Anthropologie und Psychologie oder die Philosophie des subjectiven Geistes [Reprint 2022 ed.] 9783112629406


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Anthropologie und Psychologie oder die Philosophie des subjectiven Geistes [Reprint 2022 ed.]
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Anthropologie und

Psychologie

oder

die Philosophie des

tubjectiven Geistes.

Von

Dr. Carl Ludwig Michelet, außerordentlichem Professor der Philosophie an der Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin.

Berti«. Im Verlage der Sande r'schen Buchhandlung.

1840.

Vorrede.

Wm« Hegel sagt, daß die Psychologie zu denjenigen Wissenschaften gehöre, die in neueren Zeiten von der all­ gemeinen Bildung des Geistes und dem tieferen Begriffe der Vernunft noch am Wenigsten Nutzen gezogen haben, und stch noch immer in einem höchst schlechten Zustande befinde: wenn er an einem anderen Orte hinzusiigt, daß er hoffe, den in der Encyklopädie von ihm dargelegten Grundzügen dieser Wissenschaft dereinst eine weitere Aus­ führung geben zu können; so bringe ich dieses Versprechen, an dessen Erfüllung der Tod ihn hinderte, hier nicht in Erinnerung, um im Entfemtesten anzudeuten, als wähne ich, durch gegenwärtiges Werk auch nur einigermaßen eine Entschädigung für jenen unersetzlichen Verlust anbieten zu können: sondern lediglich um sogleich vor Aller Augen die Forderungen klar hinzustellen, die ich an mein Unternehmen gerichtet habe, so wie anschaulich zu machen, daß, in wie geringem Grade es denselben auch entsprechen möchte, ihm wenigstens die Zeitgemäßheit zugestanden werden müsse. Den wesentlichen Zweck einer Philosophie des Geistes setzt Hegel darin, den Begriff in die Erkenntniß des Gei­ stes wieder einzufiihren: und bemerkt, daß damit noth-

IV

Vorrede.

wendig auch der Sinn der Aristotelischen Bücher über die werde. Von meinem Bestre­ Seele wieder ben, dem ersten dieser Punkte zu genügen, möge nament­ lich die längere Einleitung, die ich meiner Untersuchung vorangeschickt habe, Zeugniß ablegen. Für wie viele ein­ zelne Thätigkeiten des Geistes aber, die ich stets auf diesen Begriff zurückzufiihreu suchte, die Aristotelischen Schriften eine der ergiebigsten Quellen meiner Darstellung gewesen sind, wird im Verlaufe derselben von selbst erhellen. Ari­ stoteles und Hegel können wir also, wie bei vielen Wis­ senschaften, so bei der Psychologie, jenen für den Urheber, diesen für den Vollender ihrer wissenschaftlichen Grundle­ gung ansehen. Erst aber, wenn eine Wissenschaft zu diesem Stadium ihrer Entwickelung gelangt ist, können die wei­ teren Forschungen und Leistungen für dieselbe wahrhaft fruchtbringend werden. Wiewohl ich nun namentlich in Bezug auf Hegel die Grundanschauung, aus welcher sein kurzer Entwurf hervorgegangen ist, durchaus beibehalten mußte: so konnte ich doch in Ansehung der Organisation des Stoffs mich hier nicht so eng, als in einer früheren Arbeit, an ihn anschließen. In meinem „System der philosophischen Mo­ ral" hatte ich nämlich mehr nur die Lücken auszufüllen, die Kürzen zu entwickeln, und die ganze Breite -es histo­ rischen Stoffes aufzunehmen; wodurch sich dann freilich auch der begriffsmäßige Fortschritt und die dialektischen Uebergänge umgestalten mußten. Hier dagegen weiche ich sogleich in der Grundeintheilung der Wissenschaft vom Hegelschen Entwürfe ab, indem ich die Phänomenologie des Geistes von der mittleren Stellung, die sie daselbst zwischen der

Vorrede.

