Wortarten: Eine Einführung aus funktionaler Perspektive 9783110667967, 9783110667943

Using many authentic examples and looking at conditions in languages that function very differently to German, this intr

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German Pages 242 Year 2021

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Table of contents :
Vorwort
Inhalt
1 Wortarten – wo ist das Problem?
2 Nennwörter
3 Zeigwörter
4 Funktionswörter
5 Interjektionen
Lösungen zu den Aufgaben
Literaturverzeichnis
Index
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Wortarten: Eine Einführung aus funktionaler Perspektive
 9783110667967, 9783110667943

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Winfried Thielmann Wortarten

Germanistische Arbeitshefte

Herausgegeben von Thomas Gloning und Jörg Kilian

Band 49

Winfried Thielmann

Wortarten

Eine Einführung aus funktionaler Perspektive

Wissenschaftlicher Beirat zu diesem Band: Prof. Dr. Ludger Hoffmann (Dortmund)

ISBN 978-3-11-066794-3 e-ISBN (PDF) 978-3-11-066796-7 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-066816-2 ISSN 0344-6697 Library of Congress Control Number: 2021930943 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort Liebe Leserin, lieber Leser, auf der Beliebtheitsskala schulischer Gegenstände rangieren die Wortarten sicher noch lange nach den binomischen Formeln in der Mathematik oder dem stöchiometrischen Rechnen in der Chemie. Die Wortarten sind verbunden mit Aufgabenstellungen wie ‚unterstreiche alle Verben im Text‘ etc. – das hat man dann gemacht, richtig oder falsch, und sich gefragt: Wozu mache ich das eigentlich? Darauf gab es dann keine Antwort. Und so wurde eine der wichtigsten Fragen überhaupt gleich wieder beerdigt, nämlich: Wie funktioniert Sprache? Dieses Buch, liebe Leserin, lieber Leser, könnte für uns beide eine Chance sein: Für Sie, weil Sie hier vielleicht etwas über Sprache erfahren, was Sie nützlich finden könnten. Für mich, weil es mir die Möglichkeit gibt, Sie in das wichtigste und aufregendste Artefakt des Menschen einzuführen: Sprache an sich und eine ihrer spezifischen Ausprägungen, das Deutsche. Über alles Lebendige auf diesem Planeten können wir eines sagen: Wenn es spricht, ist es menschlich. Wenn es nicht spricht, ist es sicher vieles, aber nicht menschlich. Sprache stiftet Gemeinschaft. Durch Sprache übermitteln und speichern wir Wissen. Wir lassen durch Sprache andere an unseren Erfahrungen teilhaben. Durch Sprache erreichen wir, dass jemand uns verzeiht, sich in Acht nimmt, etwas versteht oder sich etwas vorstellen kann. Durch Sprache erreichen wir etwas bei unserem Hörer (oder Leser). Dies macht Sprache, wie der Sprachwissenschaftler Karl Bühler gesagt hat, zum Werkzeug (Organon). Der Blick auf Sprache, zu dem ich Ihnen mit diesem Buch verhelfen möchte, ist, dass Sprache, als Artefakt des Menschen, dazu da ist, es Sprechern1 (oder Schreibern) zu ermöglichen, bei Hörern (oder Lesern) etwas zu erreichen. Sprache, als ein hochkomplexes Werkzeug (das komplexeste, das es überhaupt gibt), besteht aus vielen, vielen Einzelwerkzeugen, den sprachlichen Mitteln. Und die kommen in verschiedenen Ausführungen. – In einem großen Werkzeugkasten gibt es verschiedene Hämmer, Schraubenschlüssel, Zangen, Nägel, Schrauben, Dübel und Haken. Allen Hämmern ist es gemein – so unterschiedlich sie auch sein mögen – dass sie zum Hämmern da sind. Aber sie schlagen mit einem Vorschlaghammer keinen Nagel in die Wand, der ein Bild halten soll. Allen Zangen ist es gemein, dass man mit ihnen verschiedenes greift. Aber Sie werden wahrscheinlich keine Rohrzange nehmen, wenn Sie einen Nagel aus der Wand ziehen wollen.

|| 1 Ich verwende das sogenannte generische Maskulinum grundsätzlich dort, wo es um die allgemeine Benennung von Handelnden (z.B. Sprecher, Hörer, Leser) oder Personengruppen (z.B. Teilnehmer) geht. Die Gründe hierfür habe ich in Abschnitt 2.2.2 dargelegt. https://doi.org/10.1515/9783110667967-202

VI | Vorwort

Mit den sprachlichen Werkzeugen ist das auch so. Allen Nennwörtern (Tisch, essen, schön) ist es gemein, dass man mit ihnen etwas benennt (z.B. Gegenstände, Handlungen oder Eigenschaften). Aber welches Mittel wir genau wählen, hängt davon ab, was genau wir beim Hörer damit erreichen wollen. Wenn ein Autor schreibt Anna fuhr die Rolltreppe herab, stehen Sie als Leser in Ihrer Vorstellung unten an der Rolltreppe und sehen Anna auf sich zukommen. Schreibt der Autor dagegen Anna fuhr die Rolltreppe hinab, stehen Sie in Ihrer Vorstellung oben an der Rolltreppe und sehen Annas Rücken. Dieser Unterschied wird allein durch hin bzw. her erreicht – sprachliche Werkzeuge, die nichts benennen, sondern Richtungen zeigen (her auf den Sprecher zu; hin vom Sprecher weg). Der Sinn dieses Buches ist es also nicht, dass Sie irgendwann sagen können, „dies und das ist ein Verb“, als ob damit schon etwas gesagt sei, sondern dass Sie wissen, was für Verben es gibt und wozu sie gut sind, was also Sprecher bei Hörern mit Ausdrücken dieser Art erreichen können. Ich bin der festen Überzeugung, dass jemand, der weiß, wie Sprache funktioniert, Gesprochenes und Geschriebenes tiefer auffasst und besser sowie differenzierter, d.h. hörer- und leserbezogener, kommuniziert. Wissen über Sprache ist kein Selbstzweck. Es hilft Ihnen in Studium und Beruf, besonders, wenn Sie selber Sprache unterrichten. Ich habe mich bemüht, das Buch so zu gestalten, dass es zwei Arten von Lektüren ermöglicht: Vom Anfang bis zum Ende (was ich mir sehr wünschen würde) oder nachschlagend, wenn Sie sich z.B. über eine bestimmte Wortart informieren möchten (was natürlich auch sehr schön wäre). Aber auch wenn Sie das Buch nachschlagend verwenden, möchte ich Ihnen dringend nahelegen, das erste Kapitel (Wortarten – wo ist das Problem?) ganz zu lesen. Denn in diesem Kapitel spreche ich darüber, woher die Wortartenbestimmungen kommen, über Wortarten in anderen Sprachen und über die spezifischen Probleme, die bei einer Bestimmung und Charakterisierung der Wortarten des Deutschen aufgetreten sind und Sprachwissenschaftler bis heute beschäftigen. Das erste Kapitel enthält sozusagen die ‚Denke‘, die diesem Buch zugrundeliegt, und erklärt seine Systematik. Im Falle einer nachschlagenden Lektüre möchte ich Ihnen außerdem empfehlen, das Kapitel 2.1 (Das Verhalten von Nennwörtern im Satz) sowie das Kapitel 2.2.5 (Syntax des Substantivs) zur Kenntnis zu nehmen, da ich hier wichtige grammatische Grundbegriffe (Subjekt, Prädikat, Attribut etc.) erläutere, ohne die man nicht beschreiben kann, wozu Wörter einer bestimmten Wortart gut sind. Durch das ganze Buch hindurch finden Sie immer Übungsaufgaben in Kästchen, die am Rand mit einem Fragezeichen bezeichnet sind, zu denen es am Ende des Buches Lösungen gibt. Im ersten Kapitel befinden sich vier kurze Zusammenfassungen, die am Rande durch ein Icon ausgewiesen sind, das einen schreibenden Stift darstellt. Beides soll Ihnen helfen, über das Gesagte nachzudenken und es sich zu merken.

Vorwort | VII

Die Beispiele, an denen ich sprachliche Sachverhalte demonstriere, sind von zweierlei Art: Viele sind von der typischen Langweiligkeit, deren einziges Verdienst es ist, grammatische Sachverhalte deutlich zu machen (z.B. Peter repariert einen Computer); dabei sind inakzeptable Beispiele durch einen Stern (*) gekennzeichnet (z.B. *Er warf die geblühte Rose weg). Etliche Beispiele sind aber auch authentische Belege aus Gesprächen oder schriftlichen Texten (z.B. Sie ham s doch gemacht!), an denen sich wichtige Aspekte sprachlichen Handelns zeigen lassen. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie bei der Lektüre dieses Buches nicht nur den Eindruck hätten, dass es Ihnen etwas bringt, sondern auch einen Teil desjenigen Vergnügens verspüren würden, das ich beim Schreiben hatte. Chemnitz, 22.10.2020

Winfried Thielmann

Inhalt 1  1.1  1.2  1.2.1 

Wortarten – wo ist das Problem? | 1  Wortarten als Problem: Englisch und Inuktitut | 1  Wortarten als Problemlösung: die antike Grammatikschreibung | 3  Technē grammatikē – eine Grammatik für Altgriechisch als Fremdsprache | 3  1.2.2  Die Ars minor des Donat – ein Schuh für alle Füße? | 6  1.2.3  Analytische Sedimente – warum der Schuh manchmal drückt | 9  1.3  Den Schuh passend machen – linguistische Ansätze | 13  1.3.1  Sprachwissenschaftliche Kritik und Lösungsversuche | 13  1.3.1.1  Wundersame Artikelvermehrung – Probleme bei der syntaktischen Einteilung von Wortarten | 14  1.3.1.2  Wundersame Wortartenverminderung – Probleme bei der kategorialgrammatischen Einteilung von Wortarten | 16  1.3.1.3  BIG in allen Sprachen – Versuch einer semantischen Einteilung | 16  1.3.1.4  Wortarten in Universaler Grammatik | 17  1.4  Funktionale Sprachbetrachtung | 19  1.4.1  Sprachliche Felder | 21  1.4.1.1  Das Symbolfeld | 23  1.4.1.2  Das Zeigfeld | 23  1.4.1.3  Das Operationsfeld | 24  1.4.1.4  Das Lenkfeld (expeditives Feld) | 24  1.4.1.5  Das Malfeld | 25  1.4.2  Anwendungen des Felderkonzepts | 25  1.4.2.1  Prozedurenkombinationen und pure Symbolfeldausdrücke | 25  1.4.2.2  Feldtransposition – die angeschlagene Teekanne als Blumentopf | 26  1.5  Zusammenfassung | 27  1.6  Aufbau des Arbeitsheftes | 28  2  2.1  2.1.1  2.1.2  2.1.3  2.1.4  2.1.5  2.2  2.2.1 

Nennwörter | 31  Das Verhalten von Nennwörtern im Satz | 31  Die Satzform beim sprachlichen Handeln | 31  Komplexere Sätze | 33  Kasusflexive und ihre Funktion | 34  Die topologische Satzstruktur | 36  Der Aufbau sprachlicher Handlungen aus sprachlichen Prozeduren | 39  Substantive | 41  Substantiv oder Nomen? | 42 

X | Inhalt

2.2.2  2.2.3  2.2.4  2.2.5  2.2.6  2.2.7  2.3  2.3.1  2.3.1.1  2.3.1.2  2.3.2  2.3.3  2.3.3.1  2.3.3.2  2.3.3.3  2.3.4  2.4  2.4.1  2.4.1.1  2.4.1.2  2.4.1.3  2.4.2  2.4.2.1  2.4.2.1.1  2.4.2.1.2  2.4.2.2  2.4.2.2.1  2.4.2.2.2  2.4.2.2.3  2.4.2.3  2.4.2.3.1  2.4.2.3.2  2.4.2.3.3  2.4.2.3.4  2.4.2.3.5  2.4.2.4  2.4.2.5  2.4.3  2.4.3.1  2.4.3.2 

Genus und Sexus | 44  Morphologie des Substantivs – Numerus und Kasus | 49  Wortbildung des Substantivs, Fremd- und Lehnwörter | 51  Syntax des Substantivs | 54  Semantik des Substantivs | 56  Deverbale Ableitungen – Nominalstil | 58  Adjektive | 60  Morphologie des Adjektivs | 61  Flexionsverhalten des attributiv gebrauchten Adjektivs | 61  Komparation (Steigerung) des Adjektivs | 64  Wortbildung des Adjektivs | 64  Syntaktische Besonderheiten | 65  Besonderheiten bei attributivem, prädikativem und adverbialem Gebrauch | 65  Inkorporation | 65  Verhältnisse bei mehreren attributiven Adjektiven | 66  Semantik des Adjektivs | 66  Verben | 67  Infinite Verbformen | 68  Infinitiv | 68  Partizip I | 68  Partizip II | 68  Finite Verbformen | 69  Tempus | 69  Präsens | 69  Präteritum | 70  Modus | 70  Konjunktiv I | 70  Konjunktiv II | 71  „Imperativ“ | 72  Kompositionale Formen | 72  Perfekt | 72  Plusquamperfekt | 72  Vorgangs- und Zustandspassiv | 73  „Futur I und II“ | 73  Kompositionale Formen: Übersicht über die Prädikationssysteme | 74  Aktionsarten | 75  Kausative Verben | 77  Wortbildung im Verbalbereich | 77  Bildung zweiteiliger Verben | 77  Verbale Wortbildung durch Präfigierung | 78 

Inhalt | XI

2.4.3.3  2.4.3.4  2.4.4  2.4.4.1  2.4.4.2  2.4.5  2.4.5.1  2.4.5.2  2.4.5.3  2.5  2.5.1  2.5.2  2.5.3  2.6  2.6.1  2.6.2  2.6.3  2.6.4  2.6.5  2.6.6  2.6.6.1  2.6.6.2  2.6.6.3  2.6.6.4  2.6.7  2.7  2.7.1  2.7.1.1  2.7.1.2  2.7.2  3  3.1  3.1.1  3.2  3.2.1  3.2.2  3.2.3  3.2.4  3.3 

Bildung von Funktionsverbgefügen | 79  Verbbildungen aus anderen Wortarten | 79  Syntax des Verbs – Stelligkeit und Rektion | 79  Reflexivität, reflexiver Gebrauch und echte reflexive Verben | 80  Valenz | 81  Modalverben | 82  Flexionsverhalten von Modalverben | 83  Syntax von Modalverben | 83  Semantik von Modalverben | 84  Adverbien | 87  Typen von Adverbien | 87  Adverbbildungen aus anderen Wortarten | 88  Syntaktisches Verhalten von Adverbien | 88  Präpositionen | 90  Das System der Wechselpräpositionen | 92  Präpositionen mit Akkusativ | 95  Präpositionen mit Dativ | 95  Präpositionen mit Genitiv | 96  Verschmelzungen | 96  Syntaktische Funktionen von Präpositionalphrasen | 97  Präpositionalphrasen als Adverbiale | 97  Präpositionalphrasen als Situativergänzungen und Direktivergänzungen | 97  Präpositionalphrasen als Präpositionalobjekte | 98  Präpositionalphrasen als Attribute | 98  Kategoriale Leistung von Präpositionen | 99  Zahlwort (Numerale) und Quantifikativum | 99  Morphologische Charakteristika von Zahlwörtern und Quantifikativa | 100  Flexionsverhalten | 100  Wortbildung von Zahlwörtern | 100  Funktionalität von Zahlwörtern | 101  Zeigwörter | 103  Sprecher- und Hörerdeixis | 104  Die Höflichkeitsanrede Sie | 107  Lokaldeixis | 107  hier | 108  da | 109  dort | 110  hin und her | 110  Temporaldeixis | 111 

XII | Inhalt

3.3.1  3.3.2  3.3.3  3.4  3.5  3.6  3.6.1  3.7 

4  4.1  4.1.1  4.1.2  4.1.3  4.1.4 

jetzt | 111  dann | 111  nun | 112  Objektdeixis – der, dieser, jener | 112  Aspektdeixis – so | 113  Zusammengesetzte Verweiswörter | 114  Zusammengesetzte Verweiswörter beim wissenschaftlichen Schreiben | 116  Verwendungsweisen deiktischer Prozeduren in einem komplexen Beispiel | 119 

Funktionswörter | 123  Anapher | 124  Formenbestand der Anaphern | 124  Leistung und Funktionsweise der Anaphern | 125  Besondere Verwendungsweisen der Anapher es | 126  Anaphernverwendung in einem komplexeren Beispiel und Vergleich der im Deutschen angelegten Möglichkeiten mit denjenigen des Englischen | 127  4.1.5  Deixis und Anapher | 129  4.2  Artikel | 131  4.2.1  Formenbestand der Artikel | 132  4.2.2  Syntax des Artikels | 132  4.2.3  Funktionen von Definit- und Indefinitartikel | 133  4.3  Indefinitum | 136  4.3.1  Kategorien, syntaktische Funktionen und Flexionsverhalten der Indefinita | 137  4.3.2  Bemerkungen zu einzelnen Indefinita | 140  4.3.2.1  man | 140  4.3.2.2  alle und jeder | 141  4.3.2.3  einer und welche | 142  4.4  Interrogativum | 142  4.4.1  Ausdrucksbestand der Interrogativa – Kategorien und syntaktische Funktionen | 143  4.4.2  Funktionalität von Interrogativa | 144  4.4.2.1  Das sprachliche Handlungsmuster Frage-Antwort | 145  4.4.2.2  Sprecher- und hörerseitige Funktion von Interrogativa | 146  4.4.2.3  ‚Indirekte Fragesätze‘ | 146  4.5  Relativum | 147  4.5.1  Relativsätze als besondere Form von Attributsätzen | 147  4.5.2  Morphologische Charakteristika des Relativums | 148 

Inhalt | XIII

4.5.3  4.6  4.6.1  4.6.2  4.6.3  4.6.4  4.6.5  4.6.6  4.6.7  4.6.7.1  4.6.7.2  4.6.7.3  4.6.7.4  4.7  4.7.1  4.7.2  4.7.2.1  4.7.2.2  4.7.2.3  4.7.2.4  4.7.2.5  4.8  4.8.1  4.8.2  4.8.2.1  4.8.2.2  4.8.2.3  4.8.2.4  4.9  5  5.1  5.1.1  5.1.2  5.2  5.2.1  5.2.2  5.2.3  5.2.4  5.2.5  5.3 

Restriktive und nicht-restriktive Relativsätze – das Relativum welcher | 150  Partikel | 151  Intensitätspartikeln | 152  Gradpartikeln | 153  Modalpartikeln | 153  Abtönungspartikeln | 154  Konnektivpartikeln | 154  Negationspartikel | 155  Bemerkungen zu einzelnen Partikeln | 157  ja | 157  schon | 158  eben | 159  halt | 160  Konjunktion | 162  Syntax von Konjunktionen | 162  Funktionalität einzelner Konjunktionen | 164  und | 165  oder | 166  und sowie oder in der Logik | 167  aber | 168  denn | 169  Subjunktion | 170  Syntax und Semantik von Nebensätzen | 170  Bemerkungen zu einigen Subjunktionen | 177  als | 178  wenn | 178  da | 180  weil | 181  Responsiv | 183  Interjektionen | 187  Formale Charakteristika von Interjektionen | 188  Silbenstruktur von Interjektionen | 188  Tonalität von Interjektionen | 188  Funktionalität ausgewählter Interjektionen | 190  Die Hörerrückmeldung HM | 190  Die Übergangsinterjektion NA | 191  Die Turn-Erhalt-Interjektion ÄH | 193  Die Überraschungs-Interjektion AH | 193  Die Schmerz-Interjektion AU | 194  Sekundäre Interjektionen | 194 

XIV | Inhalt

Lösungen zu den Aufgaben | 197  Literaturverzeichnis | 207  Quellen | 216  Kurzbiographie des Autors | 217  Index | 219 

1 Wortarten – wo ist das Problem? Eine Sprache zu sprechen und zugleich etwas über sie zu wissen sind zwei verschiedene Dinge. Eines der ersten Dinge, die Sie über die deutsche Sprache gelernt haben, als Sie sie schon längst sprechen konnten, war, dass es Wörter gibt: Wörter sind dasjenige, wozwischen man beim Schreiben Platz lässt. Im Redestrom geht das Einzelwort unter; in der Schriftlichkeit wird es durch Spatien isoliert. Wenig später haben Sie dann, noch in der Grundschule, die Bezeichnungen für die Wortarten gelernt: Nomen oder Substantiv (z.B. Tisch), Verb (z.B. essen), Adjektiv (z.B. schön), Adverb (z.B. leider), Artikel (z.B. der, ein), Präposition (z.B. in, mit), Konjunktion (z.B. und, oder) usw. Jetzt lesen Sie ein Buch, das von den Wortarten handelt, und fragen sich vielleicht: Wie kann man über diese Dinge, die doch so klar sind, dass man sie bereits in der Grundschule lernt, ein ganzes Buch schreiben? Der Sinn dieses ersten Kapitels ist es, Sie davon zu überzeugen, dass die Sache mit den Wortarten erheblich weniger selbstverständlich ist, als es zunächst den Anschein hat. Es ist keineswegs so, dass alle Sprachen mit den Wortarten beschrieben werden können, die wir als selbstverständlich annehmen. Ja, es ist nicht einmal so, dass alle Sprachen wie das Deutsche aus Wörtern bestehen. Wir beginnen kurz mit einem Blick in zwei Sprachen, die mit den traditionellen Wortarten, die Sie kennen, nicht beschreibbar sind; die eine, weil es einige dieser Wortarten in ihr nicht so gibt wie im Deutschen (Englisch), die andere, weil es in ihr nicht wirklich Wörter gibt (Inuktitut). Anschließend gehen wir der Geschichte der Wortarten nach. Am Schluss des Kapitels versuchen wir, folgende Frage zu beantworten: Wenn nicht alle Sprachen dieselben Wortarten haben, und manche Sprachen nicht einmal so richtig Wörter, gibt es dann überhaupt Dinge, die vielleicht doch allen Sprachen gemeinsam sind? Wenn Sie für diese Fragen einen Blick bekommen haben, sind Sie fit für eine eingehendere Betrachtung der Wortarten des Deutschen.

1.1 Wortarten als Problem: Englisch und Inuktitut Wir betrachten folgende Beispiele aus dem Englischen, einer Sprache, die vom Deutschen gar nicht so weit weg zu sein scheint. Es geht um die Frage, welcher Wortart der Ausdruck round in den jeweiligen Beispielen zuzurechnen ist: (1) (2) (3) (4)

We went round the block. The table is round. Last round please! Let’s round them up!

https://doi.org/10.1515/9783110667967-001

2 | Wortarten wo ist das Problem?

Man ist versucht, die Verhältnisse folgendermaßen zu sehen: In (1) ist round Präposition; in (2) Adjektiv; in (3) Substantiv und in (4) Verb. Aber woher wissen wir, wann round das eine oder andere ist? Nun ja, in (2) ist round Eigenschaft des Tisches, also Adjektiv; in (3) geht es ja um die letzte Runde, wo round Substantiv ist. Was haben wir gemacht, wenn wir so denken? Wir haben im Fall (2) round derjenigen Wortart zugerechnet, die Eigenschaften ausdrückt, was hier zweifellos der Fall ist. Im Fall (3) haben wir last round ins Deutsche übersetzt, Runde gewohnheitsmäßig großgeschrieben und daraus geschlossen, dass round Substantiv sein muss. Haarspaltereien? Betrachten wir einmal das nächste Beispiel. (5) (6) (7) (8)

the good the good work the good work long hours the good work long ago completed

In Beispiel (5) würden wir sagen, dass good Substantiv ist, weil der Artikel the vorhergeht. In (6) wäre good Adjektiv, weil der Ausdruck – wie in (2) – eine Eigenschaft benennt; work wäre hier Substantiv. In (7) wäre good hingegen wieder einmal Substantiv, weil work hier Verb ist. In (8) wäre good hingegen Adjektiv, weil work wieder einmal Substantiv ist. Wir sehen: Irgendwie ist das nicht befriedigend, weil uns Folgendes auffällt: Die Wörter good und work scheinen nicht von Haus aus einer Wortart anzugehören; vielmehr ‚passiert‘ ihnen je nach Zusammenhang eine Wortart. Die Kategorien1 Substantiv, Adjektiv und Verb beschreiben uns die Verhältnisse nicht, die wir hier antreffen. Vielmehr ist es genau andersherum: Wir müssen erst mühevoll erklären, wieso wir in diesen Fällen von Substantiven, Adjektiven und Verben reden, da die Wörter selbst – wie auch round in den obigen Beispielen – ja dieselben sind, d.h. sich nicht im mindesten verändern. Wie soll man aber dann das beschreiben, was wir hier sehen? Zunächst einmal vielleicht so, dass es im Englischen zumindest nicht auf dieselbe Weise Substantive, Adjektive und Verben gibt, wie wir es vom Deutschen her gewohnt sind. Das folgende Beispiel aus Nowak (2011: 240) stammt aus der kanadischen Sprache Inuktitut. Die erste Zeile zeigt die sprachliche Äußerung, die zweite die Bestandteile der Äußerung, die dritte die deutsche Bedeutung der Bestandteile und die vierte die deutsche Übersetzung:

|| 1 Wir verwenden den Ausdruck Kategorie hier nicht im philosophischen, sondern im allgemeinwissenschaftlichen Sinne: Kategorien sind sprachliche Mittel, mit denen wir versuchen, dasjenige zu erfassen, was uns in der Wirklichkeit begegnet.

Wortarten als Problemlösung: die antike Grammatikschreibung | 3

(9)

aaniarasugijait aania(q)-rasugijait krank.sein-denken/glauben.dass- -2s.3s.tr du denkst/glaubst, dass er/sie krank ist

Bereits der erste Blick zeigt Folgendes: Das, wozu wir im Deutschen sechs Wörter brauchen, wird im Inuktitut durch ein einziges Wort, genauer: durch eine einzige komplexe Wortform (aaniarasugijait), ausgedrückt. In der deutschen Übersetzung haben wir Verbformen (denkst, ist), Pronomina (du, er) und eine sogenannte Subjunktion2 (dass). Was das Inuktitut betrifft, scheint es nicht einmal sehr sinnvoll zu sein, überhaupt von Wörtern zu reden. Und wo es nicht viel Sinn ergibt, von Wörtern zu reden, braucht man sich noch weniger um Wortarten Gedanken zu machen. Wir haben anhand der Beispiele aus dem Englischen und dem Inuktitut Folgendes sehen können: Im Englischen, einer Sprache, die vom Deutschen gar nicht so weit entfernt zu sein scheint, kommt man in Schwierigkeiten, wenn man bestimmte Beispiele mit Hilfe der Kategorien Substantiv, Adjektiv und Verb beschreiben möchte. Im Inuktitut kann man bereits in Schwierigkeiten kommen, wenn es darum geht, Wörter aufzufinden. Wir kommen also nicht umhin, uns zu fragen, woher die Kategorien stammen, mit denen wir traditionell Sprachen in dem Glauben beschreiben, dass diese Kategorien – mehr oder weniger – auf alle Sprachen passen. Die kurze Antwort lautet: Diese Kategorien gehen auf die griechisch-römische Antike zurück. Die lange Antwort steht im nächsten Kapitel.

1.2 Wortarten als Problemlösung: die antike Grammatikschreibung 1.2.1 Technē grammatikē – eine Grammatik für Altgriechisch als Fremdsprache Das Nachdenken über Sprache in der Form, in der wir es kennen, beginnt in der griechischen Antike.3 Im Kratylos-Dialog Platons geht es beispielsweise um die Frage, ob es richtige oder falsche Wörter, richtige oder falsche Benennungen für die Dinge gibt. Will man aber über Wörter selbst angemessen reden, so braucht man Wörter, die von Wörtern handeln. Man braucht eine Metasprache, die es zum Beispiel gestattet, die Wörter einer Sprache zu gruppieren, in Klassen einzuteilen. Ganz wesentlich für das Bedürfnis, eine solche Metasprache zu entwickeln, waren nicht allein philosophische und wissenschaftliche, sondern auch politische Bestrebungen: Unter Alexander dem

|| 2 Eine Subjunktion ist ein Ausdruck, der einen Nebensatz einleitet. 3 Der folgende Kurzüberblick orientiert sich an Robins (2000).

4 | Wortarten wo ist das Problem?

Großen (356–323 v. Chr.) und seinen Nachfolgern erstreckte sich der griechische Einfluss auf einen gewaltigen Raum, der von Süditalien über das heutige Griechenland bis nach Ägypten, Indien und zum heutigen Afghanistan reichte. In dieser Epoche der Ausbreitung griechischer Sprache und Kultur (Hellenismus, 4. Jh. v. – 1. Jh. n. Chr.) wurde das Griechische zum ersten Mal zu einer Fremdsprache – nämlich für diejenigen Bevölkerungen, die unter griechische Herrschaft gelangt waren. Wie konnte man denen den griechischen Sprachstandard (koinē)4 am besten beibringen und was brauchte man dazu? Da man über die Möglichkeit der Tonaufzeichnung nicht verfügte, war die Vermittlung von Sprache an die Schriftlichkeit gebunden.5 Aussprache bedeutete die korrekte Lautierung schriftlicher Texte. Diese Texte mussten Vorbildfunktion haben – hierfür wurden vor allem Ausgaben der Texte des griechischen Autors Homer erstellt. Außerdem musste man deutlich machen, wie die Sprache funktionierte, also was für Wörter es gibt, wie diese sich verändern (das ist Flexion z.B. fahr-e, fähr-st, fähr-t) oder komplexere Wörter bilden (das ist Wortbildung, z.B. Tisch-tuch, zer-brechlich). Die Technē grammatikē, die Grammatik des Dionysios Thrax (ca. 2. Jh. v. Chr.), die die Erkenntnisse der griechischen Grammatikschreibung systematisiert, verfolgt diese Anliegen ganz deutlich: Sie beginnt mit der Aussprache der griechischen Buchstaben und Silben und stellt anschließend recht detailliert acht Wortarten dar – in der uns geläufigen Terminologie Nomen (onoma), Verb (rhema), Partizip (metoche), Artikel (arthron), Pronomen (antonymia), Präposition (prothesis), Adverb (epirrhema) und Konjunktion (syndesmos). Diese Wortarten werden als Teile des Satzes (meroi logou) verstanden. Wie kommen diese Wortarten zustande? Wir betrachten zwei der von Thrax vorgenommenen Bestimmungen. Über das Nomen schreibt er: Das Nomen ist ein kasustragender Teil des Satzes, der etwas Konkretes oder Abstraktes (konkret z.B. Stein; abstrakt z.B. Bildung) bezeichnet und eine allgemeine (Mensch, Pferd) oder eine besondere (Sokrates) Bedeutung haben kann. Nach Davidson (1874: 8) und Thrax (2005).

Über die Präposition heißt es: Eine Präposition ist ein Wort, das vor jedem Redeteil plaziert werden kann, und zwar innerhalb des Wortes sowie in der Wortfolge. Nach Davidson (1874: 14) und Thrax (2005).

Wir sehen, dass die Kriterien, nach denen die unterschiedlichen Wortarten gewonnen werden, verschieden sind. Das Nomen wird einmal von seiner Bedeutung her, also || 4 Das Koinē-Griechische hielt sich sehr lange und ist u.a. auch die Sprache des Neuen Testaments. 5 Der Ausdruck Grammatik geht auf das altgriechische Verb gráphein (‚schreiben‘) zurück.

Wortarten als Problemlösung: die antike Grammatikschreibung | 5

semantisch, bestimmt: Es bezeichnet Konkretes oder Abstraktes und zwar auf allgemeine oder besondere Weise. Außerdem flektiert es nach Kasus, dies ist eine auf die Form (altgriech.: morphē) des Wortes abzielende, eine morphologische Kategorie. Über die Präposition erfahren wir, dass sie vor jedem Redeteil, und zwar innerhalb eines Wortes (z.B. Vor-mittag) oder in der Wortfolge (vor Mittag), plaziert werden kann. Diese Wortart wird also über ihren Ort (altgriech.: topos) bestimmt – das ist eine topologische Kategorie. Das morphologische (die Wortform betreffende) Prinzip beim Aufsuchen von Wortarten ist nach Thrax dasjenige der Analogie (altgriech.: analogia) – der Entsprechung. Was ist darunter zu verstehen? Wenn wir Äußerungen betrachten und uns überlegen, was für Wortformen sinnvoll an bestimmten Stellen auftreten können, gelangen wir zu der Erkenntnis der – formalen – Entsprechung von Wortformen: Peter geht heim/liest/isst ein Brötchen/ist Student. Ähnlich: Ich gehe heim/lese/esse Kuchen/bin Student. So lässt sich auch etwas erkennen, was zuerst einmal überhaupt nicht auf der Hand liegt: Zwei Ausdrücke, die miteinander gar nichts zu tun zu haben scheinen, da sie verschiedener nicht sein können, nämlich ist und bin, gehören ähnlich (‚analog‘) zusammen wie geht und gehe, wo ein Zusammenhang recht deutlich ist. Dieses Verfahren des In-Beziehung-Setzens von Wortformen ist nach Thrax empirisch (altgriech.: empeiría: Erfahrung). Es führt auf Listen von Wortformen gleicher formaler Relevanz (gehe – gehst – geht; fahre –fährst – fährt). Solche Listen bezeichnet man als Paradigmen (altgriech.: parádeigma: Muster). Hiermit ist die sprachdidaktische Stoßrichtung der Grammatik von Dionysios Thrax klar: Lernern des Koinē-Griechischen soll erst einmal die Aussprache von Buchstaben und Silben vermittelt werden. Anschließend sollen sie sich die verschiedenen Wortarten sowie die Wortformen anhand von Paradigmen aneignen, so dass sie dann griechische Literatur lesen können. Man muss sich klar machen, was hier im Interesse der Sprachvermittlung passiert: Um Sprache zu vermitteln, werden Teile von ihr, z.B. Wortformen, in eine Ordnung gebracht (Paradigmen), wie sie so weder in der gesprochenen Sprache noch in schriftlichen Texten vorkommen. So ähnlich haben manche von Ihnen noch Latein gelernt. Zugleich ist natürlich die unglaubliche Leistung von Dionysios Thrax und seinen Vorläufern zu würdigen: Sie haben es erstmals möglich gemacht, dass man sich über sprachliche Erscheinungen, über Arten von Wörtern, über Wortformen und zum Teil auch schon über deren Funktionen verständigen konnte. Sie haben damit eine Metasprache geschaffen, die sich in ihren Grundzügen über zwei Jahrtausende durchgehalten hat. Dies darf man – bei aller Kritik die hieran noch zu üben ist – mit Fug und Recht als eine der größten Leistungen der Wissenschaft überhaupt betrachten. Das Folgende sind einige völlig lautrichtige Schreibungen deutscher Paradigmen: laufe – leufst – 2 leuft; fare – ferst – fert; Tak – Tages – Tage. Warum schreiben wir nicht so?

6 | Wortarten wo ist das Problem?

Nach diesem Marathon durch die altgriechische Grammatikschreibung halten wir noch einmal kurz inne und blicken zurück: 5 Die Wortartenkategorien, wie wir sie bis heute im wesentlichen verwenden, stammen aus der griechischen Antike. Ihre Entwicklung ist zu sehen im Zusammenhang der imperialen Ausbreitung des Koinē-Griechischen im Zeitalter des Hellenismus. Die Wortartenkategorien haben die Schriftlichkeit zur Voraussetzung. Am schriftlichen Text werden Wörter verschiedener Arten festgestellt, und es werden Wortformen in paradigmatischen Zusammenhang gebracht. All dies geschieht, um das Griechische als Fremdsprache lernbar zu machen. Dies führt uns auf drei wesentliche Bestimmungsmomente der Grammatikschreibung: Schriftlichkeit, Sprachdidaktik und Sprachpolitik. Zugleich ist festzustellen, dass Dionysios Thrax und seine Vorläufer durch ihre Bemühungen erstmals die Voraussetzungen dafür hergestellt haben, dass eine Verständigung über Sprache möglich wurde. Die Schaffung einer solchen Metasprache, die in ihren Grundzügen bis heute im Gebrauch ist, ist eine der größten wissenschaftlichen Leistungen überhaupt.

Für den weiteren Verlauf der europäischen Grammatikschreibung ist die Grammatik von Thrax zwar die Grundlage, bestimmend wurde aber eine Grammatik der Sprache desjenigen Imperiums, das sich das hellenistische einverleiben sollte: die Grammatik des Lateinischen von Aelius Donatus.

1.2.2 Die Ars minor des Donat – ein Schuh für alle Füße? Der spätantike Grammatiker Aelius Donatus lebte im 4. Jh. nach Christus. Seine didaktische Anfängergrammatik der lateinischen Sprache De partibus orationis ars minor (‚Kleinere Wissenschaft von den Redeteilen‘) – die ‚größere‘ wendete sich an Gelehrte – fasst, ähnlich wie auch schon die Grammatik des Dionysios Thrax, das grammatische Wissen seiner Zeit zusammen. Man kann die Wichtigkeit dieses Buches für die Sprachwissenschaft nicht überschätzen: Seine Spuren sind überall zu sehen, wo man sich mit Sprache befasst. Zu allererst ist der Text als eine große Übersetzungsleistung der römischen Antike anzusehen, die sich die Erkenntnisse der griechischen Grammatikschreibung angeeignet hat: Für alle griechischen Kategorien der Grammatikschreibung sind lateinische Bezeichnungen gefunden worden, so natürlich auch für die Wortarten, mit denen Donat beginnt: Partes orationis quot sunt? Octo. Quae? Nomen pronomen uerbum aduerbium participium coniunctio praepositio interiectio. Wieviele Redeteile [= Wortarten] gibt es? Acht. Welche? Nomen, Pronomen, Verb, Adverb, Partizip, Konjunktion, Präposition und Interjektion. Schönberger (2008: 12–13)

Wortarten als Problemlösung: die antike Grammatikschreibung | 7

Nach dem Modell ‚der Lehrer fragt – der Schüler antwortet‘6 werden gleich einmal die lateinischen Bezeichnungen, die für die griechischen Wortartenkategorien entwickelt wurden, gelistet. Nun ist aber die Grammatik des Dionysios Thrax eine Grammatik des Altgriechischen, diejenige des Donat eine des Lateinischen. Betrachten wir nun einmal, ob der griechische Schuh vollständig auf den lateinischen Fuß passt: Tab. 1: Die Wortartenbezeichnungen bei Donat und Thrax

Donat

Thrax

nomen

onoma

pronomen

antonymia

uerbum

rhema

aduerbium

epirrhema

participium

metoche

coniunctio

syndesmos

praepositio

prothesis

interiectio

arthron (Artikel)

Man sieht: Im Prinzip hat die Übertragung gut funktioniert, sie geht nur in einem Punkt schief: Dort, wo es im Altgriechischen den Artikel (arthron) gibt, hat das Lateinische offensichtlich keine entsprechende Wortart zu bieten. Dafür steht in der Grammatik des Donat eine Wortart, die bei Thrax nicht vorkommt: die Interjektion. Wie ist das zu erklären? Zunächst einmal ist es so, dass das Lateinische, im Gegensatz zum Altgriechischen, keine Artikel hat – die Artikel haben den Römern keineswegs gefehlt, großartige Lyrik wie die Eroberung eines Weltreiches gingen auch ohne. Verblüffenderweise haben wir bei Donat statt des Artikels eine Wortart stehen, die nicht nur bei Thrax nicht vorkommt, sondern auch so gar nicht in das Konzept einer an der Schriftlichkeit orientierten Grammatikschreibung passen will. Denn Interjektionen (wörtl.: ‚das Dazwischengeworfene‘), also Ausdrücke wie na, au und he, kommen ja nur in der gesprochenen Sprache und in den Dialogen literarischer Texte vor. Die interiectio als Wortartenkategorie bei Donat hat etwas von einer Verlegenheitslösung. Wie verschiedentlich vermutet wurde (vgl. Ehlich 1986: 19), bestand die Verlegenheit wohl darin, dass sich die Römer, wo doch die Griechen acht Wortarten hatten, nicht mit sieben zufriedengeben wollten und mit der Interjektion die Achtzahl vollmachten. Dass man die Interjektion an den Schluss der Liste verbannte, zeigt ihren ungeliebten

|| 6 Das Deutsche ist, wie noch ausgeführt wird (s. 2.2.2 ), eine Genus-Sprache; das generische Maskulinum benennt abstrahierend Gruppen von Menschen beiderlei Geschlechts.

8 | Wortarten wo ist das Problem?

Status: In eine ‚ordentliche‘, das heißt an der Schriftlichkeit orientierte Grammatik gehört sie ja eigentlich nicht hinein. Man sieht: Schriftlichkeit, Sprachdidaktik und Sprachpolitik (hier im Sinne des sprachlichen Prestige) sind auch für Donat grundsätzliche Kennzeichen. 2 Bei der Übertragung der antiken griechischen Grammatikschreibung auf das Lateinische gab es also offensichtlich ein kleines Hindernis: Die Römer fanden in ihrer Sprache kein Äquivalent für den griechischen Artikel. Gleichen Sie einmal die Wortarten des Donat mit demjenigen ab, was Sie über die Wortarten des Deutschen wissen. Gibt es bei Donat etwas, was in der deutschen Grammatik nicht mehr als Wortart gilt? Fehlen bei Donat Wortarten, die wir heute in der deutschen Grammatikschreibung haben?

Die Ars minor des Donat wurde in der westeuropäischen Tradition zu der Grammatik überhaupt. Wer an einer mittelalterlichen Universität studierte, befasste sich erst einmal mit den Sieben freien Künsten (septem artes liberales), um Baccalaurius (Bachelor) zu werden. Diese Künste oder Fertigkeiten setzten sich aus dem Trivium (Grammatik, Rhetorik, Dialektik) sowie dem Quadrivium (Arithmetik, Geometrie, Musik, Astronomie) zusammen. Das Trivium darf man sich vorstellen als eine Einführung in die damals in ganz Westeuropa verbindliche Wissenschaftssprache: das Lateinische. Grammatik, der Anfang des Triviums, bestand im wesentlichen aus der Ars minor. Da das Lateinische die Kirche, die Wissenschaft, die Verwaltung und das Rechtswesen dominierte, galten den Gelehrten andere Sprachen zunächst einmal überhaupt nichts. Italienisch, Englisch, Französisch, Deutsch etc. galten als Vernakulärsprachen (von lat. verna: Diener, Sklave). Als man dann im 16. und 17. Jahrhundert begann, auch die Strukturen der Vernakulärsprachen zu beschreiben, waren die frühen Grammatiker dieser Sprachen in der Verlegenheit, dass sie sich ja eigentlich einem niederen Gegenstand zuwendeten. So ist es erklärlich, dass sie zeigen wollten, dass sich ihre ‚niederen‘ Gegenstände ganz analog zum Lateinischen, d.h. in den Kategorien der lateinischen Schulgrammatik, beschreiben ließen. Das Programm, Vernakulärsprachen dadurch aufzuwerten, dass man ihnen den Donat sozusagen wie einen zu engen Schuh überzog, führte schon früh zu der Beobachtung, dass hierbei Widersprüche auftraten. So heißt es bei Donat: Verbum quid est? Pars orationis cum tempore et persona sine casu aut agere aliquid aut pati aut neutrum significans. Schönberger (2008: 64) Was ist ein Verb? Ein Redeteil mit Tempus und Person ohne Kasus, der ein Tun oder Leiden oder keines von beiden ausdrückt. (Übers. W.T.)

Zu dieser Bestimmung heißt es dann bei dem deutschen Grammatiker Aichinger, der im 18. Jahrhundert wirkte:

Wortarten als Problemlösung: die antike Grammatikschreibung | 9

Sieht man nur auf die äusserliche Veränderung und Stellung der Wörter: so werden schlechte Namensbeschreibungen daraus [...]. Auf beides zugleich Acht haben, gelinget auch selten. Z. B. die gemeine Beschreibung des verbi heißt: Es bedeutet ein Thun oder Leiden. Eben dergleichen bedeutet auch die Arbeit, das Zahnweh. [...] Da man nun hierinnen fünf muß gerade seyn lassen: so wollen wirs wagen, was wir zu Wege bringen können. Aichinger (1754: 60f; Hvg. i. O.)

Wir wissen inzwischen genug über die Verfahren, mit denen die griechische und römische Antike zu Wortarten gekommen ist, um Folgendes sagen zu können: Aichinger sagt, dass es nicht ausreicht, nur morphologische (äußerliche Veränderung der Wörter) und topologische (äußerliche Stellung der Wörter) Kriterien zu bemühen. Aber auch ‚innerliche‘, d.h. semantische Kriterien, sind nicht immer tauglich, denn nicht alle Wörter, die ein Tun oder Leiden ausdrücken, sind Verben (Arbeit, Zahnweh). Man möchte noch, mit Blick auf Donat, ergänzen: Die Klasse all derjenigen Wörter, die ein Tun oder Leiden oder keines von beiden ausdrücken, umfasst eigentlich alle Wörter des Deutschen und aller anderen Sprachen, die Wörter haben. Nachdem wir, anders als Aichinger, nicht fünf gerade seyn lassen wollen, versuchen wir im Folgenden erst einmal zu klären, was für eine Sicht auf Sprache in den antiken Wortartenkategorien enthalten ist.

1.2.3 Analytische Sedimente – warum der Schuh manchmal drückt Wir haben uns bereits mit den morphologischen, topologischen und semantischen Kriterien befasst, die bei der Herausarbeitung der antiken Wortartenkategorien zum Einsatz gekommen sind. Nun wollen wir die Perspektive noch einmal ein wenig verändern und uns fragen, was für Vorstellungen von Sprache und ihrem Funktionieren in diesen Kategorien enthalten sind. Wir beziehen hierbei einige der Überlegungen mit ein, die Konrad Ehlich in seinem Aufsatz Analytische Sedimente (2007a) angestellt hat. Betrachten wir hierzu zunächst einmal die Bestimmung des Nomens bei Donat, wie sie dann auch für die deutsche Grammatikschreibung wichtig geworden ist: Nomen quid est? Pars orationis cum casu corpus aut rem proprie communiterue significans. Schönberger (2008: 12) Was ist ein Nomen? Ein Redeteil mit Kasus, der entweder einen Körper oder eine Sache auf besondere oder allgemeine Weise bezeichnet. (Übers. W.T.)

Im Englischunterricht haben Sie sicher gelernt, dass man proper nouns großschreibt – nun wissen Sie, woher diese Bezeichnung kommt: Das nomen proprium, das auf besondere Weise (proprie) bezeichnet, ist der Eigenname (Peter, München, der Rhein), der dasjenige benennt, was es nur einmal gibt. Für die Bestimmung des Nomens wird bei Donat – viel stärker noch als bei Thrax – die Vorstellung leitend, dass man es bei

10 | Wortarten wo ist das Problem?

den Nomina mit Ausdrücken zu tun hat, die Konkretes (Körper oder Sache) in der Weise von Eigennamen benennen, sozusagen auch dann, wenn sie gar nichts Einzelnes, sondern eigentlich große Gruppen von Dingen (z.B. Schrank, Tasse) benennen. Nomina sind, in dieser Vorstellung, Namen für die konkreten Dinge, die uns umgeben. Diese Bestimmung ist nicht nur aus dem Grund problematisch, dass Nomina ja auch, wie dies Thrax noch wusste, Abstrakta benennen können (Bildung, Liebe). Sie funktioniert auch aus dem Grund nicht, dass auch Konkreta keineswegs in derjenigen Weise benennen, wie dies Eigennamen tun: Das Nomen Hund benennt eine große Klasse von Lebewesen, die recht verschieden aussehen und sehr unterschiedliche Formate (von wenig größer als eine Kaffeetasse bis hin zu den Ausmaßen eines Kalbs) annehmen können. Dieses Nomen funktioniert nicht so, dass wir, bildlich gesprochen, all diesen Lebewesen einen Zettel mit der Aufschrift Hund anheften. Vielmehr gestattet uns dieses Nomen, uns über eine große Klasse von Lebewesen zu verständigen. Oder denken Sie an einen Ausdruck wie Diebstahl in der strengen juristischen Bedeutung „Wegnahme einer fremden beweglichen Sache in rechtswidriger Zueignungsabsicht“ – auch hier kommen wir mit der Vorstellung, dass der Ausdruck Diebstahl ein Name für eine abstrakte Sache ist, nicht weit. Wir haben es hier mit einem sehr spezifisch definierten Ausdruck, einem Terminus zu tun, der sozusagen abkürzend den Begriff einer rechtlich sanktionierten Verhaltensweise benennt. 2 Dass so verschiedene Ausdrücke wie Peter, München, Bildung, Liebe oder Diebstahl trotz allem etwas gemeinsam haben, merken Sie daran, dass Sie keinen davon kleinschreiben würden. Denken Sie einmal darüber nach, worin diese Gemeinsamkeit besteht.

Hinter der Kategorie Nomen steckt also eine sehr spezifische Auffassung davon, was Nomina tun, nämlich dass sie entweder Eigennamen oder, im Falle der allgemein bezeichnenden Nomina, sozusagen nur leicht verhinderte Eigennamen sind. Die Kategorie enthält also ein analytisches Sediment, ein Stückchen sprachtheoretischen Bodensatzes, nämlich das „Namensmodell“ (vgl. Ehlich 2007: 272), das den Nachteil hat, wie wir gesehen haben, auf den größten Teil derjenigen Ausdrücke, die durch die Kategorie erfasst werden sollen, gar nicht zuzutreffen. Wir betrachten nun eine weitere Kategorie, die nach Donat in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Nomen steht: das Pronomen. Wir orientieren uns dabei an Überlegungen, wie sie Ehlich (2007d & 2007i) und im Anschluss hieran Graefen (2007) vorgetragen haben. Pronomen quid est? Pars orationis, quae pro nomine posita tantundem paene significat personamque interdum recipit. Was ist ein Pronomen? Ein Redeteil, der anstelle eines Nomens gesetzt wird, beinahe ebensoviel bedeutet und bisweilen die grammatische Person ausdrückt. Schönberger (2008: 22)

Wortarten als Problemlösung: die antike Grammatikschreibung | 11

Ein Pronomen ist also ein Ausdruck, der für (lat. pro) ein Nomen eintritt und fast dasselbe bedeutet. Wir versuchen einmal, diese Bestimmung auf das Deutsche anzuwenden, und betrachten das folgende Textstück: Bei einem Bürgerdialog in Brandenburg lässt Merkel […] keine Amtsmüdigkeit erkennen. Stattdessen blickt sie im Gespräch mit den Bürgern ganz selbstverständlich auf zukünftige politische Aufgaben. Süddeutsche Zeitung, 30.4.2019, Hvg. W.T.

In diesem Text tritt der Name Merkel auf, der eine nur einmal vorkommende politische Amtsträgerin bezeichnet; der Ausdruck sie tritt, wie unschwer zu erkennen, für den Eigennamen ein und bedeutet so viel wie dieser Eigenname: die nur einmal vorkommende politische Amtsträgerin. Soweit, so gut. Betrachten wir nun einmal das folgende Textstück: Um die Energiebilanz des Systems einfach zu gestalten, soll der aufgeladene Kondensator von der Spannungsquelle abgetrennt werden, so dass für ihn Q = konst. gilt. Zastrow (2004: 138, Hvg. W.T.)

Auch hier ist es so, dass wir es mit so etwas wie Stellvertretung zu tun haben: Der Ausdruck ihn tritt für etwas ein. Aber dasjenige, wofür der Ausdruck ihn eintritt, ist, wie wir deutlich sehen, nicht einfach das Nomen Kondensator. Sondern es ist ein Kondensator, von dem bereits die Rede war (sonst hätten wir im Text ein Kondensator, also mit unbestimmtem Artikel), und zwar ein aufgeladener. Der Ausdruck ihn tritt, wie wir sehen, für eine ganze Wortgruppe, eine Phrase, nämlich der aufgeladene Kondensator ein. Donat sagt auch, siehe oben, dass das Pronomen manchmal die grammatische Person ausdrückt. Damit meint er u.a. Ausdrücke wie ego und tu, also ich und du (Schönberger 2008: 22). Ausdrücke wie ich und du wären dann Pronomina. Dann müssten sie stellvertretend für Nomina eintreten können. Wenn ich den Ausdruck ich verwende, müsste dieser Ausdruck stellvertretend für ein Nomen eintreten können – aber für was für eins? Meinen Namen? Stellen Sie es sich für einen Moment vor, liebe Leserin, lieber Leser, ich, der ich diese Zeilen schreibe, wäre irgendwann dazu übergegangen, an Stelle von ich immer Winfried Thielmann zu sagen? Glauben Sie, ich wäre dann, umgeben von netten Menschen in weißen Kitteln, in einer Situation, in der ich diese Zeilen schreiben könnte? Wir stellen fest: Unter Pronomina versteht Donat Ausdrücke, die für Nomina eintreten und im Prinzip dasjenige bedeuten, was das Nomen bedeutet. Man kann, wie oben gezeigt, durchaus Fälle im Deutschen antreffen, auf die diese Bestimmung zutrifft. Aber es gibt eben auch Fälle – und diese sind weitaus häufiger – in denen mit einem Ausdruck wie er, sie oder es nicht ein Nomen, sondern eine Wortgruppe, eine Phrase wieder aufgenommen wird. Ausdrücke wie ich und du, die Donat zu denjenigen Pronomina zählt, die die grammatische Person ausdrücken, sind, wie wir gerade

12 | Wortarten wo ist das Problem?

gesehen haben, keine Pronomina, da sie überhaupt nicht für ein Nomen eintreten. Mithin ist die Pronominalkategorie für das Deutsche nicht fruchtbar zu machen. Abschließend wollen wir noch kurz betrachten, was Donat unter Präpositionen versteht: Praepositio quid est? Pars orationis quae praeposita aliis partibus orationis significationem earum aut conplet aut mutat aut minuit. Was ist eine Präposition? Ein Redeteil, der, wenn er anderen Redeteilen vorangestellt wird, deren Bedeutung entweder mehrt oder verändert oder mindert. Schönberger (2008: 118, 119)

Wir sehen hier, wie auch schon bei Thrax, dass es das zentrale Kennzeichen von Präpositionen (lat.: praeponere = ‚voranstellen‘) ist, vor anderen Redeteilen stehen zu können. Wie Thrax sieht Donat die Präposition einmal als selbständigen Ausdruck (vor Mittag) und einmal als unselbständigen, das heißt wortbildenden Ausdruck an (Vormittag). Wie auch Ehlich (2007: 269) deutlich macht: dasjenige, wovor die Präposition gestellt werden kann, ist hier nicht Thema. Im Bereich der Wortbildung, also als unselbständige Ausdrücke, gehen Präpositionen im Lateinischen wie im Deutschen zwar mit vielen Wortarten Verbindungen ein (Vormittag, vorgehen, vorlaut, voraus, vordem); als selbständige Ausdrücke kommen sie hingegen im Lateinischen wie im Deutschen keineswegs vor allen Wortarten vor: vor dem Haus, vor ihm, vor die Hunde, vor Berlin, vor zwei – aber nicht *vor denn oder *vor leider. Wir beobachten, dass die Präposition vor vor Eigennamen (Berlin), vor Ausdrücken der Klasse er/sie/es (ihm), und vor Zahlwörtern (zwei) vorkommt. Da es im Lateinischen keine Artikel gibt (ante domum = vor dem Haus), erscheinen Präpositionen dort häufig direkt vor den Nomina; im Deutschen, das über Artikel verfügt, ‚treffen‘ Präpositionen hingegen typischerweise auf Artikel. Bei der Kategorie der Präposition wird besonders deutlich, wie problematisch das Wissen ist, das für die Kategorienbildung bestimmend wurde: Man sieht aufgrund der topologischen Blickrichtung eine zentrale Eigenschaft der Präposition nicht, die erst mit großer Mühe, d.h. gegen die grammatische Tradition, beschrieben werden musste: Präpositionen drücken Verhältnisse aus (Grießhaber 1999: 250). Betrachtet man Präpositionen aus der Perspektive des ‚Voranstehens‘, sieht man sprachliche Einheiten wie vor dem Haus oder in den Wald. Was einem entgeht, sind die durch die Präposition organisierten und benannten Verhältnisse: das Haus im Wald. Im letzten Beispiel wird das Haus durch die Präposition in in eine Beziehung zu der Wald gesetzt. Wir lassen nun noch einmal die Einsichten der letzten Seiten Revue passieren.

Den Schuh passend machen – linguistische Ansätze | 13

Die Grammatik von Aelius Donatus ist Produkt der römischen Rezeption und Übersetzung der grie- 5 chischen Grammatikschreibung. Bezüglich der Wortarten zeigt bereits diese Transformation, dass nicht alle Sprachen dieselben Wortarten haben: Das Lateinische verfügt nicht über Artikel, weswegen man vermutet, dass die Kategorie der Interjektion aus Gründen des Sprachprestiges extra aufgenommen wurde, um auch im Lateinischen die Achtzahl zu erreichen. Als man begann, die Vernakulärsprachen zu beschreiben, erfolgte dies – ebenfalls aus Gründen des Sprachprestiges – in den Kategorien des Donat. Gerade bei der Übertragung auf die Vernakulärsprachen erwiesen sich diese Kategorien bereits recht früh als sperrig: Unpräzise Formulierungen, aber auch die in den Kategorien enthaltenen analytischen Sedimente (z.B. ‚Namensmodell‘ des Nomens, unklare Fassung des ‚Stellvertreterkonzepts‘ beim Pronomen sowie topologische Perspektivenverengung bei der Präposition) erschweren eine Beschreibung sprachlicher Phänomene. Insgesamt ist zu prüfen, ob und auf welche Weise die antiken Kategorien zur Beschreibung des Deutschen genutzt werden können. Eines ist bereits jetzt klar: Pronomina gibt es im Deutschen nicht.

Wenn sich, wie es scheint, die Kategorien des Donat bei der Beschreibung der vormaligen Vernakulärsprachen nicht uneingeschränkt bewähren – zu was für Diskussionen und Lösungen ist es eigentlich diesbezüglich in der Sprachwissenschaft gekommen?

1.3 Den Schuh passend machen – linguistische Ansätze Im Folgenden geben wir einen Kurzüberblick über die sprachwissenschaftliche Kritik an den Wortartenkategorien und diskutieren einige Versuche, die Heterogenität der Wortarteneinteilung zu überwinden.

1.3.1 Sprachwissenschaftliche Kritik und Lösungsversuche Wie Knobloch & Schaeder (2000: 675–676) sowie Kaltz (2000: 697–701) ausführen, ist die Kritik an den Wortartenkategorien des Donat ziemlich genau so alt wie der Beginn der grammatischen Beschreibung der sogenannten Vernakulärsprachen (z.B. Englisch, Französisch, Deutsch). In der Kritik steht vor allem die Heterogenität der Kriterien bei der Einteilung, die von deutschen Grammatikern wie Ickelsamer (16. Jh.), Aichinger (18. Jh., s.o.) und Mager (19. Jh.) gerügt wird (Knobloch & Schaeder 2000: 675; Kaltz 2000: 698). Der Junggrammatiker Hermann Paul7 konstatiert:

|| 7 Die Junggrammatiker waren historisch-vergleichende Sprachwissenschaftler, die sich vor allem mit dem Sprachwandel und seinen Gesetzmäßigkeiten befassten. Die Prinzipien der Sprachgeschichte (1880) von Hermann Paul sind bis heute äußerst lesenswert.

14 | Wortarten wo ist das Problem?

Der Versuch, ein streng logisch gegliedertes System aufzustellen, ist überhaupt undurchführbar. Paul (1880: 352, zitiert nach Knobloch und Schaeder 2000: 675)

Im weiteren Verlauf der linguistischen Forschung im 20. Jh. kommt es zu mehreren Versuchen, kriterienreine Wortklassensysteme zu etablieren, so z.B. Sütterlin (1900) oder Glinz (1952) auf morphologischer, Hermann (1928), Bergenholtz/Schaeder (1977) und Helbig/Buscha (1989) auf syntaktischer (Knobloch & Schaeder 2000: 976–977), Gil (2000) auf kategorialgrammatischer sowie Wierzbicka (2000) auf semantischer Basis. Drei dieser Ansätze wollen wir uns nun kurz ansehen und dann noch auf einen weiteren, vierten, zu sprechen kommen, der die traditionellen Einteilungen beibehält. 1.3.1.1 Wundersame Artikelvermehrung – Probleme bei der syntaktischen Einteilung von Wortarten In ihrer sehr erfolgreichen Deutschen Grammatik (1989) teilen Helbig und Buscha die Wortarten vor allem nach syntaktischen Kriterien ein. Das heißt, sie schauen sich an, wo Wörter im Satz stehen (topologisches Kriterium) und mit welchen Wörtern sie zusammen vorkommen (Distribution). So gelangen sie z.B. zur Wortklasse der Artikelwörter, die folgendermaßen bestimmt werden: – sie stehen, unter Umständen in Distanzstellung, vor einem Substantiv: der ihm vertraute Kollege; – sie sind nicht koordinierbar: *der mein Freund; – sie können nicht nach dem Substantiv zu stehen kommen: *Freund der; – sie kongruieren mit dem Substantiv in Genus, Numerus und Kasus: der Rechner, die Lampe, das Buch, den Rechnern; – ihr Auftreten ist obligatorisch. 2 Wir haben seit unserer Befassung mit der Geschichte der Wortartenkategorien immer vom Nomen gesprochen, wie dies die Antike und die traditionelle Grammatikschreibung tat. Helbig und Buscha sprechen, wie Sie oben sehen, vom Substantiv. Versuchen Sie einmal herauszubekommen, seit wann in der Grammatikschreibung von Substantiven die Rede ist und ob Nomen und Substantiv dasselbe sind.

Man sieht: Bis auf das Kriterium der Kongruenz, also der Übereinstimmung mit dem Nomen in Genus, Numerus und Kasus, sind die bei dieser Bestimmung waltenden Kriterien rein syntaktischer Natur.

Den Schuh passend machen – linguistische Ansätze | 15

Genus, also Maskulinum (der Tisch), Femininum (die Wand) und Neutrum (das Buch), ist ein Phäno- 2 men, das längst nicht in allen Sprachen vorkommt. Versuchen Sie herauszubekommen, ob es im Englischen Genus gibt. Und versuchen Sie, folgende Frage zu klären: Ist Tisch ein Maskulinum, weil wir den Artikel der davorsetzen, oder setzen wir den Artikel der davor, weil Tisch ein Maskulinum ist?

Die Liste der Artikelwörter umfasst, wenn man diese Kriterien zugrunde legt, folgende Ausdrücke: der, ein, mein, dein, sein, dieser, jener, irgendein, kein und noch etliche weitere – in der Schule haben Sie nur der/die/das als bestimmte, und ein/eine/ein als unbestimmte Artikel kennengelernt. Man hat es in der Sichtweise von Helbig und Buscha jedoch plötzlich mit einer recht großen Klasse von Artikeln zu tun, die als solche angesehen werden, weil sie sich im Satz gleich verhalten. Das ist schön, aber für diese Einteilung zahlen Helbig und Buscha einen hohen Preis: Die Klasse von Wörtern, die Helbig und Buscha durch ihre Kriterien hier gewinnen, besteht aus Ausdrücken, die äußerst Verschiedenes leisten: Der Ausdruck mein gehört zu der Klasse der Ausdrücke, die mit ich zusammenhängen ich/mir/mich/mein. Der Ausdruck dein gehört zu der Klasse der Ausdrücke, die mit du zusammenhängen, also du/dir/dich/dein. Der Ausdruck sein gehört in die er- Klasse: er/ihm/ihn/sein. Der Ausdruck kein wird zur Verneinung verwendet, er ist eine Negation. Es werden hier also Ausdrücke sehr verschiedener Funktionen nach rein äußerlichen Kriterien zu einer Klasse zusammengefasst. Wie wenig sinnvoll das ist, zeigt das folgende Beispiel aus einer Linguistik-Klausur. Auf die Frage Sind Pidginsprachen ein Resultat von Sprachkontakt? antwortet eine Studentin, deren Muttersprache Russisch ist, folgendermaßen: Ja. Die Pidginsprache ist die Mischungssprache. Zwei Sprecher, die keine gemeinsame Sprache haben, wählen eine Sprache aus, um sich zu kommunizieren. Diese Sprache hat keine feste Grammatik, keine Verschriftung.

Hier fällt Folgendes auf: Die Studentin hat fast keine sprachlichen Probleme. Was ihr Schwierigkeiten bereitet, ist vor allem der richtige Gebrauch von unbestimmtem und bestimmtem Artikel. Es hätte ja heißen müssen: Ja. Eine Pidginsprache ist eine Mischsprache. Was ihr hingegen keinerlei Probleme bereitet, ist der Gebrauch von kein und dieser. Dies erklärt sich daraus, dass das Russische – wie auch das Lateinische – nicht über Artikel verfügt, während es zu dieser und kein analoge Ausdrücke hat. Der bestimmte und der unbestimmte Artikel im Deutschen ‚machen‘ etwas so Spezielles, dass Sprecher des Deutschen, die von artikellosen Muttersprachen herkommen, noch auf den höchsten Niveaustufen Schwierigkeiten damit haben (s. hierzu auch Kovtun 2003). Vor diesem Hintergrund ist es unangemessen, Ausdrücke wie der/ein/mein/ dein/sein/dieser/kein in einer Klasse zusammenzufassen.

16 | Wortarten wo ist das Problem?

1.3.1.2 Wundersame Wortartenverminderung – Probleme bei der kategorialgrammatischen Einteilung von Wortarten Der allgemeine Sprachwissenschaftler David Gil versucht, Sprachen, die von den europäischen Sprachen strukturell weit entfernt sind, so zu beschreiben, dass er ihnen nicht gleich unsere vertrauten Wortartenkategorien unterstellt.8 So stellt er für das isolierende Riau-Indonesische9 fest, dass es eigentlich nur zwei Arten von Wörtern gibt: Solche, die bereits allein satzwertig sind oder mit weiteren solchen Ausdrücken einen Satz ergeben können – diese Wörter nennt Gil S0-Wörter. Darüber hinaus gibt es nach Gil eine Klasse von Wörtern, die, erheblich kleiner als die erste, erst in Verbindung mit einem S0-Wort S0-wertig wird. Der Ausdruck orang (Mensch) lässt sich als S0-Wort selbständig äußern; der Ausdruck dari (von) hingegen nicht, sondern erst in Kombination mit einem S0-Wort: dari Pekanbaru (von Pekanbaru). Diese kleinere, zweite Klasse von Wörtern bezeichnet Gil als S0/S0-Wörter. Wenn ein S0/S0-Wort auf ein S0-Wort trifft, entsteht wieder ein S0-Wort: S0/S0 x S0 = S0 Wir sehen: Der kategorialgrammatische Ansatz10, wie ihn Gil hier verfolgt, schiebt dem Riau-Indonesischen keine Wortarten der traditionellen Grammatikschreibung unter. Das Problem bei dieser Weise der Sprachbetrachtung ist ein anderes: Wenn man sich die – im Prinzip offene – Klasse der S0-Wörter einmal genauer ansieht, so finden sich dort nicht nur Ausdrücke wie orang, sondern auch Ausdrücke wie apa (was) und die Negation tak (Gil 2000: 198–199) – auch hier werden, ähnlich wie bei Helbig und Buscha, durch syntaktische Klassenbildung funktionale Differenzen nivelliert. 1.3.1.3 BIG in allen Sprachen – Versuch einer semantischen Einteilung Einen sehr originellen Versuch, über die Semantik, also die Bedeutung von Wörtern, zu einer Wortarteneinteilung zu kommen, hat Anna Wierzbicka (2000) vorgelegt. Sie geht davon aus, dass es Ausdrücke elementarer Bedeutung, sogenannte semantische

|| 8 „The concern with word classes, parts of speech, […] dates back to antiquity – for better and for worse. For better, since in linguistics, as in any other discipline, one sees further when standing on the shoulders of giants. But for worse, if it is the case that the giants themselves are standing in the wrong place“ (Gil, 2000: 173). 9 Eine isolierende Sprache ist eine Sprache, in der nur unveränderliche Wörter vorkommen, in der es also weder Flexion noch Wortbildung gibt. Das Englische ist z.B. – abgesehen von wenigen Flexionsresten – eine isolierende Sprache. 10 Kategorialgrammatiken (z.B. Zifonun, Hoffmann & Strecker 1997) teilen Wörter danach in Klassen ein, wie sie sich zu Sätzen ‚verrechnen‘. Der Satz Peter schläft, den wir als S bezeichnen wollen, lässt sich kategorialgrammatisch folgendermaßen analysieren: Peter gehört zu der Wortart N (für Nomen). Schläft gehört zu der Wortart S/N. Mithin: N x S/N = S.

Den Schuh passend machen – linguistische Ansätze | 17

Primitive, gibt, die in allen Sprachen vorkommen.11 Sollte ein semantisches Primitivum wie engl. BIG, so überlegt Wierzbicka, eindeutig einer bestimmten Wortart zuzuordnen sein, so müsste es in allen Sprachen dieser Wortart zuzurechnen sein. Dieser Vorschlag stimmt bereits für das Lateinische, von dessen grammatischer Beschreibung unsere Wortartenkategorien herrühren, ein wenig nachdenklich. Big ist auf Lateinisch magnus, auf Deutsch groß. In mons magnus (großer Berg) ist magnus sicher ein Adjektiv. Aber in magnus fecit! (Der Große war’s!) im Rahmen einer antiken Zeugenaussage wäre magnus sicher kein Adjektiv. Aber die Sache funktioniert bereits für das Englische nicht so richtig: Wie die Beispiele (1)–(4) gezeigt haben, kann man den Ausdruck round in The table is round als Adjektiv ansehen, in Last round please! hingegen nicht. 1.3.1.4 Wortarten in Universaler Grammatik Vielleicht eines der ehrgeizigsten Anliegen, das jemals in der Sprachwissenschaft verfolgt wurde und wird, ist es, den Erwerb einer jeden Sprache dadurch zu erklären, dass jeder Mensch mit einer angeborenen Spracherwerbsvorrichtung (language acquisition device) ausgestattet ist, die es ihm gestattet, dem spezifischen Input entsprechend eine jede Sprache zu erwerben. Man muss sich diese Theorie, deren Grundzüge erstmals von Noam Chomsky in seinem berühmten Buch Aspects of the Theory of Syntax (1965) vorgeschlagen wurden, folgendermaßen vorstellen: Jedes Kind wird mit einer Universalgrammatik im Kopf geboren, die durch die Sprache, der das Kind ausgesetzt ist, so modifiziert wird, dass das Kind schließlich in der Lage ist, im Prinzip alle Sätze der entsprechenden Sprache produzieren zu können. Aufgabe der Sprachwissenschaft ist es daher nach Chomsky, auf die Universalgrammatik wie auch auf die aus ihr entstehende Grammatik einer spezifischen Sprache rückzuschließen.12 Wir betrachten die Analyse eines Satzes in Chomsky (1965) unter dem Gesichtspunkt der Wortarten:

|| 11 In der Sprachwissenschaft werden Phänomene, die in allen Sprachen vorkommen, als Universalien bezeichnet. 12 „[…] the main task of linguistic theory must be to develop an account of linguistic universals that, on the one hand, will not be falsified by the actual diversity of languages and, on the other, will be sufficiently rich and explicit to account for the rapidity and uniformity of language learning, and the remarkable complexity and range of the generative grammars that are the product of language learning“ (Chomsky 1965: 28).

18 | Wortarten wo ist das Problem?

S NP

Aux

VP

N

M

V

Sincerity

may

frighten

NP Det

N

the boy Abb. 1: Analyse eines Satzes in Chomsky (1965: 65)

Lassen wir einmal die Kategorie Aux beiseite und machen uns klar, dass Det soviel bedeutet wie Artikel, so haben wir es bei der Analyse dieses Satzes mit genau denjenigen Wortartenkategorien zu tun, mit denen wir uns in diesem Kapitel schon ausführlichst beschäftigt haben, nämlich Nomen und Verb. Das Erstaunliche an der universalgrammatischen Theoriebildung, die in diversen Schritten erfolgte, ist, dass sich diese antiken Wortartenkategorien, an denen sich, wie wir gesehen haben, bereits deutsche Grammatiker mehrerer Jahrhunderte gerieben haben, unangefochten in ihr durchhalten. Knobloch/Schaeder (2000: 681) schreiben über die X-Bar-Theorie, eine neuere Version des universalgrammatischen Ansatzes: „Die Wortartentheorie im Rahmen der X-Bar-Syntax versucht keine differentielle Definition der Wortarten: Die Hauptwortarten gelten als unanalysierbare Primitive […]“. Es ist zumindest überraschend, dass es ausgerechnet in einem Bereich linguistischer Theoriebildung, der sich mit Universalgrammatik, also einem Schuh, der auf alle Füße passen soll, befasst, nicht zu einem tiefergehenden Nachdenken über die antiken Wortartenkategorien gekommen ist.13 5 Wie wir gesehen haben, ist die Kritik an den antiken Wortartenkategorien so alt wie die grammatische Beschreibung nicht-antiker Sprachen selbst. Im Zentrum der Kritik steht von jeher die Heterogenität dieser Wortartenkategorien, in denen mal semantische, mal morphologische oder topologische Kriterien bestimmend sind. Die Versuche, kriterienreine Wortartensysteme zu etablieren, haben, wie wir gesehen haben, den Nachteil, dass sie – wie bei den syntaktischen Ansätzen – funktional höchst verschiedene Ausdrücke in Klassen zusammenfassen (Helbig & Buscha, Gil) oder, wie dies bei Wierzbickas semantischem Ansatz der Fall war, zu in syntaktischer Hinsicht höchst unbefriedigenden Lösungen führen. Verblüffend ist darüber hinaus, dass genau derjenige linguistische Ansatz, der auf die Rekonstruktion universeller sprachlicher Prinzipien aus ist (Chomsky), sich zu den antiken Wortartenkategorien am konservativsten verhält.

|| 13 S. hierzu auch Hoffmann (2005). Zentrale Überlegungen Chomskys sind gut nachzulesen in Hoffmann (2019).

Funktionale Sprachbetrachtung | 19

Könnte es sein, dass sich genau dasjenige Kriterium, das sich bei den Versuchen, kriterienreine Wortartensysteme zu etablieren, als das sperrigste herausgestellt hat (wie können mein und kein derselben Klasse angehören, wo die Ausdrücke doch extrem Verschiedenes leisten?), nämlich das Kriterium der Funktionalität, uns hier weiterführen könnte, wenn wir es ernst nehmen?

1.4 Funktionale Sprachbetrachtung Bereits mit Bezug auf die antike Grammatikschreibung haben wir Schriftlichkeit, Sprachdidaktik und Sprachpolitik als drei wesentliche Bestimmungsmomente identifiziert. Die Schriftlichkeit hatte zur Konsequenz, dass Sprache an schriftlichen Texten studiert wurde. Damit geriet ein ganz wesentlicher Aspekt ins Hintertreffen: Die primäre Erscheinungsweise von Sprache ist ja nicht der schriftliche Text, sondern das, was sich zwischen einem Sprecher und einem Hörer vollzieht: gesprochene Sprache, mündliche Äußerungen. Wenn wir das gesprochensprachliche Geschehen zwischen einem Sprecher und einem Hörer, die gleichzeitig in einer Sprechsituation anwesend sind, mit Ehlich (2007b) als Diskurs bezeichnen, so entstehen Texte, wie Ehlich (2007b) ausführt immer dann, wenn ein Sprecher einen Hörer erreichen möchte, der nicht da ist. Text ist verdauertes sprachliches Handeln – ob es sich um die Nachricht im Kopf eines Boten oder auf einer Mailbox handelt, um den Witz, den man sich gemerkt hat und in geeigneten Situationen ‚anbringt‘ oder um einen Roman. Bei schriftlichen Texten ist Sprache, deren eigentlicher Ort ja zwischen Sprecher und Hörer, sozusagen in ihrer Mitte (Medium) ist, wie Ehlich (2007c: 155) sagt, „entmittelt“. „Entmittelt“ als Charakteristikum in schriftlichen Texten vorkommender Sprache scheint zunächst 2 eine etwas seltsame Bestimmung zu sein. Überlegen Sie sich hierzu Folgendes: Sie lesen, z.B. in einem literarischen Text, den Satz: „Gibst du mir mal bitte den Zucker rüber“, sagte Peter. Und Sie vernehmen, am Frühstückstisch, von einem der Mitfrühstückenden, die an Sie gerichtete Aufforderung: Gibst du mir bitte mal den Zucker rüber? Worin besteht der Unterschied in der Wirkung dieser sehr ähnlichen Sprachgebilde?

