Laokoon oder über die Grenzen der Mahlerey und Poesie [3. Aufl., Reprint 2022] 9783112625361


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Laokoon oder über die Grenzen der Mahlerey und Poesie [3. Aufl., Reprint 2022]
 9783112625361

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Lavkvvn oder

über die Gtenzen der

Mahlerey und Poesie. 17Aar. 5T. Ad-,

x«tence, al« Furien, hätte einer solchen Handlung beywohnen wollen? Ich antworte: Die Mäg­ de der Althaa, welche das Feuer anzünden und un­ terhalten mußten. Ovid sagt: (Metamorph, VIIL ▼. 460. 461*). Protulit hunc (ftipitem ) genitri*, taedasque ist

fragmina poni Imperat, et pofitis inimicos admovet ignes.

Dergleichen taedas, lange Stücke von Kien, welche die Alten zu Fackeln brauchten, haben auch wirktich beyde Personen in den Händen, und die eine hat eben ein foU ches Stück zerbrochen, wie ihre Stellung anzeigt. Auf

der Scheibe, gegen die Mitte des Werks, erkenne ich die Furie eben so wenig. Es ist ein Geficht, welches ei­ nen heftigen Schmerz ausdrückt. Ohne Zweifel soll es der Kopf des Melea-er- selbst seyn.

(Metamorph. I,

hinaus kann, sich unter ihm mit schwLchern Bilder» zu beschäftigen, über die sie die sichtbare Fülle des Ausdrucks als ihre Grenzen fcheuet. Wenn ?-okovn -Iso seufzet, so kann ihn die Ein­ bildungskraft schreyen hören; wen« er aber schreyet, so kann sie von dieser Vorstellung weder eine Stufe höher, noch eine . Stufe tiefer steigen, ohne ihn in einem leidlichern, folglich uninteressantern Zustande zu erblicken. Sie hört ihn erst ächzen, ober ste sieht ihn schon todt. Ferner. Erhält dieser ejnzige Augenblick durch die Kunst eine unveränderliche Dauer; so muß er nichtsda«--

Ueber dr'e Grenzen

22

drüben, was sich nicht'anders als transitorisch denken laßt. Alle Erscheinungen, zu deren Wesen wir cs nach unsern

Begriffen rechnen, daß sie plötzlich ausbrechen und plötz­ lich verschwinden, daß sie das, was sie sind, nur einen Au­

gei blit fc'-n können; alle solche Erscheinungen, sie mögen angenehm oder schrecklich seyn, erhalten durch die Verlän­ gerung der Kunst ein so widernatürliches Ansehen, daß mit

jeder wiederholten Erblickung der Eindruck schwächer wird, rind uns endlich vor dem ganzen Gegenstand ekelt oder

grauer. La Mettrie, der sich als einen zweiten Demokrit mah­ len und stechcn lassen, lacht nur die ersten Male, die man ihn rocht.

Betrachtet ihn öfter, und er wird aus einem

Philosophen ein Geck; aus seinem Lachen wird ein Grins scn.

Go auch mit dem Schreyen.

Der heftige Schmerz,

welcher das Schreyen auSpresset, läßt entweder bald nach,

oder zerstöret das leidende Subjekt.

Wann also auch der

geduldigste, standhafteste Mann schreyet, doch nicht unabläßlich.

so schreyet er

Und nur dieses scheinbare Unab-

läsiliche in der materiellen Nachahmung der Kunst ist es,

was sein Schreyen zu weibischem Unvermögen, zu kindi­

scher Unleidlichkeit machen würde.

Dieses wenigstens

mußte der Künstler des Lavkoons vermeiden,

hätte schon

das Schreyen der Schönheit nicht geschadet, wäre es auch

seiner Kunst schon erlaubt gewesen, Leiden ohne Schönheit auszudrücken. Unter den alten Mahlern scheint Timomachus Vor­

würfe des äußersten Affekts am liebsten gewählt zu ha­ ben.

Sein rasender Ajar,

seine Kindermörderin Medea,

der Mahlerey und Poesie. waren berühmte Gemählde. gen,

rz

Aber aus den Beschreibun­

die wir von ihnen haben,

erhellt,

daß er jenen

Punkt, in welchem der Betrachter das Aeußerste nicht Ob­

wohl erblickt, als hinzu denkt, jene Erscheinung, mit der wir den Begriff des Transitorischen nicht so nothwendig verbinden,

daß uns die Verlängerung derselben in der

Kunst mißfallen sollte, vortrefflich verstanden und mit ein­

ander zu verbinden gewußt hat.

Die Medea hatte er nicht

in dem Augenblicke genommen, in welchem sie ihre Kin­

der wirklich ermordet; sondern einige Augenblicke zuvor, da die mütterliche Liebe noch mit der Eifersucht kämpft.

Wir sehen das Ende dieses Kampfes voraus.

Wir zittern

voraus, nun bald bloß die grausame Medea zu erblicken, und unsere Einbildungskraft geht weit über alles hinweg,

was unS der Mahler in diesem schrecklichen Augenblicke

zeigen könnte.

Aber eben darum beleidigt uns die in der

Kunst fortdauernde Unentschlossenheit der Medea so wenig,

daß wir vielmehr wünschen, es wäre in der Natur selbst

dabey geblieben, der Streit der Leidenschaften hätte sich nie entschieden, oder hätte wenigstens so lange angehalten,

bis Zeit und Ueberlegung die Wuth entkräften und den

mütterlichen Empfindungen den Sieg versichern können.

Auch hat dem Timvmachus diese seine Weisheit große und

häufige Lobsprüche zugezogen,

und ihn weit über einen

andern unbekannten Mahler erhoben,

der unverständig

genug gewesen war, die Medea in ihrer höchsten Raserey zu zeigen, und so diesem flüchtig überhingehenden Grade

der äußersten Raserey eine Dauer zu geben, die alle Natur

Ueber die Grenzen

24 empöret. dader

Der Dichter*), der ihn desfalls tadelt,

ebr sinnreich,

sagt

indem er das Bild selbst anredet:

„Durstest dp denn beständig nach dem Blute deiner Kin-

„der? Ist denn immer ein neuer Jason, immer eine neue „Crcusa da, die dich unaufhörlich erbittern?

— Zum

„Henker mir dir auch im Gemählde!" setzt er voller Ver­

druß hinzu, Von dem rasenden Ajax des Timomachus laßt sich auS der Nachricht des Philostrats prrheilen **).

Ajar er­

schien nicht, wie er unter den Heerden wüthet,

und Rin­

der und Böcke für Mensche« fesselt und mordet. Sonden der Meister zeigte ihn, wie er nach diesen wahnwitzigen Heldenthaten ermattet da sitzt, und hen Anschlag fasset, sied selbst umzstbringen.

Und das ist wirklich der rasende

Aiar; nicht, weil er eben jetzt raset, sondern, weil man

siehet, daß er geraset hat; weil man die Größe seiner Raseren am lebhaftesten aus der verzweiflunqsvollen Scham

abnimmt, die er nun selbst darüber empfindet.

Man sie­

he: den Sturm in den Trümmern und Leichen,

die er an

das Land geworfen hat.

•) Philippus (Anthol. Iib. IV. cap. g. ep. io.) Am 7«; 5 itJ/äs »' t tret^ex/rott —

*♦) Vita Apoll» lib. II. cap. 2S,

der Mahlerey und Poesie.

a$

IV.

Ich übersehe die angeführten Ursachen, warum der Mei­ ster des Laokoonin dem Ausdrucke deS körperlichen Schmer­ zes Maaß Hallen müssen, und finde, daß sie allesamt von der eigenen Beschaffenheit der Kunst, und von derselben nothwendigen Schranken und Bedürfnissen hergenommen find. Schwerlich dürfte sich also wohl irgend eine dersel­ ben auf die Poesie anwenden lassen. Ohne hier zu untersuchen, wie weit es dem Dichter gelingen kann, körperliche Schönheit ;u schildern: so ist so v>el unstreitig, daß, da das ganze unermeßliche Reich der Vollkommenheit seiner Nachahmung offen stehet, die sichtbare Hülle, unter welcher Vollkommenheit zu Schön­ heu wird, nur eines von bep geringsten Mitteln seyn kann, durch die er uns für seinePersonen zu interessiren weiß. Ost vernachlässigt er dies Mittel gänzlich; versichert, daß, wenn ftm Held unsere Gewogenheit gewonnen, uns dessen edlere Eigenschaften entweder so beschäftigen, daß wir an die körperliche Gestalt gar picht denken, oder, wenn wir daran denken, uns so bestechen, daß wir ihm von selbst, wo nicht eine schöne, -doch eine gleichgültige ertheilen. Am wenig­ sten wird er bei jedenz einzelnen Zuge, der nicht ausdrück­ lich für das Gesichs bestimmt ist, seine Rücksicht dennoch auf diesen Sinn pehmen dürfen. Wenn VirgisS Laokoon schreyet,i wem fällt es dabey ein, daß ein großes Mapi zum Schreyen nöthig ist, und daß dieses große Maul häßrlich läßt? Genug, daß clamores horrendos ad sidera toi-

»6

Ueber die Grenzen

lit ein erhabener Zug für das Gehör ist, mag er doch für

das Gesicht seyn, was er will. Wer hier ein schönes Bild

verlangt, auf den hat der Dichter seinen ganzen Eindruck verfehlt. Nichts nöthigt hiernächst den Dichter, sein Gemählde

in einen einzigen Augenblick zu koncentriren.

Er nimmt

jede seiner Handlungen, wenn er will, bey ihrem Ursprunge auf, und führt sie durch alle mögliche Abänderungen bis zu ihrer Endschaft. Jede dieser Abänderungen, die dem

Künstler ein ganzes besonderes Stück kosten würde, kostet ihm einen einzigen Zug; und würde dieser Zug, für sich be­ trachtet, die Einbildung des Zuhörers beleidigen, so war er entweder durch das Vorhergehende so vorbereitet, oder

wird durch das Folgende so gemildert und vergütet, daß er seinen einzelnen Eindruck verlieret, und in der Verbindung

die trefflichste Wirkung von der Welt thut.

Wäre es also

auch wirklich einem Manne unanständig, in der Heftigkeit

des Schmerzes zu schreyen; was kann diese kleine überhin­ gehende Unanständigkeit demjenigen bey uns für Nachtheil bringen, dessen andere Tugenden uns schon für ihn einge­

nommen haben?

Virgils Laokoon schreyet,

aber dieser

schreyende Laokoon ist eben derjenige, den wir bereits als den vorsichtigsten Patrioten, als den wärmsten Vater ken­

nen und lieben.

Wir beziehen sein Schreyen nicht auf sei­

nen Charakter, sondern lediglich auf sein unerträgliches Lei­ den.

Dieses allein hören wir in seinem Schreyen; und

der Dichter konnte es uns durch dieses Schreyen allein sinnlich machnr.

-er Mahlerey und Poesie.

27

Wer tadelt ihn also noch? Wer muß nicht vielmehr

bekennen: wenn der Künstler wohl that, daß er den Laokovn nicht schreyen ließ, so that der Dichter eben so wohl,

daß er ihn schreyen ließ? Aber Virgil ist hier bloß ein erzählender Dichter. Wird in seiner Rechtfertigung auch der dramatischsDichter

mir begriffen seyn? Einen andem Eindruck macht die Er­ zählung von jemandes Geschrey; einen'andern dieses Ge­

schrey selbst.

Das Drama,

welches für die lebendige

Mahlerey des Schauspielers bestimmt ist, dürste vielleicht eben deswegen sich an die Gesetze der materiellen Mahle­ rey strenger halten müssen.

In ihm glauben wir nicht

bloß einen schreyenden Philvktet zu sehen und zu hören;

wir hören und sehen wirklich schreyen.

Je naher der

Schauspieler der Natur kommt, desto empfindlicher müssen unsere Augen und Ohren beleidiget werden;

denn es ist

unwidersprechlich, daß sie es in der Natur werden, wenn wir so laute und heftige Aeußerungen des Schmerzes ver­ nehmen.

Zudem ist der körperliche Schmerz überhaupt

des Mitleidens nicht fähig, welches andere Uebel erwekken.

Unsere Einbildung kann zu wenig in ihm unterschei­

den, als daß die bloße Erblickung desselben etwas von

einem gleichmäßigen Gefühl in uns hervor zu bringen ver­

möchte.

Sophokles könnte daher leicht nicht einen bloß

willkübrlichen, sondern in dem Wesen unserer Empfindun­

gen selbst gegründeten Anstand übertreten haben, wenn er den Philokret und Herkules so winseln und weinen, so

schreyen und brüllen läßt.

Die Umstehenden können un-

»8

Ueber die Grenzen

möglich so viel Antheil an ihrem Leiden nehmen, als ungemäßigien Ausbrüche zu erfordern scheinen.

diese

Sie «er­

den unö Zuschauem vergleichung-weise kalt vorkommen, und dennoch können wir ihr Mitleiden nicht wohl anders, als wie da- Maaß des unsrigen betrachten»

Hierzu füge

man, daß der Schauspieler die Vorstellung de- körperliche»

Schmerzes schwerlich oder gar nicht biö zur Illusion trei­ ben kann: und wer weiß, ob die neuern dramatischen Dich­

ter nicht eher zu lobest, als zu tadel« sind,

Klippe entweder ganz und gar vermieden,

daß sie diese

oder doch nur

mit einem leichten Kahne umfahren haben. Wie manches würde in der Theorie unwidersprechlich scheinen, wenn es dem Genie nicht gelungen wäre,

das Widerspiel durch die That zu erweisen. Alle diese Be­ trachtungen sind nicht ungegründet, und dych bleibet Phi-

loktet eines von den Meisterstücken der Bühne. Denn ein

Theil derselben trifft den Sophokles nicht eigentlich, und nur indem er sich über de« anderen Theil hinwegsetzt, hat er Schönheiten erreicht, von welchen dem furchtsamen Kunst­

richter, ohne dieses Beispiel, nie träumen würde. Folgende

Anmerkungen werden es näher zeigen; i) Wie wunderbar hat der Dichter die Idee des kör­

perlichen Schmerzes zu verstärken und zu erweitern-gewußt! Er wählte eine Wunde — (denn auch die Umstände der

Geschichte kann man betrachten, als ob sie von seiner Wahl abgehangen hätten, in so fern er nehmlich die ganze Gescbichte, eben dieser ihm vvrthcilhaften Umstände wegen,

wählte) — er wählte, sage ich, eine Wunde und nicht eine

der Mahlerey und Poesie.

29

innerliche Krankheit; weil sich von jener eine lebhaftere Vorstellung machen läßt, als von dieser, wenn sie auch noch so schmerzlich ist. Die innere sympathetische Gluth, welche den Meleager verzehrte, als ihn seine Mmrer in dem fatalen Brande ihrer schwesterlichen Wuth aufvpferte, würde daher weniger theatralisch seyn, als eine Wunde. Und diese Wunde war ein göttliches Strafgericht. Ein mehr als natürliches Gift tobte unaufhörlich darin, und nur ein stärkerer Anfall von Schmerzen hatte seine gesetzte Zeit, «ach welcher jedesmal der Unglücklich« in einen betäuben­ den Schlaf verfiel, in welchem sich seine erschöpfte Natur erhohlen mußte, de» nehmlichen Weg des Leidens wieder antreten zu können. Chataubrun läßt ihn bloß von dem vergifteten Pfeile eines Trojaners verwundet seyn. Was kann man sich von einem so gewöhnlichen Znfall außer­ ordentliches versprechen? Ihm war in den alten Kriegen ein jeder ausgesetzt; wie kam es, daß er nur bey dem Philoktet so schreckliche Folgen hatte? Ein natürliches Gift, das neun ganzer Jahre wirket, ohne zu tödten, ist noch da­ zu weit unwahrscheinlicher, als alle das fabelhafte Wun­ derbare, womit es der Grieche ausgerüstet har. 2) So groß und schrecklich er aber auch die körperli­ chen Schmerzen seines Helden machte, so fühlte er es doch sehr wohl, daß sie allein nicht hinreichend wären, einen merklichen Grad des Mitleids zu erregen. Er verband sie daher mit andem Uebeln, die gleichfalls für sich betrachtet nicht besonders rühren konnten, die aber durch diese Ver­ bindung einen eben so melancholischen Anstrich erhielten.