v

Anthropologie und der Psychologie einnimmt, verdrängt, diese beiden also einander genähert, und die zwei Unter­ abtheilungen der Psychologie, den theoretischen und den praknschen Geist, zur zweiten und dritten Hauptabtheilung erhoben habe: so daß mir nur die erste, als Seelenlchre, mit Hegel gemein blieb. Da die wissenschaftliche Be­ gründung dieser Eintheilung sich erst aus dem Gange der Untersuchung selbst ergeben wird, so kann ich hier zur vorläufigen Rechtfertigung derselben nur Folgendes berühren. Die Phänomenologie des Geistes kann wissenschaft­ lich nicht an zwei Stellen des Systems vorkommen. Bil­ det sie nun die Vorwissenschaft der Logik, so darf sie nicht wieder als ein Moment des subjektiven Geistes eintreten. Daß aber jene Stellung ihre richtige sei, läßt sich un­ schwer zeigen. Den Standpunkt der Logik, welche die gemessenste Selbstcrzeugung der Wahrheit ist, kann man durchaus nicht als eine absolute Forderung an das Sub­ ject betrachten, wie Schellings intellektuelle Anschauung ihn gleichsam aus der Pistole oder aus unmittelbarer Einge­ bung hervorgehen ließ; sondern das gemeine Bewußtsein muß vorerst auf den Standpunkt des absoluten Wissens erhoben werden, d. h. der Gegensatz eines Objects, das von einem Subject ganz unabhängig sei, und eines Sub­ jects, das sein Object nur außer sich zu stehen habe) schon abgethan sein. Die Darstellung der Phänomenologie des Geistes ist es nun eben, welche uns das allmählige Fort­ fallen dieser Scheidewand auf allen Gebieten des mensch­ lichen Wissens, so wie auf jedem Stadium der historischen Entwickelung des Menschengeisteö, vermittelst des strengen Ganges einer ganz wie von selbst aus dem Stoff hervor-

VI

Vorrede.

springenden Methode, nachweist: zunächst aufdem rein psycho­ logischen Felde selbst durch die Dialektik des sinnlichen Be­ wußtseins u. s. w., nachher für die Moral, die Sittlichkeit, zuletzt hinsichtlich der Religion und Kunst, bis endlich der philosophische Standpunkt des absoluten Wissens sich als das Resultat der ganzen Darstellung ergibt. Die Logik selbst widmet dann ausdrücklich einen eigenen Abschnitt der dialektischen Ineinanderbewegung von Subject und Object. Und nun sollte innerhalb der spekulativen Lehre vom Geiste diese dialektische Auflösung deö gemeinen Be­ wußtseins nochmals vor sich gehen? Im Verlaufe jeder wissenschaftlichen Darstellung ist die Identität des Subjects und Objects also immer schon vorausgesetzt. Selbst in der Naturphilosophie wissen wir, die Betrachtenden, daß das objective Wesen der Dinge unsere Gedanken über die Natur sind. Und indem nun die Lehre vom subjektiven Geiste eben nichts Anderes sein kann, als die vollendete Ausbildung des Bewußtsemö dessen, was der Geist an sich ist: so ist ihr Ziel eben, das Be­ wußtsein der absoluten Identität deö Subjektiven und Objectiven zu erreichen. Als Seele ist unser Geist näm­ lich zunächst noch mit der ihn umgebenden, ihm homogenen Natur verwachsen, und an sich der Mikrokosmus derselben; daß nun auch das Bewußtsein dieser Homogeneität nicht für uns, die Betrachtenden, sondern für den einzelnen Geist selbst eintrete, ist die Aufgabe des theoretischen Geistes oder des Erkenntnißverm'ögens. Diesem darf also nicht ein Standpunkt vorhergehen, wo das Ich und die sinnlichen Dinge einander ganz ftemd wären, um sich erst zuletzt in ein­ anderzubewegen. Sondern die Empfindung, als das ursprüng-

Vorrede.