Wer routinemäßig entmittelte, das heißt, aus der Mitte zwischen Sprecher und Hörer herausgelöste Sprache betrachtet, wie die Grammatiker dies traditionell getan haben, dem fällt zunächst einmal nicht so wirklich auf, dass Sprache eigentlich etwas ist, womit wir etwas tun. Wer spricht, will bei seinem Hörer etwas erreichen – z.B. dass der ihm ein Wissen übermittelt, sich in Acht nimmt, verzeiht, etwas versteht, einsieht,

20 | Wortarten wo ist das Problem?

dass er etwas falsch gemacht hat etc. Wir vollziehen mit Sprache Handlungen (Illokutionen), mit denen wir solche Ziele verfolgen können – Frage, Warnung, Entschuldigung, Begründung, Vorwurf sind Beispiele für Illokutionen.14 Einer der ersten Sprachwissenschaftler, der dies im Ansatz eingesehen und theoretisch entwickelt hat, war Karl Bühler. 15 In seiner Sprachtheorie (1934) fasst er Sprache als Organon, als Werkzeug auf, mit dem ein Sprecher an einem Hörer handelt. Damit entsteht eine völlig neue Fragerichtung: Wenn ein Sprecher mit Sprache an einem Hörer handelt, also seinen Hörer dazu bringen will, etwas zu tun, was ist dann die Funktion der sprachlichen Mittel, aus denen der Sprecher seine Äußerung aufbaut? Im Rahmen dieser Fragestellung gelang es Karl Bühler, etwas ganz Grundsätzliches bezüglich einer Klasse von Ausdrücken zu begreifen, die Grammatikern immer schon Schwierigkeiten bereitet hatte: Wenn in isolierten Sätzen, wie sie die Grammatik gerne betrachtet, Ausdrücke wie ich, jetzt und hier vorkommen, sind diese Ausdrücke interpretationsbedürftig. Wenn sie aber in der Sprechsituation geäußert werden, sind sie eindeutig: Mit ich, jetzt und hier zeigt bzw. verweist der Sprecher auf Dimensionen der sprachlichen Handlung, die er gerade vollzieht: Sprecher, Äußerungsmoment und Ort. Die vom Sprecher aktuell vollzogene sprachliche Handlung ist der Ursprung, oder wie Bühler ihn nennt: die Origo, von der her die Ausdrücke ich, jetzt und hier ihre Vereindeutigung erhalten (Bühler 1934: 102—120).16 Die Ausdrücke ich, hier und jetzt haben eine gemeinsame Grundfunktion: sie sind Deiktika, Zeigwörter. Das Zeigen ist eine zentrale menschliche Fähigkeit, die sich in Kindern bereits ausbildet, bevor sie sprechen können. Zeigen heißt dasjenige, worauf man selbst fokussiert ist, anderen zugänglich zu machen: Ich sehe etwas, was du nicht siehst, und will, dass du das auch siehst. Michael Tomasello, der dies an Kindern und unseren nächsten Verwandten, den Schimpansen, beobachtet hat, hat nachgewiesen, dass Zeigen in diesem Sinne nur beim Menschen vorkommt (2007). Sprachliches Zeigen hat gegenüber dem Zeigen mit dem Finger einen doppelten Mehrwert: Zum einen lässt sich mit den Zeigwörtern dasjenige, worauf man zeigt, das Verweisobjekt, kategorisieren (Ehlich 2007d : 126–129): ich  Sprecher; du  Hörer; hier  Ort; jetzt  Moment der Äußerung; dieser  Objekt. Zum anderen kann sich das sprachliche Zeigen, anders als das gestische, vollkommen vom Wahrnehmungsraum ablösen. Mit da zeigt man auf einen Ort, aber dieser Ort kann sich in unter-

|| 14 Für den Schutz von Menschen, die sprachliche Handlungen vollziehen, die nicht an Hörer gerichtet sind, sind eigene Institutionen eingerichtet worden. 15 Bühler hatte bereits ein handlungstheoretisch basiertes Verständnis von Sprache, der Illokutionsbegriff geht aber auf die – späteren – Sprachphilosophen Austin (1962) und Searle (1979) zurück. 16 Man denke z.B. an eine Situation, in der ein Sprecher, in unübersichtlichem Terrain, einem Hörer Wo bist du? zuruft und der – für den Sprecher nicht sichtbare – Hörer mit Hier! antwortet und so seinen Ort vereindeutigt.

Funktionale Sprachbetrachtung | 21

schiedlichen Räumen, unterschiedlichen Verweisräumen (Ehlich 2007d: 128) befinden: Mit da in da ist der Overheadprojektor wird im Wahrnehmungsraum verwiesen, aber der Ort, auf den mit da in da hast du was Gutes gesagt gezeigt wird, ist ein Ort in der Erinnerung an vergangene Rede – dies ist ein Zeigen im Rederaum oder Diskursraum. Wenn ein Sprecher, z.B. bei einer Wegbeschreibung, sagt: an der dritten Kreuzung, da fahren Sie dann rechts rein, zeigt er mit da auf einen Ort, den der Hörer nicht sehen, den er sich aber sehr wohl vorstellen kann. Das ist ein Zeigen im Vorstellungsraum. Schon Bühler (1934) hatte das Zeigen im Vorstellungsraum beschrieben und es Deixis am Phantasma genannt. Eine weitere zentrale Funktion sprachlicher Mittel ist nach Bühler das Nennen, das Symbolisieren – also das, was durch Ausdrücke wie Tisch, essen oder schön geschieht. Der Werkzeugkasten der Sprache weist nach Bühler daher zwei Fächer auf, die er als Felder denkt: das Zeigfeld und das Symbolfeld. Nach Bühler ist der Werkzeugkasten der Sprache damit komplett. Eine einfache Überlegung zeigt aber, dass das nicht sein kann: – Es gibt eine Fülle von Ausdrücken, die weder nennen noch zeigen: doch, wenn, wer, nein, oder, es etc. – Wenn man die Äußerung Den hat er nicht gemeint betrachtet, so fällt auf, dass sie mit dem Ausdruck den beginnt, über den sich zumindest Folgendes sagen lässt: Der Ausdruck hat kann nicht darauf bezogen sein. Der Unterschied zwischen der und den hat eine besondere Funktion: Hierdurch wird dem Hörer kommuniziert, dass derjenige, auf den mit den gezeigt wird, nicht identisch mit demjenigen sein kann, auf den der Ausdruck hat zu beziehen ist. Es gibt also sprachliche Mittel, die sich weder dem Symbolfeld noch dem Zeigfeld zuordnen lassen. Darunter fallen sprachliche Mittel wie der Unterschied zwischen der und den, durch die etwas darüber ausgedrückt wird, wie ein Ausdruck auf einen anderen zu beziehen ist. Mit anderen Worten: Es sind sprachliche Mittel anzunehmen, deren Zweck es ist, dem Hörer klarzumachen, wie er Symbolisiertes und Gezeigtes zueinander in Beziehung setzen soll. In der Tat ist der Werkzeugkasten der Sprache noch um einige Felder zu erweitern, die wir uns nun in ihrer Systematik genauer ansehen wollen.

1.4.1 Sprachliche Felder Damit wir uns über sprachliche Mittel aus funktionaler Perspektive verständigen können, müssen wir einige Sprechweisen vereinbaren. Wir betrachten hierzu folgende Ausdrücke:

22 | Wortarten wo ist das Problem?

(10) (11) (12) (13)

Tisch Tisch-e geh-st geht-t

Alle diese Ausdrücke sind Wörter in dem Sinne, dass Sie sie beim Schreiben durch Spatien trennen. Aber diese Ausdrücke sind nicht auf dieselbe Weise Wörter: Der Ausdruck Tisch ist einfach, der Ausdruck Tische nicht, da er aus zwei Elementen, nämlich Tisch und -e besteht. Der Ausdruck Tische ist ein komplexer Ausdruck, er ist eine Wortform. Nachdem der komplexe Ausdruck Tische auch etwas anderes bedeutet als Tisch, können wir sagen, dass das Element -e bedeutungshaltig ist. Dieses Element -e gehört also, genauso wie das Element Tisch, zu denjenigen Elementen, aus denen im Deutschen komplexere bedeutungshaltige Einheiten aufgebaut werden. Außerdem lassen sich weder Tisch noch -e in kleinere bedeutungshaltige Einheiten aufspalten, sie sind sozusagen atomar. Solche atomaren, kleinsten bedeutungshaltigen Einheiten einer Sprache bezeichnet man als Morpheme. Nun ist das Morphem Tisch, wie leicht ersichtlich, etwas anderes als das Morphem -e: Dieses kann nämlich nicht frei auftreten, wie Tisch, sondern nur als Anhängsel. Wir bezeichnen daher Morpheme wie Tisch als freie, solche Morpheme wie -e als gebundene Morpheme. Außerdem benennt das freie Morphem Tisch etwas, es gehört dem Symbolfeld zu, während das gebundene Morphem -e zwar etwas kommuniziert, aber nichts benennt. Wir bezeichnen Morpheme des Symbolfeldes, die mit gebundenen Morphemen zusammentreten können, als Stämme. Wenn wir die Beispiele (12) und (13) betrachten, fällt etwas Interessantes auf: Während der Stamm Tisch auch als freies Morphem vorkommen kann, begegnet uns der Stamm geh- im Prinzip immer nur gebunden. 2 Betrachten Sie folgende Ausdrücke: Tischen, gemacht, schönen, Anschauung und zerbrechlich. Aus was für Morphemen bestehen sie? Welcher Ausdruck ist Resultat von Flexion (Formveränderung bei Erhalt der Grundbedeutung, z.B. gehe, gehst, geht)? Welcher ist Resultat von Wortbildung (Formveränderung mit Änderung der Grundbedeutung, z.B. essen  essbar)?

Nachdem wir über die Formen gesprochen haben, sprechen wir nun über die Funktionen. Was machen die Morpheme in den Beispielen (10)–(13)? Wenn ein Sprecher einen Stamm wie Tisch oder geh- äußert, bringt er den Hörer dazu, das durch den Stamm benannte Wissen ‚hochzufahren‘, zu aktualisieren.17 Was ist aber mit den gebundenen Morphemen -e in Tische, -st in gehst und -t in geht?

|| 17 Wir können uns auch über Tische verständigen, wenn keine da sind, weil wir über den Wissenskomplex verfügen, der durch den Stamm Tisch benannt wird. Hauk, Johnsrude & Pulvermüller (2004)

Funktionale Sprachbetrachtung | 23

Über die aus zwei Morphemen bestehende Wortform Tische wissen wir etwas: Hier werden mehrere Einzelexemplare von Tisch zu einer Einheit zusammengefasst (vgl. Grießhaber 1993: 7). Das Morphem -e kommuniziert uns etwas über den Stamm Tisch: Dass nämlich das durch Tisch benannte Konzept im Sinne mehrerer Einzelexemplare aufzufassen ist. Man kann auch sagen: Das Pluralmorphem -e ist metakommunikativ, indem es uns etwas über ein Stückchen Sprache, in diesem Fall den Ausdruck Tisch, kommuniziert. Betrachten wir nun, was das Morphem -t in geht im Zusammenhang der Äußerung Peter geht leistet: Auch dieses Morphem ist metakommunikativ, indem es deutlich macht, dass die Wortform geht auf ein Stück Sprache, nämlich den Ausdruck Peter bezogen ist, sie ist sozusagen ein Äquivalent für Peter geh_er. Das Morphem -t hat eine ähnliche Leistung wie er/sie/es: Peter/Petra/Paulchen geht. Das -st in gehst macht hingegen klar, dass der Ausdruck gehst gerade nicht auf ein Stück Sprache bezogen ist, sondern auf den Hörer zeigt. Dieses Morphem ist deiktisch, es gehört dem Zeigfeld zu. Wir führen nun noch eine weitere Sprechweise ein, die deutlich machen soll, dass alle Morpheme einer Sprache Einheiten sind, mit denen ein Sprecher am Hörer etwas bewirken kann. Auch die kleinen gebundenen Morpheme stehen nicht einfach in der Gegend herum, um irgendwelchen grammatischen Regeln Genüge zu tun. Sie haben Funktionen, sie haben, wenn sie geäußert werden, einen minimalen sprachlichen Handlungscharakter, sie sind Prozeduren. Sprachliche Prozeduren lassen sich einteilen nach ihrer Basisfunktionalität. Dies führt uns auf fünf Fächer im Werkzeugkasten der Sprache, wie sie im Rahmen der Funktionalen Pragmatik herausgearbeitet worden sind (Ehlich 2007e, f). Über zwei davon, das Zeigfeld und das Symbolfeld, sind wir schon vorverständigt; die anderen drei bedürfen näherer Erläuterungen. 1.4.1.1 Das Symbolfeld Das Symbolfeld versammelt die symbolischen Prozeduren, deren gemeinsame Leistung das Nennen ist, im Deutschen also Stämme wie Tisch, ess- und schön. Darüber hinaus gehören auch freie Morpheme wie in, an, auf, also die Präpositionen, in ihrer basalen Bedeutung, also dem Ausdruck räumlicher Verhältnisse, zum Symbolfeld. 1.4.1.2 Das Zeigfeld Dem Zeigfeld gehören die deiktischen Prozeduren an, die sich nach ihren Verweisobjekten unterscheiden lassen. Sprecherdeixis: ich; Hörerdeixis: du; Lokaldeixis: hier,

|| haben gezeigt, dass bei Hörern, die elementare Handlungsverben (etwa lick, pick oder kick) prozessieren, diejenigen Hirnareale mitbeteiligt sind, die für die Enervierung von Zunge, Fingern und Füßen zuständig sind.

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da, dort; Temporaldeixis: jetzt, dann; Objektdeixis: dieser/diese/dieses; Aspektdeixis: so.18 Sprecher- bzw. hörerdeiktische Prozeduren sind auch die gebundenen Morpheme in geh-e und geh-st. 1.4.1.3 Das Operationsfeld Wie wir oben schon gesehen haben, reichen symbolisierende und deiktische Prozeduren allein zur Verständigung nicht aus. Der Sprecher muss dem Hörer auch kommunizieren, wie er das Symbolisierte und Gezeigte in Beziehung zu setzen hat. Hierzu bedarf es, wie bereits gezeigt, metakommunikativer Prozeduren, mit denen der Sprecher dem Hörer etwas über sein aktuell Gesagtes kommuniziert.19 Pluralmorpheme, wie wir sie oben kennengelernt haben, sind operative Prozeduren. Auch Ausdrücke wie er/sie/es, mit denen ein Gesagtes wieder aufgenommen wird, sowie die diesen Ausdrücken korrespondierenden gebundenen Verbmorpheme in geh-t und geh-en gehören dazu (Ehlich 2007g, Redder 1992). Der Unterschied zwischen der und den, über den wir oben gesprochen haben, ist ebenfalls operativer Art: Über den Ausdruck den wissen wir zum Beispiel, dass eine Verbform wie geht nicht auf ihn bezogen sein kann. 1.4.1.4 Das Lenkfeld (expeditives Feld) Wenn Sie den Stamm geh einem Hörer gegenüber mit stark fallender Intonation äußern, also gèh!, machen Sie dem Hörer klar, dass er die mit dem Stamm benannte Handlung sofort vollziehen soll. Mit dieser Intonation in Verbindung mit dem Stamm machen Sie dem Hörer Beine (lat. expedire). Die stark fallende Intonation, die hier mit der symbolischen Prozedur geh zusammentritt, hat selbst prozedurale Qualität. Sie ist eine expeditive Prozedur, mit der der Sprecher direkt in das Hörerhandeln eingreift, ihn lenkt. In das Lenkfeld gehören auch die Interjektionen, also etwa Ausdrücke wie na, au oder he.

|| 18 Dass der Ausdruck so eine deiktische Prozedur ist, mit der man auf Aspekte von Dingen zeigt (Ehlich 2007g), wird anhand solcher Situationen einsichtig, in denen Sprecher bestimmte Aspekte an den Dingen herausheben möchten, also etwa: So eine Farbe, wobei auf ein Objekt entsprechender Farbe gezeigt wird. 19 „Das kommunikative Bearbeiten der Sprache selbst im sprachlichen Handeln erfordert kommunikativen Aufwand für etwas, was eigentlich sozusagen von selbst gehen sollte. Der hierfür zu erbringende Aufwand hat dienende Funktion gegenüber dem, was eigentlich kommunikativ bewerkstelligt werden soll. Dafür aufgewendete sprachliche Verfahren sind also – als in der Kommunikation selbst realisierte Hilfsstrukturen – metakommunikativ. Als Bestandteil des Bereichs, in dem sprachliche Verfahren (und sprachliche Ausdrücke zu ihrer Realisierung) eingesetzt werden, die der Bearbeitung sprachlicher Einheiten, Strukturen und versprachlichten Wissens innerhalb der sprachlichen Interaktion selbst dienen, unterliegen sie einer paradoxen Grundstruktur: Je unauffälliger, je leichter und unaufwendiger sie eingesetzt werden können, desto besser erfüllen sie ihre charakteristischen Zwecke. Solche Bearbeitungen heißen operative Prozeduren“ (Ehlich 2003: 213).

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1.4.1.5 Das Malfeld Wenn Eltern ihren Kindern Märchen vorlesen, können Sie mitunter beobachten, wie sie mit der Stimme intonatorisch ‚malen‘: …in einen duunklen, duunklen Wald. Solche Mittel dienen dem unmittelbaren Transport von Empfindungen, der Hörer soll so empfinden wie der Sprecher. Es sind expressive Prozeduren. Im Folgenden wollen wir uns ansehen, was das Felderkonzept und das Konzept von Prozeduren für die Sprachbetrachtung bringt, indem wir es auf einige der Beispiele anwenden, die uns eingangs Schwierigkeiten bereitet haben.

1.4.2 Anwendungen des Felderkonzepts Wenn wir sprachliche Mittel als Prozeduren, also als minimale Handlungseinheiten denken, kommen auch sprachliche Mittel als funktional in den Blick, die gebundene Morpheme sind (z.B. -st in gehst), also gar keinen Wortstatus haben. Mithin können wir sagen: Die Differenzierung sprachlicher Mittel nach der Zugehörigkeit zu den Feldern liegt vor der Frage nach den Wortarten, sie ist wesentlich basaler. 1.4.2.1 Prozedurenkombinationen und pure Symbolfeldausdrücke Wir betrachten nun das Beispiel (9) aus dem Inuktitut, das wir eingangs angeführt haben, um die Vorstellung, alle Sprachen bestünden aus Wörtern, mit der Wirklichkeit zu konfrontieren: (9)

aaniarasugijait aania(q)-rasugijait krank.sein-denken/glauben.dass- -2s.3s.tr du denkst/glaubst, dass er/sie krank ist

Wir können sofort sagen, dass hier mit einem Wortartenkonzept nichts, mit dem Konzept der sprachlichen Prozedur hingegen viel zu erreichen ist: Die gebundenen Morpheme aania und rasugi sind symbolische Prozeduren. Im Element jait fusionieren eine hörerdeiktische (ein Äquivalent für du) und eine anaphorische Prozedur (ein Äquivalent für er/sie/es), in der die Einwirkung des Hörers auf eine weitere Person, von der die Rede ist, ausgedrückt wird – wenn man dies mit den Mitteln des Deutschen nachmachen möchte, etwa: krank-glaubst_ihn. Wir haben es hier also nicht mit Wörtern, sondern mit einer komplexen Prozedurenkombination zu tun. Auch die Beispiele aus dem Englischen, die eingangs sicher etwas Kopfzerbrechen verursacht haben, lassen sich nun besser verstehen:

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(1) (2) (3) (4)

We went round the block. The table is round. Last round please! Let’s round them up!

Die Frage, welcher Wortart der Ausdruck round angehört, lässt sich nun ganz einfach klären: round ist eine symbolische Prozedur, und damit hat es sich. Es handelt sich um einen puren Symbolfeldausdruck (Redder 2005), der keiner Wortart zuzuordnen ist, sondern seine Interpretation vom Zusammenhang her erhält. 2 Betrachten Sie die englischen Beispiele (5)–(8). Liegen die Verhältnisse hier ähnlich? Falls ja, – welche Ausdrücke sind hier pure Symbolfeldausdrücke und wie entscheidet der Hörer/Leser eigentlich, wie so ein purer Symbolfeldausdruck aufzufassen ist?

1.4.2.2 Feldtransposition – die angeschlagene Teekanne als Blumentopf Mit den Dingen, mit den Artefakten, die wir herstellen, gehen wir ungemein kreativ um: Eine angeschlagene Teekanne macht einen schönen Blumentopf; auf einen Tisch kann man sich auch mal setzen, auf einen Stuhl kann man sich auch mal stellen; in einem Märchen von Hans Christian Andersen hat ein Flaschenhals, der einem Singvogel im Käfig als Trinkgefäß dient, eine ungewöhnliche Geschichte zu erzählen. Wenn wir Artefakte in solche Zusammenhänge bringen, für die sie eigentlich nicht vorgesehen sind, bleiben sie zwar Teekanne, Tisch, Stuhl oder Flaschenhals, sind aber nicht in ihrem Gesamt, sondern nur zu einem gewissen Teil in diesen Zusammenhängen fungibel: Teekanne und Flaschenhals interessieren als Gefäße; Tisch und Stuhl als Mittel erhöhten Sitzens und Stehens. Sprecher gehen mit sprachlichen Mitteln, mit Prozeduren, genauso kreativ um wie mit physischen Artefakten: Das Nomen Anschauung kommt von dem Verb anschauen her; hier ist ein Verb in eine andere Wortart migriert. Der Ausdruck ich ist eine Sprecherdeixis. Aber wenn Sigmund Freud das Ich schreibt, ist die zeigende Qualität von ich irgendwie weg. In diesem Fall soll man ja den Ausdruck ich als Hörer oder Leser genauso verarbeiten wie man Glas in das Glas verarbeitet, nämlich als eine nennende, als eine symbolische Prozedur. Hier ist der Ausdruck ich aus dem Zeigfeld in das Symbolfeld migriert, er wird für den Zweck des Benennens in Anspruch genommen wie eine angeschlagene Teekanne für den Zweck des Einpflanzens von Blumen in Anspruch genommen werden kann. Als ich einmal in der australischen Hauptstadt Canberra an einer Bushaltestelle stand, unterhielten sich zwei junge Leute über die Einrichtung ihres gemeinsamen Wohnzimmers. Das ging etwa so: Where’re we gonna put the fucken couch? etc. Mit dieser Äußerung wurde sicherlich nichts über das Paarungsverhalten von Möbeln gesagt. Vielmehr wurde eine – vulgäre – symbolische Prozedur dazu genutzt, einander

Zusammenfassung | 27

(und auch gegenüber dem danebenstehenden älteren Dritten) eine gewisse Wurstigkeit der Welt gegenüber zu kommunizieren – die symbolische Prozedur fuck wurde zur malenden, expressiven Prozedur umfunktionalisiert.20 Ehlich (2007h), der solche Prozesse der Transformation als erster theoretisch beschrieben hat, spricht von Feldtransposition, wenn eine Prozedur für die Zwecke eines anderen Feldes funktionalisiert wird, wie wir dies im Falle von ich und fuck beobachten konnten. Zu einer feldinternen Transposition (Redder 2005) kommt es, wenn eine Prozedur innerhalb eines Feldes für eine andere Wortart in Anspruch genommen wird, wie dies bei dem – sich vom Verb anschauen herleitenden – Nomen Anschauung der Fall ist. Betrachten Sie folgende Wortformen: Würstchen, Kindchen, zerbrechlich, Unzerbrechlichkeit, bezüg- 2 lich (im Sinne von: bezüglich Ihres Anschreibens vom 5.3.), Gerenne (im Sinne von: das war heute ein Gerenne in der Stadt) und während (im Sinne von während der Fernseher lief) – denken Sie dabei daran, dass währen ein Verb ist, das so viel wie dauern bedeutet. Lassen sich bei diesen Ausdrücken Feldtranspositionen ausmachen und wenn ja, welche? Warum ist ein Kindchen süß, ein Würstchen nicht unbedingt?

1.5 Zusammenfassung Wir sind nun den Wortartenkategorien von ihren Ursprüngen bis heute nachgegangen und haben die Leistung der antiken Kategorien wie auch die Probleme, die aus ihrer Anwendung auf modernere Sprachen entstehen, ausführlich besprochen. Wenn Sie aus diesem Kapitel die folgenden Dinge mitnehmen, sind Sie fit für den Rest des Arbeitsheftes. Die Wortartenkategorien Nomen, Pronomen, Verb, Adverb, Präposition, Konjunktion und Interjek- 5 tion21, die wir auch heute noch verwenden, sind lateinische Übersetzungen von Termini der altgriechischen Grammatikschreibung, wie sie in der Fassung der Ars minor des Donat über das Mittelalter hinaus bis in die Gegenwart bestimmend geblieben sind. Diese Kategorien erfassen Wortklassen nach semantischen, morphologischen und syntaktischen Kriterien. Als in der frühen Neuzeit die ersten Grammatiker begannen, sich den ‚niederen‘ Sprachen, den Vernakulärsprachen, zuzuwenden, waren sie bemüht, ihre Gegenstände dadurch aufzuwerten, dass sie zu zeigen versuchten, dass auch diese Sprachen so funktionieren wie das Lateinische. Dabei stießen sie sofort auf Probleme, die damit zusammenhängen, dass die tradierten Wortartenkategorien auf heterogenen Kriterien basieren, die nicht unbedingt an anderen Sprachen fruchtbar gemacht werden können. Wie am Beispiel der Kategorie Pronomen gezeigt wurde, ist sie für das Deutsche gar nicht fruchtbar zu machen, da ich und du nie für ein Nomen und Ausdrücke wie er/sie/es in der Regel nicht für Nomina, sondern für

|| 20 Man wird, wenn jemand seinen neuen Laptop geil findet, sich auch nicht gleich Sorgen machen, dass er seinem Rechner in der erotopathologischen Form der Dingliebe zugeneigt sei. 21 Wer mitgezählt hat und etwas vermisst: Das Partizip wird heute zu den Verbformen gerechnet.

28 | Wortarten wo ist das Problem?

Wortgruppen, für Phrasen (z.B. der aufgeladene Kondensator) eintreten. Die Versuche, kriterienreine Wortartensysteme zu etablieren, haben, wie wir gesehen haben, den Nachteil, dass sie – wie bei den syntaktischen Ansätzen – funktional höchst verschiedene Ausdrücke in Klassen zusammenfassen (Helbig & Buscha, Gil) oder, wie dies bei Wierzbickas semantischem Ansatz der Fall war, zu in syntaktischer Hinsicht höchst unbefriedigenden Lösungen führen. Verblüffend ist darüber hinaus, dass genau derjenige linguistische Ansatz, der auf die Rekonstruktion universeller sprachlicher Prinzipien aus ist (Chomsky), sich zu den antiken Wortartenkategorien am konservativsten verhält. Zielführender scheint es daher zu sein, sich vor der Frage nach der Zugehörigkeit eines Ausdrucks zu einer bestimmten Wortart über seine Basisfunktionalität klarzuwerden, indem man den Handlungscharakter sprachlicher Äußerungen sowie den partiellen Handlungscharakter sprachlicher Mittel ernst nimmt. Dies führt auf das Konzept sprachlicher Prozeduren, die – in Anlehnung an Karl Bühlers Feldkonzept – fünf sprachlichen Feldern mit den Grundfunktionen Nennen (Symbolfeld, symbolische Prozedur), Zeigen (Zeigfeld, deiktische Prozedur), metakommunikativ auf Gezeigtem und Benanntem Operieren (Operationsfeld, operative Prozedur), Lenken (Lenkfeld, expeditive Prozedur) und für emotionalen Abgleich Sorgen (Malfeld, expressive Prozedur) zugeordnet werden können. Wie gezeigt wurde, lassen sich mit diesem Konzept auch Verhältnisse in Sprachen, die nicht über dieselben Wortarten verfügen wie das Deutsche (Englisch) oder gar keine richtigen Wörter haben (Inuktitut), beschreiben. Durch die funktionale Blickrichtung lässt sich auch die Funktionalisierung sprachlicher Prozeduren für die Zwecke eines anderen Feldes (Feldtransposition) bzw. für andere Zwecke desselben Feldes (feldinterne Transposition) erfassen.

Aus den Überlegungen, die wir bisher durchgeführt haben, leitet sich folgender Aufbau für dieses Arbeitsheft ab.

1.6 Aufbau des Arbeitsheftes Wir werden uns nun den Wortarten des Deutschen dadurch annähern, dass wir vom Konzept der sprachlichen Felder und deren Grundfunktionen – Nennen, Zeigen, metakommunikativ Operieren, Lenken und Malen (für emotionalen Abgleich sorgen) ausgehen. Wir beginnen also mit den Nennwörtern (Substantiv [Nomen], Adjektiv, Verb, Adverb, Präposition, Numerale) und wenden uns dann den Zeigwörtern, also den verschiedenen Formen der Deixis zu. Anschließend betrachten wir die Funktionswörter, mit denen Sprecher ihr Gesagtes metakommunikativ für den Hörer bearbeiten, also etwa Ausdrücke der gedanklichen Verknüpfung (Konjunktionen, Subjunktionen). Den Abschluss bilden Ausdrücke des Lenkfeldes (Interjektionen). Da das Deutsche kaum eigenständigen Malfeldausdrücke besitzt, sondern bestimmte symbolische und operative Mittel auf dem Wege der Feldtransposition in diesen Zusammenhang eintreten, werden wir gelegentlich auf solche Fälle hinweisen. Immer wenn man Wortarten nacheinander abhandelt, ergibt sich ein Darstellungsproblem folgender Art: Substantive (Nomina) treten zum Beispiel gerne zusammen mit Artikeln auf, weswegen man Artikel und Substantive eigentlich gemeinsam

Aufbau des Arbeitsheftes | 29

besprechen müsste. Nun ist es aber so, dass z.B. in der Phrase der Tisch jeder der beteiligten Ausdrücke, also der und Tisch, seine spezifische Leistung in die Gesamtphrase einbringt. Daher werden wir das Problem darstellerisch so lösen, dass wir im Kapitel über Substantive (Nomina) zeigen, dass diese gerne mit Artikeln zusammentreten, während wir die Funktion von Artikeln in Phrasen im Kapitel über Artikel behandeln. In solchen Fällen ist es sehr sinnvoll, wenn Sie den entsprechenden Verweisen folgen.

2 Nennwörter Nennwörter wie Tisch, essen, schön, zwei, leider oder auf, mit denen wir beim Hörer oder Leser symbolische Prozeduren realisieren, machen den allergrößten Teil des deutschen Wortschatzes aus. Dies hängt damit zusammen, dass es die wichtigste Funktion von Sprache überhaupt ist, die Dinge, die wir in der Wirklichkeit vorfinden, und das, was wir in der Wirklichkeit tun (Häuser, Bäume, Steine, Hunde, Autos, essen, bauen, helfen), wie auch diejenigen Dinge und Tätigkeiten, die wir uns nur denken können (Napoleon, Primzahl, der geplante Urlaub, rechnen, träumen), sprachlich verhandelbar zu machen – dies geschieht im Deutschen primär durch Substantive und Verben. Auch Eigenschaften von Dingen und Verhältnisse zwischen ihnen werden im Deutschen durch Nennwörter ausgedrückt (Adjektive, Präpositionen). Verwenden wir beim sprachlichen Handeln eine symbolische Prozedur, so wollen wir damit erreichen, dass der Hörer (oder Leser) ein spezifisches Wissen aktualisiert. Bei den Nennwörtern des Deutschen handelt es sich in morphologischer Hinsicht, wie wir gesehen haben (s. 1.4.1), größtenteils um Stämme. Die Stämme des Deutschen sind in einer gewissen Weise vororganisiert: Es gibt a) Stämme, die als freie Morpheme vorkommen können und gerne mit Artikeln zusammentreten: der Tisch, die Lampe, das Buch. Es gibt b) Stämme, die als freie Morpheme vorkommen können und nur in besonderen Fällen und nur flektiert mit Artikeln zusammentreten: groß (der Groß-e). Es gibt c) Stämme, die im Prinzip kaum als freie Morpheme, sondern im wesentlichen flektiert vorkommen: lauf-. Wir bezeichnen die Stämme unter a) als Substantive (Nomen), unter b) als Adjektive und unter c) als Verben. Darüber hinaus gibt es nennende Ausdrücke wie leider, die nicht flektierbar sind – diese Ausdrücke sind Adverbien. Außerdem gibt es Ausdrücke wie in, an, gegen, die Verhältnisse benennen, – die Präpositionen. Damit wir die Leistung von Nennwörtern verstehen können, müssen wir uns zunächst einmal allgemein mit ihrem Verhalten im Satz befassen. Anschließend gehen wir auf Substantive, Adjektive, Verben, Adverbien und Präpositionen ein.

2.1 Das Verhalten von Nennwörtern im Satz 2.1.1 Die Satzform beim sprachlichen Handeln Sprachliches Handeln muss nicht in Sätzen geschehen. Wenn Sie auf die Frage Möchten Sie noch Kaffee? mit Nein, danke antworten, haben Sie eine Illokution, nämlich eine Antwort realisiert, ohne einen Satz geäußert zu haben (Redder 2011: 400–405). Auch das folgende Beispiel zeigt sehr deutlich, dass beim sprachlichen Agieren keineswegs immer Sätze erforderlich sind: https://doi.org/10.1515/9783110667967-002

32 | Nennwörter

(14)

nochmal der VfB steiler paß in die mitte auf Elber aber Helmer schön mit Kopfball geklärt zu Sforza (nach Jürgens 1999: 112)

Mit Mannschafts- und Spielernamen (VfB, Elber) sowie Bezeichnungen für Schusstechniken (Pass, Kopfball) werden fussballtypische Konstellationen (Ballbesitz, Ballbewegung) benannt; über Präpositionen werden Bewegungsrichtungen kommuniziert (in die Mitte, auf Elber). Solches partikulares sprachliches Handeln, das der Satzform nicht bedarf und vorwiegend in der Nutzung symbolischer Prozeduren besteht, ist häufig dort anzutreffen, wo jemand ein Geschehen, das er selbst gerade wahrnimmt, für andere versprachlicht (Redder 2011). Von einem Satz sprechen wir dann, wenn zwei sprachliche Einheiten, nämlich Subjekt und Prädikat, so geäußert werden, dass sie zusammen einen vollständigen Gedanken ergeben. Ein Sprecher (oder Schreiber) der das tut, vollzieht einen propositionalen Akt. Wir betrachten die Verhältnisse in den folgenden Beispielen:

Subjekt

Prädikat

Ich Wir

geh-e geh-en

jetzt. jetzt.

Du Ihr

geh-st geh-t

jetzt. jetzt

Peter Peter und Paul

geh-t geh-en

jetzt. jetzt.

Abb. 2: Verhältnis von Subjekt und Prädikat

Wir sehen: Als Subjekte fungieren hier sprecher- und hörerdeiktische Ausdrücke im Singular (ich, du) und Plural (wir, ihr) sowie Eigennamen (Peter, Peter und Paul). Als Prädikat fungieren verschiedene Formen des Verbs gehen. Welche Form das Verb jeweils annimmt, wird durch das Subjekt bestimmt. Diesen Sachverhalt bezeichnet man als Rektion (von lat. regere: ‚herrschen‘). Wir wissen bereits, was diese Flexions-

Das Verhalten von Nennwörtern im Satz | 33

morpheme tun (vgl. 1.4.1): Die Morpheme -e und -en sind sprecherdeiktische Prozeduren (Singular und Plural); die Morpheme -st und -t sind hörerdeiktische Prozeduren (Singular und Plural). Das Morphem -t ist, wie wir gesehen haben, ein Äquivalent für er/sie/es; das Morphem -en ein Äquivalent für den Plural von er/sie/es, also sie.22 Eine Verbform, die entweder deiktisch auf Sprecher oder Hörer verweist oder an einen Redegegenstand (Peter, Peter und Paul) angebunden ist, bezeichnen wir als Finitum, da ihre Bedeutung durch diese Flexive eingegrenzt (lat. finis: ‚Grenze‘) ist. Ein Hörer, der das Subjekt zusammen mit dem zugehörigen Finitum verarbeitet, vollzieht eine Synthese von Subjekt und Finitum (Hoffmann 2003: 78–89), er entnimmt der sprachlichen Äußerung den mit ihr kommunizierten Gedanken.

2.1.2 Komplexere Sätze Im Deutschen werden Prädikate in der Regel durch Verben realisiert23, die oft weitere Bestimmungen, sogenannte Explikate (Hoffmann 2003: 33–47) bei sich führen. Das Verb geben erfordert, abgesehen vom Kartenspiel (Du gibst!), die Versprachlichung des Gebenden, des Bekommenden und der übergebenen Sache. Auch hierbei treten Rektionsverhältnisse auf, die wir an ganz einfachen Beispielen (Abb. 3) veranschaulichen: Subjekt

Peter

Prädikat Finitum

Explikat

ist/wird/bleibt repariert hilft schreibt wohnt fährt

alt/Arzt einen Computer seiner Mutter an seine Freundin bei der Brücke in die Schweiz

Prädikativ direktes Objekt indirektes Objekt Präpositionalobjekt Situativergänzung Direktivergänzung

Abb. 3: Sätze mit erweiterten Prädikaten

|| 22 Dass ein Morphem mehrere Funktionen realisiert, dass also z.B. -en zugleich den Plural der Sprecherdeixis und ein Äquivalent des Ausdrucks sie ausdrückt, ist für indoeuropäische Sprachen wie Deutsch, Latein, oder Russisch typisch. 23 Es gibt Sprachen wie das Arabische, in denen auch z.B. Substantive Prädikate sein können. Man spricht dann von Nominalsätzen. Im Deutschen ist der Nominalsatz zwar selten, aber möglich: Philosophenwetter Erkenntniswetter! (Grass 1985: 330). Zu den Nominalsätzen s. a. Benveniste (1971).

34 | Nennwörter

Wir sehen: Bei sein/bleiben/werden treten die Explikate in der Grundform, ohne jede Flexion auf; man spricht hier von Prädikativen. Von einem direkten Objekt sprechen wir, wenn z.B. ein Handelnder direkt auf einen anderen oder etwas anderes einwirkt; auch Wahrnehmungsverben (verba sentiendi) wie sehen oder schmecken sowie Verben des Sagens (verba dicendi) wie versprechen, schwören verlangen direkte Objekte als Explikate. Indirekte Objekte treten typischerweise bei Verben auf, denen die Bedeutungsstruktur von geben zugrundeliegt: schenken, empfehlen, vermachen etc. – hier ist derjenige, der etwas erhält, der Rezipient, indirektes Objekt und die übergebene Sache direktes Objekt. Präpositionalobjekte unterscheiden sich von anderen mit Präpositionen realisierten Explikaten dadurch, dass bei ihnen die Präposition fest ist (vgl. Peter schreibt an seine Mutter/*Peter schreibt zu seiner Mutter aber Peter wohnt in München/auf dem Berg/unter der Brücke). Verben wie wohnen und fahren verlangen Explikate, die Orte bzw. Richtungen angeben (Situativ- bzw. Direktivergänzungen) und mit Präpositionen realisiert werden können, aber nicht müssen: Peter wohnt in München/dort bzw. Peter fährt nach München/dorthin. Subjekt, Prädikat, die verschiedenen Explikate sowie adverbiale Bestimmungen wie heute, bei Regen, als wir noch in München lebten etc. bezeichnet man als Satzglieder.

2.1.3 Kasusflexive und ihre Funktion Die in Tab. 2 kursivgedruckten Flexive sind Kasusflexive.24 Sie treten vor allem bei adnominal (beim Nomen) verwendeten Ausdrücken wie der, ein, kein, sein auf sowie bei Ausdrücken, die nach Kasus flektieren, etwa dieser  diesem oder er  ihn. Durch Paradigmenbildung lassen sich die Kasusflexive, wie wir sie in der folgenden Tabelle anhand des bestimmten Artikels zeigen, folgendermaßen nach steigender Komplexität gruppieren: Tab. 2: Kasusflexive im Deutschen

Singular M

F

Plural N

Nominativ

der

die

das

die

Akkusativ

den

die

das

die

Dativ

dem

der

dem

den

Genitiv

des

der

des

der

|| 24 Zur folgenden Darstellung der Funktion der Kasusflexive vgl. auch Thielmann (2007b).

Das Verhalten von Nennwörtern im Satz | 35

Wir sehen: Der Akkusativ besitzt nur im Maskulinum Singular ein eigenes Flexiv. Bei Dativ und Genitiv handelt es sich hingegen im Singular um starke genusspezifische Flexionen.25 Im Plural gibt es keine genusspezifischen Flexionen bei adnominalen Ausdrücken. Was sind nun die Funktionen dieser Flexive? Man könnte auf den Gedanken kommen, dass die Kasusflexive etwas mit der Rektion von Verben zu tun haben könnten. Wir meinen ja, diese Rektion zu ‚spüren‘: fragen  wen?; helfen  wem?. Wir ‚spüren‘, dass essen ein direktes, helfen hingegen ein indirektes Objekt ‚will‘. Die Funktion der Flexive bestünde dann darin, von dem Verb, das das Prädikat realisiert, gefordert, regiert zu werden. Wer einmal Deutsch als Zweit- oder Fremdsprache unterrichtet hat, weiß: Lerner, die von weitgehend kasusfreien Erstsprachen wie z.B. Englisch oder Französisch herkommen, ‚spüren‘ diese Rektion überhaupt nicht, da sie nicht über kasusdifferenzierte Fragewörter verfügen (vgl. Wem hast du das Buch gegeben? versus Who did you give the book to?). Wir können zwar sagen, dass reparieren ein direktes, helfen hingegen ein indirektes Objekt regiert. Aber das erklärt uns nicht die Funktion der Kasusflexive. Denn um die zu klären, müssen wir verstehen, was so ein Kasusflexiv mit dem Ausdruck oder der Wortgruppe, in dem oder in der es auftritt, anstellt. Wir betrachten dies nun zunächst einmal im Zusammenhang mit Präpositionen. Präpositionen sind, wie wir bereits gesehen haben, Wörter, die Verhältnisse, Relationen ausdrücken. (15)

steiler Pass

in

der Mitte

Wir sehen Folgendes: Über die Präposition in wird die Nominalphrase steiler Pass zu der Nominalphrase d__ Mitte ins Verhältnis gesetzt. Hierbei tritt der Dativ auf: der Mitte. Die Nominalphrase steiler Pass wird, wie Grießhaber (1999) sagt, zu einem Bezugsobjekt ins Verhältnis gesetzt. Der steile Pass ist auf diese Weise sozusagen an seinem Bezugsobjekt der Mitte statisch verortet. Ganz anders ist die Situation in dem folgenden Beispiel: (16)

steiler Pass

in

die Mitte

Auch hier wird steiler Pass zu einem Bezugsobjekt ins Verhältnis gesetzt, aber die Relation hat eine ganz andere Qualität: Sie ist dynamischer Art. Die Mitte ist hier nicht

|| 25 Auch hier sehen wir etwas, was uns schon bei der Flexion der Verben aufgefallen ist: Ein- und dasselbe Morphem hat in unterschiedlichen Konstellationen unterschiedliche Leistungen: Die Flexion in der indiziert Nominativ Singular bei Maskulina, Dativ und Genitiv Singular bei Feminina sowie den Genitiv aller Pluralformen.

36 | Nennwörter

einfach nur Ort, sondern Ziel einer dynamischen Relation. Dies wird durch den Akkusativ ausgedrückt.26 Wir können also zum Auftreten von Kasus im Zusammenhang mit Präpositionen Folgendes sagen: – Dasjenige, was durch den Nominativ markiert ist, kann nie Bezugsobjekt einer Relation sein. – Dasjenige, was durch den Dativ markiert ist, ist Bezugsobjekt einer statischen Relation. – Dasjenige, was durch den Akkusativ markiert ist, ist Bezugsobjekt einer dynamischen Relation.27 Gilt das, was hier über Kasus im Zusammenhang mit Präpositionen gesagt ist, auch für das Verhältnis zwischen Subjekt, Prädikat und direktem bzw. indirektem Objekt? Auch Verben, die wir im Deutschen ja typischerweise zur Realisierung von Prädikaten verwenden, drücken Verhältnisse aus. Wir betrachten folgendes Beispiel: (17)

Dann hat jemand einem anderen den Ball zugeworfen […] http://bhs-ma.de/2-uncategorised/224-kooperationschule-verein.html (letzter Zugriff 14.01.2021)

Werfen drückt eine dynamische Relation zwischen dem Bezugsobjekt den Ball und dem Subjekt jemand aus, während der Empfänger einem anderen als statischer Rezipient der Aktion werfen, als statisches Bezugsobjekt fungiert. Die Funktionen der Kasusmorpheme sind hier ganz analog zu demjenigen, was im Zusammenhang mit Präpositionen passiert.28 Um die Leistung der Kasusflexive vollständig begreifen zu können, müssen wir uns nun ansehen, wie Subjekt, Prädikat und Explikate im Satz angeordnet sein können.

2.1.4 Die topologische Satzstruktur Prädikate werden im Deutschen häufig zweiteilig realisiert: kauft…ein, hat…gearbeitet, will…fernsehen, geht…in Druck. Durch die Distanzstellung von finitem (kauft) und infinitem (= nicht finitem) Prädikatsteil (ein) entsteht in einer Weise, wie sie außer im

|| 26 Dass in die Mitte hier Akkusativ ist, merkt man durch Paradigmenbildung, vgl. steiler Pass in den Himmel. 27 Den Genitiv, den wir in der Tabelle 2 nur vollständigkeitshalber aufgeführt haben, behandeln wir im Zusammenhang mit dem Substantiv. 28 Dies scheint für den folgenden Fall nicht zu gelten: Peter hat einen Computer, da ein statischeres Verhältnis zwischen Peter und Computer kaum denkbar ist. Warum tritt hier der Akkusativ auf? Dies hängt damit zusammen, dass das Verb haben geschichtlich aus heben hervorgegangen ist und die Rektion sich dabei erhalten hat.

Das Verhalten von Nennwörtern im Satz | 37

Deutschen wohl nur noch im Niederländischen anzutreffen ist, eine topologische Struktur (griech.: topos: ‚Ort‘), die durch drei Orte, drei Felder bestimmt ist, nämlich Vorfeld, Mittelfeld und Nachfeld.29 Tab. 3: Topologische Satzstruktur

SAR

Vorfeld

Prädfin

Mittelfeld

Prädinf

a)

Bei einem Bürgerdialog in Brandenburg

lässt

Merkel keine Amtsmüdigkeit

erkennen

b)

Ich

komme

gleich zu Ihnen

∅.

dem Michael

habe

ich’s aber

gegeben,

d)

Den

hat

er nicht

gemeint.

e)

Wann

kommt

er denn

an?

f)

Hast

du die Rechnung noch nicht

bezahlt?

g)

Gibst

du mir bitte mal den Zucker

rüber?

h)

Komm

doch bitte mal

her!

c)

Und

Nachfeld

gestern.

Wir erkennen Folgendes: Die Beispiele a)–d) sind Aussage- bzw. Deklarativsätze. Beispiel e) ist ein Ergänzungsfragesatz. Beispiele f) und g) sind Entscheidungsfragesätze; Beispiel h) ist formal ein Aufforderungssatz. Beim Deklarativsatz kann das Vorfeld mit dem Subjekt (Beispiel b), mit einer adverbialen Bestimmung (Beispiel a) oder auch dem direkten oder indirekten Objekt (Beispiele d und c) besetzt sein. Ist das Vorfeld nicht mit dem Subjekt besetzt, tritt das Subjekt im Mittelfeld auf – eine Struktur, die Lernern des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache erhebliche Schwierigkeiten bereitet. Der Satzanfangsrahmen (SAR) (Rehbein 1992) ist nicht eigentlich in diese Felderstruktur integriert – hier stehen Konjunktionen wie und, aber, oder sowie denn. Das Vorfeld wird, wie wir gerade gesehen haben, nicht notwendigerweise mit dem Subjekt besetzt, sondern vielmehr mit demjenigen Satzglied, mit dem der Sprecher/Schreiber den Hörer/Leser sozusagen abholen möchte. In a) ist dies eine adverbiale Bestimmung, die das über Merkel Gesagte geographisch (in Brandenburg) und institutionell (bei einem Bürgerdialog) verortet. In c) wird Michael, der hier indirektes Objekt ist, als Thema der Äußerung gesetzt; in d) wird im Vorfeld deiktisch auf eine Person verwiesen, von der schon die Rede war, wobei die Deixis den direktes Objekt ist.

|| 29 Vgl. hierzu und im Folgenden Rehbein (1992) und Thielmann (2013a).

38 | Nennwörter

Nun sehen wir die Funktion der Kasusflexive deutlich: Über die Nominalphrase dem Michael wie auch über die Deixis den, die beide im Vorfeld stehen, wissen wir bereits, dass diese Satzglieder nicht Subjekt sein können, sondern Bezugsobjekte von statischen bzw. dynamischen Relationen sind, die im Satz erst noch entwickelt werden. Die Kasusflexive kommunizieren etwas über die Phrasen bzw. kasusfähigen Ausdrücke, das es dem Hörer gestattet, Erwartungen über ihre Integration in das Satzgefüge auszubilden. Die Kasusflexive sind metakommunikativ. Sie sind operative Prozeduren. Durch die metakommunikative, die operative Funktion der Kasusflexive sind die Sprecher ziemlich frei, wie sie die Satzglieder in der topologischen Struktur anordnen. Kasus liberalisiert die Wortstellung (Hawkins 1986). Noch einen weiteren Punkt können wir jetzt klären: Aussage- oder Deklarativsätze werden typischerweise dazu verwendet, eine Assertion zu vollziehen, also jemandem ein Wissen zu übermitteln, wie dies in a) der Fall ist. Fragesätze wie e) und f) werden typischerweise realisiert, um ein Wissen von einem anderen zu erlangen. Aufforderungssätze werden typischerweise eingesetzt, um jemanden dazu zu bringen, etwas zu tun. Aber das Umgekehrte gilt nicht: Wir müssen mit einem winzigen Spektrum an Satzformen eine riesige Fülle verschiedener Illokutionen realisieren: Beispiel b) ist eine Handlungsankündigung, wie sie von einem Verkäufer im Laden geäußert werden könnte; Beispiel c) könnte eine Erzählung einleiten, Beispiel d) könnte eine Zurechtweisung realisieren. In g) wird in der Satzform des Entscheidungsfragesatzes eine Bitte realisiert. Nicht alles, was als Aufforderungssatz realisiert wird, ist eine wirkliche Aufforderung, es kann sich auch um eine Beleidigung handeln (Leck mich am Arsch!). Neben den bisher diskutierten Satzformen des Deutschen gibt es noch eine weitere, die völlig anders aussieht. Wir betrachten die folgenden Beispiele:

(18)

Prädinf Prädfin Nachdem er dann endlich heimgekommen war, , den er zuvor gekauft hatte,

Dies sind Beispiele für deutsche Nebensätze. Man sieht: Nebensätze werden durch einen einleitenden Ausdruck eröffnet, z.B. durch eine Subjunktion (nachdem) oder ein Relativum (den). Der finite Prädikatsteil steht am Schluss, der infinite Prädikatsteil geht unmittelbar vorher. Zu welchem Zweck leistet sich die deutsche Sprachgemeinschaft eine solche Struktur? Um dies zu verstehen, betrachten wir eine Konstruktion, die manche Sprachpfleger sehr verärgert hat.30 Es handelt sich um den Gebrauch des Ausdrucks weil, der eigentlich eine Subjunktion ist, mit Hauptsatzstruktur. Also Ich kann nicht kommen,

|| 30 Vgl. zum Folgenden auch Thielmann (2014a).

Das Verhalten von Nennwörtern im Satz | 39

weil ich bin krank anstatt Ich kann nicht kommen, weil ich krank bin. Nachdem ich einmal in längerer Diskussion die Konstruktion weil+Hauptsatz verteidigt hatte, sagte ein solcher sprachpflegerisch veranlagter Mensch Folgendes zu mir: (19)

Also weil mit Hauptsatz, das kannst du doch nicht machen, weil das ist doch falsch!

Die Funktionalität der Struktur weil+Hauptsatz wird hier sehr deutlich. Stellen wir uns für einen Moment vor, der Sprecher hätte, wie von ihm auch vertreten, Folgendes gesagt: (19‘)

Also weil mit Hauptsatz, das kannst du doch nicht machen, weil das doch falsch ist.

Dem Beispiel (19‘) fehlt, so lässt sich das, glaube ich, sofort sehen, jeglicher kämpferischer ‚Schmackes‘. Warum ist das so? Nun, das ist doch falsch! ist ein Vorwurf, das doch falsch ist aber nicht. Man merkt dies auch ganz deutlich daran, dass in (19) intonatorisch alles auf das falsch hinsteuert, während das Ende von (19‘) intonatorisch sozusagen wegplätschert. Die Nebensatzstruktur mit der Endstellung des finiten Prädikatsteils sorgt dafür, dass Nebensätze keine eigene sprachliche Handlungsqualität, keine Illokution haben (Redder 1990: 128). Die Nebensatzstruktur ist ebenfalls operativ, sie agiert als ‚illokutiver Entsafter‘. Nebensätze enthalten einen propositionalen Akt, aber man kann sich damit nicht entschuldigen, man kann damit keine Handlung ankündigen und nichts begründen. Wir haben nun zwar Satzstrukturen behandelt, aber noch nicht deutlich gemacht, wie aus sprachlichen Prozeduren sprachliche Handlungen aufgebaut werden. Dies wollen wir nun abschließend vornehmen.

2.1.5 Der Aufbau sprachlicher Handlungen aus sprachlichen Prozeduren Wir diskutieren hierzu noch einmal Beleg (17): (17)

Dann hat jemand einem anderen den Ball zugeworfen […]

Wenn wir wissen wollen, wie sprachliche Handlungen aus sprachlichen Prozeduren entstehen, ist es hilfreich, wenn wir die Äußerung Prozedur für Prozedur durchschreiten und uns fragen, was der Hörer jeweils tut. Dann Beginn der Äußerung, Besetzung des Vorfelds mit einer deiktischen Prozedur, die das Folgende an das Vorhergehende anschließt. Der Hörer erwartet nun ein Finitum.

40 | Nennwörter

Dann hat Mit hat beginnt die neue Information, das Rhema der Äußerung. Das symbolische Finitum ist kataphorisch (d.h. einen zunächst leeren, noch zu füllenden Hörerfokus eröffnend) auf ein Subjekt bezogen, das entweder in einer Nominalphrase, einem Namen oder einem indefiniten Ausdruck bestehen muss. Zugleich ist mit diesem Finitum die Prädikatsklammer eröffnet, der Hörer bildet Erwartungen hinsichtlich des infiniten Prädikatsteil aus, etwa, dass dieser in einem Partizip II bestehen könnte. Dann hat jemand Mit dem Indefinitum jemand ist nun das erwartete Subjekt der Äußerung realisiert, so dass ein Teil der Synthese (der zweite Prädikatsteil steht ja noch aus) von Subjekt und Prädikat realisiert werden kann. Dann hat jemand einem Dem Indefinitum (oder Indefinitartikel) einem ist eine operative Prozedur, ein Dativmorphem, appliziert, weswegen es ein indirektes Objekt sein könnte. Damit erwartet der Hörer auch einen zweiten Prädikatsteil mit entsprechender Rektion. Je nachdem, ob es sich um Indefinitum oder Indefinitartikel handelt, geht es nun mit einem neuen Satzglied weiter oder nicht. Dann hat jemand einem anderen Durch die symbolische Prozedur anderen ist klar: einem ist Indefinitartikel. Der Ausdruck anderen ist durch die operative adjektivische Flexion -en als zusammengehörig mit einem ausgewiesen; einem anderen ist somit eine Phrase, die wahrscheinlich den Status eines indirekten Objekts hat. Durch jemand und einem anderen sind zwei verschiedene menschliche Aktanten erfasst, die in einem gemeinsamen Handlungszusammenhang stehen. Dann hat jemand einem anderen den Der operative Definitartikel markiert den Beginn einer neuen Phrase und weist das Kommende als etwas aus, wovon schon die Rede war. Ihm ist ein operatives Kasusmorphem appliziert, das wahrscheinlich Akkusativ Singular ist. Damit entsteht eine Hörererwartung bezüglich eines syntaktischen Nomens im Maskulin Singular und zugleich eine Erwartung bezüglich eines zweiten Prädikatsteils, der ein direktes und ein indirektes Objekt verlangt. Dann hat jemand einem anderen den Ball Mit der symbolischen Prozedur Ball ist die Hörererwartung bezüglich des nominalen Kopfes eingelöst: den Ball ist eine Phrase, die durch die Genus- und Numerusrektion von Ball, die sich am Definitartikel zeigt, integriert ist und deren syntaktischer Status aller Voraussicht nach direktes Objekt ist. Nun sind auch alle Beteiligten der Szene sprachlich identifiziert: jemand, einem anderen und den Ball. Damit sind die

Substantive | 41

Erwartungen hinsichtlich des zweiten Prädikatsteils nun recht konkret geworden: gegeben ist wahrscheinlicher als empfohlen. Dann hat jemand einem anderen den Ball zugeworfen. Mit zugeworfen ist der symbolische zweite Prädikatsteil realisiert, der die Hörererwartungen bezüglich der Rektion des Prädikats erfüllt. Hiermit ist auch das maximal explizierte Prädikat hat einem anderen den Ball zugeworfen mit dem Subjekt jemand qua Synthese zu einem Gedanken vereinbar. Die sprachliche Handlungsqualität der Äußerung ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang: (17‘)

Baggern geht so: Man streckt seine Schreibhand mit der Innenfläche nach oben aus und legt dann die andere Hand auch mit der Innenfläche nach oben in die andere darauf. Die Daumen legt man parallel zueinander. Dann hat jemand einem anderen den Ball zugeworfen und man hat ihn mit den Unterarmen weggeschleudert. Am Ende dieser Übung taten uns die Unterarme ein bisschen weh und sie waren knallrot.

Wir haben es mit einem Text zu tun, der Instruktionen und ihre Umsetzung erinnernd wiedergibt. Die Deixis dann markiert den Ort, wo sich der Instruktion die Umsetzung anschließt, die schildernd rekapituliert wird.

2.2 Substantive Substantive31 (Nomina) sind Nennwörter, die konkrete (Tisch) oder abstrakte (Primzahl) Konzepte benennen sowie als Eigennamen fungieren (Berlin) (vgl. Admoni 1982: 87). Wie wir im ersten Kapitel gesehen haben, sind solche semantischen, d.h. an der Wortbedeutung orientierten Einteilungen nicht immer glücklich. So ließe sich ja sagen, dass der Ausdruck ableiten (im mathematischen Sinne von ‚eine Funktion ableiten‘) sicher irgendwie doch auch ein Konzept, nämlich dasjenige einer hochabstrakten Handlung benennt, ohne Substantiv zu sein. Hiermit stellt sich die Frage, ob sich Substantive im Deutschen nicht vielleicht an einer Eigenschaft erkennen lassen, die sie von allen anderen Wortarten trennt.

|| 31 Vgl. hierzu und im Folgenden auch Thielmann (2007a).

42 | Nennwörter

Wir betrachten die Nominalphrase der Tisch. Das Genus dieser Phrase ist Maskulinum. Ist es nun der Tisch, weil Tisch Maskulinum ist, oder ist Tisch Maskulinum, weil wir der (statt die oder das) davorsetzen? Die Frage lässt sich ganz einfach entscheiden: Irgendwann kam der Ausdruck hard disk ins Deutsche. Wenn Sie den verwenden wollen, müssen Sie wissen, ob sie der, die, oder das davorsetzen müssen, d.h., Sie müssen das Genus von hard disk kennen.32 Mithin: Tisch ist ein Maskulinum, und deswegen ist es der, und nicht etwa die, Tisch. Substantive zeichnen sich dadurch aus, dass sie Genus besitzen (Engel 1988: 500). Es ist das Genus, wodurch in semantischer Hinsicht so unterschiedliche Wörter wie Tisch, Peter, München, Bildung, Liebe oder Diebstahl alle Substantive sind. Als Sprecher des Deutschen wissen wir von den Substantiven das Genus oder wir müssen es erfragen oder nachschlagen, wenn wir ein Substantiv richtig verwenden möchten – denn in den meisten Fällen sehen wir dem Substantiv das Genus nicht an.33 Das Genus eines Substantivs ist darüber hinaus fest, also nicht frei wählbar.34 Wir können zusammenfassend folgendes sagen: Substantive sind symbolische Prozeduren, die als freie Morpheme vorkommen können und von Haus aus mit Genus ausgestattet sind. 2 Als ich diese Dinge einmal in einer Vorlesung darstellte, sagte mir ein Student, dass das so nicht richtig sei: Denn Butter sei ja Femininum, wenn er aber von der Butter nehme, sei Butter offensichtlich ein Maskulinum. Hatte der Student recht? Und wenn nein, warum nicht?

Nachdem wir im ersten Kapitel bei unserer Betrachtung der antiken Wortartenkategorien immer von Nomina gesprochen haben, ist nun zu begründen, warum wir von jetzt an von Substantiven reden.

2.2.1 Substantiv oder Nomen? Wie wir eingangs festgestellt hatten, ist die Bezeichnung Nomen die lateinische Übersetzung des griechischen Ausdrucks onoma. Bedeuten tun beide dasselbe: Name. Nomina sind also, nach antiker Auffassung, Ausdrücke, die wie Eigennamen benennen.

|| 32 Das Genus von Genus ist Neutrum, da lat. genus (Genitiv: generis) ein Neutrum ist; hier wurde also mit dem lateinischen Ausdruck auch das Genus importiert. 33 „Die deutsche Sprache kennt drei Genera: Maskulin, Feminin und Neutrum. Das Genus ist jedoch für das Nomen eine verdeckte Kategorie, die zur Lexik des jeweiligen Nomens gehört und vom Wortschatz her („nur“) gewußt wird“ (Weinrich 1993: 325). 34 „Das Genus des Nomens unterscheidet sich nämlich von allen anderen Kategorien, wie z.B. Tempus oder Numerus, darin, daß es uns keine Wahlmöglichkeit läßt“ (Leiss 1997: 33).

Substantive | 43

Bei dieser Bestimmung ist den antiken Grammatikern etwas entgangen: Sie zählten nämlich Ausdrücke mit festem Genus, also etwa das Neutrum vinum (Wein), genauso zu den Nomina wie Ausdrücke, die alle drei Genera annehmen können: bonus/bona/bonum (guter/gute/gutes). Erst die mittelalterliche lateinische Grammatikschreibung begann, zwischen nomen substantivum (im Falle von vinum) und nomen adiectivum (im Falle von bonus/bona/bonum) zu differenzieren. Hierauf geht die Unterscheidung zwischen Substantiv und Adjektiv zurück, die wir für unsere weiteren Überlegungen beibehalten wollen. Zugleich möchten wir für den Ausdruck Nomen eine Sprechweise vereinbaren, die damit zusammenhängt, dass Substantive gerne in Wortgruppen, in Phrasen vorkommen. Wir betrachten hierzu die folgenden beiden Phrasen: (20) (21)

der Tisch das Ich

Wir sehen Folgendes: Die Phrase der Tisch erhält ihr Genus von dem Substantiv Tisch her. In der Phrase das Ich ist es hingegen so, dass die Sprecherdeixis ich kein genushaltiger Ausdruck ist, das Genus mithin über den Artikel in die Phrase importiert wird. Hierdurch erfährt die Sprecherdeixis ich eine Feldtransposition, eine Transposition ins Symbolfeld (s. 1.4.2.2). Der Sprecher stattet die Phrase mit Genus aus und macht dadurch aus ich einen Ausdruck, der wie ein Symbolfeldausdruck aufzufassen ist. Wir bezeichnen nun, im Einklang mit der Grammatik der deutschen Sprache, den Kopf einer solchen Phrase, also das nennende Element, als das Nomen (Zifonun, Hoffmann & Strecker 1997: 28). Wir veranschaulichen dies noch einmal graphisch:

a)

N m der Tisch m

b)

N n Ich

das n

Abb. 4: Genus in Nominalphrasen

Im Fall a) ist Tisch Kopf der Phrase; das Genus von Tisch wird am Artikel offenbar, es wird vom Substantiv bestimmt, man sagt auch: regiert. Im Fall b) wird die Deixis ich als Kopf der Phrase sozusagen dadurch zubereitet, dass der Sprecher ihr Neutrum zuweist. In beiden Fällen entsteht eine genushaltige Phrase mit einem Kopfnomen, eine Nominalphrase.35 Wir verwenden also fortan den Terminus Nomen, um etwas über die || 35 Im Deutschen kann im Prinzip jede Wortart zum Nomen einer Nominalphrase erhoben werden, vgl. z.B. das Worin des sich verweisenden Verstehens (Heidegger). Im Englischen ist das nicht möglich.

44 | Nennwörter

Struktur eines spezifischen Phrasentyps sagen zu können. Nomen ist die Bezeichnung einer syntaktischen Funktion, die darin besteht, Kopf einer Nominalphrase zu sein. 2 Im Duden-Rechtschreibwörterbuch aus dem Jahre 2000 heißt es: „Die Grundregel lautet, dass Substantive (Hauptwörter, Nomina), Satzanfänge und Eigennamen mit großem Anfangsbuchstaben geschrieben werden. Schwierigkeiten können dadurch entstehen, dass nicht immer klar zu erkennen ist, ob ein Substantiv, ein Satzanfang oder ein Eigenname vorliegt“ (49). Wenn Sie sich das, was wir gerade entwickelt haben, genauer ansehen – was wird eigentlich, außer den Satzanfängen, im Deutschen wirklich großgeschrieben?

Wir befassen uns nun systematisch mit formalen Charakteristika deutscher Substantive (Genus, Numerus, Kasus, Wortbildung) und sodann mit dem Verhalten des Substantivs in Wortgruppen (Phrasen). Anschließend gehen wir auf Fragen der Bedeutung von Substantiven ein und besprechen zum Schluss Schwierigkeiten, die bei der Verwendung bestimmter Substantive in Texten auftreten (Nominalstil).

2.2.2 Genus und Sexus Der Grammatiker Peter Eisenberg schreibt: „Das Genus oder grammatische Geschlecht ist die durchgängigste und einheitlichste Kategorisierung der deutschen Substantive“ (2004, Bd. 2: 150). Zugleich ist das Genus, wie Weinrich sagt, „verdeckt“ (1993: 325), d.h. man sieht dem Substantiv in der Regel sein Genus nicht an. Genus ist etwas, was Sprecher über die Substantive, die sie verwenden, wissen bzw. wissen müssen.36 Zugleich ist es so, dass Genus nichts zur Bedeutung eines Substantivs beiträgt – ein Maskulinum wie Tisch ist schlechterdings nicht männlicher als das Femininum Wand. Wie kommt es, dass die deutsche Sprachgemeinschaft eine solche aufwendige Struktur unterhält, die nicht einmal etwas zur Bedeutung beiträgt?37 Betrachten wir hierzu noch einmal die Verhältnisse im Englischen: (22) (23) (24)

They run around the block every day. We’ve had a good run so far. This was a badly run race, wasn’t it?

|| Dort können nur symbolische Prozeduren als Nomina fungieren. Als eine englische Übersetzung der Werke Sigmund Freuds erstellt wurde, hatten die Übersetzer mit solchen Fügungen wie das Ich entsprechend Probleme, da *the I im Englischen nicht möglich ist. Man behalf sich dann damit, dass man die lateinische Sprecherdeixis verwendete: the ego. 36 Für eine sprachübergreifende Perspektive auf Genus s. Aikhenwald (2004). 37 Vgl. zu dieser Frage auch Thielmann (2009b).

Substantive | 45

Der Ausdruck run ist, das können wir nun sagen, in diesen drei Beispielen nur einmal das syntaktische Nomen einer Nominalphrase, nämlich in (23). Woran erkennt man, dass run hier Kopf einer Nominalphrase ist? Man erkennt dies daran, dass ein Artikel (a) sowie eine weitere Bestimmung (good) vorhergeht. Anders ausgedrückt: Dass run hier – anders als in (22) und (24) – syntaktisches Nomen ist, ist etwas, was sich der Hörer oder Leser aus dem Zusammenhang erschließen muss. Der Ausdruck run kann, wie aus den Beispielen hervorgeht, auch in Zusammenhängen auftreten, in denen er alles andere als ein syntaktisches Nomen ist. Was hat ein Ausdruck nun davon, syntaktisches Nomen zu sein? Syntaktische Nomina haben eine spezifische Nennqualität, sie benennen Begriffe, Konzepte38. Sie merken das, wenn Sie die englischen Beispiele langsam durchdenken: a good run ist von der Weise her, wie der Ausdruck run hier benennt, etwas ganz anderes als derselbe Ausdruck in they run around… In a good run haben Sie, anders als in they run around, durch run einen Begriff benannt, über den Sie etwas sagen können. Im Englischen wird die konzeptuelle, die begriffliche Nennqualität oftmals erst durch den Zusammenhang hergestellt. Im Deutschen – und dies ist eine ganz zentrale Leistung von Genus – haben hingegen alle genushaltigen Ausdrücke eine begriffliche Nennqualität. Dies führt uns auf eine ganz wesentliche Erkenntnis: Das Genus erschafft im Deutschen eine Wortart, nämlich die Wortart Substantiv. Diese Wortart gibt es so im Englischen nicht, wo konzeptuelle Nennqualität häufig erst über die Ausdrucksabfolge hergestellt wird (s. hierzu auch Vogel 2000). Ausdrücke wie Tisch, Brot, Birne etc. besitzen selbst Genus. In sprachgeschichtlich jüngeren Bereichen kann es jedoch sein, dass bestimmten Bereichen das Genus einheitlich ist, so z.B. bei Teesorten (der Assam, der Ceylon), Whiskysorten (der Ardbeg, der Laphroaig), Automarken und -typen (der BMW, der Mustang) (vgl. Köpcke & Zubin 2005) oder Cafés (das Kreutzkamm, das Sacher). Neue Marken bzw. Sorten bekommen dann dasselbe Genus zugewiesen. Grundsätzlich besitzt also jedes Substantiv ein bestimmtes Genus. Hiervon gibt es zwei Typen von Ausnahmen. a) Ein Substantiv besitzt bei gleicher Bedeutung zwei Genera, deren Verteilung z.T. regionalspezifisch ist (sprachhistorisch hierzu exempl. Froschauer 2003): die Butter vs. der Butter (bairisch); das Radio vs. der Radio (schwäbisch). b) Ein Substantiv besitzt zwei Genera, aber die Bedeutung ist nicht dieselbe: der Teil (im Sinne von ‚der Teil und das Ganze‘) vs. das Teil (im Sinne v. ‚das Ersatzteil‘).

|| 38 Umgangssprachlich wird der Ausdruck Begriff gerne in der Bedeutung von Wort verwendet. Wir verwenden den Ausdruck Begriff hingegen für die gedankliche Struktur, den begrifflichen Wissenskomplex, der durch einen Ausdruck wie Tisch beim Hörer aktualisiert wird.

46 | Nennwörter

Für den Unterricht des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache ist die Frage des Genus von großer Bedeutung. Da das Genus eines jeden Substantivs gelernt werden muss, wäre es eine große Hilfe, wenn sich bei möglichst vielen Substantiven das Genus in irgendeiner Weise ablesen ließe. Abgesehen von Wortfeldern mit einheitlichem Genus (s.o.) lassen sich jedoch nur vergleichsweise wenige Substantive einigermaßen eindeutig den drei Genera zuordnen: a) Durch bestimmte Suffixe, die bei der Wortbildung auftreten, wird Genus eindeutig zugewiesen: Maskulina: Feminina: Neutra:

-er/ -ler /- ling -ei / -in / -heit / -keit / -schaft / -ung -chen / Ge - -e (z.B. Gemüse) / -lein / -nis / -tum

b) Zweisilbige Wörter, die auf den Laut Schwa (geschrieben durch das Endungs-e) auslauten, sind in der Regel Feminina (die Hose/ Jacke / Lampe / Mühe). Einsilbige Wörter, die auf -ft oder -cht enden, sind i.d.R. ebenfalls Feminina (die Luft / Schicht) (Köpcke & Zubin 1984, Feigs 2007). Man sieht: Genus scheint für das Deutsche wichtig zu sein. Zugleich ist es in einer Weise „verdeckt“ (Weinrich: 1993: 325), dass es selbst für Muttersprachler manchmal eine Herausforderung darstellt und, gerade bei neueren Fremdwörtern, im Extremfall nachgeschlagen werden muss. Wieso leistet sich das Deutsche einen solchen Aufwand? Einen Grund haben wir schon gesehen: Genus erschafft die Wortart Substantiv. Ein weiterer Grund ist darin zu sehen, dass deutsche Nominalphrasen eine komplexe Struktur haben können: N n das gegen heftigen Widerstand der Opposition verabschiedete Gesetz n

Abb. 5: Genus in einer komplexen Nominalphrase

Hier sieht man deutlich: Ein Sprecher, der diese Nominalphrase äußert, muss in dem Moment, in dem er das äußert, das syntaktische Nomen Gesetz geplant haben. Ein Hörer, der diese Nominalphrase vernimmt, bildet eine grammatische Erwartung hinsichtlich des noch einzutreffenden Kopfnomens aus. Genus, so können wir sagen, fördert den Zusammenhalt komplexer Nominalphrasen. Aber es gibt noch einen weiteren Bereich, in dem Genus eine fast noch wichtigere Rolle spielt. Wenn wir sprechen oder schreiben, beziehen wir uns häufig auf Dinge

Substantive | 47

zurück, die wir bereits gesagt haben. Wir können Redegegenstände, die wir einmal eingeführt haben, fortführen, das machen wir mit den Anaphern, also der Ausdrucksklasse er/sie/es. Oder wir machen dem Hörer klar, dass etwas anderes von dem, was wir gesagt haben, zum neuen Redegegenstand erhoben wird, dann verwenden wir eine Deixis. Betrachten wir einmal das folgende Textbeispiel: (25)

Wäre die bisherige Bilanz der “Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft” ein Indiz für den Zustand der deutschen Wirtschaft insgesamt, dann müsste man auf der Stelle verzweifeln: Sie beherrscht das Lamentieren weit besser als das Organisieren. Sie ist auf überraschende Weise ineffizient. Sie verfügt über keine Autorität, über keine Persönlichkeit mit Vorbild stiftender Kraft. Sie ist nicht in der Lage, Zusagen einzuhalten. Sie versucht mit Tricks und Finessen, das Ergebnis ihrer bisherigen Bemühungen zu schönen. (Süddeutsche Zeitung, 18.10.2000, Hvg. W.T.)

Man sieht: Die Nominalphrase Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft wird als Redegegenstand mit sie, einer Anapher, fortgeführt, sozusagen durch das ganze Textstück getragen. Dass dies eindeutig gelingt, hängt damit zusammen, dass die Anapher dasselbe Genus und denselben Numerus hat wie die Bezugsnominalphrase, dass sie mit der Bezugsnominalphrase in Genus und Numerus kongruiert.39 Auch hier hilft uns ein kurzer Vergleich mit dem genuslosen Englischen, die Leistung von Genus zu verstehen. Man hätte dann als ersten Satz: If the balance of the FoundationInitiative of German Industry were any indication for the state of the overall German economy, one would have to despair immediately. Wollte man sich nun auf die Nominalphrase Foundation-Initiative of German Industry zurückbeziehen, ginge das nicht mit it. Denn it könnte sich auch auf balance, initiative, industry, state oder economy beziehen. Man müsste in diesem Fall mit this initiative weitermachen. Dies sind also die drei Hauptfunktionen von Genus im Deutschen: Erschaffung der Wortart Substantiv, Gewährleistung des Zusammenhalts komplexer Nominalphrasen und Vereindeutigung des Rückbezugs. Wer als Lerner des Deutschen das Genus nicht erwirbt, kann sich zwar verständlich machen, kann aber u.U. komplexere Nominalphrasen nicht als Einheit auffassen und Rückbezüge nicht vereindeutigen. So lässt sich sagen: Ohne Genus kein Deutsch. Das Deutsche ist eine Genussprache. Nun ist es so, dass es im Deutschen eine weitere Erscheinung gibt, die an der Oberfläche wie Genus aussieht, in Wirklichkeit aber nicht grammatischer Art ist, sondern || 39 Hätte der Autor nach dem ersten Satz des Textes mit deutsche Wirtschaft insgesamt als neuem Redegegenstand weitermachen wollen, hätte er eine Deixis verwenden müssen, die ebenfalls mit der Bezugsnominalphrase in Genus und Numerus kongruiert, also etwa: Denn diese kommt aus der Rezession nicht mehr heraus.

