht Gegenwärtigem. Bei Husserl ist die Fremdwahrnehmung das Paradebeispiel eines Aktes der Appräsentation. Während der Terminus „Appräsentation“ dann vor allem in den Cartesianischen Meditationen eine wichtige Rolle spielt, wird der Terminus „A.“ in der Spätphase der Philosophie Husserls nicht mehr verwendet. Qu.: Hua I. – Hua IV. – Hua XIX/1. – Hua XIX/2. CR

Apriori bezieht Husserl auf das → Wesen, → Eidos. Apriorische Erkenntnis ist Wesenserkenntnis als „auf Wesen, auf Essenzen, auf allgemeine Gegenständlichkeiten gerichtete Erkenntnis. Und hier hat auch die Rede vom A. ihre legitime Stelle“ (Hua II, 51). Zunächst vermeidet Husserl weitgehend den Begriff des A. wegen der damit verbundenen „verwirrenden Unklarheiten und Vieldeutigkeiten“ und

Apriori „anrüchigen philosoph. Lehren“ (Hua III/1, 8). Verweise auf das A. erfolgen zumeist in kritischer Absetzung von der philosoph. Tradition: „Apriorische Urteile“ drücken das Beschaffensein von Wesen und Wesenszusammenhängen adäquat aus und fixieren eine „,relation of ideas‘, ein A. in dem echten Sinne, den Hume zwar vorschweben hatte, aber durch seine positivistische Vermengung von Wesen und ,idea‘ – als Gegensatz zu ,impression‘ – verfehlen mußte“ (Hua XXV, 34). Im späteren Werk macht Husserl öfters Gebrauch vom Begriff des A. Die → transzendentale Phänomenologie hat es in ihrer Erforschung des Bewußtseinslebens mit einem „universalen, konstitutiven, alle Intentionalitäten umspannenden A.“ zu tun, das sich zu einem „A. der intersubjektiven Intentionalität ausweitet“ (Hua XVII, 253). Die Universalität besteht darin, daß alles ontische A. nur „als Korrelat eines mit ihm konkret einigen, von ihm konkret unabtrennbaren konstitutiven A.“ möglich ist (ebd., 255; Hua IX, 297). Indem auf diese Weise sämtliche apriorische Disziplinen innerhalb der Phänomenologie des transzendentalen → Bewußtseins ihre Begründung erfahren, werden apriorische → Wissenschaften zu „unselbständigen Zweigen der einen Phänomenologie als universaler eidetischer Ontologie“ (Hua IX, 297). Die Universalität des A. umfaßt auch die Geschichtlichkeit des Subjektiven, die ihre genuin apriorische Struktur besitzt: Weist faktische Subjektivität eine immanent zeitliche → Genesis auf, so ist das A. des Subjektiven eine „apriorische genetische Konstitution“ und als solche „lebendige Sinnkonstitution“, „sedimentierte ,Geschichte‘“ (Hua XVII, 257). Das A. der transzendentalen Sub-

Apriori jektivität ist jedoch „undenkbar ohne transzendentales Ich als faktisches“: „Ich erkenne, daß zu meinem faktischen Vermögen der Wesensvariation [...] sich die und die mir eigenen Urbestände ergeben, als Urstrukturen meiner Faktizität“, und „ich in mir einen Kern von ,Urzufälligem‘ trage in Wesensformen“, in denen „die weltlichen Wesensnotwendigkeiten fundiert sind“ (Hua XV, 385 f.). Der Unterschied von „ontischem“ und „konstitutivem“ A. ist nicht deckungsgleich mit demjenigen von „objektivem“ und „lebensweltlichem A.“ (Hua VI, 143). Das objektive A. ist die auf Grund einer „idealisierenden Leistung“ vorgenommene „höherstufige Sinnbildung“ auf der Grundlage des lebensweltlichen A. (ebd.); objektives wie lebensweltliches A. sind ontisches A. und in ihrem genetischkonstitutiven A. transzendental zu klären. Wie bei Husserl ist auch bei Scheler das A. mit Anschauungsgegebenheit verbunden: „Als ,A.‘ bezeichnen wir alle jene idealen Bedeutungseinheiten und Sätze, die unter Absehen von jeder Art von Setzung der sie denkenden Subjektivität und ihrer realen Naturbeschaffenheit und unter Absehen von jeder Art von Setzung eines Gegenstandes, auf den sie anwendbar wären, durch den Gehalt einer unmittelbaren Anschauung zur Selbstgegebenheit kommen.“ (ScheGW 2, 67) Daß alles A. auf → Erfahrung beruht, besagt, daß Apriorisches in natürlicher Weltanschauung und Wissenschaft „wirksam“, als solches „gegeben“ aber nur ist für die phänomenolog. Analyse (vgl. ScheGW 10, 416), die als „Wesensschau“ „phänomenolog. Anschauung“ oder phänomenolog. Erfahrung“ ist (ScheGW 2, 68). Für Scheler ist die Identifizierung des „A.“ mit dem

42 „Formalen“ ein „Grundirrtum der kantischen Lehre“ und die Gleichsetzung des Materialen mit dem „sinnlichen Gehalt“ eine willkürliche Voraussetzung (ebd., 73). Apriorität ist folglich nicht auf das Rationale und Logische zu begrenzen; auch das „Emotionale des Geistes“ besitzt „einen ursprünglichen apriorischen Gehalt“ (ebd., 82). Erst die Preisgabe des Gegensatzes von → Vernunft und Sinnlichkeit macht eine „a priori materiale Ethik“ möglich (ebd., 83). Später nimmt Scheler seine Kritik am Verständnis des A. seitens der philosoph. Tradition wieder auf: Kategoriale Seinsformen bilden nur „den formalen Teil“ des A., der „nicht die Gegenstände überhaupt, sondern die Arten des Realseins der Gegenstände angeht“, während material apriorische Wahrheiten sich auf „Was- und Inhaltsbestimmungen der realen Gegenstände“ beziehen (ScheGW 5, 197). Scheler betont jetzt noch nachdrücklicher, daß apriorische Gehalte nur auf dem Weg einer spezifischen Erfahrung erschlossen werden und wendet sich gegen Kants Auffassung, daß sie ein- oder angeboren sind. Ist alles → Wissen um sie Erfahrungswissen, so ist es doch „ein Wissen, das, obzwar a posteriori, aber darum nicht induktiv gewonnen, apriori für alle Gegenstände in Geltung steht [...], sofern sie nur Gegenstände solchen Wesens sind“ (ebd.). Mit der Konzeption der „Funktionalisierung“ apriorischer Erfahrung, die das Erfahrene in Denk-, Fühl- und Wollensformen umsetzt (Wesenserfahrung „funktionalisiert sich zu einem Gesetz der bloßen ,Anwendung‘ des auf die zufälligen Tatsachen gerichteten Verstandes“, ebd., 198), denkt Scheler das Geschichtlichwerden apriorischer Bestände und die Geschichtlichkeit der Ver-

43 nunft. Scheler differenziert im Gegensatz zu Husserl das A. sachlich nach „Urphänomen“ („anschauliches echtes Wesen“) und „Idee“ (unanschaulicher apriorischer Bedeutungsgehalt); beider Deckung bezeichnet die „Urwesenheit“, die „allem Dasein und aller Realität, aber nicht minder allem zufälligen Sosein als Inhalt der Sinnesanschauung und der empirischen Begriffe notwendig im Sein vorhergeht“ (ScheGW 11, 81; weitere Differenzierungen des A. vgl. Hering 1921). Heidegger befragt das A. auf seinen metaphys. Ursprung hin. Mit Bezug auf Husserl stellt er 1925 heraus, daß der „ursprüngliche Sinn des A.“ in seiner „universalen Reichweite und Indifferenz gegenüber der Subjektivität“ in der „Zugangsart zu ihm (schlichtes Erfassen, originäre Anschauung)“ und in der vorbereiteten Bestimmung seiner Struktur als eines „Charakters der Aufbaufolge im Sein des Seienden“ besteht (HeiGA 20, 102 f.). In den Beiträgen heißt es: A. meint „in der Metaphysik, entsprechend deren Ansatz bei Plato, die Vorgängigkeit der Seiendheit vor dem Seienden“ (HeiGA 65, 222). In der Geschichte der → Metaphysik wandelt sich das A. zur perceptio und wird als ego percipio auf das Subjekt bezogen: „Es kommt zur Vorgängigkeit des Vor-stellens.“ (ebd., 223) Heidegger betont an dieser Stelle, daß das in Sein und Zeit behandelte „Seinsverständnis“ keine „Erweiterung dieses vorgängigen Vorstellens“ ist, „als Übergang aber weist es in die Metaphysik zurück. Die Wahrheit des Seyns und die Wesung des Seyns ist weder das Frühere noch das Spätere“ (ebd.). Der späte Merleau-Ponty bezieht die Erkenntnis apriorischer Gehalte auf den „Raum der Existenz“ (→ Raum)

Arbeit zurück, in dem die Identität der Idee „unter der Garantie meiner Dauer“ gewonnen wird (Merleau-Ponty 1986, 150): „Die Wesensmöglichkeiten können zwar die Tatsachen einschließen und beherrschen, aber sie selbst entstammen einer anderen, grundlegenderen Möglichkeit: derjenigen, die meine Erfahrung bearbeitet und sie öffnet zur Welt und zum Sein und die [...] ihre Tatsächlichkeit erst beseelt und organisiert.“ (ebd., 148) Für Patoˇcka erschließt → Epoché, verstanden als → Bewegung der menschlichen → Existenz, das „universale A.“, nämlich die → Welt in ihrem zweifältig-einfachen A. von Erscheinungsfeld/Weltganzem, ein A., das bezüglich all dessen, was ist, in einem faktischen Sinn das Anfängliche ist, sofern es für alles Seiende sein Bestehen in Zeit und Raum erwirkt (Pato cˇ ka 1991, 421). Qu.: Hua II. – Hua III/1, §§ 2-4, § 7. – Hua IX, § 9. – Hua XV, 378-386. – Hua XVII, § 98, 379-393. – Husserl 1939, §§ 86-93. – ScheGW 2, Kap. II. – ScheGW 5, 195-210. – ScheGW 10, 415-419. – ScheGW 11, 8193. – HeiGA 20, § 7. – HeiGA 65, 222 f. – HeiGA 67, 161. – Hering 1921, 495-543. – Beck 1925. – Ingarden 1925, 125-304. – Ingarden 1929, 159-190. – Ingarden 1965. – Spiegelberg 1930, 1-228. – Merleau-Ponty 1964 (1986), Kap. 3. – Conrad-Martius 1965, 335-356. – Schütz GA III, 127-152. – Hildebrand 1976, Kap. 4. – Fink 1988, § 9. – Reinach 1989, 531-550. – Patoˇcka 1990, 84-88. – Patoˇcka 1991. – Richir 1992 (2001, 413-423). – Lit.: Brand 1972, 128-148. – Eley 1962. – Eley 1969, § 27. – Gallagher 1972, 341-353. – Henckmann 1987, 117-140. – Ingarden 1973, 5-18. – Maxsein 1933. – Mohanty 1974, 46-65. – Murphy 1974, 66-79. HRS

Arbeit. Der Begriff A. hat bei Husserl eine wichtige Funktion, um die

Arbeit Eigentümlichkeit der phänomenolog. Forschung zu beschreiben. Er versteht diese auf dem in seiner Unendlichkeit eröffneten Erfahrungsboden als methodische Arbeitsphilosophie, die „alle erdenklichen philosoph. und wissenschaftlichen Probleme der Vergangenheit“ stellt und entscheidet; statt vager Reden und dunkler Allgemeinheiten fordert sie „erledigende A.“. Erst wenn das Arbeitsfeld der Phänomenologie erreicht wird, zeigen sich die eigentlichen Arbeitsprobleme. Bei Scheler wird A. schon in seiner vorphänomenolog. Phase (Arbeit und Ethik) zum Thema. Er betont die Gefahren der modernen Arbeitswelt, die dazu neigt, die Mittel über die Zwecke zu stellen. Die menschliche A. schafft nicht schon als solche → Werte, sondern erhält erst durch ihre Einordnung in die → Gesellschaft möglichen Sinn, der dann durch objektive Wertsysteme bestimmt wird. Moderne arbeitsteilige Fabriksarbeit und Menschenbildung sind Gegensätze. Der spätere Scheler weist auf den völlig neuen Anspruch hin, den philosoph. Wesensbegriff des → Menschen von der A. her zu bestimmen (Bergsons „homo faber“); darin kulminiere der Geist des Pragmatismus. Scheler versteht unter A. jede seelisch-leibliche Tätigkeit, die zur Umformung eines gegebenen Materials führt. Davon zu unterscheiden ist die Erkenntnis, da ihr die Absicht fehlt, am realen Bestand einer Sache etwas zu ändern. Die eigentlich philosoph. Frage zielt auf die Eigenständigkeit der Erkenntnis ab. Scheler stellt die Frage, ob das Denken („reines Denken“) wie auch die emotionalen und die der Strebenssphäre angehörigen → Akte des Geistes von den jeweiligen Folgen der Handlungen abhängig sind und damit durch die Folgen und die eingesetzten

44 Mittel (Organe und Funktionen) veränderlich werden. Für ihn liegen hier prinzipielle Irrtümer, die durch Husserls Logische Untersuchungen widerlegt wurden. Für eine solche Widerlegung sei es aber auch nötig, die verschiedenen Arten des Wissens zu berücksichtigen. Arendt gliedert die → vita activa (die anders als in der Tradition der vita contemplativa nicht untergeordnet wird, sondern neben dieser gleichberechtigt besteht) in die Bereiche der A., des → Herstellens und des Handelns. Sie spricht von Grundtätigkeiten, welche mit den Grundbedingungen des menschlichen → Lebens auf der Erde korrespondieren. Die A. entspricht dem Leben selbst; das Herstellen entspricht der Weltlichkeit, indem es eine künstliche Welt von Dingen produziert, in der menschliches Leben zuhause ist (von Natur ist es heimatlos); das Handeln entspricht dem Faktum der Pluralität von Menschen, es spielt sich ohne Vermittlung von Materie und Dingen direkt zwischen jenen ab. Allgemeinste Bedingtheit menschlichen Lebens sind → Geburt und Tod. – Die A. hinterläßt nichts Greifbares, ihr Resultat wird sogleich wieder verzehrt; die durch sie hervorgebrachten Konsumgüter haben den geringsten Grad an Beständigkeit. In dieser Bindung an den Konsum zeigen sich Grenze und Gefahr der A.: Mit der ungeheuren Steigerung der Produktionstätigkeit ist das Gleichgewicht zwischen Tätigkeit und Ruhe zutiefst gestört. Nicht durch den Gebrauch der Konsumgüter wird die Welt für den Menschen bewohnbar, sondern durch das Herstellen von Dingen, die gebraucht werden können. Für Fink sind A., Herrschaft, Liebe, → Spiel und → Tod Grundphänomene des menschlichen Daseins. In der

45 Wesensverfassung der A. liegt die Polarität von Notwendigkeit (als Befriedigung von Bedürfnissen) und Freiheit (als Äußerung menschlicher Freiheitsgewalt und Schöpferkraft), wobei diese Spannung in der modernen technischen Welt so dominant wird, daß die Probleme menschlicher Existenz als Arbeitsprobleme erscheinen. Negativ erhält die A. den Charakter einer Feindschaft des Menschen gegenüber der Erde, ohne sich je absolut über die Natur erheben zu können. In der A. wird er zum Ursprung von neuem, in der Natur nicht vorkommendem Seienden. Der Bau der Gesellschaft ist mitgeprägt durch die A., wobei die Trennung in körperliche und geistige A. das folgenreichste Ereignis in der Entwicklung der Arbeitsteilung darstellt. A. ist ihrem Wesen nach Mit-A., die Arbeitsgemeinschaft ist eine Fundamentalform der Gemeinschaft überhaupt. Müllers Phänomenologie der Arbeit untersucht deren anthropolog. Voraussetzungen und geschichtlichen Orientierungshorizonte mit Blick auf die Möglichkeiten humanen Arbeitens zunächst mit Bezug auf Marx, dann in Untersuchung des Arbeitscharakters der Rationalität bei Locke und Kant, insgesamt in einer Bestimmung des Verhältnisses von Lebenswelt und A. Qu.: Hua III/1. – Hua VI. – ScheGW 1. – ScheGW 8. – Arendt 1958 (1960). – Fink 1979. – Müller 1994. – Müller 1997. – Lit.: Lembeck 1994. – Mader 1980. – Villa 1996. HV

Archäologie. Foucault nennt A. das in den sechziger Jahren entwickelte Verfahren einer kritischen Analyse von Strukturen und Voraussetzungen des subjektphilosoph. und humanwissenschaftlichen Denkens in der Moderne. Neben der → Genealogie von

Askese Machtbeziehungen und der → Ethik des Selbstbezugs ist die A. des Wissens methodologisch die eher „objektivistische“ Form des theoret. Zugriffs, die in unterschiedlicher Gewichtung sein gesamtes Werk durchzieht. Der Archäologe versucht aus einer unbeteiligten Perspektive die „unterirdischen Schichten“ freizulegen, „die eine Kultur durchlaufen und stützen“ (Foucault 1971, 344). In strikter Abgrenzung zu hermeneut. Verfahrensweisen versteht sich diese bewußt distanzierende Analysemethode als Ethnologie der eigenen Kultur, der es um die Rekonstruktion der Ordnung des → Diskurses und des Wissens in ihrer historisch-kontingenten Bestimmtheit geht. Die Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis werden als historisches Apriori gefaßt. Die A. gilt den Gestalten des Wissens über die Form des → Menschen. Eine A. der Humanwissenschaften bedeutet eine „radikale Dezentrierung des posttheologischenanthropozentrischen Weltbildes“ (Fink-Eitel 1989, 90); der Mensch ist „eine einfache Falte in unserem Wissen“ und wird verschwunden sein, „sobald unser Wissen eine neue Form gefunden haben wird“ (Foucault 1971, 27). Qu.: Foucault 1966 (1971). – Foucault 1961 (1969). – Lit.: Dreyfus/Rabinow 1982 (1987). – Fink-Eitel 1989. – Kögler 1994. RS

Askese meint bei Foucault die Formen der ethischen Arbeit an sich, eine Tätigkeit der Selbstformung. In der Auseinandersetzung mit der antiken Sexualmoral kommt Foucault zum Entwurf einer als Ästhetik der Existenz verstandenen Moralauffassung, in der A. nicht als Selbstzweck und bloße Verzichtleistung aufgefaßt wird – zu

Assoziation dieser Bedeutungsverengung kommt es erst im christlichen Kontext –, sondern als Voraussetzung, um von einer passiven, normierten Konstitution des Selbst zu einer aktiven und mithin ethischen Form der Selbstsorge (epimeleia heautu) zu kommen. In diesem affirmativen Verständnis ist A. nicht von außen auferlegt, sondern entspringt der Entscheidung, sich um sich selbst zu kümmern. Sie ist im Kontext einer → Ethik zu sehen, der es nicht um normative Verbindlichkeit geht, sondern um die selbstverantwortliche Arbeit an den Formen, in denen die Existenz zu gestalten ist. Qu.: Foucault 1984a (1986a). – Foucault 1985. – Lit.: Ortega 1997. – Schmid 1991. RS

Assoziation dient in der genetischen Phänomenologie Husserls zur Bezeichnung des „Prinzips der passiven Genesis“ (Hua I, § 39; Hua XI). Schon in den Logischen Untersuchungen weist Husserl unter Zurückweisung empiristischer Assoziationstheorien darauf hin, daß Vorstellungsverbindungen i. S. der A. mehr sind als Komplexionen psych. Daten: „Die A. ruft die Inhalte nicht bloß ins Bewußtsein zurück und überläßt es ihnen, sich mit gegebenen Inhalten zu verknüpfen“, sondern sie erzeugt „deskriptiv eigentümliche Charaktere und Einheitsformen“ (Hua XIX/1, 36). Gegenstand der A. sind also räumlich koexistente und zeitlich sukzessive → Momente von Bewußtseinsinhalten, welche „durch gegenseitige affektive Weckung oder Verstärkung der auf diese Momente gerichteten Intentionen aufgrund von Kontiguität, Ähnlichkeit und Kontrast“ (Bernet/Kern/Marbach 1989, 187) verbunden sind. In den

46 Cartesianischen Meditationen wird A. als „transzendental-phänomenolog. Grundbegriff“ bzw. „als Titel für eine intentionale Wesensgesetzlichkeit der konkreten Konstitution des reinen ego“ (Hua I, 114) bestimmt, wodurch Husserl die Kluft zwischen psychologistischen Theorien der A. und dem phänomenolog. Begriff der A. weiter vergrößert. Unter dem Stichwort „paarende A.“ (ebd., 151) erfährt ,A.‘ innerhalb der Theorie der Fremderfahrung eine intersubjektive Wendung. So wird der Zusammenhang zwischen dem eigenen und dem fremden Körper nicht durch einen Schluß oder einen Denkakt, sondern durch assoziative → „Paarung“ (ebd., § 51) gestiftet: Indem „der fremde Körper im Dort eine paarende A. eingeht mit meinem Körper im Hier und [...] zum Kern einer Appräsentation wird, der Erfahrung eines mitdaseienden ego, muß dieses nach dem ganzen sinngebenden Gang der A. notwendig appräsentiert sein als jetzt mitdaseiendes ego im Modus Dort“ (ebd., 148). Aus anthropologischer Perspektive weist Scheler den Begriff A. als mechanistische bzw. sensualistische Kategorie zurück. In seinen Studien zur Entwicklung des → Geistes in Die Wissensformen und die Gesellschaft betont er, daß die Gliederung der Wahrnehmungswelt „ein Dissoziationsvorgang, kein Assoziationsvorgang“ (ScheGW 8, 327) ist. Gegenüber dem aus der traditionellen Assoziationspsychologie stammenden „Vorurteil der primär gegebenen Empfindung“ (ebd.) hebt Scheler die Vorgängigkeit originärer Ganzheiten in der menschlichen Erfahrung hervor: Geistige Entwicklung im weitesten Sinn resultiert nicht aus der A. elementarer Vorstellungen, sondern im Gegenteil aus der zunehmen-

47 den Differenzierung gegebener Erfahrungskontinuen. Qu.: Hua I. – Hua XI. – Hua XIX/1. – ScheGW 8. – Lit.: Holenstein 1972. TR

Ästhetik wird in der Phänomenologie und ihrem Umfeld auf zweifache Weise verstanden. 1. Als transzendentale Ä. im Sinne Kants beschreibt sie das Projekt der Husserlschen Philosophie insgesamt nach deren Wendung zur Transzendentalphilosophie als Ausfaltung des Kantschen Ansatzes in Form einer durch die Methode der phänomenolog. → Reduktion als solche erst ermöglichten Erforschung des Wesens der → Erfahrung: „[...] alles, was wir bisher in der Phänomenologie der Anschauungen und ihrer noematischen Strukturen behandelt haben, [ist] ,transzendentale Ästhetik‘ [...]“ (Hua XI, 498 – gestrichene Stelle) Gleichwohl ist die „Übereinstimmung doch nur eine äußerliche“ (Hua VII, 386), insofern Kant nicht bis zum Problem der → Konstitution vordringe. Vor allem im Hinblick auf dieses ist Ä. jedoch für Husserl von Interesse, wenn er etwa im zweiten Buch der Ideen von den „Aistheta in Bezug auf den aisthetischen Leib“ handelt, worunter er „materielle Dinge als solche in ihrer aesthetischen Struktur“ (Hua IV, 55) verstanden wissen will. Heidegger widmet in seiner Marburger Zeit mehrere Vorlesungsstunden einer phänomenolog. Interpretation der transzendentalen Ä. Kants, wobei er diese – im Anschluß an seine (später auch für Sein und Zeit maßgebliche) Herleitung des Grundbegriffs der Phänomenologie, des phainomenon, von der aristotelischen → aisthesis (vgl. HeiGA 17, 8 f.; HeiGA 21, § 23; HeiGA 2, 45) – gegenüber der von der Marbur-

Ästhetik ger Schule der Neukantianer höher bewerteten transzendentalen Logik wieder in ihr ursprüngliches Recht setzen will (vgl. HeiGA 25, 76-163), und zwar durch Herausarbeitung der → Zeit als einer für jegliche ontologische Erkenntnis unabdingbaren „universalen reinen Anschauung“ (ebd., 162) 2. Ä. im Sinne der philosoph. Beschäftigung mit Fragen der Kunst spielt bei Husserl nur eine vergleichsweise marginale Rolle dort, wo er im Kontext seiner Analysen zu → Phantasie und Bildbewußtsein (→ Bild) – auch hier in steter Ausrichtung an resp. Abhebung von Kant – die „ästhetische Einstellung“ als „Interesse an der Erscheinung“ bestimmt und vom theoretischen „Interesse an der Sache“ unterscheidet (Hua XXIII, 145). Nachhaltige Wirkung auf die philosoph. Ä. haben jedoch Husserls phänomenolog. Ansatz als solcher und insbesondere seine philosoph. → Methode ausgeübt. So haben etwa im Bereich der Literaturtheorie die russischen Formalisten Husserls Mittel der „Einklammerung“ übernommen und auf die Dichtung, insbesondere auf die Lyrik, angewandt, und auch die Mitglieder der sogenannten Genfer Schule (Rousset, Richard, Starobinski) bzw. ihr nahestehende Literaturwissenschaftler (Staiger, Miller) standen unter dem Einfluß Husserls und Heideggers, wenn sie den literarischen Text isoliert von seinem Entstehungskontext (Autor, Epoche, Rezeption) betrachteten und das Hauptaugenmerk der Analyse darauf legten, wie er wahrgenommen wird. In dieser unmittelbar an Husserls Phänomenologie anknüpfenden Tradition am gehaltvollsten sind die ausgedehnten Studien zu Literatur, Malerei, Musik und Film des polnischen Husserl-Schülers Roman Ingarden, auf den etwa die Un-

Ästhetik terscheidung zwischen „seinsautonomen“ (realen oder Natur-) Gegenständen und „seinsheteronomen“ (intentionalen) Gegenständen wie Kunstwerken zurückgeht und auf dessen Werk auch noch die Wirkungsästhetik Isers kritisch Bezug nimmt. Im Werk Heideggers finden sich zahlreiche Annäherungen an ästhetische Phänomene, etwa ein Bildnis van Goghs (in Der Ursprung des Kunstwerkes), lyrische Dichtungen von Hölderlin, Rilke, Trakl, Celan und anderen, sowie eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Ä. Nietzsches. Von entscheidender Bedeutung hierbei ist stets der Bezug des Kunstwerkes zur → Wahrheit, verstanden als → Un-verborgenheit; Kunst wird von der griechischen aisthesis einerseits und der techne (→ Technik) andererseits her gedacht als eine Weise des Entbergens des → Seins: „Die Kunst ist das Ins-Werk-Setzen der Wahrheit“ (HeiGA 5, 64); als „eine Gestalt des Willens zur Macht“ stiftet sie eine → Welt, die sich dem Menschen im ästhetischen Zustand – benannt durch die Nietzscheschen Grundworte „Rausch“ und → „Schönheit“ –, in dem die Grenzen von Subjekt und Objekt verkehrt, aufgehoben sind, öffnet (vgl. HeiGA 43, 143 f.). Das Ins-Werk-Setzen mit Heidegger als geschichtlich verstanden und in seinem Hauptwerk Wahrheit und Methode in Form einer hermeneut. Philosophie dargelegt zu haben, ist das Verdienst des Heidegger-Schülers Gadamer, der damit eine im deutschsprachigen Raum seit dem 18. Jh. florierende Tradition (Schleiermacher, Dilthey) ins Gegenwartsgeschehen der Philosophie einholte. In Frankreich haben Husserls Überlegungen zum Bildbewußtsein und Heideggers kunsttheo-

48 retische Reflexionen ihren Widerhall zunächst vor allem im Werk Maurice Merleau-Pontys gefunden, der in seinen Studien zur Sichtbarkeit bzw. Unsichtbarkeit die ontologische Relevanz der modernen Malerei aufweist und deren Fähigkeit, Wahrheit zu „stiften“, ihre schöpferische Kraft mithin, über den zuvor entwickelten Begriff des „Paradoxes des Ausdrucks“ (→ Ausdruck) in Verbindung mit der Dichtung und der Philosophie bringt. Im Gefolge Merleau-Pontys hat Dufrenne seine großangelegte Phänomenologie der ästhetischen Erfahrung entwickelt, die um die Begriffe Präsenz, Repräsentation und Empfindung kreist: in der ästhetischen Erfahrung werde das empfindende Subjekt über das „QuasiSubjekt“ des Kunstwerks, des ästhetischen Objekts, seiner selbst inne. Die kunstwissenschaftliche Legitimation von Heideggers Auslegung einzelner Kunstwerke ist vielfach in Frage gestellt und ebenso oft verteidigt worden, etwa in der Debatte zwischen Schapiro und Derrida um van Goghs Bildnisse von Schuhen bzw. genauerhin um den fragwürdigen Verweischarakter, der jeder „Abbildung“ von „van Goghs“ Schuhen zukomme oder nicht zukomme – ein genuin phänomenolog. Thema (vgl. Derrida 1992). In einem gegenüber Heidegger nuancierten, doch vergleichbaren Sinn am antiken Denken orientiert sich Foucault, wenn er von einer „Ä. der Existenz“ spricht – bestimmten → Praktiken (etwa körperliche Übungen, aber auch das Führen eines Tagebuchs) zur Herstellung eines ethischen Selbstverhältnisses, charakterisiert durch die „Sorge um sich“ (→ Sorge), das zugleich die Etablierung eines Verhältnisses zu anderen überhaupt erst ermöglicht habe, insofern es Vorausset-

49 zung für die Fähigkeit zur Übernahme eines politischen Amtes in der polis gewesen sei. Eine solche Ä. der Existenz unter den Bedingungen der Moderne nicht einfachhin zu wiederholen, sondern sie diesen gemäß neu auszuarbeiten, ist dem späten Foucault zufolge das philosoph. Gebot der Stunde, umso mehr, als davon auch die Möglichkeit oder Unmöglichkeit von Wahrheit im politischen Diskurs abhänge. Qu.: Hua XI. – Hua VII. – Hua IV. – Hua XXXIII. – HeiGA 2. – HeiGA 4. – HeiGA 5, 7-68. – HeiGA 12. – HeiGA 17. – HeiGA 25. – HeiGA 39. – HeiGA 43. – HeiGA 52. – HeiGA 53. – Ingarden 1931. – Ingarden 1937. – Ingarden 1962. – Iser 1972. – Iser 1976. – Gadamer GW I. – MerleauPonty 1964 (1986). – Merleau-Ponty 1969 (1984). – Merleau-Ponty 1945 (1966). – Dufrenne 1953. – Derrida 1978 (1992, 301442). – Foucault 1984b (1986b). – Foucault 1985 (1996). – Foucault 1994d, 730-735. – Lit.: Bernet/Kern/Marbach 1989, bes. 131143. – Biemel/v.Herrmann 1989. – Dreyfus/Rabinow 1982. – Eagleton 1983. – Faden 1986 – Good 1998a – Foucault 1994d. – Herrmann 1980. – Herrmann 1989. – Jamme/Harries 1992. – Miller 1963. – Richard 1955. – Rousset 1962. – Schmid 1991. – Schmid 1991a, 159-219. – Staiger 1955. – Starobinski 1961. – Striedter 1969. – Zima 1991. ARB

Asymmetrie. Mit A. bezeichnet Levinas die Art der Beziehung des Einen zum → Anderen, insofern beide in einem Verhältnis der Ungleichheit zueinander stehen, das sich nicht auf eine gemeinsame Identität zurückführen läßt: der Andere als anderer Mensch in Erniedrigung (in Armut und Fremdheit, als Witwe und Waise), zugleich in einer Erhabenheit (mich zur Freiheit aufrufend). Er wendet sich mir mit seinem → Antlitz zu, geht aber nicht in der Vorstellung des Antlitzes auf. Die

Auffassung A. besteht in einem Mehr oder Weniger des dem Anderen Begegnenden: in einem Weniger als der zu seiner Verpflichtung Aufgerufene; in einem Mehr als der zur Hilfe Ermächtigte. Qu.: Levinas 1961 (1987) (III B 8).

HV

Atmosphäre. Bei Schmitz ein Gefühl, das den → Leib umgreift und in die überpersönliche Welt einbettet. Wesentlich ist die Räumlichkeit (→ Raum) der A.n. Schmitz unterscheidet überpersönliche A.n (z. B. eine Landschaft) von A.n persongebundener Gefühle (z. B. Freude oder Trauer). Eine übergreifende A., der sogar geschichtsbildende Kraft zukommt, ist das Klima. Hier berühren sich Schmitz’ Ausführungen mit älteren von Watsuji. Für Tellenbach bezeichnet A. die Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen Welt im Mitsein, von Anbeginn dem Kind in Duft und Schmecken der Mutter gegenwärtig. Böhme entwickelt in Fortführung des Begriffs der Aura bei Benjamin „A.“ als einen Grundbegriff der Ästhetik. Deren Inhalt wandelt sich dabei von einer Theorie der Künste zu einer allgemeinen Theorie ästhetischer Arbeit, bestimmt durch die Produktion von A.n bzw. auf Seite der Rezeption zu einer Theorie der Wahrnehmung (griech. aisthesis). Qu.: Schmitz System III/2. – Watsuji 1997. – Tellenbach 1968. – Böhme 1995. – Lit.: Hauskeller 1995. HV

Auffassung. Der Möglichkeit eines vorurteilslosen Sehens und Anschauens bahnt Husserl mit dem → „Prinzip aller Prinzipien“ den Weg. Demnach sollen wir alles, was sich uns in seiner leibhaftigen → Wirklichkeit darbietet, einfach so hinnehmen, „als was es sich

Auffassung gibt, aber auch nur in den Schranken, in denen es sich da gibt“ (Hua III/1, 51). Diese Aufforderung erfordert eine Aufklärung der Bezugsmöglichkeiten eines → Aktes auf einen → Gegenstand. Die A. wird von Husserl als ein Aufbauteil bedeutungsverleihender Akte eingeführt. Sie ist, wie die → Deutung und die → Apperzeption, ein Aktcharakter. Husserl spricht auch von einem Erlebnischarakter, dessen grundsätzliche Leistung darin besteht, „allererst das ,Dasein des Gegenstandes für mich‘ “ (Hua XIX/1, 397) auszumachen. Insgesamt haftet der A. jedoch eine gewisse Mehrdeutigkeit an. Sie hat den Charakter der → Präsentation, den der Deutung, was nahelegt, daß wir es in der → Erfahrung mit zu interpretierenden Texten zu tun haben, sowie den Charakter der beseelenden Produktion von → Gegenständen. Wir bringen diese Aspekte der Reihe nach zur → Geltung. Zunächst sind alle Akte auf Materie bezogen. Diese Materie ist die Komponente eines Aktes, die diesem einen Gegenstandsbezug und die Weise, in der der Gegenstand gemeint wird, verleiht. Sie ist damit der „Sinn der gegenständlichen A.“ (oder kurzweg der Auffassungssinn; ebd. 430)). Husserl bezeichnet den Auffassungssinn auch als das „ ,als was‘ der A.“ (Hua XIX/2, 622) und die Vorstellungsart eines Gegenstandes (→ Wahrnehmung, → Phantasie etc.) als „Auffassungsform“ (ebd., 624). Sodann unterscheidet Husserl die → Wahrnehmung, die auf eine Erschließung der Fülle eines leibhaftigen Gegenstandes gerichtet ist, von der Imagination. „Die verbildlichende A. macht es, daß wir statt einer Wahrnehmungserscheinung vielmehr eine Bilderscheinung haben, in welcher auf Grund der erlebten Empfindungen der

50 bildlich vorgestellte Gegenstand (der Kentaur auf dem gemalten Bild) erscheint“ (Hua XIX/1, 399). Die hier fungierende Differenz bemißt sich daran, daß die Wahrnehmung, definiert als „perzeptive A.“ (Hua XIX/2, 609), eine Präsentation ist, während die verbildlichende oder „imaginative A.“ (ebd., 608) den Charakter einer → Repräsentation hat. Geht im Prozeß der Erfahrung die perzeptive in eine imaginative A. über, dann ereignet sich eine Auffassungsmodifikation. Das Bezogensein der Wahrnehmung auf die Fülle eines Gegenstandes bedeutet auch, daß die Wahrnehmung am Ideal der → Adäquation orientiert ist. Dadurch wird das Problem der → Wahrheit thematisch. Eine Intention gilt als vollständig erfüllt in einer endgültigen Präsentation, die einen Gegenstand als ihn selbst darbietet. Wahrheit ist dann erreicht, wenn der Gegenstand genau so gegenwärtig ist, wie er intendiert wird. Husserl vertritt eine Version der Konzeption von Wahrheit als adaequatio rei et intellectus, d. h. als Übereinstimmung von gegebenem Sachverhalt und gedanklicher Intention. Diese Wahrheit wird als → Evidenz erlebt. Die Erfahrung der Übereinstimmung erfordert jedoch einen eigenen Akt „objektivierender A.“, d. h. „ein eigenes Hinblicken auf die vorhandene Wahrheit“ (ebd., 652). Die objektivierende A. macht die erlebte Übereinstimmung zum Thema. Weitergehende Fragen an die gesamte Konzeption der A. stellen sich, wenn wir an den Anfang zurückkehren. Bevor Husserl die genannten Aspekte der A. im einzelnen vorstellt, äußert er ganz grundsätzlich, daß „jedes Auffassen in gewissem Sinne ein Verstehen oder Deuten ist“ (Hua XIX/1, 79). Gegebenes ist also nur in Deutungen gegeben.

51 Für Cassirer sind es symbolische Formen wie Sprache, Mythos, Wissenschaft, Religion, Kunst und Technik, die von vornherein an deutender Sinnbildung teilhaben. Sofern jede Deutung einen bestimmten Gesichtspunkt favorisiert, sind Deutungskonflikte im Erfahrungsprozeß nicht auszuschließen (vgl. Schnell 1995, 40 ff.). Hier ergeben sich Anknüpfungspunkte für die hermeneut. Annahme, welche Ricœur zufolge besagt, daß Gegebenes ohnehin nur durch einen Konflikt der → Interpretationen zu gewinnen ist (vgl. Ricœur 1969). Heidegger gab dieser Annahme eine eigene Wendung. Indem er in seiner → Hermeneutik der → Faktizität die → Existenz selbst als ein → Verstehen und Auslegen begreift, knüpft er wiederum an Nietzsche an, für den das Leben ein perspektivisches und sinnsetzendes Interpretieren ist. Mit einer interpretationsfreien Wahrheit ist nicht zu rechnen. Husserl hat seine Lehre der A. noch in einen anders akzentuierten Bezugsrahmen als den bisher dargestellten versetzt. Ausgangspunkt ist jetzt die Unterscheidung von hyletischen Empfindungsdaten und „beseelender A.“ (Hua III/1, 227). Farb-, Tast-, Tondaten und andere sensuelle Erlebnisse haben „in sich nichts von Intentionalität und benötigen deshalb eine „ ,beseelende‘, sinngebende A.“ (ebd., 192), eine → Schicht des Noetischen. Sinnhafte → Erlebnisse konstituieren sich, indem → hylé und morphé, d. h. „formlose Stoffe und stofflose Formen“ (ebd., 193) ineinandergreifen. Gurwitsch, der seinerseits das Bewußtsein als ein → Feld beschreibt, wendet ein, daß wenn wir dem Prinzip aller Prinzipien treu bleiben und nicht in eine mythische Redeweise verfallen wollen, die Husserl an Kant kritisiert, dann zugeben müßten,

Aufmerksamkeit daß diese Zweischichtentheorie unhaltbar ist. (Gurwitsch 1929, 353 ff.) Sinnlose Daten gibt es überhaupt nicht, weil Gegebenes immer nur als gestaltetes und strukturiertes gegeben ist. Der Dualismus von A. und Inhalt wird auch von Merleau-Ponty zurückgewiesen, da jener beide Elemente gleichermaßen entstellt. „Es gibt keine hyle, keine Empfindung ohne Kommunikation mit allen anderen Empfindungen und den Empfindungen der Anderen, und eben aus diesem Grunde gibt es auch keine morphe, keine A. oder Erfassung, die berufen wäre, einem Bedeutungslosen erst Sinn zu geben und die aprior. Einheit meiner und der intersubjektiven Erfahrung zu gewährleisten.“ (Merleau-Ponty 1966, 461) Statt dessen gilt es von einer Dialektik von Form und Inhalt auszugehen, die sich in einem Dialog zwischen Wahrnehmung und auffordernden Gegenständen realisiert. „Dieser Dialog des Subjekts mit dem Objekt, in dem das Subjekt den im Objekt ausgebreiteten Sinn übernimmt und das Objekt die Intentionen des Subjekts, umgibt das Subjekt mit einer Welt, die von sich aus zu ihm spricht, und verlegt seine eigenen Gedanken in die Welt selbst.“ (ebd. 160 f.) Subjekt und Objekt sind hier nicht mehr Elemente eines Dualismus. Die Rede von einem im Objekt ausgebreiteten Sinn besagt nämlich, daß „mein Akt kein ursprünglich konstituierender ist, sondern ein aufgeforderter und motivierter“ (ebd., 307). Qu.: Hua III/1. – Hua XIX/1. – Hua XIX/2. – Cassirer 1923. – Ricœur 1969 (1974). – Gurwitsch 1929. – Merleau-Ponty 1945 (1966). – Lit.: Schnell 1995. MWS

Aufmerksamkeit. Die A. ist eine attentionale Zuwendung. Sie bezeichnet nach Husserl eine „Grundart inten-

Aufmerksamkeit tionaler Modifikationen“ (Hua III/1, 215). Scheler bestimmt die A. im Zusammenhang des emotionalen Lebens einerseits als die die Wahrnehmung und das sinnliche Gefühl begleitenden sensualistisch-intellektualistischen → Akte und andererseits als voluntaristischen Begriff, der dem Streben nach → Werten inhärent ist (ScheGW 2, 158 ff., 332 ff.). Merleau-Ponty vertritt eine „Genealogie des Sehens“, welche die aktive → Konstitution eines → Gegenstandes im Zusammenhang mit den Leistungen der A. vorsieht (MerleauPonty 1966, 50). Als beschreibbares, erstmalig bei Aristoteles erwähntes Phänomen zeigt sich der Begriff der A. begriffsgeschichtlich weitgehend konstant. Als funktionelles Konzept liegt er in einer Spannbreite vor, dessen unterschiedliche Bedeutungen nicht immer eindeutig zu trennen sind. In der Phänomenologie spannen sich die Bedeutungsausrichtungen über einen sensualistischen Dispositionsbegriff, einen kognitiven Apperzeptionsbegriff hin zu einem voluntaristischen Begriff. Der sensualistische Dispositionsbegriff kennzeichnet im Rahmen der Phänomenologie einen bei Scheler im Zusammenhang von Pawlows Tierversuchen erwähnten sensorischen und motorischen Reflex und deutet, allgemeiner gefaßt, auf einen in der Erfahrung situierten Reizbegriff (→ Reiz) (vgl. ScheGW 9, 25 ff.; ScheGW 2, 165 f.) bzw. auf eine Empfindsamkeit und ein Affiziertwerdenkönnen (Hua XI, 148 ff.; MerleauPonty 1966, 253 ff.). Den kognitiven Apperzeptionsbegriff (→ Apperzeption) beschreibt Husserl in seiner Untersuchung der Bewußtseinsmodi und Bewußtseinsinhalte. Dieser auf Augustinus und Leibniz zurückgehende Apperzeptionsbegriff vereinigt zwei

52 Bedeutungen: erstens die klare Vorstellung gegenüber der dunklen, der bloßen „perceptio“; und zweitens die Aufnahme einer Vorstellung in das Selbstbewußtsein. Für die sowohl intellektualistische als auch voluntaristische Auffassung von Leibniz besteht das Wesen einer Monade aus Perzeptionen (Denken und Anschauung) und Appetitionen (Wollen, Strebung), die aufeinander bezogen werden. Dieser Doppelaspekt zeigt sich, indem einerseits Wahrnehmungen durch Strebungen hervorgebracht und als Gegenwärtiges von der A. gehalten werden, andererseits, besonders bei Augustinus, die A. durch die Seele gelenkt wird (Augustinus 1958, 12 f., 65; Augustinus 2000, 37, 39; Leibniz 1954, 14-23). Eine voluntaristische Auffassung vertritt auch Descartes, der die A. als willentliche Fixierung des Bewußtseinsinhaltes beschreibt, die aber auch z. B. durch eine Überraschung herbeigeführt werden kann (Descartes 1984, § 70, § 76). Ein weiterer die phänomenolog. Lehre der A. beeinflussender Hintergrund ist die Psychologie des späten 19. und frühen 20. Jh.s. So bezeichnet Wundt, der dem Begriff der A. eine vielschichtige Rolle zuwies und der zu Husserl ein äußerst kritisches Verhältnis hatte, die A. als einen durch subjektive „eigenthümliche Gefühle charakterisierten Zustand, der die klare Auffassung eines psych. Inhalts begleitet“ (Wundt 1896, 245 ff.; Wundt 1874, 332 f.). Der einzelne Vorgang, durch den ein psych. Inhalt zu klarer Auffassung gebracht wird, ist die Apperzeption (Wundt 1896, 245). Die Beziehung der A., i. S. eines mitwirkenden emotionalen „Thätigkeitsgefühls“ (Wundt 1874, 252), mit einem Funktionsbegriff der Apperzeption ist in ei-

53 ne autogenetische Theorie des Willens eingebettet. „Jeder Act der A. ist ein Willensact.“ (ebd., 310, 351 ff.; 1896, 238 ff.) Lotze spricht von „Graden von A.“, und je nach Stärke der A. „steigt die Vorstellung eines Etwas“ in unserem Bewußtsein empor (Lotze 1894, 31). Auch Lipps schließt sich diesem funktionalen Apperzeptionsbegriff an, indem er beschreibt, daß jede Empfindung von mehr oder weniger A. begleitet ist. Aber wenn sie ein gewisses graduelles Maß an A. auf sich gezogen hat, dann überschreitet sie die „Apperzeptionsschwelle“ und rückt als (qualitativer) Inhalt in den Mittelpunkt des Bewußtseins (Lipps 1911, 53 ff.). Beeinflußt von Wundt und wegweisend für Husserl unterscheidet Lipps aktive und passive Apperzeption, d. h.: „Ich wende das eine Mal frei meine A. einem Erlebnis zu, das andere Mal geschieht es, daß das Erlebnis die A. auf sich zieht.“ (Lipps 1902, 5) Dieser Vorgang wird von Husserl im Zusammenhang einer Phänomenologie der Tendenzen ausgearbeitet (vgl. Marbach 1974, 241 ff.). In kritischer Auseinandersetzung mit dem sensualistischen Charakter der Psychologie und in Anknüpfung besonders an die Schriften von Lipps und Pfänder betont Husserl den Wesenszusammenhang zwischen A. und → Intentionalität (vgl. Hua III/1, 215). Der Bewußtseinsmodus der A. wird von Husserl als „ausgezeichnete Funktion“ beschrieben, die eine „ ,gewisse Einstellung‘ , ein unsagbares Charakteristikum“ ist (Hua XIX/1, 423; Hua XVI, 146). Die Funktion der A. im Zusammenhang der → Wahrnehmung besteht darin, daß sie intentionale Gegenstände irgendwelcher → Akte herausgreift, auf die wir aufmerksam sein können. Aufmerksam können wir nur

Aufmerksamkeit auf das sein, was wir im „Bewußtsein haben“ (Hua XIX/1, 424) bzw. auf etwas, auf das wir achten (vgl. Hua XVI, 147). Die aktuelle Wahrnehmung ist jeweils umgeben von einem → Horizont der Potentialität. Die Funktion der A. ist systematisch verbunden mit dem „Horizont unbestimmter Wirklichkeit“, aus dem sie mit Strahlen des „aufhellenden Blickes der A.“ Gegenstände beleuchten kann (Hua III/1, 57). Der Unterschied zwischen → Aktualität und Potentialität der → Setzung steht in naher Beziehung zu den Aktualitätsunterschieden der A. und Unaufmerksamkeit, fällt aber mit diesen keineswegs zusammen, da der Bewußtseinsmodus der A. nicht irgendeine → Einstellung des → Bewußtseins neben anderen (z. B. der Unaufmerksamkeit), sondern der Name für die originäre, lebendige Aktualität des Bewußtseins und seinen Selbstbezug ist (vgl. Hua XVI, 147; Orth 1999, 73). Somit ist die A. eine Einstellung der Zuwendung (oder Abwendung) des → Ich auf „Gegenstände – innerer oder äußerer – Wahrnehmung, Erinnerung, Erwartung oder auch Sachverhalte einer wissenschaftlichen Erwägung u. dgl.“(Hua XIX/1, 424). Diese aufmerkende Zuwendung „findet sich vor“ mit Bezug auf den intentionalen Gegenstand, als „Unterlage für Identifikation“ (Hua XVI, 147, vgl. Orth 1999, 86) oder als Bewußtseinsmodus, der zu Akten von intentionalen → Erlebnissen gehört (vgl. Hua XIX/1, 423 f.). Im Zusammenhang des Forschungsbereichs der → Passivität untersucht Husserl die Leistung der affektiven Weckung einer auf einen Gegenstand gerichteten Intention. Affektion setzt die Abhebung von ,etwas‘ voraus, das einen „eigentümlichen Zug“ auf das Ich ausübt. Es ist ein Zug in einem „Reich affektiver

Aufmerksamkeit Tendenzen“, der sich in der aufmerkenden Zuwendung entspannt (Hua XI, 148 ff.). Somit ist Vergegenständlichung nur da, sofern ein Konstituiertes einen affektiven → Reiz ausübt, dem das Ich Folge leistet und sich aufmerkend, erfassend zugewendet hat (Hua XI, 162). In der Forschungsphase der Ideen I läßt sich Husserl von Lipps und Pfänders Lehre vom Ich als Zentralpunkt des psych. Lebens beeinflussen und erhebt, kritisiert von Gurwitsch, das reine Ich zum Zentrum der Aufmerksamkeitsstrahlen (vgl. Hua III/1, 214; Gurwitsch 1929, 279 ff.). Er betont den vom Ich ausgehenden voluntaristischen Aspekt in der A: „Ich kann meine A. wandern lassen“ (Hua III, 57) und will so Abwandlungen des ganzen Erlebnisses nach seiner noetisch wie noematischen Seite hin erreichen. Scheler beschreibt ein Streben nach Werten, in dem durch alle Art von wachsender Tätigkeit (sowohl im Streben als auch im Aufmerken) die intellektuellen Inhalte oder Willensprojekte stärker an das Ich gebunden werden, wobei die A. in eine aktive und eine passive unterteilt wird (ScheGW 2, 332). Die an einen voluntaristischen Begriff angelehnte aktive A. bedeutet ein Suchen und wird als eine vom Ich ausgehende Tätigkeit erfahren. Die passive A. bezeichnet ein Sich-Aufdrängen eines Bewußtseinsgegenstandes, von dem jemand angezogen oder abgestoßen sein kann. Hier wird die gegebene Tätigkeit als eine auf das Ich zukommende erlebt (vgl. ebd., 158 ff.). Die passive A. setzt mindestens die Perzeption eines Gegenstandes voraus. Hierbei ist sowohl die Auffälligkeit des Gegenstandes bedingend für das Maß des SichAufdrängens, als auch die Interessensrichtung des betreffenden Individuums

54 und die „feste Wand“ des → Milieus (ebd., 158). Das Milieu, die praktisch als wirksam erlebte Wertwelt, ist Begrenzung und dessen Gehalt zugleich, „die überhaupt mögliche Materie für ihre nach Aktart und Grad variablen Inhalte“ (ebd.). Jedes Streben und → Wollen ist geprägt von → Gefühlen. Gefühle sind sehr unterschiedlich von der Zuwendung durch die A. betroffen. Sinnliche Gefühle gewinnen, entsprechend der „Arten und Stufen der A.“, eher an Klarheit, während vitale Gefühle, die unsere „Lebenstätigkeiten sinnvoll lenken helfen“, durch die Zuwendung der A. eher gestört werden (ebd., 261, 337). Sie funktionieren nur im Dunkeln. Seelische Gefühle, wie → Schmerz hingegen, werden durch die Abwendung der A. leichter erträglich (vgl. ebd., 338). Lebensgefühle, wie z. B. Seligkeit oder Verzweiflung, sind Leibgefühle, die durch die A. nicht verändert werden (ebd., 341). Merleau-Ponty betont, wie auch schon Scheler, die Prozeßhaftigkeit des Empfindens und Wahrnehmens. Seine Analysen kritisieren den Empirismus und Intellektualismus, da beide die → Konstitution des Gegenstandes verschweigen und übergehen. Der erstere faßt den Akt der A. als nicht produktiv und als allgemeines Vermögen auf, der andere betont die Produktivität der A. und vertritt, daß der Wahrnehmende durch die A. Aufklärung über einen Gegenstand erhält, der die intelligible Struktur bereits in sich trägt (MerleauPonty 1966, 47). Merleau-Ponty wählt eine mittlere Position und bestimmt die Leistung der A. als „aktive Konstitution eines neuen Gegenstandes durch Thematisierung und Explikation von solchem, was zuvor nur gegenwärtig war als unbestimmter Horizont“ (ebd., 52). Die A. bedeutet nicht nur eine

55 Steigerung von Klarheit, sondern eine Leistung, Gegebenes „ursprünglich gestalthaft zu artikulieren“ (MerleauPonty 1966, 51). Es ist bezeichnend, daß Husserl und Merleau-Ponty schreiben, daß man noch eine Phänomenologie der A. entwerfen müsse (vgl. Hua III/1, 215). Ein Weg wäre die Konfrontation des Bewußtseins mit seinem eigenen „präreflexiven lebendigen Beisein bei den Dingen“ (Merleau-Ponty 1966, 53) und eine Ausarbeitung des bei Merleau-Ponty und Waldenfels, aber auch bei Husserl selbst angelegten Feld- und Strukturbegriffes auf der Ebene der → Erfahrung (Waldenfels 2000, 62 ff.). Qu.: Hua III/1. – Hua XI. – Hua XVI. – Hua XIX/1. – Hua XXXV. – ScheGW 2. – ScheGW 9, 7-72 . – Merleau-Ponty 1945 (1966). – Aristoteles 1995. – Augustinus 1953 (1958). – Augustinus 2000. – Descartes 1649 (1984). – Leibniz 1840 (1954). – Wundt 1896. – Wundt 1874 (5 1903). – Lotze 1894. – Lipps 1902. – Lipps 1903a (4 1911). – Pfänder 1904. – Orth 1999. – Gurwitsch 1929. – Waldenfels 2000. – Lit.: Holenstein 1972. – Hua XXXV. – Kühn 1998a. – Leibniz 1962, 533-546. – Lee 1993. – Lipps 1902 (3 1926). – Marbach 1974. – Stumpf 1890. CS

Augenblick. Bei Platon ist der A. das Plötzliche (exaiphnes) im unfaßbaren Übergang des Einen von Ruhe zu Bewegung (Parmenides 155 e ff.). Aristoteles bezieht den rechten A. (kairos) auf die Situation des Handelns (Nikomachische Ethik III 1). Kierkegaard sieht im A. den Berührungspunkt von Zeit und Ewigkeit (aber auch negativ den A. als etwas, das im Grunde bedeutungslos ist, weshalb die Menschen von einem A. zum nächsten übergehen: Entweder-Oder pass.).

Ausdruck Eine genauere Stellung nimmt innerhalb der Phänomenologie der A. bei Heidegger ein, der in ihm die eigentliche → Gegenwart erblickt. Aristoteles habe zwar dieses Phänomen gesehen, doch sei es ihm nicht gelungen, den spezifischen Zeitcharakter des A.s zu fassen, weil er ihn mit dem „Jetzt der vulgär verstandenen Zeit“ identifiziert habe. Vielmehr ist umgekehrt das → Jetzt aus dem A. „abkünftig“ (HeiGA 24, 408). Der A. ist der primäre und eigentliche Modus der Gegenwart. In ihm hält sich das → Dasein in der Entschlossenheit und ist solcherart dem ihm Begegnenden geöffnet. Dieser eigentlichen Gegenwart des A.s entspricht als uneigentliche das Gegenwärtigen. Das platonische exaiphnes wie der aristotelische kairos spielen herein, wenn Heidegger sagt, vom „Rand des Möglichen in den Ruck zur Wirklichkeit“ führe „nur das einzelne Handeln selbst – der A.“ (HeiGA 29/30, 257). Für Binswanger gehört der A. in den Daseinsentwurf der → Liebe. In deren ewigen A. fallen die Gegensätze von Sieg und Niederlage, Glück und Unglück, Schmerz und Freude, ja von Leben und Tod in einer „erotischen Dialektik“ (AW 2, 132) zusammen. Das deutungsverleihende Wort der Liebe, im rechten A. gesprochen, ist das Du. Qu.: HeiGA 2, § 68. – Binswanger AW 2, I. Teil, Kap. 1.A.IV. – Lit.: Pöggeler 1989. HV

Ausdruck. Der phänomenolog. Gebrauch des Terminus A. umfaßt neben dem sprachlichen auch den physiognomischen und leiblichen A., zudem schließt er bei einigen Autoren die existentialen und ethischen Implikationen des Begriffs mit ein. Ge-

Ausdruck genüber dem Ausdrucksverständnis naturwissenschaftlich-mechanistischer (Piderit, Darwin) bzw. psychologischer Lehren (Wundt, Klages) proklamieren vor allem die an Scheler anknüpfenden phänomenolog. Ansätze eine diesseits aller projizierenden Denk- (Analogieschluß) oder Gefühlsakte (→ Einfühlung) liegende unmittelbare Verständlichkeit der Ausdruckserscheinungen. In der Phänomenologie Husserls vollzieht sich die Auseinandersetzung mit dem Ausdrucksgeschehen zunächst unter ausschließlich sprachlogischen Gesichtspunkten. Dieser Beschränkung korrespondiert der definitorische Ausschluß des mimischen und gestischen A.s aus dem Feld der Ausdrucksmöglichkeiten, da diese für ihn „keine Bedeutungen im prägnanten Sinne sprachlicher Zeichen“ (Hua XIX/1 A, 31) repräsentieren. Im Gegensatz zu den „anzeigenden Zeichen“ charakterisiert den A. neben der ihm innewohnenden → Bedeutung (vgl. ebd., 23, 30; Hua III/1, 286) sein intentionaler Bezug auf (anschaulich oder ideell) Gegenständliches (Hua XIX/1, 37, 46, 49). Während er in der „kommunikativen Rede“ als „Anzeichen“ auftritt, dem die Funktion der „Kundgabe“ (ebd., 33) zukommt, verliert der A. zwar nicht seine Bedeutungshaftigkeit innerhalb der Redesituation im „einsamen Seelenleben“ (ebd., 35-39), jedoch entfällt hier seine anzeigende und kundgebende Funktion. Am Ausdrucksphänomen differenziert Husserl mit den „ausdrucksverleihenden“ und den „bedeutungserfüllenden Akten“ (ebd., 38) zwei Aktreihen, die als solche eine phänomenolog. → Einheit darstellen. Sind erstere dem A. wesentlich, so trifft dies auf letztere zwar nicht zu, dennoch stehen sie insofern in einer „logisch fundamentalen Beziehung zu

56 ihm [...], daß sie seine Bedeutungsintention mit größerer oder geringerer Angemessenheit erfüllen“ (ebd.). Im Rahmen seiner sprachlogischen Untersuchungen des Ausdrucksphänomens nimmt Husserl eine Reihe weiterer begrifflicher Differenzierungen vor. So unterscheidet er u. a. zwischen „okkasionellen“ und „objektiven“ (ebd., 86; Hua XIX/2, 492, 689), „vollständigen“ und „unvollständigen“ (Hua III/1, 261), „kategorematischen“ und „synkategorematischen“ (Hua XIX/1, 286, 292-296), sowie „exakten“ und „vagen“ (ebd., 87) Ausdrücken. Im weiteren Verlauf seines Schaffens richtet sich Husserls Aufmerksamkeit nicht nur auf den sprachlichen Ausdrucksbereich, sondern erweitert diesen um das Phänomen des leiblichen A.s. Als „Ausdruckssystem“ (Hua VI, 479) bzw. „Ausdrucksfeld“ (Hua XIV, 327) kommt dem → Leib dabei eine zentrale Bedeutung im Hinblick auf das Fremdverstehen zu. Auf Grund der zwischen Geist und Leib bestehenden Einheit (vgl. Hua VI, 247, 325, 340-343; Hua XIII, 70) vollzieht sich der Wahrnehmungsverlauf von der Wahrnehmung des → Körpers eines Menschen durch dessen A. auf das Ichsubjekt (vgl. Hua XV, 506, 656; Hua VI, 480; Hua XIV, 331, 404, 461). Dabei will Husserl die „Mittelbarkeit des A.s“ jedoch nicht als „Mittelbarkeit eines Erfahrungsschlusses“ (Hua IV, 375) verstanden wissen. Mit der leiblichen Präsenz des → Anderen ist dieser auf Grund der einheitsstiftenden Funktion des A.s (ebd., 245, 341-343) immer auch „geistig selbstgegenwärtig“ (ebd., 375). Dem unter dem Einfluß der kausalen Psychologie entstandenen Ausdrucksverständnis als äußerer Abbildung eines inneren Vorgangs begegnet Scheler mit dem Hinweis auf die phänomena-

57 le Unmittelbarkeit der Ausdrucksweisen (vgl. ScheGW 2, 516; ScheGW 3, 279; ScheGW 9, 17; ScheGW 10, 138). Für ihn repräsentiert der A. ein „Urphänomen des Lebens“ (ScheGW 9, 15; ScheGW 10, 186 Fn.), da er das „Erstgegebene [ist], was wir an allen Dingen erleben“ (ScheGW 8, 279, 110; ScheGW 7, 233). Gegenüber den Erklärungsversuchen des Ausdrucksverstehens der Assoziations, Einfühlungs- und Analogieschlußtheorie attestiert Scheler der Wahrnehmung eigener wie fremder seelischer Zustände eine prinzipiell gleiche Zugänglichkeit. Indem der psychophysisch indifferente Leib als „Ausdrucksfeld“ (ScheGW 7, 21, 92; ScheGW 8, 57, 376; ScheGW 10, 86, 135, 138, 186 Fn.) fungiert, vollzieht sich aufgrund der den Ausdrucksphänomenen immanenten „universale[n] Grammatik“ (ScheGW 7, 22, 92, 112; Hua IV, 166) in diesen selbst eine originäre → Erfassung fremder Gemütszustände (ScheGW 7, 57). Erscheinen sowohl Selbst- wie auch Fremdwahrnehmung immer an bestimmte „Ausdruckstendenzen“ gebunden (ebd., 246), so handelt es sich bei der Korrelation zwischen A. und → Erlebnis nicht um eine „Kausal-“, sondern um eine „Symbolbeziehung“ (ebd., 21; vgl. ScheGW 10, 91 Fn.), d. h. Fremdseelisches wird weder erschlossen noch eingefühlt, sondern in den Ausdrucksphänomenen „erschaut“ (ScheGW 2, 133, 271, 334, 516). Auf Grund der Abhängigkeit der Selbstwahrnehmung von der erlebnisstrukturierenden Funktion der → Sprache kommt unter den Künstlern vor allem den Dichtern die Aufgabe zu, „die herrschenden Schemanetze [...] durch die Schöpfung neuer Formen des A.s [zu] überflügeln“ (ScheGW 10, 331-37). Über die menschliche Sphäre

Ausdruck hinaus gewinnt der Ausdrucksbegriff für Scheler auch Bedeutung im Rahmen seines naturphilosoph. Ansatzes, in dessen Rahmen er die Natur als „ein ungeheures Ganzes von Ausdruckfeldern kosmovitaler Akte“ (ScheGW 7, 112) und die Naturgebilde als „erstarrte Ausdrucksgeste Gottes“ (ScheGW 10, 186, 334) bezeichnet. Analog zu Scheler hebt auch Heidegger den A. als zur Struktur des Lebendigen zählendes „Grundphänomen“ (HeiGA 58, 251, 46) hervor. Für Heidegger ist „Leben überhaupt und überall nur A. [...] und [wird] im A. gelebt [...]“ (ebd., 153). Diesem Verständnis korrespondiert seine Bestimmung der → Wissenschaft als „Ausdruckszusammenhang des faktischen Lebens“ (ebd., 46, 50), wobei er die philosoph. „Ausdrucksbegriffe“ von den wissenschaftlichen „Ordnungsbegriffen“ abgrenzt (vgl. ebd., 142 f., 240, 262). Gegen eine „stillstellende Objektivierung“ (ebd., 168) des A.s verweist Heidegger darauf, daß kein Ausdruckszusammenhang aus seiner Einbettung in die Gesamtsituation isoliert dargestellt zu werden vermag (vgl. ebd., 262) und daß jede Ausdrucksgestalt „ihrem Sinn nach zu bewahren ist, d. h. ständig neu zu gewinnen ist“ (ebd., 168). Bekundet sich die „Ausdrucksgestalt“ (ebd., 166, 258) des Selbst immer nur im Rahmen situativer Kontexte, so repräsentieren Erlebnisse weder Dinge noch etwas Vereinzeltes, sondern „Ausdrucksgestalten von Tendenzen von konkreten Lebenssituationen“ (ebd., 233). Eine Deutung des Ausdrucksbegriffs im daseinsanalytischen Sinne verfolgen die psychopathologischen Studien Binswangers. Auf Überlegungen Husserls und Heideggers zurückgreifend wendet sich Binswanger gegen eine psychologische Auffassung der Termi-

Ausdruck ni A. und Ausdruckssphäre (vgl. Binswanger AW 1, 317), der er den Begriff eines „existenzialen A.s“ (ebd., 133, 136) gegenüberstellt. Hierunter versteht er einen der Umgangssprache entnommenen Begriff (z. B. ,Großmäuligkeit‘), wobei der Gehalt des Wortes ,groß‘ „in der Bedeutungsschicht der Existenz wurzelt“ (ebd., 136). Zur „existenzial-anthropologische[n] ,Funktion‘ “ eines solchen A.s gehört es ferner, „mehrere Bedeutungsrichtungen gleichermaßen in sich ,zum A.‘ [zu] bring[en]“ (ebd.). Vor dem Hintergrund seiner Diagnose des Krankheitsbildes der ideenflüchtigen Verwirrtheit expliziert Binswanger die „sprachliche Kundgabe [...]“ als die wesentliche Ausdrucksform des Mit- und Miteinanderseins“ (ebd., 110). Mit Husserl betont er, daß das Verständnis des A.s als Kundgabe darin besteht, daß der Hörende den Sprechenden „anschaulich als eine Person [...] wahrnimmt“ (ebd.). Entsprechend seiner daseinsanalytischen Fassung des Ausdrucksphänomens distanziert sich Binswanger von der psychologischen Unterscheidung von Erlebnis und A. (vgl. ebd., 382 f.). Analog zu Scheler hebt er hervor, daß es sich bei der Erfahrung des fremden Ich nicht um ein „ ,Prinzip der systematischen Einheit in Erklärung der Erscheinungen‘ der Person, sondern um ein Prinzip der Anschauung“ (ebd., 244) handelt. Seiner Ansicht nach vollzieht sich der Vorgang des Verstehens nicht als ein ,Verstehen von Zusammenhang‘ “ (Binswanger 1962, 688 Fn.; Binswanger 1922, 246), sondern als „anschauliche[s] Auffassen eines Elementes als A., Kundgabe usw. einer sich äußernden Einheit, der Person“ (ebd., 247). In seiner „verstehenden Soziologie“ unterscheidet Schütz zwischen ei-

58 ner „Ausdrucksbewegung“ und einer „Ausdruckshandlung“. Während diese in kommunikativer Absicht („Kundgabehandlungen“) erfolgt (vgl. Schütz 1991, 162), stellt jene kein „echtes Handeln“, sondern ein „bloßes SichVerhalten“ (ebd., 163) dar. Erscheinen Ausdrucksbewegungen nur für den Beobachter in einem Sinnzusammenhang, so kommt den Ausdruckshandlungen auch im Bewußtseinsablauf des Beobachteten ein Sinn zu (vgl. ebd., 164). Unabhängig davon, ob es sich um A.shandlungen oder -bewegungen handelt, immer fungieren diese für den Beobachter als „Anzeichen für ein Erlebnis des fremden Ich“ (ebd., 163). In Anlehnung an Husserl und Scheler spricht auch Schütz vom → Leib als „Ausdrucksfeld“, der mittels seiner Bewegungen „die Gedanken des Anderen anzeigt“ (ebd.). Schütz hebt hervor, daß der Umfang dieses Feldes am größten in der „unmittelbaren sozialen Beziehung“ ist, d. h. wenn „zwischen den Partnern nicht nur eine Gemeinsamkeit der Zeit, sondern auch des Raumes besteht“ (ebd.). Letztere führe dazu, daß der leibliche A. des Anderen nicht nur als ein der Außenwelt zugehöriges Ereignis, sondern als Teil des Kommunikationsprozesses verstanden wird (vgl. Schütz GA I, 253). Ebenso wie zuvor bereits Scheler und Heidegger vertritt auch Merleau-Ponty die Auffassung einer unmittelbaren, von bedeutungsverleihenden Akten unabhängigen Verständlichkeit des Ausdrucksgeschehens (vgl. MerleauPonty 1976, 179, 180; Merleau-Ponty 1966, 220, 338 f., 373). So geht der Rekonstruktion einzelner phys. Details mittels eines induktiven Schlußverfahrens die ganzheitliche Erfassung des „physiognomischen A.s“ (MerleauPonty 1976, 180, 191; Merleau-Ponty

59 1966, 488) voraus. Als „Ausdrucksraum ausgezeichneten Sinnes“ vollzieht der → Leib selbst die Ausdrucksbewegung (vgl. Merleau-Ponty 1966, 176, 442), so daß der → Sinn einer verstandenen Geste, wie auch Sartre betont (vgl. Sartre 1993, 611), nicht ,hinter‘ dieser liegt, sondern sich in ihr selbst offenbart (vgl. Merleau-Ponty 1966, 219, 220). Im Gegensatz zur Mehrzahl klassischer Ausdruckslehren sieht Merleau-Ponty das Verhältnis von A. und Ausgedrücktem nicht durch eine vollständige Adäquation gekennzeichnet (vgl. Merleau-Ponty, 1986, 51, 52, 57, 58, 62, 67 f.). Zwar erweisen sich beide Momente als untrennbar miteinander verbunden (vgl. MerleauPonty 1966, 445), jedoch gewährleistet die jedem Ausdrucksvollzug inhärente relative Offenheit, daß das Ausgedrückte und der sich in ihm offenbarende Sinn den A. entweder übersteigt oder aber hinter der Ausdrucksintention zurückbleibt (vgl. Merleau-Ponty 1973, 8). Dieser Mittelstellung des A.s zwischen reiner Aktion und reiner Passion sowie der Unmöglichkeit einer vollständigen Rückführung des Ausgedrückten auf den A. und umgekehrt verdankt sich, so MerleauPonty, das allem Ausdrucksgeschehen inhärente schöpferische Moment (vgl. Merleau-Ponty 1966, 445). In bezug auf den sprachlichen A., dem er insofern eine besondere Bedeutung zuerkennt, als daß dieser die einzige Ausdrucksform darstellt, die „der Sedimentierung und Konstitution intersubjektiver Erwerbe fähig ist“ (ebd., 225), unterscheidet Merleau-Ponty zwischen einer „gesprochenen“ und einer „sprechenden“ Sprache (MerleauPonty 1986, 34). Während sich jene als bereits erworbene durch ihre ,Nachträglichkeit‘ auszeichnet und als

Ausdruck Trägerin des Sinns hinter diesen zurücktritt, realisiert sich letztere erst im Ausdrucksvollzug selbst. Repräsentiert die gesprochene Sprache „die Menge der Bezüge zwischen etablierten Zeichen und verfügbaren Bedeutungen“, so bezeichnet die sprechende Sprache einen „Vorgang, durch den sich eine gewisse Anordnung von Zeichen und schon verfügbaren Bedeutungen verändert und umformt“ (ebd., 36). Nach Merleau-Ponty unterliegt dem „System der offiziellen Grammatik“ ein „Ausdruckssystem“ (ebd., 50; vgl. auch Merleau-Ponty 1966, 222), das Bedeutungsgehalte nicht auf bloße Zeichen reduziert, sondern seine Ausdrucksformen durch Empfang und Modulation der Ausdrucksvollzüge anderer realisiert (vgl. Merleau-Ponty 1986, 50 f.). Das sich im A. bekundende Verhältnis zum Anderen schließt auch die Welt der Dinge mit ein. Dieser lebendigen, diesseits jedes reflexiven Zugangs liegenden Beziehung zu den Dingen trägt Mischs Begriff des „evozierenden A.s“ (Misch 1994, 511 ff.) Rechnung, den er von den rein diskursiven Ausdrucksformen (vgl. ebd., 547) unterscheidet. Mischs Hinweis auf den „Anmutungscharakter“ (ebd., 514) des Begegnenden offenbart sowohl den appellativen Gehalt der Dinge als auch ihre „Selbstmacht“ (ebd., 512) und Widerständigkeit. Insofern das „Wort [...] eine Antwort auf die Dinge“ (Lipps 3 1977, 115) und damit Aufnahme und Wiedergabe in einem darstellt, bedeutet – hierin kommen die Positionen Mischs, Lipps’ und Merleau-Pontys überein – „jede Beziehung zum Sein gleichzeitig Ergreifen und Ergriffenwerden“ (Merleau-Ponty 1986, 333). Mit der sich im Ausdrucksgeschehen bekundenden Verschränkung von Eigenem und Fremdem (ebd.) entdeckt sich für

Ausdruck Merleau-Ponty zugleich die Rätselhaftigkeit des Ausdrucksgeschehens (vgl. Merleau-Ponty 1973, 31; sowie Merleau-Ponty 1966, 444, 446). Das sich in ihm vollziehende Spannungsverhältnis von Ich und Anderem, Signifikant und Signifikat läßt MerleauPonty von einem „Paradox des A.s“ (Merleau-Ponty 1984, 189; vgl. auch Merleau-Ponty 1986, 57) sprechen, das sich im Gegensatz zu logischen Paradoxien einer finalen Lösung enzieht. Nach Merleau-Pontys Ansicht erschöpft sich die offene Dialektik des A.s weder in einer einseitig den Bereich der Natur bzw. des Geistes privilegierenden wissenschaftlichen Analyse (vgl. Merleau-Ponty 1973, 57), noch beruhigt sie sich in einer „schlechten Ambiguität“ als einer „Mischung von Endlichkeit und Universalität, von Innerlichkeit und Äußerlichkeit“ (ebd., 11). Der sich im Ausdrucksphänomen realisierenden „guten Ambiguität“ i. S. einer Spontaneität, die das scheinbar Unmögliche verwirklicht, scheinbar heterogene Elemente zusammenfaßt und eine Vielzahl von Monaden zu einem einzigen Gewebe von Vergangenheit und Gegenwart, Natur und Kultur einigt“ (ebd., 16), vermag nur eine „dritte Philosophie“ (ebd., 57) hinreichend Rechnung zu tragen, die die im Ausdrucksgeschehen begegnenden Widersprüche als Zeugnis der spezifisch ambiguosen Verfassung des Menschen anerkennt. Gegen die Auffassung des A.s als einer sich äußerlich darstellenden inneren Zuständlichkeit wendet sich auch Levinas, nach dessen Ansicht sich die traditionellen Erklärungsversuche des Ausdrucksgeschehens von einer „Sehnsucht nach Erkenntnis“ (Levinas 1987, 125) geleitet zeigen. Für Levinas besteht das Wesentliche des A.s

60 nicht darin, „uns das Innere des Anderen zu geben. Der Andere, der sich ausdrückt, gibt sich gerade nicht und bewahrt daher die Möglichkeit zu lügen“ (ebd., 290). Jedoch setzen Lüge und Wahrheit bereits die „Authentizität des Antlitzes“ (ebd., 291) (→ Antlitz) als „A. schlechthin“ (ebd., 258; vgl. auch Levinas 1983, 199) voraus. Mit der „Epiphanie des Antlitzes“ (ebd., 291) (→ Epiphanie) offenbart sich die „ursprüngliche Eindeutigkeit des A.s“ (ebd.), dessen vornehme Eigenschaft für Levinas nicht in dessen informativem Gehalt liegt, sondern darin, „von sich selber Zeugnis zu geben“ (ebd., 290). In Entgegensetzung zum traditionellen Verständnis verkörpert das sich ausdrückende Seiende für Levinas ein solches, „das an sich bleibt“ (ebd., 151). Da auch der → Andere in seinem A. „in jedem Augenblick die Idee [zerstört], die sich ein Denken von diesem A. machen könnte“ (ebd., 64), manifestiert sich die ausdruckshafte Beziehung zwischen Selbst und Anderem als die einer radikalen Trennung. Trotz der sich im Ausdrucksgeschehen bekundenden „Nicht-Gegenseitigkeit“ (ebd., 432) (→ Asymmetrie) spricht Levinas von einem „Ausdrucksleib“ (ebd., 377), dem eine dem Antlitz analoge Ausdruckshaftigkeit eignet (vgl. ebd., 383). Gegen die Tradition der Ausdruckstheorie argumentiert Levinas, daß der A. nicht in der „Artikulation des Verstehens“ (Levinas 1983, 113) besteht, sondern in der Stiftung einer Gemeinsamkeit, die jedem Verstehen vorausgeht. Levinas ist davon überzeugt, daß der Mensch sich in seinen Werken nicht im eigentlichen Sinne auszudrücken vermag, sondern diese lediglich die Erscheinung einer Tätigkeit, nicht jedoch deren Urheber (Levinas 1987, 258) repräsentieren.

61 Aus diesem Grund plädiert er für eine radikale Trennung von A. und Arbeit bzw. Werk (vgl. ebd., 295), da letztere lediglich als „Maske“ fungieren, hinter der sich der Mensch verbirgt (vgl. ebd., 258). Qu.: HeiGA 58. – ScheGW 2. – ScheGw 3. – ScheGW 7. – ScheGW 8. – ScheGW 9 . – ScheGW 10. – Hua III/1. – Hua IV. – Hua VI. – Hua IX. – Hua XIII. – Hua XIV. – Hua XV. – Hua XIX/1. – Hua XIX/2. – Binswanger 1922. – Binswanger 1942 (1962) – Binswanger AW 1. – Schütz 1932 (5 1991). – Schütz GA I. – MerleauPonty 1942 (1976). – Merleau-Ponty 1945 (1966). – Merleau-Ponty 1953 (1973). – Merleau-Ponty 1969 (1986). – MerleauPonty 1964 (1984). – Sartre 1943 (1993). – Misch 1994. – Lipps 1944 (3 1977). – Levinas 1961 (1987). – Levinas 1963 (1983).– Lit.: Bernet u.a. 1989, 154-166. – Bernhardt 1996. – Derrida 1967 (1979, 84-100). – Diemer 1956, 135-143. – Fabeck 1994, 126-133. – Michalski 1997, 129-137. – Römpp 1992, 67-70. – Taminiaux 1976, 95-107. – Waldenfels 1995, 105-123. TK

Auslegung. (frz. explicitation) Phänomenologie ist die → Deskription des „Erlebens“ der → Erkenntnis und verwendet dazu die A. als „phänomenolog. Beschreibung“ (→ Beschreibung) solcher → Erfahrung. Husserl übernimmt von Dilthey die Unterscheidung zwischen „konkret-deskriptiven“ und „abstrakt-erklärenden“ Wissenschaften (Pöggeler 1972, 11 ff.), aber seine „reine Deskription“ hat nichts Faktuell-Empirisches (Hua XIX/1, § 3). Infolge ihres eidetischen Intuitionismus folgt diese phänomenolog. Beschreibung auch keiner Konstruktion, sondern einer transzendentalanalytischen Absicht, und die phänomenolog. A. bezeichnet diesen untrennbar deskriptiven wie analytischen Charakter der intentionalen Phänome-

Auslegung nologie (Hua III/1, § 71-75). Als explicitatio umfaßt die A. zugleich eine „Deutung“ (élucidation), die Bezüge zu Nietzsche erkennen läßt (Boehm 1962). Diesen Begriff wird Heidegger zusammen mit der A. in Sein und Zeit (§ 7) benutzen, um die „hermeneut. Phänomenologie“ zu umreißen (Vetter 1990). Die regional-ontolog. A. betrifft nach Ideen III die von je spezifischen Disziplinen behandelten Onta oder Gegenstandbereiche (Hua V, 21 f., 71 f.), und im transzendental-phänomenolog. Sinne wird die A. auf die Erfahrungsevidenz des → Ego angewandt: „Das Problem der phänomenolog. A. dieses monadischen ego (das Problem seiner Konstitution für sich selbst) muß alle konstitutiven Probleme überhaupt in sich befassen.“ (Hua I, 102 f.) Für Husserl wäre dies zugleich eine „universale wie konkrete Ontologie“, die nicht nur das dem Wesen der Subjektivität eingeborene Erfahrungsapriori auslegt, sondern auch die „transzendentale Intersubjektivität“ (ebd., 181). Wenn Heidegger die phänomenolog. Deskription ebenfalls als A. auffaßt, so unterscheidet sich diese in ihrer fundamental-ontolog. „Ausbildung des Verstehens“ (HeiGA 2, § 32) vom reflexiv-reduktiven Verständnis bei Husserl, der den Begriff der → Hermeneutik nicht benutzt. Husserl hat aber im Heideggerschen „Sinn von Sein“ und dessen verstehender A. sein eigenes Anliegen wiedererkannt, sofern es sich um „konstitutive Phänomenologie“ handelt. Die „hermeneut. Phänomenologie“ bei Heidegger, um die → Faktizität des → Da-seins auszulegen, ist als Sich-Verstehen (→ Verstehen) desselben keine allgemeine „Lehre von der A.“ als Hermeneutik, sondern eine „bestimmte Einheit des Vollzuges des

Aussage hermeneuein (des Mitteilens), d. h. des zu Begegnung, Sicht, Griff und Begriff bringenden Auslegens der Faktizität“ (HeiGA 63, 14 f.). Die phänomenolog. Beschreibung der Phänomenalität der Phänomene als A. ihres „Seinssinnes“ im jeweiligen Erscheinen tendiert ontolog. zum „Sinn von Sein“ oder „Sinn des Seins“, um das → Sein schließlich von sich selbst her auszulegen, und nicht mehr vom Seienden aus. Dazu bietet sich seit Sein und Zeit vor allem die Zeitlichkeit und Geschichtlichkeit als der eigentlich auszulegende Offenbarungshorizont des Seins an (HeiGA 2, § 61 ff.). Ob letztlich die transzendentale Phänomenologie die Hermeneutik einschließt, um zwischen beiden A.sWeisen eine Wesensbeziehung herzustellen (Gadamer GW I, 401 ff.), wird jeweils danach entschieden, inwieweit man in jeder phänomenolog. A. als „Aufklärung“ auch eine → „Interpretation“ zu sehen hat oder nicht (vgl. Mohanty 1988; Depraz 1995). Ricœur erblickt ein Zusammenfallen von intentionaler Anschauung und A. als Hermeneutik: „Die ganze Phänomenologie ist eine A. (explicitation) in der Evidenz und eine Evidenz der A. Eine Evidenz, die sich auslegt, eine A., die eine Evidenz entfaltet, macht die phänomenolog. Erfahrung aus.“ (Ricœur 1986, 40) Seine weitere Kritik sieht solche A. bei Husserl dem Idealismus unterworfen, was u. a. einer Korrektur durch die reflexive wie semantische Hermeneutik bedarf, die ihrerseits der Phänomenologie „eingepfropft“ bleibt (Dastur 1992). In psycho(patho)logischer Hinsicht hat Binswanger die Husserlsche wie Heideggersche A. als „Daseinsanalyse“ fruchtbar gemacht (Kisker 1962). Methodisch folgt er einer verstehenden

62 Analyse, welche den ontischen Eigenschaften der Krankheitsbilder Hysterie, Manie, Schizophrenie usw. ebenso gerecht wird wie dem Wesen eines begrenzten und isolierten → In-der-Weltseins. Dieses erfordert bes. eine A. der Person als „Wirheit“ im „liebenden Miteinandersein“ (Binswanger 1962, 124). Betreffs der „mitweltlichen Begegnung“ als „mitweltlichem Nehmenbei-etwas“ sind die Unterscheidungen von Person, Persönlichkeit, Rolle und Sache von Bedeutung, weil sie die A. der „mitweltlichen Zugänglichkeit“ bestimmen (ebd., 348 ff.). Qu.: Hua I. – Hua III/1. – Hua V. – Hua XIX/1. – HeiGA 2. – HeiGA 63. – Gadamer GW I. – Ricœur 1986 (1973). – Binswanger 1962/1993. – Lit.: Boehm 1962. – Dastur 1992. – Depraz 1995a. – Kisker 1962. – Mohanty 1988. – Pöggeler 1972. – Vetter 1990, 1-26. RK

Aussage. Die A. ist bei Husserl der Vollzug eines → Urteils. Aussagesätze sind Sätze, bei denen der genannte und der kundgegebene → Inhalt auseinander treten, deshalb besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen der A. und dem → Namen. Das Urteil hat die Bedeutung einer selbständig abgeschlossenen A., es ist eine prädikative A. Zu unterscheiden ist zwischen dem, was die A. kundgibt (dem realen Urteilsakt), und dem, was sie besagt. Das Wesen des theoretischen Denkens und Erkennens vollzieht sich in A.n. Urteile sind Gedanken; diese werden im sprachlichen Vollzug ausgesagt. Somit sind A.n „ausgesagte“ Gedanken (Hua XVII, § 1). Die volle Struktur der A. wird bei Heidegger durch drei Bedeutungen umgrenzt: A. als „Aufzeigung“ („Seiendes von ihm selbst her sehen lassen“, apophansis bei Aristoteles); A. als Prä-

63 dikation (Bestimmung eines Subjekts durch ein Prädikat); A. als Mitteilung („Heraussage“). Diese Bestimmungen ergeben zusammen genommen die Definition: „A. ist mitteilend bestimmende Aufzeigung.“ – Die Möglichkeit der A. gründet im → Verstehen bzw. in dessen „Zueignung“ in der → Auslegung. In der A. wird das begegnende Vorhandene hinsichtlich seiner → Eigenschaften bestimmt, und zwar „als“ etwas, doch bezieht sich dieses „Als“ nicht auf die Bewandtnisganzheit, sondern läßt im Akt des Bestimmens das Vorhandene (in Ausblendung des praktischen Umgangs) bloß sehen. Somit gründet das „apophantische Als“ der A. im „hermeneutischen Als“ der Auslegung. Qu.: Hua XIX/1. – Hua XIX/2. – Hua III/1. – Hua XVII. – HeiGA 2, § 33. – HeiGA 20, § 12. – HeiGA 29/30, §§ 71-73. – Lit.: Tugendhat 1970. HV

Autonomie. A. bedeutet Selbstgesetzlichkeit, Selbstbestimmung. Es ist Husserls Ziel, durch die universal → apodiktisch begründete und begründende → Wissenschaft die Entwicklung der Menschheit „zu einer personalen und zu einer allumspannenden menschheitlichen A.“ zu ermöglichen (Hua VI, Schlußwort). Diese Verbundenheit durch den Geist der A. ist allerdings der spezifische Sinn der europäischen Kultur, die in der griech. Antike zur → Urstiftung |gekommen ist: als Welterkenntnis, die nur aus theoretischen Motiven besteht und bis ins Letzte zu verantworten ist. Für Scheler ist A. (gegen Kant) nicht primär ein Prädikat der → Vernunft, sondern der → Person (als individuellem Wertwesen). Alle Akteinheiten, die sittliche Wertprädikate tragen, sind solche von autonomen Personakten.

Axiom Alles → Böse muß durch eine Person autonom verschuldet sein, was allerdings nicht notwendig bedeutet, dieses einer bestimmten Person zuzuordnen; es kann auch dem Gemeinschaftsganzen von Personen zugerechnet werden. Ursprünglich autonome Akte können auch zu festen Haltungen führen, die gewohnheitsmäßig das Böse realisieren („Laster“). – Scheler unterscheidet die A. der sittlichen → Einsicht von der A. des → Wollens einer Person. Volle sittliche Einsicht umfaßt notwendig ein autonomes Wollen, dieses setzt aber nicht unbedingt jene voraus. Qu.: Hua VI. – ScheGW 2.

HV

Axiologie. Der Terminus leitet sich vom griech. Adjektiv axios „wertvoll, kostbar“, her und bezeichnet bei Husserl die Theorie der → Werte im Unterschied zur reinen Praktik oder Praxeologie als Lehre vom Handeln, beide in Analogie zur Logik. Dabei sind die axiologischen in den logischen Prädikaten fundiert. Scheler, der zumeist statt von A. von reiner Wertlehre spricht, stellt diese der Logik zur Seite, ohne aber diese in jener zu fundieren. Die Wertaxiome sind unabhängig von den logischen Axiomen, die → Ethik hat ihre Basis in einer universellen A. und Charakterologie (ScheGW 8, 278). Qu.: Hua XXVIII. – Scheler GW 2, I. Teil, II.A-B. – Roth 1960. HV

Axiom. Dieser Begriff ist mathematischen Ursprungs und wird von Husserl am Beispiel der reinen → Geometrie eingeführt. Er bezeichnet A.e als unmittelbar evidente → Urteile, auf die alle anderen Urteile mit mittelbarer Begründung zurückgehen. Sie sind die „primitiven Wesensgesetze“, mit de-

64

Axiom ren Hilfe die Geometrie in der Lage ist, alle ideal möglichen Raumgestalten abzuleiten. Bei Wahrung des Unterschieds versteht Husserl Kants synthetische Urteile a priori als regionale A.e. Sie begründen jene Begriffe, die

in eidetischer → Allgemeinheit ausdrücken, was einem individuellen → Gegenstand einer → Region a priori und synthetisch zukommt. Qu.: Hua III/1, § 5.

HV

B Bedeutung. Für Husserl gehört zum Ausdrucksphänomen (→ Ausdruck) einerseits das phys. Phänomen, anderseits gehören dazu die → Akte, die ihm die B. geben, wodurch sich die Beziehung zum → Gegenstand konstituiert. Der Ausdruck meint damit etwas, in diesem Meinen bezieht er sich auf Gegenständliches. Dieses ist entweder aktuell gegenwärtig-anschaulich bzw. kann in der → Phantasie vergegenwärtigt werden, oder diese Beziehung ist nicht realisiert und in der bloßen Bedeutungsintention erschlossen. Bedeutungsintentionen sind bedeutungsverleihende Akte, ihr Wesen liegt in der → Intention auf den Gegenstand. Dagegen sind Bedeutungsserfüllungen (bedeutungserfüllende Akte) solche, welche die Bedeutungsintention der Akte bestätigen, bekräftigen, illustrieren. Bezüglich der erfüllenden Akte wird weiters zwischen dem → Inhalt (der → Wahrnehmung) und dem Gegenstand unterschieden. In der Erfüllungseinheit kommen erfüllender und intendierter Inhalt zur → Deckung. Zu unterscheiden sind selbständige und unselbständige B.en („kategorematische und synkategorematische Ausdrücke“). Die einen können für sich allein als volle Ausdrücke gelten, die anderen nicht. Scheler behandelt B. im Zusammenhang mit der Aufgabe einer Bestimmung der sittlichen Werttatsachen. B.en sind ideelle Bildinhalte im Unterschied zu anschaulichen, → Werte sind dagegen bildlos. Sinnliche Werttatsachen gehören zur Sphäre der materialen, und zwar nicht-sinnlichen → Anschauung, die Welt der idealen Ge-

genstände zur Sphäre der „Nur-B.en“. Scheler rechnet das B.-haben (→ Denken) zusammen mit dem Bilder-haben (Anschauung) zu den beiden Hauptaktklassen unseres Geistes. Für Heidegger liegt die Seinsart des innerweltlich begegnenden Seienden in dessen → Bewandtnis, es hat mit ihm bei etwas sein Bewenden. Die Bewandtnis ist durch die Bewandtnisganzheit vorgezeichnet. Das → Dasein läßt das Zuhandene (→ Zuhandenheit) so oder so sein, dieses ist ihm in einer gewissen Verständlichkeit erschlossen. Das Dasein ist solcherart an jenes verwiesen, das Ganze dieser Bezüge ist vom Charakter der Bedeutsamkeit. In dieser liegt die ontolog. Bedingung dafür, daß das Dasein in der → Auslegung B.en erschließen kann, die ihrerseits das Sein der → Sprache fundieren. Qu.: Hua XIX/1, I. u. IV. Log. Unters. – ScheGW 2. – HeiGA 2, § 18. HV

Bedürfnis. Scheler bestimmt das B. als „negatives Gefühlserlebnis“, das im Gegensatz zu einer Triebregung den Mangel eines Gutes betrifft. Damit ein B. entstehen kann, muß der positive → Wert des erstrebten Gutes, auf das sich das B. richtet, bereits im Fühlen vorgegeben sein. Außerdem kehrt ein B. periodisch wieder und ist stets ein historisch oder psychologisch gewordenes (ScheGW 2, 349 u. 351 ff.). Da B.se nach Scheler weder angeboren noch ursprünglich sein können, bedarf ihr Entstehen einer Erklärung, während umgekehrt B.se das Auftreten von wirtschaftli-

Befehl chem Konsumdenken, Krieg, Arbeit und Religion nicht erklären. Denn sie zielen auf empirische Gegenstandsarten, die auch fiktiv sein können, aber vorhanden sein müssen, damit ein B. überhaupt geweckt werden kann (vgl. ScheGW 2, ScheGW 5, ScheGW 6). Für Heidegger bestimmen die sich selbst überlassenen Wünsche das, womit wir rechnen, und die B.e dasjenige, was wir brauchen. Jedem B. liegt deshalb ein Anspruch zugrunde. Dieser kommt aus der Unruhe des Lebendigen, das sich durch Drängen und sich ständig steigernde Gier auszeichnet. So hält sich der Mensch zwar für frei, erliegt im Erfüllen der B.se aber dem „Zwang seiner ,Lebensinteressen‘ “ (HeiGA 51, 5). Merleau-Ponty wehrt sich dagegen, in einer Theorie der → Wahrnehmung B.se und Antriebe zu abstrakten Ideen zu machen und sie als „unpersönliche Kräfte“ zu verstehen, die ein „Mosaik von Empfindungen“ bzw. „reiner Qualitäten“ umformen. Vielmehr ist Wahrnehmung auf „bedeutsame Ganzheiten“ bezogen. Diese werden „unterschiedslos als Handlungspole und Erkenntniskerne erlebt“ (Merleau-Ponty 1976, 190). Für Levinas bezeichnet das B. sowohl die Abhängigkeit als auch den Abstand des Ich von der Welt. Dieser Abstand ermöglicht Arbeit und Wirtschaft, durch die das Subjekt seine B.e befriedigt und der Welt ihre Andersheit nimmt bzw. sie sich angleicht. Die Zweideutigkeit von Abstand und Abhängigkeit artikuliert sich in der Leiblichkeit. Die Zeit, die zur Befriedigung des B.ses, also zur Umwandlung des → Anderen in das Selbe, notwendig ist, basiert auf der Zeit des → Begehrens (désir), das jedoch

66 im Gegensatz zum B. unersättlich ist und das Subjekt nicht zu sich zurückbringt. Nach Lacan konstituiert der Anspruch an den anderen Menschen, der über jede bloße Befriedigung hinauszielt, das B., das auf Befriedigung aus ist. Die Befriedigung des B.ses wird zum Liebesbeweis, an dem der Liebesanspruch zerschellt. Dadurch werden dieser Anspruch und die Bedürfnisbefriedigung überschritten und so deren Verknüpfung gespalten. Die Spaltung ist das Charakteristikum des Begehrens (désir), das im Gegensatz zum B. nicht mehr auf Befriedigung ausgerichtet ist (Lacan 1973, 218; Lacan 1975, 126 ff.). Qu.: ScheGW 2. – ScheGW 5. – ScheGW 6. – HeiGA 51. – Merleau-Ponty 1942 (1976). – Levinas 1949 (1983). – Levinas 1961 (1987). – Lacan 1966 (1973 u. 1975). – Lit.: Walter 1996. – Widmer 1990. RE

Befehl. Der B. ist für Reinach weder eine äußerliche Handlung noch ein inneres Erlebnis, sondern ein Erlebnis eigener Art. Zur Spontaneität, Intentionalität und Fremdpersonalität kommt die Vernehmungsbedürftigkeit hinzu. Dadurch reihe sich der B. unter die sozialen → Akte ein (neben Bitten, Ermahnen, Fragen, Mitteilen u. a.). Er ist der Bitte nahe verwandt, beide zielen auf ein vorgezeichnetes Verhalten des Adressaten ab. Zum Unterschied von der Bitte ist nicht der Wunsch Voraussetzung für die Realisierung, sondern der Wille, daß ein bestimmtes Verhalten von der Person, an die der B. ergangen ist, realisiert wird. Der B. gehört zu den Bestimmungsakten. Auch für Scheler stellt der B. einen eigenen Akt dar, durch den auf die Willens- und Machtsphäre einer anderen → Person unmittelbar eingewirkt

67 wird. Er unterscheidet die echten B.e von den nur pädagogischen, die in Wahrheit nur ein Rat sind. Qu.: Reinach 1989, 141-278. – ScheGW 2. HV

Befindlichkeit. Das ontische Phänomen der → Stimmungen weist gemäß der Daseinsanalytik (→ Analytik des Daseins) von Sein und Zeit auf das (ontolog.) → Existenzial der B. zurück. Heidegger sucht damit Einsichten der in der aristotelischen Rhetorik niedergelegten Lehre von den pathe fundamentalontolog. zu übersetzen, die er in der Marburger Vorlesung Grundbegriffe der aristotelischen Philosophie als „Grundmöglichkeiten“ charakterisiert, „in denen das Dasein sich über sich selbst primär orientiert, sich befindet“ (HeiGA 18, 262). Daß „das Dasein je schon immer gestimmt ist“, ist demnach ursprünglich verantwortlich dafür, daß es verschiedene ontische Stimmungsmöglichkeiten gibt (HeiGA 2, 179). Als eine der Formen der „Erschlossenheit“ des → Daseins (neben → „Verstehen“ und → „Rede“ als → „gleichursprünglichen“ Existenzialien, ebd., 196 ff.) bringt die B., die Stimmung als „ursprüngliche Seinsart des Daseins“ (ebd., 181), dieses vor seine → „Geworfenheit“ in seinem → „Inder-Welt-sein“. In der „Gestimmtheit der Befindlichkeit“ (ebd., 183) nämlich erfährt das Dasein die → Welt als den offenen Raum seines → Verhaltens, sie erschließt die Welt als solche, „aus der her Angehendes“ überhaupt erst „begegnen kann“ (ebd., 183). Kurz: „Die Gestimmtheit der B. konstituiert existenzial die Weltoffenheit des Daseins“ (ebd., 183). Vorzüglich geschieht dies nach Heidegger in der „Grundbefindlichkeit“ der → Angst, die das Dasein

Begegnung aus seinem alltäglichen → Verfallen an die Welt als der eigentliches Selbstsein verhindernden, „durchschnittlich entdeckten Mitwelt“ (ebd., 172) zurückholt und ihm so → Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit als die „Grundmöglichkeiten“ seines → Seins „unverstellt“ offenbart (ebd., 252 f., vgl. auch 351 f.). In späteren Arbeiten ist B. zu epochalen „Grundstimmungen“ weitergedacht und in dieser Transformation von herausragender Bedeutung im Kontext des „seinsgeschichtlichen“ Denkens Heideggers. Qu.: HeiGA 2. – HeiGA 18.

AGO

Begegnung. Für den frühen Heidegger gilt: Die → Welt, die welthaften Gegenstände begegnen einem Sorgen, treffen es auf seinem Wege. „Begegnis charakterisiert die Grundweise des Daseins von weltlichen Gegenständen. Erfahrung charakterisiert die Grundweise des auf sie Zugehens. [...] Jede Erfahrung ist in sich selbst ein Begegnis, und zwar Begegnis in und für ein Sorgen.“ (HeiGA 61, 91) Die B. erscheint als fundamentalste Vollzugsweise des auslegenden Mitteilens von → Faktizität – noch vor der Sicht, dem Griff und Begriff als weiteren Weisen des einheitlichen Vollzuges dieses Mitteilens. (vgl. HeiGA 63, 14) Für das → Dasein als Sorgestruktur (→ Sorge) gilt: Sich-vorweg-schon-sein-in (einer Welt) als Sein-bei (innerweltlich begegnenden Seienden). (vgl. HeiGA 2, 433) Beim späten Heidegger heißt es, daß erstmals in der Geschichte der Philosophie die primäre Weise der B. mit dem Seienden das → In-der-Welt-sein sei. (vgl. HeiGA 15, 372) B. waltet zwischen Seiendem und Seienden, d. h.: 1. zwischen Etwas und Etwas (vgl. HeiGA 9, 320); 2. zwi-

Begehren schen Etwas und Jemandem (vgl. HeiGA 40, 208); 3. zwischen Jemandem und Jemandem (vgl. HeiGA 13, 20). Aber nicht nur Seiendes kann begegnen, sondern auch das Nichts „in eins mit dem entgleitenden Seienden im Ganzen“ (HeiGA 9, 114). Dem Dasein eignet auch noch die Möglichkeit einer Selbstbegegnung. (vgl. HeiGA 63, 18) Bedingung der Möglichkeit des Begegnens von begegnendem Seiendem: Um Seiendes das, was und wie es ist, sein lassen zu können, muß das existierende Seiende je schon das Begegnende daraufhin entworfen haben, daß es Seiendes ist. (vgl. HeiGA 3, 228) Binswanger meint mit B. (Wirheit) eine anders verfaßte Seinsverfassung des Daseins. (vgl. Binswanger 1962, 78) Aus dieser „ungeschiedenen Seinsfülle des Einander lösen sich erst Ich und Du heraus, um aneinander ihre ,Selbstheit‘ zu gewinnen.“ (ebd., 21) B. in der Fülle ist liebende B. Ihr eignet eine eigene ,Zeitlichkeit‘: einzigartig-ewige Dauer. (ebd., 83) Auch eine andere Räumlichkeit (→ Raum) waltet. An der B. der Liebenden ist zu unterscheiden: 1. ihre innerweltliche, d. h. mitweltliche B. aus der besorgten Umwelt her (Zusammentreffen); 2. ihre B. als Liebende, als die Fülle des liebenden Wir Einräumende (vgl. ebd., 86 f.). D. h.: Die Sorge entspricht dem In-der-Welt-sein mit seinem innerweltlichen Besorgen, und die → Liebe dem Beheimatetsein, der → Heimat des liebenden Miteinanderseins. (vgl. ebd., 69-219) Qu.: HeiGA 2. – HeiGA 3. – HeiGA 9. – HeiGA 15. – HeiGA 61. – HeiGA 63. – Binswanger 1962. – Lit.: Böckenhoff 1970. – Theunissen 1965. FS

Begehren. → Begierde

68 Begierde. (frz.: désir) In Hegels Phänomenologie des Geistes bezeichnet der Begriff zunächst die ausgezeichnete Weise, in der das Selbstgefühl des Lebendigen gegeben ist. Die B. läßt das Selbstbewußtsein aufkeimen, vernichtet es aber in der Befriedigung der B. Die spezifisch menschliche B. richtet sich auf den Anderen und dessen B., woraus Hegel die Dialektik der Anerkennung entwickelt. Kojève und Sartre haben den Begriff anthropologisch reinterpretiert. Für Sartre ist die B. Grundlage jedes menschlichen Lebensentwurfs – in den Existenzweisen des Tuns, des Habens und des Seins. Vorrangig wird die B. als Mangel an Sein und als Dynamik der Aneignung bestimmt. Speziell die geschlechtliche B. zielt auf Aneignung des Körpers des → Anderen und durch ihn hindurch auf die Transzendenz des Anderen selbst ab. „Das ist das unmögliche Ideal der Begierde.“ (Sartre 1993, 688, 696) Im Gegensatz zum Bedürfnis (besoin) kann die B. als solche niemals erlöschen. – Die v. a. von Lacan im Anschluß an Kojèves Hegel-Interpretation gedachte Verflechtung von Bedürfnis und B. führt auf den Begriff eines Begehrens (désir), dessen Schicksal auch in der Erfüllung oder Versagung von → Bedürfnissen zum Ausdruck kommt, so daß die Bedürfnisse von Anfang an im Lichte der „Begegnung mit dem Anderen“ und durch die gegenseitige Verstrickung der B.n beschreibbar werden. Die Bedürfnisse lassen ein Verlangen (demande) nach dem Anderen aufkommen, das in ein unstillbares Begehren mündet. Ricœur verbindet vor diesem Hintergrund die Dialektik der Anerkennung bzw. der gegenseitigen Begierden mit der psychoanalytischen Theorie eines im Modus des Unbewußten inkarnier-

69 ten Wunsches, dessen „Sinn“ er im Rahmen einer „Semantik des Begehrens“, das sich an den Anderen richtet, hermeneut. entschlüsselt. (Ricœur 1974, 480 ff.) Dieser Sinn liegt im mit Spinoza formulierten „Streben nach Sein“, das sich im nachträglichen SichVerstehen, im lebensgeschichtlichen Nachvollzug der Wege und Irrwege der B. und des Begehrens realisieren soll. – In Absetzung von jeglicher B. entwickelt Levinas den Gedanken eines metaphys. Verlangens (désir), das das Begehrte nicht in seiner Erfüllung aufzuheben, sondern gerade zu „vertiefen“ sucht (Levinas, 1987, 36 ff.). Qu.: Hegel 4 1980, 143 ff. – Kojève 1947 (1975). – Sartre 1943, 463, 468 (1993, 688, 696). – Lacan 1966, 629 (1973, 220) – Lang 1973, 217 ff. – Ricœur 1965 (1974). – Levinas 1961 (1987). BL

Begriff. Der B. ist für Husserl ein „Allgemeingegenständliches“, d. h. etwas Gegenständliches, das ein rein ideales Sein hat. Das → Allgemeine ist an keine Einzelheit gebunden, das Sein des Allgemeinen wird durch den B. konstituiert. – Zu unterscheiden ist der bloß formale B. vom sachhaltigen B.; kategoriale B.e entspringen im Hinblick auf die syntaktischen Formen. Zu unterscheiden sind ferner deskriptive B.e der → Beschreibung und Idealbegriffe exakter → Bestimmung. Deren axiomatische (also oberste) B.e sind in unmittelbarer → Intuition auszuweisen. Ob und inwieweit dies möglich ist, hängt von der Eigenart des Sachgebietes ab. Ein wesentlicher Unterschied besteht zwischen thematischen und operativen B.en (Fink 1976). Thematische B.e erwachsen aus den Grundthemen der Philosophen (z. B. idea bei Platon, ousia bei Aristoteles, Monade bei Leib-

Behauptung niz usf.). In der Bildung der thematischen B.e gebrauchen die Philosophen intellektuelle → Schemata, sie denken durch bestimmte Denkvorstellungen hindurch auf die wesentlichen thematische B.e hin. Dieses thematischbegriffliche Verstehen bewegt sich in einem Begriffsfeld, dem Begriffsmedium der operativen B.e, welche als „operative Schatten“ die thematischen B.e begleiten. Die → „Naivität“ der Philosophie besteht darin, daß die naivnatürlichen Leitmodelle (bei Husserl z. B. das der → „Leistung“) in ihrem Abstand zu den spekulativen B.n (z. B. zu dem der → Konstitution) nicht hinlänglich herausgearbeitet werden. Qu.: Hua XIX/1, 246-248, 255-258. – Hua III/1, § 73. – Hua XVII, §§ 38-39. – Husserl 1939, §§ 49, 82, 91. – Fink 1976, 180 ff. – Merleau-Ponty 1967, 45 ff. HV

Behauptung. Reinach bestimmt das Behaupten als ein Urteilen. Zum Wesen des positiven wie negativen → Urteils gehört ein Behauptungsmoment. Das Behaupten ist kein Vorstellen, weil das Behauptete nicht immer präsent ist; es ist – da spontan – vom Gefühl unterschieden; doch obwohl spontan ist es auch kein Wollen, denn dieses geht niemals auf einen als bestehend geltenden → Sachverhalt zurück. Das Behaupten ist auch von der Überzeugung zu unterscheiden, die der B. zwar vorausgehen kann oder ihr folgt und damit der B. das Fundament liefert; doch das Behaupten ist an sich blind und holt sich erst von der Überzeugung eine Stütze für den gemeinten Sachverhalt bzw. kann auch eine B. wider besseres Wissen sein (uneigentliche B.). Qu.: Reinach 1989, 95-140, 339-346. HV

Bekanntheit Bekanntheit. Husserl verwendet den Begriff in Erfahrung und Urteil zumeist als Synonym für Vorbekanntheit, Vertrautheit oder Vorwissen. Er verweist auf die Horizontstruktur der menschlichen → Erfahrung, auf Grund derer Gegenstände nie isoliert, sondern in einen Verweisungszusammenhang eingebettet erscheinen. Da jeder → Gegenstand im Erfahrungsfeld seine typische Vorbekanntheit besitzt, spielt sich die normale Welterfahrung generell im „Modus der B.“ (Husserl 6 1985, 34) ab. Auch das Unbekannte gehört zum allgemeinen Bestand der B., insofern es nur in Form einer „bekannten Unbekanntheit“ (ebd., 35), d. h. als → Variation von etwas bereits Bekanntem erfahrbar ist. Während der → Horizont des intentionalen → Bewußtseins selbst in ständiger Bewegung ist, bildet die B. der Dingwelt ein „allgemeines ,Apriori‘ “, dem ein „Spielraum apriorischer Möglichkeiten“ (ebd., 32) relativer Unbekanntheit angehört. Im Rahmen der Genealogie der Logik stellt die B. insgesamt ein vorprädikatives Fundament prädikativer Leistungen dar, in denen das Vorwissen über die → Welt begrifflich expliziert wird, wobei den Modalitäten des → Urteils Modifikationen der B. entsprechen. Husserls lebensweltphänomenolog. Begriff der B. hat in Heideggers seinsphilosoph. Konzept der → Erschlossenheit eine fundamentalontolog. Interpretation erfahren. Qu.: Husserl 1939 (6 1985). – HeiGA 2, 56305. TR

Belief steht in Husserls Theorie der → Intentionalität in den Logischen Untersuchungen für die Eigenschaft intentionaler → Akte, „in der Weise der Seinsmeinung“ (Hua XIX/1, 507)

70 auf → Objekte gerichtet zu sein. Als ursprüngliche Aktqualität tritt der b. nicht etwa zu bloßen Vorstellungen ergänzend hinzu; vielmehr ist es für die Struktur intentionaler Akte wesentlich, Gegenstände entweder in Form des schlichten b. als seiend zu setzen oder in einer die Seinsmeinung qualitativ modalisierenden Art und Weise (etwa der des Zweifels) auf Objekte gerichtet zu sein. Bei Reinach ist „b.“ ein zentraler Begriff in der Lehre vom → Urteil. In seiner Einleitung in die Philosophie unterscheidet er am Urteil zwei Seiten: einerseits den Akt der → Behauptung bzw. Setzung eines Sachverhaltes als objektiv seiend, andererseits die auf die Wahrheit des Urteilsinhalts bezogene subjektive Überzeugung, also den b. Dieser ist eine „Zuständlichkeit des Ich“ (Reinach 1989, 425), die im Gegensatz zur punktuellen Setzung beliebig dauern kann. Während jede behauptende Setzung notwendig eine Überzeugung impliziert, kann der b. „da sein ohne Behauptung“ (ebd.). Scheler unterscheidet in seiner religionstheoretischen Schrift Absolutsphäre und Realsetzung der Gottesidee den personalen Akt religiösen Glaubens an das → Absolute (faith) vom empirisch überprüfbaren Glauben an das Bestehen oder Nichtbestehen innerweltlicher Sachverhalte (b.). Bei b. handelt es sich stets um den „Einzelakt einer Person in einem Gewebe von anderen Einzelakten“ (ScheGW 10, 244). Unter intentionalitätstheoretischen Gesichtspunkt hat b. die Struktur des Glaubens ,von etwas‘ und ist gegenüber dem unbedingten religiösen Glauben ,an etwas‘ durch einen „minderen Gewißheitsgrad“ (ebd.) gekennzeichnet. Während „aller echte Glaube (faith) [...] die intentionale Endgül-

71 tigkeit zu seinem intentionalen Wesen“ (ebd., 246) hat, ist der auf einzelne Tatbestände gerichtete b. zwar insgesamt „unendgültig und vorbehaltlich“ (ebd.), dafür aber im Einzelfall in Wissen transformierbar. Qu.: Hua XIX/1. – Reinach 1989, 369-513. – ScheGW 10, 179-253. – Lit.: James 1876. TR

Beschreibung. Ein methodischer Grundbegriff phänomenolog. Denkens. Statt über die gegebenen Phänomene hinauszugehen, um zu verallgemeinerbaren Aussagen über Verursachungsbeziehungen zu gelangen, zielt die phänomenolog. B. auf die → Erfassung dessen, was → die Sache selbst ist, d. h. was im Wesensgehalt des Phänomens liegt. Möglicher Gegenstand einer B. ist, was erfahrbar ist. Positivistische Beschreibungsprogramme unterscheiden sich von phänomenolog. im Hinblick auf Erkenntnisanspruch, Gegenstandsbereich und methodologischer Charakteristik des beschreibenden Verfahrens. Phänomenolog. B. liegt ein nicht auf sinnliche Wahrnehmung eingeschränkter Anschauungsbegriff zugrunde. Dem weiten Erfahrungs- und Evidenzbegriff entspricht ein ebenso weiter Gegenstandsbegriff, wonach auch ideale → Inhalte (z. B. Propositionen) anschaulich gegebene und deskriptiv zu erfassende → Gegenstände intentionaler → Erlebnisse sein können. Daß die phänomenolog. Konzeption einer beschreibenden Wissenschaft bzw. Philosophie im Natur- Geistes (bzw. Kultur)wissenschaftsstreit zu Beginn des 20. Jh.s diskutiert wurde und der Begriff der B. in engem Zusammenhang mit dem Problem des Verstehens von → Sinn bzw. von Strukturen in-

Beschreibung tentionaler → Beziehungen eingeführt wurde, verdankt sich der Herkunft der Phänomenologie aus der deskriptiven Psychologie des 19. Jh.s, deren Wissenschaftsidee kontrovers erörtert wurde. Die Herkunft der Phänomenologie sowie die Anschließbarkeit des Beschreibungsbegriffes an verschiedene Verstehensdimensionen – psychisch 1.: Verstehen von Bewußtseinserlebnissen und -zuständen; logisch 2.: Verstehen von Bedeutungen bzw. intentionalen Inhalten; praxeologisch 3.: Verstehen von Handlungen und Sinnäußerungen in konkreten Situationskontexten; systemisch 4.: Verstehen komplexer Denk und Ereigniszusammenhänge – machen nicht nur den Stellenwert des Psychologismusstreites (1. oder 2.?) und der Lebensweltthematik (2. oder 3./4.?) in der Diskussion um die methodischen Grundlagen der Phänomenologie verständlich. Diese wissenschaftshistorischen und systematischen Zusammenhänge belegen auch, daß der im 20. Jh. über den Primat verschiedener sinnproduzierender und kommunizierender Medien (Bewußtsein, Sprache) geführte Paradigmenstreit bereits im anfänglichen Problemgehalt einer Sinn verstehenden und beschreibenden Wissenschaft angelegt ist. Eine genauere Qualifizierung des phänomenolog. Beschreibungsbegriffes erfordert die Beantwortung folgender Fragen: Was ist Gegenstand der B.? Mit Hilfe welcher Verfahrensweisen wird das zu Beschreibende zum Gegenstand der B. gemacht? Was sind die methodischen Standards bzw. die begrifflichen und/oder ontolog. Voraussetzungen phänomenolog. B.? Welcher Wirklichkeitsbegriff liegt dem Programm einer B. des Gegebenen zugrunde? Wie wird dem Moment der Subjektivität und Perspektivität Rech-

Beschreibung nung getragen, das im Begriff des Gegebenen gedacht wird, und dennoch der Anspruch verteidigt, mit Hilfe einer B. zu objektiven → Erkenntnissen zu gelangen? Ist die phänomenolog. B. zur Erfassung von (Sinn-)Prozessen ebenso geeignet wie zur Erfassung von (Sinn-)Strukturen? Nach welchen Kriterien sind sachlich zutreffende von nicht zutreffenden B.en zu unterscheiden? Zu welchem Zweck werden B.en vorgenommen? Welche Art von Erkenntnis ist intendiert? Anhand dieser Fragen kann eine phänomenolog. B. hinreichend deutlich von einer nichtphänomenolog. B. unterschieden werden. Die Näherbestimmung der Idee einer phänomenolog. B. verdeutlicht auch, daß 1. beschreibende (erklärende) Elemente ebenso im Methodeninstrumentarium erklärender (beschreibender) Wissenschaften vorkommen können, und 2. B. als philosoph. (phänomenolog.) Programm nicht die Bestimmung des Verhältnisses von Beschreiben, Verstehen und Erklären in einzelnen Wissenschaften präjudiziert. Es gibt Beschreibungsprobleme auf verschiedenen Abstraktionsebenen, im Zusammenhang verschiedener Theoriemodelle, in Orientierung auf verschiedene Wissenschaftsideale. Es ist nicht zutreffend, die beschreibende Methode in allen theoretischen Kontexten als Rückgang auf ein unmittelbar Gegebenes zu verstehen und darin eine naive Gegenposition zur Anerkennung der Theoriegeprägtheit aller Erfahrung zu sehen. Es ist nicht zulässig, davon auszugehen, daß phänomenolog. Aussagen dieselbe Idee der B. zugrunde liegt, wie Aussagen über konkrete Gegenstände, Relationen zwischen Gegenständen, → Typen von Gegenständen und Ereignissen usw., wie sie mit Bezug auf einzelwis-

72 senschaftlich erforschte Gegenstandsbereiche gefällt werden. Verschiedene Beschreibungsmodelle unterscheiden sich auch bezüglich der jeweils zugrundeliegenden Idee der Begründung. Ein diesbezüglich wichtiges Kriterium ist die Stellungnahme zur Relativismus/Universalismusfrage. So ist etwa in der kulturanthropologischen Forschung die Tendenz unverkennbar, einen deskriptiven Relativismus anzuerkennen (ohne die Feststellung von Relativitäten jederzeit von einer Relativismusthese zu unterscheiden). In der gegenwärtigen philosoph. Reflexion mehren sich, auch als Reaktion auf die enge Verbindung von Deskriptivismus und Relativismus in der wissenschaftlichen Forschung, die Versuche, theoretisch haltbare Formen des Relativismus zu definieren bzw. die Entgegensetzung von Universalismus und Relativismus abzuschwächen. Eine phänomenolog. Idee der B., wie sie etwa Husserl vertritt, verbindet Deskriptivismus und Universalismus bzw. Apriorismus. Dies trifft nicht für jedes phänomenolog. Beschreibungsmodell zu. Ungeachtet ihrer Auffassungsunterschiede bezüglich der Idee einer phänomenolog. Philosophie sind Husserl und Heidegger bezüglich der Funktion der B. darin einig, daß das zu Beschreibende weder mit dem im positivistischen Sinn unmittelbar Gegebenen (Sinnesdaten, Empfindungen u. dgl.) noch mit dem i. S. der Alltagserfahrung unmittelbar Gegebenen, mit dem empirisch Faktischen, d. h. dem in Raum und Zeit Existierenden, gleichzusetzen ist. Dies ist nicht der Fall, weil, erstens, das, was als gegeben erfaßt werden soll, erst mit Hilfe besonderer methodischer Verfahren zur Gegebenheit gebracht werden muß,

73 und, zweitens, die Aufgabe der Phänomenologie darin gesehen wird, eine „analytische Deskription der Intentionalität in ihrem Apriori“ (HeiGA 20, 108) zu geben. Unter diesen Bedingungen kann das philosoph. relevante Gegebene nicht mit dem alltagspraktisch oder positivistisch verstandenen Gegebenen identisch sein. Sinn und Aufgabe einer phänomenolog. B. festzulegen, erfordert eine Bestimmung des Phänomenbegriffes, ohne die auch die methodische Maxime zu den Sachen selbst unverständlich bleibt. Das Phänomen ist, soweit es phänomenolog. bestimmt wird, das, was sich zeigt, was als es selbst („originär“) gegeben ist – im Unterschied zu dem, was bloß vorgestellt oder begrifflich repräsentiert ist. Ein so verstandenes Phänomen ist nicht zu verwechseln mit dem kritischen oder skeptischen Begriff der → Erscheinung: Für den ersteren ist die Unterscheidung zwischen Phainomena und Noumena grundlegend, ohne daß aber die Phainomena als bloße Erscheinungen verstanden würden. Dies trifft dagegen auf den skeptischen Phänomenbegriff zu, der zwar nicht die → Gegebenheit der Erscheinung (i. S. der subjektiven Vorstellung) in Zweifel zieht, wohl aber die (ontische) Beziehung zwischen dem, was erscheint, und dem, was „hinter“ den Erscheinungen ist, mithin selbst nicht gegeben ist. Über die Beziehung zwischen Phänomen und Ding an sich bzw. zwischen Phainomena und Noumena kann deskriptiv nichts ausgesagt werden. Der phänomenolog. Phänomenbegriff umfaßt ausschließlich das (der Möglichkeit nach) Gegebene: das an sich selbst Offenbare bzw. offenbar zu Machende. An der Entwicklung der Phänomenologie Husserls läßt sich die Abhängigkeit des Beschreibungsbegriffes von

Beschreibung den methodischen Rahmenbedingungen phänomenolog. Untersuchungen exemplarisch verfolgen. Eine deskriptivpsychologische Untersuchung, wie sie Husserl in seinem frühen Hauptwerk Logische Untersuchungen konzipiert, hat sich auf den deskriptiven (reellen) Inhalt des → Bewußtseins zu beschränken: Gegenstand der B. ist der Wesensgehalt intentionaler Erlebnisse, nicht aber deren Gegenstände. Zweck der B. ist es, die verschiedenen Arten von Bewußtseinsinhalten und Inhaltsbeziehungen zu untersuchen, um auf diesem Weg die Grundbegriffe der reinen Logik (z. B. Bedeutung, Satz) zu klären und den logischen → Psychologismus zurückzuweisen. Abgesehen von der Einschränkung des Gegenstandsbereiches der B. liegt der vortranszendentalen Phänomenologie ein nichtnaives Beschreibungskonzept insofern zugrunde, als die Einführung des Beschreibungsbegriffes eine Explikation des Begriffs der → Anschauung erfordert, diese jedoch auf die Zusammengehörigkeit von Anschauung und → Analyse führt. B. ist Analyse der intentionalen Strukturen des Bewußtseins. Den B.en der sog. transzendentalen Phänomenologie liegt der Vollzug der phänomenolog. → Reduktion zugrunde, welche von allen Seinsthesen bezüglich → Akt (intentionalem Erlebnis) und Gegenstand abzusehen fordert, um die → Einstellung auf reine Noesis-Noemakorrelationen zu gewinnen. Da mittels phänomenolog. Reduktion das zum Thema gemacht wird, was in der natürlichen Einstellung nicht Gegenstand ist – die Art und Weise des Erscheinens von etwas, d. h. die je nach dem vorliegenden Aktcharakter (Wahrnehmen, Urteilen, Fühlen, Wollen etc.) spezifische Gerichtetheit

Beschreibung des Aktes –, kann die phänomenolog. B. nicht an eine naive → Auffassung des unmittelbar Gegebenen gebunden sein. B. in kritischer und wissenschaftlicher Weise vorzunehmen, erfordert eine methodische Kontrolle der Bedingungen, unter denen unmittelbare Gegebenheit herstellbar ist. Das phänomenolog. Prinzip der Anschauung enthält eine generelle Kritik konstruktivistischer Ansätze. Es gilt nur in bezug auf den mittels Reduktion fixierten Gegenstandsbereich der B. Innerhalb dieses Bereiches gilt es uneingeschränkt und ist das einzige Erkenntnismittel. Das → Schauen des Phänomens ist im Hinblick auf den Vollzug der phänomenolog. Reduktion als ein „faire voir“, im Hinblick auf das anschauliche Gegebensein (des reduzierten Gegenstandes) als ein „laisser voir“ zu verstehen. Infolge der Verbindung von Reduktion und Anschauung erweist sich Beschreiben als eine komplexe Tätigkeit, die nicht mit einem passiven Verhalten, einem bloßen Rezipieren gleichgesetzt werden kann. Im Charakter der Thematisierung noetisch-noematischer Strukturen liegt 1. daß die B. intentionale Analyse ist und in dieser Funktion einer auf anschauliche Gegebenheit abzielenden Rekonstruktion des Sinnaufbaus gegenständlicher Beziehungen zugleich als eine → „Konstitution“ bezeichnet werden kann. B. unter der Bedingung der phänomenolog. Reduktion vorzunehmen, bedeutet 2., daß die phänomenolog. → Deskription insofern als eine universale Selbsterkenntnis verstanden werden kann, als sich mit dem Vollzug der Reduktion die Bedeutung des Ausdrucks → „Subjekt“ ändert: B. ist Selbstbeschreibung, weil „Subjekt“ sich nicht auf ein psychophysisches Individuum, eine Person, be-

74 zieht, sondern nun auf den (in Überschreitung der natürlichen Einstellung gewonnenen) Bereich der reinen Intentionalbeziehungen. Dieser Bereich wird als „transzendentale Subjektivität“ bezeichnet. Ebenso wie sich in der Einstellung der Urteilsenthaltung (→ Epoché) der Sinn der Rede von einem „Subjekt“ oder einem → „Ich“ wandelt, liegt auch eine Bedeutungsänderung in bezug auf den Terminus „Erklären“ vor, soweit dieser überhaupt im Zusammenhang einer phänomenolog. B. verwendet wird. Husserl nennt gelegentlich die B. der Sinnkonstitution im reinen Bewußtsein ein „transzendentales Verständlichmachen“, ein „erklärendes Verstehen“ oder eine „subjektivierende Erklärung“, was nicht mit Erklären i. S. der positiven Wissenschaft zu verwechseln ist. Rein ist der Bereich der reinen Intentionalbeziehung in doppeltem Sinn: Einerseits hängt die phänomenolog. B. (wie schon gemäß Husserls früher deskriptiver Psychologie gilt) nicht von Feststellungen über individuelle Fakta und ihre Existenz ab; andererseits soll die B. alles das ausschließen, was gar nicht als Bestandteil des Phänomens ausgewiesen ist, vielmehr bloß als Voraussetzung oder → Meinung angenommen wird. Aussagen, die Seinsmeinungen der natürlichen Einstellung wiedergeben, können nicht als Prämissen der phänomenolog. → Urteile über die Wesensstruktur von Bewußtsein dienen, da dies eine voraussetzungslose B. unmöglich machte. Die Forderung nach Voraussetzungslosigkeit ist selbst aber nicht deskriptiv, aus den Phänomenen, zu gewinnen. Sie ist Ausdruck einer bestimmten Idee der Philosophie, die vor jeder konkreten Analyse und Deskription anerkannt wird: der Idee einer Philosophie als strenger Wissen-

75 schaft, die sich auf einen Gegenstandsbereich absolut gegebener Sinnphänomene bezieht. Daß Husserl die methodischen Standards einer phänomenolog. Untersuchung nicht den zu erforschenden Sachen selbst entnimmt, veranlaßt Heidegger festzustellen, daß so der Gegenstandsbereich der Phänomenologie in einer unphänomenolog. Weise fixiert würde (HeiGA 20, §§ 12 u. 13). Eine phänomenolog. Einstellung führe dagegen, sofern man sie konsequent beibehalte, zu zwei grundlegenden Fragen: zur Frage nach dem → Sein des Seienden und zur Frage nach dem Sinn von Sein. Demnach ist Phänomenologie nicht eidetische Wissenschaft vom reinen Bewußtsein (Husserl), sondern Ursprungswissenschaft vom → Leben selbst, welche sich nicht mit Hilfe spezieller Reduktionsverfahren vom Leben distanziert, vielmehr mit alltagspraktisch vertrauten Begriffen (Erleben, Ich, Selbst usw.) arbeitet und Sinnzusammenhänge in konkreten Situationen zu verstehen sucht. Dabei muß der Phänomenbeschreibung eine „kritische Destruktion“ (→ Destruktion) jener Objektivierungen vorangehen, die auf der → Verdinglichung von Erlebnissen beruhen (HeiGA 58, 255). Phänomenologie als Ursprungswissenschaft ist strikt unterschieden von jeder „Objektswissenschaft“ (ebd., 235 ff.). Sie kann weder eine bloße Klassifizierung und → Bestimmung von Gegenständen anstreben und sich auf Definitionen stützen noch die Klarheits- und Mitteilbarkeitsstandards einer positiven Wissenschaft übernehmen, weshalb ihr auch nur eine beschränkte Allgemeingültigkeit zukommt. → Verstehen hat den Charakter einer Seinsauslegung (→ Auslegung), die – ausgehend von den Grundcharakteren

Bestimmung des Lebens (Selbstgenügsamkeit, Ausdruck und Bedeutsamkeit) – auf eine Wesenstypik von Situationen abzielt. Mittels Analyse und B. gilt es, die Ausdrucksformen (→ Ausdruck) des Lebens zu verstehen. Da Heidegger davon ausgeht, daß Leben sich selbst versteht (und anders bei Strafe seiner Verdinglichung gar nicht zu artikulieren ist), vertritt er eine von Husserls Philosophiebegriff wesentlich unterschiedene Auffassung der Aufgabe der Phänomenologie. Dies hat zur Folge, daß der Charakter einer phänomenolog. B. gemäß der Zurückweisung eines erkenntnistheoretischen Problemzuganges im allgemeinen bzw. der phänomenolog. Reduktion Husserls im besonderen bestimmt wird: Wer das Leben verstehen will, muß an ihm teilhaben, mit ihm mitgehen. Qu.: – Hua I. – Hua III/1. – Hua IV. – Hua VI. – Hua VII. – Hua VIII. – Hua IX. – Hua XIII. – Hua XVIII. – HeiGA 2.– HeiGA 20.– HeiGA 58. – Lit.: Brentano 1874 (ND 1973). – Delius 1952/53, 305-323. – Dilthey 1894 (1924), 139-237. – Ebbinghaus 1899, 161-205, 1984, 5-87. – HochstetterPreyer 1981. – Fellmann 1974, 227-261. – Fink 1957, 321-337. – Geertz 1984, 263˙ff. (1996, 253-291). – Hartmann 1958, 22-60. – Hedwig 1988, 31-45 – Kaulbauch 1968. – Kraus, 1927, 497-519. – Lübbe 1972, 33-62. – Mohanty 1970. – Mohanty 1988, 11-30. – Orth 1991, 8-45. – Orth 1995, 595-605. – Pothast 1998 – Rickert 1902. – Walzer 1994 (1996, 139-168). SRK

Bestimmung. (frz. détermination) Die Bestimmbarkeit des → Gegenstandes als „Substrat“ gehört von den Logischen Untersuchungen II an (Hua XIX/2, 285 ff.) zur Husserlschen Prädikatenlogik. Innerhalb der Urteilslehre der Beziehung von Teilen und Ganzem bzw. von selbständigen und unselbständigen Inhalten (Almeida 1972;

Bestimmung Süßbauer 1995) tritt die B. in den Ideen I (Hua III/1, 301 f.) als „noematische Beschreibung“ des sich „im synthetischen Fortgang des Bewußtseins“ mit Sinnerfüllungen anreichernden intentionalen → Objekts auf. Als „Identisches“ hält sich die allgemeinste abstrakte Gegenständlichkeit als „bestimmbares X“ oder „Kern“ durch alles Vermeinte als B. durch. Die einfachste logische Urteilsform eines solchen „bestimmbaren Subjekts seiner möglichen Prädikate“ lautet ,S ist p‘. Im Anschluß an die genetisch konzipierte Formale und transzendentale Logik (Hua XVII, 179 ff.) wird in Erfahrung und Urteil eine systematische Analyse (Husserl 6 1985, 124 ff., 250 ff.) solcher „explizierender Synthesis“ als „prädikativer B.“ durchgeführt (ebd., 237). Gemäß dem Innen- und Außenhorizont eines Gegenstandes (ebd., 115 f.) faßt Husserl die intentional geweckte „Vorzeichnung“ des zunächst „unbestimmten Themas S“ für seine inneren Teile und äußeren Feld-Mitgegebenheiten als „Näher-B.“. In einem solchen „Horizont der Vertrautheit“ können sich für solche B. immer auch „Korrekturen der Antizipation“ ergeben. „Substratgegenstand und B.en“ bilden die Ursprungsstelle der sog. „logischen Kategorie“ und gehen im explizierenden Betrachten dank der B. eine „Deckungseinheit“ ein. (ebd., 125 f., 137, 177 f.) In der mehrschichtigen Explikation kann ein in den passiven Bewußtseinshintergrund abgesunkenes Substrat als B. für ein originär neues S fungieren. (ebd., 147 f.) Alle einmal vollzogenen B.en bilden einen „habituellen Besitz“ und können assoziativ wieder zur → Aktualität gelangen. (ebd., 137 f.) Bedeutet die „relative B.“ näherhin

76 die Mitgegebenheit weiterer äußerer Gegenstände in einem gegenwärtigen → Feld als Außenhorizont der → Wahrnehmung (ebd., 115 f.), so bezeichnet die „absolute B.“ im strengen Sinne: 1. die Allnatur als absolutes Substrat unselbständiger B.en; 2. ursprüngliche B.en, die nur an originär absoluten Substraten der schlicht individuellen Gegenstände (z. B. der Körpererfahrung) möglich sind. (ebd., 159 f.) „Absolute B.en“ sind damit immer unselbständig, weil ihre → Form nur als „Sosein“ eines anderen Seins zu charakterisieren ist, während „absolute Substrate“ selbständig sind, d. h. nur B.en empfangen können. (ebd., 155 f., 167 f.) „Absolute Eindrücke“ wie „heiß“, „kalt“ usw. beziehen sich auf eine Normalität der → Erfahrung, die je nach Umwelt einer „Kontrast-B.“ unterliegen, von der die „Beziehungs-B.“ zwischen ihnen zu unterscheiden ist. (ebd., 229 f.) Jede prädikative B. bildet als (kopulatives) → Urteil die „Urzelle“ für einen thematischen Zusammenhang, der aufgrund der → Erkenntnis als umfassendes Lebensinteresse mit universalem Welthorizont eine „offene Unendlichkeit thematischer B.en“ zuläßt. Eine Befriedigung des Interesses ist jedoch nur durch „Konzentrationen“ möglich, indem jeweils ein Gegenstand zum „B.s-Subjekt“ als Substrat wird und die „Einheit des Interesses“ bei thematischer Vielfalt garantiert. (ebd., 251 f., 278 f.) Die passive Vorgegebenheit des B.s-Substrats bringt es dabei apperzeptiv mit sich (Kühn 1998a), daß es „als dem allgemeinsten Typus nach bekanntes Etwas mit dem Horizont unbestimmter Bestimmbarkeit“ prädiziert wird, nämlich als Modus des „Undsoweiter“ oder „plus ultra“, je nachdem, wie weit das thematische →

77 Interesse an S reicht. (Husserl 6 1985, 257 ff.) Bei diesem offenen Urteilsprozeß kann eine „identifizierend anknüpfende B.“ vorgenommen werden, die mindestens zwei Urteile miteinander verbindet, ohne jedoch eine unmittelbare intentionale → Einheit zu bilden wie bei der fortlaufend relativen B. Die identifizierende → Aktivität (→ Spontaneität) „überbrückt“ zwei B.sUrteile, indem gelten soll: „S ist p und dasselbe S ist q“ (ebd., 259 f.). Je nach formalem oder genetischem Gesichtspunkt ist zwischen „Bestimmen“ und „Beziehen“ zu unterscheiden. Formal fallen unter das beziehende Denken alle Urteile über explikativinnere (relative) B.en und das Enthaltensein von selbständigen Teilen in Ganzen als „Hat-Urteile“. Genetisch betrachtet sind letztere jedoch von den relativen B.en unterschieden, denn sie prädizieren, was ein Gegenstand „in sich“ ist im Gegensatz zum Fortschreiten des Interesses an im Feld mitgegebenen Gegenständen. (ebd., 269 f.) Sofern Gegenstände der äußeren Wahrnehmung entweder bloß naturale → Dinge im Universum oder aber kulturelle Gegenstände sind, unterscheidet Husserl „sachliche, dingliche oder naturale B.en“ von der „BedeutungsB.“, die – wie z. B. Wertprädikate – als „Sinnes-B.“ (Sinnbildungen) „für uns“ auftreten. (ebd., 318 f.) Solche „Kulturgegenständlichkeiten“ wie auch die „Verstandesgegenständlichkeiten“ haben entsprechend ihrer realen Eigenschaften auch „reale B.en“ wie alle anderen Dinge. Sie sind jedoch nicht wesensmäßig durch eine bestimmte Raum-Zeitstelle individuiert, so daß neben den prägnanten Begriff der „realen B.“ eine „irreale B.“ tritt, weil sie an verschiedenen Realitäten als identische auftreten kann (z. B. Kunstwer-

Betrachtung ke, Staat). Diese „Irrealitäten“ sind als „Sinnes-Sinn“ in ihrer B. reaktivierbar, denn es gehört zu ihrer „eigenwesentlichen B.“, „Sinn von ..., Bedeutung von ...“ zu sein. (ebd., 323 f.) Reinach hat innerhalb der „Göttinger Phänomenologie“ (Schuhmann 1987) versucht, die Fülle von Beziehungen eines jeden gegenständlichen Wesens zu anderen als „Wesenszusammenhänge“ zu sehen, die als B.en eines materialen Apriori bei ihm erscheinen. (Reinach 1921, 122 ff.) Ihnen kommt kein modales Sosein zu, sondern notwendiges Sosein-müssen, wie z. B. der Sachverhalt, daß negative B.en keine primären sein können, weil sie in positiv fundierten Sachverhalten gründen. Qu.: Hua III/1. – Hua VII. – Hua XVII. – Hua XIX/1. – Hua XIX/2. – Husserl 1939 (6 1985). – Reinach 1921. – Lit.: Almeida 1971. – Kühn 1998a, Kap. 9. – Schuhmann 1987. – Süßbauer 1995, Kap. II.4. RK

Betrachtung. Durch den Vollzug der → Epoché sind alle natürlichen → Interessen und jede B. im gewöhnlichen Sinne außer Kraft gesetzt, und der Phänomenologe wird so zum unbeteiligten, uninteressierten und theoretischen Betrachter seiner selbst. Die phänomenog. B. zeigt sich als „die konsequente korrelative B. von Noesis und Noema“ (Hua XVII, 268 f.). Andererseits unterscheidet Husserl drei Stufen in der betrachtenden → Wahrnehmung eines → Gegenstandes: die schlichte B., die sich vor jeder Explikation auf den Gegenstand im ganzen richtet, die explizierende B., die die im Innenhorizont impliziten → Bestimmungen des Gegenstandes auslegt, und die beziehende B., die sich auf die äußeren, hinsichtlich der mitgegenwärtigen Gegenstände relativen Bestimmungen richtet.

78

Bewährung Qu.: Hua VI, 178-185. – Hua VIII, 114118, 460-463. – Hua XVII, 268-269. – Husserl 1939 (2 1948, 112-180). RW

Bewährung. Zentraler Begriff in Husserls Theorie des intentionalen → Bewußtseins. Das intentionale → Erlebnis befindet sich im Prozeß der B., wenn die in ihm liegende → Erwartung durch das intentionale → Objekt fortlaufend bestätigt wird, die Intention also zur → Wahrheit als selbstgebender → Evidenz führt. B. hat dann den Sinn von Erfüllung. Im Gegensatz zur einstimmigen Erfüllung einer Intention kann sich „die B. ins Negative umwenden, es kann anstelle des Vermeinten selbst ein anderes [...] hervortreten“ (Hua I, 93). Dies trifft u. a. für die Evidenzarten der → Erinnerung und der → Einfühlung zu. Zwar kommt es hier nicht zu einer völligen „Entwährung“ (Hua VI, 85) des intentionalen Erlebnisses, aber in diesen Fällen ist „originäre B. prinzipiell ausgeschlossen“ (Hua III/1, 325). Als eigentlicher „Bereich guter B.“ (Hua VI, 128) gilt dem späten Husserl der Krisis-Schrift die vorwissenschaftliche → Lebenswelt, da sie die ursprüngliche Evidenzquelle „für alle objektive B.“ (ebd., 129) darstellt. Von der B. eines → Urteils, einer Hypothese oder einer Theorie kann so gesehen nur im abgeleiteten Sinne, d. h. vor dem Hintergrund von Bewährungsprozessen, die der lebensweltlichen → Erfahrung entspringen, die Rede sein. Qu.: Hua I. – Hua III/1. – Hua VI. – Hua XVII. TR

Bewandtnis nennt Heidegger in Sein und Zeit bei der Analyse der Weltlichkeit der → Welt die Seinsart des zuhandenen → Zeugs. Das im besorgen-

den Umgang in der Welt begegnende Seiende qua Zeug ist in seinem → Sein je schon freigegeben auf B. Jener ausdrücklich als ontolog. Bestimmung des Seins dieses Seienden geprägte Terminus ist von der Formulierung her genommen: „es hat mit etwas bei etwas sein Bewenden“ (HeiGA 2, 467), z. B. mit dem Hammer beim Hämmern. Darin liegt zugleich der Bezugscharakter der B.: die Bezüge in der Struktur des Um-zu der „Verweisung“ (ebd., 102 ff.) sind unter sich selbst verklammert im Bezugsganzen der „Bedeutsamkeit“, was die Struktur der Welt ausmacht (ebd., 116 f.). Somit ist ein Zeug allein ontolog. unmöglich. – „Das Wobei es die B. hat, ist das Wozu der Dienlichkeit, das Wofür der Verwendbarkeit“ (ebd., 112) als mögliche Konkretion der Verweisung; dabei kann es selbst wiederum seine B. haben: z. B. mit dem Hämmern bei der Befestigung usw. „Welche B. es mit einem Zuhandenen hat, das ist je aus der B.ganzheit vorgezeichnet.“ (ebd., 112) Diese „geht letztlich auf ein Wozu zurück, bei dem es keine B. mehr hat“ (ebd., 112 f.); sie ist umwillen des → Daseins als → In-der-Weltseins. „Das primäre ,Wozu‘ ist ein Worum-willen. Das ,Umwillen‘ betrifft aber immer das Sein des Daseins, dem es in seinem Sein wesenhaft um dieses Sein selbst geht.“ (ebd., 113) Qu.: HeiGA 2, §§ 18, 69 a.

LMV

Bewegung. Husserl behandelt das Problem der B. primär im Zusammenhang mit den → Kinästhesen, d. h. der → Einheit von → Rezeptivität (→ Empfindung) und → Spontaneität (B.) in der → Wahrnehmung.

79 Heidegger setzt in der Hermeneutik der → Faktizität B. als „Grundbewegtheit des faktischen Lebens“ an. Die sich steigernde Bewegtheit des Lebens (später → „Dasein“) wird von der → Welt „gemacht“ und bildet eine Leere aus, in die das faktische Leben stürzt (Sturz, Ruinanz, später → „Verfallen“). Das Bewegungsphänomen wird im Zusammenhang mit der aristotelischen Zeitanalyse kritisch untersucht, weil dort gefragt wird, was an der B. die Zeit sei und diese als das gezählte an der B. bestimmt wird (arithmos kineseos Aristoteles, Physik IV, 11). Heidegger weist den allgemeinsten Charakter der B. als „Umschlag“ (metabole) auf, Übergang von etwas zu etwas zu sein. Er faßt diese Struktur der B. als Dimension (Dehnung), zu der zugleich die Bestimmung des Kontinuums (der Stetigkeit, griech. syneches) gehört. Dimension und Stetigkeit sind demnach die apriorischen Bedingungen der B. In der Physik begreift Aristoteles Raum und Zeit im Hinblick auf Bewegungsvorgänge überhaupt, nicht aber aus dem Bezug zur Geschichte. Zwar ist auch das „Leben“ (jetzt im Unterschied zum „Dasein“) nicht nur Organismus, sondern auch B., doch eine solche eigener Art; die Bewegtheit des Seins der Tiere liegt in der Benommenheit. Merleau-Ponty zufolge muß sich die Beschreibung der B. davor hüten, diese zu zerstören. Sie tut dies, wenn sie zwischen der B. und einem Beweglichen, das selbst nicht bewegt ist, unterscheidet (der Stein, der über den Garten fliegt, wird dann nicht vom Stil der B. her, sondern im Hinblick auf seine Identität betrachtet). Ein solcher Zugang entginge nicht den zenonischen Paradoxien (denen Reinach eine aus-

Bewegung führliche Studie gewidmet hat). Die → Wahrnehmung der B. ist nicht sekundär gegenüber der Wahrnehmung von etwas Beweglichem; indem die Thematisierung der B. auf ein identisch Bewegliches und die Relativität der B. hinausläuft, verkennt sie dieses Phänomen. Um dies zu vermeiden, ist einzusehen, daß die Dinge primär durch ihr Verhalten und nicht durch statische Eigenschaften bestimmt sind. B. ist ein Strukturphänomen, jede Erfahrung von ihr ist durch den eigenen → Leib zu begreifen. Dieser stellt aller B. den Boden bei, dessen sie zu ihrer Erfahrung bedarf. Patoˇcka entwickelt eine Theorie der drei B.en, wobei er B. überhaupt als Beziehung zur → Welt versteht. Die erste B. wird dadurch vollzogen, daß die Welt angeeignet wird, jemand in ihr Wurzeln schlägt, und zwar wesensnotwendig unter dem Schutz anderer. Die zweite B. ist ein Sich-einschalten in die Welt, ebenfalls durch das Mitsein mit anderen bestimmt, die aber über ihre leibhafte Anwesenheit hinaus vor allem in ihren Werken und durch die von ihnen geschaffenen Situationen gegenwärtig sind; es handelt sich um eine Phase der Einstellung auf die Mittel, in die sich das Leben zerstreut, wobei das eigentliche Ziel noch im Hintergrund bleibt (Phase der Verfallenheit an die Dinge). Die dritte Bewegung besteht in der Beziehung, aus der heraus jenes SichEinschalten überblickt und dominiert wird: ein Zugang zur Selbstgewinnung in der Annahme der eigenen Endlichkeit. Damit ändert sich der Richtungssinn des Lebens, es kommt zu einer B. des Geistes (B. des Sichgewinnens durch Selbstverzicht und Selbsthingabe).

Bewußtsein Qu.: Hua XVI. – Hua XIV. – HeiGA 24, § 19. – HeiGA 29/30, § 61. – HeiGA 61, III. Teil 1, 1. Kap. – Heidegger 1989. – Merleau-Ponty 1945 (1966), II. Teil, §§ 2428. – Patoˇcka 1991 (Abschnitt II u. III). – Lit.: Claesges 1964. – Srubar 1991. HV

Bewußtsein. Die besondere Schwierigkeit einer Darstellung liegt zum einen an der Vieldeutigkeit des Begriffs „B.“ (Cassirer hat ihn den Proteus der Philosophie genannt), anderseits an der Komplexität der verschiedenen Theorien nicht zuletzt in der Phänomenologie. Auf die Vieldeutigkeit weist auch Brentano hin, von dem der phänomenolog. Bewußtseinsbegriff seinen Ausgang nimmt. Er legt B. auf „psych. Phänomen“ oder „Akt“ fest. Alle Phänomene dieser Art (Vorstellungen, Urteile, Phänomene der Liebe und des Hasses) gehören zu einer einheitlichen Realität, deren gemeinsames Gattungsmerkmal – so Brentano mit ausdrücklichem Rückgriff auf die mittelalterliche Scholastik – die intentionale Inexistenz eines Gegenstandes ist, d. h. die Beziehung aller Bewußtseinsakte auf einen sie transzendierenden Inhalt, die Richtung auf ein Objekt (Brentano 1874, II. Buch, 1. Kap., § 5). Da der Bewußtseinsbegriff bei Husserl in besonderem Ausmaß von Differenzierungen betroffen ist, sei hier nur eine knappe Orientierung mit einigen Schwerpunkten angeführt. Eine ausführliche Darstellung gibt Husserl zuerst in der V. Logischen Untersuchung (Hua XIX/1, § 1). Er führt dort drei Begriffe von B. an: „1. B. als der gesamte reelle phänomenolog. Bestand des empirischen Ich, als Verwebung der psych. Erlebnisse in der Einheit des Erlebnisstroms. 2. B. als inneres Gewahrwerden von eigenen psych. Erlebnissen. 3. B. als zusammenfassende

80 Bezeichnung für jederlei ,psych. Akte‘ oder ,intentionale Erlebnisse‘.“ (ebd., 356) B. erscheint hier einmal unter dem Gesichtspunkt der → Einheit des Erlebnisstroms im → Ich, ferner unter dem der → Reflexion und schließlich unter dem der → Intentionalität. Für die einzelnen → Akte bevorzugt Husserl den Ausdruck → „Erlebnis“. Das Ich fällt mit dem B. zusammen, es fungiert aber nicht als dessen Einheit, sondern als Gegenstand der Reflexion auf den Vollzieher von Akten. In den Ideen geht es um die Gewinnung des reinen (transzendentalen) B.s durch die transzendentale → Epoché (transzendentale → Reduktion). Es handelt sich um eine neue, bisher nie aufgewiesene Seinsregion. Die Untersuchung nimmt den Ausgang beim Ich, beim B., bei den Erlebnissen, die in der natürlichen → Einstellung gegeben und aus dieser rein zu schöpfen sind; für diesen Ausgangsort wird auch der Terminus → „cogito“ gebraucht, und zwar in der von Descartes verwendeten umfassenden Bedeutung („Ich nehme wahr, ich erinnere mich, ich phantasiere, ich urteile, fühle, begehre, will.“ (Hua III/1, § 34)). Der Vollzug geschieht in der jeweiligen cogitatio mit dem ihr korrelativen cogitatum. Das B. im Modus aktueller Zuwendung „cogito“ im prägnanten Sinn: „ich habe B. von etwas“, auch „waches Ich“ genannt) wird vom Modus der Inaktualität unterschieden; beide Arten sind aber intentional bezogen, intentionale Erlebnisse. Die cogitatio ist in ihrem Vollzug nicht als intentionales Objekt aktuell bewußt, kann aber in Form einer neuen cogitatio durch reflexive Blickwendung eigens erfaßt werden. Dieser Anfang bei der Gewinnung des reinen oder transzendentalen B.s bewegt sich auf dem → Boden der natürlichen → Erfah-

81 rung, innerhalb der → „Generalthesis“ der natürlichen Einstellung. Thematisiert wird zunächst das B. von der → Welt (wobei B. als Bezogensein auf → Umwelt auch den → Tieren zukommt (ebd., § 39). Im → Horizont der natürlichen Erfahrung erscheinen B. und Dinglichkeit als ein Ganzes, wobei das Verhältnis zur Welt vom → Leib getragen ist (das B. der leibhaften Gegebenheit eines individuellen Objekts hat zur Folge, daß die Dingwahrnehmung als repräsentativ angesehen wird). Das sinnliche Erfahrungsding ist dem B. transzendent (→ Transzendenz als Rätsel der natürlichen Erfahrung, vgl. Hua II, 27-39.). Der → Sinn dieser Transzendenz ist aus dem B. zu schöpfen, die Transzendenz ist ihr Korrelat. Die ganze räumlich-zeitliche Welt ist ihrem Sinn nach bloß intentionales → Sein als Bewußtseinskorrelat. Im Vollzug der transzendentalen Epoché bleibt das absolute B. als „Residuum der Weltvernichtung“ (Hua III/1, § 49); damit ist das „Feld der Phänomenologie“ gewonnen (ebd., § 50). Von diesem reinen (→ transzendentalen, → absoluten) B. unterscheidet Husserl das psychologische B. als reales Vorkommnis in der Welt als Bestandteil der → Natur (das B. der Menschen und Tiere in der natürlichen Einstellung). Auf dem Feld des transzendentalen B.s stehen einander gebendes und anschauliches B. gegenüber und auf der anderen Seite unanschauliches und dunkles B. Die phänomenolog. Reduktion legt die „Urregion allen Seins“ frei, das B., dem das transzendente Sein als sich im B. bekundendes Sein gegenübersteht, wird als die radikalste aller Seinsunterscheidungen bezeichnet (vgl. ebd., § 76). Jedes Erlebnis vom Typ „cogito“ ist ein Akt des Ich, die übrigen Erlebnisse haben immerhin Anteil an diesem. So

Bewußtsein unterscheidet Husserl in der Erlebnissphäre das Erlebnis selbst hinsichtlich des rein Subjektiven der Erlebnisweise (subjektiv-orientierte Seite) und den ich-abgewandten Gehalt des Erlebnisses (objektiv-orientierte Seite) vom reinen Ich des Erlebens. In der transzendentalen Reduktion büßt das B. mit der natürlichen Realität auch den Bezug zum Raum und zur kosmischen Zeit ein. Dem steht die Entdeckung der → Zeit als der „Urform des B.s“ gegenüber (ebd., § 83), insofern jedes Bewußtseinserlebnis mit den anderen Erlebnissen durch die Form der Zeit (in der Kontinuität des → Jetzt) verbunden ist. Das phänomenolog. Zeitfeld mit den Dimensionen des Vorher, Nachher und Gleichzeitig bildet den einheitlichen Erlebnisstrom. Eine Wesenseigentümlichkeit dieser Sphäre ist die Intentionalität, die es rechtfertigt, den ganzen Erlebnisstrom als Bewußtseinsstrom und als Einheit des B.s zu bezeichnen. B. ist B. „von etwas“, intentionales Erlebnis. Dessen Analyse basiert auf der Unterscheidung der reellen Komponenten der intentionalen Erlebnisse (noetische Momente, → Noesis) von den Komponenten der intentionalen Korrelate (noematischer Gehalt, → Noema). Jedes B. impliziert → Doxa (→ Glauben). Doxische oder Glaubenscharaktere gehören zur Noesis und sind korrelativ zu den völlig anderen Seinscharakteren des Noema (eine für die Phänomenologie grundlegende Unterscheidung, mit der der Konstitutionsanspruch des → Idealismus zurückgewiesen wird). Doxische Charaktere sind bei der Wahrnehmung z. B. der Wahrnehmungsglaube bzw. die Wahrnehmungsgewißheit, es sind seinssetzende Akte eines prinzipiell thetischen B.s. Mit dem Terminus → „Urglaube“ oder → „Urdoxa“ bezeich-

Bewußtsein net Husserl die intentionale Rückbezogenheit aller Glaubensmodalitäten. Unter den → Modifikationen der Glaubenssphäre nimmt die Neutralitätsmodifikation als allgemeine Bewußtseinsmodifikation einen ganz eigenen Platz ein (das bewußtseinsmäßige Gegenstück allen „Leistens“: etwas dahingestellt sein lassen, das Geleistete bloß denken, ohne mitzutun (ebd., § 109)). Während die nichtneutralisierten Noesen gültig oder nicht gültig, wahr oder nicht wahr sein können, ist das bloße Sich-denken kein positionales B., es „setzt“ nichts. In den Ideen gibt es neben den intentionalen Erlebnissen und ihren Korrelaten zwar das reine Ich, das der Reduktion nicht verfällt. In dieser Position ist das Ich aber „nichts anderes als qualitätsloser Pol von Akten“ (Hua XIV, 43), was später zu einer Erweiterung auf das konkrete Ich hin führt und damit zu einer genaueren Differenzierung zwischen „Ich“ und „B.“ (vgl. Hua I, §§ 32-33). Scheler versteht unter B. all das, was in innerer Wahrnehmung in Erscheinung tritt und unterscheidet davon das „überbewußte“ Sein der → Person (das geistige Selbst), ferner ober- und unterbewußte Bewußtseinserscheinungen und schließlich die unbewußten psych. Ereignisse und Vorgänge. Den Ausdruck „B. von etwas“ möchte er wegen dessen Nähe zum Cartesianismus meiden; dieser läßt sich nur halten, wenn den intentionalen Akten nicht ein Vorstellen zugrunde gelegt wird, sondern auch Fühlen und → Wollen als fundierend einbezogen werden. Als „unterbewußten“ Teil des Ich bezeichnet Scheler jene Erlebnisse, die zwar im Bewußtseinszusammenhang nicht gegenwärtig sind, doch dessen Gehalt modifizieren, ohne daß dies vom Erlebenden sprachlich angegeben werden könnte.

82 Er gebraucht in diesem Zusammenhang auch den Terminus „unterwachbewußt“ und meint damit Erlebnisse von der Art des Traumes, ekstatische Erlebnisse u. dgl. Vom Unterbewußten unterscheidet Scheler einerseits das aktuell Unbeachtete und solcherart nicht Bewußte und das „Unbewußte“, worunter er eine hypothetische Konstruktion zur kausalen Erklärung des Seelenlebens versteht. Heidegger benützt seine Darstellung von Husserls Bewußtseinsbegriff zu einer grundsätzlichen Kritik an dessen Phänomenologie. Das B. werde von Husserl als intentionales → Sein, als absolutes Sein i. S. absoluter → Gegebenheit, als absolutes Gegebensein i. S. des nulla re indiget ad existendum (wie der cartesianische Substanzbegriff) und als reines Sein charakterisiert, doch seien diese Bestimmungen nicht im Hinblick auf das B. selbst gewonnen, sondern unter der Leitung einer traditionellen Idee der Philosophie, nämlich der einer absoluten → Wissenschaft. Husserl habe demnach das B. von vornherein daraufhin anvisiert, inwieweit es möglicher Gegenstand einer absoluten Wissenschaft werden könne. Er habe damit aber nur den Wasgehalt bestimmt, ohne nach dem Sein der Akte i. S. ihrer Existenz zu fragen. Sein werde darauf reduziert, sich im B. zu bekunden. Doch damit bleibe der Seinscharakter der Intentionalität – des eigensten Prinzips der Phänomenologie – unbefragt, vor allem aber werde die Frage nach dem Sein selbst nicht gestellt, die aus dem Seinsverhältnis des → Daseins gewonnen werden müsse. An die Stelle des B.s tritt somit bei Heidegger das Dasein. Sartre interpretiert das cartesianische Cogito mit Husserl als intentionales B., Setzung eines transzendenten Gegen-

83 standes. Dieses impliziert zugleich ein B. von sich (conscience en soi), das wiederum in der Reflexion ausdrücklich gegeben sein kann oder nichtthetisches B. ist. Dessen innere Eigenschaft beschreibt Sartre in Analogie zu Heideggers „Jemeinigkeit“ des Daseins so, daß die Seinsauszeichnung des B.s darin bestehe, daß es ihm in seinem Sein um sein Sein geht; dies findet sich in der bekannteren Formulierung wieder, wonach die → Existenz der Essenz vorausgeht. Daß das B. etwas intendiert, das es nicht selbst ist, das aber in diesem → Nichts anwesend ist (ein Spiel von An- und Abwesenheit), kennzeichnet das Für-sich-sein in seinem Mangel an Sein (défaut d’être, manque). Das Für-sich ist Mangel, indem es sich selbst negiert, sein eigenes An-sich ist ein Nichts, das B. als intentionales ist durch und durch nichtig. Daß durch das B. sich für mich eine → Welt eröffnet, daß aber das B. diese Welt nicht fundiert, ist der Ausgangspunkt von Merleau-Pontys Phänomenologie der Wahrnehmung, die sich damit vom idealistischen Rückgang auf das B. distanziert; die Welt liegt diesem uneinholbar voraus. Der Fehler allen Idealismus liegt darin, die Welt ihrer Undurchdringlichkeit und → Transzendenz zu berauben. Merleau-Ponty interpretiert daher auch den Rückgang auf das transzendentale B. in der Reduktion anders: Ihre wichtigste Lehre sei die der „Unmöglichkeit der vollständigen Reduktion“ (Merleau-Ponty 1966, 11). Insofern ist auch das B. sich nicht selbst zu eigen. Daß die Situation ihm nie völlig transparent werden kann, setzt allerdings voraus, das B. in der Wirklichkeit von Handlungsbezügen aufzusuchen. Ricœur nimmt Descartes’ Gedanken einer unmittelbaren Gewißheit des B.s

Bewußtseinsfeld auf, korrigiert ihn aber dahingehend, daß diese Gewißheit keinem wahren Wissen von sich selbst entspricht. Husserls Phänomenologie habe zwar die Bedeutung der Vorgegebenheit des Präreflexiven zeigen können, doch immer im Bereich der → Konstitutionsanalysen (das Präreflexive als schon Konstituiertes), sei aber damit an eine für sie unübersteigbare Grenze gestoßen. Dem Problem des B.s als Lüge vermag dieser Ansatz nicht zu folgen, die Alternative eines Unbewußten i. S. Freuds muß ihm als Rückfall in den Naturalismus erscheinen. Dieser Umweg über das Unbewußte sei aber unvermeidbar und in seinem Rückstoß auch fruchtbar, da er eine Revision des B.s in Gang setzt, das des Narzißmus im unmittelbaren B. inne wird. Dieser Umweg als Aufklärung bezieht nicht nur Freud, sondern auch Marx und Nietzsche ein. Alle drei hätten eine mittelbare Wissenschaft des Sinnes geschaffen, die nicht mehr auf das unmittelbare B. des Sinnes zurückgeführt werden könnte. Sie hätten gezeigt, daß, um das wahre B. zu finden, erst die falschen Formen des B.s entziffert werden müßten; das erfordert den Umweg über eine Interpretation von Symptomen. Qu.: Brentano 1874. – Hua XIX/1, V. Log. Unt., § 1. – Hua II, 27-39. – Hua III/1, §§ 34, 39, 49, 50, 76, 83, 109 u. pass. – ScheGW 2, 391. – HeiGA 20, §§ 1112, 14-17. – Sartre 1947 (1973). – Sartre 1943 (1952), I. Teil. – Merleau-Ponty 1945 (1966). – Ricœur 1969 (1974). – Lit.: Hartmann 1983. – Herrmann 198. – Landgrebe 1963. – Métraux 1986. – Ringleben 2003. – Seebohm 1962. – Welsen 1987. HV

Bewußtseinsfeld. Husserl gebraucht den Ausdruck „B.“ des öfteren und versteht darunter den konkreten Be-

Bezeugung

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wußtseinsakt mit dem Vordergrundsbewußtsein sowie dem Hintergrundsbewußtsein als dem Bewußtseinshorizont, „der den raumgegenständlichen Hintergrund bewußt macht“ (Hua VIII, 145). Eine eigene Monographie widmet Gurwitsch diesem Thema, wobei außer Husserl vor allem James und die Gestalttheorie eine gewisse Rolle spielen. Unsere → Aufmerksamkeit ist auf etwas gerichtet, gleichzeitig aber ist uns unsere Umgebung und ebenso unsere eigene Situation, die Leiblichkeit eingeschlossen, mitbewußt. All dies wird simultan erfahren und macht das B. aus. Dieses ist „die Gesamtheit der kopräsenten Gegebenheiten“ (Gurwitsch 1975, 2). Kopräsenz besagt Gleichzeitigkeit, diese und die Aufeinanderfolge sind die Organisationsformen des B.s. Im gesamten B. unterscheidet Gurwitsch drei Bereiche: das Thema, also jene Gegebenheit, der die Aufmerksamkeit gilt; das thematische → Feld als die Gesamtheit der kopräsenten Gegebenheiten; den Rand als das Insgesamt jener Gegebenheiten, die zwar kopräsent sind, aber keinen sachlichen Zusammenhang mit dem Thema haben (der Bereich der Irrelevanz).

(Liebsch 1999, 179), der sich sowohl von der empirischen Verifikation wie auch – und noch stärker – von der cartesianischen, auf dem Versuch einer Selbst- und Letztbegründung aufruhenden Gewißheit abhebt (Ricœur 1996, 32 f.). Die B. ist kein → Wissen, sondern ein → Glauben im Sinne des „ich glaube an“, also i. S. des Vertrauens, nicht des Meinens/Vermutens (ebd., 33). Vom Selbst gibt es kein Wissen und keine Gewißheit (certitude), sondern nur ein Trauen und Vertrauen, das ständig dem Verdacht, dem Mißtrauen (soupçon) ausgesetzt ist: Dieser ist einerseits „das spezifische Gegenteil der B.“ (ebd., 34), andererseits auch „der Weg zur und der Durchgang durch die B.“ (ebd., 365); er ist der B. inhärent (ebd.). Das, was letzten Endes bezeugt wird, ist „die Selbstheit [...] sowohl in ihrem Unterschied zur Selbigkeit als auch in ihrem dialektischem Verhältnis zur Andersheit“ (ebd.). Im Phänomen des Gewissens zeigt sich nach Ricœur die tiefe Einheit von Selbstbezeugung und Aufforderung vom Anderen (ebd., 426), wodurch Ricœur seine Position von derjenigen Heideggers und Levinas’ abzuheben versucht (vgl. ebd., 425 f.).

Qu.: Hua VIII. – Gurwitsch 1957 (1974). – Lit.: Melle 1996. HV

Qu.: Ricœur 1990 (1996). – Ricœur 1991b. – Ricœur 1994. – Lit.: Liebsch 1999. FP

Bezeugung. (frz. attestation) „Paßwort“ (Ricœur 1996, 349) bzw. „Schlußstein“ (Ricœur 1994, 37) des Werkes Das Selbst als ein Anderer von Paul Ricœur. Die B. ist jene „Art von Zusicherung (assurance), von Vertrauen (confiance), die bzw. das jeder davon hat, in der Weise der Selbstheit (ipséité) zu existieren“ (Ricœur 1991, 381 ff.). Mit B. meint Ricœur den „spezifischen Wahrheitsmodus des Selbst“

Beziehung, intentionale. Nach phänomenolog. Auffassung ist es ein Wesensmerkmal von → Bewußtsein, auf etwas gerichtet zu sein, das als → Gegenstand des betreffenden → Erlebnisses gegeben ist. Die intentionale B. zu Gegenständen ist ein allgemeines Strukturmerkmal von Bewußtsein (Intention im weiteren Sinn), nicht ein spezieller Aktcharakter (→ Akt), der als ein Abzielen auf etwas oder als eine

85 Absicht zu beschreiben wäre (Intention im engeren Sinn). Nach Husserls Grundlegung einer Phänomenologie der intentionalen B. in den Logischen Untersuchungen ist diese damit befaßt, die formalen Strukturen und Inhaltsbestandteile von intentionalen B.en zu untersuchen. Ein Ding „an sich“, d. i. ein Gegenstand unabhängig von seinem Auftreten in intentionalen B.en, kann nicht Gegenstand einer phänomenolog. Untersuchung sein (vgl. Hua XIX/1, V. Unters., 439). Gegenstände sind in wechselnden Erscheinungsweisen (→ Erscheinung) gegeben. Der Terminus „Erscheinen“ verweist auf eine B.: etwas (ein Gegenstand) erscheint für etwas (für ein Bewußtsein). Was erscheint, ist nicht bloß überhaupt gegeben, sondern in bestimmter Weise gegeben. Die Art und Weise, wie etwas erscheint, hängt von der Natur des Erscheinenden und von den auf es gerichteten Intentionen ab. (I) Gemäß Husserls Konzeption weist eine intentionale B. folgende Grundbestimmungen auf: i) Intentionales → Erlebnis (Akt) und intentionaler Gegenstand sind different und strikt zu unterscheiden, sofern überhaupt eine intentionale B. vorliegt, mithin ein Gegenstand im Bewußtsein erscheint (gegeben ist) (vgl. Hua XIX/1, V. Unters., 400 f. 423 f.). ii) Der intentionale Inhalt (→ Bedeutung/→ Sinn) des intentionalen Erlebnisses bestimmt, als was der Gegenstand gemeint ist: welche Bestimmungen ihm zugesprochen werden. Der den Gegenstand bestimmende intentionale → Inhalt ist vom reellen Inhalt zu unterscheiden, der den Akt selbst bzw. das Bewußtsein als kontinuierliche Inhaltseinheit konstituiert. Unabhängig davon, ob der Sinngehalt des Aktes unverändert bleibt oder nicht, kann die Art und Weise des Ge-

Beziehung, intentionale richtetseins auf den Gegenstand variieren, indem dieser als wahrgenommen, phantasiert, erinnert, beurteilt usw. intendiert ist (vgl. Hua XIX/1, V. Unters., § 20). Jeder konkrete Akt hat irgendeinen (bestimmten) Sinngehalt (Aktmaterie) und irgendeine (bestimmte) Aktqualität. iii) Daß etwas (als so-undso-bestimmt) intendiert ist, erfordert weder, daß der betreffende Gegenstand existiert noch daß er als existierend vermeint ist (vgl. Hua XIX/1, V. Unters., §§ 9-11). Die B. zum Gegenstand kann auch lediglich mit Hilfe signitiver Intentionen hergestellt sein, ohne daß der Gegenstand selbst tatsächlich gegeben (sc. die Intention anschaulich erfüllt und der Gegenstand somit als existierend vermeint) wäre. Eine phänomenolog. Untersuchung beseitigt nicht die Differenz von „existieren“ und „mir als existierend erscheinen“, indem sie, skeptische Zurückhaltung übend, an die Stelle von ersterem letzteres setzte. (Zum Verhältnis von → Intentionalität und → Skepsis, insbes. unter der Bedingung der phänomenolog. → Reduktion vgl. Künne 1986; Mertens 1996; Rinofner-Kreidl 2000, 170-179 u. 673-676.) Sie muß freilich im Fall von Seinsurteilen ebenso mit der Möglichkeit einer Täuschung rechnen wie im Fall von Soseinsintentionen. Nur wenn vorausgesetzt wird, daß Wahrheit und Irrtum prinzipiell (wenn auch nicht in jedem Akt aktualiter) unterscheidbar sind, hat die Anerkennung der Täuschungsmöglichkeit Sinn. Wie für alle gegenstandsgerichteten Thesen (→ „Meinungen“, → „Setzungen“) gilt auch für Existenzthesen, daß jeder diesbezügliche Unterschied (z. B. die Korrektur von Täuschungen) in der Sphäre der intentionalen Erlebnisse und ihrer Inhalte ausweisbar sein muß. Auch der Bedeutungsgehalt sol-

Beziehung, intentionale cher Termini wie „existieren“ oder „wirklich sein“ kann nicht mit Hilfe von außerphänomenolog. Voraussetzungen festgelegt werden, so daß „wirklich nicht so viel besagt wie außerbewußtseiend, sondern so viel wie nicht bloß vermeintlich“ (Hua XIX/2, 775). Existiert der intendierte Gegenstand nicht, so „gibt“ es auch nicht irgendein mentales Objekt im Bewußtsein. Es gibt dann nur die auf den Gegenstand gerichtete und diesen irrtümlich als existierend vermeinende → Intention. Die intentionale B. ist nicht eine Koexistenzbeziehung zwischen einem Bewußtseinserlebnis und einem immanenten → Objekt. Demnach lautet die Kernthese von Husserls Beitrag zur Diskussion über die sog. „Paradoxie der gegenstandslosen Vorstellungen“ und das Verhältnis zwischen realem und intentionalem Gegenstand, wie sie sich im Anschluß an Twardowkis Interpretation von Brentanos Einführung des Begriffs der intentionalen Inexistenz im ersten Band seiner Psychologie vom empirischen Standpunkt entwickelt hatte (vgl. Brentano 1973, 124 f.; Twardowski 1894, 3-34 u. 63-82; Bolzano 1987, §§ 48-50 u. 67; Hua XXII; 303-338 u. 419-426; Hua XIX/1, V. Unters., 438 f.): Es gibt nicht verschiedene Arten von Gegenständen (reale und intentionale), sondern nur verschiedene Arten von intentionalen B.en zu Gegenständen (signitive und intuitive). Die mögliche Nichtexistenz des Gegenstandes veranlaßt Brentano, im Anhang zum zweiten Band der Psychologie vom empirischen Standpunkt nachdrücklich festzustellen, daß in bezug auf die intentionale B. nicht von einer „Relation“ gesprochen werden könne, welche nur zwischen existierenden Relata bestehe, sondern bloß von etwas einer Relation Ähnlichem:

86 von einem „Relativlichen“ (vgl. Brentano 1971, 133-138; Brentano 1973, XXVI-XL). Husserl kann in den Logischen Untersuchungen wie ebenso in den Ideen I darauf verzichten, einen solchen, an Aristoteles’ pros ti orientierten terminologischen Vorbehalt zu formulieren, da er den phänomenolog. Grundbegriff der Intentionalität des Bewußtseins gar nicht als ontolog. Begriff einführt. In Erfahrung und Urteil werden Vergleichungsbeziehungen als reine Ideenrelationen von Verbindungsbeziehungen als Tatsachenrelationen (Wirklichkeitsbeziehungen) unterschieden (Husserl 1985, §§ 43 u. 44). Letztere, zu denen Zeitbeziehung, UrsacheWirkungs-B. und Ganzes-Teil-B. gehören, sind nach Husserls Analyse nur möglich, wenn beide Relata als wirklich bewußt sind. Für Ideenrelationen gilt das nicht: „Ist ein Glied fiktiv, so geht die Relation nicht verloren, das reelle Glied hat dann das Beziehungsprädikat in Wahrheit, nur daß das Gegenglied den Modus fiktiven Seins (bloß phantasiemäßigen Quasi-seins) hat, womit die Relation selbst eine eigentümliche Modalisierung erfährt.“ (Husserl 1985, 216) Husserl führt seine Konzeption der intentionalen B. im Rahmen seiner Bedeutungslehre aus. Deren Grundthesen sind: 1. Bedeutungen vermitteln den Bezug auf Gegenstände. „In der Bedeutung konstituiert sich die Beziehung auf den Gegenstand.“ (Hua XIX/1, I. Unters., 59) Der allgemeine Gegebenheitsmodus gegenständlicher Referenz ist → Apperzeption: etwas als etwas erfassen. 2. In bezug auf die Bedeutung ist zu unterscheiden, ob diese in ihrer aktuellen Funktion als Aktbestandteil (Bedeutung als Medium) oder als Gegenstand einer nachträgli-

87 chen Analyse (Bedeutung als Reflexionsgegenstand) in Betracht kommt (Hua XIX/1, I. Unters., § 34). Daß die in Aktvollzügen fungierenden Bedeutungen mit Hilfe einer Rückwendung (→ „Reflexion“) auf die Akte zum Zweck einer Analyse der intentionalen B. selbst zu Gegenständen gemacht werden können, nötigt weder zu einer Hypostasierung von Bedeutungen noch zu der Behauptung, daß die Bedeutung im Aktvollzug als Gegenstand gegeben wäre und jeder Akt folglich einen doppelten Gegenstand hätte (vgl. die Einwände gegen die sog. gegenstandstheoretische Bedeutungstheorie Husserls in: Tugendhat 1976, 143-174, v. a. 155-158). Die Bedeutung als Reflexionsgegenstand ist zu unterscheiden von dem mit ihrer Hilfe intendierten Gegenstand des (ursprünglichen) Aktes. 3. Nur wenn Bedeutung und Gegenstand unterschieden werden, kann der fundamentalen Erfahrungstatsache Rechnung getragen werden, daß derselbe Gegenstand in verschiedenen Erscheinungsweisen gegeben ist und daß sich dieselbe (signitive) Intention auf verschiedene Gegenstände beziehen kann. Der intendierte Gegenstand ist „das Identische der möglichen Erscheinungen“ (Hua XXVI, 174), das Identische der Bestimmungen, nicht ein jenseits aller Erscheinungs- und Bestimmungsweisen liegendes Ding (Hua XIX/1, V. Unters., 440). In der Analyse der intentionalen B. ist die Frage nach der → Identität der Bedeutung von der Frage nach der Ausweisung der → Wahrheit zu unterscheiden (Hua XXVI, 185-188). Unter der Bedingung 1. (s. o.) gilt: Identität des gegenständlichen Bezuges setzt Identität der Bedeutung voraus (vgl. Hua XIX, I. Unters., §§ 12, 14, 30-33, II. Unters., 111 f., 117-121, V. Unters., § 21;

Beziehung, intentionale Hua XXII, 341 f., 345; Hua XXVI, 4053). Eine Ähnlichkeits- oder Gleichheitsbeziehung kann nur mittels Bezug auf eine den jeweiligen Vergleichungsgesichtspunkt vorgebende identische Species hergestellt werden. Wäre diese ihrerseits bloß gleich oder ähnlich, so enthielte jeder Vergleich einen regressus in infinitum (vgl. Hua XIX/1, II. Unters., §§ 3, 33-37 u. Anhang, 211217; Husserl 1985, 388-394). 4. Die Bedeutungsintention, nicht aber deren → Erfüllung, die aus kontingenten oder notwendigen Gründen fehlen kann, bestimmt das Wesen von Bewußtsein (Primat der Bedeutung vor der Referenz). Gegenstandslosigkeit bedingt nicht Bedeutungslosigkeit (Hua XIX/1, I. Unters., 59 f.). Über idealgesetzliche, d. i. ausschließlich in bestimmten Inhalt(sform)en gründende B. – unangesehen des Vorkommens konkreter Gegenstände, in welchen derartige Wesensbeziehungen (relations of ideas) realisiert sind – ist nach phänomenolog. Auffassung (in nicht-kantischem Sinn) a priori zu urteilen. So gehört es etwa zum Wesen der Aktqualität, Ergänzung durch irgendeine Aktmaterie zu verlangen: Zwischen diesen beiden, in der realen Akteinheit als unselbständige Inhaltsbestandteile zu unterscheidenden Momenten besteht eine idealgesetzliche B. (vgl. Hua XIX/1, V. Unters., 489 u. §§ 20, 22, 23). (II) In Husserls Phänomenologie werden verschiedene Arten intentionaler B. als verschiedene, einander in der Auffassung von Erfahrungsgegenständen ergänzende Bewußtseinsfunktionen verstanden, die z. T. auch verschiedenen Bewußtseinsschichten zugehören. Entsprechend liegen verschiedene Ausrichtungen der phänomenolog. Bewußtseinsanalyse vor (phansiolo-

Beziehung, intentionale gische Untersuchung der Konstitution der reellen Inhalte, phänomenolog. Untersuchung der → Konstitution der intentionalen Inhalte). Die Terminologie zur → Deskription der intentionalen B. entwickelt Husserl in differenzierter Weise insbes. in der V. Logischen Untersuchung. Über die Probleme der Analyse und deskriptiven → Erfassung von Aktinhalten unterschiedlicher Komplexität hinaus führt jedoch die Frage, ob Aktintentionalität der einzige → Typus intentionaler B. ist. Husserls Entdeckung verschiedener Arten der intentionalen B. erfolgt im Zusammenhang des methodischen Fortgangs von einer statischen, auf „fertige“ Gegenstände und Gegenstandsintentionen bezogenen phänomenolog. Untersuchung zu einer genetischen Phänomenologie, die sich mit jenen Prozessen befaßt, als deren Resultat jene erst verfügbar sind. Die wichtigsten diesbezüglichen Unterscheidungen sind: a) gegenständliche vs. vorgegenständliche („ursprüngliche“), b) aktive vs. passive Intentionalität, c) thematische vs. Horizontintentionalität. Grundlegend für die gegenständliche Form der Intentionalität ist die Funktion der objektivierenden Akte, d. i. jener sinngebenden Akte, deren Erfüllungssynthesen Identifizierungen sind, für die mithin eine Übereinstimmung von signitiver Intention und anschaulicher Erfüllung charakteristisch ist (vgl. Hua XIX/1, V. Unters., §§ 37-43; Hua XIX/2, 359; Hua III/1, § 117). Die Unterscheidung von aktiver und passiver Intentionalität findet sich, im Zusammenhang der Konzeption einer vorprädikativen → Erfahrung, erst in der letzten Phase von Husserls Phänomenologie (vgl. Hua I, §§ 20, 37-39; Hua IV, § 5; Husserl 1985, v. a. §§ 10, 13,

88 16-20, 23-25, 81a; Hua XVII, Beil. II, §§ 3-7; Hua XI). Unterscheidungskriterium ist die vorhandene (aktiv) oder fehlende (passiv) Ichbeteiligung. Diese Unterscheidung fällt nicht mit der Unterscheidung gegenständlicher und vorgegenständlicher Intentionalität zusammen, da zwar die Abläufe der ursprünglichen Assoziation und Zeitkonstitution („reine Hyletik“) (vgl. Hua X u. Hua XI; Hua III/1, §§ 85 u. 86) passiven Charakter haben, Funktionen der → Passivität aber auch auf der Ebene der Aktintentionalität anzutreffen sind, z. B. die horizontmäßige Typisierung und → Antizipation zukünftiger Erfahrungen oder das Noch-imGriff-Behalten (Husserl 1985, §§ 23 u. 24). Indem Husserl auch in bezug auf passive Abläufe von „Intentionalität“ und → „Synthesis“, andererseits aber in bezug auf intellektuelle Operationen ebenso von „anschauenden Akten“ spricht, weigert er sich, die herkömmliche Unterscheidung von → Spontaneität und → Rezeptivität fortzuführen: Es gibt ein Denken, das eine Art der → Anschauung ist (kategoriale Anschauung). Es gibt passive Abläufe, z. B. die ursprüngliche Zeitkonstitution (→ Zeit) – die allen → Urteilen über objektive Zeitverhältnisse, Zeitbeziehungen zugrundeliegt, selbst aber keine solchen involviert (vgl. Husserl 1985, §§ 36-42, 64, 65) –, welche einen sinnhaft strukturierten Gegenstandsbezug ermöglichen und insofern „sinnbildend“ heißen können. Auch die Unterscheidung zwischen thematischer (gegenständlicher) und Horizontintentionalität betrifft eine Wesenseigentümlichkeit des Wahrnehmungsbewußtseins eines sinnlich-leiblich verfaßten Subjekts (Husserl 1985, 87 f., 125 u. §§ 8, 9, 26, 33; Hua I, 86 u. §§ 19 u. 20; Hua VI, §§ 40 u. 47). Aussagen

89 über die Horizontstruktur des Wahrnehmungsfeldes sind Aussagen über die für alle menschliche → Wahrnehmung konstitutive Kontextualität, Kontingenz und Unvollständigkeit: über die Endlichkeit des Subjekts und seiner Welt. Die Analyse des Wahrnehmungsprozesses spielt somit eine zentrale Rolle in der Kritik des phänomenolog. → Idealismus, insbes. von Husserls These des → absoluten Seins des Bewußtseins. Nach Husserl ist es aber gerade der Horizontcharakter des Bewußtseins, der die Durchführung der phänomenolog. Reduktion ermöglicht (Hua VIII, 159-163). In Husserls Phänomenologie verbindet sich die Intentionalitätslehre mit einer nichtsubstantialistischen Bewußtseinskonzeption. Diese erhält in der frühen Phänomenologie (1900/01) eine nichtegologische, in der mittleren und späten Phänomenologie (ab 1913) eine egologische Ausführung. Gemäß der ersteren gibt es im Phänomen (dem gegenwärtigen Erlebnis) nichts, das a) als von den reellen Bewußtseinsinhalten unterscheidbares → Ich und b) als B. zwischen reeller (gegenwärtiger) Inhaltskomplexion und einem Ich beschreibbar wäre (Hua XIX/1, V. Unters., §§ 8 u. 12b). Bezugnehmend auf eine allerdings erweiterte Problemstellung – die → Einheit des Bewußtseins in der Zeit (nicht: als instantane Inhaltseinheit) – stellt Husserl dagegen in den Ideen I fest, daß es im Wesen jedes Erlebnisses liege, auf einen inhaltsleeren, reinen Ich-Pol als „Ausstrahlungspunkt“ aller zu einem Bewußtsein gehörigen cogitationes bezogen zu sein (vgl. Hua III/1, §§ 3437, 80-84; Hua IV, §§ 22-24, 54, 55, 57). Die Zuschreibung von Erlebnissen zu einem empirischen Ich gehört weder nach der Konzeption der Logi-

Beziehung, intentionale schen Untersuchungen noch nach der der Ideen I zur phänomenolog. Problemstellung. (III) Eine von der Untersuchung der rezeptiven Gegenstände der sinnlichen Wahrnehmung ausgehende Typologie verschiedener Arten von B. legt der späte Husserl im Zusammenhang seines Projektes einer Genealogie der Logik vor. Im Unterschied zu einer explizierenden Betrachtung, die den „Innenhorizont“ eines Gegenstandes analysiert, erschließt die beziehende Betrachtung dessen „Außenhorizont“. Die allgemeinen Charakteristika einer beziehenden Betrachtung sind (Husserl 1985, §§ 33-35): a) Das Vorliegen einer B. setzt voraus, daß eine Mehrheit von Gegenständen in der Einheit eines Bewußtseins gegeben ist. Das bloße Hinzufügen von Gegenständen ist nicht hinreichend für das Vorliegen einer beziehenden Betrachtung. Hiezu bedarf es einer Gewichtung der Gegenstände nach Hauptthema und → Thema. Eine solche Vergleichung – „die Intention darauf, ein Gemeinsames zu ,suchen‘ “ (Husserl 1985, 226) – liegt der Ähnlichkeits- und der Gleichheitsbeziehung zugrunde (Husserl 1985, §§ 81a u. c, 84b). b) Es ist nicht a priori festgelegt, sondern vom jeweiligen → Interesse abhängig, welcher Gegenstand bzw. welches Moment an welchem Gegenstand Hauptthema (Substratgegenstand) ist und welcher die Rolle des bezüglichen Themas (Beziehungsgegenstand) übernimmt. c) Die Beziehungsbestimmungen ergeben sich „auf dem Grunde der vorgegebenen Einheit“ (Husserl 1985, 178). Sie sind nicht dessen Explikation. Die beziehenden Bestimmungen kommen den als Substraten der B. fungierenden selbständigen Gegenständen zu, nicht dem Einheitsgrund, der die beziehen-

Bezug de Betrachtung ermöglicht. Die Hinsichten des In-B.-Setzens – die jeweils interessierenden relativen Bestimmungen (z. B. größer/kleiner als) – müssen an den Substratgegenständen in einer Synthesis der → Deckung erfaßt sein. Dabei handelt es sich um ein diskretes Deckungsbewußtsein (nicht um ein kontinuierliches, in dem die Einheit des Gegenstandes schlicht erfaßt oder expliziert wird). Die auf der Ebene der sinnlichen Anschauung unterscheidbaren Grundformen der B. sind lediglich Vorformen der sich als kategoriale Gegenständlichkeiten in der höheren Sphäre der Verstandestätigkeiten konstituierenden Relationen und Relationsformen (Husserl 1985, 173). Relationen sind Sachverhalte, deren fundamentum in re mindestens zwei selbständige Gegenstände sind, was es erlaubt, Umkehrbarkeit als zum Wesen einer B. gehörig anzusetzen (Husserl 1985, § 54). Die Relata können Gegenstände der Rezeptivität (nicht-syntaktische Relationen) oder Verstandesgegenständlichkeiten (syntaktische Relationen) sein (Husserl 1985, 298 f.). Qu.: Hua I. – Hua III/1. – Hua IV – Hua XI. – Hua X. – Hua XVII. – Hua XIX/1. – Hua XIX/2. – Hua XXII. – Hua XXVI. – Hua XXIX. – Husserl 1939 (5 1985). – Lit.: Baumgartner/Burkard/Wiedmann 1990/91. – Baumgartner 1985. – Bolzano 1987, §§ 46-90. – Brentano 1874a (ND 1973). – Brentano 1874b (ND 1971). – Drummund 1992. – Forum f. Philosophie Bad Homburg 1990. – Haaparanta 1994. – Hedwig 1978/79, 326-340. – Küng 1972/73, 670680. – Küng 1985, 31-43. – Künne 1986, 165-215. – Lohmar 1998. – Meinong 1971, 1-172. – Mertens 1996. – Mohanty 1964. – Mohanty 1971, 100-132. – Mohanty 1982. – Mulligan/Smith 1986, 115-130. – Münch 1993. – Paci 1990, 202-207. – RinofnerKreidl 2000. – Schleichert 1992, bes. 149-

90 168 u. 178-195. – Searle 1983 (1987). – Tugendhat 1976, bes. 9-11. – Twardowski 1894. SRK

Bezug. Für den frühen Heidegger stellt sich das Problem des Bezugssinnes im Horizont der Frage nach dem Zugang zur → Geschichte, d. h. nach dem B. bzw. den Bezügen zu ihr. Das theoretische Erkennen der Geschichte gibt Einstellungen vor, die sich von denen des faktischen Lebens unterscheiden. Für den ideal gedachten B. der Theorie wird Geschichte (von Heidegger später als „Historie“ bezeichnet) zu einem objektiven Geschehen, bei dem von jeder bestimmten Gegenwart abgesehen wird wie auch Vergangenheit und Zukunft ihren konkreten Gehalt einbüßen. Im anderen Fall handelt es sich um einen B., der im Vollzug „gehabt“ wird (HeiGA 59, 62). Erst durch diesen genuinen B. erhält das mit Geschichte Gemeinte seinen konkreten Sinn, wobei der B. seinerseits auf ein konkretes Dasein zurückweist. In solcher Konkretion unterscheidet sich im besonderen der Bezugssinn der christlichen Lebenserfahrung vom umweltlichen Bezugssinn. Der spätere Gebrauch des Wortes B. ist durchgehend vom Verhältnis des → Daseins zum → Sein bestimmt, wobei das Primäre das Verhältnis selbst, der B. ist. Jeder Weg des → Denkens verläuft schon innerhalb dieses Verhältnisses. Schon im denkenden Sagen von „Mensch“ ist der B. zum Sein genannt (HeiGA 8, 85). Darauf gründen auch Heideggers Auslegungen der frühen griechischen Denker (z. B. Parmenides, Fragment 3; Heraklit, Fragment 35). Sie gehen davon aus, daß „im Anfang das Bezughafte west, weder ein Ding noch ein Zustand“ (HeiGA 55,

91 133). Im Kontext von „B.“ stehen auch Worte wie Brauch, Gehören, Entsprechen (nämlich dem Zuspruch des zu Denkenden, d. h. des Seins) und ein Zeichen sein (das in den → Entzug des Seins zeigt). Allerdings ist der B. des Menschen zum Sein durch eine Gegenläufigkeit bestimmt: Das Sein wirft sich dem Menschen zu, indem in seinem „Licht“ jedes Seiende erscheint; im Sagen über das Sein wird dieses aber gerade verworfen. Beide, „Zuwurf“ wie „Verwerfung“, sind gleich wesentlich – „wir sind wie Heimatlose in der eigensten Heimat“ (HeiGA 51, 89). Qu.: HeiGA 8. – HeiGA 51. – HeiGA 55. – HeiGA 59, § 8. – HeiGA 60, § 31. HV

Bild. Phänomenolog. Bildtheorien sind weder in ihren Methoden noch in ihren Ergebnissen einheitlich. Die verbindende Gemeinsamkeit bildet das Interesse und die leitende Fragestellung: Der phänomenolog. Ansatz interessiert sich ausschließlich für sichtbare Eigenschaften des B.es; er beantwortet die Frage, was mittels welcher Bewußtseinsakte auf einem B. sichtbar ist. Aus dieser Herangehensweise ergibt sich, daß von einer phänomenolog. Bildtheorie nur dann gesprochen werden kann, wenn das B. in allen seinen Erscheinungsformen, und nicht nur der spezielle Fall des künstlerischen B.es thematisiert wird. (Wiesing 1997) Husserl entwickelt seine Bildtheorie, abgesehen von einigen kurzen Passagen in den veröffentlichten Werken (Hua III/1, § 111), in der Vorlesung Phantasie und Bildbewußtsein im Wintersemester 1904/05 (Hua XXIII). Diese Theorie baut auf dem Gedanken auf, daß mittels physischer B.er eine anschauliche Vergegenwärtigung mög-

Bild lich ist, die sich in der Gegebenheitsweise sowohl von der → Wahrnehmung dieser Sache als auch von der Einbildung dieser Sache unterscheidet. Das B. gibt eine Sache zu sehen, die materiell nicht anwesend ist: Dieses „perzeptive Fiktum“ (Hua XXIII, 79) bezeichnet Husserl als das „so und so erscheinende Bildobjekt“ (ebd., 19). Das Bildobjekt besitzt kein Sein in Raum und Zeit und ist dennoch im B. sichtbar; dieses Paradox bedarf einer phänomenolog. Erklärung, welche Husserl in seiner Theorie des Widerstreits gibt, die den systematischen Hauptteil seiner Bildtheorie bildet und heute im Vordergrund der Rezeption steht (vgl. Därmann 1995; Wiesing 1995). Auch Sartres Bildtheorie, die er in Das Imaginäre vorstellt, geht von der Frage aus, wie mittels des B.es abwesende Dinge vergegenwärtigt werden können. Doch seine Antwort unterscheidet sich deutlich von der Husserls: Im eigentlichen Sinne des Wortes sieht man für Sartre das Bildobjekt nicht, sondern man richtet sich mittels einer anderen, eigenen Bewußtseinsform auf das Bildobjekt: mittels der Imagination. Denn für das Wahrnehmen ist wesentlich, die wahrgenommene Sache als anwesend zu geben. Für eine bildlich dargestellte Sache hingegen ist charakteristisch, daß sie „anschaulich-abwesend“ (Sartre 2 1980, 57) ist, und diese Gegebenheitsweise kann nur ein Imaginationsakt erbringen. Vor diesem Hintergrund unternimmt Sartre den Versuch, an diversen Bildtypen (Fotografie, Imitation, Karikatur u. a.) darzustellen, wie die Imagination in der Lage ist, stets „eine bestimmte Materie zu beleben, um daraus die Repräsentation eines abwesenden oder nichtexistenten Objekts zu erzeugen“ (Sartre 2 1980, 107). In

Blick Was ist Literatur? leitet Sartre aus seinen phänomenolog. Analysen des B.es den Gedanken her, daß ein B. nicht notwendigerweise ein Zeichen ist: Der Maler „schafft ein imaginäres Haus auf der Leinwand und nicht ein Zeichen von einem Haus“ (Sartre 1981, 15). Diese Auffassung vom kontingenten Zeichencharakter der B.er wird gegenwärtig verwendet, um die Opposition von phänomenolog. und sprachanalytischen Bildtheorien zu markieren. Ingarden stellt seine Bildtheorie im Rahmen einer Kunsttheorie vor, die er in den Untersuchungen zur Ontologie der Kunst entwickelt. Er erweitert die Auffassung davon, welche sichtbaren Aspekte eines B.es einer phänomenolog. Analyse bedürfen, grundlegend. Zur Sichtbarkeit des Bildobjektes kommt durch Ingarden insbesondere die Sichtbarkeit der stilistischen Konstruktionsweise hinzu: „Ein und derselbe Gegenstand [...], hinsichtlich der Gestalt, der Farbe und der Beleuchtung in denselben visuellen Eigenschaften dargestellt und von derselben Seite aus gesehen, kann doch in verschieden rekonstruierten Ansichten zur Erscheinung gebracht werden.“ (Ingarden 1962, 174) Das abstrakte B. wird von Ingarden als der Versuch interpretiert, ein B. auf diesen sichtbaren Aspekt, der auch in jedem gegenständlichen B. vorhanden ist, nämlich die sichtbare Konstruktionsweise, zu reduzieren, so daß ein B. entsteht, in dem die Konstruktionsweise für das Zeigen eines Gegenstandes, der selbst nicht gezeigt wird, das einzig Sichtbare ist. (Ingarden 1969) In den Essaysammlungen Das Auge und der Geist und Die Prosa der Welt argumentiert Merleau-Ponty in unsystematischer Form für die Auffassung, daß die Phänomenologie ihre eige-

92 nen Interessen bei der Erforschung der sichtbaren Wirklichkeit im B. wiederfindet. Das B. wird so bei MerleauPonty zu einer Fortsetzung der Phänomenologie mit anderen Mitteln. (vgl. Waldenfels 1986 u. 1989; Wiesing 1999) Die systematische Bedeutung Merleau-Pontys für die phänomenolog. Bildtheorie wird in der Phänomenologie von Waldenfels entfaltet, die bei der Relation zwischen dem Sichtbarmachen in B.ern und dem Sichtbarwerden in der Anschauung ansetzt. In den Ordnungen des Sichtbaren beschreibt Waldenfels eine „Art von pikturaler Reflexion“ (Waldenfels 1994b, 238), die belegt, daß B.er „nicht nur sichtbar sind und nicht nur sichtbar machen, sondern die Sichtbarkeit als solche mit sichtbar machen“ (ebd.). Qu.: Hua III/1. – Hua XXIII, 1-108. – Sartre 1940 (1971; 2 1980). – Sartre 1948 (1981). – Ingarden 1962. – Ingarden 1969, 51-76. – Merleau-Ponty 1964 (1984, 13– 43). – Merleau-Ponty 1969 (1984). – Lit.: Därmann 1995. – Waldenfels 1986. – Waldenfels 1989. – Waldenfels 1994b. – Wiesing 1995. – Wiesing 1997. – Wiesing 2000. LW

Blick. (frz.: regard) Sartres Theorie der Fremdexistenz mündet in einer Analyse des B.s des → Anderen (regard d’autrui). Der Andere begegnet als Objekt, ausgehend davon, daß dieses dieselben Aktionen wie das Subjekt, dem es begegnet, vollzieht („das sieht, was ich sehe“; Sartre 1993, 463), definiert sich die Beziehung zum Anderen durch die Möglichkeit, gesehen zu werden. Das Subjekt, als vom Anderen gesehen, erfährt sich in Distanz zu diesem und anderseits in Gleichzeitigkeit. Dieses Gesehenwerden ist durchaus negativ besetzt: als Entfremdung meiner

93 selbst, auf die ich mit → Angst und → Scham reagiere. Ich lerne durch den B. des Anderen meine eigenen Möglichkeiten erkennen, etwa wenn er mich belauert. Jener B. ist zugleich „heimlicher Tod“ dieser Möglichkeiten, indem er dem Subjekt seine Situiertheit offenbart und ihm dadurch zeigt, daß es nicht Herr seiner Situation ist. Der ursprüngliche Sinn dieses Verhältnisses ist der Konflikt. Qu.: Sartre 1943 (1993), 457-538. – Lit.: Kampits 1975. – Kampits 2004. HV

Boden. Dieses Wort wird in Husserls Spätwerk zum Terminus. Für uns ist vor aller Theorie immer schon als → Horizont die → Lebenswelt als B. für alle → Praxis vorgegeben. Jede → Auffassung von → Welt hat darin ihren B., während die → Epoché sich dieses B.s enthebt, wodurch die Welt innerhalb ihrer zum Phänomen geworden ist. Diese vorgegebene Welt als B. aller unserer Interessen und Lebensvorhaben (von denen die theoretischen der objektiven Wissenschaften nur einen Teil ausmachen) ist das Thema der Wissenschaft von der → doxa. In der transzendentalen Untersuchung wandelt sich auch die Bedeutung von „B.“: Für die alltägliche oder wissenschaftliche Welterfahrung ist die Lebenswelt der selbstverständlich vorausgesetzte B. Indem die Epoché diesen entzieht, führt sie zur Erkenntnis, daß jene Welt ihren Seinssinn aus unserem intentionalen Leben schöpft. Nun stellt die transzendentale Subjektivität den B. her, dessen sich die Phänomenologie zu versichern hat, es ist ein B. letzter Voraussetzungen. Die Bodensgeltung der Welt wird durch den Rückgang auf die absolut fungierende Subjektivität zur Klärung gebracht.

Böse, das Heidegger gebraucht „B.“ i. S. des „phänomenalen B.s“, der für jede wissenschaftliche Philosophie, die sich von selbst versteht, bereitet werden müsse. Die Wissenschaft steht auf keinem solchen B.; ihre Bodenlosigkeit im Bezug bzw. Unbezug zur Natur ist Ergebnis einer → „ Krisis“, die ihren Grund im Beginn der Neuzeit hat. „B.“ wird synonym mit „Grund“ gebraucht, wo Heidegger die Frage nach dem Grund der → Metaphysik stellt. Die Bodenständigkeit des Menschen ist der Grund für dessen Erfahrung von Natur, Geschichte, dem Seienden im Ganzen und dessen Grund. Es ist der „B., auf dem wir leben und sterben, wenn wir uns nichts vormachen“ (HeiGA 8, 44). Qu.: Hua V, 138-162. – Hua VI. – HeiGA 8. – HeiGA 9, 365-383. – HeiGA 10. – HeiGA 34, § 30. HV

Böse, das. Heidegger behandelt die „Idee des B.n, des malum als privatio boni“, im Zuge seiner Analyse des Schuldphänomens (HeiGA 2, §§ 58 u. 59) (→ Schuld). Die Möglichkeit, das „wesenhafte Schuldigsein“ menschlichen Existierens durch eine Orientierung am B.n zu erläutern, wird jedoch ausgeschlossen, weil Gut und B. ihre Herkunft in einer „Ontologie des Vorhandenen“ haben und nicht in die ursprüngliche Dimension der → Schuld hineinreichen, die nach Heidegger darin besteht, daß „das Dasein im Grunde seines Seins schuldig ist und als geworfen verfallendes sich ihm selbst verschließt“ (ebd., 380). Daher kann das B. im Sinne moralischen Versagens keine explikatorische Kraft für das Phänomen der Schuld besitzen. Vielmehr bildet umgekehrt das „geworfene Schuldigsein“ seinerseits „die

Bürger existenziale Bedingung der Möglichkeit für das ,moralisch‘ Gute und B., das heißt für die Moralität überhaupt und deren faktisch mögliche Ausformungen“ (ebd.). Patoˇcka thematisiert das B. mehrfach im Zusammenhang seines Versuchs, den transzendental-subjektivistischen Ansatz Husserls zu überwinden und die natürliche → Welt als „Welt der menschlichen Praxis“ zu begreifen. Diese wird nicht in erster Linie durch die → Anschauung erfahren, sondern ist die „Welt von Gut und B.“, in welche die Subjektivität als konkrete menschliche → Existenz („inmitten des Dramas von Gut und B.“ (ebd., 326)) eingebunden ist. Ricœurs Symbolik des B.n unternimmt den Versuch einer philosoph. → Hermeneutik „der Symbole und Mythen des menschlichen B.n“ (Ricœur 1971, 402). Leitend ist dabei die Annahme, daß das B. nicht wörtlich beschrieben werden kann, sondern stets metaphorisch oder symbolisch ausgedrückt wird. Das B. erscheint als Krise der „Bindung des Menschen an das ihm Heilige“ (ebd., 12). Das drohende Zerreißen dieser Bindung, ausgedrückt in den Symbolen von Makel, Sünde und Schuld oder in den Mythen vom Ursprung und Ende des B.n, wird insofern zu einem „Index der Situation des Menschen im Sein, darin er sich bewegt, darin er existierend und wollend ist“ (ebd., 405). Qu.: HeiGA 2. – Patoˇcka 1991, 310-329. – Ricœur 1960b (1971). LH

Bürger. Ihr Verständnis vom B. bezieht Arendt aus zwei klassischen Quellen. Für Aristoteles hat ein B. Anteil an der Macht, der Beratung und Beschlußfassung über die öffent-

94 lichen Angelegenheiten, die das ganze Gemeinwesen betreffen. Der ethische Zusammenhalt der B. ist die Freundschaft, die egoistische Bevorzugungen zugunsten eines gemeinsamen Strebens ausschließt. Arendt knüpft an die „politische Freundschaft“ (Arendt 1967, 238) an, deren Entfaltungsort die gemeinsame Welt der Öffentlichkeit ist. B. zu sein, politisch zu leben heißt, alle öffentlichen Angelegenheiten vermittels überzeugender Worte gewaltlos zu regeln. Das „MiteinanderSprechen“ ist „das zentrale Anliegen der B.“. (ebd., 30) Kant bestimmt den Staatsbürger vom Rechtsgesetz her. Der vereinigte Wille aller B. ist die gesetzgebende Gewalt. Innerhalb einer Rechtsordnung hat jeder Staatsbürger das Anrecht auf gesetzliche → Freiheit, bürgerliche Gleichheit und Selbständigkeit. Von Rousseau und Hobbes beeinflußt, über diese jedoch hinausgehend, untersucht Kant, wie ein weltbürgerlicher Zustand unter der Herrschaft des Völkerrechts aussehen kann. Obwohl Arendts Vorlieben eher bei Aristoteles als bei Kant liegen, kann sie sich dem Gedanken nicht verschließen, daß in der Moderne die → Politik dem Druck des Weltmarktes nur gewachsen ist, wenn sie Züge des Kosmopolitischen annimmt. Die gesamte Problematik von Recht und Gesetz ausklammernd, nimmt Arendt im Zusammenhang mit ihrer Analyse des Urteilens Kants Rede von einer „erweiterten Denkungsart“ (Arendt 1985, 60) auf, die einen Unparteilichkeitsstandpunkt bezeichnet, von dem aus wir „Urteile bilden oder, wie Kant selbst sagt, über menschliche Angelegenheiten nachdenken“ (ebd., 61, Kant KdU § 40). Dieser Standpunkt ist der des „Weltbürgers“ (ebd., 62). Erweitert ist die Denkungsart des Urteilens, da

95 sie die abwesenden Aspekte einer Sache, nach denen die dóxa nicht fragt, in eine Präsenz überführt. Jeder Urteilende ist Teil einer „Weltgemeinschaft“, diese Teilhabe macht seine „weltbürgerliche Existenz“ (ebd., 100) aus. Insgesamt versteht Arendt den B. mit Aristoteles als einen Handelnden, mit Kant als einen geistig Tätigen. Dieser Parallelismus bleibt unversöhnt, gemäß der Unterscheidung zwischen → vita activa und vita contemplativa (Leben des Geistes) in Arendts Gesamtwerk. Neuere Theorien einer zwischen Staat und Gesellschaft situ-

Bürger ierten Zivilgesellschaft reagieren auf Arendts Konzept unterschiedlich. Entweder versucht man den zwiespältigen B. zum „citizen als denkenden und handelnden Menschen, als Mitglied einer Diskussions- und Urteilsgemeinschaft“ (Heuer 1992, 325) umzudeuten, oder man beläßt es bei der Vorlage und betrachtet sie als ein Modell unter anderen (Walzer 1992; Kößler/Melber 1993). Qu.: Arendt 1958 (1967). – Arendt 1982 (1985). – Lit.: Heuer 1992. – Kößler/Melber 1993. – Walzer 1992. MWS

C Chiasma, Chiasmus. Zentraler Begriff in Merleau-Pontys Spätwerk und dessen indirekter Ontologie, vor allem im posthum herausgegebenen fragmentarisch gebliebenen Werk Das Sichtbare und das Unsichtbare. Im Bereich der Anatomie das Überkreuzen der Sehnerven bezeichnend (ch. opticum), wird aber der Begriff mehr im übertragenen Sinne gemäß dem franz. Dichter Valéry verwendet, der von einem „Ch. zweier ,Schicksale‘, zweier Gesichtspunkte“ (Valéry 1991, 308) spricht. Parallelen zieht Merleau-Ponty zu Husserls Begriff des Ineinanders, eine Bezugnahme auf die rhetorische Figur des Ch.s ist jedoch bis dato nicht nachweisbar. Mit dem Ch. wird die Verschränkung zweier entgegengesetzter und aufeinander bezogener Bereiche wie das Sichtbare und das Unsichtbare oder das Empfindende und das Empfundene gedacht, ohne daß es jedoch zu einer Synthese bzw. Koinzidenz kommt. Das Ch. wird als ontolog. Begriff gefaßt. So spricht Merleau-Ponty auch vom Ch. Ich und Anderer, Ich und Welt (Merleau-Ponty 1986, 331), Ich und mein → Leib (ebd., 332) oder → Körper und Leib (ebd., 274). Zwei einander berührende Hände stellen das Paradebeispiel für die chiasmatische Struktur von Berührendem und Berührtem dar. Hinsichtlich der zweifachen Bezüglichkeit von Selbstbezug und Fremdbezug ist auch die Rede von einem „doppelten Ch.“ (ebd.). Das Ch. ist im wesentlichen durch die Momente der Reversibilität, der Reziprozität, der Zirkularität und der Überkreuzung bzw. Überschneidung, Verschränkung

oder Verflechtung charakterisiert. Was die Reversibilität betrifft, so ist diese aber eine „immer nur bevorstehende und niemals tatsächlich verwirklichte Reversibilität“ (Merleau-Ponty 1986, 193), weshalb eine vollständige Reversibilität ausgeschlossen und eine grundlegende Asymmetrie angenommen wird (vgl. Waldenfels 1995, 358 ff.). Asymmetrisch ist beispielsweise die Beziehung Ich – Anderer insofern, als sich diese einem objektiven Vergleich i. S. eines vergleichenden neutralen Dritten widersetzt. Mit dem Konzept des Ch. setzt MerleauPonty seine Kritik am cartesianischen Dualismus und klassischen Dichotomien fort. Die beiden Pole eines Gegensatzes sind keine absoluten Gegensätze, weil sie eine gemeinsame Verknüpfung aufweisen; sie fallen aber auch nicht zusammen, weil sie durch einen Hiatus getrennt sind. Denkbar wird so Einheit und Differenz in Gleichzeitigkeit. Waldenfels kritisiert mit Blick auf Levinas den Ch.-Begriff insofern, als das Moment der → Differenz bei MerleauPonty nicht radikal genug gedacht ist, d. h. die Einheit gegenüber der Differenz auch noch im Spätwerk überbetont bleibt (Waldenfels 1995, 365). Im Kiasma Museum of Contemporary Art in Helsinki findet Merleau-Pontys Ch. seinen baulichen Ausdruck durch den amerikanischen Architekten Steven Holl. Qu.: Merleau-Ponty 1964 (1986). – Valéry 1960. – Lit.: Evans/Lawlor 2000. – Herkert 1987. – Waldenfels 1995, 346-382. SS

97 Cogito. Descartes ist aus Husserls Sicht zwar zum ego c. gelangt, jedoch nur bis zur Pforte der transzendentalen Phänomenologie und nicht weiter; er hat es versäumt, auf diesem Boden die entsprechende Philosophie aufzubauen, weil er im objektivistischen Vorurteil befangen blieb (→ Mathematik und mathematische Naturwissenschaften wurden als letzter Geltungsboden vorausgesetzt). Daher wäre es ein Mißverständnis, die Phänomenologie als Cartesianismus aufzufassen; sie geht auch nicht von einem ego c. aus, aus dem die übrigen Erkenntnisse in absoluter Sicherung deduziert werden. Husserl gebraucht den Terminus C. für den Modus der → Aktualität der Bewußtseinserlebnisse („ich habe Bewußtsein von etwas, ich vollziehe einen Bewußtseinsakt“), unterschieden vom Modus der Inaktualität, dem Hof inaktueller → Erlebnisse, welche die aktuellen umgeben. Zum c. gehört der Blick auf das → „Objekt“, der aus dem → Ich hervorgeht; darin liegt ein ausgezeichneter Bezug des C. zum Ich. Die Cartesianischen Meditationen begreifen das ego c. ausdrücklich als transzendentale Subjektivität, mit ihm ist ein erster apodiktischer Seinsboden gewonnen. Die Phänomenologie ist damit vor die Aufgabe gestellt, die cogitationes als Bewußtseinsweisen eigens zu untersuchen sowie das cogitatum qua cogitatum, also die → Noesen und die ihnen korrelativen → Noemata. Auch Heideggers Interpretation zufolge geht Husserl einen entscheidenden Schritt über Descartes hinaus. Dieser betrachtet das C. hinsichtlich dessen, daß es unbezweifelbar gewiß ist, um auf diesem fundamentum absolutum die Wissenschaften aufzubauen. Husserl beläßt es nicht beim ego

Cogito c., sondern thematisiert sowohl dessen Gerichtetsein-auf als auch das, worauf es gerichtet ist, das Seiende im Wie seines Begegnens (also in Husserls Terminologie Noesis und Noema). Damit ist erstmals der Boden für ontolog. Forschung gewonnen. Heideggers Kritik setzt aber hier an, weil sich Husserl diese Möglichkeit dadurch verbaut habe, daß er unbesehen das C. übernommen und mit Descartes als certum (Gewisses) angesetzt habe. Sowohl bei Descartes als auch bei Husserl ist dieser Ansatz durch die Sorge der Gewißheit motiviert, die einer undurchschauten Bewegung des → Daseins entspringt, in der dieses vor sich selbst ausweicht. Der entscheidende Mangel wird darin gesehen, daß das Sein der → Intentionalität als Grundfeld der phänomenolog. Forschung nicht eigens befragt wird. Daß das → Bewußtsein Erkenntnis seines Objektes ist, setzt nach Sartre voraus, daß es Bewußtsein seiner selbst als das objekterkennende Bewußtsein ist. Die Frage stellt sich hier, was das Bewußtsein des Bewußtseins – also jenes vorausgesetzte Bewußtsein – eigentlich ist. Es ist nicht reflexives Bewußtsein, kein Wissen des Bewußtseins, nicht ein gedanklicher, sondern ein unmittelbarer Bezug zum Bewußtsein. Da es kein erkennendes oder urteilendes Bewußtsein, wohl aber konstitutiv für dieses und die Reflexion darauf ist, spricht Sartre vom präreflexiven C. (c. préréflexif ). In einer bereits auf Heideggers → „Inder-Welt-sein“ vorausblickenden Darstellung versteht Merleau-Ponty das wahre C. als Entdeckung seiner selbst als des → „Zur-Welt-seins“, wobei sich die Welt als befremdlich und paradox erweist. Das → Denken begegnet sich selbst durch die Welt hindurch, dieser

Cogito Weltbesitz ist aber (in dem einen präreflexiven C.) vorbewußt. Dem C., das sich in Aussagen ausspricht, steht ein schweigendes C. gegenüber, das die Welt nicht konstituiert, sondern errät: als → Feld, welches das ausdrückliche C. umgibt und das dieses sich nicht selbst gegeben hat. Dieses stillschweigende C. ist die → Existenz selbst, die jeder Philosophie vorausgeht und

98 sich nur in Grenzsituationen, in denen es bedroht ist (wie in der Todesangst), meldet. Qu.: Hua III/1, §§ 35, 37, 81. – Hua I, 4765. – Hua VI, § 17. – HeiGA 17, §§ 46-50. – HeiGA 20, §§ 10-13. – Sartre 1993, 1727. – Merleau-Ponty 1945 (1966), 421-465. – Lit.: Hartmann 1983. – Herrmann 1981. HV

D Dasein. Christian Wolff hat in seiner Ontologia (1728) für das lat. existentia den Terminus „D.“ eingeführt, ebenso gebraucht er dafür die Ausdrücke „Existenz“ und „Wirklichkeit“. Mit ihnen wird das wirkliche Vorhandensein zum Unterschied vom bloßen Gedachtsein zum Komplementärbegriff zum Terminus „Sosein“ (essentia). In diesem Begriffsfeld bewegt sich auch Husserl. So spricht er vom D. materieller Dinge, dem D. von Menschen, von D. bei Werken der Technik oder der Kunst. Im Vollzug der → Epoché wird das D. der Welt zwar nicht bezweifelt, doch ihr räumlich-zeitliches D. außer Kraft gesetzt. Dem → Eidos (der Essenz, Idee) steht die Existenz eines individuellen D.s gegenüber. Husserl spricht auch vom D. des Menschen als dessen Wirklichkeit, namentlich vom „Schicksal eines philosoph. D.s“ (Hua VI, 17). Scheler gebraucht für „D.“ auch „Realsein“ (vgl. bes. Erkenntnis und Arbeit). Dieses geht allem Denken und Wahrnehmen voraus, ist vor ihm „da“. Es wird primär als Widerstand erfahren, u. zw. als „Widerstandsein gegen die urquellende Spontaneität“ (ScheGW 8, 363), die sich in → Drang, → Trieb, → Wollen, Wünschen, Neigung usf. manifestiert. Die philosoph. → Erkenntnis, zu der „Verwunderung, Demut und geistige Liebe zum Wesenhaften“ (ebd., 362) führen, wird durch eine phänomenolog. → Reduktion des „Daseienden“ gewonnen, aus einer Haltung bewußter „Entwirklichung“ heraus. Wohl seit SS 1920 („Der Mensch kann da sein, D. haben, ohne zu existie-

ren“; HeiGA 59, 82) tritt bei Heidegger der Terminus D. an die Stelle von → „Leben“ (von ihm niemals biologisch verstanden, „Leben“ hat „von vornherein den Charakter eines Verstehens“; ebd., 166). Eine Neubestimmung des → Menschen als D. erweist sich als Desiderat, weil die bisherige ontolog. Arbeit zu kurz greift und sich damit den Zugang zu eben jenem Seienden verlegt, „aus dem und für das Philosophie ist“ (HeiGA 61, 3). Weil im D. die Tendenz liegt, sich von Nicht-D. her zu verstehen (→ „Verfallen“, früher „Ruinanz“), erwächst der Phänomenologie die ausdrücklich als → Hermeneutik bezeichnete Aufgabe, „der Selbstentfremdung, mit der das D. geschlagen ist, nachzugehen“ (HeiGA 63, 15), d. h. das Wachsein des D.s je für dieses selbst auszubilden. Dies leistet die → Analytik des D.s in Sein und Zeit mit den entsprechenden terminologischen Fixierungen. So gibt Heidegger das lat. existentia nicht wie die Tradition mit „D.“, sondern mit → „Vorhandenheit“ wieder. „D.“ bezeichnet demgegenüber das → Sein des Menschen, der sich zu diesem immer auf die eine oder andere Weise (eigentlich oder uneigentlich) verhält. „Das Sein selbst, zu dem das D. sich so oder so verhalten kann und immer irgendwie verhält, nennen wir Existenz.“ (HeiGA 2, 16) Damit sind auch existentia und → Existenz streng voneinander zu trennen. Jene betrifft „nicht daseinsmäßiges“ Seiendes, diese das → „Wesen“ (verbal verstanden) des D.s, das als eine ganz bestimmte → Auslegung des Menschen auch vom → Bewußtsein und dessen → Immanenz

Dasein zu unterscheiden ist (D. existiert „ekstatisch“). So kommt dem Terminus „D.“ eine doppelte Funktion zu: als „reiner Seinsausdruck“ (HeiGA 2, 17) zur Bezeichnung des Menschen, der im Unterschied zu allem anderen Seienden sein „Wesen“ in der Existenz hat; und als Wesensbestimmung jenes Seienden, das sein „Da“ zu sein hat, womit seine „wesenhafte Erschlossenheit“ (→ Erschlossenheit) gemeint ist (ebd., 176 f.). Interpretierend sagt Heidegger später dazu: „Das Wort ,Da‘ [...] meint eben diese Lichtung für das Sein. Das Wesen des Da-seins ist es, dieses ,Da‘ zu sein. Der Mensch übernimmt es, das Da zu sein, sofern er existiert [...]“ (HeiGA 49, 60 f.) Aufgrund seiner Erschlossenheit kommt dem D. mit Bezug auf die Seinsfrage ein dreifacher Vorrang zu: in ontischer Hinsicht, weil es sich selbst in seinem Sein in irgendeiner Weise immer schon versteht (seine ontische Auszeichnung, „daß es ontolog. ist“; HeiGA 2, 16); in ontolog. Hinsicht, weil es im existenzialen → Verstehen ausdrücklich machen kann, „was Existenz konstituiert“ (ebd., 17); ontischontolog. als „Bedingung der Möglichkeit aller Ontologien“ (ebd., 18), also auch solcher von nicht daseinsmäßigem Seienden. Die Grundverfassung des D.s ist das → In-der-Welt-sein. Die aus dessen Explikation erwachsenden Bestimmungen sind nicht kategoriale, sondern existenziale Begriffe (und als solche formal anzeigend). Die Frage der Existenz selbst ist als „ontische Angelegenheit“ allerdings nur von dieser „durch das Existieren selbst“ zu entscheiden. Im Unterschied zum „existenzialen“ Verstehen der Analytik ist das dabei führende Verständnis „existenziell“ (ebd., 17). Dieses steht unter den in der existenzialen Analy-

100 tik herausgestellten Bedingungen des D.s. Zusammengefaßt sind dies die Erschlossenheit (die mit dem „Da“ gemeint ist), die → Jemeinigkeit (D. ist sich selbst überantwortet; ebd., 56), die Konstitution des D.s als geworfener → Entwurf (ebd., §§ 31, 68a), die → Sorge als das Strukturganze des D.s (ebd., § 41), seine durch Zeitlichkeit und Geschichtlichkeit in → Tod und Schuldigsein manifeste Endlichkeit (ebd., 1. Teil, 2. Abschnitt). Während der reine Seinsausdruck „D.“ den Menschen meint, bezeichnet „D.“ als Aufgabe das Geschehen des Wachund Eigentlichwerdens. Heidegger zitiert dazu aus Pindars II. Pythischer Ode (Vers 72): genoi‘ hoios essi mathon, „möchtest du hervorkommen als der, der du bist, indem du lernst“ (HeiGA 40, 108; vgl. HeiGA 2, 194 u. ö.). „Mensch“ und „D.“ stehen hier tendenziell gegeneinander: „[...] das Dasein im Menschen richtet im Philosophieren den Angriff auf den Menschen“ (HeiGA 29/30, 31). So kann Heidegger auch vom Nicht-D. sprechen, d. h. einem „Weg-sein“, bei dem am extremen Beispiel des Wahnsinns deutlich wird, wie höchstes Bewußtsein und Ver-rücktheit auch nebeneinander bestehen können (ebd., 95). Wird die Geschichtlichkeit des D.s zwar schon in Sein und Zeit thematisiert (HeiGA 2, §§ 72-77), so gewinnt diese erst mit der ausdrücklich gewordenen Geschichte des Seins ihren Boden. D. erfährt sich geschichtlich in seiner Zugehörigkeit zu der durch die abendländische Philosophie geprägten Epoche der Seinsverlassenheit. Die Schriften nach der → Kehre denken das „Sein des Da“ (nun meist „Da-sei“ geschrieben) eigens seinsgeschichtlich. Der Ausdruck „Da“ bezeichnet zwar auch jetzt die Lichtung für das Sein,

101 doch → „Lichtung“ wird nun nicht auf „licht“, sondern auf „leicht“ bezogen: „etwas ins Freie bringen“ (Heidegger 1984, 17), „lichten, Anker freimachen, roden“ (HeiGA 15, 262). Indem das Da-sein die „Not der Seinsverlassenheit“ aussteht und sich der Entscheidung „über den Ausbleib und die Ankunft der Götter“ stellt, rückt es in die „eigentliche Geschichte“ ein: „den Kampf der Ereignung des Menschen durch das Seyn“ (HeiGA 65, 309). Weil das D. dieses in seiner geschichtlichen → Wahrheit zu bestehen hat, verschiebt sich der Akzent vom „Da“ auf das „Sein“, weshalb Heidegger auch sagt: „Die gemäße französische Übersetzung für Dasein müßte lauten: être le lá, und die sinngemäße Betonung im Deutschen statt Dasein: Da-sein.“ (Heidegger 1987, 157) „So ist das Da-sein das Zwischen zwischen den Menschen (als geschichtegründenden) und den Göttern (in ihrer Geschichte).“ (HeiGA 65, 311) Qu.: Hua III/1, §§ 3, 32. – ScheGW 8, 359378. – HeiGA 2, §§ 4-5, 9-12, 25-27, 28, 41, 44, 67-68, 74. – HeiGA 15. – HeiGA 45, §§ 1-3. – HeiGA 51, §§ 1 u. 19. – HeiGA 59, § 8. – HeiGA 65, V. – Heidegger 1984. – Binswanger AW 2. – Binswanger AW 3, 231-257, 259-263. – Lit.: Herrmann 1987. – Herrmann 1994b. HV

Daseinsanalyse. Neben zahlreichen Impulsen, die von der Phänomenologie für die Psychotherapie ausgegangen sind, sind die beiden als „D.“ bezeichneten Richtungen in ganz besonderer Weise der Phänomenologie verpflichtet. Im Versuch einer neuen Grundlegung der Psychiatrie und Psychotherapie prägt Binswanger für seine zunächst als phänomenolog. Anthropologie bezeichnete Forschung 1942 (Binswan-

Daseinsanalyse ger AW 2) in Anlehnung an Heidegger den Terminus → Dasein. Damit bezeichnet er eine bestimmte Theorie und Praxis der Psychotherapie. Von Heideggers → Analytik des Daseins unterscheidet sich die D. dadurch, daß jene in ontolog. Absicht die konstitutiven Momente des Daseins freilegt, während die D. diese Fundamentalstrukturen voraussetzt und sich als „anthropologische, d. h. auf das Wesen des Menschseins gerichtete wissenschaftliche Forschung“ (Binswanger AW 3, 231) versteht. Trotz sachlich divergierender Auffassungen bleibt Binswanger Freud (vor allem dessen Schriften zur Behandlungspraxis) verbunden. Dabei lehnt er dessen „Naturalismus“ ab, d. h. die Auflösung des Seelischen in ein Triebsystem, und macht weder Freuds Trennung in Seele und Körper mit noch die Reduktion des Ganzen auf seine Teile. Diese vorrangige Ganze ist für ihn die → Person. Binswanger erhofft dabei vor allem Klärung durch Husserls Phänomenologie, macht aber einen weiteren entscheidenden Schritt in Aneignung des Weltbegriffs (→ Welt) von Heidegger. Hier geht es ihm um eine „Phänomenologie der Liebe“, die er zunächst als Ergänzung von Sein und Zeit (mit dem Dasein als → „Sorge“) versteht, was er aber später unter dem Eindruck von Heideggers Kritik als anthropologisches Mißverständnis korrigiert. Als „Grundformen menschlichen Daseins“ behandelt er das Miteinandersein von Mir und Dir, das → Mitsein und das eigentliche Selbstsein. In Absetzung von Binswanger begründet Boss die Zürcher Schule der D., die sich weithin an der Auslegung des Menschen als Dasein i. S. Heideggers orientiert. Die Zusammenarbeit zwischen diesem und Boss findet ihren

Dauer Niederschlag in den Zollikoner Seminaren (Heidegger 1987). In Auseinandersetzung mit den für Medizin, Psychotherapie und Psychologie weithin leitenden naturwissenschaftlichen Erklärungsmustern will Boss eine daseinsgemäße Therapie und PräventivMedizin in der modernen Industriegesellschaft begründen. Die von ihm inaugurierte D. kann durch folgende Momente charakterisiert werden: 1. An die Stelle der „Psyche“ (i. S. der „Psychoanalyse“ Freuds) tritt Heideggers „Dasein“. 2. Die D. unterscheidet sich (ähnlich wie bei Binswanger) von der in Sein und Zeit praktizierten Analytik des Daseins dadurch, daß diese nach der ontolog. Grundverfassung des Menschen fragt und somit ontolog. aufzufassen ist, während die D. Seiendes, d. h. ontische Daseinsphänomene beschreibt. „Die Daseinsanalyse ist ontisch, die Daseinsanalytik ontologisch.“ (Heidegger 1987, 161) 3. Daher geht es der D. nicht darum, eine spezielle Theorie des Menschen zu entwickeln, sondern die eigene therapeutische Praxis mit Hilfe von Heideggers philosoph. Auslegung des Menschen besser verstehen zu können. Insgesamt kann festgestellt werden: An die Stelle des Körpers tritt das leibhafte Dasein, der Begriff der Psyche wird in den des → In-der-Welt-seins übergeführt, dem Bewußtsein geht die Offenständigkeit menschlichen Existierens voraus, Freuds Unbewußtes erscheint im Licht eines Denkens der → Verborgenheit, die Einfühlungstheorie wird durch die Einsicht in die → Gleichursprünglichkeit von Dasein und Mitsein ersetzt. Die Art, wie das Dasein in der Auseinandersetzung mit den Phänomenen auf die eine oder andere Weise versagt, ist Gegenstand der therapeutischen Praxis (wobei der Psychoso-

102 matik und der Neurosenlehre besondere Bedeutung zukommt). Ähnlich wie bei Freud, für den der → Traum die via regia zur Erkundung des Seelenlebens ist, freilich aufgrund der hermeneutischen Vorgaben wesentlich modifiziert, spielt auch in der D. die Traumdeutung eine führende Rolle. Qu.: Binswanger AW 2. – Boss 1975. – Heidegger 1987. – Lit.: Blankenburg 1977. – Condrau 1989. – Condrau 1992. – Herzog 1994. HV

Dauer. Es liegt für Husserl im Vollzug der → Evidenz, daß jedes wirkliche → Erlebnis auch ein dauerndes ist und durch seine D. einem unendlichen Erlebnisstrom angehört. Zur Evidenz der inneren → Wahrnehmung gehört demnach auch das Evidenzbewußtsein der D. Ein innerer Charakter dieses → Bewußtseins liegt in der Kontinuität der → Identität (Husserl veranschaulicht dies häufig am Beispiel eines Tones). Im Fall veränderungsloser D. bleibt das Einheitsbewußtsein in seinem Fortschreiten immerfort homogen. Im zeitkonstituierenden → Fluß gibt es keine D., weil diese die Form eines Etwas ist. Qu.: Hua III/1, § 81. – Hua X, 36 u. Beilage VI. HV

Deckung. Mit dem Begriff D. bezeichnet Husserl im Umkreis der Logischen Untersuchungen die in statischer wie auch dynamischer Perspektive analysierbare entscheidende phänomenolog. → Korrelation (vgl. Mertens 1996, 182 ff.) von → Bedeutung bzw. signitiver Intention und → Anschauung bzw. intuitiver → Erfüllung (vgl. Hua XIX/2, 566 f.). Da durch das „Übergangserlebnis“ (ebd., 582) der sog. Deckungssynthesis die bloße Bedeutungsintention allererst eine deskriptiv

103 aufweisbare „Beziehung auf den intuitiven Gegenstand“ (ebd., 625) gewinnt, generiert sich → Erkenntnis im Deckungsprozeß als die „Erfüllungseinheit“ oder „Deckungseinheit“ selbst (vgl. ebd., 556, 571), wobei → Evidenz entsprechend der teleologisch gerichteten Gradualität der Erfüllung als „Akt jener vollkommensten Deckungssynthesis“ (ebd., 651) oder auch als „totale D.“ (ebd., 653) zu verstehen ist. Daß das „Deckungsbewußtsein“ (Hua XVI, 86) des weiteren i. S. der sinnlichen Einheitsbildung (vgl. z. B. ebd., §§ 26, 30, 52) sowohl als diskretes und wiederweckbares aber auch als kontinuierliches → Bewußtsein oder Phänomen auftritt und damit im Blick auf eine „partielle D.“ (Hua XIX/2, 590) den logisch-kategorialen Prozeß der Evidentmachung selbst vorantreibt, verweist bereits auf die genetische Struktur des Bewußtseinslebens, die eigens zu analysieren bleibt. In der „genetischen Phänomenologie“ thematisiert Husserl dann auch die in der Fundierungsabfolge letztlich triebintentional motivierte D. oder auch „Ähnlichkeitsverschmelzung“ (vgl. Hua XI, 131 f., 398 ff.; Husserl 1938, 387) weiterführend als eine Grundform der → passiven Synthesis (vgl. Holenstein 1972, 115 ff.), die eine entscheidende Rolle im „vorprädikativen Erkenntniserwerb“ insgesamt (vgl. Lohmar 1998, 244 ff.) besitzt. Die „D. nach Gemeinsamkeiten“ (Hua XI, 196) fungiert in diesem Zusammenhang als eine „synthetische Verschmelzung dessen, was passiv-genetisch als diskrete Einheitsassoziation hervorgebracht wurde“ (Kühn 1998, 243) und als „passive Sachlage“ der Explikation und Inbeziehungsetzung des Substratgegenstandes selbst grundsätzlich vorausgeht: Die urteilende Erkennt-

Demokratie nis ruht damit also auf einem vorgebenden Deckungsbewußtsein, das sich rein passiv herstellt, in der Identitätsdeckung des Substrates selbst terminiert und aktiv schließlich zum → „Sachverhalt“ wird, dessen → Identität sich in einzelnen Explikationsschritten nicht nur geltungsmodal durchhält, sondern in der „explikativen D.“ (vgl. z. B. Husserl 6 1985, 128 ff., 135, 164, 226; vgl. dazu Belussi 1990, 329) thematisch entfaltbar (vgl. Kühn 1998, 177-211; Bégout 2000, 117 ff.) und weiterhin prädikativ bestimmbar ist (vgl. Husserl 1939). Qu.: Hua XI. – Hua XVI. – Hua XIX/2. – Husserl 1939 (6 1985). – Lit.: Bégout 2000. – Belussi 1990. – Holenstein 1972. – Kühn 1998a. – Lohmar 1998. – Mertens 1996. MST

Demokratie. Im Spiegel-Interview von 1966 weist Heidegger Nachfragen nach den politischen Implikationen seines Denkens mit dem Hinweis ab, die Philosophie sei nicht imstande, „praktische Anweisungen“ zu geben und müsse sich eine „für den Tag geforderte Beantwortung praktischenweltanschaulicher Fragen“ versagen. Auch dem von ihm selbst aufgeworfenen Problem, welches politische System am ehesten in der Lage sei, den Herausforderungen des „technischen Zeitalters“ und der „Einrichtung in das Planetarische“ (HeiGA 6.2, 13) gerecht zu werden, entzieht er sich zunächst mit dem Eingeständnis: „Auf diese Frage weiß ich keine Antwort.“ Im unmittelbaren Anschluß läßt er dann den „erschreckenden“ (Pöggeler) Nachsatz folgen: „Ich bin nicht überzeugt, daß es die D. ist.“ (HeiGA 16, 668) Begründet wird dies im weiteren damit, daß die D. eine „Halbheit“ sei und keine wirkliche Auseinander-

Demokratie setzung mit dem technischen Zeitalter darstelle, weil sie von der Überzeugung ausgeht, daß der Mensch die Technik beherrschen und bewältigen könne. Auch in Heideggers Schriften finden sich Bemerkungen, mit denen in oft allgemeiner und tendenziell pejorativer Weise („Demokratismus“; „Amerikanismus“ als „die eigentlich gefährliche Gestalt der Maßlosigkeit, weil er in der Form der demokratischen Bürgerlichkeit und gemixt mit Christentum auftritt“ (HeiGA 53, 86)) die D. kritisiert wird. In der Sekundärliteratur wurden solche Äußerungen vor allem im Zusammenhang mit der Debatte um Heideggers Verstrickung in den Nationalsozialismus und seiner halbherzigen Distanzierung in der Nachkriegszeit aufgegriffen, ohne die Biographie immer ausreichend von seiner philosoph. Argumentation zu trennen. Versuche einer werkimmanenten Charakterisierung zeichnen ein stärker differenziertes Bild, das aber gleichwohl starke Vorbehalte gegenüber der D. aufscheinen läßt. Dabei werden zwei divergierende Tendenzen im Werk Heideggers deutlich, die in Analogie zur Stellungnahme im Spiegel-Interview gesehen werden können: Zum einen figuriert D. als eine der neuzeitlichen „Weltanschauungen“, deren wesentliche „Gleichförmigkeit“ und „Gleichgültigkeit“ (HeiGA 6.2, 228) in der Seinsvergessenheit besteht, in der Hypostasierung des Menschen zum Subjekt, das sich die Welt als „Bild“, als totales und umfassendes „Gebild des vorstellenden Herstellens“ erobert und so das Gegenständliche in den menschlichen „Bescheid- und Verfügungsbereich“ stellt. In dieser Perspektive unterscheidet sich die D. aber kaum von anderen Konzeptionen, weil sie alle,

104 „einerlei ob Christentum, Liberalismus oder Sozialismus, ob Nationalsozialismus oder Kommunismus“, für Heidegger „unausweichlich im Banne des Geschicks der äußersten Seinsverlorenheit, der äußersten Dürftigkeit, der äußersten Heimatlosigkeit“ (Schwan 1965) stehen. Über diese wegen ihrer Unterschiedslosigkeit apolitisch bleibende Verurteilung neuzeitlicher Tendenzen hinaus sind es dann jedoch andererseits immer wieder bestimmte Strömungen, vor allem die westliche liberale D. und die moderne christliche Weltanschauung, die ins Zentrum der Kritik rücken, weil sie im Gegensatz zu den bewußt und gewollt totalitären, die den „Willen zur Macht“ als „Grund und Maß aller Wertsetzung ausdrücklich begriffen und eigens übernommen“ (HeiGA 6.2, 253) haben und so dem eigentlich „bejahenden Charakter des europäischen Nihilismus“ entsprechen, sich noch immer der trügerischen Hoffnung hingeben, an den überlieferten humanistischen Vorstellungen festhalten und das „Neue mit den Mitteln bisheriger Denk- und Erfahrungsweisen [...] verrechnen“ (ebd., 250) zu können. Diese „unbedingte Anthropomorphie“ (ebd., 13) verzögert und verschleiert jedoch nach Heidegger nur die „weltgeschichtliche“ Gesetzlichkeit der Heraufkunft des Nihilismus, ohne sie zu verhindern. Ähnlich wie bei Heidegger, doch unter umgekehrten Vorzeichen läßt sich auch Patoˇckas Position zur D. schwer von seiner Biographie trennen. Mit seinem Einsatz für die Menschenrechtsbewegung Charta 77 und seinem dramatischen Tod infolge eines Polizeiverhörs wurde er zu einer Symbolfigur für den Widerstand gegen den Kommunismus und zu einem Vorläufer der de-

105 mokratischen Erneuerung der Staaten Ost- und Mitteleuropas im Jahre 1989. Politische Prozesse werden bei Pato cˇ ka immer im Zusammenhang existentieller Entscheidungen gesehen, und die einzige relevante Leitlinie der → Politik ist für ihn die Idee der menschlichen Freiheit, die sich in unterschiedlichen historischen Situationen je anders verwirklicht, aber im Prinzip „immer die gleiche“ (Patoˇcka 1988, 379 ff.) bleibt. Deshalb tragen auch „alle Ideen des Sozialismus, des Fortschritts, des demokratischen Spielraums [...] ihren vollen Sinn nicht in sich selbst, sondern nur da, wo sie diesem Gipfel [existentieller Erschütterung] entspringen und zu ihm wieder zurückführen“ (ebd., 157 f.). Qu.: HeiGA 5. – HeiGA 6.1. – HeiGA 6.2. – HeiGA 16, 652-683. – HeiGA 40. – HeiGA 53. – Patoˇcka 1988. – Lit.: Pöggeler 1972. – Pöggeler 1999. – Schwan 1965 (2 1989). LH

Denken. Der Begriff „D.“ gehört nicht zu den phänomenolog. Grundbegriffen, gleichwohl spielt er naturgemäß eine wichtige Rolle. So ist für Husserl „D.“ – anders als → „Bewußtsein“ oder → „Cogito“ – kein Titel für zentrale Probleme, doch gibt es eine Reihe näherer Bestimmungen. Die Logischen Untersuchungen befassen sich näher mit dem symbolischen D., auch anschauungsloses D. genannt, weil bei diesem die Veranschaulichung – im Gegensatz zur Unmittelbarkeit der Schau reiner → Wesen – keine Rolle spielt. Eine ausführlichere Bestimmung des D.s findet sich in der Formalen und transzendentalen Logik. Der erste und weiteste Begriff von D. umspannt alle seelischen → Erlebnisse, in denen das → Meinen besteht, d. h. die Intentionen der → Rede, die dem

Denken Gemeinten → Sinn verleihen. D. ist in dieser Bedeutung sinnkonstituierendes Erlebnis. Innerhalb dieses umfassenden Rahmens scheidet sich das spezifisch Logische ab. Darunter versteht Husserl die wissenschaftliche → Vernunft, deren Vollzug in theoretischen → Urteilen liegt. Deren Zusammenhang wird durch die → Einheit des theoretischen → Interesses begründet, woraus sich ein thematisches → Feld bildet, das sich offen endlos fortsetzt. Diese Wissenschaftsidee ist insofern doppelseitig, als zum theoretischen Interesse (z. B. beim Geometer die Erforschung geometrischer Gestalten) die subjektive Thematik hinzukommt, d. h. die Aufgabe, die jeweilige Theorie thematisch zu erfassen (z. B. die Erforschung des geometrischen D.s selbst). Die traditionelle Logik ist lange Zeit primär nur an den Formen des wissenschaftlichen D.s interessiert (Begriff, Urteil, Schluß, Beweis, Theoriebildung), erst die ausdrückliche Ausrichtung auf die Subjektivität des → Wissens führt in der Neuzeit zu jener Wendung, die den Weg zu Husserls eigener Grundlegung der Logik als einer → transzendentalen Phänomenologie der → Vernunft freilegt. Wie Husserl in der Krisis zeigt, geht die exemplarische Bedeutung des mathematischen D.s in der Neuzeit mit einer alle Naturwissenschaften ergreifenden Technisierung zusammen, wodurch das erfahrende D. zu einem D. mit symbolischen Begriffen verwandelt und entleert wird (zum symbolischen D. vgl. schon Hua XIX/1, § 20, „Das anschauungslose D. und die ,stellvertretende Funktion‘ der Zeichen“). Die mathematisch erfaßbare Welt erscheint als die einzig wirkliche, wogegen sie in Wahrheit ihr Fundament in der wahrnehmungsmäßig erfahrenen alltäglichen → Lebens-

Denken welt hat. Deren Thematisierung führt schließlich zur Analyse des transzendentalen → Ego als des letzten sinnstiftenden Grundes. Scheler schließt sich der üblichen Auffassung an, das eigentliche D. liege im Bereich der Urteils- und Schlußsphäre, in der „Denksphäre“ gegenüber der „Wahrnehmungssphäre“ (ScheGW 3, 218). Kritisiert wird die Einseitigkeit des herkömmlichen Rationalismus, die Gesetze des D.s zwar zu erforschen (bzw. die Denkakte, in denen Gegenstände begriffen werden), nicht aber den übrigen Teil des Geistes, die → Emotionen, und diese den Psychologen zu überlassen. Obzwar dieser Gedanke schon in der Wertethik breit ausgeführt wird, stellt sich doch in Schelers später Metaphysik immer dringlicher die Aufgabe, die Engführung in der Bestimmung des D.s in die „Ganzheitsstruktur des Menschseins“ (ScheGW 12, 227) zu integrieren. Das D. selbst wird als „Abspaltung aus dem ,intellectus archetypus‘ “ begriffen, Scheler macht sich seine Unterscheidung von fünf Stufen des Lebendigen zunutze, wonach das D. (i. S. Denksphäre des Urteilens und Schließens) zur praktischen Intelligenz gehört, die es mit den → Tieren teilt. Darüber hinaus ist aber der Mensch durch den → Geist konstituiert und solcherart Mitbildner des im Weltprozeß werdenden → Gottes. Im Rahmen seiner Phänomenologie versteht Heidegger das D. als „Sichsagenlassen dessen [...], was sich zeigt, und demgemäß ein Entsprechen (Sagen) gegenüber dem, was sich zeigt“ (HeiGA 9, 75). Zu einem eigenen Thema wird das D. bei Heidegger – sieht man von verstreuten Hinweisen sowie kürzeren Ausführungen in HeiGA 59 („Urdenken“) und HeiGA 21 ab) – allerdings erst nach der → Kehre. Dabei

106 wird das D. aus seinem Bezug zum → Sein – dieser ist seit Parmenides (Fragment 3) ein zentrales Thema der Philosophie – bestimmt, u. zw. als Vollbringer dieses → Bezugs. Nach zwei Seiten wird es näherhin bestimmt: in Richtung auf die → Wissenschaften und hinsichtlich der → Dichtung. Jenen weist Heidegger das rechnende D. zu, das auf Herrschaft und Bestellung aus ist (nach dem Vorgang des Descartes, für den nur dasjenige möglicher Gegenstand des D.s sein kann, auf Grund dessen klare und distinkte Urteile möglich werden; die erste ausführliche Descartes-Kritik Heideggers unter Einbeziehung der Phänomenologie Husserls findet sich HeiGA 17). Von diesem unterscheidet Heidegger das wesentliche D., das vom Anderen des Seienden, dem Sein, seine Bestimmung empfängt (HeiGA 9, 309); es ist das „besinnliche Nachdenken“ (HeiGA 16, 520), das von der „Gelassenheit zu den Dingen“ und der „Offenheit für das Geheimnis“ getragen wird. Die Vorlesung Was heißt Denken? ist von der Erfahrung geleitet, es sei „das Bedenklichste in unserer bedenklichen Zeit [...], daß wir noch nicht denken“ (HeiGA 8, 6) – eine Erfahrung, die Heidegger in Auseinandersetzung mit Nietzsches Diagnose des Nihilismus (vgl. HeiGA 6.1) und mit dem → Anfang der abendländischen Philosophie bei Parmenides entfaltet. Die Thematisierung des D.s erfolgt bei Merleau-Ponty einerseits in engstem Zusammenhang mit der → Sprache, anderseits in Distanzierung des objektiven D.s der Wissenschaften. Das D. kann niemals außerhalb der Sprache existieren. Es wird durch das innere und äußere Wort (parole) gegeben und durch den → Ausdruck zu eigen gemacht. Die Möglichkeit der Täuschung

107 bezüglich eines allem Ausdruck vorangehenden, für sich existenten D.s beruht auf dem Vorhandensein bereits ausgedrückter (und dadurch als fertig erscheinender) Gedanken, wogegen das D. vielmehr seinen Ort innerhalb der Phänomene des Ausdrucks hat. Das objektive D. – das des Verstandes wie das der Wissenschaften – gründet in einer mehrfachen Abstraktion: vom → Leib, von der → Zeit und von der Welt. Die reflexive Analyse des objektiven D.s bringt das Verhältnis des → Subjekts zur Welt zum Verschwinden (ein paralleler Vorgang zeigt sich an pathologischen Veränderungen des Subjekts in der Schizophrenie). Doch die Ausdruckserlebnisse gehen vielmehr den bedeutungsgebenden Akten des theoretischen D.s voraus. Das Absehen des objektiven D.s vom Erfahrungssystem, in welchem Leib und Welt miteinander kommunizieren, macht auch die → Koexistenz anderer Subjekte zu einem unlösbaren Problem. Arendt hat den ersten Band ihres Werks Vom Leben des Geistes Vom Denken betitelt. Sie teilt mit der Phänomenologie (mit einigen wenigen und auch kritischen Hinweisen auf Heidegger und Merleau-Ponty) die Kritik an den Schwierigkeiten des D.s, die dem Rückzug von der Welt geschuldet sind, u. zw. der Radikalität dieses Vorganges. Denn der Rückzug von der sinnlichen Gegenwart der Welt – also nicht von der Welt überhaupt – ist Voraussetzung dafür, daß sich der → Geist etwas vergegenwärtigen kann, was den Sinnen nicht gegenwärtig ist. Der „Sinnesgegenstand“ erfährt dabei eine zweifache Umwandlung (Arendt folgt hier Augustinus): zum „Erinnerungsbild“ (eine Leistung der Einbildungskraft) und von diesem zum „Gedankending“ (worin die ei-

Desinteresse gentliche Leistung des Geistes liegt). Nun ist dieser Rückgang des Geistes zwar eine notwendige Voraussetzung für die Entfaltung seiner Aktivitäten, doch stellt sich die Frage nach dem „Ort“ eines solchen Rückganges: Er findet sich nicht in der Innerlichkeit des D.s, sondern in der Sprache. Das D. „bedarf der Sprache nicht nur, um hörbar in Erscheinung zu treten; es bedarf ihrer, um überhaupt in Gang zu kommen“ (Arendt 1979a, 126). Die Frage nach dem „Ort“ des D.s relativiert sich allerdings mit Blick auf diese einseitig räumliche Orientierung: Die Diskursivität des D.s führt zur Frage nach dessen Stelle in der Zeit. Diese liegt in der Lücke zwischen Vergangenheit und Zukunft, wenn die Distanz zu beiden groß genug ist, um deren Sinn zu finden. Darin erweist sich das D. – bei aller prinzipiellen Verschiedenheit vom → Handeln – auf die Frage moralischer Praxis und auf das Gewissen hin orientiert. Qu.: Hua XIX/1, I. Untersuchung, § 20. – Hua XVII, §§ 3-4 u. 9. – ScheGW 10 (Ordo Amoris). – HeiGA 8. – HeiGA 9, 303-312. – HeiGA 16, Nr. 224. – MerleauPonty 1945 (1966) I. Teil, §§ 30-33; II. Teil §§ 6-12. – Arendt 1978a (1979a) (vor allem Kap. II 9, II 11, II 12, IV 19, IV 20). HV

Desinteresse. (frz.: désintéressement) Das Wesen des → Seins (essence) als nomen actionis vom Verb esse wird nach Levinas als Interesse charakterisiert. Das Wesentliche am Sein liegt in der Bemühung um dieses Sein selbst. „Esse ist Interesse. Sein (essence) ist Interessiertsein (intéressement)“ (Levinas 1992, 26). Im Anschluß an Spinoza wird dieses Interesse auch conatus (essendi) genannt. Die ethische Subjektivität jenseits des Seins durchbricht hingegen das Interessiertsein; sie

108

Deskription löst sich vom Sein als D. Das D. soll daher etymologisch verstanden werden („Sich-vom-Sein-Lösen“); sie besagt das Gegenteil der Gleichgültigkeit, geht aber auch über die ethische Qualität der Uneigennützigkeit und Selbstlosigkeit hinaus. D. bezeichnet das Anders-als-Sein der Verantwortung bis hin zur Stellvertretung. Qu.: Levinas 1974 (1992, 23-62).

BK

Deskription ist der gemeinsame methodische Grundzug aller Spielarten der Phänomenologie. Die heute übliche Bezeichnung einer sich von theoretischen Vorannahmen frei haltenden und auf Erklärungen verzichtenden, bloß beschreibenden Vorgehensweise als „phänomenolog.“ hat aber nur wenig mit den deskriptiven Verfahren in der Phänomenologie zu tun. Husserl, der für die Ausbildung seiner deskriptiven Methodik wesentliche Anregungen durch Brentanos Wiederentdeckung der → Intentionalität und dessen deskriptive Psychologie („Psychognosie“) sowie durch Diltheys Entwurf einer „beschreibenden und zergliedernden Psychologie“ erhalten hatte, faßte seine phänomenolog. Vorgehensweise in der ersten Auflage der Logischen Untersuchungen noch als deskriptive Psychologie auf. Obwohl er diese Bezeichnung wenig später zurücknahm (vgl. Hua XIX/1, 23 f.), hat er seine transzendentale Phänomenologie immer als eine → Wissenschaft verstanden, die sich wesentlich in D.en bzw. deskriptiven Analysen realisiert und in welcher Deduktion und Konstruktion nur untergeordnete Rollen spielen. Da „neben der phänomenolog. Reduktion die eidetische Intuition die Grundform aller besonderen transzen-

dentalen Methoden ist“ (Hua I, 106), ist insbesondere die phänomenolog. D. als dasjenige methodische Verfahren, durch welches die transzendentale Phänomenologie als Wissenschaft manifest wird, von diesen beiden Grundformen bestimmt. 1. In der → Einstellung der → phänomenolog. Reduktion beschreiben, heißt: in einer bestimmten, durch prinzipielle Einsichten in die Intentionalität des → Bewußtseins ermöglichten Reflexionseinstellung beschreiben. Im Unterschied zur natürlichen D. in Geradehin-Einstellung (intentio recta), in der ich auf mir erscheinende Gegenständlichkeiten in der → Welt gerichtet bin und sie in ihrem objektiven So-Sein vorwissenschaftlich oder wissenschaftlich zu bestimmen suche, bin ich, wenn ich phänomenolog. beschreibe, reflexiv (in intentio obliqua) auf das mir erscheinende Gegenständliche als solches gerichtet, d. h. ich thematisiere es in seinem mir-Erscheinen, mit dem Ziel, es genau so zu beschreiben, wie es mir im jeweiligen intentionalen → Erlebnis bewußtseinsmäßig gegeben ist. Das „als solches“ gibt hier nicht nur die Hinsicht der D. an, sondern drückt zugleich die ideale Forderung einer adäquaten und „voll konkreten“ D. aus, in der „die reine und sozusagen noch stumme Erfahrung [...] zur reinen Aussprache ihres eigenen Sinnes“ gebracht wird (Hua I, 77). Indem ich das Erscheinende ausschließlich im Wie seines Erscheinens oder Gegebenseins beschreibe (z. B. den Verlauf der perspektivischen Gestaltabschattungen, in denen sich mir die Gestalt eines Hauses darstellt, wenn ich um es herumgehe) und dabei für nichts anderes interessiert bin und nichts anderes als seiend setze als das reflexiv thematisch intentionale Er-

109 lebnis und das, was von ihm nicht abtrennbar ist (wie das vermeinende → Ich als solches und das von ihm vermeinte Gegenständliche als solches), enthalte ich mich als beschreibend Reflektierender der im reflektierten Erlebnis liegenden und zu seinem deskriptiven Bestand gehörigen Seinssetzung (z. B. derjenigen Seinssetzung, die in der Wahrnehmung eines Hauses liegt). Durch diese → „Epoché“, die mir beim Beschreiben jede Bezugnahme auf die extraintentionale transzendente → Wirklichkeit versagt und damit alle kausalen Erklärungen des im Erlebnis Gegebenen unterbindet, fällt aber das als seiend Gesetzte und sein → Sein nicht aus dem thematische → Feld hinaus, sondern wird gerade als Setzungskorrelat (als Gesetztes als solches) (→ Setzung) in das thematische intentionale Gefüge hineingeklammert und so Thema von „noematischen“ D.en. Durch diese „Einklammerung“ der Existenz des vermeinten transzendenten → Gegenstandes bzw. des Bestehens des vermeinten transzendenten Sachverhalts wird das zuvor schlechthin als seiend bzw. bestehend Gesetzte zum „Phänomen“ i. S. der Husserlschen Phänomenologie reduziert. Eine D., die eine solche durch phänomenolog. Reduktion von aller geradehin gesetzten und in → Geltung gehaltenen → Transzendenz gereinigte Thematik hat und in der keine direkten → Urteile über Transzendentes vorkommen (weder wissenschaftliche noch vorwissenschaftliche), heißt daher auch eine „rein immanente D.“ (Hua VII, 109). Einer solchen D. können alle Typen von intentionalen Erlebnissen unterworfen werden (z. B. Erinnerung, Erfahrung der Anderen oder auch die in aller Erfahrung implizierte Erfahrung von Welt). Aus der sich

Deskription differenzierenden Einsicht in die intentionale Struktur des Bewußtseins ergeben sich gewisse Grundrichtungen für phänomenolog. Analysen und D.en: so z. B. aus der Unterscheidung von → Noesis und → Noema die noetische und die noematische Deskriptionsrichtung. Ferner die sich um das → Ich als → Pol von Akten und Habitualitäten gruppierenden D.en. Die Einsicht in die „Horizontstruktur aller Intentionalität“ bestimmt die Eigenart der intentionalen → Analyse als „Enthüllung der in den Bewusstseinsaktualitäten implizierten Potentialitäten“ (Hua I, 83) und „schreibt der phänomenolog. Analyse und D. eine total neuartige Methodik vor“ (ebd., 86). Aufgrund der Einsicht in die immanente Geschichtlichkeit des Bewußtseins werden die D.en der „statischen“ Phänomenologie ergänzt durch die „genetischen“ D.en, in denen z. B. das gesetzliche Geschehen assoziatver Sinnbildung oder die Prozesse der → Urstiftung und → Sedimentierung von → Sinn eidetisch rekonstruiert werden. Mit der deskriptiven Thematisierung des Horizontbewußtseins von Welt und derjenigen → Leistungen, in denen sich der in allem intentionalen Bewußtsein implizierte Sinn „vorgegebene seiende Welt“ bildet, wird die phänomenolog. D. zur spezifisch transzendentalphänomenolog. D. 2. Neben der phänomenolog. Reduktion bestimmt die eidetische Intuition wesentlich den Charakter phänomenolog. D.en. Denn diese sind in aller Regel nicht oder immer bloß vorläufig D.en von Einzelnem in Form von singulären → Aussagen, die Gültigkeit nur für den jeweiligen individuellen Einzelfall beanspruchen; phänomenolog. D. vollendet sich vielmehr als eidetische D. in Wesensaussagen, die

Deskription gewöhnlich die Form universeller Aussagen über pure Erdenklichkeiten (reine Möglichkeiten) haben (z. B. ,für alle erdenklichen intentionalen Erlebnisse gilt: sie haben als unselbständige Teile Akt-Qualität und Akt-Materie‘) oder die logisch äquivalente Form von singulären Aussagen über Spezies oder Wesen haben (z. B. ,das intentionale Erlebnis hat Akt-Qualität und AktMaterie‘). Eidetische oder apriorische D.en bestehen im einfachsten Fall aus einer einzigen eidetischen Aussage, können aber auch aus beliebig vielen thematisch zusammengehörigen eidetischen Aussagen bestehen. – Zwar ist die Idee der D. an die Idee von anschaulich vorliegenden Einzelheiten gebunden, denn „D. weist auf Intuition zurück“ (Hua IX, 65), aber im Unterschied zu gewöhnlichen D.en ist in eidetisch beschreibenden Aussagen auch dort, wo sie mit Blick auf anschaulich Gegebenes gemacht werden (und als anschaulich fundierte selbst intuitiven Charakter haben), dieses anschauliche Einzelne nicht selbst das Gemeinte. Das Gemeinte ist vielmehr der prädikativ gesetzte eidetisch-allgemeine Sachverhalt (Wesensverhalt); das anschauliche Einzelne, das wahrnehmungsmäßig selbstgegeben ist oder phantasiebzw. erinnerungsmäßig „vorschwebt“, ist lediglich mitbewußt in der Form des Exempels; es fungiert als exemplarische, veranschaulichende Einzelheit für den ausgesagten eidetischen Sachverhalt bzw. für die in ihm gesetzten Wesen (vgl. Hua XIX/1, §§ 41 u. 52). Wie der Botaniker, der mit Blick auf eine bestimmte Pflanze eine neu entdeckte Pflanzenspezies beschreibt, in seinen D.en nicht jene individuelle Pflanze selbst, sondern die durch sie exemplifizierte Pflanzenspezies meint, so meint auch der Phäno-

110 menologe, wenn er in eidetischer Einstellung z. B. intentionale Erlebnisse beschreibt, nicht das ihm jeweils als Exempel vorschwebende individuelle Erlebnis selbst, sondern einen speziellen Erlebnis-Typus (→ Typus) oder den allgemeinen Gattungstypus ,intentionales Erlebnis überhaupt‘. Aber im Unterschied zum Botaniker, der Aussagen über natürliche Arten auf der Erde macht, sind seine Aussagen über Erlebnistypen keine empirischen Aussagen; eine eidetische D. (Wesensdeskription) nimmt keinerlei empirische Setzungen in ihren Sinngehalt auf, wenn sie mit Blick auf empirische → Gegebenheiten „ihren eidetischen Typen und den dazugehörigen Wesenszusammenhängen (als Wesensnotwendigkeiten, Wesensmöglichkeiten, Wesensgesetzlichkeiten)“ nachgeht (Hua VII, 232). Die eidetisch beschriebenen Typen sind also keine menschlichen Erlebnistypen, „denn ,reine‘ D., d. h. Wesenserschauung und deskriptive Fixierung des Erschauten in reinen Begriffen ist keine empirische D.; sie schließt vielmehr alle empirischen → Apperzeptionen und Setzungen aus. Phänomenolog. Feststellungen über Denken und Anschauen, über Bedeutungsintention und Bedeutungserfüllung u. dgl. sagen gar nichts aus über Menschen und Tiere, über animalische Wesen in dieser faktischen Welt, sondern über das, was derartigen Erlebnissen a priori vermöge ihrer intuitiv erfaßten reinen Artungen zukommt [...]“ (Hua XIX/2, 793; vgl. Hua XIX/1, 23). Hinsichtlich ihres apriorischen Charakters und der Art, wie anschauliche Einzelheiten in ihnen mitbewußt sind, ähneln phänomenolog. Wesensdeskriptionen den geometrischen Aussagen, die im Zuge von Beweisen z. B. mit Blick auf ein gezeichnetes Drei-

111 eck über Dreiecke überhaupt gemacht werden; und hier wie dort findet die Setzung der veranschaulichenden Gegebenheiten nicht Eingang in den ausgesagten apriorischen Sachverhalt. Nur sind die vom Phänomenologen bei seinen D.en verwendeten Begriffe – wie die des Botanikers – durchweg Typusbegriffe, deskriptive Begriffe für „Angeschautes und Anschaubares“ (Hua XX/1, 336), und nicht exakte Idealbegriffe für prinzipiell unanschauliche geometrische Limesgestalten (→ Limes). (vgl. Hua III/1, §§ 73-75) Dasselbe gilt auch für diejenigen eidetischdeskriptiven Aussagen, die als ontolog. (formal- und material-ontolog.) nicht phänomenolog. Aussagen im engeren Sinne sind, da sie ohne phänomenolog. Reduktion in GeradehinEinstellung gemacht werden. Ontolog. Aussagen haben aber für die transzendentale Phänomenologie Husserls große methodische Bedeutung, denn sie liefern z. B. methodisch relevante formal-apriorische Einsichten (wie in der dritten der Logischen Untersuchungen über Fundierungsverhältnisse) oder sie liefern als regionalontolog. Aussagen die für phänomenolog. Konstitutionsuntersuchungen notwendigen „transzendentalen Leitfäden“ (→ Leitfaden) (vgl. Hua I, 87-89). Finden sich auch schon beim späten Husserl häufig Termini wie „intentionale Auslegung“, „Sinnesauslegung“ oder „Auslegung des Horizontes“ als Bezeichnungen für das deskriptive Geschäft der statischen und genetischen Explikation des intentional Vermeinten als solchen (vgl. Hua I, §§ 19, 20 u. 62, sowie Hua VI, §§ 45 u. 49), so vollzieht doch erst Heidegger mit seiner Deutung der phänomenolog. D. als → Auslegung eine explizit „hermeneut.“ Umdeutung der Husserlschen

Deskription Konzeption der D. Phänomenolog. D. hat für Heidegger einerseits den formalen Sinn, „daß alles, was zur Erörterung steht, in direkter Aufweisung und direkter Ausweisung abgehandelt werden muß“, und sie hat somit den „prohibitiven Sinn: Fernhaltung alles nichtausweisenden Bestimmens“ (HeiGA 2, 47). Ihren sachhaltigen Sinn erhält die phänomenolog. D. für Heidegger erst aus der fundamentalontolog. Aufgabenstellung, der „Frage nach dem Sinn von Sein überhaupt“ (ebd., 50). Diese allgemeine Leitfrage soll ihre Antwort finden „auf dem Wege einer speziellen Interpretation eines bestimmten Seienden, des Daseins“ (ebd., 53) als desjenigen Seienden, das durch Seinsverständnis ausgezeichnet ist und für welches gilt, daß „durch sein Sein dieses ihm selbst erschlossen ist“ (ebd., 16). Die durch diese Selbsterschlossenheit ermöglichte Selbstauslegung vollzieht sich als „existenziale Analytik des Daseins“ (→ Analytik des Daseins) (ebd., 18), welche am faktischen → Dasein, das „in seiner durchschnittlichen Alltäglichkeit“ (ebd., 23) thematisiert wird, die Fundamentalstruktur des → „In-der-Welt-seins“ freilegt und an dieser die sie konstituierenden Momente, die → „Existenzialien“, abhebt. Hierbei hat „die D. [...] den Charakter der Interpretation [...], weil das, was Thema der Beschreibung ist, zugänglich wird in einer spezifischen Art des Auslegens“ (HeiGA 20, 190). In fundamentalontolog. Perspektive zeigt sich also: „der methodische Sinn der phänomenolog. D. ist Auslegung. [...] Phänomenologie des Daseins ist → Hermeneutik in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes, wonach es das Geschäft der Auslegung bezeichnet.“ (HeiGa 2, 50; vgl. HeiGA 63, 14-20) Entsprechend dieser Neubestimmung

Destruktion werden die beiden methodischen Momente Husserlscher phänomenolog. D. radikal umgedeutet: Die phänomenolog. Reduktion bestimmt Heidegger als „die Rückführung des phänomenolog. Blickes von der wie immer bestimmten Erfassung des Seienden auf das Verstehen des Seins (Entwerfen auf die Weise seiner Unverborgenheit) dieses Seienden“ (HeiGA 24, 29). Das eidetisch-intuitive oder „ideative“ Moment phänomenolog. D., das bei Husserl oft wie ein Herauslesen des → Apriori (der → Wesen und Wesensverhalte) aus den anschaulichen Gegebenheiten erscheint, wird bei Heidegger in kritischer Wendung gegen Husserl zu einem Verfahren entwerfender Konstruktion: „Das Sein wird nicht so zugänglich wie Seiendes, wir finden es nicht einfach vor, es muß [...] jeweils in einem freien Entwurf in den Blick gebracht werden. Dieses Entwerfen des vorgegeben Seienden auf sein Sein und dessen Strukturen bezeichnen wir als phänomenolog. Konstruktion.“ (ebd., 29 f.) Zu dieser Konstruktion gehört aber als Methode, sich der „Echtheit“ (Sachangemessenheit) der in der Auslegung verwendeten Begrifflichkeit zu versichern, eine „Destruktion, d. h. ein kritischer Abbau der überkommenen und zunächst notwendig zu verwendenden Begriffe auf die Quellen, aus denen sie geschöpft sind“ (ebd., 31) (→ Destruktion). Die Husserlsche und die Heideggersche Konzeption phänomenolog. D.en sind die beiden Paradigmen von → Beschreibung, die für die verschiedenen Spielarten phänomenolog. Philosophie und auch für phänomenolog. inspirierte Wissenschaften bestimmend geworden sind: entweder im Sinne einer Übernahme bzw. Teilübernahme der deskriptiven Methodik (z. B. in der

112 daseinsanalytisch verfahrenden Psychiatrie Binswangers oder in der realistischen Phänomenologie der Münchener und Göttinger Phänomenologen) oder i S. einer sie modifizierenden Anverwandlung (wie in der Existenzialphänomenologie bei Sartre, MerleauPonty, Levinas und Ricœur oder in der sog. Neuen Phänomenologie von Schmitz). Qu.: Brentano 1874. – Brentano 1982. – Dilthey 1894. – Hua I. – Hua III/1. – Hua VI. – Hua VII. – Hua IX. – Hua XIX/1. – Hua XIX/2. – Hua XX/1. – HeiGA 2. – HeiGA 24. – HeiGA 29. – HeiGA 63. – Lit.: Chisholm 1976. – de Boer 1976. – Dreyfus 2001. – Gadamer 1990. – Gethmann 1974. – Kaulbach 1968. – Kuypers 1953. – Mall 1963. – Mohanty 1988. – Natanson 1985. – Orth 1991. – Sokolowski 1985. – Spiegelberg 1975, 54-71. – Spiegelberg 1982, 675-719. – Herrmann 1987. – Herrmann 2000. – Waldenfels 1983. ROSO

Destruktion. Mit D. (von lat. destruere „niederreißen“) bezeichnet Heidegger allgemein den Abbau begrifflicher Vorprägungen, die selbstverständlich und damit als solche unkenntlich geworden sind, zugunsten eines Rückgangs auf die ursprünglich motivgebende Situation, näherhin die radikale Explikation der phänomenolog. Problematik in Freilegung der Vollzugssituation des Philosophierens und geschichtlich die Kritik an der → Ontologie und → Metaphysik, namentlich hinsichtlich des diese bestimmenden Ansatzes bei einem zeitlosen → Sein (Metaphysik der → Präsenz). Die D. ist neben der → Reduktion und der Konstruktion eines der Grundstücke der phänomenolog. → Methode, „ein kritischer Abbau der überkommenen und zunächst notwendig zu verwendenden Begriffe auf die Quellen, aus denen sie geschöpft

113 sind“ (HeiGA 24, 31). Ein prinzipieller Zusammenhang besteht zwischen der D. und der formalen Anzeige, insofern beide prohibitiven (d. h. abwehrenden) Charakter haben. Derrida radikalisiert das Programm einer D. der Metaphysik. Alle Prinzipien sind nur Invarianten einer Präsenz, die es mit Hilfe des Begriffs des Zeichens zu erschüttern gilt. Die Metaphysik wird zum Gegenstand einer Dekonstruktion, die sich der Metaphysik allerdings nicht einfach entledigen kann, sondern von innen her operieren muß. Sie bedient sich dabei „aller subversiven, strategischen und ökonomischen Mittel der alten Struktur“ (Derrida 1974, 45), um den LogoPhonozentrismus der Geschichte der abendländischen Philosophie (der zugleich ein Eurozentrismus ist) zu dezentrieren. Qu.: HeiGA 2, § 6. – HeiGA 9, 1 ff. – HeiGA 24, § 5. – HeiGA 59. – HeiGA 61. – Derrida 1967 (1974). – Lit.: Bertram 2000. – Buchheim 1989. HV

Diachronie. Im Gegensatz zu Synchronie meint D. bei Levinas das zeitliche Auseinander, das jenseits der Einheit der transzendentalen Apperzeption sowohl von einer Vergangenheit zu sprechen erlaubt, die „älter“ ist als jede Erinnerung, als auch von einer Zukunft, die jeder Antizipation entzogen ist. Da D. der Vergegenwärtigung durch das Ich entgegensteht, ist sie als eine „Zeit vor der Zeit“ die Zeit der Transzendenz. Insofern der andere Mensch vor der vom Ich bestimmten Ordnung der Gleichzeitigkeit bewahrt ist, zeitigt er sich jenseits der → Totalität einer einheitlichen Zeit diachronisch. D. ist die Zeitstruktur der ethischen Begegnung, die sich nicht ontolog. vereinnahmen läßt. Solche nicht-

Dichtung historische Zeit vollzieht sich in der Begegnung mit dem → Antlitz des oder der → Anderen und in der Passivität des Alterns. Sie besteht in der Ungleichzeitigkeit von → Sagen und Gesagtem. Qu.: Levinas 1979 (1989). – Levinas 1974 (1992). – Levinas 1993 (1996). – Lit.: Wenzler 1984. RE

Diastase. Der Begriff „D.“ (griech. diastasis „Auseinanderstehen, Spaltung“) gehört zu den Momenten der Antwortlogik von Waldenfels. Er kennzeichnet die Nachträglichkeit der → Antwort, deren Eigenständigkeit und Unhintergehbarkeit. D. meint einen Differenzierungsprozeß (→ Differenz), in dem das, was unterschieden wird (→ Frage und Antwort), erst entsteht. Qu.: Waldenfels 1994a, 266-267 u. 333336. HV

Dichtung. Heidegger mißt der Kunst die ausgezeichnete Bedeutung zu, das Wahrheitsgeschehen ins → Werk zu setzen, wobei die Kunst „im Wesen D.“ (HeiGA 5, 59) ist. Damit sollen jedoch nicht alle Kunstgattungen auf die Poesie (D. im engeren Sinne) zurückgeführt werden, vielmehr ermöglicht der dichterische Entwurf in seiner ontolog. Dimension (→ Sprache) jegliches Anwesen, das somit das Seiende allererst als unverborgenes offenbar werden läßt. Heidegger gibt durch einen etymologischen Hinweis zu verstehen, warum er die D. in dieser Weite faßt, indem er auf die ursprüngliche Wortbedeutung des griechischen deiknymi aufmerksam macht: „Das heißt zeigen, etwas sichtbar, etwas offenbar machen [...]. Dichten: ein Sagen des weisenden Offenbarmachens.“ (HeiGA 39, 29 f.)

114

Dienlichkeit Qu.: HeiGA 5, 59-62. – HeiGA 39, 19-77. MF

Dienlichkeit. Heidegger nennt in Sein und Zeit das im Besorgen begegnende Seiende das → Zeug, zu dessen Sein immer ein Zeugganzes gehört, innerhalb dessen es Zeug sein kann, d. h. es hat die Struktur des Um-zu: Zeug ist immer „Erzeugnis einer Anfertigung“ (HeiGA 5, 13), es ist hergestellt zu seinem → Gebrauch und Brauch, d. h. daß „die Herrschaft des Gefüges von Stoff und Form“ (ebd.) in dieser D. des Zeugs gründet. In seinem Aufsatz Der Ursprung des Kunstwerks zeigt Heidegger auf, daß D. in der Fülle eines wesentlichen Seins des Zeugs besteht: „Wir nennen es die Verläßlichkeit.“ (ebd., 19) Das Zeug wird somit nicht vom Umgang mit ihm bestimmt, in dem das Dasein dieses auf-sich-zu stellt und darin als zu-handen. In dieser → Kehre des Heideggerschen Denkens gibt sich das Zeug in seiner Verläßlichkeit zu erfahren, und in ihr wird Welt in einen Bezug zur → Erde gebracht und so modifiziert: Kraft der Verläßlichkeit „ist die Bäuerin durch dieses Zeug eingelassen in den schweigenden Zuruf der Erde, kraft der Verläßlichkeit des Zeuges ist sie ihrer Welt gewiß.“ (ebd., 19) Qu.: HeiGA 2. – HeiGA 5.

JV

Differenz. (frz. différence) Heideggers Begriff der ontolog. D. betrifft den Unterschied von → Sein und Seiendem. Das Sein ist keine Gattung des Seienden (so schon Aristoteles, Metaphysik II 3), doch betrifft es jedes Seiende als dessen „transcendens“. Das → Dasein versteht sich und anderes Seiendes immer schon in seinem Sein. Dieser Unterschied von Sein und Seiendem ist la-

tent da („vorontolog.“), kann aber auch zur ausdrücklich verstandenen D. werden; diesen explizit gewordenen Unterschied nennt Heidegger ontolog. D. Sie entspringt einem Grundverhalten des Daseins, in dem sich die → Ontologie konstituiert. Die ontolog. D. ist das Nicht zwischen Seiendem und Sein; in ihr gehören ontische → Wahrheit (die Seiendes in seinem Sein betrifft) und ontolog. Wahrheit (betreffend das Sein von Seiendem) zusammen. Der spätere Heidegger erörtert das Problem der ontolog. D. unter den Titeln „Unterschied“ und „Zwiefalt von Sein und Seiendem“. Derrida gebraucht den Neologismus „différance“, um das Gegenwärtigwerden von Seiendem zu bezeichnen, wobei die différance selbst nie gegenwärtig wird. Derrida bedient sich der Zweideutigkeit des lat. „differre“ bzw. des frz. „différer“: nicht identisch sein, anders sein, bzw. etwas auf später verschieben („Temporisation“, „Verräumlichung“). Diese Verschiebung ist uneinholbar und unterbindet deshalb auch jede Möglichkeit des Rückgangs auf einen → Ursprung; es gibt daher auch kein Wesen der différance. Das Problem der D. stellt sich für Levinas im Rahmen eines Humanismus des anderen Menschen. Diese D. positioniert sich jenseits der ontolog. D. Heideggers als eine solche der Transzendenz. Sie versteht sich im Verhältnis zum → Anderen als „NichtIndifferenz“, was sowohl das Moment der Nicht-Gleichgültigkeit betont als auch die unaufhebbare D. des Anderen als des (biblisch verstandenen) Nächsten, in welcher sich das Ego radikal in Frage stellt. Die → Verantwortung für den Nächsten hebt die D. nicht auf, weil dessen Nähe nicht erotisch bedingt ist, sondern einem Be-

115 gehren des Nicht-Begehrenswerten begegnet. Die D. ist nicht-indifferente Nähe, D. einer → Diachronie, die sich jeder Gleichzeitigkeit verweigert. Levinas spricht von einer außerordentlichen „Illeität“ („illéité)“, Jenseitigkeit, die „unvordenkliche und unausdenkliche Transzendenz“, in der das Wort → „Gott“ außerhalb des Horizontes von „Gottheit“ ausgesprochen werden kann (vgl. Casper 1984, 282). D. als Nicht-Indifferenz bedeutet Verantwortung, Menschlichkeit, derEine-für-den-Anderen, Stellvertretung für den Nächsten. Waldenfels unterscheidet mehrere Formen von teils defizitärer D.: 1. Transferenz: Sie übersteigt den möglichen Gegensatz von Selbst- und Fremdbezug und sondert das Eine in seinem Was-sein ab (Was-sein griech. eîdos, daher auch „eidetische“ D.). 2. Indifferenz: Sie neutralisiert den Selbst- und Fremdbezug; die D.en sind gleichgültig und werden auf neutrale Funktionen reduziert. 3. Präferenz: Der Selbstbezug kommt vor dem Fremdbezug, die Relation geht einseitig von ihm aus. 4. Prä-/Interferenz: Der Selbstbezug liegt im Fremdbezug – eine plurale, relative Präferenz, die sich auf andere Präferenzen bezieht, ohne sich zu nivellieren. In seiner Analyse des Antwortens unterscheidet Waldenfels zwischen dem, was geantwortet wird (der → Antwort), dem, was beantwortet wird (der → Frage), und dem, worauf wir im Antwortgeben antworten (dem → Anspruch). Zwischen Anspruch und Antwort klafft (anders als zwischen Frage und Antwort) eine unüberbrückbare Kluft, die responsive D. Qu.: HeiGA 24, § 22. – HeiGA 8. – HeiGA 9, 123-175. – Derrida 1972 (1999, 31-56). – Derrida 1967 (1972). – Levinas 1974 (1992). – Levinas 1982 (1985). – Walden-

Ding fels 1994a. – Lit.: Busche 1988. – Casper 1984. – Kovacs 1987/88. HV

Ding. Der Begriff des D.s bezieht sich in der Phänomenologie im allgemeinen auf D.e der äußeren Erfahrung; so spricht Husserl vom „äußeren D.“, wenn er dieses vom → Gegenstand unterscheidet, so ist dieser der übergeordnete Begriff. Das D. selbst in seiner Leibhaftigkeit ist das wahrgenommene D. (die → Wahrnehmung stellt D.e vor Augen, nicht Sinnesdaten), D.Wahrnehmung ist abschattende Wahrnehmung (→ Abschattung). Das wahrnehmungsmäßig erfaßte D. hat seine in der Wahrnehmung miterscheinende dingliche Umgebung. Das Wesen „D.“ ist zwar originär gegeben, jedoch nie adäquat; zur adäquaten → Gegebenheit kann das → Noema (der D.-Sinn) gebracht werden. Die Region „D.“ fungiert als transzendentaler → Leitfaden phänomenolog. Untersuchungen. D.e sind als → Objekte im Welthorizont gegeben. D. kann schließlich auch als Ausdruck für „letztlich Seiendes“ genommen werden. Scheler stimmt mit Husserl überein, daß der naturwissenschaftliche Dingbegriff nicht auf psych. Tatsachen übertragen werden darf; er differenziert zwischen D., Materie und → Körper. Zu unterscheiden sind ferner die → Werte, die an den D.en selbst haften, von der eigenen Gefühlsreaktion auf diese. Der Mensch neigt aber dazu, die den D.en eigentümlichen Wertqualitäten in die Gefühlssphäre der eigenen Ichzustände zu verlegen. Jene Werte der D.e sind feste Charaktere, die ihnen selbst zugehören (z. B. die Erhabenheit oder Düsterkeit einer Landschaft), nicht den dabei erlebten Gefühlen.

Ding Heidegger kritisiert die herkömmliche D.-Auslegung als Nivellierung der Unterschiede zwischen dem Dinghaften des D.s, dem Werkhaften des Kunstwerks und dem → Zeug, das eine Zwischenstellung einnimmt. Die Nivellierung besteht darin, alle drei Bereiche mit dem Begriffspaar „Stoff-Form“ bestimmen zu wollen. Dieses hat seinen geschichtlichen Ursprung in der antiken Ontologie, die ihren Ausgang im herstellenden Verhalten des Menschen nimmt, orientiert an den D.en des alltäglichen → Gebrauchs. Aus der Perspektive des → Herstellens wird zwar das D. mit Bezug auf den Herstellenden bestimmbar (in Hinsicht auf sein Aussehen, sein → eidos), aber nicht als D. selbst erfahren. Auch der wissenschaftliche Zugang muß das D. verfehlen. Heidegger zählt eine Reihe von Dingbegriffen der Griechen auf: D.e, sofern sie von sich aus aufgehen; hergestellte, für den Gebrauch verfügbare, im Umgang bearbeitete oder auch nur erforschte D.e; D.e, sofern wir sie einfach zur Kenntnis nehmen. Damit übersetzt Heidegger das griech. máthesis, ein Entwurf der Dingheit, der über die D.e gleichsam hinwegspringt (nicht die D.e selbst, sondern ihre Berechenbarkeit sind das Entscheidende). Dieser wissenschaftliche Vorgriff hat Heidegger zufolge die D.e als D.e vernichtet. Demgegenüber bestimmt er – im „Schritt zurück“ zu einem anderen → Denken – die Dingheit als Verweilen des → Gevierts der → Welt, von → Erde und Himmel, den → Göttlichen und den Sterblichen. Für Merleau-Ponty ist ein D. Korrelat des → Leibes, der erst im Zugang auf die D.e wahrnehmbar wird. Doch erschöpft sich das D. nicht in seiner → Wahrnehmung, sondern präsentiert sich als D. an sich: Es ruht in sich,

116 entzieht sich in seine Intimität, überschreitet die leibliche Teleologie. „Das Ding ist für unsere Existenz weit mehr ein Abstoßungs- als ein Anziehungspol.“ (Merleau-Ponty 1966, 374) Das D. transzendiert in seiner Gegebenheit die Subjektivität, es läßt sich denkend nie ganz durchdringen. Merleau-Ponty interpretiert Husserl von dessen Grenzen her, weil dieser zunehmend die nicht konstituierte Kehrseite der D.e enthüllt habe, von denen jedes eine absolute → Gegenwart beanspruche. Im Horizont seiner absubjektiven Phänomenologie wendet Pato cˇ ka gegen Husserl ein, die mir gegenüber befindlichen D.e und dinglichen Charaktere seien ursprünglich, das Erlebte dagegen sei gar nicht gegeben. Sowohl die erscheinenden D.e als auch das „Subjektive“ der thetischen Gegebenheitscharaktere seien „draußen“, die eigentlichen Aufgaben der Phänomenologie bestünden in der Deskription des Aufgehens der D.e selbst. Das Verstehen ist demnach nichts anderes als das Erscheinen des D.s als des durch Perspektiven hindurch Verstandenen. Patoˇcka setzt dem Erfassen der noetischen Seite (dem Studium des Erlebnisses als solchen) ein Studium des phänomenalen Feldes der Erscheinungen entgegen, eines Feldes, das sich im Erscheinen der D.e unthematisch verbirgt. Die Subjektivität erschafft die D.e nicht, steht allerdings am Ursprung von deren Verstehen. Wenn die mathematische Naturwissenschaft meint, ein Wissen von den D.en als von uns unabhängigen zu besitzen, ist sie dadurch gehindert, die D.e so zu sehen, wie sie sich zeigen. Qu.: Hua III/1, §§ 44, 150. – Hua VI. – Hua XVI. – Hua XIX/2. – ScheGW 3. – HeiGA 5, 1-74. – HeiGA 7, 165-187. – HeiGA 41. – Merleau-Ponty 1945 (1966).

117 – Merleau-Ponty 1960 (1984, 45-67). – Patoˇcka 1991, IV. Teil. HV

Diskurs bezeichnet bei Foucault eine geregelte Formation von Aussagen, die über eine gewisse Kohärenz verfügen und Regeln für die Konstitution von Erfahrung und Erkenntnis in sich tragen. Als „glücklicher Positivist“ (Foucault 1973, 182) beschreibt Foucault Aussagen in ihrer reinen Äußerlichkeit, ohne auf eine prä-diskursive Erfahrung oder die Ursprünglichkeit eines Gründungsaktes im → Subjekt zu rekurrieren. Der D. ordnet Gegenstände, Begriffe und Strategien nach seinen eigenen Regeln. Diskursanalyse ist die Analyse jener Regeln, auf Grund derer sich bestimmte wissenschaftliche Aussagen in einer historischen Epoche als Wahrheit etablieren können, während andere ausgegrenzt werden. Diese der Erkenntnisordnung einer wissenschaftlichen Epoche zugrundeliegenden Ordnungsprinzipien werden als Episteme bezeichnet. Der D. bezeichnet das Feld, in dem sich eine Episteme formen kann. Dieses in Die Ordnung der Dinge und Archäologie des Wissens vertretene hermetische Verständnis des D.es wird im Begriff der D.praktiken aufgeweicht, indem die Frage nach den Zusammenhängen zwischen diskursiven Regeln und der gesellschaftlichen Praxis ins Zentrum rückt. Die Archäologie versucht diese in sich veränderlichen, offenen und diskontinuierlichen diskursiven Beziehungen offenzulegen. Mit der Analyse der → Macht wird die Abtrennung von der gesellschaftlichen Praxis rückgängig gemacht, was eine methodolog. Neuorientierung zur Folge hat: die → Genealogie der nicht-

Dispositiv diskursiven → Praktiken der Macht als Ermöglichungsbedingungen des D.es. Qu.: Foucault 1966 (1971). – Foucault 1969 (1973). – Foucault 1971 (1974). – Lit.: Dreyfus/Rabinow 1982 (1987). – Kögler 1994. RS

Disposition. Bei Schmitz die leibliche Geprägtheit, welche die Resonanz auf affektive Eindrücke im voraus bestimmt. Ihr Anteil an der persönlichen Situation kommt namentlich in der Vitalität einer Person zum Ausdruck (Antriebsstärke und -schwäche, Reizempfänglichkeit). Verstimmungszustände der leiblichen D. sind weitgehend maßgeblich dafür, wie atmosphärische Gefühle den Menschen ergreifen, z. B. in einer endogenen Depression. Qu.: Schmitz 1980a.

