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German Pages 220 [441] Year 2022
Wolfgang und Clara oder:
die reindeutsche Erziehungsanstalt, von
Julius von Voß.
Berlin, 1819. In der Sanderschen Buchhandlung.
Wolfgang und Klara oder die reindeutsche Erziehungs-Anstalt.
Erste Abtheilung. '■V'flfj
unser
König hier König
bleibt,
glaub ich auch noch nicht," "fügte ein Bür/
gcr -u Kassel im Bicrhause, als die neue
Regierung noch
war.
nicht lange dort cingeführt
Herr Knaller, wohlbestaltcr Mouchard
daselbst, hatte in der Nähe seine Pfeife ge/
raucht, und wieder nicht weit von ihm ein heimlicher
Aufseher
über die Untcragenten
des geheimen Polijciwcsens.
Ihm war keine
Sylbe jener verbrecherischen Aeußerung entgan
gen ;
doch meldete er nicht gleich am nächsten
Tage.etwas davon, um erst abjuwartcn, ob auch der Mouchard seine Pflicht erfüllen würde.
Dieser fand sich aber jumMorgcnbericht mit
einem „Nichts Neues" ein, weil er auf des Bürgers Aeußerung nicht Acht gegeben hatte. Nun konnte der heimliche Obere sich ein
Doppclverdienst erwerben: Einmal, den Bür-
4
ger mit der losen Zunge, und demnächst auch jenen Untcragentcn angeben, der nicht Ohr rcn gehabt, zu hören, ob man ihn gleich für das Hören bezahlte; der auch vielleicht nicht einmal hatte hören mögen, weil ihn kein guter Geist beseelte, und cs ihm einerlei galt, auf wie festen oder wankenden Säule» Hieronymus Napolcon's Thron ruhte. Sehr zufrieden nahm der Chef des ge heimen Polizeiwesens die zwiefache Botschaft an, und ließ sogleich beide Ucbertrcter vorla den. An dem Bürger hoffte man ein ruch loses Majestätsverbrechen ahnden, in ihm ein warnendes Beispiel für Alle aufstellen zu kön nen, welche die neue Regierung nicht so lieb ten, wie man es befohlen hatte. Die Obrig keit donnerte auf ihn ein, und hielt ihm die gesprochenen Frevclworte vor. Weit entfernt, sie zu leugnen, entgegnete der Beklagte: Da der große Napoleon un sers allergnädigstcn Königs Bruder ist, so glaube ich nicht, daß cs bei Sr. Majestät mit dem kleinen Königreiche Westphalen sein
5 Bewenden
haben werde.
Ganz gewiß er;
obert Höchstihnen der Kaiser noch ein größeres.
Warum
sollte
äußern!
wo läge darin etwas Strafbares!
ich
diese Vermuthung nicht
Eigentlich preßte sie mir ein banger Schmer-
darüber aus, daß wir einen so allgclicbtcn
Monarchen verlieren könnten.
Die Obrigkeit war mit dieser Erklärung gar nicht zufrieden, weil ihr nun nichts übrig
blieb, als den Bürger ruhig gehen zu lassen.
Dich bekam er noch
die Warnung, künftig
dergleichen gar
nicht mehr zu rede«,
über
weil cs leicht mißverstanden werden könnte. Jetzt hatte man aber noch eine Unterm
chung
über
den
Mouchard
zu
verhängen;
denn man glaubte, seine verdächtige Nachläft figkcit nicht ungestraft lassen zu dürfen.
Es
ging ihm um so übler, als er bei der Frage: „warum er jene zweideutige Rede nicht ange;
zeigt habe," gung
dastand.
ohne alle gewandte Entschnidi; Sein kahles:
„Ich habe
nicht darauf Acht gegeben," stürzte ihn vol/
lcnds; denn zu welchem Ende halte er De/
6 fehl, die Dierhäuscr fleißig zu besuchen, als dort zu horchen, zu lauschen?
um
Nach
wohlgcpflogncm Rath, hielt man cs für das
Beste, Hcrm Knaller wegzujagcn: denn
in
einer Dienstzeit von etlichen Monaten hatte er auch nicht Eine Meldung von Belang gc-
und überdies verstand er die franzö-
macht;
fische Sprache nicht: was sollte man mit ei
nem
solchen Mouchard! der strich ja sein
Geld mit Sünden ein.
Die unerwartete Absetzung brachte Hcrm
in üble Verlegenheit.
Knaller
War Mich
sein Gehalt nicht bedeutend, so war cs doch und seine Amtsvcrrich-
immer ein Gehalt,
tung sogar nicht ohne Annehmlichkeit gewe
sen.
Er
Morgen
hatte
die
die
Verpflichtung,
Dranntwcinslädcn,
jeden
und jeden
Abend die Bierhäuser zu besuchen;
und da
er selbst gern ein Gläschen und ein Glas
trank, so mußte ihm sein Geschäftskreis na
türlicher
Weise recht
lieb
seyn.
fragte er einen ehemaligen Kollegen:
cs doch
ansangen
sollte,
Traurig wie er
nicht allein seine
7 — Stelle zu
behalten, sondern auch das Einr
kommen derselben erhöhet zu sehen.
Ich bringe viel au, erwiederte dieser mit einem verschmitzten Blick.
„HilfHimmel!" rief der Entlassene; „ich gab immer wohl Acht: doch nie kam mir et/
was zu Ohren, das der Mühe werth gewesen
wäre, es vor die Ohren der Messieurs zu bringen." Ei! hob Jener wieder an; wollte Unser,'
eins immer warten, bis man zufällig etwas hörte oder sähe,
so stände cs um alle 93 c;
richte dürr und mager genug. Es kommt auf die
Kunst an, verdächtigen und einfältigen Leuten
durch eigne offne- und verfängliche Aeußerungen Dies oder Jenes abzulocken, was sie hernach
in des Teufels Küche bringt. He he he he!! „Das
hab'
ich
nicht gewußt!" seufzte
Herr Knaller; „sonst hätte ich das auch wohl
gekonnt. Nun
Leider ist es nun zu spät!"
galt cs
aber
was ist jetzt anzufangen?
die schwere Frage:
Man hatte ihm,
neben dem Abschied, auch den Wink gegeben.