48 | Nennwörter

mit der Wortbedeutung, mit der Semantik zu tun hat: Sexus, das sogenannte natürliche Geschlecht von Substantiven wie Mann, Frau, Erpel, Ricke.40 Während wir gesehen haben, dass Plural Genus aufhebt (die Tische/Lampen/Autos), ist das bei Sexus nicht so: Die Nominalphrasen die Männer und die Frauen benennen im einen Fall mehrere männliche, im anderen mehrere weibliche Wesen. Diese Erscheinung steht in Konflikt mit dem sogenannten generischen Maskulinum, das eine grammatische Struktur ist, wie man dies an Bezeichnungen für Personengruppen sieht: Ein Bäcker ist jemand, der bäckt; ein Musiker ist jemand, der Musik macht. Wir haben bisher, und werden dies auch weiter tun, durchgängig vom Sprecher und Hörer gesprochen, weil wir damit nicht einzelne Hörer oder Hörerinnen meinen, sondern allgemein jemanden, der spricht oder jemanden, der hört. Mithin haben wir es bei Bäcker mit generischem Maskulinum, also einer grammatischen Erscheinung, zu tun, bei Bäckerin hingegen mit einer semantischen, nämlich mit Sexus. Diese sprachlichen Gegebenheiten stehen im Konflikt mit dem gesellschaftlichen Wunsch einer angemessenen sprachlichen Berücksichtigung beider oder mehrerer Geschlechter, wie er in Bezeichnungen wie BäckerInnen, Bäcker*innen oder Bäcker_innen zum Ausdruck kommt. Nun ist es aber so: Die Nominalphrasen die Männer oder die Frauen benennen, wie gesagt, sexus-spezifisch Gruppen von männlichen und weiblichen Wesen. Nominalphrasen wie die Bäcker der Innung oder die Musiker des Symphonieorchesters benennen, da es sich um generisches Maskulinum handelt, gerade nicht sexus-spezifisch. Mithin ist die einzige Antwort, die man mit Blick auf die in der deutschen Sprache angelegte Logik auf den Wunsch nach geschlechtergerechter Benennung geben kann, das generische Maskulinum. Denn dieses hat mit Sexus nichts zu tun. Wie Peter Eisenberg (2017) ausführt, haben zudem Wortbildungen, die das generische Maskulinum vermeiden wollen, i.d.R. nicht dieselbe Bedeutung wie die Wörter, die hierdurch vermieden werden sollen: „Ein Geflüchteter kann einer sein, der sich einem Regenguss oder einer nervigen Seminarveranstaltung entzieht, ein Flüchtling dagegen flieht vor Krieg, Gewalt oder politischer Verfolgung.“ 2 Der § 211 Abs. 1 des Strafgesetzbuchs lautet: „Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.“ Überlegen Sie sich, ob alternative Formulierungen für der Mörder, z.B. MörderInnen, Mordende, Mörder*innen, Mörder_innen an dieser Stelle so verwendet werden können, dass die Bedeutung gleich bleibt. Überlegen Sie sich auch, was der Singular dieser alternativen Formulierungen sein könnte.

|| 40 Siehe zu diesem Passus auch Leiss (1994).

Substantive | 49

Auch mit Blick auf die wichtige Funktion des Genus bei der Vereindeutigung von Rückbezügen ist eine „Sexualisierung von Grammatik“ (Leiss 1994) nicht unproblematisch. Wir wählen auch hierzu ein Beispiel aus einem Gesetzestext. In § 131 Abs. 2 BGB heißt es: Bringt die Erklärung jedoch der in der Geschäftsfähigkeit beschränkten Person lediglich einen rechtlichen Vorteil oder hat der gesetzliche Vertreter seine Einwilligung erteilt, so wird die Erklärung in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie ihr zugeht.

Betrachten wir einmal, was die Aufhebung des generischen Maskulinums mit der Formulierung hat der gesetzliche Vertreter seine Einwilligung erteilt anstellen würde: a) hat der gesetzliche Vertreter/die gesetzliche Vertreterin seine/ihre Einwilligung erteilt b) haben die gesetzlichen VertreterInnen ihre Einwilligung erteilt c) haben die gesetzlichen Vertretenden ihre Einwilligung erteilt In a) würde der Text bis zur Unlesbarkeit entstellt, zumal es sich ja insgesamt um ein komplexes Satzgefüge handelt. In b) ist gesetzt, dass eine in ihrer Geschäftsfähigkeit beschränkte Person stets von mehreren Menschen gesetzlich vertreten wird. Dies ist auch das Problem von c), wobei hier noch dazu kommt, dass ein gesetzlich Vertretender nicht notwendigerweise ein gesetzlicher Vertreter ist: ein gesetzlich Vertretender kann auch einen gesetzlichen Vertreter vertreten. Vertreter ist ein Status; Vertretender eine Rolle. Mit Blick auf die Beispiele a)-c) ist zu sagen, dass die sachangemessenste Formulierung a) sämtliche Erleichterungen preisgibt, zu denen Anaphern im Zusammenspiel mit Genus da sind, während b) und c) nicht das wiedergeben, was im Gesetz steht.

2.2.3 Morphologie des Substantivs – Numerus und Kasus Substantive flektieren. Durch Paradigmenbildung lassen sich folgende Kategorien ermitteln: Numerus und Kasus. Numerus- wie Kasusmorpheme sind metakommunikativ, sie sind operative Prozeduren: Das Morphem -e in Tische kommuniziert dem Hörer, dass er mehrere Einzelexemplare von Tisch zu einer Einheit zusammengefasst denken soll (vgl. Grießhaber 1993: 7). Das Morphem -n in seit Monaten kommuniziert dem Hörer, dass Monate Bezugsobjekt einer statischen Relation ist, z.B. keine Kartenzahlung seit Monaten. Trotz der Numerusmarkierung an adnominalen Ausdrücken (vgl. mein Rad – meine Räder) ist die Numerusmarkierung am Substantiv im Deutschen aus folgendem Grund wichtig: Setzt man die Nominalphrase ein Regal in den Plural, erscheint sie mit Nullartikel, da der Indefinitartikel ein keinen Plural besitzt: Ø Regale passen hier nicht rein. Für die Mehrzahl der deutschen Substantive gilt, dass Maskulina und Neutra den

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Plural auf -e (Tische, Tore), Feminina auf -(e)n (Lampen), Eigen- und Markennamen, Abkürzungswörter und manche nicht eingedeutschten Fremdwörter auf -s (Tempos, Unis, Chips) bilden (s. Wegener 1995: 20ff, Zifonun, Hoffmann & Strecker 1997: 30f). Geht man von den Pluralmorphemen aus, lassen sich insgesamt fünf Klassen ausmachen (Engel 1988: 505f): 1. Pluralbildung auf -(e)n (die Menschen, die Lampen) sowie schwache Maskulina (Ausdrücke wie Student, Prinz, die in allen Kasus bis auf den Nominativ die Endung -en annehmen), die meisten Feminina; 2. Pluralbildung auf -e, häufig mit Umlaut (Ball – Bälle, Hand – Hände) – viele, vorwiegend einsilbige Maskulina sowie einsilbige Feminina, die im Plural durchgehend umlauten; 3. Pluralbildung auf -er, mit Umlaut bei umlautfähigem Vokal (die Bretter, die Männer) – vor allem Neutra und wenige Maskulina; 4. Pluralbildung auf -s (die Fotos) – vorwiegend Fremd- und Abkürzungswörter; 5. Endungsloser Plural, teilweise mit Umlaut (die Wagen, die Gärten) – u.a. Maskulina und Neutra auf -en, Maskulina und Neutra auf -er (die Kater, die Fenster) sowie die Feminina Mutter und Tochter. Über die Numerusmarkierung hinaus flektieren deutsche Substantive, wenn auch rudimentär, nach Kasus. Wie wir schon in Abschnitt 2.1.3 gezeigt hatten, treten Kasusflexive vor allem an adnominalen Ausdrücken wie etwa den Artikeln auf; trotzdem gibt es auch an den Substantiven Reste von Kasusflexion. Tab. 4: Kasusflexion der Substantive

M

F

N

Pl

Nominativ









Akkusativ









Dativ

(-e)



(-e)

-n

Genitiv

-(e)s



-(e)s



Man sieht: Substantive haben keine eigenen Endungen für Nominativ und Akkusativ; Feminina flektieren im Singular überhaupt nicht nach Kasus. Die Dativflexion bei Maskulina und Neutra wird heute als altertümlich empfunden (dem Manne, dem Kinde); sie hat sich noch in festen Wendungen wie zu Hause erhalten. Nach wie vor prominent vorhanden sind die Flexionen der Maskulina und Neutra, die den Genitiv Singular (des Mannes, des Kindes) anzeigen. Die Kasusflexion Dativ Plural erfolgt am Substantiv genau dann, „wenn der Pluralform ein nichtsilbisches n angehängt werden kann.“ (Eisenberg 2004, Bd. 2: 167); also den Städten, aber nicht den Uhusn). Ausnahmen hierzu bilden vor allem die sog. ‚schwachen Maskulina‘, die – abgesehen

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vom Nominativ Singular – ausschließlich die Endung -en aufweisen. Die schwachen Maskulina bezeichnen häufig Lebewesen (der Mensch, der Prinz, der Löwe), und auch Fremdwörter werden häufig so dekliniert (z.B. der Rezipient, der Student). Überlegen Sie sich, was Sie über die folgenden Wortformen wissen: Tischen, Menschen, Lampen, 2 Wänden, Wörtern, Präsidenten.

2.2.4 Wortbildung des Substantivs, Fremd- und Lehnwörter Nach Eisenberg (2004, Bd.1: 43) verfügt das Deutsche über etwa 10.000 morphologisch einfache Wörter wie Haus, gehen, groß, auf etc. Dies scheint zunächst einmal recht viel zu sein. Wenn man sich aber klar macht, dass ein zehnjähriges Schulkind nach Schätzungen und Hochrechnungen etwa 10.000 Wörter verstehen soll (Eisenberg: ebd., ähnlich Vermeer 2001, 220), so lässt sich daraus nur eine Folgerung ziehen: Das Deutsche ist eine Sprache im Benennungsnotstand. Was macht eine Sprachgemeinschaft, wenn ihre Sprache zu wenige Wörter hat? Sie hat prinzipiell zwei Möglichkeiten: Sie kann sich Wörter aus anderen Sprachen beschaffen oder sie kann ihren Wortschatz mit eigenen Mitteln, d.h. durch Wortbildung, vermehren. Die deutsche Sprachgemeinschaft hat immer schon beide Wege beschritten: Wörtern wie Computer, Chance oder diffundieren sehen wir an, dass sie aus anderen Sprachen kommen; sie sind Fremdwörter. Wörtern wie Keller (von lat. cella) oder Keks (von engl. cakes) sehen wir ihren fremden Ursprung nicht mehr an; sie sind Lehnwörter. Als Wortbildung bezeichnet man allgemein diejenigen Verfahren, die es gestatten, mit den Mitteln, die eine spezifische Sprache vorhält, zu neuen Wörtern zu kommen.41 Für das Deutsche sind die folgenden Verfahren einschlägig: a) Man stattet einen Symbolfeldausdruck mit bestimmten gebundenen Morphemen so aus, dass er von einer Wortart in eine andere transferiert wird. Das ist das Verfahren der Ableitung, der Derivation: schön  Schönheit; gehen  Gang. b) Man fusioniert zwei Symbolfeldausdrücke so, dass ein komplexer neuer Ausdruck entsteht, das ist Komposition: Hausschuh, Arbeitsplanung. c) Man transferiert einen Ausdruck ohne Veränderung in eine andere Wortart, das ist Konversion: laufen  Lauf; ich  das Ich. Wir betrachten nun die Verfahren a) bis c) im Hinblick auf das Substantiv.

|| 41 Zur Wortbildung s. vor allem Engel (1988), Eisenberg (2004: Kapitel 6 und 7), Donalies (2000) und Eichinger (2000).

52 | Nennwörter

Zu a) Der Ausdruck Schönheit stammt von einem Adjektiv her, er ist eine deadjektivische Ableitung. Der Ausdruck Gang stammt von dem Verb gehen, er ist eine deverbale Ableitung. Ableitungen anderer Wortarten mit dem Substantiv als Zielwortart haben es in sich, da das Deutsche eine Genussprache ist und Substantive Genus haben müssen. Betrachten wir einmal die deverbale Ableitung Deuter des Verbalstamms deut-: – Der Verbalstamm deut-, der im Deutschen nicht als freies Morphem auftritt, wird durch die Ableitung zu einem Wort; zugleich ist die Verbalflexion (z.B. deutet) blockiert. – Der aus der deverbalen Ableitung von deut- resultierende Ausdruck besitzt Genus (Maskulinum). – Durch das Genus ist aus dem Verbalstamm deut- ein Substantiv geworden, das einen Begriff benennt (ein Deuter ist jemand, der etwas deutet). Damit kann man vor den Ausdruck Deuter auch einen Artikel setzen: der/ein Deuter. – Das Ableitungssuffix42 -er ist metakommunikativ. Es ist eine operative Prozedur, durch die der Sprecher dem Hörer kommuniziert, wie er den durch deut- benannten Gehalt auffassen soll, nämlich im Sinne von: ‚jemand, der das durch den Verbalstamm Benannte tut‘. – Das Suffix -ung (z.B. Deut-ung) beispielsweise ist ebenfalls eine operative Prozedur, die dem Hörer kommuniziert, dass er das durch den Verbalstamm Benannte als Prozess (z.B. Bei der Deutung des Gedichtes gab es im Seminar heftige Diskussionen) oder als Resultat eines Prozesses (Die Deutung dieses Gedichtes ist umstritten) auffassen soll. Zu b) Das bei der Komposition am häufigsten angewandte Verfahren ist die Determinativkomposition (lat. determinare: eingrenzen), bei der die Bedeutung eines Grundworts (Determinatum) durch ein Bestimmungswort (Determinans) eingeschränkt wird: Die Menge aller Tücher (Tuch = Grundwort) ist größer als die Menge aller Tischtücher (Tisch = Bestimmungswort). Man sieht: Das Genus des Determinativkompositums Tischtuch ist nicht dasjenige des Bestimmungsworts (Maskulinum), sondern dasjenige des Grundworts: Neutrum. Das Bestimmungswort gibt im Determinativkompositum sein Genus auf, erhält zum Ausgleich dafür aber den Wortakzent: Tíschtuch. Auf diese Weise sind die beiden Bestandteile des Kompositums miteinander eng ‚verbandelt‘, es entsteht ein komplexer Ausdruck. Wenn das Grundwort eines substantivischen Kompositums eine deverbale Ableitung ist (z.B. Planung  planen), ist das Bestimmungswort mitunter ‚Objekt‘ der in der deverbalen Ableitung ausgedrückten Handlung: Arbeitsplanung  die Arbeit planen. In solchen Fällen spricht man von einem Rektionskompositum.

|| 42 Ein Suffix ist ein gebundenes Morphem, das an das Ende eines Stammes tritt (z.B. geh-t).

Substantive | 53

Zwischen Bestimmungswort und Grundwort kann eine sogenannte Wortfuge auftreten: Arbeitsraum, Lampenschirm (ausführlich Eisenberg 2004, Bd. 1, Kapitel 6.2.2). Als Determinans können neben Substantiven auch Verben, Adjektive und Präpositionen fungieren: Wanderschuh, Leichtschuh, Überschuh. Auch diese erhalten den Wortakzent. Ein Vergleich mit dem Englischen macht noch einmal sehr deutlich, was Komposition ist: In dem Ausdruck Féstplatte trägt das genuslose Determinans fest den Wortakzent, während der Gesamtausdruck Genus besitzt. Durch diese Verfahren entsteht ein komplexer Ausdruck. Bei hard disk haben wir es hingegen nicht mit einer Wortbildung zu tun, da die Ausdrücke keinerlei grammatische Verbindung eingehen. Hard disk ist eine Wortgruppe, eine Phrase.43 Zu c) Zur Konversion betrachten wir folgende Beispiele: (26) (27) (28) (29)

laufen  das Laufen laufen  der Lauf schön  der/die/das/Schöne ich  das Ich; worin  das Worin (Heidegger)

Bei (26) handelt es sich um einen sogenannten substantivierten Infinitiv. Infinitive (essen, trinken, schlafen) benennen Konzepte von Handlungen und Prozessen. Es kann angenommen werden, dass sie von Haus aus Neutra sind. Sie sind daher sehr substantiv-nah, was man auch daran sieht, dass sie als Objekte von Modalverben auftreten können (Brünner & Redder 1983, Thielmann 2009), vgl. Peter kann schwimmen/Peter kann Englisch. Bei (27) haben wir es mit dem Fall zu tun, dass der genuslose Verbalstamm laufmit Genus (Maskulinum) ausgestattet und so zum Substantiv wird; es handelt sich also um eine besondere Form der deverbalen Ableitung (s. hierzu auch Eisenberg 2004, Bd.1: 294ff). In den Fällen (28) und (29) werden genuslose Ausdrücke (schön, ich, worin) zu syntaktischen Nomina erhoben (s. 2.2.1), indem der Sprecher ihnen über den Artikel Genus zuweist. Bei Adjektiven erfolgt dies entweder nach Sexus (vgl. der Schöne da drüben), oder es wird, wie auch bei ich und worin, Neutrum als Grundeinstellungsgenus, als Default-Genus zugewiesen (das Gute an sich). Alle diese Wortbildungsverfahren sind, im schon besprochenen Sinne, Transpositionen: Derivation und Komposition führen zu feldinternen Transpositionen innerhalb des Symbolfelds; Konversion kann in feldinternen Transpositionen (der Lauf der

|| 43 S. hierzu auch Giegerich (2004) und Thielmann (2009: 282–285).

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Welt) wie auch in Feldtranspositionen (das Ich: Zeigfeld  Symbolfeld; das Worin: operatives Feld  Symbolfeld) resultieren. 2 Versuchen Sie zu ermitteln, was für Wortbildungsverfahren in den folgenden Nominalphrasen auftreten: die Journalistenbefragung; starke Druckeigenspannungen; der neue Anzug; Formen der Anschauung; das Sein; Aufgeschlossenheit für alles Wahre, Gute und Schöne; keine Rechtsbehelfsbelehrung; dieses Wozu. Analysieren Sie die Wortbildungen in folgendem Abschnitt aus Immanuel Kants „Kritik der reinen Vernunft“ (Transzendentale Ästhetik, §2): Der Raum ist eine notwendige Vorstellung a priori, die allen äußeren Anschauungen zum Grunde liegt. Man kann sich niemals eine Vorstellung davon machen, daß kein Raum sei, ob man sich gleich ganz wohl denken kann, daß keine Gegenstände darin angetroffen werden. Er wird also als die Bedingung der Möglichkeit der Erscheinungen, und nicht als eine von ihnen abhängende Bestimmung angesehen, und ist eine Vorstellung a priori, die notwendigerweise äußeren Erscheinungen zum Grunde liegt.

2.2.5 Syntax des Substantivs Substantive treten in der Regel mit Artikeln (der/ein) oder anderen adnominalen Ausdrücken (mein/dieser/kein etc.) zusammen, mit denen sie Wortgruppen, sogenannte Nominalphrasen bilden (mein Auto, dieser Mann, kein Buch).44 Wie wir gesehen haben, können Nominalphrasen auch dadurch entstehen, dass der Sprecher einem genuslosen Ausdruck über den adnominalen Ausdruck Genus zuweist (das Ich). Für das Deutsche ist es typisch, dass in Nominalphrasen eine Menge zusätzlicher Information hineingepackt wird. Dieses Verfahren heißt allgemein Attribution. Attribute können vor dem syntaktischen Nomen (vorangestellte Attribute) oder danach (nachgestellte Attribute) erscheinen. Tabelle 5 gibt eine Übersicht über die einschlägigen Attributionsverfahren.

|| 44 Ausnahmen sind vor allem Stoffbezeichnungen (Wasser trinke ich nie.) oder Listen (vgl. Bild, Öl, ca. 1850 im Auktionskatalog) sowie der Plural von Nominalphrasen mit Indefinitartikel (vgl. ein Tisch  Tische).

Substantive | 55

Tab. 5: Attributionsverfahren im Deutschen

vorangestellte Attribute

Kopfnomen

nachgestellte Attribute

das

neue

Auto

adjektivisches Attribut

das

zu schnell fahrende

Auto

Partizipialattribut (Partizip I)

das

zu Schrott gefahrene

Auto

Partizipialattribut (Partizip II)

das

Auto

meines Vaters

Genitivattribut

das

Auto

, ein BMW,

Apposition

das

Auto

, das mir entgegenkam,

Attributsatz (Relativsatz)

das

Auto

auf dem Gehweg

Präpositionalattribut

seine

Behauptung

, dass er nicht vor Ort gewesen sei,

Attributsatz (Inhaltssatz)

Das adjektivische Attribut behandeln wir ausführlich unter den Adjektiven; auffällig ist, dass das Adjektiv in attributiver Funktion flektiert: vgl. das neu-e Auto versus ein neu-es Auto (s. 2.3.1). Partizipien sind Verbformen, die u.a. wie Adjektive verwendet werden können. Das Partizip I (z.B. gehend, denkend) macht Verbalstämme attribuierbar. Das Partizip II benennt Handlungs- oder Prozessresultate (z.B. gegessen, gegangen, gekocht), die wie Adjektive attribuiert werden können (vgl. das alte Bett/das gemachte Bett). Partizipialattribute führen gerne weitere Bestimmungen bei sich (zu schnell, zu Schrott). Genitivattribute sind im Deutschen sehr häufig. Sprachpfleger, die das Verschwinden des Genitivs beklagen, haben seine Hauptfunktion im Deutschen noch nicht entdeckt, die darin besteht, Nominalphrasen als Attribute verwendbar zu machen. Unterscheidungen wie Genitivus possessoris (‚des Besitzers‘ wie in das Auto meines Vaters) oder Genitivus auctoris (‚des Autors‘ wie in ein Roman Thomas Manns), die immer noch mitunter gemacht werden, sind nicht zielführend, da sich die Unterschiede nicht aus dem Genitiv ergeben, der immer die gleiche Funktion hat, sondern aus den Bedeutungen der beteiligten Nominalphrasen (vgl. Ballweg 1998). Im Romantitel Der Chinese des Schmerzes von Peter Handke zwingt der Genitiv einen dazu, des Schmerzes attributiv zu der Chinese ins Verhältnis zu setzen; was für einen Reim auch immer man sich auf diesen Titel macht, ergibt sich aus den beteiligten Symbolfeldausdrücken.45

|| 45 Was für Deutungsspielräume sich hier eröffnen, zeigt sich besonders, wenn deverbale Ableitungen im Spiele sind: die Befragung des Journalisten kann vom Journalisten vorgenommen werden oder am Journalisten geschehen.

56 | Nennwörter

Appositionen sind Nominalphrasen, die einen anderen Sinn haben als die Bezugsnominalphrase, sich aber auf denselben Gegenstand beziehen (vgl. Angela Merkel, die Bundeskanzlerin,). Beim Schreiben ist darauf zu achten, dass Appositionen dieselbe syntaktische Funktion haben wie die Bezugsnominalphrase: Ich habe Stefan, meinem Gitarrenlehrer, ein neues Plektron geschenkt. Relativsätze behandeln wir ausführlich unter der Wortart Relativum (Abschnitt 4.5). Sie sind Nebensätze in attributiver Funktion. Präpositionalattribute haben es in sich. Im einfachen Fall wird die Bezugsnominalphrase über die Präposition in ein Verhältnis zu einem Bezugsobjekt gebracht: das Auto in der Garage, der Baum hinter dem Haus. Sind aber deverbale Ableitungen im Spiel, liegen die Verhältnisse komplexer. Das Verb fahren verlangt eine Direktivergänzung (s. 2.1.2), etwa Peter fährt in die Schweiz. Drückt man diesen Sachverhalt in einer Nominalphrase aus, also Peters Fahrt in die Schweiz, so ist aus der Direktivergänzung ein Präpositionalattribut geworden. Verlangen Verben ein Präpositionalobjekt (s. 2.1.2) wie in Peter schreibt an das Finanzamt, so ‚versteckt‘ sich in dem Präpositionalattribut in Peters Schreiben an das Finanzamt eigentlich ein Präpositionalobjekt. Verben des Sagens (verba dicendi, also etwa behaupten) sowie Verben der Wahrnehmung (verba sentiendi, also etwa fühlen) werden in der Äußerung oft mit einem Nebensatz gebildet, der direktes Objekt ist: Peter behauptet Unsinn./Peter behauptet, dass er nicht vor Ort gewesen sei. Drückt man diesen Sachverhalt in einer Nominalphrase aus, so wird aus dem Objektsatz ein Attributsatz: Peters Behauptung, dass er nicht vor Ort gewesen sei. Wir sehen, dass gerade substantivischen deverbalen Ableitungen ein erhebliches syntaktisches Vernetzungs- oder Fügepotential innewohnt, die sogenannte Substantivvalenz (vgl. Eisenberg 2004, Bd.2: 263–268). 2 Analysieren Sie die Attributionsverfahren in folgendem Textausschnitt aus der Süddeutschen Zeitung: Bis zum 28. Mai soll die mit 17 Mitgliedern besetzte Kommission – darunter einstige Politiker, Wirtschaftsführer, Vertreter der Kirchen und der Wissenschaft – eine Empfehlung aussprechen, wie die Energiewende in Deutschland zu bewerkstelligen ist – "ohne soziale Verwerfungen, ohne Arbeitsplätze zu gefährden und ohne zusätzliche Belastungen für das Klima", wie Töpfer mahnte.

2.2.6 Semantik des Substantivs In Abschnitt 1.2.3 hatten wir gesehen, dass es nichts bringt, wie Donat Substantive dadurch zu bestimmen, dass sie reale Dinge oder Angelegenheiten auf besondere oder allgemeine Weise bezeichnen. Es wird nur umgekehrt ein Schuh draus: Alle genushaltigen Ausdrücke des Deutschen sind Substantive. Sie besitzen eine begriffliche

Substantive | 57

Nennqualität. Im Folgenden diskutieren wir einige typische Arten von Substantiven: Eigennamen, Gattungsbezeichnungen (Appellativa), Stoffbezeichnungen sowie Abstrakta. Wie Hoffmann (1999) schreibt, sind Eigennamen nicht Bestandteil des Lexikons einer Sprache. Eigennamen „sichern (...) die Identität eines Einzelwesens“ (Brinkmann 1971, 7). Wer einen Eigennamen verwendet, setzt die Bekanntheit des „Einzelwesens“ beim Hörer voraus, weswegen Eigennamen in der Regel nicht mit Artikel verwendet werden (s. Hoffmann 1999). Eigennamen benennen Wissensadressen. Bei der Vorstellung Das ist Herr Maier liegt die Verabredung einer Sprechweise vor: Durch die Deixis das erreicht der Sprecher, dass der Hörer seine Aufmerksamkeit auf das konkrete menschliche Individuum fokussiert; durch die flektierte Form von sein wird das Verweisobjekt als Teil einer Wissensstruktur (Thielmann 2003) ausgewiesen, die durch den Eigennamen Herr Maier benannt wird. Der Hörer, der den Eigennamen als solchen erkennt, weist ihn der Wissensadresse zu, die er dem Verweisobjekt einräumt oder dafür bereithält. Wird der Hörer hingegen mit seinem eigenen Namen angesprochen, verursacht das in ihm einen ‚Ruck‘ – bei dieser Verwendung wird der Eigenname aus dem Symbolfeld ins Lenkfeld transponiert, er wird expeditiv (Hoffmann 1999). Dass Eigennamen Wissensadressen benennen, wird besonders daran deutlich, dass auch abstrakte Konzeptionen „Einzelwesen“ sein können. So besteht nach Frege (1892b) der Sachverhalt, der durch die Gleichung 2x2=4 ausgedrückt wird, darin, dass auf beiden Seiten derselbe Gegenstand, nämlich die Zahl Vier, mit verschiedenen Eigennamen benannt wird. 2x2, 7-3, -237+241 etc. sind nach Frege als Eigennamen der Zahl Vier aufzufassen, die dieselbe Bedeutung (die Zahl Vier) bezeichnen, aber nicht denselben Sinn ausdrücken – ähnlich wie die Ausdrücke Morgenstern und Abendstern verschiedenen Sinn, aber die gleiche Bedeutung haben: den Planeten Venus. Da wir nicht jedem Einzelobjekt auf der Welt einen Eigennamen verpassen können, müssen wir die Fülle desjenigen, was uns umgibt, ordnen. Mit Gattungsbezeichnungen (Appellativa) wie Hund, Tisch, Baum erfassen wir Klassen von Objekten mit unterschiedlicher Spezifik: Lebewesen Tier  Vogel  Drossel  Singdrossel. Um Lebewesen von Nicht-Belebtem zu unterscheiden, muss man weniger wissen, als wenn man ein Amselweibchen von einer Singdrossel unterscheiden will. Das, was durch einen Ausdruck wie Hund oder Tasse benannt ist, sind komplexe Wissensstrukturen, wie die Semantikerin Anna Wierzbicka in ihrem sehr lesenswerten Buch „Lexicography and Conceptual Analysis“ (1985) gezeigt hat. Stoffbezeichnungen wie Eisen, Wasser, Luft benennen Materialien. Sie treten typischerweise ohne Artikel auf und haben keinen Plural. Ausnahme hiervon ist der sogenannte Sortenplural: Ein Mineralwasservertreter hat Wässer im Angebot; der Vertreter einer Stahlfirma Spezialstähle. Abstrakta benennen Konzepte, die wir nicht von Dingen in der Wirklichkeit, sondern von Dingen des Geistes, von nur mental verfügbaren Gegenständen haben: Liebe, Traum, Zahl. Die durch Abstrakta benannten Konzepte haben oft eine äußerst

58 | Nennwörter

komplexe Struktur, wie an einem Beispiel gezeigt sei: In der Wirklichkeit haben wir es mit konkreten Objekten zu tun – die Sprache hilft uns dabei, diese Objekte zu ordnen und in eine Systematik zu bringen: Von einem Hund erwartet man, dass er sich von der Stelle bewegen kann; von einem Baum nicht. Während die Physik des Aristoteles eine Physik der Dinge ist, die uns konkret umgeben, ist ein Körper in der neuzeitlichen, mit Galilei und Newton einsetzenden Physik kein Ding, sondern ein Etwas, das nur noch durch Messgrößen wie Masse, Geschwindigkeit, Impuls etc. bestimmt ist (vgl. Thielmann 1999). Ein Körper im physikalischen Sinn weist nichts von denjenigen Aspekten auf, die für uns Dinge ausmachen (z.B. lebendig, klein, porös, glatt, glänzend, fruchtig). Der Körperbegriff der Physik ist damit die totale Negation genau derjenigen Wissensstrukturen, die durch Appellativa benannt werden.

2.2.7 Deverbale Ableitungen – Nominalstil Auf der Universität wird von Ihnen erwartet, dass Sie sich wissenschaftlich äußern, also z.B. eine wissenschaftliche Arbeit schreiben. Hierbei kommt einer Gruppe von Substantiven, die wir bereits betrachtet haben, eine wichtige Bedeutung zu: den deverbalen Ableitungen. Deverbale Ableitungen haben in der Fach- und Wissenschaftssprache zwei wichtige Aufgaben. Die erste Aufgabe, die sie erfüllen, ist die Benennung von fachlichen Gegenständen. Hierzu ein Beispiel aus einer Vorlesung im Fach Maschinenbau: Abb. 6: Deverbale Ableitung in einer Vorlesung im Fach Maschinenbau

1

/1/ D Härten, oder was auch immer , was man da macht, heißt, dass

2 D man Druckeigenspannungen in die Oberfläche einbringt. […] (aus: Thielmann 2014b, 201)

Der Ausdruck Druckeigenspannung ist eine ziemlich komplexe Wortbildung, in der zwei deverbale Ableitungen zu einem Kompositum vereint sind: Druck  drücken und Spannung spannen. Die zweite Aufgabe, die deverbale Ableitungen erfüllen, besteht darin, dass sie eine besonders komprimierte Sprechweise erlauben, deren Prinzip wir hier kurz darstellen (s.a. Moll & Thielmann 2017: 41–43). Betrachten wir einmal folgendes Beispiel:

Substantive | 59

(30)

Es wurde beobachtet, dass sich in der Lösung bei einer Temperatur von unter 200C Kristalle bilden.

Dieser Satz kommuniziert einen Sachverhalt. Unter Zuhilfenahme der deverbalen Ableitungen Beobachtung und Kristallbildung lässt sich dieser Sachverhalt so komprimieren (in eckigen Klammern), dass man in demselben Satz noch etwas anderes über ihn sagen kann (unterstrichen): (30‘)

[Die Beobachtung einer Kristallbildung in der Lösung bei einer Temperatur von unter 200C] wurde verschiedentlich bestätigt.

Ein solches Verfahren, bei dem man Sachverhalte dadurch komprimiert, dass man aus Verben deverbale Substantive macht, wird als Nominalstil bezeichnet. Studierende meinen oft, Nominalstil schreiben zu müssen, weil das sozusagen fachlich aussieht. Der Nominalstil ist aber kein Selbstzweck, sondern ein Verfahren, Sachverhalte so zu komprimieren, dass man noch zusätzlich etwas über sie sagen kann. Wenn Nominalstil zur Vortäuschung von Fachlichkeit eingesetzt wird, kommt häufig Unsinn heraus. Hierzu ein – leicht modifziertes – Beispiel aus einer studentischen Seminararbeit: (31)

Die Forschungsergebnisse dienen als Grundlage für die Analyse von einem Lehrwerk hinsichtlich des Erwerbs der Satzmodelle mit Blick auf die Vermittlung der Verbformen.

Der Autor möchte ein Lehrwerk für Deutsch als Fremdsprache auf der Basis von Forschungsergebnissen analysieren. Das ist löblich, aber die Analyse soll hinsichtlich des Erwerbs der Satzmodelle erfolgen. Nun ist es so, dass Lerner des Deutschen als Fremdsprache durchaus Satzmodelle erwerben; Lehrwerke aber nicht. Und wer vermittelt eigentlich die Verbformen? Das Lehrwerk? Sie können einen Lerner des Deutschen als Fremdsprache bis zum Sanktnimmerleinstag vor ein Lehrwerk setzen – vermittelt wird dabei gar nichts, denn das kann nur ein Mensch, z.B. ein Sprachlehrer. Wir sehen hier, dass der Nominalstil durchaus seine Tücken hat. Denn die deverbalen Ableitungen lassen nicht mehr erkennen, was das Agens ist, d.h. wer was tut. In diesem Beispiel kommt als Agens, als Handelnder, nur das Lehrwerk in Frage. Aber Lehrwerke erwerben nichts (sie sind ja nicht geschäftsfähig) und sie vermitteln auch nichts (da sie keine Menschen sind). Wenn Sie eine deverbale Ableitung wie Vermittlung im Satz verwenden möchten, ist große Vorsicht geboten, da das Verb vermitteln ein großes Vernetzungspotential im Satz hat:

60 | Nennwörter

vermittelt

der Lehrer

das Deutsche

an die Schüler

Abb. 7: Vernetzungspotential des Verbs vermitteln im Satz

Im Nominalstil wird hieraus die Vermittlung des Deutschen an die Schüler durch den Lehrer. Wenn Sie Nominalstil verwenden, müssen Sie immer darauf achten, den Sachverhalt, den sie so komprimieren, nicht zu verstümmeln. Das geht am besten, wenn Sie den Gedanken, den Sie im Nominalstil ausdrücken möchten, erst einmal ohne Nominalstil formulieren. Sollten Sie dabei entdecken, dass Sie noch gar keinen Gedanken haben, lässt sich durch Nominalstil auch keiner herbeizwingen.

2.3 Adjektive Adjektive sind Wörter wie groß, blau, essbar, verheiratet oder klug. In grammatischer Hinsicht sind Adjektive symbolische Prozeduren (Stämme), die kein Genus besitzen und entweder als freie Morpheme oder flektiert vorkommen können. Eisenberg (2004, Bd. 2: 240–243) unterscheidet absolute Adjektive, relative Adjektive und Qualitätsadjektive. Absolute Adjektive benennen funktionale Aspekte von konkreten und abstrakten Dingen – wenn ein Apfel reif ist, kann man ihn essen; wenn eine Zahl gerade ist, lässt sie sich durch zwei teilen. Auch die – unflektierbaren – Zahladjektive (drei) (Hoffmann 2003: 50) gehören zu den absoluten Adjektiven. Relative Adjektive wie hoch, groß und breit drücken ebenfalls funktionale Aspekte von konkreten und abstrakten Dingen aus; hier muss der Hörer aber sein Wissen zur Hilfe nehmen, um die Gesamtbedeutung aufzufassen. Was ein weißer Wal ist (absolutes Adjektiv), ist klar, wenn man die Bedeutung von weiß und Wal kennt; was ein großer Wal ist (Qualitätsadjektiv), kann man nur verstehen, wenn man sich mit Größenverhältnissen unter den verschiedenen Walarten auskennt. Qualitätsadjektive wie gesund, ehrlich und dumm unterscheiden sich von den relativen dadurch, dass ihre Bedeutung etwas spezifischer ist, wie man dies an der Negation erkennt: Jemand, der nicht groß (relatives Adjektiv) ist, ist nicht unbedingt klein. Jemand der nicht ehrlich (Qualitätsadjektiv) ist, ist unehrlich; es gibt hier keinen Zwischenbereich. Adjektive treten syntaktisch als Prädikative, Adverbiale und Attribute auf. Sie flektieren nur in attributiver Funktion und bei feldinterner Transposition, also wenn sie zum Nomen einer Nominalphrase erhoben werden:

Adjektive | 61

– – – –

Der Apfel ist/wird rot/reif/groß. (Prädikativum) Peter isst den Apfel schnell/langsam/genussvoll. (Adverbial) Der große/rote/reife Apfel fiel vom Baum. (Attribut) Bei feldinterner Transposition wird über den Determinator entweder Neutrum (ein Gutes) oder Sexus zugewiesen (ein Guter).

In dem seltenen Fall eines nachgestellten adjektivischen Attributs tritt keine Flexion auf: Röslein rot. Bestimmt ein Adjektiv ein weiteres näher, so wird es nicht flektiert: Eine wunderschön gelbe Blume hat ein wunderschönes Gelb, ohne notwendigerweise eine wunderschöne gelbe Blume zu sein.

2.3.1 Morphologie des Adjektivs 2.3.1.1 Flexionsverhalten des attributiv gebrauchten Adjektivs Das Flexionsverhalten des attributiv gebrauchten Adjektivs ist komplex (Selmani 2020). Drei Fälle sind zu unterscheiden: das Flexionsverhalten des Adjektivs, wenn die Nominalphrase mit bestimmtem Artikel eingeleitet wird (der gute Rat), wenn sie mit unbestimmtem Artikel eingeleitet wird (ein guter Rat) und wenn gar kein Artikel, also der sogenannte Nullartikel, vorhanden ist (guter Rat). Wir geben nun für alle drei Fälle die entsprechenden Flexionstabellen und diskutieren die Funktionalität der dabei auftretenden Flexionsmorpheme. a) Flexion des Adjektivs in Nominalphrasen mit Definitartikel (schwache Flexion) Wir beobachten, dass bei Adjektiven in Nominalphrasen mit Definitartikel nur zwei Flexive auftreten, nämlich -e und -en (Tab. 6), weswegen dieses Flexionsverhalten auch als schwache Flexion des attributiven Adjektivs bezeichnet wird. Tab. 6: Schwache Flexion des attributiven Adjektivs

m

f

n

Plural

Nominativ

der gute Film

die gute Novelle

das gute Buch

die guten Filme/ Novellen/Bücher

Akkusativ

den guten Film

die gute Novelle

das gute Buch

die guten Filme/ Novellen/Bücher

Dativ

dem guten Film

der guten Novelle

dem guten Buch

den guten Filmen/ Novellen/Büchern

Genitiv

des guten Films

der guten Novelle

des guten Buchs

der guten Filme/ Novellen/Bücher

62 | Nennwörter

Versuchen wir einmal zu deuten, was hier passiert: Das Flexiv -en ist am häufigsten. Es tritt im Singular durchgängig dort auf, wo der Artikel Kasusflexionen besitzt. Außerdem tritt es durchgängig im Plural auf. Das Flexiv -en drückt mithin weder Genus, Numerus noch Kasus aus – hier steckt die ganze Information ja bereits im Artikel. Das Flexiv -en kommuniziert lediglich den attributiven Status des Adjektivs. Und wie steht es mit dem Flexiv -e? Dieses Flexiv drückt tatsächlich eine grammatische Kategorie aus, nämlich den Singular. Man sieht das ganz deutlich, wenn man die Nominalphrasen die gute Novelle und die guten Novellen vergleicht und sich solche Bildungen wie das Schöne gegenüber die Schönen vergegenwärtigt. Durch die Flexive -e und -en kommuniziert der Sprecher dem Hörer etwas über das Adjektiv, nämlich seinen attributiven Status (-en) sowie, im Falle von -e, darüber hinaus noch den Singular. Dies erlaubt es dem Hörer, Erwartungen bezüglich des Kopfnomens auszubilden: Nach die schöne… muss ein anderes Kopfnomen kommen als nach die schönen… Die beiden Flexive sind metakommunikativ. Sie sind operative Prozeduren. b) Flexion des Adjektivs in Nominalphrasen mit Indefinitartikel Tritt das attributive Adjektiv in Nominalphrasen mit Indefinitartikel auf, ist sein Flexionsverhalten komplexer als im Fall a), weswegen man auch von gemischter Flexion spricht. Dieses Verhalten hat folgenden Grund: Der Definitartikel unterscheidet drei Genera (der/die/das); der Indefinitartikel unterscheidet nicht zwischen Maskulinum und Neutrum: ein/eine/ein. Dies ist kein Problem, solange das Kopfnomen direkt nach dem Indefinitartikel erscheint: ein Topf. Wird die Nominalphrase aber durch Adjektive verlängert, muss unterwegs Genus angezeigt werden, damit der Hörer Erwartungen bezüglich des Kopfnomens ausbilden kann: ein alter, ewig nicht gebrauchter Topf. Wir betrachten die Verhältnisse anhand von Tabelle 7. Tab. 7: Gemischte Flexion des attributiven Adjektivs

m

f

n

Plural

Nominativ

ein guter Film

eine gute Novelle

ein gutes Buch

gute Filme/ Novellen/Bücher

Akkusativ

einen guten Film

eine gute Novelle

ein gutes Buch

gute Filme/ Novellen/Bücher

Dativ

einem guten Film

einer guten Novelle

einem guten Buch

guten Filmen/ Novellen/Büchern

Genitiv

eines guten Films

einer guten Novelle

eines guten Buchs

guter Filme/ Novellen/Bücher

Adjektive | 63

Wir sehen: Dort, wo wir im Deutschen die einzige akkusativische Flexion haben, also im Maskulinum Singular, gibt sich das Adjektiv mit der Indizierung seines attributiven Status durch -en zufrieden; ansonsten wird im Nominativ und – formgleichen – Akkusativ das Genus eigens angezeigt. Im Dativ und Genitiv Singular sind die Endungen des Indefinitartikels denen des Definitartikels formgleich, weswegen das Adjektiv in diesen Fällen wie in a) flektiert. Im Plural ‚verschwindet‘ der Indefinitartikel, der ja von dem nicht-pluralfähigen Zahlwort herstammt. Hier weist das Adjektiv dieselben Endungen auf wie andere adnominale Ausdrücke: alle/alle/allen/aller Novellen. Nun bleibt nur noch derjenige Fall zu diskutieren, dass das Adjektiv in einer Nominalphrase im Singular mit Nullartikel auftritt. c) Flexion des Adjektivs in Nominalphrasen im Singular mit Nullartikel Für diese Situation scheint einem außer guter Rat ist teuer erst einmal kein Beispiel einzufallen. Es gibt aber zwei typische Fälle, die recht häufig sind: Zum einen passiert es nicht selten, dass eine Nominalphrase im Singular mit attributivem Adjektiv nach einer Präposition auftritt: ohne triftigen Anlass, aus gutem Grund, wegen schlechten Wetters. Zum anderen gibt es eine Textart, in der das attributive Adjektiv mit Nullartikel geradezu fröhliche Urständ feiert: die Kontaktanzeige: (32)

Junger Mann sucht reiche Frau bis 25 oder ab 95 zwecks baldiger Heirat. Wichtig: Nur wahre Liebe zählt!

In diesem Fall übernimmt das Adjektiv sämtliche Endungen des Definitartikels bis auf eine – daher wird diese Flexionsweise auch als starke Flexion bezeichnet: Tab. 8: Starke Flexion des attributiven Adjektivs

m

f

n

Nominativ

guter Film

gute Novelle

gutes Buch

Akkusativ

guten Film

gute Novelle

gutes Buch

Dativ

gutem Film

guter Novelle

gutem Buch

Genitiv

guten Films

guter Novelle

guten Buchs

Wir sehen: Im Genitiv Maskulinum und Neutrum Singular indiziert das Adjektiv nur die attributive Funktion, da der Genitiv am Substantiv markiert ist. Bei fortgeschrittenen Lernern des Deutschen als Fremdsprache findet man hier öfter Fehler wie *wegen schlechtes Wetters – ein schönes Zeichen, dass das Grundprinzip der Flexionsweise des Adjektivs in diesem Zusammenhang verstanden ist.

64 | Nennwörter

Insgesamt ist Folgendes festzuhalten: Die Flexive des attributiven Adjektivs indizieren den attributiven Status (-en), Numerus (-e) und Genus (-er, -es). Damit gestatten sie es dem Hörer, eine Erwartungshaltung bezüglich des Kopfnomens auszubilden, also während des Hörens eine Vorauskonstruktion vorzunehmen. Zudem indiziert das attributive Adjektiv Kasus (-en, -em, -er) dort, wo kein Artikel vorhanden ist. Alle diese Flexive sind metakommunikativ, sie sind operative Prozeduren. 2 Denken Sie einmal über folgenden Fall nach: Wieso haben wir in Alle guten Dinge sind drei eine andere Flexion des Adjektivs als in Es sind einige gute Dinge passiert?

2.3.1.2 Komparation (Steigerung) des Adjektivs Adjektive benennen Aspekte von Dingen und machen sie so vergleichbar. Der Komparativ eines Adjektivs wird dadurch gebildet, dass man den Stamm mit dem operativen Suffix -er ausstattet (weißer, reifer, blauer); einige wenige Adjektive haben im Komparativ einen eigenen Stamm oder einen Umlaut (gut  besser, nah  näher). Die Komparativformen sind ihrerseits attribuierbar und flektieren in diesem Fall wie attributiv gebrauchte Adjektive (ein größerer Ort). Außerdem treten die Komparativformen in prädikativer Funktion in Vergleichsformulierungen auf: Peter ist so groß wie Paul/Peter ist größer als Paul. Auch die adverbiale Verwendung ist möglich: Peter musiziert schöner als Paul. Um von mehr als zwei Personen oder Dingen die- oder dasjenige auszuzeichnen, bei der oder dem ein Aspekt am stärksten ausgeprägt ist, verwendet man den Superlativ. Das Superlativmorphem ist -st: schönst-, grünst-, kleinst-. Je nach Adjektivstamm kommt es hier auch zu Verschmelzungen: größt-, best- . Superlativformen sind wie Komparativformen attribuierbar: der schönste/beste/intelligenteste Film. In prädikativer wie adverbialer Verwendung werden Superlativformen mit der Endung -en ausgestattet und mit der Präposition an verwendet: Peter ist von allen am größten/Peter hat am besten gespielt, vgl. aber auch Verwendungen wie Peter ist der Größte.

2.3.2 Wortbildung des Adjektivs Das Deutsche verfügt über etwa 150 bis 200 einfache Adjektive wie alt, klein oder nah (Eichinger 2007: 150). Das ist nicht viel. Viele Adjektive sind daher Ableitungen von Wörtern anderer Wortarten. Es lassen sich folgende Möglichkeiten unterscheiden: – deverbale Ableitungen: essbar, dehnbar, erfreulich, löblich, fraglich, angeblich; – desubstantivische Ableitungen: königlich, glücklich, staubig, ärztlich, wissenschaftlich, sumpfig; – deadjektivische Ableitungen: grünlich, weißlich, kürzlich;

Adjektive | 65



Partizipien: verblüht, geputzt, aufregend;

Adjektive sind darüber hinaus sehr kompositionsfreudig, wobei sie mit Substantiven (flaschengrün, strohgelb, erntefrisch, wortkarg), Verben (fahrtüchtig, spielfreudig, streitlustig) und sogar anderen Adjektiven (hellblau, schwarzbraun, frühreif) komplexe Ausdrücke bilden.46

2.3.3 Syntaktische Besonderheiten 2.3.3.1 Besonderheiten bei attributivem, prädikativem und adverbialem Gebrauch Bei abgeleiteten Adjektiven sind nicht immer alle syntaktischen Verwendungsweisen möglich: – Ausschluss der adverbialen Verwendungsweise: der Pilz ist essbar (prädikativ); der essbare Pilz (attributiv); *der Pilz wächst essbar (adverbial) – Ausschluss der prädikativen und adverbialen Verwendungsweise: die ärztliche Entscheidung (attributiv); ?wir entscheiden das ärztlich (adverbial); *die Entscheidung ist ärztlich (prädikativ) Die sogenannte Adkopula (pleite, klasse) (Eichinger 2007: 149) gestattet nur prädikative Verwendung: die Bank ist pleite/*die pleite Bank/*die Bank entwickelte sich pleite. Bei adverbialer Verwendungsweise kann sich das Adjektiv auf das Prädikat, aber auch auf das Subjekt oder das Objekt beziehen: – Petra geigt schön.  Petras Geigen ist schön, über Petras Aussehen ist nichts gesagt (Prädikatsbezug). – Peter kam gesund zurück.  Nicht Peters Zurückkommen war gesund, sondern Peter (Subjektbezug). – Peter streicht den Zaun rot.  Weder das Streichen noch Peter sind rot (Objektbezug). Man sieht deutlich, dass der Hörer in diesen Fällen den Bezug des Adjektivs deuten muss. Das Englische ist hier präziser: He played nicely (Prädikatsbezug) gegenüber The food tastes nice (Subjektbezug). 2.3.3.2 Inkorporation Manche Adjektive bilden mit Verben zweiteilige Prädikate, man spricht dann von Inkorporierung (vgl. Eisenberg 2004, Bd. 2: 229):

|| 46 Zur adjektivischen Wortbildung s. auch Fandrych (1993).

66 | Nennwörter

(33)

Peter labert seine Freundin voll.

(34)

Der Papst spricht einen Mönch heilig.

(35)

Peter macht die Küche sauber.

2.3.3.3 Verhältnisse bei mehreren attributiven Adjektiven Sind mehrere attributive Adjektive hintereinandergeschaltet, so können sie das Bezugsnomen jeweils einzeln bestimmen oder sukzessive in seiner Bedeutung immer weiter einschränken (restringieren). In schriftlichen Texten kommt hier der Interpunktion wichtige Bedeutung zu: der neue von Meier vertretene Ansatz ist von allen Ansätzen, die Meier vertreten hat und vertritt, der neue. Der neue, von Meier vertretene Ansatz ist hingegen der neue Ansatz, von dem die Rede ist und der von Meier vertreten wird, ohne dass damit gesagt ist, dass es von Meier noch andere Ansätze gibt.. Schränken die attributiven Adjektive die Bedeutung des Kopfnomens sukzessive ein, so werden sie so angeordnet, dass man mit dem Adjektiv der allgemeinsten Bedeutung beginnt und dasjenige mit der speziellsten Bedeutung als letztes anführt: zwei gute dunkle englische Bier, aber nicht *englische gute dunkle zwei Bier.

2.3.4 Semantik des Adjektivs Man unterscheidet absolute Adjektive, relative Adjektive und Qualitätsadjektive (vgl. Eisenberg 2004: 240ff sowie Abschnitt 2.3). Absolute Adjektive benennen funktionale Aspekte von konkreten und abstrakten Dingen, die entweder da sind oder nicht: blau, rund, golden, drei. Bei diesen Adjektiven ist die Komparation daher häufig eingeschränkt und auch der Superlativ mitunter wenig sinnvoll: Eine Blume kann nicht hellblauer sein als eine andere und auch nicht unter den hellblauen die hellblauste. Mit solchen Adjektiven wird die Bedeutung des Kopfnomens eingeschränkt (restringiert): Die Menge aller hellblauen Blumen ist kleiner als die Menge aller Blumen; die Menge aller ledigen Männer ist kleiner als diejenige aller Männer. Relative Adjektive benennen funktionale Aspekte von konkreten oder abstrakten Dingen im Hinblick auf ihre – wissensbasierte – Vergleichbarkeit: dick, tief, jung. Ein junger Mensch ist sicher älter als eine junge Katze – wäre er so jung wie die Katze, wäre er kein junger Mensch, sondern ein Baby. Tiefe Gesichtsfalten sind nie so tief wie eine tiefe Schlucht. Man kann diese Adjektive nur verwenden und verstehen, wenn man etwas von den Gegenständen weiß, auf die man sich mit ihnen bezieht: eine ältere Dame ist u.U. alt, ein jüngerer Mann nicht mehr jung (vgl. Hoffmann 2003: 50). Relative Adjektive erhalten ihre konkrete Bedeutung erst vom Bezugsnomen her. Qualitätsadjektive haben viel mit den relativen Adjektiven gemein. Auch sie erhalten ihre konkrete Bedeutung erst im wissensbasierten Zusammenwirken mit dem

Verben | 67

Kopfnomen: Ein unehrlicher Arzt rechnet vielleicht mit den Kassen falsch ab oder sagt seinen Patienten nicht die Wahrheit. Ein unehrlicher Gemüsehändler verkauft schlechte Ware oder wiegt falsch ab. Qualitätsadjektive konkretisieren die Bedeutung des Kopfnomens, ohne sie notwendigerweise einzuschränken. Im Unterschied zu relativen Adjektiven ist die Bedeutung von Qualitätsadjektiven spezifischer: Jemand der nicht groß ist (relatives Adjektiv), ist nicht notwendigerweise klein. Jemand der nicht gesund ist, ist aber krank (Qualitätsadjektiv). Auch sind gegenüber den relativen Adjektiven die Vergleichsmöglichkeiten eingeschränkt. Peter kann größer als die Mauer sein, so dass er drübersieht. Aber Petra ist nicht ohne weiteres schöner als das neue BMW-Cabrio.

2.4 Verben Verben sind Wörter wie essen, gehen und wollen. Sie kommen praktisch nur flektiert vor, indem ihre Stämme, also z.B. ess-, geh-, woll-, die symbolische Prozeduren sind, mit anderen Morphemen zusammentreten und auf diese Weise Wortformen bilden: geht-t, ge-woll-t, ess-e. Prädikate werden im Deutschen weitgehend durch Verben realisiert: Peter geht. Viele Verben regieren Objekte und Ergänzungen: Peter fuhr das Auto in die Garage. Solche Verben stellen zwischen ihren Subjekten, Objekten und Ergänzungen Beziehungen her. Das Flexionsverhalten von Verben ist komplex: Als Prädikate sind sie entweder auf den Sprecher (geh-e) oder den Hörer (geh-st) oder auf einen Redegegenstand (Der Kühlschrank geh-t) bezogen. Darüber hinaus flektieren sie nach Tempus (geh-st – ging-st) und Modus (du geh-e-st – du ging-e-st). Verben bilden Partizipien (gehen-d, ge-gang-en), die wie Adjektive verwendbar sind (die strahlende Sonne, der frisch gestrichene Schreibtisch). Zum anderen treten Partizipien wie gegangen mit finiten Formen von haben, sein, werden, bleiben oder kommen zusammen, so dass zweiteilige Prädikate entstehen: hat gegessen, war gegangen, wird gekocht, bleibt geschlossen, kommt gelaufen. Die Modalverben, also Verben wie können, müssen, dürfen, möchten, wollen, sollen und (nicht) brauchen, bilden zweiteilige Prädikate mit Infinitiven: muss arbeiten, wollte schlafen. Zweiteilige Prädikate (man sagt auch: Verbalkomplexe) entstehen auch durch Wortbildung im Verbalbereich: kommt an, fährt rad, redet schön, bleibt da. Auch unter dem Bedeutungsaspekt sind Verben komplex. Man kann sie einteilen in Vorgangsverben wie wachsen, sterben, fallen; Handlungsverben wie essen, öffnen, stellen sowie Zustandsverben wie schlafen, blühen, sitzen. Bestimmte Bedeutungsaspekte von Verben, die sogenannten Aktionsarten, sind dafür verantwortlich, dass manche Fügungen nicht möglich sind: *ist geschlafen, *hat gewachsen, *die geblühte Rose.

68 | Nennwörter

2.4.1 Infinite Verbformen 2.4.1.1 Infinitiv Der Infinitiv (geh-en, lauf-en etc.) bringt die Bedeutung des Verbalstamms rein zum Ausdruck, er ist sehr substantiv-nah. Er heißt auch „Zitierform“, da Verben in deutschen Wörterbüchern im Infinitiv aufgeführt werden. Modalverben regieren den Infinitiv: will arbeiten, soll schlafen. Der Infinitiv tritt auch oft mit der Präposition zu auf, die ihn für bestimmte Konstruktionen anschlussfähig macht, bei denen die durch ihn benannte Handlung Ziel ist: versucht zu schlafen, hat zu arbeiten, ist zu beachten (Bredel & Töpler 2007). Die Formen gerufen haben oder gegangen sein werden üblicherweise als Infinitiv Perfekt bezeichnet. 2.4.1.2 Partizip I Die Form des Partizips I (geh-en-d, schrei-en-d etc.) dient vor allem dazu, Verbalstämme für die Nutzung als Attribute in der Nominalphrase zuzubereiten: (36) (37)

die aufgehende Sonne das schlafende Kind

2.4.1.3 Partizip II Das Partizip II (ge-mach-t, ge-frag-t, ein-ge-kauft-t, ge-schlaf-en, ein-ge-schlaf-en, vergang-en) drückt Handlungs- oder Prozessresultate (gekocht, bestellt, gestorben) aus. Wie das Partizip I bildet es Partizipialattribute: (38) (39)

die erblühte Rose der frisch gekochte Kaffee

Darüber hinaus bildet das Partizip II Verbalkomplexe mit finiten Formen von haben (hat geschlafen), sein (ist aufgewacht, ist gegessen), werden (wird gekocht), kommen (kommt gelaufen) und bleiben (bleibt geschlossen).

Verben | 69

2.4.2 Finite Verbformen Finite Verbformen sind flektierte Verbformen, die auf ein Subjekt bezogen sind und Numerus-, Tempus- und Modusmarkierungen tragen, also Formen wie schläfst, gingt oder sei.47 2.4.2.1 Tempus Lange ging man davon aus, dass das Deutsche über sechs Tempora verfügt: Präsens, Präteritum, Perfekt, Plusquamperfekt, Futur I und Futur II. Diese Vorstellung war wesentlich davon inspiriert, dass – wie könnte es anders sein – das Lateinische über sechs Tempora verfügt. Die Unterschiede sind aber offensichtlich: Während die als Futur II bezeichnete lateinische Wortform vocaveris tatsächlich eine Wortform ist, ist das deutsche Gegenstück du wirst gerufen haben ein Gebilde aus vier Wörtern, dessen einzige finite Form in wirst, also in einer Präsens-Form von werden besteht. Da Beschreibungen des Deutschen schon lange nicht mehr demonstrieren müssen, dass das Deutsche genauso gut ist wie Latein, indem man dem Deutschen Tempora andichtet, die es nicht gibt, halten wir uns wie auch Engel (1988) und Redder (1992) an diejenigen Tempora, die es im Deutschen tatsächlich als Wortformen gibt –, und das sind, verglichen etwa mit dem Französischen, sehr wenige: Präsens und Präteritum. Perfekt und Plusquamperfekt sind kompositional gebildete Strukturen, die aus Präsens- oder Präteritumsformen von haben/sein und Partizip II gebildet werden (ist gegangen, hatte gemacht). Ebenfalls kompositionale Formen sind das sogenannte Futur I (ich werde kommen) und das sogenannte Futur II (Peter wird schon gegangen sein). 2.4.2.1.1 Präsens Das Präsens entsteht durch die Fusion des Verbalstammes mit sprecher- bzw. hörerdeiktischen Morphemen (geh-e, geh-st) oder anaphorischen Morphemen (geh-t) (Redder 1992). Einige der sogenannten starken Verben haben im Präsens im Singular einen Vokalwechsel (breche brichst; fahre  fährst). Das Präsens enthält keine eigenen Tempusmorpheme. Redder (1992) spricht daher auch von einem Architempus. Zur Funktion: Das Präsens ist keineswegs auf den Augenblick bezogen. Mit ihm verhandeln wir alles, was in der Sprechsituation ‚zuhanden‘ ist: Wissen (Zweimal zwei ist vier), Entschlüsse (Ich komme bestimmt), Pläne (Nächstes Jahr fliege ich in die Staaten), Sachverhalte in der außersprachlichen Wirklichkeit (In der Goethestraße ist eine Apotheke) oder in der literarischen Wirklichkeit (Am Ende begeht Werther Selbstmord).

|| 47 Eine sehr interessante Perspektive auf das Flexionsverhalten von Verben, die wir hier aber nicht weiter verfolgen, bieten Bredel & Lohnstein (2003).

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2.4.2.1.2 Präteritum Für das Präteritum gibt es zwei Bildungsweisen: Bei den schwachen Verben wird das Präteritalmorphem -t- eingeschoben (zur weiteren Konjugation s. Tab. 13): (40)

mach-t-e-st

Bei den starken Verben kommen eigene, durch Ablaut gebildete Präteritalstämme zum Einsatz: (41) (42)

sang-st ging-st

Was ist die Funktion des t-Morphems und der Präteritalstämme? Prädikate wie sangst oder machtest gelten nicht für die aktuelle Sprechsituation. Diese Morpheme sind deiktisch, sie zeigen aus der aktuellen Sprechsituation heraus in eine andere Sprechsituation, die so die Interpretation als ‚vergangen‘ erhält (Thielmann 2015a). Die Tempusflexionen des Deutschen haben also mit Zeit gar nichts zu tun, wie Sprachwissenschaftler wie Engel (1988), Redder (1992) und Weinrich (1993) schon lange erkannt haben. 2.4.2.2 Modus Wir folgen bei unserer Darstellung der Modi und ihrer Funktionen weitgehend Redder (1992). 2.4.2.2.1 Konjunktiv I Der Konjunktiv I wird gebildet, indem zwischen Präsensstamm und die sprecherbzw. hörerdeiktischen oder anaphorischen Morpheme durchgängig das Morphem -eeingeschoben wird: Tab. 9: Konjunktiv I

Singular

Plural

geh-e

geh-e-n

geh-e-st

geh-e-t

geh-e

geh-e-n

Zur Funktion: Durch den Konjunktiv I wird das Prädikat als auf die sprachliche Wirklichkeit, also auf etwas Gesagtes bezogen ausgewiesen. Mit anderen Worten: Der Sprecher beansprucht die Gültigkeit nicht für die außersprachliche, sondern nur die

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sprachliche Wirklichkeit. Beispiel: Die Äußerung Merkel sagte, sie habe ein Alien gesehen wird nicht wahr, wenn Merkel ein Alien gesehen hat, sondern wenn sie gesagt hat, dass sie ein Alien gesehen hat. Im heutigen Deutsch wird der Konjunktiv I daher vorwiegend für die Redewiedergabe eingesetzt. 2.4.2.2.2 Konjunktiv II Der Konjunktiv II wird gebildet, indem zwischen Präteritumstamm/t-Morphem und die sprecher- bzw. hörerdeiktischen oder anaphorischen Morpheme durchgängig das Morphem -e- eingeschoben wird: Tab. 10: Konjunktiv II

Singular (schwach)

Plural (schwach)

Singular (stark)

Plural (stark)

mach-t-e

mach-t-e-n

ging-e

ging-e-n

mach-t-e-st

mach-t-e-t

ging-e-st

ging-e-t

mach-t-e

mach-t-e-n

ging-e

ging-e-n

Wie man leicht sieht, ist der Konjunktiv II der schwachen Verben kaum vom Präteritum zu unterscheiden – im Mündlichen ist der Unterschied deutlicher: vgl. wir macht’n vs. wir machten. Zur Funktion: Durch den Konjunktiv II wird das Prädikat als lediglich mental wirklich qualifiziert, also gegen die außersprachliche Wirklichkeit konturiert. Wenn die außersprachliche Wirklichkeit u.a. in einer leeren Brieftasche besteht, kann man gegen diese Wirklichkeit immer noch ein mentales Gegenmodell setzen (Wenn ich Geld hätte, könnte ich essen gehen). So sagte Peter Hartz, der – nicht so ganz freiwillige – Namensgeber der Hartz-IV-Reform: "Hätte ich Leutheusser-Schnarrenberger geheißen, wäre mir das erspart geblieben.“ (Süddeutsche Zeitung, 15.11.2013)

Betrachten Sie den folgenden Ausschnitt aus der Süddeutschen Zeitung vom 15.11.2013, in dem über 2 ein Interview mit Peter Hartz, dem ‚Vater‘ der nach ihm benannten Hartz-IV-Reform, berichtet wird: Sie [= die Kommission] habe aber auf jeden Fall dazu beigetragen, dass es in Deutschland jetzt so wenige Arbeitslose wie selten gebe. Die ganzen Reformen hätten jedoch nur helfen können, "weil auch die Konjunktur gut lief". Wenn der Konjunktiv I aufgrund seines Bezugs auf die sprachliche Wirklichkeit für die Redewiedergabe genutzt wird, wieso ist in dem Satz Die ganzen Reformen hätten jedoch nur helfen können (…) das Prädikat im Konjunktiv II? Was wäre anders, wenn der Reporter die Äußerung von Peter Hartz am Anfang folgendermaßen wiedergegeben hätte: Sie [= die Kommission] hätte aber auf jeden Fall dazu beigetragen, dass es in Deutschland jetzt so wenige Arbeitslose wie selten gebe.

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2.4.2.2.3 „Imperativ“ Der Imperativ wird traditionell zu den Modi gezählt. Eine einfache Überlegung zeigt aber, dass er dort nicht hingehört: Imperativische Formen wie geh! sind nämlich keine Prädikate, da sie nicht auf grammatische Subjekte bezogen sind. Das Subjekt des Imperativs ist ja derjenige Handelnde, bei dem der Sprecher durch die Äußerung der imperativischen Form erreichen möchte, dass er die mit dem Verbalstamm benannte Handlung ausführt. Der Imperativ besteht im einfachen Fall aus dem Verbalstamm in Einheit mit einer stark fallenden Intonationskontur, die eine eigene, eine expeditive (‚Beine machende‘) Prozedur ist (Ehlich 1986): gèh!. Werden mehrere Hörer angesprochen, so ist die Pluralform gèh-t!. Einige Verben, die im Präsens einen Vokalwechsel erfahren, haben entsprechende Imperativstämme: ìss!, lìes!. 2.4.2.3 Kompositionale Formen Kompositionale Formen von Verben bestehen im Gegensatz zu einfachen Wortformen wie ging oder machtest aus mehreren Wörtern: habe gemacht, wird gegangen sein, wurde gegessen. Sie treten wie die einfachen Wortformen der Verben als Prädikate auf, sind aber keine Tempora oder Passiva, da sie nur finite Formen im Präsens (habe, wird) oder Präteritum (wurde) enthalten. 2.4.2.3.1 Perfekt Das Perfekt entsteht aus einem Finitum im Präsens, das mit haben/sein gebildet ist, und einem Partizip II: habe gemacht, ist gegangen. Mit dem Perfekt holt der Sprecher Handlungs- oder Prozessresultate in die aktuelle Sprechsituation so hinein, dass sie dort Konsequenzen haben können: Peter ist gegangen  Peter ist weg, man kann nicht mehr mit ihm sprechen; Petra hat die Dateien geschickt  die Dateien sind da, man kann versuchen, sie zu öffnen.

2 Jemand sagt zu Ihnen. Gestern ging ich ins Kino. Warum sagen wir, wenn wir miteinander sprechen, eher: Gestern bin ich ins Kino gegangen?

2.4.2.3.2 Plusquamperfekt Das Plusquamperfekt entsteht aus einem Finitum im Präteritum, das mit haben/sein gebildet ist, und einem Partizip II: hatte gemacht, war gegangen. Hierdurch werden abgeschlossene Handlungen/Prozesse in einer anderen Sprechsituation verortet, weswegen das Plusquamperfekt traditionell zum Ausdruck der sogenannten Vorzeitigkeit in temporalen Nebensätzen genutzt wird. Bsp.: Nachdem er gegessen hatte, schaltete er den Fernseher ein (das Essen passierte vor dem

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Fernsehen). Analog zum Perfekt sieht man, wie hier ein Potential für Anschlusshandlungen eröffnet wird: Nachdem Ferreira 2018 erstmals sein Projekt für die Entfernung von Mikroplastik aus dem Wasser vorgestellt hatte, benannte das Massachusetts Institut für Technologie (MIT) einen Kleinplaneten nach ihm, um ihn für seine Arbeit auszuzeichnen (www.jetzt.de, 2.8.2019). 2.4.2.3.3 Vorgangs- und Zustandspassiv Als Passiv bezeichnet man Verbformen, die durch Flexive ausdrücken, dass dem Subjekt etwas widerfährt. Während das Lateinische Prädikate bilden kann, die aus Wortformen passivischer Bedeutung bestehen (necatur: ‚er wird getötet‘), hat das Deutsche diese Möglichkeit nicht. Deswegen ist es eigentlich nicht sinnvoll, für das Deutsche Passivformen anzusetzen (Redder 1999, Thielmann 2019a). Traditionell unterscheidet man das sogenannte Vorgangspassiv (Der Kaffee wird gekocht) und das sogenannte Zustandspassiv (Der Kaffee ist gekocht). Man sieht: Die unterschiedliche Leistung der beiden kompositionalen Formen hängt mit der unterschiedlichen Leistung von sein und werden zusammen. Sein kommuniziert wissensmäßige Zusammenhänge (Thielmann 2003). Mit werden nimmt der Sprecher hingegen sprachlich etwas vorweg, was in der Wirklichkeit noch nicht der Fall ist (Redder 1999). Das Handlungsresultat gekocht ist in der Konstruktion mit werden (der Kaffee wird gekocht) sprachlich vorweggenommen, aber noch nicht eingetreten (der Kaffee ist noch am Durchlaufen); in der Konstruktion mit sein (der Kaffee ist gekocht) ist dieses Resultat erreicht und eröffnet das Potential für weitere Anschlusshandlungen, z.B. EINGIESSEN (Redder 1995). Werden + Partizip II wird gerne verwendet, um das Subjekt eines Satzes zusammen mit einem Handlungsresultat an das Ende des Satzes zu bringen, wo der Ort für die wichtige Information ist (Rhematisierung des Subjekts): Nach der Wahl Angela Merkels zur Kanzlerin wurden auch die Ministerinnen und Minister des neuen Kabinetts vereidigt (Die Zeit, 14.3.2018). Das Subjekt Ministerinnen und Minister des neuen Kabinetts kommt direkt vor dem mit vereidigt kommunizierten Handlungsresultat zu stehen und bildet damit praktisch eine Zeitungsschlagzeile: Ministerinnen und Minister des neuen Kabinetts vereidigt. 2.4.2.3.4 „Futur I und II“ Auch die – normalerweise unter den Tempora abgehandelten – kompositionalen Formen werden + Infinitiv bzw. werden + Infinitiv Perfekt sind hinsichtlich ihrer Leistung kompositional zu bestimmen: Mit werden drückt der Sprecher aus, dass dasjenige, was wird, zwar sprachlich schon da ist, aber noch nicht in der Wirklichkeit konkretisiert ist (Redder 1992, 1995): Peter wird alt  Peter ist nicht mehr jung und noch nicht alt, aber auf dem Wege dorthin. In ich werde kommen ist das sprachlich nach außen gesetzte Kommen vom Sprecher noch einzulösen – hiermit wird ein Entschluss oder ein Versprechen realisiert. Traditionell wird die kompositionale Form werden + Infinitiv als Futur I bezeichnet. Sie ist aber nicht nur aufgrund ihrer Kompositionalität

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kein Tempus (das einzige Tempus in ihr ist ja das Präsens von werden); sie weist auch besondere Eigentümlichkeiten auf, da sie je nach Subjektausdruck anders aufzufassen ist: Tab. 11: werden + Infinitiv mit verschiedenen Subjektausdrücken

ich werde kommen

Kommunikation eines Entschlusses oder Versprechens

du wirst gehen!

Kommunikation einer Aufforderung

er wird gehen

Kommunikation eines Wissens aus zweiter Hand, Vermutung (sog. epistemische Verwendung)

Wie man deutlich sieht, hat all dies nichts mit ‚Zukunft‘ zu tun. Ähnlich steht es auch um das sogenannte Futur II. Mit Peter wird wohl schon heimgegangen sein wird nicht ‚Abgeschlossenheit in der Zukunft‘ ausgedrückt, sondern eine Vermutung. 2.4.2.3.5 Kompositionale Formen: Übersicht über die Prädikationssysteme Wie wir gesehen haben, werden die Verben sein, haben, werden sehr ausführlich zur Bildung kompositionaler Formen genutzt. Redder (1992) spricht daher auch von den Prädikationssystemen SEIN, HABEN, und WERDEN. Wir geben hierzu eine Übersicht (vgl. Thielmann 2015a: 9), deren Punkt folgender ist: All das, was Sie hier auf einmal sehen, finden Sie in den Grammatiken sonst an verschiedenen Stellen. Die kompositionale Form ist gegangen finden Sie unter Perfekt; die Form ist gekocht unter Zustandspassiv. Das Wichtige an beiden kompositionalen Formen ist jedoch, dass sie mit sein gebildet werden. Daher ist ihre Bedeutung auch nur leicht verschieden; sie ergibt sich aus den etwas unterschiedlichen Perspektiven, die in den Partizipien kommuniziert werden: gekommen ist ein Handlungsresultat, das jemand selbst vollzieht; gekocht ist ein Handlungsresultat, das typischerweise jemand an einer Sache hervorgebracht hat. In beiden Fällen wird aber, und dies ist das Zentrale, ein Potential für Anschlusshandlungen kommuniziert: Peter ist gekommen  man kann mit ihm reden; der Kaffee ist gekocht  man kann ihn trinken.

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HABEN ein Auto (direktes Objekt) Peter hat/hatte

die Miete zu bezahlen (modaler Infinitiv) geschlafen (Perfekt, Plusquamperfekt)

SEIN alt/Arzt (Prädikativum) Peter ist/war

zu bedauern (modaler Infinitiv) gegangen (Perfekt, Plusquamperfekt) geschlagen (im Tennis) („Zustandspassiv“)

WERDEN alt/Arzt (Prädikativum) Peter wird

nach Amerika fliegen („Futur I“) wohl heimgegangen sein („Futur II“) geschlagen (im Tennis) („Vorgangspassiv“)

Abb. 8: Prädikationssysteme HABEN, SEIN und WERDEN

Wodurch sind im Deutschen Subjekt und Prädikat aufeinander bezogen? Kann man sagen, dass das 2 Subjekt das Prädikat regiert oder umgekehrt? Häufig wird gesagt, das Passiv diene der Agensunterdrückung, d.h. man verwende das Passiv, um den Handelnden, den Aktanten, nicht ins Spiel zu bringen (etwa wenn ein Minister seine Rücktrittsrede mit Es sind Fehler gemacht worden eröffnet). Stimmt das oder gibt es noch andere Gründe, weswegen die Konstruktion werden + Partizip II genutzt wird?

2.4.2.4 Aktionsarten Im Deutschen gibt es Eigenschaften der Verbbedeutung, die sich grammatisch auswirken. Die folgenden Beispiele sind in einer Weise falsch, wie sie manchmal von Nichtmuttersprachlern geäußert werden, aber worin besteht hier das Problem? (43)

*Ich warf die geblühte Rose weg.

(44)

*Das Bild ist bewundert.

(45)

*Er hat nach Hause gegangen.