HV

Dispositiv bezeichnet bei Foucault machtstrategische Verknüpfungen von (wissenschaftlichen) → Diskursen und (gesellschaftlichen) Machtpraktiken (→ Praktiken), die in sich sehr heterogen sein und Institutionen, administrative Maßnahmen, Gesetze ebenso wie wissenschaftliche Aussagen umfassen können. Das D. hat vorwiegend strategische Funktion, wodurch ein Erfahrungsbereich in ganz verschiedenen Feldern zur Verfolgung bestimmter, auch sehr unterschiedlicher Zielsetzungen eingesetzt werden kann. Am historischen Diskurs über → Sexualität zeigt Foucault, daß Sexualität und → Macht nicht über bloße Repression aufeinander bezogen waren, sondern daß die moderne Erfahrung der Sexualität über ein Machtdispositiv organisiert und konstruiert ist. Den Befreiungsdiskurs bezeichnet er als „eine taktische Verschiebung“ (Foucault

Distanzierung 1977, 157) im Sexualitätsdispositiv, die die Möglichkeiten der Bio-Macht zur Regulierung und Kontrolle des Individuums und der Bevölkerung vervielfacht. Qu.: Foucault 1976 (1977). – Foucault 1978. – Lit.: Deleuze 1991. – Dreyfus/Rabinow 1982 (1987). RS

Distanzierung. (frz. distanciation) Zentraler Begriff der philosoph. → Hermeneutik Ricœurs. Ricœurs Bestimmung des Begriffs der D. gewinnt Gestalt in seiner Auseinandersetzung mit der hermeneut. Position Gadamers. Mit Gadamer weiß sich Ricœur darin einig, daß jeglicher wissenschaftlichen Objektivierung und Reflexion, jeglicher Entgegensetzung von Subjekt und Objekt eine Beziehung der Zugehörigkeit (participation) vorausliegt (Ricœur 1986, 45); diese „durch und durch positive“ Beziehung der Zugehörigkeit ist „die hermeneut. Erfahrung schlechthin“ (ebd.). Nun werde aber bei Gadamer die Objektivierung, die die Voraussetzung jeder wissenschaftlichen Untersuchung bildet, mit einer „Verfremdung“ der originären Erfahrung gleichgesetzt. Dies führe zu der – für Ricœur nicht akzeptablen – Alternative: „Entweder praktizieren wir eine methodologische Haltung und verlieren dabei die ontolog. Dichte der Wirklichkeit, die wir studieren, oder wir praktizieren eine Haltung der Wahrheit, müssen aber dann die Objektivität der Geisteswissenschaften aufgeben.“ (ebd., 101) Diese Alternative ist für Ricœur nur dann vermeidbar, wenn man davon ausgeht, daß die fundamentale hermeneut. Erfahrung der Zugehörigkeit als ein inneres Moment ein Element der D. einschließt, das die Bedingung der

118 Möglichkeit jeder Art von Objektivierung bildet. In dieser Sicht erscheint die Objektivierung nicht als die Destruktion der fundamentalen Zugehörigkeitserfahrung, sondern macht nur jenes Element der D. explizit, das mit der Erfahrung der Zugehörigkeit untrennbar verbunden ist. Weil in unserer fundamentalen Wirklichkeitserfahrung Zugehörigkeit und D. dialektisch vereint sind, ist die Objektivierung nicht etwas „Hinzugefügtes“ oder „Parasitisches“ (ebd., 112), sondern nur die legitime Entfaltung des Elements der D. innerhalb der Zugehörigkeitserfahrung. Im Bereich der Sprache ist die grundlegende Form der D. die D. des Sagens vom Gesagten (ebd., 105); zur vollen Entfaltung kommt sie in der Schriftlichkeit des Textes, der für Ricœur „das Paradigma der D. in jeder Kommunikation“ (ebd., 102) darstellt. Das Phänomen des Textes legt Zeugnis für „die positive und produktive Funktion der D. im Herzen der Geschichtlichkeit der menschlichen Erfahrung“ (ebd.) ab. Sofern eine ganze Reihe von zentralen Begriffen und Thesen von Ricœurs Hermeneutik (die positive Bewertung der Schriftlichkeit; die „semantische Autonomie des Textes“; der Begriff der „Textwelt“; die dialektische Einheit von Erklären und Verstehen im Prozess der Interpretation; die Verdopplung der Referenz und das Neubeschreibungsvermögen der → Metapher; die Unterscheidung von spekulativem und poetischem Diskurs) in dieser „ursprünglichste[n] und verborgenste[n] Dialektik“ von Zugehörigkeitserfahrung und Distanzierungsvermögen (Ricœur 1986a, 304) fundiert sind (vgl. Prammer 1988, 144-149), kann man diese These als „Herzstück“ (ebd., 139), als „organisierende Mitte

119 seiner hermeneut. Theorie“ (ebd.; vgl. Mattern 1996, 219) betrachten. Qu.: Ricœur 1975 (1986a). – Ricœur 1986, 39-73 u. 101-117. – Lit.: Mattern 1996. – Prammer 1988. FP

Doxa. In der Spätphilosophie Husserls tritt der Begriff der D. in etwa an die Stelle dessen, was in Husserls „klassischer“ Arbeitsperiode als „natürliche Einstellung“ (→ Einstellung) bezeichnet wird. In Anklang an das griech. Begriffspaar d. und episteme allerdings wird klar, wogegen sich die D., als das von „bloßen Meinungen“ (→ Meinung) und ungeprüften Überzeugungen geleitete Leben, abgrenzt: nämlich gegen die Wissenschaft und den wissenschaftlichen Lebensvollzug. D. wird somit der Titel für das sog. außer- bzw. vorwissenschaftliche Leben, das so charakterisiert ist, daß es noch vor der Opposition von D. und episteme angesiedelt ist. Das macht seine → „Naivität“ aus, die keinen negativen Beiklang hat, sondern lediglich das Nichtwissen um diesen Unterschied meint. Die episteme hingegen kann nur dann entstehen, wenn sie als doxa-kritisch auftritt und den endlichen → Horizont der jeweiligen „dogmatischen“ → „Heimwelt“ sprengt. Der Rekurs auf den antiken Terminus zur Beschreibung dieses Grundphänomens verweist zudem auf den geschichtlichen Charakter der Besinnung, der die letzte Arbeitsphase Husserls kennzeichnet: Die D. hat selbst einen geschichtlichen Charakter, der bis in unsere Gegenwart reicht, in der auch wir nicht anders als zunächst in natürlicher Einstellung bzw. im Zustand der D. leben können, bevor wir in eine höherstufige Einstellung übergehen. Mit dem Rekurs auf

Drang die D. und dem in ihr vollzogenen Leben in der außerwissenschaftlichen → Lebenswelt ist eine eigene Wissenschaft vorgezeichnet, die diese vor aller → Wissenschaft vorgegebene Welt der D. zu untersuchen beabsichtigt. Diese von Husserl zwar antizipierte, aber nicht mehr ausgeführte „Ontologie der Lebenswelt“ hat in der Folgezeit bei Vertretern der phänomenolog. Bewegung zu Versuchen geführt, diese Ontologie konkret auszugestalten, wobei eher Husserls Ansatz fruchtbar aufgenommen und modifizierend weitergeführt wurde, als daß die Umbildungen sich innerhalb der Grenzen seiner Konstitutionstheorie gehalten hätten. So führt dies bei Schütz zu einer phänomenolog. Soziologie, bei Pato cˇ ka zu einer systematischen Theorie des „natürlichen Lebens“. Arendt schließlich bemüht sich um eine politische Philosophie, die auf dem common sense aufbaut, was als ein fernes Echo von Husserls D.-Gedanken aufgefaßt werden kann. Qu.: Hua VI, 44, 51. – Schütz 1964 (1972). – Patoˇcka 1991. – Arendt 1958 (1960). SL

Drang. Der Begriff des D.s gehört zu den metaphys. Leitbestimmungen des späten Scheler. Innerhalb der Stufenfolge des Psychischen bildet der Gefühlsdrang dessen unterste Stufe. Dieser ist ohne Bewußtsein, Empfindung und Vorstellung und findet sich bereits bei der Pflanze; hier sind → Gefühl und der (später spezifisch ausgerichtete) → Trieb noch nicht verschieden, es gibt nur den allgemeinen D. zu Wachstum und Fortpflanzung. Dieser Gefühlsdrang ist auch im Tier und im Menschen vorhanden. Im instinktiven Verhalten des Tieres – es ist artdienlich und arttypisch – erweist sich der

Dritter Gefühlsdrang als zunehmend spezialisiert – eine Entwicklung, die sich hin zum Menschen fortsetzt und in diesem kulminiert: in einer Stauung des Lebens „zu einer steigenden Verinnerlichung, Zentralisierung, Sublimierung, Reflexion“ (ScheGW 12, 226), wobei das Leiden an den Widerständen des Lebens gleichfalls einen Höhepunkt erreicht. An diesem Punkt kommt es zur Durchdringung von D. und → Geist, der sich zu jenem „herabläßt“. Dem Geist allein ist es vorbehalten, den ins Äußerste gesteigerten Lebensdrang und dessen Angst zu „annihilieren“ (ScheGW 9, 44) und die Triebimpulse zu unterdrücken, um die in diesen enthaltene Energie zu sublimieren. Der Geist bedarf dieser Energie, weil er selbst ursprünglich keine besitzt, indem der von ihm disziplinierte D. zur Drangphantasie wird. Darunter versteht Scheler die in der Kunst, aber auch in der Metaphysik wirksame Phantasie (in der Metaphysik deshalb, weil der Raum zwischen Wesenserkenntnis und zufälliger, durch die Sinne vermittelter Erfahrung „nur durch Phantasie zu erfüllen“ ist, ScheGW 11, 43). Qu.: ScheGW 9, 7-71, 75-84. – ScheGW 11. – ScheGW 12. – ScheGW 15. HV

Dritter. Nach Levinas ist das Ich durch das → Antlitz des anderen Menschen in unendliche → Verantwortung für diesen eingesetzt und daher dessen → Geisel. Weil das Ich aber nicht nur einem Nächsten, sondern meist auch einem bzw. einer oder mehreren Dritten gegenübersteht, sieht es sich mit zwei oder mehr grenzenlosen und unendlichen → Ansprüchen konfrontiert. So gilt es, einen Maßstab zu finden, der es ermöglicht, diese Ansprüche einzu-

120 schränken und zu ordnen. Der notwendige Vergleich, der latent Bewußtsein entstehen läßt, bringt auch die Gerechtigkeit hervor, die die Vermittlung ethischer Imperative erlaubt. Waldenfels verortet den D. im Sprechereignis und behandelt ihn vornehmlich aus der Perspektive der antwortenden Person. Der D. ist der oder die von redender und angeredeter Person Beredete. Er ist ein zwischen Du und Es „oszillierender Referent“ (Waldenfels 1994a, 296), da in der Rede sowohl ein Übergang von der dritten in die zweite oder erste als auch ein Sprung von der ersten oder zweiten in die dritte Person möglich ist. Darüber hinaus kann der D. auch als Zeuge begegnen, der dem Gespräch Öffentlichkeit verleiht, bzw. als Ordnungsinstanz, die in ein Gespräch eingreift. Qu.: Levinas 1974 (1992). – Waldenfels 1994a. – Lit.: Habbel 1994. RE

Durchschnittlichkeit. Heideggers Daseinsanalyse in Sein und Zeit ist insofern bewußt unvollständig, als sie unter einem eingeschränkten Gesichtspunkt erfolgt und nur die durchschnittliche Alltäglichkeit des → Daseins, d. h. das Dasein in seinem → Verfallen, analysiert. D. ist ein existenzialer Charakter des → Man. In der Alltäglichkeit geht es um die durchschnittliche → Existenz des Daseins in seinem Zunächst und Zumeist, und dieses in einer bestimmten Epoche des Seinsgeschicks als der geschichtlichen Situation des Daseins in seiner Selbsterschlossenheit, die wesenhaft epochal bestimmt ist durch die Seinsvergessenheit, wobei → Vergessen hier keinen ontischen Mangel bedeutet, sondern eine wesenhafte Verborgenheit des → Seins. Mit der → Sorge wird in Sein und Zeit des-

121 halb nach der Seinsganzheit des alltäglichen i. S. des uneigentlich existierenden Daseins gefragt, die jedoch als formale Seinsstruktur von → Entwurf, → Geworfenheit und Sein-bei bei eigentlichem und uneigentlichem Dasein

Durchschnittlichkeit dieselbe ist, insofern ja → Eigentlichkeit eine Modifikation von Uneigentlichkeit ist. Qu.: HeiGA 2, § 27.

JV

E Echt, unecht. Heideggers Bestimmung von e. und u. ist von seiner Unterscheidung von → Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit (eigentlicher und uneigentlicher Existenz) abzuheben. Eigentliche → Existenz gewinnt ihr → Verstehen im Ausgang von sich selbst und geht nicht in der Alltäglichkeit auf; uneigentliche Existenz verharrt in der Vergessenheit ihrer selbst. Das alltägliche Existieren kann aber sowohl e. als auch u. sein. Es ist e., jedoch uneigentlich (weil an die Welt → verfallen), wenn es ganz im Besorgen der Dinge aufgeht; dagegen ist „alles extravagante Wühlen in der Seele“ (HeiGA 24, 228) u. oder gar pathologisch. Qu.: HeiGA 2, §§ 31-32. – HeiGA 24, § 15. HV

Ego. → Ich, → Egologie Egologie. Husserl nimmt den im 18. Jh. in Frankreich aufgekommenen Neologismus E. in Anspruch, um die der Ordnung nach erste philosoph. Disziplin zu charakterisieren: die solipsistisch beschränkte E. des primordi(n)al reduzierten → Ego, auf welche die intersubjektive Phänomenologie (→ Intersubjektivität) zu folgen hat. In erweiterter Bedeutung bezeichnet Husserl die Phänomenologie überhaupt als eine phänomenolog. E., die mit der → Reduktion auf das → transzendentale Ego freilich nur den Schein einer bleibend solipsistischen → Wissenschaft mit sich führt. Husserl spricht in der → Ersten Philosophie auch von transzendentaler E. Im Anschluß an Sartres Kritik des Ego

hat Gurwitsch ein non-egologisches Konzept des Bewußtseins entworfen. Qu.: Hua I, 67-70, 177-183. – Gurwitsch 1941. – Lit.: Broekman 1963. HV

Eidetik ist die phänomenolog. → Methode der intuitiven Wesenserschauung, deren Grundlage die eidetische → Variation und deren Ziel die Gewinnung eines apodiktisch-allgemeinen, nicht immer adäquat zu erschauenden überzeitlichen → Wesens ist, das als → Eidos Bezüge zur platonischen idea unter Preisgabe ihrer metaphys. Implikationen unterhält. (Husserl 1948, 410 f.; Hua III/1, 14 f.) Husserl bestimmt die E. auch als „genuine Methode der Erfassung des Apriori“ (Hua IX, 72 ff.). Gemäß dem → „Prinzip aller Prinzipien“ ist die Wesenserschauung (Ideation, Ideenschau) das Analogon des originär gebenden → Aktes der sinnlichen → Wahrnehmung. (Hua III/1, 50) Mit der Explikation der phänomenolog. → Reduktion, kraft deren die Gewinnung eines grenzenlosen → Feldes absoluter, jeder → Transzendenz entbehrenden → Gegebenheiten gelingt, vollzieht Husserl den Schritt zur reinen Phänomenologie. Obgleich sich dieses als ein „ewiger Heraklitischer Fluß von Phänomenen“ erweist, in dem die singulären Erlebnisse ihrer schauenden → Erfassung und fixierenden → Bestimmung harren, muß sich die Phänomenologie nicht auf die bloße Aussage des „ ,dies da‘ “ im aktuellen → Jetzt des → Erlebnisses beschränken. (Hua II, 47 f.) Das singuläre „Dies“ bildet vielmehr die begründende Unterlage für die eideti-

123 sche Erfassung des „Phänomens überhaupt“ als unbedingtes → Allgemeines. (vgl. Marbach 1974, 44-48) Mit der Entfaltung der Konstitutionsproblematik der Bewußtseinsgegenständlichkeiten (→ Konstitution) bleibt die E. nicht mehr nur auf die Wesensanalyse des reell Immanenten verwiesen, sondern hebt im gleichen Umfang auf den „intentionalen Inhalt des Bewußtseins“ (Hua X, 335 f.) ab. In diesem Sinne vertiefen die Ideen I mit Hilfe der neuen E. bzw. mit der Lehre von der eidetischen Reduktion den Status der reinen Phänomenologie als Wesenswissenschaft. Unter Berufung auf die alten eidetischen Disziplinen → Geometrie und Arithmetik weist Husserl die Fiktion als „Lebenselement der Phänomenologie“ (Hua III/1, 148) insofern aus, als sich die Technik der eidetischen Variation im Modus der freien Fiktion abspielt. Das vom Charakter seiner faktischen Zufälligkeit befreite Exempel wird in eine „beliebig reine Möglichkeit“ verwandelt (Hua I, 104) und setzt die „Erzeugung einer offen endlosen Mannigfaltigkeit von Varianten“ in Gang (Husserl 1948, 410 f.). Gemäß seiner noetisch-noematischen Doppelung ist der beliebige Einzelfall eines intentionalen Erlebnisses das leitende „Vorbild“, das von immer neuen „Nachbildern“ abgelöst wird. Dabei bleibt das Differierende der Varianten außer acht. Durch die willkürlichen Variationen des „Urbildes“ geht eine passiv vorkonstituierte Einheitsdeckung hindurch, die als Invariante erhalten bleibt. Sie wird als diejenige notwendig-allgemeine → Form aktiv schauend erfaßt, ohne die so etwas wie ein → Ding nicht denkbar wäre. (Husserl 1948, 414; vgl. Müller 1976, 99-189) Wenn eine Wahrnehmungsanalyse in Wesensanalyse übergegan-

Eidos gen ist, gibt das „invariable Was“ (Husserl 1948, 411) den „ewig gleichen Sinn von möglicher Wahrnehmung überhaupt“ zu erkennen (Hua V, 40). Husserl nimmt hierarchisch gegliederte Stufen verschiedener Allgemeinheit bis hin zu einer obersten Gattung an, denen das „eidetische Singulare“ hinsichtlich seines Was-Gehaltes jeweils untersteht. Leer formal ist jedes Individuelle den analytisch-formalen Wesen unterworfen, die zu den sachhaltigen Wesensbeständen nicht in einer Beziehung der Generalisierung (bzw. Spezialisierung), sondern der → Formalisierung stehen. (Hua III/1, 30 f.) Qu.: Hua I, 103-106. – Hua II, 43-63. – Hua III/1, 7-48, 128-141. – Hua V, 37-53. – Hua IX, 72-87. – Hua X, 335-353. – Hua XVII, 217-221. – Hua XXV, 79-80. – Husserl 1939 (2 1948, 409-443). – Lit.: Bernet/Kern/Marbach 1989, 74-84. – Marbach 1974, 44-53. – Müller 1976, 99-189. – Casey 1977, 70-82. – Schütz 1966, 92115 (1971, 127-151). – Tugendhat 1967, 137-163. – Zaner 1973a. – Zaner 1973b, 192-219. ID

Eidos. Der Begriff E. erhält seine philosoph. Prägung durch Platon, der neben den schon bekannten vorphilosoph. Bedeutungen wie Form, Gestalt, Bild, Klasse oder Charakter E. und Idee synonym gebraucht. Aristoteles versteht unter E. die Form oder den Artbegriff bzw. das „Wesenswas“ (Metaphysik VII. Buch, Kap. 7 ff.). Diese Bedeutung spielt in den eher sparsamen Gebrauch von E. in der Phänomenologie herein. Husserl gebraucht in den Ideen E. gleichbedeutend mit → „Wesen“, die reine oder transzendentale Phänomenologie soll als Wesens- oder eidetische Phänomenologie begründet werden. Bevorzugt wird allerdings das

Eigenleib Wort „E.“, weil „Wesen“ traditionell mit Äquivokationen behaftet sei (obgleich Husserl dann doch beide Begriffe häufig nebeneinander gebraucht). Die Gewinnung des E. als eines Gegenstandsbereiches sui generis erfolgt durch → Variation, wobei von einem Exempel ausgegangen wird und dieses „in der freien Phantasie und im reinen Bewußtsein der Beliebigkeit“ (Hua XVII, 255) immer neu variiert wird. Aus der Mannigfaltigkeit der Varianten soll sich die Deckungsgleichheit des Invarianten ergeben, das E. Die → Methode ist die der eidetischen → Reduktion, der „Wesenserschauung“. Es darf dabei nicht vergessen werden, daß diese Methode nicht nur den → Gegenständen gilt, sondern auch den konstituierenden → Leistungen der Subjektivität, die damit ebenso der Variation unterworfen werden; auch sie sind auf ihre Wesensmöglichkeiten hin freizulegen. In kritischer Absicht (i. S. seiner → Destruktion der antiken Ontologie) führt Heidegger den Begriff des E. auf ein Grundverhalten des → Daseins zurück, das → Herstellen. Dieses ist von vornherein daraufhin orientiert, daß ihm Seiendes ständig verfügbar ist (vorhandenes Verfügbares). Dieses Verhalten ist durch die vorgängige Aussicht auf das Aussehen des Herzustellenden geleitet, nämlich sein E. Qu.: Hua III/1, Einleitung. – Hua XVII, § 98. – HeiGA 24, § 11. HV

Eigenleib. → Leib Eigenschaft. Als E.en der gegenständlichen → Dinge bezeichnet Husserl die Dingqualitäten wie z. B. Dingfarben, dingliche Ausdehnung, Rauhigkeit etc. Diese „unselbständigen“ dinglichen →

124 Momente sind nicht wie die ihnen entsprechenden Empfindungsdaten reelle Bewußtseinsinhalte, sondern in → Abschattungen gegebene transzendente → Einheiten. Dieser in den Logischen Untersuchungen leitende Ansatz identifiziert die Dingeigenschaften mit den Sinnesqualitäten. In seinen späteren Analysen (Erfahrung und Urteil und Ideen II) geht Husserl über die am isolierten Ding gewonnenen „sinnlichen E.en“ hinaus, indem er die in diesen fundierten „kausalen E.en“ als Beziehungen zwischen den „Dingen im weiten Sinne“ herausstellt. Hierbei handelt es sich um E.en, die nur aus dem Dingzusammenhang heraus gegeben werden können, z. B. die Zerbrechlichkeit einer Glasscheibe, durch den Zusammenstoß mit einem anderen Ding. Die Kenntnis „kausaler E.en“ gibt uns ein Regelbewußtsein funktionaler Zusammenhänge unter den Dingen bzw. deren E.en. Letztlich zeigen sich auch die „sinnlichen E.en“ als kausal bedingt, da sie dem UmstandsZustands-Schema der abschattungsmäßigen → Gegebenheit unterliegen und insofern stets aus einem Erscheinungsoder Dingzusammenhang heraus erfahrbar werden. Daher kann Husserl sagen: „reale E.en sind eo ipso kausale“, wobei eben alle E.en realer Dinge als reale gelten. Qu.: Hua IV. – Lit.: Rang 1990, 88-105. SR

Eigentlichkeit/Uneigentlichkeit. Unter Voraussetzung des → Existenzials der Jemeinigkeit ergibt sich nach Heidegger, daß sich das → Dasein in den Grundmodi von E. oder U. bzw. in der modalen Indifferenz ihrer vollzieht (vgl. HeiGA 2, 72). Diese Modi sind keine Bewertungen, sondern ontolog. Charakteristika der → Existenz, die die

125 Grundmöglichkeiten des sich zu seinem → Sein → Verhaltens bezeichnen. Heidegger unterscheidet existenziale und existenzielle E. bzw. U. Ist das Dasein sich so erschlossen, daß es sein Sein als das selbst zu vollziehende und zu bestimmende versteht, handelt es sich um einen Modus existenzial eigentlicher → Erschlossenheit. Paradigmatisch hierfür ist die → Angst, die das Dasein vor sein Freisein für es selbst bringt (vgl. ebd., 249). Erst durch das → Vorlaufen zum Tode gelingt die Modalisierung zur existenziellen E., die dadurch ausgezeichnet ist, daß sich das Dasein selbst wählt als dasjenige, das je und je → Möglichkeiten seiner selbst zu wählen hat (vgl. ebd., 404). Durch den Unterschied von existenzialer und existenzieller E. bzw. U. erhellt sich das zwischen E. und U. herrschende Spannungsverhältnis: die in der → Angst aufbrechende existenziale E. enthüllt die Flucht in das ManSelbst (→ Man), so daß sich das Dasein existenziell nur zu eigen wird, indem es sich aus dem Man-Selbst zurückholt. Binswangers Versuch, einen Zugang zum anthropologischen Problem zu gewinnen, weist in der Dreiheit der Zugänge zum Sein: → Intentionalität (Husserl), Existenzialität (Heidegger) und → Liebe dieser den anthropologisch-ontolog. Vorrang zu. (vgl. Binswanger 1962, 640) „Wie zum existierenden Dasein die Jemeinigkeit gehört als Bedingung der Möglichkeit von E. und U., so gehört zum liebenden Dasein die ,Unsrigkeit‘, und zwar als Bedingung der Möglichkeit von (dualer) Wirheit.“ (ebd., 59) Qu.: HeiGA 2. – Binswanger 1942 (3 1962). MH

Einbildungskraft Eigenwelt. Bei Binswanger im Unterschied zu Um- und Mitwelt eine Weise des Verhältnisses zu sich selbst, das in der Identifikation mit verschiedenen „Parteien“ besteht, z. B. mit dem „Seelenfrieden“ oder mit dem „Sinnenglück“; das Selbst ist in sich „zerrissen“, sofern es sich für keine solcher „Parteien“ entscheidet. Qu.: Binswanger AW 1.

HV

Einbildungskraft wird bei Husserl selten und dann synonym zu → „Phantasie“ oder „Imagination“ verwendet. Sie ist die Fähigkeit zur anschaulichen → Vergegenwärtigung ohne Daseinsthesis. Sowohl Heidegger als auch Sartre weisen der E. in ihren Beschreibungen jeweils eine Zwischenstellung zwischen der Wahrnehmung und dem Denken zu (was im übrigen auch der phantasia bei Aristoteles entspricht): „Die E. kann [...] ein Vermögen des Bildens in einem eigentümlichen Doppelsinne genannt werden. Als Vermögen anzuschauen ist sie bildend im Sinne des Bild-(Anblick-)Beschaffens. Als ein auf Anwesenheit des Anschaubaren nicht angewiesenes Vermögen vollzieht sie selbst, d. h. schafft und bildet sie das Bild. Diese ,bildende Kraft‘ ist zumal ein hinzunehmendes (rezeptives) und ein schaffendes (spontanes) ,Bilden‘. In diesem ,zumal‘ liegt das eigentliche Wesen ihrer Struktur. Bedeutet aber Rezeptivität soviel wie Sinnlichkeit und Spontaneität soviel wie Verstand, dann fällt E. in einer eigentümlichen Weise zwischen beide.“ (HeiGA 3, 129) Sartre interpretiert aufgrund dieser Zwischenstellung die Einbildung als eine „Quasi-Beobachtung“, mit „wesenhafter Armut“, denn „man hat [durch Einbildungen] nichts dazugelernt“ (Sartre 2 1980, 50 f.): In der

Eindruck Einbildung befinden wir „uns in Beobachterhaltung, aber es ist eine Beobachtung, die nichts lehrt.“ (ebd., 48) Qu.: Hua XXIII. – HeiGA 3. – Sartre 1940 (2 1980). LW

Eindruck. (frz.: → impression) E. wurzelt bei Husserl in der Empfindungsrealität und bezeichnet als → Urimpression das reduzierte Jetztmoment (→ Jetzt) der → Wahrnehmung als absolut-immanentes Phänomen der Selbstgebung. Diese Impressionabilität impliziert in ihrer intentionalen → Struktur zeitlich-affektive sowie aktivurteilende → Synthesen, die auf die Originarität der „lebendigen Gegenwart“ als solche verweisen und von der → Reduktion(en) als Konstitutionsgrund freigelegt werden sollen. In jedem Wahrnehmungsfeld als Erlebnisstrom fließen verschiedene Empfindungsabschattungen als Eindrücke zusammen, die einen anschaulichidentischen → Gegenstand beinhalten und jeweils Zuwendungen eines „gewahrenden cogito“ hervorrufen können. (Hua III/1, 188 f.) Innerhalb dieser Regressionsmöglichkeit der → Empfindung bildet die Impression im oben genannten Sinne als originäres Urerlebnis ohne weitere → Modifikation die Grenzphase der Retentionskontinuität (ebd., 182 f.), an die sich die Analyse des inneren Zeitbewußtseins (Hua X, 29 ff.) bzw. der → passiven Synthesen als → Assoziation hyletisch-affektiver Weckung i. S. einer triebintentionalen Primärempfindung anschließen. (Hua XI, 138 ff.) Unter „absoluten Eindrücken“ versteht Husserl eine Normalität der → Erfahrung wie „heiß“ und „kalt“ z. B., deren relativer Bestimmungsmaßstab sich aus der Struktur der jeweiligen Um-

126 welt ergibt. (Husserl 6 1985, 229 f.) Bei Henry gewinnt die Impressionabilität einen radikalisiert-transzendentalen Charakter, da sie in der Affektivität des absolut-phänomenolog. → Lebens wurzelt, dessen selbstaffektive Immanenz das sich-offenbarende Wesen jedes E.s bildet und uns in sinnlicher Konkretion die Weltgehalte erschließt. (Henry 1963, 622 ff.; 1992, 87 ff.) Für Schmitz implizieren Eindrücke erwartete Sachverhalte sowie atmosphärische Ganzheit und „vielsagende Mannigfaltigkeiten“ als Hintergrund oder Hof von Andeutungen. (Schmitz 1989, 67 ff.) Qu.: Hua III/1. – Hua X. – Hua XI. – Husserl 1939 (6 1985). – Henry 1963. – Henry 1992. – Schmitz 1989. – Lit.: Almeida 1971. – Bernet 1994, bes. Kap. III, 1-4. – Kühn 1992, bes. Teil IV. RK

Einfühlung nennt Husserl diejenige → Erfahrung, die unsere → Wahrnehmung von anderen Menschen im Unterschied zu derjenigen von → Gegenständen auszeichnet. Ihm zufolge ist jede Bezugnahme auf → Andere ganz unabhängig von ihrer besonderen → Qualität wesentlich und notwendig von E. begleitet. Die E. ermöglicht sogar allererst unser → Wissen davon, daß in dem wahrgenommenen → Körper ein psych. Wesen waltet. Gegen diesen Ansatz vertritt Scheler die Position, daß E. im Sinne eines Erfassens des Ausdruckscharakters (→ Ausdruck) körperlicher Bewegungen erst auf der Grundlage unseres Wissens von der Existenz eines solchen Wesens möglich ist (ScheGW 7, 221 f., 232). Es handelt sich bei der phänomenolog. Verwendung des Terminus E. um einen Begriff von ontolog., epistemologischer, ethischer und anthropologi-

127 scher Tragweite. Ontolog. bedeutsam ist er, weil er im Rahmen der intentionalen Analyse die spezifische Seinsart des anderen Menschen charakterisiert. Von einer epistemologischen Bedeutsamkeit kann man sprechen, weil der Begriff Genese und Eigenart unseres Wissens von anderen Personen erklärt und für das erkennende Bewußtsein eine Schranke des Vermögens markiert. Von ethischer und anthropologischer Tragweite ist dieser Begriff schließlich, weil mit seiner Hilfe Aussagen über die Qualität zwischenmenschlicher Beziehungen sowie über Genese und Stellenwert der bewußten Vorstellung vom eigenen Menschsein getroffen werden können (vgl. Orth 1977, 121 f.). Husserl berücksichtigt hingegen nicht die psychologischen Konnotationen des Begriffs, die wir – etwa mit dem Wort ,Empathie‘ – aus der alltagssprachlichen und therapeutischen Verwendung her kennen, sobald es um die individuell verschieden ausgebildete Empfänglichkeit für die Gefühlszustände und Einstellungen anderer Menschen geht. Der transzendentalphänomenolog. Gebrauch impliziert also zugleich eine Erweiterung und eine Engführung des begrifflichen Gehalts. Dies bestätigt auch der begriffsgeschichtliche Rückblick. Seit Schleiermachers Divinationslehre und Diltheys Theorie vom Analogieschluß im Rahmen einer geisteswissenschaftlichen Methodologie hat die E. ihren festen Platz innerhalb der philosoph. Hermeneutik. Sie bezeichnet hier den Vorgang des SichHineinversetzens in die Vorstellungswelt anderer Menschen durch fortlaufende Anverwandlung auf der Grundlage einer Vergleichung des wahrgenommenen Anderen mit sich selbst (Schleiermacher 1977, 169 f.) oder

Einfühlung durch Rückschluß auf die Wirkursachen der am Anderen wahrgenommenen Ausdrucksbewegungen mittels eigener Ausdruckserlebnisse (Dilthey GS VII, 210-217). Auf diese Weise wird die E. zur Bedingung dafür erhoben, daß wir im Prozeß der Fremdwahrnehmung Gedanken, Worte und Schriften anderer Menschen verstehend erfassen. Husserl entlehnt den Begriff jedoch nicht der hermeneut. Tradition, sondern übernimmt ihn von dem Klassiker der Einfühlungsästhetik, Theodor Lipps (Lipps 1903a; 1903b, 107-141). Lipps versteht die E. kausal-genetisch als Vorgang des unmittelbaren Mitvollzugs der sich mir in fremden Ausdrucksbewegungen bekundenden Gefühle und Erlebnisse. Dieser beruht wiederum auf der ,instinktiven‘ Nachahmung der wahrgenommenen sowie auf der daran geknüpften Ausbildung kinästhetischer Vorstellungskomplexe und führt zur Identifikation mit dem Gegenüber, mit seinen Erlebnissen und emotionalen Zuständen. Mit der Lipp’schen Position und mit dessen Kritik an der Lehre vom Analogieschluß setzt sich Husserl mehrfach kritisch auseinander (vgl. Hua XIII, Texte Nr. 2, 13 und Beilagen X, XVI; Hua XIV, Texte Nr. 1, 12). Auch folgt er Lipps nicht beim Verständnis der E. als eines jede Apperzeption äußerer Gegenstände begleitenden Vorgangs (Lipps 1903a, 188), und anders als Lipps sieht er von der für das 19. und beginnende 20. Jh. so wichtigen ästhetischen Dimension des Einfühlungsbegriffs ab (Vischer, Volkelt u. a.). Vielmehr wird dessen Reichweite von Husserl auf die Erfahrung anderer menschlicher Wesen und ihrer → Erlebnisse beschränkt, um ihm einen festen Platz im Rahmen der Intersubjektivitätstheorie (→ Inter-

Einfühlung subjektivität) zuzuweisen. Hier, vor allem in der V. Cartesianischen Meditation, setzt Husserl die E. partiell sogar mit dem Vorgang der Fremderfahrung gleich (vgl. Hua I, 124). Für die Architektonik der Husserlschen Lehre hat die E. einen wichtigen Stellenwert. Ende der zwanziger Jahre, zur Zeit der Pariser Vorlesungen, gewinnt Husserl Klarheit darüber, daß das Wissen vom anderen → Ich als Individuationsprinzip wirksam ist und daß erst die wechselseitige Verständigung mehrerer Subjekte die Wahrnehmung der Außenwelt zu objektivieren vermag. Husserl dehnt seine Methode der transzendentalen → Reduktion auf die Ebene der Intersubjektivität aus, weil er sich gezwungen sieht, angesichts des Solipsismuseinwands die Pluralität von Subjekten unter der Voraussetzung eines absoluten und dennoch individuellen (egologischen) → Bewußtseins einsichtig zu machen. Damit die besondere Gegebenheitsweise von fremden psych. Erlebnissen für das Ich herausgearbeitet werden kann, ist eine „thematische Epoché“ (ebd.) notwendig, die zunächst, durch methodische Ausschaltung alles → Fremden, die Sphäre des mir unmittelbar durch innere und äußere Wahrnehmung Zugänglichen zu bestimmen erlaubt. Erst im Ausgang von dieser Primordialität (→ Primordial) oder Originalsphäre → apodiktischer Erlebnisgewißheit und ursprünglicher → (Selbst-)Gegebenheit ist es im Rahmen von Husserls Ansatz möglich, die Genese des Differenzbewußtseins von eigenen und fremden Erlebnissen und die Struktur der Erfahrung fremder psych. Wesen zu klären. Das „Rätsel“ des transzendenten → Anderen bringt Husserl vor allem mit der Formel einer „bewährbaren Zu-

128 gänglichkeit des original Unzugänglichen“ zur Sprache (ebd., 144). Er konfrontiert sich mit dem Dilemma, daß die psych. Erlebnisse, die den Anderen als alter ego qualifizieren, weder durch direkte Wahrnehmung noch durch logisches Schließen erfaßbar sind (vgl. Bernet/Kern/Marbach 1996, 144), aber auch nicht eigentlich fingiert oder phantasiert werden. Vielmehr machen die Formulierungen aus einigen nachgelassenen, 1927 niedergeschriebenen Texten (Hua XIV, Texte Nr. 27, 30, 39) deutlich, daß Husserl die einfühlende Erschließung fremdpsych. Gebarens durch das ,Medium‘ der → Vorstellung erklären möchte. Der psychophysisch konstituierte eigene → Leib bildet das Ausgangsschema für die kognitive, ästhesiologische und emotive Erschließung des Anderen. Dessen Leib erscheint intuitiv als abgewandelter Eigenleib, als Analogon. Durch den spezifischen Vorgang der E. in die physisch indizierten psych. → Akte des Anderen vermittels der eigenen Leiblichkeit sind diese letztlich doch bewährbar. Husserl macht deutlich, daß jeder Akt der E. nicht nur beim Anderen, sondern bereits bei mir selbst notwendig Leiblichkeit i. S. eines reflexivzeitlichen Bezugs auf den eigenen → Körper voraussetzt. Denn sie bildet die Legitimationsbasis für die für jeden Einfühlungsakt notwendige Grundannahme identischer synthetischer Systeme (vgl. Hua I, § 55). Husserl vermeidet allerdings zu klären, mit welchem Recht diese Annahme zur Unterstellung einer → Identität von meinen durch räumliches Hineinversetzen („wenn ich dort wäre“, ebd., 147 ff.) rekonstruierten Wahrnehmungsresultaten mit denjenigen des Anderen führen darf. Vielmehr dient der geltend gemachte Vorgang der „Sinnesüber-

129 schiebung“ (ebd., 143) als gesichertes Fundament für die urteilsförmige Zuschreibung von Intentionen (,er wird vor der Pfütze anhalten‘, vgl. Hua XIV, 499 f.) oder eines Gefühls (,dieser Mensch ist fröhlich‘). Die von Sartre ins Spiel gebrachte und von Levinas ethisch gewendete Konsequenz einer Dezentrierung der eigenen Wahrnehmungswelt im Verlauf der Fremderfahrung (Sartre 1994, 457-538; Levinas 1987) liegt erst recht jenseits von Husserls Horizont. Seine Beschreibung des Ineinanders der qua Erinnerung vergegenwärtigten eigenen Erlebnisse und Reaktionen einerseits mit den beim Anderen erwartbaren Erlebnissen und Reaktionen andererseits geht von einer prästabilierten Übereinstimmung meiner Wahrnehmung mit derjenigen des Anderen aus und unterscheidet von Anfang an nicht wirklich zwischen eigenem und fremdem Fungieren (vgl. Held 1972, 37 f.). So bekommt Husserl Schwierigkeiten, der → Exteriorität des Anderen samt ihrer ethischen Dimensionen Rechung zu tragen (Levinas 1992, 118, 216, 391) und die „Klippen von Egozentrik und Logozentrik“ stets erfolgreich zu umschiffen (Waldenfels 1995, 52). Als Husserls Schülerin und spätere Assistentin hat Edith Stein bereits 1917, lange vor der Publikation Husserlscher Texte zum Thema, ihre Dissertation Zum Problem der Einfühlung veröffentlicht; drei Teile zu den ästhetischen, erkenntnistheoretischen und ethischen Dimensionen der E. wurden allerdings nicht aufgenommen. Auch für Stein bezeichnet der Terminus die spezifische Art des Gegebenseins von Erlebnissen anderer Menschen für die Erfahrung. Ausführlich setzt sie sich mit Schelers, Diltheys und, auf Drängen Husserls (Fi-

Einfühlung dalgo 1993, 90), auch mit Lipps’ Positionen auseinander. Sie hält Ähnlichkeiten mit ihrer eigenen fest (Stein 1917, 11 f.), um gegen Lipps’ Identifikationsthese das Einfühlen (wahrnehmen, was der Andere fühlt) vom Mitfühlen (dasselbe fühlen wie der Andere) und vom Einsfühlen (Aufheben der Schranke zwischen eigenem und fremdem Ich) unterscheiden zu können (ebd., 16 ff.) Im Rahmen einer Ontologie des Geistes möchte Stein die E. in psych. Gehalte von → Personen vom Verstehen objektiver geistiger Gebilde abgrenzen (Herbstrith 1991, 25-27). Zum Zeitpunkt der Abfassung ihrer Dissertation waren Stein die einschlägigen und umfangreichen frühen Notizen Husserls, die sie später zu Veröffentlichungszwecken ordnen sollte (vgl. Hua XIII-XV), offenbar noch nicht bekannt. So bekam sie erst in den zwanziger Jahren Gelegenheit, sich der Nähe ihrer eigenen leibphänomenolog. und einfühlungstheoretischen Ergebnisse zu denjenigen ihres Lehrers zu versichern (vgl. Ingarden 1991, 74). Die Differenz von gegenstandsbezogener und fremderfahrender → Appräsentation, die in den Cartesianischen Meditationen so wichtig für die Charakterisierung der E. wird (vgl. Hua I, §§ 52-54), nimmt Stein in ihrer Schrift bereits vorweg. Im Gegensatz zu ihrem Lehrer schenkt sie dem Problem der Täuschung bei Einfühlungsprozessen ausführliche Beachtung. Smith betont in seinem Versuch einer sprachanalytisch abgesicherten Reformulierung wahrnehmungsphänomenolog. Einsichten beim Thema empathy vor allem die fundierende Rolle der Identifikation, i. S. einer Fähigkeit, sich an die Stelle des Anderen zu versetzen, sowie den emotionalen Charakter der Einfühlungserfahrung samt

Einheit der entsprechenden Urteilsakte (Smith 1989, 112-135). Demgegenüber tritt die durch einschlägige Arbeiten von Merleau-Ponty (Merlau-Ponty 1984; Merleau-Ponty 1986, 230-234) weiterentwickelte leibphänomenolog. Fundierung des Husserlschen Einfühlungsbegriffs ebenso in den Hintergrund wie das von Husserl diagnostizierte, von Levinas und Waldenfels weiter diskutierte Problem der Alterität und Fremdheit des → Anderen. Qu.: Hua I. – Hua XIII. – Hua XIV. – Hua XIV. – Hua XV. – ScheGW 7. – Schleiermacher 1838 (ND 1977). – Dilthey GS VII. – Lipps 1903a. – Lipps 1903b. – Sartre 1943 (1994). – Levinas 1961 (1987). – Levinas 1974 (1992). – Merleau-Ponty 1960 (1984). – Merleau-Ponty 1964 (1986). – Stein 1917 (ND 1980). – Smith 1989. – Lit.: Bernet/Kern/Marbach 1996. – Fidalgo 1993, 90-106. – Held 1972, 3-60. – Herbstrith 1991, 23-41. – Ingarden 1971 (1991), 73-82. – Orth 1977, 103-129. – Owens 1970. SG

Einheit. Ihr Begriff wird von Husserl in mehrfacher Hinsicht bestimmt. Zuerst behandelt er das Thema im Zusammenhang mit der Zahl. Er kritisiert deren Definition als „Vielheit von Einheiten“, weil diese Bestimmung die Zahl nicht näher charakterisiert, und geht dann eine Reihe von Äquivokationen des Begriffs E. durch. Die Bedeutungen „E. als Ganzes“ und „E. als Ganzheit oder Geeinigtheit“ führen zur Definition: „Eines ist, was geeinigt ist.“ Das Ideal der Einigung ist die Unteilbarkeit, deren Ideal wiederum der mathematische Punkt. E. ist weiters ein Thema mit Bezug auf die Wissenschaft, unter kategorialem Aspekt und in noetischer und noematischer Hinsicht. Das Wesen der Wissenschaft beruht in der E. eines Begrün-

130 dungszusammenhanges (Hua XVIII, 30 u. 39). Den Begriff „E.“ rechnet Husserl zu den syntaktischen → Kategorien, zu diesen gehören auch → Sachverhalt, Relation, Beschaffenheit, Vielheit, Anzahl, Ordnung, Ordinalzahl usw. – Alle realen E.en sind solche des → Sinnes, sie setzen sinngebendes → Bewußtsein voraus. „Realität“ und → „Welt“ beziehen sich demnach auf bestimmte Sinneseinheiten. Eine E. besonderer Art ist der Erlebnisstrom, nicht wie ein singuläres → Erlebnis, sondern wie eine Idee i. S. Kants. Die umfassende E. für alle Erlebnisse eines Erlebnisstromes („eine E. Bewußtsein mit Bewußtsein verbindenden Bewußtseins“; Hua III/1, 273) ist die E. des immanenten Zeitbewußtseins, dessen Ursynthese. Jedes wirkliche Erlebnis ist eine im phänomenolog. Zeitbewußtsein konstitutierte zeitliche E. Die E. der → Erscheinungen führt auf das Problem der → Konstitution: Die zur E. eines Erscheinenden notwendig zusammengehörigen Erscheinungsreihen können intuitiv überschaut und theoretisch erfaßt werden; zwischen dem Erscheinenden als E. und den Mannigfaltigkeiten der Erscheinungen besteht eine gesetzmäßige → Korrelation. – In der Krisis-Schrift spricht Husserl von der E. der → Lebenswelt. Qu.: Hua XII, VIII. Kap. – Hua III/1, §§ 11, 55, 83, 113, 118, 150. – Hua VI, § 34. – Hua XVIII. HV

Einsamkeit. Husserl spricht in dem Vortrag Phänomenologie und Anthropologie im Zusammenhang mit der in den Meditationes Descartes’ in äußerster „Vereinsamung“ vollzogenen Besinnung des Denkens auf sich selbst vom Aufbruch „transzendentaler E.“. Ist die Welterfahrung nämlich einmal

131 in ihrer Fragwürdigkeit bewußt geworden, ist dem meditierenden → Ich „eine universale Epoché hinsichtlich des Seins der Welt auferlegt“ (Hua XXVII, 170); es erfährt sich nun nicht mehr als irgendein vereinzeltes Ich, sondern als das „Ich in der Weltepoché“, was einer „wahren Revolution“ gleichkommt: „Aus der menschlichen E. ist vermöge dieser Epoché eine radikal andere, die transzendentale E. geworden, nämlich die E. des Ego“. Diese transzendentale E. des Ego ist eine für den Phänomenologen „ein für alle mal bindende“ (ebd., 171). Für Heideggers Auffassung der E. oder (synonym) der ,Vereinzelung‘ gilt, daß wo immer die → Transzendenz des → Daseins in ihrer äußersten Möglichkeit erörtert wird, das Dasein als ein in radikaler Vereinzelung auf sein Da zurückgeworfenes erscheint. So heißt es in Sein und Zeit im Zusammenhang mit der Analyse der → Stimmung der → Angst, sie hole das Dasein aus seiner Zerstreutheit in das → ,Man‘ zurück und bringe es vor es selbst: „Die Angst vereinzelt und erschließt so das Dasein als ,solus ipse‘. Dieser existenziale ,Solipsismus‘ versetzt aber so wenig ein isoliertes Subjektding in die harmlose Leere eines weltlosen Vorkommens, daß er das Dasein gerade in einem extremen Sinne vor seine Welt als Welt und damit es selbst vor sich selbst als In-der-Welt-sein bringt“ (HeiGA 2, 250). Gemeint ist also keine existenzielle Vereinzelung als ,Alleinesein‘, sondern die in der Stimmung der Angst einbrechende Transzendenzbewegung, die in der radikalen Zuspitzung Dasein als Erschlossenheit überhaupt offenbar werden läßt. Die Transzendenz „konstituiert die Selbstheit“ (HeiGA 9, 138); in ihr liegt die „Möglichkeit und Notwendigkeit radikalster Indivi-

Einsamkeit duation“ (HeiGA 2, 51) beschlossen. Und nur „weil Dasein als solches durch Selbstheit bestimmt ist, kann sich ein Ich-selbst zu einem Du-selbst verhalten“ (HeiGA 9, 157 f.). Auch die Vorlesung Die Grundbegriffe der Metaphysik. Welt – Endlichkeit – Einsamkeit hält sich in dem Problembereich der entzugshaften Erschlossenheitsdimension. Die Endlichkeit ist die „Grundart unseres Seins“; als solche ist sie aber kein bloßes Faktum, sondern geschieht als Verendlichung, die sich wiederum als eine Vereinzelung des → Menschen auf sein Dasein vollzieht (HeiGA 29/30, 8). Der angespielte Individuationsgedanke, den Heidegger jetzt in die Frage nach der → Zeit zurücknimmt, bleibt aber „nur erst ein vor-läufiges Aufbrechen einer weiten und noch dunklen Perspektive“ (HeiGA 29/30, 121). Er hängt zusammen mit der Zeitstruktur des Augenblicks, die Heidegger in Sein und Zeit (HeiGA 2, § 65) keimhaft faßt und unmittelbar nach Sein und Zeit im Zusammenhang mit der Frage nach der Zeit als dem transzendentalen → Horizont des Seins unter dem Terminus der ,Temporalität‘ ins Zentrum seiner Überlegungen stellt (vgl. HeiGA 24 u. HeiGA 26). Zu einer Weiterführung des Problems eines ,Umschlages‘ von Zeit in Sein kommt Heidegger jedoch erst im Zusammenhang mit der sog. → Kehre und dem Gedanken vom ,Zeit-SpielRaum‘ (vgl. HeiGA 65, 282 ff.). Der Augenblick nennt jetzt ein epochales Innehalten der Geschichte, dem jäh das Werden von → Welt oder die „Lichtung des Seyns“ (HeiGA 66, 114) entspringt: „Bei den Wandlungen des Wesens der Wahrheit sind die unscheinbaren seltenen Augenblicke, da die Geschichte innehält. Diese innehaltenden Augenblicke der verborgenen Ru-

Einschnitt, epistemologischer he sind die anfänglich geschichtlichen, weil in ihnen das Wesen der Wahrheit dem Seienden anfänglich sich zuweist und zuschickt“ (HeiGA 54, 80 f.). In geschlossenster Form finden sich die Überlegungen in dem späten Vortrag Zeit und Sein. Binswanger entwickelt seine Deutung der E. in Abgrenzung von der Auffassung des frühen Heidegger, nach der das Dasein im Grunde seines → Seins durch Selbstheit bestimmt ist. Nach Binswanger ist der Transzendenz qua Selbst ein zweites zur Seite zu stellen, nämlich ein „rein überschwingendes Sich-einander-Einräumen“ und damit eine „Wirheit“. Von ihr her zeigt sich die Selbstheit als ein „Geschenk“, und zwar als das der „E.“ (Binswanger 1973, 130 u. 185). Binswanger unterscheidet diese ,geschenkte E.‘ vom Alleinesein im Sinne der isolierten Vereinzeltheit oder Einzigkeit; sie ist nicht der „eindeutige“, sondern der „lebendig-dialektische Gegenpol der Zweisamkeit“: „Einsam bin ich ,nicht alleine‘, sondern bin ich, kann ich nur sein im liebenden ,Hinblick auf Dich‘ “. Sie ist ein der „Wirheit immanenter Wesenszug“. Ohne die Möglichkeit der E. gäbe es auf der anderen Seite auch keine „Selbstheit im Lieben“ (Binswanger 1973, 131 f.), sondern nur eine quantitative Erweiterung der Egoität. In diesem Sinne heißt es auch bei Rilke: „Wenn das Wesen der Gleichgültigkeit und der Menge darin besteht, keine E. anzuerkennen, so ist Liebe und Freundschaft dazu da, fortwährend Gelegenheit zur E. zu geben. Und nur das sind die wirklichen Gemeinsamkeiten, die rhythmisch tiefe Vereinsamungen unterbrechen“ (zit. ebd., 132). Zum vollen phänomenalen Gehalt der → Liebe gehört nach Binswanger „das dialektische ,Gleichmaß‘

132 zwischen E. und Zweisamkeit [...], zwischen Schenken und Empfangen“. Ist dieses Gleichmaß nicht gegeben, kommt es zu den uneigentlichen Formen der E., zur Sprunghaftigkeit des „unerlöst Zweisame(n)“ (Don Juan) oder zur ungeschichtlichen Existenz des „unerlöst Einsame(n)“ (Amiel; ebd., 136 f.). Im Gegensatz zum Gedanken der Selbstbemächtigung, mit der sich das Dasein entschlossen aus dem → ,Man‘ zurückholt und die Übermacht der endlichen Freiheit auf sich nimmt (Heidegger), verfolgt Binswanger die Möglichkeit der „Begabung des Daseins mit der E. durch Selbstempfängnis“. Ihr entspricht nicht die Heideggersche „überschwingendentziehende Transzendenz“, sondern die „rein überschwingende Transzendenz“ (ebd., 177) der Liebe. Qu.: Hua XXVII. – HeiGA 2. – HeiGA 9. – HeiGA 29/30. – HeiGA 54. – HeiGA 65. – HeiGA 66. – Heidegger 1969. – Binswanger 1973. – Lit.: Barbaric 1999. – Fischer 1990. – Görland 1981. – Sternberger 1934. CN

Einschnitt, epistemologischer. (frz.: coupures épistémologiques) Der Begriff steht in der Epistemologie in Frankreich für die historische und/oder logische Diskontinuität der Filiation von in sich kohärenten Wissens- bzw. Erkenntnisformationen. In der Wissenschaftstheorie Bachelards, an der u. a. Koyré, Cavaillès, Althusser, Foucault und Serres anknüpfen, ist zunächst von „mutations“, später von „ruptures“, „déchirures“ und „coupures épistémologiques“ die Rede. Gemeint war gelegentlich aber auch eine wissenschaftsgeschichtliche oder logische Zäsur im Verhältnis zwischen „naiver“ oder „ideologischer“ (Althusser) Erfahrung und objektiver Erkenntnis überhaupt, die sich von ihren „archai-

133 schen“, nicht-rationalisierten Formen emanzipieren sollte. Ricœur transponiert den Begriff auf das Verhältnis von Geschichte als Erzählung und → „Mythos“ einerseits und Geschichte als Wissenschaft andererseits, wobei der Eindruck des „Bruchs“ aber durch den systematischen Aufweis einer „sinngenetischen“ Fundierung von historiographischen Erklärungsformen, Entitäten und (historischen) Zeiten in der geschichtlichen Erfahrung unterlaufen wird. Unter Hinweis auf Husserls Methode der Rückfrage geht Ricœur bspw. von wissenschaftlichen Formen der Kausalzurechnung aus, um deren Vorformen in der „naiven“ Deutung von → Zeit als Geschichte aufzusuchen. So soll sowohl der methodologischen Eigenständigkeit der wissenschaftlichen Begriffsbildung als auch ihrer „sinngenetischen“ Fundierung im lebensweltlichgeschichtlichen Verstehen Rechnung getragen werden. Ricœur verschmilzt auf diese Weise den epistemologischen Begriff mit der phänomenolog. Wissenschaftstheorie (i. S. des Verhältnisses von episteme und doxa), wobei aber die diachrone Problematik einer diskontinuierlichen Wissenschaftsentwicklung weitgehend ausgeblendet bleibt. Qu.: Ricœur 1983, 269-286 (1988, 288307). – Ricœur 1986, 26-35. – Lit.: Bachelard 1965 (1978). – Canguilhem 1979, 38-58. BL

Einsicht. E. (Einsehen) oder → Evidenz nennen wir Husserl zufolge ein positionales doxisches, adäquat gebendes → Bewußtsein, das Anderssein ausschließt. Während Evidenz und E. gewöhnlich als gleichbedeutend genommen werden, wählt Husserl für den allgemeinsten Begriff thetischer Moda-

Einstellung litäten den Terminus „Evidenz“, unterscheidet die originäre von der assertorischen und → apodiktischen Evidenz und wählt für diese den Terminus E. E. steht bei Scheler im Kontext der Erkenntnis apriorisch sittlicher → Werte, wobei er die Unabhängigkeit ethischer E. von der → Erfahrung hervorhebt. Gewissen und sittliche E. sind nicht dasselbe, weil die evidente E. in Gut und Böse nicht täuschen kann, es aber auch Gewissenstäuschungen gibt. Dazu kommt, daß das Gewissen wesentlich negativ ist: Seine Funktion liegt nicht darin, eine positive E. zu geben, sondern nur eine kritische E., die teils warnt und teils richtet. Patoˇcka spricht von der sittlichen E. in die Grundmöglichkeiten menschlichen Miteinanderseins, in der sich die Zweideutigkeit sittlichen Handelns enthüllt. Eine Grundvoraussetzung sittlicher E. ist der Mut, denn das auf E. gegründete Leben ist ein Wagnis. Mit der sokratischen → Sorge um die → Seele öffnet sich ein Zwiespalt zwischen einem Leben, das auf Meinung und überkommener Tradition gegründet ist, und einem Leben aus E. Die E.en, welche der logos (als Ablegung von Rechenschaft) gibt, sind vorläufig, sie bilden jedoch ein Milieu des Denkens aus, das eine allmähliche Weitsicht ermöglicht. Die neuzeitliche mechanistische Naturbetrachtung hat von dieser Erkenntnis weggeführt, die Möglichkeit einer Erneuerung erblickt Pato cˇ ka in der Phänomenologie. Qu.: Hua III/1, § 137. – ScheGW 2, 321 ff. – Patoˇcka 1988, (Europa und NachEuropa). HV

Einstellung. Der Begriff der E. ist in der Phänomenologie eng mit ihrer Bestimmung als Theorie und ih-

Einstellung rem Anspruch auf eine gemäße Erfassung ihres Untersuchungsgebiets verknüpft. Dies trifft in gewisser Weise noch auf Heidegger zu, der die theoretische Ausrichtung der Phänomenologie einer tiefgehenden Kritik unterzieht, mit der Zurückweisung der bis dahin vollzogenen Umsetzung ihres Anspruchs diesen aber noch ursprünglicher einzulösen versucht. Bei Husserl besagt E. allgemein „einen habituell festen Stil des Willenslebens in damit vorgezeichneten Willensrichtungen oder Interessen, in den Endzwecken, den Kulturleistungen, deren gesamter Stil also damit bestimmt ist“ (Hua VI, 326). E. weist darauf hin, daß mundane Subjektivität auf dem → Boden bestimmter → Regionen von Seinsgewissheit fungiert, und steht in engem Zusammenhang mit Husserls Lehre der → Korrelation von meinendem → Akt und darin gemeinter Gegenständlichkeit: E. ist das subjektive Korrelat, das einem ontolog. bestimmbaren Bereich, einer Region, entspricht. Der seinerseits vom Boden der Phänomenologie aus gefaßte Begriff der E. bezeichnet damit zum einen die Pluralität subjektiver Dispositionen in der möglichen Vielzahl von Regionen. Mit Blick auf den Zugriff der → Wissenschaft sind dies vor allem die der „praktischen“ gegenübertretende „wissenschaftliche“ E. (Hua XIII, 449452); des weiteren die „naturale“ oder „naturalistische“ und „personale“ oder „personalistische“ E. (Hua IV, §§ 34, 49, 62), in denen die „naturwissenschaftliche“ und die „geisteswissenschaftliche“ E. gründen (Hua IV, Beilagen XII und XIV; Hua VI, 294-313; Hua XV, 480-508); die auf Grund ihrer partiellen Ausblendung von Seinsthesen der theoretisch (,schauenden‘) E. der Phänomenologie nahestehen-

134 de „ästhetische“ E. (Hua XXIII, 581588). Zum anderen benennt ,E.‘ den theoretischen Zugriff der Phänomenologie selbst, der durch eine „uninteressierte“ E. (Hua VIII, 96) gekennzeichnet ist und jeweils das Interessiertsein an einer Thesis einklammert: Der Einklammerung der Thesis des Tatsächlichen, der Natur- wie Geisteswissenschaften unterstehen, entspricht die „wesenswissenschaftliche“ E. der phänomenolog. → Eidetik, die korrelativ die Pluralität der apriorischen Seinssinne der Regionen ontolog. erschließt (Hua III/1, §§ 1-10). Die Aussetzung der Thesis der empirischen Psychologie führt zur „rein psychologischen“, „phänomenolog.“ oder „phänomenolog.-psychologischen“ E., deren Korrelat das → Apriori des Subjektiven selbst ist, als Region des reinen, nicht-empirischen → Bewußtseins (Hua IX, 52-97; Hua XIII, 138154). Alle erwähnten praktischen wie theoretischen E.en sind aus der „natürlichen“ E. (Hua III/1, §§ 27-32; Hua IV, § 49e; Hua VI, 327; Hua XIII, 111-138) als „Umstellungen“ (Hua VI, 327) erwachsen; zugleich unterstehen sie noch der → „Generalthesis“ der natürlichen E. (Hua III/1, § 30). Erst ihre Inhibierung ermöglicht die „transzendentalphänomenolog.“ E. (Hua III/1, § 54; Hua VI, § 59; Hua VIII, 92-112); diese korreliert nicht mehr mit einer Region, sondern mit der den Ort aller → Konstitution von Regionen markierenden transzendentalen Subjektivität und analysiert das Apriori des konstitutiven Aufbaus der natürlichen E. als „verweltlichter transzendentaler“, als „mundaner“ E. Alle auf → Welt bezogene außerphänomenolog. Theorie deutet auf Grund fehlender Prüfung der Relation ihrer jeweils leitenden Forschungsthesis die natürliche E.

135 um und ist „dogmatische“ E.; sofern auch die natürliche E. darin dogmatisch ist, als sie ihre Relation für fraglos geltend ansetzt und ihre transzendentalkonstitutive Ermöglichung übersieht, ordnet sie sich „der dogmatischen als Besonderheit“ unter (Hua III/1, 134). Indem die durch phänomenolog. → Reduktion zu erlangende E. auf Grund von fungierenden Seinsthesen bestehende Sehsperren aufhebt und so gegen die dogmatische E. revoltiert, macht sie „überhaupt für die Erfassung von Einstellungsänderungen empfänglich“ (Hua IV, 179). Dieses „Erzieherische“ (ebd.) der phänomenolog. Reduktion liegt nicht nur im → Faktum ihrer Radikalität, sondern auch darin, daß ihre Anwendung auf das nicht-empirische, reine Bewußtsein eine → Einsicht in die regionale Aufteilung des Seienden a priori und korrelativ in die Pluralität der → Vernunft impliziert. In Husserls Spätwerk begegnen Ansätze, auch die faktische → Lebenswelt pluralistisch zu denken, indem auf ihren historischen Charakter abgehoben wird: „In irgendeiner E. lebt die Menschheit [...] in ihrer historischen Lage immer.“ ,Natürliche‘ E. besagt jetzt „eine erste Historizität“, eine „erste ursprünglich niedere Form von Kulturen“, deren „ursprünglich natürliches Leben“ faktisch-kontingent je unterschiedlich strukturiert ist und als „historische Grundweise des menschlichen Daseins“ zugleich einen apriorischen Stil aufweist (Hua VI, 326 f.). Plurale, da geschichtlich und kulturkreishaft bedingte Ausprägungen in einer ersten Schicht vergemeinschafteten Lebens bei gleichzeitig bestehenden Konstanten hatte bereits Scheler in seiner Theorie der „natürlichen Weltanschauung“ herausgearbeitet (ScheGW 6, 13-26). Natürliche

Einstellung Weltanschauung teilt ferner mit wissenschaftlichem Erkennen einen „anthropozentrischen“ Grundzug, sofern beide solche → Werte bevorzugen, die für den Lebensprozeß des Organismus belangvoll sind und eine „bestimmte praktische Betätigung einleiten“ (ScheGW 11, 57 f.). Diese Bindung an das Lebensinteresse menschlicher Organisation stellt erst Philosophie in Frage und wird von der phänomenolog. E. konsequent außer Funktion gesetzt. Für das phänomenolog. Verfahren verwendet Scheler folglich einen prägnanten E.s-Begriff: Phänomenologie ist nicht „der Name für eine neue Wissenschaft“, sondern „für eine E. des geistigen Schauens“ (ScheGW 10, 380). ,E.‘ besagt hier ein „Verfahren inneren Handelns“ (ScheGW 9, 207), das die Aufhebung des das Lebensinteresse bindenden Realitätsmoments erwirkt. Sie ist daher keine → Methode, sofern diese „ein zielbestimmtes Denkverfahren über Tatsachen“ darstellt; und anders als im Fall der E. der Beobachtung ist bei der phänomenolog. E. Erlebtes und Erschautes „ ,gegeben‘ nur in dem er-lebenden und er-schauenden Akt selbst, in seinem Vollzug“ (ScheGW 10, 380). In seinem Frühwerk betont auch Heidegger den Vollzugscharakter der E., rückt ihn dabei jedoch schon in die Nähe seines wenig später ausgebildeten hermeneut. Konzepts: Phänomenologie als „Ursprungswissenschaft“ (HeiGA 58, 24) verlangt die „lebendige E. des Forschers“, die in einem „Sicheinstellen in die lebendigen Motivationen und Tendenzen des Geistes“ (ebd.) besteht, in einem „lebendigen Mitgehen mit dem echten Sinn des Lebens, des verstehenden Sicheinfügens“ (HeiGA 58, 23). Später distanziert sich Heidegger im Rahmen seiner Husserl-

Ek-sistenz Kritik zunehmend vom Begriff der E. Dieser ist zwar auf die theoret. Haltung anzuwenden, in die man sich „aus der natürlichen Erfahrungsart [...] hineinstellen muß“, welch letztere ihrerseits „nicht als E. bezeichnet werden“ darf (HeiGA 20, 156). Doch sofern die Explikation der „sogenannten natürlichen E.“ von der theoretischen Haltung geleistet und so das Vorurteil gestützt wird, als sei dadurch „das Sein der Akte ursprünglich und eigentlich gegeben“, ist der Begriff der phänomenolog. E. selbst ungeklärt und „verstellend“ (ebd.). Wie das Theoretische gründet für Heidegger auch der Begriff der E. in einer → Auslegung des Seienden als bloßen → Vorhandenseins und ist einer bestimmten, nämlich der metaphys.technischen Deutung des „Ge-stells“ entsprungen. In den dreißiger Jahren sucht Heidegger den Sinnzusammenhang des Stellens aus der Fixierung auf die „Sphäre der Subjektivität des Bewußtseins“ herauszunehmen (HeiGA 5, 71) und thesis nicht wie Husserl auf das seinssetzende Bewußtsein zu beziehen, sondern, mit Blick auf das Kunstwerk, ursprünglicher als ein „Aufstellen im Unverborgenen“ (ebd., 48), als „das Aufstellen einer Welt und das Herstellen der Erde“ zu denken (ebd., 34). Dieses Stellen „herin die Offenheit des Unverborgenen, vor- in das Anwesende“ (ebd., 70) erhält „Stand und Ständigkeit“ in einem bestimmten Seienden als → „Werk“ (ebd., 48) und verdichtet sich in diesem zum „Ge-stell“ als der „Versammlung [...] des Her-vor-ankommen-lassens“ (ebd., 72). Das Ge-stell steht immer in der Gefahr, innerhalb des Unverborgenen als „Verstellung“ seine Sinnherkunft zu verbergen (ebd., 40). Solches Verstellen erfolgte im neuzeitli-

136 chen Denken, indem hier das Stellen in das Unverborgene als ein „Sich (dem Ich-Subjekt) entgegenstellen“ gedeutet wurde (ebd., 70). In der modernen → Wissenschaft wird → Theorie „im Sinne des Be-trachtens“ zu einem „nachstellenden Vorstellen, das alles Wirkliche in seiner verfolgbaren Gegenständigkeit sicherstellt“ (HeiGA 7, 50), und der Sinn des Ge-stells als des „Wesens der modernen Technik“ verfestigt sich in einem „Herausfordern in die Sicherstellung von allem“ (HeiGA 5, 72). Qu.: Hua III/1, §§ 1-10, §§ 27-32, § 50, § 54, § 62, § 75. – Hua IV, § 34, § 49, § 62. – Hua VI, § 59, 294-313, 326 f. – Hua VIII, 92-112. – Hua IX, 52-97. – Hua XIII, 138154, 449-452. – Hua XV, 480-508. – Hua XXIII, 581-588. – ScheGW 10, 380-384. – HeiGA 5, 1-74. – HeiGA 7, 37-65. – HeiGA 20, 156. – HeiGA 58, §§ 4 f. – Lit.: Fischer 1985. HRS

Ek-sistenz. Heidegger unterscheidet seinen Begriff der E. vom metaphys. Existenz-Begriff, der dem WesensBegriff (essentia) (→ Wesen) gegenübergestellt wird, ebenso vom Begriff der → Existenz als → Wirklichkeit (im Gegensatz zur → Möglichkeit als bloßer Idee) und vom Existenz-Begriff i. S. des Existenzialismus. Auch bedeutet E. nicht das bloße Vorkommen eines Seienden. Vielmehr bestimmt Heidegger E. als „Stehen in der Lichtung des Seins“. Dies bedeutet, daß der oder die Ek-sistierende der „Entborgenheit des Seienden als eines solchen“ ausgesetzt ist. (HeiGA 9, 189 u. 324) E. läßt sich einzig von der Art des → Menschen zu sein aussagen; nur dieser ist in der Weise der E. (ebd., 190). Insofern der Mensch als ek-sistierender in der → Unverborgenheit des → Seins steht, spricht Heidegger von E. auch als

137 von der „Inständigkeit in der Wahrheit des Seins“ (HeiGA 6.2, 434). Merleau-Ponty übernimmt den Begriff der E. („ex-sistance“) von Heidegger. In der Gegenwart der → Wahrnehmung fallen nach Merleau-Ponty eigenes Sein und Bewußtsein zusammen – dies nicht deshalb, weil das Bewußtsein das Sein einholen würde, sondern weil in der Wahrnehmung die eigene „primitive Verfangenheit in der Welt“ ins Spiel kommt: Das „Sein zu ...“ fällt mit dem Haben eines Bewußtseins zusammen. Diese Einheit nennt Merleau-Ponty auch die Identität zwischen der „faktischen Geste der ,Eksistenz‘ “ und dem Bewußtsein zu existieren. (Merleau-Ponty 1966, 482) Am Existenz-Begriff der Existenzphilosophie kritisiert Levinas, daß das Verb „existieren“ zu einem transitiven Verb gemacht worden sei und das Existieren daher im Transzendieren bestehe, daß aber der → Anspruch des Denkens auf das Unendliche verworfen werde. (Levinas 1983, 72 f.) Levinas tadelt an Heideggers ExistenzBegriff, daß Heidegger Existenz als → Ekstase auf den → Tod hin begreife. Er leugnet die Ekstase als den „originalen Modus der Existenz“ (Levinas 1997, 20 u. 100), da er die Relation zwischen → Ich und → Sein nicht als Bewegung nach außen, sondern als „Hypostase“ sieht. Levinas selbst bezeichnet mit „existence“ und „existant“, was im Dt. mit „Sein“ und „Seiendes“ angesprochen ist (Levinas 1989, 21). Qu.: HeiGA 2. – HeiGA 6.2. – HeiGA 9. – Merleau-Ponty 1945 (1966). – Levinas 1947 (1997). – Levinas 1949 (1983). – Levinas 1979 (1989). – Lit.: Birault 1951. RE

Ek-stase. Als ek-sistierender hat der → Mensch nach Heidegger einen ekstatischen → Bezug zum → Sein.

Ek-stase Das bedeutet, daß er – als ein der → Offenheit des Seienden ausgesetzter (→ Ek-sistenz) – auf das Sein als den → Ort dieser Offenheit bezogen bleibt. Dieses Verhältnis übernimmt der Mensch in der → „Sorge“, wobei das Sein die „Dimension des Ekstatischen der Ek-sistenz“ ist (HeiGA 9, 332-334). Das „ursprüngliche Außer-sich an und für sich selbst“ ist die Zeitlichkeit, in der auch die ursprüngliche Einheit der Sorgestruktur liegt (vgl. HeiGA 2, 24, 433, 435). Zeitlichkeit ist also sowohl ekstatisch bestimmt als auch die „Bedingung der Seinsverfassung des Daseins“ (ebd., 378). Die „E.n der Zeitlichkeit sind → „Zukunft“, → „Gewesenheit“ und → „Gegenwart“. Insofern → Existenz nach Heidegger ekstatischen Charakter hat, ist sie die ursprüngliche Einheit des „auf-sich-zukommenden, auf-sichzurückkommenden, gegenwärtigenden Außer-sich-seins“, also die Einheit der drei Zeitekstasen (HeiGA 24, 378). Das Wesen der Zeitlichkeit ist „Zeitigung in der Einheit der E.n“, wobei der Zukunft Vorrang eingeräumt wird (HeiGA 2, 435). Merleau-Ponty versteht das → Subjekt als E., insofern es auf → Welt transzendiert und dadurch die Textur der Welt bestimmt (Merleau-Ponty 1966, 484 u. 488 f.). Bewußtsein ist „durch und durch“ „aktives Transzendieren“, das mit der „ursprünglichen Offenheit für ein Feld von Transzendenzen“ korrespondiert, die MerleauPonty „E.“ nennt (ebd., 429). Während die Teile eines Gegenstandes hintereinander wahrgenommen werden, werden diese partiellen Erfahrungen durch die → Setzung des → Gegenstandes überschritten. Vergangene, gegenwärtige und zukünftige → Wahrnehmung eines Gegenstandes kommen in

Emotion der Einheit des Gegenstandes überein. Dieses Überschreiten der Grenzen der wirklichen Wahrnehmung macht das „ekstatische Wesen der Erfahrung“ aus (ebd., 94). Levinas billigt Heidegger zwar zu, E. nicht bloß als Eigenschaft der Seele, sondern als das, wodurch Existenz existiert, verstanden zu haben. Das setzt nach Levinas jedoch schon das Verhältnis von Ich und Welt, Verstehen und → Zeit voraus. Darüber hinaus hat der Mensch in der Sorge sein Dasein zu übernehmen, wodurch Existenz zum Kampf ums Dasein wird. Levinas setzt der E. Heideggers die „Hypostase“ gegenüber, die das Seiende bezeichnet, das sich aus dem unbestimmten Sein des → „es gibt“ („il y a)“ erhebt, das nach Levinas – im Gegensatz zu Heidegger – dem Sein als Welt vorhergeht (Levinas 1997). Qu.: HeiGA 2. – HeiGA 9. – HeiGA 24. – Merleau-Ponty 1945 (1966). – Levinas 1947 (1997). – Lit.: Krewani 1992. RE

Emotion. Dieser Begriff spielt in Schelers Phänomenologie und materialer Wertethik (→ Wert) eine zentrale Rolle. Das Emotionale umfaßt die Bereiche des Fühlens, Vorziehens, Liebens und Hassens und gehört in die Ganzheit des geistigen → Lebens, ebenso wie das → Denken und das → Wollen. Sein ursprünglicher apriorischer Gehalt ist selbständig, unabhängig vom Denken und also auch nicht durch die Logik adäquat zu erfassen, vielmehr Gegenstand einer eigenen Phänomenologie des emotionalen Lebens. Dieses darf nicht als Sinnlichkeit interpretiert werden, was nur einem aus der Antike stammenden Vorurteil (in Trennung der Sinnlichkeit von der Vernunft bei gleichzeitiger Un-

138 terordnung von jener unter diese) entspräche. Mehr noch: Was im Er-leben das Primäre ist, das Wahrnehmen und überhaupt das „vorstellige“ Verhalten zur Welt, ist im Leben selbst dem emotionalen und wertnehmenden Verhalten gegenüber sekundär. Innerhalb des emotionalen Lebens unterscheidet Scheler das intentionale Fühlen von etwas von bloßen Gefühlszuständen. Ursprüngliches intentionales Fühlen zeigt sich am deutlichsten dort, wo es sich auf Gefühle richtet, z. B. auf einen sinnlichen Gefühlszustand wie den → Schmerz. Das intentionale Fühlen kann mit Bezug auf den Gefühlszustand variieren, indem der Schmerz erlitten, ertragen, geduldet oder gar genossen wird. Solche Modi des Fühlens sind auch von solchen des Vorstellens – Bemerken, Beobachten usf. – unterschieden. Gefühlszustände gehören zu den Inhalten und Erscheinungen, intentionales Fühlen zu den Funktionen in Aufnahme jener Inhalte. Das intentionale Fühlen ist mit seinem Gefühlten unmittelbar verbunden; es besteht eine ursprüngliche Beziehung auf Gegenständliches, namentlich auf Werte. Während Gefühlszustände bloß äußerlich mit → Gegenständen in Verbindung gebracht werden (z. B. bestimmte Schmerzen, von denen gesagt wird, sie seien Anzeichen einer Krankheit), ist das intentionale Fühlen in sich als zielgerichtete Bewegung auf Werte bezogen. Die emotionalen Erlebnisse machen das Wertfühlen aus, in ihnen wird eine bestimmte Wertqualität unmittelbar erlebt. Das aufnehmende Fühlen von Werten zählt Scheler zur Klasse der intentionalen Fühlfunktionen. Von diesen unterscheidet er die → Erlebnisse, die sich auf dem emotionalen Leben aufbauen: Im „Vorziehen“ und „Nach-

139 setzen“ werden der höhere oder niedrigere Rang von Werten erfaßt. Diese sind – im Unterschied zu den intentionalen Fühlfunktionen – emotionale → Akte. Deren höchste Stufe bilden → Liebe und Haß. Vom Vorziehen und Nachsetzen trennt diese, daß auch nur ein Wert gegeben sein kann. Zudem erfährt in ihnen das dem Fühlen zugängliche Wertreich eine Erweiterung oder Verengung. Im Rahmen seiner Soziologie des → Wissens untersucht Scheler die emotionalen Ursprünge der verschiedenen Formen der Wissenssuche. Das Streben nach Wissen überhaupt entspringt einem Triebimpuls, den der → Mensch mit den höheren Tieren, namentlich mit den Menschenaffen, teilt: Es ist die Neugier (die Scheler in einen Zusammenhang mit den Machttrieben und den Trieben zur Konstruktion und zum Spiel bringt). Von diesem Triebaffekt zweigen sich emotionale Bewegungsfaktoren ab, zunächst die Wißbegier und dann die eigentlichen geistigen Verarbeitungsformen der Triebe: der → Drang, sich in einem → Heil zu bergen – Wurzel aller religiösen Wissenssuche; das intentionale Gefühl der Verwunderung (das thaumazein, Staunen, worin Platon und Aristoteles den Anfang der Philosophie erblicken) – Quelle allen metaphys. Wissens; das Streben nach Naturbeherrschung – Anstoß für alle positiven → Wissenschaften und für die Technik. Nach Diskussion klassischer Theorien und der Psychoanalyse entwirft der frühe Sartre die Skizze einer phänomenolog. Theorie der E.en. Das emotionale Bewußtsein ist zunächst unreflektiert und es ist Bewußtsein von der Welt, es bedeutet die Totalität der menschlichen Beziehungen zur Welt. Konstitutiv für die E. ist nicht ihre genaue → Korrelation mit dem Gegenstand (als

Empfindung noetisches Pendant des → Noema), sie erfaßt vielmehr am Gegenstand etwas, das sie unendlich übersteigt. Das Verhältnis der Dinge zum Bewußtsein bezeichnet Sartre als magisch, eine irreale Synthese aus Spontaneität und Passivität. Qu.: ScheGW 2, V.2. – ScheGW 8, II.A. – Sartre 1939 (1982). – Lit.: Gabel 1991. – Waldenfels 1983a, (2 1998), II.2. HV

Empfindung. Nicht alle psych. → Erlebnisse sind nach Husserl intentional. So gehören die E.en zu den reellen Bestandstücken des erlebenden → Bewußtseins, ohne selbst Bewußtseinsakte zu sein; in ihnen konstituieren sich vielmehr → Akte, sie sind deren Material. Die Empfindungsdaten sind Träger der → Intentionalität, also nicht selbst Bewußtsein von etwas. Empfindungsinhalte sind sensuelle Erlebnisse (wie Farben-, Tast- und Tondaten), die nicht mit dinglichen → Momenten (wie Farbigkeit oder Rauhigkeit) verwechselt werden dürfen; diese stellen sich mittels ihrer dar. Empfindungsinhalte sind ferner die sensuellen Lust-, Schmerz- und Kitzelempfindungen sowie sensuelle Momente der Triebsphäre. In den Zeitanalysen operiert Husserl mit dem Unterschied zwischen der → Sukzession von E.en und der E. der Sukzession. Ein bloßes Fortdauern der E.en würde noch nicht zur → Vorstellung der Sukzession führen. Zu deren Vorstellung kommt es erst dadurch, daß sich die frühere E. in eigentümlicher Weise modifiziert. Die E. wird durch einen → Reiz hervorgerufen, verschwindet dieser, so auch die E. Doch sie wird jetzt schöpferisch, indem sie sich eine durch den zeitlichen Charakter bereicherte Phantasievorstellung (→ Phantasie) verschafft.

Endlichkeit In dieser Bereicherung liegt die → Erfahrung eines Selbstbezuges durch die E. Für Scheler sind die Organempfindungen Musterbilder der E.en, also Hunger, Durst, Schmerz, Wollust oder Müdigkeit. Empfindungsinhalte setzen mit ihrem Auf- und Abtreten Variationen unseres leiblichen Zustandes. Die → Funktionen, in die sich das einheitliche Empfinden eines Lebewesens gliedert, sind nur Partialfunktionen, durch die hindurch sich das Ganze des Empfindens einheitlich vollzieht. E.en sind dabei immer schon auf das → Milieu (auf die vitale Werterfahrung des Ganzen) bezogen. Merleau-Pontys Theorie der → Wahrnehmung beginnt mit einer Kritik des Begriffs der E.; sie wird zu einer prinzipiellen Kritik des Empirismus, der die → Natur atomisiert und als Summe von → Reizen und → Qualitäten auffaßt. Eine reine E. wäre ein undifferenzierter, punktueller Anstoß, dem nichts in der → Erfahrung entspricht. Eine reine → Impression oder E. ist somit als Moment der Wahrnehmung undenkbar. Die Interpretation der E. als Qualität (rot, grün) geht fehl, weil sie E. und Empfundenes verwechselt. Die physiologische Erklärung im Rekurs auf Reize scheitert daran, daß bei wechselnden physiologischen Konstellationen die E.en gleich bleiben können. Sie sind nicht letzte Elemente der → Erkenntnis, sondern immer schon in einen Sinnhorizont von Bedeutsamkeiten des Wahrgenommenen eingebettet, welches vorher als → Ding in seiner Ganzheit begegnet. Im Rahmen seiner Theorie des → Leibes weist MerleauPonty an den E.en deren motorische „Physiognomie“ auf. Sie gehören gewissen Verhaltungen zu, wie z. B. im Fall von Erkrankungen des Kleinhirns

140 Rot und Gelb Irrtümer bei Gewichtsund Zeitschätzungen hervorrufen, die dann durch Blau und Grün kompensiert werden. Der E. ist wesentlich, daß sie einem bestimmten Feld zugehört. Die Erfahrung einer E. übersteigt mein eigentliches Sein und übereignet mich einer → Welt, die noch jenseits des Wahrgenommenen ist und einen → Sinn enthält, der sich nicht der konstituierenden → Leistung verdankt. Die E. geht der Teilung der Sinneswahrnehmung voraus, was sich am Phänomen der Synästhesien zeigt (eine Farbe evoziert Härte oder Elastizität usf.). Qu.: Hua XIX/1, 361-363. – Hua XIX/2, 596-631. – Hua III/1, § 85. – Hua X, § 3. – ScheGW 2, 73 ff. – Merleau-Ponty 1945 (1966, 19-46, 89-236). – Lit.: Almeida 1972, § 8. – Waldenfels 2000, 274 ff. HV

Endlichkeit. Vereinfacht läßt sich der Begriff E. bei Heidegger als Explikation der → „Geworfenheit“, bzw. der konkreten Situiertheit des → Daseins interpretieren. Da Heidegger das Dasein als → „Sorge“ und diese näherhin als „Sein zum Tode“ bezeichnet, kann er sagen, daß die E. als das Geworfensein in den → Tod überhaupt erst das Ganzseinkönnen und mithin die eigentliche Existenz des Daseins (→ Eigentlichkeit) ermöglicht. Das Dasein „hat nicht ein Ende, an dem es nur aufhört, sondern existiert endlich“ (HeiGA 2, 436). Wird diese E. ausdrücklich ergriffen, d.h. das entschlossene → Vorlaufen in den Tod explizit vollzogen, so wird das Dasein aus der Verlorenheit an die mannigfaltigen nächsten → Möglichkeiten gerissen und auf sein eigenstes Seinkönnen zurückgeworfen (vgl. HeiGA 2, 507). Ähnlich wie bei Heidegger reißt auch für Patoˇcka die E. – die zusammen mit der Leiblichkeit, der Intersubjektivi-

141 tät, dem Welthaben, dem In-der-Weltsein und dem Darum-wissen gleichursprüngliche Momente des → Menschen darstellen (vgl. Pato cˇ ka 1992, 95 ff.) – den Menschen aus seiner alltäglichen Ausrichtung auf das Seiende. Im Bekenntnis zur eigenen E. wird der Mensch frei von seiner Verfallenheit an die Dinge, die ihn zunächst und zumeist einnehmen. Durch die Abwendung von den Dingen, die sich in der Annahme der E. vollzieht, wird gleichzeitig aber auch das zumeist vorwaltende vergegenständlichende Selbstverständnis des Menschen überwunden (vgl. Patoˇcka 1991, 140). Merleau-Ponty spricht in der Phänomenologie der Wahrnehmug von E. in Zusammenhang mit seiner Kritik am Cartesianischen „ewigen Cogito“. Die Ewigkeit dieses Cogito, das Merleau-Ponty der leibhaften E. gegenüberstellt, besteht darin, daß hier das Subjekt durch das Vermögen definiert wird, in einem einzigen intentionalen → Akt alles zeitlich sich Entfaltende restlos erfassen zu können. Diese Auffassung des Subjekts ist MerleauPonty zufolge deshalb nicht haltbar, weil sie die Unmöglichkeit des Anderen wie auch der realen E. bedeuten würde (vgl. Merleau-Ponty 1966, 424). Während die → „Liebe“ für Binswanger die ursprüngliche Unendlichkeit der Erfahrung des „Wir“ und damit des → Daseins darstellt, handelt es sich bei der E. um das abkünftige Phänomen der Erfahrung der Begrenztheit sowohl des Daseins als auch dem ihm entgegenstehenden „Fremden“. Herrscht in der „Liebe“ die Unendlichkeit des „Wir“, so steht in der Erfahrung der E. im „praktischen“ Umgang stets ein einzelner (d. h. endlicher) Mensch besonderen (d. h. endlichen) Gegenständen gegenüber.

Engagement Fink bezeichnet mit E. die jeweilige Situiertheit des Daseins, die den Horizont jedweder Erfahrung vor allem aber seiner eigenen Selbstinterpretation bildet. Qu.: HeiGA 2. – Patoˇcka 1991. – Patoˇcka 1992. – Merleau-Ponty 1945 (1966). – Binswanger AW 2. – Fink 1979. MW

Engagement. E. taucht bei Sartre im Zusammenhang mit der ontolog. Bestimmung der → Freiheit des Menschen auf. Diese existiere nicht im voraus, sondern nur im Akt der Wahl. „[D]a diese Freiheit weder ein Gegebenes (donné) noch eine Eigenschaft (propriété) ist, kann sie nur sein, indem sie sich wählt. Die Freiheit des Für-sich ist immer engagiert“. (Sartre 1993, 839) Weil die menschliche Realität einen Mangel an Sein aufweise (manque d’être), sei jedes E. eine Neantisation eines „an-sich“, das ich war, und Projektion zu einem „ansich“, das ich sein möchte. Damit schafft sie „das winzige Auseinanderklaffen (l’infime décalage) [...], durch das das Nichts in das Sein eindringt“ (Sartre 1993, 971). E. bezeichnet bei Merleau-Ponty das Identifizieren des Individuums mit bestimmten Vorhaben seiner Gegenwart, wodurch sich erst – und nicht vorher – so etwas wie ein „Anteil der Situation“ und ein „Anteil der Freiheit“ der Wahl ergeben, die unmöglich voneinander abzugrenzen seien. „Eine Gegenwart übernehmend, erfasse ich meine Vergangenheit neu und verwandle sie, ich ändere ihren Sinn [...] Doch ich tue es nur, indem ich mich anderswo engagiere.“ (Merleau-Ponty 1966, 517) Qu.: Sartre 1943 (1993). – Merleau-Ponty 1945 (1966). GPU

Enge – Weite Enge – Weite (Engung – Weitung). Zwei Grundbegriffe in der Beschreibung des Befindens bei Schmitz; dazu kommen Richtung, Spannung, Schwellung, Intensität und Rhythmus, protopathische und epikritische Tendenz (z. B. diffuse oder stechende → Schmerzen). Die Skala der W. reicht von der alltäglichen (so im Gefühl, weit weg gewesen zu sein) bis zur kosmischen W. (Entrückung, W. ins All). E. zeigt sich in Angst, Trauer und Depression, extrem auch in psychotischen Rauschzuständen (Meskalinrausch). Mit diesen Grundbegriffen beschreibt Schmitz das leibliche Befinden, dessen Dynamik mit dem Begriff der Leibesinsel bezeichnet wird. Qu.: Schmitz 1964. – Schmitz, System II/1. – Lit.: Soentgen 1998. HV

Enthüllung. Das Präfix ent- drückt bei Verben den Gegensatz zu einer Handlung aus. E. meint demnach wörtlich, von etwas die Hülle entfernen und es dadurch sichtbar machen. In dieser terminologisch nicht festgelegten Bedeutung spricht Husserl von der „phänomenolog. E. des transzendentalen Ego“ (Hua V, 153) und der „E. der phänomenolog. ,Konstitution‘ der Gegenstände“ (ebd., 158). E. bezeichnet hier einen Zugang zu den Phänomenen, der über den offenkundigen → Sinn hinausgeht, weshalb Husserl auch von der E. eines tief verborgenen Sinnes spricht (Hua VI, 76). Eine genauere terminologische Bestimmung der E. findet sich bei Heidegger (in Sein und Zeit allerdings nur am Rande, ausführlicher in HeiGA24.). Das → Dasein als → In-der-Weltsein enthüllt Seiendes, das es nicht selbst ist, und solches, das es je selbst ist; im ersten Fall spricht Heidegger

142 vom Entdecken, im zweiten vom Erschließen. Beide sind Weisen, wie etwas aus der → Verborgenheit herausgenommen wird, worin der ursprüngliche Sinn der → Wahrheit als aletheuein (→ aletheia) liegt. „Wahrsein besagt E.“ (HeiGA 24, 307) Die Enthülltheit selbst ist nur, sofern und solange Dasein existiert, E. hat die Seinsart des Daseins. Qu.: Hua V, 138-162. – Hua VI. – HeiGA 2, §§ 28, 44, 68. – HeiGA 24, § 18. HV

Enttäuschung. Husserl situiert Enttäuschungserlebnisse in der Gemüts- und Willenssphäre: Wünsche, Hoffnungen können sich erfüllen oder enttäuscht werden (Hua XIX/2, § 10). Die spezifische Tragweite dessen, was die Phänomenologie unter dem Titel E. in einem übertragenen (Hua III/1, 50) Sinn zu denken gibt, läßt sich jedoch nur im Zusammenhang mit der → Intentionalität ermitteln, die die Originalität von Husserls Wahrheits- und Wahrnehmungslehre ausmacht. In der VI. der Logischen Untersuchungen steht der Begriff der anschaulichen → Erfüllung im Mittelpunkt der Frage nach der Möglichkeit von → Erkenntnis und → Wahrheit. E. stellt sich ein, wenn sich eine leere Vormeinung (die signitive bzw. Bedeutungsintention) nicht mit der (kategorial) anschaulichen Selbstgegebenheit des gemeinten → Gegenstandes in einer → Synthesis der Identifikation deckt. Husserl zieht unter dem Titel „Widerstreit“ nichterfüllende bzw. enttäuschende → Akte in Betracht, die er keineswegs als „bloße Privation der Erfüllung“, sondern als „eine eigenartige Form der Synthesis wie die Erfüllung“ bestimmt. Jeder (nicht totale) Widerstreit setzt ein gewisses Maß an Übereinstimmung voraus. Ei-

143 ne Bedeutungsintention streitet mit einer ihr entsprechenden → Anschauung hinsichtlich gewisser → Momente (partial), während sich beide Intentionen auf denselben Gegenstand beziehen, der jedoch „anders“ gegeben als er vermeint ist und deshalb nach einer „Andersbestimmung“ verlangt. In der Weise des Widerstreits enttäuscht sich eine Intention nur als Teil einer umfänglicheren Intention. (Hua XIX/2, §§ 6, 8, 11) In Abhängigkeit davon, auf welche „Einheitsart“ „die herrschende Intention gerichtet“ ist (auf die → Einheit aller Teile oder aber auf das Widerstreitsganze als Teil der Einheit), kann sich „Einigkeit“ oder „Trennung“ herstellen. Neben der Relativität der Begriffe von Vereinbarkeit und Widerstreit (ebd., 30 ff.) unterstreicht Husserl den Widerfahrnischarakter der E. (ebd., 576), der sich von der → Sache selbst her aufdrängt, die dabei in Frage steht: E. kann als → Erfahrung von Andersartigkeit, Neuheit oder Fremdheit charakterisiert werden, die sich dem antizipierenden Vorgriff entzieht. (Kaiser 1997, 162 ff.) E. ist indes nicht nur in der Sphäre des prädikativen Denkens aufweisbar, wo sie sich als negatives → Urteil artikuliert. Insofern alle Formen der → Modalisierung ursprünglicher → Gewißheit „bereits in der vorprädikativen Sphäre der rezeptiven Erfahrung“ auftreten (Husserl 1948, 97), nimmt Husserl die transzendente → Wahrnehmung als „Ursprungsstätte“ (Hua XI, 28) für die genealogische Aufklärung des Modus der Negation in Anspruch. Jede aktive Modalisierung ist in einer passiven Modalisierung fundiert. Genetisch betrachtet erweist sich die im Wahrnehmungsprozeß auftretende E. der protentionalen Erwartungsintentionen bzw. antizipierten Leerintention

Enttäuschung (vgl. Belussi 1990, 210-219) als vorprädikative „Urgestalt“ des negativen Urteils. Wenn der auf einheitliche Erfüllungssynthesen gerichtete Wahrnehmungsverlauf von einer „Hemmung“ behindert und in der Erreichung kontinuierlicher Einstimmigkeit aufgehalten wird, dann tritt an der Stelle, an der sich im Fortgang der Wahrnehmung auf Grund des unerwartet Neuen ein „Bruch“ und das Erlebnis des „anders“ einstellt, ein Widerstreit zwischen den den → Sinn des Gegenstandes leer vorzeichnenden Erwartungsintentionen und den sie enttäuschenden anschaulichen Sinngehalten auf. Unter Aufrechterhaltung des „allgemeinen Sinnesrahmens“ (Hua XI, 26 f.) finden sich die leeren Intentionen durch die volle Wahrnehmung „ ,negiert‘ “ bzw. „durchgestrichen“. Die „Durchstreichung“ betrifft nicht nur den protentional vorgezeichneten Sinn, der von dem neu konstituierten überdeckt wird, sondern erstreckt sich „in rückwirkender Durchstreichung“ in die retentionale Sphäre und verändert die „alte Wahrnehmungsauffasung überhaupt“. Sie ist als „umgedeutet“ noch bewußt, während sich die neue → Apperzeption „darüberlagert“ (Hua XI, 30 f.; Husserl 1948, 96). Obgleich Husserl mit der regelmäßigen Wiederherstellung von Einstimmigkeit (Hua XI, 28) rechnet, bleibt die Möglichkeit der „Explosion“ (Hua III/2, 623) gegenständlicher Erfahrung stets denkbar. Im Rahmen seiner Theorie der phänomenolog. → Reduktion befragt Husserl „die offene Möglichkeit“ einer beständigen E. sämtlicher Vorerwartungen, so daß die „radikal“ auf Vorgriff basierende Erfahrungsstruktur als solche zerstört wäre (Hua VIII, 44 ff.; Hua XI, 101-109): Welt könnte nicht nur anders als erwartet, sondern auch nicht

Entwurf sein. Diese Möglichkeit der Weltvernichtung „motiviert“ die universale → Epoché. (vgl. Kaiser 1997, 136-139) Qu.: Hua III/1, 50. – Hua III/2, 623. – Hua VIII, 44-50. – Hua XVI, 33-37, 8598. – Hua XI, 25-39, 101-109. – Hua XIX/2, §§ 6, 8, 10, 11, 32-35. – Husserl 1939 (2 1948, 93-104). – Lit.: Bernet/Kern/Marbach 1989, 117-121, 154180. – Belussi 1990. – Kaiser 1997. – Tugendhat 1967, 46-63. ID

Entwurf. → Verstehen und → Befindlichkeit sind bei Heidegger zwei → gleichursprüngliche existenziale Strukturen, die das → Dasein konstituieren. Im Verstehen als dem eigenen Seinkönnen des Daseins erschließt dieses sich selbst in der Grundverfassung des → In-der-Welt-seins. Die existenziale Struktur dieses Erschließens ist der E. Als apriorische Seinsverfassung des Daseins geht dieser E. allem Entwerfen und Planen voraus. Im Entwurfcharakter des Daseins liegt mit dessen Erschlossenheit seine Sicht. Im E. entwirft sich das Dasein auf → Möglichkeiten. Als faktisches Sichentwerfen (→ Faktizität) ist das Dasein je schon bei einer entdeckten → Welt. Indem es dieser seine Möglichkeiten entnimmt, die das → Man vorgibt, existiert es uneigentlich. Eigentliche Existenz (→ Eigentlichkeit) beruht im „Sichentwerfen auf das eigenste Schuldigsein“ (HeiGA 2, 393), der Entschlossenheit. Im eigentlichen E. übernimmt das Dasein sich als das Seiende, das es schon ist, es vollzieht eine „Wiederholung“ (ebd., 448). Dagegen hat sich im uneigentlichen E. das Dasein vergessen. Zur existenzialen Analyse des E. folgt seinsgeschichtlich die Bestimmung des E.s als „Erdenken der Wahrheit des Seyns“ (HeiGA 65, 56). Der E. wird hier als Antwort auf den Zuruf des

144 → Seins verstanden, der zugleich den ihn Entwerfenden in das durch ihn Eröffnete fügt, in den „Anfang der Gründung der im E. errungenen Wahrheit“ (ebd.). Darin zeigt sich für das Dasein der andere → Anfang seiner → Geschichte. In Sartres phänomenolog. → Ontologie steht der E. im Kontext der → Freiheit. Mein Sein ist, handelnd, ein freies Sichentwerfen. Dieses Handeln ist nicht durch einen bestimmten Zustand der Welt oder des Subjekts vorgängig festgelegt, sondern wiederum durch ein Handeln. Bestimmt wird dieses durch eine Intention, d. h. die Wahl eines Ziels. Dieses erhellt die Welt, u. zw. im Modus einer noch nicht existierenden Welt. In der Intention auf ein solches Ziel erfolgt ein Bruch mit dem Gegebenen, dessen Verneinung. Die damit verbundenen Handlungen sind Entwürfe, deren Unterschiede durch die Wahl des Möglichen bestimmt werden. Alle diese Entwürfe müssen aber von einem grundlegenden E. her verstanden werden. Nun kann die ontolog. Phänomenologie i. S. Sartres zwar die Strukturen des Menschen, seiner Personhaftigkeit, enthüllen, daß er nämlich als Für-sich sein eigener Seinsmangel ist; hierin erweist er sich als ein Wesen, das durch die → Begierde bestimmt wird (deren Ideal darin liegt, „daß der Mensch das Seiende ist, das die Absicht hegt, Gott zu werden“, Sartre 1952, 712). Was aber darüber hinaus über die Grundbegierden der Personen und die Weisen des empirischen Sichverhaltens des Menschen gesagt werden kann, entzieht sich der Phänomenologie und kann nur durch eine existentielle Psychoanalyse entziffert werden. Qu.: HeiGA 2, §§ 31, 41, 44, 60, 68a. – HeiGA 24, § 20b. – HeiGA 65, Nr. 21, Nr.

145 203. – HeiGA 66, IV. – Sartre 1943 (1952), IV. Teil, 1. Kap., 2. Kap. I. – Lit.: Biemel 1973. – Biemel 1996. – Gethmann 1993. – Hengelbrock 1989. HV

Entzug. Dieses Wort gehört bei Heidegger in den Bereich der geschichtlich-epochalen Erfahrung des → Ereignisses. „E. ist Ereignis.“ (HeiGA 8, 10) Das → Geschick des → Seins beruht, wie in Zeit und Sein ausgeführt wird, im Reichen der → Zeit. Seinsgeschick und Zeit beruhen ihrerseits im Ereignis, das aber gerade jene Eigentümlichkeit an sich hat, „daß es sein Eigenstes der schrankenlosen Entbergung entzieht“ (Heidegger 1969, 23). Deshalb gehört zum Ereignis der E. (und hängt dieser mit der → Verbergung zusammen). Dabei nimmt jenes, das sich entzieht, den Menschen wesentlicher in Anspruch als alles ihn betreffende Anwesende und übertrifft die Aktualität alles Aktuellen unendlich. In den Zug des sich Entziehenden gelangend zeigt der Mensch in dieses und ist – „zeigend in den E.“ (HeiGA 8, 11) – allererst Mensch. Qu.: HeiGA 8. – Heidegger 1969. – Lit.: Sonderegger 2003. HV

Epiphanie. Im Unterschied zur Entbergung (dévoilement) eines Phänomens spricht Levinas von der E. des → Antlitzes. Damit unterscheidet er das ontolog. Geschehen der Wahrheit als Licht und Unverborgenheit von der ethischen „Offenbarung“ des Antlitzes, das sich jenseits (über, epi-) der Phänomenalität und des Lichtes ausdrückt. „Die E. des Antlitzes ist ethisch“ (Levinas 1987, 286), sein → Ausdruck ist ein ethischer Imperativ, der aus einer Dimension der Höhe kommt und mit der Erscheinung einer Gottheit (→

Epoché Gott) (epiphaneia als Theophanie) verglichen wird. Qu.: Levinas 1961 (1987), 87 ff., 283 ff. – Levinas 1967 (1983), 198 ff., 220 ff. BK

Epoché. Der aus der antiken Skepsis entlehnte Begriff der E. stellt oftmals die Weiche dafür, wie Phänomenologie ins Werk gesetzt wird. Sie ist das Bindeglied zwischen vorphilosoph. bzw. außerphänomenolog. Haltungen und dem phänomenolog. Zugriff und legt den Grund für das jeweils praktizierte methodische Verfahren respektive die „phänomenolog. Reduktion“, wobei deren Abgrenzung zur E. mitunter verschwimmt. Von „E. in Betreff alles Transzendenten“ spricht Husserl bereits in seiner Vorlesung vom Sommersemester 1907 (Hua II, 44). Nur andeutungsweise wird sie hier als Vorstufe der phänomenolog. → Reduktion genannt. Die terminologische Abhebung der E. von der Reduktion formulieren auch die Ideen I nur indirekt: Die von Husserl „transzendentalphänomenolog.“, „phänomenolog.“ oder „transzendental“ genannte E., die „jedes Urteil über räumlich-zeitliches Dasein völlig verschließt“ (Hua III/1, 65), dient zur Kennzeichnung der Methode der „Einklammerung“, „Ausschaltung“ oder „Urteilsenthaltung“ als Vorstufe für die auf ihr aufbauende phänomenolog. Reduktion. Die Inhibierung seitens der E. bezieht sich auf die Unterbindung des Vollzugs von → Akten. „In Beziehung auf jede Thesis können wir und in voller Freiheit diese eigentümliche E. üben, eine gewisse Urteilsenthaltung, die sich mit der unerschütterten und ev. unerschütterlichen, weil evidenten Überzeugung von der Wahrheit verträgt.“ (ebd., 64) Die E. der phänomenolog. Psycholo-

Epoché gie (Hua IX, 282) richtet sich mit ihrer Blickwendung auf einzelne Aktvollzüge bzw. das Gesamt all dieser Bezüge. In letzterem Fall bringt sie den phänomenolog. Blick vor das Geltungsganze der → Welt, ohne dieses jedoch phänomenolog. klären zu können. Hier setzt die transzendentale E. ein, die „mit einem Schlage“ (Hua VI, 153) das gesamte Geltungsgefüge des natürlichen Lebens außer Kraft setzt und als dergestalt „universale“ vor das Geltungsgebilde Welt führt (Hua VIII, 129). „Mit der universalen E. als universaler Enthaltung von der natürlichen Betätigung des Erfahrungsglaubens und der nun folgenden Blickwendung auf das erfahrende Leben [...] tritt die transzendentale Subjektivität zutage“, in der Welt „ihren Seinssinn“ erhält (Hua I, 189). Husserls KrisisSchrift formuliert deutlich die Funktion der transzendentalen E. als ermöglichende Voraussetzung der → transzendentalen Reduktion: E. befreit von der „stärksten und universalsten und dabei verborgensten inneren Bindung, von derjenigen der Vorgegebenheit der Welt“ und ermöglicht „die transzendentale Reduktion“ „ ,der‘ Welt auf das transzendentale Phänomen ,Welt‘ und damit auf ihr Korrelat: die transzendentale Subjektivität“ (Hua VI, 154 f.; § 55). Die Phänomenologie nach Husserl distanziert sich von der Auffassung der E. zumindest hinsichtlich der Rolle, die ihr Husserl zuschrieb. Vor allem zwei eng miteinander verbundene Aspekte treten dabei in den Vordergrund: zum einen, Husserls Absicht preiszugeben, E. auf die Rolle als Eingangstor für eine Theorie transzendentalphänomenolog. zu reduzierender Subjektivität festzuschreiben, und zum anderen die durch Husserls E.-Verständnis ge-

146 schaffene methodologische Differenz zwischen Erlebnisvollzug und dem ihn interpretierenden Akt zu überwinden. Im Werk Schelers spielt der Begriff der E. terminologisch keine Rolle. Der vortheoretische Impetus der E. fand jedoch in Schelers Deutung der phänomenolog. Reduktion Eingang und wird dort in seiner Funktion, → Theorie zu ermöglichen, nicht mehr auf die Freilegung von Sinnbeständen einer transzendentalen Subjektivität bezogen. Die reduktive Aufhebung des Realitätsmoments, das durch Widerstand im weitesten Sinn gegeben ist, kennzeichnet Scheler nicht als ein Denkverfahren (→ „Methode“), sondern als eine „Techné“ („Verfahren inneren Handelns“), und zwar soll das Realitätsmoment selbst, nicht nur das Daseinsurteil über Realität, außer Kraft gesetzt werden (ScheGW 9, 206). Hebt die Reduktion die → Erfahrung des Widerstands und korrelativ die triebhafte → Apperzeption, die Welt als „real“ setzt, auf, so fallen zugleich das → Erlebnis des Erleidens und mit ihm das Verhaftetsein an das → Bewußtsein, die „Bewußtseinsgegebenheit“ (ScheGW 11, 73), sowie die ebenfalls an die Apperzeption auf Grund von Widerstand geknüpfte Raum-Zeit-Struktur der Welt fort, die für Scheler nicht das principium singularisationis darstellt, sondern für das Individuationsprinzip nur einen Index bietet. Schelers Hauptvorwurf an Husserl lautet, daß dieser, anstatt das Realitätsmoment selbst aufzuheben, mit der Dispensierung lediglich des → Urteils über Realität die RaumZeit-Struktur in → Geltung belassen habe; auf diese Weise sei lediglich das bloß zufällige Sosein des Gegenstandes, das als solches noch sein Daseinsmoment aufweist, schärfer hervorgetreten (vgl. ScheGW 9, 207), nicht

147 aber wirklich Wesenserkenntnis (→ Wesen), die → Erkenntnis der Wesensoder Soseinsstruktur der Welt, ermöglicht worden. Legt man Schelers Konzept der Polarität von → „Geist“ und → „Drang“ zugrunde, so ist die phänomenolog. eine „apollinische“ Reduktion: Sie verschafft durch Ausschaltung des Realität setzenden Drangmoments Zugang zur Geist-Seite der Welt. Daneben kennt Scheler auch eine „dionysische Reduktion“, die dort vollzogen ist, wo Geist, Intellekt, Wahrnehmung „als Erstgegebenes“ ausgeschaltet sind (vgl. ScheGW 11, 251, 253 f.). Husserl selbst hat früh eingesehen, daß die Reflexion auf den geradehin vollzogenen Akt diesen verändert, indem sie ihn thematisch macht (Hua XIX/1, 13 ff.; Hua I, 72 f.), ohne dabei aber der Auffassung zu sein, daß dadurch dem geänderten Aktsinn nicht mehr die Informationen zu entnehmen sind, die ihn gerade als ursprünglich vollzogenen auszeichnen. Diese Ansicht vertreten jedoch viele Kritiker Husserls, vorgedeutet im Frühwerk von José Ortega y Gasset und Kitaro Nishida, dann explizit formuliert vom jungen Heidegger, später auch von Pato cˇ ka und Henry. Bereits 1914 weist Ortega y Gasset auf den paradoxen Tatbestand hin, daß das Ich nur bei gleichzeitiger Preisgabe seiner spezifischen Wirklichkeit thematisch wird. Von derselben Problematik ist der Versuch Nishidas motiviert, das Verhältnis von „reiner Erfahrung“ (→ Anschauung) und der → Reflexion, die diese Erfahrung in den Blick nimmt, zu bestimmen. Nishidas Antwort, die er in Anschauung und Reflexion im Selbstbewußtsein gibt, lautet, daß es ein „Selbstwissen“ ist, das Anschauung und Reflexion vermittelt (Nishida 1917). In seiner Vorlesung Prolegomena zur

Epoché Geschichte des Zeitbegriffs von 1925 wirft Heidegger Husserl vor, die Seinsart der intentionalen Akte nicht erfassen zu können, weil seine Anwendung der phänomenolog. Reduktion die Akte verdinglicht. Das Sein der Akte wird so nicht an ihnen selbst erfahren, sondern „im Sinne des Vorkommendseins“ bestimmt (HeiGA 20, 156). Schon Heideggers Vorlesung Grundprobleme der Phänomenologie von 1919/20 sucht zu belegen, daß → Leben nicht zu einem Gegenüber (Ob-jekt, Gegenstand) bzw. einem Da-vor werden darf, soll es an ihm selbst erfaßt werden. Der Vollzug des Lebens selbst widerstreitet allen Versuchen, es als ein „Vorkommendes“ zu behandeln (HeiGA 58, 156). Wenn Heidegger betont, daß der Grundsinn der E. darin besteht, „gegenüber allen transzendenten Objektivierungen“ Enthaltung zu üben (ebd., 249), wirft er Husserl indirekt vor, seiner eigenen Bestimmung der E. untreu zu sein. Gleichzeitig ist Heidegger bemüht, die Husserlsche E. und Reduktion in seinem Sinn umzudeuten: Deren Funktion besteht jetzt darin, von allen „deformativen Beständen“, die nicht der „Bedeutsamkeit“ und „Verstehbarkeit“ des Lebens selbst entstammen, abzusehen und „die Sphäre des Verständlichen, der reinen Selbstgenügsamkeit, abzugrenzen“ (ebd., 250). Damit hat Heidegger den Weg freigemacht, Reduktion in seinem Sinn als „Rückführung des Blickes vom Seienden zum Sein“ (HeiGA 24, 29) zu interpretieren. E. spielt hierbei keine Rolle mehr. Im Spätwerk allerdings greift Heidegger den Begriff der E. auf und bezieht ihn auf die Bewegung des → Seins als „Schicken“, das gibt und sich darin entzieht. Auf diese Weise wird ein Zusammenhang zwischen E. und Epoche geknüpft: „Seinsgeschich-

Epoché te heißt Geschick von Sein, in welchen Schickungen sowohl das Schicken als auch das Es, das schickt, an sich halten mit der Bekundung ihrer selbst. An sich halten heißt griech. E. Daher die Rede von Epochen des Seinsgeschicks.“ „Epoche“ ist der „Grundzug des Schickens, das jeweilige An-sichhalten seiner selbst zugunsten der Vernehmbarkeit der Gabe, d. h. des Seins im Hinblick auf die Ergründung des Seienden.“ (Heidegger 1969, 9) Ein hermeneut. Ansatz anderer Couleur macht von der E. i. S. eines Einschnitts im Lebensvollzug Gebrauch: Für Lipps ist E. als „Unterbrechung“ ein aufbrechendes radikales Verhältnis des Existierenden zu den Dingen und zu sich selbst und markiert den Absprung von der natürlichen → Einstellung in die Haltung der Philosophie (Lipps WW II, 21; WW III, 55 f.). Da anders als bei Husserl E. bei Lipps ähnlich wie später bei Patoˇcka eine radikalere Aneignung des Lebensvollzugs in ihm selbst besagt, liegt der immer wieder einzufordernde Anfang der Philosophie im Leben selbst. Um lebensweltliche Praxis zu erhellen, kann hier nicht mehr an eine höhere Instanz appelliert werden. „Appelle“ ergehen nur im Feld der Praxis selbst, nur hier vermag Dasein zu einem ursprünglicheren Verstehen seiner selbst zu finden. Da Dasein immer schon „in sich selbst verstrickt“ ist (WW II, 21), ist ihm sein Grund entzogen; auf ihn bezogen, bekommt es ihn nie zu fassen, es „umkreist“ ihn und ist darin „verfangen“ (ebd.; WWW III, 56 f.): In jeder theoretischen und praktischen Handlung legt sich Dasein selbst aus, umkreist seine jeweilige Grundlegung. Während ein Ausstieg aus diesem Kreisen nicht möglich ist, kann dieses jedoch unterbrochen und von der Unterbrechung

148 aus eine Aneignung des Ursprungs versucht werden. Da diese Aneignung nicht absolut ist, sondern in Relation zur Situation der Unterbrechung steht, bedeutet letztere einen relativ zu der Situation ihres Aufbrechens erfolgenden Bruch im Umkreisen des Grundes. Dieser Bruch ist nicht Abbruch, sondern verbindender Auf-Bruch des Zirkels hinsichtlich des Ursprungs und Aufbruch i. S. von Anfang. E. wird damit zu einem Versuch der aus dem Verstehen der Situation selbst heraus unternehmenden hermeneut. Vergewisserung des Sinngrundes einer Situation. Für Conrad-Martius, wie Lipps ebenfalls Schülerin Husserls in Göttingen, klammert E. i. S. Husserls mit Recht jede Frage nach dem Sein oder Nichtsein der bewußtseinstranszendenten Realität ein. Doch habe Husserl mit seiner Auffassung der Reduktion noch einen Schritt darüber hinaus getan, indem er alle Seinssetzung bezüglich des Seins von Welt einklammerte. „Die Welt wird als eine von jeder Seinssetzung reduzierte gesehen. Das ist um eine Nuance mehr als Enthaltung von allen Urteilen über Sein und Nichtsein.“ (Conrad-Martius 1959, 180) In der Welt als „Weltphänomen“ ist das Faktischsein von Welt als mögliches phänomenolog. Thema nicht mehr einholbar. Conrad-Martius schlägt demgegenüber einen anderen Weg im Ausgang von einer E. vor, die von aller Frage nach Sein oder Nichtsein dispensiert: „Auch hier wird über Sein und Nichtsein in keiner Weise entschieden. [...] Aber anstatt das wirkliche Sein hypothetisch einzuklammern und dadurch die Welt (in der Reduktion) der wirklichen Wirklichkeit enthoben zu sehen, wird nunmehr das wirkliche Sein der Welt hypothetisch gesetzt.“ (ebd., 180 f.) In dieser geänder-

149 ten Wegrichtung nach Vollzug der E. von aller Stellungnahme zu Sein oder Nichtsein liegt für Conrad-Martius die Bedingung der Möglichkeit für die ontolog. Phänomenologie, die der transzendentalen Phänomenologie gleichberechtigt an die Seite treten muß. Den aus dem ungeklärten Verhältnis von analysiertem Akt und Akt der Analyse resultierenden Problemen suchte Husserl in seinem Spätwerk mit einer transzendentalen Prüfung des phänomenolog. Zugangs zu begegnen. Husserl beauftragte Fink mit der Ausarbeitung einer solchen „Phänomenologie der Phänomenologie“. Der von Fink in der VI. Cartesianischen Meditation von 1932 unternommene Versuch, das dritte → Ich des phänomenolog. → Zuschauers als ein das natürliche und das transzendental-konstitutive Ich vermittelndes in den Vordergrund zu stellen, intendiert in der Tat nicht nur eine kritische Überprüfung der Rolle der phänomenolog. Reduktion, sondern beinhaltet den Vorschlag einer Überbrückung der Kluft von phänomenolog. Einstellung und zu analysierendem transzendentalem Leben und damit auch zwischen ersterem und dem natürlichen Lebensvollzug: „Das Phänomenologisieren weist sich selbst aus als ein transzendentales Geschehen, und zwar als das Geschehen der transzendentalen Selbstbewegung des konstituierenden Lebens“ (Fink 1988, 124). Phänomenolog. Einstellung wird in der Hinsicht legimitiert, als sie das transzendentale Leben, welches das natürliche Leben schon insgeheim ist, ohne einen Bruch im Lebensvollzug patent macht. Die „Lebenstiefe“ eines „absoluten Geistes“, in die Fink mit seinem implizit „meontischen Ansatz“ die transzendentale Subjektivität hierbei umdeutet (ebd. 183), führt ihn

Epoché schließlich nicht nur zur Überschreitung des transzendentalphänomenolog. Konzepts, sondern auch zur Preisgabe der Reduktion, die er auf jenes Konzept bezieht und nicht neu zu bestimmen sucht (Fink 1976). Patoˇcka akzeptiert wie Conrad-Martius (und bereits Alexander Pfänder: vgl. Spiegelberg 1981 und 1974) die Forderung nach einer (entsprechend umgedeuteten oder weiter gefaßten) E. und weist die Anwendung der transzendentalphänomenolog. Reduktion zurück. In seiner Kritik an Husserls Begriff der → Reflexion knüpft er jedoch an Heidegger an. Gleich diesem ist es auch für ihn willkürlich, dasjenige, auf Grund dessen etwas erscheint, „noch einmal zu einem weiteren Gegenstand einer möglichen ,inneren Wahrnehmung‘, welche es ,im Original‘ erfaßt, zu machen“ (Pato cˇ ka 1991, 301). Wird hingegen die transzendentalphänomenolog. Reflexion auf den Lebensvollzug, dessen Äußerung sie ist, zurückbezogen, tritt das universale Moment der E. in den Blick: Pato cˇ ka macht deutlich, daß E. nicht nur wie bei Husserl die in theoretischer Absicht durchgeführte Bodenbereitung für eine Philosophie als strenger → Wissenschaft besagt, sondern ursprünglicher die Möglichkeit der → Freiheit menschlicher → Existenz eröffnet. Die E. in Husserls Sinn habe nur die Tür zu einem Seienden von neuer Seinsart, dem von der transzendentalen Subjektivität konstituierten Vor-seienden, aufgestoßen. Mit Bezug auf Heidegger (vgl. Heidegger 1956, 26) stellt Pato cˇ ka hingegen die Frage, ob nicht vielmehr die E., universal gefaßt, den wesentlichen „Schritt zurück vor dem Seienden im Ganzen“ bedeute, zu dem phänomenalen Feld, dem Erscheinen als solchem, das selbst nicht mehr von

Epoché der Seinsart des Seienden ist, also dessen, was es erscheinen läßt (vgl. Patoˇcka 1990, 271; Pato cˇ ka 1991, 346, 437, 443). Mit seiner Ausweitung des E.-Gedankens verknüpft Pato cˇ ka ein Grundstück der Husserlschen Methode mit Heideggers Auffassung der ontolog. → Differenz, wonach im pathischem Lebensvollzug, etwa der → Angst, Anderes als Seiendes, das Sein in der Negativität des → Nichts, phänomenal wird. In seiner Lehre von den → Bewegungen menschlicher Existenz ist es die den Bewegungen der „Verankerung“ und der „Selbstverlängerung“ (vgl. Pato cˇ ka 1990, 181-267; Patoˇcka 1991, Abschnitte II und III) an die Seite gestellte dritte Bewegung des „Durchbruchs“, die im Entzug von der Verwiesenheit auf Seiendes phänomenales Feld/Weltganzes erfahren läßt. In ihrem Kern ist E. somit Bewegung der Existenz, die das „universale Apriori“ (Patoˇcka 1991, 421) der Welt in dem zweifältig-einfachen → Apriori von Erscheinungsfeld/Weltganzem erschließt. Merleau-Ponty nimmt in seiner Deutung der Husserlschen Methode den von Fink in der VI. Meditation gewiesenen, aber nicht weiter verfolgten Weg auf. „Weil wir durch und durch Verhältnis zur Welt sind, ist die einzig uns mögliche Weise, dessen gewahr zu werden, die, diese Bewegung aufzuheben, ihr unsere Teilnahme zu entziehen.“ (Merleau-Ponty 1966, 10) Mit ihrem „außer Spiel setzen“ zieht sich Phänomenologie jedoch nicht aus der Welt zurück, sondern „nimmt nur Abstand, um die Transzendenz zu erblicken in ihrem Erspringen“ (ebd.). Daher besteht im Grunde keine Differenz zwischen Sehen und Gesehenem, „vielmehr ist das Bewußtsein der Vollzug des Sehens selbst“ (ebd.

150 429). Neuerdings denkt insbesondere Richir die von Fink und MerleauPonty eröffneten Möglichkeiten weiter. Um das „Umklappen der Faktizität irgendeines Phänomens zu meiner Faktizität dieses Phänomens“ zu vermeiden, schlägt Richir eine „hyperbolischphänomenolog. E.“ vor: Sie besteht darin, „die Frage des ,wirklich‘ nicht von vornherein zu entscheiden und in der Schwebe zu lassen, also das, womit man Denken und Sein von der Illusion des Denkens und Seins unterscheiden könnte“ (Richir 2001, 100). Demgegenüber knüpft Henry im Kontext einer „radikalen Lebensphänomenologie“ erneut an die Aporien an, die Husserls Verständnis von E. und Reduktion aufwarf, um sie schärfer hervortreten zu lassen und sie nicht in einem phänomenolog.-hermeneut. Ansatz aufzulösen: Indem die „reine Schau“ des Phänomenologen das Wesen der cogitatio: das Sichbeziehenauf, in einem Sichbeziehen auf eben dieses Sichbeziehen-auf zu erfassen sucht, bekommt sie die Möglichkeit dieses Sichbeziehens-auf nicht in den Blick. Diese Möglichkeit ist nicht in einem Sehen zu erfassen, weil sie selbst nicht im Sichtbaren liegt, weil sie anderes ist als nur Sehen: Die Möglichkeit einer cogitatio geht nicht darin auf, daß diese – wollend, handelnd oder theoretisierend – sich einer Sache zuwendend sie in den Blick nimmt, sondern selbstaffizierend sich ursprünglich vollzieht (Henry 1992, 146). Qu.: Hua II. – Hua III/1, §§ 31 f. – Hua VI, § 35, §§ 38-41, § 44, § 55, § 71. – Hua VIII, 92-163. – Hua IX, 281-284, 292-296. – ScheGW 5, 66-92. – ScheGW 8, 138 f., 281-378. – ScheGW 9, 44, 78-81, 245-253. – ScheGW 10, 394-410, 461. – ScheGW 11, 72-81, 93-103, 118, 251-257. – HeiGA 2, § 7. – HeiGA 20 §§ 8-9 u. §§ 12-13.

151 – HeiGA 24, § 5. – HeiGA 58, 139-151, 249 f., 254-256. – Ortega y Gasset 1998, 73-94. – Nishida 1917. – Merleau-Ponty 1945 (1966). – Heidegger 1956. – Heidegger 1969. – Conrad-Martius 1965, 393-402. – Schütz 1971, Teil III, Kap. I.7. – Ingarden 1975, Part 2. – Fink 1976. – Fink 1988, Teil 1. – Lipps WW II, § 3. – Lipps WW III, 5558. – Patoˇcka 1990. – Patoˇcka 1991. – Patoˇcka 2000. – Henry 1990, 61-135 (1992, 63-186). – Shpet 1991, 47-63. – Richir 1992 (2001, 98-118). – Lit.: Aguirre 1970. – Avé-Lallemant 1975, 276-281. – AvéLallemant 1980, 90-123. – Böhm 1968, Kap. V. – Böhm 1981, Kap. III. – Bossert 1974, 243-255. – Brainard 2002. – Carr 1987, 157-178. – 303-349. – Hart 1992, Chapter I. – Hoffmann 2001. – Kern 1962. – Kohák 1967, 19-47. – Kühn/Staudigl 2003. – Liangkang 1999. – Reiman 1968. – Ströker 1970, 170-185. – Scanlon 1972, 95-109. – Spiegelberg 1974, 256-261. – Spiegelberg 1981, 62-82. – Sturm 2002. HRS

Erde. In der ursprünglichen Einheit von E. und Himmel sowie → Göttlichen und Sterblichen im → „Geviert“ ist die E. nach Heidegger „die bauend Tragende, die nährend Fruchtende, hegend Gewässer und Gestein, Gewächs und Getier“ (HeiGA 7, 151, 179). Indem das → Ding west, versammelt es die vier Momente des Gevierts in Einfalt und in eine Weile. Die mit Heideggers Betonung des Ortes verbundene „Mütterlichkeit der Erde“ (Levinas 1983, 194) bestimmt für Levinas die ganze abendländische Zivilisation des Eigentums, der Ausbeutung, der politischen Tyrannei und des → Krieges. Die E. ist in der Phänomenologie für ihn nicht mehr die Basis, auf der die Gegenstände erscheinen, sondern die vom intentionalen Subjekt geforderte Bedingung für deren Wahrnehmung. So ist die E. als Horizont die „Situation des Subjekts“, jedoch nicht

Ereignis der Kontext des Gegenstandes (ebd., 132). Die E. ist nach Patoˇcka der taktilkinästhetische Stützraum, der das Ich trägt und der „das erste unbewegliche Referens aller Bewegung“ (Pato cˇ ka 1990, 245) und der fortwährenden Orientierung des Ich in der → Welt darstellt (Patoˇcka 1991, 94, 105, 136). Darüber hinaus ist der Bezug zur E. als ernährender die Relation, die die Arbeit und die Organisation der Bedürfnisbefriedigung beinhaltet. Qu.: HeiGA 4. – HeiGA 7. – Levinas 1949 (1983). – Patoˇcka 1990. – Patoˇcka 1991. – Lit.: Peetz 1995, 167-187. RE

Ereignis ist seit 1936 das „Leitwort“ von Heideggers Denken, wie dieser rückblickend feststellt (HeiGA 9, 316). Doch findet sich der Terminus „E.“ bereits 1919, u. zw. zur Charakteristik des → Erlebnisses (HeiGA 56/57, 69 u. 116). Die Erlebnisse seien „Ereignisse, insofern sie aus dem Eigenen leben und Leben nur so lebt“ (HeiGA 56/57, 75). Zum „Leitwort“ wird E. allerdings erst mit der Erfahrung der → Notwendigkeit eines anderen → Anfangs gegenüber dem ersten Anfang im Denken der Griechen. Für deren „Leitfrage“ nach dem → Sein steht immer das Sein des Seienden im Blick (Sein als Seiendheit), während die „Grundfrage“ nach dem Sein selbst („Seyn“) ausbleibt. Die Beiträge zur Philosophie verstehen sich als Vorbereitung für jenen anderen Anfang, ihre „gemäße Überschrift“ lautet Vom Ereignis (HeiGA 65, 3). Das Seyn „ist“ nicht, sondern es „west“, nämlich als das E. (ebd., 30). So gilt die Grundfrage dem Seyn und seinem → „Wesen“ (verbal), sie geschieht als ein „Übersichhinausfahren“, in solches,

Erfahrung das den Fragenden überhöht und von dem Heidegger sagt, es sei das verborgen Zwingende. Dieses wird in einer Grundstimmung erfahren, die sich in einzelnen → Stimmungen andeutet: in Erschrecken, Verhaltenheit und Scheu; dem → Er-staunen des ersten Anfangs entspricht das Er-ahnen im anderen Anfang. An der Stimmung und der ihr entsprechenden → Geworfenheit zeigt sich der Schritt von Sein und Zeit zu den Beiträgen: In der Eröffnung des Entwurfs enthüllt sich, daß der Werfer selbst der Geworfene ist; seine Leistung beruht darin, „den Gegenschwung im Seyn aufzufangen, d. h. in diesen und somit in das E. einzurücken“ (ebd., 304). Das Transzendieren als Grundverfassung des verstehenden → Daseins erscheint in Sein und Zeit als Überstieg über das Seiende (der „Rückgang auf die ekstatischhorizontal fundierte Transzendenz der Welt“ antwortet auf die Frage nach der Möglichkeit innerweltlichen Begegnens von Seiendem (HeiGA 2, 484)); die Beiträge fordern, den Unterschied von Sein und Seiendem und damit die Transzendenz selbst zu überspringen und vom Seyn her zu fragen. Die Geworfenheit von Sein und Zeit wird als „zugehörig der Er-eignung durch das Seyn selbst“ interpretiert (HeiGA 65, 252). Dieser Übergang zum Seyn geschieht als Sprung. Damit wird das seinsverstehende Dasein zur Stätte des Da-seins, das nicht mit dem → Menschen identisch ist, sondern in seinem Da vom Menschen ausgetragen werden muß: als offenes und verbergendes → Zwischen, „zwischen der Ankunft und Flucht der Götter und dem in ihm gewurzelten Menschen“ (ebd., 31). Das Geschehen des E.es ist wesentlich Austrag: des Gegenübers von → Gott und Mensch und des Strei-

152 tes von → Welt und → Erde (HeiGA 66, Nr. 81). Qu.: HeiGA 65, 3-103. – HeiGA 66, 83103. – HeiGA 69, 5, 13-19. – Heidegger 1969. – Heidegger 1999. – Lit.: Herrmann 1994b. HV

Erfahrung. Im weitesten und umfassendsten Sinn bestimmt Husserl die E. als das → Bewußtsein, bei den → „Sachen selbst“ zu sein, „sie ganz zu erfassen und zu haben“ (Hua XVII, 239). Die Beschreibung trifft auf das alltägliche Leben ebenso wie auf die Wissenschaft zu. Dabei bleiben beide je auf ihre Art naiv und unkritisch. Das vorwissenschaftliche Leben begnügt sich damit, daß ihm die → Welt immer schon vertraut ist, und ihm genügt diese → Bekanntheit auch dort, wo Unbekanntes begegnet: Es wird auf Grund der E. in Bekanntes übergeführt. Die → Naivität der sich als wissenschaftlich verstehenden Erkenntnis beruht darin, daß das Erfahrene als ein objektiv gegebenes Erkenntnissubstrat vorausgesetzt wird. Das Erste sind unter diesem Blickwinkel Sachen i. S. von „Natursachen“, Wirklichkeit wird als „Naturwirklichkeit“ genommen; es ist das Vorurteil des empiristischen Naturalismus. Dazu kommt die Leugnung von Wesenserkenntnissen. → Wissenschaft gründet sich hier auf E., die jedoch nur aus singulären Einzelheiten besteht. Zwar ist alle Tatsachenerkenntnis aus E. zu begründen, doch dies läßt sich wie jede Wesenserkenntnis selbst nicht mehr aus E. herleiten. Schließlich wird auch vorausgesetzt, daß die singulären Einzelheiten als Empfindungsdaten die unmittelbaren Gegebenheiten sind. So kommt die Naivität des Alltagslebens wie der wissenschaftlichen Erkenntnis darin überein, daß die → Transzendenz des Erfahrbaren im ersten Fall au-

153 ßer acht bleibt, im zweiten naturalistisch und objektivistisch uminterpretiert wird. Das Erfahrene hat nun zwar den Sinn transzendenten → Seins, doch ist es das subjektive Erfahren, das diesen Sinn konstituiert. Diesen konstitutiven → Sinn der E. zu „erfahren“, setzt eine andere Stufe der E. voraus, was seinerseits die transzendentale → Reduktion zur Voraussetzung hat. Diese erschließt das neue Erfahrungsfeld der → transzendentalen Subjektivität; in der durch die Reduktion vollzogenen radikalen Änderung der Einstellung zur Transzendenz kommt das → Feld transzendentaler E. überhaupt erst in den Blick. Zunächst legt die transzendentale Phänomenologie das faktische Erfahrungsfeld der transzendentalen Subjektivität hinsichtlich seiner → Möglichkeiten frei – die Aufgabe der deskriptiven oder beschreibenden, statischen Phänomenologie, welche die Typen dieses Feldes erfaßt und systematisiert. Mit der phänomenolog. → Einstellung ist der erste Erfahrungsboden überhaupt erst gewonnen. Der für uns erste → Boden, von dem die Untersuchung ihren Ausgang zu nehmen hat, ist der Seinsboden der natürlichen Einstellung, der innerhalb der naiven Einstellung als selbstverständlich vorausgesetzt wird. Als „Urerfahrung“ (Hua III/1, 81) fungiert dabei die → Wahrnehmung; sie ist die letzte Quelle, aus der die → Generalthesis der Welt ihre Nahrung schöpft. Es gehört zur Eigenheit des wahrnehmenden Bewußtseins, Bewußtsein eines individuellen → Objektes in leibhafter Selbstgegebenheit (→ Gegebenheit) zu sein. Deshalb ist die Dingwahrnehmung Repräsentant aller anderen Wahrnehmungen. Die durch die Reduktion gewonnene Freiheit ermöglicht den Rückgang auf die → Evidenz der E., die sich

Erfahrung – vergleichbar mit dem eingangs genannten allgemeinen, noch nicht spezifisch phänomenolog. Erfahrungsbegriff, nun aber präzisiert – im weitesten Sinn als „Evidenz von individuellen Gegenständen“ (Husserl 7 1999, 21) versteht. Der Rückgang besteht in der Thematisierung der → Urteile über solches Individuelles, dem die vorprädikative Gegebenheit der Gegenstände vorausgeht. Die phänomenolog. Urteilstheorie beginnt daher als Theorie der vorprädikativen E. Die Selbstgebung individueller Gegenstände kann zwar in verschiedenen → Modalisierungen erfolgen (Seinsgewißheit, Vermutlichkeit, Wahrscheinlichkeit), doch hat der Modus schlichter → Gewißheit den Vorrang. An ihm erweist sich der universale Modus des Weltglaubens und die Fundamentalstruktur des Weltbewußtseins als → Horizont aller erfahrbaren Gegebenheiten. Diesen Rückgang in die Welt der E. weist der späte Husserl als Rückgang auf die → Lebenswelt aus, „die Welt, in der wir immer schon leben und die den Boden für alle Erkenntnisleistung abgibt und für alle wissenschaftliche Bestimmung“ (ebd., 38). In deren subjektiven → Leistungen ist der Aufbau unserer ganzen Erfahrungswelt beschlossen. Die Welt unserer wirklichen, faktischen E.en wird „typisiert“ erfahren (→ Typus), d. h. das individuell Erfahrene (z. B. ein Hund) ist aus einem Horizont heraus erfahren, in welchem mögliche Bekanntheiten vorgezeichnet sind (z. B. typische Merkmale des Aussehens und Verhaltens). Die individuelle E. führt zur Findung von immer wieder Neuem, das einen unbestimmten Horizont begrifflicher → Bestimmungen mit sich führt, sodaß die E. einerseits unter der Idee eines → Allgemeinen steht, aber doch durch die In-

Erfahrung dividualität der E. der „Idee eines offenen und immerfort zu berichtigenden Begriffs“ unterstellt ist (ebd., 401). Auch für Scheler gehören natürliche Weltanschauung und Wissenschaft zur außerphänomenolog. E. Phänomenolog. E. ist von diesen durch zwei Merkmale unterschieden. Erstens gibt sie die → Tatsachen selbst und unmittelbar, d. h. nicht durch Symbole oder Zeichen vermittelt; die Gesamtheit der Zeichen findet in ihr ihre letzte Erfüllung (nicht als Farbe „rot“ dieses Dinges oder innerhalb einer bestimmten Farbordnung, sondern als „rot selbst“). Zweitens ist phänomenolog. E. immanente E., d. h. ihr gehört nur solches an, das im jeweiligen → Akt des Erfahrens anschaulich wird. Weil Phänomenologie auf E. beruht, gibt ihr Scheler den Namen „Empirismus“; dessen Grundlage sind → „Tatsachen“ und nicht „Konstruktionen“. Der Gegensatz a priori und a posteriori bezeichnet zwei verschiedene Arten von E.: reines und unmittelbares bzw. vermitteltes Erfahren. Innerhalb des → Apriori gibt es Formales (z. B. Axiome der Logik) und Materiales (z. B. → Werte). Scheler sieht es als Grundirrtum Kants an, das Apriorische mit dem Formalen zu identifizieren. Der Irrtum des Empirismus und Positivismus anderseits besteht darin, daß diese einen überaus engen Erfahrungsbegriff zugrunde legen (beschränkt auf Sinneserfahrung) und diesen außerdem unzureichend interpretieren (Sinneserfahrung als Produkt von impressions). Schütz macht den Umstand geltend, daß auch unsere vorprädikativen E.en, deren typische Aspekte Husserl zur Darstellung gebracht hat, eine soziale Grundlage haben und durch die → Sprache („das typisierende Medium par excellence“ (Schütz 1971a, 86))

154 vermittelt sind. Größte Bedeutung haben Husserls Untersuchungen der Eigenart vorprädikativer E. für die Explikation der Welt kommunikativen Verstehens (→ Kommunikation); sie liefern Typisierungen, die in den Sozialwissenschaften unter dem Titel „soziale Rolle“ thematisiert werden. Für sozialwissenschaftlich relevante Begriffe wie Situation, Einstellung, Relevanzsystem oder Sprachverständnis sind nicht Husserls Analysen zur → Konstitution der transzendentalen → Intersubjektivität, sondern die zur → Lebenswelt von weiterführender Bedeutung. Heidegger mißt der E. größtes Gewicht bei; „Denkerfahrungen“ aus 66 Jahren erhielten den Titel Aus der Erfahrung des Denkens (HeiGA 13). Dennoch sind seine Hinweise zum Begriff der E. eher verstreut, sieht man von der eingehenden Interpretation von Hegels Begriff der Erfahrung ab. Außer diesem Bezug auf Hegel thematisiert er die Entwicklung der E. zum Experiment und die E. als genuin phänomenolog. Aufgabe. Im Aufweis einer Stufenfolge von Begriffen der E. zeigt er, daß diese zunächst etwas ist, das uns ohne unser Zutun trifft; sodann ein Er-fahren als Auskundschaften von Antreffbarkeiten; als Erprobung in Veränderung des Begegnenden; als vorgängige Herausstellung einer Regelmäßigkeit und schließlich in der Absicht auf Regeln, die bestimmen, was überhaupt möglicher Gegenstand der E. sein darf (hier auch der wiederholte Bezug auf Descartes und dessen Regulae ad directionem ingenii (vgl. HeiGA 41, § 18)). Hegel versteht seine Phänomenologie des Geistes als „Wissenschaft von der E. des Bewußtseins“, schlägt aber nicht die Richtung des Erfahrungsbegriffs der von Hus-

155 serl ausgehenden Phänomenologie ein, sondern betrachtet die E., die das Bewußtsein mit sich selbst macht und dadurch ein anderes wird, in diesem Anderswerden aber zu sich selbst kommt. Sie ist nicht Wissenschaft von der E., sondern diese selbst, „die Phänomenologie [des Geistes] als das Wissen in seiner Bewegung“ (HeiGA 32, 36). Husserls cartesianische Grundstellung führt dazu, daß die → Intentionalität des Bewußtseins in dessen → Immanenz eingeschlossen bleibt (und damit in ihrem Wesen verfehlt wird). Dagegen hat das → Ding in Sein und Zeit seinen Ort nicht mehr im Bewußtsein, sondern in der → Welt, und es kommt nun darauf an, eine Grunderfahrung des Dinges selbst zu machen. Im Spätwerk Merleau-Pontys geht es um die noch rohe und wilde E., eine stumme E., aus der die → Sprache selbst erst kommt. Die rohe E. ist ein Wissen, das unterhalb des Wesens liegt und daher seiner Auflösung in Wesenheiten widerstrebt bzw. als Wesen nicht hinreichend bestimmt werden kann. Das wäre nur im Fall eines reinen Beobachters möglich, der zwar die Tatsachen in Wesensmöglichkeiten einschließen könnte, doch damit ein Feld der E. voraussetzen würde, dem er selbst zugehört und die einem „rohen Sein“ erst abgewonnen werden muß. Die Reduktion der E. auf das Wesen würde angesichts dieses Umstandes bedeuten, sie in völlige Transparenz zu verwandeln – um den Preis ihres Verlustes. Die E. befragen heißt nicht, sie auf etwas schon Bekanntes und Typisches hin zu erschließen, sondern geschieht deshalb, „weil wir wissen wollen, wie sie uns dem öffnet, was wir nicht sind“ (Merleau-Ponty 1986, 208). Dies beschreibt ein Außersichgehen, das aber auch Rückkehr

Erfassung (doch keine endgültige) zu sich selbst ist. Merleau-Ponty gebraucht für diese Verschränkung den Ausdruck → „Chiasma“ (griech. chiazein bezeichnet die Markierung mit zwei sich überkreuzenden Linien wie beim griechischen Buchstaben chi). Qu.: Hua III/1, §§ 19, 39. – Hua XVII, § 94. – Hua VI, § 34. – Husserl 1939 (7 1999), §§ 6-10, § 12, § 83. – ScheGW 2, II.A. – ScheGW 10, 380 ff. – Schütz 1932 (ND 1974), Nr. 14-16. – Schütz 1971a pass. – HeiGA 5, 115-208. – HeiGA 15, 380 ff. – HeiGA 65, Nr. 77-80. – HeiGA 32, § 3. – Merleau-Ponty 1964 (1986, 145 ff., 206/209 ff. u. pass.). – Lit.: Landgrebe 1963. – Waldenfels 1980. HV

Erfassung. Bei der → Wahrnehmung eines → Gegenstandes unterscheidet Husserl zwei Teilleistungen: die schlichte E. und darauf aufbauend die Explikation. Wesentlich für die Unterscheidung dieser beiden Bewußtseinsleistungen ist, daß dem Aufforderungscharakter der Affektion in verschiedener Weise entsprochen werden kann. Während die schlichte E. auf den Gegenstand als ganzen gerichtet ist, zielt die Explikation auf dessen „Näherbestimmung“. Verhält sich das Gegenstandsbewußtsein in der schlichten E. noch indifferent gegenüber spezifischen → Eigenschaften, so werden diese in der Explikation zwar „thematisiert“, aber noch nicht als → Eigenschaften ein und desselben Gegenstandes kategorialisiert. Explikation und E. finden damit gleichermaßen auf vorprädikativer Ebene statt, wobei sich die Explikation bereits auf der Schwelle logischer Kategorienbildung bewegt. Demgegenüber hat die schlichte E. mit „Prädizieren“ noch nichts zu tun. Sie macht einen → Sinn in der → Erfahrung geltend, der erst durch Einstel-

156

Erfüllung lungsänderung in einen explikativen bzw. logischen Sinn verwandelt werden kann. Zwar ist uns der Gegenstand als → Einheit seiner „wirklichen und möglichen Erfahrungsweisen“ immer schon aufgegeben, doch ist diese Einheit nichts, was sich in einem → Akt herstellen ließe. Der Identitätsbegriff (→ Identität) hat keine rein logischen Determinanten, wie Husserls Analyse der schlichten E. zeigt. So sind Grade der Identitätsbildung z. B. dort anzunehmen, wo die verschiedenen Partialerfassungen zwar zu einer kontinuierlich zusammenhängenden Gegenstandsmehrheit, nicht aber zu einem einheitlichen Gegenstand führen. Qu.: Husserl 1939 (6 1985), §§ 22-28.

TE

Erfüllung. Husserl behandelt den Begriff der E. am ausführlichsten in der VI. Logischen Untersuchung, u. zw. im übergreifenden Kontext von Erkenntnis und Wahrheit. Zunächst stellt er die → Erkenntnis als → Synthesis der E. dar. Er unterscheidet dabei zwischen Bedeutungsintention und Bedeutungserfüllung. Alle → Akte können ausgedrückt werden, doch sind nicht alle Akte auch Bedeutungsträger. Ausgedrückt werden Akte, indem sie sich kundgeben, doch von „ausgedrückt“ kann man auch sprechen, wenn sie eigens benannt werden: „ich wünsche, daß ...“ In keinem dieser Fälle fungieren sie aber als Bedeutungsträger. Sie sind es dann, wenn sie etwas zum Ausdruck bringen, woraus ein → Urteil geschöpft wird, z. B. aus einer → Wahrnehmung (Wahrnehmungsurteile). Solche Urteile schöpfen ihre Bedeutung jedoch nicht aus der Wahrnehmung, sondern aus eigenen ausdrückenden Akten. Nun besteht zwischen ausdrückendem Gedan-

ken und ausgedrückter → Anschauung eine statische Einheit, das Erkennen. Unter dynamischem Aspekt (vorher bloß symbolisch fungierender → Ausdruck, nachher die entsprechende Anschauung) ist diese Einheit eine solche der E. in einem E.s- und Identitätsbewußtsein. Dabei bezieht sich E. auf die Akte, → Identität auf die → Gegenstände, die hier zur → Einheit kommen. → Erlebnisse, denen es eigentümlich ist, Erfüllungsverhältnisse fundieren zu können, heißen Intentionen. Zu ihnen gehören Anschauungen, d. h. Akte, die der E. anderer Intentionen dienen. So weckt der Anfang einer vertrauten Melodie Intentionen, die im Fortgang der Melodie ihre E. finden. Die für die objektivierenden Akte charakteristische Form der E. ist die Synthesis des Erkennens. Ein Wunsch z. B., der auf E. aus ist, setzt einen objektivierenden Akt voraus, in dessen Vorstellung er fundiert ist. Er erfährt objektivierende Befriedigung, wenn die bloße Einbildung mit dem, was tatsächlich ist, zur synthetischen Einheit wird. Der die E. ausschließende Gegensatz ist die → Enttäuschung. Sie ist keine bloße Privation der E., sondern als synthetische Einheit ebenso spezifisch wie die E. Ist deren Synthesis eine Art der Identifizierung, so gehört die Synthesis der Enttäuschung zur Unterscheidung (die allerdings mit der Unterscheidung im Fall des Vergleichs nicht zusammenfällt): Die Intention wird von der Anschauung abgewiesen (Bewußtsein des Widerstreits). Was die Intention zwar meint, aber bloß vorstellig macht, stellt die Erfüllung direkt vor uns hin und läßt ein „das ist es selbst“ erleben. Der erfüllende Akt erteilt der Intention die Fülle des „selbst“. In schrittweiser Steigerung führt dies hin zu einer idea-

157 len Grenze mit dem „Ziel der absoluten Erkenntnis, der adäquaten Selbstdarstellung des Erkenntnisobjekts“ (Hua XIX/2, 598). In der endgültigen und letzten E. fällt der intuitive → Gehalt mit dem Gegenstand, wie er an sich selbst ist, zusammen. Damit ist → Wahrheit (in der traditionellen Formulierung als adaequatio rei et intellectus) hergestellt: „das Gegenständliche ist genau als das, als welches es intendiert ist, wirklich ‘gegenwärtig’ oder ‘gegeben’ “ (ebd., 647). Qu.: Hua XIX/2, 1. Abschnitt u. 2. Abschnitt, 6. Kapitel. – Hua III/1, § 136. – Hua XI, §§ 5-6. HV

Ergriffenheit. Bei Schmitz E. vom Gefühl (daher auch: affektives Betroffensein), die im leiblichen Befinden in Gestalt leiblicher Regungen in Erscheinung tritt, wenn jemand von der → Atmosphäre überwältigt wird. Hier wird der → Leib zum „Angriffspunkt der ergreifenden Gefühle“, der er sich gestaltend aussetzen sollte, anstatt unter der einseitigen Dominanz der Vernunft ihnen auszuweichen. In diesem Fall sucht er nach entlastender E., um z. B. im Rausch politischer oder religiöser Massenbewegungen aufzugehen. Qu.: Schmitz System III/2. – Schmitz 1993. HV

Erinnerung spielt von Beginn an in der Phänomenologie eine wichtige Rolle. Das liegt darin begründet, daß phänomenolog. Überlegungen, die sich mit der → Intentionalität menschlicher Existenz beschäftigen, immer auch die fundamentale Frage nach der Zeitlichkeit mitbedenken müssen. Es geht darum, ein Zeitverständnis zu entwickeln, das im Gegensatz zur Vorstellung der linearen Zeitenabfolge die Eigenzeit des Menschen als spezifisches Zusam-

Erinnerung menspiel der drei Zeitmodi → Vergangenheit, → Gegenwart und → Zukunft begreift. Die E. fungiert in diesem Feld als Modus der → Vergegenwärtigung des Möglichkeitsraumes des in der Vergangenheit Angelegten. E. ist somit vom psych. Vermögen der Wiederholung vergangener Ereignisse zu unterscheiden. Husserl untersuchte die E. im Rahmen seiner Studien zum Zeitbewußtsein (vgl. Hua X). Nach ihm ist das Zeitbewußtsein das fundamentale → Bewußtsein, das allen anderen Bewußtseinsstrukturen zugrunde liegt (vgl. Hua XI, 125). Bei seinen Untersuchungen verfogte er zwei Fragerichtungen (vgl. Bernet u. a. 2 1996, 97): Zum einen die Frage nach der Möglichkeit der → Erfassung der zeitlichen Konstituierung von → Objekten und zum anderen die Frage nach der zeitlichen Verfaßtheit des Bewußtseins selbst. Die zweite Frage widmet sich einerseits dem Problem des konstituierenden Bewußtseins aller zeitlichen Erscheinungen und fragt andererseits, ob das Bewußtsein selbst zeitlich konstituiert ist. Für die Thematik der E. ist vornehmlich die erste Frage relevant. Bei deren Bearbeitung legt Husserl sich das bereits in Brentanos Zeittheorie behandelte Beispiel der zeitlichen Wahrnehmung eines Tones bzw. einer Melodie vor: Beim Erfassen eines zeitlichen Ablaufes bleibt das Wahrgenommene nach der → Wahrnehmung im → „Jetzt“ noch eine Weile im Bewußtsein gegenwärtig, allerdings nicht mehr als ein unmittelbar Aktuelles, sondern als ein zeitlich in die Vergangenheit Absinkendes. Darin liegt allererst die Möglichkeit, eine Melodie in ihrer Kohärenz wahrzunehmen. Beim Hören eines Tones im Jetztmo-

Erinnerung ment verschwindet der vorangegangene Ton nicht gänzlich aus dem Bewußtsein, allerdings bleibt der verklungene Ton auch nicht mit der vorangegangenen Wahrnehmung im ehemaligen Jetzt identisch, sondern wird durch das zeitliche Zurückschieben modifiziert. Erhaltung und auch → Modifikation des Tones in der nahen Vergangenheit sind die grundlegenden Bedingungen, zeitliche Abläufe wahrnehmen zu können: Ohne die Erhaltung zerrisse die Melodie zur Wahrnehmung vereinzelter Töne, ohne die Modifikation bräche die Melodie zu einem Tongewirr zusammen. Während aber Brentano das Erfassen eines zeitlichen Vorgangs durch die reproduktive und produktive Phantasie (also einer Form des Erinnerungsbewußtseins) gewährleistet sieht, ist es Husserls Anliegen, das Zeitfeld als Konstituierungsleistung des Wahrnehmungsbewußtseins zu interpretieren. Husserl unterscheidet bei der Analyse der Erfassung des originären Zeitfeldes (vgl. Hua X, 31), d. h. des gegenwärtigen zeitlichen Geschehens, drei notwendig zusammengehörende Momente: 1. die → Urimpression (vgl. ebd., 67, 100) oder Urempfindung (vgl. ebd., 77 ff., 325 f., 372), die die Wahrnehmung des Zeitobjektes im Jetztmoment bezeichnet. Durch das immer neu wahrgenommene Jetzt bildet die Urimpression als lebendiger Quellpunkt des → Seins (vgl. ebd., 67, 69, 100) und als „das absolut originäre Bewußtsein“ (ebd., 325) den Antrieb für die Zeitkonstitution; 2. die → Retention (vor 1909 noch frische oder primäre E. genannt), die zugleich mit der Urimpression als deren Erinnerungsschwanz oder Kometenschweif (vgl. ebd., 377 f.) wahr-

158 genommen wird und in der Wahrnehmung die Verbindung zur nahen Vergangenheit konstituiert als ein zurückhaltendes Noch-Bewußtsein (vgl. ebd., 80 f.). Dieses Noch-Bewußtsein besteht aus einer retentionalen Kontinuität, in der die verschiedenen Retentionen unterschiedliche Wahrnehmungsqualitäten besitzen: Je weiter der Zeitpunkt von der Urimpression entfernt ist, um so dunkler wird die E. daran; die zeitliche Perspektive bewirkt, daß das Objekt im retentionalen Bewußtsein immer stärker abgeschattet, d. h. zusammengezogen, verdunkelt wird. Die sich wiederholenden Übergänge von der Urimpression bis zur → Abschattung bewirken ständige Veränderungen innerhalb der retentionalen Kontinuität: Die Retention ist „nicht nur Retention der vorangegangenen Urimpression, sondern ein sich mit dem kontinuierlichen Auftauchen neuer Urimpressionen stetig modifizierender und bereichender retentionaler Gegebenheitszusammenhang. Mit der auf die ,erste‘ Urimpression (= U0) folgenden Urimpression (= U1) ist eine erste Retention (= R0) von U0 assoziiert, mit der weiter folgenden Urimpression (= U2) jedoch bereits eine zweite Retention (= R1) der vorangehenden Urimpression (= U1) und der damit verbundenen Retention (= R0): U2 - R1 [U1 - R0 (U0)]“ (Bernet 1983, 36). Die Retention trägt durch die Fülle der Modifikationen „sozusagen in Form einer Abschattungsreihe das Erbe der ganzen vorangegangenen Entwicklung in sich“ (Hua X, 327); 3. die → Protention, d. h. die → Erwartung des unmittelbar Kommenden. Diese → Antizipation der nahen Zukunft ist nur möglich auf Grund des retentional Bewußten (vgl. Hua XI, 186), als „eine Projektion des Vergangenen

159 als Erwartung in die Zukunft.“ (Bernet u. a. 2 1996, 98) Von der Retention unterscheidet Husserl eine weitere Form der E., die zweite E. oder Wiedererinnerung. Die Wiedererinnerung ist ein Produkt der Reproduktion und stellt eine Wiederholung des ganzen Zeithofes, des ganzen Wahrnehmungsflusses dar. Die Wiedererinnerung ist also eine Reproduktion von Urimpression, Retention und Protention, allerdings – und hier macht Husserl im Vergleich zu Brentano einen radikalen Unterschied – ist die Wiederholung im Gegensatz zur Retention eben nicht Gegenwart, sondern vergegenwärtigte Gegenwart, sie ist nicht wahrgenommen, nicht leibhaftig gegenwärtig, sondern ein Produkt der → Vorstellung, wobei sie allerdings auf die ursprüngliche Wahrnehmung angewiesen ist. Auf diese Weise konstituiert die Wiedererinnerung „die Idee einer objektiven Zeit als einer festen Ordnung des Früher und Später von identifizierbaren Zeitstellen“ (Bernet u. a. 2 1996, 100). „Identität von Zeitobjekten ist also ein konstitutives Einheitsprodukt gewisser möglicher Identifizierungsdeckungen von Wiedererinnerungen.“ (Hua X, 108) Auch Heideggers Überlegungen zur Konzeption der E. finden sich im Rahmen seiner Beschäftigung mit der Zeitlichkeit. Ähnlich wie auch Husserl geht er von drei Grundmodi, von drei → Ekstasen der Zeitkonstituierung aus, die unmittelbar ineinander umschlagen: Die Zukunft verweist auf die → Gewesenheit und diese wiederum auf die Gegenwart. Anders als bei Husserl aber ist nun nicht mehr die Urimpression Angelpunkt der Zeitkonstitution, sondern verschiedene Zeitmodi sind für unterschiedliche Formen der → Erschlossenheit maßgeblich, wenn-

Erinnerung gleich auch nicht allein verantwortlich. Im Hinblick auf das Vergangene ist es Heidegger ein besonderes Anliegen, das → Vergessen als einen eigenständigen, primären Vorgang zu beschreiben. Während das Vergessen bei Husserl nicht explizit thematisiert wird und höchstens beim Vorgang der Abschattung, der bis zu einem leeren retentionalen Bewußtsein führen kann, anklingt, etabliert Heidegger in Sein und Zeit das Vergessen als Voraussetzung der E.. Heidegger sagt: „Dies Vergessen ist nicht nichts oder nur das Fehlen von Erinnerung, sondern ein eigener, ,positiver‘ ekstat. Modus der Gewesenheit.“ (HeiGA 2, 448) E. ist nur auf der Basis des Vergessens verständlich, „denn im Modus der Vergessenheit ,erschließt‘ die Gewesenheit primär den Horizont“ (ebd., 449), d. h. die grundsätzliche Fülle der Möglichkeiten der Vergangenheit. Die Vergessenheit ist somit Bedingung der Enthüllung des gewesenen → Daseins in der E., wenngleich ihr Charakter zugleich eine adäquate ontolog. E. verhindert. Vergessen ist auch Grundlage für die Wiederholung, der Überlieferung der → Möglichkeiten der → Existenz in der E. In der Wiederholung wird nicht versucht, die Vergangenheit wiederaufleben zu lassen wie in der E., sondern es erfolgt auf der Grundlage des Vergangenen eine entschlossene Antizipation dessen, was in der Zukunft wiederholt werden kann als Erwiderung auf die Möglichkeiten des Daseins, die in der Gewesenheit bereits eröffnet wurden. Die Frage nach dem Gedächtnis ist somit nicht vornehmlich die nach dem Festhalten oder Wiederholen des Vergessenen, sondern eher die nach dem Behalten und der Pflege dessen, was erhalten bleibt und über das nachgedacht werden muß.

Erinnerung Allerdings kann die E. nicht an das uns affizierende, uns betreffende → Ding heranreichen. Zwar können → Gegenstände erinnert werden, aber niemals „kommen Dinge als Dinge dadurch, daß wir vor den Gegenständen nur ausweichen und vormalige alte Gegenstände er-innern, die vielleicht einmal unterwegs waren, Dinge zu werden und gar als Dinge anzuwesen“ (HeiGA 79, 21). Für Scheler stellt das Erinnerungsvermögen ein wichtiges Unterscheidungskriterium zwischen Mensch und → Tier dar. Dem instinktgeleiteten Tier ist im Gegensatz zur gedächtnislosen, rein vegetativen Pflanze ein assoziatives Gedächtnis (Mneme) gegeben (vgl. ScheGW 9, 25), das das gewohnheitsmäßige Verhalten der Tiere bestimmt. Im Menschen dagegen „nimmt das Prinzip der Assoziation, Reproduktion, die größte Ausdehnung an“ (ebd.). Neben dem Wiederholungstrieb, der auch dem Tier gegeben ist, ist der Mensch in gesteigertem Maße zu einer speziellen Form der Reproduktion, der Nachahmung fähig, die angewandt wird „auf fremdes Verhalten und Erleben“ (ebd.). Die Nachahmung ist maßgeblich für die „Tatsache der ,Tradition‘ “ (ebd.). Aber auch das Erleben der Tradition ist streng unterschieden von der eigentlichen E. (anamnesis). Während die Tradition zwar ebenfalls gegenwärtig gegeben ist, hebt sich die E. insofern von der Tradition ab, als sie zeitlich datiert ist und in einer bestimmten Zeitdistanz gegenständlich wird (vgl. ebd.). Tradition vermittelt Vergangenheit, kann als Prägung begriffen werden, E. dagegen identifiziert Vergangenheit. „Bewußte ,Erinnerung‘ an individuelle, einmalig erlebte Geschehnisse und stetige Identifikation einer Mehrheit von Erinnerungsakten untereinander auf ein

160 und dasselbe Vergangene hin ist [scil. im Gegensatz zur Tradition] nur dem Menschen eigen.“ (ebd.) Aber ähnlich wie in Heideggers Unterscheidung des Dings vom Gegenstand kann die E. nicht zum Wirklichkeitseindruck führen, sie eröffnet nur das (zufällige) Sosein der Dinge, nicht aber ihr Dasein (vgl. ebd., 43). In Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik widmet sich Scheler gesondert der menschlichen E. Wie auch Husserl und Heidegger tut er dies bei seiner Beschäftigung mit der zeitlichen Konstituierung des Bewußtseinsmoments und kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: „Und welches Bewußtseinsmoment meines ganzen Lebens auch die innere Anschauung treffe, so enthält jeder selbst wieder diese Dreiteilung eines Gegenwärtigseins, Vergangenseins und Zukünftigseins.“ (ScheGW 2, 423) Bei der E., der Eröffnung des Vergangenseins im Bewußtsein, unterscheidet er zwei Formen, die strukturell voneinander unterschieden sind: Zum einen die reproduzierende E. als ein Rückblick auf das Vergangene, zum anderen das Gegenwärtigsein einer E., d. h. das erneute Erleben einer vergangenen Situation in der Vergegenwärtigung. Scheler illustriert dies anhand eines Beispiels: „Erinnere ich mich an etwas, das seinerzeit gegenwärtig war, z. B. wie ich als Kind vor einem See stehe, so gehört das ,Gegenwärtigsein‘ dieses Gehalts selbst zum umfassenden Gehalte des Erinnerns, der selbst ,als vergangen‘ gegeben ist. Es sind daher ganz verschiedene Dinge: Sich der seinerzeitigen Gegenwart eines Erlebnisses erinnern und sich des Erlebnisses erinnern. Im ersten Falle steckt das Leibphänomen immer als Teil in dem E.sgehalte drinnen: Ich sehe ,mich‘ im Erinnern

161 vor dem See stehen im Unterschiede zu ,Ich erinnere mich daran, daß ich vor dem See stand.‘ “ (ebd., 423, Fußnote) Qu.: Hua III/1. – Hua X. – Hua XI. – HeiGA 2. – HeiGA 79. – ScheGW 2. – ScheGW 9. – Lit.: Bernet 1983, 16-57. – Bernet 1985, XI-LXVII. – Bernet u. a. 1989 (2 1996). – Figal 1992. – Held 1966. CG

Erkenntnis. Geistige Aneignung des Sinngehalts von Sachverhalten, Zuständen oder Vorgängen. Jede E. erhebt einen Wahrheitsanspruch: die Prätention, wahrhaft von der Wirklichkeit urteilen zu können. Das philosoph. Problem der E. besteht demnach im Prinzip in der Bestimmung des Begriffs und der Bedingungen einer wahren E. Dieselbe Frage stellt sich in der Phänomenologie, wobei sie aber sehr unterschiedlich betrachtet wird. Es gibt keinen einheitlichen phänomenolog. Begriff der E. Von Brentanos Lehre der → Intentionalität ausgehend, setzt sich Husserl einer oft in der philosoph. Tradition, meist von den Empiristen, vertretenen Idee der E., der sog. Bildtheorie, entgegen. Nach dieser Theorie erkennt das Subjekt den → Gegenstand dadurch, daß ein Repräsentant für ihn im Bewußtsein vorliegt: ein Zeichen bzw. ein Bild. Für Husserl ist dagegen jeder solche dazwischenliegende Bewußtseinsinhalt überflüssig und unnütz. Denn jede Vermittlung würde das Problem der E. ihrer selbst wieder aufwerfen und die Erkenntnisfrage nicht lösen. Dem gegenüber zeigt die Intentionalitätstheorie, daß die Erkenntnisakte unmittelbar Bezug auf ihre Gegenstände nehmen und sie direkt im → Bewußtsein vorstellen. E. entsteht nicht auf Grund von Bildern der Sachen, sondern durch das prinzipielle Gerichtetsein (eben Intentionalität) jedes →

Erkenntnis Aktes auf seinen → Inhalt. Wenn jede Bewußtseinserfahrung intentionalen Charakter trägt, so ist sie durch den Modus der → Gegebenheit ihres intendierten Inhalts geprägt: dieser kann mehr oder minder evident sein. Generell gilt also für Husserl, daß jedes Erkenntnisproblem zuletzt auf ein Evidenzproblem reduzierbar ist: „E. ist meist ein Name für logische Wahrheit: bezeichnet vom Standpunkt des Subjekts, als Korrelat seines evidenten Urteilens“ (Hua III/1, 323). Die Hauptfrage ist dann für Husserl: Wie ist eine → absolute E. möglich, d. h. eine solche, die sich in endgültiger Weise rechtfertigen könne? Eine absolut gesicherte E. ist für Husserl als Korrelat eines absolut evidenten Urteilens, einer → apodiktischen → Evidenz möglich. Auf diese Weise vertritt Husserl eine Idee der E., die sich an der Kohärenz des Bewußtseinslebens orientiert. Erkennen heißt nicht, nach dem alten Adäquationsbegriff (→ Adäquation) eine Übereinstimmung zwischen subjektivem → Erlebnis und objektiver Sache zu schaffen, sondern die Evidenz der eigenen Erlebnisse zu gewinnen. Diese Auffassung wurde von den meisten Phänomenologen der Göttinger Schule nicht gebilligt. Stein sieht z. B. die große Leistung der Phänomenologie darin, daß E. wieder „ein Empfangen [scheint], das von den Dingen sein Gesetz [erhält], nicht – wie im Kritizismus – ein Bestimmen, das den Dingen sein Gesetz aufnötigte“ (Stein 1985, 174). Gegen diese erkenntnistheoretischen Auffassungen der E. wenden sich dann Heidegger und die meisten Phänomenologen der frz. Schule. Heidegger weist v. a. darauf hin, daß E. keineswegs – wie sie in der Erkenntnistheorie normalerweise verstanden wird –

Erlebnis erste Erschließung der objektiven → Welt ist, sondern ein Modus des → In-der-Welt-seins des Menschen. Man darf nicht die Welt auf Grund der E. von ihr verstehen und erklären, denn – gerade umgekehrt – erst die im → Dasein je schon vollzogene Entdeckung der Welt läßt das Erkennen als Seinsart des Daseins auftauchen: „Erkennen ist ein Seinsmodus des Daseins als In-der-Welt-sein, es hat seine ontische Fundierung in dieser Seinsverfassung“ (HeiGA 2, 61). Folgerichtig besteht das Erkenntnisproblem nicht mehr darin: wie kann der Erkennende die Welt erkennen, sondern darin: wie ist der Seinsstand des Daseins, wenn dieses sich von seinem besorgenden Zu-tunhaben mit der Welt enthält und sie betrachtend bestimmt. Auch die frz. Phänomenologen versuchen, von der engeren Idee der E. als intellektueller Evidenz abzukommen, um sie in ihrem vollen existenzialen Sinn zu fassen. Merleau-Ponty stellt der intellektuellen Bedeutung des Erkannten die konkrete Struktur des Gelebten gegenüber. Jede E., jede Idee ist mit einer konkreten → Existenz unlöslich verbunden, so daß diese die grundlegende Realität der E. selbst ausmacht. Reine Intelligibilität ist eine → Illusion. Intellektuelle E. beruht auf dem sinnlichen Leben des Menschen (perception) und ist dadurch vorbestimmt; sie stellt sogar eine Verarmung gegenüber der → Wahrnehmung dar. Foucault vertritt die These, E. sei immer ein Produkt der jeweiligen Kultur, so daß die epistemische Einstellung jeder Epoche bestimme, was wahrgenommen, beschrieben, bezeichnet und zuletzt erkannt wird. Derrida zerstört die Idee der E. als intellektuellen Bestand dadurch, daß er die Auffassung von Bedeutungen als eine freie,

162 schöpferische Interpretation charakterisiert, durch welche diese nie endgültig fixiert werden können. Qu.: Hua III/1. – Hua VI. – HeiGA 2, § 13. – Stein 1985. – Merleau-Ponty 1942 (1976). – Foucault 1966 (1971). – Lit.: Adorno 1956. – Bernet/Kern/Marbach 1989. – Landgrebe 1949. – Lembeck 1994. – Pöggeler 1993. PV

Erlebnis. Der Terminus E. wird Anfang des 20. Jh.s zu einem Modewort, wobei die Anstöße vor allem von Nietzsche und Bergson kamen und durch Simmel noch verstärkt wurden. Auch Husserl spricht sehr oft von E.sen, freilich in streng phänomenolog. → Einstellung. Ausführlich behandelt er dieses Thema erstmals in der V. Logischen Untersuchung, wobei von Anfang an der Begriff des E.s mit dem des → Bewußtseins untrennbar verbunden ist. Bewußtsein ist demnach 1. das empirische → Ich in der → Einheit des Erlebnisstroms, 2. das innere Gewahrwerden eigener psych. E.se und 3. ein Synonym für alle psych. → Akte oder intentionalen E.se. In den Ideen nimmt Husserl die Frage, ob es nicht-intentionale Gefühle gibt (V. LU, § 15 b) wieder auf und unterscheidet zwischen E.sen im weitesten Sinne und intentionalen E.sen (Hua III/1, § 36). Zu jenen gehören alle im Erlebnisstrom vorfindlichen E.se, also sowohl die aktuellen und potentiellen cogitationes (der seither gebräuchliche cartesianische Terminus für „Bewußtsein“) als auch alle sonstigen „reellen“ Momente dieses Stromes. Zu diesen gehören die Empfindungsdaten und die sinnlichen Gefühle. Die intentionalen E.se (cogitationes als die E.se im eigentlichen Wortsinn) sind Bewußtsein von etwas, auf dieses „intentional bezogen“. Von

163 aktuellen cogitationes spricht Husserl, wenn das Bewußtsein seinen → Gegenständen aktuell zugewendet ist, explizites Bewußtsein ist; der gegenteilige Modus ist der der Inaktualität, wenn Gegenständliches implizit, bloß potentiell gewußt ist. Obgleich die cartesianischen Begriffe „cogito“ und „cogitationes“ auch allgemein verwendet werden und dann mit dem Zusatz „inaktuell“ auch das Bewußtsein im Modus der Inaktualität bezeichnen, sind „cogito“ und „cogitationes“ in prägnantem Sinn der Aktualität vorbehalten (ebd., § 35). Husserl versteht die (statische) Phänomenologie überhaupt als „deskriptive Wesenslehre der transzendental reinen E.se in der phänomenolog. Einstellung“ (ebd., 156). An der ersten Stelle der allgemeinen Wesensmerkmale steht das „reine“ Ich. Jedes → cogito (im prägnanten Sinn) geht aus dem Ich hervor und lebt in diesem. Bei Akten der → Wahrnehmung, der → Phantasie, des Urteilens, des Gefallens oder Mißfallens bin ich aktuell dabei. Wenn auch den übrigen E.sen diese ausgezeichnete Ichbezogenheit fehlt, so gehören sie doch zum Ich als die „seinen“. Zu unterscheiden sind ferner das E. selbst und das reine Ich des Erlebens. E.se des besonderen Typs „Cogito“ gehen aus dem Ich hervor und leben aktuell in diesem („Gerichtetsein auf“, „Beschäftigtsein mit, Stellungnehmen zu“, „Erfahren, Leiden von“, ebd., 195). Diese ausgezeichnete Ichbezogenheit fehlt den übrigen E.sen (sie sind „der übrige, sozusagen ich-abgewandte Gehalt des E.s“, ebd.). Wenn nun jedem intentionalen E. es eigen ist, „Bewußtsein von etwas“ zu sein, so führt doch erst die intentionale Analyse auf noetische Momente (Blickrichtung des reinen Ich, explizite Erfassung eines Gegenstandes usf.) als

Erlebnis den reellen Komponenten solcher E.se (→ Noesis) und auf einen korrelativen noematischen Gehalt (→ Noema). Ein besonderes Thema der Phänomenologie ist die Konstitution der Bewußtseinsgegenständlichkeiten, die Beantwortung der Frage, wie sich im Bewußtsein die objektive Einheit von Gegenständen einstimmig ausweisen läßt. Jedes E. steht im → Fluß des Werdens, das Bewußtsein des lebendigen → Jetzt erstreckt sich hin zu seinem Vorher und Nachher. In diesem Fluß von → Retentionen und → Protentionen beruht die notwendige Form der E.se, in ihr sind sie miteinander verbunden. Ihr Wesen beruht in der Zeitlichkeit, und ihre → Konstitution erfolgt demnach auf Grund der Einheit des immanenten Zeitbewußtseins. Der Erlebnisstrom läßt sich durch → Reflexion evident erfassen und analysieren. Diese geht aus Änderungen der Einstellung hervor und modifiziert ihrerseits das vorgegebene E. Dabei wird sie immer wieder auf Urerlebnisse zurückgeführt, „Impressionen, die die absolut originären E.se im phänomenolog. Sinn darstellen“ (ebd., 167). Dingwahrnehmungen z. B. sind gegenüber → Erinnerungen oder → Vergegenwärtigungen in der Phantasie originär. Erst dem Blick der Reflexion öffnet sich das E. in seiner Eigenheit. Zwar haben auch in den Ideen alle E.se Anteil am reinen Ich, doch wird dieses noch als weiter nicht beschreibbar aufgefaßt: „reines Ich und nichts weiter“ (ebd., 195). In den Cartesianischen Meditationen vollzieht Husserl einen Schritt darüber hinaus (und betritt damit das Feld der genetischen Phänomenologie). Als der identische → Pol der E.se ist das Ich nun mehr als ein leerer Identitätspol, sondern konstituiert sich als ein Substrat bleibender Ich-

Erlebnis Eigenheiten und in weiterer Folge als personales Ich. Damit wird über die bisherige Polarität von cogito und cogitatum hinausgegangen. Nicht nur der strömende Fluß der E.se des cogito wird nun in den Blick genommen, sondern das Ich, das alle Mannigfaltigkeiten der cogitationes umfaßt, erscheint jetzt als identisches Ich, das in transzendentaler → Genesis einen personalen Charakter erwirbt. Aller Beobachtung und Theorie gehen nach Scheler die Erlebensarten voraus. Gegen Kant führt er „das Anschauungsdatum eines individuellen Erlebnisich“ ins Treffen (ScheGW 2, 376). Nur in einem solchen tritt eine Ichheit in ihrem → Wesen hervor. Streicht man die individuellen Iche aus, bleibt kein überindividuelles Ich, sondern überhaupt kein Ich übrig. In jedem seiner E.se verändert sich das Ich, ohne sich wie ein → Ding zu verändern. Denn ein vergangenes E. ist im Ich vorhanden und motiviert alle ferneren E.se. In einem besonderen Zustand – Scheler spricht von „Sammlung“ – wird die Ichtotalität in eigentümlich konzentrierter Weise erlebt. Frühere E.se sind in ihrer Einzelheit nicht eigens gegenwärtig, und doch wirken sie in der Totalität des Ich. Das Icherleben überhaupt kennt mehrere solcher Niveauunterschiede, wobei sich deren Unterschiede aus der Art der Verbindung der E.se ergeben – von der lockeren „Berührungsassoziation“ über die Verknüpfung durch Ähnlichkeit bis hin zum rein psych. Ich. Zum vollen psych. Leben gehören die es „er-lebenden“ emotionalen Akte. Reinach behandelt die E.se in mehrfachem Kontext: im Zusammenhang mit dem Problem innerer Wahrnehmung, mit Bezug auf die Intentionalität religiöser E.se und hinsichtlich ihres An-

164 teils an sozialen → Akten. Die ersten beiden Themenbereiche bleiben Fragment. Reinachs Analysen gelten vor allem jenen E.sen, die nicht bloß zum Ich gehören, sondern in denen sich dieses in sozialen Akten vollzieht. Das innere Tun dieser Subjekte ist durch Spontaneität ausgezeichnet. Diese kommt zur Intentionalität hinzu, weil in solchen Akten das Ich selbst Urheber der Aktivität ist: in Entschluß, Lob, Tadel, Befehl u. dgl. In einigen dieser E.se ist das vollziehende und das Bezugssubjekt identisch, so in der Selbstachtung, dem Selbsthaß u. a. m. Für andere ist ein fremdes Bezugssubjekt wesentlich, Reinach nennt sie fremdpersonale E.se, z. B. Neid oder Verzeihen. Solche Akte können rein innerlich verlaufen, aber auch ihrem Wesen nach vernehmungsbedürftig sein, so der → Befehl. Hier ist das E. nicht möglich ohne sich zu äußern. Andere soziale Akte, bei denen vorausgesetzt werden kann, daß sie von ihrem Adressaten direkt erlebt werden können, bedürfen solcher Kundgebung nicht (Beispiel: das an Gott gerichtete stumme Gebet). Heidegger nimmt zunächst den E.Begriff noch als zwar abgegriffen, doch unvermeidlich in Anspruch, indem er es als „Umwelterlebnis“ dem „reinen Hineinschauen“ sachlich voranstellt (vorweggenommen wird hier die Interpretation der → Aussage als abkünftiger Modus der → Auslegung). Vom Umwelterlebnis aus führen die ersten Schritte zur Gewinnung eines Weltbegriffs (→ Welt), wobei das E. selbst in diesem frühen Stadium als „Ereignis“ bezeichnet wird, dem „Bedeutungshaftes“ zukommt (HeiGA 56/57, 69, 75). Dieser positiven Aufnahme folgt bald die Kritik, indem die Auffassung der Philosophie als „E.“ als eine Weise ihrer Unterschätzung zu-

165 rückgewiesen wird (HeiGA 61). Diese Linie setzt sich fort bis zur seinsgeschichtlichen Deutung der E.se: Der Bestandsicherung durch die → Technik entspricht die „unbedingte Besinnungslosigkeit“ der Es.e (HeiGA 7, 85). Qu.: Hua XIX/1, V. LU. – Hua III/1, §§ 3536, 75, 82-88 u. ö. – Hua I, §§ 30-33. – ScheGW 2, IV 1, VI A 2-3. – Reinach 1989, 158-169, 382-393, 592-599. – HeiGA 56/57, § 14. – HeiGA 61, II. Teil, 1. Kapitel. – HeiGA 7, 67-98. – Lit.: Gabel 1991. – Lembeck 1994. HV

Eros ist bei Scheler das über die geschlechtliche Differenz hinausgehende und dieser gegenüber ursprünglichere „Moment der emotionalen Hingabefähigkeit an Werte überhaupt“ (ScheGW 3, 357). Als solche Hingabefähigkeit ist er die „Wurzel aller Einsfühlung“ (ScheGW 7, 102), sowohl der personalen als auch der kosmischen. Daher ist er nicht nur die innere Dynamik der Fortpflanzung, sondern darüber hinaus auch die „allesbeherrschende Grundtendenz des Lebens“ und dessen „tiefstes“ und „daimonisches Wesen“ (ebd., 132). Als „Antagonist der Angst“ ist der E. Motor des Erkenntnisprozesses, da sich vor ihm die Welt „öffnet“ und da ihm der Impuls zu jeder Wahrnehmung entstammt (ScheGW 9, 271 f.). Fink analysiert den E. als existenziales Phänomen und geht dabei von der Dualität und der Ergänzungsbedürftigkeit der beiden Geschlechter aus. Der Mensch ist gleichursprünglich Freiheit (Beisichsein) und → Geschlecht (Außersichsein). Was das Geschlecht betrifft, so ist die erotische Liebesgemeinschaft das „urtümliche Fundament der Sozialität überhaupt“ (Fink 1979, 338). Die Fortdauer der menschlichen Gattung durch Zeugung und

Erschauen Liebe, also im E., ist die „irdische Weise der Unsterblichkeit der Sterblichen“ (ebd., 347). Im Bann des E. wird die „Nachbarschaft der Lebensfülle zum Tode und der Individualität zum selbstlosen Lebensgrunde“ erfahren (ebd., 343). Für Levinas ist der E. das Verhältnis zur Anderheit (→ Anderer), das weder durch Besitz noch durch Erkenntnis oder Können zu beschreiben ist. Vielmehr geht seine Bewegung über das dem Bewußtsein Mögliche hinaus und „profaniert“ das → „Geheimnis“. Dies bedeutet die „Gleichzeitigkeit des Geheimen und des Entdeckten“ in der Erfahrung des Verborgenen als eines solchen und beschreibt die schlechthinnige → Zweideutigkeit des E. (Levinas 1987, 372, 374). Das Zugleich von → Bedürfnis und → Begehren im E. führt zum Bruch der Totalitätsstruktur des reflexiven Ich, weil sich dieses als Sich eines oder einer Anderen wiederfindet. In Levinas’ Spätphilosophie geht die → Verantwortung als „un-erotische“ Offenheit dem E. vorher (Levinas 1974, 380 u. 201 Anm. 27). Qu.: ScheGW 3. – ScheGW 6. – ScheGW 7. – ScheGW 9. – Fink 1979. – Levinas 1961 (1987). – Levinas 1974 (1992). – Levinas 1979 (1989). – Lit.: Bloechl 1996. – Krewani 1992. – Pigalev 1997, 53-61. RE

Erschauen betrifft bei Husserl ein → Wesen als das Invariante oder die notwendige allgemeine → Form auf Grund der freien Phantasie-Variation (→ Variation) eines → Gegenstandes zu erfassen. Es handelt sich um ein originär gebendes → Bewußtsein, das eine → Ideation aktiv vollzieht und dessen Blick sich unmittelbar auf das → Eidos selbst richtet. Vermöge der → Deckung der willkürlich erzeugten Va-

Erscheinung rianten tritt das Invariante hervor und kommt es intuitiv zur → Gegebenheit in der Wesenserschauung. Im laxen Sinne wendet sich die Benutzung des Worts „E.“ gegen das Zufällige oder Äußerliche. So charakterisiert Husserl die Erlebniswahrnehmung als „E. von etwas“ und spricht auch von E., wenn es sich darum handelt, die Geschichte von Innen her zu verstehen. Qu.: Hua III/1, 13-16, 49-50, 92. – Hua VI, 72. – Husserl 1939 (2 1948, 410-421) – Lit.: Mohanty 1997, 1-13, 88-94. RW

Erscheinung. Das Wort E. ist die Übersetzung des griechischen Partizips phainomenon (phainomena heißen die Himmelserscheinungen). Diesem Sprachgebrauch schließt sich zu einem geringen Teil auch Husserl an, wenn er Phänomen synonym mit E. gebraucht, dabei allerdings dem überlieferten Sprachgebrauch folgt; demnach ist die Psychologie die Wissenschaft von den psych. E.en, die Naturwissenschaft von den phys. Die durch die neuzeitliche → Wissenschaft verfestigte Auffassung, die wahrgenommenen → Dinge seien bloße E.en (die spezifischen Sinnesqualitäten als „sekundäre“ „bloß subjektiv“), während das wahre Ding das der Physik sei („primäre Qualitäten“), wird ausdrücklich zurückgewiesen (Hua III/1, § 40). Husserl bringt demgegenüber die Doppeldeutigkeit von E. ins Spiel: E. als → Erlebnis und als E. des → Objekts; als immanentes Erlebnis (erlebter → Inhalt) und als der erscheinende → Gegenstand, beide zusammen in der → Einheit der „Erlebnisse, in denen die phänomenalen Dinge erscheinen“ (Hua XIX/1, 234). Die Erlebnisse gehören in den Bewußtseinszusammenhang, die Dinge zur phänomena-

166 len → Welt. Der erscheinende Gegenstand kommt in → Wahrnehmung, → Erinnerung usw. zur E., er (als das „Seiende selbst“ (Hua VI, 223)) bildet das identische Wie (die noematisch verstandene E.), als dessen Korrelat die Anschauungs- und Erscheinungsmannigfaltigkeit mit ihren wechselnden Unterschieden fungiert, das erfahrende → Bewußtsein als Einheit der konstituierenden Erlebnisse der erscheinenden Dinge. Heidegger thematisiert den Begriff der E. im Rahmen seiner Analyse des Phänomenbegriffs. Phänomen ist, formal genommen, das sich an ihm selbst Zeigende, während phainomenon i. S. von → Schein Seiendes meint, das sich als das zeigt, das es selbst nicht ist. Von beiden Bedeutungen wird der Begriff der E. bzw. der der bloßen E. unterschieden. E. meint hier etwas, das ein anderes indiziert, das sich selbst nicht zeigt; er zählt dazu alle „Indikationen, Darstellungen, Symptome und Symbole“ (HeiGA 2, 40). Daraus entspringt eine doppelte Bedeutung von E.: als jenes, das sich selbst nicht zeigt, und als jenes, das das sich selbst nicht Zeigende meldet (Röte als Symptom des Fiebers). Diese Doppeldeutigkeit führt Heidegger zu Kants Bestimmung der E. als Gegenstand der empirischen Anschauung (E.en sind das, was sich darin zeigt); und als solches, das sich in der E. verbirgt. Dieses sich in den E.en sich Meldende (z. B. die Formen der Anschauung) kann thematisch zum Sichzeigen gebracht werden und wird so zum Phänomen i. S. der Phänomenologie. In einem Sprachgebrauch, der unausdrücklich mit der von Husserl gebrauchten Doppeldeutigkeit übereinstimmt, identifiziert Arendt Sein und Erscheinen, indem alle Gegenstände

167 der Welt erscheinen und darin auf → Zuschauer angewiesen sind (auf empfindende Wesen, zu denen Menschen wie auch Tiere gehören). Gemeinsam ist all diesen Geschöpfen, daß sie in einer erscheinenden Welt leben und daß sie selbst „erscheinende und verschwindende Wesen“ sind (Arendt 1979a, 30). Dem Erscheinenden eignet der Doppelsinn, etwas zu verbergen und etwas darzubieten (z. B. Mut zu zeigen, um die Angst zu verdecken). Darin entspringt die Möglichkeit bloßen Scheines. Analog zu Portmanns Unterscheidung von eigentlichen und uneigentlichen E.en (jene kommen von sich aus ans Licht, diese zeigen sich erst bei Störungen) unterscheidet Arendt zwischen eigentlichem und uneigentlichem Schein; während sich dieser bei näherem Zusehen auflöst, ist jener untrennbar mit irdischen Geschöpfen verbunden, die ihrem Lebensraum nicht entfliehen können und sich grundsätzlich immer wieder in Schein verstricken (eine „Erscheinungswelt voller Irrtum und Schein“ (ebd., 59)). Das Ganze der E.en, die Totalität des Erscheinungsfeldes, vermag, wie Fink zeigt, das Denken deshalb nur unter größten Schwierigkeiten zu erfassen, weil das Seinsverständnis am binnenweltlichen Einzelding orientiert ist. Dessen Erscheinen schiebt sich vor die ursprünglichere, da alles Erscheinen bedingende E. Unser gewöhnliches Seinsverständnis wird durch einen dreifachen Begriff der E. bestimmt: das Aufgehen und Ins-Sein-Gelangen einzelner Dinge; der Bezug dieser Dinge zum Menschen, der selbst ein erscheinender ist; die Zeit als das Medium, in welches alles Erscheinen eingebettet ist. Dieses gewöhnliche Seinsverständnis wird nun durch das Phäno-

Erscheinung men des → Todes durchbrochen. Dieses als bloße Negation zu verstehen, bedeutet immer noch eine Orientierung an der Erscheinungswelt. Die Herausforderung besteht darin, das Verständnis des Seins wie des Nichts, das noch aus jener Welt kommt, zurückzulassen. Indem dieses im Tod begegnende Nichts nicht umgedeutet, sondern in seiner Leere, in der es ursprünglich begegnet, erfahren wird, meldet sich die Unabschließbarkeit des Seinsverständnisses, das erst einen zureichenden Begriff der Erscheinungswelt ermöglicht. Patoˇcka sieht die Gefahr, daß die Phänomenologie (namentlich Husserl) sich auf das Gebiet einer subjektiven Konstruktion begibt und dabei ihre Entdeckungen auf dem Gebiet der E. aufgibt. In seiner asubjektiven Phänomenologie konzentriert er sich auf die Analyse des Erscheinungsfeldes (= des phänomenalen Feldes), das selbst insofern nicht selbst subjektiv ist, als es nicht von einem Subjekt konstituiert wird; wohl aber eröffnet es dem Subjekt Möglichkeiten seines Seins. Pato cˇ ka schlägt einen Richtungswechsel in der Methode vor. Die Thematisierung der E. zielt bei Husserl auf die reine → Immanenz ab, die auch noch den noematischen Kern in sich beschließt; an dessen Stelle sollte die Untersuchung des phänomenalen Feldes treten, d. h. der E. des Seienden in dessen Erscheinen, des phänomenalen Seins, das sich im Erscheinen des Seienden verbirgt. Mit Bezugnahme auf Heidegger erblickt Patoˇcka die Bedingung der Möglichkeit des Erscheinens im Offenen der → Welt, einem Ganzen als Phänomen, das zunächst stimmungsmäßig eröffnet ist. Das Erscheinende spricht uns an, wenn wir in der vorgängigen → Erschlossenheit der → Befindlichkeit von ihm angegangen werden.

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Erschlossenheit Qu.: Hua XIX/1, V. Unt. § 2. – Hua III/1, § 40. – HeiGA 2, § 7. – HeiGA 21, § 27. – Fink 1979 (10. Vorlesung). - Arendt 1978a (1979a). - Patoˇcka 1991. – Lit.: Bernet/Kern/Marbach 1989 (4. Kap.). – Novotný 1999. HV

Erschlossenheit. Der vor allem für den frühen und mittleren Heidegger relevante Ausdruck bezeichnet die generelle → „Offenheit“ bzw. „Gelichtetheit“ des → Daseins. „Erschlossen“ ist alles, was „da“ ist. Während der Begriff „Entdecktheit“ allein die Gegebenheit des „innerweltlich Seienden“ bezeichnet, meint E. eine umfassendere „Gelichtetheit“, die sowohl die „Verschlossenheit“ als auch die Selbsterschlossenheit des Daseins, z. B. in seiner → „Befindlichkeit“, umfasst. Denn „Befindlichkeit“ ist „eine existentiale Grundart der gleichursprünglichen E. von Welt, Mitdasein und Existenz, weil diese selbst wesenhaft In-der-Welt-sein ist“ (HeiGA 2, 182). Verstanden als das Da des → Seins, d. h. als der → Ort des Erscheinens der → Welt, ist das Dasein „wahr“ i. S. von erschließend. „Sofern das Dasein wesenhaft seine E. ist, als Erschlossenes erschließt und entdeckt, ist es wesenhaft ,wahr‘. Dasein ist ,in der Wahrheit‘ “. (ebd., 292) Qu.: HeiGA 2. – Lit.: Herrmann 1985. MW

Erschütterung bezeichnet in den späten Schriften Patoˇckas ein existentielles Ergriffensein, das alle weltlichen Seinsbezüge und gängigen Sinnzusammenhänge fraglich werden läßt. Diese Erfahrung bricht den Menschen aus der bis dahin akzeptierten Ordnung heraus und führt ihm – auf sich selbst zurückgeworfen – seine Freiheit und Eigenverantwortlichkeit vor Augen. Insofern hat sie nicht den Sturz in die Sinn-

losigkeit zur Folge, sondern „im Gegenteil die Entdeckung der Möglichkeiten, eine freiere Sinnerfülltheit zu erwerben“ (Patoˇcka 1988, 88). Pato cˇ ka beschränkt sich nicht darauf, die E. als existentielles Erlebnis des Einzelnen (etwa in der Konfrontation mit der eigenen Endlichkeit) zu betrachten, sondern überführt sie in gesellschaftliche und menschheitsgeschichtliche Zusammenhänge: „Erschüttert werden in gleicher Weise die Säulen der Gemeinschaft, die Traditionen und die Mythen, [...] all jener bescheidene, jedoch gesicherte und beruhigende Sinn“ (Patoˇcka 1988, 63). Erst dieses radikale Unverankertsein ermöglicht Philosophie und → Politik, die als freie Verhaltensweisen an die Stelle von → Mythos und Tradition treten. Zugleich markiert es den Übergang in eine in vollem Sinne geschichtliche Epoche, denn „die Geschichte entsteht durch die E. des naiven und absoluten Sinnes in der fast gleichzeitigen und sich gegenseitig bedingenden Entstehung von Politik und Philosophie.“ (eb., 103 f.) Große Bekanntheit erlangte die Formel von der „Solidarität der Erschütterten“, d. h. ein Zusammenschluß all derer, die sich den verdinglichenden Bezügen des Alltags und der politischen Instrumentalisierung und Mobilisierung des Menschen entziehen. In dieser Bestimmung spiegelt sich deutlich auch Patoˇckas eigene Lebenssituation in einem totalitären Regime, und die „Solidarität der Erschütterten“ weist erkennbare Parallelen zu den Dissidentenzirkeln und zur Menschrechtsbewegung Charta 77 auf, deren Mitbegründer er war. Qu.: Patoˇcka 1975 (1988). – Lit.: Srubar 1991b, 7-29. LH

Erstaunen. → Staunen

169 Erste Philosophie bezeichnet für Husserl, entgegen der aristotelischen Überlieferung, nicht → Metaphysik, sondern als universale Theorie der erkennenden, wertenden und praktischen → Vernunft die jeder Metaphysik vorangehende Bedingung ihrer Möglichkeit. Diese Bedingung löst Philosophie ein, indem sie sich als → Wissenschaft von den Prinzipien, als Aufklärung aller Sinnbestände in der transzendentalen Subjektivität in reiner, apriorischer → Allgemeinheit, verwirklicht. Als solche ist sie für Husserl → transzendentale Theorie und rein apriorische Wissenschaft in einem. Die transzendentale Phänomenologie erfüllt ihren Anspruch, E. Ph. zu sein, indem sie das in der transzendentalen → Intersubjektivität beschlossene → Apriori entfaltet und darin zum Fundament für die auf ihr aufbauende absolute Tatsachenwissenschaft, für die Zweite Philosophie oder Metaphysik, wird. Qu.: Hua VII. – Hua VIII. – Hua IX, 298 f. HO

Erwartung, zentraler Terminus in Husserls Theorie der → Wahrnehmung, der die protentionale → Struktur des intentionalen → Bewußtseins, also dessen Tendenz zur → Antizipation zukünftiger Wahrnehmungen bezeichnet. Vor dem Hintergrund der Psychologismuskritik (→ Psychologismus) grenzt Husserl in den Logischen Untersuchungen E. als psychologische → Kategorie vom Begriff der → Intention ab: „Intention ist nicht E., es ist ihr nicht wesentlich, auf künftiges Eintreten gerichtet zu sein“ (Hua XIX/2, 573). Allerdings kann eine Intention in E. übergehen, wenn „die Wahrnehmung in Fluß kommt und sich in eine kontinuierliche Serie

Erwartung von Wahrnehmungen aus der zu dem einen und selben Gegenstand gehörigen Wahrnehmungsmannigfaltigkeit ausbreitet“: das Wahrnehmungsfeld erweist sich dann als ein „Erwartungshorizont“ (Hua VI, 165), in dem der perspektivisch abgeschattete → Gegenstand sich als Quelle erwartbarer Ansichten erweist. In Erfahrung und Urteil konkretisiert Husserl dieses Verständnis von E. durch die Unterscheidung zwischen schlichter und explizierender → Betrachtung eines Gegenstandes. Während die schlichte → Erfassung „auf den Gegenstand im Ganzen“ gerichtet ist, weckt die Explikation „protentionale E.en hinsichtlich seines Soseins, der noch ungesehenen Rückseite usw.“, wobei „das Interesse der Richtung der geweckten E.en“ (Husserl 1985, 114) folgt. Zwar ist die Möglichkeit zum „Bruch der Einstimmigkeit“ (Hua VI, 164) des Erwartungshorizontes beständig gegeben. Die Möglichkeit der → Enttäuschung von Erwartungsintentionen spricht jedoch nicht gegen das Phänomen der E. als solches, sondern zieht lediglich „Modalisierungen der Gewißheit“ (Husserl 1985, 93) nach sich, durch die der Erwartungshorizont gemäß den neuen Gegebenheiten der Wahrnehmungssituation umorganisiert wird. Schmitz kritisiert den psychologischen und akttheoretischen Begriff der E. im Kontext der Phänomenologie der Dingwahrnehmung und beschreibt E. als „unwillkürliches Gefaßtsein“ (Schmitz 1978, 114). In jede Wahrnehmung eines Sachverhaltes als chaotisch-mannigfaltige Ganzheit geht eine E. ein, deren Vorliegen sich aber zumeist erst im Falle ihrer Enttäuschung nachweisen läßt.

Erwerb Qu.: Hua VI. – Hua XIX/2. – Husserl 1939 (6 1985). – Schmitz, System III/5. TR

Erwerb. Für die Urteilssphäre stellt Husserl fest, daß sich das → Urteil nicht nur in der aktiven → Konstitution lebendig erzeugt, sondern, beruhend auf Funktionen der → Passivität, zum kontinuierlich verbleibenden selben Urteil wird, sich als E. erhält. Es behält nichts von der → Originalität der Urteilsbildung, sondern ist jetzt „fertig“. Das Ergebnis ist dauerhaft, ein geistiger E., über den nun frei verfügt werden kann. In einem erweiterten Sinn ist in der Krisis-Schrift vom E. die Rede: Als Subjekte vollziehen wir unsere → Erfahrungen in den Geltungsmodis (→ Geltung) (Seinsgewißheit, Möglichkeit, Schein usf.) teils aktuell, teils indem wir sie als habituelle Erwerbungen von früher her besitzen. Das → Ich ist auf → Gegenstände seiner → Umwelt gerichtet, das → Bewußtsein dabei von einem lebendigen → Horizont umgeben, innerhalb dessen das aktuelle Ich auch alte Erwerbungen reaktivieren kann. Diese ebenso wie die eigentlichen → Akte machen einen einzigen untrennbaren Lebenszusammenhang aus, sie sind keine toten Sedimente, sondern fungieren mit. Qu.: Hua XVII, Beilage II. – Hua VI, § 40. HV

Es gibt. Im Zusammenhang der Seinsfrage Heideggers erscheint die scheinbar selbstverständliche Rede vom ,E.g.‘ im Sinne einer Existenzaussage von Anfang an problematisch, was bereits in Sein und Zeit durchgängig durch die Hervorhebung mit Gänsefüßchen angezeigt wird. Heidegger will damit jenes kennzeichnen, „was

170 vor allem anderen zu denken gibt: das Bedenklichste“ (HeiGA 8, 192). Die Antwort der → Fundamentalontologie auf die Frage nach dem ,E. g.‘ lautet: „Nur solange Dasein ist [...], ,gibt es‘ Sein“ (HeiGA 2, 281 u. HeiGA 9, 334). Weil das → Dasein aber weder im überlieferten Sinne von existentia, noch als ein (konstituierendes) → Subjekt gedacht wird, sondern als sich zeitigende Zeitlichkeit, bleibt das ,es‘, das ,gibt‘, offen und rätselhaft. Das impersonale ,es‘ taucht dann v. a. im Zusammenhang der Analysen der sogenannten Grundstimmungen des Daseins auf, in der → Stimmung der → Angst, in der ,es einem unheimlich‘ ist (HeiGA 2, § 40), oder im Aufbruch der → Langeweile. Sätze wie ,es weht‘, ,es blüht‘, ,es dunkelt‘ usf., d. h. grammatisch und logisch gesehen subjektlose Sätze, bleiben für Heidegger denkwürdige Anhaltspunkte, wobei alles daran liegt, daß diesem ,es‘ „weder durch: was ,Es‘? oder durch: wer ,Es‘¿‘ ist, nachgefragt wird (vgl., HeiGA 8, 192; Heidegger 1969, 19). Denn das hieße, das ,E. g.‘ wieder in den Satzbau der Subjekt-PrädikatBeziehung zu verfestigen und damit auf eine positive → Substanz (hypokeimenon) zurückzuführen, wie es innerhalb der abendländischen → Metaphysik geschehen ist: „Im Beginn des abendländischen Denkens wird das Sein gedacht, aber nicht das ,E. g.‘ als solches“ (Heidegger 1969, 8). Das ,E. g.‘ wird von Heidegger also gebraucht, um „die Redewendung zu vermeiden: ,das Sein ist‘; denn gewöhnlich wird das ,ist‘ gesagt von solchem, was ist. Solches nennen wir das Seiende. Das Sein ,ist‘ aber gerade nicht ,das Seiende‘ “(HeiGA 9, 334). Ausdrücklich im Zentrum steht das ,E. g.‘ in dem späten Vortrag Zeit und Sein, und zwar

171 in bezug auf das → Sein und die → Zeit. Es gilt, „auf das Es vorzublicken, das Sein und Zeit – gibt“, auf das „Es und sein Geben“. Heidegger bestimmt nun das ,Es‘, das ,gibt‘, aus dem Geben her, und zwar des Gebens im Sinne des Zusprechens, Einräumens, Schickens oder „lichtenden Reichens“, das „alles Anwesen ins Offene gibt“ (Heidegger 1969, 18). Seinsgeschichtlich betrachtet „entzieht“ sich dieses Geben je epochal „zugunsten der Gabe, die Es gibt“ (ebd., 8). Auch das → ,Ereignis‘, Heideggers späteres Grundwort für das Sein (vgl. HeiGA 65), bleibt auf das ,E. g.‘ bezogen: „Das Ereignen ist kein Ereignis (Resultat) aus anderem, aber die Er-gebnis, deren reichendes Geben erst dergleichen wie ein ,e. g.‘ gewährt, dessen auch noch ,das Sein‘ bedarf, um als Anwesen in sein Eigenes zu gelangen“ (HeiGA 12, 247). Kritik an der → Totalität des ,E. g.‘ durchzieht insbesondere das Werk von Levinas und kommt bereits in den Titeln seiner Bücher zum Ausdruck: Vom Sein zum Seienden oder Jenseits des Seins oder anders als Sein geschieht. „Wie sollen wir uns diesem Sein ohne Seiendes annähern? Stellen wir uns die Rückkehr aller Dinge, Seienden und Personen ins Nichts vor. Werden wir dann auf das reine Nichts treffen? Es bleibt nach dieser imaginären Zerstörung aller Dinge nicht etwas: sondern die Tatsache des Es-gibt [...], das unpersönliche ,Kraftfeld‘ des Seins. Irgend etwas, das weder Subjekt noch Substantiv ist. Die Tatsache des Seins, die sich auferlegt, wenn es nichts mehr gibt. Und dies ist anonym: es gibt niemand und nichts, das dieses Sein auf sich nähme“ (Levinas 1979/1989, 22 f.). Levinas hintergeht das Verstehen des Seienden, einschließlich des Menschen,

Es gibt aus der anonymen Geschickhaftigkeit des ,E. g.‘ durch die ethische Perspektive auf den → Anderen: „Es handelt sich vor allem darum, dem Menschen den Platz ausfindig zu machen, wo er aufhört, uns vom Horizont des Seins her anzugehen“ (Levinas 1998, 115). Das Verstehen des Anderen ist primär kein Seinlassen, kein Ihn-in-seinemSein-Begreifen, wie man Dinge begreift, sondern sein Mich-Angehen, seine Zugänglichkeit „als Nächster. Als Antlitz“ (ebd., 115). Statt auf das ,E. g.‘ des Anderen zu transzendieren, gilt es, die Unbeständigkeit und Verwundbarkeit, die in der → „Passivität“ des Menschlichen zutage tritt, sichtbar werden zu lassen; diese Passivität ist „auf die Kehrseite des Seins bezogen“ (Levinas 1972/1989, 69 f.) und früher als die ontolog. Ebene. Levinas spricht vom „In-Ohnmacht-Fallen des Seins, das In-Humanität-Fallen ist“. Der Eine ist für den Anderen „auf die Weise eines Seins, das sich losläßt“ (ebd., 5 f.). Die Beziehung zum → Antlitz des Anderen ist appellhaft: „Anrufung“ oder „Wort“ (Levinas 1998, 117); sie gehört nicht in den ontolog. Bereich des sehenden Erkennens, sondern in den des Hörens und Sprechens. Die Dimension des Entzogenseins, aus der sich der Appellcharakter des anderen Antlitzes ergibt, zwingt in eine Haltung (ver)antwortenden Hörens. In Levinas‘ Formel: → Ethik als ,Erste Philosophie‘ wird der griech. Ontologie als traditioneller prima philosophia, in die er auch Heideggers Denken einreiht, das Gewicht der biblischen Tradition zur Seite gestellt (vgl. ebd., 98 f. u. 140). Qu.: HeiGA 2. – HeiGA 8. – HeiGA 9. – HeiGA 12. – HeiGA 65. – Heidegger 1969. – Levinas 1947 (1997). – Levinas 1949 (1998). – Levinas 1972 (1989). – Le-

Ethik vinas 1979 (1989). – Levinas 1974 (1992). – Lit.: de Boer 1987. – Kettering 1987. – Kuhn 1964. – Strasser 1978. – v. Wolzogen 1988. CN

Ethik. Obwohl ein höchster ethischer Anspruch Husserls gesamtes Werk durchzieht und in der Teleologie unendlicher Vernunftziele (vor dem Hintergrund der Teleologie der europäischen Geschichte) seinen Gipfel erreicht (Hua VI, 347), bleibt die systematische Bearbeitung dieses Forschungsgebiets seinen Vorlesungen vorbehalten. In den Vorlesungen über Ethik und Wertlehre aus den Jahren 1908-14 geht es ihm ebenso wie in der Logik um die Möglichkeit der beiderseits (in Logik wie Ethik!) „leitenden Vernunft- und Normbegriffe und der zu ihnen gehörigen Prinzipien“ (Hua XXVIII, 36). Doch fehlt bisher ein wissenschaftlich begründetes Analogon zur Logik. Von einer eigenständigen axiologisch-praktischen Vernunft überhaupt sprechen zu können, setzt die Phänomenologie als allumfassende Transzendentalphilosophie und absolute Seinswissenschaft voraus (ebd., § 11e). So wie nun in der theoretischen Sphäre dem Urteilsakt (→ Urteil) Wahrheit und Falschheit zukommen, im Bereich der Praxis (dem axiologischen Gebiet, → Axiologie) für die Prädikate Wert- und Unwertsein (→ Wert) bzw. Güte und Schlechtigkeit (ebd. 50). Allerdings bedürfen die Werte und Güter mehr als nur eine rein theoretische Erkenntnis: Den Wertgegenstände korrelieren wertende Gefallensakte. Husserls Programm der Ethik verzweigt sich in eine formale Axiologie, eine Phänomenologie des → Willens und eine formale Praktik. In der formalen Axiologie untersucht er zunächst die apriorischen Motivationsge-

172 setze, um dann zu zeigen, wie diese sich in vernünftig motivierten Akten (etwa Freude oder Trauer) niederschlagen. Ihren objektiven Ausdruck finden sie in den Wertgesetzen. Gegenstand der Phänomenologie des Willens ist die Willenssphäre im engeren und weiteren Sinn, wobei zwischen Willens- und Urteilsmodalitäten die schon angedeuteten Parallelen bestehen: Das Wollen im ursprünglichen Sinn wird als Analogen des gewissen → Glaubens gefaßt. Die formale Praktik schließlich untersucht die Vernunftgesetze, die zu den Willensmodalitäten gehören und begründet die Ordnung der ethischen Disziplinen. Die → Intentionalität wird von Scheler in ein intentionales → Fühlen bzw. Wertfühlen umgedeutet, welches auf eine ewige Rangordnung von → Werten und deren Vorzugsgesetze bezogen ist, die hinsichtlich ihrer → Evidenz den mathematischen Wahrheiten gleichrangig sind. (ScheGW 2, 104 ff.) Die Skala der Werte reicht von vitalen bis zu geistigen und heiligen Werten. Höchster Wert ist die individuelle → Person, die von der anonymen Vernunftperson Kants unterschieden wird. Werte sind keine nützlichen Güter, ihre Werthaftigkeit beruht nicht auf einer Bewertung. Das Wertfühlen ist keine deutende und interpretierende → Auffassung von etwas, sondern ein Erschauen und Entdecken. Eine Werttäuschung, die dem echten Wertfühlen entgegensteht, resultiert daraus, daß hohe Werte von Täuschungswerten überdeckt werden, durch deren Schleier sie gleichwohl noch schwach hindurchschimmern. Das Durchschauen einer → Täuschung als solcher durchbricht die unechte Scheinwelt und verhindert eine Wertvergessenheit. „Die Bestimmung des Menschen ist, die ewige

173 absolute Rangordnung der Werte erstens zunehmend zu erfassen, zweitens zu verwirklichen.“ (ScheGW 13, 51) In zahlreichen Einzeluntersuchungen führt Scheler die materiale Konkretion dieser Verwirklichung im Hinblick auf die gemeinschaftliche Solidarität, die → Gesellschaft, das → Recht, die Politik und andere Qualitäten vor. Heidegger hat keine ausgereifte E. vorgelegt. Er lehnt eine nachträgliche Ergänzung seiner Philosophie durch die „verbindliche Anweisung“, wie der in das „Massenwesen ausgelieferte geschicklich leben soll“ (HeiGA 9, 353), ab. Gleichwohl weist Heidegger darauf hin, daß das → Denken der „Wahrheit des Seins“ in dem Sinne eine „ursprüngliche E.“ sei, als es den „Aufenthalt des Menschen“ (ebd., 356) bedenke. Die Frage nach der → Wahrheit des → Seins bestimmt den „Wesensaufenthalt des Menschen vom Sein her.“ Dieses Denken ist „weder E. noch Ontologie“ (ebd., 357) „weder theoretisch noch praktisch“ (ebd., 358), es geht diesen Unterscheidungen voraus und übertrifft zugleich alles ethische Tun, da es das „ungesprochene Wort des Seins zur Sprache“ (ebd., 361) bringt. Heidegger geht es um die Aufweisung eines → Grundes, von dem aus eine E. erst entworfen werden kann. Innerhalb seines Werkes gibt es Tendenzen, die einem solchen Entwurf die Richtung weisen. (Luckner 1998) Die zentrale These von Levinas besagt, daß der → Andere mir → fremd ist und es auch bleibt. Er ist positiv zu fassen in seinem Entzug, seiner → Exteriorität, die jeden Vermittlungszusammenhang durchbrochen hat. Kritisch richtet sich diese Auffassung gegen das, was Levinas als Ontologie bezeichnet, der alle Versuche zugerechnet werden, die den Anderen auf ein

Ethik Selbes reduzieren und nicht als Anderen zur Geltung kommen lassen. Dieser Vorwurf bezieht sich auf Heidegger und auf alle Ethiken der Teleologie, Deontologie und Sittlichkeit. Eine besondere Aufmerksamkeit gilt der platonischen Ansicht, daß das Gute jenseits des Sein ist, wie auch Descartes’ Idee des Unendlichen. Wenn Levinas betont, daß die E. die Erste Philosophie ist, dann meint er, daß nicht ein sich selbst genügendes Cogito, sondern meine Beziehung zum Anderen die erste Stelle einnimmt. Allerdings findet Levinas bei Descartes einen wichtigen Anknüpfungspunkt: das Unendliche ist transzendent, es sprengt die Fassungskraft des endlichen Bewußtseins. Darin kündigt sich eine andersartige Intentionalität an. Nach diesem Modell von Transzendenz denkt Levinas die → Beziehung zum Anderen. „Die Weise des Anderen, sich darzustellen, indem er die Idee des Anderen in mir überschreitet, nennen wir nun Antlitz.“ (Levinas 1987, 63) Daraus folgen verschiedene Bestimmungen. Die Manifestation des → Antlitzes hat die Form eines Anrufs. Levinas spricht auch von einer → Verantwortung für den Anderen und einer „nicht abzulehnenden Anordnung“ (Levinas 1983, 223), die in einem → Sagen, das vom Gesagten unterschieden ist, bedeutet. Der Anruf des Anderen hat mich erreicht, noch bevor ich Ich zu mir sagen und damit etwas aus eigener Initiative ablehnen oder annehmen kann. Der späte Levinas spricht radikaler von der „Subjektivität als Geisel“ (Levinas 1992, 282) (→ Geisel) des Anderen, die durch eine ursprüngliche „Anklage ohne Worte außer Fassung gebracht wird“ (ebd., 283). Die Anordnung oder Anklage bedingt die „Notwendigkeit zu antworten“ (Levinas 1983, 224). Antwort und

Ethik Verantwortung sind damit unausweichlich und nicht delegierbar. Die Beziehung zum Anderen ist asymmetrisch (→ Asymmetrie), da ich in einer Situation aufgerufen bin, in der überhaupt noch kein Vergleich zwischen mir und dem Anderen möglich ist. Schließlich besteht die Fremdheit des Anderen in seiner anwesenden Abwesenheit, welche sich in einer → Spur zeigt. Das Jenseits des → Seins, von dem aus mich das Antlitz anruft, bedeutet als Spur. „Die Spur ist die Gegenwart dessen, was eigentlich nie da war, dessen, was immer vergangen ist“ (ebd., 233). Levinas gewinnt diese Bestimmungen durch eine Rückfrage, indem er das Ich vor dessen eigene Anfänge zurückführt und die Herkunft des Ich von dem, was immer schon vorübergegangen ist, aufzeigt. Das Von-sich-selbst-Ausgehen ist ein „Auf-sich-Zurückgehen von einer unabweisbaren Forderung des Anderen her“ (Levinas 1992, 242). Diese Art von E. bliebe lückenhaft, wenn sie nicht auch von der Welt der Institutionen handeln würde. Das gesellschaftliche Sein, die Ordnung der Rechte und Pflichten entsteht durch einen Vergleich unvergleichlicher Antlitze. Provoziert wird dieses durch den permanenten Eintritt des → Dritten in die ethische Beziehung. „In der Nähe des Anderen bedrängen mich – bis zur Besessenheit auch all die Anderen, die Andere sind für den Anderen, und schon schreit die Besessenheit nach Gerechtigkeit, verlangt sie Maß und Wissen, ist sie Bewußtsein“ (ebd., 344). Das phänomenale Erscheinen des Anderen, die Gleichheit und Reziprozität zwischen uns in der Gerechtigkeit, hat Züge einer gewaltsamen Bemächtigung des Anderen. Dennoch erweist sich meine Verantwortung für den Anderen als ein Überschuß über

174 alle Pflichten und Regelungen hinaus, als ein unvordenklicher Anfang, der von keiner Ordnung eingeholt werden kann. Von E. und → Moral spricht Foucault im Kontext des Neuansatzes seiner Geschichte der → Sexualität. Er geht auf die Antike zurück, wo sexuelles Verhalten Gegenstand einer „moralischen“ bzw. „ethischen Sorge“ (Foucault 1986b, 17) war, die den Gebrauch der Lüste problematisierte. In archäologischer Absicht analysiert Foucault die Arten dieser Problematisierungen, in genealogischer Hinsicht befragt er Formierungen dieser Problematisierungen anhand von Selbstpraktiken (→ Parktiken). Während in der Moderne eher ein „Moralcode“ mit „präskriptiven Elementen“ (ebd., 36) wie Normen und Geboten unterschiedlicher Reichweite vorherrsche, läge in der antiken E. das Gewicht auf „Subjektivierungsformen und Selbstpraktiken“ (ebd., 42), durch die sich ein ethisches → Subjekt konstituiert. Der Akzent liegt damit auf dem „Verhältnis zu sich, welches es ermöglicht, daß man sich nicht von den Begierden und Lüsten fortreißen läßt [...], daß man zu einer Seinsweise gelangt, die durch den vollen Genuß seiner selbst oder die vollkommene Souveränität seiner über sich definiert werden kann“ (ebd., 43). Diese Maßgabe wird von Foucault nicht als Geschichte der Verbote, sondern positiv als Eröffnung einer „Ästhetik der Existenz“ (ebd., 118) (→ Ästhetik) beschrieben. Die eigentliche Untersuchung durchschreitet vier Felder. Es geht jeweils darum, wo das sexuelle Verhalten auftritt und wie sich das ethische Subjekt formt. Aufgewiesen wird von Foucault im Rahmen einer Praktik der Diätetik die Kunst des Verhaltens zum eigenen → Körper,

175 in der Ökonomik die Kunst der Beziehung des Mannes zu Ehefrau und Familie, in der Erotik die Kunst der Wechselseitigkeit zwischen Mann und Knabe. Diese drei Felder der Existenzformung werden schließlich in der antiken Philosophie und Medizin reflektiert. Als philosoph. Reflexion präsentiert Foucault ein Denken, das nicht in den gewohnten Bahnen der antiken Metaphysik verläuft. Der Übergang von der griech.-röm. Welt zum Christentum besteht in einer Transformation der Subjektivierungs- und Konstitutionsweisen des Moralsubjekts. Sexuelles Verhalten rückt in die Nähe des Übels und der Sünde, die Unterwerfung unter allgemeine Gesetze und Regeln, welche eine Arbeit an sich selbst erfordert, deren Ziel die Ausbildung von Gehorsam ist, tritt in den Vordergrund. Im Hinblick auf die Gegenwart könnte man sagen, daß Foucault, der vor der Fertigstellung seiner Geschichte der Sexualität verstarb, im Rückgang auf die Antike ein Modell von E., Subjekt und → Sorge um sich vorführt, das ohne subjektivistischen Fundamentalismus auskommt. Foucault vergleichbar, verzichtet auch die Hermeneutik des Selbst, von der aus Ricœur seine E. auf den Weg bringt, darauf, das klassische Subjekt wieder einzuführen. Das Selbst hat als ein Anderer einen indirekten Status, da es von Andersheit konstituiert und aufgefordert wird. „Das Aufgefordertsein“ gehört zur „Struktur der Selbstheit“ (Ricœur 1996, 425). Das Selbst ist aufgefordert, „gut zu leben, mit den Anderen und für sie in gerechten Institutionen und sich selbst als Träger dieses Gelöbnisses zu schätzen“ (ebd., 423). Die E. hat drei Teile, der dritte Teil überschneidet sich mit der → Politik. Ricœur integriert neben den

Ethik klassischen Konzepten der E. auch die Ansätze von Rawls, Walzer, Habermas und Levinas in seinen Entwurf. Diese enorme Integrationsleistung ist jedoch durch gewisse Harmonisierungen erkauft. Die Durchführung der ethischen Ausrichtung, an deren Ende die Selbstschätzung ihre volle Gestalt erlangt, beginnt mit der Suche des Einzelnen nach dem guten Leben. Jemand erweist sich dann als phronimos, wenn er einen Lebensentwurf verfolgt, in dem Ideale (Ziele) und gesellschaftliche Praktiken (Beruf etc.) einander entsprechen. Durch konflikthafte Selbst- und Handlungsinterpretationen konkretisiert das Selbst seine vagen Ideale im Hinblick auf die existentielle Entscheidung für eine mögliche Praktik. Da ein Selbst nicht isoliert auftritt, bildet die Fürsorge den zweiten Aspekt der ethischen Ausrichtung des Lebens. Die Beziehung zum Anderen wird zunächst von der Freundschaft her gedacht, welche eine Gegenseitigkeit von Selbst und Anderem ist. Sie erweist sich als fragil und muß deshalb von der Fürsorge, durch zwei Asymmetrien hindurch, stets wiedergewonnen werden. Indem das Selbst die überlegene Autorität des Anderen anerkennt, wird der Vorrang dieses Anderen, der das Selbst zur Verantwortung ruft, ausgeglichen. Umgekehrt kann die vorrangige Initiative des Selbst gegenüber dem schwachen und leidenden Anderen dadurch kompensiert werden, daß dieser Andere das Selbst an seine eigene Verletzlichkeit und Sterblichkeit erinnert. Da das gute Leben mit konkreten Anderen immer auf anonyme Dritte bezogen ist, bildet die politische Frage nach einem Zusammenleben in gerechten gesellschaftlichen → Institutionen, die das Miteinander durch Distributionsordnungen, Fixierungen von Rech-

Etymologie ten und Pflichten stabilisieren, den dritten Aspekt der ethischen Ausrichtung. Die politische Bestimmung einer gerechten gesellschaftlichen Grundstruktur nimmt in ethischer Hinsicht ihren Ausgang von einem vorinstitutionellen Ungerechtigkeitssinn, der all die Güterverteilungen anklagt, welche Personen auf Kosten anderer unverdient bevorzugen. Die ethische Ausrichtung bliebe insgesamt naiv und unkritisch, der → Gewalt und dem → Bösen schutzlos ausgesetzt, würde sie nicht eine Prüfung durch die moralische Verpflichtung auf sich nehmen. Von der weitgehend aristotelisch grundierten E. unterscheidet Ricoeur die → Moral. Ethisch schätzenswert sind die Handlungen eines Selbst, wenn sie das Ziel des guten Lebens realisieren. Moralische Achtungswürdigkeit beruht jedoch auf der Berücksichtigung des Gebotenen und des Sollens. In einem zweiten großen Anlauf führt Ricœur nun die dreiteilige E. durch die moralische Prüfung hindurch. Die deontischen Theorien von Kant und Rawls bilden den Gerichtshof. Dem Gesamtkonzept von Ricœur liegen drei Thesen zugrunde: „1. daß die E. gegenüber der Moral Vorrang genießt; 2. daß die ethische Ausrichtung notwendig durch das Normenraster hindurch muß; 3. daß der Rekurs der Norm auf die Ausrichtung dann legitim ist, wenn die Norm in praktische Sackgassen führt“ (ebd., 208). Den Durchgang durch die moralische Prüfung beschließt Ricœur mit der Aufweisung von Konflikten, die die moralischen → Normen produzieren, aus eigener Kraft aber nicht lösen können. Insofern ist der Rekurs auf eine moralisch belehrte E. legitim. Gipfelpunkt der Konzeption als eine „kritische phronesis“ (ebd., 351), die Prüfungen durchlaufen hat und ein morali-

176 sches Situationsurteil fällt, das in Konfliktsituationen das weiseste ist. Qu.: Hua XXVIII. – HeiGA 9. – ScheGW 2. – ScheGW 13. – Levinas 1961 (1987). – Levinas 1963 (1983). – Levinas 1974 (1992). – Foucault 1984a (1986a). – Foucault 1984b (1986b). – Ricœur 1990 (1996). – Lit.: Luckner 1998. – Melle in Hua XXVIII (Einleitung). – Roth 1960. MWS; HV (Husserl)

Etymologie. Der griech. Bedeutung zufolge zielt die E. auf das „wahre Wort“, den etymos logos, ab. Als Zweig der Wissenschaft untersucht sie die ursprüngliche Bedeutung von Wörtern und ihre Verwandtschaft in verschiedenen Sprachen. Wenn Heidegger schon früh das griech. a-letheia mit Blick auf das alpha privativum und das Wort lethe als → „Un-verborgenheit“ übersetzt (und das heißt: interpretiert), bedient er sich zwar etymologischer Forschungen, warnt aber zugleich „vor hemmungsloser Wortmystik“; gleichwohl solle die Philosophie „die Kraft der elementarsten Worte“ vor ihrer Nivellierung bewahren (HeiGA 2, 291). Er weiß um die „Gefahr der Spielerei“, doch nimmt er diese in der Absicht auf sich, „aus dem Bann der alltäglichen Rede und ihrer Begriffe herauszukommen“ (HeiGA 29/30, 414). So ist die Stellung zur E. zweideutig: im Wissen, daß dieses Verfahren „großem Mißbrauch und Irrtümern ausgesetzt ist“ und dennoch fruchtbar sein kann, wenn es in Grenzen betrieben wird (HeiGA 31, 53 f). Gerade weil ein Wort wie → „Sein“ seine ursprüngliche Nennkraft eingebüßt hat, läßt sich im Rückgang auf dessen Stammbedeutungen („leben“, „walten“ und „wohnen“,; vgl. HeiGA 40, § 22) ein Licht auf deren Einebnung in Vermischung und Verwi-

177 schung (ebd., 79) werfen – doch „entscheidend bleibt, wie dies geschieht“ (HeiGA 7, 42). Zusammenfassend läßt sich hier sagen: „Jede E. wird zu einer sinnlosen Spielerei mit Wörtern, wenn der Sprachgeist der Sprache, d. h. das Wesen des Seins und der Wahrheit, nicht erfahren ist, woraus die Sprache spricht. Das Gefährliche an der E. liegt nicht an dieser selbst, sondern an der Geistlosigkeit derer, die sie betreiben oder, was hier dasselbe ist, die sie bekämpfen.“ (HeiGA 55, 148) Qu.: HeiGA 40, § 22. – Lit.: Helting 1997. HV

Europa. Für Husserl ist die „Geburtsstätte“ des geistigen E.s die frühe griech. Philosophie. Der Geschichte E.s ist die Idee der Philosophie immanent, damit beginnt eine neue Epoche der Menschheit. Dem europäischen Menschentum ist eine Entelechie eingeboren, welche dessen Entwicklung hin auf eine „ideale Seins- und Lebensgestalt“ bestimmt. Es entsteht eine neue, durch → Vernunft bestimmte → Einstellung zur → Umwelt, sodaß sich jetzt die → Wahrheit i. S. der → Wissenschaft durchzusetzen beginnt. Gegenüber dem naiven „in die Welt Hineinleben“ wird nunmehr die → Welt als universaler → Horizont thematisch. Heidegger fordert angesichts der Bedrohung E.s eine Wiederholung der Grundfrage der abendländischen Philosophie aus einem ursprünglicheren → Anfang, der hinter die Auslegung des logós als → Aussage zurückgeht und die Selbstverständlichkeit, daß das Denken der Gerichtshof des → Seins sei, durchbricht. Qu.: Hua VI. – Hua XXIX. – Heidegger 1993. – Lit.: Gander 1993. – Holenstein 1989. HV

Evidenz Evidenz. Der E.-Begriff charakterisiert das Erfassen eines Seienden im Modus „es selbst“. Bei Husserl ist die E. „die ganz ausgezeichnete Bewußtseinsweise der Selbsterscheinung, des Sich-selbst-darstellens, des Sichselbst-gebens, einer Sache, eines Sachverhaltes, einer Allgemeinheit, eines Wertes, usw. im Endmodus des Selbst da, unmittelbar anschaulich, originaliter gegeben“ (Hua I, 92 f.). Er führt die Rede von E. ein, um die Übereinstimmung zwischen bedeutungsmäßig Gemeintem und anschaulich Gegebenem zu bezeichnen; denn die → Deckung könnte als nicht konstatiert zustande kommen. Neben der Intention und der → Erfüllung ist die E. ein dritter identifizierender → Akt, dessen objektives Korrelat die → Wahrheit ist. Während diese als → Identität von Gemeintem und Gegebenem bestimmt ist, wird jene als „ ,Erlebnis‘ der Wahrheit“ (Hua XIX/2, 652) bezeichnet. Es ist zu beachten, daß die → Wahrnehmung nicht nur bedeutungserfüllend ist, sondern auch „selbst als bloße Intention, die in neuen Wahrnehmungen sich erfüllt,“ (Hua XI, 67) in → Synthesen der Erfüllung und Bewährung eintreten kann. Hier stimmen die leeren Intentionen und die neuen → Erscheinungen im Rahmen des Wahrnehmungsverlaufs selbst überein. Husserl geht von der Analyse einzelner isolierter Akte und der E. als bloßen Erfüllungsbewußtseins in die Analyse des Horizontbewußtseins und der E. als wechselseitigen Bewährungsbewußtseins über, wobei mannigfaltige E.en sich aufeinander beziehen und sich als konstitutive → Funktionen einflechten. So hat jede E. eine Tragweite, die durch die Enthüllung des → Horizontes bestimmt werden kann. Wenn

Evidenz die E.en auf diese Weise Zusammenhänge der Erfüllung und Bewährung zeigen, „vollziehen [sie] die Leistung, deren Ergebnis [...] heißt seiender Gegenstand“ (Hua XVII, 292). Deshalb identifiziert Husserl die E. mit dem Sehen, vermöge dessen der → Gegenstand zur → Gegebenheit kommt, und korrelativ stellt er die → Wahrheit mit dem gegebenen Gegenstand gleich. Husserl unterscheidet viele Arten von E. In erster Linie ist die → apodiktische E. zu erwähnen, weil sie im voraus jeden → Zweifel als unausdenkbar ausschließt. Als die erste → absolute E. haben wir eine apodiktische E. vom → Sein der transzendentalen Subjektivität. Auch ist möglich eine apodiktitische E. von einer allgemeinen Wesenheit, in Gegensatz zu der Husserl von der assertorische E. eines Individuellen spricht. Während relative E.en für das alltägliche Leben genügen, fordert Husserls Idee der Philosophie absolute E. wie die Einsichten des transzendentalen Lebens und der Wesenheiten (→ Wesen). Es gibt Grade in der Vervollkommnung der E.: Während eine inadäquate E. sich als unvollständig und einseitig zeigt, schließt die adäquate E. kein unerfülltes Gemeintes ein. Da dies nur als eine ideale → Möglichkeit der absoluten Vollkommenheit vorzuzeichnen ist, rückt Husserl von seiner anfänglichen Gleichsetzung der apodiktischen E. mit der adäquaten ab. Die transzendentale Selbsterfahrung geht Hand in Hand mit der ursprünglichsten E., „in der alle erdenklichen E.en gründen müssen“ (Hua I, 177). Ursprüngliche E.en sind auch die wahrnehmungsmäßigen, lebensweltlichen E.en gegenüber den objektiv-logischen E.en. Da ein evidentes prädikatives → Urteil voraussetzt, daß ein Gegenstand als mögli-

178 ches Urteilssubstrat gegeben ist, ist jede prädikative E. auf eine vorprädikative E. gegründet. Die E. ist mittelbar, wenn eine Bezogenheit auf andere E. in ihr liegt, und alle abgeleiteten E.en weisen letztlich auf unmittelbare E. zurück. Auch andere Richtungen der Phänomenologie behandeln die E. als ein zentrales Thema. Reinach wendet sich gegen eine zu enge Deutung, die nicht Gradualitäten zuläßt und die E. mit einer absoluten Sicherheit identifiziert: „Unter E. verstehen wir hier nicht ausschließlich den idealen Fall absoluter Selbstgegebenheit, sondern jede Gegebenheit von Sachverhalten in erkennenden Akten“ (Reinach 1989, 123). Bedeutsam ist seine Analyse des negativen → Urteils, die zur Formulierung von apriorischen Wesenszusammenhängen über die Verhältnisse zwischen den E.en von positiven und negativen → Sachverhalten führt. Für Scheler besteht das Prinzip der E. darin, „daß ein objektiver Sach- oder Wertverhalt seinem Sosein nach dann in den Geist selbst herein leuchtet, also ,selbst‘ in ihm als Korrelat eines intentionalen Aktes anwesend ist, wenn eine vollständige Deckung zwischen den Gehalten aller Denk- und Anschauungsakte, die angesichts dieses Gegenstandes möglich sind, stattfindet“ (ScheGW 5, 17). Er hebt hervor, daß ein Gegenstand nach seinem Sosein zur E. gelangt, da sein Dasein nur als Widerstand gegen Akte der Willenssphäre erfaßbar ist. Auch gibt es eine Ordnung der E., deren die erste als Gegenstand den Tatbestand, daß nicht Nichts sei, hat. Zum Schluß sei bemerkt, daß Schmitz uns auf eine gewisse Naivität in Husserls Begrifflichkeit aufmerksam macht. Ihm zufolge verkennt die Identifizierung mit der

179 Selbstgegebenheit des Gemeinten, daß wir mit E. über Gegenstände urteilen können, die nicht selbst gegeben sind. Denn „1+1=2“ ist für uns ein evidentes Urteil, obgleich wir noch nicht über genaue Kenntnisse auf dem Gebiet der Beschaffenheit der Zahlen als Gegenstände verfügen. Qu.: Hua I, 50-63. – Hua III/1, 314-337. – Hua IX, 65-116. – Hua XVII, 165-170, 283-295. – Hua XIX/2, 651-656. – Husserl 1939, 11-12. – Reinach 1989, 123-125. – ScheGW 5, 17-19, 92-99. – Schmitz 1980, 15 f. – Lit.: Mertens 1996, 170-284. – Ströker 1987, 1-34. – Tugendhat 1967, 26-106. RW

Existenz. Heidegger fragt in Sein und Zeit im Kontext seiner Seinsfrage nach der spezifischen E. des → Menschen. E. nennt er jenes → Sein selbst, zu dem das → Dasein sich verhalten kann und immer schon irgendwie verhält: Das Dasein ist nur als sich-verstehendes Seinkönnen, dem es in seinem Sein um dieses selbst geht. Begreift Heidegger das Wesen des Daseins als in seiner E. liegend, so bestimmt er den Menschen als existierendes → Selbst, dessen „Daß es ist“ aus der Überantwortetheit seiner E. immer schon ein „Daß es ist und zu sein hat“ (HeiGA 2, 179) ist. Muß nun aber die → Wahrheit der E. aus der Zugehörigkeit, d. h. der Versammeltheit des Daseins zum Sein selbst erfragt werden, so wird deutlich, warum sich Heidegger gegen existenzphilosoph. Deutungen seines Denkens wehrt, sind doch in Heideggers Verständnis Existenzphilosophie und Existenzialismus neben der Logistik die wirksamsten Ableger neuzeitlichen Denkens, mithin einer anderen Konstellation der Seinsfrage. Schelers Personalismus betont, daß es zum Wesen der → Person gehört, „daß

Existenz sie nur existiert und lebt im Vollzug intentionaler Akte“ (ScheGW 2, 389). Die E. eines geistigen Wesens ist bestimmt durch seine existentielle Entbundenheit vom Organischen, seine Freiheit, Ablösbarkeit von der Abhängigkeit vom Organischen, vom Leben und allem, was zum Leben gehört (vgl. ScheGW 9, 31). Sartres Entwurf eines Existentialismus in Das Sein und das Nichts radikalisiert den Freiheitsbegriff insofern, als er das Sein des Menschen selbst als → Freiheit bestimmt: Der Mensch existiert als Freiheit, ist dazu verurteilt, frei zu sein. Menschliche E. bedeutet, nicht nur „an sich“ (en soi) zu sein, sondern der Mensch kann stets Gegebenes verneinen, sich auf Anderes hin entwerfen, sich selbst als Gegebenes überschreiten: er ist „für sich“ (pour soi). Transzendenz, Negativität, Sichverhalten bilden wesentliche Strukturen dieser menschlichen E. „Wenn der Mensch, so wie ihn der Existentialist begreift, nicht definierbar ist, so darum, weil er anfangs überhaupt nichts ist. Er wird erst in der weiteren Folge sein, und er wird so sein, wie er sich geschaffen haben wird. Also gibt es keine menschliche Natur, da es keinen Gott gibt, um sie zu entwerfen. Der Mensch ist lediglich so, wie er sich konzipiert – ja nicht allein so, sondern wie er sich will und wie er sich nach der E. konzipiert, wie er sich will nach diesem Sichschwingen auf die E. hin; der Mensch ist nichts anderes als wozu er sich macht.“ (Sartre 1980, 11) Merleau-Ponty wendet sich gegen die Tradition seit Descartes, insofern sie das → Subjekt, losgelöst von → Welt, als sicheres Fundament betrachtet. Welt wird hier etwas, was dem Subjekt gegenübersteht, was dieses außerhalb seiner selbst hat. Das Subjekt

Existenz erreicht aber nach Merleau-Ponty gerade sich selbst nur durch die Welt. Deshalb möchte er das Subjekt in den Lebenswelt-Kontext zurückführen, aus dem es die Reflexionsphilosophie herausgerissen hat. Damit grenzt er sich in der Folge auch etwa von Sartres Existenzphilosophie ab: Insofern Sartre im Dualismus zwischen dem freien Subjekt und den Objekten gefangen bleibt, kann er die Zusammengehörigkeit (Vermittlung) von Subjektivität und Welt nicht mehr begrifflich einholen. Merleau-Ponty bestimmt nun E. als das „Dritte“ zwischen → Bewußtsein und → Leib und versteht sie als jene Einheit, die der Polarisierung von Subjektivität und Objektivität vorausgeht: Die unmittelbar erfahrene → Lebenswelt ist vor-objektiv und vorsubjektiv. In ihrem Hauptwerk Vita activa analysiert Arendt menschliche Grundtätigkeiten (→ Arbeit, → Herstellen, → Handeln), deren Struktur sie als in der natürlichen Bedingtheit menschlicher E. begründet sieht: Die Grundbedingung des Arbeitens ist das → Leben selbst, die des Herstellens das Angewiesensein menschlicher E. auf Gegenständlichkeit und Objektivität und die des Handelns Pluralität. Alle diese Bedingungen sind nochmals in der allgemeinsten Bedingtheit menschlicher E. verankert: in → Geburt und Tod. „Nun umfaßt aber die Condition humaine, die menschliche Bedingtheit im Ganzen, mehr als nur die Bedingungen, unter denen den Menschen das Leben auf der Erde gegeben ist. Menschen sind bedingte Wesen, weil ein jegliches, womit sie in Berührung kommen, sich unmittelbar in eine Bedingung ihrer E. verwandelt.“ (Arendt 1958, 16) Bedingt-sein als zentrale Kategorie menschlicher E. fundiert als

180 apriorisches Aufeinander-angewiesensein somit gesellschaftliches Sein. Patoˇcka versteht seine Philosophie als Fortsetzung von Heideggers Phänomenologie der E. und Finks Analyse der Welt mit ihren Grundmomenten → Zeit, → Raum und → Bewegung. Dabei versteht er Leben als Bewegung im ursprünglichen Sinn des Wortes als dynamis, als sich realisierende Möglichkeit. Menschliche E. bedeutet eine Wirklichkeit, die sich selbst gegenüber nicht gleichgültig ist, „sondern sich nur dann verwirklichen kann, wenn ihr nicht gleichgültig ist, daß und wie sie ist“ (Patoˇcka 1990, 244), die Verständnis für das eigene Sein und damit für das Sein überhaupt hat. Ihr Tun berührt nicht nur alles Seiende, sondern erschließt den inneren Reichtum des Seienden: Das (leibhaftige) Tun dieser E. überschreitet seinen Rahmen, sein Handeln als dessen eigenverantwortliche Bewegung ist erschlossen in bezug auf das Seiende und dessen Sein. Im Kontext der Überlegung, daß die Tatsächlichkeit eines Sachverhalts etwas anderes ist als die → Wirklichkeit einer Sache, begreift Schmitz das „Sein im prägnanten Sinn, also Dasein oder Wirklichkeit“ (Schmitz 1990, 38) und verwendet die Termini Sein, Dasein, Wirklichkeit und E. synonym. Damit verbindet Schmitz seine Kritik an Heidegger: „Die E. (Wirklichkeit) wird zur Charakteristik von Unterschieden des Soseins (Fülle und Mangel) mißbraucht“ (Schmitz 1990, 39). Binswanger suchte die psychoanalytische Therapie um Elemente aus der Phänomenologie Husserls und der Heideggerschen Daseinsanalyse zu erweitern. Freuds Begriff des Menschen als eines psychisch-biologischen Apparates wird von ihm als Grundlage seiner Anthropologie angesehen.

181 Zu überwinden sucht er den naturwissenschaftlichen Determinismus der Psychoanalyse, indem er Krankengeschichten als Entwurf von Welt deutet: Krankheit kann nur vor dem Hintergrund der E. und ihrer eigentümlichen Struktur selber verstanden werden, nämlich aus der Dialektik von ursprünglicher Freiheit, Entfremdung in eine pathologische Subjektivität und Versöhnung mit der Sozietät. In der Ordnung der Dinge begreift Foucault den → Menschen als eine „seltsame, empirisch-transzendentale Dublette“ (Foucault 1971, 384): Die Bedingungen der Erkenntnis verweisen auf ein Wesen, das selbst empirischer Inhalt der Erkenntnis ist. „Der Mensch ist eine solche Seinsweise, daß sich in ihm jene stets offene, nie ein für allemal begrenzte, sondern unendlich durchlaufene Dimension begründet, die von einem Teil seiner selbst, den er nicht in seinem Cogito reflektiert, zum Denkakt verläuft, durch den er sie erfaßt: und die umgekehrt von jenem reinen Erfassen zur empirischen Überfülle, zum ungeordneten Hinaufsteigen der Inhalte, zum Überhang der Erfahrungen, die sich selbst entgehen, also zum ganzen stummen Horizont dessen verläuft, was sich in der sandigen Weite des Nicht-Denkens ergibt.“ (ebd., 389) Zu Beginn des 19. Jh.s taucht der Mensch in der Ordnung des Wissens auf und nimmt die Position des betrachteten Betrachters ein, etabliert sich als privilegiertes Objekt der Wissenschaft und als Subjekt aller Erkenntnis. Diese Selbsterkenntnis ist nur möglich in Hinblick auf seine Qualität als Lebewesen, als Produktionsinstrument und Vehikel von Sprache: Dies determiniert ihn und weist ihm die Endlichkeit als das Schicksal seiner E. zu. Nur in den Grenzen der eige-

Existenzial nen Endlichkeit kann sich der Mensch erfahren: Das Leben ist ihm durch seinen → Körper gegeben, die Art seiner Produktion in seinem Bedürfnis, die Sprache in der Kette seines artikulierenden Denkens. „Der Mensch ist eine Erfindung, deren junges Datum die Archäologie unseres Denkens ganz offen zeigt. Vielleicht auch das baldige Ende.“ (ebd., 462) Qu.: HeiGA 2. – ScheGW 2. – Sartre 1943 (1994). – Sartre 1948 (1980). – MerleauPonty 1945 (1966). – Arendt 1958 (1960). – Arendt 1990. – Patoˇcka 1990. – Patoˇcka 1991. – Schmitz 1990. – Binswanger AW 3. – Binswanger AW 4. – Foucault 1966 (1971). JV

Existenzial. Heidegger unterscheidet zwei Grundmöglichkeiten von Seinscharakteren: E.lien und Kategorien. Diese beziehen sich auf nicht daseinsmäßiges Seiendes, die E.ien auf die → Existenz, das → „Wesen“ des → Menschen. Was Existenz konstituiert, den Zusammenhang ihrer Strukturen, bezeichnet Heidegger als Existenzialität, d. h. die Seinsverfassung eines Seienden, das existiert (anfangs spricht er von „existenziellen Begriffen“, HeiGA 59, 37). Zu ihnen gehören das → Inder-Welt-sein und die dieses konstituierenden Momente wie → Befindlichkeit, → Verstehen, → Rede, → Verfallen, → Sorge, Zeitlichkeit (→ Zeit) und Geschichtlichkeit (→ Geschichte). Sie alle haben den Charakter der → formalen Anzeige. Dabei sind die Begriffe „existenzial“ und „existenziell“ zu unterscheiden. Bezieht sich „existenzial“ (die „existenziale Analytik“) auf die für die Existenz spezifische Begrifflichkeit, so „existenziell“ bzw. „existenzielles Verständnis“ auf den Vollzug der Existenz (in der Polarität von eigentlichem und uneigent-

Exteriorität lichem Existieren), in dem allerdings die existenziale → Analytik verwurzelt ist. Weil → Dasein „sein Sein als seiniges zu sein hat“ (seine → Jemenigkeit), kann ihm die Möglichkeit, „es selbst oder nicht es selbst zu sein“, nicht abgenommen werden: „Die Frage der Existenz ist immer nur durch das Existieren selbst ins Reine zu bringen.“ (HeiGA 2, 17) Ricœurs hermeneut. Philosophie zielt auf eine Analyse der menschlichen Existenz, die sich zwar in ihrer Zielsetzung mit Heideggers Analytik des Daseins trifft, sich methodisch jedoch insofern von ihr unterscheidet, als Ricœur einen indirekten Zugang zur Existenz über die Auslegung der → Symbole und Zeichen, in denen sich Existenz objektiviert, sucht: Die Unmöglichkeit eines unmittelbaren Erfassens unser selbst nötigt die → Reflexion zu einem indirekten Weg über Zeichen und Symbole als Objektivierungen unserer Existenz. Denn die konkrete Existenz ist nur da zugänglich, wo sie sinnhaft wird, indem eine existentielle Erfahrung zur Sprache gebracht wird und kann daher nur begriffen werden, wenn die Reflexion selbst konkret wird und die Objektivationen der Existenz zu ihrem Medium werden. Insofern Ricœur die sich im Symbol ausdrückenden Erfahrungen auf ihre ontolog. Implikationen hin befragt, kann sein Denken als existenziale → Hermeneutik bezeichnet werden. Wenn unsere vorsprachliche Existenz uns nie anders als da gegeben ist, wo sie sprachlich wird, dann sind wir

182 grundlegend von unserer Existenz getrennt, sind wir durch einen definitiven Bruch unserer unmittelbaren Zugehörigkeit zum Sein bestimmt: diese sprachliche Vermittlung unserer Existenz bedeutet, daß keine Rückkehr zu einem Ursprung möglich ist, denn die über den vermittelnden Umweg über die sprachlichen Zeichen angenäherte vorsprachliche Existenz bleibt eine vermittelte. Qu.: HeiGA 2, § 4, 9. – Ricœur 1990 (1996) – Lit.: Greisch 1993. – Mattern 1996. – Herrmann 1987. JV; HV (Heideger)

Exteriorität (frz.: extériorité). E. bezeichnet nach Levinas keine räumliche Kategorie, sondern eine „Relation“, die jenseits aller durch das Bewußtsein überschaubaren Relation angesetzt ist. Gemeint ist damit der Bezug zum anderen Menschen und zu → Gott als dem Unendlichen. Deren Anderheit (→ Alterität) wird als absolutes Außerhalb allen → Seins angesetzt. So ist E. weder kategorial oder intentional faßbar noch thematisierbar. Vielmehr begegnet sie im ethischen Appell, der das Ich von außerhalb seiner Fassungskraft und jenseits der ontolog. Ordnung trifft. E. ist somit ein Außerhalb jedes Deutungshorizontes und das Jenseits des Seins, von dem her das Ich als → Geisel für den anderen Menschen eingesetzt wird. Qu.: Levinas 1961 (1987). – Levinas 1968 (1983, 295-330). – Levinas 1982 (1985). – Lit.: Strasser 1986, 502-520. RE

F Faktizität. Das Wort bezeichnet eine nicht hintergehbare Tatsächlichkeit. So gebraucht es schon Dilthey: „F. der Rasse, des Raumes, des Verhältnisses der Gewalten bilden überall die nie zu vergeistigende Grundlage.“ (Dilthey GS VII, 287 f.). Husserl spricht von F. in der Bedeutung von Zufälligkeit, Beliebigkeit, wenn er sagt, daß in der eidetischen Forschung die singulären Fakten und die F. der natürlichen → Welt überhaupt entschwinden. In phänomenolog. → Naivität werden die angeblichen F.en (etwa die zufälligen Raumanschauungen) für bloße Fakten gehalten, während sie Wesensnotwendigkeiten sind. F. meint hier das empirisch Faktische, auch von zufälligen psychologischen F.en ist die Rede. Die transzendentale → Reduktion enthüllt aber ein anderes → Faktum, nämlich die F. des konstituierenden → Bewußtseins als der „Quelle sich ins Unendliche steigernder Wertmöglichkeiten und Wertwirklichkeiten“ (Hua III/1, 125). Diese volle konkrete F. der universalen → transzendentalen Subjektivität ist keine individuelle F., sondern das Faktum seines → Wesens, bestimmbar in der Wesensform der transzendentalen → Leistungen. Die → Hermeneutik der F. ist ein Grundthema der frühen Freiburger Vorlesungen Heideggers, später in Sein und Zeit wieder aufgenommen. In den frühen Vorlesungen wird die Aufgabe der Philosophie als Stärkung und Erhaltung der F. gekennzeichnet, wobei eigentliches Existieren einen Faktizitätswechsel voraussetzt. Konstitutive Charaktere der F. sind das Sorgen und die Tendenz zum → Verfallen. Dem

→ Dasein geht es um es selbst, zugleich flüchtet es in Auslegungsmöglichkeiten aus der „Welt“, die ihm seine eigensten Seinsmöglichkeiten (im → Vorlaufen zum Tod) abzunehmen versprechen. Es ist aber unhintergehbar. „Die Tatsächlichkeit des Faktums Dasein, als welches jeweilig jedes Dasein ist, nennen wir seine F.“ (HeiGA 2, 75) „Das Dasein existiert faktisch.“ (ebd., 240) Die ontolog. Einheit von Existenzialität und F. beruht in der Einheit des Entwurfs im → Verstehen und der → Geworfenheit in der → Befindlichkeit. In Sartres → Ontologie gehört die F. (facticité) zu den Strukturmomenten des Für-sich-seins (être-pour-soi). In ihr drückt sich die unfaßliche Tatsache aus, daß das Fürsich zwar den Sinn seiner Situation in → Freiheit wählt, aber seine Gebundenheit an die Welt nicht auswählen kann. Das Bewußtsein der F. liegt in einem Gefühl der völligen Beliebigkeit des Fürsich. Das → Bewußtsein kann sein Sein nicht verhindern, ist aber trotzdem für es verantwortlich: Die F. ist facticité de la liberté. Das Fürsich ist frei, doch kann diese Freiheit nicht selbst wieder frei gewählt werden; wir wählen sie nicht, sondern sind „zur Freiheit verurteilt“ (Sartre 1952, 614). Sartre spricht mit Heidegger von einer Geworfenheit in die Freiheit. Wenn diese als ein dem Gegebenen Entrinnen definiert wird, so gibt es ein Faktum dieses Entrinnens, eben die F. der Freiheit. Die Paradoxie besteht darin, daß die Freiheit zu ihrer Verwirklichung auf das Gegebene angewiesen ist, dieses aber seinen Sinn durch die Freiheit erhält. Die F. meiner Freiheit manifestiert sich in ver-

Faktum schiedenen Gestalten: Zu ihr gehören als faktische Momente meiner Existenz mein Platz, meine Vergangenheit, meine Umgebung, mein Nächster, mein Tod. Qu.: Dilthey GS VII. – Hua III/1, §§ 34, 70, 150. – Hua VI, § 52. – HeiGA 2, § 12. – HeiGA 58, §§ 9-14. – HeiGA 63, §§ 14-26. – Sartre 1943 (1952), II. Teil, I.II; III. Teil, II.I; IV. Teil, I.II. – Lit.: Biemel 1964. – Landgrebe 1982. – Kisiel 1986/87. HV

Faktum. Den Begrif ,F.‘ stellt Husserl dem Universum reiner → Möglichkeiten nicht nur gegenüber, sondern weist auf den inneren Bezug zwischen empirischem F. und reiner Möglichkeit, → Tatsache und → Wesen, hin: Zum → Sinn jedes Tatsächlichen gehört es, ein Wesen zu haben. Bereits in den Ideen konfrontiert Husserl die Zufälligkeit des Faktischen außer mit Wesensnotwendigkeit mit der Notwendigkeit des F.s des aktuellen → Erlebnisses. In seiner Spätphilosophie radikalisiert er dies, indem er darlegt, daß das → eidos des → transzendentalen → Ego an das transzendentale Ich als faktisches zurückgebunden ist. Dies hat weitreichende Folgen: Sofern die volle → Ontologie eine solche des rein transzendentalen → Bewußtseins als des „UrF.s“ (Hua XV, 386) ist, kommt Husserl zu dem Schluß, daß sie das F. des transzendentalen Ego voraussetzen muß: Alle Wesensnotwendigkeiten des transzendentalen Bewußtseins sind „Momente seines F.s“ (ebd.). Demzufolge umfaßt der Titel ,F.‘ das faktische Bewußtseinsleben und das „korrelative F.“ (Hua VII, 256) der in ihm konstituierten → Welt, das „kontingente Weltfaktum“ (Hua VIII, 50). Transzendentales Bewußtsein als faktisches wird so zum „Universum aller transzendentalen Faktizität“ (Hua VII, 257), das

184 als Universum möglicher transzendentaler → Erfahrung wissenschaftlicher Erforschung zugänglich ist. → Wissenschaft, die als transzendentale Phänomenologie in der Aufdeckung des irrationalen, mit phänomenolog. Mitteln nicht weiter zu interpretierenden transzendentalen F.s des faktischen → Lebens kulminiert, realisiert auf diese Weise ihre Funktion für das faktische Weltleben („Unser Interesse liegt [...] im Faktischen“, ebd., 258). Diese Funktion erfüllt sich für Husserl jedoch erst in einer auf eidetischer Transzendentalphänomenologie aufbauenden transzendentalen Tatsachenwissenschaft, einer „Metaphysik in einem neuen Sinn“ (ebd., 188, Anm.). Deren Aufgabe ist eine transzendentale Teleologie, die Geschichtsphilosophie und Theologie in eins ist („Die Geschichte ist das große F. des absoluten Seins“, (Hua VIII, 506)). Ausgehend von Husserls Vorarbeiten zu einer solchen in transzendentaler Phänomenologie verankerten → Metaphysik des absoluten F.s konstatierte Landgrebe im Vergleich mit Heideggers „Faktizität des Daseins“ (→ Faktizität) ein „Verhältnis der Konvergenz und gegenseitigen Ergänzung“ (Landgrebe 1982, VII). Qu.: Hua III/1, §§ 1-8. – Hua VII, 256-259. – Hua VIII, 497-506. – Hua XV, 378-386. – Lit.: Held 1966, 173-184. – Landgrebe 1982, 38-57. – Lee 1993, 231 f. HRS

Farbe. Phänomenolog. Analysen der F. setzen bei dem Phänomen der Farbkonstanz ein. Dieses in der Wahrnehmungspsychologie entdeckte Phänomen besagt, daß die F. einer Sache trotz Veränderungen in der Beleuchtung als gleichbleibend wahrgenommen wird. Schapp beschreibt die Farbkonstanz in den Beiträgen zur Phänomenolo-

185 gie der Wahrnehmung als einen „Formunterschied“ zwischen anhaftender F. und Beleuchtungsfarbe und weist dieser Differenz eine transzendentale Bedeutung für die Konstitution des Gegenstandsbewußtseins nach: „Die anhaftende F. scheint das Medium zu sein, um aus den bloßen Lichtgebilden zu Gegenständen zu kommen.“ (Schapp 1910, 90) Hieraus ergibt sich für Schapp als phänomenolog. Definition der F.: „F. ist schlechthin das, was uns Dinge darstellt. [...] F. selbst ist nicht dargestellt, sie ist direkt gegeben.“ (ebd., 114 f.) Merleau-Ponty sieht in der Phänomenologie der Wahrnehmung die Farbkonstanz als einen Beleg für die Notwendigkeit phänomenolog. Analysen. Das Phänomen F. zeigt, was für alle Phänomene gilt, daß sie sich weder mit den Mitteln der Physik noch mit denen der Psychologie erforschen lassen: „Die wirkliche F. verbleibt unter allen Erscheinungen wie unter einer Figur ihr Hintergrund sich fortsetzt, d. h. also nicht als gesehene oder gedachte Qualität, sondern in einer nichtsinnlichen Gegenwart.“ (Merleau-Ponty 1966, 354) Eine unausgearbeitete Perspektive für einen alternativen Weg in der Phänomenologie der F. findet sich in der Nachlaßschrift Über Dingfarbe und Dingfärbung von Reinach, welche auf das Jahr 1912/13 zurückgeht. Er schlägt vor, der F. eine „präsentative Funktion“ (Reinach 1989, 367) zuzusprechen, und zwar in der Weise, wie Kant dies in der transzendentalen Ästhetik für den → Raum getan hat: „Kant redet beim Raum von einer notwendigen Anschauungsform der Dinge. Dies ist aber noch viel leichter bei der Farbigkeit zu sehen. Dabei ist die Frage noch gar nicht, ob man Materie

Feld (Dinge) farblos vorstellen kann. F. hat jedenfalls etwas uns an die Dinge Hinweisendes. Denken wir an eine Konfiguration: Wäre sie ohne Farbigkeit möglich? Geometrische Gebilde sind nicht farbig, aber ohne Hilfe der Farbigkeit nicht vorzustellen.“ (ebd.) In der jüngeren Farbforschung wird darauf hingewiesen, daß zumindest Teile der Farbenlehre Goethes als eine Phänomenologie der F. avant la lettre gelesen werden sollten (s. Rehbock 1995). Qu.: Schapp 1910. – Merleau-Ponty 1945 (1966). – Reinach 1989, 365-367. – Lit.: Rehbock 1995. LW

Feld bezeichnet einen variabel begrenzten Erfahrungsbereich, der verschiedene Orte und Standpunkte zuläßt. Es unterscheidet sich damit vom antiken Kosmos, wo alles seinen definitiven Platz hat, wie auch von einem empiristischen Datengemenge, welches von leeren Anschauungsformen erst in irgendeine raumzeitliche Ordnung gebracht werden muß. Von der Mundanität bis zur Transzendentalität verwendet Husserl das Wort F. auf nahezu allen Arbeitsstufen der Phänomenologie. Das Erfahrungsfeld ist Ort von → Sinn und → Bedeutung, als „F. einer transzendentalen Erfahrung“ (Hua VII, 192) Bereich der Aufklärung der → Erfahrung über sich selbst. Seine begriffliche Prägung erhielt das F. jedoch nicht von Husserl, sondern – abgesehen von der Physik – durch die Gestalttheorie und deren Prinzip, daß die natürliche Organisation eines Erfahrungsfelds darin besteht, daß sich etwas von etwas anderem abhebt. (Köhler 1933) In den Sozialwissenschaften dient der Feldbegriff dazu, gerichtetes Verhalten und Handeln

Feld von Individuen und Gruppen der Erklärungsvormacht von Teleologie und Assoziationismus zu entziehen. (Lewin 1951) Erst nach der Rezeption der Gestalttheorie durch Gurwitsch wurde der Begriff F. in der Phänomenologie heimisch. Husserls Rede von einem „Bewußtseinsfeld“ (Hua VI, 110) wird bei Gurwitsch zum Programm. Sein Konzept eines non-egologischen Bewußtseins überschreitet jede noetische Aktphänomenologie, ein ichhaftes Bewußtsein kann für die Organisation des F.s nicht aufkommen. Das in der Erfahrung Gegebene wird stets als gestaltet und organisiert erfahren. Die autochthone Gesamtorganisation eines Bewußtseinsfelds besteht immer aus dem Zusammenhang von drei Elementen: dem Thema, das im Zentrum der Aufmerksamkeit des Subjekts steht; dem thematischen F., das die kopräsenten Gegebenheiten umfaßt, die als für das Thema sachlich relevant erfahren werden; dem Rand, an dem kopräsente, für das Thema jedoch irrelevante Gegebenheiten situiert sind. „In der Gliederung des Gesamtfelds in Thema, thematisches F. und Rand sehen wir eine formale Invariante aller Bewußtseinsfelder.“ (Gurwitsch 1975, 47) Variabel in dieser Invarianz sind die Inhalte, die jeweils als kohärentes Thema, als relevante Feldbestände und irrelevante Randerscheinungen zur Konkretion kommen. Da jede Feldorganisation gegen Alternativen durchgehalten wird, kann sie inhaltlich auch anders sein. Indem themenfähige Potentialitäten aktualisiert werden, strukturiert sich das Gesamtfeld hinsichtlich seiner drei Elemente um. Merleau-Pontys Phänomenologie der Leiblichkeit (→ Leib) bricht zwar mit Gurwitschs Bewußtseinsphilosophie, setzt aber die Tradition des Denkens im F. fort. Die

186 Rede von einem „F. der Phänomene“ (Merleau-Ponty 1966, 75) besagt im gestalttheoretischen Sinn, daß es einen spontanen Zusammenhang der Teile in der Erfahrung gibt. Das „Wirklichkeitsfeld“ (ebd., 135), welches sich von der leiblichen Orientierung her erschließt, ist von Möglichkeiten durchsetzt, die – das Handeln affizierend – auf eine Realisierung drängen. Die → Wirklichkeit stabilisiert sich in einem praktischen F., wenn das Handeln gewohnheitsmäßig bestimmten Möglichkeiten auf Dauer den Vorzug gibt. In Abgrenzung von Sartre und Hegel spricht Merleau-Ponty von einem „F. der Freiheit“ (ebd., 515), was bedeutet: „meine Möglichkeiten gliedern [sich] in nächste und ferne“ (ebd., 516). Freiheit ist die Transzendenz eines F.s zugunsten der Stiftung anderer Bezüge in einem neuen F. Zwei weitere Gesichtspunkte führt Waldenfels ein. Zunächst legen diskursive → Ordnungen fest, was in Rede- und Gesprächsfeldern gesagt und getan werden kann und was nicht. Auf Grund der Selektivität der Diskurse können ganze Möglichkeitsfelder ausgeschaltet werden. Sodann geht Waldenfels nicht nur von Möglichkeiten aus, sondern auch von → „Ansprüchen“, „die im Angebot von Möglichkeiten laut werden“ (Waldenfels 1994a, 355). Die Pluralität von Ansprüchen läßt ein F. zu einem „Anspruchsfeld“ (ebd.) mit einem beweglichen Relief werden. Im Unterschied zu Möglichkeiten geben Ansprüche etwas zu sagen und zu tun auf. Ansprüche sind mehr als motivierende Anreize und intersubjektive Anrechte, sie lassen sich durch keine Rede oder Tat definitiv erfüllen. Indem ein Handeln auf Ansprüche eingeht, bringt es immer auch andere zum Schweigen. Waldenfels betont damit → Ge-

187 walt und Konflikte, die jede Feldorganisation begleiten. Zu erwähnen ist schließlich noch Bourdieu, der die Phänomenologie mit dem Strukturalismus, dem Marxismus und der Soziologie von Elias zusammenbringt. Habitus, Kapital und F. sind dabei die Grundbegriffe. Ein F. ist ein relationales System von Unterschieden, von sozialen Positionen und Klassenzugehörigkeiten. Als Habitus bezeichnet Bourdieu inkorporierte Wahrnehmungs- und Wertungsschemata, die einen Zusammenhang zwischen dem stiften, was ein Akteur in Politik, Kultur, Freizeit etc. bevorzugt. Zudem formen die Schemata die Ausübungsweisen der entsprechenden Praktiken. Die Positionen von Akteuren im sozialen F. sind von diesen habituellen Dispositionen abhängig und von der Verfügungsgewalt über ökonomische, kulturelle, symbolische u. a. Kapitalien, welche durch die soziale Herkunft ererbt, im Beruf oder anderweitig erworben worden sind. Bourdieus Anliegen gilt dem Nachweis, daß die Positionen im sozialen Raum umkämpft sind, daß Akteure sich von anderen zu unterscheiden versuchen, indem sie etwas auf bestimmte Weise tun und damit zur Erhaltung oder Veränderung des sozialen Kraftf.s beitragen. Diese Auseinandersetzungen „bilden eine vergessene Dimension der Klassenkämpfe“ (Bourdieu 1982, 755). In zahlreichen Einzeluntersuchungen hat Bourdieu gezeigt, daß Politik, Bürokratie, Journalismus, die Universität, Literatur, Mode und Lebensstile gleichermaßen als autonome und als gesellschaftlich aufeinander bezogene F.er zu verstehen sind. (vgl. Bourdieu 1979 u. 1984; sowie Bourdieu/Wacquant 1996, 124 ff.) Qu.: Hua VI. – Hua VII. – Hua VIII. – Köhler 1933. – Lewin 1951 (1963). – Gur-

Fleisch witsch 1957 (1975). – Merleau-Ponty 1945 (1966). – Waldenfels 1994a. – Bourdieu 1979 (1982). – Bourdieu 1984 (1985). – Bourdieu 1992. – Bourdieu/Wacquant 1992 (1996). MWS

Ferne. Bei Heidegger findet sich eine zweifache Verwendung des Begriffs F. Einmal bestimmt er den Menschen als „Wesen der F.“ (HeiGA 9, 175), der in seiner Seinsweise immer schon über das Seiende hinaus das → Sein verstehen und sich darauf hin entwerfen kann (→ Transzendenz). Zum anderen beschreibt F. den Menschen im Zeitalter der → Technik, der bloß auf die Zustellbarkeit und den → Wert eines Seienden gerichtet und so durch eine Seinsferne (Seinsvergessenheit) gekennzeichnet ist. Dabei verschließt sich aber nicht nur der Mensch vor einer etwaigen Ankunft (→ Nähe) des Seins, sondern dieses selbst verbirgt und entzieht sich in seiner seinsgeschichtlichen Schickung. Qu.: HeiGA 9, 175, 332. – HeiGA 26, 285. MF

Fleisch. (frz.: chair) Der Begriff F., der sich als Bezeichnung für den Körper im Gegensatz zum Geist über Luther bis in den biblischen Sprachgebrauch (so etwa bei Paulus und im Judentum) zurückverfolgen läßt, dient in MerleauPontys Spätwerk zur Bezeichnung einer Seinsstruktur, durch die sich → Leib, → Welt und → Dinge als chiasmatisch miteinander verflochten erweisen (→ Chiasma). Nahmen seine früheren Schriften ihren Ausgang von einem in der Welt situierten leiblichen Subjekt, so vollzieht Merleau-Pontys Ontologie eine selbstkritische Wende dahingehend, daß die dem Subjektiven und Objektiven vorgängige Dimensi-

Fluß on nun in den Strukturen des → Seins selbst gesucht wird. Dabei bedeutet der Begriff des F.s, der sich – allerdings in unterschiedlicher Bedeutung – auch bei Sarte findet (vgl. Sartre 1994, 606, 607, 613), eine ontolog. Tiefendimension, die sich weder auf die Aspekte des Materiellen noch des Ideellen zurückführen läßt (Merleau-Ponty 1984, 190, 193, 199, 200, 202, 343), sondern diese Differenzierungen im Sinne einer „Sublimierung“ (ebd., 202) erst aus sich hervorbringt. In Merleau-Pontys Kennzeichnung des F.s als „Element“ (ebd., 184, 193) bekundet sich zwar einerseits eine gewisse Affinität sowohl zum vorsokratischen Denken (ebd., 183, 193) wie auch zum platonischen Begriff, jedoch verkörpert es für ihn kein starres An-sich, sondern ein immer neue Konfigurationen ausbildendes universelles „Milieu“. Der umgriffen-umgreifenden Struktur (ebd., 336, 277, 313 f.) des F.es eignet eine (immerzu bevorstehende, jedoch nie vollständig zu verwirklichende) „Reversibilität“ (ebd., 193), durch die Innen und Außen, Ich und Andere weder als radikale Gegensätze noch als alle Differenzen nivellierende Identitäten (ebd., 331), sondern als umeinander zirkulierende Momente innerhalb eines beide verbindenden „Gewebes“ erscheinen. Merleau-Pontys Ontologie des F.s verweist auf eine Reihe seinem Spätwerk inhärenter theologischen Implikationen, die u. a. in Begriffen wie „Offenbarung“, „Glaube“ oder „Schöpfung“ ihren Ausdruck finden. Qu.: Sartre 1943 (1994). – MerleauPonty 1960 (1984). – Merleau-Ponty 1964 (1986). – Lit.: Cataldi 1993. – Fabeck 1994, 139-166. – Frostholm 1978. – Herkert 1987. – Lefort 1990. – Métraux/Waldenfels 1986. TK

188 Fluß. Die Bewußtseinserlebnisse befinden sich in einem beständigen F. Die → Wahrnehmung ist im F. des → Bewußtseins und selbst ein steter F., indem sich das Wahrnehmungs-Jetzt in das Bewußtsein des soeben Vergangenen wandelt und zugleich ein neues → Jetzt aufleuchtet. Solche Erkenntnisse führen Husserl in die Zeitproblematik, auf deren außerordentliche Schwierigkeiten er in den Ideen allerdings nur hinweist. Mit deren Einbeziehung zeigt sich der F. als das absolute, aller → Konstitution vorausgehende Bewußtsein. Der F. ist nichts zeitlich Objektives und wird nur nach dem Konstituierten „F.“ genannt. Er ist die absolute Subjektivität, die ihre eigene → Einheit konstituiert. Merleau-Ponty gibt dem herakliteischen Gleichnis vom F. der Zeit die Pointe, damit sei dem F. schon ein Zeuge beigegeben, denn zu sagen, der F. ergieße sich, unterstelle ihm eine Individualität, die ihm als in der Natur vorfindliches Etwas nicht zukommt. Die Zeit ist kein realer Prozeß, sondern entspringt meinem Verhältnis zu den Dingen. Das Gleichnis des Flusses hat seine Berechtigung nicht darin, daß es das Verfließen veranschaulicht, wohl aber als Bild des gänzlich mit sich einigen Stromes, der von sich nie abweicht. Mit Husserl betont Merleau-Ponty die Selbstaffektion der Zeitlichkeit; alle unsere Reflexionen über einen F. gehen in den F. selbst ein. Qu.: Hua III/1, § 41. – Hua X, §§ 34-40 u. Nr. 53-54. – Merleau-Ponty 1945 (1966), 466-485. – Lit.: Held 1981. HV

Form. In den Logischen Untersuchungen betrachtet Husserl Aussagen vom Typ „E ist P (wo E als Anzeige eines Eigennamens stehen mag), ein S ist P,

189

Formalisierung

das S ist P, alle S sind P usw.“ (Hua XVIII A, 607) und kommt zum Ergebnis, daß diese aus „stofflichen Elementen“ (S, P) und „kategorialen F.en“ bestehen. Die F. liegt dabei „teils in der Weise der Aneinanderreihung, teils in eigenen Formworten, teils in der Bildungsweise des einzelnen Wortes [...]“ (ebd., 601). Als Formworte gibt Husserl hier „das, ein, einige, viele, wenige, zwei, ist, nicht, welches, und, oder usw.“ an. Als „Bildungsformen“ der Worte führt er „die substantivische und adjektivische, singulare und plurale“ (edb.) an. Jedes „Gemeinte“ strebt nach „originärer“ → „Erfüllung“; zwar ist diese für die „stofflichen Elemente“ durchaus möglich, doch wie die F. direkte Erfüllung erlangen könne, ist fraglich. „Es ist nun leicht zu sehen, daß ausschließlich an den durch Buchstabensymbole angezeigten Stellen solcher ,Urteilsformen‘ Bedeutungen stehen können, die sich in der Wahrnehmung selbst erfüllen, während es für die ergänzenden Formbedeutungen aussichtslos, ja grundverkehrt wäre, in der Wahrnehmung direkt das zu suchen, was ihnen Erfüllung zu geben vermag.“ (edb., 607) Dieses Problem löst Husserl durch sein Konzept einer „kategorialen Anschauung“ (→ kategoriale Form), die es ermöglicht, auch die F. „wahrzunehmen“. Qu.: Hua XVIII.

MW

Form, kategoriale. Husserl unterscheidet in → Aussagen und den durch sie ausgesagten Gegenständlichkeiten die stofflichen Elemente, die in schlichter → Anschauung → Erfüllung finden, von der k. F. (syntaktischen Form), die durch das → Urteilen erst hervorgebracht wird (vgl. Hua XIX/2, 664; Hua XVII, 115).

K. F.en haben den „Doppelsinn“ von „fundierten Aktcharaktere[n], welche den Akten schlichter oder selbst schon fundierter Anschauung Form geben“, und von, „im zweiten, im gegenständlichen Sinn“, in neuer Weise gefaßten und verknüpften → Gegenständen (Hua XIX/2, 714). Dabei bleiben die primären Gegenstände schlichter Anschauung unberührt. Das Ergebnis des kategorialen → Aktes ist ein neuer, nun kategorial geformter Gegenstand, der nur in einem solchen fundierten Akt gegeben sein kann (vgl. Hua XIX/2, 715). Die kategorial geformte Gegenständlichkeit ist somit ein ontolog. Begriff (vgl. Hua XVII, 151). Obwohl eine k. F. einem bestimmten Anschauungsinhalt nicht notwendig zugeordnet ist, ist die Freiheit dieser Zuordnung durch die relevanten regionalen und logischen → Kategorien begrenzt (vgl. Hua XIX/2, 716-720). Die k. F. ist phänomenolog. „unselbständig“, da sie immer auf das durch sie geformte Substrat verweist (Hua III/1, 34). Doch obwohl sie vom stofflichen Inhalt verschieden ist, gehört sie (wie dieser) zum Gegenstand als eben seine k. F. (Hua XIX/2, 703). Qu.: Hua III/1. – Hua XVII. – Hua XIX/2. – JJ

Formalisierung ist für Husserl „jene der Logik eigentümliche Verallgemeinerung [...] in der alle sachhaltigen Wasgehalte der Begriffe [...] in Indeterminanten verwandelt werden, in Modi des leeren ,Etwas-überhaupt‘ “ (Hua XVII, 96). In den Ideen zu einer reinen Phänomenologie bezeichnet Husserl die F. als „Verallgemeinerung von Sachhaltigem in das reinlogisch Formale“ und betont, daß die „formale Allgemeinheit eines reinlogischen We-

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Formalismus sens“ nicht mit einer „Wesensgattung“ verwechselt werden dürfe. (Hua III/1, 31) „Man wird vielmehr alle formalontolog. Kategorien als eidetische Singularität bezeichnen müssen, die ihre oberste Gattung im Wesen ,formalontolog. Kategorie-überhaupt‘ haben.“ (edb.) Qu.: Hua III/1. – Hua XVII.

MW

Formalismus. Den Begriff „F.“ gebraucht Scheler in Auseinandersetzung mit Kants Ethik, der er eine „phänomenolog. Erfahrung“ abspricht. Demgegenüber soll eine materiale → Ethik begründet werden, die gleichwohl dem Anspruch genügt, a priori zu sein. Apriorische Gehalte (→ Apriori) sind in einem Verfahren zu ermitteln, bei dem versucht wird, durch phantasierte Beobachtungen Zusammenhänge herzustellen, bis der Versuch auf solche stößt, die anders nicht gedacht werden können und also Wesenszusammenhänge sind. Solche Gehalte sind allerdings nur aufweisbar, nicht streng beweisbar. Solche apriorischen → Evidenzen dürfen nicht mit dem Formalen verwechselt werden, ebensowenig wie der Gegensatz „a priori / a posteriori“ mit „formal / material“ zu parallelisieren ist. So gibt es innerhalb des Apriorischen sowohl Formales (z. B. die Sätze der reinen Logik) als auch Materiales (z. B. die apriorischen Zusammenhänge zwischen → Werten und Wertträgern). Die Gleichsetzung von „a priori“ und „formal“ ist ein Grundirrtum des ethischen F., der bei Kant die entschiedendste Ausprägung erfahren hat. Ein weiterer Irrtum beruht auf der Identifizierung des Apriorischen mit dem Rationalen bei Ausschluß des Emotionalen (→ Emotion) (Fühlen, Vorziehen, Lieben und

Hassen des Geistes) und des → Wollens, die ihren eigenen apriorischen Gehalt besitzen, der nicht aus der Ratio abzuleiten ist. Qu.: ScheGW 2, Erster Teil, II. – Lit.: Bermes u. a. 2000. HV

Frage, fragen. Das echte F. ist nach Reinach ein „sozialer Akt“ (Reinach 1989, 163), bei dem im Unterschied zu Scheinfragen der in F. gestellte Sachverhalt „objektiv zweifelhaft“ ist (ebd., 245). Der Fragevollzug entspringt einer entsprechenden Haltung. „Die Fragehaltung ist das Grundphänomen; von ihr hätte eine Phänomenologie der F. ihren Ausgang zu nehmen“ (ebd., 282). Sie „bedeutet etwas Letztes und nicht weiter Zurückführbares, etwas, dessen Definition nicht nur unmöglich ist, sondern auch zwecklos wäre“ (ebd., 281). Sie ist nicht zu verwechseln mit der „stellungnehmenden Vermutung oder dem stellungnehmenden Zweifel, in die sie eventuell einmündet, mit der Ungewißheit, der sie entspringt, oder mit der Fassungslosigkeit, die in ihr bereits überwunden ist“ (ebd., 282). Die Fragehaltung ist auf das Hören der endgültigen Antwort ausgerichtet, ihr „ist die Tendenz wesentlich, zu einer ,Einsicht‘ zu gelangen“, in der sie ihre Erfüllung findet (ebd.). Bei der theoretischen Fragehaltung soll „das Sein oder Nichtsein eines Sachverhaltes [...] erschaut werden“ (ebd., 291). Die praktische Fragehaltung ist einer Realisierungsforderung oder einem Realisierungsverbot geöffnet, sie öffnet sich nicht einer „Einsicht in ein So-oder-So-Sein, auf Grund dessen dann die Fragehaltung überginge in eine Überzeugung, sondern es ist die Einsicht in ein Tunsollen, das Vernehmen der ,Forderung‘

191 eines eigenen Verhaltens, auf Grund dessen dann die Fragehaltung übergeht in die Vorsetzung eben dieses Verhaltens.“ (ebd., 291) Heidegger bestimmt das F. in Sein und Zeit als Suchen: „Jedes F. ist ein Suchen. Jedes Suchen hat sein vorgängiges Geleit aus dem Gesuchten her. F. ist erkennendes Suchen des Seienden in seinem Daß- und Sosein.“ (HeiGA 2, 7). Jedes F. hat sein Gefragtes (es wird nach etwas gefragt) und ist ein Anfragen bei (es hat sein Befragtes). Nach dem Gefragten wird nicht irgendwie gesucht, sondern in der „untersuchenden, d. h. spezifisch theoret. F. soll das Gefragte bestimmt und zu Begriff gebracht werden. Im Gefragten liegt dann als das eigentlich Intendierte das Erfragte, das, wobei das Fragen ins Ziel kommt“ (edb.). Das F. selbst ist ein „Verhalten eines Seienden, des Fragers“ (edb.). Im Unterschied zu einem Nur-so-hin-Fragen liegt das Eigentümliche einer expliziten Fragestellung darin, „daß das F. sich zuvor nach all den genannten konstitutiven Charakteren der F. selbst durchsichtig wird“ (edb.). Darin deutet sich der später relevant werdende Unterschied von Leit- und Grundfrage an. So ist bei der Seinsfrage das „Gefragte [...] das Sein, das, was Seiendes als Seiendes bestimmt, das, woraufhin Seiendes, mag es wie immer erörtert werden, je schon verstanden ist“ (edb., 8), und das Erfragte „der Sinn von Sein“ (edb.), das, von woher → Sein verstanden wird, d. i. der „Entwurfsbereich“, oder die → „Offenheit“, die „Wahrheit des Seins“ (HeiGA 9, 201). Das Befragte ist das Seiende selbst, genauer dasjenige Seiende, dessen Sein durch das Seinsverständnis bestimmt ist, d. i. dessen → Wesen die „Stätte der Seinseröffnung“ (HeiGA 40, 214)

Frage, fragen ist – das → Dasein. Die Seinsfrage besitzt einen ontolog. und ontischen Vorrang. Ihr ontolog. Vorrang liegt darin, daß sie nicht nur auf die apriorischen Möglichkeitsbedingungen der → Wissenschaften, „sondern auf die Bedingung der Möglichkeit der vor den ontischen Wissenschaften liegenden und sie fundierenden Ontologien selbst“ zielt (HeiGA 2, 15). Sie ist ontisch vorgängig, weil sich eine zureichend fundierte ontolog. Problematik nur unter der Voraussetzung in Angriff nehmen läßt, wenn das F. als eine Seinsmöglichkeit des Daseins ergriffen wird (edb., 18). Hinsichtlich der Art der Frageexposition ist die Leitfrage und Grundfrage zu unterscheiden. Die abendländische → Metaphysik kennt wohl die F.: Was ist das Seiende. Dies ist ihre Leitfrage. Nicht aber stellt sie die Grundfrage: „Die Grundfrage als die eigentlich gründende, als die F. nach dem Wesen des Seins.“ (HeiGA 6.1, 2) Die Grundfrage „ist die F. nach dem ,Sinn des Seins‘, nicht nur nach dem Sein des Seienden; und ,Sinn‘ ist dabei genau in seinem Begriff umgrenzt als dasjenige, von woher und auf Grund wovon das Sein überhaupt als solches offenbar werden und in die Wahrheit kommen kann.“ (edb., 15 f.) Das F. wird von der Antwort nicht abgeschlossen, denn jede Antwort „bleibt nur solange als Antwort in Kraft, solange sie im Fragen verwurzelt ist“ (HeiGA 5, 58). „Die Antwort ist nur der allerletzte Schritt des F.s selbst, und eine Antwort, die das Fragen verabschiedet, vernichtet sich selbst als Antwort und vermag so kein Wissen zu begründen, sie zeitigt und verfestigt nur das bloße Meinen“ (HeiGA 6.1, 410 f.). Beachtet man die Bedeutung von ,fromm‘ d. i. „fügsam, hier

Frage, fragen nämlich dem, was das Denken zu denken hat“, kann zwar gesagt werden, das F. ist die „Frömmigkeit des Denkens“ (HeiGA 12, 165). Weil aber damit noch nicht deutlich zum Ausdruck gebracht wird, daß sich jedes F. „schon innerhalb der Zusage dessen ,aufhält‘, was in die F. gestellt wird“ (edb.), ist vielmehr zu sagen, „daß die eigentliche Gebärde des Denkens nicht das F. sein kann, sondern das Hören der Zusage dessen sein muß, wobei alles F. dann erst anfragt, indem es dem Wesen nachfragt“ (edb). Patoˇcka versteht Fraglichkeit als Geschichtlichkeit und diese von der Verborgenheit her: „Eine Welt ohne Fraglichkeit ist eine Welt, in der die Verborgenheit als solche nicht erfahren ist“ (Patoˇcka 1988, 35). Diese Erfahrung ist eine „Erfahrung des Übergangs, des Aufgehens des Seienden als Phänomen aus dem Dunkel ins Offene, in dem sich das selbst zeigt, was sich vom Seienden zeigen läßt“ (ebd.). Fraglosigkeit besagt problemlose Akzeptanz traditionell vorgegebenen Sinns. „Die Welt vor der Fraglichkeit ist zugleich die Welt des gegebenen, des zwar bescheidenen, aber zuverlässigen Sinnes. Sie hat Sinn, d. h. Verständlichkeit dadurch, daß es Mächte, Dämonisches, Götter gibt, die über dem Menschen stehen, ihn beherrschen und über ihn entscheiden“ (ebd., 35). In einer fraglosen Welt „kann der Mensch zwar auf Geister, Dämonen und andere geheimnisvolle Wesen treffen, doch das Geheimnis der Erscheinung als solcher kann ihm nicht aufgehen. Der grundlegende Entwurf eines solchen NaturDa-Seins ist es, in diesem unproblematischen Sinne auf der Welt zu existieren.“ (ebd.) In der fraglosen, d. i. vor-geschichtlichen Welt (nicht zu verwechseln mit einer ungeschichtlichen

192 Welt) führt der Mensch ein „ständig bedrohtes und dem Tod geweihtes Leben, das einer Arbeit gewidmet ist, die dem ununterbrochenen Abwenden dieser Bedrohung gilt, die schließlich aber immer wieder den Sieg davonträgt“ (ebd., 39). Diese Welt ist eine natürliche Welt, „weil die Gesellschaft das, womit sie erfüllt ist, einfach als etwas Gegebenes akzeptiert, hinnimmt als das, was sich selbst zeigt“ (ebd., 48), sich ihr aber nicht enthüllt, „was bewirkt, daß dies alles erscheint und sich zeigt [...]. Zu enthüllen, was sich derart im Zeigen verbirgt, das bedeutet: die F., das Fragliche zu entdecken; nicht die eine oder andere F., sondern die Fraglichkeit schlechthin, die Fraglichkeit des Universums und des streng darin eingeordneten Lebens“ (ebd., 48 f.). Daß ein und dasselbe Seiende uns einmal als sinnlos und einmal als sinnvoll erscheint, enthüllt die „Fraglichkeit jedes Sinns“ (ebd., 82). Sie liegt darin, daß → Sinn nie „ein für alle Mal ans Licht zu bringen“ ist, sondern von einer Dunkelheit durchstimmt ist, der wir „zwar ausweichen, aber die wir nie loswerden können“ (ebd., 82 f.). Der Übergang von Fraglosigkeit (Vor-Geschichtlichkeit) zur Fraglichkeit (Geschichtlichkeit) bedeutet Übernahme der eigenen → Verantwortung und damit Aufbruch in Freiheit, Autonomie. Religion ist zwar „absoluter Sinn, freilich in Bezug auf den Menschen exzentrisch. Daraus ergibt sich aber für ihn ein Sinn, der praktisch doch wieder das Leben um des Lebens willen zum Inhalt hat, und das bedeutet – mit Kant gesprochen – Heteronomie“ (ebd., 166 f.). Erst mit der Fraglichkeit eröffnet sich die „Perspektive auf einen absoluten, und doch nicht in Bezug auf den Menschen exzentrischen Sinn un-

193 ter der Voraussetzung, daß der Mensch bereit ist, auf das unmittelbare Gegebensein des Sinnes zu verzichten und sich den Sinn als Weg zu eigen zu machen“ (ebd., 103). Das radikal Neue eines Lebens aus der Fraglichkeit liegt für Patoˇcka darin, daß „erst hier ausdrücklich die Freiheit als andere, eigene, vom geläufigen und akzeptierten Sinn unterschiedene und ausdrücklich zu vollziehende, von uns durchzuführende, niemals nur übernommene Möglichkeit entdeckt“ wird (ebd., 168). → Politik bedeutet Handeln aus Freiheit und für Freiheit. Darin liegt ihre „ausgezeichnete Stellung“ (ebd.), womit die Politik in eine ganz andere Nähe zur Philosophie gerät, „als sie Religion und Kunst haben“ (ebd., 169). Geistiges Leben ist grundsätzlich → „Erschütterung“ (ebd.). Diese wird „in der Religion geahnt, in der Poesie und Kunst überhaupt geschildert und abgebildet, in der Politik in die Lebenspraxis umgesetzt und in der Philosophie begreifend, durch den Begriff, ergriffen“ (ebd.). Freilich: Als „radikale Frage nach dem Sinn [...] ist jedoch die Philosophie nur in der abendländischen Linie weitergetrieben worden“ (ebd.). Waldenfels geht es um die Fraglichkeit des F.s selbst, die zunächst vom Fraglosen „außerhalb des Fraglichen“ und „im F. selbst“ abgehoben wird. Dabei sind die „Präsuppositionen“, d. i. die in die sprachlichen Äußerungen eingebauten „Vorannahmen und Voraussetzungen“ von besonderer Bedeutung (Waldenfels 1994a, 147). 1. Versteht sich das F. als Suchen, d. i. als „Wissensstreben“ und dementsprechend die Antwort als „Erfüllung eines solchen Strebens“ (ebd., 154), wird die Fraglichkeit als „Wissensmangel“ angesetzt und von einem „Wissens-

Frage, fragen ziel“ her gedacht, in dessen Erreichung der Sinn von „Wahrheit“ liegt (ebd., 155). Die Fraglichkeit besteht nur für uns, nicht aber schlechthin (ebd., 157). Ein F., das „mit einer Fraglosigkeit an sich rechnet“ (ebd., 157) ist im Grunde ein „überpersönliches F.“, bei dem es „auf die Person des Fragenden und Mitfragenden nicht ankommt“ (ebd., 158). 2. Beim F. als „Aufforderung zur Wissensvermittlung“ (ebd., 161) tritt die Sachfrage in den Hinterund die Anfrage in den Vordergrund. Die F. wird „primär als Wissensfrage, die Antwort primär als Auskunft gedacht“ (ebd., 163). Dieser Fragemodus betrachtet die Fraglichkeit ebenfalls noch als „Mangel“, wenngleich in Form der „Hilfsbedürftigkeit“ (ebd., 165), womit sich jene auf eine „Fraglichkeit für mich“ reduziert (ebd., 166). In der F. geht es um die Erfüllung von „Geltungsansprüchen“ (ebd., 168). In beiden Formen bildet das Fragen das Durchgangsstadium zwischen zwei Fraglosigkeiten. 3. Beim F. im Sinne des Sich-stellens von F. wandelt sich das Ziel: „Die F. vollendet sich nicht im Wissen, da dieses selbst aus der Frage erwächst“ (ebd., 173). In ihr manifestiert sich ein „fragendes Denken“ (ebd.). Die Fraglichkeit wird als „Überfluß an Möglichkeiten“ verstanden, sie steht nicht mehr im Gegensatz zu einer Fraglosigkeit, sondern radikalisiert sich zur Fraglichkeit an sich. Eine Frageradikalität allerdings, die sich selbst umfaßt, gerät in das „Dilemma einer reinen F.“ (ebd., 184): „Ist das F. ein Erstes, dann ist es nicht fraglich, ist es fraglich, dann ist es kein Erstes“ (ebd., 185). Das F. wird es selbst, wenn es „von einem anderen her gedacht wird – als Anspruch, der uns in F. stellt und auf den zu antworten ist“ (ebd., 186). Der Ausgang von der Antwort vermei-

Frau det einen Primat sowohl der F. als auch der Antwort. Denn jetzt erwächst das Antworten „aus einem fremden Anspruch, auf den ich [...] zu antworten habe“ (ebd., 193), so daß selbst das F. „in diesem Sinne noch ein Antworten“ ist (ebd.). Qu.: Reinach 1989. – HeiGA 2 – Patoˇcka 1988. – Waldenfels 1994a. – Lit.: Pöltner 1972. – Rombach 1952, 139-236. – Wiplinger 1962, 335-356. GP

Frau. → Geschlechtlichkeit Freiheit. „F. ist ein Ausdruck für das Vermögen und vor allem für den erworbenen Habitus kritischer Stellungnahme zu dem, was sich, zunächst reflexionslos, als wahr, als wertvoll, als praktisch seinsollend bewußtseinsmäßig gibt, und zwar als Grundlage für das daraufhin sich vollziehende freie Entscheiden.“ (Hua XXVII, 63) F. besteht für Husserl demnach in der → Autonomie der → Vernunft eines personalen Subjektes, sofern dieses nicht fremden Einflüssen nachgibt, sondern aus sich selbst entscheidet. Entscheidungen fallen nur zwischen praktischen Möglichkeiten, diese beruhen im Bewußtsein eines „Ich kann“. Es gibt Mischungen, wenn das Ich einen → Akt nicht aus originaler F. vollzieht, sondern teilweise der gewohnheitsmäßigen Neigung folgt. Ganz frei sein heißt, nicht passiv motiviert zu sein, rein den Vernunftmotiven zu folgen. Die eigene F. ist Voraussetzung, daß ein Mensch zur Vernunft kommt und sich und seine Umwelt vernünftig gestalten kann. Scheler hat seine Absicht, das Freiheitsproblem in der materialen Wertethik zu behandeln, nur ansatzweise umgesetzt, größere Abschnitte finden sich im Nachlaß. Ein Verstehen von F.