Ueber die Grenzen

30

als sie bett körperlichen Schmerzen hinwiederum Mittheil« tcn.

Diese Uebel waren: völlige Berandung der mensch--

lichen Gesellschaft,

Hunger tmb alle Unbequemlichkeiten

des Lebens, welchen man unter einem rauhen Himmel in

jener Beraubung ausgesetzt ist *).

Man denke sich einen

•) Wenn der Chor das Elend des Philoktet in dieser Der/ bindung betrachtet, so scheinet ihn die hülflose Einsam/ Feit desselben ganz besonders zu rühren. In jedem Worte hören wir den geselligen Griechen. Ueber eine von den hieher gehörigen Stellen habe ich indeß mefr nen Zweifel. Sie ist die: (v. 201-205.) *l/

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K a-«/ ä-XättHg-i «yVVÄlÄ*, TV^VÄVO» ßstS-Ot^BO-Ctl, f7Ti^l}T8$

ttvryr

Myelin. Svidas, aus ihm, oder beyde aus ei­ nem altern, sagt unter dem Worte eben dieses. „Die £rbe wird unter dem Namen Vesta als eine Frau „gebildet, welche eck Tympanon trägt, weil sie die „Winde in sich verschlossen hält." Die Ursach ist ein wenig abgeschmackt. E« würde sich eher haben hören lassen, wenn er gesagt hätte, daß ihr deswegen ein Tympanon beygegeben werde, weil die Alten zum Theil geglaubt, daß ihre Figur damit übereinkomme: »w*» »vw tvfwrwieuXis t'mtf (Pluurchus de placitis Philos. cap. 10. id. de facie in orbe Lunae.) Wo sich aber Codinus nur nicht entweder in der Figur, oder in dem Namen, oder gar in beyden geirrt hat. Er wußte vielleicht, was er die Vesta tragen sahe, nicht besser zu nennen, al« ein Tympanum; oder hörte e« ein Lympa, num nennen, und konnte sich hnchls ander« dabey den« ke», al« das Instrument, welche» wir eine Heerpauke

96

Ueber die Grenze»

x. Ach merke noch eine Befremdung des Spence an, welche

deutlich zeiget, wie wenig er über die Grenzen der Poesie und Mahlerey muß nächgedacht haben. „Was die Musen überhaupt betrift, sagt er, so ist eS „doch sonderbar, daß die Dichter in Beschreibung dersel„ben so sparsam sind, weit sparsamer, als man bey Göt­

tinnen, denen sie so große Verbindlichkeit haben, er« „warten sollte'' ").

WaS heißt das anders, als sich wundern, daß, wenn die Dichter von ihnen reden, sie eS nicht in der stummen Sprache dkr Mahler thun? Urania ist den Dichtern die

Muse der Sternkunst; aus ihrem Namen, aus ihren Ver­ richtungen erkennen wir ihr Amt. Der Künstler, um es kenntlich zu machen, muß sie mir einem Stabe auf eine Himmelskugel weisen lassen; dieser Stab, diese Himmels­

kugel, diese ihre Stellung sind seine Buchstaben, aus welchen er uns dm Namen Urania zusammen fetzen läßt. Aber wenn der Dichter sagen will» Urania hatte seinen

Lod längst aus den Stemm vorhergesehn;

Ipsa

nennen. Tympana waren aber auch eine Art von Rä­ dern: Hine radios ttivere rotis, hinc tympana plauftris Agricolae — (Virgilins Georgic. lib. II. v. 44.) Und einem solchen Rade scheint mir das, was sich an der Vesta des Fa, brettl zeigt/ (Ad Tabulam Iliadis p. 354.) und dieser Gelehrte für eine Handmühle hält/ sehr ähnlich zu seyn. e) Polymetis DiaL VIII ♦ p. 91»

der Mahlerey und Poesie.

-7

Ipfa diu poiitia lethuni praedixerat aftris Urania — *) warum soll er, in Rücksicht auf den Mahler, dazu setzen; Urania, den Radins in der Hand, die Himmelskugel vor

sich? Wäre es nicht, als ob ein Mensch, der laut reden kann und darf, sich noch zugleich der Zeichen bedienen sollte, welche die Stummen im Serraglio des TürkenauS Mangel der Stimme, unter sich erfunden haben?

-Eben dieselbe Befremdung äußert Spence nochmals bey den moralischen Wesen, oder denjenigen Gottheiten­ weiche die Alten den Tugenden und der Führung des

menschlichen Lebens vorsetzten **).

„Es verdient ange-

merkt zu werde»», sagt er, daß die römischen Dichter „von hen besten dieser moralischen Wesen weit weniger

„sagen, als matt erwarten sollte.

Die Artisten sind in

„diesem Stücke viel reicher, und wer wissen will, was „jedes derselben für einen Aufzug gemacht, darf nur die „Münzen der römischen Kaiser zu Rathe ziehen — „Die Dichter sprechen von diese»» Wesen zwar öfter-, „als von Personen; überhaupt aber sagen sie von ihre»»

-»Attributen, ihrer Kleidung und übrigem Ansehen sehr

„wenig". — Wenn der Dichter Abstracta personificirt, so sind sie durch de»» Namen, und durch das, was er sie thun läßt,

genugsam charakterisirt. *) Statius Theb* VIII. v. 551* •*) Polym. Dial, X, p, 137.

***) IbicK p. IZ4»

O

Ließet die Grenzen

98

Dem Künstler fehlen diese Mittel.

Er muß also sei­

nen personificirten Abstractis Sinnbilder zugeben, durch welche sie kenntlich werden.

Diese Sinnbilder, weil ste

etwas anders sind, und etwas anders bedeuten, machen

sie zu allegorischen Figuren. Eine Frauensperson mit einem Zaun.in der Hand;

eine andere an eine Säule gelehnt, sind in der Kunst alle­ gorische Wesen.

Allein die Mäßigung, die Standhaftig­

keit bey dem Dichter, sind keine allegorische Wesen, son­ dern bloß persouificirte Abstracta. Die Sinnbilder dieser Wesen bey dem Künstler, hat die Noth erfunden.

Denn er kann sich durch nichts an­

ders verständlich machen, was diese oder jene Figur be­ deuten soll.

Wozu aber den Künstler die Noth treibt,

warum soll sich das der Dichter aufdringen lassen, der

von dieser Noth nichts weiß? Was Spencen so sehr befremdet, verdienet den Dich­

tern als eine Regel vorgeschrieben zu werden.

Sie müs­

sen die Bedürfnisse der Mahlerey nicht zu ihreck Reichthume machen.

Sie müssen die Mittel, welche die Kunst

erfunden hat, um der Poesie nachzukvmmen, nicht als Vollkommenheiten betrachten, auf die sie neidisch zu seyn

Ursache hätten.

Wenn der Künstler eine Figur mit Sinu-

bildern auszierk, so erhebt er eine bloße Figur zu einem hdhern Wesen.

Bedient sich aber der Dichter dieser

mahlerischen Ausstaffirungen, so macht er aus einem hdhern Wesen eine Puppe.

S» wie diese Regel durch die Befolgung der Alten

-er Mahlerey und Poesie.

99

bewahrt ist, so ist die geflissentliche Uebertretung dersel­

ben ein Lieblingsfehler der neuen Dichter.

Alle ihre We­

sen der Einbildung gehen in MaSke, und die sich auf diese Maskeraden am besten verstehen, verstehen sich meistentheils auf das Hauptwerk am wenigsten: nehmlich, ihre

Wesen handeln zu lassen, und sie durch die Handlungen derselben zu charakterisiren.

Doch giebt es unter den Attributen, mit welchen die Künstler ihre Abstract« bezeichnen, eine Art, die des poe­

tischen Gebrauchs fähiger und würdiger ist.

Ich meine

diejenigen, welche eigentlich nichts allegorisches haben,

sondern als Werkzeuge zu betrachten sind, deren sich die Wesen, welchen sie beygelegt werden, falls sie als wirk­

liche Personen handeln sollten, bedienen würden oder könn­ ten.

Der Zaum in der Hand der Mäßigung, die Säule,

an welche sich die Standhaftigkeit lehnt,

sind lediglich

allegorisch, für den Dichter also von keinsm Nutzen.

Die

Wage in der Hand der Gerechtigkeit, ist cs schon weni­ ger, weil der rechte Gebrauch der Wage wirklich ein Stück der Gerechtigkeit ist.

Die Leyer oder Flöte aber in der

Hand einer Muse, die Lanze in der Hand des Mars, Hammer nnd Zange in den Händen des Vnlcans, sinh

ganz und gar keine Sinnbilder, sind bloße Instrumente, ohne welche diese Wesen die Wirkungen, die wir ihmn zuschreiben, nicht hervorbringen können.

Von dieser Art

sind die Attribute, welche die alten Dichter in ihre Be­

schreibungen etwa noch einflechten, und die ich deswegen

zum Unterschiede jener allegorischen, die poetischen nennen

100

Ueber die Grenzen

möchte. Diese bedeuten die Sache selbst, jene nur et­ was Aehnlichrö (•

Dian mag in dem Gemählde, welches Horaz von der Nothwendigkeit macht, und welches vielleicht das an Attributen reichste Gemählde bey allen alten Dichtern ist; (Lib. I. Od. 35.) Te seinper anteit saeva Necesfitas: Clavos trabales et cuneos manu Geltens ahenea: nee severus Uncus abeft liquidumque plumbum — man mag, sage ich, in diesem Gemählde die Nägel, die Klammern, das fließende Bley, für Mittel der Befesti­ gung oder für Werkzeuge der Bestrafung annehmen, so gehören sie doch immer mehr zu den poetischen, als alle­ gorischen Attributen. rAber auch als solche sind sie zu sehr gehäuft, und die Stelle ist eine von den frostigsten des Hora-. Sanadon sagt: Tose dire que ce tableau pria dans le detail feroit plus beau für la rolle que dans ane ode heroique. Je ne puis fouffrit cet atüyail patibulaire de clotis, de coins, de crocs, et de plomb fondu. J’ai cru en devoir decharger la traductiön , en subftituant les idees generales aux ideessmgulieres. G’eft dommage que le Poete alt eu besoin de ce correcüf. Sanadon hatte ein feines und richti­ ges Gefühl, nur der Grund, womit er es bewähren will, ist nicht der rechte. Nicht weit die gebrauchten Attribut« ein Attirail patibulaire sind; denn es stand nur bey ihm, die andere Auslegung anzunehmen, und das Galgengerathe in die festesten Bindemittel der Baukunst zu verwandeln: sondern, weit alle Attribut« eigentlich für das Auge, und nicht für das Gehör gemacht sind, und alle Begriffe, die wir durch das Auge erhalten sollten, wenn man sie uns durch das Gehör beybringen will, ei­ ne größere Anstrengung erfordern, und einer geringern Klarheit fähig sind. — Der Verfolg der angeführ­ ten Strophe des Horaz erinnert mich übrigens an ein Paar Versehen des Spence, die von der Genauigkeit,

der Mahlerey und Poesie.

101

XI. ^uch der Graf CayluS scheint zu verlangen, daß der

Dichter seine Wesen der Einbildung mit allegorischen Ak-

mit weicher er die ungezogenen Stellen der alten Dich, ter will erwogen haben, nicht den vortheilhaftesten Be, griff erwecken. Er redet von dem Bilde, unter welchem die Römer die Treue oder Ehrlichkeit vorstellten. (DiaL X. p. 145.) „Die Römer, sagt er, nannten sie Fides; ch,und wenn fie fie Sola Fides nannten, so scheinen fle „den hohen Grad dieser Eigenschaft, den wir durch „grundehrlich (im Englischen downright Lonesty) aus, „ drücken, darunter verstanden zu haben. Sie wird mit „einer fxeyen offenen Gesichtsbildung und in nichts als „einem dünnen Kleide vorgestellt, welches so fein ist, „daß es für durchsichtig gelten kann. Horaz nennt sie „daher, in einer von seinen Oden, dünnbekleidei; und in „einer andern, durchsichtig." In dieser kleinen Stelle find nicht mehr als drey ziemlich grobe Fehler. Erstlich ist es falsch, daß Sola ein besonderes Beywort sey, wet, chtß die Römer der Göttin Fides gegeben. In den bey, den Stellen des Liviut, die er desfatts zum Beweise anführt, (Lib. I» §. 21. Lib. II. §. 3.) bedeutet es wei, ter nichts, als was es überall bedeutet, die AuSschlie, Lung alles übrigen. In der einen Stelle scheint den Criticis das soll sogar verdächtig und durch einen Schreib, fehler, der durch das gleich darneben stehende solenne veranlasset worden, in den Text gekommen zu seyn. In der andern aber ist nicht von der Treue, sondern von der Unschuld, der Unsträflichkeit, Innocemia, die Rede. Zweytens: Horaz soll in einer seiner Oden, der Treue das Beywort dännbekleidet gebend nehmlich in der oben angezogenen fünf und dreyßigsten des ersten Bachs: Te spes, et albo rara Edes colit Vclata panno. Es ist wahr, r^riis ^eigt auch dünn; aber hier heißt es bloß selten, w.qs wenig vorkommt, und ist das Bey­ wort der Treue selbst, unh nicht ihrer Bekleidung. Spen,

Ueber die Grenzen

ivr

tributen ausschmücken solle y). Der Graf verstand sich besser auf die Mahlerey, als auf die Poesie. Doch ich Habs in seinem Werke, in welchem er dieses Verlange« te würde Recht haben, wenn der Dichter gesagt hätte: Fides raro velata panno, Drittens: an einem andern Orte soll Horaz bte Treue oder Redlichkeit durchsichtig neunen; um eben das damit anzudeuten, was wir in unfern gewöhnlichen FreundschaftSversicherungen zu sa­ gen pflogen: rch wünschte, sie könnten mein Herz sehen. 11Mb dieser Ort soll die Zeile der achtzehnten Ode des er, sttn Buchs seyn: Arcanique Fides prodiga, pellucidior vitro# Wie kann man sich aber von einem bloßen Worte so verführen lassen? Heißt denn Fides Arcani prodiga die Treue? Oder heißt es nicht vielmehr/ dis. Treulosigkeit? Don dieser sagt Horaz, und nicht van der Treue, daß sie durchsichtig wie Glas sey, weil sie die ihr anvertrau, ten Geheimnisse eines jeden Blicke bloßstellet. *) Apollo übergiebt den gereinigten und balsamirten Leich, nam des Sarpedon dem Tode und dem Schlafe, ihn nach seinem Vaterlande zu bringen. (II -r. v. 6Ri. 8r.) Tttvm qgq

Caylu- empfiehlt "diese Erdichtung dem Mahler,

fügt

aber hinzu: II eft facheux, qtl1 Homere ne nous a rien laifle für les attributs qu’on donnoit de fön tetns au fommeil; nous ne connoissons, pour caracierifer ce Dieu, que fon action meine, et nous le couronnoHS de pavots. Les idees fönt modernes; la premiere e{t d’un mediocre fervice, mais eile ne pent etre employee dans le cas present, ou ipeme les Heurs $ne paroisseqt deplacees, für tout pour une figure qui gvoupe avec la mort, (($♦ Tableanx lires de Plliade, de l’Odysiee d'Homere et de PEneide de Virgile, avec des obfervations generales für le Coftume, a Pa­ ris 1757. 9.) Das heißt von dem Homer einen von den kleinen Zrerrathon verlangen, die am meisten mit seiner großen Manier streiten. Die sinnreichsten Attribute, die

103

der Mahlerey und Poesie.

äußert, Anlaß zu erheblichern Betrachtungen gefunden,

wovon ich das Wesentlichste, zu besserer Erwägung, hier anmerke.