VII

liche Gefühl der Einheit des Su-jectiven und Objectiven, muß sich dann im Anschauen und Vorstellen wohl zur äußeren Objektivität des Gewußten fortzubewegen; wobei aber immer schon die Gewißheit der Identität beider Seiten im Hintergründe liegt, bis endlich im Denken das abso­ lute Bewußtsein dieser Einheit vollständig durchbricht. Dies ist die Weise, wie in der folgenden Abhandlung der Uebergang aus der Anthropologie und der Fortschritt der theoretischen Thätigkeiten des Geistes versucht worden ist. Was die einzelnen Abweichungen betrifft, die ich mir erlaubte, so sind sie schon im anthropologischen Theile bei deutend. Denn abgesehen davon, daß ich, einer von mir anderen Orts gemachten Bemerkung zufolge, das Ge< schlechtöverhältniß nicht unter die natürlichen Veränderungen, sondern unter die natürlichen Qualitäten setzen mußte, indem ein Weib nicht zum Manne, wie z. B. ein Knabe zum Jüngling wird: kann ich mich durchaus nicht damit ein­ verstanden erklären, Empfindung, Gefühl und Selbstgefühl schon in der Anthropologie abzuhandeln, weil sie eben das erste Erwachen des Geistes, und nichts Seelenhaftes mehr sind. Ueberdieß kommen sie als sinnliches Bewußtsein und Wahrnehmung bei Hegel in der Phänomenologie des Geistes nochmals, und als Anschauung in dem theoreti­ schen Geiste zum dritten Male vor. Da nun letzterer al­ lein ihre wissenschaftliche Stelle ist, so habe ich diese ver­ schiedenen Formen einer und derselben Geistesthätigkeit ver­ eint dorthin verwiesen: überhaupt aber die Materien, welche Hegel in seinem zweiten, phänomenologischen Stand­ punkte behandelt, nicht weggelassen, sondern jede an ihrem gehörigen Orte, nur ihrer bloßen Erscheinungsweise ent-

VHI

Vorrede.

kleidet, eingeschaltet. Was er nämlich in der Phänome­ nologie Selbstbewußtsein nennt, wo Trieb, Begierde, der Kampf -es Anerkennens u. s. w. vorkommen, ist offenbar ein Abschnitt des praktischen Geistes, in dem es daher auch von mir betrachtet worden, wie sich auch bei ihm selber -er Trieb wieder an diesem Orte einstellt. Ja, in den Vorträgen, die ich im Sommer 1822 bei ihm Hörle, wird der Trieb auch schon in der Seelenlehre, wiewohl „nur nach der anthropologischen Seite betrachtet." Ferner kann es doch nur höchst auffallend sein, dem Verstände und der Vernunft schon in der Phänomenologie des Geistes zu begegnen, und auf das Denken erst im theoretischen Geiste zu stoßen. Denn was sind Verstand und Vernunft An­ deres, als Momente des Denkens? die wir dann auch richtig, nur durch ein drittes Moment, die Urtheilskraft, vermittelt, daselbst abermals vorfinden muffen. Ich mache auf diese Abweichungen, mit Uebergehung der übrigen, nur deshalb aufmerksam, um an ihnen beispielsweise zu zeigen, wie, mit Beibehaltung der Grundanschauung und srientifischen Methode Hegels, sich doch noch viel Neues und Eigenes auf diesem Gebiete thun lasse: wie denn Hegel selbst das Ungenügende seines ersten Entwurfs da­ durch am Schlagendsten bewies, daß er in jeder der drei Ausgaben der Encyklopädie und den verschiedenen Vorträ­ gen über unsere Wissenschaft die bedeutendsten Aenderun­ gen damit vornahm; was auch in der That bei einem bloßen Entwürfe nicht anders sein konnte. Wenn ich mich also einerseits allerdings nicht darauf beschränken konnte, nur einen Commentar zu diesem Grundrisse zu schreiben noch eine bloße Verbreiterung des Stoffs in den überlieferten

Vorrede.

ix

Fächern vorzunehmen: so glaube ich doch mit Hegel, der durch sein Beispiel selbst den Weg zu den wichtigsten Ver­ besserungen gebahnt hat, mehr überein zu stimmen, als diejenigen, die sklavisch seinen Fußstapfen folgen wollten, und die er selber verläugnet hätte, wenn es ihm vergönnt gewesen wäre, jenem Entwürfe eine reifere Entwickelung zu Theil werden zu lassen. Als Punkte ferner, worin ich besonders eine ausführ­ lichere Bearbeitung des Stoffs und Durchdringung desselben durch den Begriff anstrebte, will ich hier nur dasje­ nige herausheben, was ich über die Theorie der Sprache und das System der praktischen Gefühle und Triebe sage; wobei für den ersten Punkt mir Wilhelm v. Humboldts und Städlers Arbeiten, für den zweiten Spinoza von dem größten Nutzen gewesen sind Ich übergebe hiermit diesen Versuch, welcher die Frucht einer langjährigen Arbeit ist, dem philosophischen Publi­ cum hauptsächlich aus dem Grunde, weil ich die Hoffnung, hege, daß von der begriffsmäßigen Auffassung der Natur des Geistes aus am allerersten noch eine Verständigung unter den divergirenden Richtungen der Hegelschen Schule wird eingeleitet werden können. Denn wie will man z. B. über die Persönlichkeit Gottes und die Unsterblichkeit der Seele das Mindeste wissenschaftlich entscheiden, wenn nicht der wahre Begriff des Geistes die Voraussetzung der Un­ tersuchung macht? Eine solche auf wissenschaftliche Erörterung gestützte Vereinbarung unter den verschiedenen Gliedern der Schule würde lehrreicher sein, als wenn man jetzt Vorreden liest, die den Leser mit Persönlichkeiten unterhalten, wie sich