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Das Problem bei diesen Beispielen besteht darin, dass bestimmte Aspekte der Verbbedeutung strukturelle Auswirkungen darauf haben, ob sich ein Partizip II eines Verbs als Attribut verwenden lässt (43), ob sich ein sogenanntes Zustandspassiv bilden lässt (44) oder ob das Perfekt mit haben oder mit sein gebildet wird (45). Wir erfassen dies mit dem Terminus Aktionsarten (ausführlich in Helbig & Buscha 2017, 62– 66): Verben, deren Bedeutung die Abgeschlossenheit der benannten Handlung/des benannten Prozesses nicht umfasst, heißen durativ oder auch imperfektiv (Bsp.: schlafen, stehen, blühen); Verben, deren Bedeutung die Abgeschlossenheit der benannten Handlung/des benannten Prozesses umfasst, heißen resultativ oder auch terminativ oder perfektiv (Bsp.: kommen, aufblühen, ergreifen). Dies scheint zunächst etwas abstrakt, ist aber ganz einfach: Gehen, kommen, erblühen, sterben sind resultativ – wer geht, ist irgendwann weg; wer kommt, ist irgendwann da; was aufblüht, hat irgendwann eine Blüte; wer stirbt, ist irgendwann tot. Blühen ist hingegen durativ: Eine Rose, die blüht, blüht und blüht und blüht…. Bei den resultativen Verben unterscheiden wir zudem noch, ob die Handlung/der Vorgang sich zum Resultat hinbewegt (erblühen, aufblühen, einschlafen) – solche Verben heißen ingressiv; Verben, die Handlungen/Vorgänge bezeichnen, die sich aus einem Resultat herausbewegen, heißen egressiv: verblühen, aufwachen. Abb. 9 gibt eine Übersicht über die Aktionsarten. Aktionsarten durativ (imperfektiv)

resultativ (terminativ, perfektiv)

ingressiv

blühen

erblühen

egressiv

verblühen

Abb. 9: Aktionsarten

Mit Blick auf die Beispiele (43)–(45) können wir nun Folgendes sagen: – Das Problem mit Beispiel (43) ist, dass das Partizip II durativer Verben nicht attributiv verwendet werden kann: *die gestandene Vase, *der geschlafene Tag. – Das sogenannte Zustandspassiv (Beispiel 44) lässt sich nur mit Verben bilden, die ein direktes Objekt regieren (also transitiv sind) und zugleich resultativ sind: Der Kaffee ist gekocht, aber *Der Mann ist geholfen; *Die Bühne ist bespielt. – Das Perfekt mit sein (45) bilden sein, bleiben, werden sowie allen Verben, die kein Objekt regieren und resultativ sind (ist gegangen/eingeschlafen/erblüht). Alle anderen Verben bilden das Perfekt mit haben. Die – vielfach anzutreffende – Vorstellung, dass es vor allem die Bewegungsverben sind, die das Perfekt mit sein

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bilden, ist völlig unzutreffend, es sei denn, jemand möchte bei ist eingeschlafen physische Bewegung erblicken. Diese Dinge laufen allein über die Aktionsarten: hat geschlafen (durativ); ist eingeschlafen/aufgewacht (resultativ). 2.4.2.5 Kausative Verben Die Verben stellen (= ‚machen, dass etwas steht‘), legen (= ‚machen, dass etwas liegt‘), setzen (= ‚machen, dass etwas sitzt‘), fällen (= ‚machen, dass etwas fällt‘), senken (= ‚machen, dass etwas sinkt‘) werden als kausative Verben bezeichnet. Sie sind – im Gegensatz zu ihren intransitiven Partnern – alle regelmäßig: stehen – stand – gestanden, aber stellen – stellte – gestellt. Das Verb hängen (hing – gehangen) hat eine kausative Variante: hängen – hängte – gehängt. Bildungen wie *Ich habe das Bild an die Wand gehangen sind nicht standardsprachlich. Die folgenden Beispiele enthalten Fehler, wie sie von Lernern des Deutschen als Fremd- und Zweit- 2 sprache gerne gemacht werden. Was ist hier falsch und warum? Er hat das gearbeitete Papier eingereicht. Die Schauspielerin ist sehr bewundert. Er ist den ganzen Tag geschlafen.

2.4.3 Wortbildung im Verbalbereich Der Verbalbereich exportiert nicht nur Material für feldinterne Transpositionen in andere Wortarten (essbar, Bearbeitung, während); viele Verben, die wir verwenden, sind Resultate von Wortbildungen. Folgende Verfahren lassen sich hierbei unterscheiden (vgl. auch Eisenberg 2004, Bd. 1: 254–269 sowie Graefen & Liedke 2020: 162–163): – Bildung zweiteiliger Verben: fängt an; steht kopf; bleibt da. – Verbale Wortbildung durch Präfigierung: bearbeiten, entreißen, verspielen. – Bildung von Funktionsverbgefügen: bringt zur Aufführung, geht in Druck. – Verbbildungen aus anderen Wortarten: begrünen, entlauben. 2.4.3.1 Bildung zweiteiliger Verben Wie Weinrich (1993, 41–46) deutlich gemacht hat, ist die Bildung zweiteiliger Verben ein ganz zentrales Wortbildungsverfahren im Verbalbereich. Als zweiter Verbteil (der dann im Satz als infiniter Prädikatsteil auftritt) können mehrere Wortarten dienen, wie wir an einigen von Weinrichs Beispielen zeigen:

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Tab. 12: Bildung zweiteiliger Verben

Finiter Verbteil

Infiniter Verbteil

Wortart, der der infinite Verbteil zugehört

bringt

auf

Präposition

sitzt

still

Adjektiv

fährt

rad

Substantiv

bleibt

da

Präposition

Man sieht, wie bereits die Wortbildung die Entstehung zweiteiliger Prädikate begünstigt, die für die topologische Satzstruktur des Deutschen so charakteristisch ist (s. 2.1.4). In Fällen, bei denen Verben sich Substantive oder Adjektive sozusagen einverleiben, spricht man von Inkorporation. Bei fährt rad stellt sich natürlich die Frage, ob Rad hier nicht Objekt ist. Das lässt sich einfach überprüfen. Die Verneinung von Peter isst Brot ist Peter isst kein Brot. Die Verneinung von Peter fährt rad ist aber nicht *Peter fährt kein Rad, sondern Peter fährt nicht rad – genauso wie bei anderen zweiteiligen Prädikaten: Peter bleibt nicht da. Dies ist auch der Grund, warum wir – im Kontrast zu einer Orthographiereform, die z.T. an den Strukturen des Deutschen vorbei ging, rad als zweiten Prädikatsteil klein schreiben. 2.4.3.2 Verbale Wortbildung durch Präfigierung Die verbale Wortbildung durch Präfigierung kennt zwei Verfahren (vgl. Eisenberg 2004, Bd. 1: 254–264): Es kann eine Präposition mit dem Verbalstamm verschmelzen (z.B. überschreiben, hintergehen) oder der Verbalstamm wird mit einem Verbpräfix ausgestattet: bearbeiten, zerreißen. Bei der Präfigierung mit einer Präposition kann es zu Dubletten kommen, die im Infinitiv nur noch durch den Wortakzent auseinanderzuhalten sind. Umstéllen ist ein präfigiertes einteiliges Verb: Die Polizei umstellte das Haus. Das Verb úmstellen ist hingegen zweiteilig: Peter stellt seinen Kühlschrank um. Die Verbpräfixe be-, ent-, er-, ver- und zer- machen etwas mit dem Verbalstamm: Das Präfix be- sorgt oft dafür, dass ein Verb transitiv wird, also ein direktes Objekt verlangt: gehen – einen Rohbau begehen. Das Präfix er- macht durative Verben häufig ingressiv: erblühen, erspähen. Das Präfix ver- macht durative Verben gerne egressiv: verblühen, versterben. Auch ent- und zer- führen häufig zu egressiven Verben: Wer entreißt, hat etwas in der Hand, was vorher in einer anderen war. Wer zerreißt, hat Teile von etwas in Händen, das vorher ganz war. 2 Was ist die Leistung des Präfixes be- in bearbeiten und bestreiten? Inwiefern ist erblicken ingressiv?

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2.4.3.3 Bildung von Funktionsverbgefügen Sprachkritikern gelten Bildungen wie in Druck gehen, zur Aufführung bringen, in Bewegung bleiben als nicht schön; sie erfüllen aber einen wichtigen Zweck. Wir beobachten, dass sie wie zweiteilige Verben gebaut sind. Als Finitum haben Funktionsverbgefüge ein ‚langweiliges‘ Verb wie gehen, bringen, bleiben – das sogenannte Funktionsverb. Den zweiten Verbteil bilden i.d.R. Präpositionalphrasen wie in Bewegung oder in Druck. Auch um zu verstehen, was diese Gebilde leisten, brauchen wir das Konzept der Aktionsarten: Bei einem Buch, das gedruckt wird, ist die Druckerpresse schon angeworfen; bei einem Buch, das in Druck geht, noch nicht. In Druck gehen ist mithin ingressiv – die Funktionsverbgefüge dienen im wesentlichen der Ausdifferenzierung des Verbalbereichs nach den Aktionsarten (vgl. Graefen & Liedke 2020: 163). Was ist der Zweck von Bildungen wie zur Aufführung bringen, in Bewegung bleiben oder in Kraft tre- 2 ten? Betrachten Sie auch einmal folgende Konstruktionen mit Infinitiv, die keine Funktionsverbgefüge sind: Peter beginnt/hört auf zu arbeiten; Peter ist am Arbeiten. Haben die vielleicht auch etwas mit den Aktionsarten zu tun?

2.4.3.4 Verbbildungen aus anderen Wortarten Die Verbpräfixe sind gerne an Ableitungen aus anderen Wortarten beteiligt: begrünen (deadjektivische Ableitung); enteisen (desubstantivische Ableitung). Produktiv sind auch Konversionen von Substantiven wie dampfen, baggern, dienern, fußballern (vgl. Eisenberg 2004, Bd. 1: 298).

2.4.4 Syntax des Verbs – Stelligkeit und Rektion Verben haben ein hohes Vernetzungspotential im Satz48: Sie bilden häufig zweiteilige Prädikate, entweder, weil sie von Haus aus zweiteilig sind (fängt an) oder kompositionale Formen bilden (hat gemacht, wird gehen). Als Prädikate ergeben sie meistens mit einem Subjekt, auf das sie bezogen sind, einen vollständigen Gedanken: Peter geht. Viele Verben regieren Objekte oder Ergänzungen (s. 2.1.2): Peter fährt das Auto in die Garage. Um über diese Dinge sinnvoll sprechen zu können, unterscheiden wir zwischen Stelligkeit und Rektion. Mit der Stelligkeit eines Verbs meint man die Anzahl seiner Mitspieler. Schlafen geht nur mit einem Subjekt zusammen (Peter schläft), ist also einstellig. Mit Rektion meint man die grammatische Art der Mitspieler. In Peter

|| 48 Dieses Kapitel verhält sich ergänzend und präzisierend zu Kapitel 2.1, wo bereits etliches über die Syntax von Verben gesagt ist.

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schreibt einen Brief an seine Freundin und Peter schenkt seiner Freundin einen Computer haben wir es in beiden Fällen mit dreistelligen Verben zu tun, die sich aber in der Rektion unterscheiden: schreiben regiert ein direktes Objekt und ein Präpositionalobjekt; schenken ein direktes und ein indirektes Objekt. Man unterscheidet folgende Stelligkeitstypen: – Nullstellige Verben: es regnet/schneit/blitzt/donnert. Bei diesen Verben besetzt die Anapher es nur formal die Subjektstelle. Dieser Fall ist nicht zu verwechseln mit Es kommen viele Leute, wo die Anapher es darauf vorbereitet, dass das Subjekt viele Leute ‚nachgeliefert‘ wird (Rhematisierung des Subjekts). – Einstellige Verben, die nur mit einem Subjekt zusammentreten: Petra schläft/wacht auf/erkrankt/arbeitet. – Zweistellige Verben, die Objekte oder Ergänzungen regieren: Peter isst den Kucken auf (direktes Objekt); Peter hilft seiner Freundin (indirektes Objekt); Peter arbeitet an seiner Dissertation (Präpositionalobjekt); Peter gedenkt seines Vaters (Genitivobjekt, selten); Peter wohnt in München (Situativergänzung). – Dreistellige Verben, die Objekte oder Ergänzungen regieren: Peter schreibt einen Brief an seine Freundin (direktes Objekt, Präpositionalobjekt). Einen Sonderfall bilden die Verben sein, werden, und bleiben, die zwar zweistellig sind, aber keine Objekte regieren: Peter ist/wird/bleibt ein richtiger Schlawiner – hier spricht man von Prädikativen. 2 Wofür steht das es in Es schneit? Wofür steht das es in Es haben sich viele Menschen furchtbar darüber aufgeregt? Was ist die syntaktische Funktion von nach Neudorf in Wir sind dann nach Neudorf gelaufen? Was ist die syntaktische Funktion von über den Lärm in Peter hat sich sehr über den Lärm geärgert?

2.4.4.1 Reflexivität, reflexiver Gebrauch und echte reflexive Verben Waschen ist ein zweistelliges Verb, das ein direktes Objekt regiert: Peter wäscht seinen Pullover. Wenn Peter aber die Handlung waschen an sich selber vollzieht, also zugleich Urheber und Objekt der Handlung waschen ist, liegt ein reflexiver Gebrauch des Verbs waschen vor: Peter wäscht sich. Der Ausdruck sich heißt Reflexivum; das Reflexivum sich ist eine Anapher; es gehört zur Ausdrucksklasse er/sie/es. Das Reflexivum mich ist eine Sprecher-, das Reflexivum dich eine Hörerdeixis (Ich wasche mich/du wäschst dich). Von einigen Verben gibt es reflexive Varianten: Peter erinnert sich an seine Jugend/Petra erinnert Peter an seine Jugend. Außerdem gibt es im Deutschen einige Verben, die nur reflexiv gebraucht werden können: sich etwas verbitten, sich schämen.

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Wenn man echte reflexive Verben zitiert, wie wir das oben gemacht haben (sich schämen, sich etwas 2 verbitten), sieht man bestimmte Dinge nicht. Bilden Sie einmal sich etwas verbitten mit dem Singular der Sprecherdeixis als Subjekt. Was fällt auf? Betrachten Sie den Satz Die Tür öffnet sich. Inwiefern ist das eine reflexive Verwendung von öffnen?

2.4.4.2 Valenz Ein vor allem in den Lehrwerken für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache häufig anzutreffender grammatischer Ansatz ist die Valenzgrammatik (Dependenzgramatik). Dieser Ansatz geht auf den Sprachwissenschaftler Lucien Tesnière (1959) zurück, dessen Ziel es war, eine Syntax nicht von Sätzen, sondern von Gedanken zu machen. Tesnières Leitgedanke war folgender: Wir fassen die Elemente eines Gedankens simultan auf, bevor wir ihn äußern. Die Äußerung ist ein sprachlicher Ablauf in der Zeit, dem der Hörer den ausgedrückten Gedanken entnimmt, den er wieder simultan auffasst. Tesnière stellte sich daher vor, dass der Geist mentale Verbindungen zwischen den Wörtern etabliert und dass dabei das Verb das Zentrum ist, das – wie ein Atom bei chemischer Betrachtung – ein Fügepotential, eine Valenz besitzt. Die Striche in der folgenden Analyse, in dem folgenden Stemma (Strukturbaum) des Satzes Heute schenkt Peter Paula einen Computer stehen daher für die mentalen Verbindungen zwischen den Wörtern im Sinne Tesnières: schenkt

Peter Erg.

Paula Erg.

Computer

einen Erg. Heute Angabe Abb. 10: Stemma nach Tesnière

Wir sehen: Die Subjekt-Prädikat-Unterscheidung ist hier aufgegeben, da es Tesnière um die Struktur des Gedankens selbst geht, der als simultane Auffassung des Verbs und seiner Mitspieler, der Ergänzungen begriffen wird (was von Verb nicht ‚gebunden‘ wird, ist Angabe).

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Die – im Prinzip äußerst wertvollen – Überlegungen Tesnières sind leider in der Rezeption weitgehend einer rein formalen Sprachbetrachtung gewichen (etwa Heringer 1996), bei der das Verb als Kern des Satzes und seine Ergänzungen als vom Verb abhängig, dependent, gedacht werden. Bei dieser Auffassung wird aber nicht mehr eine Syntax des Gedankens, sondern eine Syntax von Sätzen betrieben, bei der das Subjekt als eine der Ergänzungen („Nominativergänzung“) des Verbs aufgefasst wird, die gleichberechtigt neben den anderen Ergänzungen („Akkusativergänzung“, „Dativergänzung“, „Präpositionalergänzung“) des Verbs steht. Innerhalb eines solchen Ansatzes bleibt nicht nur ein Verständnis der Rektionsverhältnisse im Satz und der Funktionalität der Satzglieder völlig auf der Strecke; es ist auch kaum möglich, die Funktionsweise der Kasus zu erklären, worauf bereits Wegener (1990) völlig zu Recht hingewiesen hat. Die Popularität eines grammatischen Ansatzes, der die Verhältnisse im Deutschen gerade nicht beschreibt, in Lehrwerken, die zur Vermittlung des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache genutzt werden, lässt sich nur so erklären: Der dependenzgrammatische Ansatz entbindet Sprachlehrer von der Verpflichtung, über die faktischen Rektionsverhältnisse im deutschen Satz, über die Funktionalität von Satzgliedern sowie über die Funktionalität von Kasus nachzudenken. Wo Sprachlehrer es einfach haben, haben es ihre Lerner allerdings umso schwerer.

2.4.5 Modalverben Ein besonderer Ausdrucksbestand des Deutschen, der in seinen Funktionen recht komplex ist, sind die Modalverben (können, müssen, dürfen, mögen, wollen, sollen). Modalverben drücken in erster Linie Perspektiven auf Handlungen aus. Können, dürfen, müssen drücken aus, dass und in welcher Weise eine Handlung Option ist oder nicht, sie sind alternativenbezogen; wollen und sollen drücken aus, dass und auf welche Weise eine Handlung Ziel ist, sie sind zielbezogen (Brünner & Redder 1983). Der Konjunktiv II von mögen, also möchten, hat sich zu einem eigenständigen zielbezogenen Modalverb entwickelt. Werden ist ebenfalls als ein zielbezogenes Modalverb anzusehen (Vater 1975). Im Grenzbereich dieser Ausdrucksklasse ist (nicht) brauchen angesiedelt. Modalverben haben ein besonderes Flexionsverhalten. Sie flektieren im Präsens wie starke Verben im Präteritum, weswegen sie auch als Präteritopräsentia bezeichnet werden. Modalverben regieren den Infinitiv (muss arbeiten, will schlafen), im Perfekt den doppelten Infinitiv: Nicht *ich habe arbeiten gemusst, sondern ich habe arbeiten müssen.

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2.4.5.1 Flexionsverhalten von Modalverben Wie man in der folgenden Tabelle sieht, flektieren Modalverben, obwohl sie präsentische Bedeutung haben, wie starke Verben im Präteritum (Präteritopräsentia). Dies hängt damit zusammen, dass sie sich aus Präteritalstämmen entwickelt und das Flexionsverhalten beibehalten haben. Tab. 13: Flexionsverhalten von Modalverben

geh-e

ging

kann

will

geh-st

ging-st

kann-st

will-st

geh-t

ging

kann

will

2.4.5.2 Syntax von Modalverben Abgesehen von den vergleichsweise wenigen Fällen, in denen Modalverben ein direktes Objekt regieren (Der Schauspieler konnte seinen Text nicht; Petra kann den Mozart jetzt), regieren sie den Infinitiv (Petra muss arbeiten). Aufgrund der SubstantivNähe von Infinitiven bezeichnen Brünner & Redder (1983) den von Modalverben regierten Infinitiv auch als Modalverbobjekt. Diese Sachverhalte führen dazu, dass Sätze, in denen Modalverben vorkommen, häufig eine komplexe syntaktische Struktur haben:

Peter

soll

den Fernseher

reparieren.

Abb. 11: Rektionsverhältnisse in einem einfachen Satz mit Modalverb

Man sieht: Das Subjekt Peter regiert entsprechende Kategorien des Finitums soll. Das Modalverb soll bildet mit dem von ihm regierten Infinitiv reparieren ein zweiteiliges Prädikat, eine sogenannte Modalklammer (Weinrich 1993, 47). Der Infinitiv reparieren, das Modalverbobjekt, regiert ein direktes Objekt (den Fernseher). Für den Sprecher bedeutet das, dass er spätestens in dem Moment, in dem er soll äußert, das Objekt zu reparieren, also den Fernseher, schon geplant haben muss. Für den Hörer bedeutet dies, dass er darauf warten muss, dass sich noch herausstellt, wovon den Fernseher regiert wird. Auch hier sieht man die Funktion der Kasusflexive im Deutschen sehr deutlich: Sie tragen dazu bei, die syntaktische Funktion sprachlicher Einheiten in einer Weise zu vereindeutigen, dass man als Hörer bereits recht spezifische Erwartungen ausbilden kann: Wer den Fernseher vernommen hat, erwartet ein transitives Modalverbobjekt.

84 | Nennwörter

2.4.5.3 Semantik von Modalverben Zur Beschreibung von Modalverben werden oft philosophische (Notwendigkeit, Möglichkeit, exempl. Auwera 1996) oder logische Kategorien herangezogen, die u.a. aus der Deontik, also demjenigen Gebiet der Logik stammen, das sich mit Erlaubnis, Verbot und Gebot befasst (exempl. v. Wright 1951). Wir folgen hier den Überlegungen Tesnières, der, wenn auch in etwas anderem Zusammenhang, eine grundlegende Skepsis bezüglich einer zu engen Verbindung von Sprachwissenschaft und Logik erkennen lässt (1959: 95). Sprache erlaubt es uns, so etwas wie Logik zu betreiben. Dies heißt aber gerade nicht, dass sprachliche Mittel sozusagen aus der Logik ‚kommen‘ (die Menschheit hatte schon über viele Jahrtausende verschiedenste Sprachen entwickelt, bevor in manchen Sprachgemeinschaften so etwas wie Logik betrieben worden ist). Wir beschreiben Modalverben hier aus einer handlungstheoretischen Perspektive, wie sie für etliches, was wir in diesem Buch bereits gesagt haben, charakteristisch ist. Ehlich & Rehbein (1975) konnten plausibel machen, dass Modalverben etwas mit der Vorgeschichte von Handlungen zu tun haben. Wie ist das zu verstehen? Handlungen haben eine Vorgeschichte (z.B. passt es Ihnen nicht, wo Ihr Kleiderschrank steht), eine Geschichte (Sie verrücken den Kleiderschrank und verstauchen sich dabei den rechten Zeigefinger) und eine Nachgeschichte (Sie sind hochbefriedigt, wo der Kleiderschrank jetzt steht, weil Sie viel besser drankommen, und der Zeigefinger tut irgendwann nicht mehr weh). Ehlich und Rehbein argumentieren nun folgendermaßen: Wenn Sie den Schrank verrücken möchten, überlegen Sie sich, ob Sie das alleine schaffen können und, wenn ja, wollen Sie den Schrank verrücken und tun das dann auch. Wenn ich hingegen etwas tun soll, gibt es einen anderen, der will, dass ich das tue, so dass es sich erübrigt, ob ich möchte oder nicht – in einer solchen Situation will ich die Handlung tun, wenn ich kann. Wir haben es also mit so etwas wie ‚internen Abfragen‘ zu tun, die in der Vorgeschichte der Handlung angesiedelt sind, die dann getan wird. Brünner & Redder (1983) entwickeln diese Überlegungen weiter, indem sie die Bedeutungen der Modalverben handlungstheoretisch fassen. Dabei stellt sich folgendes heraus: Modalverben haben sehr abstrakte Bedeutungen, die sich erst im Zusammenspiel mit dem Subjektausdruck und der aktuellen Handlungskonstellation konkretisieren. Sei im folgenden mit X eine Handlung (essen, schwimmen, den Schrank verrücken) bezeichnet. Dann haben die Modalverben etwa die folgenden abstrakten Bedeutungen, die auf die Modalitäten Handlungsalternative und Handlungsziel bezogen sind:

Verben | 85

Tab. 14: Abstrakte Modalverbbedeutungen

Handlungsalternative X können

die Option haben, X zu tun

X dürfen

die (von jemand anderem eröffnete) Option haben, X zu tun

X müssen

keine andere Option mehr haben außer derjenigen, X zu tun

Handlungsziel X möchten

das Bedürfnis haben, X zu tun

X wollen

das Ziel haben, X zu tun

X sollen

in der Situation sein, dass jemand anders will, dass man X tut

Einige einfache Überlegungen zeigen, dass diese abstrakten Bedeutungen so abstrakt doch nicht sind: Wer ein Bedürfnis hat, also möchte, kann auch noch andere Dinge tun; wer ein sogenanntes ‚dringendes Bedürfnis‘ hat, der muss unter allen Umständen, selbst wenn die Option eigentlich nicht eröffnet ist, er also eigentlich nicht darf. Als Studierende wissen Sie, dass die Institution Universität etliche Dinge von Ihnen will (Seminararbeiten, Referate etc.), so dass Sie permanent sollen. Weiter kommen Sie aber nur, wenn Sie das, was Sie sollen, auch selber wollen. Die Bedeutungen von Modalverben konkretisieren sich zum einen im Zusammenspiel mit dem Subjektausdruck (Tab. 15). Tab. 15: Können mit verschiedenen Subjektausdrücken

Ich kann X

die Option, X zu tun, besteht für mich

du kannst X

die Option, X zu tun, besteht für dich  Realisierung einer Erlaubnis

A kann X

die Option, X zu tun, besteht für A Sprecher weiß das aus irgendwelchen Gründen (sog. epistemische Verwendung, von altgriech. epistéme: ‚Wissen‘)

Wir sehen hier ganz deutlich: Die deontische ‚Erlaubnis‘-Bedeutung im ‚du-Fall‘ steckt nicht in dem können selbst; es wird nur umgekehrt ein Schuh draus: Wer einem anderen sagt, dass eine Handlungsoption für ihn besteht, kann hierdurch die Illokution Erlaubnis realisieren. Genauso wichtig für die Konkretisierung der Modalverbbedeutung wie der Subjektausdruck ist die aktuelle Handlungskonstellation (Tab. 16):

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Tab. 16: Bedeutungspotential einer Äußerung mit können mit Bezug auf unterschiedliche Handlungskonstellationen

Ich kann schwimmen.

Konkrete Bedeutung

Patient, nachdem der Gips entfernt wurde

Patient sagt, dass die Option schwimmen für ihn physisch besteht.

Leistungsschwimmer nach der Dopingfreigabe

Leistungsschwimmer teilt (z.B. der Presse) mit, dass die Option schwimmen für ihn institutionell freigegeben wurde, er also eine institutionelle Erlaubnis erhalten hat.

Passagier auf einem untergehenden Schiff nach Passagier erklärt, dass er über die Option entsprechender Abfrage schwimmen verfügt, mit entsprechenden Konsequenzen für die Nachgeschichte.

Bisher haben wir nur Verwendungen von Modalverben betrachtet, bei denen das Subjekt ein Agens, ein Handelnder, ist. Wenn ein Mathematiker sagt: Die Funktion muss stetig sein,49 erklärt sich die konkrete Bedeutung von der – mathematischen – Handlungskonstellation her: So kann es zum Beispiel sein, dass die Funktion alle Anforderungen erfüllt, die an stetige Funktionen gestellt werden, so dass ihr nur noch die Option verbleibt, dann auch stetig zu sein. Oder der Mathematiker kann für die Lösung eines Problems nur stetige Funktionen gebrauchen etc. Abschließend betrachten wir noch Verwendungen von Modalverben mit Infinitiv Perfekt, die i.d.R. als inferentielle/epistemische Verwendungsweisen bezeichnet werden. In Jemand musste Josef K. verleumdet haben (Kafka) lassen die Umstände nur noch diesen einen Schluss zu. In der Äußerung Der Minister soll bestochen worden sein ist ausgedrückt, dass es Menschen gibt, die sagen, dass der Minister bestochen wurde. Mit der Äußerung Der Minister will nicht bestochen worden sein wird kommuniziert, dass der Minister in einer Situation, in der andere sagen, dass er bestochen wurde, den Vorwurf der Bestechung abstreitet. 2 Überlegen Sie sich, in was für einer Sprechsituation Du willst schlafen geäußert werden könnte. Was für eine Illokution wird typischerweise mit Du musst noch den Müll runterbringen realisiert und worin besteht der Unterschied zwischen dieser Äußerung und Du sollst den Müll runterbringen?

|| 49 S. hierzu auch Hinzmann (im Druck) sowie – aus kognitiver Perspektive – Radden (1999).

Adverbien | 87

2.5 Adverbien Seit der Zeit von Dionysios Thrax (s. 1.2.1) ist das Adverb eine problematische Kategorie der Sprachbeschreibung gewesen. Bis heute besteht große Uneinigkeit darüber, was für sprachliche Ausdrücke eigentlich Adverbien sind. Ein Problem gibt es bereits mit den Adjektiven: In Petra singt schön ist schön Adverbial, aber ist es auch Adverb? Wir vertreten, wie z.B. die Duden-Grammatik (1998), die Auffassung, dass schön in diesem Beispiel nach wie vor Adjektiv ist, und zwar in adverbialer Funktion. Aber die Duden-Grammatik führt auch in späteren Auflagen – wie u.a. auch Eisenberg (2004) – Ausdrücke unter den Adverbien auf, die durch die Adverb-Kategorie unzureichend beschrieben sind: Ausdrücke wie jetzt, hier und da kommen zwar syntaktisch in adverbialer Funktion vor, sind aber Zeigwörter. Auch Ausdrücke wie dabei und somit, die oft unter den Adverbien geführt werden, haben deiktische Bestandteile (da, so), die man für ihre Beschreibung ernst nehmen muss. Ausdrücke wie warum, die manchen ebenfalls als Adverbien (etwa Eisenberg 2004) gelten, behandeln wir unter Interrogativa. Wir wollen unter Adverbien daher genuslose symbolische Prozeduren verstehen, die nur als freie Morpheme, d.h. unflektiert vorkommen können, sowie von symbolischen Prozeduren abgeleitete Wortbildungen, die unflektierbar sind und ebenfalls nur in adverbialer Funktion vorkommen können. Adverbien in diesem Sinne sind Wörter wie oft, bald, immer, gern sowie flugs, abseits oder möglicherweise. Drei Adverbien haben Steigerungsvarianten: gern – lieber – am liebsten; bald – eher – am ehesten; oft – öfter – am öftesten (Duden Grammatik 1998, 363). Adverbien realisieren die syntaktische Funktion des Adverbials, d.h. sie sind unabhängige Satzglieder, die weder von anderen Satzgliedern regiert werden noch weitere Bestimmungen fordern. Hoffmann (2007a, 2016) sieht die Funktion von Adverbien darin, dass sie Sätze, Prädikate oder Attribute spezifizieren.

2.5.1 Typen von Adverbien Man unterscheidet gemeinhin folgende Klassen von Adverbien (z.B. Duden 1998, 365–372; Zifonun, Hoffmann & Strecker 1997: 1126–1206): – Temporaladverbien, die auf die Frage wann? antworten: samstags, morgens; – Lokaladverbien, die auf die Frage wo? oder wohin? antworten: statisch: abseits, bäuchlings; direktional: rückwärts, seitwärts; – Modaladverbien, die auf die Frage wie? antworten: Qualität: gern, kopfüber, folgendermaßen; Quantität: größtenteils, scharenweise, oft; – Kommentaradverbien, die nicht, wie die anderen, erfragt werden können: bestimmt, leider, zweifelsohne, möglicherweise, vielleicht.

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2.5.2 Adverbbildungen aus anderen Wortarten Wie bereits die Übersicht zu den Typen von Adverbien zeigt, sind die meisten Adverbien Bildungen aus anderen Wortarten. Produktiv sind hier vor allem die folgenden Verfahren (vgl. Zifonun, Hoffman & Strecker 1997, 54): – Ableitungen von Modaladverbien aus Substantiven und Verben mit -s: flugs ( Flug), eilends ( eilend  eilen); – Ableitungen von Modaladverbien aus Substantiven und Verben mit -weise: monatsweise, leihweise, stückweise; – Ableitungen von Modaladverbien aus Adjektiven und Substantiven mit -lings: bäuchlings, blindlings; – Ableitungen von Modaladverbien aus Substantiven mit -halber: studienhalber, ordnungshalber; – Ableitungen von Modaladverbien aus Adjektiven und Partizipien mit -(er)maßen: gleichermaßen, einigermaßen, folgendermaßen, erwähntermaßen; – Ableitungen direktionaler Lokaladverbien aus Substantiven und Präpositionen mit -wärts: heimwärts, flusswärts, rückwärts, aufwärts.

2.5.3 Syntaktisches Verhalten von Adverbien Alle Adverbien können das Vorfeld besetzen. In syntaktischer Hinsicht lassen sich Adverbien danach unterscheiden, ob sie als Adverbiale auf den Gesamtsatz, auf das Prädikat oder auf ein Attribut bezogen sind. Wir betrachten die folgenden drei Beispiele: (46) (47) (48)

Samstags/Oft/Leider/bestimmt kommt Peter nicht. Peter springt kopfüber ins Wasser. der zweifelsohne beste Kopfsprung

Wir geben nun eine syntaktische Analyse dieser drei Beispiele, wobei wir ein Stück weit auf das Instrumentarium von Hoffmanns Funktionaler Syntax (2003) zurückgreifen. In (46) haben wir es mit Adverbien zu tun, die als Adverbiale auf den ganzen Satz (exakter: die aus der Synthese von Subjekt und Prädikat entstehende Proposition) bezogen sind:

Adverbien | 89

Samstags/Oft/Leider/bestimmt Spezifikation

kommt Peter nicht. Abb. 12: Adverbiale Spezifikation einer Proposition

Man sieht: Durch die Synthese des Subjekts Peter mit dem Prädikat kommt entsteht eine Proposition, die durch die Negationspartikel nicht negiert wird. Diese negierte Proposition kann durch Adverbien spezifiziert werden: Wenn Peter samstags nicht kommt, kommt er wohl an anderen Wochentagen; wenn Peter oft nicht kommt, kommt er zumindest manchmal. Mit dem Kommentaradverb leider bewertet der Sprecher den Sachverhalt, dass Peter nicht kommt, eher negativ. Mit dem Kommentaradverb bestimmt drückt der Sprecher aus, für wie wahrscheinlich er Peters Kommen hält; es ist für ihn also ausgeschlossen, dass Peter kommt. Mithin: In diesen Fällen realisiert das Adverb seine syntaktische Funktion auf dem Wege adverbialer Spezifikation einer Proposition. In (47) haben wir es mit einem Adverb zu tun, das adverbial auf dem Prädikat selbst operiert: kopfüber Spezifikation

Peter springt

ins Wasser.

Abb. 13: Adverbiale Spezifikation eines Prädikats

Man sieht: Wir haben es mit einem Prädikat zu tun, das durch die Direktivergänzung ins Wasser expliziert ist. Dieses explizierte Prädikat wird durch das Adverb kopfüber adverbial spezifiziert – kopfüber, also nicht mit den Füßen zuerst. Die Synthese dieses explizierten und spezifizierten Gesamtprädikats mit dem Subjekt Peter resultiert in einer Proposition, die einen Gedanken ausdrückt. Die Unterschiede zwischen (46) und (47) lassen sich auch noch anders verdeutlichen: In (46) ist es samstags/oft/leider/bestimmt der Fall, dass Peter nicht kommt. In

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(47) ist es aber nicht kopfüber der Fall, dass Peter ins Wasser springt, sondern es ist der Fall, dass das Kopfüber-ins-Wasser-Springen von Peter vorgenommen wird. In (48) ist es so, dass die adverbiale Spezifikation auf einem adjektivischen Attribut operiert:

Spezifikation der

zweifelsohne

beste

Kopfsprung

Abb. 14: Adverbiale Spezifikation eines adjektivischen Attributs

Man sieht: Das Kopfnomen wird nicht allein durch das Attribut beste näher bestimmt, sondern durch das adverbial spezifizierte Attribut zweifelsohne beste, in das eine Bewertung des Sprechers eingegangen ist. 2 Wir haben gesagt, dass wir Deiktika wie hier, jetzt, dort, heute sowie zusammengesetzte Verweiswörter wie dahin, daher, seither, dabei, genauso unter den Zeigwörtern behandeln werden, da ihre primäre Leistung das Zeigen ist. Dennoch treten diese Ausdrücke natürlich in adverbialer Funktion auf. Welchen Typen von Adverbien wären diese Ausdrücke zuzurechnen? Was kann durch sie spezifiziert werden – die Proposition, das Prädikat oder auch ein Attribut?

2.6 Präpositionen Präpositionen50 sind Wörter wie in, zwischen, mit, seit, gegen, aber auch bezüglich, aufgrund oder infolge. Sie sind nicht flektierbar und drücken Verhältnisse aus, deren Art sie benennen: das Verhältnis zwischen Baum und Haus in der Baum hinter dem Haus ist ein konkret anderes als in der Baum vor dem Haus. Daher sind Präpositionen – zumindest in ihrer Basisbedeutung – symbolische Prozeduren (Redder 2005). Die Verhältnisse, die durch Präpositionen ausgedrückt werden, sind vor allem räumlicher (in, an, auf, nach) und zeitlicher (seit) Art. Bei Präpositionen wie wegen, trotz, aufgrund oder bezüglich, die noch erkennbar durch Konversionen oder Ableitungen symbolischer Prozeduren entstanden sind (Weg, Trotz, Grund, Bezug), ist das ausgedrückte Verhältnis oft anderer Art: In Wegen schlechten Wetters kann ich leider nicht kommen wird über wegen ein Verhältnis zwischen schlechtes Wetter und der Proposition ich kann leider nicht kommen hergestellt, das eine Grund-Folge-Relation modelliert.

|| 50 Für einen forschungsgeschichtlichen Überblick s. Grießhaber (2007).

Präpositionen | 91

Präpositionen sind phrasenbildend: Bei mit meinem Freund, auf der Weide, bis zum jüngsten Tag handelt es sich um Präpositionalphrasen. Präpositionen regieren Kasus. Dies können sie entweder allein: gegen den Strom, mit dem Boot, trotz des Regens. Oder sie brauchen hierzu noch ein Prädikat, das das Verhältnis als statisch oder dynamisch konkretisiert: Wenn Peter sich auf den Stuhl gesetzt hat, dann sitzt er auf dem Stuhl.51 Diejenige sprachliche Einheit, deren Kasus eine Präposition regiert, ist ihr Bezugsobjekt (Grießhaber 1999) – im letzten Beispiel also den Stuhl bzw. dem Stuhl. Das Bezugsobjekt einer Präposition ist sozusagen der ‚Aufhänger‘, von dem aus sich das Verhältnis, das die Präposition erfasst, bestimmt: In Peter auf dem Stuhl ist das Locandum (‚das zu Verortende‘; Grießhaber 1999) Peter durch auf hinsichtlich des Bezugsobjekts der Stuhl verortet. Präpositionen haben eine kategoriale Leistung, das heißt, sie kommunizieren auch, wie das Bezugsobjekt aufzufassen ist: In die Schule gehen Schüler, Lehrer und der Rektor gleichermaßen; auf die Schule nur die Schüler. Dies macht Präpositionen für Lerner des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache aus zwei Gründen zu einem schwierigen Lerngegenstand: Kommen diese Lerner von Erstsprachen her, die ebenfalls über Präpositionen verfügen, erfahren sie, dass die Präpositionsbestände unterschiedlicher Sprachen Verhältnisse sehr verschieden organisieren (exempl. Bednarský 2003 für das Tschechische). Gravierender ist es jedoch, wenn es in den Erstsprachen der Lerner gar keine Präpositionen gibt, wie das etwa bei der größten deutschen Binnenfremdsprache Türkisch der Fall ist, die Verhältnisse durch ein – überschaubares – Set von Suffixen ausdrückt (Hoffman 2016: 404–406). In diesem Fall haben Lerner, wie Grießhaber (1999) gezeigt hat, besonders mit der kategorialen Leistung von Präpositionen zu kämpfen. Da sie Verhältnisse ausdrücken, treten Präpositionen in vielerlei grammatische Zusammenhänge ein, in denen sie ihre Basisbedeutung praktisch einbüßen: Wer auf dem Tisch sitzt, bedeckt einen Teil von dessen Fläche mit seinem Hosenboden; wer auf ein Schreiben reagiert, sitzt nicht drauf. Hier sind die symbolischen Präpositionen auf dem Wege der Feldtransposition in operative Zusammenhänge eingetreten. Wir versuchen nun, uns das System der Präpositionen und der durch sie ausgedrückten Verhältnisse von der präpositionalen Kasusrektion her zu erschließen. Anschließend gehen wir ausführlich auf die syntaktischen Verhältnisse ein, die durch Präpositionen in operativer Verwendung organisiert werden.

|| 51 Präpositionen, die entweder den Dativ oder den Akkusativ regieren können, heißen Wechselpräpositionen.

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2.6.1 Das System der Wechselpräpositionen Wie besonders Harald Weinrich (2001a) deutlich gemacht hat, haben die elementaren Präpositionen einen unmittelbaren Bezug zur menschlichen Leiblichkeit: die Fläche des Stuhls, mit der wir sitzend in Kontakt sind, hält uns komfortabel vom Heruntersinken ab (auf dem Stuhl). Auch wenn wir ein Bier zu uns nehmen und Tuchfühlung mit dem Tresen aufnehmen, haben wir physischen Kontakt (an der Bar), der sich aber vom auf-Verhältnis dadurch unterscheidet, dass er nach mehreren Bier gefährdet ist, wenn sich kein Stuhl findet, auf den wir niedersinken können. An der Bar steht man zwischen Leuten (man hat jemanden links und rechts von sich) und man ist in einem Raum (der heute nicht mehr überall mit Rauch erfüllt werden darf). Anhand solcher Überlegungen sieht man ganz deutlich, dass Präpositionen in ihrer Basisbedeutung keineswegs Funktionswörter (exempl. Eisenberg 2004, Bd.2: 191) sind – dann würden sie als operative Prozeduren metakommunikative Leistungen erbringen –, sondern dass sie semantisch außerordentlich reiche symbolische Prozeduren sind (Redder 2005): Die Präposition auf kategorisiert ihr Bezugsobjekt als eine Fläche, die das Locandum gegen die Schwerkraft unterstützt, wobei Locandum und Bezugsobjekt miteinander in Kontakt sind. Die Präposition an drückt ebenfalls eine Kontaktbeziehung aus, die allerdings so beschaffen ist, dass das Locandum durch Vorrichtungen (Beine, Nagel) am Hinuntergleiten oder -fallen gehindert wird: Ein Bild, das an der Wand hängt, ist ziemlich schnell auf dem Boden, wenn der Nagel herausgebrochen ist.52 Es ist nun sehr interessant, dass diejenigen Präpositionen, die einen elementaren Bezug zur menschlichen Leiblichkeit (Weinrich 2008) aufweisen, Wechselpräpositionen sind – also den Dativ oder den Akkusativ regieren können. Bei in, an, auf und zwischen haben wir das bereits gesehen. Zur Verdeutlichung des Leiblichkeitsbezugs von vor, hinter, neben, über und unter müssen wir den Leib zumindest andeuten. Abb. 15 zeigt mich von oben (schematisch).

|| 52 Es ist keineswegs selbstverständlich, dass alle Sprachen, die Präpositionen haben, genau eine solche Differenzierung machen: Der Bedeutungsbereich, der im Deutschen durch an und auf differenziert wird, wird im Englischen vor allem durch on ausgedrückt (on the table, on the wall).

Präpositionen | 93

∙ bei mir ∙ bei mir vor mir / vor mich

neben mir / neben mich

neben mir / neben mich

∙ bei mir hinter mir / hinter mich ∙ bei mir Abb. 15: Leibbezug der Wechselpräpositionen I

Vor, hinter und neben drücken Verhältnisse aus, die durch die leibliche Orientiertheit (ich schaue nach vorne, sehe nicht, was hinter mir ist und habe Personen oder Dinge neben mir) gesetzt sind. Die Positionen vor mir, hinter mir und neben mir können dadurch erreicht werden, dass sich jemand vor, hinter oder neben mich hinstellt. Hier sieht man deutlich die Funktion des Akkusativs, der kommuniziert, dass das durch ihn Markierte Bezugsobjekt einer gerichteten dynamischen Relation ist. Die durch vor, hinter und neben ausgedrückten Verhältnisse werden durch bei neutralisiert, das nur noch die Nähe zum Bezugsobjekt ausdrückt. Dementsprechend kann die Position bei mir auch nicht durch gerichtete Bewegung erreicht werden, weswegen bei nur den Dativ regiert, der Relationen als statisch ausweist. Ähnliche Verhältnisse liegen bei über und unter vor (Abb. 16).

über mir / über mich

unter mir /unter mich

Abb. 16: Leibbezug der Wechselpräpositionen II

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Auch über und unter haben einen unmittelbaren Leiblichkeitsbezug: Der gestirnte Himmel ist über mir, der Erdboden unter mir. Eine Drohne kann über mich fliegen und dann über mir verharren. Wenn ich hart sitze, kann ich ein Kissen unter mich schieben. Ein Haus hat – wie der menschliche Körper – eine Orientierung: Vor dem Haus ist, wo sich der Vorgarten befindet und die Fenster auf die Straße hinaussehen; unter dem Haus ist der Keller. Vor Denkmälern, die in diesem Sinne orientiert sind, kann man sich treffen; ist dies nicht der Fall, trifft man sich an der Mariensäule oder am Friedensengel. Wie Grießhaber (1999) deutlich macht, hat die Tatsache, dass die Wechselpräpositionen elementare räumliche Beziehungen ausdrücken, dazu geführt, dass manche Sprachwissenschaftler versucht haben, zu einer ‚geometrischen‘ Beschreibung ihrer Funktion zu gelangen (exempl. Wunderlich 1982). Wie Grießhaber zeigt, wird bei solchen Ansätzen Folgendes verkannt: Die Relationen, die durch Präpositionen ausgedrückt werden, sind nicht geometrisch-räumliche Relationen zwischen Objekten, sondern Relationen zwischen sprachlich verfassten Objekten. In der Baum vor dem Haus sind zwei Nominalphrasen, also der Baum und dem Haus über die Präposition vor in Beziehung gesetzt. Es wird also das, was wir über Bäume wissen, über die Präposition vor zu dem in Beziehung gesetzt, was wir über Häuser wissen. Dabei wird durch die Präpositionalphrase vor dem Haus das oben kurz entwickelte Leiblichkeitsmodell aktualisiert. Etwas ganz anderes passiert aber, wenn jemand einen Baum terrassenfähig macht und den Baum vor dem Eintopfen fotografiert. Auch hier ist noch das Leiblichkeitsmodell am Werke, aber in einer abstrakteren Weise: Mit Eintopfen ist ein Handlungsschritt benannt, der einem sozusagen entgegensieht wie die Fenster eines Hauses, vor dem sich etwas befindet. So erhält vor seine ‚temporale‘ Interpretation (vor Weihnachten, vor fünf, vor dem Durchbruch, vor dem Abitur). Auch das ‚temporale‘ vor hat noch symbolische Qualität. Anders steht es mit folgendem Beispiel: seine Angst vor Spinnen/dem Tod/dem Klimawandel. Wie wir gerade gesehen hatten, bestimmt sich die Wahl der Präposition ja auch vom Bezugsobjekt her: das Treffen vor der Feldherrnhalle aber an der Mariensäule. Bei seine Angst vor ist aber die Beschaffenheit des Bezugsobjekts nicht ausschlaggebend – es ist immer vor, egal, ob es sich um Spinnen oder den Klimawandel handelt. Bei solchen Fügungen mit ‚fester‘ Präposition gibt eigentlich das Locandum die Präposition vor: Angst braucht sozusagen ein ‚Gegenüber‘ auf das hin sie ausgerichtet ist, daher Angst vor. Es sind mithin nur noch sehr abstrakte Elemente der Bedeutung von Präpositionen, die in solche Fügungen eingehen, so dass diese quasioperative Funktionen übernehmen. In solchen Zusammenhängen lassen sie sich mithin auch als Funktionswörter betrachten.

Präpositionen | 95

Wie lässt sich zeigen, dass an und in Wechselpräpositionen sind? Welcher Aspekt der Bedeutung von 2 an liegt vielleicht der – festen – Fügung Interesse an + Dativ zugrunde?

2.6.2 Präpositionen mit Akkusativ Die Präpositionen bis, durch, für, gegen, ohne und um regieren den Akkusativ. Der durch Wortbildung gewonnene Ausdruck entlang (z.B. den Fluss entlang) ist eine sogenannte Postposition, die ebenfalls den Akkusativ regiert. Aufgrund der bisherigen Überlegungen ist in den meisten Fällen klar, warum diese Präpositionen den Akkusativ regieren: Das durch sie ausgedrückte Verhältnis ist ein dynamisches, das auch entsprechende Verben erfordert: bis München reisen, durch den Tunnel rasen, gegen die Wand knallen, um die Stadt fahren, den Fluss entlang radeln. Die Akkusativrektion von ohne und für hat sprachhistorische Gründe. Die – konkreten – Bezugsobjekte von Präpositionen mit Akkusativ sind, soweit diese erkennbar mit Bewegungskonzepten zusammengehen, das erreichte (auch zeitlich gedachte) Bewegungsziel (bis München, bis nächsten Freitag, gegen die Wand, gegen späten Vormittag) oder das vollständig passierte oder umrundete Objekt (durch die Schweiz, um das Dorf). Auch hier spielt wissensbasiert die Art der Bezugsobjekte mit ein. Die mit durch realisierte Relation lässt sich bei einem Tunnel vermittels der Handlung fahren erreichen; bei einem Fluss vermittels der Handlung schwimmen.

2.6.3 Präpositionen mit Dativ Die Präpositionen ab, aus, bei, mit, nach, seit, von und zu regieren den Dativ. Warum ist das so? Von der räumlichen Neutralisierungspräposition bei war in Abschnitt 2.6.1 schon die Rede. Die durch mit hergestellte Relation ist eine statische fortdauernden Kontakts (mit Freunden verreisen); sie wird daher gerne auch als instrumental interpretiert (mit dem Messer). Bei ab, aus, seit und von sind die Bezugsobjekte verschieden kategorisierte statische Ausgangspunkte: Bei von handelt es sich um einen räumlichen, bei seit um einen als zeitlich kategorisierten Ausgangspunkt (seit dem Gipfel fühlte er sich nicht gut). Bei ab ist nicht nur Separation im Spiel (vgl. abschneiden), sondern der Ausgangspunkt kann auch in der Zukunft liegen: Ab Montag bin ich im Urlaub. Bei seit liegt der Ausgangspunkt hingegen in der Erinnerung: Seit dem vierten August bin ich im Urlaub.

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Wie Präpositionen wissensbasiert mit ihren Bezugsobjekten interagieren, sieht man auch deutlich im Falle von aus: Wer von Hamburg kommt, kommt nicht notwendigerweise aus Hamburg. Und wer aus Hamburg kommt, kommt nicht notwendigerweise von Hamburg. Diese Bedeutung von Ursprung (im Sinne von Herkunft) kann z.B. auch eine materiale Dimension haben: der Balken aus Eiche. Die Präposition nach kategorisiert ihr Bezugsobjekt entweder als zeitlichen Ausgangspunkt (nach dem dritten September) oder als Bewegungsziel (nach München). Der Dativ tritt hier auf – ähnlich wie bei zu –, weil das Ziel nicht als erreicht kategorisiert wird, vgl. seine Drehung nach links oder ihr Blick zur Tafel.

2.6.4 Präpositionen mit Genitiv Bei den Präpositionen mit Genitiv lassen sich sprachgeschichtlich ältere (trotz, wegen, während, statt), die in der gesprochenen Sprache auch schon gerne mit Dativ verwendet werden, von solchen unterscheiden, denen man ihre Herkunft aus dem Symbolfeld noch deutlicher ansieht: abzüglich, bezüglich, unbeschadet, zwecks. Manche dieser sprachgeschichtlich jungen Präpositionen sind sogar selbst Präpositionalphrasen: auf Grund/aufgrund; in Folge/infolge. Bei den sprachgeschichtlich jungen Präpositionen wird das ausgedrückte Verhältnis noch durch eigenständige Benennung konzeptuell kategorisiert, wie man dies bei dem folgenden Dissertationstitel deutlich sieht: (49)

Der Wandel der Kulturlandschaft im Raum Peitz infolge des mehrhundertjährigen Betriebes des dortigen Eisenhüttenwerks (Mitte 16. Bis 19. Jahrhundert) Müller (2017)

Das durch infolge ausgedrückte Verhältnis besteht darin, dass der Wandel der Kulturlandschaft in Peitz eine Folge des Betriebes des dortigen Eisenhüttenwerks gewesen ist. Das Bezugsobjekt mehrhundertjähriger Betrieb des dortigen Eisenhüttenwerks wird hierdurch als Ursache für den Wandel der Kulturlandschaft kategorisiert.

2.6.5 Verschmelzungen Etliche Präpositionen können mit Kasusmorphemen verschmelzen: im Haus, am Tor, beim Treffen, zum Schluss. Wie Eisenberg (2004, Bd. 2: 198–202) ausführt, sind bestimmte Fügungen so fest, dass sie nicht durch eine Wortfolge ersetzbar sind: am schönsten (≠ *an dem schönsten); am lachen (≠ *an dem Lachen). Hier ist an Funktionswort, operative Prozedur. In beim Angeln oder vom Saufen ist nach Eisenberg hingegen nicht nur ein Ausbau der Phrase vorstellbar: bei jedem Angeln, vom dauernden

Präpositionen | 97

Saufen; man sieht hier die Grundbedeutung der Präposition auch noch durch, weswegen die Infinitive hier – im Gegensatz zur Verlaufsform am lachen – auch echte syntaktische Nomina sind und daher großgeschrieben werden. Vergleichen Sie Am Vormittag habe ich keine Zeit mit An dem Vormittag, an dem ich die ganzen Anrufe 2 reinbekommen habe, hatte ich keine Zeit und habe daher abgesagt. Warum ist im zweiten Beispiel am in beiden Fällen nicht möglich?

2.6.6 Syntaktische Funktionen von Präpositionalphrasen Präpositionalphrasen übernehmen eine Fülle syntaktischer Funktionen. Sie können als Adverbiale, Situativergänzungen, Direktivergänzungen, Präpositionalobjekte und als Präpositionalattribute auftreten. 2.6.6.1 Präpositionalphrasen als Adverbiale Präpositionalphrasen treten häufig in adverbialer Funktion auf. Sie realisieren dabei semantisch sämtliche derjenigen Funktionen, die auch von Adverbien versehen werden können: – Temporaladverbial: gegen sechs, am Vormittag, seit Montag, ab dem sechzehnten Juli; – Lokaladverbial: auf dem Platz, unter der Brücke, in Paris; – Modaladverbial: auf seltsame Weise, in eigentümlicher Manier; – Kommentaradverbial: zu unserem großen Bedauern, ohne Zweifel. 2.6.6.2 Präpositionalphrasen als Situativergänzungen und Direktivergänzungen Man vergleiche a) Er hat lange in Paris gewohnt mit b) In Paris haben wir uns auch eine Turner-Ausstellung angesehen. In a) lässt sich die Präpositionalphrase in Paris nicht weglassen; sie realisiert eine Bestimmung, die von wohnen gefordert wird, eine Situativergänzung, die auf die Frage wo? antwortet. Die Präposition ist hierbei nicht fest, vgl.: Er hat lange in Paris/auf dem Berg/unter der Brücke gewohnt. Situativergänzungen müssen nicht durch Präpositionalphrasen realisiert werden, vgl.: Er wohnt da/dort/drei Treppen rauf. In b) ist in Paris hingegen weglassbar – es handelt sich um eine adverbiale Bestimmung, die von keinem Satzglied regiert wird. Ähnlich liegen die Verhältnisse bei c) Er ist durch den Tunnel gefahren und d) Sie sind damals durch den Tunnel in den Westen geflohen. In c) ist durch den Tunnel eine Direktivergänzung zu fahren, die präpositional realisiert werden kann, aber nicht muss (vgl. Er ist dorthin gefahren.) und nicht mit einer festen Präposition geht: Er ist

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durch den Tunnel/in die Schweiz/auf den Berg gefahren. In d) ist durch den Tunnel hingegen eine freie adverbiale Bestimmung. 2.6.6.3 Präpositionalphrasen als Präpositionalobjekte Etliche Verben des Deutschen regieren ein Präpositionalobjekt. Präpositionalobjekte unterscheiden sich von Situativ- und Direktivergänzungen dadurch, dass sie immer mit einer festen Präposition und mit einem festen Kasus realisiert werden müssen: Gerd glaubt an die Demokratie/den TSV 1860; Petra achtet auf den Straßenverkehr/das Börsenbarometer. Etliche der Verben, die ein Präpositionalobjekt verlangen, sind reflexiv: sich interessieren für, sich ärgern über + Akk, sich bedanken bei. In diesen Zusammenhängen agieren Präpositionen als operative Prozeduren, als reine Funktionswörter. 2.6.6.4 Präpositionalphrasen als Attribute Präpositionalphrasen in attributiver Funktion sind Chamäleons: Es kann sich um ‚unschuldige‘ Präpositionalphrasen handeln, bei denen einfach ein Locandum und ein Bezugsobjekt zueinander ins Verhältnis gesetzt werden und die Präposition ihre volle symbolische Nennkraft entfaltet: die Amsel im Wald/auf dem Dach/neben dem Blumenbeet. Ähnlich liegen die Verhältnisse dann, wenn das Locandum eine deverbale Ableitung eines Verbs ist, das eine Situativ- oder Direktivergänzung verlangt: die Fahrt nach Zürich; der Aufenthalt in Paris. Auch hier entfalten die Präpositionen ihre volle symbolische Nennkraft. Völlig anders gestaltet sich die Situation hingegen, wenn das Präpositionalattribut aus einem Präpositionalobjekt hervorgeht, das von einem Verb verlangt wird, von dem eine deverbale Ableitung gebildet wurde: auf bessere Zeiten hoffen  Hoffnung auf bessere Zeiten; an ein Börsenhoch glauben  Glaube an ein Börsenhoch. In diesen Fügungen sind nur noch abstrakte Elemente der Präpositionalsemantik wirksam; die Präpositionen treten in solchen Zusammenhängen als operative Prozeduren auf. 2 Was ist die syntaktische Funktion der Präpositionalphrasen in den folgenden Beispielen? Wir fragten uns, ob der Herr im Nachbarabteil verschwunden war. Der Spatz in der Hand ist besser als die Taube auf dem Dach. Sein Ärger über die Mieterhöhung ist noch nicht verraucht. Als wir damals, nach langer Fahrt durch den Tunnel, endlich wieder Tageslicht sahen, bogen wir auf der Höhe in einen Feldweg ab, um unter Bäumen ausgiebig zu frühstücken.

Zahlwort (Numerale) und Quantifikativum | 99

2.6.7 Kategoriale Leistung von Präpositionen Wie Grießhaber (1999: 252–254) ausführt, ist die kategoriale Leistung von Präpositionen außerordentlich komplex. Wir behandeln hier exemplarisch die Wechselpräpositionen. Wenn sie auf den Wahrnehmungsraum bezogen sind, kategorisieren die Wechselpräpositionen auf und an ihre Bezugsobjekte als Fläche (auf dem Tisch; an der Wand); in kategorisiert sein Bezugsobjekt als Raum (im Bad). Wenn sie auf den – vom Wahrnehmungsraum abgelösten – Vorstellungsraum bezogen sind, kategorisiert in sein Bezugsobjekt als Bezirk (im Garten – der ja kein Raum ist); auf bzw. an kategorisieren ihre Bezugsobjekte als Institution: auf der Schule, an der Universität. Die Präpositionen vor, hinter, neben, über und unter sind unmittelbar auf die räumliche Orientierung des Leibes bezogen und werden auch im Vorstellungsraum von der Leiblichkeit her aufgefasst: vor dem Haus – vor dem Fest; neben der Wanne – neben dem Beruf; unter dem Tisch – unter Menschen. Abschließend sei noch ein besonderer sprachlicher Bereich erwähnt. Die alltägliche Wissenschaftssprache (Ehlich 1995) zeichnet sich dadurch aus, dass in ihr gemeinsprachliche Mittel genutzt werden, um wissenschaftstypische Handlungen und Prozesse zu benennen. Hierbei kommt auch den Präpositionen entscheidende Bedeutung zu, wie man an der folgenden Formulierung sieht: eine Erkenntnis setzt sich unter Wissenschaftlern durch. Die Formulierung bedeutet, dass die Wissenschaft, also die Gemeinschaft der Wissenschaftler, neue Erkenntnisse nicht einfach so akzeptiert, sondern sie einer kritischen Analyse unterzieht. Hat eine Erkenntnis diesen Ratifikationsprozess passiert und gilt sie als gesichert, hat sie sich unter den Wissenschaftlern durchgesetzt. Gemeinsprachlich sagen wir zum Beispiel, dass jemand sich gegen einen anderen durchgesetzt hat – hier sind also zwei Menschen, zwei Aktanten beteiligt, der Durchsetzer und sein Opponent. Auch sagt man, dass sich ein Lehrer bei den Schülern gut durchsetzen kann – auch hier sind durchgängig Aktanten beteiligt. In der wissenschaftssprachlichen Formulierung ist es aber eine Erkenntnis, also etwas NichtMenschliches, das sich durchsetzt, und dies nicht bei, sondern unter Wissenschaftlern. Wir haben es hier mit einer kleinen, aber wichtigen Abweichung gegenüber dem alltäglichen Sprachgebrauch zu tun: Hier kategorisiert die Präposition unter die Wissenschaftler als Kollegen, als peer group.

2.7 Zahlwort (Numerale) und Quantifikativum Zahlwörter sind Wörter wie eins, zweiunddreißig, vierter oder Drittel. Quantifikativa sind Wörter wie beide oder viele. Bei den Zahlwörtern unterscheidet man in erster Linie Kardinalia (eins, zwei, drei…), Ordinalia (erster, zweiter, dritter…) und Partitiva (Drittel, Viertel, Fünftel…). Zahlwörter und Quantifikativa werden – abgesehen von den substantivischen Partitiva (ein Drittel) – häufig als Untergruppe der Adjektive angesehen (z.B. Eichinger

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2007: 166); sie weisen aber einige Eigenschaften auf, die es rechtfertigen, sie gesondert zu betrachten.

2.7.1 Morphologische Charakteristika von Zahlwörtern und Quantifikativa 2.7.1.1 Flexionsverhalten Im Gegensatz zu Adjektiven flektieren Kardinalia in der Nominalphrase nicht, vgl. die guten Bücher aber *die zweien Bücher. In Situationen wie der Größte von den dreien erscheint das Morphem des Dativ Plural, allerdings i.d.R. nur bei Anzahlen bis zwölf: der Größte von den zwölfen, aber ?der Größte von den neunzehnen. Bei Genitivattribution scheint vier die Grenze zu sein: die Ankunft zweier/dreier/vierer/?fünfer Leute. Ordinalia verhalten sich morphologisch hingegen wie normale Adjektive, vgl. ein vierter Versuch ist nicht gestattet oder Champignons zweiter Wahl. Die Behandlung der Quantifikativa ist in der Literatur etwas uneinheitlich. Hoffmann (2016: 138) zählt Ausdrücke wie manche, einige oder alle zu den Quantifikativa; man sieht aber leicht, dass diese Ausdrücke – im Gegensatz zu beide, einige oder viele – etwas anderes sind. Man kann bilden die beiden/vielen/etlichen Leute, aber nicht *die manchen/einigen/allen Leute. Hieran sieht man, dass manche, einige und alle zu den Indefinita (vgl. Abschnitt 4.3) gehören: manche/einige/alle Leute, während beide, einige oder viele genuine quantifizierende Adjektive sind. 2.7.1.2 Wortbildung von Zahlwörtern Bei den Kardinalia konkurrieren sprachgeschichtlich das Zehner- und das ZwölferSystem: Die Zahlwörter elf und zwölf (eben nicht *einszehn und *zweizehn) drücken ursprünglich aus, dass, wenn man zehn Einheiten abgezählt hat, ein Rest von eins (elf) bzw. zwei (zwölf) übrig bleibt. Die Kardinalia werden nach einem – auf dem Zehner-System basierenden – Verfahren gebildet, das es gestattet, mit vergleichsweise wenigen Ausdrücken auch große Zahlen in den Griff zu bekommen (vgl. dreihundertvierzehntausendvierhundertzweiundsiebzig). Neben den Grundzahlwörtern von eins bis zwölf sind dies im Alltagsbereich die Ausdrücke für die Vielfachen von zehn (zwanzig, dreißig…) sowie hundert, tausend, Million und Milliarde. Die adjektivischen Ordinalia (erster, zweiter, dritter…) entstehen im wesentlichen durch die Insertion eines t-Morphems, das deiktisch ist und auf den durch die Zahl bezeichneten Ort im Zahlenraum zeigt. Die Partitiva sind Fusionen aus Ordinalia und dem Substantiv Teil, das heute zum grammatischen Morphem verblasst ist: Viert-Teil  Viertel.

Zahlwort (Numerale) und Quantifikativum | 101

2.7.2 Funktionalität von Zahlwörtern Zählen und Rechnen sind keineswegs selbstverständliche Kulturtechniken, die daher komplexe sprachliche Strukturen, Konzepte und Abstraktionen zur Voraussetzung haben (vgl. Wiese 1997, Thielmann 1999: 88–101). Streng genommen gibt es in der Wirklichkeit nur Individuen, selbst im Zeitalter der Massenproduktion („Montagsauto“). Die indigenen Stämme Australiens hatten bezüglich der Anforderung, sich eine Menge von Individuen als Gesamteindruck zu merken, für uns heute kaum vorstellbare Differenzierungs- und Merkfähigkeiten ausgebildet – man kann einfach irgendwo fünf Bäume sehen oder man kann sich, ohne über einen Zahlbegriff zu verfügen, eine Gruppe verschiedener Baumindividuen mit ihren Eigenheiten und räumlichen Beziehungen präzise merken (vgl. Chatwin 1987). Man kann wissen, dass ein Tier auch einer größeren Herde von Individuen fehlt, weil das Schaf mit dem abgewinkelten linken Ohr nicht da ist, – dann muss man nicht zählen. Eine Vorstufe zu einem Zahlbegriff, die bereits voraussetzt, dass man Individuen eines Typs (etwa Schafe, Ziegen, Rinder) als gleichartig ansieht, sind die babylonischen Zählsteine gewesen: Die sumerischen Zählsteine dienten der Erfassung der Größe von Herden, indem für jedes Tier eine der Gattung entsprechende einfache Tonfigur, die etwa ein Rind oder eine Ziege vorstellte, in eine Urne gelegt wurde (Schmandt-Besserat 1978). Um abzählen zu können, muss man die Menge als gleichartig aufgefasster Individuen so arrangieren, dass man den einzelnen Individuen, um sie nicht doppelt zu zählen, nacheinander eine Zählzahl zusprechen kann. Gezählt werden somit eigentlich die Fokussierungshandlungen, die beim Abzählen durch begleitende Bewegungen unterstützt werden. Damit dies funktioniert, müssen die Zahlwörter nach einem einfachen Verfahren, d.h. wie z.B. im Deutschen auf Basis des Zehnersystems, fortlaufend bildbar sein und eine Struktur besitzen, der, wenn man beim Zählen bei einer bestimmten Zahl angelangt ist, eine Anzahl analytisch entnommen werden kann. Beim Abzählen paare ich Zahlwörter mit meinen Fokussierungshandlungen. Dann entnehme ich dem Zahlwort, das ich abzählend erreicht habe, die Anzahl, wofür ich das Zahlensystem, konkret das Zehnersystem, nutze, um mir die Anzahl vorstellen zu können: Einhundertvierunddreißig sind einmal hundert, drei mal zehn und vier mal eins; hundert sind zehn mal zehn. Der Begriff einer Zahl […] ist der Name ihrer Position in der Folge von Zahlwörtern als Simultaneindruck der zur Erreichung dieser Position erforderlichen Fokussierungshandlungen, wie er als bereits durch das Zahlensystem wissensfähig strukturierter vorliegt. Thielmann (1999: 100)

3 Zeigwörter Zeigwörter sind Wörter wie ich, jetzt, hier, dieser, dann, da oder so. Sie gehören dem Zeigfeld der Sprache zu (Bühler 1934), sie sind deiktische Prozeduren. Eine Ausdrucksklasse, die mit dem Zeigfeld in engem Zusammenhang steht, sind zusammengesetzte Verweiswörter (Rehbein 1995) wie damit, darauf oder deshalb. Darüber hinaus gibt es auch deiktische Prozeduren, die keine Wörter sind, wie die Verbflexive -e und -st, die auf Sprecher und Hörer zeigen (Redder 1992). Wir rekapitulieren kurz die in Abschnitt 1.4 durchgeführten Überlegungen: Das Zeigen ist für Menschen etwas so Elementares, dass Kinder dies bereits tun, bevor sie sprechen können (Tomasello 2007: 708). Elementares Zeigen heißt: Ich sehe was, was du nicht siehst, und will, dass du das auch siehst. Was passiert hier? Der Zeigende hat seine Aufmerksamkeit auf etwas fokussiert und will erreichen, dass der andere seine Aufmerksamkeit auf dasselbe fokussiert. Dazu muss der andere seine Aufmerksamkeit, die irgendwo ist, auf dasjenige fokussieren, was der Zeigende ihm zeigen will, er muss seine Aufmerksamkeit refokussieren. Sprachliches Zeigen geschieht mit deiktischen Prozeduren. Wir verwenden zu seiner Beschreibung diejenigen Kategorien, die Ehlich in seinen grundlegenden Schriften (exempl. 1979, 2007d) entwickelt hat: Mit einer deiktischen Prozedur verweist53 der Sprecher den Hörer auf ein Verweisobjekt und bringt ihn dazu, seine Aufmerksamkeit zu refokussieren. Der Mehrwert des sprachlichen Zeigens gegenüber dem Zeigen mit dem Zeigefinger besteht darin, dass mit deiktischen Prozeduren das Verweisobjekt kategorisiert werden kann: Ich ist eine Sprecherdeixis, du eine Hörerdeixis; jetzt ist eine Temporaldeixis; hier ist eine Lokaldeixis; dieser ist eine Objektdeixis; so ist eine Aspektdeixis. In der Sprechsituation zeigen die Ausdrücke ich, jetzt und hier auf Dimensionen der sprachlichen Handlung, die aktuell vollzogen wird: Sprecher, Ort und Äußerungsmoment. Die vom Sprecher gerade vollzogene sprachliche Handlung ist die Origo (Bühler 1934: 102–103), von der her ich, jetzt und hier ihre je aktuelle Vereindeutigung im Diskurs erhalten. Das sprachliche Zeigen hat noch eine Eigenschaft, die erst einmal wenig auffällig ist: Es kann sich – anders als das Zeigen mit dem Zeigefinger – vollständig vom Wahrnehmungsraum ablösen. Ich kann auf die Frage Wo ist denn bloß wieder der Schlüssel? mit da antworten und den Fragenden dabei mit dem Zeigefinger auf den Schlüssel verweisen, den er nicht im Fokus hat. Aber wenn ich jemandem den Weg erkläre und sage An der dritten Kreuzung, da fahren Sie dann rechts rein, dann zeige ich mit da auf etwas, was mein Hörer gerade nicht sieht, sondern das er sich nur vorstellen kann (die dritte Kreuzung). Dies ist ein Zeigen im Vorstellungsraum – Bühler (1934: || 53 In der linguistischen Literatur wird der Ausdruck verweisen in vielfachem Sinne verwendet. Wir verwenden ihn strikt terminologisch: ‚Verweisen‘ ist dasjenige, worin die Leistung einer deiktischen Prozedur besteht. https://doi.org/10.1515/9783110667967-003

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121–140) sprach diesbezüglich von der Deixis am Phantasma. Das sprachliche Zeigen geschieht mithin, wie Ehlich (1979) herausgearbeitet hat, in unterschiedlichen Verweisräumen. Insgesamt lassen sich folgende Verweisräume ansetzen: – Wahrnehmungsraum: Wo ist der Schlüssel? – Da. (mit Zeigegeste); – Rederaum (Diskursraum): Da hast du gerade was Gutes gesagt. (Verweisobjekt ist eine sprachliche Handlung, die gerade vollzogen wurde und an die Sprecher und Hörer sich noch erinnern); – Textraum: Im letzten Kapitel haben wir X verhandelt. Da haben wir auch gesehen, dass… (Verweisobjekt ist ein Textstück); – Zeit-Raum: Freitag, da kann ich nicht. (Verweisobjekt ist ein Tag im Zeit-Raum, im kalendarischen Raum); – Wissensraum (Redder 2009): Das hattest du doch alles schon gesagt! (Verweisobjekt der Objektdeixis das sind Wissenselemente, die Sprecher und Hörer noch präsent haben, während sich beide nicht mehr an konkrete sprachliche Einzelhandlungen erinnern können). Wir nehmen nun noch eine weitere terminologische Unterscheidung vor, bevor wir uns mit konkreten Formen der Deixis befassen: In der Äußerung Das muss ich dir noch erzählen… wird mit der Objektdeixis das auf etwas verwiesen, was der Sprecher erst noch sagen möchte. Der Sprecher zeigt sozusagen voraus. Es liegt ein katadeiktischer Verweis vor. In Da hast du gerade was Gutes gesagt zeigt der Sprecher hingegen im Rederaum zurück. Hierbei handelt es sich um einen anadeiktischen Verweis.

3.1 Sprecher- und Hörerdeixis Zunächst hat es den Anschein, als ließe sich dieses Kapitel mit einem Satz bestreiten: Mit der Sprecherdeixis ich verweist der Sprecher in der Sprechsituation auf seine Sprecherrolle, mit der Hörerdeixis du verweist er auf den Hörer.54 Dies ist erst einmal richtig und wichtig, aber die Verhältnisse liegen doch ein wenig komplexer.55 Wir betrachten zunächst einmal den Formenbestand:

|| 54 Dass auch sprachliches Zeigen ein Zeigen ist, merken Sie daran, dass ein von einem Erwachsenen geäußertes du gegenüber einem Polizisten recht teuer kommen kann (man zeigt ja nicht mit nacktem Zeigefinger auf angezogene Leute…). 55 S. hierzu auch Kameyama (2007).

Sprecher- und Hörerdeixis | 105

Tab. 17: Sprecher- und Hörerdeixis: Formenbestand

Singular

Plural

Singular

Plural

Nominativ

ich

wir

du

ihr

Akkusativ

mich

uns

dich

euch

Dativ

mir

uns

dir

euch

Genitiv

meiner

unserer

deiner

eurer

adnominal

mein

unser

dein

euer

Man sieht deutlich, wie differenziert der Formenbestand ist: Singular und Plural von Sprecher- und Hörerdeixis sind kasusmäßig ausdifferenziert – Sprecher- und Hörerdeixis können mithin in den syntaktischen Funktionen Subjekt, direktes Objekt und indirektes Objekt auftreten. Der Genitiv kommt heute selten vor (Er hat sich deiner erinnert). Hochfrequent sind die adnominalen Formen: mein Auto, unser Haus, dein Auto, euer Haus. Die adnominalen Formen sind genuin sprecher- und hörerdeiktisch. Sie sind weder Artikel, wie mitunter angenommen wird, noch Possessiva: Mein Auto mag mir ja noch in einer Weise gehören, dass ich es gegebenenfalls gegen einen Dieb verteidigen würde, aber meine Zahnschmerzen würde ich gegen keinen Zahnschmerzendieb der Welt verteidigen. Sprecher- und hörerdeiktisch sind auch, wie in Abschnitt (2.2.1) ausgeführt, die gebundenen Verbmorpheme in ich geh-e und wir geh-en sowie in du geh-st und ihr geh-t, die wir hier, da sie keinen Wortstatus haben, nicht weiter berücksichtigen. Die Sprechergruppendeixis wir ist eindeutig, wenn zwei miteinander sprechen und der eine zum anderen sagt: Gehen wir? Sie ist aber ganz schnell rekonstruktionsbedürftig, wenn z.B. der EU-Parlamentspräsident einen Rettungsfonds für Banken mit den Worten ablehnt: Wir müssen den Gürtel enger schnallen. (Hamburger Abendblatt, 11.10.08). Wer ist hier ‚wir‘? Ich auch? Anlässlich der Wahl Joseph Kardinal Ratzingers zum Papst titelte die Bild-Zeitung am 20.05.05: Wir 2 sind Papst! Was ist hier das Verweisobjekt von wir? Was ist der Unterschied in den wir-Verwendungen in Wir sind das Volk! während der Montagsdemonstrationen in der DDR 1989/1990 und exakt demselben Slogan auf einem Wahlplakat der Partei „Alternative für Deutschland“ im Jahr 2019?