194 ist nur dem Willensleben, niemals bloß theoretischer Betrachtung zugänglich. Die Idee der F. hat ihre Wurzel im Erlebnis des Könnens, einem unmittelbaren Freiheitsbewußtsein. Frei ist ein Handeln, „das auf Grund des Willens erfolgt, dessen Projekte einen ihren Beweggründen gemäßen Sinnzusammenhang besitzen“ (ScheGW 10, 167). Scheler unterscheidet die F. des Wollenkönnens (die Wahlmöglichkeit angesichts einer Mehrzahl von Motiven), die F. des Tunkönnens (das tun zu können, was man will) und die F. des Tuns selbst. Heidegger bestimmt in Sein und Zeit die F. als → Möglichkeit des → Daseins für das eigenste Seinkönnen. Vor diese Möglichkeit wird das Dasein zunächst in der → Angst gestellt, es vollzieht jene im → Vorlaufen zum Tod. In der F. zum → Tod wird das Dasein es selbst. Es empfängt daraus sein Ziel, und die → Existenz wird vor ihre Endlichkeit gebracht, d. h. in die „Einfachheit seines Schicksals“ (HeiGA 2, 507). Nach der → Kehre thematisiert Heidegger die F. als → Grund der Möglichkeit des Daseins nun weiter als Grund der Ermöglichung des Seinsverständnisses. In dieser Umkehrung ist die F. keine Eigenschaft des Menschen, sondern der Mensch eine Möglichkeit der F. Die in diesem Zusammenhang geführte Auseinandersetzung mit Kant (dritte Antinomie und praktische Realität der F.) führt zum Ergebnis, dieser habe die F. unter die leitende Bestimmung der Kausalität gebracht, ohne diese selbst weiter zum Problem zu machen. F. ist für Heidegger dagegen die Bedingung der Möglichkeit, daß → Sein von Seiendem offenbar wird; eine Seinsbestimmung unter anderen ist nun die Kausalität; diese gründet daher in der F. Die Fra-

195 ge nach dieser ist kein philosoph. Sonderproblem, sondern eine Grundfrage der Philosophie. Als Befreier (der Gefesselten in Platons Höhlengleichnis) setzt sich der Philosoph dem Tod aus, allerdings nicht nur dem leiblichen Tod wie Sokrates, sondern zuvor noch dem ständigen Vor-sich-Haben des Todes in seinem Dasein. Im Umkreis der Beiträge zur Philosophie bestimmt Heidegger die F. als „die Zugehörigkeit in das Wesen des Seyns“ (HeiGA 69, 170). Für Sartre ist der Mensch „zur F. verdammt“. Er kann wählen und tut dies ständig, aber kann nicht wählen, ob er frei sein möchte, weil er sich immer von neuem durch den → Entwurf bestimmt. Einmal in die Welt geworfen, ist er für alles, was er tut, verantwortlich. Er sieht sich in ein Feld von Möglichkeiten – seine Situation – versetzt und transzendiert dieses zugleich. Weil sein → Sein durch F. bestimmt ist, unterscheidet er sich von allem übrigen Seienden. Der „existenzialistischen“ These Sartres zufolge geht die → Existenz der Essenz voraus, was bedeutet, daß es kein von vornherein feststehendes Wesen (keine essentia) des Menschen gibt, sondern dieser sich seine Wirklichkeit (seine existentia) erfindet. Er ist „nichts anderes als wozu er sich macht“ (Sartre 1960, 11). Die F. hat allerdings Grenzen. Diese liegen in der F. des Für-sich als Begrenztheit seiner Wahl und in der Tatsache, daß der → Andere das Für-sich als ObjektAnderen erfaßt, woraus weiters folgt, daß dieser nicht mehr in seiner Situation, sondern als objektive Struktur vorhanden ist. F. kann aber nur durch F. (der eigenen, des Anderen) begrenzt werden. Arendts Diskussion philosoph. Freiheitsentwürfe kommt zum Ergebnis, daß diese von Menschen stammen, die

Freiheit sich dem theoretischen Wissen verpflichtet wissen und deshalb dazu neigen, die Verhältnisse ihrer Welt hinzunehmen und diese zu interpretieren, statt zu verändern. Sie geht von der philosoph. zur politischen F. über, weil jene (die Willensfreiheit) nur für einsame Individuen außerhalb der politischen Gemeinschaft von Bedeutung ist. Die philosoph. F. ist Sache eines „Ich will“, die politische dagegen eines „Ich kann“. Dieses kann sich nur in einer Pluralität entfalten, durch ein Wir, das die Welt verändert. Dieses Wir versteht Arendt als eine genuine Form (erste Gestalt ist die Familie) und nicht als Erweiterung privater IchDu-Verhältnisse. Wir sind durch unsere → Geburt zur F. „verurteilt“, diese zu vollziehen erfordert Urteilskraft. Levinas widerspricht Sartres These, die Existenz sei zur F. „verdammt“. Sie ist vielmehr als F. eingesetzt, und diese Einsetzung ist das moralische Leben, „durch und durch Heteronomie“ (Levinas 1983, 204). Das Primäre ist nicht die F. der Person, sondern die Beanspruchung von deren F. durch den → Anderen, der sie in Frage stellt. Levinas spricht deshalb von einer „eingesetzten“ F. (liberté investie) im Empfangen des Anderen. Dieser Empfang geschieht im Bewußtsein der eigenen Ungerechtigkeit, es ist „die Scham der F. über sich selbst“ (Levinas 1987, 119). Für Merleau-Ponty ist die Alternative „F. oder Determination“ falsch, eine Produkt objektiven Denkens und reflexiver Analyse. Es gibt keine absolute F., weil diese immer schon situiert ist. Wir sind „in unentwirrbarer Konfusion“ der Welt und den Anderen „beigemischt“ (Merleau-Ponty 1966, 516), ein bestimmter Stil der → Existenz ist zudem mitbestimmend für Denken

Fremder und Handeln. F. besteht nicht trotz solcher Vorgegebenheiten, sondern vermittels ihrer, in entschlossener Übernahme der eigenen, zufälligen Existenz. Dies kann kein einsamer Anfang aus dem Nichts sein, sondern geschieht in Zugehörigkeit zu Anderen in der jeweiligen Weise seines → „zurWelt-seins“ noch vor aller → Reflexion (die „Klasse“ geht dem „Klassenbewußtsein“ voraus). F. ist somit stets bedingte F. Rombach versteht seine Strukturontologie als eine Phänomenologie der F. Mit F. bezeichnet er eine Kreativität, aus der Neues hervorgeht, die den „Durchbruch in einen eigenen Freiheitsraum“ bedeutet (Rombach 1971, 129). Dies setzt Strukturprozesse voraus, in denen der Gang des Geistes deshalb frei ist, weil sie auch zu anderen Konsequenzen führen können, ohne daß die Inhalte verändert würden. Alle Kriterien der Struktur (wie Neuheit, Lebendigkeit und eben Kreativität) haben die F. als erstes ihnen vorausgehendes Kriterium. Diese ist immer F. im Mitsein, und sie kann nur dauerhaft sein, wenn die politische und gesellschaftlich-rechtliche Situation frei ist. Auch ist F. nicht einfach festzustellen: „Man ist nicht frei aus dem Stand.“ (Rombach 1993, 219, 221) F. ist Resultat der Arbeit des Einzelnen an sich und seiner konkreten Lebenswirklichkeit. An die Stelle der Idee der F. setzt Rombach die Analyse konkreter Situationen, in denen sich F. in Situationskriterien wie Lebendigkeit, Offenheit, Lichterfülltheit, Konsequenz und Konkreativität bewährt. Sie bleibt nur solange, als die schöpferische Genese andauert. Qu.: Hua IV, § 60 und Beilage XII, § 3. – ScheGW 10, 155-177. – HeiGA 2, §§ 4041, 53, 74. – HeiGA 31. – HeiGA 34, §§ 7-

196 8, 10-11. – Sartre 1943 (1952), IV. Teil, I. Kap. – Arendt 1978b (1979b) – Levinas 1961 (1987), 116-125, 438-442. – Levinas 1949 (1983), Nr. 5. – Rombach 1971. – Rombach 1993. HV

Fremd(er, e, es). Der Begriff des F.en ist nicht einfach mit dem des → Anderen zu identifizieren. Das F. steht im Gegensatz zum Eigenen, während das Andere mit dem Ausdruck „dasselbe“ kontrastiert. Darüber hinaus ist der Begriff zwischen „das F.e“ und „der bzw. die F.e“ aufgespalten. Husserl stellt sich dem Problem des F.en, insofern dieses für ihn das Unzugängliche und das Unzugehörige ist (Waldenfels 1995, 55), und versucht, die Fremderfahrung vom Eigenen her zu fassen. Das F.e ist „nur denkbar als Analogon von Eigenheitlichem“ (Hua I, 144). In der Fremdwahrnehmung geht es um eine „Art bewährbarer Zugänglichkeit des original Unzugänglichen“ (edb.). Das bedeutet, daß durch → Assoziation zum eigenen Leibbewußtsein in der → Wahrnehmung ein f.er → Körper gegeben ist, zu dem das → Ich den Leibcharakter „appräsentiert“. Durch diese Mitgegenwart wird im eigenen ein fremdes Ich konstituiert. Husserl nennt dieses auf der → Appräsentation basierende Transzendieren der eigenen lebendigen → Gegenwart auf das fremde Ich hin → „Einfühlung“. Scheler lehnt Einfühlung (im herkömmlichen Sinn verstanden) und den Analogieschluß als Erklärung für Fremdwahrnehmung ab. Für ihn setzt „Fremdichwissen“ zwar das „am eigenen Ich gewonnene Ichbewußtsein“, nicht aber Selbstbewußtsein voraus (ScheGW 7, 213). Die unmittelbare Erfassung des fremden Menschen ist möglich, weil die innere → Anschauung sowohl das Ich als auch das

197 Erleben des oder der anderen umfaßt. Eigenes und F.es werden nämlich erst, wenn sie ins Bewußtsein kommen, im selben Akt aus dem vorgängigen indifferenten Strom von Erlebnissen geschieden. Das „Erleben der Mitmenschen“ wird „genau so unmittelbar (und mittelbar)“ erfaßt wie das eigene (edb., 250). In Polarität zur → Heimat sieht Patoˇcka den Begriff des F.en als die F.e, die er mit dem Ausdruck „Ferne“ zusammenbringt. Die F.e ist „potentieller Hintergrund“ der heimischen Welt (Patoˇcka 1990, 138). F.es kann nur dann in die Apperzeption einbezogen werden, wenn es sich „im Hintergrund schon immer ereignet“ hat (Pato cˇ ka 1991, 201). So hängt die Unverständlichkeit des F.en von einem Verstehen ab, das sich am Kontrast entzündet. Für Levinas ist der andere Mensch so als F.er gedacht, daß es keine gemeinsame Zeit zwischen ihm und dem Ich gibt. Die Konfrontation durch den oder die F.e(n) von jenseits der eigenen Zeit versetzt das Ich in → Verantwortung für diesen bzw. diese. Der fremde Mensch ist der → absolut → Andere, der die Reflexionsidentität zerstört, so daß das Ich sich selbst f. wird. Gegen die absolute Fremdheit bei Levinas betont Ricœur eine „überkreuzte Dialektik“ zwischen sich selbst und dem oder der Anderen, die dem Ich das Verständnis und die Annahme des ethischen Appells erst ermöglicht (Ricœur 1996, 382 ff.). Waldenfels nimmt mit Bezug auf Elias und Merleau-Ponty den Begriff der Verflechtung zwischen Eigenem und F.em wieder auf, den er als „Abhebung“ oder „Abweichung“ versteht. Diese sind nicht ohne das radikal F.e zu denken und verhindern den Ausgleich zwischen Eigenem und F.em.

Frieden Qu.: Hua I. – Hua III/1. – Hua III/2. – Hua IV. – Hua V. – Hua XIII. – Hua XIV. – Hua XV. – ScheGW 7. – Schütz 1972, 53-69. – Patoˇcka 1990. – Patoˇcka 1991. – Levinas 1974 (1992). – Levinas 1972 (1989). – Ricœur 1990 (1996). – Waldenfels 1990. – Waldenfels 1997. – Waldenfels 1998. – Waldenfels 1999. – Lit.: Esterbauer 1998. – Mesotes 4/1994. – Michalski 1997. – Sommer 1984, 3-18. – Waldenfels 1995, 51-68. RE

Frieden. Begriff und Sache des F.s haben im Werk Arendts eine zweitrangige Bedeutung. Der Frage des F.s widmet sich Arendt in zeitdiagnostischen Überlegungen, die dem Nahen Osten gelten (Arendt 1991) oder dem weltweiten Rüstungswettlauf der Nachkriegszeit. Diesbezüglich heißt es, daß „wir in einem F. leben, in dem nichts ungeschehen bleiben darf, um einen Krieg immerhin noch möglich zu machen“ (Arendt 1993, 133). Neben solch eher ironischen Bemerkungen ist der F. weiterhin ein Thema in der Lektüre von Kants dritter Kritik, die Arendt am Leitfaden des Begriffs vom → Gemeinsinn für eine politische Philosophie nutzbar macht. Ausgehend von der Dichotomie zwischen dem Betrachten der Geschichte und dem Handeln in der Geschichte ist Kant zu der Ansicht gelangt, daß die Überwindung von → Krieg und die Herbeiführung von F. eine Pflicht sei. Das schließe jedoch nicht aus, daß der Krieg ein Motor der Entfaltung aller kulturschaffenden Talente des Menschen sei. Krieg führe zu „Fortschritt in Richtung F.“ (Arendt 1985, 75). Der Fortschritt besteht darin, daß Rechtsgesetze „Freiheit und F.“ (ebd., 80) in den Staaten der Welt und in deren Beziehungen untereinander, stabilisieren. Auch in Arendts eigener Philosophie schillert

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Fuge die Bedeutung des F.s. „F.“ ist Gegensatz des Krieges oder das dem „Kriege inhärente Ziel“ (Arendt 1963, 15), wie es bereits bei Aristoteles heißt. Die gesamte Frage des F.s ordnet Arendt der verfassungsmäßigen → Konstitution öffentlicher Freiheit unter, die sie anhand der Gründung der USA beschreibt. Dieses von ihr als Glanzlicht der Menschheitsgeschichte bezeichnete Ereignis belegt, daß „F.“ nicht „der Stillstand ist, der auch Tod genannt werden könnte“ (Arendt 1985, 72). Qu.: Arendt (1950) 1991, 39-75. – Arendt 1963 (1963). – Arendt 1982 (1985). – Arendt 1993. MWS

Fuge bezeichnet das innere Ordnungsgefüge von Heideggers Beiträgen zur Philosophie als die Gegliedertheit und Einheit ihrer sechs Fügungen (die selbst mitunter F.n genannt werden): Der Anklang – Das Zuspiel – Der Sprung – Die Gründung – Die Zukünftigen – Der letzte Gott. Diese Fügungen sind unterschiedliche, aber zusammengehörige Wesungsbereiche des Seyns (→ Sein): in jeder „wird über das Selbe je das Selbe zu sagen versucht, aber jeweils aus einem anderen Wesensbereich dessen, was das Ereignis nennt“ (HeiGA 65, 81 f.). Der Gefügecharakter der F. wird vom System als der Form des neuzeitlichmathematischen Vernunftdenkens abgegrenzt, was aber keine Ordnungslosigkeit bedeutet, sondern eine „andersartige Strenge“ kennt (edb., 65), welche als ereigneter Entwurf dem Zuruf des Seyns folgt. Die F. ist im Gegensatz zum System wesenhaft offen in Entsprechung zur unabschließbaren → Offenheit des Seyns selbst. Als Weisen der Darstellung der F. unterscheidet Heidegger die „Durchgestaltung des

ganzen Fugenbereiches“ (in den Beiträgen) von der „Heraushebung einzelner Fragen“ innerhalb der Fügungen (z. B. in Der Ursprung des Kunstwerkes) (edb., 60). Qu.: HeiGA 5, 1-71. – HeiGA 65. – Lit.: v. Herrmann 1994. WF

Fühlen → Affekt, → Emotion Fundamentalontologie. Unter F. versteht Heidegger zum einen die existenziale → Analytik des Daseins, welche die Ausarbeitung der „ontolog. Struktur der Existenz“ (HeiGA 2, 17), d. i. der → Existenzialien, zur Aufgabe hat, und zum anderen versteht er darunter die Ausarbeitung der Frage nach dem Sinn von → Sein, die von der Daseinsanalytik nur vorbereitet wird. „Die Analytik des Daseins, die bis zum Phänomen der Sorge vordringt, soll die fundamentalontolog. Problematik, die Frage nach dem Sinn von Sein überhaupt, vorbereiten“ (ebd., 243). Diese Bezeichnung F. für die Seinsfrage wurde von ihm später zwecks Vermeidung von Mißverständnissen aufgegeben. Die existenziale Analytik des Daseins ist F., weil sie das methodische Fundament der Frage nach dem Sinn von Sein und das Fundament der → Regionalontologien bildet. Diese Auszeichnung hängt mit dem dreifachen Vorrang (ontisch, ontolog., ontischontolog.) des → Daseins „vor allem anderen Seienden“ (ebd., 18) zusammen, den dieses für die Ausarbeitung der → Frage nach dem Sinn von Sein besitzt. Das Dasein besitzt einen ontischen Vorrang, weil es „in seinem Sein durch Existenz bestimmt“ ist (ebd.). Der Titel → ,Existenz‘ „besagt in formaler Anzeige: das Dasein ist als verstehendes Seinkönnen, dem es in seinem Sein um dieses selbst geht“ (ebd.,

199 307). Das ist deshalb möglich, weil „es in seinem Sein zu diesem Sein ein Seinsverhältnis hat“ (ebd., 16), d. h. es „versteht sich in irgendeiner Weise und Ausdrücklichkeit in seinem Sein“ (ebd.). Somit ist sein ontischer Vorrang ein ontolog.: Durch sein Sein ist dem Dasein dieses sein Sein auch erschlossen. „Seinsverständnis ist selbst eine Seinsbestimmtheit des Daseins. Die ontische Auszeichnung des Daseins liegt darin, daß es ontolog. ist.“ (ebd.) Sein Vorrang ist schließlich ontischontolog., weil zu seinem Existenzverständnis als → gleichursprüngliches Konstituens „ein Verstehen des Seins alles nicht daseinsmäßigen Seienden“ gehört (ebd., 18). Besteht die Aufgabe einer → Ontologie in der begrifflichen Aufarbeitung des Seinsverständnisses und macht dieses eine Seinsbestimmtheit des Daseins aus, dann hat das Dasein „daher den dritten Vorrang als ontisch-ontolog. Bedingung der Möglichkeit aller Ontologien“ (ebd.). Die existenziale Analytik bildet das Fundament aller anderen Ontologien. „Daher muß die Fundamentalontologie, aus der alle anderen erst entspringen können, in der existenzialen Analytik des Daseins gesucht werden.“ (ebd.) Die existenziale Analytik ist F. nur im Hinblick auf die Regionalontologien, nicht im Hinblick auf die Frage nach dem Sinn von Sein, weil sie diese nur vorbereitet. „Die Herausstellung der Seinsverfassung des Daseins bleibt aber gleichwohl nur ein Weg. Das Ziel ist die Ausarbeitung der Seinsfrage überhaupt“ (ebd., 535). Diese kann schon deshalb nicht auf einer Daseinsanalytik als Fundament aufbauen, weil die „existenzial-zeitliche Analyse des Daseins [...] ihrerseits eine erneute Wiederholung im Rahmen der grundsätzlichen Diskussion des Seinsbegrif-

Fungierend fes“ verlangt (ebd., 441). Die Seinsfrage selbst kann genau genommen nicht mehr F. sein. Wird nämlich die „Frage nach dem Sinn von Sein“ als „fundamentalontolog. Problematik“ (ebd., 243) bezeichnet, legt dies das Mißverständnis nahe, „das Denken, das die Wahrheit des Seins zu denken versucht und nicht wie alle Ontologie die Wahrheit des Seienden, sei als F. selbst noch eine Art von Ontologie. Indessen hat das Denken an die Wahrheit des Seins als der Rückgang in den Grund der Metaphysik den Bereich aller Ontologie schon mit dem ersten Schritt verlassen“ (HeiGA 9, 380). Den „Grund und das ,Fundament‘ aller Onto-logie und damit aller Metaphysik“ bildet die „Unterscheidung von Sein und Seiendem“ (HeiGA 6.2, 186). „Die Nennung der ontolog. Differenz soll andeuten, daß ein geschichtlicher Augenblick kommt, in dem es die Not ist und notwendig wird, dem Grund und Fundament der ,Onto-logie‘ nachzufragen. Daher ist in Sein und Zeit die Rede von der ,F.‘. “ (ebd.) Qu.: HeiGA 2. – HeiGA 6.2. – HeiGA 9. – Lit.: Pöggeler 1963 (3 1990). GP

Fungierend bezeichnet bei Husserl die Weise, wie das konkret-faktische Subjekt in seinem → Leib „waltet“ als konkretes „Akt-Subjekt“. Der Leib ist so universales Willensorgan des Subjekts und als solches Vollzieher seiner jeweiligen „Funktionen“ in seinem mundanen Zusammenhang. Erst in diesem Sinne kann Husserl zufolge vom vollkonstituierten Menschen als psychophys. Person sprechen. Dieses immer schon vonstatten gehende Fungieren vollzieht sich in der je aktuellen, stehend-strömenden Funktionsgegenwart, die jedoch anonym bleibt,

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Funktion weil sie als absoluter zeitlicher Quellpunkt dem objektivierenden Reflexionsblick immer schon vorangeht. Das f.e Leben ist somit zurückbezogen auf ein „letztfungierendes“ → Ich, welches in seiner „Urgegenwart“ in unaufhebbarer → Anonymität verbleibt. Transzendiert dieses letzte → Ego sich selbst in seinem aktuellen Fungieren immer schon, so kann hier der Übergang in die Selbstvergemeinschaftung mit anderen Egos angesetzt werden, die erst eine monadische → Intersubjektivität ermöglichen kann. Qu.: Hua IV. – Hua VI, 105-113. – Lit.: Held 1966, 131-133, 156-163. SL

Funktion. Der Begriff der F. kommt aus der Mathematik, findet aber auch in anderen Wissenschaften, z. B. der Chemie, Anwendung. Husserl beansprucht einen spezifischen Wortgebrauch: F. bezieht sich i. S. der funktionellen Probleme auf die „Konstitution der Bewußtseinsgegenständlichkeiten“; diese Probleme gründen im reinen → Wesen der → Noesen. Es geht um die Erklärung, wie die objektive → Einheit von → Gegenständen durch die synthetischen → Leistungen ganz verschiedener Bewußtseinsgestaltungen zustande kommt, „wie sich objektive Lei-

stungen jeder Region und Kategorie bewußtseinsmäßig konstituieren“ (Hua III/1, § 86). „F.“ (der → transzendentalen Subjektivität) steht für „Leistung“, Husserl spricht auch von transzendentalen F.en. Er grenzt seinen Funktionsbegriff vom Begriff der „psychische F.“ bei Stumpf ab, der von diesen die „Erscheinungen“ unterscheidet. Diese entsprechen Husserls „primären Inhalten“ (→ Inhalt) (Empfindungsinhalten wie Farben-, Tast- oder Tondaten), jene den → „Akten“. Scheler kritisiert das Reiz-ReaktionsSchema dahingehend, daß es für den physikalischen → Reiz und den zentripetalen Prozeß keine „Endstelle“ im Gehirn oder im Bewußtsein gibt, sondern nur physiologische Funktionsfelder einer bestimmten Funktionseinheit, der ihrerseits eine psych. F. entspricht. Physiologische und psych. F. sind verknüpft (was eine Identität der Psyche und ihres funktionellen Aufbaus mit der Funktionshierarchie der nervösen Vorgänge voraussetzt). Komplexe Funktionseinheiten wählen die psych. aus den objektiven → Erscheinungen und gestalten sie erst zu ichbezogenen, subjektiven Erscheinungen. Qu.: Hua III/1, § 86. – ScheGW 8.

HV

G Gabe. In dem 1961 erschienenen ersten Hauptwerk von Levinas, Totalité et Infini, ist die ethische Radikalisierung der Husserlschen Exposition der Fremderfahrung dem Vorhaben einer Genealogie der → Ethik verpflichtet, das um den Preis und unter der Voraussetzung einer Infragestellung der Souveränität des intentionalen → Bewußtseins an die Grenzen der Phänomenologie rührt. Diesseits von Imperativen und jenseits des → Seins epekeina tes ousias skizziert Levinas die Stiftung einer ethischen Dimension, die sich dem eigenen Ich in der asymmetrischen (→ Asymmetrie) und irreziproken Beziehung zum → Fremden als unendliche → Verantwortung für den → Anderen im Modus unumgänglicher Notwendigkeit aufdrängt. Die von Levinas als prote philosophia bestimmte Ethik verweist namentlich Heideggers → Fundamentalontologie in eine des „ontolog. Imperialismus“ (Levinas 1987, 53) angeklagte philosoph. Tradition, der die beinahe ungebrochene Neigung attestiert wird, im Namen eines Seins, „dem es in seinem Sein um dieses selbst geht“ (HeiGA 2, 41), eine „Reduktion des Anderen auf das Selbe“ (Levinas 1987, 55) betrieben zu haben. Unter dem Titel des liturgisch orientierten „Werks“ entfaltet Levinas demgegenüber in seinen beiden Essays La trace de l’autre und La signification et le sens die Möglichkeit einer bis zum Opfer reichenden heteronomen Erfahrung der G., die er als „eine Bewegung des Selben (Même) zum Anderen (l’Autre)“ charakterisiert, welche „niemals zum Selben zurückkehrt“ (ebd., 215) und dergestalt

die tautologische Identifizierung des Selben mit sich in Frage stellt. Bereits in Totalité et Infini arbeitet Levinas die für die Frage des Werks fundamentale Unterscheidung zwischen dem → Bedürfnis (besoin) und dem → Begehren (désir) aus, die dazu bestimmt ist, das vermeintlich nur um sich selbst besorgte Ich seines bloßen Egoismus zu entreißen (ebd., 35-38). Das unstillbare → Begehren, das – im Unterschied zum → Bedürfnis – der Ordnung von Mangel und Befriedigung entzogen ist, richtet sich auf den → Anderen als Anderen, der das Selbe in seiner Bedürftigkeit (be-)trifft und in der → Nacktheit seines → Antlitzes (visage) heimsucht. Es ist die „Epiphanie des Anderen“ (Epiphanie d’Autrui) (→ Epiphanie), die den Kreislauf der eigenen Bedürfnisbefriedigung unterbricht und im Selben eine rückhaltlose Freigebigkeit wachruft, deren Manifestation das Werk darstellt (Levinas 1983, 218 ff.). Die „Heimsuchung“ (visitation) bzw. „Verfolgung“ (persécution) durch den Anderen macht aus dem Werk eine unfreiwillige, der eigenen Entscheidungsgewalt enthobene G., wie Levinas in seinem zweiten Hauptwerk Autrement qu’être ou au-delà de l’essence präzisiert: „Das Geben (le donner) hat nur Sinn als ein Sich-selbst-Entrissenwerdenwider-Willen“ (Levinas 1992, 168). Dem als Inbegriff des Egoismus situierten Homerischen Mythos von der Heim- und Rückkehr des Odysseus setzt Levinas die Geschichte Abrahams entgegen, dessen Aufbruch in ein unbekanntes Land ohne Wiederkehr und ohne Ankunft am Ziel das narrative Pa-

Gabe radigma für jene Rückkehrlosigkeit des Selben in der freigebigen Bewegung zum Anderen darstellt, die die „absolute Güte“ (bonté absolue) des Werks ausmacht (Levinas 1983, 215). Auf seiten desjenigen, der kraft des Werks in eine Beziehung zum Anderen eintritt, erfordert die „radikale Großmut“ (générosité radicale) den Verzicht auf jede Intention, dem Erfolg des Werks im Augenblick seines Empfangs beizuwohnen. In dem Maße, in dem das Werk vielmehr auf ein Sein für eine Zeit ohne Ich abzielt, zeichnet sich für Levinas eine ethische Dimension ab, die über die „Jemeinigkeit“ des von Heidegger ontolog. in seiner → Eigentlichkeit gedachten → Todes hinausgeht (HeiGA 2, 46 ff.). Insofern der sog. eigene Tod jene unaufhebbare Schranke bezeichnet, die verhindert, daß das Werk zum Selben zurückkehrt, wird das Werk ausgehend vom Tod unternommen „für eine Zukunft jenseits des berühmten ,Sein-zum-Tode‘, ein ,Seinfür-nach-dem-Tode‘“, das eine Passage zur Zeit des Anderen bahnt. Auf der Seite des Anderen, der das Werk annimmt, ohne es zu nehmen, verlangt die einseitige Handlung des Werks, die keinerlei Entgeltung für sich erwartet, eine rigorose Undankbarkeit (Levinas 1983, 216 f.). Andernfalls kehrte das Werk zu seinem Urheber zurück. Levinas ist nicht nur darauf bedacht, das in seiner Radikalität gedachte Werk von jeder ökonomischen Operation zu unterscheiden, sondern er vertraut auch, anders als Derrida, darauf, das Werk vom bloßen Spiel und von der „nihilistischen“ Verausgabung abgrenzen zu können (Levinas 1989, 211-219). Als „die Ethik selbst“ ist das Werk weder in Geschichte noch in Kultur verstrickt. Unter Berufung auf absolute „Normen der Moral“ betreibt

202 Levinas die Rückkehr zu einer Art modifiziertem Platonismus, der die Ethik von den Entdeckungen der modernen Ethnologie zu verschonen verspricht und die Kulturen vom ethischen Gesichtspunkt aus zu beurteilen erlaubt (ebd., 49 f.). Im Antwortregister entwickelt Waldenfels unter dem methodischen Vorzeichen einer „Hyperphänomenologie“ (Waldenfels 1994a, 22) eine Ethik der → Responsivität, die in der → Antwort eine Radikalform der → Verantwortung ermittelt und eine spezifische Logik der G. entfaltet, die trotz aller erklärten Nähen zu Levinas und Derrida durch ihre Originalität hervortritt. In der Auseinandersetzung mit der vom Primat der Frage beherrschten philosoph. Tradition ist es Waldenfels darum zu tun, die Antwort von ihrer „einseitigen funktionalen Abhängigkeit vom Fragen“ zu befreien (ebd., 189 f.). Die getroffene Unterscheidung zwischen Antwortakt und Antwortgehalt weist dazu den Weg und führt zur grundlegenden Entdeckung der „responsiven Differenz“ (ebd., 242 ff.): Das, worauf wir antworten, „geht nicht auf in der gegebenen Antwort“ (ebd., 191). Im Ereignis des Antwortgebens, das mit der gegebenen Antwort nicht koinzidiert, tritt das Moment des „Antwortens auf...“ bzw. das „Worauf“ des Antwortgebens zutage, das stets einem „fremden Anspruch“ gilt, der der intentionalen Konstitution, Verfügung und Voraussicht entzogen ist und somit das Eigene in Frage stellt (ebd., 331, 241). Die „praktische Unumgänglichkeit oder Unausweichlichkeit“, mit der das Antworten auf einen fremden → Anspruch stattfindet („Man kann nicht nicht antworten“), umreißt für Waldenfels die Geburt des Ethischen (ebd., 357 ff.). In der so verstandenen Re-

203 sponsivität, die alles Reden und Tun durchdringt, findet Waldenfels’ Denken der G. seinen Ort. Unter Bezugnahmen auf Mauss’ Essai sur le don erörtert Waldenfels sowohl diskursive als auch nichtdiskursive Handlungen des → Gebens und Nehmens (ebd., 595), soweit sie im Rahmen ökonomischer, rechtlicher, moralischer und kultureller Ordnungen bestimmten Regelungen unterworfen sind und von einer Komplementarität bzw. Reziprozität zu zeugen scheinen, die von der G. durchbrochen wird. „Jede G. verkörpert einen Überschuß“, der sich als Verausgabung und Verschwendung der (Tausch-)Ordnung entzieht (ebd., 607), ohne in einem Jenseits situiert oder einer quasi-„göttlichen, rückhaltlosen Freigebigkeit“ geschuldet zu sein, dem nur ein Nehmen entsprechen könnte, „das nimmt, als nähme es nicht“ (ebd., 611). Waldenfels’ responsives Denken der G. ist demgegenüber an einer „radikalen Revision“ der Reziprozität von Geben und Nehmen interessiert, die auf ein „Geben und Nehmen im Übermaß“ abhebt (ebd., 609 f.), bei dem es nicht primär darauf ankommt, daß etwas gegeben und genommen wird, das sich als etwas verbrauchen oder verwerten ließe (ebd., 612, 594). Geben und Nehmen werden vielmehr im Ausgang von einem Antwortgeschehen gedacht, das auf einen fremden und außer-ordentlichen Anspruch antwortet (ebd., 609). Dabei muß sich für Waldenfels das Verhältnis von Geben und Nehmen in dem Maße komplizieren, in dem das Worauf des Antwortgebens – nämlich der fremde Anspruch, der sich in der gegebenen Antwort weder einholen noch erfüllen läßt und der eigenen Konstitution enthoben ist – auf unabweisbare Weise vernommen wird. Das (Antwort-)Geben

Gabe erwächst aus einem Nehmen, genauer aus einem „Vernehmen“, „Aufsichnehmen“ und „Übernehmen“ des fremden Anspruchs, der zu einer Verdopplung des Gebens im Modus eines „nehmenden Gebens“ führt: Denn „der fremde Anspruch gibt etwas zu sagen und zu tun, nicht etwas zu haben“ (ebd., 614). Ebensowenig wie sich Waldenfels vor diesem Hintergrund noch dazu berechtigt sieht, von einem reinen Geben zu sprechen, das aus sich selbst heraus entsteht, kann er den Empfang der G. auf ein reines Nehmen reduzieren: Wenn es zutrifft, daß sich „in der G. selbst ein Anspruch verkörpert“, auf den derjenige, der die G. entgegennimmt, antwortet, indem er sie annimmt, dann geschieht der Empfang der G. im Modus eines „gebenden Nehmens“. Mit der Herausstellung dieses „Chiasmus“ sind Geben und Nehmen (ebd., 614 f.) nicht mehr der Vormundschaft der → Reziprozität unterworfen. Im Ereignis des (Antwort-)Gebens treten nicht nur Geber und Empfänger als allererst im Entstehen Begriffene auf (ebd., 618); es ist der Ordnung von Sein und Haben auch von dem Moment an entzogen, da „das, was sich gibt, sich erst im Ereignis des Gebens ergibt“. Der Formel Heideggers und Lacans vom Geben dessen, was man nicht hat, verleiht Waldenfels den spezifischen Gehalt eines erfinderischen Gebens fonds perdu, das auf nichts Gegebenes zurückgreifen kann und allen geregelten Kontexten entrissen ist: Ein außerordentliches Geben, das gibt, was es nicht hat, heißt in diesem Sinne: Erfinden (ebd., 620 ff.). Qu.: HeiGA 2. – Levinas 1961 (1987). – Levinas 1963, 187-202 (1983, 209-235). – Levinas 1972, 17-63 (1989, 9-59). – Levinas 1974 (1992). – Mauss 1973, 145279 (1978, 9-144). – Waldenfels 1994a. –

Geben Gondek/Waldenfels 1997, 385-409. – Lit.: Bernasconi 1991, 3-18 (1992, 79-96). – Gondek/Waldenfels 1997, 345-384. ID

Geben. In Verbindung mit seiner Analyse der → Verantwortung für den Anderen charakterisiert Levinas das G. als „ein Sich-selbstEntrissenwerden-wider-Willen“ und bestimmt es weiter als „ein demSich-in-sich-selbst-Gefallen-des-Genießens-Entrissenwerden“ (Levinas 1992, 168). Waldenfels betrachtet das G. im Rahmen der verschiedenen Dimensionen des → Antwortens und hebt den Unterschied zwischen einem geregelten G. und einem außerordentlichen G. hervor. Einerseits können G. und Nehmen an eine teleologische oder normative → Ordnung anlehnen, wo sie sich komplementär zueinander verhalten. Zwischen ihnen besteht ein labiles Gleichgewicht, das durch einen Vertrag gesichert werden muß, weil es durch die extremen Formen der Gewaltausübung und Knechtung bedroht ist. Andererseits spricht Waldenfels von einem erfinderischen G., „das auf einen fremden Anspruch antwortet, der nicht erfüllbar ist, da er aus einer nicht einholbaren Ferne kommt; [es] hat seinen Ursprung in einem Überschuß, der jede mögliche Ziel- und Gesetzerfüllung übersteigt“ (Waldenfels 1994a, 609). Das antwortende G. geht nicht aus einem Zustand des Mangels hervor, wartet nicht auf eine Gegengabe und verdoppelt sich in ein nehmendes G., d. h. ein Aufsichnehmen oder InAnspruch-genommen-Sein. Auch muß man hier von einem gebenden Nehmen sprechen, das auf einen → Anspruch antwortet, sich als Entnehmen zeigt und zu einem Ansichreißen werden kann. Nach Ricœur nimmt das Ver-

204 geben seine Großherzigkeit aus einer Ökonomie der → Gabe (économie du don), deren Maxime ist: „Da dir ja gegeben wurde, gib deinerseits“ (Ricœur 1990, 49). Diese Dimension hängt von einer Logik der Überfülle ab und steht somit einer Entsprechungslogik gegenüber. Das Vergeben besteht in einem aktiven Vergessen, da es nicht mit Ereignissen oder Spuren, sondern mit der → Schuld zu tun hat, und gibt dem Gedächtnis eine Zukunft, insofern als es für große Vorhaben befreit. Qu.: Levinas 1974 (1992). – Waldenfels 1994a, 586-626. – Ricœur 1990, 41-67. RW

Gebrauch. Heideggers Zeuganalysen in Sein und Zeit fragen nach der Dinglichkeit der → Dinge, auf die sich das → Dasein in seinem gebrauchendhantierend-besorgenden Umgang versteht: aus der Weise, wie das Dasein sich verstehend zu innerumweltlich begegnendem Seienden verhält bzw. vor und in aller → Theorie immer schon praktisch verhalten hat. Um ontolog. Bestimmungen von Dingheit, welche die theoretische Dimension der → Praxis – die „Umsicht“ des Besorgens als die spezifische Sicht des Sichfügens in die Verweisungsmannigfaltigkeit des Um-zu – übersehen haben und deshalb die Gebrauchsdinge nicht aus dem → Verstehen des Daseins, sondern aus der Vorhandenheit als einer der → Zuhandenheit abkünftigen Kategorie verstehen, schon terminologisch zu überwinden, bezeichnet Heidegger das im Besorgen besorgten Seiende als → Zeug. Dessen ontolog., die substanzmetaphys. Bestimmungen erst in ihrer Sinnhaftigkeit begründende Relevanz liegt darin, daß es das, was es ist, nur sein kann in einem Zeugganzen, wes-

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Geburt

halb „ein“ Zeug auch nie ist (vgl. HeiGA 2, 92): Zeug verweist immer von etwas auf etwas, in ein Ganzes, welches das Zeug als Zeug freigibt zum G. Qu.: HeiGA 2.

JV

Geburt. Für Arendt resultiert aus dem Faktum der Natalität, daß jeder Mensch mit seiner G. „als etwas völlig Neues“ (Arendt 1979, 206) in der Welt erscheint. Arendt knüpft an einen Satz von Augustinus an („Damit ein Anfang sei, wurde der Mensch geschaffen“; De Civitate Dei; XII, 20) und führt aus: „Der Neubeginn, der mit jeder G. in die Welt kommt, kann sich in der Welt nur darum zur Geltung bringen, weil dem Neuankömmling die Fähigkeit zukommt, selbst einen neuen Anfang zu machen, d. h. zu handeln.“ (Arendt 1967, 15) Das → Handeln fängt aus eigener Initiative etwas Neues an, das grundsätzlich die „G. eines Jemand“ (ebd., 167) ist, der sich als Einzigartiger handelnd und auch sprechend in die Welt anderer Einzigartiger, die insofern seinesgleichen sind, einschaltet. Auf Grund seiner Einzigartigkeit entzieht sich der Handelnde aller Durchschnittlichkeit und Berechenbarkeit. Obwohl Arendt auch betont, daß das Handeln und Sprechen eine „zweite G.“ sei, „in der wir die nackte Tatsache des Geborenseins bestätigen“ (ebd., 165) und mit Initiative und Verantwortung beseelen, zieht sie daraus, im Unterschied zu Merleau-Ponty, nicht den Schluß, daß das Neuanfangen auf eine leibliche Selbstvorgegebenheit zurückverweist und somit als Initiative den Charakter einer Nachträglichkeit hat. Mit der Hervorhebung der Natalität setzt sich Arendt von ihrem einstigen Lehrer Heidegger ab, der in der

Jemeinigkeit des Zu-Ende-Kommens (im Tode) die nicht zu entfremdende und eigenste → Möglichkeit des → Daseins jenseits der Verlorenheit in das → Man der → Gesellschaft ausmachte. Während Arendt in Vita activa das Neuanfangen als expressive Selbstentfaltung der Person bestimmt, untersucht sie in Über die Revolution, wie diese Fähigkeit mit politischen Institutionalisierungen (→ Institution) zusammengedacht werden kann. Ausgehend vom Beispiel der amerikanischen Revolution versteht sie den revolutionären Gründungsakt als „Einenneuen-Anfang-Setzen“ (Arendt 1965, 256), als ein kollektives Neuanfangen in einer verfassungsmäßig institutionalisierten → Freiheit. Damit der kreative „Akt des Neuanfangs“ (ebd., 263) nicht in politischer Routine versiegt, unterstellt Arendt in aristotelischer Weise eine „Identität von Anfang und Prinzip“ (ebd., 274), was besagt, daß die den Gründervätern Nachfolgenden den → Anfang fortsetzen und vollenden. In diesem Sinn ist auch der zivile Ungehorsam, den Arendt in Recht und Verfassung verankert wissen will, eine Art von Nachstiftung im Geist des einstigen Neuanfangs. Arendts Pathos der politischen G. suggeriert, daß eine Revolution ohne → Gewalt möglich sei. Ihre Analyse politischer Gründung ist sehr selektiv und idealistisch. Insgesamt ist ihr Verständnis von G. durch die Theorie der totalen Herrschaft motiviert, die die These enthält, daß der Faschismus die Einzigartigkeit der Menschen und damit deren Fähigkeit zerstört habe, „von sich aus etwas Neues zu beginnen, das aus Reaktionen zu Umwelt und Geschehnissen nicht erklärbar ist“ (Arendt 1958, 696).

Gedächtnis Qu.: Arendt 1951 (1958). – Arendt 1958 (1967). – Arendt 1963 (1965). – Arendt 1978b (1979b). MWS

Gedächtnis. Im Bemühen, die Fundierung der → Wahrnehmung in einem „Sinnhorizont“ (Merleau-Ponty 1966, 35) zu erweisen, in dem die einzelne Wahrnehmungsempfindung immer schon in ein „bereits von irreduktiblem Sinn erfülltes Ganzes“ (ebd., 42) eingebettet ist, setzt sich Merleau-Ponty auch kritisch mit der Bedeutung des G.ses für die Wahrnehmungsleistung auseinander. Der insbesondere vom Empirismus vertretenen Vorstellung, wonach die Wahrnehmung sich aus einzelnen → Bildern und → Empfindungen zusammensetzt, die durch Projektionen des G.ses zu einem Ganzen verschmolzen werden (das bruchstückhafte Lesen eines Wortes, das durch die → Erinnerung vervollständigt wird), hält er entgegen, daß das gegenwärtig Erfahrene schon → Sinn und Gestalt gewonnen haben muß, wenn es gerade diese und keine andere Erinnerung hervorruft. Insofern setzt das G. das, was es erklären soll („die Gestaltung des Gegebenen, die Sinnbildung im sinnlichen Chaos“, (edb., 39), bereits voraus. Die Wahrnehmungsdinge zeigen sich deshalb für Merleau-Ponty ausschließlich in „meinem aktuellen Blick“ (ebd., 40), ohne durch Gedächtnisprojektionen ergänzt zu werden. Das heißt allerdings nicht, daß frühere → Erfahrungen aus dem Prozeß der Wahrnehmung ausgeblendet wären. Diese sind vielmehr mit gegenwärtig, jedoch nicht als „Bild einer an sich vorhandenen Vergangenheit“, die aufs neue ins Bewußtsein gebracht wird, sondern in Form „eines beständig dem Bewußtsein zugänglichen Feldes [...], einer Atmo-

206 sphäre, eines Horizonts [...], eines ,Gerüsts‘, das dem Bewußtsein seine zeitliche Situation zuweist“ (ebd., 42) und das sowohl Wahrnehmung als auch Erinnerung erst ermöglicht. Von einem „gesellschaftlichen“ oder „kollektiven G.“ (Pato cˇ ka 1988, 36, 52) ist in der Geschichtsphilosophie Patoˇckas die Rede. Die Entstehung eines solchen gesellschaftlichen G.ses ist geknüpft an das Auftauchen der Schrift und die Möglichkeit von Annalistik und schriftlicher Überlieferung. Mit ihr vollzieht sich für Patoˇcka der Übergang von einer ungeschichtlichen in eine vor-geschichtliche Epoche, wie er z. B. in den alten Hochkulturen Vorderasiens, Ägyptens und Chinas anzusetzen ist. Das gesellschaftliche G., das sich in dieser frühen Annalistik dokumentiert, ist jedoch weniger vom Bewußtsein geschichtlicher Veränderung getragen als vielmehr von einem „Willen zur Unveränderlichkeit“ (ebd., 58), zur Beibehaltung und Petrifizierung der vor-geschichtlichen Lebensform. Patoˇcka spricht deshalb von einer „Historie ohne Geschichte“ (ebd., 51). Hiervon wird in seinem dreigliedrigen Geschichtsschema wiederum die eigentlich geschichtliche Epoche abgegrenzt. Der Durchbruch zu einer solch emphatisch verstandenen Geschichtlichkeit ereignet sich für Patoˇcka – „gleichursprünglich“ mit dem Entstehen von → Politik und Philosophie – in der griech. Polis. Dieser Eintritt in die Geschichte setzt einerseits eine „Gegenwart des Vergangenen und die Möglichkeit weitreichender Reflexion“, d. h. ein G. in Form von → Mythos und Annalistik voraus, kann andererseits aber nur so erfolgen, daß deren Überlieferung radikal in Frage gestellt wird.

207 Qu.: Merleau-Ponty 1945 (1966). – Patoˇcka 1988. LH

Gefühl. → Emotion, → Affekt Gegebenheit. Eine Anschauung findet, Kant zufolge, dadurch statt, daß uns ein Gegenstand gegeben wird. Entsprechend ist auch für Husserl Anschauung das Gebende. Es lassen sich dabei das Wie der G. und ihr Was unterscheiden. Das Wie bewegt sich zwischen der Gegebenheitsferne und Gegebenheitsnähe, für die Wesensforschung eine wichtige methodische Anweisung. Die → Erlebnisse bieten sich nämlich im allgemeinen in einer vagen Ferne dar, die eine eidetische → Erfassung unmöglich macht. Für jedes → Wesen gibt es jedoch eine absolute Nähe, eine reine Selbstgegebenheit (→ Evidenz), in der ein → Gegenstand „selbst da“ ist, nicht nur vergegenwärtigt wird. Gegebenheitsferne und Gegebenheitsnähe durchlaufen verschiedene Stufen der G. hinsichtlich der Anschaulichkeit; ihre Grenzen sind die volle Klarheit und die Dunkelheit als Nullgrenze. Für die Möglichkeit der Phänomenologie ist dabei entscheidend, daß nicht nur Singuläres, sondern auch und vor allem → Allgemeines zur G. gebracht werden kann. Die reine Selbstgebung ist jedoch von originärer G. zu unterscheiden, in welcher der Gegenstand leibhaft da ist. Dies weist auf die verschiedene Art der Selbstgebung hin, die von den Arten der Gegenstände abhängig ist, somit der verschiedenen Evidenz, die z. B. für Gegenstände äußerer Wahrnehmung nicht möglich ist. Gerade darin liegt der Unterschied von Phänomenologie und formaler Logik, weil diese zwar nach den Bedingungen evidenter → Urteile, nicht aber nach den Bedingungen

Gegend (Gegnet) evidenter G. der Gegenstände fragt. Heidegger gebraucht den Terminus G. schon sehr früh in seiner Kritik am Primat des Theoretischen, auf Grund dessen das Wesen der → Umwelt in deren eigentümlichem Charakter verfehlt wird. Problem ist nicht mehr die G., sondern die Frage lautet jetzt: „Was heißt: ,es gibt‘ ?“ Diese gewendete Fragerichtung führt zu einem „es weltet“. Qu.: Hua I, III., IV., V. Vorlesung. – Hua III/1, §§ 67, 136. – Husserl 1939 § 4. – HeiGA 56/57, §§ 13-15. HV

Gegend (Gegnet). „G.“ bezeichnet für Heidegger gemäß den Analysen der Räumlichkeit des innerweltlich Zuhandenen in Sein und Zeit das „im besorgenden Umgang umsichtig vorweg im Blick gehaltene Wohin des möglichen zeughaften Hingehörens“ (HeiGA 2, 137, vgl. auch 147 f., 486 f.). Im Denken des späten Heidegger ist „G.“ sodann Metapher für das herkömmlicher Sprache sich entziehende, im Letzten eigentlich unsagbare Wesen der → Wahrheit oder → Unverborgenheit, das Offene, das „als das Gegnende die freigebende Lichtung [ist], in der das Gelichtete zugleich mit dem Sichverbergenden in das Freie gelangt“ (HeiGA 12, 186). Die G., gedacht als diejenige ,Dimension‘, die ins Offene gelangen, jegliches in seinem Beruhen aufgehen läßt („das Ding zum Ding, ,bedingt‘, d. h. als das Ding, das es ist, ,weilen läßt‘ “, wie Heidegger auch sagen kann; HeiGA 13, 59), heißt deshalb auch die „Gegnet“ (HeiGA 13, 47). Ihr entspricht als menschliches Verhalten eine aus der „G.“ selbst kommende → „Gelassenheit“: das Denken als „Gelassenheit zur G.“ (HeiGA 13, 56 ff.).

Gegenstand Qu.: HeiGA 2. – HeiGA 12. – HeiGA 13. AGO

Gegenstand. Das Wort „G.“ begegnet zuerst im 16. Jh. in der Bedeutung von „Widerstand“, später als „das Entgegenstehende“ und seit dem 18. Jh. als Übersetzung von „Objekt“; in dieser Bedeutung wird es inner- und außerhalb der Philosophie üblich. Mit G. ist dabei in ganz allgemeiner Bedeutung all jenes gemeint, das überhaupt gegeben ist. An diese alltägliche Bedeutung knüpft auch Husserl in den Logischen Untersuchungen an, wenn er das Erscheinen und Wahrgenommensein von Gegenständen von deren Erleben unterscheidet. Das Wort fungiert als ein logischer Grundbegriff und ist aus phänomenolog. Perspektive immer intentionaler G., der in einem → Akt (im Urteilen, Fühlen, Begehren usf.) intendierte G., ein Etwas, worauf sich die → Intention richtet. Zwei Hauptklassen sind selbständige und unselbständige G.e (oder → Inhalte), wobei jene ihrer Natur nach getrennt vorgestellt werden können, diese hingegen nur als Teile umfassenderer Ganzheiten existieren; so gibt es die Färbung eines Papiers nur als Moment an dem Gefärbten. Zu unterscheiden sind ferner der intentionale G. des Aktes, dessen intentionale Materie und sein intentionales → Wesen. Die Materie verleiht dem Akt allererst seine Beziehung auf Gegenständliches, zum Wesen gehören die beiden dem Akt wesentlichen Momente: seine → Qualität und seine Materie. Der intentionale G. des Aktes fällt nicht mit seinem reellen Inhalt zusammen, ausgenommen die Akte adäquater (innerer) → Wahrnehmung. Zur äußeren Wahrnehmung

208 gehört die Prätention, den G. selbst zu geben, d. h. nicht bloße Intention zu sein, sondern ein Akt, der anderen → Erfüllung bietet; doch bleibt es bei der Prätention, weil der G. nicht voll und ganz als er selbst gegeben ist, sondern nur verkürzt und abgeschattet; darin liegt die Möglichkeit unbegrenzt vieler Wahrnehmungen eines und desselben G.s. Gegenstände sind niemals durch bloßes Erleben gegeben, weil dieses in sich blind ist, sondern einzig durch Wahrnehmung. Die sinnliche ist eine schlichte Wahrnehmung, ihre → Einheit kommt ohne Hinzutritt neuer Aktintentionen zustande. Zunächst wird ein sinnlicher G. in schlichter Weise aufgefaßt. Über die schlichte Betrachtung geht die Explikation hinaus, die den G. in all seinen Einzelheiten zu fassen sucht; Husserl spricht später von einem „Hineingehen der Richtung des Wahrnehmungsinteresses in den Innenhorizont des G.s“ (Husserl 1939, 115). So heben gliedernde Akte seine Teile heraus und setzen beziehende Akte diese in Relation zueinander. Dies sind in schlichten Wahrnehmungen fundierte Akte, wobei die G.e der fundierenden Akte in die Funktion der fundierten eintreten. Zu einer anderen Gruppe gehören die kategorialen Akte der allgemeinen → Anschauung, in denen das → Allgemeine eines sinnlichen → Objektes zur → Gegebenheit kommt; in ihnen konstituieren sich allgemeine G.e. Während die Logischen Untersuchungen die Seinsweise des G.s durch eidetische → Reduktion gewinnen und die dem intentionalen G. zugehörigen Seinsmodi noch außer Betracht lassen, werden diese im Vollzug der → transzendentalen Reduktion eigens thematisiert. Die neue Perspektive ergibt sich durch die korrelativen Begriffe → Noema und → Noesis (Noe-

209 se). Diese gehört zu den → Erlebnissen (durch die Noesis als „beseelende Auffassung“ werden die Stoffe zu intentionalen Erlebnissen geformt (Hua III/1, § 85)). Zwischen ihr und dem Noema besteht zwar eine durchgängige → Korrelation, doch ist das Noema kein reelles Bestandstück des Erlebnisses. Auch muß beachtet werden, daß die Beziehung von Noema und Noesis nicht einfach die von G. und → Bewußtsein ist. So ist der noematische Kern als der pure gegenständliche Sinn vom G. als dem „bestimmbaren X im noematischen Sinn“ (edb., § 131) zu unterscheiden. Das Noema bezieht sich (parallel zur Noesis) auf einen G., u. zw. vermittels eines Inhalts, mit dem das Gegenständliche „vermeint“ wird; dies wird ausgedrückt durch formalontolog. Begriffe wie G., Beschaffenheit, Sachverhalt; durch materialontolog. wie Ding, Figur, Ursache; durch sachhaltige Bestimmungen wie rauh, hart, farbig. Derartige Prädikate bestimmen den Gegenstandskern des Noema. Zu diesem gehört auch das Etwas als der zentrale Einheitspunkt, der Träger der Prädikate als der noematische G. schlechthin (zum Unterschied vom G. im Wie seiner Bestimmtheiten). Vom noematischen Kern wird somit das volle Noema (das Gegenstandsnoema), der wirkliche G. unterschieden. Erst anhand seiner lassen sich echte und bloß vermeintliche → Erkenntnis differenzieren, d. h. wahre und falsche → Urteile. Deren Bewährung ist nicht an einer Einzelerkenntnis möglich, sondern bedarf übergreifender → Synthesen, was in die Konstitutionsproblematik (→ Konstitution) der genetischen Phänomenologie hineinführt. In Abkehr von Husserls transzendentalem Idealismus hinsichtlich der Exi-

Gegenstand stenz der realen Welt geht es Ingarden darum, den Gegensatz zwischen Idee und individuellem G. näher zu bestimmen. Seine Untersuchung über das literarische Kunstwerk zielt auf ein Gegenüber von realen und idealen Gegenständlichkeiten, die im Kunstwerk thematisierten Gegenstände sind solche intentionaler Gegenständlichkeit. Ausgehend von einer näheren Bestimmung des Formbegriffs – 1. Form als platonische Idee, 2. als konkrete Form der Dinge i. S. des Aristoteles, 3. als das Bestimmen selbst – spricht Ingarden hinsichtlich der dritten Bedeutung im Einklang mit Husserl von der analytischen oder → kategorialen Form des G.s i. S. der formalen Ontologie. Dem stehen gleichfalls drei Begriffe der Materie gegenüber: 1. als Abbild des Urbildes der Idee (d. h. als individuelles Ding), 2. als Stoff (aus dem Individuelles hervorgeht), 3. als Subjekt der Bestimmungen (eine besondere formalontologische Form, die der aristotelischen Hyle als dem Woraufhin aller Bestimmungen entspricht). Ein wesentlicher Unterschied liegt zwischen den seinsautonomen und seinsheteronomen Gegenständlichkeiten. Zu ersteren gehören die individuellen Gegenstände und als Spezialfall die ursprünglich individuellen und zugleich zeitbestimmten Gegenstände. Die individuellen Gegenstände sind von den Ideen (z. B. Dreieck überhaupt, Idee des Menschen) und von den reinen Wesenheiten oder idealen Qualitäten im phänomenolog. Sinn (z. B. Röte, Farbigkeit) zu unterscheiden. Die ursprünglich individuellen Gegenstände unterscheiden sich ferner von den individuellen Gegenständen höherer Stufe (fundierte individuelle Gegenstände); Beispiele für diese sind eine bestimmte Familie, ein bestimmtes Staatsge-

Gegenstand bilde usf. Mit „ursprünglich individuell“ ist dagegen eine bestimmte Person gemeint, es gehören dazu auch materielle Dinge aus unserer Umgebung. Ein individueller G. ist Subjekt von Eigenschaften (Merkmalen), in denen er die Ausgestaltung und Ausprägung seines Selbst findet. Jede solcher Eigenschaften ist nur eine Teilbestimmung des G.s, alle Eigenschaften zusammen bilden seine volle Bestimmung. Diese Vollbestimmung oder Ganzheit ist ein formales Moment in der Grundform des individuellen G.s, in dem seine allseitige Abgegrenztheit liegt: „eine in sich abgeschlossene, volle, aber zugleich endliche Seinssphäre“, innerhalb derer der G. „eine konkrete, ungeteilte Einheit“ bildet (Ingarden 1964 ff., 2/1, 68). Zur Grundform des seinsautonomen individuellen G.s gehört ferner die Einfachheit (Schlichtheit) seines Aufbaus: Er stellt nicht etwas anderes dar, als er ist. Als weiteres Moment kommt die Geschlossenheit eines solchen G.s hinzu, indem dieser seine strukturelle Gliederung nach außen hin verbirgt. Er ist in sich unteilbar und, falls teilbar, in keinem summativen Ganzen fundiert. Dies trifft erst auf die individuellen G.e höherer Stufe zu. Ingarden bringt das Beispiel einer Maschine, die aus Teilen zusammengesetzt ist, welche ihrerseits in seinsautonomen Gegenständen fundiert sind. Einen radikalen Gegensatz zum seinsautonomen G. bildet der rein intentionale G. Er ist das Korrelat eines Bewußtseinsaktes und unterscheidet sich vom seinsautonomen G. hauptsächlich hinsichtlich der Form: Seine formale Struktur weist eine Doppelseitigkeit auf, wobei zwischen dem Gehalt und der Struktur, die den G. als einen rein intentionalen auszeichnet, unterschieden werden muß. So zeigt

210 sich als Gehalt eines Gedichtes dessen Wirklichkeit, die in ihm zur Darstellung gelangt; doch handelt es sich um keine eigenständige Wirklichkeit, sondern nur um eine intentional entworfene, näherhin um ein in besonderen Intentionsakten fingiertes Ganzes. Im Zueinandergehören von Gehalt und intentionaler (fiktiv vermeinter) Struktur liegt die Doppelseitigkeit des Aufbaues eines solchen G.s. Während weiters der seinsautonome individuelle G. eindeutig und allseitig bestimmt ist, ist der intentionale G. seinem Wesen nach immer unbestimmt. All das, was innerhalb eines Textes bedeutungsmäßig entworfen und ausgedrückt ist, ist bestimmt, doch bereits all das, was daraus erschlossen werden könnte, bildet nur einen unbestimmten Horizont; wo aber der G. eines solchen Textes bestimmte Eigenschaften besitzen sollte, gibt es eine „Unbestimmtheitsstelle“ (ebd., 221) im Gehalt; es bleiben unendlich viele unerkannte Eigenschaften zurück. Ingarden konstatiert hier einen neuen Begriff von → Transzendenz, weil sich der intentionale G. immer im Fortgang einer Konstitution befindet, die zwar stets weiterführt, jedoch nicht vollendet werden kann (die konstitutive Unfertigkeit des intentionalen G.s). Für Heidegger ist G. seinsgeschichtlich durch die Epoche der Neuzeit festgelegt. Während bis zu deren Beginn das → Sein dadurch bestimmt ist, daß es von sich her vorliegt („Subjekt“ i. S. des hypokeimenon ist), fragt Descartes am Anfang der neuzeitlichen Metaphysik nach einem fundamentum absolutum et inconcussum und findet dies im ego cogito, das nunmehr zum ausgezeichneten → Subjekt wird. Das ihm Begegnende wird vom Subjekt vorgestellt (repräsentiert) und als

211 solches zum G. Dessen Wesen als Gegenständlichkeit enthüllt sich bei Kant auf Grund der Auslegung der Wahrheit als der Gewißheit des „Ich denke“ in der ursprünglich synthetischen Einheit der transzendentalen Apperzeption (KrV A 115 ff., zur Interpretation vgl. HeiGA 25, § 26). Mit der Entfaltung der modernen → Technik verwandelt sich die Gegenständlichkeit in „Beständlichkeit“, d. h. das Sein des Seienden (als „Ersetzbarsein“; HeiGA 15, 369) ist durch Verfügbarkeit bestimmt. „Schon heute gibt es keine Gegenstände mehr (kein Seiendes, insofern es einem Subjekt gegenüber, das es in den Blick faßt, standhält), – es gibt nur noch Bestände (Seiendes, das sich zum Verbrauchtwerden bereit hält) [...]“ (ebd., 367 f.) Scheler betont gut phänomenolog. die Wechselseitigkeit des Verhältnisses von → Akt und G. Allerdings gehört zum → Wesen des G.s die Erfaßbarkeit durch einen Akt, nicht aber die Identifizierbarkeit der Akte durch ein in diesen sich durchhaltendes identisches → Ich. G.e sind primär solche eines → Willens, ihr Inhalt ist als Widerstand eines → Wollens gegeben. Nur im Widerstandserlebnis gibt es ein Bewußtsein praktischer Realität, die immer zugleich Wertrealität ist. → Werte sind echte objektive Gegenstände. Die → Transzendenz des G.s sagt noch nichts über dessen Realität aus; dem intentionalen G. als solchem läßt sich nicht ansehen, ob er Fiktion oder reales Sein ist. Wahrgenommen, geträumt, gefühlt oder gewollt kann er sowohl real als auch irreal sein. Doch ist durch die Transzendenz die Identifizierbarkeit des G.s gewonnen, er wird dadurch G. allgemeingültiger Aussagen. Diese Transzendenz fehlt aber allem ekstatischen Wissen, weil in diesem die ge-

Gegenstand wußte Welt noch nicht gegenständlich gegeben ist: „Nur Wesen mit reflexio und Selbstbewußtsein können Gegenstände haben.“ (ScheGW 9, 193) Einen G. (objet) sehen bedeutet für Merleau-Ponty in der Tradition Husserls, daß sich dieser erschließt, indem sich zugleich seine Umgebung verschließt. G.e bilden ein System, „in dem der eine sich nur zeigen kann, indem er andere verdeckt“ (MerleauPonty 1966, 91). Ihre Identität wird durch den → Horizont gewährleistet, das gilt aus räumlicher wie zeitlicher Perspektive. Dieser Erfahrung widerspricht das objektive → Denken, für welches der G. als derselbe für jedermann erscheint, wobei seine → Welt, seine → Zeit und der leibliche Zugang zu ihm ausgeblendet werden. Gegenständlichkeit (être d’objet) ist aber nicht auf ein denkendes Subjekt bezogen (un être-pour-le-sujet-pensant), sondern Sein für einen Blick (êtrepour-le-regard (Merleau-Ponty 1945, 292)); nur in solcher Orientierung hat ein G. → Sinn. Deshalb gibt es auch für einen G. eine optimale Entfernung und eine Orientierung, die ihm am besten entspricht. In solcher Weltwahrnehmung (perception du monde) ist der → Leib beständig in Aktion, ohne doch selbst G. zu sein. Schmitz unterscheidet zwischen vollständigen und unvollständigen Gegenständen. Vollständig ist ein G., wenn er genau in seinem Sosein bestimmt werden kann. Unvollständig ist er, wenn mit ihm, da keiner Kennzeichnung ganz zugänglich, kein klarer und einheitlicher Sinn verbunden werden kann. Es handelt sich dabei um das eigentliche Subjekt unseres Bewußtseinslebens. So zeigt sich am Gebrauch des Wortes „ich“ in der natürlichen Sprache ein vager Bedeutungshof, der

Gegenwart es schwer macht, genau anzugeben, wo das eigentliche Subjekt dieses Ichs aufhört. Qu.: Hua XIX/1, III. Unt. – Hua XIX/2, VI. Unt. – Hua III/1, 3. u. 4. Abschnitt. – Husserl 1939, Einleitung. – Ingarden 1964 ff., 2/1. – HeiGA 15. – HeiGA 25. – ScheGW 2. – Merleau-Ponty 1945 (1966). – Schmitz System I, § 1. – Lit.: Gabel 1991. – Métraux 1986 – Mitscherling 1997. – Ströker 1989. HV

Gegenwart. Für Husserl ist die Struktur des inneren Zeitbewußtseins die Urstätte für die → Konstitution von Identitätseinheiten. Das noetische Zeiterlebnis formiert den dahinfließenden Stoff, die → „Urimpression“. Dessen Form ist das → „Jetzt“, die aktuelle Form des gegenwärtig Seienden. Zu jedem Jetzt gehört ein intentionaler → Horizont, das nicht-mehr-Jetzt bzw. das noch-nicht-Jetzt. → Wahrnehmung ist originär gebend, gegenwärtigend: Sie läßt – im Unterschied zur vergegenwärtigenden → Erinnerung – ihren → Gegenstand im Zeitmodus des Jetzt präsent werden. Den Übergang zwischen dem Jetzt und dem nicht-mehrJetzt bzw. dem noch-nicht-Jetzt nennt Husserl → Retention bzw. → Protention. Heidegger begreift G. aus dem Prozeß des weltoffenen, begegnen-lassenden → Da-seins: Das entschlossene Sein bei dem Zuhandenen der Situation hat zur Voraussetzung das Gegenwärtigen dieses Anwesenden und ereignet sich im Horizont von → Gewesenheit und → Zukunft. Daher kann die Entschlossenheit nur als G. i. S. des offenen und öffnenden Gegenwärtigens sich in ihrer Grundbewegung vollziehen. Entsprechend wird das horizontale Schema der G. in Sein und Zeit durch das Um-zu bestimmt. Das → Verfallen an

212 das besorgte Zuhandene und Vorhandene gründet primär in einer bestimmten Weise des Gegenwärtigens, ebenso aber auch jenes entschlossene Dasein, das im Augenblick für die Situation ganz da ist. Fink reflektiert Grundphänomene des menschlichen Daseins aus dem Versuch heraus, den Menschen als endliches Wesen, d. h. aus der Erfahrung des Menschlichen zu verstehen und den Zusammenhang zwischen der Zeitlichkeit des Erlebens und der des Daseins zu erhellen. Hierin erhält die G. im räumlichen und zeitlichen Sinn eine besondere Bedeutung als jenes existenziale Moment, das Nähe, ein Gegenwärtig-sein der Dinge und Menschen für uns ermöglicht. In der G. findet der Mensch „sich selbst als beunruhigendes Rätsel“ (Fink 1979, 71) vor. Merleau-Ponty faßt das → Präsenzfeld als das → Feld originärer → Erfahrung, wo die → Zeit mit ihren Dimensionen leibhaftig erscheint. Das „letzte Bewußtsein ist das Bewußtsein der G.“ (Merleau-Ponty 1966, 482). „Den Übergang von einer G. zur anderen denke ich nicht, ich schaue ihm nicht zu, ich vollziehe ihn, ich bin je schon bei der G., die kommen wird, wie meine Geste immer schon an ihrem Ziele ist.“ (ebd., 479) Im Kontext seiner anthropologischen Fragen und seiner Analyse der Zeit gewinnt bei Patoˇcka die G. eine herausragende Bedeutung: Das menschliche Sein als Mit-Sein ist begründet in der Zeitlichkeit, in den beiden Möglichkeiten der Zeitigung: Entwurf des Selbst zwischen den Dingen und die Sammlung an den Grenzen des menschlichen Daseins. (vgl. Pato cˇ ka 1990, 279) Mit-Sein ist „Geworfen-Sein-insUniversum, das immer Geworfen-Sein zugleich mit Anderen ist – genauer: in

213 der Mit-G. bestimmter Anderer.“ (ebd., 277) Zugleich gilt: „Der Mensch könnte nichts realisieren, wenn er in der G. nicht zugleich schon in der Zukunft lebte, in Möglichkeiten, die noch nichts anderes als Möglichkeiten sind. Wird dem Menschen die Dimension des Möglichen verwehrt, dann hört auch die G. auf, für ihn existent zu sein. Gegebenes folgt aus noch nicht Gegebenem. Es hat Nichtgegebenes zur Bedingung.“ (Pato cˇ ka 1988, 365) Schmitz begreift G. als Prinzip der Philosophie (vgl. Schmitz 1964, 149). Wie schon der allgemeine Sprachgebrauch andeutet, wenn wir etwa sagen, etwas sei in jemandes G. geschehen, ist der ursprüngliche Sinn dieses Wortes nicht auf das Zeitliche, sondern auf das Räumliche gerichtet (vgl. ebd., 150). Methodisch wendet sich Schmitz hier gegen die Husserlsche Wesensschau: „G. wird uns nicht als isolierbarer Inhalt durch abstrahierendes Herausschauen präsentiert, sondern wir werden ihrer als einer nie ganz zu erreichenden idealen Grenze drang- oder zwanghafter Tendenzen inne“ (ebd., 167), so v. a. in den Affekten Angst und → Schmerz. Das Wovon des Weg von Angst und Schmerz ist ein primitiver Urort, der fähig ist, sich zum Hier oder Jetzt zu entfalten, und diese primitive Wurzel des Hier und Jetzt bezeichnet Schmitz als G. (vgl. edb., 196) Ricœur führt in Zeit und Erzählung aus, daß das aporetische Moment einer Philosophie der → Zeit jenseits des linearen bzw. quantitativen Denkens der Zeit dort entsteht, wo Zeit in ihrem dialektischen Verhältnis von Vergangenheit, G. und Zukunft gesehen wird. Wie jeder Versuch, die Zeit von ihrer kosmologisch-physikalischen Seite her zu begreifen, sich als unfähig erweist, G. als lebendige zu verste-

Gegenwart hen (paradigmatisch an Aristoteles expliziert), so gelingt es aber auch den von dieser ausgehenden Denkansätzen (paradigmatisch steht dafür Augustinus) nicht, einen Übergang zur Zeit der Welt herzustellen. Ricœurs Ansatz besteht darin, die Aristotelische Poetik auf die aporetischen Bekenntnisse von Augustinus antworten zu lassen: Die Fabelkomposition antwortet auf die Zerrissenheit, die unsere Zeiterfahrung kennzeichnet. In Auseinandersetzung mit Hegel verabschiedet Ricœur den Gedanken einer totalen Vermittlung, durch die die Geschichte in einer ewigen G. aufgehoben würde. Damit verzichtet er auf die Illusion, die eine alles umfassende Fabel dechiffrieren zu können: Darin drückt sich die Endlichkeit des Bewußtseins aus, das die Voraussetzungen seines Denkens nicht beherrscht. Statt dessen wählt Ricœur den Weg einer unabgeschlossenen und unvollkommenen Vermittlung: keine Aufhebung der Geschichte in der ewigen G., sondern die unvollkommene Vermittlung eines Totalisierungsprozesses. Vermittlung finden die zeitlichen Ekstasen nur im Ausgang vom Projekt der zu machenden Geschichte, wobei in diesem Machen Zukunft und Vergangenheit in der G. ineinandergreifen. Die Dialektik von Vergangenheit und Zukunft hat ihren Ort in der G., der Zeit der Initiative, in der wir durch die Vergangenheit hindurch neu zu handeln beginnen. Qu.: Hua III/1, 180-185, 326. – Hua VIII, 84-86. – Hua X. – HeiGA 2, § 65. – Fink 1979. – Merleau-Ponty 1945 (1966). – Patoˇcka 1988. – Patoˇcka 1990. – Patoˇcka 1991. – Schmitz 1964. – Schmitz 1980b. – Schmitz 1990. – Ricœur 1983 (1988). – Ricœur 1984 (1989). – Ricœur 1985 (1991). – Ricœur 1990 (1996). JV

Gehalt Gegenwart, lebendige. Der Begriff l. G. (auch „urtümliche“, „urphänomenale“, „uroriginale“, „strömende“ G.) findet sich bei Husserl schon 1917/18 (Luft 2002, 35), seine thematische Ausarbeitung gehört jedoch mit Ausnahmen vor allem in die Spätzeit (jedoch schon Hua IX, Beilage XXIII). Der Terminus bezieht sich auf „Leben“ i. S. des urphänomenalen Lebensstromes, und auf „Gegenwart“ als den lebendigen Gegenwartsstrom. „Strömende G.“ charakterisiert das → Ich als Urphänomen, das in → Reduktion auf das reine Ich gewonnen wird. Sie führt „auf den beständigen endlosen Strom der reinen Phänomene des inneren Bewußtseins“ (Hua IX, 477). Das transzendentale Ich ist durch die „universale Wesensform der intentionalen Genesis“ bestimmt, welche die immanente Zeitlichkeit (→ Zeit) konstituiert und „in einer starren Gesetzmäßigkeit jedes konkrete Bewußtseinsleben beherrscht und allen Bewußtseinserlebnissen ein bleibendes zeitliches Sein gibt“ (Hua XVII, 318). Die Zeit selbst wird damit in diesem Rückbezug auf die l. G. verständlich. Es ist mein ursprünglichstes Sein, im lebendigen Gegenwartsstrom zu leben, der das immanent zeitliche Sein konstituiert: „Dem transzendentalen Sein, meinem, als Identischsein in meinem transzendentalen Leben, dieses in der extensionalen Form der immanenten Zeit, geht voran mein Sein in der lebendigen, nicht extensionalen Urzeitigung als urphänomenaler Lebensstrom.“ (Hua XXXIV, 174) Das schafft eigene methodische Probleme. Denn dieser Strom geht nicht aus meiner → Leistung hervor, sondern geht dieser (in den Formen des Ich-denke, Ich-besinne-mich usw.) immer schon voraus. Dieses „strömende vorzeitigende Leben“ (ebd., 183)

214 wird erst durch das phänomenologisierende transzendentale Ich verzeitlicht. Diese radikale Reduktion auf die strömende Gegenwart erfüllt den vollen Sinn der transzendentalphänomenolog. Reduktion: „Die Reduktion auf die l. G. ist die radikalste Reduktion auf diejenige Subjektivität, in der alles Mir-Gelten sich ursprünglich vollzieht“ (ebd., 187). Der Strom der l. G. ist nicht zeitlich, insofern es kein Nacheinander gibt (daher von der üblichen Rede von einem Bewußtseinsoder Erlebnisstrom zu unterscheiden); doch kann insofern von einem Strom die Rede sein, als auch in dem auf eine zeiträumliche Sphäre bezogenen Strömen Gegenwart (die im Verströmen beruht) erfahren wird. So liegt in der universalen urtümlichen G. (als dem Absoluten) alle Zeit und alle Welt, doch ist die „Urgegenwart“ keine Zeitmodalität (Hua XV, 668). Diese urtümliche G. ist als die Urmodalität das Monadenall (→ Monade) in seiner Zeitlichkeit. Mit Bezug auf den → Anderen bedeutet dies, daß die → Einfühlung, die in meiner l. G. enthalten ist, auch die andere l. G. repräsentiert (ebd., 331). Qu.: Hua IX, Beilage XXIII. – Hua XV, Nr. 19 u. 38. – Hua XVII, Beilage II. – Hua XXXIV, Nr. 9-11, Beilage XIII, Nr. 20. – Lit.: Held 1966. – Held 1974. – Luft 2002. HV

Gehalt. Terminologisch unterscheidet Husserl nicht streng zwischen G. und → Inhalt. So kann sich „Inhalt“ auf den → Gegenstand beziehen und „G.“ auf den → Akt, es gibt aber auch den phänomenolog. Inhalt des Aktes (Hua XIX/2, 707). Auch der Terminus „G.“ bezieht sich sowohl auf den intentionalen Akt (vgl. Hua XIX/1, 307; „intentionaler G.“ Hua XIX/2, 713 u. 766)

215

Geisel

als auch auf das in solchen Akten Vermeinte, den noematischen G. So entspricht den mannigfaltigen Daten des noetischen G.s eine Mannigfaltigkeit des ihnen korrelierenden noeamtischen G.s, kurz → „Noema“ genannt (Hua III/2, 203). Qu.: Hua XIX/1-2. – Hua III/1.

HV

Geheimnis. Heidegger bestimmt das G. als die „Verbergung des Verborgenen“ bzw. des Seienden als eines solchen. Weil das G. das → Dasein des → Menschen durchwaltet, verwahrt dieses die „Un-entborgenheit“. Insofern → Wahrheit als Entbergen verstanden wird, ist das G. das „eigentliche Unwesen der Wahrheit“ (HeiGA 9, 194) und steht mit der → „Lichtung“ in Bezug (HeiGA 7, 287). Im G. kommt dasjenige, was sich verbirgt, als Verborgenes auf den Menschen zu und zeigt sich einzig als solches (HeiGA 16, 528). So ist das Wissen eines G.ses nie durch dessen Entschleiern oder Zergliedern möglich, sondern nur im Hüten des G.ses als eines solchen (HeiGA 4, 24). Insofern die → Metaphysik nach Heidegger „verbergend die Unverborgenheit des Seins birgt“, ist sie das „G. der Geschichte des Seins“ (HeiGA 6.2, 360). Patoˇcka bestimmt als das G., vor dem der europäische Mensch steht, das „beredte Schweigen im Grund seines Lebens“ (Patoˇcka 1988, 236). Es liegt im „Kern der Wirklichkeit“ beschlossen und ist nicht bloß als etwas Subjektives oder Privates mißzuverstehen (ebd., 102). Das G. kann nicht aufgedeckt werden und ist folglich Antrieb für die Suche nach Sinn. Es hält sich hinter demjenigen verborgen, was durch den menschlichen Geist und sein Vermögen bloßgelegt wird. Die Vehe-

menz des unbändig enthüllenden Geistes macht es jedoch oft zum Gerede bzw. zur Trivialität. Dagegen hält Patoˇcka am direkt proportionalen Wachstum von Alltäglichem bzw. Bekanntem und Geheimnisvollem fest (Pato cˇ ka 1991, 146 f.). Für ihn ist die Zeit das G., „das für alle Ewigkeit den letzten Grund der Dinge in sich birgt und gleichzeitig auch die Grundbedingung der Möglichkeit ihres Erscheinens ist“ (Patoˇcka 1988, 374). Levinas setzt den Bezug zwischen dem anderen Menschen sowie dem in dessen → Antlitz mit begegnenden → Gott einerseits und dem Ich andererseits so an, daß das Ich jene weder begreifen noch durch begrifflichen Zugriff fassen kann. Der ethische → Anspruch, der von dem oder der → Anderen ausgeht, ist ein → Sagen (dire), das – im Unterschied zum Gesagten (dit) – das Ich jenseits des Bewußtseins trifft und in → Verantwortung einsetzt. Diese Art, sich zu manifestieren, ohne als Phänomen zu erscheinen, nennt Levinas nicht „G. (secret)“, sondern „Rätsel“/„(énigme)“ (Levinas 1983, 246). Das vom Erscheinen abgesetzte Rätsel ist eine „Modalität der Transzendenz“, die im Gegenüber zu einem Menschen und im Sprechen begegnet (edb., 120, 252 u. Levinas 1992, 39, 337). Qu.: HeiGA 4. – HeiGA 6.2. – HeiGA 9. – HeiGA 77. – Patoˇcka 1988. – Patoˇcka 1991. – Levinas 1949 (1983). – Levinas 1974 (1992). – Lit.: Halder 1968/69, 229242. – Welte 1975. RE

Geisel. (frz.: (otage) Die ethische Subjektivität, das Anders-als-Sein des Subjekts, faßt Levinas unter dem Begriff der Stellvertretung (substitution) zusammen. Die Eigentlichkeit des Subjekts liegt paradoxerweise in der

Geist Einzigartigkeit (unicité) seiner → Verantwortung für den → Anderen. In diesem Zusammenhang verwendet Levinas auch den Ausdruck „G.“. „Das Subjekt ist G.“ (Levinas 1992, 248). Die G. bürgt mit ihrem Leib und Leben für die Forderungen eines Anderen. Die Geiselschaft ist nach Levinas keine freie Entscheidung eines altruistischen Subjekts. Sie entspricht vielmehr der absoluten → Passivität der inkarnierten Verantwortung, die in ihrer Unendlichkeit sogar die Schuld des Anderen zu tragen und zu sühnen hat. Qu.: Levinas 1974 (1992, 248 f. u. 260 f.) BK

Geist. Scheler gebraucht den Namen „G.“ „für alles, was das Wesen von Akt, Intentionalität und Sinnerfülltheit hat“ (ScheGW 2, 388). Aller G. ist mit Wesensnotwendigkeit persönlich, die → Person ist die einzige Existenzform des konkreten G.es. Auf Grund der biologischen Undefinierbarkeit des Menschen trifft die Unterscheidung „Mensch/Tier“ nicht die eigentliche Grenze, die vielmehr zwischen Geistwesen (Personen) und Lebewesen (Organismen) zu ziehen ist. Geistige Werte und Kulturgüter treten aus einem Überschwang des G.es in das Dasein heraus, ungebunden durch → Triebe, während die → Werte und Güter der Zivilisation zwar auch nicht aus Bedürfnissen der Triebe hergeleitet werden können, doch durch deren Interessen mitbedingt sind. In seinem Spätwerk hat Scheler die früheren Bestimmungen des G.es aufgenommen, sie aber in ein umfassendes Spannungsfeld versetzt. Der G. umfaßt neben der → Vernunft (dem „Ideendenken“) auch die → Anschauung von Urphänomenen und Akte der Gü-

216 te, Liebe, Ehrfurcht, aber auch der Seligkeit und Verzweiflung. Doch nun unterstreicht Scheler auch die Kraftlosigkeit des G.es und dessen Gegensatz zum → Drang des → Lebens. In der „Durchdringung des ursprünglich ohnmächtigen G.es und des ursprünglich dämonischen, d. h. gegenüber allen geistigen Ideen und Werten blinden Dranges“ vollzieht sich die „Bewegung dieses gewaltigen Wettersturmes, der die ,Welt‘ ist“ (ScheGW 9, 55). Heideggers verstreute Hinweise auf den G. lassen einerseits erkennen, daß er ihn einerseits in umfassendster Weise noch von Sein und Zeit herkommend als „ursprünglich gestimmte, wissende Entschlossenheit zum Wesen des Seins“ versteht (HeiGA 16, 112). Dabei ist die Philosophie wie jede wesentliche Gestalt des G.es der Mißdeutung ausgesetzt, was sich in einer Überforderung wie in einer Verkehrung ihres Leistungssinnes als kulturschaffende Einrichtung ausdrückt. Anderseits hängt damit zusammen, daß die spirituelle Auffassung des G.es besonders anfällig für sein Scheinwesen ist und verkennt, daß er sanft und zerstörerisch ist, daß das Böse selbst geistig ist (daß dessen Prinzip im Geistigen liegt, zeigt Heidegger mit Bezug auf Schelling). Arendt weist die alte (etwa bei Locke faßbare) Identifizierung von Seele und G. zurück. Während jene sich eher in Blick und Geste als im Gesprochenen ausdrückt, artikuliert sich der G. sprachlich. Vor allem aber ist die Seele der Bereich der Leidenschaften, Gefühle und Dimensionen, während das Leben des G.es auf reiner Tätigkeit beruht. Als grundlegende Handlungen des G.es werden → Denken, Wollen (→ Wille) und Urteilen angeführt (die auch die drei Teile des unvollendeten Nachlaßwerkes bilden), die voneinan-

217 der nicht abgeleitet werden können. Jede von ihnen gehorcht ihren eigenen Gesetzen. Sie sind in ihrer Selbständigkeit in der Lage, alle Bedingungen der menschlichen Existenz zu transzendieren – allerdings nur geistig, d. h. ohne die Möglichkeit einer unmittelbaren Veränderung der Wirklichkeit. Die Transzendenz der schieren Gegebenheiten läuft auf ein Experiment mit sich selbst hinaus. Weitere Fähigkeiten der Distanznahme des G.es sind die zur Reflexion, die eine Verdoppelung des Bewußtseins bringt, und die Einbildungskraft als Vergegenwärtigung von Ungegenwärtigem. Voraussetzung dazu ist eine „Entsinnlichung“, weil anders Abwesendes dem G. nicht erscheinen könnte. Arendt spricht weiters von einer Tonalität der Geistestätigkeiten und bezeichnet damit die Spannung zwischen dem denkenden Ich und dem Wollen. Während der Wille stets auf ein Tun ausgerichtet ist, beruht die Tätigkeit des Denkens darin, daß es „nichts tut“. Jene Tonalität manifestiert sich konkret in der Vergegenwärtigung des Noch-nicht durch den Willen, während die Gedanken mit der Erinnerung verbunden sind. Der G. ist in Stimmungen lebendig: in der Heiterkeit des denkenden Ich und – im Zusammenhang mit der Erinnerung – in der Melancholie. Die vorherrschende Stimmung des Willens ist dagegen die Anspannung. Qu.: ScheGW 2, V.6, VI.A.c. – ScheGW 9, 7-71. – HeiGA 16, Nr. 51. – HeiGA 42, § 18. – HeiGA 12, 31-79. – Arendt 1978a (1979a), II, I.5 u. II, 0-10. – Arendt 1978b (1979b), I.5. – Lit.: Theunissen 1975. – Derrida 1987 (1988). HV

Gelassenheit, kennzeichnet die Begrifflichkeit Heideggers nach Sein und Zeit, vom Sachgehalt her aber wird das → Lassen bzw. Sein-Lassen be-

Geltung reits in der → Fundamentalontologie bedacht, und zwar v. a. in der Zeuganalyse und ansatzweise in der Mitseinsanalyse. Bedeutsam sind weiters diesbezügliche Erörterungen im Kunstwerkaufsatz. Wenn wir uns „auf die G. zur Gegnet einlassen, wollen wir das Nicht-Wollen“ (HeiGA 13, 62): Das → Dasein, das – in dieser Weise sich loslassend – sich einläßt in die G. seines → Wesens, kann die G. in seinem Dasein zulassen, indem es in der Stille des → Seins die → Sprache des Wesens vernimmt und in dieser Weise im Sein gesammelt ist. Diese „Offenheit für das Geheimnis“ (HeiGA 16, 528) ermöglicht dem Dasein dann erst seine „G. zu den Dingen“ (ebd.). Qu.: HeiGA 13. – HeiGA 5. – HeiGA 16. – Lit.: Vorlaufer 1994. JV

Geltung. Nach Husserl ist → Sinn „nie anderes als Sinn in Geltungsmodis, also bezogen auf Ichsubjekte als intendierende und G. vollziehende“ (Hua VI, 171). Die G. betrifft die eigentümliche → Setzung bzw. Stellungnahme hinsichtlich des → Seins, des → Wertes oder des Zweckes eines → Gegenstandes und auch der ganzen → Welt. In bezug auf das In-G.-Haben unterscheidet Husserl die Seinsgewißheit, die Wertgewißheit und die praktische oder voluntäre Gewißheit. Jede Art von G. hat ihre → Modalitäten, und eine wichtige thematische Richtung ist durch dieses Phänomen des Geltungswandels bezeichnet. Z. B. erlangen wir → Gewißheit über das Sein eines Gegenstandes auf Grund der → Deckung seiner Erscheinungen, aber mit dem Bruch im Verlauf der → Wahrnehmung verwandelt sich das Sein im Wahrscheinlichsein, Möglichsein usw. Mit anderen Worten: die

Gemeinsinn Seinsgeltung findet ihre Ausweisung oder Abweisung in der Einstimmigkeit oder Uneinstimmigkeit der → Erfahrung. In der Gemüts- und Willenssphäre können sich auch Gefallen und Begehren in Mißfallen und Verabscheuen verwandeln. Obschon man keine G. willkürlich modalisieren kann, kann man sich jeder G. enthalten. Nach der Umstellung der → transzendentalen → Epoché wird die naive G. der → Welt nicht mehr im Vollzug gehalten, sondern außer Kraft gesetzt und in ein Geltungsphänomen verwandelt. Aber alles, was so außer Vollzug gesetzt wird, ist nicht verlorengegangen, sondern als eine G. enthüllt, die sich in meinem Bewähren als mir geltendes Phänomen erweist. Schmitz hat die G. der Normen einer Analyse unterzogen. Eine → Norm ist ein Programm für möglichen Gehorsam und gilt für ein Subjekt, während es zu ihr seine Zustimmung gibt. Die G. kann verbindlich oder unverbindlich und imperativistisch oder nichtimperativistisch sein. Sie ist verbindlich, wenn sie nicht in das Belieben des Subjekts gestellt ist. Und sie ist imperativistisch, wenn die Norm auf einem Befehl beruht. Qu.: Hua I, 58-61. – Hua VI, 151-154, 163176. – Hua VIII, 139-145. – Schmitz 1980, 114-125. – Lit.: Ströker 1987. RW

Gemeinsinn (sensus communis). Im August 1957 schreibt Arendt an Jaspers, daß sie die Kritik der Urteilskraft als „Kants wirkliche politische Philosophie“ verstehe, an der vor allem der „G.“ hervorgehoben werden müsse. Eine Ausarbeitung von Kants Bestimmungen (vgl. KdU § 40) in Richtung einer politischen Philosophie unternahm Arendt erst in ihrem fragmenta-

218 risch gebliebenen Spätwerk Das Urteilen, über dessen Endfassung sie 1975 verstarb. Sie führt darin aus, daß der G. das ist, was „uns in eine Gemeinschaft einfügt“ (Arendt 1985, 94). Das Urteilen ist als Mitteilung eine weltliche Tätigkeit, denn „man urteilt immer als Mitglied einer Gemeinschaft, geleitet von seinem gemeinschaftlichen Sinn, seinem sensus communis.“ (ebd., 100) Der G. gewährleistet, daß sich alle Mitglieder auf dieselben weltlichen Dinge in der öffentlichen Erscheinungswelt beziehen. Schon vor ihrer Kantlektüre hatte Arendt die Konstitution der Wirklichkeit und Gemeinsamkeit der Welt durch den G. erklärt. Wirklich ist, was vor einer Allgemeinheit erscheint und für jedermann erfahrbar ist. Arendt nimmt an, daß die fünf menschlichen Sinne als solche „rein privat“ (Arendt 1979, 59) sind und erst vom G. in eine gemeinsame Welt eingefügt werden. Dadurch kann sich in der Erfahrung ein identischer Gegenstand artikulieren, der auch von anderen erfahren wird. Ausgehend von Leibniz, verbindet Arendt damit ein Verständnis von „Tatsachenwahrheiten“, die stringent für jeden sind, „der sie mit eigenen Augen beobachtet“ (ebd., 68). Solch öffentliche Wahrheiten sind eine „Waffe im politischen Kampf“ (Arendt 1972, 74) gegen Ideologie und Lüge. Arendt richtet sich insgesamt gegen jede weltlose Innerlichkeit, die der Zerstörung der „Gemeinsamkeit der Welt“ (Arendt 1967, 275) durch den → Totalitarismus nichts entgegenzusetzen hatte und hat. Das Konzept des G.s ist Husserls Ansicht , daß sich in der Entfaltung der Erfahrung die Welt als eine allgemeinsame erweist, deren Einheitlichkeit sich im Gemeingeist fortsetzt, nahe.

219 Qu.: Arendt 1958 (1967). – Arendt 1967 (1972). – Arendt 1982 (1985). – Arendt 1978a (1979a). – Arendt/Jaspers 1985. – Lit.: Roviello 1987. MWS

Genealogie bezeichnet bei Foucault jenes Analyseverfahren, das der Herkunft moderner Machttechniken nachgeht. Diese „eher hermeneut.interpretative Disziplin“ (Fink-Eitel 1989, 87) versucht ausgehend von gegenwärtigen Fragestellungen zu zeigen, wie bestimmte → Diskurse historisch an Machtpraktiken gebunden sind. War die → Archäologie von Wissensformationen der bevorzugte theoretische Zugriff beim frühen Foucault, so dominiert in den späteren Werken (Überwachen und Strafen, Sexualität und Wahrheit) die genealogische Rekonstruktion der komplexen Beziehungen von → Macht, Wissen und → Körper in der modernen Gesellschaft. Die G. versteht sich in der Nachfolge von Nietzsche als Entlarvung vermeintlicher Objektivität in einer Geschichte der Herrschaft, der Irrtümer und der Willkür. Foucaults G. grenzt sich von traditionellen historischen Methoden ab, sie ahndet nach Diskontinuitäten, wo kontinuierliche Entwicklungen vermutet werden. Statt tieferliegende metaphys. Finalitäten aufzuspüren, bleibt sie bewußt oberflächlich mit dem Ziel, „die Einmaligkeit der Ereignisse unter Verzicht auf eine monotone Finalität ausfindig zu machen“ (Foucault 2002, 161). Statt einer neuen Suche nach verborgenen Bedeutungen zeichnet sie die Geschichte der Interpretationen selbst nach. Neben die genealogische Untersuchung der wechselseitigen Bindung von Wissen und Macht tritt im Spätwerk die G. der Weisen des ethischen Selbstbezugs als dritte Achse einer hi-

Generalthesis storischen Ontologie des modernen Individuums. Qu.: Foucault 1971 (2002, 161-191). – Foucault 1975 (1976). – Foucault 1976 (1977). – Lit.: Dreyfus/Rabinow 1982 (1987). – Fink-Eitel 1989. RS

Generalisierung. Husserl unterscheidet zwischen G. bzw. Spezialisierung einerseits und → Formalisierung bzw. Entformalisierung andererseits. Während der Aufstieg von individuellen Rotmomenten zur Spezies Rot oder die Unterordnung der Spezies Rot unter die höhere Spezies Farbe an sachhaltige Bestimmungen gebunden ist, führt die Formalisierung zu logischmathematischen Leerformen. So sind z. B. die Begriffe Menge und Zahl ihrem allgemeinsten Sinne nach auf die formal-ontolog. Kategorie „Gegenstand überhaupt“ bezogen, doch wäre es verkehrt, unter dieser logischen Leerform eine Seinsgattung zu verstehen. Das formale → Wesen „Gegenstand überhaupt“ bezeichnet keine Gattung, die alle → Gegenstände in ähnlicher Weise unter sich befaßt wie die Spezies Rot alle individuellen Rotmomente. Haben wir es bei der G. mit „materialen Wesen“ zu tun, so liefert die Formalisierung eine „bloße Wesensform“. Ihr eidetischer Charakter ist anderer Art, da sie in ihrer „formalen Allgemeinheit alle, auch die höchsten materialen Allgemeinheiten unter sich hat“ und somit für alle materialen Ontologien normierend wirkt. Qu.: Hua III/1, §§ 10-13. – Hua XVII, § 24. – Lit.: HeiGA 60, § 12. TE

Generalthesis. In den zu Husserls Lebzeiten publizierten Werken wird die G. erstmals in den Ideen zur Darstellung gebracht; ihre entscheidende

Genesis Ausformulierung findet sie aber bereits in den Vorlesungen Grundprobleme der Phänomenologie (Hua XIII, 111-138). Die Entdeckung der G. steht unter dem bezwingenden Einfluß der Problematik der → Reduktion bzw. → Epoché. Denn die auf Grund ihrer Unnatürlichkeit (Hua VIII, 120 f.), Ängstlichkeit (Hua VI, 251) und „absoluten Fremdartigkeit“ (Hua IX, 276) unablässig vom Rückfall in die natürliche → Einstellung bedrohte Methode der Epoché ist dazu bestimmt, jene radikale Änderung (Hua III/1, 61) der G. der natürlichen Einstellung vorzunehmen, die der cartesianisch orientierten Phänomenologie den direkten Sprung in die → transzendentale Einstellung gestatten soll (vgl. Hua VIII, 259). In den in der „Ichrede“ durchgeführten und die „phänomenolog. Fundamentalbetrachtung“ (Hua III/1, 27-55) der Ideen eröffnenden „Meditationen“ (edb., 56) skizziert Husserl die fraglos daseiende → Wirklichkeit der → Dinge und das selbstverständlich vorhandene Sein der (Werte-, Güter-, Sachen- und intersubjektiven) Welt, wie sie in der sinnlichen → Erfahrung (auch über den aktuellen Umkreis hinaus) oder in den → Akten des → Denkens oder → Wollens (vor-)gegeben sind. Husserl bringt diese nur ansatzweise erprobte „reine Beschreibung“ des natürlichen → Lebens „vor aller ,Theorie‘ “ (edb., 60), die sich jedoch unzweideutig von den Begriffen des → cogito und des → Horizontes, d. h. von der → Intentionalität, anleiten lässt, auf die Formel von der G. der natürlichen Einstellung. Sie erlaubt bereits innerhalb der natürlichen Einstellung die Thematisierung dessen, was der ursprünglichen Erfahrung an notwendig Unthematischem, Ungedachtem und Unprädiziertem zugehört. Der Vollzug dieser The-

220 sis oder → Setzung vom Sein der „natürlichen Welt“ (edb., 68) verdankt sich keinem gesonderten und artikulierten Urteilsakt nach Art einer Existenzthese, sie bildet aber auch nicht das Arsenal aller möglichen Einzelthesen. Die als solche nicht ausdrücklich bewußte G. ist vielmehr ein „während des natürlichen wachen Dahinlebens dauernd Bestehendes“ (edb., 62), das das intentionale Leben jedes Aktes bestimmt und allem Erfahrenen den Index des durchgängig Wirklichen und Vorhandenen verleiht. Die G. ist Voraussetzung jeder möglichen Setzung (vgl. Fink 1976, 102), und der ihr entsprechenden → Urdoxa (Hua III/1, 241) entspringt jegliches Vermeinen. Deshalb vermag die G. durch keine Verwerfung, Verneinung oder Bezweifelung „von Gegebenheiten der natürlichen Welt“ außer Kraft gesetzt zu werden. In ihrem unverbrüchlichen Horizont und auf ihrem unverrückbaren Geltungsboden sind allenfalls → Modalisierungen von Einzelthesen möglich, die zur Anzeige bringen, daß → Welt als → Wirklichkeit „hier oder dort“ anders als vermeint ist (edb., 61). Die Zurückweisung der Gültigkeit der G. kann allein durch die methodische Operation der Epoché gelingen, die den meditierenden Philosophen vom Seinsvorurteil (vgl. Aguirre 1992, 49) einer an sich bestehenden Welt befreit. Qu.: Hua III/1, 56-121, 240-243. – Hua VIII, 120-121, 259. – Hua IX, 276. – Hua XIII, 111-194. – Lit.: Aguirre 1992, 43-73. – Fink 1976, 98-108, 299-313. ID

Genesis. In der Phänomenologie Husserls hat der Begriff G. ein semantisches Spektrum, das vom zeitlichen Werden und Entstehen über Bildung bis hin zur Geschichte reicht. Die Frage der G. bringt die neue → Metho-

221 de der genetischen bzw. regressiven Phänomenologie hervor. Deren eigentlicher Ausarbeitung widmet sich Husserl in den Jahren 1917-1921. Auch wenn der ursprüngliche Entwurf der Ideen II von 1912 hinsichtlich einer Phänomenologie der → Habitualitäten Ankündigungscharakter hat (vgl. Marbach 1974, 306), so ist Husserls Haltung gegenüber genetischen Fragestellungen bis 1913 eher ablehnend (vgl. Derrida 1967, 240) und erfährt eine nachdrückliche Änderung erst unter dem Eindruck des Studiums der Schriften Natorps (vgl. Kern 1964, 339 ff.). Eine nicht zu vernachlässigende Bedeutung hat auch Kants Lehre von der Synthesis, deren spezifischen Gehalt Husserl durch eine genetisch-konstitutive Reinterpretation heraussetzt (vgl. Holenstein 1972, 195 ff.). Der späte, aber originäre Zugang zur Erforschung der Assoziationsproblematik (Hua I, 114) verhilft der Phänomenologie der G. endgültig zum Durchbruch, durch die die → transzendentale Phänomenologie jenes methodische „Doppelgesicht“ (Hua XV, 617) erhält, dem die Gegenüberstellung von statischer und genetischer Phänomenologie entspricht. Während die statischen → Analysen im Anschluß an die Bestimmung der noetisch-noematischen Struktur des → Bewußtseins den fertigen Korrelationssystemen zwischen konstituierendem Bewußtsein und konstituierter Gegenständlichkeit nachgehen, verfolgt die genetische Analyse die G. der → Konstitution im Aufweis ihrer Wesensgesetze und legt so die genetische Grundlagen der statischen Konstitution frei. Wie die transzendentale Exposition der Fremderfahrung deutlich macht, erweist sich die Unterscheidung zwischen statischer und

Genesis genetischer Konstitution allerdings als instabil. Systematisch betrachtet geht die statische der genetischen Untersuchung voraus. In den Vorlesungen zur genetischen Logik stößt Husserl über eine „notwendige Geschichte der Objektivierung“ auf eine „Geschichte“ und „Urgeschichte des Objekts“ (Hua XI, 345), die sich bis auf die hyletischen Objekte und deren G. im ursprünglich immanenten Zeitbewußtsein zurückführen läßt. Dieser wird konsequent eine „ ,Geschichte‘ des Bewußtseins“ (Hua V, 129) im Verfolg der „Geschichte aller möglichen Apperzeptionen“ zur Seite gestellt (Hua XI, 339), die über die Erforschung der gegenständlichen und assoziativen → Synthesis auch an das „Rätsel des Unbewußten“ rührt (edb., 424, 165). Die früheren Zeitanalysen erweisen sich als das „Werk einer begrifflichen Idealisierung“ (edb., 128), das im Ausgang von den „konkreten und diskreten Phänomenen“ neu beschrieben werden muß (edb., 387). Als universale Form der G. baut sich die Zeitlichkeit selbst „in einer beständigen passiven und völlig universalen G. auf“ (Hua I, 114; Hua XI, 72). Doch bleiben → Retention und → Protention als die „ersten Stiftungsformen von Vergangenheit und Zukunft“, so lange „Leerformen“ der Vergegenwärtigung, so lange sie nicht über assoziative → Inhalte einer Wiedererinnerung zugeführt werden (edb., 326). Die assoziativen Wesensverhältnisse von Gleichheit, → Ähnlichkeit und → Kontrast bilden das Grundprinzip der → passiven Synthesis und stellen sowohl die Bedingung der Möglichkeit von → Intention und Affektion als auch alle „Vorbedingungen des Inhalts“ (edb., 285) dar. Die Rückführung auf genetische Urelemente untersteht der Absicht, „eine

Genesis ideale G. aus dem Chaos“ (edb., 414) zu zeichnen. Husserl ist es um den Aufweis der Möglichkeit einer ursprünglichen Differenzierung innerhalb einer ununterschiedenen, jedes → Anhalts entbehrenden Gleichzeitigkeitssphäre zu tun. Urassoziationen (voraffektive, affektive Assoziationen) sind für die Ausbildung lebendiger Gegenwartsfelder und für die Konstitution von affektiv wirksamen Einzel-, Mehrund Einheiten verantwortlich. Unter ihrem Titel versammelt Husserl „alle Arten von ursprünglichen Synthesen der Vereinheitlichung von Mannigfaltigem“ (edb., 180), die sich als genetische Ereignisse von selbst ergeben, der Gegenstandskonstitution vorausgehen und jene Bildung von Konfigurationen, Konstellationen, Paaren, Reihen usf. ermöglichen, welche sich dem latenten Bewußtsein als passive Vorgegebenheiten aufdrängen. Die reproduktiven und antizipierenden → Assoziationen entfalten dagegen ihre affektive Wirksamkeit im Feld gegenständlicher Konstitution. Für den Sprung von der assoziativen Einheitsbildung (dem Vordinglichen) zur ursprünglichen Dingkonstitution nimmt Husserl einen besonderen → Akt der Sinnstiftung in Anspruch, der zugleich analoge Sinnstiftungen miteröffnet. Diesem sinnstiftenden Akt ist es etwa zu verdanken, daß im Wahrnehmungsverlauf die unterschiedlichen Momentanansichten als Deckungseinheit (→ Deckung) eines gegenständlichen Sinnes zur → Auffassung gelangen. Nicht nur für eine phänomenolog., sondern schon für eine im herkömmlichen Sinne verstandene „psychologische G.“ gilt, daß die → Wahrnehmung und alle anderen Bewußtseinsweisen „in früher Kinderzeit“ erlernt werden müssen (Hua I, 112). Es entspricht dem „großen Prin-

222 zip [des] der Iteration“ unterstehenden Bewußtseinslebens (Hua XI, 409), daß die → Urstiftung der wahrnehmenden Er- und Auffassung des Dinges hier irreduzibel des Beistandes der Wiederholung bedarf, und zwar in einem Ausmaß, daß der Titel Urstiftung ohne den der Nachstiftung (Hua IX, 212) nicht verliehen werden könnte. Demgemäß ist von der ersten originären Kenntnisnahme eines → Gegenstandes bis zu seiner „ursprünglichen Erwerbung“ (Hua XI, 9) eine längere Erfahrungsreise zurückzulegen, welcher einer „doppelten genetischen Nachwirkung“ entspricht. Zum einen in Form identifizierender Kenntnisnahme durch Wiedererinnerung, zum anderen in Form apperzeptiver Übertragungen, die die genetische Nachwirkung der früher gebildeten Sinnstiftung des Typus Dingerfahrung darstellen (Hua XVII, 279; Hua XI, 338 f.). → Apperzeption kann als das „Gesetz der Erfahrungsbildung überhaupt“ ausgewiesen werden (Hua XI, 22), denn ohne Wiederkonstitution der in die Sedimentordnung des Gedächtnisses niedergeschlagenen Erfahrung wäre weder eine gegenwärtige noch auch Erfahrung von Neuem möglich. Dieser „Erwerb innerer Tradition“ (Hua XI, 11) als einer „fest ausgebildeten Habitualität“ (Hua I, 109 f.) verfügt nicht nur darüber, daß Dinge und Welt „schon im ersten Blick“ erfahren werden können (Hua I, 112. Hua XI, 413), sondern konfiguriert zugleich eine Habitusgenese des → Ichs (Hua IX, 206-215). Am Ichpol des Bewußtseins schlagen sich Sinnstiftungen und habituelle Überzeugungen nieder, die die Eigenheit des Ichs und den Umfang seiner erworbenen Vermögen als zu aktualisierende Potentialitäten ausmachen (Hua IV, 255): Das Ich ist ein „System des ,Ich kann‘ “ (ebd., 253).

223 Als „apperzeptiv konstituierte Einheit“ (Hua XI, 386) hat es wiederum selbst auf eine „radikal vorichliche“ (Hua XV, 598) Konstitution zurückgeführt zu werden, die einer passiven G. unterliegt. Die zwischen passiver und aktiver G. getroffene Grenzziehung ist als eine provisorische nicht zuletzt deshalb anzusehen, weil sich jeder actus, jegliche → Leistung des Ichs nur auf dem Untergrund vorgegebener → Passivität erheben kann. Alle einmal aktiv hervorgebrachten und habitualisierten Sinnstiftungen sind zudem grundsätzlich einer passiven Weckung und apperzeptiven Übertragung aufgegeben. Stets handelt es sich um eine → Aktivität, als deren Radikal die Passivität angesehen werden muß. Namentlich die Leistungen der erzeugenden und im weitesten Sinne praktisch verstandenen → Vernunft verdanken sich der aktiven G.: Neben den idealen Gegenständen, die eine Genealogie der Logik erforderlich machen, sind sämtliche Kulturerzeugnisse Leistungen einer intersubjektiven Aktivität, die die spezifisch ichlichen Akte in der → Sozialität durch Vergemeinschaftung miteinander verbindet (Hua IX, 212 ff.). Die G. der Vergemeinschaftung, die sich mit der G. der einzelnen → Monaden in ihrer konkreten Subjektivität verflechtet, setzt jedoch bereits in der Sphäre bloßer Passivität ein, wo die eigene (triebintentionale) Passivität „in Konnex mit der Passivität aller anderen“ steht (Hua XI, 343), und verweist schließlich auf die generativen Probleme von Tod und Geburt. Qu.: Hua I, 109-116. – Hua IV, 251275. – Hua IX, 212-217. – Hua XI. – Hua XIII, 346-359. – Hua XIV, 34-42. – Hua XV, 171-173, 593-627. – Hua XVII, 183-180. – Husserl 1948. – Lit.: Aguirre 1970, 117-173. – Almeida 1972. – Ber-

Geometrie net/Kern/Marbach 1989, 181-189. – Derrida 1967, 229-252 (1972, 236-258). – Derrida 1990. – Held 1966, 3-60. – Holenstein 1972. – Kern 1964, 246-275, 321-373. – Marbach 1974, 303-339. – Welton 1983, 166-183. ID

Geometrie. In Husserls Philosophie tritt G. 1. zunächst als eine mathematische „ready-made-Wissenschaft“ (Derrida 1987) auf, d. h. als eine Wissenschaft, die ungeschichtlich und in gewissem Sinne „vorhanden“ ist. In diesem Sinne spricht Husserl vor allem in der frühen und mittleren Phase seines Schaffens von G. In der Phase der Krisis-Schrift hat sich 2. die Bedeutung von G. gewandelt; er versteht sie dann als eine geschichtlich gewachsene Kulturgestalt. 1. Als mathematische Disziplin zählt Husserl die G. zur „sachhaltige[n] Mathematik“ (Hua XVII, 84). Gegenstand der G. ist die Raumform der materiellen (aber nicht notwendigerweise existierenden) Dinge: „Man macht sich klar, daß es Wesen des materiellen Dinges sei, res extensa zu sein, daß somit die G. die auf ein Wesensmoment solcher Dinglichkeit, die Raumform, bezogene ontolog. Disziplin sei.“ (Hua III/1, 24) Während sich die angewandte G. mit den Raumformen existierender Dinge befaßt, sind die räumlichen Bestimmungen aller möglichen gegenständlichen Entitäten Thema der reinen G. Die Mannigfaltigkeit der Raumformen hat die Eigenschaft der Definitheit, d. h. daß jedes Element dieser Mannigfaltigkeit aus den geometrischen Grundelementen konstruierbar ist. In diesem Sinne ist die geometrische Mannigfaltigkeit eine Teilmenge der definiten Grundgesamtheit der Mathematik. 2. In Beilage III der Krisis-Schrift

Gesamtakt entwickelt Husserl einen Begriff der G. als „einen Gesamterwerb geistiger Leistungen, der sich durch Fortarbeit in neuen Geistesakten durch neue Erwerbe erweitert“ (Hua VI, 367) – d. h. die „gegenwärtig lebende Kulturgestalt G. [ist] Tradition und zugleich tradierend“ (ebd., 379). Die Gegenstände der G. haben dementsprechend nicht den Charakter vorgefundener platonischer Ideen, sondern sie sind zu „habituellverfügbaren Erwerben“ (ebd., 23) gewordene, aus einem Prozeß der → Ideation hervorgegangene „Limesgestalten“ (ebd.) (→ Limes) zunächst räumlicher, in der Phase der KrisisSchrift dann raumzeitlicher Formen. Das Verständnis der G. als durch die Tradition „vorgegebene Kulturtatsache“ (ebd., 379), die aber gleichwohl in Weiterentwicklung begriffen ist, bedeutet ein Verständnis der Geschichtlichkeit der G. In Husserls Spätwerk steht der Begriff „G.“ als mathematische Wissenschaft weniger im Vordergrund, mehr wird G. als prototypische moderne Wissenschaft angesehen, als exemplarisches Phänomen, an dem Husserl die Geschichtlichkeit jeden Sinnes und speziell die Geschichtlichkeit des Sinnes „Objektivität“ demonstriert. Qu.: Hua III/1. – Hua VI. – Hua XVII. – Lit.: Derrida 1962 (1987). CR

Gesamtakt. → Teilakt Geschichte. „G.“ und „Historie“ gebraucht Husserl gelegentlich synonym, manchmal unterscheidet er sie. Dann meint „Historie“ die Wissenschaft von der G. oder auch diese selbst, die dann im Fall der Philosophie zu einer „kritischen Ideengeschichte“ wird. Diese Beschäftigung mit der G. der Philo-

224 sophie, aber auch der Wissenschaften und der → Lebenswelt überhaupt führt in Husserls Spätwerk zu einem weiter vertieften Verständnis der Phänomenologie. Die G. selbst (die der Philosophie war schon wiederholt Thema) wird angesichts der → „Krisis“ der Wissenschaften zum Problem. Dies erfordert den Rückgang in die Voraussetzungen der Krisis, zugleich eine Rückfrage nach der geistigen Gestalt Europas, der Husserl exklusiv eine Teleologie zuerkennt. Diese → Europa immanente Teleologie ist gleichbedeutend mit der immanenten philosoph. Idee, in welcher der Durchbruch zu einem neuen Menschentum geschieht, ein Anfang, der durch die griechische Philosophie und deren neuartige theoretische → Einstellung vollzogen wird. Einen zweiten Anfang bedeutet die Entdeckung der Subjektivität durch Descartes. Deren Teleologie gilt es aber neu zu ergreifen, da nicht nur bei Descartes selbst Unklarheiten bestanden, sondern diese von den Nachfolgern noch verfestigt wurden und dadurch „eine durch die gewordene Wissenschaft durch Unklarheit und Selbstmißverständnis unerfüllte Aufgabe“ (Hua XXIX, 400) zurückblieb. Die teleologische Betrachtung der G. ist Rückgewinnung des Telos der Philosophie in der Situation der Krisis – Philosophie als „intersubjektive und überzeitliche Gemeinschaft der miteinander geistig verbundenen und einander motivierenden Philosophen“ (Hua VI, 443) verstanden. In dieser G. nimmt die Phänomenologie eine besondere Stellung ein, weil sie „zum ersten Male den Geist als Geist zum Feld systematischer Erfahrung und Wissenschaft gemacht und dadurch die totale Umstellung der Erkenntnisaufgaben erwirkt hat“ (ebd., 347). Dies gilt ganz

225 speziell für das Thema G., nämlich durch die Entdeckung der Geschichtlichkeit der → transzendentalen Subjektivität. Die Möglichkeit jener Entdeckung liegt in der transzendentalen → Reduktion. Scheler, der das Problem der G. auch in seinen Schriften zur Soziologie des Wissens erörtert, ist in seinen letzten Arbeiten dem Verhältnis von Anthropologie und Historik (als der grundsätzlichen Auffassung der Menschheitsgeschichte) vertieft nachgegangen. Er erblickt den Gegensatz der konkurrierenden Auffassung von G. darin, daß diesen grundverschiedene Ideen vom Wesen des Menschen vorausgehen. Er nennt fünf Grundideen: die des religiösen Glaubens (für eine autonome Philosophie irrelevant); die des homo sapiens (eine griechische Erfindung); die Idee des homo faber (im Naturalismus, Positivismus und Pragmatismus), die Auffassung des Menschen als eines faux pas des Lebens (eine „Raubaffenspezies“, Th. Lessing), schließlich die Idee des Übermenschen (Nietzsche). Auf den Geschichtsprozeß als ganzen hin gesehen könnte sich der westliche Zivilisationsprozeß als ein Versuch mit untauglichen Mitteln erweisen, den Menschen einseitig als homo sapiens zu interpretieren. Anders als bei Husserl stehen bei Scheler anthropologische und metaphys. Motive im Vordergrund, die nur lose mit phänomenlog. Einsichten zusammenhängen. Der frühe Heidegger geht eine Reihe von Bedeutungen des Begriffs der G. durch und läßt hier schon spätere Gewichtungen erkennen. G. als Geschichtswissenschaft und als das historisch Feststehende (z. B. eine Sache nicht vom philosoph. Problem her sondern historisch zu betrachten) ste-

Geschichte hen gegenüber die Bedeutungen: G. als Tradition, als Lehrmeisterin für das Leben, als „Vergangenheit haben“ (eine Stadt, ein Mensch) und als Vorkommnis, das einen selbst angeht. Die Gewichtung erfolgt im Rückgang auf die faktische Lebenserfahrung, wobei die letzte Bedeutung zur fundierenden wird: „G. als Geschehen im Ereignischarakter des faktischen Lebens bezogen auf faktische Selbstwelt, Mitwelt und Umwelt“ (HeiGA 59, 59). So kommt denn auch in der → Analytik des Daseins der G. als Historie (Geschichtswissenschaft) und der realen G. nur eine untergeordnete Bedeutung zu, insofern beide in der Geschichtlichkeit des → Daseins fundiert sind. Der Terminus „Geschichtlichkeit“ bezieht sich auf die Seinsverfassung des Daseins, auf dessen „Geschehen“. Eigentliche Geschichtlichkeit liegt in der Entschlossenheit, während sich das uneigentlich existierende Dasein aus dem, was es besorgt, seine G. errechnet, wobei ihm sein Schicksal verborgen bleibt. G. in ihrem Geschehenscharakter ist Aneignung der Überlieferung in der „schicksalhaften Wiederholung gewesener Möglichkeiten“ (HeiGA 2, 516). Das volle eigentliche Geschehen des Daseins ist das der Gemeinschaft, „des Volkes“ (ebd., 508). Nach der Kehre erfolgt eine Akzentverlagerung von der Geschichtlichkeit des Daseins zur G. des → Seins, dem Seinsgeschick (→ Geschick), das im → Abendland durch die Seinsvergessenheit geprägt ist. Dies geht gegenüber Sein und Zeit über den Versuch hinaus, die Geschichtlichkeit des Daseins im Horizont der Zeitlichkeit zu entwerfen. Denn damit wird G. vom Dasein her begriffen, d. h. aber noch nicht als sie selbst, nämlich als Gründung der Wahrheit des

Geschichte „Seyns“. Unter der Herrschaft der Seinsverlassenheit ist „das Menschentum noch geschichts-los und gerade deshalb durch und durch ,historisch‘ “ (HeiGA 69, 95). Die so verstandene G. bestimmt sich aus der anfänglichen → Entscheidung über das Wesen der → Wahrheit, in deren Aneignung „der Mensch“ überwunden wird. „G. ist die Wahrheit des Seyns.“ (ebd., 101) Eine anfängliche Entscheidung über das Wesens des Seins ist die → Metaphysik, die allein aus diesem Grunde der G. des Seins angehört. In ihr kommt die → Unverborgenheit (→ aletheia) unter das Joch der Idee (idea), das Sein wird daraufhin festgelegt, aus dem Ursprung des Einen (hen) das Allgemeine (koinon) zu sein. Maßgebliches Sein wird das Was-sein, woraus in der Neuzeit der Wandel des Seins zum Gewißsein entspringt. Grundzug des → Vorstellens (der perceptio) ist der → Wille (weshalb Leibniz die Monade durch perception und appetition bestimmt sein läßt). Am Ende dieser G., in der Epoche der vollendeten Metaphysik, ist das Seiende in die völlige Seinsverlassenheit eingerichtet. In der G. der Metaphysik ist der Nihilismus von Anfang an (seit Platon) verborgen, am Ende (in Nietzsches Metaphysik) tritt er vollends in Erscheinung. Die durch das Sein gegründete G. hat ihr „wesentliche[s] Gegenwesen“ (HeiGA 9, 197) in der → Irre. Indem sich das Sein in das Seiende entbirgt, entzieht es sich und stiftet so den Irrtum. Dieser ist der Raum der Entfaltung von G., ihr „Wesensraum“ (HeiGA 5, 337; vgl. HeiGA 51, 102). Ohne Irre gäbe es keine G. Patoˇcka steht dem eigenen Frühwerk (in dem die G. nur ein Randthema ist) kritisch gegenüber, weil Husserls phänomenolog. Reduktion, der sich je-

226 nes verpflichtet weiß, nicht imstande ist, zum menschlichen Leben in Gemeinschaft, Welt und G. hinzuführen. Doch bleibt der phänomenolog. Anspruch auch im späteren Werk Pato cˇ kas erhalten, wobei wesentliche Motive aus Heideggers existenzialer Phänomenologie und Finks Kosmologie stammen. Doch gerade in den Einwänden zu Heidegger tritt Pato cˇ kas eigene Geschichtsauffassung deutlicher hervor. Heidegger schränkt demzufolge die G. auf seltene Ereignisse ein, die dem Seinsgeschick folgen und zwischen Aufschwung und Verfall kreisen. Das gilt namentlich für die Deutung der → Technik als des Geschicks völliger Seinsvergessenheit. Wie aber aus dieser technisch beherrschten Welt herausgetreten werden kann, um der G. eine Wendung zu geben, bleibt bei Heidegger unklar. Pato cˇ ka setzt seinerseits der Nivellierung durch die Technik das Opfer entgegen, weil dieses seinem Wesen nach Rangunterschiede setzt, konkret den Unterschied zwischen menschlichem und rein dinglichem Sein. Im Opfer gründet ein alternatives Seinsverstehen (zu einer konkreten Phänomenologie des Opfers vgl. Kosík 2002). Die Suche nach einem originären Zugang zur G. wäre aus der Position eines reinen Intellektualismus vergeblich. Dieser blendet nicht nur die konkreten historischen Zusammenhänge aus, sondern auch die kreative Energie der G. „Der Geschichtsprozeß ist die Übertragung des kreativen Impulses.“ (Pato cˇ ka 1988, 334) Darin geschieht die Verknüpfung individueller Bestrebungen zugunsten eines gemeinschaftlichen Interesses im Bewußtsein, durch die Vergangenheit mitbestimmt zu sein. G. begreifen heißt, von den sie beherrschenden Mächten auszugehen, die sich al-

227 lerdings nicht aus allgemeinen Prinzipien deduzieren lassen. Pato cˇ ka unterscheidet eine tiefe, innere G. von einer G. der Oberfläche. Diese manifestiert sich in der von der Historiographie beschriebenen Abfolge äußerer Daten, doch bedarf die Geschichtsschreibung selbst der Tiefen-Historie, um zu erkennen, was zur G. gehört und was nicht. Die geschichtliche Energie entfaltet sich in einem Gesamtkontext, der → Welt. Von ihr, von unserer Welt, geht der Weg zur Welt der Vergangenheit. Pato cˇ ka unterscheidet ferner zwei „Weltgeschichten“. Die philosoph. (metaphys.) untersucht die Konstitution von Welt und Zeit, die im eigentlichen Sinn geschichtsphilosoph. geht der Frage nach dem Wesen des geschichtlichen Menschen nach. Dies setzt im Abschied von einer Position der Überzeitlichkeit die Anerkennung einer „Vielzeitlichkeit“ voraus. In Distanz zu einer intellektualistischen Einstellung geht auch MerleauPonty, dessen Geschichtsverständnis seiner Auffassung von Freiheit korrespondiert. Der Intellektualismus verfehlt die wirkliche → Intentionalität und damit auch die dem Bewußtsein eigentümlichen Momente des Fragens, der Verbundenheit, des Wunsches, der Erwartung und überhaupt der gegenseitigen Offenheit einer intersubjektiven Gemeinschaft. G. ist Herausforderung der Freiheit und als solche immer erlebte G. mit einem zumindest fragmentarischen Sinn. Dieser liegt weder in der übergeordneten Logik eines Geschichtsprozesses noch in der Setzung aus freier Individualität. „Zwischen verallgemeinerter Existenz und individueller Existenz vollzieht sich ein Austausch, beide geben und beide nehmen.“ (Merleau-Ponty 1966, 510)

Geschlechtlichkeit Qu.: Hua VII. – Hua VI. – Hua XXIX. – ScheGW 9. – HeiGA 2, §§ 72-77. – HeiGA 6.2, VII-X. – HeiGA 59, § 6. – HeiGA 69. – Patoˇcka 1975 (1988). – Patoˇcka 1991, IV.4. – Merleau-Ponty 1945 (1966), §§ 30-32. – Lit.: Barash 1999. – Derrida 1962 (1987). – Janssen 1970. – Kosík 2002. – Landgrebe 1967. – Silverman 1998. – Wiplinger 1961. HV

Geschick. Heidegger versteht zunächst unter G. das im Schicksal gründende Geschehen des → Daseins im → Mitsein mit → Anderen. Das G. wird in der Wiederholung erschlossen, damit wird dem Dasein seine eigene Geschichte offenbar. Später spricht Heidegger vom Seinsgeschick, um das Geschehen des → Seins zu bezeichnen. Er nennt es G., weil sich Sein im Seienden in einer „Schickung“ zuwendet, weil „Es“ Sein „gibt“ (Sein als → Gabe) (→ Es gibt). Er spricht auch von moira, in der griechischen Mythologie eine der drei Göttinnen des „Schicksals“, die in Heideggers Deutung noch über den Göttern und Menschen steht. Qu.: HeiGA 2, § 74. – HeiGA 10, 7. Vorlesung. – Heidegger 1969, 1-25. HV

Geschlechtlichkeit. Bei Husserl wird keine Phänomenologie der G. oder der Geschlechterdifferenz entwickelt. Im Zusammenhang mit der „universalen Triebintentionalität“ wird jedoch eine auf den → Anderen als Anderen gerichtete Triebstruktur angedacht (Hua XV, 593 ff.). Auch in Heideggers hermeneut. Phänomenologie bleibt die G. im großen und ganzen ausgespart. In seiner → Analytik des Daseins ist das → Dasein geschlechtsneutral (HeiGA 26, 172). Allerdings hat Derrida in einer dekonstruktiven Lektüre die Möglichkeit eines Denkens der sexuellen Differenz bei Heidegger in

Geschlechtlichkeit Aussicht gestellt (vgl. Derrida 1988a). Für Fink bildet die „Geschlechterliebe“ ein existenziales Phänomen. In Form der institutionellen „Liebesgemeinschaft“ stellt sie das „urtümliche Fundament der Sozialität“ (Fink 1979, 338) i. S. einer Urform menschlicher Gemeinschaften (ebd., 342) dar. Bei Scheler tritt die G. im Rahmen seiner Phänomenologie der → Scham als „geschlechtliches Schamgefühl“ auf (ScheGW 10, 106 ff.). Unter „Geschlechtsliebe“ versteht er eine „wertwählende und ,intentionale‘ Funktion des Gemütes“ (ebd., 118), die für die „Wertsteigerung des Lebens“ im Unterschied zum Geschlechts- und Fortpflanzungstrieb (ebd., 125) verantwortlich ist, wobei eine metaphys. Auffassung betont wird (ScheGW 7, 111 ff.). Für Scheler ist die G. eigentlich nie neutral, sondern immer entweder männlich oder weiblich, weshalb auch das Wort „Mensch“ als eine „männliche Idee“ kritisiert wird (ScheGW 3, 195). Zu einer Umsetzung speziell dieser Einsicht in seinen anthropologischen Studien kommt es nicht. In Abgrenzung zur G. als einer bloß körperlichen Funktion definiert Buytendijk die G. als „Erleben des Körperlichen im Verhältnis zu einer wirklichen oder zu einer Phantasiewelt“ (Buytendijk 1953b, 11). In seiner existential-psychologischen Untersuchung über Die Frau geht es ihm um eine phänomenolog. Wesensbestimmung der Frau, die in eine „Phänomenologie des weiblichen Seins“ (Buytendijk 1953a, 54) mündet, d. h., das Geschlecht wird wesensphänomenolog. als „Erscheinung der Frau“ analysiert. Mit Bezugnahme auf Marcel und Merleau-Ponty wird die G. als leibliches → „in-der-Welt-sein“ begriffen.

228 In ihren pädagogischen Arbeiten aus den Jahren 1928-1933 befaßt sich Stein mit der Bestimmung der „Natur der Frau“, die ihrer Ansicht nach mit Hilfe der auf Husserl zurückgehenden phänomenolog. Methode der „Wesensanschauung“ (Stein 1959, 126) geleistet werden kann. In concreto beruhen ihre Analysen aber auf streng christlich-katholischen Glaubensgrundsätzen und wertekonservativen Vorstellungen, wonach das Wesen der Frau primär darin bestehe, Gattin und Mutter zu sein (ebd., 5). Zu einer vertieften und modernen philosoph. Reflexion auf die G. kommt es in der französischen Phänomenologie. Bei Sartre erfährt sie vor allem als „sexuelle Begierde“ (désir sexuel) eine nähere, und zwar ontolog. Bestimmung (Sartre 1991, 664 ff.). Wie für die französische Phänomenologie insgesamt charakteristisch, wird die G. (sexualité) bei Sartre nicht auf die genitale Sexualität oder die Frage der Sexualtechnik reduziert, sondern vielmehr definiert als ein im → Begehren zum Ausdruck kommender „ursprünglicher Modus der Beziehungen zum Andern“ (ebd., 687), in der es zu einer reziproken Konstituierung des Geschlechtlichseins kommt („doppelte wechselseitige Fleischwerdung“, ebd., 683). Derart bedeutet das Geschlechtlichsein „für einen Andern geschlechtlich existieren, der für mich geschlechtlich existiert“ (ebd., 672). Allerdings wird „der“ → Andere nicht näher geschlechtlich differenziert: Sie oder er ist ein „geschlechtliches Wesen überhaupt“ (ebd.). In Merleau-Pontys Phänomenologie der Wahrnehmung wird die G. als „geschlechtliches Sein“ (être sexué) Ausgangspunkt einer Reflexion über das Verhältnis von G. und → Existenz, und zwar unter Berücksich-

229 tigung der Freudschen Psychoanalyse sowie der Daseinsanalyse Binswangers. G. ist bei ihm kein bloßes Epiphänomen, sondern → Ausdruck der Existenz (Merleau-Ponty 1966, 192 ff.) und im wesentlichen „Beziehung zum anderen und nicht nur Beziehung zu einem anderen Körper“ (Merleau-Ponty 1984, 121), weshalb sie keinesfalls auf bloße körperliche Funktionen reduziert werden kann. In Form einer „ursprünglichen Intentionalität“ (Merleau-Ponty 1966, 188), die der Aktintentionalität zugrunde liegt, wird die G. bei Merleau-Ponty auf Basis einer Phänomenologie des → Leibes vor allem als gelebte G. ins Zentrum gerückt. Im Spätwerk zeichnet sich die Möglichkeit ab, die G. i. S. des → Chiasmas in bezug auf die geschlechtliche Differenz als chiasmatische Verschränkung zu denken. Die G. als gelebte G. ist auch bei Levinas zentral. Sie steht für eine „Beziehung, die vollzogen ist, bevor sie reflektiert wird“ (Levinas 1987, 170). Im Unterschied zu Merleau-Ponty wird diese jedoch mit einer → Ethik der Alterität in Verbindung gebracht: → Eros und Geschlechterliebe bilden gemeinsam mit der Sexualität vor allem im Frühwerk die wesentlichen Elemente der Beziehung zum → Anderen. Kraft der Sexualität tritt das Subjekt in Beziehung zum → Anderen oder zur Andersheit (ebd., 404). Dazu gehört, daß die geschlechtliche Differenz philosoph. akzentuiert wird: Es ist das Weibliche, das die erotische Beziehung der Geschlechter stiftet und für eine primäre → Alterität steht (Levinas 1984, 56 ff.). Ricœur betrachtet die Geschichte der „Sexualität“ unter dem Aspekt der Zivilisierung und Disziplinierung des griechischen Eros (Ricœur 1963), im

Geschlechtlichkeit Zuge dessen die G. etwas bleibt, was sich jeder Regel widersetzt: Sie ist im wesentlichen vorsprachlich und vortechnisch i. S. der Nichtinstrumentalisierbarkeit. In Beauvoirs Das andere Geschlecht wird die G. – in ausdrücklicher Bezugnahme auf Sartre und Merleau-Ponty als „gelebte Erfahrung“ (l’expérience vécue) konzipiert – zum Ausgangspunkt einer phänomenolog. Untersuchung des sozialen Frau-Werdens mit dem Ziel der Widerlegung des „Biologie ist Schicksal“-Theorems. In einem weiteren Sinne ist auch Irigaray zu erwähnen, die ihre Ethik der sexuellen Differenz u. a. in Auseinandersetzung mit Merleau-Ponty und Levinas erprobt (Irigaray 1991). Allerdings kritisiert Irigaray an den phänomenolog. Entwürfen das Fehlen einer radikalen sexuellen Differenz, insofern G. bzw. die Geschlechterdifferenz phallokratisch nach dem Modell des Einen und des Selben konstruiert werden (ebd.). Aus neuerer Zeit ist Waldenfels zu nennen, dessen Konzeption des leiblichen → Responsoriums eine Theorie des libidinösen Leibes und des geschlechtlichen Begehrens impliziert (Waldenfels 1994a, 516 ff.). Eine Phänomenologie bzw. „Grammatik der Geschlechter“ fragt vor allem nach dem Wie und Woher des Sprechens über Frau und Mann (Waldenfels 2000, 330; Waldenfels 1997, 69 ff.) und betont auf Grund der situativen Verankerung der Leiblichkeit die Asymmetrie der Geschlechterbeziehung. Nach einer Phase der feministischen Kritik, die primär dem Nachweis androzentristischen und maskulinistischen Tendenzen innerhalb der phänomenolog. Tradition verpflichtet gewesen ist, widmen sich neuerdings vor al-

Geschmack lem diverse Ansätze innerhalb der feministischen Philosophie verstärkt einer positiven Anknüpfung an die Phänomenologie, mit dem Ziel, phänomenolog. Konzepte für feministische Fragestellungen fruchtbar zu machen. Dies gilt ebenso für neuere Forschungen innerhalb der Phänomenologie, die mittlerweile unter dem Forschungstitel „Feministische Phänomenologie“ Fragen der G. und der Geschlechterdifferenz (vgl. Stoller/Vetter 1997; Fisher/Embree 2000; Stoller 2003) nachgehen, um einen kritischen Austausch zwischen Phänomenologie und feministischer Philosophie bemüht sind. Qu.: Hua XV. – Derrida 1987 (1988a). – Fink 1979, 335-351. – ScheGW 3. – ScheGW 7. – ScheGW 10. – Buytendijk 1951 (1953a). – Stein 1959. – Sartre 1943 (1993). – Merleau-Ponty 1945 (1966). – Merleau-Ponty 1960 (1984). – MerleauPonty 1964 (1986). – Levinas 1961 (1987). – Levinas 1979 (1984). – Levinas 1978 (1992). – Ricœur 1960 (1963). – Beauvoir 1949 (1991). – Irigaray 1984 (1991). – Waldenfels 1994a. – Waldenfels 1997. – Waldenfels 2000. – Lit.: Fabeck 1994. – Fisher/Embree 2000. – Gürtler 2001. – Hammer 1974. – Sepp 1997a. – Stoller 2000. – Stoller 2003 – Stoller/Vetter 1997. SS

Geschmack. Bei Arendt neben dem Geruch der privateste Sinn, auf das Einzelne als solches gerichtet und nicht kommunizierbar; G. und Geruch affizieren unmittelbar. Schmitz bestimmt den G. als Vorgefühl der → Scham, insofern als dieser die Gefahr, die durch die Grenze der Scham entsteht, produktiv verarbeitet (im Gegensatz zur Schamhaftigkeit, die sich passiv in bloßer Zurückhaltung übt). Sowohl auf dem Gebiet der Sitte als auch im Bereich des Rechts fließt das Rechtsgefühl mit An-

230 stand und G. zusammen, der damit als „Rechtsgefühl im weiteren Sinne“ fungiert. Qu.: Arendt 1978b (1979b). – Schmitz System III/3. HV

Gesellschaft. Nach G. fragen Phänomenologen in der Regel nicht direkt, sondern eher ausgehend von Zusammenhängen, die anderswo liegen und ob ihrer Verschiedenartigkeit zwar zu keiner einheitlichen Definition von G. führen, aber doch zu gemeinsamen Tendenzen. In seine materiale Wertethik bezieht Scheler hierarchische Abstufungen von privaten und öffentlichen Gemeinschaftsarten sowie genuin institutionelle Sozialformen ein. Zur Charakterisierung der G., im Rahmen einer Analyse sozialer Wesenseinheiten, greift Scheler auf die von Tönnies ausgehende Unterscheidung von Gemeinschaft und G. zurück, die auch Husserl gelegentlich bemüht, wenn auch eher unsystematisch. Im Gegensatz zur Gemeinschaft ist für Scheler die G. eine „künstliche Einheit von Einzelnen“, die „kein ursprüngliches ,Miteinanderleben‘ “ (ScheGW 2, 517) eint. Das gesellschaftliche Zusammenwollen basiert auf Versprechen und Verträgen, die die Interessen „mündiger und selbstbewußter Einzelpersonen“ (ebd., 518) koordinieren. Gemäß der hierarchischen Anordnung sozialer Einheiten weist die G. auf die Gemeinschaft i. S. einer Fundierungsgesetzmäßigkeit zurück. „Keine G. ohne Gemeinschaft (wohl aber gegebenenfalls Gemeinschaft ohne G.). Alle mögliche G. ist also durch Gemeinschaft überhaupt fundiert“ (ebd., 520). Gesellschaftliche Vertragsverhältnisse funktionieren nur, wenn der Vertrag auch eingehalten

231 wird. Doch die Vertragseinhaltungspflicht hat ihre „Wurzel nicht wieder in einem Vertrag“, „sondern in der solidarischen Verpflichtung der Glieder einer Gemeinschaft, für sie seinsollende Inhalte zu realisieren.“ (ebd.). Ohne diese Fundierung wäre der Vertrag und damit die G. eine grundlose Fiktion. Ebenfalls von Tönnies geht Gurwitsch in seiner deskriptiven Milieutheorie aus, die Partnerschaft, Zugehörigkeit und Verschmelzung als Weisen des Zusammenseins mit anderen versteht. G. ergibt sich aus einer Explikation der Partnerschaft, welche ein Zusammensein um einer Sache willen ist, die wir kooperativ ausführen. Die Partner begegnen sich dabei in bestimmten Rollen (Bäcker, Lehrling etc.), außerhalb derer es für sie je eigene Freiheitsbereiche des Woherkommens und Wohingehens gibt, auf die die gemeinsame Situation verweist. Die durch die gemeinsame Sache motivierte Partnerschaft, jenseits derer die Akteure einander fremd sind, wird als G. bestimmt. „Eine solche Verbindung von Menschen ausschließlich in ihren Funktionen für eine gemeinsame Sache ist genau das, was seit Tönnies als G. bezeichnet wird.“ (Gurwitsch 1977, 168) Obwohl G. ein Zweckverband ist, wehrt sich Gurwitsch dagegen, hierin eine „bloße Akkumulation von Menschen“ zu sehen. Als Anhänger der Gestalttheorie, die er über den Begriff des → Feldes in die Phänomenologie einführte, vertritt Gurwitsch die Ansicht, daß auch „gesellschaftliches Zusammensein [...] bestimmte ,gestalthafte‘ Strukturen aufweist“ (ebd., 169). Die „strukturierte Gestalthaftigkeit“ (ebd., 170) bedeutet, daß selbst die G. mehr als eine Summe von Einzelpersonen darstellt. Die Nähe zu Scheler liegt darin, daß für Gurwitsch G. ebenfalls

Gesellschaft nur ein sozialer Verband unter anderen ist, dessen Zweckrationalität damit nicht konstitutiv für jedes Miteinander sein kann, wie es die politischen Kontraktualisten angenommen haben. Reichhaltiger instrumentiert ist die Sozialphänomenologie von Schütz, die ihren Ausgangspunkt in der → Lebenswelt des → Alltags hat. In der natürlichen Einstellung ist die Lebenswelt als ausgezeichnete Wirklichkeit der unbefragt vorausgesetzte Boden, von dem alles Handeln ausgeht und auf den alles Handeln abzielt. Das Handeln verändert die konkrete Mit- und Umwelt, es stützt sich auf einen Handlungsplan, der die zur Erreichung des Handlungsziels relevanten Teilschritte beinhaltet. Dabei muß die Lebenswelt situativ verstanden und ausgelegt werden. Der Handelnde greift auf seinen früher erworbenen Wissensvorrat zurück, mit dem er auch Unbekanntes deutet. Er unterstellt, daß sich das vorhandene Wissen bewährt. Unterbrochen wird die gewohnte Fraglosigkeit durch die Entstehung des Fraglichen; eine neuartige Erfahrung läßt das bisher funktionierende Auslegungsschema explodieren. Eine Neuauslegung der Situation bei gleichzeitiger Revision typischer Bezugsschemata stellt das Vertrauen in die Welt bis auf weiteres wieder her. Die Lebenswelt ist insgesamt ein Schnittpunkt zwischen individuellem Sinn und gesellschaftlichen Verhältnissen. G. versteht Schütz erstens als „gesellschaftlichen Wissensvorrat“ (Schütz/Luckmann 1979, 293), da Wissen immer auch von anderen übernommen und nicht nur eigeninitiativ erworben wird, weshalb es einem „sozialen Apriori“ (ebd., 294) gleichkommt. Wissen ist Allgemein- und Sachwissen, gleich oder ungleich verteilt. G. erscheint

Gesellschaft zweitens als „gesellschaftliches Handeln“ (Schütz/Luckmann 1984, 101), da Handeln andere einbezieht als konkretes Du oder anonymen Jemand. Der Handelnde unterstellt dabei eine „Reziprozität der Perspektiven“ (ebd., 124), weil er erwartet, daß sich der Mitmensch in typischen Situationen auch typisch verhält (auf eine Frage antwortet bzw. sich für eine Antwort bedankt). G. ist insofern jeweils durch eine bestimmte Normalität gekennzeichnet, die Grenzen haben kann und hat. Schütz’ Untersuchung der „Gesellschaftlichkeit der Lebenswelt“ (ebd., 95) war Anstoß für Forschungen, deren Hauptgewichte außerhalb der Phänomenologie liegen (Grathoff 1987). Als Aristotelikerin geht Arendt von der Unterscheidung zwischen oikos und polis aus. G. ist eine Mischform, die entstanden ist, „als das Innere des Haushalts mit den ihm zugehörigen Tätigkeiten, Sorgen und Organisationsformen aus dem Dunkel des Hauses in das volle Licht der öffentlichen Bereichs trat.“ (Arendt 1967, 38) Arendt denkt hier an Hegel und Marx, die G. als System der Bedürfnisse, Reich der Notwendigkeit, ökonomischer Konkurrenz und sozialer Wohlfahrt verstehen. Im Unterschied zum typologischen Ansatz von Schütz erfaßt Arendt G. historisch konkreter, was Einseitigkeiten, die durch die aristotelische Perspektive bedingt sind, nicht ausschließt. Bereits das Christentum betrachtet den Menschen nicht mehr als politisches, sondern als gesellschaftliches Wesen und begünstigte damit einen Verfall des Politischen, der sich in der Entstehung der G., deren Anliegen die bloße „Erhaltung des Lebens“ (ebd., 47) ist, öffentlich zeigt. G. ist „heute“ eine gleichmachende „Massengesellschaft“ (ebd., 41), die poli-

232 tisches Handeln durch „uniformiertes Sich-Verhalten“ (ebd., 44) ersetzt, Ort der Herrschaft anonymer Institutionen und eines „bloßen Geredes“ (ebd., 170), das das gute Leben verfehlt. In dieser Einschätzung verarbeitet Arendt Aspekte von Heidegger, der den Begriff der G. eher nebensächlich, etwa mit Blick auf Marx verwendet und stattdessen positiv von einer Diktatur der Öffentlichkeit spricht, deren wesentliche Merkmale im § 27 von Sein und Zeit dargestellt sind. Demnach werden in der Alltäglichkeit die eigentlichen → Möglichkeiten des → Daseins verdeckt, weil das Dasein von der Botmäßigkeit der anderen abhängig ist, die nicht konkrete andere, sondern eine anonyme Masse sind, die als → Man bezeichnet wird. Diktatur der Öffentlichkeit besagt, daß das → Man durch ein oberflächliches und sachfernes Gerede (Zeitungen, Rundfunk) die Welt- und Daseinsauslegung reguliert sowie die Weise, wie man sich verhält. Das Dasein verliert seine Verantwortlichkeit, es existiert in einer → Uneigentlichkeit, weil in die Anonymität verloren. Nicht zu leugnen ist der genetische Vorrang des Man, aus dem das Dasein sich erst herausarbeiten muß, indem es entschlossen alle Verdeckungen wegräumt und dahinter seine eigentlichen Möglichkeiten findet. Heidegger wertet die G. ab, indem er ihren vermeintlichen Gegenbegriff, die Gemeinschaft, überhöht. Der Zusammenhang, den Heidegger in Sein und Zeit zwischen dem eigentlichen Sein zum → Tode und dem → Geschick als dem „Geschehen der Gemeinschaft, des Volkes“ (HeiGA 2, 384) hergestellt hatte, wird 1933 an die seinerzeit herrschende Politik herangetragen. Heidegger erklärt als Rektor der Universität Freiburg i. Br. der

233 „deutschen Studentenschaft“ ihre Wesensbindungen. Aus der Bindung an die „Volksgemeinschaft“, die „Nation“ und an den „geistigen Auftrag des deutschen Volkes“ (HeiGA 16, 113) resultieren der Arbeits-, Wehr- und Wissensdienst. Das Dasein heißt jetzt „volklich-staatliches Dasein“ (ebd., 114). Von den Rändern der Phänomenologie aus erhebt Castoriadis Einspruch gegen die tendenzielle Abwertung der G. Er versteht G. als imaginäre Institution (Castoriadis 1975), die als autonome Selbstregierung durch eine ontolog. Schöpfung ihre historische Gestalt jeweils ins Sein treten läßt. Von MerleauPonty motiviert, knüpft Castoriadis an Husserls Begriff der → Institution (= → Stiftung) an. Qu.: ScheGW 2. – Gurwitsch 1977. – Schütz/Luckmann 1979. – Schütz/Luckmann 1984. – Grathoff 1987. – Arendt 1958 (1967). – HeiGA 2. – HeiGA 16, 107-117. – Castoriadis 1975 (1984). MWS

Gesichtsfeld (Sehfeld). MerleauPonty versteht unter G. die Zone deutlichen Sehens, die aber keine klaren Grenzen hat, sondern zum einen auch Ungesehenes (die verborgenen Seiten der → Dinge, Dinge hinter mir, ihre → Abschattungen) und auch synästhetisch andere → Wahrnehmungen mit einbezieht (Form und Farbe, taktile Eigenschaften, Klang, Geruch). Das S. „arrangiert“ die Hinwendung des Blicks auf die Dinge, deren → Qualitäten sich nicht auf Grund intellektuellen Zuganges, sondern zeichenhaft kundgeben. Qu.: Merleau-Ponty 1945 (1966, 322-326, 352-381). HV

Ge-Stell Ge-Stell. Das Wort G. gehört in Heideggers seinsgeschichtliche Interpretation der → Technik. Deren instrumentale Einschätzung (Technik als Mittel zur Erreichung bestimmter Zwecke) wird zwar nicht verneint, doch liegt darin nicht ihr Wesen. Sie ist eine Weise des Entbergens und rückt damit in die Dimension der → Wahrheit. Dies verweist auf ihre metaphys. Herkunft: Seiendes wird im Ausgang von vier Ursachen bestimmt (hyle, eidos, telos und als vierte Ursache jene, von der aus diese Bewegung ihren Anfang nimmt, vgl. Aristoteles, Metaphysik V 2). Weil damit etwas in sein Anwesen hervorgebracht wird, ist der Grundzug dieser Art des Entbergens die → poiesis (Hervorbringung als Aufgang der physis, als künstlerisches Hervorbringen und als handwerkliches → Herstellen). Das Entbergen der modernen Technik ist jedoch kein Hervorbringen i. S. der poiesis, sondern ein Herausfordern: Die → Natur wird daraufhin gestellt, Energie zu liefern. „Das Entbergen, das die moderne Technik durchherrscht, hat den Charakter des Stellens im Sinne der Herausforderung.“ (HeiGA 7, 17). Das dabei Bestellte ist selbst für ein weiteres Bestellen bestellbar und damit jederzeit ersetzbar. Zu diesem herausfordernden Stellen ist der Mensch bestellt, der → Gegenstand wird für ihn zum bloßen Bestand. Diesen Anspruch des fortgesetzten Bestellens, der an den Menschen ergeht, nennt Heidegger das G. Weil dadurch der Mensch dieses Zeitalters auf einen Weg geschickt wird, ist das G. sein → Geschick: „das derzeitige Antlitz des Seins“, u. d. h.: „Sein ist heute Ersetzbarsein.“ (HeiGA 15, 369) Indem es im Wesen des G.s liegt, → Nähe zu verweigern, ereignet sich dadurch „die Verwahrlosung des Dinges als Ding“

Geviert und damit auch die „Verweigerung von Welt“ (HeiGA 79, 47). Qu.: HeiGA 79, 24-45. – HeiGA 7, 5-36. – Lit.: Biemel/Herrmann 1989. HV

Geviert. Heideggers Rede vom G. leitet sich von Hölderlin her; ferner gibt es Entsprechungen bei Paul Klee. Das G. setzt die Einkehr des → Denkens in das → Ereignis und damit das Ende der Seinsvergessenheit voraus. In ihm ereignet sich die Zusammengehörigkeit der Vierfalt des Himmels (Gang der Gestirne und Jahreszeiten, Äther), der → Erde (die trägt und Wachstum hervorbringt), der → Göttlichen (der Boten der Gottheit) und der Sterblichen (der Menschen, „die den Tod als Tod vermögen“). Das „Spiegel-Spiel“ dieser Vier ist die → Welt. Ihre Näherung wird durch das → Ding erbracht. Der späte Heidegger versteht → Sein („Seyn“) vom G. der → Welt her. Qu.: HeiGA 4, 152-181. – HeiGA 79. – Lit.: Peetz 1995. HV

Gewalt ist für die Rechtsphänomenologie, (→ Recht) um die sich neben Husserls Sohn Gerhart vor allem Reinach bemühte, ein Grundbegriff unter anderen. In Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechts entwickelt Reinach eine Theorie sozialer → Akte, die als Vorläufer der Sprechakttheorie (Austin, Searle) angesehen wird. Zentral ist für Reinach das Versprechen, das als sozialer Akt an andere adressiert ist. Aus dem Versprechen entspringen → Anspruch und Verbindlichkeit. Ansprüche erlöschen, wenn die beanspruchte Leistung erbracht ist. Dieses ist eine apriorische Bestimmung, die im Wesen des Anspruchs selbst gründet. Reinachs Rechtslehre enthält eine „Phänomenologie des Ei-

234 gentums“, in der der Begriff der G. seinen Platz hat. Das Verhältnis einer Person zu einer Sache (mobil oder immobil) wird darin als ein „Verhältnis der G.“ eingeführt. G. ist „phys. Können“ (Reinach 1989, 191) und wird vom rechtlichen Können unterschieden. Das „Gewaltverhältnis“ zeigt den „Besitz“ einer Person über eine Sache an. Das positive Recht schützt nicht den Besitz als solchen, da dieser auch widerrechtlich bestehen kann, sondern das Eigentum, welches eine Gehörensrelation ist, in der wesensmäßig gründet, daß ein Eigentümer über seine Sache völlig frei verfügen kann. Er kann sein Recht wahrnehmen, wobei der Gebrauch seines Eigentums durch andere Personen ausgeschlossen ist, er kann seine Rechte an einer Sache aber auch anderen Personen übertragen. Der Eigentümer übt dann in interpersonaler Hinsicht rechtliche Macht aus, G. ist hingegen der Beziehung zwischen Eigentümer und Sache eigentümlich. „Macht und G. aber werden wir auf das schärfste voneinander unterscheiden.“ (ebd., 192) Während Reinach G. als phys. Zwang versteht und ihr eine begrenzte Funktion zuweist, spricht Heidegger anders und grundsätzlicher von G.: Anders, da sein Hauptbegriff nicht mehr die G., sondern Gewaltsamkeit ist. Grundsätzlicher, da Gewaltsamkeit keinem eigenständigen Bereich neben anderen angehört, sondern ein Aspekt dessen ist, was seit Husserl als → Auffassung bezeichnet wird. In seiner → Analytik des Daseins gelangt Heidegger zu der Ansicht, daß die alltägliche Daseinsauslegung das eigentliche → Sein des → Daseins verdeckt. Deshalb muß die zugleich geforderte Freilegung des eigentlichen Seinkönnens die → Eigentlichkeit der verdeckenden

235 Auslegung abringen. Die Freilegung wirkt der Verdeckung entgegen. Daraus folgt, daß die existenziale Analyse für die „alltägliche Auslegung ständig den Charakter einer Gewaltsamkeit“ (HeiGA 2, 413) hat. Die Gewaltsamkeit ist ein Moment jeder → Interpretation, da das „Verstehen die Struktur des Entwerfens hat“ (ebd., 311 f.). Die Gewaltsamkeit als solche ist nicht beliebig. Vielmehr muß das → Verstehen, weil sich die alltägliche Auslegung gegen das Verstehen von Sein sperrt, „notwendig als ,gewaltsam‘ “ (ebd., 315) auftreten. Arendt, einstige Schülerin Heideggers, versteht G. als Gegensatz von → Macht. „G. aber kann Macht nur zerstören, sie kann sich nicht an ihre Stelle setzen.“ (Arendt 1967, 196) Macht wird zerstört, wenn G. als reine Gewaltherrschaft auftritt, etwa im politischen → Totalitarismus. Im Gegensatz zur Macht definiert Arendt G. gelegentlich als naturhafte Kraft, in der Hauptsache aber als „ihrem Wesen nach instrumental“ (Arendt 1970, 78), d. h. als instrumentelle G. Gewalttäter setzen Gewaltmittel zur Durchsetzung ihrer Ziele ein. So kann ein Pistolenschütze Unbewaffnete in Schach halten. In der macht- und vernunftlosen Gewaltherrschaft regiert die „nackte G.“ (ebd., 55) der Mittel. Unterhalb dieses Extrems kann G. gerechtfertigt werden. „Ihre Rechtfertigung wird um so einleuchtender sein, je näher das zu erreichende Ziel liegt.“ (ebd., 53) Dieses gilt deshalb nur für kurzfristige Ziele, da bei der Verfolgung ferner Ziele die Gefahr droht, daß G. zum Selbstzweck wird. G. ist somit vernünftig, wenn sie „wirklich dazu dient, den Zweck, der sie rechtfertigen muß, zu erreichen.“ (ebd., 78) Arendt denkt an politische Revolutionen, „wo G. ge-

Gewalt braucht wird, um eine neue Staatsform zu konstituieren“ (Arendt 1965, 41 f.), die einen vernünftigen Neuanfang, eine → Geburt, des politischen Menschen in der Welt realisiert. In der französischen Phänomenologie wird G. zu einem Unruheherd, da die klassische Unterscheidung von gewaltloser Vernunft und vernunftloser G., die auch von Arendt vertreten wird, ihre Glaubwürdigkeit verliert. Aspekte der Gewaltsamkeit haften, Merleau-Ponty zufolge, der → Wahrnehmung, dem Handeln und Sprechen an (Schnell 1995, 109 ff., 119 ff, 190 ff.). In der vernünftigen Rede artikuliert sich eine symbolische G., die aus der Macht des Sprechens erwächst und kein sekundäres Instrument ist (Bourdieu/Passeron 1971). Die Levinas eigene Auffassung von G. ergibt sich aus seinem spezifischen Verständnis von → Ethik, sowie → Widerstand gegen → Totalität und → Krieg. Totalitär ist jedes Denken und Handeln, das die → Exteriorität des anderen in eine geschlossene Ordnung einzuholen versucht. „Die G.“ sieht es „auf ein Antlitz ab.“ (Levinas 1987, 327) Levinas geht gegen jegliche Totalität von einer Transzendenz der „Fremdheit des Anderen“ (ebd., 51) aus. Die Beziehung des Selben zum → Anderen ist die Sprache, in der der Andere von seinem eigenen Licht her strahlt. Diese → Sprache ist frei von Rhetorik, denn wäre sie es nicht, wäre sie „G.“ und damit eine Instrumentalisierung des Anderen. In der „wirklichen Rede“ allein ist und bleibt der Andere „außerhalb aller Aneignung“ (ebd., 95). Fraglich ist hier, laut Derrida, ob Rede und G. in dieser Weise voneinander getrennt werden können. Wenn wir uns im Bereich der Sprache befinden, dann ist G. nicht hintergehbar, da jede Rede immer

Gewalt auch eine bestimmende ist. „Es gibt aber keinen Satz, der nicht bestimmte, der sich demnach nicht der G. des Begriffs bediente. Die G. tritt mit der Artikulation in Erscheinung.“ (Derrida 1972, 226) G. ist eine Bedingung, die die Beziehung zum Anderen möglich macht. In eigener Initiative verfolgt Derrida das Problem der G. anhand der Stiftungsaporien in der Gründung von politischen Verfassungen und Rechtsordnungen. Wenn Verfassungen auf der G. des Volkes basieren, wie es seit der Neuzeit heißt, dann muß das Volk ein handlungsfähiger Verfassungsgeber sein, der in sich organisiert ist und über Repräsentanten verfügt. Doch genau diese Qualität soll eigentlich erst aus der gestifteten Verfassung resultieren. Sie kann somit nicht zuvor schon bestanden haben. Die verfassungsgebende G. ist eine G., jedoch in einem anderen Sinn als die Vertreter des Kontraktualismus und der Vernunftgesetzgebung angenommen haben. Derrida zufolge kann sich eine Stiftungsgewalt nicht auf „eine vorgängige Rechtmäßigkeit berufen“ (Derrida 1991, 13), da sie „weder rechtmäßig noch unrechtmäßig“ (ebd., 14) ist, denn sie geht dieser Differenzierung voraus. Derrida unterscheidet von der Gesetzeskraft einer legitimen G. eine performative G., die „in sich selbst eine grund-lose Gewalt(tat)“ (ebd., 29) ist. Sie bildet den „mystischen Grund der Autorität“ (ebd., 28), die einer verfassungsmäßig verankerten Rechts- bzw. Staatsgewalt zukommt. Die grundlegende (stiftende) und zugleich grundlose (vor einer Vernunftgrundlage wirkende) G. wird immer dann verleugnet, wenn ihr Gründungsmythen nachträglich einen Sinn verleihen, den sie von sich aus niemals hatte. Diese kritische Sichtweise läßt Arendts Konzept

236 der Staatsgründung in einem anderen Licht erscheinen. In seinen Überlegungen zu einer → Ordnung des → Diskurses spricht Foucault davon, daß „man den Diskurs als eine G. begreifen muß, die wir den Dingen antun; jedenfalls als eine Praxis, die wir ihnen aufzwingen“ (Foucault 1974, 37). Waldenfels, der daran anküpft, geht zunächst von der These aus, daß jede Vernunft in positiven Ordnungen verkörpert ist, welche sich einer selektiven und exklusiven Ordnungsstiftung verdanken. Ordnungen des Sprechens, Handelns, der Politik, des Rechts etc. haften Momente einer Gewaltsamkeit an, da sie durch keine zureichenden Gründe gerechtfertigt werden können. Von dieser Gewaltsamkeit, die eine Ordnung als solche betrifft, unterscheidet Waldenfels eine Form von G., die, „wie das lateinische Wort violentia nahelegt, eine Verletzung [ist], und zwar von Ansprüchen, denen wir zu entsprechen haben; Unrecht als Verletzung von Rechtsansprüchen, die wir zu erfüllen haben, wäre bereits eine spezifische Form der verletzenden G.“ (Waldenfels 1989, 115) Plurale → Ansprüche, die in einem → Feld der Erfahrung auftreten, werden insofern durch das Handeln, welches auf diese Ansprüche eingeht, „gewaltsam“ verletzt, als auch das Handeln „keine zureichenden Gründe für sich hat.“ (Waldenfels 1994a, 358) Im Werk von Ricœur finden sich zahlreiche Stellungnahmen zur G., die höchst unterschiedlichen Bereichen gelten: dem Staat, dem Handeln, der Rede, der → Interpretation und der Intersubjektivität. Der frühe Ricœur geht von dem klassischen Verständnis aus, daß ein Staat legitime G. über seine Bürger hat. Diese G. wird im Falle einer bewaffneten Verteidigung des Staa-

237 tes in die Hände der Bürger gelegt. Dieser Extremfall zeugt von dem Abstand zwischen dem Politischen und dem ethischen Mordverbot. Dieser Abstand ist keine bloße Ausnahme, denn „der Staat ist diejenige Realität, die sich nicht in den Grenzen des Mordverbots gehalten hat und sich nicht in ihnen hält. Der Staat ist diejenige Realität, die mit mörderischer G. eingesetzt und aufrecht erhalten wird.“ (Ricœur 1974, 247) G. dient nicht nur zum Überleben, sondern schon zur Errichtung eines Staates. An anderer Stelle charakterisiert Ricœur den gewaltlosen Widerstand als eine ethische Transzendenz der G. (Ricœur 1949). In einer Studie aus den sechziger Jahren widmet sich Ricœur dem Verhältnis von Sprache und G. (Ricœur 1967). Sprache und G. sind Gegensätze, sie treten jedoch zusammen auf, da beide das Feld des Humanen besetzen. Der sprachliche Ausdruck ist gewaltsam und zugleich Wille zum vernünftigen Sinn. G. läßt sich von der Artikulation des Logos nicht trennen. Ricœur legt dar, daß dieses für die politische, die dichterische und die philosoph. Rede in je eigener Weise gilt. Eine völlig vernunftlose G. ist jedoch nicht möglich, da die sprechende Rede immer auch Universalität, Offenheit und Sinn intendiert. In seiner 1990 vorgelegten Hermeneutik des Selbst entfaltet Ricœur einen Dreiklang von → Ethik, → Politik und → Moral. Die G. erfordert, daß die ethische Ausrichtung des guten und gerechten Lebens einer Prüfung durch die Moral unterzogen werden muß. Mit Arendt bestimmt Ricœur G. als Gegensatz von → Macht. Positiv wird das Thema in zwei Richtungen entfaltet. Zunächst als G. gegen den → Anderen. „Die Gewalttätigkeit entspricht einer Verminderung oder

Gewesenheit Zerstörung des Tun-Könnens des Anderen“, seiner „Selbstschätzung“ und „Selbstachtung.“ (Ricœur 1996, 267) G. macht den Anderen zum Leidenden. Folter, Demütigung und Mord sind entsprechende Gewaltformen. Sie instrumentalisieren den Anderen und bestehen deshalb die moralische Überprüfung durch den kategorischen Imperativ nicht. Die zweite Richtung befaßt sich mit der Gründung eines Staates. Ricœur zufolge basieren auch Staaten, die „zu Rechtsstaaten geworden“ sind, auf einer „gewalttätigen Geburt.“ (ebd., 311) Diese Gründungsgewalt und die politische Macht verbinden sich aber, wie es heißt, „miteinander in der rechtmäßigen Ausübung der G.“ (ebd., 312) Die hier angedeutete Einholung der Stiftungsgewalt in den gegründeten Staat verweist zumindest darauf, daß Ricœur hinter die Radikalität seines Frühwerkes zurückfällt. Qu.: Reinach 1989, 141-278. – HeiGA 2. – Arendt 1958 (1967). – Arendt 1963 (1965). – Arendt 1970 (1970). – Levinas 1961 (1987). – Derrida 1964 (1972), 121-235. – Derrida 1990 (1991). – Bourdieu/Passeron 1971 (1973). – Foucault 1971 (1974). – Waldenfels 1990, 103-119. – Waldenfels 1994a. – Ricœur 1949 (1974, 219-231). – Ricœur 1957 (1974, 232-247). – Ricœur 1990 (1996). – Ricœur 1967/1991b, 131158. – Lit.: Schnell 1995 MWS

Gewesenheit ist in Sein und Zeit eine der → Ekstasen der ursprünglichen Zeitlichkeit. Indem ihr spezifischer ekstatischer Charakter als „zurück-auf“ bestimmt wird (HeiGA 2, 435), wird G. der → Zukunft nachgeordnet: um auf sich i. S. der Übernahme seiner → Geworfenheit zurückkommen zu können, muß das → Dasein überhaupt auf sich zukommen können, d. h. zukünftig sein. In und durch sein Existieren ent-

Gewissen scheidet das Dasein, wie und als wer es gewesen ist. Von der G. als Terminus für den formalen, hinsichtlich → Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit indifferenten zeitlichen → Sinn des Sorgemomentes der → Faktizität unterscheidet Heidegger „Wiederholung“ als Bezeichnung für den eigentlichen Modus des Gewesenseins (vgl. ebd., 509) und „Vergessen“ als Bezeichnung für den uneigentlichen Modus des Gewesenseins (vgl. ebd., 453). G. als Moment des Zeitsinns der → Sorge ist strikt von → Vergangenheit als Teil der Jetzt-Zeit oder Innerzeitigkeit verschieden. Qu.: HeiGA 2. – Lit.: Heinz 1982. – Margot 1991. MH

Gewissen. Für Heidegger gehört das G. zusammen mit dem Phänomen der → „Angst“ und der existentialen Struktur des „Seins-zum-Tode“ zu denjenigen Momenten, die dem → Dasein sein → „Selbst“ erschließen. Das G. ruft dem Dasein jedoch nichts inhaltlich Bestimmtes zu, vielmehr ist das Dasein im Anruf des G.s zu seinem eigensten Seinkönnen aufgerufen, das sich so als die wesentliche Bestimmung des „Selbst“ erweist. Im Unterschied zu anderen Gewissenskonzeptionen soziologischer oder psychologischer Herkunft rührt der Ruf des G.s für Heidegger nicht von äußeren – eventuell verinnerlichten (Überich) – Instanzen her, sondern ist ein Ruf des Daseins an sich selbst. Gegen das Verständnis des G. als bloßes Symptom der Furcht vor Strafe oder als krankhafte Selbstanklage begreift Scheler das G. in seiner Erscheinung als Reue (in Analogie zu organischen Vorgängen) als einen Moment der Selbstheilung der → Seele. Da-

238 bei unterscheidet Scheler die conscientia consequens, d. h. das nachfolgende schlechte G., von der conscientia antecedens, d. h. dem vorausschauenden G. Das Zurücktreten des schlechten G.s, d. h. der Reue, zugunsten des vorausschauenden G.s deutet dabei nicht unbedingt auf eine zunehmende Gewissenslosigkeit, sondern kann vielmehr ein Zeichen dafür sein, daß die concienta antecedens aufgrund der früher von der conscientia consequens gemachten Erfahrungen sich nun bereits stärker am eigenen Persönlichkeitsbild orientiert. Neben den abkünftigen Phänomenen des guten und des warnenden G.s spricht Schmitz vom eigentlichen G. als „richtendem G.“. In Anlehnung an Luther beschreibt er dieses als eine Konstellation der Gefühle Scham, Angst, Furcht und Zorn. Zu Momenten des Gewissensphänomens werden diese Gefühle dann, wenn sie den Charakter der Unmittelbarkeit annehmen und so dem Subjekt jedwede distanzierende Stellungnahme verunmöglichen. In dieser Unmittelbarkeit der Gefühlskonstellation liegt das Spezifische des G.s und erst hierdurch erlangen die genannten Gefühle ihre „Gewissensqualität“. Qu.: HeiGA 2. – ScheGW 5. – Schmitz System III/3. – Schmitz System II/4. MW

Gewißheit. Descartes setzt sich in seinen Meditationen das Ziel, ein Fundament letzter G. zu erlangen, das jedem künftigen → Zweifel standhält. Im Durchgang durch den metaphys. (hyperbolischen) Zweifel erweist sich das ego sum, ego existo („ich bin, ich existiere“, II. Meditation) als jenes gesuchte Fundament: Mag ihn auch ein allmächtiger Betrüger täuschen –

239 das Bewußtsein (cogito) ist seiner zumindest in der Selbstgegenwart seines Vollzugs (zweifelnd, erkennend, aber auch empfindend u. dgl.) absolut gewiß. Nun liegt Husserl zufolge gerade in den ersten beiden Meditationen Descartes’ die entscheidende Entdeckung, die der Transzendentalphilosophie den Durchbruch verschafft, „nämlich die Entdeckung der transzendental reinen, in sich absolut geschlossenen Subjektivität, die ihrer selbst jederzeit innewerden kann, in absoluter Zweifellosigkeit“ (Hua VII, 63); Descartes selbst hat jedoch den tiefsten Sinn seiner Entdeckung nicht erfaßt: die durch das ego cogito leistbare Begründung von → Erkenntnis und → Wissenschaft. G. bezieht Husserl primär auf → Evidenz. Diese ist → apodiktisch, wenn Seiendes nicht nur in völliger G. im Modus des „es selbst“ gegeben ist (Seinsgewißheit mit korrelativer Glaubensgewißheit, auch → „Urglaube“ oder → „Urdoxa“), sondern darüber hinaus durch eine kritische Reflexion jeder Zweifel ausgeschlossen werden kann. Das in transzendentalphänomenolog. → Reduktion erschlossene ego cogito ist zwar apodiktisch evident, doch ist diese Evidenz nicht auch adäquat, sofern zur lebendigen Selbstgegenwart (dem Kern des eigentlich adäquat Erfahrenen) ein unbestimmt allgemeiner → Horizont hinzutritt. Allerdings ist der Selbsterfahrung eine universale Erfahrungsstruktur des → Ich zugänglich, die sich als apodiktisch ausweisen läßt. Nun ist apodiktische G. nur ein Modus unter mehreren Modi der G.: Husserl unterscheidet reine und unreine, präsumptive und apodiktische G. Reine und unreine G. sind Formen der Stellungnahme zu sogenannten „anmutlichenMöglichkeiten, d. h.

Gewißheit zu Möglichkeiten, die sich als seiend anbieten („anmuten“). Im Fall affektiver Anmutung ist die Stellungnahme durch die Neigung, ein bestimmtes Urteil zu fällen, bestimmt. Sind solche → Möglichkeiten affektiv im Spiel und erfolgt dennoch für eine von ihnen in G. die Entscheidung, handelt es sich um unreine G. Reine G. liegt vor, wird die Entscheidung aufgrund einstimmig konstituierter Erfahrung unter Ausschluß der Gegenmöglichkeiten getroffen. Präsumptiv oder empirisch heißt die G., wenn alle offenen Möglichkeiten innerhalb eines Spielraums gleich möglich sind; es ist dies die G. äußerer → Erfahrung. Ihr Gegenmodus ist die apodiktische, absolute G., bei der es keine offenen Möglichkeiten gibt; ihr entspricht der Begriff der → Notwendigkeit. Descartes’ Idee der Wissenschaft ist durch einen Vorgriff auf G. und Evidenz bestimmt. Dieser regelt auch jede Möglichkeit, wie → Gegenstände begegnen können, ja mehr noch, daß sie dies überhaupt dürfen: Die → Methode (deren Ideal die Mathematik ist, das sich bei Descartes in der regula generalis der Klarheit und Deutlichkeit ausdrückt) entscheidet vorweg über die Gegenständlichkeit des Begegnenden; dessen je besonderen Seinscharaktere kommen dabei überhaupt nicht in Betracht. In diesem methodischen Vorgriff, daß nur jene Gegenstände, die dem Kriterium der G. genügen, wissenschaftliche Relevanz erhalten, erblickt Heidegger die Sorge der G.: Sie ist Sorge um Wissenschaft. Heidegger nimmt Husserls „Cartesianismus“ zum Anlaß einer prinzipiellen Kritik, die zwar die Unterschiede zwischen den beiden Philosophen beachtet, gleichwohl in Descartes’ „Sorge der G.“ den Grund für „Verunstaltungen“ (HeiGA

Gewohnheit 17, 270) der phänomenolog. Forschung erblickt. Diese liegen darin, daß die → Intentionalität als spezifisch theoretisches → Verhalten gefaßt wird, daß parallel dazu der für die Phänomenologie fundamentale Begriff der Evidenz gleichfalls an der theoretischen Evidenz orientiert bleibt und daß das phänomenolog. Prinzip „Zu den Sachen selbst!“ (→ Sache selbst) dahingehend einer restriktiven Vorentscheidung unterworfen wird, als die „Sachen“ nur hinsichtlich dessen, daß sie für Wissenschaft geeignet sind, befragt werden. Die Sorge der G. sieht vom → Dasein ab, in ihr ist dieses vor sich selbst auf der Flucht. Es flieht vor der Unheimlichkeit, einer → Möglichkeit, die in ihm selbst als faktisch existierendes Dasein angelegt ist. Seinsgeschichtlich erscheint in der Auslegung der → Wahrheit als G. die Verfestigung einer Grundstellung des abendländischen Menschen, dessen Wirklichkeit durch die Sicherheit seiner selbst und seines Wirkens bestimmt wird. Damit beginnt die Geschichte der Neuzeit. Die Wahrheit dieses Menschentums fordert die unbedingte Sicherung seiner Herrschaft, womit die „Bekümmerung“ (HeiGA 6.2, 387) (→ Sorge) einhergeht, die Sicherungsmöglichkeiten zu steigern und immer weiter sicherzustellen (→ Ge-Stell). Qu.: Hua VII, 9.-11. Vorlesung. – Hua I, §§ 6-12. – Husserl 1939, §§ 76-77. – HeiGA 17, §§ 34-38, 46-50. – HeiGA 20, §§ 11-13. – HeiGA 6.1, V 124-153, VIII 383-391. – Lit.: Herrmann 1970. – Herrmann 1971. – Wüstenberg 1985. HV

Gewohnheit (l’habitude) ist für Merleau-Pontys Phänomenologie von besonderer Bedeutung, weil ihr Erwerb es erlaubt, die Genese von → Sinn auf der Ebene des → Leibes zu thematisie-

240 ren. Gegen Autoren wie Bergson, der die G. als „das fossile Residuum einer geistigen Leistung“ definiert, sieht Merleau-Ponty ihren Ursprung nicht in einem „Verstandesakt, der ihre Elemente organisierte und alsdann sich aus ihnen wieder zurückzöge“, sondern begreift ihren Erwerb als genuin leiblichen Vorgang: sei es als „motorische Erfassung einer Bewegungsbedeutung“ (Merleau-Ponty 1966) wie z. B. beim Maschinschreiben, Orgelspielen oder Tanzen, sei es als perzeptive Erkundung der Welt, wie sie sich im Blick des Sehenden oder durch den Stock des Blinden vollzieht (vgl. Merleau-Ponty 1966, 182-184). Die G. ist also weder eine Kenntnis (connaissance) noch aber auch ein Automatismus, sondern ein „Wissen (savoir) [...], das allein der leiblichen Betätigung zur Verfügung steht, ohne sich in objektive Bezeichnungen übertragen zu lassen“ (ebd., 174). Als Element des Körperschemas stellt sie eine nicht-intellektualistische → Synthese von → Erfahrungen dar, in der sinnhaftes Verstehen nicht mehr Subsumtion eines sinnlich Gegebenen unter Ideen bedeutet, sondern die Erfahrung der Übereinstimmung „zwischen Intention und Vollzug, zwischen dem, worauf wir abzielen, und dem, was gegeben ist“ (ebd., 174), meint. „Die G. ist der Ausdruck unseres Vermögens, unser Sein zur Welt zu erweitern oder unsere Existenz durch Einbeziehung neuer Werkzeuge in sie zu verwandeln.“ (ebd., 173) Insofern steht bei Merleau-Ponty auch nicht der Entlastungscharakter der G. im Vordergrund, sondern der Umstand, daß sie unsere leibliche Verankerung in der Welt deutlich werden läßt (vgl. ebd., 174). Merleau-Ponty betont mithin, daß der Leib weder im Raum noch

241

Glaube

in der Zeit sei, sondern beide bewohne (habiter) (ebd., 169), und thematisiert so nicht nur diese besondere Form der Verankerung, sondern markiert auch die sachliche Nähe zu Heideggers Existentialanalyse des ,In-Seins‘ (vgl. HeiGA 2, § 12). Wo er dann aber, wie in den Analysen zum künstlerischen Schaffensprozeß im Spätwerk (vgl. Das Auge und der Geist), das Konzept des ,Wohnens‘ auch auf die Welt überträgt und z. B. davon spricht, daß das Wasser nicht im Schwimmbecken sei, sondern es bewohne (MerleauPonty 1984, 35), da läßt sich vermuten, daß der konzeptionelle Übergang vom Leib-Begriff zum → Fleisch-Begriff auch hinsichtlich der G. noch einige Veränderungen mit sich gebracht hätte. Qu.: Merleau-Ponty 1945 (1966). – Merleau-Ponty 1964 (2 1984, 13-43). – HeiGA 2. HR

Geworfenheit. Die Kennzeichnung des → Daseins durch das → Existenzial der G. faßt die Ohnmacht des Daseins als eines Seinden, das sich nicht selbst in sein → Sein bringt, als eine „Bewegtheit“ des Existierens auf, die sich im → Verfallen fortsetzt. (vgl. HeiGA 2, 236 f.) Die Bewegtheit des Entlassenseins an sich selbst geht über in die Bewegtheit des Sichverlierens in der Angewiesenheit auf das innerweltlich Seiende. Qu.: HeiGA 2.

MH

Glaube. Nach Husserl ist der G. ein seinsetzendes noetisches Moment. Es handelt sich um eine doxische Stellungnahme, deren unmodifizierte oder unmodalisierte Urform die Glaubensgewißheit ist. Auf sie weisen die Modifikationen der Vermutung (des Wahrscheinlichkeitsbewußtseins), der

Anmutung (des Möglichkeitsbewußtseins), der Frage und des → Zweifels zurück. Diesen Glaubenscharakteren entsprechen als intentionale Geltungskorrelate die Seinscharaktere oder Seinsmodalitäten der Wirklichkeit, des Vermutlich- oder Wahrscheinlichseins, des Möglicherweiseseins, des Fraglichseins und des Zweifelhaftseins. Während die → Erfahrung des Einzelnen sich so auf Grund der größeren oder minderen Einstimmigkeit der Erfahrung modalisieren kann, ist der Weltglaube immer eine präsumptive → Gewißheit, weil die Welterfahrung nur die Vorzeichnung einer einstimmigen → Synthese im weiteren Verlauf in sich schließt. Der Weltglaube kann durch keine Gegenmotive aufgehoben gedacht werden, insofern als keine Welterfahrung in Streit mit anderer Welterfahrung getreten ist. Ricœur unterscheidet den doxischen G.n (croyance) und die → Bezeugung (attestation) der eigenen Existenz im Modus der Selbstheit. Während die Doxa im Satz „Ich glaube, daß“ festgelegt wird, drückt sich die Bezeugung im Satz „Ich glaube an“ aus. Die letzte hat mit Glaubwürdigkeit und Kredit (confiance, créance) zu tun; deshalb hebt Ricœur ihre sprachliche Verwandtschaft mit Überzeugung (conviction) hervor. Außerdem entfaltet er die Problematik in die Richtung des religiösen G.ns (foi), die auch der Grammatik des zweiten Satzes unterzogen wird. Hier wird eine Verwandtschaft zwischen Bezeugung und Zeugnis aus dem Grunde betont, daß man an das Wort des Zeugen glaubt. Qu.: Hua III/1, 238-250. – Ricœur 1983, 292-301. – Ricœur 1990 (1996, 32-34, 359-365.) – Lit.: Greisch 1995, 305-326. – Ströker 1987. RW

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gleichursprünglich Gleichursprünglich sind bei Heidegger existenziale Momente, die nicht aufeinander zurückführbar sind, sondern auf einer Fundierungsebene liegen, also in gleichem Maße ursprünglich sind, so daß in ihrer wechselweisen Verflochtenheit keines ohne das andere denkbar ist: „Die Unableitbarkeit eines Ursprünglichen schließt [...] eine Mannigfaltigkeit der dafür konstitutiven Seinscharaktere nicht aus. Zeigen sich solche, dann sind sie existenzial g.“ (HeiGA 2, 175). Heidegger wendet sich damit gegen ein eingleisig begründendes oder voreilig vereinheitlichendes Denken. In diesem Sinne g. sind z. B. die existenzialen Strukturmomente → Befindlichkeit, → Verstehen und → Rede, welche ihre fundierende nicht-additive Ganzheit in der → Sorge haben. Qu.: HeiGA 2.

WF

Gleichzeitigkeit bezeichnet bei Husserl zwei im selben → „Jetzt“ gegebene → Empfindungen, so z. B. ein Ton, der zusammen mit einer Farbe gegeben ist. Die jeweiligen retentionalen → Modifikationen der in einem „Jetzt“ auftretenden Empfindungen gelten dann ebenfalls als gleichzeitig, sie nehmen in der objektivierten Zeit ihrer Gegenstände die gleiche Zeitstelle ein. In der frühen Phase der Analysen zum inneren Zeitbewußtsein vertritt Husserl die Auffassung, daß sich das zeitkonstituierende → Bewußtsein gleichzeitig mit seinen konstituierten inneren Zeiteinheiten (→ Erlebnissen) vollzieht. Hiervon weicht Husserl bereits zu Ende dieser frühen Phase ab, um dann in seinen späteren Analysen den urzeitigenden, nicht in der Zeit sich bewegenden, konstituierenden Bewußtseinsfluß

(→ Fluß) in den Mittelpunkt seiner Untersuchungen zu stellen. Letztlich verbleibt so der Begriff der G. innerhalb der konstituierten Erlebnisse und ihrer Teilmomente sowie der objektivierten transzendenten Zeitgegenstände. Qu.: Hua X, 71-72, 76-79, 109-110, 115116, 324-334. SR

Gott, Göttliches. Wenn Husserl in den Ideen das Gottesproblem berührt, betont er die Eigenart dieser Problematik: Ein mundaner G. ist evident unmöglich; die Immanenz G.es kann im absoluten → Bewußtsein nicht als → Erlebnis gefaßt werden, daher muß es im absoluten Bewußtseinsstrom andere Möglichkeiten der Bekundung von Transzendenzen geben. Das → Absolute eines außerweltlichen → Seins wäre vom Absoluten des Bewußtseins total verschieden. Doch weist Husserl solche Fragen zumindest vorläufig ab, weil sein unmittelbares Absehen nicht auf Theologie, sondern auf Phänomenologie zielt (wobei deren Bedeutung für jene nicht ausgeschlossen wird). Das Festhalten an der philosoph. Position führt auch zu einer klaren Abgrenzung gegenüber der → „Naivität“, die zum Wesen der positiven Religion (und also auch zum Glauben an einen Schöpfergott) gehört und bei der es für den Philosophen nicht sein Bewenden haben kann. Gleichwohl geht Husserls Anspruch auf radikale Besinnung in Richtung eines philosoph. begründeten religiösen Lebens. Vom → Pol der reinen Subjektivität her erscheinen „G. und Gotteswelt, gottsuchender in Gotteskindschaft lebender Mensch“ neu (Hua Briefwechsel 4, 411). Auch wird die Möglichkeit eines Ich erwogen, das alle Iche übergreift, alle Gedanken des Ich in sich hat und Natur und Welt i. S.

243 der Idee des → Guten „schafft“. In einer späten Aufzeichnung unterscheidet Husserl zwischen G. und dem Monadenall; jenen faßt er als die im Monadenall (→ Monade) liegende Entelechie i. S. der „Idee des unendlichen Entwicklungstelos“ auf (Hua XV, 610). Noch spätere Ausführungen machen deutlich, daß die radikale Selbstbesinnung der Phänomenologie ein Weg ist, der nicht zur Welt, sondern zu G. führt, da alles Weltsein relativ ist. G. ist der überweltliche, übermenschliche Pol; der Weg zu ihm geht zwar vom → Ich aus, doch – die Erkenntnisse der Phänomenologie der → Intersubjektivität voraussetzend – nicht von einem solus ipse, sondern von mir durch meine „Mit-Iche“. „Die Teleologie findet, G. spricht in uns, G. spricht in der Evidenz der Entscheidungen, die durch alle weltliche Endlichkeit in die Unendlichkeit weisen.“ Zum eigenen Weg gehört wesentlich der Weg des Nächsten, in einer „unbeschreiblichen Durchdringung“ führen alle diese Wege „zu demselben überweltlichen übermenschlichen Pole G.“ (Hua XVII, 234) G. oder in älteren Religionen die Götter gehören für Scheler zu den Urgegebenheiten des menschlichen Bewußtseins, die in allen Religionen die Eigenschaften „absolut seiend“ und „heilig“ bzw. ens a se, Allwirksamkeit und Heiligkeit besitzen. Die primäre Beziehung zu G. ist nicht die einer schlechthinnigen Abhängigkeit, sei diese bewußt oder gefühlt, sondern die der „Allüberlegenheit“ von dessen Sein. Diese Beziehung wird vom menschlichen → Geist nur in religiösen Akten erblickt, religiöse Erfahrung ist ursprünglich und unableitbar. Das erste Attribut des ens a se ist das der Geistigkeit. G. ist religionsphilosoph. gesehen

Gott, Göttliches keine blinde Kraft, sondern personaler Geist. Die religiöse Erkenntnis G.es als Geist vollzieht sich in drei Akten. Der erste beruht im Bewußtsein der eigenen Gleichgültigkeit für das Dasein der Welt (in der Endlichkeit des eigenen Geistes), gestützt durch die Tugenden der Demut des Geistes und der Ehrfurcht; dies beruht auf der Einsicht in das Unzureichende aller intentionalen → Akte mit Bezug auf das Ganze. Damit verbindet sich zweitens der Einblick in die ideale Teilnahme jedes Seienden am → Sein jedes Dinges; in der lebendigen Empfindung der Würde und Erhabenheit des Geistes vollzieht sich die religiöse Erkenntnis G.es als Geist. Der dritte Akt liegt in der Erfahrung der Selbstoffenbarung G.es, „im Erlebnis des Hereinleuchtens (Offenbarwerdens) der unendlichen Vernunft in alle rechte Aktbetätigung der endlichen Vernunft“ (ScheGW 5, 184); darin erfolgt die Zuordnung des Attributs „Geist“ an das heilige ens a se. In der Tradition führen zwei Wege zu den Eigenschaften des göttlichen Geistes. Der eine fängt beim Wesensaufbau der Welt an und erschließt per analogiam die Eigenschaften G.es; der andere geht von der Wesensstruktur des menschlichen Geistes aus und führt von da aus gleichfalls per analogiam zu G. Der erste Weg wird vor allem in der Hochscholastik eingeschlagen, der zweite in Teilen der neueren Philosophie. Nun ist der religiöse Akt dem Menschen wesentlich eigen, die Frage ist nur, ob dieser das adäquate Objekt findet: „Jeder endliche Geist glaubt entweder an G. oder einen Götzen.“ (ebd., 261) In einem Grundakt des Sichöffnens des personalen G.es in freier Selbstoffenbarung wird das Ganze des in G. zentrierten Weltsinnes erhellt; eine mögliche Unkenntnis

Gott, Göttliches G.es durch den Menschen ist deshalb notwendig schuldhaft. Diese Auffassung Schelers, die in der Abhandlung Probleme der Religion kulminiert, erfährt im Spätwerk eine Modifikation, die von den Zeitgenossen als Bruch mit dem Katholizismus verstanden wurde. Waren schon in den früheren Entwürfen G. und der Mensch durch ihre gemeinsame Geistigkeit verbunden, so erhält dies nun einen besonderen Akzent durch den Gedanken einer creatio continua. Scheler spricht einerseits von einer „Selbstdeifizierung“ des Menschen, anderseits vom werdenden G. Beides ist vor dem Hintergrund des Antagonismus von Geist und → Drang (von ohnmächtig „wesender“ Idee und mächtigem Dasein) zu sehen. Die Idee der geistigen („wesenden“) Gottheit wird im Menschen im Substrat des Dranges mitverwirklicht. G. ist damit in einen Werdeprozeß einbezogen, und die Attribute der theistischen Gottesauffassung (Allgüte, Allweisheit, Allmacht) stehen nicht am Anfang dieses Prozesses, sondern weisen auf das ideale Ziel voraus, welches erreicht ist, wenn sich die Welt zum „Leib G.es“ gewandelt hat. Heideggers Wort im Rückblick, ohne theologische Herkunft wäre er „nie auf den Weg des Denkens gelangt“ (HeiGA 12, 91), läßt die Bedeutung, die die Frage nach G. ein Leben lang für ihn hatte, erahnen. Zu unterscheiden sind Phasen vor und nach der → Kehre. Vor der Kehre sind es Anstöße aus der christlichen Lebenserfahrung und der christlichen Theologie (Paulus, Augustinus, Luther, Kierkegaard), die ihn dazu führen, auf die faktische Lebenserfahrung der urchristlichen Religiosität zurückzugehen, um deren „Vollzugssinn“ vom umweltlichen „Bezugssinn“ abzuheben. Eine

244 Ortsbestimmung des Verhältnisses von Theologie (als Wissenschaft des Glaubens) und Phänomenologie (als ontolog. Korrektiv des vorchristlichen Gehaltes der theologischen Grundbegriffe) führt zur Verneinung der Möglichkeit einer christlichen Philosophie (ein „hölzernes Eisen“, HeiGA 9, 66; HeiGA 40, 9) und zur Gegenüberstellung von christlichem Glauben und faktisch höchst veränderlicher Existenzform, die der Philosophie eigen ist (wobei gegenseitige Ernstnahme ausdrücklich eingeschlossen wird). Es deutet sich dabei an, daß die Auslegung des Glaubens auf ein ursprünglicheres Fundament gestellt werden muß, wofür der traditionelle, unbefragte Seinsbegriff nicht ausreicht. Die Angemessenheit der traditionellen Grundbegriffe ist fraglich, es gilt zurückzufragen in die ursprüngliche Seinsverfassung des → Daseins, was in Sein und Zeit zur ersten großen Ausführung kommt. Nach der Kehre treten an die Stelle der christlichen Glaubenszeugen Hölderlin und Nietzsche. Heideggers Denken gilt jetzt der Seinsgeschichte, die als Geschichte der → Metaphysik in ihre letzte Phase eingetreten ist, nämlich in die Vollendung des Nihilismus. Nietzsches Wort „G. ist todt“ ist die „Formel für die Grunderfahrung eines Ereignisses der abendländischen Geschichte“ (HeiGA 43, 193), in der das bisher Verborgene ans Licht kommt, daß die Seinsauslegung des Daseins für ein Denken G.es nicht zureicht; sie ist am dinglichen → Herstellen orientiert. G. als höchsten Wert zu denken ist „eine Herabsetzung des Wesens G.es“ (HeiGA 9, 349). Heideggers Zugang zur Frage nach G. impliziert eine Differenz zwischen G. und dem → Sein, wenn auf die → Erfahrung des Seins hinausgedacht wird, in der gedacht und ge-

245 sagt werden kann, was das Wort „G.“ nennen soll. In den Beiträgen zur Philosophie wird diese Erfahrung unter dem Titel „Der letzte G.“ entfaltet. Der Ausdruck „der letzte“ meint dabei kein Letztes als Aufhören und Ende, sondern die Einzigartigkeit des Göttlichen. Die Besinnung gilt dem Verhältnis von Da-sein (welches das Seyn in seiner Wahrheit gründet) und „dem G.“ und „den Göttern“ (die das neu gegründete Seyn „brauchen“), dies in der geschichtlichen Situation des „Vorenthaltes“. Mit Hölderlin spricht Heidegger vom „Fehl heiliger Namen“, der sich in einem Vorenthalt des Heiligen verbirgt und auf seine Herkunft hin zu befragen ist. Der Humanismusbrief beschreibt eine Schrittfolge im Zugang zur Möglichkeit dessen, was das Wort „G.“ nennen soll: von der → Wahrheit des Seins zum Denken des Wesens des Heiligen und aus diesem das Denken des Wesens der Gottheit. Für Levinas stellt sich die Schwierigkeit einer Rede von G. angesichts dessen Transzendenz: Das Denken neigt dazu, sein Gedachtes in ein Wissen einzuschließen, d. h. hier die Transzendenz in Immanenz aufzulösen. Das gilt insbesondere auch für die Phänomenologie in deren → Reduktion auf den Bewußtseinsakt eines Subjektes und dessen → Intentionalität. In Frage steht eine „Phänomenologie des Unendlichen“ (Levinas 1985, 18). In der Tradition zeigt sich die Transzendenz in Platons „Jenseits des Seins“ (epekeina tes ousias) der Idee des Guten oder in Descartes’ Idee des Unendlichen. Die Basis, auf der diese zu exponieren wäre, ist nicht durch eine Ontologie (die mit ihrem Anspruch auf Totalität immer in Immanenz verbleibt), sondern durch die → Ethik zu gewinnen. Der Einbruch der Transzendenz

Grenze in die Endlichkeit ereignet sich im → Anspruch des → Anderen, so aber, daß dieser aller Intentionalität zuvor in einer unvordenklichen Vergangenheit voraus ist. Es ist eine Andersheit im → Selben, welche dieses nicht entfremdet, sondern weckt („Schlaflosigkeit“, insomnie, als → Wachheit ohne Intentionalität). Nun nimmt die Transzendenz zwar ihren Ausgang vom Anderen, doch heißt dies freilich nicht, daß der andere Mensch G. wäre. Der Zugang zur Transzendenz bricht in der (ethischen) → Verantwortung für den Nächsten auf, vor dessen → Antlitz und Hilflosigkeit. Dessen Nähe ruft auf, „Hüter seines Bruders [zu] sein“ (Levinas 1981, 112). In der hyperbolischen Forderung des Nächsten, in dem ihm ausgesetzten Sein zeigt sich ein Überschuß, den Levinas mit dem biblischen Namen „Herrlichkeit“ (hebr. kabod) benennt. Die Erfahrung des Unendlichen bleibt philosoph., weil sie einer Thematisierung zugänglich ist; doch macht sie sich in ausgezeichneter Weise in der Bibel vernehmbar: „G. erkennen heißt, dem Nächsten Gerechtigkeit widerfahren lassen“ (Levinas 1996, 211). Qu.: Hua III/1, §§ 51, 58. – Hua VI, § 53. – Hua XV, Beilage XLVI. – Hua XVII, Beilage XVIII. – ScheGW 3, 101-354. – ScheGW 9, 7-71 (bes. 70-71), 73-182 (bes. 100-103). – HeiGA 9, 45-78 u. 313-364. – HeiGA 13, 231-235. – HeiGA 60. – HeiGA 65, VII. – HeiGA 66, XVIII. – Levinas 1982 (1985). – Levinas 1993 (1996). – Lit.: Coriando 1988. – Dempf 1975. – Hohl 1962. – Leonardy 1994. – Pöltner 1991. HV

Grenze. Bezeichnet G. im Rahmen der „statischen Phänomenologie“ Husserls die in der → Ideation bzw. → Variation zu realisierende → Gegebenheit von idealen Gegenständlich-

Grund keiten wie „Ideen“ (und damit eine operative Konstante der phänomenolog. Methode selbst) (vgl. Hua. III/1, 155), so wird erst mit der genetischen Radikalisierung der Phänomenologie die G. im Sinne des Grenzphänomens (vgl. Steinbock 1998) als solche thematisch (Derrida 1990). An Phänomenen wie der vorprädikativen → Passivität, der Geburt, dem Tod, dem Schlaf, dem Vergessen, der Affektivität (vgl. dazu v. a. Hua. XI) oder auch der Alterität und dem → Absoluten, deren Gegebenheit für Husserl an die Möglichkeit ihrer anschaulichen → Erfüllung in der schauenden → Retention oder der vergegenwärtigenden → Erinnerung gebunden bleiben soll, aber auch an sog. „gesättigten Phänomenen“ wie dem Kunstwerk, dem historischen Ereignis oder → Gott (vgl. Marion 1992, bes. 89 ff.; ders. 1997, §§ 21 ff., 280 ff.), bricht im Rahmen der intentionalen Phänomenologie eine „G. des Thematisierenkönnens“ (Kühn 1996, 104) auf: Indem hierbei Horizonteinschreibung, ichliche Polarisierung der intentionalen Achse und Zeit (vgl. dazu auch Fink 1988, 241 f.) als die entscheidenden Kriterien der Phänomenwerdung entfallen oder zumindest zutiefst problematisch werden, verweist die Frage nach der den Grenzphänomenen eigenwesentlichen Phänomenalität, die von Henry z. B. zuletzt in die passive „Absolutheit der Lebensselbstübereignung“ (Henry 2000, 86 ff.; ders., 2001, 95 ff.) verlagert wird, auf eine gegenwärtig erst explizit anhebende Methodendiskussion. Diese gibt die Phänomenologie selbst als „Phänomenologie an der G.“ (Alter 1993, 11-23; Alter 1994, 11-27) zu denken, deren Prinzipien gerade auf Grund der in ih-

246 rer methodischen Integration konstitutiv investierten, aber zugleich abgeblendeten Problematik der „Grenzphänomenalität“ erneut thematisiert werden müssen (vgl. Staudigl 2000, 112171). Qu.: Hua III/1. – Hua XI .– Derrida 1990. – Fink 1988.– Henry 2000 (2001). – Lit.: Alter 1993, 11-23. – Alter 1994, 11-27 – Kühn 1996, 83-108. – Marion 1992, 79128. – Marion 1997. – Staudigl 2001. – Steinbock 1998, 275-296. MST

Grund. Für Heidegger ist die bisherige → „Metaphysik“, „begründendes Vorstellen“. Seit Aristoteles ist Philosophie begründetes Wissen um das Seiende und das Seiende erst dann wirklich erfaßt, wenn dessen fundamentum inconcussum gefunden ist. „Der Grund ist jenes, von woher das Seiende als ein solches in seinem Werden, Vergehen und Bleiben als Erkennbares, Behandeltes, Bearbeitetes ist, was es ist und wie es ist.“ (Heidegger 1969, 62) Als „begründendes Vorstellen“ ist die „Metaphysik“ aber immer schon auf das Subjekt dieses Vorstellens verwiesen, so daß Leibniz den Satz vom Grund nihil est sine ratione als principium reddendae rationis bezeichnen kann. Denn: „Begründend [...] ist ein Vorstellen dann, wenn jeweils der Grund als begründender dem vorstellenden Subjekt zugestellt wird.“ (HeiGA 10, 42) Eng mit dem „begründenden Vorstellen“ verbunden ist auch die Seinsfrage, denn in der „Metaphysik“ wird diese als Frage nach dem G. des Seienden verstanden und nicht als Frage nach dem → Sein als solchem. Während bei Aristoteles noch von vier „Ursachen“ des Seienden die Rede ist, engt sich die Frage nach dem G. im Verlaufe der Philosophiegeschichte auf die

247 alleinige causa efficiens, die „Wirkursache“ ein. Seit Descartes schließlich wird das menschliche → Subjekt zum unerschütterlichen alles begründenden G., worauf nicht zuletzt die zweifache Bedeutung des lateinischen ratio (→ „Vernunft“ und „G.“) verweist. Im Rückgang auf die Anfänge des abendländischen Denkens in Der Satz vom Grund weist Heidegger auf, daß „Sein“ bzw. „Anwesen“ und G. im griechischen logos ursprünglich das Selbe sind. „logos ist Anwesen und Grund zumal. Sein und Grund gehören im logos zusammen. Der logos nennt diese Zusammengehörigkeit von Sein und Grund. Er nennt sie, insofern er in Einem zumal sagt: Vorliegenlassen als Aufgehenlassen, von-sich-herAufgehen: physis, Sein; und: Vorliegenlassen als Vorlegen, Boden bilden Gründen: Grund.“ (HeiGA 10, 161) Als das Selbe sind Sein und G. aber selbst grundlos, sprich abgründig (→ Abgrund): „Sein und Grund: das Selbe. Sein als gründendes hat keinen Grund, spielt als der Ab-Grund jenes Spiel, das als Geschick uns Sein und Grund zuspielt.“ (HeiGA 10, 169) Qu.: HeiGA 10. – Heidegger 1969. – Lit.: Kettering 1987. MW

Gutes. Gegen den ethischen Formalismus Kants, dem allein die Übereinstimmung des Willens mit dem Vernunftgesetz des kategorischen Imperativs als gut gilt (resp. die Gesetzwidrigkeit eines Wollens als böse), bestimmt Scheler gut und böse als „klar fühlbare materiale Werte eigener Art“ (ScheGW 2, 47). Die Erkenntnis dieser „sittlichen Werte“ ist wie die Wertschätzung überhaupt „von allem Wahrnehmen und Denken toto

Gutes coelo verschieden“, sie bedarf keiner Vermittlung durch die Vernunft und ihre objektivierenden Akte des Vorstellens oder Urteilens, sondern vollzieht sich „im fühlenden, lebendigen Verkehr mit der Welt, [...] im Lieben und Hassen“ (ebd., 87 ). Die Eigenart der → Werte „gut“ und „böse“ liegt aber nach Scheler darin, daß sie in besonderer Weise an eine von ihm behauptete „Rangordnung“ der Werte geknüpft sind, die als apriorisch, objektiv und invariabel verstanden wird, aber durch intuitive Akte des „Vorziehens und Nachsetzens“ stets neu zu etablieren ist (ebd., 107). Als „gut“ gilt demnach innerhalb der Hierarchie „nichtsittlicher“ (ebd., 49) Werte die Realisierung „positiver“ statt „negativer“, „höherer“ statt „niedrigerer“ Wertmaterien. Der Wert „gut“ kann nicht als solcher intendiert werden, sondern er „erscheint, indem wir den (im Vorziehen gegebenen) höheren positiven Wert realisieren“, gleichsam „auf dem Rücken“ dieses Aktes (ebd., 48). Gemäß seinem ethischen Grundansatz, „alle Werte den Personwerten unterzuordnen“ (ebd., 14), gelten Scheler die einzelnen Akte jedoch „erst in dritter Linie“ als Träger der sittlichen Werte. Vorgeordnet sind Tugenden und Laster als „Richtungen“ des moralischen Könnens einer → Person, und was „allein ursprünglich ,gut‘ und ,böse‘ heißen kann, [...] was den materialen Wert ,gut‘ und ,böse‘ vor und unabhängig von allen einzelnen Akten trägt, das ist die Person, das Sein der Person selbst“. (ebd., 49) Patoˇcka behandelt das Gute im Rückgriff auf die sokratisch-platonische Tradition in verschiedenen Akzentuierungen. Als leitend kann dabei der Versuch gelten, seine phänomenolog.

Gutes Betrachtung des menschlichen Lebens als Vollzug von → Bewegungen zurückzubinden an das platonische Motiv der „Sorge für die Seele“, die nur möglich ist, wenn es das Gu-

248 te „als Ziel und Strebepunkt“ der Seelenbewegung gibt. (Pato cˇ ka 1988, 129 ff.) Qu.: ScheGW 2. – Patoˇcka 1975 (1988).LH

H Habe, Haben. Marcel trennt „zwischen dem, was man hat, und dem was man ist“ (Marcel 1992b, 147). Die Seins-H.s-Grenze bildet der → Leib (vgl. ebd., 202). Um tatsächlich zu haben, muß man unmittelbar für sich sein und sich als berührt fühlen (vgl. ebd., 241). Die Liebe dagegen ist im Sein dies- und jenseits des Selbst in einer Zone verwurzelt, die jegliches H. transzendiert (vgl. Marcel 1992a, 102). Das Sein in mir möchte sich vom H. (Verlangen, Eigenliebe, Furcht) befreien (vgl. Marcel 1952, 290). Für den späten Marcel bin ich zuerst teilhabender, dann beobachtender Mensch spontan dem Sein gegenüber offen (vgl. Marcel 1974, 122 f.) Für Heidegger ist das → Sein selbst „nie möglicher Gegenstand eines H.s“ (HeiGA 63, 7). Dem H. eignet → Nähe zum Seienden, denn das eigentlich Seiende bedeutet traditionell Anwesen, unmittelbar und jederzeit gegenwärtigen Besitz, H., d. h. beständige → Anwesenheit (vgl. HeiGA 3, 240). Der Mensch hat nur Jenes, dem er gehört (eigentliches H.) bzw. verliert nur, was er noch nicht eigens hat (vgl. HeiGA 77, 10). Im Gehören ist der Mensch verwiesen auf nicht metaphys. verstandenes Sein, von dem er angesprochen wird. Nur aus diesem Anspruch habe er das gefunden, worin sein → Wesen wohnt. Aus diesem → Wohnen habe er → Sprache als Behausung (vgl. HeiGA 9, 323). Innerhalb metaphys. geprägten Seins habe der Mensch die Sprache (zoon logon echon) im vorhinein und nur als H.e, somit Handhabe seines Vorstellens und Verhaltens (vgl. HeiGA 5, 311). Spätestens seit 1935

gilt: physis = logos anthropon echon: das Sein, das überwältigende Erscheinen, ernötigt die Sammlung, die das Menschsein (acc.) innehat und gründet (vgl. HeiGA 40, 184). Wer/Was wird gehabt? 1. Der Mensch hat sich selbst (vgl. HeiGA 58, 258). Wie? Bekümmert (vgl. HeiGA 9, 30 u. 34). Dazu gehört: nur der Mensch kann den → Tod haben (vgl. HeiGA 77, 224). 2. Der Mensch kann in je bestimmter Weise etwas haben. Jeder → Gegenstand wird genuin gehabt (vgl. HeiGA 61, 18). Und die → Welt? → Dasein als Sein in Welt gründe darauf, Welt im sie Besorgen zu haben (vgl. HeiGA 17, 105). Dagegen nach 1927: „Dasein hat niemals Welt.“ (HeiGA 2, 78 Randb. Ad. 1. Zum H. der Gegenstände gehört je spezifische Zeitlichkeit, d. h. Vorhabe: das, was für die Untersuchung im vorhinein gehabt wird, worauf der Blick ständig ruht (vgl. HeiGA 17, 110). H. von etwas zeige auch den Charakter des be-/vollendet: ich habe ge-sehen, [...] Perfekt, fertig! (vgl. HeiGA 34, 212). Zwischen Vorhabe und H.(n) waltet das Streben, möglicherweise das Wesen eigentlichen H.s notwendig mitausmachend (vgl. HeiGA 34, 214). Qu.: Marcel 1951 (1952). – Marcel 1968 (1974). – Marcel 1933 (1992a). – Marcel 1935 (1992b). – HeiGA 2. – HeiGA 3. – HeiGA 5. – HeiGA 9. – HeiGA 17. – HeiGA 34. – HeiGA 40. – HeiGA 58. – HeiGA 61. – HeiGA 63. – HeiGA 77. – Lit.: Funke 1974. FS

Habitualität, habituell. Die Termini H. und h. leiten sich vom lat. habitus her, die Übersetzung der griech. hexis,

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Habitus womit eine erworbene, feste Grundhaltung gemeint ist (z. B. in der aristotelischen Ethik). Diese allgemeine Bedeutung spielt auch bei Husserl eine Rolle. H. und h. haben als Gegenbegriffe → „Aktualität“ und „aktuell“; sie alle sind Vernunftleistungen zugeordnet. Die → Vernunft in ihrer Aktualität („in lebendigem Vollzug verlaufende Intentionalität“ (Hua XVII, 38)) ist immer schon über das momentan Thematische hinaus, weil sie aus Quellen ihrer H. gespeist wird. Was sie aktuell konstituiert, wird damit etwas für sie bleibend Geltendes. Die h.e → Leistung bleibt, nachdem die aktuelle → Evidenz vergangen ist, und enthält in der Leergestalt die bestimmte Sinnvorzeichnung; was im aktuellen Denken Gestalt angenommen hat, wird zum bleibenden geistigen → Erwerb. Die h.e → Geltung, wiederum geweckt, bleibt als Fortgeltung erhalten, solange sie nicht durchgestrichen wird. Der h.e Besitz enthält damit die Potenzialität seiner Aktualisierung. Jeder → Gegenstand ist immer schon „Gegenstand in seinem Horizont einer typischen Vertrautheit und Bekanntheit“ (Husserl 1939, 136 f.), der seinerseits in ständiger Bewegung ist. So ist auch die Einstellung eines spezifischen Berufes mit seiner „Berufszeit“ durch die → Stiftung einer bestimmten h.en Interessensrichtung vorgegeben. Als der identische → Pol der → Erlebnisse ist das → Ich nicht leer, sondern gewinnt mit jedem → Akt, der von ihm ausgeht, eine neue „bleibende Eigenheit“ (Hua I, 100). Als Substrat solcher H.en konstituiert sich das Ich als personales Ich. Qu.: Hua XVII, § 42 f. – Hua I, § 32. – Husserl 1939, § 25. – Lit.: Held, HWPh 3, 983 f. HV

Habitus. → Habitualität Haltung. Diesen Begriff hat Jaspers in seiner Existenzphilosopie als Grundkategorie entwickelt. Etwa zur gleichen Zeit spielt er bei Heidegger eine wichtige Rolle zur näheren Bestimmung der Weltanschauung. Deren Grundmöglichkeiten sind durch zwei verschiedene Arten des Haltes bestimmt: Halt als Bergung und Halt als H. Halt als Bergung betrifft das mythische Dasein, das sich der Übermacht des Seienden überantwortet, benommen vom Ganzen ist und die Tendenz hat, darin aufzugehen; es ist sich dabei selbst in gewisser Weise fremd. Halt als H. beruht demgegenüber im Sichhalten selbst. Die Weltanschauung ist ein Verhalten als Sichverhalten, woraus das → Handeln entspringt, das sich selbst das Ziel gibt. H. ist Sammlung des → Daseins im Gegenzug zu dessen Möglichkeiten des Sich-verlierens. Das → Inder-Welt-sein als H. ist Voraussetzung der Philosophie, so nämlich, daß in der Weltanschauung als H. das Seinsproblem aufbricht. Qu.: Jaspers 1938. – HeiGA 27, §§ 41-44. HV

Handlung, Handeln. Hg., H., → Praxis sind seit Aristoteles zentrale Begriffe einer philosoph. Ethik, später auch der Rechts- und Sozialphilosophie. Ihre spezifische Thematisierung ist deshalb nötig, weil ihr Gegenstand nicht von vornherein festliegt wie im Fall wissenschaftlicher Gesetze; daher unterscheidet Aristoteles u. a. zwischen dem praktischen Wissen, der phronesis, und dem theoretischen, der episteme. Folgerichtig erscheint innerhalb der Phänomenologie auch bei Scheler der Begriff des H.s im ethischen Kontext.

251 Er unterscheidet innerhalb der Einheit der Hg. sieben Momente (ScheGW 2, 147): 1. den Ausgangspunkt (Situation) und den Gegenstand der Hg.; 2. den zu realisierenden Inhalt; 3. das → Wollen des Inhalts und seine Stufen (Gesinnung, Absicht, Überlegung, Vorsatz, Entschluß); 4. das „Tunwollen“ (als Spezialfall des Wollens ein solches des Tuns, also mehr als bloß ein Wollen des Inhalts), das sind auf den → Leib bezogene Tätigkeiten, die zur Bewegung der Glieder führen; 5. die damit verknüpften → Empfindungen und → Gefühle; 6. die erlebte Realisierung des Inhalts; 7. die durch diesen gesetzten Zustände und Gefühle. Handlungsgegenstände sind praktische Gegenstände und zweifach fundiert: durch einen Wertgegenstand und durch die Wertmaterie der Gesinnung des Tunwollens. Dieses wird durch zwei Erlebnisse zum H. geführt: durch die Bewegungsintention, die sich verschiedener Organe bedienen kann (Hand und Finger oder Hand und Arm u. dgl.), wodurch die Einheit der Bewegungsimpulse gestiftet wird, und durch den Wertgegenstand. Dieser wird im Phänomen des Widerstandes erfaßt. Die für das H. in Frage kommenden Dinge sind sogenannte Milieudinge, d. h. 1. in der natürlichen Weltanschauung vorfindliche Dinge (die Sonne, die auf- und untergeht, nicht die Sonne des Astronomen) und 2. Werteinheiten und Sachen. Reinach bringt im Kontext der ethischen und rechtlichen Bedeutung des Phänomens der Überlegung die Hg. zur Sprache. Er geht dabei von der üblichen Auffassung aus, das Verdienst einer Hg. sei gemindert, wenn sie ohne Überlegung geschehen ist, während umgekehrt eine verwerfliche Hg. umso verwerflicher erscheint, wenn sie mit

Handlung, Handeln Überlegung vollzogen wird. Es handelt sich hier um Wert- und Unwertcharaktere, welche gefühlt werden; Güte und Vornehmheit einer Hg., ebenso ihre Schlechtigkeit „kommen in einem Fühlen zur Erscheinung“ (Reinach 1989, 295). Schütz unterscheidet zwischen Hg. und H. Jenes bezeichnet menschliches Verhalten, d. h. jene Art von Erlebnissen, die auf eine Aktivität des Ich zurückverweisen (vgl. Schütz 1981, 53); als H. beruht es auf einem vorgefaßten Entwurf. Das Ergebnis dieses Vorgangs, das abgeschlossene H., ist die Hg. Das H. besteht aus einer Kette von Teilhandlungen, deren Einheit im ursprünglichen Entwurf liegt, der seinerseits die Vernünftigkeit des H.s bestimmt. Schütz nimmt Termini des Behaviorismus auf (ohne sich diesem anzuschließen), wenn er zwischen verdecktem (covert) und offenkundigem (overt) H. unterscheidet; jenes ist auf den Handelnden beschränkt (z. B. im Versuch einer wissenschaftlichen Problemlösung), dieses vermittels Körperbewegungen auf die äußere Welt gerichtet. Für das verdeckte (unbekundete) H. gilt ferner der Unterschied von entworfenem und beabsichtigtem H.: Solange der Wille zur Verwirklichung nicht zum Entwurf hinzutritt, bleibt H. im Phantasieren. Im phantasierenden Vorstellen wird zukünftiges Verhalten vorweggenommen, wobei nicht die einzelnen Schritte des H.s antizipiert werden, sondern die Hg. selbst – die zeitliche Perspektive des in modo futuri exacti. Diese Vorwegnahme gründet im Wissen früher ausgeführter Hg.en, die dem gegenwärtigen Handlungsziel typologisch verwandt sind, Leerhorizonte, die in der Verwirklichung erfüllt werden (worin auch die Ungewißheit des H.s be-

Handlung, Handeln ruht). Das H. ist ein motiviertes Verhalten, wobei Schütz zwischen „Umzu-Motiven“ und „Weil-Motiven“ unterscheidet; jene weisen in die Zukunft und werden durch die in der Phantasie vorweggenommene Hg. konstituiert; diese verweisen auf vergangene Erfahrungen und betreffen den Entwurf des H.s selbst. Sie treten erst nach dessen Abschluß in der Hg. hervor, wenn der Handelnde rückblickend als Beobachter seines H.s untersucht, welche Umstände ihn zu seinem Tun veranlaßt haben. Wirken – „vorgefaßtes H. in der Außenwelt, gekennzeichnet durch das Vorhaben, den entworfenen Tatbestand durch Körperbewegungen hervorzubringen“ (Schütz GA I, 243) – ist die wichtigste Form der Spontaneität für die Konstitution der wirklichen Alltagswelt. In Arendts Entwurf einer → Vita activa ist das H. neben dem → Arbeiten und dem → Herstellen eine der Haupttätigkeiten. In ihm und im Sprechen stellt sich die Einzigartigkeit des Menschen dar, d. h. sein Unterscheidungsmerkmal zu anderen Menschen, ohne von diesen bloß verschieden zu sein (zu differenzieren: Besonderheit, Verschiedenheit, Einzigartigkeit). Keine andere Aktivität – nicht die Arbeit und nicht das Herstellen – ist so unverzichtbar wie das H. Seine nahe Verwandtschaft mit dem Sprechen beruht darin, daß beide Aufschluß darüber geben, wie jemand ist – das Sprechen noch mehr, weshalb das H. über alles andere Tun hinaus der Worte bedarf. Dabei muß jeder Versuch scheitern, die Einmaligkeit dessen, wer jemand ist, eindeutig in Worte zu fassen. Dieses Versagen gehört wesentlich zum Miteinander der Menschen, welches dadurch zugleich erschwert wie bereichert wird. Ein Bezugsgewe-

252 be mit seinen zahllosen Absichten und Zwecken geht dem einzelnen H. immer schon voraus, das solcherart Geschichten realisiert, die angesichts der Verfolgung bestimmter Ziele zunächst als Nebenprodukte erscheinen können; gleichwohl formiert sich in ihnen die Geschichte eines Menschenlebens zwischen Geburt und Tod. Dabei ist der Handelnde niemals nur Täter, sondern immer auch Dulder. Indem Menschen im H. und Sprechen voreinander erscheinen, bildet sich ein „Erscheinungsraum“; dieser geht allen ausdrücklichen staatlichen Gebilden voraus. Sein Unterscheidungsmerkmal gegenüber anderen Räumen liegt in seiner Flüchtigkeit, in einer Potentialität, die auch dort nicht ganz aufgehoben ist, wo die Verhältnisse stabil zu sein scheinen. Wenn Worte und Taten wie untrennbar miteinander korrespondieren, entsteht realisierte → Macht (ein Wort, das Arendt sprachlich korrekt von „mögen“ und „möglich“ herleitet, nicht von „machen“). Macht entsteht im zwischenmenschlichen H. und verschwindet mit der Zerstreuung der Handelnden. Weil H. und Sprechen zur eitlen Betriebsamkeit werden können und dies faktisch zumeist auch werden, entsteht die Versuchung, sich nach einem Ersatz für das H. umzusehen; die Tradition sucht immer wieder nach einem Täter, der von allen Störungen abgesondert immer Herr seines Tuns bleibt; an die Stelle des H.s soll das Herstellen treten. Aus den Aporien des H.s – die der Bedingtheit menschlicher Existenz auf Grund ihrer Pluralität entspringen – leitet sich die Polemik gegen die → Demokratie bzw. das Politische überhaupt her. Es war Platon, der erstmals eine politische Utopie konstruierte, die an die Stelle von Handlungskategorien tech-

253 nische Regeln setzte; das H. wird dabei zu einem Mittel depotenziert, das im Dienst außerhalb seiner gelegener Ziele steht. Für die Neuzeit ist es charakteristisch, den Prozeßcharakter des Handelns dergestalt in den Vordergrund zu rücken, daß alle seine übrigen Eigentümlichkeiten als irrelevant erscheinen. Auch für die Naturwissenschaften wird der Prozeßbegriff ausschlaggebend. Zu ihm gehört die Unabsehbarkeit seiner Resultate; dabei besteht zwischen H. und Herstellen ein wesentlicher Unterschied. Während dieses mit seinem Endprodukt zum Abschluß kommt, ist keine einzelne Tat imstande, den Handlungsprozeß zu beenden. In dieser Unwiderruflichkeit und Unvorhersehbarkeit liegt die eigentliche Kraft des H.s, aber auch das Unausweichliche, daß jeder Handelnde schuldig wird, weil er Folgen auf sich nimmt, die außerhalb seiner anfänglichen Absicht liegen. Dieses Bezugsgewebe des H.s verdankt sich zwar der Freiheit, verstrickt diese dann aber in Determinationen. Doch erwächst gerade aus dem H. selbst die Möglichkeit, diese Unwiderruflichkeit und Unabsehbarkeit zu heilen: jene durch die Fähigkeit zu verzeihen, diese durch das Vermögen zu versprechen und Versprechen und halten. Durch diese beiden Fähigkeiten wird der Handelnde von einer Vergangenheit befreit, die ihn auf immer festlegen wollte, und er vermag sich einer bedrohlich unabsehbaren Zukunft gegenüber halbwegs zu versichern. Dazu ist allerdings als Medium des H.s die Pluralität einer Mitwelt unabdingbar. Verantwortliches H. beruht für Heidegger darin, daß das → Dasein den Ruf des → Gewissens hört und „das eigenste Selbst aus seinem gewählten Seinkönnen in sich handeln“ läßt (HeiGA 2, 382). Faktisch ist aber jedes H. ge-

Haushalt wissenlos, weil es im Mitsein mit Anderen an diesen schuldig geworden ist. In der Entschlossenheit stellt sich das Dasein nicht in eine Situation, um dann zu handeln, sondern als entschlossenes handelt es schon, wobei Heidegger den Terminus „H.“ deshalb vermeidet, weil einerseits zu diesem die Aktivität wie die Passivität des Widerstandes gehören, zum anderen es ein Mißverständnis wäre, das praktische Vermögen dem theoretischen gegenüberzustellen. Der eigentliche Sinn des Handelns liegt im → Verstehen, wodurch das Verstehen des Daseins, seine Geschichtlichkeit charakterisiert wird (HeiGA 24, 393). Von der Möglichkeit zur Wirklichkeit des H.s führt mit einem „Ruck“ nur das einzelne H. selbst – der Augenblick (HeiGA 29/30, 257). Eine schöpferische, wesentliche Hg. des Daseins ist die Philosophie, sie steht in der Grundstimmung der Schwermut (HeiGA 29/30, 271). Qu.: ScheGW 2 (1. Teil, III). – Reinach 1989, 279-311. – Schütz GA I, 31-38, 238250 u. ö. – Schütz 1932 2 1981 .– Arendt 1958 (1960), 5. Kapitel. – HeiGA 2, §§ 5859. – Lit.: Breier 1992. – Gethmann 1993. – Hanke 2002. – Reinach SW II, 613-626. HV

Haushalt (oikia, oikos) bildet bei Arendt den Gegenbegriff zu polis. Während die Polis einen öffentlichen Raum beschreibt, umgrenzt der H. die Sphäre des Privaten und der Familie. In der Antike waren beide Bereiche nach Arendt durch eine Kluft voneinander getrennt, die „die Menschen des klassischen Altertums gleichsam täglich überqueren mußten, um den engen Bezirk des H.s zu übersteigen und aufzusteigen in den Bereich des Politischen“ (Arendt 1960, 35). Charakteristikum der Tätigkeiten im H. ist

Heil, das Heile – gegenüber dem Politischen als dem „Reich der Freiheit“ (ebd., 33) – ihre Notwendigkeit, die von der Sorge für den Erhalt des Lebens und seine Reproduktion vorgegeben wird (womit sich Arendt der aristotelischen Definition des oikos als Raum der Daseinsfristung und täglichen Lebensführung anschließt). In der Neuzeit vermischen sich beide Sphären: Denn „mit dem Aufstieg des ,H.s‘ und der ,ökonomischen‘ Tätigkeiten in den Raum des Öffentlichen“ (ebd., 35) dringt eine Art „kollektiven Haushaltens“ in die Politik ein („National-Oekonomie“, „social economy“ etc.). Die moderne → Gesellschaft stellt sich somit als eine große „Über-Familie“, die Nationalökonomie als ein „ins Gigantische gewachsener Haushaltsapparat“ (ebd., 32) dar. Patoˇcka knüpft an Arendts Distinktion ausdrücklich an, hebt aber die antike Trennung von oikos und polis nicht in erster Linie von der Neuzeit, sondern von vor-griechischen und außereuropäischen Kulturen ab. Er ordnet diese, insofern sich in ihnen der Aufstieg in den Bereich des Politischen und der Freiheit (noch) nicht vollzogen hat, einer vor-geschichtlichen Epoche zu und charakterisiert sie als „riesige H.e“ (Patoˇcka 1988, 47), die im „politischen Naturzustand eines theokratischen Herrscheroikos“ (ebd., 183) verharren. Qu.: Arendt 1958 (1960). – Patoˇcka 1975 (1988). LH

Heil, das Heile. Scheler bestimmt die → Person als individual-persönliches Wertwesen und kennzeichnet dieses mit dem Namen des persönlichen H.s. Dieses gilt ihm als das für die individuelle Person „An-sich-Gute“, das als

254 Ruf an jene ergeht. Das in → Liebe fundierte Verstehen enthüllt das ideale Wertwesen der Person. Die Anschauung des H.s erfolgt durch höchste Selbstliebe, wobei es möglich ist, daß auch eine andere Person durch verstehende Fremdliebe den Weg zum H. weist. Die echte Selbstliebe oder Liebe zum eigenen H. wird von allen Formen der Eigenliebe (etwa Eitelkeit oder Ehrgeiz) geschieden, insofern die Person in Selbstliebe ihrer als Glied des ganzen Universums inne wird. Scheler weist in diesem Zusammenhang auf den in der christlichen Liebe wurzelnden Gedanken der Heilssolidarität hin. Der späte Scheler unterscheidet drei „Werdensziele“, denen das → Wissen dienen soll; während das Herrschafts- oder Leistungswissen der technischen Macht über Natur, Gesellschaft und Geschichte dient und das Wesenswissen die Wesensstrukturen des Seienden aufzudecken sucht (i. S. einer → Ersten Philosophie, die Husserl wiederentdeckt habe), gilt das Erlösungs- und Heilswissen (andernorts auch metaphysisches und Heilswissen genannt) dem Sein des Menschen als eines Mikrotheos und damit ersten Zugangs zu → Gott, und zwar nicht in vergegenständlichender Betrachtung, sondern als Mitbildner, Mitstifter und Mitvollzieher der Schöpfung, in der solcherart Gott selbst sein Wesen zu verwirklichen und zu heiligen vermag. Heidegger denkt das H.e eng mit dem Heiligen zusammen und beide vor dem Hintergrund des durch den Nihilismus geprägten Zeitalters. Aus der → Wahrheit des → Seins wird in die Dimension des Heiligen und H.en weitergefragt, und das Auszeichnende des Zeitalters „in der Verschlossenheit der Dimension des H.en“ erblickt – vielleicht

255 das einzige Unheil. Weil im Nihilismus das H.-lose eigens erfahrbar wird, ereignet sich in ihm „eine einzigartige Verweisung ins H.e“. Qu.: ScheGW 2. – ScheGW 9. – HeiGA 9, 313-364, 385-426. – Lit.: Gabel 1997. – Großmann 1996. HV

Heimat erlangt eine zunehmende Bedeutung für das Denken des späten Heidegger, wobei der Begriff selbst jedoch eine untergeordnete Rolle spielt. Als Folge der → Technik und ihrer „planetarischen“ Ausmaße greifen Entwurzelung und „Heimatlosigkeit des neuzeitlichen Menschen“ (HeiGA 9, 338; vgl. auch HeiGA 7, 163) um sich. Dieser Verlust ist besonders deshalb von Bedeutung, weil wie Heidegger im Spiegel-Interview betonte, „alles Wesentliche und Große nur daraus entstanden ist, daß der Mensch eine H. hatte und in einer Überlieferung verwurzelt war“ (HeiGA 16, 670). Über diese zeitkritische Einschätzung hinaus wird die Entwurzelung des modernen Menschen aber auch als Ausdruck und äußerste Zuspitzung einer tieferen, seinsgeschichtlichen → Heimatlosigkeit begriffen, einer Heimatlosigkeit, „in der nicht nur die Menschen, sondern das Wesen des Menschen umherirrt“ (HeiGA 9, 339). Der Verlust von H. ist ein „Zeichen der Seinsvergessenheit“, der ausschließlichen Orientierung am Seienden, wodurch die „Wahrheit des Seins ungedacht“ (ebd.) bleibt. In diesem Sinne deutet Heidegger seinem eigenen Selbstverständnis nach H. „nicht patriotisch, nicht nationalistisch, sondern seinsgeschichtlich“ (ebd., 338). Binswanger gewinnt seine Bestimmung von H. vor allem in Absetzung von Heideggers Sein und Zeit. Dessen

Heimat Charakterisierung menschlichen Existierens als „Jemeinigkeit“ („Dasein ist Seiendes, das je ich selbst bin, das Sein ist je meines“, HeiGA 2, 153) hält Binswanger entgegen, daß die Daseinserkenntnis erst „im liebenden Miteinandersein von Ich und Du ihren eigentlichen Grund und Boden“ (Binswanger 1942, 21) hat. Diese „liebende Wirheit“, die Seinsfülle des MitEinander, aus der sich erst Ich und Du herauslösen und die somit dem „Ich-Selbst des Daseins als je meinem, deinem, seinem“ „sowohl ontolog. als ontisch“ (ebd., 101) vorgelagert ist, wird in Grundformen und Erkenntnis menschlichen Daseins in zeitlicher Dimension als Ewigkeit, in räumlicher als H. bestimmt. Beide Begriffe sollen die Unendlichkeit des liebenden Miteinanderseins widerspiegeln, wobei ihre Unendlichkeit nicht i. S. unendlicher Ausdehnung zu verstehen ist, sondern gemäß dem Grundduktus, daß das → Inder-Welt-sein durch den Überschwung der → Liebe immer auch ein Über-dieWelt-hinaus-sein ist, als „Überräumlichung“ und „Überzeitigung“ (ebd., 99). Muß deshalb Ewigkeit als eine „zwischen Augenblick und Ewigkeit keinen Unterschied machende ewige Dauer“ (nicht als ewige Zeit) begriffen werden, so ist auch H. als „unabhängig von (welt-räumlicher) Nähe und Ferne“ und von „jedweder Art von Welträumlichkeit überhaupt“ (ebd., 46) zu sehen. Als der Raum, den sich die Liebenden gegenseitig erzeugen, ist H. ein „Einräumen“ (ebd., 82). Über diese engere Bedeutung hinaus wird H. bei Binswanger auch allgemein zur Charakterisierung des Seins in Unendlichkeit und Ewigkeit („Überweltlichkeit der H.“ (ebd., 98)) verwendet, und in der Daseinserkenntnis des liebenden Miteinanderseins offenbart sich

Heimatlosigkeit das Sein in seinem Wesen „als Geborgenheit und H.“. (ebd., 504) Auch in der Habilitationsschrift Pato cˇ kas von 1936 ist H. eine „tief eingewurzelte gemeinsame Geborgenheit“ (Patoˇcka 1990, 133), die sich jedoch nicht nur über die Begegnung mit einem „Du“ konstituiert, sondern im engeren Sinne die H. der Familie, im weiteren alle zwischenmenschlichen Bande meint. Dennoch behält H. hier in Abgrenzung zur → „Fremde“ oder „Ferne“ als Zuflucht und vertrauter Ort eine echte räumliche Dimension. In deutlicher Anlehnung an Heideggers Zeuganalyse wird H. auch als der Ort bestimmt, „den ich als Mensch am stärksten durchdrungen habe, wo die Dinge fast schon unsere Lebensorgane sind“ (ebd., 99) und wo auch die Anderen im „gemeinsamen Umgehen mit den Dingen“ begegnen. Wenn Pato cˇ ka später (z. B. im Nachwort von 1970; ebd., 241 ff.) menschliches Leben als Vollzug dreier existentialer → Bewegungen begreift, gehen all diese Aspekte in die erste Bewegung ein, die als Verankerung (Heimischwerden in der → Welt) bzw. Weltaneignung (Heimischwerden der Welt) charakterisiert wird, wobei aber der Begriff H. terminologisch nicht mehr von Bedeutung ist. Qu.: HeiGA 7. – HeiGA 9. – HeiGA 16. – Binswanger 1942. – Patoˇcka 1990. LH

Heimatlosigkeit. Heidegger spricht von H. zuerst im Zusammenhang der Angstanalyse in Sein und Zeit: „In der Angst ist einem ,unheimlich‘. [...] Unheimlichkeit meint aber dabei zugleich das Nicht-zuhause-sein“. Dieses steht im Gegensatz zum beruhigtvertrauten Aufenthalt in der Welt, wobei existenzialontolog. das Unzuhause

256 als das „ursprünglichere Phänomen“ (HeiGA 2, 250 f.) angesehen werden muß. Alltäglich blendet das → Dasein sein wesensmäßiges Unzuhausesein ab. Diese „Flucht“ aus der Unheimlichkeit deutet Heidegger als eine Flucht vor dem eigensten Sein zum → Tode (ebd., 335 ff.). In Was ist Metaphysik? heißt es, das Dasein sei „sich hineinhaltend in das Nichts“ und derart „je schon über das Seiende im Ganzen hinaus“. Dieses Hinaussein nennt Heidegger hier → „Transzendenz“ (HeiGA 9, 115). Nach der ,Kehre‘, und zwar zunächst in der Vorlesung zu Hölderlins Hymne ,Der Ister‘ stellt Heidegger dann das „Heimischwerden“ als die → Sorge der (Hölderlinschen) → Dichtung heraus, und zwar das „Heimischwerden im Unheimischsein“ (HeiGA 53, 143 ff.). Das Unheimischsein ist dabei zwiespältig; es spielt zwischen dem Unheimischsein im Sinne des flüchtenden Umtriebes im Seienden und dem Unheimischsein als dem Heimischwerden aus der Zugehörigkeit zum → Sein. Das umtriebige, flüchtende Unheimischsein kennzeichnet jetzt unseren geschichtlichen → Ort, die „H. des neuzeitlichen Menschen“, die die Wurzel dessen ist, was Marx als die ,Entfremdung‘ des Menschen erkannt hat. „Die H. wird ein Weltschicksal“ (HeiGA 9, 339): „Der heimatlose Mensch läßt sich [...] in die Flucht vor seinem eigenen Wesen treiben, um sich diese Flucht als die Heimkehr in die wahre Humanität des homo humanus vorzustellen und in seinen eigenen Betrieb zu nehmen“ (HeiGA 6.2, 358). Die H. muß aber nach Heidegger aus der Geschichte des Seins gedacht werden, denn sie „beruht in der Seinsverlassenheit des Seienden“ (HeiGA 9, 339 u. HeiGA 6.2, 301-361). Das „Wo eines Woh-

257 nens inmitten des Seienden als solchen scheint vernichtet, weil das Sein selbst als das Wesende aller Unterkunft sich versagt“ (HeiGA 6.2, 358). Diesem sich versagenden Ausbleiben des Seins gilt es entgegenzufragen, denn seinsgeschichtlich verbirgt sich in der Verschlossenheit eines Aufenthalts die → Nähe zum Sein als dem Ungeheuren schlechthin. Dieser Möglichkeit einer → „Kehre“ aus der „Gefahr“ der äußersten H. gehen insbesondere die unter dem Titel Einblick in das was ist zusammengefaßten Bremer Vorträge (HeiGA 79, 3-77) nach. Der H. entspricht eine wesentliche Sprachlosigkeit, insofern die → Sprache nach einer zentralen Bestimmung des Humanismusbriefes das „Haus des Seins“ (HeiGA 9, 313) ist. Die Nähe zum Sein wird dichterisch gestiftet, denn der Aufenthalt des Menschen auf der → Erde geschieht, wie es in Anlehnung an Hölderlin heißt, wesentlich in der Sprache (HeiGA 7, 191-208 u. HeiGA 4, 9-32). Die Nähe, die dichterisch gestiftet wird, nennt Heidegger → Heimat. „Die Sprache ist Kraft ihres dichtenden Wesens [...] das inständig schenkende Hervorbringen der Heimat“ (HeiGA 13, 180). Bei Levinas dagegen haben H., Entfremdung und Entwurzelung eine positive Bedeutung. Die „Fremdheit gegenüber dem Sein“ (Levinas 1989, 98 ff.) ist für den Menschen kein Ausnahmezustand, sondern die „irreale Realität der Menschen“, weshalb es für den heimatlosen Menschen auch keine Heimkehr geben kann. Levinas stellt hier biblische Tradition (Psalm 119: „Ich bin ein Fremdling auf Erden, verbirg mir nicht deine Gebote“) gegen die „ewige Verführung durch das Heidentum“, die den Menschen im Sein verwurzeln will, statt „das menschliche

Heimwelt – Fremdwelt Antlitz in seiner Nacktheit erscheinen zu lassen“ (Levinas 1989a, 86 f.). Zu dieser Fremdheit gehört der „Abstand zwischen Ich und Sich“, die „unmögliche Identität“: „Niemand kann in sich selbst bleiben: die Menschlichkeit des Menschen, die Subjektivität, ist Verantwortung für die Anderen, eine äußerste Verwundbarkeit. Die Rückkehr zu sich selbst wird zum unbeendbaren Umweg“ (Levinas 1989, 100). Qu.: HeiGA 2. – HeiGA 4. – HeiGA 6.2. – HeiGA 7. – HeiGA 9. – HeiGA 13. – HeiGA 29/30. – HeiGA 53. – HeiGA 79. – Levinas 1972 (1989). – Levinas 1989a. – Lit.: de Boer 1987. – Padrutt 1984. – Trawny 2000. – Ziegler 1991. CN

Heimwelt – Fremdwelt. Zwischen der V. Cartesianischen Meditation und der Krisisschrift geht es Husserl um die „Konstitution der einen Welt in der Begegnung von H. und F.“ (Held 1991). Unter H. versteht Husserl zunächst die unmittelbare Lebensumwelt, die aber nur „relativ geschlossen“ ist und sich ringförmig erweitert. Sie befindet sich zwar in stetem Wandel, doch erhält sich darin „eine weitreichende Grundschicht des Normalen, des Alltäglichen, des Allverständlichen“ (Hua XV, Beil. XLVIII). Mit ihrer Erweiterung ändert sich der → Horizont und der Stil der Erfahrungsmöglichkeiten, doch wird die Erweiterung durch Stilanalogie vorgezeichnet. Auf diese Art kann die interne Fremdheit angeeignet werden. Diese Analogie wird durchbrochen, wenn die Menschheit auf eine „fremde“ Menschheit trifft. Das → Fremde ist nicht ohne weiteres verständlich, hat aber einen Kern der → Bekanntheit nach dem allgemeinsten Erfahrungstypus (organische Wesen, Tiere usf., vgl. Hua XV, Text Nr. 27). Fremde Menschen werden in ihrem leiblichen Walten verständlich,

Hermeneutik, hermeneutisch doch bleiben Unverständlichkeiten bestehen (z. B. religiöse Symbole). Diese von der inneren Fremdheit zu unterscheidende „Fremdartigkeit“ (Waldenfels 1997) wird von Husserl jedoch nicht als solche thematisiert, sondern unter der Perspektive angegangen, „von der vertrauten Welt her die Fremde zu erschließen und vertraut zu machen“ (Hua XV, Text. Nr. 35). Qu.: Hua XV. – Lit.: Held 1991. – Lohmar 1997. – Waldenfels 1997. HV

Hermeneutik, hermeneutisch. Die H. ist seit der Antike aus immer neuen Versuchen erwachsen, Unverständliches verstehbar zu machen. Das geschieht zunächst in einzelnen Bereichen und methodisch unterschiedlich, namentlich in Philologie, Jurisprudenz und Theologie. Seit der Reformation wächst das Interesse an einer allgemeinen Auslegungskunst, erste Werke entstehen im 17. Jh. im Geist des Rationalismus (Dannhauer, Meier, Chladenius). Wesentliche Anstöße erfolgen im 19. Jh. durch Schleiermacher, der allerdings seine H. nie drucken ließ und über Schüler weiterwirkte bzw. durch Dilthey zu einer zentralen Gestalt der H. erhoben wurde. Dilthey selbst ging es in Konkurrenz zum Methodenprimat der Naturwissenschaften – dem auch noch Kants Projekt einer Kritik der reinen Vernunft verhaftet war – unter dem Namen einer Kritik der historischen Vernunft um eine Methodologie der Geisteswissenschaften. Dem naturwissenschaftlichen „Erklären“ sollte in den Geisteswissenschaften das „Verstehen“ als zentraler Begriff gegenüberstehen. H.e Einsichten sind bei Dilthey häufig anzutreffen, doch erst 1900 wurde mit der kurzen Abhandlung Die Entstehung der Hermeneutik dieser Titel auch öffent-

258 lich. Eine fundamentale Neubesinnung auf die H. im Zeichen der Phänomenologie erfolgt bei Heidegger als „H. der Faktizität“. Diese wird in Sein und Zeit, Heideggers erstem Hauptwerk, zwar genannt, ihre konkrete Ausgestaltung ist aber erst seit Veröffentlichung der frühen Freiburger Vorlesungen allgemein nachvollziehbar. Während Dilthey die H. der Methodologie der Geisteswissenschaften zurechnet, geht Heidegger daran, das Fundament freizulegen, auf dem die Geisteswissenschaften selbst basieren, d. h. das vortheoretische → Leben (oder „Erleben“, wie es zunächst heißt), wobei Husserls → „Prinzip aller Prinzipien“ als methodische Maxime gilt (HeiGA 56/57, § 20). Die Analyse des vortheoretischen „Lebens“ oder – in später verbindlicher Terminologie – des → Daseins versteht sich als Aufgabe, das Leben in seiner → Faktizität auszulegen, d. h. im Zuge der → Auslegung zu einem → Verstehen zu gelangen, wobei dieses selbst ein Seinscharakter der Faktizität ist; die H. hat die Aufgabe einer „Weckung“ des Daseins (vergleichbar der periagoge tes psyches bei Platon). Wesentlich für die H. der Faktizität ist die Aufdeckung der Vorstruktur des Verstehens, die dreifach bestimmt wird: als Vorhabe (ausgehend von einer Grunderfahrung), als Vorsicht (der leitenden Perspektive der Auslegung) und als Vorgriff (in angemessener Begrifflichkeit). H. als Ausbildung eines radikalen → Fragens nach dem Dasein setzt bei dessen durchschnittlicher Verständlichkeit an. Sie entdeckt dabei als Gegenzug die Tendenz des Daseins, von sich und d. h. von seiner Zeitlichkeit und Endlichkeit abzusehen, sich „festzuleben“. Heidegger faßt diese Tendenz terminologisch zunächst als Ruinanz (philosoph. Interpretation

259 ist H. der Faktizität als Kampf gegen die eigene Ruinanz), später als → Verfallen – eine Grundbestimmung des Daseins, die sich in Neugier, Gerede und → Zweideutigkeit verzweigt. Die Begrifflichkeit dieser H. ist formalanzeigend (→ formale Anzeige), woraus sich ergibt, daß Klarheit für alle philosoph. Begriffe zwar eine notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung ist: Sie werden nur dann verstanden und d. h. angeeignet, wenn sie für das je eigene Selbstverständnis etwas bedeuten. Die Ergebnisse der H. der Faktizität sind „als h.e Begriffe nur in der immer wieder ansetzenden Interpretationserneuerung zugänglich (HeiGA 9, 32), also nicht fertige Resultate, sondern situationsbezogen neu zu artikulieren. Nach der → „Kehre“ gebraucht Heidegger den Terminus H. nur selten, ohne aber von der in den frühen Vorlesungen entfalteten Sache abzurücken. Das H.e bedeutet auch jetzt nicht allein und in erster Linie den Vollzug der Auslegung, sondern „das Bringen von Botschaft und Kunde“. Dies zielt primär auf das Dasein, nun aber unter dem seinsgeschichtlichen Aspekt, daß das Zeitalter durch den Nihilismus bestimmt wird, dessen Heil-losigkeit es allem zuvor zu erfahren gilt. Im „h.en Bezug“ stehen heißt, sich diesem Anspruch zu stellen. Die h.e Logik von Lipps setzt – anders als die Schullogik – nicht bei beliebigen Beispielen an, sondern beim wirklich gesprochenen Wort, dessen ausdrückliche Aneignung im Selbstverständnis seines Vollzugs zu geschehen hat. Die Betroffenheit durch ein Beispiel bedarf eines Bruchs mit der gewöhnlichen Praxis und deren Schein des Selbstverständlichen. Diesen Bruch bezeichnet Lipps als „Unterbindung“, und er versteht ihn als

Hermeneutik, hermeneutisch Ergebnis einer Epoché. Das Beispiel „erweckt“ und macht „betroffen“, damit beginnt Philosophie. Sie steht somit in ständiger Spannung zur natürlichen Praxis mit deren Interessen und Affekten. Dieses Betroffenwerden, das die Epoché zur Voraussetzung hat („Es wird hier etwas: ,ausgespannt‘ “; Lipps WW III, 56) ist ein „Sich-betreffenbei“, jedoch nicht als bloße Rückwendung auf sich, denn betroffen macht jenes, worauf man nicht „eingestellt“ war. Ein wesentliches Moment der h.en Logik ist die Situation, die ihr Gewicht daraus bezieht, daß sie immer auf Lebensverhältnisse eines Einzelnen bezogen ist und im Erkennen und Bestimmen von etwas als etwas erschlossen wird. Diese Logik, die Anstöße von Husserl und Heidegger aufgenommen und weiterentwickelt hat, setzt sich der formalen Logik entgegen, nicht um diese zu verneinen, sondern um sie in einen größeren Zusammenhang zu stellen: die Transzendenz der Rede. Deren Sachlichkeit beruht nicht auf der intentionalen Beziehung zu Sachverhalten, sondern betrifft z. B. die Wahrheit oder Lüge eines Bekenntnisses und vor allem das Gespräch. Die Bedeutung des Wortes wird von der des Begriffs unterschieden, sofern ein Wort nur aus seinem Zusammenhang verstanden werden kann. Es schafft eine Verbindlichkeit und ist in der Unbestimmtheit seiner Bedeutung nicht ungenau, da sich diese nur im Gebrauch erfassen läßt. Das Wort ist nicht Zugabe zum Gedanken, sondern wird „durch den Ausdruck erst zu sich selbst entbunden“ (Lipps, WW IV, 112). H. ist diese Logik, weil sie von der Sprache als Gespräch ausgeht und dessen welterschließenden Charakter freilegt; phänomenolog. ist sie, weil sie von Husserl (→ Epoché, allerdings nicht

Hermeneutik, hermeneutisch die → transzendentale Subjektivität) und Heidegger beeinflußt ist, ohne damit ihre Eigenständigkeit zu verkennen. Ricœurs H. hat zur Phänomenologie ein kritisches Verhältnis. Das betrifft vor allem Husserls „idealistische“ Wendung zum transzendentalen Ich, während die Leistung der phänomenolog. → Deskription Aufnahme findet. Das Grundthema der → Intentionalität kommt zudem dem Erfahrungsbegriff Ricœurs entgegen. Die Stellungnahme zur Phänomenologie nimmt den Umweg über eine H. des Verdachts, in der sich eine Grenze zu jener zeigt. Die Modelle z. B., die der Psychoanalytiker gebraucht, können vom Phänomenologen nur als „Naturalismus“ disqualifiziert werden; Husserl vermag den Begriff des Unbewußten nur auf dem Umweg über das Thema der passiven → Genesis zu umschreiben, ist aber nicht in der Lage, „das Scheitern des Bewußtseins bis zu seinem Ende zu verfolgen“ (Ricœur 1974, 13). Gleichwohl behält diese H. eine Beziehung zur Phänomenologie, und beide ergänzen einander sogar gegenseitig. Ricœur macht die h.e Voraussetzung der Phänomenologie an Husserls Begriff der → Auslegung fest und sieht zugleich als Voraussetzung für die H. die von der Phänomenologie zu exponierende Frage nach dem Sein. In Zeit und Erzählung III findet sich eine ausführliche Auseinandersetzung mit Husserls Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins. Die Position Gadamers mit Bezug auf die überlieferte H. läßt drei Grundbedeutungen erkennen: 1. H. als Kunstlehre des Verstehens, 2. als Methodologie der Geisteswissenschaften bei Dilthey und 3. als H. der Faktizität des seinsverstehenden Daseins in Anknüp-

260 fung vor allem an den frühen Heidegger. Gadamer schließt sich an Heidegger an, verbindet aber dessen Auffassung von H. mit der vorphilosoph. h.en Tradition, indem er die H. vor allem auf das Verstehen von Texten anwendet. Allerdings beruht dieses Verstehen in erster Linie nicht auf einer methodischen Kunstlehre, sondern auf dem praktischen Verstehen mit der Intention, Verständigung zwischen unterschiedlichen Gesprächspartnern möglich zu machen. Gadamers H., im Dienst praktischer Verständigung, hat damit eine ethische Seite (daher die Bedeutung der phronesis bei Aristoteles; Nikomachische Ethik VI 5). Die h.e Bedingung der Zugehörigkeit zu einer Tradition verfolgt Gadamer in der Untersuchung des sogenannten h.en → Zirkels. Formal enthält dieser die Anweisung, das Ganze aus dem Einzelnen, das Einzelne aus dem Ganzen zu verstehen. Es handelt sich dabei nicht um den logischen Fehler eines circulus vitiosus (Aristoteles; Analytica priora II, 5-7), sondern um die von Heidegger analysierte Vorstruktur des → Verstehens. Das Verhältnis des Einzelnen zum Ganzen wird von Gadamer als „Teilhabe am gemeinsamen Sinn“ (Gadamer GW 1, 297) ausgelegt: Wir antizipieren Sinn, weil wir einer bestimmten Tradition zugehören, indem wir diese aneignen, modifizieren wir jenen. Der h.e Zirkel wird solcherart über das Verhältnis eines einzelnen Subjekts hinaus in den umfassenden Umkreis von Tradition und deren Aneignung gestellt. Systematischer Kern der H. ist der Begriff der Wirkungsgeschichte: Die h.e → Wahrheit ist geschichtliche Wahrheit, weil sie in die Geschichte zurückweist. Wenn Gadamer auch Elemente von Heideggers h.er Phänomenologie aufnimmt,

261 so gibt er dieser doch eine ganz entschiedene spezifisch h.e Wendung: „H. ist die Kunst der Verständigung.“ (Gadamer GW 2, 251) Qu.: Dilthey GS V, 317-331. – HeiGA 2, §§ 7c, 32. – HeiGA 9, 1-44. – HeiGA 12, 79-146. – HeiGA 63. – Lipps WW II. – Lipps WW IV, 107-120. – Ricœur 1975. – Ricœur 1985 (1991). – Gadamer GW 1. – Gadamer GW 2. – Gadamer GW 10. – Lit.: Figal 1999. – Grondin 2001. – Rodi 1989. – Sepp 1999a. HV

Herstellen bildet für Heidegger eine Weise des „besorgenden Zu-tunhabens mit der Welt“ (HeiGA 2, 82), d. h. eines alltäglich praktischen Weltbezugs, der bei ihm als der primäre Modus menschlichen ,Erkennens‘ angesetzt wird. Die → Dinge werden dabei zunächst nicht isoliert und in theoretischer Abstraktion erfaßt, sondern geraten unter der Perspektive ihrer → Dienlichkeit und Verwendbarkeit beim Hantieren „vorthematisch“ (ebd., 91) in den Blick. Als → „Zeug“, als „das Gebrauchte, Hergestellte und dgl.“ (ebd., 90 f.) begegnen die Dinge so stets in einem „Verweisungszusammenhang“ (ebd., 117), wie das H. beispielhaft deutlich werden läßt: Das H. ist nicht nur „je ein Verwenden von etwas für etwas“ (ebd., 94), weshalb im herzustellenden → Werk der Verweis auf die verwendeten Materialien („die ,Natur‘ im Lichte der Naturprodukte“), auf die zu ihrer Verarbeitung notwendigen Werkzeuge etc. mitgegeben ist, sondern das hergestellte Produkt ist selber ein „Zeug“, das seine Bestimmung in der Dienlichkeit findet (die Schuhe sind „zum Tragen“) und damit auch auf seinen Träger („Das Werk wird ihm auf den Leib zugeschnitten“, ebd., 95) verweist. In Der Ursprung des Kunstwerkes hebt

Herstellen Heidegger von diesem handwerklichen Bereich des H.s das künstlerische Schaffen ab. Während das Zeug umso besser seine Bestimmung erfüllt, je unmerklicher und widerstandsloser es in eben diesem Zeugsein aufgeht, wird das „Her-stellen“ nun, wie sich in der Änderung der Schreibweise andeutet, als ein „Her-vor-bringen“ (HeiGA 5, 48) begriffen, das aus der Verborgenheit in die → Offenheit leitet (van Goghs ,Bauernschuhe‘ bekunden in diesem Sinne ein „Offenbarwerden des Zeugseins des Schuhzeugs“, ebd., 44). Als eine der „wenigen wesentlichen Weisen [...] wie Wahrheit geschieht“ (ebd.), ist das Kunstwerk aber nur unzureichend bestimmt, wenn es auf diesen weltöffnenden Charakter (die „Aufstellung einer Welt“ (ebd., 34)) reduziert wird. Weil vielmehr das Wesen der → Wahrheit als → Unverborgenheit in der Gegenwendigkeit von → Lichtung und → Verbergung besteht, muß im Kunstwerk auch die → Erde selbst als „das wesenhaft sich Verschließende“ (ebd., 36) ins Offene gerückt und gehalten werden, was Heidegger als H. „im strengen Sinne des Wortes“ versteht. „Die Erde her-stellen heißt: sie ins Offene bringen als das Sichverschließende.“ (ebd.) Indem es somit → Welt aufstellt und Erde herstellt, ist das Kunstwerk die „Bestreitung des Streites zwischen Welt und Erde“ (ebd.), in dem „die Unverborgenheit des Seienden im Ganzen, die Wahrheit, erstritten wird“ (ebd., 44). Arendt grenzt das H. vom Arbeiten ab: Während die → Arbeit „nichts objektiv Greifbares hinterläßt“ (Arendt 1960, 81), weil sie der bloßen Reproduktion des Lebens dient und ihre Resultate gleich wieder aufgezehrt werden, ist das H. von einer „Produktivität“ gekennzeichnet, die „dem gegenständli-

Hiatus chen Bestand der Welt dauernd neue Gegenstände hinzufügt“ (ebd., 82). Insofern die Welt erst durch diese hergestellten Dinge, die zwar gebraucht, aber nicht verbraucht werden, soviel Dauerhaftigkeit und Beständigkeit erhält, daß sich der Mensch in ihr einrichten kann, bezeichnet Arendt sie auch als „die eigentlich menschliche Heimat des Menschen“ (ebd., 124). Zeichnet sich das animal laborans durch „Weltlosigkeit“ (ebd., 107) aus, durch unzugängliche Privatheit und ein Gefangensein in den Bedürfnissen des eigenen Körpers, verfügt der Mensch als homo faber kontrastiv über eine „weltbildende Fähigkeit“ (ebd., 92), die in die Sphäre der Öffentlichkeit weist. Obgleich auch eine Verallgemeinerung der dem H. innewohnenden Zweck-Mittel-Rationalität und die damit verbundene „Degradierung aller Welt- und Naturdinge zu bloßen Mitteln“ (ebd., 143) kritisch betrachtet wird, wendet sich Arendt deshalb vor allem gegen die neuzeitliche Tendenz, das H. mit dem Arbeiten zu identifizieren und so die vita activa auf die Privatheit von Arbeit und Konsum zu reduzieren. Arendts grundlegende Distinktion greift auch Patoˇcka auf: Weil erst das H. die „Befreiung vom reinen Selbstverzehr und von der Auflösung in die Nichtdauer“ (Patoˇcka 1988, 61) ermöglicht, ist es unabdingbare Voraussetzung für ein Leben, das sich frei selbst bestimmt und deshalb im strengeren Sinne als geschichtlich gelten kann. Doch ist das Auftreten des H.s allein noch kein Indiz für den Durchbruch zur Geschichtlichkeit, sofern es nicht „bestimmendes Moment für Selbstverständnis und Lebensziel“ (ebd., 47) wird, sondern selbst noch

262 in die Notwendigkeit des Arbeitskreislaufs eingebunden bleibt. Qu.: HeiGA 2. – HeiGA 5. – Arendt 1958 (1960). – Patoˇcka 1975 (1988). LH

Hiatus. Mit dem entsprechenden lat. Wort wird eine klaffende Öffnung bezeichnet. In der Literaturwissenschaft bedeutet es das Aufeinandertreffen zweier Vokale am Wortende und dem Anfang des folgenden Wortes und ist als Mißklang verpönt. Die Geologen verstehen darunter eine Lücke in der Sedimentation. Bei Waldenfels ist H. – gemeinsam mit „Irreziprozität, Asymmetrie, Diastase, Nachträglichkeit und Überschuß“ (Waldenfels 1994a, 16) ein Terminus seiner Antwortlogik, der die Kluft zwischen der → Antwort und dem → Anspruch, an den jene anknüpft, bezeichnet. Es ist nicht möglich, auf beiden Seiten der Kluft Fuß zu fassen und solcherart beide zu vermitteln. So bezeichnet der H. sowohl das Zueinander als auch das Auseinander von Antwort und Anspruch. „Der H. von Frage und Antwort sprengt jedes Ganze.“ (ebd., 234) Qu.: Waldenfels 1994a. – Lit.: Gehring 2001. HV

Hintergrund, zentraler Begriff in Husserls Theorie der Gegenstandswahrnehmung. H. wird synonym mit „Hof“ und → „Horizont“ verwendet (Hua III/1, § 83) und bezeichnet ein „potentielles Wahrnehmungsfeld“ (ebd., § 84, 189), welches den → Gegenstand, auf den sich die → Aufmerksamkeit in einer speziellen → Wahrnehmung richtet, umgibt: „Der dingliche H. steht da, aber wir schenken ihm keine bevorzugende Aufmerksamkeit.“ (Hua XVI, § 24) Durch die Wendung der Auf-

263 merksamkeit geht die „Hintergrundwahrnehmung“ in eine „Spezialwahrnehmung“ über, wobei eine Beachtung durch Aufmerksamkeit sich nur auf etwas verschieben kann, was zuvor im H. war. Eine vergleichbare Beschreibung ist aus der Gestalttheorie im Zusammenhang mit der sog. Figur/H.Unterscheidung bekannt. Qu.: Hua III/1. – Hua XVI. – Lit.: Köhler 1925. LW

Hören. In Sein und Zeit ist das „H.“ neben dem „Schweigen“ eine dem „redenden Sprechen“ (HeiGA 2, 214) zugehörige „existenziale Möglichkeit“ des → Daseins (ebd., 217). Es „konstituiert [...] die primäre und eigentliche Offenheit des Daseins für sein eigenstes Seinkönnen“ (ebd., 217). Wir verstehen nicht deshalb, weil wir etwas gehört haben, sondern umgekehrt: „Das Dasein hört, weil es versteht“ (ebd.). H. ist immer verstehendes H.: „ ,Zunächst‘ hören wir nie und nimmer Geräusche und Lautkomplexe, sondern den knarrenden Wagen, das Motorrad“ (ebd.). Auch halten wir uns „zunächst gar nicht bei ,Empfindungen‘ “ auf, sondern „zunächst beim Verstandenen“ (ebd., 218). „Sogar dort, wo das Sprechen undeutlich oder gar die Sprache fremd ist, hören wir zunächst unverständliche Worte und nicht eine Mannigfaltigkeit von Tondaten“ (ebd.). Indem das Dasein sich an die „Öffentlichkeit des Man und sein Gerede“ verliert, „überhört es [...] das eigene Selbst“ (ebd., 360). Aus dieser Verlorenheit wird es durch den Anruf des → Gewissens herausgeholt. Das diesem Ruf entsprechende H. liegt im „Gewissen-haben-wollen“, d. i. in der „Bereitschaft für das Angerufenwerden“ (ebd., 382).