X

Vorrede.

etwa dieser und jener zu jenem und diesem, oder der Vcrfasser sich zu Allen verhalte, und in was für Zwistigkeiten oder Schmähworte man gegen einander ausgebrochen sei. Um so schmerzlicher ist es mir, mich in Bezug auf eine Stelle meiner „Geschichte der letzten Systeme," welcher fälschlich blos persönliche Rücksichten untergeschoben wor­ den, vertheidigen zu müssen. Indem ich nämlich dort, in Bezug auf Christologie, eine Coalition des Centrums der Hegelschen Philosophie mit der linken Seite Vorschläge, spreche ich zugleich die Zu­ versicht aus, daß die Majorität der Hegelschen Schule mir darin zustimmen werde. Dies hat man so verstanden, als habe ich die einzelnen Mitglieder aufgefordert, sich zu erklären, damit dann — gleichsam durch Zählung der Stimmen, wie in einer politischen Versammlung — die Wahrheit herausgebracht würde. Ich muß gegen eine solche Verdrehung meiner Worte aufs Feier­ lichste protestiren; und Niemand konnte sie misverstehen, der bedachte, wie sie der Schluß einer wissenschaft­ lichen Darstellung der Sache sind, welcher ich freilich da­ durch nicht Schaden zu thun glaubte, daß ich mich der Erwartung hingab, sie werde sich auch die Mehrzahl der Stimmen derer erwerben, die ich in diesem Fache für competent hielt. Ich hätte diesen Punkt unberührt gelassen, wenn der gegen mich gerichtete Angriff auf die Quelle beschränkt ge­ blieben wäre, der er ursprünglich entsiossen ist, nämlich einer durch den Streit mit Leo veranlaßten Broschüre, in wel­ cher sich die unsaubersten Ausfälle gegen fast alle Schüler Hegels finden. Seitdem aber in ehrenwerthen Schriften

Vorrede.

XI

diese Beschuldigung wiederholt, und mir von Rosenkranz z. B. „Barbarei" und „Uebereilung" vorgeworfen worden sind, daß ich bei einer wissenschaftlichen Untersuchung die persönliche Autorität des Herrn ProfessorRosenkranz herbeigerufen habe, sehe ich mich gezwungen, mein Schweigen zu brechen. Allerdings spreche ich unmit­ telbar vorher von Rosenkranz als dem Repräsentanten des Centrums, und von Strauß als dem der linken Seite. Dennoch ist eö ein ungeheurer Unterschied, ob ich die Coalition des Centrums und der linken Seite oder ein Schwö­ ren auf die Autoritäten von Strauß und Rosenkranz Vorschläge. Einen Vorschlag Machen, heißt ferner nicht: zu einer Erklärung auffordern; und noch viel weniger: durch Stimmen-Sammeln die Wahrheit erhärten wollen. Ich erkläre also zum Ueberfluß, daß ich die Autorität von Rosenkranz durchaus für kein Argument ansehe; und stimme darin vollkommen mit ihm überein, da auch er sich über die bloße Vorstellung eines solchen Verfahrens im höchsten Grade und mit Recht entrüstet zeigt. Wenn er aber dann einräumt, daß derglei­ chen Behauptungen nicht mein Ernst gewesen seien, warum muthet er mir denn zu, sie etwa im Scherze in die Welt geschickt zu haben? Soll ich aber nun einmal, wiewohl ungern, mein per­ sönliches Verhältniß zu Rosenkranz hier öffentlich aus' sprechen, so kann ich weder den ironischen Ton seines im Jahre 1832, noch den geringschätzenden dieses 1840 gegen mich gerichteten Angriffs billigen. Rein wissenschaftliche Ausstellungen an ihm, die ich 1838 nicht umgehen konnte, da ich ihn doch in einer Geschichte der Hegelschen Schule