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bas Königreich Westphalen zu verlassen. Sein Bündel schnürte er eigentlich nicht; denn zu Füß reisend, ohne Bündel, war er in Kassel angekommen, und hatte zeither noch nichts erworben, was zum Fortschaffen eines Bündels bedurft hätte. Etliche Leibwäsche, eine Schrcibtafel, ein Rasierzeug, und tu nige wenige andre Kleinigkeiten hatten Bor den genug in den weiten Taschen seines Ober rocks und füllten diese nicht einmal ganz. Da er nun auch kein Unterkleid zu tragen hatte, so war seine Last nicht zu schwer für seine kräftigen Schultern. Er konnte gewiß noch leich ter einhergehn als Pythagoras, der sich mit Per gamentrollen, mathematischen Instrumenten, und sogar mit schweren Gedanken schleppte. Äoch wohin sollte Herr Knaller gehen? Er nahm vorläufig einen Paß nach Franken, seiner Hcimath. Aber — er hatte gar keine Ursache, die väterlichen Fluren so poetisch anzureden, wie einst Matthisson und Salis; und das ging sehr natürlich zu: Einmal hatte er dort wohl manches verloren, dessen
9 ungeachtet aber nichts mehr zu suchen.
Das
Letzte galt unbestritten: schon lange war seine
Mutter todt; und auch sein Vater hatte vor
Jahr und Tag nicht allein das Zeitliche gesegnet, sondern auch — abweichender Sinnes art halber — den Sohn enterbt.
Das Ver
lorne gäbe dagegen Einwendungen zu.
Der
selige Vater schrieb nehmlich im letzten Briefe
vom Sterbebett:
lenthalben Er
meinte
„Du Ungcrathncr hast al
deinen guten Namen verloren."
mit
dem
„Allenthalben"
Gymnasium, Universität und Hofmeistcrstelle. Nuiz. sagt zwar ein Sprichwort: „im Tode ist
Wahrheit;" man sieht aber doch nicht ein, weshalb nicht auch der Tod sollte irren kön
nen.
Mit einem Verlust der gemeinten Art
ist cs eine eigene Sache,
die an zu vielen
Bedingungen hangt, als daß man sic sogleich als
ausgemacht annehmcn dürfte.
Ein ge
schickter Anwald, der für den Enterbten — jener Verlust war ja der Grund der
Eiuer-
bung — aufgetreten wäre, hätte sich auf die gewaltige Autorität Shakspear's berufen kön-
10
nett, der irgendwo behauptet:
„man sinne
nicht verlieren, was man nie gehabt."
so fern dies aber
In
möchte unvortheilhäft jti
deuten gewesen seyn, hatte der Anwald hin/ zufügen können:
Was ist ein guter Name!
Hangt irgend etwas mehr an Verhältnissen, die
nicht selten tadelhaft,
an Meinungen,
die nur allzu oft irrig sind?
Laßt sich ein
positiver, allgemeingültiger guter Name wohl hienieden erwarten,
wo es um nichts »er/
»vierter steht, als um die Begriffe? Wie wird cs doch um den guten Namen des andächtig/
flett Protestanten stehen, wenn ihn die spant/ sche Inquisition beurtheilt!
und wieder um
den guten Ruf eines frommen wenn
er sich
betreten läßt!!
Katholiken,
in einer Herrnhuthergemeine Man denke sich einen
so
eifrigen Republikaner wie Brutus, Franklin und Mirabeau: — wird ihn
die öffentliche
Stimme in Constantinopel loben? Und um/
gekehrt: wenn ein Royalist, jeden Augenblick
bereit,
für
seinen
König
sich in Stücken
hauen zu lassen, in Philadelphia oder St.
11
Marino erscheint.
Da zwangen so manche
alte Helden ihrem Plutarch einen Ruf ab, den noch unsere Tage glänzen sehen; und Tau/
sende von Zeitgenossen werden diese Unstcrb-
lichen „Mörder und Räuber im Gro ßen" genannt haben.
Was will man also
von
Herrn Knaller, wenn ihm die Lehrer
auf
dem
Gymnasium und die Prorektoren
auf mehreren Hochschulen üble Zeugnisse und
Consilia abeundi gaben! Es läßt sich hoch darauf wetten,
daß
ihm
dagegen manche
Kameraden ein ungemeines Lob würden er»heilt haben.
Und auch bei den Mentoren
kam es auf den Gesichtspunkt an, in wel
chen es ihnen beliebt hatte, sich zu stellen, und sogar auf den Zeitgeist, den zu verstehen nicht Jedermanns Sache ist.
Mangel an al
lem Fleiß bei ernsten gründlichen Studien, und daher rührende Unwissenheit; abschreckend rohe
Sitten, Neigung zu Raufereien und
zum Unruhsiiftcn: einiges
Andre,
das,
und vielleicht noch
weniger Bekannte, tadelten
seine Lehrer einst an dem Knaben, und spä-
J2
an
ter
dem Jüngling.