Aber auch Sprecher- und Hörerdeixis im Singular bedürfen hörerseitiger Deutungsleistungen, sobald es um textuelle Verwendungen geht. Der erste Satz von Max Frischs Roman Stiller lautet „Ich bin nicht Stiller!“. Als Leser, der im Lesen von Romanen geübt ist, liest man die Sprecherdeixis so, dass sie auf einen Protagonisten im Vorstellungsraum zeigt, der dort gegenüber einem anderen

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kundtut, er firmiere nicht unter dem Namen Stiller bzw. sei nicht identisch mit jemandem, der unter dem Namen Stiller firmiere. Wenn es in dem Gedicht Der Lindenbaum von Wilhelm Müller heißt: Ich träumt’ in seinem Schatten so manchen süßen Traum, ist keineswegs davon auszugehen, dass das Verweisobjekt von ich Wilhelm Müller ist.56 Bereits der Anfang eines Sachtextes für die vierte Klasse Grundschule, wie er den Bildungsstandards im Fach Deutsch für den Primarbereich (Beschlüsse der Kultusministerkonferenz 2004: 18, Hvg. W.T.) als Beispieltext beigegeben ist, verlangt den noch kindlichen Lesern bezüglich Sprecher- und Hörerdeixis keine trivialen Deutungsleistungen ab: (50)

„Blöd, es ist erst sieben Uhr und ich soll schon ins Bett“, meckert Miriam. „Warum früher schlafen?“, mault Lukas. „Jeden Abend das gleiche Theater!“, stöhnt die Mutter. „Die Kids haben eben immer Angst, dass sie etwas verpassen.“ Aber dem ist nicht so. Auch im Schlaf sind dein Körper und dein Gehirn voll in Aktion. Auch wenn du mit geschlossenen Augen ruhig daliegst, geht in dir die Post ab.

Hier wird eine kleine Szene vor dem abendlichen Zubettgehen erzählt, in der Miriam und Lukas, die wohl als Geschwister aufzufassen sind, als Figuren auftreten. Die Sprecherdeixis in …ich soll schon ins Bett ist hier katadeiktisch (vorauszeigend) eingesetzt – sie verweist auf die Figur Miriam im Textraum. Es ist auffällig, dass anschließend die Hörerdeixis du, dein etc. im Text äußerst häufig auftritt. Der Autor zeigt hiermit auf den kindlichen Leser. Dieser würde sicher sämtliche Rezeptionsanforderungen der Bildungsstandards im Fach Deutsch für den Primarbereich verfehlen, wenn er sich – etwa wie in einem an ihn adressierten Brief – als persönlich gemeint verstünde und mithin aus dem Text schlösse, dass es nur um seinen eigenen Körper, sein eigenes Gehirn ginge. Der kindliche Leser muss erkennen, dass er zwar angesprochen ist, aber als generischer Rezipient. Die Hörerdeixis du verweist hier im generischen Aktantenraum. Diese Verwendungsweisen der Hörerdeixis, über die hier die sachangemessene Allgemeinheit hergestellt wird, sind mithin keineswegs elementar, sondern deutungsbedürftig – ihre spezifische Verwendung setzt besondere literale (auf schriftliche Textualität bezogene) wie pragmatische (auf die Erreichung von Zielen durch Sprache bezogene) Qualifikationen voraus (Ehlich 2005: 12).

|| 56 Später heißt es in dem Gedicht: Ich musst’ auch heute wandern vorbei in tiefer Nacht. Angesichts der Wege-, Beleuchtungs- und Sicherheitsverhältnisse in Deutschland Anfang des 19. Jahrhunderts ist davon auszugehen, dass der Autor, wären Nachtwanderungen sein Hobby gewesen, kaum noch Gelegenheit gehabt hätte, das Gedicht zu schreiben.

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2 In dem oben zitierten Text aus den Bildungsstandards finden sich auch folgende Sätze: Träume können dir zeigen, was dich im Inneren bewegt. Im Traum sammelt unser Inneres neue Kräfte. Was sind hier die Verweisobjekte der hörerdeiktischen Ausdrücke dir und dich sowie der Sprecherdeixis in unser Inneres?

3.1.1 Die Höflichkeitsanrede Sie Die zeigende Qualität der Hörerdeixis du ist, wie bereits oben ausgeführt, mit Höflichkeitszwecken nur schwer zu vereinbaren – man kann sie, in erster Approximation, als sprachliches Äquivalent einer Zeigegeste auffassen, mit der direkt auf den Hörer gezeigt wird. Weinrich (1986) hat die Wege ausgeführt, die im Deutschen (und anderen Sprachen) beschritten worden sind, um höflichere Anredeformen zu gewinnen. Die Lösung, die sich im Deutschen etabliert hat, ist Resultat einer Feldtransposition (Ehlich 2007h): Man nimmt als Höflichkeitsform den Plural der Anapher, also den Ausdruck sie, für den Zweck des Verweisens auf den Hörer in Anspruch. Es wird also ein Ausdruck, dessen Zweck das genaue Gegenteil von Zeigen ist (vgl. 4.1), für die Zwecke des Zeigens in Anspruch genommen – der Effekt ist etwa der, als würde man, um auf den Hörer zu zeigen, statt des nackten Fingers einen Blumenstrauß verwenden. In schriftlichen Texten wird daher – um Verwechslungen mit der Anapher sie zu vermeiden, die Höflichkeitsform in allen Kasusformen (Sie – Ihnen) sowie in ihren adnominalen Formen (Ihr/Ihre/Ihr) groß geschrieben, das auf sie bezogene Reflexivum sich hingegen klein, vgl.: Haben Sie sich schon erkundigt?

3.2 Lokaldeixis Lokaldeiktische Prozeduren sind die Ausdrücke hier, da, dort, hin und her.57 Syntaktisch treten sie im Satz in adverbialer und auch in attributiver Funktion auf: – Hier haben wir gewohnt. – Da haben sie ein Hochhaus hingebaut. – Dort sind wir dann gleich ins Hotel gegangen. – Hin war ja kein Problem, aber zurück haben wir sechs Stunden gebraucht. – der Tisch hier; das Haus dort; der Baum da. Das wesentliche an den lokaldeiktischen Ausdrücken ist aber nicht, dass sie adverbial spezifizieren, weswegen wir sie auch nicht unter den Adverbien aufgeführt haben, sondern dass sie zeigen und dass ihre Verweisobjekte Orte bzw. Richtungen sind. || 57 S. hierzu auch Hoffmann (2016: 352–355)

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Verwendet ein Sprecher in der Sprechsituation den Ausdruck hier, so verweist er damit auf den Ort der von ihm aktuell vollzogenen sprachlichen Handlung (lokale Dimension der Origo). Äußert der Sprecher in der Sprechsituation den Ausdruck da, so verweist er auf einen Ort in Origo-Nähe, der aber nicht mit der Origo identisch ist. Verwendet ein Sprecher in der Sprechsituation den Ausdruck dort, so verweist er auf einen Ort in der Ferne. Die Prozeduren hin und her sind direktional: hin ist die Richtung vom Sprecher weg in die Origo-Ferne; her ist die Richtung auf den Sprecher zu aus der Origo-Ferne. Es ergibt sich mithin folgendes System: Tab. 18: System der lokaldeiktischen Prozeduren

Origo (unmittelbarer Nahbereich)

Origo-Nähe

Origo-Ferne

hier

da

dort her hin

Diese Bestimmungen sind sehr allgemeiner Art. Wir wenden uns jetzt konkreten Verwendungsweisen zu.

3.2.1 hier In der Sprechsituation verweist der Sprecher mit hier auf die Origo, genauer auf die lokale Dimension der aktuell geäußerten sprachlichen Handlung: Wo bist du? – Hier. Mit hier kann der Sprecher auch eine Zusammenführung des eigenen Nahbereichs mit demjenigen des Hörers bewirken, wie dies etwa geschieht, wenn Sprecher und Hörer auf einen Wohnungsplan fixiert sind und der Sprecher den Hörer ‚führt‘: Hier kommt man rein – hier geht’s dann gleich ins Wohnzimmer und hier ist das Bad. Haben Sprecher und Hörer keinen gemeinsamen Wahrnehmungsraum, wie dies etwa bei einem Telefonat oder bei einem Text der Fall ist, ist der Nahbereich des Sprechers für den Hörer nur wissensbasiert zugänglich: Hier gibt es übrigens Haie. – Was, an der Adria? Bei Goethe heißt es in der fünften der „Römischen Elegien“: Hier befolg’ ich den Rat, durchblättre die Werke der Alten mit geschäftiger Hand, täglich mit neuem Genuß. In beiden Fällen ist die hörerseitige Rekonstruktion des Sprecher-hiers (Adria, Rom) eine mentale Tätigkeit im Vorstellungs- bzw. Wissensraum. Im Textraum ist hier hochfrequent, vgl. Verwendungen wie das hier analysierte Beispiel, die Terminologien der hier betrachteten Lehrwerke etc, mit denen der Autor die jeweilige Textstelle selbst als ihm mit dem Leser gemeinsamen Nahbereich fokussiert.

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3.2.2 da In der Sprechsituation verweist der Sprecher mit da auf einen Ort in Origo-Nähe außerhalb des unmittelbaren Nahbereichs. Wir betrachten das folgende Beispiel aus einer Unterhaltungssendung (zitiert nach Hoffmann 2016: 352): (51)

Moderator:

Möchtest du jetzt hier sein?

Nevio:

Ich möchte hier sein, aber nicht da, wo du bist.

Mit hier in ich möchte hier sein setzt Nevio dem Moderator seinen eigenen unmittelbaren Nahbereich entgegen. Da, wo du bist ist zwar noch in Nevios Origo-Nähe, aber außerhalb seines unmittelbaren Nahbereichs. Der Attributsatz wo du bist macht das da zu einer Rekonstruktionsaufgabe: Moderatorenstuhl? Moderatorenrolle? Ort auf der Karriereleiter? Im Vorstellungsraum ist da hochfunktional, wie der folgende Beleg aus einer Maschinenbau-Vorlesung zeigt: (52)

Dozent:

Stellt euch vor (…), der Fahrstuhl ist voll, und da kommt noch einer rein, der nicht ganz so schlank ist.

Thielmann (2014b: 202)

Mit da refokussiert der Dozent anadeiktisch einen Redegegenstand (voller Fahrstuhl) als räumlichen Ort, in den noch jemand hineinkommt. Die Hörer müssen dies im Vorstellungsraum nachvollziehen. Auch im Zeit-Raum wird häufig mit da verwiesen, wie es im folgenden Beispiel der ehemalige Bob-Fahrer Jochen Babock im Zeitungsinterview tut. Der Verweis erfolgt nicht auf einen Zeitpunkt, sondern auf den – nicht näher spezifizierten – Zeitabschnitt vor der WM 2017. (53)

Usain Bolt hat bei uns vor der WM 2017 trainiert, da haben wir schon gesehen, dass er nicht gewinnen kann. Süddeutsche Zeitung, 14.12.2018

Betrachten Sie die folgende Textstelle aus Anschauung und Begriff von Max Brod und Felix Weltsch 2 (2017, 240). In welchem Verweisraum erfolgt der da-Verweis? Wir brauchen […] nur auf unsere Untersuchungen über die Anschauung und ihre Entwicklung zum anschaulichen Begriff hinzuweisen. Da haben wir gezeigt, wie die ursprüngliche Gesamtanschauung gleich beim Beginne unserer geistigen Tätigkeit mannigfacher Verarbeitung ausgeliefert wird.

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3.2.3 dort In der Sprechsituation, in der Sprecher und Hörer beide anwesend sind und sich gegenseitig sehen, setzt ein Zeigen mit dort einen Fernbereich gegen einen gemeinsamen Nahbereich wie in Schau mal, dort! Interessant werden die Verhältnisse bei einem Telefonat: + Wo bist du gerade? – In Nürnberg. + Und was machst du dort? Hier zeigt der Fragende mit dort aus seinem Nahbereich heraus in die Ferne. Für den Hörer in Nürnberg ist das verständlich, da er weiß, dass das dort auf die – ferne – SprecherOrigo zu beziehen ist. 2 Betrachten Sie die folgende Wegbeschreibung der Korbmacher-Innung Düsseldorf, die auf die Homepage der Innung eingestellt ist. In welchem Verweisraum erfolgt der Verweis mit dort? Am Düsseldorfer Hauptbahnhof gehen Sie zum Ausgang Konrad-Adenauer-Platz, halten sich dann rechts bis zum Worringer Platz, dort gehen Sie dann links zur Klosterstraße und überqueren dabei die Karlstraße und dann die Kurfürstenstraße, wenige Schritte weiter erreichen Sie auf der linken Seite dann das Haus der Kreishandwerkerschaft Düsseldorf und damit Ihre Innung!

3.2.4 hin und her Wie bereits in Abschnitt 3.2 dargelegt, verweisen hin und her auf Richtungen: hin zeigt vom Sprecher weg; her zeigt auf den Sprecher zu. Beide Ausdrücke gehen gerne in verbale Wortbildungen ein: hingehen, hinfallen; herkommen, herbringen. Außerdem bilden sie zusammengesetzte Verweiswörter mit anderen Deiktika oder mit Präpositionen: dahin, dorthin; herab, hinauf. Wir betrachten, wie sprachliches Zeigen mit hin und her in den folgenden Zeitungsüberschriften erfolgt: (54)

Neue E-Scooter Unfälle: Kölner rauscht Treppe herab Express, 19.7.2019

(55)

18-Jähriger reißt Bahn-Sicherheitsmann die Treppe hinab Die Welt, 10.9.2018

Bei diesen Belegen lässt sich sehr gut die prozedurale Leistung von hin und her erfahren, d.h. die unglaubliche Ökonomie, die in sprachlichem Zeigen steckt: Die interessante Frage ist ja, wo Sie bei der Lektüre der Belege (54) und (55) jeweils stehen: In (54) stehen Sie am Fuß der Treppe und sehen den Kölner auf sich zurauschen; in (55) stehen Sie hingegen oben an der Treppe und sehen, wie der 18-Jährige den Bahn-Sicherheitsmann von Ihnen weg die Treppe abwärts reißt. Hin und her zeigen hier im Vorstellungsraum. Die Autoren schieben Sie mithilfe der Deiktika im Vorstellungsraum in einer Weise herum, dass es nicht mehr feierlich ist.

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3.3 Temporaldeixis Temporaldeiktische Prozeduren sind jetzt, nun und dann. Mit den Präteritalstämmen (ging, lief) der starken Verben und dem präteritalen t-Morphem (frag-t-e, sag-t-e) haben wir bereits temporaldeiktische Prozeduren kennengelernt, die keinen Wortstatus haben.

3.3.1 jetzt Die Elementarfunktion von jetzt sieht man sehr gut an dem folgenden Beispiel, wo ein Dozent im Fach Maschinenbau eine – durch einen Strich symbolisierte – Biegebelastung in eine Skizze auf einer Overhead-Folie einträgt, und hierzu handlungsbegleitend folgendes sagt: (56)

Das hier ist die Biegung. Die malen wir jetzt nochmal schnell hier hin. Thielmann (2014b, 198)

Das Verweisobjekt von jetzt ist der Äußerungsmoment, der mit dem für die Hörer sichtbaren Eintragen der Biegebelastung in die Overhead-Folie koinzidiert. Wie Hoffmann (2016: 357–358) zeigt, kann der Sprecher mit jetzt auch den Nahbereich des Äußerungsmoments fokussieren. Wenn der Dozent aus dem obigen Beispiel an anderer Stelle sagt Das habt ihr jetzt auch ma mitgekriegt (Thielmann 2014c, 59), wird mit jetzt der Nahbereich des Äußerungsmoments fokussiert, in dem das mit das refokussierte Wissen noch präsent ist.

3.3.2 dann Der Ausdruck dann hat ein sehr spezifisches Verweisobjekt. Mit dann verweist der Sprecher den Hörer auf das nächste Element einer zeitlichen Abfolge. Beim mündlichen Erzählen tritt dann gerne in Verbindung mit und auf. Der Hörer wird so darüber orientiert, dass die Folgeäußerung noch Teil der Folge sprachlicher Erzählhandlungen ist, wie dies in (57) in einer Erzählung eines sechsjährigen Kindes der Fall ist. (57)

Und dann ist der Benjamin so voll gegen das Holz gefahren, ja. Grießhaber (2006: 49)

112 | Zeigwörter

3.3.3 nun Auch die Deixis nun hat ein sehr spezifisches Verweisobjekt: nun bezeichne ich als Planungsdeixis. Innerhalb des Diskurses und des Textes findet sich diese Deixis an jeweils spezifischen Umbruchsstellen, in denen der Übergang von einem Planschritt zum nächsten kommunikativ bearbeitet wird. Durch die deiktische Prozedur mit nun wird die Aufmerksamkeit des Hörers/Lesers a) auf den nächstfolgenden Planungsschritt und damit zugleich b) darauf orientiert, dass ein solcher Umbruch stattfindet und von ihm mental nachzuvollziehen ist. Ehlich (2007g: 162–163, Hvg. i. O.)

Diese typische Funktionalität von nun erschließt sich am einfachsten, wenn man Lehrbücher betrachtet. Der Autor hat einen Bereich abgehandelt und geht unter Verwendung von nun zum nächsten über: (58)

Wir befassen uns nun mit diesen Unterschieden zwischen diesen beiden Hemisphären unseres Gehirns. Gerrig & Zimbardo (2008: 95)

2 Ersetzen Sie in den Belegen (54)–(56) die temporaldeiktischen Verweise durch die jeweiligen Alternativen, also etwa Wir befassen uns jetzt mit diesen Unterschieden… Was beobachten Sie?

3.4 Objektdeixis – der, dieser, jener Objektdeiktische Prozeduren sind der/die/das (in Verwendungen wie Guck dir mal den an!) sowie dieser/diese/dieses. Die Ausdrucksklasse dieser kann auch adnominal verwendet werden (vgl. dieser Baum). Die Ausdrucksklasse jener/jene/jenes gehört ebenfalls zu Objektdeixis; sie zeigt aus dem Nähebereich heraus. Einfache Verwendungen der Objektdeixis im Wahrnehmungsraum sind häufig auch von hinweisenden Gesten begleitet, etwa wenn jemand beim Kaufen eines Apfels auf dem Markt sagt: Ich hätte gern den/diesen hier. Objektdeixis wird aber auch ganz wesentlich im Rede- und Textraum eingesetzt, um Redegegenstände anadeiktisch zu refokussieren: (59)

Am Samstagnachmittag kam es auf der S282 in Richtung Zwickau zu einem Zusammenstoß zwischen einem Hund & einem Motorradfahrer. Dieser kam schwer verletzt in ein Krankenhaus. Polizei Sachsen, Twitter, 8.9.2019

Aspektdeixis – so |

113

Der Twitterbeitrag ist so organisiert, dass die Hauptinformation, das Rhema (Zusammenstoß zwischen einem Hund und einem Motorradfahrer), so spät wie möglich erscheint. Mit dieser wird nicht etwa ein Hund, sondern eindeutig ein Motorradfahrer anadeiktisch refokussiert (Nähebereich); hätte die Polizei noch etwas über das Schicksal des Hundes verlauten lassen, hätte sie sich auf ein Hund mit dem – weiter zurückzeigenden – Ausdruck jener beziehen müssen: Jener ist hingegen schon wieder wohlauf. Der Ausdruck das, also Neutrum Singular der Ausdrucksklasse der, wird häufig zum Verweisen im Wissensraum eingesetzt (Redder 2016: 181). Im obigen Beispiel aus dem Maschinenbau Das habt ihr jetzt auch ma mitgekriegt (3.3.1) verweist der Dozent mit das nicht anadeiktisch auf einen Äußerungsteil, sondern auf mehrere zuvor geäußerte Zusammenhänge. Überlegen Sie sich anhand der folgenden Beispiele von Konrad Ehlich (2007g: 151), in was für Ver- 3 weisräumen die folgenden Nominalphrasen funktional sein können: dieser Baum und diese Mühe.

3.5 Aspektdeixis – so Dass der Ausdruck so eine Deixis ist, scheint erst einmal nicht unmittelbar einsichtig zu sein. Stellen Sie sich vor, Sie stehen im Kaufhaus an der Käsetheke, lassen sich ein Stück von einem Hartkäse abschneiden und die Verkäuferin, das Messer ansetzend, fragt so? Was passiert hier? Durch das fragende so bringt die Verkäuferin Sie dazu, Ihre Aufmerksamkeit zu fokussieren. Aber worauf? Was ist hier das Verweisobjekt? Verweisobjekt ist wie das Messer steht, und zwar unter der Voraussetzung, dass Sie aus der Messerstellung erkennen können, wie groß das Stück wird, wenn mit dem so positionierten Messer geschnitten wird. Verweisobjekt von so ist also, wie Ehlich (2007g: 156–157) ausführt, ein Aspekt – in unserem Beispiel nicht das Messer selbst, sondern seine Position. Obwohl das Beispiel elementar ist, erkennen wir bereits, dass Verweise mit der Aspektdeixis so häufig ein Wissen voraussetzen – hier, dass Sie aus einer Messerposition die Größe des Stücks abschätzen können. Ähnlich verhält es sich, wenn Ihnen jemand aus dem Urlaub textet: Die Leute sind hier so freundlich. Hier sollen Sie einen Aspekt der dortigen Bevölkerung, nämlich ihre Freundlichkeit, wissensbasiert in einer Weise fokussieren, die Ihnen den Nachvollzug des Gemeinten gestattet (vgl. hierzu auch Ehlich 2007g: 155–156). Der Ausdruck so ist ein Chamäleon, das gerne in andere sprachliche Felder migriert. In Sein Zustand hatte sich so gebessert, dass er wieder arbeiten konnte verweist so im Textraum auf den Aspekt besser und, katadeiktisch, auf den dass-Satz, der diesen Aspekt konkretisiert. In Sein Zustand hatte sich gebessert, so dass er wieder arbeiten konnte, ist so mit dass auf dem Wege der Feldtransposition zu einer operativen

114 | Zeigwörter

Prozedur geworden, die die Proposition des Nebensatzes als Konsequenz kategorisiert. Wie der folgende Ausschnitt aus einem Praktikumsdiskurs im Fach Chemie zeigt, kann so auch zu lenkenden, expeditiven Zwecken eingesetzt werden: (60)

F: Jetzt hört man nichts mehr. Jetzt ist die Vakuumpumpe belüftet. A: So, F A: jetzt stelle ich hier das Ölbad runter. dreht die Hebebühne herunter Nach Chen (1995: 67)

Die beiden Sprecherinnen F und A arbeiten experimentelle Schritte ab, wie sie im Praktikumshandbuch beschrieben sind. Mit ist belüftet äußert F die Vollendung eines Ablaufschrittes. Das so von A refokussiert dies anadeiktisch und verweist zugleich katadeiktisch auf den nächsten Ablaufschritt. Sprecherin F wird auf diese Weise auf den nächsten Schritt hingelenkt, den A verbalisiert und zugleich aktional vollzieht. Ehlich schreibt zu einer solchen so-Verwendung: Dem so kommt […] die Funktion eines Scharniers innerhalb der Handlungsabwicklung zu, die sich gerade aus der komplexen Doppelstruktur, der ana- wie katadeiktischen Verwendung, ergibt und die ihre unmittelbar handlungssteuernde Qualität daraus bezieht, dass diese deiktische Doppelstruktur expeditiv funktionalisiert wird. Ehlich (2007g: 162)

3.6 Zusammengesetzte Verweiswörter Zusammengesetzte Verweiswörter (Rehbein 1995) sind Ausdrücke wie damit, dabei, deswegen, dadurch oder hierzu. Davon (!) gibt es sehr viele (vgl. DUDEN Grammatik 1998: 373). In den Grammatiken werden sie häufig als Konjunktionaladverbien, Präpositionaladverbien oder Pronominaladverbien geführt. Diese Bezeichnungen sind aus dem Grund misslich, dass sie nicht erfassen, was diese Ausdrücke leisten. Ihre Leistung ist eine doppelte: Sie sind alle Fusionen aus einem verweisenden, einem deiktischen Anteil und einem weiteren, in der Regel einer Präposition, die ein Verhältnis ausdrückt. Diese Doppelfunktion führt dazu, dass diese Ausdrücke in sehr verschiedene Zusammenhänge eintreten können, wie wir dies am Beispiel von darauf veranschaulichen:

Zusammengesetzte Verweiswörter | 115

a) Refokussierung eines Verweisobjekts als Situativ- oder Direktivergänzung Wir betrachten folgendes Beispiel: (61)

In Lichtentanne wurde ein Mann schwer verletzt, als er von einem Moped sprang. Darauf saß er als Sozius. Radio Zwickau, 5.8.2019

Das Verb sitzen fordert in der Regel eine Situativergänzung, also etwa auf dem Stuhl, in der Sonne oder unter dem Baum. In dieser – stilistisch sicher etwas unbeholfenen – Meldung hat der Ausdruck darauf folgende Funktion: Der Bestandteil da- refokussiert anadeiktisch die Nominalphrase einem Moped. Der symbolische Bestandteil -auf macht diesen refokussierten Gehalt als Situativergänzung zu saß anschlussfähig. Ähnlich lässt sich ein Verweisobjekt auch als Direktivergänzung refokussieren: Er stand auf dem Tisch. Darauf war er zuvor mit einem großen Satz gesprungen. b) Refokussierung eines Verweisobjekts als Präpositionalobjekt Wir betrachten das folgende Beispiel aus einem Nutzerkommentar auf der InternetSeite „Nerdtalk“ zu dem Film „Downsizing“: (62)

Zu Downsizing: Bin eurer Meinung. Schade, so viel Potenzial, habe mich nach dem Trailer sehr darauf gefreut und wurde leider enttäuscht. Nerdtalk, 3.11.2018

Das reflexive Verb sich freuen regiert ein Präpositionalobjekt mit auf. In (62) verweist der deiktische Anteil von darauf auf den Filmtitel „Downsizing“, während -auf diesen anadeiktisch refokussierten Gehalt als Präpositionalobjekt zu habe mich gefreut anschlussfähig macht. c) Nebensatzwertige Realisierung eines Präpositionalobjekts Wir betrachten das folgende Beispiel: (63)

Ärgerlich für viele Eltern, Kinder und Jugendliche. Sie hatten sich darauf gefreut, dass die Nutzung der RVO-Busse im Landkreis ab 1. Oktober kostenlos möglich ist. Merkur.de, 30.9.19

Hier ist dasjenige, worauf sich Eltern, Kinder und Jugendliche gefreut haben, der Sachverhalt, der in dem dass-Satz ausgedrückt ist. Das zusammengesetzte Verweiswort darauf bildet sozusagen das Scharnier, das es gestattet, hatten sich gefreut mit

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einem Nebensatz als Präpositionalobjekt zu realisieren. Wie funktioniert das? Der deiktische Anteil von darauf, also da, verweist den Hörer oder Leser katadeiktisch auf das Kommende, während die Präposition -auf, die vom Verb regiert wird, das Verhältnis zwischen Haupt- und Nebensatz organisiert, also letzteren als Präpositionalobjekt anschlussfähig macht. d) Gedankliche Verknüpfung Wir betrachten das folgende Beispiel, in dem es um Sabotage im Bremer Universitätsbad geht:

(64)

Der Mann hatte demnach im Technikraum mehrere Absperrschieber geöffnet. Darauf lief eine große Menge Wasser aus dem Bad. buten und binnen, 16.1.2019

Hier wird der Ausdruck darauf zur Realisierung gedanklicher Verknüpfung eingesetzt: da- verweist anadeiktisch auf den propositionalen Gehalt des vorherigen Satzes, der über -auf zu dem nachfolgenden als vorgängig im Sinne eines Grundes in Beziehung gesetzt wird. Während in Fällen wie a), in denen ein Verweisobjekt als Situativ- oder Direktivergänzung refokussiert wird, beide Teile des zusammengesetzten Verweisworts ihre volle deiktische bzw. symbolische Kraft entfalten, sind die Fälle b)–d) sozusagen abstrakter gelagert: Hier ist vor allem der präpositionale Anteil operativ verwendet, so dass auch dem zusammengesetzten Verweiswort eine eher metakommunikative, eine operative Funktion zukommt (vgl. Redder 2009).

3.6.1 Zusammengesetzte Verweiswörter beim wissenschaftlichen Schreiben Aufgrund ihrer doch recht abstrakten Leistung bereiten zusammengesetzte Verweiswörter Studierenden bei der Abfassung von Seminar- und Bachelorarbeiten vielfach Probleme, besonders im Bereich der gedanklichen Verknüpfung. Im Folgenden soll es exemplarisch um zwei zusammengesetzte Verweiswörter gehen: somit und dabei. Das folgende – leicht modifizierte – Beispiel aus der Materialwissenschaft zeigt eine wissenschaftstypische Verwendung von somit: (65)

Die 1000 h-Langzeitglühung bei höherer Temperatur von 200 °C zeigt dieselbe Ausscheidungstendenz wie bei 150 °C, aber darüber hinaus bereits

Zusammengesetzte Verweiswörter | 117

eine deutliche Koagulation und Vergröberung der diskontinuierlichen Ausscheidungen. Es ist somit offensichtlich, dass die thermische Stabilität der Legierung AZ91 vor allem mit der thermischen Stabilität der mit AI übersättigten a-Mischkristallbereiche und dem erreichten Ausscheidungszustand der bPhase zusammenhängt. Regener, Schick & Heyse (2003: 723)

Die Legierung AZ91 wurde über tausend Stunden auf 150 bzw. 200 Grad erwärmt und es wurden die Konsequenzen für die innere Struktur der Legierung (Ausscheidungen) verglichen mit dem Ergebnis, dass die diskontinuierlichen Ausscheidungen bei 200 Grad deutlicher zu sehen sind als bei 150 Grad. Aus diesem Beobachtungsbefund wird geschlossen (es ist somit offensichtlich), dass die thermische Stabilität der gesamten Legierung vor allem von der thermischen Stabilität bestimmter in ihr vorkommender Auskristallisierungen abhängt. Der Ausdruck somit funktioniert hier folgendermaßen: Der aspektdeiktische Anteil so- refokussiert anadeiktisch den propositionalen Gehalt des vorhergehenden Satzes; der präpositionale Anteil -mit drückt aus, dass der refokussierte propositionale Gehalt in den nachfolgenden einzubeziehen ist. Die Deutungsleistung für den Leser besteht darin, denjenigen Aspekt aufzusuchen, unter dem der vorhergehende Satz zu refokussieren ist, so dass sich der Folgesatz als Konsequenz ergibt (dies ist uns als Nicht-Materialwissenschaftlern hier kaum möglich). Die Funktionalität von somit erweist sich also im Zusammenhang des Argumentierens. Der folgende Ausschnitt aus einer studentischen Seminararbeit ist eine erweiterte Fassung unseres – schon im Zusammenhang des Nominalstils diskutierten – Beispiels (31): (31‘)

Die Forschungsergebnisse dienen als Grundlage für die Analyse von einem Lehrwerk hinsichtlich des Erwerbs der Satzmodelle mit Blick auf die Vermittlung der Verbformen. Somit soll in dieser Hausarbeit eine Lehrwerksanalyse durchgeführt werden.

Der erste Satz des Beispiels ist – wie in Abschnitt (2.2.7) dargelegt – sinnlos, da Lehrwerke nichts erwerben können. Problematisch ist aber auch der Anschluss mit somit. Wir hatten ja gerade gesehen, dass somit eigentlich dazu dient, einen propositionalen Gehalt unter einem Aspekt derart zu refokussieren, dass er als Grund in den folgenden hineingenommen werden kann. Dass Forschungsergebnisse als Grundlage für die Analyse eines Lehrwerks dienen, ist aber kein Grund dafür, dass in irgendeiner studentischen Arbeit eine Lehrwerksanalyse durchgeführt wird. Hier wird sozusagen Argumentation simuliert, wo eigentlich nur ein Überblick über die Struktur einer Seminararbeit gegeben werden soll.

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Ein weiteres in der Wissenschaft häufig verwendetes zusammengesetztes Verweiswort ist der Ausdruck dabei. Wir betrachten eine wissenschaftstypische Verwendung: (66)

Erst im 19. Jahrhundert, nachdem eine quellenkritische Luther-Philologie entstanden war, hat man für die Ausgaben der Tischreden auch die erhaltenen Manuskripte mit den Aufzeichnungen der früheren Gesprächspartner Luthers herangezogen. Dabei stellte sich heraus, daß Aurifaber die Notizen seiner Vorgänger an Luthers Tafelrunde in sehr eigenwilliger Weise bearbeitet hat. Kleinert (2003: 103)

Aurifaber, der als Assistent Luthers als erster die „Tischreden“ herausgab, war, wie der Autor darlegt, nicht nur dokumentierend tätig, was sich anhand erhaltener Aufzeichnungen von Luthers Gesprächspartnern rekonstruieren lässt. Wir betrachten, was dabei in dieser Textpassage tut: Mit da- wird ein – vom Leser aufzusuchender – Teil der vorhergehenden Proposition refokussiert (Heranziehen der Manuskripte mit den Aufzeichnungen der früheren Gesprächspartner Luthers) und über -bei als Umstand in die folgende Proposition integriert. Redder schreibt über solche wissenschaftstypischen Verwendungen von dabei: Der lokaldeiktische Anteil (da) bündelt gemeinsames Diskurswissen im Sinne von Chafe (1972) nicht als Summe von Propositionen, sondern wissensthematisch abstraktiv, als Lokalisiertes, um etwas anderes im Konnex damit (‚bei’) zu beleuchten, das propositionalen Charakter hat und insofern als propositionaler Akt genauer ausgeführt wird. Redder (2009: 190, Hvg. i. O.)

Charakteristisch für die wissenschaftstypische Verwendung von dabei ist mithin, dass die damit verknüpften Propositionen inhaltlich auf unterschiedlichen Ebenen liegen, so dass die vorgängige geeignet ist, die folgende in ein bestimmtes Licht zu rücken: Der wissenschaftsmethodologische Umstand, dass man Manuskripte der früheren Gesprächspartner Luthers heranzog, liegt auf einer anderen Ebene als Aurifabers editorisches Vorgehen, ist aber geeignet, dieses zu erhellen. In dem folgenden Ausschnitt aus einer studentischen Seminararbeit misslingt die Verwendung von dabei: (67)

Das Internet eröffnet zahlreiche neuere Kommunikationsmöglichkeiten, die spezifische, durch das Medium bedingte Formen aufweisen. Dabei kommt die Frage auf, inwieweit das Internet neue Wege zur Bewältigung und Befriedigung von Kommunikationsmöglichkeiten und -bedürfnissen bereitstellt. Nach Redder (2009: 194)

Hier ist die – im Prinzip völlig richtige – Beobachtung, dass das Internet neue Kommunikationsmöglichkeiten mit spezifischen Formen eröffnet, keineswegs geeignet zu

Verwendungsweisen deiktischer Prozeduren in einem komplexen Beispiel | 119

erhellen, inwiefern eine Frage nach der Befriedigung neuer Kommunikationsbedürfnisse durch das Internet (Möglichkeiten lassen sich sowieso nicht befriedigen) „aufkommt“ (vgl. Redder 2009: 194). Wie hier am Beispiel zweier zusammengesetzter Verweiswörter in wissenschaftstypischen Verwendungen gezeigt werden sollte, sind diese Verwendungsweisen komplex. Man kommt am besten in sie hinein, wenn man sie sich in wissenschaftlichen Texten gut ansieht und die Ausdrücke, trotz ihrer Unscheinbarkeit, so ernst nimmt, wie sie es verdienen. Wir diskutieren nun abschließend Verwendungsweisen deiktischer Prozeduren in einem komplexen Beispiel.

3.7 Verwendungsweisen deiktischer Prozeduren in einem komplexen Beispiel Anhand des folgenden Beispiels aus einer Physikvorlesung58 soll nun abschließend gezeigt werden, was für komplexe sprachliche Teilhandlungen (Prozeduren) mit deiktischen Ausdrücken realisiert werden können. Gegenstand der Vorlesung ist elektrodynamisches Basiswissen, nämlich der Plattenkondensator, ein elektrisches Bauteil, das aus zwei einander gegenüber befindlichen Metallplatten besteht. Wird der Kondensator an eine Stromquelle mit Spannung U angeschlossen, so lädt sich die eine Platte negativ, die andere positiv auf, so dass sich auf den Platten Ladungen (Q) befinden. Hierdurch entsteht zwischen den Platten ein elektrisches Feld, das auf zwischen den Platten befindliche Ladungen (etwa ein statisch aufgeladenes Haar oder Papierstück) eine Kraft ausübt. Die Stärke des elektrischen Feldes E kann dadurch beeinflusst werden, dass man zwischen die Platten eine nicht leitende Substanz (Dielektrikum) einbringt, während sich die elektrische Flussdichte (D-Feld) auch bei Einbringung eines Dielektrikums nicht ändert. Zur besseren Orientierung sind die deiktischen Verweisungen durch Fettdruck hervorgehoben.

|| 58 Vgl. hierzu auch Thielmann (2019b).

120 | Zeigwörter

Abb. 17: Ausschnitt aus einer Physikvorlesung (Thielmann 2019b: 107)

Betrachten wir nun, worauf die deiktischen Prozeduren zeigen (Abb. 18). Mit also stellen’S sich vor werden die Hörer aufgefordert, einen Vorstellungsraum aufzubauen, in dem sich ein geladener Kondensator befindet. In daraus folgt wir hatten also Oberflächenladungen Q wird aber zunächst nicht der geladene Kondensator im Vorstellungsraum, sondern der in der Nominalphrase Kondensator aufgeladen mit Spannung U ausgedrückte Sachverhalt im Wissensraum refokussiert. In wenn wir den jetzt von der Spannungsquelle abklemmen wird anadeiktisch auf den geladenen Kondensator als physisches Objekt im Vorstellungsraum verwiesen. Auch die anadeiktischen Verweisungen in da bleiben die Ladungen drauf ereignen sich im Vorstellungsraum, wobei der geladene Kondensator durch da zunächst als Ort (auch im experimentellen Handlungsablauf) und anschließend durch das zusammengesetzte Verweiswort drauf als Oberfläche kategorisiert wird. In das heißt also, im D-Feld kann sich nischt ändern erfolgt mit das ein Verweis im Wissensraum, indem der Sachverhalt und wenn wir den jetzt von der Spannungsquelle abklemmen, da bleiben die Ladungen drauf im Hinblick auf seine Konsequenzen für die elektrische Flussdichte D refokussiert wird. Man sieht, dass die anadeiktischen Verweisungen in verschiedenen vom Hörer jeweils zu rekonstruierenden Verweisräumen erfolgen und dass es nicht nur zu Refokussierungen, sondern auch zur kategorialen Um- bzw. Neufokussierung von Ver-

Verwendungsweisen deiktischer Prozeduren in einem komplexen Beispiel | 121

weisobjekten kommt, indem Kondensator aufgeladen mit Spannung U einmal mit daraus als propositionaler Gehalt, mit den, da und drauf hingegen als physisches Objekt im Vorstellungsraum refokussiert wird (Abb. 18).

Abb. 18: Verweisobjekte deiktischer Prozeduren in einer Physikvorlesung (Thielmann 2019b: 108)

Für den Sprecher ist dies ein hochökonomisches Verfahren, einen Redegegenstand – hier Kondensator aufgeladen mit Spannung U – präsent zu halten und durch kategoriale Um- bzw. Neufokussierung angemessen in die jeweils neuen propositionalen Gehalte einzubetten. Hörerseitig erfordert dieses Verfahren einen wachen Mitvollzug, bei dem jeweils die erforderlichen Deutungsleistungen (Refokussierung und Kategorisierung in den entsprechenden Verweisräumen) zu erbringen sind. Deiktische Prozeduren verlangen dem Hörer viel ab, da sie, wie gezeigt, eine Reund Umfokussierung der Aufmerksamkeit einfordern. Sie haben unauffällige Gegenspieler, die der Hörerentlastung dienen: die Anaphern, also Ausdrücke der Klasse er/sie/es, deren Funktionalität wir in Abschnitt (4.1) besprechen, wo wir unter anderem auch auf das Verhältnis von Deixis und Anapher eingehen (4.1.4).

4 Funktionswörter Funktionswörter sind Ausdrücke wie der, er, irgendeiner, wer, schon, jedoch, und, obwohl oder nein. Sie haben eine sprachorganisierende, eine metakommunikative Funktion. Sie gehören dem operativen Feld der Sprache zu (Ehlich 2007 e,f), sie sind operative Prozeduren. Nicht alle operativen Prozeduren haben Wortstatus – so haben zum Beispiel Plural-, Genus- und Kasusmorpheme ebenfalls operative Funktionen. Funktionswörter sind unauffällig, aber hocheffektiv, da sie das, was symbolische und deiktische Prozeduren leisten, für den Hörer vereindeutigen: – Anaphern (er/sie/es) dienen der Fortführung von Redegegenständen. – Mit Artikeln (der, ein sowie dem Nullartikel) zeigt der Sprecher dem Hörer an, ob er das, was ein Substantiv benennt, als bekannte Information voraussetzt oder neu als Redegegenstand einführt. – Indefinita (z.B. irgendeiner, man, etwas) kategorisieren Bereiche, ohne sie zu benennen: irgendjemand (Mensch), etwas (Sache). – Mit Interrogativa kategorisiert der Sprecher, der eine Frage hat, seine Wissenslücke für den Hörer (wer, was, wann etc.). – Relativa (der/die/das bzw. welcher/welche/welches) gestatten den eindeutigen Anschluss von Attributsätzen (ein Politiker, der auf sich hält,…). – Durch Partikeln kommuniziert der Sprecher z.B. die Negation einer Äußerung oder eines Äußerungsteils (nicht), für wie stark er eine bestimmte Eigenschaft realisiert hält (sehr groß), dass er etwas nicht erwartet hat (sogar Peter ist gekommen), wie er sich zu dem Geäußerten verhält (wir sind ja Vegetarier) oder wie er einen geäußerten Gedanken auf einen anderen bezogen wissen will (Aktuell sind keine Stellen vakant, wir freuen uns jedoch über Ihre Initiativ-Bewerbung!). – Mit Konjunktionen werden Hauptsätze, Nebensätze oder Äußerungsteile verknüpft: Er kam, blieb fünf Minuten und ging dann schon wieder; …weil er jung war und das Geld brauchte; fix und fertig). – Subjunktionen leiten illokutiv nicht selbständige Nebensätze (vgl. 2.1.5) ein und kategorisieren die Beziehung zwischen den Gedanken des Haupt- und Nebensatzes (Als/weil/obwohl/während es regnete, ging er spazieren). – Mit einem Responsiv (ja, nein, okay) kommuniziert jemand, der eine Entscheidungsfrage gestellt bekommen hat, ob er bezüglich der ihm zur Evaluierung vorgelegten Proposition Gewissheit hat oder nicht (Hoffmann 2003: 64): + Haben die Läden heute auf? - Ja.

https://doi.org/10.1515/9783110667967-004

124 | Funktionswörter

4.1 Anapher Anaphern sind Ausdrücke der Klasse er/sie/es sowie das Reflexivum sich. Anaphorisch sind auch die Verbmorpheme in Peter geh-t und Peter und Paula geh-en (vgl. 2.1.1), die wir aber hier, da sie keinen Wortstatus haben, nicht weiter berücksichtigen. Sie haben die Ausdrücke er/sie/es wahrscheinlich als Teil der ‚Personalpronomen‘ kennengelernt – in den Abschnitten (1.2.3) und (2.2.2) haben wir im Sinne von Ehlich (2007i) und Graefen (2007) versucht deutlich zu machen, warum diese Kategorie nicht zielführend ist: Die Ausdrücke er/sie/es treten in der Regel nicht nur für Nomina (Substantive) ein (Peter – er), sondern eben häufig auch für Nominalphrasen (das gegen heftigen Widerstand der Opposition verabschiedete Gesetz – es), und ihre Funktion erschöpft sich, wie wir unten zeigen möchten, keineswegs in diesem ‚Eintreten für‘. Wir betrachten zunächst einmal den Formenbestand der anaphorischen Ausdrücke.

4.1.1 Formenbestand der Anaphern Die Anaphern des Deutschen weisen einen sehr reichen Formenbestand auf: Tab. 19: Anaphern – Formenbestand

Maskulinum

Femininum

Neutrum

Plural

Reflexivum

er

sie

es

sie

-

Akkusativ

ihn

sie

es

sie

sich

Dativ

ihm

ihr

ihm

ihnen

sich

seiner

ihrer

seiner

ihrer

-

sein

ihr

sein

ihr

-

Nominativ

Genitiv Adnominal

Man sieht: Die Anaphern sind im Singular nach Genus und Kasus, im Plural nach Kasus ausdifferenziert. Das Reflexivum sich (vgl. 2.4.4.1) ist nicht nach Dativ und Akkusativ differenziert (vgl. Peter wäscht sich vs. Peter kauft sich einen Computer). Die Genitivformen sind heute eher selten (vgl. Die Kollegen waren seiner längst überdrüssig). Die adnominalen Formen sein/ihr /sein werden gerne als Artikel, Possessiva oder Possessivartikel bezeichnet. Diese Terminologie ist misslich, weil Anaphern genau das nicht tun, was Artikel tun und weil Bezeichnungen wie ‚Possessivartikel‘ völlig den Blick darauf verstellen, was diese adnominalen Formen als Anaphern leisten.

Anapher | 125

4.1.2 Leistung und Funktionsweise der Anaphern Anaphern leisten in einer gewissen Hinsicht das Gegenteil von deiktischen Prozeduren. Ehlich schreibt hierzu: Während mittels deiktischer Ausdrücke die Fokussierung der Aufmerksamkeit auf bisher vom Hörer nicht fokussierte Objekte erreicht wird, wird ein Ausdruck wie ‚er‘ eingesetzt, um innerhalb des Verständigungshandelns zwischen Sprecher und Hörer, zwischen Autor und Leser, den Hörer/Leser darüber zu informieren, dass er einen bereits etablierten Fokus aufrecht erhalten kann. Ehlich (2007d:, 130, Hvg. i. O.)

Wenn ein Sprecher/Autor einen Ausdruck der Klasse er/sie/es verwendet, macht er seinem Hörer/Leser deutlich, dass es immer noch um denselben Redegegenstand, dasselbe Thema geht. Der Vollzug einer phorischen Prozedur, wie Ehlich sie nennt, dient mithin der Entlastung des Hörers/Lesers, wie wir dies an dem bereits diskutierten Beispiel (25) noch einmal verdeutlichen: (25)

Wäre die bisherige Bilanz der “Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft” ein Indiz für den Zustand der deutschen Wirtschaft insgesamt, dann müsste man auf der Stelle verzweifeln: Sie beherrscht das Lamentieren weit besser als das Organisieren. Sie ist auf überraschende Weise ineffizient. Sie verfügt über keine Autorität, über keine Persönlichkeit mit Vorbild stiftender Kraft. Sie ist nicht in der Lage, Zusagen einzuhalten. Sie versucht mit Tricks und Finessen, das Ergebnis ihrer bisherigen Bemühungen zu schönen. (Süddeutsche Zeitung, 18.10.2000, Hvg. W.T.)

Wir beobachten Folgendes: – Bei der ersten Anaphernverwendung sie beherrscht muss man kurz innehalten, da sich sie auch auf die Bilanz beziehen könnte. Da eine Bilanz aber nichts beherrscht, kommt nur die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft als institutioneller Akteur infrage. Anaphern sind also prinzipiell rekonstruktionsbedürftig. – Genus spielt eine zentrale Rolle bei der Vereindeutigung des anaphorischen Rückbezugs (vgl. 2.2.2). – Die verschiedenen Verwendungen der Anapher sie sind nicht, wie die missliche Terminologie ‚Pronomen‘ nahelegt, auf ein Nomen (Substantiv) bezogen, sondern auf die Nominalphrase Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft. – Die entlastende Funktion der Anapher besteht darin, dass der durch die Nominalphrase Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft benannte, vom Leser aktualisierte Wissenskomplex nicht aufwendig neu- oder umbenannt wird, sondern vom Leser als Thema vorgehalten werden kann, zu dem es weitere Urteile und Einschätzungen zu verarbeiten gilt. Die phorischen Prozeduren sie ‚tragen‘ das

126 | Funktionswörter

Thema durch den Text. Sie sind damit sprachbearbeitend, metakommunikativ. Sie sind operative Prozeduren. 2 Stellen Sie sich vor, im Text würde immer dort, wo die Anapher sie auftritt, Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft stehen. Was wäre der Effekt? Warum?

4.1.3 Besondere Verwendungsweisen der Anapher es Die Anapher es wird in besonderer Weise für sprachorganisierende Funktionen in Anspruch genommen. Wir betrachten die folgenden Beispiele. (68) (69) (70) (71)

Es regnet. Es geht keiner ans Telefon. Es ist schön, dass es dich gibt. Ganz wichtig ist – Herr Hurrelmann hat es gesagt –, dass auch neben dem Gymnasium immer der Weg nach oben offen ist. H.P. Meidinger im Deutschlandfunk, 27.6.2011

In (68) haben wir es mit einem sogenannten nullstelligen Verb zu tun (vgl. 2.4.4). Da die Subjektstelle im Deutschen besetzt sein muss, wird sie hier mit es als formalem Subjekt besetzt. In (69) liegt aber ein anderer Fall vor, was man sofort merkt, wenn man den Satz umstellt: Keiner geht ans Telefon. – Man sieht: Subjekt ist in diesem Satz nicht es, sondern keiner. Der Ausdruck es steht hier im Vorfeld, so dass das Subjekt keiner nach dem Prädikat erscheinen kann, also Teil der neuen Information im Satz, Teil des Rhemas wird. Der Ausdruck es weist in solchen Fällen den Hörer oder Leser an, einen leeren Fokus auszubilden, der noch zu füllen ist. Dies ist eine vorausgerichtete, eine kataphorische Verwendung von es, die hier eine Rhematisierung des Subjekts ermöglicht. Beispiel (70) ist hierzu ganz analog (vgl. Dass es dich gibt, ist schön), nur dass das rhematisierte Subjekt hier ein Nebensatz, ein Subjektsatz, ist: dass es dich gibt. Auch in (71) haben wir es mit einer kataphorischen Verwendung von es zu tun, die den Hörer anweist, einen leeren Fokus auf den – noch nachzuliefernden – Subjektsatz auszubilden: dass auch neben dem Gymnasium immer der Weg nach oben offen ist.

Anapher | 127

4.1.4 Anaphernverwendung in einem komplexeren Beispiel und Vergleich der im Deutschen angelegten Möglichkeiten mit denjenigen des Englischen Das folgende Beispiel stammt aus der Vorrede der „Wissenschaft der Logik“ des Philosophen Georg Friedrich Hegel.59 Hegel äußert sich hier ironisch darüber, dass es der Logik wie auch ihrer Schwesterdisziplin, der Metaphysik, übel ergehe, da das allgemeine Nutzendenken in beiden keinen Sinn mehr sehe. Wir haben den Passus folgendermaßen modifiziert: Wir haben – nach dem Vorbild von Hoffmann (1992) – alles, was Redegegenstand ist, in eckige Klammern gesetzt und mit dem Index ‚th‘ für ‚Thema‘ versehen sowie alle sprachlichen Modifikationen des Themas durch einen hochgestellten Strich am Index (th‘) angezeigt: (72)

Ganz so schlimm als der Metaphysik ist es [der Logik]th1 nicht ergangen. [Daß man [durch sie]th1 denken lerne]th2, [was]th2 sonst [für ihren Nutzen]th1’ und [damit]th1’ [für den Zweck derselben]th1’’ galt, – gleichsam als ob man durch das Studium der Anatomie und Physiologie erst verdauen und sich bewegen lernen sollte –, [dieß Vorurtheil]th2’ hat sich längst verloren, und [der Geist des Praktischen]th3 dachte [ihr ]th1 wohl kein besseres Schicksal zu, als [ihrer Schwester]th1’’’. Hegel (1996: 14)

Man sieht: Am Ende des ersten Satzes ist von der Logik die Rede, die damit als ein Thema (th1) eingeführt ist. Dieses Thema wird mit sie zunächst unverändert fortgeführt (th1) und anschließend in der Präpositionalphrase für ihren Nutzen modifiziert (th1‘) – hier sieht man die Leistung der adnominalen Formen der Anaphern, die eine thematische Modifikation gestatten. Dieses modifizierte Thema wird anschließend mit dem zusammengesetzten Verweiswort damit refokussiert und erfährt in für den Zweck derselben eine zweite Modifikation. Nach der Parenthese erfolgt mit ihr eine Wiederaufnahme des Themas in der Grundgestalt (th1) und in ihrer Schwester eine dritte Modifikation des Themas (th‘‘‘). Was die Anaphern hier leisten, zeigt ein Sprachvergleich mit dem Englischen ganz besonders deutlich. (72)‘

Logic did not fare quite so badly as metaphysics. That one learns from logic how to think

|| 59 Vgl. zu Analyse und Diskussion des folgenden Beispiels auch (Thielmann 2013a).

128 | Funktionswörter

(the usefulness of logic and hence its purpose, were held to consist in this — just as if one could only learn how to digest and move about by studying anatomy and physiology) this prejudice has long since vanished, and the spirit of practicality certainly did not intend for logic a better fate than was suffered by the sister science. (Hegel 1969: 26)

Im Englischen, das nicht über Genus verfügt (s. 2.2.2), ist ein anaphorischer Bezug auf Nicht-Menschliches im wesentlichen nur, wie man das auch in diesem Beispiel sieht (the usefulness of logic and hence its purpose), durch it in unmittelbarer Nähe zum Bezugsausdruck möglich. Trotz aller übersetzungstechnischen Kunstgriffe – man beachte die schöne Lösung für die Parenthese (Einschub) – ist die stets erneute Benennung des Themas nicht zu umgehen, die nur an zwei Stellen, nämlich einmal durch die Anapher its und einmal durch die Fügung sister science vermieden werden kann, die durch sister das Verhältnis zu metaphysics herstellt und durch science als Oberbegriff vereindeutigt. Diese Wiederbenennung verhindert aber gerade, dass das Thema (logic) unauffällig durch den Text getragen und modifiziert werden kann. So entsteht ein Text, in dem die thematische Gewichtung nicht funktioniert (vgl. Hoffmann 1992: 603). Mit anderen Worten: Der Übersetzer hat zwar versucht, die Hegelʼsche Satzstruktur weitgehend wiederzugeben; dies aber um den Preis, dass der resultierende englische Text keineswegs gut ist, da die ständige Wiederbenennung des Themas als jarring (‚misstönend‘) empfunden wird und den Leseprozess eher behindert als fördert. Will man diese Stelle so übersetzen, dass sie sich auf Englisch gut liest, muss man sich von der deutschen Satzstruktur weitgehend lösen: (72)‘‘

For quite some time it was held that one could learn from logic how to think – just as if one could only learn how to digest and move about by studying anatomy and physiology. This prejudice regarding the purpose and usefulness of logic has long since vanished, and the spirit of practicality certainly did not intend a better fate for this science than was suffered by its sister, metaphysics. (Übersetzung W.T.)

Was hierbei jedoch verschwindet, ist die Kleinschrittigkeit der Hegelʼsche Gedankenentwicklung – wir erhalten einen Text, der nicht mehr, wie das Original, das Denken selbst festhält (s. Ehlich 2007k), sondern nur noch das Gedachte. Folgende Punkte bezüglich dieses Beispiels sind es wert, noch einmal eigens festgehalten zu werden: – Anaphern spielen eine zentrale Rolle bei der thematischen Gewichtung von Redegegenständen. – Die adnominalen Formen der Anaphern (sein/ihr/sein) spielen eine zentrale Rolle bei der Modifikation thematischer Rückbezüge.

Anapher | 129

– –



Genus spielt eine entscheidende Rolle bei der Vereindeutigung anaphorischen Rückbezugs. Bereits in einer Sprache wie dem Englischen, das zwar über Anaphern, nicht aber über Genus verfügt, müssen thematische Rückbezüge mit anderen Mitteln realisiert werden. Die Weise, wie sich Gedanken in einer Sprache entwickeln lassen, ist an die Weisen der Rückbezugsmöglichkeiten gebunden – das Englische funktioniert in dieser Hinsicht bereits völlig anders als das Deutsche; das Türkische, die größte Binnenfremdsprache in Deutschland, verfügt überhaupt nicht über selbständige anaphorische Ausdrücke, weswegen hier die Differenzen zum Deutschen noch einmal potenziert sind (vgl. Grießhaber 1990).

4.1.5 Deixis und Anapher Wie bereits ausgeführt, sind die Leistungen von Deixis und Anapher konträr: Anadeiktische Re- bzw. Umfokussierungen verlangen dem Hörer Neuausrichtungen seiner Aufmerksamkeit sowie die Rekonstruktion von Verweisobjekten in unterschiedlichen Verweisräumen ab (vgl. 3.6.2). Anaphern, phorische Prozeduren, tun das Gegenteil: Sie entlasten den Hörer, indem sie ihn anleiten, dass es immer noch um dasselbe geht. Um zu zeigen, wie verschieden die Leistungen von Deixis und Anapher sind, betrachten wir folgenden Textausschnitt aus den – für die ganze Bundesrepublik verbindlichen – Bildungsstandards im Fach Deutsch für den Primarbereich. Es handelt sich um einen Ausschnitt aus einer Beispielaufgabe, in dem es um den Rattenfänger von Hameln geht, der, nachdem er erfolgreich die Ratten aus Hameln entfernt hat, von den Ratsherren den vereinbarten Lohn nicht erhält (Beschlüsse der KMK 2004: 25). Wir bringen das Beispiel gleich in einer Form, die die anadeiktischen und anaphorischen Rückbezüge herausstellt (Abb. 19).

Abb. 19: Deixis und Anapher in einem Text für Schüler der Primarstufe

130 | Funktionswörter

Deiktische und phorische Prozeduren leisten in diesem Beispiel komplexe Rückbezüge. Zunächst wird mit der Rattenfänger das Thema symbolisch benannt. Die Nominalphrase seinen Lohn ist eine thematische Modifikation von der Rattenfänger, die über die adnominale Form der Anapher (seinen) vermittelt ist. Mit ihm wird anschließend das Thema (der Rattenfänger) weitergeführt. Die Anadeixis diesen refokussiert ein Maskulinum Singular neu, d.h. der Leser muss ein Maskulinum Singular in den Fokus nehmen, das nicht der Rattenfänger ist: seinen Lohn. Anschließend wird das Thema noch mit der Anapher er weitergeführt. Folgendes bleibt hier festzuhalten: – Das Thema (der Rattenfänger) wird durch die Anaphern seinen – ihm – er durch den Text getragen. – Die adnominale Form der Anapher ermöglicht eine thematische Modifikation (seinen Lohn). – Die Deixis dieser ermöglicht, aufgrund ihrer refokussierenden Leistung, einen eindeutigen Bezug auf die thematische Modifikation seinen Lohn, obwohl diese auch ein Maskulinum ist. – Man kann mit einer Deixis eine Nominalphrase refokussieren, die eine Anapher enthält. Die größte Binnenfremdsprache in Deutschland ist das Türkische, das weder über Genus noch über eigenständige Anaphern (und natürlich auch nicht über genusdifferenzierte Deiktika) verfügt und daher völlig andere Verfahren der thematischen Diskurs- und Textorganisation verwendet. Daher stimmt es schon ein wenig nachdenklich, dass im migrationsgeprägten Zeitalter bereits von Grundschülern solche komplexen Rezeptionsleistungen verlangt werden – die Kinder sollen einen „roten Faden“ erarbeiten, auf dessen Basis sie die Geschichte nacherzählen können (Beschlüsse der KMK 2004: 26) und müssen hierzu die mit komplexen Verwendungen von Anadeixis und Anapher realisierte Schlüsselstelle verstehen. Es ist aber noch besorgniserregender, dass es in den Bildungsstandards im Fach Deutsch für den Primarbereich keineswegs vorgesehen ist, die sehr unterschiedlichen Leistungen von Deixis und Anapher zu erklären. Wie aus der Liste der zu vermittelnden Wortarten hervorgeht (Beschlüsse der KMK 2004: 14), soll lediglich die Kategorie „Pronomen“ vermittelt werden. Verstehen sollen die Kinder Texte dieser Art hingegen schon. Solche impliziten Anforderungen machen den hochproblematischen Kern der Bildungsstandards im Fach Deutsch aus. Es lässt sich festhalten, dass es die Bundesrepublik Deutschland in Form von der KMK beschlossener Bildungsstandards von Viertklässlern erwartet, dass sie komplexe textuelle Nutzungen des deiktischen und anaphorischen Systems rezipieren können, ohne dass – wie die Liste der zu vermittelnden Wortarten zeigt – eine unterrichtliche Behandlung dieses Systems, dessen Existenz den Autoren der Bildungsstandards offensichtlich verborgen geblieben ist, vorgesehen wäre. (vgl. Thielmann 2016).

Artikel | 131

Betrachten Sie die Verwendungsweisen von phorischen und deiktischen Prozeduren in der untenste- 2 henden Berufsbildbeschreibung, die interessierten Haupt- und Realschülern einen Einblick in das Berufsbild Mechatroniker geben soll. Wie funktioniert die thematische Struktur dieses Textes? Mechatroniker/innen bauen aus mechanischen, elektrischen und elektronischen Bestandteilen komplexe mechatronische Systeme, z.B. Roboter für die industrielle Produktion. Sie stellen die einzelnen Komponenten her und montieren sie zu Systemen und Anlagen. Die fertigen Anlagen nehmen sie in Betrieb, programmieren sie oder installieren zugehörige Software. Dabei richten sie sich nach Schaltplänen und Konstruktionszeichnungen und prüfen die Anlagen sorgfältig, bevor sie diese an ihre Kunden übergeben. Außerdem halten sie mechatronische Systeme instand und reparieren sie. (BERUFENET (http://arbeitsagentur.de)

4.2 Artikel Artikel sind der Definitartikel (der/die/das) und der Indefinitartikel (ein/eine/ein). Der sogenannte Nullartikel tritt systematisch als Plural des Definitartikels (ein Tisch – Ø Tische) sowie (vgl. hierzu auch 2.5.5) bei Stoffbezeichnungen auf (Ø Wasser trinke ich nie). Der Definitartikel ist aus der Objektdeixis der/die/das durch Transposition vom Zeigfeld in das Operationsfeld hervorgegangen (vgl. 1.4.2.2); der Indefinitartikel stammt vom gleichlautenden Zahlwort her, weswegen er auch keinen Plural hat; hier haben wir es mit einer Transposition aus dem Symbolfeld ins operative Feld zu tun. Wie wir bereits in Abschnitt (1.3.1.1) dargelegt haben, werden in etlichen Grammatiken (z.B. Helbig & Buscha 1989, Weinrich 1993, Eisenberg 2004, Hoffmann 2007b) auch Ausdrücke wie mein, dein, sein oder kein zu den Artikeln gezählt, was aus folgendem Grund problematisch ist: Die Zurechnung dieser Ausdrücke zu den Artikeln erfolgt aus syntaktischen Erwägungen, da sie beim Substantiv stehen, also adnominal verwendet werden, und wie Artikel flektieren. Wir haben es aber bei mein mit einer Sprecherdeixis, bei dein mit einer Hörerdeixis und bei sein mit einer Anapher zu tun, also drei Ausdrücken, die, obwohl adnominal verwendbar, höchst unterschiedliche Funktionen haben. Wie wir in Abschnitt (1.3.1.1) gezeigt haben, haben Lerner des Deutschen als Fremd- und Zweitsprache mit artikellosen Erstsprachen wie etwa Polnisch, Russisch oder Tschechisch keine Probleme mit Ausdrücken wie mein, dein, sein oder dieser, aber sehr wohl große Schwierigkeiten zu entscheiden, wann sie den Definit-, den Indefinit- oder den Nullartikel verwenden sollen. Wie wir in diesem Kapitel herausarbeiten, bearbeiten Definitartikel, Indefinitartikel und Nullartikel als operative Prozeduren metakommunikativ bestimmte Aspekte des Wissensmanagements zwischen Sprecher und Hörer.

132 | Funktionswörter

4.2.1 Formenbestand der Artikel Das System der Artikel ist – wie dasjenige aller adnominalen Ausdrücke – hinsichtlich der Formen nach Genus, Numerus und Kasus ausdifferenziert (Tab. 20). Man sieht, dass der Indefinitartikel im Nominativ Maskulinum und Neutrum nicht differenziert, was Konsequenzen für die Flexion des attributiv gebrauchten Adjektivs hat (vgl. 2.3.3.1): der alte Tisch aber ein alter Tisch. Der Nullartikel tritt als Äquivalent des Indefinitartikels im Nominativ Plural (Ø Rattanmöbel sind schön), im Akkusativ Plural (Ich mag Ø Rattanmöbel) und im Dativ Plural auf (Ø Rattanmöbeln traue ich mein Gewicht nicht zu). Ein Genitivattribut kann mit Nullartikel hingegen nicht gebildet werden – statt dessen wird die Präposition von verwendet: das Material eines Rattanmöbels – das Material von Rattanmöbeln. Tab. 20: Formenbestand von Definit- und Indefinitartikel

Singular

Nominativ

Plural

M

F

N

der/ ein

die/eine

das/ein

die/ Ø

Akkusativ

den/einen

die/eine

das/ein

die/ Ø

Dativ

dem/einem

der/einer

dem/einem

den/ Ø

des/eines

der/einer

des/eines

der/ -

Genitiv

2 Überlegen Sie, warum in dem Beispiel Ø Wasser trinke ich nie bei Wasser der Nullartikel, in Das Wasser des Rheins ist jetzt wieder sauberer hingegen der Definitartikel auftritt.

4.2.2 Syntax des Artikels Artikel bilden mit ihren Bezugsnomina Nominalphrasen (s. 2.2.1). Erst durch den Artikel (bzw. einen adnominalen Ausdruck) wird ein Substantiv satzgliedfähig bzw. befähigt, in eine Präpositionalphrase einzutreten. In einem Auktionskatalog kann stehen: Tisch: Eiche, massiv. Aber es ist nicht möglich, in einem Satz zu äußern: *Ich habe Tisch gekauft oder *Peter war betrunken, er stand auf Tisch. Wir betrachten, was passiert, wenn ein Substantiv mit einem Definitartikel zusammentritt, wobei wir Überlegungen Hoffmanns (2003, 27–32) heranziehen:

Artikel | 133

DET , Tisch m/S/Konz  [derm/S

Tischm/S/Konz]m/S/Konz/det

m/S

Abb. 20: Artikel in der Nominalphrase

Will der Sprecher einen Definitartikel mit einem Substantiv zu einer Phrase verbinden, passiert folgendes: Der Definitartikel ist denjenigen Kategorien anzupassen, die das Substantiv mitbringt: Genus und Numerus. Darüber hinaus bringt er seine determinierende Funktion in die Phrase ein (det), das Substantiv seine konzeptuelle Nennqualität (Konz). Es entsteht eine Nominalphrase, die alle Kategorien aufweist: Sie besitzt eine konzeptuelle Nennqualität, Genus, Numerus und – Determiniertheit (Kasus bestimmt sich hingegen sozusagen von außen her – vom Satzgliedstatus der NP). Determination erstreckt sich nicht auf Wörter, sondern auf Phrasen. Wenn Sie den Redegegenstand ein Tisch mit der Anapher er fortführen, machen Sie etwas anderes als wenn sie der Tisch mit er kontinuieren – in einem Falle wird etwas Definites, im anderen Falle etwas Indefinites anaphorisch fortgeführt. Es ist aus diesen Gründen weder angemessen zu sagen, dass der Artikel vom Substantiv abhängt, noch, dass das Substantiv vom Artikel abhängt. Beide Ausdrücke verbinden sich durch Integration zu einer Nominalphrase (Hoffmann 2003, 32).

4.2.3 Funktionen von Definit- und Indefinitartikel In der Sprachwissenschaft wird die Funktion des Definitartikels manchmal in der Vereindeutigung der Referenz gesehen (etwa Hawkins 1980, Leiss 1994, 2000). Unter Referenz versteht man dasjenige, was durch ein Substantiv benannt wird. Der Eigenname Berlin benennt (referiert auf) eine ganz bestimmte Stadt; die Nominalphrase ein Tisch benennt hingegen ein – beliebiges – Element einer bestimmten Klasse von Dingen. ‚Vereindeutigung der Referenz‘ würde nun heißen, dass der Definitartikel in der Nominalphrase der Tisch dafür sorgt, dass diese Phrase so gut ist wie ein Eigenname, dass sie sich also auf ein bestimmtes Individuum bezieht. Diese – im Prinzip aus der Logik stammende – Auffassung von der Funktionsweise des Artikels (z.B. Heyer 1987) hat, wie Ehlich (2007l) ausführt, den Nachteil, dass sie die Leistung des Artikels beim sprachlichen Handeln ausblendet. Wir stellen uns vor, dass eine Studentin (S) abends in ihre WG zurückkommt und sich zwischen ihr und einer Mitbewohnerin (M) folgender Wortwechsel ergibt: (73)

M: Der Abwaschplan hängt am Kühlschrank. S: Was denn für ein Abwaschplan?

134 | Funktionswörter

Wenn Sie wach durch den Tag gehen, werden Sie feststellen, dass Ihnen ein oder zweimal Ähnliches widerfährt wie der Mitbewohnerin M: Die Studentin S rügt die Verwendung des Definitartikels, weil sie nicht weiß, wovon die Rede ist. M hat ein Wissen als gemeinsames Wissen in Anspruch genommen, über das S nicht verfügt, obwohl S natürlich schon grundsätzlich weiß, was ein Abwaschplan ist. Umgekehrt werden Sie ein, zwei Mal am Tag feststellen, dass Sie einen Sprecher rügen, der den Definitartikel verwendet hat, ohne dass Sie hinreichend genau wissen, wovon die Rede ist. Wir halten folgendes fest: Der Definitartikel macht nicht einfach so etwas wie Abwaschplan zu einer bestimmten Sache; es wird nur umgekehrt ein Schuh draus: Ein Sprecher muss im Deutschen seinem Hörer stets deutlich machen, ob er ein Wissenselement als ihm mit dem Hörer gemeinsames Wissenselement unterstellt oder nicht. Der Hörer ‚rügt‘ Verwendungen des Definitartikels, wenn ein Wissenselement vom Sprecher zu Unrecht als gemeinsames Wissenselement in Anspruch genommen wird. Der Definitartikel ermöglicht ein Wissensmanagement zwischen Sprecher und Hörer (Ehlich 2007l: 213), indem die Frage, was als gemeinsam etabliertes Wissen gilt und was nicht, über die Artikelwahl kommunikativ bearbeitet werden kann. Indem der Sprecher S eine Nominalphrase determiniert, gibt er begleitend zur Verbalisierung dem Hörer H zu verstehen, daß er dieses so qualifizierte und determiniert verbalisierte Wissen als ein Wissen behandelt und behandelt sehen will, das er mit H teilt. Die Determination fordert H also interaktional zugleich zum unverzüglichen Dementi dieser Gemeinsamkeit auf, sollte diese Annahme falsch sein. (Ehlich 2007l: 217)

Der indefinite Artikel (im Plural der Nullartikel) macht – dies dürfte nun klar sein – das Gegenteil des Definitartikels: Durch den Indefinitartikel macht der Sprecher dem Hörer deutlich, dass er ein Wissenselement nicht als ihm mit dem Sprecher gemeinsames unterstellt: Der unbestimmte Artikel besagt für den Hörer: Nutze Dein sprachliches Wissen, um eine Vorstellung von einem Gegenstand neu aufzubauen! Dieser Gegenstand gehört zu der mit dem Nomen bezeichneten Gattung. Er kann konkret und spezifisch sein oder die Gattung exemplarisch repräsentieren. Unter seiner neuen Wissensadresse kannst Du weitere Informationen erwarten. Hoffmann (2016: 124)

Wir diskutieren nun einige einfachere und komplexere Beispiele, um diese Funktionsweise des deutschen Artikelsystems noch weiter zu verdeutlichen. Der folgende Textauszug aus einer Beispielaufgabe der Bildungsstandards im Fach Deutsch für die Primarstufe zeigt eine für Texte typische Verwendung des deutschen Artikelsystems: (74)

In fernen, vergangen Zeiten wohnte in Overath im Bergischen Land ein sehr reicher Herr. […] Um vor dieser unheimlichen Krankheit sicher zu sein, beschloss der Herr […]

Artikel | 135

Man sieht, dass in dem Einleitungssatz des Textes ein sehr reicher Herr mit dem unbestimmten Artikel als ein dem Leser noch unbekanntes Wissen eingeführt wird. Der Leser ist gehalten, sein sprachliches Wissen zu nutzen, um eine Vorstellung von sehr reicher Herr neu aufzubauen. Später im Text ist ‚Herr’ hingegen durch den bestimmten Artikel als bekannt markiert, um deutlich zu machen, dass es noch um denselben Herrn geht. Solche textuellen Verwendungen erklären sich aus den autorseitigen Annahmen über das Leserwissen: Bei der ersten Verwendung ein sehr reicher Herr wird ein Redegegenstand eingeführt, den der Autor noch nicht als ihm mit dem Leser gemeinsames Wissen voraussetzen kann; in der Verwendung der Herr nimmt der Autor auf einen Redegegenstand Bezug, den er als ihm mit dem Leser gemeinsames Wissen voraussetzen kann (s. hierzu auch Hoffmann 2007b: 316). In dem folgenden Beispiel, dem Anfang des Gedichts Die gestundete Zeit von Ingeborg Bachmann, haben wir es hingegen mit einer hochkomplexen Verwendung des Artikelsystems zu tun, wie wir durch eine grammatische Lektüre zeigen: (75)

Es kommen härtere Tage. Die auf Widerruf gestundete Zeit wird sichtbar am Horizont. Bald mußt du den Schuh schnüren und die Hunde zurückjagen in die Marschhöfe. Denn die Eingeweide der Fische sind kalt geworden im Wind. (…) Bachmann (1953)

Das Gedicht beginnt mit zwei sprachlichen Handlungen, deren zweite, wie man an dem bestimmten Artikel sieht, den Komplex auf Widerruf gestundete Zeit durch den Definitartikel als gemeinsames Wissen in Anspruch nimmt. Zwischen wem diese Gemeinsamkeit besteht, erfährt man im folgenden Satz: Durch die Hörerdeixis du wird klar, dass das bisher Geäußerte Teil eines Gespräches ist. Der Leser merkt jedoch schnell, dass nicht er der mit du Angesprochene ist, sondern jemand anders, der sich irgendwo in der Nähe von Marschen (Schwemmland) aufhält, von wo aus er die Hunde, die bei ihm sind, in die Marschhöfe zurückjagen könnte. Das bald musst du den Schuh schnüren kann als eine Aufforderung gedeutet werden oder als eine sprecherseitige Einschätzung der Situation des Angesprochenen: In einer Situation, in der härtere Tage kommen und die gestundete Zeit sichtbar wird, verbleibt dem Angesprochenen aus der Sicht des Sprechers nur noch die Handlungsalternative des Aufbruchs. Der nächste Satz wird mit denn angeschlossen, einem Ausdruck, der nach Redder (1990) sprachlich explizit Begründungen einleitet. Begründungen sind sprachliche Handlungen, mit denen der Sprecher ein mögliches Nichtverstehen des Hörers zu bearbeiten sucht. Die Aufforderung zum Aufbruch, bzw. die Einschätzung, dass der Aufbruch zu erfolgen hat, erfährt also im Nachhinein eine Reparatur: Das

136 | Funktionswörter

denn die Eingeweide der Fische sind kalt geworden im Wind soll es dem Hörer der im Gedicht aufgebauten Sprechsituation ermöglichen, die Aufforderungen oder Einschätzungen Bald musst du den Schuh schnüren und die Hunde zurückjagen in die Marschhöfe zu verstehen. Der Leser, der all dem sozusagen zuhört, kann aus den durch den bestimmten Artikel in Anspruch genommenen Wissenselementen Rückschlüsse auf den Angesprochenen ziehen: Das ist jemand, dem gegenüber auf Widerruf gestundete Zeit, Hunde und Marschhöfe einverständig als gemeinsames Wissen in Anspruch genommen werden können. Ausgerechnet das kryptische die Eingeweide der Fische scheint für das angesprochene Du einen besonders guten Anknüpfungspunkt zu bieten, indem dieses Wissenselement für eine verstehensbearbeitende sprachliche Handlung, eine Begründung, genutzt wird. Geht man davon aus, dass dies nicht ein Text für einen einzigen, vorverständigten Eingeweihten ist, sondern ein Text für Leser, so lässt sich vielleicht Folgendes sagen: Ingeborg Bachmann führt hier sozusagen das sprachliche Mittel der Determination selbst vor. Sie fingiert eine Kommunikationssituation, deren Sprecher darauf rechnet, Wissenselemente wie auf Widerruf gestundete Zeit und Eingeweide der Fische einverständig als gemeinsames Wissen in Anspruch nehmen zu können. Die komplexe Sprache des Gedichts wird so eingeführt, als würde sie bereits für einen anderen, nämlich das angesprochene Du, funktionieren. Der Leser fühlt sich so in einen Deutungssog hineingezogen, der vielleicht einen Teil der Faszination ausmacht, die von diesem Gedicht ausgeht.