Hören H. bildet weder den Gegensatz zur Taubheit, noch zum Sprechen oder Schweigen, sondern dessen Fundament. „Wir hören, nicht das Ohr. Wir hören allerdings durch das Ohr, aber nicht mit dem Ohr“ (HeiGA 10, 70), weil uns nicht das Sinnesorgan das Gehörte ermittelt. Deshalb kann es sein, „daß, wie der Fall Beethoven zeigt, ein Mensch gleichwohl noch hört, vielleicht sogar noch mehr und Größeres hört als zuvor“ (ebd.). Im Sinne eines Fundierungszusammenhangs und nicht eines faktischen Zugleichseins ist das Sprechen „von sich aus ein Hören [...] nicht zugleich, sondern zuvor ein Hören“ (HeiGA 12, 243). Hören besagt Vernehmen dessen, „was sich uns zuspricht“ (HeiGA 10, 71). Dieses wird nur „durch unser Entsprechen vernehmbar. Unser Vernehmen ist in sich ein Entsprechen“ (ebd.). Demgemäß ist „jedes gesprochene Wort [...] schon Antwort: Gegensage, entgegenkommendes, hörendes Sagen“ (HeiGA 12, 249). Das H. als Entsprechen ereignet sich im Zuspruch des → Seins. Dieser „räumt den Menschen erst in sein Wesen ein“ (HeiGA 10, 101). Eines geschieht als das andere. „Der Mensch ist eigentlich dieser Bezug der Entsprechung, und er ist nur dies“ (Heidegger 1957a, 22). Deshalb gilt schließlich, daß „das Fragen nicht die eigentliche Gebärde des Denkens ist, sondern – das H. der Zusage dessen, was in die Frage kommen soll“ (HeiGA 12, 165). Sprechen und H. läßt sich nicht „nach dem Muster von Aktion und Passion“ (Waldenfels 1994a, 245), auch nicht im Rahmen einer „Bevorzugung der Sprechakte gegenüber den Hörakten“ (ebd., 246) und auch nicht im Rahmen eines Vorrangs des Sehens vor dem des H.s (Sehen besitzt eine „Originarität [...], die der Abkünftigkeit des H.s

Horizont abgeht“; ebd., 247) beschreiben. „Hier bleibt zu fragen, ob nicht das H. der Rede selbst eingeschrieben ist bis hin zum H. des eigenen Sagens, das aus dem Schweigen kommt“ (ebd., 247). Das H. ist der Rede weder unterzuordnen noch gleichzustellen (ebd). Eine gehörte → Frage übermittelt nicht nur einen „Fragegehalt“, sondern macht ein „Angebot“ und erhebt einen → „Anspruch“ (ebd., 249), was bedeutet: „Indem wir Gesagtes hören, hören wir auf den Anspruch, der im Sagen des Gesagten laut wird“ (ebd.). Das H. eines Anspruchs ist aber bereits eine „anfängliche Form des Antwortens“ – ein Vollzug, welcher der landläufigen Unterscheidung von „Tun und Leiden vorausliegt“ (ebd., 250). „Wir antworten nicht auf das, was wir hören, sondern wir antworten, indem wir etwas hören“ (ebd.). Qu.: HeiGA 2. – HeiGA 10. – HeiGA 12. – Heidegger 1957a. – Waldenfels 1994a. – Lit.: Pöltner 1993, 149-161. GP

Horizont. Dieser für die Intentionalanalytik Hussserls entscheidende Begriff trägt dem vielgestaltigen Prozeß der Sinnbildung Rechnung, deren unabschließbaren Anspruch er in konkret-implikativen Analysen entfaltet. Im Rahmen der Wahrnehmungsphänomenologie steht der „lebendige H.“ (Hua VI, 152) für die offene → Unendlichkeit der unthematischen Mitgegebenheiten, → Abschattungen und → Appräsentationen, deren Implikationen er als Geltungsanspruch des Gegebenen mit seiner „Erwartungs- und Erfüllungsstruktur“ (Husserl 1939, 96, 141) integriert. Entsprechend der reduktiv aufweisbaren Verbindung von anschaulich gegebenem Kernbestand und kompräsentem

264 Hof, → Hintergrund oder → Feld vertritt der H. die „Logik der Welt“ (ebd., 37) als unbestimmte Bestimmbarkeit, die im noetischen „plus-ultra“ bzw. im noematischen „superplus“ ihren invarianten Ausgangspunkt findet. Die Struktur des H.s bezeichnet hier die bewegliche, in ichlich-vermöglicher → Praxis oder reiner Phantasievariation (→ Phantasie) variabel gestaltbare bzw. tendenziös dynamisierte → Grenze der → Gegebenheit, welche das Verhältnis von egologisch ausgearbeiteter → Intention und intuitiver → Erfüllung motivational ausgestaltet und teleologisch-habituell regelt (Held 1998). Die im Modell von Intention und Erfüllung bzw. Substratanreicherung wirksame Struktur der Zeitigung mit dem „originären Zeitfeld“, d. i. mit → Retention und → Protention als dem „lebendigen H.“ (Hua X, 36; vgl. Hua VI, 152) der urimpressional-originalen Selbstgegebenheit (Hua X; vgl. Hua III/1, 184; Hua VI, 171; Hua XI, 73) verbürgt dabei die „Horizontstruktur aller Intentionalität“ (Hua I, 86). Diese durchwirkt jegliche thematische → Erfahrung und verweist teleologisch auf die → Welt als „Universalhorizont“ (Hua VI, 147; Hua VIII, 161), „H. aller H.e“ (Strasser 1976) oder „absoluten H.“ (Diemer 1965, 171-175). Dessen präsumtiv-apodiktische → Geltung ist nur approximativ ausweisbar und kann im „Rückgang“ auf die → Lebenswelt auf den anonym-fungierenden H. der in ihr niedergeschlagenen logifizierenden → Leistungen und deren theoretischer Hypostasierung hin befragt werden, ohne selbst aber zu einer intuitiven Selbstgebung gebracht werden zu können oder in einer adäquaten „Weltvorstellung“ aufzugehen (Walton 1997). Die bei Husserl weitgehend am → Leitfaden der noematischen Korrelat-

265 bestände durchgeführten Analysen zur Horizontstruktur des passiv-doxisch vorgegebenen phänomenalen Feldes explizieren Innen- und Außenhorizont (Hua VI, 165; Hua VIII, 147; Hua IX, 62; Hua XI, 6 f., 261, 361; Hua XXIX, 63 f.; Hua Dok II/1, 208 f.; Husserl 1939, 28 f.; Diemer 1965, 163-169; Marx 1987, 49 u. 106) als Vorzeichnungen von ichlichvermöglich zu vollziehenden „Potentialitäten“ (Hua I, 7, 20, 81-83; Kühn 1998, 286, 331) der anschaulicherfüllenden Näher- und Andersbestimmung in ihrer Verbindung mit passiver → Modalisierung und Hemmung (Kaiser 1997). Die apperzeptive Geltungseinheit → Gegenstand verdankt sich dabei einer sie zumeist inaktuell tragenden „Horizontintentionalität“ (Hua I, 83; Hua VI, 240; Hua VIII, 182; Hua XVII, 207), die auf das „anonyme cogitierende Leben“ (Hua I, 84) und dessen zeitformale synthetische Verwirklichung in der passiven Genese der Vorgegebenheit verweist. Damit verläuft jedoch nicht nur jede zuletzt urteilsmäßig terminierende Explikation einer leerantizipativen Vorzeichnung des Erfahrungsverlaufs gemäß der Typik der Vorgegebenheit im „H. der Raumzeitlichkeit“ (Husserl 1939, 29) und dem Normalstil des vergangenen Lebens, in dessen „retentionalen Fernhorizont“ sie zuletzt eingeht, ohne sich je ihres „ungeklärten Resthorizonts“ (ebd., 141) gänzlich entledigen zu können. Prinzipiell ist weiterhin jede im „kinästhetischen H.“ (Hua XI, 15) als trieb-habituell konkretisiertem Vermöglichkeitsspielraum assoziativ geweckte Leervorzeichnung von einem „affektiven Relief“ (vgl. ebd., 148, 184) und von einem entsprechenden „affektiven Nullhorizont“ (ebd., 167) durchzogen, welcher die lebendige

Horizont (Wahrnehmungs-)Gegenwart den passiven Motivationsgesetzlichkeiten entsprechend effektiv ausgestaltet und den Bedingungen ichlichen Zugriffs gemäß disponiert. Damit ist aber nicht nur die „sedimentierte Geschichte“ des monadisch-konkretisierten Ichpols im Rückgang auf die instinktiv-habituelle Weltvorzeichnung eines „Urhorizonts“ als „Erbmasse“ (Hua XV, 604, 385) angedeutet, sondern in eins auf die selbst konstitutiv fungierenden H.e der „Selbstkonstitution“ der → transzendentalen Subjektivität verwiesen: Diese impliziert bereits passiv den H. der → Intersubjektivität (Zahavi 1997), der als „Urvergemeinschaftung“ (Hua XV, 342; vgl. Yamaguchi 1982) triebintentional impliziert ist, strömt aber zugleich als „transzendentaler H.“ (Hua XXIX, 73, 77-83) selbst in den endkonstituierten „H. der Mundaneität“ ein, dessen prädikativ iterierte Vorgegebenheitsstruktur die phänomenolog. Selbstbesinnung transzendental klären möchte (vgl. Fink 1988a). Die Struktur von Kern und H. findet bei Husserl weiters ihre Anwendung in der Analytik der Lebensumwelt, bes. in der Differenzierung von Heim-, Sonderund Fremdwelt(en) (Held 1991). Die dabei im Zuge der „Rückfrage“ nach der → Genesis der Idealisierungen virulent werdende geschichtliche Seinsweise der transzendentalen Subjektivität bezeichnet am Leitfaden der generativen wie personalen „Verunendlichung“ (vgl. Hua VI, 491, 501) den Inbegriff des unendlichen phänomenolog. „Arbeitshorizonts“ (Hua V, 161): Dieser öffnet sich auf die höherstufigen konstitutiven Probleme der in einer ersten naiven Einsatzsituation der Phänomenologie unaufgeschlossenen H.e der „Alterität“ (Zahavi 1998), der „Generativität“ (Stein-

Horizont bock 1995) und der „Universalität des transzendentalen Instinkts“ als „Naturhistorie“ oder transzendentalvoluntaristischer Monadologie (Lee 1993, 235-247) hin. Damit wird sodann – z. B. hinsichtlich des Verhältnisses von Urmodus und → Modifikation oder in der radikalisierten → Reduktion der Vorgegebenheit der immanenten → Zeit – die operative Relevanz des H.-Begriffs und seine thematische Engführung selbst problematisiert (Fink 1988b, 239 f. u. 258-267; Bruzina 1998, 63-76) oder der Begriff auf Grund der darin implizierten ekstatischen Manifestationsbedingungen selbst noch einer radikalen Reduktion unterzogen (Henry 1992, 196 f.; ders. 1997, 30 f., 222 f.; Marion 1988, 84103). Ansätze zu einer Vertiefung des H.Konzepts in die Richtung einer ursprünglichen Alterität und primordialen Entgegenwärtigungsstruktur finden sich bei Merleau-Ponty (vgl. Bernet 1994, 163-185). Dieser bindet die in der präsumtiven Synthesis der H.e beschlossene Geltungsstruktur stärker an die konstituierenden Funktionen der lebendigen Leiblichkeit (→ Leib), ihren „anonymen H.“ (Merleau-Ponty 1966, 94), ihre urfaktische Situativität und zuletzt an das „anonyme Leben“ (ebd., 197) einer vorintentionalen Gegenwart. Im Spätwerk löst schließlich die physiognomische „Logik der Welt“ (ebd., 377), der das in der Wahrnehmungswelt disseminierte Subjekt ursprünglichen → Ausdruck verleihen sollte, den letzten Anschein eines konstituierenden → Bewußtseins in eine ontolog. Konstellation von Kraftlinien und Dimensionen auf. Mit dem Begriff des → „Fleisches“ (chair) wird in eins der H. als „neuer Seinstypus“ (Merleau-Ponty 1994, 195, 300 u. 339)

266 etabliert, der das „Unsichtbare“ dieser Welt konfiguriert. Die Konzeption des H.s als „polymorpher Matrix“ (ebd., 1994, 281) arbeitet jeder Totalisierung im Ausgang von einer synthetisierenden Instanz entgegen, um sie in einer vertikalen Generalität und Generativität im Gegenteil aufzufangen und im ontolog. Grundgeschehen der „Reversibilität“ (ebd., 1994, 172-203) die Genealogie des ego in der Bewegung der anonym-zwischenleiblichen Phänomenalisierung der H.e zu verankern (vgl. Richir 1986, 102 f.). Patoˇcka verlagert mit der „asubjektiven Phänomenologie“ die Bedeutung des H.s auf die „Lebensfunktion der phänomenalen Sphäre“. Diese entfaltet er im Ausgang von einer Kritik an der akthaft interpretierten Horizontintentionalität als das Weltphänomen und arbeitet sie in der Folge als das ontolog. Grundgeschehen des existenziellgeschichtlich sich phänomenalisierenden Selbst-Erscheinens des „Weltapriori“ heraus (Karfik 1998). Den Zusammenhang von Zeit und H., der bereits für Husserl konstitutiv war, hat Heidegger in seiner → Fundamentalontologie unter Absehung auf die „Zeit als transzendentalem H. der Frage nach dem Sein“ (HeiGA 2, 41) weiterhin radikalisiert. Die Zeit, die letztlich als der „H. des Seins“ (HeiGA 2, 437, vgl. 235) selbst erscheint, wird dabei in der → Analytik des Daseins als → Transzendenz in ihrer Ursprünglichkeit ekstatisch-horizontal interpretiert (vgl. von Herrmann 1992, 170-197). Das Wesen des → Daseins, einen H. offenzuhalten und in der → Lichtung dieses Raums zu eksistieren, verbindet sich hier mit dem Gedanken des genuin transzendental gedachten H.s. Dabei wird die → „Erschlossenheit“ des Daseins mit der Tran-

267 szendenz der → Welt im Begriff des „horizontalen Schemas“ zusammengeführt (HeiGA 2, 365 f., 369), worin alle → Existenzialien ihren Grund finden. In seiner Interpretation des kantischen Schematismus faßt Heidegger den H. schließlich als das Eigenwesen der endlichen Transzendenz in der vorgängigen Zuwendung des „vorbildenden Sich-vorhaltens von Angebothaftem“ (HeiGA 4, 84) überhaupt, d. i. als gleichursprüngliche Versinnlichung (Rezeptivität) der Bildung (Produktivität) des Horizontanblicks in der „ursprünglichen Zeitlichkeit“. Qu.: Hua I. – Hua III/1. – Hua V. – Hua VI. – Hua VIII. – Hua IX. – Hua X. – Hua XI. – Hua XV. – Hua XVII. – Hua XXIX. – Husserl 1939. – Fink 1988. – MerleauPonty 1945 (1966). – Merleau-Ponty 1964 (1986). – Patoˇcka 1990. – Patoˇcka 1991. – HeiGA 2. – HeiGA 4. – Henry 1992. – Henry 1997. – Lit.: Bernet 1994. – Bruzina 1998. – Diemer 1965. – Held 1991. – Held 1998 – Herrmann 1992. – Kaiser 1997. – Karfik 1998. – Kühn 1998a. – Lee 1993. – Marion 1988. – Marx 1987. – Richir 1986. – Steinbock 1995. – Strasser 1976. – Yamaguchi 1982. – Zahavi 1997. – Zahavi u.a. 1998. MST

Hyle. Der aus der griech. Philosophie entlehnte Terminus findet in Husserls Phänomenologie seine Bedeutung nicht in bezug auf die gegenständliche Materialität, wie exemplarisch bei Aristoteles durchgeführt, sondern ganz gemäß dem durch die phänomenolog. → Reduktion eröffneten Untersuchungsfeld meint hier H. den sensuell vermittelten Stoff oder → Inhalt der Bewußtseinserlebnisse: die → Empfindungen und Empfindnisse, die als eine → Schicht unmittelbarer, schlichter

Hyle → Gegenwart vorausgesetzt werden. Sie sind entweder Grundlage intentional auffassender, d. h. gegenständlich gerichteter → Akte (= intentionale → Erlebnisse) oder selbst nichtintentionale Erlebnisse. Solche „sensuellen Erlebnisse“ geben hyletische Daten wie Farb-, Ton-, Tastdaten etc., aber daneben auch in einem weiteren Sinne sensuelle Lust- und Schmerzempfindungen sowie auch Momente der → „Triebe“. Die sensuelle H. im engeren Sinne bildet in Husserls am Apperzeptionsschema orientierter Wahrnehmungstheorie den sinnlichen Stoff für die sich auf sie beziehende intentionale morphé (→ Noese), die dem sinnlichen Stoff seine kategoriale Formung und damit seine intentionale, gegenständliche → Transzendenz verleiht. Diese sinngebende Schicht des phänomenolog. → Seins nennt Husserl die noetische, die ihr zugrundeliegende stoffliche die hyletische Schicht. Neben diesen hyletischen Daten im engeren Sinne kennt Husserl auch die „kinästhetische Empfindung“ (→ Kinästhese), die eine Empfindung der je eigenen Leibesbewegung und -stellung meint. Eine weitere Variante hyletischer Daten nennt Husserl Empfindnisse. Er hat damit die Selbstbekundungen des → Leibes im Blick, beispielsweise der Berührungsempfindungen, in denen neben dem Berührten auch der berührende Leib (z. B. die Hand) empfunden wird. Qu.: Hua III/1, 191-195. – Hua IV, 147151. – Hua VI, 108-109. – Lit.: Kühn 1998a, 69-102. – Süßbauer 1995, 85-95. SR

I Ich. Der Begriff des I. tritt in der Phänomenologie in einer Reihe von Kontexten auf, je nachdem ob als Grundbegriff gebraucht, ob in kritischer Absicht gegen den → Idealismus seit Descartes gewendet, und nicht zuletzt in seiner Funktion der für den Einsatz der phänomenolog. Analysen wichtigen I.Rede. Naturgemäß gebrauchen streng genommen nur deutschsprachige Autoren den Terminus „I.“, doch auch bei diesen fließen die Bedeutungen ineinander über und lassen sich nicht immer scharf voneinander trennen: I., → Ego, → Cogito, → Subjekt, → Selbst. Die französische Trennung in moi und je läßt sich nur interpretierend wiedergeben. Das → Bewußtsein bildet in den Logischen Untersuchungen Husserls den gesamten reellen phänomenolog. Bestand des empirischen I., das phänomenolog. I. ist ein „Bündel“ der psych. → Erlebnisse. Doch ergibt die Rückbeziehung der Erlebnisse auf ein erlebendes Bewußtsein (= erlebendes I.) keinen eigentümlichen phänomenolog. Befund. Husserls Referat von Natorps Einleitung in die Psychologie kommt zum Ergebnis, dieses I. als Beziehungszentrum sei „schlechterdings nicht zu finden“ (Hua XIX/1, 374). Doch in der 2. Auflage von 1913 (dem Erscheinungsjahr der Ideen I) sagt Husserl, er habe das I. inzwischen zu finden gelernt. Die in den Ideen I geübte phänomenolog. → Reduktion schaltet den Menschen als Naturwesen und als Person, zugehörig zur Gesellschaft, aus. Das I. bleibt aber erhalten, und zwar als „Blickstrahl“, der durch jedes aktuelle cogito auf das Gegenständliche

geht. Während die Bewußtseinserlebnisse ständig wechseln, verbleibt das reine I. in → Identität als das Residuum der phänomenolog. Ausschaltung. Dieses ist zwar von allen Erlebnissen zu unterscheiden, kann jedoch nicht für sich genommen und zu einem eigenen Untersuchungsgegenstand gemacht werden. Das reine I. lebt in bestimmten intentionalen → Akten als „freies Wesen“, und zwar in den spontanen Funktionen (Ichakte des theoretisierenden Bewußtseins, Akte des Gemüts, Akte des Wollens), die vom Charakter der „Ichlichkeit“ (= Subjektivität) sind. Was außerhalb ihres „Lichtstrahls“ liegt, gehört zum Feld der Potentialität solcher Akte. Das reine I. ist Subjekt der → Spontaneität, wobei hier Subjekt und I. synonym gebraucht werden. Zum Erlebnis gehört das rein Subjektive der Erlebnisweise und der übrige ich-abgewandte Gehalt des Erlebens. Doch für die Ideen I gilt, daß das I. völlig leer ist, daher „gar keinen explikabeln Inhalt“ hat (Hua III/1, 179). Husserls Selbstkorrektur besteht im Rückblick in der Feststellung, er habe nur auf das strömende Ego hingeblickt und nicht auf das I., das dieses und jenes erlebt; dieses I. ist mehr als bloß ein leerer Identitätspol. Der neue Gesichtspunkt bezieht die → Genesis des I. ein: Indem dieses einen Akt setzt und dadurch eine neue bleibende Eigenheit gewinnt, vergeht zwar der flüchtige Akt, doch das Gesetzte (z. B. eine Überzeugung) ist habituell geworden und bestimmt als → Habitus das beharrende I., dieses wiederum als „Substrat der Habitualitäten“. Von diesem sowie dem I. als identischem →

269 Pol unterscheidet Husserl weiters das in voller Konkretion genommene Ego, dem er unter Bezugnahme auf Leibniz den Titel → „Monade“ gibt. Das I. kann nur sein, was es ist, in der strömenden Vielfalt seines intentionalen Lebens und der darin vermeinten → Gegenstände, umfassend das gesamte aktuelle und potentielle Bewußtseinsleben. Damit tritt eine neue Problemstellung in den Blick: Das → transzendentale I. – zuletzt in der vollen Konkretion der Monade – ist Gegenstand eines I., und zwar des I. als des reinen I., innerhalb dessen sich → Transzendenz konstituiert. Die transzendentale Subjektivität ist das Universum allen möglichen → Sinnes (analog zu Leibnizens Monade als eines „lebendigen, immerwährenden Spiegels des Universums“ (Leibniz 1954, § 56)). Es stellt sich hier der Einwand des Solipsismus und damit das Problem der Fremderfahrung ein, was zu Husserls Theorie der → „Einfühlung“ führt. Eine eigenartige Bestimmung des I. findet sich bei Scheler, der dieses als Gegenstand der inneren Wahrnehmung von der → Person als dem Ausgangspunkt aller psych. Akte unterscheidet. Die Differenz besteht darin, daß Akte – und damit die Person als Aktvollzieher – nur im Vollzug erlebt werden und in Reflexion gegeben sind, während das I. (sowohl das individuelle als auch das I. als Idee der ichartigen Mannigfaltigkeit und Einheit) selbst noch ein Gegenstand ist. (→ „Gegenstand“ oder → „Ding“ muß von „Materie“ und → „Körper“ scharf unterschieden werden und meint allgemein alles der Beobachtung Zugängliche (vgl. ScheGW 3, 247)). Die Ichheit ist damit allen Wesenszusammenhängen, die zwischen Gegenständen bestehen, unterworfen. Sie stellt sich nur

Ich an einem individuellen I. als seiend dar, ihre Idee ist zwar in eidetischer → Abstraktion zu gewinnen, doch geschieht dies mit Bezug auf individuelle I.e, und die Rede von einem überindividuellen I. ist ebenso sinnlos wie die von einem Bewußtsein überhaupt. Streicht man die individuellen I.e, so bleibt gar kein I. übrig. Scheler unterscheidet weiters das individuelle vom empirischen I. Dieses umfaßt all das, was an einem I. beobachtet werden kann, es ist der „Inbegriff aller möglichen Beobachtungsinhalte an einem I.“ (ScheGW 2, 379). Das individuelle I. ist das → „Wesen“, das am empirischen I. beobachtet werden kann, ohne selbst einer Beobachtung zugänglich zu sein (das I. einer Individualität, die auch eine gedichtete Figur sein kann). Zwischen der empirischen Ichmannigfaltigkeit und dem → Leib gibt es zahlreiche Variationen des unmittelbaren Sichgegebenseins. Sie reichen von der Gesammeltheit, in der das I. sich in Totalität erlebt und bei der die Leiblichkeit als etwas erlebt wird, worüber das I. Macht ausüben kann, bis zu einem Zustand großer Müdigkeit etwa, in dem der Leib die Ichstelle gleichsam besetzt hält. Heidegger versteht das I. schon frühzeitig als → Selbst („das volle konkrete historisch faktische Selbst, zugänglich in der historisch konkreten Eigenerfahrung“, HeiGA 9, 30). Das schließt die kritische Frage ein, ob denn der Ausgang von einer Gegebenheit des I. nicht am Ende eine im → Dasein selbst gründende Verführung für die existenziale → Analytik ist, da es ein isoliertes I. ohne die Anderen nahelegt. Es stellt sich daher die Aufgabe seiner existenzialen Interpretation. Als Ergebnis zeigt sich, daß sich im I. das zunächst und zumeist alltägliche

Ich-Subjekt Selbst ausspricht. Die häufigen späteren Bezugnahmen auf das I. thematisieren dieses als das ausgezeichnete subiectum im cogito sum des Descartes, das als Grund für die gesamte Auslegung der → Wahrheit in der neuzeitlichen Philosophie fungiert. Das I.-Geschehen in der Selbstsetzung des I., ist der Ursprung des Systems, dieses ein unverzichtbarer Teil des I. und zwar als dessen Verfremdungszustand. Diesem unter systemtheoretischen Aspekt interpretierten I. setzt Rombach das I. im strukturalen Denken entgegen. Spricht die Systemanthropologie von Selbstsetzung, so die Strukturanthropologie von Selbstkonstitution. Diese setzt voraus, daß das I. nicht schon seiend vorhanden ist, sondern eine bloße Vollzugsform, die sich im Vollzug der Konstitution ihre Bestimmtheit gibt. An die Stelle eines gegebenen I. tritt die nicht im vorhinein festgelegte Ichfindung. Die Selbstsicherheit des I., wie sie im Abendland selbstverständlich zu sein scheint, ist vielmehr das Erstaunlichste am Menschen, da es im Letzten keine Identität gibt. Rombach verweist hier auf den östlichen Weg, der den Menschen nicht von der Vernunft, sondern vom Nichts her versteht. Qu.: Hua XIX/1, §§ 1, 8 (V. Log. Unters.). – Hua III/1, §§ 57, 60, 80, 92. – Hua I, §§ 3133, § 42. – ScheGW 2, 370-469. – Leibniz 1840 (ND 1954). – HeiGA 2, §§ 25, 64. – HeiGA 9. – HeiGA 36/37, § 10. – HeiGA 41, § 18. – Rombach 1993, I.5, III.D.17. – Lit.: Hoffmann 2001. – Wang 1994. HV

Ich-Subjekt → Ich Idealismus. Die Schwierigkeiten, zu einer adäquaten Auffassung von Husserls phänomenolog. I. zu gelangen, liegen zum einen darin, daß dieser

270 in Terminologie und Problemstellung zwar philosophiegeschichtliche Anleihen macht (bei Descartes, Kant, Leibniz, Berkeley, Lotze, Bolzano u. a.), die rezipierten Denkmotive und Begriffe jedoch mit einer neuen Idee der Philosophie und Methodologie verbindet. Zum anderen ist die Frage, welcher Art der phänomenolog. I. sei, mit zentralen und schwierigen Problemen der Phänomenologie eng verknüpft, deren Formulierung sich im Zuge der Entwicklung der Phänomenologie ändert. Dazu gehören v. a. die Intentionalitäts-, Bedeutungs- und Subjektlehre, die Bewußtseinskonzeption, die Idee der Wissenschaft sowie die Kritik des logischen und erkenntnistheoretischen → Psychologismus. In Husserls Philosophie tritt der I. in zwei Gestalten auf: als logischer I. (im I. Bd. der Logischen Untersuchungen) und als → transzendentale Phänomenologie. I. in ersterem Sinn ist ein Problem der Wissenschaftslogik und Ontologie, I. im zweiteren Sinn ein Problem der Erkenntniskritik. (I) Typen des I.: a) Ein logischer I. (synonym: logischer Absolutismus, logischer Realismus) liegt vor, wenn Bedeutungen, Sätze, Satzzusammenhänge als ideale logische Gegenstände anerkannt werden, welche nicht auf Reales (auf Denkvorkommnisse in jemandes Bewußtsein) zurückgeführt werden können. Die Leugnung idealer Gegenstände (mittels psychologischgenetischer → Reduktion der objektiven Bedeutungseinheiten auf die bedeutunggebenden → Akte) hebt sich gemäß Husserls Kritik selbst auf, weil Reales (physische und psychische Gegenstände) gar nicht ohne die Vermittlung idealer Gegenstände erkennbar ist. (vgl. Hua XVIII, §§ 17-24, 32-38, 41-51) Der logische I., der keine me-

271 taphys. Doktrin, vielmehr die „einzige Möglichkeit einer mit sich selbst einstimmigen Erkenntnistheorie darstellt“, besteht darin, „das Ideale als Bedingung der Möglichkeit objektiver Erkenntnis überhaupt [anzuerkennen] und nicht psychologisch [wegzudeuten]“ (Hua XIX/1, II. Unters., 112). Der I. Band der Logischen Untersuchungen (Prolegomena zur reinen Logik) verteidigt die Unterscheidung von Realem und Idealem, indem die Voraussetzungen und Konsequenzen ihrer Nichtanerkennung („Psychologismus“) im einzelnen erörtert werden. Die leitende Zielsetzung des II. Bandes (Untersuchungen zur Phänomenologie und Theorie der Erkenntnis) ist es, im Zusammenhang einer Aktanalyse das Verhältnis zwischen Realem und Idealem zu bestimmen (Hua XVIII, 190 f.). Diese Untersuchung untersteht dem Prinzip der physischen, psychischen und metaphysischen Voraussetzungslosigkeit (Hua XIX/1, Einl., § 7). Sie kann deshalb auch nicht eine erkenntnistheoretischrealistische Position als Voraussetzung in Anspruch nehmen. Dem entspricht, daß Husserl die Abbild- oder Zeichentheorie der Erkenntnis, wonach ein schlechthin transzendenter → Gegenstand im Bewußtsein abgebildet würde, in jeder Entwicklungsphase seines Denkens zurückweist (vgl. Hua XIX/1, V. Unters., § 21 (Beil.); Hua III/1, §§ 43 u. 52). Im Hinblick auf die Einschränkung des phänomenolog. Untersuchungsbereiches auf die intentionalen → Erlebnisse und ihre Inhalte stellt sich andererseits die Frage, ob die phänomenolog. Intentionalitätslehre (→ Intentionalität) eine erkenntnistheoretisch-idealistische Position präjudiziert. b) Intentionalität und I.: Eine idealisti-

Idealismus sche Vorprägung könnte in der Grundthese der phänomenolog. Bedeutungstheorie gesehen werden: Jeder Bezug auf reale Gegenstände ist über Sinngehalte vermittelt und insofern nicht ein direktes Zurkenntnisnehmen der Realität. Die Sinnvermitteltheit des gegenständlichen Bezuges hat zur Folge, daß ein Ding an sich anathema ist für jede phänomenolog. Untersuchung, auch wenn deren Gegenstandsbereich je nach den gewählten methodischen Restriktionen unterschiedlich weit gefaßt sein kann (vgl. Hua XIX/1, V. Unters., 427, sowie Hua XXVI, 47 u. Hua I, § 40). „Die Gegenstände sind ja im Bedeuten nicht etwas neben den Bedeutungen. Es ist evident, daß wir Gegenständen nur zugewandt sein können, indem wir ihnen als so und so bestimmten, so und so bedeutungsmäßig gefaßten zugewandt sind.“ (Hua XXVI, 48) Darin liegt kein spezielles Motiv zum Übergang in eine transzendentale Phänomenologie. Es handelt sich um eine allgemeine Rahmenbedingung phänomenolog. Untersuchungen. Daß Gegenstände nicht etwas „neben den Bedeutungen“ sind, gilt ebenso schon für die Logischen Untersuchungen, wie etwa der Feststellung zu entnehmen ist, daß die gegenständliche Beziehung a priori nur als bestimmte gegenständliche Beziehung möglich sei (Hua XIX/1, V. Unters., 430). (Für die Bestimmtheit der gegenständlichen Beziehung ist ihr intentionaler Inhalt verantwortlich.) Das nur im weiteren Sinn „idealistisch“ zu nennende Moment erschöpft sich hier in der bloßen Sinnvoraussetzung in bezug auf jede Art von Gegenstandsbeziehung. Will man dies als bedeutungstheoretische Formulierung des „Satzes des Bewußtseins“ – „alle Wirklichkeit ist nur als Inhalt des Be-

Idealismus wußtseins gegeben und bestimmbar“ (vgl. hierzu Funke 1990) – verstehen, so ist eine metaphysisch-idealistische Interpretation fernzuhalten, die auf der Basis einer deskriptiv verfahrenden Phänomenologie nicht zu verteidigen ist. c) Der transzendentalphänomenolog. I.: Husserl vollzieht den Übergang von der deskriptiven Psychologie zur transzendentalen Phänomenologie mit der Einführung der phänomenolog. Reduktion, die erstmals in der Vorlesung Die Idee der Phänomenologie erfolgt. Eine ausführlichere Begründung der Notwendigkeit der phänomenolog. Reduktion findet sich im ersten Band der Ideen, deren Argumentation („phänomenolog. Fundamentalbetrachtung“) sich zum einen auf eine Analyse der Differenz von innerer und äußerer Wahrnehmung stützt (Hua III/1, §§ 3848), zum anderen, die diesbezüglichen Ergebnisse auswertend, auf eine Explikation des sogenannten absoluten Seins des reinen, phänomenolog. reduzierten Bewußtseins (Hua III/1, §§ 4955). Was der Terminus „I.“ im prägnanten Sinn in der Phänomenologie bedeutet, hängt davon ab, wie die phänomenolog. Reduktion verstanden wird (z. B. Hua VIII, 181 f.). Bis heute ist diese Frage strittig. Die Auseinandersetzung bezieht sich insbes. darauf, ob sich Husserl dieser Methode bedient, um die transzendentale Phänomenologie als eine Radikalisierung des Descartes’schen Zweifelsexperimentes (→ Zweifel) einzuführen, und/oder ob sich die Reduktion nach Erkenntnisziel, methodischer Vorgangsweise und Funktion des ego cogito wesentlich von Descartes’ Begründungsvorhaben unterscheidet. Im allgemeinen folgt die Interpretation zwei Grund-

272 ausrichtungen je nachdem, ob der phänomenolog. Reduktion ontolog. Gehalt zugesprochen wird oder ob sie als ontolog. neutrale, methodologische bzw. erkenntniskritische Maßnahme verstanden wird. Manche verstehen die phänomenolog. Reduktion als Rückfall in einen metaphys. I., andere sehen in ihr eine Annäherung an den transzendentalen I. Kants, wieder andere die Begründung eines neuen, intentionalistischen I. Den unterschiedlichen Deutungen des phänomenolog. I. liegen verschiedene Auffassungen bezüglich jener Probleme zugrunde, die Husserl mit dem Übergang in einen transzendentalen I. zu lösen suchte (z. B. die konsequente Durchführung des Prinzips der Voraussetzungslosigkeit; die Kompensation eines im Intentionalitätsmodell enthaltenen skeptischen Zweifels in bezug auf das Verhältnis von Ding an sich und phänomenal gegebenem Ding usw.). Den verschiedenen I.-Interpretationen entsprechen verschiedene Interpretationen des Intentionalitätsmodells, des Verhältnisses von Phänomenologie und → Skepsis, der innovativen Kraft der Phänomenologie im Hinblick auf traditionelle philosoph. Problemstellungen (z. B. bezüglich der Begriffe Transzendenz und Substanz), verschiedene Bestimmungen des phänomenolog. Konstitutionsbegriffes (→ Konstitution), verschiedene Beurteilungen von Stellenwert und Lösbarkeit des Problems des (methodologischen) → Solipsismus in der Phänomenologie usw. Husserl selbst hat in seinen – oftmals aber wieder uneindeutigen – Erläuterungen zu Sinn und Charakter der transzendentalen Phänomenologie darauf bestanden, daß mit dem Vollzug der phänomenolog. Reduktion keinerlei ontolog. Verpflichtungen entstehen und daß der

273 I. der Phänomenologie nicht im Sinne irgendeines aus der Philosophiegeschichte bekannten Idealismustyps zu verstehen sei (vgl. Hua I, 33-39, 192; Hua VI, 431, 440; Hua III/1, §§ 33 u. 55). Charakter und Funktion der phänomenolog. Reduktion können nur mit Bezug auf das eigentümliche Erkenntnisziel der Phänomenologie verständlich gemacht werden. Phänomenologie soll eine voraussetzungslose Erkenntniskritik und letzte Erkenntnisbegründung in Gestalt einer universalen Sinnauslegung sein. Wie kann diese Idee der Philosophie methodisch umgesetzt werden? Wie ist der Gegenstandsbereich einer solchen Sinnauslegung zu bestimmen? Beides soll die phänomenolog. Reduktion leisten, die eine besondere Art der Reflexion darstellt (vgl. Hua I, § 15) und der Philosophie, neben den positiven Wissenschaften, einen eigenen, universalen und homogenen Gegenstandsbereich (Sinngehalte im phänomenolog. reduzierten Bewußtsein) sichert. Eine letzte Erkenntnisbegründung kann nicht erfolgen, indem die Effizienz und Zuverlässigkeit spezieller Erkenntnisverfahren in bezug auf spezielle Gegenstandsbereiche geprüft würde. Vielmehr muß die Frage beantwortet werden, wie → Erkenntnis überhaupt möglich ist. Soll diese erkenntniskritische Ausgangsfrage in einer radikalen Weise gestellt werden, so darf bei ihrer Beantwortung nicht schon die Wirklichkeit der Erkenntnis vorausgesetzt werden (metabasis eis allo genos). Dies ist nach Husserls Kritik der Fehler jeder naturalistischen Erkenntnistheorie, die sich folglich in einem vitiösen Zirkel bewegt. Die phänomenolog. Reduktion, die ein Moment der Katharsis enthält, soll die Frage be-

Idealismus antworten, wie gemäß der Forderung nach einer letzten, voraussetzungslosen Erkenntnisbegründung überhaupt mit dem philosoph. Denken anzufangen sei (vgl. Hua VIII, 166). So wie das Ziel der philosoph. Tätigkeit allein eine Sinnaufklärung ist – eine universale Aufklärung der Sinnkonstitution im reinen Bewußtsein –, so liegt auch der Anfang des Philosophierens nicht in der Absicht, die vorgefundene Welt zu ändern, sondern in dem Entschluß, die eigene Sichtweise, die Einstellung zur Wirklichkeit zu ändern (vgl. Hua I, 177). Die in natürlicher Einstellung vollzogenen Intentionen und Handlungen sind geradewegs auf die Gegenstände ihres Interesses gerichtet. Sie anerkennen (meist unausdrücklich) Seinsvoraussetzungen bezüglich ihrer Gegenstände wie auch des Gesamthorizontes der erfahrenen Welt (→ Generalthesis). Die phänomenolog. Einstellung (→ Einstellung) ist nicht auf die Gegenstände, sondern auf die Art und Weise des Erscheinens der Gegenstände gerichtet. Indem der Phänomenologe mit Hilfe dieser „Blickwendung“ dahin gelangt, die Strukturen intentionaler Beziehungen im reinen Bewußtsein zu beschreiben, thematisiert er das, was in natürlicher Einstellung verborgen bleibt. Dabei muß er sich des Mitvollzugs der Seinsthesis der natürlichen Einstellung enthalten wie auch jedes einzelne existenzsetzende → Urteil als Prämisse der phänomenolog. Beschreibung zurückweisen (vgl. Hua VIII, Beil. XXXII, 502; Hua V, 84, 88 f.; Hua I, § 59). Diese Urteilsenthaltung (→ Epoché) ist ein Verzicht auf Stellungnahme. Der neutrale, auf Enthaltung beruhende Charakter der phänomenolog. Reduktion veranlaßt Husserl, die Phänomenologie von

Idealismus dem traditionellen Streit zwischen metaphys. Realismus und I. entlastet zu sehen (vgl. Hua V, 150 f., 154; Hua VIII, 426, 505; sowie Hua IX, 254). Durch den Vollzug der Reduktion geht die Welt nicht verloren. Sie bleibt in Gestalt von Sinngehalten vollständig erhalten (vgl. Hua I, 75; Hua III/1, §§ 88 u. 89). Ebenso verliere ich mich nicht selbst als empirisches Ich, wenn ich Epoché übe; ich ändere lediglich meine Rolle, indem ich mich in einen „interesselosen Zuschauer“ (→ Zuschauer) oder „transzendentalen Betrachter“ (vgl. Hua I, 15 f., 73-75; sowie Hua VIII, 183) verwandle. Diese zeitlich auf die Durchführung phänomenolog. Untersuchungen begrenzte Lösung meiner existenziellen Verankerung in der Welt vollzieht sich allein im Denken. Eine solche Distanzierung ermöglicht erst die Objektivierung von Sinnleistungen, ohne die eine Untersuchung der Sinnkonstitution unmöglich wäre. So kann Husserl feststellen, daß man „erst die Welt [sc. als selbstverständlichen Seinsboden unseres natürlichen Lebens, S.R.] durch epoché verlieren [müsse], um sie in universaler Selbstbesinnung [sc. in transzendentaler Betrachtung, S.R.] wiederzugewinnen.“ (Hua I, 183) In Husserls Phänomenologie heißt eine Untersuchung „transzendental“, wenn sie die Erlebnis- und Inhaltsformen des Bewußtseins in der Einstellung der Urteilsenthaltung analysiert, um festzustellen, wie die Beziehung zu Transzendentem (nicht psychologischgenetisch, sondern sinnlogisch) hergestellt wird. „Transzendent“ ist dabei phänomenolog., als intentionale Immanenz, zu verstehen. Der Gegenstand ist nicht reeller Inhalt des Bewußtseins und insofern transzendent. Er kommt jedoch allein als so-und-so-intendierter

274 in Betracht und ist insofern jederzeit intentional immanent (vgl. Hua I, 65, sowie ebd., §§ 28, 40, 41, 59 u. 64). Zweck der phänomenolog. Reduktion ist es, den Zugang zur transzendentalen Sphäre („reines Bewußtsein“) zu eröffnen. Die Festlegung, daß eine transzendentale Untersuchung dann vorliege, wenn auf das (mittels verschiedener Formen von → Synthesen (vgl. Hua III/1, §§ 118 u. 119; Hua I, 17, 18, 22, 190, §§ 17-19; sowie Hua XI)) Sinn konstituierende Bewußtsein zurückgegangen werde, ist allerdings mehrdeutig. Es kann gemeint sein, daß auf die Erlebnisse (im Sinne des unbezweifelbar gewissen Erlebnisvollzuges) zurückzugehen sei oder auf die intentionale Struktur des Bewußtseins, die Husserl in den Ideen I als NoesisNoema-Korrelation beschreibt (Hua III/1, §§ 87-135). Der sogenannte „cartesianische Weg“ in die transzendentale Phänomenologie, der sich v. a. in der Vorlesung von 1907, in den Ideen I und in den Cartesianischen Meditationen findet, zeichnet sich durch die Dominanz der Erlebnispräsenz und des Gewißheitsmotivs aus. Dies gilt insbes. für Husserls Weltvernichtungsexperiment im § 49 der Ideen I, das eine extreme (und nach den gezogenen Folgerungen unhaltbare) Ausführung des cartesianischen Weges darstellt. In der transzendentalen Phänomenologie wird die Sinnvoraussetzung als mit jeder Intention auf Reales und Ideales mitgesetzte Voraussetzung eines transzendentalen ego interpretiert. Dieses ist „letzte Seinsvoraussetzung, zu der alles für mich sinnvoll Seiende relativ ist“ (Hua I, 189). Bewußtsein ist → absolut insofern, als es selbstbezüglich ist, weil die sinngebende Instanz nicht selbst durch Sinngebung konstituiert (d. i. relativ auf Bewußt-

275 sein) sein kann. Die mit der phänomenolog. verstandenen Rede von einem „Bewußtsein(ssubjekt)“ verbundenen Konstitutionsprobleme beziehen sich auf a) gegenständliche Konstitution, einschließlich der Selbstobjektivierung des reinen ego zum personalen Ich, welche in die sogenannte „Paradoxie der menschlichen Subjektivität“ führt (Hua VI, §§ 53 u. 54), und auf b) die Konstitution des konstituierenden Subjekts, die auch das ursprüngliche Zeitbewußtsein (→ Zeit) umfaßt (vgl. Hua IV, v. a. §§ 19-30, 35-42, 54-61, Beil. X-XIII; Hua X; Hua I, §§ 33 u. 37; sowie Hua XVII, § 96). Absolut ist Bewußtsein allein in bezug auf b). Sind alle gegenständlichen, realen Einheiten im Bewußtsein konstituierte (evident ausgewiesene) Sinneinheiten und setzen Sinneinheiten sinngebendes Bewußtsein voraus (Hua III/1, 120), so ist es in der Aufgabenstellung einer reinen Phänomenologie beschlossen, eine jenseits der Sinnsphäre liegende Realität zurückzuweisen: „Eine absolute Realität gilt genau so viel wie ein rundes Viereck“ (Hua III/1, 120). Dieser Satz gilt freilich nur unter der Bedingung, daß die phänomenolog. Reduktion durchgeführt ist, die eine Umkehrung der gewöhnlichen Seinsrede zur Folge hat. Indem erst der Rückgang auf das Bewußtsein die Sinnvermitteltheit des Bezuges auf Gegenstände herausstellt, kann gesagt werden: „Das Sein, das für uns das Erste ist [die Dinge, S.R.], ist an sich das Zweite, d. h. es ist, was es ist, nur in ,Beziehung‘ zum Ersten [dem reinen Bewußtsein, S.R.].“ (Hua III/1, 106) In phänomenolog. Einstellung lediglich über individuelle Vorkommnisse in der Sphäre des reduzierten Bewußtseins zu urteilen würde dem universalen Geltungsanspruch (→ Geltung)

Idealismus phänomenolog. Aussagen, d. i. dem spezifischen Wissenschaftsanspruch der Phänomenologie nicht gerecht. Es wird nicht über einzelne Fakten, sondern über Wesen und Wesensverhalte („a priori“) geurteilt (vgl. Hua III/1, §§ 1-17; sowie Husserl 1985, §§ 86-93 u. Husserl 1965, 26-31, 38-47). Der transzendentale I. der Phänomenologie setzt somit den Vollzug der phänomenolog. und der eidetischen Reduktion voraus (vgl. Hua I, § 34; Hua II, 47-63; sowie Hua III/1, § 75). Die Eigentümlichkeit dieses I. liegt darin, daß dieser einerseits beansprucht, eine transzendentale Philosophie der → Erfahrung zu begründen (phänomenolog. Reduktion), und andererseits die Idee eines deskriptiv-intuitiven Apriorismus (eidetische Reduktion) verteidigt. Letzteres stellt kein spezifisches Begründungsproblem einer phänomenolog.idealistischen Philosophie dar, sondern betrifft nach Husserls Konzeption auch jede rationale (eidetisch-apriorische) positive Wissenschaft. Jede Verteidigung des transzendentalphänomenolog. I. ist jedoch gefordert zu erklären, wie der Anspruch auf Deskriptivität mit dem „idealistischen Konstitutionsgedanken“ widerspruchsfrei zu verbinden ist. Daß dies möglich ist, ist etwa in der Konzeption des Gegenstandes als transzendentalem Leitfaden (→ Leitfaden) vorausgesetzt: Das in der Erfahrung gegebene Objekt enthält eine Regelstruktur für die konstitutiven → Leistungen der transzendentalen Subjektivität (z. B. Hua I, 22). (II) Die Kritik des phänomenolog. I. basiert auf verschiedenen Interpretationen von dessen Voraussetzungen, Sinngehalten und Konsequenzen. Zu den Gegnern des I. in den Reihen der Phänomenologen gehören neben Scheler, Heidegger, Sartre, Ingarden,

Idealismus Reinach, Daubert u. a. auch MerleauPonty und Patoˇcka. Nach MerleauPonty ist die phänomenolog. Reduktion undurchführbar und überflüssig – ersteres infolge ihrer idealistischreflexionsphilosoph. Voraussetzungen, letzteres, weil den sinnlichen Inhalten, den → Empfindungen, eine ursprüngliche Sinnstruktur eigen ist, weshalb es der Annahme sinnkonstituierender Leistungen eines Subjekts gar nicht bedarf. Der gesamten intellektualistischen Tradition der Philosophie gilt die Subjekt-Objekt-Trennung als unhinterfragtes Grundfaktum wie ebenso die Feststellung, daß es dem – wesentlich (auch) als geistiges Wesen verstandenen – Menschen jederzeit möglich sei, sich von seinem Eingebundensein in konkrete Handlungssituationen durch bloße Reflexion soweit zu befreien und zu distanzieren, daß eine objektive Bewußtseins- und Selbstanalyse erfolgen könne. Da die denkend-reflexive Haltung als Introspektion, mithin als ein Rückzug aus der Welt zu verstehen sei, habe es den Anschein, als stelle uns die uns umgebende Welt vor ein Wirklichkeits- oder Realitätsproblem. I. ist die Folge eines falsch verstandenen Anfangspathos im philosoph. Denken. Wenn so zwar mit Hilfe einer Korrektur dieser Ausgangsposition die Auseinandersetzung zwischen Realisten und Idealisten ihren ausgezeichneten Stellenwert und ihre Dringlichkeit verliert, so bedeutet dies jedoch nicht, daß das Subjekt-Objekt- und das Reflexionsproblem verschwänden. In beider Hinsicht sucht Merleau-Ponty nach einer von fragwürdigen Annahmen unbelasteten Neuformulierung des Problems. Husserls Phänomenologie ist mit der Paradoxie des Subjekts behaftet: Sie muß das Subjekt als sinn- und weltkonstituierendes tran-

276 szendentales Bewußtsein und als empirisches Individuum denken (MerleauPonty 1966, 485). Das Analogon zu diesem Problem in einer Philosophie des → Leibes lautet: „Einerseits ist das Bewußtsein Funktion des Leibes, ist also ein ,inneres‘ Ereignis, das von bestimmten äußeren Ereignissen abhängt; andererseits werden diese äußeren Ereignisse selbst erst durch das Bewußtsein erkannt. [...] Das Bewußtsein erscheint auf der einen Seite als Teil der Welt und auf der anderen Seite als koextensiv mit der Welt.“ (Merleau-Ponty 1976, 250) Die Lösung dieses Problems sucht MerleauPonty in der „Doppelberührung“, welche die Vorprägung und Urform der Subjekt-Objekt-Unterscheidung und der reflexiven Einstellung auf der Ebene sinnhaft strukturierter → Wahrnehmung und Empfindung darstellt. Bezugnehmend auf das Phänomen der Doppelberührung faßt MerleauPonty den Unterschied von Verhaltens bzw. Handlungsvollzug einerseits und Thematisierung andererseits nicht als Differenz verschiedener Betrachtungsebenen, Einstellungen u. dgl. Er versucht vielmehr eine ursprüngliche Selbstbezüglichkeit als im sinnlichen Erlebnisvollzug enthalten aufzuzeigen. Nur eine solche Konzeption kann beanspruchen, die idealistischen Bereichsunterscheidungen (empirisch/transzendental; Realia/Irrealia usw.) zu unterlaufen, ohne als Alternative lediglich an eine undifferenzierte, ursprüngliche Lebenseinheit appellieren zu können, welche die monierten Dualismen der intellektualistischen Philosophie allein deshalb überwindet, weil es sich um einen unartikulierten, vorsprachlichen Ursprungszustand handelt. Daß letzteres nicht in Merleau-Pontys Absicht liegt, ist auch

277 daran ersichtlich, daß an die Stelle der Paradoxie der menschlichen Subjektivität die Dialektik des sprechenden Subjekts und des schweigenden Cogito tritt (Merleau-Ponty 1966, 459). Ursprünglich ist Selbstbezüglichkeit nicht ein denkendes Selbstverhältnis. Es ist nicht eine intrinsische Eigenschaft des Geistes: nicht etwas, das ein Bewußtsein mit sich hat, weil es sich selbst „außerhalb der Welt“ denken kann, sondern etwas, das schon in sinnlich-leiblichen Vollzügen, in ursprünglichen Empfindungen als ein sinnbildendes Moment enthalten ist. Um sich als sich-zu-sich-verhaltend zu erfahren, muß nicht das In-der-WeltSein aufgegeben oder geleugnet werden. Wird Selbstbezüglichkeit jedoch als das Verhältnis verstanden, das jemand zu sich als denkendes Wesen hat – und das sich so unvermeidlich stellende Idealismusproblem in Kauf genommen –, so muß die Beziehung zu dem, was nicht Denken ist, aufgeklärt werden, „weil Reflexion radikal nur ist als Bewußtsein der Abhängigkeit ihrer selbst von dem unreflektierten Leben, in dem sie [...] sich situiert“ (MerleauPonty 1966, 11). Dem entspricht der Versuch, das Verhältnis von natürlicher und phänomenolog. Einstellung dialektisch zu begreifen (Merleau-Ponty 1984, 50). Indem Merleau-Ponty Erkenntnis als Mimesis und als Konstruktion versteht, bezieht er nicht eindeutig Stellung zugunsten einer idealistischen oder realistischen Position. Stattdessen will er eine ursprüngliche Ambiguität der Erfahrung von Welt nachweisen, die sich in der Paradoxie bekundet, „wie für uns etwas an sich zu sein vermag“ (Merleau-Ponty 1966, 96, sowie 91, 377; vgl. auch Merleau-Ponty 1976, 156-202, 206-211, 234-254). Mit die-

Idealismus sem Nachweis verbindet sich der Anspruch, die Alternative von Realismus und I. zu überwinden (vgl. Margolis 1986 und Margolis 1989). Dies kann jedoch, anders als in Husserls Phänomenologie, nicht durch Epoché, sondern nur durch eine analysierende → Beschreibung dessen gelingen, was im Sinn der ursprünglichen Bewegung des Transzendierens, der „Ekstase“ liegt, die sich in jeder Wahrnehmung („die zweideutige Hingabe eines Subjekts an präobjektive Phänomene“ (MerleauPonty 1966, 388)) ereignet: „Die Welt ist untrennbar vom Subjekt, von einem Subjekt jedoch, das selbst nichts anderes ist als Entwurf der Welt, und das Subjekt ist untrennbar von der Welt, doch von einer Welt, die es selbst entwirft. Das Subjekt ist Zur-Welt-sein, und die Welt bleibt ,subjektiv‘, da ihre Textur und ihre Artikulationen sich vorzeichnen in der Transzendenzbewegung des Subjekts. In der Welt also, als der Wiege aller Bedeutung, dem Sinn aller Sinne und dem Boden aller Gedanken, entdeckten wir das Mittel zur Überwindung der Alternative von Realismus und Idealismus.“ (MerleauPonty 1966, 489) (Vgl. hierzu auch Merleau-Ponty 1966, 273, 307; Levinas 1992, 101 f., 129-139, 178 f.) Das im Leib fundierte Verhältnis zur Welt nicht als eine einseitige und unumkehrbare Gerichtetheit eines Bewußtseins auf Gegenstände, sondern als ein Wechselverhältnis zu verstehen unterbindet den idealistischen Rückzug aus der Welt und erlaubt es, zugleich von „Konstitution“ und von „Gegebenheit“ zu sprechen. Patoˇckas Kritik der „idealistischen Wende“ Husserls beruht auf der Uneindeutigkeit des transzendentalphänomenolog. Motivs eines Rückgangs in das → Bewußtsein. In ihrem Kern moniert

Idealismus sie die oben formulierte Problemstellung: Wie kann eine methodisch auf → Intuition und → Deskription gegründete Philosophie als Lehre von den gegebenen Phänomenen beanspruchen, ein transzendentaler Subjektivismus zu sein? Eine Entscheidung scheint hier unvermeidlich: Entweder verzichtet die Phänomenologie, um den Preis der Selbstaufhebung, auf ihren deskriptivintuitiven Charakter, oder sie enthält sich jedes idealistischen Konstitutionalismus. Was gegeben ist, kann nach Patoˇckas Auffassung nicht vom Subjekt und seinen Leistungen abhängig sein, für deren angeblich konstitutiven Charakter es keinerlei Evidenzbasis gibt, so daß die Konstitutionsthese ein bloß konstruktives Moment darstellt. Der Subjektivismus ist unverträglich mit der Hinwendung zu „den Sachen selbst“, welche für die Phänomenologie, die sich als eine „Philosophie von unten“ deklariert, unverzichtbar ist. Der im Konstitutionsgedanken enthaltene Konstruktivismus ist unverträglich mit dem Prinzip der Vorurteilsund Voraussetzungslosigkeit (vgl. Mezei/Smith 1998). Beide Momente – die Subjektivismus- und die Konstruktivismuskritik – verbinden sich in Pato cˇ kas Kritik des phänomenolog. Cartesianismus, welchen Husserl über die Rezeption zentraler Motive der Philosophie Brentanos entwickelt habe (Pato cˇ ka 1970, 322; vgl. auch Mezei 1994). Dieser Cartesianismus resultiert aus einer „künstlichen Subjektivierung des Phänomenalen“ (ebd., 331), die durch eine Doppeldeutigkeit des Terminus „Phänomen“ ermöglicht wird. Rückgang auf das Phänomen kann bedeuten, sich den Erscheinendem als solchem – dem Ding in seinen verschiedenen Modi des Erscheinens – oder aber sich dem Erscheinen, d. i. dem Erlebnis

278 des Erscheinens, zuzuwenden. Letzteres, eine „Reduktion auf die reine Immanenz“, ist der Weg der cartesianischen Phänomenologie, die sich auf die Selbstgewißheit des gegenwärtigen Erlebnisses gründet. Da die Selbstgewißheit nicht bloß das Erscheinen, sondern ebenso das Erscheinende umfaßt, ist eine cartesianische Phänomenologie nach Pato cˇ kas Analyse genötigt, den Gegenstand zu verdoppeln. Sie muß den vorgestellten Gegenstand (die Erscheinung als Vorstellungsinhalt) von dem Gegenstand außerhalb der Sphäre der Gewißheit unterscheiden. Indem das Verhältnis zwischen dem Erlebnis und der solcherart subjektiv reduzierten Phänomenalsphäre als Konstitution i. S. eines subjektiven Erzeugens interpretiert, die absolute Gegebenheit der cogitationes (Bewußtseinserlebnisse) dogmatisch behauptet und die konstituierende Instanz (entgegen Husserls eigener Kritik an Descartes’ Substantialisierung des cogitans sum wie auch an jeglicher Realsetzung des reduzierten Bewußtseins (vgl. Hua III/1, 121)) ontologisiert wird (Pato cˇ ka 1975, 81 f.), erweist sich die transzendentale Phänomenologie als eine idealistische Bewußtseinsmetaphysik. Als solche ist sie unvereinbar mit dem ursprünglichen Beschreibungsprogramm der Phänomenologie. Die Grundannahmen dieser Kritik bestimmen bis in die Gegenwart die Auseinandersetzung mit der transzendentalen Phänomenologie. Das Faktum, daß Husserl – ungeachtet der Spannung, die zwischen der phänomenolog.kontemplativen Einstellung und der Rede von „Leistungen“ bestünde – von „Sinnkonstitution“ und „sinnkonstituierenden Leistungen“ des Bewußtseins spricht, wird als Ausdruck eines subjektiven Kreationismus verstanden.

279 Dem liegt die Idee eines Leistungsprinzips zugrunde, wonach „Transzendentalität nicht mehr nur als reflexiv zu erschließende apriorische Struktur, sondern als Produkt eines beobachtbaren Produzierens, eines besonderen ,Leistens‘, aufgefaßt wird“ (vgl. Blankenburg 1980). Eben dagegen richtet sich bereits Patoˇckas Kritik. Wenn das Subjekt die phänomenale Sphäre erzeugte, und in diesem Sinn allein ein subjektivPhänomenales, nämlich das Erscheinen (das Erlebnis des Erscheinens) vorläge, wie könnte dann noch von einer deskriptiven Erfassung des Gegebenen die Rede sein? Demgegenüber sei zu betonen, daß „die phänomenale Sphäre keineswegs als Schöpfung des Subjekts, als sein eigenmächtiger Wurf anzusprechen [sei]“, daß „das Sichzeigen in ihr [der phänomenalen Sphäre, S.R.] kein Menschenwerk [sei]“ (Patoˇcka 1970, 332). Vielmehr sei daran festzuhalten, daß „das Sein in Erscheinung [trete]“ (ebd., 332). Wie Pato cˇ ka, unter positiver Bezugnahme auf die späte Lebenswelt-Phänomenologie (→ Lebenswelt) und das Krisis-Projekt (→ Krisis) Husserls, in seiner Habilitationsschrift auszuführen sucht, kann der mit der cartesianisch-transzendentalen Phänomenologie einhergehende Wirklichkeitsverlust nur durch eine Besinnung auf die natürliche Welt ausgeglichen werden. Ein deutliches Anzeichen für diesen Wirklichkeitsverlust sieht Patoˇcka – die spätere Kritik Merleau-Pontys z. T. vorwegnehmend – darin, daß die leibliche Verfassung des Subjekts nicht bzw. nicht in angemessener Weise untersucht wird. Ob die Kritik des phänomenolog. I. triftig ist oder nicht, kann nur eine sorgfältige Interpretation der phänomenolog. Reduktion entscheiden. So gilt etwa die Behauptung, daß etwas

Idealismus entweder gegeben oder konstituiert sei, nur dann, wenn der phänomenolog. Konstitutionsgedanke einen metaphys. Kreationismus enthält – was Husserl stets entschieden dementiert hat. Nimmt man dieses Dementi ernst, so muß eine Alternative zur konstruktivistischen und kreationistischen Interpretation der phänomenolog. Lehre von der Sinnkonstitution im reinen Bewußtsein gesucht werden. Dabei kann von der Frage ausgegangen werden, unter welchen Bedingungen die gleichzeitige Rede von „Gegebenheit“ und „Konstitution“ nicht als widersprüchlich zurückgewiesen werden müßte. Ein Anhaltspunkt für diese alternative Deutung des phänomenolog. I. ist, daß Husserl statt von „transzendentaler (Sinn-)Leistung“ auch von „transzendentalem Leben“ spricht. Die letztere Wendung verweist deutlicher als die (mit dem Problem der Zweckrationalität konnotierte) Rede von einem „Leisten“ auf die phänomenolog. Frage nach dem Ursprung der ratio und eignet sich weniger dazu, eine konstruktivistische Interpretation zu stützen. Gerade wenn die wesentliche Zusammengehörigkeit der Ideen der Reduktion und der Konstitution betont wird (Patoˇcka 1975, 76, 78 f.), ist der angebliche Widerspruch in Husserls Konstitutionslehre zu beseitigen, indem a) der Wechsel von der natürlichen in die phänomenolog. Einstellung und b) der Übergang zwischen verschiedenen thematischen Orientierungen in der phänomenolog. Einstellung beachtet wird. Gemäß a) gilt: Was vom Standpunkt der natürlichen Einstellung als eine Reduktion erscheint – der Rückgang von den simpliciter gegebenen Gegenständen zur Art und Weise ihres Erscheinens, d. i. zur voraussetzungsfrei-

Ideation en Analyse der intentionalen → Beziehung –, stellt sich vom Standpunkt des reduzierten intentionalen Erlebnisses als Konstitution einer sinnvermittelten Beziehung zum Gegenstand dar. In der vortranszendentalen, deskriptivpsycholog. Phänomenologie liegt die Bedeutung der Unterscheidung von gegenständlicher und reflexiver Einstellung vor allem darin, eine naive Beschreibungsidee zurückzuweisen. In der deskriptiv-psychologischen und in der transzendentalen Phänomenologie gilt: Die methodisch angeleitete Herstellung der Gegebenheit von ,x‘ ist nicht Herstellung von ,x‘ selbst. Im Fall b) sprechen wir von „Gegebenem“, sobald wir vom Standpunkt des Gegenstandes ausgehen oder auf inhaltlich bestimmte, rekognoszierbare Einheiten Bezug nehmen. Als konstituiert stellen sich diese Einheiten und Gegenstände dar, sobald, unter der Bedingung einer voraussetzungsfreien Untersuchung, nach der Beziehung zwischen Erlebnissen und Gegenständen gefragt wird (vgl. Hua I, 24 f.; sowie Hua II, 11-14; Hua III/1, 228, 313; Hua XVII, §§ 61-63 u. Husserl 1985, 75, 88 f., 235) und letztere vom Standpunkt des auf sie gerichteten intentionalen Erlebnisses (statisch) oder als Resultat eines Sinnbildungsprozesses (genetisch) betrachtet werden. Qu.: Hua I. – Hua II. – Hua III/1. – Hua IV. – Hua V. – Hua VII. – Hua VIII. – Hua IX. – Hua VI. – Hua XI. – Hua XVII. – Hua XVIII. – Hua XIX/1. – Hua XIX/2. – Husserl 1939 6 1985. – Merleau-Ponty 1942 (1976). – Merleau-Ponty 1945 (1966). – Merleau-Ponty 1961 (1974). – MerleauPonty 1964 (1984). – Merleau-Ponty 1964 (1986). – Patoˇcka 1990. – Patoˇcka 1970, 317-344. – Patoˇcka 1975, 76-85. – Patoˇcka Le monde naturel et le mouvement de l’existence humaine, Dordrecht-BostonLondon 1988. – Lit.: Boer 1978. – Bro-

280 ekman 1963. – Carr 1973/74, 14-35. – Crossley 1994. – deBoer 1972, 322-331. – Eley 1962. – Funke 1990. – Hagedorn/Sepp 1999. – Hall 1979, 13-20. – Held 1972, 360. – Hoche 1964. – Holmes 1975, 98-114. – Hossenfelder 1981, 306-345. – Ingarden 1959, 190-204. – Ingarden 1976, 13-71. – Ingarden 1971, 36-74. – Kern 1964. – Küng 1975, 63-80. – Levinas 1963 (1983), 53-80, 120-139, 295-330. – Landgrebe 1961, 133177. – Langarn 1966. – Marbach 1974. – Margolis 1986. – Margolis 1989a. – Margolis 1989b. – Métraux/Waldenfels 1986. – Mezei 1994, 69-81. – Mezei/Smith 1998. – Mohanty 1971, 100-132. – Mohanty 1985. – Orth u. a. 1985. – Orth 1998, 8-20. – Philipse 1995, 239-322. – Pilz 1973. – Priest 1999, 209-222. – Rinofner-Kreidl 2000. – Seebohm 1962. – Seebohm/Kockelmans 1984. – Schuhmann/Smith 1985, 763-793. – Sokolowski 1964. – Srubar 1985, 10-31. – Ströker 1987b. – Tilliette/Métraux 1973. – Tugendhat 1967. – Waldenfels 1983a, 142-217. SRK

Ideation ist nach Husserl eine methodische Operation, die das „Erschauen“ von Wesensformen (→ Wesen) ermöglicht. „Grundlage der Wesenserschauung“ ist die eidetische → Variation. Qu.: Hua III/1. – Hua IX, § 9. – Husserl 1939 (6 1985), §§ 86-91. TE

Identität. Husserl unterscheidet zwischen der Gleichheit zweier Dinge und der „Hinsicht, in welcher Gleichheit statthat“, und bestimmt die letztere als „ideale Einheit“ oder „I.“ (Hua XIX/1, 118). So gelten → Ausdruck und → Bedeutung als ideale → Einheiten von → Aussagen: ganz gleich, ob das, was eine Aussage sagt, falsch oder wahr ist, kann man ihren „idealen Inhalt“, nämlich die „Bedeutung der Aussage als die Einheit in der Mannigfaltigkeit“ (ebd., 50) abheben. So hebt sich auch der intentionale → Gegenstand als

281 identisch von den sich verändernden Prädikaten ab; obwohl ihm mannigfaltige Bewußtseinsweisen oder „Aktnoemata“ mit verschiedenen „Kernen“ zugeordnet werden können, schließen sich diese trotzdem zur „Identitätseinheit“ zusammen, „zu einer Einheit, in der das ,Etwas‘, das Bestimmbare, das in jedem Kerne liegt, als identisches bewußt ist“ (Hua III/1, 302). Einzelne → Erlebnisse werden phänomenolog. unter dem Gesichtspunkt der → Funktion betrachtet, „ ,synthetische Einheiten‘ möglich zu machen“, d. h. allgemein gesagt unter dem Gesichtspunkt der Frage, „wie sich objektive Einheiten jeder Region und Kategorie ,bewußtseinsmäßig konstituieren‘ “ (ebd., 197 f.). Noetisch wird der Gegenstand als ein und derselbe „vermeint“; damit er das kann, bedarf es einer noetischen → Synthesis, welche die intendierte Einheit konstituiert. Identifikation ist dabei eine „Grundform der Synthesis“; sie verbindet nicht nur gelegentlich einzelne Erlebnisse untereinander, sondern vielmehr ist „das gesamte Bewußtseinsleben“ nach Husserl „synthetisch vereinheitlicht“(Hua I, 80). Das → Ich ist dabei „der identische Pol der Erlebnisse“ (ebd., 100 u. Hua IV, 105), „Ausstrahlungszentrum“ und „Einstrahlungszentrum“ zugleich. Inwiefern die → Zeit als Grundform von Einheitsbildung aufgefaßt werden muß, behandeln die Vorlesungen Zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins. Das intentionale Erlebnis oder der → Akt erscheint hier als → ,Fluß‘ des → Bewußtseins, in dem „eine immanente Zeiteinheit sich konstituiert“ (Hua X, 76). Der Bewußtseinsfluß selbst ist einer; zwar sind die „Urempfindungen“ durch ihren → Inhalt voneinander diskret, aber das Bewußtsein ist als „Urempfindungsbewußt-

Identität sein“ identisch (ebd., 78). Der Charakter der Einheit durchdringt auch die Dinge und Geschehnisse der anschaulichen → Umwelt; sie sind „durch die invariante Form der anschaulichen Umwelt ,a priori‘ gebunden“, so daß „durch eine universale kausale Regelung alles in der Welt ZusammenSeiende eine allgemeine unmittelbare oder mittelbare Zusammengehörigkeit hat, in der die Welt nicht bloß eine Allheit, sondern Alleinheit, ein (obschon unendliches) Ganzes ist“ (Hua VI, 29). Der → Welt als einer solchen „Alleinheit“ muß eine Einheit der → Wissenschaft entsprechen. Sofern Wissenschaft ohne Theorie als „deduktiver Einheit überhaupt“ (Hua XVIII, 239) undenkbar ist, „umspannt die reine Logik in allgemeinster Weise die idealen Bedingungen der Möglichkeit von Wissenschaft überhaupt“ (ebd., 256). Die Spätschrift Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie stellt eine erneute Auseinandersetzung des Ringens nach dem Ideal einer universalen Philosophie mit dem Auseinanderfallen der spezifischen Fachwissenschaften dar. Die gegenwärtige Aufgabe der Philosophie als transzendentaler Phänomenologie besteht nach Husserl darin, deren „innergeistige Aufeinanderbezogenheit“ oder ihr „intentionales Ineinander“ aufzuweisen (Hua XXVII, 185), da nur sie es vermag, das „bewußt zutage gekommene Weltproblem“ (Hua VI, 12), nämlich den Zusammenhang von → Vernunft und Seiendem, durch den Aufweis der transzendentalen → Konstitution des Einheitssinnes von Welt aufzuhellen. Heideggers Denken wurde nach seiner eigenen Aussage angestoßen durch die Frage: „Wenn das Seiende in mannigfacher Bedeutung gesagt wird, wel-

Identität ches ist dann die leitende Grundbedeutung? Was heißt Sein?“ (Heidegger 1969, 81). Im unmittelbaren Anschluß an Sein und Zeit verfolgt er die Frage nach der „Einheit des Seinsbegriffes überhaupt“ (HeiGA 24, 219) im Sinne einer transzendentalen Wissenschaft vom → Sein, wobei die Vergegenständlichung des Seins als solchen zugleich der „Grundakt der Konstitution der Ontologie, d. h. der Philosophie“ sein soll. Er nennt diese Wissenschaft, die das Sein vor dem → Horizont der Zeitlichkeit in den Griff zu bekommen sucht, „temporale Wissenschaft“ (ebd., 458 f. u. 398 f.). Sie soll die positiven Wissenschaften in einem letzten Fundament verankern. Dieses zeitweilige Ziel transzendentaler Letztausweisung steht jedoch von Anfang an in einer deutlichen Spannung mit der Vielschichtigkeit des Frageansatzes von Sein und Zeit (Thurnher 1997). Nach der Rückbindung des transzendental-letztbegründenden Vorhabens in das seinsgeschichtliche Denken der → ,Kehre‘ steht dagegen die → Differenz im Zentrum der Bemühungen, zunächst im Sinne der „ontolog. Differenz“, dann als „Zwiefalt“ oder „Unter-Schied“. In der späten Schrift Identität und Differenz tritt die I. erneut in Heideggers Gesichtskreis. Sie wird zunächst in Auseinandersetzung mit Hegel als das Prinzip der „ontotheo-logischen Verfassung der Metaphysik“ (Heidegger 1957a, 35-73 u. HeiGA 79, 81-96) aufgewiesen: „Die Metaphysik denkt das Sein des Seienden sowohl in der ergründenden Einheit des Allgemeinsten, d. h. des überall Gleich-Gültigen, als auch in der begründenden Einheit der Allheit, d. h. des Höchsten über allem“. Die Einheit dieses das „Ganze eines Begründungszusammenhanges“ (Heidegger 1957a,

282 56 f.) ermöglichenden Einen ist von der Art, „daß das Letzte auf seine Weise das Erste begründet und das Erste auf seine Weise das Letzte“. Ungedacht bleibt in der → Metaphysik aber „die Herkunft dieser Einheit, ungedacht der Unterschied des Unterschiedenen, das sie einigt“ (ebd., 58). Dieser ungedachten Einheit geht Heidegger in Der Satz der Identität (ebd., 11-34 und HeiGA 79, 115 -129) nach. Die Einheit der I. ist zuerst ausgesprochen bei Parmenides, und zwar in dem Satz von der Selbigkeit (auto) von Denken (noein) und Sein (einai). Im Gegensatz zur Metaphysik denkt dieser Satz nach Heidegger jedoch nicht, daß zum Sein so etwas wie Einheit oder I. gehört, sondern er sagt vielmehr: das Sein gehört in eine I. Diese I. bestimmt Heidegger als ein „Zusammengehören“, genauer als ein „Zusammengehören“, insofern sich nicht das Gehören aus irgendeiner maßgebenden Synthesis, sondern vielmehr das Zusammen „aus dem Gehören bestimmt“ (Heidegger 1957a, 16). Zusammen bzw. Zu-einander gehören Mensch und Sein in ihrem geschichtlichen Bezug von Anspruch und Entsprechung, dem sie je er-eignenden → „Ereignis“: „Das Er-eignis ist der in sich schwingende Bereich, durch den Mensch und Sein einander in ihrem Wesen erreichen“. Das Wesen der I. erweist sich so als ein „Eigentum des Ereignisses“ (ebd., 30 f.). Heideggers Bemühen gilt der Ablösung oder ,Verwindung‘ des abendländischen Identitätsprinzipes in den in sich schwingenden Bereich des Ereignisses, d. h. dem Versuch, Sein und Differenz nicht metaphys. aus der I., aber doch im Sinne eines „Einklangs“ (ebd., 10) zu denken. In dem Bemühen, Differenz diesseits der traditionellen Kategorien von I., Analogie oder Gegensatz zu denken,

283 treffen sich auch verschiedene Ansätze postmoderner Dezentrierung und Dekonstruktion. Deleuze befaßt sich in Differenz und Wiederholung mit einer solchen gegensatzlosen ,Differenz an sich selbst‘ sowie einer Form von Wiederholung, die nicht mehr im Rekurs auf das Identische oder sich durchhaltende Selbe gedacht werden soll. Das Bild des „Rhizom“, eines unablässig werdenden Wurzelgebildes, das nicht wie der klassische Baum der Metaphysik hierarchisch alle Differenzen umgreift, sondern „durch Wandlung, Ausdehnung, Eroberung, Fang und Stich“ vorgeht, soll jetzt der Wirklichkeit entsprechen. Es besteht „nicht aus Einheiten, sondern aus Dimensionen“ (Deleuze/Guattari 1977, 34 f.). Von Husserls Epoché-Gedanken her hält Ricœur zum einen an der Möglichkeit einer Distanznahme vom ungebrochenen Aufenthalt im Sein und damit an der reflexiven Instanz eines Cogito fest, zum anderen führt er die Kritik am neuzeitlichen Anspruch des transzendentalen Subjekts, Realität allererst zu konstituieren, fort (Ricœur 1950, 443 f.). Das Subjekt ist vielmehr immer schon in seine Sprachlichkeit zurückverwiesen, die es vom Sein wiederum radikal trennt. Jede einheitliche Ontologie bleibt so in den Konflikt der Deutungen (vgl. Ricœur 1969) gebunden: „Allein durch den Konflikt der rivalisierenden Hermeneutiken zeigt sich uns eine Ahnung des interpretierten Seins; deswegen ist eine einheitliche Ontologie unserer Methode ebenso unerreichbar wie eine abgetrennte“ (Ricœur 1973, 30). Wenn jedes Selbst sich jedoch erst im umfassenden Horizont der Sprache konstituiert, drängt sich die Frage nach seiner I. erneut auf, jedoch nach einer solchen, die nicht in das traditionel-

Illeität le Idenitätsdenken im Sinne des Selbigen (lat. idem) zurückfällt. Zuletzt hat sich Ricœur in Soi-même comme un autre mit dem Subjekt hinsichtlich seiner durch Selbigkeit und Selbstheit gründbaren I. befaßt. Er geht aus von einer Kritik am Descartschen Cogito als einer unmittelbare I. gewährleistenden, quasi-substanziellen Selbigkeit (Ricœur 1990, 18). In der Entfaltung der „narrativen I.“ (→ Narrativität) sucht er eine Form der I. zu denken, die nicht auf ein solches, sich unveränderlich in der Zeit haltendes Selbiges (idem, mêmeté) gegründet ist (ebd., 140 ff.), sondern vielmehr auf eine im Sinne des ipse, einer der Zeitlichkeit der menschlichen Existenz geschuldeten Selbstheit (ipséité): „Im Unterschied zur abstrakten I. des Selben kann die für die Ipseität konstitutive narrative I. auch die Veränderung und die Bewegtheit im Zusammenhang eines Lebens einbegreifen. Das Subjekt konstituiert sich in diesem Fall als Leser und Schreiber zugleich seines eigenen Lebens“ (Ricœur 1991, 396). Qu.: Hua I. – Hua III/1. – Hua IV. – Hua VI. – Hua X. – Hua XVII. – Hua XVIII. - Hua XIX/1. – HeiGA 24. – HeiGA 79. – Heidegger 1969. – Heidegger 1957a. – Deleuze 1968 (1992). – Deleuze/Guattari 1976 (1977). – Ricœur 1950. – Ricœur 1969 (1973). – Ricœur 1985 (1991). – Ricœur 1990 (1996). – Lit.: Guzzoni 1981. – Sinn 1988. – Thurnher 1997. – Waldenfels 1983. CN

Illeität. Im Unterschied zu Buber sieht Levinas die primäre Bestimmung für die Beziehung zwischen anderer Person und Ich nicht im Grundwort IchDu, sondern in einem Verhältnis zwischen der dritten Person am Grund des Du und dem Ich (Levinas 1981, 107). Da er diese dritte Person (frz. il, lat. ille) jenseits des → Seins und als

284

Illusion das ethisch herausfordernde → Antlitz ansetzt, ist das Verhältnis der I. weder symmetrisch noch ein Bezug der Vergegenständlichung oder Thematisierung. Vielmehr ist sie eine „Weise, mich anzugehen, ohne eine Verbindung mit mir einzugehen“ (Levinas 1992, 46). Deshalb meint sie eine „UnBeziehung“ (Casper 1984, 281) mit der Transzendenz, die darin besteht, daß der oder die → Andere das Bewußtsein des Ich unterläuft und so dieses hinterrücks zur → Verantwortung für ihn oder sie verpflichtet. Qu.: Levinas 1974 (1992). – Levinas 1981, 81-123. – Lit.: Casper 1984, 273-288. – Garrido-Maturano 1996, 62-75. – Purcell 1996, 125-138. RE

Illusion. Nach Merleau-Ponty kann der Mensch sowohl in bezug auf das Bewußtsein als auch hinsichtlich der sinnlichen → Erkenntnis nicht ohne I.en leben. Daß das Subjekt sich über sich selbst täuschen kann, wird nur dann verständlich, wenn das Ich nicht als Selbstbesitz, Immanenz und Koinzidenz mit sich selbst begriffen wird. Obgleich es möglich ist, daß sich jede → Wahrnehmung im nachhinein als I. erweist, folgt aus dieser Tatsache kein Skeptizismus. Da von I.en nur auf Grund einer Erfahrung mit → Wahrheit gesprochen werden kann, muß ein „Welt-“ bzw. „Urglaube“ (→ Urglaube) als absolut gewisser Rahmen jeder I. vorausgesetzt werden. Durch die Welt ist im Augenblick der I. eine Desillusionierung schon als mögliche gegeben. Ontolog. Bedingung der I. ist, daß Scheinbares und Wirkliches im Gegenstand wie im Subjekt durch eine Ambiguität (→ Zweideutigkeit) gekennzeichnet sind: Um die I. durchschauen zu können, bedürfte es einer (Selbst-)Erkenntnis, die aber gera-

de die Zerstörung der I. erst verschaffen kann. → Wirklichkeit und I. bilden damit keine absolute Unterscheidung, vielmehr müssen beide durch einander verstanden werden. Qu.: Merleau-Ponty 1945 (1966).

HW

Imaginäres. (frz.: l’imaginaire) Sartres Analyse des I.n gehört in den größeren Rahmen einer Untersuchung der intentionalen Struktur der Vorstellung (image mentale). Diese hat zum Ziel, die sog. „irrealisierende“ Funktion des → Bewußtseins zu beschreiben, d. h. die Vorstellungskraft (imagination), deren noematisches Korrelat das Imaginäre ist. Die Vorstellungskraft versteht Sartre als magischen Akt, durch welchen die Sache, die jemand begehrt, derart in der Phantasie vergegenwärtigt wird, daß er meint, sie in Besitz nehmen zu können: Das imaginäre Leben wird anstelle des realen Lebens bevorzugt. Grund dafür ist zum einen die Flucht vor der Armut des Realen (daher die Bedeutung einer Pathologie der Imagination) bzw. die Flucht vor der Tatsache, daß im Realen Befriedigung nicht möglich sei. Mit der Wahl imaginärer Vorstellungen werden auch imaginäre Zustände gewählt, wobei die Irrealität der Objekte sehr wohl bewußt ist. Die Realität wird mit der Fiktion nicht verwechselt, das Bewußtsein ist vielmehr dazu verurteilt, eine irreale Welt zu konstituieren. Einen Weg zum Verständnis dessen bietet neben den Halluzinationen schizophrener Patienten der Traum. Die Setzung des realisierenden Bewußtseins ist von der des vorstellenden radikal verschieden; der Unterschied liegt darin, daß das vorgestellte Objekt prinzipiell abwesend ist. Dies ist von den „leeren“ Intentio-

285 nen zu unterscheiden, die innerhalb des realisierenden Bewußtseins auf Erfüllung bzw. Explikation ausgerichtet sind (vgl. Husserl 1939, § 26). Durch den imaginativen Akt wird der Gegenstand so konstituiert, daß Nicht-Reales als real gesetzt wird; dieser Akt ist zugleich „konstituierend, isolierend und nichtend“ (Sartre 1994, 285). Qu.: Sartre 1940 (1994). – Sartre 1947 (1982). – Husserl 1939. HV

Immanenz. Leitend für Husserls Verwendung des Begriffspaars I./→ Transzendenz ist seine Einsicht, daß der intentionale Charakter des → Bewußtseins, die Tatsache, daß in den Bewußtseinsakten etwas gemeint oder intendiert ist, ein Element der Transzendenz in die Sphäre der I. trägt. Auf Grund dieser intentionalen Struktur des Bewußtseins erweist sich die vermeintlich selbstverständliche Behauptung von der I. der Bewußtseinsinhalte als irreführend. Ein vorgestellter → Gegenstand findet sich nicht einfach als „ein der transzendenten Sache selbst irgendwie ähnlicher ,Inhalt‘ im Bewußtsein‘ “, sondern er ist nur dergestalt vorstellbar, „daß im phänomenolog. Wesen des Bewußtseins in sich selbst alle Beziehung auf seine Gegenständlichkeit beschlossen ist und nur darin prinzipiell beschlossen sein kann, und zwar als Beziehung auf eine ,transzendente‘ Sache“ (Hua XIX/1, 437). Daher ist Husserl schon in den Logischen Untersuchungen bestrebt, die „Redeweise von immanenten Gegenständen ganz zu vermeiden“ (ebd., 388); stattdessen spricht er vom „intentionalen Gegenstand“ bzw. dem „intentional gegebenen Objekt“ (ebd., 388 u. 437). Dieses läßt sich aber für ihn erkenntnistheoretisch nicht

Immanenz länger in einen äußeren, transzendenten Gegenstand einerseits und ein diesen Gegenstand appräsentierendes Bewußtseinserlebnis andererseits auseinanderdividieren. Wenn im noematisches Korrelat das Imaginäre ist. Die Vorstellungskraft versteht → Erlebnis auf den Gegenstand „abgezielt“ ist, so ist dieser vielmehr eo ipso „intentional gegenwärtig“ (ebd., 386). Im Sinne eines solchen Korrelationsapriori ist es deshalb „widersinnig“ und ein „schwerer Irrtum“, „überhaupt einen reellen Unterschied zwischen den ,bloß immanenten‘ oder ,intentionalen‘ Gegenständen auf der einen und ihnen evtl. entsprechenden ,wirklichen‘ und ,transzendenten‘ Gegenständen auf der anderen Seite“ (ebd., 438 f.) zu machen. Sind die Erlebnisakte des Bewußtseins auf etwas gerichtet (das Sehen „gefärbter Dinge“, das Hören eines Liedes etc.) und weisen damit über die Sphäre reeller I. hinaus, so bleiben als die „wahrhaft immanenten Inhalte“ der → Akte für Husserl nur jene Bestandteile, die gerade „nicht intentional“ sind, Farb- oder Tonempfindungen etwa, die die Akte ,aufbauen‘, aber nicht selbst intendiert werden. Das zentrale Motiv einer „Transzendenz in der I.“ (Hua III/1, 124) greift Husserl auch später in seinen Versuchen zur kritischen Grundlegung einer transzendentalen Phänomenologie wieder auf. Grundsätzliche Überlegungen dazu finden sich insbesondere in den Vorlesungen über Die Idee der Phänomenologie, wo zwei verschiedene Begriffe von I. entwickelt werden: Intuitiv liegt es nahe, I. nur im Sinne „reeller I.“, und d. h. eines „reellen Enthaltenseins“ des Erkenntnisgegenstandes im Erkenntnisakt, zu verstehen (wobei Husserl aber auch diese Auffassung schon transzendental-

Immanenz philosoph. geklärt von einer psychologisch begriffenen „realen I.“ abgrenzt). Diese Auffassung beinhaltet jedoch die stillschweigende Voraussetzung, die „einzig wirklich verständliche, fraglose, absolut evidente Gegebenheit sei die des im Erkenntnisakte reell enthaltenen Momentes“, weshalb ihr alles, das darin nicht reell enthalten ist, als „rätselhaft, problematisch“ erscheint (Hua II, 35 f.). Gerade dem setzt Husserl einen zweiten, von den intentionalen → Leistungen des Bewußtseins her verstandenen Begriff von I. entgegen: I. als „absolute und klare Gegebenheit, Selbstgegebenheit im absoluten Sinn“ (ebd.). Diese „reine Gegebenheit“ (→ Gegebenheit) umfaßt nicht nur die im Erkenntnisakt reell enthaltenen Momente, sondern auch ein Bewußtsein des → Allgemeinen, wie Husserl an der Wesenserfassung (→ Wesen) der Farbe Rot („Rot überhaupt“) darstellt. Das Allgemeine ist „absolut gegeben“, aber nicht „reell immanent“, es ist „gegeben in Evidenz, ist aber kein Singuläres sondern eben ein Allgemeines, somit im reellen Sinne transzendent“ (ebd., 9). Doch auch das Wahrnehmen von Tönen zeigt diesen Überschritt über eine falsch verstandene I., denn „die vergangenen Phasen der Tondauer sind jetzt noch gegenständlich und doch nicht reell im Jetztpunkt der Erscheinung enthalten“, sie sind „innerhalb dieser I. nicht in dem reellen Sinne immanent“ (ebd., 11). Eines der zentralen Anliegen von Husserls „Phänomenologie der Erkenntnis“ läßt sich demnach auch so beschreiben: „Nicht bloß um das reell Immanente handelt es sich, sondern auch um das im intentionalen Sinn Immanente“ (ebd., 55). In Husserls „Betonung der I., die wir mit dem inneren Blick des Selbst-

286 Bewußtseins als gesichert zu erfassen suchen“, sieht Patoˇcka das cartesianisch geprägte Überbleibsel einer idealistischen Bewußtseinsphilosophie, die die Strukturen des Erscheinens einseitig in der Subjektivität verortet. In diesem Sinne konstatiert er auch, daß „Husserls Philosophie bis zum Ende eine Philosophie der Reflexion bleibt, und das bedeutet: der I.“ (Pato cˇ ka 1991, 380 u. 391). Dem gegenüber muß für Patoˇcka der Weltbezug des Menschen selbst in der → Welt verankert sein und sich „der Frage nach der Welt, nach der historischen Komponente der Welt, nach ihrem Sein“ stellen (ebd.). Erst damit könnte eine „Überwindung des Cartesianismus“ gelingen, deren Ansätze er schon bei Husserl selbst (z. B. in seiner Auffassung des → Leibes, in der Betonung der → Horizont-Intentionalität, in der Suche nach einer nicht rein theoretischen Motivation der → Epoché etc.) gegeben sieht. An Husserls Bestimmung einer durch die Struktur der Transzendenz überformten I. entzündet sich auch die Kritik, die Henry im Rahmen seiner „radikalen Lebensphänomenologie“ (Henry 1992) formuliert. In Husserls reduktiver Bestimmung der I., in welcher der rein subjektiven Vollzugswirklichkeit des Lebens die Irrealität des „generischen Wesens“ substituiert wird (ebd., 63-186), läßt sich Henry zufolge exemplarisch ein „ontolog. Monismus“ (Henry 1963, 59-164) nachweisen: Für diesen bleibt die Transzendenz nicht nur ein letztlich unaufgeklärtes Faktum, das jeder Seinsselbständigkeit ermangelt, sondern er verabsolutiert vielmehr noch ihre ekstatische Erscheinensweise als die einzig mögliche. Dagegen versteht es Henry als die zentrale Aufgabe einer

287 „materialen Phänomenologie“ (Henry 1990, 13-59), die Eigeneidetik der reellen I. als „transzendentale Affektivität“ (Henry 1963, §§ 31 ff., §§ 54 ff.) zu rehabilitieren, um darin zugleich die innerste Bedingung der Transzendenz als solcher sicherzustellen. Die I. so als das „Wesen der Transzendenz“ (ebd., 309) auszuweisen, garantiert Henry zufolge nämlich erst die Rezeptivität des Transzendenzaktes selbst: Dieser wird dadurch auf ein autonomes Sein leiblich-lebendiger Lebensselbstübereignung (vgl. Henry 2002) gegründet, ohne noch dem Paralogismus zu verfallen, sich als Intentionalität beispielsweise selbst hervorzubringen. Qu.: Hua I. – Hua II. – Hua III/1. – Hua XIX/1. – Patoˇcka 1991. – Henry 1992. – Henry 1963. – Henry 1990. – Henry 2002. LH/MST

Impression. (→ Eindruck) Der Terminus bezeichnet seit Hume alle unmittelbaren Bewußtseinserlebnisse (I. als Oberbegriff für sensation, passion und emotion). Husserl versteht darunter gewisse Urerlebnisse, auf die jedes → Erlebnis zurückführt, d. h. die absolut originären Erlebnisse. So sind z. B. Dingwahrnehmungen originäre Erlebnisse in Relation zu → Erinnerungen oder Phantasievergegenwärtigungen (→ Phantasie). Unter zeitlichem Aspekt sind I.en ein kontinuierliches Ineinander von → Retentionen. Merleau-Ponty stellt die Rechtmäßigkeit der Annahme einer „impressionalen Schicht“ der → Wahrnehmung in Frage, weil bereits die einfachste Wahrnehmung → Sinn hat; ihr Etwas ist immer schon Teil eines → Feldes. Eine „reine“ I. gibt es nicht.

Individuum Qu.: Hua III/1, §§ 78, 81. – Merleau-Ponty 1945 (1966, 21-22, 35-37). HV

In-der-Welt-sein. Der Begriff I. ist eine Neuschöpfung Heideggers und bezeichnet die Grundverfassung des → Daseins. Der Ausdruck betrifft ein einheitliches Phänomen, das folgende Momente einschließt: das „in der Welt“, woraus die Aufgabe erwächst, der Weltlichkeit von → Welt nachzufragen; das Wer des Daseins im → Mitsein mit Anderen, dem alltäglichen Mitsein und dem alltäglichen Selbstsein; dem In-sein als solchem, d. h. der Verfassung des Daseins, welches durch → Befindlichkeit, → Verstehen, → Rede und → Verfallen konstituiert wird. Qu.: HeiGA 2, § 12. – Lit.: Vigo 1999. HV

Individuum. I. – seiner lat. Bedeutung nach „das Ungeteilte“ – meint das einzelne Seiende in seiner Unverwechselbarkeit, u. zw. sowohl das Seiende als das, worauf sich alle Aussagen beziehen (das hypokeimenon bei Aristoteles als „Dies-da“ und Selbständiges) als auch die Einmaligkeit einer Person (als individua subtantia rationalis naturae bei Boethius). Beide Bedeutungen finden in die Phänomenologie Eingang. Husserl unterscheidet die formalkategorialen Begriffe I., Konkretum und Abstraktum. Abstraktum nennt er ein unselbständiges Wesen, Konkretum ein absolut selbständiges (ein volles Konkretum, z. B. ein gestaltetes Raumding). „Ein Dies-da, dessen sachhaltiges Wesen eine Konkretion ist, heißt ein I.“ (Hua III/1, 35) Im Fall der Dingwahrnehmung ist das logische Individuum (das, worauf sich die Aussage bezieht) das → Ding. Jedes I. ist zufällig, d. h. es könnte auch anders sein. Doch ist der Sinn seiner Zufäl-

Inexistenz ligkeit (die Tatsächlichkeit eines I.s) korrelativ zu einer Wesensnotwendigkeit und Wesensallgemeinheit: Der individuelle → Gegenstand hat seinen Bestand an wesentlichen Prädikabilien. In Schelers → Ethik umgreift das I. als geistiges I. sowohl die Einzel- als auch die Gesamtperson (Staat, Nation, Kirche u. ä.). Es ergeben sich dabei mit Beziehung auf soziale Wesenseinheiten vier Stufen: 1. Auf der Ebene der Masse (dieser untersten sozialen Einheit entspricht bei den → Tieren die Herde) existiert das einzelne I. als Erlebnis überhaupt nicht. 2. In der „Lebensgemeinschaft“ existiert ein Erlebnisstrom zwischen den Individuen, der in der Realität der Gemeinschaft gründet; diese übersingulare Lebenseinheit ist durch die Solidarität der Individuen getragen. 3. In der sozialen Einheit der → Gesellschaft – eine künstliche Einheit von Individuen – tritt an die Stelle der Mitverantwortlichkeit einseitig die absolute Selbstverantwortlichkeit; im Unterschied zur Lebensgemeinschaft (zu der auch Unmündige gehören) ist sie eine Einheit mündiger und selbstbewußter Einzelpersonen; dies schließt nicht aus, daß das Einzelwesen als solches das Bewußtsein seiner unvergleichlichen Individualität ausbildet. 4. Die höchste Einheit (Scheler sieht sie im christlichen Gemeinschaftsgedanken verwirklicht) ist die „selbständiger, geistiger, individueller Einzelpersonen ,in‘ einer selbständigen, geistigen, individuellen Gesamtperson“ (ScheGW 2, 522). In ihr sind die individuelle → Seele und → Person in der Heilssolidarität aller in einzigartiger Weise vereinigt. Ausgehend von Feuerbachs Begriff von Philosophie und in Ausarbeitung einer phänomenolog. Strukturanalyse

288 des Miteinanderseins, die durch Vorgaben Heideggers bestimmt ist, sucht Löwith den Nachweis, inwiefern der Mitmensch das Leben des I.s konstituiert. Keiner wird dem anderen als individuelles Ich zugänglich, da das Verhältnis zum anderen einen selbst immer durch ein Verhältnis (zum anderen Geschlecht oder zu anderen Bestimmungen des Daseins) bestimmt. Gleichwohl bleibt die Möglichkeit der Konstitution des I.: in der Möglichkeit eines einzigartigen Verhältnisses zu sich selbst. Qu.: Hua III/1, §§ 2 u. 15. – Husserl 1939, § 84. – ScheGW 2 (VI B, ad 4). – Löwith 1981, 9-197. – Lit.: Schneck 1987. – Theunissen 1965. HV

Inexistenz. Der Begriff I. wird von Husserl in der fünften Logischen Untersuchung eingeführt. Er übernimmt ihn ausdrücklich von Brentano, der den Begriff seinerseits aus der mittelalterlichen Scholastik entliehen hatte. I. meint dabei nicht etwa ein Nichtvorhandensein, sondern ein Enthaltensein in etwas. Für Husserl geht es um die Charakterisierung der psych. Phänomene. Diese zeichnen sich nach Husserl genau dadurch aus, daß sie als solche auf einen → Inhalt oder → Gegenstand bezogen sind. Mit Brentano verweist Husserl hier auf die „intentionale (auch wohl mentale) I. eines Gegenstandes“ (Hua XIX/1, 380) im psych. → Erlebnis. Zu beachten bleibt, daß der intendierte Gegenstand weder im Gehirn als realer Bestandteil zu denken ist, noch als ein realer Gegenstand außerhalb des → Bewußtseins. Wenn ich z. B. an den Eiffelturm denke, dann ist mein psychisches Erlebnis nicht durch irgendwelche physiologischen Vorgänge im Kopf bestimmt, und auch nicht durch eine reale Beziehung zum Eiffel-

289

Inständigkeit

turm. Vielmehr besteht die intentionale I. des Eiffelturms im Grunde darin, daß mein Erlebnis auf weitere Erlebnisse verweist, die sich auch auf den Eiffelturm beziehen. Wenn ich an den Eiffelturm denke, so heißt dies, daß ich auch nach Paris fahren könnte, wo dann für mich bestimmte Wahrnehmungsbzw. Tasterlebnisse möglich würden, die ebenfalls auf den Eiffelturm gerichtet sind. Qu.: Hua XIX/1, 379-389.

HM

Inhalt. Im Anschluß an die von Brentano stammende Bestimmung der → Intentionalität als mentaler „Beziehung auf einen I.“ oder „Richtung auf ein Objekt“ thematisiert Husserl in der fünften Logischen Untersuchung die I.e der intentionalen → Erlebnisse und unterscheidet zwischen den immanenten, zum „reellen Bestand“ der intentionalen Erlebnisse gehörigen I.en und den intentionalen (intendierten) I.en. Zu den ersteren gehören „Empfindungsinhalte“ und die auffassende Intention. Dagegen unterscheidet Husserl hinsichtlich der letzteren weiterhin drei Momente: den intentionalen → Gegenstand des → Aktes (den Gegenstand, so wie er intendiert ist), seine Materie (Auffassungssinn) und sein intentionales → Wesen als → Einheit der Materie und → Qualität des Aktes. In der sechsten Logischen Untersuchung definiert Husserl den gesamten, für die Erkenntnisfunktion in Betracht kommenden I., zu dem drei Komponenten Materie, Qualität und „intuitiv repräsentierender I.“ („Fülle“) gehören, außerdem als „erkenntnismäßiges Wesen“ (Hua XIX/2, 626). In den Ideen I wird dieser gesamte intentionale I. als volles → Noema betrachtet und die Struktur dieses Noemas analysiert, wobei der I. des Noemas als sein → „Sinn“ (noema-

tischer Kern) bestimmt wird (Hua III/1, 129). Qu.: Hua III/1. – Hua XIX/1. – Hua XIX/2. – Lit.: Tugendhat 1970. TS

Innerlichkeit. (frz.: intériorité) Mit der I. bezeichnet Levinas die Sphäre des Selben bzw. des Selbst (le même als moi-même) im Unterschied zur → Exteriorität des → Anderen (l’Autre). Der frühe Levinas (Levinas 1987) entwirft eine Phänomenologie der I., die als Konstitution der Subjektivität im Genuß (jouissance) beschrieben wird. Dem stellt er eine absolute Exteriorität (Andersheit) des Anderen (als → Antlitz) entgegen. Der späte Levinas (Levinas 1992) revidiert jedoch dieses Verhältnis, indem der Andere das Subjekt früher bestimmt als sich eine vom Anderen unabhängige I. überhaupt zu konstituieren vermag. Der Andere ist „interior intimo meo“, und damit ist die Subjektivität immer schon eine Ausgesetztheit (exposition), ein radikales „Außer sich“ in der → Verantwortung für den Anderen. Qu.: Levinas 1961 (1987, 150-266). – Levinas 1974 (1992, 34 ff.). BK

Inständigkeit. Heidegger entwirft in Sein und Zeit das In-sein des daseinsmäßigen → In-der-Welt-seins als jenes → Existenzial, das reflexiv einholt, daß das → Dasein jenes Seiende ist, das sein Da ist, indem es in das Offene von → Welt hinein existiert: Dasein meint in seinem Grundvollzug → Sein als inständige → Existenz und bedeutet schon in Sein und Zeit ein Vertrautseinmit und ein „Wohnen-bei“. (HeiGA 2, 73) Das Verständnis des Wahrheitswesens des Menschen aus seiner eksistenzialen I. in der → Wahrheit des Seins findet bei Heidegger später sei-

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Institution ne Mitte in einem Verständnis von → Gelassenheit, die das Wie-sein des Daseins in seiner ek-statischen → Offenheit versteht. In den Beiträgen versteht Heidegger die „Sorge als die das Da ausstehende I.“ (HeiGA 65, 34) und bedenkt menschliche Existenz aus dem Ereignis: „Das Da-sein als Gründung der Bestreitung des Streites in das durch ihn Eröffnete wird menschenhaft erharrt und getragen in der das Da ausstehenden, dem Ereignis zugehörigen I.“ (ebd., 31) Qu.: HeiGA 2. – HeiGA 65.

JV

Institution. (frz.: institution) Der Begriff der I. steht innerhalb der Phänomenologie und ihres Einflußgebietes für eine Öffnung der Philosophie auf die Politik als eigene Seinsweise, die es in ihrer spezifischen ontolog. Dimension zu reflektieren gilt. Merleau-Ponty geht vor allem in seinem 1955 erschienenen Buch Die Abenteuer der Dialektik auf diesen Seinsbereich ein, und er stellt darin die „instituierten Regime“ der revolutionären Bewegung gegenüber. Die Eindeutigkeit dieser Gegenüberstellung von Bestehendem als I. und einer gleichsam transzendenttranszendierenden Bewegung wird jedoch durch den aktiven Gebrauch des französischen Wortes institution für Instituierung in Anlehnung an Husserls → Stiftung relativiert. Dieses Spannungsverhältnis prägt ebenso wie jenes zwischen → Vergangenheit und → Zukunft, oder jenes zwischen Selbst-Bewußtsein und Gemeinschaft, den Begriff der I. Dialektisch zugespitzt und verdichtet finden wir dies in den als „Fragmente einer Analyse“ vorgetragenen Reflexionen wieder, die in den

Vorlesungszusammenfassungen abgedruckt sind. Arendt widmet zentrale Stellen ihres 1963 erschienenen Werks Über die Revolution dem Gründungsgedanken und den politischen Gründungsakten. Der Gestaltungsprozeß in der Hervorbringung bzw. radikalen Reformierung von I.en wird als genuin politisches Phänomen behandelt, in dem die dialektische Prozessualität zwischen Erhalt bestehender I.en und Neugründung von Gemeinwesen vermittels des permanenten Spannungsverhältnisses zwischen → Macht und → Gewalt reflektiert wird. In seinen historiographisch angelegten Arbeiten behandelt Foucault bestimmte, für ihre jeweilige Epoche charakteristische, I.en der Herrschaft. Sowohl in seiner 1961 in Buchform erschienenen thèse über die Geschichte des Wahnsinns, in der er die Entstehung der Psychiatrie aufarbeitet, als auch in Überwachen und Strafen, worin er die Genese der I. Gefängnis zu beschreiben sucht, geht es ihm stets um die mit der Entstehung dieser geschlossenen I.en verbundenen strukturellen → Dispositive der → Macht, des staatlich und ideologisch sanktionierten Zwangs sowie der phys. wie auch psych. Disziplinierung von Individuen. Castoriadis erarbeitete als erster eine explizite Philosophie der I. in ihren vielschichtigen Bedeutungen, wobei er die schöpferisch-ontolog. Relevanz dieses Begriffs hervorstreicht. In seinem Hauptwerk Gesellschaft als imaginäre Institution nimmt er 1964/65 erstmals publizierte Texte zur dialektischen Kategorie der I./Instituierung auf und entwickelt davon ausgehend eine Philosophie der → Gesellschaft und der Politik, in deren Zentrum das „instituierende Imaginäre“ steht.

291 I.en im weitesten Sinn, also die Sprache und die Gesellschaft selbst, sind ebenso wie I.en im engeren Sinn Verkörperungen oder – auch immaterielle, also wirklich-imaginäre – Gestalten eines Instituierungsprozesses, dessen „Subjekt“ das je verschieden gegliederte und hierarchisierte „anonyme Kollektiv“ ist: Menschen, deren imaginativ-schöpferisches Potential immer neue Formen und Bedeutungen hervorbringt, welche sich zu I.en kristallisieren. Castoriadis betont dabei den Umstand, daß die meisten Gesellschaften, ja selbst die mit der selbstinfragestellenden Reflexion anhebende Philosophie als I., sich blind machten für ihre instituierende Tätigkeit, indem sie sie einer transgesellschaftlichen Instanz (Logos, Gott etc.) übertrugen bzw. immer noch übertragen. Diesen Aspekt der Entfremdung entlehnt er Hegel, der ihn in der Phänomenologie des Geistes in Zusammenhang mit dem Begriff der Bildung ausführte. Nur Gesellschaften, oder vielmehr die sie konstituierenden gesellschaftlichen Individuen, die sich ihrer instituierenden Tätigkeit bzw. ihrer Instituiertheit bewußt sind, können – so Castoriadis – der Heteronomie der Entfremdung entgehen und Autonomie über die explizite und infragestellende Instituierung verwirklichen. Dies setzt aber bereits spezifische freiheitsgenerierende Bedeutungen und Dispositionen voraus, deren Hervorbringung nicht gänzlich von anderen „gesellschaftlichimaginären Bedeutungen“ ableitbar ist. Diese Hervorbringung wird vielmehr unter der Kategorie der Erfindung bzw. der Schöpfung behandelt, deren Quelle die radikale Einbildungskraft ist. Politik wird als die expliziteste und – in Anlehnung an Arendts Vita Activa – nur unter der Bedingung der so wenig

Intentionalität wie möglich eingeschränkten Pluralität zu verwirklichende Form der Instituierung der Gesellschaft gesehen. Von einigen wenigen angeeignet, verkommt Politik zur bloßen Herrschaft. In diesen Punkten, insbesondere in ihrer Totalitarismuskritik, stimmen Castoriadis und Lefort, die gemeinsam die Zeitschrift Socialisme ou Barbarie gründeten, überein. Eine solche demokratische und zur Moderne sich bekennende kritische Haltung sowie die Anlehnung an Arendt finden sich auch in Ricœurs späteren Arbeiten, in denen er I.en im engeren Sinn (politische, juristische etc. I.n) vor dem Hintergrund der I.en im weiteren Sinn (Gesellschaft, Sprache etc.) behandelt. Ricœurs philosoph. Reflexionen haben dabei nicht so sehr den Begriff der I. und deren Verhältnis zur Instituierung zum Gegenstand, als vielmehr die ethischpolitische Dynamik spezifischer I.en (des Rechts sowie seiner Um- und Durchsetzung). Er behandelt diese Frage im Anschluß an seine → Ethik über eine hauptsächlich rechtsphilosoph. Zugangsweise, die er in seinem Artikel Le juste, sowie in dem 1995 erschienenen gleichnamigen Buch darlegt und im Ansatz in eine politischen Philosophie münden läßt. Qu.: Merleau-Ponty 1955 (1968). – Merleau-Ponty, 1962 (1973). – Arendt 1958 (1967). – Arendt 1963 (1963). – Foucault 1961 (1969). – Foucault 1975 (1976). – Castoriadis 1975 (1984). – Lefort 1986. – Ricœur 1991b, 176-195. – Ricœur 1995. Lit.: Castoriadis 1986. – Ciaramelli 1990. – Joas 1989. – Rödel/Frankenberg/Dubiel 1989. AP

Intention. → Erfüllung Intentionalität. I. charakterisiert nach Husserl den allgemeinen Grundzug

Intentionalität von Erlebnissen, „Bewußtseins von etwas“ (Hua III/1, 188) zu sein. In der V. Logischen Untersuchung dient der Aufweis von solchen „intentionalen Erlebnissen“, welche die bloße Subjektivität der Selbstwahrnehmung transzendieren und sich auf → Gegenstände oder → Sachverhalte direkt beziehen, zunächst zur genaueren Definition von „psych. Phänomenen“ im Sinne von Bewußtseinsakten (Hua XIX/1, 392-393). Die methodische Einführung des Intentionalitätsbegriffs im Anschluß an Brentano soll vor allem „täuschende Äquivokationen“(Hua XIX/1, 380) in der Beschreibung der Bewußtseinsphänomene beseitigen. Der von Husserl kritisierte „populäre Erlebnisbegriff“ meint insbesonders den Positivismus von Mach, der das → Bewußtsein als eine „Erlebniskomplexion“ ansieht, die je nach „Gesichtspunkten und Interessen“ als subjektive Empfindungsqualität oder Beschaffenheit objektiver Gegenstände aufgefaßt wird und damit das „Erscheinen des Objektes“ in einem → Erlebnis nicht vom darin erscheinenden → Objekt als solchen unterscheidet (Hua XIX/1, 359). Grundsätzlich gilt, daß sich Gegenstände und Sachverhalte zwar „bewußtseinsmäßig durch Empfindungskomplexe darstellen, aber keineswegs selbst als solche |ierscheinen“ (ebd., 379). Die I., welche einerseits das Bewußtsein vom gegebenen Gegenstand von den Empfindungskomplexen als einen transzendenten Überschuß ablöst, impliziert somit andererseits immer auch das Darstellungsund damit Konstitutionsverhältnis (→ Konstitution), wonach sich alles Gegenständliche in subjektiven Gegebenheitsweisen realisieren muß (Hua II, 12). In der V. Logischen Untersuchung wird deshalb das Konstitutionsverhält-

292 nis der I. wesentlich durch das Schema von → Hyle und → Auffassung beschrieben: Die intentionale Auffassung als eine → Leistung der → Apperzeption gilt Husserl als „der Überschuß, der im Erlebnis selbst, in seinem deskriptiven Inhalt gegenüber dem rohen Dasein der Empfindung besteht“ (Hua XIX,1, 399). Die hyletischen „reellen“ Empfindungskomponenten, in denen sich die intentionale → Beziehung erlebnismäßig darstellt, werden durch die „auffassenden“ oder „apperzipierenden Akte“ (ebd.) gleichsam „beseelt“, die damit die objektivierende Bezugnahme von Bewußtseinserlebnissen auf etwas Gegenständliches ermöglichen (ebd.). Da somit „nicht alle Erlebnisse intentional sind“ (ebd., 382), relativiert sich in gewisser Weise auch die Reichweite der „intentionalen Beziehung“, die anders als bei Brentano nicht mehr zur Abgrenzung psych. Phänomene überhaupt vom Physischen herangezogen werden kann. Ansätze zu einer phänomenolog. umfassenden Intentionalitätsanalyse, die alle objektivierenden Leistungen der Apperzeption aus subjektiven Konstitutionsverhältnissen systematisch verständlich machen will, finden sich in den Logischen Untersuchungen allerdings nur in Ansätzen durchgeführt. Voraussetzung dafür ist ein weiteres und umfassendes Verständnis von I., das nicht mehr auf aktuell vollzogene Bewußtseinsakte eingeschränkt wird, sondern auch implizite, potentielle Vollzugsmöglichkeiten – „Horizontintentionalitäten“ (Hua I, 83) – einschließt. Das bereits in den Logischen Untersuchungen aufgewiesene Streben des Bewußtseins nach → Evidenz und seine teleologische Struktur, alle noch nicht anschaulich erfüllten intentionalen Tendenzen zur erfüllen-

293 den → Anschauung zu bringen, verweist zwar grundsätzlich auf die Horizontintentionalität (→ Horizont). Allerdings steht einer systematischen Intentionalitätsanalyse zunächst die einseitig psychologisch-subjektive Deutung darstellender Gegebenheitsweisen im Wege, wonach solche Potentialitäten nicht als wirklich intentionale Vermöglichkeiten angesehen werden können. Gehören zu den „intentionalen Erlebnissen“ nicht nur die Aktvollzüge, d. h. sowohl aktuelle als auch potentielle Vollzüge (Hua III/1, 74), und lassen sich solche Potentialitäten in Form von erfüllbaren Leermeinungen der → Antizipation auf zu explizierende implizite intentionale → Bestimmungen der Gegenstandsseite beziehen, dann ergibt sich schließlich die methodische Möglichkeit einer systematischen Intentionalitätsanalyse als Korrelationsforschung von → Noesis (Bewußtseinsvollzug) und → Noema (Gegenstand bzw. Sachverhalt): Das → Wesen eines jeden vorgegebenen gegenständlichen (noematischen) → Sinnes läßt sich teleologisch enthüllen mit seinen gegebenen komplexen Sinnmomenten und den ihnen zugehörigen systematischen Sinnimplikationen, die korrelativ verweisen auf sie konstituierende wirkliche und mögliche I.en (Hua XVII, 253). Als Aufgabe für die Phänomenologie stellt sich so eine systematisch umfassende „aufklärende Analyse“, „innerhalb des Rahmens reiner Evidenz oder Selbstgegebenheit allen Gegebenheitsformen und allen Korrelationsformen nachzugehen“ (Hua II, 13). Der universelle Anspruch der Intentionalitätsanalyse verbindet sich bei Husserl mit der Konzeption von Phänomenologie als eine systematisch umfassende Konstitutionstheorie. Den ver-

Intentionalität schiedensten Anwendungen und Ausführungen der gegenstandsbezogenen Intentionalitätsforschung im Anschluß an Husserl auf den Gebieten der → Ethik (das auf eine „Wertqualität“ bezogene → Fühlen von etwas (vgl. ScheGW 2, 264)), der Soziologie (das Tun und Handeln als „eigene Kategorie“ sinngebenden Verhaltens: Schütz 1974, 73), der Psychologie und Gestalttheorie („Thema“, „thematisches Feld“ und „Randbewußtsein“: Gurwitsch 1975) sowie der Ästhetik und Werktheorie („Zu den Sachen selbst!“ als „Zu den Werken selbst!“: Mersmann 1926, III; Ingarden 1962, 4) steht die kritische Diskussion des konstitutionstheoretischen Ansatzes gegenüber, die wesentlichen Einfluß nimmt auf den Stellenwert des Intentionalitätsbegriffs für die phänomenolog. → Methode überhaupt. Ingarden stellt die „Streitfrage Idealismus-Realismus“ (→ Idealismus) in den Mittelpunkt einer ontolog. begründeten Phänomenologie. Seinsautonomen realen Gegenständen eignet eine „radikale Transzendenz“ jenseits von Konstitutionsleistungen, so daß die I. „über die Bewußtseinsimmanenz hinausführt“ (Ingarden 1965, 185). Andererseits wird die eigenschöpferische Leistung von Bewußtseinserlebnissen im Falle seinsheteronomer, „rein-intentionaler“ Gegenstände betont und damit die Reichweite der → Konstitutionsanalyse auf ihrem eigensten Felde von Bewußtseinsleistungen relativiert. Bei rein-intentionalen Gegenständen handelt es sich vornehmlich um fiktionale Gebilde der Kunst, deren gegenständliche Auffassung sich auf einen nur schematischunbestimmten Rahmen beschränkt, so daß der konstitutive „Aufbau“ im Prinzip durch eigenschöpferische „Konkre-

Intentionalität tisationen“ verdeutlicht, verlebendigt und erweitert werden muß (Ingarden 1960, 264-267; 1968, 77 f.). „Unbestimmtheitsstellen“ im „Aufbau“ reinintentionaler Gegenstände lassen es deshalb auch nicht zu, Potentialitäten und offene Horizonte als konstitutive Sinnimplikationen zu deuten, die teleologisch und systematisch zu enthüllen wären. Statt dessen nehmen „Konkretisationen“ des „Aufbaus“ den Charakter von keineswegs vorherbestimmten, intentionalen, nicht antizipierbaren Umdeutungen in Gestalt von Verkürzungen und Verschiebungen in der Zeitperspektive an (Ingarden 1968, 146 f.). Das offensichtliche Fehlen systematisch umfassender „Längsintentionalitäten“ bzw. „Einordnungsintentionen“ eines linearen Kontinuums der Zeitkonstitution (Hua X, 55, 81) im Falle von Konkretisationen rein-intentionaler Gegenständlichkeiten hat es Ingarden schließlich ermöglicht, Beschreibungen von zeitdynamischen Prozessen bei Bergson, die sich der Linearisierung und Vergegenständlichung entziehen, für die Phänomenologie fruchtbar zu machen (Ingarden 1968, 115). Auch für Heidegger ist die „Gewinnung des thematischen Feldes“ der Phänomenologie wesentlich „vorgezeichnet durch das Phänomen der I.“ (HeiGA 20, 123). Die konstitutionstheoretische Fassung der I. und die mit ihr verbundene universelle Ausgestaltung einer systematischen Intentionalitätsanalyse als Korrelationsforschung sieht Heidegger allerdings grundsätzlich als eine Verfehlung des „Seins des Intentionalen“ an, das sich nur in „natürlicher Einstellung“ faktischer Existenzvollzüge des → Daseins erschließen kann. Konstitutionsanalysen nehmen Heidegger zufolge bereits eine ob-

294 jektivistische Umdeutung des Intentionalitätsphänomens vor im Banne „der Generalherrschaft des Theoretischen, was die echte Problematik verunstaltet“ (HeiGA 56/57, 87). Die Kritik am Konstitutionsbegriff der I. konzentriert sich bei Heidegger auf das, wie es scheint, nicht hinreichend aufgeklärte Verhältnis von I. und → Transzendenz (HeiGA 24, 89). Die „verkehrte Subjektivierung der I.“ in Husserls „Ideen“ führe zu der irrigen Annahme, „daß die intentionalen Verhaltungen selbst das Transzendieren ausmachen“ (ebd., 89). Die I. als ein „Verhalten zu Seiendem“ ist nach Heidegger nur möglich „auf dem Grunde der Transzendenz“ eines Seinsverständnisses des Daseins, das sich aus seinem → Inder-Welt-sein versteht. (HeiGA 9, 135) Somit läßt sich die Transzendenz nicht mehr als „Subjekt-Objekt-Beziehung“ – auch nicht im Sinne der intentionalen Noesis-Noema-Korrelation – erkenntnistheoretisch fassen (ebd., 138). Fungiert ausschließlich die → Welt als „Woraufhin“ einer Bewegung des Transzendierens, nicht aber gleichermaßen auch der jeweilige intentionale Gegenstand als bloß innerweltliches Vorkommnis (ebd., 139), dann muß die I. allerdings ihre methodische Auszeichnung eines universellen → Leitfadens zur systematischen → Analyse der Phänomene verlieren, die im Rahmen der geschichtlich-hermeneut. Daseinsanalyse durch die „Interpretation des Weltphänomens“ (ebd., 142) ersetzt wird. Heideggers Fundierung der intentionalen Beziehung in einer der weltlichen Transzendenz ausgelieferten → Faktizität des Existierens nimmt MerleauPontys Phänomenologie der Wahrnehmung i. S. der um die Analysen zur passiven Synthesis erweiterten Hus-

295 serlschen Zeitanalysen auf. „Der ,Aktintentionalität‘, d. h. dem thetischen Gegenstandsbewußtsein [...] liegt eine ,fungierende I.‘ zugrunde, die jene erst ermöglicht; Heidegger nennt sie die Transzendenz.“ (Merleau-Ponty 1966, 475) In Das Sichtbare und das Unsichtbare bemüht sich Merleau-Ponty darum, mit dem versuchten Aufweis einer solchen „fungierenden“ oder „latenten“ I. (Merleau-Ponty 1986, 308) neue Möglichkeiten der intentionalen Analyse zu erschließen mit Blick auf „ein transzendentes Sein, das nicht auf ,Perspektiven‘ des ,Bewußtseins‘ reduziert ist“ (ebd.). Die „fungierende I.“ als eine passive „I. ohne Akte“ konstituiert ihren Gegenstand durch kein objektivierendes Leisten, vielmehr durch „Strukturen der Affektivität“, die „genauso konstituierend sind wie alle anderen“ (ebd., 302). Ursprünglich wird eine solche intentionale Beziehung auf dem Boden der Faktizität durch „ein anfängliches es gibt eröffnet“ in der Eingenommenheit von „Bedeutungskernen“ einer stets leiblich situierten → Wahrnehmung, „um die das transzendente Leben kreist“ (ebd., 301 f.). „Phänomenologie, das ist I.“ (Levinas 1983, 123) Dieses Bekenntnis schließt Levinas zufolge die ontolog. Perspektive Heideggers, die intentionale Beziehung zu Gegenständen in einer ursprünglichen, die Bewußtseinsimmanenz sprengenden Transzendenz zu fundieren, ausdrücklich ein. Ähnlich wie Merleau-Ponty verfolgt auch Levinas das programmatische Ziel, die I. ursprünglicher als eine „Objektivierung“ im Sinne der Noesis-NoemaKorrelation zu verstehen und damit jeglicher „Logik der Vergegenständlichung“ zu entziehen (ebd., 153). Heideggers Umwendung des konstituionstheoretischen Ansatzes folgend, „daß

Intentionalität das Sein den Akt begründet, der es entwirft“, gilt es für die Intentionalitätsanalyse, die „Zweideutigkeit der Konstitution“ zu entdecken, „in der das Noema die es konstituierende Noese bedingt“ (ebd., 135 f.). Möglich wird dies, wenn die von Husserl aufgedeckten noematischen Sinnüberschüsse und Sinnimplikationen nicht nur als „Horizontstrukturen“ gedeutet werden i. S. eines zugehörigen intentionalen „Hintergrundes“ objektivierender → Akte (ebd., 141). Solche „verborgenen Horizonte“, „die nicht mehr die Umgebung des Objektes sind, sondern die transzendentalen Sinngeber“ (ebd., 138), entdeckt Levinas in der von Husserl als eine leiblich-kinästhetischen Bewegung beschriebenen → Empfindung. Die „kinästhetische Sinnlichkeit legt Intentionen frei, die keineswegs objektivierend sind, Orientierungspunkte, die nicht als Objekte fungieren – Gehen, Stoßen, in die Ferne zielen, die feste Erde, der Widerstand, das Ferne, die Erde, der Himmel“ (ebd., 148). In der orientierten Empfindung eines Faktums der Sinne wird die Bewegungsintention durch ein äußeres Anderes gleichsam „geleitet“, die Intentionen „folgen dem, woraufhin sie sich transzendieren“ (ebd., 143, 145). Eine solche „transitive I.“ von → Kinästhesen enthält somit „keine Vorstellungsintentionen“, welche die I. in der Bewußtseinsimmanenz einschließen würden, vielmehr enthüllt sich mit ihr der → Leib als „das Organ der Transzendenz schlechthin“ (ebd., 149, 179, 181). Wird die I. auf diese Weise in der → Passivität eines leiblich situierten Wahrnehmens und Empfindens fundiert, dann entbehrt sie den Charakter der autonomen Bewußtseinsleistung und spontanen Aktivität der Sinngebung. Betont Levinas

Intentionalität die konstitutive Nachträglichkeit einer der Empfindung folgenden „transitiven“ Intention, so faßt Merleau-Ponty die „fungierende I.“ auf als reaktives Verhalten eines „Sinnes als einnehmender Sinn“, welcher dem Sinnverstehen zuvorkommend eine „Antwort“ entlockt (Merleau-Ponty 1986, 300). Solche Ansätze systematisch aufnehmend, entwickelt Waldenfels eine Theorie der „responsiven Rationalität“ (→ Responsivität), die sich „als Transformation der phänomenolog. Konzeption der I.“ versteht „unter Benutzung kommunikationstheoretischer Einsichten“ (Waldenfels 1994a, 332). „Was mich von je her beunruhigt: Ist I. vom Himmel gefallen? Wenn ein Letztes: in welcher Letztheit hinzunehmen?“ (HeiGA 61, 131) In genetischer Perspektive stellt sich nicht nur die Frage nach der Fundierung der I. in einer sie ermöglichenden ursprünglichen Faktizität und Transzendenz, zum Thema wird schließlich die → Genese der intentionalen Beziehung selber und damit die Klärung der Herkunft ihrer phänomenolog. Voraussetzung. Heideggers geschichtlichhermeneut. Frage nach der „Sinngenesis von Richtung“ (ebd., 144) trifft sich hier mit Husserls Analysen zur passiven Synthesis und ihrer versuchten genetisch-phänomenolog. Aufklärung des „Entspringens einer Richtungssynthese“ (Hua XI, 75). Der junge Heidegger konstatiert in der Geschichte der philosoph. Seinsauslegung den Verlust der „ursprünglichen Sachstellung“ bei den Griechen, welche die Tradition überhaupt zu einer uneigentlichen „Verdeckungsgeschichte“ werden läßt (HeiGA 63, 75). Die intentionale Ausrichtung auf die → „Sache selbst“ unterliegt so der „Ruinanz“ durch das Überlieferungs-

296 geschehen, der wiederum durch eine „gegenruinante Bewegtheit“ des „philosoph. Interpretationsvollzugs“ (HeiGA 61, 153) und dessen Erinnerung des intentionalen Sachbezugs phänomenolog. begegnet wird. Das Skandalon des Verlustes einer originären → Anschauung und seine mögliche Beseitigung durch die Erneuerung der intentionalen Beziehung ergibt sich Husserl zufolge aus dem bewußtseinsgeschichtlichen Kreislauf des Vergessens und der Wiedererinnerung „urstiftender“ aktiver Urteilsleistungen (→ Urstiftung), die zwar durch das Bewußtsein habitualisiert werden, aber in die assoziative Passivität absinken und dabei eine „Modalisierung“, einen → Evidenz- und Ordnungsverlust, erleiden. Da das Bewußtsein nach Husserl über die Freiheit der „Wiederherstellung“ des ursprünglich intentional Gemeinten verfügt, urstiftende Urteilsaktivitäten „wirklich reaktivieren“ und „ernstlich re-produzieren“ kann (Hua XVII, 322), wird die vergessene intentionale Ordnung und Evidenz in systematischen Stufen der „Wiederkonstitution“ (Hua XI, 205) schließlich zurückgewonnen. Das Auslegungsschema des Originaritätsverlustes und seiner Kompensation bei Husserl und Heidegger schränkt freilich die Genese der I., die als eine phänomenolog. Letztgegebenheit keinesfalls aufgegeben, sondern nach wie vor beansprucht wird, auf die methodische Rekonstruktion eines geschichtlich immer schon geschehenen, aber vergessenen Horizontes ursprünglicher Sinngebungen ein. Eine vollständige und voraussetzungslose „Erhellung der I.“ scheint damit kaum geleistet, der Ausdruck I. auch nach einem Jahrhundert phänomenolog. Forschung eher „kein Losungswort, sondern der

297 Titel eines zentralen Problems“ (Heidegger, in: Hua X, XXV). Qu.: Hua I. – Hua II. – Hua III/1. – Hua X. – Hua XI. – Hua XVII. – Hua XIX/1. – ScheGW 2. – Gurwitsch 1975. – Schütz 1932 (ND 1974). – Mersmann 1922/23 (ND 1973). – Mersmann 1926. – Ingarden 1965. – Ingarden 1931 (2 1960). – Ingarden 1962. – Ingarden 1968. – HeiGA 9. – HeiGA 20. – HeiGA 24. – HeiGA 56/57. – HeiGA 61. – HeiGA 63. – Heidegger/Husserl 1928 (ND 1980). – Merleau-Ponty 1945 (1966). – Merleau-Ponty 1964 (1986). – Levinas 1967 (1983). – Waldenfels 1994a. –Lit.: Bernet/Kern/Marbach 1989 – Landgrebe 1963. – Mohanty 1972. – RinofnerKreidl 2000. – Smith/McIntyre 1982. – Spiegelberg 1936, 74-91. HK

Interesse. Bei Husserl ist das I. ein besonderer Fall der aufmerkenden intentionalen → Erlebnisse: ein doxischer, auf das Seiende gerichteter → Akt (Husserl 1939, 86). Husserl unterscheidet praktisches und theoretisches I.: für praktische, dem intentionalen Leben in natürlicher → Einstellung zugehöriges I. hält er sowohl das die passive → Urdoxa aktivierende Wahrnehmungsinteresse, als auch willentliches Erkenntnisinteresse, das als Streben nach → Gewißheit ein Zug im allgemeinen Streben des Ich nach Selbsterhaltung ist (ebd., 351). Der Übergang von den praktischen I.n der → Lebenswelt („Berufsinteressen“) in das rein theoretische I. der → transzendentalen Einstellung durch die totale Interessennswendung bestimmt den Sinn der → Epoché als der phänomenolog. → Methode (Hua VI, 146 f.). In der Auffassung Schelers ist das I. eine triebbedingte Erlebnisqualität (ScheGW 2, 169): Eine Intention, in welcher der Wert des Nutzens erscheint (ebd., 112). Im Wesen dieser Wertart liegt die Möglichkeit des „Interessensperspektivismus“ und des „Inter-

Interpretation essenskonflikts“ (ScheGW 7, 190). Die Einheit der → Gesellschaft gründet nur in einer Gleichheit oder Ungleichheit der I.n der Einzelnen und der Klassen (ScheGW 2, 532). Die steigernde „Interessenssolidarität“ innerhalb der Gesellschaft hat höchstens die Folge, daß die Wohlvergrößerung, die früher nur durch → Liebe möglich war, durch den Mechanismus der ineinandergreifenden Triebverzahnung herbeigefürt wird (ebd., 194). Die herrschende soziale Interessensperspektive bestimmt auch den soziologischen Charakter alles Wissens: nur die Philosophie, die der Interessensperspektive einer historischen Klasse soziologisch nicht konveniert, ist apraktisch, „reine“ Theorie (ScheGW 7, 170). Patoˇcka weist auf die sinnstiftende Rolle der I.n hin (Pato cˇ ka 1988, 50), insbesondere in der Konstitution der natürlichen → Welt als eines → Horizontes der interessensbedingten, intersubjektiven Aktivität (Pato cˇ ka 1976, 79). Die Einheit der ursprünglich gegebenen Welt ist die Einheit ihres Erfahrungsstiles, der durch die I.n verschiedener Gesellschaftsgruppen bestimmt ist (ebd.). Der Kern natürlicher Welt bildet das „Zuhause“ (domov) in einem weiten Sinne, d. h. die überindividuelle, heimisch-traditionelle Struktur der sich verzahnenden I.n der Lebensgemeinschaft (ebd., 80). Als der Ort der Vertrautheit (→ Heimat) transzendiert das Zuhause die Perspektivität der I.n (ebd.). Qu.: Husserl 1939. – Hua II. – Hua VI. – ScheGW 2. – ScheGW 7. – ScheGW 8. – Patoˇcka 1976. – Patoˇcka 1988. – Lit.: Hammer 1972. – Rang 1973. AG

Interpretation. → Auslegung, → Hermeneutik

Intersubjektivität Intersubjektivität. Die unter dem Problemtitel der I. versammelten Analysen Husserls betreffen in erster Linie die für die Phänomenologie insgesamt entscheidende transzendentale Fragestellung der → Konstitution des → anderen Menschen als alter ego (Hua I, 118, 126; Hua XVII, 246, 275) und weiters einer „offenen Vielheit von Subjektivitäten“ (Hua XIII, 463), deren Möglichkeit die Objektivität der Weltgeltung überhaupt sichern soll (vgl. Hua V, 150; Hua XVII, 245; vgl. dazu Römpp 1991). Die unter den Begriffen der → „Einfühlung“ und der „Fremderfahrung“ im Umkreis der Cartesianischen Meditationen (Hua I, §§ 50 ff.) propagierte Lösung der von Husserl egologisch entfalteten Problematik der I. durch eine „analogisierende Appräsentation“ des Seinssinnes anderer → Egos ist jedoch in damit verbundenen zentralen Argumentationslinien wie der → Reduktion auf eine → „primordiale Sphäre“ (Bernet u. a. 1989, 146 ff.), der → Apperzeption des fremden Leibkörpers (vgl. Held 1972) oder der Funktion der Analogie (Depraz 1995, 125 ff.) eminent problematisch. Zudem bleibt sie in ihrer internen Kohärenz durch eine weitgehend unreflektierte Vermengung von statischer und genetischer phänomenolog. → Methode beeinträchtigt (vgl. Iribarne 1994, 46 ff.) und verstellt darüber hinaus die radikale Andersheit des alter ego, da sie eine „einseitige Verlagerung des Gewichts auf ein konstituierendes Ur-Ich“ (Waldenfels 1971, 28) impliziert. Wenn auch Husserls methodisches Interesse der transzendentalen I. als dem „absoluten Seinsboden“ (Hua IX, 344) im Rahmen einer idealistischen Konstitutionstheorie gilt, so eröffnen die im Zusammenhang seines Werks viel-

298 fältig auftretenden Analysen der mundanen Strukturen intersubjektiver Erfahrung und kommunikativer Wechselverständigung (vgl. Hua XIII-XV) zugleich auch den Blick auf den vielgestaltigen Bereich einer „mundanen I.“ bzw. → „Sozialität“. Damit aber wird die I. als lebensweltliche Gegebenheit (vgl. Schütz 1996, 137 f.) Thema einer „Ontologie der Lebenswelt“ (Hua VI, 176) (→ Lebenswelt): Deren phänomenolog. Priorität stellt einerseits Schütz dem → transzendentalen Ansatz Husserls entgegen (vgl. Schütz 1957, bes. 105 f.), um die intersubjektive „Wir-Beziehung“ als die Voraussetzung des kommunikativen → Handelns herauszuarbeiten (vgl. dazu Grathoff 1983), ohne damit jedoch, wie etwa Gurwitsch, den egologischen Ansatz aufzugeben. Entscheidend für die Husserlsche Theorie der I. bleibt in diesem Zusammenhang aber andererseits, daß Husserl selbst die mundanen Vorgegebenheiten zunehmend in ihrer transzendentalen Funktion anerkennt und als → „Leitfäden“ einer genetischen und zuletzt generativen Phänomenalisierung (vgl. Steinbock 1995) analysiert. Dadurch gelingt es Husserl zuletzt, die egologische Präformierung der I. durch eine intersubjektive Strukturierung des fungierenden Egos selbst zu ergänzen (vgl. Zahavi 1996, 64 ff.), die sich bereits auf der Ebene der → Wahrnehmung in Form einer „offenen I.“ (Hua XIV, 289) als „apodiktische Universalstruktur“ (Hua XV, 192) abzeichnet und in der Form eines intersubjektiven „Weltbewußtseinslebens“ (Hua XXIX, 192) ihre konkrete Ausgestaltung findet. Der damit vollzogene regressive Rückgang auf die Dimension der passiv-genetischen → Konstitution und zuletzt auf die Ebene einer transzendentalen Trieb- und Instinktin-

299 tentionalität (vgl. Hua XIV, 374; XV, 594 f.; vgl. dazu Lee 1991, 198 ff.) führt Husserl schließlich auf die Dimension der „passiven I.“ (Yamaguchi 1982; Kühn 1998, 383 ˙ff.). Diese ist in den höherstufigen Akten der Einfühlung bzw. Fremderfahrung immer schon vorausgesetzt und entfaltet sich gemeinsam mit Welthabe und Verleiblichung als ein gleichursprünglicher Prozeß (vgl. Zahavi 1996, 91 ff.), den Husserl in seiner Theorie einer „monadologischen I.“ (vgl. Hua XV, 608 ff.; vgl. dazu Meist 1980) (→ Monade) zuletzt noch mit der Möglichkeit der Geschichte zusammendenkt. Qu.: Hua I. – Hua VI. – Hua IX. – Hua XIII. – Hua XIV. – Hua XV. – Hua XVII. – Hua XXIX. – Schütz 1957, 81-107. – Schütz 1932 (6 1996). – Lit.: Bernet/Kern/Marbach 1989. – Depraz 1995. – Grathoff 1983, 87120. – Held 1972, 5-60. - Iribarne 1994. – Kühn 1998a. – Lee 1993. – Meist 1980, 561-589. – Römpp 1992. – Steinbock 1995. – Waldenfels 1971. – Yamaguchi 1982. – Zahavi 1996. MST

Intrige (frz.: intrigue) wird von Levinas als ein Bezug beschrieben, der sich von korrelativ verstandenen Relationen unterscheidet. Es geht um das Verhältnis mit dem → Absoluten bzw. Unendlichen. So steht das Ich nicht in einem intentionalen oder synchronen Verhältnis zum → anderen Menschen, sondern ist mit dessen – die Ordnung des Ich unterlaufenden – → Anspruch verstrickt, ohne daß es sich aus → Freiheit dafür entschieden hätte. Es handelt sich um ein Verhältnis, das radikale Trennung voraussetzt, aber gerade deshalb ethische Nähe ist, die Stellvertretung für den Anderen oder die Andere einfordert. Wie in einem Knoten (noeud) sind → Sagen und Gesagtes, andere Person und Ich oder An-

Intuition deres und Selbes miteinander verflochten, und die Reflexionsidentität des Ich hintergangen. Qu.: Levinas 1974 (1992). – Levinas 1982 (1985). – Lit.: Faessler 1984. RE

Intuition. In den Logischen Untersuchungen von Husserl eingeführt als terminologischer Gegensatz zu Signifikation, um die Differenz von unbefriedigter (signifikativer) Bedeutungsintention und (intuitiver) → Erfüllung zu kennzeichnen (Hua XIX/2, § 8). Aus der Unterscheidung zwischen → Gegenständen der sinnlichen und der kategorialen → Anschauung ergeben sich dabei zwei Formen der I.: die an die → Wahrnehmung gebundene „sensuale I.“ und die auf reine Denkgegenstände gerichtete „kategoriale I.“ (ebd., 731). In beiden Fällen führt die I. zur adäquaten bzw. „eigentlichen Vorstellung“ (ebd., 722) des Gegenstandes. In den Ideen I wird ,I.‘ als methodologischer Grundbegriff der phänomenolog. Wesenslehre verwendet. Diese Auszeichnung ergibt sich aus dem → „Prinzip aller Prinzipien“, demzufolge I. als „originär gebende Anschauung“ die eigentliche „Rechtsquelle der Erkenntnis“ (Hua III/1, 51) ist. Im Rahmen der eidetischen Phänomenologie betrachtet Husserl die I. als Vermögen der Wesensanschauung (→ Wesen), die im Gegensatz zur individuellen Anschauung von den empirischen Zufälligkeiten eines Gegenstandes abstrahiert und den Gegenstand in seiner reinen Wesensallgemeinheit erfaßt. In den Cartesianischen Meditationen erhebt Husserl „die eidetische I.“ neben der phänomenolog. → Reduktion schließlich zur „Grundform aller besonderen transzendentalen Methoden“ (Hua I, 106) und unterstreicht damit

Irre, Irrnis, Irrtum die methodologische Bedeutung der I. für die Phänomenologie insgesamt. Qu.: Hua I. – Hua III/1. – Hua XIX/2. – Lit.: Levinas 1930. TR

Irre, Irrnis, Irrtum. „Irrnis‘ bestimmt sich für Heidegger im Horizont des seinsgeschichtlichen Denkens als das dem Wahrheitsgeschehen konstitutiv zugehörige „Un-Wesen“. Wobei Unwesen nicht verstanden ist als (zu eliminierende) „Verunstaltung“ eines reinen → Wesens, sondern als „das wesentliche Gegenwesen zum anfänglichen Wesen der Wahrheit“ (HeiGA 9, 197). → Wahrheit läßt sich demgemäß nicht mehr als bloße Offenbarkeit oder → Erschlossenheit denken. Wahrheit als die Offenbarkeit eines Seienden als solchen verdeckt notwendig das „Seiende im Ganzen“. Deshalb kann gesagt werden, die Irre walte „im Zugleich der Entbergung und Verbergung“, → Verbergung und Irre gehörten „in das anfängliche Wesen der Wahrheit“ (ebd., 198). Der Irrtum, auch die in der metaphys. Tradition als Irrtum in Betracht genommene Falschheit des Urteils, erscheint von daher als gleichsam abkünftiger Modus dieser ursprünglichen „Irre“, als „nur eine und dabei die oberflächlichste Weise des Irrens“ (ebd., 197). In den Beiträgen zur Philosophie konturiert Heidegger den Gedanken dahin, „daß zur Wahrheit das Nichthafte gehört, aber keineswegs nur als ein Mangel, sondern als Widerständiges, jenes Sichverbergen, das in die Lichtung als solche kommt“ (HeiGA 65, 356; vgl. auch HeiGA 66, 112, 259): das → Ereignis als → Lichtung für das Sichverbergen. Dieses ursprüngliche Geschehen bekunde sich in der „Wesensırre als Geschichte des Menschen“, die den-

300 kerisch zu „durchmessen“ sei (HeiGA 65, 455). In späteren Überlegungen zur Überwindung der → Metaphysik ist, zeitkritisch, von der „bloßen Irrnis der Vernutzung des Seienden“ die Rede; die Erde insgesamt erscheint Heidegger nur noch als „die Unwelt der Irrnis“, „seynsgeschichtlich“ als „der Irrstern“ (HeiGA 7, 91, 95). „Ohne die Irre“, kann Heidegger in der Abhandlung Der Spruch des Anaximander sagen, „wäre nicht Geschichte“. „Jede Epoche der Weltgeschichte ist eine Epoche der Irre“ (HeiGA 5, 361). Arendt spricht in ihrer (von Heidegger inspirierten) Kritik der Tradition von metaphys. Irrtümern oder „Trugschlüssen“. Ihnen will sie, ungeachtet der Bemühung um eine radikale „Demontage“ metaphys. Kategorien, gleichwohl aber „wichtige Hinweise“ auf die Tätigkeit des Denkens entnehmen (Arendt 1979a, 207, vgl. 22). Qu.: HeiGA 5. – HeiGA 7. – HeiGA 9. – HeiGA 65. – HeiGA 66. – Arendt 1978a (1979a). AGO

Iteration findet bei Husserl in unterschiedlichen Zusammenhängen seine Anwendung und stellt keinen terminus technicus im engeren Sinne der Phänomenologie dar. Häufig spricht Husserl von der unendlichen Iterierbarkeit der Selbstreflexion des → Bewußtseins, insofern das auf seine Bewußtseinsvollzüge reflektierende → Ich selbst wiederum Gegenstand der Selbstreflexion werden kann und so in infinitum. Analoges gilt auch für die Selbstkonstitution des Ichs. Husserl sucht hier jeweils den drohenden infiniten Regreß durch das Argument einer bloß formalen Iterierbarkeit abzuwenden. Denn die Stufung der → Reflexion mache dann keinen

301 Sinn mehr, wenn nach der Reflexion auf das geradehin vollzogene Bewußtsein und die Reflexion auf dieses reflektierende Bewußtsein noch weitere Stufen der Reflexion auf die Reflexion der Reflexion usw. vollzogen würden, die über die formale Reflexionsstufe hinaus kein neues qualitatives Moment mehr beibringen. In der gleichen Grundbedeutung verwendet Husserl den Begriff der I., wenn es um die Stufungen innerhalb der Erlebnisschichten geht. So kann

Iteration sich eine → Erinnerung an eine Erinnerung innerhalb eines erinnernden Erlebnisses abspielen und dies natürlich ad infinitum. Diesen Wortgebrauch erkennen wir auch beim Bild- und Phantasiebewußtsein, im Hinblick auf die idealiter ad infiniten iterierbaren Modifikationen der Glaubensmodi und der → Retentionen sowie der → Protentionen. Qu.: Fink 1988, 29. – Hua III/1, 235-237, 245, 252-253. SR

J Jetzt. Innerhalb von Husserls Analyse des Zeitbewußtseins findet der Begriff des J. auf drei Ebenen seine Bedeutung. Einmal bezeichnet er die Zeitstelle des empirischen J. des konstituierten Zeitobjekts innerhalb der objektivierten, transzendenten → Zeit 1. z. B. der des aktuell ertönenden Tons. Zum anderen das Jetztmoment am innerzeitlich ausgedehnten Bewußtseinserlebnis selbst, die → Urimpression, 2. z. B. die aktuelle Phase beim Wahrnehmen des Tones in der immanenten Zeit des Bewußtseinsflusses. Und, 3. schließlich nimmt der Terminus J. als urzeitigendes J. die Bedeutung der nicht in der Zeit fließenden, formalen Ursprungsquelle des Jetztflusses (→ Fluss) an, in der sich das innerzeitige Erlebnisjetzt (also 2.) konstituiert. Dabei ist im Grundsatz immer auch die Bedeutungsschwankung des Terminus J. zu beachten, der je nach Kontext den ausdehnungslosen Jetztpunkt, den bloßen Übergang des Noch-nicht-J. in das Nicht-mehr-J. oder aber den gegenwärtigen Teil der Zeit, die Jetztphase, i. S. der in Protention-UrimpressionRetention gedehnten → Gegenwart meint. Letztlich aber ruht Husserls Verständnis der Zeit auf der gedehnten Gegenwart in der neben dem unmittelbar Präsenten auch das Vergangene und Zukünftige in → Retention

und → Protention gegenwärtig sind. Auch in der Leibphänomenologie Merleau-Pontys kehrt der Terminus J. auf unterschiedlichen Reflexionsebenen wieder. Für Merleau-Ponty stellt jede Setzung einer Zeitstelle (z. B. eines Jetztpunktes) eine Objektivierung vermittels der Aktintentionalität, einen Übergang von der → Erfahrung zur Idee dar. Denn in der ursprünglichen Erfahrung gibt sich die Zeit nicht als eine Aneinanderreihung von Jetztpunkten, auf die dann in aktiven → Synthesen zurückgegriffen werden könnte, sondern sie konstituiert sich in urpassiven Synthesen innerhalb der nicht vergegenständlichenden, fungierenden→ Intentionalität. Dieses zeitigende Ursprungsgeschehen beschreibt Merleau-Ponty ähnlich wie Husserl als eine einheitlich kontinuierliche Bewegung (Übergangssynthese) der drei Dimensionen der Zeit (→ Vergangenheit, → Gegenwart, → Zukunft), in der ein diskretes J. keine Stelle hat, sich vielmehr als reiner Übergang bekundet. Merleau-Ponty verwendet hier gleichwie Husserl den Terminus → Präsenzfeld. Qu.: Hua III/1, 166-168, 180-185. – Hua X, 64-71. – Merleau-Ponty 1945 (1966), 466-492. – Lit.: Bernet 1983, 16-57. – Pieper 1993. SR

K Kategorie. Die K.n sind für Husserl Thema seiner wissenschaftstheoretischen Abhandlungen in den Logischen Untersuchungen, den Ideen I und der Formalen und Transzendentalen Logik. In bewußter Absetzung zum kantischen Ansatz versteht Husserl die K.n als Grundbegriffe der → Erkenntnis „abgesondert von aller Beziehung zum denkenden Subjekt und zur Idee der Subjektivität überhaupt“ (Hua XVIII, 240). Damit gehören K.n „zu den Gegenständen“ (Hua XIX/2, 703) und so zu den objektivlogischen Bedingungen der Erkenntnis. Sie sind als → Bedeutungen und zugleich als bedeutete formalgegenständliche → Wesen gefaßt (vgl. Hua III/1, 28), was die → Apophantik (Logik der Sätze) um eine formale → Ontologie (apriorisch-formale Gegenstandslehre) erweitert (vgl. Hua XIX/1, 343 f.; Hua XVII, 92 f.). So sind K.n zwar „Denkformen“, als solche aber nicht gedanklich konstruiert, sondern in kategorialer Anschauung gegeben (vgl. Hua XIX/2, 730; Hua III/1, 330). Die zwei fundamentalen K.n der Logik sind „Bedeutung und Gegenstand“ (Hua XIX/1, 101). Alle abgeleiteten logischen K.n sind entweder Bedeutungskategorien (vgl. Hua XVIII, 245; vgl. Hua III/1, 27) oder formal-gegenständliche K.n eines „Gegenstandes überhaupt“ (Hua XVIII, 245; vgl. Hua XIX/1, 256 und Hua III/1, 27). Damit unterscheidet Husserl in der reinen Logik als formaler Ontologie (mathesis universalis) formallogische und formal-ontolog. K.n und setzt ihnen die materialen K.n gegenüber (vgl. Hua III/1, 26). Materiale K.n

sind „oberste sachhaltige Gattungen“ (Hua XIX/1, 256) oder Grundbegriffe der regionalen Ontologien der Einzelwissenschaften (vgl. Hua III/1, 23). Sowohl bei den materialen Ontologien als auch bei der formalen Ontologie sind syntaktische Gegenständlichkeiten und die ihnen zugehörigen K.n von den formlosen Substraten zu unterscheiden, auf die sie jeweils verweisen. In der formalen Ontologie handelt es sich hierbei um das Leersubstrat „etwas überhaupt“. Den regionalen Ontologien (→ Regionalontologie) liegen hingegen „sachhaltige Substrate als Kerne aller syntaktischen Bildungen“ (ebd., 34) zugrunde, denen die Substratkategorie des „Dies da!“ und des „sachhaltig letzten Wesens“ entsprechen (ebd., 33). Durch die phänomenolog. → Reduktion wird das transzendentale → Bewußtsein als die „Urkategorie des Seins überhaupt“ aufgewiesen (ebd., 159). K.n fungieren als Schranken möglicher Sätze und ihrer → Erfüllungen. Sie bilden „Gesetze des zu vermeidenden Widersinns“ (Hua XIX/1, 343) und begrenzen „die Freiheit der aktuellen kategorialen Formung eines Stoffes“ (Hua XIX/2, 242). Für Scheler sind K.n „Wesensmerkmale der Gegenstände und zwar der Arten des Daseins der Gegenstände“ (ScheGW 15, 24). Wie Husserl unterscheidet Scheler zwischen den K.n überhaupt und den K.n einer bestimmten Wissenschaft, in der eine Auswahl von K.n erfolgt, die letztlich einem – historisch-sozial bestimmten – Interesse unterworfen ist (vgl. ScheGW 8, 25 u. 197 f.). Im Unterschied zu Husserl weitet Scheler die K.n auf die

Kausalität emotionalen und allgemein wertenden Akte und ihre Gegenstände aus (vgl. ScheGW 10, 384) und begründet so den Formalismus in der Ethik und die materiale Werteethik (vgl. ScheGW 2). Von den Kategorien, die nicht daseinsmäßiges Seiendes bezeichnen, unterscheidet Heidegger die → Existenzialien. Diese haben die Existenzialität (die ontologische Struktur der Existenz in ihrem Zusammenhang) zum Thema. Qu.: Hua III/1. – Hua XVII. – Hua XVIII. – Hua XIX/1. – Hua XIX/2. – ScheGW 2. – ScheGW 8. – ScheGW 10. – ScheGW 15. JJ

Kausalität. Der Begriff der K. „im normalen Sinn natürlicher K.“ meint nach Husserl eine „Abhängigkeitsbeziehung zwischen Realitäten“ (Hua III/1, 105), er ist „auf Realitäten und auf die zu ihrem besonderen Wesen gehörigen funktionellen Zusammenhänge abgestimmt“ (Hua III/1, 109). Der → Psychologismus verwechselt „die grundwesentlichen und ewig unüberbrückbaren Unterschiede zwischen Idealgesetz und Realgesetz, zwischen normierender Regelung und kausaler Regelung, zwischen logischer und realer Notwendigkeit, zwischen logischem Grund und Realgrund. Keine denkbare Abstufung vermag zwischen Idealem und Realem Vermittlungen herzustellen“ (Hua XVIII, 79 f.). Eine ,realistische‘ Deutung der → Wahrnehmung, für welche das wirklich Wahrgenommene die Erscheinung einer nur indirekt zu charakterisierenden „Ursache“ ist, muß scheitern (Hua III/1, 110), weil dabei übersehen wird, daß solch eine Ursache ihrerseits „ein intentionales Korrelat höherer Stufe“ (Hua III/1, 114) ist. Eine kausale Erklärung der Wahrnehmung betreibt eine Art Mythologie: „Die K., die prinzipi-

304 ell in den Zusammenhang der konstituierten intentionalen Welt hineingehört und nur in ihr einen Sinn hat, macht man nicht bloß zu einem mythischen Bande zwischen dem ,objektiven‘ physikalischen Sein und dem ,subjektiven‘, in der unmittelbaren Erfahrung erscheinenden Sein [...] sondern [...] zu einem Band zwischen dem physikalischen Sein und dem absoluten Bewußtsein“ (Hua III/1, 114). „Man merkt also nicht die Absurdität, die darin liegt, daß man die physikalische Natur, dieses intentionale Korrelat des logisch bestimmenden Denkens, verabsolutiert.“ (Hua III/1, 115). Nach Scheler besitzt die Phänomenologie ein dreifaches Verhältnis zur Kausalerklärung (ScheGW 10, 475). 1. Eine Kausalerklärung kann nie an die Stelle eines phänomenolog. Aufweises treten. „Die intentionale Beziehung, das ,Bewußtsein von etwas‘, das die grundlegende Tatsache aller phänomenolog. Betrachtung ist, ist jeder Art von Kausalverhältnis entgegengesetzt und die Voraussetzung aller K.“ (ebd.). „Akt und Gegenstand stehen in keinem Verhältnis der K., sondern in einem Wesenszusammenhang.“ (ebd.) 2. „Einsichtige Wesenszusammenhänge“ können durch „Auffindung neuer Kausalbeziehungen zwischen Dingen und Vorgängen, die Träger der betreffenden Wesenheiten sind, niemals aufgehoben und zerstört werden“ (ebd., 476). „Alle ,Beschreibung‘ geht ja auf Beobachtung zurück und dient bereits der zu leistenden kausalen Erklärung. Phänomenologie aber beruht nicht auf ,Beobachtung‘, sondern auf Erschauung eines Gemeinten, und sie ist keine ,Vorarbeit‘ für kausale Erklärung, sondern liegt dieser wie aller solcher Vorarbeit bereits zugrunde.“ (ebd.) 3. Phänomenologie hat die Aufgabe, „den

305 Begriff und das Wesen der Kausalbeziehung und ihrer Unterarten zu klären“ (ebd.). Bei der Frage nach dem Wesen der K. ist zwischen natürlicher Kausalanschauung und wissenschaftlichem Kausalbegriff zu unterscheiden. Die Grundlage für die Idee einer kausalen Verbindung ist nicht die Regelmäßigkeit der Aufeinanderfolge von Vorgängen, sondern die unmittelbare „Anschauungstatsache“ (ebd., 478) des Wirkens eines Dinges auf ein anderes. Dieser anschauliche Tatbestand bildet „das einzige absolute und konstante Merkmal der Kausalverknüpfung“ (ebd., 484). Das Wirken ist „mit angeschaut – da alles angeschaut ist, dessen Wegnahme den Tatbestand der Anschauung variiert“ (ebd., 483). „Wenn A das Wirkende und B das Leidende ist, so muß nach dem Fundierungsverhältnis, das hier obwaltet, bei Wiederkehr desselben A auch B sich daran knüpfen“ (ebd., 478). „Nicht zwischen Vorgängen, sondern zwischen tätigen und leidenden Dingen besteht die primäre natürliche Kausalverknüpfung.“ (ebd., 479) Zum wissenschaftlichen Kausalbegriff kommt es durch eine Reduzierung der „Gegebenheiten auf Sachverhalte“ (ebd., 482): Der Vorgang des Wirkens wird selbständig als Sachverhalt ins Auge gefaßt „und nicht mehr fundiert auf Dinge“ (ebd., 480). Ursache unterscheidet sich von Bedingung nicht graduell, sondern wesenhaft. „Die Scheidung zwischen Ursache und Bedingung ist aber nur dann aufrechtzuerhalten, wenn das Wirken der Ursache erschaut werden kann – unabhängig von der Wirkung. Zu dieser Erschauung mag diese Methode der Variation der Umstände und die Wägung der Wichtigkeit der Bedingungen hinführen“ (ebd., 490).

Kausalität Wirken wird im Widerstand erlebt, der „nicht mit einer sogenannten ,Widerstandsempfindung‘ oder einem subjektiven Erleben, auf das wir durch eine Wahrnehmung hinblicken, gleichgesetzt werden darf. Dieses Phänomen kommt zur Erscheinung nur als gegen eine vollzogene Tätigkeit gerichtet, und zwar nur in der Ausübung dieser Tätigkeit selbst“ (ebd., 483). Diese wird in den Spätschriften in unserem „eigenen spontanen Wirken auf die Dinge, nicht sofern wir Geistwesen, sondern sofern wir Lebewesen sind“, erblickt (ScheGW 9, 236). Das „Urerlebnis der K.“ besteht in spontanen Bewegungsimpulsen, den Triebimpulsen, in deren Reflexion die Kausalkategorie erfaßt wird (ebd., 238). Zum psychologschen Erklären kommt es dort, wo auch Mißverstehen eine Verstehensintention nicht abbauen kann (ScheGW 2, 470). Dann werden in „Lebensäußerungen“ nicht mehr „sinngerichtete Intentionen“ gesehen, „sondern was uns gegeben ist, sind Ausdrucksbewegungen und andere Bewegungen, hinter denen wir psych. Vorgänge als Ursachen suchen. An Stelle des ,Sinnbandes‘ dieser Äußerungen aber tritt das Band der ,K.‘ respektive der Umweltreize, die jene Äußerungen auslösen; aus ,Gegenständen‘, auf die wir im Verstehen mit hinblicken, werden ,Reize‘; aus Intentionen ,Vorgänge‘, aus ,Sinnzusammenhang‘ Kausalzusammenhang“ (ebd., 471). Bei den historischen Kausalfaktoren unterscheidet Scheler: „erhaltende und verändernde Ursachen“ (ScheGW 13, 223) und „kollektive Ursachen“ und „Einzelursachen“ (ebd., 224). Nach Conrad-Martius besteht das „Kausaldenken [...] in der Befolgung des Grundsatzes: causa aequat effec-

Kausalität tum, die Ursache muß der Wirkung angemessen sein. Das ist ein absolut einsichtiger Satz. [...] Denn es kann keine Leistung vollbracht werden, zu der es nicht eine ihr genau entsprechende Ursachenpotenz gibt“ (Conrad-Martius 1961, 297). Für die Beurteilung von „Wesen und Wirkart der notwendigen Ursache“ muß man „Wesen der Leistung beachten und kennen“ (ConradMartius 1964, 94 f.). Daraus ergibt sich, daß je nach dem Leistungsbereich die entsprechenden Wirkgründe variieren: Sie sind anders verfaßt beim „objektiv phys. Wirken“, anders, wo es sich um „animalische Selbstbewegung des Leibes“ oder „um personal-geistige Leistungen handelt“ (ebd., 95). „Hier überall müssen den Leistungen – in Wesen und Rang selbst wiederum gestaffelte – selbsthafte, autonom wirksame Wirkgründe zugrunde liegen“ (ebd.). Entsprechend der „Seinsordnung“ (ebd.) gestaltet sich die „Kausalitätsordnung“ (ebd., 96). Wichtig ist der Begriff der Energeia i. S. einer „unmittelbaren Leistungsbereitschaft“ (ebd., 98). Sie besitzt je nach der Seinsstufe eine „entsprechend andere Struktur“ (ebd.). Im Anorganischen gibt es keine Finalursächlichkeit, wohl aber im Organischen, wobei Finalität nicht mit subjektiver Intentionalität gleichgesetzt werden darf. „Im wesenhaften Unterschied zum phys. Energieumsatz ist jedoch diese lebendige Arbeitsfähigkeit eine zielursächlich strukturierte, denn [...] sie muß das zu Bewirkende in vorgegebener Intentionalität in sich schließen, freilich in einer absolut objektiven Intentionalität, soweit es sich um physiologische Vorgänge handelt“ (ebd., 99). Diese objektiv-intentionale Kausalitätsform, die „entelechiale Energetik“ (ebd., 101) ist nicht mit einer „Auslösungs-

306 kausalität“ (ebd., 99) zu verwechseln, weil Auslösungswirkungen bereits „eine als solche schon voll aktualisierte, wirkbereite entelechiale Gestaltungspotenz voraussetzen“ (ebd., 100). Für Heidegger beruht der „anfängliche Sinn dessen, was man später K. nennt“ (HeiGA 7, 11), im Hervorbringen eines Verborgenen in die → Unverborgenheit. „Das Her-vor-bringen bringt aus der Verborgenheit her in die Unverborgenheit vor. Her-vor-bringen ereignet sich nur, insofern Verborgenes ins Unverborgene kommt“ (ebd., 13). Das kann in der Weise der → Natur (physis) oder des Handwerks bzw. der Kunst (→ poiesis) erfolgen. Das Hervorbringen ist ein Entbergungsgeschehen. Deshalb liegt das Entscheidende der techne „keineswegs in einem Machen und Hantieren, nicht im Verwenden von Mitteln, sondern in dem genannten Entbergen. Als dieses, nicht aber als Verfertigen, ist die techne ein Her-vor-bringen“ (ebd., 14). Mit dem geschichtlichen Wandel der energeia zur actualitas (Wirklichkeit) gewinnt die K. den Sinn des UrsacheWirkungs-Verhältnisses i. S. des herstellenden Bewirkens und wird in der Folgezeit zum beherrschenden Gedanken des Seinsverständnisses. Das Bewirkte ist das Wirkliche, „das im Wirken beherrscht und in das Vorgehen des Wirkens eingespannt wird“ (HeiGA 6.2, 375). Das Seiende ist als das Wirkliche „bestimmt durch das Wirken im Sinne des verursachenden Machens. Von hier aus läßt sich die Wirklichkeit des menschlichen Tuns und des göttlichen Schaffens erklären“ (ebd., 377). Für die christliche Theologie ist Gott „als das ens increatum das herstellungsunbedürftige Seiende schlechthin und für alles andere Seiende die causa prima“ (HeiGA

307 24, 168), das Seiende das von Gott, dem höchsten Seienden, „Gemachte“ (HeiGA 65, 111), „Angefertigte“ (HeiGA 5, 4). Mit dem „Hereinspielen des jüdisch-christlichen Schöpfungsgedankens und der entsprechenden Gottesvorstellung“ wird das Seiende zum ens creatum, wodurch „das Machenschaftliche sich deutlicher vordrängt“ (HeiGA 65, 126). ,Machenschaft‘ ist das „Schema der durchgängigen berechenbaren Erklärbarkeit, wodurch jegliches mit jedem gleichmäßig zusammenrückt und sich vollends fremd, ja ganz anders noch als fremd wird“ (ebd., 132). Für den Schöpfungsgedanken ist „wesentlich das Verursachtsein des Seienden. Der Ursache-WirkungsZusammenhang wird zum allbeherrschenden (Gott als causa sui)“ (ebd., 127). Die Vorherrschaft der vom ontischen Modell der Herstellung bestimmten Seinsauslegung behauptet sich in der abendländischen → Metaphysik auch dann noch, wenn der Glaube an einen Schöpfergott seine Kraft verliert und an die Stelle Gottes die menschliche → Vernunft tritt, für die alles Seiende zum Gegenstand und im Zeitalter der → Technik zum beherrschbaren Bestand wird. „Dieses ehemals vom Schöpfergott gemachte Seiende wurde dann zum Gemächte des Menschen, sofern jetzt das Seiende nur in seiner Gegenständlichkeit genommen und beherrscht wird. Die Seiendheit des Seienden verblaßt zu einer ,logischen Form‘, zum Denkbaren eines selbst ungegründeten Denkens“ (HeiGA 65, 111). Unter der Vorherrschaft des Kausalitätsgedankens wird nicht nur das Seiende „das Gewöhnlichste und Gewohnteste“ (ebd., 110), sondern auch Gott kann seine geheimnisvolle Hoheit verlieren. „So kann, wo alles Anwesende

Kausalität sich im Lichte des Ursache-WirkungZusammenhangs darstellt, sogar Gott für das Vorstellen alles Heilige und Hohe, das Geheimnisvolle seiner Ferne verlieren. Gott kann im Lichte der K. zu einer Ursache, zur causa efficiens, herabsinken. Er wird dann sogar innerhalb der Theologie zum Gott der Philosophen, jener nämlich, die das Unverborgene und Verborgene nach der K. des Machens bestimmen, ohne dabei jemals die Wesensherkunft dieser K. zu bedenken“ (HeiGA 7, 27). Das Seiende kausal, d. h. durch Rückführung auf anderes Seiendes, erklären heißt, vor dem „Ungewöhnlichsten“ ausweichen, „daß es ist, was es ist“ (HeiGA 45, 167), das Ungewöhnlichste zum Gewöhnlichen machen. „Das Ursache-Wirkung-Verhältnis aber ist das Gemeinste und Gröbste und Nächste, was alle menschliche Berechnung und Verlorenheit an das Seiende sich zuhilfe nimmt, um etwas zu erklären, d. h. in die Klarheit des Gemeinsten und Gewohnten zu rücken“ (HeiGA 65, 110). Eine Kausalerklärung übersieht, daß „alle Erklärung [...] angewiesen [ist] auf das schon als solches unverborgene Seiende, daraus allein eine Erklärungsursache genommen werden kann“ (HeiGA 45, 170). Die Seinsfrage läßt sich demnach grundsätzlich nicht im Horizont der K. exponieren. „Denn das Seyn hat nicht seinesgleichen neben sich. Es wird nicht von anderem bewirkt, noch wirkt es selbst. Seyn verläuft nicht und nie in einem kausalen Wirkungszusammenhang“ (HeiGA 79, 73). Deshalb wird im Humanismusbrief und in späteren Werken die ontolog. → Differenz in Worten wie → Geben, → Lassen, Reichen, Gewähren zur Sprache gebracht, die jeden Anklang an ein Kausalverhältnis hintanhalten sollen. Eines ist

Kehre es, Seiendes aus Seiendem kausal zu erklären, ein anderes ist es, die Frage nach dem Sinn von → Sein zu stellen. „Das Sein des Seienden ,ist‘ nicht selbst ein Seiendes. Der erste philosoph. Schritt im Verständnis des Seinsproblems besteht darin, nicht mython tina diegeisthai, ,keine Geschichte erzählen‘, d. h. Seiendes als Seiendes nicht durch Rückführung auf ein anderes Seiendes in seiner Herkunft zu bestimmen, gleich als hätte Sein den Charakter eines möglichen Seienden“ (HeiGA 2, 8). Qu.: Hua III/1. – Hua XVIII. – ScheGW 2. – SchweGW 9. – ScheGW 10. – ScheGW 13. – Conrad-Martius 1961. – ConradMartius 1964. – HeiGA 2. – HeiGA 6.2. – HeiGA 7. – HeiGA 24. – HeiGA 45. – HeiGA 65. – HeiGA 79. GP

Kehre. Die von Heidegger spätestens in den dreißiger Jahren vollzogene K. vom transzendental-horizontalen zum seinsgeschichtlichen Denken ist zu unterscheiden von der K. als Geschehen im → Sein selbst. In der ersten Bedeutung meint „K.“ eine Wende von der Interpretation des Seins vom → Dasein her (Frage nach dem „Sinn von Sein“) zu einem Denken vom Sein selbst her zum Dasein hin („Wahrheit des Seins“) (HeiGA 15, 345): die vorrangige Rolle des Sinnentwurfs für die Seinsoffenheit relativiert sich zugunsten der → Geworfenheit, die nun als Ereignetsein des → Entwurfs durch das Sein erfahren wird. Es handelt sich bei dieser K. keineswegs um eine bloße Umkehrung, da die Wesung des Seins nunmehr als das Zusammengehören von Sein und Dasein gedacht wird (womit also nicht die Seite, sondern die Ebene der Betrachtung gewechselt wurde). Jene K. in die → Wahrheit des Seins folgt dieser kehrigen Struktur des Seins selbst

308 („K. im Ereignis“, HeiGA 65, 407): das als Ereignis gedachte Sein ist die Gegenschwingung (K.) von ereignendem Zuwurf und ereignetem Entwurf, von Sein und Mensch, welche wechselweise ineinander gründen (ebd., 261). Die K. des Denkens ist somit die Einkehr in die K. des Seins. Qu.: HeiGA 9, 328. – HeiGA 15, 345. – HeiGA 65. – Lit.: Herrmann 1994. – Kettering 1987, 323-332. – Löwith 1951, 48-79. – Richardson 1963. WF

Kinästhese. Husserls Projekt einer „systematische[n] Enthüllung der konstituierenden Intentionalität selbst“ (Hua I, 119) stößt mit den K.n (Bewegungsempfindungen/ -wahrnehmungen, von griech. kinesis Bewegung und aisthesis Empfindung, Wahrnehmung) an die Grenzen einer reinen Bewußtseinsphänomenologie. Schien noch der Zusammenhang von → Noesen und → Noemata durch eine bewußtseinsbezogene „Korrelationsforschung“ (ebd., 121) (→ Korrelation) prinzipiell aufklärbar, so stellen sich dieser Methode bei der Aufhellung der Sinnbildung im Korrespondenzverhältnis von kinästhetischem System und Sinnesfeld erhebliche Schwierigkeiten in den Weg. Husserl selbst zeigt bezüglich der entscheidenden Frage, ob die K.n analog zu den Noesen begriffen werden können, eine charakteristische Ambivalenz: Während auf der einen Seite von einem „bewußtseinsmäßig verfügbaren Gesamtsystem der Kinästhesen“ und einem gesetzmäßigen Zusammenhang zwischen dem „Ablaufen-lassen“ von K. und dem „[A]uftreten[-]müssen“ von „entsprechenden mitgeforderten Erscheinungen“ die Rede ist, verweist er andererseits auf das „ich-tätige Fungieren des Leibes“, die „kinästhetisch

309 fungierende Leiblichkeit“ und die „Habitualität [eines] fungierenden Ich“ (Hua VI, 109), wodurch Phänomene angesprochen sind, denen man ähnlich wie der → „passiven Synthesis“ und der sog. → „Urstiftung“ (vgl. Hua I, § 38) im Rahmen einer am → Bewußtsein orientierten Phänomenologie nicht gerecht werden kann. Denn: Die vom Bewußtsein gesteuerten K.n sind nun nicht mehr nur „konstitutiv für die Erfahrung des Leibes, sondern die fungierende Leiblichkeit ist auch konstitutiv für die Erfahrung der verschiedenen kinästhetischen Systeme. Daraus würde dann auch (ganz i. S. von Merleau-Ponty) folgen, daß das transzendental-konstitutive Wahrnehmungsbewußtsein stets ein leibliches Bewußtsein ist.“ (Bernet u. a. 1989, 123) Merleau-Ponty greift die zahlreichen Hinweise und Anläufe Husserls zu einer entsprechenden Umgestaltung der Phänomenologie produktiv auf. Indem er die kinästhetische Sinnbildung von ihrer Engführung auf das Bewußtsein befreit, rückt MerleauPonty die „fungierende Leiblichkeit“ in das Zentrum der Aufmerksamkeit. → Wahrnehmung und → Bewegung verflechten sich (entrelacs) im → Leib (corps opérant et actuel), was nach Merleau-Ponty verbiete, „das Sehen als Denkoperation aufzufassen, die vor dem Geist ein Bild (tableau) oder eine Darstellung (représentation) der Welt aufbauen würde, einer Welt der Immanenz und der Ideen.“ (MerleauPonty 1984, 16) „Meine Bewegung“, so führt Merleau-Ponty weiter aus, „ist kein geistiger Entschluß, kein absolutes Tun, das aus der subjektiven Zurückgezogenheit heraus irgendeine Ortsveränderung dekretierte, die sich auf wunderliche Weise in der Ausdehnung vollzöge. Sie ist die natürliche

Koexistenz Folge und das Zur-Reife-gelangen eines Sehens.“ (ebd., 16) Insofern ist auch das Verhältnis zwischen Bewußtsein und sich bewegendem Leib nicht mehr als ein hierarchisches i. S. von Konstitutionszentrum und Konstituiertem begreiflich zu machen, sondern muß eher als ein ,magisches‘ beschrieben werden (vgl. Merleau-Ponty 1966, 119). Qu.: Hua I. – Hua VI. – Hua XVI. – Merleau-Ponty 1945 (1966). – MerleauPonty 1964 (1984). – Lit.: Bernet u. a. 1989. HR

Koexistenz. Bei Merleau-Ponty ist K. ein Name für das Miteinandersein; sie ist vor allem durch die → Sprache bedingt (weshalb die Aphonie als Verweigerung der K. interpretiert wird). Der → Mensch öffnet sich leiblich auf die Welt hin (→ Leib) und läßt sich „von der K. durchströmen“. K. bedeutet aber keineswegs die Löschung der Perspektiven verschiedener Individualitäten, z. B. will sie in der Welt der Partnerschaft „von beiden gelebt“ sein. Der Solipsismus bleibt unüberwindlich, zur K. mit Anderen gehört nicht nur die Kommunikation, sondern auch die Einsamkeit. Finks philosoph. Anthropologie weist fünf „Grundphänomene des menschlichen Daseins“ aus: → Tod, → Arbeit, Herrschaft, → Eros und → Spiel. Diese sind Strukturprinzipien der Gesellschaft und stellen den Entwurf eines menschlichen Selbstverständnisses aus dem Horizont der Intersubjektivität dar als „Lebensfelder“ der K.: „der Co-Existenz im Totenkult, in der Wendung der Lebensnöte, in der Verteilung der Macht, im Zueinander der Geschlechter und in der Spielgemeinschaft“ (Fink 1979). Im Vollzug dieser Grundphänomene ist der Mensch „in

Kollektion, kollektiv die Dinge verstrickt“ und existiert „coexistent“. Qu.: Merleau-Ponty 1945 (1966, 48-49). – Fink 1979 (bes. Kap. 25). HV

Kollektion, kollektiv. Der Begriff der K. hat seinen Ort in Husserls Philosophie der Arithmetik, also vor seiner Kritik am → Psychologismus (wenngleich er auch später mehrfach vorkommt). Unter K. versteht Husserl eine Verbindung von Objekten, die er psychologisch zu charakterisieren versucht. Er kommt zur Auffassung, daß im Vorstellungsinhalt (→ Inhalt) selbst zwar nichts von einer Verbindung zu bemerken ist, wohl aber im psych. → Akt, der die → Synthesis der Teile leistet. Dieser Deutung wird aus Gründen der inneren Erfahrung der Vorzug gegenüber anderen Deutungsmöglichkeiten gegeben. Die k.e Verbindung ist von fundamentaler Bedeutung für jede höhere Geistestätigkeit, so auch für die gesamte → Mathematik. Doch schon alltagssprachlich zeigt sich dies am Wörtchen „und“ (dessen Verknüpfungscharakter ohne Unterschied für alle Gegenständlichkeiten gilt, seien es allgemeine oder individuelle, bestimmte oder unbestimmte (vgl. Hua XIX/2, § 54)). Qu.: Hua XII, I. Teil, III. Kap. – Lit.: Einleitung Eley zu Hua XII. HV

Kommunikation. Wie Schütz immer wieder hervorhebt, ist die Alltagswelt (→ Alltag) von Anfang an eine intersubjektive Welt. Das Ich gehört mit vielfältigen sozialen Beziehungen einer gemeinsamen Welt an und ist mit seinen Mitmenschen verbunden. Die dabei vollzogenen → Handlungen setzen K. voraus. Jede K. ist auf Handlungen vom Typ des Wirkens gegründet.

310 In der Mitteilung wird eine neue Zeitdimension konstituiert, weil die Teilnehmer während der Dauer des Kommunikationsprozesses in gegenseitiger lebendiger Gegenwart leben, im Angesprochenwerden und Zuhören, im Prozeß gemeinsamen Alterns. Mit Snell zählt Schütz die K. zu den Zweckbewegungen, insofern die Absicht vorliegt, verstanden zu werden. Für den Erfolg des Mitteilungsvorgangs ist es wesentlich, daß er auf einer Reihe gemeinsamer Abstraktionen oder Standardisierungen beruht, unsere Erfahrungen schon auf proprädikativer Ebene bestimmten Typen eingeordnet sind. Da die meisten Kommunikationszeichen sprachlicher Natur sind, liegen die Typifikationen in Wortschatz und Syntax der Alltagssprache. Qu.: Schütz GA I, 250-253, 371-374. HV

Komplexion. Das lateinische Substantiv complexio bedeutet „Verbindung, Verknüpfung“. Entsprechend gebraucht Husserl den Terminus in den Logischen Untersuchungen für bestimmte Verknüpfungsformen: von einem → Inhalt zum anderen, von einer Inhaltskomplexion zur nächsten, bis sich eine einheitliche Inhaltsgesamtheit konstituiert – das phänomenolog. reduzierte → Ich. Von Aktkomplexion spricht Husserl bei der intentionalen → Beziehung, bei der jedem → Erlebnis eine → Vorstellung zugrundeliegt: Wer sich über etwas freut, dem steht das, worüber er sich freut, in einer bestimmten Seinsweise gegenüber (in Wahrnehmung, Erinnerung usf.). Analog dazu heißt es von der Erlebniskomplexion, im → Akt des Erscheinens werde die Empfindungskomplexion erlebt.

311 Qu.: Hua XIX/1, V. Log. Unters.

Konstitution HV

Konstanzhypothese. Die von Merleau-Ponty kritisierte K. besagt, daß auf einen gegebenen → Reiz konstante → Reaktionen erfolgen. Die Kritik erfolgt bereits aus der Perspektive der Gestalttheorie, die zeigen kann, daß die Reaktion des Organismus auf Reize diese in einen Gesamtprozeß einbezieht und dabei dem einzelnen Reiz Eigenschaften verleiht, die er für sich allein nicht hätte. Phänomenolog. führt dies zur Distanzierung von einem Intellektualismus, für den der Akt der → Wahrnehmung ein Verstandesakt ist. Die Kritik eröffnet ein phänomenales → Feld und führt auf die unmittelbare → Erfahrung zurück, wobei der Begriff der Unmittelbarkeit selbst zur Auslegung ansteht: Nicht die → Impression ist das Unmittelbare, sondern der → Sinn und die → Struktur der Wahrnehmungswelt. Qu.: Merleau-Ponty 1942 (1976, 47-52). – Merleau-Ponty 1945 (1966, 25-29, 59-69, 81-84). HV

Konstitution. Phänomenolog. → Konstitutionsanalyse fragt nach der Ermöglichung alles sinnhaft Erfahrenen durch „welterfahrendes Leben“, das in der „weltbefangenen“ natürlichen → Einstellung zunächst vergessen wird (Fink 1976, 89 f.). Das Erfahrene wird als Resultante von intentionalen Prozessen der Sinnbildung begriffen, als deren → transzendentale Quelle Husserl ein reines → Ego ansetzt. So setzt die Konstitutionsanalyse die transzendentale → Reduktion als „Suspension der Seinsgeltung“ des Erfahrenen bereits voraus, das umgekehrt als das verständlich werden soll, was sich einer sinnbildenden K. dieser → Gel-

tung verdankt (Gadamer GW 3, 135). Husserl unterscheidet mit Blick auf invariante, apriorische Gesetzlichkeiten, die als Regelstrukturen der Sinnbildung fungieren, statische K. von genetischer K., die hinsichtlich ihres Sichvollziehens in der „immanenten Zeit“ der → Erfahrung untersucht wird. Husserl unterscheidet weiter eine formalontolog. K. von der regionalen K. möglicher → Gegenstände der Erfahrung sowie das Konstituierte vom „fungierenden“ Geschehen der K. selbst, in dem sich Sinnbildungsleistungen vollziehen. Das transzendentale Ego als deren Quelle soll zugleich Gegenstand einer irreduziblen „Selbst-K.“ sein – im Unterschied zur „aktiven Genesis“ von K.s-Prozessen, in denen das Ego selber als konstituierendes fungiert, und im Unterschied zur „passiven Genesis“, die allen „geistigen“ Aktivitäten ihre Materie vorgibt (Hua I, 99 ff.). Die K. nimmt sich wie „empfangendes Verstehen“ aus, sofern gesagt wird, daß Erfahrenes „sich“ „in“ uns konstituiere. K. bedeutet dann: das Erfahrene bzw. das Seiende, das in ihm erschlossen ist, „in seinem Sein verstehen“. Wie Kreation aber mutet die K. an, sobald Husserl sie als eine → „Leistung“ des → Bewußtseins beschreibt, die dem transzendentalen Ego zu verdanken ist (Theunissen 2 1977, 152). Unter Rückgriff auf gestaltpsychologische Konzepte einer Selbstorganisation der Erfahrung sucht Merleau-Ponty einen dritten, mittleren Weg zu gehen, indem er fungierende Sinnbildungsprozesse einer „leibhaftigen“, „ekstatischen“ Subjektivität zuschreibt, womit er zugleich dem Paradox begegnen möchte, welches darin liegt, daß eine konstituierende Subjektivität auch der Welt eingeordnet zu denken ist, die von ihr konstituiert wird

Konstitutionsanalyse (Merleau-Ponty 1966, 487 f.; Levinas 1983, 133). Nicht-egologisch begründet Gurwitsch im Anschluß an Sartre die Selbstorganisation der Erfahrung und bestreitet die Existenz eines diesen Prozessen vorausliegenden „identischen Substrats“, das als Ego anzusprechen wäre. In sozialontolog. Perspektive vollzieht Sartre eine Inversion des Begriffs der K., indem er eine in keiner K. aufgehende „Begegnung“ mit dem Anderen und ein K.s-werden durch den Anderen beschreibt, das nicht in einem Bewußtsein vom Andern als mich konstituierend aufgehen soll, wie es Husserl in den Cartesianischen Meditationen konzipiert hat. Husserl schreibt dem transzendentalen Ego hier (Hua I, 116 ff.) selbst die Möglichkeit der K. des → Fremden (als Nicht-Ich) „im eigenen Selbst“ zu – ausgehend vom Gedanken einer universalen WeltK., der auch der Andere als „fremder Leibkörper“ eingeordnet gedacht wird. Selbst das Fremde und der → Andere als Fremder verdanken sich demnach „meinem intentionalen Leben“ und dessen „konstitutiven Synthesen“ (ebd., 122 ff.). Dagegen hat die Dialogik zunächst den Gedanken einer „gegenseitigen K.“ und deren sozialontolog. Kritik das Konzept eines „konstituierenden Zwischen“ ins Spiel gebracht, das als dezentriertes Verhältnis des Einen zum Anderen ihrer gegenseitigen Abgrenzung und ihrer Zentrierbarkeit auf ein einseitig konstituierendes Ego vorausliegt (vgl. Theunissen 1977, 426, 273, 490 f.). Zurückgewiesen wird in diesem Zusammenhang das generelle, bei Husserl vorherrschende Paradigma der K. objektiver Gegenständlichkeit, das alles Andere und Fremde in der → „Vorstellung“ aufgehen läßt. Im Ge-

312 gensatz zu einer bei Levinas dagegen gesetzten radikalen, mit dem Gedanken der K. unvereinbaren Exteriorität des Anderen beschreibt Ricœur eine „ontolog. K.“, die nicht „von außen“ zum Selbst hinzukommt und die dessen „Sinn“ konstituiert, ohne sich einer vorgängig gesicherten „Eigenheitssphäre“ zu verdanken. Qu.: Fink 1976. – Gadamer GW 3. – Hua I. – Theunissen 2 1977. – Levinas 1949 (1983). – Merleau-Ponty 1945 (1966). – Sarte 1943 (1993). – Ricœur 1990 (1996, 382, 389, 395, 399 f.). BL

Konstitutionsanalyse. Eine klare Formulierung des Grundkonzepts der → Konstitution Husserls wird in den Ideen I in folgender Weise dargestellt: „Doch die allergrößten Probleme sind [...] die der ,Konstitution der Bewußtseinsgegenständlichkeiten‘. Sie betreffen die Art, wie z. B. hinsichtlich der Natur, Noesen, das Stoffliche beseelend und sich zu mannigfaltigeinheitlichen Kontinuen und Synthesen verflechtend, Bewußtsein von Etwas so zustande bringen, daß objektive Einheit der Gegenständlichkeit sich darin einstimmig ,bekunden‘, ,ausweisen‘ und ,vernünftig‘ bestimmen lassen kann.“ (Hua III/1, 196) Das hier genannte „Stoffliche“ bedeutet also das stoffliche Erlebnis bzw. das Hyletische (→ Hyle), „reelles Bestandstück“, das in sich gar kein konstitutives Moment einschließt und erst durch eine noetische Funktion zum „transzendental Konstituierten“ gebracht wird. Hier findet man ein Grundschema der Konstitution: „Hyle – Noesis – Noema“. Die Problematik der Konstitution scheint nur die intentionale → Korrelation zwischen → „Noesis“ und → „Noema“ zu betreffen. Die transzendentale Konstitution konstituiert also

313 das auf dem Grund des stofflichen Erlebnisses durch die noetische Funktion Konstituierte (ebd., 227 f.). Die K. des hier genannten Korrelationsapriori ist und bleibt eine entscheidende Forschungsorientierung der Phänomenologie Husserls (vgl. Hua VI, 169, Anm. 1. Aber das Hyletische Husserls bleibt nicht länger bloßes Empfindungsdatum für den Auffassungsakt, das als → Impression im Sinne Humes mißverstanden werden könnte, sondern zeigt sich als das doch in sich ein konstitutives Moment Einschließende. Dieses Moment wird als die eigenartige → Intentionalität, die später passive Intentionalität genannt wird, ausgedrückt. Die Art und Weise dieser eigenartigen „hyletischen Konstitution“ wurde ferner durch die Analyse der Konstitution des immanenten Zeitbewußtseins und die vertiefte, den immanenten Zeitinhalt betreffende Analyse der → passiven Synthesis, geklärt. Dadurch wird deutlich, daß die allerursprünglichste Konstitution der → transzendentalen Subjektivität die urafffektive hyletische Selbstkonstitution der absoluten intermonadischen Zeitigung ist. 1. Begriff der Konstitution in der → regionalen Ontologie: Unter der Grundauffassung der Konstitution: „HyleNoesis-Noema“, entwickelt Husserl die regionale Ontologie in den Ideen II. Bewußtseinsmäßig konstituiert sich stufenweise jede gegenständliche Region, von der Stufe der Natur bis zu der des Geistes (Hua III/1, 334). Dabei spielen die formalen und materialen Wesenslehren der Grundbegriffe, die z. B. → Dinge, Raumphantome, Empfindungsdaten, → Leib, → Seele, das reine → Ich und Person beinhalten (ebd., 358 f.), sowie die Grundgesetze der → Kausalität und → Motivation eine entscheidende Rolle. Diese K. der

Konstitutionsanalyse Wesenszusammenhänge (→ Wesen) in und zwischen den Schichtenstrukturen wird später als statische Konstitution bezeichnet, die der → Leitfaden für die genetische K. ist. 2. Konstitution der → Zeit und der → Passivität: Husserls Versuch, die Analyse der gesamten transzendental konstituierten Schichten durchzuführen, stößt auf ein schwieriges und sehr wichtiges Problem, nämlich das des Verhältnisses zwischen dem hyletischen Moment und dem noetischen Auffassungsakt (→ Auffassung) bei der Zeitkonstitution. Er versucht die Zeitkonstitution einer Dauer so aufzufassen, daß ein bestimmter noetischer Auffassungsakt das Hyletische in der retentionalen → Abschattung auffaßt. Aber dann hat Husserl notwendigerweise das Problem des unendlichen Regresses, denn wenn jeder → Inhalt nur zum → Bewußtsein durch einen darauf gerichteten Auffassungsakt kommt, „so erhebt sich sofort die Frage nach dem Bewußtsein, in dem dieser Auffassungsakt, der doch selbst ein Inhalt ist, bewußt wird, und der unendliche Regreß ist unvermeidlich“ (Hua X, 119). Der anschaulichen Gegebenheit der Zeitdauer entsprechend, die solch ein Phänomen des unendlichen Regresses nicht einschließt, löst Husserl die Frage durch seine Beschreibung der Selbstkonstitution des absoluten Zeitflusses und der → Retention, in der jeder Inhalt in sich selbst und notwendig „urbewußt“ (ebd.) ist, auf: Auf der Ebene des absoluten Zeitflusses decken sich „das Konstituierende und das Konstituierte“ (ebd., 83). Diese Selbstkonstitution beinhaltet nämlich die Doppeltheit der retentionalen Intentionalitäten. Besonders wichtig ist dabei die Längsintentionalität der Retention, „die im Lauf

Konstitutionsanalyse des Flusses in stetiger Deckungseinheit mit sich selbst ist“ (ebd., 81). Diese Deckungseinheit (→ Deckung) ist nichts anderes als die in den zwanziger Jahren thematisierte passive Synthesis, die den Zeitinhalt ohne Beteiligung der Ichaktivität vereinheitlicht. In den Bernauer Manuskripten sucht er die Lösung des gleichen Problems in dem „Urprozess vor dem Walten jedes aufmerkenden Erfassens“ (Hua XXXIII, 244 f.) ohne jede Auffassung bzw. → Repräsentation; dieser Urprozeß ist nichts anderes als die oben genannte Längsintentionalität der Retention, also die sogenannte passive Synthesis. Husserl findet hier in der immanenten Zeitordnung des Urprozesses Empfindungsdaten und sinnliche Gefühle und → Triebe, die als „passive Intentionalität“ (ebd., 276) das Ich affizieren. Die Affektion gehört zum Bereich der passiven Konstitution durch die passive Synthesis der Zeitliches konstituierenden Erlebniskontinuität, „die selbst paradoxerweise zeitlich konstituiert und wahrnehmungsmäßig bewußt ist“ (ebd., 361). Wichtig ist ferner das Fundierungsverhältnis der passiven und aktiven Konstitution: Jeder Bau der → Aktivität setzt „notwendig als unterste Stufe voraus eine vorgebende Passivität, und dem nachgehend stoßen wir auf die Konstitution durch passive Genesis“ (Hua I, 112). 3. Statische und Genetische Konstitution: Die Analyse der Zeitkonstitution eröffnet somit die Ebene der passiven Konstituion und führt zum Problemfeld der Unterscheidung der statischen und genetischen Konstitution der Zeit und → Assoziation. Die Wesensgesetzmäßigkeit, nämlich die eidetische Struktur des zeitkonstituierenden Bewußtseins ist nach Husserl „die an sich erste und tiefste Gesetzmäßigkeit ei-

314 ner Bewußtseinsgenesis und zugleich einer Genesis als ursprünglicher Konstitution von Gegenständlichkeiten“ (Hua XXXIII, 281). Die strukturelle Form der Zeitkonstitution und der Inhalt der Gegenständlichkeit der Zeitkonstitution sind in ihrer ursprünglichsten → Genesis untrennbar. Daher bezeichnet Husserl das Zeitbewußtsein als urassoziativ. Die Art und Weise der genetischen Konstitution wird in der Thematik der genetischen → Methode gezeigt. Die statische Analyse zeigt den Fundierungszusammenhang der Wesensnotwendigkeit, die durch die Wesensanschauung gewonnen wird. Dieser wesentliche Zusammenhang wird dann nach der genetischen Ordnung durch die Methode des Abbauens befragt, ob eine bestimmte Fundierungsschicht einer anderen → Schicht vorangehen muß oder nicht. Durch dieses ständige Rückfragen erreicht Husserl den der Ichstrukutur vorangehenden Urstrom des radikalen „Vor-Ichlichen“: „Die Strukturanalyse der urtümlichen Gegenwart (das stehend lebendige Strömen) führt uns auf die Ichstruktur und die sie fundierende ständige Unterschicht des ichlosen Strömens, das durch eine konsequente Rückfrage [...] auf das radikal Vor-Ichliche zurückleitet.“ (Hua XV, 597) Die hier genannte „konsequente Rückfrage“ ist nichts anderes als die genetische Methode. Die Ebene von „Vor-sein“, „Vor-Welt“, „Vor-Ich“, „Vor-zeit“ (vgl. ebd.) eröffnet sich die allerursprünglichste Genesis der Konstitution, die als „Vorkonstitution“ (ebd., 173) der intermonadischen Zeitigung genannt wird. Diese ursprüngliche Zeitigung dieser Ebene unterläuft die traditionelle, methaphys. Dualität von Wesen und Faktum, Form und Inhalt, Außen und Innen, Subjekt und

315 Objekt (vgl. ebd., 385). Daher wird sie → absolut genannt und als die „absolute Zeitigung“ (ebd., 670) bezeichnet. Sie zeitigt sich selbst als die sogenannte transzendentale → Faktizität, deren Selbstkonstitution weder vom Aspekt der Konstitution als kreativen Schaffens der Faktitzität noch vom Aspekt der Konstitution als nur erkennender Sinnbildung aufgefaßt werden kann (vgl., Fink 1976). Eben diese Genesis der Sinnbildung wird auf der Basis der transzendentalen Faktizität thematisiert. 4. Konstitution der instinktivintermonadischen Zeitigung und der personal-intermonadischen Zeitigung: Die absolute Zeitigung zeitigt sich intermonadisch (Hua XV, 337). Die intermonadische Zeitigung hat, dem Grundprinzip der Fundierung der Aktivität durch die Passivität entsprechend, ihre Schichtenstruktur der Passivität und Aktivität. Die passive intermonadische Zeitigung läßt sich „instinktivintermonadisch“ benennen. In der allprimordialen urtümlichen lebendigen Gegenwart werden Monaden in der „absoluten Simultaneität aller Monaden durch wechselseitiges unmittelbares und mittelbares Transzendieren von Trieben“ (ebd., 595) vergemeinschaftet. Anders gesagt entsteht die Allheit der Monaden in „ursprünglich instinktiver Kommunikation“ (ebd., 609). Die Konstitution der → Intersubjektivität wird einerseits passiv in der fundamentalen Schicht der instinktivintermonadischen Zeitigung begründet und erreicht andererseits aktiv ihre höchste Dimension auf der Ebene der „Ich-Du-Deckung“ in der personalistischen → Einstellung, d. h. verwirklicht sich in der personal-intermonadischen Zeitigung. Das Problem des transzendentalen → Solipsismus ist, in bei-

Kontemplation den Richtungen, nämlich vom passiven Grund aus und auf das VernunftTelos hin, vollständig aufgelöst: „Persönlichkeit bezogen auf die Totalität des Willenslebens – so auf die Totalität des Ich in seinem Sein. In der Liebe einseitige oder in der Wechselliebe wechselseitige ,Deckung‘, Verschmelzung der Personen.“ (ebd., 599) Hier in der Vernunft-Teleologie wird die Korrelations- und K. Husserls in ihren systematischen Zusammenhang gebracht. Qu.: Hua I. – Hua III/1. – Hua VI. – Hua X. – Hua XV. – Lit.: Fink 1976, 139-157. – Sokolowski 1964. IY

Kontemplation. „Contemplatio“ als → Betrachtung des Wirklichen ist nach Heidegger Charakteristikum der modernen → Wissenschaft, das sich letztlich auf die lat. Übersetzung des griech. theoria „aus dem Geist der röm. Sprache und d. h. des röm. Daseins“ zurückleiten lasse, womit „das Wesenhafte“ des griech. Worts „mit einem Schlag zum Verschwinden“ gebracht worden sei (HeiGA 7, 48). Contemplatio als Theorie des Wirklichen nämlich versteht sich nicht mehr als „das verehrende Beachten der Unverborgenheit des Anwesenden“ (ebd., 44). Die in der modernen Wissenschaft zur Geltung kommende ,Theorie‘ gibt sich vielmehr als „das nachstellende und sicherstellende Bearbeiten des Wirklichen“ kund (ebd., 49 f.). „Die moderne Wissenschaft ist als Theorie im Sinne des Be-trachtens eine unheimlich eingreifende Bearbeitung des Wirklichen“ (ebd., 49). Im Bann der auf eine berechnende „Vergegenständlichung des Wirklichen“ zielenden Methode ist sie, Heidegger zufolge, indessen blind für „das in ihrem Wesen waltende Un-

Kontiguität umgängliche“ (ebd., 60): → Natur, Mensch, Geschichte, → Sprache. Anders als bei Heidegger, der K. als Gegenbegriff zu einem als „Besinnung“ gefaßten Denken versteht, begegnet der Begriff bei Arendt in Opposition zur Sphäre der → vita activa (vgl. Arendt 1960, 21 f., 26, 297). Gemäß dem Impetus ihrer Analysen der condition humaine (unter dem Titel The Human Condition erschien ihr Buch Vita Activa zunächst, 1958, in den Vereinigten Staaten), das Handeln als eigentlich politische Tätigkeit wieder zu entdecken, verbinden sie sich mit einem entschiedenen Einspruch gegen die abendländische philosoph. Tradition. Letztere trifft der Vorwurf, im Festhalten am Ideal der „Theoria“, der K., die Rangordnung innerhalb der Grundtätigkeiten der vita activa eingeebnet und vor allem die politische Relevanz des Handelns verkannt zu haben (vgl. ebd., 20 ff.). Qu.: HeiGA 7. – Arendt 1958 (1960). AGO

Kontiguität. Die K. – oder auch „Angrenzung“ und „Berührung“ – bezeichnet bei Husserl neben der → Ähnlichkeit/Gleichheit und dem → Kontrast das dritte Assoziationsprinzip passiv-vorprädikativer → Konstitution (Hua XI, § 28 f., 128 ff.; vgl. Holenstein 1972, 42 f.; Kühn 1998a, 177211). Sie wird im Rahmen der Analyse der Evidenzproblematik (→ Evidenz) der Wiedererinnerung neben den durch die Zeitkonstitution vorgegebenen Ordnungsformen der → „Sukzession“ und der „Koexistenz“ thematisch (Hua XI, 270 f.), aber nicht mehr, wie noch in den Logischen Untersuchungen, als ein „Repräsentationsverhältnis“ von intuitiv und nicht-intuitiv aufgefaßten Teilen eines → Gegenstan-

316 des gedeutet (vgl. Hua XIX/2, 594; vgl. dazu Belussi 1990, 39 ff.; Lohmar 1998, 245 ff.). Die zunehmend auch als „Kontinuität“ bezeichnete K. regelt, der „Verschmelzung“ von affektiven und voraffektiven → Einheiten der impressional-lebendigen Gegenwart (→ Gegenwart, lebendige) und dem entsprechenden Prinzip der „Weckung“ folgend (vgl. z. B. Hua XI, 411 ff.), in noetischer Hinsicht die Reproduktion und → Antizipation der Assoziate, die auch für die analogischappräsentative Konstitution des alter ego entscheidend ist (vgl. z. B. Hua XIV, 491). Auf der Ebene der → „passiven Synthesis“ besitzt die K. damit die grundsätzliche Funktion, ein „transzendentes Kontinuum“ (Kühn 1998a, 190) als Voraussetzung der Erfüllbarkeit leerintentional-horizonthafter Vorzeichnung und d. h. motivierender Sinnfigurationen i. S. genetischassoziativer Urerlebnisse vorzugeben. Diese wiederum tragen als „assoziative Motivationen“ den Prozeß der Phänomenwerdung in formaler wie materialer Hinsicht und stellen damit zuletzt die Bedingung der Möglichkeit ihrer explikativen Erfassung, aber auch der synthetischen Aktivität des Kolligierens, Zählens sowie verbindenden Urteilens schlechthin dar. Qu.: Hua XI. – Hua XIV. – Hua XIX/2. – Lit.: Belussi 1990. – Holenstein 1972. – Kühn 1998a. – Lohmar 1998. MST

Kontinuum fungiert bei Husserl als ein Relationsbegriff, der die Stetigkeit der Verbindung von Teilen in räumlichen, vor allem aber in zeitlichen Ganzheiten bezeichnet. In der Philosophie der Arithmetik verdeutlicht Husserl den „Begriff des K.s“ rein gegenständlich durch Verweis „auf

317 die Zusammensetzung der Punkte einer Linie, die Momente einer Zeitdauer, die Farbnuancen einer kontinuierlichen Farbreihe“ (Hua XII, 19). Eine ähnliche Auffassung findet sich in Anschauung und Repräsentation, wo Husserl die Dingwahrnehmung als „ein zeitlich-inhaltliches K. von Anschauungen“ (Hua XXII, 276) bezeichnet, und zwar insofern, als die Anschauungsinhalte eines → Gegenstandes, den man vor den Augen bewegt, stetig ineinander übergehen. In den Ideen I verwendet Husserl den Begriff des K.s zur allgemeinen Charakteristik der Bruchlosigkeit des Bewußtseinsstromes und weist ihn somit als einen Grundbegriff der phänomenolog. → Reflexion auf die Sphäre der reinen → Erlebnisse aus: „Jedes wirkliche Erlebnis [...] ist notwendig ein dauerndes; und mit dieser Dauer ordnet es sich einem endlosen K. von Dauern ein – einem erfüllten K.“ (Hua III/1, 182). Dem K. der phänomenolog. → Zeit als einem „Ineinander von Retention und Protention“ (ebd., 183) steht die objektivistische Idee des „mathematischen K.s“ (Hua VI, 37) gegenüber, an die sich etwa bei Galilei die Vorstellung einer „Zerstückbarkeit und Teilbarkeit in infinitum“ (ebd.) anschließt. Diese Idee wird von Husserl vor dem Hintergrund seiner Analysen zum inneren Zeitbewußtsein, die die Unteilbarkeit der erlebten Zeit hervorheben, kritisiert. In seiner Abhandlung Über das Wesen der Bewegung weist Reinach darauf hin, „daß das K. erfaßt sein kann, ohne daß seine Stellen es sind“ und daß umgekehrt „eine noch so große Menge von Stellen kein K. ergibt“ (Reinach 1989, 576). Die Rede von der unendlichen Teilbarkeit eines K.s entspringt laut Reinach einer objektivie-

Kontrast renden Betrachtungsweise, die ihrerseits die erlebbare Ganzheit eines K.s voraussetzt. Qu.: Hua III/1. – Hua VI. – Hua XII. – Hua XXII, 269-302. – Reinach 1989, 551-588. TR

Kontrast. Husserl definiert K. in Erfahrung und Urteil als die „Abhebung des Ungleichen von einem Boden des Gemeinsamen“ (Husserl 6 1985, 77). Den „Boden des Gemeinsamen“ bezeichnet Husserl auch als → „Hintergrund“ (ebd., 76). Rote Flecken auf einem weißen Hintergrund bilden z. B. einen Kontrast, denn „die roten Flecken und die weiße Fläche sind miteinander ursprünglich verwandt als visuelle Gegebenheiten“ (ebd.). Im § 46 von Erfahrung und Urteil unterscheidet Husserl die Kontrastbestimmung von der allgemeineren Form der Beziehungsbestimmung. Für Husserl können K.e selbst dann noch wahrgenommen werden, wenn ein Relatum der → Beziehung nicht in direkter → Anschauung gegeben ist: „Z. B. ein großer Mensch steht als groß da, ohne daß überhaupt in unserem Gesichtskreis kleine Leute da sind. Er kontrastiert mit dem ,normalen‘ Menschen, von welchem Exempel dunkel ,erregt‘ sein mögen, ohne daß es zu expliziter Vergleichung kommt. Ebenso verhält es sich z. B. mit den Bestimmungen ,heiß‘ und ,kalt‘, ,lang‘ und ,kurz‘ dauernd, ,schnell‘ und ,langsam‘. Alle diese Bestimmungen beziehen sich auf eine Normalität der Erfahrung, die von Umwelt zu Umwelt wechseln kann. [...] Aus der Struktur der Umwelt ergibt sich ohne weiteres und ganz selbstverständlich der Maßstab für solche Bestimmungen, ohne daß ausdrücklich die kontrastierenden

Körper Beziehungsglieder geweckt sein müssen.“ (ebd., 229-230) Qu.: Hua XII. – Husserl 1939 (6 1985). LW

Körper. (frz.: corps) Im Gegensatz zu einer der cartesianischen Tradition geschuldeten, ausschließlich auf dessen physiologisch-mechanischen Qualitäten rekurrierenden Betrachtungsweise vollzieht sich der phänomenolog. Zugang zum K. schwerpunktmäßig unter Berücksichtigung seines korrelativen Verhältnisses zum → Leib. Dabei zeichnet sich der K. zwar durch eine phänomenale Verschiedenheit vom (beseelten) Leib aus, als objektive Sphäre desselben erscheint er jedoch nicht durch einen Hiatus von diesem getrennt, vielmehr erweisen sich beide als wechselseitig ineinander verschränkt. Vor dem Hintergrund seiner Auffassung als konstitutiver Bestandteil der leiblichen Verfaßtheit des Subjekts entdeckt sich die Produktivität der phänomenolog. Auseinandersetzung mit dem K. zunächst vor allem hinsichtlich Fragen der Intersubjektivität, Sozialität und Identität, später erfährt diese Perspektive eine Erweiterung bezüglich einer Behandlung des Körperphänomens unter gesellschafts- bzw. machttheoretischen Gesichtspunkten. Nach Husserl zeichnet sich das Verhältnis von K. und Leib durch eine wahrnehmungsmäßig wesentliche Verschiedenheit beider Aspekte aus (vgl. Hua VI, 109), d. h. der Leib ist in zweierlei Weise als physisches → Ding und empfindender Leib konstituiert (vgl. Hua IV, 146, 151). Für Husserl bekundet sich die phänomenale Differenz beider Bereiche darin, daß dem Leib ein kinästhetisches Vermögen sowie ein „ichliches Fungieren“ (Hua VI,

318 110) eignet, während der K. für ihn ein „raumzeitlich lokalisiertes Substrat ,kausaler‘ Eigenschaften“ (ebd., 221; vgl. 255, 302, 355, 476; Hua XV, 654) darstellt. Zugleich betont Husserl jedoch, daß die von ihm konstatierte phänomenale Unterschiedenheit von K. und Leib keine ursprüngliche, sondern das Resultat einer Einstellungsänderung darstellt. Während der Leib in „personalistischer Einstellung“ als „fungierender Leib“ auftritt, erscheint er in „naturalistischer Einstellung“ als „materieller K., auf den sich neue Seinsschichten, die leiblich-seelischen, aufbauen“ (Hua VI, 143, 162). Da nach Husserl jeder isolierenden Betrachtung des Menschen immer seine lebensweltliche Erscheinungsweise als psychophysische Einheit vorausgeht, läßt sich für ihn eine Betrachtung des K.s als das „absolut Geistlose“ (Hua IX, 119) nur mittels einer abstraktiven → Leistung realisieren (vgl. Hua V, 118, Hua VI, 231, 351, Hua IX, 112, Hua XIV, 61, Hua XV, 85). Husserls sich auch terminologisch in Wendungen wie „phys. Leib“ (Hua IV, 154), „körperlicher Leib“ (Hua VI, 353) oder „Leibkörper“ (Hua IV, 154) ausdrückende Überzeugung einer wechselseitigen Verschränkung von K. und Leib offenbart sich auch in seinen → Konstitutionsanalysen zur → Intersubjektivität, in denen er die → Apperzeption des eigenen Leibes als eines körperlichen Dinges als Voraussetzung für den Prozeß der → Einfühlung herausstellt (vgl. Hua XV, 260, 648-657, 661). Da nach Husserl nur der Eigenleib des psychophysischen → Ego ursprünglich konstituiert ist, erscheint der → Andere innerhalb dessen → Primordialsphäre zunächst als K. Zugleich leistet dieser K. jedoch auch eine Vermittlung in bezug auf die → Erfassung des Anderen als

319 Leib. Auf Grund der Ähnlichkeit zwischen dem Leib des konstituierenden Ego und dem fremden K. überträgt jenes im assoziativen Vorgang der → „Paarung“ den Sinn „Leib“ auf den erscheinenden K. des Anderen (vgl. Hua I, 141 ff.). Während für Husserl der K. des Menschen gegenüber seiner Geistigkeit „nicht sein in besonderem Sinne Wesentliches“ (Hua VI, 456) darstellt, zählt er für Scheler neben Leib, → Seele und → Geist zu den sog. „Wesenheiten“. Nach Scheler unterliegt die Körperwelt einer von der menschlichen Organisation unabhängigen „Fundierungsordnung“ (ScheGW 8, 296 f.), auf deren unterster Schicht, dem „Wirkzentrum“, sich die Merkmale der Ausdehnung und Dauer in der physikalischen Zeit, die räumliche Gestalt und der Rhythmus der Veränderung, die Farbigkeit sowie zuletzt die anderen Qualitäten (vgl. ScheGW 12, 152) aufbauen. Schelers Theorie der Wahrnehmung begreift die K. als „Bilder“, denen eine vom menschlichen Bewußtsein unabhängige, „objektive Idealität“ eignet, d. h. sie sind nach bestimmten Wesensgesetzen aufgebaut, dabei jedoch unwirklich und unsubstantiell (vgl. ScheGW 11, 132, 138; ScheGW 8, 269, 359). „Ein Körperbild ist eine in den Schranken wesensgesetzlicher Regelung liegende, je besondere und einmalige Aufbauordnung von Soseinsbestimmtheiten (Gestalten, Qualitäten usw.), die [...] nicht in der Organisation des Subjekts, sondern [...] in einer bestimmten Konstellation dynamischer Faktoren verwurzelt ist“ (ScheGW 8, 293). Den konkreten Wahrnehmungsinhalt bestimmt Scheler als Dekomposition eines Teils des objektiven Körperbildes selbst (vgl. ebd., 294). Die von ihm postulierte

Körper Trennung der Sphären des Körperlichen und Leiblichen (vgl. ScheGW 2, 398; ScheGW 3, 231, 242) drückt sich auch in Schelers Unterscheidung eines in „äußerer Wahrnehmung“ gegebenen „Leibkörpers“ und einer in „innerer Wahrnehmung“ gegebenen „Leibseele“ aus, zwischen denen „eine strenge und unmittelbare Identitätseinheit besteht“ (ScheGW 2, 399). Beiden zugrunde liegt der psychophysisch indifferente „Leib“ als „ein völlig einheitlicher phänomenaler Tatbestand“ (ebd.). Zwar bezeichnet Scheler die beiden Sphären „des als ,lebendig‘ Vermeinten“ und der „toten und als ,tot‘ erscheinenden Körperwelt“ als gleichursprünglich und damit nicht aufeinander zurückführbar, dennoch bleibt jene für ihn der letzteren vorgegeben (vgl. ScheGW 8, 56, 374 f.; ScheGW 10, 388). Obwohl er betont, daß das Phys. und Psych. „keine empirisch definierbaren gegenständlichen Einheiten“ (ScheGW 2, 407), sondern unterschiedliche Seiten eines einzigen Lebensvorganges (ScheGW 9, 58) darstellen, bestimmt er in seiner Personenlehre den K. als der (leibunabhängigen) → Person „unterworfen“ (ScheGW 10, 59). Mit der Inauguration des Leibes als eines „Urphänomen[s]“ (ScheGW 8, 376), das sowohl die Leibkörper- wie auch Leibseelewahrnehmung fundiert, wendet sich Scheler nicht nur gegen die cartesianische Trennung von K. und Seele, deren Hiatus er in der „Einheit des Lebens“ (ScheGW 9, 58) aufgehoben sieht, sondern auch gegen Husserls Auffassung des Leibes als eines in der Wahrnehmung zunächst dinghaft erscheinenden K.s (vgl. ScheGW 7, 238). Da der Mensch seine Umwelt zunächst als immer schon belebte wahrnimmt, stellt sich die Erfahrung unbelebter

Körper K., so Scheler, als eine phänomenal sekundäre dar. Entgegen der Husserlschen Konstitutionslogik, in der sich der Umschlag vom erscheinenden K. zum Leib als Akt der „Be-Seelung“ vollzieht, begreift Scheler auf Grund der ursprünglichen Erscheinungsweise des lebendigen Leibes die Erfahrung eines bloßen K.s als Vorgang der „Entseelung“ (ScheGW 7, 233 und 213 f.; ScheGW 8, 374 f.; ScheGW 10, 87). Nach Schütz zeichnet sich der eigene K. vor allem durch das Erlebnis seiner Zugehörigkeit zum Ich aus. Neben den akustischen und optischen Qualitätserlebnissen vollzieht sich die subjektive Körpererfahrung vor allem in Form des „somatischen Lebensgefühls“. Dieses leistet die Auffassung kinästhetischer Bewegungen als mirzugehörige noch „vor ihrer Rekonstruktion in der gedächtnisbegabten Dauer“ (Schütz 1981, 151). Jedoch betrifft die im somatischen Lebensgefühl erfahrene Evidenz der MirZugehörigkeit nur den in Aktion befindlichen Leib (vgl. ebd., 153), die heuristische Annahme einer „absoluten Ruhestellung“ desselben vermag dem Lebensgefühl nicht evident zu werden (vgl. ebd., 183). Mittels des Tastsinns, so Schütz, erlebt das Ich die Abgrenzung zwischen dem Leib und seiner Umwelt. Diese ,Außenbetrachtung‘ seiner selbst hat eine Symbolisierung des Leibes im Bewußtsein als eines ausgedehnten K.s im Raum zur Folge (vgl. ebd., 164). Da die französische Sprache kein der deutschen Unterscheidung von K. und Leib adäquates Begriffspaar bereitstellt, sieht sich die französische Phänomenologie darauf verwiesen, dem Begriff „corps“ eine Reihe präzisierender adjektivischer Wendungen hinzuzufügen. So unterschei-

320 det Sartre zwischen dem „K. als Fürsich-sein“ (corps-pour-soi) und dem „K.-für-Andere“ (corps-pour-autrui), wobei beide Gegebenheitsweisen des K.s für ihn zwei miteinander unvereinbare Seinsebenen darstellen (Sartre 1993, 543). Bezeichnet der K. als Für-sich-sein die subjektiv erfahrene und gelebte Einheit des K.s, so vollzieht sich mittels des → „Blicks“ ein Umschlag in die Gegebenheitsweise des K.s-für-Andere: Der objektivierte, von außen wahrgenommene K. ist dem Erkennen und der Vergegenständlichung zugänglich. Den beiden genannten ontolog. Dimensionen des K.s fügt Sartre mit dem „K.-für-mich, der sein Vom-Anderen-gesehen-werden erlebt“, schließlich eine dritte hinzu (vgl. ebd., 619-632). Mit jeder dieser von ihm angeführten Erscheinungsweisen des K.s beabsichtigt Sartre aufzuzeigen, daß sich dieser nicht auf eine reine Objektheit reduzieren läßt (vgl. ebd., 539). Eine solch reduktive Verfahrensweise liegt seiner Ansicht nach im Falle der Physiologie vor, die für ihn eine „synthetische Rekonstitution des Lebendigen von Leichen aus“ (ebd., 614) unternimmt. Im Gegensatz zu Sartres Rückgriff auf ein Hegelsches Begriffsinstrumentarium spricht Merleau-Ponty zur Bezeichnung des „gelebten“ Leibes von „corps vivant“, „corps phénomenal“, „corps fonctionnel“ oder, in Anlehnung an Marcel, von „corps propre“ (Merleau-Ponty 1976, 179 f., 219, 238; 1966, 78 f., 96, 464, 490 f.), während er zur Kennzeichnung des objektiven Dingkörpers auf Begriffe wie „corps objectif “, „corps physical“ oder „corps-instrument“ (Merleau-Ponty 1966, 96, 490; 1973, 127) zurückgreift. Die unlösliche Verflechtung von K. und Leib zeigt sich für Merleau-

321 Ponty u. a. in der Doppelempfindung, bei der sich die berührte Hand als berührende erfährt (vgl. ebd., 118-122), sowie im Phänomen des → Phantomglieds, das sich den Zugriffsversuchen einer rein physiologischen bzw. psychologischen Betrachtungsweise widersetzt (vgl. ebd., 100-107). Da die physiologische Auffassung des K.s als „Aufbau oder Geflecht von Geweben“ für Merleau-Ponty „nur ein verarmtes Gebilde“ (ebd., 402; vgl. ebd., 490) der Erscheinungsweise des phänomenalen Leibes darstellt, erkennt er dem vom Leib isolierten objektiven Dingkörper ein nur „begriffliches Dasein“ (ebd., 491) zu. Im Unterschied zu Scheler nimmt MerleauPonty kein die Unterscheidung K. Leib fundierendes Urphänomen „Leib“ an, sondern begreift die Ambiguität der körperlich-leiblichen Existenz (vgl. Merleau-Ponty 1976, 240; 1966, 110, 234) als für den Menschen konstitutiv. Nach Merleau-Ponty gleichen K. und Leib „zwei Kreise[n], zwei Wirbel[n] oder Sphären, die konzentrisch sind, solange ich naiv dahinlebe, und leicht gegeneinander verschoben, sobald mein Fragen beginnt“ (MerleauPonty 1986, 182). In dem nie vollständig auszugleichenden Spannungsverhältnis von K. und Leib (vgl. MerleauPonty 1966, 113; 1986, 179 f.) bekundet sich zugleich die Nicht-Koinzidenz des Subjekts mit sich, die zugleich als Möglichkeitsbedingung seiner Offenheit für den Anderen erscheint (vgl. Merleau-Ponty 1966, 404). In seinen diskurstheoretischen Analysen zur → Macht vertritt Foucault gegenüber dem naturalistischen Verständnis einer strukturellen Invarianz des K.s die Auffassung, daß „es ein ,Wissen‘ vom K. geben [kann], das nicht mit der Wissenschaft von seinen

Körper Funktionen identisch ist“ (Foucault 1976a, 37). Im Rahmen einer „politische[n] Ökonomie des K.s“ (ebd., 36) fungiert dieser als Fluchtpunkt gesellschaftlicher Machtpraktiken (→ Praktiken), deren Formung und Unterwerfung er unterliegt (vgl. ebd., 37). Die Mechanismen einer solchen, in → Institutionen wie Kasernen, Gefängnissen oder Schulen anzutreffenden Disziplinierungstechnologie expliziert Foucault u. a. anhand von Benthams Modell des Panopticons (vgl. ebd., 256-268), in dem sich ein Machtzuwachs durch das Ineinandergreifen von Raum- und Körperkontrolle vollzieht. In diesem wie auch in subtileren Disziplinierungs- und Bestrafungstechniken entdeckt sich für ihn eine „Mikrophysik der Macht“ (ebd., 38, 40, 178), in der Gefügigmachung und Nützlichkeit des K.s sich wechselseitig verstärken (vgl. ebd., 176). Während die „Besetzung des K.s durch die Macht“ (Foucault 1976b, 106) im 17. Jh. ihren Niederschlag in der Gestalt des K.s des Königs fand, der über dessen vergängliche phys. Präsenz hinaus die Sicherung seiner Souveränität durch die öffentliche Marter des Delinquenten leistete (vgl. Foucault 1976a, 40 f.), wurden innerhalb des in der Folgezeit entstehenden „K.s der Gesellschaft“ (Foucault 1976b, 105) die vormals integritätsstabilisierenden Rituale durch therapeutische Verfahren ersetzt. In die Unterwerfung des K.s durch die diversen Machtmechanismen ist, so Foucault, auch die Seele involviert, die für ihn nicht etwas Substantielles, sondern das historische Produkt einer Machtausübung darstellt und damit „selber ein Stück der Herrschaft ist, welche die Macht über den K. ausübt“ (Foucault 1976a, 42).

Korrelation

322

Qu.: Hua I. – Hua IV. – Hua V. – Hua VI. – Hua VIII. – Hua IX. – Hua XIV. – Hua XV. – ScheGW 2. – ScheGW 3. – ScheGW 7. – ScheGW 8. – ScheGW 9. – ScheGW 10. – ScheGW 11. – ScheGW 12. – HeiGA 58. – Schütz GA I. – Schütz 1932. – Schütz 1981. – Sartre 1943 (1993). – MerleauPonty 1942 (1976). – Merleau-Ponty 1945 (1966). – Merleau-Ponty 1962 (1973). – Merleau-Ponty 1953 (1973). – MerleauPonty 1969 (1984). – Merleau-Ponty 1964 (1986). – Foucault 1975 (1976a). – Foucault 1976b. – Lit.: Chadarevian 1990, 8398. – Dreyfus/Rabinow 1987, 140-144. – Müller 1975, 151-154. – Römpp 1992, 4753, 72-76. TK

tiven Psychologie. Analysen der Aktseite sind prinzipiell zu ergänzen durch korrelative Analysen der Gegenstandsseite, „damit wir verstehen, wie im notwendig wandelbaren und sich wandelnden Erleben, in der Noesis, ein einheitliches Noema mit einem identischen Sinn und den sonstigen noematischen Strukturen zur Leistung kommen kann“ (Hua XI, 321).

Korrelation. Das „Problem von der Möglichkeit der Erkenntnis“ gipfelt nach Husserl in der Frage, wie „die Erkenntnis ihrer Übereinstimmung mit den erkannten Objekten gewiß werden, [...] wie sie eine Objektivität, die doch in sich ist, was sie ist, treffen kann“. Das Beispiel der traditionellen Erkenntnistheorie zeigt, daß dieses „Rätsel“ solange ungelöst bleibt, wie → Transzendenz und → Immanenz in einen ontolog. Gegensatz gebracht werden. Die „Triftigkeit“ einer Erkenntnis weist sich aus in gelingenden Bewährungsvollzügen; sie besteht nicht in der Übereinstimmung mit einer schlechthin transzendenten, vom → Bewußtsein unabhängigen Gegenständlichkeit. Aufbrechen läßt sich der naive Objektivismus der natürlichen → Einstellung durch die phänomenolog. → Reduktion. Sie macht deutlich, daß zwischen Erkenntnisakt und Erkenntnisgegenstand eine unauflösbare K. besteht, daß jeder Gegenstandsbezug an einen → Horizont subjektiver Erscheinungsweisen rückgebunden bleibt. Methodisch betrachtet, bedeutet die K. von „cogitatio“ und „cogitatum“ – von → Noesis und → Noema – den Abschied von einer deskrip-

Kraft. Bei Patoˇcka ist der Begriff der K. vor allem in den politischen und geschichtsphilosoph. Schriften von Bedeutung. Kennzeichen jeder Ideologie (von der er schon in einem frühen Aufsatz positiv das „Leben in der Idee“, (Patoˇcka 1988, 379 ff.) abhebt) ist für ihn, daß sie den Menschen rein äußerlich als „K. unter Kräften“ (ebd., 381) betrachtet und für ihre jeweiligen Zwecke instrumentalisiert. Historisch beginnt die „Vergötterung der K.“ (ebd., 143), die „Umwertung aller Werte im Zeichen der K.“ (ebd., 151) für Pato cˇ ka schon mit der Entstehung der mechanischen Naturwissenschaft im 17. Jh., findet jedoch ihren stärksten Ausdruck erst mit Hilfe der modernen → Technik und ihrer gewaltigen Akkumulation von Kräften, die sich in den Kriegen des 20. Jh.s orgiastisch entladen. Philosoph. lehnt sich Patoˇckas Kraftbegriff eng an Heideggers Analyse der „Seinsvergessenheit“ an, denn die K. erweist sich „als die höchste Verborgenheit des Seins“ (ebd., 143), und „wenn wir das Sein nur vom Standpunkt des Seienden [...] begreifen, [...] dann ist im heutigen Verständnis die K. das höchste Seiende, das alles erschafft und zer-

Qu.: Hua I, § 41. – Hua II. – Hua III/1, § 91. – Hua VI, § 48, § 71. – Hua XI. – Hua XXVI. – Lit.: Ströker 1987a, 54-74. TE

323 stört, dem alles und alle dienen“ (ebd., 142 ). Illokutionäre K.: Ricœur unterscheidet im Anschluß an die SprechaktTheorien Austins und Searles drei verschiedene Diskursebenen: den lokutionären Akt (hinsichtlich Artikulation, Konstruktion oder Logik des Sprechens), den illokutionären Akt (hinsichtlich der kommunikativen Funktion) und den perlokutionären Akt (hinsichtlich der Konsequenzen einer Sprechhandlung). Die illokutionäre K. einer Aussage beruht demnach darauf, was im oder beim Sprechen getan wird, daß z. B. die Bitte, die Tür zu schließen, als Befehl und nicht als Frage oder Wunsch formuliert wird. Für Ricœurs Versuch, solche von den Sprechakten ausgehenden Theorien auch auf das Schreiben und den Text zu übertragen und so für die → Hermeneutik nutzbar zu machen, ergibt sich daraus, daß die Bedeutung eines Satzes nicht länger auf seinen propositionalen (oder lokutionären) Gehalt einzugrenzen ist, sondern auch die illokutionäre K. und „sogar“ der perlokutionäre Akt zu berücksichtigen sind. Zwar sieht Ricoeur deutliche Unterschiede zum mündlichen → Diskurs (insbesondere die illokutionäre K. des Sprechens wird stark durch die Gestik beeinflußt), argumentiert aber, daß die illokutionäre K. sich durch „grammatische Paradigmen“ (Indikativ, Imperativ etc.) und andere „Markierungen“ auch im geschriebenen Text fixieren läßt (Ricœur 1986, 101 ff.). Qu.: Patoˇcka 1975 (1988). – Ricœur 1986. LH

Krieg. Von Stellungnahmen, die in eher zeitdiagnostischer Hinsicht über den K. nachdenken (Plessner

Krieg 1939/1949), sind eher systematisch angelegte Ansätze zu unterscheiden. Bei Arendt ist die Differenz von K. und politischer Revolution leitend, die als Differenz besagt, daß K. keine bloße Fortsetzung der → Politik mit anderen Mitteln ist, wie die berühmte Formel von Clausewitz behauptet. Eine Revolution ist das politische Neubeginnen in einer institutionalisierten → Freiheit und deshalb auch nicht mit der auf die Römer zurückgehenden Unterscheidung von gerechtem und ungerechtem K. zu fassen. Revolutionäre Freiheit hat „mit K. und Kriegszielen kaum etwas zu tun“ (Arendt 1963, 11), wenn überhaupt. Vor diesem Hintergrund gibt es drei positive Kennzeichen des K.s. Er beruft sich erstens „auf die Notwendigkeit“ (ebd., 19) und rückt damit, im Gegensatz zur Freiheit, in die Nähe einer stummen Kraft, die – laut Marx – als Geburtshelfer in der Geschichte wirkt. K. ist zweitens eine Anwendung von Mitteln der Gewalt, die „in der Politik“ allenfalls eine „ultima ratio“ (ebd., 20) ist. Wenn die Anwendung von → Gewalt zum Selbstzweck wird, erscheint der K. als Herrschaft der Instrumente. In seiner extremsten Form ist der K. drittens ein „totaler K.“, der „die gesamte zwischen Menschen entstandene Welt vernichtet“ (Arendt 1993, 90). Patoˇcka geht es nicht um verschiedene Erscheinungsformen des K.s, sondern um die Annahme, daß das 20. Jh. selbst als K. verstanden werden müsse. Er knüpft dabei an Arendt an, geht jedoch in eine andere Richtung. Da sich im politischen Handeln das Nichtverankertsein des → Menschen in einer fraglichen und grundlosen → Welt zeige, sind die menschlichen Angelegenheiten für Nihilismus und K. anfäl-

Krisis lig. „Der K. wird in diesem Jahrhundert zur perfekten Revolution des Alltags.“ (Patoˇcka 1988, 139) Eine völlige Mobilmachung sämtlicher Kräfte führt zum K. schlechthin, der wie in einem Rausch alle festen Formen zerstört. „Der K. als universelles ,Alles ist erlaubt‘, als rasende Freiheit, befällt einen Staat nach dem anderen, wird ,total‘.“ (ebd., 140) Levinas verfolgt ein von konkreten Ereignissen unterschiedenes Verständnis von K. „Der K. errichtet eine Ordnung, zu der niemand Abstand wahren kann. So gibt es nichts Äußerliches. Der K. zeigt nicht die Exteriorität und das Andere als anders.“ (Levinas 1987, 20) Jede → Totalität, die die Andersheit des → Anderen auf das Selbe zurückzuführen oder in das → Sein zu integrieren versucht, ist K. Diesen K. zu begünstigen, legt Levinas der vorherrschenden Art des ontolog. Denkens zu Last, aber auch politischen Institutionen, die lediglich eine herrschende Legalität sind und damit eine „Einrichtung des K.s mit gutem Gewissen“ (Levinas 1992, 348) darstellen. Levinas bietet dagegen sein Verständnis von → Ethik auf. Qu.: Plessner 1939/1949 (1981). – Arendt 1963 (1963). – Arendt 1993. – Patoˇcka 1988. – Levinas 1961 (1987). – Levinas 1974 (1992). MWS

Krisis. Husserls Ausführungen dazu lassen sich nach drei Schwerpunkten gewichten: Er gibt erstens eine Diagnose der K. der → Wissenschaften, die angesichts von deren Erfolgen unbegründet erscheinen könnte; er begründet diese mit einer K. der Philosophie; und er zeigt die geschichtsphilosoph. Konsequenzen, die sich aus dieser K. für das „europäische Menschentum“ ergeben. Die K. der Wis-

324 senschaften liegt darin, daß sie ihre Grundidee in einem positivistischen Reduktionismus und Naturalismus auf bloße Tatsachenwissenschaften reduzieren. Dies hat zur Folge, daß strenge Wissenschaft auf objektive Wissenschaften beschränkt wird, während die Geisteswissenschaften, die den Menschen in seinem geistigen Dasein und seiner Geschichtlichkeit zum Gegenstand haben, mit der ständigen Gefahr eines unwissenschaftlichen Relativismus konfrontiert sind. Die Motive zur positivistischen Einschränkung der Idee der Wissenschaft liegen in der Philosophie. Mit der Geburt der griech. Philosophie kommt das europäische Telos zum Durchbruch, das Menschentum aus philosoph. → Vernunft zu gestalten; mit der Übernahme dieser antiken Idee vollzieht sich eine Umgestaltung, namentlich durch Descartes, der die Idee einer universalen rationalen Wissenschaft konzipiert. Die Vorbildlichkeit der naturwissenschaftlichen Methode führt aber dazu, die von Descartes selbst entdeckte Subjektivität in ihren universalen Leistungen der Gewißheit einer universalen Körperwelt unterzuordnen (Selbstmißdeutung Descartes’ durch Objektivismus). Dies hat das scheinbare Scheitern des Rationalismus zur Folge und geschichtsphilosoph. die Gefahr eines Abdankens der in → Europa angelegten Teleologie zugunsten von Irrationalismus und Barbarei. Die Lösung liegt in der Wiedergewinnung der Probleme der Subjektivität, konkret in der Entdeckung der → Lebenswelt als dem „Universum prinzipieller Anschaulichkeit“, um im Vollzug der transzendentalen → Reduktion zu zeigen, wie sich diese aus den → Leistungen der transzendentalen Subjektivität aufbaut. Das bedeu-

325 tet „die Wiedergeburt Europas aus dem Geiste der Philosophie durch einen den Naturalismus endgültig überwindenden Heroismus der Vernunft“ (Hua VI, 348).

Krisis Qu.: Hua VI. – Hua XXIX. – Lit.: Vetter 1998. HV

L Langeweile. Die eigentliche L. gehört bei Heidegger zu den Grundstimmungen (→ Stimmung), die das Seiende im Ganzen enthüllen. Wie „ein schweigender Nebel hin- und herziehend“, rückt die tiefe L. Dinge, Menschen und einen selbst „in eine merkwürdige Gleichgültigkeit zusammen“ (HeiGA 9, 110). Im Zusammenhang mit der Aufgabe, eine Grundstimmung im → Dasein zu wecken, widmet Heidegger der L. eine umfassende Untersuchung. Er unterscheidet darin drei Formen der L.: das Gelangweiltwerden von etwas im Ausgang vom Langweiligen; das Sichlangweilen bei Etwas mit dem entsprechenden Zeitvertreib; die tiefe L. in der Form des „es ist einem langweilig“. Deren konkrete Interpretation erfolgt am Leitfaden der „Leergelassenheit“ und der „Hingehaltenheit“. In jener zeigt sich, daß das Dasein an das sich im Ganzen versagende Seiende ausgeliefert ist; in dieser daß es „in aller Nacktheit zu ihm selbst als das Selbst, das da ist und sein Da-sein übernommen hat“, hingezwungen wird (HeiGA 29/30, 215). Diese beiden Strukturmomente – Leerlassen und Hinhalten – bewegen sich in ihrer Einheit im Wesen der → Zeit. So stellt sich die Frage, welche Hingehaltenheit der tiefen Leergelassenheit des Daseins entspricht. Die Hingehaltenheit zeigt sich darin, daß das Dasein in den es ermöglichenden Augenblick „hingezwungen“ wird. Darin erschließt sich als äußerste Zumutung, „daß dem Menschen das Dasein als solches zugemutet wird, daß ihm

aufgegeben ist – da zu sein“ (ebd., 246). Qu.: HeiGA 29/30, §§ 18-38.

HV

Lassen. Heideggers Fundamentalanalytik in Sein und Zeit zielt in wesentlichen Momenten auf die Frage nach eigentlichen und uneigentlichen Formen des Begegnenlassens bzw. nach dem apriorischen Begegnenlassenden. L. bzw. Sein-L. wird in der → Fundamentalontologie v. a. in der Zeuganalyse (→ Zeug) und ansatzweise in der Mitseinsanalyse in Hinblick auf die Frage nach dem Grundvollzug des → Daseins als Selbstsein bedacht: Im → Um-willen des Daseins liegt das Besorgen enthalten als die Weise umweltlichen Begegnens: Be-sorgend läßt sich das Dasein ein auf das begegnende Seiende, indem es dieses bewenden läßt in dem, was es ist. Ist das Begegnenlassen des Seienden somit ein Bewendenlassen, dann ist das Um-Willen des Daseins aus diesem L. zu bestimmen – und nicht aus dem → Willen der neuzeitlich verstandenen Subjektivität. Das Bewendenlassen ist ontolog. als eine vor-gängige Freigabe zu verstehen, als ein Apriori vor allem Umgang mit Seiendem: Das Bewendenlassen entdeckt erst Seiendes in seiner Bewandtnis, entdeckend gibt es Seiendes auf seine → Bewandtnis hin frei. Mit diesem apriorischen „Jeschon-haben-bewenden-lassen“ (HeiGA 2, 114) charakterisiert sich das Dasein selbst in seinem welthaften Umwillen. Erst in diesem L. zeigt sich das Seiende selbst in seinem jeweiligen

327

Leben

„An-sich-sein“, das heißt hier: als zuhandenes Zeug. Qu.: HeiGA 2. – Lit.: Vorlaufer 1994.

JV

Leben (vie) ist ein Grundmotiv der Phänomenologie (Kühn 1992; Bernet 1994; Sepp 1997), sofern sich diese seit Husserl der Selbstexplikation der → transzendentalen Subjektivität als lebendigem → Ego zuwendet bzw. beim frühen Heidegger (HeiGA 63) der → Sorge als Auslegungsform des „faktischen Lebens“ (Makreel 1990; Courtine 1996). In beiden Fällen (Alter 1993) ist ein Rezeptionsverhältnis zum „Lebenszusammenhang“ bei Dilthey gegeben, dessen zentrales Diktum lautete: „L. erfaßt L.“ (Dilthey GS VII, 136). Bei Husserl mündet solche egologisch-transzendentale L.sAnalyse der subjektiv-intentionalen → Leistungen in die Anerkennung einer doxisch-vorgegebenen → „Lebenswelt“ ein, von der alle erkenntnisstrebende → Intentionalität ihren Ausgang nimmt und in die sie mit entsprechenden Bewährungen und Korrekturen teleologisch-offen terminiert (Hua VI, 114 ff.). Eine humanistisch bzw. politisch orientierte L.s-Deskription zwischen Husserl und Heidegger liefern Patoˇcka und Arendt. Der erstere erschließt die Lebenswelt aus der Praxis der → Menschen, die Zeitlichkeit und → Bewegung ist (Pato cˇ ka 1990; 1991; Srubar 1996), während Arendt das menschliche L. ab seiner bedürftigen → Geburt in den Unterscheidungen von → Arbeit, → Herstellen und → Handeln aufsucht (Arendt 1958), um gegen die moderne Vorherrschaft des homo faber das initiativ-verantwortliche Handeln im aristotelischen Sinne einzufordern.

Im Anschluß an Bergson wie Husserl entwirft Schütz eine wissenssoziologisch orientierte Phänomenologie der „Lebensformen“ als typisierten Sinnstrukturen (Schütz 1981, 79 ff.), in der die Husserlsche Einsicht fruchtbar gemacht wird, daß alle abstrakt-wissenschaftliche → Erkenntnis auf vorwissenschaftlichsubjektiven → Leistungen gründet. Zwar hatte auch schon Scheler eine eigene affektiv-vitale Schicht in der → Wahrnehmung hervorgehoben (ScheGW 2, 331 ff.), um sie mit einer lebensphilosoph.-metaphys. „Bewegung der Sympathie“ zu verbinden, die „jeden Gedanken durchseelt“ (ScheGW 3, 325), aber erst Henry verhalf einer radikalisierten „Lebensphänomenologie“ zum Durchbruch (Henry 1963), die nicht mehr auf lebensphilosoph. Prämissen wie dunklem Trieb, Unbewußtem des L.s etc. beruht. Vielmehr ist das L. als Wesen des gegen-reduktiven Selbsterscheinens aller Erscheinungen in seiner innersten Struktur ein selbstaffektives Pathos von Selbstgebung/Selbstrezeptivität, das die → Passivität des lebendigen „Mich“ als absoluter Subjektivität mit allen konkret-bestimmten Potentialitäten des originär-phänomenolog. L.s ausstattet (Henry 1992, 80 ff.; 1997, 51 ff.). Einzelne durchgeführte Analysen dieser Lebensphänomenologie liegen für die Bereiche Ästhetik und Religion (Henry 1996) sowie Kultur und Ökonomie (Kühn 1996) vor. Qu.: Dilthey GS VII. – Hua VI. – Arendt 1958 (1960). – Patoˇcka 1990. – Patoˇcka 1991. – HeiGA 63. – Schütz GA I. – Schütz GA II. – Schütz GA III. – Schütz 1981. – ScheGW 2. – ScheGW 3. – Henry 1963. – Henry 1990 (1992). – Henry 1996 (1997). – Lit.: Alter 1 (1993). – Bernet 1994. –

Lebenswelt Courtine 1996. – Kühn 1994. – Kühn 1996. – Makreel 1990. – Sepp 1997. – Srubar 1996. RK

Lebenswelt hat begrifflich sowohl biologische als auch kulturprotestantische Ursprünge. Vor allem letztere werden von Husserl aufgegriffen, um dem L.Begriff eine wissenschaftskritische Dimension zu verleihen. Im Gegensatz zur klassischen Hierarchisierung von → Doxa und Episteme will Husserl Geltungskriterien einführen, die den Anforderungen des praktischen → Lebens und seiner Anschauungsgebundenheit besser angepaßt sind. Maßgeblich für Husserls L.-Konzeption ist der Grundlegungsgedanke. Die vorwissenschaftliche L. wird nicht nur als eine „Sphäre guter Bewährungen“ (Hua VI, 456) der wissenschaftlichen Welt gegenübergestellt, sondern der Rückgang auf die L. soll den Charakter einer Begründung oder Fundierung wissenschaftlichen → Wissens haben. Dabei werden unterschiedliche Möglichkeiten der Thematisierung und Problematisierung der L. in Betracht gezogen. So ist mit L. einerseits eine „Welt der schlichten intersubjektiven Erfahrungen“ (ebd., 136) gemeint – in diesem Sinne fungiert sie für Husserl als → „Boden“ (ebd., 158) und „Untergrund“ (ebd., 127) jeglicher Erkenntnisleistung –, anderseits wird die L. in ihrer historischen Konkretion als ein „Universum vorgegebener Selbstverständlichkeiten“ (ebd., 183) bestimmt. Selbstverständlichkeit ist der Titel für jenen Grundzug der L., den Husserl „passive Vorgegebenheit“ nennt. Als eine Welt mit menschlicher Bedeutsamkeit ist uns die L. passiv vorgegeben. Was immer an kulturellen und sinnbildenden → Leistun-

328 gen dazu führte, daß uns die L. heute als etwas Fertiges oder Vorgegebenes gilt, ist in seinem geschichtlichen Sinn verstummt. Erst dieses Verstummen sinngenetischer Zusammenhänge macht die L. zu einem fraglos hingenommenen Sinn- und Geltungsfundament menschlicher Praxis. Die L. stellt einen tradierten und im Laufe von Generationen sedimentierten Erfahrungsbestand dar, in den alle „Idealisierungen“ eingegangen sind, welche „die Naturwissenschaft der Neuzeit an Bestimmungen des Seienden geleistet hat“ (Husserl 6 1985, 39). Diese Idealisierungen sind uns jedoch heute nicht mehr als solche bewußt. Weil Galilei und in seiner Nachfolge der gesamten Naturwissenschaft die Verbindung zu ihren Quellen verlorenging, konnten sich wissenschaftliche Konstruktionen in zunehmendem Maße verselbständigen. Am Ende dieser Entwicklung steht die von Husserl diagnostizierte Krise (→ Krisis). Die neuzeitlichen Wissenschaften haben ihre Lebensbedeutsamkeit verloren; es dominiert die Vorstellung einer äußeren Welt, die in mathematischen Formeln ihre ,wahre‘ Darstellungsform findet. Demgegenüber soll die Aufdeckung der Bodenfunktion der L. dem Reich der Doxa ein neues Selbstverständnis geben. Die → Wissenschaft wird zur Doxa unter anderen Vorzeichen. Dem bloßen Kontrast zwischen Wissenschaft und L. folgt eine neue Ausgangslage, wonach Alltagserfahrung und Wissenschaft untrennbar sind. Diese neue Ausgangslage erfordert einen historischen Zugriff. Der Wissenschaftler muß daran erinnert werden, daß die L. für ihn als ständige „Bewährungsquelle“ (Hua VI, 129) fungiert: daß ihr nicht nur in pragmatischer Hinsicht ein Eigenrecht, sondern in genealogischer Hinsicht so-

329 gar das Vorrecht gebührt. Sofern die L. der Gewinnung einer solchen historischen Gesamtperspektive dienen soll, kann sie nicht Gegenstand einer direkten → Beschreibung, sondern nur einer methodisch gezielten Rückfrage sein. Vorgegebenheiten werden als Vorleistungen einer sinn- und geltungsstiftenden Subjektivität begriffen. Die L. wird zum → Leitfaden für die transzendental-phänomenolog. → Reflexion auf das „letztlich leistende Leben“, aus dessen sinnkonstitutiven Leistungen nicht nur alle Wissenschaft, sondern auch die L. ihren „Seinssinn gewonnen hat und neu gewinnt“. Heideggers Interesse gilt dem Sinn von → Sein überhaupt, wobei die Verbindung mit der L.-Problematik erst über einen existenzial-hermeneut. Umweg sichtbar wird. Um die Seinsfrage als „Fundamentalfrage“ zu begreifen, müssen wir uns an dasjenige halten, das eine solche → Frage überhaupt stellen kann. Die „Ausarbeitung der Seinsfrage“ führt in Sein und Zeit über eine → „Analytik des Daseins“, sofern dieses jenes ausgezeichnete Seiende ist, „das unter anderem die Seinsmöglichkeit des Fragens hat“. Die „Grundverfassung des Daseins“ ist das → „Inder-Welt-sein“, wobei die Begriffswahl eine erste Akzentverschiebung verrät. Zwar stellt das „In-der-Welt-sein“ ein Äquivalent zu Husserls L.-Begriff dar, doch indem Heidegger die präreflexive → Erschlossenheit des → Daseins – sein „Schon-sein-bei-der-Welt“ – betont, wendet er sich gegen einen reinen Idealismus der Sinngebung. → Transzendenz i. S. eines Herausgetretenseins aus sich selbst in eine, in praktischer Umsicht je schon entdeckte → Welt ist für Heideggers Daseinsbegriff so grundlegend, daß von einer „Transzendenz in der Immanenz“ (Husserl)

Lebenswelt nicht mehr gesprochen werden kann. Auch Merleau-Ponty lehnt das → Bewußtsein als „Urstätte“ der → Konstitution ab. Er prägt den Begriff des → „zur-Welt-seins“ (Être-au-monde), wobei er sich mit Husserl und über diesen hinausgehend für eine fungierende, leiblich verwurzelte → Intentionalität stark macht, um gleichzeitig jene Verstrickung in die Welt auszudrücken, die für Heidegger lediglich ein defizitärer Modus des Daseins ist. Während Merleau-Ponty für eine „Genealogie des Seins“ ohne transzendentale Vorentscheidungen plädiert, weshalb sich der transzendentale Gesichtspunkt erst aus der Arbeit an Phänomenen selbst ergibt, geht Schütz in seinen sozialwissenschaftlichen Analysen nicht über unsere natürliche ontolog. Einstellung hinaus. Webers Handlungstheorie und Bergsons Lebensphilosophie sind die beiden zusätzlichen Bezugspunkte, um einerseits an Husserls Primat „alltäglich-praktischer Situationswahrheiten“ festzuhalten, andererseits jedoch deren Einbindung in eine transzendentale Konstitutionsgeschichte nicht mitzuvollziehen. Zum ausgezeichneten Gegenstandsbereich der Soziologie wird die L. durch den aufgewiesenen Kontrast zwischen alltäglicher und theoretischwissenschaftlicher Sinnkonstitution, weshalb an die Stelle von Husserls primordialer Erfahrungswelt die kulturelle Vielfalt sozialer Erfahrungswelten rückt. Patoˇcka teilt Schütz’ pragmatische Auszeichnung der L., wobei er unter dem Einfluß der Prager Linguistik die sprachphilosoph. Konsequenzen dieses Begriffs mitbedenkt. Qu.: Hua VI. – Hua XXIX. – Husserl 1939 (6 1985). – HeiGA 2. – Merleau-Ponty 1945 (1966). – Merleau-Ponty 1964 (1986). –

Lebewesen Schütz 1932. – Schütz/Luckmann 1979. – Schütz/Luckmann 1984. – Patoˇcka 1990. – Patoˇcka 1991. – Lit.: Brand 1971. – Grathoff 1989. – Herrmann 1985, 44-65. – Srubar 1988. – Ströker 1979. – Waldenfels 1985. – Welter 1986. TE

Lebewesen. Im Rahmen von Schelers materialer Wertethik sind L. – sie umfassen das Pflanzen- und Tierreich – eine eigene kategoriale Einheit, die durch die Lebens- oder Vitalwerte „edel“ und „gemein“ bestimmt ist. Der Individualerhaltung geht die Arterhaltung voraus, der Reproduktionsund Fortpflanzungstrieb ist dem Erhaltungstrieb übergeordnet. Gegen Darwins Ableitung des organischen Fortschritts aus dem Kampf ums Dasein wendet Scheler ein, damit würden menschlich-historische Verhältnisse verallgemeinert. Jenes „Kampfprinzip“ ergänzt er durch ein „Solidaritätsprinzip“, wobei jenes in diesem fundiert ist. Der Gesamtaspekt des → Lebens bietet innerlich Solidarität und Einheit, nach außen Kampf und Zwiespalt. Heidegger kritisiert mehrfach die dem Abendland geläufige Auslegung des Menschen als des vernünftigen L.s (zoon logon echon), demgegenüber die → Tiere „vernunftlose“ L. seien, zumal → Vernunft und Unvernunft erst geklärt werden müßten. Die Bestimmung des Menschen von seiner animalitas her wird verneint. Um das Wesen des Lebens näher zu fassen, geht Heidegger im Zuge einer vergleichenden Analyse von drei Thesen aus: „1. der Stein (das Materielle) ist weltlos; 2. das Tier ist weltarm; 3. der Mensch ist weltbildend.“ (HeiGA 29/30, 263). Dabei geht es primär um eine Erhellung des Wesens der → Welt, doch untersucht Heidegger auch detailliert das,

330 was das Wesen der Tierheit des Tieres ausmacht. Qu.: ScheGW 2, 280-299. – HeiGA 29/30, §§ 45-48. HV

Leere. Für Husserl wird L. gelegentlich synonym mit „Vagheit“ gebraucht und hat wesentlich mit Unanschaulichkeit zu tun. Leer ist das in fließender Unklarheit Vorschwebende der → Phantasie oder → Erinnerung und der entsprechenden Wesenserfassungen niedriger Klarheitsstufe bzw. korrelativ zu diesen das in seinem Sinn unklar Erfaßte. Am Außenhorizont eines Wahrnehmungsobjekts läßt sich der Bereich noch wahrnehmungsmäßiger Anschaulichkeit vom unanschaulichen Leerhorizont abheben, wobei dieser als unendlicher → Horizont möglicher → Erfahrung eigentlich die ganze → Welt umspannt. Aber auch die Verwandlung des Vergangenen in Stufen der Klarheit hat noch einen Leerhorizont der Unklarheit und Undeutlichkeit und enthält „Zwischenstrecken“ der L. Den Gegensatz von anschaulich Gegebenem und im Leermeinen gegebenem Seienden greift Heidegger auf, um die Selbstgegebenheit von deren ausgezeichneten Modus der Leibhaftigkeit zu unterscheiden. Auch im Leermeinen ist das Seiende selbst gegeben, doch ohne jede anschauliche Erfüllung. In einem ganz anderen Zusammenhang thematisiert der späte Heidegger die L. Es geht um die Frage, was das → Ding als Ding sei. Im Gegensatz zur physikalischen Auffassung, die L. eines Kruges sei ein mit Luft gefüllter Hohlraum, wird hier die L. als ein zweifaches Fassen bestimmt: als Nehmen dessen, was eingegossen wird, und als Fassen des Aufgenommenen. Das Wesen der so bestimmten L. beruht im

331 Schenken. In diesem Geschenk ruht das → Geviert. Qu.: Hua III/1, § 67. – Hua VIII, 49. u. 51. Vorlesung. – HeiGa 20, § 6. HeiGA 7, 165187. HV

Leerhorizont. Im Rahmen von Husserls Wahrnehmungsanalyse bezeichnet der L. diejenige Dimension innerhalb der Gesamtstruktur der Horizonthaftigkeit in der → Wahrnehmung z. B. eines körperlichen → Dinges, die über die jeweilige unmittelbare „originäre“ → Gegebenheit der jeweils sichtigen Vorderseite hinausgeht und auf ein leeres, unbestimmtes, aber bestimmbares „plus ultra“ verweist. So haben jeweils der Innen- und Außenhorizont einer gegebenen Dingerscheinung einen L., der über einen offenen → Spielraum von → Möglichkeiten der → Erfüllung verfügt, welcher zwar unbestimmt, aber bestimmbar ist: Die Rückseite eines gesehenen Dinges muß eine Farbe haben; welche jedoch, ist noch unbestimmt. Umgekehrt ist die Unbestimmtheit nicht völlig bar jeder Bestimmbarkeit; m. a. W. die Unbestimmtheit unterliegt ihrerseits gewissen für sie möglichen Bestimmbarkeiten: Die Unbestimmtheit des L.s kann nur im Rahmen der für das jeweilige Seiende gegebenen Möglichkeiten Bestimmbarkeit erlangen. Die Erfüllbarkeit des L.s ist damit aber prinzipiell unabschließbar; denn mit jeder (Teil-)Erfüllung tun sich neue, unbestimmte L.e auf, die auf Erfüllung warten. Der L. hat somit die Struktur eines wesentlichen „Und so weiter“. Qu.: Hua XI, insbes. 7-10. – Hua VIII, 146152. – Lit.: Rang 1973, Kap. 4. SL

Leib Leib. (frz.: corps propre, corps phénoménal, corps vivant) Die Frage nach dem L. gehört zum Kern der phänomenolog. Philosophie des 20. Jh.s. Sie zielt auf eine Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Doktrinen im Hinblick auf Objektivierungen des → Körpers und auf die grundsätzliche Problematik des L.-Seele-Dualismus. Dabei scheiden sich die Wege in der Beantwortung. Für Husserl war das → Bewußtsein das Zentrum der → Stiftung von → Sinn. In seinem Bemühen, an die letzten Gründe unseres Erkennens zu gelangen, stieß er allerdings immer wieder an die Grenze zur Leiblichkeit. Sowohl in der Klärung der → Konstitution des → Sinns der → Dinge (Hua IV) als auch bei der Analyse der Fremderfahrung (Hua I, 121 ff.) spielt unser L. eine wichtige Rolle. Auf der einen Seite gehört er der Dingwelt an, aber auf der anderen Seite ist er mir selbst näher als jeder andere → Gegenstand. Diese Doppelexistenz wird in der Tasterfahrung sinnfällig. Dennoch bleibt die Frage nach der geistigen Formung des Materiellen, also das Problem einer sinnlichen Gebung, virulent. Der L. trägt „den Nullpunkt aller Orientierungen in sich“ (Hua IV, 158). Er fungiert dergestalt als „Nullerscheinung“ im Unterschied zu Außenkörpern. (Hua XIV, 510 ff.) Auch hier zeigt sich bei näherem Hinsehen seine Sonderstellung. Während er mir ermöglicht, zu allen Dingen meiner Umwelt meine Stellung zu verändern, gelingt dies nicht im Hinblick auf ihn selbst. „Derselbe L., der mir als Mittel aller Wahrnehmung dient, steht mir bei der Wahrnehmung seiner selbst im Wege und ist ein merkwürdig unvollkommen konstituiertes Ding“. (Hua IV, 159) Husserls Anspruch auf Letztbegründung läßt es nicht zu, daß die Selbstgegebenheit

Leib (→ Gegebenheit) des → Bewußtseins getrübt wird. Selbst wenn er von einer „Seinsanmutung der Gegenstände“ spricht (Hua XI, 42), bleibt ihm der L. als Umschlagpunkt zwischen kausalem und intentionalem Geschehen, gleichsam zwischen Natur und Sinn, rätselhaft. Diese ungeklärte Lage zeigt sich auch in der Analyse der Fremderfahrung. Dem eigenen L. kommt in der Begegnung mit anderen auf Grund seiner Originalität ein Vorrang zu, wenngleich Husserl bemerkt, daß „der fremde Mensch konstitutiv der an sich erste Mensch“ ist. (Hua I, 153) Leibkörper führen nach ihm ein beunruhigendes Doppelleben: Der → Andere ist mir in leibhaftiger Gegenwart gegeben, allerdings nicht in vollständiger Präsenz. Er ist mir nur durch eine „Art Kompräsenz“, eine „Art Analogie“ in einer Art „paarenden Assoziation“ (ebd., 149) zugänglich. Husserl hatte mit seinen Analysen des L.es, die sein ganzes Werk durchziehen, zwar keine konsistente Lösung gefunden, aber doch entscheidende Problemstellungen entfaltet, die in seiner Nachfolge aufgegriffen wurden. Anknüpfungspunkte liefern die Fragen nach der Erfahrung des → Fremden und des eigenen → Ich, aber auch die nach der Gegebenheit der dinglichen → Welt, also grundsätzlich nach der Verflechtung von Konstituierendem und Konstituiertem. Das beunruhigende Motiv zeigt sich durchgehend darin, daß der L. zwar eine Bedingung der Möglichkeit von → Erfahrung ist, er selbst aber zugleich einer vollständig transparenten Erkenntnis entgegensteht, weil er gegen seine Transformation in ein bloßes → Noema Widerstand leistet. Während für Husserl der L. eine ständige Irritation auf dem Wege zu einer → transzendentalen Phänomenologie

332 bedeutete, räumte Heidegger ihm zwar eine „grundlegende Bedeutung“ ein (HeiGA 56/57, 210) und würdigte ihn als „das schwierigste Problem“ (HeiGA 15, 236), widmete ihm aber keine zusammenhängenden systematischen Untersuchungen. Dabei beschäftigte ihn nicht nur in seiner phänomenolog. Interpretation von Kants Kritik der reinen Vernunft das Verständnis von Anschauung, „in der mir etwas leibhaftig als es selbst vor-gestellt wird“ (HeiGA 25, 85), sondern überhaupt die Frage nach dem „unverstellten Anwesen des Dinges“, in dem uns „die Dinge, ganz wörtlich genommen, auf den L.“ rücken (HeiGA 5, 10). Fink, der als Husserl-Schüler in kritischer Nachbarschaft zu Heidegger stand, arbeitet mit letzterem in der Interpretation von Heraklit heraus, daß unsere Leibhaftigkeit die dunkle Seite unserer Existenz bedeutet, die allererst von der Seite des Lichts her ansprechbar ist. (HeiGA 15, 234 f.) Wenngleich nicht eigens als Thema entfaltet, durchzieht die Bedeutung unserer Leiblichkeit seine Philosophie der → Koexistenz: „Unser Leben in der menschlichen Gemeinschaft ist in einem weiten Ausmaße mitbestimmt durch die Art, wie uns eigene und fremde Leiblichkeit – und dies eben nicht nur als tierische Organisation – offen ist.“ (Fink 1987, 157) In nächster Nähe zu Husserl entfalten Stein und Landgrebe die Frage nach dem L. Von zentraler Bedeutung sind für sie Husserls → Konstitutionsanalysen der Ideen II. Stein bringt ihre Phänomenologie durch die „Frage nach der Einfühlung“ (Stein 1917) auf den Weg. Sie folgt Husserls Denken in strenger Treue und gelangt zu einer Auffassung von Person, die auf Grund der Leiblichkeit der Existenz doppeldeutig zu verstehen ist, nämlich als

333 vom L. getragen, der wiederum durch die Seele geformt wird. Ihre Sozialphänomenologie bleibt in der Suche nach einer „Seele im eigentlichsten Sinne“ (Stein 1950, 344), in der diese Zwiefalt versöhnt ist, belastet mit metaphys. Reminiszenzen, die einen vollen Durchbruch zur konstitutiven Bedeutung der Leiblichkeit behindern, wenngleich sie erkennt, daß wir in unserem L. wohnen und nicht nur ein reines, sondern ein leibliches Ich sind (ebd., 339). Landgrebe widmet sich besonders der kinästhetischen Dimension unserer Erfahrung, in der sich unser Können und Erkennen verknüpft. Er folgt Husserl in der Überzeugung, daß unser L. „absolute[r] Nullpunkt in dem Koordinatensystem [ist], in dem ein Jeder Erfahrung von seiner Welt erlangt, die er aber damit zugleich als die Welt aller Anderen erfährt“ (Landgrebe 1982, 68). Sein Augenmerk liegt deshalb auf der konstituierenden Bedeutung unserer Leiblichkeit, auf der fungierenden Leiblichkeit als passive Konstitution. „Sie ist ein System von Vermöglichkeiten, dem die jeweiligen Sinnesfelder zugeordnet sind, und gehört als solche zur transzendentalen Subjektivität.“ (ebd., 82) Der L. ist nach ihm eine präreflexive Öffnung zur Welt, die durch Reflexion niemals vollständig eingeholt werden kann. In diesem Sinne bedeutet unser L. den „dunklen Untergrund“ unserer „geistig-personalen Subjektivität“. (Landgrebe 1965, 300) Deutlicher als Husserl betont Landgrebe damit die praktischen Möglichkeiten des „Ich kann“, also eine eigentümliche Aktivität der Sinnlichkeit, „eine[r] Spontaneität, die nicht Spontaneität des Denkens ist“ (ebd., 302). Scheler unterwirft Theorien der → Einfühlung vom Standpunkt der Leiblichkeit einer grundsätzlichen Kritik.

Leib (ScheGW 7, 244 ff.) Die Bindung der → Gefühle und → Empfindungen an den L. ziehen allerdings dem Fremdverstehen auch Grenzen: Da der Mensch nur in seinen eigenen Leibzuständen lebt, bleibt ihm das seelische Erleben des Anderen letztlich verschlossen (vgl. ebd., 249). Scheler unterscheidet den L. von der → Person, die nicht als Gegebenes existiert. In äußerer → Anschauung ist uns unser L. als Leibkörper gegeben, in innerer Anschauung als Leibseele. (ScheGW 2, 399) Beide Anschauungen finden zwar in unserem Leibbewußtsein zusammen, allerdings im Rahmen einer metaphys. Rangordnung von → Geist und → Leben zugunsten eines fleischlosen Geistes. (ScheGW 9, 62) Gurwitsch würdigt Schelers Kritik an Konzeptionen, welche die Fremderfahrung im Sinne eines Analogieschlusses oder der Einfühlung interpretieren und setzt wie dieser die unmittelbare Wahrnehmung des Fremdseelischen im Ausdruck dagegen. Aber selbst wenn Ausdrucksphänomene das Problem des Zugangs zum Mitmenschen im einzelnen lösen, bleiben sie auf die unmittelbare Begegnung beschränkt und klären somit nur einen kleinen Ausschnitt der gemeinsamen Milieuwelt. (Gurwitsch 1977, 46 f.) Seine Wahrnehmungstheorie siedelt er in der Nähe von Merleau-Pontys Phänomenologie an, distanziert sich allerdings von dieser dadurch, daß er auch die Erfahrungen des L.es nur als reflektierte, also als Noemata, für zugänglich hält. „Wie wichtig auch immer die Eigenbewegungen und die leiblichen Phänomene im allgemeinen (z. B. die Kinästhesen) für die Konstitution der wahrnehmbaren Dinge sein mögen, so darf man, auf streng phänomenolog. Grundlage, die leiblichen Phänomene

Leib nur als erfahrene leibliche Phänomene in Anspruch nehmen.“ (Gurwitsch 1975, 246) Gurwitsch hält das Konzept einer fungierenden Intentionalität, das Merleau-Ponty von Fink übernimmt, für einen Verstoß gegen den Primat des Bewußtseins, der nach ihm unhintergehbar ist. (Gurwitsch 1968, 210) Sein langjähriger Briefpartner Schütz teilt mit ihm die Skepsis gegenüber einer „passiven Bewußtseinsleistung“, von der er argwöhnt, daß sie ein „hölzernes Eisen“ bedeute (Schütz/Gurwitsch 1985, 440). Schütz räumt den leiblichen Erfahrungen in seiner Sozialphänomenologie zwar eine gewisse Bedeutung ein, bleibt aber zweifelnd im Hinblick auf ein anonymes Bewußtseinsfeld. In der reflektiven Zuwendung „mache ich meine vorhergegangenen Gedanken und Handlungen zu Gegenständen eines anderen, nämlich reflexiven Denkens, durch das ich sie erfasse. Mein ,Selbst‘, das bis dahin durch die Gegenstände meiner Handlungen und Gedanken verborgen war, tritt jetzt hervor. Es tritt jedoch nicht etwa in das Bewußtseinsfeld ein, indem es am Horizont oder in dessen Mittelpunkt erscheint: vielmehr konstituiert allein das Selbst das Bewußtseinsfeld.“ (Schütz GA I, 195) Leibbewegungen sind bezogen auf ein Handeln, das als Ausdrucksfeld von nachgeordneter Bedeutung ist. Zentral bleibt das aktive Zugreifen des Bewußtseins. (Schütz/Luckmann 1984, 30) Im Unterschied zu Gurwitsch und Schütz schließt sich Patoˇcka ausdrücklich Merleau-Pontys Revision der Husserlschen Phänomenologie an. (Pato cˇ ka 1968, 181 ff.) Er wendet kritisch gegen Heidegger ein: „Der L. und die Leiblichkeit gehören wesentlich nicht nur zu dem, was enthüllt wird durch das erhellte, erschlossene Seiende in

334 seinem In-der-Welt-Sein, sondern zum ontolog. Status der Existenz selbst.“ (Patoˇcka 1990, 232) Wenngleich er Sartres „ungemeine Begabung für die konkrete Phänomenbeschreibung“ bewundert (ebd., 179), gibt er zu bedenken, daß die Kategorien des „an sich“ oder „für sich“ der Ambiguität unserer Leiblichkeit nicht gerecht werden. (Patoˇcka 1991, 250) Nach Pato cˇ ka führt kein Weg von einem reinen Ich zu seiner → Welt. „Was phänomenal da ist, wäre umgekehrt das gewichtige Faktum, daß nicht wir, sondern das phänomenale Sein uns zu bedeuten gibt, was für Möglichkeiten unseres eigenen Seins da sind.“ (ebd., 307) Sartre ist in seiner phänomenolog. → Ontologie beeinflußt von Husserls Ideen I und von Heideggers Daseinsanalyse. Das Grundmuster seines Denkens bleibt der cartesische Dualismus, den er mit Hilfe von Hegelschen Motiven vermittelt. Dementsprechend kommt unser L. zunächst in zwei Weisen vor, nämlich als Für-sich-sein (le corps comme être-pour-soi) (Sartre 1994, 543 ff.) und als der → Körper-für andere (le corps pour autrui) (ebd., 598 ff.). „Das Für-sich-sein muß ganz Körper und ganz Bewußtsein sein: es kann nicht mit einem Körper vereinigt sein. Ebenso ist das Für-Andere-sein ganz Körper; es gibt da keine mit dem Körper zu vereinigenden ,psych. Phänomene‘; es gibt nichts hinter dem Körper, sondern der Körper ist ganz und gar ,psych.‘.“ (ebd., 543) Mein Auftauchen in der Welt bringt die Ordnung der Dinge in ihrer notwendigen Existenz hervor. Der Für-sich-Körper ist kein Gegebenes, das erkannt werden könnte. Er ist die „kontingente Form der Notwendigkeit meiner Kontingenz“ (ebd., 549). Sartre gebraucht das Verb „existieren“ im transitiven Sinne, um den

335 Körper als Struktur des → Bewußtseins bestimmen zu können: Daß das Bewußtsein seinen Körper existiert, bedeutet, daß der Körper zwar „das Unbeachtete, das ,mit Stillschweigen Übergangene‘ “, aber daß das Bewußtsein nichts anderes als Körper (ebd., 583) und der Körper „das psych. Objekt par excellence“ ist (ebd., 612). Insofern bin ich für den Anderen das Objekt, dem er sich als Subjekt enthüllt. In einer dritten ontolog. Dimension existiere ich „für mich als durch den Andern als Körper erkannt“ (ebd., 619). Die Tatsache, daß mich der Andere anblickt und mir gegenüber Gesichtspunkte einnimmt, die mir radikal entzogen sind, bedeutet eine schockierende Erfahrung, denn obgleich mein Körper Da-sein bedeutet, „entgeht [er] mir nach allen Seiten“ (ebd., 620). Merleau-Ponty, der zeitweilige Weggefährte und streckenweise Kontrahent Sartres, verknüpft in seiner Phänomenologie der Leiblichkeit unterschiedliche Einflüsse. Zentral ist für ihn Husserls Phänomenologie und zu Beginn vor allem die Konstitutionsproblematik der Ideen II. Aber auch Heideggers Daseinsanalysen spielen in modifizierter Weise in seine Philosophie der → Erfahrung hinein, die sich grundsätzlich gegen den Primat des → Bewußtseins richtet und der Doppeldeutigkeit unserer leiblichen Existenz in vollem Umfang Rechnung tragen will, ohne sie durch ein wie immer geartetes Fundament zu unterlaufen oder in einer letzten Synthese zu vereinen. Diese Bodenlosigkeit erinnert auch an Marcels Differenz von „corps que j’ai“ und „corps je suis“ (Marcel 1986, 15). Marcel, der die phänomenolog. Bewegung eher unabsichtlich begleitet, geht davon aus, daß „Dasein [...] immer nur inkarniertes Sein“ (ebd.,

Leib 16) ist. Nach Marcel ist die Differenz zwischen Körper und L., welche die deutsche Sprache zur Verfügung stellt, zwar geeignet, die beiden Seiten unseres leiblichen Existierens festzuhalten, aber sie könnte dazu verleiten, die Verschränkung zu übersehen, die in der „abgründigen Zweideutigkeit der Leiblichkeit“ besteht: „indem ich L. bin, habe ich einen Körper – aber zugleich verfüge ich nur scheinbar über diesen Körper, eben weil ich L. bin“ (ebd., 18). Leiblich bin ich mir selbst gegeben und zugleich entzogen. Der L. ist verwickelt mit einer Welt, die ihn durch den „Biß des Realen“ (ebd., 19) verwunden kann. Merleau-Ponty widmet sich immer wieder diesem Problem unserer ambiguosen → Existenz, die in eins ein reines Bewußtsein undenkbar und die → Wahrnehmung unserer Welt möglich macht. „Der L. vereinigt uns durch seine Ontogenese direkt mit den Dingen, indem er beide Skizzen, aus denen er besteht, seine beiden Lippen verschweißt: die sinnliche Masse, die er selber ist, mit der Masse des Empfindbaren, aus der er durch Ausgliederung hervorgeht und für die er als Sehender offen bleibt. Er ist es, und er allein, [...], der uns zu den Dingen selbst zu führen vermag [...].“ (Merleau-Ponty 1986, 179) Mit seiner Philosophie der Leiblichkeit widerstreitet Merleau-Ponty Auffassungen, die dem L. eine Bedeutung nur dank der → Reflexion zubilligen wollen. Unser L. ist nach ihm „jener Bedeutungskern, der sich wie eine allgemeine Funktion verhält, jedoch existiert und der Krankheit zugänglich ist.“ (Merleau-Ponty 1966, 177) Philosophien, die dem Bewußtsein das letzte Wort geben, haben die Welt in eine bloß gedachte, in ein Noema, uns selbst in lediglich Denkende und die Anderen

Leib in Undenkbare verwandelt (MerleauPonty 1986, 61 u. 67). Die Thematisierung der leiblichen Erfahrung kann nach Merleau-Ponty nur dann den Fallen des Cartesianismus entgehen, wenn sie eine dritte Dimension anerkennt, in der sich Natur und Geist durchdringen. Differenzierungen wie die von Körper und Geist entstehen allererst durch den Bruch mit der Lebendigkeit dieses chiasmatischen Vollzugs (→ Chiasma). In seiner Spätphilosophie ringt er unter dem Stichwort → „Fleisch“ um die Fassung dieses anonymen Bündnisses von Mensch, Mitmensch und Dingen, dieser vorreflexiven Verflochtenheit, die durch das Denken zerstört wird, wenn es ihr zu nahe kommt. Levinas entfaltet seine Leibkonzeption in enger Nachbarschaft zu MerleauPonty, befürchtet aber, daß bei diesem die Bedeutung des anderen Menschen nicht in voller Radikalität zum Tragen kommt, weil die Analysen des Vortheoretischen auf das Theoretische bezogen und damit gleichsam im Schatten dessen bleiben, worauf sie sich beziehen. (Levinas 1986, 52) Für die Erfahrung des → Fremden bedeutet dies, daß seine → absolute Andersheit, die „unauslöschliche Differenz“ in der Begegnung von L. zu L. (vgl. ebd., 53), zugunsten einer vorgängigen Zwischenleiblichkeit (intercorporêitê) übergangen wird. Nach Levinas ist der L. „weder Hindernis, das der Seele entgegensteht, noch Grab, das sie gefangenhält, vielmehr das, wodurch das Sich die Empfänglichkeit selbst ist“. (Levinas 1992, 242, Anm.) Der Standort des Erkennens wird überschritten zugunsten einer ethischen Beziehung (→ Ethik). Levinas denkt das Ausgesetztsein an den → Anderen nicht wie Sartre, sondern im Sinne einer „zweideutigen Widrigkeit des Schmerzes“:

336 „Das Für-den-Anderen (oder der Sinn) geht bis zum Durch-den-Anderen, bis zum Leiden durch einen Splitter, der im Fleisch brennt, und zwar vergebens. Nur so bleibt das Für-den-Anderen – Passivität, passiver als alle Passivität, Emphase von Sinn – vor dem Für-Sich bewahrt.“ (ebd., 122) Unser L. ist Empfänglichkeit, Möglichkeit von Schmerz, aber auch Genießen. Die „Besessenheit durch den Nächsten“ (ebd., 132) verkörpert die Struktur des „für den Anderen, wider den eigenen Willen, von sich her“ (ebd., 133). Wie Merleau-Ponty und im Unterschied etwa zu Gurwitsch kritisiert Levinas eine noematische Phänomenologie des L.es. Das Empfundene empfängt seinen Sinn nicht vom reflektierenden Bewußtsein. Es sprengt die intentionale Struktur: „Gordischer Knoten des L.es! Die Extremitäten, in denen er beginnt oder endet, sind auf ewig in dem unauflösbaren Knoten verborgen, der in der unfaßbaren Noese seinen eigenen transzendentalen Ursprung beherrscht“ (ebd., 174). Waldenfels entwickelt seine Philosophie des → Antwortens in den Spuren Husserls, Merleau-Pontys und Levinas‘. Damit unterscheidet er sich von Schmitz, der seinen Weg abseits der Tradition in einer „neuen Phänomenologie“ sucht und der das „unmittelbare, eigenleibliche Spüren“ vor allem als Appell an konkrete individuelle Erfahrungen ausbreitet (Schmitz 1990). Waldenfels greift die phänomenologische Tradition des 20. Jh.s auf, bringt innere Widerwendigkeiten zum Vorschein und markiert sie als Grenzen einer Bewußtseinsphilosophie. Er entfaltet eine Philosophie, die auf eine fundamentale Schicht des Bewußtseins verzichten kann, weil er von einer leiblichen → Responsivität ausgeht,

337 welche die Grenzen der Intentionalität überschreitet. „Mit anderen Worten, eine Revision, die den Intentionskreis zu sprengen imstande wäre, könnte an Husserls Affektenlehre anknüpfen, wenn man Af-fektion als ein Antun oder Angehen begreift, als einen Anruf oder Anspruch, der nur im Antworten auftritt.“ (Waldenfels 1994a, 330) Der L. wird zu einem Antworten par excellence. Der L., mit dem mein Leben beginnt, bevor ich es beginne, führt in seiner grundsätzlichen Unfaßlichkeit zur Modifikation einer Phänomenologie, die in einem konstituierenden Bewußtsein ruht. Leiblich sind wir uns selbst und anderen gegeben und zugleich entzogen. Mit ihm prallen fremde → Ansprüche auch des eigenen Selbst auf Antworten, die in strengem Sinne unerwartet sind. „Der L. tut seine Dienste bereits mehr oder weniger gut, wenn er zu einem ausdrücklichen Thema gemacht wird.“ (ebd., 465) Eine responsive Leiblichkeit macht sinnliche Gebungen verständlich, eine Verwicklung mit einer appellierenden Welt, die ihre Bedeutung nicht länger nur als Ideal hat. „Ein Ding, von dem Anrufe und Winke ausgehen, hört auf, ein bloßes Ding zu sein, das in der Welt, in meiner Welt vorkommt. Wir nähern uns der Möglichkeit eines achtungsvollen und antwortenden Hinsehens, das nicht bei sich selbst beginnt.“ (ebd., 532) Damit sind die Grenzen jeder Phänomenologie erreicht, die den letzten Sinn den Leistungen eines Bewußtseins zuschreibt. Die Beachtung der Leiblichkeit unserer Erfahrungen relativiert die Bedeutung reflektierender Initiativen, indem sie den Ansprüchen einer sinnlichen Welt ihr Recht zugesteht und die Doppeldeutigkeit unserer aktiven und passiven Existenz als unhintergehbar ausweist.

Leistung Qu.: Hua I. – Hua IV. – Hua XI. – Hua XIV. – HeiGA 5. – HeiGA 15. – HeiGA 25. – HeiGA 56/57. – ScheGW 2. – ScheGW 7. – ScheGW 9. – Stein 1917. – Stein 1950. – Fink 1987. – Landgrebe 1965. – Landgrebe 1982. – Gurwitsch 1957 (1975). – Gurwitsch 1968. – Gurwitsch 1977. – Schütz GA I. – Schütz/Luckmann 1984. – Schütz/Gurwitsch 1985. – Patoˇcka 1968. – Patoˇcka 1990. – Patoˇcka 1991. – Sartre 1943 (1994). – Marcel 1986. – MerleauPonty 1945 (1966). – Merleau-Ponty 1964 (1986). – Levinas 1974 (1992). – Levinas 1986. – Schmitz 1990. – Waldenfels 1994a. – Lit.: Fetz 1993. – Meyer-Drawe 2 1987. – Meyer-Drawe 1989. – Schröder 1990. – Spiegelberg 1982. – Waldenfels 1983. – Waldenfels 1992. KMD

Leistung. Der operative Begriff der L. (vgl. Fink 1957, 334 f.) kann im Werk des späten Husserl als Leitfaden für ein gewandeltes Verständnis der Konstitutionsproblematik angesehen werden, da er, insbesondere neben und in Verbindung mit dem Lebensbegriff, den schöpferischen Charakter der → Konstitution deutlich zum Ausdruck bringt (Hua XVII, 188 f.; vgl. Mertens 1996, 241; Montavont 1999, 42 ff.). Folgt man der in Erfahrung und Urteil erarbeiteten „Stufenscheidung der objektivierenden L.en“, so steht der „prädikativen Spontaneität“ oder eben „L.“ (Husserl 6 1985, 231 ff., 282 f.) die „rezeptive Erfahrung“, also die „ursprünglichen L.en“ der ästhetischen Synthesis, weniger gegenüber, als daß diese „eng ineinander verflochten“ (ebd., 239) sind. Die „assoziative L.“ (Hua I, 146), die eine entscheidende Rolle im Rahmen der analogisch-appräsentativen Konstitution des alter ego spielt, und die ebenfalls passiv-synthetisch „konstituierenden L.en“ (ebd., 109) der Zeit- sowie der Leibkonstitution bzw. die im

Leitfaden Bereich der Urkonstitution angesetzten „affektiven L.en“ (Hua XI, 172) fungieren dabei als „dienende L.en und fundierende Habitualitäten in immer gleicher Weise als Durchgänge zu den Endleistungen, auf die das Ich ausschließlich gerichtet ist“ (Hua XV, 540). Diese „Endleistungen“ stellen als apperzeptive „Sinnes- und Geltungsleistungen“ (Hua VI, 212) oder eben schlicht vollzogene „intentionale L.en“ (Hua I, 118, 179; vgl. Hua VI, 172) ihrerseits sodann den primären Gegenstand bzw. Leitfaden der phänomenolog. Rückfrage dar, dessen „transzendentale Geschichtlichkeit“ (Hua VI, 212) in dem Maße thematisch wird, wie sich seine Vorgegebenheit auf die in ihm verborgenen „ursprünglichen L.en“ (Hua I, 179) i. S. latenter oder impliziter → Intentionalitäten zurückführen läßt. Diese Thematisierung i. S. einer „Selbstexplikation“ ist zuletzt wiederum selbst als eine „transzendentale L.“ (Hua VI, 210) zu fassen, die den „transzendentalen Leistungssinn“ (Hua VIII, 168) allen wahren → Seins und aller mundanen Objektivität als „konstituierter L.“ (Hua VI, 208) auf den vordem anonymen bzw. unthematischen „Leistungszusammenhang“ (Hua VIII, 168) oder die „Gesamtleistung“ (Hua VI, 210) der → transzendentalen Subjektivität, d. h. auf das „universal leistende Leben“ (ebd., 148) und seinen „intentionalen Hintergrund konstitutiver L.en“ (ebd., 214) praktisch zurückführt (vgl. Sepp 1997, 204 ff.). Qu.: Hua I. – Hua VI. – Hua VIII. – Hua XI. – Hua XV. – Hua XVII. – Husserl 1939 (6 1985). – Lit.: Fink 1957, 321-337. – Mertens 1996. – Montavont 1999. – Sepp 1997. MST

338 Leitfaden. Im Rahmen der transzendental-subjektiven Klärung des Sinnes von Objektivität dient „der auf seiten des cogitatum stehende intentionale Gegenstand“ als „transzendentaler L.“ (Hua I, § 21, 87) oder auch „Index“ für die „konstitutive Rückfrage“ (Fink 1988, 227) nach der geltungskorrelativen → Konstitution gegenständlichen Seins in der Strukturtypik des reinen → Bewußtseins. Der Ausgang und d. h. die „angemessene Vorgabe“ (Fink 1966, 18) von „einzelnen Grundtypen“ (Hua XI, 344) bzw. regional-ontolog. Vorbegriffen (vgl. Hua III/1, 344 ff.; Hua VII, 187, Anm. und Hua XI, 221; Hua XV, 616 f.; vgl. dazu Lembeck 2000, 49 f.), d. h. der „Region-Ding“ (Hua III/1, 348 ff.) oder des „natürlichen Weltbegriffs“ (vgl. Hua XIII, 111 ff.), durchbricht damit im Rahmen des „ontolog. Weges“ der → Reduktion unmittelbar die „Einschänkung des phänomenolog. Feldes auf den aktuellen Bewußtseinsstrom“ (Bernet u. a. 1989, 68; vgl. Fink 1988, 222 f.) und klärt so die implikative Struktur der → Intentionalität als solche (vgl. Hua XVII, 252) und zugleich den vollen Sinn der Objektivitäten als „intersubjektive Einheiten“ (Hua XIII, 183; Hua VIII, Beilage XX, 432 ff.) konstitutiv auf. Die „Inhaltsfülle“ und „feste Leitung“ (Bernet u. a. 1989, 68), die damit der transzendentalen Thematik vom objektiven → Apriori der → „regionalen Ontologien“, der „lebensweltlichen Einstellung“ (vgl. Hua VI, 177) oder auch des „noematischontischen Gehalts des Anderen“ (vgl. Hua I, § 43, 122 ff.) vorgegeben ist, wird in der „genetischen Phänomenologie“ schließlich als „sedimentierte Geschichte“ (Hua XVII, 252, 257; vgl. Hua XI, 345) expliziert. Diese Analyse ist wiederum ihrerseits am L. der

339 „Einheit einer Monade als Einheit einer Genesis“ (Hua XI, 344) orientiert, wodurch die Frage entspringt, ob eine „systematische Phänomenologie der statischen Zusammenhänge“ i. S. der Ideen ohne Rekurs auf Genetisches letztlich überhaupt möglich ist (ebd.; vgl. Kühn 1998a, 385 f.). Darüber hinaus wird aber auch fraglich, ob im Rahmen der → Apodiktizität der Leitfadenvorgegebenheit die keine Objekte mehr erschließende Selbstgebung der „absolute[n] Subjektivität wirklich jemals zum transzendentalen Analyseausgangspunkt werden kann“ (Kühn 1998a, 101), so daß im Sinne einer Radikalisierung der → Reduktion zuletzt eine „Destruktion der Leitfäden“ und ihrer impliziten Ontologien (vgl. Staudigl 2000, 208 ff.) selbst notwendig wird. Qu.: Hua I. – Hua III/1. – Hua VI. – Hua VIII. – Hua XI. – Hua XIII. – Hua XV. – Hua XVII. – Fink 1966. – Fink 1988. – Lit.: Bernet/Kern/Marbach 1989. – Kühn 1998a. - Lembeck 2000, 28-57. – Staudigl 2000. MST

Lernen. Phänomenolog. Theorien des L.s führen ein Außenseiterdasein in der pädagogischen Lernforschung, was neben der fehlenden Konsistenz in der Methodologie und Begrifflichkeit auch an der Dominanz psychologischer Theorien im Bereich des L.s liegt. Die beobachtbaren Differenzen im Feld der phänomenolog. Beschreibungen von L. lassen sich nicht nur durch die Anlehnung an verschiedene Philosophen (z. B. Husserl, Heidegger), sondern auch durch unterschiedliche Anknüpfungen innerhalb ein und derselben Philosophie erklären. Diese Lage bereitet einerseits Schwierigkeiten bei der Systematisierung der Ansätze, da kein einheitliches Muster er-

Lernen kennbar ist, andererseits zeigt sich darin aber eine Offenheit und Flexibilität gegenüber verschiedenen Traditionen und eine grundsätzliche Kompatibilität mit anderen Disziplinen. Obwohl leitende Fragen teilweise unterschiedlich sind, lassen sich dennoch Charakteristika des phänomenolog. Blicks auf den Prozeß des L.s ausmachen: 1. Im Gegensatz zu empirisch ausgerichteten Theorien, die L. vom Resultat her beschreiben, orientiert sich die phänomenolog. Lernforschung am Vollzug. L. wird als Erfahrungsvollzug begriffen. 2. Während z. B. behavioristische Konzeptionen (in bezug auf das Verhalten) oder die genetische Epistemologie Piagets (im Hinblick auf die Erkenntnisfähigkeit) lediglich die Steigerung von Sachkompetenz thematisieren, richtet sich der phänomenolog. Blick nicht nur auf den Wissenszuwachs in bezug auf die Gegenstände des L.s, sondern auch auf die Erfahrungen, die der Lernende im Lernprozeß über sich selbst als Wissenden macht. Als eine notwendige Begleiterscheinung des L.s zeigt sich dabei das Vergessen. Neu erworbene Möglichkeiten überdecken die Vorstufen des Wissens, was das Verständnis des Lehrenden für den Lernenden erschwert. 3. Entgegen der Einschätzung bloßer Anhäufung von Wissen, wie sie sowohl im laienhaften wie auch im professionellen Verständnis häufig vorherrscht, begreifen phänomenolog. Untersuchungen den Lernprozeß als Interaktion von Lehrenden und Lernenden, in dem sich etwas ereignet, was vorher nicht im Besitz der Beteiligten war. L. ist also nur als intersubjektiver Vollzug zu verstehen, als ein L. vom anderen, weshalb selbst alleiniges L. nicht als einsames L. verstanden werden kann.

Lernen Es bildet sich im L. stets ein gemeinsamer Sinn aus. L. findet immer in einem bedeutungshaften Kontext statt, d. h. der Lernprozeß beginnt nicht an einem Nullpunkt, sondern geht von einem unbestimmten Vorwissen aus. Dieses historisch bedingte und kulturell geprägte Vorwissen bestimmt den Möglichkeitsraum unseres Wissens. Es wird von dem durch Platon wieder aufgegriffenen sophistischen Paradoxon ausgegangen, daß „nämlich ein Mensch unmöglich suchen kann, weder was er weiß, noch was er nicht weiß. Nämlich weder was er weiß, kann er suchen, denn er weiß es ja, und es bedarf dafür keines Suchens weiter; noch was er nicht weiß, denn er weiß ja dann auch nicht, was er suchen soll.“ (Platon 1973, 80e) Doch während Platon die immer schon gegebene Existenz eines Vorwissens als Beweis für das Vorhandensein präexistenter Ideen wertet, greift phänomenolog. Denken das Paradoxon folgendermaßen auf: L. bedeutet, in einer konkreten Interaktion immer schon vorhandene unreflektierte Denk-, Wahrnehmungsund Handlungsgewohnheiten (Vorwissen) im Durchgang durch eine aporetische Situation bewußt zu machen. Durch das Auflösen der Krise im Finden adäquater Lösungsmöglichkeiten wird der bisher fungierende Erfahrungshorizont umstrukturiert, d. h., daß das Vorwissen erweitert und verändert wird durch andere Wissensformen (z. B. wissenschaftliche oder ästhetische Zugangsweisen). Das Vorwissen verschwindet nicht durch die Entwicklung anderer Perspektiven, es bekommt lediglich einen anderen Index, d. h., das bislang fungierende Wissen und Verhalten wird in seiner ausschließlichen Gültigkeit zwar durchgestrichen, bleibt aber gleichzeitig als lebenswelt-

340 licher Bestandteil des Erfahrungshorizonts erhalten. L. im phänomenolog. Sinne bedeutet somit eine Erweiterung der Perspektivenvielfalt, ein Umlernen, das nicht allein qualitativ neue Sichtweisen auf die Welt eröffnet, sondern zugleich auch die eigene Lerngeschichte ins Blickfeld rückt. Diese Umwendung des Vorwissens, die negative Gangstruktur der Erfahrung, bezeichnet Buck als Epagogé: „L. ist nicht nur die bruchlose Folge einander bedingender Erwerbungen, sondern vorzüglich ein Umlernen, und wer sagt, er habe etwas ,dazugelernt‘, der meint in Wahrheit oft, er habe umgelernt. Umlernen aber, das ist nicht nur die Korrektur dieser und jener Vorstellungen, die man sich über etwas gemacht hat; es bedeutet auch einen Wandel der → ,Einstellung‘, d. h. des ganzen Horizonts der Erfahrung. Wer umlernt, wird mit sich selbst konfrontiert; er kommt zur Besinnung. Nicht nur gewisse Vorstellungen wandeln sich hier, sondern der Lernende selbst wandelt sich. Kraft dieser prinzipiellen Negativität ist das Geschehen des L.s die Geschichte des Lernenden selbst.“ (Buck 3 1989, 47) Obgleich Husserl sich selbst dem Begriff des L.s nicht explizit widmet, dient sein Programm einer Philosophie aus ersten Anfängen mehrfach als Grundlage für pädagogischphänomenolog. Nachdenken über L. Es war sein Ziel, die → Leistungen des → Bewußtseins aus sich selbst heraus zu erklären. Die Grundfrage seiner Phänomenologie nach dem Wie des Zustandekommens des → Wissens und nicht nach dessen Inhalten und Resultaten, bot vielfältige Anknüpfungsmöglichkeiten für pädagogische Forschungen. In Anlehnung an den frühen Husserl z. B. entwarfen Fischer und Lochner eine pädagogische Tat-

341 sachenwissenschaft, der Lebensweltbegriff der späten Phänomenologie wurde dagegen z. B. für das pädagogische Denken Lippitz’ maßgeblich, der vor- und nichtwissenschaftliche Spielarten von Erfahrung untersuchte. Auch Copei nimmt die Aufwertung der lebensweltlichen Erfahrung zum Ausgangspunkt für die Entwicklung von Wissen. Der Bildungsprozeß ist nach ihm als Geschichte von Erfahrungskrisen konkreter Individuen zu beschreiben. Diese Krisen werden verursacht durch den Konflikt zwischen lebensweltlicher Erfahrung und wissenschaftlichem Wissen. Wird die in einer Krise häufig enthaltene Ausweglosigkeit durch das eigenständige Finden neuer Lösungsmöglichkeiten aufgelöst, hat ein Lernprozeß als Erfahrungsvollzug stattgefunden. Ein vormals fungierender Erfahrungshorizont wurde umstrukturiert. Auch MeyerDrawe steht in dieser Tradition. Allerdings pflichtet sie Merleau-Pontys Kritik an Husserls Bewußtseinsphilosophie bei, die deutlich macht, daß die Rückführung auf eine reine Bewußtseinssphäre nicht möglich ist. „Ein Bewußtsein, das sich in sich selbst auf anderes richtet, ist infiziert von dem, was es erkennt.“ (Meyer-Drawe 1996, 87) Statt dessen radikalisiert sie mit Merleau-Ponty die Phänomenologie der → Erfahrung, weil dieser das → Bewußtsein zurückführt in ein leibliches → Verhalten, das sich vor jeder Reflexivität in seiner Welt orientiert, was ein Verständnis von L. als Umstrukturierung von leiblich situierten und kognitiv strukturierten Erfahrungshorizonten allererst ermöglicht. Auch Heidegger hat die Frage nach dem L. nicht zu einem eigenständigen Thema gemacht. Allerdings behandelt er das Phänomen des L.s im Rahmen

Lernen seiner Befassung mit Kants Kritik der reinen Vernunft. Hier greift er die Frage nach dem → Ding auf, die wiederum in die übergreifende aristotelische Frage nach der „mannigfachen Sagbarkeit des Seins“ eingebettet ist. Eine Gegebenheitsweise des Dinges in den neuzeitlichen → Wissenschaften charakterisiert Heidegger in Opposition zur antiken und mittelalterlichen Naturwissenschaft als „mathematische“. Etymologisch und sachlich hängt diese Bezeichnung mit dem griech. „manthanein“ – d. h. L. – zusammen. Das Mathematische bezeichnet den erlernbaren Grundzug der Dinge, und zwar „jenes Offenbare an den Dingen, darin wir uns immer schon bewegen, dem gemäß wir sie überhaupt als Dinge und als solche Dinge erfahren. Das Mathematische ist jene Grundstellung zu den Dingen, in der wir die Dinge uns vor-nehmen auf das hin, als was sie uns schon gegeben sind, gegeben sein müssen und sollen. Das Mathematische ist deshalb die Grundvoraussetzung des Wissens von den Dingen.“ (HeiGA 41, 76) Ver-nehmen bezeichnet somit einen eigentümlichen Akt des Nehmens, bei dem bereits Bekanntes auf eine Weise wiederaufgegriffen wird, der die Dinge allererst sichtbar werden läßt. Im Ver-nehmen offenbart sich also ein „Angewiesensein auf das schon vorhandene Seiende“ (HeiGA 25, 86). Deutlich tritt an dieser Stelle die Anlehnung an das sophistische Paradoxon des L.s hervor. Heidegger formuliert: „Dieses eigentliche L. ist somit ein höchst merkwürdiges Nehmen, ein Nehmen, wobei der Nehmende nur solches nimmt, was er im Grund schon hat.“ (HeiGA 41, 73) Qu.: Platon 1973. – Buck 1967 (3 1989). – Platon 1973 3 1990, 70a-100c. – MeyerDrawe 1996, 85-99. – HeiGA 25. – HeiGA

Lichtung 41. – Lit.: Copei 1930 9 1969. – Langeveld 1956 (3 1968) – Lippitz 1993. – MerleauPonty 1964 (1986). – Merleau-Ponty 1988 (1994). CG

Lichtung denkt Heidegger nicht im gebräuchlichen Sinne des Wortes als einen besonders „lichten“ bzw. „hellen“ Bereich im Seienden, sondern als das Offene, Freie schlechthin, das den Erscheinungsraum sowohl für alles helle als auch dunkle Seiende gewährt (Heidegger 1987, 16). Diesen Bereich nennt er auch die ursprünglich verstandene → Wahrheit (aletheia), die er als die → Unverborgenheit des → Seins denkt. Das verbal verstandene An-wesen, Sich-zeigen des Seins braucht eine L., d. h. einen Offenständigkeitsbereich, in den hinein es sich zeigen kann. Bereits im fundamentalontolog. Denken Heideggers zeigt sich ein intimer → Bezug des Menschen zur L.; das menschliche → Wesen zeichnet sich dadurch aus, daß es in einem besonderen Bezug zum Sein steht: Der Mensch übersteigt das Seiende im Ganzen in den temporalen Horizont des Seins; sein Wesen ist die sich-zeitigende → Erschlossenheit (Aufgeschlossenheit) für das Sein, das sich in ihm „lichtet“ (HeiGA 2, 464). Beim späteren Heidegger geht diese ausgezeichnete Wesenswürde des Menschen als des seinsvernehmenden Wesens keineswegs verloren: Im ereignisgeschichtlichen Denken wird das menschliche → Da-sein als die „Gründung“ der L. bzw. der Wahrheit des Seyns gedacht (HeiGA 66, 424); das Dasein vermag als ereigneter → Entwurf das sich ihm zuwerfende Sein in seinem Ereignischarakter zu gewahren und ins Seiende zu bergen (gründen). Die → „Topologie“ dieser L. wird von Heidegger vor al-

342 lem in den fünfziger Jahren differenzierter ausgearbeitet. Nicht der Mensch allein bildet die L., aber er bleibt auch hier (zusammen mit der → Erde, dem Himmel und dem → Göttlichen) eine der vier wesentlichen Weltgegenden des → Gevierts. Das Sichentfalten der L. im → Geviert geschieht aber immer aus einer Mitte heraus (HeiGA 4, 171), die niemals selbst zu etwas Gelichtetem wird, sondern höchstens als → Geheimnis der L. hervorscheinen kann. Der Mensch steht in einem besonderen Bezug zu dieser geheimnisvollen Herkunftsgegend der L., weil er als Sterblicher sein Leben lang auf sie zugeht. Mit seinem → Tod entschwindet der Mensch aus dem gelichteten Anwesenheitsbereich in das Verborgene, und so reicht der Sterbliche eher in den Abgrund der L. als die unsterblichen Götter (HeiGA 5, 271). Die L. nennt bei Heidegger somit den aus dem Verborgenen freigegebenen (in sich reich gegliederten) Offenständigkeitsbereich, in dem sich das Anwesen des Seins ereignen kann, weil der Mensch als seinsvernehmendes Wesen diesem einen Erscheinungsraum offenhält. Qu.: HeiGA 2. – HeiGA 4. – HeiGA 5. – Heidegger 1987. – HeiGA 66. – Lit.: v. Herrmann 1994a, 232-247. – Neu 1997, 195-202. HH

Liebe. L. bezeichnet bei Binswanger das wesentliche Moment der dualen Wirheit, als ursprüngliche und nicht mehr ableitbare Einheit, aus der erst die Selbstheit zweier Individuen erwächst. Die so aufgefaßte L. zeichnet sich aus durch: 1. eigene „Räumlichkeit“ (→ Raum), die ihren bildhaft symbolischen Ausdruck in der Umarmung zweier Liebender findet; 2. eigene Zeitlichkeit, die sich im Gleich-

343 nis des „ewigen Augenblicks“ einer jeden liebenden → Begegnung zum Ausdruck kommt; 3. ihre „sich selbst vermehrende Fülle“, die ihren Ausdruck im Gleichnis des Meeres hat; 4. ihre vollkommene Abgeschlossenheit: „Es gehört ja geradezu zum Wesen des ewigen Augenblicks, daß in ihm nichts aussteht!“ (Binswanger AW 2, 96). Bei Scheler bezeichnet L. eine fundamentale Gemütsbewegung, die über dem Wechsel von Gefühlszuständen steht. Im Unterschied zum Mitgefühl, als ein durch bestimmte Lebensumstände hervorgerufener Affekt, weist die L. eine eigene → Evidenz und Spontaneität auf. Daher die Verlegenheit, wenn wir gefordert werden, die L. zu jemandem zu begründen. Die L. ist zwar auf einen → Wert (in) der geliebten → Person bezogen, aber nicht als dessen verstandesmäßiges Erfassen, sondern als „Augenöffnung“ für das, was in der geliebten Person an höherem Wert steckt. L. sei also schöpferisch und im Sinne von Plato: eine „Bewegung vom Nichtseienden zum Seienden“ (ScheGW 7, 156). Qu.: Binswanger AW 2. – ScheGW 7. GPU

Limes. Bezüglich des Verhältnisses von → Transzendenz und Selbstgebung macht Husserl Gebrauch von der kantischen L.-Idee. Alle transzendenten → Gegenstände können zwar nicht in vollständiger Bestimmtheit gegeben

Limes sein, doch ist im Vollzug der → Erfahrung die vollkommene → Gegebenheit als L.-Idee vorgezeichnet. Diese einsichtig zu gebende Idee bezieht sich auf das System endloser, also nicht in Abgeschlossenheit zu präsentierender Prozesse kontinuierlichen Erscheinens. Entsprechend bestimmt Husserl den L.-Begriff der einen wahren, d. h. ganz selbstgegebenen → Welt als eine über aktuelle Erfahrung hinausreichende Präsumtion, die als endgültig wahre theoretisch bestimmbar sein muß. Ebenso denkt Husserl die Idee des wahren → Selbst des → Ich als einen L.: Der sich in der → Immanenz der ursprünglich strömenden → Gegenwart stiftende Bewußtseinsfluß veräußerlicht sich selbst, schafft eine „erste Transzendenz“, indem er in Wiedererinnerungen nur zu einer unvollständigen und approximativen Gebung seiner selbst gelangt. Darin bildet sich aber die Idee eines vollkommen selbstgegebenen Selbst, das nicht nur zur Norm einer Approximation an das Ich-Selbst wird, sondern zugleich die Norm für alle Approximation vorgibt, sofern sich auch alles gegenständliche Sein ursprünglich im Bewußtseinsstrom konstituiert. Qu.: Hua I, §§ 27 f. – Hua III/1, § 143. – Hua IX, § 19. – Hua XI, § 45. – Lit.: Held 1966. – Landgrebe 1982, 38-57. – Nam 1993. HRS

M Macht (griech. dynamis; lat. potentia) bedeutet → Möglichkeit, Vermögen, Können und umschreibt den Bereich einer Produktivität des Tuns. In seiner Wertethik siedelt Scheler M. auf der Stufe vitaler → Werte an, wo M. selbst einen positiven Wert darstellt, da sie besser als leblose Ohnmacht, da ein lebensmächtiges Wesen besser als ein ohnmächtiges ist. M. ist ferner Bestandteil der Politik. „Politik ist Machtstreben, ist machttriebhaft fundiertes Wollen mit dem Ziel, positive Werte in den Grenzen der Wertordnung im Gemeinwesen souverän zu verwirklichen“ (ScheGW 13, 48). Als → Trieb ist M. Antrieb aller Politik. Böse ist ein Willen zur M., da ihm Bemächtigung ein Selbstzweck ist. Kampf und Auseinandersetzung gewinnen eine Eigenlogik. Gut ist M., wenn sie Werte verwirklicht. Politisches Machthandeln ist, dem Ethos des Volkes entsprechend, etwa auf die Wohlfahrt der Nation gerichtet. Die handelnde Wertverwirklichung der Politik untersteht wiederum höheren Wertstufen. Obwohl sich Scheler für eine Solidarität der Menschheit ausgesprochen hat, begleitete er doch die Entartung der Machtpolitik im Ersten Weltkrieg anfänglich mit verklärender Sympathie (vgl. ScheGW 4). Arendt versteht M. als ein Potential, das nicht aufgespeichert werden kann, da es nur „in dem Maße existiert, als es realisiert wird“ (Arendt 1967, 193). M., die das Gegenteil von → Gewalt ist, „entsteht zwischen Menschen, wenn sie zusammen handeln, und sie verschwindet, sobald sie sich wieder zerstreuen“ (ebd., 194). Der

ethische Akzent der M. besteht darin, daß das Zusammenhandeln ein → Handeln „im Einvernehmen“ (Arendt 1970, 45) ist. Insgesamt hat Arendt ihrer Theorie der M. zwei unterschiedliche Profile verliehen. Sie betont, daß die M. des Handelns schranken- und grenzenlos ist, da sie „das gemeinhin Übliche“ durchbricht und „in das Außerordentliche“ (Arendt 1967, 200) vorstößt. Kennzeichen der M. ist nicht nur ihre erhabene Außerordentlichkeit, sondern auch eine eigentümliche Fragilität. Um der M. über die Präsenz des Zusammenhandelns hinaus einen Halt in der Welt zuschreiben zu können, rückte Arendt M. in die Perspektive einer Stiftung von dauerhaften politischen Ordnungen. „M.“ bezeichnet nun „die Institutionen und Organisationen, die nur auf wechselseitigen Versprechen, gegenseitigen Verpflichtungen und Abkommen beruhen“ (Arendt 1963, 235). Beide Profile der M. können Ricœur zufolge miteinander vermittelt werden, wenn man davon ausgeht, daß bei Arendt „das Politische der Ort ist, an dem sich das Beständige und das Zerbrechliche verbinden“ (Ricœur 1989b, 111). In seiner Untersuchung über die Geburt des Gefängnisses zeigt Foucault, daß an die Stelle der Marter, die einen Delinquenten in einer öffentlichen Zeremonie bestraft, eine institutionelle Disziplinarmacht getreten ist. Das Gefängnis ist ein Apparat, der → Körper von Individuen formiert, dressiert und so eine Normalität schafft. Vergleichbares gilt für Fabriken, Schulen und Kasernen. In diesen Institutionen hat sich eine unsichtbare Disziplinarmacht

345 etabliert. (Lemke 1997, 68 ff.) Die Machttheorie, die Foucault in diesem Zusammenhang entwickelt, beschreibt M. nicht als eine repressive Kraft, die die freie Entfaltung vorhandener Strebungen des Menschen unterdrücken würde, sondern als eine produktive Technologie. „Man muß aufhören, die Wirkungen der M. immer negativ zu beschreiben. [...] In Wirklichkeit ist die M. produktiv; und sie produziert Wirkliches.“ (Foucault 1976, 250) Humanitäre Resozialisierungsutopien konfrontiert Foucault mit der These, daß der Überwachungsapparat des Gefängnisses „auch Delinquenten produziert, weil [er] den Häftlingen gewaltsame Züge auferlegt“ (ebd., 342). Foucault charakterisiert sein Unternehmen auch als eine „Analytik der M.“ (Foucault 1977, 102). Ihr geht es nicht um eine begriffsgeschichtlich fundierte Theorie der M., die sich primär in der Auseinandersetzung mit der philosoph. Tradition bewähren möchte, sondern um den Nachweis, wie und als was M. jeweils in verschiedenen Feldern auftritt. Daraus resultiert, daß das Wort M. sehr kontextuell, variabel und in unterschiedlichsten Weisen verwendet wird, die nur schwer auf einen Grundnenner zu bringen sind, obwohl ein ständiger Bezug auf Nietzsche unverkennbar ist. Als ein Leitfaden der Analytik Foucaults gilt die Annahme, daß M. insofern „von unten kommt“ (ebd., 115), als sie in Körpern, der → Sexualität und dem Wissen wirksam ist. Im ersten Band seiner Geschichte der Sexualität zeigt Foucault anhand verschiedener Komplexe, wie sich „Wissens- und Machtdispositive“ (ebd., 125) im Bereich der Sexualität entfalten (zum Begriff ,Dispositiv‘, vgl. Deleuze 1991). Die Rede von einer „Produktion der Sexualität“ (Foucault 1977, 127) be-

Macht sagt in diesem Zusammenhang, daß Sexualität keine Naturgegebenheit ist, die von M. niedergerungen würde, wie die Vertreter der sog. „Repressionshypothese“ (ebd., 19 f.) darlegten. Vielmehr ist „Sexualität“ der Name, „den man einem geschichtlichen Dispositiv geben kann“. In ihm verketten sich produktive „Wissens- und Machtstrategien“ (ebd., 128) miteinander, die die Sexualität als ein Objekt für die wissenschaftliche Erforschung hervorbringen. Die Elemente, die in der Politik und der Ökonomie das Leben regulieren, steigern und die menschlichen Körper in den kapitalistischen Produktionsprozeß einfügen, bezeichnet Foucault als „Bio-M.“ (ebd., 167). Sie wirkt ähnlich disziplinierend wie die modernen Fabriken, Schulen und Kasernen. Mit der Ansicht, daß M. nicht mit Repression verwechselt werden dürfe und ihre Thematisierung nicht im traditionellen → Diskurs der politischen Repräsentation, Rechtsgewalt oder Herrschaftsinstituierung aufgeht, steht Foucault gewiß nicht allein. Ein zusätzliches Eigengewicht gewinnt seine Analytik der M. jedoch mit der Auffassung, daß die Produktivität von M. immer auch Beherrschung und Aneignung realisiert, welche nicht aus Entfremdung resultiert. Eine solche M. ist als „Vielfältigkeit von Kräfteverhältnissen“ (ebd., 113) allgegenwärtig im Gesellschaftskörper. Von dieser krafttheoretischen → Deutung, die mit einem revolutionären Humanismus nicht zu vereinbaren ist, unterscheidet Foucault kurz vor seinem Tod eine eher handlungstheoret. akzentuierte Auffassung von M. (Foucault 1982). Ricœur geht von Arendts handlungstheoretischem Begriff der M. und dessen Eigenständigkeit gegenüber Gewalt und Herrschaft aus (Ricœur

Man 1989b). Dieses Konzept arbeitet er in den politischen Teil seiner → Ethik ein, in dem es um die Gestalt des guten Lebens mit Anderen in gerechten → Institutionen geht. Die kooperativen Handlungen der miteinander Lebenden bezeichnet Ricœur als eine „gemeinsame M.“ (Ricœur 1996, 236), welche allen Herrschaftsinstitutionen vorausgeht. Die durch Pluralität und Absprache gekennzeichnete M. ist jedoch für gewöhnlich unsichtbar und vergessen, da von Herrschaftsverhältnissen überdeckt. Damit sich diese Verhältnisse nicht verselbständigen, kommt es darauf an, „die Herrschaft wieder unter die Kontrolle der gemeinsam ausgeübten M. zu bringen“ (ebd., 311). In gewisser Hinsicht ist „M. als Quelle der Herrschaft“ stets eine „vergessene“ (ebd., 315), da Herrschaftsverhältnisse immer schon instituiert sind. Weil aber gesellschaftliche Gerechtigkeit nicht nur die Bestimmung einer politischen Verfassung, sondern auch die Legitimierung einer Regierung durch M. erfordert, muß die M. dem Vergessen entrissen werden. Es ist die, ausgehend von Rawls gedachte, Fiktion eines ungeschichtlichen Gesellschaftsvertrages, welche an die gemeinsame M. und an aufklärerische Traditionen, die das Zusammenleben stützen, erinnert. Von diesen Kräften verspricht sich Ricœur eine Legitimation und Stärkung der Demokratie. Qu.: ScheGW 4, 7-250. – ScheGW 13. – Arendt 1958 (1967). – Arendt 1963 (1963). – Arendt 1970 (1970). – Deleuze 1991. – Foucault 1975 (1976). – Foucault 1976 (1977). – Foucault 1982 (1987). – Lemke 1997. – Ricœur 1989b. – Ricœur 1990 (1996). MWS

Man. Das M. zeigt als → Existenzial nach Heidegger den phänomena-

346 len Umstand an, daß „das eigene Dasein ebenso wie das Mitdasein Anderer“ „zunächst und zumeist aus der umweltlich besorgten Mitwelt“ begegnet (HeiGA 2, 167): in der anonymen Weise, was und wie ,man‘ sich alltäglich – und das heißt für Heidegger immer auch schon: uneigentlich – verhält, als Doppelgänger gleichsam des öffentlich-alltäglichen „Niemand“, „das wie ein Gespenst im faktischen Dasein umgeht“, wie Heidegger in der frühen Vorlesung über Ontologie als „Hermeneutik der Faktizität“ formuliert (HeiGA 63, 32). So kann er das alltäglich-durchschnittliche, im M. aufgehende Selbst als „M.-selbst“ ausdrücklich von einem „eigentlichen Selbst“ unterscheiden, das sich dem Raum des → Mitseins mit Anderen als dem von Gerede, Neugier und Zweideutigkeit bestimmten Bereich der Öffentlichkeit (HeiGA 2, 221 ff.) entwunden, sich diesem gegenüber ,eigens ergriffen‘ hat (vgl. ebd., 172). Insofern zeigt sich das M. als ,alles verdunkelnde‘, jegliche Seinsmöglichkeiten mit Bestimmtheit vorzeichnende, derart aber immer auch schon einebnende, das → Dasein seiner → Eigentlichkeit entfremdende Sphäre (vgl. ebd., 169, 236). Alltäglich-faktisch „in die Uneigentlichkeit des M. hineingewirbelt“ (ebd., 237), hat das Dasein sein „eigentliches“ Seinkönnen entgegen der Verfallenstendenz einer „Verlorenheit in das M.-selbst“ (ebd., 353) allererst zu erringen, um sich auf diese Weise die durch das M. verstellten Daseinsmöglichkeiten zu erschließen. Ein Selbstseinkönnen, das sich das Dasein selbst im → Gewissen bezeugt, dessen Ruf das Seinkönnen „als das jeweilig vereinzelte des jeweiligen Daseins“ erschließe (ebd., 372). Obwohl das M. als Existenzial als „zur positiven Ver-

347

Materialismus

fassung des Daseins“ (ebd., 172) gehörig begriffen werden, eigentliche → Existenz nichts sein soll, was, gleich „einem vom M. abgelösten Ausnahmezustand des Subjekts“ (ebd., 173), jenseits der „verfallenden Alltäglichkeit“ sich einstellt (ebd., 238), scheint denn die Eigentlichkeit des Selbst letztlich doch nur in radikaler Vereinzelung – in der Individuierung durch → Angst, → Vorlaufen zum Tode und Gewissen – gedacht werden zu können: als ein „Sichzurückholen aus dem M.“ (ebd., 356). Qu.: HeiGA 2. – HeiGA 63.