Was hat cS den»
aber mit den sogenannten ernsten gründlichen
Studien auf sich! Auch davon abgesehen, daß Rousseau alle Wissenschaften verdächtig zu tw
chen suchte, frag' ich
nur: ob man unsere
Jugend nicht eine Menge von Worten und
Sachen lernen last, die zu nichts weiter taue gen, als das Gedächtniß daran iin Vergessen zu üben! Und weiter: ob man heut zu Lage
wohl
irgend eine
Wissenschaft lernen kann,
bei der nicht zu befürchten ist, man werde
sich nach zehn Jahren damit ausgclacht, wohl sogar
vor
Nehmen wir an,
verabscheut sehn? zehn
Jahren hätten drei fleißige
talentvolle Jünglinge die
berühmteste
und
hohe
Schule in Deutschland besucht*). Einer hätte
Philosophie — damals
nach Kant also —
gehört, der zweite Heilkunde — folglich nach
Drown's System — der dritte Gottesgelahrte
*) Herr Knaller mußte im Jahr i3o8 oder •Sog Kassel verlassen; ganz genau läßt sich die Zeit nicht bestimme».
—
—
13
heit — etwa bei Griestbach in Jena.
Was
frommten ihnen nun Heuer, im Jahr
1818,
wohl die im Schweiß ihres Angesichts erwor benen Kenntnisse! Wer spottet jetzt nicht über jene Vernunftkritikcn und was an ihnen hing •
Wie lange warf man schon Drown's Sätze Hänfen!
als ungereimt über den
Und ein
guter Theolog unserer Tage — muß er nicht
vor Gucsbachs leidiger Aufklärung sich kreu
zen und segnen?
Rohe Sitten!
das? wen schrecken sie ab?
Was heißt
Fade Lüstlinge
etwa, die Alles weibisch geschniegelt und ge-
bicgclt zu sehen verlangen, wie einst im duf tenden Vorzimmer der Marquise von Pom padour?
Traun, doch wohl edler an einem
deutschen Jüngling, sich darznstcllen wie un.
Verzärtelte
Helden
der
Nibelungen,
oder
jene Mannhaften in Gravenbcrgs Wigolais, oder
und
Sigune,
durch
Eschenbach
gezeichnet
Nei
Schionatolander
Wolfram
von
gung zu Raufereien legt zunächst Muth und
Kraftgcfühl an den Tag, (feigen Schwächlingen wird man sie nicht vorwcrfcn); zudem Ehre,
keinen Unglimpf duldend, und regen Geist,
der auch in Zorn flammen sann, wo Tau/ bensanfthcit nur Spott
und
Geringachtung
auüfjde, wie es denn mit Recht heißt: Meu tern non habet, qui iram non habet. Ult/ ruhe stiften beweist oft hohen Sinn und wciz tcs Gefühl, wie manche Ruhe nur Zeugniß
von engherziger
Faulheit und gleichgültiger
Einfalt gcgpn das Schlechte und Böse giebt. Selbst
der fromme
Lactantius
Crispils träge Ruhe nicht.
tcn
Epaminondas
auch Luther.
«en
und
billigte des
Allerdings stiftet
Timolcon
Unruhe;
Genug, man begriff nur mci/
Klienten
nicht:
er flog dem Zeitgeist
voran; bald wird cs in Deutschland üblich und rühmlich seyn, allen pedantisch wissen/ schaftlichcn Schlendrian hinzüwerfcn, in roher
Sitte — dann
mittelalterliche
genannt —
da zu stehen, Raufer zu bilden, wie sie einst mit Thcodorich zogen, und die schlaffe Trag/ heit aufzurüttcln, damit in den Gauen, w» einst Herrmanns Arm des Unterdrückers Le/
gioncn schlug, die Paniere der Freiheit wehen.
15 Anwald für den Schäler
So hätte ein
reden können; in so fern aber die Glücksgöttin Herrn Knaller auch da böse Tücken spielte, als
er
im Lehramte ausgetreten war, will
man dies nur einfach erzählen, und den g«
neigten Lesern das Entschuldigen überlassen, da man von den Herzen der meisten billige
Nachsicht erwartet. Zu Erlangen, Halle und Gießen traf den
Helden unserer
Geschichte
feit, relegirt zu werden»
die Widerwärtige Nun wanderte er
nach Leipzig, dort der Theologie mit besserem
Erfolge zu huldigen; und auf dieser Univer sität blieb er länger, als zwei Jahre.
Bekam
er indeß hier nicht abermals das Consilium
abeundi, möglich,
verschaffen.
so war es ihm dagegen doch un sich ein vorthcllhaftes Zeugniß zu Der Vater rief ihn endlich nach
Hause; und betrübt in die Zukunft blickend,
machte sich der Sohn auf den Weg.
Aus Gründen hatte der Vater ihm keinen
Wechsel in die Hände gegeben, wohl aber
einem Handelsfrcunde in Leipzig einiges Geld
—
16
—
angewiesen, wovon er, was der Söhn dem
Wirth dem Aufwärter u. s. w. schuldig sey,
bezahlen, und
demnächst
das Postgeld bis
zur Heimath entrichten sollte. durch
Vermittelung
Dies
geschah
der Schaffner, welche
auch für die Beköstigung des jungen Mannes zu sorgen hatten.
Anfänglich zählte man viele Passagiere, die
aber nach unh nach wieder abgingen, so daß an der Grenze das Vogtlandes nur der junge Er.'Student und ein junges Frauenzimmer
aus
der Mark Brandenburg im verdeckten
Postwagen blieben.
Eine solche Gefährtin konnte Jenem nicht unangenehm seyn, und ein eben so wenig un
angenehmer Zufall wollte,
daß gerade heute
Gcldfässer auf dem Beiwagen waren, und der
Schaffner sich deshalb auf diesen gesetzt hatte.
Die Begleiterin war von der französischen
Kolonie, welche sich einst in Berlin und den Provinzialstädtcn der Mark Brandenburg an siedelte, als Ludwig XIV. das Toleranzcdikt
von Nantes widerrufen hatte.
Man nannte
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sie Mademoiselle Oiseau. ihres Namens,
Doch
ungeachtet
und des Umstandes,
daß
ihre Voreltern einst an den Ufern der Marne
gewohnt hatten, schien sie, nach ihrem licht/
gelben Haare, mehr von cchtdeutschcr Urab-
kunft zu seyn, als man es wahrscheinlich an den Ufern der Havel, Oder und Spree iA
wo schwerlich jemals Sucvcn gchaus't haben, unbcjwcifclt hingegen in der Mehrheit der
Einwohner wendisches Blut fließt.