4.3 Indefinitum Unter die Indefinita fassen wir – im Einklang mit Eisenberg (2004, Bd. 2: 184–185) – Wörter wie etwas, jeder, jemand, nichts, mancher, (irgend-)einer, keiner, alle. Darüber hinaus zählen wir den Ausdruck man dazu sowie Ausdrücke wie irgendwo und irgendwie. Etliche Indefinita können mit Substantiven Phrasen bilden oder Adjektive zum syntaktischen Nomen erheben: etwas Butter/Schönes; nichts Gutes; jeder Baum; viele Leute, jemand Neuer. Ausdrücke wie viele, wenige, beide oder etliche werden auch oft zu den Indefinita gezählt. Eisenberg (2004, Bd. 2: 185) weist darauf hin, dass viel und wenig graduierbar sind (viel – mehr – am meisten; wenig – weniger – am wenigsten), weswegen sie eher als Adjektive aufzufassen seien. Wir rechnen auch etliche und beide nicht zu den Indefinita, da sie, ohne graduierbar zu sein, in einer Nominalphrase mit Definitartikel als attributive Adjektive gebraucht werden können: Wikipedia-Eintrag zur CDU erwähnt mit keinem Wort die etlichen Nazis, die 1945 in die Partei eintraten (InternetBeleg) oder die beiden Bäume im Garten.

Indefinitum | 137

Die gemeinsame Leistung von Indefinita besteht darin, die Kategorie von etwas, über das man sonst nichts weiß, sprachlich in verschiedenen syntaktischen Funktionen – also als Subjekt, Objekt, Adverbial oder adnominal als Modifikator eines Nomens – hantierbar zu machen: Gestern ist jemand in meinen Keller eingebrochen  Ich weiß nicht, wer in meinen Keller eingebrochen ist, gehe aber davon aus, dass es ein Exemplar der Gattung Mensch und nicht etwa ein Schäferhund war. Jemand Neuer ist ein Mensch, der neu in einen Zusammenhang eintritt; etwas Neues kann vieles sein, aber es ist auf jeden Fall weder menschlich noch belebt. Indefinita werden mitunter als mit dem Instrumentarium der Logik erfassbare Ausdrücke dargestellt (Frosch 2007), wobei in solchen Arbeiten i.d.R. davon abgesehen wird, was wir beim sprachlichen Handeln mit diesen Ausdrücken tun. Wir fassen Indefinita als operative Prozeduren, also als metakommunikative Ausdrücke auf, die in adnominaler Verwendung den Hörer bei der Verarbeitung eines Nomens anleiten (kein/mancher/irgendein Mensch) und in Subjekt-, Objekt- oder Adverbialfunktion ein nicht näher Gewusstes abstrakt verhandelbar machen (Redder 2010: 19).

4.3.1 Kategorien, syntaktische Funktionen und Flexionsverhalten der Indefinita Indefinita können in verschiedenen syntaktischen Funktionen auftreten. Die folgende Tabelle gibt eine Übersicht. Tab. 21: Satzgliedfunktion und adnominaler Gebrauch von Indefinita

Subjekt

direktes Objekt

indirektes Objekt

Adverbial60

Adnominal

man

x









einer

x

x

x





(irgend-)etwas

x

x





x

nichts

x

x





x

jeder

x

x

x



x

(irgend-)jemand

x

x

x



x

niemand

x

x

x



x

irgendeiner

x

x

x



x

|| 60 Die unter der adverbialen Funktion aufgeführten Indefinita können auch die Rolle von Situativoder Direktivergänzungen übernehmen, vgl. Wir sind dann noch irgendwo was essen gegangen (Adverbial) gegenüber Peter muss hier doch irgendwo gewohnt haben (Situativergänzung).

138 | Funktionswörter

Subjekt

direktes Objekt

indirektes Objekt

Adverbial60

Adnominal

(irgend-)welche

x

x

x



x

mancher

x

x

x



x

keiner

x

x

x



x

alle

x

x

x



x

einige

x

x

x



x

irgendwo







x



irgendwann







x



irgendwie







x



nirgends







x



nie







x



Man sieht: der Ausdruck man kommt nur in der Funktion des Subjekts vor; der Ausdruck einer in den Funktionen Subjekt sowie direktes/indirektes Objekt; die Ausdrücke (irgend-)etwas und nichts als Subjekt, direktes Objekt und in adnominaler Funktion. Die Ausdrücke irgendwo etc. treten in adverbialer Funktion auf. Alle anderen Ausdrücke in der Tabelle können alle syntaktischen Funktionen bis auf diejenige des Adverbials übernehmen. Das Flexionsverhalten der Indefinita ist abhängig von den syntaktischen Funktionen, in denen sie auftreten können. Die Ausdrücke man, etwas und nichts sowie als Adverbial auftretende Ausdrücke wie irgendwo flektieren nicht. Für den selbstständigen, nicht-adnominalen Gebrauch der übrigen Ausdrücke gilt Folgendes: Die Ausdrücke einer und jeder, die nur im Singular vorkommen, flektieren dort analog zu den Ausdrücken keiner und mancher; die Ausdrücke alle und einige, die – bis auf Verwendungsweisen im Neutrum Singular (er hat alles/einiges gesagt) – selbständig nur im Plural vorkommen, flektieren dort analog zu keine und manche. Tab. 22: Flexionsverhalten von Indefinita (als selbständigen Satzgliedern)

Nom

m

f

n

Plural

keiner/mancher

keine/manche

keines/manches

keine/manche

Akk

keinen/manchen

keine/manche

keines/manches

keine/manche

Dat

keinem/manchem

keiner/mancher

keinem/manchem

keinen/manchen

Gen









Indefinitum | 139

Man sieht: Diese Ausdrücke bilden bei selbständiger Verwendung keine Genitivformen, die z.B. als Genitivattribut verwendet werden könnten (vgl. *das Haus jedes vs. das Haus eines jeden). Die Ausdrücke jemand und niemand sind generische Maskulina. Sie bilden eigenständige Genitivformen (Er ist niemandes Freund). Zum Flexionsverhalten der Indefinita bei adnominalem Gebrauch ist Folgendes zu bemerken: Niemand und jemand treten adnominal praktisch nur mit Adjektiven als syntaktischen Nomina auf und flektieren dabei wie in selbständiger Verwendung als generische Maskulina: Sie ist jemandem Netten begegnet. Alle und einige treten, was man zunächst nicht vermuten würde, in einigen formelhaften adnominalen Verwendungen tatsächlich im Singular auf: aller Anfang ist schwer; bei einigem guten Willen (Hoffmann 2016: 135). Kein flektiert im Singular und Plural wie irgendein bzw. irgendwelche; mancher im Genitiv Singular Maskulinum und Neutrum davon leicht abweichend: trotz manchen Widerstands/Unglücks. Alle und einige flektieren im Plural wie (irgend-)welche:

Tab. 23: Flexionsverhalten von Indefinita bei adnominalem Gebrauch

m

f

n

Plural

Nom

irgendein

irgendeine

irgendein

(irgend-)welche

Akk

irgendeinen

irgendeine

irgendein

(irgend-)welche

Dat

irgendeinem

irgendeiner

irgendeinem

(irgend-)welchen

Gen

irgendeines

irgendeiner

irgendeines

(Irgend-)welcher

Denken Sie einmal über folgenden Fall nach: Wieso haben wir in Alle guten Dinge sind drei eine an- 2 dere Flexion des Adjektivs als in Es sind einige gute Dinge passiert? (Vgl. 2.3.1.1)

Wie bereits oben gesagt wurde, besteht die gemeinsame Leistung von Indefinita darin, die Kategorie von etwas, über das man sonst nichts weiß, sprachlich in verschiedenen syntaktischen Funktionen – also als Subjekt, Objekt, Adverbial oder adnominal als Modifikator eines Nomens – hantierbar zu machen. Tabelle 24 gibt einen Überblick über die Kategorien, die durch Indefinita ausgedrückt werden. Wie man aus der Tabelle ersieht, lassen sich die Kategorien Mensch, (abstrakter) Gegenstand, Quantum sowie Zeit und Ort individuell negieren: niemand (=kein

140 | Funktionswörter

Mensch), nichts (= keine Sache, keine Menge von etwas), nirgends (= an keinem Ort), nie (zu keiner Zeit). Tab. 24: Kategorien, die durch Indefinita ausgedrückt werden

Mensch

(Abstrakter) Gegenstand

Negation

Quantum

Zeit, Ort, Art und Weise

man

x









(irgend-)jemand

x









niemand

x



x





(irgend-)etwas

-

x

-

x



nichts

-

x

x

x



(irgend-)einer

x

x







irgendwelche

x

x







keiner

x

x

x





jeder

x

x



x



mancher

x

x



x



einige

x

x



x



alle

x

x



x



irgendwo









x

irgendwann









x

irgendwie









x

nirgends





x



x

nie





x



x

Es folgen nun Bemerkungen zu einzelnen Indefinita.

4.3.2 Bemerkungen zu einzelnen Indefinita 4.3.2.1 man Man ist ein personenbezogener generischer Subjektausdruck, über den Allgemeinheit hergestellt wird: Damals hatte man kein Telefon. Für den Hörer bedeutet das, dass der Punkt der Äußerung wissensbasiert zu erschließen ist. Wenn ‚man damals kein Telefon hatte‘, ist allgemein von einer Zeit die Rede, in der das Telefon noch nicht erfunden war oder von einer Personengruppe, die zu der Zeit, von der die Rede ist, typischerweise noch kein Telefon besaß?

Indefinitum | 141

Die in der folgenden Äußerung hergestellte Allgemeinheit betrifft eine bestimmte Aktantengruppe: (76)

Beim Volleyball muss man zu jeder Zeit im Kopf präsent sein. Bayreuther Tagblatt, 21.9.2019

Etwas komplexer bezogen auf die hörerseitigen Deutungsleistungen liegen die Verhältnisse in der folgenden wissenschaftssprachlichen Formulierung: (77)

Nicht selten begegnet man einer Auffassung der Philosophie Martin Heideggers, die sich aufgrund des Diktums: „Die Wissenschaft denkt nicht" […] einer Diskussion des Problems zu entziehen weiß. Wolf (2003, 1)

Der Autor kritisiert, dass manche Wissenschaftler glauben, Heideggers Wissenschaftstheorie unter Verweis auf einen einzigen Ausspruch des Philosophen ignorieren zu dürfen. Man ist hier diejenige (vergleichsweise kleine) Gruppe von Menschen, die sich mit Heideggers Wissenschaftstheorie befasst. „Elitär“ (vgl. Hoffmann 2016, 128) ist an dieser Verwendungsweise jedoch nichts.

Was für eine Art von Allgemeinheit wird in Äußerungen wie Das tut man doch nicht! hergestellt?

2

4.3.2.2 alle und jeder Die Ausdrücke alle und jeder scheinen erst einmal dadurch beschrieben zu sein, dass alle eine Menge summarisch komplett erfasst, während jeder sie sozusagen über die Einzelindividuen komplett ausschöpft. Die Verhältnisse liegen aber doch etwas komplexer. Aus Alle Ameisen sind staatenbildend folgt nicht Jede Ameise ist staatenbildend. Der All-Satz bezieht sich, und dies ist wissensbasiert zu rekonstruieren, auf Ameisenarten, nicht auf eine Gesamtmenge von Einzelindividuen. Eine Nominalphrase wie jede Ameise ist hingegen nur aus dem Zusammenhang heraus verständlich, etwa wenn auf die Ameisen einer konkreten Kolonie Bezug genommen wird: Die soziale Struktur der Kolonie stellt sich durch Selbstorganisation ein. Jede Ameise weiß von sich aus, was sie zu tun hat (Telepolis, 21.4.2013). Statt Jeder zweite Zug auf Linie Hannover-Berlin ist verspätet (Oldenburger Online Zeitung, 12.1.2020) 2 kann man nicht sagen *Alle zweiten Züge auf Linie Hannover-Berlin sind verspätet. Wie müsste man das Beispiel unter Verwendung von alle umformulieren, so dass sich eine korrekte Aussage ergibt?

142 | Funktionswörter

4.3.2.3 einer und welche Der Ausdruck welch- dient im Singular zur allgemeinen Wiederaufnahme von Nominalphrasen mit Stoffsubstantiven als Nomen: Der Bedarf an Brennholz ist nicht mehr so groß. Und viele, die noch welches brauchen, nehmen sich einen Schlagraum oder kaufen Industriebrennholz (baden online, 7.1.2005). Im Plural fungiert welch- im wesentlichen als Plural von einer: Da kommt einer/Da kommen welche.

4.4 Interrogativum Interrogativa sind Ausdrücke wie wer, wann, was oder warum, mit denen typischerweise Fragen eingeleitet werden. Die Frage ist eine sprachliche Handlung, eine Illokution, für deren Realisierung im Deutschen eine Fülle an Ausdrucksmitteln zur Verfügung steht. Beim Entscheidungsfragesatz (z.B. Haben wir noch Milch?) ist das Vorfeld der Äußerung nicht besetzt, wodurch der Sprecher dem Hörer kommuniziert, dass er die Geltung des ausgedrückten Gedankens (wir haben Milch), des propositionalen Aktes, nicht beansprucht; durch die Frageintonation wird deutlich, dass der Gedanke dem Hörer sozusagen vorgelegt wird, so dass dieser entscheiden kann, ob der Gedanke wahr ist oder nicht (vgl. Rehbein 1999: 107). Häufig ist es aber so, dass der Sprecher etwas Bestimmtes, sozusagen ein spezifisches Nicht-Gewusstes (Ehlich 2007m) erfragen möchte – etwa einen Ort, einen Zeitpunkt oder eine Person. Die Ausdrücke, die es Sprechern gestatten, ein spezifisches Nicht-Gewusstes kategorial so zu umreißen, dass Hörer ihr Wissen daraufhin durchsuchen, sind Interrogativa (vgl. Rehbein 1999: 111–113). Es ist dieser Bezug auf das Hörerwissen, der die Interrogativa von den Indefinita unterscheidet, auch wenn die Grenzen manchmal fließend sind. Interrogativa sind sprachliche Werkzeuge, mit denen Sprecher das Hörerwissen in spezifischer Weise ‚anzapfen‘ können; sie erfordern eine hörerseitige Füllung der vom Sprecher kategorisierten Wissenslücke: „Zur Frage gehört eine Antwort“ (Eisenberg 2004, Bd. 2: 186). Das w-Interrogativum beschreibt in Informationsfragen die Lücke im Kenntnisstand des Sprechers und legt damit fest, welche Information in einer Antwort des Adressaten mindestens enthalten sein muss, um das Wissensdefizit zu beheben. (Holler 2007:475)

Das spezifische Nicht-Gewusste kann durch Interrogativa in den verschiedensten syntaktischen Funktionen versprachlicht werden: Als Subjekt (Wer ist gekommen?); als direktes Objekt (Was hast du gesehen?); als indirektes Objekt (Wem hast du das gegeben?); als Präpositionalobjekt (Woran ist er gescheitert?); als Adverbial (Wann kommt er?) und adnominal (Welche Partei wählst du? oder Wessen Buch ist das?).

Interrogativum | 143

Interrogativa können auch Subjektsätze (Wer kommt, kriegt sofort einen Kaffee.), Objektsätze (Mach was wirklich zählt!61 oder Ich interessiere mich nicht dafür, warum er nicht gekommen ist) oder Attributsätze (Die Frage, warum das funktioniert, ist ungeklärt) einleiten. In diesen Verwendungen, die oft als indirekte Fragesätze bezeichnet werden, integrieren Sprecher komplex versprachlichte Wissenslücken in vollständige Gedanken, ohne vom Hörer eine Antwort zu erwarten.

4.4.1 Ausdrucksbestand der Interrogativa – Kategorien und syntaktische Funktionen Mit dem Interrogativum wer erfragt man Personen, mit was konkrete oder abstrakte Gegenstände. Bei wer sind alle Kasusformen gebräuchlich (wer/wen/wem/wessen); bei was existiert praktisch nur der – formgleiche – Akkusativ (vgl. Holler 2007: 456). Das Interrogativum welcher ist alternativenbezogen. Es kann – genusdifferenziert – im Singular und Plural als Subjekt, direktes Objekt oder indirektes Objekt realisiert werden. In dieser Verwendung flektiert es wie keiner/mancher (s. Tab. 23). Welcher tritt häufig auch adnominal auf (welchen Tisch, welchem Auto) und flektiert dann – abgesehen von Nominativ und Genitiv – wie die in Tab. 24 aufgeführten Indefinita. Während welcher auf Alternativen gerichtet ist, zielt die interrogative Phrase was für ein (Plural was für) auf die Essenz ab: vgl. Welches Törtchen möchten Sie? – Das weiße. versus Was für ein Törtchen möchten Sie? – Eins mit Nougat. Die Interrogativa wann, wo, wie, warum, weshalb, wieso, weswegen, mit denen Zeitpunkte, Orte, Weisen oder Gründe erfragt werden, flektieren nicht und treten in adverbialer Funktion auf. Mit den ebenfalls nicht flektierenden Interrogativa wo(r) + Präposition, also etwa worauf, wobei, womit werden konkrete oder abstrakte Gegenstände erfragt: vgl. Auf wen freut er sich? – Auf Petra. versus Worauf freut er sich? – Auf Weihnachten. Diese Wortbildungen gestatten es, das Erfragte in der Rolle einer Präpositionalobjekts (Worüber hat er sich geärgert?) oder z.B. einer Instrumentalergänzung (Womit hat er gearbeitet?) zu versprachlichen. Die Wortbildungen woher und wohin (zu den deiktischen Ausdrücken her und hin vgl. 3.2.4) gestatten konkrete und abstrakte Verwendungsweisen: vgl. Woher kommst Du? – Von der Höllentalklamm. versus Woher weißt du das? – Das stand in der Neuen Züricher Zeitung. Tabelle 25 gibt einen Überblick über Kategorien und syntaktische Funktionen der Interrogativa:

|| 61 Werbeslogan für eine Fachoberschule.

144 | Funktionswörter

Tab. 25: Kategorien und syntaktische Funktionen von Interrogativa

Kategorien

Syntaktische Funktionen

Person

(abstr.) Gegenstand

Ort, Zeit, Grund, Weise etc.

Subjekt

Direktes Indirek- Präp.- AdnoObjekt tes ObObminal jekt jekt

Adverbial62

wer

x





x

x

x







was



x



x

x









welcher

x

x



x

x

x



x



was für ein

x

x



x

x

x



x



wo(r)+Präp



x









x





wann





x











x

wo





x











x

wie





x











x

warum





x











x

weshalb





x











x

weswegen





x











x

wieso





x











x

woher





x











x

wohin





x











x

4.4.2 Funktionalität von Interrogativa In diesem Abschnitt versuchen wir, Interrogativa dadurch näher zu erfassen, dass wir ihre Funktionalität innerhalb des sprachlichen Handlungsmusters Frage-Antwort betrachten.63

|| 62 Woher und wohin können auch in der syntaktischen Funktion einer Lokalergänzung bzw. Direktivergänzung auftreten: Woher kommst du? – Ich komme aus München. bzw. Wohin fährst du? – Ich fahre nach München. 63 Wir beschränken uns auf eine ganz allgemeine Darstellung des Handlungsmusters, das gerade in wissensvermittelnden Institutionen wie etwa Schule und Universität bestimmte Modifikationen und Anpassungen erfahren hat (Lehrer stellen keine Fragen, weil sie etwas nicht wissen, sondern weil sie wissen wollen, ob die Schüler dasjenige Wissen haben, das sie haben sollen). Es gibt mithin sehr verschiedene Fragetypen – siehe hierzu etwa Ehlich & Rehbein (1986), Zifonun, Hoffmann & Strecker (1997: 103-116) oder Redder & Thielmann (2015).

Interrogativum | 145

4.4.2.1 Das sprachliche Handlungsmuster Frage-Antwort Seit der Antike wissen wir: Um etwas fragen zu können, muss man auch etwas wissen. „[…] das bloße Nicht-Wissen ist in einem elementaren Sinn nicht frage-fähig“ (Ehlich 2007m: 225). – Sicher haben Sie an der Universität Situationen erlebt, in denen Sie in der Lage waren, Fragen zu stellen, und solche, in denen Sie so wenig verstanden hatten, dass Sie gar keine Fragen stellen konnten. Bevor ein Sprecher eine Frage äußert, ja, bevor er sie überhaupt äußern kann, muss bereits eine Menge passiert sein (vgl. Ehlich 2007m: 225–229 und Graefen & Liedke 2020: 274–278): Der Sprecher hat auf irgendeine Weise einen Handlungswiderstand erfahren, der in einem Wissensdefizit begründet liegt. In seinem Kopf nimmt der Sprecher eine Trennung, eine Scheidung vor zwischen dem, was er weiß, und dem, was er nicht weiß. Z.B. weiß er, dass ein Bus fahren soll, aber nicht, wo die Haltestelle ist. Das, was der Sprecher äußern möchte, die Frage, ist mithin das in Sprache umgesetzte Ergebnis ausführlicher mentaler Tätigkeit – der Scheidung zwischen einem bestimmten Gewussten (dem – unvollständigen – Gedanken der Bus hält) und einem bestimmten Nicht-Gewussten (das hier durch das Interrogativum wo kategorial umrissen werden kann). Der Sprecher sucht sich nun einen Aktanten, dem er dieses Wissen unterstellt – es wird kein Dreijähriger sein – und fragt ihn nach dem Ort der Bushaltestelle. Der Hörer verarbeitet die Frage, d.h. er durchsucht sein Wissen nach dem erfragten Wissenselement. Kann er dieses nicht identifizieren, äußert er sich entsprechend; im positiven Fall verbalisiert er eine Antwort, die das passende Gegenstück zum ‚bestimmten Nicht-Gewussten‘ der Frage ist und diese in einen vollständigen Gedanken überführt: Entschuldigen Sie bitte, wo hält der Bus? – (Der Bus hält) vor dem roten Gebäude da vorne.64 Das Handlungsmuster hat mithin drei Phasen: Seine Vorgeschichte besteht darin, dass der Sprecher einen Handlungswiderstand erfährt, zu dessen Behebung ihm ein Wissen fehlt. Der Eintritt in die Geschichte des Musters besteht in der Entscheidung, dieses fehlende Wissen zu erfragen. Die verbale Planung der Frage, ihre Äußerung durch den Sprecher, die mentalen Aktivitäten des Hörers, der sein Wissen durchsucht sowie dessen Antwort sind die weiteren Schritte in der Geschichte des Musters. Die Nachgeschichte besteht darin, dass der Sprecher nun dasjenige Wissen hat, um den Handlungswiderstand zu beheben (er findet die Bushaltestelle) oder dass er, falls der Hörer das Erfragte nicht gewusst hat, sich einen anderen Aktanten suchen muss, der vielleicht über das Wissen verfügt.65

|| 64 Im Deutschen antwortet man i.d.R. nicht ‚im ganzen Satz‘, sondern verbalisiert als Antwort dasjenige Wissenselement, das dem Sprecher zum vollständigen Gedanken fehlt. 65 Allein die Auffindung von Aktanten, die vielleicht ein bestimmtes Wissen haben könnten, macht einen nicht unerheblichen Anteil polizeilicher Ermittlungen und damit natürlich auch ganze Passagen von Kriminalromanen aus.

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2 Das Handlungsmuster Frage-Antwort ist uns so selbstverständlich, dass wir kaum ermessen können, dass es durchaus andere sprachliche Verfahrensweisen geben kann, an ein Wissen zu gelangen, das man nicht hat. In der Stammesgesellschaft der westaustralischen Bardi werden Wissensdefizite dadurch behoben, dass der Sprecher ein hypothetisches Wissen assertiert und es den Hörern zur Bewertung vorlegt: Wir essen heute Schildkröte. – Ist doch gar nicht wahr! (vgl. Thielmann 2011: 122). Was sind die grundlegenden Unterschiede zwischen diesem Verfahren und dem Handlungsmuster Frage-Antwort?

4.4.2.2 Sprecher- und hörerseitige Funktion von Interrogativa Die Betrachtung von Interrogativa im Zusammenhang des Handlungsmusters FrageAntwort erweist, dass diesen sozusagen eine doppelte Funktionalität zukommt: Sie ermöglichen dem Sprecher die präzise kategoriale Erfassung einer Wissenslücke und, als operative Prozedur geäußert, lösen sie – in Verbindung mit dem übrigen propositionalen Gehalt der Frage – beim Hörer mentale Suchprozesse nach dem erfragten Wissenselement aus (s. hierzu auch Hoffman 2016: 520–525). 4.4.2.3 ‚Indirekte Fragesätze‘ Wie bereits eingangs gesagt, kommen Interrogativa auch nebensatzeinleitend vor (Ich weiß nicht, wann er die Heizung reparieren will). Eines lässt sich hierzu sofort sagen: Der Fragesatz Wann will er die Heizung reparieren? erfährt durch die Nebensatzstellung, also durch die Endstellung des Prädikats, eine ‚illokutive Entsaftung‘ (vgl. 2.1.4) – die Illokution Frage ist hierdurch aufgehoben. Was ist die Leistung dieses Verfahrens? Wir diskutieren dies anhand eines Beispiels aus einer Physikvorlesung. Wie Sie wissen, gibt es in der Wissenschaft immer einen Forschungsstand. Diesseits des Forschungsstandes befindet sich dasjenige, was man mit ziemlicher Sicherheit weiß. Jenseits des Forschungsstandes befindet sich das Unbekannte. Die folgende Äußerung eines Dozenten in einer Physikvorlesung ist genau in diesem Zusammenhang zu verstehen: (78)

Die Elektronen sind spinmäßig/ ham se ne Vorzugsrichtung, aber keener weeß, wie das funktioniert. Thielmann & Krause (2014: 26)

Diese dozentische Äußerung ist eine Assertion, eine wissensübermittelnde sprachliche Handlung, deren Zweck es ist, genau die Grenze zwischen dem wissenschaftlich bestimmten Gewussten (die Elektronen haben spinmäßig ne Vorzugsrichtung) und dem wissenschaftlich (noch) nicht Gewussten (wie das funktioniert) deutlich zu machen.

Relativum | 147

4.5 Relativum Relativa sind in erster Linie die Ausdrücke der/die/das, welcher/welche/welches sowie wo (auch in Zusammensetzung mit Präpositionen, etwa worauf, womit etc.) und was. Sie leiten Relativsätze ein, die eine besondere Form von Attributsätzen sind. Der/die/das kennen wir als Objektdeixis (Guck mal der da!) und Artikel (der Tisch); welcher/welche/welches kennen wir als Indefinitum und Interrogativum; wo und seine Zusammensetzungen kennen wir als Interrogativa. Es stellt sich mithin die Frage, warum man dieselben Ausdrücke mehreren Wortklassen zuordnet. Dies hängt damit zusammen, dass sie spezifische Feldtranspositionen bzw. feldinterne Transpositionen erfahren haben (vgl. 1.4.2.2), aufgrund derer sie uns in sehr unterschiedlichen funktionalen Zusammenhängen begegnen. Die Objektdeixis der/die/das ist im Deutschen zum einen operativ für die Zwecke der Determination (4.2), zum anderen operativ für die Einleitung von Relativsätzen funktionalisiert; diese – sehr unterschiedlichen – Verwendungsweisen sind Resultat von Feldtranspositionen vom Zeigfeld ins Operationsfeld. Wie aus der Objektdeixis durch Feldtransposition ein Relativum wurde, kann man gut erkennen, wenn man in die Luther-Bibel hineinsieht, die eine ältere Sprachstufe repräsentiert. Dort heißt es (Lukas 2, 8): UND es waren Hirten in derselbigen Gegend auff dem Felde […] die hüteten des nachts jrer Herde. Hier schließt Luther mit der Objektdeixis die, die anadeiktisch im Textraum auf Hirten verweist, einen Hauptsatz an, der im modernen Deutsch durch Endstellung des Prädikats zu einem Relativsatz werden könnte: Und es waren Hirten…auf dem Feld, die nachts ihre Herde hüteten. Dass das Interrogativum welcher/welche/welches uns auch als Relativum begegnet, ist ebenfalls Resultat einer feldinternen Transposition im Operationsfeld.

4.5.1 Relativsätze als besondere Form von Attributsätzen Attributsätze sind Nebensätze, die eine Nominalphrase (oder, seltener, einen einfachen Ausdruck) um weitere Informationen erweitern: In Seine Behauptung, dass er nicht da gewesen sei, ist falsch ist der Nebensatz dass er nicht da gewesen sei Attributsatz zu der Nominalphrase seine Behauptung. Der dass-Nebensatz gibt den Inhalt der Behauptung wieder. Der Attributsatz bildet mit seine Behauptung zusammen das komplexe Subjekt des Satzes; er ist nicht selbst Satzglied. In Die Geschichte vom Löwen, der nicht schreiben konnte (Titel eines Bilderbuchs von Martin Baltscheid) ist der nicht schreiben konnte Attributsatz zu der Präpositionalphrase vom Löwen, über den wir hierdurch Zusätzliches erfahren. Wir halten einen wichtigen Unterschied zwischen den beiden hier diskutierten Attributsätzen fest: In dem Attributsatz dass er nicht da gewesen sei ist von seine Behauptung nicht die Rede; in dem Attributsatz der nicht schreiben konnte hingegen sehr

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wohl vom Löwen – der wird nämlich durch das Relativum der zu einem Satzglied, zum Subjekt des Attributsatzes gemacht. Mithin: Relativsätze sind Attributsätze, in denen die Bezugsnominalphrase (oder, seltener, ein einfacher Bezugsausdruck) durch das Relativum als Satzglied wieder aufgenommen wird (Pittner 2007: 734). Im Gegensatz zu Subjunktionen wie dass gehören Relativa sozusagen zwei syntaktischen Welten an: Sie nehmen Bezug auf eine Nominalphrase, und vertreten diese als Satzglied innerhalb des Relativsatzes. In der Literatur werden mitunter auch Nebensätze wie derjenige in dem folgenden Beispiel zu den Relativsätzen gezählt (vgl. etwa Eisenberg 2004, Bd. 2: 272–278): (79)

Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen […] einen Menschen tötet. § 211 StGb

Man hat es hier aber schlicht mit einem Subjektsatz zu tun: Wer X tut, ist Mörder. Deshalb ist wer hier nicht Relativum, sondern Interrogativum. Diese Fälle sind in Abschnitt 4.4 angesprochen. 2 Die Unterscheidung zwischen der Konjunktion dass und dem nebensatzeinleitenden das macht manchmal Probleme. In welchen Fällen kann das nebensatzeinleitend auftreten?

4.5.2 Morphologische Charakteristika des Relativums Wie ein Scharnier an Tür und Rahmen gleichermaßen Anteil hat, sind Relativa „Scharnierstellen“ (Redder 1990: 147) zwischen Bezugsnominalphrase und Relativsatz. Hierbei kommt morphologischen Mitteln eine wichtige Bedeutung zu: Das Relativum drückt seinen Bezug zur Bezugsnominalphrase dadurch aus, dass es mit ihr in Genus und Numerus kongruiert: Vgl. der Mann, der an der Ecke steht bzw. die Männer, die an der Ecke stehen. Der Kasus des Relativums, das ja im Relativsatz als Satzglied auftritt, ist davon abhängig, ob das Relativum dort als Subjekt, Objekt etc. erscheint: Das ist der Mann, der zwei Straßen weiter wohnt/den ich gestern im Theater getroffen habe/dem die Bäckerei gehört/über den sich schon so viele aufgeregt haben. Wir veranschaulichen diese Zusammenhänge in Abb. 21.

Relativum | 149

m/S DO Das ist [der Mann]NP, den ich gestern im Theater getroffen habe. m/S

Abb. 21: Rektionsverhältnisse in einem Relativsatz

Man sieht, dass sich Genus und Numerus des Relativums der Bezugsnominalphrase verdanken, der Kasus hingegen von den syntaktischen Verhältnissen im Relativsatz bestimmt wird, in dem das Relativum direktes Objekt zum Prädikat habe getroffen ist. Das Relativum der/die/das flektiert wie der bestimmte Artikel; nur der Genitiv ist abweichend: dessen/deren/dessen, im Plural deren. Der Genitiv des Relativums tritt nur adnominal auf, weswegen das Relativum in diesen Fällen nicht selber Satzglied des Relativsatzes ist, sondern die mit ihm gebildete Nominalphrase. Aber auch in diesem Fall richtet sich das Relativum in Genus und Numerus nach der Bezugsnominalphrase. Abb. 22 veranschaulicht diese Verhältnisse: Das Relativum deren kongruiert mit der Bezugsnominalphrase die Autorin in Genus und Numerus; die mit dem Relativum gebildete Nominalphrase deren Buch ist direktes Objekt zum Prädikat besprochen hat.

f/S Das ist [die Autorin]NP,

DO S deren Buch der FAZ-Kritiker so gut besprochen hat.

f/S

Abb. 22: Rektionsverhältnisse bei relativem Anschluss mit dem Genitiv des Relativums

Vom Relativum was existiert nur der – formgleiche – Akkusativ; es tritt vor allem nach Superlativen auf: das Beste, was uns passiert ist. Das Relativum welcher/welche/welches flektiert wie keiner/mancher in Tab. 23; das Relativum wo (vgl. Das ist das Café, wo wir uns zum ersten Mal getroffen haben) und seine Zusammensetzungen (worauf, womit etc.) flektieren nicht. Die Zusammensetzungen von wo gestatten einen relativen Anschluss in Fällen, in denen das Relativum auf ein Indefinitum bezogen und Präpositionalobjekt des Relativsatzes ist: Und dann passiert etwas, womit er nicht gerechnet hat.

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4.5.3 Restriktive und nicht-restriktive Relativsätze – das Relativum welcher Die Frage, in was für Fällen das Relativum der oder das Relativum welcher einschlägig ist, wird meistens so beantwortet, dass welcher eher hochsprachlich sei und der Vermeidung von Wiederholungen diene (Hoffmann 2016: 181) – so könnte durch das Relativum welcher das als unschön empfundene zweimalige Auftreten von der in folgendem Beispiel vermieden werden: Horizontale Tropfsteinhöhle, in der der Erdgeist Linkenbold spukt (Internetwerbung für ein Reiseziel). Auch wenn diese Dinge eine Rolle spielen – sehr viel wichtiger ist, dass welcher in der Regel nicht-restriktiven Relativsätzen vorbehalten ist. Man kann sich den Unterschied zwischen restriktiven und nicht-restriktiven Relativsätzen sehr leicht an zwei Beispielen von Eisenberg verdeutlichen (2004, Bd. 2: 271): In Jeder Linguist, der was auf sich hält, geht zweimal jährlich zum Friseur ist der Relativsatz der was auf sich hält restriktiv, da er die Geltung der Bezugsnominalphrase einschränkt: Die Gruppe der Linguisten, die auf sich halten (und zweimal im Jahr zum Friseur gehen), ist sicher kleiner als die Gruppe der Linguisten. In Seine Eltern, die wohlhabende Leute sind, ließen ihn verkommen ist der Relativsatz die wohlhabende Leute sind hingegen nicht-restriktiv; es handelt sich nunmal um seine Eltern, also zwei Menschen, egal ob diese wohlhabend sind oder nicht. Die Bedeutung von seine Eltern wird durch den Relativsatz nicht eingeschränkt; man könnte fast ein übrigens einfügen: die übrigens wohlhabende Leute sind. Es ist nun so, dass das Relativum der, wie auch aus Eisenbergs Beispielen ersichtlich, im restriktiven wie im nicht-restriktiven Fall eingesetzt werden kann. Wie man in folgendem Beleg aus einer studentischen Seminararbeit sieht, ist dies bei welcher nicht der Fall: (80)

Im Mittelalter konnte man durch Bilder alle Schichten erreichen, welche nicht lesen und schreiben konnten.

Gemeint ist, dass durch Bilder im Mittelalter auch diejenigen erreicht werden konnten, die des Lesens und Schreibens nicht mächtig waren. Gesagt ist aber, dass alle Schichten des Mittelalters, welche – übrigens – weder lesen noch schreiben konnten, durch Bilder zu erreichen waren. Es ist also gesagt, dass im Mittelalter niemand lesen und schreiben konnte, was natürlich nicht stimmt. Mithin: Mit dem Relativum der gehen Sie auf Nummer sicher; wollen Sie welcher verwenden, sollten Sie überprüfen, ob ein nicht-restriktiver Fall vorliegt.

Partikel | 151

4.6 Partikel Partikeln sind – unflektierbare – Wörter wie sehr, sogar, nicht, natürlich, doch, gleichwohl oder nicht. Sie werden gemeinhin nach ihren unterschiedlichen Funktionen klassifiziert: – Intensitätspartikeln ermöglichen es, den Grad der durch Adjektive ausgedrückten Eigenschaften zu verstärken: höchst problematisch. – Gradpartikeln gestatten auf bestimmte Weise die Kommunikation von Erwartungen: Sogar Peter ist gekommen. – Modalpartikeln drücken Sprechereinstellungen bezüglich des Gesagten aus: Vielleicht kann ich nicht kommen. – Mit Abtönungspartikeln kommunizieren Sprecher Beziehungen zwischen dem Geäußerten und anderen Dimensionen, die für sprachliches Handeln bestimmend sind, wie etwa dem als gemeinsam unterstellten Wissen: Peter ist ja schon wieder daheim. – Mit Konnektivpartikeln werden Beziehungen zwischen Gedanken ausgedrückt: Das Gesundheitsministerium hatte die Veranstaltung genehmigt. Gleichwohl wurde sie abgesagt, als es weitere Verdachtsfälle auf das Virus in der Region gab. – Die Negationspartikel nicht drückt die Verneinung von Propositionen oder ihren Teilen aus: Peter kommt heute nicht bzw. Es war nicht der Herr Meier gemeint. Etliche Partikeln – man denke an halt oder eben (vgl. dann muss er halt warten) – kommen vorwiegend in der gesprochenen Sprache vor. Dies ist der Grund dafür, dass Partikeln von der Grammatikschreibung, die sich seit der Antike ja wesentlich an der Schriftlichkeit orientierte (vgl. Kapitel 1), lange ignoriert worden sind und ihre Erforschung erst mit den Arbeiten von Harald Weydt (exempl. 1969) und Elke Hentschel (exempl. 1986) so richtig begann. Noch Eisenberg (1995: 206) nennt die Partikeln „die Zaunkönige und Läuse im Pelz der Sprache“, womit er, wie Diewald (2007: 121) ausführt, sich Überlegungen des Stilisten Ludwig Reiners bis in die Formulierung hinein anschließt. In Wirklichkeit liegen die Verhältnisse völlig anders: Mit den Partikeln nehmen Sprecher eine sprachliche Bearbeitung von ganzen Äußerungen oder von Äußerungsteilen für den Hörer vor. Partikeln sind metakommunikativ, sie sind operative Prozeduren. In diesem Kapitel charakterisieren wir zunächst die verschiedenen Klassen von Partikeln, wie sie in der Forschung beschrieben werden, um dann exemplarisch einige dieser Ausdrücke in ihrer Funktionalität ausführlich darzustellen.

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4.6.1 Intensitätspartikeln Intensitätspartikeln (vgl. Breindl 2007) sind Ausdrücke wie sehr oder kaum oder Wortbildungen wie überaus oder beinahe. In der Literatur werden mitunter auch Wörter wie außerordentlich oder echt (in Verwendungen wie außerordentlich gut oder echt stark) zu den Intensitätspartikeln gerechnet; es handelt sich hierbei aber, wie wir es hier vertreten, einfach um die spezifizierende Verwendung genuiner Adjektive, die bei attributiver Verwendung flektieren: ein außerordentlicher Musiker, ein echter Rembrandt. Intensitätspartikeln verhalten sich syntaktisch ähnlich wie Adverbien; sie treten in spezifizierender Funktion (Hoffmann 2003, vgl. 2.5.3) auf, indem sie mit Adjektiven Phrasen bilden: ein [überaus schnelles] Auto, der Sommer war [sehr groß] (Rilke), das Auto fuhr [beinahe zweihundert]. Intensitätspartikeln können auch spezifizierend auf das Prädikat bezogen sein: Peter hat sehr gelacht. Durch Intensitätspartikeln kommuniziert der Sprecher dem Hörer, in welchem Maße er eine Eigenschaft oder ein Prädikat als gegeben ansieht. Diese Partikeln treten daher vor allem mit relativen Adjektiven und Qualitätsadjektiven zusammen (vgl. Abschnitt 2.3.4): ein überaus großer Elefant, ein einigermaßen ehrlicher Gebrauchtwagenhändler. Der Hörer kann solche Fügungen nur auf Basis seines eigenen Wissens verstehen: Ein überaus großer Elefant ist nochmal größer als ein großer, aber sicher nicht doppelt so groß wie ein normaler; eine überaus große Schnecke kann hingegen durchaus doppelt so groß wie eine normale sein. Mit ein einigermaßen ehrlicher Gebrauchtwarenhändler wird das Image eines spezifischen (allerdings oft nur unterstellten) Geschäftsgebarens in einer Weise aufgerufen, das durchaus zum Nachdenken einlädt: Ist damit ein Gebrauchtwarenhändler gemeint, der ehrlicher ist als man es Gebrauchtwagenhändlern gemeinhin unterstellt, nämlich einigermaßen, oder ist von einem Gebrauchtwarenhändler die Rede, der nur einigermaßen so ehrlich ist, wie man es Gebrauchtwagenhändlern gemeinhin unterstellt? Aufgrund der Funktionalität von Intensitätspartikeln scheint ihre Verbindung mit absoluten Adjektiven (z.B. hellblau, tot) ausgeschlossen zu sein. Solche Verbindungen kommen jedoch durchaus vor: Hongkongs Leichen sind sehr tot (Krimititel von Harry Thürk) oder Jeansjacke im Biker-Look. Bleached, sehr hellblau (Anzeige in einem Second-Hand-Portal). Hier geht es für den Hörer nicht mehr darum, wissensbasiert den Grad einer Eigenschaft zu deuten, sondern dasjenige Wissen zu mobilisieren, das eine Deutung solcher Fügungen überhaupt ermöglicht: sehr tot weist, in Verbindung mit Leichen, auf Mordumstände (etwa Übertötung) hin; sehr hellblau ist eine Qualität, die, in Verbindung mit Jeansjacke auf das Konzept der Ausgebleichtheit rekurriert (bleached). 2 Was ist die syntaktische Funktion von sehr in Merkel sieht sehr schwarz (www.de24.news)?

Partikel | 153

4.6.2 Gradpartikeln Gradpartikeln sind Ausdrücke wie auch, sogar, gerade oder nur (vgl. Altmann 2007: 359–362). Sie werden auch gerne als Fokuspartikeln bezeichnet. Für diese Partikeln ist es allgemein charakteristisch, dass sie auf Fokusausdrücken operieren, die, wie wir durch Großschreibung der Silbe anzeigen, akzenttragend sind: Sogar PEter ist gekommen. Wie Hoffmann (2003: 111) an dem folgenden Beispiel zeigt, leisten Gradpartikeln eine kommunikative Gewichtung: (81)

Der Tourismus kann auch in schlechten Zeiten Schönwetter machen. (DIE ZEIT, 20.3.03)

Wie Hoffmann ausführt, ist die Bedeutung dieses Satzes von der Betonung abhängig: a) Auch kann auf in schlechten Zeiten operieren, dann liegt die Betonung auf schlecht: Der Tourismus kann auch in SCHLECHten Zeiten Gutwetter machen. Der Witz der Partikelverwendung besteht in diesem Fall darin, dass der Sprecher den geäußerten Gedanken zu einem anderen, unausgesprochenen, ins Verhältnis setzt: Der Tourismus kann in guten Zeiten Schönwetter machen – was durchaus erwartbar ist. So wird über auch ein neuer und nicht selbstverständlicher Punkt, das Novum der Äußerung, als solches gewichtet. b) Es ist aber auch folgende Betonung möglich: Der Tourismus kann AUCH in schlechten Zeiten Schönwetter machen. Der unausgesprochene Vergleichsgedanke ist in diesem Fall: Es gibt Branchen, die in schlechten Zeiten Schönwetter machen können (etwa die Bauindustrie). Der Punkt der Äußerung mit auch wäre dann, dass der Hörer zu diesen Branchen, von denen er weiß, dass sie in schlechten Zeiten Schönwetter machen können, nun den Tourismus mit hinzunehmen soll. Der Ausdruck sogar funktioniert ähnlich: Die Äußerung Sogar PEter ist gekommen operiert auf dem – unausgesprochenen – Vergleichsgedanken Alle, mit denen man gerechnet hat, waren da und ihr Punkt ist, dass Peter, mit dem man am wenigsten gerechnet hat, auch da war. Sogar ist sozusagen das unerwartete auch.

4.6.3 Modalpartikeln Zu den Modalpartikeln werden Ausdrücke wie bestimmt, vielleicht, offensichtlich oder angeblich gerechnet, mit denen Sprecher ihre Einstellungen bezüglich des von ihnen geäußerten Gedankens kommunizieren (vgl. Ballweg 2007: 549–552). Sie sind in der Regel auf den Gesamtsatz bezogen, d.h. sie spezifizieren Propositionen: Mit Peter kommt vielleicht nicht wird der Gedanke, die Proposition Peter kommt nicht vom Sprecher hinsichtlich ihrer Zutreffenswahrscheinlichkeit spezifiziert.

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Bei vielen der Ausdrücke, die zu dieser Klasse gerechnet werden, handelt es sich eigentlich um Adjektive, die bei attributiver Verwendung flektieren: eine offensichtliche Fehleinschätzung, die angeblichen Zeugen. Mithin: Es ist zumindest fraglich, ob die Klasse wesentlich über unflektierbare Ausdrücke wie vielleicht, immerhin, wenigstens oder leider hinausgeht, die man eben auch als genuine Adverbien auffassen kann. Damit ist aber nichts über die grundsätzliche Wichtigkeit dieser Ausdrücke gesagt: Die Formulierung XY hat mutmaßlich den Bankraub verübt hat knallharte juristische Implikationen: Sie besagt, dass XY unter Verdacht steht, den Bankraub verübt zu haben, er aber wegen des Bankraubs nicht rechtskräftig verurteilt ist und bis dahin die Unschuldsvermutung gilt. Mit dem Ausdruck scheinbar wird kommuniziert, dass etwas anscheinend der Fall ist, der Sprecher es aber besser weiß und somit einer Begründungsverpflichtung unterliegt: Der Ausdruck ‚scheinbar‘ ist scheinbar eine Partikel; er kommt aber auch in attributiver Verwendung flektiert vor: Die scheinbare Verschwörung entpuppte sich als völlig reguläre Zusammenkunft.

4.6.4 Abtönungspartikeln Abtönungspartikeln sind Ausdrücke wie halt, ja, eben, doch oder schon. Sie bereiten der Partikelforschung große Schwierigkeiten, da sie, wie wir noch zeigen werden (vgl. Abschnitt 4.7), auf verschiedene Dimensionen einer sprachlichen Handlung bezogen sein können. Sie sind genuine Partikeln, d.h. sie flektieren nicht, können nicht im Vorfeld auftreten, sind unbetont und i.d.R. metakommunikativ auf die Gesamtäußerung bezogen (vgl. Diewald 2007: 128).

4.6.5 Konnektivpartikeln Konnektivpartikeln sind Ausdrücke wie allerdings, dennoch, gleichwohl oder jedenfalls (vgl. Bührig 2007: 526), die Beziehungen zwischen Gedanken ausdrücken, ohne – wie Konjunktionen oder Subjunktionen – Beziehungen zwischen Sätzen zu organisieren. Wir betrachten die Funktionalität dieser Partikeln anhand von allerdings und jedenfalls im Sinne von Bührig (2007). Wie man an dem folgenden Beispiel sieht, stellt allerdings eine Beziehung zwischen den Gedanken 240.000 Berliner sind derzeit erkältet und die Grippewelle hat noch nicht begonnen her: (82)

240.000 Berliner sind derzeit erkältet. Die Grippewelle hat allerdings noch nicht begonnen. Der Tagesspiegel (5.12.2016)

Partikel | 155

Wie ist diese Beziehung beschaffen? Bührig schreibt: „[…] das Wissen der Trägeräußerung [erfährt] eine Gewichtung, die einen Bewertungswiderspruch zu einem vorherig verbalisierten Wissen anregt“ (2007: 533). Der Hörer wird durch allerdings angeleitet, einen Bewertungswiderspruch zwischen der den Ausdruck enthaltenden Trägeräußerung und der Vorgängeräußerung, ggf. auch mehreren Vorgängeräußerungen aufzusuchen. Es sind also durch den Ausdruck besondere hörerseitige Deutungsleistungen gefordert; im obigen Beispiel sind das etwa folgende: ‚Es ist schlimm, dass 240.000 Berliner erkältet sind. Aber das ist noch gar nichts gegenüber einer Situation, in der die Grippe um sich greift.‘ Über die Partikel jedenfalls gibt der Sprecher, wie Bührig ausführt (2007: 522– 541), einen Einblick in seine eigene Wissensverarbeitung. Um dies anschaulich zu machen, betrachten wir den folgenden Textausschnitt. (83)

[…] ich habe alles getan, zunächst als Bürgermeister und dann als Oberbürgermeister, mit viel Leidenschaft und Engagement diese Stadt zu führen, zu repräsentieren und möglichst viel Gutes für die Menschen in dieser Stadt und der ganzen Region zu tun. Ob mir das gelungen ist, müssen Sie beurteilen. Jedenfalls habe ich alles für die Stadt gegeben. Wie Sie wissen, verfolgen mich die Ermittlungsbehörden in Regensburg nun seit über vier Jahren. Bis heute ist es ihnen nicht gelungen, mich zu Fall zu bringen […] Offener Brief des Regensburger Oberbürgermeisters Joachim Wolbergs (2020)

Wolbergs führt zunächst aus, was er alles für die Stadt getan hat und stellt es dann seinen Lesern anheim, diese Leistungen zu bewerten (ob mir das gelungen ist, müssen Sie beurteilen). Die mit jedenfalls eingeleitete Äußerung bündelt aus Sicht des Sprechers das zuvor Gesagte und bringt es auf den Punkt: ich habe alles gegeben. Dann schließt der Sprecher ein völlig neues Thema an (Verfolgung durch Ermittlungsbehörden). Allgemein bedeutet äußerungseinleitendes jedenfalls für den Hörer, dass er eine spezifische Bündelung und Bewertung des vom Sprecher bisher Gesagten und dann einen Themenwechsel zu erwarten hat.

4.6.6 Negationspartikel Negationspartikel ist eine Wortart, die nur in einem einzigen Ausdruck besteht: nicht. Die Argumentation, mit der Strecker (2007: 555–559) begründet, dass die Partikel nicht tatsächlich so etwas wie eine eigene Wortart ist, können wir hier nicht ausführen. Sie ist aber sehr lesenswert, da sie die Verfahren, mit denen die Sprachwissenschaft so etwas begründet, nämlich Tilgung und Substitution, sehr anschaulich vorführt.

156 | Funktionswörter

Nicht tritt typischerweise in Assertionen auf und überführt die Bedeutung der Proposition in ihr Gegenteil: Peter kommt heute – Peter kommt heute nicht. Man findet die Partikel aber z.B. auch in Entscheidungsfragesätzen, die der Sprecher äußert, um vom Hörer Zustimmung zu bekommen: Wer hat nicht schon einmal ein Passwort vergessen? Nicht tritt auch gerne im Nachfeld als Rückversicherung auf: Sie liefern doch morgen pünktlich an, nicht? In einem Deklarativsatz führt nicht, wie Strecker zeigt, immer zur Negation der Gesamtproposition (566–573); durch die Stellung der Negationspartikel kann der Sprecher dem Hörer aber detaillierter kommunizieren, in welcher Hinsicht die Proposition nicht zutrifft: In Trump hat Türkei Gülen-Auslieferung nicht zugesagt (Onvista, 18.12.2018) steht die Negation, wie dies für das Deutsche normalerweise der Fall ist, vor dem zweiten Prädikatsteil und überführt dadurch die Bedeutung der Gesamtproposition in ihr Gegenteil – ein Sachverhalt, den Simultandolmetscher nicht sonderlich schätzen. In Trump hat Türkei nicht GülEN-Auslieferung zugesagt liegt die Betonung auf Gülen; durch diese Art der kommunikativen Gewichtung wird der Hörer dazu gebracht, die Äußerung zu einem Vergleichsgedanken ins Verhältnis zu setzen: Trump hat der Türkei die Auslieferung von X zugesagt. Aber auch in diesem Fall der Negierung des direkten Objekts ist es richtig, wie Strecker ausführt, dass die Gesamtproposition Trump hat Türkei Gülen-Auslieferung zugesagt in ihr Gegenteil überführt wird. Die Pragmatik der Negation ist recht komplex (s. hierzu auch Abschnitt 4.7.2.3): Wenn ich jemandem nach einem Blick aus dem Fenster mitteile, dass der Himmel heute blau ist, sage ich ihm auch, dass der Himmel nicht grau ist. Sage ich jedoch, dass der Himmel nicht blau ist, folgt daraus nichts Weiteres. Die Tatsache, dass ein Satz falsch ist, macht keinen anderen wahr. Der Bauingenieur Hans-Joachim Zillmer, der sich aufgrund seiner Qualifikation auch für die Evolutionsbiologie zuständig fühlt, versucht in seinem Buch Darwins Irrtum (2003: 252) folgende These zu begründen: Der Evolutionsgedanke ist mit den Naturgesetzen nicht vereinbar.66 Dies dient ihm dann als Grundlage für recht phantasiereiche Überlegungen zur Erdgeschichte. Das Verfahren, mit dem Laien hier zur Pseudowissenschaft verführt werden sollen, ist mithin: Wenn die Evolutionsbiologie schon falsch ist, muss meine Theorie richtig sein. Aber die Tatsache, dass ein Satz falsch ist, macht keinen anderen wahr. Selbst wenn sich irgendwann herausstellen sollte, dass der Evolutionsgedanke falsch ist, folgt aus dem Satz der Evolutionsgedanke ist falsch nicht, dass z.B. der Satz Gott hat die Welt erschaffen richtig ist.

|| 66 Die diesbezügliche Argumentation, auf die es hier nicht ankommt, ist Nonsense (vgl. Thielmann 2013).

Partikel | 157

4.6.7 Bemerkungen zu einzelnen Partikeln In diesem Abschnitt stellen wir einige ausgewählte Partikeln vor und versuchen zu zeigen, wie man sich einer Funktionsbestimmung nähern kann. Dabei zeigt sich nicht nur die komplexe Leistung dieser unscheinbaren Wörter, sondern auch die Komplexität sprachlichen Handelns. 4.6.7.1 ja Der Ausdruck ja kommt unbetont im Mittelfeld von Äußerungen vor (Peter ist ja schon vor einer Stunde angekommen) und ist in dieser Weise seines Auftretens eine typische Abtönungspartikel. Wir betrachten einen Ausschnitt aus einem Interview mit dem Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier: (84)

Das „Bürgerliche“ im politischen Sinn hat wenig mit Bügelfalte und Benimmregeln zu tun und kann auch nicht von einem Lager allein in Anspruch genommen werden. Die Bürgergesellschaft, die ja eine historische Errungenschaft gegenüber den ererbten Privilegien des Feudalsystems war, stellt den selbstbestimmten Menschen in den Mittelpunkt: Als Bürgerinnen und Bürger mit gleichen Rechten und Pflichten, die sich aktiv in Staat und Gesellschaft einbringen. Der Spiegel, 13.9.2019

Was ist die Leistung von ja in diesem Beispiel? Wenn wir die Partikel ja tilgen (die Bürgergesellschaft, die eine historische Errungenschaft […] war), wird über den Relativsatz einfach zusätzliches Wissen eingebracht. Durch das ja macht Steinmeier deutlich, dass er seinem Interviewpartner nichts Neues sagt, dass er seinem Interviewpartner unterstellt, über dieses Wissen zu verfügen. Die Proposition des Relativsatzes wird durch die Partikel ja als ein Wissen ausgewiesen, das der Sprecher als ihm mit dem Hörer gemeinsames Wissen in Anspruch nimmt. Die Partikel macht also mit einer Proposition das, was der bestimmte Artikel mit einem Nomen macht (s. Abschnitt 4.2.3): Sie determiniert. Ludger Hoffmann spricht daher von propositionaler Determination durch ja (2003: 64–65). Betrachten wir die Stelle noch einmal etwas genauer: Steinmeier scheint es mit einem sehr gebildeten Interviewer zu tun zu haben, für den es eine Selbstverständlichkeit ist, dass die Bürgergesellschaft eine historische Errungenschaft gegenüber den ererbten Privilegien des Feudalsystems war. Zudem ist das Interview, wie man sagt, mehrfachadressiert: Steinmeier antwortet nicht nur seinem Interviewpartner, er weiß auch, dass das Interview von Menschen gelesen wird, die über ein solches Wissen nicht selbstverständlich verfügen. Vor diesem Hintergrund ist der Einsatz der Partikel als ein Verfahren zu werten, das dem Hörer bzw. Leser ein Wissen nicht einfach nur ‚eintrichtert‘, sondern es ihm als etwas darbietet, was er auch selbst haben

158 | Funktionswörter

könnte. Die assertorische Kraft der Äußerung wird so heruntergefahren, sie wird illokutiv depotenziert. Das ja nimmt der Äußerung so ihre potentiell schulmeisterliche Qualität. 4.6.7.2 schon Der Ausdruck schon wird gerne verschiedenen Wortarten zugerechnet (exempl. Brauße 1994): In betonten Verwendungen wie Die Arbeit ist SCHON schwierig, aber sie macht auch Spaß wird schon als Adverb aufgefasst; in unbetonter Verwendungsweise im Mittelfeld als Abtönungspartikel (ich komme schon zurecht) und dort, wo die nachfolgende Konstituente betont ist, als Gradpartikel (alles ist schon beREIT). Natürlich kann ein und derselbe Ausdruck für mehrere Zwecke funktionalisiert sein – man denke an der als Objektdeixis, Artikel oder Relativum. Bei dem Ausdruck schon ist das hingegen nicht so (Thielmann 2008). Er hat in allen Verwendungsweisen eine abstrakte Grundfunktion, die der Hörer jeweils konkretisieren muss. Wir betrachten zunächst die Äußerung Geh schon! Wie wir in den Abschnitten 1.4.1.4. und 2.4.2.2.3 ausgeführt haben, handelt es sich beim sogenannten Imperativ um eine prozedurale Fusion aus einem Verbalstamm und einer expeditiven (lenkenden) Intonationskontur, durch die der Sprecher beim Hörer erreichen möchte, dass dieser die durch den Verbalstamm benannte Handlung vollzieht. Was ist nun die Leistung von schon in diesem Beispiel? Durch schon bringt der Sprecher eine Diskrepanz zum Ausdruck, nämlich zwischen dem Hörerhandeln zum Sprechzeitpunkt und demjenigen Hörerhandeln, das durch die Lenkung bewirkt werden soll. Der Effekt ist eine illokutive Abschwächung (vgl. Hau schon ab!). Es ist aber auch der Fall denkbar, dass Sprecher und Hörer bereits darauf verständigt sind, dass der Hörer zu gehen hat. In diesem Fall bestünde die Diskrepanz zwischen demjenigen, was der Hörer tun soll und seiner diesbezüglichen Untätigkeit. Der Effekt wäre eine illokutive Verstärkung. Durch den Ausdruck schon indiziert der Sprecher eine Diskrepanz zwischen seiner Äußerung oder einem ihrer Elemente und, allgemein, den Redehintergründen, also seinem eigenen Wissen, dem – unterstellten – Hörerwissen, dem Diskurswissen oder der aktuellen Handlungskonstellation. Wir betrachten nun eine betonte, ‚adverbiale‘ Verwendungsweise. Beim Gespräch mit einer Schulklasse äußert sich der Autor Günter Grass folgendermaßen zu dem Vorwurf, er würde seine Romane ‚berechnen‘: (85)

Na aber hören sie, wollen sie vier Jahre lang an einem Roman schreiben und immer in Inspiration leben, n anstrengender Zustand, und außerdem sind die Musen nicht so freigiebig. S gehört SCHON einige Spekulation und Arbeit dazu. (Freiburger Korpus, FR 012)

Partikel | 159

Ohne schon, also in der Form s gehört einige Spekulation und Arbeit dazu, wäre diese Äußerung eine einfache Assertion. Durch das schon wird jedoch das assertierte Wissen als diskrepant zu einem anderen ins Verhältnis gesetzt – zu den, zum Teil auch implizit bleibenden, Vorstellungen der jugendlichen Hörer von literarischer Produktion. In der Literatur wird gerne das folgende mitten aus dem Leben gegriffene Beispiel diskutiert: Schon ein Mercedes würde sie zufriedenstellen (Löbner 1991: 130). Hier lässt sich als möglicher Redehintergrund ein Gespräch über ein angemessenes Geburtstagsgeschenk für eine Millionärstochter denken, bei dem der Sprecher dem Hörer beruhigend kundtut, dass er nicht allzu tief in die Tasche zu greifen braucht. Alternativ wäre natürlich auch eine Situation denkbar, in der der Sprecher missbilligend die Diskrepanz zwischen den niedrigen Ansprüchen der Millionärstochter und seinem eigenen, höheren, Standard kundtut. An der Verwendung es ist schon spät, in der schon gerne als ‚temporal‘ qualifiziert wird, ist das einzige Temporale das spät. Die Diskrepanz, die der Sprecher hier kommuniziert, besteht zwischen seiner intuitiven Gewissheit und dem Resultat des Abgleichs mit der Uhr. Bei schon handelt es sich mithin um eine Partikel, die sich gegen eine eindeutige Zuordnung zu Subklassen ‚sperrt‘, da sie in verschiedenen syntaktischen Verwendungsweisen sowie betont oder unbetont ein- und dieselbe Funktionalität besitzt: die Kommunikation einer Diskrepanz zwischen der Trägeräußerung (oder Teilen davon) und den Redehintergründen, die vom Hörer jeweils deutend zu konkretisieren ist. 4.6.7.3 eben Der Ausdruck eben kommt im Mittelfeld von Äußerungen unbetont als typische Abtönungspartikel vor (Dann musst du dich eben anstrengen.). Wir folgen bei seiner Behandlung der Argumentation von Storz (2017). Wie Storz ausführt, besteht die temporaldeiktische Bedeutung von eben darin, auf einen gerade vergangen Zeitpunkt zu verweisen – wenn ich sage Hatten wir das nicht eben abgespeichert?, verweise ich in der Zeit zurück, also auf etwas, was dem Hörer nur noch mental zugänglich ist. Storz argumentiert, dass es sich bei eben als Partikel um eine Feldtransposition vom Zeigfeld ins operative Feld handelt, bei der sich die zurückverweisende Funktion erhalten hat: Durch die Verwendung von eben zeigt der Sprecher dem Hörer an, dass [dieser] über Wissen verfügt, das Teil der Vorgeschichte der sprachlichen Handlung ist, auf der eben operiert. Dieses Wissen soll der Hörer nun zur Prozessierung der sprachlichen Handlung als relevant mit einbeziehen. (Storz 2017: 181).

Dass eben diese Funktion besitzt, zeigt Storz an authentischen Text- und Diskursbeispielen, u.a. an dem folgenden Beleg aus einem Seminardiskurs:

160 | Funktionswörter

(86)

Wir ham ja letzte Woche darüber gesprochen, also was der Unterschied ist zwischen einem äh/ zwischen einer bürgerlichen Gesellschaft, also hier liberal-demokratischen Gesellschaft und einer sozialistischen, die eben den ganzen Menschen will, ja. Storz (2017: 174)

In der Analyse von Storz: Durch den Verbalkomplex aus dem Verb haben im Präsens und dem Partizip gesprochen bezieht der Dozent das durch das Partizip ausgedrückte Handlungsresultat des gemeinsamen Sprechens in die aktuelle Situation mit ein. Eben tritt an einer Stelle auf, an der der Dozent zum Thema des Wissens (sozialistische Gesellschaft) ein Wissenselement verbalisiert (der Sozialismus will den ganzen Menschen), das er nicht näher erklärt. Durch eben weist er aber aus, dass er zu diesem verbalisierten Wissenselement ein umfassenderes geteiltes Fachwissen, das in der vorangegangenen Sitzung vermittelt wurde, voraussetzt, das es zum Verständnis mit einzubeziehen gilt. Storz (2017: 174)

4.6.7.4 halt Durch die bisher besprochenen Partikeln ja, schon und eben setzen Sprecher ihre Äußerungen in Beziehung zu verschiedenen Dimensionen sprachlichen Handelns: Durch ja weist der Sprecher den propositionalen Akt seiner Äußerung als ein Wissen aus, das er dem Hörer als bekannt unterstellt; durch eben setzt er seine Äußerung zu einem gemeinsamen Vorwissen in Beziehung; durch schon kommuniziert er eine Diskrepanz zwischen seiner Äußerung oder einem ihrer Elemente und den Redehintergründen. Die Abtönungspartikel halt unterscheidet sich von den bisher besprochenen dadurch, dass sie auf den Dimensionen der sprachlichen Handlung selbst operiert (vgl. Thielmann 2015b). Um dies zu verstehen, müssen wir diese Dimensionen näher beleuchten. Die Funktionale Pragmatik (exempl. Ehlich 2007e) begreift, auf Unterscheidungen des Sprachphilosophen John R. Searle (1969) aufbauend, eine sprachliche Handlung als Einheit von drei Akten: dem Äußerungsakt (dem sprachlichen ‚Material‘), dem propositionalen Akt (dem inhaltlich Gesagten) und dem illokutiven Akt (der sprachlichen Handlungsqualität). Wie darf man sich das vorstellen? Wir betrachten hierzu einen Ausschnitt aus dem Gedicht Die gestundete Zeit von Ingeborg Bachmann, über das wir schon im Zusammenhang von Determination gesprochen haben (s. 4.2.3). (87)

Bald mußt du den Schuh schnüren und die Hunde zurückjagen in die Marschhöfe. Denn die Eingeweide der Fische sind kalt geworden im Wind. Bachmann (1953)

Partikel | 161

Diese Stelle ist kryptisch. Man könnte sich ihren Wortlaut einprägen, sie auswendig lernen. Wenn Sie das tun, haben Sie sich die Stelle als eine Reihe von Wörtern bzw. Wortformen gemerkt und damit den Äußerungsakt. Wenn Sie zu beginnen versuchen, diesem Äußerungsakt Sinn zu entnehmen, versuchen Sie, die propositionalen Akte zu verstehen. Bei dem Du, das hier angesprochen ist, handelt es sich um jemanden, der das mit denn angeschlossene die Eingeweide der Fische sind kalt geworden im Wind als Begründung (vgl. Ehlich & Rehbein 1986, Redder 1990) für die Aufforderung verstehen soll, den Schuh zu schnüren und die Hunde in die Marschhöfe zurückzujagen. Was heißt das? Der Angesprochene soll, falls er ein Verstehensproblem bezüglich der Aufforderung hat, den Schuh zu schnüren (und dies deshalb nicht tut), dieses Verstehensproblem mit dem – zusätzlichen – Wissen reparieren können, dass die Eingeweide der Fische im Wind kalt geworden sind. Er soll mithin den illokutiven Akt der Äußerung die Eingeweide der Fische sind kalt geworden im Wind, also ihre begründende Funktion, auffassen und umsetzen können und dann nach behobenem Verstehensproblem ‚hinnemachen‘. Für die Partikel halt ist es nun charakteristisch, dass sie auf allen drei Akten operieren kann: Durch halt kommuniziert der Sprecher dem Hörer, dass – der Äußerungsakt oder Elemente hiervon, – die durch den propositionalen Akt oder durch Elemente des propositionalen Gehalts kommunizierte Wirklichkeitskonstellation, – oder der illokutive Akt außerhalb seiner handelnden Einflussmöglichkeiten liegen (Thielmann 2015b: 7). Wir betrachten folgendes Beispiel aus einem narrativen Interview mit einem Heimkind (TU Chemnitz, Institut für Pädagogik, mimeo): (88)

Meine Mutter hat mit dem Freund meiner Oma halt techtelmechtelt.

Halt operiert hier auf dem propositionalen Akt. Die Partikel gestattet dem Sprecher hier eine Distanzierung von der – für ihn selbst problematischen – Wirklichkeitskonstellation, indem er sie als explizit seinen handelnden Eingriffsmöglichkeiten entzogen verbalisieren kann. Das folgende Beispiel ist die Antwort eines Physikstudenten auf die Prüfungsfrage des Dozenten Und was ist der Zeemann-Effekt? im Physikpraktikum: (89)

Der Zeeman-Effekt, das ist halt n quantenmechanischer Effekt der/der halt die Energieniveaus aufspaltet. Thielmann (2015b: 6)

Auf den ersten Blick sieht es so aus, als sei der Student hier gegen den Äußerungsakt selbst sozusagen machtlos, als würde er hier eine – unverstandene – Formulierung auswendig gelernt ‚durchreichen‘, so dass der Hörer gehalten ist, sich einschließlich

162 | Funktionswörter

der Illokution selbst einen Reim darauf zu machen. In der Tat kommen solche haltVerwendungen recht häufig in Prüfungsgesprächen vor, wenn Studierende Auswendiggelerntes, das sie nicht verstanden haben, ‚abspulen‘. Aber noch eine andere Möglichkeit ist denkbar: Es handelt sich ja um eine Prüfungsfrage. Der Dozent fragt nicht, weil er wissen will, was der Zeeman-Effekt ist, sondern weil er wissen will, ob der Student das weiß. Der Student kann nicht anders, als Antwort zu geben – es handelt sich ja um ein Prüfungsgespräch –, und ein Wissen zu äußern, von dem er weiß, dass es dem Dozenten bekannt ist. In diesem Fall wäre halt auf den illokutiven Akt bezogen – also Antwort auf eine Prüfungsfrage, die einen dazu verpflichtet, etwas zu sagen, was dem anderen schon bekannt ist. In diesem Fall wäre es also die Illokution selbst, in Bezug auf die der Sprecher keine Einflussmöglichkeit hat. Die innere Widersprüchlichkeit des Handlungsmusters Prüfungsfrage-Antwort käme bei diesen haltVerwendungen zum Ausdruck.

4.7 Konjunktion Konjunktionen (gebräuchlich ist auch die Bezeichnung Konjunktoren) sind einfache Ausdrücke wie und, aber, oder und denn sowie zusammen, d.h. paarig auftretende Ausdrücke wie sowohl…als auch, weder…noch, nicht nur…sondern auch und entweder…oder (Redder 2007). Die Funktion von Konjunktionen ist allgemein die Koordination (vgl. Hoffmann 2003: 89–92): Konjunktionen verbinden sprachliche Einheiten gleicher Art, die verschiedener Größenordnung sein können: a) das ist gut und schön; b) Peter reparierte das Auto und Paul sah fern; c) be- und entladen verboten. Die Konjunktion und verbindet in a) zwei Prädikative, in b) zwei Hauptsätze und in c) zwei Verbalpräfixe. Konjunktionen koordinieren also sprachliche Einheiten und leiten den Hörer an, wie diese Koordination zu verarbeiten ist: klein, aber fein; klein und fein. Hiermit ist allgemein die metakommunikative Leistung von Konjunktionen charakterisiert; sie sind, wie alle Funktionswörter, operative Prozeduren. Wir betrachten zunächst die Syntax von Konjunktionen und wenden uns dann den Funktionen einzelner Konjunktionen zu.

4.7.1 Syntax von Konjunktionen Allgemein gilt, dass Konjunktionen Einheiten gleicher grammatischer Funktion koordinieren. Wir betrachten die folgenden Fälle:

Konjunktion | 163

a) b) c)

Be- und entladen verboten! (Straßenschild) Schöne, aber giftige Farbtupfer am Rande des Weges (ovb online, 29.6.2016) Der Münchner […] hat den Sperrpfosten aus Metall entweder nicht gesehen oder sich verschätzt. (Merkur, 3.8.2011) d) Sowohl die Regierung als auch die Verwaltung sind häufig auf Informationen von Interessengruppen angewiesen. (Akteure der Wirtschaftspolitik, Bundeszentrale für politische Bildung, 5.7.2007) e) Nachdem der Beitragssatz für die wiederkehrenden Straßenbeiträge in Höhe von 13 Cent pro Quadratmeter Veranlagungsfläche ermittelt und beschlossen worden ist, […] (Webauftritt Stadt Grießheim) In a) erfolgt eine Koordination von Präfixen zu dem Verb laden; wir haben es mit einer Nominalsatzstruktur zu tun, in der die so gewonnenen Infinitive beladen und entladen Subjekt zum Prädikat verboten sind. In b) werden zwei Adjektive in attributiver Funktion durch aber koordiniert. In c) bezieht sich die durch entweder…oder ausgedrückte Alternative auf die Prädikatsteile nicht gesehen und sich verschätzt. In d) werden mit sowohl…als auch zwei Subjekte koordiniert. In e) werden mit und Prädikatsteile des mit nachdem eingeleiteten Nebensatzes (ermittelt und beschlossen worden ist) koordiniert. Wir betrachten nun, wie sich Konjunktionen syntaktisch verhalten, wenn sie Sätze koordinieren (Tab. 26). Wir beobachten Folgendes: Die Konjunktionen und, oder, aber und denn besetzen den Satzanfangsrahmen (SAR); oder und aber tun dies auch, wenn sie in paarigen Verwendungen (entweder…oder, zwar…aber) auftreten. Der Ausdruck sondern in nicht nur…sondern auch tritt ebenfalls im Satzanfangsrahmen auf. Zwar in zwar…aber kann hingegen wie nicht nur im Vorfeld auftreten; syntaktisch ebenfalls wie Adverbiale verhalten sich weder und noch. Solche Beobachtungen lassen vermuten, dass man es in solchen Fällen eher nicht mit Koordination zu tun hat.

164 | Funktionswörter

Tab. 26: Syntaktisches Verhalten von Konjunktionen im Satz

SAR

Vorfeld

Prädfin

Mittelfeld

Prädinf

aber

Er er

hatte konnte

uns (zwar) dann doch nicht

zugesagt, kommen.

und

Es ich

waren bin

kaum Leute dann

da, heimgegangen,

Entweder oder

er er

kommt kommt

nicht.

Weder noch

kann kann

Peter er

kochen putzen.

sondern

Nicht nur er

kann kann

Peter auch

kochen, putzen.

aber

Zwar er

kann kann

Peter nicht

kochen, putzen.

Bald

musst

du den Schuh die Hunde

schnüren zurückjagen

a)

b)

c)

d)

e)

f)

h) und

Denn

die Eingeweide der Fische

sind

kalt geworden

Nachfeld

nicht?

in die Marschhöfe. Im Wind.

4.7.2 Funktionalität einzelner Konjunktionen Bisher haben wir die Konjunktionen vor allem unter dem Gesichtspunkt der Koordination betrachtet, d.h. aus syntaktischer Perspektive. Konjunktionen stellen sich so dar als Ausdrücke, die Einheiten gleicher grammatischer Funktionalität zu einer komplexen Einheit koordinieren. Wie wir nun sehen werden, ist die Leistung von Konjunktionen doch noch etwas komplexer, was man sieht, wenn man über den Einzelsatz hinausgeht (vgl. Redder 2011).