AGO

Massengesellschaft. Von einem „Aufbruch des Massenhaften“ spricht Heidegger und sieht in ihm – neben Berechnung und Schnelligkeit – eine der „drei Verhüllungen der Seinsverlassenheit“ (HeiGA 65, 120 f.). Das Massenhafte ist das „Vielen und Allen Gemeine“, in dem sich die „schärfste, weil unauffälligste Gegnerschaft gegen das Seltene, Einzige (das Wesen des Seins)“ (ebd., 122) bekundet. Nach Patoˇcka ist die M. ein Phänomen der Moderne und zeichnet sich durch die historisch unvergleichliche Ballung der Kräfte mit Hilfe von Technik, Organisation und straffer Lenkung aus. Politisch gründet eine solche → Gesellschaft nicht auf der freien Entscheidung des Einzelnen, sondern auf der Manipulierbarkeit der Massen durch Druck und Schmeichelei und bildet deshalb den idealen Nährboden für die Entstehung totalitärer Systeme. Unabhängig von ihrer jeweiligen inhaltlichen Zielsetzung führt für Pato cˇ ka jede Politik, die den Menschen von außen erfaßt, ihn zum → Objekt macht und als bloße → Kraft in die Realisierung ihrer Ziele einplant, zur „Vermas-

sung“ (Patoˇcka 1988, 220), zum „Gebrauch und Mißbrauch des Menschen“ im Namen einer Ideologie. Qu.: HeiGA 65. – Patoˇcka 1975 (1988). LH

Materialismus. Im Übergang von Husserls transzendentaler zur genetischen Phänomenologie zeigen sich Grenzen der Bewußtseinsphilosophie: → Sinn erscheint nicht mehr als nur vom Subjekt konstituiert, sondern in seiner Genese als dem → Bewußtsein vorgängig. Gleichwohl identifiziert Phänomenologie Sinn nicht – wie der M. – mit den materiellen Gestalten. „Die Phänomenologie ist letztlich weder ein M. noch eine Philosophie des Geistes. Ihre eigentümliche Leistung besteht darin, die vortheoretische Schicht aufzudecken, in der beide Idealisierungen ihr relatives Recht erhalten und überwunden werden.“ (MerleauPonty 1984, 50) Diese Verortung der Phänomenologie zwischen → Idealismus und M. durchzieht das Denken Merleau-Pontys; unterscheiden läßt sich jedoch ein erkenntnistheoretischer vom historischen M.: Atomistik, Empirismus und Behaviorismus zeigen ein objektivistisches Mißverständnis: „Will die Philosophie nicht unmaterialistisch sein, dann muß sie zwischen Mensch und Natur einen engeren als den bloßen Widerspiegelungsbezug herstellen. Natur und Geist kommunizieren tatsächlich nur in uns und durch unser leibliches Sein hindurch.“ (Merleau-Ponty 1973, 96) Verwahrt die Phänomenologie der Wahrnehmung (Merleau-Ponty 1966, 204207) den dialektischen M. bei Marx noch vor dem Vorwurf des Ökonomismus, und skizziert Humanismus und Terror neutral die zwar moralisch dilemmatische, jedoch politisch unaus-

Mathematik weichliche Gewaltförmigkeit revolutionärer Politik (Merleau-Ponty 1990, 153), so kritisieren Die Abenteuer der Dialektik diese Gewaltförmigkeit einer materialistischen Dialektik (MerleauPonty 1968, 279). Bewegt Merleau-Ponty sich an den Grenzen der Subjektphilosophie, so plädiert Patoˇcka für den Überstieg zur asubjektiven Phänomenologie, die ebenso jenseits von M. und Idealismus situiert ist: Während Merleau-Ponty in beiden Denkrichtungen eine Metaphysik der Koinzidenz entlarvt, sieht Patoˇcka hierin eine Metaphysik der geschlossenen Seele (Patoˇcka 1987, 175) „mit der Prätention auf definitive Klarheit und letzte Erklärung der Dinge“ (Patoˇcka 1988, 90). – „Eine solche [scil. asubjektive] Phänomenologie wäre zugleich notwendig als eine Philosophie der endlichen Freiheit zu entwerfen, denn aus der Seinsverfassung eines Selbst, welches sich zu sich verhält, müßte auch die Möglichkeit einer Epoche verstanden werden können. Sie wäre mit den traditionellen metaphys. Grundpositionen des M. und auch eines Idealismus unvereinbar: Denn der M. müßte die Aufklärung des Seinsunterschieds, welchen die Erscheinung impliziert, unmöglich machen, während den Idealismus die unaufhebbare Faktizität der endlichen Freiheit verbieten müßte.“ (Pato cˇ ka 1991, 423) Qu.: Merleau-Ponty 1942 (1976). – Merleau-Ponty 1945 (1966). – MerleauPonty 1947 (1990). – Merleau-Ponty 1955 (1968). – Merleau-Ponty 1953 (1973). – Merleau-Ponty 1960 (1984), 45-67. – Merleau-Ponty 1964 (1986). – MerleauPonty 1969 (1993). – Patoˇcka 1939, 103104. – Patoˇcka 1976b, VII-XIX. – Patoˇcka 1987, 175-190. – Patoˇcka 1991, 415-423. – Patoˇcka 1975 (1988, 70-104). – Lit.: Karfik 1998, 94-109. – Lyotard 1954 (1993). – Meyer-Drawe 1996, 194-221. – Schaller

348 1997, 293-319. – Schröder 1990, 171-190. – Waldenfels 1991, 63-85. EW

Mathematik. In der Phänomenologie ist außer Becker (→ Zahl) wohl nur Husserl als jemand zu nennen, der einen ausgearbeiteten Begriff von M. hat. Zwar hat er sich nach seiner Habilitation (Über den Begriff der Zahl, 1887, veröffentlicht 1891 als Philosophie der Arithmetik) nicht mehr explizit mit Problemen der M. beschäftigt, aber die Auseinandersetzung mit dem Einfluß der Prinzipien der M. auf die neuzeitlichen Wissenschaften und nicht zuletzt auch auf die Philosophie kann als Leitfaden zum Verständnis vor allem von Husserls Spätwerk dienen. Es müssen in Husserls Werk ein Wissenschaftsbegriff 1. von einem Methodenbegriff 2. der M. unterschieden werden. 1. Intensiv mit dem Wissenschaftsbegriff der M. setzt sich Husserl in der Formalen und transzendentalen Logik auseinander. Er unterscheidet dort zwischen formaler und materialer M. Zur letzteren zählt er u. a. die moderne → Geometrie und die moderne Mechanik, die auf Grund der in ihnen praktizierten mathematischen Methode, nicht auf Grund ihrer Gegenstände von Husserl als mathematische Disziplinen bezeichnet werden. Die formale M. dagegen ist „als eine Ontologie (apriorische Gegenstandslehre) [...] anzusehen“ (Hua XVII, 82), nämlich als „eine Ontologie der Formen widerspruchloser und, so verstanden, möglicher Sinne: möglich in der Evidenz der Deutlichkeit“ (ebd., 150). Der Gegenstandsbereich dieser → Ontologie ist der Bereich der definiten Mannigfaltigkeiten. Dabei meint eine Mannigfaltigkeit „die Formidee eines unendlichen Gegenstandsgebietes, für das es

349 Einheit einer theoretischen Erklärung [...] gibt“ (ebd., 100). Eine Mannigfaltigkeit ist definit, wenn das sie „formal definierende Axiomensystem dadurch ausgezeichnet ist, daß jeder aus den in diesem auftretenden Begriffen (Begriffsformen natürlich) rein-logischgrammatisch zu konstruierende Satz (Satzform) entweder ,wahr‘, nämlich eine analytische (rein deduktive) Konsequenz der Axiome, oder ,falsch‘ ist, nämlich ein analytischer Widerspruch: tertium non datur“ (ebd.). So wird M. letztlich bestimmt als „eine universale Theorie der (je als Systeme geschlossenen) Theorienformen, korrelativ als eine universale Theorie der möglichen Formen von Mannigfaltigkeiten“ (ebd., 103). M. ist also für Husserl eine vollständige, deduktiv-axiomatische Theorie. Sie zielt nicht auf → Wirklichkeit oder Sachwahrheit, sondern auf → Wahrheit im Sinne von Widerspruchslosigkeit. Die Frage, inwieweit Husserls Verständnis von M. durch die von Gödel entdeckte Unvollständigkeit einer jeden axiomatischen Theorie betroffen wird, ist bislang nicht befriedigend beantwortet. 2. Systematisch ist der Wissenschaftsbegriff dem Methodenbegriff der M. vorgeordnet. Nur vom Wissenschaftsbegriff der M. ausgehend läßt sich der Methodenbegriff der M. bestimmen. Ein methodisch-wissenschaftliches Vorgehen nennt Husserl dann mathematisch, wenn es sich im Rahmen einer Theorie vollzieht, deren Systemform die einer „definiten deduktiven Theorie“ (ebd., 106) ist. Kennzeichen einer mathematischen Wissenschaft im strengen Sinne ist also ihre vollständig apriori beherrschbare Form, d. h. daß jeder Satz der Wissenschaft durch rein logisch-analytische Deduktion auf das zugrundeliegende, vollständige

Meinen, Meinung Axiomensystem zurückgeführt werden kann. Qu.: Hua XVII. – Hua XVIII. Becker 1973. Lit.: Gödel 1931, 173-198. – Gethmann-Siefert/Mittelstraß 2002. – Lohmar 1989. CR

Meinen, Meinung. Seit dem 8. Jh. wird das Verbum „m.“ in der Bedeutung von „eine bestimmte Ansicht haben“ im Deutschen gebraucht. In die philosoph. Literatur kommt es mit deren Entstehen im 17. Jh. Husserl schreibt in den Logischen Untersuchungen, jede → Aussage habe ihre Mg., in der sich die → Bedeutung konstituiert. Wenn er erläuternd von der Intention der Aussage spricht, zeigt sich die Identität von Mg. und intentionalem → Akt. Auch gilt, daß im Akt der → Beziehung auf einen bestimmten → Gegenstand im M. direkt auf diesen hingezielt wird. Das trifft auf okkasionelle Ausdrücke wie „dies“ zu, aber auch auf Eigennamen, die den Gegenstand nicht als Träger verschiedener Merkmale, sondern als ihn selbst m. Der gemeinte Gegenstand ist in dieser Terminologie der → Sinn; die Mg. i. S. der Gemeintheit ist die Bedeutung. Das Gemeinte als solches heißt in den Ideen Mg. im noematischen Sinn, ausdrückbar durch Bedeutungen. Da allerdings M. und Mg. durch Äquivokationen belastet sind, empfiehlt Husserl große Vorsicht beim Gebrauch dieser Termini. → Urteile, die nicht als bloße Urteile gedacht, sondern von einem Erkenntnisstreben durchherrscht sind, sind „Mg.en, die sich zu erfüllen haben“ (Hua XVII, 70); sie sind Durchgang zu den → Wahrheiten in → Adäquation zu den vermeinten Sachen. Das Vermeinte als solches, die Mg., wird auch als → Doxa bezeichnet (im ursprünglich platonischen Sinn

Mensch des Wortes). Jedes → Cogito ist Mg. seines Gemeinten, dieses aber in jedem Moment mehr als das explizit Gemeinte; so liegt in jedem → Bewußtsein ein „Über-sich-hinaus-Meinen“ (Hua I, 49). Jede Mg. über die → Welt hat ihren → Boden in der vorgegebenen Welt, die allerdings in der → Epoché zum Phänomen geworden ist. Qu.: Hua XIX/1 (I. Log. Unt.). – Hua XIX/2 (VI. Log. Unt.). – Hua III/1, § 95. – Hua XVII, § 19 u. § 82. – Hua VI, § 41. – Lit.: Diemer HWPh 5, 1021 f. HV

Mensch. Im Sinne seiner Selbstinterpretation entwirft Heidegger in Sein und Zeit keine Anthropologie, fragt aber dennoch in bestimmter Weise nach dem M.en in seinem geschichtlichen und weltoffenen → Wesen: Existenziale → Analytik ist weder eine konkrete Anthropologie noch eine vollständige → Ontologie des → Daseins, gleichwohl schließt Sein und Zeit die Möglichkeit einer ursprünglichen existenzial-apriorischen Anthropologie nicht nur nicht aus, sondern enthält als Existenzanalyse, die nach dem Dasein im M.en fragt, nicht unwesentliche Momente (vgl. HeiGA 2, 60) zu einer Lehre vom M.en, wie z. B. die Todesanalyse (→ Tod). Mit seinem Werk zur Stellung des Menschen im Kosmos gilt Scheler als Begründer der neuen philosoph. Anthropologie. Dort definiert er das Wesen des M.en: Das, was den M.en allein zum M.en macht, ist ein allem und jedem → Leben überhaupt, auch dem Leben im M.en entgegengesetztes Prinzip: eine „echte neue Wesenstatsache, die als solche überhaupt nicht auf die ,natürliche Lebensevolution‘ zurückgeführt werden kann, sondern, wenn auf etwas, nur auf den obersten einen Grund der Dinge selbst zurück-

350 fällt: auf denselben Grund, dessen eine große Manifestation das ,Leben‘ ist“ (ScheGW 9, 31) – → Geist. Diese Grundbestimmung bedeutet, daß der M. nicht als trieb- und umweltgebunden, sondern als weltoffen zu begreifen ist. In der Phänomenologie der Wahrnehmung bestimmt Merleau-Ponty den M.en von seiner Leiblichkeit (→ Leib) und Weltbezogenheit her. Im Vorwort dazu heißt es: „Die Wahrheit ,bewohnt‘ nicht bloß den ,inneren M.en‘, vielmehr gibt es keinen inneren M.en: der M. ist zur Welt, er kennt sich allein in der Welt.“ (Merleau-Ponty 1966, 7) Weder menschliche → Existenz noch Leiblichkeit werden absolut genommen, denn sie vermitteln menschliches Dasein: „Weder der Leib noch auch die Existenz können als das Original des Menschseins gelten, da sie einander wechselseitig voraussetzen, der Leib geronnene oder verallgemeinerte Existenz, die Existenz unaufhörliche Verleiblichung ist.“ (ebd., 199) Arendt begreift den M.en als ein apriori bedingtes, und d. h. als ein in seiner Existenz grundlegend auf andere angewiesenes Wesen, dessen Grundtätigkeiten sie auf drei Stufen sieht: Auf der niedrigsten Stufe, die vitale Bedürfnisse erfüllt, steht die → Arbeit; darüber steht das → Herstellen als ein Sich-vergegenständlichen in der Welt. „In dieser Dingwelt ist menschliches Leben zuhause, das von Natur in der Natur heimatlos ist.“ (Arendt 1960, 14) → Handeln schließlich begreift Arendt als die höchste Möglichkeit des M.en: Sprechen und Handeln „sind die Modi, in denen sich das Menschsein selbst offenbart“ (ebd., 165). Es meint eine gemeinsame kommunikative Praxis, das Politische. Von der Beschreibung der menschlichen Bedingtheit unterschei-

351 det Arendt die Frage nach dem Wesen des M.en, die „Werfrage“, die sie auf Grund der menschlichen Erkenntnisform für unbeantwortbar hält. Binswanger verbindet Heideggers → Fundamentalontologie mit psychiatrischen Deutungsmöglichkeiten menschlichen → Daseins zur Daseinsanalyse: Die Möglichkeit der Psychotherapie beruht „auf einem Grundzug der Struktur des Menschseins als dem In-der-Welt-Sein“ (Binswanger AW 3, 207). V. a. in dieser Lehre Heideggers sieht Binswanger die Möglichkeit gegeben, die Subjekt-Objekt-Spaltung der Welt, das „Krebsübel aller Psychologie“ (ebd., 234), zu überwinden. Dabei erlangen Räumlichkeit und die Zeitigung des Daseins eine zentrale Bedeutung. Patoˇcka versteht den M.en aus seiner Grundbewegung, d. h. aus der Verwirklichung von Möglichkeiten seiner (leibhaftigen) → Existenz: Als handelndes Wesen ist der M. erschlossen in bezug auf das Seiende und dessen Sein: „Leiblichkeit ist eine Möglichkeit, die dem Tun vorangeht und jede Wirklichkeit und Erfahrung des Tuns erschließt“ (Patoˇcka 1990, 245). Die Leiblichkeit des M.en definiert sich daher nicht von einer gegenständlichen Körperlichkeit her, sondern von der Verwurzelung bzw. Verankerung des Daseins in der → Welt des Wirkens, der allumfassenden Welt oder der Natur. Patoˇcka unterscheidet die → Bewegung der Verankerung (in ihr werden wir angenommen durch das, wohinein wir gestellt sind, auf dessen Grundlage wir unsere eigenen Möglichkeiten entwickeln können), die Bewegung der Selbstverlängerung (der Reproduktion) und die Bewegung des Durchbruchs, des eigentlichen Selbstbegreifens: In letzterer geht es dar-

Menschenverstand um, daß ich mich in der eigentlichsten menschlichen Möglichkeit sehe und verwirkliche. Schmitz begreift den M.en in Erweiterung von Heideggers formaler Bestimmung als → In-der-Welt-sein von seiner Leiblichkeit her: „Der → Leib ist keine abgesonderte Provinz, sondern der universale Resonanzboden, wo alles Betroffensein des M.en seinen Sitz hat und in die Initiative eigenen Verhaltens umgeformt wird; nur im Verhältnis zu seiner Leiblichkeit bestimmt sich der M. als Person.“ (Schmitz 1990, 116) Eine Phänomenologie des Leibes intendiert eine gegenüber herkömmlichen (etwa dualistischen) Anthropologien feinere Differenzierung menschlicher Selbstbesinnung, ohne eine bruchlose Wiederherstellung des ganzen M.en konstruieren zu wollen. Weder die nachkantischen Philosophien noch die Humanwissenschaften sind nach Ansicht Foucaults fähig, den M.en zu begreifen in dem, was er ist: Der M. ist bereits in sich das Resultat einer Unterwerfung, die viel tiefer ist, als er sich dessen bewußt ist. Foucaults Kritik an den Humanwissenschaften begründet sich darin, daß diese bei ihrem Unternehmen, den M.en zu definieren, zugleich soziale Normen festlegen bzw. reproduzieren. Nicht, was die M.en sind, sondern was sie sein könnten, wie sie anders handeln oder denken könnten, ist daher Foucaults philosoph. Ansatz. Qu.:HeiGA 2. – ScheGW 9. – MerleauPonty 1945 (1966). – Arendt 1958 (1960). – Binswanger AW 3. – Patoˇcka 1990. – Patoˇcka 1991. – Schmitz 1980a. – Schmitz 1990. – Foucault 1966 (1971). JV

Menschenverstand. Die Berufung auf den gesunden M. ist ein Vorurteil, das am hartnäckigsten dort ist, wo die Mei-

Metapher nung aufkommt, man sei frei von Vorurteilen. Gadamer hat diese Position namentlich in der Aufklärung verortet, deren grundlegendes Vorurteil „das Vorurteil gegen die Vorurteile überhaupt“ sei (Gadamer GW 1, 275). Bei Heidegger findet sich dieser Gedanke nur indirekt, als alles → Verstehen und Auslegen unter den Bedingungen der Vorstruktur des hermeneutischen Als steht (in Vorhabe, Vorsicht und Vorgriff). Dies übersieht der gesunde M., der sich in der → Alltäglichkeit des Verstehens aufhält. In Anspielung auf Platons Höhlengleichnis sagt Heidegger: „Der gesunde M. in der Höhle seiner Alles- und Besserwisserei ist borniert; er muß aus dieser Höhle herausgerissen werden.“ (HeiGA 24, 404) Zu seinen Merkmalen gehört es, die Philosophie aus sein Niveau herabzuziehen (HeiGA 29/30, 276), d. h. alles Philosophische wie ein Vorhandenes zu nehmen (ebd., 422). Daher ist auch der phänomenolog. Weltbegriff streng vom vulgären zu unterscheiden (HeiGA 24, 236). Für „gesunder M.“ steht auch „vulgärer Verstand“ oder „gemeiner Verstand“. Seine „tiefste Indifferenz und Gleichgültigkeit“ hat zur Folge, „daß er das Sein des Seienden überhört und nur Seiendes zu kennen vermag“ (HeiGA 29/30, 517), ebenso wie er „vor lauter Seiendem die Welt nicht“ sieht (ebd., 504). Er nimmt das Philosophieren nicht anders „als das Berechnen von Geschäftsspesen“ (HeiGA 31, 10). Qu.: HeiGA 29/30, §§ 45, 73-75. – Gadamer GW 1, 270 ff. HV

Metapher (frz. métaphore). Die M. ist bei Ricœur das Paradigma der kreativen Dimension der Sprache. Im Buch Die lebendige Metapher entwickelt er

352 seine Metaphertheorie in Abhebung von der in der Tradition der abendländischen Rhetorik lange Zeit vorherrschenden „Substitutionstheorie“ der M. Nach dieser Theorie besteht die M. in der Ersetzung eines „eigentlichen“ Ausdrucks durch einen uneigentlichen, bildhaften; sie hat keinen Informationsgehalt, sondern ist bloß „Schmuck“ der Rede. Metaphorische Aussage: Die M. ist nach Ricœur nur auf der Ebene des Satzes und als Phänomen der Rede/des Diskurses zureichend analysierbar. Ricœur spricht deshalb konsequent von der „metaphorischen Aussage“. Als Rede/Diskurs hat die metaphorische Aussage wie jede Aussage Sinn und Referenz. Sie sagt nicht nur etwas, sondern spricht auch über etwas. Kalkulierte Regelverletzung: Innerhalb der metaphorischen Aussage gibt es eine „Spannung“ zwischen den semantischen Feldern der verschiedenen an der metaphorischen Aussage beteiligten Wörter, weil in der metaphorischen Aussage die Regeln, die die Beziehungen der verschiedenen semantischen Felder zueinander bestimmen, verletzt werden: die M. stellt eine kalkulierte Regelverletzung dar. Sinnvoller Selbstwiderspruch und semantische Innovation: Wörtlich interpretiert, ergibt die metaphorische Aussage eine „logische Absurdität“ (Beardsley 1958, 138), einen Selbstwiderspruch. Der Sinn der metaphorischen Aussage läßt sich nur „retten“, wenn man den in ihr vorkommenden Ausdrücken neue, bisher in der Sprachgemeinschaft nicht übliche Bedeutungen gibt: die M. erzwingt eine „semantische Innovation“. Heuristische Fiktion zur Neubeschreibung der Wirklichkeit: Die metaphorische Aussage hat nicht nur einen Sinn,

353 sondern auch eine Referenz, genauer gesagt: sie weist nicht nur einen doppelten Sinn (wörtlich/metaphorisch), sondern auch eine doppelte Referenz auf. Zwar wird in der metaphorischen Aussage die deskriptive Referenz der Alltagssprache suspendiert, doch ist diese Suspension der deskriptiven Referenz die Bedingung der → Möglichkeit für die Freisetzung eines „fundamentaleren Modus der Referenz“ (Ricœur 1986a, 224), den Ricœur als „heuristische Fiktion“ zur „Neubeschreibung der Wirklichkeit“ charakterisiert. Die metaphorische Aussage stiftet nicht nur neue Wortbedeutungen, sondern auch neue Beziehungen zwischen verschiedenen Wirklichkeitsbereichen. Vermittels einer heuristischen Fiktion beschreibt sie die Wirklichkeit neu. „Metaphorische Wahrheit“: Ricœur prägt den Begriff der „metaphorischen Wahrheit“, „um die ,realistische‘ Intention zu bezeichnen, die mit dem Neubeschreibungsvermögen der dichterischen Sprache verbunden ist“ (ebd., 239). Die Spannung, die nach Ricœur nicht nur zwischen den Worten der metaphorischen Aussage, sondern auch innerhalb der Kopula „ist“ (die in der metaphorischen Aussage zugleich „ist“ und „ist nicht“ bedeutet) residiert, „muß [...] in das metaphorisch behauptete Sein verlegt werden“ (ebd.). Metapher und philosoph. Diskurs: Mit Vehemenz wendet sich Ricœur gegen die Auffassung, die Begriffe der Philosophie seien nichts anderes als „weiße Mythologie“ (Derrida 1972), als verblaßte, „tote“ M.n (Ricœur 1986a, 253, 260-273). Dieser Auffassung stellt er seine eigene These von der bleibenden Unterschiedenheit, aber wechselseitigen Verwiesenheit von poetisch-metaphorischem

Metaphysik und philosoph.-spekulativem Diskurs gegenüber. Aufgabe der Philosophie sei es, die „Sinn-Vorschläge“ des poetisch-metaphorischen Diskurses mit den ihr eigenen – nämlich begrifflichen – Ressourcen zu entfalten. Derrida hat übrigens Ricœurs Kritik als Mißverständnis seiner Position zurückgewiesen (Derrida 1998, 204-211). Qu.: Ricœur 1975 (1986a). – Lit.: Beardsley 1958. – Derrida 1972 (1988, 197-234). – Derrida 1987 (1998, 205-258). FP

Metaphysik. Die Phänomenologie schließt für Husserl „nur jede naive und mit widersinnigen Dingen an sich operierende M.“ aus, „nicht aber Metaphysik überhaupt“, sie sagt keineswegs, „daß sie vor den ,höchsten und letzten‘ Fragen halt macht“ (Hua I, 182). Die M. bildet neben der „Wissenschaftslehre“ die „theoretische Ergänzung der Einzelwissenschaften“ (Hua XVIII, 26). Ihre Aufgabe ist es „die ungeprüften, meistens sogar unbemerkten und doch so bedeutungsvollen Voraussetzungen metaphys. Art zu fixieren und zu prüfen, die mindestens allen Wissenschaften, welche auf die reale Wirklichkeit gehen, zugrunde liegen“ (ebd., 26 f.). Solche Voraussetzungen sind z. B. „daß es eine Außenwelt gibt, welche nach Raum und Zeit ausgebreitet ist, [...], daß alles Werden dem Kausalitätsgesetz unterliegt“ (ebd., 27). Diese „metaphys. Grundlegung“ reicht insofern nicht aus, als sie nur die realen Wissenschaften, nicht aber diejenigen betrifft, deren Gegenstände „als bloße Träger rein idealer Bestimmungen gedacht sind“ (ebd., 27). Eine „wie immer zu verstehende“ M. als „Wissenschaft vom Letzten“ (Hua VII, 70) kann jedenfalls keine Grundlegungsfunktion beanspruchen,

Metaphysik weil sie der „Wissenschaft von der transzendentalen Subjektivität bedarf“, wenn sie „wirklich absolut gegründete Wissenschaft sein soll“ (ebd., 70). Die metaphys. Fragen haben ihre Einheit darin, „daß sie, sei es ausdrücklich, sei es in ihrem Sinn impliziert, die Probleme der Vernunft – der Vernunft in allen ihren Sondergestalten – enthalten“ (Hua VI, 7). „Das an sich erste Sein, das jeder weltlichen Objektivität vorangehende und sie tragende, ist die transzendentale Intersubjektivität, das in verschiedenen Formen sich vergemeinschaftende All der Monaden“ (Hua I, 182). Nach Heidegger lautet die „Leitfrage der M.“: „Was ist das Seiende?“ (HeiGA 6.1, 408). Die M. „sagt, was das Seiende als das Seiende ist“ (HeiGA 9, 378), d. h. sie fragt danach, „was das Seiende zu einem Seienden macht; dies ist die Seiendheit des Seienden“ (HeiGA 6.1, 412). Sie „stellt zwar das Seiende in seinem Sein vor und denkt so auch das Sein des Seienden. Aber sie denkt nicht das Sein als solches, denkt nicht den Unterschied beider“ (HeiGA 9, 322). Sie „streift [...] denkenderweise das Sein, um es auch schon zugunsten des Seienden zu übergehen, zu dem sie zurück- und bei dem sie einkehrt“ (HeiGA 6.2, 317). Indem die M. das → Sein nicht als Sein denkt und nicht nach der → Wahrheit des Seins fragt, fragt sie „auch nie, in welcher Weise das Wesen des Menschen zur Wahrheit des Seins gehört“ (HeiGA 9, 322). Sie „verschließt sich dem einfachen Wesensbestand, daß der Mensch nur in seinem Wesen west, indem er vom Sein angesprochen wird“ (ebd., 323) und denkt „den Menschen von der animalitas her und denkt nicht zu seiner humanitas hin“ (ebd.). Die M. nimmt die „Seiendheit des Sei-

354 enden“ auf zweifache Weise in den Blick (ebd., 378). Sie denkt „einmal das Ganze des Seienden als solchen im Sinne seiner allgemeinsten Züge (on katholou, koinon); zugleich aber das Ganze des Seienden als solchen im Sinne des höchsten und darum göttlich Seienden (on katholou, akrotaton, theion)“ (ebd.). M. besitzt eine „ontotheologische“ Verfassung (→ Ontotheologie), sie ist „Ontologie im engeren Sinne und Theologie“ (ebd., 379). Die M. anerkennt zwar: „Seiendes ist nicht ohne Sein. Aber kaum gesagt, verlegt sie das Sein wiederum in ein Seiendes“ (HeiGA 6.2, 312) und erblickt „ihr Erstes und ihr Letztes in der entsprechenden Erklärung des Seienden aus seinem seienden Grunde“ (ebd., 326). Weil das Sein nicht als Sein gedacht wird, gilt: „Mit dem Sein als solchem ,ist‘ es nichts: das Sein – ein Nihil“ (ebd., 304). Deshalb ist die M. „als M. der eigentliche Nihilismus“ (ebd., 309). Damit ist „kein bloßes Versäumnis einer noch zu bedenkenden Frage nach dem Sein“ gemeint (HeiGA 5, 265). Denn das Wesen des Nihilismus und damit der M. „ist das Geschick des Seins selbst“ (HeiGA 6.2, 333), beruht im Entzug, im „Ausbleiben des Seins selbst“ (ebd., 325). Das Sein selbst „entzieht“ sich, „indem es sich im Seienden als solchem zeigt“ (ebd., 324). Es kann daher nicht um eine Überwindung der M. gehen, denn das „Sein selbst überwinden wollen hieße, das Wesen des Menschen aus der Angel heben“ (ebd., 330), was unmöglich ist, weil das Sein „das Wesen des Menschen beansprucht“ als den → Ort seiner → Erschlossenheit (ebd.). Weder „Anti-M.“ noch „Umkehrung der M.“ (ebd., 348) ist nötig, sondern nur das Eine, „dem Ausbleiben des Selbst entgegenzudenken“ (ebd., 352).

355 Der erste Schritt dieses Entgegendenkens liegt „in der Anerkennung: Das Sein selbst entzieht sich, aber als dieser Entzug ist das Sein gerade der Bezug, der das Wesen des Menschen als die Unterkunft seines (des Seins) Ankunft beansprucht“ (ebd., 332). Für Patoˇcka ist die M. Konstitutionsforschung sowie Universalgeschichte i. S. einer Interpretation des gesamten Weltgeschehens. Im Unterschied zu den von der Idee rationaler Beherrschbarkeit der Welt geleiteten Naturwissenschaften gilt von der M.: „Die M. im eigentlichen Sinn, die genuine Philosophie, ist demgegenüber die Lehre von der Konstitution“ (Pato cˇ ka 1990, 178). Sie „weist in eine andere Richtung als die objektivistische Ontologie. Sie will nicht das Subjekt als Hindernis einer vollkommenen Welterkenntnis überwinden, sondern sucht im Gegenteil in ihm selbst das Gesetz der Erfahrung, das die Entstehung der Wirklichkeit in der Mannigfaltigkeit ihrer Phänomene ermöglicht“ (ebd., 179). M. hat die Aufgabe einer umfassenden Analyse der menschlichen Erfahrung und der Aufdeckung ihrer immanenten Gesetze (ebd.). „Die andere Aufgabe der Philosophie, die schon eher der ,M.‘ im herkömmlichen Stile obliegen würde, besteht in der Universalgeschichte. Das Ganze der Universalgeschichte schließt nicht allein die Geschichte des Menschen, sondern die aller Geschöpfe ein. Hier ginge es um eine Interpretation des gesamten Weltgeschehens, die auf dem Fundament der Grundstrukturen der möglichen Subjektivität aufbaut, wie sie die konstitutive Analyse freigelegt hat“ (ebd.). M. ist einmal „Lehre vom ,Sein an sich‘ “, „das objektive Erfassen der Dinge [...] wie es die Wissenschaft betreibt“ (Patoˇcka 1992, 251). Das me-

Methode, methodisch taphys. Bedürfnis des Menschen kann jedoch von einem ausschließlich der Gesellschaft gewidmeten Leben nicht befriedigt werden (ebd., 249). So wird „M. in einem grundlegenderen Sinne“ zum Ausdruck einer Revolte, die in der Einsicht gipfelt daß „uns letztendlich aus der unendlichen Absurdität kein anderer Ausweg bleibt, als einander zu verstehen und zu dienen“ (ebd., 251). In diesem Sinn „entspringt der gesellschaftliche Impuls der metaphys. Revolte“ (ebd.). Qu.: Hua (GS2). – Hua (GS6). – HeiGA 5. – HeiGA 6.1. – HeiGA 6.2. – HeiGA 9. – Patoˇcka 1990. – Patoˇcka 1992. GP

Metaphysisch. Zwar bezeichnet Husserl seine eigenen Ergebnisse der → Auslegung der Fremderfahrung in den Cartesianischen Meditationen selbst gelegentlich als m. „Sie sind m., wenn es wahr ist, daß letzte Seinserkenntnisse m.e zu nennen sind“ (Hua I, 165); im allgemeinen grenzt er sich aber streng von den gängigen „m.en Konstruktionen“ ab. „Phänomenolog. Auslegung ist also wirklich nichts dergleichen wie m.e Konstruktion und nicht, weder offen noch versteckt, ein Theoretisieren mit übernommenen Voraussetzungen oder Hilfsgedanken aus der historischen m.en Tradition. Sie steht zu all dem in schärfstem Gegensatze durch ihr Verfahren im Rahmen reiner ,Intuition‘, oder vielmehr der reinen Sinnesauslegung durch erfüllende Selbstauslegung.“ (ebd., 176) Qu.: Hua I.

MW

Methode, methodisch. Das Wort „M.“ kommt aus dem Griechischen und setzt sich aus der Präposition meta und dem Substantiv hodos zusammen. Unter M. wird allgemein eine durch Regeln ge-

Methode, methodisch leitete und auf ein bestimmtes Ziel ausgerichtete Verfolgung eines Weges verstanden; in dieser allgemeinen Bedeutung spricht Husserl von einem „Inbegriff menschlicher Veranstaltungen zur Erlangung, systematischen Abgrenzung und Darlegung der Erkenntnisse dieses oder jenes Wahrheitsgebietes“ (Hua XVIII, 65). Obwohl so gut wie alle Phänomenologen größtes Augenmerk auf das m.e Vorgehen legen, sind explizite Äußerungen zum Stichwort „M.“ eher selten; Husserl und Heidegger zählen zu den Ausnahmen. Vorauszuschicken ist allerdings, daß es keine einheitliche und verbindliche M. der Phänomenologie gibt und die Anweisungen über ein regelgeleitetes wissenschaftliches Vorgehen voneinander oft erheblich abweichen; erschwerend wirken auch die Wandlungen innerhalb einzelner Denkversuche. Die Absetzung gegenüber anderen M.n (bei Husserl z. B. gegen den → Psychologismus und Naturalismus) gehört allerdings zum Allgemeingut im Zuge der Gewinnung des jeweils eigenen m.en Ausgangspunktes. Husserl geht es zunächst um eine Neubegründung der reinen Logik und Erkenntnistheorie, und dies in Abgrenzung gegen den Psychologismus. Es geht dabei darum, die Gegenstände der Logik nicht auf psychologische Prozesse zurückzuführen, sondern in ihrer Eigenständigkeit und ihrem eigenen → Wesen zu begreifen. Im Dienst dieser Aufgabe steht die später so genannte eidetische → Reduktion (Ideation). Sie entspricht dem Anspruch der Phänomenologie, nicht Tatsachen-, sondern Wesenswissenschaft (→ Wesen) zu sein. Die damit verbundene Wesenserschauung (Wesensschau) bedient sich dabei der freien → Phantasie, indem sie bestimmte → Akte oder Vorgän-

356 ge fingiert und – von Beispielen ausgehend – diese ganz beliebig variiert und in immer neu zu gestaltenden Varianten auf das Invariante trifft, das → Eidos (dazu ausführlicher Hua XVII, § 98). Zusammenfassend läßt sich dieser Prozeß der → Ideation durch → Variation mit (dem späten) Husserl in drei Hauptschritte zerlegen: „1. erzeugendes Durchlaufen der Mannigfaltigkeit der Variationen; 2. einheitliche Verknüpfung in fortwährender Deckung; 3. herausschauende aktive Identifizierung des Kongruierenden gegenüber den Differenzen“ (Husserl 1939, 419). In der deskriptiven M. der Eidetik ist schon eine Aufgabe vorgezeichnet, die in der Folge zur transzendentalphänomenolog. Wendung bei Husserl führt – ein Schritt, der die meisten seiner älteren Schüler zur Kritik herausfordert. Daß die Philosophie gegenüber den Wissenschaften in einer ganz neuen Dimension angesiedelt ist und daher „völlig neuer Ausgangspunkte und einer völlig neuen M.“ bedarf (Hua II, 24), wird in den Vorlesungen von 1907 programmatisch dargestellt. Es ist Husserl um einen Kreis → absoluter → Erkenntnis zu tun, wobei die → Transzendenz als fundamentales Rätsel aller Erkenntnistheorie auftritt („das Rätsel aller Rätsel“ (Hua VI, 12)), u. zw. in Gestalt des Problems, wie „Erkenntnis etwas als seiend setzen [kann], das in ihr nicht direkt und wahrhaft gegeben ist“ (Hua II, 35). Die Untersuchung solch transzendierender (die Aktimmanenz überschreitender) Denkakte hat jedoch die Tendenz, selbst (im schlechten Sinn) transzendierend zu urteilen, d. h. das Rätsel der Transzendenz in der einen oder anderen Weise (nämlich vorphilosoph. naiv oder auch in wissenschaftlicher Naivität) als bereits bekannt voraus-

357 zusetzen. Diese illegitime Inanspruchnahme der Transzendenz wird durch die erkenntnistheoretische Reduktion m. zur „Nullität“, d. h. „die Existenz dieser Transzendenzen, ob ich sie glauben mag oder nicht, geht mich hier nichts an, hier ist nicht der Ort, darüber zu urteilen, das bleibt ganz außer Spiel“ (ebd., 39). In den Ideen wird diese Verneinung aller naiv vorausgesetzten Vorurteile bezüglich der Transzendenz positiv formuliert als „das allgemeinste Prinzip aller M.n, das des ursprünglichen Rechtes aller Gegebenheiten“ (Hua III/1, 55). Diesem Prinzip dient die → transzendentale → Epoché (die transzendentalphänomenolog. Reduktion), die ihrerseits in einzelnen Schritten der Reduktion vollzogen werden muß: durch Ausschaltung der Transzendenz des Eidetischen, durch Ausschaltung der reinen Logik als mathesis universalis sowie durch Ausschaltung der material-eidetischen Disziplinen (ebd., §§ 59 f.). Die Nullifizierung all dieser naiv beanspruchten Voraussetzungen wird durch die Ausschaltung der → Generalthesis der natürlichen → Einstellung (§ 30) universal. Dabei geht es nicht nur darum, Sinn und Geltung der M. gegenüber allen Einwänden zu rechtfertigen, sondern immer auch um den Anspruch der Phänomenologie, prima philosophia zu sein: „vollkommenste Klarheit über ihr eigenes Wesen zu realisieren und somit auch über die Prinzipien ihrer M.“ (ebd., 136). Dieser universale Methodenanspruch schlägt sich im → „Prinzip aller Prinzipien“ nieder: „daß jede originär gebende Anschauung eine Rechtsquelle der Erkenntnis sei, daß alles, was sich uns in der ,Intuition‘ originär, (sozusagen in seiner leibhaften Wirklichkeit) darbietet, einfach hinzunehmen sei, als was es sich

Methode, methodisch gibt, aber auch nur in den Schranken, in denen es sich da gibt“ (ebd., 51, § 24). Der besondere Stellenwert der M. innerhalb der Phänomenologie resultiert nicht zuletzt aus deren Rückbeziehung auf sich selbst: Die → Erlebnisse, mit deren Erforschung sie es zu tun hat, gehören selbst zur phänomenolog. Einstellung und Blickrichtung. Das bedeutet, daß die einführend und vorläufig gebrauchten m.en Hilfsmittel erst im Zuge des weiteren Fortgangs ihre volle wissenschaftliche Legitimation erfahren (der sogenannte – bei Husserl als Terminus allerdings nicht vorkommende – hermeneut. → Zirkel). Somit sind die gewonnenen methodologischen Einsichten selbst den Normen unterstellt, die sie formulieren (ebd., § 65). Der Aufstieg von einer bloß phänomenolog.psychologischen Reduktion über die cartesianische Reduktion zur transzendentalen phänomenolog. Reduktion eröffnet die Strukturen der Subjektivität, auf denen die Möglichkeit der Epoché beruht; sie gibt „eine Phänomenologie der phänomenolog. Reduktion“ (Hua VIII, 164). Die transzendentale Epoché eröffnet den Spielraum der noetisch-noematischen Untersuchungen. Diese führen zum Aufweis der noetischen Momente wie der Blickrichtungen des reinen → Ich auf den gemeinten → Gegenstand, dessen → Erfassung, dessen Explikation u. dgl. – Daten, denen der noematische → Gehalt korreliert. Gleichwohl bleibt das Problem der → Transzendenz noch offen, zeigt sich, „daß auch nach der phänomenolog. Reduktion der wirkliche Gegenstand nicht mit seinem Gegenstandsnoema zusammenfiel“ (Ströker 1989, 94). Die Frage nach der Übereinstimmung des vermeinten Gegenstandes mit dem wirkli-

Methode, methodisch chen führt hier zum Aufweis der „objektiven“ → Wahrheit als intersubjektiver. Die transzendentale Phänomenologie wird in Husserls späteren Jahren in statische und genetische Phänomenologie unterschieden. Das von den noetisch-noematischen Analysen Gesagte trifft auf jene zu. Sie gehen von Erlebnistypen und deren → Beziehungen auf den Gegenstand aus, beschreiben die Merkmale der entsprechenden → Noesen und der ihnen korrelierenden Noemata, gehen überhaupt von Gegenständlichkeiten aus und fragen, „wie das Bewußtsein von ihnen aussehen kann, wie mannigfaltiges Bewußtsein von ihnen möglich ist und wie sie bewußtseinsmässig als selbstgegebene sich konstituieren“ (Hua XIV, 40). Es geht um die → Konstitution von Gegenständen im → Bewußtsein, um Wesenszusammenhänge. Dagegen hat die genetische Phänomenologie die Konstitution in ihrer → Genesis zum Thema, indem sie dem Werden im Zeitstrom nachgeht, der selbst konstitutive → Leistungen vollbringt. Es geht im letzten um die M., „in der das erfahrende Leben als die jeweilige Erfahrungswelt konstituierend zur Enthüllung kommt“ (Hua XXXII, 152). Bei Heidegger lassen sich mehrere Ebenen bei der Behandlung von Fragen der M. unterscheiden, wobei auch eine gewisse zeitliche Zuordnung möglich ist: die Gewinnung des eigenen philosoph. Ansatzes in den frühen Freiburger Vorlesungen und deren Umkreis; die auf Grund des eigenen Verständnisses von Phänomenologie erfolgende Abkehr von Husserls Phänomenologie, explizit vor allem in den Marburger Vorlesungen vollzogen; die Ausführungen im sogenannten Methodenparagraphen von Sein und Zeit (HeiGA 2, § 7) und in den Grundpro-

358 blemen der Phänomenologie (HeiGA 58, § 5); schließlich die zunehmende Verabschiedung des Begriffs der M. nach der → Kehre. Schon der frühe Heidegger hebt die M. von einer bloßen Technik ab und betont ihren vorbereitenden Charakter: vorläufig hinsichtlich des eigentlichen philosoph. Verstehens und als „Weckung der Disposition, um das philosoph. Erfassen frei werden zu lassen“ (ebd., 136). Die M. ist ein Weg, der zur philosoph. Problematik hinführt, was eng mit ihrem formal anzeigenden (→ Anzeige) Charakter zusammenhängt. Ursprünglich verstanden ist sie für die eigentlichen konkreten Bestimmungen offen und geschieht als Weckung, durch welche „der Andere rücksichtslos in die Reflexion hineingetrieben wird“ (HeiGA 9, 42). Die Vorläufigkeit der M. ergibt sich aus dem dabei exponierten Begriff der Philosophie, die von der → Faktizität ausgeht, der alle Philosophie entspringt und in die sie wieder zurückführt (HeiGA 60, 8; HeiGA 2, 51). Mit der Zurückweisung, wissenschaftlich zur Evidenz zu bringen, was Philosophie sei, kündigt sich die Kritik an Husserl an, deren Adressat vor allem dessen Ideen sind (Husserls spätere philosoph. Entwicklung bleibt außer acht). Hauptangriffspunkte sind der Ansatz beim Bewußtsein als dem eigentlichen Gegenstand der Philosophie und die M. der Wesenserschauung, sofern diese zu allgemein verbindlichen Sätzen und einer absoluten Objektivität führen soll. Die Wahl des Gegenstandes und der Vorgriff auf die Begründung einer absoluten Wissenschaftlichkeit sind der Kritik zufolge durch eine Dominanz dessen geleitet, was Heidegger als Sorge der → Gewißheit bezeichnet (worin sich auch Husserls Cartesianismus bekundet): Das in Fra-

359 ge stehende Seiende wird nicht auf seine eigentliche Seinsverfassung hin befragt, sondern unter der Vorherrschaft der Tendenz auf Gewißheit aus der Perspektive bewußtseinsfremder ontolog. Bestimmungen: „Die m.e Aufteilung ist durch die ontolog. Bestimmungen geleitet: Gattung, Art, eidetische Singularität, spezifische Differenz – Kategorien, die [...] über ein solches Sein wie Bewußtsein nichts sagen.“ (HeiGA 17, 274) Das Versäumnis der Frage nach dem eigentlichen Sein der → Intentionalität (als dem eigensten Feld der Phänomenologie) widerspreche somit der eigenen m.en Anweisung Husserls („Die Sachen selbst müssen wir befragen“ (Hua XXV, 21)); Phänomenologie gehe hinsichtlich ihrer eigensten Aufgabe nur „vermeintlich phänomenolog.“ (HeiGA 20, 178) vor. In Sein und Zeit (§ 7) charakterisiert Heidegger die phänomenolog. M. der Untersuchung im Ausgang von der Aufgabe, die leitende Frage nach dem Sinn von → Sein auszuarbeiten; dabei versteht er den Ausdruck Phänomenologie primär als „Methodenbegriff“ (HeiGA 2, 37). Damit wird der Maxime „Zu den Sachen selbst!“ Genüge getan und die Aufgabe angezeigt: „Das was sich zeigt, so wie es sich von ihm selbst her zeigt, von ihm selbst her sehen lassen.“ (ebd., 46) Phänomenologie ist ihrem Wesen nach deskriptiv, wobei der Titel → „Deskription“ einen prohibitiven Sinn hat: alle Bestimmungen, die nicht in direkter Aufweisung gewonnen wurden, sind fernzuhalten. Der m.e Sinn der Deskription ist → Auslegung, d. h. Aneignung des zu Verstehenden (wobei Auslegung wie → Verstehen selbst noch eigens thematisiert werden müssen; in ihnen liegt der hermeneut. Grundcharakter dieser Phänomenologie). In den Grund-

Methode, methodisch problemen der Phänomenologie (§ 5) geht Heidegger von Husserls Begriff der Reduktion aus und modifiziert diesen von seiner eigenen Aufgabenstellung her. So ist für Husserl die phänomenolog. Reduktion die Rückführung aus der natürlichen Einstellung in das transzendentale Bewußtseinsleben und dessen noetisch-noematische Erlebnisse; für Heidegger wird sie zur Rückführung des phänomenolog. Blickes vom Seienden und dem dadurch geleiteten Verständnis auf das Verstehen des Seins. Worauf Heideggers Kritik an Husserl hinauswill ist, daß dieser in undurchschauten Vorurteilen der Tradition steckt und durch die Sorge der Gewißheit von einem Cartesianismus bestimmt ist, der eigens aufgedeckt werden muß. Denn zum Ansatz und zur M. der Philosophie gehört das Erbe der (durch die Griechen geprägte und in der Neuzeit m. verfestigten) Vergangenheit solcherart, daß dieses nicht eigens in seiner beherrschenden Stellung erkannt wird; daraus ergibt sich als zweite wesentliche Aufgabe der M. die → Destruktion – „ein kritischer Abbau der überkommenen und zunächst notwendig zu verwendenden Begriffe auf die Quellen, aus denen sie geschöpft sind“ (HeiGA 24, 31). Als drittes Bestandstück der phänomenolog. M. nennt Heidegger die Konstruktion, d. h. den freien → Entwurf, in dem der Phänomenologe das Sein in den Blick bringt (was deshalb eigens nötig wird, weil dieses nie wie ein Seiendes zugänglich ist). In diesem Moment liegt die Gewaltsamkeit der Interpretationen Heideggers, die dadurch begründet ist, daß die Endlichkeit des → Daseins zwar bekannt, doch nicht begriffen ist: „Die Endlichkeit des Daseins – das Seinverständnis – liegt in der Vergessenheit.“ (HeiGA 3, 233) Diese Ge-

Milieu waltsamkeit erscheint als solche allerdings angesichts der „Ansprüche [...] der alltäglichen Auslegung“ (HeiGA 2, 413) als legitim, so wie in Platons Höhlengleichnis die Höhlenbewohner gewaltsam ins Freie geführt werden müssen (HeiGA 34, 42). Der Begriff der M. – nicht das m.e Vorgehen selbst – wird für Heidegger zunehmend mit deren Ausbildung durch die neuzeitliche Philosophie und → Wissenschaft verknüpft. M. ist bei Descartes nicht mehr etwas, das „auch“ zur Wissenschaft gehört, sondern wird zu deren bestimmendem Moment. In ihr liegt der Anspruch, bereits vorweg die Gegenständlichkeit möglicher Gegenstände zu fixieren, den „Grundbestand, aus dem sich allererst bestimmt, was Gegenstand werden kann und wie es Gegenstand wird“ (HeiGA 41, 102). Dieser Vorgang kommt in der Epoche des Nihilismus zu seiner Vollendung: „Die M. ist die sieghafte Herausforderung der Welt auf eine durchgängige Verfügbarkeit für den Menschen.“ (Heidegger 1983, 16) Heidegger gebraucht daher für sein eigenes Denken nicht mehr das Wort „M.“, sondern spricht in ausdrücklicher Absetzung von dieser vom → „Weg“ (HeiGA 13, 233). Qu.: Hua II. – Hua III/1. – Hua VI. – Hua XIV. – Hua XVII. – Hua XVIII. – Hua XXV. – Hua XXXII. – Husserl 1939. – HeiGA 2. – HeiGA 13. – HeiGA 17. – HeiGA 34. – HeiGA 58. – HeiGA 60. – Heidegger 1983. – Lit.: Bernet/Kern/Marbach 1989. – Claesges 1980. – Gethmann 1974. – Gethmann 1986/87. – Held 1985. – Herrmann 1981. – Herrmann 1987. – Ströker 1989. – Wuchterl 1995. HV

Milieu. Scheler bestimmt diesen Begriff zunächst allgemein als „das, was ich als ,wirksam‘ erlebe“ (ScheGW 2, 154). Wirksam ist alles, was mit sei-

360 ner Variation die → Erlebnisse variiert, unabhängig davon, ob das Erlebte bzw. das Erlebnis bestimmt sind, und unabhängig von der Perzeption des als wirksam Erlebten. Zum M. gehört über das sinnlich Wahrgenommene und Vorgestellte hinaus das nicht weiter Thematische, mit dem aber in der Praxis gerechnet wird (z. B. Menschen, denen ich „in Gedanken verloren“ ausweiche). Das M. ist die praktisch als wirksam erlebte Wertewelt, seine Konstanz trifft vorgängig eine Auswahl für das Wirksamwerden bestimmter → Werte (das M. des Spießbürgers oder des Bohemien etwa, aber auch des Bauern, dem sein Hof in ganz anderer Art wirksam und lebendig ist als dem Maler, der den Bauernhof malen will). Was in der perzeptiven Sphäre liegt, ist also durch den Milieugegenstand fundiert. Dabei ist das M. nicht nur Hintergrund der Wahrnehmung, sondern deren Reservoir, dem die Wahrnehmungsinhalte entnommen werden. Hinsichtlich seiner zeitlichen Ausdehnung ist das M. die Tradition, die als lebende und wirksame Geschichte den Gegenstand der Geschichtswissenschaft konstituiert. Qu.: ScheGW 2, I. Teil, III. – Lit.: Gurwitsch 1976, § 12. HV

Miteinandersein. In wesensverschiedenen Arten des M.s und Miteinanderlebens konstituieren sich Scheler zufolge bestimmte Formen sozialer Wesenseinheiten. Im Gegensatz zur sozialen Wesensstufe der Masse und im Unterschied zur sozialen Einheit der → Gesellschaft sind solche Lebensgemeinschaften durch Solidarität ausgezeichnet und gründen im „Erlebnis der Mitverantwortlichkeit für das Wollen, Handeln, Wirken des Gemeinschaftsganzen“ (ScheGW 2, 516), das

361 seinerseits jede Selbstverantwortlichkeit fundiert. Erlebnisphänomene wie das Miteinanderlieben, Miteinanderwollen, Miteinanderhassen (ebd., 488, Anm. 3) tragen Gesamtschuld wie Gesamtverdienst. Nach- und Miterleben, Nach- und Miteinanderfühlen gehören zu den Grundakten der inneren Fremdwahrnehmung. Qu.: ScheGW 2, II. Teil (VI B). – Lit.: Michalski 1997. HV

Mitsein. Dem → Dasein ist für Heidegger in seinem → In-der-Welt-sein das M. des Mitmenschen vorgängig erschlossen, das als → gleichursprüngliches Strukturmoment wesenhaft die menschliche Seinsweise konstituiert. Der innerweltlich begegnende Andere wird dabei weder als zuhandenes → Zeug noch als vorhandenes Objekt (→ Vorhandenheit) verstanden, sondern begegnet als Mitdasein. Die primäre → Offenheit für den Anderen wird von Heidegger dabei nicht als zufällige Eigenschaft oder nachträglichfaktische Konstatierung des menschlichen Beisammenseins gefaßt, vielmehr ermöglicht das M. als → Existenzial allererst die verschiedenen Verhaltungen zum Anderen und ist Grundvoraussetzung dafür, „sich als eigentliches Selbst zu gewinnen“ (HeiGA 9, 175). Qu.: HeiGA 2, 157-168. – HeiGA 9, 175. MF

Modalisierung ist im Rahmen von Husserls Wahrnehmungsanalyse eine gegenüber der Urgegebenheit in Gewißheit abgewandelte Form einer Dingwahrnehmung in vorprädikativer Erfahrung. Die → Wahrnehmung eines → Dinges als „es selbst“ ist somit der Normalfall oder Urmodus der → Wahrnehmung als eines durch keine

Modifikation Hindernisse gehemmten Verlaufs der Intentionen, die „befriedigt“ werden und somit keinen Zweifel am „Selbst“ des wahrgenommenen → Gegenstands aufkommen lassen. In der Dingwahrnehmung kann es aber nun verschiedene andere Gegebenheitsweisen oder M.en geben: Der Gegenstand kann etwa nur teilweise, unvollkommen oder ungenau gesehen sein, so daß Zweifel an seiner Echtheit aufkommt (z. B. ob der in Entfernung gesehene Gegenstand eine Person oder eine Schaufensterpuppe ist); er kann als möglicher gesehen sein (möglicherweise eine Puppe?) oder ganz negiert sein (nicht Person sondern Puppe). Zweifel, → Möglichkeit, → Negation sind somit die Hauptgruppen von M.en, die jedoch alle auf das „leibhafte“ Gegebensein in → Gewißheit zurückweisen. Qu.: Husserl 1939 (6 1985, 21). – Hua XI, 25-64. SL

Modifikation. Mit den Begriffen M. und → Modalisierung bezeichnet Husserl die Methode der Abwandlung einer Grundform (z. B. eines Urteils), also die Erzeugung von Varianten aus einer zugrundeliegenden Form. In den Ideen I wird der „spezifisch intentionale Sinn der Rede von M.“ (Hua III/1, 240) durch Rückgang auf die natürliche → Einstellung expliziert: Unmodifizierter Ausgangspunkt von M.en jeder Art ist die Voraus-Setzung der → Welt als schlechthin seiend. Dieser Ausgangspunkt wird „Urglaube oder Urdoxa“ genannt und als die „Urform aller Seinsmodalitäten“ (ebd.) charakterisiert. Eine M. erfährt dieser → Glaube durch einen Wechsel der intentionalen Einstellung, woraus auf subjektiver Seite modifizierte Setzungsbzw. Aktqualitäten, auf objektiver Sei-

Möglichkeit te modifizierte noematische Korrelate resultieren. Bereits in den Logischen Untersuchungen unterscheidet Husserl zwischen konformer, qualitativer und imaginativer M.: Eine „konforme M.“ (Hua XIX/1, 504) liegt vor, wenn lediglich die → Qualität, nicht aber die Materie eines intentionalen → Aktes abgewandelt wird; so etwa im Falle der Überführung von ,2 + 2 = 4‘ in ,Ich weiß, daß 2 + 2 = 4‘. Die „qualitative M.“ (ebd., 505) betrifft als eine Unterart der konformen M. die Klasse der objektivierenden Akte, also Akte der Qualität → ,Vorstellung‘. Durch sie wird ein in der → Wahrnehmung oder → Erinnerung gesetzter → Gegenstand in „eine ,bloße‘ Vorstellung“ (ebd., 507) verwandelt, wobei auch hier nur die Qualität, nicht aber die Aktmaterie variiert wird. Die „imaginative M.“ grenzt Husserl von bloßen Einbildungen ab, denen „bewußte Fiktionen [...], gegenstandslose Vorstellungen oder gar falsche Meinungen“ (ebd., 510) zugrunde liegen. Imaginativ ist eine M., wenn „eine Wahrnehmung in eine Imagination von gleicher Materie“ (ebd., 512) überführt wird; so liefert beispielsweise die Photographie von Peter eine imaginative M. der leiblichen Wahrnehmung Peters. Die Neutralitätsmodifikation nimmt „unter den auf die Glaubenssphäre zu beziehenden M.en [...] eine völlig isolierte Stellung“ (Hua III/1, 247) ein. Bei dieser handelt es sich um eine allgemeine Bewußtseinsmodifikation, „die jede doxische Modalität [...] völlig aufhebt“ (ebd.). Von der einfachen → Negation sowie von der Phantasiemodifikation unterscheidet sie sich dadurch, daß sie das Sein bzw. Nichtsein eines Gegenstandes völlig dahingestellt sein läßt, also über keinen Setzungscharakter verfügt. Husserl erläutert die Neu-

362 tralitätsmodifikation am Beispiel des Bildbewußtseins: das „abbildende Bildobjekt steht weder als seiend noch als nichtseiend, noch in irgendeiner sonstigen Setzungsmodalität vor uns; oder vielmehr, es ist bewußt als seiend, aber gleichsam-seiend in der Neutralitätsmodifikation des Seins“ (ebd.). Reinach verwendet den Begriff der M. in Die apriorischen Grundlagen des bürgerlichen Rechts im Zuge einer Phänomenologie sozialer Akte. Soziale Akte (z. B. Mitteilen, Fragen, Versprechen, Befehlen) weisen eine intentionale Grundstruktur auf, deren Abwandlungsgestalten von Reinach als M.en bezeichnet werden. Am Modellfall des Versprechens, das „als sozialer Akt alle M.en zuläßt“ (Reinach 1989, 167), unterscheidet Reinach insgesamt vier Formen: unaufrichtiges Versprechen als M. echten Versprechens; bedingtes bzw. situationsabhängiges Versprechen als M. unbedingten Versprechens; das Versprechen seitens mehrerer Personen als M. eines Versprechens, das nur eine Person abgibt; das Versprechen, das jemand anstelle eines anderen abgibt als M. eines Versprechens seitens der eigenen Person. Qu.: Hua III/1. – Hua II/1. – Hua XIX/1. – Reinach 1989, 141-331. – Lit.: Stepanians 1998. TR

Möglichkeit. Als Grundbegriff der traditionellen Modaltheorie spielt der Begriff der Möglichkeit auch in der phänomenolog. Philosophie eine zentrale Rolle. Dabei ist es aber zumeist der Fall, dass die Hauptvertreter der phänomenolog. Tradition, angefangen mit Husserl selbst, nur bei einer Verwendung des Möglichkeitsbegriffes bleiben, die zwar bewußt nuanciert und vielseitig ist, die aber das Niveau einer

363 spezifischen Thematisierung nur selten erreicht (vgl. Mohanty 1999, 168179). Husserl verwendet den Begriff der M. in ganz verschiedenen Bedeutungen, die jeweils nach dem spezifischen Zusammenhang variieren. Mohanty unterscheidet dabei drei Grundformen der M., und zwar: die „reine“, die „reale“ und die „praktische“ M. (ebd., 152-167). Der an Leibniz anknüpfende Begriff der reinen M. charakterisiert den Bereich der idealen, abstrakten Gegenstände, die in der wahrgenommenen Welt für sich selbst nicht existieren können, sondern vielmehr von den konkreten Gegenständen instanziiert werden (Hua XIX/1, 120). So werden ideale Gegenstände wie etwa Arten und Gattungen – die als solche dadurch charakterisiert sind, daß sie auf ein von ihnen verschiedenes Substrakt verweisen und insofern unselbständig sind – als reine M.en betrachtet (Hua III/1, 34 f.). So gefaßt scheint der Begriff der reinen M. zugleich eine allgemeine Kennzeichnung für die Seinsart, d. h. die → Wirklichkeit der idealabstrakten Gegenstände zu liefern, und zwar mit der Folge, daß im Bereich des Ideal-Abstrakten Wirklichkeit und (reine) M. tendeziell zusammenfallen. Neben den ideal-abstrakten Gegenständen, die an sich unselbständig sind, stehen bei Husserl als zweite Art der „eidetischen Singularitäten“ die idealkonkreten → Gegenstände wie etwa das → Wesen der individuellen → Dinge. Ein solches Wesen ist – so Husserl – deswegen als absolut selbstständig zu betrachten, weil es als ein sachhaltiges Wesen direkt auf ein real existierendes Individuum verweist (ebd., 35). Aus der Sicht des ihm entsprechenden Wesens hat ein solches → Individuum aber eine reale M., und zwar insofern, als es für jedes Wesen cha-

Möglichkeit rakteristisch ist, daß ihm prinzipiell eine Reihe möglicher Individuen zugeordnet ist, die als seine faktischen Vereinzelungen gelten dürfen (ebd., 20). (In diesem Zusammenhang weist Mohanty darauf hin, daß es nicht ganz klar zu sehen ist, inwiefern von der Existenz einer Reihe möglicher Individuen in bezug auf konkrete eidetische Singularitäten tatsächlich die Rede sein kann, wenn man bedenkt, daß jedes Konkretum eher als das Wesen eines einzigen Individuums zu betrachten sei, vgl. Mohanty 1999, 157). Dennoch legt Husserls Verweis auf den Fall der → Geometrie die Vermutung nahe, daß er sich zumindest im Fall der geometrischen Figuren das Verhältnis zwischen Konkretum und Individuum auf eine andere Weise vorgestellt haben könnte. Reale M. würde also, in diesem präzisen Sinne, die M. eines real existierenden Individuums bezeichnen, insofern sie durch ein entsprechendes konkretes Wesen bestimmt wird. Husserl scheint aber manchmal auch einen anderen, in gewissem Sinne engeren Begriff der realen M. vorauszusetzen, der mit der rationalistisch-leibnizschen Auffassung in enger Verbindung steht. Es handelt sich dabei um einen Begriff der realen M., der im Rückgriff auf die Vorstellung einer möglichen → Welt charakterisiert wird, und zwar so, dass als „real möglich“ nur ein Teil dessen gilt, was „rein möglich“ ist. In diesem zweiten Sinne besagt „reale M.“, daß verschiedene, im früheren Sinne „real mögliche“ individuelle Gegenstände zu einer einzigen möglichen Welt gehören, d. h. in ihr miteinander verbunden werden können. Auf diese lebnizsche Auffassung, die auf der Idee der Komposibilität verschiedener → Monaden in einer einzigen möglichen Welt basiert, verweist Husserl

Möglichkeit ausdrücklich und zustimmend im Rahmen der Erörterung der Struktur der Fremderfahrung in der V. Cartesianischen Meditation (Hua I, 167 f.). Schließlich ist auch der Begriff der praktischen M. zu beachten, wie er als ein solcher im Ausdruck „ich kann“ dokumentiert wird. Husserl führt diesen praktischen Möglichkeitsbegriff in Zusammenhang mit der Charakterisierung der Person als eines „freien Ichs“ ein. Dabei wird in erster Linie auf die aktiven Fähigkeiten bzw. Vermögen hingewiesen, die die bewußte und freiwillige Kontrolle über die Körperbewegungen und die darauf basierenden Tätigkeiten ermöglichen (Hua IV, 257 ff.). Solche Fähigkeiten spielen nicht zuletzt im Hinblick auf die mögliche Erweiterung des jeweils unmittelbar gegebenden Wahrnehmungsinhalts eine entscheidende Rolle, denn die Körperbewegungen ermöglichen u. a., daß die jeweils wahrgenommenen Gegenstände von ihren verschiedenen Seiten betrachtet werden. In diesem Sinne kann man sogar sagen, daß die zu jeder → Wahrnehmung und jeder sinnlichen → Erfahrung gehörigen leeren → Horizonte in einem gewissen Maße immer schon auf der Grundlage gewisser praktischer M.en, d. h. auf der Grundlage der → Antizipation möglicher Körperbewegungen entworfen werden. In diesem Sinne können auch die dadurch jeweils eröffeneten M.en der → Erfüllung ihrem Ursprung nach als praktische bzw. praktisch bedingte M.en verstanden werden (vgl. Mohanty 1999, 165). Hier spricht Husserl jedoch normalerweise nicht von „praktischen“, sondern vielmehr von „motivierten“ M.en, und zwar im Gegensatz zu den „leeren“ oder „bloßen“ M.en (vgl. z. B. Hua III/1, 325 f.). (Zu dem Kontrast zwischen „leerer“ bzw. „blo-

364 ßer“ und „motivierter“ M. vgl. Belussi 1990, 74 f.) Sieht man nun von der rein terminologisch-begrifflichen Fixierung einmal ab und fragt nach der konkreten Anwendung des Begriffs der M. bei Husserl, dann kommt, neben einer ganzen Reihe anderer mehr oder weniger relevanter Zusammenhänge, in erster Linie der Bereich der Urteilslehre in Frage, und zwar insofern, als in ihm die modaltheoretische Dimension eine zentrale Rolle spielt. Die Zentralität der modaltheoretischen Dimension in der phänomenolog. Urteilslehre kommt vor allem darin zum Ausdruck, daß Husserls Auffassung des → Urteils, bei aller Anlehnung an die aristotelischen Orientierung an der Grundstruktur der → Aussage der Form S-P, sich zugleich dadurch auszeichnet, daß sie das Urteil als einen → Akt der Anerkennung bzw. Verwerfung eines bestimmten Geltungsanspruches begreift (vgl. hierzu Belussi 1990, 13 ff.). In diesem Sinne steht Husserl einer langen Tradition sehr nahe, die angefangen bei der Stoa bis zur sog. „Geltungslogik“ führt, wie sie Autoren wie etwa Bolzano und vor allem Lotze vertreten haben. Bei Husserl spielt hier eine entscheidende Rolle die Rezeption der Bolzanoschen Auffassung des „Satzes an sich“, eine Rezeption, die, wie Beyer überzeugend gezeigt hat, nicht direkt, sondern vielmehr über die Vermittlung von Lozte erfolgt (vgl. hierzu Beyer 1996, bes. 29 ff.). Entscheidend ist hier die Idee, daß es beim Urteil zwischen einem in verschiedenen Akten identischen propositionalen → Inhalt einerseits und denjenigen Bedeutungsmomenten andererseits zu unterscheiden gilt, die die Art und Weise betreffen, wie dieser propositionale Inhalt jeweils „gesetzt“ bzw. „behauptet“ oder allgemein „gemeint“ bzw. „in-

365 tendiert“ wird. So kann ein bestimmter propositionaler Inhalt der Form SP nicht nur zum Korrelat von verschiedenen Urteilsakten gemacht werden, in denen er etwa assertorisch oder nur bloß problematisch behauptet wird. Darüber hinaus kann aber der gleiche propositionale Inhalt auch durch Akte intendiert werden, die ihn deswegen überhaupt nicht setzen bzw. behaupten, weil sie gar keinen objektivierenden Charakter haben. Man denke hier an Akte wie das Wünschen, das Befehlen, das Fragen usw. Auf dem Weg, der von Logische Untersuchungen über Vorlesungen über Bedeutungslehre bis zu Ideen I führt, hat Husserl stufenweise eine Auffassung entwickelt, die in eine komplexe Charakterisierung der noetisch-noematischen → Korrelation anhand der Unterscheidung zwischen dem vollen → Noema und dem noematischen Kern mündet. Der noematische Kern kann durch jeweils verschiedene „Seinscharaktere“ zu einem vollen Noema ergänzt werden; solche „Seinscharaktere“ sind ihrerseits das intentionale Korrelat von entsprechenden „Glaubenscharakteren“ auf der Seite der noetischen Akte. Es handelt sich bei der strukturellen Korrelation von Glaubens- und Seinscharakteren eigentlich um die Grundlage für die phänomenolog. Rekonstruktion der klassischen modaltheoretischen Grundunterscheidung von Glaubens- und Seinsmodalitäten (vgl. hierzu, Hua III/1, §§ 94, 99, 103-10; zur Entwicklung der Husserlschen Auffassung bis zu Ideen I siehe Vigo 2004). Dabei werden die Modalitäten des „Seins schlechthin“ und der „Glaubensgewißheit“ als die auf der noetischen bzw. noematischen Seite jeweils grundlegenden Modalitäten betrachtet, auf die alle anderen, einschließlich der M., zurückver-

Möglichkeit weisen (Hua III/1, 240 f.). Diese Auffassung liefert den allgemeinen Rahmen auch für die Husserlsche Behandlung des Begriffs der M. in seiner Urteilslehre. Dabei muss man, genau im Sinne der oben skizzierten Auffassung zwei Richtungen der Betrachtung unterscheiden, und zwar: die eine weist auf die innere Struktur des propositionalen Inhalts hin, der den noematischen Kern konstituiert; die andere wiederum auf die Art und Weise, wie ein solcher propositionaler Inhalt jeweils gesetzt wird. Daß der noematische Kern dem Inhalt nach möglich ist, setzt voraus, daß er eine Verbindung von Elementen in einem Gefüge der Form S-P enthält, die als solche logisch möglich, d. h. denkbar ist: sie muß also jeden formal-sachlichen Widersinn ausschließen (vgl. Hua II/1, 342 ff.). Hier findet auch Husserls These Anwendung, daß Widerspruchslosigkeit als Bedingung möglicher → Wahrheit zu betrachten ist (vgl. Hua XVII, 70 f.). Ist nun ein noematischer Inhaltskern der Form S-P logisch möglich, dann ist er zugleich auch möglich wahr, aber damit – abgesehen vom Fall analytischer Verbindungen der Form „A ist A“, die auf Grund ihrer bloßen Form als notwendig wahr zu betrachten sind – noch lange nicht tatsächlich wahr. Denn die Entscheidung zwischen Wahrheit oder Unwahrheit ist hier keine rein logisch-formale Frage, sondern vielmehr, wie Husserl selbst bemerkt, eine Frage der Bewährung (ebd.), die als solche nur mit Blick auf einen konkreten Urteilsakt und auf den entsprechenden Erfahrungszusammenhang zu beantworten ist. Im konkreten Urteilsakt wird aber nicht einfach der noematische Kern, sondern vielmehr das volle, durch die jeweils entsprechenden Seinscharaktere

Möglichkeit ergänzte Noema gesetzt bzw. behauptet. Daß dabei der noematische Kern nicht im Grundmodus des Seinscharakters ergänzt und entsprechend nicht im Grundmodus der Glaubensgewißheit behauptet wird, sondern vielmehr im derivativen Modus der M. bzw. der bloßen Vermutung, hängt von spezifischen Umständen ab, die auf den jeweiligen Wahrnehmungs- und Erfahrungszusammenhang verweisen. Im Rahmen des Versuches einer genetischen Analyse der → kategorialen Formen rekonstruiert Husserl einen solchen Umschlag von den Grundmodalitäten zu den derivativen allgemein im Rückgriff auf die jeweils entsprechenden Vorstukturierungen, die auf der Ebene der bloß passiv-rezeptiven → Synthese der Sinnlichkeit entstehen (vgl. Husserl 1985, §§ 66-79). Im Fall der M. liegt die Motivation, die zur Entstehung solcher Vorstrukturierungen führt, in verschiedenen Formen des sachlich-materialen Widerstreites, die zu gewissen Hemmungen bzw. Brüchen innerhalb eines kontinuierlich verlaufenden Wahrnehmungsprozesses führen. Es handelt sich dabei um die von Husserl sog. Seins- und Glaubensanmutungen, die als solche zwar noch rein passiv-rezeptiv konstituiert werden, die aber bereits eine gewisse Urteilstendenz in sich bergen (ebd., 99 ff.). Darauf baut sich dann eine aktive Stellungnahme des → Ichs im Modus des aktiven Möglichkeitsbewußtseins, das als ein solches wiederum verschiedene Formen aufweisen kann, die in den entsprechenden Urteilsmodalisierungen wie Zweifel, Vermutung usw. ausdrücklich dokumentiert werden (ebd., 365 ff.; zu dem Gesamtkomplex siehe auch die gute Diskussion bei Belussi 1990, 164-197, 198-209). In sachlicher Nähe zu der Husserlschen

366 Auffassung der M. als Urteilsmodalität steht die Konzeption, die Pfänder in seiner Logik präsentiert. Auch Pfänder geht von dem Kontrast zwischen dem Urteilsinhalt (Sachverhalt) und der Modalität der Behauptung aus und bekräftigt die Tatsache, daß die Modalität der M., die das problematische Urteil kennzeichnet, als eine derivative Modifizierung der vollgewichtigen Urteilsbehauptung, wie sie im assertorischen Urteil stattfindet, zu begreifen ist. Pfänder versucht außerdem, die grundsätzliche Differenz zwischen der logischen Modalität des Urteils als Behauptung und der ontolog. Modalität des jeweiligen Sachverhalts als Urteilskorrelat zu betonen, ohne jedoch eine präzise Erklärung über die Art und Weise zu liefern, wie sich diese beiden Arten von Modalitäten zueinander verhalten (vgl. Pfänder 2000, 92-100). An der Grenze zwischen Neukantianismus und Phänomenologie entwickelt Hartmann in seinem umfassenden Werk Möglichkeit und Wirklichkeit eine sehr anspruchsvolle Theorie der Modalitäten, die u. a. auch eine weitgreifende Umdeutung des traditionellen Begriffs der M. mit sich bringt (Hartmann 1938; für eine ausführliche Rekonstruktion und Kritik von Hartmanns Konzeption siehe Seel 1982, Kap. 1; sowie Mohanty 1963, 181-187). Im allgemeinen Teil seiner Modaltheorie geht Hartmann von einer eher traditionell anmutenden Charakterisierung der M. aus, nach der als „möglich“ dasjenige gilt, was „so oder nicht so sein kann“ (Hartmann 1938, 33). Diese formale Charakterisierung des Möglichkeitsbegriffs ist zunächst einmal rein neutral gemeint, insofern sie noch keine ontolog. Vorentscheidungen mit sich bringt. Bei der Behandlung der

367 Realmodalitäten, also im echt ontolog. Teil der Abhandlung, vetritt Hartmann jedoch eine deterministische Auffassung, die die aristotelisch-klassische Anwendung des Möglichkeitsbegriffs strikt ablehnt. Die traditionelle indeterministische Auffassung setzt voraus, daß ein und dasselbe Ding, falls nicht notwendig ist, sowohl sein wie auch nicht sein kann. Daraus folgt, daß der Bereich des real Möglichen breiter ist als der des real Wirklichen. Hartmann lehnt diese Annahme dadurch ab, daß er die M. des Seins und die des NichtSeins streng voneinander trennt: beide M.en sind real unterschieden. Das Wirkliche setzt daher nur die M. des Seins, nicht jedoch die des Nicht-Seins voraus. Auf dieser Grundlage kommt Hartmann zu einer Auffassung, nach der reale M. reale Wirklichkeit und diese wiederum reale Notwendigkeit impliziert (ebd., 115 ff.). Den Begriff der realen M. charakterisiert Hartmann dabei anhand des von ihm sog. „Totalitätsgesetzes der Realmöglichkeit“. Danach gilt als „real möglich“ nur dasjenige, „dessen Bedingungen alle bis zur letzten wirklich sind“, während dasjenige, das nur partial möglich ist – woran also auch nur eine Bedingung fehlt – als „real unmöglich“ gelten muss (ebd., 158). Die traditionell-populäre Auffassung der M. orientiert sich dagegen an einem für den Bereich des Realen unzulässigen Begriffs der partialen M., nach dem ein Sachverhalt bereits dann als möglich zu betrachten sei, wenn nur eine der notwendigen Bedingungen seines Bestehens gegeben ist. Eine solche Fehldeutung des Möglichkeitsbegriffs glaubt Hartmann schon bei Aristoteles feststellen zu können. In diesem Sinne versucht Hartmann in seiner historischen Behandlung des Problems, gegen die grundsätzlich in-

Möglichkeit deterministische Modaltheorie des Aristoteles die deterministische Auffassung der Megarischen Schule auszuspielen, denn diese bringt eine Deutung des Möglichkeitsbegriffs mit sich, die den Grundintuitionen seiner eigenen Konzeption viel näher steht (vgl. Hartmann 1957, 85-100). Bei Heidegger steht der Begriff der M., vor allem was die Existenzialanalytik von Sein und Zeit angeht, geradezu im Mittelpunkt des philosoph. Interesses. Bekanntlich versucht Heidegger in seinem Hauptwerk, eine phänomenolog. Interpretation der menschlichen → Existenz, also des → Daseins, zu liefern, die aus ontolog. Sicht u. a. darauf abzielt, die prinzipielle Unmöglichkeit hervorzuheben, das → Sein des Daseins auf phänomenolog. angemessene Weise mit dem Begriffsgerüst zu beschreiben, das für die traditionell als maßgeblich geltende Ding-Ontologie charakteristisch ist. Nun handelt es sich bei dieser – so Heidegger – grundsätzlich um eine → Ontologie der → Vorhandenheit, die eine prinzipielle Vorentscheidung zugunsten der Modalität der Wirklichkeit, im Sinne der bloßen Tatsächlichkeit, und damit auch des Zeitmodus der Gegenwart mit sich bringt. Diese beiden miteinander innerlich verbundenen Aspekte, d. h. der modale und der zeitliche, sollen in der Charakterisierung der Vorhandenheitsontologie als eine Auffassung, die sich an der auf die griech. Ontologie zurückgehenden Idee des Seins als (ständiger) → Anwesenheit orientiert, zum Ausdruck kommen (vgl. HeiGA 2, § 6). Die für die traditionelle Ding-Ontologie charakteristische Auffassung der Modalität, mit ihrer Grundthese vom Primat der Wirklichkeit und der Notwendigkeit als paradigmatischer Form der Wirklichkeit,

Möglichkeit verrät bereits als solche die Orientierung an einer vorgegebenen, bis zur Entleerung nivellierten Idee des Seins (zur Nivellierung der Idee des Seins in der ontolog. Tradition siehe die Diagnose in Sein und Zeit, § 1). Auf dieser Basis wird die Aufgabe, der Seinsverfassung des Daseins ontolog. gerecht zu werden, von Anfang an undurchführbar, und zwar gerade deswegen, weil das Dasein sich in seinem Sein nicht als ein bloß vorhandenes Ding begreifen und somit nicht auf den Status der reinen Tatsächlichkeit nivellieren läßt. Für das Sein des Daseins ist gerade nicht die Wirklichkeit im Sinne der bloßen Tatsächlichkeit, sondern vielmehr die M. konstitutiv. In diesem Sinne erklärt Heidegger, daß als → Existenzial, d. h. als spezifischer Seinscharakter des Daseins, die M. „die ursprünglichste und letzte positive ontolog. Bestimmheit des Daseins“ (ebd., 191) ausmacht. Dabei ist aber zu beachten, daß Heidegger mit seiner These vom Primat der M. im Rahmen der Daseinsontologie nicht auf eine bloße Umkehrung der für die traditionelle Ontologie charakteristischen Modaltheorie hinaus will. Bei dem existenzialen Möglichkeitsbegriff handelt es sich nämlich um einen daseinsspezifischen Seinscharakter, der als ein solcher auf den kategorialen Begriff der M. nicht mehr zurückgeführt werden kann. (Zu Heideggers kritischer Rezeption des traditionellen Möglichkeitsbegriffs vgl. Fräntzki 1996, 360372. Die ausführlichste Auseinandersetzung Heideggers mit dem traditionellen, auf Aristoteles zurückgehenden Möglichkeitsbegriff findet sich in HeiGA 33.) Heidegger gibt zwar keine formale Definition des Begriffs der existenzialen M. Aus verschiedenen Hinweisen und vor allem durch den Kon-

368 trast mit dem kategorialen Möglichkeitsbegriff kann man aber eine relativ präzise Charakterisierung gewinnen. Dabei sind mindestens folgende Aspekte zu beachten: 1. verweist die existenziale M. auf das Seinkönnen des Daseins. Als Möglichsein ist das Dasein sein faktisches Seinkönnen: das Dasein ist ständig mehr als es tatsächlich ist, so daß es sich nicht in seinem Seinsbestand registrieren läßt, als wäre es ein rein Vorhandenes (vgl. HeiGA 2, § 31). 2. steht der existenziale Möglichkeitsbegriff in einem inneren Zusammenhang mit der Charakterisierung des Seins des Daseins als Existenz, im Sinne des Zu-seins: die Seinscharaktere des Daseins sind nicht als vorhandene Eigenschaften, sondern vielmehr als „je ihm mögliche Weisen zu sein“ zu begreifen (vgl. ebd., § 9). In seinem Sein verhält sich das Dasein zu seinem Sein selbst: es geht ihm in seinem Sein um dieses Sein selbst. Es verhält sich aber zu seinem Sein als seiner „eigensten M.“, eine M. nämlich, die es nicht einfach als eine vorhandene Eigenschaft hat, sondern vielmehr ist. 3. wird die existenziale M. jeweils auf der Grundlage eines verstehenden → Entwurfes, der als solcher zur ontolog. Verfassung des Daseins selbst gehört, in ihrem Möglichkeitscharakter erschlossen. → Verstehen ist das existenziale Sein des Seinkönnens des Daseins: Nur auf der Grundlage eines gewissen vorgreifenden Entwurfs von M.en seiner selbst kann das Dasein sich auf sich selbst in seinem Sein beziehen und damit zugleich das ihm in der → Welt begegnende Seiende in seiner Bedeutsamkeit erschließen (vgl. ebd., § 31). Existenziale M.en werden also in ihrem spezifischen Möglichkeitscharakter nur im verstehenden Entwurf erschlossen und

369 als M.en offen gehalten: Sie sind also durch das thematisierende Feststellen eines „noch nicht“ tatsächlich Gegebenen, im Sinne eines „noch nicht“ Vorhandenen, als solche nicht zu erfassen. 4. sind existenziale M.en des Daseins immer als faktisch bestimmte M.en zu begreifen: Es handelt sich bei ihnen nämlich weder um leere, rein logische M.en noch um bloße Kontingenzen, die ein Vorhandenes betreffen können. Das Seinkönnen des Daseins ist als ein solches immer schon faktisch bestimmt, denn das Dasein selbst ist nicht nur durch Entwurf, sondern zugleich auch durch → Geworfenheit konstituiert: Das verstehende Entwerfen des Daseins hat also immer die Struktur und die Tragweite eines geworfenen Entwurfes. Bedenkt man, daß die Struktur des geworfenen Entwurfs in ihrem Zeitsinn betrachtet, eine eigentümliche Art funktionell-dynamischer Einheit von → Faktizität und M., → Vergangenheit und → Zukunft, mit sich bringt, so kann man besser verstehen, warum Heidegger meint, daß die traditionelle Idee des Seins als Anwesenheit den Zugang zu einer richtigen ontolog. Bestimmung des Seins des Daseins im voraus versperrt. Was die innere Strukturbeziehung zwischen Faktizität und M., wie sie für die Existenz als Seinsverfassung des Daseins kennzeichnend ist, angeht, so ist hier in erster Linie auf die limitativ-ermöglichende Rolle hinzuweisen, die das Moment des → Entzugs spielt, das die Faktizität und die Endlichkeit als Seinscharaktere des Daseins mit sich bringen. Es ist nämlich gerade der Entzug von bestimmten M.en, der dem Dasein zum ersten Mal echte M. gewährt, welche, als faktisch bestimmt, es als seine eigene ergreifen kann. Dieses wichtige, ja zentrale Motiv in Heideggers Denken bis

Möglichkeit zum Anfang der dreißiger Jahre spielt in Sein und Zeit eine meist nur implizite Rolle. Es kommt aber an systematischen Stellen, an denen Heidegger sich mit der konstitutiven Rolle der Faktizität und der Endlichkeit befasst, deutlich genug zum Ausdruck. Man denke hier an die Erörterung des Seins zum → Tode als der eigensten und unüberholbare M. des Daseins, (vgl. HeiGA 2, §§ 46-53) an die Analyse der mit dem Sein zum Tode eng zusammenhängenden Phänomene des Gewissens als der Bezeugung der existenziellen M. der → Eigentlichkeit (vgl. ebd., §§ 54-60), und nicht zuletzt auch an die Behandlung der Geschichltichkeit des Daseins auch in ihrer Rolle als limitativ-ermöglichender Quelle faktischer M.en (vgl. ebd., §§ 7277). Das Motiv der inneren Zusammengehörigkeit von Faktizität und M., im Sinne der limitativ-ermöglichenden Funktion des Entzuges, kommt in der Entwicklung des Heideggerschen Denkens nach Sein und Zeit in verschiedenen Gestalten immer wieder zum Ausdruck und spielt eine sehr wichtige Rolle auch in Hinblick auf die sog. → Kehre, die für das Spätdenken Heideggers charakteristisch ist. (Siehe vor allem die Radikalisierung des Motivs der ermöglichenden Rolle des Entzugs als Quelle von faktischen M.en in Vom Wesen des Grundes (HeiGA 9, bes. 161 ff.); vgl. auch Vom Wesen der Wahrheit, (ebd., 191 ff). In einem so späten Text wie der Vortrag Zeit und Sein spielt das Motiv der ermöglichend-gewährenden Funktion des Entzuges eine ganz zentrale Rolle bei dem Versuch, das Sein aus der als → Aletheia verstandenen Wahrheit epochal zu denken (vgl. Heidegger 1969, 8).)

Moment Qu.: Hua I. – Hua III/1. – Hua IV. – Hua XVII. – Hua XIX/1. – Hua XIX/2. – Husserl 1939 (6 1985). – Pfänder 1921 (4 2000). – Hartmann 1938. – Hartmann 1957. – HeiGA 2. – HeiGA 9. – HeiGA 33. – Heidegger 1969, 1-25. – Lit.: Belussi 1990. – Beyer 1996. – Fräntzki 1996, 360-372. – Mohanty 1963. – Mohanty 1999. – Seel 1962. – Vigo 2004. AV

Moment. Grundlegend für Husserls Phänomenologie ist die Unterscheidung zwischen → Wesen und → Tatsache bzw. Spezies und Einzelfall. Im Rot des „hier und jetzt“ gesehenen Buchdeckels realisiert sich die Idee der Röte; es ist von dem Rot der Billardkugel numerisch verschieden, auch wenn es dieselbe Spezies (ein Rot derselben Nuance) exemplifiziert. Exemplare der Spezies Rot sind demnach nicht die roten Gegenstände, sondern individuelle M.e derselben: das Rot des Bleistifts, das Rot des Backsteins usw. Individuelle M.e sind wesenhaft an etwas Zugrundeliegendes (Aristoteles) – an einen „konkreten Untergrund“ – gebunden. Unter den möglichen Teilen eines Gegenstandes zeichnen sie sich durch ihre Unselbständigkeit aus: „Die Färbung dieses Papiers ist ein unselbständiges M. desselben; sie ist [...] ihrer reinen Art nach zum Teil-sein prädestiniert; denn eine Färbung überhaupt und rein als solche kann nur als M. in einem Gefärbten existieren.“ Das Verhältnis von Teil und Ganzem ist durch Fundierungsgesetze bestimmt. Ein → Inhalt ist in einem anderen Inhalt fundiert, wenn er durch diesen ergänzungsbedürftig ist, die beiden Inhalte also in einem „Verhältnis notwendiger Verknüpfung“ (Hua XIX/1, 268) stehen. Fundierungsgesetze stellen materiale Gesetze dar und sind streng von den formal-logischen zu unterscheiden, die

370 „gegen alle ,Materie der Erkenntnis‘ unempfindlich sind“. Qu.: Hua XIX/1. – Husserl 1939 (6 1985), §§ 30-32. – Lit.: Simons 1987. TE

Monade. Das „in voller Konkretion genommene Ego“ im Zusammenhang seiner „Selbstkonstitution“ (Hua I, § 33, 102 f.), d. h. die konkrete Subjektivität in ihrer genetischen „Werdenseinheit “ (Hua XIV, 34) von aktuellen, potentiellen und habituellen Erfahrungsgehalten, wird von Husserl als M. bezeichnet. Jenseits einer metaphys.substantialistischen Auffassung impliziert dieser von Leibniz übernommene und transzendental-phänomenolog. gewendete Begriff (vgl. Hua I, 176 f.; vgl. Strasser 1989, 220), der einer „funktionalen Betrachtungsweise des Bewußtseins“ (Rinofner-Kreidl 2000, 559; vgl. Cristin 1990, 171) als → Intentionalität entspringt, nicht nur einen „bleibenden Stil“ und einen „personalen Charakter“ (Hua I, 102 f.; vgl. Hua XIV, 17 ff.) der reduktiv gereinigten Subjektivität. Vielmehr verweist der Terminus vor allem auch auf die konstitutionstheoretisch entscheidende Konstellation einer Logik der M.n in ihrer mundanen Koexistenz, ihren intentionalen „Spiegelungen“ (Hua XIII, 229; vgl. Hua XIV, 298 ff.), ihrer „monadischen Kausalität“ (Hua XIV, 360; vgl. 267 f.) und ihrer prinzipiellen „Kompossibilität“ (Hua I, 168; Hua XIV, 12, 266; vgl. Cristin 1990, 165, 168). Damit ist insgesamt eine für das Kardinalproblem der → Intersubjektivität entscheidende Erweiterung der transzendentalen → Egologie zu einer „Monadologie“ (Hua VIII, 190; Hua XV, 587, 608 ff.; vgl. Fink 1966, 136 f.; Iribarne 1994, 181 ff.) vollzogen, welche die → Konstitution der Totalität

371 der → Natur, der intermonadischen → Welt und der generativen „Monadengemeinschaft“ (Hua XV, 596; vgl. Hua XIV, 359) im Ausgang vom methodologischen Primat des → Ego und seiner „Monadisierung“ (Hua VI, 417; Hua XV, 589, 636 ff.; vgl. Waldenfels 1971, 20 und Zahavi 1996, 56 f.) genetisch aufklärt und als eine „transzendentale intermonadische Sinngebung“ (Fink 1988, 141) zu verstehen nahelegt. Diesen Zusammenhang enthüllt die phänomenolog. Analyse des weiteren als eine teleologische Struktur der „Monadenentwicklung“ (Hua XV 595 f., 611 f.; vgl. Strasser 1989, 229 ff.; Kühn 1998, 368 f.), die sich wiederum als eine „Stufenlehre der M.n“ (Hua XIV, 38; vgl. Hua XV, 194, 609 f.; Lee 1993, 154 ff.) entfaltet. In dieser Perspektive faßt Husserl sodann die Totalität des „Monadenalls“ (Hua XV, 609 f.; vgl. Hua XIV, 295) als eine zeitmodale „Entwicklung der vernunftmonadischen Allheit“ i. S. der menschlichen Geschichte (Hua XV, 669 f.), wodurch zudem nicht nur die „Unsterblichkeit der M.n“ durch die Teilhabe am „Selbstrealisierungsprozeß der Gottheit“ (ebd., 610), sondern ebenso die exzeptionelle Stellung „einzelner Vernunftträger“ als „archontischer M.n“ (ebd., 669 f.) thematisch wird. Vor diesem Hintergrund bleibt der methodologisch entscheidende Zusammenhang von Egologie und Monadologie (vgl. Dodd 1997, 102) bzw. von Intellektualismus und Voluntarismus (vgl. Lee 1993, 244 ff.) zuletzt durch eine „Alterologie“ (vgl. Depraz 1995, 314 ff.) zu ergänzen, die einerseits der „konstitutiven Vorgängigkeit des transzendentalen Monadenalls“ (Lee 1993, 240) Rechnung trägt und andererseits das „monadische Leben“ (Hua XIV, 46) insbesondere hin-

Moral sichtlich jener Implikationen aufzuklären erlaubt, die sich nicht restlos auf einen vorgegebenen intentionalen Urmodus zurückführen lassen (vgl. Hua XV, 608). Qu.: Hua I. – Hua VIII. – Hua XIII. – Hua XIV. – Hua XV. – Fink 1966. – Fink 1988. – Lit.: Cristin 1990, 163-174. – Depraz 1995. – Dodd 1997. – Iribarne 1994. – Kühn 1998a. – Lee 1993. – RinofnerKreidl 1999. – Strasser 1989, 217-235. – Zahavi 1996. MST

Moral. Die Bestimmung dessen, was M. bedeutet, erfolgt in der Regel durch eine Abgrenzung vom Begriff der → Ethik. Die Art der Abgrenzung ist in der Philosophiegeschichte keineswegs unumstritten. Es existieren unterschiedlichste Varianten. 1. M. ist der auf das lat. Wort mos/mores zurückgehende Nachfolgebegriff des griech. Wortes ethos (Ethik). 2. M. und Ethik werden gelegentlich als Synonyme verwendet. 3. Die M. besteht aus all den Wertüberzeugungen, die unseren Alltagshandlungen zugrundeliegen. Ethik ist die philosoph. Disziplin, die diese Handlungsbezüge thematisiert und reflektiert. 4. Obwohl terminologisch nicht korrekt, ist es üblich und weit verbreitet, mit M. das von Kant und mit Ethik das von Aristoteles ausgehende Denken zu bezeichnen. Ethisch sind demnach alle Handlungsweisen, die auf das Telos des guten Lebens ausgerichtet sind. Die M. zeigt hingegen Pflichten auf, die autonomen Personen aus dem unbedingten Anspruch des kategorischen Imperativs erwachsen. Im Sinne dieser Unterscheidungsart spricht etwa Ricœur vom „Gegensatz zweier Erbschaften“: „eines Aristotelischen Erbes, in dem die Ethik durch ihre teleologische Perspektive gekennzeichnet ist, und eines Kanti-

372

Motiv schen Erbes, in dem die M. deontisch durch den Verpflichtungscharakter der Norm definiert wird.“ (Ricœur 1996, 208) Schließlich bleibt noch zu ergänzen, daß Hegel mit dem Begriff der Sittlichkeit eine Synthese von Aristoteles und Kant anstrebte. Hegel wollte die kosmische Ordnung der Antike unter den Bedingungen der autonomen Subjektivität der Moderne wiedergewinnen. Die Beiträge phänomenolog. Autoren wie Scheler, Heidegger, Levinas, Foucault und Ricœur zu diesem Gesamtkomplex erschließen sich ausgehend vom Begriff der Ethik. Lit.: Ricœur 1990 (1996).

MWS

Motiv. Bei Husserl taucht der Begriff des M.s häufig in alltagssprachlicher Bedeutung, also i. S. eines subjektiven Beweggrundes auf: so etwa in der Krisis, wo Husserl nach den leitenden M.en der Ausbildung neuzeitlicher Wissenssysteme fragt. In den Ideen II spezifiziert Husserl den Gebrauch des Terminus insofern, als er „Motivation als Grundgesetzlichkeit des geistigen Lebens“ (Hua IV, § 56) überhaupt bestimmt und gegen die physikalische → Kausalität abgrenzt: Alle Vorgänge der → Konstitution unterliegen in der personalen → Einstellung den Gesetzen der „Motivationskausalität“ (ebd., 216), durch die das Universum intentionaler → Erlebnisse seine → Einheit erhält. Motivationszusammenhänge sind in allen Bereichen geistigen Lebens nachweisbar. Generell ist aber – je nach Vorrang subjektiver oder objektiver Motivationsquellen – zwischen aktiver Vernunftmotivation (z. B. beim Urteilen) und passiver Motivation, die durch assoziative Weckung oder → Gewohnheit entsteht, zu unterscheiden. (ebd., 220 ff.)

Schelers Verständnis des M.-Begriffs entspringt in seiner nachgelassenen Schrift Zur Phänomenologie und Metaphysik der Freiheit aus der Analyse der menschlichen → Freiheit. Vor dem Hintergrund seines Personalismus geht Scheler davon aus, daß sich Motivation „auf irgendeine Form der realen Verursachung überhaupt nicht reduzieren läßt: weder auf eine mechanische noch auf eine solche von Reiz und Reaktion“ (ScheGW 10, 168). Das Vorliegen von M.en deutet vielmehr auf den Tatbestand einer „erlebten Kausation“ (ebd.), durch die im Gegensatz zum rein triebhaften Handeln ohne M. die spezifisch-menschliche Freiheit charakterisiert ist. Phänomenolog. lassen sich an einem ,M. zu etwas‘ laut Scheler das → emotionale Vorfühlen eines künftigen Zustandes, die ,Lust zu etwas‘ als Triebfeder des → Wollens sowie der → Wert einer Handlung als Beweggrund des Wollens als Momente einer konkreten Motivationsganzheit unterscheiden. In der verstehenden Soziologie von Schütz taucht ,M.‘ als Grundbegriff der sozialphänomenolog. Handlungstheorie auf. In seinem Frühwerk Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt spricht Schütz im Rahmen seiner Theorie der Motivation vom Motivationszusammenhang des → Handelns als einem Sinnzusammenhang. Dabei unterscheidet er zwischen Um-zu-M.en und Weil-M.en (Schütz 1991, 115 ff.). Das Um-zu-M. motiviert die Ausführung einer Handlung: Es verweist auf den Endzustand, der einer Handlung als Zweck vorschwebt. Im Um-zu-M. spiegelt sich die subjektive Handlungssituation, weshalb es auch zur Erklärung der aktuellen Handlungswahl der Person herangezogen werden kann. Weil-M.e dagegen stellen „die per-

373 sönliche Verfassung einer Person zum Zeitpunkt einer Handlungsentscheidung dar, so wie sie sich aus seiner Biographie und den dort vorgefundenen Bedingungen erklären läßt“ (Esser 1991, 23). In der konkreten Situation sind die Weil-M.e dem Handelnden nicht explizit gegenwärtig: sie gehen unbewußt in den Entwurf ein und sind nur durch Interpretation des Konstitutionsvorganges, der zum jeweiligen Handlungsentwurf führt, aufzuklären. Merleau-Ponty verwendet die Begriffe M. und Motivation in seiner Phänomenologie der Wahrnehmung als wahrnehmungstheoretische Termini. Im Anschluß an Husserls Idee der Motivation unterscheidet er zwischen Gründen bzw. Ursachen und M.en von Sinneserfahrungen. Während der Begriff der Ursache auf ein objektives Wirkungsverhältnis verweist, bezeichnet ,M.‘ die leiblich vermittelte Korrelativität von Subjekt und Objekt. Motivation läßt sich also als ein Verhältnis sinngebender Wechselwirkung bestimmen, denn „im gleichen Maße, in dem das motivierte Phänomen sich verwirklicht, kommt sein innerer Bezug zum motivierenden Phänomen zur Erscheinung“ (Merleau-Ponty 1966, 73). Eine eher handlungstheoretische Bedeutung erhält der Begriff des M.s in Merleau-Pontys Erörterung des Freiheitsproblems. Menschliches Handeln ist grundsätzlich „frei, doch nicht ohne M.“ (ebd., 206). Das Motiviertsein einer Handlung zeigt sich im konkreten Entschluß, durch den ein M. geltend gemacht wird: „M. und Entschluß sind zwei Elemente einer Situation“ (ebd., 302). Da M.e allerdings keine determinierenden Ursachen sind, hebt die Motivation die menschliche Freiheit nicht auf, sondern bewirkt, „daß die Freiheit nicht ohne Stützpunkt bleibt“

Mythos (ebd., 515). Die Vorstellung absoluter Freiheit jenseits bestimmter M.e weist Merleau-Ponty gemäß seiner Idee des situativen → Engagements zurück. Ricœur verwendet den Begriff des M.s in Das Selbst als ein Anderer im Zusammenhang der Zurückweisung einer „dichotomischen Handlungstheorie“ (Ricœur 1996, 85), die behauptet, daß „der Gegensatz von M. und Ursache [...] strikt dem Gegensatz von Handlung und Ereignis“ (ebd., 83) entspricht. Ricœur behauptet dagegen, daß der Gegensatz von M. und Ursache aus phänomenolog. Sicht ebenso wenig zwingend ist wie die Identifikation von M. und Handlungs-M. Die rationalistische Handlungstheorie übersehe, daß die Suche nach den M.en einer Handlung (im Gegensatz zur abschließbaren Suche nach ihrem Urheber) grundsätzlich unabschließbar ist, „da die Kette der Motivation sich im Nebel unauslotbarer innerer und äußerer Einflüsse verliert“ (ebd., 120). Nicht zuletzt auf Grund der unhintergehbaren „Fremdheit der Begierde“ (ebd., 84) plädiert Ricœur dafür, „den Begriff des M.s in den der Ursache aufgehen zu lassen“ (ebd., 85). Qu.: Hua IV. – Hua VI. – ScheGW 10. – Merleau-Ponty 1945 (1966). – Schütz 1932 (5 1991). – Ricœur 1990 (1996). – Lit.: Esser 1991. – Rang 1973. TR

Mythos. Die phänomenolog. M.Theorien zeichnen sich dadurch aus, daß sie in engem Wechselgespräch mit (neu entstehenden) zeitgenössischen ethnologischen und prähistorischen Forschungen entwickelt wurden. So begrüßt bereits Husserl im Zusammenhang mit der Arbeit an der Krisis-Abhandlung die Arbeiten des Pariser Religionsethnologen und Völkerpsychologen Levy-Bruhl, dessen

Mythos ihm „vom Verfasser 1929“ zugesandtes Buch Die geistige Welt der Primitiven (München 1927) er nicht nur gründlich studierte und mit Randbemerkungen und Anstreichungen versah, sondern auf das er auch in einem Brief an den Autor vom 11. März 1935 explizit reagierte. Spuren dieser Beschäftigung mit kultureller Fremdheit finden sich im Werk dann einmal in den (um 1930 entstandenen) Nachlaß„Forschungsmanuskripten“ zur Phänomenologie der Intersubjektivität. Im Zusammenhang des Verstehens „primitiver Menschen“ und Kulturen (Hua XV, 233) stellt sich Husserl auch das beunruhigende Problem der Konfrontation mit fremden Mythen. Unter M. versteht Husserl ein den Generationswechsel überbrückendes Erzählen, das die Identität und damit den Fortbestand der fremden → Heimwelt sichert (ebd., 145). In der Konfrontation mit mythischer Fremderfahrung stellen sich vor allem zwei Probleme: Einmal das der Relativierung der eigenen Kultur und damit das Problem historischer Relativität überhaupt, sodann das Problem des Verstehens dieser fremden Mythen. Konkret auf die Griechen bezogen diskutiert Husserl das Problem des M. sodann im Wiener Vortrag (7./10. Mai 1935). Der M., so heißt es hier, gehöre notwendig zur „Umwelt“ der Griechen, d. h. zu ihrer „Weltvorstellung – [...] mit all den dann geltenden Wirklichkeiten, z. B. den Gütern, den Dämonen usw.“ (Hua VI, 137). Aber er reduziert ihn letztlich nur zu einem Horizont, der sich für eine Interessiertheit öffnet, und konfrontiert den M. mit der Freiheit der Theorie (ebd., 331). Heideggers Einstellung zum M. bleibt lange ambivalent. In Mythen werde einerseits auf uneigentliche, metaphorische Weise die Urbewegung des → Da-

374 seins dargestellt. Das Dasein, so heißt es 1927/28 über dessen Selbsterschlossenheit, „vollzieht zunächst keinen begrifflichen Unterschied zwischen der Seinsart seiner selbst und der Seinsart der Dinge, zu denen es sich verhält, und das so wenig, daß es zunächst sein eigenes Sein mit dem der Dinge identifiziert. So ist es in allem mythischen Denken [...]“ (HeiGA 1, 25, 24). Mythen beinhalten eine → Verfallenheit an die Dinge, was das alltägliche Besorgen ebenso wie die Philosophie betrifft. Die Auffassung des M. als Seinsverfehlung prägt auch Sein und Zeit: Wenn wir uns metaphorisch, mythisch verstehen, führen wir eine uneigentliche → Existenz. Andererseits hat aber das mythische Dasein noch ein Bewußtsein der Trennung zwischen ungemessener und alltäglicher Zeit, zwischen „Ungemessenheit, Mächtigkeit“ (die die transzendentale Zerstreutheit des Daseins überwindet) und „Alltäglichkeit“, d. h. zwischen der Zeit der Feste und der vulgären Zeiterfahrung (als unterschiedslos homogen). Heidegger bezog sein Wissen über den M. zu jener Zeit aus Cassirer, wie seine Interpretation des mythischen Daseins in der Rezension des 2. Bandes der Philosophie der symbolischen Formen zeigt. Heidegger paraphrasiert hier Cassirer in der Sprache von Sein und Zeit: Er konfrontiert die Schicksalsordnung des M. mit der alltäglichen Zeit, d. h. Heiliges mit Profanem. Der M. ist für Heidegger vorwissenschaftliche Wissenschaft (er geht vor allem von aitiologischen Mythen aus), er steht nicht in Bezug zur Religion, sondern ist allenfalls religiös. Mit der hier erhobenen Forderung einer neuen Philosophie des M. im Anschluß an Schelling und Cassirer bereitet sich eine Neubewertung des M. im Zuge der sog. → ,Kehre‘

375 vor: Ab 1929 wird W. F. Otto mit seinem Buch Die Götter Griechenlands, eine erste objektivistische Mythosinterpretation, wichtig, dann Hölderlin und die griechische Tragödie. Heidegger wollte die Erfahrung des → Göttlichen durch ein Zusammenwirken von Dichten und → Denken neu zur Entscheidung stellen. Mit der Verkehrung der → aletheia zur → Richtigkeit hängt zusammen, daß der M., das Wort und die → „Sage“ aus seinem Eigenwesen und in den Gegensatz zum logos gedrängt wurden (HeiGA 2, 54, 89 ff.). Es war die Sprache und Dichtung Homers, die den Griechen ihre Götter gegeben hat. So soll Hölderlin den Deutschen den Weg bahnen für den kommenden Gott, wenn er Gehör findet. Der späte Heidegger betont deshalb immer wieder, daß der M. das Denkwürdigste bleibt. Mit einer historisch gelehrten „Mythologie“ hat dies aber nichts zu tun (HeiGA 55, 14 f.). In seiner an die Religionsphänomenologie anschließenden frühen Hermeneutik der → Symbole sucht Ricœur nach Richtlinien für das kritische Verstehen der Primärsprache symbolischer Selbstauslegung, als die er den M. versteht. Ricœur möchte den ursprünglichen Begriff des M. wiederherstellen und gegen Übergriffe von Pseudomythologien schützen. Mit Eliade betont Ricœur vor allem die „Symbolfunktion“ des M., d. h. „sein Vermögen, die Bindung des Menschen an das ihm Heilige zu entdecken, zu entschleiern“. Der M. ist die „symbolische Wiedergutmachung und Wiederherstellung“ der verlorenen Ureinheit und Ganzheit (Ricœur 1971, 191). Ricœurs kritisches Verständnis des M. ist Platon verpflichtet; er gebraucht den platonischen Begriff des M., um das primäre Bewußtsein und die → Sprache des M.

Mythos zu entziffern (ebd., 192). Ricœur sieht zwei Charakteristiken des M.: daß er Wort ist, und daß bei ihm „das Symbol die Form der Erzählung annimmt“ (ebd., 191). Das Faktum des Schuldigwerdens sperrt sich jeder Beschreibung. Nur in der Konkretheit des M. und in der Sprache des Bekenntnisses kann das Fehlen bzw. das Schuldigwerden ausgesprochen werden. In seiner weiteren Entwicklung erscheint Ricœur diese frühe Hermeneutik der Symbole immer mehr zu einer Hermeneutik von Texten erweiterungsbedürftig. Im Grunde wäre alles schon zu Symbol und M. Gesagte aus der Perspektive der späteren sprachtheoretischen Arbeiten (vor allem zu den Themenbereichen „Metaphern und Erzählung“) wieder aufzugreifen. Auch für Patoˇcka ist der M. eine Aufhebung der profanen Zeit. Wie Ricœur begreift er ihn als ewige rituelle Wiederholung eines Urereignisses (Pato cˇ ka 1987, 107), und damit erblickt er in der „mythischen Urzeit“ „den Schlüssel zu allem, was wirklich geschah“ (ebd., 75). Für den M. ist die Realität „Erzählen“ (ebd., 78), und insofern ist er „die ursprüngliche Form, in der der Mensch seine Beziehung zur Welt in ihrer Totalität reflektierte“ (ebd., 108). Die „Kehrseite“ (ebd., 79) des M. liege in der Verführung des Menschen zur Passivität; um für die Zukunft offen zu werden, bedürfe der Mensch des Glaubens. In seinen späteren Schriften stellt Patoˇcka der vorgeschichtlichen natürlichen → Welt (die er mit Arendt als von reiner Selbstreproduktion bestimmt sieht) die Welt der Geschichte gegenüber. Mit Polis und Philosophie tut sich zwischen den Menschen und den ihm bisher vertrauten Dingen ein Abgrund auf, der den Beginn der Geschichte markiert. An die Stelle des

Mythos dunklen Erratens des M. tritt das ausdrücklich fragende Suchen der Philosophie (Patoˇcka 1988, 232-238). Es ist vor allem die mit der Schrift einhergehende Entstehung eines kollektiven → Gedächtnisses, die dazu führt, daß der M. auf „höherer Ebene“ (ebd., 237) wiederholt wurde. Es ging darum, „das Menschenbild des M. beim Wort zu nehmen, eine Tat, welche ihresgleichen nicht hat in der Geschichte des menschlichen Geistes“ (ebd., 234).

376 Jetzt erst entsteht die Voraussetzung für ein Suchen nach Gründen und Begründung, wie es die Philosophie darstellt. Qu.: HeiGA 2. – HeiGA 55. – Heidegger 1954. – Ricœur 1960b (1971). – Patoˇcka 1987. – Patoˇcka 1988. – Lit.: Ales-Bello 1993. – Held 1991. – Lacoue-Labarthe 1987. – Lohmar 1997. – Merker 1989. – Villwock 1984. CJ

N Nacht steht bei Patoˇcka als Metapher stellvertretend für eine andere, dunkle und abgründige, aber öffnende und befreiende Seite des Lebens, die in den alltäglichen Verrichtungen meist verdeckt bleibt. Der Begriff muß in enger Anlehnung an Heideggers Thematisierung des → „Nichts“ in Was ist Metaphysik? gesehen werden, wie sich bis in einzelne Formulierungen hinein zeigt. Während Heidegger von der „hellen N. des Nichts der Angst“ spricht, in der sich „die ursprüngliche Offenheit des Seienden als eines solchen“ zeigt, charakterisiert Pato cˇ ka die N. als das „fruchtbare Dunkel“, „aus dem der Blitz des Seins hervorschlägt“. Auch Heideggers Bestimmung des → „Da-seins“ als „Hineingehaltenheit in das Nichts“ findet sich bei Patoˇcka als „Hineingehaltensein des Lebens in die N., den Kampf und den Tod“ wieder. Die N. ist Inbegriff der Negation aller positiven Lebensziele, sie durchbricht die „Dämonie des Tages“, die das Leben verflacht, und mahnt zu einem „Sich-Bewähren an der Grenze der menschlichen Möglichkeiten“. In dieser Akzentuierung weist der Begriff N. auch Parallelen zum Herakliteischen polemos auf. Qu.: HeiGA 9. – Patoˇcka 1975 (1988). – Lit.: Ricœur 1988b. LH

Nacktheit. Levinas bestimmt die N. einer Sache als Überschuß ihres → Seins über ihre Finalität hinaus. Davon unterscheidet er die N. des → Antlitzes, die darin besteht, daß das Antlitz alle Formen durchbricht und so keinen Bezug zu einem System mehr hat, sondern

durch sich selbst ist. Die N. des → Leibes ist auf die N. des Antlitzes bezogen, zeigt sich dem anderen Menschen in der Abscheu oder im Begehren und wird als Scham empfunden. Die erotische N., die zugleich exhibitionistische N. ist, bezeichnet die Schamlosigkeit und die „Profanation“, d. h. die Zweideutigkeit, die in der „Gleichzeitigkeit des Geheimen und des Entdeckten“ (Levinas 1987, 374) besteht. Die erotische N. sagt das Unsagbare, ohne daß das Unsagbare vom → Sagen getrennt werden kann, das unaufhebbar zweideutig bleibt. In seiner Spätphilosophie bezeichnet Levinas die Passivität der → Verantwortung für den anderen Menschen als N., die nackter ist als jede herkömmliche N., weil sie selbst die Ausgesetztheit an den anderen Menschen noch entblößt. (Levinas 1992, 64) N. ist Verwundbarkeit durch den Anderen oder die Andere bis zur Erschöpfung. Qu.: Levinas 1961 (1987). – Levinas 1974 (1992). – Lit.: Duerr 1988. – Duerr 1990. – Duerr 1993. – Duerr 1997. RE

Nähe. In Abhebung von einer gewöhnlichen metaphys. Betrachtungsweise, die sich stets am Seienden orientiert, ist für Heidegger N. keine quantitativ meßbare Größe, sondern verweist auf das ursprüngliche Zusammengehören von → Sein und Menschenwesen. „Doch näher als das Nächste, das Seiende, und zugleich für das gewöhnliche Denken ferner als sein Fernstes ist die N. selbst: die Wahrheit des Seins.“ (HeiGA 9, 332) In der N. des Seins wird der Mensch allererst in die → Heimat seines geschichtlichen →

Naivität Wohnens und somit in sein → Wesen gehoben, das ihm das Anwesen von Seiendem gewährt und die Ankunft oder Flucht der → Götter bereitet. Die N. als → Lichtung und → Wahrheit des Seins ereignet sich als Zuspruch der → Sprache (→ Sage). Im Gegensatz zur ontolog. Dimension der N. bei Heidegger erhält der Terminus beim späten Levinas eine ethische Konnotation, durch die die Beziehung zum → Anderen (l’autre) angezeigt wird, der sich nicht restlos auf das Selbe zurückführen läßt. Der Andere geht das Selbst (Ich) immer schon in einer Weise der ethisch verstandenen Nicht-Indifferenz an, d. h. jeder hat für seinen Nächsten → Verantwortung zu übernehmen bis hin zur Stellvertretung. Die nicht reziproke N. ist als unhintergehbarer unendlicher → Anspruch des Anderen leibhaft konkret und drückt sich in der Sensibilität für den Anderen aus. Qu.: HeiGA 9, 332-339. – Levinas 1949 (1983). – Levinas 1974 (1992). – Lit.: Kettering 1987. MF

Naivität. Naiv ist für Husserl der Vollzug der Bewußtseinsakte bei Annahme dinglicher → Transzendenz, d. h. einer bewußtseinsunabhängigen → Wirklichkeit. Der N. der positiven Wissenschaften bleibt das transzendentale Korrelat, die fungierende → Intentionalität, verschlossen, weshalb Husserl von einer „transzendentalen N.“ spricht (Hua VI, 196, 213; Hua IX, 250 u. ö. unter Bezugnahme auf die Psychologie). Sie äußert sich dadurch, daß diesen Wissenschaften die Notwendigkeit verschlossen bleibt, auf die letzten Prinzipien zurückzugehen, aus denen sich alles Seiende in seinem → Sinn konstituiert. Das in der → Epoché erreichte neue Denken wird immer wie-

378 der von der N. des natürlichen Menschenverstandes verfälscht. Die Phänomenologie selbst ist darauf angewiesen, ihre Forschungen „in einer gewissen unvermeidlichen N.“ (Hua VI, 158) zu beginnen. Dabei ist die Epoché selbst in einer N. befangen („N. der ersten Epoché“; ebd., 190): Das philosophierende → Ego erfaßt sich zwar zu Recht als Ichpol → transzendentaler Akte, ist aber nur als „stumme Konkretion“ gegeben, weil verabsäumt wird, in die Konkretion des transzendentalen Ego zurückzufragen. Das „naiv gewesene Ich“ erweist sich, nachdem zur „Aussprache“ gebracht, als „das transzendentale in dem Modus naiver Verschlossenheit“ (ebd., 214). Die transzendentale Phänomenologie ist insgesamt ein „Bruch mit der N.“. Fink folgt Husserls Auffassung bezüglich der N. der vorphilosoph. Haltung, treibt aber diese Bestimmung weiter. Er zeigt auf, daß jede Philosophie ihren nur ihr zugehörigen Begriff der N. hat, mit dem sie anfängt; dies ist in ihrer Endlichkeit begründet. So bestimmt Husserl die N. der natürlichen → Einstellung am → Leitfaden der Intentionalität, während Heideggers „ontolog. These der N.“ auf den nicht vollzogenen Unterschied von Sein und Seiendem blickt; in diesem Fall erweist sich die N. als eine „verkümmerte Weise der Wahrheit“. Qu.: Hua III/1, § 50. – Hua VI, §§ 55, 59. – Fink 1976, 98-126. HV

Name. Zweierlei N.n unterscheidet Husserl: 1. jene, die etwas als Seiendes vermeinen, und 2. N.n, für welche dies nicht zutrifft. Im ersten Fall bringt z. B. „der vorübereilende Postbote“ zum Ausdruck, daß dieser wirklich

379 vorübereilt, für den zweiten Fall nennt Husserl jede Existenzialerwägung ohne Seins-Stellungnahme (wie das negative Existenzialurteil „ein Dreieck mit zwei rechten Winkeln“). In Frage kommt hier die erste Gruppe: setzende → Vorstellungen im nominalen → Akt. Diese sind ihrerseits von den prädikativen → Urteilen zu unterscheiden. Der N. ist mehr als nur das Substantiv, sondern zusammen mit dessen Artikel (und gegebenenfalls auch anderen Ausdrücken) Träger der Bedeutungsfunktion und damit Ausdruck von Vorstellungen. Auch wenn ein großer Teil der N. aus Urteilen entsprungen ist, sind doch die Funktionen verschieden: die prädikative Funktion des Urteils von der attributiven Funktion des N.s. „Vorstellen“ und „Urteilen“ sind wesensverschiedene Akte. Im ersten Fall wird Seiendes als solches genannt, im zweiten von ihm prädiziert, daß es ist. Daß jedem setzenden N. ein mögliches Urteil entspricht, beruht auf idealgesetzlichen Zusammenhängen. Auch wenn Heidegger auf den Unterschied zwischen dem „reine[n] Nennen“ und der → Aussage hinweist (HeiGA 15, 328), ist doch der Kontext im Vergleich mit Husserl völlig anders. N. ist kein bloßes Zeichen, ist nicht „Benennung“, sondern „Nennung“ (HeiGA 13, 52), erhält seine Bedeutung von einem Nennen, dieses wiederum wird als ein Rufen verstanden. Was dieses ruft, sind die → Dinge und die → Welt, aus der diese erscheinen. Das hier ins Spiel gebrachte Wesen der → Sprache wird aus dem Wesen der → Dichtung verstanden. Qu.: Hua XIX/2, V. Log. Unt., §§ 34-36. – HeiGA 12, 7-30. HV

Narrativität Narrativität. Zentraler Begriff des Werkes Zeit und Erzählung von Ricœur. Begriff und Grundthese: N. ist nach Ricœur jene Funktion der Sprache, die es gestattet, die Zeitlichkeit der menschlichen Erfahrung zu artikulieren. Die „Reziprozität von N. und Zeitlichkeit“ (Ricœur 1988, 13) ist die Grundthese seines dreibändigen Werkes Zeit und Erzählung: „Die Zeit wird in dem Maße zur menschlichen, wie sie narrativ artikuliert wird; umgekehrt ist die Erzählung in dem Maße bedeutungsvoll, wie sie die Züge der Zeiterfahrung trägt.“ (ebd., 13) Erweiterung des narrativen Feldes: Das Feld des Narrativen umfaßt nach Ricœur nicht nur den von der traditionellen Erzählforschung bzw. von der modernen Narratologie untersuchten Bereich der „Epik“, sondern auch den Bereich des „Dramas“. Kriterium der Zugehörigkeit zum narrativen Feld ist für Ricœur nämlich das Vorhandensein einer „Fabel“ (frz. intrigue, engl. plot), durch die verschiedene Geschehnisse zu einem ein Ganzes bildenden Handlungsablauf zusammengefügt werden. Die „Gespaltenheit“ des narrativen Feldes: Es gibt nach Ricœur zwei grundlegende Modi der N.: das historische Erzählen (das Ricœur gegen nicht-narrative Formen der Geschichtsschreibung in Schutz nimmt) und das literarische Erzählen. Trotz der grundlegenden Unterschiede zwischen dem (fiktiven) literarischen Erzählen und der mit dem Anspruch auf Wissenschaftlichkeit auftretenden Historiographie glaubt Ricœur von einer „einheitlichen narrativen Struktur“ der beiden Genera sprechen zu können. Dreifache Mimesis; PräfigurationKonfiguration-Refiguration: Im Zentrum der Ricœurschen Konzepti-

Natur on steht der „konfigurierende“ Akt der „Fabelkomposition“ („mise-enintrigue“), durch den „das Mannigfaltige der Umstände, Ziele, Mittel, Initiativen und Wechselhandlungen, der Schicksalsschläge und aller unbeabsichtigten Folgen des menschlichen Handelns zu einer umfassenden und vollständigen Handlung vereinigt“ (Ricœur 1988, 8) werden (deshalb ist für Ricœur jede Erzählung eine „Synthesis des Heterogenen“ (ebd., 7; Ricœur 1989, 265 f.) bzw. eine „dissonante Konsonanz“ (concordance discordante) (Ricœur 1988, 117). Die „Fabelkomposition“ ist eine „mimetische“ Tätigkeit, eine „Nachahmung“ („mimesis“) der menschlichen Praxis – „Nachahmung“ dabei verstanden nicht als „Abbild“ oder „Kopie“, sondern als kreative Neugestaltung. Dieser schöpferische Akt der „Fabelkomposition“ (von Ricœur als „Mimesis II“ bezeichnet) hat ein „Davor“ und ein „Danach“: das „Davor“ (die „Mimesis I“) ist die – selbst schon symbolisch vorstrukturierte – Welt des alltäglichen Leidens und Handelns, das „Danach“ (die „Mimesis III“) ist die Erfahrungswelt des Lesers, die durch die sich im „Akt der Lektüre“ vollziehenden Begegnung mit der Konfiguration des Werkes umgeformt, „re-figuriert“ wird. Der Weg führt also von der „prä-figurierten“ Welt des alltäglichen Leidens und Handelns über die „kon-figurierte“ Welt des dichterischen (oder historischen) Werkes zur „re-figurierten“ Erfahrungswelt des Lesers. Qu.: Ricœur 1983 (1988). – Ricœur 1984 (1989). – Ricœur 1985 (1991). – Lit.: Bouchindhomme/Rochlitz 1990. – Joy 1997. FP

Natur. Die Wandlungen im Begriff der N. bedingen auch die Verschiedenar-

380 tigkeit der phänomenolog. Analysen des Phänomens der N. Ist für die frühe griechische Philosophie N. (physis) noch der Name für das Sein im Ganzen, so denken Platon und Aristoteles an den bestimmten Seinsbereich dessen, das im Gegensatz zu dem von Menschen Hergestelltem von selbst aufgeht und vergeht. Für das Mittelalter ist N. die Schöpfung des außerweltlichen Gottes, den der neuzeitliche Pantheismus eines Spinoza in die N. hineinnimmt (Deus sive Natura). Mit der Ausbreitung der modernen Naturwissenschaften bahnt sich deren Gegensatz zu den Geisteswissenschaften an (N. und Geist bzw. Geschichte, Gesellschaft, Kultur). Wenn Husserl von N. spricht, bewegt er sich zum einen im Sprachgebrauch der Tradition und stellt der N. die Kulturwelt bzw. die Welt der Menschen mit ihren sozialen Formen gegenüber (vgl. Hua I, 78 u. 88). Oder er thematisiert den Naturbegriff, der als Theorie einer in sich geschlossenen Körperwelt die neuzeitlichen Naturwissenschaften seit Galilei und Descartes prägt; die Aufgabe von deren Rückführung auf den → Boden der → Lebenswelt wird leitendes Thema seines Spätwerks (Hua VI; zum Gesichtspunkt der Klassifikation und Grundlegung von N.- und Geisteswissenschaften vgl. bes. Hua XXXII). Sein leitendes Interesse – das die genannten Gesichtspunkte positioniert – gilt der → Konstitution der N. Es geht – den Hauptthemen von Ideen II folgend – um die Konstitution der materiellen N., die Konstitution der animalischen N. und hier im besonderen um die der seelischen Realität durch den → Leib sowie um die naturalistische Welt und deren Unterordnung unter die personalistische oder geisti-

381 ge Welt. Als Gegenstand der Naturwissenschaft stellt sich die N. als das gesamte räumlich-zeitliche Weltall dar, als Feld räumlich-zeitlicher transzendenter Realitäten (Hua IV, § 1). Phänomenolog. ist sie das Korrelat der in der naturwissenschaftlichen (doxischtheoretischen) → Einstellung vollzogenen → Erfahrung. Für diese ist N. eine Sphäre von Gegenständlichkeiten, die sich von anderen Sphären zunächst dadurch unterscheidet, daß die Naturwissenschaft keine Wertprädikate und keine praktischen Prädikate kennt; korrelativ dazu ist das rein theoretische → Interesse des Subjekts. In solch theoretisch gereinigter Einstellung begegnen nicht mehr Häuser oder Straßen, sondern rein materielle Dinge; bei wertbehafteten Dingen wie Kunstwerken wird nur die → Schicht der räumlich-zeitlichen Materialität erfahren, beim Menschen nur die der leibgebundenen seelischen N. N. im ersten (untersten) Sinn ist somit materielle N., dann im zweiten (erweiterten) Sinn animalische N. Das Wesensmerkmal der materiellen N. ist die Ausdehnung, (die extensio des Descartes). Zur animalischen N. gehört zwar als Unterschicht die materielle, ihre Oberschicht schließt aber gerade das Wesensmerkmal der ersten, die Extension, aus. Das objektive materielle → Ding ist in der Mannigfaltigkeit der sinnlichen → Anschauungen eines erfahrenden Dinges konstituiert; das diesem korrelative Subjekt läßt sich aber mit dieser Bestimmung noch nicht zureichend erfassen: Das materielle Ding ist auf den Leib und dessen sinnliche Erfahrung bezogen. Der Leib, in dem die Empfindungsakte lokalisiert sind, ist mit seinen Gliedern in jeder Erfahrung gegenwärtig, so wie jedes Ding seine Orientierungsbeziehung auf ihn

Natur hat (ebd., § 18); er ist das Orientierungszentrum, der „Nullpunkt all dieser Orientierungen“ (ebd., § 41). Gegenstand der Konstitution der animalischen N. sind die animalia, die → Lebewesen, als Hauptthema die anima, die → Seele in ihrer Konstitution durch den Leib). Die Erforschung des Wesens der Seele betrifft sowohl die des Menschen als auch die des Tieres (die „animalische Spezies“, vgl. Hua XIX, Nr. 6 u. Beilage XIII). Unter den materiellen Dingen gibt es einerseits bloß materielle, anderseits solche, die mit einer neuen Seinsschicht, dem Seelischen, verknüpft sind: die Leiber. Das Seelische erscheint zunächst als Erlebnis- oder Bewußtseinsstrom (Empfindungen, Wahrnehmungen, Erinnerungen, Gefühle usw.), doch ist der eigentliche Seelenbegriff mit dem des Erlebnisstromes nicht identisch. Zum Wesen der Seele gehört die Abhängigkeit von „Umständen“, woraus sich eine mehrfache Schichtung ergibt: in „physiopsych.“ Hinsicht die Abhängigkeit vom Leib, damit von der phys. N. (von Empfindungen, einschließlich der Gefühls- und Triebempfindungen, von deren Reproduktionen in Phantasmen u. dgl.); in „idiopsychischer“ Hinsicht, insofern der Gesamterlebnisstand der Seele von den früheren Erlebnissen abhängig ist (Dispositionen wie Assoziation, Gewohnheit, Gedächtnis u. dgl.); in intersubjektiver Hinsicht bezüglich der Abhängigkeitsbeziehungen innerhalb der seelischen Realität (in der Gegebenheit fremder Animalien). Die Konstitution der N. erfolgt in verschiedenen Schichten: zuunterst die anschauliche materielle Welt in Korrelation zum erfahrenden Subjekt; die fremden Subjekte (zugleich als Naturobjekte und als Analoga des eigenen Subjekts apperzipiert); die N. als in-

Natur tersubjektiv gemeinsame (objekt exakt bestimmbar) und das eigene Subjekt als deren Glied. Die gesamte N. – phys. wie animalische – konstituiert sich für das → absolute Subjekt mit seinen → Erlebnissen. „Die N. ist eine von Subjekten gesetzte und zu setzende, und zwar in Vernunftakten zu setzende Einheit von Erscheinungen.“ (Hua IV, 171) Diese Analyse der N. weist aber über sich hinaus, u. zw. „in das Feld der Subjektivität, die nicht mehr N. ist“ (ebd., 172). Für Scheler ist N. zum einen das im lebendigen Vollzug der äußeren Erfahrung selbst und unmittelbar Gegebene; erst im Bewußtwerden eines → Aktes innerer → Wahrnehmung, in dem das → Ich erscheint, zusammen mit einem Akt äußerer Wahrnehmung, in dem N. erscheint, wird der äußere Gegenstand als solcher wahrgenommen. Anderseits ist die N. Gegenstand der Physik und Chemie, dies jedoch innerhalb der Grenzen der Strukturbeschaffenheit des → Milieus. Die in diesen Wissenschaften zum Tragen kommende mechanistische Naturerklärung ist nicht von einem puren Willen zur → Erkenntnis geleitet, sondern steht im Dienste der Naturbeherrschung. Das Sein der N. ist „transbewußt“, wobei Scheler vier Stufen unterscheidet: 1. Kraftfaktoren (sie allein machen das Reale der N. aus), 2. Raumzeitsystem, 3. transzendente ideale Bilder (Körperbilder, d. h. alles, was an einem Körper überhaupt wahrgenommen werden kann: Ausdehnung, Eigenschaften, Bewegung u. dgl.) in wesensgesetzlichem Aufbau, 4. Umweltstruktur und Umweltbilder. Dazu kommen im Bereich der Wissenssphäre 1. die wesensmöglichen Wahrnehmungen, 2. die wirklichen Wahrnehmungen, 3. die sinnlichen Erscheinungen

382 (ScheGW 8, 294 f). Die Art des Wissens um die N. nennt Scheler Naturmetaphysik. Dabei spielt das Verhältnis von N. und Weltgrund die zentrale Rolle. Sie beginnt dort, wo die Physik der „Bilder und Prinzipien“ (ScheGW 11, 129) aufhört. Die absoluten Wirksamkeiten gehen vom obersten Subjekt aus, das weder im Raum noch in der objektiven Zeit ist, das auch nicht in den wechselnden Kraftfeldern manifest ist und dennoch die Potenz zu den wechselnden Wirksamkeiten besitzt. Sie wirkt in der absoluten Werdeform der Zeit. Conrad-Martius geht es grundsätzlich darum, angesichts der Erkenntnisse der Naturwissenschaften Wesensgrenzen und Wesensbestimmtheiten aus philosoph. Sicht zu ermitteln, ohne mit den Daten der Physik oder Biologie in Konflikt zu geraten. Daher geht sie in ihrer Naturphilosophie von einem umfassenden empirischen Material aus und zielt darauf ab, physikalische und biologische Zusammenhänge, die innerhalb dieser Wissenschaft nicht zureichend begründet werden können, nach evidenten Wesensgesetzen zu erfassen. Im Ausgang von dem von Driesch in Aufnahme aristotelischer Gedanken entwickelten Begriff der Entelechie differenziert sie zwischen Wesensentelechien (die der Art eines Lebewesens unveränderlich zugrunde liegen) und Bildungsentelechien (aus deren kausal bestimmbarer Wirksamkeit der Leib hervorgeht), die sich ihrerseits in „Einzelbildungspotenzen“ (Conrad-Martius 1961, 75) ausgliedern. Zu den Grundfragen im Bereich der tierischen Morphogenese gehört die Abhängigkeit der Wesensentelechie von der materiellen Konstellation (Zellteilung, Wachstum, Assimilation u. dgl.). Die physikalisch-

383 mathematische Beherrschbarkeit des Kosmos macht es erforderlich, eine neue Kategorialität zu entwickeln, „die sich auf die letzten Fundamente des phys. Seins bezieht“ (ebd. 341). Materialität ist dabei nicht etwas Letztes und Unauflösbares, doch bedarf es zur Erhebung der „inneren“ Beschaffenheit der Materie nicht phys., sondern seinskonstituierender Potenzen. Dies sind die „äthetische Enthebungsdynamis“ (aus der die Verwirklichung der stofflichen Substanzen in ihrem spezifischen Wesen hervorgeht) und die „massenhyletische Potentialität“ (als die materiale Potenzgrundlage, aus der heraus physische Stofflichkeit verwirklicht werden kann). Phys. Energie ist niemals reine Energie, hingegen ist sie in der entelechialen Energetik (im entelechialen Aufbau lebendiger Wesen) rein gegeben. Im Bereich der Lebewesen gibt es einen hierarchisch geordneten entelechialen Aufbau. Die Entwicklung vollzieht sich dabei unter drei Aspekten: 1. als Epigenese (im Biologischen die Zunahme an Form und Funktion), 2. als Potenzverringerung (Einengung der Möglichkeiten bis hin zum Tod), 3. in Ausgestaltung immer neuer Seiten des Lebewesens. Heidegger unterscheidet grundsätzlich drei Zugänge zur N.: die UmweltN., den homogenen Naturraum der Mathematik und Physik der Neuzeit, die N. als Naturmacht. Der homogene Naturraum setzt bereits eine Entdeckungsart des begegnenden Seienden voraus, in der das Zuhandene zum Vorhandenen entweltlicht wird. Eine Rückgewinnung der → Umwelt gegenüber der „Naturwelt“ erfordert daher einen zureichenden Weltbegriff. In der Umwelt-N. wiederum, die in der → Welt des → Zeugs mit der öffentlichen Umwelt mitentdeckt ist, verbirgt

Natur sich die Naturmacht als „das, was webt und strebt“ (HeiGA 2, 95), als N., die überwältigt und gefangen nimmt. Basis für eine Bewältigung dieses Problems ist zunächst die → Befindlichkeit. Diesen Gedanken der Naturmacht weiter verfolgend und vertiefend stellt Heidegger nach der → Kehre zwischen N. und Zeit einen Zusammenhang her (namentlich in der Interpretation von Hölderlins „Feiertagshymne“). Die N. wird „älter denn die Zeiten“ genannt, nämlich denen, „die den Menschen und Völkern und Dingen zugemessen sind“. Die N. ist nicht älter als die Zeit (versteht man darunter die physikalisch meßbare Zeit) – sie ist vielmehr „die älteste Zeit“ im Unterschied zum Überzeitlichen der → Metaphysik und zum Ewigen der christlichen Theologie. Die so gedachte N. zeitigt „als die wunderbar Allgegenwärtige“, die „allem Wirklichen die Lichtung verschenkt“ (HeiGA 4, 59). Sie läßt sich nicht vom Naturgang der Jahreszeiten her bestimmen, die vielmehr umgekehrt in die rechte Zeit eingefügt sind. Daß die N. ihrem Wesen nach → Gabe ist und als solche alles hervorgehen läßt, rechtfertigt es, von ihr zu sagen, sie sei selbst der Geist. Als solcher fügt sie alles Wesentliche, bestimmt sie auch den Bezug der → Götter zu den Menschen. N. wird hier nicht im Gegensatz zur Geschichte gedacht, sie ist das „Seyn“. Wenn das griechische „Grundwort“ physis lat. mit „natura“ übersetzt wird, so ist dies bereits eine interpretierende Verfremdung. Erst von der Bedeutung von physis als „Aufgehen in das Offene“, „Lichten der Lichtung“ (in den Heraklit-Vorlesungen im einzelnen ausgeführt), läßt sich das Wesen der N. als der → Lichtung begreifen, wobei Heidegger mit Hölderlin den Namen „N.“ im Zeichen

Naturalismus eines anfänglicheren Sagens zurückläßt. Für Merleau-Ponty erweist sich die N. als Rätsel, das Subjekt wie Geist, Geschichte wie Philosophie überhaupt angeht. In kritischer Absetzung gegenüber der Reflexionsphilosophie und dem Empirismus zeigt er, daß der primordiale → Raum nicht der geometrische Raum ist, stellt aber gleichzeitig auf einen Naturbegriff ab, der über die spezifisch anthropologische Erfahrung hinausgeht, die immer „einem natürlichen und unmenschlichen Raume verhaftet“ bleibt (Merleau-Ponty 1966, 341). Daher erscheint sie im Spätwerk auch als die andere Seite des Menschen – nicht als Materie, sondern als → „Fleisch“. Qu.: Hua II. – Hua XXXII. – ScheGW 8, 191-382. – Conrad-Martius 1961. – Conrad-Martius 1964. – HeiGA 2. – HeiGA 4 – HeiGA 16, Nr. 282. – HeiGA 55. – Merleau-Ponty 1945 (1966). – MerleauPonty 1964 (1986). – Lit.: Avé-Lallemant 1959. – Bohlen 1993. – Henckmann 1998. – Rang 1990. HV

Naturalismus. Der Ausdruck N. kommt aus der Literaturwissenschaft und orientiert sich schon dort am Ideal naturwissenschaftlicher Erkenntnis der Realität. 1887 veröffentlicht der Literaturwissenschaftler Wilhelm Bölsche ein Buch mit dem Titel Die naturwissenschaftlichen Grundlagen der Poesie. Dieser Vorrang naturwissenschaftlichen Erkennens spielt auch in Husserls Kritik am N. eine maßgebliche Rolle. Für die naturalistische Umdeutung des Erkenntnisproblems ist allerdings schon der englische Empirismus (Locke) von entscheidender Bedeutung; er findet im positivistischen → Psychologismus seine Fortsetzung. Husserl versteht unter N. „eine Folge-

384 erscheinung der Entdeckung der Natur, der Natur im Sinne einer Einheit des räumlich zeitlichen Seins nach exakten Naturgesetzen“ (Hua XXV, 8). Parallel dazu ist als Folge der Entdeckung der Geschichte der Historismus entstanden. Die Bandbreite des N. reicht vom populären Materialismus bis hin zu den damals neuesten Formen monistischen Philosophierens. Gemeinsam ist ihnen zweierlei: „einerseits die Naturalisierung des Bewußtseins, einschließlich aller intentional-immanenten Bewußtseinsgegebenheiten; andererseits die Naturalisierung der Ideen und damit aller absoluten Ideale und Normen“ (ebd., 9). Qu.: Hua XXV (Philosophie als strenge Wissenschaft; Phänomenologie und Erkenntnistheorie §§ 9-11). HV

Negation. In Sein und Zeit fragt Heidegger ausdrücklich nach dem Ursprung der N.: „Warum nimmt alle Dialektik zur N. ihre Zuflucht, ohne dergleichen selbst dialektisch zu begründen, ja auch nur als Problem fixieren zu können? Hat man überhaupt je den ontolog. Ursprung der Nichtheit zum Problem gemacht oder vordem auch nur nach den Bedingungen gesucht, auf deren Grund das Problem des Nicht und seiner Nichtheit und deren Möglichkeit sich stellen läßt?“ (HeiGA 2, 379) Als diesen Ursprung der Möglichkeit der „Verneinung“, d. h. des Nicht, ortet Heidegger in Was ist Metapysik? das → Nichts. „Wir behaupten: das Nichts ist urprünglicher als das Nicht und die Verneinung.“ (HeiGA 9, 108) Dieses Nichts aber, dessen „Platzhalter“ der Mensch ist und in das er hineingehalten ist, was in der → Stimmung der → Angst offenbar wird, rückt Heidegger

385

Nichts

in die → Nähe des → Seins, insofern das Sein nicht wie Seiendes ist und daher von diesem aus betrachtet Nichts ist. „Das Nichts ist das Nicht des Seienden und so das vom Seienden her erfahrene Sein.“ (ebd., 123) Qu.: HeiGA 2. – HeiGA 9. – Lit.: Tugendhat 1970. MW

Nennen. Ähnlich dem Begriff → „Sagen“ bezeichnet auch der Terminus N. bei Heidegger das Eigene der → Dichtung. „Was ist dieses Nennen? Behängt es nur die vorstellbaren, bekannten Gegenstände und Vorgänge: Schnee, Glocke, Fenster, fallen, läuten – mit den Wörtern der Sprache? Nein. Das N. verteilt nicht Titel, verwendet nicht Wörter, sondern ruft ins Wort.“ (HeiGA 12, 18) Das N. ist nicht die nachträgliche Behaftung eines vorliegenden Seienden mit einem Wortetikett, vielmehr bringt das N. das Seiende allererst zum Erscheinen (→ Sein). „Das Wort sagt sich dem Dichter als das zu, was ein Ding in dessen Sein hält und erhält.“ (ebd., 158) Auf das „Zusammengehören“ der „beiden ausgezeichneten Weisen des Sagens, Dichten und Denken“ (ebd., 175) als Weisen des „Selben“, verweist Heideggers Satz aus dem Nachwort zu Was ist Metaphysik?: „Der Denker sagt das Sein. Der Dichter nennt das Heilige.“ (HeiGA 9, 312) Qu.: HeiGA 9. – HeiGA 12.

MW

Nichts. (frz.: le néant) Fundamentale Bedeutung hat das N. in Heideggers Ausarbeitung der Seinsfrage. In Sein und Zeit kommt dem N. die vorbereitende Aufgabe zu, innerweltlich Seiendes (Zuhandenes, Vorhandenes) in dessen Bedeutungslosigkeit zu enthüllen; dies geschieht in der Grundbefind-

lichkeit der → Angst (HeiGA 2, § 40). Daß diese vor das N. stellt, bedeutet, daß die → Welt nichts Seiendes ist. Sie ist, wie es anderwärts heißt, „das N., das sich ursprünglich zeitigt [...], das nihil originarium“ (HeiGA 26, 272). Diese ursprüngliche Zeitlichkeit der Welt erfährt das → Dasein als → In-der-Welt-sein im → Vorlaufen zum Tod, wodurch im Zusammenbruch der innerweltlichen Bedeutungen die → Eigentlichkeit des Daseins frei wird. Wenn dieses durch die Angst vor das N. gebracht wird, enthüllt sich ihm damit seine eigene Nichtigkeit, die es „in seinem Grunde bestimmt, der selbst ist als Geworfenheit in den Tod“ (HeiGA 2, 409). In der Abhandlung Was ist Metaphysik? wird die Position des N. noch deutlicher dahingehend bestimmt, daß es zwar die Ganzheit des Seienden vollständig verneint, doch gerade dadurch die Möglichkeit einer Erfahrung dieser Ganzheit (des Seienden im Ganzen) aufscheinen läßt. Diese Erfahrung manifestiert sich allerdings nicht, wie schon in Sein und Zeit ausgeführt, im → Verstehen, sondern in der → Befindlichkeit. Zur Angst kommen nun auch andere Grundstimmungen: die → Langeweile (HeiGA 29/30, §§ 19-38), „die Freude an der Gegenwart des Daseins [...] eines geliebten Menschen“ (HeiGA 9, 110), die Scheu (ebd., 307, vgl. HeiGA 54, 110). In solchen Grundstimmungen „schickt uns“ das N. das noch unentfaltete → Wesen des → Seins zu, das damit als das Andere zu allem Seienden erscheint (ebd., 306). Es ist als „das Nicht des Seienden“ „das vom Seienden her erfahrene Sein“; dieses Nicht ist die ontologische → Differenz (ebd., 123), der Unterschied von Sein und Seiendem, der sich in der Zeitlichkeit des Daseins vollzieht (HeiGA 24,

Nichts 456). Könnte mit der Aussage, das N. sei das noch unentfaltete Wesen des Seins, der Anschein genährt werden, das N. sei das Leere gegenüber der Fülle des Seins, so wird dieser Auffassung seinsgeschichtlich der Boden entzogen: Das N. „ist“ weder das nur Nichtige noch das bloß unbestimmte Sein. Es „ist“ auch mehr als das bloß Nichtende (dies wäre zwar bereits seinsgeschichtlich, jedoch noch einseitig vom Dasein her gedacht, vgl. HeiGA 66, 312). Das N. als das Sichentziehen (→ Entzug) gehört als Grundzug des „Wesens“ des Seins zu diesem selbst (HeiGA 65, Nr. 129, vgl. aber schon HeiGA 9, 115). Die Zugehörigkeit des N. zum Sein läßt sich auf dem Boden der → Metaphysik nicht denken. Das Unvermögen dazu manifestiert sich in der Gestalt des Nihilismus; dieser gehört deshalb zur „inneren Logik“ der Metaphysik des Abendlandes (HeiGA 9, 223). Nietzsche kommt Heideggers Deutung zufolge nicht über die Metaphysik hinaus, weil er den Nihilismus noch metaphysisch denkt (und dies, weil er ihn in Werten auslegt und durch eine „Umwertung“ überwinden will). Eine über die Metaphysik hinausgehende Erfahrung des Nihilismus müßte sich vom Gedanken leiten lassen, daß das N. als das Sichentziehen des Seins gerade durch die Metaphysik dem Geschick der → Vergessenheit anheim gefallen ist und sich in solcher Seinsvergessenheit die → Wahrheit des Seins entzieht („Verwahrlosung“, die zum Wesen des → Ge-Stells gehört, HeiGA 79, 47). In Heideggers Spätwerk heißt der → Tod „der Schrein des N.“ (HeiGA 7, 180). Er birgt das Geheimnis des Seins. Der Gedanke des Vorlaufens zum Tod wird damit wiederholt („Wiederholung“ i. S. von HeiGA 2, §§ 68b, 74): Erst wenn sich die Menschen von

386 den Interessen lösen, die ihnen das innerweltlich Begegnende aufdrängt und sich solcherart vom animal rationale zu den „Sterblichen“ wandeln, werden sie für das im N. geborgene → Geheimnis des Seins frei (vgl. HeiGA 16, 605). Sartre exponiert in seiner phänomenolog. → Ontologie Das Sein und das Nichts das Problem des N. im Ausgang vom Seinsphänomen. Das Ansich-Sein des Phänomens (être-en-soi) ist vom Sein des → Bewußtseins, dem Für-sich-Sein (être-pour-soi), geschieden, dieses Letztere zu erhellen bedarf daher eines völlig anderes Ausgangs der Analyse, soll es nicht beim cartesianischen Dualismus bleiben. Es stellt sich somit die Frage nach der synthetischen Einheit in der Beziehung von Mensch und Welt. Leitfaden der Untersuchung ist die Fraglichkeit selbst in dieser Beziehung, die ihrerseits auf eine Verhaltensweise hinweist, die den Zusammenhang von Mensch und Welt aufdecken könnte. Diese Befragung ist durch ein dreifaches Nichtsein bedingt: des Wissens im Menschen, des transzendenten Seienden und der Eindeutigkeit einer Antwort (Frage der Wahrheit). Dieses mehrfache „nein“ der Verneinungen beantwortet jedoch noch nicht die Frage: „Aber woher kommt das Nichts?“ (Sartre 1952, 49) Sartre geht also mit Heidegger mit, wenn er die Verneinung auf das N. zurückführt, meint aber, Heidegger so interpretieren zu sollen, daß das Dasein die Welt überschreitet und damit in dieser Transzendenz selbst das N. bereits untergebracht ist. In der Befragung der Herkunft des N. scheidet das An-sichsein aus: Dessen Seinsbegriff ist durchwegs positiv. Es stellt sich die Aufgabe, ein Sein zu finden, „das sein eigenes N. ist“ (ebd., 63). Dieses Sein ist die

387 → Freiheit, die in keiner Weise vom Sein der menschlichen Realität unterschieden werden kann. Sie geht dem Wesen des Menschen voraus – die Existenz geht der Essenz voraus (Sartre 1960, 12) und so ist der Mensch „verurteilt, frei zu sein“ (ebd., 16) – und wird diesem in der Angst bewußt. Die sich in der Angst bekundende Freiheit ist durch die fortwährende Verpflichtung bestimmt, „das Ich, das das freie Sein bezeichnet, immer wieder hervorzubringen“ (Sartre 1952, 77). Das Ich in seiner → Faktizität macht das Wesen des Menschen aus, während sich in der Angst die Scheidung von seinem Wesen durch das N. bekundet. Dieses manifestiert sich im Bewußtsein durch Möglichkeiten der Negation: gegenüber dem → Anderen durch das Verbot; gegenüber sich selbst durch die Unwahrhaftigkeit (mauvaise foi). Diese unterscheidet sich von der Lüge dadurch, daß es bei ihr nicht mehr die Zweiheit von Lügner und Belogenem gibt. Somit hat jener, der sich über sich selbst täuscht, ein Bewußtsein der Unwahrhaftigkeit und lebt somit in gewissem Sinn auch bewußt in der Unwahrhaftigkeit. Dies setzt aber die Fähigkeit voraus, widersprüchliche Begriffe zu bilden, in denen die Vorstellung eins mit der Vorstellung ihrer Negation ist: z. B. Sinnlichkeit und Egoismus des Eros (Faktizität) und Formen, in denen die Unendlichkeit der Liebe (ihre Transzendenz) zum Ausdruck kommt; beide gleiten in solcher Widersprüchlichkeit ineinander über. Die Natur des eigenen Seins, durchsetzt vom N., begründet die Flucht vor sich selbst. Qu.: HeiGA 2, §§ 40, 68b. – HeiGA 9 (109 ff., 123 ff., 303 ff., 365 ff., 385 ff.). – HeiGA 65, Nr. 129. – HeiGA 66, Nr. 8096. – HeiGA 79 (46 ff.). – HeiGA 7, 165 ff. – Sartre 1943 (1952). – Sartre 1946 (1960,

Noema 7-51). – Lit.: Catalano 1980. – Gadamer 1988. – Peng 1998. – Ringleben 2003. HV

Nichtsein → Nichts Nihilismus. → Nichts Noema. Zu den Grundeinsichten der Husserlschen Intentionalitätslehre gehört, daß Intentio und Intentum – Weg und Ziel – der → Erkenntnis nicht zu trennen sind. Bereits die „schlichte Wahrnehmungserfassung“ (Hua III/1, 304) zeigt uns den → Gegenstand in perspektivischer Einseitigkeit; sie blendet Teile der Szene aus, wobei die Auswahl des Gesehenen den wahrgenommenen Gegenstand nicht unangetastet läßt. Die perspektivische → Abschattung verlangt nach einem gegenständlichen → Sinn, der uns den Gegenstand als einen so und so wahrgenommenen präsentiert. Hatte Husserl in den Logischen Untersuchungen die Idealität der → Bedeutung noch als bloße Spezies bedeutungsverleihender → Akte bestimmt, so lehnt er bereits in den Vorlesungen über Bedeutungslehre die an den Bewußtseinsakten und ihren reellen Beständen orientierte Betrachtungsweise als zu einseitig ab: „Das Wort Bedeutung kann, scheint es, auch einen Sinn haben, der nicht nur keinen Akt, sondern auch kein Spezifisches aus dem Akt trifft, vielmehr etwas korrelativ dem Gegenüberstehendes auf gegenständlicher Seite.“ (Hua XXVI, 35) Mit der Einführung des N.s verlagert sich das Moment der Bedeutung in die → Korrelation von Akt und Gegenstand. Als identifizierbare Sinneinheit ist das N. kein realer, sondern ein abstrakter Gegenstand. Ähnlich wie Frege in seinem FernrohrBeispiel zu einem Bild greift, um dem Sinn einen Ort zwischen subjektiver → Vorstellung und objektivem Gegen-

Noesis stand anzuweisen, ist auch das N. metaphorisch dadurch zu charakterisieren, daß es zwischen den → Noesen und dem intendierten Gegenstand liegt. Das N. bezeichnet den „Gegenstand im Wie seiner Bestimmtheiten“ (Hua III/1, 321) – es ist wesentlich ein Drittes, nämlich die Art und Weise, wie sich das → Bewußtsein auf seine Gegenstände bezieht. Um das Intendierte qua Intendiertes in den Blick zu bekommen, ist für Husserl allerdings eine Einstellungsänderung erforderlich. Die „noematische Beschreibungsrichtung“ (ebd.) kann erst nach Vollzug der phänomenolog. → Reduktion eingenommen werden. Eine solche Reduktion sieht von allen empirischen und faktischen → Geltungen ab; in bewußter Enthaltung von ontolog. Vorurteilen macht sie aus dem Weltfaktum ein bloßes Weltphänomen. Der reale Gegenstand bleibt zwar weiterhin Zielpunkt unserer Intentionen, doch er wird zu einem als real seiend vermeinten Gegenstand modifiziert, dessen Erforschung in die Immanenzsphäre unseres meinenden Bewußtseins fällt. Der Begriff der → Immanenz erhält dadurch einen wesentlich erweiterten Sinn. Durch Vollzug der phänomenolog. Reduktion etabliert sich ein transzendentales Bewußtsein, das die Frage nach der objektiven Realität nicht einfach ausklammern muß, sondern vielmehr danach fragen kann, was diese Realität als Transzendentes oder „Bewußtseinsfremdes“ (ebd., 87) in unserem konkreten Erleben aufweisbar macht. Die Idee einer noematischen Phänomenologie wird von Pato cˇ ka aufgegriffen, wobei er die phänomenolog. Reduktion mit pragmatischen Akzenten versieht. Schütz hingegen hält eine Pragmatisierung des transzendentalen Bewußtseins für undenkbar. Er be-

388 tont, daß Sinn nicht zu stiften, sondern in unzähligen Lebenszusammenhängen praktisch zu verdienen ist. Eine Sozialphänomenologie der → Lebenswelt ist nur im Ausgang von einer mundanen → Intersubjektivität möglich, die nicht der Illusion einer transzendentalen Sinnbildungsinstanz unterliegt. Qu.: Hua III/1. – Hua XXVI. – Patoˇcka 1990. – Patoˇcka 1991. – Schütz 1932. – Schütz/Luckmann 1979. – Schütz/Luckmann 1984. – Lit.: Dreyfus 1982. – Frege 1892. – Føllesdal 1969. – Gurwitsch 1959. – Ströker 1987a, 54-74. TE

Noesis. Die Beziehung von N. und → Noema wird von Husserl als eine funktionale Beziehung verstanden: „An die Stelle der an den einzelnen Erlebnissen haftenden Analyse und Vergleichung, Deskription und Klassifikation, tritt die Betrachtung der Einzelheiten unter dem ,teleologischen‘ Gesichtspunkt ihrer Funktion, ,synthetische Einheit‘ möglich zu machen.“ (Hua III/1, 213) Der N. als konstituierender → Leistung wird das Noema als etwas konstituiert Geleistetes gegenübergestellt. Maßgeblich für diese Gegenüberstellung ist „der Unterschied zwischen Reellem und Ideellem“ – zwischen solchen Charakteren oder → Momenten, die als reelle Bestandstücke von → Akten aufzuweisen sind, und solchen, für die dies nicht gilt: „Gebraucht man den naheliegenden, aber sehr vieldeutigen Ausdruck Vermeinen für jedes Bewußtsein, so würde man sagen, das den Gegenstand Vermeinen ist Sache, ist reelle Eigentümlichkeit der cogitatio. Ihr Wesen ist eben zu vermeinen, aber Vermeintes als solches ist nicht selbst in ihr ,reell‘ zu finden, sondern nur ide-

389 ell als Korrelat zu finden.“ (Hua III/2, 544 f.) Zwischen Bewußtseinserlebnis und Bewußtseinskorrelat ist wohl zu unterscheiden, auch wenn das eine nicht ohne das andere gedacht werden kann. Um → Erfahrung, das Erscheinen von → Gegenständen im prägnanten Sinne zu ermöglichen, müssen → Empfindungen in bestimmter Weise aufgefaßt oder apperzipiert werden. → Apperzeptionen drücken „Vorerwartungen“ (Hua XI, 337) aus, sie tragen zur Organisation von Erscheinungsund Abschattungsmannigfaltigkeiten bei, indem sie ein kontinuierliches Erfahrungsbewußtsein stiften, das sich auf einen identischen Gegenstand bezieht. Apperzeption tritt als Mehrmeinung oder Überschuß auf: „Apperzeption ist uns der Überschuß, der im Erlebnis selbst, in seinem deskriptiven Inhalt gegenüber dem rohen Dasein der Empfindung besteht; es ist der Aktcharakter, der die Empfindungen gleichsam beseelt und es seinem Wesen nach macht, daß wir dieses oder jenes Gegenständliche wahrnehmen.“ (Hua XIX/1, 399) Diese beseelende oder „sinngebende“ Funktion schreibt Husserl der N. zu. Ihre Aufgabe besteht darin, die an sich sinn- und formlosen Empfindungsinhalte zu „intentionalen Erlebnissen“ zu formen, wodurch dem → Erlebnis allererst „das Spezifische der Intentionalität“ (Hua III/1, 209 ff.) verliehen wird. Die → Konstitution des → Inhalts ist immer schon mehr als dessen Präsentation, da bereits auf vorprädikativer Ebene ein konstitutives Sinngeschehen angenommen werden muß. „Anders wahrnehmen ist Anderes wahrnehmen“ (Levinas 1983, 156), heißt es bei Levinas, weshalb auch für Husserl Affektionen nichts Sinnfremdes sind.

Norm Qu.: Hua III/1. – Hua III/2. – Hua XI. – Hua XIX/1. – Hua XXVI. – Lit.: Dreyfus 1982. – Holenstein 1972. – Levinas 1949 (1983, 154-184). – Ströker 1987a, 54-74. TE

Norm. Allgemein Maßstab, Regel, Richtschnur des Denkens und des Handelns. In der Phänomenologie spielt N. neben Normalität, Normierung oder Normalisierung eine zentrale Rolle bei der Aufklärung der Regelstrukturen menschlicher Erfahrung. Dabei erhält der N.-Begriff sowie die erwähnten verwandten Termini bei verschiedenen Autoren entweder eine stärker theoretisch oder moral- bzw. rechtsphilosoph. Bedeutung. Husserl verwendet N. häufig gleichbedeutend mit Grundsatz oder Prinzip. So bezeichnet er in den Ideen I den Grundsatz, „nichts in Anspruch zu nehmen als was wir am Bewußtsein selbst, in reiner Immanenz uns wesensmäßig einsichtig machen können“ (Hua II/1, 127), als oberste N. der Phänomenologie. Spezifischer ist die Anwendung des N.-Begriffs auf die Logik, die in Gestalt der transzendentalen Logik als „universalste Prinzipienund Normenlehre“ (Hua XVII, 20) charakterisiert wird. Die rein formale Logik stellt keine „absolute N.“ bereit, da „die sog. logischen Grundsätze in sich selbst nicht N.en sind, sondern [...] nur als N.en dienen“ (Hua XVIII, 162). Die deskriptive Einstimmigkeit und Typizität der konkreten Erfahrung bezeichnet Husserl in Abhebung von der Sphäre des Logischen als Normalität. Diese durchdringt den sinnlichen Bereich der orthoästhetischen Erscheinungswelt des einzelnen, aber auch die Sphäre der → Intersubjektivität bis hin zur „normalen Menschheit“ (Hua XIII, 379) als der

Norm Gemeinschaft reifer, vernünftiger Subjekte. In der Philosophie Schelers hat der N.Begriff vor allem ethische Bedeutung. In Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik ordnet Scheler den Begriff der N. dem des → Wertes, der als letzte Quelle der moralischen Verpflichtung betrachtet wird, unter. Den Zwang, die idealen ethischen Sollensinhalte in Gestalt von N.en zu fixieren, betrachtet er als Anzeichen dafür, daß das „unmittelbare Gefühl für die Werte, auf die sie [scil. die Sollensinhalte] zurückgehen, sich verdunkelt hat“ (ScheGW 2, 223). Eine streng an der sittlichen N. ausgerichtete Moralphilosophie im Stile Kants ist daher aus Sicht der Schelerschen → Ethik, die sich als phänomenolog. Aufklärung von Wert und → Person versteht, zurückzuweisen. Bei Schmitz fungiert N. als Grundbegriff einer phänomenolog. orientierten Rechtsphilosophie, die die „Grundzüge einer allgemeinen Normenlehre“ (Schmitz 1973, § 117) darlegt. Den N.-Begriff definiert Schmitz als „ein Programm für möglichen Gehorsam“ (ebd., 122), der in der Befolgung von Regeln sowie in der Ausprägung subjektiver Verhaltensmuster zum Ausdruck kommt. Hinsichtlich der Geltung wird zwischen unverbindlichen N.en (z. B. Spielregeln) und verbindlichen N.en (z. B. logische Schlußregeln) unterschieden; hinsichtlich der Art, wie die Geltung eingefordert wird, werden auf Befehlen beruhende imperativische N.en von nichtimperativischen N.en (etwa Regeln des Taktgefühls) unterschieden. Die Rechtsordnung insgesamt erlaubt eine Gliederung nach dem „Rang ihrer N.en“ (ebd., § 181), wobei sich Kern-, Schalen-, Rand- sowie unechte

390 Rechtsnormen voneinander abheben lassen. Bei Foucault taucht der N.-Begriff neben Normierung und Normalisierung in der historischen Analyse der modernen Disziplinarmacht auf. In Überwachen und Strafen bezeichnet Foucault „das lückenlose Strafsystem, das alle Punkte und Augenblicke der Disziplinaranstalten erfaßt und kontrolliert, [als] normend, normierend, normalisierend“ (Foucault 1976, 236). Die seit dem 18. Jh. zunehmende Normierung vieler sozialer Lebensbereiche hat ihr Vorbild in medizinischen Natur-N.en und industrialistischen Produkt- bzw. Arbeits-N.en (Link 1997); ihr Funktionieren basiert gegenüber älteren juristischen Machttechniken, die mit Recht, Gesetz und → Strafe operieren, auf normalistischen Strategien, die sich u. a. der Dressur und der Kontrolle bedienen. Insgesamt charakterisiert Foucault Normalisierung als ein operatives und intervenierendes → Dispositiv sowie den daraus resultierenden Gesellschaftstyp als Normalisierungsgesellschaft. Anknüpfend vor allem an Husserl, Merleau-Ponty und Canguilhem geht Waldenfels dem Phänomen der Normalisierung im Durchgang durch die Humanwissenschaften nach. Dabei zählt er „Normalisierung zu den vorzüglichen Bewältigungs- und Beruhigungsstrategien [...], mit denen man dem Fremden zu Leibe rückt“ (Waldenfels 1998, 9), und unterscheidet grundsätzlich zwei Varianten von Normalisierung: Die schwächere besteht darin, daß „Verhaltensweisen geltenden N.en angepaßt oder unterworfen werden“, die stärkere impliziert, daß Normalisierung zugleich „hervorbringt, was sie normalisiert“ (ebd., 11). Je nach N.-Kontext kann die Normali-

391 sierung die Gestalt von Traditionalismus, Normativismus oder Funktionalismus annehmen. Allerdings verweist jede Normalisierung auf ein „Fremdes als Außer-ordentliches“ (ebd., 16), das sich der Normalisierung entzieht und einen grenzenlosen Normalismus ausschließt. Insgesamt läßt sich feststellen, daß die Begriffe N. und Normalität mittlerweile als Grundbegriffe der Phänomenologie akzeptiert werden. Entscheidend dafür ist vor allem das Abklingen der transzendentalen Phänomenologie zugunsten einer immer stärker empirisch arbeitenden Phänomenologie der → Lebenswelt, welche die normale Welt des alltäglichen Lebens als den eigentlichen Ursprungsort von N.en betrachtet. Qu.: Hua III/1. – Hua XIII. – Hua XVII. – Hua XVIII. – ScheGW 2. – Schmitz 1973. – Foucault 1975 (1976). – Waldenfels 1998. – Lit.: Folter 1983, 157-181. – Link 1997. – Rolf 1999. – Waldenfels 1985. TR

Not meint bei Heidegger nicht etwas Negatives oder Mißliches, vielmehr eröffnet sie als das Ernötigen der Notwendigkeit ursprünglichen Fragens die höchsten → Möglichkeiten des Menschen (HeiGA 45, 151-153). Im ersten → Anfang ernötigte die in der Grundstimmung des → Erstaunens erfahrene N. des Nicht-aus-noch-ein-Wissens die → Frage nach dem Seienden als solchem. Die nötigende N. im Übergang zum anderen Anfang ist die Seinsverlassenheit des Seienden und die Seinsvergessenheit des Menschen. Allerdings herrscht vorerst die „N. der Notlosigkeit“, in welcher die Seinsverlassenheit überhaupt nicht als N. erfahren wird. Ein sich auf sie einlassendes → Denken wird durch diese N.

Notwendigkeit in die Grundstimmung der Verhaltenheit versetzt, zu welcher Erschrecken und Scheu gehören; in ihr klingt die → Wahrheit des → Seins als → Ereignis in der Weise der Verweigerung an (HeiGA 65, 108). Qu.: HeiGA 45. – HeiGA 65.

WF

Notwendigkeit. Husserl unterscheidet allgemein zwischen empirischer N. und Wesensnotwendigkeit. Jener werden die Gesetze i. S. der empirischen Wissenschaften, dieser apriorische Gesetze zugeordnet. Deren objektivideale N. drückt sich in einem Nichtanders-sein-können aus, das im Bewußtsein der → apodiktischen → Evidenz zur → Gegebenheit kommt (Hua XIX/2, § 7). Analytisch notwendige Gesetze sind solche, deren → Wahrheit von der sachlichen Eigenart der → Gegenstände völlig unabhängig ist („die sich vollständig formalisieren lassen“, ebd., 259). Sie fallen in die formale Logik der Widerspruchslosigkeit bzw. „Logik bloßer Konsequenz“, dieser Terminus doppelt gefaßt: als analytisch notwendige Folge und als zufällige zeitliche Folge von → Urteilen, die nacheinander auftreten und doch eine → Einheit bilden (Hua XVII, 328). Die Gesetze synthetisch-apriorischer N. bestimmen, was einem Gegenstand notwendig zukommen muß; sie gelten somit für alles Faktische: Was z. B. untrennbar zum reinen → Eidos „Farbe“ gehört, muß auch in jeder faktischen Farbe vorfindlich sein. Es ist eine universale und notwendige Aufgabe, die für alle Gegenstandsgebiete gilt, Wirklichkeiten nach den Gesetzen ihrer reinen, apriorischen Möglichkeiten zu beurteilen. In Auseinandersetzung mit Kants Interpretation des Apriori bezieht Sche-

Nutzen, rechnendes Denken ler das mit dem Wort „N.“ Gemeinte ursprünglich allein auf Sätze und erst in abgeleiteter Folge auf die Beziehung von Tatsachen der → Anschauung. Da sich aber apriorische Einsicht auf → Tatsachen bezieht und ursprünglich nicht im Urteil, sondern in der Anschauung gegeben ist; da N. ferner ein negativer Begriff ist (notwendig = „dessen Gegenteil unmöglich ist“, ScheGW 2, 92) und apriorische Einsicht die positive Einsicht in einen Wesenszusammenhang ist, sind beide, N. und → Apriori, durch einen Abgrund voneinander geschieden. Reinachs Interesse am Begriff der N. ist vor allem historisch durch die Auseinandersetzung Kants mit Hume bestimmt. Es betrifft die Kausalität als Verknüpfung von Grund und Folge, die Hume zufolge nicht auf N., sondern auf Gewohnheit beruht. Konkret behandelt Reinach das Thema im Zusammenhang mit dem → Sachverhalt. Weil diesem unabhängig von der Erfahrung N. zukommt, deshalb wurzelt alle N. in ihm. N. wird vierfach bestimmt: 1. Sie kommt dem Sachverhalt zu; 2. sie hat ihren Sitz in der Kopula; 3. sie wird nicht direkt erfaßt (der blühende Baum wird wahrgenommen, der Sachverhalt erkannt); 4. sie wird im Sachverhalt vorgefunden. Vom objektiv notwendigen → Urteil wird die subjektive N. als Erlebnis des Zwanges unterschieden. Sie findet auch bei empirischen Urteilen statt. Qu.: Hua XIX/2, § 7-13. – Hua XVII, Beilage III. – Husserl 1939, § 90. – ScheGW 2, I. Teil, II A (bes. 92 f.). – Reinach 1989, 351-354. HV

Nutzen, rechnendes Denken. Im Kontext der Heideggerschen Kritik von → Metaphysik und neuzeitlicher → Wissenschaft und → Technik bezeich-

392 net das „Berechnen“ die Methode der Wissenschaft als einer „Theorie des Wirklichen“: ihr „nachstellendsicherstellendes Verfahren“, das sich grundsätzlich in jeder wissenschaftlichen „Vergegenständlichung des Wirklichen“ zeige (HeiGA 7, 52). Das die Neuzeit kennzeichnende, von Heidegger sog. rechnende Denken „kalkuliert mit fortgesetzt neuen, mit immer aussichtsreicheren und zugleich billigeren Möglichkeiten“ (Heidegger 1959, 12 f.), verfehlt so aber gerade die „Natürlichkeit der Natur“ (Heidegger 1957b, 24), die stattdessen, gemäß einem → „Wert“ als bloßen „Nutzwert“ verstehenden Kalkül, einer planetarischen „Vernutzung“ (vgl. HeiGA 7, 90, 93, 94, 96) ausgeliefert werde. Die „theoretische ,Nützlichkeit‘ “ erweist sich in der schließlich auch Nietzsches Philosophie als Vollendung der Metaphysik einschließenden Kritik Heideggers als Voraussetzung jeglicher „praktischen Ausnützung“: → Natur wird in einem Sinne als seiend gesetzt, „der zum voraus die neuzeitliche technische Bewältigung sicherstellt“ (HeiGA 6.1. 480, vgl. HeiGA 6.2. 92 ff. u. ebd. 264 ff.). Die Welt erscheint „wie ein Gegenstand, auf den das rechnende Denken seine Angriffe ansetzt, denen nichts mehr soll widerstehen können. Die Natur wird zu einer einzigen riesenhaften Tankstelle, zur Energiequelle für die moderne Technik und Industrie“ (Heidegger 1959, 18; vgl. HeiGA 7, 79). Solchem als „Rechnen“ zu begreifenden Denken setzt Heidegger entgegen, was er „Besinnung“ (HeiGA 66) oder „besinnliches Denken“ nennt (Heidegger 1959, 13, 20 f.) – ein → Denken, das verspricht, in Wahrnehmung der → Not der Zeit, auf ein „ursprünglicheres Wohnen des Menschen“ hinzudenken

393 (Heidegger 1957b, 24; vgl. auch HeiGA 7, 191 ff.). Die problematischen Auswirkungen eines „rechnenden Denkens“ erörtert Arendt im Bezug auf das Politische und insbesondere die neuzeitliche politische Philosophie, die seit Hobbes die Homo faber in seiner Denkart leitender Nützlichkeitsmaßstäbe von außen an den Raum des Politischen gelegt, da-

Nutzen, rechnendes Denken mit aber das → Handeln als schlechterdings unerrechenbares, vielmehr stets unerwartet in die Welt brechendes „Ereignis“ eliminiert habe (vgl. Arendt 1960, 287 ff., 293). Qu.: HeiGA 6.1. – HeiGA 6.2. – HeiGA 7. – HeiGA 66. – Heidegger 1959. – Heideggger 1957b. – Arendt 1960. AGO

O Objekt. Husserls O.-Begriff geht aus einer Auseinandersetzung mit Brentanos Intentionalitätslehre hervor. Dieser hatte versucht, der Psychologie einen eigenen Gegenstandsbereich zuzuweisen, was zu Brentanos Lebzeiten keine Selbstverständlichkeit war. Die Psychologie fungierte entweder als Nichtwissenschaft, oder sie wurde anderen Disziplinen wie der Biologie zugeschlagen. Um psych. von phys. Phänomenen zu unterscheiden, schlägt Brentano folgendes Abgrenzungskriterium vor: Psych. Phänomene haben einen → Inhalt; sie sind auf etwas ,gerichtet‘, wobei dieses Etwas nicht unbedingt existieren muß. Ich kann mir wünschen, auf einem Einhorn zu reiten. Mit dieser „intentionalen Inexistenz“ (→ Inexistenz) von Gegenständen ist allerdings das Wesen der → Intentionalität noch nicht hinreichend erfaßt. Wer Haß verspürt, haßt in der Regel nicht jedermann, sondern er empfindet die Person, die er haßt, als hassenswert. Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal psych. Phänomene wird folglich die Art und Weise betreffen, wie sie sich auf ihre Gegenstände beziehen. Die → Beziehung von → Akt und → Gegenstand wird von Brentano jedoch nicht in ihrer vollen Tragweite erfaßt. So spricht er davon, daß psych. Phänomene „etwas als O. in sich enthalten“, was für Husserl eine gefährliche Mißdeutung nahelegt. Wenn der Erlebnisakt den angezielten Gegenstand buchstäblich ,in sich enthält‘, dann muß dieser als reelles Bestandstück des fraglichen Aktes aufweisbar sein. Da Husserl vorschlägt, das definierende Merkmal von Reali-

tät auf die Zeitlichkeit zu beschränken, besteht keinerlei Grund, psych. → Gegebenheiten nur deshalb ihre Realität zu bestreiten, weil sie sich ,im‘ → Bewußtsein befinden. Wir bekommen es also zwangsläufig mit „zwei Realitäten“ (Hua III/1, 224) zu tun. Denn das intentionale O., das zum faktischen Bestand meines psych. Erlebens zählt, ist nicht minder real als der physikalische Gegenstand, auf den mein Erlebnis gerichtet ist. Husserl sieht nur einen Ausweg, um diese unhaltbare Verdopplung von Realitäten zu verhindern. Das Erlebnis selbst muß sich als eine „bezügliche Intention“ (Hua XIX/1, 386) charakterisieren lassen, so daß im Fall von Akt und Gegenstand das eine nicht ohne das andere sein kann. Damit zeichnet sich zugleich eine Lösung für das Paradox gegenstandsloser → Vorstellungen ab, das bereits Platon beschäftigt und für das Husserl eine besonders einprägsame Formulierung gefunden hat: „Eine Vorstellung ohne vorgestellten Gegenstand ist nicht denkbar, es gibt also keine gegenstandslosen Vorstellungen. Andererseits entsprechen doch nicht allen Vorstellungen wirkliche Gegenstände, es gibt also gegenstandslose Vorstellungen. Der Widerspruch ist, scheint es, nur zu vermeiden, wenn man zwischen vorgestellten und wirklichen Gegenständen unterscheidet: Es gibt keine Vorstellungen ohne immanente – es gibt Vorstellungen ohne wirkliche Gegenstände.“ (Hua XXII, 420) Auch bei Vorstellungen, die durch fiktive Eigennamen wie „Pegasus“ oder widersinnige Begriffsbildungen wie „rundes Viereck“ ausgedrückt werden, gehört das

395 Meinen des Gegenstandes zum Wesen des vorstellenden Bewußtseins. Einem Vorschlag von Twardowski folgend, können wir in solchen Fällen den Gegenstand einen „bloß intentionalen“ (Hua XXII, 315) nennen, müssen dann aber bedenken: „Der Gegenstand ist ein ,bloß intentionaler‘, heißt natürlich nicht: er existiert, jedoch nur in der intentio (somit als ihr reelles Bestandstück), oder es existiert darin irgendein Schatten von ihm: sondern es heißt: die Intention, das einen so beschaffenen Gegenstand ,Meinen‘ existiert, aber nicht der Gegenstand.“ (Hua XIX/1, 439) Haben wir es hingegen mit einem „wahren O.“ zu tun, dann müssen wir auch „Identifizierungszusammenhänge“ anerkennen, die sich erst außerhalb der Immanenzsphäre des vorstellenden Bewußtseins bewähren. Jede Identifikation setzt strenggenommen „Gegenstände im eigentlichen Sinne“ (Hua XXII, 315) voraus. Das heißt nicht, daß von unseren subjektiven Intentionen – der „Aktseite“, wie Husserl auch sagt – völlig abgesehen werden kann. Die → Identität eines Gegenstandes ist nicht einfach gegeben, sondern sie muß sich als Identität allererst beweisen können. Die Objektivität eines Gegenstandes weist sich aus in gelingenden Bewährungsvollzügen; sie besteht nicht in der Übereinstimmung mit einer schlechthin bewußtseinsunabhängigen Gegenständlichkeit. Die → Korrelation von → Ego, Akt und Gegenstand legt nahe, nicht von Objektivität, sondern von Objektivierung zu sprechen, wobei diese → Leistung nicht in den Geltungsbereich einer transzendentalen Subjektivität fallen muß. Objektivierende Leistungen können sich auch anonym vollziehen: sie setzen weder Entschluß noch

Offenheit Selbsttransparenz auf seiten des Konstituierenden voraus. Objektivierung bedeutet für Heidegger einen Umschlagpunkt, der aus dem umsichtig besorgten Zuhandenen (→ Zuhandenheit) ein nunmehr Vorhandenes (→ Vorahandenheit) macht. Ein solcher Umschlag ist mehr als eine bloße Beschränkung der Perspektive. Vielmehr wird durch das wissenschaftliche Erkennen das Seiende der → Umwelt überhaupt eingeschränkt. Die apophantische → Auslegung knüpft zwar an die Auslegungsstruktur des Zuhandenen an, aber sie greift mit ihrem ,Als‘ nicht mehr aus in die Bewandtnisganzheit lebensweltlicher Bezüge, sondern ist nivelliert zur bloßen Vorhandenheitsbestimmung. Dabei erfährt auch die Identität oder Selbigkeit des Seienden, das nun zum Worüber der Aussage wird, eine Modifikation. Während existenzial-hermeneut. die Identität des Seienden durch den Ort im Netz der Verweisungsbezüge der → Welt gegeben ist, ist sie apophantisch als Identität eines vorhandenen Gegenstandes gegeben – fixiert durch seine Eigenschaften. Qu.: Hua XVI. – Hua XIX/1. – Hua XXII. – HeiGA 2. TE

Offenheit. Heidegger fundiert die Urteilswahrheit, die traditionellerweise als → Richtigkeit des subjektiven Vorstellens und als Übereinstimmung der → Aussage mit der Sache definiert wird, in eine vierfach gegliederte O.: offenliegen muß nicht nur der Gegenstand der Aussage (Offenbarkeit des Seienden), sondern auch der Bereich muß gelichtet sein, den das Sichrichten nach dem Objekt durchmißt. Ebenso muß der → Mensch, der diese O. niemals erzeugt, sondern vielmehr im-

Öffentlichkeit mer schon in sie als gestimmter eingelassen ist, für das ihm Entgegenstehende offen sein (Offenständigkeit), um sich darüber in der O. des Menschen zum Menschen über die Richtigkeit des Vorstellens (→ Vorstellung) verständigen zu können. Heidegger bleibt jedoch nicht bei der Begründung der Urteilswahrheit stehen, sondern weist darauf hin, daß die vielfach-einige O. in der alles eröffnenden → Lichtung (O. als solche) des sich zugleich immer auch verbergenden → Seins (Ur-streit) gründet, das (zumeist) nur als → Entzug anwest, jedoch in seltenen Fällen (z. B. in der Kunst) eigens als dieser ins Offene gelangt. Qu.: HeiGA 5, 39-50. – HeiGA 9, 184-202. – HeiGA 45, 19-24. – HeiGA 65, 331-333. MF

Öffentlichkeit (polis) wird bei Arendt – in Abgrenzung zur privaten Sphäre des → Haushalts – als ein Raum von Tätigkeiten beschrieben, die „sich auf eine allen gemeinsame Welt richten“ (Arendt 1960, 31). Was jedoch diese gemeinsame Welt ist und welcher Art die auf sie gerichteteten Tätigkeiten (das politische Handeln) sind, unterliegt historisch einem tiefgreifenden Wandel. Für das Selbstverständnis der griechischen Polis, mit deren Entstehung nach Arendt erstmals eine öffentliche Sphäre als grundsätzlich verschiedene Ordnung neben das Private tritt, ist kennzeichnend, daß Ö. einen Ort der Begegnung Freier und Gleicher meint, → Politik mithin frei von Zwang und Notwendigkeit ist. In der Neuzeit jedoch greifen die ehedem ausschließlich an das Haus gebundenen, ökonomischen Angelegenheiten auch in die Politik über und begründen so die Entstehung „jenes merkwürdi-

396 gen Zwischenreiches, in dem privaten Interessen öffentliche Bedeutung zukommt und das wir Gesellschaft nennen“ (ebd., 36). Mit dem Sieg des Gesellschaftlichen büßt der einst exklusive öffentliche Raum des Politischen sein Charakteristikum der Freiheit ein: an die Stelle politischen Handelns tritt das „Sich-Verhalten“, die Herrschaft von Personen wird ersetzt durch die „Bürokratie, die Herrschaft des Niemand“ (ebd., 45). Deutlicher noch als Arendt verknüpft Patoˇcka das Entstehen einer „Sphäre der Ö.“ mit dem Auftreten der Philosophie. Politik und Philosophie stehen für ihn in einem Verhältnis der „Gleichursprünglichkeit“, denn einerseits kann „die im bios politikos erreichte Möglichkeit eines gewagtgroßzügigen Menschentums erst etwas wie die philosoph. Fragestellung ins Leben treten lassen, andererseits das philosoph. Fragen und Forschen Möglichkeiten des öffentlichen Lebens [...] aus sich hervortreiben“ (Pato cˇ ka 1988, 65). Erst diese Verschränkung von Ö. und Philosophie ermöglicht „Geschichte im eigentlichen Sinne“. Qu.: Arendt 1958 (1960). – Patoˇcka 1975 (1988). LH

Ontologie. O. ist in der Tradition der abendländischen Philosophie eine Fundamentaldisziplin, die der Sache nach auf Aristoteles (Metaphysik IV. Buch) zurückgeht, dem Namen nach erst nach Descartes vorhanden ist. Sie ist der Sache wie dem Namen nach Verstehen bzw. Auslegung des Seins des Seienden, wenngleich darunter nur eine Anweisung für ganz unterschiedliche Möglichkeiten der Ausführung verstanden werden

397 darf. Husserl spricht in mehrfachem Sinn von O. Das urteilende Subjekt gewinnt methodologische Einsichten formal-ontolog. Art, ohne welche kein Seiendes denkbar ist. Es werden Wesensgesetze erzielt, ohne die Subjektivität selbst näherhin zu befragen. Diese in der Einstellung der Praxis verbleibende analytisch-ontolog. Gewinnung solcher Gesetze ist nur eine „ ,gerade‘ und naive O.“. Auch die formale Logik und → Mathematik sind „naiv anfangende O.“, weil sie die Möglichkeit, Seiendes zu erwerben, als selbstverständlich voraussetzen. Die → Naivität beruht hier wie dort im Mangel einer radikalen Erkenntnistheorie, welche die Gebilde der Theorie als konstitutive → Leistungen der Subjektivität aufklärt. Die formale O. ist die → Wissenschaft von → Gegenständen überhaupt; sie enthält die Formen aller O.n (der „eigentlichen“, materialen) in sich und schreibt den materialen O.n eine allen gemeinsame formale Verfassung vor. Die vielen → Wahrheiten führt sie auf einen Bestand von Grundwahrheiten zurück. Die in solchen → Axiomen auftretenden logischen Grundbegriffe (analytische → Kategorien) bestimmen das → Wesen vom Gegenstand überhaupt, z. B. → Eigenschaft, Relation, → Identität, Ganzes und Teil, Gattung und Art usw. Zur formalen O. gehört auch die apophantische Logik, weil deren Bedeutungskategorien (die zum Wesen des Satzes gehörigen Grundbegriffe) Gegenstand und → Bedeutung miteinander verknüpfen. Die formale O. behandelt nicht nur die Axiome der theoretischen Wissenschaften, sie umfaßt auch die formalen O.n der → Werte und Güter als Korrelate des Gemütsund Willensbewußtseins. Gegenstände gehören jeweils zu einer bestimmten

Ontologie → Region, die durch oberste Wesensallgemeinheiten umgrenzt wird. Diese werden in einer regionalen → Eidetik bzw. in → regionalen O.n erfaßt, welche den Tatsachenwissenschaften die entsprechenden theoretischen Fundamente liefern. Husserl spricht auch von material-ontolog. Disziplinen, die z. B. das Wesen der → Natur in rationaler → Reinheit bestimmen. Formale wie materiale O.n liefern Wesenserkenntnisse, die Vorstufen der eigentlichen phänomenolog. Forschung sind, ihre Ausweisung jedoch im Rückgang auf das → Bewußtsein selbst durch die transzendentale → Reduktion erfahren müssen. Somit erhält die O. erst durch die Phänomenologie ihre Begründung durch Klärung der konstitutiven Probleme. Eine lebensweltliche O., die Programm bleibt, hätte die Strukturen der → Lebenswelt (einerseits → Ding und → Welt, anderseits Dingbewußtsein) zum Thema zu machen. Zwar ist die Lebenswelt in stetem Wandel auf die Subjektivität bezogen, doch eignet diesem Wandel eine wesensgesetzliche Typik (→ Typus), an die alles Leben und damit auch alle Wissenschaft gebunden sind. Gleichwohl gibt es für diese Welt keine objektive universale Wissenschaft und kein universales → Apriori, die Übertragung der Idee einer mathesis universalis auf die Lebenswelt wäre widersinnig. Was Husserl als „volle“ O. bezeichnet, ist der Plan einer transzendentalen O., die als Logik oder → Erste Philosophie aller Philosophie vorauszugehen hätte. Sie ist Entwurf einer möglichen Welt überhaupt nach all ihren Gliederungen und Formen und allen Entwicklungsstufen, die zu einer → Welt als Welt gehören. Heidegger bestimmt im Methodenparagraphen von Sein und Zeit die Phi-

Ontologie losophie als universale phänomenolog. O., ausgehend von der → Hermeneutik des → Daseins. O. ist die begriffliche Ausarbeitung des vorontolog. → Verstehens von → „Sein“, ein Verstehen, das – mit → Befindlichkeit, → Rede und → Verfallen – konstitutiv für das Dasein ist. Die Frage nach dem Sinn des Seins ist die Fundamentalfrage der Philosophie, doch diese ist nicht unmittelbar Thema der → Fundamentalontologie. O.n, die Seiendes von nicht daseinsmäßigem Seinscharakter zum Thema haben, führen auf das vorontolog. Seinsverständnis des Daseins zurück und müssen von diesem her aufgeklärt werden, weil dem Dasein auf Grund seines Seinsverständnisses ein Vorrang in aller ontolog. Untersuchung zukommt. Die damit befaßte existenziale → Analytik des Daseins trägt daher den Namen „Fundamentalontologie“, weil das Dasein als Fundament für alle weiteren Fragen nach dem Sein fungiert; sie ist aber auch deshalb Fundamentalontologie, weil sie das Fundament aller regionalen O.n bildet. Zu beachten ist stets, daß sie gegenüber der Fundamentalfrage nach dem Sein stets vorläufigen Charakter hat. Neben der Begründung der inneren Möglichkeit der Seinsfrage gehören zu ihr die Interpretation des Daseins als Zeitlichkeit (→ Zeit) und die temporale Exposition des Seinsproblems. Im Hinblick auf die Problematik von Sein und Zeit gebraucht Heidegger für O. auch den Titel „Ontochronie“ (HeiGA 32, 144). Darin deutet sich an, daß er gegenüber der geläufigen Bezeichnung „O.“ zunehmend kritischer wird, weil die tradierte O. immer nur nach dem Sein des Seienden, nicht aber nach dem Sein selbst fragt (ontolog. → Differenz). Um seine Art des → Fragens von dem der O. im überlieferten Sinn

398 zu unterscheiden, verzichtet Heidegger nach der → Kehre auf den Gebrauch des Titels „O.“. Sartres Das Sein und das Nichts versteht sich als Versuch einer phänomenolog. O. Sie ist Phänomenologie, weil sich das → Sein in der Erscheinung kundgibt und nicht als verborgene Realität hinter den Erscheinungen waltet. Sie ist O., weil die Erscheinung in ihrem eigenen Sein zur Untersuchung ansteht. Es gibt ein Phänomen des Seins (phénomène d’être), das uns in direktem Zugang etwa der Langeweile oder des Ekels enthüllt wird; die O. ist die Beschreibung dieses sich kundgebenden Seins. Von diesem Phänomen des Seins ist das Sein des Phänomens (être du phénomène) zu unterscheiden, das in seinem „ist“ als Voraussetzung jeder Enthüllung fungiert. Dieses Sein des Phänomens löst sich nicht im Phänomen des Seins auf, und es stellt sich nun für die phänomenolog. O. die Aufgabe, den Bezug zwischen beiden strikt getrennten Bereichen herzustellen. Die Begründung des Seinsphänomens durch das Sein des Phänomens ist in zweifacher Hinsicht transphänomenal (d. h. sie geht über die Erkenntnis des Phänomens, diese stiftend, hinaus). Das erkennende Sein ist das → Bewußtsein. Der Zugang zum Sein geht, transphänomenal, über dieses hinaus, das Sein des Erkennens liegt im präreflexiven → Cogito, und zwar in dessen → Existenz. Diese Transphänomenalität des Cogito fordert die des Seins des Phänomens, das ihr vorausgeht und getrennt von jener ein Sein an sich ist (être en soi). Dieses An-sich muß nun zur Transphänomenalität des Cogito in einem → Bezug stehen, wenn anders eine phänomenolog. Ausweisung möglich sein soll. Dieser Bezug ist aber durchaus

399 negativ und in der Selbständigkeit der Cogito-Sphäre verbleibend, das Seinfür-sich (pour-soi). Der Bezug zum Sein ist von Nichtigkeit durchsetzt, es ist – als Für-sich – eine Anwesenheit bei sich, die – als nichtige – nicht völlig bei sich ist. Im Existieren macht sie die Erfahrung von Realitäten, die ein Nichtigsein in sich schließen, Negativitäten (négativités) wie Entfernung, Abwesenheit, Anderssein u. dgl. So ist der intentionale Bezug zum Sein von Negativität bestimmt, weshalb die O. des Seins notwendig zugleich eine solche des → Nichts ist. Die O. der Zeitlichkeit enthüllt die Zeit des Bewußtseins als menschliche Wirklichkeit ihrer eigenen Nichtvollendung. Qu.: Hua III/1, §§ 9-10, 59-60. – Hua VI, §§ 37, 51, 72. – Hua VIII, 212-228. – Hua XVII, Erg.-Text. XII. – HeiGA 2, §§ 4, 5, 7. – HeiGA 26, § 10 und Anhang dazu. – Sartre 1943 (1993), Einleitung, I. u. II. Teil. – Lit.: Biemel 1964. – Lembeck 1999. – Shin 1993. HV

Ontologie, regionale. R. O. nennt Husserl die durch eine spezifische konstitutive Theorie gesonderte Wissenschaft auf Grund rein apriorischer („eidetischer“) Forschung. Der formalen → Ontologie als der eidetischen Wissenschaft vom → Gegenstand überhaupt, die „die Formen aller möglichen Ontologien überhaupt in sich birgt“ (Hua III/1, 26), stellt Husserl die regionalen als die eigentlichen, materialen Ontologien gegenüber. Jede empirische Gegenständlichkeit ordnet sich ihrem materialen → Wesen nach einer obersten materialen Gattung, einer → Region von empirischen Gegenständen, ein. Der solcherart regional abgrenzbaren Sphäre individuellen → Seins (z. B. phys. Natur) entspricht jeweils eine r. O. (z. B. Ontologie der

Ontotheologie Natur) mit einer Reihe von Wissenschaften, die in der betreffenden Region ihre Einheit haben. Jede Tatsachenwissenschaft besitzt somit ihre theoretischen Fundamente in r. O.n. Die voll entwickelte → transzendentale Phänomenologie ist für Husserl universale Ontologie, sofern sie als apriorische zugleich die Prinzipien alles Erkennbaren in der transzendentalen Subjektivität aufdeckt. Qu.: Hua III/1, §§ 9-10. – Hua IX, 296 f. HO

Ontotheologie. Der Begriff O. geht auf Kant zurück, der damit jene Art der transzendentalen Theologie kritisiert, die durch bloße Begriffe außerhalb jeder Erfahrung das Dasein Gottes zu erkennen meint (die andere Art heißt „Kosmotheologie“, KrV B 660). Heidegger bezieht das Wort O. auf die Grundgestalt der → Metaphysik. Schon bevor er diesen Terminus gebraucht, spricht er mit Bezug auf die Erste Philosophie des Aristoteles vom zweifachen Charakter der Philosophie als „Wissenschaft vom Sein und Wissenschaft vom Übermächtigen“ (HeiGA 26, 13). Denn die Erste Philosophie (später „Metaphysik“ genannt) fragt von Anfang an in zweifacher Hinsicht: nach dem Seienden als solchen (Metaphysik IV 1, VII 1-2) und nach dem höchsten Seienden, → Gott (Metaphysik I 2, VI 1, XI 7). Als Frage nach dem Seienden als solchen, on he on, ist sie → Ontologie, als Frage nach dem Gott, theos, Theologie, in ihrer Einheit somit O.: „Mit dem Ausdruck ‘O.’ sagen wir, daß die Problematik des on als logische zuerst und zuletzt orientiert ist am theos, der dabei selbst schon ‘logisch’ begriffen ist – logisch aber im Sinne des

Ordnung spekulativen Denkens [...]“. (HeiGA 32, 142) Daß Ontologie und Theologie die Grundgestalt der abendländischen Philosophie bilden, macht er im Vortrag Die onto-theo-logische Verfassung der Metaphysik eigens zum Thema. Weil die Metaphysik das Seiende als solches und im Ganzen zu ergründen sucht (logos i. S. von → Grund), muß sie nach dem ersten Grund, der prote arche, fragen, d. h. nach der causa prima, die als causa sui der metaphysischen Begriff von Gott ist, von „Gott in der Philosophie“; zu diesem kann der Mensch „weder beten, noch kann er ihm opfern“ (ebd., 70). Das Entscheidende an der O. liegt in der vorgängigen Ansetzung des logos als Grund, weshalb Ontologie und Theologie wesentlich „Onto-Logik und TheoLogik“ sind (Heidegger 1957a, 56). Als → Sein des Seienden im Allgemeinen und als Sein des Seienden im Höchsten zeigt sich das Sein selbst in einer → Differenz, die der Metaphysik notwendig verborgen bleibt. Der Schritt zurück aus der Metaphysik in das → Wesen der Metaphysik bringt vor die Aufgabe, das Sein wie das Seiende in ihrer Herkunft aus jener Differenz zu denken: Sein entbirgt sich – Seiendes birgt sich in → Unverborgenheit. „Sein im Sinne der entbergenden Überkommnis [Transzendenz] und Seiendes als solches im Sinne der sich bergenden Ankunft [Anwesen] wesen als die so Unterschiedenen aus dem Selben, dem Unter-Schied.“ (ebd., 62) Qu.: Heidegger 1957a, 35-73. – Lit.: Strube 1994. HV

Ordnung ist eine Art von Synthese, die bewirkt, daß etwas mit etwas anderem einen gemeinsamen Stand gewinnt. Wenn wir den antiken Kos-

400 mos, dessen O. in den Dingen bereit liegt und allem und jedem seinen Platz zuweist, und auch die transzendentale O., die Minimalbedingungen angibt, die alles, was erscheinen will, erfüllen muß, ausklammern, dann rücken die Herkunft von O.en und die Prozesse des Ordnens in den Mittelpunkt. Die Phänomenologie realisiert eine eigene Perspektive, sobald sie hinter die Fragen nach einem Ordnungshüter und einer Legitimierung von O. auf die Erfahrung zurückgeht. In seinem ersten Hauptwerk Die Struktur des Verhaltens versteht Merleau-Ponty das leibliche → Verhalten als eine Auseinandersetzung mit der Umwelt. Verhaltensstrukturen sind weder der materiellen → Welt noch dem Bewußtsein zuzurechnen, sie bilden eine dritte Dimension, die einen eigenen Stand in sich selbst hat. Auseinandersetzung mit der Umwelt besagt, daß der → Leib auf eine „bestimmte Reizgestalt“ (Merleau-Ponty 1976, 33) eingeht, wobei der → Reiz die „Antwort“ des Leibes „hervorrufen“, aber nicht determinieren kann. Leib und Umwelt partizipieren „an der derselben Struktur“ (ebd., 184). Indem das leibliche Verhalten bestimmte Reize bevorzugt und sich im Kraftfeld der Umwelt einrichtet, verkörpert es eine O. MerleauPonty spricht von einer „menschlichen O.“ (ebd., 207), um die Annahme rein phys. oder rein geistiger Ordnungsleistungen, die der → Natur entgegenstünden, vermeiden zu können. Er wendet gegen den kantischen Intellektualismus ein, daß das „Bewußtsein nicht mehr [...] als universale Funktion der O. der Erfahrung“ (ebd., 197) betrachtet werden könne, da O. schon in der → Erfahrung entsteht und nicht erst durch die Realisierung vorgegebener Regeln, die man „bloß

401 über sich ergehen zu lassen“ (ebd., 35) hat. Hinsichtlich der Herkunft von O. folgt Merleau-Ponty der Gestalttheorie, wenn er sagt: „Diese Sinnbezüge, mit denen wir die O. definieren, resultieren geradewegs aus unserer Selbstorganisation“ (ebd., 56). Ein Verhalten übernimmt gleichermaßen die Anreize der Umwelt und verändert sie, indem es auf sie eingeht. Eine Anreicherung dieser grundsätzlichen Denkweise um die Dimensionen Intersubjektivität, → Institutionen und → Politik findet sich in Merleau-Pontys Beitrag zur Geschichtsphilosophie. Die Geschichte ist eine „Zwischenwelt“ (Merleau-Ponty 1968, 242), eine „dritte O.“ (ebd., 48) von Institutionen und → Symbolen, die die Beziehungen zwischen Akteuren und zwischen diesen und den Dingen vermittelt. Geschichte hat Sinn, sie ist aber „keine reine Entfaltung der Idee“ (ebd., 22), Sinn ist vielmehr zu stiften, indem „eine Trägheit der Geschichte [...] einen Appell an die menschliche Erfindungsgabe“ (ebd., 43) richtet, welche auf diesen eingeht. Der Ansicht, daß Geschichte eine „Pluralität“ von konkreten „O.en“ (ebd., 245) zuläßt, steht Foucault, bei dem die Analyse von O. thematisch ins Zentrum rückt, nicht fern. Die O., von der in Les mots et les choses, das in dt. Übersetzung als Die Ordnung der Dinge erschien, die Rede ist, ist eine positive O., die zwischen allgemeinem Apriori und bloßer Empirie den Status eines „historischen Aprioris“ (Foucault 1971, 24) hat, das bestimmten Aussagen und Erkenntnissen vorausgeht, aber nicht jeglichen. Positiv ist eine O., da sie nicht von anderswo hergeleitet werden kann. Foucault spricht auch von einem „positiven Boden“ oder vom „rohen Sein

Ordnung der O.“ (ebd., 23) Ausgehend von der Beziehung zwischen Worten und Dingen wird gezeigt, nach welchem „Ordnungsraum“ (ebd., 24) sich die Wissenschaften in der Renaissance, der Klassik und im 19. Jh. konstituiert haben. Seine materialienreiche Untersuchung, die die Grammatik, die Philologie, die Naturgeschichte, die Ökonomie und weitere Wissenschaften berücksichtigt, bezeichnet Foucault als eine → Archäologie, die eine diskontinuierliche Wandlung positiver O.en darlegt. Für die Gegenwart bedeutsam sind vor allem Foucaults Ausführungen über den → Menschen, jene „junge Erfindung“ (ebd., 27), die im 19. Jh. das Licht der Welt erblickt. Der Mensch ist nun zu der Instanz geworden, vor der sich alles Wissen und alle Erkenntnisse auszuweisen haben. Weil es sich hier um eine bestimmte Erfindung handelt, warnt Foucault vor dem naiven Glauben an einen Humanismus, der zu sich selbst gekommen sei. Von hier aus wird auch Foucaults gebrochenes Verhältnis zur Phänomenologie deutlich, der Foucault vorwirft, sich in eine Verdoppelung des Menschen verstrickt zu haben. Der Mensch werde zugleich als Subjekt und Objekt des Wissens betrachtet, als ein „unterworfener Souverän“ (ebd., 377), was dazu führt, daß die Phänomenologie über die schlechte Ambiguität eines „Diskurses gemischter Natur“ (ebd., 388) nicht hinauskomme (Lebrun 1991). Dagegen bietet Foucault eine Theorie des → Diskurses auf, die sich den Rückgriff auf eine vordiskursive Erfahrung oder Subjektivität versagt. Es ist eine O. des Diskurses, die bestimmt, was in einem Feld sagbar ist. Diskursanalysen dienen dem Nachweis, wie sich ein Logos jeweils organisiert und materialisiert. Konstitutiv für die „O. des Diskurses“

Ordnung (Foucault 1974, 2) sind Ein- und Ausgrenzungen. „Das verbotene Wort; die Ausgrenzung des Wahnsinns; der Wille zur Wahrheit“ (ebd., 14) bezeichnen Ausschließungsprozeduren, die festlegen, wer oder was einen bzw. keinen Zugang zum Diskurs hat. Die traditionelle Vorstellung, daß es einen Ort gäbe, wo nur Wahrheit und Vernunft zählen, erweist sich als Schein. Jede Ausschließung wird von „internen Prozeduren“ (ebd., 15) begleitet, die regulieren, in welcher Weise jemand oder etwas innerhalb eines Diskurses auftritt. Foucault führt dieses anhand der Funktion des Kommentars, des Autors einer Rede und der Disziplinen vor. „Im Wahren ist man nur, wenn man den Regeln einer diskursiven Polizei gehorcht, die man in jedem seiner Diskurse reaktivieren muß“ (ebd., 25). Soziale → Institutionen (Justiz, Medizin, Erziehungssystem etc.) integrieren schließlich Diskurse in gesellschaftliche Machtbeziehungen. Mit seiner Ordnungstheorie, die im Laufe der Werkentwicklung über die Organisation des Wissens hinaus auch auf Fragen gesellschaftlicher Institutionen, der → Macht und der → Politik bezogen wird, richtet sich Foucault nicht nur gegen die Allmachtsphantasien des „hegelianischen Logos“ (ebd., 50), sondern auch gegen die Phänomenologie Merleau-Pontys. Demnach würde aus der Annahme einer „rohen Erfahrung“ angeblich folgen, daß es einen Sinn gäbe, „den unsere Sprache nur noch zu heben braucht“ (ebd., 33). Diese Auffassung, die Merleau-Ponty so sicher nicht vertreten hätte, betrachtet Foucault als eine Verleugnung der O. des Diskurses. Vor allem im Hinblick auf Merleau-Ponty hält Waldenfels Foucault vor, daß er mit einer weniger pauschalen Kritik an der Phäno-

402 menologie Mängel seines eigenen Ansatzes hätte ausgleichen können. Die Positivität von O.en und Diskursen lasse nämlich offen, wodurch sich ein Diskurs überschreiten und produktiv verändern könne. Was Foucault nicht erklärt, „das ist die Produktivität von Diskursen, in denen tatsächlich etwas gesagt und nicht nur nachgesagt wird, und dazu die selektive Gesetzlichkeit von Diskursen, die dieses zu sagen und zu tun erlaubt, anderes nicht“ (Waldenfels 1985, 221). Nur wenn die Diskurstheorie mit einem Außerordentlichen rechnen würde, „das die Kehrseite abgibt für die O. des Diskurses“, wäre ein Punkt gefunden, „wo der Diskurs selber über seine Grenzen hinausgeht und eine pure Verstreuung aufgefangen werden kann“ (ebd., 224). Waldenfels, der den Wandel von Ordnungskonzeptionen von der Antike bis zur Gegenwart nachvollzieht (Waldenfels 1989), geht in seinem Neuansatz von der These aus, daß „alle konkreten O.en durch Selektionen und Exklusionen entstehen“ (Waldenfels 1987, 163). Ordnungsstiftung ermöglicht eine bestimmte O., indem sie andere verunmöglicht. Zur Einrichtung einer O. gehören ein Handlungs- und Sprechfeld, Situationen, Themen und thematische Zusammenhänge. Wiederholte Handlungen führen zur Ausbildung einer habituellen O., einer „Verkörperung von O.“ (ebd., 79) im leiblichen Verhalten. O.en sind insgesamt variabel, da sie intern umstrukturiert oder gar umgestoßen werden können, sofern das, was bei der Ordnungsstiftung ausgeschlossen wurde, zur Artikulation gebracht wird. Jede O. wird von einem Überschuß des Außerordentlichen überschattet, den die Ordnungsstiftung produziert, indem sie eine und nicht eine andere O. verwirklicht. Daß eine O.

403 auch anders sein kann, bedeutet allerdings nicht, daß sie es auch zu sein hat. Als das Motiv, welches Prozesse der Ordnungsbildung überhaupt in Atem hält, sieht Waldenfels neuerdings einen außerordentlichen → Anspruch vor, der sich in einer O. meldet und auf den wir handelnd und sprechend zu antworten haben, ob wir wollen oder nicht. Da in einem Anspruch stets Mitansprüche laut werden und in einer O. nie alles zugleich zu Wort kommen kann, erweist sich eine → Antwort als selektiv und exklusiv. Abgewiesene Ansprüche kehren jedoch wieder und provozieren ein Wiederantworten, weshalb die Dynamik der Ordnungsbildung in keiner Endgestalt zur Ruhe kommt. (Waldenfels 1994a, 348 ff., 392 ff.) Qu.: Merleau-Ponty 1942 (1976). – Merleau-Ponty 1955 (1968). – Foucault 1966 (1971). – Foucault 1972 (1974). – Lebrun 1991, 15-38. – Waldenfels 1995, 211-225. – Waldenfels 1987. – Waldenfels 1990, 15-27. – Waldenfels 1994a. MWS

Orgiasmus begegnet bei Pato cˇ ka als ein Überwältigt- und Hingerissensein, das den Menschen in der Erfahrung des Sexuellen, Dämonischen, Heiligen aus der Alltäglichkeit von Sorge und Arbeit in eine andere Welt entrückt. Weil in diesem Überschritt die Last des alltäglichen Lebens abgeworfen wird, scheint der O. befreiend zu sein. Tatsächlich ist er jedoch ein Rausch, der den Menschen von außen ergreift, der ihn überkommt, so daß sich in ihm gerade keine Freiheit bekundet. Die Dimension des Orgiastischen und Dämonischen ist die notwendige Kehrseite eines Lebens, das nicht den Schritt in die persönliche Verantwortung wagt, das an sich selbst gefesselt bleibt und sich in das alltägliche Besorgen der

Originalität Dinge, den sachlich-nüchternen, praktischen Weltbezug flüchtet. Umgekehrt evoziert dieser, je mehr er die abgründige Seite des Lebens ausschalten möchte, die „Revanche des orgiastischen Enthusiasmus“ (Patoˇcka 1988, 139). Mit Blick auf → Krieg und Vernichtung im 20. Jh. wird für Pato cˇ ka so erklärlich, daß „die Dämonie ihren Höhepunkt gerade in einer Zeit der maximalen Nüchternheit und Rationalität erreicht“ (ebd., 140). – Einen Ausweg aus dem Wechselspiel von Alltag und O. bietet allein der Sprung in die Freiheit der Verantwortung. Qu.: Patoˇcka 1975 (1988). – Lit. Derrida 1992, 11-108 (1994, 331-445). LH

Originalität. In Formale und transzendentale Logik gebraucht Husserl den Begriff der O. i. S. von ,Ursprünglichkeit‘ zur Darstellung der phänomenolog. → Konstitution des → Urteils. Der aktiven bzw. erzeugenden Funktion eines Urteils wird dabei im Gegensatz zu dessen nichtursprünglichen Gegebenheitsweisen der Charakter der O. zugesprochen. Das schlicht bestimmende Urteil ,S ist P‘ verfügt über O., weil es einen → Sachverhalt erzeugt und das Fundament für modifizierte Urteilsformen abgibt, welche genetisch und geltungstheoretisch an die O. der Ausgangsform zurückgebunden bleiben. Daß der methodologische „Vorzug der O.“ nicht nur für die Urteilslehre, sondern „für jede, ob nun passive oder aktive Gegenstandskonstitution Gültigkeit hat“ (Hua XVII, 315), zeigen die Cartesianischen Meditationen, in denen der Begriff der O. im Kontext der Theorie der Fremderfahrung auftritt. Husserl unterscheidet hier zwischen „primordinaler O.“ (Hua I, 171) als der „O. des Eigenheit-

404

Originalsphäre lichen, des durch ursprüngliche Auslegung meiner selbst direkt Zugänglichen“ (ebd., 152) und der vergegenwärtigenden → Erfahrung des → Anderen als → Fremdem. Zwar ist das Bewußtsein des Anderen „für mich nicht originaliter“, sondern bloß analogisch zugänglich; sein → Körper wird aber nach dem Muster der Selbsterfahrung in wirklicher O., d. h. nicht als Zeichen oder Abbild, appräsentiert. Qu.: Hua I. – Hua XVII.

TR

Originalsphäre. In den Cartesianischen Meditationen setzt Husserl den Begriff der O. im Rahmen seiner Theorie der → Intersubjektivität mit dem Terminus → „Primordialsphäre“ (Hua I, 151) gleich. Beide Begriffe bezeichnen den Bereich der Eigenheitlichkeit des psychophysischen Subjekts, also das dem → Ich in seiner Gesamterfahrung unmittelbar Zugängliche. So betrachtet ist die O. „der Inbegriff dessen, was in allen Erfahrungen des Ich im Original selbstgegeben und nicht bloß indirekt vermeint ist“ (Bernet/Kern/Marbach 1989, 146). Die O. fungiert weiterhin als unhintergehbarer Ausgangspunkt der → Wahrnehmung des → Anderen. Dessen O. ist für das Ich keine Selbstgegebenheit, sondern nur durch eine Sinnübertragung, nämlich durch eine analogisierende → Apperzeption rekonstruierbar. Während die → Auslegung der eigenen, primordinalen O. jederzeit durch → transzendentale Selbsterfahrung möglich ist, bleibt die Annahme ichfremder O.n in Husserls Theorie der Fremderfahrung eine bloße Hypothese. Insbesondere Sartre und MerleauPonty haben später Kritik an dieser transzendental-egologischen Vereinnahmung der O. des Anderen geübt

und dabei v. a. den monadologischen Grundansatz von Husserls Intersubjektivitätstheorie in Frage gestellt. Qu.: Hua I. Lit.: Bernet/Kern/Marbach 1989. TR

Originarität bezeichnet bei Husserl im Unterschied zur vermittelten → Gegebenheit eines Phänomens dessen reine Selbstgegebenheit: „Die Urquelle alles Rechtes liegt hinsichtlich aller Gegenstandsgebiete und auf sie bezogenen Setzungen in der unmittelbaren, und enger begrenzt, in der originären Evidenz, bzw. in der sie motivierenden originären Gegebenheit“ (Hua III/1, 326). In den Ideen I führt Husserl die O. auf „gewisse Urerlebnisse, auf ,Impressionen‘ [...], die die absolut originären Erlebnisse im phänomenologischen Sinne darstellen“ (ebd., 167), zurück. Ursprünglicher Modus der O. ist die äußere → Wahrnehmung (im Gegensatz zur → Erinnerung, zur → Phantasie oder zur vorblickenden → Erwartung) sowie die Selbstwahrnehmung (im Gegensatz zur bloß mittelbaren Gegebenheit fremden Seelenlebens). Allerdings lassen sich auch die Operationen innerhalb der Verstandesoder Vernunftsphäre, also etwa das Bilden von Mengen oder die Abhebung von Prädikaten aus einem Subjekt, in Form einer „synthetischen O.“ vollziehen: eine synthetische Gegenständlichkeit hat „den vollen Charakter der O., wenn die Thesen ihn haben, wenn also die thetischen Aktcharaktere originär als vernünftig motiviert sind“ (ebd., 357). In zeitlicher Hinsicht fällt die absolute O. mit dem „Moment des lebendigen Jetzt“ (ebd., 168) zusammen. Qu.: Hua III/1.

TR

405 Ort. Unter O. versteht Heidegger nicht eine spezifische lokale Angabe innerhalb des homogenen und isotropen physikalischen → Raumes, der als Parameter für jede quantitative Messung von Abständen fungiert; vielmehr ist der O. das alles Versammelnde, und zwar in der Weise, „daß er das Versammelte durchscheint und durchleuchtet und dadurch erst in sein Wesen entläßt“ (HeiGA 12, 33). In dieser ausgezeichneten „Ortschaft aller O.e“ (ebd., 246) ereignet sich das Zusammengehören von → Sein und Menschenwesen, das durch sein ekstatisches Innestehen in das Offene dieser Ortschaft allererst

Ort die Ankunft des Seins bereiten kann. „Die Ortschaft des O.es des Seins als solchen ist das Sein selber.“ (HeiGA 6.2, 322) Für Schmitz hingegen ist der absolute O. (Urort) als das qualitativ ausgezeichnet und eindeutig bestimmt, worin sich der Mensch unabhängig von jeder räumlichen Orientierung leiblich (z. B. Schmerz und Angst) findet und spürt. Alle anderen, relativen O.e sind davon abhängig und setzen ihn voraus. Qu.: HeiGA 12, 33-35, 246-247. – HeiGA 6.2, 322-324. – HeiGA 7, 145-164. – Schmitz 1967. MF

P Paarung. Bei Husserl ist P. eine Urform derjenigen passiven → Synthesis der → Assoziation, in der zwei (oder mehrere) Daten in der → Einheit eines → Bewußtseins in Abgehobenheit anschaulich gegeben und als Paar (oder Gruppe) konstituiert sind. Am Gepaarten vollzieht sich dabei ein intentionales „Sich-überdecken nach dem gegenständlichen Sinn“ (Hua I, 142), eine „Sinnesübertragung“ (ebd.). Diese Struktur der P. im Rahmen der genetischen Betrachtungsweise des Bewußtseinslebens wird nun auf die Theorie der → Intersubjektivität übertragen und ist eine wesentliche Komponente der Fremderfahrung: Wenn in meiner → primordialen Sphäre, in der mein → Körper mit dem → Sinn der Leiblichkeit immer da ist, ein dem meinen ähnlicher Körper – eben der → Leib des → Anderen – auftritt, muß dieser sich in purer → Passivität bereits mit dem meinen paaren und in der Sinnesüberschiebung den Sinn „Leib“ von dem meinen übernehmen. (ebd., 147) Die Erscheinungsweise des fremden Körpers im Modus dort erinnert an mein körperliches Aussehen, wenn ich dort wäre. So ist P. die Möglichkeitsbedingung für das Verstehen eines anderen Objekts als eines anderen Menschen.

päischen Wissenschaften sieht Pato cˇ ka den P. ausgelöst durch eine im 16. Jh. einsetzende Geisteshaltung, die die europäische Idee eines Lebens aus der Einsicht nach und nach in eine ZweckMittel-Rationalität überführt. Politisch äußert sich der Verlust des einheitlichen europäischen Weltbildes in der Entstehung der modernen Nationalstaaten, wirtschaftlich und sozial im Aufkommen des Kapitalismus und in stärkeren gesellschaftlichen Gegensätzen. Die damit einhergehenden Partikulärinteressen verschärfen ihrerseits die geistige Krise, indem sie Wissenschaft und → Technik ihren Zwecken unterordnen. Seinen Höhepunkt findet der europäische P. in den Kriegen des 20. Jh.s, die nicht nur das Ende der politischen Vorrangstellung Europas besiegeln, sondern in ihrer blinden Kraftentfaltung seine geistige Erosion spiegeln. Paradoxerweise offenbart sich jedoch für Pato cˇ ka gerade im → Krieg als der extremsten Steigerung des P. auch die Möglichkeit seiner Überwindung: in der Solidarität all derer, die die Absurdität des Krieges erfahren haben und sich nicht mehr in den Dienst der „partikularistischen, national-chauvinistischen“ Parolen stellen lassen.

Qu.: Hua I, 51, 54, 142 f. – Lit.: Held 1972, 3-60. – Yamaguchi 1982. TS

Qu.: Patoˇcka 1975 (1988).

Partikularismus kennzeichnet in der Geschichtsphilosophie Pato cˇ kas den Zerfall Europas als „einheitlicher politischer, sozialer und geistiger Wirklichkeit“ (Patoˇcka 1988, 211). Im Anschluß an Husserls Krisis der euro-

LH

Passivität (frz.: passivité). Innerhalb der genetischen Phänomenologie (Aguirre 1970; Derrida 1990; Bégout 1995) dient der P.-Begriff zur Beschreibung der vorintentionalen → Gegebenheiten, die allem wachen → Bewußtsein vorausgehen und es stets um-

407 spielen (Hua I, 79 f.; Hua XV, 613 ff.). Diese „allgemeinste Gesetzlichkeit genetischen Werdens in der P., die immer da ist“ (Hua XI, 321), erweitert die transzendentale Ästhetik Kants, weil die → „passive Synthesis“ das immanent-subjektive Werden aller Bewußtseinskategorien selbst betrifft sowie auch das absolute → Ego als „UrIch“ (Richir 1989; Seebohm 1994). Entsprechend verläuft die Entwicklung des P.-Begriffs bei Husserl vom passiven Aufnehmen vorprädikativer → Gehalte bis zur P. als unterster Stufe der → Aktivität vor aller eigentlichen Verstandesspontaneität, die beide so in Potentialität fundiert bleiben (Holenstein 1972, 115 ff.; Wiegerling 1984). Ein daraus sich ergebender Stufenbau der primär-passiven Synthesen erfolgt inhaltlich gemäß den motivationalen Gesetzlichkeiten von Urhyle, kinästhetischer Affektivität, Zeitlichkeit und → Assoziation (Kühn 1998a): 1. Auf der Grundlage hyletisch-angeborener Triebintentionalität (Streben, Begehren) vollzieht sich in der → primordialen Sphäre der Zeitigung die ursprünglichste → Synthesis der „Uraffektion“ (Hua XV, 329 ff.). 2. Innerhalb solcher Urassoziation der Wahrnehmungsfelder geschieht die „voraffektive Einheitsbildung“. Ihr sind die passiv-konstitutiven Ordnungsformen eines Lokalfeldes in der koexistenten Kontinuität, → Sukzession der Sinnesfelder und in der hyletischen Einheitsbildung zuzurechnen (Hua XI, 117 ff.). 3. Die Affektion tritt im Bereich der „lebendigen Gegenwart“ auf und wird gegenüber der passiven Assoziation im reproduktiven Sinne „Urassoziation“ genannt. Die „Abgehobenheit“ der Affektion unterliegt den passiven Ordnungsprinzipien der Homogenität, Heterogenität, des → Kontrastes,

Passivität der Weckung und Verschmelzung. 4. Im Bereich der passiven Vorleistungen sind unterschiedliche Grade der Ichaktivität auszumachen (Montavont 1994). Wenn die affektive Kraft als „Reiz“ die „Zuwendung des Ich“ motiviert, ergibt sich die „Rezeption“ im Husserlschen Sinne. 5. Die passive → Motivation als Wahrnehmungsrezeption bedingt schlichte → Erfassung und Explikation: Im Modus des „Noch-im-Griff-behaltens“ ordnet das urhyletisch-weiterwirkende triebintentionale Erkenntnisstreben einem → Gegenstand in dessen Innenhorizont Substrat-Bestimmungen zu. Diese passive Wahrnehmungssynthese in kontinuierlicher „Weckung“ ist nicht mit der stellungnehmenden Gegenstandsidentifikation auf aktiv-prädikativer Stufe zu verwechseln. 6. In apperzeptiver Beziehung werden andere Mitgegebenheiten im Ding-Außenhorizont betrachtend einbezogen (Husserl 6 1985, 116 ff.). Hierbei handelt es sich um eine passive Einheit von gleichzeitig Affizierendem in einem Wahrnehmungsfeld sowie um eine assoziative Einheit von → Wahrnehmung und → Erinnerung. 7. Da jeder Akt ein „Haben“ als passiven → Erwerb hinterläßt, gehören → Habitus, → Sedimentierung und Wiederholung zur sog. „sekundären P.“, der stets eine einmal erfolgte → „Urstiftung“ vorausliegt. 8. Auch die monadologische → Intersubjektivität unterliegt leiblich-kinästhetisch einer passiv-triebintentionalen „Kommunikation“ (Hua XV, 187 ff., 604 ff.; Yamaguchi 1982; Lee 1993). Die neuere Phänomenologie greift die P. – die nach Husserl methodisch nur als „abstrakte Regression“ bzw. „Rekonstruktion der Genesis“ lebendiger Subjektivität erscheinen kann (Hua I, 112 f.; Hua XV, 526 ff., 560 ff.) – in

Person radikalisierter → Reduktion verstärkt auf (Alter 1993). Nachdem MerleauPonty die P. unter den Begriffen des → „Chiasmus“ von Welt/Leib und ihrer „Opazität“ begriff (Merleau-Ponty 1945, 367 f.; 1964, 263 f.), unterstrich Levinas die Ego-„Rekurrenz“ in der Sinnlichkeit, um bereits in deren passiver „Erregbarkeit“ eine ethische → Verantwortung auszumachen (Levinas 1992, 234 ff.). Ricœur sieht die P. des zwischenleiblichen Leidens in der weiteren hermeneut. Verflechtung von affektivem Begehren (désir, conatus) und dem reflexiven Cogito, das in seiner Selbstsetzung durch das Unendliche „verwundet“ ist (Ricœur 1996, 385 ff.). Henrys Lebensphänomenologie einer rein-passiven Geburt des „Ego“ will den „transzendentalen Schein“ dieses aktiv-polzentrierten Ego durch den Aufweis einer radikalen Passivität des „Mich im Akkusativ“ unterlaufen, dem originär alle Potentialitäten des „Ich kann“ in solcher absoluten Selbstaffektion übereignet sind (Henry 1998, 151 ff.). Qu.: Hua I. – Hua XI. – Hua XV. – Husserl 1939 (6 1985). – Merleau-Ponty 1945 (1966). – Merleau-Ponty 1964 (1986). – Levinas 1974 (1992). – Ricœur 1990 (1996). – Henry 1997 (1998). – Lit.: Aguirre 1970. – Alter 1993. – Derrida 1990. – Holenstein 1972. – Kühn 1998a. – Lee 1993. – Montavont 1994. – Richir 1989, 9-41. – Seebohm 1994. – Wiegerling 1984. – Yamaguchi 1982. RK

Person darf nach Scheler niemals als ein Ding oder eine Substanz gedacht werden, denen Vermögen oder Kräfte, z. B. Vernunft, zukämen: „P. ist die konkrete, selbst wesenhafte Seinseinheit von Akten verschiedenartigen Wesens“ (ScheGW 2, 382). Als Seinsoder Formeinheit ist sie Aktzentrum,

408 jene fundierende „Einheit, die für Akte aller möglichen Verschiedenheiten im Wesen besteht – sofern diese Akte als vollzogen gedacht werden“ (ScheGW 2, 382): „[...] zum Wesen der P. gehört, daß sie nur existiert und lebt im Vollzug intentionaler Akte“ (ebd., 389). Stein sucht christlich-thomistische Philosophie mit Phänomenologie zu verknüpfen. In diesem Kontext versteht sie P. als das freie Subjekt, das sich in seiner Freiheit als vermitteltes Subjekt und als von der göttlichen Gnade gesetzte Freiheit erfährt. Stein setzt dem natürlich-naiven Subjekt mit seiner passiven und unfreien Aktivität P. als freie Subjektivität entgegen: Allen Bewegungen, das ständige Wechselspiel von Impressionen und Reaktionen – z. B. Liebe oder Haß, Wollen und Handeln – mangelt „die Inszenierung von einem letzten inneren Zentrum her“ (Stein 1962, 137), das „seelische Subjekt ist von außen her in sie hineingerissen und hat sich dabei nicht selbst in der Hand“. (ebd.) Das befreite, von oben, d. h. zugleich von innen geleitete Leben der Seele muß, um mit seiner Freiheit etwas anfangen zu können, diese zumindest teilweise aufgeben und sich an ein Reich binden: Will sie ihre Seele bergen und gewinnen, „so muß sie an ein anderes Reich Anschluß finden, als das der Natur ist“. (ebd., 143) „Sich selbst und ihren Frieden kann die Seele nur in einem Reiche finden, dessen Herr sie nicht um seinetwillen, sondern um ihretwillen sucht. Wir nennen es um eben dieser nichts begehrenden, sondern sich überströmenden und verschenkenden Fülle willen das Reich der Gnade. Und weil darin aufgenommen erhoben werden heißt, das Reich der Höhe.“ (ebd., 145) Schmitz begreift das personale Subjekt aus dem Prozeß der Emanzipation,

409 d. h. der Erhebung aus der primitiven Gegenwart, seinem Eingebunden- und Eingeschmolzensein in subjektive Tatsachen: „Den Verband, der durch das personale Subjekt, das sich mehr oder weniger aus der primitiven Gegenwart erhoben hat, und diese selbst gebildet wird, bezeichne ich als P.“ (Schmitz 1980a, 14) Reinach beschäftigte sich als erster Phänomenologe mit Rechtsphilosophie (→ Recht), die er als eine apriorische Rechtslehre verstand: Diese soll Rechtssätze aufstellen, die denselben Status haben wie Axiome der Logik oder Mathematik. Reinach geht vom sozialen → Akt des Versprechens aus. Damit entstehen zwischen einzelnen P.en → Anspruch und Verbindlichkeit, und diese apriorische Beziehung betrifft eine Realität an sich, die im Zwischen der P.en verankert ist: „Soziale Akte, wie die des Einräumens oder Übertragens u. dgl., können unmöglich als letzte Quelle des Könnens fungieren, da sie, soweit sie eine unmittelbare rechtliche Wirkung besitzen, allemal selbst ein darauf bezügliches Können voraussetzen, und dies Können schließlich eine andere Wurzel haben muß, wenn ein fehlerhafter Regressus in infinitum vermieden werden soll. Eine solche letzte Wurzel ist in der Tat in der P. als solcher vorhanden.“ (Reinach 1989, 221) In seinem Werk Das Selbst als ein Anderer entfaltet Ricœur einen hermeneut. Begriff des Selbst, der die doppelte Einseitigkeit des neuzeitlichen Subjektbegriffs zu überwinden sucht: Einerseits die cartesianische Selbstsetzung des cogito, anderseits das von Nietzsche zertrümmerte cogito. Ricœurs Ansatz ist durch drei Motive gekennzeichnet: „Umweg der Reflexion über die Analyse, Dialektik der

Perspektive Selbstheit und der Selbigkeit, Dialektik der Selbstheit und der Andersheit“ (Ricœur 1996, 27). Insofern sich die Selbstauslegung mit dem Vollzug dieser dreifachen Vermittlung deckt, kann dieser Ansatz als hermeneut. begriffen werden. Qu.: ScheGW 2. – Stein 1962. – Schmitz 1980a. – Schmitz 1990. – Reinach 1989. – Ricœur 1990 (1996). – Lit.: Mattern 1996. – Schulz 1994. – Vorlaufer 1986. JV

Perspektive. Räumliches Sein ist für ein → Ich nur einem Sehen von verschiedenen Standpunkten aus, in verschiedener Orientierung, zugänglich, d. h. nach verschiedenen P.n, → Erscheinungen, → Abschattungen. Das Sehen in P.n ist für das Sehen räumlichen Seins wesensnotwendig. Die Ausdrücke „P.“, „Beleuchtung“, „Orientierung“ bezeichnen eine dem vollständigen und konkreten → Noema immanente Komponente. Das → Thema erscheint in bestimmter P. und Beleuchtung (z. B. die Entdeckung Amerikas durch Columbus aus der P. der damals vertretenen Meinungen hinsichtlich der Erdgestalt) (vgl. Gurwitsch 1974). Sehen ist perspektivisch, wobei die P. sowohl das Mittel ist, durch das sich → Gegenstände enthüllen, als auch das Mittel, durch welches sie sich verbergen können. Zur räumlichen kommt die zeitliche P.: Die Individualität des Geschehens ist durch die P. dessen, dem es geschieht, bedingt. Daß sich ein → Gegenstand in P.n enthüllt, gründet in der Leiblichkeit. Keine der perspektivischen Ansichten der Welt schöpft diese aus, jede P. verweist auf weitere P.n (Merleau-Ponty 1966,).

Phänomen Qu.: Hua III/1, § 42. – Gurwitsch 1974, § 54. – Merleau-Ponty 1945 (1966), 91-96 u. 239-241. HV

Phänomen. → Phänomenologie Phänomenal. Als Adjektiv zu „Phänomen“ hat „p.“ die Bedeutungen „erscheinend“, „sich zeigend“, „auftretend“ und „sich herausstellend“. Husserl verwendet den Terminus für die Bezeichnung des Anscheins von Seiendem nicht. In der Kritik des Phänomenalismus kam er zu der These, daß die Empfindungsdaten, die die Funktion der sinnlichen → Abschattung üben, → Erlebnisse seien, und daß das Abgeschattete nicht möglich als Erlebnis sei: „Es ist das fundamentale Gebrechen der phänomenalistischen Theorien, daß sie zwischen der Erscheinung, als intentionalem Erlebnis, und dem erscheinenden Gegenstand [...] nicht unterscheiden und daher die erlebte Empfindungskomplexion mit der Komplexion gegenständlicher Merkmale identifizieren“ (Hua XIX/1, 371). Im Unterschied dazu weist Husserl „auf die p.en äußeren Dinge [...], die sich bewußtseinsmäßig durch Empfindungskomplexe darstellen, aber keineswegs als solche erscheinen“ (ebd., 379) hin. Die Empfindungsdaten sind durch die intentionalen → Auffassungen beseelt, deren intentionales Korrelat die gegenständlichen → Momente als dingliche Phänomene sind. So kann er in diesem Sinne formulieren: „Phänomen ist [...] alle Erkenntnis für mich in der transzendentalen Subjektivität [...]“ (Hua VII, 195). Der Terminus steht auch im Zentrum der Philosophie Heideggers. Er nennt „p.“, „was in der Begegnisart des Phänomens gegeben und explizierbar ist; daher die Rede von p.en Strukturen“ (HeiGA 2, 49).

410 Qu.: Hua III/1, 85-86. – Hua VII, 195. – Hua XIX/1, 370-371, 379, 396-400. – HeiGA 2, 49. – Lit.: Held 1980, 89-145. – Sommer 1985, 190-207. RW

Phänomenologie, phänomenologisch. Der Terminus Ph. geht auf das 18. Jahrhundert zurück. 1762 gebraucht F. Ch. Oetinger in seiner Philosophie der Alten Ausdrücke wie „ph.e Denkungsart“ und „ph.e Schlußart“. Bei J. H. Lambert, Über die Methode, die Metaphysik, Theologie und Moral richtiger zu beweisen (1762), findet sich die Idee einer „Phaenomenologia oder optica transcendentalis“ – gemeint ist eine Lehre des Scheins als Gegenstück zur Lehre von der Wahrheit. Zur Ausführung kommt diese Ph. in Lamberts Schrift Neues Organon oder Gedanken über die Erforschung und Bezeichnung des Wahren und dessen Unterscheidung von Irrtum und Schein (1764) - Teil 4, Ph. oder Lehre vom Schein. In der Korrespondenz mit Lambert gebraucht auch Kant das Wort Ph., er selbst plant eine Ph., welche die Grenzen der Sinnlichkeit (Schein qua phainomenon) gegenüber der Vernunft festlegen soll. Daraus erwächst die Kritik der reinen Vernunft. – Hegels Ph. des Geistes (1807) versteht sich als erster Teil des Systems der Wissenschaft, u. zw. als „Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins“, der Gang des Absoluten aus seiner ersten Unmittelbarkeit, die den konkreten Reichtum noch verhüllt, bis zur Rückkehr der Vernunft zu sich selbst im absoluten Wissen. Als Hegels Werke 1832 in der Ausgabe des „Vereins von Freunden des Verewigten“ erscheinen, steht „Ph.“ ohne weitere Erläuterung für Ph. des Geistes. Als eigenständige philosophische Bewegung und vor allem als Methode

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Phänomenologie, phänomenologisch

wird die Ph. Anfang des 20. Jahrhunderts durch Husserl begründet †. Der gemeinsame Name besteht heute trotz teils weitreichender Differenzen, wobei zumindest zwei Problemansätze (wenngleich oft in kontroverser Auslegung) gemeinsam sind: die Korrelation von Zugangsart („Logos“) und Gegenständen („Phänomenen“) und die Welt als Boden dieser Korrelation. – In der 4. Fassung seines EncyclopaediaBritannica-Artikels über phänomenologische Psychologie schreibt Husserl 1927: „’Ph.’ bezeichnet eine an der Jahrhundertwende in der Philosophie zum Durchbruch gekommene neuartige deskriptive Methode und eine aus ihr hervorgegangene apriorische Wissenschaft, welche dazu bestimmt ist, das prinzipielle Organon für eine streng wissenschaftliche Philosophie zu liefern und in konsequenter Auswirkung eine methodische Reform aller Wissenschaften zu ermöglichen.“ (Hua IX, 277) Der Name „Ph.“ ersetzt seit 1901 („Ph. der sprachlichen Formen“, „Ph. der Bedeutungserlebnisse“: Hua XIX/1, 18) den Ausdruck „deskriptive Psychologie“; damit wird auch dem Anschein begegnet, die auf letzte Fundamente abzielende „Philosophie als strenge Wissenschaft“ (Hua XXV, 362) habe die Psychologie, also eine Erfahrungswissenschaft, zur Grundlage (Hua XIX/1, 23). Husserls Artikel nennt zugleich drei wesentliche Aufgaben der Ph.: 1. die Methode der → Deskription, 2. die Apriorität dieser Wissenschaft und 3. ihre Bedeutung als Fundament der Einzelwissenschaften. Alle diese Momente erweisen sich für

die nachfolgenden Phänomenologen als verbindlich, auch wo sie kritisch dazu Stellung nehmen. (Ad 1) Ph. als Deskription geht, wie schon erwähnt, aus der von Husserl selbst gebrauchten ursprünglichen Bezeichnung der Ph. als „deskriptiver Psychologie“ (Brentano 1874) hervor. Die Deskription betrifft Wesenseinsichten, und die deskriptive Methode ist Sache der eidetischen Ph., die das „empirische Apriori“ in Wesensanalysen zugänglich zu machen sucht. Diese Urgestalt der Ph. tritt mit den Logischen Untersuchungen (1900/01) an die Öffentlichkeit. Diese interpretieren die logischen Gebilde als „ideale Einheiten“ und die logischen Gesetze als „Idealgesetze“, beides im Gegenzug zum Psychologismus, der jene Gebilde und Gesetze als psychologische Tatsachen auffaßt und damit einem Relativismus Tür und Tor öffnet. In den Logischen Untersuchungen tritt als „das philosophische Grundmotiv“ die „korrelative Betrachtungsart“ ins Zentrum – gemeint ist die „Spannungseinheit des in eins subjektiv und objektiv gerichteten Fragens“ als „der eigenste und fruchtbare Ansatz Husserls [so dieser in seiner Selbstdarstellung], der in seiner wachsenden Vertiefung und Wandlung die Etappen bestimmt, in welchen schließlich eine neue Idee der Philosophie zum Durchbruch kommt“ (Hua XXVII, 246): Ph. als Korrelationsforschung. (Ad 2) Ph. als apriorische Wissenschaft beginnt als eidetische Ph. und entwickelt sich in der Folgezeit zur transzendentalen Ph. Diese hat die Aufgabe, alle Phänomene als Sinn-

† Die

mit diesem Stichwort verbundenen Attribute bzw. einige der wichtigsten Termini werden zur besseren Orientierung hier auch innerhalb des Beitrags durch Fettdruck hervorgehoben. Zur Auswahl der Autoren ist auf die Einleitung hinzuweisen. Angaben zur Sekundärliteratur betreffen nur Übersichtsdarstellungen.

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gebilde der transzendentalen Subjektivität im Rückgang auf deren konstitutive Leistungen auszuweisen: Ph. als Konstitutionsforschung. Husserls Ideen I (1913) sind das erste der Öffentlichkeit zugängliche Dokument der transzendentalen Ph. und die „eigentliche[. . . ] Grundschrift der konstitutiven Ph.“ (Hua XXVII, 251). Durch „Einklammerung“ der natürlichen Einstellung (→ Epoché), Eingangsthema der „phänomenolog. Fundamentalbetrachtung“, wird das „absolute Bewußtsein als Residuum der Weltvernichtung“ gewonnen (Hua III/1, § 49), die Welt wird zum Phänomen. Damit ist das universale Thema der Ph. benannt: Sie ist „Wissenschaft vom Aufbau der im phänomenolog. Subjekt jeweils als seiend geltenden Welt [. . . ] in den sinngebenden reinen Bewußtseinserlebnissen mit ihren vermeinten Gehalten“ (Hua XXVII, 251). Schon in der Frühzeit der Ph. führt diese „idealistische“ Wendung Husserls zu Differenzen mit seinen Schülern aus dem Münchner und Göttinger Kreis, die sich mehr oder weniger streng an der eidetischen Ph. orientieren. (Ad 3) Die Ph. erhebt den Anspruch auf Fundierung der Einzelwissenschaften. Dieses Vorhaben ist in der Philosophie alles andere als neu, doch konnte ihm gerade die neuzeitliche Philosophie nur unzureichend genügen, was u. a. die Abkoppelung der positiven Wissenschaften von der Philosophie zur Folge hatte. Der Grund liegt in einer von dieser selbst mitverschuldeten zweifachen Naivität: als Naturalismus und als Historismus (den Husserl „Historizismus“ nennt). Der Naturalismus wird durch den Aufstieg der Naturwissenschaften begünstigt und manifestiert sich in einer „Naturalisierung des Bewußtseins“ bzw. einer „Naturalisierung der Ideen“ (Hua

XXV, 9); damit ist zum einen die Forderung verbunden, alle Bewußtseinserlebnisse auf Naturgesetze des Denkens zurückzuführen, zum anderen der Anspruch, alles Geistige auf Sinnesdaten zu reduzieren. Diese naturalistische Verkennung bringt es mit sich, daß im Ausgang von der physischen Natur nach exakten Naturgesetzen geforscht wird, ohne die fundamentalen Voraussetzungen solcher Forschung hinsichtlich ihrer Rechtmäßigkeit und Reichweite zu untersuchen. Daraus ergibt sich in weiterer Folge, daß die fundierenden subjektiven Leistungen in ihrer Bedeutung verkannt und als irrelevant ausgeklammert bzw. zu Tatsachen umgedeutet werden („Naturalisierung des Bewußtseins“ Hua XXV, 12). Der Historizismus ist eine Folgeerscheinung der Entdeckung der Geschichte im 19. Jahrhundert und entbehrt als Weltanschauungsphilosophie streng wissenschaftlicher Begründung. An deren Stelle treten tiefsinnige Spekulationen, sodaß trotz wertvoller Einsichten (wie sie Husserl namentlich Dilthey zuspricht) eine dauerhafte wissenschaftliche Leistung nicht erzielt werden kann und die Resultate solcher Forschungen, da ohne entsprechende Absicherung, steter Relativierung ausgesetzt sind. Auch der Historizismus deutet Ideen in Tatsachen um und führt in letzter Konsequenz zu einem „extremen skeptischen Subjektivismus“ (ebd. 43). Das sich daraus ergebende Desiderat einer philosophischen Fundierung der Natur- und Geisteswissenschaften überschreitet aber die Kompetenz der Einzelwissenschaften, weil Prinzipienreflexion wie Methodenbegründung Universalität beanspruchen (die von den Einzelwissenschaften aufgrund ihrer spezifischen Fragestellung und Methode nicht geleistet werden

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kann) und deshalb zur Philosophie gehören (bzw. weil die Einzel- oder positiven Wissenschaften dort, wo sie einer solchen Aufgabe ernsthaft nachgehen, selbst schon philosophieren). So schließen sich den Ideen Forschungen an, die „einer radikalen Erhellung der Ph. in ihrem Verhältnis zu den positiven Wissenschaften“ gelten (Hua XXVII, 253). – Die transzendentale Ph. eröffnet als Arbeitsphilosophie (→ Arbeit) immer neue Problemhorizonte und gelangt Schritt für Schritt zu einer wachsenden Klärung und Vertiefung des schon Erreichten. Dies zeigt sich nicht zuletzt in der erst relativ spät thematisierten Unterscheidung in statische und genetische Ph. Die statische oder „beschreibende“ Ph. analysiert die Wesenseigenschaften der intentionalen Erlebnisse und ihrer Korrelate; „ihre Deskriptionen sind analog den naturhistorischen, die den einzelnen Typen nachgehen und sie allenfalls ordnend systematisieren“ (Hua I, 110). Doch erst die Betrachtung der Individuation in ihrem Werden schafft die Voraussetzungen, „die Möglichkeit einer Welt zu verstehen“ (Hua XI, 343). So untersucht die genetische oder „erklärende“ Ph. (als „Ph. der gesetzmäßigen Genesis“, ebd. 340) die Gesetze, nach denen einzelne Ereignisse im Erlebnisstrom aufeinanderfolgen. Dazu zählen 1. die Genesis der Passivität (→ Synthesis, passive), 2. die Beziehungen zwischen Passivität und Aktivität mit Berücksichtigung der Anteile des Ich, 3. die „Genesis als aktive Leistung von idealen Gegenständen und Leistung von realen Erzeugnissen“ (ebd. 342), 4. die Fragen der gesetzmäßigen Entwicklung einer Monade, 5. Fragen der Koexistenz von Monaden, 6. die Aufgaben der Erklärung der Konstitution von Natur und Welt in einer Monade

und 7. die „Gesetze des ursprünglichen Zeitbewußtseins“ als „Urgesetze der Genesis“ (ebd. 344). – Trotz aller Differenzen halten sich die nach Husserl Kommenden, sofern sie den Anspruch erheben, der phänomenolog. Bewegung zuzugehören, an dem von deren Begründer in den Ideen I formulierten phänomenolog. Prinzip aller Prinzipien fest: „Am Prinzip aller Prinzipien: daß jede originär gebende Anschauung eine Rechtsquelle der Erkenntnis sei, daß alles, was sich uns in der ,Intuition’ originär, (sozusagen in seiner leibhaften Wirklichkeit) darbietet, einfach hinzunehmen sei, als was es sich gibt, aber auch nur in den Schranken, in denen es sich da gibt, kann uns keine erdenkliche Theorie irre machen.“ (Hua III/1, 51, § 24). Damit kommt die Forderung eines Rückgangs auf die Sachen selbst zum Tragen („Grundforderung eines Rückganges auf die ,Sachen selbst’“ Hua III/1, 41). Die Ph. nach Husserl ist zwar durchgängig davon bestimmt (und daher auch als Ph. zu identifizieren), daß sie sich auf ihren Gründer bezieht, doch geschieht dies in der überwiegenden Zahl der Fälle und naturgemäß bei den Kreativsten der Nachfolger kritisch, ja die Ph. bis zu einem gewissen Grade sogar in Frage stellend und/oder mit außerphänomenologischen Positionen konfrontierend (Lacan, Foucault, Derrida). Von einer streng orthodoxen Rezeption kann aber auch bei jenen Gefolgsleuten Husserls nicht die Rede sein, die sich ihm nahe verbunden fühlen. Als crux erweist sich dabei meist Husserls transzendentalphilosophische Wendung. So hat schon Pfänder, Husserls ältester Schüler (dieser hat ihn „unseren solidesten Arbeiter“ genannt [Spiegelberg 1963, 3], ihm allerdings

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später vorgeworfen, für die konstitutiven Fragen blind zu sein), den Schritt zum transzendentalen Idealismus nicht mitvollzogen und dennoch (im Unterschied zu den Münchner Phänomenologen) in strenger Beachtung der Epoché dem subjektiven Aspekt der psychischen Phänomene sein besonderes Augenmerk zugewandt. Ph. ist für Pfänder zwar die „notwendige Grundlage aller Philosophie“, jedoch kein Ersatz für Erkenntnislehre, sondern „die philosophische Wissenschaft von dem Gegenstandsbewußtsein, speziell von demjenigen Gegenstandsbewußtsein, in dem die bewußten Gegenstände selbst leibhaftig gegeben erscheinen“ (Pfänder in Spiegelberg 1963, 46). Indem Scheler Husserls Grundmotiv der Korrelation folgt, erscheint für ihn der „Zusammenhang zwischen dem Wesen des Gegenstandes und dem Wesen des intentionalen Erlebnisses“ als „höchste[r] Grundsatz der Ph.“ (GW 2, 270). Doch bindet sich Scheler nur mit Vorbehalt an Husserls Programm einer wissenschaftlichen Philosophie (vgl. GW 5, 74). Zwar nimmt die eidetische Ph. in seiner Philosophie eine wichtige Stellung ein, doch ist sie nur eine von vier Erkenntnisformen. Als Vorstufe fungiert die (1) deskriptive Ph. (eine Art von „rekonstruktiver“ Ph., welche die Gedankensysteme auf deren Urerlebnisse zurückführt und damit deren „Ursinn“ wieder zum Leben erweckt); den Kern bildet (2) die Wesensphänomenologie (die Herausstellung des apriorischen Wesensgefüges in allen Sachbereichen, gültig für alle möglichen Welten, vgl. GW 2, 395). Doch wird diese Wesensontologie der Welt (3) vom metaphysischen oder Heilswissen überhöht, in deren „Welt- und Gottesansicht“ die Philosophie ihren letzten Sinn gewinnt. Hinzu kommt (4)

das, was Scheler selbst „als Glaubenssubjekt [. . . ] bejaht“ (GW 5, 14). Diese vier Formen lassen sich in der konkreten Arbeit „nicht immer ganz deutlich“ trennen (ebd.). Darüber hinaus knüpft Scheler von der Ph. her Verbindungen zu einer Reihe von Forschungsgebieten, namentlich zur Kultursoziologie und Soziologie des Wissens (GW 6, GW 8), zur Religionsphilosophie und deren „Wesensphänomenologie“ (GW 5), zur Politik und zur Pädagogik (GW 4), nicht zu vergessen die Anstöße, die von ihm für die Philosoph. Anthropologie ausgingen (GW 9, GW 12). – Phänomenolog. Erfahrung wird von aller anderen Erfahrung (sowohl von der der natürlichen Weltanschauung wie von der Erfahrung der Wissenschaft) dadurch unterschieden, daß sie 1. „die Tatsachen ,selber’ und daher unmittelbar, also nicht vermittelt durch Symbole, Zeichen, Anweisungen irgendwelcher Art“ gibt (sie ist daher „asymbolisch“) und 2. rein immanente Erfahrung ist: „d. h. nur das, was im jeweiligen Akte des Erfahrens selbst anschaulich ist [. . . ], gehört ihr an“ (GW 2, 70). Zu den wichtigsten Phänomenologen der Frühzeit zählt (auch nach Husserls eigenem Urteil) Johannes Daubert, der allerdings selbst nichts veröffentlicht hat. In einem Manuskript aus dem Nachlaß finden sich 7 Bestimmungen der Ph.; die abschließende Umschreibung faßt Dauberts Aussagen über die Ph. als Wesenslehre zusammen: „Ph. als Wesenslehre, d. h. Lehre von dem, was einsichtig ist, muß den Rationalismus verdrängen oder richtiger einschränken auf sein formales Gebiet, das nur ein Sonderfall der Ph. ist. Ferner, die Wesenslehre als Lehre von Wesensbeziehungen ist nur ein Teil von überhaupt einsichtigen, sei es

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isolierten Wesenheiten oder zueinander bezogenen.“ (zit. Sepp 1988, 210) Ähnlich ist für Reinach Ph. „Wesenserschauung“ (SW 1, 535). Sie beschränkt sich nicht allein auf die Philosophie (für Reinach selbst wird sie vor allem auf dem Gebiet des Rechts fruchtbar). Die Wesensanalyse ist kein letztes Ziel, sondern Mittel, um eine Wesenslehre sowohl des Psychischen als auch der Natur zu entwerfen. Die Ph. selbst ist kein System philosophischer Wahrheiten, sondern „eine Methode des Philosophierens, die gefordert ist durch die Probleme der Philosophie“ und die von der Art der Orientierung im „Leben“ und mehr noch vom Vorgehen der Wissenschaften nicht unerheblich abweicht (ebd. 531). Schon in seiner ersten Arbeit (einer Untersuchung „mit leichter Hand“: 1976, 12) gibt Schapp der Ph. eine Wendung, die sich zwar sorgfältig an Husserls Vorgaben hält („Nur was geschaut ist, gehört in die Ph.“, ebd. 14), doch mit ihrer Vertiefung in sehr konkrete Details der „Dingwelt“ und deren Wahrnehmung schon auf die Bedeutung von Geschichten als den „Urphänomene[n]“ (1981, XVI) vorausweist. Jede phänomenolog. Beschreibung sieht sich einem Plural von Welten gegenüber und damit einer Vielzahl von Regionen, in denen „wir ständig in Geschichten aus diesen Gebieten verstrickt sind“ (ebd. 7). Dies in Geschichten verstrickt sein manifestiert sich nicht nur in Märchen und Mythen, in Zeugnissen der Kunst und der Religion oder in Alltagsgeschichten, sondern gilt in besonderer Weise auch für die Philosophie. Die unübersehbar vielen Einzelgeschichten sind von „Allgeschichten“ (wie z. B. Heilsgeschichten) umfangen, die dem Einzelnen Halt geben, wie sich auch umgekehrt

nur über Einzelgeschichten entdeckt werden können. Was Philosophie und Ph. unter Ding, Dinglichkeit, Wahrnehmung oder Erkenntnis des Dinges verstehen, ist eine Abstraktion vom Kontext der Erfahrung, der wiederum nur über das „Gewebe der Geschichte“ (ebd. 171) zugänglich wird. Heidegger weicht bereits in seinen frühen Freiburger Vorlesungen von Husserls Ph. in Richtung auf eine hermeneutische Ph. ab. Diese ist für ihn ein „Wie der Forschung, das sich die Gegenstände anschaulich vergegenwärtigt und sie nur, soweit sie anschaulich da sind, bespricht“ (GA 63, 72) – womit er freilich von Husserls „Prinzip aller Prinzipien“ (s. o.) keineswegs abweicht. Weil sich ein solcher Rekurs auf Anschaulichkeit aber von selbst versteht, erscheint die Rede von einer „phänomenolog. Philosophie“ als überflüssig. Von Anfang an kritisch steht Heidegger zu Husserls Orientierung am Wissenschaftsideal der Mathematik (der Rückgang auf das Bewußtsein ist wie bei Descartes von der „Sorge um erkannte Erkenntnis“ bestimmt: GA 17, 60); er sieht demgegenüber die Grundaufgabe der Philosophie in der historischen Kritik. Dadurch widerspricht er der Auffassung, die „Sache selbst“ sei „in naiver Evidenz zu gewinnen“ (GA 63, 75; → Destruktion). Die phänomenolog. Aufgabenstellung, das Sein als Gegenstand der Philosophie gegen die Tendenz der Verdeckung „zum Phänomen [zu] bringen“ (ebd. 76), macht die ontologische Akzentuierung deutlich. Die Hermeneutik der Faktizität beschreitet in Sein und Zeit diesen Weg weiter. Philosophie ist explizit phänomenolog. Ontologie im Ausgang von der Hermeneutik des (faktisch existierenden) Daseins. Im Rückgang auf die

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Bestandstücke des Ausdrucks „Ph.“ – „Phänomen“ und „Logos“ – charakterisiert Heidegger die Methode der Ph. „Phänomen“ leitet er auf das griech. Substantiv Phainomenon zurück; das zugehörige Verbum, phainesthai bedeutet „sich zeigen“. Daraus ergibt sich der formale (inhaltlich noch nicht spezifizierte) Phänomenbegriff: „das Sichan-ihm-selbst-zeigende, das Offenbare“ (GA 2, 38). Je nach Zugangsart zeigt Seiendes sich auf verschiedene Weise: als solches, das es an ihm selbst ist, aber auch als solches, das es selbst nicht ist und nur zu sein scheint. Der Ausdruck „Phänomen“ kann sich daher sowohl auf das sich an ihm selbst Zeigende wie auch auf den Schein beziehen, wobei die zweite in der ersten Bedeutung fundiert ist. Es gibt aber auch ein Sich-nicht-zeigen, das nicht von der Art des Scheins ist: Es indiziert etwas, muß aber als Medium von dem, das in ihm sichtbar wird, unterschieden werden: Phänomen als Erscheinung. Zum Phänomen in dieser weiteren Bedeutung gehören „Indikationen, Darstellungen, Symptome und Symbole“ (ebd. 40; so erscheint z. B. eine Krankheit nur in ihren Symptomen). Davon ist nochmals der Ausdruck „bloße Erscheinung“ zu unterscheiden: Mit ihm ist solches gemeint, das in seinem Erscheinen das eigentliche Sein, das diesem zugrunde liegt, verstellt, verdeckt oder verhüllt. Dieser bisher zur Ausführung gekommene formale, die genannten Bedeutungen umspannende Phänomenbegriff wird zweifach entformalisiert: in Richtung auf den vulgären Begriff des Phänomens (i. S. Kants wäre dieser das in der Erfahrung zugängliche Seiende) und zum phänomenologischen Phänomenbegriff; durch diesen kommt jenes, das sich in den Erscheinungen als

den vulgären Phänomenen unthematisch immer schon zeigt, eigens zur Aufweisung: das Sein als Sinn und Grund des Seienden. (b) Der Wortteil „-logie“ wird auf Logos und dieser auf die griechische Bedeutung von Logos als „Rede“ zurückgeführt. Diese macht offenbar, läßt etwas sehen, bringt die Phänomene dazu, sich zu zeigen (phainesthai). Weil alles Reden (Legein) primär davon ausgeht, „wovon die Rede ist“ (griech. apo- „von . . . her“), ist das legein in sich ein apophainesthai: „Das was sich zeigt, so wie es sich von ihm selbst her zeigt, von ihm selbst her sehen lassen. Das ist der formale Sinn der Forschung, der sich den Namen Ph. gibt.“ (ebd. 46) Weil der phänomenolog. Phänomenbegriff auf die Thematisierung des Seins des Seienden abzielt, ist die Frage nach dem Sein – das Thema der Fundamentalontologie – nur mit den Mitteln der Ph. zu entfalten. „Ontologie“ bezeichnet den „Gegenstand“ der Philosophie, „Ph.“ deren „Behandlungsart“ (ebd. 51). – In weiterer Abgrenzung zu Husserl erörtert Heidegger drei Grundstücke der phänomenolog. Methode, die für die apriorische Erkenntnisgewinnung der Ontologie konstitutiv sind: 1. die phänomenolog. Reduktion als „Rückführung des Blickes vom Seienden auf das Sein“ (GA 24, 29) – für Husserl dagegen ein Rückgang aus der natürlichen Einstellung in das transzendentale Bewußtseinsleben; 2. die phänomenolog. Konstruktion als ein freier Entwurf, der das Sein in die Blickbahn seiner möglichen Thematisierung bringt, damit das Vorgehen einer Leitung unterstellt wird; aus Perspektive der Fundamentalontologie legt die Konstruktion die Endlichkeit des Daseins als dessen innerste Möglichkeit frei (vgl. GA 3, 233); 3. die phänomenolog. De-

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struktion als Prüfung der Vorurteile der „naiven und vulgären Erfahrung“ (GA 24, 30) und solcherart „ein kritischer Abbau der überkommenen und zunächst notwendig zu verwendenden Begriffe auf die Quellen, aus denen sie geschöpft sind“ (ebd. 31). Diese drei Grundstücke machen in ihrer Einheit die phänomenolog. Forschung aus. – Auch wenn Heidegger in der Folgezeit den Terminus „Ph.“ nur noch sparsam gebraucht, bleibt die mit ihr verbundene Aufgabe weiterhin aufrecht. Die Ph. „ist die zu Zeiten sich wandelnde und nur dadurch bleibende Möglichkeit des Denkens, dem Anspruch des zu Denkenden zu entsprechen.“ (1969, 90) Sie ist „ein Weg, der hinführt vor . . . und sich das zeigen läßt, wovor er geführt wird“ – eine „Ph. des Unscheinbaren“ (GA 15, 399). Ph. ist ein „Weg“, keine „Methode“: Denn diese ist seit Beginn der Neuzeit (explizit bei Descartes) zum „Verfahren“ geworden, für welches das Seiende nur noch als „Gegenstand“ gilt (und am Ende der Metaphysik in der Epoche des Nihilismus zum „Bestand“ wird; vgl. GA 5, 262), wodurch es „dem Zugriff des Begriffs verfügbar“ wird (GA 13, 233). Heideggers Existenzial des Daseins erhält von Becker, dem herausragenden Mathematiker der Phänomenologie, als Gegenstück das Dawesen, die Existenz als „Wesen“ des Daseins die Paraexistenz als ihr Gegenüber (hermeneutische und mantische Ph.). Der Unterschied zwischen Dasein und Dawesen beruht darin, daß jenes auf Geschichte bezogen ist, dieses auf Natur. Zu dieser gehört nach Becker das „Unterbewußtsein“ (Sedimentierungen wie das „Primitive“ oder das verdrängte Unbewußte) wie auch das „Überbewußtsein“ (die „ewigen Ideen“ in Mathematik und Kunst).

Wie sich die „Einmaligkeit und Einsinnigkeit der geschichtlichen Zeit“ (1963, 78) am Tod des Daseins manifestiert, so die naturhafte Wiederkehr des Gleichen (Beckers Interesse an Nietzsche, ebd. 41-66) in der Rhythmik der Jahreszeiten. Zu Heideggers Existenzialien kommen Paraexistenzialien: zum geworfenen Entwurf die schlichte „Getragenheit“, zur Zukunft die immerwährende Gegenwart; die Befindlichkeit ist, anders als bei Heidegger, nicht gleichursprünglich mit dem Verstehen, sondern steht vereinzelt für sich. Die Pythagoreer und Platon (aber auch Nietzsche) bezeugen für Becker die Grenze der geschichtlichen und ineins damit der hermeneutischen Fragestellung, weil beide die naturhafte Zugehörigkeit des Menschen (nicht zuletzt hinsichtlich der Geburt als dem – gegenüber dem Tod – „zweiten Urphänomen des Daseins“: Becker 1963, 93) nicht zureichend anzuerkennen vermögen. – Der Zusammenhang von Rhythmik der Natur und Befindlichkeit bei Becker hat eine Parallele in Tellenbachs Versuch, die Eigenart der „endogenen“ Psychosen mit Hilfe des aus Heideggers Ph. hergeleiteten „Endon“ aufzuklären: Die in ihm zum Ausdruck kommende „Verfügung der Geworfenheit über den Daseinsvollzug“ begründet das „Kranksein des Melancholischen“ (Tellenbach 1983, 43). Das sozialphilosophische Interesse von Schütz bestimmt dessen besonderes Verhältnis zur Ph., die er unter Einbeziehung anderer Positionen (vor allem des Pragmatismus und der Forschungen von M. Weber) zu einer Ph. des sozialen Handelns ausbaut. Trotz der Schwierigkeiten, die sich der Rezeption von Husserls Ph. schon innerphilosophisch entgegenstellen, ist die-

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se gerade für die Sozialwissenschaften von besonderem Wert. Dies betrifft namentlich das Problem der Intersubjektivität. Zwar gibt es spezielle wissenschaftliche Verfahren zur Erhebung sozialer Beziehungen, doch werden die Phänomene selbst nicht weiter befragt und „einfach als selbstverständlich hingenommen“ (GA I, 134). Denn Begriffe wie Sinn, Motiv, Zweck und Handlung sind auf eine bestimmte Bewußtseinsstruktur bezogen, die einer besonderen Thematisierung bedarf. Deren Ausgangspunkt bildet Husserls Begriff der Lebenswelt. Die für sie konstitutiven Bedingungen analysiert Schütz unter Heranziehung von M. Webers verstehender Soziologie. Alle Phänomene der soziokulturellen Welt gründen demnach im sozialen Handeln und erhalten dadurch ihren Sinn; doch wie ein Verstehen des Sinnes durch Mitmenschen möglich ist, läßt sich eben mit den Instrumenten der Soziologie nicht aufklären und führt zur Ph. zurück – freilich nicht zur transzendentalen Ph. Husserls, sondern zu einer konstitutiven Ph. der natürlichen Einstellung. Solange Schütz das Sinnphänomen im einsamen Seelenleben untersucht, hält er sich an Husserl, verläßt aber dort die transzendentalphänomenolog. Einstellung, wo es um Fremdverstehen geht. Die Untersuchung nimmt ihren Ausgang bei der „Generalthesis des alter ego in der natürlichen Anschauung“ und hat zum „Gegenstand der Analyse den Menschen in seiner naiv natürlichen Einstellung, welcher, in eine Sozialwelt hineingeboren, ebenso die Existenz von Nebenmenschen als fraglos gegeben vorfindet, wie die Existenz aller anderen Gegenstände in der natürlichen Welt“ (1981, 138). Schütz unterscheidet zwei Gruppen von Ka-

tegorien: erstens solche, in denen sich die Sozialwelt lebensweltlich, d. h. in der natürlichen Weltanschauung konstituiert; und zweitens die spezifisch wissenschaftlichen Kategorien, mit deren Hilfe die Sozialwissenschaften das Material der lebensweltlich konstituierten Sozialwelt analysieren (ebd. 199). Deren Formenlehre bleibt dabei stets in die Praxis des täglichen Lebens eingebunden. Finks eigener Ansatz liegt in einer die Ontologie überschreitenden Kosmologie (mit den Parametern Raum, Zeit und Bewegung). Denn die Ontologie des abendländischen Denkens ist seit Parmenides Dingontologie und als solche weltvergessen. Doch auch dem „Ansatz der modernen ,Ph.’“ begegnet Fink mit Vorbehalt. Das betrifft zum einen die Subjektivierung des Weltbegriffs durch Husserl, sofern dieser „den Gedanken der Welt im Horizontphänomen auflöst“ (1976, 170). Auch steht Husserl in einem von ihm selbst nicht durchschauten Verhältnis zum spekulativen Denken, und dies in mehrfacher Hinsicht: „in der Interpretation der ,Sache selbst’ als Phänomen, im Postulat eines radikalen Neuanfangs, in der These von der Nachträglichkeit des Begrifflichen, im Glauben an die ,Methode’, in der Unbestimmtheit dessen, was ,Konstitution’ ist, in der Vagheit des phänomenolog. Lebens-Begriffs, und nicht zuletzt im analytischen Verfahren selbst, eben in der Behauptung vom Vorrang der Urmodi“ (ebd. 154). Mit all dem wird „das Phänomen als einzig legitime Basis philosophischer Aussagen proklamiert“ (1958, 88). Demgegenüber fragt Fink über das Sichzeigen des Phänomens hinaus nach dem Sinn des Erscheinens. Im Erscheinen des Seienden liegt eine Bewegung, die – und darin

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liegt Finks Schritt von der „Seinserfahrung“ zur „Welterfahrung“ (1977, 256) – von der eines innerweltlichen Seienden her nicht zureichend begriffen werden kann; denn sie ist ein universales, weltdurchwaltendes Geschehen. Daher wäre es auch verfehlt, das Erscheinen ontisch als Eigenschaft eines Seienden zu begreifen. Das Erscheinen ist vielmehr das absolute Medium im Offenbarwerden von Seiendem. „Es kommt alles darauf an [. . . ], das Erscheinen von Seiendem und seine Wahrheit aus dem raumgebenden und zeitlassenden Welten der Welt zu begreifen.“ (ebd. 130) Die abendländische Metaphysik ist nicht nur Dingontologie, die das Sein aus der Perspektive des endlichen Seienden kategorial zu erfassen sucht (eine Kritik, die, wie oben angedeutet, auch die Ph. betrifft); sie ist auch seit Platon „Lichtmetaphysik, welche das Sein als das an sich selbst Helle, Lichthafte, Vernünftige begreift“ (ebd. 200. So gehört auch Hegel noch zur Metaphysik, doch ist das Verborgene seiner Seinsbegriffe die Welt, und insofern reicht er, eine „Janus-Figur“, über die Metaphysik hinaus (u. zw. nicht in seiner Interpretation des Geistes, sondern des Lebens). Zum Weltmoment von Zeit, Lichtung und Himmel gehört als das andere Weltmoment einer künftigen Kosmologie der Raum, die Verbergung, die Erde (ebd. 234). Husserls Entdeckung der Intentionalität als Arbeitsfeld und Heideggers In-der-Welt-sein gewinnen Sartre für die Ph. Daß er das transzendentale Bewußtsein schon früh als eine „unpersönliche Spontaneität“ interpretiert, weist schon auf das phänomenolog. Hauptwerk Das Sein und das Nichts voraus, den Versuch einer ontologie phénoménologique. Die Ausgangsfrage gilt einem Sein (der ontologi-

sche Ansatz), das nicht mehr als absolutes der bloßen Erscheinung (apparence) gegenübersteht. Die Erscheinung ist „relativ-absolutes“ Phänomen (und dies ist der phänomenolog. Ausgangspunkt): relativ, weil es in Relation zu jemandem steht, dem es erscheint; absolut, weil es nichts anzeigt, das „hinter“ ihm wäre (auch wenn es keineswegs isoliert ist, sondern in eine vollständige Reihe von Erscheinungen gehört). Soll das Phänomen aber nicht i. S. der idealistischen Grundannahme in das Bewußtsein zurückgenommen werden und gleichwohl unhintergehbar sein, stellt sich die Frage nach dem Phänomen des Seins (phénomène d’être) als der Erscheinung des Seins (apparition d’être). Die (ontologische) Differenz von „Sein-zum-Enthüllen“ (être-pour-dévoiler) und „enthülltem Sein“ (être dévoilé: 1943/1952, 15/14) hält Sein und Phänomen auseinander, ohne in einen Dualismus von Sein und Erscheinung zurückzukehren, stellt aber auch vor die Frage, wie diese Differenz zu denken ist. Dies ist möglich, wenn Bewußtsein und Reflexion nicht zusammenfallen. Hier kommt das von Sartre schon im Frühwerk thematisierte präreflexive cogito ins Spiel: Das Sein der Erkenntnis entzieht sich der (idealistisch gedeuteten) Vorstellung (dem percipi), weil dieser die Realität vorausgeht und sich dem percipi entzieht; jene ist „ein Zentrum von Undurchschaubarkeit für das Bewußtsein“ (un centre d’opacité pour la conscience, ebd. 18/16), das deshalb über die Erkenntnis hinaus erweitert gedacht werden muß: als cogito préréflexif, welches das cartesianische cogito überhaupt erst ermöglicht. Husserls Ph. der Intentionalität eröffnet Lévinas einen Weg in die Ethik, der über die Ph. hinausführt und doch

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deren genuinen Anspruch zu erfüllen beansprucht. „Ph., das ist Intentionalität.“ (Lévinas 1983, 123) Deren Analyse enthüllt ihren originären Sinn dadurch, daß sie nicht bei der Feststellung stehen bleibt, Subjekt und Objekt stünden in einer notwendigen Wechselbeziehung; die intentionale Analyse bricht die unmittelbare Gegenwart bei den Dingen (mit der sich die natürliche Einstellung zufrieden gibt) durch eine Analyse der Intentionen auf und macht dabei den inneren Reichtum jener scheinbar kompakten Gegenwart sichtbar. Es zeigt sich, daß die Welt zwar vom Subjekt konstituiert wird, doch diese Konstitution selbst in eine ihr vorgängige Welt eingebunden ist. Diese ist „nicht nur konstituiert, sondern auch konstituierend“ (ebd. 134). Diese Zweiseitigkeit der Konstitution hat ihren Ort nicht in einem „klaren“ Denken von der Art des Vorstellens (bei Descartes sind claritas und distinctio, Klarheit und Deutlichkeit, Merkmale der perceptio, der Vorstellung; vgl. Principia philosophiae I 45), sondern in der sinnlichen Erfahrung mit ihren „konkreten und in gewisser Weise fleischlichen Bedingungen“ (ebd. 137). Sie weist zurück „auf einen Kopf, der denkt, auf ein Subjekt, das zeitlich gegenwärtig ist“ (ebd. 97): Die Sinnlichkeit bindet das Subjekt in die Zeit hinein, deren Strömen „alle Konstitution und alle Idealisierung“ bedingt (ebd. 170). Mit solchen Erkenntnissen bereitet die Ph. einen Wandel der Philosophie überhaupt vor: Sie leitet das Ende des Primats der Vorstellung ein, die das Verschiedene aus dem Selben deduziert, und führt zum Bruch mit der Totalität („rupture de la totalité“ 1980/1987, 5/38) und geht damit über die Ontologie hinaus. Weil die Totalität in der Identität von Denken und

Sein beruht, berührt das Denken nun nicht mehr das Sein, sondern ist „außer sich“ (1983, 138). Damit vollzieht sich eine „Wandlung des Intentionalen in das Ethische“ (ebd. 275), das Selbe erhält durch Auftauchen des Anderen einen Riß: „Diese Infragestellung meiner Spontaneität durch den Anderen heißt Ethik.“ (1980/87, 13/51) Patoˇcka konzipiert in seinem Spätwerk das Programm einer asubjektiven Ph. Im Ausgang von Husserls Ph. erkennt auch er das von diesem erstmals radikal thematisierte Neue der Erkenntnisbegründung in der Korrelationsforschung, d. h. der Analyse der Wechselbeziehung von Erscheinendem und Erscheinen. Damit zeichnet sich eine neue Art von Transzendentalphilosophie ab. Demgegenüber sieht Pato cˇ ka im transzendentalen Idealismus der Ideen I einen Rückschritt. Denn jene Korrelation werde damit einseitig von der Bewußtseinsimmanenz her interpretiert, die Gegenstände würden zu „Gegenstandsphänomenen“ (BE 287), und darin verberge sich ein Cartesianismus (den Patoˇcka als „ein Stück unbewältigten Brentanismus“ identifiziert, ebd. 298). Die asubjektive Ph. verlegt demgegenüber die Konstitution von Gegenständlichkeit nicht einseitig in die Subjektivität und faßt das Phänomen nicht als Leistung der subjektiven Konstitution auf, sondern unterstellt sich der Forderung, die Möglichkeiten des Subjekts vom Phänomen her aufzuhellen. Ausgangspunkt dafür ist die phänomenale Sphäre, durch deren vorgegebene Möglichkeiten das Ich immer schon bestimmt ist und aus denen es sich versteht. Damit eröffnen sich der asubjektiven Ph. Dimensionen des ichlichen Lebens, die der subjektiven Ph. nicht zugänglich sind. Der Ph. „den Sinn einer Erforschung des

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Erscheinens als eines solchen zurückzugeben“, könnte Pato cˇ kas Auffassung zufolge die ursprüngliche Intention Husserls wiederherstellen (ebd. 282). Merleau-Ponty gehört unter den schöpferischen Phänomenologen wohl zu den genauesten Husserl-Lesern. Wenn er im Frühwerk von Ph. als einer Bewegung schreibt, die noch nicht zu abgeschlossenem philosoph. Bewußtsein gelangt sei, so gilt diese Unabgeschlossenheit auch für später (und MerleauPonty weiß sich darin mit Husserl einig, vgl. 2003, 246: für Husserl sei „das Untersuchen ein fortwährendes Anfangen“). Husserls Maxime, auf die „Sachen selbst“ zurückzugehen, artikuliert sich zunächst als Absage an eine Wissenschaft, die von Konstruktionen ausgeht und den Boden der Lebenswelt ignoriert. Diese Absage gilt auch dem idealistischen Rückgang auf das Bewußtsein, das sich von seinem Weltbezug gelöst hat und damit verkennt, daß die Welt vor aller Analyse da ist. Dies gibt der phänomenolog. Reduktion ein eigenes Gewicht, indem sie das Denken in seinem unaufhebbaren „Zur-Welt-sein“ („être-au-monde“) entdeckt. Daher erscheint als wichtigste Lehre der Reduktion die von der Unmöglichkeit der vollständigen Reduktion („l’impossibilité d’une réduction complète“: 1945/1965 VIII/11). In der Ph. der Wahrnehmung erweist sich als wichtigstes Ziel das Sichtbarmachen der primordialen Funktion, kraft deren Raum und Zeit erscheinen. Vollzugsort von deren Aneignung ist der Leib. Merleau-Pontys Ph. etabliert sich als eine Ph. der Leiblichkeit. Daher kommt auch der Natur eine besondere Bedeutung zu. Im Anschluß an Husserls Ideen II weist Merleau-Ponty auf die Fragwürdigkeit einer dualistischen Trennung von „Natur“ und „Geist“ hin

(was nicht bedeutet, den Geist nun von der Natur herzuleiten), sondern daß es nötig wird, eine „dritte Dimension freizulegen, in der diese Unterscheidung problematisch wird“ (2000, 248). Diese eigenständige Dimension wird im Spätwerk unter dem Titel → „Fleisch“ (chair) Thema, das den cartesianischen Dualismus von Körper und Seele unterläuft: Das Fleisch ist „das Sinnliche im doppelten Sinne des Empfundenen und des Empfindenden“ (1986, 326); ihre vorgängige Einheit bezeichnet Merleau-Ponty als Chiasmus oder → Chiasma. Die Bedeutung, die hier dem Unsichtbaren zukommt, um welches die sichtbaren Dinge als um ihren abwesenden Kern zentriert sind, erlaubt es, mit einem Ausdruck von Merleau-Ponty von einer Ph. der „anderen Welt“ zu sprechen. Ricœurs Verhältnis zur Ph. ist durch sein Interesse an Hermeneutik bestimmt und in gewisser Weise vorbelastet. Dieses Interesse nimmt seinen Ausgang bei der Exegese als dem historischen Ursprung der Hermeneutik und geht weiter zu den Fragen der allgemeinen Hermeneutik, wie sie sich seit Anfang des 19. Jahrhunderts durch Schleiermacher und Dilthey entwickelt haben. Doch führt das eigentliche Problem, das Ricœur bewegt, weiter: Das Verstehen (als zentraler Begriff der Hermeneutik) trifft auf ein anderes Leben, das in seiner Fremdheit verstanden werden soll und das sich in einer bestimmten geschichtlichen Situation befindet. Diese Problemstellung führt Ricœur zur Ph. Er setzt sich allerdings sowohl gegen Husserl als gegen Heidegger ab. An Husserl kritisiert er die Wendung zum Idealismus (die in avanciertester Form ihren Ausdruck im Nachwort zu den Ideen und in den Cartesianischen Meditationen findet,

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vgl. Ricœur 1975, 33) mit Husserls Anspruch auf radikale Letztbegründung „aus letzter Selbstverantwortung (Hua V, 139). Dieses Ideal einer wissenschaftlichen Philosophie stößt in Gestalt der ontologischen Bedingtheit des Verstehens auf eine unübersteigbare Grenze. Als Alternative bietet sich eine phénoménologie herméneutique an, welche die Hermeneutik anhand der Vorgaben der Ph. prüft und umgekehrt. Die allgemeinste Voraussetzung phänomenolog. Art ist die des Sinnes; dazu kommt die Distanznahme (distanciation) gegenüber der unmittelbaren Erfahrung in Parallele zur phänomenolog. Epoché. Die Hermeneutik teilt mit der Ph. die These vom abgeleiteten Charakter der Bedeutungen in der sprachlichen Ordnung. Die Verwandtschaft zwischen vorprädikativer Ph. und Hermeneutik gestaltet sich um so enger, als Husserl die Ph. der Wahrnehmung in Richtung auf eine Hermeneutik der geschichtlichen Erfahrung entwickelt. – Schon vor diesen programmatischen Aussagen (zur Ricœurs phénoménologie existentielle vgl. Waldenfels 1992, 54 f) wird die Differenz zu Heidegger deutlich, weil dieser mit seiner Ontologie des Verstehens „einen kurzen Weg“ (Ricœur 1969/1973, 14) eingeschlagen habe: Denn in dieser Ontologie bleiben Probleme, die für Ricœur wichtig sind, ungelöst: Fragen der Exegese, der Begründung der historischen Wissenschaften gegenüber den Naturwissenschaften, Kriterien im Konflikt der rivalisierenden Interpretationen. Der „lange Weg“, den Ricœur vorzieht, führt „durch die unterschiedlichen Analysen der Sprache“ (ebd. 20), resistent gegenüber der Versuchung einer Trennung von „Wahrheit“ und „Methode“. Henrys hyletische oder materielle Ph.

(phénoménologie materielle) versteht sich als radikale Lebensphänomenologie. Ihr Gegenstand ist die Phänomenalität als solche, d. h. die Immanenz der cogitatio in einer radikalen Innerlichkeit, die jedes Außen ausschließt (die cogitatio als das „Sich-SelbstErweisen der absoluten Subjektivität oder eben die Subjektivität selbst als solche“: 1992, 84). Die Frage, wie eine reine Schau dieser Immanenz erreicht werden kann, ist auf die Möglichkeit der Methode der Ph. gerichtet. Henry weist die Interpretation des Logos der Ph. als Offenbarmachen und Sehenlassen zurück und nimmt auch ihn in die Immanenz hinein: als „Rede des Lebens“ (ebd. 179) in der „pathischen Phänomenalität einer Selbstaffektion“ (ebd. 85). Dem griechischen Logos, der im welthaften Phänomen (also schon in einer Veräußerlichung) gründet, entgeht die immanente Phänomenalisierung der cogitatio, ihm entzieht sich das akosmische und unsichtbare Leben, das als die Ur-Offenbarung aufgefaßt wird. Das Leben ist Pathos und in dem dadurch zum Ausdruck gebrachten Leiden [griech. PASCHEIN „erleiden, erdulden“] Freude „am Wesen des Lebens und damit an Gott selbst“ (ebd. 272). Paradigmatische Bedeutung für Rombachs Tiefenphänomenologie hat Heideggers Fundamentalontologie. Aus Rombachs Sicht gehört dieser (zusammen mit so unterschiedlichen Denkern wie A. Adler, C. G. Jung, Jaspers, aber auch Adorno und nicht zuletzt allen Phänomenologen) zu den Theoretikern der Tiefenstruktur, als deren Grundgestalt bei ihm die Entschlossenheit fungiert. Sie ist wie alle Tiefenstrukturen in eigentümlicher Weise verborgen: „zunächst und zumeist verdeckt durch eine neutralistische Selbst-

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und Weltauffassung“ (1988, 184). Deren Formeln erwecken den Anschein, daß Menschsein von selbst zu sich findet. Die Ursache jener neutralistischen Welt- und Lebenssicht liegt im Mißlingen der Tiefenstruktur, deren Verhältnis zur Alltagsstruktur zuerst in Heideggers Fundamentalontologie zur Sprache kommt. In den Tiefenstrukturen liegt das Moment der Selbststeigerung, diesem wiederum entspringt das für das Gelingen des Menschseins entscheidende Phänomen der Selbsthebung. Die Dynamik der Grundphänomene birgt sowohl eine Tendenz „nach oben“ als auch hin zu Untergang und Verfall. Zu den Tiefenstrukturen gehören die Leibperson (die spezifische Geistigkeit einer individuellen Leibesgestalt), der Erdenleib (partizipierend an Jahreszeiten und Klima, an der Landschaft wie überhaupt an der Natur), die Bindung an das Tier und die Pflanze im Menschen (animalische Phänomene wie die Sexualität oder sedimentierte Verhaltensweisen wie Fruchtbarkeit auch im Geistigen), der Grundwille (der die Intentionen der einzelnen Willensäußerungen unterfängt) und das Unbewußte (wobei Rombach es vorzieht, lieber von „Helle und Erhellbarkeit“ von Dimensionen statt von Bewußtsein zu sprechen, vgl. 1993, 309). Schmitz bezeichnet seine Philosophie insgesamt als Neue Ph. und setzt diese der „älteren phänomenologischen Schule“ (von Husserl über Heidegger bis zu Merleau-Ponty samt deren Nachfolgern) entgegen (1994, 9). Er rechnet diese zur „Abstraktionsbasis der traditionellen europäischen Intellektualkultur“, die durch Reduktionismus (Rückführung der Außenwelt auf meßbare Daten mit einer verarmten Innenwelt als Rest), Introjektion und In-

nenweltdogma (als Folgen des Reduktionismus) geprägt ist. Daher spricht Schmitz auch von antireduktionistischer Ph. (2002). Die daraus resultierende Aufgabe einer Neubestimmung der Subjektivität geht nicht von der Eigenschaft von Subjekten aus, sondern von der „Eigenart des Milieus der für jemand subjektiven Sachverhalte, Programme und Probleme“ (ebd. 8). Solche Sachverhalte interpretiert Schmitz als „affektives Betroffensein“. Er entfaltet diesen Ansatz in seinem System der Philosophie, wo er in Charakteristik des eigenen Vorhabens auch von „naiv-phänomenolog. Methode“ spricht (System I, 140). Diese verläuft in drei Schritten („Ideal einer phänomenolog. Dreistadienmethode“): 1. Kennzeichnung eines Phänomenbezirks durch bestimmte nur ihm zukommende Attribute; 2. phänomenologische Betrachtung der charakteristischen Phänomene des Bezirks unter Gewinnung der für ihn spezifischen Kategorien; 3. „geschmeidige“ Kombination dieser Kategorien zur Rekonstruktion der Phänomene dieses Bezirks (als immanente Kritik zugleich eine „Bewährungsprobe“ für die Angemessenheit der Begriffsbildung; ebd. 141). Die von Waldenfels gebrauchten Termini „Responsivität“, „responsiv“ und „Response“ beziehen sich auf das Antworten auf den Anspruch des Fremden, u. zw. zunächst als Korrektiv gegenüber allen Versuchungen, das Fremde einer schon bekannten Ordnung einzuverleiben. Das im Kontakt mit anderen philosoph. Positionen (z. B. der Analytischen Philosophie und der Sprechakttheorie) und einzelwissenschaftlichen Untersuchungen (z. B. die Psychoanalyse, vgl. Waldenfels 2002) erarbeitete Konzept genuiner Fremderfahrung

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geht von Themen der überlieferten Ph. aus (zu nennen sind vor allem Husserl und Merleau-Ponty) und greift mehrfach auf Husserls Charakteristik des Fremden als „Art bewährbarer Zugänglichkeit des original Unzugänglichen“ (Hua I, 144) zurück. Doch stellt gerade die Paradoxie dieser Formulierung (Zugänglichkeit des Unzugänglichen) vor ein Problem, das der Tradition zu rasch entschlüpft: „Der Ort des Fremden in der Erfahrung ist streng genommen ein Nicht-Ort.“ (Waldenfels 1997, 26) Waldenfels entfaltet diese Problematik im Rahmen seiner responsiven Ph., „die über eine Ph. der Intentionalität ebenso hinausgeht wie über eine Hermeneutik der Texte“ (1998, 35; mit letzterer ist im besonderen Gadamer gemeint, vgl. Waldenfels 1999, 67-87). Das Fremde, das sich zeigt und zugleich entzieht, ist ein „Hyperphänomen“ – daher auch die Rede von einer Hyperphänomenologie (griech. HYPER „über . . . hinaus“): Es stellt sich die Aufgabe, die Überschreitung von Ordnungen, die Überbestimmtheit von Phänomenen und die daraus resultierende Forderung eines Überschritts (1994, 22) durch Verstehen nicht auszugleichen und dennoch plausibel erscheinen zu lassen. Der Überschritt „vollzieht sich im Antworten auf einen fremden Anspruch, der weder einen Sinn hat, noch einer Regel folgt, der im Gegenteil geläufige Sinn- und Regelbildungen unterbricht und neue in Gang setzt.“ (1998, 42) Jener Anspruch ergeht als Appell, die Antwort, die ihm entgegnet, ist nicht nur Antwort, die einen Mangel behebt (answer), sondern ein Antworten, das sich der Singularität eines fremden Anspruches stellt (response) und die Asymmetrie von Frage und Antwort respektiert (vgl. 1994, 80; 1998, 43 f).