Der Künstler, ist des Grafen Absicht, soll sich mit dem größten mahlerischen Dichter, mit dem Homer, mit* dieser zweyten Natur, näher bekannt machen.

ihm, welchen reichen yoch nie genutzten

Erzeigt

Stoff zu den

trefflichsten Schildereyen die von dem Griechen behandelte Geschichte darbiete, und wie so viel vollkommner ihm die Ausführung gelingen müsse, je genauer er sich an die klein­

sten von dem Dichter bemerkten Umstände halten könne. In diesem Vorschläge vermischt sich also bic oben ge-

er dem Schlafe hatte geben können, würden ihn bey weitem nicht so vollkommen charakterisier, bey weitem kein so Lebhafte- Bild bey uns erregt haben, als der einzige Zug, durch den er ihn zum Zwillingsbruder des Todes , macht. Diesen Zug suche de« Künstler auszubrükFen, und ek wird alle Attribute entbehren können- Die alten Künstler haben auch wirklich den Tod und den Schlaf mit der Aehnlichkeit unter sich vorgestellt, die wir an Zwillingen so natürlich erwarten. Auf einer'Äu ste von Cedernholz in dem Tempel der Juno zu Elis, ruhten sie beyde als Knaben in den Armen der Nacht. Nur war der eine weiß, der andere schwarz; jener schlief, dieser schien zu schlafen; beyde mit übereinander geschlagenen Füßen. Denn so wollte ich die Worte des Pausanias (Eliac. cap. XV1II. p. 422. Edil. Kuhn.) ry; , lieber übersetzen, als mit krummen Füßen, oder wre es Gedoyn in seiner Sprache gegeben hat: les pieds contrefaits. Was soll­ ten die krummen Füße hier ausdrücken? Uebereinander geschlagene Füße hingegen sind die gewöhnliche Lage der Schlafenden, und der Schlaf beym Maffei (Raccol. PL i$i.) Liegt nicht anders. Die neuen Artlsten sind von

io4

Ueber -le Grenzm

trennte doppelte Nachahmung.

Der Mahler soll rrichb

allein das nachahmen, was der Dichter nachgeahmt hat, sondern er soll es auch mir den nehmlichen Zügen nachahmen; er soll den Dichter nicht bloß als Erzähler, er

soll ihn als Dichter nutzen.

Diese zweyte Art der Nachahmung aber, die für den Dichter so verkleinerlich ist, warum ist sie eS nicht auch für den Künstler? Wenn vor dem Homer eine solche Fol­

ge von Gemählden, als der Graf Caylus auS ihm angiebt, vprhanden gewesen wäre, und wir wüßten, daß der Dich­

ter aus diesen Gemählden sein Werk genommen hätte: würd? er nlcht von unserer Bewunderung unendlich verdieser Ähnlichkeit, welche Schlaf und Tod bey den Alfen miteinander haben, gänzlich abgegaugen, und der Gebrauch ist allgemein worden, den Tod als ein Skelet, höchstens als ein mit Haut bekleidetes Skelet 'vorzuftetlen. Dor allen Dingen hatte Caylus dem Künstler also hier rathen muffen, ob er in Vorstellung des Todes dem alten oder dem neuen Gebräuche folgen solle- Doch er scheint sich für den neuern zu erklären, da er den Tod als eine Figur betrachtet, gegen die eine andere mit Blumen gekrönt, nicht wohl gruppiren mochte. Hat er aber hierbey auch bedacht, wie unschicklich diese moderne Idee jn einem homerischen Gemählde seyn dürfte? UnDv wie hat ihm das Eckelhafte derselben nicht anstößig seyn können? Ich kann mich nicht bereden, daß das kleine metallene Bild in der Herzoglichen Gallerte zu Florenz, welches ein liegendes Skelet vorstellt, das mit dem ei­ nem Arme auf einem Afchenkruge ruht, (Spencer Po. lymetis Tab. XLL) eine wirkliche Antike sey. Den Tpd überhaupt kann es wenigstens nicht vorstellen sot, len, weit ihn die Alten anders vorstettten Selbst ihre Dichter haben ihn unter diesem widerlichem Bilde ni$ gedacht.

ter Mahlerey und Poesie.

105

fieren ? Wie kommt es, daß wir dem Künstler nicht- von unserer Hochachtung entziehen, wenn er schon weiter nicht- thut, al- daß er die Worte des Dichters mit Figu­ ren und Farben ausdrückt?

Die Ursach scheint diese zu seyn.

Dey dem Artisten

dünkt «ns die Ausführung schwerer, al- die Erfindung;

bey dem Dichter hingegen ist es umgekehrt, und seine

Ausführung dünkt uns gegen die Erfindung das Leichtere. Hätte Virgil die Verstrickung des Lavkoon und seiner Kin­ der von der Gruppe genommen, so würde ihm das Ver­

dienst, welches wir bey diesem seinem Bilde für das schwerere und größere halten, fehlen, und nur das gerin­

gere übrig bleiben.

Denn diese Veisirickung in der Ein­

bildungskraft erst schaffen, ist weit wichtiger, als sie in

Werren aus drücken.

Hätte hingegen der Künstler diese

Verstrickung von dem Dichter , entlehnt,

so würde er in

unfern Gedanken doch noch immer Verdienst genug be­

halten, ob ihm schon das Verdienst der Erfindung abge­

het.

Denn der Ausdruck in Marmor ist unendlich schwe­

rer, als der Ausdruck in Worten; und wenn wir Erfin­

dung und Darstellung gegen einander abwägen, so find

wir jederzeit geneigt, dem Meister an der einen so viel wiederum zu erlassen, als wir an der andern zy viel er­

halten zu haben meinen. Es giebt sogar Fälle, wo es für den Künstler eist grö­

ßeres Verdienst ist, die Natur durch das Medium der Nachahmung des Dichters nachgeahmt zu haben,

ohne dasselbe.

als

Der Mahler, der nach der Beschreibung

io6

Ueber die Grenzett

eines Thomsons eine schöne Landschaft darstellk, har niehr gethan, als der sie gerade von der Natur copiret. Dieser sieht sein Urbild vor sich; jener muß erst seine Einbildungskraft so anstrengen, bis er «S vor sich zu sehe« glaubt. Dieser macht aus lebhafte» sinnlichen Eindrücken etwas Schönes; jener aus schwankenden und schwachen Vorstellungen willkührlicher Zeichen. So natürlich aber die Pereitwilligkeit ist, dem Künst­ ler das Verdienst der Erfindung zu erlassen, eben so na­ türlich hat daraus die Lauigkeit gegen dasselbe bey ihm entspringen müssen^ Denn da er sah, daß die Erfindung seine glänzende Seite nie werden könne, daß sein größtes Lob von der Ausführung abhänge, so ward es ihm gleich viel, ob jene alt oder neu, einmal oder unzahligcmal ge­ braucht sey, ob sie ihm oder einem anderen zngehöre. Er blieb in dem engen Bezirke weniger, ihm und dem PUblico geläufig gewordener Vorwürfe, und ließ seine ganze Erfindsamkeit auf die bloße Veränderung in dem Bekann­ ten gehen, auf neue Zusammensetzungen alter Gegenstän­ de. Das ist auch wirklich die Idee, welche die Lehrbü­ cher der Mahlerey mit dem Worte Erfindung verbinden. Denn ob sie dieselbe schon sogar in mahlerische und dich­ terische eintheilen, so gehet doch auch die dichterische nicht auf die Hervorbringung des Vorwurfs selbst, sondern lediglich auf die Anordnung oder den Ausdruck *). Es ist Erfindung, aber nicht Erfindung des Ganzen, sondern einzelner Theile, und ihrer Lage unter einander. Es ist ♦) Betrachtungen über die Mahlerey S. 159. u. f.

-er Mahlerey und Poesie.

107

Erfindung, aber von [jener geringern Gattung, die Horaz seinem tragischen Dichter anrieth:







Tuque

Rectius Iliacum carmen deducis in actus, Quam fi pruferres ignota indictaque primus *). Anrieth, sage ich, aber nicht befahl.

Anrieth, als

für ihn leichter, bequemer, zuträglicher; aber nicht befahl,

aiö besser und edler an sich selbst. In der That hat der Dichter einen großen Schritt

voraus, welcher eine bekannte Geschichte, bekannte Cha­

raktere behandelt.

Hundert frostige

Kleinigkeiten, die

sonst zum Verständnisse des Ganzen unentbehrlich seyn würden, kann er übergehen; und je geschwinder er seinen

Zuhörern verständlich wird, desto geschwinder kann er sie intereffiren.

Diesen Vortheil hat auch der Mahler, wenn

uns sein Vorwurf nicht fremd ist, wenn wir mit dem ersten Blicke die Absicht und Meinung seiner ganzen Composition erkennen, wenn wir auf eins, seine Personen nicht bloß

sprechen sehen,

sondern auch hören, was sie sprechen»

Von dem ersten Blicke hangt die größte Wirkung ab, und wenn unS dieser zu mühsamen Nachsinnen und Ra­

then nöthigt, so erkaltet unsere Begierde gerührt zu wer­ den ; um uns an dem unverständlichen Künstler zu rächen, verhärten wir uns gegen den Ausdruck, und weh ihm, wann er die Schönheit dem Ausdrucke anfgeopfert hat! Wir finden sodann gar nichts, was uns

reizen könnte,

vor seinem Werke zu verweilen; was wir sehen, gefällt

*) Ad Pifones v. I2ß. zo.

Ueber die Grenze«

log

pns nicht, und was wir dabey denken sollen, wisse«

wir nicht» Nun nehme man beydes zusammen: einmal, daß

die Erfindung und Neuheit des Vorwurfs das Bornehmfie bey weitem nicht ist, was wir von dem Mahler ver­

langen; zweitens, daß ein bekannter Vorwurf die Wir­ kung seiner Kunst befördert und erleichtert; und ich mei­

ne, man wird die Ursache, warum er sich so selten zu neuen Vorwürfen entschließt, nicht mit dem Grafen Caylus, in seiner Bequemlichkeit, in seiner Unwissenheit, in

der Schwierigkeit des mechanischen Theils der Kunst, wel­ che allen seinen Fleiß, alle seine Zeit erfordert, suchen

dürfen; sondern map wird sie tiefer gegründet finden, und

vielleicht gar, was Anfangs Einschränkung der Kunst, Ver­ kümmerung unsers Vergnügens, zu seyn scheinet, als eine weise und unS selbst nützliche Enthaltsamkeit an dem Arti­

sten zu loben geneigt seyn.

Ich fürchte auch nicht, daß

mich die Erfahrung widerlegen werde.

Die Mahler wer­

den dem Grafen für seinen guten Willen danken, aber

ihn schwerlich so allgemein nutzen, alS er es erwartet. Geschahe es jedoch: so würde über hundert Jahr ein neuer Caylus nöthig seyn, der die alten Vorwürfe wieder

ins Gedächtniß brachte, und den Künstler in das Feld

zurückführte, wo andere vor ihm so unsterbliche Lorbeeren

gebrochen haben.

Oder verlangt man, daß das Pabli«

cum so gelehrt seyn soll, alS der Kenner aus seinen Bü­ chern ist? Daß ihm alle Scenen der Geschichte und der Fa­

bel, die ein schönes Gemählde geben können, bekannt

-er Mahlekey und Poesie.

109

und geläufig seyn sollen? Ich gebe eS zu, daß die Künst­

ler besser gethan hätten, wenn sie seit Raphaels Zeiten, anstatt des Ovids, den Homer zu ihrem Handbuche ge­

macht hätten. Aber da eS nun einmal nicht geschehen ist, so lasse man das Publicum in seinem Gleise, und mache ihm sein Vergnügen nicht saurer, als ein Vergnügen zu stehen kommen muß. Um daS zu seyn, was es seyn soll. Prologenes hatte die Mutter des Aristoteles ge­

mahlt.

Ich weiß nicht, wie viel ihm der Philosoph

dafür bezahlte.

Aber entwedet anstatt der Bezahlung,

oder noch über die Bezahlung, ertheilte er ihm einen Rath, der mehr als die Bezahlung werth war.

ich

kann mir nicht einbilden, daß sei« Rath eine bloße

Echmeicheley gewesen sey.

das

Denn

Sondern vornemlich weil er

Bedürfniß der Kunst erwog, allen verständlich zu

sey«, riech er ihm, die Thaten deS Aleranders zu mah­ le«; Thaten, von welche« damals alle Welt sprach, und von welchen er voraus sehen konnte, daß sie auch der

Nachwelt unvergeßlich seyn würden.

Doch Prvtogenes

war nicht gesetzt genug, diesem Rache zu folgen; impa= tus animiy sagt Plinius, et quaedam artis libido *), ein gewisser Uebermuth der Kunst, eine gewisse Lüsternheit

nach dem Sonderbaren und Unbekannten, trieben ihn z«

ganz andern Vorwürfen. Er mahlte lieber die Geschichte eines Jalysus **), einer Cydippe und dergleichen, von wel•) Lib. XXXV. fect. z6. p, 700. Edit. Hard. ••) Richardson nennt dieses Werk, wenn er Ke Regel er­ läutern will, daß in einem Gemählde die Aufmerksam, keit des Betrachters durch nichts, es mSge auch noch so

Ueber die Grenze«

HO

chen man jetzt auch nicht einmal mehr errathen kann, was sie vorgestellt haben.

Xli. ■^)omer bearbeitet eine doppelte Gattung von Wesen und Handlungen; sichtbare und unsichtbare.

Diesen Unter­

schied kann die Mahlerey nicht angeben: bey ihr ist alles

sichtbar; und auf einerley Art sichtbar. Wenn also der Graf Caylus die Gemählde der un­

sichtbaren

Handlungen in unzertrennter Folge mit den

sichtbaren fortlaufen läßt; wenn er in den Gemählden der vermischten Handlungen, an welchen sichtbare und unsichtbare Wesen Theil

nehmen, nicht angiebc, und

vielleicht nicht angeben kann, wie die letztem, welche nur wir, die wir das Gemählde betrachten, darinn ent-

vortreflich seyn, von der Hauptfigur abgezogen werden müsse. „Protogenes," sagt er, „hatte in seinem be, „rühmten Gemählde Jalysus ein Rebhuhn mit ange, „bracht, und es mit so vieler Kunst ausgemahlt, daß es „zu leben schien, und von ganz Griechenland bewun, „dert ward; weit es aber aller Augen, zum Nachtheil „des Hauptwerks, zu sehr an sich zog, so löschte er es „gänzlich wieder aus." (Traite de la Peinture T. L. p. 46.) Richardson hat sich geirret. Dieses Rebhuhn war nicht in dem Ialysus, sondern in einem andern Gemählde des Protogenes gewesen, welches der ruhende oder müßige Satyr, hieß. Ich wär, de diesen Fehler, welcher aus einer mißverstandenen Stelle des Plinius entsprungen ist, kaum anmerken, wenn ich ihn nicht auch beym Meursius fände: (Rhodi lib. 1. cap. 14. p. zg.) In eadem, tabula le. in qua Jalysus, Satyrus erat, quem dicebant Anapavomenon,

Ueber die Grenze«

HO

chen man jetzt auch nicht einmal mehr errathen kann, was sie vorgestellt haben.

Xli. ■^)omer bearbeitet eine doppelte Gattung von Wesen und Handlungen; sichtbare und unsichtbare.