XII

Vorrede.

nennen mußte, wird er mir, bei höchster Anerkennung seines Werths, schon um der Sache willen nicht verargen. Was wird aber die Sache gefördert, wenn er mir Uebereilung und Barbarei, jedoch nicht einmal im Ernste, vorwirft? Kann ich durch diese freimüthige Erklärung Einen persön­ lichen Misklang weniger mich berühren sehen, so wird es mir um der Sache sowohl, als um der Persönlichkeit von Rosenkranz willen, die mir immer eine sehr liebe war, höchst erfreulich sein. Einem anderen Einwand, daß ich zuviel distinguire und klassificire, sehe ich mich in die Unmöglichkeit versetzt, schon in vorliegender Schrift durch Abhilfe entgegen zu kommen, indem der Druck bereits bis zur Hälfte vorge­ schritten war, bevor ich Kenntniß von demselben erhielt. Für die Folge verspreche ich aber, die 1,2, 3, die a, b, c, u. s. w. zur Vermeidung jedes Scheins von Pedanterei, die mir, wie nur immer irgend Einem, in tiefster Seele ver­ haßt ist, fortzuschaffen. Möge der geneigte Leser, der jene Zei­ chen nicht liebt, sie inzwischen von selbst sich wegdenken, oder Domitianisch aufspießen; denn der inneren Entwickelung der Sache ist, hoffe ich, durch diese äußerliche Staffage oder Staffelirung, wie man will, weder Abbruch noch Vorschub gethan. Berlin, den lOten Juni, 1840.

Michelet.

Inhalt. Seite

Einleitung. Vorläufige Bemerkungen ........ . . . . ♦ I. Degriss der Philosophie -es subjektiven Geistes . . ♦ ♦ A. Natur unseres Gegenstandes .... . . . ♦ • 1. Grenze desselben ...... ♦ • ♦ 2. Schwierigkeit desselben .... 3. Zweck unserer Wissenschaft . . . . . . B. Würde und Nützlichkeit dieser Wissenschaft . . . C. Betrachtungsweisen des Geistes . . . . . . 1. Menfchenkenntniß...... ♦ • ♦ ♦ . 2. Empirische Psychologie .... . . . 3. Spekulative Betrachtung . . . ♦ ♦ • II. Geschichte der Psychologie.................... ♦ » ♦ A. Orientalen............................................ 1. Chinesen . ............................. 2. Indier....................................... 3. Aegyptier.................................. ... . ♦ B. Griechen................................................ 1. Die Seele als Princip des individuellen Lebens. a. Die Seele als Princip der Bewegung. «. Thales........................ . . . . ß. Anaximenes................... ♦ ♦ ♦ y. Pythagoreer und Alkmäon ♦ . . . • ♦ . b. EmpedokleS ......

3 7 7 8 S 10 14 15 15 17 17 19 19 19 21 23 24 25 25 25 25 25 26

Inhalt.

XIV

Seite

o.

Die Seele als Princip der Bewegung und Er-

kenntniß............................................. .

.

«.

Diogenes von Apollonia.

.

ß.

Heraklit.................................

y.

Lencipp und Demokrit

.



.

3.

c.

29

Entwickelung der Momente des Geistes.

a.

Plato....................................... ....

b.

Aristoteles........................................

e.

Stoiker und Epikureer....

2.

3.

.

32

37

-

38

Metaphysische Betrachtung der Seele



39

a.

EartesiuS ........

.

39

b.

Spinoza...........................



.

40

v.

Leibnitz





41

d.

Wolf............................................

.

42

........

Der Empirismus.......

43

............................................

43

......

43

a.

Locke

b.

Materialismus

c.

Rückblick.......................................................

44

Vorbereitung des wahren Standpunkts der Psych,o-

logie

.

............................................

Kantische Philosophie

45 45

....

b.

Der thierische Magnetismus .

c.

Raturphilosophen......................

48

.

49

«.

Eschenmayer

ß*

Schubert............................

.....

49 49

Steffens............................

A.

29 36

Reuplatoniker.......................................

a.

III.





Moderne Ansichten...................................... 1.

28 29

AnaxagoraS............................ 2.

27

27 28

.

.

.

.

Kegrik des Geistes....................................... Unterschied des Geistes von der Natur .





50



51

.

51 51

1.

Begriff der Natur

2.