Husserls Anspruch auf eine Fundierung der Einzelwissenschaften durch die Ph. fand Nachfolger: in der Ph. selbst im Bereich philosophischer Einzeldisziplinen (Herzog/Graumann 1991), z. B. in der Kunst (Ingarden 1962, 1965; Heidegger GA 5, GA 13; Patoˇcka KZ), in der Jurisprudenz (G. Husserl 1955, 1964), in der Pädagogik (Fink 1970), in Psychopathologie und Psychiatrie (Heidegger 1987), in der Ph. der Religion (Stein GA 1718, Ricœur 1971/I-II), in der Soziologie (Schütz 2 1981) – und umgekehrt durch die Rezeption einzelner Wissenschaften z. B. der Pädagogik (MeyerWolters 1992), der Psychopathologie und Psychiatrie (Binswanger AW 1-4; Lacan 1966; Boss 1975), der Soziologie (Grathoff 1995), der Religionsphilosophie (Welte 1978). Außerdem sind die Impulse aus Einzelwissenschaften, denen sich Phänomenologen wie Merleau-Ponty (Gestaltpsychologie) oder Waldenfels (z. B. Psychoanalyse) stellen, überaus bedeutsam, weil sie die phänomenologischen Analysen um wichtige Aspekte erweitern. Qu.: Brentano 1874. – Hua XIX/1 (Einleitung). – Hua II. – Hua XXV, 3-62 u. 68-81. – Hua XXVII, 254-254. – Pfänder: in Spiegelberg 1963. – ScheGW 2. – ScheGW 5. – ScheGW 6. – ScheGW 9. – ScheGW 10, 155-177 u. 377-430. – Daubert: in Sepp 1988. – Reinach SW 1, 531-550. – Schapp 1976. – Schapp 1981. – HeiGA 2, § 7. – HeiGA 17, bes. §§ 47-48. – HeiGA 24, § 5. – HeiGA 63, §§ 14-15. – Heidegger 1969, 81-90. – Becker 1963. – Tellenbach 1983. – Schütz GA I, Teil II. – Schütz 1932 (2 1981), 2.-3. Abschnitt. – Fink 1958. – Fink 1976, bes. 228-322. – Fink 1977. – Sartre 1943 (1952) (hier bes. Einleitung). – Sarte 1947 (1982). – Levinas 1983. – Levinas 1980 (1987). – Patoˇcka 1991, IV. Teil (bes. Nr. 1-2). – Merleau-Ponty 1945 (1965) (bes. das Vorwort). – MerleauPonty 1964 (1986). – Merleau-Ponty 1948 (2000). – Ricœur 1960a (1971). – Ricœur

425 1960b (1971). – Ricœur 1969 (1973). – Ricœur 1975, (31-75). – Henry 1990. – Henry 1992. – Rombach 1988 (bes. Kap. XXII-XXIII). – Rombach 1993, bes. III E. - Schmitz System I, bes. § 14. – Schmitz 1994. – Schmitz 2002. – Schmitz 2003. – Waldenfels 1994. – Waldenfels 1998b. – Waldenfels 2002. – Ingarden 1962. – Ingarden 1960. – G. Husserl 1955. – G. Husserl 1964. – Fink 1970. – Herzog/Graumann 1991. – Meyer-Wolters 1992. – Stein GA 17-18. – Welte 1978. – Lit.: Baumgartner 1989. – Claesges 1989. – Escoubas/Waldenfels 2000. – Fellmann 1982. – Gadamer GW 3, II.6. – Gethmann 1991. – Gethmann-Siefert/Mittelstraß 2002. – Grathoff 1995. – Held 1989. – Herrmann 1981. – Herzog/Graumann 1991. – Hoffmeister 1952. – Janssen 1989. – Landgrebe 1958. – Landgrebe 1989. – Lembeck 1994. – Pöggeler 1969a. – Pöggeler Schuhmann 1984. – Sepp 1988. – Sepp 1999a. – Ströker/Janssen 1989. – Waldenfels 1983a. – Waldenfels 1992. – Wälde/Welter 1989. HV

Phantasie. Ph. ist für Husserl wie die → Erinnerung eine Fähigkeit des → Bewußtseins zur → Vergegenwärtigung, die er von der → Wahrnehmung, der Fähigkeit zur Gegenwärtigung, unterscheidet. Im Gegensatz zur Erinnerung, welche eine setzende Vergegenwärtigung erwirkt, ist die Ph. die nichtsetzende Vergegenwärtigung, d. h., die phantasierten → Inhalte werden nicht als Wirklichkeit, sondern in neutralisierender Weise ohne Glaubensthesis gesetzt: „Die Wahrnehmung läßt uns eine gegenwärtige Wirklichkeit als gegenwärtig und als Wirklichkeit erscheinen, die Erinnerung stellt uns eine abwesende Wirklichkeit vor Augen, nicht zwar als selbst gegenwärtig, aber doch als Wirklichkeit. Der Ph. hingegen fehlt das auf das Phantasierte bezogene Wirklichkeitsbewußtsein.“ (Hua XXIII, 4) Aus diesem Grund „ist das Phantasieren überhaupt die Neutralitätsmodifikation der ,setzenden‘ Verge-

Phantomglied genwärtigung, also der Erinnerung im denkbar weitesten Sinne.“ (Hua III/1, § 111) In der Vorlesung Phantasie und Bildbewußtsein stellt sich Husserl die Aufgabe, „die Ansicht, daß Phantasievorstellung sich als Bildlichkeitsvorstellung interpretieren lasse, so weit durchzuführen als möglich.“ (Hua XXIII, 16) Er gelangt zu dem Ergebnis, daß tiefgehende Unterschiede zwischen Bildbewußtsein und Ph. nachweisbar sind (diese betreffen insbesondere das Phänomen des Widerstreits, das nur für das Bildbewußtsein konstitutiv ist). Den Inhalt einer Ph. nennt Husserl Phantasiegegenständlichkeit, und er beschreibt sie „als überhaupt in keiner objektiven Zeit existierend“ (Husserl 6 1985, 183). Dies führt zu einer „wesenhaften Zusammenhanglosigkeit aller Phantasieanschauungen“ (ebd., 200), was aber nicht ausschließt, daß man in einer Phantasiewelt (wie z. B. einem Märchen) einen einheitlichen Zusammenhang von Ph.n herstellt. Neben den systematischen Untersuchungen über das Phantasiebewußtsein verwendet Husserl die Ph. auch als Grundlage der Wesensschau durch freie → Variation. Der Prozeß der Variantenbildung, durch den ein → Wesen herausschaubare Gestalt erhalten soll, beruht auf „Umgestaltung in reiner Ph.“ (ebd., 411) Qu.: Hua III/1. – Hua XXIII, 1-108. – Husserl 1939 (6 1985). – Lit.: Bernet/Kern/Marbach 1996, 5. Kap. – Volonté 1997. LW

Phantomglied. Mit der Bezeichnung Ph. sind allgemein Empfindungen benannt, die an einer nicht mehr vorhandenen, also amputierten Gliedma-

Poiesis ße auftreten, oder spezielle Empfindungen wie der sog. Phantomschmerz. Das Ph., als wissenschaftliches Thema in etwa seit der zweiten Hälfte des 19. Jh.s diskutiert, wurde vor allem nach dem Ersten Weltkrieg in der Psychiatrie und Medizin, unter anderem von der Phänomenologie nahestehenden Wissenschaftlern, verstärkt erforscht. In der psychiatrischen Medizin ebenso wie in der Phänomenologie wird er in Zusammenhang mit dem sog. Körperschema abgehandelt, d. h. einem einheitlichen Bewußtsein vom eigenen Körper und dessen Räumlichkeit. Demnach ist die Empfindung des amputierten Gliedes eine Funktion des Körperschemas (Schilder 1923, 3). In der Phänomenologie wird das Ph. im Zuge einer Theorie der Leiblichkeit, und zwar hinsichtlich der Räumlichkeit des → Eigenleibes, aufgegriffen. So argumentiert Merleau-Ponty anhand des Ph.s, daß sowohl eine rein physiologische als auch eine rein psychologische Interpretation dieses Phänomens unzureichend sind und daß Organisches und Psychisches einander bedingen (Merleau-Ponty 1966, 100 f.). Plügge, der u. a. auch auf MerleauPontys Phänomenologie des → Leibes und dessen Konzeption der Ambiguität der Leiblichkeit zurückgreift, definiert das Ph. als ein „geistiges Regenerat“ (Plügge 1967, 14), d. h. eine für Amputierte besondere Wirklichkeit. In seinen Untersuchungen zur leiblichen Räumlichkeit kommt er zu dem Ergebnis, daß das Ph. ein widersprüchliches Phänomen der leiblichen Erfahrung i. S. von Körper-haben und Leibsein ist (ebd., 57 ff.). Qu.: Schilder 1923. – Merleau-Ponty 1945 (1966). – Plügge 1967. – Lit.: Bernard 1980. – Waldenfels 2000. SS

426 Poiesis. P., → Herstellen, zeigt sich Heidegger im Anschluß an die Antike, von Platon und Aristoteles repräsentierte → Ontologie zunächst als „Seinsart des Daseins“ (HeiGA 19, 125), als Umgangsart des „alltäglichen Daseins“ (ebd., 276 f.), „Sehen-lassen in der Weise des Her-stellens“ (ebd., 397). Demgemäß heißt es in Sein und Zeit, das → Dasein in seiner Alltäglichkeit sei von seinem „besorgenden Umgang“ mit innerweltlich begegnendem Seienden bestimmt (was Heidegger freilich irritierenderweise als → „Praxis“ übersetzt; vgl. HeiGA 2, 92). Der Anspruch einer Ontologie des Daseins ist es dabei, in einer → Destruktion der antiken Ontologie und der durch sie geprägten philosoph. Tradition auf die „ursprünglichen Erfahrungen“ zu stoßen, „in denen die ersten und fortan leitenden Bestimmungen des Seins gewonnen wurden“ (HeiGA 2, 30); das herstellende Dasein mithin als „Verständnishorizont“ der Frage nach dem → Sein ausdrücklich herauszuarbeiten (vgl. HeiGA 24, 148, 156). Sein nämlich sei seit Platon von der P. her verstanden worden: als Anwesend-sein, → Anwesenheit (vgl. HeiGA 19, 398; HeiGA 2, 34), die platonische Idee des Guten nachgerade als „der Hersteller schlechthin“ (HeiGA 24, 405). Deshalb gelte es, im Aufweis des inexplizit Gebliebenen die Naivität der antiken Ontologie sichtbar zu machen, die Tradition gleichsam über sich selbst aufzuklären (ebd., 155 ff.). Das aber heißt für Heidegger im Umkreis von Sein und Zeit nichts anderes, als aus der Seinsverfassung des Daseins verständlich zu machen, „warum es zunächst und zumeist das Sein des Seienden im Horizont des herstellend-anschauenden Verhal-

427 tens verstehen muß“ (ebd., 165), um von daher die Frage nach dem Sein als → Frage allererst wiederzugewinnen. Die im Zeichen der P. sich vollziehende Auslegung des Seins bei den Griechen gibt sich im Denken des späteren Heidegger schließlich als Ursprung einer „Entzauberung des Seienden“ zu entdecken, wie sie sich zumal in der „Machenschaft“ der modernen „Erlebniskultur“ und besonders in der neuzeitlichen → Technik darstellt (vgl. HeiGA 65, 107, 126 f.) – einem Hervorbringen und Entbergen, das in seinem Wesen (als → „Ge-Stell“) ein „Herausfordern“ ist (HeiGA 7, 15), da es Seiendes immer schon unter den Vorgriff eines rechnend-verfügenden Denkens stellt und zuletzt sogar die Gefahr heraufbeschwört, „daß der Mensch sein Selbst an das unbedingte Herstellen verliert“ (HeiGA 5, 293), „durch Züchtung und Schulung auf die Einrichtung alles Seienden in die berechenbare Machbarkeit abgerichtet wird“ (HeiGA 66, 174). Als das „Rettende“ aus solcher „Gefahr“ kommt indessen, seit 1934/35, immer wieder die Kunst als eine nichtverfallene, ursprüngliche P. in den Blick, als P. nämlich nicht i. S. eines herausfordernden Entbergens, sondern eines das Seiende als solches bewahrenden Entwurfs (vgl. HeiGA 7, 21, 35; sowie HeiGA 5, 69 ff., 287 ff.). In den Untersuchungen Arendts über die Grundtätigkeiten der → vita activa begegnet das Herstellen als die durch Zweck-Mittel-Verhältnisse klar umrissene Tätigkeit des homo faber. Arendts Heidegger nachsinnende, bei Platon ansetzende Destruktion der Tradition politischer Philosophie zielt dabei im wesentlichen darauf, die dieser angelastete, neuzeitlich im Verstehen der Geschichte als eines mach-

Pol baren Prozesses zur Macht gekommene Verwechslung von Herstellen und → Handeln, nicht zuletzt auch im Gegenzug zur ,Praxisvergessenheit‘ Heideggers, zu dechiffrieren (vgl. Arendt 1960, 214 ff., 287 ff.; Arendt 1994, 80 ff.), das Handeln andererseits als eigentliche politische Tätigkeit des Menschen zu rehabilitieren. Eine positive Färbung erhält der Begriff der P. bei Arendt aber insofern, als „das lebendig gesprochene Wort und die lebendig getane Tat“ selbst nur durch das „ ,poetische‘ Herstellen“ von Dichtern und Geschichtsschreibern Bestand erhalten (Arendt 1994, 61; vgl. Arendt 1960, 163, 174 f.) und eine „verläßliche Menschenwelt“ (Arendt 1994, 60) ohne solche P. nicht denkbar wäre, gleichwie sie auch auf die (nach Arendts Ansicht freilich nur präpolitische) „P.“ der Gesetzgebung angewiesen bleibt (vgl. Arendt 1960, 188). Qu.: HeiGA 2. – HeiGA 5. – HeiGA 7. – HeiGA 19. – HeiGA 24. – HeiGA 65. – HeiGA 66. – Arendt 1960. – Arendt 1994. – Lit.: Großmann 1996, 95 ff., 157 ff. – Taminiaux 1992, 39 ff. – Villa 1996, 211 ff. AGO

Pol. Für Husserl konstituiert sich das gesamte immanente Leben der → transzendentalen Subjektivität als ein P.System auf Grund von ursprünglicher, im Zeitbewußtsein sich herausbildender → Synthesis. In diesem P.System unterscheidet er die Polarisierung nach gegenständlichen Einheiten („Gegenstands-P.“) von der IchPolarisierung („Ich-P.“). Der intentionale → Gegenstand ist GegenstandsP. als „Einheit noetisch-noematisch wechselnder Bewußtseinsweisen“ (Hua I, 79). Wie jeder GegenstandsP. ist auch der Ich-P. Zentrum einer → Identität, die sich im Wechsel der →

Politik Erlebnisse, im Wandel ichlicher Überzeugungen als solche durchhält. Das → Ich bewahrt in allen Weisen der Veränderung einen „bleibenden Stil“, einen „personalen Charakter“ (Hua I, 101). Es ist intentional auf das Gegenständliche seiner → Akte bezogen, konstituiert die → Einheit einer Erfahrungswelt und darin sich selbst als ein stabil-einheitliches. Qu.: Hua I, §§ 17-18, §§ 31-33. – Lit.: Marbach 1974. HO

Politik. Heidegger hat keine eigene politische Philosophie ausgearbeitet – auch nicht in seinen Interpretationen der Werke von Aristoteles. Gleichwohl existieren verstreute Bemerkungen. So wird 1934/35 etwa Hölderlins → Dichtung eine gemeinschaftsstiftende Kraft, eine „Macht in der Geschichte unseres Volkes“ zugetraut, die „ ,P.‘ im höchsten und eigentlichen Sinne“ (HeiGA 39, 214) wäre, offenbar eigentlicher als die Alltagspolitik. Zu beachten ist weiterhin Heideggers Verhältnis zur P., das drei verschiedene Ebenen umfaßt. Erstens Heideggers hochschulpolitische Aktivitäten, mit denen er 1933/34 den Nationalsozialismus aktiv unterstützte (Pöggeler 1988). Auf eine zweite Ebene gehört die Frage, ob Heideggers Philosophie vor 1933 nicht bereits elitäre und antidemokratische Züge aufweise, da sie das Individuum und das Volk auf Kosten der modernen Gesellschaft hervorhebt (Bourdieu 1975). Die dritte Ebene versammelt jene Ansätze, die bei Heidegger positive Impulse für eine politische Philosophie gefunden haben. So ist Heideggers Begriff der → Sorge in Kosíks praxisphilosoph. Lesart des Marxismus eingegangen (Kosík 1967, 62 ff.). Im Werk von Marcu-

428 se, einst Assistent von Heidegger, lassen sich zahlreiche Spuren ausmachen (Schnell 1997). Es ist unter anderem Heideggers Technikanalyse, die Marcuse in seine Kritik am Kapitalismus einarbeitete. Da Heidegger gezeigt habe, daß die Weltzivilisation durch den Vorrang der → Technik geprägt sei, liege, so Pöggeler, „der Ansatzpunkt für eine Politische Philosophie im Werk Heideggers“ vor allem „in der Frage nach der Technik“ (Pöggeler 1974, 45). Arendt, frühere Schülerin Heideggers, antwortet auf die Frage, was das Politische ist: ein „Weltbereich, in dem Menschen primär als Handelnde auftreten und menschlichen Angelegenheiten eine ihnen sonst nicht zukommende Dauerhaftigkeit verleihen“ (Arendt 1993, 15). Der angesprochene Weltbereich ist der politische Raum der Erscheinungen, der sich konstituiert, wenn Menschen miteinander handeln und sprechen. „Politisch zu sein“ (Arendt 1967, 30) bedeutet, miteinander in gewaltloser Weise öffentliche Angelegenheiten zu regeln. Arendt reformuliert hier das aristotelische Ethos der politischen Freundschaft. Indem die Freiheit des Politischseins in Institutionen gegründet wird, erhalten die menschlichen Angelegenheiten Dauerhaftigkeit. Das Politische ist eigenständig, nicht auf Ökonomie oder Herrschaftsinstitutionen reduzierbar. Die eindeutige Abgrenzung des Politischen von der → Gesellschaft, welche unter Bezug auf die antike Polis vorgenommen wird, führt zu einer Ausgrenzung sozio-ökonomischer Angelegenheiten aus der P. und dem öffentlichen Raum. Patoˇcka stimmt mit Arendt darin überein, daß die politische Freiheit irreduzibel ist. Das „politische Leben“ steht im „ursprünglichen Gegensatz“ (Patoˇcka 1988, 60) zur so-

429 zialen Wohlfahrt und den Zwecken des Überlebens. Gleichwohl kann sich das politische Leben nicht mehr an der Antike orientieren, da der tragende Grund von Gemeinschaft, Tradition und Mythologie zerbrochen ist. → Krieg und Nihilismus drohen. Die P. ist in die Fraglichkeit der Geschichte gestellt, welche den Menschen unverankert auf die Zukunft hinwirft. „Das politische Leben in drängender Zeit, in der ,Zeit-zu...‘, diese ständige Wachsamkeit ist zugleich ständiges Nichtverankertsein, ständiges Nichtbegründetsein. Das Leben steht hier nicht auf der festen Grundlage der Ununterbrochenheit der Generationen, lehnt sich nicht mit dem Rücken an ein dunkles Land, sondern das Dunkel, d. h. die Endlichkeit und ständige Gefährdetheit des Lebens hat es immerzu vor sich“ (ebd., 62). Unter diesen Bedingungen ist Freiheit möglich und „Verantwortung“ für die „Sinnlosigkeit“ und das „Unverankertsein“ (ebd., 102), das der Mensch auf sich nimmt, erforderlich. An die Stelle eines die Welt tragenden Gesamtsinns ist „die Entdeckung der Möglichkeiten, eine freiere Sinnerfülltheit zu erwerben“ (ebd., 88), die dem politischen Leben als Leitfaden dient, getreten. Im politischen Teil seiner → Ethik spricht Ricœur von einem „politischen Paradox“ (Ricœur 1996, 311), wenn er das Verhältnis von → Macht und staatlicher Herrschaft beschreibt. Das Paradox besteht darin, daß sich ein Staat zwar der gewaltlosen Macht des politischen Handelns verdankt, jedoch → Gewalt einsetzen muß, um historisch in Erscheinung treten zu können. In diesem Paradox verschränken sich die Vernunft und das Übel, die P. und das Politische, welche Ricœur bereits seit den fünfziger Jahren terminologisch von-

Positionalität einander unterscheidet. Die „P.“ entfaltet sich im „Vorausblick“ und in „Entscheidungen“ (Ricœur 1974, 257), die Entzweiungen produzieren, da die P. das Monopol von institutionalisierter Macht einiger über alle ist. P. ist damit das, was Machiavelli, Hobbes und Weber unter diesem Begriff verstanden haben. „Das Politische gewinnt seinen Sinn im nachhinein, in der Reflexion, im Rückblick.“ Ricœur argumentiert nun aus der Sicht von Aristoteles, Rousseau und Hegel, denn das Politische ist das, woran alle Bürger teilhaben, ein Bündnis, das gleich einem Gesellschaftsvertrag nur in der nachträglichen Reflexion wiedergewonnen werden kann, es ist die vernünftige Organisation eines Gemeinwesens. „Das Politische freilich existiert nicht ohne P.“ (ebd.), denn die P. ist die historische Rationalität des Politischen. Das Miteinander beider Elemente schließt jede Deckungsgleichheit aus, denn die Versöhnung zwischen Individuen, die das Ideal des Politischen ist, wird durch die Realpolitik ständig verhindert. Der Übergang zwischen Politischem und P. kann sich auf keine zureichenden Vernunftgründe berufen, ihm wohnen Kontingenzen inne, ohne deshalb beliebig zu sein. Die Auflösung der Paradoxie würde entweder zu einem schlechten Idealismus oder einer bloßen Machttechnologie führen. Qu.: HeiGA 39. – Bourdieu 1975 (1976). – Arendt 1958 (1967). – Arendt 1993. – Kosík 1967. – Patoˇcka 1988. – Ricœur 1957 (1974, 248-275). – Ricœur 1990 (1996). – Lit.: Pöggeler 1974. – Pöggeler 1988. – Schnell 1995. MWS

Positionalität. Husserl legt dar, daß das → Bewußtsein in der natürlichen → Einstellung Position zum → Sein

Positionalität der ihm gegebenen → Gegenstände bezieht: Affirmation, → Negation oder Wahrscheinlichkeit. Die phänomenolog. Einstellung thematisiert diese in der natürlichen Einstellung selbst unthematischer Stellungnahmen. Ausgehend von der Untersuchung der noetonoematischen → Korrelation in den Ideen I und der Annahme, daß ein Gegenstand in einer Sinnvermeintheit (wirklich, fiktiv, etc.) intendiert wird, entwickelt Husserl Überlegungen zur P., die zunächst indirekt erschlossen wird. Eine Verneinung durchstreicht und eine Bejahung unterstreicht eine „Position“ (Hua III/1, 244), die die der Negation und Affirmation vorausgesetzte Seinsmodalität des betreffenden Etwas ist. In der Negation wird ein für möglich Gehaltenes als unmöglich durchgestrichen, in der Affirmation als möglich bestätigt. Da irgendeine Position immer aller ausdrücklichen Prüfung vorausgesetzt ist, spricht Husserl von „doxischer P.“ (ebd., 268) oder „doxischer Ursetzung“ (ebd., 270). Insofern ist die Negation keine Verneinung „einer Affirmation, sondern einer ,Setzung‘ “ (ebd., 243). Als nächstes werden „positional und neutral“ (ebd., 261) voneinander unterschieden. Dabei handelt es sich nicht um eine Differenz in der → Modifikation von Glaubenssetzungen, sondern um den „universellen Bewußtseinsunterschied“ (ebd., 262) zwischen dem „positionalen Bewußtsein“ (ebd., 254) und dem „Neutralitätsbewußtsein“ (ebd., 266). Neutralität ist eine Bewußtseinsweise, die sich jeglicher → Setzung enthält. In der Neutralität lebend, vollziehen wir hinsichtlich des Angeschauten keine wirkliche Position. Ein „Bildobjekt steht weder als seiend, noch als nichtseiend, noch in irgendeiner sonstigen Setzungsmodalität vor uns“

430 (ebd., 252). Husserl blickt auf Dürers Kupferstich ,Ritter, Tod und Teufel‘. Er versucht mit der Neutralität die → Phantasie und das Bildbewußtsein als eigenständige Weisen des Bewußtseins aufzufassen. Die P. als solche tritt in einen neuen Sinnzusammenhang, wenn nicht Sachen, sondern „Werte der Sachen, Wertheiten“ gemeint sind: schön/häßlich, gut/schlecht, etc. „Dabei ist das Bewußtsein hinsichtlich dieses neuen Charakters abermals ein positionales Bewußtsein: das ,wert‘ ist doxisch setzbar als wert seiend“, aber auch modal als „vermutlich wert“ (ebd., 267). Schließlich gilt für die → Konstitution synthetischer Gegenstände (die geliebte Kinderschar), daß sich der synthetische → Akt (Liebe) zerteilend auf Einzelobjekte (Kinder) richtet und sich auf den Gesamtgegenstand (die Schar) entsprechende Charaktere (Geliebtheit) verteilen. „Es sind ebensoviel positionale Charaktere, die sich zur noematischen Einheit eines positionalen Charakters synthetisch verbinden“ (ebd., 280). Anders, weil nicht auf die Analyse von Bewußtseinsleistungen beschränkt, tritt der Begriff der P. in der phänomenolog. Anthropolgie Plessners auf. Wie auch Scheler fragt Plessner in Die Stufen des Organischen und der Mensch nach der Stellung des Menschen in der Welt. Seine These besagt, daß im Unterschied zu Pflanzen und Tieren der Mensch eine „exzentrische Positionsform“ (Plessner 1975, 309) hat. „Exzentrizität ist die P. des Menschen, die Form seiner Gestelltheit gegen das Umfeld“ (Plessner 1982, 10). Diese Stellung ermöglicht dem Menschen die wesensmäßige Ambiguität einer vermittelten Unmittelbarkeit und einer natürlichen Künstlich-

431 keit. Plessner bezeichnet die P. auch als einen „unlösbaren Widerspruch“, denn der exzentrisch gestellte Mensch „steht da, wo er steht, und zugleich nicht da, wo er steht“ (ebd., 56). Als Körperding ist der Mensch Teil der Natur, als Leib überschreitet er diesen ständig durch eine eigene Strukturierung der Welt, die die okkasionelle Anordnung von oben/unten, vorne/hinten, etc. etabliert. Hierbei handelt es sich nicht um zwei getrennte Tatbestände, denn der Mensch ist Leib und hat diesen als Körper. Ein unaufhebbarer Doppelaspekt, der radikal weil ohne Synthese ist. Für Plessner ist der Mensch von Natur aus gezwungen, sich mit künstlichen Mitteln ein Gleichgewicht in der Welt zu schaffen. Im Hinblick auf ein gesellschaftliches Zusammenleben resultiert daraus die Notwendigkeit von Institutionen. In seinen politischen Schriften weist Plessner die Utopien einer harmonischen Gemeinschaft und einer sich selbst regulierenden Gesellschaft gleichermaßen zurück. Die Fragilität der Gesellschaft kann nur von außen durch einen Staat stabilisiert werden. Daß es für die Stabilität keine letzten Garantien geben kann, hat Plessner verschiedentlich dargelegt (vgl. Plessner 1981). Qu.: Hua III/1. – Plessner 1928. – Plessner 1981. – Plessner 1982. MWS

Prädikation. Husserls → Analyse beginnt mit der bestimmenden P. Die prädikative → Bestimmung mit ihren Urteilsformen gründet sich auf die inneren Explikate und die relativen Beschaffenheiten, die durch die explizierende und beziehende Betrachtung entdeckt werden. Wenn ein Wahrnehmungsgegenstand durch eine Explika-

Prädikativ tion bestimmt wird, so daß er zum Explikationssubstrat und die Bestimmungen zu Explikaten werden, dann ist der Grund dafür gelegt, daß das Explikationssubstrat zum Subjekt und die Explikate zu Prädikaten in der explizierenden P. „S ist P“ werden. Andererseits baut sich die beziehende P. mit ihren Bestimmungsformen wie „A ist größer als B“ oder „A ist ähnlich B“ auf die beziehende Betrachtung. Von der bestimmenden P. sind andere P.en zu unterscheiden, die keine Bestimmung dem Gegenstand zumessen, weil das Urteilssubjekt modifiziert ist. Die Existenzialprädikation („A existiert“, „A ist“) ist vom bloßen gegenständlichen Sinn in der auf das Vermeinte als solches gerichteten → Reflexion prädiziert. Sie besagt, daß der Sinn eine entsprechende → Existenz hat, und besitzt ihr Gegenstück in der → Negation der Existenz. Auch nicht bestimmend ist die Wirklichkeitsprädikation („A ist wirklich“), aber sie ist auf den in einer doxischen Modalität gesetzten Sinn als Subjekt gerichtet. Sie besagt, daß nicht über ein Fiktum, sondern über einen erfahrungsmäßig gegebenen → Gegenstand gesprochen wird, und hat ihr Gegenstück in den P.en der Fiktion. Da es eine Quasi-Existenz in einer Phantasiewelt gibt, spielt die Existenzialprädikation auch eine Rolle in der Fiktion. Qu.: Husserl 1939, (6 1985, 242-282 u. 354365). – Lit.: Lohmar 1998, 252-273. RW

Prädikativ. Bei Husserl wird vor allem p. genannt, was zu einer bestimmten gegliederten → Synthese höherer Ordnung gehört. Sie ist auf die → passive Synthesis der → Wahrnehmung fundiert, erfaßt die → Einheit zwischen Substrat und → Moment, die in der

Pragmatismus bloßen rezeptiven → Betrachtung nur vorkonstituiert ist, durch die vielstrahlige aktive → Leistung der p.en Identifikation und drückt sie in einem p.en → Urteil aus. Das Eigentümliche dieser Synthese besteht nach Husserl „im aktiven Vollzug des synthetischen Übergangs vom S nach p, im aktiven Vollzug der Identitätseinheit zwischen S und p“ (Husserl 1948, 244). Qu.: Hua XVII, 299-313. – Husserl 1939, (2 1948, 231-255). – Lit.: Lohmar 1998, 252-273. RW

Pragmatismus. Während Husserl einige zentrale Konzepte des P., darunter die Idee des Bewußtseinsstromes (James: stream of thought) oder den Begriff des → belief (Peirce, James), für die Phänomenologie fruchtbar macht, rückt die Philosophie des P. erst durch Schelers Abhandlung Erkenntnis und Arbeit ausführlicher in das phänomenolog. Blickfeld. Schelers kritisches Bemühen zielt darauf, „Wert und Grenzen des pragmatischen Motivs in der Erkenntnis der Welt“ (ScheGW 8, 191 ff.) zu bestimmen. Ausgehend von der Unterscheidung dreier Wissensformen – Bildungswissen, Erlösungswissen sowie Herrschafts- bzw. Leistungswissen – wirft Scheler dem P. eine einseitige Orientierung am dritten Wissenstypus und damit eine grundlegende „Verfälschung der Idee des Wissens“ (ebd., 226 ˙ff.) vor. Das im P. leitende Motiv der technischen Beherrschung und Umgestaltung der Welt verfolgt Scheler systematisch zurück bis in die Wahrheitstheorie des P., deren Hauptdefizite in der „falschen Ansetzung des Grund-Folge-Verhältnisses von Wissen und Handeln“, in der „Verkennung des Unterschiedes zwischen Wesenswissen und induktivem Wissen“ (ebd.,

432 230 ff.) sowie in einer nominalistischen Begriffs- und Bedeutungstheorie liegen sollen. Allerdings gesteht Scheler dem P. ein relatives Recht ein, insofern dieser gesehen habe, „daß auch die höchsten Erkenntnisziele der positiven Naturwissenschaft [...] praktisch mitbedingt sind“ (ebd., 240). Durch diese abschließende Bewertung nimmt der P. bei Scheler eine Mittelstellung zwischen einem rohen Materialismus und der von ihm selbst favorisierten phänomenolog.-personalistischen Wesenslehre ein. Reinach setzt sich insbesondere mit dem P. bei James auseinander. In William James und der Pragmatismus kritisiert er die pragmatistische Engführung von Wahrheit und Nützlichkeit, die zu einer „grenzenlosen Willkür“ (Reinach 1989, 47) bezüglich der Wahrheitsfrage führt. Da ein → Urteil wie ,rot und grün sind verschieden‘ wahr ist, aber keine nützlichen Folgen hat, ist das Wahrheitskriterium des P. zu eng gefaßt. Der Hauptunterschied zwischen Phänomenologie und P. wird darin gesehen, daß der P. „über die Phänomene gestaltend hinausgeht“, während die Phänomenologie diese „adäquat und getreu zu erfassen“ (ebd., 50) versucht. Als positive Merkmale des P. läßt Reinach den Bruch mit der Abbildtheorie der Bedeutung sowie die pragmatische Ablehnung leerer Wortstreitigkeiten gelten. Bei Heidegger ist die Bezugnahme auf den P. terminologisch selten. Eine Ausnahme bildet die Vorlesung Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles, in der Heidegger bei seiner Explikation der → Sorge „das Mitgehenlassen spezifisch interpretativer Bestimmungen mit ordnungshaften Sachsetzungen [als] für den P. charak-

433 teristisch“ (HeiGA 61, 135) ansieht. Man kann Heideggers Position in Sein und Zeit aber durchaus selbst als „die im deutschsprachigen Bereich früheste Konzeption eines konsequenten P.“ (Gethmann 1993, 285) ansehen. Diese Einschätzung ergibt sich aus Heideggers Rückgang auf die vorwissenschaftliche → Zuhandenheit der pragmata, also der Dinge in der „Seinsart des Zeugs“ (HeiGA 2, § 15). Indem Heidegger vom Primat des umsichtigen, praktisch-besorgenden Umgangs mit der Welt vor aller → Theorie ausgeht, ist die Philosophie von Sein und Zeit zu Recht als „impliziter P.“ (Apel 1973) bezeichnet worden. Gleichzeitig distanziert sich Heidegger jedoch von der Wahrheitstheorie des P. durch die Auffassung der → Wahrheit als → „Unverborgenheit“ (HeiGA 2, § 44), in der das Erfolgskriterium des pragmatischen Wahrheitsbegriffs präsenzmetaphys. unterlaufen wird. Qu.: ScheGW 8. – Reinach 1989, 45-50. – HeiGA 2. – HeiGA 61. – Gethmann 1993. – Lit.: Apel 1973, 225-275. – Kita 1997. – Okrent 1988. TR

Praktiken. Als P. bezeichnet Foucault das aus dem Zusammenwirken von Wissensformen und Machtrelationen hervorgehende Denken und Handeln. P. werden technologisch gefaßt – als Handeln, das mit einer → Technik und einer Intelligibilität verbunden ist. Genealogisch werden jene P., über die die Selbstkonstitution des modernen Individuums verläuft, offengelegt: diskursive P. wie das Geständnis und nichtdiskursive P. wie die auf die Formung und Dressur der → Körper ausgerichteten Disziplinierungstechniken. In ihnen zeigt sich der produktive Charakter moderner → Macht. Foucault analysiert die Entstehung der modernen

Präsentation Humanwissenschaften aus disziplinierenden gesellschaftlichen P., von deren Hintergrund sie sich nicht lösen können. Im Zuge der Thematisierung antiker Lebenskunst kommt es in Der Gebrauch der Lüste und Die Sorge um sich zu einer Neubewertung des Begriffs, statt heteronomer Machtwirkung stehen P. des ethischen Selbstbezugs im Zentrum; P. der Lebenskunst, die ein Widerstandspotential gegen normative und normalisierende Individualitätskonzepte sein können. Qu.: Foucault 1975 (1976). – Foucault 1976 (1977). – Foucault 1984a (1986). – Foucault 1984b (1986). – Lit.: Dreyfus/Rabinow 1982 (1987). – Fink-Eitel 1989. – Schmid 1991. RS

Präsentation. Im Gegensatz zur mittelbaren Auffassungsweise der → Appräsentation, die „einen Kern von P. voraus[setzt]“ (Hua I, 150), dient ,P.‘ bei Husserl zur Bezeichnung der „Gegenwärtigung“ bzw. „eigentlichen Selbstgebung“ (Hua I, 139) oder Selbstdarstellung einer Sache: „Die Wahrnehmung, als P., faßt den dargestellten Inhalt so, daß mit ihm und in ihm der Gegenstand als selbst gegeben erscheint“ (Hua XIX/2, 613). Den Fall der vollständigen → Adäquation von präsentiertem → Gegenstand und präsentierendem Bewußtseinsinhalt bezeichnet Husserl als „reine P.“ (Hua XIX/2, 613). Dieser ist dadurch charakterisiert, daß „jeder Teil des Gegenstandes im Inhalte wirklich präsentiert und keiner bloß imaginiert oder symbolisiert ist“ (ebd.). Reine P. ist allerdings ein Grenzfall, da „auch die reine Wahrnehmung [...] bei der Festhaltung ihres intentionalen Gegenstandes noch Unterschiede der Fülle“ (ebd., 614) aufweist. In den Cartesianischen Meditationen fungiert der Begriff der

Präsenz P. neben dem der Appräsentation als Grundbegriff von Husserls monadologisch konzipierter Theorie der → Intersubjektivität. In der Fremderfahrung ist die Appräsentation, die das „Unzugängliche des Anderen gibt, verflochten mit einer originalen P. (seines Körpers als Stück meiner eigenheitlich gegebenen Natur)“ (Hua I, 143). Während Husserl P. intersubjektivitätstheoretisch noch von der transzendentalen Eigenheitssphäre her denkt – „was je original präsentierbar [...] ist, das bin ich selbst“ (ebd., 144) – spricht Merleau-Ponty später vom Anderen als einer „originären P. des Nichtpräsentierbaren“ (Merleau-Ponty 1986, 261). Qu.: Hua I. – Hua II/2. – Hua XIX/2. – Merleau-Ponty 1964 (1986). – Lit.: Rang 1975, 105-137. TR

Präsenz. → Anwesenheit Präsenzfeld. Mit dem Terminus P. bezeichnet Merleau-Ponty im sachlichen und auch terminolog. Anschluß an Husserl (Husserl 6 1985, 213) und dessen Analysen zur → Konstitution des originären Zeitfeldes (vgl. Hua X, z. B. § 11, 29 ff.) sowie der „lebendigen Gegenwart“ (vgl. Held 1966; Bernet 1994, 278 ff.) das durch die → Wahrnehmung übergangssynthetisch (vgl. Merleau-Ponty 1966, 309, 478 f., 481) erschlossene phänomenale → Feld, in welchem die Zeit in dem Maße selbst erscheint (vgl. Burke 1997), wie sich das Subjekt als in ihr situiertes konstituiert. In diesem primär noetisch beschriebenen (vgl. Burke 1997, 39 f.) „Feld der originären Erfahrung“ (Merleau-Ponty 1966, 473), das als Konkretion des „einen einzigen Kontinuums, das ständig sich modifziert“ (Hua X, 40), erscheint, instituiert sich zum einen die „Welt als der Kern der

434 Zeit“ (Merleau-Ponty 1966, 383), zum anderen kontrahiert sich in ein und derselben Bewegung auch das → Bewußtsein als „Ort der Zweideutigkeit“ (Merleau-Ponty 1966), d. h. als zwischen Ubiquität und Engagement hinund hergerissene „fungierende Intentionalität“. Die in „unpersönliche Zonen“ entgleitenden Dimensionen des „Hier-Dort“ und der „VergangenheitGegenwart-Zukunft“ (Merleau-Ponty 1966, 382, 309) stellen die affektive Struktur des P.s bzw. seine „Dichte“ dar, die Merleau-Ponty in seiner späten (Selbst-)Kritik der Bewußtseinsphilosophie als „Öffnung zum Sein“ versteht, für deren „symbolischen Matrices“ die Zeit nur ein privilegiertes „Modell“ bietet (Merleau-Ponty 1986, 225). Qu.: Hua X. – Husserl 1939 (6 1985). – Merleau-Ponty 1945 (1966). – MerleauPonty 1964 (1986). – Lit.: Bernet 1994. – Burke 1997, 37-58. – Held 1966. MST

Praxis. P. bezeichnet im allgemeinen das menschliche → Handeln und steht seit Plato und Aristoteles in Zusammenhang mit → Theorie. Aristoteles unterscheidet drei Arten von Wissen oder Wissenschaften: das auf die Betrachtung (theoria), auf das Handeln (praxis) oder auf das Hervorbringen (→ poiesis) gerichtete Wissen (Aristoteles 1989, 249-251). In Anlehnung an Aristoteles und Herbart definieren Brentano und Husserl die → Ethik als praktische Philosophie oder prakt. Wissenschaft von den höchsten Zwecken. Brentano sieht in der Ethik als praktische Weisheit ein Analogon zur Metaphysik: „Der Stellung der Metaphysik auf theoret. Gebiete ist nun die der Ethik auf praktischem analog. Wie jene die Erkenntnis der letzten Prinzipien des Seins und der Wahrheit,

435 so ist diese Erkenntnis der letzten Prinzipien des Handelns“ (Brentano 1952, 7). Der P. als sittliches Handeln gibt Husserl den Namen ethische P., die er speziell in seiner Ethik und Wertlehre behandelt (Hua XXVIII). Husserl baut die Phänomenologie auf dem Unterschied zwischen natürlicher (praktischer) und phänomenolog. (theoretischer) → Einstellung auf. In Die Krisis des europäischen Menschentums und die Philosophie versucht er diese getrennten Gebiete durch das Konzept einer „neuen P.“ wieder zu verbinden: „[...] eine P., die darauf aus ist, durch die universale wissenschaftliche Vernunft die Menschheit nach Wahrheitsnormen aller Formen zu erhöhen, sie zu einem von Grund aus neuen Menschentum zu wandeln, befähigt zu einer absoluten Selbstverantwortung auf Grund absoluter theoretischer Einsichten. Doch vor dieser Synthesis der theoretischen Universalität und der universal interessierten P. steht offenbar eine andere Synthesis von Theorie und P. – nämlich die der Verwertung beschränkter Ergebnisse der Theorie, beschränkter, die Universalität des theoretischen Interesses in Spezialisierung fallen lassender Spezialwissenschaften auf die P. des natürlichen Lebens. Hier verbinden sich also ursprünglich-natürliche Einstellung und theoretische in Verendlichung“ (Hua VI, 329). Der Unterschied zwischen P. und Theorie, zwischen praktischer und theoretischer → Vernunft, auf dem Husserl sowohl seine Ethik, als auch die Phänomenologie aufbaut, wird von Heidegger abgeschafft. Die Phänomenologie wird bei Heidegger zu praktischer Phänomenologie oder Phänopraxie (Rombach 1980, 22). Diese ist auf die „Mitarbeit an der Hervorbringung eines neuen Be-

Praxis wußtseins“, an dem „Erscheinenmachen“ orientiert. Heidegger, so Rombach, habe die Husserlsche Phänomenologie dadurch erweitert, daß er sie zur „Existenzanalytik“ umformte, wobei Existieren auf diejenige Selbsthervorbringung zielt, in der die Vernunft als selbstverantwortliches Sein unmittelbar praktisch wird. Damit erweist sich die Unterscheidung von Theorie und P., von Darstellung und Hervorbringung der Vernunft als unangemessen: Vernunft oder → Dasein als Ganzseinkönnen ist immer schon Selbstleistung, Selbstverwirklichung und bedarf nicht erst einer „Umsetzung in die P.“ (ebd., 23-24). In bezug auf Aristoteles zeigt Heidegger, daß der gemeinsame Grund der poiesis, theoria und praxis die → Transzendenz des Da-seins ist. Die Transzendenz ist die primordiale P. des Da-seins als → In-der-Welt-sein, bzw. das Bestreben, die Welt und sich selbst zu verstehen und zu bewältigen. (vgl. HeiGA 2; HeiGA 8; HeiGA 26) Heidegger lehnt weiters Husserls Idee einer universellen P. ab. Gadamer hingegen besteht auf der Umdeutung dieser: „Die Zukunft der Menschheit verlangt aber, daß wir dem, was wir machen können, vernünftige Fragen der Selbstrechtfertigung zumuten. In diesem Sinne möchte ich dem sittlichen Impuls, der in Husserls Idee einer neuartigen lebensweltlichen P. liegt, zustimmen, aber ihm im Sinne unseres praktisch-politischen Menschseins den alten Impuls eines echten sensus communis zur Seite stellen“ (Gadamer GW 3, 159). Einen ähnlichen Weg scheint auch Ricœur einzuschlagen, indem er einerseits die Einheit von Theorie und P. betont, andererseits auf die phronesis und die Notwendigkeit eines verantwortungsvollen Handelns verweist.

Praxis Ricœur betrachtet den hermeneut. Diskurs als Werk, das auf die Kategorien der Arbeit und des Hervorbringens verweist. Die Sprache ist das Material, das es zu bearbeiten und zu formen gilt. Somit wird der Diskurs Objekt einer gewissen P. und techne, ohne daß dabei ein Gegensatz zwischen geistiger und handwerklicher Arbeit entsteht (Ricœur 1986, 107). Ricœur geht von der Definition Grangers aus, nach der die P. „die Aktivität im Angesicht ihres komplexen Kontextes und insbesondere der sozialen Bedingungen die ihr eine Bedeutung in einer tatsächlich gelebten Welt geben“, ist (Granger 1968, 6). Da die Arbeit eine der Strukturen, sogar die Hauptstruktur der P. ist, ist die Arbeit des Diskurses eine Art P., bei der die Sprache als literarisches Werk organisiert wird (Ricœur 1986, 108). Ferner spielt die P. in Ricœurs hermeneut. Phänomenologie eine wichtige Rolle im Bezug zur → Ethik: diese sollte weder deontolog. (Kant), noch essentialistisch (Nussbaum), noch prozeduralistisch (Rawls) begründet sein, sondern auf der phronesis, der „praktischen Weisheit“ beruhen. Von Aristoteles ausgehend definiert Ricœur die Ethik als „Ausrichtung auf das gute Leben mit Anderen und für sie in gerechten Institutionen“ (ebd., 210). Die P. kann „das gute Leben“ ermöglichen, nicht, indem sie nach einem MittelZweck-Modell vorgeht, sondern indem sie sich von der praktischen Weisheit als überlegtes Handeln, d. h. als Erwägung von Regel und Einzelfall und kritischen Prüfung der Überzeugungen, leiten läßt (ebd., 214). Bei Sartre wird die P. durch die Transzendenz und die negative Seinsstruktur des Menschen ermöglicht. Im Das Sein und das Nichts wird das Für-sich-

436 sein (der Mensch), im Gegensatz zum unveränderlichen, identischen Sein des An-sich, als Handeln konzipiert (Sartre 1993, 752). Dieses wird folgendermaßen definiert: „handeln heißt die Gestalt der Welt verändern, über Mittel zu einem Zweck verfügen, einen instrumentellen und organisierten Komplex hervorbringen, so daß durch eine Reihe von Verkettungen und Verbindungen die Veränderung eines der Kettenglieder Veränderungen in der ganzen Reihe herbeiführt und schließlich ein vorgesehenes Resultat hervorbringt“ (ebd., 753). In Cahiers pour une morale und Wahrheit und Existenz hebt Sartre, ähnlich wie Heidegger, den Gegensatz zwischen Theorie und P. auf: jede Handlung ist Interiorisieren der Exteriorität und Exteriorisieren der Interiorität (Sartre 1983, 56). Daher gibt es auch keine abstrakte Wahrheit, die Wahrheit wird durch die menschliche Realität „zur Existenz gebracht“, d. h. durch praktisches Handeln erzeugt (Sartre 1996, 103). Dieses drückt die → Freiheit und die Wahl des Menschen aus und bindet zugleich → Existenz, Erkenntnis und Moral aneinander (ebd., 89). Um die individuelle und sozial-historische P. zu beschreiben, wendet Sartre später, in der Kritik der Dialektischen Vernunft, eine neue kritische Methode an – die progressivregressive Methode. Durch Regression wird versucht, vom unmittelbaren Erlebnis bis zur Intelligibilität der Strukturen der P. und bis zu den durch die P. organisierten Gemeinschaften vorzudringen; Progression dient hingegen dazu, die Dynamik der Strukturen der P. im historischen Prozeß zu enthüllen. Ferner ersetzt Sartre das „Fürsich“ durch die „individuelle P.“ und das „An-sich“ durch die „träge Materie“ und zeigt, daß sich das Bewußt-

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Prinzip aller Prinzipien

sein durch Umwandlung in P. entfremdet und zugleich den anderen Bewußtseinen als feindlich erscheint, bzw. daß die P. als Prozeß immer ein Element der Nicht-P., der Objektivierung enthält. Die zwischenmenschlichen Beziehungen münden dann, anstatt in Reziprozität, in Kampf und Gewalt, die das Spielfeld der Geschichte bilden. „[...] Der Mensch hat nicht nur gegen die Natur, gegen die gesellschaftliche Welt, die ihn hervorgebracht hat, und gegen andere Menschen zu kämpfen, sondern auch gegen seine eigene Aktion, insofern sie eine andere wird. Dieser Entfremdungstyp äußert sich in den anderen Entfremdungsformen, aber er ist von ihnen unabhängig und dient ihnen vielmehr selbst als Grundlage. [...] Wir werden in ihm die permanente Gegen-P. als notwendiges Moment der P. entdecken.“ (Sartre 1967, 132)

sind, die noch nicht „objektive“ Natur und „objektive“ Welt sind, wobei „objektiv“ soviel wie „für jedermann“ besagt. Dieser Schritt ist die Basis für Husserls Intersubjektivitätstheorie (→ Intersubjektivität), die von der absoluten Eigenheitssphäre der jeweiligen sich gegenseitig erfahrenden Subjekte ausgeht, die einander nur durch die passiven Gesetze der → „Paarung“ und „analogischen Apperzeption“ (→ Apperzeption) als beseelte → Leiber (anstatt als leblose → Körper) auffassen können. So kann ich z. B. durch den Gesichtsausdruck des Anderen auf sein „Innenleben“ schließen; es ist mir aber unmöglich, zu seiner Primordialsphäre direkten Zugang zu haben. – Die These von einer absoluten Eigenheitssphäre ist zu einer der am schärfsten kritisierten Theoriestücke von Husserls Philosophie geworden.

Qu.: Aristoteles 1989. – Brentano 1952. – Hua VI. – Hua XVIII. – Hua XXVIII. – Gadamer GW 3. – Granger 1968. – HeiGA 2. – HeiGA 9. – HeiGA 26. – Ricœur 1986. – Ricœur 1990 (1996). – Sartre 1943 (1993). – Sartre 1990 (1996). – Sartre 1983. – Sartre 1960 (1967). – Lit.: Rombach 1980. YR

Qu.: Hua I, 121-177. – Lit.: Held 1972. – Waldenfels 1971. SL

Primordial (→ Originalsphäre) ist bei Husserl der Titel für die Sphäre der absoluten Eigenheit des Subjekts. Die in der „p.en Reduktion“ erreichte Primordialsphäre ist somit eine abstraktive Abblendung der „normalen“ Erfahrungs- und Lebensweise, in der uns → Andere und → Umwelt immer schon vorgegeben sind. In der p.en → Reduktion wird versucht, die Sphäre der absoluten Eigenheit zu bestimmen, um die Reichweite der Konstitutionsleistung des p. reduzierten → Ego zu umgrenzen. Es stellt sich heraus, daß bereits in der Primordialsphäre eine erste Natur und eine Umwelt konstituiert

Primordialsphäre. → primordial, → Originalsphäre Prinzip aller Prinzipien. Prinzipielles gründet für Husserl in Anschaubarkeit. Empirische wie Wesensanschauungen (→ Wesen) liefern in ihren → Regionen jeweils originäre, nicht mehr übersteigbare → Gegebenheiten. Jede Aussage, die originäre Gegebenheiten „durch bloße Explikation und genau sich anmessende Bedeutungen“ zum Ausdruck bringt, markiert einen „absoluten Anfang“, ein „principium“. Diese phänomenolog. Feststellung, die selbst in ursprünglicher Anschaubarkeit zugänglich ist, drückt ihrerseits ein Prinzipielles aus, ein solches, das die Bedingung der → Möglichkeit von Prinzipiellem letztanschaulich macht. Solche Feststellung ist daher ein P.a.P.

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Produktion und besagt, „daß jede originär gebende Anschauung eine Rechtsquelle der Erkenntnis sei, daß alles, was sich uns in der ,Intuition‘ originär [...] darbietet, einfach hinzunehmen sei, als was es sich gibt, aber auch nur in den Schranken, in denen es sich da gibt“ (Hua III/1, 51). Qu.: Hua III/1, § 24.

HRS

Produktion und Produktivität bilden das grundlegende Kriterium für Arendts Differenzierung von Arbeiten und → Herstellen. Während die → Arbeit im strengen Sinne als „unproduktiv“ verstanden werden muß, weil sie „nichts objektiv Greifbares hinterläßt“ (Arendt 1960, 81) und ihre ,Produkte‘ zur Aufrechterhaltung und Reproduktion des bloßen Lebensprozesses gleich wieder aufgezehrt werden, zeichnet sich das Herstellen durch eine Produktivität aus, die „dem gegenständlichen Bestand der Welt dauernd neue Gegenstände hinzufügt“ (ebd., 82). Diese Unterscheidung führt sie auch gegen Marx an, für den gerade die Arbeit die ,produktivste‘ Fähigkeit des Menschen darstellt. Eine solche Einschätzung ergibt sich nach Arendt nur dadurch, daß Marx die Produktivität der Arbeit nicht „an der Qualität oder den Eigenschaften des Arbeitsproduktes selbst“ (ebd., 86) mißt, sondern am Lebensprozeß des Arbeiters, der mehr Mittel bereitzustellen vermag, als er selbst verbraucht. Damit wird der Mensch auf ein Dasein als „Gattungswesen“ (ebd., 99) eingeschränkt, dessen Tätigkeit ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Entfaltung der gesellschaftlichen Produktivkräfte betrachtet wird. In direktem Anschluß an Arendt weist Patoˇcka die Ansicht, daß „die Men-

schen in der gesellschaftlichen P. ihres Lebens in bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse eintreten“ als „ahistorische Denkweise“ (Patoˇcka 1988, 175) zurück. Demnach übersieht eine Analyse, die „die Emanzipation des Menschen als Emanzipation durch Arbeit und zugleich von der Arbeit auffaßt“ (ebd., 199), daß die Entstehung von → Öffentlichkeit und → Politik nicht allein aus einer besseren Organisation der privaten Sphäre der Arbeit ableitbar ist, sondern daß ihr geschichtliches Auftreten einer neuen „Sinngebung des Lebens aus der Freiheit und für sie“ (ebd., 175) bedurfte. Die Identifikation von Arbeit und P. greift insbesondere deshalb zu kurz, weil sie den in diesen Bereich der Freiheit weisenden „weltbildenden“ Aspekt der P. vernachlässigt und das gesellschaftliche Sein des Menschen so auf die „Lebensfristung“ (ebd., 200), die Privatheit von Arbeit und Konsum, reduziert. Qu.: Arendt 1958 (1960). – Patoˇcka 1975 (1988). LH

Protention. P. ist bei Husserl der Titel für erwartungsartige Intentionen des Kommenden, die nicht mit der Leerintention der → Erinnerung zu verwechseln sind. Als diskrete P. setzen solche Erwartungsbildungen bereits ursprüngliche Erfahrungseinheiten voraus und schaffen diese nicht wie im Fall der intentionalen → Impression (Hua XI, 185 ff.). Als → Antizipation ist die P. nicht nur Erwartung von Künftigem gemäß der starren zeitlichen Trias (Hua X, 13 ff. u. 52 ff.; sowie Phänomenolog. Forschungen 14), sondern in der impressionalen → Gegenwart ist sie auch Erwartung eines fehlenden ähnlichen Gliedes, d. h. eine

439 Ähnlichkeitssynthese in der Konfiguration von → Koexistenz und → Sukzession. Gemäß dem Verlaufsstil der → Wahrnehmung wird die Antizipation in Analogie zu diesem veränderlich und unveränderlich erwartet, so daß der passiven Gesetzesbildung der protentionalen Zeitlichkeit eine → Retention vorausgeht. Husserl bezeichnet daher die P. als eine Vorstellung zweiter Stufe, denn sie ist nichts leibhaft Wahrgenommenes, sondern Nachbildung einer ursprünglichen Vergangenheitsbildung, m. a. W. Antizipiertes von Seiendem vor dem Wirklichsein. Da sich jede einheitlich abfließende Sukzession als einheitliche → Vergangenheit konstituiert, projiziert sich diese gleichzeitig in die → Zukunft. Die immer neue Koexistenz ist mit einem Erwartungshorizont überspannt, der sich also teils erfüllt, teils im Widerstreit notwendiger → Modifikationen von der Frage bis zur Hemmung auftritt (Kaiser 1997, 162 ff.). Bewährung wie Korrektur der P. setzen jedoch beide in Gemeinschaft verbundene Daten als Vor-Gegenständlichkeit voraus, wobei retentional Abgesunkenes stets einen Zuschuß affektiver Kraft enthält, der an das nächste Datum übergeht (Hua XI, 354 ff.). Damit ist die protentionale Erwartung in die Assoziationsgesetzlichkeit als affektiv-weckende Antizipation eingebunden (Staudigl 1997, 121 ff.). Der zeitliche → Horizont der P. ist in Bezug zum → Bewußtsein konkret-lebendiger Gegenwart eine „leere Zukunft“, da diese kein bindendes Ansich als „Muß“ eines wahren → Seins impliziert, sondern nur die „Notwendigkeit“ eines Seins, so daß aktive Erwartungen i. S. eines „Vorgreifens“ auch nur durch Wahrnehmungen erfüllt bzw. enttäuscht werden können (Husserl 6 1985, 122 f.). Die rein aprio-

Protention rische Form der Zukunft besteht daher nur darin, daß „überhaupt etwas kommt“, allerdings im Verbund mit kinästhetisch-praktischen Möglichkeiten meines → Leibes (Aguirre 1991). Der antizipierende → Glaube als apperzeptive Vorerwartung von Konfigurationen weist aus diesem Grunde nicht nur Gradualitäten auf, sondern eine Typik der assoziativen Reproduktion, so daß sich für Husserl „Neues“ immer an Bekanntem konstituiert – die Zukunft „bestimmbare Unbestimmheit“ ist (Hua XI, 211 ff.). Als umspannende Organisation des Bewußtseins bedeutet solche Zukunft zugleich → Konstitution einer objektiven → Welt als psych. → Natur, psycho-phys. Welt, objektivem Bewußtsein sowie personaler Kulturwelt. Als Tendenz auf solche → Erfüllung hin ist die P. die intentionale Urform der später von Husserl ausgeführten Teleologie (Held 1966, 39 ff.). Diese unendliche Bekanntheitsantizipation als Grenzidee hat der Phänomenologie oft den Vorwurf eingebracht, sie sei nicht imstande, das „Ereignis“ des Neuen wirklich zu denken. Nachdem der Husserlschüler W. Schapp schon die starre Zeitbildung als „Konstruktion“ kritisiert hatte, um die transzendentale Fundierung der subjektivlebensweltlichen Totalität durch alltäglich-erzählte „Geschichten“ zu ersetzen (Wälde 1985), hat danach bes. Ricœur durch den Zusammenhang von metaphorisch-produktiver Einbildungskraft und sprachlich-zeitlicher „Neu-Einschreibung“ (ré-inscription) auf die innovative Entfaltung von Seinsmöglichkeiten hingewiesen. Dabei stützt er sich nicht nur auf die „Metaphorizität des Seins“ selbst (Kopula „ist“ als „ist wie“), sondern er beruft sich für die → „Erzählung“ auf einen Handlungsablauf zeitlicher Geschich-

Psychologismus te als auf eine übergreifende Einheit i. S. einer Synthesis des Heterogenen. → Narrativität und Zeitlichkeit sind so korrelative Begriffe, durch die „Zeit menschlich wird“ (Ricœur 1987, 13). Qu.: Hua X. – Hua XI. – Husserl 1939 (6 1985). – Schapp 1953. – Ricœur 1983 (1988). – Ricœur 1984 (1989). – Ricœur 1985 (1991). – Lit.: Aguirre 1991. – Held 1966. – Kaiser 1997. – Staudigl 1997. – Wälde 1985. – Phänomenologische Forschungen 14 (1983). RK

Psychologismus. Von den Prolegomena zur reinen Logik (Hua XVIII) an hat Husserl den P. seiner Zeit mit dessen empiristischer Interpretation der logischen Grundsätze bekämpft, da die psychologistischen Vorurteile nicht nur keiner phänomenolog. Genese der Logik standhalten, sondern ebenfalls zu einem skeptischen Relativismus führen (Hua XIX/1, 50 ff.). Diese Position hat Husserl bis in seine Spätzeit durchgehalten (Drüe 1963; Conrad 1968; Rinofner-Kreidl 1997), nachdem er selbst in den zwanziger Jahren eine „Phänomenolog. Psychologie“ (Hua IX) vorgetragen hatte und ebenfalls in der Krisis die Lebensweltproblematik noch mit dem Rückgriff auf die Psychologie als „Weg in die Transzendentalphilosophie“ verband (Hua VI, 194 ff.). Im Unterschied zu den positiven Wissenschaften hat es die Psychologie an sich mit dem spezifischen Thema der „Subjektivität“ zu tun, aber sie machte daraus keine universale Wissenschaft, „in der alles, was Wahrheit ist, aus einem wirklichen und möglichen Leben her [...] den Sinn wahren Seins empfangen würde“ (Hua XVII, 34 f). Damit ist die Psychologie als eine „korrelative Wissenschaft“ von entsprechenden subjektiven → Leistungen in allen übrigen

440 Wissenschaften bestimmt, und zwar einschließlich einer Psychophysik der Menschen und Tiere, wobei die baldige transzendental-phänomenolog. Betrachtungsweise von Husserl an Brentanos Psychologie vom empirischen Standpunkt aus anknüpfen konnte: Es ist jedem psych. Phänomen eigentümlich, sich auf ein → Objekt zu „beziehen“ (Brentano 1955, 109 ff., 124). Durch diese Thematisierung der intentionalen Struktur war eine empiristisch-elementarpsychologische Veräußerlichung des Seelischen überwunden, um einer „deskriptiven Psychologie“ bei Bretano wie Husserl Platz zu machen (Ströker/Janssen 1989, 21 ff.; Olesen 1997, 56 ff.). Husserl widerlegte dann auf dieser Basis die psychologistische Auffassung, die objektive Gültigkeit der logischen Gesetze (z. B. vom Widerspruch) sei aus den psychologischen Eigenschaften der → Akte des logischen Denkens zu begründen (Hua XIX/1, 78 ff.). Damit war zwar eine neue Grundlage für die Philosophie als eigenständiger → Wissenschaft gefunden, aber Husserl mußte in der Folgezeit nicht die → „Gegebenheit“ der intentionalen → Gegenstände aufweisen, sondern auch die je spezifische „Gegebenheitsweise“ der Bewußtseinsmodi wie Wahrnehmen, Phantasieren, Fühlen etc. Denn als psych. „Phänomen“ treten letztere erst dank der Unterscheidung von Erscheinen und → Erscheinung auf der Ebene der reduzierten Bewußtseinserlebnisse auf, d. h. im Bereich einer nunmehr „deskriptiven Phänomenologie“. Solche Erforschung der Akte des Erkennens nahm Husserl erstmals im 2. Teil der Logischen Untersuchungen vor (Hua XIX/2, 343 ff.), nämlich als „eidetische Analyse“ reiner Wesensstrukturen des Bewußtseins. Mit

441 dieser reflektiv-methodischen Maxime einer reinen → Eidetik war auch die deskriptive Psychologie Brentanos und seiner Schule definitiv überwunden, insofern sich die phänomenolog. Arbeit mehr und mehr auf bestimmte Aktsynthesen richtete und nicht auf einzelne Bewußtseinsakte, so daß die gegenstandsstiftende → „Konstitution“ von objektiven Einheiten immer stärker ins Zentrum rückte (Hua I, 76 ff.). Obwohl Husserl in seiner Spätphase auch wieder vermehrt psychologische Ergebnisse berücksichtigte, um daraus Ausgangspunkte für seine Abbauanalyse hinsichtlich der Triebintentionalität und Monadologie zu gewinnen, die dem Bewußtseinsleben nicht unmittelbar zu entnehmen sind (Hua XIII-XV), war es vor allem Merleau-Ponty, der eine Wechselbeziehung zwischen empirischer Psychologie und Phänomenologie betonte (Merleau-Ponty 1942). Zwar wendet auch er sich gegen psychologistische Mißdeutungen (Merleau-Ponty 1945,

Psychologismus 106 ff.), aber er sieht zwischen eidetischer und induktiver Erkenntnis aus konkreter Erfahrung eine Homogenität, wie es seine bes. Berücksichtigung der Gestalttheorie (ebd. 114 ff.) sowie der Kinder- und Entwicklungspsychologie zeigt (Merleau-Ponty 1953). Später trat auch die Psychoanalyse, Ethnologie und Linguistik hinzu, um Familienstrukturen und Spracherwerb phänomenolog. so zu analysieren (MerleauPonty 1988), daß dabei die situative Voraussetzung der Sachforschung selbst immer mit reflektiert wird (Waldenfels 1987, 188 ff.). Qu.: Brentano 1955. – Brentano 1959. – Hua I. – Hua IX. – Hua XIII. – Hua XIV. – Hua XV. – Hua XVII. – Hua XVIII. – HuaXIX/1. – Hua XIX/2. – Hua XX. – Merleau-Ponty 1942 (1976). – MerleauPonty 1945 (1966). – Merleau-Ponty 1953 (1973). – Merleau-Ponty 1988 (1994). – Lit.: Drüe 1963. – Conrad 1968. – Kockelmans 1987. – Olesen 1997. – RinofnerKreidl 1997. – Ströker/Janssen 1989. – Waldenfels 1983a, 142-217. RK

Q

Qualität. Bereits in den Ideen zu einer reinen Phänomenologie kritisiert Husserl das landläufige wissenschaftliche Konzept der Unterscheidung primärer und sekundärer Q.en. Diesem Theorem zufolge käme nur den primären Q.en, d. h. den meßbaren physikalisch-geometrischen Q.en, objektive → Wahrheit zu, während die sekundären Q.en, d. h. die Eigenschaften wie Farbe, Geruch etc., bloß subjektive Erscheinungen wären. In der Reduktion des Gegenstandes auf seine konstruierten meßbaren Q.en zeigt sich die neuzeitliche Tendenz, alle Q. letztlich auf → Quantität zurückzuführen, wobei mit Galilei das Bestreben einsetzte, auch die sekundären lebensweltlichen Q.en, zumindest indirekt, zu quantifizieren, wie es Husserl in der Krisis ausführt. Dieser Entwertung der qualitativen lebensweltlichen → Erfahrung läßt sich mit Husserl entgegenhalten, daß die mathematisch-physikalische Konstruktion der → Natur, die der naturwissenschaftlichen Betrachtungsweise zugrunde liegt, immer schon ein abkünftiges Konstrukt darstellt, dergegenüber die qualitativ erfahrene → Lebenswelt immer das Primäre bleibt. Ähnlich wie Husserl interpretiert auch Heidegger die → Metaphysik als Tendenz zur Auflösung der Q. in berechenbare Quantität. Von Q. spricht Reinach in Zusammenhang mit der Frage nach der Seinsweise des Allgemeinen. Dabei stimmt er mit Berkley darin überein, daß keine isolierten Vorstellungen von Unselbständigem, z. B. von allgemeinen Q.en, möglich ist. Die Farbe Rot ist

also nicht vorstellbar, ohne sie in einer ganz bestimmten Helligkeit vorzustellen. Dennoch ist an vielen roten Gegenständen die allgemeine Röte erfaßbar. Dies liegt Reinach zufolge daran, daß die allgemeine Röte eben selbst keine bestimmte → Farbe ist, sondern ein Moment an allen roten Gegenständen: „Es handelt sich bei allgemeinen Q.en um das Moment der Farbigkeit, nicht um irgendeine Farbe.“ (Reinach 1989) Es gibt also keine für sich existierenden Eigenschaften (z. B. Farben), wohl aber allgemeine Q.en, verstanden als gemeinsames Moment an Bestimmtem (z. B. Farbigkeit). In seiner Phänomenologie der Wahrnehmung zeigt Merleau-Ponty zwei mögliche Mißverständnisse des Phänomens der (sinnlichen) Q.en auf. Das erste besteht darin, die Q.en als objektive unmittelbar gegebene Tatsachen zu nehmen, die dann nachträglich verarbeitet würden; das zweite besteht darin zu glauben, die Bedeutung des erscheinenden Gegenstandes erschöpfe sich bereits in seinen sinnlichen Q.en. Demgegenüber betont Merleau-Ponty erstens, daß es keine objektiven, bedeutungsleeren Q.en gibt, da jede Q. immer schon in einer ganz bestimmten Bedeutung erscheint, und zweitens, daß die Qualitäten diesen ihren Sinn nicht einfach mitbringen, sondern daß sich dieser erst im immer schon waltenden Wechselspiel zwischen Subjekt und Objekt konstituiert. Qu.: Hua III/1. – Hua IV. – Hua VI. – HeiGA 2. – HeiGA 5. – Reinach 1989. – Merleau-Ponty 1945 (1966). MW

443 Quantität. Wie für Husserl in der Krisis-Schrift (Hua VI, 36 ff.) besteht auch für Heidegger einer der Grundzüge der neuzeitlichen Philosophie und der aus ihr entspringenden Naturwissenschaft darin, alle → Qualität in bloße Q. aufzulösen. Beispielhaft sei dies nach Heidegger an Descartes’ res extensa zu beobachten: „Im ausgedehnten Ding als solchem gründen zunächst die Bestimmtheiten, die sich zwar als Qualitäten zeigen, ,im Grunde‘ aber quantitative Modifikationen der Modi der extensio selbst sind.“ (HeiGA 2, 132) Aber diese Reduktion aller Qualität auf Q., die im Streben der → Meta-

Quantität physik nach Verfügbarkeit und → Verdinglichung gründet, verwandelt sich, wird sie in der → Technik aufs äußerste gesteigert, selbst zur Qualität und so zum Fingerzeig auf das Unverfügbare des → Seins: „Sobald das Riesenhafte der Planung und Berechnung und Einrichtung und Sicherung aus dem Quantitativen in eine eigene Qualität umspringt, wird das Riesige und das scheinbar durchaus und jederzeit zu Berechnende gerade dadurch zum Unberechenbaren.“ (HeiGA 5, 95) Qu.: Hua VI. – HeiGA 2. – HeiGA 5. MW

R Radikal. Bei Husserl ist Philosophie „Wissenschaft von den wahren Anfängen, von den Ursprüngen, von den rizomata panton“ oder „Wissenschaft vom Radikalen“ (Hua XXV, 61). Deshalb sind „Bodenständigkeit und Wurzelechtheit“ (Hua V, 161) ihre unentbehrlichen Bedingungen der Möglichkeit. Außerdem betont Husserl, daß sie „auch in ihrem Verfahren r. sein“ (Hua XXV, 61) muß. Da die → Epoché alle Voraussetzungen außer → Geltung setzt und einen Neubeginn ermöglicht, charakterisiert er sie als die „r.e und universale Methode“ (Hua I,). Mit ihr fängt eine Selbstbesinnung an, die r. ist, indem sie „mich zur absoluten Selbsterfassung, zu der meines transzendentalen Ego führt“ (Hua XVII 281). Durch diese Selbsterhellung zeigen sich Begründung aller → Wahrheit und Selbstverantwortung als Grundzüge der auf die Wurzel des Erkennens und praktischen Handelns zurückgehenden → transzendentalen Phänomenologie. Qu.: Hua I, 43-48, 60-61, 178-183. – Hua V, 159-162. – Hua VI, 269-276. – Hua VIII, 3-43. – Hua XVII, 280-283. – Hua XXV, 60-62. – Lit.: Fink 1966, 164-176. RW

Räumlich. → Raum Raum. Bei aller Verschiedenheit der Begründung darf allgemein gesagt werden, daß innerhalb der Phänomenologie die gemeinsame Tendenz besteht, die Räumlichkeit lebensweltlich zu fundieren, d. h. die Ergebnisse der Wissenschaften einschließlich der durch die Neuzeit geprägten philosoph. Tradition auf den Boden einer

ursprünglicheren → Erfahrung zu stellen. So gilt auch für Husserl, daß der physikalische R. nicht der „R. der leibhaftigen Wahrnehmungswelt“ ist (Hua III/1, § 40) und das R.-Apriori wie die Zeitlehre der → Geometrie auf R. und → Zeit als „Wesenformen dieser Welt als einer Welt überhaupt“ bezogen werden müssen (Hua XVII, § 92). Husserls Untersuchungen zum R. gelten vornehmlich dem Problem von dessen → Konstitution. Sie setzen dabei den Vollzug der phänomenolog. → Reduktion voraus und thematisieren somit die → Erlebnisse in deren → absoluter oder → reeller → Gegebenheit. Zur Klärung der Konstitution gehört es, die zur → Einheit eines Erscheinenden notwendig gehörenden Erscheinungsreihen intuitiv zu überschauen und theoretisch zu fassen; sie in ihrer eidetischen Eigenheit zu beschreiben; die Korrelation zwischen der Einheit des Erscheinenden und den Mannigfaltigkeiten der → Erscheinungen aufzuweisen (Hua III/1, § 150). Das gilt auch für die Einheit des R.s bzw. für die Raumkörperlichkeit oder Extension (mit dem cartesianischen Terminus res extensa). Die Regeln, auf Grund derer die Einheit der Mannigfaltigkeiten zustande kommt, entspringen der regionalen Idee des → Dinges. Daher fungiert die → Region → „Ding“ als transzendentaler → Leitfaden der Konstitution des R.s. Als visuelles Phantom bezeichnet Husserl dabei die Dinglichkeit in ihrer visuellen Gestalt und beginnt in seinen Untersuchungen zuerst bei dieser. Zum Wesen erscheinender Dinglichkeit gehö-

445 ren Zeitlichkeit und Räumlichkeit, d. h. das erscheinende Ding bewegt sich in der Zeit und füllt einen R. aus. Seine räumliche Ausdehnung ist die Raumform, die räumliche Fülle die Materie (kurz Raumfülle). Bei dieser werden zunächst die räumlichen konstituierenden Bestimmtheiten herausgehoben (mit Vorbehalt auch „materielle Bestimmtheiten“ genannt), welche die Raumform als deren materia prima ausfüllen und so das konkrete Ding konstituieren: Flächen, Ecken, Kanten, taktile Bestimmtheiten wie Glätte, Rauhigkeit, Klebrigkeit. Dazu kommen die Bestimmtheiten der materia secunda (auch „anhängende Bestimmtheiten“): Klang, Geräusch, Geruch, Gewicht u. a. empirische Eigenschaften dieser Art. Diese sind bezüglich der räumlichen Extension irrelevant, nicht so die konstituierenden Bestimmtheiten und deren Empfindungsinhalte (z. B. die Farbempfindungen). Hinsichtlich ihrer Räumlichkeit ist die ganze Dingerscheinung eine Erscheinungsextension. Zur Extension gehört die Zerstückung, wobei die der Erscheinung auch die Zerstückung des Dings in seiner phänomenalen Fülle zur Folge hat. Die konstituierenden Bestimmtheiten können den R. stetig erfüllen, so bei der Erscheinung einer gleichmäßig gelben Kugel, die sich ohne Diskontinuitäten abschattet; oder sie können ihn diskret erfüllen, so im Fall einer Kugel, die in verschiedenfarbige Felder geteilt ist. Für das wahrgenommene Ding ist sein räumlicher Zusammenhang mit anderen Dingen in einer ebenfalls wahrgenommenen dinglichen Umgebung wesentlich. Zu den dinglich wahrgenommenen Mitgegebenheiten gehört auch der → Leib im R. der Gesamtwahrnehmung, in der er eine ausgezeich-

Raum nete Stellung einnimmt: Von ihm gehen die Bestimmungen Rechts/Links, Oben/Unten, Vorne/Hinten aus. Die Erscheinung hat visuelle und taktuelle Komponenten, sodaß in gewissem Sinn von zwei Erscheinungen gesprochen werden kann, die allerdings einander durchdringen. Das visuelle wie das taktuelle Feld bilden einen Zusammenhang und sind beide für Dinglichkeit konstitutiv. Doch reichen beide zur Konstitution des R.s nicht aus, weil sich alle Räumlichkeit in einer → Bewegung konstituiert. Der Ausweis eines Raumkörpers erfolgt demnach in einer kinetischen Wahrnehmungsreihe, in der seine verschiedenen Seiten zur Erscheinung kommen. Voraussetzung dafür ist die Ortsveränderung des Körpers im R. oder die Bewegung des Eigenleibes oder beides. Zur vollen Konstitution von Räumlichkeit gehören somit außer den Gesichtsund Tastempfindungen auch die kinästhetischen Empfindungen. Der Begriff → „Kinästhese“ (griech. kinesis „Bewegung“, aisthesis „Wahrnehmung“) geht auf den englischen Assoziationspsychologen Bain zurück und wird von Stumpf übernommen, den Husserl seinerseits rezipiert und hinsichtlich der deskriptiven Befunde übernimmt. Der Begriff bezieht sich auf den am Wahrnehmungsfeld beteiligten Leib mit dessen entsprechenden Wahrnehmungsorganen (vgl. Hua VI, 108), die wesentlich zu aller Dingerfahrung gehören. Kinästhesen sind Komplexe aus dem Zusammenspiel der Augenempfindungen, der zum Kopf gehörenden Empfindungen, der Empfindungen des Oberkörpers usw. Sie ergeben zusammen ein Bildfeld, das sich mit jeder Veränderung des kinästhetischen Komplexes verändert. Die Identität des Bildfeldes ergibt sich dar-

Raum aus, daß man alle Umstände konstant hält und nur das Auge bewegt; dies ist die identische, rein „okulomotorische“ Seite des sich konstituierenden Objektes. Das zur Darstellung kommende Objektfeld gehört zu einer → Welt, d. h. zu einer mehr oder weniger bestimmten Umgebung und zuletzt in einen unendlichen R. Durch die innere Anordnung des → Feldes mit einheitlichen typischen Verlaufsformen entsteht das Bewußtsein einer geordneten Dingmannigfaltigkeit und der Welt. Der R. nun bildet den Ordnungszusammenhang der Dinge. Ein Ding hat vermöge seiner qualitativen Diskontinuität sein Sonderdasein in Abhebung zu anderen Dingen. Konstitutive Funktionen für den R. besitzen Dehnung (Annäherung und Entfernung) und Wendung (in der Dehnungsmodifikation nimmt das sich verändernde Bild ständig neue Inhalte auf). Im System der Dehnungen und Wendungen sind alle Orientierungen mit beschlossen. So entsteht aus dem zweidimensionalen bloß okulomotorischen Feld das dreidimensionale Raumfeld, wodurch eine dreidimensionale Objektivität konstituiert ist. Die Konstitution des R.s erfolgt somit in mehreren Stufen: „I. Konstitution des okulomotorischen Feldes. II. a) Die lineare Annähungs- und Entfernungsmannigfaltigkeit [Dehnung]; b) die zweifach zyklische Wendungsmannigfaltigkeit; c) Mischung [aus Dehnung und Wendung].“ (Hua XVI, 255) In der späten Abhandlung Idealismus – Realismus bestimmt Scheler den R. (analog zur Zeit) als ein Urerlebnis. Er geht dabei vom Erlebnis der Macht der Selbstveränderung eines lebendigen Wesens aus. Erst von den „Urbegriffen“ Wechsel, Bewegung, Veränderung her läßt sich der Sinn der Raum-

446 mannigfaltigkeit gewinnen. Die Erfassung eines Bewegungsphänomens gründet im Vorentwurf eines möglichen künftigen Orts der Bewegung. Der Ursprung des R.es aus der Bewegtheit von Lebewesen bedeutet aber, daß das Leben nicht etwas ist, das sich im R., sondern prozessual in der absoluten Zeit vollzieht. Erst indem sich der Lebensprozeß aus gestaltenden Funktionen aufbaut, verräumlicht sich das Leben. Im Gegensatz zu Kants Interpretation des R.es als einer Form der Anschauung ist für Scheler der R. daseinsrelativ auf das → Lebewesen im Menschen, d. h. dessen Triebsphäre (→ Trieb) wird ausdrücklich einbezogen. Die Dreidimensionalität des R.es geht in der natürlichen Weltanschauung auf die drei Richtungsmöglichkeiten (rechts/links, oben/unten, vorne/hinten) zurück. Bei Objektivierung dieser ursprünglichen Raumgegebenheiten zu einem Weltraum wird das Realitätserlebnis dergestalt modifiziert, daß es vom Dasein und Sosein des individuellen Menschen unabhängig wird. Indem der Umweltraum zum Weltraum wird, kann der Leibkörper in diesen ebenso wie alle anderen Körper eingeordnet werden. Binswanger geht in Zurückweisung der cartesianischen Interpretation des R.s dem eigentümlichen Modus des Einräumens im liebenden Miteinander nach und unterscheidet die „Räumlichung“ der → Liebe grundsätzlich von der gewaltsamen Einräumung eines Platzes. Einander gegenseitig R. geben in äußerster Weite und Freiheit bedeutet zugleich auch → Heimat und bringt mit dieser Vertrautheit und → Nähe. Oberstes Raumprinzip des liebenden Miteinanderseins ist das Wir, in dem Ich und Du einander zugehören.

447 Die Bestimmung des R.es in Heideggers Sein und Zeit bewegt sich im Umkreis der → Existenzialien Räumlichkeit, → Welt, → Dasein und Zeitlichkeit. Das Entdecken einer Welt (fundiert im → In-der-Welt-sein des Daseins) geschieht als Freigabe des Seienden auf eine Bewandtnisganzheit hin. Dieses umweltlich Zuhandene kann in seiner Räumlichkeit begegnen, weil das Dasein selbst räumlich existiert. Damit ist der R. in der Weltlichkeit der Welt erschlossen, das Dasein entdeckt vorgängig die → Gegenden, aus denen her es hinsichtlich seiner Seinsmöglichkeiten in der Welt bestimmt ist (so sind Kirchen und Gräber nach Sonnenaufgang und -untergang, den Gegenden von Leben und Tod, angelegt). Die jeweilige Gegend ist vorgängig zuhanden und dies noch unauffälliger als das Sein des Zuhandenen (→ Zuhandenheit), der R. ist hier verhüllt. Er ist in Plätze aufgesplittert, in die sich die Weltlichkeit der → Umwelt artikuliert. Das → Sein im R.e des Daseins muß aus dessen eigener Räumlichkeit begriffen werden. Diese gründet in seinem In-sein, dessen Räumlichkeit durch Ent-fernung und Ausrichtung charakterisiert ist. Entfernen besagt wörtlich ein Verschwindenmachen der Ferne, also Näherung (Seiendes in die Nähe bringen, es bereitstellen, zur Hand haben). Das Dasein als räumliches ist wesenhaft Entfernung. Damit hat es auch den Charakter der Ausrichtung, aus der wiederum die Richtungen rechts und links entspringen. Von diesen ist auch die Verräumlichung des Daseins in seiner Leiblichkeit bestimmt. Zur Bewandtnisganzheit – die das Sein des umweltlich Zuhandenen ausmacht – gehört Raumbewandtnis. Dasein läßt Seiendes begegnen, indem es ihm R.

Raum gibt (R.-geben verstanden als „einräumen“). Die Räumlichkeit des begegnenden Seienden kann thematisiert werden wie etwa beim Hausbau und in der Landvermessung. Darüber hinaus geht die formale Anschauung des Raumes, die im reinen Hinsehen die Möglichkeiten räumlicher Beziehungen entdeckt. Auf diese Weise werden die Gegenden der Umwelt zu reinen Dimensionen neutralisiert, die Umwelt wird zur Naturwelt. Indem Sein und Zeit die Zeitlichkeit als → Horizont der Seinserfahrung des Daseins freilegt, bleibt dies auch für die Räumlichkeit des Daseins nicht ohne Folgen. Sie gründet in der Zeitlichkeit, was jedoch nicht bedeutet, daß der R. aus der Zeit deduziert (d. h. in pure Zeit aufgelöst) wird. Die Frage stellt sich, wie Ausrichtung und Ent-fernung, welche die Räumlichkeit des Daseins ausmachen, auf dem Grunde der Zeitlichkeit möglich sind. Näherung und Ent-fernung gründen im Gegenwärtigen, aus dem das → Verfallen an das besorgte Zuhandene und Vorhandene entspringt. Das Verfallen des Daseins ist auch der Grund dafür, daß dem Räumlichen ein Vorrang in der → Auslegung der Daseinsmöglichkeiten zukommt. Diesen Versuch in Sein und Zeit, die Räumlichkeit des Daseins von der Zeitlichkeit her zu bestimmen, weist Heidegger nach der → „Kehre“ als unhaltbar zurück (ausdrücklich Heidegger 1969, 24). Dies hängt mit einer vertieften Erfahrung des → Wohnens zusammen, das zwar schon im In-sein des In-derWelt-seins mit bedacht wird, aber erst durch die Bestimmung von Himmel und → Erde zum Tragen kommt. Dabei spielt die Rezeption Hölderlins eine maßgebliche Rolle, wenn jetzt in einer „merkwürdigen GeographieC (HeiGA 39, 104) die Erde als → Heimat er-

Raum scheint, die erst aufgrund der durch den Nihilismus erfolgten Zäsur wieder zum bloßen Wohnsitz wird. In dieser Blickrichtung bewegen sich auch Heideggers Gedanken zum R. in seinem Spätwerk. So bestimmt er diesen ein weiteres Mal vom Räumen her, nun aber als Freigabe für das Wohnen des Menschen. Räumen meint: „ roden, freimachen, freigeben ein Freies, ein Offenes“ (1996, 13). Im Einräumen werden Dinge freigegeben, an die sich das Wohnen verwiesen sieht. Die Dinge sind hier als → Orte erfahren, die durch die Plastik ins → Werk gebracht werden: „Die Plastik: die Verkörperung der → Wahrheit des Seins in ihrem Orte stiftenden Werk.“ (HeiGA 13, 210) Finks Ausführungen zum R. gehören in seine kosmologische Dialektik von Himmel und Erde, Welt und Ding. Seine Interpretation von Heideggers Verfallen des Daseins zeigt dessen ontolog. Konsequenzen auf: daß ein binnenweltlich Seiendes zum Ausgangspunkt für die Bestimmung des Seins wird und damit Seiendes als Modell fungiert, in dessen Licht auch die Welt erscheint und in dieser Orientierung am binnenweltlichen Sein verstellt wird und daher ungedacht bleibt. Die Welt ist dagegen „das umgreifende und alles einbegreifende Raumganze und Zeitganze“ (Fink 1958, 151), das alle Räume und alle Zeiten umfaßt. Phänomene wie Helle und Stille zeigen auf Momente des R.es hin und sind ursprünglicher wie etwa das Modell eines Kruges, das sich immer noch am Innerweltlichen orientiert. Derartige Beispiele haben zur Folge, R. und Zeit als etwas Bewegungsloses anzusetzen, als fertig vorhandene Dimensionen, innerhalb derer so etwas wie Bewegung erst eintritt. Doch aller

448 phänomenalen (ontischen) Bewegtheit geht eine Grundbewegung voraus, in der die Phänomene aufgehen und untergehen. Fink stellt die Überlegung an, R. und Zeit seien gerade das Eigentliche an der Bewegung, indem durch das R.-geben Räume eröffnet werden und damit Seiendes eingeräumt wird, so wie durch das Zeitlassen allem Seienden seine Weile zugemessen wird. So ist von der Weltganzheit her die leitende Perspektive, aus der R. und Zeit bestimmt werden, zu verwandeln, und dies im Gegenzug zur Weltvergessenheit der seit Parmenides herrschenden Ontologie. In einem späten Manuskript unternimmt Patoˇcka den Versuch, das spatium ordinatum (den geordneten R.) als Form der materiellen Welt auf das spatium ordinans als die ursprüngliche Ordnung des gelebten, lebensweltlichen R.es zurückzuführen. Über die wissenschaftlichen Fragestellungen insbesondere der Neuzeit (von Descartes bis zur psychologischen Erforschung der Genese der Raumvorstellung) hinaus stellt sich für Pato cˇ ka die Frage nach dem realen R., indem Geschöpfe und Personen existieren. Der R. ist, für sich genommen, das Ordnungsschema der empirischen Dinge, als Konkretisierung des geometrischen R.es ist er aber das Produkt allmählicher Formalisierung, in der von allem Nichtgeometrischen gereinigt wird. Als formale Struktur ist er zugleich ein Konkretum, weshalb die entscheidende Frage danach geht, von welchem realen Geschehen der R. die formale Struktur ist. Diese Realisierung ist dort zu studieren, wo sie sich ursprünglich darbietet, nämlich in der Verbindung der Struktur mit einer Qualität, die mit einem Subjekt verbunden ist, das sich seinerseits in sei-

449 ner Umgebung orientiert. Das Verhältnis von Beziehungsstruktur und Subjekt stellt sich dergestalt dar, daß die Struktur das die Beziehungen realisierende Subjekt zur Voraussetzung hat, während umgekehrt dieses jene Struktur nur insofern voraussetzt, als es kraft ihrer zum Glied einer kosmischen Ordnung wird. Das Subjekt als Realisator von Beziehungen ist primär nicht erkennendes, sondern handelndes Subjekt (sein Wissen muß aus seinem Sein begriffen werden). Die den R. begründende Beziehung ist nicht selbst eine räumliche Beziehung als Glied eines geometrischen Netzes. Das Subjekt steht nicht in vorgegebenen Relationen, sondern es agiert als beziehendes, ist selbst ein Beziehen. Sein „Innen“ ist gleichermaßen „außerhalb“ (äußere geometrische Beziehung) als ein „in“ (als Disposition dazu, womit das Subjekt in Kontakt tritt und worein es verflochten ist). Ein Kontakt ist immer durch Auswahl möglicher Kontakte bestimmt, weshalb er wesentlich eine begrenzte Möglichkeit darstellt. Dadurch wird eine „Umgebung“ geschaffen. Patoˇcka versteht darunter „ein stationäres Gebilde, das wogt“ (Pato cˇ ka 1991, 92). Sie hat als Zentrum ein Ich und als Peripherie einen konstanten Horizont. Das Zentrum wird personal interpretiert: Es umfaßt das Du als ansprechende und das Ich als angesprochene Person, wobei dieses als das Innerste ein antwortendes Ich ist. Im Angesprochenwerden vom anderen her – der Umgebung wie dem Partner – erhält das Ich die Bestimmung seines Wo und damit Orientierung. Ursprünglich gegeben ist das Du, das Ich ist diesem bloß „beigegeben“. Im Verhältnis beider gründen Nähe und Ferne. Auch Dinge – das „Es“ – geben an, wo wir selbst sind. So bildet die „Ur-

Raum struktur“ Ich – Du – Es den ursprünglichen Charakter alles Innen. Das Wir ist jene Form der Nähe, die durch Annäherung zustande kommt, was die Vertrautheit der Gruppe ergibt. Allerdings entsteht die Annäherung nicht nachträglich durch Vereinigung der in Solidarität verbundenen Personen, sondern die ursprüngliche Verbundenheit im Wir geht der Beziehung voraus. Es ist der Lebenszusammenhang, der alle räumlichen Beziehungen stiftet, das ursprüngliche „Innen“ gibt der räumlichen Beziehung ihren realen Sinn. Es ist ein persönliches Innen, in dem alle Phänomene der Orientierung (wie oben – unten, vorne – hinten) fundiert sind. Die ursprünglich gegebene Ordnung wird in der Geometrie rationalisiert. Diesen Vorgang zeigt der Empirismus an den Sinnesfeldern auf, doch läßt sich deren Aufbau ebenso wie der Beziehungscharakter des R.es erst im Rückgang auf den persönlichen R. einsichtig machen. Dies tut Patoˇcka, indem er zumindest hypothetisch eine Strukturierung in zwei Bereiche vornimmt: in den kinästhetischtaktilen Bereich und den des visuellen Feldes. Hinsichtlich der → Bewegung zum Gegenstand bzw. zum Du eignet beiden eine Gegenläufigkeit. Im taktilen Kontakt liegt eine Art von Bemächtigung der Dinge, während im visuellen Feld die Dinge „durch die Gnade des Lichtes und der Welt“ von selbst da sind. Der kinästhetisch-taktile R. ist die Erde, die uns trägt, während der visuelle R. ein Himmelsraum ist, der aus der größten Ferne kommt (hier zeigt sich die Nähe Patoˇckas zu Fink). Damit wird die Ordnung der Sinnesfelder dem spatium ordinans eingefügt und die Begründung für das Bestreben, in fundamentaler Zugehörigkeit zum Leben sich den Dingen einzu-

Raum fügen (der „architektonische Drang“). War vordem die Beziehung als Phänomen des Ansprechens beschrieben, so zeigt sich nun die Ansprache als ein Bauen: „Die wesentliche Räumlichkeit des Seienden beruht ursprünglich auf der Ansprache und dem Bauen.“ (Patoˇcka 1991, 105) Erst darin sind die objektiven räumlichen Beziehungen fundiert. Einen besonderen Aspekt erhält dieses Bauen in der Bewegung des persönlichen R.es zu einer dauerhaften Lebensordnung, eine konstruktive Tendenz, die Patoˇcka als „sakrale Transsubstantiation“ bezeichnet. Sie besteht darin, daß die allumfassende Peripherie der Welt zum Zentrum des Subjekts wird, wodurch das Bedürfnis nach Orientierung einen absoluten Sinn erhält. Indem das umfassende Wesen der Peripherie ins Zentrum rückt, dringt das magische und sakrale Es in unseren gewöhnlichen R. ein, womit das Vertraute und Gewöhnliche endet. Pato cˇ kas Einbeziehung von Bachelards Poetik des R.es bleibt Referat, enthält aber wichtige Einsichten zu den Phänomenen des Hauses, der Wohnung und der Seßhaftigkeit. Merleau-Ponty leitet die organischen Beziehungen von Subjekt und R. vom → Zur-Welt-Sein des Subjekts her. Menschliche Existenz ist räumlich, ihr Sein ist Orientiertsein. Das Sein eines → Gegenstandes enthüllt sich nicht der → Reflexion, sondern dem Blick, dem der Gegenstand unter einem bestimmten Blickwinkel begegnet. Die Orientierung im R. ist das Mittel der Erkenntnis von Gegenständen, der R. selbst nicht mehr auf einen weiteren Grund zurückzuführen. Die leibliche Kommunikation des Subjekts mit der Welt ist in R. und → Wahrnehmung fundiert, die allem Denken vorausgehen. Ohne selbst zu erscheinen, ver-

450 leiht der R. jeder Umgebung ihre räumliche Bestimmtheit. In der → Erfahrung der Räumlichkeit drückt sich die Fixierung des Subjekts an die Welt aus. Für jede Modalität dieser Fixierung gibt es eine ursprüngliche Räumlichkeit. Dazu gehört die Räumlichkeit der Nacht, die eine Räumlichkeit ohne Dinge ist und das Subjekt umhüllt und beinah seine Identität auslöscht. Über ihre Erfahrung hinaus geht die Erfahrung umfassender Räumlichkeit in Schlaf und → Traum. In letzterem sind die Gegenstände in Bezug zu Atembewegungen und geschlechtlichen Regungen gesetzt, sie erscheinen im Traum nur noch in Gestalt von Bildern. Dazu gehören die Phantasmen des Mythos: Der mythische R. ist an großen affektiven Mittelpunkten orientiert, doch auch im Wachleben sind die Zentren an Lebensbedeutsamkeiten ausgerichtet. Wiederum anders zentriert ist der R. des Kranken, etwa eines Schizophrenen, dem jeder Spielraum entzogen ist. Alle diese anthropologischen Räume sind in ihrer Ursprünglichkeit anzuerkennen und nicht etwa auf den geometrischen R. rückzubeziehen. Gleichwohl sind sie nicht → Ausdruck einer isolierten Subjektivität, sondern bleiben stets einem primordinalen Naturraum verhaftet, an den sie alle umfassenden Untergrund einer einzigen Naturwelt. Schmitz hat hinsichtlich der Gesamtdarstellung wie einzelner spezieller Themen die wohl umfangreichste Untersuchung zum R. nicht nur innerhalb der Phänomenologie vorgenommen (summarisch Schmitz 1990). Seine Untersuchung setzt beim leiblichen R. an, der damit eine leitende Funktion für die gesamte Darstellung des R.es übernimmt. Zum leiblichen R. gehören → Enge und Weite und die

451 zwischen beiden vermittelnde Richtung. Der Weiteraum ist die niedrigste Schicht („Primitivschicht“) der Raumerfahrung. Vom Richtungsraum strahlen die leiblichen Richtungen aus, die aus der Enge des → Leibes in die Weite führen (Blick, Ausatmen, Gebärde, Schreiten, Greifen). Dadurch wird die Weite in Gegenden gegliedert – die zweite Schicht der Raumerfahrung. Ein Rückgang auf deren fundierende Schichten zeigt, daß der dreidimensionale Ortsraum (als dritte Schicht) nur auf der Grundlage des Richtungsraumes möglich ist, an dem wiederum der leibhaftige und der Raum der Gefühle unterschieden werden. Erst mit dem Ortsraum beginnt die Entfremdung des R.es vom Leib. Gefühle bestimmt Schmitz als räumlich ausgedehnt, wobei dies nicht im Ausgang vom Ortsraum, sondern von dessen fundierenden Vorstufen aus interpretiert werden muß. Gefühle sind Atmosphären und ähnlich wie das Klima räumlich. Die Dimensionierung des R.es geht von der Fläche aus und ist mit der dimensionalen Tiefe vollendet. Im Erleben des Normalmenschen durchdringen einander leiblicher R., Gefühlsraum und der dem Leib entfremdete Ortsraum. Integriert sind sie im Wohnraum. Die Wohnung ist Umfriedung im Gefühlsraum, Kultur der Gefühle im umfriedeten R., wozu im besonderen die „gemütliche Wohnung“ (System III/4) gehört. Qu.: Hua III/1, § 150. – Hua IV, § 13. – Hua XVI. – ScheGW 9 (Idealismus - Realismus). – Binswanger AW 2, I. Teil, Kap. 1.A.I. – HeiGA 2, §§ 22-24 u. § 70. – HeiGA 5. – HeiGA 39. – HeiGA 13, 203-210. – Heidegger 1996. – Fink 1957. – Fink 1958. – Patoˇcka 1991, 63-132. – MerleauPonty 1945 (1966, 284-346). – Schmitz, System III/1-5. – Schmitz 1990. – Schmitz

Recht 1998. – Lit.: Bachelard 1957 (1975). – Becker 1923. – Casey 1997. – Claesges 1964. – Drummond 1978-79. – Großheim 1995. – Guzzoni 1999. – Ströker 1977. HV

Reaktion. Die Situiertheit des Organismus widerlegt – Scheler zufolge – die mechanizistische These einer → Kausalität zwischen → Reiz und R. (ScheGW 14, 352); das „Leben“ bilde zunehmend differenziertere Reaktionsweisen aus (ScheGW 2, 167 ff.). Auch die Ausweitung der klassischen Reflexlehre im Behaviorismus Pawlows verfehlt nach MerleauPonty → „Struktur“ und → „Sinn“ des → Verhaltens. „Das Einsammeln von R. genügt kaum, um die innere Verhaltensgesetzlichkeit zu ergründen. [...] Jenseits der Tatsache der R. ist der Sinn dieser R., die innere Struktur des Verhaltens aufgrund der beobachtbaren Eigenschaften zu entziffern.“ (Merleau-Ponty 1976, 196 f.) Qu.: ScheGW 2. – ScheGW 14. – MerleauPonty 1942 (1976). – Merleau-Ponty 1945 (1966). – Merleau-Ponty 1953 (1973, 129226). – Lit.: Herzog 1992. EW

Recht. In der Phänomenologie Husserls und Heideggers ist das R. kaum oder nur marginal thematisiert worden. Es war Reinach, der das rechtsphänomenolog. Denken begründet hat. Dieses wurde von Rechtswissenschaftlern und Phänomenologen teils aufgegriffen, teils unterschiedlich fortgeführt. Es lassen sich in der Rechtsphänomenologie drei Strömungen festmachen: der realistisch-ontolog. Entwurf Reinachs, die logisch-positivistische Rechtsphänomenologie Kaufmanns und Schreiers und ihre transzendentallebensweltliche Ausprägung bei Gerhart Husserl. In Die apriorischen Grundlagen des

Recht bürgerlichen Rechts bestimmt Reinach das Versprechen als „sozialen Akt“, dem wesensmäßig → Anspruch und Verbindlichkeit entspringen. Das heißt: Gibt eine Person A einer anderen Person B ein Versprechen, welches diese vernimmt und annimmt, so entsteht allein aus diesem sozialen → Akt ein wesensmäßiger Anspruch des B auf Erfüllung des Versprechens, sowie eine ebensolche Verbindlichkeit in A, das Versprechen zu erfüllen. Dies ist die Grundfigur Reinachs, mit der er sich eine eigene Sphäre eröffnet, auf der man vom R. nicht als einer positiv gesetzten → Norm, sondern als einem „rechtlichen Gebilde“ sprechen kann, das unter Wesensgesetzen steht. Auf diese Weise begründet er eine apriorische Rechtslehre, die der These folgt, daß sich schlichte Seinsgesetze von rechtlichen Gebilden aufstellen lassen, die unabhängig vom positiven R. und auf Grund ihrer formalen Struktur auch nicht naturrechtlich sind. Mit dieser Methode stößt Reinach auf Grundbegriffe wie Anspruch, Versprechen, Verbindlichkeit usw., aus welchen sich analytisch die apriorischen Rechtssätze ableiten lassen, wie z. B.: ,Durch die Erfüllung der im Versprechen gegebenen Leistung erlischt der Anspruch notwendigerweise.‘ Reinach will seine apriorische Rechtslehre als eine selbständige Sphäre von Seinsgesetzen etablieren, in der überhaupt erst die eigentliche Möglichkeit positiv-rechtlicher Verhältnisse liegt: denn „das positive R. findet die rechtlichen Begriffe, die in es eingehen vor; es erzeugt sie mitnichten“ (Reinach 1989, 143). Kaufmann und Schreier entwickeln eine Rechtsphänomenologie, die sich am kritischen Rechtspositivismus Hans Kelsens orientiert und versucht, Hus-

452 serls logische Erkenntnisse für die Rechtswissenschaft fruchtbar zu machen. Das bedeutet, daß es für sie kein „rechtliches Gebilde“ gibt, das wesensmäßig aus einem Akt des Versprechens (also einem „Sein“) hervorgeht, sondern daß R. durch einen SollSatz, eine Norm, entsteht, die von einer normativen Autorität gesetzt wird. Das R. ist „gesellschaftliche Zwangsnorm“ und „soziale Technik“. Kaufmann bezeichnet die Rechtstheorie als die logische Grundwissenschaft vom Rechtssatz schlechthin. Der Rechtssatz ist nach Kelsen die Umformung der Norm in ein hypothetisches Urteil und somit in einen Satz der Rechtswissenschaft, welcher „wahr“ oder „falsch“ sein kann. (Normen hingegen können nur „gültig“ oder „ungültig“ sein, sie beschreiben ein Sollen, kein Sein.) Formallogik und phänomenolog. Wesensschau gelten als Grundlagen für die Erkenntnis des Wesens und der wesenhaften Struktur des Rechtssatzes. Darüber hinaus soll mit der phänomenolog. → Methode die Erstellung eines streng wissenschaftlichen Begriffsapparats für die Rechtswissenschaft gewährleistet werden. Schreier bestimmt das Wesen des R.s durch die obersten Sätze des R.s. Statt wie Kaufmann direkt in die wissenschaftstheoretische Begriffslogik jeder möglichen Theorie einzusteigen, versucht Schreier, über die phänomenolog. Trennung von Akt und → Gegenstand zum reinen rechterfassenden Akt aufzusteigen und somit die Wesensgesetze für die Rechtswissenschaft und für jedes mögliche R. zu bestimmen. „[I]m Rechtsakt erfassen wir R., in ihm wird es uns gegeben; wir sind intentional darauf gerichtet.“ (Schreier 1924, 13) Schreier orientiert sich am phänomenolog. Gesetz der Korre-

453 lation und untersucht den Rechtsakt, um seinen Gegenstand zu bestimmen. Der Rechtsakt hat den Gegenstand der Rechtsnorm. Das Erfassen der Rechtsnorm im Rechtsakt erfolgt in der Gestalt des Rechtssatzes, d. h. ,Diebstahl wird mit Gefängnis bestraft‘ wird erfaßt als ,Wenn eine Person stiehlt, wird sie mit Gefängnis bestraft‘. „Der Rechtsakt ist also ein eine Kenntnisnahme ausdrückender Akt, der Rechtssatz in doppeltem Sinne als Aussage und ausgedrückte Kenntnisnahme, ein Urteil.“ (ebd., 27) Gerhart Husserl versteht die Rechtsgeltung als die „Seinsform des Rechtes, vermöge deren der betroffene Sachverhalt den Charakter einer Rechtswirklichkeit erlangt“ (G. Husserl 1925, 1). Dem R. kommt Normwirkung nur zu, insofern es gilt – wird es aufgehoben, so ist es kein R. mehr: seine Seinsform ist zerbrochen. Die apriorische Bedingung des R.s ist also, daß es in die Seinsform der → Geltung gebracht werden bzw. „geltend gemacht“ werden kann. Dabei ist mit Sein bzw. der Seinsform des R.s keine → Faktizität oder eine historischeinmalige Tatsächlichkeit (→ Tatsache) gemeint, sondern ein „Sein eigener Art“ (ebd., 8), das sich durch die individuellen Bewußtseinsakte der Subjekte der Rechtsgemeinschaft herstellt. „Ein Rechtssubjekt, das einen Tatbestand als Rechtsnorm willentlich anerkennt, verleiht ihm damit den Seinswert einer intersubjektiven, dem eigenen Bewußtseinsstrome gegenüber transzendenten sozialen Wirklichkeit.“ (ebd., 8) Wir können vermuten, daß Edmund Husserls Ideen zum R. sich in der Rechtsphänomenologie seines Sohnes wieder finden. Husserl deutet eine „Phänomenologie des

Recht Rechtsbewußtseins“ (vgl. Spiegelberg 1959, 59) an – allerdings führt er diese nicht aus. Er definiert Rechtsregeln als „Zwangsregeln, d. h., es sind Normen, die jeder zur Rechtsgemeinschaft Gehörige als bindend anerkennt und deren Innehaltung durch Strafen erzwungen wird“ (Hua XIII, 106). Dieses auf Anerkennung einer transzendentalen Willensgemeinschaft beruhende Rechtsverständnis wird durch die vernunftrechtliche Tendenz ergänzt, die „Konstruktion eines philosoph. Rechtes“ (Ms. AII1, 6b) anzustreben. Bei Scheler stehen R.- und Unrechtsein in Beziehung zum Verhältnis des → Seins mit dem idealen Sollen. “„ ,Rechtsein‘ [...] besteht in der Koexistenz des Wertes, der idealiter sein soll, mit der Existenz dieses Wertes.“ (ScheGW 2, 216) Darüber hinaus gehören die → Werte des „Rechten“ und „Unrechten“ zu den geistigen Werten. Diese Werte bilden die letzte phänomenale Grundlage für die Idee der objektiven Rechtsordnung, welche unabhängig von aller positiven Gesetzgebung und der Idee des Staates ist. Eine positive Rechtsordnung, die gerecht sein will, muß den Wesenssätzen, die alles mögliche R. fundieren, genügen. Die → Fundamentalontologie Heideggers scheint keinen besonders guten Boden für die Thematik des R.s darzustellen. Denn die öffentliche → Welt und damit die Rechtswelt wird, so Maihofer, bei Heidegger nur als Verfallsform des → „Man“ angesprochen. Das bedeutet, daß die Existenzform der Rechtlichkeit/Öffentlichkeit der → „Eigentlichkeit“ des → Daseins im Ergreifen seiner eigensten → Möglichkeiten widerspricht und daher eine unwesentliche und unverbindliche Instanz darstellt. Maihofer versucht, über die Konstruktion des „eigentlichen

Rechtfertigung Man“ eine rechtsontolog. Fragestellung zu entwickeln. Er stellt die These auf, daß Dasein nicht nur Selbstsein ist, sondern ebenso gleichursprünglich gesellschaftliches Alssein: als Bürgerin, als Mutter, als Angestellte etc. Durch diese Dimension des Alsseins im Sinne des „eigentlichen Man“ soll die Möglichkeit eröffnet werden, die → Ontologie Heideggers rechtsphilosoph. urbar zu machen. Arendt, für die R. das Produkt politischen Handelns ist, hat insbesondere auf die Aporien der Menschenrechte hingewiesen. Die politischen Katastrophen des 20. Jh.s haben gezeigt, daß der Ausschluß aus der politischrechtlichen Gemeinschaft, also die Staatenlosigkeit, die schlimmsten Folgen hatte. „Vor der abstrakten Nacktheit des Menschseins hat die Welt keinerlei Ehrfurcht empfunden; die Menschenwürde war offenbar durch das bloße Auch-ein-Mensch-sein nicht zu realisieren.“ (Arendt 1986, 619 f.) Wo die absoluten und transzendenten Maßstäbe der Religion oder des Naturrechts ihre Geltung verloren haben, scheint die Nation die einzige Rechtsquelle zu sein. Deshalb plädiert Arendt für das „Recht, Rechte zu haben“ (Arendt 1986, 614), also für das R., zu einer politischen Gemeinschaft zu gehören. Die phänomenolog. geprägten Philosophen Frankreichs haben das R. in ein stärkeres Verhältnis zur Gerechtigkeit gestellt. Für den Alteritätsethiker Levinas impliziert die Beziehung zum Anderen Gerechtigkeit. Diese Gerechtigkeit beruht nicht auf einer Gleichheit, sondern auf dem absolut asymmetrischen Verhältnis (→ Asymmetrie) zum Anderen. Sie wird herausgefordert durch den Dritten, welcher die ausschließliche Verantwortungsbeziehung von mir zum Anderen unterbricht

454 und mir gleichzeitig verbietet, dem Unmaß der → Alteritäten mit einem berechnenden Gleichmaß zu begegnen. Das R. des Anderen ist demnach „praktisch unendlich“ (Levinas 1998, 17), die Gerechtigkeit unendliche Forderung der → Verantwortung. Bei Derrida implizieren das R. und die Gerechtigkeit als R. in ihrer Anwendung immer die Möglichkeit, mit oder auf Grund von → Gewalt durchgesetzt zu werden. Deshalb möchte er eine Gerechtigkeit denken, die keinerlei Bezug zum R. hat. Diese Gerechtigkeit fällt mit der Dekonstruktion zusammen. „Weil sie sich dekonstruieren läßt, sichert die Struktur des R.s [...] die Möglichkeit der Dekonstruktion.“ (Derrida 1991, 30) Die Gerechtigkeit außerhalb oder jenseits des R.s ermöglicht gleichfalls die Dekonstruktion, weil sie sich wie diese nicht dekonstruieren lässt. In diesem Zwischenraum der Dekonsturierbarkeit des R.s und der Undekonstruierbarkeit der Gerechtigkeit ereignet sich die Dekonstruktion, die „im Grunde stets Rechtsfragen, Fragen der Rechtmäßigkeit und der Berechtigung [...] aufwirft“ (ebd., 30). Qu.: Reinach 1989, 141-278. – Kaufmann 1922. – Schreier 1924 – G. Husserl 1925. – Hua XIII. – Manuskript AII1 (zitiert mit freundlicher Genehmigung des Husserl Archivs, Leuven). – ScheGW 2. – HeiGA 2. – Maihofer 1954. – Arendt 1951 (1986). – Levinas 1977 (1989). – Derrida 1990 (1991). – Lit.: Amselek 1964. – G. Husserl 1955. – G. Husserl 1964. – Kaufmann 1924. – Schapp 130-32. – Spiegelberg 1959. – Würtenberger 1969. SLO

Rechtfertigung. Da die Philosophie auf die Idee einer universalen → Wissenschaft gerichtet ist, bringt Husserl „das allgemeinste Prinzip der R.“ (Hua VIII, 32) zum Ausdruck, d. h. die For-

455 derung einer echten Begründung der → Erkenntnisse und → Normen aus der → Evidenz. Deshalb trennt er die Rechtfertigungsfragen, die sich an den Grund der → Gewißheit wenden, von den schlichten, auf die bloße Gewißheit gerichteten Fragen. Obschon die → transzendentale Selbsterkenntnis die Urquelle aller anderen Erkenntnis ist, unterscheidet Husserl vielerlei eigenartige Rechtfertigungsgestalten und zeigt, wie in ihnen die Evidenz jeweils „als letzte Rechtfertigungsquelle fungieren muß“ (ebd., 36). Qu.: Hua VIII, 3-10, 26-37. – Husserl 1939 (6 1985, 375-380). – Lit.: Mertens 1996. – Ströker 1987, 107-129. RW

Rede. → Sprache Reduktion. → Epoché und R. bilden ein Kernstück der Husserlschen Phänomenologie, weil durch sie der Gegenstandsbereich des reinen → Bewußtseins erst erschlossen wird. Eine erste Darstellung erfährt die R. 1907 und bezeichnet dort die Aufhebung alles „Transzendenten“ zugunsten der Bewußtseinsimmanenz (Hua II, 44 f.). Diese Regression auf das „reine Bewußtsein“ kann sich zu einem System von Einzel-R.en ausbilden, wobei die phänomenolog. oder → transzendentale Epoché als „einklammernde Urteilsenthaltung“ vorausgeht (Hua III/1, 61 ff.). Diese Terminologie erhält sich bis in die Krisis-Schrift, wo die Aufhebung der universalen Weltvorgegebenheit „die R. ,der‘ Welt auf das transzendentale Phänomen Welt“ bezeichnet und damit korrelativ auf die letztfundierende „transzendentale Subjektivität“ (Hua VI, 153 f.). Durch Epoché und R. findet eine „völlige Umstellung“ der natürlichen Welteinstellung statt, da das transzendentale → Ego im

Reduktion alltäglichen „Dahinwähren“ mit dessen mundanen Daseinsinteressen gar nicht wahrgenommen werden kann. In dieser Hinsicht spricht Husserl (Hua VIII, 110 f.) auch vom „Außer-Spielsetzen“ der lebensweltlich interessierten → Akte, während die KorrelatsObjekte dem „Ausschalten“ oder „Einklammern“ unterliegen. Die Entwicklung dieser auch transzendentalphänomenolog. genannten R. zwischen 1907 und 1913 (Hua III/1) besteht vor allem darin, die → Generalthesis der Welt nicht als ein bloß Hinzukommendes zu den Objekt-Transzendenzen auszuschalten (Ströker/Janssen 1989, 74-85). Es wird eine höherstufige R. gefordert, welche die Singularität der → Welt als → „Horizont“ aller seienden → Objekte betrifft. Da diese Welteinheitlichkeit alle möglichen Transzendenzen einschließt, bedeutet die R. zwar immer die Rückführung aller → Transzendenz, aber ohne die „Welttranszendenz“ selber als einen apperzeptiven Dingcharakter zu verstehen (Hua VI, 146 f.). Das transzendentalphänomenolog.reduzierte Weltphänomen ist als doxischer „Boden“ wie als teleologischer „Horizont“ zu erfassen, wobei deren Zuordnung die passiv-genetische R. als „Abbauanalyse“ impliziert (Hua XI, 117 ff.), in der die Weltdoxa als triebintentionaler → Habitus auftritt, d. h. als hyletisch schon vorfindbare und nie von uns „gesetzte“ → Gegebenheit (Kühn 1998a). Bildet die phänomenolog. wie transzendentale R. den „Cartesianischen Weg“, der sich „auf einen Schlag“ das reine Ego erschließt, um die Weltkonstitution von dieser apodiktischlebendigen Subjektivität aus aufzuklären (Hua I, 48 ff.), so läßt sich davon die „psychologische R.“ als Vorstufe

Reduktion wie Korrektur unterscheiden. Hierin wird das immanente Bewußtseinsleben ebenfalls deskriptiv erreicht, und zwar so, daß auch Erlebnisweisen wie z. B. im Hintergrundbewußtsein zugänglich bleiben, die ansonsten sofort der transzendentalen Einklammerung unterliegen (Hua IX, 98 ff., Hua XI, 148 ff.). Allerdings bleibt in solcher regional-psychologischen R. der Weltbezug unangetastet (Hua VI, 242 f.) und ermöglicht keine letzte transzendental-logische Wissenschaftsbegründung, die als Erkenntniskritik alle R.-Methodik bei Husserl leitet (Kern 1962). Sofern das reduktiv gefaßte Bewußtseinsleben in seiner Wesensstruktur erhellt werden soll, spricht Husserl von einer „eidetischen R.“, in der alle ontolog. Prädikate „als Wesensbestimmungen des regionalen Noema“ auftreten (Hua VIII, 109). Als → „Ideation“ zur apriorischen → Erfassung des „Eidos“ ist der Ausgangspunkt hierbei das je Singuläre, das als „Exempel“ in Loslösung von seiner faktischen Vielheit angesetzt wird, um in freier → Variation das → Wesen an sich erkennen zu lassen. Ist die Erstellung von Varianten der Beginn der eidetischen R., so folgt innerhalb des im Blick behaltenen Ganzen solcher Mannigfaltigkeiten eine „überschiebende Deckung“, wodurch sich alle Varianten als Abwandlungen desselben Eidos erweisen (Hua III/1, 13 ff. Hua IX, 72 ff.). Verbleibende Bestimmungsdifferenzen gehen nicht in das notwendige „Was“ aller Varianten ein, das zur evidenten → Anschauung zu bringen ist. Da diese sich ohne faktische → Setzung eines existent gedachten Individuums vollzieht, ist solches Eidos reine Möglichkeitsform, die zugleich Wesensnotwendigkeit besagt. Sofern die phänomenolog. → Methode ins-

456 gesamt eine transzendental-eidetische → Analyse darstellt, um die apriorische → Möglichkeit aller → Erfahrung einschließlich der monadologischen Wesensgeschichte zu erfassen, gilt, „daß neben der phänomenolog. R. die eidetische Intuition die Grundform aller besonderen transzendentalen Methode ist“ (Hua I, 106). Die Problematik der R. ergibt sich nicht nur durch die oft gleichzeitige Verwendung ihrer verschiedenen Formen (Bernet/Kern/Marbach 1989, 56-84), sondern bes. beim Verhältnis von Primordialität/Fremderfahrung sowie → Lebenswelt/Transzendentalität. Eine „intersubjektive R.“ (Depraz 1995, 195 ff.) gelangt zu keiner mit dem primordialen Ego gleichwertigen → Gewißheit, weil im Unterschied zu meiner absolut-subjektiven „Eigenheitlichkeit“ das alter ego nur „appräsentiert“ werden kann, was eine „Entfremdung“ in die absolute Ich-Sphäre einführt (Hua I, 124 ff.). Fink hat solchen Entfremdungscharakter in der „Entmenschlichung“ des „uninteressierten Zuschauers“ aufgegriffen (Fink 1988, 33 ff.). Dabei wird nicht nur die habituelle Ich-Welt-Apperzeption als „Person“ aufgegeben, sondern das Streben des transzendentalen Ego nach Weltkonstitution überhaupt inhibiert, um eine letzte R. der Subjektivität i. S. eines reinen Selbst-Lebens zu ermöglichen. Da jeder Phänomenologe mit der Welterfahrung anhebt und in dieser keine „Vorzeichnung“ zur transzendentalen R. findet, erscheint deren Motivation als ein „freies Tun“ (Hua VIII, 22 f.). Dessen Schwierigkeit liegt aber darin, daß die Welt nur als „Thema“ ausgeschaltet wird, die vollzogene R. jedoch eine → Modifikation des Lebensvollzuges im ganzen bleibt und so ihre Einbettung in

457 die Lebenswelt beibehält. „Verweltlichung/Entweltlichung“ verhalten sich daher in der R. korrelativ (Hua VI, 180), insoweit bei Husserl der methodologische Primat der Schau immer auch Aufbaumöglichkeit von „Objektivität“ bedeutet (Sepp 1997, 111 ff., 305 ff.). Beim frühen Heidegger taucht die R. im Zusammenhang mit → Destruktion und Konstruktion auf (HeiGA 24, § 5), um das „Sein des Seienden“ selbst in seiner je besonderen phänomenolog. Eigenart zu sehen. Die R. relativiert u. a. Vorurteile wie → Verdinglichung, Selbstverständlichkeit, um als Destruktion für die Überholbarkeit der eigenen Interpretationen offen zu bleiben. Die Konstruktion entspricht einem Mehrsehen aus der → „Gelassenheit“ heraus, die sich dem Logos jedes Phänomens als solchem zuwendet (Koch 1992, 28 ff.). Heidegger hat diese Sichtweise kritisch gegenüber Husserls intentional-erkenntnisbesorgter R. gewonnen und in der Angstanalyse von Sein und Zeit (HeiGA 2, § 40) ebenfalls eine R. des Weltphänomens als → „Nichts“ für das → Dasein durchgeführt, die der Einklammerung der Husserlschen Generalthesis gleicht (Courtine 1990). Scheler verwarf jede R., die das → Apriori nur formal als „Voraussetzung“ erschließt „und nicht auf einen anschaulichen Gehalt einsichtig fundiert“ (ScheGW 2, 72). Ingarden sieht in der R. zwei Funktionen des einheitlich verbleibenden Ich: das Vollziehen der Generalthesis und die „Distanz“ zu diesem Akt, die ein „Ansehen-wollen“ impliziert. Damit soll z. T. im Anschluß an ConradMartius ein Wissensbegriff gewahrt bleiben, der keine absolute Ausklammerung des Realen erlaubt, weil mein

Reduktion immanentes Wahrnehmen ein existierendes „wahrgenommenes Erlebnis“ voraussetzt (Ingarden 1976, 19 f. u. 70 f.). Auch für Patoˇcka bleibt die → Welt ontolog. „als Urhorizont [...] die Bedingung der Möglichkeit des Selbst“, denn „das Ichliche“ wird in der R. nie an ihm selbst wahrgenommen, sondern nur als „Organisationsmittelpunkt einer universalen Erscheinungsstruktur“, die nicht auf das Erscheinende als solches zurückführbar ist (Pato cˇ ka 1975, 82). Diese Aporie der R. hatte schon Merleau-Ponty im Blick, wenn er „als größte Lehre aus der R. die Unmöglichkeit einer vollständigen R.“ nannte (Merleau-Ponty 1966, VIII). Im Ausgang von Bergson, Weber und Husserl erarbeitete Schütz eine Vielfalt von sinnhaften Lebensformen, die nicht aufeinander reduziert werden können, deren verschiedene Stufen aber die gemeinsame Struktur des „Erlebens“ besitzen, wie es sich bereits in der R. auf die durée erschließt (Schütz 1981, 79 ff). Ricœur macht ebenfalls sozialphänomenolog. auf die methodischen Bezüge zwischen R. und „Rückfrage“ im genealogischen Sinne bei Marx und Husserl aufmerksam (Ricœur 1978). Gegenwärtig wird die R. weitergeführt durch das phänomenolog. Grundprinzip: „Je mehr R., desto mehr Gebung.“ (Marion 1989, 303 f.; 1997, 251 ff.) Diese Radikalisierungen besonders in der frz. Phänomenologie (Kühn 1994, 448 ff.) führen zur Berücksichtigung einer sog. „Gegen-R.“, die auch Horizonthaftigkeit und Zeitlichkeit aufhebt, um das urphänomenalisierende Selbsterscheinen als immanent-affektives → Leben zu fassen (Henry 1997, 56 ff.).

reell Qu.: Hua I. – Hua XI. – Hua II. – Hua III/1. – Hua VI. – Hua VIII. – Hua IX. – Fink 1988 – HeiGA 2. – HeiGA 24. – ScheGW 2. – Ingarden 1976. – Patoˇcka 1975. – Merleau-Ponty 1945 (1966). – Schütz 1981. – Ricœur 1978. – Marion 1989. – Marion 1997. – Henry 1996 (1997). – Lit.: Bernet/Kern/Marbach 1989. – Courtine 1990, 207-247. – Depraz 1995b. – Kern 1962. – Koch 1992. – Kühn 1994. – Kühn 1998a. – Sepp 1997. – Ströker/Janssen 1989. RK

Reell. Husserl nennt denjenigen Bestand eines intentionalen → Erlebnisses, der in der phänomenolog. → Reflexion als dessen Komponente oder Konstituens zu finden ist, r. Zum r.en Bestand der Dingwahrnehnung gehören z. B. die Empfindungsdaten und deren „beseelende“ → Auffassungen, während das in ihnen identisch bewußte → Ding eine intentionale → Einheit ist, die nicht r. sondern eben intentional oder „ideell“ zu dem Erlebnis gehört. Nach Husserl sind die intentionalen Erlebnisse durch eine fundamentale Unterscheidung zwischen eigentlich r.en Komponenten und ihren intentionalen noematischen Korrelaten charakterisiert: Zu den ersteren gehören neben den hyletischen Daten die noetischen Momente wie Blickrichtungen des reinen → Ich, Erfassung des → Gegenstandes, Explizieren, Beziehen usw. Der Neologismus „r.“ kann somit im Gegensatz zu „real“ aufgefaßt werden, insofern es sich um Bestimmungskomponenten innerhalb der intentionalen Sphäre handelt. Qu.: Hua XIX/1, V. Unters. – Hua III/1, 41, 88, 99. TS

Reflexion. Auf Grund seiner reduktiven → Methode unterscheidet Husserl durchgehend „natürliche und tran-

458 szendentale R.“ (Philosophie) als Ausdruck entsprechenden Bewußtseinslebens (Hua I, 72 f.). Während das „Geradehin“-Wahrnehmen, Urteilen etc. die alltägliche Situation des Denkens kennzeichnet, richtet sich die philosoph.-erfassende R. auf die → Akte des Wahrnehmens etc. selbst. In der natürlichen R. stehen wir m. a. W. auf dem → Boden einer als seiend vorgegebenen → Welt, auf die wir uns doxisch beziehen. Durch die → Epoché wird die → transzendentalphänomenolog. R. in der → Reduktion zur Aufhebung dieses natürlichen Weltglaubens als → Generalthesis, um allein das transzendentale ego cogito zu beschreiben, wobei die natürlichen → Setzungen von Sein oder Nichtsein des reflektierenden Subjekts nicht mitvollzogen werden. Von Anfang an (Hua III/1, 68 ff.) hat Husserl dabei betont, daß das naive → Erlebnis im reflektiven Modus des Geradehin zwar verändert, aber nicht zerstört wird: Es wird vielmehr zum Gegenstand „objektivierender“ R., d. h. zum „Phänomen“ der Bewußtseinsimmanenz als Selbstexplikation des transzendentalen Lebens, das auf diese Weise vollständig „ausgelegt“ werden soll. Im Übergang von der natürlichen zur transzendentalen R. konstituiert sich also als eigenes phänomenolog. Erlebnis ein Erfahrungswissen, das deskriptiv zugänglich bleibt und uns die Kenntnis wie Erkenntnis der intentionalen Implikate erlaubt (Lembeck 1994, 23 ff.). Die R. in ihren verschiedenen reproduktiven Stufen wie → Retention, Wiedererinnerung etc. kann daher zum Titel für die → Erkenntnis von „Bewußtsein überhaupt“ werden, dessen → Modifikation alle Weisen immanenter Wesenserfassung in sich schließen muß (Hua III/1, 162 ff. u. 235 ff.). In-

459 sofern die R. die impressionalen Erlebnisse als cogitata gegenständlich macht, kann man auch sagen, daß sie auf der jeweiligen noematischen Stufe eine „Vorstellung von ...“ vermittelt. Die „Reflexions-Bestimmtheiten“ sind dabei solche, die dem intentionalen → Objekt durch den Rückbezug auf die jeweilige → Noese als „reflexive Blickrichtung“ zuwachsen, in der sie solche Bewußtseinsobjekte sind (ebd., 246 f.). Indem in all diesen Vollzügen das naiv-leitende „Interesse an der Welt“ in der phänomenolog.reflektiven → Einstellung über die reduktive „Ichspaltung“ zur Haltung eines „unbeteiligten Zuschauers“ wird (Hua I, 93 f.), ergibt sich die Möglichkeit, diese neue reflektive Einstellung wiederum zu reflektieren, was zu einer transzendentalen Methodenlehre der Phänomenologie führt, wie sie des weiteren Fink mit Husserl zusammen entworfen hat (Fink 1988). Dieser gesamte Weg einer letztlich → apodiktisch gewollten Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie über die phänomenolog. R. als Bewußtseinskritik strebt ein „Universum absoluter Vorurteilslosigkeit“ an, das zunächst nur der egologischen Bewußtseinssphäre verpflichtet war (Hua I, 74), später aber auch auf lebensweltliche Fundierung zurückgreifen mußte (Hua VI, 105 ff.). Da Heidegger das Husserlsche „Bewußtsein von . . . “ als intentionale → Transzendenz im → In-der-Welt-sein als solchem begründet sieht, ist das Erkennen und Bestimmen als R. kein spezifischer Akt mehr, sondern gehört zum Grundereignis von → Sein/→ Denken (HeiGA 2, 69 ff.; Lembeck 1994, 106 ff.). Die Unterscheidung von „gewöhnlichem und wesentlichem Denken“ betrifft dann die fundamentalontolog. Verfallenheit (→ Verfal-

Regel, konstitutive len) des → Daseins in das Seiende als dem scheinbar Nächsten, worüber die „Wahrheit des Seins“ vergessen wird (Kettering 1987, 47 ff. u. 149 ff.). Diesem Verfall des Denkens entgegenzuwirken, dient das „An-denken“, „anderes“ bzw. → „tautologisches“ Denken der Spätzeit bei Heidegger als Denken des Seins aus sich selbst heraus, d. h. ohne Bezug zur ontolog. → Differenz (Heidegger 1969). Merleau-Ponty mußte seinerseits die phänomenolog. Methode von der Tradition der französischen „Reflexionsphilosophie“ (Kühn 1993) absetzen, deren „Intellektualismus“ nicht die welt-leibhafte Verschränkung jedes rational gewollten Urteilsaktes berücksichtigt (Merleau-Ponty 1945, 37 ff.; Waldenfels 1983a, 161 ff.). Für Ricœur ist die R. als Philosophie durchaus stets Selbstreflexion (Ricœur 1969, 20 ff. u. 211 ff.), aber diese Reflexivität wird durch → Symbole, → Metaphern u. a. aus ihrer Abstraktheit befreit, um über den „langen Weg“ der hermeneut. R. – d. h. über Sprache und kulturelle Werke der Menschen – dem Verlangen des „Ich“ nach Einheit von R. und Intuition bzw. von Selbst und Zeichen zu entsprechen (Ricœur 1972, 268 ff.; Waldenfels 1983a, 266 ff.). Qu.: Hua I. – Hua III/1. – Hua VI. – Fink 1988. – HeiGA 2. – Heidegger 1969. – Merleau-Ponty 1945 (1966). – Ricœur 1969 (1973). – Ricœur 1972. – Lit.: Hoffmann 2001. Kettering 1987. – Kühn 1993. – Lembeck 1994. – Waldenfels 1983a. RK

Regel, konstitutive. Im Gegensatz zu Regeln, die ein Verhalten regulieren, das von diesen Regeln logisch unabhängig ist, steht der Begriff der k.n R. in der Sprechakttheorie für das, was dieses Verhalten als solches selber ausmacht. Ricœur knüpft an diesen Be-

Region griffsgebrauch an, unterscheidet aber im Blick auf den Akt des Versprechens k. R.n im Sinne von „Erfolgsbedingungen“ (ohne die das Versprechen als ein Sprechakt nicht existieren würde) weiter von „Erfüllungsbedingungen“, die das „Halten“ des Versprechens bzw. das Einlösen des gegebenen Wortes betreffen. Demnach liegt in der Tatsache, daß ein Versprechen gegeben wurde, logisch nicht schon die moralische Verpflichtung, es zu halten. Qu.: Searle 1969 (1971, 54 f.). – Ricœur 1990 (1996, 103, 322). BL

Region nennt Husserl jedes durch eine oberste sachhaltige Gattung umgrenzte Gebiet. Eine R. läßt sich nach ihrem Wirklichkeits- oder ihrem Möglichkeitsumfang betrachten: Je nachdem resultieren daraus die der R. zugehörenden empirischen Wissenschaften oder ihre apriorische regionale → Wissenschaft (→ regionale Ontologie). Jeder obersten materialen Gattung von empirischen → Gegenständen entspricht ein regionales → Wesen und demgemäß jeder regionalen empirischen Wissenschaft eine regionale Wesenslehre (z. B. der empirischen, auf die materielle Natur bezogenen Wissenschaft die → Ontologie der Natur). Das → transzendentale → Bewußtsein ist für Husserl die Ur-R. überhaupt, da in ihr alle anderen Seins-R.en gründen, sofern sich jede gegenständliche R. bewußtseinsmäßig konstituiert. Jede R. bietet den → Leitfaden für eine spezifische Untersuchung der Bedingungen ihrer Bewußtseinskonstitution. Qu.: Hua I, § 29. Hua III/1, §§ 9-10, §§ 1516. H0

460 Reinheit. Bei Husserl hat R. zwei nicht vollkommen voneinander trennbare Bedeutungen: Die phänomenologische R. (Hua III/1, 198, 207, 217) bedeutet einmal die Fernhaltung aller das dem → Bewußtsein Gegebene transzendierenden Deutungen (z. B. realen oder psych. → Apperzeptionen) und wird durch die phänomenolog. → Epoché oder → Reduktion als Absehen all dieser Deutungen erreicht. Dagegen bezeichnet die eidetische R. (ebd., 69) den Charakter des von allen empirischen Tatsachen gereinigten → Wesens und wird durch Wesensanschauung oder auch eidetische Reduktion erreicht. Diese Doppeldeutigkeit der R. hängt damit zusammen, daß die phänomenolog. Reduktion und die eidetische Intuition (Wesensanschauung) die zwei Grundmethoden der reinen Phänomenologie ausmachen. Qu.: Hua I, § 8, § 34. – Hua III/1. – Lit.: Bernet/Kern/Marbach 1989. TS

Reiz. Die phänomenolog. Psychologie positioniert sich erkenntnistheoretisch jenseits von Empirismus und Rationalismus. So findet sich bereits in der Biologievorlesung Schelers eine gegen Mach, Helmholtz und die klassische Reflexlehre gerichtete Kritik an einer mechanistischen Auffassung des Reizeinflusses auf das Bewußtsein (ScheGW 14, 336-339); Scheler differenziert später einen biologischen vom physikalisch-chemischen Reizbegriff, die beide im metaphys. fundiert sind (ScheGW 8, 288), und übt im Verweis auf die Situiertheit des → Leibes (→ „Milieu“, → „Umwelt“, → „Aufmerksamkeit“) Kritik an der Konstanzannahme (ebd., 318) sowie der These von der Proportionalität zwischen R. und der Gesamtreaktion des Nervensy-

461 stems (ebd., 290). Hieran anknüpfend führt Merleau-Ponty in seinen Frühschriften die → „Struktur“ ein, die die Beziehung zwischen R., → Reaktion und Situation herstellt (MerleauPonty 1976, 119). „Es gibt also eine gewisse von allen R.en relativ unabhängige Konsistenz unserer ,Welt‘, die eine Reduktion des Zur-Welt-seins auf eine Summe von Reflexen ausschließt; es gibt eine gewisse von allem willentlichen Denken relativ unabhängige Kraft des Pulsschlages der Existenz, die ebenso eine Reduktion des Zur-Welt-seins auf einen Akt des Bewußtseins ausschließt.“ (MerleauPonty 1966, 104) Qu.: ScheGW 8. – ScheGW 14. – MerleauPonty 1942 (1976). – Merleau-Ponty 1945 (1966). – Lit.: Herzog 1992. EW

Relevanz. Schütz verstand sich in erster Linie als Analytiker der Sozialwissenschaften. Er versuchte, den von Weber geprägten zentralen Begriff der verstehenden Soziologie, den Begriff der sozialen → Handlung und den Begriff des → Sinns eine epistemologische Fundierung zu geben durch ihre phänomenolog. Analyse. Mit Weber sieht Schütz die Aufgabe der Soziologie als Wissenschaft darin, ausgehend vom subjektiven Sinn individuellen Alltagshandelns (→ Alltag) den intersubjektiven und objektiven Sinnzusammenhang sozialen Handelns zu rekonstruieren. Schütz’ Aufmerksamkeit richtet sich auf die Genese von Sinnstrukturen, d. h. auf die Frage, warum in bestimmten Situationen des Handelns und der Erfahrung bestimmte Themen präsent, bestimmte Fragen thematisch sind, und andere nicht. Die Antwort darauf lautet für Schütz: auf Grund ihrer R.. Das Problem der R.

Relevanz ist das Problem der Auswahl, durch die aus der „Totalität der Welt“ bzw. aus einem verfügbaren Sinnuniversum bestimmte Sinngehalte herausgegriffen werden. Diese allvertraute Tatsache des Heraushebens von einzelnen Sinngehalten als Themen von Aufmerksamkeit und Interesse erklärt Schütz mit Gurwitsch, Bergson und James 1. aus der Tatsache des Bewußtseinsfelds und seiner Gliederung in Thema, → Feld und Horizont (Gurwitsch), 2. aus der Zeitlichkeit von Erfahrungsprozessen, die er in Rückgriff auf James und Bergson mit den Begriffen des Bewußtseinsstroms und der Dauer faßt, vor allem auch in Rückgriff auf Husserls Analyse des inneren Zeitbewußtseins. 3. Horizont- wie Zeitstruktur von Erfahrungen und Themen des bewußten Erlebens sind weiters wesentlich bestimmt durch den Umstand, daß wir uns – und hierin folgt Schütz MerleauPonty – um den Nullpunkt unseres → Leibes in Situationen vorfinden, in denen wir beständig in irgendeiner Weise tätig sein müssen, um unser Leben zu fristen; von hier ergibt sich das pragmatische Motiv, das bestimmt, was jeweils thematisch oder relevant wird. Das Problem der Wahl zwischen Deutungsalternativen klärt Schütz auf der Basis der fallibilistischen Prämissen der spätantiken Skepsis aus den Abstufungen dessen, was bei Karneades pithanon heißt, das Glaubwürdige, Plausible, das propabile: Demnach sei zu unterscheiden zwischen 1. einfachen Wahrscheinlichkeiten, 2. problematischen Wahrscheinlichkeiten und 3. bestätigten Wahrscheinlichkeiten. Schütz unterscheidet drei Typen von R.: 1. thematisch relevant ist, was situationsbedingt im Zentrum unserer Aufmerksamkeit steht. 2. Problematisch, und damit auslegungsrelevant

462

Repräsentation wird das, was sich den gewohnten Deutungsroutinen entzieht, und 3. motivationsrelevant schließlich ist alles, was den Verlauf des Handelns bestimmt. Nach Schütz sind die planbestimmenden Interessen des Handelns das Produkt eines sozial eingebetteten biographischen Prozesses, ebenso wie erworbenes Wissen auf die biographische Situation verweist. Sowohl Wissen wie Handeln sind also genetisch, strukturell und situativ bedingt. Qu.: Schütz 1970 (1971, 44 ff.)

EL

Repräsentation. R. ist ein zentraler Begriff in Husserls Phänomenologie der Erkenntnisstufen in den Logischen Untersuchungen. Als R. bezeichnet Husserl die Bewußtseinsinhalte in ihrer auffassenden oder intendierenden Funktion. Im Gegensatz zur → Präsentation, die die unmittelbare Selbstgebung eines anschaulich präsenten → Gegenstandes bezeichnet, beschreibt R. den Tatbestand der Vermittlung bzw. Stellvertretung eines Gegenstandes durch Zeichen unterschiedlicher Art. Ausgehend von der Feststellung, daß „jeder objektivierende Akt [...] eine R. in sich schließt“ (Hua XIX/2, 624), unterscheidet Husserl je nach dem Grad der Zeichenhaftigkeit eines intentionalen → Objekts zwischen intuitiver (eigentlicher) und signitiver (uneigentlicher) R.: 1. Bei der intuitiven R. „besteht ein innerer, notwendiger Zusammenhang zwischen der Materie und dem Repräsentanten“, so daß „als intuitiver Repräsentant nur ein Inhalt dienen [kann], der ihm ähnlich ist“ (ebd., 622). Die intuitive R. bestimmt Husserl als die ursprüngliche Form von R. überhaupt, da sie auf adäquate oder inadäquate Selbstgegebenheit (→ Gegebenheit) des Gegenstan-

des in der sinnlichen → Anschauung gründet. Im Fall der Adäquation von Intention und → Erfüllung sind „repräsentierender und repräsentierter Inhalt [...] identisch eines“ (ebd.), so daß es sich in diesem Fall eigentlich nicht um R., sondern um „endgültige Präsentation“ (ebd., 647) handelt. Wird dagegen der Tatbestand der perzeptiven → Abschattung berücksichtigt, so liegt intuitive R. i. S. einer partiellen Selbstdarstellung des Gegenstandes vor, wobei fraglich ist, ob sich das Verhältnis von → Perspektive und → Ding überhaupt als ein Verhältnis der R. betrachten läßt (Rang 1975). Wie Husserl in seiner „Kritik der ,Bildertheorie‘ “ (Hua XIX/1, 436-440) zeigt, liefert die intuitive R. in keinem Fall ein bloßes Abbild des intentionalen Objekts, sondern sie bezieht sich auf den Gegenstand selbst. Der Übergang zwischen intuitiver R. (als Selbst-Darstellung) und Präsentation (als Selbstgebung) eines Gegenstandes ist daher fließend. 2. Im Unterschied zur intuitiven besteht bei der signitiven R. „zwischen der Materie und dem Repräsentanten eine zufällige, äußerliche Beziehung“ (Hua XIX/2, 622). Als Modell für die signitive R. dient in den Logischen Untersuchungen die Bedeutungsintention, in der anstatt einer Ähnlichkeitsrelation eine rein symbolische Beziehung zwischen Zeichen bzw. signifikativer Materie und Referenzgegenstand besteht. Auch die signitive R. bleibt indirekt an die Anschauung gebunden, insofern das anschauungsleere Symbol als phys. Zeichenträger über eine materielle Seite verfügt: „Diese Anschauung des Zeichen hat allerdings mit dem Gegenstande des signifikativen Aktes nichts zu tun, d. h. sie tritt zu diesem Akt in keine Erfüllungsbeziehung“ (ebd., 619).

463 Qu.: Hua XIX/1. – Hua XIX/2. – Lit.: Münch 1993. – Rang 1975, 105-137. TR

Responsivität. Bei Waldenfels bezeichnet R. neben → Intentionalität und Kommunikativität einen Grundzug allen Verhaltens, d. h., jedes Verhalten wird als ein → Antworten aufgefaßt, das auf fremde Angebote und → Ansprüche eingeht. Waldenfels bezieht sich auf Mediziner wie Grote oder Goldstein, die Gesundheit als R. i. S. einer Antwortfähigkeit des Organismus in bezug auf die Umwelt und Krankheit als mangelnde R. bzw. Irresponsivität bezeichnen; im Gefolge spricht die Daseinsanalyse Blankenburgs von Hypo- und Hyperresponsiveness (Waldenfels 1994a, 457 ff.). In kritischer Anknüpfung an diese Tradition, an nicht-behavioristische Verhaltenstheorien und an „responsive“ Züge in der Phänomenologie (Husserls Affektionstheorie, Heideggers Anspruch-Entsprechungs-Modell, Merleau-Ponty und v. a. Levinas), aber auch in Auseinandersetzung mit Dialogphilosophien, Sprechakttheorie, Hermeneutik, Diskurstheorie, Foucault, Derrida und Lacan entwickelt Waldenfels eine „responsive Phänomenologie“, die in Antwortregister ihre bisher umfangreichste Ausgestaltung erfahren hat. Hintergrund ist der Ausgang von kontingenten → Ordnungen, die auf ein Außer-ordentliches bezogen sind, das sich als Überschuß i. S. einer Überfülle an Möglichkeiten und Ansprüchen zeigt (Waldenfels 1987). Im Vergleich zu Theorien der Intentionalität oder der Kommunikativität/Regularität findet eine Gewichtsverlagerung statt, da der Anspruch nicht in ein Sinn- oder Regeluniversum integriert werden kann, sondern

Responsorium als ein → Fremdes jede Ordnung überschreitet (Waldenfels 1994a, 327 ff.). Die responsive Phänomenologie ist daher eine Phänomenologie des Fremden (Waldenfels 1997a, 1998, 1999, 1999). Wichtige Strukturmomente der R. sind: Asymmetrie (Anspruch und Antwort konvergieren in keinem Gemeinsamen), Unausweichlichkeit (man kann nicht nicht antworten; der Anspruch entzieht sich der Unterscheidung von Sein und Sollen), Singularität (der Anspruch fällt nicht unter die Distinktion Besonderes und Allgemeines) und Nachträglichkeit (eine radikale Asynchronie untergräbt den Primat der Gegenwart) (Waldenfels 1998b, 45 ff., vgl. Waldenfels 1994a, 333 ff.). Die Theorie der R. und der „responsiven Rationalität“ versteht sich als Alternative zu Theorien, die das Fremde vom Eigenen her ableiten oder in eine allgemeine Vernunft einbetten (Husserl, Habermas, Hermeneutik); sie kritisiert aber auch Ansätze, die zugunsten der Einheit auf die radikale Asymmetrie und Pluralität von Anspruch und Antwort verzichten (Dialogphilosophie, Heidegger), den Anspruch zu einem reinen Anspruch sublimieren (Marion) oder bei der bloßen Verstreuung von Möglichkeiten stehenbleiben (sog. „postmoderne“ Ansätze). Qu.: Grote 1921. – Goldstein 1934. – Blankenburg 1988, 273-284. – Waldenfels 1987. – Waldenfels 1994a. – Waldenfels 1997, 61-86. – Waldenfels 1997a. – Waldenfels 1998. – Waldenfels 1998a. – Waldenfels 1999. – Waldenfels 1999a. – Waldenfels 2000. – Lit.: Därmann 1998, 461-544. – Fischer/Gondek/Liebsch 2001. – Gehring 2001, 371-407. – Giuliani 2 1999, 772-776. GU

Responsorium, leibliches, ein Begriff in der responsiven Phänomenologie

Ressentiment von Waldenfels, bedeutet „die Vielfalt und das Zusammenspiel leiblichkörperlicher Formen des Respondierens“ (Waldenfels 1994a, 464), wobei das Respondieren, d. h. das → Antworten auf fremde → Ansprüche, neben der → Intentionalität und der Kommunikativität einen Grundzug des Verhaltens ausmacht (→ Responsivität). Hintergrund sind phänomenolog. Leibtheorien (Merleau-Ponty u. a.), nach denen der → Leib an jeder Phänomenalität konstitutiv beteiligt ist. Waldenfels beschreibt verschiedene Dimensionen des leiblichen Antwortens wie Sensorik (Sehen, Hören, Tasten), Motorik, Ausdruck und Sexualität und zeigt, wie sich diese Funktionen des Verhaltens in ihrem Antworten auf die Erfordernisse der Situation zu einem l. R. zusammenfügen. Daher ist der Leib keine pure Eigensphäre, sondern im Leib sind Selbstbezug und Fremdbezug unauflöslich verquickt. Kulminationspunkt der Theorie des l. R.s ist die (mit Levinas gedachte) Analyse des → Antlitzes, von wo der fremde Anspruch ausgeht. Insofern geht es Waldenfels um ein Ethos der Leiblichkeit bzw. der Sinne. Qu.: Waldenfels 1994a, 463-537. – Waldenfels 1997a. – Waldenfels 1999. – Waldenfels 2000. GU

Ressentiment. Als terminus technicus wird der Begriff von Nietzsche geprägt (vor allem in Zur Genealogie der Moral). Er gibt Scheler Anlaß zu einer phänomenolog. Analyse dieser → Emotion im Hinblick auf ihre Bedeutung bei der Bildung moralischer Werturteile. Quellen des R.s sind das Rachegefühl, ferner Neid, Eifersucht und Konkurrenzstreben. Nietzsches Herleitung des christlichen Liebesgebots aus

464 dem R. weist Scheler zurück, dagegen seien die „moderne Menschenliebe“ (zu ihren wichtigsten Wortführern wird Comte gezählt) und die „moderne Gleichheitslehre“ durch das R. bestimmt. Denn hinter der Forderung nach Gleichheit steht der Wunsch nach Erniedrigung der Höherstehenden. Dazu kommt als für den Umsturz der → Werte bezeichnend deren Subjektivierung, indem die fehlende Objektivität des Wertes durch die allgemeine Anerkennung des subjektiven → Wollens ersetzt wird. Diese Umkehrung der Rangordnung hat zur gravierenden Folge, daß der Nützlichkeitswert über den Lebenswert gesetzt wird, d. h. „ein Vergessen der Zwecke über der Entfaltung bloßer Mittel“ (ScheGW 3, 147). Qu.: ScheGW 3, 33-147. – Lit.: Kanthack 1948. HV

Retention gehört innerhalb der Husserlschen Zeitanalyse des immanenten → Bewußtseins zur „absolut starren Gesetzmäßigkeit“, mit der ein momentaner → Eindruck noch in „frischer“ → Erinnerung gehalten wird, so wenn beispielsweise ein Ton, der soeben verklungen ist, noch als derselbe im Bewußtsein festgehalten wird. Damit ist die R. eine intentionale → Modifikation in der Sphäre reiner → Passivität, denn sie spielt sich ohne jede aktive Beteiligung des wach-ausstrahlenden Ichzentrums ab und unterscheidet sich somit von der gewollten Wiedererinnerung (Hua X, 29 ff. Hua III/1, 166 f.; Husserl 6 1985, 121 f.). In dieser ursprünglichretentionalen → Konstitution der immanenten Bewußtseinszeitlichkeit von → Vergangenheit, → Zukunft und → Gegenwart besitzt also jedes impressionale Bewußtsein ein original-

465 momentanes → Jetzt, das sich stetig in das Noch-bewußt-haben im Modus „So-eben“ wandelt. Diese R. des „soeben gewesenen Jetzt“ ist ihrerseits erneuten retentionalen Modifikationen unterworfen, so daß jede Bewußtseinsphase einer konkret „lebendigen Gegenwart“ eine retentionale Kontinuität als Strecke in sich schließt, die wiederum zu einer konkret-strömenden, retentionalen Vergangenheit wird, wenn die momentan-impressionale Gegenwart zu Ende ist. Auf der Seite des kommenden Erlebnisflusses entspricht dem eine passive → Protention leerer Zukunft. Diese zeitliche Gesetzmäßigkeit von R./Protention betrifft alle phänomenolog. → Gegebenheiten, d. h., auch alle noetischen Ichakte treten als zeitlich sich konstituierendes „Datum“ auf. Wendet das → Ich seine → Aufmerksamkeit vom → Gegenstand im Modus der kontinuierlichen Jetztfolge ab, um ihn trotzdem noch im Griff zu behalten, so ist dieses Im-Griff-Behalten keine bloße R., sondern die retentional abklingenden Phasen bleiben fungierende Bestandteile in einem konkreten Bewußtseinsakt. Nur als ein solches modifiziertes Bestandsstück läßt sich von der R. als einer „noch“ wirkenden → Aktivität sprechen. Der Unterschied von R. und Noch-im-Griff-Behalten besteht folglich darin, daß letzteres impressionale sowie retentionale Bewußtseinsgegenständlichkeiten betreffen kann bzw. Gegenständlichkeit in jedem möglichen Bewußtseinsmodus. Wendet das Ich seine intentionale Aufmerksamkeit von Impressionen wie R.en ab, so verbleiben diese weiterhin affizierend im Bewußtseinsfeld, aber in reiner Passivität, deren Abwandlungsgesetze dann den assoziativ-passiven → Synthesen unterliegen (Hua XI, 112 ff.;

Rezeptivität 169 ff.; 387 f.; 420 ff.). Die phänomenolog. Problematik der R. ist auf verschiedene Weise immer wieder herausgestellt worden (Bernet 1985, XI ff.; Husserl 6 , 57 ff.; Alter 1994), so wenn Derrida (1972, 1 ff. u. 31 ff.) daran die Unmöglichkeit einer „reinen Präsenz“ auf Grund der retentional erfolgenden „Nachträglichkeit“ (supplément, différance) festhält, bzw. Henry den Verlust – und daraufhin die Substitution – des rein-impressionalen Lebens der cogitatio durch die distanzierende Schau und Vorstellung (Henry 1990, 13 ff.; 1992, 70 ff.). Für Richir stellt sich bei diesem retentionalen „Urdatum“ die Frage, ob nicht besser im Anschluß an Merleau-Ponty von einem „phänomenolog. Erhabenen“ (sublime) im „Wildzustand“ zu sprechen wäre (Richir 1992, 58, 81 u. 215 ff.), sofern auf dieser Nadelspitze der Zeit die Schwierigkeit des Erkennens einer Empfindung gegeben bleibt (Tengelyi 1995, 75 f.). Qu.: Hua X. – Hua III/1. – Hua XI. – Husserl 1939 (6 1985). – Derrida 1972 (1988). – Henry 1990 (1992). – Richir 1992. – Lit.: Alter 1994. – Bernet 1985. – Bernet 1986, 31-112. – Tengelyi 1995. RK

Rezeptivität. (→ Spontaneität) Durch die genetische Erweiterung der transzendentalen Ästhetik Kants wird die Urteilssynthese als „sich selbst bekundende Geschichte“ von Hussserl (Hua I, 111 f.) bereits in die vorprädikative Unterstufe der → Passivität hinein verlagert, wodurch die → „Urstiftungen“ der R. zu einer „niederen Stufe“ der Spontaneität als → Aktivität wird (Yamaguchi 1982, 37 f.; Gehlhaar 1991, 145 ff.; Kühn 1998a, 8 ff.). Damit garantiert die R. im Rahmen eines universalen → Apriori der Erfahrungswelt schon eine → Einheit

Rezeptivität derselben auf der Stufe der passivrezeptiven Sinnlichkeit und nicht erst im Bereich der apperzeptiv-logischen Verstandes-Sponateität, wie Husserl dies noch in den Ideen I angenommen hatte (Hua III/1, 50, 62 f., 281 f.). Als „Grundform passiver Bewußtseinsverbindung“, d. h. als sinnliche → Synthesis, ist die R. daher kein unbedingtes Synonym für Passivität mehr, da sie auch die Zuwendung des aufmerkenden → Ich im Rahmen der rezeptiven → Leistung der → Erfassung als Antwort auf einen affektiven Reiz mitbezeichnet. Die R. schafft so erste Affektionseinheiten als assoziative Bewußtseinssonderungen, die dann von der prädikativen Spontaneität weitergeführt werden können (Hua XI, 65 ff.; Hua XVII, 275 ff.; Holenstein 1972, 115 ff.). Die Urteilsgegenstände der → Evidenz in ihrer Identitätseinheit als Seiende sind damit keine Stiftungen der aktiven Spontaneität, sondern doxische Gebilde der affektiv-rezeptiven Sphäre (Derrida 1990, 177 ff.), die als Wahrgenommenes allerdings nur in „Darstellungen“ gegeben sind (Farbe etc.) und nicht selbstgegeben wie die Verstandesgegenständlichkeiten. Kennzeichnet Husserl das „erfassende“ Herausheben von → „Gegenständen“ aus dem → Fluß sinnlichen Erlebens als „Rezeption“, dann liegt zwar in seinem Sinne eine urteilsmäßige Aktivität vor, aber noch kein thematisch „fundiertes“ Prädizieren als → Urteil im strengen Sinne, das „Titel für die Gesamtheit der objektivierenden Ichakte ist“ (Husserl 6 1985, 63; vgl. 287 f., 292, 296). Dies geschieht durch Eindringen des Wahrnehmungsinteresses in den zu „explizierenden“ Gegenstand mittels der Zuordnung von → Eigenschaften zu einem rezeptiv erfaßten Substrat „S“. In letzterem

466 Sinne sind folglich die „Verstandesgegenständlichkeiten [als] Ganzheiten einer höherer Stufe“ von den „Gegenständen der R.“ als „Vorkonstitution“ zu unterscheiden, sofern ihre „Erzeugung“ im prädikativen Tun des Ich „als einer spontanen Leistung“ wurzelt (ebd., 299; vgl. 130, 233). Findet dieser ursprünglich-gebende Sachverhalt durch die Spontaneität nicht statt, so bleibt der rezeptiv-konstituierte Gegenstand „bestenfalls als wahrnehmbar im Felde“, ohne Neues zu bilden (ebd., 301). Letztlich wurzelt der Unterschied der spontanen Verstandesgegenständlichkeiten und der rezeptiven Gegenstände in der Zeitlichkeit, da erste irreell, weil nicht an objektive Zeitstellen gebunden sind, während bei den „Empfindungsgegenständen“ der R. eine Einheit von Gegebenheitsund Wesenszeit vorliegt (ebd., 303 f., 388 f.). Nach Seebohm (1994, 69 ff.) schließt die gewöhnlich akzeptierte Husserlsche Sichtweise der → passiven Genesis als einer „Spontaneität und Aktivität“ ein transzendentalspekulatives Mißverständnis i. S. einer kantisch-fichteschen „SpontaneitätsKonstruktion“ nicht aus, weshalb auch Henry (1963, 213 ff.) das Schematismusproblem durch eine Gründung der Transzendenz in der → Immanenz zu lösen versucht: Als Horizonteröffnung muß das Bewußtsein zunächst absolutrezeptiv sein, um sich in dieser R. genau das selbstaffektiv geben zu können, was es sodann im Zurückkommen auf sich selbst als Zeit, Transzendenz oder Welt mit deren Inhalten empfängt. Diese Urphänomenalisierung des Selbsterscheinens kann sich nicht als distanzierende Schau vollziehen, sondern nur als R. des rein-passiven Lebens, in der sich die transzendentale Affektivität der Subjektivität samt

467 ihrer intentionalen Spontaneität begründet (Kühn 1992, 68 ff.). Erst dadurch gewinnt die R. einen effektivphänomenalisierten ontolog. Grund als reine Passivität i. S. einer Manifestationsweise sui generis, ohne in einem ontischen Abhängigkeitsverhältnis zur spontanen Transzendenzsphäre zu verbleiben (Henry 1992, 109 ff.). Qu.: Hua III/1. – Hua XI. – Hua XVII. – Husserl 1939 (6 1985). – Henry 1963. – Henry 1990 (1992). – Lit.: Derrida 1990. – Gehlhaar 1991. – Holenstein 1972. – Kühn 1992. – Kühn 1998a – Seebohm 1994. – Yamaguchi 1982. RK

Richtigkeit. Der Terminus R. ist eng mit dem Begriff der → „Wahrheit“ verbunden. So schreibt Husserl in den Logischen Untersuchungen: „Der Begriff der R. ist korrelativ mit dem der Wahrheit. Richtig ist ein Urteil, wenn es für wahr hält, was wahr ist; also ein Urteil, dessen ,Inhalt‘ ein wahrer Satz ist.“ (Hua XVIII A, 176) Bei Heidegger bezeichnet R. das Wesen der metaphys. (Adäquations-)Wahrheit (→ Adäquation). „Anfänglich“ werde die Wahrheit als → aletheia, als → Unverborgenheit, d. h. als das von sich her Erscheinen des Seienden gedacht, während sich bei Platon der Übergang zur metaphys. Bestimmung der Wahrheit als R., d. h. als adaequatio intellectus et rei vollziehe, die seitdem zum „Selbstverständlichen“ nivelliert wurde. Der Wandel im Wesen der Wahrheit, der sich mit Platon vollzieht, geschieht in der Bestimmung des in erster Linie Seienden als des beständig Anwesenden, d. h. der idea. Dem ständigen Anwesen der „Idee“ korreliert die „Fähigkeit“ des Menschen, diese „Idee“ auch richtig zu erblicken. Im „richtigen Blicken“ (idein) gleicht sich das Blicken dem

Rolle „Aussehen“ (idea) des Anwesenden an: die Wahrheit wird zur „Übereinstimmung des Erkennens mit der Sache selbst“ (HeiGA 9, 239) und, verstanden als „richtiges Blicken“, zu einer „Eigenschaft“ des Menschen. „Wahrheit wird [...] zur R. des Vernehmens und Aussagens [...]. In diesem Wandel des Wesens der Wahrheit vollzieht sich zugleich ein Wandel des Ortes der Wahrheit. Als Unverborgenheit ist sie noch ein Grundzug des Seienden selbst. Als R. des ,Blickens‘ aber wird sie zur Auszeichnung des menschlichen Verhaltens zum Seienden.“ (ebd., 231) „Von nun an wird das Gepräge des Wesens der Wahrheit als der R. des aussagenden Vorstellens maßgebend für das gesamte abendländische Denken.“ (ebd., 232) Qu.: Hua XVIII. – Hua XIX/2. – Hua XVII. – HeiGA 9. – Lit.: Pöggeler 3 1990. – Tugendhat 1969. MW

Rolle. Für Schütz gehört die R. in ein System von vorkonstituierten Typisierungen, die das Individuum nicht gemacht hat, sondern als soziales Erbe überliefert bekommt. Seine private Situation wird durch die Wahl der Einstellung bestimmt, um die R. in der Gruppe zu erfüllen. Das institutionalisierte Muster definiert den Sinn der R. Die sozialen R.n des Individuums sind ihrerseits in private Relevanzstrukturen eingebettet, die für den Einzelnen von höchster → Relevanz sein können, während sie für die Gruppe irrelevant sind. Die Bestimmung der eigenen R. ist nur in freiwilligen Gruppen (Partner, Beschäftigung, Nationalität, Religion) möglich, nicht in unfreien, „existentiellen“ Gruppen (Geschlecht, Rasse, Geburtsort). Qu.: Schütz GA II, 203-255.

HV

S Sache selbst. Husserl hat eine Forderung von entscheidender Bedeutung für die Phänomenologie gestellt: „Wir wollen auf die ,S.n.s‘ zurückgehen“ (Hua XIX/1, 10). Die Forschungsmaxime „Zu den S.n.s“ verlangt, sie „in ihrer Selbstgegebenheit befragen und alle sachfremden Vorurteile beseitigen“ (Hua III/1, 41). Da das letzte Wort der Arbeit an originär gebenden → Anschauungen zu belassen ist, sind deduktive Argumentation, theoretische Erklärung, überlieferte Interpretation und spekulative Konstruktion ausgeschlossen. Der Begriff der S. steht nicht nur für empirische → Tatsachen, sondern greift auf reine → Wesen, kategoriale Gegenständlichkeiten usw. über, d. h. auf alles, was im Sehen zu originärer → Gegebenheit kommt. Wird der Zugang zu den S.n.s für Husserl nur durch die Bewußtseinsanalyse ermöglicht, so ist die Maxime zu einer wesentlichen → Wissenschaft von ihnen als → transzendental gereinigten Phänomenen zu führen. So vertritt er ein Ideal der Wissenschaftlichkeit, für die nur das gilt, was „durch Rückgang auf die S.n.s oder Sachverhalte selbst in ursprünglicher Erfahrung und Einsicht“ (Hua I, 6) ausgewiesen werden kann. Im Gegensatz dazu weist Heidegger darauf hin, daß „der bornierteste Dogmatismus“ sich hinter der Maxime verbergen könnte, da sie „eine ganz bestimmte Auslegung“ (HeiGA 17, 60 sowie 274) erfahren habe, die mit vorgefaßten Meinungen belastet sei. Denn das freie Begegnenkönnen der S.n.s. sei verhindert, wenn die Sorge um eine gerechtfertigte, letztgültige → Erkenntnis die Ausbildung

des Bewußtseins als Thema der Phänomenologie motiviere. Demnach versucht Heidegger „hinter diese Theoretisierung zurückzugehen, um aus dem Dasein selbst die mögliche Grundstellung neu zu gewinnen“ (ebd., 269). Dies bedeutet, daß „Sorge als Wie des Daseins in der Sorge des Erkennens“ (ebd., 279), d. h. der Seinscharakter des → Daseins zunächst expliziert werden muß. Qu.: Hua I, 6. – Hua III/1, 41-43. – Hua XIX/1, 10. – HeiGA 2, 52. – HeiGA 17, 57-60, 100-103, 266-279. – HeiGA 20, 103-108. – Lit.: Herrmann 1996, 277-289. RW

Sachverhalt. Mit „S.“ bezeichnet Husserl das Korrelat zum → Urteil, das mit diesem intentional Vermeinte: „Im Urteil ,erscheint‘ uns, oder sagen wir deutlicher, ist uns intentional gegenständlich ein Sachverhalt.“ (Hua XIX/2, 461) Allerdings ist der S. nicht immer mit dem → Gegenstand identisch. Gibt sich in der → Wahrnehmung ein Gegenstand leibhaft seiend, so urteilen wir auf Grund dieser Wahrnehmung, daß er ist. Wenn auch die Wahrnehmung entfällt, bleibt doch das Urteil bestehen, der in ihm vermeinte Gegenstand ist aber jetzt die Tatsache, daß er ist. Dieses „Objektive des urteilenden Vermeinens“ nennt Husserl den beurteilten S. (ebd., 462). Der S. bildet eine Geltungseinheit an sich, die auch unabhängig von unserer Stellungnahme ihre → Geltung behält. Ein identifizierender Urteilsakt hat zu seinem Korrelat die → Wahrheit eines S.s. Doch ist dieser nicht nur für Urteile ein Korrelat: „Dem ganzen Urteil entspricht

469 als voller und ganzer Gegenstand der geurteilte S., der als identisch derselbe in einer bloßen Vorstellung vorgestellt, in einem Wunsch gewünscht, in einer Frage gefragt, in einem Zweifel bezweifelt sein kann usw.“ (ebd., 416) Allerdings besteht hier ein Unterschied, als nicht das Ding gewünscht oder gefragt ist, sondern der S. (der Wunsch, das Messer sollte auf dem Tisch liegen, wünscht nicht das Messer, sondern „daß sich die Sache so verhalte“ ebd.). Formal-ontolog. gehört der S., wie die Ideen ausführen, zu den Kategorien der logischen Region „Gegenstand überhaupt“ (Hua III/1, § 10). Durch Daubert wird der Münchner Kreis um Lipps mit Husserls Logischen Untersuchungen bekannt. In einem Vortrag stellt Daubert dem Urteil und dessen Bedeutung den S. als etwas Reales gegenüber: Das Urteil kann wahr oder falsch sein, und es kann beliebig in den verschiedensten Zusammenhängen mit anderen Urteilen auftreten. Der reale S. ist niemals wahr oder falsch, sondern schlechthin, was er ist: „Der S. ist nur einmal da, und er bleibt immer in seinem bestimmten räumlich-zeitlichen Zusammenhange“ (zit. Smith 1992, 108). Reinach versteht im Anschluß an Husserl (und Daubert: Smith ebd.) unter S. das gegenständliche Korrelat des → Urteils. Er unterscheidet dabei (SW 1, 351 ff.) den Satz als die Bedeutung des zugrundeliegenden Gedankens; den Urteilsakt als zeitliches Geschehen; die Allgemeinheit „Urteilsakt“; den S., der zeitlich sein kann („Der Baum blüht“) oder außerzeitlich („2 x 2 = 4“); den Urteilsgegenstand. Zwischen diesem und dem S. muß jedoch weiter differenziert werden: Der Gegenstand existiert oder existiert nicht („der blühende Baum“),

Sage der S. kann positiv oder negativ sein („Der Baum blüht nicht“). Nur dem S. kommt, unabhängig von der Erfahrung, → Notwendigkeit zu. Er wird erkannt und baut sich auf → Akten der sinnlichen oder kategorialen Wahrnehmung auf. Wenn das Prädikat in der Natur des Subjekts gründet („Rot und Gelb sind verschieden“), kommt dem S. Notwendigkeit zu, andernfalls nicht („Rot und Gelb liegen nebeneinander“). Schapp erblickt im S. das Ergebnis einer Modifikation des Menschen zur Welt. Ursprünglich ist der Mensch in Geschichten verstrickt, eine Position, die sich in den Mythen von Homer und Hesiod noch deutlich zeigt, während mit den frühen jonischen Philosophen diese ursprüngliche Bedeutung zunehmend in Verlust gerät (und seither die abendländische Philosophie beherrscht, vgl. Schapp 1981, 223). Die Geschichten werden zu S.en, an die Stelle der Verstrickung des Menschen in Geschichten tritt die theoretische Stellungnahme. Im S. der Wissenschaft ist für Geschichten kein Platz, zugleich aber ist der S. kein Ersatz für Geschichten. Homers „Allgeschichte“ ist unwiederholbar, doch Schapps Ziel ist gerade der Entwurf einer solchen, „in der alle Völker und Kulturen Platz haben“ (ebd., 337). Qu.: Hua XIX/2, V. Log. Unters. §§ 2829. – Hua XIX/2, VI. Log. Unters. § 44. – Hua III/1, § 148. – Reinach SW 1, 279 ff., 347 ff., 351 ff. – Schapp 1981, III. Teil (bes. B, VI. Kap., 221 ff.). – Lit.: Mulligan 1989. – Smith 1992. HV

Sage. Um jede Bestimmung des Wesens der → Sprache auf anthropozentrische oder instrumentale Weise zu vermeiden, faßt Heidegger die S. weder ausschließlich als stimmli-

Sagen/Gesagtes/Ent-sagen che Verlautbarung (Sprechen) noch als menschliche Tätigkeit der Kommunikation auf, sondern leitet diesen Begriff vom althochdeutschen sagan ab, was soviel wie „zeigen“ und „erscheinenlassen“ heißt. Die S. bringt von sich her etwas zum Erscheinen, das sich der prinzipiellen Verfügungsgewalt des Subjekts entzieht. In diesem sprachlich verfaßten Sichzeigenlassen beruht alles Erscheinen: „Das Wesende der Sprache ist die S. als die Zeige.“ (HeiGA 12, 242) Der seinsoffene Mensch (→ Ek-sistenz) ist in das „alles-Bewegende“ der S. eingelassen; sie gewährt ihm das lichtendverbergende Aufgehen und Darreichen von → Welt, das sich als Zuspruch des → Seins ereignet, indem der Mensch dem Anspruch der S. entspricht: „Das einbringende Eignen, das die S. als die Zeige in ihrem Zeigen regt, heiße das Ereignen.“ (ebd., 247) Qu.: HeiGA 12, 241-250. – Lit.: Herrmann 1994b, 239-242. MF

Sagen/Gesagtes/Ent-sagen. Levinas unterscheidet das Sagen (dire) vom Gesagten (le dit). Das Sagen bedeutet die ursprüngliche Offenheit dem → Anderen gegenüber, die früher ist als jedes Gesagte und die sich nie im Gesagten aussagen läßt. Das Gesagte gehört zur Seinsebene, das Sagen hingegen bezeichnet das Jenseits-desSeins der ethischen Subjektivität, die auch als → Verantwortung und → Nähe bezeichnet wird. Diese Unterscheidung wirkt sich auf die Möglichkeit einer Rede über die → Ethik aus. Da sich das ethische Sagen nie ins Gesagte überführen läßt, muß jedes Gesagte zugleich „entsagt“ bzw. widerrufen (dédire) werden. Die → Sprache wird somit zum diachronischen Geschehen

470 zwischen dem Gesagten und dem Widerruf, das dem ursprünglichen Sagen nie zu entsprechen vermag. Qu.: Levinas 1974 (1992), 110-141 u. 334352. – Lit.: Wiemer 1988. BK

Scham (frz.: pudeur, honte). Vor allem Scheler und Sartre haben die phänomenolog.-ethische Sch.Problematik als Ausdruck des personalen Wertgefühls bzw. als objekthafte Fixierung durch den → Anderen analysiert. Während Scheler den selbstbehütenden Aspekt der Sch. (pudeur) als notwendiges Grenzgefühl des Bewußtseins zwischen „geistiger und seelischer Liebe und dem vitalen Grundtrieb auf Steigerung der Lebensmacht“ unterstreicht (ScheGW 10, 57 u. 90), herrscht bei Sartre die „Beschämung“ (honte) durch eine Situation von „höllischer Knechtschaft“ vor, dem Anderen nicht entrinnen zu können, weil mein Selbstbild mit dem beschämenden → Blick des Anderen unlöslich verbunden ist, und zwar in räumlicher Distanz, aber bei temporaler Gleichzeitigkeit (Sartre 1993, 457 ff.). Diese Ambivalenz von Liebe und Haß innerhalb des Sch.Erlebens ist in der neueren psychoanalytischen (Wurmser 1981; Seidler 1994) sowie psychotherapeutischen Diskussion aufgegriffen und als Sch.Angst bzw. Sch.-Reue mit kulturellen Implikationen analysiert worden (Kühn/Raub/Titze 1997). Qu.: ScheGW 1, 62-154. – ScheGW 10. – Sartre 1943 (1993, 457-538). – Lit.: Kühn/Raub/Titze 1997. – Seidler 1995. – Wurmser 1981 (2 1993). – Phänomenolog. Forschungen 14. RK

Schauen. Methodischer Grundbegriff in der Phänomenologie Husserls, der

471 gemäß der Maxime „Zu den Sachen selbst!“ ein vorbehalts- und vorurteilsloses Beschreiben der → Sachen selbst vor jeglichen, die Sachen selbst verdeckenden oder gar verzerrenden Theorien propagiert. Das Paradigma des „theoriefreien“ Sch.s richtet sich damit in erster Linie gegen eine metaphys. Spekulation im Stil des Deutschen Idealismus, welcher eine scheinbar hypostasierende „Begriffsromantik“ an die Stelle getreuen Beschreibens – geleitet allein von dem, was sich als Phänomen selbst zeigt und ausweisen läßt – gesetzt hat. Ist der Prozeß des Sch.s und der sich daran orientierenden → Deskription bei Husserl grundsätzlich am Paradigma der sinnlichen → Wahrnehmung orientiert (wobei hier meist die optische Wahrnehmung thematisiert wird), die das Seiende originär und „leibhaft“ gibt, so wird doch diese Erfahrungsart ausgedehnt auf den Bereich des Nicht-Sinnlichen, auf die sog. „kategoriale Anschauung“, die ebenso Anschauungsmaterial vorgibt, welches sich mit dem geistigen Blick erfassen und in „Wesensschau“ getreu beschreiben läßt. – Bei den zahlreichen divergierenden Tendenzen innerhalb der phänomenolog. Bewegung ist das Paradigma des unbefangenen S.s oftmals der kleinste gemeinsame Nenner geblieben. Qu.: Hua XIX/2, 2. Abschnitt. – Hua III/1, 24, 51. – Hua VIII, 14. – Lit.: Levinas 1930. SL

Schein ist als eine der Denotationen des altgriech. phainomenon ein Grundwort der Phänomenologie, deren Aufgabe Husserl stets darin gesehen hatte, zu erklären, wie die Welt dem Menschen „erscheint“. Seine Bedeutung ist freilich ambivalent, insofern Sch. nicht

Schein nur an → „Erscheinung“ im angesprochenen Sinn qua Phänomen partizipiert, sondern immer auch am „bloßen Sch.“ i. S. einer Illusion oder Täuschung. Die Wichtigkeit beider Bedeutungen für die Frage nach der → Konstitution unserer Erfahrungswelt hatte bereits Husserl selbst erkannt, wenn er etwa festhielt, daß „für eine Phänomenologie der ,wahren Wirklichkeit‘ auch die Phänomenologie des ,nichtigen Sch.s‘ ganz unentbehrlich“ sei (Hua III/1, 353). Dieser Einsicht folgend, differenziert Heidegger in Sein und Zeit gleich eingangs (HeiGA 2, § 7) die unterschiedlichen, wenngleich aufeinander verwiesenen Bedeutungssphären der Begriffe → „Phänomen“, „Erscheinung“ und „Sch.“ aus, so zwar, daß die letzteren beiden in ersterem „fundiert“ sind: Ist Phänomen „das Sich-an-ihm-selbstzeigende, das Offenbare“ (ebd., 38), so ist Erscheinung in erster Linie das „Sich-melden als Sich-nicht-zeigen“ (ebd., 40), während Sch. begriffen wird als jenes, welches „zeigt, was es an ihm selbst nicht ist“ (ebd., 38). Alle diese Formen des Sich-(nicht)-Zeigens sind „Begegnisart[en] des Seins“ (ebd., 49); noch im bloßen Sch., d. h. im Zustand der Verdecktheit oder Verschüttetheit des Phänomens, ist dieses anwesend: „Wieviel Sch. jedoch, so viel ,Sein‘.“ (ebd., 48) Dem Aufweis des „inneren Zusammenhangs von Sein und Sch.“ widmet sich auch ein größerer Abschnitt der Vorlesung Einführung in die Metaphysik, als zweiter Teil einer insgesamt vier Teile umfassenden Erörterung von Begriffspaaren im Ausgang von → „Sein“ (Sein und Werden, Sein und Denken, Sein und Sollen). Dabei knüpft Heidegger auch erstmals an den im Wort Sch. ebenfalls angelegten Bedeutungsgehalt von Scheinen

Schein als „Leuchten“ an, der später im Zuge der Kontroverse zwischen ihm und Emil Staiger um Mörikes Gedicht Auf eine Lampe eine Rolle spielen sollte (vgl. HeiGA 13, 93-109; Staiger 1955, 34-49). Wenn Sch. unter bestimmten Umständen „genau dasselbe wie Sein“ (HeiGA 40, 107) bedeuten kann, so hat dies seinen Grund darin, daß er wie die → Wahrheit qua → Unverborgenheit „als eine bestimmte Weise des aufgehenden Sichzeigens notwendig zum Sein gehör[t]“: „Das Sein ist als Sch. nicht minder mächtig denn das Sein als Unverborgenheit. [...] [Er] läßt nicht nur Seiendes als solches erscheinen, als welches es eigentlich nicht ist, der Sch. verstellt nicht nur das Seiende, dessen Sch. er ist, sondern er verdeckt sich dabei selbst als Sch., insofern er sich als Sein zeigt.“ (ebd., 116 f.) In ähnlicher Weise interpretiert Heidegger wenig später in der Vorlesung Nietzsche: Der Wille zur Macht als Kunst „Nietzsches Bestimmung der Kunst als Wille[n] zum Sch.“: „Das Sein, das Wahre ist nur Sch., aber ein Sch., eine Scheinbarkeit, die wesensnotwendig zum Lebewesen als solchem gehört. Weil das Reale in sich perspektivisch ist, gehört die Scheinbarkeit selbst zur Realität. [...] Die Realität, das eigentliche Sein, ist der Sch. im Sinne des perspektivischen Scheinenlassens“, und die Kunst als „der eigentlichste und tiefste Wille zum Sch., nämlich zum Aufscheinen des Verklärenden“ ist insofern zugleich „die höchste Gestalt des Willens zur Macht“. (HeiGA 43, 267 f., 269, 271) Im Unterschied zu Heidegger hebt Scheler in seinem Hauptwerk Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik das Phänomen dezidiert von jeglichem Sch. ab: „Auch wo wir uns z. B. täuschen in der Annahme, es sei etwas lebendig, da muß im Gehalte

472 der Täuschung uns doch das anschauliche Wesen des ,Lebens‘ gegeben sein. Nennen wir den Gehalt einer solchen ,Anschauung‘ ein ,Phänomen‘, so hat das ,Phänomen‘ also mit ,Erscheinung‘ (eines Realen) oder mit ,Sch.‘ nicht das mindeste zu tun.“ (ScheGW 2, 68) In konsequenter Anwendung dieser Festlegung unterscheidet Scheler in der Folge zwischen ästhetischen Werten, welche → Gegenständen zukommen, bei denen die „Realitätssetzung aufgehoben ist, die also als ,Sch.‘ da sind“ (ebd., 103), und ethischen Werten, „deren Träger niemals als ,Gegenstände‘ gegeben sein können“, insofern sie notwendig Personen bzw. Akte von solchen sind, und die zudem „real gegebene[r] Träger“ bedürfen (ebd.). Im Rahmen seiner Willensanalyse zieht Scheler den Sch. als Parameter heran, um zu bestimmen, ob es sich bei einem → Akt um einen Akt des → Wollens oder des Wunsches handle: „Zum Wunschgegenstand wird ein ursprünglicher Willensgegenstand, der an dem ,Tunkönnen‘ gescheitert ist. Erst diese prinzipielle ,Zurückstellung‘ des ursprünglich als Wollensgegenstand Gegebenen macht es zum ,Wunschgegenstand‘. [...] im Falle der Nichtreduzierung eines ursprünglichen Wollens zum ,Wunsche‘, trotz des erlebten Scheiterns des Wollens an der Sphäre des möglichen Tuns [muß] wenigstens als Phänomen die Realität (in Form eines ,Sch.s‘) des Gewollten eintreten.“ (ebd., 140) Endlich bestimmt Scheler – im Zuge seiner Erörterung des Verhältnisses der „intimen“ zur „sozialen Person“ und dessen Beschreibung nach verschiedenen „Nähestufen“ – die Gesellschaft als die Ebene des „sozialen Sch.s, d. h. die scheinhafteste Daseinsstufe des sozialen Seins“ (ebd., 551), was sich freilich in der Gesellschaft

473 selbst und durch sie am wenigsten zeige und erst dem phänomenolog. Blick sich eröffne. Qu.: Hua III/1. – HeiGA 2. – HeiGA 13. – HeiGA 40. – HeiGA 43. – ScheGW 2. – Lit.: Held 1985, 5-51. – Good 1998a. – Henckelmann 1998. – Staiger 1955. ARB

Schema. Nach Husserl gehören zum Sch. des → Dinges die Raumgestalt mit der über sie extendierten, sinnlichen Fülle. Das Sch. schreibt den Dingerscheinungen bestimmte → Regeln für die Größen-, Gestalt- und Lageveränderung vor. Außer Betracht soll die kausale Abhängigkeit von Umständen bleiben. Deshalb bleibt mit dem Sch. unentschieden, ob das Erfahrene ein materielles Ding oder ein bloßes Phantom sei. Für Heidegger ist das Sch. die Vorzeichnung der formalen → Struktur des zu jeder → Ekstase der Zeitlichkeit gehörigen Wozu. Die schematische Vorzeichnung stellt kein bestimmtes Seiendes dar, sondern bestimmt das Wohin des „über sich hinaus“ (HeiGA 2, 482) und so den ekstatischen Horizont der → Möglichkeit, innerhalb dessen ein bestimmtes Mögliches begegnen kann. Qu.: Hua III/1, 344-352. – Hua IV, 29-41. – HeiGA 2, 481-485. – HeiGA 24, 418-445. – HeiGA 26, 269-273. – Lit.: Claesges 1964, 35-54. – Greisch 1994, 345-348. RW

Schicht (frz.: couche). Aus der Husserlschen Phänomenologie als einem genetisch-statischen Stufenbau (Hua I, 114) ergibt sich eine phänomenale Schichtung sowohl in noematischer wie noetischer Hinsicht (Aguirre 1970; Süßbauer 1995), da auf allen Bewußtseinsebenen „Stufen der Wesensallgemeinheit, vom Individualwesen bis hinauf zur eigenen Region Ding“ (Hua III/1, 345) und darüber hinaus bis zum

Schicht Stufenbau der geistigen Welt als „höherstufigen Personalitäten“ (Hua XIV, 165 ff.) stattfinden. Dabei bildet „jede Stufe und jede Sch. in der Stufe“ eine eigene → Einheit, die wiederum als Mittelglied für die jeweilige Dingoder Gegenstandskonstitution fungiert, wie etwa das Verhältnis der schlichten → Wahrnehmung zur höheren Stufenordnung der intersubjektiven → Identität (Hua III/1, 352 f.; Hua XVI; Sokolowski 1970). Da die → Eidetik der synthetischen Stufen rein formal wie auch regionalontolog. begrenzt analysiert werden kann, gibt „diese Stufenfolge der formalen und materialen Wesenslehre [...] die Stufenfolge der konstitutiven Phänomenologie vor“, denn neben der reinen → Apophantik als Urteilslehre (Hua XVII, 93 ff.) bieten die materialen „Leitfäden“ gestufte Grundbegriffe für eine → Ontologie der → Natur, wie z. B. → Zeit, → Raum, Materie etc. (Rang 1990). Für die noetisch-intentionale Seite sind diese materialen Stufen zugleich „Indizes für Sch.en des konstituierenden Bewußtseins“, und zwar zusammen mit den mittelbaren Grundsätzen wie Zeitlehre, → Geometrie etc. (Hua III/1, 358 f.). Der Blickstrahl des reinen → Ich kann dabei innerhalb der „attentionalen Wandlung“ bald durch die eine, bald durch die andere noetische Sch. gehen. Beim Verbleiben innerhalb ein und derselben intentionalen Sch. wie Wahrnehmen, Erinnern etc. bleibt auch der fixierte noematische Bestand der entsprechenden Stufe erhalten (ebd., 212; Melle 1983). Für einen Urteilssatz ,S ist P‘ unterscheidet Husserl die „noematische KernSch.“ von den modal zuzuordnenden noematischen bzw. mundanen Charakteren (Hua III/1, 206 ff., 300 f.; Hua XV, 102 ff.). All diese synthetisch zu-

Schmerz sammengehörigen Sch.en und Stufen sind nicht nur → Leistungen des Ego, sondern sie „müssen sich (auch) in die universal verharrende Form der Zeitlichkeit einfügen“, so daß sich der Stufenbau der universalen → Genesis im entwickelten Ego „als ein verharrendes Formensystem der Apperzeption“ darstellt (Hua I, 114). In seinen späteren Forschungsmanuskripten weitet Husserl die „Geltungsschichten“ der ontolog. Weltstruktur in genetischtriebintentionaler Hinsicht auf die Animalität und Natur als latentes Monadenall aus (z. B. Hua XV, 615 ff.). Qu.: Hua I. – Hua III/1. – Hua XIII. – Hua XIV. – Hua XV. – Hua XVI. – Hua XVII. – Lit.: Melle 1983. – Rang 1990. – Sokolowski 1964. – Süßbauer 1995. RK

Schmerz. Für Scheler ein sinnlicher Gefühlszustand und dementsprechend – zum Unterschied vom Lebensgefühl – ausgedehnt und lokalisiert. Als leibliches Phänomen ist der Sch. von allen seelischen Phänomenen dadurch vor allem unterschieden, daß jener extensiv ist und diese intensiv sind. Sch.en sind deutlich ausgedehnt, breiten sich aus, wechseln den Ort – Bestimmungen, die für Trauer u. dgl. sinnlos wären. Jedoch ist der Sch. nicht im Raum und teilt diese Unräumlichkeit mit allem Seelischen. Obgleich Sch.en als Anzeichen bestimmter Zustände zweckmäßigen Charakter haben (mit anderen sinnlichen Gefühlen wie Appetit- oder Ermüdungsgefühl), fehlt ihnen der intentionale Charakter (der bei Vitalgefühlen vorhanden sein kann, bei den rein geistigen Gefühlen vorhanden sein muß). Aus der Zweckmäßigkeit des Sch.es ist keineswegs seine Sinnhaftigkeit abzuleiten. Er kann zwar zu einem tieferen Bewußtwerden seiner selbst Anlaß geben, was sich aber dann

474 zeigt, ist nicht durch den Sch. selbst bestimmt. Heidegger versteht den Sch. nicht als Empfindung oder Gefühl, sondern unter seinsgeschichtlicher Perspektive als „das ins Innigste Versammelnde“, verglichen mit Hegels Anstrengung des Begriffs (vgl. HeiGA 9, 404). Der Sch. betrifft den Abschied vom Alten, das Wandern in der Nacht – die als „Weltnacht“ durch das Wegbleiben Gottes bestimmt ist –, das Ertragen des „Fehls Gottes“. Schmitz interpretiert den Sch. durch zwei Hauptbegriffe seiner Phänomenologie der Leiblichkeit – als innerleiblichen Konflikt zwischen Engung und Weitung (→ Enge), als Drang, der gegen eine Hemmung weitend anschwillt und von dieser übermächtig zurückgedrängt wird. Diese Konkurrenz von Spannung und Schwellung, von Schmitz als „leibliche Ökonomie“ begriffen, ist labil und führt zu Akzentverschiebungen. Ist die Seite der Schwellung betont, entsteht Wollust, auf der Seite der Spannung ergeben sich Sch. oder Angst. Beide sind stets mit Grausamkeit verbunden; aus dieser Ökonomie erschließt Schmitz den Konnex von Selbstpeinigung (etwa in Beispielen des christlichen Asketismus). Qu.: ScheGW 2. – HeiGA 9. – HeiGA 12. – Schmitz, System I. – System II/1. – Schmitz 1992. – Lit.: Kross 1992. – Soentgen 1998. HV

Schönheit. Heideggers Deutung des Schönen und der Sch. setzt zunächst beim Kunstwerk an, dessen Wesen in einem Wahrheitsgeschehen beruht. „Das Kunstwerk eröffnet auf seine Weise das Sein des Seienden. Im Werk geschieht diese Eröffnung, d. h. das Entbergen, d. h. die Wahrheit des Sei-

475 enden. Im Kunstwerk hat sich die Wahrheit des Seienden ins Werk gesetzt“ (HeiGA 5, 25). → Wahrheit (→ Offenheit) als Geschehen der → Unverborgenheit – Heidegger denkt es als Zumal von → Lichtung und zwiefacher → Verbergung – ist jeweils Wahrheit des Seienden. Es gehört zum Wesen der Wahrheit, „sich in das Seiende einzurichten“ (ebd., 50). Und weil Wahrheit überdies nie ohne den Menschen geschieht, kann auch etwas menschlich Hervorgebrachtes – ein → Werk – zum → Ort des Wahrheitsgeschehens werden. Im Wesen der Wahrheit (Offenheit) liegt „der Zug zum Werk als einer ausgezeichneten Möglichkeit der Wahrheit, inmitten des Seienden selbst seiende zu sein“ (ebd.). Das Sich-einrichten der Wahrheit ins Werk geschieht als das Hervorbringen des Werks. Das Kunstwerk schildert nichts ab, sondern manifestiert das Sein des Seienden in der Weise, daß es die Offenheit, darin jegliches Seiende erscheinen kann, eigens miteröffnet. „Die Hervorbringung stellt dieses Seiende dergestalt ins Offene, daß das zu Bringende erst die Offenheit des Offenen lichtet, in das es hervorkommt. Wo die Hervorbringung eigens die Offenheit des Seienden, die Wahrheit, bringt, ist das Hervorgebrachte ein Werk“ (ebd.). Das Kunstwerk läßt nicht nur Seiendes erscheinen, sondern darin auch die Unverborgenheit eigens mit-erscheinen. Heidegger bezeichnet das als die Fügung des Scheinens ins Werk. Wo solches geschieht, ereignet sich die Wahrheit als Sch. „Das ins Werk gefügte Scheinen ist das Schöne. Sch. ist eine Weise, wie Wahrheit als Unverborgenheit west“ (ebd., 43). „Die Sch. kommt nicht neben dieser Wahrheit vor. Wenn die Wahrheit sich in das Werk setzt, erscheint sie. Das Erschei-

Schrift nen ist – als dieses Sein der Wahrheit im Werk und als Werk – die Sch. So gehört das Schöne in das Sichereignen der Wahrheit. Es ist nicht nur relativ auf das Gefallen und lediglich als dessen Gegenstand.“ (ebd., 69) Heidegger grenzt sich damit von der ästhetischen Deutung des Schönen ab. „Die Ästhetik nimmt das Kunstwerk als einen Gegenstand und zwar als den Gegenstand der aisthesis, des sinnlichen Vernehmens im weiten Sinne“ (ebd., 67). Die Ästhetik „ist Betrachtung des Schönen, sofern es im Bezug zum Gefühlszustand des Menschen steht“ (HeiGA 6.1, 75 f.), und bewegt sich in einer technischen Auslegung der Kunst und des Schönen mit Hilfe des Begriffspaares ,FormStoff‘ (ebd., 81). Mit ihrer Vollendung „ist die große Kunst zu Ende“ (ebd., 83). Daß die Kunst im 19. Jh. einmal zur Gegenbewegung gegen den Nihilismus und zum anderen zum Gegenstand der Kunstwissenschaft bzw. einer naturwissenschaftlichen Erklärung (ebd., 91) wird, ist ebenfalls eine Folgeerscheinung der ästhetischen Deutung des Schönen und der Kunst. Qu.: HeiGA 5, 1-74. – HeiGA 6.1, 66-91. GP

Schrift. (frz.: écriture) Innerhalb der Phänomenologie wird die Sch. nur selten und eher am Rande thematisiert. Doch schon in der I. Logischen Untersuchung mißt Husserl der Sch. eine besondere Bedeutung zu: Die Wissenschaft hat demnach nur in Form von Schriftwerken objektiven Bestand, der die Individuen, Generationen und Nationen überdauert. Dieser Gedanke kehrt beim späten Husserl wieder, wenn dieser wiederholt, daß ohne die Möglichkeit einer Dokumentation von

Schritt zurück Mitteilungen durch die Sch. die Objektivität idealer Gegenstände mit deren Erfinder hinschwinden würde. Die Sch. ermöglicht somit „virtuell gewordene Mitteilung“ (Hua VI, 371). Damit erreicht die intersubjektive Verständigung eine neue, höhere Stufe. Heidegger erblickt in der Hand den Wesensursprung der Sch. Die Hand gehört wie das Wort zur Wesensauszeichnung des Menschen. Denn sie entbirgt Verborgenes, „indem sie zeigt und zeigend zeichnet und zeichnend die zeigenden Zeichen zu Gebilden bildet“ (HeiGA 54, 125). Diese Gebilde liegen in der Sch. vor. Sie ist ihrem Ursprung nach Hand-schrift. Demgegenüber bedeutet die mit Hilfe der Schreibmaschine hergestellte Sch. den Einbruch der → Technik und den damit einhergehenden Wandel im Verhältnis des → Bezugs von → Sein und Mensch. „In der Schreib-maschine liegt der Einbruch des Mechanismus in den Bereich des Wortes.“ (ebd., 126). Derrida hat Husserls Text aus Hua VI (Beilage III: „Ursprung der Geometrie“) übersetzt und eingehend kommentiert (Derrida 1987). Er erkennt darin Hinweise auf eine „Phänomenologie des Geschriebenen“ (ebd., 120), deren Bedeutung darin liegt, daß die Idealität nicht mehr der Faktizität untergeordnet werden muß. In der Folge wendet sich Derrida gegen den Logound Phonozentrismus der abendländischen Metaphysik als einer Philosophie der Präsenz. In dieser Epoche wird die Sch. der Sprache untergeordnet, damit aber erniedrigt und in ihrer exzeptionellen Bedeutung verkannt (einen klassischen Text zur Schwäche der Schrift bietet Platons Phaidros 274c-275b). Die der Sch. ganz eigene Leistung liegt darin, kein bloßes Hilfsmittel der Wissenschaft oder besten-

476 falls deren Objekt zu sein. Vielmehr ist sie „allererst die Möglichkeitsbedingung für ideale Gegenstände und damit für wissenschaftliche Objektivität“, wie es unter ausdrücklicher Bezugnahme auf Husserl heißt (Derrida 1974, 50). In Derridas Grammatologie fungiert die Sch. nicht mehr als Zeichen, das für eine Sache steht, sondern als → Spur (wie er in Aufnahme eines Gedankens von Nietzsche schreibt). Der Begriff der Spur (la trace) drückt aus, daß sich mit der Aufhebung der Unmittelbarkeit des Gesagten ein Zeithorizont öffnet. Diese „Temporalisation“ fungiert als Möglichkeitsbedingung für das Verhältnis zum Anderen und für jedes sprachliche System. Die reine Spur oder Urschrift (architrace, archi-écriture) erbringt als jene Aufhebung stets auch einen Aufschub, wofür Derrida den Terminus „différance“ einführt (das lateinische differe in der Bedeutung von „aufschieben“). Qu.: Hua XVIII, § 6. – Hua VI, Beilage III. – HeiGA 54, § 5. – Derrida (1962) 1987. – Derrida 1967 (1972). – 1967 (1974). – Lit.: Bolz 1992. – Lawlor 2002. HV

Schritt zurück. Heidegger beschreibt den Charakter des Gesprächs, das er mit der Philosophiegeschichte führt, im Gegensatz zur „Aufhebung“ bei Hegel als „Sch. z.“ (Heidegger 1957a, 39). Dieser soll zum bisher übersprungenen Ungedachten leiten, „von dem her das Gedachte seinen Wesensraum empfängt“ (ebd., 38). Es handelt sich also um das Freilegen dessen, aus dem gedacht wurde, ohne aber selbst eigens gedacht worden zu sein (das → Sein in seiner ontolog. → Differenz zum Seienden). Der Sch. z. tritt aus dem bloßen Verfallensein an die Tradition heraus, um sie gerade eigens zu thematisieren und zu übernehmen. Statt das Gedach-

477 te in eine es überholende Systematik einzubeziehen, wird es dabei „in sein noch aufgespartes Gewesenes“ freigelassen. Dieses Vorgehen entspricht der in Sein und Zeit beschriebenen Methode der → Destruktion als der Freilegung der von der Tradition verdeckten „ursprünglichen ,Quellen‘ “, aus denen sie geschöpft wurde (HeiGA 2, § 6). Im Vortrag Das Ding fordert Heidegger den „Sch. z. aus dem nur vorstellenden, d. h. erklärenden Denken in das andenkende Denken“ (HeiGA 7, 183). Hier ist ebenfalls das Zurückgehen in die von ihm selbst verstellten Voraussetzungen des abendländischen vorstellenden Denkens, nämlich in die Dimension der → Lichtung und deren Entbergungsgeschehen, gemeint. Qu.: HeiGA 2. – HeiGA 7. – Heidegger 1957a. WF

Schuld. Scheler interpretiert den Schuldbegriff aus ethischer und später vor allem aus religionsphilosoph. Perspektive. Die Sch. gehört zum → Akt der Reue. Diese wiederum ist eine zielgerichtete Bewegung des Gemüts „auf jene Sch. hin, die sich im Menschen angesammelt hat“ (ScheGW 5, 47). Ziel einer solchen Bewegung ist die emotionale Entlastung: Die Sch. soll um des Heiles der → Person willen aus dem Personkern herausgelöst werden. Aus jener Bewegung folgt der Schmerz der Reue, indem der Druck, den die Sch. ausübt, steigt. Die Sch. selbst ist kein → Gefühl, sondern (wie die Reue) eine Aktqualität. Sie wächst dem Aktzentrum durch fortdauernde „böse“ Akte zu. Damit geht das Leben zunehmend verloren, wie es umgekehrt durch die Reue – der „die zentrale Funktion der Wiedergeburt“ zukommt (ebd., 55) – gewonnen wird. Obwohl

Schuld alles Böse nur durch eine Person verschuldet sein kann, ist damit nicht nur die individuelle Person gemeint, das Prinzip der „sittlichen ,Solidarität aller Personen‘ “ vorausgesetzt (ScheGW 2, 488). Daher versteht Scheler Reue wie Sch. auch als eine „sozial-historische Gesamterscheinung“ (ScheGW 5, 53) in ursprünglicher Mitverantwortlichkeit und in Gemeinschaft mit der gesamten moralischen Welt. In Heideggers → Fundamentalontologie gehören Sch. und Schuldigsein zur existenzialen Struktur des eigentlichen Seinkönnens. Das → Gewissen ruft das → Dasein zu seinem eigentlichen → Selbst auf. Dieser Ruf erschließt es in seiner Vereinzelung. Die aus der Alltäglichkeit kommende Auslegung des Gewissens besagt, daß das Dasein von diesem als schuldig angesprochen wird. Aus dieser Perspektive bedeutet „schuldig sein“: etwas im Bereich des Besorgens schulden. In weiterer Bedeutung kann Sch. sein an etwas „Ursache sein von“ meinen, aus beiden Bedeutungen geht hervor „an anderen schuldig werden“. Dem gegenüber ist die Idee von Sch. aus der Seinsart des Daseins zu begreifen. In dieser liegt der Charakter des „Nicht“; „schuldig“ erweist sich daher als „Grundsein einer Nichtigkeit“ (HeiGA 2, 376). Dies besagt in weiterer Folge, daß das Dasein seines → Grundes nie mächtig wird, wobei das Nicht dieses „nie“ seine → Geworfenheit konstituiert. Indem sich das Dasein auf → Möglichkeiten entwirft (und je entschiedener es dies tut), entgehen ihm andere Möglichkeiten. Gerade im Freisein für seine eigensten Möglichkeiten muß das Dasein es auf sich nehmen, solche entgangenen Möglichkeiten nicht gewählt zu haben. Im Gewissen ist es zu diesem eigentlichen Schuldigsein aufgerufen.

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Schweigen In dessen Anruf gibt es sich sein eigenstes Seinkönnen zu verstehen. So wird das Gewissen zur Bezeugung der Entschlossenheit, in welcher sich das Dasein auf das eigenste Schuldigsein entworfen hat und damit vor seine Situation gebracht sieht. „Entschlossenheit besagt: Sichvorrufenlassen auf das eigenste Schuldigsein.“ (ebd., 405) Ricœur sucht der „undurchsichtigen und absurden Eigenart der Sch.“ Rechnung zu tragen. Sie ist ihm zufolge kein „Zug der Fundamentalontologie“, sondern erfordert zu ihrer Beschreibung eine „Empirie des Willens“. Nun ist der Übergang von Unschuld zu Sch. nicht einer empirischen Beschreibung sondern einer „Mythik“ zugänglich: in den Mythen vom Sündenfall, vom Chaos u. dgl. Diese müssen „in die Welt ihrer eigenen Logik zurückversetzt werden“ (Ricœur 1960a/1971, 7). Sie verweisen ihrerseits auf eine Sprache des Bekennens, die, weil sie eine Symbolsprache (→ Symbol) ist, einer besonderen Hermeneutik bedarf. Die Empirie des Willens betrifft konkret den bösen Willen, womit sich die Frage stellt, an welchem Ort das → Böse in die menschliche Realität hereinbricht. Ricœurs Antwort: Es ist die Fehlbarkeit des Menschen (l’homme faillible), seine spezifische Schwäche, die in der Disproportion von Unendlichem und Endlichem gründet. Das Schuldbewußtsein enthüllt die Vergangenheit und Zukunft in einer Einheit. Die Entwürfe des Menschen sind auf Zukunft gerichtet, jedoch im Gedächtnis der Sch. auf die Vergangenheit bezogen; „der Entwurf, mit Gedächtnis angereichert, springt um in Reue“ (ebd., 14). So tritt das Vergangene im Bewußtsein der Sch. in die Gegenwart ein. Darin meldet sich in einer dunklen Erfahrung das Nichtsein (Ricœur un-

ter Bezugnahme auf Jean Nabert). Die Symbolsprache des Bekennens verhilft der Blindheit, der Zweideutigkeit und dem Ärgernis der Erfahrung des Mythos ans Licht: Die blinde Erfahrung, verschüttet unter Furcht und Angst, drängt zur Objektivierung im Wort; das Gefühl der Sch. (der Nichtigkeit des Personkerns) verlangt nach Aufklärung in die Verstrickung in Sch., Sünde und Schmutz; die Erfahrung, seiner selbst entfremdet zu sein, bricht in der Frage nach der Herkunft des Übels hervor. Qu.: ScheGW 5, 27-59. – HeiGA 2, §§ 5860, 62. – HeiGA 20, § 35. – Ricœur 1960a (1971, 7-16). – Ricœur 1960b (1971, 9-32). – Lit.: Opdebeeck 2000. – Vetter 1999. HV

Schweigen. → Sprache Sedimentierung. Unter S. versteht Husserl die „mannigfaltigen Erwerbe des früheren aktiven Lebens“ (Hua VI, 152), die zwar im aktiven → Bewußtsein vergessen, aber dennoch nicht wirkungslos geworden sind. Es sind einstmals aktiv konstituierte Sinne, die im Laufe der Zeit in Vergessenheit geraten, auf den Boden des aktiven Bewußtseins abgesunken und „nun dem passiven Hintergrund, dem ,Unbewußten‘ einverleibt [sind], das kein totes Nichts, sondern ein Grenzmodus des Bewußtseins ist“ (Husserl 6 1985, 336). Die S.en konstituieren einen Erfahrungshorizont, vor dem sich das aktive Leben abspielt, d. h. durch dessen Fungieren als Gesamtheit von Traditionen und → Erfahrungen die aktiven → Leistungen des Bewußtseins überhaupt erst einen Sinn, einen Stellenwert im Ganzen des (Bewußtseins-)Lebens bekommen. Durch explizite Reaktivierung können einzelne sedimentierte Gehalte aus der → Passivität auch wie-

479 der herausgelöst werden, aber in der Regel bleibt der Bereich der S. als dunkler Unter- bzw. → Hintergrund unthematisch. Besondere Bedeutung erlangt das Konzept der S. im Kontext der Untersuchung der Subjektivität. In diesem Kontext, v. a. in den Ideen II und den Cartesianischen Meditationen, spricht Husserl, wenn S.en gemeint sind, von „Ich-Eigenheiten“ (Hua I, ) und von → „Habitualitäten“ (vgl. bspw. Hua I, 70) oder → „Tendenzen“ (Hua IV, 255 f.), die den Kern des personalen → Ichs ausmachen. Im Konzept der S. läßt sich in der Entwicklung der Husserlschen Philosophie schon sehr früh ein in Ansätzen geschichtliches Denken erkennen. Qu.: Hua I. – Hua IV. – Hua VI. – Husserl 1939 (6 1985). CR

Seele. Die S. ist für Husserl zwar nichts Dinghaftes bzw. Naturhaftes, aber „als Einheit des seelischen Lebens verknüpft [...] mit dem Leib als Einheit des leiblichen Seinsstromes, der seinerseits Glied der Natur ist.“ (Hua IV, 137 f.) Den → Dingen steht also nicht die isolierte S. gegenüber, sondern die Leib-S.-Einheit. So gesehen ist die S., die immer nur in Verbindung mit dem → Leib gedacht werden kann, für Husserl die empirisch apperzipierte innerweltliche Subjektivität im Unterschied zur → transzendentalen reinen Subjektivität. Scheler definiert das Physische als dasjenige, was sich der äußeren Wahrnehmung erschließt, und als Psychisches all das, was sich der inneren Wahrnehmung zeigt. Dabei zielen die Vollzüge der äußeren Wahrnehmung auf ein „unbestimmtes Ganzes“, während die innere Wahrnehmung

Sein stets auf die „Totalität des Ichs“ bezogen ist. Patoˇcka spricht in Anlehnung an Platon von der S. als „Grundbewegung des Menschen“. „Dies, innerlich durch das Verständnis des für sich Guten in Bewegung gesetzte Vermögende, welches in seiner Bewegung dem an sich Guten entspricht, um sich selbst entsprechend zu gestalten, ist die S.“ (Pato cˇ ka 1988, 294) Pato cˇ ka zufolge gilt es sich auf Platos Seelenlehre zu besinnen, die die S. als das Prinzip des Lebens und als Erkenntnis des Seienden (sowie des reinen Seins jenseits der doxa im Lichte des → Guten angesehen habe. Qu.: Hua IV. – ScheGW 9. – ScheGW 12. – Patoˇcka 1975 (1988). MW

Sein. In einer vorläufigen Begriffsbestimmung weist Husserl in der VI. Logischen Untersuchung die Begriffe der → Wahrheit der Seite der → Akte, die Begriffe von S. i. S. von Wahrhaftsein den zugehörigen gegenständlichen Korrelaten zu. Der engere Seinsbegriff betrifft das S. von absoluten → Gegenständen. Der Ursprung des Seinsbegriffs liegt nicht – wie Locke gemeint hat – in der inneren Wahrnehmung, sondern in den Urteilserfüllungen selbst: „Das S. ist kein Urteil und kein reales Bestandstück eines Urteils.“ (Hua XIX/2, 668) Der Begriff des S.s kann nur entspringen, wenn uns ein S. – sei es wirklich oder imaginär – vor Augen gestellt wird. Husserl spricht in Analogie zur sinnlichen von der kategorialen → Anschauung (der Anschauung von → Kategorien wie S. und Nichtsein, Einheit und Mehrheit, Grund und Folge usf.). Die transzendentale → Reduktion legt die → Region des reinen oder absoluten → Bewußtseins als Residuum der Weltver-

Sein nichtung frei, d. h. das S. des Bewußtseins als → absolutes S. (nulla re indiget ad existendum, wie Husserl mit Descartes, Principia I, 51, formuliert). Die räumlich-zeitliche → Welt ist intentionales S. für ein Bewußtsein und von diesem gesetzt. Als radikalste aller Seinsunterscheidungen bezeichnet Husserl die des S.s als Bewußtsein und des sich im Bewußtsein bekundenden transzendenten S.s. Dieses ist nicht nur hinsichtlich dessen, daß es Bewußtsein von ihm gibt, Thema (in noetischer Hinsicht), sondern als das Gegebene in seinen Gegebenheitsweisen (in noematischer Hinsicht). In → Korrelation zueinander stehen die noetischen Charaktere (doxische oder Glaubenscharaktere) und die Seinscharaktere (die Seinsmodalitäten des möglich, wahrscheinlich, fraglich, zweifelhaft). Conrad-Martius erblickt die Grundbedeutung von S. im realen Sein als dem wirklichen Dasein, zu dem in Analogie alle anderen Seinsbedeutungen stehen. Das betrifft kategoriales und idelles S., zu diesem wiederum gehört das wesenhafte und zufällige S. (mit Aristoteles das on kath’ hauto und das on kata symbebekos), Wesen und Idee, das davon unterschiedene S. der idealen Gegenstände, die apriorischen Gesetze und das „SinnS.“ der Wesenheiten. Am realen S. unterscheidet die Autorin zwei Grundmodi: die hyletische und die pneumatische Substanz. Zur ersteren (von → hyle „Stoff“) gehört die ganze empirische Naturwirklichkeit, angefangen mit dem bloßen Stoff über Pflanze und Tier bis zum Menschen; dies ist die „hypokeimenale Seinsform“ (von hypokeimenon, dem Zugrundeliegenden). Die pneumatische Substanz (von pneuma „Geist“) ist Kennzeichen der rein geistigen Naturen, wobei die spe-

480 zifisch geistige Natur des Menschen auch noch seinen Leib und seine Seele umfaßt, obgleich diese von hyletischer Herkunft sind; dies ist die archonale Seinsform (von arche „Herrschaft“, weil die pneumatische Substanz in der Komplexität des Menschen der herrschende Teil ist). Beide Modi gehören zur Realität, die als „das selbsthafte Vermögen zum eigenen Sein“ (Conrad-Martius 1957, 142) bestimmt wird. Während Husserl von „S.“ in mehrfacher Hinsicht spricht (S. als Bewußtsein, als Ichsubjekt, als Sinn, als transzendentales S., S. als Ding usw.), fragt Heidegger von Anfang an „nach dem Einfachen des Mannigfachen im S.“ (HeiGA 1, 56), wobei Brentanos Dissertation über Aristoteles (also nicht der Brentano der Psychologie wie im Fall Husserls) den entscheidenden Anstoß gibt. Heideggers Erfahrung zufolge hat die Tradition nicht nur niemals eigens nach dem S. gefragt, sondern diese Fraglosigkeit auch noch sanktioniert, indem sie sich in bestimmten Auslegungen des S.s bewegt: S. wird als der allgemeinste Begriff aufgefaßt, als undefinierbar, als selbstverständlich. Die Notwendigkeit einer Wiederholung der Frage nach dem Sinn von S. geht vom durchschnittlichen Seinsverständnis aus, denn das → Dasein versteht immer schon so etwas wie S. (ontolog. Vorrang des Daseins) und vermag auch dieses vorontolog. Seinsverständnis eigens auszubilden (das Dasein als ontisch-ontolog. Bedingung der Möglichkeit aller → Ontologien). Der Phänomenologie kommt die entscheidende Aufgabe zu, solches aufzuweisen, das verborgen bleibt bzw. sich nur verstellt zeigt, doch wesenhaft zu dem gehört, was sich zeigt (zu den Phänomenen), wobei es de-

481 ren Sinn und Grund ausmacht – das S. Daher ist Ontologie nur als Phänomenologie möglich. Das S. betrifft als Grundthema der Philosophie jedes Seiende (allerdings nicht als Gattung, wie schon Aristoteles, Metaphysik II 3, gezeigt hat), insofern dieses vom S. her verständlich wird: S. als das „transzendens schlechthin“ (und phänomenologische Wahrheit deshalb als textit„veritas transcendentalis“, HeiGA 2, 51). Wegen des Vorrangs des Daseins ist zuerst dieses in seinen Grundstrukturen zugänglich zu machen. Heidegger wendet in diesem Zusammenhang gegen Husserl ein, dieser habe vorschnell beim Bewußtsein angesetzt, ohne dessen Seinscharakter eigens zu befragen (er sei von der cartesianisch inspirierten Überlegung geleitet gewesen, wie das Bewußtsein möglicher Gegenstand einer absoluten → Wissenschaft werden könne (vgl. HeiGA 20, § 11)). Der Rückgang auf das seinsverstehende Dasein legt die → Zeit als → Horizont allen Seinsverständnisses frei. Doch muß der traditionelle („vulgäre“) Zeitbegriff von der Temporalität als der ursprünglichen Zeitlichkeit unterschieden werden. Diese ist die Bedingung der → Transzendenz und damit der in dieser fundierten → Intentionalität. Die Zeitlichkeit ermöglicht das → Verhalten des Daseins zu Seiendem im → Verstehen von dessen S., wobei sich jenes Verhalten bereits unausdrücklich in der Unterscheidung zwischen S. und Seiendem bewegt; es ist die Seinsart des Daseins, im Vollzug dieses Unterschieds zu existieren. Er ist mit der → Existenz zumeist latent gegeben, wird er ausdrücklich vollzogen, spricht Heidegger von ontolog. → Differenz. Die → Kehre bedeutet eine thematische Umakzentuierung. Gefragt wird jetzt nicht mehr

Sein vom Dasein und dessen Verstehen von S. her, sondern insofern nach dem Dasein, als durch dessen „Gründung“ das S. („Seyn“) zur → Wahrheit kommt. Der Mensch wird als dasjenige Seiende, das der Wahrheit des S.s ausgesetzt ist, erfahren und befragt, diese Wahrheit beruht im → Ereignis. S. ist nicht im Ausgang vom Seienden her zu bestimmen, sondern aus ihm selbst. Diese dem S. eigene „Wesung“ bedarf einer besonderen Suche, die durch die geschichtliche Herkunft bestimmt ist. Die Seinsfrage erscheint in der abendländischen Geschichte am deutlichsten in der Gestalt der Leitfrage „Was ist das Seiende?“ (ti to on), mit der Frage nach dem S. selbst wird der andere → Anfang eröffnet. Im ersten Anfang, bei den Griechen, ist die → Auslegung des S.s mit einer Befragung des Seienden verbunden, was sich in den „anfänglichen“ Grundworten zeigt: physis, idea, ousia („Natur“, „Idee“, „Substanz“); darin liegt: Beständigkeit, reine → Anwesenheit, ein verborgener Bezug auf die Zeit. Indem dieser ausdrücklich wird, wandelt sich die Leitzur Grundfrage. Auf die Gründung der Wahrheit des S.s durch das Dasein wartet „der Gott“. Das S. ist nicht → Gott, wohl aber ist dieser des S.s bedürftig, was sich freilich nur einem Denken zeigt, das vom Ereignis her kommt und dem das Dasein als der „Dagründer“ (HeiGA 65, 409) zugehört. Für die Epoche des Nihilismus und der planetarisch gewordenen → Technik ist diese Erfahrung verstellt: „Sein ist heute Ersetzbarsein.“ (HeiGA 15, 369) Heideggers Unterscheidung von S. und Seiendem in der ontolog. → Differenz stellt Becker eine Parontologie mit der Unterscheidung „Wesen – Wesendes“ zur Seite, desgleichen dem Dasein das „Dawesen“. Dieser Ergän-

Sein zung liegt die Aufgabe einer zureichenden Bestimmung der Natur gegenüber dem geschichtlichen Geist zugrunde. Becker hebt vom Geschichtlichen das Außergeschichtliche ab, zu dem wiederum das Unter- und Übergeschichtliche gehören bzw. das Unterund Überbewußtsein. Es sind Bewußtseinszustände in Richtung auf die extremen Pole von Dunkel und Helle. Als Grundzug des Außergeschichtlichen erscheint die Identifizierung des Erlebenden mit dem Erlebten im Mitgehen mit der rhythmischen Wiederkehr der Natur. Diesen Zusammenfall nennt Becker die parontolog. Indifferenz. Während das Dasein ins Sein geworfen ist, ist das Dawesende zwar für die Welt verschlossen, doch, selbst ein Mikrokosmos, für den Kosmos offen. Ingarden nimmt in seinem Hauptwerk das Seinsproblem der Welt auf, weil er dem transzendentalen Idealismus Husserls bezüglich der realen Welt nicht folgen kann. Die Ausarbeitung bestimmter existenzialer Grundbegriffe erstellt die Basis für die weitere Diskussion. Ingarden unterscheidet Seinsweisen (Real-S., IdealS., Möglich-S. u. a.) von existenzialen Momenten (Seinsautonomie, Seinsheteronomie), Seinsursprünglichkeit und Seinsabgeleitetheit, Seinsselbständigkeit und Seinsunselbständigkeit, absolutes und relatives S. Das führt zur Frage nach dem vollen Phänomen des Realseins als Seinsweise der realen Welt, die streng vom vollen Phänomen des S.s des Bewußtseins zu unterscheiden ist. Die Einbeziehung der Zeitlichkeit führt zur Gliederung der gewonnenen Begriffe nach Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft. In der sich anschließenden Formalontologie behandelt Ingarden eine Reihe von Formbegriffen (individueller Gegenstand, rein

482 intentionaler Gegenstand, Sachverhalt, Idee), um von da die Form der Welt und die des reinen Bewußtseins zu behandeln. Den Abschluß bildet eine Diskussion der kausalen Struktur der Welt. Levinas läßt schon im Frühwerk den Ausgang von Heidegger und den Schritt über diesen hinaus erkennen. Ausgehend vom S. wird dieses in ein anonymes → „es gibt“ (il y a) uminterpretiert, das nichts mit dem vom späten Heidegger genannten „Es gibt S.“ zu tun hat, sondern auf Grenzsituationen rekurriert, in denen „der anonyme Strom des S.s“ jedes Subjekt „überschwemmt“ (Levinas 1997, 69). Durch sein Entsetzen beraubt das anonyme „es gibt“ das Bewußtsein seiner Subjektivität und stürzt es in ein unpersönliches → Wachen. Diese unmenschliche Neutralität zeigt sich in Phänomenen wie der Schlaflosigkeit, der Müdigkeit und im Überdruß. Ihr setzt Levinas das Bewußtsein entgegen, das eine Zuflucht gegen das entpersonalisierte Subjekt bietet, indem das Bewußtsein sich setzt; Levinas spricht von Hypostase, in der das anonyme „es gibt“ aufgehoben wird. Damit ist noch keine Befreiung erreicht, denn diese setzt die Beziehung zum → Anderen voraus, der das ist, was ich nicht bin: der Schwache, der Arme. „Jenseits des S.s“ bedeutet für Levinas: jenseits der → Totalität, in der die Ontologie des Abendlandes die Andersheit nivelliert. Sartre stellt sich die Frage, ob das S. der Erscheinung mit der Erscheinung des S.s identisch ist. Er verneint dies mit der Begründung, daß das S. des Phänomens über die Erkenntnis, die man von ihm gewinnt, hinausgeht und diese stiftet. Der Rückgang auf das → Bewußtsein zeigt, daß dieses immer schon auf S. gerichtet ist, das es nicht selbst ist; in seiner intentionalen Struk-

483 tur liegt ein → Nichts. Das Bewußtsein ist strukturell ein Für-sich (pour-soi), das S. ist an sich (en-soi). In Merleau-Pontys Hauptwerk wird das S. nach zwei Richtungen kritisch distanziert: als Gegenstand unter Gegenständen (der Irrtum des objektiven Denkens) und als Entwurf eines sich selbst durchsichtigen Denkens (die idealistische Engführung). Positiv ist jedes erdenkliche S. auf die Wahrnehmungswelt zurückbezogen, die nur durch ihre Orientierung erfaßt werden kann; somit sind „S. und Orientiertsein nicht voneinander trennbar“ (Merleau-Ponty 1966, 296). Im Spätwerk umkreist Merleau-Ponty ein „rohes, wildes S.“ (être brut, sauvage), das als Abgrund, nicht als Fülle erfahren wird und von dem her die Probleme der klassischen Ontologie überwunden werden können. Er vergleicht es mit den Farbflecken von Klee und schlägt als Modell den topologischen Raum vor, der im Gegensatz zum euklidischen Raum das Milieu ist, in dem sich Beziehungen der Nachbarschaft oder der Einschließung abzeichnen. Qu.: Brentano 1862. – Hua XIX/2, §§ 39, 44. – Hua III/1, §§ 49, 76, 103. – ConradMartius 1957. – HeiGA 2, §§ 1-4. – HeiGA 4, 152-181. – HeiGA 7, 165-187. – HeiGA 24, §§ 3-4, 22. – HeiGA 65, III-V. – HeiGA 69. – Heidegger 2001. – Becker 1963. – Ingarden 1964 ff. – Levinas 1947 (1997). – Levinas 1974 (1992). – Sartre 1943 (1994). – Merleau-Ponty 1945 (1966). – Merleau-Ponty 1964 (1986). – Lit.: Gethmann-Siefert/Mittelstraß 2002. – Hartmann 1983. – Perotta 1999. – Strasser 1978. – Thurnher 1997. – Waldenfels 1980, Kap. 1 und 6. HV

Selbe. In Identität und Differenz bezeichnet Heidegger das S. als jene in sich vermittelte → Identität, die weder bloßes „Einerlei“ noch bloße „Zuord-

Selbst nung“ oder „Verknüpfung“, sondern „Zusammengehören“ ist. Dieses „synthetische Wesen der Identität“ (Heidegger 1957a, 12) finde zwar erst im Deutschen Idealismus eine „Unterkunft“, habe ihren Ursprung aber im Satz des Parmenides: „to gar auton noein estin te kai einai. ,Das Selbe nämlich ist Vernehmen (Denken) sowohl als auch Sein.‘ “ (ebd., 14) Während die → Metaphysik später behauptet habe, die Identität sei ein Zug am → Sein, sage Parmenides hier, daß Sein und → Denken Züge der Identität seien. „Denken und Sein gehören in das S. und aus diesem S.n zusammen.“ (ebd.) Was das S., d. h. die Identität als Zusammengehören ist, erhellt sich am Zusammengehören von Sein und Mensch, von dem Parmenides spricht. „Sein west und währt nur, indem es durch seinen Anspruch den Menschen an-geht. Denn erst der Mensch, offen für das Sein, läßt dieses als Anwesen ankommen. Solches An-wesen braucht das Offene einer Lichtung und bleibt so durch dieses Brauchen dem Menschenwesen übereignet.“ (Heidegger 1957a, 19) Qu.: Heidegger 1957a. – Lit.: Kettering 1987. MW

Selbst. Der Begriff des S. wird von Husserl als ein Synonym zu dem des → Ich verwendet. Demnach kann das reine Ich auch als eine absolute Selbstheit aufgefaßt werden. Von dieser aus läßt sich der Erlebnisstrom in jedem seiner Momente als ein durch „mich selbst“, d. h. durch die Subjektivität vollzogener erweisen (Hua III/2, 105; Hua XIV/2, 48). Das Ich als S. bedeutet so gesehen auch in seiner → Reinheit nicht nur eine logische Instanz (→ Identität), sondern die le-

Selbst bendige Selbstgegenwart dieses Identischen in seinem Vollzug (Hua I, § 9). Daraus ergeben sich zugleich methodische Implikationen für die Phänomenologie. Sie werden vor allem im Spätwerk ausgeführt. So erfaßt die reflexive → Betrachtung des Erlebens dieses so, wie „ich selbst“ es je vollziehe: Der Betrachtung enthüllt sich die Selbstheit zugleich als eine Selbstgegebenheit, d. h. als eine originäre Zugänglichkeit des S. für das S. Diese Zugänglichkeit ist eine wesentlich passive: Das aktive S. erfährt sich, bzw. erscheint vor sich selbst. Für die Phänomenologie bedeutet dies, daß sie ihrer Möglichkeit nach als eine S.Auslegung des Bewußtseinslebens aufgefaßt werden kann (ebd., § 46). Diese bestimmt auch den Gehalt der Phänomenologie: Da das → Bewußtsein alle denkbaren konstitutiven Strukturen umfaßt, ist die → Auslegung der in ihm vollzogenen S.-Konstitution (→ Konstitution) die Auslegung des Konstituierten überhaupt. Die Phänomenologie des S. fällt so mit der Phänomenologie als solcher zusammen (ebd., § 33). Daraus ergibt sich zugleich der ihr als → Wissenschaft innewohnende Zweck: Im Gegensatz zu jeder Verlorenheit an die weltliche Objektivität erlaubt sie eine Form der universalen S.Besinnung des Menschen (ebd., § 64). Heidegger verwendet den Begriff des S. für den Versuch einer positiven Bestimmung des Phänomens der Subjektivität. Ein solcher Versuch wird unter anderem in Sein und Zeit unternommen. Ausgangspunkt ist dabei der S.Bezug des → Daseins, dem es um sein → Sein geht. Er konkretisiert sich in der Struktur der → Sorge, die nach Heidegger immer auch S.-Sorge ist (HeiGA 2, § 41). Allerdings heißt dies gerade nicht, daß ein S. als Grund der

484 Sorge anzunehmen ist. Vielmehr ist das S. nur als Sorge zu verstehen, es konstituiert sich im → Verstehen, das mit der Sorge strukturell verbunden ist (ebd., § 64; HeiGA 65, §§ 178-181). Mit dieser Entsubstantialisierung des S. erhebt Heidegger zugleich den Anspruch, die Genese der traditionell mit dem Phänomen verbundenen Begriffe klären zu können. So läßt sich der Begriff des → Subjekts, mit seinen Attributen der Beharrlichkeit und Identität, ihm zufolge aus dem → Verfallen des Daseins an die → Welt erklären. Das Dasein schreibt sich die Seinsart eines bloß vorhandenen, dinglichen Etwas zu. Dasselbe gilt für den Begriff des → Ichs. Die Selbstheit ist nach Heidegger weiter als das Ich, sie umfaßt auch das Du-S., das Wir-S. etc. (HeiGA 38, § 11). In diesem Sinn muß der Begriff des Ich nicht aufgegeben werden, sondern kann durch die Hinsicht auf ein ihn fundierendes Bezugs- und Verstehensphänomen in seinen ontolog. Bedingungen durchsichtig werden. In der Sorge liegt freilich noch kein explizites Verstehen des S. als S. Dieses wird in Sein und Zeit erst durch die Entschlossenheit des Seins zum je eigenen → Tode möglich. Allerdings darf eine solche Vereinzelung ihrerseits nicht auf das S. als eine allgemeine Eigenschaft bezogen werden, sondern muß als ein singuläres, vorprädikatives Phänomen bestehen. In späteren Jahren kann die Selbsthaftigkeit auch im geschichtlichen Sein eines Volkes verortet werden (ebd., § 28). Henry versteht den S.-Bezug des Bewußtseins als ein abgeleitetes Phänomen, als ein „gewordenes Sich“. Er gründet auf einem seinerseits nicht intentionalen S.-Bezug des Lebens überhaupt. Dem Leben eignet eine S.Impressionalität, der zufolge es sich

485 gegeben ist, ohne sich zu objektivieren oder sich objektivierend auf etwas von ihm Isoliertes zu beziehen. Dieser S.-Bezug übersteigt auch den Gegensatz von Aktivität und → Passivität, da beide Pole auf das Moment der Intentionalität bezogen sind, und führt auf eine S.-Affektion, in der das Leben sich sich selber gibt, ohne sich dabei von sich zu lösen. Das Phänomen dieser S.-Affektion nennt Henry „Fleisch“ (chair), was allerdings nicht als ein bloß materielles Phänomen verstanden werden darf. Vielmehr bildet es im Leiblich-Sinnlichen die Grundlage seiner Intelligibilität, bzw. die Grundlage seiner Phänomenalität, von der aus die Phänomenologie als solche erst in ihrer Möglichkeit begründet werden kann. Theologisch entspricht es dem göttlichen Wort aus dem Prolog des Johannesevangeliums. Qu.: Hua I. – Hua III/2. – Hua XIV/2. – HeiGA 2. – HeiGA 38. – HeiGA 65. – Henry 2000 (2002). MIS

Selbst-Ständigkeit (frz.: maintien de soi). In Sein und Zeit wird der Begriff des → Selbst als Antwort auf die Frage nach dem Wer des → Daseins eingeführt. Das Selbst hat – im Gegensatz zum „traditionellen“ ontolog. Vorverständnis, das es als „substanziell Beständiges“ zu verstehen nahelegt – nicht den Charakter eines → „Subjekts“ oder eines „Selbstdinges“, das sich als Selbiges identisch in der Zeit durchhält. Als → Sein des Daseins geschieht Selbst-Sein vielmehr in der Weise der → Sorge, die von jeglicher → Vorhandenheit abgesetzt wird. In der Sorge liegt die ontolog. Ständigkeit des Selbst. Ricœur greift diesen Begriff der S. in Das Selbst als ein Anderer auf, in-

Setzung dem er Selbstheit (Identität des ipse) systematisch von Selbigkeit (Identität des idem) unterscheidet. Da es keine Selbst-Gewißheit geben kann, die die Frage nach dem Wer ohne Umweg über den Anderen definitiv beantworten würde, ist das Selbst auf die → Bezeugung seines Seins angesichts des Anderen angewiesen. Wer wir in Wahrheit sind, erweist sich so gesehen im (Wahrheits-)Modus der SelbstBezeugung. Anders als Heidegger, der das Selbst-Sein v. a. vom → Vorlaufen zum → Tod her denkt, bezieht Ricœur es auf den Anderen, dem gegenüber allein sich zeigen kann, wer wir in der Weise der S. sind. Das Phänomen par excellence, an dem sich S. zeigt, ist das Versprechen, das unabsehbarer künftiger Zeit zum Trotz die Identität des Selbst i. S. der Einlösung des gegebenen Wortes aufrechterhält. Vom Anderen her zeigt sich Identität (i. S. von Selbstheit) darin, daß er auf das Selbst „zählen“ kann und daß es ihm in diesem Sinne zur „Verfügung“ steht. Als existenzial-ontolog. (nicht etwa psychologischer) Begriff bezeichnet S. somit die Weise des Daseins, in der es angesichts des Anderen der Herausforderung durch die → Zeit Rechnung trägt, um seine Identität zu behaupten. Qu.: HeiGA 2, 303-323. – Ricœur 1990 (1996, 153, 202 f., 323). BL

Setzung. S. nennt Husserl die zur → Intentionalität gehörende Stellungnahme und unterscheidet verschiedene Arten von Setzungscharakteren. Neben den doxischen S.en mit ihren Glaubenscharakteren (→ Gewißheit und ihren → Modifikationen), die die bloßen Sachen betreffen, finden sich als fundierte Bestimmtheiten höherer Stufe die nicht doxischen S.en mit ihren Gemütscha-

Sexualität rakteren (Gefallens-, Freudensthesen) und Willenscharakteren (Wünschensthesen). Husserl spricht von einer nominalen S. in bezug auf → Namen, „die dem Gemeinten den Wert eines Seienden zuerteilen“ (Hua XIX/1, 482). Es handelt sich um eine einstrahlige S., die sich von den vielstrahligen Setzungen der Gemüts- und Willensakte und der fundierten doxischen Akte unterscheidet. Jedem vielstrahligen doxischen Akt entspricht eine nominale S. durch einen Daßsatz („Daß S ist p, ist ...“). Qu.: Hua III/1, 238-277. – Hua XIX/1, 480-495. – Lit.: Ströker 1987. RW

Sexualität. Foucault problematisiert in seiner auf sechs Bände geplanten und unvollendet gebliebenen Geschichte der Sexualität die Entstehungsweise der spezifisch abendländischen Erfahrung der S. und geht der Frage nach, auf Grund welcher Voraussetzungen sie zu einem Gegenstand des Wissens geworden ist und welche Machtstrategien ihrer Organisation als eines Erfahrungs- und Erkenntnisbereichs zugrunde liegen. In Der Wille zum Wissen tritt Foucault gegen die Repressionshypothese auf. Entgegen der geläufigen Annahme einer mit dem Aufkommen der bürgerlichen Gesellschaft zunehmenden Unterdrückung des Sexuellen verweist Foucault auf einen „geregelten und polymorphen Anreiz zum Diskurs“ (Foucault 1977, 48). Als Produkt eines Macht-Wissens wird S. in eine umfassende Bio-Politik der Bevölkerung integriert, die Gesundheit, Lebensdauer, Fortpflanzung und Bevölkerungswachstum zu kontrollieren versucht. Die zweifelhafte Rolle der im 19. Jh. entstehenden Geständnis-Wissenschaften (Päd-

486 agogik, Medizin, Psychiatrie) besteht darin, daß sie das Sexualitätsdispositiv – jenes Zusammenspiel von gesellschaftlicher Machtpraxis und Wissensproduktion – stützen. Der Befreiungsdiskurs der Repressionshypothese ist nur eine „taktische Verschiebung und Wendung im großen Sexualitätsdispositiv“ (ebd., 157), der der in der Moderne wirksam gewordenen produktiven Machtform nicht entgeht. Von der christlichen Beichtpraxis bis zur Wahrheitsproduktion der Humanwissenschaften und zur Psychoanalyse wird über das Geständnis als einer Hermeneutik des Begehrens ein spezifischer Subjekttypus beherrschend – das moderne → Subjekt als Produkt eines normierenden und normalisierenden Macht-Wissens. Die beiden Fortsetzungsbände von Sexualität und Wahrheit – Der Gebrauch der Lüste und Die Sorge um sich – sind der griech. Sexualmoral des 4. Jh.s v. Chr. bzw. der griech.-röm. Sexualmoral der ersten nachchristlichen Jahrhunderte gewidmet, wo statt einer heteronom über ein Macht-Wissen kontituierten Subjektivität die Dimension des über die S. vermittelten ethischen Selbstbezugs im Vordergrund steht. S. wird im Rahmen einer ethischasketischen Arbeit an sich problematisiert, die zu einem selbstbestimmten und selbstgewählten Gebrauch der Lüste als Bestandteil einer umfassenden → Ästhetik der → Existenz führen sollten. Foucault sieht sein Projekt einer Geschichte der S. innerhalb einer → Genealogie des modernen Subjekts.

Qu.: Foucault 1976 (1977). – Foucault 1984a (1989). – Foucault 1984b (1986). – Lit.: Kögler 1994. – Schmid 1991. RS

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Sichtbare, das / das Unsichtbare

Sicherheit. In Heideggers seinsgeschichtlichem Denken entspringt der geschichtliche Wandel vom Seienden, das als ein subjectum, als ein von sich her Vorliegendes erfahren wird, zum Vorrang eines ausgezeichneten, weil in wesentlicher Hinsicht unbedingten subjectum dem „Anspruch des Menschen auf ein fundamentum absolutum inconcussum veritatis (auf einen in sich ruhenden, unerschütterlichen Grund der Wahrheit im Sinne der Gewißheit)“ (HeiGA 5, 106 f.). Die S. einer → Gewißheit, „in der sich der Mensch das Wahre als das Gewußte seines eigenen Wesens sichert“ (ebd., 107), wurde gefordert durch die Befreiung aus der Verbindlichkeit der christlichen Offenbarungswahrheit und der darin gegründeten Heilsgewißheit. Diese neuzeitliche Neubestimmung menschlicher Selbstbestimmung als Selbstgewißheit, die Auszeichnung des Menschen als des denkend-vorstellenden Wesens ist nun sein Subjektsein, in dessen ihm eigener Grundgewißheit der Mensch sich dessen sicher ist, daß er „als der Vorstellende alles Vor-stellens und damit als der Bereich aller Vorgestelltheit und somit jeder Gewißheit und Wahrheit sichergestellt ist, d. h. jetzt: ist“ (ebd., 109). Qu.: HeiGA 5.

JV

Sichtbare, das / das Unsichtbare. Das Sichtbare und das Unischtbare ist der Titel eines nachgelassenen Manuskripts aus dem Spätwerk MerleauPontys, in dem dieser seine früheren Themen teilweise selbstkritisch wieder aufnimmt. Für diese phänomenolog. Ontologie war als ein möglicher Titel Der Ursprung der Wahrheit vorgesehen, womit eines ihrer fundamenta-

len Probleme angezeigt ist. Der Autor setzt sich noch deutlicher als früher gegen den Cartesianismus und einen Rationalismus in der Prägung von Leibniz ab um willen einer Rehabilitation der „rohen“ oder „wilden“ Welt der → Wahrnehmung. Erst indem diese sich selbst verhüllt (eine Intention, die in ihr selbst liegt), wird sie zur euklidischen Wahrnehmung. Doch noch vor dieser ist das S. der Wahrnehmung, die Welt, wobei diese auf eine Tiefenschicht des U.en verweist. Unsere Wahrnehmungen gründen in der Gewißheit einer gemeinsamen sinnlichen Welt, die wir mit den Anderen teilen. Diesen Wahrnehmungsglauben setzt die Wissenschaft zwar voraus, ignoriert aber, daß sich ihr Universum von der → Lebenswelt her konstituiert. Auch die Reflexionsphilosophie reicht nicht hin, um die Welt der Wahrnehmung zu verstehen, indem sie diese auf eine Sinnquelle zurückführt. Der → Reflexion geht eine naive Vertrautheit mit Welt voraus, die einen angemessenen Zugang einer negativistischen Philosophie bedarf. Darunter ist ein Denken des → Nichts zu verstehen, das sich allerdings von dem Sartres deutlich unterscheidet, weil Merleau-Ponty anders als dieser das Nichts nicht dem → Sein entgegensetzt, sondern in dreifacher Hinsicht in seiner Negativität anerkennt: hinsichtlich der Unmöglichkeit, das Sein der Welt auf eine Positivität zurückzuführen („die Intuition des Seins verbindet sich mit einer Art von Negintuition négintuition“, Merleau-Ponty 1964/1986, 78/78); hinsichtlich des Anderen, der die solipsistische Welt als Illusion enthüllt; in Anerkenntnis der Äquivalenz von Position und Negation. „Der Sinn ist unsichtbar, doch das U. ist nicht das Gegenteil des S.n: das S. selbst hat eine Gliederung aus U.m, und das Un-

Signifikation sichtbare ist das geheime Gegenstück zum S.n.“ (ebd., 269/275) Qu.: Merleau-Ponty 1964 (1986). Lit.: Waldenfels 1983, Kap. III/11. HV

Signifikation. (frz.: signification) S. meint die festgelegte Wortbedeutung, während der Begriff signifiance verbal verstanden wird und den Vollzugscharakter von „Bedeutung“ bezeichnet. Bei Derrida ist der Prozeß des Hervorbringens von Bedeutung durch eine spezifische Differenz zwischen Signifikant und Signifikat gekennzeichnet. Anders als bei de Saussure, bei dem sich Bedeutung durch den Zusammenfall von Signifikant und Signifikat ereignet, leugnet Derrida, daß das Bezeichnete je repräsentiert werden könne. Ein Signifikat, auf das ein Signifikant verweist, ist selbst wieder ein Signifikant usw. Derrida wendet sich damit auch gegen Husserls Auffassung von der → Repräsentation des Bezeichneten durch das Zeichen. Das → Ding bleibt der intuitiven → Evidenz immer entzogen. Vielmehr handelt es sich um die Unendlichkeit des Verweisens, ein Gedanke, den Derrida von Peirce aufnimmt. Bedeutung wird bei Derrida folglich in der Verschiebung der Signifikanten produziert und entsteht im System der Zeichen bzw. im Code. Von ihrer Rückbindung an ein Individuum wird abgesehen. Bei Levinas meint S. sowohl die Bedeutung innerhalb eines Bedeutungssystems, das durch das Bewußtsein seine Ordnung bekommen hat, als auch die Bedeutung, die vom → Antlitz des anderen Menschen ausgeht. Letztere ist die „erste Bedeutung“ (première signification) (Levinas 1987, 299) bzw. „Bedeutung schlechthin“ (signification par excellence) (Levinas 1992,

488 159) und unterläuft jede „Sinngebung“ durch das Ich. Sie begründet die → Sprache und macht es möglich, daß etwas zum Zeichen wird. (Levinas 1987, 297 f.) Bedeutung im zweiten Sinn bezeichnet Levinas auch mit dem Wort „Bedeutsamkeit“ (signifiance) und ordnet sie der ethischen → Intrige durch den anderen Menschen zu. So kann Levinas in seiner Spätphilosophie sagen, daß die „Bedeutsamkeit der Bedeutung“ die „Einsetzung des der-Eine-für-den-Anderen“ sei, die zugleich die „Einsetzung des Sinns“ ist, „den alle thematisierte Bedeutung im Sein spiegelt“ (Levinas 1992, 191). Qu.: Derrida 1967 (1979). – Derrida 1967 (1974). – Levinas 1961 (1987). – Levinas 1972 (1989). – Levinas 1974 (1992). – Lit.: Frank 1980. – Ladrière 1984. – Wiemer 1988. RE

Sinn (frz.: sens). Der Ausdruck S. läßt sich für Husserl auf den gesamten Bereich intentionaler → Erlebnisse beziehen. Jedes Erlebnis kann entweder noetisch als Sinngebung oder noematisch als S., d. h. als → Gehalt verstanden werden (Hua III/1, §§ 85 u. 88). Damit ist der Begriff weiter als der der → Bedeutung, der auf die Funktion des → Ausdrucks bezogen bleibt (ebd., § 124). Da S. Bedeutung aber zugleich einschließt, können beide Begriffe auch synonym verwendet werden, so in den Bedeutungsanalysen der Logischen Untersuchungen: Im sinnbelebten Ausdruck lassen sich demnach sinngebende → Akte von sinnerfüllenden (d. h. die Beziehung auf den → Gegenstand realisierenden) unterscheiden (Hua XIX/1, § 9). Im einzelnen wird S. für die phänomenolog. Betrachtung in zweifacher Hinsicht relevant: zum einen in der Klärung seiner inneren Strukturen, zum anderen in der

489 → Beschreibung seiner konstituierenden → Funktion für die erfahrbare → Welt. Was ersteres betrifft, so ist S. als ein identisch bleibendes → Moment im Verfließen der Akte zu verstehen. Ihm kommt eine nicht-naturale, ideale → Einheit zu. Dieser Idealität nach kann er als Spezies (ebd., § 31) oder später auch als → Wesen (Hua III/1, § 2) aufgefaßt werden, wodurch die → Allgemeinheit und → Notwendigkeit des in ihm gegebenen Gehalts bezeichnet wird. Mit dieser Allgemeinheit wird es möglich, einerseits die „Schrankenlosigkeit der objektiven Vernunft“ anzunehmen, da alles subjektiv Gegebene in ein an sich klar bestimmtes → Sein umgewandelt werden kann (Hua XIX/1, §§ 1, 28). Andererseits ist der S. so zu verstehen, daß er nicht nur für sich steht, sondern als allgemeiner alles Einzelne, das im Erleben liegt, „umspannt“ (Hua XIX/2, § 7). Erlebnisse sind demnach kein bloßes Aggregat von Elementen verschiedener Allgemeinheitsstufe, sondern schließen sich jeweils zu einer intentionalen Einheit zusammen (ebd., § 7). So können im jeweiligen vollen → Noema spezielle → Schichten der → Auffassung, → Erfüllung usw. unterschieden werden, von denen wiederum ein „Kern“ abgehoben werden kann, in dem das im Erleben Gemeinte liegt. Es ist das spezifische S.-Moment i. S. des puren gegenständlichen S.s (Hua III/1, § 90 f.). Auch die Unbestimmtheit, die ein konkretes Erlebnis enthält, bleibt so potentiell auf die intendierte Sinneinheit bezogen. Die Einsicht in die innere Strukturiertheit des S.s erlaubt es außerdem, die S.-Genesis (→ Genesis) zu beschreiben, durch die ein einzelner Gehalt im → Bewußtsein konstituiert worden ist. Dies ermöglicht unter anderem eine sy-

Sinn stematische Betrachtung logischer Formen (Hua XVII, § 85). Was die konstitutive Dimension des S.s betrifft, so folgt aus ihr, daß die Welt im ganzen als der Inbegriff von Einheiten des S.s verstanden werden kann. Welt ist als ein S.-Zusammenhang gegeben, der eine vernünftige, d. h. der Gesetzmäßigkeit ihres S.s folgende Erforschung erlaubt (Hua III/1, § 53 ff.). Diese Gesetzmäßigkeit zeigt sich subjektiv als Motivationsstruktur in den konstitutiven Funktionen des Bewußtseins. In seiner Schrift zur Krisis der europäischen Wissenschaften verbindet Husserl diese subjektivkonstitutive Dimension des S.s mit der Möglichkeit genetischer Betrachtung: Demnach gilt es, die → Lebenswelt als S.-Fundament für die historisch ausgebildeten Wissenschaften zu verstehen. Wissenschaften sind S.-Verwandlungen der → Erfahrung durch ihre Idealisierung und können auf ihren subjektiven Ursprung zurückverfolgt werden (Hua VI, § 9). Für Scheler wird der Gedanke eines eigengesetzlichen Zusammenhangs des S.s im Bewußtsein relevant. Dieser Zusammenhang unterliegt nicht der → Kausalität des Erlebens selbst, er stellt sich nicht durch → Assoziation oder ähnliche psychologischer Mechanismen her, sondern geht als S.-Identität jeder Beziehung und Verbindung von Gehalten des Erlebens voraus und ermöglicht sie erst. Diese Einheit ist zugleich Bedingung für die Einheit der → Person (vgl. ScheGW 2, 430-485). Das personale Leben trägt einen Gesamtsinn in sich, der den Lebensprozeß selbst als „Überschuß des Geistes“ übersteigt (ScheGW 10, 9-64). Heidegger nimmt in seinen frühen Freiburger Vorlesungen das Husserlsche Projekt der phänomenolog. Er-

Sinn forschung der Sinnstrukturen des Erlebens auf. Dabei ist für ihn, wie für den späten Husserl, die Möglichkeit der Sinngenesis entscheidend, um die Objektivierungstendenzen der Wissenschaft in ihrem Entspringen aus dem faktischen Leben verständlich zu machen (HeiGA 58, 155). Diese Ursprungsbezogenheit führt dazu, den vom sachlichen Gehalts- und Bezugssinn der Erlebnisse unterschiedenen existenziellen Vollzugssinn als grundlegendes Moment hervorzuheben (HeiGA 60, 63). Allerdings wendet sich Heidegger, was den Vollzugssinn anbelangt, gegen die Konzeption der eidetischen → Allgemeinheit, da er nur in seinem existenziellen Bezug adäquat verstanden werden kann (HeiGA 59, 185). Er ist deshalb phänomenolog. nicht durch eine direkte Wesensschau einsichtig zu machen, sondern nur durch eine besondere, destruktiv von allen verfälschenden Tendenzen freigemachte existenzielle Erfahrung. Die Konzeption von Sein und Zeit fragt nach den ontolog. Bedingungen dieser Erfahrung. Auch für sie wird allerdings, was die Frage nach dem S. betrifft, das Verhältnis zwischen → Existenz und eidetischer Allgemeinheit relevant. S. ist nach Heidegger dasjenige, „worin sich die Verständlichkeit von etwas hält“ (HeiGA 2, § 32). Demnach ist er keine Bestimmung, die ein Phänomen als solche in sich trägt, sondern bedeutet ein „Woraufhin“ seines → Verstehens, das in diesem selbst nicht thematisch wird. Im einzelnen ist es die Zeitlichkeit, die als der allgemeine S. der Existenz fungiert. Sie wird von dieser selbst nicht intendiert, sondern ermöglicht als einheitsstiftendes Moment die Entfaltung ihrer Intentionen (ebd., § 65). Soll der S. als solcher deutlich werden, so ist dazu ebenfalls

490 eine besondere Erfahrung nötig, die durch das → Vorlaufen zum → Tod begründet wird. In der Folge gibt Heidegger den Begriff des S.s jedoch gänzlich auf, da er auch in dieser vermittelnden Stellung auf die Eigenschaft einer Wesensallgemeinheit festgeschrieben bleibt. Dagegen wird nun die geschichtliche Singularität des S.s als → Ereignis oder als → Entwurf thematisiert (HeiGA 65, §§ 182 ff.). Schütz knüpft ebenfalls an Husserls Idee der S.-Genesis an und nutzt sie für die Bestimmung der Methode einer verstehenden Soziologie. S. ist demnach seinem Ursprung nach kein Gehalt des Erlebens selbst, sondern zeigt sich erst in einer synthetisierenden Zuwendung auf dieses. Dies wird vor allem für die in der Soziologie konstitutiven Begriffe des → „Verhaltens“ und der → „Handlung“ relevant, da auch sie sich erst in einem reflexiven Akt auf den Vollzug des Handelns bilden. Eine solche S.-Deutung wird bereits vorwissenschaftlich im konkreten Handeln erbracht. Die Soziologie baut darauf auf, indem sie Elemente dieser Deutung invariant setzt und idealtypisch verallgemeinert. Sie zielt nicht auf den subjektiven S., der sich in der Perspektive des S.-Setzenden konstituiert, sondern auf einen objektiven S., der sich allein aus der Perspektive des S.-Deutenden ergibt. Merleau-Ponty thematisiert S. in seiner materiellen Realisation. S. ist demnach stets als ein „inkarnierter S.“ (sens incarné) zu verstehen, der untrennbar an leibliche, sprachliche oder auch geschichtliche Bedingungen gebunden bleibt. Diese Bedingungen gehen jedem subjektiven Akt voraus und ermöglichen ihn allererst in seinem welthaften Bezug. Die eidetische → Reduktion der Husserlschen Phänome-

491 nologie erscheint für ihn daher nicht als Endzweck, da es nicht darauf ankommt, den S. nur in seiner Idealität einzusehen. Vielmehr ist die Wesensschau ein bloßes Mittel, um die Faktizität der Welt, zu der der S. gehört, einsehbar zu machen. So wird beispielsweise in den → Synthesen der → Wahrnehmung erfahrbar, inwiefern der Wahrnehmende selbst ein Teil der von ihm erfahrenen räumlichen Umwelt ist. Für Patoˇcka ist die natürliche → Welt der Grund für jeden möglichen S. Als solche wird sie primär nicht theoretisch erfahren, sondern praktisch, durch das sich in ihr realisierende menschliche Leben. S. ist damit stets „S. für“; er ist relativ auf die → Existenz, die die Welt im Modus ihrer Lebensbewegtheit erfährt. Der Status des S.s entspricht dem der Welt: Er ist keine Bestimmung der seienden Dinge, aber auch nicht bloßer Erlebnisgehalt, sondern ein Drittes: Bedingung des Sichzeigens der Dinge sowie des Bezugs auf sie. Patoˇcka übernimmt damit Heideggers Unterscheidung zwischen „ontisch“ und „ontolog.“. S. ist nicht in einem bestimmten Seienden fixierbar, sondern bedeutet eine grundsätzliche Offenheit der Existenz. Dies wird gerade in der Sinnkrise der Moderne relevant, da es dann von vornherein unmöglich ist, S. auf bestimmte Zustände oder Ziele innerhalb der Welt festschreiben zu wollen. Levinas wendet sich ebenfalls kritisch gegen Husserls Konzeption. Dabei wird für ihn entscheidend, daß das intentionale Meinen einen jeden Gegenstand nur dadurch erfaßt, daß es ihn in einem identischen S. thematisiert. Vor jeder Sprachlichkeit nimmt das Bewußtsein eine identifizierende Stellung gegenüber seinen Gegenstän-

Sinn den ein. Demgegenüber ist eine Erfahrung des → Anderen zu denken, die unmittelbar und singulär ist und sich als Erfahrung bezeugt, noch bevor ihr ein intentionaler S. gegeben wird. Diese Erfahrung des Anderen, die sich unter anderem als Erfahrung der → Nähe und der Berührung verstehen läßt, hat keinen anderen S. als sich selbst; was sie bedeutet, ist das → Sagen überhaupt. Damit wird sie nicht nur zum Ursprung der → Sprache selbst. Der S., der sich auf den Anderen bezieht, übersteigt zugleich als eine absolute, nicht relativierbare Hinwendung alles subjektiv Intendierte und Intendierbare; er wird zur fundamentalen Orientierung für die Erfahrung von S. überhaupt. Arendt unterscheidet im Ausgang von Heidegger in ihrer späten Schrift zum Leben des Geistes die Suche nach S. von der Suche nach Wahrheit. Während letztere zu definitiven und konsistenten Ergebnissen führt, sind die Fragen nach S. nicht abschließbar. Sie fragen danach, was es bedeutet, daß etwas so und so ist. Subjektiv läßt sich daher zwischen Denken und Erkennen unterscheiden. Denken bedeutet ein Zurückziehen von der unmittelbaren Erfahrung der Dinge, es bricht mit der Kontinuität von Vergangenheit und Zukunft und vollzieht sich in einer zeit- und ortlosen Gegenwart. Die Husserlsche Idee der → Epoché erlangt dadurch lebensweltliche Relevanz. Qu.: Hua III/1. – Hua III/2. – Hua VI. – Hua XVII. – Hua XIX/1. – Hua XIX/2. – ScheGW 2, 421-469. – ScheGW 10. – HeiGA 2. – HeiGA 65. – HeiGA 58. – HeiGA 59. – HeiGA 60. – Schütz 1932. – MerleauPonty 1945 (1966). – Merleau-Ponty 1948 (2000). – Patoˇcka 1991, 185-256. – Patoˇcka 1988, 77-104. – Levinas 1963 (1983, 209-235). – Levinas 1972 (1989, 9-59).

Skepsis – Arendt 1978a (1979a). – Lit.: Almeida 1972. – Herrmann 2000. MIS

Skepsis. Unter S. versteht Husserl zunächst den allgemeinen → Zweifel an der Möglichkeit von → Wahrheit überhaupt. Die Widersinnigkeit dieser These hat er bereits im § 32 der ersten Logischen Untersuchung aufgewiesen. Sodann taucht der Begriff S. bei Husserl in Zusammenhang mit Erörterungen über die sophistische und die Humesche S. auf. Skeptischen Tendenzen seiner Zeit, die die Unmöglichkeit von Wissenschaft vertraten, vor allem aber der Philosophie ihre Wissenschaftlichkeit absprachen, hält Husserl sein Projekt einer Philosophie als strenger → Wissenschaft entgegen, die alle unhinterfragten Vormeinungen hinter sich läßt und auf evidenter Letztbegründung fußt. Zwar waren es die skeptischen Anstöße, die die Philosophie letztlich auf den Weg der Transzendentalphilosophie brachten, doch fehlte dem älteren Skeptizismus „das Originale Cartesianische Motiv: durch die Hölle einer nicht mehr zu übersteigenden quasi-skeptischen Epoché hindurch zum Eingangstor in den Himmel einer absolut rationalen Philosophie vorzudringen [...]“ (Hua VI, 78). Schließlich erlaubt es die quasiskeptische → Epoché Husserls, d .h. die phänomenolog. → Reduktion, von den erscheinenden → Dingen abzusehen, um das Erscheinen selbst, d. h. das → Bewußtsein und seine Konstitutionsleistung, in den Blick zu bekommen. Qu.: Hua III/1. – Hua V. – Hua VI. – Hua VII. – Hua VIII. – Hua XVIII. MW

Solipsismus. Durch die → Reduktion auf das reine transzendentale → Ego

492 als „residualen“ Leistungsgrund aller Weltkonstitution (Hua III/1, 68: § 33) hatte sich Husserl dem Vorwurf des S. ausgesetzt, den er einerseits durch die perzeptiv-intersubjektive Einheit der → Welt und andererseits durch die doxische Vorgegebenheit der → Lebenswelt zu korrigieren versuchte (Marbach 1974). Außerdem verwechsle „die widersinnige Erkenntnistheorie des S.“ die psychologi(sti)sche → Immanenz als nicht ausgeschaltete Bewußtseinstranszendenz mit der radikalreduzierten Immanenz der Phänomenologie, so daß über das Verhältnis des reinen → Ich zum empirischen Ich keine Existenzaussage zu fällen sei, sondern nur der unabtrennbare Zusammenhang des Ego mit seinen → Erlebnissen bleibe (Hua XV, 154 ff.). Innerhalb der Problematik der „Fremderfahrung“ konfrontiert Husserl das solus ipse des reduzierten Ich mit dem alter ego, das keine synthetische → Einheit meiner selbst als Vorgestelltes bildet, wodurch außer der Frage nach dem „transzendentalen S.“ auch der „transzendentale Realismus“ der leibhaften Selbstgegebenheit ins Wanken zu geraten scheint, sofern der → Andere nicht unmittelbar zu meiner „primordialen Eigenheitssphäre“ (→ Originalspäre) gehört, sondern nur auf psycho-phys. Weise analogieähnlich „appräsentiert“ wird (Courtine 1992; Depraz 1995b, 180 ff.). Diese Mitpräsentation des Anderen impliziert aber gerade, daß „der Sinn anderes ego“ als motivierte → Intentionalität mit zu den „transzendentalen Tatsachen meiner egologischen Sphäre“ ebenso gehört wie eine „an sich seiende Welt selbst“ (Hua I, 122 f.). Der Seinssinn einer objektiven Welt als jederzeit mitgemeintes „Für-jedermann-da“ einschließlich einer geistig-kulturellen

493 Welt höherer Ordnung wird dann unter dem Titel → Einfühlung behandelt, deren Stufen der Objektivierung von der „solipsistischen Subjektivität“ zur → Konstitution einer „kommunikativen Subjektivität“ führen, d. h. zu einem „Universum verläßlicher Wechselverständigung“ (Hua XIV, 105 ff.). Wird solche Kommunikation als gegenseitiglebensweltliche Bewährung und Korrektur wie in der Krisis-Schrift verstanden (Hua VI, 185 ff.), oder sogar zuletzt als „Triebvergemeinschaftung“ auf monadologischer Ebene (Hua XV, 440 ff., 556 ff., 597 ff.), so kann darin der äußerste Vorstoß zur konkretphänomenolog. Überwindung des S.Verdachtes bei Husserl gesehen werden (Gethmann, 1991; Lee 1993). Während Henry (1992, 220 ff.) die Problematik des S. bei Husserl gerade darin sieht, zu dessen Vermeidung der Frage nach der radikal-phänomenolog. Bestimmung des „Mir-Eigenen“ in der Primordialität ausgewichen zu sein, indem er auf eine gemeinsame Wahrnehmungswelt anstatt auf ein allen Individuen gemeinschaftliches Leben rekurriert, unterstreicht Ricœur, daß das ipse (Selbstheit) keinerlei Identität i. S. eines unwandelbaren Persönlichkeitskerns impliziere. Vielmehr zeige der komparative Gebrauch von idem (même: Selbigkeit) eine Äquivozität, die von vornherein zur Vermeidung des S. das Denken der Selbstheit (→ Selbstständigkeit) mit der Andersheit zu verbinden habe, nämlich „man selbst als ein anderer“ (Ricœur 1996, 11 f.; Waldenfels/Därmann 1998, 51 ff., 112 ff.). Über eine metaphys.-destruierende, weil phänomenolog. radikalisierte Kritik von Descartes bis Heidegger über Kant und Husserl gelangt Marion zu dem Ergebnis, daß eine Überwindung des S. nur durch einen „letzten Anruf“

Sorge (appel) zu erreichen sei, der die Möglichkeit des „Sich-offenbarens“ reiner Phänomenalität als solcher gewährleiste (Marion 1997, 357 ff.). Da die Aporie des S. die der → Substanz impliziere, sei auch der „existenziale S.“ bei Heidegger (HeiGA 2, 250) eigentlich nicht durch Welterschlossenheit und → Mitsein aufgehoben, weil der „ständig vorhandene Grund der Sorge“ (ebd., 419 ff.) noch die Reflexivität des transzendentalen Subjekts nachahme. Durchbrechen könne den S. des Ego wie des Subjekts oder des → Daseins nur ein „radikaler Umsturz“ durch die → Faktizität einer Gebung (donation), die das „Selbst“ in ein absolutaffiziertes „Mich“ im Akkusativ umwandelt (Marion 1997, 360 f.; Kühn 1993, 190 ff.). In dieser Kritik läßt sich der Einfluß von Henry wie Levinas erkennen, wobei letzterer die → Totalität des „Selben“ (le même) durch die Umkehr der Ich-Intentionalität in eine sinnliche Sich-Rekurrenz überwinden wollte, um an die Stelle der imperialsolipsistischen Verfügung über den → Anderen meine anarchisch-ethische → „Verantwortung“ durch die radikale Transzendenz der Andersheit zu setzen (Levinas 1992, 188 ff.; Waldenfels/Därmann 1998, 87 ff., 271 ff.). Qu.: Hua I. – Hua III/1. – Hua VI. – Hua XIII. – Hua XIV. – Hua XV. – HeiGA 2. – Levinas 1949 (1983). – Levinas 1974 (1992). – Henry 1990, 137-159 (1992, 213-250). – Ricœur 1990 (1996). – Marion 1997. – Lit.: Courtine 1991. – Depraz 1995b. – Gethmann 1991. – Lee 1993. – Kühn 1993. – Marbach 1974. – Waldenfels/Därmann 1998. RK

Sorge. In der fundamentalontolog. Analyse der → Existenz des → Daseins weist Heidegger der S. eine Schlüsselstellung zu, da in ihr der ur-

Sozialität sprüngliche Zusammenhang der formal existenzialen Ganzheit und der zeitlichen Verfaßtheit des Daseins als faktisch existierendes → In-der-Weltsein zum Aufschein gebracht wird. Dabei ist die S. nicht als ontisches Phänomen (z. B. Bekümmernis) zu verstehen, sondern sie gewährt die → Erschlossenheit des → Seins in ihrer dreigliedrigen Struktur von Existenzialität (verstehend-entwerfendes Sichvorweg), → Faktizität (befindlichgeworfenes Schon-sein-in-der-Welt) und Verfallensein (Sein-bei innerweltlich Begegnenden) (vgl. HeiGA 2, 256). Das eigentliche Ganzseinkönnen (Entschlossenheit) des Daseins wird im vollen Umfang durch die Zeitlichkeit ermöglicht, denn sie „enthüllt sich als der Sinn der eigentlichen S.“ (ebd., 432). Ricœur übt Kritik an der Fundierung der S., die das Ganzsein des Daseins ermöglichen soll, in der Zeitlichkeit, da diese mit dem Primat des Sich-vorweg (Sein zum Ende) eine Zeitekstase privilegiert und somit dem Postulat der Strukturganzheit widerspricht. „Wenn die Möglichkeit des Daseins, ein Ganzes zu sein [...], nicht mehr einzig und allein von der Betrachtung des Seins zum Ende abhängt, kann das Ganzseinkönnen wieder zurückgebunden werden an das Einigungs-, Artikulationsund Dispersionspotential der Zeit.“ (Ricœur 1991, 108 f.) Binswanger wiederum versteht die S. bei Heidegger nicht in ihrer ontolog. Strukturganzheit, sondern lediglich ontisch als Fürsorge und Besorgen der Mit- und Umwelt. Daher kann er gegen Heidegger einwenden, daß dieser bei seiner Interpretation der S. nicht zum Phänomen der → Liebe durchdringe, die Binswanger als unendliches Seinsprinzip des Menschen (Binswan-

494 ger 1993, 266) und als „Transzendieren der S.“ (ebd., 123) faßt und die daher nicht in der (endlichen) Zeitlichkeit des Daseins gegründet sein kann. Patoˇcka hingegen erkennt die ontolog. Dimension und den zeitlichen Charakter der S. bei Heidegger an, wendet aber dagegen ein, daß sich die existenziale Struktur bei Heidegger nicht mehr phänomenolog. aufweisen läßt, „weil die von ihm skizzierte Ontologie den Rahmen der Ontologie des menschlichen Daseins überschreitet [...].“ (Patoˇcka 1990, 248) Unabhängig davon, stellt Foucault von einer historischen Sichtweise aus eine Intensivierung des Selbstbezugs und den damit einhergehenden Moralreflexionen in der Antike (v. a. in der späten Stoa) fest, wo durch die „S. um sich selbst“, eine ausgewogene Lebensführung angestrebt wird, die jede weitere Selbsterkenntnis erst ermöglicht. Dem wird mit dem Erstarken des Christentums die heilsbringende Selbstlosigkeit entgegengesetzt, die allgemein feststellbare Regeln und das prüfende „Erkenne Dich selbst“ in den Vordergrund stellt. Qu.: HeiGA 2, 254-261, 428-438. – Ricœur 1985 (1991, 102-109). – Binswanger 1993, 50-175, 238-245. – Patoˇcka 1988, 108111, 264-287. – Patoˇcka 1990, 246-248. – Foucault 1984b (1986). – Foucault (1985) 1996. MF

Sozialität. Im Rahmen der im zweiten Band der Ideen analysierten „personalen Einstellung“ (Hua IV, 48-51, 172200) wird das Korrelat des „Wechselverständnisses“ (ebd., 193) der geistigpersonal wirkenden Subjekte als S. bezeichnet (ebd., 194; vgl. Marx 1987, 75˙f.). Diese „konstituiert sich durch spezifisch soziale und kommunikative Akte“ (Hua IV, 194; vgl. Walden-

495 fels 1971, 137 ff.), die „personale Einheiten höherer Ordnung“ (Hua XIV, 192 ff.; vgl. Hua I, 160; vgl. dazu Iribarne 1994, 124 ff., Hart 1991, 269 ff.) und zuletzt eine „einheitliche Geisteswelt“ (Hua IV, 292, 282, 298) i. S. der „objektiven Welt“ (Hua IV, 279) fundieren. Deren Vorgegebenheit impliziert damit eine vergemeinschaftete „Tradition“ geistiger Bedeutsamkeit (Hua XIV, 223, 230 f.), die Husserl in der Krisis zuletzt als die Einheit einer Stiftungsgeschichte transzendental auslegt. Husserls mundan-phänomenolog. Analysen der für die S. konstitutiven „fortschreitenden Vergemeinschaftung“ (Hua XIV, 206), die ab den zwanziger Jahren zunehmend auch auf den Bereich der → Passivität hin ausgedehnt werden (vgl. Lee 1993, 198 ff.) und die Möglichkeit eines sozial-ethischen Lebens im Rahmen der Trieb- und der Vernunftproblematik anzeigen (vgl. z. B. Hua XIV, 180; vgl. dazu Hart 1991), verzeichnen ein breites Spektrum an „sozialen Akten“ (vgl. z. B. Hua XIV, 166 ff., 175) und ihnen geltungskorrelativ entsprechenden „geistig bedeutsamen“ (vgl. Hua IV, 197) Gegenständlichkeiten. Deren lebensweltlich-typische Vorgegebenheit verweist dabei auf die systematisierende Idee einer „apriorischen Ontologie der realen Welt“ (Hua I, 164; vgl. Hua VI, 176 f.) und ist in dieser Perspektive auch in einer Reihe sozialphänomenolog. Untersuchungen konkretisiert worden (Schütz 1932; vgl. dazu Coenen 1985). Darüber hinaus stehen diese Analysen in grundsätzlichem Zusammenhang mit der Problematik der → „Intersubjektivität“. Diese wird von Husserl zwar auch als „universale S.“ (Hua VI, 175) bezeichnet, bleibt auf Grund des durch-

Spiel gehend egologisch fokussierten Ansatzes jedoch eminent problematisch und wird zuletzt erst im Rückgang auf die „generative Dimension“ (Steinbock 1995, 257 ff.) der Phänomenologie in ihrer transzendentalen Funktion durchsichtig, d. h. im Rückgriff auf Alterität, Trieb, Geburt/Tod und andere Grenzphänomene. Dieser selben Problematik einer egologischen Präformatierung sucht Merleau-Ponty (vgl. Meyer-Drawe 1984, bes. 147 ff.) seinerseits zu begegnen, indem er auf eine in der anonymen „Dichtigkeit der vorobjektiven Gegenwart“ investierte S. (Merleau-Ponty 1966, 492, vgl. ebd., 509) rekurriert, die im Prozeß der Verleiblichung selbst immer schon am Werk ist, wofür zuletzt die phänomenale Konstellation einer fleischlichelementaren „Zwischenleiblichkeit“ (Merleau-Ponty 1986, 185) einsteht. Qu.: Hua I. – Hua IV. – Hua VI. – Hua XIV. – Hua XV. – Hua XXIV. – Hua XXIX. – Schütz 1932. – Merleau-Ponty 1945 (1966). – Merleau-Ponty 1964 (1986). – Lit.: Coenen 1985. – Hart 1991. – Iribarne 1994. – Lee 1993. – Marx 1987 – MeyerDrawe 1984. – Steinbock 1995. – Waldenfels 1971. MST

Spiel. So verschieden die Ansätze innerhalb der Phänomenologie sind, das Sp. zu thematisieren, gemeinsam ist wohl allen dessen Bezug zur → Welt bzw. die Möglichkeit, im Ausgang vom Phänomen des Sp.s den Weltbegriff oder doch bestimmte Aspekte der Welt zu erhellen. Heidegger charakterisiert schon in Sein und Zeit den → Entwurf als „existenziale Seinsverfassung des Spielraums des faktischen Seinkönnens“ (HeiGA 2, 193). Etwas später bestimmt er die Welt als „Sp. des Lebens“ und spricht vom → In-der-Welt-sein als dem „ur-

Spiel sprünglichen Sp. der → Transzendenz“ (HeiGA 27, 313). Das freie Bilden und ein ursprüngliches Geschehen sind Wesenszüge des Spielens. Damit kommt zum Ausdruck, daß das In-derWelt-sein das Seiende immer schon „überspielt“ (transzendiert) hat. Nach der → Kehre ruht dieser Gedanke des Sp.s zunächst und lebt dann im Zusammenhang mit dem Versuch, in eine → Erfahrung mit dem → Ding einzutreten, wieder auf. Er steht nunmehr im Kontext des → Gevierts: „Dingend“ läßt das Ding Himmel und → Erde, die Göttlichen und die Sterblichen anwesen, von denen jedes sich in der „Einfalt“ dieses Gevierts zurückspiegelt. Im Spiegel-Sp. jener vier bildet sich das Gefüge der Welt. Heidegger spricht deshalb vom „Spiegelspiel der weltenden Welt“ (HeiGA 7, 182). Die Auslegung des Satzes vom Grunde führt in einer Änderung der Tonart – „Nichts ist ohne Grund“ (HeiGA 10, 75 f.) – zur Erfahrung des → Seins als → Ab-Grund, d. h. Sein läßt sich nicht mehr vom Seienden her erklären. Dem nachzudenken verlangt einen → Sprung. Damit gelangt das Denken „in die Weite jenes Sp.s, auf das unser Menschenwesen gesetzt ist“ (ebd., 167). Vor dieses Sp. sind die Sterblichen – also jene, die den „Tod als Tod vermögen“ (HeiGA 7, 180) – gebracht, von diesem Sp. her sind Sein und → Grund zu denken. Heidegger weist auf Heraklits Fragment 52 hin und interpretiert: „Das Seinsgeschick: ein Kind, das spielt.“ (HeiGA 10, 168) Zu den verschiedenen Welten, die er als geschlossene Sinnprovinzen begreift (die „Subuniversa“ von James), gehört für Schütz auch die Spielwelt des Kindes. Solange sie ungestört bleibt, ist sie seine Wirklich-

496 keit, ähnlich wie in der Sinnwelt der Kunst Hamlet wirklich Hamlet und nicht sein Darsteller ist. So wie die Außenwelt des Alltags ist auch die Spielwelt von Kindern, obwohl ein geschlossener Sinnbereich, der Vergesellschaftung fähig, weil sie wechselseitiges Handeln i. S. gemeinsamer Phantasievorstellungen gestattet. Ein Weltsymbol ist das Sp. (nicht ohne Bezüge zu Nietzsche) in Finks Kosmologie. Der Spieldeutung der Metaphysik setzt er die des Mythos entgegen. Erscheint im Licht der alltäglichen Lebenserfahrung das Sp. als etwas Unwirkliches, so wird damit ausgeblendet, wie sehr der Schein zum Leben gehört und unerschöpfliche Quellen in der Phantasie besitzt. Während aber noch die frühgriechische Philosophie, namentlich Heraklit, den Weltlauf im Symbol des spielenden Kindes versteht, beginnt mit Platon die Unterscheidung von urbildlicher Wirklichkeit und nachbildlicher Abbildung. Allerdings kommt für Platon selbst die Auseinandersetzung mit der Gewalt des Spiels (so wie mit der Dichtkunst) an kein Ende, und erst die nachfolgende Metaphysik hat die Zaubermacht des Sp.s gebannt. Im Rückgang auf die Spieldeutung des Mythos sucht Fink dieser traditionellen Verkennung des Sp.s zu entgehen. Dabei ist gerade sein kultischer Ursprung für eine philosophische Klärung dieses Phänomens von größter Bedeutung: Das Kult-Sp. gehört zur Lebensmitte des archaischen Menschen (es zeigt sich als eines der Grundphänomene des Menschen überhaupt, zu denen Fink außerdem → Arbeit, Herrschaft, → Eros und → Tod zählt). Auch gehört zum Sp. der Schein. Doch andererseits verstellt das kultische Sp. das Sp. der waltenden Welt und läßt das Sp. der Göt-

497 ter als bloßes Kultspiel erscheinen. Die philosoph. Frage nach dem Sp. stellt sich deshalb für Fink jenseits der Alternative „sakral“ oder „profan“. Darin, daß das Sp. seine Zwecke in sich trägt und auf kein Ziel über sich hinaus verweist, leuchten in den Merkmalen der Grund-, Sinn- und Zwecklosigkeit, wenn auch in gebrochener Weise, im Sp. Momente der Welt auf. Mit dem Gedanken des Sp.s hat Nietzsche, Finks Auslegung zufolge, die Grundstellung der Metaphysik hinter sich gelassen. In Gadamers phänomenolog. → Hermeneutik übernimmt das Sp. die Rolle eines Leitfadens zur Wiedergewinnung der → Wahrheit der Kunst, d. h. ihres Erkenntnisanspruchs. Dazu ist eine Präzisierung des Erfahrungsbegriffs nötig, deshalb nämlich, weil die Kunst ihre Wahrheit nicht in Form einer abschließenden Erkenntnis (auch nicht in Gestalt der Ästhetik) einbringen kann. Ausgangspunkt für die Freilegung dieser spezifischen Dimension der Erfahrung ist nun eben das Sp. Seine Bewegung endet bei keinem letzten Ziel, sondern „erneuert sich in ständiger Wiederholung“ (Gadamer GW 1, 109). Auch wird es von keinem Subjekt gespielt, denn das eigentliche „Subjekt“ ist nicht der spielende Mensch, sondern das Sp. selbst, indem dieses dem Bewußtsein des Spielers vorausgeht. Doch nicht allein die Wiederholung ist ihm eigen, sondern es gehört auch die Vollendung in einem Gebilde zu ihm. Damit verläuft es in einer in sich geschlossenen Welt und hat sein Maß an ihm selbst. Gadamer spricht von einer „Verwandlung ins Wahre“ (ebd., 118): Das Sp. bringt ans Licht, „was ist“. Im ihm vollzieht sich Wiedererkennung, das „mimische Urverhältnis“, wodurch das Dargestellt

Spielraum nicht bloß da ist, sondern „eigentlicher ins Da gekommen ist“ (ebd., 120). Qu.: HeiGA 7, 165-184. – HeiGA 10, 153169. – HeiGA 27, § 36. – Schütz WA V.2. – Fink 1960a. – Fink 1960b. – Fink 1979. – Gadamer GW 1, 107-139. – Lit.: Kolb 1990. HV

Spielraum. Die attentionalen Komplikationen, die auf die Vermöglichkeiten der Betätigung des aktiven → Ich verweisen, sind bei Husserl an den „(passiv-assoziativ konstituierten) Sp. möglicher Zuwendungen“ (Fink 1966, 51), d. h. an den egologisch präformierten „Sp. der freien Zuwendung“ (vgl. Hua XI, 13 f., 47 f.) zurückgebunden. Der apriorische „Sp. der Möglichkeiten als expliziter ,Umfang‘ der unbestimmten Allgemeinheit der Antizipation“ (Husserl 6 1985, 32), d. h. die bestimmt vorgezeichnete Unbestimmtheit des in der Horizontstruktur der Gegenstandserfahrung antizipierten Erfahrungsverlaufs, ist damit implizit auf die motivierte Möglichkeit der Näherbestimmung bezogen, welcher dann der Horizontbegriff – verstanden als „antizipierter Sp. möglicher Bestimmbarkeit“ (Mertens 1996, 205) – Rechnung trägt (vgl. Husserl 6 1985, 27). Diese rein konstitutionstheoretische Bestimmung des Sp.s als → Horizont vermöglichen ichlichen Eingreifens wird in der Spätphilosophie Husserls durch die stärkere Einbindung der praktisch-kinästhetischen und intersubjektiv-generativen Dimension des „fungierenden Leibes“ (vgl. z. B. Hua XV, 325 f.) konkretisiert und als eigenständige Dimension des „intentionalen Lebens“ gegenüber dem „habituellen Stil“ der Welterfahrung und ihrer invarianten Typizität aufgewiesen. Dieser Erweiterung des Begriffs

Spontaneität ist auch Merleau-Pontys Interpretation dieser Zusammenhänge verpflichtet (vgl. Merleau-Ponty 1966, 380, 462 f.): Für diesen eröffnet die durch den „transzendentalen Gesichtspunkt“ des → Leibes sich erschließende Horizonthaftigkeit der → Erfahrung einen umfassenden „Sp. des Verhaltens“ (Waldenfels 1980; vgl. außerdem Waldenfels 1994a und ders. 2000, 205 f.), welcher das Subjekt mit offenen Horizonten, anonymen Sinnstrukturen und fremden Ansprüchen durchzieht und in eins konstitutiv belehnt (vgl. Kaiser 1997, 162 ff.). Damit wird zuletzt nicht nur die zentrale Instanz der Subjektivität jeder prätendierten Absolutheit entkleidet, sondern zuletzt noch auf ein „fleischliches Strukturierungsgeschehen“ (vgl. Merleau-Ponty 1986, 313 ff., 339 f.) hin entgrenzt, das die Subjektwerdung im Prozeß der Weltphänomenalisierung verankert. Qu.: Fink 1966. – Hua XI. – Hua XV. – Husserl 1939 (6 1985). – MerleauPonty 1945 (1966). – Merleau-Ponty 1964 (1986). – Lit.: Kaiser 1997. – Waldenfels 1980. – Waldenfels 1994a. – Waldenfels 2000. MST

Spontaneität ist bei Husserl das Prinzip der freien schöpferischen → Aktivität des → Ich, das als „Subjekt der Sp.“ i. S. einer Urquelle der konstitutiven Erzeugungen bestimmt wird (Hua III/1, 253). Für Husserl steht die Sp. nicht im Gegensatz zur → Rezeptivität, die als unterste Stufe der Aktivität anzusehen ist (Husserl 5 1976, 83). Neben den Sp.en des intentionalen Dahinlebens weist Husserl auf die Sp. der → Urimpression hin, die nicht durch ichliche Erzeugung, sondern – als die Urzeugung selbst – durch genesis spontanea zustande kommt (Hua X, 100).

498 Bei Arendt ist die Sp. eine Bestimmung des → Willens als einer zukunftsorientierten, schöpferischen power of beginning, welche der kontingenten Tatsache der → Geburt entspricht (Arendt 1978, 6). Die in der menschlichen Sp. wurzelnde → Freiheit faßt Arendt als das Bestandsstück der human condition auf (ebd., 110) und versucht sie mit Heidegger durch die Verweisung auf die → „Gelassenheit“, die jenseits der kausalen Alternative von Aktivität und Passivität des Willens steht, seinsgeschichtlich zu entsubjektivieren (ebd., 178). Qu.: Hua III/1. – Hua X. – Husserl 1939 (5 1976). – Arendt 1978b (1979). – Lit.: Held 1966. – Marbach 1974. AG

Sprache (frz.: langue, langage, parole). Bei Husserl ist Sp. ausdrückliches Thema vor allem hinsichtlich der Sphäre einer objektiven Theorie der → Erkenntnis. Die Logischen Untersuchungen behandeln eigens die „Ausdrücke in kommunikativer Form“, gemeint sind psych. → Akte, die der Redende mit → Sinn ausstattet, um seinen Hörern etwas mitzuteilen. Das Interesse gilt dem „Rationalen“ und „Logischen“ der Sp. im Sinne einer philosoph. Grammatik, um die „logisch angemessene Sp.“ (Hua XIX/2, 721) ermitteln zu können. Die Sp. wird solcherart als logisch geistiges Gebilde aufgefaßt, das dieselben Eigenschaften wie jedes geistige Gebilde besitzt. Sie kommt für den Logiker nur in ihrer Idealität in Frage und ist „Ausdruck des Denkens“ (Hua XVII, § 3). Ohne dies näher auszuführen, schränkt Husserl aber auch ein, daß „philosophische Grundbegriffe nicht definitorisch zu fixieren sind“ und sich „im Rahmen der historischen philosophischen Sp.“ hal-

499 ten sollen (Hua III/1, 9). Doch ist es seine feste Überzeugung, daß nicht nur alle Probleme der → Wahrheit und → Vernunft, sondern auch die der phänomenolog. Sp. ebenso wie die „in der natürlichen Weltlichkeit konstituierten Sp.“ (Hua VI, 192) prinzipiell gelöst werden können. Schelers Sprachauffassung hängt nicht zuletzt daran, daß er die für die Philosophie spezifische Erkenntnis als asymbolische Erkenntnis bestimmt. Zwar bedient sich auch die Philosophie der Sp., doch nur zum Zweck, durch alle Symbole hindurch das wesenhaft Unbestimmbare (da in sich selbst Bestimmte) zur Darstellung zu bringen. Im Durchgang durch die Sp. findet der Philosophierende „das durch die Sp. gleichsam noch unberührte vorsprachlich Gegebene“ (ScheGW 10, 413). In der Phänomenologie kommt der Sp. deshalb auch eine besondere Bedeutung zu. Während nämlich in der Wissenschaft wie im Leben alles Zeigen unmittelbar das Gemeinte zum Ausdruck bringt, ist die Rede in phänomenolog. Gebrauch „nur ein Hilfsmittel, etwas zu zeigen, aufzuweisen“ (ebd., 465; vgl. Heideggers → „formale Anzeige“). Was im Zeigen gemeint ist, soll der Angeredete bzw. der Leser selbst sehen. Im Kontext von Binswangers liebendem Miteinandersein ist die Sp. 1. der Vollzug der sich entziehenden Transzendenz, weil sie unterscheidet und nicht aufs Ganze geht. Die „Wirheit“ → Lieben versteht Binswanger als sprachlose Fülle und Stille, dem „schiedlichen“ Sprechen dagegen geht die schweigende Versenkung in der beidseitigen → Begegnung des → Daseins voraus. Das Wir, das zum Kleid der Sp. greift, verfällt damit der Schwäche sprachlicher Äußerung, nämlich

Sprache der Überlegung und Überprüfung. 2. Innerhalb der Wirheit des Liebens hat die Sp. aber nicht nur diese eingeschränkte Bedeutung, sondern in Zeugung, Schaffen und Gestalten ihre eigene Wirklichkeit. Sie hebt mit der Nennung der Liebenden an und endet im Gespräch der Liebe. 3. Unter dem Aspekt mündlicher Verlautbarung ordnet Binswanger das Aussprechen als Akt des Nehmens dem „umweltlichen Nehmen-bei-etwas“ ein. In diesem gründet die Zugänglichkeit der Mitwelt, wobei der durch das Nehmen gewonnene Abstand die Grundform ist, die sich in verschiedene Arten des Nehmens entfaltet. Im „Nehmenbeim-Namen“ läßt sich der Einzelne in seiner Bestimmtheit greifen, wobei die zunächst suggestive Bedeutung dieses Nehmens mit zunehmender Zivilisation zum bloßen Namensträger wird. Erst im „Nehmen-beimWort“ wird der Andere wesenhaft zugänglich, woraus ein Verhältnis des Vertrauens bzw. Misstrauens resultiert. Im „Nehmen-bei der schwachen Stelle“ erscheint der Andere im Medium der Sittlichkeit, wobei hier die Person weitgehend noch in der Sache aufgeht. Das „Nehmen-beim-Ohr“ ist keine Wort-, sondern eine Gebärdensprache. Diese wird im Eindruck, den jemand macht, manifest, wozu auch der leibliche Kontakt gehört. Mit „Eindruck“ ist hier die Bedrängnis gemeint, wodurch sich eine Situation dermaßen zuspitzt, daß rasches Handeln erforderlich wird (weshalb der Zeitigungsmodus dieses Nehmens die Raschheit ist). Einen eigenen Modus, in dem Mitwelt zugänglich wird, bildet schließlich das „Nehmen-beim-Ruf“, wodurch jemand durch das Bild, das sich Andere von ihm machen, erscheint. Die Grunderfahrung ist hier über die Anderen im

Sprache Hörensagen und in dem, was von jemandem erzählt wird, vermittelt. Lipps stellt im Ausgang von der aristotelischen Erörterung des logos in De interpretatione der formalen Logik (in deren Zentrum die Aussage steht) eine hermeneut. Logik gegenüber (→ Hermeneutik), die besonders die Funktion des gesprochenen Wortes beachtet. Sp. ist „je eines Sp.“ (Lipps WW II, 78); sie intendiert primär nicht sachliche Erfüllbarkeit, sondern Verständigung. Das Moment der Erfüllung liegt in der enthüllenden Potenz des Wortes, das in ein wirkliches Verhältnis zu den Dingen bringt. Darum ist das Wort „der Halt der Rede, deren Sinn in Wörter als wie in Knoten geschürzt wird“ (ebd., 106). Freilich entgeht das Wort damit nicht auch der Gefahr, zum bloßen Schlagwort herabzusinken. Der Bedeutung des gesprochenen Wortes entspricht Lipps Interesse an Ausdrücken und Redensarten, an Mundart und Jargon. So ist der Dialekt gegenüber der Reinheit der Schriftsprache nicht etwas Sekundäres, vielmehr hat diese die Ursprünglichkeit des echten Dialekts abgestreift. Der Dialekt ist nicht „natürlich“, sondern hat seine eigene Reinheit, ist von einer Potenz, die vom Wesen der Sp. nicht getrennt werden kann. Der natürlichen Sp. stellt Lipps die Sp. des Kalküls gegenüber. Dieser ist eine Sp. „für etwas“ (WW IV, 107), verständlich einem Kreis von Eingeweihten, der sich auf die jeweils gebrauchten Formeln versteht. Der Kalkül gibt Rechenschaft, in der Sp. dagegen geschieht Verantwortung. Die Sp. des Kalküls stellt isolierte Beziehungen heraus, das Wort dagegen bindet den Gedanken an die Existenz des Sprechenden. Es verdichtet, spitzt zu und wird damit zum Ausdruck einer Entscheidung. Zur Sp. gehört auch eine

500 bestimmte Weise, von der Welt durchstimmt zu sein. Deshalb kann ein Wort Eindruck machen, und auch dies begründet seine Verbindlichkeit. Bei Heidegger ist in Sein und Zeit für das → Sein des → Daseins die Rede (zusammen mit → Befindlichkeit und → Verstehen) konstitutiv, in ihr gründen → Hören und Schweigen wie auch die Sp. als die „Hinausgesprochenheit der Rede“ (HeiGA 2, 214). Weil die Rede eine Weise des Daseins ist, entspricht ihr in der Seinsart des entwurzelten Daseinsverständnisses das Gerede, das primär nicht das beredete Seiende zu verstehen sucht, als vielmehr nur auf das Geredete als solches hört. Nach der → Kehre rückt die Sp. noch stärker in den Vordergrund (und terminologisch an die Stelle der Rede). Der Mensch – ausgesetzt der und offen für die Übermacht des Seins – spricht; das → Tier spricht nicht, weil es nicht zu sprechen braucht. Ursprung und Grund der Sp. ist das Schweigenkönnen (hierher gehört der Gedanke einer „Sigetik“ als einer Logik des „Erschweigens“; vgl., HeiGA 65, Nr. 37). Sp. ist Sammlung (logos im ursprünglichen Sinn) und Offenbarung des Gefüges des Seienden (HeiGA 36/37, § 5). In diesem „Urgeschehnis“ waltet die → Welt (HeiGA 38, § 29). Die Frage nach dem Wesen der Sprache führt in den Bereich, wo diese als weltbildende Macht geschieht, d. h. in die → Dichtung, die deshalb die ursprüngliche Sp. ist (ebd., § 31). Aus Heideggers geschichtlicher Erfahrung trifft dies namentlich auf Hölderlin zu. Damit erhält die Deutung der Sp. eine besondere Wendung: In ihr wendet sich der Mensch gegen „den“ → Gott, um diesem nicht zu erliegen und damit dieses „Grundverhältnis zum Seienden nicht zu zerstören“ (HeiGA 39, 66). Die geschichtli-

501 che Bedeutung Hölderlins zeigt sich im Gegenzug zur technischen Instrumentalisierung des Wesens der Sp. innerhalb jenes metaphysischen Raums, der durch Nietzsches Auslegung des Seins als Wille zur Macht bestimmt ist (HeiGA 52, Nr. 13). Weil die abendländische → Metaphysik wesentlich „Logik“ ist und damit die Sp. zweitrangig und zu einem bloßen Mittel herabsinkt, wird es zur Aufgabe, die Macht der Logik eigens zu erfahren, um sie zu erschüttern (HeiGA 38). Wesentlich für die Sp. wird dabei deren „Tönen“ (Herder: „Das Ohr der erste Lehrmeister der Sp.“, „Sp. ist Tönen“, vgl, HeiGA 85, 139). Die Rückbesinnung auf den ersten → Anfang der abendländischen Philosophie steht nicht zuletzt im Dienst einer ursprünglicheren Erfahrung der Sp., wie dies vor allem aus Interpretationen zum logos des Heraklit hervorgeht (vgl. HeiGA 55 u. HeiGA 7). In seinem Spätwerk intensiviert Heidegger die mit Hölderlin begonnene „Zwiesprache“ des → Denkens mit dem Dichten, um den Sinn für das Wesen der Sp. zu wecken, „damit die Sterblichen wieder lernen, in der Sp. zu wohnen“ (HeiGA 12, 34; vgl. dazu auch HeiGA 9, 313: „Die Sp. ist das Haus des Seins“). Diese Absicht trägt Heideggers Interpretationen zu Trakl und George und bestimmt auch seine Begegnung mit der Dichtung Celans (die allerdings keinen schriftlichen Niederschlag findet; dazu Pöggeler 1986). Mit Hölderlin sucht Heidegger den geschichtlichen → Bezug zum „Fehl“ heiliger Namen zu erfahren, damit dieser die Seinsvergessenheit eigens erfahren läßt (HeiGA 13). Der Satz „Die Sp. spricht“ (HeiGA 12, 10) ist ein Widerruf der Auslegung des Menschen in der durch die Metaphysik begründeten Tradition („das

Sprache Tier, das Sp. hat“, zoon logon echon, animal rationale). Der Untersuchung der sozialen → Wirklichkeit gilt das besondere Interesse von Schütz. Dabei spielt die Sp. als → Kommunikation eine besondere Rolle. Allerdings gehen die einschlägigen Untersuchungen teils den Weg einer sich an Bergson orientierenden linguistischen Analyse, teils in Richtung sprachsoziologischer Interpretationen, die auf Forschungsergebnissen des Neurologen und Psychiaters Goldstein fußen. Phänomenolog. ist Schütz’ Ausgang von der Welt der Erlebnisse, die zunächst nur durch das erlebende Ich zu einer Einheit verbunden sind. Eine erste Ordnung in die Fülle dieser Erlebensinhalte bringt das Gedächtnis, doch erst das handelnde Ich führt zum Wissen um eine Welt außerhalb seiner. Leistet solcherart das Gedächtnis die erste und das Handeln die zweite Symbolisierung, so ergibt sich die dritte aus dem Verhältnis zu einem Du. Mit dessen Einbeziehung erwächst die Aufgabe, sich mitzuteilen, womit die neue Lebensform des redenden Ich beginnt. Hier wird die Welt der eigenen Erlebnisse überschritten und eine Sprachwelt eröffnet, die „mit jedermanns Erlebnissen“ (Schütz WA V.2, 44) erfüllt ist. Schütz macht es sich auch zur Aufgabe, anhand der Formenlehre europäischer Sp.n die Beziehungen der Sp. zu den übrigen Lebensformen darzustellen. Die Untersuchungen aphasischer (aufgrund von Verletzungen des Gehirns ihres Sprachvermögens beraubter) Patienten durch Goldstein führen Schütz zu der phänomenolog. fundierten Erkenntnis, daß sich jene Kranken eines anderen Relevanzsystems bedienen (→ Relevanz), als dies normalerweise der Fall ist. Die Aufmerksamkeit des Gesunden wird

Sprache von den Aufgaben seines Alltagslebens in Anspruch genommen. Bei Aphatikern hingegen ist der Konnex zwischen Gegenwart und Vergangenheit dermaßen gelockert, daß deren Welt nur die aktuellen Erfahrungen der → Retentionen und → Protentionen umfaßt. Eine typisierende Verallgemeinerung über das unmittelbar Gegebene hinaus kann deshalb nicht erfolgen. Von Husserls Theorie der Typisierung auf der vorprädikativen Stufe erwartet Schütz weitere Anstöße für die Forschung. In Gadamers phänomenolog. Hermeneutik (sie gilt dem „Phänomen des Verstehens und der rechten Auslegung des Verstandenen“, Gadamer GW 1, 1) übernimmt die Sp. als Medium hermeneut. Erfahrung eine zentrale Aufgabe, u. zw. wesentlich als Gespräch. In diesem beruht ihr eigentliches Sein. Wie beim wirklichen Gespräch muß sich auch das hermeneut. eine gemeinsame Sp. erarbeiten. Weil auch das Wesen der Überlieferung durch Sprachlichkeit geprägt ist, bestimmt die Sp. sowohl den hermeneut. Gegenstand (den Text) als auch den hermeneut. Bezug (die Interpretation). Sp. ist Welterfahrung. Welt haben versteht Gadamer als ein Verhalten zur Welt, das eine gewisse Distanznahme mit sich bringt eine Leistung, die auf der Sp. beruht: sich von dem, das von der Welt her begegnet, so weit frei zu machen, um es so, wie es ist, sich gegenüber stellen zu können. Daher folgt aus dem so bestimmten Weltverhältnis auch die Sachlichkeit der Sp.: „Es sind Sachverhalte, die zur Sp. kommen.“ (Ebd., 449) Sp. (langage) ist für Levinas wesentlich eine Beziehung der Nähe, deren Ursprung im Nächsten liegt. Es ist eine Sp. ohne Worte und Sätze, reine Kommunikation. Sie ermöglicht deshalb die Objektivität der Dinge, weil

502 sie es erlaubt, den Besitz in Frage zu stellen. Erst dadurch vermag der → Andere in eine gemeinsame Welt einzutreten. In Levinas vor allem in Totalität und Unendlichkeit entfalteten Konzept der → Exteriorität des → Seins löst die Sp. die intentionale Beziehung von → Noesis und → Noema ab. Im Sehen (der Gesichtssinn nimmt seit Platon und Aristoteles einen gewissen Vorrang ein) wird das Seiende der adäquaten Idee subsumiert und solcherart der Identität unterworfen: Es wird ihm Sinn verliehen. Demgegenüber bewahrt die Rede die Exteriorität oder Andersheit jenseits der Identität. In der Sp. kommt der Andere aus einer „Dimension der Erhabenheit“ (Levinas 1987, 247) auf mich zu. Diese Dimension nennt Levinas „Unterweisung“ (enseignement). Er bezeichnet damit eine Beziehung zum Anderen auf dem Weg des Wortes, worin dieser aufgerufen ist, selbst das Wort zu ergreifen. Ein solches Wort bringt – anders als das geschriebene – Herrschaft. Es geht vom „Meister“ aus, dessen Lehre der Unterweisung selbst gilt. Obwohl sich in der Rede (discours) im Vollzug der Sp. die → Beziehung zur Exteriorität ereignet, gilt dies für jede Rede: Die Rede der Rhetorik ist darauf angelegt, den Nächsten zu überlisten. Sie ignoriert den Anderen, wogegen dieser in der Exteriorität der Rede „von Angesicht zu Angesicht“ angesprochen wird. In einer solchen Rede, die hier zusammen mit der Gerechtigkeit erscheint, ereignet sich Wahrheit. Das Werk der Sp. nimmt die Beziehung zu einer Nacktheit auf, in der das → Antlitz des Nächsten aus sich selbst heraus begegnet und vor aller Sinndeutung seinen → Sinn enthält. Weil die Sp. unaufhörlich jede Sinngebung zugunsten der Bedeutung (signification)

503 überschreitet, wahrt sie den Abstand zum → Göttlichen - ist „die Rede Rede mit Gott und nicht mit seinesgleichen“ (ebd., 430). Merleau-Pontys Sprachdenken vollzieht sich in mindestens zwei Ansätzen: hinsichtlich der leiblichen Verankerung der Sp. und in einem Rückgang auf Saussures Linguistik. In der Phänomenologie der Wahrnehmung wendet er sich gegen die intellektualistische Vorstellung von der Sp. als einer bloß äußeren Begleiterscheinung des → Denkens. Das Wort (parole) ist nicht die Übersetzung fertiger Gedanken, sondern Träger des → Sinnes. Der Zusammenhang von Sp. und Leiblichkeit setzt eine Sicht des → Leibes voraus, die diesen durchgängig, bis in seine Sexualität (→ Geschlechtlichkeit) hinein, durch → Intentionalität und Bedeutung bestimmt sein läßt (im Gegenzug zum cartesianischen Dualismus von res cogitans und res extensa, welch Letztere als bloße Körpermaschine erscheint). Das sprechende Subjekt ist nur als leibliches Subjekt verstehbar, Sp. die Bekundung seiner inneren Möglichkeiten und wesentlich mehr als bloß eine Hülle des Denkens. Im Vollzug des Sprechens ist das Wort nicht das Resultat von Gedanken, sondern deren Vollendung, die sie in ihrer Wahrheit zur Darstellung bringt. Besonderes Augenmerk gilt dem → Ausdruck: In ihm liegt die Möglichkeit der Eröffnung einer neuen Erfahrungsdimension und damit neuer Kommunikationsmöglichkeiten. Die Sprechenden gehören auf Grund vorausgegangener Ausdrucksakte zu einer gemeinsamen Welt und sind dieser in einer emotionalen Gestik (mit erheblichen kulturellen Differenzen) verbunden. Zu einer „Neuentdeckung der Sp. auf den Spuren von Saussure“ (Waldenfels 1983a,

Sprache 193) kommt es in Signes und dem unvollendeten Werk Die Prosa der Welt. In Schmitz’ Neuer Phänomenologie kommt der Rede eine Mittelstellung zu, in der sie die Balance zwischen zwei Extremen immer wieder zu erproben hat. Auf der einen Seite wird sie von der Situation bestimmt, die zwar ganzheitlich, aber innerlich diffus ist. Auf der anderen Seite steht die jeweilige ganz bestimmte Sp., die zwar durch Regelsysteme geordnet erscheint, in ihrer Gesamtheit aber undurchschaubar und somit gleichfalls diffus ist. Die R. ist deshalb nicht souverän. Sie kann ihre Funktion nur ausüben, indem sie mit dieser doppelten Bindung zurechtkommt. Nachträgliche Reflexion vermag zwar korrigierend einzugreifen, den Bannkreis der sie leitenden Sprachregeln aber nie zu durchbrechen. In ihrer explikativen Funktion liegt die Besonderheit menschlicher Rede gegenüber tierischer Kommunikation. Diese Leistung besteht darin, aus Situationen einzelne Sachverhalte, Programme oder Probleme herausheben zu können und diese damit zu bewältigen. Waldenfels untersucht Sp. und Rede in vielfacher Hinsicht. Besonderes Augenmerk gilt der Differenzierung in eigene und fremde Rede, der Untersuchung hybrider Formen der Rede sowie dem Verhältnis von Rede und Schrift. Seine Analysen stehen im Kontext einer Topographie des Fremden, in der Strategien gegen dessen vorschnelle Vereinnahmung in ein gemeinsames Verstehen entwickelt werden. Fremde Rede ist ein → Anspruch von außen, der es dem eigenen Sagen erst ermöglicht, über das Spiel mit bloßen Möglichkeiten hinaus den eigenen Spielraum zu überschreiten. Im Wechsel von → Frage und → Antwort las-

Sprung sen sich Anspruch und Antwort nicht auf eine übergeordnete Instanz beziehen, sondern beruhen auf Vertrauen, das man einander schenkt, nicht auf Leistungen in einem Tauschgeschäft. Darin liegt die Eigentümlichkeit eines einander Zeit Gebens. Zu den hybriden Formen der Rede zählt jene Zweideutigkeit von Spiel und Ernst, durch die schon Sokrates seine Zeitgenossen irritiert und mit seiner Ironie verwirrt hat. Dazu gehört ferner die Einmengung von Literatur in den Alltagsernst der Sp., die Verflechtung von eigener und fremder Rede im Zitat sowie die fiktive Rede. Der Aufweis solcher hybriden Formen der Sp. ist nicht Selbstzweck, sondern soll auf ein Spiel (nicht ohne den Ernst des Alltags, aber doch auch über diesen hinaus) verweisen, das Anderem und Fremdem die Möglichkeit einräumt, als es selbst in Erscheinung zu treten. Qu.: Hua XIX/1, § 7. – ScheGW 10 (377502). – Binswanger AW 2, I. Teil, Kap. 1.A.IV.3; Kap. 2.III.d) u. Kap. IV,c-g. – Lipps WW II. – Lipps WW IV. – HeiGA 2, §§ 34-35. – – HeiGA 12. – HeiGA 13. – HeiGA 36/37, § 5. – HeiGA 38, §§ 29, 31. – HeiGA 39, § 7. – HeiGA 65, Nr. 37. – HeiGA 85. – Heidegger 1989a. – Schütz WA V.2, 37 ff. u. 79 ff. – Schütz, Luckmann 1979, III.C.3, IV.A.1. – Schütz, Luckmann 1984, VI.C. – Gadamer GW 1, III. Teil. – Gadamer GW 2, Nr. 14 u. Nr. 15. – Levinas 1963 (1983). – Levinas 1980 (1987), I.B.5, III.B.4-5, V.5. – MerleauPonty 1945 (1966). – Merleau-Ponty 1960 (2003, 111 ff). – Schmitz 2002, Nr. 4. – Waldenfels 1994a, bes. Teil II. – Waldenfels 1999, Nr. 3 u. Nr. 7. – Lit.: Bucher 1991. – Fischer u. a. 2001 (darin: Dallmayr, Rühle, Liebsch). – Herzog 1994. – Hübner 2001. – Pöggeler 1986. – Pöggeler 1992. – Riedel 1990. – Srubar 1988. – Trinks 1998. – Waldenfels 1983a. HV

504 Sprung. Der Begriff des Sp.s geht auf Kierkegaards Gedanken zurück, das Unendliche sei nicht durch Schritte der Vermittlung (so Kierkegaard gegen Hegel und in Erinnerung an Lessings „garstigen Graben“ in Über den Beweis des Geistes und der Kraft), sondern nur durch einen Sp. zu erreichen. Doch ist es nur im Endlichen erfahrbar, und dazu braucht es Leidenschaft: „Jede Bewegung der Unendlichkeit geschieht in Leidenschaft.“ (Kierkegaard in Furcht und Zittern) Diese Möglichkeit kann nur im Vollzug des christlichen Glaubens zur Wirklichkeit werden. Die Philosophie ist für den Glauben, wie Heidegger Paulus zustimmend zitiert, eine Torheit (1. Korintherbrief 1, 20; vgl. HeiGA 9, 379), und eine christliche Philosophie „ein hölzernes Eisen und ein Mißverständnis“ (HeiGA 40, 9). Gleichwohl ist das Wesentliche nur durch einen Sp. zu erreichen (HeiGA 38, 19). Dies gilt für die Frage, warum überhaupt Seiendes ist und nicht vielmehr Nichts (HeiGA 40, 3 ff; vgl. Leibniz, Principes de la Nature et de la Grace Nr. 7). Trifft dies schon auf die metaphysische Leitfrage nach dem Seienden als solchen zu (HeiGA 31, 39), so um so mehr auf die Grundfrage in ihrer Vorform: „Was ist das Sein¿‘ (HeiGA 32, 59) Diese führt zum Sp. in das ganz Andere des anderen → Anfangs (HeiGA 65, Nr. 117), wo sich das → Dasein in den Bereich des Wesens des → Seins selbst stellt (ebd., Nr. 118). Nochmals vergleichbar mit Kierkegaard gilt auch hier, daß der Sp. einer Leitstimmung (→ Stimmung) bedarf; ist es bei jenem die Leidenschaft schlechthin, so bei Heidegger die Scheu (ebd., Nr. 115). In ihr erfährt sich „der Werfer des Entwurfs als geworfener“ (der Sp. als der gewor-

505 fene → Entwurf; ebd., Nr. 122). Von der → Metaphysik und deren vorstellendem Denken aus ist es ein Sp. in das Wesen der Metaphysik (Heidegger 1957, 47), der in die Offenbarkeit des Seins versetzt. Als Sp. führt die Abkehr vom vorstellenden Denken aber in keinen Abgrund, sondern – für dieses Denken der herkömmlichen und zumal neuzeitlichen Philosophie seltsam und unheimlich – „auf den Boden, auf dem wir leben und sterben, wenn wir uns nichts vormachen“ (HeiGA 8, 44). Qu.: HeiGA 40 (§ 1). – HeiGA 65 (IV.). – HeiGA 8 (1. Teil, 4. Vorlesung). – Heidegger 1957 (Die onto-theologische Verfassung der Metaphysik). – Lit.: Kovacs 1992. HV

Spur. (frz.: trace) Jede S. weist inmitten von → Anwesenheit auf Abwesendes hin, das sich jener nicht einordnen oder gar unterordnen läßt. Das erhält bei Heidegger im Zusammenhang mit seiner Kritik am abendländischen Denken, das in der neuzeitlichen Subjektmetaphysik kulminiert und im Nihilismus seine Vollendung erfährt, den Hinweis auf eine ganz besondere Abwesenheit: der des Göttlichen und „des“ → Gottes. Das von der → gedachte → Sein ist des Gottes nicht fähig. In den Beiträgen leuchtet das „Seyn“ – in seiner → Wahrheit durch das → Dasein gegründet – als „Wegspur des letzten Gottes“ auf. Im späteren Rilke-Vortrag ist die Zeit der „Weltnacht“ so dürftig, daß sie den „Fehl Gottes als Fehl“ nicht mehr erfahren kann. Deshalb legt das Element des Heiligen – das hier mit Hölderlin gedacht wird – eine S. zum Göttlichen. Doch auch diese S. wird unkenntlich. So liegt es nun paradoxerweise am Unheil, dass dieses als Unheil das → Heile „spurt“ und dieses das Heilige „ruft“.