Konjunktion | 165

4.7.2.1 und Wir betrachten zunächst den folgenden Beleg: (90)

„Da kommt auch der Paule!“ sagte einer. „Und seine Haifische wieder dabei!“ meinte ein anderer. Fallada (1990: 160)

Man sieht an diesem Beleg (Haifische sind hier junge Arbeiter ohne Lizenz, die ‚Paule‘ für sich arbeiten lässt), dass und im Diskurs auch so auftreten kann, dass ein Sprecher hiermit seine Äußerung an die seines Vorredners anschließt (vgl. Redder 2007: 499– 504).Was passiert hier? Der erste Sprecher äußert eine Feststellung, die der zweite Sprecher um eine weitere Beobachtung, übrigens in der syntaktischen Form eines Nominalsatzes, so expandiert, dass sie sich der Illokution der ersten unterordnet. Wir haben es hier gerade nicht mit einer ‚grammatischen‘ Koordination zu tun; und operiert hier auf der illokutiven Dimension. Im Falle von Äußerungsverkettung, also wenn ein Sprecher mehrere Äußerungen hintereinander realisiert, kann es zu recht interessanten Erscheinungen kommen. Der folgende Beleg stammt aus einem Forum für Rheuma-Patienten (Rheuma online). Ein Teilnehmer hat einen längeren Beitrag realisiert und resümiert: (91)

Lange Rede, kurzer Sinn: Ich denke, dass dein Arzt dir dazu rät auf 2-2-2 zu steigern. Und mach bloß nicht den Fehler, zu früh abzusetzten [sic!]. Alles bis zum Ende ausprobieren und es dann völlig abhaken. Sonst ärgerst du dich vielleicht später, denn Sulfasalzin ist ja eines der eher harmlosen Mittel.

Das und in und mach bloß nicht den Fehler führt, wie man sofort sieht, nicht zur grammatischen Koordination zweier Sätze; auch in illokutiver Hinsicht ist dies völlig ausgeschlossen: Mit ich denke, dass realisiert der Verfasser zunächst eine Vermutung. Die mit und angeschlossene Äußerung ist ein Ratschlag in der syntaktischen Form eines Aufforderungssatzes. Die beiden Äußerungen sind also gerade nicht koordiniert. Was passiert hier? Der Verfasser listet hier noch einmal seine wesentlichen Punkte auf, wobei er, nach der zuerst geäußerten Vermutung, mit und eine ganze Batterie von Ratschlägen (mach nicht den Fehler…, alles bis zum Ende ausprobieren…, dann völlig abhaken) anschließt. Man hat es hier sozusagen mit einer egozentrischen Verwendung von und zu tun, die sich der Tatsache verdankt, dass der Verfasser im Kopf eine Liste prozessiert und dies so auch versprachlicht. Auch beim äußerungsverkettenden Erzählen erfüllt der Ausdruck und eine wichtige Funktion, wie man an dem folgenden Ausschnitt aus einer mündlichen Erzählung eines sechsjährigen Kindes sieht:

166 | Funktionswörter

(92)

Da gibt es so einen großen Berg neben dem Haus, da wo wir immer waren. Da geht es so ganz tief runter so. Und da ist der Benjamin mal mit mir so runtergefahren. Das ging so ganz schnell. Und dann ist der Benjamin so voll gegen das Holz gefahren, ja. Nach Grießhaber (2006: 49)

Die Anschlüsse mit und bzw. und dann wären unzutreffend beschrieben, wenn man hier von ‚Koordination von Hauptsätzen‘ sprechen würde. Durch diese Anschlüsse signalisiert die Sprecherin vielmehr, dass es das Erzählen selbst ist, das weitergeht. „Mittels dieser koordinierenden operativen Prozedur werden jegliche Äußerungen illokutiv unter die Diskursart ‚Erzählung‘ subsumiert, d.h. als Elemente des Sprechhandlungsensembles mit dem Zweck der hörerseitigen Partizipation, des verbalen Miterlebens, qualifiziert“ (Redder 2007: 503). 2 Denken Sie einmal darüber nach, in was für Zusammenhängen die Konjunktion sowie auftritt und was sie leistet.

4.7.2.2 oder Die Konjunktion oder koordiniert auf Ausdrucksebene zwei sprachliche Einheiten unter dem Aspekt der Alternative. Hierbei bleibt offen, ob die beiden koordinierten Einheiten als exklusiv (eines von beiden, aber nicht beide zusammen) oder inklusiv aufzufassen sind (eines von beiden oder auch beide zusammen). Erst entweder…oder drückt die Exklusivität aus (vgl. Redder 2007: 511). Man sieht diese Vagheit von oder recht deutlich am Numerus des Prädikats, wenn zwei Subjekte mit oder koordiniert sind. Wir betrachten die folgenden Belege: (93)

Der Antragsteller oder die Antragstellerin hat die notwendigen Auskünfte zu erteilen. Förderrichtlinie Grundwasserschutz, Gemeinde Bickenbach

(94)

Der Antragsteller oder die Antragstellerin haben alle Angaben zu machen […] § 16 (3) Landesmediengesetz NRW

Man sieht: Während Subjektionen (Hoffmann 2003), die durch Sprecher oder Hörerdeixis sowie durch Nominalphrasen, Objektdeixis oder Anaphern realisiert sind, die Numerusflexion des Prädikats eindeutig regieren (Peter kommt, Leute kommen), ist das bei der Koordination von Subjektausdrücken mit oder nicht so: Hier kommuniziert der Sprecher über die Numerusflexion des Prädikats, wie er die mit oder koordinierten Einheiten auffasst. In (93) werden sie als exklusiv aufgefasst, was durch den

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Singular hat deutlich wird; in (94) ist das oder inklusiv gedacht, weswegen das Prädikat im Plural steht (haben). Wie die Konjunktion und hat auch oder eine wichtige diskursive Funktion, wie sie in Beispielen wie du kommst doch, oder? (vgl. Redder 2007: 512) zum Ausdruck kommt. Hier ist oder mit Frageintonation im Nachfeld der Äußerung positioniert; der Sprecher nimmt diese oder-Verwendung vor, „um mittels des direkten Eingriffs in das hörerseitige Handeln gemeinsame Handlungserwartungen zu reaktivieren und insofern die Reduktion auf eine einzige, die bereits genannte Alternative konvergierend abzusichern. […] Prozedural wird oder in solchen Fällen für Zwecke des expeditiven Feldes/Lenkfeldes […] funktionalisiert“ (Redder ebd.). 4.7.2.3 und sowie oder in der Logik Die Geburtsstunde der Logik ist die Einsicht, dass die Koordination von Aussagen mit Konjunktionen es gestattet, allgemein und ohne Bezug auf die Wirklichkeit etwas über die Wahrheit dieser Verknüpfungen zu sagen: Alle Koordinationen der Art es regnet und es regnet nicht, also allgemein A und nicht A, sind per se widersprüchlich, sie sind falsch. Alle Koordinationen der Art es regnet oder es regnet nicht, also allgemein A oder nicht A, sind, wenn man das oder exklusiv auffasst, immer wahr: Wenn es entweder regnet oder nicht regnet, trifft immer eins von beiden zu, auch wenn nicht beide Aussagen gleichzeitig (inklusives oder) zutreffen können. Solche Verknüpfungen bezeichnet man auch als Tautologien (Wittgenstein 1922). Hierbei ist folgendes wichtig: Die Ausdrücke und sowie oder sind nicht selbst ‚logisch‘; vielmehr sind es beobachtete Konsequenzen ihrer Verwendung, die die Ausbildung einer Logik, hier konkret: Aussagenlogik, gestatten. Wie wir oben gesehen haben, wird der Ausdruck oder gemeinsprachlich exklusiv wie auch inklusiv verwendet. In der Logik und in der Mathematik, wo es auf Widerspruchsfreiheit ankommt, muss man sich in dieser Frage einigen. In der Mathematik ist das inklusive oder (die sogenannte Disjunktion mit dem Zeichen ˅) der Regelfall. Ist A oder B, wenn das oder so aufgefasst wird, wie in der Mathematik üblich, eine Tautologie?

Der Satz vom Widerspruch, dass also A und nicht A immer falsch ist, gilt natürlich immer, wenn unter A Sätze verstanden werden wie x ist eine Primzahl oder es regnet. Er gilt aber keineswegs grundsätzlich in der Wirklichkeit. Eine Institution wie eine Mitfahrzentrale dient ihren Kunden, indem sie ihnen günstige Fahrgelegenheiten anbietet. Zugleich dient sie aber auch sich selber, also gerade nicht ihren Kunden, indem sie für den Inhaber ein Einkommen generiert oder intern eine notwendige Mitarbeiterbesprechung durchführt. Institutionen sind durch Widersprüche geprägt, sie sind ohne Widersprüche gar nicht denkbar. Man hat es, wie der Philosoph Hegel in seiner Logik darlegt, mit Widersprüchen grundsätzlich dort zu tun, wo es um Abläufe,

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Prozesse, kurz: Bewegung geht, da bereits Bewegung widersprüchlich ist – „nur insofern etwas in sich selbst einen Widerspruch hat, bewegt es sich, hat Trieb und Tätigkeit“ (1986, 75): Es bewegt sich etwas nur, nicht indem es in diesem Jetzt hier ist und in einem anderen Jetzt dort, sondern indem es in einem und demselben Jetzt hier und nicht hier, indem es in diesem Hier zugleich ist und nicht ist. Hegel (1986: 76)

4.7.2.4 aber Wir haben gesehen, dass und sowie oder den Zweck der Koordination bearbeiten (bei oder alternativenbezogen, bei und nicht), aber diskursiv auch in Weisen Verwendung finden, die über bloße Koordination hinausgehen. Bei aber ist dies in einer Weise der Fall, dass Redder (2007: 515) den Ausdruck gar nicht als Konjunktion aufgefasst haben will. Für eine solche Auffassung führt sie u.a. an, dass aber bei der Koordination von Hauptsätzen nicht an den Satzanfangsrahmen gebunden ist (vgl. aber er ist nicht gekommen vs. er ist aber nicht gekommen). Wir machen uns die Funktionalität von aber zunächst an einem einfachen und dann an einem komplexeren Beispiel klar. In was für einer Situation könnte jemand klein, aber fein! äußern? Beispielsweise, wenn er jemandem angeboten hat, ihn nach Hause zu fahren, und derjenige zum ersten Mal das winzige Auto sieht, mit dem dies geschehen soll. Der Sprecher fängt vielleicht den verblüfften Blick seines Fahrgastes auf, der sich fragt, ob man wirklich zu zweit in das kleine Vehikel hineinpasst. Mit klein benennt der Sprecher dasjenige, was der Hörer nicht erwartet hat; mit aber fein bearbeitet er diesen Erwartungsbruch, damit das geplante gemeinsame Handeln weiterhin fortgesetzt werden kann. Komplexer liegen die Verhältnisse in dem folgenden Beleg, in dem die Professorin für Kultursoziologie Monika Wohlrab-Sahr, die sich selbst als „Arbeiterkind“ bezeichnet, ihren Werdegang erzählt: (95)

Und ich weiß noch, wie ich nach Hause gekommen bin und stolz erzählt habe, dass ich jetzt in die Gewerkschaft eingetreten bin. Mein Vater konnte damit überhaupt nichts anfangen. Es galt immer die Maxime: „Die Kinder sollen es mal besser haben.“ Und dann fällt der Tochter nichts anderes ein, als in die Gewerkschaft einzutreten. Das ist mir in dem Moment wahrscheinlich gar nicht so bewusst gewesen. Aber ich habe dann auch später meine Dissertation im Bereich Arbeitssoziologie über Zeitarbeiterinnen geschrieben und diese meiner Mutter gewidmet. Diese Themenwahl hatte ganz viel mit meinen Eltern zu tun. Leipzigs unabhängige Hochschulzeitung, 21.2.2019

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Die Sprecherin erzählt, wie die Eltern, die mit ihrer Tochter ‚etwas Besseres‘ im Sinn hatten, mit deren Eintritt in die Gewerkschaft „nichts anfangen“ konnten. Dies wird mit der Anadeixis das im Wissensraum (Redder 2015) refokussiert und – bezogen auf das damalige Lebensstadium der Erzählerin – bezüglich seiner Implikationen für sie eingeschätzt (das ist mir in dem Moment wahrscheinlich gar nicht so bewusst gewesen). Mit aber wird dem Hörer ein Erwartungsbruch dahingehend kommuniziert, dass die Erzählerin ihre damalige ‚Unbewusstheit‘ in wissenschaftliche Reflektiertheit („Dissertation“) überführt hat. Man beachte auch das dann sowie das auch: Mit dann wird die Kontinuität des Erzählens sichergestellt; die Gradpartikel auch operiert über dem Dissertationsthema „Zeitarbeiterinnen“, wodurch die wissenschaftliche Reflektiertheit als für die frühere ‚unbewusste‘ Situation thematisch einschlägig qualifiziert wird. Man sieht hier deutlich, dass aber hier nicht einfach Konjunktion im Sinne einer Verbindung zweier Hauptsätze ist, sondern dass mit dieser operativen Prozedur ein Erwartungsbruch bezüglich eines – in mehreren Einzeläußerungen erzählten – Lebensabschnitts kommuniziert wird. Deswegen plädiert Redder auch dafür, bei der Behandlung von Konjunktionen eine satzzentrierte Perspektive zu überwinden (2007: 515). 4.7.2.5 denn Mit dem Ausdruck denn werden nach Redder (1990) illokutiv Begründungen realisiert. Wir betrachten folgendes Beispiel: Die Kundin AC findet die Lieferfrist für ein Geschirr zu lang; die Verkäuferin AA versucht, dies sprachlich zu bearbeiten. (96)

AC Die.. Lieferfrist ist ja nicht gerade klein! AA Ja, wissen Sie, es liegt auch daran, denn die Firma öh Rosenthal kann uns ja nicht allein dieses Service schicken. Die sammeln die Aufträge zusammen und schicken s uns, wenn sie einen äh groß genugen Auftrag haben. Redder (1990: 113)

Die Kundin äußert Unverständnis über die lange Lieferfrist. Die Verkäuferin bricht ihre Erklärung ja, wissen Sie, es liegt auch daran ab und schließt mit denn eine Begründung, d.h. ein Wissen an, das nach ihrem Dafürhalten geeignet ist, das NichtVerstehen der Kundin in Verstehen zu überführen. Sprecher realisieren Begründungen dort, wo sie merken, dass der Hörer aufgrund eines Verständnisproblems nicht ‚mitzieht‘ und die Fortsetzung gemeinsamen Handelns dadurch gefährdet ist. Auch im Falle von denn sieht man deutlich, dass man es nicht einfach mit einer Konjunktion zu tun hat, die Hauptsätze verbindet. Denn hat es mit der Bearbeitung von Verstehen zu tun. Hieraus erklärt sich, wie Redder (1990) breit entwickelt, der systematische Zusammenhang zwischen äußerungseinleitendem denn und denn in Fragen.

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Wir veranschaulichen dies an einem quasi-empirischen Beispiel: Zwei Personen unterhalten sich; der Sprecher, der noch sehr jung aussieht, erzählt von einer erfolglosen Bewerbung und sagt: (97)

Ich habe den Job nicht gekriegt, weil ich schon über der Altersgrenze war.

An dieser Stelle im Diskurs kann ein Problem auftreten dergestalt, dass der Hörer das weil ich schon über der Altersgrenze war nicht mit dem jungen Aussehen des Sprechers zusammenbringt, also ein Verstehensproblem hat. Nun sind zwei Möglichkeiten denkbar: Hat der Sprecher seinen Hörer, der vielleicht schon mit einem in fallender Intonation geäußerten hm Divergenz kundgetan hat, im Blick, kann er eine Begründung anschließen: Denn ich bin schon über dreißig. Andernfalls kann der Hörer, der hier nicht mehr ‚mitzieht‘, eine Verstehensfrage äußern: Wie alt bist du denn?

4.8 Subjunktion Subjunktionen sind Wörter wie als, nachdem, während, wenn, da, weil, obwohl oder dass. Sie sind nicht flektierbar und leiten Nebensätze ein, an deren Anfang sie stehen, ohne – anders als z.B. Relativa – darin Satzglied zu sein (Fabricius-Hansen 2007: 760). Nebensätze zeichnen sich durch eine feste Satzgliedabfolge mit Endstellung des finiten Prädikatsteils aus, wobei der infinite dem finiten Prädikatsteil vorhergeht: Subjunktion – Subjekt – Objekt – infiniter Prädikatsteil – finiter Prädikatsteil (vgl. als er den Kuchen gebacken hatte). Diese Wortstellung ist illokutionsblockierend (vgl. 2.1.4); man kann mit einem Nebensatz nichts fragen, nichts assertieren, nichts begründen, niemanden warnen und sich auch nicht rechtfertigen oder entschuldigen. Die allgemeine Leistung von Subjunktionen ist es, Gedanken, d.h. propositionale Akte, in einen illokutionstragenden Satz zu integrieren und zu dessen Gedanken in ein spezifiziertes Verhältnis zu setzen: Ich möchte Sie darum bitten, für mich einzuspringen, weil ich terminlich verhindert bin. Hier wird durch weil der propositionale Akt ich bin terminlich verhindert in den illokutionstragenden Hauptsatz integriert und durch weil das Verhältnis zwischen Haupt- und Nebensatz spezifiziert.

4.8.1 Syntax und Semantik von Nebensätzen Subjunktionen leiten Nebensätze verschiedener syntaktischer Funktion ein. Nebensätze mit dass können als Subjektsätze (dass du kommst, freut mich), Objektsätze (ich sehe, dass er kommt) und Attributsätze (seine Behauptung, dass er nicht dort gewesen sei,) auftreten. Die Leistung der Subjunktion dass besteht allein in der Unterordnung selbst – sie gestattet es, einen propositionalen Akt, einen Gedanken, in verschiedenen syntaktischen Funktionen in einen Hauptsatz einzubetten, weswegen dass-

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Nebensätze in der Duden-Grammatik auch recht sinnvoll als Inhaltssätze bezeichnet werden. Im Unterschied zu dass leiten die anderen Subjunktionen im Regelfall Adverbialsätze ein. Man sieht das daran, dass in den folgenden Beispielen die Nebensätze und die unterstrichenen Ausdrücke sowie Phrasen jeweils dieselbe syntaktische Funktion haben und mit wann, warum und wie erfragt werden können: Gestern/Als er heimkam, hat das Telefon geklingelt; Wegen des schlechten Wetters/Weil das Wetter zu schlecht ist, muss die Veranstaltung ausfallen; Er hat bis zum Schluss gekämpft wie ein Löwe/als ob er ein Löwe wäre. Wir orientieren uns an Fabricius-Hansen (2007: 727–787) bei dem folgenden Überblick über – mehr oder weniger adverbiale – Nebensätze und die entsprechenden einleitenden Subjunktionen, wie er auch den einschlägigen Grammatiken etwa von Eisenberg (2004), Engel (1988) oder Helbig & Buscha (1989) in ähnlicher Form zu entnehmen ist.67 Anschließend diskutieren wir einige Subjunktionen im Detail, wobei wir feststellen werden, dass die Leistung dieser Ausdrücke doch erheblich komplexer und anders geartet ist, als es zunächst den Anschein hat. a) Temporale Nebensätze mit als, wenn, bevor, nachdem, während etc. Temporalsätze haben syntaktisch die Leistung von Temporaladverbialien – sie können durch wann erfragt werden. Als drückt aus, dass das in Haupt- wie Nebensatz kommunizierte Geschehen gleichzeitig ist: Als er die Hauptstraße hinunterfuhr, ging die Sonne unter. Gleichzeitigkeit liegt auch in dem Fall vor, wo mit als ein Handlungs- bzw. Prozessresultat kommuniziert wird, das mit dem Beginn einer Anschlusshandlung koinzidiert: Als der Kaffee durchgelaufen war, schaltete er das Gerät aus. Auch wenn drückt Gleichzeitigkeit aus, aber unter dem Gesichtspunkt der Wiederholung: Wenn er nach der Arbeit die Hauptstraße hinunterfuhr, ging die Sonne schon unter. Im Gegensatz zu als gestattet es während nur, Handlungsverläufe und Prozesse, nicht aber Augenblickliches in Beziehung zu setzten: Während der Kaffee durchlief, überflog sie die Schlagzeilen der Tageszeitung, aber nicht *Während der Blitz einschlug, schrieb sie in aller Ruhe das dritte Kapitel zu Ende. Das folgende Beispiel mit während hat zwei Lesarten: Während Kain Feldfrüchte opferte, opferte Abel die Erstlinge seiner Herde (Bibel, Genesis). Zunächst ist hier einfach gesagt, dass zwei Männer gleichzeitig verschiedene Dinge opfern. Das Beispiel kann aber auch in demjenigen Sinne ver-

|| 67 Für interessante kognitiv-linguistische Perspektiven auf Nebensätze sei auf den Sammelband Couper-Kuhlen & Kortmann (2000) verwiesen, darin insbesondere die Arbeiten von Verhagen sowie Dancygier & Sweetser.

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standen werden, dass zwei auf derselben Ebene befindliche Handlungen (verschiedene Dinge opfern) durch während in einen Gegensatz gebracht werden, wobei das im Hauptsatz kommunizierte Geschehen das sprecherseitig präferierte ist – dies ist die sogenannte adversative Lesart (‚Während Kain [nur] Feldfrüchte opferte, opferte Abel [immerhin] die Erstlinge seiner Herde‘).68 Mit der Abfolge von Handlungen/Prozessen haben es temporale Nebensätze mit den Subjunktionen nachdem, bevor und wenn…(dann) zu tun, wie man leicht an den folgenden Beispielen sieht: (i) Wenn du da bist, machen wir den neuen Riesling auf. (ii) Bevor du da bist, machen wir den neuen Riesling nicht auf. (iii) Nachdem du jetzt endlich da bist, können wir ja den neuen Riesling aufmachen. In (i) wird eine Ankündigung (wir machen den neuen Riesling auf) an die Konkretisierung (oder, wie man auch sagt, Instantiierung) des Sachverhalts ‚du bist da‘ geknüpft. In (ii) wird das Versprechen einer Unterlassung (wir machen den neuen Riesling nicht auf) an den Zeitraum der Abwesenheit des Hörers (bevor du da bist) gebunden – mit Blick darauf, dass der Korken irgendwann gezogen werden kann, wenn die Gruppe komplett ist. In (iii) wird mit nachdem ein Sachverhalt (‚du bist da‘) als eingetroffen kommuniziert, der eine Handlungsoption (‚Riesling aufmachen können‘) eröffnet. Werden mit nachdem zeitliche Abfolgen in der Vergangenheit kommuniziert, ist die Abfolge der Tempora, die consecutio temporum, zu beachten, bei der der nachdem-Nebensatz immer vorzeitig (‚vergangener als das Hauptsatzgeschehen‘) ist: Nachdem sie den Mantel abgelegt hatte, ging sie ins Badezimmer, aber nicht *Nachdem sie den Mantel ablegte, ging sie in Badezimmer. b) Kausale Nebensätze mit weil und da Nebensätze, die durch die Subjunktionen weil und da eingeleitet werden, werden in der Regel als adverbiale sogenannte Kausalsätze oder kausale Nebensätze aufgefasst (Henschelmann 1977), die sich mit warum erfragen lassen. Die Bezeichnung basiert auf der Auffassung, dass in Satzgefügen, in denen sie auftreten, Grund-Folge- bzw. Ursache-Wirkungsbeziehungen (lat. causa = ‚Ursache‘) ausgedrückt sind wie in dem folgenden häufig zitierten Beispiel: Die Rohre platzen, weil Frost herrscht (Lang 1976, Schmidhauser 1995, Zifonun, Hoffmann & Strecker 1997: 2290, Ballweg 2004). Dass zwischen weil und da ein großer funktionaler Unterschied besteht, zeigt ein einfacher Befund: In weil sie den Bus verpasst hatte, kam sie zu spät zur Klausur lässt sich der Grund erfragen und mit dem weil-Nebensatz beantworten: Warum kam sie zu spät zur Klausur? – Weil sie den Bus verpasst hatte. Bei da sie den Bus verpasst hatte, kam sie zu spät zur Klausur geht das nicht: Warum kam sie zu spät zur Klausur –*Da sie den Bus verpasst hatte.

|| 68 Bekanntlich waren Gott die Opfer der beiden Herren nicht gleichermaßen wohlgefällig, da er das Opfer des Nomaden (Abel) annahm, dasjenige des Bauern Kain aber nicht.

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c) Konzessive Nebensätze mit obwohl, wenngleich etc. Nebensätze mit obwohl, wenngleich, wenn… auch etc. heißen konzessiv, weil der Sprecher mit ihnen etwas einräumt (‚konzediert‘), was im Kontrast zum propositionalen Gehalt des Hauptsatzes steht. Wir betrachten das folgende Beispiel: Obwohl es in Strömen goss, machte er seinen täglichen Spaziergang. Hier werden, wie Eisenberg (2004, Bd. 2: 337–338) argumentiert, Dinge zusammengebracht, wie sie normalerweise gerade nicht zusammengehören: Ein Wolkenbruch ist kein Spaziergehwetter. Weinrich (1993: 761) argumentiert stärker handlungsbezogen: “Die konzessiven Konjunktionen ... geben im Adjunkt einen Grund an, der nicht handlungsbestimmend geworden ist.“ Der mit obwohl kommunizierte propositionale Akt kommuniziert etwas, was – entgegen der Sprechererwartung – gerade nicht handlungsleitend wird. Ähnliches gilt auch für Prozesse: Wir erwarten, dass ein Auto, das gerade von der Wartung kommt, einwandfrei funktioniert: Obwohl das Auto gerade von der Werkstatt kam, sprang der Motor nicht an. d) Konditionale Nebensätze mit wenn und falls Wenn- und falls-Nebensätze bilden zusammen mit den Hauptsätzen sogenannte Konditionalgefüge (= Bedingungsgefüge), die ausdrücken, was für eine Konsequenz eintritt, wenn eine bestimmte Bedingung erfüllt ist: Wenn die Kerntemperatur über 700 C steigt, wird der Braten trocken. An diesem Beispiel sieht man gut den Unterschied zwischen dem – allgemeinen – wenn und dem auf den konkreten Einzelfall bezogenen falls: Mit Falls die Kerntemperatur über 700C steigt, wird der Braten trocken lässt sich keine allgemeine Kochempfehlung geben. Konditionalgefüge werden gerne als Basis von Kausalgefügen (s.o.) angesehen; die Argumentation läuft in etwa folgendermaßen (vgl. Zifonun, Hoffmann & Strecker 1997: 2290): Wenn bei dem Bedingungsgefüge Wenn Frost herrscht, platzen die Rohre die Bedingung wenn Frost herrscht tatsächlich erfüllt (‚instantiiert‘) ist, lässt sich feststellen: Die Rohre platzen, weil Frost herrscht. Der weil-Nebensatz wird in dieser Sichtweise als instantiierte Bedingung eines – ihm zugrundeliegenden – Bedingungsgefüges aufgefasst. Als kontrafaktische Konditionalgefüge werden solche Gefüge verstanden, bei denen die Prädikate konjunktivisch realisiert sind: Wenn er käme, könnten wir loslegen bzw. rückblickend Wenn er gekommen wäre, hätten wir loslegen können. Konditionalgefüge lassen sich aber auch ohne wenn realisieren. Wir wissen bereits, dass sich Entscheidungsfragen durch Spitzenstellung des finiten Prädikatsteils auszeichnen: Kommt er am Hauptbahnhof an? Durch diese Wortstellung wird die Geltung des propositionalen Akts, der Wahrheitsanspruch, suspendiert – der Sprecher legt ihn sozusagen dem Hörer zur Bewertung vor. Die Suspendierung des Wahrheitsanspruchs ist der Grund dafür, dass sich Konditionalgefüge auch dadurch ergeben können, dass man den Bedingungssatz – ohne wenn – mit Spitzenstellung des finiten

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Prädikatsteils realisiert: Wagt man einen Abstecher ins Zentrum, wird man nicht enttäuscht. e) Finale Nebensätze mit damit und finale Infinitivsätze mit um…zu Finale Nebensätze (lat. finis: Ziel, Zweck) geben an, wozu das im Hauptsatz ausgedrückte Geschehen gut ist: Beim Kochen mit dem Wok muss man die Zutaten gut rühren, damit nichts anbrennt. Haben Haupt- und Nebensatz dasselbe Subjekt, so ist auch ein sogenannter finaler Infinitivsatz (der in Ermangelung eines finiten Prädikatsteils eigentlich kein Satz ist) mit um…zu möglich: Er arbeitete sieben Tage in der Woche, damit er das Geld für den Flug verdiente  Er arbeitete sieben Tage in der Woche, um das Geld für den Flug zu verdienen. 3 Die um…zu-Konstruktion bedarf einer Anbindung an den Handelnden, das Agens, im Hauptsatz in der Form: A tut B, um C zu erreichen. Deswegen sind Formulierungen wie die folgende, die in dieser Art häufig in Seminararbeiten auftreten, ungrammatisch: Um die Schrift vom Bild abzugrenzen, ist sie schwarz umrandet.

f) Ereignispräzisierende oder -ergänzende Nebensätze mit indem, wobei und ohne…zu Nebensätze der Art er rührte vorsichtig, indem er den Stiel des Kochlöffels benutzte präzisieren das im Hauptsatz ausgedrückte Geschehen. Sie können durch wie erfragt werden. In diese Gruppe gehören auch Nebensätze, die durch ohne dass oder wobei eingeleitet werden: Er rührte vorsichtig, wobei er nur den Stiel des Kochlöffels benutzte oder Bei dieser Zigarre ist es schwierig, die Bauchbinde zu entfernen, ohne dass man das empfindliche Deckblatt beschädigt. Häufig werden auch sogenannte Infinitivsätze, die gar keinen finiten Prädikatsteil aufweisen, zu den Nebensätzen gerechnet und deswegen auch Verbindungen wie ohne…zu zu den Subjunktionen gezählt: Sie zog vorsichtig die Bauchbinde von der Zigarre ab, ohne das empfindliche Deckblatt zu beschädigen. Auch hier ist, wie bei dem finalen um…zu (s.o.), auf die Agensanbindung zu achten: A tut B, ohne C zu tun. g) Konsekutive Nebensätze mit so…dass und sodass Konsekutive Nebensätze drücken eine Konsequenz aus, die sich aus dem im Hauptsatz Gesagten ergibt: Piloten üben zunächst im Simulator, sodass sie niemanden gefährden. Sie lassen sich mit wozu erfragen. In dem Ausdruck sodass sind die Aspektdeixis so (vgl. 3.5) und die Subjunktion dass zu einem operativen Ausdruck verschmolzen. In sein Zustand hatte sich so ge-

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bessert, dass er wieder arbeiten konnte sind diese Funktionen noch auseinandergelegt: So verweist im Textraum auf den Aspekt besser und, katadeiktisch, auf den dassSatz, der diesen Aspekt konkretisiert (vgl. Ehlich 2007g: 159). h) Vergleichssätze mit wie, wie wenn, als und als ob Um zu verstehen, was bei Vergleichssätzen passiert, befassen wir uns zunächst mit den beiden sogenannten Adjunktoren (Eggs 2007) als und wie. Beide werden in Vergleichsoperationen verwendet. Wie bezieht sich auf das „Identische im Andersartigen“ (Eggs, 2007: 199): Mit Peter ist so groß wie Paul ist gesagt, dass die beiden unterschiedlichen Individuen Peter und Paul hinsichtlich ihrer Größe identisch sind. In Peter ist größer als Paul bezieht sich als auf das „Andersartige im Identischen“ (Eggs 2007: 199): Peter und Paul haben beide etwas gemeinsam, nämlich eine Körpergröße, die bei beiden aber unterschiedlich ausfällt. Bereits an diesen einfachen Beispielen sieht man, dass Vergleichsoperationen von Hörern bzw. Lesern komplexe Deutungsleistungen verlangen. Zwei Dinge werden bezüglich eines dritten, des sogenannten tertium comparationis (= ‚das Dritte des Vergleichs‘), verglichen, wobei entweder die Gleichartigkeit hinsichtlich eines Aspekts (auf den mit der Aspektdeixis so verwiesen wird) oder das Andersartige hinsichtlich des gemeinsamen Aspekts im Vordergrund steht. Eggs (2007: 200–201) unterscheidet zwischen homogenen und heterogenen Vergleichen: Bei homogenen Vergleichen (z.B. Peter ist so groß wie Paul) werden über das tertium comparationis – hier ‚groß‘ –Gegenstände aus derselben Erfahrungsdomäne, hier also zwei männliche Individuen, in Beziehung gesetzt. In Peter sieht aus wie ein Filmstar werden hingegen ein männliches Individuum (‚Peter) und eine typisierend benannte Personengruppe (‚ein Filmstar‘), also Elemente aus unterschiedlichen Wirklichkeitsbereichen, hinsichtlich des Tertiums ‚aussehen‘ verglichen – hier muss der Hörer sein Wissen, nämlich wie ein typischer Filmstar normalerweise aussieht, einsetzen, um zu verstehen, wie Peter aussieht. Wie in Abschnitt 1.4.2.2 ausgeführt wurde, können sprachliche Ausdrücke auf dem Wege der Feldtransposition oder der feldinternen Transposition für andere Funktionsbereiche in die Pflicht genommen werden. Dasjenige, was als und wie als Adjunktoren leisten, leisten sie im Prinzip auch, wenn sie, als Resultat feldinterner Transposition innerhalb des Operationsfelds, für die Zwecke der Subordination, also als Subjunktoren, in Anspruch genommen werden und in dieser Funktion Vergleichssätze einleiten.

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Syntaktisch werden Vergleichssätze als Modaladverbiale aufgefasst, die mit wie erfragt werden können: Er ging vorsichtig, als ob er jeden Moment befürchtete hinzufallen. Hier kann man fragen und antworten: Wie ging er? – Als ob er jeden Moment befürchtete hinzufallen.69 Wir betrachten die folgenden literarischen Beispiele für Vergleichssätze aus der Erzählung „Die Vollendung der Liebe“ von Robert Musii (2000). Es handelt sich durchweg um heterogene Vergleiche im Sinne von Eggs (s.o.), bei denen unterschiedliche Erfahrungsdomänen involviert sind: (98)

[…] es rührte sie ganz leise etwas an, wie es einen Kletterer an einer Wand faßt […] (166)

Dies ist ein Fall, bei dem der Leser wissens- bzw. erfahrungsbasiert das Tertium, das den Vergleich zwischen etwas rührte sie an und es fasst einen Kletterer an der Wand ermöglicht – also etwa ein Gefühl gefährlicher Verlassenheit – rekonstruieren muss. (99)

Wie wenn ein Tor zugefallen wäre, fand plötzlich jeder Blick seine dunkle Figur vor sich. (169)

Hier wird der Effekt einer augenblicklichen Überschattung (jeder Blick fand plötzlich seine dunkle Figur vor sich) über wie wenn hypothetisch zu einem Ereignis in Beziehung gesetzt, das – wie der Leser wissensbasiert erschließen muss – einen ähnlichen Effekt zeitigt. (100)

[…] es schneite zwar noch immer, aber nurmehr spärlich und in flachen, fast verdorrten, glitzernden Plättchen, als ob es bald enden wolle. (176)

Hier werden zwei Schneefallsituationen verglichen: Diejenige in der Wirklichkeit der literarischen Figuren und eine generische: ausklingender Schneefall. Tertium der beiden Situationen ist das – die Weise des Schneiens erklärende und breit ausgeführte – Modaladverbial noch immer, aber nurmehr spärlich und in flachen, fast verdorrten glitzernden Plättchen, das beiden Situationen gemeinsam ist. Auch dieser Vergleich funktioniert nur, wenn der Leser in der Lage ist, die im komplexen Modaladverbial charakterisierte Weise des Schneiens (‚Plättchen‘) erfahrungsbasiert als Anzeichen für ein baldiges Ende des Schneefalls zu nehmen. An diesem Beispiel lässt sich ganz gut die unterschiedliche Leistung von wie wenn und als ob zeigen: In es schneite in glitzernden Plättchen, wie wenn es bald enden

|| 69 Es sind aber nicht alle Vergleichssätze adverbial. In es war, als hätt der Himmel die Erde still geküsst (Eichendorff, „Mondnacht“) ist als hätt der Himmel die Erde still geküsst Prädikativum. In es wurde viel schöner, als er erwartet hatte ist viel schöner, als er erwartet hatte Prädikativum.

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wolle wird, um mit Eggs (2007: 199) zu sprechen, das „Identische im Andersartigen“ betont: Zwei unterschiedliche Schneefallsituationen haben die Weise des Schneiens (‚glitzernde Plättchen‘) gemeinsam. In es schneite in glitzernden Plättchen, als ob es bald enden wolle wird hingegen das „Andersartige im Identischen“ (Eggs 2007: 199) betont: Die Andersartigkeit der beiden über das Tertium verglichenen Schneefallsituationen wird stärker akzentuiert. Man sieht das auch daran, dass sich das ob in als ob eher betonen lässt als das wenn in wie wenn: Es schneite in glitzernden Plättchen, als ób es bald enden wolle (wobei dann wirklich offen bleibt, ob es auch aufhört). In es schneite in glitzernden Plättchen, als wolle es bald enden sieht man, dass der Vergleichssatz keine Nebensatzstruktur, sondern die Struktur einer Entscheidungsfrage besitzt – ähnlich, wie wir dies oben bei den Konditionalgefügen ohne wenn kennengelernt haben. Als steht hier nicht im Vorfeld, sondern im Satzanfangsrahmen. Man kann das Prädikat betonen – mithin ist der Vergleichssatz illokutionstragend: als wólle es bald enden. Der Effekt ist – verglichen mit der als-ob-Struktur – derjenige einer noch stärkeren Gegeneinanderkonturierung der verglichenen Situationen.

4.8.2 Bemerkungen zu einigen Subjunktionen Bisher haben wir uns mit Syntax und Semantik von Nebensätzen in derjenigen Weise befasst, wie dies klassischerweise auch in den meisten Grammatiken erfolgt. Was bei dieser Betrachtung auf der Strecke geblieben ist, ist die Frage: Was ist eigentlich die – prozedurale – Leistung einer spezifischen Subjunktion wie z.B. weil? Hierzu müssen wir uns von einigen vertrauten Überlegungen lösen. Wir haben nämlich mit großer Selbstverständlichkeit von ‚kausalen‘ oder ‚temporalen‘ Nebensätzen gesprochen – was natürlich zu einer ersten Orientierung völlig in Ordnung ist –, aber wir haben dies in einer Weise getan, als drücke eine Subjunktion wie als Zeitlichkeit oder eine Subjunktion wie weil Kausalität aus. Eine ganz einfache Überlegung zeigt, dass dies nicht der Fall sein kann. Stellen Sie sich einen Satz einfacher verschieden geformter Legosteine vor, mit dem Sie z.B. ein Haus, ein Auto oder auch einen Hubschrauber bauen können. Bestünde ihr Satz Legosteine aber aus lauter haus-, auto-, oder hubschrauberförmigen Steinen, könnten Sie damit nichts anderes mehr bauen. Ähnlich ist es mit der Sprache: Wir können mit sprachlichen Mitteln, die wir haben, über so etwas wie Zeitlichkeit oder Kausalität sprechen; dies geht aber nur, weil diese Mittel (im Sinne einfacher Legosteine) basaler sind als Konzepte wie Kausalität oder Temporalität. Würde weil tatsächlich bereits Kausalität ausdrücken, könnten wir darüber nicht mehr sprechen, weil das Konzept ja bereits in diesem sprachlichen Mittel ausgedrückt wäre. Mit einem Stein, der bereits Hubschrauberform hat, lässt sich eben kein Hubschrauber mehr bauen. Seien Sie also nicht zu sehr überrascht, wenn die folgenden Bestimmungen der prozeduralen Leistung von als, wenn, da und weil nichts mit Temporalität, Konditionaliät oder Kausalität zu tun haben.

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4.8.2.1 als Wie Rehbein (1992: 534–536) ausführt, ist der Ausdruck als Resultat einer Fusionierung des Symbolfeldausdrucks all- und der Aspektdeixis so. Als ist mithin eigentlich ein – nicht mehr so recht als solches erkennbares – zusammengesetztes Verweiswort (Rehbein 1995). Wie wir schon gesehen haben, begegnet der Ausdruck uns u.a. als ‚temporale‘ Subjunktion (Als Peter heimkam, war die Herdplatte noch an), als Adjunktor (Peter ist größer als Paul) und als Subjunktion, die Vergleichssätze einleitet (Es kam anders, als er erwartet hatte). Bereits dieser Überblick zeigt, dass der Ausdruck selbst weder eine temporale (sonst könnte man mit ihm nichts vergleichen) noch eine vergleichende Funktion besitzt (sonst könnte man mit ihm keine ‚temporalen‘ Verhältnisse ausdrücken). Wir haben es hier mit einem Ausdruck zu tun, dessen symbolische wie deiktische Qualitäten durch Feldtransposition in einer Weise ‚abgeschliffen‘ sind, dass er zu rein sprachbearbeitenden, operativen Zwecken verwendet wird. Um hinter die Grundfunktion von als zu kommen, betrachten wir eine Verwendung, wie sie Hoffmann (2003: 79) beschreibt: (101)

Gregor hat als Lehrer versagt.

Hoffmann charakterisiert dasjenige, was hier passiert, als Dissoziation: Gregor hat nicht insgesamt versagt, sondern nur hinsichtlich seines Lehrer-seins. Als stellt hier zwischen Gregor und Lehrer eine dissoziierende Beziehung der Art her, dass sozusagen der gesamte Gregor (all-) unter dem Aspekt des Lehrerseins (so) zu nehmen ist. Ähnliches gilt für die üblichen Adjunktorverwendungen: In Peter ist größer als Paul ist Peter nicht schlechthin größer, sondern nur hinsichtlich Pauls. In es wurde später, als er erwartet hatte, ist das ‚später werden‘ hinsichtlich der Erwartung eingeschränkt. In der Fernseher lief, als er die Haustür aufschloss ist die unspezifische Situation der Fernseher lief durch das – punktuelle – Aufschließen der Tür eingeschränkt. Seine temporale Interpretation erhält das Beispiel dadurch, dass ein Prozess (das Laufen des Fernsehers) und eine Handlung (Tür aufschließen) durch als in Beziehung gesetzt sind. Der Ausdruck ist, wie nun klar sein dürfte, keineswegs selbst ‚temporal‘. Die Subjunktion als, so können wir zusammenfassen, schränkt die Geltung des propositionalen Aktes des Hauptsatzes auf denjenigen Aspekt ein, der im Nebensatz ausgedrückt ist. Dem Hörer ist es aufgegeben, aus den weiteren sprachlichen Gegebenheiten zu rekonstruieren, ob das Verhältnis ‚vergleichend‘ oder ‚temporal‘ ist. 4.8.2.2 wenn Die Subjunktion wenn scheint für sogenannte Konditionalgefüge reserviert zu sein, bei denen der wenn-Nebensatz eine Bedingung und der Hauptsatz die – mit logischer oder zumindest sachlogischer Notwendigkeit eintretende – Konsequenz versprachlicht: Wenn Frost herrscht, platzen die Rohre oder wenn eine gerade Zahl durch drei

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teilbar ist, ist sie auch durch sechs teilbar. Hier gilt Ähnliches, wie wir es in Abschnitt (4.7.2.3) über die Konjunktionen und sowie oder gesagt haben: Der Ausdruck wenn ist nicht ‚an sich‘ logisch, aber er gestattet in bestimmter Verwendung logische Betrachtungsweisen. Wir bringen in die sogenannten Konditionalgefüge etwas Leben hinein, indem wir sie an einem Ort aufsuchen, an dem sie oft zu hören sind: beim Kartenspiel. Stellen wir uns vor, jemand wird in die Geheimnisse des Skats eingewiesen, ein Spiel, bei dem man idealerweise die ausgespielten Karten ‚mitzählt‘. Der Skatnovize bekommt gesagt: Wenn du immer mitzählst, macht du keine Fehler. Hierbei handelt es sich um eine besondere Wissensstruktur, eine Sentenz (Ehlich & Rehbein 1977), die in einen Satz überführt werden kann, nach dem man sein Handeln ausrichtet, nämlich die Maxime zähl immer mit! Wenn der Skatnovize dann das Mitzählen vergisst, sagt ihm einer der Mitspieler: Wenn du immer mitzählen würdest, würdest du keine Fehler machen. Hier wird die Sentenz re-aktualisiert, und zwar im Konjunktiv II – als mentales Gegenmodell zu dem, was sich gerade ereignet. Illokutiv handelt es sich hierbei um eine Ermahnung. Wenn der Novize irgendwann wieder das Mitzählen vergessen hat, kann ihm die Sentenz – bezogen auf eine konkrete vergangene Spielkonstellation – vorgehalten werden: Wenn du da, wo der die Zehn ausgespielt hat, mitgezählt hättest, hättest du den Fehler nicht gemacht. Hierbei handelt es sich dann um einen Vorwurf. Was ist die Leistung von wenn in diesen Fällen? Zunächst einmal, wie bei allen Subjunktionen, die Unterordnung selbst. Sodann – und dies ist vergleichbar mit der Leistung von ‚Konditionalsätzen mit Spitzenstellung des Prädikats‘ (Kommst du nach München, machen wir einen drauf) – wirkt der Ausdruck auf den propositionalen Akt des Nebensatzes ein: Mit wenn wird die Geltung des propositionalen Aktes suspendiert, es wird ein Wissen versprachlicht, dessen Gültigkeit dahingestellt bleibt (vgl. Redder 1987: 323). Mithin: In wenn du immer mitzählst wird eine allgemeine Handlungskonstellation unabhängig von ihrem tatsächlichen Bestehen versprachlicht. In wenn du immer mitzählen würdest wird das Zutreffen dieser Handlungskonstellation für den mentalen Bereich suspendiert; in wenn du da mitgezählt hättest gilt dasselbe mit Bezug auf eine vergangene Handlungskonstellation.70 Die Leistung der Subjunktion wenn besteht – neben der Unterordnung – mithin darin, die Gültigkeit des propositionalen Aktes des Nebensatzes zu suspendieren.

|| 70 Es ist nicht ganz einfach, hier die Leistung von wenn und diejenige der Konjunktive auseinanderzuhalten. Stellen Sie sich vor, der Skatnovize würde von einem Mitspieler Folgendes zu hören bekommen: Ich würde mitzählen oder ich hätte da mitgezählt – hier sieht man gut, dass die Verwendung des Konjunktivs es keineswegs zur Folge hat, dass – bezüglich des mentalen Gegenmodells zu demjenigen, was sich gerade ereignet – der Wahrheitsanspruch aufgehoben wird.

180 | Funktionswörter

4.8.2.3 da Der Ausdruck da ist eine Lokaldeixis (s. Abschnitt 3.2.2), die uns auch in zusammengesetzten Verweiswörtern wie damit, dabei oder darauf begegnet (Rehbein 1995, s. auch Abschnitt 3.6). Die Subjunktion da ist mithin Resultat einer Feldtransposition vom Zeigfeld ins operative Feld. Wir folgen bei ihrer Darstellung der Argumentation, die Redder in ihrer Monographie (1990) vorgetragen hat, und betrachten zunächst einmal ein authentisches Beispiel, in dem jemand einen Brief an seinen Vermieter formuliert (Androhung von Mietminderung wegen Mängeln). Bei den fettgedruckten Anteilen handelt es sich um mündlich geäußerte Vorformulierungen; die unterstrichenen Passagen sind verschriftete Formulierungen; die kursiven Passagen sind Reflexionen und die normal gedruckten Passagen sind laut gelesene Abschnitte: (102)

Ähm...ich bitte Sie die hier genannten Mängel . äh bis zum ( ) beheben zu lassen oder zu beheben....Insbesondere...Ich bitte Sie...die genannten Mängel bis zum ( ) 17.12.85 beheben zu lassen ( ) .. Insbesondere..insbesondere ( ) die Fenster sind uns wichtig ( ) Nee, ich müßte da drohen das is viel zu weich hier ((streicht "insbesondere")) beheben zu lassen, da...ich hab das ja eigentlich am Telephon erklärt dann schon warum beheben zu lassen Ich müßte jetzt also ne harte Formulierung / ne härtere Formulierung wählen Mietabzug Da ich sonst...irgendwie äh n Mietabzug machen werde / da ich sonst ((seufzt)) ... (Keseling 1988: 221, zitiert nach Redder 1990: 205)

Hier sieht man deutlich, wie der Briefschreiber mit seinem bisherigen Text unzufrieden ist (Nee, ich müßte da drohen, das is viel zu weich hier) und nach einer ‚härteren Formulierung‘ sucht. Dieser Suchprozess erfolgt, wie man sieht, mit da: da….da ich sonst…n Mietabzug machen werde/da ich sonst… Der Schreiber versucht mit da einen Sachverhalt in seinem Wissen aufzusuchen, zu lokalisieren, hinter den er nicht mehr zurückgehen will, einen Sachverhalt, von dem aus sein gesamter Verbalisierungsprozess seinen Ausgang nehmen kann. In der Tat werden mit da sprecher- bzw.- schreiberseitige Ausgangspunkte von Verbalisierungen realisiert, bei denen ein Wissen als gemeinsames in Anspruch genommen bzw. unterstellt wird, wie man dies auch an wissenschaftlichen Texten gut sieht: (103)

Da die Gefügestabilität der Werkstoffe maßgeblich von der thermischen Belastung abhängt, […]

(104)

Da sich solche Veränderungen [der Nebenschilddrüsen] zweitabhängig entwickeln, […]

(105)

Da aber das Nichtseiende nicht ist, […] Thielmann (2009: 125)

Subjunktion | 181

In (103) und (104) wird jeweils gesichertes wissenschaftliches Wissen als Ausgangspunkt der Verbalisierung genommen; in (105) handelt es sich um einen ‚indisputable fact‘. Redder (1990: 319, Hvg. i. O.) charakterisiert die Funktionalität der Subjunktion da folgendermaßen: “Mit paraoperativem ‘da’ nimmt der Sprecher ein bestimmtes Gewußtes – den katadeiktisch neufokussierten propositionalen Gehalt des Nebensatzes – als gemeinsames in Anspruch. (...) Dieses in Anspruch genommene Gewußte bildet den Ausgangspunkt für eine weitere propositionale Wissensentfaltung”. Nebensätze mit da – und hier kommt die deiktische Qualität des Ausdrucks noch zum Tragen – sind also das Resultat einer sprecherseitigen Selbst-Fokussierung desjenigen Wissens, von dem der Sprecher bei seiner Verbalisierung seinen Ausgang nimmt. Da ist also so ziemlich das Gegenteil von der Konjunktion denn: Während der Sprecher mit denn seinem Hörer ein Wissen anbietet, mit dem dieser ein – vorher aufgetretenes – Verstehensproblem beheben kann (Redder 1990: 59–60), kommuniziert er mit da das Resultat einer Selbstfokussierung auf ein Wissen, das ihm als Ausgangspunkt für die weitere Verbalisierung dient. ‚Kausal‘ ist – und dies dürfte jetzt nicht mehr verwundern – an beiden Ausdrücken nichts. 4.8.2.4 weil Auch der Ausdruck weil ist Resultat einer Feldtransposition. Er stammt ursprünglich von dem Symbolfeldausdruck Weile her und hat sich über eine Reihe komplexer Transformationen zur operativen Prozedur entwickelt (Thielmann 2009: 218–223). Der Ausdruck gilt als prototypisch ‚kausale‘ Subjunktion, was gerne an Beispielen wie dem folgenden illustriert wird: Hans bremst, weil ein Baum auf der Straße liegt (Eisenberg 2004, Bd. 2: 335). Das Problem mit diesem und anderen Beispielen dieser Art ist: Wo könnte das eigentlich genauso, wie es dasteht, in irgendeiner Situation sprachlichen Handelns vorkommen? Vielleicht in einer Situation, in der Grundschüler eine Bildgeschichte erzählen und dabei möglichst viele Sätze verbinden sollen? Auch hier muss Leben in die Sache hinein, indem man authentische Verwendungen aufsucht. Bei den folgenden Überlegungen ist es wichtig zu sehen, dass sprachliche Handlungen – wie alle anderen Handlungen, die wir tun, auch – eine Vorgeschichte haben: Bevor Sie eine Frage äußern, werden Sie erst einmal feststellen, dass eine Handlung, die Sie tun wollen (den Dozenten verstehen oder Bus fahren) an einem Wissensdefizit scheitert (Erklärung des Dozenten nicht verstanden; unbekannte Abfahrtszeit) – dies ist die Vorgeschichte der Frage, die Sie dann äußern. Wir werden nun sehen, dass dasjenige, was im weil-Nebensatz ausgedrückt ist, etwas zu tun hat mit der Vorgeschichte dessen, was im Hauptsatz gesagt wird.

182 | Funktionswörter

Wir betrachten das folgende Beispiel aus einem universitären Labordiskurs im Fach Chemie. Zwei Studentinnen, Monika und Doris, führen eine sogenannte Schmelzpunktprobe durch, um zu entscheiden, ob ein Kristall, den sie hergestellt haben, rein ist. Sie erhitzen den Kristall in einem Glasröhrchen und schauen, bei welcher Temperatur die Kanten des Kristalls ‚weich‘ zu werden beginnen. Wird die im Praktikumsheft angegebene Temperatur erreicht, ist der Kristall rein; wird sie nicht erreicht, ist der Kristall verunreinigt. Dabei äußert Monika folgende Instruktion an Doris: (106)

Du musst nachschauen, ob die angegebene Temperatur erreicht wird, weil der Schmelzpunkt von der Reinheit der Substanz abhängig ist. Nach Chen (1995: Anhang 40–41)

Man sieht sofort: ‚Kausal‘ ist an dieser Satzverbindung mit weil nichts – dass der Schmelzpunkt von der Reinheit einer Substanz abhängig ist, kann nicht als Grund dafür angesehenen werden, dass irgendwer irgendetwas nachsehen muss. Wie ist das Beispiel dann zu beschreiben? Monika, die Doris in die Zusammenhänge der Reinheitsbestimmung durch Schmelzpunktprobe einführt, verbalisiert diese Zusammenhänge durch ein weil-Satzgefüge. Mit dem Hauptsatz du mußt nachschauen, ob die angegebene Temperatur erreicht wird, instruiert sie Doris über den nächsten durchzuführenden Handlungsschritt. Diesen Handlungsschritt verknüpft sie durch weil mit demjenigen Wissen, aufgrund dessen der durchzuführende Handlungsschritt Testqualität besitzt. Mit anderen Worten: Das im weil-Nebensatz verbalisierte Wissen ist dasjenige Wissen, auf Basis dessen ein konkret ermittelter experimenteller Befund (Schmelztemperatur des hergestellten Produkts) entscheidungsrelevant für die Beantwortung der Frage werden kann, ob die hergestellte Substanz rein ist. Für den Fall, dass Monika mit dieser komplexen Sprechhandlung Erfolg hat, wird Doris in Zukunft die Frage, ob eine hergestellte Substanz rein ist, mit empirischen Mitteln selbst entscheiden können. Weil hat also etwas mit Entscheidungen zu tun. Wir betrachten ein weiteres Beispiel. In einem Forum für Mathematikstudierende werden Lösungsvorschläge für Hausaufgaben diskutiert. Ein Student mit Namen ‚Zwerg‘ hat einen Beweisversuch eingestellt und erhält von einem Kommilitonen (Hugo) folgende Kritik: (107)

Hallo Zwerg, ich kaufe dir diesen Beweis nicht ganz ab, weil ja die Reste nicht eindeutig fest gelegt sind. Thielmann (2009: 104)

Mit ich kaufe dir diesen Beweis nicht ganz ab realisiert Hugo eine negative Einschätzung des Beweises von ‚Zwerg‘; das Gesamtgefüge mit dem weil-Nebensatz realisiert

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einen Einwand. Wie funktioniert das? Nun: Hugo agiert nach der von ihm unterstellten Maxime: Akzeptiere keinen Beweis, der uneindeutige Elemente enthält! Da der Beweis von ‚Zwerg‘ genau dies tut, ist dieses Wissen ‚der Beweis enthält uneindeutige Elemente‘ entscheidungsrelevant für Hugo, den Beweis abzulehnen. Damit ‚Zwerg‘ Hugos Einwand verstehen kann, muss er in seinem Wissen einen Wissenskomplex aufsuchen, der es ihm gestattet, Haupt- und Nebensatz zueinander in Beziehung zu setzen – er muss also selbst auf die von Hugo unterstellte Maxime kommen. Diese und eine Fülle ähnlicher Beobachtungen führen auf folgende Bestimmung der Funktionalität von weil: Durch weil kategorisiert der Sprecher den propositionalen Gehalt des Nebensatzes als ein Wissen, das für ihn im Hinblick auf die im Hauptsatz entweder thematisierte Handlung oder durch ihn vollzogene Sprechhandlung entscheidungsrelevant geworden ist. Dies erlaubt dem Hörer prinzipiell einen Nachvollzug der Sprechhandlung in Einheit mit dem für sie relevant gewordenen Wissen als Element ihrer mentalen Vorgeschichte. Der Sprecher kommuniziert den Wissenskomplex, auf dem das für ihn entscheidungsrelevante Wissen operiert, in der Regel nicht mit, sondern setzt ihn als gemeinsames Wissen voraus. Bei der Verarbeitung eines Satzgefüges mit weil muss der Hörer dasjenige Wissen aufsuchen, das dem Sprecher die Verknüpfung ermöglichte. Ein Satzgefüge mit weil rekurriert also auf einen präsupponierten Wissenskomplex. Thielmann (2009: 115)

Mit weil-Nebensätzen machen Sprecher mithin ihr im Hauptsatz Gesagtes auf diejenigen Wissensbestände hin durchsichtig, die für die Entscheidung, es zu äußern, relevant geworden sind.

4.9 Responsiv Responsive sind die Ausdrücke ja und nein und auch okay. Dass hierfür eine eigene Wortartenkategorie aufgemacht wird, verdankt sich folgendem Umstand: Ja und nein können selbstsuffizient, d.h. als eigenständige kommunikative Minimaleinheiten (Zifonun, Hoffmann & Strecker 1997: 597) geäußert werden und die Illokution Antwort realisieren (Redder 2011: 402). Responsive – und auch dies rechtfertigt ihre Behandlung als eigene Wortart – kommen durchaus nicht in allen Sprachen vor. Im Lateinischen, also einer derjenigen Sprachen, die für die Grammatikschreibung bestimmend geworden sind, gibt es sie nicht. Auch im Irisch-Gälischen und im Chinesischen existieren sie nicht, genauso wenig wie in manchen indigenen Sprachen Australiens.71

|| 71 Dass die indigenen Sprachen Australiens nicht durchgängig Responsive aufweisen, führt dazu, dass Sprecher des sogenannten ‚Aboriginal English‘ vor Gericht mit Entscheidungsfragen – nicht immer zu ihrem Vorteil – anders umgehen als ihre anglophonen Mitbürger (Eades 2000: 168–173).

184 | Funktionswörter

Responsive haben ihren Ort im sprachlichen Handlungsmuster Frage-Antwort (s. Abschnitt 4.4.2.1), und zwar in solchen Fällen, in denen der Sprecher eine Entscheidungsfrage stellt: (108)

S: Soll es heute regnen? H: Nein. S: Gut, dann lasse ich meinen Schirm hier.

(109)

S: Haben Sie das Schreiben abgeschickt? H: Ja. S: Ich hoffe, die reagieren positiv.

An diesen – quasi-empirischen – Beispielen sieht man recht gut, dass sich mit Responsiven vollgültig die Illokution Antwort realisieren lässt. In beiden Beispielen ist das Muster Frage-Antwort komplett durchlaufen; in (105) kündigt S die Anschlusshandlung (SCHIRM DALASSEN) an, die ihm durch die Behebung des Wissensdefizits möglich geworden ist. In (106) kann S, der nun darum weiß, dass eine Handlungskonstellation herbeigeführt wurde (SCHREIBEN ABGESCHICKT), Erwartungen an deren Nachgeschichte formulieren. Durch die Responsive ja und nein werden propositionale Akte, deren Gültigkeit durch die Form des Entscheidungsfragesatzes suspendiert ist, durch den Hörer nachträglich in Gewissheit überführt oder nicht. In den beiden Beispielen operieren das nein bzw. das ja des Hörers jeweils auf den vom Sprecher geäußerten propositionalen Akten es soll heute regnen bzw. Sie haben das Schreiben abgeschickt. Die Responsive haben damit eine sprachbearbeitende, eine metakommunikative Funktion. Sie sind operative Prozeduren (Ehlich 2007o). Machen wir uns noch einmal klar, was hier passiert: In dem Moment, in dem, im Frage-Antwort-Muster, der Hörer ein Responsiv äußert, bearbeitet er metakommunikativ einen propositionalen Akt, der nur noch im Diskursraum (also in der erinnerten Rede) vorgehalten ist und überführt ihn nachträglich in die Geltung bzw. Nicht-Geltung. Wir betrachten nun einige etwas komplexere Fälle, wobei wir mit einem literarischen Beispiel beginnen: Zeitungsredakteur Stuff möchte bei seinem Chef Schabbelt erwirken, dass er gegen eine bestimmte Gruppe hetzen (diese ‚anmisten‘) darf: (110)

Stuff sagt: „Grade anmisten möchte ich jemand, Herr Schabbelt. – Wenn Sie erlauben.“ […] „Dumm bist du nicht, Stuff. Das mag angehen. – Wen willst du anmisten?“ „Die Roten.“ „Nein. Fünfundfünfzig Prozent unserer Leser sind Arbeiter und kleine Beamte. Die Roten? Nie! Wenn wir auch rechts sind.“ Fallada (2001: 14–15)

Responsiv | 185

Mit grade anmisten möchte ich jemand, wenn Sie erlauben äußert Stuff eine Bitte um Erlaubnis. Mit der Nachfrage wen willst du anmisten wird die von Stubbs intendierte Zielgruppe geklärt. Mit dem Responsiv nein macht Schabbelt deutlich, dass er ‚nicht erlaubt‘, also die von Stubbs begehrte Handlungsoption ‚Rote anmisten‘ nicht eröffnet. Hiermit ist das Handlungsmuster der Bitte durchlaufen – Schabbelt begründet anschließend seine Zurückweisung der Bitte von Stubbs mit der Abonnentenschaft des von ihm geführten Blattes. Auch in dem folgenden Beispiel aus einem Strafprozess haben wir es mit einer komplexeren Verwendung eines Responsivs zu tun (R = Richter; A = Angeklagter):

(111)

R: Sie ham s doch gemacht! A: Ja, weil ich total besoffen war. Nach Hoffmann (1980: 44)

Mit Sie ham s doch gemacht! äußert der Richter einen Tatvorwurf bezüglich eines anaphorisch fortgeführten (s) Wissenskomplexes. Mit ja überführt der Angeklagte den propositionalen Akt dieses Vorwurfs in die Geltung. Damit vollzieht er ein Geständnis bezüglich des Tatvorwurfs und schiebt mit weil ich total besoffen war das einschlägige Wissen bezüglich der Vorgeschichte des ‚Gemacht habens‘ nach (s. Abschnitt 4.8.2.4).

5 Interjektionen Interjektionen sind unflektierbare Ausdrücke wie HM, NA, AH oder AU. Mit Interjektionen greift der Sprecher direkt in das Hörerhandeln ein; er ‚lenkt‘ seinen Hörer. Was ist damit gemeint? Die deutsche Sprache verfügt z.B. über einen Ausdruck, der, wenn entsprechend geäußert, Ihnen richtig ‚durch die Glieder fährt‘: Stellen Sie sich vor, Sie machen gerade Anstalten, sich an einem schönen Sommertag auf eine idyllische Parkbank unter Bäumen zu setzen, um in Ruhe Ihr Eis zu verdrücken, und es trifft Sie unvermittelt ein HE! Was machen Sie? Sie wenden sich dorthin, wo das HE herkam. Daraufhin erblicken Sie einen Menschen, der vielleicht ganz freundlich sagt: Entschuldigen Sie, dass ich Sie so anfahre, aber die Bank ist frisch gestrichen. Das Schild ist ein bisschen schlecht zu sehen. Sie bedanken sich, der Mensch geht seines Weges und Sie suchen sich eine Bank, die Sie nicht grün färbt. Was ist hier passiert? Der Sprecher hat durch HE erreicht, dass Sie sich ihm zuwenden, und hat, als er Ihre Aufmerksamkeit hatte, weitere sprachliche Handlungen angeschlossen. Der Sprecher hat mit HE eine sprachliche Minimalhandlung vollzogen, deren Effekt es war, dass Sie sich ihm zugewendet haben. Er hat damit Ihr Handeln – Sie wollten sich ja auf die Parkbank setzen – unterbrochen und erreicht, dass Sie eine andere Handlung vollziehen. Er hat Sie gelenkt. Interjektionen gehören dem Lenkfeld (dem expeditiven Feld, von lat. expedire: ‚Beine machen‘) von Sprache zu; sie sind expeditive Prozeduren (Ehlich 1986: 239– 243).72 Interjektionen gehören zu den wenigen sprachlichen Mitteln, die – neben den Responsiven (ja, nein, okay, vgl. 4.9) – selbstsuffizient, d.h. ohne Zusammentreten mit weiteren Prozeduren, geäußert werden können. Formal weisen sie eine Eigenschaft auf, die nur für diese Wortart charakteristisch ist: Sie sind tonal, das heißt, sie werden mit spezifischen Intonationskonturen realisiert. Bei der folgenden Darstellung der Interjektionen orientieren wir uns vor allem an der gleichnamigen Monographie von Konrad Ehlich (1986), in der diese Ausdrucksklasse zum ersten Mal hinsichtlich ihrer formalen wie funktionalen Charakteristika systematisch beschrieben worden ist. Wie Ehlich ausführt – für einen Kurzüberblick siehe seinen Handbuchbeitrag (2007: 424–429) – ist die Forschungsgeschichte zu den Interjektionen vor allem durch eine Auffassung dieser sprachlichen Mittel als ‚Gefühlswörter‘ geprägt, wodurch ihre – im Hinblick auf den Hörer – lenkende Funktion aus dem Blick gerät. Ein weiteres Problem bei der Beschreibung der Interjektionen ergibt sich nach Ehlich aus der Satzorientiertheit der traditionellen Grammatikschreibung, die Interjektionen eine ‚Satzwertigkeit‘ unterstellt.

|| 72 Lenkend in diesem Sinne sind nicht nur die Interjektionen; auch die stark fallende Intonationskontur, die für die ‚imperativischen‘ Formen charakteristisch ist (gèh!, gèht!), ist expeditiv (vgl. Abschnitt 2.4.2.2.3). https://doi.org/10.1515/9783110667967-005

188 | Interjektionen

5.1 Formale Charakteristika von Interjektionen Interjektionen sind sehr einfache Ausdrücke. Im Folgenden gehen wir zunächst kurz auf die silbische Struktur von Interjektionen ein und anschließend auf ihre Tonalität. 5.1.1 Silbenstruktur von Interjektionen Ein ganz wichtiges Charakteristikum von Interjektionen ist, dass sie materiell sehr einfache Ausdrücke sind. Silben können im Deutschen sehr komplex aufgebaut sein – die Silbe Strumpf wird durch drei Konsonanten eröffnet und durch drei Konsonanten geschlossen, die den Vokal umgeben: KKKVKKK. Verglichen hiermit sind Interjektionen von großer Schlichtheit: Typisch ist die offene Silbenstruktur KV (HE, NA), ein Diphthong (AU, EI) oder sogar nur ein Vokal (AH, OH). Interjektionen sind aber keineswegs Urlaute, sondern – wie dies z.B. de Saussure (1967: 81) deutlich macht – sprachspezifisch, d.h. fest im Lautsystem der jeweiligen Sprache verankert (auf Französisch sagt man nicht au! sondern aïe!). Von vielen Interjektionen gibt es reduplizierte bzw. teilweise reduplizierte Formen: AH  AHA; NA  NANA; AU  AUA; *AUAU). Durch ihre sehr einfache Lautstruktur unterscheiden sich die Interjektionen deutlich von ‚normalen‘ Wörtern des Deutschen, sie haben dadurch eine gewisse Auffälligkeit, eine Salienz. Diese Salienz wird noch dadurch erhöht, dass den Interjektionen eine Eigenschaft zukommt, die keine andere Ausdrucksklasse des Deutschen aufweist: Tonalität.

5.1.2 Tonalität von Interjektionen Überlegen Sie sich einmal, wie Sie den Ausdruck NA äußern. Wenn Sie den einfach so vor sich hinsprechen, merken Sie, dass er so gar nicht im Deutschen vorkommt. Aber wenn Sie einer Kommilitonin oder einem Kommilitonen auf dem Flur begegnen, kann es sein, dass die oder der Ihnen gegenüber ein freundliches NA äußert, das sich von der einfach so hingesprochenen Sprechsilbe NA dadurch unterscheidet, dass der Sprecher das NA mit steigender Tonhöhe produziert. Ein solches freundliches NA mit steigender Tonhöhe unterscheidet sich stark von einem NA, das mit stark fallender Intonationskontur geäußert wird. Ein NA mit steigender Tonhöhe ist zur freundlichen Kontaktaufnahme unter Gleichen geeignet; ein NA mit fallender Intonation nicht. 73

|| 73 Die Majuskelschreibweise NA ist – wie auch diejenige der anderen Interjektionen – als Bezeichnung einer Ausdrucksklasse zu verstehen, die u.a. aus Varianten verschiedener Intonation besteht.

Formale Charakteristika von Interjektionen | 189

Die Funktionalität einer Interjektion wird mithin maßgeblich davon beeinflusst, mit was für einer Intonationskontur sie realisiert wird. Die Intonationskontur wirkt bedeutungsunterscheidend oder, wie man sagt, diakritisch.74 In der Sprachwissenschaft ist verschiedentlich versucht worden, in der Tradition von Sievers (1885) diese Intonationen als – verkürzte – Satzintonationen zu begreifen (etwa Schmidt 2001). Diese Vorstellung ist eng damit verbunden, dass Interjektionen verkürzte Sätze sind – es wird also dasjenige, was dem Sprachwissenschaftler nicht den Gefallen tut, Satz zu sein, zum Satz gemacht. Nun sind Interjektionen aber kommunikative Minimaleinheiten der Rede und dasjenige, was sie leisten, ist durch satzwertige Äußerungen nicht zu erreichen (es dürfte für den Erfolg eines Kontaktaufnahmeversuchs durchaus entscheidend sein, ob er durch ein NA mit steigender Intonation oder durch dasjenige erfolgt, was sich ein Sprachwissenschaftler als satzwertiges Äquivalent hierfür ausdenkt). Auch die sehr interessante Auffassung von Intonation als eines autonomen, d.h. letztlich von der konkreten Äußerungsgestalt unabhängigen kommunikativen Systems (exempl. Selting 1993) vermag bei den Interjektionen nicht so ganz zu überzeugen: Durch ein mit stark fallender Intonation geäußertes HE stellt der Sprecher, indem er die Aufmerksamkeit des Hörers auf sich lenkt, eine gemeinsame sprachliche Handlungskonstellation her; während ein mit stark fallender Intonation geäußertes HM Divergenz in einer schon bestehenden sprachlichen Handlungskonstellation signalisiert. F0

t Schematisch:

I

II

III

IV

Abb. 23: Intonationsverläufe bei Interjektionen (idealisierte Darstellung nach Ehlich 2007: 430)

|| 74 Es gibt sogenannte Tonsprachen wie Chinesisch, Thai oder Vietnamesisch, bei denen dieses Prinzip auf den gesamten Wortschatz ausgedehnt ist, so dass ein und dieselbe Silbe, geäußert mit unterschiedlicher tonaler Charakteristik, etwas anderes bedeutet. Das Deutsche nutzt dieses Verfahren nur im Subsystem der Interjektionen.

190 | Interjektionen

Wir geben in Abb. 23 eine – vereinfachte – Darstellung der gemessenen Verläufe nach Ehlich (2007: 430). F0 ist die Grundfrequenz der Stimme, ihre Tonhöhe, nach rechts im zeitlichen Verlauf aufgetragen. Es wurden vier unterschiedliche Hauptverläufe gemessen: Ein Typ I mit fallendsteigender Intonation; ein Typ II mit ansteigender Intonation; ein Typ III mit fast gleichbleibender Intonation und ein Typ IV mit fallender Intonation. Es wird nicht jede Interjektion mit allen Intonationsverläufe verwendet; so kommt IH vor allem mit fallender Intonation vor, mitunter mit der – hier nicht eigens aufgeführten – steigendfallenden Intonation; AH kommt mit gleichbleibender Intonation nur beim Hals-Nasen-Ohrenarzt vor. Wir stellen nun ausgewählte Interjektionen hinsichtlich ihrer Funktionalität dar, wobei wir ihre unterschiedliche tonale Realisierung mitberücksichtigen. 2 Wieso eignen sich Ausdrücke mit einer komplexeren Silbenstruktur wie Strumpf nicht als Basis für Interjektionen?

5.2 Funktionalität ausgewählter Interjektionen Im Folgenden stellen wir einige Interjektionen ausführlicher dar: die Hörerrückmeldung HM; die ‚Übergangsinterjektion‘ NA (vgl. Ehlich 2007: 432) sowie ÄH, AH und AU.

5.2.1 Die Hörerrückmeldung HM Stellen Sie sich vor, Sie erzählen jemandem gerade etwas ganz Skandalöses, das Ihnen passiert ist, und Ihr Hörer guckt Sie einfach nur an und macht keinen Mucks. Da hören Sie irgendwann mit dem Erzählen auf. Im Diskurs verbalisiert der Sprecher für einen Hörer, den er beobachtet und auf den er sein sprachliches Handeln einstellt. Der Hörer hat die Möglichkeit, seinen Sprecher zu lenken, indem er ihm Rückmeldungen darüber gibt, wie das sprachliche Handeln des Sprechers bei ihm ‚ankommt‘. Hierbei kommt der unscheinbaren Interjektion HM – die ja auch nicht laut geäußert wird – eine wichtige Funktion zu. Liedke (1993) hat diese Interjektion vergleichend für das Deutsche und das Neugriechische untersucht und festgestellt, dass die griechischen Intonationsverläufe z.T. etwas anders sind als die Deutschen und dass dort, wo sich die Verläufe ähneln, die Funktionen differieren. Das heißt, dass selbst jemand, der perfekt Neugriechisch gelernt hat, Gefahr läuft, im Diskurs erhebliche Verunsicherungen zu bewirken, wenn er HM wie im Deutschen verwendet. Das Gelingen sprachlicher Interaktion hängt also wesentlich auch an Mitteln, die sich einer traditionellen grammatischen Analyse (z.B. als ‚verkürzte Sätze‘) sperren.

Funktionalität ausgewählter Interjektionen | 191

Wir betrachten das folgende Beispiel aus einem universitären Praktikumsdiskurs in der Physik (Chemnitz, mimeo). Die Studentin Sf gibt Werte vor, der Student Sm stellt sie an der Apparatur ein: (112)

Sf: Mach mer null eins. ((2,1s)) Sm:

Hmhm̌.

Auf die Wertevorgabe mach mer null eins der Studentin Sf stellt der Student Sm den Wert an der Apparatur ein und äußert dann – daher die Pause von 2,1s – ein redupliziertes HM mit fallend-steigender Intonation. Mit dieser Hörerrückmeldung bestätigt Sm, die Wertevorgabe verstanden und am Gerät realisiert zu haben. Die Wichtigkeit, die der Intonation von HM zukommt, wird sofort deutlich, wenn man sich vorstellt, dass Sm die Hörerrückmeldung mit den Intonationsverläufen II (steigend), III (gleichbleibend) oder IV (fallend) äußern würde (vgl. hierzu auch die Tabelle in Ehlich 2007: 431). Durch die Äußerung von HM mit steigendem Tonverlauf (II) würde Sm kommunizieren, dass er von der Wertevorgabe divergiert; Sf müsste dann z.B. begründen, warum sie den Wert null eins für richtig hält (etwa Sf: Das steht hier so im Handbuch.) Durch die Realisierung von HM mit gleichbleibender Intonation würde Sm seiner Kommilitonin kundtun, dass er demnächst divergieren wird, d.h. dass sich eine Störung des gemeinsamen Handlungssystems ankündigt. Sf würde dadurch wissen, dass sie im weiteren Verlauf der Geräteeinstellung sozusagen ‚auf Probe‘ agiert. Durch ein HM mit fallender Intonation würde Sm eine komplexe Divergenz kommunizieren, die darin bestehen könnte, dass er nicht versteht, warum es ausgerechnet der Wert null eins sein soll, oder darin, dass sich der Wert am Gerät nicht richtig umsetzen lässt. In diesem Fall wäre das gemeinsame Handlungssystem so gestört, dass die Störung ausführlich behoben werden müsste (etwa: Sf: Was ist denn los? Sm: Ich kriege das nicht richtig eingestellt.)75

5.2.2 Die Übergangsinterjektion NA Die Funktionalität der Interjektion NA ist nicht leicht zu durchschauen. Wir haben bereits das steigend intonierte NA im Zusammenhang der freundlichen Kontaktaufnahme unter Gleichen erwähnt – hierfür ein literarisches Beispiel: Der Anzeigenjäger Tredup stürmt sichtbar wütend ins Redaktionsbüro, in dem sich der Geschäftsführer Wenk die Fingernägel schneidet und der Redakteur Stuff still an einem Text schreibt. Tredup fängt an, schweigend Karteikarten zu sortieren –

|| 75 Das ‚gustatorische‘ HM mit steigend-fallender Intonation (etwa geäußert, wenn man ein gutes Essen riecht), gehört nicht zum System der Hörerrückmeldungen.