Charakter des Geistes.......................

.

55

3.

Verhältniß des Geistes zur Natur

*

56

......

.





Inhalt.

xv Seite

B. DasWesen des Geistes................................................... 61 1. Die Freiheit................................................ 61 2. Die Selbstmanifestationdesselben............................. 63 3. Weisen der Offenbarung des Geistes .... 64 L. Die Natur................................................... 64 d. Der endliche Geist.......................................... 64 e. Der unendliche Geist..................................... 65 C. Unterschiede des Geistes in fich selbst................................. 66 1. Der subjektive Geiste............................................. 66 2. Der objective Geist............................................. 67 3. Der absolute Geist............................................. 68 4. Verhältniß der Endlichkeit des Geistes zu seiner Unendlichkeit..................................................... 68 IV. Allgemeine Uebersicht..................... 71

Erstes Buch. D i e Seelenlehre. Einleitung....................................................................... 79 Erster Abschnitt: Die natürlichen Qualitäten der Seele . . 85 Erstes Capitel: Das allgemeine Leben der Seele ... 86 A. Das kosmische Leben der Seele.................... 86 B. Die Astrologie............................... 88 C. Das sympathetische Raturleben des Einzelnen .... 90 Zweites Capitel: Besondere Unterschiede des Menschengeschlechts.................................... 97 A. Racenverschiedenheiten . ............................................... 97 1. Abstammung von Einem Paare ...... 98 2. Geographischer Unterschied der Welttheile . . . 103 3. Physiologischer Charakter der Racen .... 108 4. Geistige Unterschiede derselben...................... 110 a. Malaien.... .............................. 111 b. Neger....................................... ..111

Inhalt.

XVI

Seite

c*

Mongolen........................................................ 114

d. Kaukasier .

..........................................................115

«. Semiten........................................................ 115 ß.

Europäer........................................................ 116

N.

RomanischeStämme........................... 117

I.

Germanische Völker.............................. 118

117

^Slaven

e. B.

1.

C.

Americanische Race.............................................. 118

Localgeister........................................................................... 119 Orientalische Völker................................................... 120

2.

Chinesen............................................................ 120

b.

Indier.................................................................. 120

c.

Perser................................................................. 121

121 121 2. Griechen und Römer............................................. 122 3. Christliche Völker. .. ....... 122 2. - Franzosen........................................................... 123 b. Engländer............................................................. 121 v. Spanier....................................... . . . 125 d. Italiener ............................................................. 125 e. Deutsche............................................................ 125 GeschlechtSunterschied............................................................ 126 1. Begriff desselben....................................................... 126 2. Natürlicher Unterschied derGeschlechter .... 127 3. Geistiger Unterschiedderselben..................................... 127 a. Das Weib............................................................. 127 b. Der Mann........................................................ 129 d.

Aegypter.....................

e.

Araber. .

Drittes Capitel:

A.

. ....................................... . .

.

Naturbestimmtheit des Individuums

.

131

Natürliche Anlagen........................................................... 133

1. 2.

Talent...................................................................... 135

3.

Genie...................................................................... 136

Fähigkeiten ................................................................. 134

B. Temperamente ..............................................

.

.

.

137

Inhalt.

xvii Seite

1.

2.

Physiologischer Grund derselben

137

Geistiger Unterschied

138

a.

Der Sanguinische

b.

Temperamente des Gegensatzes

0. 3. C.

«.

Der Melancholische

ß.

Der Cholerische

139 140

Der Phlegmatische

Der Charakter der Totalität

Idiosynkrasien

Zweiter Abschnitt: Erstes Capitel: A.

.................................138

Die natürlichen Veränderungen der Seele

147

Der Verlauf der Lebensalter

148

Das Jugendalter

150

1.

Das Kind

150

2.

Der Knabe

3.

Der Jüngling .

B.

Das Mannesalier

C*

DaS Greisenalter

Zweites Capitel:

152

..................................................... 155 ...........................................157

159

Wechsel von Schlaf und Wachen

.

.

161

A.

Tellurische Bedingung desselben

162

B.

Der physiologische Unterschied

162

C.

Der geistige Unterschied

163

Der Schlaf

163

1. 2.

DaS Wachen

3.

Der Traum......................................

Drittes Capitel: A*

C*

.

165

DaS magische Seelenleben

176

Das AhnungSvermögen

178

Die Vision

178

1.