Spur S. ist für Levinas ein Zugang zum → Anderen, der seine Andersheit in der abendländischen Philosophie durch Identifikation immer schon eingebüßt hat. Die platonische Transzendenz eines „Jenseits des Seins“ (epekeina tes ousias) wie auch Plotins „Jenseits der Vernunft“ (epekeina nou) bezeichnen die rätselhafte Botschaft einer Jenseitigkeit oder „Illeität“ (illéité), aus der das → Antlitz des Anderen erscheint. In dieses Jenseits deutet die S. In solchem Bedeuten bildet sich eine Beziehung zur Illeität, die dadurch nicht auch schon erschlossen ist: In einer gewissen Distanznahme zur Phänomenologie schlägt Levinas einen anderen Weg ein. „Die S. ist die Gegenwart dessen, was eigentlich niemals da war, dessen, was immer vergangen ist.“ (Levinas 1983, 233) Diese Vergangenheit besagt, daß sie früher als alles Bewußtsein von ihr und alles Selbstbewußtsein eines Ich ist. Die Bezeichnung „Urspur“ (architrace) führt Derrida in der Grammatologie ein, um die Grenze der Identitätslogik zu bezeichnen. Ur-S. oder ursprüngliche S. bedeutet aber keineswegs, damit werde ein neuer Ursprung (wie Husserls transzendentale Subjektivität) eingeführt. Eine ursprüngliche S. gibt es nicht, weil diese selbst als niemals einzuholende → Differenz (différance) fungiert. Mit dem Begriff der S. geht Ricœur auf ein von Heidegger her offenes Problem zu. Er stellt sich als Aufgabe, die ursprüngliche → Zeit, die auf → Zukunft ausgerichtet ist (Vorlaufen zum → Tod), und die „vulgäre“ Zeit als Abfolge beliebiger Jetztpunkte in einen verstehbaren Zusammenhang zu bringen. Dazu muß der ursprünglichen und der „kosmischen“ Zeit (der „Weltzeit“ von Sein und Zeit) gleiches Recht wi-

Staunen derfahren. Daraus folgt, daß die Kategorien der Geschichte (in Heideggers Terminologie: der „Historie“) nun auch positiv gewürdigt werden können, das „Weltgeschichtliche“ besser erklärt werden kann. Dazu ist es nötig, die Sp.n der Vergangenheit zu lesen. Die Innerzeitigkeit läßt sich dann nicht mehr als bloße Nivellierung betrachten. „Die Zeit der Sp., scheint mir, ist homogen mit der kalendarischen Zeit. (Ricœur 1991, 195) Qu.: HeiGA 5, 269-320. – HeiGA 65, Nr. 117. – Levinas 1949 (1983), Nr. 8. – Levinas 1974 (1992), III.6.d. – Derrida 1967 (1974, 49-130). – Derrida 1967 (1972, 302350). – Ricœur 1985 (1991). – Lit.: Gawoll 1989. HV

Staunen. Heidegger bezeichnet das St. (thaumazein) als die Grundstimmung des ersten denkerischen Anfangs, wie es seit der Antike als Ursprung alles philosophischen Fragens gefaßt wird. Dabei grenzt er das St. gegen die bloße Verwunderung ab, die den Menschen als einzelnes Überraschendes aus der allzu gewöhnlichen Langeweile herausreißt. Im eigentlichen St. (Erstaunen) wird all das Gewöhnliche zum Ungewöhnlichen; das Seiende im Ganzen kommt als offen Anwesendes auf den Menschen zu, der das Seiende als Seiendes in seinem reinen Aufgehen und in seiner → Unverborgenheit erfährt. Bei den Griechen wird demnach lediglich nach dem → Sein des Seienden gefragt und auf mehrfache Art die Gestalt der Seiendheit des Seienden zu bestimmen versucht. „Das Erstaunen versetzt vor Alles in Allem – daß es ist und das ist, was es ist – vor das Seiende als das Seiende. Indem der Mensch dahin versetzt wird, wird er selbst zu dem verwandelt, [...] das Seiende als Seiendes in der reinen An-

506 erkenntnis erstmals festzuhalten hat.“ (HeiGA 45, 174) Qu.: HeiGA 8. – HeiGA 45, 157-180. – MF

Sterben. Für Arendt war die griechische Welt vor dem Aufkommen der ersten philosph. Seinsspekulationen und damit vor der Entdeckung der „Ewigkeit“ von der Dualität Sterblichkeit – Unsterblichkeit geprägt. Die Sterblichkeit war hier das Wesensmerkmal des Menschen; ihm standen die unsterbliche Natur und die unsterblichen Götter gegenüber. Denn selbst die Tiere hatten, als Exemplare einer an sich unsterblichen Gattung, an der Unsterblichkeit der Natur- und Götterwelt teil. Sterblich war allein der Mensch, da er allein des individuellen St.s fähig war. In dieser ursprünglichen griechischen Welt lag die größte Aufgabe der Sterblichen darin, durch die Früchte eines tätigen Lebens, durch fortdauernde Werke, Worte und Taten, zumindest indirekt an der Unsterblichkeit des Kosmos teilzuhaben. Das ganze Leben der antiken Polis gründet Arendt zufolge in der so verstandenen Sterblichkeit des Menschen. Durch Platos Entdeckung des Ewigen, eines Dritten neben Sterblichem und Unsterblichem, das nun die Stelle des Wahren und Wertvollen einnahm, verlor die → vita activa ihren Sinn. Denn solange das Unsterbliche, d. h. das Immerwährende, das zu Verwirklichende darstellte, hatte das tätige Leben als Realisation immerwährender Werke Sinn; die „Ewigkeit“ aber, das nunc stans, das nun das oberste Ziel darstellte, konnte nicht mehr aktiv verwirklicht, sondern nurmehr kontemplativ geschaut werden. War der Gegensatz sterblich-unsterblich die Quelle des tätigen Lebens gewesen, so geriet diese durch das Aufkommen der

507

Stimme

„Ewigkeit“ in Verruf und Vergessenheit. Qu.: Arendt 1958 (1960).

MW

Stiftung. → Urstiftung Stille. Für Heidegger ist die „große St.“ der Ursprung der → Sprache. Sie ist das lautlose Geschehen zwischen Zuruf (→ Sein als ereignender Zuwurf) und Zugehör (→ Dasein als ereigneter → Entwurf), von dem „alle Sprache des Daseins ihren Ursprung“ nimmt, die deshalb ihrem Wesen nach „Schweigen“ ist (HeiGA 65, 407 f.). Das worthaft-verlautende Sprechen des Menschen wurzelt demnach in einem ursprünglicheren Geschehen der Seinseröffnung, welches den Menschen zum hörenden Entsprechen aufruft. Im Gegenhalt zum worthaften Lauten nennt Heidegger dieses es allererst ermöglichende welteröffnende und -versammelnde Geschehen „Läuten“. Das „Geläut der St.“ ruft → Ding und → Welt je in ihr Eigenes, indem es sie „in die Mitte ihrer Innigkeit“ (in ihr Zusammengehören) versammelt. Dieses versammelnde Rufen ist das Sprechen der Sprache selbst, dem sich das menschliche Sprechen als Entsprechen verdankt (HeiGA 12, 26-30). Qu.: HeiGA 12. – HeiGA 65.

WF

Stimme (frz.:voix). Im Aufweis einer eigentlichen existenziellen Bezeugung der ontologischen Möglichkeit des → Vorlaufens zum Tod geht Heidegger von der St. des → Gewissens aus, die allerdings nur der alltäglichen Selbstauslegung des → Daseins entstammt. Die existenziale Interpretation dieses Phänomens entdeckt darin den Ruf des Gewissens, dem ein mögliches → Hören entspricht. Der Ruf trifft das Da-

sein, insofern dieses aus dem Manselbst (→ Man) in sein eigentliches → Selbst zurückgeholt werden will. Der Ruf des Gewissens gehört als → Rede zu dem für das Dasein konstitutiven Moment der → Erschlossenheit. Das im Grunde seiner Unheimlichkeit sich befindende Dasein (→ Befindlichkeit, → Angst) ist dem Man unvertraut, „so etwas wie eine fremde St.“ (HeiGA 2, 367), die „im unheimlichen Modus des Schweigens“ redet (ebd., 368). Indem der Ruf des Gewissens aus dem Man-selbst zurückruft, löst er das Dasein aus der Orientierung des Besorgens von Seiendem und befreit es zur Erfahrung des → Seins. „Einzig der Mensch unter allem Seienden erfährt, angerufen von der St. des Seins, das Wunder aller Wunder: daß Seiendes ist.“ (HeiGA 9, 307) In der Wiederholung des Anfangs des abendländischen Denkens (was keineswegs auf eine „Erneuerung des Griechentums“ abzielt) wird die Erfahrung vorbereitet, „die St. der künftigen Stimmung und Bestimmung zu vernehmen“ (HeiGA 54, 249). Dieser Erfahrung liegt der Schmerz zugrunde, dessen höchste Gestalt im Verhältnis zum → Tod erreicht wird. Derridas Kritik an der St. (griech. phone, frz. voix) und im besonderen an der „phänomenolog. St.“ ist vor dem Hintergrund seiner Rehabilitierung der → Schrift zu sehen. Die Geschichte der Metaphysik ist für ihn eine Geschichte der Präsenz, d. h. eine Rückführung aller Phänomene auf einen letzten Grund von bleibender Gegenwart. Die Metaphysik begründet mit dieser Bestimmung des Seins als Präsenz die Macht der St. Erklärt wird dies dadurch, daß die unendliche Wiederholbarkeit, die in der Idealität eines Objekts begründet ist und den Zugang durch ein Bewußt-

Stimmung sein voraussetzt, zugleich eines Mediums bedarf, in der jene Idealität erst zum Ausdruck kommen und verfügbar werden kann – und dieses Medium ist die St. Ohne sie ist Bewußtsein nicht möglich. „Die Stimme ist das Bei-sichSein in der Form der Universalität, das Mit-Bewußtsein (con-science).“ (Derrida 1979, 137) Qu.: HeiGA 2, §§ 54-60. – HeiGA 9 (303312). – HeiGA 54 (245-250). – Derrida 1967 (1979). – Derrida 1967 (1974). – Lit.: Guest 1992. – Höfliger 1995. – Waldenfels 1983a (VII.6). HV

Stimmung. Scheler grenzt – wie bereits Hegel (vgl. Hegel 1949, § 402) – St.en von Gefühlszuständen ab. Zwar liegen auch bei den St.en „emotionale qualitative Charaktere“ vor, die „als Gefühlsqualitäten gegeben sein können“ (→ Emotion, → Gefühl); sie werden aber im Gegensatz zu Gefühlen nicht ichbezüglich erlebt (ScheGW 2, 263 Anm.). Lipps weist auf die Raumhaftigkeit der St. hin; sie ist „das Seelische im Raum oder die Seele des Raumes“, und was ihn lebendig macht, „Luft, Licht, Atmosphäre“, ist das „spezifische Substrat dieser St.“. Die Raumstimmung ist von den sichtbaren Gegenständen unabhängig; sie ist vielmehr die Weise, „wie die Gegenstände im Raume zusammen sind und sozusagen innerlich Zwiesprache halten“ (Lipps 1906, 189 f.). St.en richten sich also nicht auf einzelne Dinge, sondern schließen die Welt in einem umgreifenden Sinne auf. So heißt es auch bei Dilthey, jede Weltanschauung sei „von Einer Gemütsverfassung, Einer Grundstimmung getragen“ (Dilthey GS VIII, 33). In einer kürzlich in Prag aufgefundenen, noch unveröffentlichten Schrift versucht Landgrebe einen Zusammenhang zwischen dem

508 horizontbildenden subjektiven Leben und dem Gestimmtsein menschlicher Existenz aufzuweisen. Sein Ziel ist, „Diltheys Analysen der geschichtlichen Welt in den Kontext der transzendentalen Phänomenologie einzubringen und dabei über deren Verhältnis zu Heideggers ,Fundamentalontologie‘ Klarheit zu gewinnen“ (Pongratz 1975, 140). Im Gegensatz zu Landgrebe und v. a. Heidegger hält Husserl die St. für ein „ganz hochliegendes und nicht elementares Phänomen [...], zu dem die systematische Fundierungsanalyse eben auch erst spät kommen kann“ (Husserl 1994, 305). Heidegger nimmt die musikalische Herkunft des Wortes auf, wenn er schreibt: „Eine St. ist eine Weise, nicht bloß eine Form oder ein Modus, sondern eine Weise im Sinne einer Melodie, die nicht über dem sogenannten eigentlichen [d. h. durch Denken und Wollen bestimmten] Vorhandensein des Menschen schwebt, sondern für dieses Sein den Ton angibt, d. h. die Art und das Wie seines Seins stimmt und bestimmt“ (HeiGA 29/30, 100). Die St. kommt weder von außen noch aus dem Inneren des Menschen, sondern „steigt als Weise des In-der-Welt-seins aus diesem selbst auf“ (HeiGA 2, 182). Das Eigentümliche der St. liegt darin, daß sie in eine je andere Erfahrung des Ganzen versetzt. Den traurig oder heiter Gestimmten sprechen die Dinge je anders an. Dem vom „pathos des Erstaunens“ Durchherrschten (Heidegger 1988a, 25 u. HeiGA 45, §§ 35-38) enthüllen sich das Seiende im Ganzen und die aus ihm begegnenden Dinge anders als der Stimmung des Zweifels oder der Verhaltenheit (HeiGA 65, 395). „Jedes Verhalten des geschichtlichen Menschen ist, ob betont oder nicht, ob begriffen oder nicht, gestimmt“ (Hei-

509 GA 9, 192). Weil die St. in diesem Sinne im vorhinein den → Bezug zum Seienden jeweils erst umgrenzt, indem sie ihn eröffnet und offen hält, kann Heidegger schreiben: „Gestimmtheit und Bezogensein sind in sich eines“ (Heidegger 1987, 251). Bereits in Sein und Zeit heißt es: „Wir müssen in der Tat ontolog. grundsätzlich die primäre Entdeckung der Welt der ,bloßen St.‘ überlassen“ (HeiGA 2, 183). Eine besondere Rolle spielen dabei die beiden gegenstandslosen und ungerichteten „Grundstimmungen“ der → Angst und der → Langeweile. In ihnen ist das → Dasein auf ausgezeichnete Weise unmittelbar erschlossen als das „Selbst, das da ist und sein Da-sein übernommen hat“ (HeiGA 29/30, 215). In der Angst zeigt sich somit der „Anfangscharakter des Daseins“ (Figal 1988, 202), sofern sie „das sich in allem ausdrücklichen Verhalten durchhaltende Vernehmen des Möglichseins ist und deshalb ebenso die Flucht wie ein modifizierendes Ergreifen der Alltäglichkeit erst ermöglicht“ (ebd., 194). Die Eigentümlichkeit der beiden Grundstimmungen Angst und Langeweile liegt in ihrer Funktion der „Reduktion“ (Courtine 1984); in ihnen bricht die wesensmäßige Kluft zwischen dem Dasein und allem übrigen Seienden auf, mithin seine → „Transzendenz“: „Würde das Dasein im Grunde seines Wesens nicht transzendieren [...], dann könnte es sich nie zu Seiendem verhalten, also auch nicht zu sich selbst“ (HeiGA 9, 114 f.). Der Gedanke der in der Grundstimmung geschehenden Welteröffnung steht auch im Zentrum der Vorlesung zu Hölderlins Hymnen ,Germanien‘ und ,Der Rhein‘, in der die Grundstimmung in Hinsicht auf ihren geschichtlichen Charakter und als Herkunft der → Dichtung behandelt

Stimmung wird. Dabei denkt Heidegger die in der St. geschehende Transzendenz zunehmend stärker als ein Übernehmen bzw. eine „Überkommnis“: „St.en sind das durchgreifend umfangende Mächtige, die in eins über uns und die Dinge kommen“ (HeiGA 39, 89). Die Unverfügbarkeit der Grundstimmung betont Heidegger, wenn er den „stimmenden Einfall der Grundstimmung“ als „Zufall“ (HeiGA 65, 22) denkt. Dem entspricht dann auch die Rede, daß in jeder Grundstimmung „die Stimme des Seyns spricht“ (HeiGA 52, 72). Die S. des Menschen entspricht also je der Weise, wie sich das → Sein geschichtlich zuspricht. In Was ist das – die Philosophie? werden die epochalen Gestalten der Seinsgeschichte als Abfolge von Grundstimmungen herausgestellt. Was sich als „Stimme des Seins uns zuspricht, be-stimmt unser Entsprechen“, und zwar nicht nur bezüglich der Gefügtheit unseres Verhaltens, sondern auch bezüglich der Präzision und Bestimmtheit unseres Sprechens (Heidegger 1956, 23 ff.). Unser heutiger Geschichtsort ist dagegen durch Stimmungslosigkeit charakterisiert: „Stimmungslos ist seit langem der Mensch. Ohne jenes, was sein Wesen jeweils fügt in die Beständigkeit der Wahrung eines Offenen, worin das Seyn sich ereignet. Stimmungslosigkeit ist bisher ersetzt durch die Anreizung zu Gefühlen und Erlebnissen, die nur den Menschen in die Zufälligkeit dessen vermenschen, was er gerade betreibt [...]. St. aber wirft aus sich heraus den Zeitraum wesentlicher Entscheidungen, indem sie den Gestimmten selbst in diesen Zeitraum wirft und ihn in das ,Da‘ preisgibt“ (HeiGA 66, 238). Schmitz behandelt unter St.en Gefühle, die Weite repräsentieren, wie die räumlichen, ungegenständlichen →

Strafe Atmosphären der Morgen-, Abend-, Frühlings-, Gewitterstimmung oder solchen kollektiver Aufgeregtheit, Albernheit, Niedergeschlagenheit usf. (Schmitz System III/2, § 149). Als „reine“, d. h. gänzlich ungerichtete St.en hebt er Zufriedenheit und Verzweiflung hervor: „Was sie von sich aus gemeinsam zum Gefühlsleben beisteuern, ist vielmehr bloß Weite, die bei der Zufriedenheit als erfüllt, bei der Verzweiflung als leer gegeben ist“ (ebd., 259). In dieser basalen Form bilden sie „die Urschicht, den Boden oder Hintergrund des Gefühls“ (ebd., 263). Gerichtete Gefühle nennt Schmitz dagegen „Erregungen“, wobei alle Gefühle St.en sind, die reinen St.en aber die einzigen, die gänzlich richtungslos sind. „St.en werden durch Weite definiert, Erregungen durch Richtung und intentionale Gefühle durch Zentrierung“ (ebd., 266). Qu.: Hegel 1949. – ScheGW II. – Lipps 1906. – Dilthey GS VIII. – Hua Dok. Bd. IV. – HeiGA 2. – HeiGA 9. – HeiGA 29/30. – HeiGA 39. – HeiGA 45. – HeiGA 52. – HeiGA 65. – HeiGA 66. – Heidegger 1987. – Heidegger 1956. – Schmitz System III/2. –Lit.: Bollnow 1941. – Courtine 1984. – Figal 1988. – Gander 1994. – Haar 1986. – Held 1991. – Kawahara 1987. – Pongratz 1975. – Ziegler 1991. CN

Strafe. In Überwachen und Strafen versucht Foucault anhand des Strafvollzugs die Entwicklung einer spezifischen Machttechnik herauszuarbeiten. Die abendländische Strafpraxis ist eine politische Technologie, die auf den → Körper abzielt und im Kriminellen ein zu manipulierendes Objekt sieht. Statt aber die Geschichte des Strafvollzugs – von der Marter über den Kerker zur therapeutischen Resozialisierung – als eine der fortschreitenden Humanisierung zu lesen, wendet sich Fou-

510 cault einer → Genealogie der komplexen gesellschaftlichen Funktionen der Bestrafung zu; der Herausbildung von Disziplinartechnologien in ihrem Zusammenhang mit der Entwicklung des modernen Individuums. Drei historische Typen der Bestrafung werden beschrieben: das Paradigma der absolutistischen Strafpraxis sind Folter und öffentliche Hinrichtungen; in ihr wirkt eine Macht, die über Leben und Tod verfügt. Es wird abgelöst durch das moralische Paradigma humanistischer Reformer im 18. Jh. St. ist Belehrung und Abschreckung und dient der Reintegration des Kriminellen in die gesellschaftliche Normalität. Im 19. Jh. setzt sich ein dritter Typus der Bestrafung durch, das Gefängnis. Die Einsperrung dient der produktiven Disziplinierung und Normalisierung, wobei die individuelle Wiederherstellung mit der gesellschaftlichen Nutzung der Gefangenen als Arbeitskraft verbunden wird. Die neu entstehenden Humanwissenschaften liefern die Klassifizierung und Kodifizierung des verbrecherischen Individuums. Letztlich ist der hier wirksam gewordene moderne Machttypus nicht auf das Gefängnis beschränkt, sondern wird zu einer universell einsetzbaren, effizienten Technologie zur Disziplinierung und Überwachung. Qu.: Foucault 1975 (1976). – Foucault 1976. – Lit.: Dreyfus/Rabinow 1982 (1987). – Habermas 1985. – Honneth 1985. RS

Struktur. Husserl gebraucht wiederholt den Begriff der St., ohne ihn allerdings über seinen allgemeinen Gebrauch hinaus zu präzisieren. So spricht er von phänomenolog. St. mit dem umfassenden Titel → „Intentionalität“ (Hua III/1, § 84); von noetischnoematischen St.en (vgl. Ideen I, 3.

511 Abschnitt, 4. Kapitel); von der universellen noematischen St., die den noematischen Kern und wechselnd ihm zugehörige „Charaktere“ umfaßt (ebd. § 129); von der subjektiven St. unseres Weltbewußtseins, welche der wissenschaftlichen → Erkenntnis vorausgeht (Hua VI, § 28); von der St. der → Lebenswelt, die sich als allgemeine in den Relativitäten der Lebenswelt durchhält und als apriorische nicht relativ ist, wiewohl an sie „alles relativ Seiende gebunden ist“ (ebd., 142). So gehört zur allgemeinsten St. der Lebenswelt oder lebensweltlichen „Formtypik“, „daß jeder jeweils erfahrene Körper nicht nur überhaupt mit anderen Körpern zusammen da ist, sondern [...] in einer typischen Form der Zusammengehörigkeit, welche in einer Sukzessionstypik verläuft“ (ebd., 221, Anm. 1). Die formal-allgemeinsten St.en der Lebenswelt sind → Ding und → Welt einerseits, Dingbewußtsein andererseits (Hua VI, § 37). An diesen eher allgemeinen Strukturbegriff Husserls knüpft denn auch der ältere Strukturalismus nicht an (der Moskauer und Prager zum Unterschied vom späteren Pariser Strukturalismus; der Russische Formalismus wurde im Cercle linguistique de Prague fortgesetzt, in beiden Fällen aufs engste mit dem Namen Jakobsons verbunden). Er orientiert sich vielmehr an Husserls III. Logischer Untersuchung, Zur Lehre von den Ganzen und Teilen (vgl. Jakobson/Gadamer/Holenstein 1984, 74 f.), sodaß Jakobsons Strukturalismus als „Husserlianismus“ charakterisiert und von einer „Konvergenz von Phänomenologie und Strukturalismus“ gesprochen werden kann (vgl. Holenstein 1975, 55 ff.). Jakobson maß darüber hinaus Husserls früher Arbeit Zur Lo-

Struktur gik der Zeichen (Hua XII, 340-373) für die Entwicklung der Semiotik große Bedeutung zu (vgl. Jakobson 1988, 114). Heidegger steht mit der Aufgabe, die Frage nach dem Sinn von → Sein zu stellen, vor der Notwendigkeit, die formale St. der Seinsfrage hinsichtlich dreier Strukturmomente zu erörtern: dem „Fragen nach ...“: dieses hat sein Gefragtes, das Sein; dem „Anfragen bei ...“: Seiendes, das auf sein Sein abgefragt wird, hier das → Dasein; dem Erfragten, mit dem das Fragen ins Ziel kommt (vgl. HeiGA 2, § 2). Die Untersuchung zielt als phänomenolog. darauf ab, das in der Begegnisart des Phänomens Gegebene hinsichtlich seiner phänomenalen St.en zu explizieren (ebd., § 7). Die → Analytik des Daseins legt dieses mit Blick auf seine Ganzheit aus („artikuliert“ es), ist also nicht Analysis i. S. einer „Auflösung der Elemente“, sondern „die Artikulation der Einheit eines Strukturgefüges“ (Heidegger 1987, 150). Diese ursprüngliche St. des Daseins ist in ihrer Ganzheit das → In-der-Welt-sein. Dessen konstitutive Momente sind existenziale St.en, in denen sich das Dasein hält: → Befindlichkeit, → Verstehen, → Rede, → Verfallen. In der → Auslegung wird der Entwurfscharakter des Verstehens ausdrücklich (der → Entwurf als Grundstruktur der Weltbildung; vgl. HeiGA 29/30, 527). Die Strukturmomente der Auslegung sind Vorhabe, Vorsicht und Vorgriff (vgl. HeiGA 2, § 32). Die Einheit der für das Dasein konstitutiven Momente beruht in der → Sorge, deren St. Heidegger auf folgende existenziale Formel bringt: „Sich-vorweg-schon-seinin (einer Welt) als Sein-bei (innerweltlich begegnendem Seienden).“ (HeiGA 2, 419) Die Frage nach dem „Sinn“ die-

Struktur ser Einheit zielt auf die Ermöglichung der Ganzheit des gegliederten Strukturganzen der Sorge ab; sie liegt in der Zeitlichkeit (ebd., § 65). Die zeitliche Interpretation des Daseins setzt bei jenen St.en an, in denen sich die → Erschlossenheit im Ausgang vom alltäglichen Dasein konstituiert (die Strukturmomente von Verstehen, Befindlichkeit, Verfallen, Rede). Daraus ergibt sich die existenzial-zeitliche St. in der Einheit von Gewärtigen (uneigentliche → Zukunft, die sich aus dem jeweils Besorgten versteht) bzw. → Vorlaufen (eigentliche Zukunft); Gegenwärtigen (uneigentliche → Gegenwart in der Aufenthaltslosigkeit der Neugier) bzw. → Augenblick (eigentliche Gegenwart); Vergessen (uneigentliche → Vergangenheit in den alltäglichen Stimmungen des nächsten Besorgens) bzw. Wiederholung (eigentliche Vergangenheit) (ebd., § 68). In der ekstatischen Einheit der Zeitlichkeit (→ Ekstase) gründet das Strukturganze der Sorge (ebd., § 69). Die Zeitigungsstruktur der Zeitlichkeit enthüllt sich ihrerseits als die Geschichtlichkeit des Daseins (ebd., § 66). Zur Benommenheit als dem Grundwesen des tierischen Organismus (in seiner Weltarmut) gehören sechs Strukturmomente: Genommenheit (die Möglichkeit des Vernehmens von etwas als etwas ist dem → Tier genommen), Hingenommenheit (von einem anderen triebhaft hingenommen sein), Eingenommenheit (eigentümliche Orientierung des Tieres), Umring (das, womit sich das Tier in der Dauer seines Lebens umringt), Ringen um den Umring (Selbst- und Arterhaltung) und das Benehmen als die spezifische Fähigkeit eines Tieres im Gegensatz zum menschlichen Sichverhalten (vgl. HeiGA 29/30, § 61).

512 Merleau-Ponty unterscheidet in seinem Erstlingswerk Die Struktur des Verhaltens drei Ordnungsbereiche mit entsprechenden St.en: Die St. der Physik, die vitalen St.en und die St.en der menschlichen Ordnung. Zu diesen Bereichen gehört eine jeweils spezifische Dialektik. Für die physikalische Ordnung gilt die Dialektik von St. und Gesetz (die Zugehörigkeit jedes Moments zur gesamten St. tritt im Gesetz nicht auf); zur vitalen Ordnung gehört die Dialektik der Beziehungen zwischen einem organischen Individuum und dessen Umwelt (dem Individuum eignet eine allgemeine St. des → Verhaltens mit bestimmten Konstanten, wodurch die Umwelt hinsichtlich ihrer Wirkung in bestimmten Grenzen gehalten wird); zur menschlichen Ordnung gehört die Dialektik von Umwelt und Handlung. Alle physikalischen Gesetze sind Ausdruck einer St. und haben nur Sinn „in“ dieser, wie Merleau-Ponty gegen die Auffassung des Positivismus und in Verallgemeinerung einzelner Beobachtungen des Gestaltpsychologen Köhler sagt. Die Gestalten eines Organismus können dagegen nur unzureichend durch physikalische Modelle verstanden werden, z. B. nach dem Modell einer Maschine, die nach ökonomischen Prinzipien arbeitet. Die → Reaktionen eines Organismus sind vielmehr Akte, die sich auf eine bestimmte Umwelt beziehen, und der Organismus selbst bildet eine Bedeutungseinheit; seine St.en sind „Ideen“, an denen die Teilphänomene partizipieren. Das Neue der menschlichen Ordnung liegt darin, daß innerhalb einer vorgegebenen Welt neue St.en erzeugt werden. Die dem Menschen eigentümliche Dialektik manifestiert sich in der Fähigkeit, „die geschaffenen St.en zu übersteigen, um

513 daraus andere zu schaffen“ (MerleauPonty 1976, 200). Rombach versteht den Strukturbegriff als Epochenbegriff: In der abendländischen Philosophie folgt auf die Substanzontologie die System- und auf diese die Strukturontologie. Substanzontologie ist Dingontologie; zu Beginn der Neuzeit wird die Wissenschaft zum Weltwissen im System; auf dieses folgt der Gedanke der St., den Rombach als Weiterentwicklung der von Husserl und Heidegger begründeten Phänomenologie betrachtet. Da es „die“ St. nicht gibt, ist eine generelle Strukturtheorie nicht möglich, sodaß der Weg über Modelle gesucht werden muß (Rombach 1971, 19). Diese können von ganz verschiedener Art sein: So ist der Garten ein (bevorzugtes) Modell, aber auch die Kybernetik fungiert als solches, eine Pflanze, die Kunst, die Sprache, der Tanz, doch auch am Verbrechen wird gezeigt, wie eine zugrundeliegende Gesellschaftsstruktur in der Häufung von Eigentumsdelikten die Unangemessenheit eines Besitzsystems demonstriert (ebd., 170). Den Grundwiderspruch der sozialen Systeme macht auch Rombachs Strukturanthropologie deutlich. Während für die Substanz der Dingontologie der Stein exemplarische Bedeutung besitzt und das System sein Modell in der Welt der Gestirne findet, fungiert im Strukturdenken der Mensch hinsichtlich seiner Fähigkeit zur Selbstschöpfung als Modell der Wirklichkeit: „Selbstschöpfung, Autogenese, ist der Grundbegriff der Strukturontologie.“ (Rombach 1993, 95) An die Stelle von Heideggers → „Eigentlichkeit“ tritt die Kreativität (ebd., 127). Grundphänomen der Strukturanthropologie ist die Situation. In ihr konstituiert sich die Vielfalt der

Subjekt Subjekte mit ihrem jeweils „großen“ und „kleinen“ Ich (hier hat auch die Strukturtherapie ihren Platz). Der Situation eignet eine bestimmte Sozialstruktur, in der Situation wird die Zeit in ihrem Kommen und Gehen erfahren, Herzstück der Situation ist das „innerste Nichts“ (ebd., 287). Dieses begründet gerade deshalb, weil es keinerlei Identität vorwegnimmt, die Offenheit der Lebensstruktur. Auch der → Leib wird als Situation erfahren, sofern er nämlich in lebenslanger Arbeit angeeignet werden muß. An ihm lassen sich Tiefenstrukturen aufweisen: animalische Phänomene, doch nicht nur tierische, sondern auch pflanzliche Verhaltensweisen. Die Grundstruktur unserer Lebenswelt ist das Ergebnis eines „Grundhandelns“, das bestimmte Strukturmomente im Ganzen einer Handlungsstruktur vorwegnimmt und prägt. Qu.: Hua III/1, §§ 84, 97-127, 129. – Hua VI, §§ 28, 37, 62. – Jakobson/Gadamer/Holenstein 1984. – Jakobson 1986. – HeiGA 2, §§ 2, 29, 32, 41, 64, 65, 68, 69. – HeiGA 29/30, § 61. – MerleauPonty 1942 (1976). – Rombach 1965. – Rombach 1971. – Rombach 1993. – Lit.: Dümpelmann/Hüntelmann 1991. – Holenstein 1975. – Stenger/Röhrig 1995. – Masullo 1989. – Taminiaux 1986. HV

Subjekt (frz.: sujet). Die neuzeitlich seit Descartes gegebene Identifikation von Mensch und S. (Decartes 1973, 24 ff.) besitzt eine epochale Bedeutung, insofern es danach kein Sein mehr gibt, das seinen Sinn nicht durch ein solches S. erhielte, wie bes. Husserl erkannte (Hua I, 48 ff.). Ist dem S. alles Sein als → Objekt unterworfen, so scheint mit dem modernen technischen Entwurf weltweiter Verfügungsgewalt über die Natur ein solcher S.-Anspruch

Subjekt nur noch als Täuschung oder Ideologie aufrechterhalten werden zu können, der in den S.-Kritiken bei Heidegger (HeiGA 17, 109 ff.) bis zur Postmoderne zur These vom „Tod des S.s“ wird (Nagl-Docekal/Vetter 1987; Baumgartner/Jacobs 1993). Phänomenolog. gesehen ist damit aber nur ein „S. der Vorstellung“ dekonstruiert, denn das cartesianische → Cogito ist kein S. rationaler Gewißheit, sondern die urphänomenalisierende Erscheinensweise als solche, sofern in der Zweifelsepoché über jeden ontischen → Inhalt hinaus ebenfalls die transzendentwelthafte Sichtbarkeitsevidenz überhaupt aufgehoben wird. Das sentimus nos videre (Descartes 1974, 413) bzw. das videre videor (Descartes 1973, 29) bestimmt die Subjekthaftigkeit des Ego (→ Egologie, Ich) nicht mittels der repraesentatio, sondern als passio bzw. affectio (Henry 1963, 1 ff.; 1985, 17 ff.; Marion 1985). Die S.-Kritik bei Heidegger als Abbau des theo-ontolog. Substanzbegriffs, wonach das subjectum als hypokeimenon sich im cartesischen wie kantischen cogitare me cogitare wiederhole (HeiGA 5, 92 ff.; HeiGA 6.1, 461 ff.), trifft daher ebensowenig das originär-subjektive Phänomenalitätsverständnis bei Descartes, wie die Einordnung des S.s in eine metaphys. Verfallsgeschichte des → Seins seit den Griechen über Kant (HeiGA 17, 177 ff.) bis zum „anderen Denken“ von „Da-sein“ und „Seyn“ eine Alternative darstellt (HeiGA 65 293 ff.). Denn in dieser Seinsvergessenheit fällt die S.-Selbsttäuschung nicht nur auf das Sein selbst zurück, sondern die radikale Phänomenalisierung des Cogito als „Wie“ jeden Gegebenseins hat eine ontolog. Tragweite, die an keinen vorherigen geschichtlichen „Seinssinn“ gebunden ist (Henry

514 1985, 87 ff.). Denkt Heidegger in der Temporalisierung der Selbstheit die „Selbstaffektion“ der transzendentalen S.-Apperzeption nach Kant als zeitliche „Selbstbewegtheit“ des → Daseins (HeiGA 24, 177, 179 f. ; Ansén 1990, 26 ff.), so führt er in existenzialer Fragestellung die transzendentalphänomenolog. S.-Auffassung von Husserl weiter, der die Selbstaufklärung des S.s als intentionale Relation ohne irgendein fertig-konstitutiertes Etwas (res, sub-jectum) denken wollte. Die Überwindung eines rationalethisch motivierten „Objektivismus“ wie eines „egologischen Subjektivismus“ (Hua I, 179 ff.) führt dazu, daß das S. vor-intentional sein Sein letztlich passiv-impressional erfährt, ohne dadurch jedoch den Rahmen der Bewußtseinsrealität als „Transzendenz in der Immanenz“ zu verlassen. Dieses „doppelte Leben des S.s“ nach Bernet (Bernet,1994, 8 ff., 332 ff.; vgl. Housset 1997; Sepp 1997, 31 ff.), das sowohl eine Vorhandenheits-Sicht des S.s vermeidet wie eine totale Beherrschung des Objekts, fand unterschiedliche Fortsetzungen in der nachhusserlschen Phänomenologie: sei es als S.-Verständnis einer „fungierenden“ (und nicht leistenden) → Intentionalität bei Fink (Fink 1988) oder eines „perzeptiven Glaubens“ in einer leibhaft-vorstrukturierten → Lebenswelt nach Merleau-Ponty (MerleauPonty 1966, 325 ff.; Waldenfels 1985, 160 ff.) bzw. als einer „selbstaffektivimmanenten“ Subjektivität, wie sie Henry als Aufgabe der Lebensphänomenologie begründete, sofern die Frage nach dem S. diesseits jeder Vorstellung philosoph. noch nicht ausreichend gestellt sei (Henry 1990; Henry 1997, 133 ff.). Dem stehen andere phänomenolog. Entwürfe gegenüber, so

515 wenn Patoˇcka (Patoˇcka 1970; Patoˇcka 1991) von einer menschlichen „Gemeinschaft der Erschütterten“ spricht, aber gleichzeitig eine „asubjektive Phänomenologie“ als jenes Feld vorgibt, in welchem das ichlich Seiende ohne totalitäre und liberalistische Fehltendenzen sein könne (Srubar 1991a). Ricœur bietet eine gewisse Synthese der cartesischen S.-Bestimmung als Selbstreflexion mit dem personalen S.-Verständnis nach Scheler (Ricœur 1980, 370 ff.; Phänomenologische Forschungen 1994) bzw. mit dem existenzialen Daseinsbegriff bei Heidegger, als er im „verwundeten Cogito“ sowohl die subjektive Selbstgewißheit, hermeneut. Weltverwiesenheit als „Sinnzeichen“ mit ethisch-personaler Zeugenschaft und die Gerechtigkeit als konstitutive S.-Andersheit im „Ich“ reflektiert (Ricœur 1973, 123 ff.; Ricœur 1996, 13 ff.). Ersetzt u. a. Foucault programmatisch für die Postmoderne das S. durch die „Ordnung des Diskurses“ (Foucault 1974) als geschichtlich-gesellschaftliche Machtproduktion und -selektion, so erschließt sich nach Derrida das „gebende S.“ in Schrift, Kultur, Ökonomie etc. nur noch als „Gabeneffekte“ eines originär-zirkulierenden Ursprungs ohne jede Rückkehrmöglichkeit (Derrida 1981; Derrida 1993, 134 ff.). Jeder Vorstellung wie Differenz (différance) des S.s geht jedoch nicht nur eine notwendige Minimalidentität voraus, die ihrerseits nicht wieder gegenständlich gedacht werden darf (Frank 1991, 79 ff.), sondern in der selbstradikalisierten → Reduktion bleibt die phänomenolog. „Subjektivität“ als absolutes Erscheinensprinzip weiterhin zu erkunden, sofern sie sich nach erfolgter Kritik keiner mundanen Kategorie mehr verdanken kann.

Substanz Qu.: Descartes 1642 (1973). – Descartes 1974. – Hua I. – Fink 1988. – HeiGA 9. – HeiGA 6/1. – HeiGA 6/2. – HeiGA 17. – HeiGA 65. – Merleau-Ponty 1945 (1966). – Henry 1963. – Henry 1985. – Henry 1989, 46-56. – Henry 1996 (1997). – Patoˇcka 1970, 317-344. – Patoˇcka 1991. – Ricœur 1969 (1973). – Ricœur 1990 (1996). – Foucault 1972 (1974). – Derrida 1981. – Derrida 1991 (1993). – Lit.: Ansén 1990. – Baumgartner/Jacobs 1993. – Bernet 1994. – Frank 1991. – Housset 1997. – Kühn 1992. – Marion 1988a. – Marion 1985. – Nagl-Docekal/Vetter 1987. – Phänomenologische Forschungen 28/29 (1994). – Sepp 1997. – Srubar 1991a. – Waldenfels 1985. RK

Substanz. Bei Husserl lassen sich zwei Hauptbedeutungen des Terminus S. ausmachen. In den frühen Werken identifiziert Husserl S. mit „Materialität“ und faßt die „individuelle Identität (S.)“ folglich als eine raumzeitliche → Einheit kausaler Beziehungen. Nach dem Übergang zur genetischen → Konstitutionsanalyse spricht Husserl von S. in Zusammenhang mit der → „Monade“, in der das Reale „als potentielle oder aktuelle Einheit synthetisch zusammenstimmender Erscheinungen“ gegeben ist, so daß das „In-der-S.-sein des Nichtsubstantiellen besagt: intentionaler Substratpol sein.“ (Hua XIV, 292 f.) S. im Sinne vollständiger Selbständigkeit ist hier allein das „Monadenall“ (ebd., 295). In Heideggers Sein und Zeit heißt es: „Der Titel für das Sein eines an ihm selbst Seienden lautet substantia. Der Ausdruck meint bald das Sein eines als S. Seienden, Substantialität, bald das Seiende selbst, eine S.“ (HeiGA 2, 120) Diese Doppeldeutigkeit, die nach Heidegger schon der griech. ousia anhaftet, rührt daher, daß die Tradition das → Sein (Substantialität) vom Seien-

516

Sukzession den (S.) her versteht. Das Sein wird als „ständige Vorhandenheit“ (→ Vorhandenheit) gefaßt (ebd., 128). Dies gilt auch für das Sein des Menschen. „Substantialität ist der ontolog. Leitfaden für die Bestimmung des Seienden, aus dem her die Werfrage beantwortet wird. Dasein ist unausgesprochen im vorhinein als Vorhandenes begriffen.“ (ebd., 153) Demgegenüber betont Heidegger: „Das Dasein ist ontolog. grundsätzlich von allem Vorhandenen und Realen verschieden. Sein ,Bestand‘ gründet nicht in der Substanzialität einer Substanz, sondern in der ,Selbständigkeit‘ des existierenden Selbst, dessen Sein als Sorge begriffen wurde.“ (ebd., 402) Qu.: Hua III/1. – Hua IV. – Hua V. – Hua XIV. – Hua XXV. – HeiGA 2. MW

Sukzession bezeichnet den Tatbestand der kontinuierlichen zeitlichen Aufeinanderfolge von → Wahrnehmungen und → Vorstellungen in der → Einheit des Erlebnisstromes. In der Philosophie der Arithmetik betrachtet Husserl „zeitliche S.“ (Hua XII, 28) als Voraussetzung für die Entstehung von Mengen- und Zahlvorstellungen. Er kritisiert hier die empiristische Deutung der S., derzufolge Vielheit „nichts weiter als S. [...] irgendwelcher für sich bemerkter Inhalte“ (ebd., 26) des → Bewußtseins ist. Um die Selbständigkeit des Kollektivums gegenüber seiner sukzessiven Wahrnehmung hervorzuheben, spricht Husserl von einer „einheitlichen Gesamtanschauung der Menge, die mit einem Blick erfaßt werden kann“ (ebd., 204). Das problematische Verhältnis zwischen der zeitlichen S. der Wahrnehmungsakte und der Einheit bzw. Dauer intentionaler → Objekte hat Husserl in den Vorlesungen

zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins durch die Unterscheidung zwischen der S. der Wahrnehmung und der Wahrnehmung der S. selber zu lösen versucht (Hua X, 190). Das Studium der inneren Erfahrung (etwa die Analyse der Wahrnehmung einer Tonfolge) verweist auf eine typische Form der S. aller → Inhalte des Bewußtseinsstromes im „originären Zeitfeld“ (Hua X, 31). Diese basiert auf dem Schema von → Urimpression, → Retention und → Protention und steht im Gegensatz zu dem aus der empiristischen Erkenntnistheorie (Locke, Hume) stammenden assoziationstheoretischen Begriff der S., für den die Annahme diskreter Empfindungsdaten maßgeblich ist. Qu.: Hua X. – Hua XII.

TR

Symbol. Zentrale Bedeutung hat der Symbolbegriff für die Zeichenlogik des Semiotikers und Phänomenologen Charles S. Peirce. Seine Phänomenologie gibt mit der Kategorienlehre eine Antwort auf die Frage nach den Modi der Erfahrung und ist wie die Systemarchitektur seiner Zeichenlogik triadisch strukturiert. Erstheit (Firstness, the First) ist „die Idee dessen, was so beschaffen ist, wie es ist, unabhängig von irgend etwas anderem“ (Peirce 2000, 431). Als Limesbegriff reiner Qualität ist Erstheit in der Erfahrung nicht anzutreffen. Zweitheit (Secondness, the Second) ist „die Idee dessen, was so beschaffen ist, wie es ist, da es ein Zweites für ein Erstes ist“ (ebd.). Peirce bestimmt diese Kategorie als Reaktion, in Relation zum Willen oder einer Empfindung. Drittheit (Thirdness, the Third) ist „die Idee dessen, was so beschaffen ist, wie es ist, da es ein Drittes oder Medium zwi-

517 schen einem Zweiten und einem Ersten ist“ (ebd.). Als Repräsentation ist Drittheit Interpretation in Gestalt logischer Konklusion. Diese triadische kategoriale Struktur wirkt sich aus auf die Gestalt des Peirceschen Zeichenmodells. So differenziert Peirce das Zeichen in drei verschiedene Relata: Objekt (Firstness), Zeichenträger (Secondness) und Interpretant (Thirdness), die wiederum in Triaden unterschieden werden. Wirksam wird der Symbolbegriff hinsichtlich der ersten Zeichenrelation. Denn der Bezug zu einem Objekt kann auf dreifache Weise gegeben sein: als ,icon‘, ,index‘ oder ,s.‘. Während ikonische Zeichen Ähnlichkeit zum Bezeichneten voraussetzen (Beispiel: Photographie), ohne die Existenz des Bezeichneten zu supponieren (Möglichkeit), und indexikalische Zeichen Elemente des Bezeichneten in die Zeichenhaftigkeit aufnehmen, etwa nach dem Prinzip pars pro toto (Wirklichkeit), sind S.e rein konventioneller Natur – wie beispielsweise Wörter oder Verkehrszeichen (Notwendigkeit). „Ein S. ist ein Repräsentamen, das seine Funktion unabhängig von irgendeiner Ähnlichkeit oder Analogie zu seinem Objekt und ebenso unabhängig von irgendeiner faktischen Verbindung mit ihm erfüllt, sondern einzig und allein deshalb, weil es als ein Repräsentamen interpretiert wird. Ein Beispiel dafür ist jedes allgemeine Wort, jeder Satz oder jedes Buch.“ (ebd., 435) Da die logische Struktur der Konklusion aus Terminus, Proposition und Argument besteht, enthält das S. sowohl Merkmale indexikalischer als auch ikonischer Repräsentation. Entscheidend freilich ist, daß das S. wie alle Elemente der Peirceschen Zeichenlogik nur innerhalb der „unendli-

Symbol chen Semiose“ auftritt – einem sozialen Interpretationsprozeß, der teleologisch auf die Ausprägung von ,habits‘ gerichtet ist. Weil S.e konventionalisierte Zeichenrelationen sind, markiert der Symbolbegriff eine für die Adaption und Fortführung der Peirceschen Zeichentheorie wichtige Schnittstelle zwischen Phänomenologie, (Zeichen-) Logik und Sozialphilosophie. Eco operiert zwar in seiner Semiotik mit peircescher Terminologie, stellt aber die Trias von Ikon, Index und S. erkenntnistheoretisch in Frage, da für ihn alle Zeichen ihren Zeichencharakter nur auf Grund einer Konvention und daher ihre Interpretierbarkeit in sozialen Zusammenhängen erhalten (Eco 1976, 15 f.). Auch Naturzeichen sowie Zeichen, die eine kausale Relation zwischen Zeichen und Bezeichnetem unterstellen (etwa Rauch und Feuer), sind zeichenhaft nur, weil sie in bestimmten sozialen Zusammenhängen als Zeichen gebraucht, interpretiert werden. Insofern sind Eco zufolge alle Zeichen S.e. „Ein Zeichen liegt immer dann vor, wenn eine menschliche Gruppe beschließt, etwas als Vehikel von etwas anderem zu benutzen und anzuerkennen.“ (ebd., 40) Wie Cassirer begreift daher Eco den Menschen ebenso als ,animal symbolicum‘ und versucht vor allem in seinen Arbeiten der siebziger Jahre soziale Konventionen der Zeicheninterpretation mittels seiner Theorie der Codes semiotisch zu erfassen. Mit Peirce stimmt Eco darin überein, daß der Mensch S.e zur Reflexion bedarf. Insofern es sich um Selbstreflexion handelt, ist der Mensch im Reflexionsprozeß selbst ein Zeichen (vgl. ebd., 402). Husserl beschäftigt sich mit einer phänomenolog. Interpretation des S.s bzw. Zeichens in mehreren Phasen seines

Symbol Werkes. In seinem Erstlingswerk, der Philosophie der Arithmetik, welches „psychologischen Studien“ zu mathematischen Grundbegriffen wie Vielheit, Einheit, → Zahl, Anzahl gewidmet ist, unterscheidet er bei der → Gegebenheit von Begriffen und → Inhalten zwischen eigentlicher und uneigentlicher, d. h. symbolischer Gegebenheit, durch „Vermittlung von Zeichen, welche selbst eigentlich vorgestellt sind“ (Hua XII, 340). Der zweite („logische“) Teil dieser Studie untersucht „die symbolischen Vorstellungen von Vielheit und Anzahl und versucht in der Tatsache, daß wir [in der Arithmetik] fast durchgehend auf symbolische Anzahlvorstellungen eingeschränkt sind, den logischen Ursprung einer allgemeinen Arithmetik nachzuweisen“ (ebd., 287). Mathematische Grundbetätigungen wie Zählen, Addition, Teilung etc. sind nur durch symbolisches Denken möglich, d. h. durch die Vorstellung von Zeichen, die keine „eigentlichen“ Zahlbegriffe, sondern nur als symbolische Begriffe (als „Krücken“) möglich sind, „eine Tatsache, welche Charakter, Sinn und Zweck der Arithmetik ganz und gar bestimmt“ (ebd., 190). Zeichen, im Gegensatz zu eigentlichen Gegebenheiten von → Dingen, sind demnach in einem weiten Sinn zu verstehen, z. B. als Eigennamen, Namen der Abstrakta sowie begriffliche Merkmale oder Merkzeichen (wiederum unterteilt in natürliche und künstliche, eindeutige und mehrdeutige etc.). Der zweite Band, der „die höheren und ganz anders gearteten symbolischen Methoden, welche das Wesen der allgemeinen Arithmetik der Anzahl ausmachen“ (ebd., 287 f.), untersucht, ist hingegen nie erschienen. Im Rahmen der neuen Intentionalitäts-

518 theorie (→ Intentionalität), die Husserl in den Logischen Untersuchungen entwickelt, stehen Zeichen bzw. S.e für Repräsentanten eigentlicher wie uneigentlicher → Erkenntnis. In der I. Untersuchung entfaltet Husserl das Grundrepertoire der Intentionalitätstheorie, derzufolge ein meinender → Akt einen gemeinten Inhalt hat, der die Bedeutungsintention erfüllt. Diese Struktur wird in der V. Untersuchung weiter vertieft. Die bekannte, in der VI. Untersuchung ausgearbeitete Theorie symbolischer Erkenntnis klärt, „wie man sich auf etwas, was nicht zum immanenten Bewußtseinsinhalt gehört, beziehen kann“ (Münch 1993, 189), wie etwa Zahlen. Die Lösung gibt Husserl in seiner Theorie der → Wahrheit als → Adäquation, derzufolge Wahrheit dann vorliegt, wenn ein intentionaler Gegenstand so gegeben ist, wie er gemeint, d. h. intendiert ist. Die Akte, die dies leisten können, nennt Husserl signitive oder signifikative Akte, die etwas meinen, d. h. symbolisch intendieren. Diese Untersuchungen hängen eng mit dem von Husserl hier erstmals vorgestellten, für die weitere Entwicklung der Phänomenologie bedeutsamen Evidenzbegriff (→ Evidenz) zusammen, als das „Ideal der Adäquation“, an der sich jeder phänomenolog. ausweisbare Phänomenbestand muß anmessen können. Jede Erkenntnis enthält bzw. involviert den Gebrauch von S.en, die zwischen dem meinenden Akt und seiner adäquaten → Anschauung vermitteln. Diese symbolische Erkenntnistheorie gipfelt in der Lehre von der kategorialen Anschauung in der VI. Untersuchung, die angibt, daß „Spezies oder Relationen, also die ,Sache selbst‘, veranschaulicht werden können, dann nämlich, wenn ein Vertreter der Spezies oder eine Vor-

519 stellungskomplexion, die eine Relation exemplifiziert, anschaulich gegeben sind“ (ebd., 193). In seiner Göttinger Zeit, in der Husserl vertiefte Untersuchungen der universalen Struktur des intentional verfaßten Bewußtseins im Ganzen durchführt, wird weiterhin zwischen verschiedenen Modi des Intendierens unterschieden. Neben dem normalen, „meinenden“ Bewußtsein eines Wahrnehmungsgegenstandes gibt es auch ein Bildbewußtsein, d. h. ein Vorstellungsbewußtsein eines repräsentierten, vergegenwärtigten Gegenstandes (neben weiteren Bewußtseins- bzw. Aktmodi wie etwa Phantasie und Erinnerung). Hier, beim Bildbewußtsein, unterscheidet Husserl zwischen Bildlichkeitsbewußtsein in „immanenter“ und in äußerer, d. h. „symbolischer“ Funktion (vgl. Hua XXIII, 34-42). Während die Vergegenwärtigung einer inneren Bildlichkeit zwar über sich hinausweist, aber in der „Bewußtseinsimmanenz“ verbleibt (das innere, vergegenwärtigte Bild eines Gemäldes kann an ein ähnliches, früher gesehenes erinnern), kann ein tatsächlich gesehenes Bild „äußerlich repräsentativ“ auf ein anderes ähnliches verweisen, z. B. eine Photographie eines Bildes auf das Originalbild in einem Museum; Voraussetzung hierfür ist die Analogie bzw. die Ähnlichkeit. Das Photo ist demnach S. für das Original auf Grund seiner Ähnlichkeit mit ihm. Das S. kann aber auch konventionalisiert werden: „Erst durch Abschleifung und weiterhin durch Bildung von Kunstworten, von algebraischen Zeichen usw. entsteht das signitive Vorstellen durch Zeichen, die zu den Sachen völlig beziehungslos sind, mit ihnen innerlich nichts zu tun haben.“ (ebd., 36) Ein Erfahrungsgegenstand wird also erst zum S., wenn

Symbol er im Symbolbewußtsein als ähnlich mit einem anderen Gegenstand – sei es aufgrund äußerer Ähnlichkeit, sei es durch Konvention – erfahren wird. In den Ideen I, der ersten umfassenden Darstellung der → transzendentalen Phänomenologie, begründet Husserl den eigentümlichen transzendentalphänomenolog. → Idealismus, der aber zugleich „realistischer als alle Realismen“ sei. D. h. Husserl bezweifelt nicht das Sein der Welt, sondern besteht lediglich darauf, daß alles Sein sich dem erfahrenden → Bewußtsein auf eine dem jeweiligen Gegenstand(sbereich) spezifische Weise muß geben können, sich in spezifischen intentionalen Akten im Bewußtsein manifestiert („konstituiert“). Sein ist Gegeben-Sein in je verschiedenen Weisen, z. B. immanenter oder transzendenter → Erfahrung. So bezweifelt Husserl nicht, daß man einen äußeren Erfahrungsgegenstand „an sich selbst“ erfahren kann, in direkter Anschauung; es gehört aber zum Eidos „äußerer Erfahrungsgegenstand“, sich nur in → Abschattungen geben zu können – gegenüber der → „absoluten“ Gegebenheit immanenter Erfahrungen. Das tatsächlich erfahrene Ding ist also, trotz oder gerade auf Grund seiner Gegebenheit in Abschattungen, kein S. oder Zeichen für ein unerfahrenes „Ding an sich“, sondern kann sich wesensmäßig nicht anders als in dieser inadäquaten Weise geben. Symbolische → Vorstellungen sind also von Erfahrung von Transzendentem wesentlich verschieden: „Zwischen Wahrnehmung einerseits und bildlich-symbolischer oder signitivsymbolischer Vorstellung andererseits ist ein unüberbrückbarer Wesensunterschied. Bei diesen Vorstellungsarten schauen wir etwas an im Bewußt-

Symbol sein, daß es ein anderes abbilde oder signitiv andeute; das eine im Anschauungsfeld habend, sind wir nicht darauf, sondern durch das Medium eines fundierten Auffassens auf das andere, das Abgebildete, Bezeichnete gerichtet. In der Wahrnehmung ist von dergleichen keine Rede, ebenso wenig wie in der schlichten Erinnerung oder schlichten Phantasie.“ (Hua III/1, 90; vgl. ebd., 115) Gegenüber Husserls vorigen Untersuchungen ist also sachlich kein wesentlicher Unterschied festzustellen; Husserl zieht daraus lediglich die philosoph. Konsequenz, d. h. er verwendet die Unterscheidung zwischen Wahrnehmen und symbolischem Vorstellen, um den Sinn von äußerer → Wahrnehmung zu verdeutlichen, welcher wiederum – als Bestandteil der Unterscheidung von phänomenolog. verstandener → Immanenz und → Transzendenz – den Sinn der transzendentalen Phänomenologie und des damit verbundenen transzendentalen Idealismus aufklärt. (Zum Sinn des Husserlschen transzendentalen Idealismus vgl. Bernet 2004, 143-168.) Im Spätwerk, im bekannten Beilagentext zur Krisis-Abhandlung, Der Ursprung der Geometrie, beschäftigt sich Husserl erneut mit der symbolischen Funktion der → Sprache. Im Rahmen der historisch-genetischen Rekonstruktion der idealisierenden Tätigkeit der Wissenschaft bei den Griechen erkennt er der idealisierenden Funktion der Sprache eine besondere Bedeutung zu. Sprache ist mehr als ein „Satz“ beliebiger Zeichen, sondern artikuliert in ihrer genetisch gewordenen, tradierten Überlieferung das menschliche Dasein in seiner historischen → Lebenswelt. Sprache gehört daher mit in diesen allgemeinen „Menschheitshorizont“ (Hua VI, 369). Sprache als

520 Symbolsystem garantiert also gewissermaßen, daß → Welt die Welt „für jedermann“, d. h. eine intersubjektiv verfaßte sein kann. „So sind Menschen als Menschen, Mitmenschheit, Welt – die Welt, von der Menschen, von der wir je reden und reden können – und andererseits Sprache untrennbar verflochten und immer schon in ihrer untrennbaren Beziehungseinheit gewiß [...]“. (ebd., 370) Obzwar primär sinnliche Zeichen, haben Wörter dennoch eine „virtuelle“ Dimension, die die Vergemeinschaftung der Menschheit auf eine neue Stufe hebt und eine „sinntradierende Fortpflanzung“ (ebd., 373) von → Sinn erst ermöglicht. Dieser späte Text ist wichtig, sofern er das gängige Vorurteil, Husserl habe das Problem der Sprache völlig übersehen, widerlegt, und wurde später von Repräsentanten der Postmoderne, insbesondere von Derrida, etwas ungerechter Weise als Vorahnung der eigenen Bemühungen, v. a. der Textualisierung, gesehen (vgl. Derrida 1962; Derrida 1967). Der von der Phänomenologie (v. a. durch Husserl) beeinflusste Neukantianer Cassirer entwickelt seine Philosophie der symbolischen Formen ausgehend vom systematischen Fundament, das er in seinem ersten eigenständigen systematischen Werk Substanzbegriff und Funktionsbegriff gelegt hat. Substanz und Funktion sind hier zwei Weisen der wissenschaftlichen Begriffsbildung, a fortiori der Möglichkeit, Philosophie zu betreiben. Während nach traditioneller Weise (am Vorbild des Aristoteles) Begriffe als Substanzen verstanden werden, mithin als unveränderliche Entitäten, versteht Cassirer – das neukantianische (Marburger) Paradigma der transzendentalen Methode der Konstruktion weiterführend

521 – Begriffe als Funktionen innerhalb einer Funktionsreihe, die nicht als eigenständige Substanzen, sondern als pars pro toto für die ganze Reihe fungieren (die Zahl 3 ergibt nur innerhalb der Zahlenreihe 2, 3, 4 ... Sinn). Diese wissenschaftstheoretische Einsicht ist für Cassirer jedoch universalisierbar und gilt für das allgemeine menschliche Weltverhältnis schlechthin; dies ist der entscheidende Schritt zu seiner systematischen transzendentalen Symboltheorie: Gegenstände sind nicht einfache Substanzen, denen etwa ideale Wertprädikate zugeschrieben werden, sondern haben eine Funktion innerhalb einer funktionalen Reihe, d. h. eines Kontexts, der einerseits den Dingen ihre Bestimmtheit verleiht; andererseits bestimmen die Dinge ihrerseits den Sinn des Kontextes. Die Dinge innerhalb eines Kontextes sind daher charakterisiert als S.e, sofern sie auf das Ganze ihres Kontexts verweisen; in diesem Symbolverständnis ist Cassirer v. a. Goethe (insbesondere dessen Lehre vom „Urphänomen“) verpflichtet. Im S. trifft das Einzelne auf das Universale und verschmilzt mit ihm: im mythischen Denken z. B. ist der Baum der Gott, in der Sprache kann der Laut dessen Sinn onomatopoetisch abbilden. Grundsätzlich lebt der Mensch als ,animal symbolicum‘ in einer bedeutungsschwangeren Welt, die Dinge haben eine „symbolische Prägnanz“ und sind nie bloße neutrale Bedeutungsträger. (In seiner Theorie der „symbolischen Prägnanz“ hat Cassirer auch Merleau-Ponty beeinflusst, der in seiner Phänomenologie der Wahrnehmung davon spricht, daß die Welt „enceinte du sens“, schwanger von Sinn, sei.) Den jeweiligen Kontext selbst, in dem ein Gegenstand eine bestimmte Sym-

Symbol bolfunktion übernimmt, nennt Cassirer „symbolische Form“. S.e sind daher bedeutungsreiche Dinge, insofern sie vom menschlichen Geist in seiner weltbildenden Aktivität als so und so bestimmte geformt werden, und je nach Kontext, in den sie sinnhaft eingebettet sind. Cassirer versteht somit die Philosophie der symbolischen Formen als eine notwendige Erweiterung und Ergänzung des kantischen Idealismus, insofern nun nicht nur die Vernunft in ihrer rein konzeptualen Funktion in den Blick genommen werden muß, sondern alle Aktivitäten des Menschen (sein „Geist“), deren Manifestationen insgesamt als Kultur aufgefaßt werden können. „Die Kritik der Vernunft wird damit zur Kritik der Kultur. Sie sucht zu verstehen und zu erweisen, wie aller Inhalt der Kultur, sofern er mehr als bloßer Einzelinhalt ist, sofern er in einem allgemeinen Formprinzip gegründet ist, eine ursprüngliche Tat des Geistes zur Voraussetzung hat.“ (Cassirer 1964 Bd. 1, 11) Die kulturbildende Aktivität des Menschen hat nunmehr bestimmte Formen als Richtungen oder Dimensionen, in denen sich der Geist ausbildet: Sprache, Mythos und Erkenntnis (jeweils abgehandelt in Bd. I, II und III des systematischen Hauptwerkes). Dieser Symbolbegriff ist für Cassirer aber auch ein erkenntnistheoretischer Meilenstein, denn im S. verschmelzen „Eindruck“ und „Ausdruck“, Sein und Bezeichnung der phänomenalen Welt ineinander: „Der Akt der Bestimmung eines Inhalts geht mit dem Akt seiner Fixierung in irgendeinem charakteristischen Zeichen Hand in Hand. So findet alles wahrhaft strenge und exakte Denken seinen Halt erst in der Symbolik und Semiotik, auf die es sich stützt.“ (ebd., 18) Die Philosophie erhält die Aufgabe, die Funktion

Synthese der symbolischen Formen, die die kulturelle Welt prägen, zu analysieren. Philosophie wird zur Theorie der Kultur. Es ist eine bleibende Diskussion in der Cassirer-Forschung, erstens, ob es noch andere, möglicherweise endlose viel symbolische Formen gibt (z. B., wie Cassirer selbst bisweilen anführt bzw. erwägt, Kunst, Wirtschaft, die Philosophie selbst), und zweitens, wie der systematische Zusammenhang dieser Formen zu verstehen ist, etwa im Sinne einer Aufeinanderschichtung im Stile einer hegelianischen Geschichte des Selbstbewußtseins oder als Ausdifferenzierungen verschiedener Momente des „Geistes“ in sich ausbreitenden, teils überschneidenden konzentrischen Kreisen (vgl. hierzu den aus dem Nachlaß veröffentlichten Bd. IV der Philosophie der symbolischen Formen: Zur Metaphysik der Erkenntnis). Einen Hinweis gibt Cassirer selbst, wenn er der Philosophie die Aufgabe zuerkennt, die „Grammatik der symbolischen Formen“ zu entschlüsseln (ebd., 19), in der sowohl das Spezifische als auch das Verbindende der Symbolisierung dieser ausdifferenzierten symbolischen Formen sichtbar werden soll. Ausgehend vom Symbolbegriff entwickelt Paul Ricœur in seiner Phänomenologie der Schuld eine „symbolische Hermeneutik“ (vgl. Tomberg 2001, 137, sowie 129-142), die der Philosophie neben transzendentaler Reflexion den Weg in die Praxis ebnen soll. Ausgegangen wird von zwei Bedeutungsebenen des S.s, einer doppelten Intentionalität, die einen wörtlichen und einen analogischen Symbolsinn unterscheidet (vgl. ebd., 136). Eben hierdurch ist das S. von anderen Zeichen unterschieden: „Im Gegensatz zu den technischen Zeichen, die, voll-

522 kommen durchsichtig, nichts sagen als was sie sagen wollen, indem sie das Bezeichnete setzen, sind die symbolischen Zeichen undurchsichtig, weil der wörtliche, augenscheinliche Erstsinn analogisch einen Zweitsinn meint, der nicht anders als durch ihn gegeben wird.“ (Ricœur 1960b/1971, 22) Anders als für die semiotisch operierende Tradition ist das S. für Ricœur daher erstens „nicht vollständig rationalisierbar“ (Tomberg 2001 137), etwa durch Beschreibung von Codes oder Interpretationspraktiken, zweitens ist es nicht allein funktional durch seine Interpretation bestimmt, sondern gewissermaßen vorfindlich, sei es in der Sprache, sei es im artikulierten Empfinden eines Menschen. Qu.: Peirce 2000, 431-462. – Eco 1976 (2 1991). – Hua III/1. – Hua XII, 181-283. – Hua XXXIII, 34-42. – Cassirer 1964. – Ricœur 1960a/1971. – Ricœur 1960b/1971. – Lit.: Bernet 2004, 143-168. – Derrida 1962 (1987). – Derrida 1967 (1979). – Münch 1993, 81-178. – Tomberg 2001, 129-142. SL/HS

Synthese. S.n sind nach Husserl die „Bildungsweisen von Erlebnissen durch intentionale Verknüpfung“, was besagt, daß → Bewußtsein sich mit Bewußtsein nicht nur zusammenbindet, sondern sich wesenhaft „zu einem Bewußtsein“ verbindet (Hua III/1, 273; vgl. Hua I, 79). Zu differenzieren ist bei diesen „S.n der Identifikation“ und der „erfüllenden Identifizierung“ (vgl. Hua I, § 18; Hua XVII, 61) zunächst zwischen „kontinuierlichen S.n“, „wie sie zu allem Raumdinglichkeit konstituierenden Bewußtsein gehören“ (Hua III/1, 274; Hua VI, 160 f., 172; vgl. Hua XVI, 99 ff.; Husserl 1985, 129), und „diskreten“ (Hua VI, 161, 172) bzw. „gegliederten S.n“, wobei letztere

523 jene „Weisen [bezeichnen], wie diskret abgesetzte Akte sich zu einer gegliederten Einheit“ (Hua III/1, 274) integrieren, die einen „Gesamtgegenstand“ (ebd., 275) intendiert. Entscheidend für die Husserlsche Phänomenologie, ihre Weiterführungen und das Verständnis zentraler operativer Begriffe wie → Intentionalität und → Konstitution (vgl. Seebohm 1994) ist in diesem Zusammenhang sodann die jene erste Distinktion fundamentierende Scheidung von „aktiven“ und „passiven S.n“ (vgl. Hua XI; Hua I, § 38; Husserl 1939; vgl. Merleau-Ponty 1966, 485 f.): In die erste Gruppe fallen dabei die unter Beteiligung des „wachen Ich“ vollzogenen → Leistungen der → Apperzeption, Explikation, Kollektion, Prädikation etc. (vgl. z. B. Kühn 1998a, 14 f.). Dagegen sind die assoziativen „S.n des Gleichen mit dem Gleichen“ (Husserl 6 1985, 385 ff.; vgl. Hua XI, 405 ff.; Holenstein 1972), sowie die sie fundierende „Ursynthesis des ursprünglichen Zeitbewußseins“ (Hua III/1, 273; vgl. Hua XI, 125 ff., 387) den passiven bzw. vorprädikativen S.n zuzurechnen, die ihrerseits wiederum alle höherstufige Aktivität fundieren (vgl. Kühn 1998a, 113 ff., 256 f.; Seebohm 1994, 69 ff.). Der so angezeigte phänomenolog. Fundamentalzusammenhang von → Genesis, S. und reduktiver Thematisierung verweist bei Husserl zuletzt auf eine „universale konstitutive S., in der alle S.n in bestimmt geordneter Weise zusammen fungieren“ (Hua I, 90; vgl. Hua VI, 172). Damit erscheint aber von Husserls eidetischem Standpunkt aus das gesamte Bewußtseinsleben nicht nur als „synthetisch vereinheitlicht“, sondern zugleich als in einem „universalen cogitatum“ (Hua I, 80) terminiert: Diesem

Synthesis, passive korrespondiert in konstitutionstheoretischer Hinsicht wiederum der phänomenolog. Begriff der → Welt, deren geltungskorrelative Vorgegebenheit ihrerseits durch eine sog. „intersubjektive S.“ (Hua VI, 175) geleistet wird. In der Nachfolge Husserls thematisiert Merleau-Ponty diese „S. der Welt“ (Merleau-Ponty 1966, 257, 279) und auch des → „Gegenstandes“ (ebd., 241, 279 ff.) verstärkt vor dem Hintergrund einer „leibhaftigen Vernunft“, für die der → Leib als die „allen Gegenständen gemeinsame Textur“ (ebd., 275) figuriert. Dementsprechend bleibt für Merleau-Ponty die kinästhetisch verfaßte „S. des Eigenleibes“ (ebd., 178 ff.) in dem Maße zwar von jeder „intellektuellen S.“ (ebd., 272) unterschieden, wie die sie auszeichnende → Passivität und Zeitlichkeit eine „umfassende Weltverfangenheit“ (ebd., 282) dokumentiert und sie in eins mit der „geschichtlichen Dichtigkeit“ einer anonymen „Wahrnehmungstradition“ (vgl. ebd., 278 f.) belehnt, doch nur um den Preis, daß diese opake Tiefe der Leib/WeltVerschränkung als methodisch gleichberechtigter Zugang zu Welt und Innerlichkeit verstanden wird (vgl. Kühn 1998a, 481 ff.). Qu.: Hua I. – Hua III/1. – Hua VI. – Hua VIII. – Hua XI. – Hua XVI. – Hua XVII. – Husserl 1939 (6 1985). – Merleau-Ponty 1945 (1966). – Lit.: Holenstein 1972. – Kühn 1998a. – Seebohm 1994, 63-84 MST

Synthesis, passive. (→ Deckung) P. S. bezeichnet innerhalb der genetischen Phänomenologie Hussserls die vorintentionalen Bewußtseinsleistungen, die auf zeitlich-hyletische sowie affektivassoziative Bildungsgesetze zurückgehen (Holenstein 1972) und das Hintergrundbewußtsein bis zum → Reiz

System durch einen → Gegenstand bestimmen, aber auch anschließend unter der Form „sekundärer Passivität“ als → Sedimentierung und → Habitus z. B. weiterwirken (Hua XI). Im Bereich dieser ersten Identitätsbildungen von Gegenständlichkeit kommt es zu deren passiver „Deckung“ (recouvrement) i. S. von Ähnlichkeitsüberschiebungen bzw. Gleichheitsverschmelzungen. Je näher sich dabei die hyletisch-kinästhetischen Daten in einem homogenen Sinnlichkeitsfeld stehen, desto stärker ist solche Deckung, die ein Grundphänomen von → Horizont und Abhebung darstellt. Bevor die Individuiertheit des Gegenstandes in der Deckung hervortritt, ist sein → Eidos schon gegeben, da das Verhältnis der Unterscheidung in → Korrelation zur kongruenten Deckung steht. Die Distanzsynthesen in der Deckung implizieren als Abhebung von Bewußtseinssonderungen innerhalb einer Kontinuität affektive Grade der „Lebendigkeit“, die Ausdruck der passiv-fungierenden Triebintentionalität ist (Hua XI 130 ff.; 396 ff.; Yamaguchi 1982; Lee 1993). Mit der Zuwendung des „wachen Ich“ in der explikativen → Synthesis vollzieht sich eine Deckung zwischen dem aktiv-retentionalen Erfassen und der impressional-gegebenen Dauer des „Noch-im-Griff-habens“, worauf die weiteren prädikativen Synthesen aufbauen, die aber stets von passiven Synthesen „umspielt“ bleiben (Husserl 1985, 116 ff.; Kühn 1998a). Qu.: Hua XI. – Husserl 1939 (6 1985). – Lit.: Holenstein 1972. – Kühn 1998a, bes. Kap. 6-7. – Lee 1993. – Yamaguchi 1982. RK

System. Der Begriff des S.s hat innerhalb der Phänomenologie keinen näher

524 bestimmten Ort. Wenn Husserl (selten) von einem S. spricht (z. B. vom „S. der als möglich vorgezeichneten Erfahrungen“; Hua XVII, 252; vgl. ebd., 255), dann führt er dies terminologisch nicht näher aus. Mit „Systemphilosophie“ bezeichnet er den gescheiterten Versuch, die in der Philosophie der Renaissance neu in Gang gesetzte wissenschaftliche Philosophie weiterzuführen (was sich äußerlich in der Trennung der positiven Wissenschaften von der Metaphysik zeigt; vgl. Hua VI, 8). Dagegen ist das Wort „systematisch“ nicht negativ besetzt, sondern weist auf das S. als das zu realisierende Ideal voraus und impliziert ein methodisch verantwortetes und konsequentes Voranschreiten der Philosophie als Wissenschaft (was z. B. die von der Philosophie emanzipierte Psychologie gerade nicht zu leisten vermochte; vgl. Hua VII, 53). So wird etwa Leibniz konzediert, ihm sei der Gedanke nahegelegen, „eine systematische Wissenschaft von dem [...] Wesen eines ego überhaupt [...] zu konzipieren“ (Hua VII, 199). So darf zumindest mit Bezug auf Husserl Fink zugestimmt werden, wenn dieser in der Idee der Grundlegung einer Philosophie bereits den impliziten und vielleicht nur dunkel bewußten Vorgriff auf das S. erkennt (Fink 1966, 162). Für Heidegger kann von S. sinnvoll nur unter Bezugnahme auf die S.e der Philosophie der Neuzeit die Rede sein. Deren geschichtliche Entwicklung interpretiert er als die „eigentliche und innerste Entstehungsgeschichte der neuzeitlichen Wissenschaft“ (HeiGA 42, 59), die mit dem universalen Anspruch des mathematischen Wissensideals einsetzt. Eine Ausnahme innerhalb der Phänomenologie bildet Schmitz, der die

525 umfassende Darstellung seiner Neuen Phänomenologie (5 Bände in 10 Teilbänden) ausdrücklich als „S. der Philosophie“ versteht.

System Qu.: Hua XVII, § 98. – Hua VI, § 4. – Hua VII, 27. Vorlesung. – HeiGA 32, §§ 2-4. – HeiGA 42, §§ 4-7. – Schmitz System I ff. HV

T Tatsache. Unter T. versteht Husserl räumlich-zeitliches Daseiendes von bestimmter Dauer, einem Realitätsgehalt, in phys. Gestalt und Zufälligkeit (Zufälligkeit und Tatsächlichkeit sind identisch), d. h. etwas, das seinem → Wesen nach auch anders sein könnte. Tatsächlichkeit ist korrelativ auf → Notwendigkeit bezogen (WesensAllgemeinheit): Jedes Zufällige hat sein Wesen (→ Eidos). T.n sind Thema der Einzelwissenschaften (Tatsachenwissenschaften), die der Begründung durch die → Erfahrung bedürfen. Dagegen beziehen sich Wesensbehauptungen nicht auf T.n, sondern gründen sich auf Wesenserschauung und werden von Wesenswissenschaften thematisiert. „Die Phänomenologie ist Wesenswissenschaft, die Psychologie Tatsachenwissenschaft.“ (Hua XXV, 253) In seiner (erst im Nachlaß veröffentlichten) Lehre von den drei Tatsachen unterscheidet Scheler die T. der natürlichen Weltanschauung, die der Wissenschaft und die phänomenolog. oder reine T.; die Unterschiede sind durch die verschiedenen Zugangsweisen begründet. Die beiden ersten (nicht-phänomenolog. T.n) unterscheiden sich auf Grund verschiedener Daseinsrelativität. Die Gegenstände der natürlichen Weltanschauung sind relativ auf die Organisation des Menschen, beruhen also auf der Anschauung der menschlichen Gemeinschaft und sind auf gegenseitigem Verstehen durch leibliche Ausdrucksleistungen und durch die natürliche Sprache als der wichtigsten Form des natürlichen → Ausdrucks aufgebaut. Dagegen sind die T.n der Wissenschaften nicht rela-

tiv auf die Organisation des Menschen und somit unabhängig von dessen besonderer Sinnesorganisation. Sie können „absolut“ genannt werden, weil ihre Gesetzmäßigkeit auf die Körper aller anderen Lebewesen zutreffen. Die Wissenschaft befreit einerseits aus der Beschränkung der natürlichen Weltanschauung, bleibt aber anderseits hinter deren Fülle zurück. Während sich diese der natürlichen Sprache bedient, gebraucht jene Symbole und stellt Konventionen für deren eindeutigen und ökonomischen Gebrauch auf. Von diesen beiden Formen unterscheidet sich die phänomenolog. T. dadurch, daß sie unmittelbar, ohne Symbole gegeben ist (asymbolische T., asymbolische Erfahrung). Sie ist ferner immanente T. im Gegensatz zu den T.n aller nichtphänomenolog. Erfahrung, in der etwas vermeint wird, das in ihr nicht anschaulich gegeben ist; das Phänomen (die immanente T.) erscheint in der Deckung von Gegebenem und Vermeintem. Eine T. dieser Art bildet die materiale Grundlage der phänomenolog. Philosophie. Die T.n der natürlichen Weltanschauung sind dagegen selektiv: Zeichen für so und so beschaffene Dinge und anderseits Zeichen für die Leibzustände, welche die Erfahrung der Dinge begleiten. Qu.: Hua III/1, § 1-8. – ScheGW 10, 37743 u. 431-474. HV

Täuschung. Schelers Analyse der T.en gehört zu seiner Lehre von den Idolen der Selbsterkenntnis und hat prinzipielle philosoph. Bedeutung, indem sie beansprucht, grundlegende Irrtümer der

527 Philosophie aufzuklären. Sie versteht sich als Seitenstück zu Francis Bacons Idolenlehre, weil sie das, was dieser für die äußere Wahrnehmung geleistet hat, für die innere und die Selbstwahrnehmung erweitern möchte. Die seit Descartes geübte Bevorzugung der inneren vor der äußeren Wahrnehmung weist Scheler, gestützt auf die phänomenolog. Wesensschau (→ Wesen), zurück: → Gott, → Natur und Kultur sind ebenso wie das → Ich adäquat erkennbar. Es stellt sich daher umfassend die Aufgabe, die Gründe und Motive möglicher T.en mit Bezug auf Gott, die Außenwelt und das Ich freizulegen. Dabei müssen T. und Irrtum unterschieden werden: Während der Rationalismus alle T.en auf Irrtümer des Urteilens und Schließens zurückführt, zeigt die Phänomenologie, daß vielmehr umgekehrt alle Irrtümer in T.en fundiert sind. In der Ausführung beschränkt sich Scheler vor allem auf T.en über seelische Vorgänge. Zum Wesen der T. gehört eine Mehrheit von Sachverhalten und eine Mehrheit von Seinsschichten. Scheler illustriert seine Lehre von der T. am Beispiel des im Wasser gebrochen erscheinenden Stabes: Der vom Gesichtssinn als geknickt wahrgenommene Stab wird als dessen reale Eigenschaft erfaßt; damit wird der (korrekt) wahrgenommene Sachverhalt in eine unangemessene Seinsschicht verlegt (nämlich die Schicht dinglich realen Daseins). Während die T. ganz im Bereich des Anschaulichen verbleibt, erwächst der Irrtum aus dem Verhältnis von Gedachtem und Anschaulichem. So kann ein Halluzinierender richtige Urteile über die von ihm vermeinte Wirklichkeit fällen (etwa einen halluzinierten Bären richtig beschreiben), während er sich hinsichtlich des Phänomens täuscht. Die Quellen der T.

Täuschung gründen in bestimmten Neigungen des Menschen, die Täuschungsmotive liegen schon in der natürlichen → Anschauung. T.en entspringen der Neigung, seelische Erlebnisse in die phys. Natur zu projizieren, vor allem aber der entgegengesetzten Neigung, Tatsachen und Verhältnisse des materiellen Daseins auf die seelische Welt zu übertragen. Dies gilt prinzipiell für alle naturalistischen Kategorien (→ Naturalismus) in ihrer Anwendung auf seelische Tatbestände. Eine derartige Täuschungsrichtung ist auch auf dem Gebiet der → Werte und des Fühlens (→ Emotion) zu beobachten. So gibt es die Tendenz, das an den Dingen Gefühlte von deren Wert her zu bestimmen und die eigene Gefühlsreaktion dabei auszublenden (z. B. die Vortäuschung eines Gefühls der Trauer bei einem Begräbnis, das möglicherweise ganz andere Gefühle auslöst). Eine andere Quelle der T. hat einen ganzen Typus von Selbsttäuschungen zur Folge, nämlich die T.en über die → Motive eigenen Handelns. Ihr Grund liegt in der Okkupation durch Auffassungsformen, die vorweg alles anderes ausblenden, sofern dieses nicht nützen oder schaden kann. So besteht die Neigung, bei Handlungen, die aus ganz verschiedenen Motiven denkbar sind, gerade die höherwertigen zu bevorzugen, weil aus diesen Lob oder Tadel resultieren könnten. Auch die Deutungsmacht der Sprache gehört in diesen Bereich. Denn die Sprache macht Erlebnisse nicht nur zugänglich, sondern prägt vorweg und wählt aus, was an eigenen oder fremden Erlebnissen wahrnehmbar wird. Primär sind dies nicht die Erlebnisse selbst, sondern ihre aus der Tradition herrührenden Deutungen. Dabei wirken vor allem die überlieferten Erlebnisformen einer

tautologisch Gemeinschaft selektiv, und es bedarf historischer Kritik, diese Macht der Tradition zu brechen. Auch das Gesamtbild, das jemand von sich selbst hat, ist von der umgebenden Gemeinschaft bestimmt: Sie bestimmt sein soziales und verdeckt sein individuelles Ich. Das gilt nicht allein für das eigene Ich, sondern auch für den (gleichfalls zunächst als soziales Ich begegnenden) Mitmenschen. Zur natürlichen Täuschungsrichtung gehört es, Fremdes für Eigenes zu halten; die Umkehr davon ist eine pathologische Form der T. (z. B. die Ichbezogenheit des Melancholikers). Daher gehören zu den Idolen der Selbsterkenntnis nicht nur T.en, die sich der „normalen“ Tendenz zu Verkennung verdanken, sondern eine Reihe pathologischer Phänomene. Qu.: ScheGW 3, 213-293. – Lit.: Pfafferott 1997. HV

Tautologisch. Das „t.e Denken“ (HeiGA 15, 399) des späten Heidegger (wie es etwa in Formulierungen wie „die Welt weltet“, „die Sprache spricht“ etc. zum Ausdruck kommt) stellt den Versuch dar, vom → Sein in nichtmetaphysischer Weise zu sprechen. Das Sein soll nach der → Kehre nicht mehr vom Seienden her als dessen Möglichkeitsgrund gedacht werden, sondern als es selbst („ohne das Seiende“; Heidegger 1988, 35); dies ist nur noch t. möglich, da das Sein als solches jeder Erklärbarkeit und Bestimmbarkeit vorausliegt: „Doch das Sein – was ist das Sein? Es ist Es selbst.“ (HeiGA 9, 331) Durch solches t.es Sprechen soll der durch die SubjektPrädikat-Struktur der Aussage nahegelegten Tendenz entgegengewirkt werden, das Sein als ein Seiendes vorzustellen; statt als Seiendes mit prädi-

528 zierbaren Eigenschaften wird es ganz aus seinem verbal zu verstehenden → „Wesen“ her gedacht: „Was bleibt zu sagen? Nur dies: Das Ereignis ereignet. Damit sagen wir vom Selben her auf das Selbe zu das Selbe.“ (Heidegger 1988, 24) Das t. Gedachte wird weder begründet noch als Grund für anderes vorgestellt (vgl. HeiGA 15, 406 u. HeiGA 12, 10), sondern als es selbst genommen. Darin liegt für Heidegger „der ursprüngliche Sinn der Phänomenologie“ (HeiGA 15, 399): statt etwas von einem anderen her zu bestimmen, nennt man es als es selbst und lässt es so sich von sich selbst her zeigen. Qu.: HeiGA 9. – HeiGA 12. – HeiGA 15. – Heidegger 1988. – Lit.: Bassler 2001. – Courtine 1993. – Escoubas 1996. – Kwan 1982. – Scheier 1993. WF

Technik(en). Dem Begriff kommt im phänomenolog. Bereich dreifache Bedeutung zu: Im Singular bezeichnet er 1. aus methodischer Sicht eine bestimmte Vorgehensweise des Phänomenologen, um etwa von der natürlichen → Einstellung durch Einklammerung der Seinsgeltung der → Welt – → epoché – bzw. Vollziehen der phänomenolog. → Reduktion zur phänomenolog. Einstellung zu gelangen, und steht 2. für ein Charakteristikum der Moderne seit Descartes, welches darin besteht, daß die Welt zunehmend als seinsfremder kausaler Zusammenhang nach dem Muster der berechnendkalkulierbaren (Natur-)Wissenschaften einerseits bzw. des (Her-, Hin- und Be)Stellens andererseits erfahren wird. In nachklassischer pluraler Verwendung bezeichnen T.en in differenzierender Verlängerung dieser im engeren Sinne phänomenolog. T.-Kritik 3. bestimmte Weisen der Subjektivierung des Menschen im Prozeß, ein Verhältnis zu sich

529 und der Welt aufzubauen, wie z. B. in der Kunst oder in der → Sexualität. Während methodologisch-technische Fragen sich durch sein gesamtes Werk ziehen, entfaltet Husserl vor allem in seiner Fragment gebliebenen Spätschrift Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie eine Diagnose des zeitgenössischen Zustandes der Wissenschaften, die getragen ist von der Kritik an deren Entferntheit von der konkreten → Erfahrung der Phänomene, welche sich für ihn als fälschliche Identifizierung der wissenschaftlichen Analyse der Welt mit dieser selbst darstellt. Daß die (Natur-)Wissenschaft Vorgänge in der → Natur zu quantifizieren und so mathematisch berechenbar zu machen vermag, erlaubt nicht den Umkehr- resp. Kurzschluß, die Natur selbst verfahre mathematischnaturwissenschaftlich oder sei gar selbst quantitativ verfaßt. Dieser idealistischen Fehlauffassung setzt Husserl seine → transzendentale Phänomenologie als → Wissenschaft von den → „Sachen selbst“ entgegen, die durch Rückgang auf den grundlegenden Konstitutionszusammenhang der Phänomene, verortet in einem transzendentalen → Ego, die → Erscheinungen als solche – unter Ausklammerung der Frage nach ihrer Seinsgeltung, mithin als intentionale → Gegenstände – in den Blick bekommen und so ein so folgenschweres Mißverständnis vermeiden sollte. Diese Wissenschaftskritik seines Lehrers Husserl wiederholt und erneuert Heidegger in Form seiner Frage nach der Technik, als solche erstmals gestellt in den Bremer Vorträgen von 1949 und in den Folgejahren bis kurz vor seinem Tode immer wieder neu aufgeworfen. Die T. trägt

Technik für Heidegger zum einen all jene Züge, die Husserl an den Wissenschaften aufgewiesen und seinerseits in Frage gestellt hat, wird jedoch zum anderen gleichzeitig aus einer neuen, nicht mehr wissenschaftstheoretischphänomenolog., sondern nunmehr seinsgeschichtlichen Perspektive gesehen als ein unabwendbares → Geschick, dessen Herausforderung es anzunehmen gelte. „Diese Herausforderung der Natur als Gegenstand kennzeichnet die Grundhaltung der T., und in ihr besteht die moderne Wissenschaft. Moderne Naturwissenschaft ist nur Ausformung des Wesens der T., von dem wir noch wenig wissen.“ (HeiGA 15, 433) Nicht kann jedoch die T. im Sinne Husserls durch Rückführung auf ihren phänomenolog. Seinssinn „korrigiert“ werden, sie gehört vielmehr in die Verfallsgeschichte des → Seins – als bestimmte, alternativenlose Seinsweise des Menschen seit der Neuzeit ist sie Verdeckung und Enthüllung des Seins als → Ereignisses zugleich. Weder außerhalb der T. noch in ihrer Umgehung oder Vermeidung kann die Offenständigkeit des Seins aufgewiesen und erkannt werden, sondern nur in ihr und durch sie. Erst wenn das Wesen der T. als solches bedacht und als → Ge-stell verstanden wird, offenbart sich die seinsgeschichtliche Bedeutung der T. in letzterem als „das photographische Negativ des Ereignisses“ (ebd., 366). In einem weiteren Unterschied zu Husserl steht die T. bei Heidegger jedoch von Anfang an in Zusammenhang mit der Kunst, eine Komplexität, die durch den Verweis auf die etymologische Bedeutung des altgriech. Wortes techne – Handwerk und Kunst – untermauert wird. Ursprünglich gedacht als Hervorbringen, haben beide mit Erkennen bzw.

Technik → Wissen (episteme) und → Wahrheit (→ aletheia) zu tun, eine Intimität, die sich für Heidegger bereits früh aus seiner Auslegung der Aristotelischen Metaphysik im Blick auf Platos Sophistes ergibt (vgl. HeiGA 19). So ist T. immer auch, selbst in ihrer neuzeitlichmodernen Gestalt, eine Weise des Entbergens, mithin des wissenden Vernehmens von etwas, was sich einem vom Sein her zuspricht. Wie die Kunst, so „[hat d]er Mensch [auch] die T. nicht in der Hand. Er ist ihr Spielwerk“. (HeiGA 15, 370) „Die T. bringt auch erst die ,ästhetische‘ Auffassung des Schönen zur vollen Herrschaft“, „weil ja zugleich mit der T. und durch sie das ,Wesen‘ der Natur in die machenschaftliche Maschinengemäßheit sich wandelt und deshalb in den technischen Einrichtungen nun erst ganz mit ihrer ,Schönheit‘ herauskommt. Das noch nicht rein technisch Bewältigte erscheint dagegen als zwiespältig und geschmacklos und verdient deshalb, der Zerstörung und Beseitigung anheimzufallen.“ (HeiGA 66, 175) In ihrem Bezogensein auf die → Unverborgenheit als Wahrheit sind T. und Kunst verschwistert, das Fragen nach der einen vollzieht sich im Bereich der anderen. Insofern wohnt beiden auch das in den Erscheinungsformen der modernen T. (Heidegger nennt u. a. die Atombombe) sich zeigende Moment der Gefahr inne, jedoch so, daß es – nach einem von Heidegger gern zitierten Wort Hölderlins – auch das „Rettende“ bei sich einschließt. Nicht in der Überwindung der T. erfüllt sich also deren Geschick, sondern im Verstehen ihres „poietischen“ Wesens – ein Punkt, an den die Rezeption seiner T.-Philosophie auf vielfältige Weise hat anschließen können. Zur Frage der T. hat auch Husserls

530 letzter Assistent Fink mehrfach Stellung genommen. Im Vordergrund dabei steht der Bezug der T. zur Arbeit als eines in sich zwiespältigen „Grundphänomens des menschlichen Daseins“, insofern sie statische Züge (dort, wo sie zur Bedürfnisbefriedigung verrichtet wird) ebenso trägt wie dynamische (wo sie nicht Notwendigkeits-, sondern Entwurf- und damit Freiheitscharakter hat). Auch Fink betont das poietische Wesen der Arbeit, wendet sich jedoch gegen ein Verständnis der modernen T. von der antiken techne allein her, indem er erstere der Seite der Dynamik zuschlägt, letztere hingegen der der Statik. Die von der modernen T. ausgehende Gefahr sieht Fink in verblüffender Nähe zu Bataille vor allem in der mit ihr einhergehenden → Verdinglichung des Menschen: „Was als Herrentum des Menschen über die Dinge aussieht, hat zugleich noch eine geheime, untergründige Seite: der Mensch verliert sich in die Gebilde, die er schafft – er vergegenständlicht sich in seinen Werken“ und „bewahrt nicht ganz selbstverständlich seine Souveränität gegenüber seinem ,Können‘ “ (Fink 1979, 245; 244). Zahlreiche Motive der einschlägigen Ausführungen Husserls, Heideggers und Finks zur T. an mehreren Stellen seines Werkes aufgegriffen, diskutiert und ergänzt hat Pato cˇ ka. Während er zum einen Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Wissenschaftsbzw. T.-Kritik von Husserl und Heidegger aufweist, fügt Pato cˇ ka dieser Kritik zum anderen ein Moment hinzu, das er in Auseinandersetzung mit Fink und der zeitgenössischen französischen Philosophie, Soziologie und Literatur gewinnt. Er verlagert das Augenmerk von der wissenschaftstheoretischen bzw. seinsgeschichtli-

531 chen Ebene auf die Ebene der konkreten Erfahrung und unternimmt eine Analyse der Auswirkungen bzw. Manifestationen der von Husserl und Heidegger konstatierten Entwicklungen im lebensweltlichen Bereich, wobei er den Status des Menschen als eines sich selbst notwendig entfremdeten hervorhebt. In einem über Heidegger hinausgehenden Schritt erkennt Patoˇcka noch in der Entfremdung als „Ergebnis eines gewissen ,Aktes‘ “ eine „Leistung“: „Der Mensch muß sein Leben leisten, tragen, er muß mit ihm ,fertig werden‘, ,sich mit ihm abfinden‘ “ (Patoˇcka 1988, 124), ohne daß ihm die Wahl zwischen „echtem“ und „unechtem“ Leben offenstünde. Diese Entscheidung ist ihm abgenommen worden, das „echte, eigentliche Sein beruht darauf, alles, was ist, so sein zu lassen, daß es ist und wie es ist“ – womit Patoˇcka nicht einer passivkonservativ-reaktionären Haltung das Wort redet, sondern eine bestimmte Lesart der Husserlschen Phänomenologie auf eine Weise korrigiert, die an Überlegungen Levinas’ und Batailles gemahnt: Anders als die T. im einfachen Verstande suggeriert, zeigt uns etwa die Unterscheidung in „Alltag“ und „Feier“ (insofern der Mensch bei letzterer nicht einem Entfremdungsgeschehen erliegt, als vielmehr die Erfahrung eines „Überwältigt- und Hingerissenseins“ macht), „daß die Welt nicht nur der Bereich dessen ist, was wir vermögen, sondern auch dessen, was sich uns von selbst öffnet“ (ebd., 125), bspw. in der Erfahrung des Erotischen, des Sexuellen, des Dämonischen und des Heiligen. Indem dieser Bereich durch verschiedene Einflüsse, u. a. des Platonismus und des Christentums, zunehmend zugunsten des auf Herstellung, → Produktion

Technik ausgerichteten technischen Weltverständnisses verdrängt wird und sich „moderne Wissenschaft und T. als der eigentliche Seinsbezug durchsetzen“, wird die Kluft zwischen Alltag und „orgiastischem Enthusiasmus“ immer größer, und die mangels hinreichender Ausgleichselemente stärker werdenden Spannungen entladen sich in kriegerischen Handlungen ungekannten Ausmaßes: „Der Krieg wird [im 20. Jh.] zur perfekten Revolution des Alltags.“ (ebd., 139) Die Anklänge an Bataille verstärken sich noch, wenn Patoˇcka an anderer Stelle auf den Opfercharakter → des Krieges hinweist (Patoˇcka 1991). Und dennoch ermöglicht die technische Zivilisation nach Patoˇcka zugleich, „was keine frühere menschliche Konstellation je vermochte: ein Leben ohne Gewalt und in einer weitreichenden Chancengleichheit“, ohne dies freilich bereits verwirklicht zu haben. Somit ist sie als Verfallserscheinung doch nicht identisch mit dem Niedergang der Zivilisation oder dem Ende der Geschichte, sondern als „Erschütterung der Gewißheit einer vorgegebenen Sinnhaftigkeit“ (Patoˇcka 1988, 144) gleichermaßen Aufforderung zur Erkenntnis des Seins selbst als geschichtliches. In vergleichsweise großem Abstand zur Phänomenologie im engeren Sinne, nichtsdestoweniger jedoch als mittelbare Folge einer intensiven Auseinandersetzung mit ihr und hier vor allem mit Heidegger (und wie dieser entlang einer Beschäftigung mit der griechischen Antike) hebt Foucault im Rahmen seiner Analyse der Machtbeziehungen am Beispiel der Geschichte des Gefängnisses zunächst kritisch die subjektkonstitutive Funktion sogenannter disziplinarischer Körper-T.en und -Praktiken (→ Praktiken) seit der

Teilakt Neuzeit hervor (Foucault 1976a), bevor er dazu gelangt, in den nunmehr weniger spezifisch verstandenen „T.en des Selbst“ (techniques du soi) ein Mittel zu erblicken, mit Hilfe dessen der → Mensch ein durch die Zeiten je unterschiedliches Verhältnis zu sich und der Welt herstelle und so seine „ethische Substanz“ transformiere. Auch bei Foucault kommt der phänomenolog. Nähe der T. zum Wissen und zur Kunst eine entscheidende Rolle zu, insofern diese Komponenten im Rahmen des Projekts einer „Ästhetik der Existenz“ zusammenspielen, um eine → „Ethik“ zu ermöglichen, „verstanden als Ausarbeitung einer Form des Verhältnisses zu sich, die es dem Individuum gestattet, sich als Subjekt einer moralischen Lebensführung zu konstituieren“ (Foucault 1986a, 315). „Selbsttechnik“ wird damit letztlich zum Synonym für „Lebenskunst“ und gewinnt dem griech. techne einen auch für die Gegenwart relevanten praktischen, ja ethischen Sinn ab, der sich Foucault zufolge für die Griechen selbst in den drei Wissensformen von Diätetik, Ökonomik und Erotik unmittelbar geäußert habe. Qu.: Hua VI. – HeiGA 7, 7-36. – HeiGA 15. – HeiGA 19. – HeiGA 79, 3-77. – HeiGA 66, 173-178. – Fink 1979, 233266. – Patoˇcka 1988, 121-145. – Patoˇcka 1991, 330-359. – Foucault 1975 (1976a). – Foucault 1984a (1986a). – Lit.: Bernet/Kern/Marbach 1989. – Biemel/v. Herrmann 1989. – Dreyfus/Rabinow 1982. – Foucault 1994b. – Foucault 1994d. – Jamme/Harries 1992. – Margreiter/Leidlmair 1991. – Martin/Gutman/Hutton 1988. – Merker 1988. – Seubold 1986. – Ströker 1987. ARB

Teilakt. Intentionale Erlebnisse, die im Modus aktueller Zuwendung ein ex-

532 plizites Bewußtsein von einem → Gegenstand geben, nennt Husserl → Akte im strengen Sinne. Neben den sogenannten einfachen Akten kennt Husserl auch zusammengesetzte Akte, deren Glieder dann T.e sind. Auch T.e stellen Akte im vollen Sinne dar, indem auch sie jeweils ein spezifisches gegenständliches Korrelat haben und sich gleichzeitig zu einem einheitlichen Gesamtakt mit einem einheitlichen Gegenstand zusammenschließen. Die Gegenstände der T.e sind insofern auch Gegenstände des Gesamtaktes, als sie den primären Gegenstand desselben mit aufbauen helfen. „Die „Einheit der vorstelligen Gegenständlichkeit und die ganze Weise der intentionalen Beziehung auf sie konstituiert sich nicht neben den T.en, sondern in ihnen sowie zugleich in der Weise ihrer Verbindung, die den einheitlichen Akt und nicht bloße Einheitlichkeit eines Erlebnisses überhaupt zustande bringt.“ (Hua XIX/1, 417) Nehmen wir als Beispiel den Sachverhalt „die Taube sitzt auf dem Dach“, so setzt sich der Gesamtakt aus mindestens zwei T.en zusammen, von denen sich der eine auf die Taube richtet, der andere auf das Dach. Die → Intention des Gesamtaktes bezieht sich jedoch weder auf die Taube als solche noch auf das Dach, sondern durch die T.e hindurch auf das Auf-dem-DacheSitzen der Taube. Baut sich beispielsweise auf einen Wahrnehmungsakt ein Akt der Freude über das Wahrgenommene, so heißt der letztere im ersteren fundiert. Auch hier spricht Husserl von T.en. Es gilt die Regel, daß jeder zusammengesetzte ein fundierter Akt ist. So kann also von Zusammensetzung und Fundierung mithin von T.en sowohl hinsichtlich des intentionalen → Inhalts

533

Thema

(Taube/Dach) als auch der Aktqualität (Wahrnehmung/Freude) gesprochen werden. Qu.: Hua XIX/1, 415-418, 515-518.

SR

Tendenz gilt als die phänomenolog. Umdeutung der Kategorie des appetitus. Bei Husserl ist die T. ein Bestandstück der Wahrnehmungsintention i. S. einer aus dem Ichzentrum ausstrahlenden Strebensintention. Husserl unterscheidet eine doppelte T.: 1. die T. vor dem → cogito als → Reiz des intentionalen Hintergrunderlebnisses. Diese T. hat zwei Seiten: a) das Eindringen auf das Ich, b) vom Ich aus die affektive T. zur → Erfassung; 2. die T. als das Vollziehen der Zuwendung (ebd., 81). Das Wahrnehmen ist belebt von Wahrnehmungstendenzen des kontinuierlichen Übergehens von → Apperzeptionen in neue Apperzeptionen, die sich in dem tendenziös geregelten Ablauf von → Kinästhesen auswirken. In der (ungehemmten oder gehemmten) Auswirkungsweise der T.en sieht Husserl den Ursprung der Modalitäten des → Urteils (ebd., 93). Der Begriff T. taucht bei Reinach im Kontext seiner Analyse der sozialen → Akte, insbesondere des Aktes des Versprechens als eines Wesenszusammenhangs auf. Im Versprechen liegt einerseits eine wesentliche T., vernehmungsbedürftig zu sein (Reinach 1989, 449), andererseits, als eine obligatorische Beziehung, tendiert das Versprechen auf die Realisierung seines Inhaltes durch den Versprechensträger (ebd., 172). Wie jeder soziale Akt setzt das Versprechen ein nicht soziales Erlebnis voraus: es hat eine Willensgrundlage, d. h. es liegt ihm eine Erlebnistendenz zugrunde, die durch ih-

re Verstärkung auf Grund der reflexiven Sympathie den Charakter des objektiven Sollens und Dürfens gewinnen kann (ebd., 180). Scheler verwendet den Begriff T. bei der Bestimmung des Verhältnisses, das zwischen → Ich und → Leib besteht. Die T. gilt für ihn als das phänomenologische Fundament des Begriffs der Lebenskraft (ScheGW 6, 185) und wird von ihm definiert als ein qualitativ identisches Bestandsstück von → Trieb und vitaler Bewegung (ScheGW 2, 425). Wie alles Streben ist auch die T., obwohl intellektual blind, in Akten irgendeines Werthabens fundiert (ScheGW 6, 185). Scheler spricht von einer stetig vorhandenen T. des Allebens, sich in allen seinen qualitativen Grundrichtungen als schöpferischer → Eros zu manifestieren (ebd., 132). Der so verstandenen T. widerspricht die universale T. der sich selbst überlassenen Welt zu Fall und Wertabnahme, die nur durch Erlösung überwunden werden kann (ScheGW 5, 231). Qu.: Husserl 1939 (5 1976). – Hua XI. – Reinach 1989. – ScheGW 2. – ScheGW 5. – ScheGW 6. – Lit.: Dubois 1995. – Hammer 1972. – Lee 1993. – Melle 1983. – Rang 1973. AG

Thema. Das Fremdwort geht auf das griechische Verbum tithenai „setzen“ zurück. Auch Husserl wahrt diesen Zusammenhang von Th. und → Setzung: Jedes → Bewußtsein ist implizit ein setzendes Bewußtsein und daher in ausgezeichneter Weise Th. Daher bezeichnet der Titel „Th.“ ein wichtiges Th. phänomenolog. → Analysen überhaupt (Hua III/2, 283). Etwas thematisch erfassen bedeutet, es im Griff zu haben (Deutlichkeit versus Verworrenheit, vgl. ebd., 289). Dabei wird im fortschreitenden Erfassen ein neu-

Thema es Th. in den Griff genommen, wobei das alte seinen Aktualitätsmodus ändert. Zu unterscheiden sind das momentane aktuelle Th. und das Reich habitueller Themen, die freilich als einmal erworbener Besitz wieder aktualisiert werden können (→ Habitualität). Dabei macht es einen weiteren Unterschied aus, ob die thematisierende Aktivität ihr ursprüngliches Substrat zurückläßt und das neue Substrat ausschließlich zum Th. macht oder ob das ursprüngliche Substrat Th. fortschreitender Kenntnisnahme bleibt. Den jeweils thematischen → Gegenständen der → Akte steht hier wie dort der unthematische gegenständliche Hintergrund gegenüber. Im Spätwerk Husserls wird der universale unthematische → Horizont in besonderer Weise zum Th. erhoben: In diesem Horizont bewegen sich alle Fragen des natürlichen → Lebens mit ihren besonderen theoretischen und praktischen Themen. Deren unthematischer Horizont, d. h. die „Vorgegebenheit der Welt als solcher“ (Hua VI, 151), setzt, um Th. zu werden, die totale Änderung der natürlichen → Einstellung durch die universale → Epoché voraus. Damit wird die → Lebenswelt mit ihren Realitäten und zugleich hinsichtlich ihrer Relativität zum Th. des theoretischen Interesses. Auch in der → Fundamentalontologie Heideggers hängen Th. und theoretisches Interesse eng zusammen, so aber, daß das theoretische Interesse, indem es dem wissenschaftlichen Entwurf zugeordnet bleibt, dem → Verstehen gegenüber sekundär ist. „Thematisierung“ und „Th.“ sind daher zu unterscheiden. Das eigentliche Th. der Fundamentalontologie ist das → Sein, vor- und mitthematisch sind das Seiende und in ausgezeichneter Weise das

534 → Dasein. Die Thematisierung des Seins wie des Seienden ist aber primär kein objektivierendes Erkennen, sondern gründet in einem Verstehen. Dessen existenziale Struktur ist der → Entwurf, worin sich das Dasein auf → Möglichkeiten hin entwirft, die im Verstehen selbst nicht thematisch erfaßt (d. h. nicht erkannt) werden. Sie thematisch erfassen bedeutet in Heideggers Terminologie nicht, sie zu thematisieren, sondern sie in der → Auslegung sich ausdrücklich zuzueignen. Dabei bleibt auch diese (zum Unterschied von der → Aussage als ihrem abkünftigen Modus) im Vollzugsbereich des Verstehens. „Thematisierung“ dagegen bezeichnet den Akt wissenschaftlichen Erkennens. Indem dadurch das Seiende in seiner Seinsart zu ausdrücklichem Verständnis gebracht wird, ist es Th. eines puren Entdeckens. Das begegnende Seiende wird solcherart transzendiert und zum Objekt: „Die Thematisierung objektiviert.“ (HeiGA 2, 480). Fink unterscheidet zwischen Th. und Verstehens-Medium. Jenes artikuliert sich in den thematischen Begriffen einer Philosophie, dieses in ihren operativen Begriffen. Thematisch heißen jene Begriffe, die in der Klärung eines Sachgebiets im Zentrum stehen, z. B. „transzendentale Subjektivität“ bei Husserl. Die Explikation solcher Begriffe operiert nun mit anderen Begriffen aus einer anderen Dimension. Diese entspringen einem Verständnishorizont, der unthematisch vorausgesetzt wird (z. B. die Auslegung der → transzendentalen Subjektivität als „leistendes Leben“, eine Charakteristik, die selbst noch der Sphäre der → Naivität angehört). Doch läßt sich diese „operative Verschattung“ niemals ablegen, da sie „ein Wesenszug endli-

535 chen Philosophierens“ ist (Fink 1976, 203). Qu.: Hua III/2, § 122. – Hua VI, § 44. – Husserl 1939, §§ 28, 50. – HeiGA 2, §§ 15, 31, 69. – Fink 1976, 180-204. – Lit.: Trappe 1998. HV

Theorie. Husserl erblickt den Sinn der Th. im Erklären, u. zw. als „Begreiflichmachen des Einzelnen aus dem allgemeinen Gesetz und dieses letzteren wieder aus dem Grundgesetz“ (Hua XIX/1, 26). Der Nachweis der „evidenten Bedingungen der Möglichkeit einer Th. überhaupt“ (Hua XVIII, 118) erfolgt dabei zunächst im Gegenzug zur skeptischen Bestreitung einer solchen Möglichkeit, konkret im Rahmen der Kritik am → Psychologismus als einem skeptischen Relativismus (ebd., § 32). Gegen den Versuch einer psychologischen Begründung einer Th. stellt Husserl die Forderung nach ihrer logischen Rechtferigung. Ihr systematischer Nachweis als „apriorische, theoretische, nomologische Wissenschaften“ muß die „Th. der Th.n“ (ebd., 244) als deren letzten Grund sichtbar machen. Diese Aufgabe fällt in die reine Logik als der „Wissenschaft von der theoretischen Einheit überhaupt“ (Hua XIX/1, 98), der „apriorischen Wissenschaftslehre“ (Hua XVII, § 5). Die Grundzüge einer solchen Th. entwirft Husserl in den Prolegomena der Logischen Untersuchungen, 7. Kapitel („Die Idee der reinen Logik“). Eine kritische Fortbildung dieses Entwurfs findet sich in der Formalen und transzdentalen Logik (Hua XVII, § 27). Wissenschaftliche Erkenntnis bedeutet, den Grund von etwas zu erkennen, d. h. die Gesetzmäßigkeit eines → Sachverhaltes bzw. die notwendige → Geltung seiner → Wahrheit einzusehen. Dabei geht es

Theorie nicht um individuelle Wahrheiten, die als solche zufällig sind, sondern um generelle, die als Gesetze auf die unter sie fallenden → Tatsachen angewendet werden können; es sind dann Grundgesetze. Daraus folgt die Bestimmung: „Die systematische Einheit der ideal geschlossenen Gesamtheit von Gesetzen, die in einer Grundgesetzlichkeit als auf ihrem letzten Grund ruhen und aus ihm durch systematische Deduktion entspringen, ist die Einheit der systematisch vollendeten Th.“ (Hua XVIII, 234) Weil eine Th. aus Wahrheiten besteht, die durch Deduktion voneinander abgeleitet werden, stellt sich die Frage nach der Möglichkeit einer Th. überhaupt als „Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit von Wahrheit überhaupt und von deduktiver Einheit überhaupt“ (ebd., 239). Die Möglichkeit einer Th. und ihrer Bedingungen ist dann gegeben, wenn es primitive wesenhafte Begriffe gibt, aus denen sie sich konstruiert, außerdem reine Gesetze, die in diesen Begriffen gründen und der Th. Einheit geben. Daraus ergeben sich für die reine Logik drei Aufgaben: 1. Die primitiven Begriffe sind festzustellen und wissenschaftlich zu klären. Zu ihnen gehören die Bedeutungskategorien (elementare Verknüpfungsformen wie konjunktiv, disjunktiv, hypothetisch, dazu Komplikationsgesetze u. ä.) und in Korrelation zu diesen die formalen gegenständlichen → Kategorien (→ Gegenstand, Sachverhalt, → Einheit usf.). Es geht dabei nicht um die psychologische Frage nach der Entstehung solcher Begriffe, sondern um die phänomenolog. Frage nach ihrem → Wesen. 2. Die Gesetze, die in den beiden in (1) genannten Klassen gründen, sind hinsichtlich ihrer objektiven Geltung zu untersuchen. Bezüglich der Bedeutungen be-

Theorie trifft dies deren Wahrheit oder Falschheit (mit den entsprechenden Th.n der Schlüsse, von denen die Syllogistik nur eine solcher Th.n ist), bezüglich der gegenständlichen Korrelate deren Sein oder Nichtsein (mit den entsprechenden in sich geschlossenen Th.n der reinen Vielheitslehre, der reinen Anzahlenlehre usf.). 3. Obwohl mit (1) und (2) dem Nachweis der Möglichkeit von Th. Genüge getan ist, bedarf es ergänzend einer Th. der möglichen Theorieformen, welche die apriorischen Möglichkeiten der verschiedenen Th.n und ihren Zusammenhang erforscht (reine Mannigfaltigkeitslehre). Wie Husserl im Spätwerk zeigt, gründet die Wissenschaft „als Totalität der prädikativen“ (Hua VI, 132) in der → Lebenswelt und deren Ursprungsevidenzen, hat das Wissen von der objektiv-wissenschaftlichen Welt seinen Grund in der → Evidenz der Lebenswelt. Die damit verbundenen Aufgaben verlassen keineswegs die theoretische → Einstellung, auch und gerade weil sie „praktisch“ sind: Es handelt sich jetzt um eine „theoretische“ → Praxis in doppeltem Sinn: Die theoretische Praxis zielt in ihrem Handeln ab auf das theoretische Interesse, um das von der Th. Erreichte kontinuierlich sichern zu können. Und die theoretische Praxis zielt in ihrem Erkennen ab auf die Praxis, um damit erst den Sinn der → Wissenschaft als eines „Ganzen wissenschaftlicher Th.“ gewinnen zu können: „die Neubildung des Sinnes Welt als thematisches Feld der wissenschaftlichen Urteile, des Sinnes Seiendes, wenn Welt Universum von Seiendem bedeutet, der Begriffe Wahrheit, Erkenntnis, Vernunft.“ (Hua XXVII, 187) Geleitet von der Idee einer Urwissen-

536 schaft stellt sich für den frühen Heidegger die Aufgabe, über die theoretische Sphäre hinauszugehen und die vortheoretische Sphäre einzubeziehen. Er verneint damit die traditionelle Beschränkung auf das Theoretische und stellt die Forderung auf: „Diese Vorherrschaft des Theoretischen muß gebrochen werden [...], weil das Theoretische selbst in ein Vortheoretisches verweist.“ (HeiGA 56/57, 59) Damit kündigt sich Heideggers Verhältnis zur Th. an, das auch für die Folgezeit maßgeblich bleibt. Ursache für die bisherige Bevorzugung der Th. ist demzufolge erstens die Meinung, Normen könnten auf diesem Gebiet am leichtesten gewonnen werden, und zweitens die Überzeugung, das Theoretische sei die fundamentale Schicht, auf der alle übrigen aufbauen würden. Mit der phänomenologischen Erschließung der Erlebnissphäre gerät diese Vormeinung ins Wanken, was allerdings keine völlige Verabschiedung der Th. zur Folge hat. Denn von der Theoretisierung als einer „Entlebung“ (in der das Ding seine Zugehörigkeit zur Umwelt verliert) unterscheidet Heidegger die formale Theoretisierung als grundverschieden andere Art des Theoretischen, dessen mögliches Etwas nicht „Entlebtheit“ indiziert, sondern „Index für die höchste Potentialität des Lebens“ ist (ebd., 115), „die höchste potentielle und volle Unheimlichkeit des Lebens“ (HeiGA 58, 107). Dieses vortheoretische Etwas wird im Frühwerk als Grundphänomen der Erlebniswelt verstanden, das sich im Gleiten von einer Erlebniswelt in die andere oder in besonders intensiven Lebensmomenten zeigt (→ Befindlichkeit). Die begriffliche Thematisierung des Vortheoretischen zielt auf das konkrete faktische Leben ab (→ Faktizität) und stellt die

537 Phänomenologie vor die Aufgabe einer „Th. der philosophischen Begriffsbildung“ (HeiGA 59, § 1), was später zur Ausarbeitung der philosophischen Begrifflichkeit von der Art der formalen → Anzeige führt. Für diese der Philosophieren aufgegebene Problematik wird es aber nötig, sich von jener Tradition freizumachen, die für die Griechen noch echt war: „wissenschaftliches Verhalten als Th.“ (HeiGA 17, 3) – dies deshalb, weil das theoretische Betrachten (theorein) als rein anschauendes → Verhalten nur eine Modifikation des herstellenden Verhaltens ist, aus dem die Grundbegriffe der antiken Ontologie entspringen (HeiGA 24, § 11). In Sein und Zeit wird diese Modifikation als eine solche der Als-Struktur verstanden, d. h. als Nivellierung des existenzialhermeneutischen Als der umsichtigen → Auslegung zum apophantischen Als der → Aussage (HeiGA 2, § 33). Aus seinsgeschichtlicher Sicht interpretiert Heidegger das Wesen der modernen → Wissenschaft als „Th. des Wirklichen“ (HeiGA 7, 40). In diesem Zusammenhang führt er das Wort „Th.“ auf seinen griechischen Ursprung zurück, das Verbum theorein auf die Worte thea („Anblick“) und horao („etwas ansehen“, zusammenhängend mit ora „Rücksicht“); im alten und frühen Sinn ist Th. „das hütende Schauen der Wahrheit“ (ebd., 47). Wesentlich anders ist die Th. der modernen Wissenschaft zu verstehen, nämlich als Sicherstellung und Abgrenzung eines Gegenstandsgebietes. So ist ihrem griechischen Ursprung nach (den allerdings bereits Platon „innerhalb der ,technischen‘ Auslegung des Denkens“ verortet; vgl. HeiGA 9, 314) die Th. „Erblicken des Seins des Seienden“, ihrem neuzeitlichen Ansatz zufolge „Leitvor-

Theorie stellung zur Bearbeitung des Seienden“ (HeiGA 13, 238). Schütz versteht unter Th. die wissenschaftliche Kontemplation und unterscheidet diese von einem kontemplativen Denken, das praktischen Absichten dient, und von der Meditation in religiösem Sinne. Die wissenschaftliche Th. dient keinem praktischen Zweck, ihr Ziel ist nicht Weltbeherrschung, sondern Beobachten und Verstehen der Welt. Jede theoretische Überlegung ist ein → Handeln, das nach einem Entwurf durchgeführt wird, und eine Leistung, da sie von der Absicht auf Verwirklichung geleitet ist. Die → Lebenswelt ist auch dem theoretischen Denken vorgegeben, doch ist dieses frei von der „grundlegenden Sorge“ und den von dieser ausgehenden Hoffnungen und Befürchtungen. Theoretisches Denken kann immer von neuem in Frage gestellt werden, wenngleich der Theoretiker an endgültigen Lösungen interessiert ist. Voraussetzung jeder Th. ist eine dreifache Epoché: 1. Einklang der Subjektivität des Denkers als Mensch unter Mitmenschen einschließlich seiner körperlichen Existenz; 2. Einklang des Orientierungssystems, durch welches die Alltagswelt gegliedert ist; 3. die grundlegende Sorge um die Systeme praktischer Relevanzen. Das Relevanzsystem wird daraufhin eingeschränkt, als es die Forschungsebene bestimmt, damit aber auch den äußeren Horizont später zu bearbeitender Probleme. Zu den Regeln des theoretischen Prozesses gehört das Postulat der Stimmigkeit und Verträglichkeit aller Aussagen mit Bezug auf alle andere wissenschaftlichen Aussagen und die Erfahrungen der Alltagswelt. Dazu kommen die Regeln der Wissenschaftslogik und der Methodologie des spezi-

These, thetisch ellen Gebietes. Das Verhältnis von Sozialität und theoretischen Denken führt zu zwei Fragen: 1. wie das einsame theoretische Selbst Zugang zur Welt des Wirkens finden und diese zum Objekt der Th. machen kann; 2. wie Theoriebildung mitteilbar und in Intersubjektivität durchführbar ist. Ad 1: Die natürliche Welt, in der wir aufwachsen, handeln und sterben werden, entgeht der theoretischen → Einstellung, weshalb ein künstliches Verfahren entwickelt werden muß, die Methode der Sozialwissenschaften: An die Stelle der intersubjektiven Lebenswelt tritt ein Modell, das mit konstruierten Typen besetzt ist (die Verfahrensregeln werden der Methode der Sozialwissenschaften entnommen). Ad 2: Der theoretische Prozeß ist selbst nur innerhalb einer Welt des wissenschaftlichen Dialogs möglich, welche dem Theoretiker als Ergebnis fremder theoretischer Handlungen vorgegeben ist. Die → Kommunikation erfolgt außerhalb der theoretischen Einstellung in der Alltagswelt der natürlichen Einstellung. Qu.: Hua XVIII, §§ 32, 66-69. – Hua XVII, § 27. – Hua VI, § 34. – Hua XXVII, 184221. – HeiGA 2, § 33. – HeiGA 7, 37-65. – HeiGA 24, § 11.– HeiGA 56/57, §§ 12, 17, 20. – HeiGA 58, § 24. – HeiGA 59, § 1. – Schütz GA 1, 281-298. – Lit.: Petersen 1964. – Richter 1989. HV

These, thetisch. Das griech. Wort thesis ist die substantivierte Form von „setzen, legen, stellen“ und bedeutet in weiterem Sinn auch „Satz, Behauptung“. Von dieser Bedeutung ausgehend bestimmt Husserl Th. als → „Setzung“, th.e → Akte, als seinssetzende Akte. Der Titel Th. bezieht sich auf jedes → Bewußtsein, wobei zwischen aktuell oder potentiell th.em Bewußt-

538 sein zu unterscheiden ist. Zum th.en Bewußtsein gehört die neutralisierende Daseinssetzung, dessen → Noema nicht als aktuell seiend gegenständlich erfaßt wird, sondern nur als Bild oder Fiktion. Zieht man seine Beachtung vom Bild ab, geht die neutralisierte Setzung in Potentialität über. Aktuelle und potentielle Th.n sind positionale Th.n (die Potentialität kann in → Aktualität übergeführt werden), denen die uneigentlichen Th.n der Neutralität gegenüberstehen („gleichsam“Th.n, kraftlose Spiegelungen). Dieser Unterschied zwischen Positionalität und Neutralität verläuft noetisch und noematisch parallel. Der Möglichkeit, die potentiellen Th.n zu aktualisieren, liegt die Urthese, das Glaubensbewußtsein i. S. der → Urdoxa zugrunde. Im besonderen gilt der Ausdruck Th. für die → Generalthesis der natürlichen → Einstellung. In dieser ist die → Welt fraglos als → Wirklichkeit vorhanden, auch wenn sie sich im → Schein oder in der Halluzination als modifiziert erweist. Auf ihrem → Boden stehen die Einzelwissenschaften, während die → transzendentale Phänomenologie diese Einstellung radikal ändert, indem sie von dieser Th. keinen Gebrauch macht. Qu.: Hua III/1, §§ 30-31, 105, 113-117. HV

Tier. Husserls knappe Bemerkungen über das T. gehören in seine Studien zur Intersubjektivität. Unter genetischem Gesichtspunkt liegt in unserer → Erfahrung eine Stufenbildung, wobei sich niedere Erfahrungsweisen mit beschränkten → Horizonten zu höheren entwickeln. Nun kann die volle Erfahrung abgebaut werden, und auf diese Weise läßt sich nachvollziehen, wie die Wahrnehmungshorizonte be-

539 schaffen sind, wenn bestimmte Erfahrungsmöglichkeiten ausgeschaltet werden. Dabei wird eine Analogie zum Kind hergestellt: Wie dieses zwar dieselben Dinge sieht, ohne schon über die vollständig ausgebildete → Apperzeption zu verfügen, so trifft dies auch auf das T. zu. Schelers ausführlichere Betrachtung zum T. gehört in seine späte Anthropologie, in der es darum geht, das Wesen des → Menschen im Verhältnis zu den anderen Lebewesen, Pflanze und T. zu bestimmen und die metaphys. Sonderstellung des Menschen herauszustellen. Als Urphänomen des Lebens findet sich bereits bei der Pflanze der → Ausdruck (matt, kraftvoll, üppig), der sich beim T. in den Kundgabefunktionen spezifiziert. Dieses wird dadurch von der unmittelbaren Anwesenheit der lebensnotwendigen Dinge unabhängig. Hinzu kommen eine wesentlich stärkere Individualisierung und der Gefühlsdrang, d. h. eine triebhafte Aufmerksamkeit. Spezifisch ist weiters ein instinktives Verhalten, zu dem folgende Merkmale gehören: eine Sinnbezogenheit auf das Ganze des T.s; die Reaktion nur auf Situationen, die für die Art bedeutsam sind; zwar ist das T. durch Erfahrung und Lernen zu speziellen Leistungen heranzuziehen, doch ist es im Grunde von vornherein fertig. Aus dem instinktiven Verhalten geht das gewohnheitsmäßige hervor, die Fähigkeit zum assoziativen Gedächtnis. Dieses schafft die Möglichkeit, daß sich das Individuum neuen, nicht arttypischen Situationen anpaßt, womit es eine freiere Dimension des Lebens gewinnt. Damit wird aber auch die Bindung an die Lebenserfordernisse gelöst. Der damit verbundenen Gefahr begegnet die praktische Intelligenz. Erst beim Menschen steht

Tier diese auch im Dienst spezifisch geistiger Ziele. Heidegger geht der Frage nach der Tierheit des T.s im Zusammenhang mit einer Ausarbeitung des Weltbegriffs nach, wobei er die These verfolgt: Das T. ist weltarm. Es hat zwar eine eigene Beziehung zu dem Umkreis, innerhalb dessen es sich aufhält, doch keine Beziehung zu Seiendem als solchem (es fehlt ihm das → Verstehen, das immer etwas als etwas versteht und damit in einem bestimmten Verständnishorizont hält). Anders als für das → Zeug in der Verfertigung eine bestimmte Fertigkeit für etwas entsteht, ist das Organ des T.s im Besitz einer Fähigkeit. Das Fähigsein verschafft sich Organe, nicht umgekehrt. Das T. zeigt nun mehrere Fähigkeiten: Ernährung, Wachstum, Fortpflanzung, Kampf mit dem Feind. Die spezifische Art ihrer Einheit ist mit dem Begriff des Organismus nur unzureichend charakterisiert, solange man diesen vom Werkzeug her zu begreifen sucht: Heidegger versteht den Organismus als Fähigsein. Zu dessen Wesen gehört das „Benehmen“ in Abhebung zum Verhalten des Menschen. Es läßt sich daher nicht mit menschlichem Benehmen vergleichen, sondern hat die „Benommenheit“ als den für ihn ganz eigentümlich Grundzug. Dies wiederum bedeutet, daß das T. von seinen Fähigkeiten eingenommen ist, d. h. in seinem Sehen, Hören usf. von dem hinund weggetrieben wird, worauf es bezogen ist. Weder dies noch es selbst ist dem T. offenbar, da sein Wesen in der Benommenheit liegt. Deren Grundcharakter zeigt sich darin, daß das T. von Trieben umringt ist, innerhalb derer es vom Ganzen „hingenommen“ ist und zu diesem „enthemmt“ werden kann. Anders als Husserl weist Heidegger die methodische Überlegung

Tod zurück, das Wesen des Lebens (das T.) werde nur i. S. einer abbauenden Betrachtung zugänglich; dadurch wäre der Reichtum dieses Bereichs (wie ihn die menschliche Welt vielleicht gar nicht kennt!) verfehlt. Die scheinbare Nähe von T. und Mensch erweist sich als Täuschung, denn zwischen beiden liegt ein Abgrund, der durch nichts überbrückt werden kann. Deshalb ist uns auch, wie es im Humanismusbrief heißt, das Wesen des Göttlichen in seiner Ferne vertrauter „als die kaum auszudenkende abgründige Verwandtschaft mit dem Tier“ (HeiGA 10, 326). Qu.: Hua XIV, Nr. 6 und Beilage XII. – ScheGW 9, 7-71. – HeiGA 29/30, §§ 4563. – Lit.: Agamben 2003. HV

Tod. Das Todesproblem taucht in Sein und Zeit im Rahmen der Frage nach der ursprünglich existenzialen Interpretation des → Daseins auf, die das → Sein des Daseins „in seiner möglichen Eigentlichkeit und Ganzheit existenzial ans Licht“ (HeiGA 2, 310) zu bringen hat. Die Analyse des Todesphänomens orientiert sich zunächst am uneigentlichen, dem durchschnittlichalltäglichen → Verhalten zum T. und liefert im Anschluß daran („Uneigentlichkeit hat mögliche Eigentlichkeit zum Grunde“ (ebd., 344)) einen existenzialen → Entwurf eines eigentlichen Seins zum T.e. Die → existenziale Analyse interpretiert das Phänomen des T.es lediglich daraufhin, „wie es als Seinsmöglichkeit des jeweiligen Daseins in dieses hereinsteht“ (ebd., 330). Ihre methodische Vorordnung gegenüber den „Fragen einer Biologie, Psychologie, Theodizee und Theologie des T.es“ (ebd., 330) bedeutet keinen Vorgriff ei-

540 ner „existenziellen Stellungnahme zum T.e“ (ebd., 329). Weil der T. „wesensmäßig je der meine“ (ebd., 319) ist, läßt sich die Frage nach Ende und Ganzsein des Daseins nicht mit Blick auf den T. anderer exponieren. Es gilt vielmehr, „den existenzialen Sinn des Zu-Ende-kommens des Daseins diesem selbst zu entnehmen“ (ebd., 322). Solange das Dasein ist, steht an ihm etwas aus, auch ist es, „solange es ist, je schon sein Nochnicht“ (ebd., 324). Im Zuge der Abwehr einer unzureichenden, weil ,Ende‘ und ,Ausstand‘ vom Zuhandenbzw. Vorhandensein her verstehenden Begrifflichkeit ist zu sagen: „So wie das Dasein vielmehr ständig, solange es ist, schon sein Noch-nicht ist, so ist es auch schon immer sein Ende. Das mit dem T. gemeinte Enden bedeutet kein Zu-Ende-sein des Daseins, sondern ein Sein zum Ende dieses Seienden. Der T. ist eine Weise zu sein, die das Dasein übernimmt, sobald es ist“ (ebd., 326). Der T. steht dem Dasein bevor, aber weder wie ein innerzeitliches Ereignis noch wie eine künftig zu bewältigende Aufgabe. Er ist wohl eine → Möglichkeit, allerdings „die Möglichkeit des Nichtmehr-dasein-könnens“ und als solche unüberholbar (ebd., 333). „So enthüllt sich der T. als die eigenste, unbezügliche, unüberholbare Möglichkeit. Als solche ist er ausgezeichneter Bevorstand“ (ebd., 333). Für die durchschnittlich-alltägliche → Auslegung wird der T. zum „Todesfall“, zu etwas, was „irgendwoher eintreffen muß“, aber für einen selbst „noch nicht vorhanden und daher unbedrohlich ist“ (ebd., 336). Das uneigentliche Verhalten zum T. besteht in einer ständigen Flucht vor ihm. „Das Sein zum Ende hat den Modus

541 des umdeutenden, uneigentlich verstehenden und verhüllenden Ausweichens vor ihm“ (ebd., 338). Im Unterschied dazu muß es einem existenzialen Entwurf „eines eigentlichen Seins zum T.e“ (ebd., 345) darum gehen, dieses „als ein Sein zu einer Möglichkeit und zwar einer ausgezeichneten Möglichkeit des Daseins selbst“ zu bedenken (ebd., 346). Die Schwierigkeit liegt darin, daß diese Möglichkeit nicht auf eine entsprechende Wirklichkeit hin und von dieser her, und damit die zeitliche Verfaßtheit des Daseins nicht als Selbst-Verwirklichung verstanden werden kann. „Das fragliche Sein zum T.e kann offenbar nicht den Charakter des besorgenden Aus-seins auf seine Verwirklichung haben“ (ebd., 347). Deshalb kann das eigentliche Sein zum T.e weder in einem „Denken an den T.“ (ebd., 347) noch in bereiter Todeserwartung bestehen. Beide Male wäre die äußerste Möglichkeit des Daseins in etwas zu Verwirklichendes umgedeutet. Demgegenüber kommt es darauf an, die Möglichkeit als Möglichkeit im denkenden Blick zu behalten: „Im Sein zum T.e dagegen, wenn anders es die charakterisierte Möglichkeit als solche verstehend zu erschließen hat, muß die Möglichkeit ungeschwächt als Möglichkeit verstanden, als Möglichkeit ausgebildet und im Verhalten zu ihr als Möglichkeit ausgehalten werden“ (ebd., 347). Heidegger bezeichnet die im Sein zum T.e erfolgende Enthüllung des T.es als Möglichkeit als das → Vorlaufen in den T. (ebd., 348). Im Blick auf das Verhältnis von → Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit läßt sich die „Charakteristik des existenzial entworfenen eigentlichen Seins zum T.e“ wie folgt zusammenfassen: „Das Vorlaufen enthüllt dem Dasein die Verlo-

Tod renheit in das Man und bringt es vor die Möglichkeit, auf die besorgende Fürsorge primär ungestützt, es selbst zu sein, selbst aber in der leidenschaftlichen, von den Illusionen des Man gelösten, faktischen, ihrer selbst gewissen und sich ängstenden Freiheit zum T.e“ (ebd., 353). Für den späteren Heidegger versammelt sich im T. das Geheimnis des → Seins selbst. Die Sterblichen sind diejenigen, die den T. als T. vermögen, sie „das wesende Verhältnis zum Sein als Sein“ (HeiGA 7, 180). „Der T. ist der Schrein des Nichts, dessen nämlich, was in aller Hinsicht niemals etwas bloß Seiendes ist, was aber gleichwohl west, sogar als das Geheimnis des Seins selbst. Der T. birgt als der Schrein des Nichts das Wesende des Seins in sich. Der T. ist als der Schrein des Nichts das Gebirg des Seins“ (ebd., 180). Als Sterbliche wohnen wir Menschen in der Nähe des T.es, „der als äußerste Möglichkeit des Daseins das Höchste an Lichtung des Seins und seiner Wahrheit vermag“ (HeiGA 10, 167). Für Fink wirft der T. das zweifache Methodenproblem der leitenden Begrifflichkeit sowie des Ansatzes der Todesanalyse auf. Der Menschentod „stellt ein ontolog. Problem dar, welches mit den Denkmitteln und Kategorien, die wir auf die erscheinenden Dinge anwenden, nicht exponiert werden kann“ (Fink 1969, 20). Es gilt, „die Erscheinungswelt nach dem in ihr gültigen Verstehen von Sein und von Nichts zu überschreiten“ (ebd., 44), nicht „ein ontolog. geklärtes Verständnis von Enden und Vergänglichkeit voraus[zu]setzen“ (ebd., 28), sondern dieses allererst im Blick auf das Phänomen des T.es auszuarbeiten, d. h. „die Sinnhorizonte des ,Nichts‘ und

Tod des ,Entzugs‘ zu durchdenken, die unser kurzes, flüchtiges Hiersein umranden“ (ebd., 31). Der T. bietet zwei Aspekte, die nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen. Er „ist ebensosehr Fremdtod wie Eigentod, ist ein innerzeitliches Phänomen und ist das Zeit-Ende. Das eine Mal vermögen wir ihn im Horizont der Zeit zu sehen, das andere Mal hebt er die Zeit auf“ (ebd., 37). „Die Optik des Sterbenden muß zusammengedacht werden mit der Optik der Überlebenden, die dem Abgeschiedenen die letzte Ehre erweisen, wenn sie ihn zurückgeben an die Erde oder der reinen Flamme“ (ebd., 38). Als Fremdtod ist der T. ein Phänomen, ein datierbares und lokalisierbares Ereignis (ebd., 34). „Der eigene T. dagegen ist kein ,Phänomen‘ “ (ebd., 35), sondern „ein Bevorstand unfaßlicher Art“ (ebd., 36). Er kann „für den Sterbenden niemals wahrhaftig ein einzelnes Vorkommnis in der Zeitkette von Ereignissen sein – wie für die Anderen. Er ist das letzte Ereignis, das Ende von Ereignissen, das Ende, hinter dem nichts mehr kommt, hinter dem das Nichts kommt“ (ebd., 35). Freilich: „Nicht nur als der eigene T., der noch aussteht, auch als der fremde T. des Mitmenschen ist er nicht auf einen eindeutig phänomenalen Befund festlegbar und so beschreibbar“ (ebd., 55). Solange nun das individuierte Seiende das unausgesprochene „ontolog. Grundmodell“ bleibt, „ist der Menschentod nur als Untergang und Vernichtung, als Auflösung der Gestalt, als Verlust des Umrisses und Aussehens, als Wegschwinden aus dem Felde der Erscheinungen zu kennzeichnen und nur in lauter Negationen zu denken“ (ebd., 48). Faßt man dagegen i. S. der Hegelschen Phänomenologie des Geistes das Begräbnis auf

542 als „eine sittliche Gestalt des Todesverhältnisses einer menschlichen Gemeinschaft, die im Totenlande die Wurzeln ihres oberirdischen Weltaufenthalts ahnt“ (ebd., 175), bedeutet der T. den „Untergang vereinzelter Existenz“ (ebd., 55), sodaß er das „Doppelgesicht von Vernichtung und Erlösung“ (ebd., 56) gewinnt. Das Abscheiden der Abscheidenden ist der „Rückgang in den dunklen, unterweltlichen Grund, welcher das Ganze oberirdische Dasein der Menschen trägt“ (ebd., 54). Dieser Grund ist zugleich die Quelle, „woraus die Vielfalt und Vielzahl der endlichen Dinge aufgeht“ (ebd., 173). Doch gilt: „Der T. bzw. das Nichts, das im T.e uns bevorsteht, läßt sich im Seinsverständnis, also mit seinen Mitteln, Begriffen und Kategorien, nicht denken –, es kann nur als das Nichts des Seinsverstehens selbst, als ontolog. Weltuntergang zu einer vorläufigen und hinfälligen Denkarbeit gelangen“ (ebd., 207). Wiplinger geht es um eine „Phänomenologie ursprünglicher Todeserfahrung“ (Wiplinger 1970, 11), die weder am Fremdtod noch im Vorlaufen in den eigenen T., sondern in ihrer Unverfügbarkeit und Unabweisbarkeit erst „am T. des geliebten Menschen“ (ebd., 31) gemacht werden kann. Die Ankündigung des T.es in der vielfachen „Nichtigkeit“ (ebd., 28) des Lebens oder im „Abschiedsglück“ (ebd.) verstattet immer noch ein Ausweichen vor der in diesen Erfahrungen sich meldenden „End-gültigkeit des Abschieds von allem“ (ebd.). Sie ist deshalb ebensowenig die ursprüngliche Todeserfahrung wie das Vorlaufen in den eigenen T., weil dieses entweder durch eine andere Erfahrung, die dann die ursprüngliche wäre, vorbereitet werden muß, oder etwas mir Verfügbares ist und „ob solcher Verfügbarkeit doch

543 nicht die ursprünglich mich betreffende“ (ebd., 30) sein kann. Insofern „T.es,- Lebens- und Selbsterfahrung des Menschen“ (ebd., 35) einander entsprechen, wird die „Selbst-seinserfahrung am T. dessen, den wir lieben“ zum „Ansatz der philosoph. Frage nach dem Sinn von Sein“ (ebd., 37). Denn es kann nicht von einer „vorgängigen Ontologie her“ der Sinn von Sein überhaupt und Mensch-sein bestimmt werden, vielmehr befindet „einzig der T. selbst über jegliche Seinsdeutung“ (ebd., 50). Selbstsein besagt leibhaftiges Mitsein, das als Personsein „nur jeweils in konkret-leibhaftiger Liebe zu ihm als Du erfahrbar und verstehbar“ wird (ebd., 57). Freilich liegt das „wahre Problem personal erfahrenen T.es“ darin, „daß er Sinn und Widersinn des Lebens der Liebe zumal ist“ (ebd., 99). Doch personales Mitsein ist „gemeinsame Lebens-tat“ unter dem Anspruch der Unbedingtheit der Liebe (ebd., 73). Indem die „Unbedingtheit der personalen Liebe [...] auch und gerade am T. nicht bedingt ist, sondern diesen zuletzt selbst für das Leben des Mitseins bedingt und fordert“ (ebd., 89), kündigt sich eine „mögliche Todestranszendenz an, die [...] einen möglichen Sinn von Sein über den T. hinaus anzudeuten scheint“ (ebd., 89 f.). Levinas geht von der „Erschütterung par exellence“ aus, die der „T. des Anderen“ darstellt (Levinas 1996, 19). Diese Betroffenheit ist eine „Affektivität ohne Intentionalität“ (ebd., 27), die nicht auf eine „Öffnung auf das Nichts – oder auf das Sein in seiner Verbindung zum Nichts“ reduziert werden darf und nicht in der Angst „als Angst vor dem Nichts“ (ebd., 31) wurzelt. Die Frage nach dem T. ist primär keine onolog., in das „Dilemma Sein-Nichts“ (ebd., 18) führende, sondern eine ethi-

Tod sche Frage. Der T. des Anderen betrifft mich „in meiner Identität als verantwortliches Ich“ (ebd., 22), sein Sinn liegt im „Zerbrechen des Selben in meinem Ich“ (ebd., 23). Das mit dem T. gegebene Ende ist „nicht Vernichtung sondern notwendig Frage“ (ebd., 29), mit der die „Beziehung zum Unendlichen“ (ebd.) aufbricht, die in der „Verantwortung eines Sterblichen für einen Sterblichen“ (ebd.) liegt. Nicht ist der T. von der Zeit aus, sondern die Zeit vom T. aus zu denken (ebd., 117). Die an mich gerichtete Frage des T.es ist „meine Verantwortung für den T. des Anderen“ (ebd., 128). Weil der T. ein reines „Hinweggerissenwerden“ (ebd.) ist, verbietet er eine Funktionalisierung des Anderen und ermöglicht die ethische Wahrnehmung des Anderen in seiner Andersheit und damit „die Grundlosigkeit meiner Verantwortung für den Andern“ (ebd.). Weltes Frage setzt an beim T. als künftigem Nicht-dasein. Das Nichts ist nicht etwas anderes als das Dasein, sondern das Andere des Daseins selbst – dergestalt, „daß es im Dasein erfahren wird“ (Welte 1978, 57). Die Analyse hat zum Thema die „Erfahrung dieses Nicht-Daseins oder Nichts“ (ebd., 50) – das nicht zu einem „Ding oder Subjekt“ namens ,Nichts‘ hypostasiert werden darf (ebd., 56 f.). Das auf jeden von uns unweigerlich zukommende Nichts ist zweideutig, als seine Erfahrung verstanden werden kann: „als Erfahrung eines bloßen nichtigen Nichts oder als Erfahrung einer absoluten Verbergung“ (ebd., 52). Diese alle Dimensionen des Nichts umfassende Zweideutigkeit läßt sich „vom Gehalt der Erfahrung des Nichts oder von seiner Phänomenalität her [...] nicht entscheiden“ (ebd., 52 f.). Als Dimensionen werden genannt das „Abdrängende des

Tod Nichts“ (ebd., 54) sowie die „Endlosigkeit und Unbedingtheit des Nichts“ (ebd., 55). Wohl aber läßt sich die Zweideutigkeit im Licht des vom Dasein unablösbaren totalen Sinnpostulats lösen. Darunter ist nicht eine zu falsifizierende Annahme gemeint, sondern „die leitende Dynamik des Vollzuges des Daseins im Ganzen“ (ebd., 59), „die ermöglichende Grundlage selbst der äußersten negativen Interpretationen, welche Sinn überhaupt hinweginterpretieren will“ (ebd., 62). So gesehen sind „Leben und auf Sinn hin Leben oder Sinn Voraussetzen synonyme Begriffe“ (ebd.). Die gelebte Sinnvoraussetzung ist total, weil sie „alle möglichen endlichen Einzelheiten unseres Lebens“ nicht nur „umfaßt“, sondern auch „überschreitet“ (ebd., 60). Denn in ihrem Licht führt jeder erreichte Sinn immer auch ein Ungenügen mit sich (ebd.). Heißt nun leben, auf totalen Sinn hin leben, und macht diese Dynamik die → Freiheit selbst aus, käme es zu einem ethisch unverantwortlichen Widerspruch, würde das künftige Nichtdasein als leeres Nichts interpretiert. „Das Nichts, als nichtiges Nichts verstanden, zerstört jeden Sinn“ (ebd., 64). Es wäre nicht mehr einzusehen, „warum es Sinn haben sollte, sich eher für Wahrheit und Gerechtigkeit zu engagieren als für Lüge und Ungerechtigkeit“ (ebd., 65). Also muß das Nichts anders gedeutet werden: „Sinnvolles menschliches Dasein, so müssen wir dann sagen, ist nur dann möglich, wenn das Nichts in seiner Unendlichkeit und in seiner unentrinnbaren Macht kein leeres Nichts ist, vielmehr Verbergung oder verbergende Anwesenheit unendlicher und unbedingter und aller sinngebender und sinnverwahrender Macht. Verborgene

544 Anwesenheit: lautlos, gestaltlos, dunkel, schreckend vielleicht, aber doch Anwesenheit“ (ebd., 66). Wucherer-Huldenfeld spricht ebenfalls von der Zweideutigkeit des Todesnichts, allerdings darf die „Gegeninstanz gegenüber dem endgültigen Nichts“ nicht „außerhalb des Phänomens gefunden“ werden (Wucherer 1997, 338), will man sich nicht einem „Entscheidungsirrationalismus“ und einer „bloß postulatorischen Argumentation“ verschreiben (ebd.). Die Phänomenalität des Nichts in seiner vollen Weite zulassen heißt, nicht nur das „Nichts am Ende“, sondern zu allererst das Nichts unseres je eigenen Daseinsanfangs bedenken. Wir erfahren, „daß uns zu sein gegeben ist, daß wir zeitlich unser Sein empfangen und diese Anwesenheit (die Gewesenes und Kommendes als AbwesendAnwesendes einschließt) Gabe ist [...]. Wir verdanken alle Zeit einem Geben, das sich zugunsten der Vernehmbarkeit der Gabe verbirgt. Wir erfahren zwar in diesem Sichverbergen den Ursprung und die Herkunft unseres Seins in der Zeit. Doch was wir erblicken, wenn wir nach Herkunft und Ursprung unseres Seins fragen, das zeigt sich uns phänomenal eben als Nichts: das Nichts des Anfangs unseres Daseins“ (ebd., 340). Der Anfang, d. i. die „Eröffnung eines Ganzen hinsichtlich seines [...] Ganzseinkönnens“ (ebd., 341), wird im Unterschied zum Beginn, d. i. den ersten einzelnen Momenten, „mit denen etwas, das schon angefangen hat, hervorkommt“ (ebd.), niemals zurückgelassen. Der Anfang ist „nicht und nie ein Vergangenes, er bleibt als das ZumVorschein-Kommende stets das Kommende“ (ebd.). Einen Anfang haben heißt, „sich ständig seinem Anfang aus Nichts verdanken“ (ebd., 342).

545 Das Nichts des eigenen Anfangs zeigt sich „als Nichts, das zum Dasein freigibt, das lautlos und mühelos ins Dasein ruft und uns ureigenstem Selbstsein überantwortet. Als dieser Ruf trägt das Nichts selbst das verborgenbleibende Antlitz dieser ins Sein urhebenden Übermacht“ (ebd., 343). Im Unterschied zum Nichts des Endes zeigt sich das Nichts des Anfangs nicht zweideutig, sondern eindeutig. Im Sinne ontischer Verursachung ist freilich nichts hinter dem Nichts des Anfangs (ebd., 344). „Aber indem ich mir in meinem Dasein gegeben bin wie durch einen Sprung, den Ur-sprung meines Anfangs und Anfangenkönnens, erfahre ich dieses Nichts durchaus nicht absolut ohnmächtig-leer, sondern als das Entspringenlassende, als den Daseinsursprung, als das zum Anfang freigebende Geheimnis meines Daseins. Es umgreift das Ganze des Daseins, ohne von ihm umgriffen oder begriffen zu werden. Ich erfahre es positiv im Geschehen des Gebens als Sichzurückhalten, Sichentziehen und als Enthüllen des absolut Verborgenbleibenden“ (ebd.). Umgreift das Anfangsnichts das Ganze des Daseins, dann bedeutet die phänomenale Selbigkeit des Nichts unseres Anfangs und Endes, daß im Todesnichts der uns freigebende Daseinsursprung auf uns zukommt. „Die Entscheidung über das Nichts am Ende kann nur aus dem Nichts selber kommen, und sie ist uns möglich, weil wir uns, zum Sein entschieden, aus dem Nichts erfahren dürfen“ (ebd.). Qu.: HeiGA 2. – HeiGA 7. – HeiGA 10. – Fink 1969. – Wiplinger 1970. – Levinas 1993 (1996). – Welte 1978. – WuchererHuldenfeld 1997. GP

Topologie. Heidegger stellt im Verlauf seines Denkweges die Seinsfrage zu-

Topologie nächst als → Frage nach dem Sinn von → Sein, dann nach der → Wahrheit des Seins und schließlich nach der Ortschaft des Seins. Dabei geht es um die „Wahrheit als Örtlichkeit des Seins“ (HeiGA 15, 335), die nicht als → Richtigkeit mißzuverstehen ist. Da dieser Ansatz bereits ein „Verständnis des Ortseins des Ortes“ voraussetzt, handelt es sich bei dessen Ausarbeitung um eine „T. des Seyns“ (HeiGA 13, 84; HeiGA 15, 335 u. 344). Die „Ortschaft“ des Seins wird als → „Lichtung“ beschrieben, d. h. als eine → Offenheit, in der sich eine bestimmte geschichtliche Konstellation von Sein und Mensch erst ereignen kann. Die „Topologie des Seyns“ ist nach Heidegger „das denkende Dichten“ (HeiGA 13, 84). Levinas versteht in seiner frühen Philosophie den Ort (lieu) als „Lokalisierung des Bewußtseins“ (Levinas 1997, 83). Denken ist immer schon ein Hier (ici), vor aller Räumlichkeit und vor allem Da i. S. von Heideggers → „Dasein“. Bei Levinas steht das für den → Anderen oder die Andere verantwortliche Ich in einer → „Nähe“ zu diesem oder dieser, die nicht räumlich, sondern ethisch angesetzt ist. Das verantwortliche Ich verliert den Ort als „Position“, d. h. die Verantwortlichkeit wird für das ethische Subjekt zum „Aufenthalt ohne Ort“ (Levinas 1975, 22). Dieser „Aufenthalt“ ist in der späteren Philosophie „Nicht-Ort (non-lieu)“ oder „Utopie (utopie)“, verstanden als Heimatlosigkeit des ethischen „Sub-jekts (su-jet)“, das seinerseits der Ortlosigkeit und somit Unbegreifbarkeit des anderen Menschen und → Gottes gegenübersteht (Levinas 1992b, 394; Levinas 1992a, 173 ff.). Lacan bezeichnet mit dem Begriff der T. die Konstellation von Subjekt, Si-

Totalitarisus gnifikant, Anderem, Bild des Anderen, Begehren und deren Zusammenhängen. Darüber hinaus ist die T. aber auch die Aufschlüsselung der Struktur des Subjekts oder des Signifikanten selbst. Eine T. kann auch graphisch repräsentiert und mathematisch beschrieben werden. Ohne eine im mathematischen Sinn verstandene T. ist es für Lacan unmöglich, „die Struktur eines Symptoms (im analytischen Sinne) auch nur zu notieren“ (Lacan 1975, 125). Qu.: HeiGA 13. – HeiGA 15. – Levinas 1947 (1997). – Levinas 1963 (1992b). – Levinas 1974 (1992). – Levinas 1975. – Lacan 1966 (1975). – Lit.: Cooper 1997. – Pöggeler 1972 (2 1974, 71-104). – Thurnher 1990. RE

Totalitarismus. In ihrer Studie über Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft zeigt Arendt, in welcher Weise der nationalsozialistische T. (und auch der bolschewistische) noch über die antike Despotie und Tyrannei, die als Formen unvernünftiger Gewaltherrschaft den öffentlichen Raum und die → Macht der → Bürger vernichten, hinausgegangen ist. Das „wesentlich Neue“ (Arendt 1958, 705) besteht darin, daß der T. nicht nur authentisches politisches Handeln zerstört, sondern auch erzwingt, daß die „völlig Isolierten und voneinander Verlassenen zu politischen Aktionen (wiewohl natürlich nicht zu echtem politischen Handeln) wieder eingesetzt werden können“ (ebd., 727). Die totale Herrschaft basiert auf einer Unterstützung der durch sie terrorisierten Massen, die aus politisch apathischen Individuen bestehen. Politische Apathie ist hier nicht sozialpsychologisch, sondern von der Vernichtung der Weltlichkeit her zu verstehen. Sie resultiert daraus, daß Pluralität und → Gemeinsinn, die Vor-

546 aussetzungen für echtes politisches → Handeln sind, zersetzt werden. Diese Tendenz bereitete das 19. Jh. mit der Entstehung der modernen KlassenGesellschaft bereits vor, die atomisierte und gegeneinander um die sozioökonomische Wohlfahrt konkurrierende Individuen freisetzte. Der T. verstärkt diese Entwicklung, indem er „jeden Menschen auf eine sich immer gleichbleibende Identität von Reaktionen“ (ebd., 676) reduziert, so daß sich Menschen nicht mehr handelnd und sprechend der Gemeinsamkeit ihrer Welt versichern können. Mobilisiert werden die entpolitisierten Massen im T. durch eine Propaganda, die erfahrungsunfähigen Individuen Fiktionen unterschiebt. „Die Fiktion einer gegenwärtigen jüdischen Weltherrschaft bildete die Grundlage für die Illusion einer zukünftigen deutschen Weltherrschaft.“ (ebd., 570) Weil die Wirklichkeit, die für jeden erfahrbar ist, nur durch den Gemeinsinn konstituiert wird, welcher im T. aber außer Kraft gesetzt ist, kann die Propaganda die unterschobenen Fiktionen als wirklich ausgeben und den Massen einen einheitlichen Volkswillen zuschreiben, unterstützt durch Geheimund Spitzeldienste. Das Neue des T. liegt weiterhin in seiner „totalen Herrschaftstechnik“ (ebd., 619), die Terror und Gewaltakte rational plant und in gezielte Strategien umsetzt, dabei auf Funktionäre setzen kann, die als Fachleute ihr Werk in dem Glauben tun, nur ihre bürgerlichen Pflichten zu erfüllen. Diese Banalität des Bösen sah Arendt in Eichmann und Himmler verkörpert (Arendt 1963). Insgesamt ist für Arendt die „totale Herrschaft, die furchtbarste aller modernen Regierungsformen“ (Arendt 1958, 491), weil sie den völligen Verfall der politischen

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transzendental

Autonomie von freien und gleichen Bürgern bedeutet. Von der französischen Philosophie, die auf eine eigene Tradition der Kritik am T. zurückblickt (Bosshart 1992), vor allem aber von Autoren, die der Phänomenologie nahestehen (Ricœur, Lefort, Lyotard), ist in den achtziger Jahren Arendts Werk, darunter auch ihre Analyse des T., wiederentdeckt worden (Lefort 1985).

den der zum → Sein unterordnet. Der T. eignet eine Gewaltsamkeit, weil sie mit ihrem Primat des Selben die Gegenwart des Anderen in Frage stellt. Der Bruch mit ihr ist eine Forderung der Verteidigung der Subjektivität, insofern diese in der Idee des Unendlichen gründet. Diese Idee wird durch die Subjektivität erfüllt, wenn sie als „Gastlichkeit“ den Anderen empfängt.

Qu.: Arendt 1951 (1958). – Arendt 1963 (5 1986). – Lit.: Bosshart 1992. – Lefort 1985. MWS

Qu.: Hua VI, 30, 173. – Levinas 1961 (1987). HV

Totalität. Den Terminus „T.“ gebraucht Husserl gelegentlich in der Krisis-Abhandlung. Eine wissenschaftliche → Erkenntnis der → Welt kann es nicht geben, wenn es nur bei einem vagen Totalitätsbewußtsein bleibt, in dem die Welt mitbewußt ist. Die → Mathematik kann hier als Vorbild dienen, weil sie als erste aus der unbestimmten lebensweltlichen → Form → Raum und → Zeit eine unendliche T. mit idealen Gegenständlichkeiten hervorgebracht hat. Hat man sich der universalen Form der Sinnbildung einigermaßen bemächtigt, eröffnen sich die Probleme der T. als die einer universalen Vernunft. Levinas nimmt den Begriff der T. gegen die abendländische Tradition und zumal gegen die Phänomenologie in Anspruch. T. bedeutet Eliminierung individuellen Sinns zugunsten eines letzten und endgültigen. T. ist der Grundzug aller Ontologie, die das → Andere auf das Selbe zurückbringt. Levinas erfährt diesen „ontolog. Imperialismus“ (Levinas 1987, 53) vor allem durch die Vermittlung der Phänomenologie: die Husserls steht durchgehend unter der Idee des → Horizontes, während Heidegger alle Beziehung zum Seien-

Transzendental. Kant nannte jede → Erkenntnis t., die nicht auf die → Erfassung der Dinge, sondern auf die Bedingungen der Möglichkeit von → Erfahrung überhaupt abzielt. Mit direktem Bezug auf Kant definiert Husserl den Begriff t. in der Krisisschrift als ein originales → Motiv der neuzeitlichen Philosophie, das letztendlich auf Descartes zurückgehe. „Es ist das Motiv des Rückfragens nach der letzten Quelle aller Erkenntnisbildungen, des Sichbesinnens des Erkennenden auf sich selbst [...].“ (Hua VI, 100) Als diese Quelle gilt Husserl das → Ich, denn in den Vollzügen des Ich erscheint überhaupt erst → Welt. Als Welt überhaupt erst Konstituierendes ist das Ich im klassischen Sinne t. Die konstituierte Welt hat jedoch zwei Aspekte. Einerseits hat sie ihr → Sein nur als vom Ich Erkanntes, Erlebtes etc. und ist dem → Bewußtsein somit intentional immanent; andererseits ist die erkannte, erlebte etc. Welt aber zugleich immer als subjektunabhängige Welt gefaßt. Die Welt erscheint zwar nur im Bewußtsein, dort aber als Bewußtseinstranszendentes. Im intentionalen Bezogensein auf Innerweltliches ist dieses zwar immer schon als Intendiertes ein → Moment des Bewußt-

Transzendenz seins, gleichzeitig wird das Intendierte (Immanente) aber als Selbständiges (d. h. Reales), Subjektunabhängiges intendiert. Die Erforschung dieses Korrelationsapriori von Welt und Bewußtsein bzw. von → Gegenstand und subjektiver Gegebenheitsweise (→ Gegebenheit) dieses Gegenstandes ist Husserl zufolge die Aufgabe der t.en Philosophie bzw. der t.en Phänomenologie. Durch die t.e → Reduktion versucht Husserl das t.e Bewußtsein von aller Welthabe zu befreien, um zu einem t.en Ich zu gelangen, das die Welt und die anderen Subjekte mitenthält. In diesem Sinne ist das t.e Ich letztlich die allgemeine Offenheit, in welcher Welt überhaupt erst erscheinen kann. In Abgrenzung zu Husserl betont Scheler, daß das Ernstnehmen der Unabhängigkeit des Seins der Gegenstände es verbietet, ein t.es Ich als Bedingung der Möglichkeit von Welt anzunehmen. Die → Korrelation besteht für Scheler nicht in einer Wechselbeziehung zwischen Bewußtseinsakten und Gegenständen, sondern in der Beziehung triebhafter Verhaltensweisen des ganzen → Menschen zu seiner → Umwelt. Um dem, was das Sein ist, näherzukommen, ist nach Scheler denn auch nicht die t.e Reduktion angebracht, sondern ein asketisches Verhalten. Nach Heidegger hat alle bisherige Transzendentalphilosophie bei allem Augenmerk auf die Konstitutionsleistung die Frage nach der eigentümlichen Seinsweise des Konstituierenden vernachlässigt. Dieser Frage geht Heideggers → Fundamentalontologie in Sein und Zeit nach. Qu.: Hua I. – Hua II. – Hua III/1. – Hua VI. – Hua VII. – Hua VIII. – Hua XXIV. – ScheGW 2. – ScheGW 5. – ScheGW 9. – ScheGW 10. – HeiGA 2. MW

548 Transzendenz. Der T.-Begriff findet vor allem zur Beschreibung des Verhältnisses zwischen → Bewußtsein und → Gegenstand und im Zusammenhang mit der Erfahrung des → Göttlichen Verwendung. In Die Idee der Phänomenologie (Hua II) unterscheidet Husserl zwischen zwei T.-Begriffen. Zum einen bedeutet T., daß der Erkenntnisgegenstand im Erkenntnisakt nicht reell – also nicht als Seiendes, sondern nur als → Erlebnis – gegeben ist. Zum anderen ist für Husserl die Erkenntnis, die das Gegenständliche nicht in unmittelbarer → Evidenz schaut, sondern nur meint oder setzt, transzendent. → Immanenz bedeutet dagegen reelle Immanenz im Erkenntniserlebnis. Im Zusammenhang mit der Fremdwahrnehmung differenziert Husserl zwischen → „primordialer“ und „objektiver“ T. (Hua I, 135 f.). Er hebt die „primordiale T.“ von der → Erfahrung einer objektiven → Welt mit anderen Menschen ab: In der → Konstitution einer dem → Ich äußeren Welt ist diese bzw. die andere Person primär ein Bestimmungsstück des eigenen Ich. Diese „primordiale T.“ der Welt und der anderen ist zu charakterisieren als noch dem Ich „immanente T.“. Im Unterschied dazu bezieht sich der Begriff der „objektiven T.“ auf die höhere Stufe der Sinngebung der objektiven Welt, die sich von der „intentionalen Unterschicht“ der primordialen Welt abhebt, aber in ihrer Konstitution auf diese aufbaut. Als der T. der Welt „gleichsam polar gegenüberstehend“ setzt Husserl die T. Gottes an (Hua III/1, 124). Darüber hinaus ist Gott nicht nur der Welt, sondern auch dem → „absoluten“ Bewußtsein selbst gegenüber transzendent. Dennoch ist die phänomenolog. → Reduktion auch auf

549 das solcherart Transzendente zu erstrecken. Heidegger nimmt T. in die Frage nach der Zeitlichkeit und nach der → Freiheit zurück. Er möchte T. weder als erkenntnistheoretischen Begriff verstehen, der Immanenz zu seinem Gegenteil hat und das Transzendente als Vorhandenes außerhalb des Bewußtseins meint, noch als theologischen Begriff, der Kontingenz zu seinem Gegenbegriff hat und das Hinausgehen über das bedingte Seiende meint. Vielmehr ist für ihn die Frage nach der ursprünglichen T. und dem Seinsverständnis dasselbe. → Sein ist das „transcendens schlechthin“ (HeiGA 2, 51). Für das → Dasein bedeutet dies: Die „Urtranszendenz“ bzw. das „Grundphänomen der T. des Daseins“ ist das → „In-derWelt-sein“ (HeiGA 26, 213; HeiGA 24, 426). T. ist also eine Grundverfassung des Daseins. Das Ziel seines Transzendierens ist folglich kein Objekt, sondern die Welt. Dieser T.-Bezug des Daseins zur Welt ist für Heidegger bestimmt durch Zeitlichkeit. Intentionen von → Akten, die sich auf → Tatsachen der natürlichen Weltanschauung und auf Tatsachen der Wissenschaft beziehen, meinen nach Scheler mehr als dasjenige, was als Inhalt im Vollzug des jeweiligen Aktes gegeben ist. Dieses „Mehrmeinen“ bzw. „Hinausmeinen“ ist die T. des Aktes (ScheGW 10, 457 u. 459). Und die beiden Arten von Tatsachen sind „phänomenolog. transzendent“, reichen also über das hinaus, was im jeweiligen Vollzug eines Einzelaktes erfaßt wird. Das Hinausweisen einer jeden Intention über den Akt und den jeweiligen Inhalt ist nach Scheler die T. des Gegenstandes, die „allem Gegenstandsein gemeinsam“ ist (ScheGW 9, 191). Dies gilt sowohl für die idealen als auch für

Transzendenz die realen Gegenstände, so daß die Tatsache des T.-Bewußtseins keinen Beitrag zur Lösung des Realitätsproblems bietet. Für die religiöse Grundintuition, die Gott als Geist annimmt, ist nach Scheler sowohl die T. der Welt gegenüber demjenigen, was von ihr bewußtseinsimmanent werden kann, als auch die Abhängigkeit der Welt von einem Geist überhaupt wesentlich (ScheGW 5, 181). Für den religiösen Akt ist folglich unter anderem „die Welttranszendenz seiner Intention“ maßgeblich. Es wird alles – auch die eigene Intention – zur Idee der Welt vereinigt, und der religiöse Akt „übergreift“ bzw. transzendiert diese Welt (ebd., 245). Merleau-Ponty bezeichnet den eigenen → Leib, die Naturwelt, die soziale Welt, die Vergangenheit, die Geburt und den Tod als „T.-Probleme“. Er meint damit, daß das Ich für Phänomene offen ist, die es übersteigen, die zugleich aber nur existieren, insofern sie das Ich erlebt und faßt. Solche Phänomene, die sowohl durch „prinzipielle Immanenz“ als auch durch „faktische T.“ bestimmt sind, haben ihren Ursprung im „zweideutigen Leben“. Diese paradoxe Grundstruktur, in der T. „Identität in der Differenz“ (Merleau-Ponty 1986, 286) ist, läßt sich nur im Paradox der Zeit begründen (ebd., 418). Für Merleau-Ponty ist das → Bewußtsein durch und durch „aktives Transzendieren“. Es ist ursprünglich offen für T.en und übersteigt so ständig die eigenen Ausgangspunkte (Merleau-Ponty 1966, 429). So ist T. nicht der Besitz von Gegenständen, sondern das „Denken der Abweichung“ (Merleau-Ponty 1986, 254). Schütz unterscheidet zwei Arten von T., zum einen diejenigen T.en, die dem Wirklichkeitsbereich des täglichen Lebens angehören, zum anderen T.en,

Traum die den geschlossenen Sinnbereich der Alltagswelt übersteigen (Schütz GA I, 379-383). Zu letzteren zählen die Natur und die Sozialwelt, die beide immer neue Horizonte aufwerfen und daher von „transzendenter Unendlichkeit“ sind. Beide sind dem Ich als unentrinnbare biographische Situation und als Spielraum der eigenen Freiheit auferlegt. Bewältigt werden T.-Erfahrungen durch appräsentative Verweisungen, und zwar jene der Alltagswelt durch Zeichen, jene, die den → Alltag übersteigen, durch Symbole. Patoˇcka differenziert zwischen der T. des transzendentalen Beobachters und der T. des thetischen Bewußtseins (Patoˇcka 1990, 78 ff.). Während erstere als T. innerhalb des transzendentalen Bewußtseins verstanden wird, die sich auf die Ganzheit des Seins bezieht und somit außerhalb der Welt verbleibt, ist zweitere eine T., die zwischen Bewußtsein und seiendem Gegenstand besteht. Dabei ist der Gehalt der T. – d. h. die Priorität des Gegenstandes vor dem Bewußtsein dieses Gegenstandes – vom Wesen der T. zu unterscheiden. Dieses meint, daß T. für und durch das Bewußtsein ist. T. besagt also, daß „durch die real, bloß aktuell existente Gegebenheit“ etwas präsent ist, das mit dieser Gegebenheit nicht identisch ist (ebd., 80). Für Ingarden bleibt die Bedeutung eines eindeutigen Wortes trotz seiner unterschiedlichen Verwendungen den dazugehörigen Denkerlebnissen gegenüber transzendent. Freilich ist die Bedeutung umgekehrt zugleich ein intentionales Gebilde, das entweder in einem Denkakt schöpferisch gestaltet oder neu nachgebildet wird. Darüber hinaus ist ein literarisches Kunstwerk für Ingarden sowohl den mannigfaltigen Akten, die zu seiner Erfassung

550 notwendig sind, als auch den verschiedenen Ansichten über es gegenüber transzendent. D. h. es bleibt „immer außerhalb“ der Bewußtseinsvorgänge (Ingarden 1931, § 18 u. Ingarden 1968, 25 u. 165). Qu.: Hua I. – Hua II. – Hua III/1. – HeiGA 2. – HeiGA 9. – HeiGA 26. – HeiGA 65. – ScheGW 5. – ScheGW 9. – ScheGW 10. – Merleau-Ponty 1945 (1966). – MerleauPonty 1964 (1986). – Schütz GA I. – Patoˇcka 1990. – Ingarden 1931. – Ingarden 1968. – Lit.: Bourgeois 1994. – Enders 1998. – Ingarden 1971. – Schalow 1990. RE

Traum ist in der phänomenolog. Betrachtungsweise (in kritischer Abhebung von der im 20. Jh. gängigen psychoanalytischen) eine bestimmte Weise des → In-der-Welt-seins unter anderen, die sich nicht in erster Linie durch ihre als solche zunächst nur postulierte Entgegensetzung gegenüber dem Wachzustand erschließen läßt. Allem phänomenolog. Verständnis von T. und vom Träumen, so verschieden die Ansätze dazu im einzelnen auch sein mögen, ist wesentlich, den T. als eigenständige Erfahrung gelten zu lassen und ihn nicht als – wie auch immer verschlüsselten – Ausdruck für etwas anderes, seiner Form und seinem Inhalt nach nicht T.-Haftes zu nehmen. Heidegger hat sich zunächst im Rahmen seiner Vorlesung über Hölderlins Hymne „Andenken“ eingehend mit der T.-Problematik beschäftigt und ist gegen Ende seines Lebens angelegentlich der – zusammen mit den Zollikoner Seminaren dokumentierten – freundschaftlichen Zusammenkünfte mit Boss neuerlich auf sein daseinsanalytisches T.-Verständnis zu sprechen gekommen. Ausgehend von einer Stelle in Hölderlins Gedicht, die „goldene Träume“ nennt, kritisiert er „wissen-

551 schaftliche Erklärungen“ der Träume und widmet sich hernach anläßlich einer Deutung des Schlußverses einer Pindarschen Ode detailliert dem griechischen „Denken des T.s“ (vgl. HeiGA 52, 104-122). Diesem gemäß sei der T., wenngleich „unwirklich“ und „schattenhaft“ resp. gerade als solcher, doch immer noch eine Weise des Erscheinens, in seiner „Unwirklichkeit“ qua Enthobenheit von den Zwängen des alltäglichen Besorgens gleichsam „wirklicher“ als dieses. „Pindar will in der Nennung des Bezugs von Schatten und T. sagen, daß der T. die Weise der Abwesung des selbst schon in gewisser Weise Lichtlosen ist: der T. die äußerste Abwesung ins Lichtlose und dennoch nicht nichts; im Gegenteil, vielleicht sogar das Wirkliche – das allein als wirklich Zugelassene dort, wo der Mensch nur am ständig Entschwindenden hängt, dem Täglichen des Alltags, sofern dieser für das Einzige gilt, was das Leben als das Nahe und Wirkliche kennt.“ (ebd., 115) Somit weist Heidegger am Beispiel des T.s ein Spezifikum des Erscheinens der „Wirklichkeit“ im emphatischen Sinn (des „Seyns“) auf: „Zum Sein des Menschen gehört ein Nichtsein.“ – „So wie in der Abwesung des T.s ein Erscheinendes anwest, so waltet nun auch umgekehrt im Anwesenden stets die Abwesung. Daher gilt: auch was der Mensch als anwesender in der Weise des Schattens ist, das ist er nicht in der Art des bloßen Anwesens und Vorkommens. Dergleichen gibt es gar nicht; sondern alle Anwesung ist in sich zugleich Abwesung.“ (ebd., 114 bzw. 117) Damit kleidet Heidegger jedoch nicht etwa nur ein dialektisches Verhältnis von → Sein und Nichts(ein), das mit dem Denkmuster Hegels identisch wäre, in ein „zeitgemäßes“ fun-

Traum damentalontolog. Gewand, er aktualisiert vielmehr ein von Hölderlin zur Zeit der Auseinandersetzung mit Hegel und Schelling tatsächlich im Ansatz vertretenes alternatives Modell, indem er das geschilderte T.-Verständnis in Korrelation mit einer Stelle aus einem theoretischen Bruchstück Hölderlins „Über Werden und Vergehen“ liest, an der dieser den Umschlag des Möglichen ins Reale und des Wirklichen ins Ideale „[im] Zustande zwischen Seyn und Nichtseyn“ verortet, „und dies ist in der freien Kunstnachahmung ein furchtbarer aber göttlicher T.“. Heidegger kommentiert: „Das Traumhafte betrifft das Realwerden des Möglichen im Idealwerden des Wirklichen. Das Wirkliche geht zurück in die Erinnerung, indem das Mögliche und zwar als das Kommende die Erwartung bindet. [...] Der T. bringt die noch nicht angeeignete Fülle des Möglichen und bewahrt die verklärte Erinnerung an das Wirkliche.“ (ebd., 121) Damit aber ist der T. – von Hölderlin apostrophiert als unentschiedener „Zustand zwischen Seyn und Nichtseyn“ – das eigentlich Wirkliche und das wirklich Eigene des menschlichen In-der-Weltseins und alles im Wachzustand entschieden als „seiend“ bzw. „nichtseiend“ Erfahrene, mithin das Alltägliche, dessen Schwundstufe, nicht umgekehrt (wie es z. T. auch die Psychoanalyse mit der Annahme vom T. als „aufarbeitende Erledigung“ von Tagesresten annimmt). „Die Träume sind hier nicht das entschwindende Unwirkliche im Verhältnis zum Wirklichen, sie selbst sind dasjenige, was seiender ist und erfüllter vom Sein als das in der kunstlosen Abnutzung nur Aufgeraffte und Verzehrbare.“ (ebd., 122) In ähnlicher Weise hält Heidegger noch 1972 in einem Brief an Boss fest, „daß man die

Traum Wach- und Traumbereiche nicht wie Gegenstände abgrenzen kann, sondern daß die Traumwelten mit in das wache Leben hineingehören“, und erläutert: „Daß man nämlich immer nur im Wachen davon [sc. vom Träumen] spricht und nicht im Träumen vom Wachen spricht, das deutet auf die Zugehörigkeit des Träumens zum Wachen. Also darf man das Wachen nicht als Selbstverständlichkeit nehmen, sondern muß das Wachen als Wesensvoraussetzung nehmen, um über das Träumen überhaupt sprechen und Träume interpretieren zu können“ (Heidegger/Boss 1987, 290 f.). Insofern ist der phänomenolog. T.-Forscher angehalten, „die Träume selber in dem, was sie sagen und in ihrer Welthaltigkeit bekunden, erst einmal zum Sprechen [zu] bringen“, und zwar „nicht als Anzeichen und Folgen von etwas Dahinterliegendem, sondern sie selber in ihrem Zeigen und nur in diesem“ (ebd., 308). Vor dem Hintergrund des skizzierten Heideggerschen T.-Verständnisses hat Boss in seiner Schrift Der Traum und seine Auslegung auf dem Wege des kritischen Vergleichs von T.Deutungsversuchen nach verschiedenen modernen T.-Theorien einen daseinsanalytischen T.-Begriff entwickelt. Das den herkömmlichen Zugangsweisen gemeinsame Manko bestehe in einer Verkennung der Tatsache, daß T. und Wachen nicht voneinander zu scheiden seien wie zwei unterschiedliche Gegenstandsbereiche, zumal sich in beiden die Identität der Person durchhalte (vgl. Boss 1953, 232). Spräche man dem Träumen jedoch erst einmal „die Würde einer eigenen Weise des menschlichen Daseins“ zu, wie die Phänomenologie es erfordere, so eröffne sich die Möglichkeit, die Struktur des Wachseins gemä-

552 ßer zu verstehen, zu der das Träumen unauflöslich dazugehöre. Die damit getroffene Abhebung des in Psychoanalyse wie analytischer Psychologie üblichen T.-Deutens vom phänomenolog. Auslegen eines T.s stellt sich auf der Ebene der konkreten daseinsanalytischen Praxis so dar, daß T.-Phänomene „nicht mehr als blosse Sinnbilder“ betrachtet werden, „von deren sinnenhafte[r] Bildlichkeit man nach Art des metaphys. Denkens zu einem übersinnlichen Sinn, von Anschaulichem zu Unanschaulichem zu transzendieren braucht“ (ebd., 133) – oder, wie Boss in seinem zweiten großen T.-Buch „Es träumte mir vergangene Nacht, ...“ präzisiert: „Auch ein Traumhund ist und bleibt ein Hund und bedeutet nicht außerdem noch etwas anderes. [...] Wie dem wachen Menschen, der sein Existieren aussteht und seine Weltoffenheit bewohnt, begegnet auch dem Träumenden ein Hund je von seinem Ort des Offenen einer Welt her als Hund.“ (Boss 1975, 39) Während nicht-phänomenolog. T.-Theorien den geträumten Hund als Symbol für etwas anderes betrachten und ihm damit als Phänomen nicht gerecht werden, nimmt die phänomenolog. orientierte Daseinsanalyse das Traumbild als solches ernst und bedenkt es in seinem Eigenwert: „Allein schon der Sachverhalt, daß ein träumender Mensch einen Hund und kein anderes Tier wahrnimmt, tut uns etwas Wesentliches zu wissen kund. Er läßt uns erstens erkennen, daß den Träumer zum mindesten im Augenblick seines Träumens das Hunde-sein, die Lebensweise, wie ein Hund ist, irgend etwas angeht, ihn anspricht, ihm nahekommt. [...] Aber wir erfahren zugleich noch ein zweites, nicht minder Wichtiges. Wir bekommen vom Träumer auch zu hören, wie

553 er als vernehmender Existierender auf das Vernommene antwortet und sich zu seinem Traumhund verhält.“ (ebd., 40) Es sind diese beiden, im T. und durch ihn selbst gegebenen Parameter – das Was des T.-Phänomens und das Wie seines Begegnens resp. des Verhaltens des Träumenden ihm gegenüber –, die es im Rahmen der therapeutischen Situation auszulegen gilt, und eine solche Auslegung ist für das daseinsanalytische T.-Verständnis hinreichend. Folgerichtig hält Boss fest: „Diese phänomenolog. Bescheidung auf das faktisch Erfahrbare macht alle jene Hypothesen eines ,psych. Unbewußten‘, das angeblich so viel unwissentlich weiß und kann und doch als prinzipiell unausweisbares Gebilde nichts zur Klärung beizutragen vermag, in jeder Beziehung überflüssig.“ (ebd., 43) Auch Merleau-Ponty übt anhand des Freudschen T.-Verständnisses phänomenolog. Kritik am psychoanalytischen Begriff des Unbewußten, wenn auch ungleich weniger radikal. Bereits in der Struktur des Verhaltens heißt es im Zusammenhang mit einer Wendung „[g]egen das kausale Denken in der Psychologie“: „Man hat deutlich nachgewiesen, wie Freud angesichts des Kontrastes zwischen dem ersten [T.-]Bericht, den der Patient gibt, und dem zweiten Bericht, den die Analyse zutage fördert, sich genötigt glaubte, letzteren in Form eines latenten Inhalts realiter in einer Gesamtheit von unbewußten Kräften und psych. Entitäten anzusiedeln, die in Konflikt treten mit den Gegenkräften der Zensur, wobei der manifeste Trauminhalt aus einer Art von energetischem Vorgang resultiert. Ohne die Rolle in Frage zu stellen, die Freud dem erotischen Unterbau und den sozialen Regelungen zuweist, wollen wir uns fragen, ob die

Traum Konflikte, von denen Freud spricht, ob die psychologischen Mechanismen, die er beschrieben hat, wirklich das System von Kausalbegriffen erfordern, mit dem er sie interpretiert und das die Entdeckungen der Psychoanalyse in eine metaphys. Theorie der menschlichen Existenz verwandelt.“ (MerleauPonty 1976, 203) Die Inhalte des T.s steigen also nicht nach Maßgabe bestimmter Wacherlebnisse aus einem Unbewußten auf und manifestieren sich, auch wenn es so den Anschein hat. Vielmehr müsse man, so MerleauPonty, von der „Möglichkeit eines zerstückten Bewußtseinslebens“ ausgehen, „das nicht in all seinen Momenten eine einzige Bedeutung besitzt“: „Das Bewußtsein wird zu einem kindlichen Bewußtsein beim Träumenden, zu einem dissoziierten Bewußtsein in den Fällen, wo man vom Komplex spricht.“ (ebd., 204) Ähnlich bestreitet MerleauPonty im Hauptwerk Phänomenologie der Wahrnehmung die Existenz der Traumarbeit, wenn er den Wahrheitsgehalt des T.-Erlebnisses als solchen gegenüber seiner nachmaligen Interpretation in der psychoanalytischen Kur stark macht: „Der Träumer stellt sich nicht zunächst seinen latenten Trauminhalt, den später eine ,sekundäre Bearbeitung‘ enthüllen wird, mit Hilfe adäquater Bilder vor; er nimmt nicht zunächst Erregungen genitalen Ursprungs unverschlüsselt als genitale wahr, um alsdann diesen Originaltext in eine Bildersprache zu übersetzen. Für den Träumer ist vielmehr diese oder jene genitale Erregung, dieser oder jener sexuelle Trieb in eins jenes Bild einer Mauer, die man besteigt, oder einer Fassade, die man erklettert, das sich im manifesten Inhalt findet.“ (Merleau-Ponty 1966, 201) Noch diesseits der Frage, ob und inwieweit

Traum Merleau-Pontys Kritik denn tatsächlich die Freudsche T.-Konzeption trifft, wird aus solchen Feststellungen doch klar, daß auch Merleau-Ponty die Berücksichtigung des phänomenolog. Eigenwerts des T.s einfordert, welchen er, hierin Heidegger und Boss gleich, in der Psychoanalyse vermißt. Unter Verweis auf Binswangers Schrift Traum und Existenz von 1930 deutet MerleauPonty das Traumbild als eine dem Wachleben gleichrangige Existenzäußerung, das – wie die → Wahrnehmung überhaupt – einen eigenen → Raum konstituiere; von daher sei es auch der ästhetischen Wahrnehmung vergleichbar. „Die Phantasmen des T.es und die des Mythus, die Lieblingsbilder eines jeden Menschen oder endlich das dichterische Bild sind mit ihrem Sinn nicht verbunden durch einen Bezug von Zeichen zu Bezeichnetem; sie schließen ihren Sinn wahrhaftig in sich selber ein, und zwar nicht als einen begrifflichen Sinn, sondern als eine Richtung unserer Existenz. Träume ich zu fliegen oder zu fallen, so ist der ganze Sinn des T.s in diesem Flug oder diesem Sturz enthalten, wenn ich beides mit all seinen existentiellen Implikationen nehme“ (ebd., 331 (Übersetzung leicht modizifiert); vgl. auch ebd., 332-334, bes. Anm. 72). Am markantesten in Worte gefaßt hat Merleau-Ponty sein eigenes T.-Verständnis in seiner Zusammenfassung des Cours sur les états passivs. Hier hält Merleau-Ponty im Ausgang von der Tatsache, daß Freud in der Traumdeutung vom Unbewußten mitunter auch als vom T.-Bewußtsein spricht, fest, „daß das Unbewußte ein wahrnehmendes Bewußtsein ist“ und daß das „wesentliche Ergebnis Freuds“ nicht der Beweis sei, „daß unter dem Schein eine ganz andere Wirklichkeit verborgen liegt, sondern daß die Ana-

554 lyse eines Verhaltens immer verschiedene Bedeutungsschichten freizulegen vermag, die alle ihre Wahrheit haben, und daß die Vielseitigkeit möglicher Deutungen den diskursiven Ausdruck eines Mischlebens [sc. von Wach- und T.-Bewußtsein] darstellt, in dem jede Wahl stets mehrsinnig ist“ (MerleauPonty 1973, 80). Zwar randständig gegenüber dem Kern der phänomenolog. Bewegung, doch zweifellos von ihr stark beeinflußt, hat Foucault sich in seinem Werk mehrfach zum T. geäußert. Erstmals geschieht dies in einer Auseinandersetzung mit der bereits erwähnten Binswanger-Schrift Traum und Existenz, die Foucault – zeitgleich mit der Arbeit an seinem ersten Buch Psychologie und Geisteskrankheit – mitübersetzt und zu der er eine umfangreiche Einleitung geschrieben hat (womit sich, in Anbetracht der Tatsache, daß Binswanger, selbst von Heidegger herkommend, auf Boss und MerleauPonty gewirkt hat und Foucault als Psychologe und Philosoph Heidegger wie auch Merleau-Ponty rezipiert hat, gleichsam ein Kreis zwischen deutschsprachiger und französischsprachiger Phänomenologie schließt). Hatte Binswanger – neben dem von MerleauPonty akzentuierten Verständnis des T.s als Index einer „Richtung unserer Existenz“ – in seiner Schrift das griechische Verständnis vom T. als einer besonderen Erfahrungsweise hervorgehoben (vgl. Binswanger AW 3, 108), so betont auch Foucault in seiner ungemein dichten, sich Binswangers Text auf gewundenen Wegen annähernden Einleitung genau dies und macht am Fehlen eines solchen Verständnisses ein Versäumnis der Psychoanalyse fest: Freud habe dem T. „eine psychologische Dimension wie-

555 der zuerkannt; aber als spezifische Form der Erfahrung hat er ihn nicht begriffen“. „Freud hat den T. psychologisiert – und die Vorzugsstellung, die er ihm im Bereich der Psychologie eingeräumt hat, nimmt ihm seine Stellung als eigentümliche Erfahrungsform.“ (Foucault 1992, 31) In einem betont gelehrten par-force-Ritt durch die Geistesgeschichte, auf dem er neben Freud u. a. Platon, Aristoteles, Quintilian, Spinoza, Shakespeare, Arnaud, Cyrano, Racine, Schelling, Baader, Novalis, Hebbel und René Char, aber auch Husserl, Jaspers, Fink und Oskar Becker streift, versucht Foucault jene „anthropologische Bedeutung des T.s“ zu ergründen, um deren Erfassung es Binswanger zu tun gewesen sei (ebd., 56). Diese sei vielschichtiger, als die Psychoanalyse sie zu denken zulasse, und transzendiere die Dimension des „Symbol-Vokabulars“ (ebd.) trotz deren Weite. Damit entgehe dem psychoanalytischen Blick jedoch das Wesentliche am T., jenes Moment zumal, das dem phänomenolog. vorgehenden Philosophen Einblick in die Subjektgenese verschaffe – womit bereits hier ein Thema, das Thema des späteren und späten Foucault anklingt: die Frage nach der Konstitution des Subjekts in den Organisations- (bzw., reflexiv betrachtet, auch Analyse-)Formen der → Archäologie, → Genealogie und Diskursanalyse. „Bei Freud ist das Subjekt des T.s immer eine geminderte Subjektivität [...]. Aber so ein QuasiSubjekt vermag die radikale Subjektivität der T.-Erfahrung nicht zu tragen. Es stellt nur eine konstituierte Subjektivität dar – während die Analyse des T.es die Konstituierung der T.-Subjektivität ans Licht zu bringen hätte.“ (ebd., 58 f.) In Binswangers Charakterisierung des T.s als einer den

Traum Zwängen des wachen Bewußtseins gegenüber weitgehend freien Existenzform sieht Foucault eine vor- oder besser: a-subjektive Kraft am Werk, die – von den Griechen, etwa Heraklit, noch anerkannt – im Lauf der Geschichte mittels einer Logik des Ausschlusses (die wie hier zunächst den T., nachmals auch den → Wahnsinn betreffen wird) zunehmend diskreditiert wird. Merleau-Pontyschen Argumentationsgestus mit Levinasschen Motiven verknüpfend schreibt Foucault: „In seinem Transzendieren enthüllt der T. die ursprüngliche Bewegung, mit der sich die unaufhebbar einsame Existenz auf eine Welt hin entwirft, die sich als Ort ihrer Geschichte konstituiert. [...] Die Kosmogonie des Träumens ist der Ursprung der Existenz selber.“ (ebd., 47) In Wahnsinn und Gesellschaft expliziert Foucault diese Grundthese weiter und nuanciert sie zugleich, wenn er den Wahnsinn zur übergreifenden, aber sukzessive exkludierten Erfahrung menschlicher Existenz erklärt; T. und Wahnsinn werden nunmehr gleichsam parallel gesetzt: „Was der Wahnsinn über sich selbst sagt, ist das, was der T. in der Unordnung seiner Bilder ebenfalls ausspricht: eine Wahrheit über den Menschen, die sehr archaisch und sehr nahe, sehr schweigend und sehr bedrohlich ist; eine Wahrheit unterhalb jeder Wahrheit, der Entstehung der Subjektivität äußerst benachbart; eine Wahrheit, die der völlige Rückzug des Menschen und die inchoative Form des Kosmos ist. Wahnsinn und T. [sind] gleichzeitig das Moment der äußersten Subjektivität und der ironischen Objektivität“ (Foucault 1969, 544). Foucaults an anderen Stellen im nämlichen Werk vollzogene (und mit der erwähnten Parallelsetzung konkurrierende) Stilisierung des Wahnsinns

Trieb zum unvordenklichen, ausgeschlossenen Anderen der Vernunft, insbesondere die in dieser Absicht getätigte strikte Trennung des T.s vom Wahnsinn in seiner Lesart Descartes’, ist Gegenstand der Kritik gerade von genuin phänomenolog. Seite geworden (vgl. Derrida 1972). Während Foucault auf diese Kritik zum Teil (direkt) klarstellend, zum Teil (indirekt) zustimmend reagiert und dabei seine Position auch nachhaltig transformiert hat (vgl. Foucault 2002, 300-331 u. 347-367; Boyne 1990, 71-80, sowie Derrida 1998), hält sich ein anderes Moment von Foucaults T.-Auffassung von der frühen Binswanger-Einleitung bis in sein letztes veröffentlichtes Werk Die Sorge um sich, den dritten Band des mehrfach revidierten, großangelegten Projekts einer Histoire de la sexualité (dt. unter dem Titel Sexualität und Wahrheit), zumindest der Intention nach beinahe unverändert durch: die Betonung der ethischen Dimension des T.s. Heißt es im ersteren Text von der T.-Erfahrung, daß sie „von ihrem ethischen Gehalt nicht zu isolieren“ sei, nicht weil sie „die heimlichen Regungen des Triebes“ anzeige, sondern weil sie „die Einlassungen und Bindungen seiner [sc. des Träumers] Freiheit enthüllt“, worin zugleich ihre prognostische Kraft gründe (Foucault 1992, 48 f.), so entfaltet Foucault in letzterer Schrift exakt denselben Zusammenhang, dieselbe Funktion des T.s anhand von Artemidors Traumbuch aus dem 2. Jh. n. Chr. im Hinblick auf die (Be-)Deutung sexueller Träume, wenn er in deren prognostischem Gehalt zugleich ein ethisches Verhältnis des Träumers zu sich und den anderen sich aussprechen sieht, das sich nach Maßgabe von dessen Tätigsein im T. in Relation zu anderen T.-Akteuren ebenso wie zu dessen tat-

556 sächlicher sozialer Stellung im Wachleben bemißt: „Damit sein T. gut sei, muß der sexuelle Akteur in der Szene des T.s seine Rolle als sozialer Akteur aufrechterhalten (auch wenn der Akt in der Wirklichkeit schandbar wäre). Sie [sc. die Träume] sagen ,das, was sein wird‘: und das wiederum, was ,sein wird‘ und was im T. ,gesagt‘ ist, ist die Stellung des Träumenden als Handlungssubjekt – aktiv oder passiv, herrschend oder beherrscht, Sieger oder Besiegter, ,oben‘ oder ,unten‘, profitierend oder ausgebend, Nutzen ziehend oder Verluste erleidend, Vorteile genießend oder Schäden hinnehmend.“ (Foucault 1986a, 46 f.) Mit dieser Interpretation der Traumdeutungsparameter des Artemidor bleibt Foucault bei aller Distanz gegenüber der philosoph. Tradition dem Grundsatz des phänomenolog. T.-Verständnisses treu, demzufolge der T. noch diesseits seines potentiellen Codiert- bzw. Verschlüsseltseins, von dem die Psychoanalyse ausgeht und von wo sie ihren therapeutischen Decodierungs- bzw. Entschlüsselungsauftrag herleitet, zu allererst eine bestimmte „Seinsweise des Subjekts“ (ebd., 47) aussagt, die es als solche zu bedenken gelte. Qu.: HeiGA 52. – Heidegger/Boss 1987. – Boss 1953. – Boss 1975. – MerleauPonty 1942 (1976). – Merleau-Ponty 1945 (1966). – Merleau-Ponty 1953 (1973, 7881). – Binswanger AW 3. – Foucault 1954b (1992, 7-93). – Foucault 1961 (1969). – Foucault 1984a (1986a). – Lit.: Boss 1980. – Boyne 1990. – Condrau 1992. – Derrida 1967 (1972, 53-101). – Derrida 1992 (1998, 59-127). – Foucault 1954a (1968). – Foucault 1994b (2002, 300-331 u. 347367). – Métraux/Waldenfels 1986. ARB

Trieb. Der Rückgang auf die → Leistungen des → Ich führt Husserl zu-

557 nächst zum Subjekt geistiger → Akte; zu ihnen zählen alle Vernunftakte als die eigentlich aktiven Leistungen des Ich. Dazu gehört aber auch eine Abhängigkeit von der → Natur sowie von ursprünglichen Dispositionen. Wir finden hier eine andere Sphäre vor, beherrscht von determinierenden Tendenzen; zu diesen zählen auch die T.e. Sie bestimmen den Verlauf des → Bewußtseins nach blinden Regeln. Erst die Strukturanalyse der lebendigen → Gegenwart enthüllt dieses „radikal VorIchliche“ (Hua XV, 598) in seiner ganzen konstitutiven Bedeutung. Indem die Primordialität als T.-System aufgefaßt wird, erweist sich das → Primordiale nicht nur methodisch als Produkt einer → Reduktion des intersubjektiv konstituierten Sinnes, sondern die Primordialität hat selbst auf eigene Weise intersubjektiven Charakter. In ihrem urtümlichen Strömen liegt jeder in andere Ströme hineinstrebende T., eine wechselseitige Gemeinschaft von → Monaden. Die Monadengemeinschaft ist universal konstituierte T.-Gemeinschaft, darin liegt zumindest als Programm die Idee einer universalen Teleologie. Als T.-Gemeinschaft wird auch die Geschlechtsliebe aufgefaßt, die von der personalen Liebeseinigung zu unterscheiden ist, wobei deren Fundierung in der T.-Sinnlichkeit ein eigenes Problem darstellt. Scheler behandelt den T. teilweise im Zusammenhang mit seiner Milieutheorie (→ Milieu). Er faßt das Lebewesen als einen Stufenbau von T.en mit materialen Wertvorstellungen auf, die von der Wirkung der Milieugegenstände zwar unabhängig sind, doch diese mitbestimmen. Vom T. unterscheidet er das Bedürfnis, z. B. den Hunger. Denn während T.e naturgegeben sind, haben Bedürfnisse ihre histori-

Trieb sche und psycholog. Genese. Aus T.en lassen sich weder der geistige Liebesakt noch die Arten echter → Liebe herleiten, wenngleich T.-Impulse eine selektive Bedeutung für die zufälligen realen Objekte, die Gegenstand der Liebe werden können, besitzen. Die Kritik an dem hier angedeuteten naturalistischen Fundierungsanspruch (→ Naturalismus) führt Scheler im besonderen zur Ablehnung von Freuds Theorie des Geschlechtstriebes. Dabei ist Scheler vermutlich der erste Phänomenologe, der die Bedeutung des Begründers der Psychoanalyse erkannt hat. Er stimmt ihm zu, was die Wichtigkeit des Geschlechtslebens schon für das frühkindliche Leben betrifft, und bejaht Freuds Erkenntnis, daß aus frühkindlichen Traumen später seelische Erkrankungen hervorgehen. Daß aber der Geschlechtstrieb auf die Libido zurückgeführt wird (und damit universalisiert wird: hier wird Freud mißverstanden), ist für Scheler eine bloße Konstruktion, ebenso die Annahme einer Sublimierung, wonach geistige Akte aus verdrängter Libido entspringen. Im Spätwerk unterscheidet Scheler den Gefühlsdrang der Pflanze vom T.-Leben des Tieres, während sich die reich gegliederten T.e und Affekte des Menschen in die Einheit des → Dranges einfügen. Sie gehören insgesamt in das antagonistische Konzept von → Geist und Drang. Wenn Heidegger den Kraftbegriff von Leibniz als „Drang“ interpretiert und dessen Charakteristik (mit Leibniz) darin erblickt, daß es keines äußeren Anlasses bedarf, um ins Wirken überzugehen, sondern nur einer „Enthemmung“ (Heidegger bezieht sich dabei ausdrücklich auf Scheler), ist dies von grundsätzlicher Bedeutung. Der T., der „seinem Wesen nach von ihm selbst

Typik an-getrieben wird“ (HeiGA 26, 102), hängt mit der neuzeitlichen Interpretation des Menschen zusammen und erhält eine besondere Ausformung in der Psychoanalyse. Indem diese das → Dasein nur in der Modifikation des → Verfallens und im Drang erblickt, verfehlt sie das eigentlich Menschliche, das sie zur „Triebhaftigkeit“ verdinglicht. Der Ansatz dazu liegt aber schon in der Auslegung des Menschen als animal rationale. Qu.: Hua IV, 275-280, 332-372. – Hua XV, 593-602. – ScheGW 2, 127-172. – ScheGW 7, B.VI. – ScheGW 9, 7-71. – HeiGA 26, § 5. – Heidegger/Boss 1987, 217-219. – Lit.: Lee 1993. – Sepp 1997a. – Hagestedt 1993. HV

Typik. → Typus Typus. Deskriptive Grundkategorie in der Phänomenologie und den deskriptiv verfahrenden Wissenschaften. Nachdem im Laufe des 19. Jh.s der Begriff des T. zu einer unentbehrlichen Ordnungskategorie derjenigen Wissenschaften geworden war, in denen Beschreibung und Klassifikation anschaulicher Gegebenheiten einen wesentlichen Teil der wissenschaftlichen Tätigkeit bilden (z. B. Botanik, Zoologie und Psychologie), erfolgte durch Logiker und Wissenschaftstheoretiker wie Whewell, Sigwart und Erdmann eine erste Präzisierung des T.Begriffes. Letztere betonten vor allem zwei Charakteristika: 1. im Unterschied zum traditionellen Begriff der Art, der ein Gegenstand eindeutig zugehört oder nicht, gibt es bei der Zugehörigkeit zu einem T. ein Mehr oder Weniger, das sich nach der Ähnlichkeit mit zentralen Fällen bemißt, die für den T. als besonders charakteristisch („typisch“) angesehen werden. Der Um-

558 fang eines T.-Begriffes ist also in seinem Kernbereich klar bestimmt, seine Ränder dagegen sind unscharf. 2. Daher sind Übergänge zu Nachbartypen die Regel, und T.en stehen als Arten einer übergeordneten Gattung untereinander „in gleitendem oder fließendem Zusammenhang“ (Erdmann 1894, 16). Husserl, für den der T.-Begriff zu einem deskriptiven Grundbegriff seiner Phänomenologie wird, greift insbesondere das von Erdmann betonte Charakteristikum auf. „Die auf Grund der Wahrnehmung und Erfahrung sich aufdrängenden typischen Charaktere, z. B. der Raum- und Zeitgestalten, der Farben- und Tongestalten usw., bestimmen bedeutsame Ausdrücke, die infolge der fließenden Übergänge dieser Typen (sc. innerhalb ihrer oberen Gattungen) selbst zu fließenden werden müssen.“ (Hua XIX/1, 93) Gleichwohl ist die Anwendung solcher „vagen“ Ausdrücke, die den Großteil der Sprache des vorwissenschaftlichen → Lebens ausmachen und seinen praktischen Erfordernissen angepaßt sind, „innerhalb gewisser Abstände und Grenzen eine sichere, nämlich in den Sphären, wo das Typische klar hervortritt“ (ebd.). Für Husserl gewinnt der T.-Begriff grundlegende wissenschaftstheoretische Bedeutung durch seinen Gegensatz zu den „exakten“ Begriffen der → Mathematik und der mathematischen Naturwissenschaften. Beruhen deren Begriffe auf strengen Definitionen und auf die → Anschauung transzendierender Methoden der Idealisierung (z. B. der Bildung geometrischer Limesgestalten wie „Kreis“ oder „Dreieck“), so findet man bei den Typenbegriffen des Alltags und den auf ihnen beruhenden „beschreibenden“ Begriffen der deskriptiven Natur- und Gei-

559 steswissenschaften, auch wenn sie mit denselben Worten ausgedrückt werden, nichts von Idealisierung. „Kreis“ oder allgemeiner „Figur“ im geometrischen Sinn und im Alltagssinn haben bei aller inneren Verwandtschaft nur das Wort gemeinsam, denn „die geometrische Reinheit schließt das Typische der sinnlich anschaulichen Gegebenheiten aus“ (Hua V, 132; vgl. Hua VII, 133 sowie Hua III/1, §§ 74 u. 75). Die Allgemeinheiten, die in Typenbegriffen sprachlichen Ausdruck erhalten, sind „in der Erfahrung sich darbietende und in den Abwandlungen möglicher Erfahrung invariant bleibende anschauliche Allgemeinheiten“ (Hua IX, 534); es sind „morphologische Allgemeinheiten“ (Hua XXVII, 137), die sich als Apperzeptionseinheiten konfigurierter Merkmale in → passiver Synthesis bilden und, geweckt durch in die Anschauung tretende ähnliche → Gegebenheiten, in sinnbestimmende apperzeptive → Funktion treten, wobei sie den in ihrem → Sinn aufgefaßten Gegebenheiten den Charakter der → Bekanntheit bzw. Vertrautheit erteilen: „Der Gegenstand steht von vornherein in einem Charakter der Vertrautheit da; er ist als Gegenstand eines bereits irgendwie bekannten, mehr oder weniger vage bestimmten T. aufgefaßt.“ (Husserl 5 1976, 125; vgl. auch 26-36, 139 f. u. 399; sowie Hua XI, 190 f.) Die Entgegensetzung von beschreibenden Typenbegriffen und exakt bestimmenden „Idealbegriffen“ (Hua III/1, 154156) sowie die Einsicht, daß, wenn eine Art ein T. ist, auch die übergeordnete Gattung T.-Charakter hat, erlaubt es Husserl, den Begriff des T. so zu verallgemeinern, daß er zum Grundbegriff einer Phänomenologie werden kann, die den Anspruch erheben darf, „strenge Wissenschaft“ zu sein. Wenn

Typus auch auf niederen Allgemeinheitsstufen die konkreten Gegebenheiten „nur fließend typisch unterscheidbar“ sind und ihre Subsumtion unter Typenbegriffe nicht eindeutig ist, so „finden wir doch überall in höherer Allgemeinheit feste, obschon nicht mathematische Unterschiede, Begriffe, die nicht durch fließende Übergänge zu ermitteln sind“ (Hua V, 136); wir erhalten hier „streng faßbare Unterschiede“ (ebd.) und damit jene strengen, subsumptiv eindeutigen Begriffe, die für die Formulierung von wissenschaftlichen, intersubjektiv überprüfbaren Aussagen über Bewußtseinsphänomene gefordert sind. „So ist Wahrnehmung überhaupt und spezieller auch Wahrnehmung von Physischem etwas absolut Festes und in seiner Allgemeinheit zu Beschreibendes.“ (Hua V, 136; vgl. Hua XXV, 234 f.) Das Reich der Bewußtseinsphänomene ist zwar ein „Reich des Heraklitischen Flusses“ (Hua I, 86), aber darin „waltet – und das macht Wissenschaftlichkeit, Beschreibung, phänomenolog.-transzendentale Wahrheit möglich – eine feste Typik“ (Hua VI, 176), und zwar „eine wesensmäßige, in strenge Begriffe faßbare Typik“ (Hua I, 86; vgl. Hua III/1, 167). Diese Typik, deren allgemeinste Form durch den schematischen Ausdruck „ego-cogito-cogitatum“ bezeichnet wird und etwa auf Seiten des cogitatum von besonderen Gegenstandstypen über regionale Typen zur „Totalitätstypik“ der → Welt reicht (Husserl 5 1976, 33), ist Thema der eidetischen Analyse (→ Eidetik) und → Deskription. Deren Ziel ist es, mit Hilfe der Methode der eidetischen → Variation die sich in äußerer und innerer (reflektiver) Erfahrung aufdrängende faktische Typik als „Wesenstypik“ (Hua VI, 176) herauszuarbeiten und sie mit-

Typus tels reiner T.-Begriffe in allgemeinen apriorischen → Aussagen (Wesensaussagen) festzuhalten (vgl. Hua I, § 34). Nicht nur die faktische äußere Welt mit ihren Dingen, Lebewesen, Vorgängen, Situationen usw. ist „typisiert erfahren“ (Husserl 1976, 348 f.), auch die durch phänomenolog. → Reduktion erschlossene Sphäre des rein Subjektiven ist schon präreflexiv typisiert erfahren und findet sich im Vokabular der Alltagssprache für Seelisches oft sehr subtil artikuliert. Die Gegebenheiten dieser Sphäre sind, wenn sie reflexiv thematisch werden, prinzipiell nur typisierend zu erfassen und zu beschreiben, und selbst dort, wo die → Konstitution exakter mathematischer Gebilde wie etwa die der geometrischen Limesgestalten Thema ist, ist die Analyse und Beschreibung der Konstitutionsleistungen nur mit T.-Begriffen und nicht mit mathematischen Idealbegriffen möglich; denn das reine → Bewußtsein mit seiner Mannigfaltigkeit von cogitationes ist „keine mathematische Mannigfaltigkeit“ (Hua V, 135; vgl. Hua III/1, §§ 73-75). Mit der Thematisierung der → Lebenswelt und ihrer Konstitution gewinnen die Begiffe des T. und der Typik (Ganzes von Typen, Aufbau aus Typen) und der mit ihnen verwandte Begriff des Stils als deskriptive → Kategorien zunehmend an Bedeutung, ohne aber den Begriff des → Wesens (→ Eidos) zu verdrängen. Dies zeigt der in den Texten Husserls seit Beginn der zwanziger Jahre immer häufiger werdende Gebrauch von Termini wie „Wesenstypus“, „Wesenstypik“ , „Wesensstil“ und von bedeutungsgleichen Termini wie „apriorischer“ oder „eidetischer T.“ bzw. → „Stil“. Die Phänomenologie im Husserlschen Spätwerk bleibt somit das, was sie von Beginn an war: „deskrip-

560 tive Eidetik“ (Hua III/1, 149). Becker kontrastiert T. und Wesen (Eidos) und betont, daß im Unterschied zum Wesen beim T. der Zusammenhang der für ihn konstitutiven Merkmale kein notwendiger, durchgängig wesensgesetzlich bestimmter ist. Da sich der Unterschied von T. und Wesen für Becker mit dem von „vage“ und „exakt“ kreuzt, unterscheidet Becker vage (morphologische) Wesen (z. B. eiförmige Gestalt) von exakten (geometrischen) Wesen (z. B. Ellipse) sowie vage empirische Typen, deren Merkmalsbestand prinzipiell unabgeschlossen und revidierbar ist (z. B. Löwe), von exakten Idealtypen, die wie z. B. eine Planetenbahn bestimmte, empirisch gewonnene numerische Konstanten enthalten und also nicht ausschließlich wesensgesetzlich bestimmt sind. (vgl. Becker 1923, 398-402) Im Anschluß an Webers Konzept des Idealtypus und an den T.-Begriff des späten Husserl analysiert Schütz die Typisierungsprozesse, welche die sozialen Beziehungen in der wesentlich intersubjektiven Lebenswelt prägen. Dabei betont er insbesondere das in aller Typisierung liegende Moment der Entindividualisierung. Die hinsichtlich ihres besonderen Inhalts und ihres Allgemeinheitsgrades von den jeweiligen Interessen und Relevanzsystemen (→ Relevanz) bestimmten und situativ geweckten Typisierungen betreffen nicht nur die unmittelbar gegenwärtigen Anderen der nächsten → „Umwelt“, ihr Verhalten und ihre → Motive, sondern vor allem und mit zunehmender Anonymisierung die Menschen der erweiterten „Mitwelt“ und der vergangenen „Vorwelt“, bis hin zum Grenzfall vollständiger Anonymität, wo sie als bloße Funktionsträger aufgefaßt werden und individuell austauschbar erschei-

561 nen. Das Typenwissen bildet einen wesentlichen Bestandteil des „verfügbaren Wissensvorrats“, durch den sich die Lebenswelt in ihrem Vertrautheitscharakter konstituiert. (vgl. Schütz 1971, XV-XXXVIII u. 8-25; Schütz 1932, §§ 36-40) Auch bei Merleau-Ponty findet sich eine bedeutende, an den späten Husserl anschließende Verwendung des Begriffs der Typik und des Stils bei der Bestimmung der Erfahrung von → Leib und Welt. „Einen Leib haben, heißt über ein umfassendes Gefüge verfügen, das die Typik sämtlicher perzeptiver Entfaltungen und sämtlicher intersensorischer Entsprechungen über das wirklich je wahrgenommene Welt-

Typus stück hinaus umfaßt und ausmacht.“ (Merleau-Ponty 1966, 377). Die natürliche Welt bestimmt Merleau-Ponty geradezu als „die Typik der intersensorischen Verhältnisse“ (ebd., 378) und als „Stil aller Stile“ (ebd., 381). Qu.: Whewell 1840 (2 1847), 495. – Sigwart 1878, 455-479, 735-746. – Erdmann 1894, 15-18, 157 f. – Hua I. – Hua III/1. – Hua V. – Hua VI. – Hua VII. – Hua IX. – Hua XI. – Hua XIX/1. – Hua XXII. – Hua XXV. – Hua XXVII. – Husserl 1939 (5 1976) – Becker 1923. – Schütz 1932.– Schütz 1962 (1971). – Schütz/Luckmann 1979. – Merleau-Ponty 1945 (1966). – Lit.: Hempel/Oppenheim 1936. – Heyde 1952. – Seiterich 1930. – Schütz 1959-1960.ROSO

U Überschuß. Waldenfels spricht in mehrfacher Weise von Ü. und meint damit die Anwesenheit des Außerordentlichen im Ordentlichen, konkret als Ü. des Sagens im Gesagten. Ein Redefeld ist, insofern Ansprüche sich in ihm melden, ein Anspruchsfeld, dessen Ansprüche, wenn sie etwas zu sagen und zu tun aufgeben, auf ein fremdes Begehren verweisen. Ist der Anspruch mehr als ein subjektiver Anreiz, läßt er sich nicht in der Weise einlösen, wie das auf Grund gemeinsamer Regeln der Fall wäre. Der Ü. besteht hier auf Seiten des Anspruchs und auf Seiten der → Antwort, er ist ein doppelter Ü.

de Disziplinierung der individuellen Körper ab. Gestützt wird diese gesellschaftliche Machtpraxis durch den → Diskurs der Humanwissenschaften, deren Methoden zur Wahrheitsfindung in den Überwachungstechniken des Strafvollzugs ihre Entsprechung finden. Das isolierte und sich selbst beobachtende und überwachende Subjekt ist die genealogische Voraussetzung für die Entstehung der Wissenschaften vom Menschen. Ihr Gegenstand, „der erkennbare Mensch“, entsteht aus der „Verflechtung der subjektivierenden Unterwerfung und der objektivierenden Vergegenständlichung“. (Foucault 1976, 392 f.)

Qu.: Waldenfels 1994a (II.2.3, III.3.3). HV

Qu.: Foucault 1975 (1976). – Foucault 1976. – Lit.: Dreyfus/Rabinow 1982 (1987). – Habermas 1985. – Honneth 1985. – Fink-Eitel 1989. RS

Überwachen. (frz.: surveiller) Ü. ist bei Foucault Ausdruck einer Machttechnologie, der es um Disziplinierung und Normalisierung geht und deren Ziel die Produktion fügsamer und gelehriger Körper ist. Benthams Panoptikum (1787) ist das zur Architektur gewordene Modell dieser Disziplinarmacht. Überwachungszellen sind hier so um einen Beobachtungspunkt angelegt, daß diese permanent überwacht werden können, der Überwachende selbst aber nicht zu sehen ist. Das Beobachtungszentrum kann unbesetzt bleiben, denn die Gefangenen müssen sich so verhalten, als seien sie ständiger Ü. ausgesetzt. Die Diziplinarmacht strebt permanente Selbstüberwachung und totale Kontrolle an, sie organisiert das Gefängnis, die Kaserne, die Schule und die Fabrik und zielt auf eine produktive und kräftesteigern-

Umring. In Heideggers groß angelegter Analyse des Organismus des → Tieres gehört der Begriff U. zu den charakteristischen Strukturmomenten der Benommenheit als dem „Grundwesen des Organismus“ (HeiGA 29/30, 376). Mit U. ist dabei die eigentümliche Einschränkung der Offenheit des (weltarmen) Tieres gemeint. Der U. zeichnet die Möglichkeiten vor, die das Tier aus seiner Umgebung angehen können und damit seine Fähigkeiten enthemmen. Der Trieb wird damit aus seiner inneren Gespanntheit und Gehemmtheit gelöst und hemmungslos. Dieser Wesenscharakter des Lebens ist aus der üblichen „vulgären Erfahrung bezüglich der Lebewesen“ (ebd. 377) unter den Bezeichnungen Selbst- und Arterhaltung bekannt. Von diesen her

563

Umwillen

(darwinistisch) den Menschen zu interpretieren wäre eine Mißdeutung, die einer einseitig ökonomischen Betrachtungsweise entstammt. Qu.: HeiGA 29/30, § 58-61.

HV

Umwelt. In der natürlichen → Einstellung begegnet für Husserl die U. als diejenige → Welt, in der ich mich und andere Menschen als auf diese U. bezogen finde, nur daß Letzteren dieselbe Welt in verschiedener Weise zu Bewußtsein kommt. Zur realen U. gehört auch die als Kultur vergeistigte U. Mit einer solchen U. kann die Forschung ihren Anfang nehmen, indem sie die Wesensstrukturen der vorwissenschaftlichen anschaulichen Welt systematisch auslegt. Die spezifisch philosoph. Stufe ist aber erst in Aufnahme der konstitutiven Probleme erreicht, d. h. sobald „der natürliche Erfahrungsboden mit dem transzendentalen vertauscht wird“ (Hua I, 141). Sofern Scheler die U. nicht unter dem Begriff → „Milieu“ behandelt, versteht er darunter die eigene U., deren Verwechslung mit der Welt selbst die Illusion des Egozentrismus begründet. Im übrigen dürfte er einer der ersten Philosophen gewesen sein, dem die Frage des Umweltschutzes präsent gewesen ist: in Tier- und Pflanzenschutz, dem Erhalt der Wälder und dem Schutz der Landschaften. Voraussetzung der damit befaßten praktischen Bewegungen (im Verein mit sozialpolitischen Interessen) ist ein Lebendigwerden der „kosmischen Einfühlung“ (ScheGW 7, 115). Daß die U. kein Thema theoretischer Feststellungen ist, hat Heidegger früh festgestellt, wenn er sagt, sie werde „ ,als weltend‘ erlebt“ (HeiGA 56/57, 94). Die eingehende Analyse der U.

als „Welt des alltäglichen Daseins“ erfolgt in Sein und Zeit. Die Analyse steht unter der Vorgabe der Gewinnung eines Begriffs der → Welt überhaupt. Das in der U. begegnende Seiende ist das → Zeug in der Seinsart des Zuhandenen (→ Zuhandenheit), in dessen Struktur des Um-zu (Dienlichkeit, Verwendbarkeit usf.) eine Verweisung von etwas auf etwas liegt – auf ein zu einer Bewandtnisganzheit zugehöriges Zeugganzes, das in der Umsicht zugänglich wird. Die U. meldet sich in Modi der Unverwendbarkeit wie Auffälligkeit, Aufdringlichkeit, Aufsässigkeit; in solchen Störungen des Verweisungszusammenhanges meldet sich in der U. die Weltlichkeit der Welt. Heidegger hat wiederholt auf die methodische Bedeutung dieser Analysen hingewiesen. Sie sind zwar einerseits nur von untergeordneter Bedeutung, weil sie im Zuge der Vorbereitung der → Frage nach dem Sinn von → Sein ihre Stelle haben. Sie sind aber auch ein „wesentlicher Gewinn“, weil hier zum erstenmal in der Geschichte der Philosophie das → In-der-Welt-sein als primäre Weise der → Begegnung mit dem Seienden erfaßt ist. Qu.: Hua III/1, §§ 28-29. – Hua VIII, 49. Vorl. – Hua I, V. Med. § 59. – ScheGW 7, A.IV.2, A.VII. – HeiGA 2, §§ 15-16, 22-23. – HeiGA 15, 372 f. HV

Umwillen. Daß das → Dasein „umwillen eines Seinkönnens seiner selbst“ existiert (HeiGA 2, 482), bezeichnet nach Sein und Zeit das grundlegende „horizontale Schema“ des U.s. Damit übersetzt Heidegger in transformierender Aufnahme der Kantischen Schematismuslehre in sein fundamentalontolog. Projekt, was Aristoteles das Worumwillen (hou heneka) der Praxis genannt hatte. Dabei bleibt im →

Uneigentlichkeit Schema des U.s allerdings offen, ob das Dasein „eigentlich oder uneigentlich [...] auf sich zukommt“ (HeiGA 2,482): Das U. kann – im → Vorlaufen zum → Tode – Schema eigentlicher → Zukunft, in der Orientierung auf besorgbare → Möglichkeiten (als „Wozu“) aber auch Schema uneigentlicher Zukunft sein. So zeigt das U. nur formal an, „wohin“ das Dasein sein Sein faktisch entwerfen (→ Entwurf) und in welchem → „Horizont“ sein Seinsverständnis sich artikulieren kann (weshalb Heidegger vom horizontalen Schema spricht). Derart ist das U. verstanden als „metaphys. Struktur des Daseins“ bzw. „Grundcharakter der Welt“ (HeiGA 26, 246, 276). Systematisch verweist die Problematik auf die in Sein und Zeit und auch in den darauf folgenden Vorlesungen (vor allem in der Vorlesung Die Grundprobleme der Phänomenologie (HeiGA 24, 418 ff.)) nur angedeutete, aus sachlichen Gründen dann jedoch aufgegebene Frage einer Schematisierung des Sinnes von → Sein auf der Grundlage der Temporalität. Qu.: HeiGA 2. – HeiGA 24. – HeiGA 26. – Lit.: Köhler 1993. – Pöggeler 1992, 115 ff.. – Pöggeler 1999, 19 ff.. AGO

Uneigentlichkeit. → Eigentlichkeit Unendlichkeit. Da nach Husserl jeder „reale“ → Gegenstand immer nur in → „Abschattungen“ gegeben ist, ist er „ein in seinem Wesenstypus absolut bestimmtes System endloser Prozesse kontinuierlichen Erscheinens, bzw. als Feld dieser Prozesse ein a priori bestimmtes Kontinuum von Erscheinungen“ (Hua III/1, 297). „Dieses Kontinuum bestimmt sich näher als allseitig unendliches, in allen seinen Phasen aus Erscheinungen desselben be-

564 stimmbaren X bestehend“. (ebd.) Zwar gibt sich diese U. der → Erscheinungen des einen Gegenstandes nicht selbst, ist aber als „Idee“ im kantischen Sinne faßbar. „Die Einsicht, daß diese U. prinzipiell nicht gegeben sein kann, schließt nicht aus, sondern fordert vielmehr die einsichtige Gegebenheit der Idee dieser U.“ (ebd., 298) Da jedes intentionale → Erlebnis zudem auf andere Gegenstände und letztlich auf den unendlichen → Horizont verweist, spricht Husserl der Sache nach auch von der U. des Horizontbewußtseins. (Hua VIII, 145 ff.) Bei Levinas steht U. im Kontext der → Ethik des → Anderen. Dessen Epiphanie ereignet sich im → Antlitz, doch bleibt er „unendlich transzendent, unendlich fremd“ (Levinas 1980/1987, 278). Er durchbricht damit den Primat des Selben, der zur → Totalität der abendländischen → Ontologie gehört. Die Idee des Unendlichen leuchtet bei Platon auf, wenn dieser das Gute über das Sein stellt (epeikeina tes ousias Politeia VI, 509b), und in Descartes‘ Meditationen. Die ethische Beziehung zum Unendlichen beruht nicht auf Erkenntnis, ohne deshalb auf Gefühle reduziert zu werden. Der Überschuß dieser Idee – „ein Denken, das in jedem Augenblick mehr denkt, als es denkt“ (Levinas 1983, 201) – verdankt sich einem Begehren (désir), das von der Zuneigung der Liebe (amour) wie vom Mangel des Bedürfnisses (besoin) unterschieden werden muß. Auch die Vollkommenheit des U.n ist kein Maß, das sich theoretischer Einsicht erschließen würde, sondern Ursprung der „ → Scham, die die Freiheit über sich selbst empfindet, weil sie entdeckt, daß sie in ihrer Ausübung mörderisch und usurpatorisch ist“ (ebd., 204).

565 Qu.: Hua III/1. – Hua VIII. – Levinas 1978/1992. – Levinas 1980. MW (Husserl) HV (Levinas)

Unsichtbare, das. → Sichtbare, das Unverborgenheit ist eine wörtliche und zugleich interpretierende Übersetzung Heideggers des griech. Terminus → aletheia (→ Wahrheit), worunter er jedoch nicht wie in der Tradition üblich die Übereinstimmung einer Aussage mit der Sache (→ Adäquation) versteht; vielmehr muß vor jedem → Urteil das Seiende selbst entborgen und so der Verborgenheit entrissen werden. „U. (Wahrheit) ist weder eine Eigenschaft der Sachen, im Sinne des Seienden, noch eine solche der Sätze.“ (HeiGA 5, 41) Doch weder bezieht sich die U. lediglich auf die Offenbarkeit des entborgenen Seienden noch darf sie als Produkt einer menschlichen Tätigkeit angesehen werden, denn Heidegger bezeichnet mit der U. jenes Geschehen (→ Lichtung), das an den Menschen den Zuspruch erteilt, in seinem entbergend-verwahrenden Verhalten das erscheinende Seiende in die U. einrücken zu lassen. „[D]er Mensch ist dasjenige Seiende, dessen Sein durch das offenstehende Innestehen in der U. des Seins, vom Sein her, im Sein ausgezeichnet ist.“ (HeiGA 9, 375) Ohne sich folglich ausschließlich an Seiendens zu halten, ist der Mensch in seiner → Offenheit in das streithafte Entbergungsgeschehen (U. des → Seins), das sich als Lichtung und zweifache → Verbergung (→ Versagen und → Verstellung) ereignet, eingelassen. Qu.: HeiGA 2, § 44. – HeiGA 5, 38-43. – HeiGA 21 (I. Hauptstück). – HeiGA 45, 199-206. – HeiGA 54. – HeiGA 65, 327370. MF

Urempfindung Urdoxa. Im Rahmen der Intentionalitätstheorie (→ Intentionalität) Husserls fungiert die U. als der Urmodus des Erfahrens eines intentionalen → Objekts als „es selbst“, welche → Erfahrung auf die Bewußtseinsweise der urmodalen Glaubensgewißheit zurückbezogen ist. D. h., das Seiende ist in der U. als „gewiß“ oder „wirklich“ seiend gegeben. Diese → Gegebenheit ist damit diejenige Form der Erfahrung, die aller möglichen doxischen → Modalisierung als „möglich“, „wahrscheinlich“, „zweifelhaft“, „fraglich“ seiend etc. logisch vorhergeht. Die U. ist damit die Erfahrungsart des Seienden, die erst genannte Modalisierungen ermöglicht; oder umgekehrt: Jede Erfahrung eines Seienden als möglich, wahrscheinlich etc. weist auf die Urform eines unmodalisierten Als-es-selbst-Gegebenseins zurück. Der U. ist entgegengesetzt – und zwar nicht i. S. von graduellen Modalisierungen, sondern als ausdrückliche Nichtsetzung – die Neutralitätsmodifikation, die das wirklich Seiende in ein „Als-ob-Seiendes“ verwandelt. Damit kann auch ein modalisiertes Seiendes in ein neutralisiertes verwandelt werden, etwa ein „mögliches etc. Alsob-Seiendes“. Qu.: Hua III/1, 104-105, 240-243.

SL

Urempfindung. Husserls Analyse des inneren Zeitbewußtseins orientiert sich an der elementarsten Form von Zeiterfahrung. Sein Grundbeispiel ist das Hören einer Tonfolge. Töne sind Zeitobjekte par excellence: sie stellen nicht nur „Einheiten in der Zeit“ dar, sondern enthalten „die Zeitextension auch in sich“. Ausgehend von der Frage, wie sich ein solcher zeitlicher Ablauf im → Bewußtsein konstituiert, lassen sich drei notwendig zusammengehö-

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Urevidenz rende Momente unterscheiden: 1. das „leibhaftige Ton-Jetzt“, das uns in Gestalt einer Urimpression oder U. gegeben ist; 2. ein „zurückhaltendes NochBewußtsein“, das sich am Zeitobjekt im Modus eines „Soeben“ oder „Vorhin“ niederschlägt und von Husserl als → „Retention“ bezeichnet wird; 3. die vorgreifende → Erwartung oder → „Protention“ dessen, was sich aus dem Soeben-Vergangenen für das unmittelbar Künftige folgern läßt. Da jede U. diesen charakteristischen „Zeithof“ hat, läßt sich eine reine U. nur als „etwas Abstraktes“ fassen. Qu.: Hua X. – Lit.: Bernet 1983.

TE

Urevidenz bezeichnet bei Husserl einmal die letzte → Evidenz bzw. Letztgegebenheit des ego cogito, auf die in letzter Instanz alle Evidenzen zurückgeführt werden müssen. Die bei Descartes erstmals in der Neuzeit durchbrechende Einsicht der Rückbezogenheit alles Erfahrens von Sein auf ein erkennendes → Subjekt wird so für Husserl zur Grundeinsicht der neuzeitlichen Transzendentalphilosophie, hinter die nicht mehr zurückgefallen werden darf. So ist die U. des ego cogito nicht nur die Basis für alle weiteren mittelbaren Evidenzen, sondern auch das Grundprinzip, auf das alle wissenschaftliche → Erkenntnis, die „letztgerechtfertigt“ sein will, aufbauen können muß. – In Husserls späterer Wende zur → Lebenswelt allerdings bezeichnet er auch die Evidenz der vorprädikativ gegebenen und vorwissenschaftlich erfahrenen Lebenswelt, die allen wissenschaftlich-objektivierenden Konstruktionen vorhergeht, als U. Das bedeutet nicht, daß sie über apodiktische Evidenz wie das → Ego verfügt, sondern als absolute faktische

Gegebenheit die ständige Vorgegebenheit für alle subjektiven Aktivitäten ist. – Husserl hat, zeitlebens geleitet vom Subjektivitätsparadigma, die Gegenläufigkeit zwischen subjektiver und lebensweltlicher Tendenz jedoch nicht mehr aufgelöst. Qu.: Hua I. – Hua VI, 80, 91, 131. – Lit.: Landgrebe 1963. SL

Urglaube. Entgegen dem griechischklassischen Verständnis von doxa, die etwa bei Parmenides im Gegensatz zur → aletheia (→ Wahrheit) steht, oder wie bei Platon und Aristoteles von der episteme (→ Wissen) abgegrenzt wird und also entweder als trügerische Meinung, bloßer → Glaube oder lediglich praktische Erfahrung Geringschätzung erfährt, arbeitet die durch Husserl im 20. Jh. begründete Phänomenologie an ihrer Rehabilitation als ein nicht zu überspringendes Fundament und fortwirkender → Boden allen Erkennens und Handelns, der „eigene Formen der Bewährung und eigene Standards der Genauigkeit“ (Waldenfels 1985, 39) aufweist. Während jedoch die deskriptive Bewußtseinsphänomenologie Husserls Schwierigkeiten mit der nicht restlos in noetisch-noematische → Korrelationen aufzulösenden → → doxa als bleibendem Unruheherd innerhalb des Konstitutionsprozesses der → transzendentalen Subjektivität hat, dient sie einer genetischen Phänomenologie dazu, den engen Rahmen der Bewußtseinsanalyse zu sprengen und die → Lebenswelt bzw. den → Leib als neue Quellen der Sinnbildung und WeltHabe ins Auge zu fassen. Den traditionellen Bedenken gegen die doxa kommt diese Aufwertungsbewegung durch die gelegentliche Dif-

567 ferenzierung zwischen doxa und U. entgegen, wobei in diesem Falle allerdings das Problematische der doxa nicht aus ihrem Gegensatz zur episteme, sondern aus ihrer Infizierung mit dem Seins- bzw. Gegenstandsverständnis der neuzeitlichen Philosophie und Wissenschaft begründet wird (vgl. Husserl 6 1985, § 10; Landgrebe 1982, 124 f.). Die Untersuchung der Sinngenese ist dort behindert, wo eine ,natürliche → Einstellung‘ zum Maßstab erhoben wird, die sich zu einer naturalistischen Einstellung bzw. → These verfestigt hat (vgl. Merleau-Ponty 1984, 49). Der U. ist nämlich „nicht einmal im Prinzip in die Begrifflichkeit eines klaren und deutlichen Wissens übersetzbar“ und insofern „älter als jede ,Einstellung‘ und jeder ,Standpunkt‘ “. Sie bietet „uns nicht eine Vorstellung von der Welt, sondern die Welt selbst“ dar (Merleau-Ponty 1984, 49). In seinem Spätwerk greift MerleauPonty die Problematik des U.s unter dem Titel des Wahrnehmungsglaubens (foi perceptive) wieder auf, um noch deutlicher zu machen, daß das Verhältnis von doxa und Wissen nicht als Schichtung, sondern als ein nicht still zu stellendes Ineinander beider begriffen werden muß, das nicht mehr allein „relativ auf ein Subjekt [ist], sondern auch auf anonyme Bezugssysteme“ (Waldenfels 1985, 51). Diese Einsicht führt Merleau-Ponty dann sogar dazu, die genannte Differenz zugunsten der quer zu ihr stehenden von → Sichtbarem und Unsichtbarem sowie deren Verflechtung im „Fleisch der Welt“ (Merleau-Ponty 1986, 116) umzugestalten, wobei „das Unsichtbare (invisible) [...] kein bloßes Nicht-Sichtbares (non-visible) [...] [ist], das nicht mehr oder noch nicht oder von anderswo und von anderen gesehen wird, son-

Urimpression dern eine Form der Abwesenheit, die als solche zur Welt hinzugehört [...]“ (Waldenfels 1985, 70). Qu.: Landgrebe 1982, 117-136. – Husserl 1939 (6 1985). – Merleau-Ponty 1960, 201228 (1984, 45-67). – Merleau-Ponty 1964 (1986). – Waldenfels 1985, 34-55 u. 56-57. HR

Urimpression. Von U. oder → Urempfindung spricht Husserl im Zusammenhang mit der Frage nach dem Ursprung der → Zeit. Er vermeidet den Ausdruck „Phänomen“ und zieht den Terminus „Ablaufscharaktere“ (auch „Ablaufsphänomene“, „Ablaufsmodi“) vor, zu denen außer der U. auch die → Protention und → Retention gehören. Ihr Quellpunkt, von dem sie ausgehen, ist die U. Ständig fließend geht das impressionale → Bewußtsein in ein neues retentionales Bewußtsein über, die Kontinuität von Retentionen macht den Zeitfluß aus. Retentionen gehören zu den → Abschattungen des Bewußtseins. In ihnen liegt eine doppelte → Intentionalität: die der → Konstitution des immanenten → Objekts in der → Erinnerung dient und die für die → Einheit der Erinnerung im → Fluß konstitutive Reproduktion der U. Im Übergang wandelt sich die erste U. in ihre Reproduktion, diese in Reproduktion dieser Reproduktion usw. Zugleich mit der ersten Reproduktion ist aber wieder eine neue U. da („U. des neuen Jetzt und Reproduktion des früheren“, Hua X, 379 f.). Dabei stellt sich zunehmend die Frage, ob dieses „Urbewußtsein“ (ebd. 38) selbst noch zeitlich zu interpretieren ist. Die vielen U.en sind zu einer verknüpft, sie müssen alle „in einem absolut identischen Tempo verströmen“ (Hua XI, 127). Für Levinas ist die U. („ProtoImpression“) u. a. ein Indiz dafür, daß Husserl der Sinnlichkeit einen Haupt-

Ursprung, ursprünglich platz einräumt. Schon in den hyletischen Daten läßt sich ein „Gewebe von Intentionalitäten“ erkennen (Levina 1983, 94), die U. ist die Individuation des Subjekts. Levinas erblickt in ihr die Absage an eine Konstruktion der Zeit aus der Perspektive eines selbst zeitlosen Blicks. Indem sich die U. im Verhältnis zu einer neuen U. modifiziert, ist das Bewußtsein der Zeit „die Zeitigung selbst“ (ebd., 169). Sie bringt in die → Intentionalität einen Abstand hinein und öffnet damit das Selbe für die Rezeptivität eines → Anderen. Die Intentionalität des Bewußtseins beruht in der Zeit. Qu.: Hua X, §§ 11, 12, 31, 39, Beilage I und IX, erg. Texte Nr. 53-54. – Hua XI § 27. – Levinas 1963 (1983) Nr. 6. – 1978 (1992) II 2.– Lit.: Derrida 1967/1979 (Kap. VI). – Held 1966. – Held/Red. HwPh 11. – Süsske 1990. HV

Ursprung, ursprünglich. Das Wort U. hat seine Entsprechung in der aristotelischen Bestimmung der arche in der Bedeutung von „woher etwas ist oder wird oder erkannt wird“ (Aristoteles, Metaphysik V 1). Zu unterscheiden sind darüber hinaus ontischer und ontolog. U., ontischer i. S. der „Genealogie“ Nietzsches (bei gleichzeitiger Verneinung des einen U.s: „Aller guten Dinge U. ist tausendfältig“ (Nietzsche KSA 4, 219)) und ontolog. U. als jenes, woraus etwas entspringt. Der frühe Heidegger konzipiert die Phänomenologie in Verwandlung von Anstößen Husserls (→ „Originarität“) als „Ursprungswissenschaft vom Leben an sich“, dieses selbst wird als „Urphänomen“ aufgefaßt. Doch ist diese Problemsphäre – nämlich das Leben des Geistes – niemals unmittelbar gegeben und muß daher vermittelt werden, sodaß es methodischer Zurü-

568 stungen bedarf, um das Ursprungsgebiet zu gewinnen. Die Erforschung des faktischen Lebens hat nicht die Absicht einer Wiedergabe der Fülle von dessen Erscheinungen, sondern bezieht sich auf sie nur insofern, als sie aus einem U. hervorgehen; es handelt sich um die Aufgabe, das Leben in seinem u.en Vollzug zu enthüllen. Der Zugang geschieht aber von der → Faktizität her und nicht aus einer primär theoretischen Sicht. In Sein und Zeit werden U. und u. sehr häufig gebraucht: Das abgeleitete, „herkünftige“ Verständnis von → Sein, → Wahrheit, → Welt soll auf ein u.eres → Verstehen zurückgeführt werden. Das seinsverstehende → Dasein als → In-der-Welt-sein ist → „gleichursprünglich“ durch → Befindlichkeit, Verstehen, → Rede und → Verfallen konstitutiert, deren u.e Einheit liegt in der Sorgestruktur (→ Sorge), die ihrerseits in der (u.en, nicht „vulgären“) Zeitlichkeit des Daseins gründet. Damit wird eine Ursprungsbewegung beschrieben, die auf immer neue Fundierungen verweist, bis sie auf die → Zeit als den letzten → Horizont der Begründungen stößt: „Die [...] Folge der einander gleichsam vorgeschalteten Entwürfe: Verstehen von Seiendem, Entwurf auf Sein, Verstehen von Sein, Entwurf auf die Zeit, hat ihr Ende am Horizont der ekstatischen Einheit der Zeitlichkeit.“ (HeiGA 24, 437) Dieses Ende bedeutet aber nicht das Ende des weiteren Vorgehens, nur kehrt sich das Verhältnis um, es wird nicht mehr vom Dasein aus der U. erfragt, sondern von diesem her auf das Dasein zurückgefragt; dies geschieht erstmals in der Frage nach dem U. des Kunstwerks, von dem her Welt und → Erde eröffnet werden. Mit der Abkehr von der transzendentalphilosoph. Begründung des Daseins wird der U. zum

569 nicht mehr begründbaren → Grund, zu dem das Dasein nur durch einen → Sprung gelangt. Durch seinen Vollzug erfährt sich „der Werfer des Entwurfs als geworfener [...], d. h. ereignet durch das Seyn“ (HeiGA 65, 239). Der Sprung führt ins Bodenlose, insofern das Sein nicht mehr aus dem Seienden erklärbar ist, doch ist dies nicht das Bodenlose einer Leere, sofern durch den Sprung das Denken in die Wahrheit des Seins gelangt („Sein als Ab-Grund“, HeiGA 10, 167). Rombach unterscheidet U., Ursache und Grund. Die Ursache gehört in die Ordnung der Zeit und ist Ausgangspunkt einer Wirkung. Der Grund reiht sich in die Ordnung der zeitlosen Wesenheiten ein und ist Ausgangspunkt einer Folge. Der U. aber gehört einer eigenen Dimension an, die vor allem durch die Phänomene der Konkreativität und des Dimensionensprungs ausgezeichnet ist. Der Terminus „Konkreativität“ steht für das Wesen des Schöpferischen, für das der Hervorgang einer neuen Dimension eigentümlich ist, m. a. W. dafür, daß ein Dimensionensprung geschieht. Konkreativ bedeutet, daß Vorgänge miteinander nicht bloß vernetzt sind, sondern sich zu Wirkungen aufgipfeln, die über naturkausale Wechselbeziehungen hinausgehen. Dies gilt nicht nur für Geschichte und Alltagswelt, sondern auch für den Naturprozeß. Rombach weiß sich mit der Sicht der Romantik auf die Natur einig, insofern diese mehr als nur ein Objekt zur Nutzung des Menschen ist, sondern Lebensquelle und U. Überall, wo Leben ist (das am deutlichsten in den genialen Schöpfern hervortritt), ereignet es sich als Zustrom aus dem U. Qu.: HeiGA 2. – HeiGA 5, 1-74. – HeiGA 10. – HeiGA 24, § 21. – HeiGA 58, §§ 1-6,

Urteil 18-19. – HeiGA 59, § 10. – HeiGA 65, IV. – Rombach 1994. – Lit.: Stenger, Röhrig 1995. – Volpi 1986. HV

Urstiftung. Geht der frühe Husserl von bereits konstituierten → Gegenständen aus, um die nach Wesensgesetzen geregelten Abläufe intentionaler → Erlebnisse zu erforschen, so wird für den späten Husserl die → Genesis dieser → Konstitution selbst thematisch. Als „Einheit in einer Erscheinungsmannigfaltigkeit“ ist der Gegenstand nicht mehr fester Fixpunkt einer gegenstandskonstituierenden → Synthesis. Vielmehr gründet sein Objektivitätsanspruch in einer „Geschichte“ objektivierender → Leistungen. Diese allerdings müssen von dem konstituierenden → Ego nicht immer wieder aufs Neue erbracht werden. Der aktiven Genesis von Sinngehalten korrespondiert eine passive Genesis, wobei → Aktivität und → Passivität für Husserl keine Kontrastbegriffe sind. Schon darin, daß ich etwas überhaupt als Gegenstand erfasse, liegt ein erworbenes Vermögen, ein „habituelles Wissen“ (→ Habitualität), das seine Vorgeschichte und damit zugleich auch seine „Urgeschichte“ hat. Als „Zielform“ möglicher Bestimmbarkeit weist die Tendenz, Affektionen als Bekundungen von Gegenständen aufzufassen, auf eine U. zurück, die gleichzeitig erklärt, warum die selbstgebende → Anschauung „nicht nur statisch, sondern auch genetisch bevorzugt ist“. Qu.: Hua I, § 38. – Hua XI. – Hua XVII, Beilage 2. TE

Urteil. Der Begriff des U.s spielt eine zentrale Rolle in der phänomenolog. Philosophie der Logik. U., Prädikation und → Aussage werden dabei als

Urteil eng miteinander verbundene Begriffe betrachtet. Im Anschluß an die aristotelische Tradition betont Husserl die Zentralität der Apophantik (→ apophantische Logik), d. h. der Lehre vom prädikativen U. und seinen Formen als Kernbereich der Logik (vgl. Husserl 6 1985, 1). Zentral ist die Urteilsproblematik für Husserl sowohl aus logischer wie auch aus ontolog. Sicht, und zwar deswegen, weil die kategorialen Formen, die die formale → Ontologie thematisieren will, den Gegenständen erst im Urteilen zuwachsen (ebd., 2). Der Unterschied zwischen formaler Apophantik und formaler Ontologie betrifft für Husserl also nicht den jeweils thematisierten Gegenstandsbereich, sondern vielmehr nur die → „Einstellung“, die für jede von beiden Disziplinen charakteristisch ist (ebd., vgl. auch Hua XVII, §§ 4-44). Die Analytik der Urteilsformen ist, je nachdem, ob man dabei primär auf die Seite der → Akte des Urteilens bzw. auf die Seite der gegenständlichen Korrelate solcher Akte achtet, als formale → Apophantik oder als formale Ontologie zu charakterisieren (vgl. bes. Hua XVII §§ 43 f.). Aus einer ganz anderen Perspektive bekräftigt auch Heidegger die ontolog. Relevanz der sachlichen Problematik, die mit dem logos apophantikos, d. h. mit der prädikativen Aussage, die nach der traditionellen Auffassung ein U. zum Ausdruck bringen soll, zusammenhängt. In diesem Sinne stellt Heidegger fest, daß schon seit den Anfängen der traditionellen Ontologie in Griechenland der logos als einziger Leitfaden für den Zugang zum eigentlich Seienden und für die Bestimmung seines → Seins fungiert hat (HeiGA 2 § 33), was zu der für die Vorhandenheitsontologie charakteristischen Verengung der Seins- und Wahrheits-

570 problematik geführt haben soll. So gehört die Frage nach der Struktur und dem Ursprung der prädikativen Aussage zum thematischen Kern der ontolog. Problematik, wie sie Heidegger versteht, und zwar insofern, als eine der wichtigsten Aufgaben der → Fundamentalontologie gerade in der kritischen Befragung der Grundvoraussetzungen der traditionellen Ontologie der → Vorhandenheit besteht. Kennzeichnend für phänomenolog. Urteilsauffassungen ist die Orientierung an zwei Grundfragen, die in enger Verbindung mit der Intentionalitätsproblematik stehen, und zwar: einmal die Frage nach der Struktur des Urteilsakts und seines gegenständlichen Korrelats; dann die Frage nach dem Ursprung der → kategorialen Form des prädikativen U.s aus der vorprädikativen → Erfahrung. Die letzte Frage verweist direkt auf die für phänomenolog. Denker im Stil von Husserl und Heidegger grundlegende Überzeugung, daß prädikatives Erkennen nur im Rückgriff auf die vorprädikative Erfahrung in seiner Möglichkeit und Struktur durchsichtig gemacht werden kann. Die in der phänomenolog. Schule oft unternommenen Versuche einer lebensweltlichen Fundierung des Erkennens und der Wissenschaft stehen mit dieser Grundüberzeugung in einem sehr engen sachlichen Zusammenhang. An einer relativ unscheinbaren Stelle seines grundlegenden Frühwerkes zur Philosophie der Logik charakterisiert Husserl das U. als einen „Akt für sich abgeschlossenen Prädizierens“, wodurch uns irgend etwas „zu sein oder nicht zu sein“ scheint, so z. B. ,S ist p‘ (Hua XIX/1, 477). In diesem Zusammenhang macht Husserl zugleich darauf aufmerksam, daß das gegenständliche Korrelat eines U.s ein Sach-

571 verhalt ist (ebd.). Die Strukturkorrelation zwischen U. als einem prädikativobjektivierenden Akt und Sachverhalt als dem gegenständlichen Korrelat eines solchen Aktes liefert von hier an einen der wichtigsten Ausgangspunkte für die spätere Reflexion Husserls über die Urteilsproblematik. Eine solche Strukturkorrelation besteht aber für Husserl erst auf der Ebene einer kategorial vermittelten, d. h. auch prädikativ artikulierten Form der Erfahrung, die als solche wiederum nur auf der Grundlage der bloß sinnlichen, kategorial nicht geformten → Wahrnehmung möglich wird. Im Hinblick auf eine solche Stufung verschiedener Formen der Erfahrung bezeichnet Husserl die Akte der sinnlichen Wahrnehmung als „Grundakte“ bzw. „fundierende Akte“, die prädikativen Akte des Verstandes dagegen als „fundierte Akte“ (vgl. Hua XIX/2, §§ 42-48). Ein Wahrnehmungsurteil wie ,dies Papier ist weiß‘ artikuliert die entsprechende Wahrnehmung auf ihren → Inhalt (d. h. das Wahrgenommene) hin (vgl. Hua XIX/2, 548). Nun ist in einem solchen U. neben seiner sinnlichen „Materie“, auf die die Ausdrücke ,Papier‘ und ,weiß‘ verweisen, auch eine kategoriale Form vorhanden, die als solche vor allem in den Ausdrücken ,dieses‘ und ,ist‘, die sich nicht auf reale → Momente am wahrgenommenen → Gegenstand beziehen, zum Ausdruck kommt. In diesem Sinne bringt das Wahrnehmungsurteil im Vergleich zu der in ihm artikulierten sinnlichen Wahrnehmung zugleich einen „Überschuß“ an Intentionen mit sich (vgl. Hua XIX/2, 660). Es handelt sich dabei gerade um diejenigen Bedeutungsmomente formal-kategorialer Natur, durch die sich das U. im Ganzen auf den → „Sachverhalt bezieht, der als sein gegenständliches Korrelat fun-

Urteil giert. Der Sachverhalt ist als solcher eine neue Form der Gegenständlichkeit, die sich zwar nur auf der Grundlage der sinnlichen Gegenstände konstituieren, die auf diese aber nicht einfach reduziert werden kann. Der Sachverhalt wird als solcher in einer neuen Form der Wahrnehmung bzw. → Anschauung gegeben, die zwar nur auf der Grundlage der sinnlichen Wahrnehmung stattfinden kann, die als solche aber nicht sinnlicher, sondern vielmehr kategorialer Natur ist. Es handelt sich um die von Husserl in diesem Zusammenhang sog. „kategoriale Wahrnehmung“ bzw. „kategoriale Anschauung“ (vgl. ebd., §§ 45 f.). Die sinnliche Materie für den Sachverhalt liefert also eine in der sinnlichen Wahrnehmung passiv vorgegebene Sachlage. (Zur Unterscheidung zwischen Sachlage und Sachverhalt siehe Hua XXVI, 29, 97-102, 167-177; sowie Husserl 6 1985, § 59). Nun liegt eine und dieselbe Sachlage jeweils vielen verschiedenen Sachverhalten zugrunde, die wiederum in verschiedenen prädikativen U.en artikuliert werden. So kann z. B. die Sachlage, die dem Verhältnis zwischen einem Ganzen A und seinem Teil a entspricht, in zwei verschiedenen Richtungen, d. h. ausgehend von A oder auch von a, prädikativ artikuliert werden, und zwar: ,A hat (bzw. ist) a‘ bzw. ,a ist in A‘ (vgl. Hua XIX/2, 681683; siehe auch Husserl 6 1985, 285 f.). Kann eine einzige Sachlage die sinnliche Grundlage liefern, in bezug auf die viele verschiedenen U.e ihre → Erfüllung finden und sich damit auch als wahr zeigen, so ist das nur deswegen möglich, weil jede Sachlage zugleich Quelle von vielen, wenn auch nicht von beliebigen Sachverhalten ist, die dann als intentionale Korrelate der entsprechenden U.e fungieren. Solche

Urteil U.e finden also ihre Erfüllung nicht direkt in der zugrundeliegenden Sachlage als solcher, sondern vielmehr in den Sachverhalten, die aus ihr als aus ihrer sinnlichen Materie durch den Eingriff der Akte der aktiv-prädikativen → Synthese entstehen. Bezogen auf die sich daran konstituierenden Gegenständlichkeiten ist der Übergang von der vorprädikativen Erfahrung, wie sie auf der Ebene der sinnlichen Wahrnehmung stattfindet, zum prädikativen Denken zugleich als der Übergang von einer Ding- und Sachlagen-Ontologie zu einer Sachverhalts-Ontologie zu betrachten (vgl. Süßbauer 1995, bes. 277 ff.). Dies erklärt auch die zentrale Bedeutung, die die Urteilsproblematik für Husserl auch aus ontolog. Sicht bekommt. Die Einsicht, daß das gegenständliche Korrelat des U.s in einer kategorial geformten Struktur wie dem Sachverhalt liegt, ist für die spätere Entwicklung der Husserlschen Auffassung, wie sie von den Vorlesungen über Bedeutungslehre bis zu Ideen I stattfindet, maßgebend geworden. Kennzeichnend für diese Entwicklung ist die Tatsache, daß in Zusammenhang mit der Erörterung der Frage nach der Struktur des gegenständlichen Korrelats des U.s auch die Problematik der Urteilsmodalitäten, d. h. der verschiedenen Weisen, in denen der Urteilsgehalt jeweils gemeint und gegeben wird, immer entschiedener in den Vordergrund rückt. Ausschlaggebend dafür ist die Hervorhebung der → Identität des Sachverhaltes als einer idealen Bedeutungseinheit nicht nur in bezug auf die potentiell unendliche Vielfalt der konkreten Verwendungsakte, in denen ein und dasselbe auf diesen Sachverhalt abzielende U. gefällt wird, sondern darüber hinaus auch in bezug auf eine Reihe

572 verschiedener Urteilstypen und verschiedener Arten von Akten des → Meinens: so kann ein und derselbe Sachverhalt der Form ,S ist p‘ nicht nur behauptet, sondern auch verneint, gefragt, bezweifelt, gewünscht usw. werden (vgl. Hua XXVI, 144-150). In diesem Zusammenhang unterscheidet Husserl im § 14 der Vorlesungen über Bedeutungslehre auch zwischen dem „aktuellen Prädizieren“ und dem „Sich-denken-ohne-zu-Glauben“, wobei der grundsätzliche Unterschied von beiden Modi des Meinens die Frage betrifft, ob der jeweils gemeinte propositionale Gehalt dabei effektiv „gesetzt“ wird oder nicht. Es handelt sich also um den grundlegenden Kontrast zwischen „Setzung“ und „Nicht-Setzung“ als fundamentale Modi des Meinens (vgl. ebd., 58 f.). Es gibt demnach zwei fundamentale Arten der „gegenständlichen Beziehung“, und zwar: die wahre, die das Moment des „Geltungsbewußtseins“ mit sich bringt, und die vermeintliche, die eben kein echtes Geltungsbewußtsein voraussetzt, sondern bestenfalls im Modus der „Geltung unter Assumtion“ stattfindet (vgl. ebd., 74 f.). Jede kategoriale Gegenständlichkeit, die ursprünglich als Korrelat eines Aktes aktuellen Prädizierens in der Gestalt eines evidenten, d. h. intuitiv erfüllten U.s fungiert, kann danach auch in assumtiver Wendung gemeint werden (vgl. ebd., 90). So kann das Kategoriale als die Gemeintheit als solche charakterisiert werden, ungeachtet dessen, ob das Meinen jeweils im Modus der setzenden oder der nicht-setzenden, bloß assumtiven Gegenstandsbeziehung geschieht (ebd., 91). In den Ideen I geht Husserl noch einen Schritt weiter in diese Richtung, indem er zusammen mit dem Begriff des → Noema, präziser: des Urteils-

573 noema, der jetzt als Bezeichnung für das gegenständliche Korrelat des U.s in Anspruch genommen wird, auch die sehr wichtige Unterscheidung zwischen „Noema“ und „noematischem Kern“ einführt (vgl. Hua III/1, bes. §§ 94, 99). Dabei ist das volle Noema dasjenige, was im konkreten Akt des U.s oder des nicht-setzenden Meinens in seinen verschiedenen Formen jeweils gemeint wird, und zwar mit all den modalen Charakterisierungen, die ihm im Zusammenhang der betreffenden spezifischen Form des Urteilens bzw. Meinens jeweils zukommen. Der noematische Kern bezeichnet dagegen den identischen propositionalen Gehalt der Form ,S ist p‘, der in all den verschiedenen darauf bezogenen Urteilsakten bzw. Formen des Meinens konstant bleibt (vgl. ebd., 219, 232 f.). Auf dieser Grundlage entwickelt Husserl dann, in den §§ 103-108 der Ideen I, eine systematische Auffassung in bezug auf die verschiedenen Modalitäten der → Setzung des noematischen → Gehalts. Er vertritt dabei eine doppelte These, und zwar: 1. besteht in Zusammenhang mit dem noetischnoematischen Parallelismus auch eine entsprechende → Korrelation von Glaubensmodalitäten, auf der Seite der noetischen Akte, und Seinsmodalitäten, auf der Seite ihrer gegenständlichen Korrelate (vgl. ebd., 239); 2. gibt es in beiden Reihen der Modalitäten eine unmodalisierte Urform, auf die alle möglichen Formen der → Modalisierung zurückverweisen, und zwar: auf der Seite der Glaubensmodalitäten die Glaubensgewißheit als → Urglaube oder → Urdoxa, auf der Seite der Seinsmodalitäten der Seinscharakter schlechthin (ebd., 240 f.). Eine letzte wichtige Entwicklung in der Husserlschen Urteilsauffassung

Urteil findet im Rahmen der genetischen Umwandlung der Phänomenologie statt. Zum thematischen Feld der genetischen Phänomenologie gehört u. a. auch das Programm einer genetischen Rekonstruktion der logischkategorialen Formen in ihrem Ursprung aus der vorprädikativen Erfahrung, wie Husserl es vor allem in Erfahrung und Urteil ausführt (vgl. Lohmar 1998, 229-273). In diesem Zusammenhang versucht Husserl, die verschiedenen Grundformen des prädikativen U.s von gewissen, auf der Ebene der Sinnlichkeit passiv konstituierten Vorstrukturierungen genetisch abzuleiten. Dabei steht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit die minimalelementare Form des prädikativen U.s ,S ist p‘, die die „Urzelle“ bzw. den „Urtypus“ für alle anderen Formen der prädikativen → Bestimmung ausmacht. Husserl rekonstruiert sie im Rückgriff auf den Prozeß der explizierenden → Betrachtung bzw. Explikation eines sinnlich wahrgenommenen Gegenstandes, ein Prozeß nämlich, in dem der Gegenstand mit Blick auf seine Eigenheiten, wie sie auf der Linie des Innenhorizontes hervortreten, sukzessiv entfaltet wird (vgl. Hussserl 6 1985, 124 ff., 250 ff.; vgl. auch Lohmar 1998, 252 ff.; sowie Vigo 2002, 89-124). Andere wichtige Formen des prädikativen U.s werden im Rückgriff auf jeweils andere Formen der Betrachtung eines Gegenstandes auf der Ebene der sinnlichen Wahrnehmung abgeleitet. So wird z. B. das Relationsurteil im Rückgriff auf das sog. beziehende Betrachten, das die Linie des Außenhorizontes verfolgt, genetisch rekonstruiert (vgl. Husserl 6 1985, §§ 33-35, 53-54). Aus der Sicht der jeweils konstituierten Gegenständlichkeiten handelt es sich in all diesen Fäl-

Urteil len um einen Übergang von der Ebene der passiv (vor-)konstituierten Sachlagen zur Ebene der daraus durch den Eingriff der Akte des prädikativen Bestimmens bzw. Denkens entspringenden Sachverhalte (ebd., § 59). Zuletzt werden die Urteilsmodalitäten sowie auch die von Husserl sog. Allgemeingegenständlichkeiten genetisch rekonstruiert (ebd., §§ 66-79, 80-98). Auch hier folgt der Rekonstruktionsversuch insofern den Grundprämissen des genetischen Programms, als die verschiedenen Modalisierungen des U.s sowie auch die abgeleiteten Formen der Urteilsquantität – wie die → Allgemeinheit – und der Urteilsqualität – wie die → Negation – jeweils im Rückgriff auf Vorstrukturierungen rekonstruiert werden, die auf der Ebene der sinnlichen → Passivität entstehen. In unmittelbarer zeitlicher und sachlicher Nähe zu Husserls Urteilsauffassung in ihrer früheren Form stehen die Konzeptionen von Reinach und Pfänder. In seiner Schrift Zur Theorie des negativen Urteils entwickelt Reinach eine sehr differenzierte Auffassung des U.s, auf deren Grundlage er auch eine Lösung der traditionell problematischen Frage nach dem Status und der Struktur des negativen U.s vorschlägt (Reinach 1989, 95-140). Dabei geht Reinach von einer Grundunterscheidung zwischen zwei Bedeutungen des Wortes ,U.‘ aus, die in der Urteilstheorie nicht immer auf gebotene Weise auseinander gehalten werden, und zwar: U. als „Überzeugung“ und U. als → „Behauptung“ (ebd., 95). Beide beziehen sich zwar auf einen Sachverhalt als ihr gegenständliches Korrelat (ebd., 114 ff.), sie müssen aber im Hinblick auf ihren kategorialen Status voneinander scharf unterschieden werden: während die Überzeugung eine

574 Art dispositioneller Zustand (Reinach: „Gefühl“) ist, der in uns „erwächst“, ist die Behauptung, die als solche nicht „erwächst“ sondern vielmehr „gefällt“ wird, als ein spontaner Akt zu betrachten (ebd., 99). Nun stehen Überzeugung und Behauptung insofern in einem Begründungszusammenhang, als jeder echten Behauptung eine entsprechende Überzeugung zugrunde liegt (ebd., 125). Die hier in Frage kommenden Fundierungsverhältnisse sind aber deswegen sehr kompliziert, weil sowohl in bezug auf Überzeugungen und Behauptungen wie auch in bezug auf die dazu korrelierenden Sachverhalte der fundamentale Unterschied zwischen ,positiv‘ und ,negativ‘ zu beachten ist. Es gibt aber einen Vorrang des Positiven in all diesen drei Bereichen: 1. bestehen negative Sachverhalte wie ,S ist nicht p‘ zwar mit der gleichen Objektivität wie die entsprechenden positiven Sachverhalte (ebd., 122), sie werden aber nicht direkt, sondern nur auf der Grundlage von positiven Sachverhalten erkannt (ebd., 122, 131); 2. gilt Entsprechendes auch für die negativen Überzeugungen, die nur auf der Grundlage der positiven Evidenz eines Sachverhaltes entstehen bzw. erwachsen können, der im Widerstreit zu dem steht, auf den sich dann die negative Überzeugung bezieht: so kann etwa die negative Überzeugung, d. h. der Unglaube, daß ein Gegenstand gelb ist, nur dann erwachsen, wenn der widerstreitende Sachverhalt, daß dieser Gegenstand z. B. rot ist, bereits als evident erkannt wird (ebd., 123 f.); 3. setzt das negative U. i. S. der verneinenden Behauptung ,S ist nicht p‘ nicht nur die negativ-indirekte Evidenz, aus der der entsprechende Unglaube entsteht, voraus, sondern dazu kommt auch der Umstand, daß die Verneinung als sol-

575 che nicht auf der gleichen Stufe wie die Behauptung steht, sondern vielmehr insofern von dieser abhängig ist, als das Behauptungsmoment in jedem negativen U. auch vorhanden ist (ebd., 131). Das Behauptungsmoment ist also für jedes U. als solches konstitutiv, insofern ein jedes U. eine setzende Funktion im Hinblick auf ihr gegenständliches Korrelat, d. h. den entsprechenden Sachverhalt besitzt, mit dem einzigen Unterscheid jedoch, daß es im Fall des negativen U.s ein negativer Sachverhalt ist, der gesetzt wird (ebd., 132 ff., 138 ff.). Auch Pfänder entwickelt in seiner Logik eine systematische Auffassung des U.s, die sich wie im Fall von Husserl und Reinach an der Strukturkorrelation von U. und Sachverhalt primär orientiert. Pfänder geht dabei vom Grundprinzip aus, daß jedem bestimmten U. ein bestimmter Sachverhalt entspricht, und zwar in dem Sinne, daß das U. den ihm entsprechenden Sachverhalt aus sich heraus entwirft, aber so, daß der Sachverhalt selbst ihm gegenüber transzendent ist (vgl. Pfänder 4 2000, 35). Das U. kommt als solches in einem entsprechenden Behauptungssatz zum Ausdruck (ebd., 34 f.), wobei unter Behauptung eine für jede Art von U. wesentliche Funtkion zu verstehen ist, d. h. ungeachtet des Qualitätsunterschiedes zwischen positivem und negativem U. (ebd., 84 ff.). Ausgehend von der Strukturkorrelation von U. und Sachverhalt liefert Pfänder eine Klassifizierung der wichtigsten Urteilsformen. Es gibt zwei Hauptgruppen von Sachverhalten und damit auch von U.en. Die erste Gruppe entspricht denjenigen Sachverhalten, die im Subjektgegenstand als solchem liegen und keine Beziehung zu anderen Gegenständen involvieren. Solche Sachver-

Urteil halte sind das gegenständliche Korrelat von nicht-relationalen U.en, also von U.en mit nicht-relationalem Prädikat. Darunter unterscheidet Pfänder drei mögliche Formen des Verhältnisses zwischen Gegenstand (Subjekt) und Bestimmung (Prädikat), und zwar: 1. das Verhalten des Subjektgegenstandes zu seinem „Was“ bzw. „Wesen“ (z. B. „das Lebewesen-sein von A“), 2. das Verhalten des Subjektgegenstandes zu seinen Bestimmtheiten jeglicher Art (z. B. „das Gelb-sein des Schwefels“) und 3. das Verhalten des Subjektgegenstandes zu seiner Seinsart (z. B. „das Ideal-sein von 2“) (ebd., 45 f.). Die zweite Hauptgruppe von Sachverhalten entspricht ihrerseits denjenigen, die über den Subjektgegenstand bis zu anderen Gegenständen hinausreichen. Solche Sachverhalte, die von Pfänder sog. Relationssachverhalte, sind das gegenständliche Korrelat von relationalen U.en, d. h. von U.en mit relationalem Prädikat. Hier sind vier Unterarten zu unterscheiden, und zwar: 4. die Vergleichungssachverhalte, die das Verhalten des Gegenstands im Vergleich zu anderen Gegenständen betreffen; 5. die Zugehörigkeitssachverhalte, die das Verhalten der Zugehörigkeit des Gegenstands zu anderen Gegenständen betreffen; 6. die Abhängigkeitssachverhalte, die sich auf das Aufsichselbstbestehen bzw. das Abhängigsein des Gegenstands gegenüber anderen Gegenständen beziehen und 7. die intentionalen Sachverhalte, die sich auf das Betroffensein des Gegenstandes durch irgendwelche Intentionen anderer Gegenstände beziehen (ebd., 46). Solche Arten von Sachverhalten können in bezug auf jeden beliebigen Gegenstand bestehen (ebd.). Die entsprechenden Urteilsformen sind: 1. Bestimmungsurteile, 2. Attributionsur-

Urteil teile, 3. Seinsurteile, 4. Vergleichungsurteile, 5. Zugehörigkeitsurteile, 6. Abhängigkeitsurteile und 7. Intentionalurteile (ebd., 46-49). Eine ganz andere Behandlung erfährt die Urteilsproblematik bei Heidegger. Mit den Problemen der U.s- und der Kategorienlehre sowie auch mit der → Frage nach dem Ursprung und der Struktur der → Aussage hat sich Heidegger in der früheren Phase seines Denkens, angefangen von der Dissertation über Die Lehre vom Urteil im Psychologismus. Ein kritisch-positiver Beitrag zur Logik (HeiGA 1, 59-188) und der Habilitationsschrift über Die Kategorien- und Bedeutungslehre des Duns Scotus (ebd., 189-412) bis zu Sein und Zeit und den Vorlesungen von Anfang der dreißiger Jahre, intensiv befaßt. Dabei ist jedoch eine graduelle Verschiebung und Vertiefung der leitenden Fragestellung klar zu beobachten. In den frühen akademischen Zweckschriften versucht Heidegger im Anschluß an die Geltungslogik – wie sie von Lotze ursprünglich konzipiert und dann von Lask in eine mit der Husserlschen Phänomenologie tendenziell konvergierende Richtung weiterentwickelt wurde – den → Psychologismus im Bereich der Philosophie der Logik zu bekämpfen, und zwar durch die Hervorhebung der ontolog. Unreduzierbarkeit des geltenden Sinnes, der das gegenständliche Korrelat des U.s ausmacht, den psych. Urteilsakten gegenüber (vgl. z. B. ebd., 171177, 271, 276-289). Hier ist vor allem Lasks hochkreative Umdeutung der Lotzeschen Auffassung maßgebend gewesen, weil sie durch die Betonung der strukturellen Bezogenheit von geltendem Sinn auf sinnlich gegebenes Material jede schlechte Verselbständigung und Verdinglichung des „Rei-

576 ches des Logischen“ ausschließt. Eine Verselbständigungs- und Verdinglichungstendenz ist – so Heideggers spätere Diagnose – bereits für Lotze selbst charakteristisch, wird aber erst durch die Rezeption seiner Auffassung in der neukantianischen Schule, vor allem bei Windelband und Rickert, bis auf die Spitze getrieben, eine Entwicklung, die sich sogar auf die Phänomenologie Husserls, auf dem Weg von den Logischen Untersuchungen bis zu Ideen I, negativ auswirkt. (Zur Kritik der Auffassungen von Lotze, Windelband und Rickert siehe bes. HeiGA 21, § 9; zum negativen Einfluß der Auffassung der Geltungslogik von Lotze und Anhängern auf Husserl siehe §§ 7 f. und 10. vgl. auch die Diskussion bei Vigo 2004a) Dies führt die ursprünglich anti-psychologistisch, d. h. zugleich anti-naturalistisch gemeinte Geltungslogik letzten Endes zu einer neuen, sogar schlimmeren Form des Naturalismus, und zwar zu einer Art Naturalismus des Übersinnlichen, der das Logische ohne weiteres als das Unveränderliche und immer Seiende ansetzt und somit in die (angeblich) platonische, aus ontolog. Sicht dogmatisch-unkritische Scheidung der Sphären des Realen und Idealen zurückfällt, ohne nach dem eigentlichen Sein des so hypostasierten Bereiches des Idealen ausdrücklich zu fragen (vgl. HeiGA 21, 91 f.). Auf der Grundlage dieser Diagnose konzentriert sich Heidegger darauf, die so konzipierte Geltungslogik auf ihre impliziten ontolog. Voraussetzungen kritisch zu befragen. Der dadurch vollzogene Wechsel der Perspektive hat Crowell als eine Art Umkehrungsbewegung charakterisiert: fragte der junge Heidegger aus der Zeiten der Dissertation und der Habilitationsschrift nach dem Sein von

577 → Sinn, dann fragt der Heidegger der zwanziger Jahre, der sich bereits auf dem Weg zu Sein und Zeit befindet, vielmehr nach dem Sinn von → Sein (Crowell 2001, 93-111), denn es ist im Grunde die Unklarheit in bezug auf die Seinsfrage, die zu verkehrten, hypostasierenden Auffassungen auch im Bereich der Philosophie der Logik führt. Statt bei der schon fertigen Scheidung von Realem und Idealem, Seiendem und Geltendem, Sinnlichem und Unsinnlichem, Geschichtlichem und Übergeschichtlichem unkritischdogmatisch anzusetzen, muß man vielmehr von der ursprünglichen Einigkeit dieser und anderer Seinsweisen in demjenigen Seienden ausgehen, aus dem her sie als ihm zugehörige → Möglichkeiten verständlich werden (vgl. HeiGA 21, 92), d. h. man muß vom menschlichen → Dasein als solchem ausgehen, wenn es darum geht, Phänomene wie U., Aussage, Sinn und → Wahrheit ontolog. durchsichtig zu machen. Dies ist einfach deswegen so, weil solche Phänomene in ihrem Ursprung und ihrer Möglichkeit auf die Seinsweise des Daseins zurückverweisen. Hier zeichnet sich das Programm einer Rückführung des Logischen auf die → Existenz schon klar ab, wie Heidegger es dann in Sein und Zeit in manchen von seinen wichtigsten Fragmenten durchführt. Dazu gehört vor allem der Versuch, die prädikative Aussage und die Aussagewahrheit bis auf ihren Ursprung auf der Ebene der vorprädikativen Erfahrung zu verfolgen (vgl. HeiGA 2, §§ 33, 44). Heidegger vertritt hier die These, daß Aussage und Aussagewahrheit in ihrer Struktur nur dann ontolog. durchsichtig werden, wenn sie als abgeleitete Phänomene betrachtet und auf ihren vorprädikativen Ursprung zurückgeführt werden. Was die

Urteil prädikative Aussage insbesonders angeht, so ist sie als ein abkünftiger Modus der vorprädikativen → Auslegung zu betrachten, die als solche wiederum eine ausdrückliche Entfaltung dessen ausmacht, was im existenzialen → Verstehen im Modus eines unthematischen Möglichkeitsentwurfs ursprünglich erschlossen wird: die konstitutive Struktur der Aussage, das von Heidegger sog. apophantische „Als“, verweist in ihrem Ursprung auf die vorprädikative Artikulation der Auslegung, das sog. hermeneut. „Als“, welches wiederum nichts anderes ist als die ausdrückliche Entfaltung der für das Verstehen konstitutiven projizierend-artikulierenden Struktur des „Zu“ (vgl. ebd., § 33; HeiGA 21, § 12). So kann etwa die Aussage ,der Hammer ist zu schwer‘ – als echte Aussage im Rahmen des praktisch-operativen Umgangs mit den → „Dingen“ der → Welt, d. h. mit Zuhandenem, und nicht als Beispiel für eine prädikative Aussage bzw. ein U. in einem Logik-Buch betrachtet – nur auf der Grundlage der vorprädikativen auslegenden Entfaltung des entsprechenden Grundphänomens des Hammers als zu schwer – wie es im Umgang mit dem Hammer, der wiederum nur auf der Grundlage eines bestimmten Entwurfs von Möglichkeiten des mit ihm umgehenden Daseins möglich wird – ursprünglich entdeckt werden. Entbunden von ihrem ursprünglichen motivationalen und pragmatischen Kontext, wie sie die Logik gerne betrachtet, wird aber die schon fertige Aussage sofort zu einer Art freischwebenden idealen Gebildes, dessen Ursprung und Struktur völlig undurchsichtig wird. Es ist gerade die Orientierung an der ausgesprochenen, als bereits fertig vorliegenden und im Weitersagen tendenziell zu etwas bloß vorhandenem ni-

Urteil vellierten Aussage als Grundform des logos, die die traditionelle Urteilslehre letzten Endes zu verkehrten Auffassungen im Stil der Geltungslogik verleitet hat, bei denen der Satzsinn als ein freischwebendes ideales Gebilde aufgefaßt und damit zugleich in Zusammenhang mit der Erörterung der Satzwahrheit auf das Niveau eines im Weiterund Nachsagen „herumgereichten geltenden Sinnes“ degradiert wird, der schon vor dem Aussagen geltend und vorhanden sein soll und dann im konkreten Vollzug der Aussage „bejaht“ wird (vgl. HeiGA 2, § 33). Mit der Rückführung des Logischen allgemein und der Aussage insbesondere auf ihren Ursprung in der fundamental-ontolog. verstandenen Existenz versucht Heidegger einen Mittelweg zu finden zwischen dem naturalistischen Reduktionismus der psychologistischen Auffassungen einerseits und dem formalistischen Logizismus von Auffassungen auf der Linie der Geltungslogik andererseits. In unmittelbarer sachlicher Nähe zu diesem Versuch steht auch die Auffassung der Rede und des Satzes, die Lipps im Rahmen seiner hermeneut. Logik entwickelt. Wie Heidegger betont auch Lipps die Tatsache, daß → Sprache und Rede in den breiteren Zusammenhang der Existenz in ihren verschiedenen Vollzugsformen eingebunden sind. So entwirft Lipps eine hermeneut. Logik, in der neben der syntaktischen und semantischen auch und vor allem die pragmatische Dimension der Sprache wesentlich ist, um den Punkt anhand von einer heute sehr verbreiteten, Lipps jedoch fremden Terminologie zu formulieren. Dabei werden die Strukturen der Sprache und der Rede stets im Rückgang auf ihre Verwendung durch individuelle Sprecher in

578 typischen Sprechsituationen erörtert. (Zu Lipps Auffassung einer hermeneut. Logik vgl. Hübner 2001, 118137.) In diesem Sinne kritisiert Lipps, wie früher auch Heidegger, die methodische Orientierung der traditionellen Logik an einfachen, abstrakt genommenen Beispielen für elementare Aussagen, eine Orientierung nämlich, die sehr schnell dazu führt, daß die wesentliche Eingebundenheit der Rede in eine konkrete Sprechsituation nahezu vollständig übersehen wird (vgl. Lipps WW II, 20-30). In der lebendigen Rede kommt aber eine solche Eingebundenheit dadurch zum Ausdruck, daß jede sprachliche Äußerung prinzipiell in Abstimmung mit der jeweils zugrundeliegenden Sprechsituation erfolgen muß. Es handelt sich bei dieser Grundstruktur der Rede, durch die der innere Zusammenhang von Bedeutung und pragmatisch-dialogischem Kontext ursprünglich zum Ausdruck kommt, um die von Lipps sog. „Verhältnismäßigkeit der Rede“ (vgl. ebd., 30-48). Auf dieser Grundlage kritisiert auch Lipps die traditionale Auffassung des logos apophantikos, d. h. der prädikativen Aussage, weil sie ihrer echten Funktion in der alltäglichen Rede nicht gerecht wird (vgl. ebd. §§ 20-22). Die traditionelle Auffassung – die zwar auf Aristoteles zurückgeht, seine Grundintuitionen im Sinne einer logizistischen Umdeutung aber mißversteht – interpretiert die Aussage als eine Relation von Subjekt und Prädikat. Dabei wird aber eine solche Relation i. S. einer Dingbestimmung verstanden. In der alltäglichen Rede geht es aber nicht primär um Dingbestimmung, sondern um Lebensbewältigung. Die übliche Charakterisierung der Relation von Subjekt und Prädikat bringt die Verfälschung der Phänomene, die die Erörte-

579 rung der Aussage anhand vom Modell der Dingbestimmung mit sich bringt, deutlich zum Ausdruck. So wird etwa eine Aussage wie „ein Radfahrer bog um die Ecke“ normalerweise als eine Aussage über den Radfahrer, also über das logisch-grammatikalische „Subjekt“ verstanden, während eine solche Aussage in der alltäglichen Rede fast immer so geschieht, daß das „Worüber“ der Aussage ein völlig anderes ist, nämlich eines, das in der konkreten Lebenssituation, in der die Aussage gefällt wird, unmittelbar eingebunden und nur in ihr als ein solches zu erfassen ist (vgl. ebd., 126 f., sowie Hübner 2001, 136 f.). In diesem Zusammenhang ist auch Lipps’ Versuch zu erwähnen, durch eine Kri-

Urteil tik an der in der logischen Betrachtungsweise herrschenden Auffassung die ursprüngliche Bedeutung des U.s zurückzugewinnen, welche auf einen nicht prädikativ-thematisierenden, in den praktisch-operativen Umgang mit den Dingen eingebundenen Akt der Zuerkennung von Eigenschaften zu etwas verweist (vgl. Lipps WW IV, 925). Qu.: Husserl 1939 (6 1985). – Hua III/1. – Hua XVII. – Hua XIX/1. – Hua XIX/2. – Hua XXVI. – Reinach 1989. – Pfänder 1921 (4 2000). – HeiGA 1. – HeiGA 2. – HeiGA 21. – Lipps WW II. – Lipps WW IV, 9-25. – Lit.: Crowell 2001. – Süßbauer 1995. – Vigo 2002. – Vigo 2004a. AV

V Variation. Nach Husserl läßt sich die Existenz abstrakter Gegenstände nur dann begründet behaupten, wenn man „den Zweifel behebt, wie solche Gegenstände vorstellig werden können“ (Hua IX, § 9). Gegen den Nominalismus will er den Nachweis führen, daß auch „allgemeine Gegenstände“ (Spezies) einer intuitiven Erkenntnis zugänglich sind. In den Logischen Untersuchungen entwickelt Husserl die Lehre von der „ideierenden Abstraktion“. Durch sie läßt sich die Spezies Rot „direkt [...] auf Grund einer singulären Anschauung von etwas Rotem“ (ebd., § 9) gewinnen. Mit dieser Orientierung an individuellen → Momenten bricht die eidetische V. in doppelter Hinsicht: ihre Grundlage sind nicht mehr einzelne, sondern mehrere sinnliche → Anschauungen, die miteinander verglichen werden; gleichzeitig verliert die konkrete → Erfahrung an Gewicht. Durch die eidetische V. (→ Eidetik) findet eine „Loslösung vom Faktischen“ statt, da nicht das jeweils Gegebene, sondern das frei Imaginierbare zum Maßstab wird. Der Prozeß der V. wird von Husserl folgendermaßen beschrieben: „Ausgehend vom Exempel dieser Tischwahrnehmung variieren wir den Wahrnehmungsgegenstand Tisch in einem völlig freien Belieben, [...] etwa anfangend damit, daß wir seine Gestalt, die Farbe usw. ganz willkürlich umfingieren [...]. Wir versetzen gleichsam die wirkliche Wahrnehmung in das Reich der Unwirklichkeiten, des Als-ob, das uns die reinen Möglichkeiten liefert, rein von allem, was an das Faktum und jedes Faktum überhaupt bindet.“ (Hua I, 104) Der

Tisch, der uns vor Augen steht, wird zu einem bloßen „Vorbild“ für die möglichen „Nachbilder“ unserer Phantasie. Dabei zeigt sich, daß das Erzeugen von Varianten nicht völlig schrankenlos verläuft. Ein gemeinsamer Nenner muß das Experiment der Imagination durchziehen, damit überhaupt sinnvoll von einem ,Tisch‘ gesprochen werden kann. Indem die V. alles offen läßt, was dem → Wesen eines Tisches nach beliebig sein kann, tritt der „Umfang des Eidos“ hervor. Wir gewinnen ein „intuitives Apriori“, das für alle möglichen Einzelheiten bestimmt, was einem „Gegenstand dieser Art“ notwendig zukommen muß. Qu.: Hua I, § 34. – Hua IX, § 9. – Hua XIX/1. – Husserl 1939 (6 1985), §§ 86-91. – Lit.: Tugendhat 1967, 137-163. TE

Verantwortung meint einerseits die Verknüpfung einer Handlung mit einer Person in einem sozialen Gefüge und andererseits die ethische Ausrichtung eines Ich auf den anderen Menschen jenseits der Willensfreiheit. Scheler setzt die „Verantwortlichkeit“ einer → Person von der „Zurechnungsfähigkeit“ einer → Handlung zu einer Person ab. Während diese die Schwierigkeit bezeichnet, die Handlung eines Menschen dessen Person zuzuschreiben, steht jene mit dem Sein der Person in einem Wesenszusammenhang und ist deshalb im strengen Sinn nicht aufhebbar. Jede Person erlebt sich als für ihre Handlungen, Gesinnungen, Absichten, Wünsche u. a. nicht erst durch nachträgliche Verknüpfung der vollzogenen → Akte mit dem eigenen Selbst verantwortlich, sondern schon „in der

581 Reflexion auf ihre Selbsttäterschaft im Vollzug ihrer Akte“ (ScheGW 2, 478 f.). Über „Selbstverantwortlichkeit“ hinaus ist jeder Mensch für die Akte aller anderen ursprünglich mitverantwortlich. Mitverantwortlichkeit liegt „im Wesen einer sittlichen Persongemeinschaft überhaupt“ begründet, besteht also unabhängig von einer etwaigen Anerkennung der jeweiligen Gemeinschaft aus Selbstverantwortlichkeit (ebd., 489). Ist ein „Held“, für den die wesensmäßige Verknüpfung von „maximaler V.“ mit dem Willen zur Macht charakteristisch ist, ein „Staatsmann“, so hat er seine Macht „um der Macht des Staates willen“ und „in tiefster V.“ für diesen zu suchen (ScheGW 10, 314 u. 341). Levinas geht nicht von einem selbstreflexiven Ich aus, das für die Handlungen, die es aus Freiheit setzt, verantwortlich ist, sondern von einer V., die dieser Freiheit sachlich vorhergeht. Die → Freiheit des Ich ist durch das → Antlitz des anderen Menschen eingesetzt, und zwar so, daß das Ich immer schon für diesen Menschen unbegrenzte V. zu tragen hat. Diese V., die „älter“ ist als die Freiheit (Levinas 1992, 40 u. 171), meint, daß das Ich nicht bloß für sein Handeln aus Freiheit verantwortlich ist, sondern vielmehr schon davor in die V. für den → Anderen oder die Andere eingesetzt ist. Damit bekommt V. einen anarchischen Zug, insofern sie das selbstbewußte Ich unterläuft und so das Subjekt seines sicheren und von ihm selbst bestimmten Ausgangspunktes für sein Handeln beraubt. Die V. „vor der Freiheit“ (Levinas 1983, 324 ff.) beansprucht das Ich grenzenlos (Levinas 1970). Die → Asymmetrie zwischen Anderem bzw. Anderer und Ich in der V. wird „korrigiert“, wenn eine dritte Person hinzu-

Verantwortung kommt (→ Dritter). Für diese hat das Ich ebenso unendliche V. Hier wird latent Bewußtsein „geboren“, das zwei unendliche Verantwortlichkeiten ordnet und damit begrenzt (Levinas 1992, 342 ff.). Nach Patoˇcka kann der Mensch sein Leben nicht in „Selbstverständlichkeit“ vollziehen, vielmehr muß er es „leisten“ und „tragen“. Er steht dabei aber nicht vor zwei gleichberechtigten Möglichkeiten, sondern ist durch V. eingenommen. Es besteht eine „NonÄquivalenz“ zugunsten der V. Das heißt, daß über den Menschen schon zugunsten der V. entschieden ist, noch bevor er sich selbst entscheiden kann. Von der V. entlasten kann einerseits die Flucht vor ihr. Diese aber ist ein Ausweichen in das unechte Leben. Andererseits ist der Mensch in der Begegnung mit dem Dämonischen, Orgiastischen und Sakralen von V. entlastet. Im Gegensatz zur Flucht, die man überwinden kann, ist das HingerissenSein vom Dämonischen in das verantwortliche Leben „einzuverleiben“. Wird sakrale Erfahrung durch V. reguliert, wandelt sie sich zu religiöser (Patoˇcka 1988, 124). Nach Ricœur macht den Menschen verantwortlich, „daß er sich Verboten gegenüber findet“ (Ricœur 1971, 119). Denn das Verantwortungsbewußtsein ist für Ricœur früher als das Bewußtsein, daß man der Urheber oder die Urheberin einer Handlung ist. Verantwortlichkeit gehört zusammen mit Strafbarkeit der „ethisch-juridischen Reflexion“ über Schuldhaftigkeit im Gegensatz zur „ethisch-religiösen Reflexion“ über das skrupulöse Gewissen und zur „psycho-theologischen Reflexion“ über die Hölle des verurteilten Gewissens an (ebd., 117). Ricœur verbindet V. mit Zeitlichkeit und unter-

Verbergung scheidet so drei Richtungen der Entfaltung der V. Zum ersten bedeutet V. im Zusammenhang mit Zukunft, daß jemand die Folgen für seine Handlungen auf sich nimmt, d. h. er übernimmt auch → Schuld ohne Absicht. Zum zweiten meint V. in der Richtung der Vergangenheit, daß jemand die eigene Schuldigkeit demjenigen gegenüber anerkennt, das ihn zu dem gemacht hat, was er ist. Und zum dritten heißt V. in der Gegenwart, daß man für sich moralische Identität durch die Zeit akzeptiert. Ricœur vertritt im Gegensatz zu Levinas nicht die alleinige Vorladung zur V. durch den anderen Menschen, sondern denkt diese mit der „Empfänglichkeit“ des Selbst für die V. in einer „überkreuzten Dialektik“ im Selbst zusammen (Ricœur 1996, 356 f. u. 409). Qu.: ScheGW 2. – ScheGW 10. – Levinas 1968, 487-508 (1983, 295-330). – Levinas 1970. – Levinas 1974 (1992). – Patoˇcka 1988. – Ricœur 1960b (1971). – Ricœur 1990 (1996). – Lit.: Henrix 1984. – Janicaud 1997. – Waldenfels/Därmann 1998. RE

Verbergung. → Verborgenheit Verborgenheit. Bei Heidegger sind Phänomen, Erscheinen und V. so miteinander verknüpft, daß es kein Erscheinen gibt ohne V. V. ist primär i. d. S., als jedes Erscheinen nur erfaßt werden kann als Ent-bergung: das Unverborgene (Seiende) wird der V. entrissen (vgl. → Wahrheit, → a-letheia als → Un-verborgenheit). Die Metaphysikgeschichte denkt die V. nicht mit als das ursprüngliche → Wesen der Wahrheit des → Seins (Seinsvergessenheit); die Unverborgenheit nicht als solche erfahren, verbirgt sich selbst in zwiefacher V.: „Die Wahrheit west als sie selbst, sofern das verbergen-

582 de Verweigern als Versagen erst aller Lichtung die ständige Herkunft, als Verstellen jedoch aller Lichtung die unnachläßliche Schärfe der Beirrung zumißt“ (HeiGA 5, 41 f.). Doch das Sichverbergen des Wesens des Seins bleibt zugleich gerade die Weise, wie Sein sich im Seienden dem Menschen seinsgeschichtlich je zuschickt (Epoche). Die → Metaphysik denkt damit nur das Sein des Seienden, nicht das Sein selbst: „das Sein selbst bleibt aus, als welches Ausbleiben das Sein selbst west. Insofern in der Unverborgenheit ihr eigenes ,Un-‘ hinsichtlich ihrer selbst wegbleibt und es bei der V. des Seins bleibt, zeigt das Ausbleiben den Zug der V.“ (Seinsverlassenheit, Nihilismus; HeiGA 6.2, 319). Patoˇcka macht den Gedanken der V. des Seins für seine Philosophie der Geschichte fruchtbar, ohne jedoch Heideggers seinsgeschichtliche Konzeption zu teilen, da ihm bei Heidegger das Problem der natürlichen Welt (→ Lebenswelt) nicht gelöst erscheint. Qu.: HeiGA 2, §§ 7 C u. 44 b. – HeiGA 5, 40 ff. – HeiGA 6.2, 301-361. – HeiGA 9, 193-196, 223 f. – HeiGA 10, 80 ff., 90 ff., 101 ff., 125 ff., 164 ff. – HeiGA 7, 265-288. – Patoˇcka 1988. LMV

Verdinglichung. Das gelegentlich bei Heidegger auftauchende Wort V. stellt zwar keinen feststehenden Begriff im Sinne eines terminus technicus dar, bezeichnet der Sache nach aber eine Grundeinsicht des Heideggerschen Denkens: den allgemeinen Zug der → Metaphysik, alles vom Seienden her zu verstehen, d. h. ihre Tendenz zur Vergegenständlichung, sprich Ontifizierung, nicht nur des → Seins (Seinsvergessenheit), sondern auch des Menschen: „Jede Idee von ,Subjekt‘ macht noch – falls sie nicht durch ei-

583

Vergangenheit

ne vorgängige ontologische Grundbestimmung geläutert ist – den Ansatz des subjektum (hypokeimenon) ontolog. mit, so lebhaft man sich auch ontisch gegen die ,Seelensubstanz‘ oder die ,Verdinglichung des Bewußtseins‘ zur Wehr setzen mag. Dinglichkeit selbst bedarf erst einer Ausweisung ihrer ontolog. Herkunft, damit gefragt werden kann, was positiv denn nun unter dem nichtverdinglichten Sein des Subjektes, der Seele, des Bewußtseins, des Geistes, der Person zu verstehen sei.“ (HeiGA 2, 62) Qu.: HeiGA 2.