Diesen Unter­

schied kann die Mahlerey nicht angeben: bey ihr ist alles

sichtbar; und auf einerley Art sichtbar. Wenn also der Graf Caylus die Gemählde der un­

sichtbaren

Handlungen in unzertrennter Folge mit den

sichtbaren fortlaufen läßt; wenn er in den Gemählden der vermischten Handlungen, an welchen sichtbare und unsichtbare Wesen Theil

nehmen, nicht angiebc, und

vielleicht nicht angeben kann, wie die letztem, welche nur wir, die wir das Gemählde betrachten, darinn ent-

vortreflich seyn, von der Hauptfigur abgezogen werden müsse. „Protogenes," sagt er, „hatte in seinem be, „rühmten Gemählde Jalysus ein Rebhuhn mit ange, „bracht, und es mit so vieler Kunst ausgemahlt, daß es „zu leben schien, und von ganz Griechenland bewun, „dert ward; weit es aber aller Augen, zum Nachtheil „des Hauptwerks, zu sehr an sich zog, so löschte er es „gänzlich wieder aus." (Traite de la Peinture T. L. p. 46.) Richardson hat sich geirret. Dieses Rebhuhn war nicht in dem Ialysus, sondern in einem andern Gemählde des Protogenes gewesen, welches der ruhende oder müßige Satyr, hieß. Ich wär, de diesen Fehler, welcher aus einer mißverstandenen Stelle des Plinius entsprungen ist, kaum anmerken, wenn ich ihn nicht auch beym Meursius fände: (Rhodi lib. 1. cap. 14. p. zg.) In eadem, tabula le. in qua Jalysus, Satyrus erat, quem dicebant Anapavomenon,

-er Mahlerey und Poesie.

I l1

-ecken sollten, so anzubringen sind, daß die Personen des Gemähldes sie nicht sehen, wenigstens sie nicht noth­

wendig sehen zu müssen scheinen können: so muß noth­ wendig sowohl die ganze Folge, als auch manches einzelne Stück dadurch äusserst verwirrt, unbegreiflich «nd wider­ sprechend werden. Doch diesem Fehler wäre, mit dem Buche in der

Hand, noch endlich abzuhelfen.

Das schlimmste dabey

ist nur dieses, daß durch die mahlerische Aufhebung des Unterschiedes der sichtbaren und unsichtbaren Wesen, zu­

gleich alle die charakteristischen Züge verloren gehen, Lurch welche sich diese höhere Gattung über jene ge­ ringere erhebt. Z. E. Wenn endlich die über da- Schicksal der

Trojaner getheilten Götter unter sich selbst handgemein

«erden: so geht bey dem Dichter

dieser ganze Kampf

tiblas tenens. Desgleichen bey Herrn Winkelniann selbst. (Von der Nachahmung der Gr. W. in der Mahl, und Vildh. S. $6.) Strabo ist der eigentliche Gewähr«, mann diese« Histörchen« mit dem Rebhuhne, und dieser unterscheidet den Jalysu«, und den an eine Säule sich lehnenden Satyr, auf welcher da« Rebhuhn saß, au», drücklich. ( Lib. XIV. p- 750. Edit. Xyl.) Die Stelle de« Pliniu« (Lib. XXXV. lect. 56. p. 699 ) ha­ ben Meurflu«, Richardson und Winkelmann deswegen falsch verstanden, weil sie nicht Acht gegeben, daß von zwey verschiedenen Gemählden daselbst die Rede ist: dem einen, dessentwegen Demetrius die Stadt nicht über, kam, weil er den Ort nicht angreifen wollte, wo es stand; und dem andern, welches Prowgenes, während dieser Belagerung mahlte. Jenes war der Jalysu», und diese« der Satyr. •) Iliad ». v. ;8s.

Ueber die GretrM

ii2

inisichtbar vor, |tlnb diese Unsichtbarkeit erlaubt bet Ein­ bildungskraft die Scene zu erweitern, und läßt ihr fteyes Spiel, sich Vie Personen der Götter und ihre Handlun­ gen so groß, und über das gemeine Menschliche so weit erhaben zu denken, als sie nur immer will. Die Mah­ lerey aber muß eine sichtbare Scene annehmen, deren verschiedene nothwendige Theile der Maaßstab für die darauf handelnden Personen werden; ein Maaßstab, de» das Auge gleich darneben hat, und dessen Unpropvrtion gegen die höher» Wesen, diese höher» Wesen, die bey dem Dichter groß waren, auf der Flache des Künstlers ungeheuer macht» Minerva, auf welche Mars in diesem Kampfe den ersten Angriff waget, tritt zurück, und faßt mit, mächtiger Hand von dem Boden einen schwarzen, rauhen, großen Stein auf, den vor alten Zeiten vereinigte Männerhände zum Grenzstein hingewälzt hatten: *H

At6,

Ton g

irge'lieei Seret, iftftua/ ajw

Um die Grösse dieses Steins gehörig zu schätzen, erinnere man sich, daß'Homer seine Helden noch einmal so stark macht, als die stärksten Männer seiner Zeit, jene aber von den Männern, wie sie Nestor in seiner Jugend ge­ kannt hatte, noch weit an Stärke übertreffen läßt. Nun ftage ich, wenn Minerva einen Stein, den nicht em Mann, den Männer aus Nestors Jugendjahren zum Grenzstein aufgerichtet hakten, wenn Minerva einen solchen Stein gegen

-er Mählerey und Poesie.

uz

gegen den Mars schleudert, von welcher Statur soll die Göttin seyn? Soll ihre Statur der Größe des Steins proportionirt seyn, fö fällt das Wunderbare weg. Ein Mensch, der dreymal größer ist als ich, muß natürlicher Weise auch einen dreymal größertt Stein schleudern können. Soll aber die Statur der Göttin der Größe des SteinS nicht angemessen seyn, so entsteht eine anschauliche Un­ wahrscheinlichkeit in deut Gemählde, deren Anstößigkeit durch die kalte Ueberlegnng, daß eine Göttin Übermensch^ kiche Stärke Hatzen müsse, nicht gehoben wird. Wo ich eine größere Wirkung sehe, will ich auch größere Werk­ zeuge wahrnehmen. Und Mars, von diesem gewaltigen Stein nieder­ geworfen, Ett«

irtX&yi —— —

bedeckte sieben Hufen. Unmöglich kann der Mahler dem Gott diese außerordentliche Größe geben. Giebt er sie ihm aber nicht, so liegt Nicht Mars zu Boden, nicht der Homerische Mars, sondern ein gemeiner Kriegex *) Diesen unsichtbaren Kampf der Götter hat Huintu« Ca< laber in seinem zwölften Buche (v. iyg — i8f J nach­ geahmt, mit der nicht undeutlichen Absicht, sein Vorbild zu verbessern. E« scheint nehmlich, der Grammatiker habe ee unanständig gefunden, daß ein Gott mit einem Stein zu Boden geworfen werde. Er läßt also zwar auch die Götter große Felsenstücke, Vie sie von dem Ida abreißen, gegen einander schleudern; aber diese Felsen zerschellen an den unsterblichen Gliedern der Götter, Und stieben wie Sand um sie her: —

Xijei»

-—

Oi & xoX«ies

ist

«Jws

litutii

H

114

Ueber die Grenzen

Longin sagt, es komme ihm öfters vor, alS habe Homer feine Menschen zu Göttern erheben, und seine Götter zu Menschen herabsetzen wollen. Die Mahles rey vollführt diese Herabsetzung. In ihr verschwindet vollends alles, was bey dem Dichter die Götter noch über die göttlichen Menschen setzt. Größe, Stärke, Schnelligkeit, wovon Homer noch immer einen höhern, wunderbarern Grad für seine Götter in Vorrath hat, als er seinen vorzüglichsten Helden beylegt^), müssen iir e eu 5e ^se^aeH'sro-, tfioitq Pnot ^iirxiSetrro * trsgt X«x,lT* yvia Pijyvvpsvot Sfflt tvtS-» — —* Eine Künstetey, welche die Hauptsache verdirbt. Sie er, höht unsern Begriff von den Körpern der Götter, und macht die Waffen, welche sie gegen einander brauchen, lächerlich. Wenn Götter einander mit Steinen werfen, so muffen diese Steine auch die Götter beschädigen kön­ nen, oder wir glauben muthwillige Buben zu sehen, die sich mit Erdklößen werfen- So bleibt der alte Homer immer der Weisere, und aller Tadel, mit dem ihn der kalte Kunstrichter belegt, aller Wettstreit, in welchen sick­ geringere Genies mit ihm einlaffen, dienen zu weiter nichts, als seine Weisheit in ihr bestes Licht zu setzen. Indeß will ich nicht leugnen, daß in der Nachahmung des Üuintus nicht auch sehr treffliche Jüge vorkommen, und die ihm eigen sind. Doch sind es Jüge, die nicht sowohl der bescheidenen Größe des Homers geziemen, als Dem stürmischen Feuer eines neuern Dlchters Ehre machen würden. Daß das Geschrey der Götter, rpet, ches hoch bis in den Himmel und tief bis in den Ab, gründ ercönt, welches den Berg und die Stadt und die Flotte erschüttert, von den Menschen nicht gehört wird, dünkt mich eine sehr vielbedeutende Wendung zu seyn. Das Geschrey war größer, als daß es die kleinen Werk­ zeuge des menschlichen Gehörs fassen konnten.

*) In Ansehung ,Dcr Starke und Schnelligkeit wird nie,

-er Mahlerey und Poesse.

in

dem Gemählde

auf

115

das gemeine Maaß der Mensch­

heit herabsinken, und Jupiter und Agamemnon, Apollo Und Achilles, Ajar und Mars, werden vollkommen einer« ley Wesen, die weiter an nichts als an äußerlichen ver­ abredeten Merkmalen zu kennen finb.

Das Mittel, dessen sich die Mahlerey bedient, unS zu verstehen zu geben, daß in ihren Composirivnen die­

ses oder jenes als unsichtbar betrachtet werden müsse, ist eine dünne Wolke, in welche sie es von der Sei­

te der mithandelnden Personen einhüllt.

Diese Wolke

schriy^anS dem Homer selbst entlehnt zu seyn.

Denn

wand, der den Homer auch nur ein einziges Mal flüch­ tig durchlaufen hat, diese Assertion in Abrede seyn. Nur durfte er sich vielleicht der Exempel nickt gleich erinnern, aus welchen es erhellt, daß der Dichter feinen Göttern auch eine körperliche Größe gegeben, die alle natürliche Maaße weit übersteigt. Ich verweise ihn also, außer der -nge-sgenen Stelle von dem zu Baden geworfenen Mar-, der fieben Hufen bedeckt, auf den Helm der Mi­ nerva, (Kww 6 iCÄtto irbXtwv rgvXecrr dufco'vi**. JJiacL E. v» 744.) unter welchem sich so viel Streiter, als hundert Städte in da- Feld zu stellen vermögen, verber­ gen können; auf die Schritte des Neptuns; (Hud. N. v. 20.) vornehmlich aber auf die Zeilen au- der Be­ schreibung des Schildes, wo Mars und Minerva die Truppen der belagerten Stadt anführen. (liiad* L. V. 516 — 19.) — — 0 €6^46 rfyy Apis xcy A^n Ap.^® jggvrtw« X(vertu6 ti/uötT» eSi)» xo, c-vv Tiv%,f$ x'coi 9 sir/f itiX cqeiytvtiwt Ev^wv* «S’gjwut; — —• — . Sie fürchtete flch nicht von den Menschen gesehen zu wer­ den; sondern von den Göttern. Und wenn schon Homer den Jupiter einige Zeilen darauf sagen laßt: jTi reyt , fwm tw* XgVtrtMe

so folgt doch daraus nicht, daß fie erst diese Wolke vor den Augen der Menschen würde verborgen haben; son­ dern es will nur so viel sagen, daß sie in dieser Wolke eben so unsichtbar den Göttern werden solle, als sie es nur immer den Menschen sey. So auch, wenn Minerva sich den Helm deß Pluto aufsetzt, (Iliad E. v. 845«) welches mit dem Verhüllen in- eine Wolke einerley Wirkung hatte, geschieht es nicht, um von den Trojanern nicht gesehen zu werden, die sie entweder gar nicht, oder un­ ter der Gestalt des Sthenelus erblicken, sondern lediglich, damit sie Mars nicht erkennen möge.

i2o

Ueber die Grenzen

bestimmte Deutlichkeit, die eS als ein solches haben foiup se; denn sie brauchen eS eben sowohl, um das Sicht­

bare unsichlbar, als um das Unsichtbare sichtbar zu

machen,

XIII. W enn Homers Werke gänzlich verloren wären, wenn wjr von seiner Ilias und -Odyssee nichts übrig hätten, als eine ähnliche Folge von Gemählden, dergleichen Caylus

daraus vorgeschlagen: würden wir wohl aus diesen Ge-

mäb'den, — sie sollen von der Hand des vollkommensten

Meisters seyn, — ich will nicht sagen, von dem ganzen Dichter, sondern bloß von seinem mahlerischen Talente, uns den Begriff bilden können, den wir jetzt von ihm

haben?

Man mache einen Versuch mit dem ersten dem be« den Stücke.

Es sey das Gemählde der Pest *).

Was

erblicken wir auf der Fläche des Künstlers? Todte Leich­ name, brennende Scheiterhaufen, Sterbende mit Gestor­

benen beschäftigt, den erzürnten Gott ans einer Wolke,

seine Pfeile abdrückend.

Der größte Reichthum dieses

Gemähldes, ist Armuth des Dichters.

Denn sollte man

den Homer aus diesem Gemählde wieder herstellen: was könnte man ihn sagen lassen? „Hierauf ergrimmte Apollo,

„und schoß seine - Pfeile unter das Heer der Griechen, „Viele Griechen starben und ihre Leichname wurden ver-

, »bräunt".

Nun lese man den Homer selbst:

») Iliad. A. v. 44 — 53> Tableaus tires de Plliade p. 70,

i2o

Ueber die Grenzen

bestimmte Deutlichkeit, die eS als ein solches haben foiup se; denn sie brauchen eS eben sowohl, um das Sicht­

bare unsichlbar, als um das Unsichtbare sichtbar zu

machen,

XIII. W enn Homers Werke gänzlich verloren wären, wenn wjr von seiner Ilias und -Odyssee nichts übrig hätten, als eine ähnliche Folge von Gemählden, dergleichen Caylus

daraus vorgeschlagen: würden wir wohl aus diesen Ge-

mäb'den, — sie sollen von der Hand des vollkommensten

Meisters seyn, — ich will nicht sagen, von dem ganzen Dichter, sondern bloß von seinem mahlerischen Talente, uns den Begriff bilden können, den wir jetzt von ihm

haben?

Man mache einen Versuch mit dem ersten dem be« den Stücke.

Es sey das Gemählde der Pest *).

Was

erblicken wir auf der Fläche des Künstlers? Todte Leich­ name, brennende Scheiterhaufen, Sterbende mit Gestor­

benen beschäftigt, den erzürnten Gott ans einer Wolke,

seine Pfeile abdrückend.

Der größte Reichthum dieses

Gemähldes, ist Armuth des Dichters.

Denn sollte man

den Homer aus diesem Gemählde wieder herstellen: was könnte man ihn sagen lassen? „Hierauf ergrimmte Apollo,

„und schoß seine - Pfeile unter das Heer der Griechen, „Viele Griechen starben und ihre Leichname wurden ver-

, »bräunt".

Nun lese man den Homer selbst:

») Iliad. A. v. 44 — 53> Tableaus tires de Plliade p. 70,

der Mahlerey und Poesie.

121

K» )« Xfltr’ 8AV/.TM X»gn»6>, %«Mf6H6S Ktsff Tf«iAw.

EiAtre Ji rxtprryi rrerxei«», «pAir», ei«.

Und wenn wir von diesem Scepter, welches hier blos das väterliche, unvergängliche Scepter heißt, so wie ein

ähnliches ihm an einem andern Orte blos ixeuri wxfptvn, das mit goldenen Stiften beschlagene

Ueber die Grenzen

ein über­

all glattes, schönes, ehernes, getriebenes Schild.

Wer

wird ihn darum tadeln? Wer wird ihm diese kleine Uep­

pigkeit nicht vielmehr Dank wissen, wenn er empfindet,

welche gute Wirkung sie an wenigen schicklichen Stellen haben kann ? Des Dichters sowohl als des Mahlers eigentliche Rechtfertigung hierüber, will ich aber nicht auS dem vor­

angeschickten Gleichnisse von zwey freundschaftlichen Nach­ barn hergeleitet wissen.

Ein bloßes Gleichniß beweiset

und rechtfertiget nichts.