Und so
— im Vorbeigehen gesagt — hat cs wirk lich etwas Historisch, komis^es, wenn Bram
dcnburgcr, Pommern, Lausitzer u. s. w. sich
so viel auf ihre Deutschhcit zu gute thun, wozu man in Paris wirklich mehr Grund und Recht hätte.
Genug,
Mademoiselle Oiseau
saß
an
Herrtt Knallers Seite, und erzählte ihm,
daß sic von dem Grafen Spornhcim in Franken, als Gouvernante seiner Töchter, verschrieben sey.
Ein Wort gab das andere,
vorzüglich bei Nacht, wo man der üblen
Wege halben nicht schlafen, und sich auch
— i3 —
nicht bei,' schönen Gegenden freuen konnte, weiche das Vogtland darbietct.
Im Gebirge pflegt cs überdies auch in Sommernächten kalt zu seyn, und man thut wohl daran, wenn man den Eingang der Zugluft ui den verdeckten Postwagen abzu wehren sucht; wodurch man denn aber auch die Ansicht der schönen Landschaften verliert, von denen manche bei Hellem Mondschein in der That etwas Magisches hat. Auch Herr Knaller vertraute seiner blon den Gefährtin einen Theil seiner Begebenhei ten und Plane für die Zukunft; und heute gelang ihm, was ihm bei den Professoren nie hatte gelingen wollen: sich bei Mademoi selle Oiscau ungemein — man verzeihe das nicht deutsche Wort, in Betracht der franzö sischen Gouvernante — zu inflnuircn. Gleichwohl mußten Beide sich in Kran ken bald trennen, da das Schicksal jedem Theil einen besonderen neuen Lebensweg be stimmt hatte. Doch glücklicher Weise lagen
19
—
die Gäter des Grafen Spornheim nur wc/
yigc Meilen von dem Städtchen,
wo Herr
Knaller einst das Licht zuerst gesehen; und so
brauchte ja nicht vom Scheiden auf ewig die
Rede zu seyn.
Die Aufnahme, im
welche
Vatcrhause erwartete,
freundlichste. ner
Flut von
unsern Helden war nicht
die
Sie bestand nämlich nur in ev.
Schimpfwortcn;
und dabei
zauste der Herr Vater den ungcrathncn Sohn
einmal über das andere so derb bei den Ohr läppchen, daß sie sich am Ende dehnten, wie -ei den Negern in Guinea, welche die Sitte
haben, mehrpfündige Zicrathen darin zu tra
gen.
Herr Knaller der ältere, ein Materia
list (wie man in Berlin einen Krämer nennt), hatte den edlen und gottselig-stolzen Wunsch
gehegt, seinen Sohn die Kanzel schmücken zu sehn,
und seine eigne Bekehrung so lange
verschoben, bis ihn sein Sohn erbauen könnte. Und diese Hoffnung war nun rein verloren,
da er wußte, oder zu wissen glaubte,
sein
habe auf den Universitäten
nur
Wolfgang
». *
—
Öö
---
lose Streichs erlernt, und werde im Examen eines hochpreislichcn Consistoriums so bestehen, daß an Erthcilung einer Pfarre gar nicht zu
denken sey. Nach den ersten Begrüßungen der schon
gemeldeten Art leitete er den Hcimgckehrtcn am Ohrjipfel zu seinem Cassa - Conto - Buch,
wo alle Posten eingetragen standen,
zeithcr hatte.
auf Wolfgangs
Bildung
die er
gewendet
„Was hab' ich nun dafür?" hieß cs
weiter;
„was
soll
Schlingel werden!
aus Dir
ungerathNcM
Prediger wirst Du «int#
mermehr; wer wird einem solchen liederlichen Saufaus die Bibel anvcrtrauen!
Aber zN
irgend einer Lebensart mußt du dich doch bet
qucmcn, daß die Polizei dich nicht als einen
Dagabond einstcckt.
Ich wollte sagen: Du
solltest noch Kaufmann werden; aber um dein Rechnen steht es schlecht. Subtrahiren kannst du lockerer Zeisig wohl;
doch mit dem Adr
Viren und Multipliziren sieht es zum Erbar men aus.
Etwas thun.
Bei dem Allen mußt du doch Ich habe dieser Tage meinen
Hausknecht abgclohnt; Stelle vertreten.
du sollst
nun seine
Die Schürze vor! in die
Niederlage! Führst du dich ein Paar Monate
gut auf,
so lass ich dich noch als Lehrling
einschrcibcn; sonst nicht! Und machst du etwa
gqr viel Federlesens, wirst du Musketier, ob ich gleich deinen Abschied vom Regiment ge
kauft habe.
Das alte Sprichwort vom Kalb
fell wirst du ja wohl noch kennen!"
Der Gcwürzhändlcr Knaller pflegte seine Sentenzen zu vollziehen; auch dies Mal;
an die Arbeit.
cs
Wolfgang mußte zur Stelle
HilfHimmel, welch ein schnei
dender Gegensatz! leben dort,
und so ging
das freie frohe Burschen
und die
gebundenen traurigen
Berufspfiichten hier! Wolfgang würde in de» Ersten Tagen entlaufen seyn,-
er hatte aber
keinen Heller in der Tasche,
und sein vor
sichtiger Vater ließ ihn der Kasse nicht nahe kommen.
Bei
aller
Charakter t Festigkeit
konnte indeß der Letztere nicht hindern,
daß
Wolfgang in der Niederlage den Fäßchen mit
den gebrannten Wassern nahe kam;
und da
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timt schon ein griechischer Dichter behauptet
hat, es gebe durchaus kein kräftigeres Mittel,
Verdruß zu vertreiben, als sich zu betrinken: so
ließ sich Wolfgang diesen poetischen Rath
nicht umsonst gegeben seyn.