MW

Verfallen. Heidegger unterscheidet zwischen eigentlicher und uneigentlicher → Existenz (→ Eigentlichkeit). Jene ist nur eine Modifikation von dieser, die in Gestalt der Alltäglichkeit den „Naturzustand des Daseins“ (HeiGA 15, 362) repräsentiert. Dieses neigt dazu, sich von der → Welt her (d. h. primär geleitet durch die Tendenz auf Bedürfnisbefriedigung) zu verstehen; dieses Moment des Abfalls von seinem eigenen → Selbst an die Welt nennt Heidegger V. → Dasein ist nicht daran orientiert, was es eigentlich sein könnte, sondern daran, was es betreibt. In den frühen Vorlesungen behandelt Heidegger das V. unter dem Titel „Ruinanz“ (von lat. ruina „Sturz“). Das V. an die Welt bedeutet für das → Mitsein der Menschen das Aufgehen im → Man. An Heideggers Begriff des V.s knüpft Patoˇcka an, der dafür meist „Verfall“ sagt. Er versteht darunter den Abfall des eigenen Lebens von seinem innersten Kern bzw. den Verfall einer Gesellschaft an etwas dem Menschlichen Widersprechendes.

Qu.: HeiGA 2, § 38, § 68 c. – HeiGA 61, 131-155. – Patoˇcka 1988, 121 ff. HV

Verfügbarkeit. Für Heidegger ist die neuzeitliche → Metaphysik wesentlich durch das Selbstverständnis des Menschen als → Subjekt (sub-iectum als das allem Zugrundeliegende) und der damit einhergehenden Bemächtigung des Seienden gekennzeichnet, da die Objekte allein anhand ihrer prinzipiellen V. und in ihrem → Wert für das Subjekt bemessen werden. Ausschlaggebend für diesen beherrschenden Zugriff ist der Siegeszug der mathematisch-berechnenden → Methode, die als unverrückbares Maß die V. der Objekte garantiert und so im heutigen Zeitalter der → Technik (→ Ge-stell) den Umgang mit dem Seienden bestimmt. Qu.: HeiGA 5, 75-113, 209-268. – HeiGA 6.1. – HeiGA 6.2. – HeiGA 7, 5-37. MF

Vergangenheit. Heidegger begreift in Sein und Zeit den → Menschen als jenes → Da-sein, das als geworfene → Existenz sich zeitigend auf → Zukunft hin entwirft: Die → Geworfenheit der Existenz zu übernehmen bedeutet, das Dasein in dem, wie es je schon war, eigentlich zu sein. Ist nur ein solches Seiendes vergangen, das nicht mehr vorhanden ist, so ist der Mensch qua Dasein deshalb nie vergangen, wohl aber immer schon gewesen. Begreift Heidegger eigentliche Existenz als vorlaufende Entschlossenheit, so kann das Dasein zukünftig auf sich zurückkommen, nur weil es gewesen, nicht aber vergangen ist. V. ist somit ein Terminus der → Vorhandenheit, → Gewesenheit hingegen gehört zur ekstatischen Einheit der Zeitlichkeit des Daseins. Unter dem Gesichtspunkt, daß die →

Vergegenwärtigung Zeit keine Linie, kein bloßes Nacheinander von Jetztpunkten, sondern ein Geflecht von Intentionen ist, versteht Merleau-Ponty V. als ein Moment dieser Bewegung, in der die → Gegenwart „wesensmäßig nicht in sich selbst eingeschlossen ist, sondern auf eine Zukunft und eine V. hin sich selber transzendiert.“ (Merleau-Ponty 1966, 478). Qu.: HeiGA 2, § 65 u. § 73. – MerleauPonty 1945 (1966). JV

Vergegenwärtigung. Ausgehend vom Problem des Zeitbewußtseins, das im „Kontext einer Phänomenologie der V.en“ (Rinofner-Kreidl 2000, 255 f.) abgehandelt wird, bezeichnet Husserl die genetischen, durch die ursprünglich zeitkonstituierenden → Intentionalitäten der → Retention und → Protention fundierten höherstufigen Bewußtseinsleistungen der Wiedererinnerung, der → Antizipation bzw. Vorerinnerung, der → Phantasie und der Fremderfahrung als V.en. Diese stellen gegenüber der → Wahrnehmung als Grundform des anschaulich-gegenwärtigenden → Bewußtseins zwar ein „originäres“, aber kein, eine „leibhaftige“ bzw. „selbst gegenwärtige“ → Gegebenheit stiftendes Bewußtsein (vgl. Hua X, 40 ff., Bernet u. a. 1989, 133; RinofnerKreidl 2000, 278) der intentionalen Gegenständlichkeit dar. V.en sind demnach rein formal dadurch bestimmt, daß in ihnen keine unmittelbare → Erfüllung der Intention gegeben ist, Erfüllung aber prinzipiell herstellbar ist, wobei Husserl die Bedingungen hierfür in der → Passivität verankert findet (vgl. Hua XI, §§ 16 ff.). Im Zuge der Aufklärung der „reproduktiven Modifikation“ (vgl. Hua XXIII, 265 f.) und des darin veran-

584 kerten „Wesensunterschiedes des intentionalen Sinnes“ (Fink 1966, 23) von Gegenwärtigung und V. erarbeitet Husserl im weiteren eine umfassendere Differenzierung der schon früh gegenüber dem Bedeutungsbewußtsein ausgezeichneten und auch methodisch überaus relevanten anschaulichen V.en (vgl. z. B. Hua III/1, 147 f.): Analysiert werden in diesem Zusammenhang besonders der Aspekt der → Setzung bzw. Neutralisierung, das aus Wahrnehmung und V. zusammengesetzte Bildbewußtsein (vgl. v. a. Hua XXIII; dazu Bernet u. a. 1989, 134 ff.), aber auch die Eigenart der Fremderfahrung. Dadurch wird insgesamt die „eigentümliche Mittelbarkeit“ (Hua VIII, 116; vgl. Hua I, 139; Hua VI, 248; Hua XV, 77) jener „andersartigen Intentionalität“ (Hua X, 52) der V. thematisch, die im übergreifenden Begriff der V. und seiner möglichen Iterierbarkeit (vgl. z. B. Hua III/1, 235 ff.) ihre äußerst komplexe intentionale Struktur nur allzuleicht verdeckt. Qu.: Hua I. – Hua III/1. – Hua VI. – Hua VIII. – Hua X. – Hua XV. – Hua XXIII. – Fink 1966. – Lit.: Bernet/Kern/Marbach 1989. – Rinofner-Kreidl 2000. MST

Vergessenheit, Seinsvergessenheit. Die V. gehört für Heidegger in Sein und Zeit zur uneigentlichen → Gewesenheit als einer der → Ekstasen der Zeitlichkeit. Ihr Gegenstück als das eigentliche Gewesen-sein ist die Wiederholung. Die Macht der V. zeigt sich am eindringlichsten in den alltäglichen → Stimmungen des nächsten Besorgens, im „Dahinleben“, das sich seiner → Geworfenheit überläßt (HeiGA 2, 457). Das → Dasein vergißt dabei, daß es ihm sogar im Modus der Uneigentlichkeit um sein Sein geht. Das Vergessen des eigenen Seins ist Grund dafür,

585 das im Besorgen begegnende umweltliche Seiende zu behalten (Erinnerung als abgeleiteter Modus des Vergessens) oder nicht zu behalten („V.“ in engerem Sinn). Die ursprüngliche V. erweist sich später auch als Grund für die S., dem Grundzug der abendländischen Geschichte. In ihr wird in Orientierung am alltäglichen herstellenden Verhalten die Endlichkeit des Daseins niedergehalten (HeiGA 3, 234; HeiGA 24, 162). Aus seinsgeschichtlicher Sicht liegt darin eine Abkehr des Daseins von der Möglichkeit, in → Inständigkeit das → Ereignis zu übernehmen: „Es ist ,weg‘aus dem Beständnis des Da und ganz nur beim Seienden als dem Vorhandenen (S.).“ (HeiGA 65, 323) Diese eigens zu erfahren setzt voraus, das heutige Geschick in der → Angst auszuhalten (HeiGA 9, 371). In dieser Erfahrung liegt die Möglichkeit einer → Kehre. Denn das → Gestell als der Grundzug des Seins in der Epoche des vollendeten Nihilismus ist zwar die äußerste V., doch liegt darin auch ein Wink in das Ereignis (HeiGA 5, 373a; HeiGA 79, 71). Qu.: HeiGA 2, §§ 68-71. HeiGA 65, Nr. 201-202. HeiGA 79 (Die Kehre). Qu.: Motzkin 1996. HV

Verhalten, Sich-Verhalten. Der Begriff des V.s begegnet im 20. Jh. zunächst nicht innerhalb der Philosophie, sondern im Ausgang von der Alltagssprache in der Biologie, der vergleichenden Psychologie und der Tierpsychologie sowie in der (daher auch so genannten) behavioristischen Psychologie (Graumann/Kühn/Jantschek 2001, 689). Der frühe Heidegger gebraucht dagegen den Begriff des V.s, um die Eigenart des Philosophierens zu umschrei-

Verhalten, Sich-Verhalten ben. Daher ist dieser Begriff von der Art der formalen → Anzeige. Eigentliches V. beruht darin, daß es „ursprünglich und nur V. ist“. V. bzw. S.-V. werden allgemein und primär als ein „in Beziehung stehen zu [...]“ charakterisiert (vgl. HeiGA 61, 52). Das V. ist nur im Hinblick auf den Bezug faßbar (Bezugssinn), im besonderen hinsichtlich dessen, wie sich der Bezug in einer bestimmten Situation zeitigt (Zeitigungssinn). Das, worauf und wozu der Bezug sich richtet, ist der Gehalt (Gehaltssinn eines Gegenstandes). Philosophieren ist diesen Bestimmungen zufolge erkennendes oder (besser noch) „erhellendes“ V. (ebd., 53). Während die Art, wie der Mensch ist, in seinem V. und S.-V. ihren Niederschlag findet, liegt die Seinsart des → Tieres im Benehmen (nicht in einem → Handeln, sondern in der „Getriebenheit durch das Triebhafte“; HeiGA 29/30, 346). V. ist eine Beziehung vom Charakter des Sein-lassens (und damit auch des Nicht-sein-lassens; ebd., 397). Seine Möglichkeit liegt in der Verhaltenheit, einer Grundstimmung, die den Grund des → Daseins bestimmt und daher erst die → Sorge begründet: „Die Verhaltenheit ist der Grund der Sorge.“ (HeiGA 65, 35). Schütz versteht unter V. alle sinnvollen Erlebnisse, die unserem spontanen Leben entspringen („durch spontane Aktivität sinngebendes Bewußtseinserlebnis“; Schütz 1981, 73); er gebraucht dafür engl. conduct, um sich vom Behaviorismus (V. als behavior) zu unterscheiden. V. kann verdeckt sein (engl. covert: bloßes Denken) oder offenkundig (engl. overt: bloßes Tun; es umfaßt die verschiedensten Aktivitäten des inneren und äußeren Lebens. V., das auf einem vorgefaßten Entwurf beruht, ist Handeln; auch dieses kann verdeckt

Vernunft oder offenkundig sein. Ersteres ist daraufhin zu befragen, ob zum Gedanken die Absicht, ihn zu verwirklichen, eigens hinzutritt. Das S.-V. ist „präphänomenal“, d. h. es kann erst erfaßt werden, wenn es vergangen ist. Ein phänomenales Erlebnis kann nur das S.-V.haben sein. Doch ist auch vergangenes V. mein V., und so bleibt es auch in intentionaler Modifikation als originäres Erlebnis bestehen. In Auseinandersetzung mit einer Reihe von Einzelwissenschaften (namentlich mit der Gestaltpsychologie) analysiert Merleau-Ponty in seinem gleichnamigen Frühwerk die Struktur des Verhaltens (La Structure du comportement). Das V. gehört zur menschlichen Ordnung und hat seinen Platz im gelebten → Bewußtsein. In diesem sind die vitalen Verhaltensweisen (die als solche in der Biologie untersucht werden) in neue, psychische Ganzheiten umgeordnet, ohne daß deren Zusammenhang mit den vitalen Vorgängen aufgelöst wäre. Auch was wir „Geist“ nennen (Vernunft, Erkenntnis) ist nur eine Umgestaltung des ganzen Menschen (und wäre verkannt, wollte man das Wesen des Geistes im isolierten Intellekt verorten). Einer späteren Aussage Merleau-Pontys zufolge gilt sein Frühwerk der Betrachtung wahrnehmender Verhaltensweisen, während sich die Phénoménologie de la Perception in diesen einrichtet („nous nous installons en elles“), um „das einzigartige Verhältnis von Subjekt, Leib und Geist gründlicher zu analysieren“ (Merleau-Ponty 1972, 4). Er zeigt dabei, wie das Leibbewußtsein bzw. die Seele alle Teile des → Leibes durchdringt und das V. daher schon in diesem zentralen Bereich Eingang findet, daß sexuelle Symptome stets das Gesamtleben des Subjekts symbolisieren

586 und damit auch das genitale V. in das Gesamtverhalten des Subjekts gehört sowie daß das V. des Leibes dessen Umgebung mit Bedeutungen versieht und auf diese Art strukturiert. Auch die → Empfindungen sind keine punktuellen Erlebnisse, sondern haben „ihre motorische Physiognomie und eine sie umfassende lebensmäßige Bedeutung“ (Merleau-Ponty 1966, 247) und sind damit auf V. bezogen. Auch die → Wahrnehmung von Dingen ist durch ein bestimmtes V. im Horizont einer bestimmten Weltbegegnung vorgezeichnet. Schließlich wird auch der Andere als V. bzw. in seinem V. wahrgenommen: an seinem phänomenalen Leib, in Wahrnehmung seiner Trauer oder seines Zornes – allerdings ohne daß das V. des Anderen mit diesem selbst identisch wäre. Qu.: HeiGA 29/30, § 58, 64. – HeiGA 61, II. Teil, 2. Kap., B. – HeiGA 65, Nr. 13. – Schütz GA I, 239-243. – Schütz 1932 (2 1981), Nr. 8. – Merleau-Ponty 1942 (1976). – 1945 (1966), I. Teil §§ 3, 26, 38, II. Teil §§ 3, 37, 48. – Merleau-Ponty 1962 (1973). – Lit.: Figal 2001. – Graumann/Kühn/Jantschek 2001. – Waldenfels 1980 (bes. I.1-2, IV.9). HV

Vernunft. Den Begriff der V. entnimmt die Phänomenologie der philosoph. Tradition und deutet ihn um. Den unterschiedlichen phänomenolog. Bezugnahmen auf den V.-Begriff ist gemeinsam, daß sie die Maßgabe und Verbindlichkeit der V. bzw. ihrer tieferen Sinnschicht beibehalten, sie aber von Geschichtlichkeit oder der Situativität her bestimmen: Bereits Husserl entwickelt unter dem Titel der V. ein von der philosoph. Tradition abweichendes Teleologie-Konzept, das die Entfaltung der V. auf vorprädikative → Erfahrung gründet; Scheler denkt

587 eine geschichtlich und kulturkreishaft sich ausprägende Pluralität von V.Formen; Heidegger befragt die verborgenen Sinnstrukturen europäischen V.Denkens als Geschichte des → Seins; Merleau-Ponty verlegt die Dimension der V. in den sich ausdrückenden → Leib, und Levinas verankert V. in der Begegnung mit dem → Anderen. Für Husserl ist V. ein Titel „für eine universale wesensmäßige Strukturform der transzendentalen Subjektivität überhaupt. V. verweist auf Möglichkeiten der Bewährung, und diese letztlich auf das Evident-machen und Evident-haben.“ (Hua I, 92) Da für Husserl alles, was sich in → Evidenz zeigt, auch als evidentes Sein gesetzt ist, ist der V.-Charakter zugleich V.Thesis, deren Urform die → Thesis des Wahrnehmungsglaubens ist. Folglich sind nicht nur V. sowie → Wahrheit auf Grund ausgewiesener Evidenz, sondern auch V. und → Wirklichkeit Korrelate (Hua III/1, 314-319). V.Setzung wird durch das evident Selbstgegebene motiviert und besitzt ihrerseits Motivationskraft für den weiteren Verlauf der Erfahrung. Husserls frühe Versuche, eine neue Theorie der reinen V. (Hua XXIV, 445-447) zu begründen, gelten dem phänomenolog. Ausweis unterschiedlicher Aktregionen, zuoberst der theoretischen sowie der praktischen und wertenden V. Der Begründungsversuch einer rein formalen Ethik und → Axiologie parallel zur reinen Logik fußt auf „der Parallele der Akt- und V.-Arten, auf welche diese Disziplinen wesentlich zurückbezogen sind, der urteilenden V. auf der einen Seite, der praktschen V. auf der anderen“ (Hua XXVIII, 3). Mit der Auffassung, daß die „ethische V.Lehre“ das gesamte V.-Leben, darunter die Logik, umspannt, selbst aber

Vernunft von der logischen Wissenschaftslehre umgriffen wird, macht Husserl deutlich, daß V. letztlich nicht in praktische und theoretische aufgespalten werden kann, denn praktisch wie theoretisch gerichtete → Akte durchdringen einander. Die → Identität der „einen universalen V.“ ist jedoch nicht mehr eine solche der → Substanz; das „Selbe“ der V. beruht in dem noetischen Zusammenhang von Erfüllungsintentionen, der in seiner passiven wie aktiven Synthesisfunktion (Hua I, 111) dargelegt werden kann. Der spätere Husserl sucht daher zunehmend in einer Genealogie der Bewußtseinssynthesis Motivationszusammenhänge aufzudecken, die V.Werden als ein teleologisches einsichtig machen. Grundfragen der Ethik, „die das vernünftige Subjektverhalten zum Gegenstand hat“ (Hua IV, 222), zielen auf das Feld der aktiven → Synthesis, der „Motivation von Stellungnahmen durch Stellungnahmen“ des Ich (ebd., 220). Dieses Verhalten realisiert sich in einem „V.-Streben“, das Stellungnahmen „die Form der Einsichtigkeit bzw. [...] der Rechtmäßigkeit oder Vernünftigkeit“ verleiht (Hua XXVII, 26). Das latente Telos des V.Strebens gelangt dort an den wirklichen Beginn seiner im Unendlichen liegenden Erfüllung, wo es im Kontext sozialen Lebens an historischen Wendepunkten der → Urstiftung der Philosophie und ihrer mit der Ausbildung → transzendentaler Phänomenologie erfolgenden Neustiftung sich selbst durchsichtig wird: wo es möglich wird, die „Probleme der V.“ (V. ist „ein Titel für ,absolute‘, ,ewige‘, ,überzeitliche‘, ,unbedingt‘ gültige Ideen und Ideale“, Hua VI, 7) zu behandeln sowie das mundane Leben auf die Bahn einer „V.-Menschheit“ zu führen (Hua VI, § 5, § 73).

Vernunft Bei Scheler verweist der überlieferte Begriff der V. auf ein „jedem Leben überhaupt, auch dem Leben im Menschen entgegengesetztes Prinzip“, auf solches, „was den Menschen allein zum ,Menschen‘ macht“; er überschreibt ihn allerdings mit dem Begriff des → „Geistes“, sofern dieser im Gegensatz zum traditionellen V.-Begriff nicht nur das Ideendenken, sondern auch anschauliche Wesenserkenntnis sowie bestimmte volitive und emotionale Akte umfaßt (ScheGW 9, 31 f.). Scheler wendet sich insbes. gegen die mehrheitlich von der Tradition behauptete „Konstanz der menschlichen V“; nur Hegel „kennt eine Geschichte der subjektiven kategorialen Formenwelten und Gestalten des menschlichen Geistes“ (ebd., 127). V. unterliegt einem „geschichtlichen Wandel“ (ebd., 42), der „nicht nur eine Geschichte der Kumulation der Werke der Vernunft“ ist (ebd., 127). Nur „die V. selbst als Anlage und Fähigkeit, durch Funktionalisierung neuer Wesenseinsichten [...] auch immer neue Denk- und Anschauungsformen-, Liebens- und Wertungsformen zu bilden und zu gestalten, ist konstant“ (ebd., 42; ScheGW 5, 198). Scheler stimmt Heidegger darin zu, daß „bisher noch die gesamte Philosophie von der ,Tradition‘ gewordenen Ontologie der Griechen überwältigt ist. Ob z. B. der Begriff ,V.‘ überhaupt Sinn und Existenzrecht hat, das ist ganz fraglich.“ (ScheGW 9, 281) Mit Blick auf Sein und Zeit stellt er aber in Frage, ob es Heidegger gelang, eine „V., Leben, Bewußtsein etc. wahrhaft übergreifende, ja diese Gegebenheiten erst aus sich entlassende Seinsstruktur des Menschseins“ zu entdecken; vielmehr werden Heideggers Bestimmungen „die Beute [...] nur einer der also erst aus dem ,Da-

588 sein‘ herzuleitenden (oder es doch voraussetzenden) speziellen Seinskategorien“ (ebd., 281 f.). In Sein und Zeit formuliert Heidegger im Zusammenhang einer Klärung des Logos-Begriffs: „Weil die Funktion des logos im schlichten Sehenlassen von etwas liegt, im Vernehmenlassen des Seienden, kann logos V. bedeuten. Und weil wiederum logos gebraucht wird nicht nur in der Bedeutung von legein, sondern zugleich in der von legomenon, das Aufgezeigte als solches, und weil dieses nichts anderes ist als das hypokeimenon, was für jedes zugehende Ansprechen und Besprechen je schon vorhanden zum Grunde liegt, besagt logos qua legomenon Grund, ratio.“ (HeiGA 2, 45 f.) Bereits Kants Kritik der reinen V. erschütterte Heidegger zufolge die „Herrschaft der V. und des Verstandes“, da hier der Zeit „in der wesenhaften Einheit mit der transzendentalen Einbildungskraft“ insofern „die zentrale metaphys. Funktion“ zugesprochen wird, als „das Selbstverständnis aus dem Grunde der Endlichkeit des Daseins im Menschen sich auf die Zeit entwerfen muß“ (HeiGA 3, 243). Heideggers → Fundamentalontologie unternimmt daher eine Dekonstruktion der überlieferten metaphys. Bestimmung des Menschen als eines mit V. begabten Lebewesens im Sinne des animal rationale bzw. zoon logon echon. Bei allen überlieferten Wesensbestimmungen der ,V.‘ „gründet das Wesen der V. darin“, wie es im Humanismus-Brief heißt, „daß für jedes Vernehmen des Seienden in seinem Sein je Sein schon gelichtet ist“. So ist mit den Bestimmungen des animal bzw. des zoon eine „Auslegung des ,Lebens‘ gesetzt, die notwendig auf einer Auslegung des Seienden als zoe und physis beruht“; vor allem bleibt zu

589 fragen, „ob überhaupt das Wesen des Menschen, anfänglich und alles voraus entscheidend, in der Dimension der Animalitas liegt“ (HeiGA 9, 322 f.). Die Frage nach dem Menschen als V.Wesen formuliert Heidegger im Spätwerk als Frage nach dem Grund und expliziert die „doppelsinnige Überlieferung“ von Ratio und Logos, wie sie bereits in Sein und Zeit anklang. Seine Analyse des Satzes vom Grund, „Nichts ist ohne Grund“, befragt diesen „seinsgeschicklich“, bezüglich des „Geschicks des Seins“ im Durchgang durch die → Geschichte des abendländischen Denkens (HeiGA 10, 158), und stellt die Frage nach der Zusammengehörigkeit von → Grund und V. als Ratio und Logos auf der einen und Sein auf der anderen Seite: Ratio als „Rechnung im weiten Sinne“ liefert als das „Gerechnete der Rechnung“ ein „Vorliegendes“, „Tragendes“: den Grund; Vorstellen von etwas ist das „Vor-nehmen“ eines dergestalt „Vorliegenden“, und „in solchem Vernehmen vernimmt [es], wie es mit dem, worauf und womit gerechnet wird, bestellt ist“. Das Rechnen ist „als solches Vernehmen die V.“ (ebd., 155 f.). Ratio weist zurück auf den Logos, der „als das Vorliegende“ zugleich dasjenige ist, „worauf anderes liegt“: Grund und „Anwesen“ (ebd., 161). „Sein verbirgt sich als Sein [...] in seiner anfänglich geschicklichen Zusammengehörigkeit mit dem Grund als logos“ und läßt dabei „anderes zum Vorschein kommen“: „den Grund in der Gestalt der archai, aitiai, der rationes, der causae, der Prinzipien, Ursachen und der V.-Gründe“ (ebd., 164 f.). Indem im Grund Sein selbst verborgen bleibt, wirkt der Grund als „Ab-Grund“ (ebd., 165): Sein ist Grund-los und in diesem Sinn „das Selbe“ wie Grund.

Vernunft Merleau-Ponty erläutert V. im Rekurs auf → Ausdruck und → Sprache. Das „Privileg der V.“ besteht darin, daß der sprachliche Ausdrucksvollzug unendlich wiederholt werden und intersubjektive Bestände bewahren kann (Merleau-Ponty 1966, 225). Im Sprechen (in der „sprechenden Sprache“) begegnet jedoch zudem „die Bedeutungsintention in statu nascendi (ebd., 232). Sofern darin → Existenz stets aufs neue zu sich selbst zu kommen sucht, schafft sie das Wort „als empirische Stütze ihres eigenen Nichtseins“; Sprache ist so „der Überschwang unserer Existenz über alles natürliche Sein“ (ebd.). Sofern der vollzogene Ausdruck in der „gesprochenen Sprache“ eine Sprach- und Kulturwelt schafft, „läßt er ins Sein zurückfallen, was über das Sein hinausreichen wollte“ (ebd.). Ausdruck wie Sprache weisen auf den → Leib zurück, der das → Denken nicht neben oder vor sich hat: „Letzten Endes [muß] der Leib selbst das Denken, die Intention werden, die er uns bedeutet, soll er sie ausdrücken können. Er ist es, der zeigt, er ist es, der spricht.“ (ebd., 233) Als „sedimentierte ,Geschichte‘“ (ebd., 450) des LeibSubjekts ist V. wie Selbstheit und Sinn nur auf dem „Grund der Zeitlichkeit“ als einer „sich wissenden Zeit“ zu denken, die „nicht allein wirkliche oder verfließende Zeit” ist, sondern Selbstaffektion der Subjektivität (ebd., 484). Für Levinas beruht der „vernunftgemäße Charakter der ethischen Beziehung und der Sprache“ im → Antlitz, in dem sich der → Andere als „absolut Anderer“, d. h. nicht als von mir konstituierter Anderer, präsentiert (Levinas 1987, 292). Die Präsentation des Anderen, welche die „Gewaltlosigkeit schlechthin“ ist (ebd.), ermöglicht die „erste vernünftige Unterwei-

Versagen sung“ (ebd., 293). Denn das „Unvernünftige“ im Sinn des Kontingenten resultiert nicht aus der Begrenzung durch den Anderen, sondern aus dem Egoismus, der bar aller Rechtfertigung ist. Indem erst die Beziehung mit der Transzendenz des Anderen meine → Freiheit hervorbringt, erschließt sich eine Dimension der → Verantwortung, die „der Gewalt und der Kontingenz ein Ende“ setzt und „die V.“ stiftet (ebd.). „Der Wille ist frei, diese Verantwortung zu übernehmen, wie es ihm gefällt; er ist nicht frei, diese Verantwortung selbst abzulehnen [...]. Im Empfang des Antlitzes öffnet sich der Wille der V.“ (ebd., 317) Setzt sich jedes Seiende getrennt von allen Anderen, so besteht doch der Wille oder die Selbstheit eines jeden darin, „das Universale oder das Vernünftige zu wollen, d. h. seine eigentliche Partikularität zu verneinen“ (ebd., 314 f.). Die „eigentliche Leistung der V.“ beruht daher in der Einführung von etwas Neuem: der „Idee des Unendlichen“, die in der Präsentation des Anderen erfahren wird (ebd., 317), so daß die „absolute Erfahrung, die Erfahrung dessen, was auf gar keine Weise a priori ist“, „die V. selbst“ ist (ebd., 318). Qu.: Hua I, § 23. – Hua III/1, 295-359. – Hua IV, 220-222, 257-275. – Hua VI, § 3, § 5, § 73. – ScheGW 5, 195-210. – ScheGW 9, 31-67. – HeiGA 2, § 7 B. – HeiGA 7, 211-234. – HeiGA 10, 153-169. – HeiGA 18, §ß,9. – Merleau-Ponty 1945 (1966). – Levinas 1961 (1987, bes. 289-294, 313318). – Lit.: Derrida 1967 (1972, 236-258). – Fischer 1985. – Métraux/Waldenfels 1986. HRS

Versagen. Heidegger unterscheidet in Der Ursprung des Kunstwerkes zwei Weisen der zum → Wesen der → Wahrheit (→ Un-verborgenheit) gehö-

590 rigen → Verbergung: V. und → Verstellung. Während das Verstellen innerhalb des Gelichteten geschieht, so daß sich das Seiende zwar zeigt, aber anders, als es ist (→ Schein), ist das V. „der Anfang der Lichtung des Gelichteten“, indem sich uns Seiendes versagt „bis auf jenes Eine und dem Anschein nach Geringste, das wir am ehesten treffen, wenn wir sagen, daß es sei“ (HeiGA 5, 40). Verbergung qua V. ist somit nicht das einfache Gegenteil der Unverborgenheit, sondern gewährt ihr „die ständige Herkunft“. „Ständig“ insofern, als dieses Sichentziehen nie durch restlose Helle überwunden werden kann, sondern konstitutiv zur → Offenheit gehört. Es ist die Kehrseite der Unausschöpfbarkeit und des Übermaßes des → Seins (HeiGA 65, 249). Qu.: HeiGA 5. – HeiGA 65. – Lit.: Herrmann 1994a, 243-259. WF

Verstehen. Der Begriff des V.s wird im Rahmen von Diltheys Versuch, für die Geistes- gegenüber den Naturwissenschaften eine eigenständige Methode zu fundieren, vom Erklären unterschieden: „Die Natur erklären wir, das Seelenleben verstehen wir.“ (Dilthey 1990, 144) Husserl geht trotz Anerkennung von Diltheys Absichten (doch in Kritik an dessen Mangel an wissenschaftlicher Strenge) auf diesen Verstehensbegriff nicht näher ein, auch dort nicht, wo er → Natur und → Geist ausdrücklich thematisiert (vgl. Hua XXXII). In der frühen Phänomenologie spielt das V. bei Reinach eine gewisse Rolle: Im Kontext einer Untersuchung über die ethische und rechtliche Bedeutung der Überlegung spricht Reinach von einem teleologischen Prozeß des V.s, in den der Redner seinen Zuhörer versetzt; doch geht es hier primär

591 nicht sosehr um V., als um Erkenntnis. Für Scheler ist V. eine Abart des „Miteinanderlebens“ (→ Miteinandersein) von → Personen. Er unterstreicht die Fundierung des V.s im → Fühlen, ohne das V. begrifflich schärfer zu fassen. Scheler erblickt im V. im Vergleich mit dem Wahrnehmen eine mindestens gleichursprüngliche originäre Quelle von → Tatsachen und Anschauungsgegebenheiten, das in der Ursprungsordnung der → Akte für alle innere und Selbstbeobachtung Voraussetzung ist. Das V. ist nicht nur Fremdverstehen sondern ebenso ursprünglich Selbst-V. Erst in Heideggers hermeneut. Phänomenologie erhält das V. seinen fundamentalen Rang als eines der für das → Dasein konstitutiven Momente. Zu unterscheiden sind das V. selbst in seiner Gleichursprünglichkeit mit → Befindlichkeit, → Rede und → Verfallen, ferner existenziales und existenzielles V. V. und → Auslegung, Auslegung und → Aussage und schließlich eigentliches und uneigentliches V. Das Dasein als befindliches, das sich in der Rede artikuliert, hat je sein Verständnis, und sei es in der Weise, daß es dieses im Verfallen niederhält. Ausgehend von der Bedeutung „etwas können“ kennzeichnet Heidegger das V. als Seinkönnen, wobei das „Gekonnte“ das Dasein selbst als primäres Möglichsein ist. Es erschließt die → Welt in ihrer Bedeutsamkeit, z. B. das Zuhandene in seiner → Dienlichkeit, Verwendbarkeit oder Abträglichkeit, also jeweils im Hinblick auf → Möglichkeiten. Daß das V. immer auf Möglichkeiten stößt, gründet in seiner existenzialen Struktur des → Entwurfes (während die Befindlichkeit die Struktur der → Geworfenheit hat). Es konstituiert als → Erschlossenheit die Sicht des Daseins (in der Umsicht des Besorgens, der Rück-

Verstehen sicht der Fürsorge, der Sicht auf das → Sein als solches und in der Durchsichtigkeit der → Existenz). Indem das Dasein verstehend in seinem Seinkönnen existiert, entwirft es sich auf → Zukunft hin, in der die jeweilige Möglichkeit auf es zukommt. Dasein versteht sich immer schon in seinem Sein – seiner Existenz –, es ist dabei von einem existenziellen Verständnis geleitet. Dagegen hat die → Analytik der Strukturen der Existenz (der Existenzialität) nicht den Charakter des existenziellen, sondern des existenzialen V.s. Dieses ist in gewisser Weise uneigentlich, da nur formal anzeigend (→ formale Anzeige), denn die „Frage der Existenz ist immer nur durch das Existieren ins Reine zu bringen“ (HeiGA 2, 17). Das V. hat die Möglichkeit, sich eigens auszubilden; dadurch wird das V. es selbst. Diesen Prozeß bezeichnet Heidegger terminologisch als Auslegung. Sie eignet sich das Auszulegende in der „Vorsicht“ stets in einer bestimmten Hinsicht zu, zielt auf dieses in der „Vorhabe“ auf eine bestimmte Auslegbarkeit hin ab, und indem es diese begreiflich macht, hat es sich im „Vorgriff“ für eine bestimmte Begrifflichkeit entschieden. Während die Auslegung des V.s das Auszulegende im Ganzen seiner Welt aneignet (im hermeneut. Als), bringt die Aussage eine Modifikation der existenzialen Fundamente der Auslegung und des V.s (d. h. von Vorhabe, Vorsicht und Vorgriff) in Ausblendung der Weltzugehörigkeit des Begegnenden. So ist z. B. ein Hammer in der Vorhabe der Auslegung ein Zeug, aus seinem praktischen Umgang heraus je schon verstanden (in seiner Brauchbarkeit und überhaupt in seiner → Zuhandenheit; in der Aussage wird er zu einem weltlosen Etwas (Bestimmungen wie Größe, Ge-

592

Virtualität wicht, Material u. dgl.). So wird in der Aussage das ursprüngliche hermeneut. Als der Auslegung zum apophantischen Als nivelliert. Weil das V. mit dem Verfallen gleichursprünglich ist, gibt es eigentliches und uneigentliches V. Eigentliches V. bestimmt sich aus einer ausgezeichneten Möglichkeit des Daseins, seinem → Tod, der als Möglichkeit auf es zukommt; das eigentliche V. dieser Möglichkeit beruht im → Vorlaufen zu ihr („Vorlaufen zum Tod“). Uneigentlich ist das V., wenn nicht mehr entscheidbar wird, was in „echtem“ V. erschlossen ist und wahr ist (wobei„echt“ und „eigentlich“ nicht deckungsgleich sind (→ echt/unecht)). Diese Unentscheidbarkeit manifestiert sich als → Zweideutigkeit. Gegenüber dem eigentlichen entwirft sich das uneigentliche V. auf die Geschäfte des alltäglichen Besorgens. Es ist dessen gewärtig, was das gerade Besorgbare ergibt, seine Seinsart (als die der uneigentlichen Zukunft) hat den Charakter des Gewärtigens. Qu.: Reinach 1989, 279 ff. – ScheGW 2. – ScheGW 7 pass. – HeiGA 2, §§ 2, 31, 32, 37, 53, 68a. – HeiGA 24, § 20. – Lit.: Gethmann 1974. HV

Virtualität. Für Heidegger ist V. eine Kategorie der Geschichtsphilosophie, mit welcher er in Sein und Zeit – im Anschluß an den Grafen von Yorck – den „Grundcharakter der Geschichte“ (HeiGA 2, 530) charakterisiert: Die V. der Geschichte besteht darin, daß sie dem faktischen → Dasein die → Möglichkeit des → In-der-Welt-seins eröffnet. Qu.: HeiGA 2.

LW

Vita activa / vita contemplativa. Arbeiten, → Herstellen und Handeln ver-

steht Arendt als die Grundtätigkeiten der V.a., deren Untersuchung das Anliegen ihres gleichnamigen Hauptwerkes ist. Eine Aufgabe, die sich ihr nicht nur angesichts der Herausbildung einer Arbeits- und Konsumgesellschaft in der Neuzeit stellt, sondern auch durch die als ,Verfallsgeschichte‘ gesehene philosoph. Tradition seit Platon sich aufdrängt. Diese ist nach Arendt verantwortlich für eine Korrumpierung der Gliederung innerhalb der von ihr namhaft gemachten Grundtätigkeiten der V.a., sofern der von ihr dem → Leben des Geistes, der V.c., zuerkannte Primat eine Nivellierung der Unterschiede innerhalb der V.a. bedingte und vor allem das Handeln als die eigentlich politische Tätigkeit zu einer auch nur lebensnotwendigen Tätigkeit unter anderen depotenzierte (vgl. Arendt 1960, 22, 20). Entsprechend ist es nach Arendt geboten, gegenüber den Verstellungen des Politischen in der Tradition, an die Grundunterscheidungen der V.a. und die den Tätigkeiten entsprechenden „Räume“ zu erinnern. Dabei gibt die Ontologie der V.a. eine deutliche Rangordnung zu erkennen, die von der ursprünglich im → Haushalt (Oikos) beheimateten und neuzeitlich in der Arbeits- und Konsumgesellschaft lokalisierten, schieren Lebensnotwendigkeiten gehorchenden Arbeit über das durch seine Zweckbestimmtheit und Zweckdienlichkeit ausgezeichnete, weltbildende Herstellen, der Tätigkeit des Homo faber, zur „politischen Tätigkeit par excellence“ (ebd., 16), dem Handeln, führt. Ursprünglich im öffentlichen Raum der antiken Polis verortet, entspricht das Handeln nach Arendt dem Grundfaktum menschlicher Pluralität. Es ist die in ihrer Sicht von den Notwendigkeiten des biologischen Lebensprozesses so-

593 wohl wie von dem das Herstellen prägenden Zweck-Mittel-Verhältnis freie Tätigkeit, die es dem Menschen überhaupt erst erlaubt, seine Einzigartigkeit und Individualität zu offenbaren – und eben deshalb, in eins mit dem Sprechen, die höchste und menschlichste Tätigkeit der V.a. genannt zu werden verdient (vgl. ebd., 165 f., 163). Qu.: Arendt 1958 (1960). – Lit.: Barley 1990, 82 ff. – Bielefeldt 1993, 38 ff. – Canovan 1995, 99 ff. AGO

Vitalismus. Die traditionelle Entgegensetzung des Vitalen und Mechanischen spiegelt sich innerhalb der phänomenolog. Bewegung vor allem im Ansatz Schelers, in dessen Arbeiten sich darüber hinaus mit der Dichotomie zwischen Vital- und Geistsphäre ein weiteres dualistisches Moment findet. In der mechanistischen Lebensauffassung werde, so Scheler, das → Leben nicht mehr als ein „Urphänomen“, sondern als „ein Komplex mechanischer und seelischer Prozesse“ und das „lebendige Wesen selbst unter dem Bilde einer ,Maschine‘ “ (ScheGW 3, 135) aufgefaßt, ohne der „Daseinsrelativität des formalen Mechanismus auf das Lebewesen“ (ScheGW 8, 276, 280) Rechnung zu tragen. Auf Grund der dem Leben innewohnenden, „in Mechanisches nicht auflösbare[n] Rhythmik seiner Prozesse“ (ScheGW 9, 93) geht nach Scheler der „dualistischen“ bzw. „mechanistischen“ eine „organizistische, vitalistische Anschauung der Welt“ (ScheGW 8, 376; vgl. ScheGW 7, 231) voraus. Schelers Charakterisierung des Vitalgeschehens als „zielmäßig“, „automatisch“, „teleoklin, nicht teleologisch“, sinn-voll, nicht sinnhaft“ (ScheGW 12, 145), wie auch seine Überzeu-

Vitalismus gung einer allem Lebendigen innewohnenden „Urentelechie“ (ScheGW 7, 47, 87) weist zwar eine gewisse Affinität zu neo-vitalistischen Ansätzen auf, jedoch zeigt sich eine deutliche Divergenz zwischen beiden Positionen darin, daß er das „einheitliche universelle Lebens-Agens“ (ScheGW 7, 85; vgl. ScheGW 3, 88; ScheGW 8, 268, 271, 275; ScheGW 12, 299) im Gegensatz zu Drieschs nicht als „formbildend“, sondern „funktionsbestimmend“ (ScheGW 8, 268) begreift, d. h. es wirkt sich in bezug auf die verschiedenen Formungen des Lebens nicht nur aus, sondern ihm eignet, „die Erfahrungen der Organismen, deren Strukturen es zeitlich bildet, immer neu verwertend“, zugleich eine gewisse „Lernfähigkeit“ (vgl. ebd., 268 f.). Zwar sieht Scheler in den vitalistischen Lehren Bergsons, Drieschs und Bechers einen Fortschritt gegenüber dem traditionellen V., dennoch stehen diese Ansätze für ihn in der Gefahr einer „monistischen Metaphysik [...] des gesamten Seelen- und Geistesleben[s]“, da sie „die noetische Sphäre des Bewußtseins von der Vitalsphäre und beide Sphären von der assoziativmechanischen Sphäre nur sehr ungenügend scheiden“ (ebd., 85). Schelers Ablehnung des „metaphys. Biologismus, d. h. [der] Auffassung des Weltgrundes selbst als ,élan vital‘, ,Leben‘, ,Alleben‘ “ (ScheGW 7, 85), kulminiert in seiner These einer von den vitalen Prozessen vollständig abgelösten Geistsphäre (ebd.). Die Autonomie beider Bereiche (vgl. ScheGW 2, 113, 124, 274; ScheGW 5, 89; ScheGW 7, 86 f.; ScheGW 10, 311) gründet seiner Ansicht nach darin, daß die geistige → „Person“ auf Grund ihrer „Existentielle[n] Entbundenheit vom Organischen“ (ScheGW 1X, 32) den Bereich der „da-

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Vorhandenheit seinsrelativen“ Vitalsphäre transzendiert. Zwar bestehe zwischen der „Vitalseele“ (ScheGW 8, 269, 348; vgl. ScheGW 10, 312) und der geistigen Person ein „Kausalverhältnis“, eine „Wechselwirkung“ beider schließt Scheler jedoch aus (vgl. ScheGW 12, 299, 145 f.). Die Auffassung eines vital-geistigen Antagonismus offenbart sich auch in Schelers → Ethik, in der die vitalen → Werte im Rahmen der apriorischen Rangordnung der Wertmodalitäten denjenigen des „Geistigen“ und „Heiligen“ untergeordnet sind (vgl. ScheGW 2, 122-126, 126, 282). Unter den „Lebenswerten“ differenziert Scheler zwischen den „reinen“ oder „Entwicklungswerte[n]“ sowie den „technische[n]“ oder „Erhaltungswerte[n]“ (ScheGW 10, 311). Von dieser Differenz zeigt sich nach seiner Ansicht die gesamte organische → Natur gekennzeichnet (vgl. ebd., 312). Analog zu Scheler wendet sich auch Merleau-Ponty gegen eine vitalistische Interpretation seines Ansatzes (vgl. Merleau-Ponty 1976, 173, 181, 185). In seiner Kritik an Bergsons Begriff des ,élan vital‘ moniert er sowohl die Unmöglichkeit eines gedanklichen Nachvollzugs desselben wie auch das Problem einer Begrenzung seines Einflußbereichs (vgl. ebd., 181). Zwar bergen die Lebensvorgänge für Merleau-Ponty einen „autochthonen Sinn“ (ebd., 176, 182), doch distanziert er sich von der Annahme eines entelechialen Ordnungsprinzips, auf das seiner Ansicht nach nur dann zurückgegriffen werden muß, wenn man „den Organismus summativ aus getrennten Prozessen zusammenzufügen“ (ebd., 183) beabsichtigt. Das Ungenügen der mechanistisch-vitalistischen Alternative offenbart sich für Merleau-Ponty einerseits darin, daß organismische Re-

aktionen nicht im Rahmen künstlicher Versuchsanordnungen, sondern nur in ihrer „vitalen Bedeutung“ (ebd., 171), d. h. durch einen bestimmten Umweltbezug verständlich zu werden vermögen (vgl. ebd., 173), andererseits in der Problematik, daß sowohl der Mechanismus wie auch der V. „den Organismus als ein reales Produkt einer äußeren Natur“ (ebd., 182) bzw. als „Korrelationseinheit“ (ebd., 178) begreifen. Dieser Auslegung stellt Merleau-Ponty seine Auffassung des Organismus als „Bedeutungseinheit“ entgegen (ebd., 178, 182, 185), die es erlaubt, „an der Kategorie des Lebens festzuhalten, ohne die Hypothese einer Lebenskraft einzuführen“ (ebd., 177). Nach Merleau-Ponty entzieht sich die „vitale Dialektik“ (ebd., 178) einer vollständigen Übersetzung in physikalische bzw. biologische Erklärungsversuche, denen er vorwirft, die „logische Ordnung des wissenschaftlichen Denkens, die vom Wahrgenommenen zum Koordinierten voranschreitet“ (ebd.), umzukehren. Qu.: ScheGW 2. – ScheGW 3. – ScheGW 5. – ScheGW 7. – ScheGW 8. – ScheGW 9. – ScheGW 10. – ScheGW 12. – MerleauPonty 1942 (1976). TK

Vorhandenheit. V. ist bei Heidegger die Seinsart, die das theoretische → Verhalten zu Seiendem leitet. Im Falle theoretischer Erfassung der phys. Natur geht mit der Modifikation des Seinsverständnisses i. S. des Umschlags von → Zuhandenheit in V. die Entschränkung der → Umwelt zum All des Seienden sowie die Modifikation des umweltlichen Platzes zur nivellierten Raum-Zeit-Stelle einher (vgl. HeiGA 2, 477 f.). Qu.: HeiGA 2.

MH

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Vorstellung

Vorlaufen. Heidegger begreift in Sein und Zeit eigentliches Selbstseinkönnen aus der vorlaufenden Entschlossenheit des → Daseins. Eigentlich zukünftig schließt sich das Dasein dem auf, was es gewesen ist, indem es seine Zu-Kunft auf sich zu-kommen läßt. Darin bestimmt sich das Dasein nicht, wie in seiner uneigentlichen Zukünftigkeit, aus dem Was des Besorgten, das es erwartend gewärtigt, d. h. aus den Möglichkeiten von „Erfolg und Mißerfolg“ (HeiGA 2, 447), sondern aus seiner eigensten → Möglichkeit als der Möglichkeit seiner Unmöglichkeit. Das V. als eigentliches → „Verhalten“ zu seinem Möglichsein meint deshalb kein intentionales Aus-sein-auf, kein Erwarten eines Etwas, sondern eine Bewegung des Sich-öffnens. Das V. ist daher kein Verwirklichen eines Noch-nicht, sondern Ermöglichen der Möglichkeit seiner selbst: „das Sein zum Tode als V. in die Möglichkeit ermöglicht allererst diese Möglichkeit und macht sie als solche frei.“ (ebd., 348) Als vorlaufende Entschlossenheit ist das Dasein eigentlich und ganz da, so daß es im Anspruch dessen, was ist, präsent ist und als zeitliche Existenz ständig ihre Zeit für das hat, was die Situation von ihr verlangt. (vgl. ebd., 542). Qu.: HeiGA 2.

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Vorstellung. Nach Husserl können wir „unter dem Titel V. jeden Akt befassen, in welchem uns etwas in einem gewissen engeren Sinne gegenständlich wird“ (Hua XIX/1, 477). → Akte gehören zur Sphäre der → Erlebnisse und bilden innerhalb ihrer die Klasse der intentionalen, d. h. gegenstandsgerichteten Erlebnisse. „Das sich auf den Gegenstand Beziehen ist eine zum

eigenen Wesensbestande des Akterlebnisses gehörige Eigentümlichkeit, und die Erlebnisse, die sie zeigen, heißen (nach Definition) intentionale Erlebnisse oder Akte“ (ebd., 427). Der im Zuge der Kritik am → Psychologismus und im Anschluß an Brentanos Unterscheidung phys. und psych. Akte entwickelte Begriff der → „Intentionalität“ besagt nicht eine → Beziehung, in der ein Erlebnis steht, sondern bezeichnet das Meinen eines → Gegenstandes, die Beziehung des → Bewußtseins auf einen Gegenstand. „Die intentionale Beziehung, rein deskriptiv verstanden als innere Eigentümlichkeit gewisser Erlebnisse, fassen wir als Wesensbestimmtheit der ,psychischen Phänomene‘ oder ,Akte‘, so daß wir in Brentanos Definition [...] eine essentielle Definition sehen“ (ebd., 382). Da auf der Seite der V. „nichts [existiert] als das Diesen-Gegenstandmeinen“ (ebd., 206), muß vom Begriff des Aktes als eines intentionalen Erlebnisses „der Gedanke der Betätigung [...] schlechterdings ausgeschlossen bleiben“ (ebd., 393). Nicht alle Erlebnisse sind intentional, wie z. B. die „Empfindungen und Empfindungskomplexionen“ (ebd., 382 f.). „Die Empfindungen und desgleichen die sie ,auffassenden‘ oder ,perzipierenden‘ Akte werden hierbei erlebt, aber sie erscheinen nicht gegenständlich; sie werden nicht gesehen, gehört, mit irgendeinem ,Sinn‘ wahrgenommen. Die Gegenstände andererseits erscheinen, werden wahrgenommen, aber sie sind nicht erlebt“ (ebd., 399). „V. im Sinne von anschaulicher V. (Erscheinung, vorschwebendes ,Bild‘)“ ist zu unterscheiden von „V. im Sinne von Bedeutungsvorstellung“ (ebd., 134). „Das Vorstellen kann ebensowohl ein unanschauliches wie ein an-

Vorstellung schauliches, es kann ein noch so inadäquates so gut wie ein adäquates sein“ (ebd., 425). Das Vorstelligsein des Gegenstandes darf nicht i. S. einer Bildtheorie (→ Bild) mißgedeutet werden (ebd., 436), weil das Bildbewußtsein ein fundierter Akt ist. Die Auffassung eines → Objekts als eines Bildes setzt „ein dem Bewußtsein intentional gegebenes Objekt voraus“ (ebd., 437). Auf Grund eines Bildobjekts wird das Bildsujet gemeint. Des weiteren darf nicht vermengt werden „V. und Vorgestelltes als solches“ (ebd., 133), Akt und intendierter Gegenstand, Aktmaterie. Dieser deckt sich nicht mit dem Erlebnisinhalt, so wie sich die gesehenen Seiten eines Gegenstandes nicht mit diesem selbst decken. „Also sehr verschiedene Inhalte werden erlebt, und doch wird derselbe Gegenstand wahrgenommen. Also ist weiter der erlebte Inhalt, allgemein zu reden, nicht selbst der wahrgenommene Gegenstand“ (ebd., 396). Unter Berücksichtigung des Doppelsinnes von ,V.‘ ist im Anschluß und in Präzisierung zu sagen, daß jedes intentionale Erlebnis entweder eine V. ist oder eine Vorstellungsmaterie zur Grundlage hat (ebd., 475 f.). Jeder Akt bezieht sich auf einen ihm zugehörigen Gegenstand, wobei dieser „eventuell Zielpunkt wechselnder Intentionen, urteilender, fühlender, begehrender usw.“ sein kann (ebd., 414). Die Art und Weise, wie in einem Akt etwas intendiert wird, macht die Aktqualität aus. Das Vorgestellte kann bloß vorgestellt, gefühlt, begehrt, bezweifelt, behauptet, gewünscht sein etc. „Dem ganzen Urteil entspricht als voller und ganzer Gegenstand der geurteilte Sachverhalt, der als identisch derselbe in einer bloßen V. vorgestellt, in einem Wunsch gewünscht, in einer Frage gefragt, in einem Zweifel bezweifelt sein

596 kann usw.“ (ebd., 416). Es ist jeweils „ein und derselbe Sachverhalt“, der „in der V. vorgestellt, im Urteil als geltender gesetzt, im Wunsche erwünscht, in der Frage erfragt“ wird (ebd., 427). Insofern im Vorstellen etwas überhaupt erst gegenständlich (,vorstellig‘) wird, und dieser Akt das Fundament für alle anderen Akte bildet, wird von objektivierender bzw. fundierender V. gesprochen. „Ein intentionales Erlebnis gewinnt überhaupt seine Beziehung auf ein Gegenständliches nur dadurch, daß in ihm ein Akterlebnis des Vorstellens präsent ist, welches ihm den Gegenstand vorstellig macht. Für das Bewußtsein wäre der Gegenstand nichts, wenn es kein Vorstellen vollzöge, das ihn eben zum Gegenstande machte und es so ermöglichte, daß er nun auch zum Gegenstand eines Fühlens, Begehrens u. dgl. werden kann“ (ebd., 443). Diese neuen intentionalen Charaktere z. B. des Fühlens, Begehrens sind „nicht denkbar ohne den objektivierenden Vorstellungsakt, also in ihm fundiert“ (ebd., vgl. auch 515). Sie sind unselbständige intentionale Faktoren im Unterschied zur V., die „im Gegensatz zu der durch sie fundierten Begehrungsqualität, als ,bloße‘ V. sehr wohl für sich sein, d. h. als ein konkretes intentionales Erlebnis für sich bestehen“ kann (ebd., 444). Beispiele für den „einfachen“ Akt (ebd., 446) der bloßen V. sind „alle Fälle bloßer Einbildungsvorstellung, in welchen der erscheinende Gegenstand weder als seiender noch als nichtseiender gesetzt ist und bezüglich dessen alle sonstigen Akte unterbleiben; oder auch die Fälle, in welchen wir einen Ausdruck, etwa einen Aussagesatz verstehend aufnehmen, ohne uns in Glauben oder Unglauben zu entscheiden“ (ebd., 444; vgl. hierzu auch 474). Am

597 Schluß der fünften Logischen Untersuchung lautet die Zusammenstellung: 1. „V. als Aktmaterie“ (ebd., 520). 2. „V. als ,bloße V.‘, als qualitative Modifikation irgendeiner Form des ,belief‘, z. B. als bloßes Satzverständnis, ohne innere Entscheidung in Zustimmung oder Verwerfung, ohne Vermutung oder Bezweiflung usw.“ (ebd., 521). 3. „V. als nominaler Akt, z. B. als Subjektvorstellung eines Aussagesatzes“ (ebd.). 4. „V. als objektivierender Akt, d. i. im Sinne der Aktklasse, die notwendig in einem jeden vollständigen Akte vertreten ist, weil jede Materie (bzw. Repräsentation) primär als Materie (bzw. Repräsentation) eines solchen Aktes gegeben sein muß“ (ebd.). Nach Reinach bedeutet Vorstellen so viel wie Präsent-haben. „Die V. ist ein Akt eigener Art, ein schlichtes rezeptives ,Haben‘ des Gegenstandes, das eine größere oder geringere Dauer besitzen kann“ (Reinach 1989, 102). Vorgestellt ist alles Gegenständliche, „welches wir ,vor‘ uns haben, [...] welches uns ,präsent‘ ist, welches für uns ,da‘ ist“ (ebd., 101). Sachverhalte werden auf Grund von V.en erkannt (ebd., 118). Der Begriff der V. reicht über die Sphäre der sinnlichen Gegenstände hinaus (ebd., 101). Das Vergegenwärtigte, Erinnerte, Imaginierte ist ebenso ,da‘, präsent, wie die gefühlte Schönheit eines Kunstwerks oder Zahlen im Rechenvorgang (ebd.). In all diesen Fällen handelt es sich um „Dasein“ (ebd.), was nicht zu verwechseln ist mit einem ausdrücklichen ,Gegenübersein‘, weil – wie die Hintergrundwahrnehmung zeigt – nicht alles gegenüber ist, was da ist (ebd., Anm. 3). Vorstellen ist vom Meinen und Anschauen zu unterscheiden. Zwischen Vorstellen und Meinen herrscht „absolu-

Vorstellung te Verschiedenheit“ (ebd., 106). Zum einen ist das Meinen „stets sprachlich eingekleidet“ und es ist „ihm eine Spontaneität der Richtung und eine zeitlich punktuelle Natur wesentlich“ (ebd., 102). Das Vorgestellte erlaubt z. B. interessierte Zuwendung, Heraushebung, bevorzugte Befassung. „In der Sphäre des Meinens in unserem Sinne gibt es diese Modifikationen nicht“ (ebd., 103). Zum anderen sind die Akte des Vorstellens im Unterschied zu denen des Meinens gegestandsspezifisch (Farben können nur gesehen, Töne nur gehört, Zahlen nur gedacht, Werte nur gefühlt werden) (ebd., 104). Beim Meinen gibt es „keinen Unterschied, der dem Unterschiede zwischen Sehen und Denken, wie wir ihn bei dem Vorstellen von Farben und Zahlen vorfinden, entspräche“ (ebd.). Der Unterschied von Vorstellen und Meinen liegt nicht in „Anschauungsfülle und Anschauungsleere“ (ebd.), weil es beides sowohl beim Meinen als auch beim Vorstellen gibt. „Ein Vorstellen, dem die Anschauung fehlt, ist damit keineswegs zum Meinen geworden. Und umgekehrt haben wir in einem von Anschauung belebten Meinen durchaus kein Vorstellen zu sehen“ (ebd., 104). Schließlich unterscheiden sich V. und Meinen auch hinsichtlich der Anschauungskomponente, die in der V. eine repräsentierende Funktion besitzt, beim Meinen hingegen nicht. „Bei jeder V. ,repräsentiert‘ mir der anschauliche Gehalt den vorgestellten Gegenstand, er stellt ihn mir dar“ (ebd., 106). Nicht so beim Meinen. Den hier auftauchenden anschaulichen Schemata „fehlt [...] jede repräsentierende Funktion“ (ebd.), sie sind dem „Meinen nicht eigentlich immanent“ (ebd.), so daß nicht von einer Anschaulichkeit des Meinens, sondern

Vorstellung „von anschaulichen Bildern zu reden [ist], welche es begleiten“ (ebd.). Für Heidegger ist V. im betonten Sinn der Titel für den neuzeitlich-metaphys. Seinsbezug des Menschen, in dem „der Mensch als subiectum sich zur Bezugsmitte des Seienden im Ganzen einrichtet und sichert“ (HeiGA 6.2, 17). Die „ursprüngliche Nennkraft“ des Wortes ,Vorstellen‘ verweist in „das vor sich hin und zu sich her Stellen“ (HeiGA 5, 92), was im lat. re-praesentatio besser zum Ausdruck kommt: „Das Begegnende wird auf das vorstellende Ich zu, auf es zurück und ihm entgegen praesentiert, in seine Gegenwart gestellt“ (HeiGA 10, 34). Das auf diese Weise „zum Stand gebrachte Begegnende ist der Gegenstand“ (ebd., 35 f.), und nur das in solchem Vorstellen „zum Stehen Gebrachte kann als Seiendes gelten“ (ebd., 42). ,Vorstellen‘ meint nicht einfach ,gegenwärtig haben‘, sondern ,als verfügbar sicherstellen‘. „Das Vor-stellen ist ein Sicher-stellen“ (HeiGA 6.2, 135). Sicherstellung besagt Berechenbarkeit, weil nur sie „gewährleistet, im voraus und ständig des Vorzustellenden gewiß zu sein“ (ebd., 108). Im Vorstellen liegt „das Ergreifen und Begreifen von“, herrscht der „Angriff“ (ebd.). „Vor-stellen ist vor-gehende, meisternde Ver-gegen-ständlichung“ (ebd.). Es ist jenes rechnend-sicherstellende Denken, das „über die Präsenz jedes Vorgestellten, d. h. über die Anwesenheit des in ihm Gemeinten, d. h. über das Sein desselben als eines Seienden entscheidet“ (HeiGA 6.2, 143). Das rechnende Sicherstellen bildet den Grundzug des gegenstandskonstitutiven Entwurfs, ist das „wesenhaft verstandene Rechnen“, das erst „das Planen und Rechnen im bloß ,rechnerischen‘ Sinne“ ermöglicht und ernötigt (ebd., 209). Mit dem

598 Vorstellen kommt es zum Vorrang der → Methode, wobei ,Methode‘ der Name ist „für das sichernde, erobernde Vor-gehen gegen Seiendes, um es als Objekt für das Subjekt sicherzustellen“ (ebd., 151). Weil → Wahrheit → Gewißheit besagt und → Sein Vorgestelltheit bedeutet, wird „der Mensch [...] zum ausgezeichneten Subjekt“ (ebd., 147), das im Vorstellen als das Gewisseste jeweils „mitvorgestellt“ wird als „dasjenige, auf das zu und auf das zurück und vor das jedes Vor-gestellte hingestellt wird“ (ebd., 136). Die im Vorstellen konstituierte Gegenständigkeit meint nicht einfach ein Gegenübersein, weil sich dieses aus einem apriorischen Entwurf bestimmt, der im vorhinein darüber entscheidet, was als → Wissen und damit, was als das Seiende zu gelten hat. „Die Ständigkeit des Gegenstandes bestimmt sich aus den apriorischen Bedingungen der Möglichkeit für das Vorstellen und durch dieses“ (HeiGA 10, 130). Die vorstellende Grundhaltung zeigt sich einmal in Kants oberstem Grundsatz aller synthetischen Urteile: „Die Bedingungen der Möglichkeit des Vor-stellens des Vor-gestellten sind zugleich, d. h. nichts anderes als die Bedingungen der Möglichkeit des Vorgestellten. Sie machen die Vorgestelltheit aus; diese ist das Wesen der Gegenständlichkeit und diese das Wesen des Seins. Der Grundsatz sagt: das Sein ist Vor-gestelltheit. Vor-gestelltheit aber ist Zugestelltheit derart, daß das Vorstellende des so zur Stelle und in den Stand Gebrachten sicher sein kann. Sicherheit ist gesucht in der Gewißheit. Diese bestimmt das Wesen der Wahrheit“ (HeiGA 6.2, 206 f). Die vorstellende Grundhaltung findet zum anderen ihren Ausdruck im Satz vom Grund. Dieser Satz verfügt

599 darüber, „was als Gegenstand des Vorstellens, allgemein, was als etwas Seiendes soll gelten dürfen. Im Satz vom Grund spricht dieser Anspruch auf die Verfügung darüber, was Sein des Seienden heißt“ (HeiGA 10, 176). Qu.: Hua XIX/1. – Reinach 1989. – HeiGA 5. – HeiGA 6.2. – HeiGA 10. GP

Vorurteilslosigkeit. Der grundlegende Neuanfang, den die Ideen I gegenüber den Logischen Untersuchungen markieren, besteht in dem Versuch einer Grundlegung der Philosophie als strenger und letztausweisender → Wissenschaft, die sich im radikalen Unterschied zu den in der → „natürlichen Einstellung“ befindlichen Wissenschaften durch ihre „echte V.“ (vgl. Hua XIX/1, 39 ff.; Hua III/1, 42) auszeichnet. Mit der Forderung des Rückgangs auf die → „Sachen selbst“ ist es Husserl um die Aufhebung der Erkenntnisschranken zu tun, die zum Wesen aller natürlichen Forschung gehören. Gegenüber den „empiristischen Vorurteilen“ (Hua III/1, 54) macht er die Möglichkeit originärer Wesenserschauung geltend; die Überwindung des „skeptischen“ bzw. „erkenntnistheoretischen Vorurteils“ (ebd., 55; vgl. Hua VII, 58 ff.) kann nur durch eine „Phänomenologie der Erkenntnis und Erkenntnisgegenständlichkeit“ gelingen. Das zur Grundlegung bestimmte → „Prinzip aller Prinzipien“ (Hua III/1, § 24), ist dazu berufen, jenem „Prinzip der Vorurteilsfreiheit“ (ebd., 4) in vollem Umfang zu entsprechen, dem sich die Wissenschaften, ohne es je einlösen

Vorurteilslosigkeit zu können, allenthalben verschrieben haben. Um mit der denkbar größten „wissenschaftlichen Erkenntnisarmut“ (Hua I, 54) zu beginnen, muß jedoch nicht nur alle Versuchung zur sachfremden Deutung, theoretischen Konstruktion und metaphys. Spekulation (ebd., 166) konsequent ausgeschlossen werden (Hua III/1, 66); ein „Universum absoluter V.“ (Hua I, 74; Hua VI, 5), in dem „keine prädikative oder vorprädikative Selbstverständlichkeit als unbefragter Erkenntnisboden fungiert“ (Hua V, 139), kann nur unter der Bedingung errichtet werden, daß alle Seinssetzungen ausgeschaltet und jeder Seinsglaube außer Kraft gesetzt werden: Die phänomenolog. → Reduktion bzw. phänomenolog. → Epoché richtet jene radikale Voraussetzung der Voraussetzungslosigkeit ein, durch die ein „absolut notwendiger Anfang“ (Hua VII, 5) geschaffen wird. Die Wendung zur → transzendentalen Phänomenologie geht mit der Selbstauslegung der transzendentalen Subjektivität und philosoph. Selbstbesinnung einher, deren „äußerster Radikalismus im Streben nach V.“ besteht (Hua XVII, 282 f.). Auf dem cartesianischen Weg gilt es in der von der Welterfahrung unbetroffenen egologischen Sphäre (→ Originalsphäre), die auf „reine V. reduzierten Meinungen“ universal und wiederum „absolut vorurteilsfrei“ zu beschreiben (Hua I, 74). Qu.: Hua I, 52-55. – Hua III/1, 1-11, 3945, 51-69. – Hua V, 139. – Hua VII, 3-11, 58-63. – Hua XVII, 280-383. – Hua XIX/1, 39-41. ID

W Wachheit. Für Heidegger ist das philosoph. Wachsein eine „ursprüngliche Selbstauslegung“ der Philosophie, und zwar so, daß sie sich als „eine entscheidende Möglichkeit und Weise der Selbstbegegnung des Daseins“ erweist (HeiGA 63, 18). Auch können nach Heidegger aus der Alltäglichkeit verschiedene „Grundverhältnisse des Daseins des Menschen zum Seienden“, also verschiedene Verhältnisse zur → Welt wach werden (HeiGA 29/30, 400; HeiGA 26, 220). Weckung nennt Heidegger das „Wachwerdenlassen dessen, was schläft“, d. h. dessen, was abwesend und zugleich da ist (ebd., HeiGA 29/30, 91). Gemeint ist damit im Gegensatz zur Beobachtung, Feststellung oder zur Hebung von Unbewußtem in das → Bewußtsein das Wachwerdenlassen und das Seinlassen z. B. einer → Stimmung, die durch Feststellung gerade zerstört würde. Levinas sieht im Wachen der Schlaflosigkeit eine Situation, die vom Seinsrauschen des → „es gibt (il y a)“ geprägt ist. Solches Wachen ist bestimmt durch anonymes → Sein und hat weder ein Subjekt, noch ist es personal. Das derart anonyme Wachen ereignet sich jenseits eines Ich und ist folglich auch kein Phänomen. Das Bewußtsein zerreißt das Wachen, indem es Zuflucht aus der „Entpersonalisierung in der Schlaflosigkeit“ ist und indem mit ihm ein Subjekt gesetzt ist (Levinas 1997, 79 ff.). In der Spätphilosophie verwendet Levinas den Begriff „Erwachen“ (éveil) als Bezeichnung für die Spaltung des Selben (Même) durch den anderen Menschen (Levinas 1991, 101 ff.).

Qu.: HeiGA 26. – HeiGA 29/30. – HeiGA 63. – Levinas 1947 (1997). – Levinas 1991 (1995). RE

Wahnsinn. Foucault begreift den W. als das Andere der Vernunft, die wiederum in einem Prozeß der Ausgrenzung ihr Anderes zum Schweigen bringt. Psychologie und Geisteskrankheit versucht in der Tradition Heideggerscher Existenzphilosophie eine phänomenolog. Beschreibung von Geisteskrankheit als nachzuvollziehende Verstehensarbeit einer in sich kohärenten Lebens- und Erfahrungsform. In Anlehnung an die Psychoanalyse und eine an Althusser orientierte marxistische Gesellschaftskritik kommt Foucault zu einer konventionellen Theorie der Repression, die die Ursache des W.s in den ökonomischen Zwängen einer kapitalistischen Gesellschaftsordnung sieht. In Wahnsinn und Gesellschaft verschiebt sich die Fragestellung: Die Bewertung von Phänomenen als pathologisch und anomal selbst wird als sich wandelnde soziale Konstruktion analysiert. Diese neue Erkenntnisperspektive deutet sich in der Einleitung zu Binswangers Traum und Existenz an. Statt im → Traum nur ein Mittel für Diagnose und Theorie zu sehen, wird in der ursprünglichen Einbildungskraft, die sich im Traum gegenüber den objektiven Strukturen der Wachwelt entfaltet, die schöpferische und sinnbildende Potenz des Menschseins erfahrbar. In Wahnsinn und Gesellschaft ist W. nicht mehr Geisteskrankheit, sondern in ihm zeigt sich, ebenso wie im Traum oder in der Dichtung eines Diderot oder Hölder-

601 lin, „eine Wahrheit über den Menschen, die sehr archaisch und sehr nahe, sehr schweigend und sehr bedrohlich ist“ (Foucault 1969, 544). Das Thema ist der Wandel der sozialen und politischen → Praktiken der Ausgrenzung im Zusammenspiel mit einer repressiven Rationalität in Philosophie und Wissenschaft. Im Mittelalter und in der Renaissance wird der W. noch als dunkle Wahrheit des menschlichen Lebens begriffen, die Leprosorien an den Stadträndern bedeuten noch keine systematische Ausgrenzung. Erasmus von Rotterdam markiert eine erste Distanzierung vom tragischen Bewußtsein des W.s, wenn er diesen zum Sinnbild für die Torheit macht. In Descartes’ Meditationes sieht Foucault das erste philosoph. Zeugnis für das kritische Bewußtsein, das den W. als reine Negativität und sprachlose Unvernunft ausschließt. Dem geistigen Ausschluß korrespondiert ein praktisch-sozialer. Mit der Gründung des „Hôpital general“ (1656) beginnt die „große Gefangenschaft des W.s“ (ebd., 68). 1794 wird das Krankenasyl an Bicêtre eröffnet und markiert eine Wende von der Ausschließung zur Integration des W.s in die Vernunft. Er wird zu einem kontrollierten Gegenstand der Vernunft, wobei die moralische Reintegration nichts anderes als eine subtilere Form des alten Ausschlusses ist – W. bleibt das Andere und Fremde. Indem die neuzeitliche Vernunft ihr Anderes zu vernichten droht, ist sie tendenziell auch Selbstvernichtung und erscheint als solche eine „andere Art des W.s“ (ebd., 7), dessen Geschichte Foucault schreiben wollte. Foucault war ein wichtiger Impulsgeber für die Antipsychiatriebewegung.

Wahrheit Qu.: Foucault 1961 (1969). – Foucault 1954a (1968). – Foucault 1954b (1992). – Lit.: Castel 1986 (1991). – Dreyfus/Rabinow 1982 (1987). – Fink-Eitel, 1989. RS

Wahrheit. Traditionell gilt W. als Übereinstimmung einer Sache mit der auf sie bezogenen Erkenntnis. Als Beispiel sei die folgende Definition des Thomas von Aquin genannt: „Veritas intellectus est adaequatio intellectus et rei.“ (Summa contra gentiles, I. Buch, 59. Kapitel, Nr. 495; vgl. De veritate, Quaestio 1, Artikel 1; s. a. Aristoteles, De interpretatione 1, 16a 38; Kant, Kritik der reinen Vernunft B 82; Die Namenserklärung – „Übereinstimmung“ – wird „geschenkt und vorausgesetzt“, zu erfragen bleibt jedoch „das allgemeine und sichere Kriterium der W. einer jeden Erkenntnis“.) Auch die Phänomenologen verschiedener Provenienz knüpfen hier an, sind aber durchgängig von der Frage bewegt, wie die → Adäquation ausweisbar erreicht werden könne. So findet sich jene allgemeine Kennzeichnung der W. bei Husserl mit Differenzierungen, die allerdings weit über die genannte Formel hinausgehen, auch wenn die Logischen Untersuchungen in letzter Konsequenz auf deren Gehalt abzielen. → Wissenschaft beruht auf Wissen, dieses auf dem Besitz der W. Diese klar und deutlich zu erkennen bedeutet → Evidenz, d. h. (wie Husserl zunächst noch sehr allgemein sagt) die „lichtvolle Gewißheit, daß ist, was wir anerkannt, oder nicht ist, was wir verworfen haben“ (Hua XVIII, 28). Die erste und zugleich phänomenolog. grundlegende Klärung der Probleme von W. und Evidenz bringt die VI. Log. Untersuchung (bes. 1. Abschnitt; zu berücksichtigen sind die ter-

Wahrheit minologischen Präzisierungen der vorangehenden Analysen). Den Ausgang bildet die phänomenolog. Eigenart der → Akte i. S. intentionaler → Erlebnisse. Deren intentionales Wesen beruht auf den Momenten der → Qualität und der Materie (und, wie weiters gezeigt wird, der Fülle). Unter Aktqualitäten sind die Unterschiede der intentionalen Erlebnisse hinsichtlich des Zugangs zu den → Gegenständen zu verstehen (Akte als vorstellend, urteilend, fühlend, begehrend usw.; vgl. V. Log. Unters., § 20), während die Aktmaterie den Richtungssinn der Akte bestimmt, d. h. daß eine Aktqualität diesen bestimmten Gegenstand und keinen anderen intendiert. Bezüglich der Aktqualitäten sind ferner setzende und nichtsetzende Akte zu unterscheiden, bezüglich der Aktmaterie nominale und propositionale Akte. Bei setzenden Akten wird der Gegenstand selbst als seiender vermeint, in nicht setzenden Akten ist er bloß vorgestellt. Nominale Akte sind Wörter oder Wortkomplexe, die einen abgeschlossenen Akt ausdrücken, z. B. „die Eröffnung des Reichstages“ (ebd., § 34), wobei auch hier zwischen setzenden und nicht setzenden nominalen Akten unterschieden wird (jene stellen das Genannte als wirklich existierend vor, diese nicht). Einen besonderen Rang nehmen die propositionalen Akte ein, d. h. die Aussagen oder Urteile, in denen die Vorstellungen synthetisch zur Einheit des Bewußtseins gelangen. Die Materie, die dem Akt seinen Richtungssinn gibt, erscheint hinsichtlich ihrer Gegenständlichkeit in Akten besonderer Art: in den objektivierenden Akten mit der „einzigartige[n] Funktion, allen übrigen Akten die Gegenständlichkeit allererst vorstellig zu machen, auf die sie sich in ihren neuen

602 Weisen beziehen sollen“ (Hua XIX/1, 515). Diese Akte sind durch Erfüllungssynthesen ausgezeichnet, die ihrerseits „den Charakter der Erkenntnis, der Identifizierung, der ,In-EinsSetzung‘ von ,Übereinstimmendem‘ “ besitzen (Hua XIX/2, 539). Damit ist der Bereich der näheren Bestimmung der W. umrissen. Als weiterer fundamentaler Unterschied ergibt sich die Spannung zwischen der bloßen Bedeutungsintention oder signitiven Intention und der → Anschauung oder Intuition, in der die bloße Bedeutungsintention ihre → Erfüllung findet. Mit „Erfüllung“ (einem grundlegenden Moment bei der Bestimmung der W.) werden Formen der Identifizierung bezeichnet, die dem Erkenntnisziel näherbringen, d. h. zur Veranschaulichung führen. Der erfüllende Akt hat gegenüber der bloßen, signitiven Intention den Vorzug, daß er ihr „die Fülle des ,selbst‘ erteilt, sie mindestens direkter an die Sache selbst heranführt“ (ebd., 598). Diese Charakteristik impliziert schon den Hinweis auf eine ideale Grenze, in der alle Steigerung der Erfüllung an ihr Ziel kommt und das Erkenntnisobjekt zur adäquaten Selbstdarstellung gelangt. Bevor dieses Ziel erreicht ist, gibt es Stufenreihen mittelbarer Erfüllungen (VI. Log. Unters., § 18), ebenso Grade und Stufen der Evidenz (ebd., § 38). An deren Endpunkt meint Evidenz einen „Akt der vollkommensten Deckungssynthesis“, deren objektives Korrelat „Sein im Sinne der W. oder auch W.“ heißt (Hua XIX/2, 651). Zu diesem Begriff von W. (qua → Sachverhalt als Korrelat eines identifizierenden Aktes, das Verhältnis von Akt und Gegenstand betreffend) kommen in der VI. Log. Unters. drei weitere Wahrheitsbegriffe: W. als Idee der absoluten Adäquation (W. auf Sei-

603 te der Aktform), W. qua Gegenstand als die Fülle selbst (die Sache selbst) und W. als → Richtigkeit des → Urteils im Satz (Adäquation der Intention an den wahren Gegenstand). Das 8. Kap. der VI. Log. Unters. basiert auf dem Nachweis der kategorialen Anschauung oder Intuition (§ 40 ff.) und skizziert eine Theorie der kategorialen W. (zum Terminus vgl. Hua XVII, 325 u. Tugendhat 1970, 129 ff.). Die Ideen bringen Erweiterungen bezüglich des Begriffs der W. Den objektivierenden Akten der Log. Unters. im Unterschied zu denen des Fühlens und Wollens entsprechen jetzt die doxischen oder Glaubenscharaktere, denen als noematisches Korrelat der Seinscharakter des „wirklich“ gegenübersteht (Hua III/2, § 103). Diese seinssetzenden, thetischen Akte gründen in der „,unmodalisierten‘ Urform der Glaubensweise“, denen der „Seinscharakter schlechthin“ als die „Urform aller Seinsmodalitäten“ korreliert (ebd., 240). Alle Vernunftcharaktere weisen auf den Fall der originären und vollkommenen Evidenz zurück, auf den → „Urglauben“, auf die „Urvernunft“, d. h. auf W. „W. ist offenbar das Korrelat des vollkommenen Vernunftcharakters der Urdoxa, der Glaubensgewißheit.“ (ebd., 322 f.) Dabei unterscheidet Husserl zwischen der theoretischen oder doxologischen W. bzw. Evidenz und der axiologischen und praktischen W. bzw. Evidenz, welch letztere ihrerseits in doxologischen W.en zur Erkenntnis gelangen (ebd., § 139). Die Wendung zur Lebenswelt im Spätwerk Husserls führt, durch die Formale und transzendentale Logik vorbereitet, zu einer Erweiterung des Begriffs der W. in Richtung auf deren Geschichtlichkeit. Die objektiv-wahre Welt erweist sich als eine „Substruk-

Wahrheit tion“, die ihren Grund im „letztlich leistenden Leben“ hat (Hua VI, 131). Angesichts der Universalität des Problems der → Lebenswelt ist die Festlegung der W. (und gar der Weltwahrheit als der „W. des Lebens“, die den Sinn aller wissenschaftlichen Fragen fundiert; Hua XXVII, 225) auf ein reines, um Anschauung unbekümmertes Denken ein Schein. Die Einklammerung der Objektivität bedeutet aber keineswegs einen Verzicht auf gültige W., weil ja die „Lebenswelt in allen ihren Relativitäten ihre allgemeine Struktur hat“ (Hua VI, 142). Ihre formal-allgemeinste Strukturen sind → Ding und → Welt einerseits, Dingbewußtsein anderseits (ebd., § 37). Erhellung der aller Theorie und allem tätigen Leben innewohnenden Vernunft ist die Aufgabe „der wahren Methode einer apodiktisch gegründeten und apodiktisch fortschreitenden Philosophie [...], eine Unendlichkeit des Lebens und Strebens auf Vernunft hin“ (ebd., 274 f.), doch in der Gewißheit, daß es kein Problem gibt, das sich der → transzendentalen Phänomenologie entziehen würde: Absolute W. nicht als Voraussetzung, sondern wesensgesetzlich als eine „im Unendlichen liegende Idee“ (Hua XVII, 284). Wenn Heidegger in Sein und Zeit von der überlieferten Bestimmung der W. als Übereinstimmung ausgeht, so geschieht dies von Anfang an in kritischer Absicht gegenüber der Auslegung der W. als → Gewißheit (eine Kritik, die sich nicht nur gegen Descartes, sondern auch gegen Husserl richtet; vgl. HeiGA 17, v. a. §§ 38, 48 u. HeiGA 21, §§ 6-14). Heidegger fragt, was im Beziehungsganzen der adaequatio von intellectus und res immer schon unausdrücklich mitgesetzt ist bzw. welchen Charakter die-

Wahrheit ses Mitgesetzte hat (HeiGA 2, 285). Der Rückgang auf die Subjekt-ObjektRelation wie auch der damit einhergehende Ausgang vom Erkennen (das in Urteilen vollzogen wird) greifen zu kurz. Damit stellt sich die Aufgabe, die Seinsart des Erkennens eigens zu befragen. Diese liegt im „Entdeckendsein“ der Aussage, was ontolog. jedoch nur auf dem Grund des → In-der-Weltseins möglich ist. Daraus folgt als erstes vorläufiges Ergebnis: „Wahrsein als entdeckend-sein ist eine Seinsweise des Daseins.“ (ebd., 291) Das Entdecken der → Aussage und die Entdecktheit von innerweltlichem Seienden gründen aber ihrerseits in der → Erschlossenheit als der Grundart des → Daseins (vgl. ebd., § 28). Mit dieser ist das ursprüngliche Phänomen der W. erreicht. Weil Dasein an ihm selbst erschlossen ist, gilt: „Dasein ist ,in der W.‘.“ (ebd., 292) Da aber zur Seinsart des Daseins das → Verfallen gehört, ist das Dasein auch verschlossen und insofern „in der Unwahrheit“. Daß die W. dem Seienden immer wieder neu abgerungen werden muß, findet bereits im griech. Äquivalent für W., a-letheia (mit alpha privativum, lat. privatio „Raub“), seinen Ausdruck (→ aletheia). Die Erschlossenheit ist zwar gegenüber der Entdecktheit ursprünglicher (die Entdecktheit betrifft die Möglichkeit des Begegnens von Seiendem, die Erschlossenheit das an ihm selbst gelichtete Dasein); doch ist sie noch nicht die ursprünglichste und eigentliche W. des Daseins. Diese (als die eigentliche Erschlossenheit) ist die Entschlossenheit. In ihr beruht das eigentliche Selbstsein, so aber, daß mit diesem auch das Besorgen des Zuhandenen und die Fürsorge im → Mitsein mit → Anderen modifiziert werden. Weil aber jedes Dasein → gleichur-

604 sprünglich in der Unwahrheit ist, gibt ihm die → Entschlossenheit (im → Vorlaufen zum → Tod) „zugleich die ursprüngliche Gewißheit seiner Verschlossenheit“ (ebd., 408) und damit auch die Möglichkeit, sich in der Unentschlossenheit des → Man zu verlieren. Auf dem von der → Fundamentalontologie gelegten Boden bewegt sich zwar zunächst auch die Frage nach dem → „Wesen“ der W. („Wesen“ verbal verstanden), doch kündigt sich hier bereits eine Kehre an: Das Wesen der W., zunächst i. S. der Richtigkeit der Aussage, gründet in der → Freiheit – „die Freiheit ist das Wesen der W. selbst“ (HeiGA 9, 186). Freiheit wird aber primär nicht vom „Subjekt“, sondern vom → Sein des Seienden her gedacht, insofern das Dasein Seiendes im Vollzug seines offenständigen → Verhaltens sein läßt (→ Lassen). Das Dasein läßt sich auf das Seiende in dessen → Unverborgenheit (a-letheia) ein und setzt sich ihm aus (dieses Sicheinlassen ist daher „ek-sistent“). Im Wesen der W. als Freiheit gründet auch die mögliche Verdeckung und → Verstellung des Seienden, insofern dieses nicht sein gelassen wird: An die Stelle der W. tritt der → Schein. Nun ist aber im Sich-einlassen auf das Seiende die Offenbarkeit des Seienden im Ganzen, d. h. das Sein, gerade verborgen (un-entborgen). Diese → Verbergung nennt Heidegger → „Versagen“. Er gebraucht diesen Ausdruck nicht pejorativ, sondern meint die eben angezeigte Un-entborgenheit des Seins im Seienden und als solche „die dem Wahrheitswesen eigenste und eigentliche Un-wahrheit“ (HeiGA 9, 193; „der ursprüngliche Bezug der W. zum Seyn als Ereignis“; HeiGA 65, 356; die sich entziehende Verbergung als lethe ge-

605 genüber der a-letheia; HeiGA 54, § 5). „Die Verbergung als Versagen ist nicht erst und nur die jedesmalige Grenze der Erkenntnis, sondern der Anfang der Lichtung des Gelichteten.“ (HeiGA 5, 40; die → Erde als „das, was als Sichverschließendes aufgeht“: ebd., 42) Mit dem Satz „Das eigentliche Unwesen der W. ist das Geheimnis“ (HeiGA 9, 194) wird der Schritt zurück vom immer noch transzendentalphilosoph. gedachten Wahrheitsbegriff der Fundamentalontologie in den Bereich der W. des Seins vollzogen. Bezieht sich die Verbergung als Versagen auf das Verhältnis (den Unterschied) von Sein und Seiendem, so ist davon als zweite Art der Verbergung das Verstellen zu trennen; dieses agiert im Umfeld des Seienden selbst: „Seiendes schiebt sich vor Seiendes, das eine verschleiert das andere, jenes verdunkelt dieses, weniges verbaut vieles, vereinzeltes verleugnet alles.“ (HeiGA 5, 40) Der Grund für diese mannigfaltigen Arten des Verstellens liegt darin, daß sich das Seiende vordrängt und damit die Verbergung als Versagen (die eigentliche Un-wahrheit) in die → Vergessenheit drängt (vgl. HeiGA 54, 105). Damit ist der Bereich der → Irre und des Irrens eröffnet (des „Irrtums“: „zu sagen wie Fürsten- und Dichtertum“; HeiGA 9, 337), jener gegenüber dem Wahrheitswesen eigensten Un-wahrheit des Versagens völlig anderen und von ihr doch nicht unabhängigen Un-wahrheit des Verstellens. Das Irren ist die „Umgetriebenheit des Menschen weg vom Geheimnis hin zum Gangbaren“ (HeiGA 9, 196). Doch diese im Verstellen gründende Un-wahrheit wäre ohne jene eigentliche nicht möglich. Wenn Heidegger von der Irre sagt, sie sei der Raum, „der sich in der Verschränkung von Sein, Unverborgenheit und

Wahrheit Schein eröffnet“ (HeiGA 40, 116), bezieht er sich nicht auf eine vermeidbare Abweichung gegenüber der W., sondern denkt die Irre als notwendige Folge dessen, daß sich das Sein in das Seiende entbirgt und aus solcher Unverborgenheit der Schein erwächst, die Offenbarkeit des Seienden verdanke sich diesem selbst: „Die Unverborgenheit des Seienden, die ihm gewährte Helle, verdunkelt das Licht des Seins.“ (HeiGA 5, 337, vgl. HeiGA 66, Nr. 38) Der Raum der Irre ist weiters „der Wesensraum der Geschichte“ (ebd.) (→ Geschichte), diese als „das Ereignis einer Entscheidung über das Wesen der W.“ (HeiGA 51, 22) gedacht. Diese Bestimmung erhellt daraus, daß in der W. das Seiende im Ganzen offenbar ist (das Sein, das sich ineins damit versagt); daß in solcher Offenbarkeit Seiendes in seiner W. erscheint; daß aber damit zugleich der Bezug zum ursprünglichen Wahrheitswesen (Aufgang, Versagen, Geheimnis) in die Vergessenheit gerät und das damit Verdeckte neu freigesetzt werden muß (geschichtlich fragen bedeutet, „das in der Frage ruhende und gefesselte Geschehen frei- und in Bewegung setzen“; HeiGA 41, 47). Seit den Beiträgen wird vor allem der Zusammenhang von W. und → Grund neu durchdacht, dem Sein als → Abgrund entspricht die unaufhebbare Verbergung (das → Geheimnis) des Wesens der W., „W. begriffen als lichtende Verbergung“ (HeiGA 65, 308). Wenn die Polarität von W. und NichtW. durch Reflexion aufgedeckt wird, so handelt es sich auch bei Pato cˇ ka, der hier dem späten Husserl und vor allem Heidegger folgt, nicht primär um theoretische und wissenschaftliche W., sondern um die „W. des Lebens mit ihren Modalitäten der Verborgen-

Wahrheit heit, Verschlossenheit, Illusion, Lüge und der entsprechenden Gegensätze“ (Patoˇcka 1991, 239). Das schlägt auf den Sinn der Reflexion zurück: Sie ist nicht Vorstellung oder Meditation, sondern ein Moment des Durchbrechens der eigenen Verschlossenheit mit dem Ziel der Öffnung hin zum Anderen. Sie führt zur Kommunikation. Das hat wiederum für die eigene persönliche W. die Konsequenz, daß in ihr die Entscheidung zur W. vor einem Gegenüber liegt; die W. erhält das Attribut der Ehrlichkeit. Patoˇcka spricht von einem „in der W. sein“, das bedeutet: „sich zu interessieren“, „nicht indifferent sein“ (ebd., 253). Darin liegt einerseits die Annahme seiner eigenen Kontingenz, auf der anderen Seite die Verankerung in der Welt, beides als die Voraussetzung: „sich in der W. erschaffen [...], zu werden, was ich bin“ (ebd., 255). Leben in der W. zielt auf die → Bewegung der eigentlichen → Existenz ab, die zwei andere Bewegungen zur Voraussetzung hat: die Bezugnahme auf jenes, das in der Welt ohne unser Zutun gegeben ist („ein Leben in der Geborgenheit des Vorgefundenen“), und die direkte Konfrontation mit Dingen und Mitmenschen, die auch die Entfremdung nicht scheut (ebd., 256) und sich darauf einläßt, was in Pato cˇ kas geschichtsphilosoph. Entwurf „Solidarität der Erschütterten“ heißt, die eine solche der Verstehenden ist (Pato cˇ ka 1988, 162). In einer kritisch wiederholenden Lektüre Husserls wendet sich MerleauPonty gegen die Annahme einer W. an sich, weil diese schon das Phänomen der Bewegung verfehlen müßte. Eine Exposition des Wahrheitsbegriffs kann an dessen Weltbezug nicht vorbeisehen (eine Auffassung, die Merleau-Ponty nicht nur mit Husserl und Heidegger,

606 sondern mit so gut wie allen Phänomenologen teilt, auch wo diese ganz andere Wege einschlagen wie z. B. Ingarden, Fink oder Rombach), was aber eine gewisse Vorgängigkeit des Irrtums nach sich zieht: Irrtum setzt Wirklichkeit voraus, und darauf erst folgt die Möglichkeit von W., so wie die Faktizität der Notwendigkeit vorausgeht. Ebenso hat alle Evidenz die unaufhebbare → Zweideutigkeit (équivoque) des → Zur-Welt-seins zu ihrer Bedingung. Das „ ,Sein zur W.‘ unterscheidet sich nicht vom Zur-Welt-sein („l’êtreà-la-vérité n’est pas distinct de l’être au monde“; Merleau-Ponty 1945/1966, 452/449). Als Wahrnehmungsbewußtsein eines leibhaft in der Zeit existierenden Wesens ist das → Bewußtsein niemals von seinen Voraussetzungen frei; zu diesen gehören „unexpliziert gebliebene Erfahrungen, massive Beiträge der Vergangenheit wie der Gegenwart, eine ganze ,sedimentierte Geschichte‘ (Hua XVII, 257), die nicht allein die Genesis meines Denkens betrifft, sondern auch dessen Sinn bestimmt“ (ebd., 450). Diese phänomenolog. Auffassung der W. überwindet den Dogmatismus, der meint, den Durchgang durch die Phänomene umgehen zu können; und sie überwindet den Skeptizismus, der die W. auf die bloße Erscheinung reduziert und dabei immer noch von der Illusion einer absoluten W. gefesselt bleibt. Wie das Bewußtsein nicht absolute W. ist, so steht es auch außerhalb der Möglichkeit absoluter Falschheit. MerleauPonty spricht von ontolog. Kontingenz der Welt selbst (die er von der ontischen, innerweltlichen Kontingenz i. S. von Zufall und Beliebigkeit unterscheidet); sie liegt unabdingbar der Idee der W. zugrunde (ebd., 453). In der Eingebundenheit des Bewußtseins in

607 die Welt liegt ein mehrfaches Engagement: im → Raum durch den → Leib, in der Geschichte durch die → Sprache, in der konkreten Form des Denkens durch Vorurteile. Für die Frage der Sinngebung der Geschichte hat dies die Einsicht zur Folge, daß deren Subjekt nicht das Individuum ist (die Sinngebung ist nicht bloß zentrifugal); vielmehr nährt sich der konkrete Entwurf der → Zukunft von der sozialen Koexistenz und vor jedem persönlichen Entschluß vom Man („l’On“, ebd., 512/510). Gegen den Anspruch auf eine der Situation enthobene W. heißt dies zugespitzt: „Das absolute Wissen des Philosophen ist die Wahrnehmung.“ (Merleau-Ponty 2003, 186) Für die Philosophie bedeutet dies, daß sie zwar „integrale W.“ ist, doch sagen muß, „was sie integrieren kann“ (ebd., 221). Der Gedanke der Bedeutung des Seins-zur-Welt wird speziell in Malerei und Psychoanalyse bedeutsam, wie er umgekehrt von beiden Anstöße zu weiterer Ausarbeitung empfängt. Im Spätwerk (dessen zunächst vorgesehener Titel „Ursprung der W.“ sein sollte) sucht Merleau-Ponty auf eine organische Geschichte noch unterhalb der Geschichtlichkeit der W. vorzustoßen, zum „rohen“ oder „wilden“ Sein einer amorphen Wahrnehmungswelt, um die Reversibilität als letzte W. (Merleau-Ponty 1986, 203) zu entdecken. An die Stelle dialektischer Verhältnisse tritt eine Umkehrung, so wie eine Vorder- und Rückseite umkehrbar sind, im Nebeneinander zweier Aspekte: das → Unsichtbare, jedoch nicht i. S. des bloß nicht Sichtbaren, sondern als „innere und ureigene Möglichkeit“ der Welt (ebd., 198), zugehörig den „Erfahrungen des Fleisches“ (ebd., 199) (→ Fleisch); und das Sichtbare als das durch das Unsichtba-

Wahrheit re nicht etwa Verdeckte, sondern gerade Eröffnete. Der frühe Ricœur spricht von drei Kreisen der W.: dem Kreis der Wissenschaften und der experimentellen W., die dem mathematisierbaren Aspekt der Wirklichkeit gilt; dem Kreis des Menschen als Gegenstand der Wissenschaft und der Kultur mit der ethischen W.; dem Kreis der von einer menschlichen Gesellschaft wahrgenommenen Welt, zu der auch die W. der Imagination und die in der Kunst enthaltene W. gehören. Diese Kreise durchdringen einander und stellen sich gegenseitig in Frage. Grundlegend wird diese Infragestellung in der kritischen Dimension der abendländischen Philosophie, die aus dem Wahrheitsproblem ein „Grundlagenproblem“ macht (Ricœur 1974, 164). Die daraus resultierende Intention auf einen einheitlichen Begriff der W. führt zu vorschnellen Synthesen: zur „klerikalen“ Synthese, die in der Autorität des Kirchenglaubens wie der Wissenschaften manifest wird; und zur politischen Synthese, die in politischen (aber auch rassistischen) Doktrinen manifest wird. Beide sind Formen der Lüge in der modernen Welt. Dem stellt Ricœur 1. die formale Einheit entgegen, die im Postulat beruht, alle Bereiche der Existenz zusammenzuschließen, ohne eine inhaltliche Einheit zu oktroyieren. 2. Die „weltliche“ Einheit erkennt in der Welt den Horizont aller Einstellungen als die stets vorhergehende Realität, ohne diese einholen zu können. 3. Die existentielle Einheit betrifft den konkreten Menschen, der seine Einstellungen „lebt“. Alle diese Einheiten sind Postulate, die eine endgültige Einheit abwehren (die für den Christen Ricœur in der nicht vorwegzunehmenden Einheit der Barmherzig-

Wahrnehmung keit Gottes liegt). Diese Uneinholbarkeit der W. zeigt sich in der Folge in einer Kritik des cartesianischen Bewußtseins. Das unmittelbare Innesein der W. wird von den „Meistern des Zweifels“, Marx, Nietzsche und Freud, durchkreuzt, die damit den Horizont für ein „authentischeres Wort (parole)“ freilegen (Ricœur 1974, 69), für ein neues Reich der W., das durch eine destruierende Kritik, vor allem aber durch eine neue Kunst des Interpretierens zugänglich werden soll (Ricœur 1969/74). Ricœur hat diese hermeneutische Methode als „Sammlung des Sinns“ und „Übung des Zweifels“ an Freud erprobt (Ricœur 1965/1974). Noch einen Schritt weiter führt der Begriff der „metaphorischen“ W. (Ricœur 1986), die aber ebenso wie die Auseinandersetzung mit der hermeneutischen W. Gadamers (Ricœur 1991, VII) über die Phänomenologie hinausgeht. Qu.: Hua III/2, §§ 136-145. – Hua VI, §§ 34-37. – Hua XVII, I. Abschn., 5. Kap., II. Abschn., 4. Kap. – Hua XVIII, 1. Kap. – Hua XIX/1, V. Log. Unt. – Hua XIX/2, VI. Log. Unt., bes. §§ 36-39. – HeiGA 2, §§ 44, 60, 62, 64. – HeiGA 5, 1-74. – HeiGA 9, 177-202. – HeiGA 17, §§ 38, 48. – HeiGA 21, §§ 6-14. – HeiGA 34. – HeiGA 36/37, 2. Teil. – HeiGA 54. – HeiGA 65, V c. – HeiGA 66, V. – Heidegger 2002. – Patoˇcka 1991. – Patoˇcka 1988. – MerleauPonty 1945 (1966). – Merleau-Ponty 1964 (1986). – Merleau-Ponty 1960 (2003). – Ricœur 1974. – Ricœur 1969 (1974). – Ricœur 1965 (1974). – Lit.: Brand 1970. – Boehm 1981. – Hagedorn 2002. – Liebsch 1996. – Liebsch 1999. – Shin 1993. – Tugendhat 1970. – Wiplinger 1961. – Yun 1996. HV

Wahrnehmung. Bei Husserl bedeutet W. den „Urmodus der Anschauung“, der sich „in Uroriginalität“, d. h. „im Modus der Selbstgegebenheit“ (Hua

608 VI, 107) darstellt. So ist ihr Grundzug die → Präsentation bzw. Gegenwärtigung, vermöge deren der → Gegenstand sich „in seiner Leibhaftigkeit“ (Hua III/1, 90), „als ,da‘, original da und in Präsenz“ (Hua VI, 163) gibt. Es gehört auch zum Wesen der W., daß der Gegenstand durch → Erscheinungen gegeben ist und daß das wirkliche Dargestellte dem leeren Vermeinten gegenübersteht. Im Verlauf des Wahrnehmens gibt es einen Übergang von Leere in Fülle und umgekehrt. Husserl spricht von einem „Gemisch von Vollkommenheit und Unvollkommenheit“ und von einem „Spiel von Gewinn und Verlust“ (Hua IX, 433 f.). Deshalb ist das Wahrgenommene ein „Strahlensystem“ (Hua XI, 5), das auf noch nicht erscheinende, aber mitgemeinte Aspekte verweist. Neben diesem Innenhorizont hat auch das Wahrnehmungsding einen Außenhorizont mitgegenwärtiger Gegenstände. Wenn wir von diesem Wahrnehmungsfeld immer wieder zu ferneren Umgebungen fortschreiten, kommen wir schließlich auf die ganze Wahrnehmungswelt als den universalen Horizont. Da die schlichte Erfassung des Gegenstands „im Ganzen“ sich in das explizierende Hineingehen, in den Innenhorizont und in die auf den Außenhorizont gerichtete, beziehende Betrachtung fortsetzt, sind drei Stufen in der W. zu unterscheiden. Als eine originale Gegebenheitsweise des Gegenstandes hat die W. eine doppelte Nachwirkung. Einerseits ermöglicht sie die → Vergegenwärtigung des vorher Erfahrenen und andererseits hat sie „die ,apperzeptive‘ Nachwirkung“ (Hua XVII, 317) dadurch, daß was von einem Gegenstand erfahren ist, auf jeden ähnlichen Gegenstand übertragen wird. Trotz des Überganges von der Fülle ins Leere bringt die W. immer

609 einen Gewinn an dauernder Kenntnis mit sich, weil ihre → Leistungen als ein Bekanntheitscharakter dem Gegenstand verbleiben und korrelativ als ein habitueller → Erwerb dem → Ich zuwachsen. Dieser Prozeß führt zu einer Typisierung der Wahrnehmungswelt, demzufolge ein Gegenstand im Rahmen eines entsprechenden → Typus wahrgenommen ist. Auf diese Weise verbindet sich jede W. mit einem → Horizont typischer → Bekanntheit, d. h. einer bestimmten → Antizipation eines künftig einstimmigen wahrnehmungsmäßigen Verlaufs, der offen für die Möglichkeit von Korrekturen und Durchstreichungen ist. Bei aller W. ist der → Leib als „Wahrnehmungsorgan“ (Hua IV, 56) notwendig dabei, weil es Motivationsbeziehungen zwischen seiner → Bewegung und dem Wandel der Seitendarstellungen und Nah-FernPerspektiven der Dinge gibt. Das System der räumlichen Dimensionen ist auf ihn als den immer verbleibenden Orientierungszentrum zurückbezogen. Daß der Leib eine zentrale Rolle bei der W. spielt, bedeutet für MerleauPonty, daß er eine „ursprüngliche“, „fungierende“ → Intentionalität als „eine von aller Erkenntnis wohlunterschiedene Weise des Bezuges zum Gegenstand“ in sich trägt (Merleau-Ponty 1966, 441). Auf die leibliche Intentionalität stützt sich ein Gesamtentwurf der Wahrnehmungswelt. Dies wird als ein habituelles Wissen verstanden, d. h. als eine bereits konstituierte Generalsynthese für alle Gegebenheiten, die die intersensorische Einheit des Gegenstandes ausmacht und ihm Bestimmungen in Funktion der anderen Gegenstände zuweist. Merleau-Ponty unterscheidet eine primäre, wahrnehmende W. von einer sekundären, empirischen W. Während jene von vorgän-

Wahrnehmung gigen Erwerben erfüllt ist und „sich gleichsam an der Oberfläche des Seins bewegt“, hat diese „etwas von einer genialen Erfindung“ (ebd., 66), weil sie über die Fülle und Einzelheit der Dinge und der Situationen hinaus die Anspielung auf Allgemeintypen entfaltet. Diese ursprüngliche Form der W. besteht darin, „die Konstellation des Gegebenen mit dem es verbindenden Sinn in eins schöpferisch erst entstehen zu lassen, nicht bloß den Sinn zu entdecken, den es hat, sondern ihm einen Sinn erst zu geben“ (ebd., 58). Demnach ist W. nicht nur Gegenwärtigung, sondern auch Strukturierung. Sie inauguriert eine Wahrnehmungssyntax mit jeweils eigenen Regeln, wenn sie einen neuen → Sinn in den Gegebenheiten der Welt einpflanzt. In seinem Spätwerk betont Merleau-Ponty, daß das Wahrgenommene aus einem Differenzierungsgeschehen hinsichtlich des Mitgegebenen und aus einer kohärenten Verformung vorausgehender Strukturen zum Vorschein komme. Darum sei W. „nicht zuerst W. von Dingen, sondern W. [...] von Strahlen der Welt, von Dingen, die Dimensionen, die Welten sind“ (Merleau-Ponty 1986, 278). Angesichts solcher Abweichung und Verformung weisen Wahrgenommenes und Nicht-Wahrgenommes auf Reliefs und Höhlungen innerhalb eines Gewebes zurück. Da die Gegebenheiten der Welt einer einzigen Konfiguration nicht unterworfen sind, ist die Strukturierung der W. polymorph. Zum Wahrnehmbaren gehört immer das Unwahrnehmbare, indem das Sehen und das Berühren keine Teile des durch sie geöffneten Gesicht- und Tastfeldes sind, und jede Figur ein nicht figurativer Gliederbau umfaßt und aus einem Hintergrund auftaucht, der sich dem Sichtbaren entzieht.

Weg Qu.: Hua III/1, 77-79, 89-91, 96-99, 232234. – Hua IV, 55-90. – Hua VI, 107-111, 159-167. – Hua IX, 433-438. – Hua XI, 324. – Hua XVII, 315-319. – Husserl 1948, 73-143. – Merleau-Ponty 1945 (1966). – Merleau-Ponty 1964 (1986). – Lit.: Melle, 1983. – Waldenfels 2000, 45-107. – Welton 1983, 166-268. RW/GRW

Weg. Der W.-Charakter kennzeichnet das „Methodische“ von Heideggers Denken. Im Gegensatz zur → Methode als Vorgehensweise der neuzeitlichen Wissenschaften, welche als vorgefertigte die Sache stellt und bestimmt, läßt sich der W. umgekehrt aus der zu denkenden Sache bestimmen (HeiGA 13, 233). Er hat seinen Ursprung nicht im Denkenden, vielmehr ist die → „Gegend“ des W.s (die → Lichtung) das Be-wegende, d. h. die W.e allererst Stiftende und Bahnende (HeiGA 12, 186). Unterwegs ist der Denkende dem zu Denkenden näher, als wenn er sich angekommen wähnt (HeiGA 10, 88). Der W. ist also nicht etwas, das an einem Ziel zu seinem Ende kommt, alles kommt auf das aktuelle Unterwegssein, das Erfahren, an. Ein solches Denken kennt keine endgültigen Ergebnisse, über die man verfügen könnte. In diesem Sinne ist Heideggers Leitspruch zur Gesamtausgabe „W.e – nicht Werke“ zu verstehen, wie auch seine Vorliebe für die W.-Metapher in der Titelwahl (Wegmarken, Holzwege). Qu.: HeiGA 10. – HeiGA 12, 167 f., 185188. – HeiGA 13, 233-235. – Lit.: v. Herrmann 1990. WF

Weiblichkeit. Scheler beschreibt die geschlechtliche Differenz als „geistig ebenso ursprünglich, wie sie es leiblich und biologisch ist“ (ScheGW 3, 205). Während der männliche Geist, der in Europa für Scheler den Sieg gegenüber

610 dem weiblichen davongetragen hat, die Wissenschaft und den Staat hervorbrachte, ist dem weiblichen fehlende Sachlichkeit zu attestieren. W. zeichnet sich durch ein dem Mann gegenüber einheitlicheres Lebensgefühl, die enge Verbindung von geistigen und vitalen Akten, die die → Frau ichzentrierter macht als den Mann, und die enge Verknüpfung von Öffentlich-Sozialem und Privat-Individuellem aus. So hat die Frau „von Hause aus“ ein konservatives Wesen, das sie zur Hüterin von Tradition und Sitte macht, und ist „von Natur aus“ weniger diskret als der Mann (ebd., 203-205 u. ScheGW 10, 146 f.). Für Levinas beschreibt W. die Gegensätzlichkeit als absolute → Andersheit. Das Weibliche ist weder eine andere Freiheit noch ein Seiendes, sondern Geheimnis. Dies besagt, daß W. ein dem Licht entzogener Seinsmodus ist; das Verhältnis zur W. kann deshalb weder ein Können noch ein Erkennen sein, sondern nur erotische Liebkosung und → Begehren. Der dem Bewußtsein entzogene Seinsmodus der W. äußert sich in der Existenzweise des „Sich-Verbergens“, das „Schamhaftigkeit“ ist (Levinas 1989, 58). Ihr „NichtBedeuten“ hat Gewicht (Levinas 1987, 375). Durch die Zweideutigkeit ihrer Zerbrechlichkeit eröffnet W. die „Dimension der Innerlichkeit“ (ebd., 223). Diese zeigt, daß das weibliche Sein das empfangende schlechthin ist. Die Anwesenheit der Frau ist „auf diskrete Weise eine Abwesenheit“ (ebd., 222), von der Gastfreundschaft ihren Ausgangspunkt nimmt. Erst durch die Intimität der W. kann man in einem Haus wohnen. In seinen Talmudinterpretationen schreibt Levinas dem Mann der Frau gegenüber „eine gewisse – pro-

611 visorische? – Priorität“ zu (Levinas 1998, 146). Qu.: ScheGW 3. – ScheGW 8. – ScheGW 10. – Levinas 1979 (1989). – Levinas 1961 (1987). – Levinas 1963 (1992). – Levinas 1977 (1998). – Lit.: Irigaray 1984 (1991). – Gürtler 1996. – Sandherr 1998. – Stoller/Vetter 1997. RE

Welt. Der W.-Begriff spielte in der Philosophie des 19. Jh.s so gut wie keine Rolle, weil seine Thematisierung überflüssig erschien. In der Phänomenologie nimmt er dagegen sehr bald eine ausgezeichnete Stellung ein, wobei sich gerade an ihm die Differenzen der verschiedenen Positionen deutlich zeigen. Bei Husserl treten dabei in seiner früheren Periode zwei Motive hervor: die Aufklärung der → Wahrnehmung und das Problem der phänomenolog. → Reduktion (Landgrebe 1963). Die Analyse der konkreten Wahrnehmung zeigt, daß es nicht möglich ist, beim isolierten → Ding stehenzubleiben, sondern zu diesem stets ein Dinghintergrund und zum Gemeinten ein Mitgemeintes gehört, zum Wahrgenommenen ein → Horizont weiterer Wahrnehmungen, und zwar räumlich wie zeitlich. Mit diesem Begriff des Horizonts kündigt sich die Thematisierung der W. an. Dieser Horizont bleibt auch dann erhalten, wenn sich einzelnes innerhalb seines Erscheinenes als Täuschung herausstellt. Husserl setzt sich als Aufgabe die Rückführung der Wahrnehmung auf das sie bildende → Bewußtsein. Es bedarf dazu des Heraustretens aus dem als selbstverständlich vorausgesetzten Horizont der sogenannten natürlichen → Einstellung, das Außerkraftsetzen von deren → „Generalthesis“ durch die → transzendentale Reduktion. Damit wird die Möglich-

Welt keit eröffnet, die W. als Glaubensboden für jede Einzelerfahrung zu thematisieren. Das geschieht in Analysen der mundanen Phänomenologie kraft der eidetischen Reduktion, wobei die verschiedenen Seinsregionen der W. als → Regionalontologien untersucht werden; die durch die Grundbegriffe und Grundsätze ausgedrückten Wesenszusammenhänge werden hinsichtlich ihrer → Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit herausgestellt. Dies ist allerdings eine „Beschränkung auf die Sphäre bloßer Anschauung und eidetischer Einsicht“ (Hua III/1, § 15), während die eigentliche Aufgabe vermittels der transzendentalen Reduktion ermöglicht wird: alle Seinsgeltungen als → Leistungen der transzendentalen Subjektivität zur Darstellung zu bringen. Der Leitfaden dieser konstitutiven Analysen ist jedoch das in der Wahrnehmung gegebene → Ding, was für eine zureichende Aufhellung des W.-Begriffs eine Verengung des Ansatzes mit sich bringt. Der späte Scheler stellt das Thema „W.“ in den Kontext eines metaphys. W.-Entwurfs. Der W.-Prozeß wird durch den Gegensatz von → Geist und → Drang vorangetrieben, wobei der Dualismus einerseits in steter Aufhebung begriffen ist, anderseits die Aktuierung des Dranges den Prozeß in Gang hält (ScheGW 11, 192 f.). „Geist“ wird durch → Freiheit und Ablösbarkeit vom → Leben (dem Organismus und der dem Menschen eigenen triebhaften Intelligenz) bestimmt, er ist dadurch weltoffen. „Menschwerdung ist Erhebung zur Weltoffenheit Kraft des Geistes.“ (ScheGW 9, 33) Mit dieser Weltoffenheit geht allerdings eine Entwirklichung der W. einher, indem das „Gefühlsdrangzentrum“ außer Kraft gesetzt wird, wel-

Welt ches aber den Zugang zur Wirklichkeit bildet. Der Geist selbst ist ursprünglich ohne alle Macht (Triebverdrängung als Sublimierung). Dieser metaphys. Ansatz wird dadurch phänomenolog. relevant, als Scheler damit den Sinn von Husserls phänomenolog. Reduktion erklären will (wobei er aber eigentlich auf die eidetische Reduktion abzielt). Es soll sich dabei nicht um eine Enthaltung vom Daseinsurteil handeln, sondern um die „Abstreifung des Realitätsmomentes selbst“, also nicht um ein Denkverfahren, sondern um ein „Verfahren inneren Handelns“ (ebd., 207). Dieser „Irrealisiserung des Weltbestandes“ entspricht eine „Entsingularisierung“ und damit „Verwesentlichung“ des Gegebenen (ScheGW 11, 75). Heideggers Analyse des W.-Begriffs ist zunächst von der Absicht geleitet, das → Dasein hinsichtlich seiner Grundstrukturen aufzuklären. Bereits für den frühen Heidegger besteht dabei schon terminologisch die Absicht, die Irreduzibilität der W. auszudrücken, wofür er das Verbum „welten“ gebraucht („es weltet“ (vgl. HeiGA 56/57, 73)). Schon jetzt ist W. durch „Bedeutsamkeit“ charakterisiert. In Sein und Zeit wird das Dasein hinsichtlich seiner Grundverfassung als → In-der-Weltsein charakterisiert, wobei verschiedene W.-Begriffe unterschieden werden: 1. W. als Summe des in der W. vorhandenen Seienden; 2. als Sein dieses Seienden; 3. als das, worin das Dasein lebt (hier wiederum öffentliche oder private W.); 4. als ontolog.-existenzialer Begriff der Weltlichkeit. Die nächste W. des alltäglichen Daseins ist die → Umwelt (HeiGA 2, § 14). In-der-Welt-sein meint kein räumliches In-sein, sondern ein Vertrautsein mit W. (was das „Unzuhause“ nicht ausschließt). Die Struk-

612 tur der W. ist durch Bedeutsamkeit gekennzeichnet. Konstitutiv dafür, daß die W. als bedeutsame begegnen kann, ist die → Erschlossenheit des Seienden als Seienden im Verstehen und gleichursprünglich des Seienden im Ganzen in der → Befindlichkeit. Die W. ist transzendent, insofern sie in der horizontalen Einheit der ekstatischen Zeitlichkeit gründet (→ Transzendenz bestimmt sich bei Heidegger aus der ekstatischen Zeitlichkeit des seinsverstehenden Daseins). Das Seinsproblem ist mit dem W.-Problem ein Ganzes, insofern die → Frage nach dem → Sein die Frage nach Gründen ist, → Grund aber mit Transzendenz zusammenhängt und das In-der-Welt-sein als solches auf Gründe bezogen ist; das Seinsproblem „entrollt“ sich solcherart zum Weltproblem (HeiGA 27, § 45a; vgl. auch HeiGA 9, 123-177). Um die Eigentümlichkeit der menschlichen Welthabe und Weltbildung schärfer herauszuarbeiten, unterscheidet Heidegger diese von der Weltlosigkeit des Steines und der Weltarmut des → Tieres (HeiGA 29/30, § 42). Es gehört zu den beiden Wesenszügen des Kunstwerkes, erstens eine W. aufzustellen, in der alle Dinge ihre → Ferne und → Nähe erhalten, in der sich die Huld der → Götter erweist oder auch das Ausbleiben „des“ Gottes; zweitens stellt sich das → Werk zurück in die → Erde und läßt sie so sein, was sie ist (die Erde vom „Irdischen“ als göttlich unterschieden, vgl. HeiGA 53, 36). Diese Gegenüberstellung von W. und Erde tritt später hinter die Bestimmung des → Gevierts der W. zurück. In diesem ereignen sich Himmel und Erde, die Göttlichen und die Sterblichen. Das Geviert der W. ist aus der Erfahrung der Epoche des Nihilismus gedacht, ihm entspricht deshalb das → Gestell als Wesensmerkmal

613 dieser Epoche (vgl. HeiGA 15, 366). Für Patoˇcka stellt sich das Problem der W. als das der Erkenntnis der „natürlichen“ W. („natürliche“ oder „naive“ W. als Äquivalent zu Husserls → „Lebenswelt“) im Gegensatz zum Anspruch der Naturwissenschaften auf gültige Erkenntnis der W. Pato cˇ ka geht von Husserls Analysen zur Lebenswelt aus, wobei die W. in ihrer Ganzheit das Problem der Philosophie schlechthin ist (Patoˇcka 1990, 29). Das Thema, der Mensch in der W., wird zunächst einer Deskription unterzogen. Er ist ein Wesen, das mit der „Körperlichkeit“ (d. h. Leiblichkeit) in Kontakt mit der W. steht und dadurch in ihr aufgehoben ist, das mit anderen Subjekten zusammenlebt und imstande ist, diese zu verstehen und sich dessen bewußt zu sein. Die W. des allgemeinen Erlebens ist unser Milieu, das sich in einem Stil der Erfahrung zeigt und als W. der Lebensgemeinschaft durch eine Vielzahl von Interessen bestimmt ist; als → Heimat („jener Teil des Universums, den ich als Mensch am stärksten durchdrungen habe“, ebd., 99) und → Fremde (als potentieller Hintergrund), gegenüber anderen Lebewesen und der Natur. Zu dieser ersten Dimension der W. (Heimat usf.) kommt als zweite die einheitsstiftende Zeit, dazu kommen des weiteren Stimmungen und Befindlichkeiten. Im Vollzug der Reduktion zeigt sich die W. als reines Phänomen in aktueller Aktivität und Inaktivität als dem Horizont jener. Als konstitutives Fundament erweist sich die ursprüngliche → Zeit, die athematisch bleibt und durch die sich die Subjektivität in ihrer Umwelt engagiert. Ihre Funktion liegt in der Bildung der weltbezogenen Zeit in ihrer Sukzession, aus ihr entspringt die persönliche Lebenszeit. Die Untersuchung der W. führt demnach

Welt auf ein ontolog. Schema mit materialen Grundkategorien und auf das präkonstitutive Subjekt als Voraussetzung aller Konkretisierung. Theoretische Erkenntnis der W. geschieht um ihrer selbst willen, ihr Akzidenz ist die Sprache (die hier erstmals im Zusammenhang mit der Lebenswelt thematisiert wird, was auch auf den Einfluß des Prager Cercle linguistique um Jakobson zurückzuführen ist); erst sie vermag subjektive Prozesse zu objektivieren. Die Tendenz der Wissenschaft ist selbst interessengeleitet; sie zielt darauf ab, die alltägliche Praxis (als ihre eigene Voraussetzung) zu „desanthropomorphisieren“, um sie solcherart beherrschen zu können (ebd., 177). Die rationale Beherrschbarkeit entspringt also subjektiven Tendenzen, es ist daher der Rückgang auf die konstitutive Leistung der Subjektivität nötig, um das Weltgeschehen im Ganzen interpretieren zu können; die konstitutiven Leistungen durchlaufen dabei die Geschichte der Menschheit. Das Studium der natürlichen W. ist Reflexion auf diese, die Reflexion selbst ist jedoch weltlich-praktisch motiviert, auf das Verstehen der Dinge im praktischen Umgang ausgerichtet (und nicht primär auf theoretisch zu erfassende Gegenstände). Damit wandelt sich der Sinn von Reflexion als Kontemplation zu Reflexion als Bestandteil der Praxis, was gleichzeitig eine Konkretisierung des Begriffs der W. bedeutet: vom Leben der Wissenschaft und Philosophie zu einer Ontologie der W. mit ihren Grundmomenten → Raum, Zeit, → Bewegung (ebd., 241 mit Hinweis auf Fink). Das führt schließlich zu Pato cˇ kas Theorie der Bewegung des Lebens. Fink geht von der These der Weltvergessenheit der abendländischen → Ontologie aus (Fink 1957, 41). Diese be-

Werk ginnt bei Parmenides mit der Ausgrenzung des → Nichts aus dem Sein, indem sie dieses gegen alle Einbrüche des Nichts verteidigt und ganz vom Gedanken des Seins eingenommen ist. Das gilt auch für die Folgezeit, selbst wenn Platon in das Sein das Nichts hineinnimmt, um die Bewegung verständlich zu machen; das Bewegte ist dem Unbewegten und Unveränderlichen gegenüber doch nur ein minderes Sein. Jenes denkerisch unbewältigte Nichts legt schon zu Beginn der europäischen Philosophie den Keim des Nihilismus. Zwar hat Fink zufolge Heidegger mit dem Zusammendenken von Sein und Zeit die Aufgabe in Angriff genommen, die Idee des Seins umzudenken, doch ist nun ebenso nach dem Bezug von Sein und Raum, Sein und Bewegung zu fragen. Die Weltvergessenheit zeigt sich in der Arbeit der Ontologie in einer „Dingbefangenheit“, insofern das Ding als Modell für die Auslegung der W. fungiert. Doch ist die Weltvergessenheit niemals total, weil der Mensch in seinem Wesen weltoffen ist. Ein Weltmoment ist die Erde als das, „was alle Dinge trägt, austrägt und erträgt“ (Fink 1977, 279): als Seinsmacht der Verschlossenheit, die sich in dem, das sie birgt, zugleich verbirgt. Aus ihr kommt das Leben, in ihr werden die Toten begraben. Sie ist ebenso unfaßlich wie das andere Weltmoment, der Himmel (beide unfaßlich, weil sie in keiner „Fassung“ vergegenständlicht werden können). In seinem Licht erhält jedes Ding sein Aussehen und sein Gepräge. Ontolog. Erfahrung wird zur kosmischen Dialektik von Himmel und Erde, W. und Ding. Rombach nimmt Heideggers Begriff des In-der-W.-seins auf, hebt aber den Tatbestand hervor, daß jedes Grundphänomen (z. B. Spiel, Arbeit, Wahr-

614 nehmung, Liebe) seine eigene W. entfaltet und spricht deshalb von einem In-Welten-sein. Diese Bedeutung wird durch den Begriff der Situation spezifiziert: Sie ist selbst W., doch trägt dieser Begriff der Tatsache Rechnung, daß sich alles Lebendige je seine W. schafft. Die Singularität der W.en läßt sich auf die Singularität einfacher Grunderfahrungen zurückführen; sie prägen das Erleben von Wirklichkeit und sammeln sich in Bildern: Das Bild ist potentiell die W., die von ihm her expliziert und artikuliert werden kann. Bild und W. sind dabei „hermetische“ Phänomene, d. h. sie betonen die Einzigartigkeit der W., die damit alle von ihr berührten Differenzen bestimmt: „W. meint das Totale, durch das nichts, keine Kategorie und kein Vergleichshorizont unberührt bleibt.“ (Rombach 1996, 81) Qu.: Hua III/1, § 15. – ScheGW 11. – ScheGW 9. – HeiGA 2. – HeiGA 9, 123177. – HeiGA 15. – HeiGA 27. – HeiGA 29/30. – HeiGA 53. – HeiGA 56/57. – Patoˇcka 1990. – Fink 1957. – Fink 1977. – Rombach 1993. – Lit.: Bermes 2004. – Landgrebe 1958. – Stenger/Röhrig 1995. – Thurnher 1990. – Vetter 2003a. – Vetter 2003b. HV

Werk. Unter einem W. versteht Heidegger in Sein und Zeit Seiendes, bei dem der sich alltägliche Umgang in seinem Besorgen aufhält und als ein Zuhandenes herstellt (HeiGA 2, 94; → Zuhandenheit). Im Kunstwerkaufsatz relativiert er diese Bestimmung bzw. spezifiziert sie mit der Frage nach dem Ursprung des W.es der Kunst. Im Rückgang auf die Frage nach dem Dinghaften dieses W.es (→ Ding) drängen sich drei geläufige Auslegungen auf: das Ding als Träger (Substanz) von Eigenschaften (Akzidenzien), als

615 Einheit von sinnlich Begegnendem und als geformter Stoff (in der Einheit von morphe und hyle). Sosehr diese dritte Bestimmung sich auch für die Auslegung des W.es anbietet, so entspricht sie doch keineswegs dessen Eigenart und kann in ihrer Allgemeinheit ebenso auf dieses wie auf das zuhandene → Zeug und ebenso auf das naturwüchsige Ding Anwendung finden. Nun zeigt sich aber mit Blick auf das Zeug dessen Verwandtschaft mit dem W. Zum Zeug (etwa zum Schuhzeug) gehört seine Verwendbarkeit. Weil es dabei zu etwas dient, spricht Heidegger auch von seiner Dienlichkeit. Am Beispiel eines Gemäldes von van Gogh (Schuhe; vgl. Pöggeler 1999, 284287) sucht er zu zeigen, daß die → Wahrheit der Dienlichkeit nicht in dieser selbst beruht, sondern in der Verläßlichkeit. Zeug kann vernutzt werden und zu bloßem Zeug herabsinken; mit diesem Hinschwinden der Verläßlichkeit bleibt dann nur die „blanke Dienlichkeit“ (HeiGA 5, 20). Die Wahrheit über das Zeug gibt das Kunstwerk zu wissen, indem es diese Wahrheit im W. hervorbringt. Daraus leitet Heidegger das Wesen der Kunst her: als „das Sichins-W.-Setzen der Wahrheit des Seienden“ (ebd., 21; vgl. HeiGA 45, 190 u. HeiGA 13, 206 mit Bezug auf den → Raum). Das W., durch welches Wahrheit zur Erscheinung kommt, eröffnet eine geschichtliche Welt und stellt diese zugleich zurück auf die → Erde als deren heimatlichen Grund (→ Heimat). „Werksein heißt: eine Welt aufstellen.“ (HeiGA 5, 30) Doch indem diese Welt aufgeht, geht sie aus einer → Verborgenheit hervor, und dies ist die Erde. Indem aber das W. eine Welt aufstellt, bringt es die Erde keineswegs zum Verschwinden. Daher gilt als Zweites: „Das W. läßt die Erde

Wert eine Erde sein.“ (ebd., 32) Welt und Erde stehen in einem Verhältnis zueinander, das Heidegger als „Streit“ charakterisiert. Erst dieser bringt beide in ihr Eigenes, sodaß die Erde bei ihrer Zerstörung gerade deshalb schweigt, „weil ihr nicht der Streit mit einer Welt verstattet ist (HeiGA 65, 277 f). Die Wahrheit selbst richtet sich in solchem Streit ein (vgl. HeiGA 54, 26: „das Wesen der Wahrheit selbst, in sich selbst, ein Streit“). Indem sie sich ins W. einrichtet, „west“ sie „nur als der Streit zwischen Lichtung und Verbergung in der Gegenwendigkeit von Welt und Erde“ (HeiGA 5, 50). Qu.: HeiGA 2, § 15. – HeiGA 5, 1-7. – HeiGA 13, 203-210. – Lit.: Biemel, Herrmann 1989. – Herrmann 1980. – Pöggeler 1999. HV

Wert. Für Husserl gehört das Thema in den Bereich einer reinen Ethik (seit 1908 in mehreren Vorlesungen behandelt). In Ideen I gibt es nur einige Hinweise, daß zu einer allgemeinen Phänomenologie der → Vernunft nicht nur die Probleme der formalen Logik, sondern auch die der formalen → Axiologie (= Wertlehre) und Praktik (= Ethik) als Analogon zu jener gehören. Diese Analogie von Logik und Ethik fungiert als Leitfaden für den wissenschaftlichen Aufbau der Ethik, denn auch das Werten ist → Bewußtsein von etwas, also ein intentionaler → Akt, und unterliegt wie andere intentionale Akte den Vernunftgesetzen. Die Vernunft tritt in der Logik als Verstand und Intellekt in Erscheinung, in der Ethik als Gemüt. Husserl (ähnlich schon Brentano) fordert mit Kant eine apriorische Begründung der Ethik, lehnt aber dessen Begründung als → Formalismus ab; mit Hume kommt er in der Anerkennung der Gefühle überein, lehnt es

Wert aber ab, diese zu Prinzipien der Moral zu machen: Wir verdanken diese nicht den Gefühlen, sondern dem Erkenntnisvermögen, der Vernunft. Husserl bestimmt die W.e als fundierte → Gegenstände. Voraussetzung ist also, daß es Gegenstände gibt, die W.e haben, was der Fall ist, wenn sie wertbegründende Prädikate besitzen. Jeder Gegenstand hat gewisse Prädikate. Unabdingbar sind die logischen Prädikate; z. B. sind einem Ding wesentlich Raumprädikate (Ausdehnung, Figur, Größe) und Zeitprädikate (Dauer, Veränderung, Zeitstelle), ohne die es nicht denkbar wäre. Dagegen können die Wertprädikate fehlen bzw. durch andere ersetzt werden, ohne den Gegenstand in seiner Fülle zu beeinträchtigen. Logische Prädikate sind somit die Voraussetzung für axiologische. Zu unterscheiden sind die formale und materiale Axiologie. Jene untersucht die mit dem Wesen des W.s zusammenhängenden Gesetzlichkeiten, diese ist Grundlage einer materialen Wertethik. Beide gehören zur reinen Axiologie. Die reine Praktik hat im Unterschied dazu als formale Praktik die → Normen vernünftiger Handlungen, als materiale Praktik das ethische Subjekt zum Thema. Primärer Gegenstand der formalen Axiologie ist der W., der analog zum formalen Gegenstand der Logik behandelt wird. Wie in dieser der Satz vom Widerspruch gilt, so auch in der axiologischen Sphäre: „Ist A ein positiver W., so ist er nicht ein negativer W.“ (Hua XXVIII, 81) Dieses Gesetz gilt aber nur bei gleichen materiellen Voraussetzungen. Ein wesentlicher Unterschied gegenüber dem logischen Gegenstand besteht darin, daß in der Wertsphäre das Adiaphoron hinzukommt (griech. adiaphoron „indifferent, wertfrei“, ein Terminus

616 der stoischen Ethik). Der Identitätssatz bzw. Satz vom ausgeschlossenen Dritten wird daher zum „Gesetz des ausgeschlossenen Vierten“ erweitert: Wenn M eine beliebige Materie ist, so ist sie entweder Materie eines positiven oder eines negativen W.s oder in sich wertfrei. Dieses Gesetz gilt für die Grundwerte und überträgt sich auf die abgeleiteten W.e, die damit zu objektiven W.en werden. Zu den Gesetzmäßigkeiten im Bereich der W.e stehen in Korrelation die Normen vernünftigen Wertens (noetische Gesetze). Zu ihnen zählen die Gesetze der Wertvergleichung (auch hier folgt Husserl teilweise Brentano), z. B. das Gesetz der Bevorzugung: „Jedes in sich W.e ist innerhalb seiner Kategorie wertvoller als jedes in sich Unwerte“ (ebd., 92). Es sind insgesamt Akte, die in eine Noetik der Gemütssphäre gehören. Auf die formale Wertlehre und Praktik sollte als nächsthöhere Stufe eine materiale apriorische W.- und Güterlehre folgen, die aber bei Husserl nur ansatzweise vorliegt (vgl. Melle in Hua XXVIII). Schelers Wertethik zielt ab auf eine wissenschaftliche Grundlegung der philosoph. → Ethik und ihrer Grundprobleme innerhalb der Grenzen ausweisbarer Wesensideen und Wesenszusammenhänge. Als materiale Wertethik grenzt sie sich gegen Kant ab. Sie teilt zwar dessen Anspruch auf apriorische Begründung, betrachtet aber die Gleichsetzung des Apriorischen mit dem Formalen als dessen Grundirrtum. Damit einher geht die irrige Gleichsetzung des Gegebenen mit dem Sinnlichen. Phänomenolog. gesehen sind es nicht Empfindungsdaten, welche gegeben sind, sondern Dinge bzw. Güter und dann in weiterer Linie W.e, also die Materien von Akten, die ihrerseits emotionale Akte sind. Dar-

617 aus ergibt sich die Forderung nach einem „Apriorismus des Emotionalen“ (ScheGW 2, 84). W.e sind materiale Qualitäten innerhalb einer bestimmten Rangordnung, unabhängig von Dingen, Gütern, Sachverhalten; sie können gegeben sein, ohne daß ihre Träger gegeben sind. Ein Ding (z. B. der Wahrnehmung) kann ein „wertvolles“ Ding sein, ist aber in seiner Einheit nicht durch den W. konstituiert, da es trotz Wertverlust auch weiterhin Ding bleiben kann. Ein Wertding dagegen ist ein Gut; in ihm wird der W. objektiv und seine Einheit ist durch einen W. konstituiert. Voraussetzung jeder Güterwelt ist eine Rangordnung der W.e. Eine besondere Stellung nehmen dabei die W.e „gut“ und „böse“ ein; Ausgang ihrer Bestimmung ist auch hier die materiale Rangordnung. Der W. „gut“ im absoluten Sinn liegt im Akt der Realisierung, der für die → Erkenntnis des diesen Akt vollziehenden → Wesens als der höchste erscheint; das Umgekehrte gilt für „böse“. Sittlich gut ist ein Akt, der einen W. realisiert, der mit jenem W. übereinstimmt, der „vorgezogen“ ist; der Akt des Vorziehens ist jedoch ein Erkenntnis- und kein Willensakt. Im Gegensatz dazu stimmt ein sittlich böser Akt mit dem „nachgezogenen“ W. überein. Der Unterschied von W.n beruht auf ihren wesensgemäßen Trägern. Es gibt demnach u. a. Person- und Sachwerte, Eigen- und Fremdwerte, Individual- und Kollektivwerte. Im Bereich der sittlichen W.e nehmen die Personwerte die höchste Stelle ein; zuoberst steht die Heiligkeit der → Person, höchstes Gut ist das → Heil der individuellen Person. Diese Rangordnung betrifft auch die Gemeinschaftswerte, denn die Gemeinschaft ist in der Person fundiert. W.e sind, da „Urphänomene“, auf ande-

Wert re Phänomene nicht rückführbar, sie kommen in fühlender Anschauung zur Gegebenheit. Der Wertgehalt der Welt erschließt sich im Fühlen, im Bereich der → Emotionen (Klasse der intentionalen Fühlfunktionen), wobei sich Liebe und Haß auf der höchsten Stufe des intentionalen emotionalen → Lebens befinden. Die Rangordnung der W.e ist apriorisch und betrifft die Wertmodalitäten (das eigentliche materiale Wertapriori). Diese umfassen die Wertreihe des Angenehmen und Unangenehmen, die W.e des vitalen Fühlens, die geistigen W.e (mit den Hauptarten schön/häßlich, recht/unrecht, W.e der reinen Wahrheitserkenntnis (die → Wahrheit selbst gehört in den Bereich der Logik und ist kein W.) und die Wertmodalitäten des Heiligen und Unheiligen. – Im Bereich des Wertfühlens ist die Täuschung die hauptsächlichste Leistung des → Ressentiments. Dieses verneint nicht nur – in scheinbar grundlosem Haß – die positiven W.e, sondern vermag insgesamt zu einer Umwertung zu führen (Nietzsche). Eine solche „Verkehrung der Wertschätzung“ (ScheGW 3, 132) – die auch in der theoretischen Weltanschauung und der Wissenschaft ihren Niederschlag findet – sieht Scheler u. a. in der Unterordnung der Lebenswerte (sinnliches Wohl, schöpferische Kraft, W. des Organes) unter die Nutzwerte (W. der Anpassung, des Werkzeuges). Diese Perversion erkennt Scheler im modernen „Asketismus“ und ortet sie später (Sombarts Kritik folgend) im Kapitalismus. Für Heidegger sind Wertcharaktere nur vorhandene Bestimmtheiten eines Seienden, ihre Fundamentalschicht ist die Dingwirklichkeit. Wertprädikate geben keinen Aufschluß über das Sein der Güter, sondern setzen für diese die

Wesen Seinsart der → Vorhandenheit voraus. Heideggers Kritik am Wertbegriff verschärft sich im Zusammenhang mit seinen Interpretationen zu Nietzsche. W. ist – mit Nietzsche – ein Gesichtspunkt, er ist W., weil er gilt, und er gilt, weil er als geltend gesetzt wird. W.e erscheinen hier als die Bedingungen der Machterhaltung und -steigerung innerhalb des Werdens. Weil Nietzsche das → Sein als W. auslegt, verkennt er das → Nichts in dessen Positivität und vermag deshalb den Nihilismus nicht zureichend zu denken und daher auch nicht zu überwinden. Alles Werten ist als Setzung eine Subjektivierung, es läßt das Seiende nicht sein, sondern lediglich als Objekt seines Tuns gelten. Deshalb ist für Heidegger das Denken in W.en die „größte Blasphemie“ gegenüber dem Sein (HeiGA 9, 349). Qu.: Hua XXVIII. – ScheGW 2. – ScheGW 3. – HeiGA 2, § 21. – HeiGA 48, 1. Teil. – HeiGA 9, 313-364. – Lit.: Müller-Lauter 2000. – Pfafferoth 1997. – Roth 1960. HV

Wesen. ,W.‘ bezeichnet bei Husserl zunächst „das im selbsteigenen Sein eines Individuum als sein Was Vorfindliche“ (Hua III/1, 13). Es steht im Gegensatz zu → Tatsachen und singulären Einzelheiten (ebd., 6 f.). Individuelles Sein ist zufällig. Der → Sinn dieser Tatsächlichkeit genannten Zufälligkeit ist korrelativ auf eine → Notwendigkeit bezogen, die den „Charakter der W.s-Notwendigkeit und damit Beziehung auf W.s-Allgemeinheit hat“ (ebd., 12). So gehört es zum „Sinn jedes Zufälligen [...], ein W. [...] zu haben“ (ebd.). Jeder Ton hat „an und für sich ein W. und zuoberst das allgemeine W. Ton überhaupt oder vielmehr Akustisches überhaupt – rein verstanden als das aus dem individuellen Ton (einzeln, oder durch Ver-

618 gleichung mit anderen als ,Gemeinsames‘) herauszuschauendes Moment“ (ebd., 13). Die obersten Wesensallgemeinheiten bilden „ ,Regionen‘ oder ,Kategorien‘ von Individuen“ (ebd.). Jedes Was kann „ ,in Idee‘ gesetzt werden“, das solcherart „Erschaute ist dann das entsprechende reine W. oder Eidos“ (ebd.). Es ist das der → Noesis zugeordnete → Noema unter Ausklammerung des Wirklichen. Wesensschau (Ideation) ist weder Verallgemeinerung, weil das W. an einem einzigen Ding erschaut werden kann, noch Vergegenwärtigung, sondern echte Anschauung, wenngleich „prinzipiell eigener und neuer Art“ (ebd., 15). Das W. kann sich exemplifizieren sowohl in „Erfahrungsgegebenheiten, in solchen der Wahrnehmung, Erinnerung usw. [...], ebensogut aber auch in bloßen Phantasiegegebenheiten“ (ebd., 16). Deshalb kann die Wesensschau sowohl „von entsprechenden erfahrenden Anschauungen [...] ebensowohl aber auch von nicht-erfahrenden, nichtdaseinerfassenden, vielmehr ,bloß einbildenden‘ Anschauungen“ ausgehen (ebd.). Der Wesensanschauung liegt zwar das Erscheinen von Individuellem zugrunde, das Individuelle wird aber in ihr nicht als wirklich gesetzt. „Reine Wesenswahrheiten enthalten nicht die mindeste Behauptung über Tatsachen“ (ebd., 17). W. ist „sachhaltiges oder leeres (also reinlogisches) W.“ (ebd., 30). Die sachhaltigen, materialen W. sind „die ,eigentlichen‘ W.“ (ebd., 26). Das leere W. enthält die Eigentümlichkeit des W.s als eines solchen, es ist „eine bloße Wesensform, die zwar ein W., aber ein völlig ,leeres‘ ist, ein W., das in der Weise einer Leerform auf alle möglichen W. paßt, das in seiner formalen Allgemeinheit alle, auch die

619 höchsten materialen Allgemeinheiten unter sich hat und ihnen durch die ihr zugehörigen formalen Wahrheiten Gesetze vorschreibt“ (ebd.). Sie bilden nicht eine Region, sondern umreißen die „leere Form von Region überhaupt“ (ebd.). Demgemäß lassen sich formale und materiale → Ontologie unterscheiden. Die erste thematisiert die „rein logischen Grundbegriffe“ (ebd., 27), d. h. die konstitutiven Gegenstandsbestimmungen. Sie ist „eidetische Wissenschaft vom Gegenstande überhaupt“ (Hua III/1, 26 f.). Letztere thematisiert die oberste sachhaltige Gattung eines → Gegenstandes. So entspricht z. B. den naturwissenschaftlichen Disziplinen eine Ontologie der → Natur, welche das „Eidos, das ,W.‘ Natur überhaupt“ zum Thema hat (ebd., 24). Wesenswissenschaft ist von Tatsachenwissenschaft unabhängig, nicht aber umgekehrt. Erstens muß eine Tatsachenwissenschaft, „da sie wie jede Wissenschaft auf Gegenstände gerichtet ist, an die Gesetze gebunden sein, die zum W. der Gegenständlichkeit überhaupt gehören. Damit tritt sie zu dem Komplex formalontolog. Disziplinen in Beziehung“ (ebd., 23). Zweitens gilt, „daß jede Tatsache einen materialen Wesensbestand einschließt und jede zu den darin beschlossenen reinen W. gehörige eidetische Wahrheit ein Gesetz abgeben muß, an das die gegebene faktische Einzelheit, wie jede mögliche überhaupt, gebunden ist“ (ebd.). Die „Wesenswissenschaft“, „ ,eidetische‘ Wissenschaft“ ist die „reine oder transzendentale Phänomenologie“ (ebd., 6). Für Scheler umfaßt das W. (das Was) die „Soseinskonstanten“ der Gegenstände (ScheGW 8, 231). Die Erfassung des W.s, die „Wesensschau“ („phänomenolog. Anschauung“, „phä-

Wesen nomenolog. Erfahrung“) ist von gegenständlicher Beobachtung zu unterscheiden (ScheGW 2, 68). Das „Was“ wird entweder erschaut oder nicht erschaut – nicht aber kann es mehr oder weniger gegeben sein (ebd.). Letzteres trifft nur auf Gegenstände zu, die mehr oder weniger genau beobachtet werden können. „Eine Wesenheit oder Washeit ist hierbei als solche weder ein Allgemeines noch ein Individuelles“, weil es sowohl im Allgemeinbegriff als auch in der Wahrnehmung eines Individuellen „mitgegeben“ ist (ebd.). Reine Wesenheiten lassen sich nicht beobachten oder induktiv ermitteln, weil sie bereits im Vollzug solcher Ermittlungsversuche sachlich vorausgesetzt sind. Was sich deshalb im Zuge der phänomenolog. → Reduktion „als Wesenheit und als Wesenszusammenhang aufweisen und erschauen läßt, das ist durch alle mögliche empirische Forschung [...] nicht zu bestätigen und nicht zu widerlegen, muß aber in allen empirischen Feststellungen geachtet sein“ (ScheGW 10, 395). In diesem Sinn sind die Wesenheiten „pure Tatsachen“ (ebd., 475). „Die Methode aber, echte Wesenheiten und Wesenszusammenhänge zur Erschauung zu bringen“, besteht darin, daß „jeder Versuch, das Vorgegebene zu ,beobachten‘, darum unmöglich ist, da – um der Beobachtung die Richtung auf das Objekt und seinen Sachverhalt zu erteilen – die exemplifizierende Schauung des Vorgegebenen an einem Objekt schon vorausgesetzt ist“ (ebd., 395). Gegenüber bloßen Begriffen erweist sich als „W. alles, was im Versuche einer Definition unweigerlich und aus der Sache selbst heraus in eine Zirkeldefinition verstricken würde“ (ebd., 395 f.). Bei apriorischen Sätzen verfallen wir „im Versuche, sie zu begründen, unwei-

Wesen gerlich dem circulus in demonstrando“ (ScheGW 2, 69). Beim Wesenswissen wird „streng methodisch abgesehen von der zufälligen Raumzeitstelle und von dem, was zufällig so oder anders ist“ (ScheGW 9, 78). Weil es um die Ausschaltung einer Realitätssetzung geht, liegt dem Wesenswissen 1. der „Versuch nach möglichster Ausschaltung alles begierlichen triebhaften Verhaltens“ zugrunde, weil „dieses triebhafte Verhalten [...] die Bedingung alles Realitätseindruckes“ ist (ebd., 79). 2. In ihm wird „vom realen Dasein der Dinge, d. h. ihrer möglichen Widerständigkeit gegen unser Streben und Handeln, und eben damit von allem bloß zufälligen Jetzt-HierSosein, wie es uns die Sinneswahrnehmung gibt“ abgesehen (ebd.). 3. „Wesenserkenntnisse“ besitzen zwar keine Unabhängigkeit von aller → Erfahrung, wohl aber Unabhängigkeit „vom Quantum der Erfahrung oder von sogenannter ,Induktion‘ “ (ebd.). Wesenserkenntnisse „können je an einem einzigen exemplifizierenden Fall vollzogen werden“ (ebd.). Sie gelten daher 4. für das „Seiende, wie es an sich und in sich selbst ist. Sie haben ,transzendente‘ Erstreckung und werden so das Sprungbrett für alle ,kritische‘ Metaphysik“ (ebd., 80) und sind 5. „die eigentlichen ,Vernunfterkenntnisse‘ “ im Unterschied zu den Verstandeserkenntnissen (ebd.). Wesenserkenntnisse haben 6. eine zweifache Anwendungsmöglichkeit. Sie umgrenzen die obersten Voraussetzungen der positiven Wissenschaften und sind für die Metaphysik die „Fenster ins Absolute“ (ebd.). Weil positive Wissenschaft weder echtes W. noch das „Dasein von etwas echten W.s“ erklären kann, muß „beides, die Wesensstruktur wie das Dasein der Welt, auf das absolut Seiende, d. h.

620 auf den gemeinsamen obersten Grund der Welt und des Selbst des Menschen in letzter Linie zurückgeführt werden“ (ebd.). Nach Reinach lautet der „Hauptsatz der Phänomenologie: Jedem gegenständlichen Gebiet ist eine Sphäre von apriorischem Gehalte, eine AprioriWesensgesetzlichkeit zugeordnet, und diese Sphäre ist vor aller empirischen Feststellung zu untersuchen“ (Reinach 1989, 440). Er wendet sich gegen eine Subjektivierung und Verarmung des Apriori (ebd., 546). Einerseits gilt: „Das Apriori hat an und für sich mit dem Denken und Erkennen auch nicht das mindeste zu tun“ (ebd., 545). „Apriorisch sind die Sachverhalte, sie sind es, insofern die Prädikation in ihnen, das B-Sein etwa, gefordert ist durch das W. des A, insofern es in diesem wesensnotwendig gründet. Sachverhalte aber bestehen, gleichgültig, welches Bewußtsein sie erfaßt und ob überhaupt ein Bewußtsein sie erfaßt“ (ebd., 544 f.). Andererseits ist „das Gebiet des Apriori unübersehbar groß; was immer an Objekten wir kennen, sie alle haben ihr ,Was‘, ihr ,W.‘, und von allen Wesenheiten gelten Wesensgesetze. Es fehlt jedes, aber auch jedes Recht dazu, das Apriori auf das Formale in irgendeinem Sinne zu beschränken, auch von dem Materialen, ja dem Sinnlichen von Tönen und Farben gelten apriorische Gesetze“ (ebd., 546). Die „Frage nach dem W. einer Sache“ läßt sich nicht „durch Antworten über ihre Entstehung oder ihre Wirkung“ lösen (ebd., 535). Die Wesensgesetze besitzen eine „Eigenart und Dignität, die sie durchaus von allen empirischen Zusammenhängen und empirischen Gesetzmäßigkeiten unterscheiden. Die reine Wesenserschauung ist das Mittel, zur Einsicht und adäquaten

621 Erfassung dieser Gesetze zu gelangen“ (ebd.). In der Phänomenologie geht es nicht um erklärende Rückführung, sondern um aufklärende Hinführung. Reinach wendet phänomenolog. Grundeinsichten auf die Rechtslehre an (→ Recht). Spezifisch rechtliche Gebilde wie z. B. → Ansprüche, Verbindlichkeiten besitzen ein „außerpositivrechtliches Sein, genauso wie Zahlen ein Sein unabhängig von der mathematischen Wissenschaft besitzen“ (ebd., 144), ein Sein, das „unabhängig davon ist, ob es Menschen erfassen oder nicht“ (ebd., 143). Es handelt sich hier um „eine ganz neue Art von Gegenständen [...], welche nicht zur Natur im eigentlichen Sinne gehören, die weder phys. noch psych. sind, und die sich zugleich auch von allen ideellen Gegenständen durch ihre Zeitlichkeit unterscheiden“ (ebd., 154). Sätze über spezifisch rechtliche Gebilde handeln nicht über zufällige und einzelne Sachverhalte, sondern über notwendig und allem schlechthin Zukommendes. Sie handeln von allgemeinen und notwendigen Sachverhalten (ebd., 143). Diese Sätze gelten zwar a priori, doch kommt Apriorität „primär weder den Sätzen noch dem Urteil noch dem Erkennen“ zu, sondern dem „Sachverhalt“ (ebd., 144, Fn 1). Conrad-Martius unterscheidet an allem, was es gibt, „das Betreffende qua Subjekt seines Soseins [...] und das Sosein selber. Ein Gegenstand hat immer ein Was und ist selbst Träger dieses Was“ (Conrad-Martius 1957, 39). Das Sosein eines Gegenstandes ist mit seinem W. nicht einfach identisch: Nicht nur „allgemeine Gegenstände wie Arten und Gattungen“ haben ein „W.“, „sondern auch individuelle“ (ebd., 48). Zum eigenen W. gehört, was „immer oder aber in den meisten Fällen vor-

Wesen handen ist oder eintritt“ (ebd., 46). Es ist zu unterscheiden zwischen dem individuellen bzw. allgemeinen W. als solchem „oder für sich genommen, das unveränderbar und untangierbar besteht und durch Wesensforschung gesichtet bzw. analysiert werden kann“, und dem individuellen bzw. allgemeinen W. „in seiner faktischen Hineingeformtheit in einen empirischen Träger, als welches es entstellt, ja völlig verändert und gegebenenfalls der Grundartung nach ein anderes werden kann“ (ebd., 52). Das W. oder die Essenz wird in der „ideellen Setzung“ ergriffen (ebd., 48), „die Idee ist das gegenständlich für sich gesetzte W. irgendeiner Sache“, wobei von der Existenz abgesehen wird (ebd., 49). Das reine „Was-Sein“, die „bloße Essenz“ (ebd., 76) ist „in sich völlig frei [...] von einer Beziehung auf Gegenstände“ (ebd., 77). Das Eidos ,Röte‘ z. B. „ist nichts weiter als Röte, ist ganz und gar Röte“ (ebd., 76). Die Wesenheiten dürfen nicht hypostasiert werden, sie sind keine Gegenstände i. S. des Subjekts eines W.s, „es gibt sie, aber sie ,sind‘ nicht“ (ebd., 78). Dies Wesenheiten geben „allem andern, was es auch sei, sein W.“ (ebd., 85), sie „sind nichts als Sinn und Logos“ (ebd., 86). Heidegger unterscheidet das metaphys. verstandene W. vom verbal verstandenen W. Der metaphys. Begriff bedeutet Washeit (essentia, quidditas), Sachgehalt (realitas), Möglichkeit (possibilitas), Aussehen (eidos), ,was jegliches je schon war‘ (to ti en einai). Er bildet den Gegensatz zu Dasein, Daßsein, Wirklichkeit, Vorhandenheit (existentia, actualitas). Die metaphys. „Grundartikulation des Seins“ (HeiGA 24, 33) in W. und → Dasein (essentia und existentia) ist im Hinblick auf „das herstellende Verhalten zum Seienden“ ge-

Widerspruch wonnen (ebd., 155). „ ,W.‘ verbal verstanden, ist das Selbe wie ,währen‘ “ (HeiGA 7, 31), das aber nicht in der Bedeutung von ,fortwähren‘, ,bleibend sich durchhalten‘ – dies wäre das metaphys. verstandene ,währen‘ (das Währende als eidos, idea –, sondern im Sinne von gewähren. Das verbal verstandene Währende ist das Gewährende. „Nur das Gewährte währt“ (ebd., 32). „W. heißt Währen. Aber zu rasch beruhigen wir uns dabei, währen als bloßes dauern und die Dauer am Leitfaden der gewohnten Zeitvorstellung als eine Zeitstrecke von einem Jetzt zu einem folgenden aufzufassen. Die Rede vom An-wesen verlangt jedoch, daß wir im Währen als dem Anwähren das Weilen und Verweilen vernehmen. Anwesen geht uns an, Gegenwart heißt: uns entgegenweilen, uns – den Menschen“ (Heidegger 1969, 12). Im verbalen ,W.‘ wird „das Sein selbst in dem, wie Es, das Sein, ist“, gedacht (HeiGA 6.2, 327). „Der Satz denkt im verbal verstandenen Wort (verbum) ,W.‘ das Sein selbst in dem, wie Es, das Sein, ist“ (ebd.). Das → Sein ,ist‘, indem es sich geschickhaft entbirgt und darin verbirgt. Das „Sichentziehen ist die Weise, wie Sein west, d. h. als Anwesen sich zuschickt [...]. Das Sichverbergen, der Entzug, ist eine Weise, in der das Sein als Sein währt, sich zuschickt, d. h. sich gewährt“ (HeiGA 10, 104). Solches Zuschicken trifft nicht auf ein schon bestehendes Menschenwesen, vielmehr wird in solchem Zuschicken das Menschenwesen allererst gestiftet, indem es vom Sein beansprucht wird. „Das Sein selbst entzieht sich, aber als dieser Entzug ist das Sein gerade der Bezug, der das W. des Menschen als die Unterkunft seines (des Seins) Ankunft beansprucht“ (HeiGA 6.2, 332). So gesehen ist das

622 „W. der Technik [...] das Sein selbst“ (HeiGA 79, 69), nämlich „eine Weise des Entbergens“ (HeiGA 7, 13). Die Frage nach dem W. der → Technik versteht ,W.‘ „niemals [...] im Sinne der Gattung und der essentia“ (ebd., 31), sondern fragt nach dem geschickhaften Bezug von Sein und Menschenwesen als demjenigen Spielraum, darin „das Wirkliche in der Weise des Bestellens als Bestand“ entborgen wird (ebd., 24 f.). Qu.: Hua III/1. – ScheGW 2. – ScheGW 8. – ScheGW 9. – ScheGW 10. – Reinach 1989. – Conrad-Martius 1957. – HeiGA 6.2. – HeiGA 7. – HeiGA 10. – HeiGA 24. – HeiGA 79. GP

Widerspruch. Die frühe Husserlsche Phänomenologie befaßt das Phänomen des W.s unter den Begriffen des Widerstreits, des Widersinnes, der Unvereinbarkeit, der Unverträglichkeit und der Unmöglichkeit, wobei letzterer eindeutig die noematische Seite kennzeichnet. Neben dem Widerstreit der → Erscheinungen kennt Husserl auch den Widerstreit der → Bedeutungen (Begriffe, Sätze). Ausgedrückte Bedeutungen sind „widersinnig“, wenn ihnen kein → Gegenstand entsprechen kann (z. B.: rundes Viereck). Als „unsinnig“ gelten sie dagegen, wenn durch den Ausdruck rein syntaktisch kein einheitlicher Sinn konstituiert wird (z. B.: ein rundes oder) (Hua XIX/1, 334-336). Den Widerstreit der Erscheinungen illustriert Husserl wiederholt am Beispiel des Zweifels an der → Geltung des Auffassungssinnes einer gegebenen Erscheinung entweder als leibhaftiger Mensch oder als Puppe (Figur im Panoptikum). Für beide Auffassungen spricht hier im Zwei-

623 felsfalle gleich viel, so daß keine der widerstreitenden Auffassungen sich bleibend durchsetzen kann. Der Widerstreit der Bedeutungen, wie Husserl ihn in den Logischen Untersuchungen thematisiert, gibt die phänomenolog. Behandlung des logischanalytischen Begriffes des W.s. Die Möglichkeit i. S. der Widerspruchsfreiheit von Bedeutungen oder → Begriffen wird insofern unter das Postulat einer vollständigen, einheitlichen → Anschauung gestellt, als nur solchen Bedeutungen Geltung zukommt, die zu einem Ganzen, welches sich in einheitlicher Anschauung geben läßt, vereinigt werden können. Widerstreit oder W. meint also in diesem Sinne die prinzipielle, ideelle Unmöglichkeit, eine Bedeutungskomplexion in vollständiger Angemessenheit anschaulich gegeben zu haben. Qu.:Hua XIX/1, 334-336. – Hua XIX/2, 632-644. SR

Widerstand. Husserl entwickelt in den Ideen II ein Verständnis von W. aus dem Weltbezug, der vom Grundgesetz der → Motivation regiert wird. Motivation ist Aufforderung und Anreizung, in ihrem Eigensinn vom kausalen → Reiz/Reaktion-Schema unterschieden. Von den Dingen der → Umwelt affiziert, „kann das Motivationssubjekt den Reizen bald nachgeben, bald auch ihnen widerstehen“ (Hua IV, 189). Im ersten Fall haben wir es mit einem „Subjekt des Nachgebens“ zu tun, im zweiten Fall mit einem, dessen Absichten durch eigene „Widerstandskraft“ (Hua IV, 267) gegen Versuchungen gewappnet sind. Die Möglichkeit, daß ich einem Ding W. leiste (ebd., 217), findet ihre Gegenmöglich-

Widerstand keit darin, daß ein „W. unüberwindlich werden kann: dann stoßen wir auf das ,es geht nicht‘, ,ich kann nicht‘, ,ich habe nicht die Kraft‘ “ (ebd., 258). Widerständige Dinge motivieren hier das Bewußtsein der Grenzen meiner Möglichkeiten. Schließlich können auch „die Dinge [...] einander Widerstände [leisten]“ (ebd., 259), wenn sie sich hinsichtlich ihrer Aufforderungskräfte gegenseitig hemmen, so daß das Subjekt die Bäume vor lauter Wald nicht sieht. Husserls Aussagen, die dem W. von vornherein keine zu enge Sonderbedeutung unterschieben wollen, sind gleichwohl für Spezifizierungen offen. In einer politischen Perspektive überträgt Merleau-Ponty das Motivationskonzept auf die Geschichte und führt aus, daß „es durchaus nicht das tiefste Elend ist, welches die bewußtesten Revolutionäre hervorbringt“, denn erst eine Lockerung der Verhältnisse setzt Anreize für einen „neuen Lebensentwurf“ (Merleau-Ponty 1966, 506) frei. Am Beispiel Gandhis stellt Ricœur „gewaltlose Formen des W.s“ (Ricœur 1974, 219) vor, deren Kräfte mit der → Gewalt in der Geschichte konkurrieren können. In eine ähnliche Richtung geht Arendt, für die die politische → Macht des „passiven W.s“ (Arendt 1967, 194) eine wirksame Form des Handelns gegen organisierte → Gewalt darstellt. Arendt spricht auch von zivilem Ungehorsam, den sie von Revolutionen und bloßen Verbrechen unterscheidet (Arendt 1970). Für Husserl ist der „W. eines Dinges“ die diesem „zugehörige Eigenheit“ (Hua XV, 322), welche ich aber aktuell oder potentiell mit meinen Möglichkeiten überwinden kann, indem ich das → Ding in Besitz nehme, untersuche oder zerstöre. Jeglicher Aneignung entzogen ist Levinas zufolge das → Antlitz des →

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Wiederholung Anderen, das sich in einem „ethischen W.“ zeigt, der jedoch kein reales Hindernis ist, an dem mein Können scheitern müßte. Vielmehr „lähmt“ der ethische W. „meine Vermögen“ (Levinas 1987, 286), denn der Andere „überschreitet unendlich meine Vermögen“ (ebd., 284), er ist kein Objekt meiner Möglichkeiten. Der ethische W. ist das prophetische Wort: „Du wirst keinen Mord begehen.“ (ebd., 285) Die Voraussetzungen dieses Verständnisses von W. hat Levinas in seiner → Ethik dargelegt. Qu.: Hua IV. – Hua XV. – Merleau-Ponty 1945 (1966). – Ricœur 1949 (1974, 219232). – Arendt 1958 (1967). – Arendt 1970 (1986, 119-160). – Levinas 1961 (1987). MWS

Wiederholung. Der Begriff der W. ist Gegenstand der gleichnamigen Schrift Kierkegaards, in der dieser zu zeigen versucht, daß an ihm die Metaphysik versagen muß. Denn die W. ist (als Gegenbegriff zur „Erinnerung“, der anamnesis Platons) ein „Interesse“, und dieses hat im Ernst des → Daseins seine Wirklichkeit. Diese setzt den → Sprung in den Glauben voraus. Außerhalb dieser religiösen Konnotation ist für Heidegger die W. doch auch dadurch bestimmt, daß sie in den Vollzug des je eigenen Daseins zurückweist. So heißt es beim frühen Heidegger, → Geschichte und damit Vergangenes verstehen bedeute nicht, dieses „lediglich zur konstatierenden Kenntnis [zu] nehmen, sondern das Verstandene im Sinne der eigensten Situation und für diese ursprünglich [zu] wiederholen“ (Heidegger 1989, 11). Dieser Bezug zu Vergangenem wird in Sein und Zeit in den Zusammenhang der zeitlichen Analyse des Daseins gestellt. Mit dem → Augenblick und dem

→ Vorlaufen zum Tode gehört die W. zu den eigentlichen Modi der Zeitlichkeit (→ Zeit). Während die uneigentliche Gewesenheit im → Vergessen liegt, ist die W. das „eigentliche Gewesen-sein“ (HeiGA 2, 448). In dieser → Ekstase übernimmt sich das Dasein entschlossen (→ Entschlossenheit) in dem, was es schon ist. „Die W. kennzeichnen wir als den Modus der sich überliefernden Entschlossenheit, durch den das Dasein ausdrücklich als Schicksal existiert.“ (ebd., 510) Qu.: HeiGA 2, §§ 68b, 74.

HV

Wiedersagen. Im Unterschied zur → Wiederholung von Inhalten bzw. Gesagtem meint das W., daß sich der Anspruch des → Sagens wiederholt. Es wird nicht etwas wiederholt, sondern ein → Anspruch neu gestellt. Dieses Geschehen ereignet sich vor jeder Reflexion, die auf Inhalte bezogen bleibt. Levinas spricht von der „Iteration des Sagens“. Gemeint ist damit ein „ ,DasSagen-Sagen‘ “, mit dem die geiselhafte Auslieferung des Ich an den anderen Menschen, also die Ausgesetztheit an diesen, selbst noch einmal an den → Anderen oder die Andere ausgesetzt ist (vgl. Levinas 1992, 313, 119, 335; Levinas 1996, 204). Einerseits wird dadurch das Gespräch in Gang gehalten, andererseits gibt das Ich in seiner absoluten Passivität Zeugnis vom Unendlichen. Qu.: Levinas 1974 (1992). – Levinas 1993 (1996). – Lit.: Waldenfels 1994a. RE

Wille (frz.: volonté). Gegen Kant entwirft Scheler eine Willens-Lehre, die den zu realisierenden → Werten eine materiale Werthaftigkeit zuspricht, die zwar von den Wertdingen unterschieden ist, aber „gleichsam ,auf dem Rücken‘ des W.ns-Aktes“ gege-

625 ben bleibt. Letzterer muß nicht notwendig eine Wahl sein, wenn auch die Willens-Realisierung an einen „Vorzugsakt“ gebunden bleibt, der im Unterschied zum theoretischen Vorstellen einem Wertfühlen als Erschließen der apriorischen Sphäre der axiologischen Sachverhalte folgt. Was diese Werte trägt, sind ursprünglich nicht allein die W.ns-Akte, sondern „das Sein der Person“ selbst, das ein sittliches „Können“ vor allen spezifischen W.ns-Richtungen impliziere. Auf diese Weise soll akt- wie materialwertphänomenolog. die „Konstruktion“ einseitiger W.ns-Akte durchbrochen werden (ScheGW 2, 48 ff.), die über vitale Werte bis in den Bereich der → Liebe und des Heiligen reichen (vgl. ScheGW 5; Phänomenolog. Forschungen 1994). Da Heidegger nicht nur in bezug auf Scheler jeden substantiell-personalen Relationsbegriff als „Aktvollziehender“ ablehnt (HeiGA 2, 64) und das → Dasein als → „Transzendenz“ schlechthin bestimmt, kann er auch die theologischen Implikationen der Unendlichkeit des W.ns als Freiheit gegenüber dem Vernunfturteil nach Descartes nicht teilen (HeiGA 17, 151 ff.). Vielmehr ergreift sich die existenzial interpretierte → Sorge (Masullo 1989) als „vorlaufende Entschlossenheit“, die Schuldigseinkönnen und → Tod „eigentlich und ganz“ als ursprüngliches „Gewissenhaben-wollen“ auf sich nimmt (HeiGA 2, 405 f.). Damit ist der W. im ontolog.fundamentalhermeneutischen Sinne eine Weise der „Wahrheit der Existenz“ selbst, die sich in der Rückbesinnung auf das → Sein vom wissenschaftlichtechnischen Herrschafts-W.n der Neuzeit als coagitatio unterscheide, weil „das Wollen, das ein Wissen [wie in der

Wink Kunst] bleibt, in das ekstatische Sicheinlassen des existierenden Menschen in die Unverborgenheit des Seins ist“ – d. h. die Schutzlosigkeit des Offenen wagt, um so „im W.n zum W.n gewillt“ zu sein (HeiGA 5, 55, 108 f., 293 f.). Arendt schließt in gewisser Weise hier an sowie an die Spontaneitätsbestimmung des → Wollens bei Husserl, insofern sie das willentliche → Handeln als „Initiative“ sieht. In unserer → Geburt als → Anfang (initium) ist der Antrieb mitgegeben, „etwas Neues“ zu wollen bzw. in Bewegung zu setzen, was mit der Freiheit zusammenfällt (Arendt 1979b 164 ff.). Der „Abgrund der Freiheit“ und des W.ns als Verwirklichung der Initiative wird von Arendt im Anschluß an Paulus und Pascal als den Entdeckern des W.ns analysiert, um dann dem Konflikt zwischen W. und Intellekt bei Thomas von Aquin und Duns Scotus sowie der Abweisung des begrenzten Akt-W.ns nach Nietzsche und Heidegger zu folgen (vgl. ebd., sowie Reif 1979). Qu.: ScheGW 2. – ScheGW 5. – HeiGA 2. – HeiGA 5. – HeiGA 17. – Arendt 1958 (1981). – Arendt 1978b (1979b). – Lit.: Masullo 1989. – Reif 1979. – Phänomenologische Forschungen 28/29 (1994). RK

Wink. „W.“ gehört zu jenen im Denken des späteren Heidegger sich vordrängenden Bildworten, die je die begrifflich inexplikable Sache seines → Denkens: das → Sein oder „Seyn“ als das sich entziehende und im → Entzug nur sich gebende → Ereignis anzeigen, selbst gleichsam einen „W. in das Ereignis“ (HeiGA 65, 77) geben sollen. Phänomenolog. an der Gebärde eines Abschiednehmenden abgelesen, verweist das Bildwort derart auf das ,abschiedliche‘ Sein (vgl. HeiGA 12, 111). W.e ,ins‘ Ereignis, wie sie ein

Wirklichkeit sich in der Nachbarschaft zur → Dichtung, in einzigartiger Weise zur Dichtung Hölderlins, wissendes Denken zu geben sucht, verdanken sich aber nach Heidegger dem ursprünglichen W. des sich in der Geschichte der → Metaphysik „sagend“ kundgebenden Ereignisses selber. Der W. zeigt sich als „Grundzug des Wortes“ (ebd., 109), des Ereignisses, dem gegenüber jedes menschliche Wort „schon Antwort“ ist: „Gegensage, entgegenkommendes, hörendes Sagen“ (ebd., 249), und zwar, indem es gerade „auf das Ungesprochene“ im Gesprochenen „hörend“ ist (ebd., 251). So entspringt der denkerische W. ins Ereignis dem „W. der Geschichte [...], die die des Seyns selbst ist“ (HeiGA 65, 170). Ein W., der nach den Beiträgen zur Philosophie die „Zukünftigen“ erfordert, die, wie der Dichter Hölderlin, die „W.e“ als „Sprache der Götter“ weiterzugeben vermögen (HeiGA 39, 32) und zumal „dem seltenen W. des letzten Gottes gewachsen“ sind (HeiGA 65, 405, 401), in welchem sich „die innerste Endlichkeit des Seyns“ enthülle (ebd., 410). Damit aber fordert der W. des „Seyns“ vom Denken den „Sprung in das Seyn und seine Wahrheit“ (ebd., 464), der zugleich Absprung ist vom Gewöhnlichen in das Ungedachte im Denken. Deshalb verweigert sich dieses Denken auch der Artikulation in einem „System“. „An die Stelle der Systematik und der Herleitung tritt die geschichtliche Bereitschaft für die Wahrheit des Seyns“ (ebd., 242). Qu.: HeiGA 12. – HeiGA 39. – HeiGA 65. – Lit.: Pöggeler 1999, 33 ff. AGO

Wirklichkeit. Husserl verwendet den Begriff der W. häufig gleichbedeutend mit ,Existenz‘ oder → ,Sein‘; gele-

626 gentlich wird ein bestärkendes Attribut (,reale‘, ,natürliche‘, ,wahre W.‘) vorangestellt. ,W.‘ bezeichnet dabei die Tatsächlichkeit von Etwas als in der Wahrnehmung „leibhaft gegeben“ (Hua III/1, 83). Seine systematische Stelle hat der Wirklichkeitsbegriff im Kontext der phänomenolog. → Reduktion, deren Ziel man als „entwirklichende Realisierung“ (Misch 1930; Fellmann 1982) bezeichnet hat: also als Rückgang auf die → Sachen selbst im Durchgang durch die phänomenolog. → Methode der Einklammerung bewußtseinstranszendenter W. (→ Epoché). Negativen Gebrauch von diesem Terminus macht Husserl schon in den Logischen Untersuchungen. Hier betont er, daß die kategoriale Formung sinnlicher Anschauungen „nicht den Charakter der empirischen W., sondern der idealen Möglichkeit hat“ (Hua II/2, § 62). Als Wesenswissenschaft geht die Phänomenologie auf Distanz zur „natürlichen W.“ (Hua III/1, 66), die damit zum „Wirklichkeitsphänomen“ (Hua I, 34) wird und ihre Seinsgeltung methodisch einbüßt. Zugleich erschließt sich so jedoch die „absolute W.“ (Hua III/1, 98) des Bewußtseinsstromes, da die W. des → Bewußtseins selbst laut Husserl „durch die phänomenolog. Ausschaltung nicht betroffen wird“ (ebd., 66). Der späte Husserl hat den Wirklichkeitsbegriff weiterhin zur Bestimmung der → Phantasie verwendet. Als deren wichtigste Funktion wird die Eröffnung einer „Quasi-W.“ (Husserl 6 1985, 220, 360 ff.) betrachtet, die mit der wahrnehmbaren W. keine „Wirklichkeitsbeziehungen“ (ebd., 216 ff.) eingehen, also etwa nicht in einer Kausalitätsverbindung oder in einem Verhältnis von Teil und Ganzem treten kann. Ähnlich wie in bezug auf den

627 Begriff der → Lebenswelt hält Husserl trotz gelegentlichem terminologischen Schwankens eine Pluralbildung von ,W.‘ für nicht sinnvoll: denn „kein Wirklichkeitssgebiet ist isoliert, die Welt ist schließlich eine einzige ,Natur‘ “ (Hua III/1, 108). In der Psychologie bzw. Psychopathologie Binswangers wird der Wirklichkeitsbegriff bereits in der Bestimmung des psychologischen Gegenstandsbereiches bedeutsam. Laut Binswanger ist die seelische → Person „die anschauliche W., mit der die Psychiatrie es zu tun hat“ (Binswanger 1922, 1) und deren subjektiven Weltentwurf der Psychopathologe nacherlebend zu rekonstruieren hat. Entsprechend werden bei Binswanger psychopathologische Theorien dahingehend geprüft, ob sie dem Anspruch, die seelische W. des Menschen angemessen zu bestimmen, entgegenkommen. Während insbesondere die Assoziationspsychologie als psychologischer Naturalismus die Spezifität dieser W. objektivistisch verkennt, favorisiert Binswanger eine phänomenolog. Psychopathologie, die sich gegen einen Konstruktivismus in bezug auf pathologische Phänomene richtet: „Die Psychologie ist keine abstrakte Theorie und keine bloße gedankliche Konstruktion; sie will auf Wirkliches gerichtet sein und dieses Wirkliche in Begriffe aufnehmen, die für Wirkliches ,gelten‘ können, an denen Wirkliches nicht nur gemessen werden kann“ (ebd., 297). Mit seinem Wirklichkeitsverständnis knüpft Binswanger an die verstehende Psychologie, die allerdings hinsichtlich ihrer „wirklichkeitsfeindlichen“ (ebd., 300) Lehre von den Idealtypen kritisiert wird, sowie an die Daseinshermeneutik Heideggers an. Merleau-Ponty wendet sich in sei-

Wirklichkeit ner Phänomenologie der Wahrnehmung aus wahrnehmungstheoretischer Perspektive gegen die traditionelle Dichotomie von W. und Schein: „Sowohl die Meinung, im Bewußtsein seien Schein und W. dasselbe, als auch die entgegengesetzte, beides sei voneinander geschieden, machen in Wahrheit jedes Bewußtsein unmöglich“ (MerleauPonty 1966, 344). Für Merleau-Ponty ist die Wirklichkeitserfahrung positiv durch „Engagement in einem Präsenzfeld“ charakterisiert. Als solches steht sie mit der „Ubiquität des Bewußtseins“ (ebd., 382) jedoch nicht im Widerspruch, sondern in einem Verhältnis der wechselseitigen (,ambivalenten‘) Bedingung: W. ist nur erfahrbar vor dem Hintergrund unpersönlicher und unwirklicher Zonen des raumzeitlich Entfernten, des Virtuellen und des bloß Möglichen. Die Verabschiedung der Opposition von W. und Schein zugunsten der Dialektik von W. und Möglichkeit dient Merleau-Ponty zu einer phänomenolog. Bestimmung des Verhältnisses von normaler und pathologischer Subjektivität: „Der Normale rechnet mit dem Möglichen, das dadurch, ohne aufzuhören, nur ein Mögliches zu sein, eine Art von W. findet; beim Kranken hingegen beschränkt sich das Wirklichkeitsfeld auf das, was ihm in wirklicher Berührung begegnet“ (ebd., 135). Bei Ricœur spielt der Begriff der W. im Rahmen seiner Untersuchungen über den Zusammenhang von → Narrativität und Geschichtlichkeit eine zentrale Rolle. In Zeit und Erzählung III geht es dabei insbesondere um die Frage nach der W. der historischen Vergangenheit: „Was bedeutet der Ausdruck ,wirklich‘, wenn er auf die historische Vergangenheit angewandt wird? Was sagen wir überhaupt, wenn wir

Wirklichkeit sagen, daß etwas ,wirklich‘ geschehen ist?“ (Ricœur 1991, 222). Die Antwort fällt in den „drei großen Gattungen“ (ebd., 225) der Historiographie – den Paradigmen des Selben, des Anderen und des Analogen – unterschiedlich aus: wobei Ricœur zwischen ihnen eine dialektische Beziehung ausmacht und darauf insistiert, „daß der Bezug zur W. der Vergangenheit nacheinander das Raster des Selben, des Anderen und des Analogen durchlaufen muß“ (ebd., 248). Die identische Auffassung betrachtet die W. der Vergangenheit in erster Linie als über Spuren, die bis in die Gegenwart hineinreichen, vermittelt; sie neigt also dazu, die Alterität vergangener W.en zu verdecken und ihren Vergangenheitscharakter überhaupt aufzuheben. Im direkten Gegensatz dazu überhöht die Gattung des Anderen der Tendenz nach eben diese Alterität, so daß die Darstellung vergangener W. für sie bloß als „eine Art Negativ“ (ebd., 240) ausfallen kann. Die Gattung des Analogen nimmt schließlich in Gestalt einer „Tropologie“ (ebd., 241 ff.) Elemente der beiden anderen Gattungen auf: Die W. der Vergangenheit ist diesem Ansatz zufolge über eine strukturelle Ähnlichkeit mit der Gegenwart verkoppelt. Historiographisch steht das analogische Denken im Sinne des „Sein-wie ...“ somit zwischen den Polen von Rekonstruktion und Konstruktion: „Das Analoge ist genau das, was die Kraft des Nachvollzugs und der Distanznahme in sich vereint, sofern Sein-wie heißt, wie sein und doch wieder nicht zu sein“ (ebd., 250). Für Schmitz stellt sich das Problem der W. in Neue Grundlagen der Erkenntnistheorie ausgehend von der Frage, ob es ein Kriterium der W. geben kann. Im Gegensatz zu Autoren wie Lotze,

628 Dilthey und Scheler, die „die Quelle des Wirklichkeitserlebens in die Widerstandserfahrung verlegen“ (Schmitz 1994, 102), verneint Schmitz diese Möglichkeit. Denn „ein Kriterium der W. [...] wäre eine notwendige und zureichende Bedingung für W., die ohne Voraussetzung über W., also ohne Zirkel, angegeben werden könnte. Sie müßte ein Sachverhalt sein, dessen Vorkommen als Tatsache dann gleichwertig mit der W. von etwas wäre; Tatsächlichkeit setzt aber W. voraus [...]. An diesem Zirkel scheitert jedes vermeintliche Kriterium der W., sogar dann, wenn es diese nur für eine begrenzte Region einführen soll“ (ebd., 50 f.). Dennoch ist laut Schmitz unabhängig von der Kriterienfrage eine „affirmative Bestimmung“ der W. möglich, da diese jederzeit „in primitiver Gegenwart präsent ist, auch ohne eine Tendenz, der ein Widerstand geleistet würde“ (ebd., 102). Seiner Bestimmung zufolge ist W. eine „exigente Nötigung“, die etwa dann zum Tragen kommt, wenn ein Träumender z. B. durch ein aggressives Geräusch „auf den harten Boden der Tatsachen, als der sich ihm nun die W. darstellt“ (ebd., 103), zurückgeholt wird. W. ist also bei Schmitz kein Substanz, sondern ein Relationsbegriff: denn die Wirklichkeitserfahrung stellt sich als „Sturz in die primitive Gegenwart“ (ebd.) nur vor dem Hintergrund eines wirklichkeitsdefizienten Modus ein, also etwa angesichts der erzwungenen Beendigung eines Traumes oder der Zerstörung einer Illusion. Schließlich ist die „W. als Autorität“ auch im Evidenzerlebnis präsent, und zwar als Zwang zur Anerkennung, „daß ein gewisser Sachverhalt tatsächlich ist“ (ebd., 104). Diese Anerkennung kann jedoch auch verweigert werden, so daß

629 die W. der Evidenz sich von der W. der primitiven, an die Leiblichkeit gebundenen Gegenwart unterscheidet. Qu.: Hua I. – Hua II/2. – Hua III/1. – Hua XIX/2. – Husserl 1939 (6 1985). – Binswanger 1922. – Merleau-Ponty 1945 (1966). – Ricœur 1985 (1991). – Schmitz 1994. – Lit.: Herzog 1996. – Fellmann 1982, 44TR 56. – Misch 1930 (3 1967).

Wissen. → Wissenschaft Wissenschaft. Unter W. wird heute allgemein der in vielfältige Disziplinen differenzierte und institutionalisierte Bereich menschlichen Handelns verstanden, der, von einem Erkenntnisinteresse geleitet, auf die Erzeugung verschiedener Arten von Wissen gerichtet ist. Dabei zeichnet sich das wissenschaftliche Wissen im Gegensatz zu anderen Wissensformen durch rationale Begründung sowie den Anspruch auf transsubjektive → Geltung aus. In der Phänomenologie Husserls wird diese am natur- und formalwissenschaftlichen Rationalitätsstandard orientierte Bestimmung aufrechterhalten, wobei Husserl die Philosophie in Gestalt der Phänomenologie selbst als ,strenge W.‘ auffaßt. In den Cartesianischen Meditationen bezeichnet Husserl die phänomenolog. Forschung als W. „der eigentlichen Selbsterfahrung und der Fremderfahrung“ sowie der „transzendentalen Erkenntnis“ (Hua I, 155). Ausgehend von der Auffassung, daß „die Logik der transzendentalphänomenolog. Philosophie“ zugleich die „Logik einer absoluten W.“ (Hua XVII, 296) ist, entwirft Husserl eine Ordnung der phänomenolog. Disziplinen. Zuerst sei eine solipsistisch beschränkte „egologische W.“ zu etablieren, an die sich eine „intersubjektive Phänomenologie“ anschließt, die sich

Wissenschaft ihrerseits schließlich „in die apriorischen W.en“ (Hua I, 159) verzweigt. Diese „W. vom Apriori wäre dann das Fundament für echte Tatsachenwissenschaften“, d. h. für die „positiven W.en“ und „für eine echte Universalphilosophie im cartesianischen Sinne, eine universale W. vom tatsächlich Seienden aus absoluter Begründung“. Dabei wird gefordert, daß „die apriorische W. [...] aus letzten transzendentalphänomenolog. Quellen entsprungen und so zu einem allseitigen, in sich selbst ruhenden, sich aus sich selbst rechtfertigenden Apriori gestaltet sein muß“ (Hua I, 160). Heidegger sieht im Gefolge Husserls die endgültige Aufgabe der phänomenolog. Aufklärung der W. in einer phänomenolog. Konzeption der wissenschaftlichen Prädikation. Die Phänomenologie hat dabei die Genealogie der Logik zu rekonstruieren, d. h. eine Theorie der vorprädikativen → Erfahrung zu liefern. Gegenüber Husserls Orientierung am Apriorismus muß Heideggers Wissenschaftsverständnis eher als instrumentalistisch bezeichnet werden. Heideggers Verhältnisbestimmung von (wissenschaftlicher) → Theorie und (lebensweltlicher) → Praxis läuft darauf hinaus, auch die W. selbst als eine Weise des Praktischen, nämlich als eine Art „Störungsbewältigungsinstrument“ (Gethmann 1991, 186) zu deuten. Dabei wird zwischen einem logischen und einem existenzialen Begriff der W. unterschieden, wobei der logische Begriff „die W. als einen ,Begründungszusammenhang‘ wahrer, das ist gültiger Sätze“ betrachtet, während der existenziale Begriff der W.en es demgegenüber mit „der Konstitution des wissenschaftlichen Gegenstandes und der entsprechenden wissenschaftlichen

Wohnen Methoden zu tun hat“ (ebd., 186 f.). Beide Wissenschaftsverständnisse stehen bei Heidegger in einem komplementären Verhältnis zueinander. Scheler entfaltet sein Verständnis von W. besonders in einem wissenssoziologischen Rahmen. Dabei wird → Wissen nicht bewußtseinsphilosoph., sondern ontolog. definiert: „Wissen ist ein Seinsverhältnis“ (ScheGW 8, 203). Dieses Seinsverhältnis ist durch zwei Momente, nämlich durch Teilhabe und Teilnahme gekennzeichnet: denn „Wissen besitzen heißt, einen Teil eines Seienden“ im Status des „Sosein“ haben. „Nie jedoch kann das Dasein wissend gehabt werden, dieses manifestiert sich als reine Widerständigkeit meines Trieblebens. [...] Das Haben bezeichnet die Weise, wie intentionale Korrelate in Akten gegeben sind“ (Good 1998, 40). Teilhabe setzt aber stets eine vorhergehende Teilnahme an der Welt voraus, „das heißt zwischen Mensch und Welt, Bewußtsein und Gegenstand muß es schon so etwas wie eine Übereinkunft geben, sonst könnte nie eine Erkenntnis stattfinden, ein Wissen sich etablieren“ (ebd., 123). Dieses Modell der Teilhabe durch Teilnahme beschreibt Wissen unter dem Aspekt des Wissenserwerbs, der auch eine instrumentalistische Dimension hat: denn „Werdensziel der praktischen Beherrschung und Umbildung der Welt für unsere menschlichen Ziele und Zwecke [...]; das ist das Wissen der positiven ,W.‘ das ,Herrschafts- oder Leistungswissen‘ “(ScheGW 8, 205). Diesem Wissen der positiven W. mißt Scheler große Bedeutung bei, jedoch in Relation zu zwei anderen Wissensformen: dem „Bildungswissen“, das „der Entfaltung der Person“ dient, und dem „Erlösungswissen“, das auf „den ober-

630 sten Soseins- und Daseinsgrund der Welt und der Gottheit“ gerichtet ist (ebd.). Qu.: Hua I. – Hua XVII. – HeiGA 2. – ScheGW 8. – Lit.: Gethmann 1991, 181209. – Good 1998. – Pazanin 1972. CJ

Wohnen. Heidegger denkt das W. als den „Grundzug des Menschseins“ (Heidegger 1954, 142). Als Ek-sistierender wohnt der Mensch in der „Nähe zum Sein“, d. h. in der → Lichtung, „ohne daß er es heute schon vermag, dieses W. eigens zu erfahren und zu übernehmen“ (HeiGA 9, 337). Schon in Sein und Zeit wird das → Existenzial des In-Seins als „W. bei [...]“ verstanden (HeiGA 2, 73). Allerdings muß ein eigens übernommenes geschichtliches W. allererst gegründet werden, so etwa durch ortestiftendes Bauen (HeiGA 7, 156) oder das MaßNehmen des Dichtens (ebd., 197). Als → Ort des W.s (→ Heimat) fungieren je nach Zusammenhang → Welt, Lichtung, → Sprache oder → Geviert. Qu.: HeiGA 2. – HeiGA 7. – Lit.: Kettering 1987. WF

Wollen (frz.: vouloir). Mit seiner „Phänomenologie des W.s“ schreibt Pfänder unabhängig von Husserl das erste Werk der entstehenden phänomenolog. Bewegung (Spiegelberg/AvéLallemant 1982), in dem der W.sBegriff in einem doppelten Sinne gebraucht wird: Zum einen als weitgefaßtes Streben auf ein Objekt hin, wobei das nicht leibhaft anwesende Objekt durch eine Vorstellung vertreten wird, die in einem spontanen Dranggefühl der Sympathie wurzelt. Damit ein solches Streben sodann im engeren Sinne zu einem W. wird, muß die Verwirklichung des Ziels einschließlich seiner

631 Bedingungen als sicher gelten, wozu wiederum eine Entscheidung zwischen möglichen Mitteln notwendig ist. Die Zweck-Mittel-Relation muß dem freien Tun eines Ich entsprechen, damit dieses sich spontan mit seiner Entscheidungswahl vereinen kann. Husserl empfing hieraus Anregungen für seine Aktanalyse (Schumann 1973), indem er in den W.s-Akten die Quelle neuer Seinsregionen und → Ontologien erblickt. Das willentliche Tun umschließt mit dem Sich-entschließen und ausführenden Tun → Synthesen eigener Art, aber in seinem „Spontaneitätsmodus“ setzt es einen „sozusagen schöpferischen Anfang“ (Hua III/1, 270 u. 281 f.). Die intentionalen → Erlebnisse des W.s bestehen wie die übrigen cogitationes in ihrem „Gerichtetsein auf“ nicht nur aus → Aktualitäten, sondern umschließen im „wollenden Blick-auf“ auch rein Potentielles (ebd., 72 ff.). Die → Motivation bezeichnet bei Husserl außer dem engeren „W. des Zweckes“ auch das „W. der Mittel“ sowie darüber hinaus als „phänomenolog. Grundbegriff“ die Entfaltung der Erlebnisimplikate überhaupt (ebd., 101 f.). Als praktische W.s-Objektivität gehört das W. in die Bereiche der formalen → Axiologie und Praktik, einschließlich einer zuzuordnenden Ontologie der → Werte und deren spezifischer → „Wahrheit“ in Verflechtung mit anderen „Vernunftarten“ (ebd., 322 f., 323; vgl. Hua

Wort XXVIII; Strasser 1991). Im Anschluß an Husserl und seinen Lehrer Nabert (Kühn 1998b, 70 f.) entwarf Ricœur eine unvollendet gebliebene „Philosophie des Willens“, deren erster Band eine rein eidetische Methode der W.sDeskription hinsichtlich Entscheidung, Handeln und Einwilligung anwendet, um eine Sphäre der „Grundmöglichkeiten“ des Menschseins zunächst frei von → Schuld und Transzendenz offen zu legen (Ricœur 1950, 23 ff.). Letzteren sind die Bände zur menschlichen Fehlbarkeit sowie über die Symbolisierung des → Bösen gewidmet (Ricœur 1960a, 1960b; Waldenfels 1983a, 279; Welsen 1986). Henry faßt das W. vom conatus des rein-phänomenolog. Lebens aus. Das W. ist dann keine spezifische „Anstrengung“, mit der z. B. eine subjektiv-leibliche Potentialität aktualisiert wird, sondern es ist jene „Bewegung ohne Anstrengung“, mit der sich das Leben in sich selbst passiv ereignet, um sich in seiner Selbstbewahrung und Selbststeigerung gegeben zu sein (Henry 1987, 170 ff., dt. 1994, 275 ff.). Qu.: Pfänder 1900 (3 1963). – Hua III/1. – Hua XXVIII. – Ricœur 1950. – Ricœur 1960a (1971). – Ricoeur 1960b (1971). – Henry 1987 (1994). – Lit.: Kühn 1998b. – Schumann 1973. – Spiegelberg 1963. – Spiegelberg/Avé-Lallemant 1982. – Strasser 1991. – Welsen 1986. – Waldenfels 1983a. RK

Wort. → Sprache

Z Zeigen. Das Wort Z. gehört in den Umkreis der Heideggerschen Begriffe „Sagen“, → „Sage“ und → „Nennen“. „[...] z. heißt: sehen lassen, zum Vorschein bringen. Dies nun aber, das zeigende Sehenlassen, ist der Sinn unseres alten deutschen Wortes sagan, sagen.“ (HeiGA 12, 210) Und: „ ,Sagan‘ heißt: Z., erscheinen-, sehen- und hörenlassen.“ (ebd., 241) Das Z. ist das Eigene des Wortes: „Dies aber ist der Wesensreichtum des Wortes, daß es im Sagen, d. h. im Z., das Ding zum Scheinen bringt.“ (ebd., 223) Die „Sage, insofern in ihr das Sprachwesen beruht“, faßt Heidegger demnach auch als „die Zeige“. (ebd., 242) „Im Blick auf das Gefüge der Sage dürfen wir jedoch das Z. weder ausschließlich noch maßgebend dem menschlichen Tun zuschreiben. Das Sichzeigen kennzeichnet als Erscheinen das An- und Abwesen des Anwesenden jeglicher Art und Stufe. Selbst dort wo das Z. durch unser Sagen vollbracht wird, geht diesem Z. als Hinweisen ein Sichzeigenlassen vorauf.“ (ebd., 242 f.) Was dieses Sichzeigen gewährt, ist das → „Ereignis“. „Das Ereignis, im Z. der Sage erblickt, läßt sich weder als ein Vorkommnis noch als ein Geschehen vorstellen, sondern nur im Z. der Sage als das Gewährende erfahren.“ (ebd., 247) Qu.: HeiGA 4. – HeiGA 12. – Lit.: Kettering 1987. MW

Zeit. Schon in einer Aufzeichnung von 1906 stellt Husserl fest, an erster Stelle einer Phänomenologie der Vernunft stünden „die Probleme der Phänomenologie der Wahrnehmung, der Phan-

tasie, der Z., des Dinges“ (Hua X, XIII). Die hier geforderte Analyse der Z. nimmt beim inneren Zeitbewußtsein ihren Ausgang. Sie artikuliert sich allerdings erst nach Abschluß der Ausarbeitung des transzendentalen → Absoluten, weil unter dem Titel „Z.“ eine „völlig abgeschlossene Problemsphäre“ (Hua III/1, 182) zur Ausarbeitung ansteht. Dabei sind die „Rätsel des Zeitbewußtseins“ schon seit 1905 Gegenstand von Husserls Bemühen und wurden auch in Vorlesungen mitgeteilt. Eine knappe Zusammenfassung der Problematik (nicht ihre Ausführung) bringen die Ideen I (vgl. §§ 8185). Folgende Punkte seien herausgehoben: 1. Die phänomenolog. Z. ist die einheitliche Form aller → Erlebnisse und muß von der objektiven oder kosmischen Z. unterschieden werden; die phänomenolog. → Reduktion läßt eine Einordnung des → Bewußtseins in die objektive Z. nicht mehr zu. 2. „Zeitlichkeit“ bezeichnet als Titel nicht nur solches, das zu einem einzelnen Erlebnis gehört, sondern eine → Form, durch welche die Erlebnisse untereinander verbunden sind; jedes einzelne Erlebnis gehört zu einem unendlichen Erlebnisstrom. 3. Ihre temporale Gegebenheitsweise (→ Gegebenheit) kann Gegenstand reflexiver Zuwendung werden (→ Reflexion); dabei zeigt sich, daß sich die Erlebnisse im kontinuierlichen → Fluß von Gegebenheitsweisen konstituieren. Auch diese können thematisiert werden; dies führt in eine neue Dimension der Reflexion. 4. Das aktuelle → Jetzt ist „eine verharrende Form für immer neue Materie“ (ebd., 199), das gilt auch für das

633 „Soeben“. 5. Jedes Erlebnisjetzt hat seinen → Horizont des Vorhin und seinen Horizont des Nachher; beide sind nicht leer, sondern umfassen als vergangenes bzw. künftiges Jetzt vergangene bzw. künftige Erlebnisse. 6. Es ist ein Wesensgesetz, daß jedes Erlebnis sowohl unter dem Gesichtspunkt der zeitlichen Folge als auch unter dem der Gleichzeitigkeit erfaßt werden muß. 7. Das reine → Ich in zeitlicher Folge und als zusammenhängender Erlebnisstrom ist in dieser Kontinuität die Urform des Bewußtseins. 8. In der Reflexion vermag der „reine Ichblick“ diesen Strom nie so zu erfassen, daß dieser einem einzigen Blick gegeben wäre; ein Erlebnis, das Objekt der Reflexion geworden ist, trägt immer auch seinen Horizont nicht erblickter Erlebnisse mit sich. Daher ist die → Einheit dieses Stroms kein singuläres Erlebnis, sondern eine Idee i. S. Kants; jedes einzelne Erlebnis ist ergänzungsbedürftig. 9. Damit erfährt der seit den Logischen Untersuchungen fundamentale Begriff der → Intentionalität (d. h. die Eigenheit von Erlebnissen, immer Bewußtsein von etwas zu sein) eine Ausweitung; in ihren Wesensgehalt wird nun der „Blick-auf“ bzw. die „Ichzuwendung“ (ebd., 205) hineingenommen. Dabei spielt auf der Stufe der konstituierten Zeitlichkeit die Doppelheit von sensueller → hyle und intentionaler morphe eine beherrschende Rolle. Die Analysen des Zeitbewußtseins noch aus der Zeit vor den Ideen setzen denn auch am Beispiel des Tones (das Husserl häufig gebraucht) an und nehmen diesen rein als hyletisches Datum. Er beginnt und hört auf und erfüllt damit eine Dauereinheit, die in der Kontinuität eines beständigen Flusses bewußt ist. Dabei lassen sich wohl Aussagen über das immanente

Zeit Objekt (den Ton) machen, wie dieses erscheint (Jetzt, Verfließen des Jetzt in Vergangenes, Eintritt eines neuen Jetzt), als auch über die Art, wie dieses bewußt ist (das Jetzt voll eigentlich wahrgenommen, in → Retentionen die abgelaufene Strecke mit absteigender Klarheit bewußt über das Dunkel eines leeren retentionalen Bewußtseins bis zum gänzlichen Verschwinden). „Intentionalität“ erhält hier (wie oben schon angedeutet) einen doppelten Sinn: als Beziehung auf das Erscheinende (Ton rein als hyletisches Datum) und als Beziehung des Bewußtseins auf dieses. Statt von → Erscheinungen spricht Husserl hinsichtlich der Phänomene, welche immanente Zeitobjekte konstituieren, von „Ablaufphänomenen“ oder „Modi zeitlicher Orientierung“. Ihr Quellpunkt ist eine → Urimpression, ein Bewußtsein, das in stetem Wandel begriffen ist: stetige Wandlung von Retention zu Retention. Das intentionale Bewußtsein geht fließend in immer neues retentionales Bewußtsein über; dabei modifiziert dieses alle früheren Retentionen und ist seinerseits der Modifikation unterworfen. In jedem Punkt der Zeitanschauung ist dieses Bewußtsein von eben Gewesenem eine Intentionalität eigener Art. Husserl bezeichnet die Retention auch als primäre → Erinnerung und unterscheidet von ihr die Wiedererinnerung als sekundäre Erinnerung. Wie sich die aktuelle → Wahrnehmung aufgrund von → Empfindungen als Präsentation (Gegenwärtigung) konstituiert und die primäre Erinnerung aufgrund von → Phantasien als → Repräsentation (Vergegenwärtigung), so die sekundäre Erinnerung zwar gleichfalls als Repräsentation, doch ohne unmittelbaren Anschluß an Wahrnehmungen. Für das Bewußtsein von → Dau-

Zeit er und Folge sind sowohl Retention als auch Wiedererinnerung von konstitutiver Bedeutung. Während nun die primäre Erinnerung die ablaufende Dauer eines Ereignisses in → lebendiger Gegenwart bietet, ist die Zeitumgebung des lebendigen Jetzt von Anfang an auch von Zukunftsintentionen (→ Protentionen) umgeben, die sich nicht etwa durch geringere Klarheit von den Vergangenheitsintentionen unterscheiden, sondern durch die spezifische Art der → Erfüllung. Vergangene Ereignisse werden durch Reproduktionen bestätigt und erfahren darin ihre Erfüllung, Erwartungen durch Wahrnehmungen. Durch all diese zeitkonstituierenden Phänomene geht ein Fluß steter Veränderung hindurch. Konstituierende Phänomene sind nicht nur von den in der Z. konstituierten individuellen Objekten und Vorgängen zu unterscheiden, sondern auch vom Fluß als der absoluten Subjektivität, der Form des zeitkonstituierenden Bewußtseins. In den späteren Forschungsmanuskripten zur → passiven Synthesis weitet Husserl die Darstellung der die Z. konstituierenden Phänomene aus. Diese Aufgabe erwächst der Einsicht, daß die Zeitanalyse zwar die „Urstätte der Konstitution von Identitätseinheit oder Gegenständlichkeit“ ist (Hua XI, 128), doch nur an der Zeitform interessiert ist – sowohl der → Gegenstände und Gegenstandseinheiten als auch in Korrelation der konstituierenden Mannigfaltigkeiten. Sie abstrahiert von allem Inhaltlichen, so von den synthetischen Strukturen der strömenden Gegenwart (Homogenität, → Sukzession, → Koexistenz, Affektion – all jenen passiven Synthesen im Strom der Z., die das Bewußtsein in seiner Konkretion erst konstituieren). Die Chronologie von Heideggers Un-

634 tersuchungen zur Z. beginnt mit dem Habilitationsvortrag Der Zeitbegriff in der Geschichtswissenschaft (HeiGA 1, 413-433) und findet eine erste Zuspitzung in der Analyse der urchristlichen Erfahrung der → Faktizität des Lebens (HeiGA 60, § 27). Es folgt, wieder im Zusammenhang mit dem Problem der → Geschichte, eine Auseinandersetzung mit Dilthey und dessen Briefwechsel mit Yorck (HeiGA 64; Dilthey, Yorck 1923). Damit ist die Ausarbeitung des Zeitbegriffs von Sein und Zeit vorbereitet, zu der auch eine Auslegung der aristotelischen Analyse der Z. gehört (HeiGA 20; HeiGA 2; ausführlich zu Aristoteles HeiGA 24, §§ 19-22). Eine Erörterung von Kants Zeitbegriff (HeiGA 3; HeiGA 25) fügt einen weiteren Schritt hinzu, mit der Frage nach dem → Sein einen noch ursprünglicheren Horizont zu erschließen. Nach der → Kehre tritt das Problem der Z. zwar nicht in den Hintergrund, steht nun jedoch im seinsgeschichtlichen Kontext der Abgründigkeit des Zeit-Raumes (HeiGA 65, VI d; Heidegger 1969). In Ausarbeitung des besonderen Zeitbegriffs der Geschichte gegenüber dem der Physik sucht der Habilitationsvortrag zu zeigen, daß in der Relativitätstheorie das Problem der Z. selbst nicht berührt wird, die Fragestellung vielmehr am Problem der Zeitmessung orientiert bleibt. Das Verhältnis des → Daseins zur Z. kommt hier noch kaum zur Sprache. Seine phänomenolog. Behandlung erfolgt erstmals im Zusammenhang mit dem Vollzugssinn der christlichen Faktizität: Die Erwartung der Parusie, d. h. der Wiederkunft Christi (Paulus, 2. Thessalonicherbrief), enthüllt eine wesensmäßig andere Lebenserfahrung gegenüber der griechischen: Friede und Sicher-

635 heit sind Eigenheiten des welthaften → Verhaltens derer, die sich in Selbstvergessenheit „selbst nicht haben in der Klarheit des eigentlichen Wesens“ (HeiGA 60, 103). Im Zentrum des christlichen Lebens steht die Eschatologie, d. h. das von Gott her erfolgende Ende der Welt des irdischen Menschen. Mit diesem Vorrang der Zukunft tritt die Zeitlichkeit der Faktizität in Erscheinung. Es ist vor allem Yorck, der in der Geschichte (im Unterschied zur Historie) einen ausgezeichneten Seinscharakter des menschlichen Lebens erblickt. So steht Heideggers ontolog. Interpretation der Geschichtlichkeit des Daseins vor der Aufgabe, dessen Zeitlichsein eigens zu bedenken. Schon das besorgende Dasein ist zeitlich strukturiert, freilich in der Seinsweise des → Verfallens: „sich aufhalten bei einem Zukünftigen“: Gewärtigsein (HeiGA 64, 63); „gewärtigend in die Gegenwart begegnen lassen“, Gegenwärtigen (ebd., 65); unter der Führung der öffentlichen Ausgelegtheit „in seinem Gewordensein [...] vergessene Vergangenheit“ (ebd., 88). Doch setzt die Explikation dieser uneigentlichen Charaktere der Z. schon einen Vorblick auf die eigentliche Zeitlichkeit voraus; das → Vorlaufen zum Tod übernimmt bereits hier die Führung. Dieser Aufgabe einer Exposition der eigentlichen Zeitlichkeit stellt sich umfassend Sein und Zeit, das sich zum vorläufigen Ziel gesetzt hat, die Z. als möglichen Horizont jedes Seinsverständnisses zu interpretieren (HeiGA 2, 1). Dabei kommen alle für die Analyse der Z. wesentlichen Momente zur Entfaltung: die → Sorge, die → Horizonte und → Ekstasen der Zeitlichkeit, alltägliche und eigentliche Zeitlichkeit, der vulgäre Zeitbegriff, Weltzeit und Innerzeitigkeit, die Zeitlich-

Zeit keit in ihrem Verhältnis zur Räumlichkeit (→ Raum), zur → Transzendenz und zur Geschichtlichkeit und schließlich die Frage nach der Z. als dem möglichen Horizont von Sein. Die Grundprobleme der Phänomenologie enthalten weitere Ausarbeitungen dieser Begriffe und einige terminologische Präzisierungen. Die Interpretation des Daseins als Sorge – in der Einheit von Existenzialität, Faktizität und Verfallen – enthüllt als deren → Sinn die Zeitlichkeit (HeiGA 2, § 41). Das tritt in der Strukturformel der Sorge deutlich zutage: „Sich-vorweg-sein - im-schonsein-in [...] - als Sein-bei“ (ebd., 260). Das „Sich-vorweg-sein“ zeigt an, daß es dem Dasein in seinem Sein immer um dieses geht und es daher schon über sich selbst hinaus („vorweg“) ist, u. zw. als Seinkönnen (Existenzialität); das „im-schon-sein-in“ verweist auf die → Welt, in der das Dasein als Besorgen verfallend an sie immer schon aufgegangen ist (Faktizität); das Moment des „als Sein-bei“ indiziert die Verlorenheit des Daseins, insofern dieses sich immer von dem, das es gerade besorgt, „ziehen“ läßt („Nachhängen, Sichziehenlassen“, ebd., 259; Verfallen). Die Einheit von Gewärtigen (→ Zukunft), Behalten und Vergessen (→ Vergangenheit) und Gegenwärtigen (→ Gegenwart) bildet das horizontale Schema der uneigentlichen Zeitlichkeit mit seinen Ek-stasen (Zukunft, → Gewesenheit, Gegenwart). Die Ekstasen sind, worauf der Name schon hinweist, Entrückungen (griech. ekstasis, Verbum ex-istamai „außer sich geraten“, wörtlich „sich herausstellen“). Zu jeder Entrückung gehört ein horizontales Schema als deren „Wohin“ (das den jeweiligen Horizont entsprechend modifiziert): das → Umwillen (das Dasein kommt zukünftig auf

Zeit sich zu); das Wovor (geworfenes Dasein ist ihm selbst in der → Befindlichkeit erschlossen); das Um-zu (das Dasein als Sein-bei im horizontalen Schema der Gegenwart). Die ekstatische Einheit der Zeitlichkeit begründet die Einheit der horizontalen Schemata von Zukunft, Gewesenheit (Vergangenheit) und Gegenwart (ebd., § 69c). Sie ermöglicht die → Erschlossenheit der Welt des Daseins („Wenn kein Dasein existiert, ist auch keine Welt ,da‘ “, ebd., 483). Die Zeitlichkeit ist somit „das ekstatikon schlechthin“ (ebd., 435). Die uneigentliche Zeitlichkeit zeitigt die Z. als Weltzeit (HeiGA 2 §§ 79, 80), d. h. jene Z., „worinnen“ Gegenwärtiges begegnet und in der es besorgt wird. Entsprechend hat das Besorgen eine dreifache zeitliche Struktur: „ ,dann‘ – soll das geschehen, ,zuvor‘ – jenes seine Erledigung finden, ,jetzt‘ – das nachgeholt werden, was ,damals‘ mißlang und entging“ (ebd., 537). In der besorgten Z. der Weltzeit wiederum gründet die Innerzeitigkeit, d. h. die Zeitbestimmtheit des innerweltlichen Seienden (die mit dem Wort „Z.“ gewöhnlich gemeint ist). Sie gibt ihrerseits die Möglichkeit der Datierung und erlaubt es, die Z. mit der Uhr zu messen (die öffentliche Zeitbestimmung). Dabei kommt dem Jetzt eine führende Rolle zu: jetzt – jetzt noch nicht – jetzt nicht mehr. Diese Bestimmung von Z. ist immer schon in ihrer strukturalen Einheit „verstanden und ausgelegt“ (ebd., 550, vgl. HeiGA 24, § 19b). Ihre Strukturmomente sind: die Datierbarkeit (jetzt da, damals als, dann wann), die Gespanntheit (die Dauer der Zeit von jetzt bis dann), die Öffentlichkeit (Zugänglichkeit des Jetzt für jeden) und die Weltlichkeit (Bedeutsamkeit der Z., die zur Welt selbst gehört). Die Innerzeitig-

636 keit verdeckt die ursprüngliche Z., der Grund dafür liegt im Verfallen des Daseins. Das dabei leitende vorwissenschaftliche („vulgäre“) Zeitverständnis bestimmt bereits die für die abendländische Tradition maßgebliche Analyse der Z. durch Aristoteles (Physik IV. Buch, Kap. 10-14; vgl. HeiGA 24, § 19a). Sie wird von ihm wie folgt bestimmt (in Heideggers interpretierender Übersetzung): „Die Z. ist ein Gezähltes an der für den Hinblick auf das Vor und Nach, im Horizont des Früher und Später, begegnenden Bewegung.“ (HeiGA 24, 341) Diese philosophische Definition der Z. (Maßzahl der Bewegung) geht auf den vulgären Zeitbegriff zurück, welcher der ursprünglichen Zeiterfahrung als dem eigentlichen Begriff der Z. entspringt. Die am weltlichen Besorgen orientierte Z. mit den Ekstasen Gewärtigen (Zukunft), Behalten und Vergessen (Vergangenheit) und Gegenwärtigen (Gegenwart) hat im eigentlichen Zeitbegriff ihre Entsprechung: im Vorlaufen zum Tod (als der → Möglichkeit des Verstehens des eigensten Seinkönnens), in der → Wiederholung (als der Erwiderung der Möglichkeiten gewesenen Daseins) und im → Augenblick (als der entschlossenen (→ Entschlossenheit) Entrückung des Daseins an die besonderen Möglichkeiten der Situation). Sein und Zeit versteht noch die Räumlichkeit des Daseins als in dessen Zeitlichkeit fundiert (ebd., § 70). Als Heidegger die Z. und das Sein als Gaben des → Ereignisses und den Raum aus dem Eigentümlichen des → Ortes zu denken versucht, weist er diese Fundierung als unhaltbar zurück (Heidegger 1969, 24). Auch die Transzendenz der Welt hat ihren Grund in der Z.: Sie ist ekstatisch in den Horizonten der Zeitlichkeit je schon erschlos-

637 sen. Auch die genuin verstandene Geschichtlichkeit führt auf die eigentliche Zeitlichkeit zurück; denn deren Endlichkeit (ihr Index ist das eigentliche Sein zum Tode) erweist sich „als der verborgene Grund der Geschichtlichkeit des Daseins“ (HeiGA 2, 510). Der Schluß von Sein und Zeit mündet in die offen bleibende Frage, ob sich die Z. selbst als Horizont des Seins offenbart. In den Grundproblemen gebraucht Heidegger den Terminus „Temporalität“ und versteht darunter „die Zeitlichkeit, sofern sie als Bedingung der Möglichkeit des vorontologischen wie des ontologischen Seinsverständnisses fungiert“ (HeiGA 24, 388). Im Zuge der Interpretation von Kants Kritik der reinen Vernunft als einer Grundlegung der Metaphysik wird im Ausgang von den erarbeiteten Bestimmungen der Z. die transzendentale Einbildungskraft auf ihren inneren Zeitcharakter hin interpretiert (HeiGA 3, §§ 32-35; HeiGA 25, §§ 25-26). Eine knappe Übersicht der Bestimmungen von uneigentlicher und eigentlicher Zeitlichkeit bringt die letzte Marburger Vorlesung. Hier werden die Grundzüge des vulgären Zeitbegriffs aufgezählt (Vorhandenes, das vergeht; Z. in der Seele, im Bewußtsein, im Subjekt; Z. zur Sinnlichkeit gehörig; unterschieden von Ewigkeit) und diesen die Hauptcharaktere des „metaphysischen“ Wesens der Z. gegenübergestellt (ekstatischer Charakter der Z.; Horizontcharakter; Zeitigung als Urphänomen der Bewegung; Zeitlichkeit ursprünglicher als Sinnlichkeit, Geist und Vernunft; primäre Zeitigung aus der Zukunft; HeiGA 26, § 12). In der seinsgeschichtlichen Auslegung des Da-seins und des Seins wird die Rede vom Z.-Raum sachlich bedeutsam. Er ist die Stätte des Streites von Welt und → Erde (HeiGA 65,

Zeit 371), und in ihm sind Raum und Z. „zugehörig zum Wesen der Wahrheit“. In deren „abgründiger“ Gründung des Da erscheint der Z.-Raum als → Abgrund, als „die ursprüngliche Einheit von Raum und Z.“ (ebd., 379). Der Name „Ab-grund“ zeigt an, daß hier jeder Rückgang zu einem noch weiter zurückliegenden → Grund versagt. Diesen Gedanken nimmt Heidegger auf, wenn er im Spätwerk die Z. als jenes versteht, das Sein (→ Anwesenheit) gibt und in der Zukunft, „im Aufuns-Zukommen“, gereicht wird (Heidegger 1969, 13). Die drei Dimensionen der eigentlichen Z. (ihr Reichen von Zukunft, Gewesen und Gegenwart) spielen ineinander – ein „Zuspiel“ (vgl. HeiGA 65, III), in dem die vierte Dimension der Z. beruht: „Die eigentliche Z. ist vierdimensional.“ (Heidegger 1969, 16) Der Satz „Es gibt Z.“ wird von der Art des Gebens her bestimmt: als Schicken des → Geschickes von Sein, als Reichen der Z. „Was beide, Zeit und Sein, in ihr Eigenes, d. h. in ihr Zusammengehören, bestimmt, nennen wir: das Ereignis.“ (ebd., 20) Conrad-Martius untersucht Z. und Zeitlichkeit auf dreifacher Ebene: phänomenolog., realontolog. und metaphys., und verknüpft die philosoph. Reflexion auf Z. mit einer (christlichen) Offenbarungstheologie. Die Zeitlichkeit des Kosmos versteht sie als diskontinuierliche Jetztfolge, und dies impliziert die – metaphys. – Frage nach einer zeitbegründenden Seinsbewegung, welche Conrad-Martius im Rückgriff auf antik-mittelalterliche und naturwissenschaftliche Theorien zu reflektieren sucht. Empirische Z. ist fundiert in einer ursprünglicheren Z., welche letztlich in der Ewigkeit Gottes gründet.

Zeit Arendt reflektiert Z. im Kontext der Frage nach der Condition humaine: Die menschlichen Grundtätigkeiten → Arbeit, → Herstellen und → Handeln und die ihnen entsprechenden Bedingungen sind zugleich in der allgemeinsten Bedingtheit menschlichen Lebens, → Geburt und Tod, verankert. Alle Grundtätigkeiten sind spezifische Formen, die Zeitlichkeit des menschlichen Lebens zu leben: „Was die Mortalität anlangt, so sichert die Arbeit das AmLeben-Bleiben des Individuums und das Weiterleben der Gattung; das Herstellen errichtet eine künstliche Welt, die von der Sterblichkeit der sie Bewohnenden in gewissem Maße unabhängig ist und so ihrem flüchtigen Dasein so etwas wie Bestand und Dauer entgegenhält; das Handeln schließlich, soweit es der Gründung und Erhaltung politischer Gemeinwesen dient, schafft die Bedingungen für eine Kontinuität der Generationen, für Erinnerung und damit für Geschichte.“ (Arendt 1960, 15) Scheler hält fest, daß die seelische → Anschauung an sich zeitlos ist und erst auf Grund der Wesensverknüpfung, die sie mit dem Sein eines → Leibes besitzt, die unterschiedlichen Richtungen auf Gegenwärtiges (als Wahrnehmung), auf Vergangenes (als Erinnerung) und auf Zukünftiges (als Erwartung) gewinnt (vgl. v.a. ScheGW 2, 397-348). Fink reflektiert Grundphänomene des menschlichen Daseins, und d. h. v. a. die Möglichkeit, den Menschen aus der Erfahrung des Menschlichen und nicht von seiner Vorgestelltheit heraus zu befragen: seine Endlichkeit positiv aufzugreifen, mithin Zeitlichkeit als konstitutive Vollzugsweise zu verstehen. Merleau-Ponty sucht im Durchgang durch die Z. einen Zugang zur kon-

638 kreten Struktur der Subjektivität zu gewinnen: Mein → Leib wohnt dem → Raum und der Z. ein, diese stellen daher für meinen Leib nicht eine Summe geordneter Punkte dar, sie sind kein äußerliches oder kontingentes Attribut, sondern betreffen die Subjektivität selbst. Die Z., insofern sie meinem Verhältnis zu den Dingen entspingt, ist deshalb kein realer Prozeß, keine tatsächliche Folge, die ich bloß zu registrieren hätte, keine Linie, sondern ein Geflecht von Intentionen. Es ist der Z. wesentlich, sich zu bilden, und nicht zu sein, nie vollständig konstituiert zu sein. „Wir müssen die Z. als Subjekt, das Subjekt als Z. begreifen. Ganz offenkundig aber ist diese ursprüngliche Zeitlichkeit kein Nebeneinander äußerer Geschehnisse, da sie vielmehr das Vermögen ist, die diese zusammenhält, indem sie sie auseinanderhält.“ (Merleau-Ponty 1966, 480) Der Psychiater Binswanger folgt auf weiten Strecken der phänomenolog. → Methode Heideggers. In seinem Versuch einer Phänomenologie der → Liebe will Binswanger Liebe ontolog. verstehen und gleichzeitig zeigen, daß in diesem Phänomen das Wer des → Daseins ebenso wie seine Räumlichkeit und Zeitlichkeit anders bestimmt sind als in Heideggers Sorgephänomen. → Begegnung im Raum des Wir kennt keine Zeitstelle, sie kann nicht wiederholt werden und ist einzigartig i. S. der ewigen Dauer als der spezifischen ermöglichenden Zeitform der Begegnung. Diese ist nicht wie die Zeitform der Sorge aus der unwiederholbaren Endlichkeit des Daseins abgeleitet, sondern aus der Unendlichkeit: die Zeitlichkeit der Liebe „werden wir nicht verstehen aus der Endlichkeit des Daseins als je meinem, nämlich aus Tod, Angst und Schuld als den ei-

639 gensten, das Dasein als einzelnes beanspruchenden Möglichkeiten des Daseins“ (Binswanger 1993, 26). Ewigkeit der Liebe ist daher nicht ein zeitlich zu interpretierendes Dauern, sondern ist zu beziehen auf Strukturmomente des liebenden Augenblicks: hier geschieht Ewigkeit als Aufhebung der Zeitlichkeit. Schütz thematisiert den Zeitbegriff im Rahmen seines Versuchs einer verstehenden Soziologie, Husserls Phänomenologie auf die Probleme der sozialen Realität systematisch anzuwenden. Dabei sucht er Sozialwissenschaften auf der Analyse der Erlebniserfahrungen des Anderen auf Grund der Konstitution des Wir zu fundieren. In diesem Kontext analysiert er u. a. die von den in der alltäglichen Sozialwelt lebenden Menschen vollzogenen Sinndeutungsvorgänge in ihrer Zeitstruktur: „Wir können sagen, daß Weltzeit als Transzendenz meiner Endlichkeit erfahren wird und daß diese Erfahrung zum Grundmotiv des Lebensplanes wird. Wir können ferner sagen, daß die Zwangsläufigkeit der Weltzeit sich in den Strukturgesetzen der Abfolge und Gleichzeitigkeit im lebensweltlichen Alltag ausdrückt und zum Grundmotiv des Tagesplanes wird.“ (Schütz 1979, 77) Patoˇcka faßt seine Auseinandersetzung mit Husserl bzgl. seines Z.-Begriffs zusammen: „Wir müssen anerkennen, daß am Grund der natürlichen Welt die Sorge und die Zeitlichkeit liegen und nicht das ,innere Zeitbewußtsein‘.“ (Patoˇcka 1990, 273) Der Weg der Reflexion zur ursprünglichen Z. kann nicht von der Analyse der zeitlichen Genese der sinnlichen Wahrnehmung ausgehen, sondern nur von der Zeitlichkeit des praktischen Umgangs mit den Dingen, der de facto

Zeit immer schon ein gemeinschaftlicher ist. Schmitz unterscheidet drei Weisen von Z.: Lagezeit als Inbegriff von Dingen, insofern er durch die Verhältnisse des Früher-, Später-, und Zugleichseins zwischen diesen Dingen geordnet ist, Modalzeit als Inbegriff von Dingen, insofern diese in vergangene, gegenwärtige und zukünftige eingeteilt sind, und Dauer als Kontinuum von Dingen. Z. entspringt der reinen Modalzeit, „in der die Ankunft des Neuen (die Appräsenz), Dauer zerreißend, Zukunft als Gefälle in Gegenwart eintreten läßt, so daß sich diese von Vergangenheit ablöst, d. h. von der Dauer, die dank jenes Risses abgeschieden in vieldeutiges Einst zurücksinkt, während sich Gegenwart als das Plötzliche, das principium individuationis (das Ur-Eindeutige) ist, von ihr abhebt“ (Schmitz 1980, 179). Ricœur analysiert in Temps et récit sprachliche Kreativität und erschließt sie in ihrer ontolog. Dimension: Über die Analyse der Erzählungen führt ihn der Weg zur menschlichen Existenz in ihrer zeitlichen Dimension. Der spekulative Diskurs über die Z. ist nach Ricœur zu einem Rekurs auf die Erzählung gezwungen, weil es ohne die erzählte Z. für das Denken keinen Zugang zur menschlichen Z. geben kann. Wie Ricœur an Beispielen in der Philosophiegeschichte zeigt, würde sich dagegen eine direkt vorgehende Philosophie der Z. unweigerlich in → Aporien verstricken: Der Verdeckung einer phänomenolog. und einer kosmolog. Perspektive, der Z. als Ganzheit und der Unerforschlichkeit der Z. als jenem Medium, in dem wir immer schon sind. Qu.: Hua III/1, §§ 81-85. – Hua X. – Hua XI (bes. §§ 28-41). – HeiGA 60. – HeiGA 64. – HeiGA 20. – HeiGA 2. – Hei-

Zeug GA 24, §§ 19-22. – HeiGA 3, §§ 32-35. – HeiGA 25, §§ 25-26. – HeiGA 26, § 12. – HeiGA 65, VId. – Heidegger 1969, 160. – Conrad-Martius 1954. – Arendt 1958 (1960). – ScheGW 2. – Schmitz 1964. – Fink 1979. – Merleau-Ponty 1945 (1966). – Binswanger 1993. – Schütz 1932. – Schütz/Luckmann 1979. – Patoˇcka 1990. – Patoˇcka 1991. – Schmitz 1980b. – Schmitz 1990. – Ricœur 1983 (1988). Lit.: Bernet 1987/88. – Dilthey, Yorck 1923. – Fleischer 1991. – Held 1966. – Held 1981. – Herrmann 1972. – Murchardha 1999. HV (Husserl, Heidegger) JV

Zeug. Z. bezeichnet bei Heidegger in Sein und Zeit das „im Besorgen begegnende Seiende“ (HeiGA 2, 92). Das inner-umweltliche Seiende ist dem alltäglichen → Dasein nicht das → „Ding“ (res) als → Gegenstand eines theoretischen Welterkennens, kein „Vorhandenes“ (→ Vorhandenheit) eines distanzierten Sehens und → Vorstellens für dieses, sondern das „Zuhandene“ einer → Praxis, eines umweltlich besorgenden Umgangs. Der Umgang mit Z. hält sich dabei nie bei einem einzelnen Z. auf; vielmehr bleibt dieser als solcher je schon orientiert auf einen Z.-Zusammenhang, da sich das Besorgen dem für das jeweilige Z. konstitutiven „Um-zu“ unterstellt, wodurch jedes Z. je zuvor aus einer Z.Ganzheit vorentdeckt ist. Die Struktur „Um-zu“ nennt Heidegger „Verweisung“, die spezifische Seinsart von Z. → „Zuhandenheit“ und die eigene Sichtart entdeckenden → Verstehens von Zuhandenheit „Umsicht“. Am Z. scheint auf als das Wozu das herzustellende → Werk, welches seinerseits mitbegegnen läßt das Wozu seiner Verwendbarkeit und das Woraus seines Bestehens sowie die Verweisung auf den Träger und Benutzer. Die Grundbedeutung des Z.s ist somit die →

640 Dienlichkeit. Hat in Sein und Zeit die Z.-Analyse den Sinn, das Phänomen der → Welt aufzuschließen, so entwickelt sie Heidegger in Der Ursprung des Kunstwerkes weiter, um durch das, was hier das Z. bei der Darstellung durch das Kunstwerk neu bestimmt – die Verläßlichkeit –, das Werkhafte des Werks i. S. des Kunstwerks herauszustellen. – Binswanger wendet den Z.Begriff kritisch auf das alltägliche → Mitsein als mitmenschliches Nehmen des Anderen bei etwas (Personalität des mitweltlichen Rollenverhältnisses) an. – Die hauptsächlich in Hinsicht auf das Z. definierte Weltlichkeit der Welt in Sein und Zeit, ohne daß der Zusammenhang mit dem Mit-Sein weiterentwickelt worden wäre, ignoriert nach Patoˇcka das Phänomen der Leiblichkeit, in welchem ontolog. Merkmal des Daseins die Möglichkeit einer Begegnung mit dem Anderen als einem auf seine Weise innerweltlichen Seienden liegt. Das Problem der natürlichen → Welt wird darüber hinaus nicht in seiner vollen Strukturmannigfaltigkeit erfaßt, wenn nur die Gegenwärtiges aktiv modifizierende der drei in ihrem zeitlichen Sinn unterschiedenen Grundmöglichkeiten des Menschen sich in der → Bewegung der Selbstverlängerung verwirklicht, wo gleichsam ein System der Besorgung der Dinge in ihrer Zuhandenheit als Z. und unser selbst als einander nutzende Benutzer einen durch Arbeit und Kampf charakterisierten gesellschaftlich-natürlichen Körper entstehen läßt. Qu.: HeiGA 2, §§ 15-18, 69 a. – HeiGA 5, 12-25. – Binswanger 1993, 239-343. – Patoˇcka 1990, 181-267. LMV

Zeugenschaft. Levinas unterscheidet zwischen der → Wahrheit als → Un-

641

Zukunft

verborgenheit (dévoilement), die zum Geschehen des → Seins gehört, und der Wahrheit als Zeugnis (témoinage), die die Herrlichkeit des Guten jenseits des Seins bezeugt. Das Unendliche jenseits des Seins äußert sich in der maßlosen → Verantwortung für den Anderen, die in dem Maße wächst, in dem sie übernommen wird. Die ethische Unendlichkeit läßt sich nicht aussagen; es ist vielmehr die absolute Passivität des → Sagens, die von der Unendlichkeit Zeugnis ablegt. Die Z. besteht nicht darin, daß das → Subjekt von einem Sachverhalt Kunde gibt, sondern die ethische Subjektivität (Verantwortung, Stellvertretung) als solche „ist“ ein einziges Zeugnis, sie „ist“ die Art und Weise, „in der das Unendliche sich vollzieht, ,passiert‘ (se passe)“ (Levinas 1992, 325). Qu.: Levinas 1974 (1992, 308-333).

BK

Zirkel. Der in der formalen Logik als circulus vitiosus und daher als ein zu vermeidender Kreisgang deklarierte Z. wird bei Heidegger nicht abgelehnt, sondern als ein wesenhaft zum vor-theoretischen, existenziellen Vollzug des → Daseins gehörender hermeneut. Z. zwischen → Verstehen und → Auslegung bestimmt. Im → Existenzial des entwerfenden Verstehens wird das Verstandene so aufgeschlossen gehalten, daß das Vorverstandene in der Auslegung „ausdrücklich in die verstehende Sicht“ (HeiGA 2, 198) genommen und eigens zugeeignet werden kann. Jede Auslegung der menschlichen Seinsweise gründet daher im Verstehen (→ Entwurf), und jedes Verstehen ist auf die explizite Aneignung in der Auslegung angewiesen, so daß es nicht darum geht, „aus dem Z. heraus, sondern in ihn nach der rechten

Weise hineinzukommen“ (ebd., 203). Die Problematik des Z.s taucht beispielsweise bei der Frage nach dem Ursprung des Kunstwerks auf, denn was Kunst ist, wird nur am konkreten Kunstwerk sichtbar. Auf der anderen Seite leitet ein noch nicht vollständig expliziertes Vorverständnis von Kunst diese Betrachtungsweise, weil es ja ansonsten unmöglich wäre, etwas als Kunstwerk (und nicht z. B. als Gebrauchsding) zu verstehen. Qu.: HeiGA 2, 197-204. – HeiGA 5, 3. MF

Zuhandenheit ist die Weise von → Sein, die das umsichtige Begegnenlassen von innerweltlich Seiendem (Zuhandenes, → Zeug) aus dem Kontext einer jeweiligen Bewandtnisganzheit ermöglicht. Das so begegnende Seiende, das Zeug oder Zuhandene, ist durch Verweisungen bestimmt, d. h. es begegnet als etwas, mit dem es bei etwas sein Bewenden hat; oder: es begegnet als ein Wozu, das auf ein Dazu und letztlich auf ein Worumwillen des → Daseins verweist.(vgl. HeiGA 2, § 15) Qu.: HeiGA 2.

MH

Zukunft. Heidegger versteht in Sein und Zeit Z. als ein Konstitutivum der ekstatischen Einheit (→ Ekstase) der Zeitlichkeit des → Daseins: Z. ist „die Kunft, in der das Dasein in seinem eigensten Seinkönnen auf sich zukommt“ (HeiGA 2, 325), und nicht ein bloßes Jetzt, das noch nicht wirklich geworden ist. Zukünftig-sein als Vollzugsweise des Daseins meint daher existenzial das primäre Phänomen der ursprünglichen und eigentlichen Zeitlichkeit des Daseins: Sie ermöglicht die vorlaufende Entschlossenheit als das Entworfene des ursprünglichen existenzialen → Entwurfs der → Exi-

Zukunft stenz, d. h. das → Sein zum eigensten Seinkönnen, und meint den Ermöglichungsgrund dafür, daß das Dasein auf sich zu-kommen kann. Merleau-Ponty faßt Z. als ein nicht zu isolierendes Moment der Bewegung der → Zeit selbst: „die Zu-kunft ist auf seiten der Quelle, die Zeit kommt nicht aus der Vergangenheit her.“ (MerleauPonty 1966, 467). Binswanger folgt auf weiten Strecken der phänomenolog. → Methode Heideggers. In seinem Versuch einer Phänomenologie der → Liebe will Binswanger Liebe ontolog. verstehen und gleichzeitig zeigen, daß in diesem Phänomen das Wer des Daseins ebenso wie seine Räumlichkeit und Zeitlichkeit anders bestimmt sind als in Heideggers Sorgephänomen. Ewigkeit der Liebe als Überzeitlichkeit steht phänomenal über der physikalischen Zeit und dem Tod: Weil das Letzte, worauf sich für Menschen alles gründet, die Wirheit i. S. der Einheit bildet, währt die Liebe über den Tod hinaus. Anders als bei Heidegger ist der Tod daher nicht die letzte und gewisseste → Möglichkeit des Daseins: Das liebende → Miteinandersein kennt nicht ein Sein zum Ende i. S. Heideggers, es rechnet nicht „mit dem Tod in dem Sinne, daß es sich auf ihn in vorlaufender Entschlossenheit entwirft. Es gehört ja geradezu zum Wesen des ewigen Augenblicks, daß in ihm nichts aussteht! Sind wir beide, die Liebenden, uns auch vorweg, ,leben‘ oder sind wir auch in einem Noch-nicht, wird unsere Gegenwart auch von der Z. her, also aus dem Gewärtigen, gezeitigt, so handelt es sich bei diesem Gewärtigen eben nicht um die Gegenwart Unsrer als Liebender, sondern Unsrer als sich um ihre Liebe Sorgender oder für ihre Liebe Sorgender“ (Binswanger 1993, 81).

642 Ricœur führt in dem Werk Zeit und Erzählung aus, daß das aporetische Moment (→ Aporetik der Zeitlichkeit) einer Philosophie der Zeit jenseits des linearen bzw. quantitativen Denkens dort entsteht, wo Zeit in ihrem dialektischen Verhältnis von → Vergangenheit, → Gegenwart und Z. gesehen wird. Eine wichtige Funktion für die Verknüpfung verschiedener Perspektiven auf die Zeit ist für Ricœur die historische Spur. Ihre Relevanz liegt darin, daß sie zwei Zeitdimensionen verbindet: einerseits gehört sie der Gegenwart an, zugleich aber ist die Spur dadurch Spur, daß sie als etwas begriffen wird, das aus der Vergangenheit stammt. Das Verstehen einer Spur heißt, zwischen dem Nicht-Mehr des Geschehenen und dem Noch-Sein der Spur zu vermitteln. In der Dimension der zu machenden Geschichte müssen unsere Zukunftsentwürfe und unser Handeln immer von Situationen ausgehen, die wir nicht gemacht haben. So wird im Entwerfen der Z. unser Affiziertsein durch die Vergangenheit, und d. h. ihre Wirklichkeit erfahrbar. Dieses Affiziertsein sichert eine Form von Kontinuität, die eine Dezentrierung des Bewußtseins in Hinblick auf die ihm zuvorgekommene Geschichte ist. Gleichzeitig ist unsere Perspektive auf die Vergangenheit aber immer auch von unseren zukunftsorientierten Erwartungen bestimmt. Die darin möglichen Neuinterpretationen der Vergangenheit können vergessene Möglichkeiten, brachliegende Potentialitäten aufdecken. Zugleich sind unsere Zukunftsentwürfe die von Gemeinschaften, zumal der Menschheit insgesamt. Qu.: HeiGA 2. – Merleau-Ponty 1945 (1966). – Binswanger 1993. – Ricœur 1983 (1988). JV

643 Zur-Welt-sein. (frz.: être-au-monde) Merleau-Ponty bezeichnet damit das Ich, das – anders als das cartesianische → Cogito – in einer physischen und zwischenmenschlichen Welt engagiert ist. Das Vehikel des Z.W.s ist der → Leib als der Angelpunkt der Welt. Damit ist auch das genitale Sexualverhalten in das Gesamtleben des Subjekts einbezogen, die → Geschlechtlichkeit alles andere als ein Epiphänomen. Aber auch → Sprache und Gebärden, Mimik und die → Bewegung als das Fundament der Einheit der Sinne sind Weisen unseres Z.W.s. Qu.: Merleau-Ponty 1945 (1966). – Lit.: Taylor 1986. HV

Zuschauer. Der Terminus Z. findet sich bei den Vertretern verschiedener phänomenolog. Schulen. Sein Bedeutungsgehalt kann nur unter Bezugnahme auf die jeweilige (z. B. realistische oder idealistische) Konzeption der Phänomenologie bestimmt werden. Grundproblem ist die Beziehung zwischen beschreibendem Subjekt und beschreibend zu erfassendem Gegenstand(sbereich). In der philosoph. Tradition vermittelt die metaphorische Rede vom Z. den Gedanken, daß Erkenntnis der Wahrheit eine Distanznahme von dem zu erkennenden Objekt erfordere, weil Einssein mit dem Erkannten Objektivität ausschließe. So spielt das Moment der Objektivierung etwa eine wesentliche Rolle in der Verwendung des Ausdrucks impartial spectator in der schottischen Aufklärung (Smith 1976, part I, section I, ch. 5, part II, section I, chapt. 2; zur gegenwärtigen Auseinandersetzung mit dem Zuschauerproblem in der Moralphilosophie vgl. Beck 1975; Pothast 1980, 366 ff., 379 ff.;

Zuschauer Williams 1985, chapt. 4, 5 u. 8; Walzer 1996, 111-135; Sturma 1997, 205-219; Gerhardt 1999, 356-361). Damit ist jedoch nicht – wie es Kants Idee der Moralität als Selbstunterwerfung unter den Kategorischen Imperativ entspräche – ein über die Partikularitäten des Lebens hinausweisendes Prinzip der Universalisierbarkeit anerkannt. Die Aufforderung, unparteiisch (impartial) zu sein, bedeutet in dieser empiristischen Tradition vielmehr, sich anderen kraft des allen gemeinsamen menschlichen (moralischen) Sympathiegefühls gleich zu machen, mithin das Verallgemeinerbare in den konkreten Handlungszusammenhängen aufzusuchen. Beide Modellierungen der Zuschauerrolle – das nach apriorischen Begründbarkeiten fragende Reflexionsmodell (Kant) und das PartizipationsKommunikationsmodell (Smith) – finden in der phänomenolog. Bewegung Nachfolger. Einem ersten Verständnis stellt sich die Figur des „unbeteiligten“ oder „interesselosen“ phänomenolog. Z.s (Hua I, 73) gemäß folgender Bestimmungen dar: 1. Kontemplation: „Zuschauen“ meint: innehalten; nicht involviert sein; 2. reine → Theorie: „Zuschauend“ erlangte → Erkenntnis zielt nicht auf eine Gestaltung praktischer Lebenszusammenhänge und versteht sich nicht als Ausdruck einer → Praxis; 3. reine → Intuition: Die Rolle des Z.s soll es ermöglichen, das Gegebene, so wie es sich zeigt, in reiner → Anschauung, ohne irgendwelche subjektiven Beimengungen, zu erfassen: frei von allen Voraussetzungen und theoretischen Vormeinungen. Insbes. die Debatte um eine phänomenolog. Letztbegründung wurde ausgehend von den Momenten 1.-3. geführt (z. B. Kolakowski 1975). Die genauere Qualifikation der Rolle

Zuschauer des Z.s bei verschiedenen phänomenolog. Autoren kann danach erfolgen, inwieweit sie die Auffassung der Phänomenologie als einer kontemplativintuitiven Erkenntnis, die auf theoriefreie, voraussetzungslose Beschreibung des Gegebenen abzielt, stützen oder zurückweisen. Gemäß Arendts ideen- und kulturgeschichtlicher Untersuchung verschiedener Grundeinstellungen zur Wirklichkeit zeichnet sich die neuzeitliche Geistesart durch eine Weltentfremdung aus, der nicht eine Selbstentfremdung entspricht, die sich vielmehr gerade infolge des starken Interesses an einer Selbstanalyse des Subjekts einstellt (Arendt 1967, 244 ff., 267 ff.). Folgte man dieser These einer Verbindung von Subjektivismus und Weltentfremdung, so müßte die phänomenolog. Analyse reiner Bewußtseinsinhalte, sofern ihr eine Einklammerung der Wirklichkeit vorangeht (ebd., 266), als mentalistische Abkehr von einem intersubjektiven Erfahrungs- und Handlungsraum verstanden werden, deren Zweck in der Suche nach Gewißheit läge: als eine „Auflösung objektiv gegebener Wirklichkeit in subjektive Bewußtseinsdaten“ (ebd., 274). Träfe diese Diagnose die Intentionen der Phänomenologie, so müßten das Anschauungsprinzip und der Begriff des Phänomens einem skeptischen bzw. methodischen → Zweifel unterstellt werden. Demnach wäre die phänomenolog. Forderung, in der Philosophie nicht mit konstruktiven Annahmen und Spekulationen zu beginnen, sondern zum Gegebenen zurückzugehen, selbst konstruktivistisch zu interpretieren, nämlich gemäß der Idee, „daß Menschen nur das wissen können, was sie selbst gemacht haben, daß also die angeblich höheren Erkenntnis-

644 und Wahrheitskapazitäten des Animal rationale faktisch von einer der Tätigkeiten der Vita activa abhängen, nämlich von dem Herstellen des Homo faber“ (ebd., 223). Den phänomenolog. Z. zugleich als „Hersteller“ aufzufassen bestätigte Arendts Hypothese, daß sich der dem klassisch-griechischen Denken zugehörige Primat der Kontemplation im neuzeitlichen Weltbild in einen „Sieg des Homo faber“ verkehrt habe (ebd., 287 ff.). Danach gälte auch für die Phänomenologie: Der Z. erkennt das ihm Gegebene, weil er es selbst herstellt; weil er es aber im bloßen Denken, in der Analyse von Bewußtseinsinhalten, herstellt, ist die Zuschauerrolle insofern unhintergehbar, als die Trennung von dem, was als Wirklichkeit erfahren wird, unüberwindbar bleibt (Theorie-PraxisUnterscheidung): Handeln und Selbst, sofern sie nicht „gemacht“ werden können, werden zur Aporie des Selbstund Weltbezuges, die im Rahmen der neuzeitlichen Denkorientierung nicht auflösbar ist. Binswangers daseinsanalytisch orientierte Psychopathologie hebt die im Ausdruck Z. gedachte Distanzierung weitgehend zugunsten eines „liebenden Miteinander von Ich und Du“ auf, in welchem er, gegen alle rein objektivierend verfahrenden Ansätze, den „eigentlichen Grund“ erkennt (Binswanger 1973, 21, 643-649). Auf diesen müsse zurückgegangen werden, wenn es in der Psychologie und Psychopathologie gelingen solle, mit dem „unerschöpfliche[n] Problem der Subjektivität“ (Binswanger 1955, 281) in einer angemessenen Weise umzugehen. Als ungeeigneter, weil zu enger Ansatz erweist sich die Einschränkung auf die Aktintentionalität des Bewußtseins, welche Binswanger im Anschluß

645 an Heideggers Existentialanalytik in Richtung auf eine Untersuchung der Grundstrukturen menschlichen → Daseins und der Frage nach dem Sinn von → Sein überschreitet. Ziel der therapeutischen Beziehung ist es, den Menschen als leiblich-seelisch-geistige Einheit in seiner Lebensgeschichte zu verstehen, indem sein psych. Erleben als eine bestimmte Weise des → Inder-Welt-seins aufgefaßt wird (Binswanger 1947, 50-73). Dabei folgt der Daseinsanalytiker der Idee einer „natürlichen Kommunikation“. Er ist bemüht, „immer mit seinen Kranken auf derselben Ebene, der Ebene der Gemeinsamkeit des Daseins nämlich, [zu] stehen. Er wird den Kranken also nicht zu einem Objekt machen, gegenüber sich selbst als einem Subjekt, sondern wird in ihm den Daseinspartner sehen“ (Binswanger 1955, 305). Die unmittelbare, vorbegriffliche und vortheoretische Nähe zum Sein der Menschen bedeutet auch, daß der Therapeut im Ringen um die Freiheit seines Daseinspartners „den Einsatz der eigenen Existenz wagen muß“ (ebd., 307). In Merleau-Pontys Philosophie der → Wahrnehmung, die eine (in der neuzeitlichen Tradition verdrängte) Philosophie des → Leibes grundlegen will, wird der Leib als „inkarniertes Subjekt“ verstanden. Gegenbild dieses „natürlichen Ich“ ist der Z., der in das von ihm Beobachtete selbst nicht involviert ist; der sich in sein Inneres zurückzieht, um sich reflexiv seiner Vorstellung der Welt zu vergewissern. Gemäß dem Ausgang von dem „inkarnierten Subjekt“ und der These, daß jedes → Bewußtsein in irgendeinem Grad Wahrneh/mungsbewußtsein ist (Merleau-Ponty 1966, 450), wird Z. zu einem der Leitbegriffe von MerleauPontys Kritik der transzendentalen

Zuschauer Phänomenologie Husserls. Diese sucht durch eine auf Intuition basierende Analyse reiner Bewußtseinsinhalte die Formen der intentionalen → Beziehung zwischen Bewußtsein und Welt zu ermitteln. In dieser erkenntniskritischen Ausrichtung ist das Schauen nicht bei den erscheinenden Dingen selbst, sondern auf die Art und Weise ihres Erscheinens gerichtet. Da die Dinge im Bewußtsein erscheinen, ist die reflexiv gerichtete Anschauung – im Gegensatz zu jener der gewöhnlichen Wahrnehmung – zugleich Selbstanschauung, und die gesuchte philosoph. Erkenntnis zugleich Selbsterkenntnis. „Das Sehen ist kein bestimmter Modus des Denkens oder eine Selbstgegenwart; es ist mein Mittel, von mir selbst abwesend zu sein, von innen her der Spaltung des Seins beizuwohnen, durch die allein ich meiner selbst innewerde.“ (Merleau-Ponty 1984, 39) Das Sehen, so MerleauPontys Einwand, kann nicht zugleich (sc. im Vollzug des Wahrnehmungsaktes) sich selbst sehen. Von einer Zuschauerrolle des phänomenologisierenden Ich zu sprechen, verkennt das unhintergehbare → Zur-Welt-Sein des Bewußtseins. „Bewußtsein ist Sein beim Ding durch das Mittel des Leibes.“ (Merleau-Ponty 1966, 167 f.) Die Kritik der Metapher des Z.s äußert sich folgerichtig in der Zurückweisung des Gedankens der → Konstitution und der phänomenolog. → Reduktion, welche nach Merleau-Pontys Auffassung nicht vollständig durchführbar ist. Damit die Kluft zwischen (Wahrnehmungs-)Handlung und reflektierender Betrachtung des Tätigseins sich wieder schließt (bzw. sich, als nachträglich und theoretisch konstatierte, gar nicht erst öffnet), darf das Subjekt sein Engagiert-sein in einer

Zuschauer konkreten Umwelt nicht zugunsten der fiktiven Position eines kosmostheoros aufgeben. Nicht aus der Standpunktlosigkeit eines Überflugs (survol) der Welt, sondern aus der Mitte des Geschehens heraus reflektiert das Subjekt, das somit nicht „absoluter Z.“ ist, sich nicht vom „Spiel der Relativitäten“ zu distanzieren vermag (Merleau-Ponty 1986, 37). „Ursprünglichkeit der Existenz“ hat unbedingten Vorrang vor der „Ursprünglichkeit des theoretischen Bewußtseins“ (Merleau-Ponty 1984, 50; 1986, 76). Besondere methodische Bedeutung erhält das Problem des Z.s in der → transzendentalen Phänomenologie Husserls. Die Charakterisierung des Phänomenologen als eines „uninteressierten“ Z.s, eines „sich aller ,Sympathie‘ mit sich selbst entschlagenden Reflexions-Ich“ (Hua VIII, 99), erfolgt gemäß den Intentionen einer erkenntniskritisch orientierten Bewußtseinsphilosophie (ebd., 98-112). Dementsprechend wird der Begriff des Gegebenen problematisiert und die Rolle des Z.s mit Hilfe einer Konzeption möglicher Einstellungswechsel spezifiziert. Wenn Husserl so zur Feststellung einer Entsprechung zwischen verschiedenen → Einstellungen des Subjekts bzw. verschiedenen → Typen von → Erfahrung mit je zugehörigen Arten von → Gegebenheiten gelangt, so zielt er jedoch nicht – etwa gemäß der daseinsanalytischen Feststellung einer untrennbaren → Einheit von Seinsweise des Subjekts und Physiognomik der Welt (Binswanger 1955, 292 f.) oder der wahrnehmungsphänomenolog. These der Situiertheit des Subjekts (Merleau-Ponty 1966, 464) – darauf ab, die Person in allen ihren existentiellen, lebenspraktischen und historischen Bezügen zu beschreiben

646 und zu verstehen. Husserls Interesse gilt allein der Aufklärung der Intentionalbeziehung und der diesbezüglich zu erwägenden Möglichkeit eines reinen, philosoph. Denkens, das nicht im Hinblick auf seine konkreten Seinsbedingungen, sondern im Hinblick auf seine sinnkonstituierenden → Leistungen untersucht wird. Die dieser Fragestellung angemessene method. Vorgangsweise – die Unterscheidung einer natürlichen von einer phänomenolog. Einstellung – setzt → Reflexion und → Abstraktion als Fähigkeiten freier Vernunftsubjekte voraus. 1. Mit welcher Art von Interesse ist die Einstellung des uninteressierten Z.s verträglich, bzw. welches Interesse muß vorliegen, wenn die Zielsetzung einer phänomenolog. Untersuchung verwirklicht werden soll? Desinteressiert („bloß zuschauend“) verhält sich der Phänomenologe zur Gegenstandswelt der alltäglichen und positiv-wissenschaftlichen Erfahrung. Theoretisch interessiert und schauend verhält er sich zu dem (mittels phänomenolog. Reduktion erschlossenen) Gegenstandsbereich der phänomenolog. Untersuchung: zu den Bewußtseinsinhalten und den verschiedenen Arten und Formen intentionaler Beziehungen zu → Gegenständen (Hua XIII, 204, 207 f.; Hua XVI, 11; Hua IX, 313). „Rein phänomenolog. Interesse ist dasjenige Seinsinteresse, das überall noch möglich ist, wenn ich alle sonstigen Interessen, nämlich alle Interessen, die ich als geradehin Akte vollziehendes Ich hatte, ausschalte.“ (Hua VIII, 110) Die Interesselosigkeit der → Epoché (Urteilsenthaltung) ist mithin keine absolute und radikal reine, sondern eine relative (ebd., 142). Z.-sein kann nicht als eine naive (unreflektierte) Beobachterrolle gedacht

647 werden, da der Vollzug der phänomenolog. Reduktion vorausgesetzt ist. 2. Wie ist die Forderung nach Voraussetzungslosigkeit mit der Kontingenz einer Zuschauerposition und der hieraus resultierenden „Perspektivität“ der Erkenntnis verträglich? Oder: Wie könnte die Annahme einer nichtrelativen Zuschauerrolle verteidigt werden? Die Forderung nach Voraussetzungslosigkeit wird häufig so interpretiert, als würde eine absolut gewisse, unkorrigierbare Erkenntnis angestrebt, indem eine vollständig entperspektivierte, absolute Zuschauerposition eingenommen würde, ohne daß dies (zumindest in Husserls Phänomenologie) einer hinreichenden methodische Selbstkritik unterzogen würde. Demnach verträte die reine Phänomenologie einen „view from nowhere“ (Nagel 1986), was aber nicht der Intention Nagels entspräche, der diese Bezeichnung zur Charakterisierung der subjektfreien physikalischen Weltbeschreibung einführt. Die phänomenolog. Reduktion als eine vollständige Entperspektivierung mißzuverstehen wird durch den Sprachgebrauch nahegelegt. Die objektivistische Externalität und Distanzierung (Nagel 1991, 118; Arendt 1967, 259 ff., 264), die auf ein Wissen von den Dingen an sich abzielt, mithin nicht nur Subjektivität (Abhängigkeit von individuell-persönlichen Perspektiven), sondern Subjektbezüglichkeit überhaupt zu überwinden fordert, wird nämlich als eine „Transzendierung des Selbst“ bezeichnet (Nagel 1991, 121). Eben diese Bezeichnung kann in anderem Sinn auch mit Bezug auf die Thematisierung der Akt- bzw. Subjektbezüglichkeit von Gegenstandsmeinungen in der Phänomenologie verwendet werden. Mittels phänomenolog. Reduktion wird das → Selbst im Sinne

Zuschauer des psych. (psychophysischen) Individuums transzendiert, um das, was sich in ihm als Bewußtseinsinhalt vorfindet, analysieren zu können. 3. Welcher Zusammenhang besteht zwischen der methodischen Konzeption des Z.s und der inhaltlichen Bestimmung des Subjektbegriffes als eines Ergebnisses der phänomenolog. Untersuchung? Kommt es in Husserls später Phänomenologie dazu, daß die im Terminus Z. enthaltene „Paradoxie der menschlichen Subjektivität“ den methodischen Ansatz der Phänomenologie sprengt ? (vgl. Hua IV, 253; Hua VI, §§ 53 u. 54; Hua VIII, 412 f. (Beilage XVII), 440 f. (Beilage XXI); sowie Rinofner-Kreidl 2001) Die Rede von einer „Paradoxie“ benennt die Schwierigkeit einer partiellen Dekontextualisierung des phänomenolog. Z.s, die an den Vollzug der phänomenolog. Reduktion gebunden ist. Wie kann sich das „zuschauende“ → Ich zugleich als konstituierendes Subjekt – als reines, Gegenstände als Sinneinheiten konstituierendes Bewußtsein – und als konstituiertes Subjekt denken, d. h. als empirisches Ich in Raum und Zeit, das, sofern es zum Gegenstand einer phänomenolog. Beschreibung gemacht wird, ebenso als Resultat einer Sinnkonstitution zu betrachten ist? Wie kann das Subjekt sich zugleich Subjekt und Objekt sein? Die Paradoxie der Subjektivität führt zur Einsicht, daß dem Zuschauermodell immanentphänomenolog. eine Grenze gesetzt ist, die zwar nicht zur Aufhebung der philosoph. Reflexion in die Lebenspraxis führt (d. h. zur Behauptung der Undurchführbarkeit der phänomenolog. Reduktion), wohl aber zur Anerkennung einer durch phänomenolog. → Analyse nicht zu begründenden, weil in dieser nicht ausweisbaren Subjek-

Zuschauer tinstanz. In jeder Reflexion auf eigene Bewußtseinsakte („Ich-Spaltung“) entspricht dem zu analysierenden Bewußtseinsinhalt – dem thematischen oder patenten Ich – ein aller reflexiven Vergegenständlichung vorgängiges fungierendes (latentes) Ich, das im Vollzug der je aktuellen cogitatio lebt, nichts anderes als dieser Vollzug ist (Hua VIII, 90 ff.): Die Funktion des zuschauenden Ich, vermöge der überhaupt gegenständlich gegebene → Inhalte analysierbar und beschreibbar sind, ist selbst nicht gemäß dem Zuschauermodell objektivierbar. So gelangt Husserl, der die ursprüngliche Differenz und Einheit von Lebensvollzug und gegenständlicher Orientierung in jedem → Erlebnis auch dem fungierenden Leib zuspricht, unter den Bedingungen einer transzendentalen Erfahrung zu einem deskriptiven Befund, den Merleau-Ponty vom Standpunkt mundaner Erfahrung so formuliert: „Immer sehen wir nur von irgendwoher, ohne daß aber das Sehen in seine Perspektive sich einschlösse.“ (Merleau-Ponty 1966, 91) Von manchen Interpreten, v. a. von den Vertretern einer realistisch-ontolog. Spielart der Phänomenologie, wird die Paradoxie der Subjektivität (einschließlich ihrer Ausweitung in eine Phänomenologie der Intersubjektivität) den Aporien einer Reflexionsphilosophie zugerechnet, welche das Scheitern der transzendentalen Phänomenologie Husserls und in der Folge entweder einen Wechsel vom Bewußtseinszum Sprachparadigma oder eine Rückkehr zur → Ontologie unausweichlich mache. Zu den grundlegenden Aufgaben der gegenwärtigen phänomenolog. Forschung gehört mithin die Beantwortung zweier Fragen: 1. Unter Bezugnahme auf welche Problemstellun-

648 gen, mit welchen Erkenntnisgewinnen und-verlusten erfolgt die Entscheidung für ein hermeneut. und/oder ontolog. Integrationsmodell, welches das Subjekt als Bestandteil des zu untersuchenden Phänomenbereichs versteht, oder für ein transzendentalphilosoph. Reflexionsmodell, das von einer Distanzierungsleistung des Subjekts („uninteressierter Z.“) ausgeht, dessen Selbstverhältnis mittels Unterscheidung verschiedener Ich-Funktionen bestimmt wird? Mit Hilfe einer „Beobachter“Terminologie ist das phänomenolog. Zuschauermodell nicht adäquat zu erfassen. Ebenso bedarf der kritische Einwand, die Bindung der Z.-Rolle an die phänomenolog. Reduktion mache Zuschauen zu einer „hierarchischen Herrschaftstechnik“ (Luhmann 1996, 21), seinerseits einer kritischen Prüfung. „Der Beobachter, der die Unterscheidung [zwischen natürlicher und theoretischer Einstellung, SRK] macht und schon deshalb in ihr nicht vorkommen kann, sichert sich selbst einen Platz auf der von ihm bevorzugten Seite. Dieses Manöver kann man heute durchschauen.“ (ebd., 22) 2. Wie kann eine sachlich fruchtbare Auseinandersetzung zwischen dem hermeneut. (ursprüngliche SubjektObjekt-Einheit), dem transzendentalphilosoph. (ursprüngliche SubjektObjekt-Differenz) und dem ontolog. Standpunkt (Irrelevanz der SubjektObjekt-Unterscheidung bezüglich der eidetisch-apriorischen Erkenntnisse der Phänomenologie) geführt werden? Qu.: Hua I. – Hua IV. – Hua VI. – Hua VIII. – Hua IX. – Hua XVI. – Hua XIII. – Arendt 1958 (1967). – Arendt 1978a (1979a). – Arendt 1978b (1979a). – Binswanger 1942 (5 1973). – Binswanger 1947, 50-73, 190-217. – Binswanger 1955, 279302, 264-278, 303-308. – Merleau-Ponty

649 1945 (1966). – Merleau-Ponty 1964 (1984, 13-43). – Merleau-Ponty 1964. (1986). – Lit.: Besnier 1997, 161-214. – Beck 1975. – Depraz 1997, 113-134. – Fink 1988. – Gerhardt 1999. (1976). – Kerckhoven 1989, 81-105. – Kolakowski 1975 (1977). – Luhmann 1996 – Nagel 1979, 196-213 (1991, 99-128). – Nagel 1986 (1992). – Pothast 1980. – Rinofner-Kreidl 2001 – Scherbel 1999. – Sepp 1989, 111-120. – Sepp 1997. – Smith 1759 (ND 1976). – Smith 1926 (ND 1977). – Sturma 1997. – Theunissen 1965, 439-476 – Waldenfels 2 1998, 142217. – Walzer 1994 (1996). – Williams 1985. SRK

Zuschreibung (frz.: ascription). Der Begriff schwankt zwischen logischer Attribution einerseits und moralischer Zurechnung (Imputation) andererseits. Beide Aspekte konvergieren, wenn dasjenige, dem ein Tun zugeschrieben wird, eine Art Ding ist, wie es Strawson in seiner deskriptiven Metaphysik der Person vorsieht. Beide Aspekte treten auseinander, wenn die Z. von Verantwortlichkeit als Zurechnung gefaßt wird (vgl. Hart), die das Tun-Können impliziert. Zwar stellt sich auch so das Problem der Attribution entsprechender Prädikate. Doch zielt die Frage der Z. hier auf den Ursprung (arche) und auf das Selbst (autos) des Tuns. Ricœur sieht im Tun eine → Bezeugung des Selbst, die nach einer „Phänomenologie des ,ich kann‘ “ als des zentralen Phänomens der Initiative und nach einer Ontologie des Eigenleibes (Merleau-Ponty) verlangt. Die Erfahrung des Tun-Könnens ist ohne die des eigenen Leibes nicht denkbar. In ihm liegt zugleich die Grundlage des Bezugs auf sich (Selbst-Z.) i. S. phys. und psych. Prädikate etwa, die aber keine doppelte Referenz implizieren. Der Möglichkeit der Selbst-Z. entspricht die Möglichkeit der Fremd-Z.

Zweideutigkeit Beide Möglichkeiten müssen als gleichursprünglich gelten. Die Möglichkeit der Selbst-Z. impliziert das Wissen um eine entsprechende „Abhängigkeit“ fremden Tuns von einem „Vollzieher“. Für Ricœur kommt es darauf an, die Frage der Zuschreibbarkeit weder auf logische Attribution noch auf juridische Zurechnung noch auch auf kausale Erklärung zu reduzieren. Während letztere streng genommen kein Ende kennt, macht die Z. bei der Antwort auf die Frage nach dem Wer halt. Das Problem, wie ein (als Antwort auf diese Frage verstandenes) Selbst, von dem vollzogenes Tun als zurechenbares abhängt, „leibhaftig“ existiert, führt Ricœur zu einer ontolog. Kritik der Reduktion von Z. auf eine Attribution von Prädikaten zu einer Art Ding, das man Person nennt. Qu.: Ricœur 1990 (1996, 49-54, 111140, 353 f.). – Lit.: Hart 1948, 171-194. – Meggle 1985, 186-245. – Strawson 1959 (1972). BL

Zweideutigkeit (frz.:ambiguité). Der Begriff erhält seine Bedeutung in der Phänomenologie vor allem auf Grund der Erkenntnis der Weltverhaftung des Menschen. Bei Heidegger gehört die Z. zum alltäglichen → Miteinandersein. Sie ist jene Weise der → Erschlossenheit des → In-der-Welt-seins, auf Grund welcher nicht mehr entscheidbar wird, ob etwas in echtem → Verstehen erschlossen ist oder nicht. So wie die Neugier das Verstehen verstellt und das ursprüngliche Verstehen dessen, worüber geredet wird, im Gerede zum bloßen Miteinanderreden wird, beruht die Z. im geworfenen Miteinandersein in einer → Welt. In Gerede, Neugier und Z. enthüllt sich das → Verfallen als Grundart alltäglichen → Daseins.

Zweifel Merleau-Ponty thematisiert die Z. daraufhin, daß im Subjekt wie im Gegenstand Wirkliches und Scheinbares gegeben sein müssen, woraus so etwas wie Mythos, Traum und Illusion verständlich werden können. Damit geht eine Revision einer einseitig rationalistischen Interpretation des → Bewußtseins einher. Dieses ist seiner Gegenstände nicht unmittelbar bewußt, sondern bedarf (um überhaupt zu einer wie auch immer gearteten Gewißheit zu gelangen) eines Bruchs mit der Unmittelbarkeit (in Fragen, Zweifeln, Berichtigungen von Irrtümern u. dgl.). Die innere Gewißheit des Selbstbewußtseins ist mit einem vorbewußten Weltbesitz im präreflexiven → Cogito gleichursprünglich. Deshalb ist die Z. nichts Negatives, sondern eine Wesensbestimmung des Bewußtseins. Die Welt ist nicht die Summe der Dinge, die „in“ ihr vorkommen, sondern sie ist in der Z. verwurzelt: Die lebendige → Gegenwart ist in die → Vergangenheit, die sie übernimmt, und in die → Zukunft, auf die sie sich entwirft, ausgespannt. Neben anderen Z.en richtet Levinas sein Augenmerk auf die Z. der Liebe (ambiguïté de l’amour). Sie beruht in einem Geschehen an der Grenze von → Transzendenz und Immanenz. So geht die Liebe als Beziehung zum Anderen zugleich über diesen hinaus. In der Gleichzeitigkeit von Bedürfnis (besoin) und Begehren (désir) ist das Erotische das Zweideutige schlechthin. Qu.: HeiGA 2, § 37. – Merleau-Ponty 1945 (1966, 340-347 u. 381-385). – Levinas 1980 (1987). HV

Zweifel. (auch: hyperbolischer Z.) Z. resultiert aus der „Gebrechlichkeit der Gewißheit“, die dem radikalen Z. Des-

650 cartes’ zunächst standzuhalten scheint, die aber immer wieder brüchig wird. Der Z. kommt nicht zur Ruhe, solange das Cogito sich selbst überlassen bleibt – wie „ein Sisyphus, der dazu verdammt ist, von Augenblick zu Augenblick den Felsen seiner Gewißheit im Gegenzug zum Z. zu erklimmen“ (Ricœur 1996, 19). Der in Descartes’ Hypothese eines lügnerischen Gottes sich gleichsam selbst überbietende Z. (hyperbolische Z.) wird von Nietzsche i. S. des Verdachts der Nichtunterscheidbarkeit von Lüge und Wahrheit radikalisiert und gegen sich selbst gekehrt. Der Frage, von wo aus eigentlich dieser Verdacht artikuliert wird, begegnet Ricœur mit einer Transformation des Z.s am („falschen“) Bewußtsein in eine hermeneut. „Wissenschaft des Sinns“ der Äußerungen des Bewußtseins. – Als in der hyperbolischen Dynamik des cartesischen Z.s gleichsam vorgebildet, seinem auch von Husserl festgehaltenen Telos einer → Reduktion auf die Sphäre des Eigenen aber entgegengesetzt, begreift Ricœur den Begriff des Hyperbolischen bei Levinas. Dieser markiert eine „Praxis des Überschusses“ in der philosoph. Argumentation, ein „Sich-Überbieten“ des Denkens, aus dem ein neues, der → Exteriorität des → Anderen verpflichtetes Denken erwächst, „das sich nicht auf das einer hyperbolischen Überbietung unterworfene Gedachte reduzieren läßt“ (Levinas 1992, 119). Qu.: Ricœur 1965 (1974, 45-49). – Ricœur 1990 (1996, 19, 405 f.). – Levinas 1974 (1992). – Levinas 1982 (1985, 112 f.). BL

Zwiegespräch. Als „Z.“ versteht Heidegger seine Art der denkerischen Auseinandersetzung mit der Tradition, vornehmlich mit dem frühgriech. Denken

651 sowie der Dichtung Hölderlins, Trakls oder Rilkes (vgl. HeiGA 5, 292, 351, 355, 362; HeiGA 65, 187). Gemeint ist ein Gespräch, das sich nicht „nur im unmittelbar Gesprochenen einrichtet“, „sich am jeweils Gesprochenen entlang schlängelt“, sondern, anders als bloße „Konversation“, gerade auf das Ungesprochene im Gesprochenen sich einlassen will (HeiGA 8, 182). Nach dem Beispiel des Sokrates faßt Arendt das Denken als stummes „Z. des Menschen mit sich selbst“. „Dieses denkende Z. des Menschen mit sich selbst“, so Arendt, „findet nur in der Einsamkeit statt, im Rückzug von der Erscheinungswelt, in der man gewöhnlich mit anderen zusammen ist und sich selbst wie auch ihnen als Einer erscheint“ (Arendt 1979b, 74, 190, 62; vgl. auch, Arendt 1979a, 127, 184, 186). Qu.: HeiGA 5. – HeiGA 8. – HeiGA 65. – Arendt 1978a (1979a). – Arendt 1978b (1979b). AGO

Zwischen. Der Terminus „Z.“ ist charakteristisch für Heideggers Bezugsdenken, das statt von den Relationsgliedern, die nachträglich zueinander in Beziehung treten, vom → Bezug selbst ausgeht, aus dem heraus die Relata überhaupt erst sind. So ist der Mensch nicht zuerst Subjekt, das sich sodann auf Objekte richtet, sondern „zuvor in seinem Wesen ek-sistent in die Offenheit des Seins, welches Offe-

Zwischen ne erst das ,Z.‘ lichtet, innerhalb dessen eine ,Beziehung‘ vom Subjekt zum Objekt ,sein‘ kann“ (HeiGA 9, 350). Dieses Z. als „der offene Hereinragungsbereich für das Seiende“ (HeiGA 65, 299) ist, insofern das → Dasein kein isoliertes → Ich, sondern das ekstatische Vollbringen der → Nähe des → Seins ist, der Wohnort des Menschen (HeiGA 7, 199). Auch für Waldenfels hat das Z. einen Primat vor den Bezugsgliedern. Der Dialog schafft eine Sphäre des Z., in welchem Eigenes und Fremdes nicht eindeutig voneinander abgrenzbar sind. Dieses Z. ist kein Resultat der Interaktion von fertigen Subjekten, diese verdanken sich vielmehr umgekehrt überhaupt erst den Differenzen des Z.; der Prozeß des Dialogs behält so unaufhebbar den Charakter eines Ereignisses. Im Anschluß an Merleau-Ponty spricht Waldenfels auch von Zwischenleiblichkeit, um die Gleichursprünglichkeit der leiblichen Vermittlung mit anderen und mit uns selbst zu bezeichnen. Insofern ein IchSagen im sozialen Geschehen allererst ermöglicht ist, kann es keine völlige Insichgeschlossenheit und Selbstidentität eines Subjektes geben, welches das Andere restlos abstreifen könnte; es bleibt sich selbst fremd. Qu.: HeiGA 7. – HeiGA 9. – HeiGA 65. – Waldenfels 1971. – Waldenfels 1990. WF

Anhang

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ScheGW = Max Scheler: Gesammelte Werke. Bern/München 1954 ff. Zitiert wird, wo nicht anders angegeben, mit Autor/innennamen und Erscheinungsjahr.

C. Biographische Notiz zu den Autorinnen und Autoren Blamauer Michael, Mag., Universität Wien Boelderl Artur, Univ.-Doz. Dr., Kath.Theolog. Hochschule Linz Därmann Iris, Dr., Universität Lüneburg Daum Raphael, Universität Wien Ebner Klaus, Mag. Dr., Klinikum Augsburg

Eden Tania, Dr., Ruhr-Universität Bochum Esterbauer Reinhold, Univ.-Prof. Mag. DDr., Karl-Franzens-Universität Graz Fasching Wolfgang, Dr., Universität Wien Fischer Matthias, Dr., Universität München

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Biographische Notiz zu den Autorinnen und Autoren

Flatscher Matthias, Mag., Universität Wien Giese Christiane, Dr. Universität Bochum Gniazdowski Andrzej, Dr., Polskiej Akademii Nauk, Warszawa Gondek Hans-Dieter, Dr., Universität Bochum Grossmann Andreas, Dr., Universität Bochum Gürtler Sabine, Dr., Universität Giessen Hagedorn Ludger, Dr., Universität Berlin Heinz Marion, Prof. Dr., Gesamthochschule Siegen Helting Holger, Univ.-Doz. Mag. Dr., Universität Klagenfurt Hong Seong-Ha, Prof. Dr., WoosukUniversity, Zhonyu (Jeonju) Jansen Julia, Dr., Universität Marburg/L. Junghans Christian, M.A., TU Chemnitz Kadi Ulrike, DDr.,Universität Wien Kaletha Holger, Dr., Universität Siegen Klun Branko, Doz. Mag. Dr., Universität Ljubljana Kolb Sarah, Mag., Wien Kühn Rolf, Univ.-Doz. Dr., Gundelfingen Liebsch Burkhard, Prof. Dr., Kulturwissenschaftliches Institut Essen List Elisabeth, Univ. Prof. Dr., KarlFranzens-Universität Graz Luft, Sebastian, Dr., Universität Leuven Mass, Holger, Dr., Universität Leipzig Meyer-Drawe Käte, Prof. Dr., RuhrUniversität Bochum Nielsen Cathrin, Dr., Albert-LudwigsUniversität Freiburg Pechriggl Alice, Dr., Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaften, Universität Wien

Plieger Petra, Dr., LudwigMaximilians-Universität München Pöltner Günther, Univ.-Prof. Dr. Mag., Universität Wien Prammer Franz, Dr., Universität Wien Purdea George, Dr., Universität Wien Rabanus Christian, Doz. Dr., Universität Wiesbaden Raynova Yvanka B., Prof. Dr., Institute for Philosophical Research, Sofia Rinofner-Kreidl Sonja, Ao. Univ.-Prof. Dr. Mag., Karl-Franzens-Universität Graz Rolf Thomas, Dr., Technische Universität Chemnitz Rombach Siegfried, Dr., Kirchzarten Röhr Henning, Dr., Universität Bochum Sakakibara Tetsuya, Prof. Dr., University of Tokyo Scharl Franz, Dr., Universität Wien Scheuringer Rosa, Mag., Wien Schnell Martin, Dr., Martin LutherUniversität Halle-Wittenberg Sepp, Hans Rainer, Doz. Dr., KarlsUniversität Prag Sowa Rochus, Dr., Husserl-Archief te Leuven Staudigl Michael, Dr., Institut für die Wissenschaften vom Menschen Wien Stenger Georg, Doz. Dr., Universität Würzburg Stoller Silvia, Dr., Universität Wien Unterholzner David, Universität Wien Unterthurner Gerhard, Mag. Dr., Universität Wien Vetter Helmuth, Ao. Univ.-Prof. Dr., Universität Wien Vigo Alejandro, Prof. Dr., Pontificia Universidad Católica, Santiago de Chile. Volonté Paolo, Dr., Universität Mailand Vongehr Thomas, Dr., Husserl-Archiv, Universität Freiburg Vosicky Lukas, Mag., Wien

Autorenkürzel Vorlaufer Johannes, Mag. Dr., Wien Walton, Roberto, Prof. Dr., Universidad de Buenos Aires Weißenböck, Mag. Iris, Innsbruck Wiesing Lambert, Doz. Dr., TU Chemnitz

Wille Hoger, Dr., Universität Bochum Weiß Martin, Dr., Istituto Trentino di Cultura, Centro per le Scienze Religiose

D. Autorenkürzel AB = Artur Bölderl AGN = Andrzeij Gniazdowski AGO = Andreas Grossmann AP = Alice Pechriggl AV = Alejandro G. Vigo BK = Branko Klun BL = Burkhard Liebsch CG = Christiane Giese CH = Coenen Hermann CJ = Christian Junghans CN = Cathrin Nielsen CR = Christian Rabanus CS = Cathrin Schuess EL = Elisabeth List EW = Egbert Witte FP = Franz Prammer FS = Franz Scharl GF = Günther Figal GP = Günther Pöltner GPU = George Purdea GS = Georg Stenger GU = Gerhard Unterthurner HH = Holger Helting HK = Holger Kaletha HM = Holger Mass HO = Hong Seong-Ha HR = Henning Röhr HRS = Hans-Rainer Sepp HS = Helge Schalk HV = Helmuth Vetter HW = Holger Witte ID = Iris Därmann IY = Ichiro Yamaguchi JG = Jean Greisch

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JJ = Julia Jansen JV = Johannes Vorlaufer KMD = Käthe-Meyer-Drawe LH = Ludger Hagedorn LMV = Lukas Marcel Vosicky LW = Lambert Wiesing MB = Michael Blamauer MF = Matthias Flatscher MH = Marion Heinz MST = Michael Staudigl MIS = Michael Steinmann MW = Martin Weiß MWS = Martin W. Schnell PV = Paolo Volonté RE = Reinhold Esterbauer RK = Rolf Kühn RS = Rosa Scheuringer ROSO = Rochus Sowa RW = Roberto Walton SG = Sabine Gürtler SL = Sebastian Luft SLO = Sophie Loidolt SR = Siegfried Rombach SRK = Sonja Rinofner-Kreidl SS = Silvia Stoller TE = Tania Eden TK = Thorsten Kubitza TR = Thomas Rolf TS = Tetsuya Sakakibara TV = Thomas Vongehr WF = Wolfgang Fasching YR = Yvanka Raynova

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Schlußbemerkung

E. Schlußbemerkung Aufgrund der Vielzahl der Lemmata und der nicht unbeträchtlichen Anzahl von Autorinnen und Autoren kann sich zwischen der Abgabe der Beiträge und dem nunmehrigen Termin ihrer Veröffentlichung eine größere Zeitspanne ergeben. Deshalb ist es mög-

lich, daß neuere Forschungsergebnisse bzw. wichtige Literatur nicht mehr berücksichtigt werden konnten. Dies ist zwar ein Schicksal, das jeder Herausgeber eines Wörterbuchs auf sich nehmen muß, dennoch soll eigens auf diesen Umstand hingewiesen werden.