Sondern dieses muß sie rechtfer­

tigen:

so wie dort bey dem Mahler die zwey verfchied-

nen Augenblicke so nahe und unmittelbar an einander grenzen, daß sie ohne Anstoß für einen einzigen gelten

können; so folgen auch hier bey dem Dichter die mehrem

*) Iliad» E. v. 722. **) Iliad. M. v, 296»

Ueber die Grenzen Züge für die verschied»«« Theile und Eigenschaften im Raume in einer solchen gedrängten Kürze so schnell auf­ einander, daß wir sie alle auf einmal zu hören glaube«. Und hierin, sage ich, kommt dem Homer seine vor­ treffliche Sprache ungemein zu statten. Sie läßt ihm nicht allein alle mögliche Freyheit in Häufung und Zusammen­ setzung der Beywörter, sondern sie hat auch für diese gehausten Beywörter eine so glückliche Ordnung, daß der nachtheiligen Suspension ihrer Beziehung dadurch abge­ holfen wird. An einer oder mehreren dieser Bequemlich­ keiten fehlt cs den neuern Sprachen durchgängig. Dieje­ nigen, al» die Französische, welche z. E. jenes K*/«r»A< xv*x*. öerwwp* umschreiben müssen: „die runden „Räder, welche von Er; waren und acht Speichen hat­ ten," drücken den Sinn aus, aber vemichten daß Ge­ mählde. Gleich wohl ist der Sinn hier nichts, und daS Gemählde alles; und jener ohne dieses macht den leb­ haftesten Dichter zum langweiligsten Schwätzer. Ein Schick­ sal, da» den guten Homer unter der Feder der gewissen­ haften Frau Dacier oft betroffen hat. Unsere deutsche Sprache hingegen kann zwar die Homerischen Beywörter meistens in eben so kurze gleichgeltcnde Beywörter ver­ wandeln, aber die vortheilhafte Ordnung derselben kann sie der Griechischen nicht nachmachen. Wir sagen zwar „die runden, ehernen; acktspeichigten" — — aber „Rä­ der" schleppt hinten nach. Wer empfindet nicht, daß drey verschiedne Prädikate, ehe wir das Subject erfah­ ren, nur ein schwankes verwirrtes Bild machen können?

der Mahlerey und Poesie.

153

Grieche verbindet das Sirbject gleich mit dem ersten Prädicate, und läßt die andern Nachfolgen; er sagt: „run­ de Räder, eherne, achtfpeichigte.'' So wissen wir mit eins wovon er redet, und werden, der natürlichen Ord­ nung des Denkens gemäß, erst mit dem Dinge, und dann mit seinen Zufälligkeiten bekannt. Diesen Vortheil hat unsere Sprache nicht. Oder soll ich sagen, sie hat ihn, und kann ihn nur selten ohne Zweydeutigkeit nutzen? DeydeS ist eins. Denn wenn wir Beywörter hintennach setzen wollen, so müssen sie im statu absoluto stehen; wir müssen sagen r runde Räder, ehern und achtspeichigt. Allein in diesem statu kommen unsere Adjectiva völlig mit den Adverbii- überein, und müssen, wenn man sie als solche zu dem nächsten Zeitwort, das von dem Din­ ge prädiciret wird, zieht, nicht selten einen ganz falschen, allezeit aber einen sehr schielenden Sin» verursachen. Doch ich halte mich bey Kleinigkeiten auf, und schei­ ne den Schild vergessen zu wollen; den Schild des Achil­ les, dieses berühmte Gemählde, in dessen Rücksicht vor­ nehmlich Homer vor Alters als ein Lehrer der Mahle­ rey^) betrachtet wurde. Ein Schild, wird man sagen, ist doch wohl ein einzelner körperlicher Gegenstand, dessen Beschreibung nach seinen Theilen neben einander, dem Dichter nicht vergönnt seyn soll? Und diesen Schild hat Homer, in mehr als hundert prächtigen Versen, nach seiner Materie, nach seiner Form, nach allen Figuren, Der

•) Dionysias Halicarnaff. in Vita Homerijapad Th. Gale in Opulc. Mythol. p. Hoi,

Ueber die Grenzen

154

welche die ungeheure Fläche desselben füllten, so umständ­

lich, so genau beschrieben, daß es neuern Künstlern nicht schwer gefallen ist, eine in allen Stücken übereinstim­

mende Zeichnung darnach zu machen.

Ich antworte auf diesen besondern Einwurf, — daß

ich bereits darauf geantwortet habe. Homer mahlt nemlich den Schild nicht als einen fertigen vollendeten, sondern

als einen werdenden Schild. Er hat also auch

des gepriesenen Kunstgriffs bedient, seines Vorwurfs in ein

hier sich

das Coeristirendt

ConsecutiveS zu verwandel«,

unb dadurch aus der langweiligen Mahlerey eines Kör­ pers, das lebendige Gemählde einer Handlung zu ma­ chen. Wir sehen nicht den Schild, sondern den göttliche«

Meister, wie er den Schild verfertigt. Er tritt mit Ham­ mer und Zange vor seinen Amboß, und nachdem er die Platten aus dem gröbsten geschmiedet, schwellen die Bil­

der, die er zu dessen Auszierung bestimmt, vor unsern Augen, eines nach dem andern, unter seinen feinern Schlä­

gen aus dem Erze hervor. Ehe verliere« wir ihn nicht wieder aus dem Gesichte, bis alles fertig ist. Nun ist es fertig, und wir" erstaunen über das Werk, aber mit dem

gläubigen Erstaunen

eines Augenzeugen, der es ma­

chen sehen. Dieses laßt sich von dem Schilde deS Aeneas beym

Virgil nicht sagen. Der römische

Dichter empfand ent­

weder die Feinheit seines Musters hier nicht, oder die

Dnrge, die er auf seinen Schild bringen wollte, schienen ihm von der Art zu seyn, daß sie die Ausführung vor

-er Mahlerey und Poesie. unsern Augen nicht wohl verstatteten.

155

Es waren Pro-

phezeyungen, von welchen es freylich unschicklich

gewe­

sen wäre, wenn sie der Gott in unserer Gegenwart eben

so deutlich geäußert hätte, als sie der Dichter hrrmrch

auslegt.

Prophezeyungen', als Prpphezeyungen, verlan­

gen eine dunkle Sprache, in welche die eigentlichen Na-

.men der Personen aus der Zukunft, picht passen.

die sie betreffen,

Gleichwohl lag an diesen wahrhaften Na­

men, allem Ansehen nach, dem Dichter und hier das meiste.^-) Wenn ihy aber

dieses

Hofmann

entschuldigt,

so hebt es darum nicht auch die üble Wirkung auf, wel­

che seine Abweichung von dem Homerischen Wege hat. Leser von einem feineren Geschmacke, werden mir Recht geben. Die Anstalten, welche Vulkan zu seiner Arbeit

Ich finde, daß Servius dem Virgil eine andere Entschul, digung leiht. Denn auch Servius hat den Unterschied, der zwischen beyden Schilden ist, bemerkt: Sane'inter est

inter hunc et Homeri Clypeum; illic enim liifgula dum sinnt narrantur; hie vero peifecio opere nofcuiitur: nam et liic arma prius accipit Aeneas, quam fpecfaret; ibi poft quam omnia narrata sunt, sic a Thetide deferuntur ad Achillem. (ad v. 625. lib. VIII. Aeneid.) Und warum dieses? Darum, meint Servius, weil auf dem Schilde des Aeneas, nicht bloß die wenigen Beg-, -enheiten, die der Dichter anführt, sondern,

— — — — genug omne futurae Stirpis ab Ascanio, pugnataque in prdine bella.abgebildet waren. Wie wäre es also möglich gewesen, daß mit eben der Geschwindigkeit, in welcher Vulkan den Schild arbeiten mußte, der Dichter die ganze lange Reihe von Nachkommen hatte nahmhaft machen, und alle von ihnen nach der Ordnung geführte Kriege hatte erwäh­ nen können? Dieses ist der Verstand der etwas dunkeln

i;6

Ueber die Grenze«

macht, sind bey dem Virgil ungefehr eben die, welche ibn Homer machen läßt. Aber anstatt daß wir bey dem Homer nicht bloß die Anstalten zur Arbeit, sondern auch die Arbeit selbst zu sehen bekommen, läßt Virgil, nach­ dem er uns nur den geschäftigen Gott mit seinen Cyklopen überhaupt gezeigt, Ingentein Clypeum Informant — — — — Alii ventosis follibus auras

Accipiunt, redduntque; alii stridentia tingunt Aera lacu. Gemit impositis incudibus antrum.

Illi in ter sese multa vi brachia tollunt In numerum > versantyie tenaci forcipe massam *).

den Vorhang auf einmal niederfallen, und versetzt unS in Worte des Servius: Opportune ergo Virgilius, quia non videtur fimul et narrationis celeritas pptiiiffe connecti, et opus tarn velociter expediti, ut ad Ver­ bum postet occurrere. Da Virgil nur etwas weniges von dem non enarrabili texto Clypei beybringen konnte, so konnte er es nicht während der Arbeit Vul­ kans selbst thun; sondern er mußte es versparen, bis alles fertig war. Ich wünschte für den Virgil sehr, dieses Raisonnement de- Servius wäre ganz ohne Grund; meine Entschuldigung wurde ihm weit rühmlicher seyn. Denn wer hieß ihm, die ganze römische Geschichte auf einen Schild bringen? Mit wenig Gemählden machte Homer seinen Schild zu einem Inbegriffe von allem, wain der Welt vorgeht. Scheint es nicht, als ob Virgil, da er den Griechen nicht in den Vorwürfen und in der Ausführung der Gemählde übertreffen können, ihn we, nigftens in der Anzahl derselben übertreffen wollen? Und was wäre kindischer gewesen? *) Aeneid. lib. VIII, 447 — 54^

der Mahlerey und Poesie.

157

eine ganz andere Scene, von da er uns allmahlig in das Thal bringt, in welchem VenuS mit den indeß fertig gewordenen Waffen bey dem AeneaS anlangt. Sie lehnt sie an den Stamm einer Eiche, und nachdem sie der Held genug begafft, und bestaunt, und betastet, und versucht, hebt sich die Beschreibung, oder das Gemählde de- Schildes an, welches durch das ewige: Hier ist, und Da ist. Nahe dabey steht, und Nicht weit davon sieht man — so kalt und langweilig wird, daß alle der poetische Schmuck, den ihm ein Virgil geben konnte, nöthig war, um es uns nicht unerträglich finden zu lassen. Da dieses Gemählde hiernachst nicht Aeneas macht, als welcher sich an den bloßen Figuren ergötzt, und von der Bedeutung derselben nichts weiß, — — rerumque ignarus ünagine gaudet; auch nicht Venus, ob sie schon von de» künftigen-Schick­ salen ihrer lieben Enkel vermuthlich eben so viel wissen mußte, als der gutwillige Ehemann; sondern da es aus dem eigenen Munde des Dichters kommt: so bleibt die Handlung offenbar während demselben stehen. Keine einzige von feinen Personen nimmt daran Theil; es hat

auch auf das Folgende nicht den geringsten Einfluß, ob auf dem Schilde dieses, oder etwas anders, vorgestellt ist; der witzige Hofmann leuchtet überall durch, der mit allerley schmeichelhaften Anspielungen seine Materie aufstntzt, aber nicht das große Genie, das sich aus die eigene innere Starke seines Werks verläßt, und alle äußere Mit­ tel, interessant zu werden, verachtet. Der Schild des

158

Mber die Grenzen

Aeneas ist folglich ein wahres Einschiebsels einzig und

allein bestimmt, dem Nationalsiolze der Römer zu schmei­ cheln ; ein fremdes Bächlein, das der Dichter in seinen

Strom leitet, um ihn etwas reger zu machen. Der Schild des Achilles hingegen ist Zuwachs deö eigenen fruchtba­ ren Bodens; denn ein Schild mußte gemacht werden, und

da das Nothwendige aus der Hand der Gottheit nie ohne Anmuth kömmt; so mußte der Schild auch Verzierungen

haben. Aber die Kunst war, diese Verzierungen als bloße

Verzierungen zu behandeln, sie in den Stoff einzuweben, um sie uns nur bey Gelegenheit des Stoffes zu zeigen; und dieses ließ sich allein in der Manier des Homers thun» Homer laßt, den Vulkan Iierüthen künsteln, weil und in­

dem er einen Schild machen soll, der seiner würdig ist-. Virgil hingegen scheint ihn der Schild wegen der Iierra-

then machen zu lassen, da er die Iierrathen für wichtig genug hält, um sie besonders zu beschreiben, nachdem der

Schild lange fertig i|Ti.

der Mahlerey und Poesie.

159

XIX.

Di- Einwürfe,

welche der ältere Skaliger, Perrault,

Terraffon und andere gegen den Schild Homers machen, sind bekannt.

Eben so bekannt ist das,

Boivin und Pope darauf antworten.

was Dacier,

Mich dünkt aber,

daß diese letztem sich manchmal zu weit einiassen, und in

Zuversicht auf ihre gute Sache, Dinge behaupten, die eben so unrichtig sind, als wenig sie zur Rechtfertigung des Dichters beytragen.

Um dem Haupteinwurfe zu begegnen, daß Homer den Schild mit einer Menge Figuren anfülle,. die auf dem Umfange desselben unmöglich Raum haben könnten-

unternahm Boivin, es mit Bemerkung der erforderlichen Maaße, zeichnen zu lassen. Sein Einfall mit den verschie­

denen concentrischen Zirkeln ist sehr sinnreich, obschon die

Worte des Dichters nicht den geringsten Anlaß dazu ge­

ben, auch sich sonst keine Spur findet, daß die Wien auf

diese Art adgetheilte Schilder gehabt haben. mer selbst ricMt ST«»?«-«

Da. es Ho­

einen auf allen Seiten

künstlich ausgearbeiteten Schild nennet, so würde ich lie­ ber, um mehr Raum auszusparen, die concave Fläche mit zu Hülfe genommen haben; denn es ist bekannt, daß die alten Künstler diese nicht leer ließen, wie das Schild

der Minerva vom PhidiaS beweiset *).

Doch nicht ge-

*) — Sctito ejus, in quo Amazonum praelium caelavit inlumefcentfe arnbitu parmae ; ejusdem concava parte

x6o

Ueber die Grenzen

nug, daß sich Bvivin dieses Vortheils nicht bedienen woll­ te; er vermehrt« auch ohne Noth die Vorstellungen selbst, denen er aus dem sonach um die Hälfte verringerten Rau­ me Platz verschaffen mußte, indem er das, was bey dem Dichter offenbar nur ein einziges Bild ist, in zwey bis drey besondere Bilder zertheilte. Ich weiß wohl, was ihn dazu bewog; aber es hätte ihn nicht bewegen sollen: sondern, anstatt daß er sich bemühte, den Forderungen seiner Gegner ein Genüge z« leisten, hätte er ihnen zeigen sollen, daß ihre Forderungen unrechtmäßig wäre«. Ich werde mich an einem Beyspiele faßlicher erklä­ ren können. Wenn Homer von der einen Stadt sagt*): Amu )'»'» trat «vTaj'gtf»,

EßetXri w Xivmw* C?^AX^te6

L2r

^gwn,

64 74 f 701 tXl^avr* 5 ß*"^64

-; VOg^O^.

Af*5»J (MMt-t*! MTfltXiVMS, ♦B'i! i/tvd-tfgyN^

K.vw6y quanto i buoni Poeti liano ancöra eile Pmorie —

der Mahlerey und Poesie. Recht.

’75

Dolce bewundert darin die Kenntnisse,

welche

der Dichter von dek körperlichen Schönheit zu haben zeigt;

ich aber

sehe bloß auf die Wirkung, welche diese Kenntnis­

se, In-Worte ausgedrückt, auf meine Einbildungskraft ha­

ben können.