Herr Knaller,
der Vater, nahm fteilich die Folgen davon bisweilen iu dem wankenden Tritt und dem
„sonncnrothcn Angesichte" des Herrn Sohnes wahr;
und dies hatte dann die Folge, daß
Wolfgangs Ohrläppchen immer purpurfarben
blieben. Bei dem allen schien die Glücksgöttin tut/
fern betrübten Helden doch nicht ganz vergeft sen zu haben. tcn, als
Nach drei, mühseligen Mona/
er eines Tages
eben wieder die
schwere Mörserkeule führte,
fand
sich
ein
Baucrnknabc bei ihm ein, der ihm ein Brief/
chcn zustelltc, mit der Aufschrift: Herrn
Kandidaten
der
„An deS
Theologie
Knaller
Wohlchrwürdcn." Es war dem Uebcrbringcr wohl zu verzeihen,
daß er zu dem Manne
am Mörser sagte:
„Mein Freund,
bring'
Er dem Herrn Kandidaten doch den Brief;
— ich
draußen
werde
—
25
auf
Antwort
war«
ten." —
Herr Wolfgang Knaller ließ ihn in seinem Irrthum,
schlich sich aber in -den Hof,
tim
den Brief zu erbrechen, dessen Empfang ihn -nicht wenig wunderte. 0 wie tröstlich war bet Inhalt! Und, wie Göthe mit Recht von dem Glücke sagt,
„eS
Nahe im schönen Gefolgeso erheiterte die
ser Dries nicht allein die Gegenwart und die
Zukunft, sondern weckte auch noch überdies sehr angenehme Erinnerungen der Vorzeit, die
unter den harten Stößen des jetzigen DerufS beinahe verschwunden waren.
Das
Brief«
chen stehe hier wörtlich: „Liebster Freund!
Reisten wir gleich nur von Leipzig bis
Eulmbach zusammen, so war unsere damals
geknüpfte Bekanntschaft doch innig genug, daß ich mich obiger Anrede wohl bedienen nicht
gern
bei leeren Worten bewenden lassen,
viel«
darf.
Ich
möchte es aber
mehr Ihre thätige Freundin sey»».
Da sich
— »4 nun eine Gelegenheit hierzu darhietet, f» will ich sie auch benutzen. Ich befinde mich bei dem Herm Grafen Spornheim unge mein wohl, habe nur seine zwei kleinen Töchter zu erzieh», die ich als gute Kinder loben muß, und die Eltern sind mit mcü. «er Methode vollkommen einverstanden. Der Graf hat aber auch zwei Söhne von elf unh neun Jahren, bei welchen zcithcr der Herr Magister Schmidt die Lehrer stelle versieht. Jetzt ist aber eine gute Pfarre auf den gräflichen Gütern offen, die man Herrn Schmidt zugesagt hat. Als heute die Rehe davon war, wie man die nun bald erledigte Hofmcistcrstellc wieder besetzen sollte, ergriff ich die Gelegenheit, Sie, liebster Freund, zu empfehlen, da Sie mir, sagte ich, als ein ungemein talentvoller und solider junger Mann bekannt wären. Der Graf setzte Werth genug auf mein Urtheil, um mir sogleich aufzutragen, daß ich Sie jur Stelle schaffen möchte. Eilen Sie also, nach Empfang dieses, sich dem
Grafen vorzustellen, und um die J^ofmeL' stcr.'Stclle zu bitten.
Unsere Bekanntschaft
auf dem Postwagen muß unberührt bleiben; ich habe gesagt:
wir hätten einander , in
Berlin kenne» lernen, wo Sic Lehrer und
ich Lehrerin an einem und demselben ErzicHungs-Jnstitut gewesen wären« gutgemeinter Rath!
Doch ein
Sic haben ein
ge
wißes — wie soll ich cs nennen? air rusti -
que klänge zu hart; nun, eine gewisse Derb heit im Betragen, die, — wenn Sic schon
bei mir nichts dadurch verloren, in einem etwas steifen und förmlichen Grafenhause Sic
nicht vorthcilhaft ankündigen würde: da müs
sen Sie sich nun schon Gewalt anthun. Nett und modern gekleidet, fein, aufmerksam, glatt,
unterwürfig: so müssen Sie erscheinen, wenn Sie gefallen wollen.
Ucbrigcns leben der
Graf und die Gräfin nur wenig aufdem Lande. Im Sommer fliegt das nach den Bädern, im
Winter nach dieser oder jener Residenz; wir
bleiben mit den Kindern zu Hause.
Beden
ken Sie, bester Freund, welche angenehme
s6 — Tage wir dann verleben können? Das SSci#
Sie mich nur die
Lassen
terc mündlich.
Stunde ihrer Ankunft wissen, daß ich Sie noch hinter dem Schloßgartcn, an welchem der Weg vorübergeht, sprechen kann. UebrigenS bin ich
mit ticfempfundtt
ncr Achtung
Ihre wahre Freundin
Claire Oiseau.
Wolfgang taumelte vor großer Freude;
doch keine ist ja hicnieden rein, oder bleibt es So entstanden denn
wenigstens nicht lange.
auch 6a unserem Helden schon nach einigen Minuten Bedenken
über Bedenken, Zweifel
Über Zweifel, ob ihm ein solches Glück bei
schieden
eben konnte ten.
seyn werde.