192 | Interjektionen

(113)

Es erfolgt nichts. Wenk nimmt ein Bein von der Sessellehne und fragt wohlwollend: „Na, Tredup?“ Fallada (2001: 8)

Beim Vorlesen wäre dieses NA mit steigender oder fallend-steigender Intonation zu realisieren. Wir haben es hier mit einem ‚aufgeladenen‘ Schweigen zu tun, das durch NA überbrückt, aufgehoben, neutralisiert wird (vgl. Ehlich 1986: 139). Im folgenden Fall haben wir es mit einer völlig anderen Art von Überbrückung zu tun, die in Prüfungsgesprächen wie dem folgenden aus einem universitären PhysikPraktikum recht häufig vorkommt (Chemnitz, mimeo): (114)

D: Was habtn ihr da noch in den Strahlengang reingebaut? S: ((2,4s)) Na den/ S: die äh Lambda-Viertel.

Hier sollen die Studierenden den Versuchsaufbau erklären – in diesem Fall, dass sie in den Gang eines Lichtstrahls eine sogenannte Verzögerungsplatte eingebaut haben, die das Licht um eine Viertel Wellenlänge (Lambda) verzögert. Das NA erfolgt nach einem Schweigen von 2,4s und man könnte erst einmal annehmen, dass es hier, wie in Beispiel (110), darum geht, ein Schweigen zu überbrücken. Aber diese Analyse greift vielleicht ein wenig zu kurz. Der Student antwortet auf eine Prüfungsfrage, d.h. er sagt etwas, von dem er weiß, dass der Dozent es auch weiß. Eine solche institutionsspezifische Adaptation des Handlungsmusters Frage-Antwort führt zu Widersprüchlichkeiten, indem die Frage, die ja eigentlich der Füllung einer genuinen Wissenslücke dient, zur Elizitierung (‚Hervorlockung‘) eines Wissens funktionalisiert wird, über das der Fragende bereits verfügt. Der Dozent sieht ja die Lambda-ViertelPlatte, möchte aber von den Studierenden erfahren, ob sie wissen, was sie warum in den Strahlengang eingebaut haben. In so einer Situation ist es der Übergang von der Frage zur Antwort selbst, der durch die innere Widersprüchlichkeit des Handlungsmusters Prüfungsfrage problematisch wird. Es ist diese innere Widersprüchlichkeit des Handlungsmusters Prüfungsfrage, die hier mit NA defokussiert, aufgehoben werden soll, so dass eine Antwort angeschlossen werden kann. Einige weitere Formen und Verwendungsweisen von NA seien kurz erwähnt: Durch kurzes NA mit fallender Intonation überbrückt der Sprecher eigene Produktionsschwierigkeiten (Ehlich 1986: 101) – etwa: in dem Film war der – nà, wie hieß der noch – drin... Mit der reduplizierten Form nanà, ebenfalls mit fallender Intonation, neutralisiert der Sprecher eine Hörerhandlung und lenkt sie in eine andere über (Ehlich 1986: 125) – etwa: Kind [stützt beim Essen den Ellenbogen auf den Tisch] – Mutter: Nanà! – Kind [nimmt den Ellenbogen wieder herunter]. NA tritt auch in etlichen festen Wendungen auf, wie etwa in na gut, na endlich oder na und.

Funktionalität ausgewählter Interjektionen | 193

5.2.3 Die Turn-Erhalt-Interjektion ÄH Die Interjektion ÄH hat es nicht leicht: Sie gilt als nutzloses ‚Füllsel‘. Man kann aber sehr schnell zum energischen Fürsprecher des ÄH werden, wenn man sich klar macht, wo wir ohne dieses wichtige sprachliche Mittel stünden. Wir wären nämlich eines ganz wichtigen Werkzeugs zur Steuerung der Turn-Verteilung76 (Ehlich 2007: 432) beraubt. Auch zur Beschreibung dieser Interjektion betrachten wir – wie in 5.2.2 – einen Prüfungskontext. Im Physik-Praktikum soll ein Student den Zeeman-Effekt erklären und sagt u.a. (Chemnitz mimeo): (115)

S: Also ein/ eine/ eine Wellenlänge spaltet sich beim Zeeman-Effekt äh • in • • weitere/ mehrere Linien auf.

Man sieht: Der Student hat, wie die anfänglichen Abbrüche zeigen, etwas Schwierigkeiten mit der Verbalisierung seiner Antwort unter Prüfungsbedingungen. Zugleich ist der Antwortversuch unter diesen Bedingungen gefährdet, da der Dozent jederzeit unterbrechen kann. Der entscheidende Punkt der Antwort ist, dass sich eine Spektrallinie in mehrere aufspaltet. Bevor er zur Formulierung dieses entscheidenden Punktes ansetzt, äußert der Student die Interjektion ÄH, die eben nicht nur ein ‚Füllsel‘ ist, sondern dem Hörer, dem Dozenten, signalisiert, dass der Sprecher seinen Turn im Gespräch beibehalten möchte und nicht unterbrochen werden will. Überlegen Sie sich, wie oft Sie schon ohne ein ÄH nicht mehr dazu gekommen wären, das Ihnen Wichtige noch gesagt zu bekommen!

5.2.4 Die Überraschungs-Interjektion AH Die Interjektion AH dient vor allem dem Ausdruck von Überraschung (Ehlich 1986: 75–78). Durch AH mit fallender Intonation (àh) kommuniziert der Sprecher dem Hörer ein (angenehmes) Überraschtsein; die Kurzform signalisiert Verblüffung. Die reduplizierte Form aha signalisiert Überraschung bezogen auf den Erfolg eines mentalen Verarbeitungsprozesses. Dies kann monologisch geschehen (Aha-Erlebnis), häufiger aber interaktional, und zwar in folgender Handlungskonstellation: Der Hörer hat bezüglich dessen, was der Sprecher aktional oder sprachlich tut, ein Verstehensproblem, das er mental bearbeitet und dessen erfolgreiche Bearbeitung er mit AHA signalisiert. Hierbei ist die fallend intonierte Form ahà der Normalfall; die intensivierte Form mit steigend-fallender Intonation ahâ kommuniziert, ‚dass der Groschen gefallen ist‘.

|| 76 Mit dem konversationsanalytischen Terminus turn wird ein Redebeitrag in einem Gespräch bezeichnet.

194 | Interjektionen

Die Kurzform á mit steigender Intonation ist in einem anderen Zusammenhang zu verorten – sie ist eine vom Hörer geäußerte diskursbegleitende, d.h. den Sprecher nicht unterbrechende, Negation. 2 Was könnten die kommunikativen Funktionen von OH sein?

5.2.5 Die Schmerz-Interjektion AU Wird man nach einem Beispiel für Interjektionen gefragt, ist AU vielleicht die erste Interjektion, die einem einfällt. Diese Interjektion ist auch der Grund dafür, dass viele Sprachwissenschaftler die Interjektionen als reine ‚Ausrufe‘, also unabhängig von ihrer kommunikativen Funktionalität betrachtet und für unwichtig erachtet haben: […] die Ausrufungen sind von sekundärer Wichtigkeit […] de Saussure (1967: 81)

AU (und auch die reduplizierte Form AUA) ist aber kein einfacher ‚Ausruf‘. Wer AU oder AUA äußert, erreicht i.d.R. die sofortige Zuwendung des Hörers (oder der Hörer) unter dem Gesichtspunkt, dass ihm etwas widerfahren ist, das ihm Schmerzen bereitet. Hierdurch wird eine neue Handlungskonstellation begründet. AU (oder AUA) ist also im höchsten Maße lenkend, eine expeditive Prozedur par excellence.

5.3 Sekundäre Interjektionen Der Ausdruck Klasse ist, wie auch der Ausdruck Scheiße, ein genuines Substantiv. Beide Ausdrücke begegnen uns in Äußerungen wie der geht in die dritte Klasse oder du hast Hundescheiße am Schuh. Aber sie begegnen uns auch in völlig anderen Zusammenhängen, wenn sie selbständig mit stark fallender Intonationskontur geäußert werden: Klasse! bzw. Scheiße!. Ehlich (1986: 254) nennt solche Verwendungen „solidaritätsheischend“. Wer Klasse! äußert, möchte erreichen, dass sich der Hörer seiner Bewertung anschließt. Wer Scheiße! sagt, dem ist vielleicht gerade ein Missgeschick passiert, weswegen er solidarisches Hörerhandeln einfordert. In diesen Fällen sind Symbolfeldausdrücke in einen anderen Verwendungszusammenhang eingetreten, sie haben eine Transposition (Ehlich 2007h) ins expeditive Feld erfahren, sie sind zu sekundären Interjektionen geworden. Vor allem in katholischen Gegenden sind es sakrale Ausdrücke wie Kruzifix oder Sakrament die durch solche Transposition profane Nutzungen erfahren und zu Flüchen werden. Zur Blasphemievermeidung lassen sich die sakralen Ausdrücke auch

Sekundäre Interjektionen | 195

nur ‚anfluchen‘, indem man den Ausdruck lediglich teilweise realisiert und/oder anders fortführt (Heilandsack!, Kruzifünferl!, `Zefix!) oder auch lautlich imitiert (Sacklzement!). Eine unter sprechhandlungstheoretischen Gesichtspunkten subtil andere Nutzung von Ausdrücken wie verdammt oder Scheiße liegt in Verwendungsweisen wie und dann ist mir der scheiß Computer abgekackt vor. Hier haben wir es nicht mit einer Feldtransposition von Symbolfeldausdrücken ins expeditive Feld, sondern ins Malfeld zu tun: Der Sprecher möchte durch die expressive Funktionalisierung dieser Ausdrücke einen stimmungsmäßigen Einklang zwischen sich und dem Hörer erreichen. Spenderbereich für solche Nutzungen ist im Deutschen vor allem der skatologische (Scheiße, abgekackt), im Englischen hingegen der genitale Bereich (fuck, bugger; vgl. I buggered that up good and proper, Ramsey 2017). Ausdrücke wie ächz, stöhn oder schluck, wie sie in der Comicsprache vorkommen, bestehen aus dem reinen Wortstamm ohne jedes Flexionselement. Solche „Archiwörter“ (Ehlich 1986: 263–264) sind als die Comicfigur betreffende ‚Gemütszustandsprädikate‘ ebenfalls expressive Prozeduren – wie bei dem kleinen Kerl in Abb. 24 (eigene Zeichnung), dem das Ende dieses Buches nahegeht.

Abb. 24: Archiwort als expressive Prozedur

Lösungen zu den Aufgaben Kap. 1.2.1 Wir schreiben nicht so, weil die deutsche Orthographie sicherstellt, dass das Erscheinungsbild des Wortstamms durch das Paradigma hindurch konstant bleibt. Verschriftet wird also nicht nur der Wortlaut (Tak – Tages; laufe – leufst), sondern die morphologische Struktur. Dieses morphologische Prinzip der deutschen Rechtschreibung erleichtert die Lektüre von Texten erheblich. Kap. 1.2.2 Das Partizip wird heute zu den Verbformen gerechnet. Folgende Wortarten kommen in der Grammatikschreibung nach Donat u.a. hinzu: Adjektiv (schön), Numerale (vierzehn), Anapher (er/sie/es), Subjunktion (obwohl), Indefinitum (man), Interrogativum (wann), Relativum (nebensatzeinleitendes der/die/das), Partikel (doch). Kap. 1.2.3 Diese Ausdrücke besitzen alle von Haus aus Genus. – Maskulinum: Diebstahl; Femininum: Liebe; Neutrum: München. Dass München ein Neutrum ist, merkt man an solchen Äußerung wie Das München von heute ist nicht mehr das alte. Kap. 1.3.1.1 Die antike Grammatikschreibung machte keinen Unterschied zwischen Substantiven und Adjektiven, sondern bezeichnete beide als Nomen. Erst in der Scholastik, in der mittelalterlichen Grammatikschreibung, wurde zwischen nomen substantivum (Substantiv) und nomen adiectivum (Adjektiv) unterschieden. Im Englischen gibt es kein Genus, sondern nur Sexus (natürliches Geschlecht). Das bedeutet, alles belebte Männliche ist he, alles belebte Weibliche she, alles andere, bis auf wenige Ausnahmen, it. Der Ausdruck Tisch ist selbst mit Genus ausgestattet, das sich an den Ausdrücken, die ihn begleiten, zeigt: der/dieser/jener Tisch. Es heißt also der Tisch, weil Tisch ein Maskulinum ist. Kap. 1.4 Der Unterschied ist der, dass Sie auf die an Sie gerichtete Aufforderung hin den Zucker hinüberreichen, nicht aber, wenn Sie eine ähnliche Äußerung in einem literarischen Text lesen. Der Sprecher, der eine Aufforderung an Sie richtet, handelt sprachlich an Ihnen, indem er Sie dazu bringt, etwas für ihn zu tun. Diese sprachliche Handlungsqualität von Äußerungen, also in diesem Fall die Aufforderung, erfassen wir allgemein mit dem Terminus Illokution. Im erzählenden schriftlichen Text hingegen ist die Illokution auf Sie, den Leser hin, suspendiert, d.h. Sie können zwar nachvollziehen, dass irgendwer von Peter aufgefordert wird, Sie fühlen sich aber nicht angesprochen. Kap. 1.4.1 Flexion: Tisch-en; ge-mach-t; schön-en. Hier treten Stämme mit Flexionsmorphemen zusammen. Bei An-schau-ung und zer-brech-lich haben wir es hingegen mit Wortbildungen zu tun, da sich die Bedeutung ändert: schauen  an-schauen  An-schau-ung; brechen  zer-brechen  zer-brech-lich.

https://doi.org/10.1515/9783110667967-006

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Kap. 1.4.2.1 Die Ausdrücke good und work sind pure Symbolfeldausdrücke. Wie diese Ausdrücke benennen, entscheidet sich danach, mit was für anderen Ausdrücken sie zusammengehen: [the good]; [the good work]; [the good] work [long hours]; [[the good work] [long ago] completed ]. In einer Sprache, die so funktioniert, muss der Hörer/Leser aktiv rekonstruieren, wie die Wörter zu gruppieren sind, er muss bezüglich der Phrasengrenzen Deutungsleistungen erbringen. Weiterführend zu diesen Verhältnissen im Englischen und Deutschen s. Thielmann (2009: 237–305). Kap. 1.4.2.2 Bei zer-brech-lich, Un-zer-brech-lich-keit, Ge-renn-e und währen-d haben wir es mit Wortbildungen zu tun, bei denen Verbalstämme (brech-, zieh-, renn- und währ-) durch gebundene Morpheme in andere Wortarten überführt werden, was man auch als Ableitung oder Derivation bezeichnet: zerbrechlich (Adjektiv); Unzerbrechlichkeit (Nomen); Gerenne (Nomen) und während (Präposition). Derivationen sind feldinterne Transpositionen innerhalb des Symbolfelds – wie auch bei bezüglich: ziehen  beziehen  Bezug  bezüg-lich. Der Diminutiv (-chen, -lein) führt hingegen nicht prinzipiell zu einer feldinternen Transposition. Er ist eine operative Prozedur, die kommuniziert, dass das durch den Stamm Benannte als ‚klein‘ aufzufassen ist, d.h. als ‚kleine Ausgabe‘ dessen, was der Stamm benennt: ein Häuschen ist i.d.R. größer als ein Mäuschen. Tritt der Diminutiv mit bestimmten Stämmen zusammen, wirkt er als expressive Prozedur, durch die der Sprecher dem Hörer ein Entzücken über das durch den Stamm Benannte kommuniziert: Kindchen, Lämmchen, Näschen, Vöglein, Stübchen etc. Kap. 2.2 Der Student hatte nicht recht, aber seine Frage berührt einen ganz wichtigen Punkt: Das Deutsche ist eine indoeuropäische Sprache. Für diese Sprachen ist es typisch, dass ein und dasselbe Morphem in unterschiedlichen Konstellationen Verschiedenes ausdrückt: der Tisch ist Nominativ Singular Maskulinum; der Butter hingegen Dativ Singular Femininum. Kap. 2.2.1 Im Deutschen wird – neben den Satzanfängen – das Nomen, also der Kopf der Nominalphrase, großgeschrieben, unabhängig davon, ob diese syntaktische Funktion durch ein Substantiv (der Tisch) oder durch eine andere Wortart realisiert ist (das Ich) (s. hierzu auch Maas 1991 & 1992). Kap. 2.2.2 Das Besondere an diesem Paragraphen ist, dass er nicht eine Tat unter Strafe stellt, sondern das ‚Mörder-Sein‘, wobei Mörder derjenige ist, der aus niedrigen Beweggründen (z.B. Habgier, Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs) einen anderen Menschen tötet. Demgegenüber sind MörderInnen, Mörder_innen oder Mörder*innen rechtskräftig wegen Mordes verurteilte Personen männlichen, weiblichen oder diversen Geschlechts, wie sie z.B. in Gefängnissen anzutreffen sind. Mordende sind hingegen im Sinne des § 211 StGB noch nicht von Interesse, da sie die Tötung noch nicht verwirklicht haben. Der Singular würde diese Verhältnisse nur noch verwickelter machen: Die Formulierung Der/die MörderIn wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft würde Personen diversen Geschlechts, die weder männlich noch weiblich sein wollen, davon ausschließen, jemals wegen Mordes belangt werden zu können; dies wäre auch der Fall bei der/die Mörder*in. Auch der Singular von Mordende, also z.B. ein/e Mordende/r löst das Problem nicht, dass ein Mordender noch kein Mörder ist. Diese Formulierung ist zudem – wegen der Sexusdifferenzierung im Singular – ebenfalls nicht geeignet, Personen diversen Geschlechts, die weder männlich noch weiblich sein wollen, wegen Tötung aus niedrigen Beweggründen zu belangen. Man sieht an diesem Beispiel deutlich, dass die

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sprachlichen Möglichkeiten, die aus dem generischen Maskulinum resultieren, nämlich die abstrahierende Benennung von Personengruppen bzw. Verfasstheiten wie ‚Mörder-sein‘, keineswegs zur Zementierung patriarchalischer Gesellschaftsverhältnisse da sind, sondern für komplexe Benennungserfordernisse wie z.B. diejenigen der Jurisprudenz unverzichtbar sind. Kap. 2.2.3 Tischen benennt mehrere Exemplare von Tisch in einer Weise, dass diese als Bezugsobjekt einer statischen Relation qualifiziert sind; dasselbe ist der Fall bei Wörtern und Wänden. Die Wortformen Menschen, Lampen und Präsidenten benennen jeweils mehrere Exemplare dessen, was der Stamm benennt. Eine solche Fragerichtung, sich also klarzumachen, was man über eine Wortform weiß, lenkt den Blick auf die kommunikative Leistung operativer Prozeduren, deren Zweck es nicht ist, in der Gegend herumzustehen, um irgendwelchen Grammatikregeln Genüge zu tun, sondern den Hörer bei der Verarbeitung des Symbolisierten und Gezeigten anzuleiten. Kap. 2.2.4 Journalistenbefragung ist ein Rektionskompositum, das zwei Lesarten hat: Entweder handelt es sich um eine Befragung, die der Journalist an jemandem vornimmt, oder der Journalist wird selbst, z.B. von Ermittlungsbehörden, befragt. Auch Rechtsbehelfsbelehrung ist ein Rektionskompositum, dem die Fügung jemanden bezüglich des Rechtsbehelfs belehren zugrundeliegt; in dieses Kompositum sind zudem zwei deverbale Ableitungen (Behelf  behelfen, Belehrung  belehren) eingegangen. Druckeigenspannung ist ein mehrfaches Determinativkompositum [Druck[eigen-spannung], in das zwei deverbale Ableitungen (Druck, Spannung) eingegangen sind. Anzug und Anschauung sind deverbale Ableitungen von anziehen bzw. anschauen. Bei das Sein handelt es sich um eine Konversion wie auch bei alles Wahre, Gute und Schöne bzw. das Wozu. Der Ausdruck Aufgeschlossenheit ist eine komplexe deverbale Ableitung: schließen  aufschließen  aufgeschlossen  Aufgeschlossenheit. Der Ausschnitt aus der „Kritik der reinen Vernunft“ zeigt die Wichtigkeit des Wortbildungsverfahrens der deverbalen Ableitung für die deutsche Wissenschaftssprache: Bei Vorstellung, Anschauung, Gegenstand (von (ent-)gegenstehen), Bedingung, Erscheinung, Bestimmung handelt es sich durchgängig um deverbale Ableitungen. Möglichkeit ist eine deadjektivische Ableitung von möglich. Die wissenschaftliche Nutzung dieser Wortbildungsverfahren wurde im 18. Jahrhundert durch den Philosophen Christian Wolff eingeführt (Ricken 1995). Sie hat dazu geführt, dass in deutschsprachigen fachlichen und wissenschaftlichen Zusammenhängen sprechende Benennungen oder, wie es Gauger (1971) formuliert hat, „durchsichtige Wörter“, üblich sind. Das Englische funktioniert demgegenüber völlig anders, wie folgendes Beispiel zeigt (vgl. Thielmann 2020): Ein Flugzeug wird mit Rudern gesteuert: Mit dem Höhenruder hebt und senkt man die Nase, mit dem Seitenruder bewegt man sie nach links oder rechts, mit dem Querruder hebt man die linke oder die rechte Tragfläche an. Höhen- und Seitenruder befinden sich am Leitwerk. Wir haben es hier mit sprechenden, „durchsichtigen“ Benennungen zu tun, die die Systematik des Gegenstandsbereiches mitkommunizieren. Die englischen Benennungen sind elevator (Höhenruder), rudder (Seitenruder), aileron (Querruder) sowie empennage (Leitwerk). Diese Benennungen sind nicht durchsichtig, weil sie sich – bis auf rudder – Wortbildungsprozessen verdanken, die in den Ausgangssprachen stattgefunden haben, aus denen die betreffenden Wörter entlehnt sind (elevator  lat. ‚elevare‘; aileron  altfranzösisch ‚kleiner Flügel‘); empennage  altfranzösisches Verb, das ‚einen Pfeil fiedern‘ bedeutet). Dies hat zur Konsequenz, dass alles, was im Englischen auch nur im geringsten fachlich ist, bereits über den common sense hinausgeht, was die Kommunikation zwischen spezialisierten Gruppen wie auch die Kommunikation fachlicher oder wissenschaftlicher Inhalte in die Gesellschaft hinein stark einschränkt.

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Kap. 2.2.5 Adjektivisches Attribut: einstige Politiker, soziale Verwerfungen, zusätzliche Belastungen. Partizipialattribut: die mit 17 Mitgliedern besetzte Kommission. Genitivattribut: Vertreter der Kirchen und der Wissenschaft. Präpositionalattribut: Belastungen für das Klima sowie die Energiewende in Deutschland – der syntaktische Status der Präpositionalphrase in Deutschland ist ambig; sie könnte auch als Lokaladverbial aufgefasst werden, das auf das Prädikat bewerkstelligen bezogen ist. Attributsatz: Empfehlung…, wie die Energiewende in Deutschland zu bewerkstelligen ist. Kap. 2.3.1.1 Der Ausdruck alle stellt bezüglich der Anzahl Eindeutigkeit her – alle weniger einen sind nicht mehr alle. Daher flektiert das Adjektiv wie in der Situation mit Definitartikel: die guten Dinge; alle guten Dinge. Kap. 2.4.2.2.2 Das Prädikat steht im Konjunktiv II, da der Konjunktiv I hier im Schriftlichen mit dem Präsens formgleich ist: haben helfen können. Für die Redewiedergabe gilt allgemein Folgendes: Wenn jemand z.B. über einen Kollegen mitteilt er sagt, er ist krank, identifiziert er sich mit dem, was der Kollege sagt. Mit er sagt, er sei krank gibt er neutral dasjenige wieder, was der Kollege gesagt hat. Mit er sagt, er wäre krank bezweifelt er hingegen dasjenige, was der Kollege gesagt hat. Mithin: Hätte der Journalist geschrieben die Kommission hätte dazu beigetragen…, hätte er seine Zweifel bezüglich dessen kommuniziert, was Peter Hartz sagte. Kap. 2.4.2.3.1 Wir verwenden das Perfekt, da wir durch hierdurch die durch das Partizip II benannten Handlungsbzw. Prozessresultate in die Sprechsituation hineinholen und als für diese relevant qualifizieren. Mit dem Präteritum gestern ging ich ins Kino wird das Prädikat ging als für eine andere Sprechsituation gültig qualifiziert, die hierdurch ihre Interpretation als ‚vergangen‘ erhält. Durch das Präteritum kommuniziere ich daher meinem Hörer etwas, was für die aktuelle Sprechsituation nicht relevant ist (so dass sich der Hörer fragt, was ihn das eigentlich angeht). Der Einsatz des Präteritums im Diskurs, also der Situation, in der Sprecher und Hörer ko-präsent sind, bedarf – abgesehen von ökonomischen Sprechweisen wie ich war in Düsseldorf – immer einer besonderen Rechtfertigung, wie sie beispielsweise im Erzählen besteht. Hierauf hat bereits Harald Weinrich in seinem sehr lesenswerten TempusBuch hingewiesen (2001b). Kap. 2.4.2.3.5 Subjekt und Prädikat sind im Deutschen dadurch aufeinander bezogen, dass das Prädikat je nach Subjektausdruck sprecher- oder hörerdeiktische bzw. anaphorische Flexive annimmt (s. 2.1.1) und so mit dem Subjekt kongruiert. Man kann daher sagen, dass das Subjekt die Flexion des Prädikats regiert. Das Prädikat selbst, also konkret das Verb, das ich zu seiner Realisierung verwende, wird natürlich nicht vom Subjekt regiert, wenn es auch irgendwie seinem Subjekt ‚zukommen‘ muss, damit ein sinnvoller Gedanke entsteht: Peter schläf-t/repariert-t den Wasserhahn/?schimmel-t. Eine wichtige Funktion der kompositionalen Form werden + Partizip II ist die Rhematisierung des Subjekts. Mit so, jetzt wird die Vakuumpumpe belüftet wird ein Handlungsschritt in einer Weise angekündigt, dass das Subjekt fast am Ende des Satzes zu stehen kommt und so Teil des Rhemas, der neuen Information ist. Kap. 2.4.2.5 Arbeiten ist durativ; das Partizip II durativer Verben ist nicht attributiv verwendbar. Bewundern ist ebenfalls durativ; die kompositionale Form sein + Partizip II eines transitiven Verbs, also eines Verbs,

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das ein direktes Objekt regiert, ist nur möglich, wenn das Verb zudem auch resultativ ist. Sein + Partizip II ist grundsätzlich auch mit objektlosen durativen Verben wie schlafen nicht möglich. Kap. 2.4.3.2 In beiden Fällen wirkt be- hier als ‚Transitivierer‘, d.h. das Präfix macht aus Verben, die kein direktes Objekt verlangen (arbeiten, streiten), solche, die das tun. Wer etwas erblickt kommt hierdurch zu einem visuellen Wahrnehmungsobjekt, das er vorher nicht ‚im Blick hatte‘, daher ingressiv. Kap. 2.4.3.3 Zur Aufführung bringen ist, im Gegensatz zu aufführen, ingressiv. In Bewegung bleiben ist durativ, in Kraft treten ist ingressiv. In Peter beginnt zu arbeiten ist das Prädikat ingressiv; bei Peter hört auf zu arbeiten egressiv. In Peter ist am arbeiten ist das Prädikat durativ – diese Konstruktion hat eine ähnliche Bedeutung wie die englische progressive form: Peter is working. Im Unterschied zum Englischen ist sie aber nicht durch Explikate auszubauen: *Peter ist das Auto am reparieren/Peter is repairing the car. Kap. 2.4.4 In es schneit übernimmt es die Rolle eines formalen Subjekts. In es haben sich viele Menschen furchtbar darüber aufgeregt haben wir es mit einem kataphorischen Einsatz von es zu tun, bei dem der Hörer/Leser angewiesen ist, einen leeren Fokus auf das Subjekt viele Menschen auszubilden, das als Teil des Rhemas ‚nachgeliefert‘ wird (s. auch Abschnitt 4.1.3). Auch diese Konstruktion ist ein Verfahren zur Rhematisierung des Subjekts. Nach Neudorf ist hier Direktivergänzung; über den Lärm ist Präpositionalobjekt. Kap. 2.4.4.1 Wenn man so etwas bildet wie ich verbitte mir diesen Umgangston sieht man, dass das Reflexivum indirektes Objekt ist. In die Tür öffnet sich ist Folgendes passiert: Öffnen ist ein transitives Handlungsverb, das durch den reflexiven Gebrauch zu einem Prozessverb wird. Kap. 2.4.5.3 Eine Äußerung der Form du willst schlafen ist eigentlich nur konstativ (feststellend) möglich oder wiederholend: Du hast gesagt, du willst schlafen, ich will aber noch fernsehen. Mit du musst noch den Müll runterbringen wird der Hörer – dies ist die Leistung der Partikel noch in diesem Zusammenhang – daran erinnert, dass sich seine Handlungsoptionen auf den Müll runterbringen verengt haben, da er mit dieser Handlung im Verzug ist. Mit du sollst den Müll runterbringen kommuniziert der Sprecher dem Hörer, dass jemand anders von ihm will, dass er den Müll hinunterbringt. Kap. 2.5.3 Hier und dort wären als Lokaladverbiale, jetzt und heute als Temporaladverbiale aufzufassen. Seither ist Temporaladverbial; ebenso dahin in der Fügung bis dahin. Daher und dabei sind propositionsspezifizierend (s. hierzu auch Abschnitt 3.6.1). Genauso wäre bei dieser Sichtweise als ein Modaladverbial aufzufassen, das ein Prädikat spezifiziert: Ich habe das genauso gemacht. Kap. 2.6.1 Dadurch, dass man sie mit Verben verwendet, die statische bzw. dynamische Verhältnisse ausdrücken: an der Wand stehen/an die Wand stellen; im Wohnzimmer sein/ins Wohnzimmer gehen. In der Fügung Interesse an + Dativ ist – im abstrakten Sinne – noch die Tatsache wirksam, dass an Kontakt ausdrückt; vgl. auch Teilnahme an + Dativ.

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Kap. 2.6.5 Durch den restriktiven Relativsatz (vgl. Abschnitt 4.5.3) im zweiten Beispiel wird Vormittag definit, weswegen der Definitartikel erscheinen muss – ähnlich wie in dicht am Haus stand eine Pappel versus dicht an dem Haus, das das kleinste in der Straße war, stand eine Pappel. Man sieht an solchen Beispielen deutlich, dass Fusionen wie am oder im keine Äquivalente für an dem bzw. in dem sind. Kap. 2.6.6.4 Die Präpositionalphrase im Nachbarabteil ist entweder Präpositionalattribut zu der Nominalphrase der Herr (der Herr im Nachbarabteil) oder Situativergänzung zu verschwinden (im Nachbarabteil verschwinden). In der Hand und auf dem Dach sind Präpositionalattribute. Über den Lärm ist ein Präpositionalattribut, das aus einem Präpositionalobjekt (sich über den Lärm ärgern) hervorgegangen ist. Nach langer Fahrt durch den Tunnel ist Temporaladverbial; durch den Tunnel ist – aus einer Direktivergänzung (zu fahren) hervorgegangenes – Präpositionalattribut zu Fahrt. Auf der Höhe ist Lokaladverbial; in einen Feldweg ist Direktivergänzung zu abbiegen. Unter Bäumen ist Lokaladverbial. Kap. 3.1 Nachdem es darum ging, dass ein Deutscher Papst wurde, ist das wir zu rekonstruieren als ‚alle Deutschen‘ – ähnlich wie in wir sind Weltmeister. Solche wir-Verwendungen haben es in sich. In wir sind das Volk während der Montagsdemonstrationen beanspruchten die Demonstranten, ‚das Volk‘ gegen eine aus ihrer Sicht nicht dazugehörige autokratisch regierende sozialistische Obrigkeit zu repräsentieren, mithin: ‚Ihr Funktionäre gehört nicht zu uns und habt deswegen kein Recht, uns zu regieren‘. Das wir in demselben Slogan auf einem Wahlplakat der z.T. rechtsextremen „Alternative für Deutschland“ ist hingegen anders zu rekonstruieren: Hier setzen sich die ‚wahren Deutschen‘ als ‚Volk‘ gegen all diejenigen ab, die entweder die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, ohne ‚wahre Deutsche‘ zu sein, oder die in Deutschland leben, ohne die deutsche Staatsangehörigkeit zu besitzen. Über den Plural der Sprecherdeixis wird mithin gerade in der politischen Auseinandersetzung Ein- bzw. Ausgrenzung betrieben. Zweite Frage: Auch diese Verwendungen der Hörerdeixeis dir und dich sowie des Plurals der Sprecherdeixis verweisen im generischen Adressatenraum. Kap. 3.2.2 Hier wird mit der Lokaldeixis da auf einen Ort in einem Textkonvolut (Untersuchungen über die Anschauung und ihre Entwicklung zum anschaulichen Begriff) verwiesen. Es handelt sich also um einen Verweis im intertextuellen Raum. Kap. 3.2.3 Man könnte das zunächst einmal so sehen, dass es sich um einen Verweis im Textraum handelt, da das dort auf den Ort zu beziehen ist, der im Text durch Worringer Platz benannt ist. Dies würde aber der Tatsache nicht gerecht, dass dort in die Ferne verweist, dass man also den Worringer Platz vom Hauptbahnhof, dem Ausgangspunkt aus, refokussiert. Es handelt sich um einen Verweis in demjenigen Vorstellungsraum, der durch den Text im Leser aufgebaut wird. Kap. 3.3.3 Hier zeigt sich, dass durch subtile Veränderungen im Bereich der Temporaldeixis Änderungen der Illokution hervorgerufen werden können: Die malen wir jetzt noch mal schnell hin ist eine handlungsbegleitende Äußerung, durch die der Dozent dasjenige verbalisiert, was er im Äußerungsmoment tut. Die malen wir nun schnell hin wäre hingegen eine Handlungsankündigung. Die Originaläußerung und dann ist der Benjamin so voll gegen das Holz gefahren, ja ist durch und dann in das Erzählen (als

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Gesamtillokution) integriert. Durch und dann signalisiert die kindliche Erzählerin dem Hörer, dass das Erzählen weitergeht. Mit und jetzt ist der Benjamin so voll gegen das Holz gefahren, ja hätten wir es mit einer fast schon egozentrischen Verwendung von jetzt zu tun, indem die Erzählerin den temporalen Nahbereich in ihrem eigenen Vorstellungsraum fokussieren würde. Mit und nun ist der Benjamin so voll gegen das Holz gefahren, ja würde die Erzählerin dieses Ereignis als Pointe, als Höhepunkt ihrer Erzählung ankündigen. Nun würde hier den Umbruch zwischen dem Erzählen selbst und seiner Lösung, seinem Kulminationspunkt ankündigen. Wir befassen uns nun mit diesen Unterschieden ist eine Handlungsankündigung. In wir befassen uns jetzt mit diesen Unterschieden ist der Leser gehalten, den Lesemoment, das heißt, den temporalen Nahbereich des Textraums zu fokussieren. In wir befassen uns dann mit diesen Unterschieden würde dann diesen Schritt als Bestandteil einer Abfolge ausweisen (‚Zunächst gehen wir auf die beiden unterschiedlichen Hemisphären des Gehirns ein. Wir befassen uns dann mit diesen Unterschieden…‘). Kap. 3.4 Mit der Nominalphrase dieser Baum lässt sich im Wahrnehmungsraum verweisen; mit diese Mühe nur im Diskurs- oder Textraum. Kap. 4.1.2 Der Leser müsste die Nominalphrase die Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft immer wieder neu prozessieren, obwohl es immer noch um dasselbe geht. Hierdurch würde der Text inkohärent, d.h. seine Sätze würden, durch den inhaltlich nicht gerechtfertigten ständigen Neubeginn mit derselben Benennung, zunehmend als unzusammenhängend empfunden. Kap. 4.1.5 Man sieht an diesem Beispiel deutlich, dass Anadeixis und Anapher einen wachen rekonstruierenden Nachvollzug verlangen. Noch im letzten Satz ist sie auf das erste Thema des Textes Mechatroniker/innen (Th1) bezogen; dazwischen aber durchaus auch satzintern auf andere Themata (Satz 2, 3, 5). In Satz (4) wird mit diese das – leicht modifizierte – dritte Thema anadeiktisch refokussiert. Solche Verwendungen von Anadeixis und Anapher machen einen erheblichen Teil bildungs-, berufs- und wissenschaftssprachlicher Anforderungen aus, wie sie gegenwärtig weder in der Didaktik des Deutschen als Erst- noch als Zweit- und Fremdsprache ausreichend berücksichtigt sind (Thielmann 2018 & 2019c): (1) [Mechatroniker/innen]Th1 bauen aus mechanischen, elektrischen und elektronischen Bestandteilen komplexe mechatronische Systeme, z.B. Roboter für die industrielle Produktion. (2) SieTh1 stellen [die einzelnen Komponenten]Th2 her und montieren sieTh2 zu Systemen und Anlagen. (3) [Die fertigen Anlagen]Th3 nehmen sieTh1 in Betrieb, programmieren sieTh3 oder installieren zugehörige Software. (4) Dabei richten sieTh1 sichTh1 nach Schaltplänen und Konstruktionszeichnungen und prüfen [die Anlagen]Th3‘ sorgfältig, bevor sieTh1 dieseTh3‘ an ihreTh1 Kunden übergeben. (5) Außerdem halten sieTh1 [mechatronische Systeme]Th4 instand und reparieren sieTh4. Kap. 4.2.1 In das Wasser des Rheins wird Wasser durch das restriktive (den Gegenstandsbereich einschränkende) Genitivattribut des Rheins so vereindeutigt, dass man es mit einem ganz bestimmten Wasser zu tun hat. Wasser wird hierdurch definit, was durch den bestimmten Artikel angezeigt werden muss. Der Sprecher muss eine solche Nominalphrase zum Äußerungsmoment mithin einschließlich der Attribution geplant haben; der Hörer erwartet beim Vernehmen eine ‚Rechtfertigung‘ des Definitartikels durch restriktive Attribution.

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Kap. 4.3.1 Der Ausdruck alle stellt bezüglich der Anzahl Eindeutigkeit her – alle weniger einen sind nicht mehr alle. Daher flektiert das Adjektiv wie in der Situation mit Definitartikel: die guten Dinge; alle guten Dinge. Kap. 4.3.2 Überlegen wir uns kurz den Punkt dieser Äußerung. Sie könnte z.B. von einem älteren Menschen getan werden, der daran Anstoß nimmt, dass ein jüngerer Mensch mit ausgefransten Jeans in der Oper sitzt. Das Verweisobjekt von das wäre also die Tatsache, dass jemand – aus Sicht des Sprechers – nicht angemessen angezogen ist. Der Sprecher tut seine Äußerung, so könnte man sagen, auf Basis einer Maxime (Ehlich & Rehbein 1977), nämlich Zieh dich gut an, wenn du in die Oper gehst!, die er als allgemeingültig ansieht. Mit Das tut man doch nicht! wird die Verletzung der Maxime gerügt, indem gesagt wird, dass eine durch man diffus kategorisierte Allgemeinheit das Gerügte nicht tut. Man hat es hier mit einer sozusagen ‚kämpferischen‘ man-Verwendung zu tun, die die Gültigkeit einer Maxime für einen möglichst großen Personenkreis einfordert. Auch über man lassen sich so – ähnlich wie über wir (vgl. Abschnitt 3.1) – Gruppenzugehörigkeiten postulieren und hiermit zugleich Ausgrenzungen vornehmen. Kap. 4.3.2.2 Hier muss ein – reduziertes – Quantum angegeben werden, auf das sich dann alle erschöpfend beziehen kann: die Hälfte aller Züge… Kap. 4.4.2.1 Zunächst einmal: Auch durch dieses Verfahren kann der Sprecher ein Wissensdefizit beheben. Die Unterschiede liegen in der Vorgeschichte seiner sprachlichen Handlung und in den hörerseitigen Verarbeitungsprozessen. Stellen wir uns einen Sprecher vor, der wissen möchte, wann der Bus fährt. Er muss nun – anders als bei einer Frage, wo er durch ein Interrogativum die Art seines Wissensdefizits kategorisieren kann, – einen vollständigen Gedanken fassen, der, vollständig ausformuliert, eine hypothetische Version des gesuchten Elements enthält, etwa: Der Bus fährt um 17.00 Uhr. Diesen Gedanken assertiert er und übermittelt dem Hörer hierdurch ein Wissen. Der Hörer ist in einer Situation, in der er – sozusagen unverhofft – ein Wissen übermittelt bekommt. Dies setzt bei ihm Bewertungsprozesse in Gang, indem er versucht, dieses Wissen einzuschätzen. Es kann sein, dass er auch weiß, dass der Bus um 17.00 Uhr fährt, dann wird er sich bestätigend äußern. In diesem Fall weiß der Hörer, dass er mit seiner Vermutung ‚ins Schwarze getroffen‘ hat. Oder der Hörer weiß, dass der Bus zu einer anderen Zeit fährt, und wird das, was der Sprecher gesagt hat, richtigstellen: Nein, um 17.30 Uhr. Auch in diesem Fall hat der Sprecher dasjenige Wissenselement übermittelt bekommen, das ihm fehlt. Es kann aber auch sein, dass der Hörer das Wissen, das der Sprecher assertiert, gar nicht einordnen kann – es kann ja sein, dass ihm gar nicht klar ist, dass irgendwo ein Bus fährt. In diesem Fall wird er kundtun, dass er nicht weiß, worum es hier geht – etwa: Weiß nicht. Kap. 4.5.1 Der Ausdruck das kann nebensatzeinleitend nur als Relativum auftreten. Kap. 4.6.1 Das Verb schwarzsehen ist Resultat von Wortbildung im Verbalbereich. Es ist ein zweiteiliges Verb, dessen zweiter Teil (schwarz) ein inkorporiertes Adjektiv ist, das durch eine Intensitätspartikel adverbial spezifiziert werden kann (vgl. Abschnitt 2.5.3).

Lösungen zu den Aufgaben | 205

Kap. 4.7.2.1 Dass sich sowie anders verhält als und sieht man zunächst einmal an den folgenden Beispielen: Ist das Subjekt Peter und Paul, muss das Prädikat im Plural stehen: Peter und Paul sind gegangen. Ist das Subjekt hingegen Peter sowie Paul, ist beides möglich: Peter sowie Paul sind gegangen genauso wie Peter sowie Paul ist gegangen (= ‚Peter ist, so wie Paul, gegangen‘). Dies hängt damit zusammen, dass der Ausdruck sowie eine Fusion aus der Aspektdeixis so und dem Vergleichsausdruck (Adjunktor) wie ist. „Im Unterschied zu und koordiniert sowie ein qualitativ anderes, erst durch einen aspektdeiktisch neufokussierten (so) Vergleich (wie) homogen einzuarbeitendes Wissenselement“ (Redder 2007: 509). Man kann dies deutlich an dem folgenden Broschürentitel sehen: Auswirkungen einer CO2-Steuer auf sechs energieintensive Industrien sowie auf die deutsche Stromwirtschaft (Stiftung Arbeit und Umwelt). Energieintensive Industrien sind Stromverbraucher; die deutsche Stromwirtschaft ist Stromproduzent. Das sind sehr unterschiedliche Branchen, aber – und dies muss der Leser erkennen – sie sind, als energieintensive Industrien so wie die Stromwirtschaft, gleichermaßen von einer CO2-Steuer betroffen. Das sowie ist geeignet, beim Leser einen Reflexionsprozess in Gang zu setzen; Koordination mit und hätte nicht denselben Effekt. Kap. 4.7.2.3 Nein, weil die Verknüpfung falsch wird, wenn sowohl A als auch B falsch sind. Kap. 5.1.2 Weil Silbenstrukturen, die mit Konsonantenclustern eröffnet und geschlossen werden, kaum noch zu ‚intonieren‘ sind. Man sieht das auch deutlich daran, dass Tonsprachen wie Chinesisch, Vietnamesisch oder Thai, die Intonation diakritisch nutzen, sehr einfache Silbenstrukturen, i.d.R. (K)V(K) aufweisen. Kap. 5.2.4 Nach Ehlich (1986) ist die Interjektion OH in ihrer Funktionalität ein wenig mit AH verwandt. OH drückt im wesentlichen Betroffenheit aus. OH mit steigend-fallender Intonation drückt z.B. eine positive Betroffenheit, OH mit fallender Intonation eine generelle Betroffenheit aus. OHO mit steigender Intonation drückt die „aktive Wendung des Sprechers gegen die Handlung, die ihn betroffen macht, aus“ (Ehlich 1986: 79).

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Kurzbiographie des Autors Winfried Thielmann studierte zunächst Physik und anschließend Deutsch als Fremdsprache sowie Neuere deutsche Literatur und Musikwissenschaft an der LMU München, wo er 1998 über physikalische Begriffsbildung promovierte (Fachsprache der Physik als begriffliches Instrumentarium, 1999). Von 1995 bis 2003 war er als Dozent für Deutsch, deutsche Literatur und Linguistik des Deutschen an der Australian National University sowie als Sprachlehrer in der Sprachabteilung des australischen Außenministeriums in Canberra tätig. Von 2003 bis 2007 war er Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Deutsch als Fremdsprache an der LMU München, wo er sich 2006 mit einer komparativen Schrift über deutsche und englische Wissenschaftssprache habilitierte (Deutsche und englische Wissenschaftssprache im Vergleich, 2009). Von 2007 bis 2008 vertrat er Professuren für Deutsch als Fremdsprache an der Universität Potsdam und der TU Dresden. Seit 2009 ist er Professor für Deutsch als Fremd-und Zweitsprache an der TU Chemnitz. Seine Forschungsschwerpunkte sind Linguistik der deutschen Gegenwartssprache, Didaktik des Deutschen als Zweit- und Fremdsprache, Fach- und Wissenschaftssprache (auch komparativ Deutsch/Englisch), funktional-pragmatische Text- und Diskursanalyse sowie linguistisch basierte Wissenschaftstheorie.

Index Abfolge 203 Abkürzungswörter 50 Ablaut 70 Ableitung (Derivation) 51ff., 58f., 79, 98, 198f. absolute Adjektive 60 Abstrakta 10, 57 Abtönungspartikel 151, 154, 157ff. Adjektiv 1ff., 17, 28, 31, 64ff., 99f., 136, 197 adjektivisches Attribut 55, 200 Adjunktor 175, 205 Adkopula 65 adnominal 34, 54, 105, 112, 124, 127, 131, 137, 139, 144, 142f., 149 Adverb 1, 4, 6, 31, 27f., 87ff., 89, 97, 158 Adverbial 60, 88ff., 97, 137ff., 142, 144 adverbiale Bestimmung 34, 37, 97f. adverbiale Verwendung 64 adversative Lesart 172 Agens 59, 86, 174 Akkusativ 34ff., 40, 50, 61ff., 91f., 95, 124, 132, 143, 149 Akkusativergänzung 82 Aktant 40 Aktionsarten 67, 75ff., 79 Aktualisieren eines Wissens 22 aktuelle Handlungskonstellation 84f., 158 aktuelle Sprechsituation 70, 72 All-Satz 141 alltägliche Wissenschaftssprache 99 alternativenbezogene Modalverben 82 Altgriechisch 3ff. anadeiktische Re- bzw. Umfokussierungen 129 anadeiktischer Verweis 104 Anadeixis 130, 169, 203 Analogie 5 Analytische Sedimente 9 Anapher 47, 49, 80, 121, 123ff., 127ff., 133, 166, 197, 203 andere Sprechsituation 70 Angabe (Valenzgrammatik) 81 Anschlusshandlung 73f., 171, 184 antike Grammatikschreibung 3, 19, 197 Antwort 31, 142ff., 161f., 183f. Anzahl 101 Appellativum (Gattungsbezeichnung) 57f. Apposition 55 https://doi.org/10.1515/9783110667967-008

Architempus 69 Archiwörter 195 Argumentation 117 Argumentieren 117 Ars minor (Donat) 6, 8, 27 Artikel 1f., 4, 7f., 11ff., 15, 18, 28, 31, 50, 54, 123f., 131ff., 147, 149, 157f. Aspektdeixis 24, 103, 113, 117 Assertion 38, 146, 156, 159 attribuierbar 55, 64 Attribut 54f., 60f., 68, 76, 87f. 90, 98 Attribution 54 Attributionsverfahren 54ff. Attributsatz 55f., 143, 147f., 170, 200 Aufforderung 135, 161, 197 Aufforderungssatz 37f. Ausdrucksklasse 187f. Ausgangspunkt für weitere propositionale Wissensentfaltung 181 Ausgrenzung 202 außersprachliche Wirklichkeit 69, 71 Äußerung 197, 201f., 204 Äußerungsakt 160f. Äußerungsmoment 20, 111, 202f. Äußerungsverkettung 165 Aussprache 4f. babylonische Zählsteine 101 Batterie von Ratschlägen 165 Bearbeitung von Verstehen 169 Bedeutung 57f., 66, 76, 85f., 94ff., 99 begriffliche Nennqualität 45, 57 Begründung 20, 135f., 161, 169f. Begründungsverpflichtung 154 Beleidigung 38 Benennungsnotstand 51 bestimmter Artikel (Definitartikel) 149, 203 bestimmtes Gewusstes 145f. bestimmtes Nicht-Gewusstes 145 Bestimmungswort 52f. Betonung 153, 156 Betroffenheit 205 Bewegungsverben 76 Bezugsnominalphrase 47, 56, 148ff. Bezugsobjekt 35f., 49, 56, 91ff., 96, 98f.

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Bezugsobjekt einer dynamischen Relation 36, 93 Bezugsobjekt einer statischen Relation 36, 199 Bitte 38 Blasphemievermeidung 194 common sense 199 consecutio temporum (Abfolge der Tempora) 172 das nächste Element einer zeitlichen Abfolge 111 Dativ 34ff., 50, 61ff., 91ff., 95f., 100, 124, 132, 198 Dativergänzung 82 Dativmorphem 40 deadjektivische Ableitung 52, 64, 79, 199 definit 203 Definitartikel (bestimmter Artikel) 40, 61f., 131ff., 200, 202, 204 Deiktika 20, 90 deiktisch 23 deiktische Prozeduren 103 Deixis 21, 28, 37f., 41, 43, 47, 57 Deixis am Phantasma 21 Deklarativsatz 37f., 156 Deontik 84 Dependenzgramatik 81 Derivation (Ableitung) 51, 53, 198 desubstantivische Ableitungen 64, 79 Determinans (Bestimmungswort) 52f. Determination 133f., 136, 147, 157, 160 Determinativkomposition 52, 199 Determinator (Artikel) 61 Determinatum (Grundwort) 52 deutsche Sprachgemeinschaft 38, 44, 51 Deutungsleistungen 198 deverbale Ableitung 52, 55f., 58, 64, 199 diakritisch 205 Dialog 7 Dimensionen einer sprachlichen Handlun 154, 160 Diminutiv 198 direktes Objekt 33f., 37, 40, 56, 75f., 78, 80, 83, 201 Direktivergänzung 33f., 56, 89, 97f., 144, 201f. Diskrepanz 158ff. Diskurs 19 Diskursraum 21, 104, 184

Diskurswissen 158 Dissoziation 178 Distanzstellung 36 Divergenz (des Höreres) 170 doppelter Infinitiv 82 dreistellige Verben 80 durativ 76f., 200f. 'durchsichtige Wörter' 199 echte reflexive Verben 80 egozentrische Verwendung von jetzt 203 egozentrische Verwendung von und 165 egressiv 76, 78 Eigenname 9, 11, 32, 41f., 44, 57, 133 einstellige Verben 79f Einzelwesen 57 Elizitierung 192 empirisch 5 Endstellung des finiten Prädikatsteils 39, 146f., 170 entmittelt 19 Entscheidungsfragen 173, 183 Entscheidungsfragesatz 37, 142, 156 entscheidungsrelevant 182f. Entschuldigung 20 Entzücken 198 epistemische Verwendungsweisen 86 ereignispräzisierende oder -ergänzende Nebensätze 174 Erfahrungsdomäne 175 Ergänzungen 67, 79ff. Ergänzungsfragesatz 37 Erklärung 169, 181 Erlaubnis 84ff. Ermahnung 179 Erwartungsbruch 168f. erweiterte Prädikate 33 Erzählen 200, 202 Erzählung 38 exklusives oder 166f. expeditive Prozedur 24, 57, 158, 187, 194 expeditives Feld (Lenkfeld) 24, 167, 187 Explikat 33f., 36 expressive Prozedur (Malfeld) 25, 195, 198 feldinterne Transposition 27, 53, 147, 198, 175, 198 Feldtransposition 26ff., 43, 54, 91, 107, 147, 159, 175, 178, 180f.

Index | 221

Femininum 15, 42, 44, 197f. Fernbereich 110 Feststellung 165 Finale Nebensätze 174 finit 36 Finitum 33, 39f., 72, 79 flektierbar 170 flektiert 31, 55, 60f., 63, 67 Flexion 4, 16, 22, 197, 200 Flexiv 33ff., 35, 61f., 64, 73, 200 Fokusausdrücke 153 Fokuspartikeln 153 fokussiert 20 Fokussierungshandlungen 101 formales Subjekt 201 Fortsetzung gemeinsamen Handelns 169 Frage 20, 123, 142ff., 181, 184 Frageintonation 142, 167 Fragesätze 38 freie Morpheme 22, 31, 42, 52, 60, 87 Fremdwörter 46 Funktionalität 19, 39, 61, 82, 101 Funktionsverb 79 Funktionsverbgefüge 7, 79 Funktionswörter 28, 92, 94, 98, 123ff., 162 Futur I 69, 73, 75 Futur II 69, 74f. Gattungsbezeichnungen (Appellativa) 57 Gebot 84 gebundenes Morphem 22, 52, 198 Gedanke 33 gedankliche Verknüpfung 116 Gegenstand 56f. Geltung des ausgedrückten Gedankens 142 Geltung des propositionalen Akts 173 gemischte Flexion 62 generische Maskulina 139 generischer Adressatenraum 202 generischer Aktantenraum 106 generisches Maskulinum 48, 199 generischer Rezipient 106 generischer Subjektausdruck 140 Genitiv 34ff., 42, 50, 55, 61ff., 96, 105, 124, 132, 139, 143, 149 Genitivattribut 55, 132, 139, 200, 203 Genitivus auctoris 55 Genitivus possessoris 55

Genus (Pl. Genera) 7, 14f., 40, 42ff., 45, 49, 52ff., 60, 62ff., 123ff., 128ff., 132f., 148f., 197 genushaltig 43, 56 genuslos 53, 87 genusspezifische Flexionen 35 Genussprache 47, 52 Gesamtäußerung 154 Gesamtillokution 203 Gesamtproposition 156 Geschichte (einer Handlung) 84, 130, 145, 147 Gesetzestext 49 Geständnis 185 gestisch 20 Gleichzeitigkeit 171 Gradpartikel 151, 153, 158, 169 Grammatik 3ff., 13ff., 17, 20 grammatische Erwartung 46 Grundwort (Determinatum) 52 Gruppenzugehörigkeiten 204 Handlung 20, 24 Handlungs- bzw. Prozessresultate 55, 68, 72, 200 Handlungsalternative 84f. Handlungsankündigung 38, 202 Handlungsmuster, sprachliches 144ff., 184f. Handlungsoption 172, 185, 201 Handlungsresultat 73f., 160 Handlungsschritt 200 handlungstheoretisch 84 Handlungsverben 67 Handlungsverläufe 171 Handlungswiderstand 145 Handlungsziel 84f. Handlungszusammenhang 40 hinweisende Gesten 112 hochsprachlich 150 homogene und heterogene Vergleiche 175 Hörer 19ff., 28 Hörerdeixis 23, 103ff., 131, 135, 166 Hörerentlastung 121 Hörererwartung 40 Hörerhandeln 158, 187, 194 Hörerrückmeldung 190f. hörerseitige Deutungsleistungen 105, 141 hörerseitige Verarbeitungsprozesse 204 Illokution 20, 31, 38f., 85f., 142, 146, 162, 165, 183f., 197, 202

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illokutionsblockierend 170 illokutiv depotenziert 158 illokutive Abschwächung 158 illokutive Verstärkung 158 illokutiver Akt 160ff. Imperativ 72, 158, 187 Imperativstämme 72 imperfektiv 76 implizite Anforderungen der Bildungsstandards 130 Indefinitum (Pl. Indefinita) 40, 123, 136ff., 142f., 197 Indefinitartikel (unbestimmter Artikel) 40, 49, 54, 62f., 131ff. indirekte Fragesätze 143 indirektes Objekt 33ff., 37, 40, 80, 142, 201 indoeuropäische Sprache 33, 198 infinit 36 Infinite Verbformen 68 Infinitiv 53, 67f, 73ff., 78f., 82f., 86, 97 Infinitiv Perfekt 68, 73, 86 Infinitivsätze 174 ingressiv 76, 78f., 201 Inhaltssatz 55, 171 inklusives oder 166f. inkohärent 203 Inkorporation 65, 78 Input 17 Instantiierung 172 Instrumentalergänzung 143 Integration, prozedurale 133 Intensitätspartikeln 151f. Interjektion 7, 24, 28, 187ff., 194 Interrogativum (Pl. Interrogativa) 87, 123, 142ff., 146f., 197, 204 intertextueller Raum 202 Intonationskontur 187ff., 194 Intonationsverläufe 189f. intransitiv 77 Inuktitut 1ff., 25, 27 isolierende Sprache 16 Junggrammatiker 13 Kardinalia 99f. Kasus 34, 36, 38, 44, 49f., 62, 64, 82, 91, 98, 124, 132f., 148f. Kasusflexive 34ff., 38, 50, 83 Kasusmorphem 36, 40, 49

katadeiktischer Verweis 104 kataphorisch 40 kataphorischer Einsatz von es 201 kategoriale Leistung von Präpositionen 91, 99 kategoriale Um- bzw. Neufokussierung von Verweisobjekten 121 kategorialgrammatisch 16 Kategorien 2f., 6, 8f., 13, 27, 133, 137, 139f., 143f. Kausale Nebensätze 172 Kausalgefüge 173 Kausalität 177 Kausative Verben 77 koinē 4 Kommentaradverbien 87 kommunikative Gewichtung 153 kommunikative Leistung operativer Prozeduren 199 kommunikative Minimaleinheiten 183 Komparation 64, 66 Komparativformen 64 komplexe Divergenz des Hörers 191 komplexer Ausdruck 52f. Komposition 51ff. kompositional 69, 73 kompositional gebildete Strukturen 69 Kompositionale Formen 72, 73f Kompositionalität 73 Konditionale Nebensätze 173 Konditionalgefüge 173, 178f. Konjugation 70 Konjunktionaladverb 114 Konjunktion 1, 4, 6, 27, 123, 154, 162ff., 167, 169, 173, 179 Konjunktiv I 70f., 200 Konjunktiv II 71, 82, 200 Konjunktor (Konjunktion) 162 Konkreta 10 Konnektivpartikel 151, 154 Konsekutive Nebensätze 174 Konsonanten 188 konstativ 201 Kontaktbeziehung 92 kontrafaktische Konditionalgefüge 173 Konversion 51, 53, 90 Konzept 41, 45, 53, 57, 79, 101 konzeptuelle Nennqualität 133 konzessive Nebensätze 173 Koordination 162ff.

Index | 223

Kopf der Phrase 43 Kopf einer Nominalphrase 44f., 198 Kopfnomen 43, 46, 55, 62, 64, 66f., 90 Kulminationspunkt (einer Erzählung) 203 Kulturtechnik 101 language acquisition device (LAD) 17 Latein 6ff., 69 Lautstruktur 188 leerer Fokus 126, 201 Lehnwörter 51 leibliche Orientiertheit 93 Lenkfeld (expeditives Feld) 24, 27, 57, 167, 187 Lesemoment 203 Lexikon 57 Liste 165 literarische Wirklichkeit 69 Locandum einer Präposition 91f., 94, 98 Logik 48, 84, 127, 133, 137, 167 Lokaladverbial 87f., 200ff Lokaladverbien 87f. Lokaldeixis 23, 103, 107, 180, 202 Lokalergänzung (Situativergänzung) 144 Malfeld 25, 27, 195 Malfeldausdrücke 28 Maskulinum 7, 15, 35, 40, 42, 44, 48, 52f., 62f., 124, 130, 132, 139, 197ff. Maxime 179, 183, 204 Medium 19 mehrfachadressiert 157 menschliche Leiblichkeit 92 mental wirklich 71 mentale Suchprozesse 146 metakommunikativ 23f., 27f., 38, 49, 52, 62, 64, 123, 126, 131, 151, 154, 162, 184 Metasprache 3, 5f. Minimalhandlung, kommunikative 187 Mittelfeld 37 Modaladverbial 176, 201 Modaladverbien 87f. modaler Infinitiv 75 Modalklammer 83 Modalpartikel 151, 153 Modalverben 67f., 82ff. Modalverbobjekt 83 Modifikation thematischer Rückbezüge 128 Modus 67, 70 Modusmarkierungen 69

Möglichkeit 84 morphē 5 Morphem 22ff., 198 Morphologie 49, 61 morphologisch 5, 9, 18, 31, 51, 100 morphologisches Prinzip 197 Nachfeld 37, 156, 164, 167 Nachgeschichte 84, 86, 145, 184 nachgestellte Attribute 54f. Namensmodell 10, 13 Nebensätze 38f., 56, 123, 147f., 170ff., 181 nebensatzeinleitend 146, 148 Nebensatzstruktur 39 nebensatzwertige Realisierung eines Präpositionalobjekts 115 Negation 194 Negationspartikel 151, 155f. Nennwort 28, 31ff., 41 neue Handlungskonstellation 194 Neutrum 15, 42f., 52f., 61ff., 124, 132, 138f., 197 Nichtverstehen des Hörers 135 Nomen 1, 4, 6, 9ff., 14, 16, 18, 26ff., 31, 34, 41ff., 45f., 53f., 60, 197, 97f. nomen adiectivum (Adjektiv) 43, 197 nomen proprium (Eigenname) 9 nomen substantivum (Substantiv) 43, 197 nominaler Kopf 40 Nominalphrase 35, 38, 40, 42f., 45ff., 49, 54ff., 60ff., 68, 94, 100, 124f., 130, 132f., 136, 141f., 147ff., 166, 202f. Nominalsatz 33 Nominalstil 44, 58ff. Nominativ 34ff., 50, 61ff., 124, 132, 143, 198 Nominativergänzung 82 Notwendigkeit 84 Nullartikel 49, 61, 63, 123, 131f., 134 nullstellige Verben 80, 126 Numerale 28, 99, 197 Numerus 42, 44, 47, 49, 62, 64, 69, 132f., 148f., 166 Numerusmarkierung 49f. Objekt 137ff., 142ff., 148f., 170 Objektbezug (eines Adverbials) 65 Objektdeixis 24, 103f., 112, 131, 147, 158, 166 Objekte 34, 53, 58, 67, 79f. Objekte von Modalverben 53 Objektsätze 143, 170

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offene Silbenstruktur 188 operative Prozeduren 24, 38ff., 49, 52, 62, 64, 92, 96, 98, 123, 126, 131, 137, 151, 162, 184 Operationsfeld (operatives Feld) 24, 54 Ordinalia 99f. Organon 20 Origo 20, 103, 108ff. Origo-Ferne 108 Origo-Nähe 108f. Ort 5 Orthographie 197 Orthographiereform 78 paarige Verwendungen von Konjunktionen 163 Paradigma 5, 197 Paradigmenbildung 34, 36, 49 Partikel 123, 151ff., 157, 197, 160, 201 partikulares sprachliches Handeln 32 Partitiva 99f. Partizip 4, 6, 27, 55, 65, 67, 74, 88, 197, 200 Partizip I 55, 68 Partizip II 40, 55, 68f., 72f., 75f., 200 Partizipialattribut 55, 68 Passiva 72 peer group 99 Perfekt 69, 72ff., 82, 200 Person 8, 10f., 25 Personalpronomen 124 Personen diversen Geschlechts 198 phorische Prozeduren 125, 129f. Phrase 11, 29, 40, 42f., 53, 96 phrasenbildend 91 Phrasengrenzen 198 Phrasentyp 44 Planungsdeixis 112 Planungsschritt 112 Plural 32ff., 48ff., 54, 57, 61ff., 70f., 100, 123f., 131f., 134, 138f., 142f., 149, 167, 202, 205 Plusquamperfekt 69, 72, 75 Possessivum (Pl. Possessiva) 105 Possessivartikel 124 Postposition 95 Prädikat 32ff., 36, 40f., 65, 67, 70f., 75, 78f., 81, 83, 88ff., 200f., 205 Prädikationssysteme 74 Prädikativ 33, 60, 176 Prädikatsbezug des Adverbials 65 Prädikatsklammer 40 Prädikatsteil 36, 38, 40f., 77f.

Präfigierung 77f. Präposition 1f., 4ff., 12f., 27f., 34f., 56, 63f., 68, 78, 91f., 94, 96ff., 147, 198 Präpositionaladverbien 114 Präpositionalattribut 55f., 98, 200, 202 Präpositionalergänzung 82 Präpositionalobjekt 33f., 56, 80, 97f., 115f., 142f., 149, 201f. Präpositionalphrase 79, 91, 96ff., 127, 132, 147, 200, 202 Präposition 31f., 34ff., 53, 88, 90ff., 94ff., 98f. Präsens 69, 72, 74, 82, 200 präsupponierter Wissenskomplex 183 Präteritalmorphem 70 Präteritalstämme 70, 83 Präteritopräsentia 82f. Präteritum 69ff., 82f., 200 progressive form 201 Pronomen 4, 6, 10f., 13, 27, 125, 130 Pronominaladverbien 114 proper noun (Eigenname) 9 Proposition 88ff., 118, 123, 153, 156f. propositionaler Akt 32, 118, 160f., 170, 179, 184f. propositionaler Gehalt 117, 146, 173, 181, 183 propositionale Determination 157 propositionsspezifizierend 201 prozedurale Fusion 158 Prozedur 23ff. Prozedurenkombination 25 Prozessresultat 171 Prozessverb 201 Prüfungsfrage 161f., 192 Prüfungsgespräch 162 pure Symbolfeldausdrücke 25f., 198 Qualitätsadjektiv 60, 66 Quantifikativum 99 Ratschlag 165 räumliche Neutralisierungspräposition bei 95 Rechnen 101 Redegegenstand 33, 47, 67 Redehintergrund 158ff. Rederaum 21, 104 Referenz 133 reflexive Varianten von Verben 80 reflexiver Gebrauch von Verben 80, 201 Reflexivität 80

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Reflexivum (Pl. Reflexiva) 80, 124, 201 refokussieren der Aufmerksamkeit 103, 112, 115, 117 Rektion 32, 35f., 40f., 79 Rektionskompositum 52, 199 Rektionsverhältnisse 33, 82f. Relativum (Pl. Relativa) 38, 56, 123, 147ff., 158, 170, 197, 204 relative Adjektive 60, 66 relativer Anschluss 149 Relativsatz 55, 147ff. Reparatur 135 Responsiv 123, 187, 183ff. restriktiver Relativsatz 202 restriktive und nicht-restriktive Relativsätze 150 restringieren 66 resultativ 201 Rezeptionsleistungen 130 Rhema 40, 113, 200 Rhematisierung des Subjekts 73, 80, 126, 200f. Riau-Indonesisch 16 Roman 19 Rückversicherung 156 Russisch 15 sakrale Ausdrücke 194 Salienz 188 Satz 31f., 36ff., 81ff. Satzanfang 44 Satzanfangsrahmen (SAR) 37, 163, 168, 177 Satzform 31f., 38 Satzglied 34, 37f., 40, 82, 87, 97, 147ff., 170 Satzgliedabfolge 170 satzgliedfähig 132 Satzintonation 189 Satzwertigkeit 187 satzzentrierte Perspektive 169 Schriftlichkeit 1, 4, 6f., 19 Schwa 46 schwache Flexion 61 schwache Maskulina 50 schwache Verben 70 selbstsuffizient 183, 187 Semantik 48, 56, 66, 84 semantisch 5, 41 semantische Primitive 17 Sentenz 179 Sexus 44, 48, 53, 61, 197 Sexusdifferenzierung 198

Silbenstruktur 188, 190 Simultaneindruck 101 Singular 32, 34f., 40, 48, 50, 62f., 69ff., 81, 198 Sinn 56ff. Situativergänzung 33, 80, 97, 115 skatologisch 195 solidarisches Hörerhandeln 194 solidaritätsheischend 194 Spatium (Pl. Spatien) 1, 22 Spezifikation 89f. spezifisches Nicht-Gewusstes 142 Spitzenstellung des finiten Prädikatsteils 173 Sprachdidaktik 6, 8, 19 sprachliche Handlung 20 sprachliche Handlungsqualität (Illokution) 39, 41 sprachliche Wirklichkeit 70 sprachliches Zeigen 20 Sprachpfleger 38, 55 Sprachpolitik 6, 8, 19 Sprecher 15, 19f., 22ff., 28 Sprecherdeixis 23, 33, 43f., 81, 103ff., 131 sprecherseitige Selbst-Fokussierung 181 Sprechsituation 19f., 200 Stamm 22f., 31, 60, 67 starke Flexion 63 starke Verben 69 Steigerung 64 Stelligkeit 79 Stemma 81 Stoffbezeichnungen 54, 57 Störung des gemeinsamen Handlungssystems 191 Strukturbaum 81 Subjekt 32ff., 36ff., 40f., 65, 69, 72f., 75, 79ff., 86, 88f., 126, 137ff., 142ff., 147f., 163, 170, 174, 200f., 205 Subjektausdruck 74, 84f., 200 Subjektbezug (eines Adverbials) 65 Subjektion 166 Subjektsatz 126, 143, 170, 148 Subjunktion 3, 38, 123, 148, 154, 170ff., 174, 177, 179, 197 Substantiv 1ff., 14, 28, 31, 33, 41ff., 46, 49f., 52, 54, 56, 59, 78 substantivierter Infinitiv 53 Substantivvalenz 56 Substitution 155 Suffix 52, 64

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Superlativ 64, 66 Superlativmorphem 64 Suspendierung des Wahrheitsanspruchs 173 Symbolfeld 21ff., 26f., 43, 54, 57, 96, 198 symbolische Prozeduren 23, 31, 40, 42, 44, 60, 67, 87, 90, 92 Symbolisieren 21 syntaktisch 14 syntaktische Funktion 44,198 syntaktisches Nomen 40 syntaktischer Status 40 Syntax 54, 79, 81ff., 88, 132, 162, 170, 177 Synthese 33, 40f., 88f. Tatvorwurf 185 Tautologie 167 technē grammatikē 3f. Temporaladverbial 87, 171, 201f. Temporaldeixis 24, 103, 111, 202 temporale Nebensätze 72, 171 temporaler Nahbereich des Textraums 203 Tempus 42, 67, 69, 74, 200 Tempusmorpheme 69 Terminus 10 tertium comparationis 175 Text 4, 7, 19 Textraum 104, 106, 108, 112f., 147, 175, 202f. Thema 37, 125, 127f., 130, 155, 160 thematische Modifikation 127, 130 thematische Diskurs- und Textorganisation 130 thematischen Gewichtung 128 Themenwechsel 155 Tilgung 155 tonal 187 Tonalität 188 Tonsprachen 189, 205 topologisch 5 topologische Satzstruktur 36, 78 topos ('Ort') 5, 37 transitiv 76, 78, 200 transitives Handlungsverb 201 Turn 193 Turn-Erhalt 193 Turn-Verteilung 193 Übergang von einem Planschritt zum nächsten 112 Übergangsinterjektion 191 Überraschtsein 193

Umlaut 50, 64 unflektierbar 87 unflektierbare Ausdrücke 187 Universalgrammatik 17f. Universalien 17 unmittelbarer Nahbereich 108 Unterlassung 172 Unterordnung 170, 179 Valenz 81 Valenzgrammatik 81 Verb 1ff., 6, 8, 18, 26ff. 31, 33ff., 53, 56, 59, 65, 67ff., 74, 76ff., 88, 95, 98 verba dicendi ('Verben des Sagens') 34, 56 verba sentiendi ('Verben des Fühlens und der Wahrnehmung') 34, 56 Verbalflexion 52 Verbalkomplex 67f. Verbalstamm 52, 68f., 198 Verben des Sagens 34, 56 Verblüffung 193 Verbot 84 verdauertes sprachliches Handeln 19 Vereindeutigung anaphorischen Rückbezugs 129 Vereindeutigung der Referenz 133 Vereindeutigung des Rückbezugs 47 vergangene Rede 21 Vergleichsformulierungen 64 Vergleichsgedanke 153, 156 Vergleichsoperationen 175 Vergleichssätze 175f., 178 Verletzung einer Maxime 204 Vermutung 74, 165 Vernakulärsprachen 8, 13, 27 Verschmelzungen 64, 96 Verstehensproblem 161, 170, 181 Verweisobjekt 20, 57, 103ff., 111ff., 115f. Verweisräume 21 Verzug 201 Vokal 188 Vokalwechsel 69, 72 vorangestellte Attribute 54f. Vorfeld 37f., 88, 126, 142, 154, 163f., 177 Vorgangspassiv 73, 75 Vorgangsverben 67 Vorgeschichte 84, 145, 159, 181, 183, 185, 204 Vorstellungsraum 21, 103, 105, 109f., 120f., 202f.

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Vorwurf 20, 39, 86, 158, 179 vorzeitig 172 Vorzeitigkeit 72

Wortstamm 195, 197 Wortstellung 38 X-Bar-Theorie 18

Wahrheitsanspruch 173, 179 Wahrnehmungsraum 20, 103f., 108, 112 Wahrnehmungsverben 34 Warnung 20 Wechselpräpositionen 91ff., 99 Widerspruchsfreiheit 167 Wiederbenennung des Themas 128 Wissensadresse 57 Wissensdefizit 142, 145, 181, 184, 204 Wissenselement 134, 136, 145f., 160 wissensfähig strukturiert 101 Wissenslücke 123, 142, 146, 192 Wissensmanagement zwischen Sprecher und Hörer 131, 134 Wissensraum 104, 108, 113, 120 Wissensstruktur 57, 179 Witz 19 Wortakzent 52f., 78 Wort 1ff., 9, 16, 22 Wortarten 1, 3ff., 12ff., 16ff., 25, 27f. Wortbildung 4, 12, 16, 22, 44, 46, 51, 53, 58, 64f., 67, 77f., 95, 100, 197f. Wortbildungsverfahren 199 Wortfeld 46 Wortform 3, 5, 22f., 51, 67, 69, 72f. Wortfuge 53 Wortgruppe 11, 43 Wortschatz 31

Zahladjektive 60 Zählen 101 Zahlwort 63, 99, 101 Zählzahl 101 Zehnersystem 101 Zeigen 20, 27f., 103f., 107, 110 Zeigfeld 21, 23, 26f., 54, 103, 131, 147, 159, 180 Zeigwort 20, 28, 87, 103ff. Zeit-Raum 104, 109 Zementierung patriarchalischer Gesellschaftsverhältnisse 199 zielbezogene Modalverben 82 Zitierform 68 Zurechtweisung 38 zusammengesetztes Verweiswort 103, 110, 114ff., 120, 178, 180 Zusammenhalt komplexer Nominalphrasen 46 Zustandspassiv 73ff. Zustandsverben 67 Zustimmung 156 Zuwendung des Hörers 194 zweistellige Verben 80 zweiteilige Prädikate 67, 79 zweiteilige Verben 77f. zweiteiliges Prädikat 83 zweiter Prädikatsteil 40f.