Dolce schließt aus jenen KenmUissen,

gute Dichter nicht minder gute Mahler sind;

daß

und ich ans

dieser Wirkung, daß sich das, was die Mahler durch Li­

nien und Farben am besten ausdrücken können, Worte grade am schlechtesten ausdrücken läßt.

durch

Dolce em­

pfiehlt die Schilderung des Ariost allen Mahlern als das vollkommenste Vorbild einer schönen Frau;

und ich em­

pfehle es allen Dichtern alsdie lehrreichsteWarnung, was

einem Ariost mißlingen müßen, nicht noch unglücklicher zü

verstehen.

Es mag seyd, daß, wenn Ariost sagt:

Di persona era tanto ben formatä Quanto mal finger Ian Pittdri induftri, er die Lehre von den Proportionen, so wie sie nur immer der fleißigste Künstler in der Natur und aus den Antiken studiert, vollkommen verstanden haben, dadurch beweiset^.

Er mag sich immerhin in den bloßen Worten r

Spargeafi per la guanciä delicata Mifio cojor di rose e di ligustri,

als den vollkommensten Coloristen, als eine» Titian, zei-

•) (Ibid.) Ecco, ehe, quanto all« proportione, l’ingeniesislimo Ariosto affegna la migliore, ch« sappiano forroar le mani de piti eccellenti Pittdri, usando qnelta voce indultri, per dinotar la diligenxa, ehe conviene al buono arlifice.

176

Ueber die Grenzen

gen *). Man mag daraus, daß er das Haar der Alcina nur mit dem Golde vergleicht, nicht aber güldenes Haar nennt, noch so deutlich schließen, daß er den Gebrauch des wirklichen Goldes in der Farbengebung gemißbilligct**)> Man mag sogar in seiner herabsteizenden Rase, Quindi il naso per mezo il viso fcende, das Profil jener alten griechischen, und von griechischen Künstlern auch Romern geliehenen Nasen finden WaS nutzt alle diese Gelehrsamkeit und Einsicht uns Lesern, die wir eine schöne Frau zu sehen glauben wollen, die wir et­ was von der sanften Wallung des Geblüts dabey empfinden wollen, die den ivirklichen Anblick der Schönheit beglei­ tet? Wenn der Dichter weiß, aus welchen Verhältnissen eine schöne Gestalt entspringt, wissen wir es darum auch?" Und wenn wir es auch wüßten, laßt er uns hier diese Ver•) (Ibid. p» Lg2.) Qui PAriolto colorisce, e in queft» suo colorire dimofira eifere un Titian o. ••) (Ibid. p. Igo.) Poteva PArioItö nella guisa, ehe ha detto chioma bionda, dir chioma d’oro : iha gli parve sorfe, ehe ayrebbe avuto troppo del Poetico. Da ehe si puo ritrar, ehe ’1 Pittore dee imiter l’oro, e non metterlo (come fanno i Mihiatori) nelle sue Pitture, in modo, ehe Zi polfa di re, que’ capelli non sono d’oto, ma pat ehe risplendano, cöme Pero. WaS Dolce, in dem Nachfolgenden, aus dem Athenaus an­ führt, ist merkwürdig,? nur daß es sich nicht völlig so da, selbst findet. Ich rede an eirwm andern Orte davon. •**) (Ibid* p. 182.) Il naso, ehe discende giu, ravehdo per aventura la confideratione a quelle forme de* Haß, ehe fi veggono no’ ritratü delle belle Romane an» liehe*

der Mahlerey Und Poesie.

177

Verhältnisse sehen? Oder erleichtert er uns auch nur im

geringsten die Mühe, uns ihrer auf eine lebhafte anschauende Art zu erinnern? Eine Stirn, in die gehörigen Schranke»»

geschlossen, la fronte, Che lo spazio finia con giusta meta; eine Nase, an welcher selbst der Neid nichts zn bestfern findet,

Che non trova l’invidia, ove l’emende;

eine Hand, etwas länglich

und schmal in ihrer Breite

Lunghetta alquanto, et di larghezza angufta:

was für eit» Bild gebe»» diese allgemeine Formeln? In dem Munde eines Zeichenmeisters, der seine Schüler auf

die Schöüheiten des akademischen Modells aufmerksam

Machen will, Möchten sie noch etwas sagen; denn ein Blick aiif dieses Modell, und sie sehen die gehörige»»

Schranken dör fröhliche»» Stirn,

sie scheu den schön-

situ Schnitt der Nass, die schmale Breite der niedliche»»

Hand.

Aber be>) dem Dichter sehe ich nichts,

und

empfinde »nit Verdruß die Vergeblichkeit »»»einer besten

Anstrengung, etwas sehen zu wollen. I»» diesem Punkt, in welchem Virgil dem Homer

durch Nichtsthun ziemlich glücklich u> eiter nichts als ständlicher

nachahme»» können, »st auch Virgil

gewesen.

Auch feilte Dido »st ihm

pulchemma Diclo.

Wenn er ja um­

etwas an ihr beschre»bt, so ist «s ihr rei­

cher Pul;, ihr prächtiger Auszug»

Tandem progreditur — —- — — Sidoniam picto chlamydem circunidata liniLo: Nr

Ueber die Grenzen

178

Cui pharetra ex auro, crines nodantur in auruni,

Aurea pmpureaui fubnectit fibula veilem e). Wollte man darum auf ihn anwenden, waS jener alte

Künstler

zu

einem Lehrlinge sagte, der eine sehr ge-

schmückte Helena gemahlt hatte: „da du sie nicht schön „mahlen können, hast du sie reich gemahlt;" so würde Virgil antworten: „es liegt nicht an mir, daß ich sie

„nicht schön mahlen können; der Tadel trift die Schran­ ken meiner Kunst; mein Lob sey, mich innerhalb die„ser Schranken gehalten zu haben." Ich darf hier die beyden Lieder Anakrevns nicht

vergessen, in welchen er u»S die Schönheit sxmes Mäd­ chens und seines Bakhylls zergliedert^''^).

Die Wen­

dung die er dabey nimmt, macht alles gut.

Er glaubt

einen Mahler vor sich zu haben, und läßt ihn unter seinen Augen arbeiten.

So, sagt er,

mache mir das

Haar, so die Stirn, so die Augen, so den Mund, so

Hals und Busen, so Hüften und Hänoe! Was der Künst­

ler nur Theilweife zusammen setzen kann, konnte ihm der Dichter auch nur Theilweise vorschreiben.

Seine Ab­

sicht ist nicht, daß wir in dieser mündlichen Direktion

des Mahlers, die ganze Schönheit der geliebten Gegen­ stände erkennen und fühlen sollen; er selbst empfindet

die Unfähigkeit des wörtlichen Ausdrucks, und nimmt eben daher den Ausdruck der Kunst zu Hülfe, deren

Täuschung er so sehr erhebt, daß das ganze Lied mehr

*) Aeneid IV. v. 156. *•) Od. XXVIII. XXIX.

der Mahlerey

und Poesie.

179

ein Lobgedicht auf die Kunst, als auf fein Mädchen zu seyn scheint.

Er sieht nicht das Bild, er sieht sie selbst,

und glaubt, daß es nun eben den Mund zum Reden eröffnen werde: Ä7Tt%t( .

ßXgTT«

Ta%oc9

etVTlj».

KOC/ XotXntrm.

Auch in der Angabe des Bathylls ist die Anpreisung des schönen Knaben mit der Anpreisung der Kunst und des

Künstlers foin einander geflochten, daß eS zweifelhaft wirb,

wem zu Ehren Auakreon das Lied eigentlich bestimmt ha­ be.

Er sammelt die schönsten Theile aus verschiednen

Gemählden, an welchen eben die vorzügliche Schönheit dieser Theile daS Charakteristische war; den Hals nimmt

er von einen! Adonis, Brust und Hände von einem Mer­ kur, die Hüfte von einem Pollur, den Bauch von einem Bacchus; bis er bett ganzen Bächyll itt Wem vollendeten Apollo des Künstlers erblickt; Mitä &e 7r^or&)7T6V is"«> Tov Äüaniiai

ä'äpiaS'o’J

,

EXi^cmrim

T6

A5k^oer

,

IIoXuSfuxsos

Aiotvcw

— —

To» ATTOto&V#

T8T0>

K.aSiXwU 5T6 rührt, ist Reiz.

Der Eindruck',

den

ihre Augen machen, kommt nicht daher, daß sie schwarz und feurig sind, sondern daher, daß sie, Pietosi a riguardar, ä mover parchi,

mit Holdseligkeit um sich blicken, und sich langsam drehen;

daß Amor sie umflattert und seinen ganzen Köcher auS ihnen adschießt.

Ihr Mund entzückt, nicht weil von

eigenthümlichem Zinnober bedeckte Lippen zwey Reihen auserlesener Perlen verschließen; sondern weil hier das

liebliche Lächeln gebildet wird, welche«, für sich schon, ein Paradies auf Erden eröffnet; weil er es ist, auS dem

die freundlichen Worte tönen« die jedes rauhe Herz erwei­ che».

Ihr Busen bezaubert, weniger weil Milch und

Elfenbein und Aepfel, unS seine Weiße und niedliche Fi-

183

der Mahlerey und Poesie.

zur vorbilden, als vielmehr weil wir ihn sanft auf und nieder

wallen sehen, wie die Wellen am äußersten Rande des Ufers, wenn eln spielender Zephyr die See bestreitet:

Due

pohie acerbe, epur d’avorio satte,

Vengono e van, come onda al pfüno margo, Quan do piacevöle aura il mar combatte.

Ich bin versichert/ baß lauter solche Züge des Reizes, in eine oder zwey Stanzen zusammen gedrängt, weit mehr thun würde«, als die fünfe alle, in welche sie Ariost zer­

streuet und mit kalten Zügen der schönen Form, viel zu gelehrt für unsre Empfindungen, durchflochten har.

Selbst Anakreon wollte lieber in die anscheinende Unschicklichkeit verfallen, eine Unchulichkeit von dem Mah­

ler zu verfangen, als das Bild seines Mädchens nicht mit Rtiz beleben.

’S'wh» "yivi/a, liege AiiySte» g? irttöivrt

tfcctoq,

Ihr sanftes Kinn, befiehlt er dem Künstler, ihren mar­ mornen Rä^keü last'alle Grazien umflattern! Wie das?

Nach dem genauesten WvttverstaNde? Der ist keiner mah­ lerischen Ausführung fähig. Der Mahler konnte dem Kinn

die schönste Ründung,

das schönste Grübchen,

Amo-

ris digitulo impreltum, (denn das ---« scheinet mir ein Grübchen andeutfn zu wollen) — er könnte dem Halse die schönste Carnätiön geben; aber weiter konnte er nichts.

Die Wendungen dieses schönen Halses, das Spiel der Muskeln, durch das jenes Grübchen bald mehr bald we-

184

Ueber die Grenzen

Niger sichtbar wird, der eigentliche Reiz, war über seine Kräfte. Der Dichter sagte das Höchste, wodurch uns sei­ ne Kunst die Schönheit sinnlich zu machen vermag, damit auch der Mahler den höchsten Ausdruck in seiner Kunst suchen möge, tyn neues Beyspiel zu der obigen Anmer­ kung, daß der Dichter, auch wenn er von Kunstwerken redet, dennoch nicht verbnnden ist, sich mit seiner Beschr.etl'ung m den Schranken der Kunst zu Hallen,

XXII.

Jeuris mahlte eine Helena, und batte da» Herz, jene berühmte Zeilen des Homers, in welchen die entzückten Greise ihre Empfindungen bekennen, darunter zu setzen. Nie sind Mahlerey und Poesie in einen gleicher« Wett­ streit gezogen worden. Der Sieg blieb unentschieden, und beyde verdienten gekrönt zu werden. Denn so wie der weise Dichter ups die Schönheit, die er nach ihrm Bestandtheilen nicht fchstderu zu. kön­ nen fühlte, bloß in ihrer Wirkung zeigte; so zeigte der picht minder weise Mahler uns die Schönheit nach nichts als ihren Kestgndcheilen, und hielt es seiner Kunst für ftuansiändig, zu irgend einem andern Hülfsmittel seine Zu­ flucht zu nehmen. Sein Gemählde bestand aus der einzigen Figur der Helena, die nackend dq stand. Denn es ist wahrscheinlich, daß es eben die Helena war, welche er für die zu Crvtona mahlte *). *) Val. Maxiipus lib. III. cap. 7. Dionysius Halioarnair. Art. Rhet, cap. iS. irty Aeyiev ifiratrfaf.

184

Ueber die Grenzen

Niger sichtbar wird, der eigentliche Reiz, war über seine Kräfte. Der Dichter sagte das Höchste, wodurch uns sei­ ne Kunst die Schönheit sinnlich zu machen vermag, damit auch der Mahler den höchsten Ausdruck in seiner Kunst suchen möge, tyn neues Beyspiel zu der obigen Anmer­ kung, daß der Dichter, auch wenn er von Kunstwerken redet, dennoch nicht verbnnden ist, sich mit seiner Beschr.etl'ung m den Schranken der Kunst zu Hallen,

XXII.

Jeuris mahlte eine Helena, und batte da» Herz, jene berühmte Zeilen des Homers, in welchen die entzückten Greise ihre Empfindungen bekennen, darunter zu setzen. Nie sind Mahlerey und Poesie in einen gleicher« Wett­ streit gezogen worden. Der Sieg blieb unentschieden, und beyde verdienten gekrönt zu werden. Denn so wie der weise Dichter ups die Schönheit, die er nach ihrm Bestandtheilen nicht fchstderu zu. kön­ nen fühlte, bloß in ihrer Wirkung zeigte; so zeigte der picht minder weise Mahler uns die Schönheit nach nichts als ihren Kestgndcheilen, und hielt es seiner Kunst für ftuansiändig, zu irgend einem andern Hülfsmittel seine Zu­ flucht zu nehmen. Sein Gemählde bestand aus der einzigen Figur der Helena, die nackend dq stand. Denn es ist wahrscheinlich, daß es eben die Helena war, welche er für die zu Crvtona mahlte *). *) Val. Maxiipus lib. III. cap. 7. Dionysius Halioarnair. Art. Rhet, cap. iS. irty Aeyiev ifiratrfaf.

der Mahlerey und Poesie.

185

Man vergleiche hiermit. Wundershalber, das Ge­ mählde welches Caylus dem neuern Künstler aus jenen Zeilen des Homers vorzeichnet: „Helena, mit einem wei„ßen Schleyer bedeckt, erscheint mitten unter verschiede„nen alten Männern, in deren Zahl sich auch Priamus „befindet, der an den Zeichen seiner königlichen Winde „;u erkennen ist. Der Artist mnß fich besonders anqe„legen seyn lasst«, ünS den Triumph der Schönheit in „den gierigen Blicken und in allen den Aeußerungen ei„ner staunenden Bewunderung auf den Gesichtern dieser „kalten Greise,' empfinden zu lassen. Die Scene ist über „einem von den Thoren der Stadt. Die Vertiefung des „Gemähldes kann sich in den freyen Himmel, oder ge„gen höhere Gebäude der Stadt verlieren; jenes wür„de kühner lassen, eins aber ist so schicklich wie das „andere.'' Man denke sich dieses Gemählde von dem größten Meister unserer Zeit ausgeführt, und stelle es gegen das Werk des Icuris. Welches wird den wahren Triumph der Schönheit zeigen? Dieses, wo ich ihn selbst fühle, oder jenes, wo ich ihn aus den Grimassen gerührter Grau­ harte schließen soll? Turpe senilis amor; ein gieriger Blick macht das ehrwürdigste Gesicht lächerlich, und ein Greis, der jugendliche Begierde verräth, ist sogar ein eckler Gegenstand. Den Homerischen Greisen ist dieser Vorwurf nicht zu machen; denn der Affekt den sie em­ pfinden, ist ein augenblicklicher Funke, den ihre Weisheit sogleich erstickt; nur bestimmt, der Helena Ehre znma»

186

Ueber die Grenzen

chen, aber nicht, sie selbst zu schänden. Sie bekennen ihr Gefühl, und fügen sogleich hinzu: AAhtf xoy «5, Ten irtg sü „Dieser Apollo, sagt er, und der Antinous sind beyde „in eben demselben Pallaste zu Rom zu sehen. Wenn „aber Antinous den Zuschauer mit Verwunderung er» „füllt? so setzt iHv Äpöüo in Erstaunen; und zwar, wie „sich die Reisenden ausdrücken, durch einen Anblick» „welcher etwas mehr als menschliches zeigt, welches sie „gemeiniglich gar nicht zu beschreiben im Stande sind» „Und diese Wirkung ist, sagen sie, um desto bewunderns„würdiger, da, wenn man es untersucht, das Unpropor„tionirliche daran auch einem gemeinen Auge klar ist. Ei„ner der besten Bildhauer, welche wir in England haben, „der neulich dahin reifte, diese Bildsäule zu sehen, be„kraftigte mir das, was jetzt gesagt worden, besonders, „das; *) Jdem lib* XXXIV. sect, ig. p. 65t» Ipsc tarnen corporum tenus curiolus, aninii lenlus non expressisse ▼idetur, capillum quoque et pubem non emendatius fecille, quam rudis antiquitas insutuißet. **) Ibid. Hie prinius nervös et venas expressitj capiU lttinque diligentins,

w) Zergliederung der Schönheit. S. 47. Bert. Auög.

der Mahlerey und Poesie.