Geschäfte
auf
Sein Vater hatte so dem Packhof:
unser Wolfgang
unbemerkt
Er that es in folgenden Zeilen:
daher antwort
27 Wertheste, über Alles hoch/ geschätzte Freundin!
Jeder Versuch, Ihnen auszudrückcn, wie sehr mich Ihr gütige« Andenken, und die
vorcheilhafte Meinung, die Sic von mir
hegen, gerührt haben, würde vergeblich seyn. Ich lasse c« daher bei den aufrichtigsten
Bcthcuerungen meiner heißesten Erkenntlich/ kcit bewenden. Bei dem innigen Vertrauen
aber, das Sic mir auf jener so angenehmen Reise eingeflißt haben, kann ich nicht um/ hin, Ihnen offen und freimüthig zu sagen,
daß
ich kein Mittel vor mir
Stelle,
empfohlen haben, zu bekommen.
wird der
sehe,
die
wozu Sie mich so freundschaftlich Einmal
Herr Graf ohne Zweifel nach
meinen Zeugnissen fragen.
Nun hat man
auf drei Universitäten Kabalen gegen mich gemacht, und ich reifete, wie natürlich, mit
Unwillen ab,
ohne mich um Zeugnisse zu
bekümmern.
In Leipzig bekam ich zwar
eins; doch auch da hatten hämische Kaba«
28 len verursacht., daß gewisse Ausdrücke dar in vorkommen, bei welchen ich mich unmög lich entschließen kann,
cs zu producircn.
Daneben traue ich mir auch nicht hinläng
liche pädagogische Gaben zu, junge Grafe» zu unterrichten und zu erzieh«. Die Schuld
lag und liegt noch jetzt an meiner zu hoch fliegenden Genialität, welche den kleinlichen
Wissenskram tief unter sich läßt; zu mei nen idealischen Höhen werden aber Kna
ben mir nicht folgen können. Da hab' ich Ihnen nun mein ganzes Herz geöffnet.
Und nun rathen Sie mir,
wie ich die Hindernisse wegräumen und den
holprigen Weg ebnen soll.
0 Sie müß
ten das demüthigende Verhältniß kennen,
in welchem ich jetzt seufze, um emzuschcn,
wie gern ich es mit einem andern vertau schen möchte, zumal mit einem so freund
lich winkenden, bei welchem schon der Ge danke, mit Ihnen, meine theuerste Freun din, unter Einem Dache zu wohnen, mich
in einen größer« Freudentaumel verseht hat.
29 als fe der lustigste Burscheucommeree itt Gießen oder Halle.
Mit solchen Gesin
nungen, dlc ich allezeit zu bewähren bereit
M, unterzeichne ich mich denn auch, Allerwerthcste Freundin,
als Ihren innigsten Verehrer Wolfgang
Knaller.
Schon am nächsten Tage fand sich der
Bauerjunge mit einem neuen Schreiben ein. Es war folgenden Inhalts: Liebster Freundt
So wenigen Muth, so wenige Entschlos senheit und Menschenkenntniß hätte ich Ih
nen nicht zugetraut, da ich Sie 4uf unsrer gemeinschaftlichen Heise ganz anders ken nen gelernt hatte.
Wir können
immer
schon ein Wörtchen im Vertrauen mit ein
ander reden»
Gibt es den» keine Radir-
mcsser mehr?
Weg mit dem, was Ihnen
in dem Zeugniß nicht gefallt und hineingc-
So schriebe«, was Ihnen beliebt?
de» Graf
wird das nicht erst untersuchen. — Ueber
den Unterricht sind Sie in Sorgen? Fran/ zösische Lehrstunden gebe ich
den jungen
Grafen; mit etwas Latem werden Sie doch um sich werfen können?
Erdbeschreibung,
Geschichte und dergleichen tragt man auS Lehrbüchern vor, die Sie Sich für Rech/ nung des Grafen ans Nürnberg verschrei/
bcn können. So sehn Sie, liebster Freund, ein Mittel vor Sich,
eine kleine Biblio/
thek zu sammeln, und — im Lehren das zu lernen, was Sic noch nicht wissen. Dann
wird
nach einigen wenigen Jahren wohl
auch zu einer guten Pfarre Rath werden.
Die Herren Superintendenten, oder wer Sic sonst zu examinircn hat, werden sich
den Wünschen des Grafen nicht widersetzen und — man verschließt hier den Weinkeller
eben nicht ängstlich: cs würde von uns ab/ hangen, in einem Falle dieser Art die Her
ren auf eine gute Weile mit Rüdesheimer
und Markebrunner zu versorgen.
5i So wären die Hindernisse, welche Sie entdeckten, beseitigt, und der Ihnen rauh
scheinende Weg gebahnt, wofern Sie nicht
etwa selbst neue, Schwierigkeiten erregen. Folgen Sie nur meinem. Ihnen neulich ge gebenen Rath, und — überlassen Sie Sich auch ferner meiner Leitung.
Daß ich ja Sie erst hinter dem Schloß garten sehe.
Adieu!
Claire Oise au. Der Empfänger des Briefes glaubte nun etwas
wagen
zu müssen,
und meldete in
wenigen Zeilen der Freundin, daß er übermor
gen anzulangen hoffe. Nun ging er zum Kater in das Comp
toir.
„Was will Er i" hieß cs da;
„Hab'
ich ihm nicht verboten, hierher zu kommen ? Marsch in die Niederlage!
Oder, wenn da
nichts zu thun ist, Holz klein gemacht!" Wolfgang legte sich indeß- inif's Bitten.
„Lieber Vater," hob -er an; auch dem ver lornen Sohn ward endlich mild...."
— 5z — „Er zeigte auch Besserung," stet der KU te ihm in's Wort; „seine Reue ließ sie wcNigstcNs hoffen." Ich bereue ja auch, sagte Wolfgang aber« mals, und will meine Besserung keinen Aue gcnblick mehr aufschiebcn. Sein Vater steckte die Feder hinter's Ohr, nahm Tabak, und wendete sich um. Aus diesem Ton hatte er Jenen selten reden hören, der nun fortfuhr. Ich bin dem Gra fen Spornhcim zum Hofmeister seiner klei nen Söhne vorgcschlagen, und werde da nicht blos mein reichliches Auskommen haben, son dern auch nach etlichen Jahren einer Pfarre entgegen sehen dürfen, die ihren Man» nährt.