B.

165

.

.

2.

Der magische Natureinfluß

3.

DaS Hellsehen

189

Die doppelte Persönlichkeit

190



186

1.

Das Kind im Mutterleibe

191

2.

Der thierische Magnetismus

193

3.

Das Verhältniß zum Genius

201

Die Verrücktheit

202

*

XVIII

Inhalt. Seite

1. Ursprung derselben............................................... 204 2. Ihre Arten......................................................... 204 «. Blödsinn........................................................ 205 b. Tiefsinn. . . . 205 c. Raserei.............................................................. 206 d. Fixe Vorstellung............................................... 207 3. Heilung der Verrücktheit.......................................... 208 Dritter Abschnitt: Die Wirklichkeit der Seele....................... 210 Erstes Capitel: Die Gewohnheit...................................... 211 A. DaS Einwohnen der Seele inden Leib......................... 211 B» Die Abhärtung............................................................. 212 C. Die Geschicklichkeit............................................................ 213 Zweites Capitel: Die Physiognomik................................. 215 A. Arten derselben.......................................... 215 1. Eigentliche Physiognomik ........ 216 2. Schädellehre......................................................... 216 3. Chiromantie............................ ............................. 217 B. Mangel derselben............................................................. 217 C. Geschichte der Physiognomik .......................................... 218 Drittes Capitel: Die Pantomimik...................................... 220 A. Die aufrechte Stellung.................................................... 221 B. Der pathognomische Ausdruck......... 222 C. Die Gebährde.................................................................. 227

Zweites Buch. DaS Erkenntntßvermögen. Einleitung..................................... 235 Erster Abschnitt: Die Sinnlichkeit.......................................... 240 Erstes Capitel: Die Empfindung..................................... 242 A. Begriff der Empfindung.................................................... 242 B. Die äußeren Sinne ........................................................ 241 1. Das Gesicht......................................................... 247

Inhalt.

xix Seite

C.

2.

Das Gehör...................................................................... 252

3.

Der Geruch...........................................................

.

256

4. Der Geschmack........................... 258 5. Der Tastsinn................................................................. 259 6. Der Nital-Sinn............................................................ 260 Die totale Empfindung ............................................... . 261 1. Der gemeinschaftliche Sin»........................... . 261 .................................................................262

2.

Das Gefühl

3.

Das Selbstgefühl.

......................................................266

Die Anschauung. . .................................267 A. Das Selbstbewußtsein ...................................................... 267 B. Das Bewußtsein..................................................................... 269 C. Die Perception.......................................................................270 1. Die Aufmerksamkeit......................................................270 2. Die Zerstreuung ........... 271

Zweites Capitel:

3.

Das Sammeln

...........

271

Die Wahrnehmung...................................... 272 A. Die Form der Anschauung........................... 272 B. Das Ding und seine Merkmale ................................ • 274 C. Die Welt der Wahrnehmung.................................................275 Zweiter Abschnitt: Die Einbildungskraft................................... 279 Erstes Capitel: Das VorstellungSvermögen..........................280 A. Das Bild .. ............................................................................... 280 B. Die Erinnerung........................................... 281 C. Die Vorstellung............................................................................284 1. Die Production der Vorstellungen............................... 281 2. Die reproduktive Einbildungskraft ..... 286

Drittes Capitel:

a.

Das Sich-Besinnen ......... 287

b.

Die Association der Vorstellungen.......................... 288

c.

Die besonnene Association..................................... 291

«.

Der Witz...................................................... 292

N. Der Sachwitz...................................... 292 Der Wortwitz...................................... 295

ß. Der Scharfsinn............................................297

Inhalt.

XX

Seite

Die componirende Einbildungskraft......................297

3.

Zweites Capitel:

Die Phantasie...........................................298

A.

Die fymbolisirende Einbildungskraft..................................... 299

B.

Allegorie und Perfonification................................................ 302

C.

Die dichtende Phantasie.......................................................... 303

Drittes Capitel:

A.

....

310

Die Bildersprache...................................................................... 313

1.

B.

Das BezeichnungSvermögen

Die eigentliche Bildersprache...................................... 313

2.

Die Hieroglyphensprache................................................. 315

3.

Die Chinesische Schriftsprache .

*............................. 318

Die Tonsprache.......................................................................... 322

1.

Der articulirte Ton.......................................................323

a.