193

Ldaß die Füße und Schenkel, in Ansehung der obern Thei­

le, zu lang und zu breit sind.

Und Andreas Sacchi, einer

„der größten Italiänischen Mahler, scheint eben dieser Mei-

„nung gewesen zu seyn; sonst würde er schwerlich (in eis „nem berühmten Gemählde, welches jetzt in England ist,)

„seinem Apollo,, wie er den Tonkünstler Pasquilmi krönt, „das völlige Verhältniß des Anrinous gegeben haben, da „er übrigens wirklich eine Copie von dem Apollo zu seyn „scheint.

Ob wir gleich an sehr großen Werken oft sehen,

„haß ein geringerer Theil aus der Acht gelassen worden, so

„kann dieses doch hier der Fall nicht seyn,

denn an einer

„schönen Bildsäule ,st ein richtiges Verhältniß eine von ih-

„ren wesentlichen Schönheiten.

Daher ist zu schließeii,

„daß diese Glieder mit Fleiß müssen seyn verlängert wsr„den, sonst würde eS leicht haben kömren vermieden wer­

den.

Wenn wir als»

dis Schönheiten dieser Figur durch

„und durch untersuchen, so werden wir mit Grunde urtheilen,

„daß das- was man bisher für unbeschreiblich vortrefflich

„an ihrem allgemeinen Anblicke gehalten, von dem herge-

„rührl hat, was em Fehler in einem Theile derselben zu „seyn geschienen." — Alles dieses ist sehr einleuchtend; und schon Homer, füge ich hinzu, har es empfunden und

angedeutet, daß es em erhabenes Ansehen giebt, welches bloß aus diesem Zusatz von Größe in den Abmessungen der

Füße und Schenkel entspringt.

Denn wenn Anrenor die

Gestalt des Ulysses mit der Gestalt des Menelaus verglei­ chen will, so laßt er ihn sagen *):

•) Iliad. T. v« 3io. 11,

N

194

Ueber die Grenzen

"5.1»non soll, iu{i« Aft^w Vt^tfcnv, -yef«{MM{et il» Otvrrivf. „Wann beyde standen, so ragte Menelaus mit den brei„ten Schaltern hoch hervor; wann aber beyde saßen, war „Ulysses der ansehnlichere". Da Ulysses also das Anse» hen im Sitzen gewann, welches Menelaus im Sitzen ver­ lor, so ist das Verhältniß leicht zu bestimmen, wÄcheS beyder Dberleib zu den Füßen und Schenkeln gehabt. Ulysses hatte einen Zusatz von Größe in den Proportionen desl erstem, MenelauS ih den Proportionen der letztem.

XXIII. Ein einziger unschicklicher Theil kann die übereinstimmen,

de Wirkung vieler zur Schönheit stöhren. Doch wird der Gegenstand darum noch nicht häßlich. Auch die Häßlich­ keit erfordert mehrere unschickliche Theile, die wir eben­ falls auf einmal müssm übersehen können, wenn wir da­ bey das Gegentheil von dem empfinde« sollen, was uns die Schönheit empfinden läßt. Sonach würde auch die Häßlichkeit, ihrem Wesen nach, kein Vorwurf der Poesie seyn können; und dennoch hat Homer die äußerste Häßlichkeit in dem Thersites ge­ schildert, und sie nach ihren Theilen neben einander ge­ schildert. Warum war ihm bey der Häßlichkeit vergönnt, waS er bey der Schönheit so einsichtsvoll sich selbst un­ tersagte? Wird die Wirkung der Häßlichkeit, durch die auf einander folgende Enumeration ihrer Elemente, mcht

194

Ueber die Grenzen

"5.1»non soll, iu{i« Aft^w Vt^tfcnv, -yef«{MM{et il» Otvrrivf. „Wann beyde standen, so ragte Menelaus mit den brei„ten Schaltern hoch hervor; wann aber beyde saßen, war „Ulysses der ansehnlichere". Da Ulysses also das Anse» hen im Sitzen gewann, welches Menelaus im Sitzen ver­ lor, so ist das Verhältniß leicht zu bestimmen, wÄcheS beyder Dberleib zu den Füßen und Schenkeln gehabt. Ulysses hatte einen Zusatz von Größe in den Proportionen desl erstem, MenelauS ih den Proportionen der letztem.

XXIII. Ein einziger unschicklicher Theil kann die übereinstimmen,

de Wirkung vieler zur Schönheit stöhren. Doch wird der Gegenstand darum noch nicht häßlich. Auch die Häßlich­ keit erfordert mehrere unschickliche Theile, die wir eben­ falls auf einmal müssm übersehen können, wenn wir da­ bey das Gegentheil von dem empfinde« sollen, was uns die Schönheit empfinden läßt. Sonach würde auch die Häßlichkeit, ihrem Wesen nach, kein Vorwurf der Poesie seyn können; und dennoch hat Homer die äußerste Häßlichkeit in dem Thersites ge­ schildert, und sie nach ihren Theilen neben einander ge­ schildert. Warum war ihm bey der Häßlichkeit vergönnt, waS er bey der Schönheit so einsichtsvoll sich selbst un­ tersagte? Wird die Wirkung der Häßlichkeit, durch die auf einander folgende Enumeration ihrer Elemente, mcht

-er Mahlerey und Poesie.

19;

«dm sowohl gehindert, als die Wirkung der Schönheit durch die ähnliche EunmerativN ihrer Elements verei­

telt wird? Allerdings wird sie das; aber .hierin liegt auch dis

Rechtfertigung Homers.

Edm weil die Häßlichkeit in

der Schilderung des Dichters zü einer minder widerwär»

tigm Erscheinung körperlicher Unvollkommenheiten wird, und gleichsam, von der Seite ihrer Wirkung, Häßlichkeit

zu seyn aushört, wird sie dem Dichter brauchbar; und was er für sich; selbst nicht nutzen kann, nutzt er als ein Ingrediens, um gewisse vermischte Empfindungen hervor» zubringen und zu verstärken, mit welchen er uns, itt Ermangelkmg reinangenehmer Empfindungen, unterhal­ ten muß, Diese vermischte Empfindungen sind das Lächerliche, und das Schreckliche.

Homer macht den Thersites Häßlich, «M ihn lächer­ lich zu machm.

Er wird aber nicht durch seine bloße

Häßlichkeit lächerlich; denn Häßlichkeit ist Unvollkom­ menheit, und zu dem Lächerlichen wird ein Conrrast von

VollkommenheitM und UttvollkömMenheiten erfordert *);

Dieses ist die Erklärung meines Freundes, zu der ich hinzusetzen möchte, daß dieser Contrast Nicht zu grell uüd

zu schneidend seyn müß, daß die Oppostta, Nm in der

Sprache der Mahler fortzufahren, von der Art seyn ntüsfeir, daß sie sich itt einander verschmelzen lassen. Der •) Philosophische Schriften de« Herrn Moses Mendelssohn, Theil II. Seite

?5>6

Ueber die Grenzen

weise und rechtschaffene Aesop wird dadurch, daß man

ihm die Häßlichkeit des Thersites gegeben, nicht lächer­ lich.

Es war eine alberne Mönchsfratze, das

seiner lehrreichen Mahrchen, vermittelst der Ungestalt­

heit auch in seine Person verlegen zu wollen.

Denn

ein mißgebildeter Körper und eine schöne Seele, sind wie Del und Eßig, die wenn man sie schon in einander

schlagt, für den Geschmack doch immer getrennt blei­ ben.

Sie gewähren kein Drittes; der Körper erweckt

Verdruß, die Seele Wohlgefallen; jedes das seine für sich.

Nur wenn der mißgebildete Körper zugleich ge­

brechlich und kränklich ist, wen« er die Seele in ihre«

Wirkungen hindert, wenn er die Quelle nachtheiliger Vorurtheile gegen sie wird: alSdan« fließe« Verdruß und

Wohlgefallen in einander; aber die neue daraus entsprin­ gende Erscheinung ist nicht Lachen, sondern Mitleid, und der Gegenstand, den wir ohne dieses nur hochgeachtet

hätten, wird interessant. Der mißgebildete gebrechliche Pope mußte seinen Freunde« weit interessanter seyn, als der schöne und gesunde Wicherley de» seinigen. — So

wenig aber Thersites durch die bloße Häßlichkeit lächer­ lich wird, eben so wenig würde er es ohne dieselbe seyn. Die Häßlichkeit; die Uebereinstimmung dieser Häßlich­

keit mit seinem Charakter; der Widerspruch, den beyde

mit der Idee machen, die er von seiner eigenen Wich­ tigkeit hegt; die unschädliche, ihn allein demüthigende

Wirkung seines boshaften Geschwätzes: alles muß zu­ sammen zu diesem Zwecke wirken.

Der letztere Umstand

See Mahlerey und Poesie.

197

ist das Op And descant on mine own deformity. And therefore, fince I cannot prove a Lover» To entertain these fair well - spoken daya I am determined, to prove a Villain! so höre ich einen Teufel, und sehe einen Teufel ; in eines Gestalt, die der Teufel allein haben sollte.

XXIV,

So nutzt der Dichter die Häßlichkeit der Formen: welchen Gebrauch ist dem Mahler davon zu machen vergönnt? Oie Mahlerey, als nachahmende Fertigkeit, kann die Häßlichkeit ausdrücken: die Mahlerey, als schöne Kunst, will sie nicht ausdrücken. Als jener, gehören ihr; alle sichtbare Gegenstände zu: als diese, schließt sie sich nur auf diejenigen sichtbaren Gegenstände ein, welche an­ genehm« Empfindungen erwecken. Aber gefallen nicht auch die unangenehmen Empfin­ dungen in der Nachahmung? Nicht alle. Ei« scharfsin? Niger Kunstrichter **) hat dieses bereits von dem Ekel be­ merkt. „Die Vorstellungen der Furcht," sagt er, „der „Traurigkeit, des Schreckens, des Mitleids u. s. w., kön-

*) Briese, die neueste Litteratur betreffend, Th. V. 8. toy.

ros

Ueber die Grenzen

And that so lamely and unfashionably, That dogs hark at me, as I halt by them: Why I (.in this weak piping time of Peace) Have no delight to pass away the time; Unlefs to fpy my fhadow in the sun> And descant on mine own deformity. And therefore, fince I cannot prove a Lover» To entertain these fair well - spoken daya I am determined, to prove a Villain! so höre ich einen Teufel, und sehe einen Teufel ; in eines Gestalt, die der Teufel allein haben sollte.

XXIV,

So nutzt der Dichter die Häßlichkeit der Formen: welchen Gebrauch ist dem Mahler davon zu machen vergönnt? Oie Mahlerey, als nachahmende Fertigkeit, kann die Häßlichkeit ausdrücken: die Mahlerey, als schöne Kunst, will sie nicht ausdrücken. Als jener, gehören ihr; alle sichtbare Gegenstände zu: als diese, schließt sie sich nur auf diejenigen sichtbaren Gegenstände ein, welche an­ genehm« Empfindungen erwecken. Aber gefallen nicht auch die unangenehmen Empfin­ dungen in der Nachahmung? Nicht alle. Ei« scharfsin? Niger Kunstrichter **) hat dieses bereits von dem Ekel be­ merkt. „Die Vorstellungen der Furcht," sagt er, „der „Traurigkeit, des Schreckens, des Mitleids u. s. w., kön-

*) Briese, die neueste Litteratur betreffend, Th. V. 8. toy.

der Mahlerey und Poesie.

20,

„nett nur Unlust erregen, in so weit wir das Uebel für „wirklich halten. Diese können also durch die Erinnerung, „daß es ein künstlicher Betrug sey, in angenehme Empfin„dungen nufgelös't werden. Die widrige Empfindung des „Ekels aber erfolgt, vermöge des Gesetzes der Einbil„dungskraft, auf die bloße Vorstellung in der Seele, de« „Gegenstand mag für wirklich gehalten werden, oder „nicht. Was Hilsts dem beleidigten Gemüthe also, wenn „sich die Kunst der Nachahmung noch so sehr verräth? „Ihre Unlust entsprang nicht aus der Voraussetzung, daß „das Uebel wirkllch sey, sondern aus der bloßen Vorstel­ lung desselben, und diese ist wirklich da. Die Empfin„dungen des Ekels sind also allezeit Natur, niemals „Nachahmung." Eben dieses gilt von der Häßlichkeit der Formen. Diese Häßlichkeit beleidigt unste Gischt, widersteht un­ serm Geschmack an Ordnung und Uebereinstimmung, und erweckt Abscheu, ohne Rücksicht auf die wirkliche Eristenz des Gegenstandes, an welchem wir sie wahrnehmen. Wir mögen den Thersites weder in der Natur noch im Bilde sehen; und wenn schon sein Bild weniger mißfällt, so ge­ schieht diests doch nicht deswegen, weil die Häßlichkeit feiner Form in der Nachahmung Häßlichkeit zu seyn auf­ hört, sondern, weil wir das Vermögen besitzen, von dieser Häßlichkeit zu abstrahiren, und uns bloß an der Kunst des Mahlers zn vergnügen» Aber auch dieses Vergnügen wird alle Augenblicke durch die Ueberlegung unterbrochen, wie übel die Kunst angewandt worden, und diese Ueber-

zoz

Ueber die Grenzen

legung wird feiten fehlen, die Geringschätzung des Künst­ lers nach sich zu ziehen, Aristoteles giebt eine andere Ursache »n *), warum Dinge, die wir in der Natur mit Widerwillen erblicken, auch in der getreusten Abbildung Vergnügen gewähre»; die allgemeine Wißbegierde des Menschen. Wir freuen unS, wenn wir entweder aus der Abbildung lernen kön­ nen, t» ;*.«■», was ein jedes Ding ist, oder wenn wir daraus schließen können, «-< whh, daß es dieses oder jenes ist. Allein auch hieraus folgt, zum Besten der Hässlichkeit in der Nachahmung, pichts, Das Vergnü­ gen, welches aus der Befriedigung «nfrpr Wißbegierde entspringt, ist momentan , und dem Gegenstände, über welchen sie befriedigt wird, nur zufällig: das Mißver­ gnügen hingegen, welches den Anblick der Häßlichkeit be­ gleitet, permanent, und dem Gegenstände, der es er­ weckt, wesentlich. Wie kann also jenes diesem das Gleich­ gewicht halten? Noch weniger kann hie kleine angenehme Beschäftigung, welche unS Pie Bemerkung der Aehnlichkeit macht, die unangenehme Wirkung der Häßlichkeit besiegen. Jegenauer ich daS häßliche Nachbild mit dem häßlichen Ur­ bilde vergleiche, desto mehr stelle ich mich dieser Wirkung bloß, so daß das Vergnügen der Vergleichung gar bald verschwin­ det, und mir nichts als der püdrige Eindruck der verdoppel­ ten Häßlichkeit übrig bleibt. Nach den Beyspielen, welche Aristoteles giebt, zu urtheilen, scheint es, als habe er auch selb st die Häßlichkeit der Formen nicht mit zu den mißfälligen •) De Poeticft cap. IV.

der Mahlerey und Poesie»

403

Gegenständen rechnen wollen, die in der Nachahmung ge­

fallen können. Leichname.