Hoch verwundert rief der Alte: „Nun, wer ihn empfohlen hat, mag's am jüngsten Tage verantworten. Was will er den Kin dern denn bcibringcn? Weiß ja selbst nichts'"
Ich werde alles nachholen, lieber Vater?
55 „Wenn prüft,
der Graf
seine
Fähigkeiten
so schickt er ihn gewiß mit Protest
zurück." Er examinirt nicht.
„Und vollends eine Pfarre: ha ha ha!" Ich werde Zeit übrig behalten,
mich
noch zum perfektesten Theologen auszubilden.
„Aber, Junge, warum, ins Teufels Nan men! ist es denn auf vier Universitäten nicht
geschehen? "
Je nun, lieber Vater, viele Zerstreuung
dort gab es so
— auf einem Dorfe nön
thigt schon die Langeweile zu Fleiß.
„Könnt' ich nur daran glauben!
Aber
du hast mir schon tausendmal die Haut voll
gelogen."
Sie werden mich gewiß noch Kanzel sehen.
erfüllt werden.
auf der
Ihr alter Lieblingswunsch soll Doch muß
ich sie flchcntn
lich bitten, guter Vater, mich mit anderer
Kleidung zu versorgen.- In dem abgetragen ncn Flausrock kann ich mich bei dem vorn nehmen Manne nicht sehen lassen. Die Aern
54 Mel sind an den Ellbogen....
Machen sie
nur die Auslage; von meinem Jnformatorger
halt will ich alles wiedcrbczahlcn.
Schon ein Komödicnvatcr im Mokiere sagt: bei allem gerechten Zorn, sey doch nichts so zum Verzeihen geneigt,
als eben ein Var
terherz» — Nach einigem Sinnen rieb Herr
Knaller senior die Hände und sagte: „Den
Schneider geholt!^
Herr Knaller junior
flog selbst.
Und
schon am Abend des nächsten Tages wurde ein netter, vollständiger, schwarzer Kandidat
tcnanzug in das Vaterhaus geliefert.
Den
Zeitraum bis dahin hatte Wolfgang bcnüht,
das Testimonium,
auf den Rath
Freundschaft, zu corrigiren.
sinniger
Es war ihm dar
Mit hinlänglich gelungen, um ein flüchtiges Grafenauge, das kein Arges hat,
zu hinr
»ergehn.
Am
nun folgenden Tage
bestellte
der
Alte einen Miethkutscher, und spedirte durch
ihn seine theuerste Waare.
Diese konnte, da
sie lebendig war, selbst in den Schlag steir
55
-en, nachdem sie zuvor noch die Worte verr nommcn hatte: „Junge, ich rathe dir, laß mich nicht auch da Schande erleben. Das Haus Knaller et Compagnie ist ein kleines Haus; aber auf Ehre hat es immer gehal, tcn. Machst du auch als Hoftucistcr dummes Zeug, so enterbe ich dich, und wende Alles deiner Schwester zu. Nicht einmal auf ein Psiichtthcil kannst du processiren; denn ich be merke im Testamente, daß du schon wohl drei mal so viel gekostet hast, was deine brave Schwester ohnehin verkürzt. Nun packe dich «nd fange deine Sache klug ani" Wolfgang eilte von dannen. Seine Freundin hatte einen Aufpasser hinter den Garten gestellt, um eiligen Bericht zu erhall ten, so bald ein Wagen dahergerollt käme; deshalb stand sic auch schon an der Pforte, als unser Held vorbeifuhr. Er mußte halten lassen, aussteigen, und mit ihr in den Gar, ten gehen, wo sie ihn zu mustern und ihm den Anfang seiner Rolle einzuüben gedachte. Mit seiner Außenseite war sic zufrieden. Nun 5 *
56 sich aber, wie der Eingctroffena
fragte ei
seine Verbeugung machen, und was' er bei der ersten Vorstellung
sagen
wollte.
Die
Freundin drang auf eine Probe, die jcdoch
sehr mißrieth.
gehörig lief,
Die Verbeugung wurde nicht gewandt und zierlich gefunden,
und seinen Worten das Nette, Runde, Gefäle lige. Verbindliche abgesprochcn. Doch gehörte Mamsell Claire nicht zu jener kritischen Zunft,
die wohl tadeln, aber nicht angcbcn kann, wie cs besser zu machen sey;
vielmehr ordnete,
zerrte, beugte sie an Wolfgang so lange, bis
Haltung und Reverenz sich wohl cinigermar
ßen anschn ließen, soüflirte ihm auch daneben Worte von Klang und Bedeutung.
vielen Versuchen
Nach
und Wiederholungen, ging
die Sache besser von Statten; dessen ungcach/ tet erklärte
die Lehrerin
offen:
„Liebster
Freund, daß ihre Formen so wenig glatt wär rcn, habe ich doch nicht geglaubt.
aber hinzu:
bereitet. nen,
Sie fügte
Indeß der Graf ist schon vor/
Ich habe ihm gesagt: cs ginge Ih
wie vielen deutschen Gelehrten; Am
57
— Muth und Eleganz
Here Talente und stände ich.
—
fehlten,
für HS/
doch
gründliche Gelehrsamkeit
Genau pflegt er es nicht zu neh/
men, wie ich Ihnen bereits geschrieben habe.
So hat cs denn auch wohl Mit einigen Link/ Heiken und dergleichen wenig auf sich. Er mußte fich nun wieder fit den Wa/
gen sehen, lMdJenc eilte in das Schloß, um bey seiner Ankunft zugegen zu seyn.
Sie meldete
den Ankömmling bei der
Herrschaft an und führte ihn nach erhaltenem
Befehle ein.
Zwar gerieth Herrn Knaller
sein Thun und Walten noch weit schlechter,
als bei den auch nicht vollkommenen Einü bungen im Park; dafür hatte er aber nur eine sehr milde Kritik zu bestehen.
Die um/
sichtige Freundin sah die alte Währhcit bestä/
tigt: Es ist besser, zuvorzukommcn, als sich zuvorkommen lassen;- hatte sie Sem Grafen doch zuvor
esirgt, daß er kein elegantes Aeu/
siete erwarten dürfe»
S» wüßte er, woran
er in diesem Punkte war, und fiel Herrn
—
58
—
Knaller bald in die nicht sonderlich fließende Rede.
,-tzch habe viel Gutes von Ihnen gcc
Hirt.
Wollen sic die Erziehung meiner SSHr
ne übernehmen?"
Dame Claire stand hinter dem Grafen,
und winkte dem Befragten:
sich abermals
tief zu verneigen; waS denn auch sogleich gc< schah. Dann übergad Wolfgang sein Zeugniß.
Der Graf warf nicht einmal einen Blick darauf, und sagte leicht und gütig:
ohne Zweifel
sehr
gut
seyn.
„ Wird
Kann's mir
schon denken, nach dem, was Mamsell Oiseau mir gesagt hat. —
Sic sind in Berlin ge.
und eilten nach der Buchdruckern, wo das
Nernunftblatt erschien,
-erschlagen.
Dort
um die Pressen zu
war man auf so Etwas
vorbereitet, Thüren und Fenster wurden ver
rammelt «ttb die Wache gerufen.
Sie kam,
aber schon hatte sich eim Schwarm versam-
melt, der die Wache abtrieb und sie mißhan delte.
Man sandte nach Verstärkung, cs gab
blutige Köpfe- der Fürst kam endlich selbst gesprengt, und befahl Ruhe.
Weil es sich
nicht dazu anließ, und er Schlimmeres ab
wenden wollte, versprach er, das neue Blatt zu verbieten.
Dann wollen wir «ach Hause
gehn, sagte der junge Schwarm.
So mußte die Vernunft dem Zeitgeist
erliegen; ein Fall, der sich wohl öfter schon ereignet hat.
Gar viele Einwohner waren
Mtt dem Verbot unzufrieden,
aber ein Auf
laus war ihre Sache nicht.
Weil man Jenen aber nachgegebcn hatte,
forderten sie nun ungestümer.
Bereits am
—
429
—
nächste» Tag fand sich eine neue Deputation ein,
zum Theil von der Schule, zum Theil von ihren Anhängern aus der Stadt. Sic sprach im N a; men des Landes, und begehrte: der Fürst
sollte die verheißene Bolksdarstcllung endlich ein; mal einrichten. Das Volk sey mündig geworden, cs fordre laut seinen Antheil an der Gesetz;
gcbung und Verwaltung der öffentlichen Ein; nahmen und Ausgaben. Schon auf dem Wie; ner Congreß sey das verheißen.
Der Fürst nahm eine Stunde Bedenk; zeit, während die Deputation in den Schloß;
Hof ging, wo sich unterdeß ihre Anhänger in Menge versammelten.
Jener berieth mit dem Hofsekretär, dem Finanzrath, dem Hofmarschall/ dem General, dem Obersten.
Ersterer
sagte:
Nie ricth
ich dazu, und nach meinem Gewissen kann ich es jetzt am wenigsten. Der Finanzrath zuckte die Achseln:
Der Zeitgeist ruft zu laut, ihm
ist nicht mehr zu entgehn. Der Hofmarschall
dachte
bei einer Pairs; oder Adelskammer
43o seine Rolle zu spielen,
und merkte an:
itt
älteren Zeiten hätten allerdings die Stande
repräsentirt. Des Generals Meinung lautete anders. Ihr Durchlaucht haben schon zu viel
nachgcgcbcn;
geschieht
wird man künftig
cs auch diesmal, sp
nur noch
unverschämte»
fordern, lassen Sie mich an die Spitze der Garde treten, und ich sprenge sie auseinan-
der. Gott, das wird Blut kosten, rief der be wegte Clemens.
Besser jetzt wenig, als hernach viel, sagte Jener.
Der fromme Kammerjunker und Oberst schlugen aber die Hände zusammen und spra chen:
Ein Fürst, einig mit seinem Volke,
steht da wie Gott unter seinen Engeln!
Dies gab den Ausschlag, der Fürst sagte: So will ich, und eilte, die Deputation zu be scheiden. Nun war des Händeklatschens, Vivat -
und Hurrahrufens kein Ende.
Man erleuch
tete am Abend die Stadt zur Ehre des Für-
451 ftcn,
dieses herrlichen Dolksfrcundes.
Zeitgeist enthielt
Der
Lobgedicht auf Lobgedicht,
die Kupferstecher stellten ihn dar, wie ihn der Genius des Vaterlands krönte ; auch die Jungt frauen der Schule kamen im weißen Gewände,
mit Kränjcn
geschmückt,
streuten Blumen
vor ihm, setzten ihm einen Eichenkranz auf u. s. w.
Manche
Frcudcnthräne
lief dem
gütigen Clemens über die Wangen.
Nun ginge an das Wahlen der Depm tirtcn, der Hofmarschall, der Oberst, der poci tische Landjunker, und Andere wurden für die
Adelskammer gewählt, die Lehrer der Schule, der Advokat, der Arzt und viele angesehene Bürger und Pächter Gemeinen.
für die Kammer der
Etliche Geistlichen sollten hier
auch sitzen, unter ihnen traf den Superintenr denken und den Sektirer die Reihe, denn mailt
nichfach lenkte man die Wähler.
Weil der
Fürst dem Zeitgeist huldige, meinte man, so
müsse nach seinem Sinn gewählt werden. Mit trefflichen Feierlichkeiten und hoch/ sinnigen Reden eröffnete sich die erste Sits 28
45s Friede, Wonne, Eintracht, Liebe,