Diese Beyspiele sind, reißende Thiere und

Reißende Thiere erregen Schrecken, wenn

sie auch nicht häßlich sind; und dieses Schrecken, nicht ihre Häßlichkeit, ist es, wa- durch die Nachahmung,',, angenehme Empfindung aufgelöf't wird. So auch mit den Leichnamen; da- schärfere Gefühl de- Mitleids, die schreckliche Erinnerung au unsre eigne Vernichtung ist es, welche uns einen Leichnam in der Natur zu einem widri­

gen Gegenstand macht; in der Nachahmung aber verliert jenes Mitleid, durch die Uederzeugupg des Betrugs, daSchneidende, und von dieser fatalen Erinnerung kann uns.

ein Zusatz von schmeichelhaften Umständen entweder gänz­

lich abziehen, pder sich so unzertrennlich mit ihr vereinen, daß wir mehr wüpschen-würdiges als schreckliches dann zu bemerken glauben, Da also die Häßlichkeit der Formen, weil die Em­

pfindung, welche sie erregt, unangenehm, und doch nicht

von derjenigen Art unangenehmer Empfindungen ist, wel­

che sich durch die Nachahmung in angenehme verwandeln, an und vor sich selbst lein Vorwurf der Mahlerey, al-

schöner Kunst, seyn kann: so käme es noch darauf M, ob sie ihr, nicht eben so wehl wie der Poesie, als Ingrediens, um andre Empfindungen zu bestärke,,, nützlich seyn könne.

Darf die Mahlerey, zu Erreichung des Lächerliche« und Schrecklichen, sich häßlicher Formen bedienen?

Ich will es nicht wagen, so gerade zu, mit Nein hierauf zu antworten, Es ist unleugbar, daß unschädliche

204

Ueber die Grepzett

Häßlichkeit auch in der Mahlerey lächerlich werbe« kann: besonders, wenn eine Affektation «ach Reiz und Ansehm damit verbunden wird. Es ist eben so unstreitig, daß schädliche Häßlichkeit, so wie in der Natur, also auch im Gemählde Schrecken erweckt; und daß jenes Lächerliche und dieses Schreckliche, welches schon an sich vermischt« Empfindungen sind, durch die Nachahmung einen neuen Grad von Anzüglichkeit und Vergnügung erlangen. Ich muß aber zu bedenken geben, daß demvhngeachtet sich die Mahlerey hier nicht völlig mit der Poesie i« gleichem Fall befindet. In der Poesie, wie ich angemerkt, verliert die Häßlichkeit der Form, durch die Veränderung, ihrer coeristirenden Theile in successive, ihre widrige Wir­ kung fast gänzlich; sie hört von dieser Seite gleichsam auf, Häßlichkeit zu seyn, und kann sich daher mit andern Er­ scheinungen desto inniger verbinden, um eine neue besonde­ re Wirkung hervyrzubringeu. Zn der Mahlerey hingegen hat die Häßlichkeit alle ihre Kräfte beysammen, und wirkt nicht viel schwächer, als in der Natur selbst. Unschädliche Häßlichkeit kann folglich nicht wohl lange lächerlich blei­ ben; die unangenehme Empfindung gewinnt die Ober­ hand, und was in den ersten Augenblicken pvffirlich war, wird in der Folge bloß abscheulich. Nicht anders geht eS mit der schädlichen Häßlichkeit; das Schreckliche verliert sich nach und nach, und das Unförmliche bleibt allein und unveränderlich zurück. Dieses überlegt, hatte der Graf CayluS vollkommen Recht, die Episode des Thersites aus der Reihe seiner

405

Mahlerey und Poesie. Homerischen Gemählde wegzulassen.

Aber hat Man dar­

um auch Recht, sie aus dem Homer selbst wegzuwün-

schen? Ich finde ungern, daß ein Gelehrter,

sehr richtigem und ist **);

feinem Geschmack,

von sonst

dieser Meinung

Ich verspüre es auf einen andern Ort,

mich

rveitlauftiger darüber zu erklären.

XXV.

Auch der zweyte Unterschied,

welchen der angeführte

Kunstrichter, zwischen dem Ekel und andern unangeneh­

men Leidenschaften der Seele findet,

äußert sich bei der

Unlust, welche die Häßlichkeit der Formen in uns erweckt.

„Andere unangenehme Leidenschaften," sagt er **),

l es die Geschichte ausdrücklich sagt, daß sein Körper schon gerochen habe.

Mich dünkt

diese Vorstellung auch hier unerträglich; denn nicht bloß

der wirkliche Gestank, 'auch schon die Idee des Gestailks «kweckt Ekel.

Wir fliehen stinkende Orte, wenn wir schon

den Schnupfen haben. Doch die Mahlerey will das Ekel­ hafte, nicht des Ekelhaften wegen; sie will es, so wie die Poesie, um daS Lächerliche und Schreckliche dadurch zu

verstärken.

Auf ihre Gefahr! Was ich aber von dem

Häßliche» in diesem Fall angemerkt habe, gilt von dem

Ekelhaften um so viel mehr.

Es verliert in einer sicht­

baren Nachahmung von seiner Wirkung ungleich weniger, als in einer hölbaren; es kann sich also auch dort mit den

Bestandtheilen des Lächerlichen und Schrecklichen weni­

ger innig vermischen, als hier; sobald die Ueberraschung vorbey, spbald der erste gierige Blick gesättigt ist, trennt es sich wiederum gänzlich, und liegt in seiner eignen cru-

den Gestalt da.

*) Richardson dp 1» Pciqtqre T. I. p. 74.

-er Mahlerey und Poesie.

XXVI. DeS Herrn Winkelmann Geschichte der Kunst des Alterchumö ist erschienen. Ich wage keinen Schritt weiter, ohne dieses Werk gelesen zu haben. Bloß aus allge­ meinen Begriffen über die Kunst vemünftcln, kann zu Grillen verführen, die man über lang oder kurz, zu fei­ ner Beschämung, in den Werken der Kunst widerlegt fin­ det. Auch die Alten kennten die Bande, welche die Mah­ lerey und Poesie mit einander verknüpfen, und sie wer­ den sie nicht enger zugezvgen haben, als es beyden zu­ träglich ist. Was ihre Künstler gethan, wird mich leh­ ren, was die Künstler überhaupt thun sollen; und wo so ein Mann die Fackel der Geschichte vorträgt, kann die Spekulation kühnlich «achtreren. Man pflegt in einem wichtigen Werke zu blättern, ehe man es crnülich zu lesen ansängt. Meine Neugierde war, vor allen Dingen des Verfassers Meinung von dem Laokoon zu wissen; nicht zwar von der Kunst des Werks, über welche er sich schon anderwärts erklärt har, als nur von dem Alter desselben. Wem tritt er darüber be»? De­ nen, welchen Virgil die Gruppe vor Augen gehabt zu Ha­ den scheint? Oder denen, welche die Künstler dem Dich­ ter nacharbeiten lassen? Es ist sehr nach meinem Geschmack, daß er von einer gegenseitigen Nachahmung gänzlich schweigt. Wo ist die ab­ solute Nothwendigkeit derselben? Es ist gar nicht unmbg-

22o

Ueber die Grenze»

lieft, daß die Ähnlichkeiten, die ich oben zwischen dem poetischen Gemählde und dem Kunstwerke in Erwägung gezogen habe, zufällige und nicht vorsetzliche Aehnlichkeiten sind; und daß das eine so wenig das Vorbild des an­ dern gewesen, daß sie auch nicht einmal beyde einerley Vorbild gehabt zu haben brauchen. Hätte indeß auch ihn ein Schein dieser Nachahmung geblendet, so würde er sich für die erster» haben erklären müssen. Denn er nimmt an, daß der Lavkoon aus den Zeiten sey, da sich die Kunst unter den Griechen auf dem höchsten Gipfel ihrer Vollkommeyheit befunden habe; aus den Zeiten Alexanders des Großen. „Das gütige Schicksal, sagt er *•*) ), welches auch über „die Künste bey ihrer Vertilgung noch gewacht, hat aller „Welt zum Wunder ein Werk aus dieser Zeit der Kunst „erhalten, zum Beweise von der Wahrheit der Geschichte ,,von der Herrlichkeit so vieler vernichteten Meisterstücke. „Lavkoon, nebst seinen beyden Söhnen, vom Agesander, „Apvllodorus ") und Athenodorus auS Rhodus gearbeitet, „ist nach aller Wahrscheinlichkeit aus dieser Zeit, ob man „gleich dieselbe nicht bestimmen, und wie einige gechan *) Geschichte der Kunst. S. 347. •*) Nicht Apollodoru«, sondern Polydorus. Plinius ist der einzige, der diese Künstler nennt, und ich wüßte nicht, daß die Handschriften in diesem Namen von einander abgingen. Harduin würde es gewiß sonst angemerkt haben- Auch die älter» Ausgaben lesen alle, Polydorus. Herr Winkelmann muß sich in dieser Kleinigkeit bloß verschrieben haben.

-er Mahlerey und Poesie.

221

„haben, die Olympias, in welcher diese Künstler geblüht, „angeben kann." In einer Anmerkung setzt er hinzu: „Plinius meldet

„kein Wort von der Zeit,

in welcher Agesander und die

„Gehülfen an seinem Werke,, gelebt haben; Maffei aber, „in der Erklärung alter Statuen, hat wissen wollen, daß „diese Künstler in der acht und achtzigsten Olympias ge-

„blüht haben, und auf dessen Wort haben andere, „Richardson, nachgeschrieben.

als

Jener hat, wie ich glaU-

„be, einen Athenodorus unter des Polykletus Schülern, „für einen von unsern Künstlern genommen, und da Po-

„lykletus in der sieben rmd a dtztgsten Olympias geblüht, „so hat man seinen vermeimen Schüler eine Olympias

„später gesetzt:

dre Gründe kann Maffei nicht haben."

Er konnte ganz gewiß keine andre haben. Aber war­

um läßt es Herr Winkelmann dabey bewenden,

vermeinten Grund des Maffei bloß anzuführen?

legt er sich von sich selbst ? Nicht so ganz.

diesen

Wider­

Denn, wenn

er auch schon von keinen andern Gründen unterstützt äst, so macht er doch schon für sich selbst eine kleine Wahr­

scheinlichkeit, wo man nicht sonst zeigen kann,

nvdoruS, des Polyklets Schüler,

daß Ache-

und Athenodorus der

Gehülfe des Agesanders und Polydorus,

unmöglich eine

und ebendieselbe Person können gewesen seyn. Zum Glück

laßt sich dieses zeigen, und zwar aus ihrem verschiedenen

Vaterlande.

Der erste Athenodorus war, nach dem aus­

drücklichen Zeugniß des Pausamas *>, aus Klitor in Ar-

htifutn — irct kl KPhoc. cap. 9. p. Zig. Edict, Kuhn.

*) A9’u»«S£x{ /» Ire «cAe?« nur 8i.

8"e yyv^ev ^Ad«,

r»x«; ’» v-i ervgyw,

XxAifiö,, i^"Tjx/3»höv e « «i Tv%>.« xtt&t Tiv^fW ExuT.T.^tew o% «{aS eine ist der Ausstuß von dem

Engel, das zweyte die Wirkung einer Fa el, und das

dritte der Schein des Mondes.

Diese drey Lichte ha­

ben jedes seine ihnen eigenthümlich zukommende Scheine

und Wiederscheine und machen zusammen einen wunder­

baren Effekt.

Dies" Schönheit ist vermuthlich eine von denen, auf die Raphael von ungefehr gekommen ist, solche verdient sie alles Lob.

Als eine

Seine vornehmste Absicht

war sie wohl nicht; und sie wird auch daher weder die

erste noch die einzige Schönheit in seinem Stücke seyn. Exempel e4S),

daß selbst Raphael und Hannibal

Earaccio der Schrift in ihren Gemählden nicht ganz ent­ behren können.

Ium Beweise, wie sehr sich die Mahle­

rey vor allen Zusammensetzungen, die sie nicht durch sich selbst verständlich machen kann, zu hüten habe, Indeß ist

es ohne Zweifel immer ein sehr großer Unterschied, wenn

Raphael schreibt, und wenn es tin anderer thut. Ohne

die Schrift

wird man zwar

die eigentliche Geschichte

Raphaels nicht verstehen, aber sein Gemählde wird doch

noch immer als Gemählde eine vortrefliche Wirkung thun:

anstatt daß die meisten andern Geschichtmahler bloß das Verdienst haben, die Geschichte ausgedrückt zu haben.

•) S. 37.

") S. 89-

Anhang.

3’5

Ich kann in der Notte del Correggio, in welchem sich alles Licht von dem gebohrnen Heyland ausbre'tet, nicht mit Richardson c) einerley Meynung seyn, daß der Mahler deswegen den vollen Mond hatte weglassen sollen, weil er nicht leuchtet. Eben dieses Nichtleuchten ist hier ein sinnreicher Gedanke des Mahlers, der sich darauf gründet, daß das große Licht das kleine verdunkeln müsse. Dieser Gedanke ist wehr werth, als der kleine Anstoß, den das Auge dabey hat, welcher Apstoß noch dazu uns eben auf die Sache aufmerksam macht.

Was Richardson S. 120. u. f. von der Vortreffstchkeit der Handzeichnungen sagt, ist sehr dienlich, den Werth der Coloristen zu bestimmen. Wenn es wahr ist, daß der Künstler, wenn ihn die Schwierigkeiten der Fär­ bung nicht zerstreuen, mit aller Freyheit der Gedanken, gerade auf seinen Zweck gehen kann; wenn es wahr ist, daß man in den Zeichnungen der besten Mahler einen Geist, ein Leben, eine Freyheit, eine Zärtlichkeit sinder, die man in ihren Mahlereyen vermißt; wenn es wahr ist, daß die Feder und der Stift Dinge machen können, wel­ che dem Pinsel zu machen unmöglich sind; wenn es wahr ist, daß der Pinsel mit einem einzigen liquidoSinge aus­ führen kann, die der, welcher mehrere Farben, besonders in Del, zu menagiren hat, nicht erreichen kann: So fra­ ge ich, ob wohl das bewundernswürdigste Colorit uns für allen diesen Verlust schadlos halten kann? Ja, ich ') S. s>7.

zi6 möchte fragen

Anhang.

ob es nicht zu wünschen wäre, die Aunst

mit Oelfarben zu mahlen, möchte gar nicht seyn erfun­

den worden? Ist es wohl wahrscheinlich, daß die Hoffnung, wel­ che Richardson^) äußert, dürfte erfüllt werden:

daff ein

Mahler aufstehen werde, welcher den Raphael überträfe, indem erden Contour der Alten mit dem besten Colorit der

Neuern verbände? Es ist wahr, ich sehe keine Unmöglich­

keit, warum sich diese beyden Stücke nicht sollten verbinden lassen, und warum eines das andere ausschliessen müsste.

Es ist aber eine andere Frage, ob ein menschliches Alter,ein menschlicher Fleiß hinreichend sind, diese Verbindung zur

Vollkommenheit zu bringen.

Was von den Handzeichnun­

gen angemerkt worden, scheint diese Frage zu verneinen. Ist sie aber nicht anders zu verneinen; wird jeder Meister, je weiter er cs in dem einen Theil gebracht hat, desto weiter in dem andern nothwendig zurückbleiben: so fragt sich nur noch, in welchem wir ihn vortrefflicher zu seyn wünschen

werden? Wegen Vortrefflichkeit der Zeichnungen kömmt S. 26. Sur l’art de critiques en fait de Peinture noch eine schöne Stelle vor»

*) S- 213.