Der Selbfllauter....................................................... 324 a. Die einfacheVocal......................................... 324 ß. Der Diphthong............................................. 325

C*

b.

Der Consonant...................................................... 326

c.

Die Sylbe

2.

DaS Verhältniß des Namenszur Sache

3.

Das Material des Tons............................................334

.

.

.

....

332'

a.

Die Nachahmung der Naturlaute

b.

Die fymbolisirende Nachahmung............................ 342

c.

Die konventionelle Tonbildung............................ 344

338

Die Aufbewahrung des Tons................................................ 347

1.

Die Buchstabenschrift..................................................... 348

2.

Das reproducirende Gedächtniß................................. 352

3.

Das Memoriren............................................................ 356 a.

Die Mnemonik

b.

Die Topik des Gedächtnisses................................359

c.

Das mechanische Gedächtniß................................ 360

Dritter Abschnitt:

Erstes Capitel:

A.

. .......................................................... 329

......................................................357

Das Denken......................................................363

Der Verstand

................................................ 367

Die reinen Verstandes-Begriffe................................................ 368

1.

Die Etymologie des Nennworts................................370 a. Die Substanz oder das Hauptwort

....

370

Inhalt.

xxi

Seite Der Eigenname . . ................................ 371 ß. Der Gattungsname................................. 372 /♦ Dasabstrakte Hauptwort........................ 372 cP. Das Geschlechtswort................................. 373 b. Die Accidenzien des Hauptworts....................... 376 «• Die Qualität oder das Eigenschaftswort. 376 ß* Die Quantität oder daö Grund-Fahlwort 377 /♦ Die Maßbezeichuung................................ 378 N* Comparationsgrade............................ 378 Ordinal-Fahlen................................. 379 3* Adverbial Zahlen........................ 379 c. Das Fürwort oder die fürstchseiende Substanz 379 2. Die Etymologie des Zeitworts oder die Causatitat 383 a. Zeiten.......................................... 386 b. Geschlecht.......................................................... 389 c. Modus ............................................................. 389 2

Erken ntnißvermögen.

in Eine Einheit geschieht durch den i n n e r e n S i n ». Alles, was als äußere Empfindung dem räumlichen Außercinandcr angchört, muß ebenso in die Einfachheit der Zeit zusammcngcfaßt werden; nur dadurch, daß ich die Empfindung auch in mir als eine Succesfio» habe, wird sie meine Empfindung. Jede äußere Empfindung ist also immer zugleich eine innere, obgleich nicht umgekehrt jede innere nothwendig auch eine äußere zu sein braucht. Dieser innere Sinn, in welchem die Mannigfaltigkeit der äu­ ßeren Sinne nur Ein Sinn ist, kann nun der gemeinschaft­ liche Sinn genannt werden, der die verschiedenartigsten Sin­ neseindrücke zu Einer Einheit verknüpft, und sie als eine Suc­ cession von Zuständen in mir erscheinen läßt, welche ich ebenso auch wiederum im gegenwärtigen Augenblicke zusammensasseii sann. 2. Wie nun der ganze Stoff der äußeren Natur in die Einheit des inneren Sinnes concentrirt ist, so ist auch der ganze Stoff des geistigen Universums im Gefühle enthalten. Diesen Stoff haben wir in der Anthropologie als das dumpfe Seelenleben gesehen; ebenso wird er aber auch »och durch den ganzen Inhalt des schon geistig entwickelten Bewußtseins be­ reichert. Das Gefühl ist das stoffartige Weben des Geistes in sich, insofern es sich uns unter der Form der Zeit darbictet. Das eigene Innere des Geistes, als dieser oder jener bestimmte Inhalt desselben, wird als eine Affection des Geistes em­ pfunden. Hierher gehört z. B. Liebe, Haß, Zorn, aber ebenso jeder höhere Inhalt, moralische, religiöse, sittliche Gefühle; so daß aller Inhalt im Gefühle ist und sein kann. a. In Bezug auf das Verhältniß von Sinn und Geist hat man den Satz aufgestellt: nihil est in intellectu, qaod non fuerit in sensu, und zwar sowohl für die äußeren Empfindungen, als für die Gefühle. Was den äußeren Sinn betrifft, so hat Aristoteles schon sehr richtig bemerkt, daß frei-

innerer Sinn.

263

lich zur Energie des Denkens das Dasein der Empfindung vorausgesetzt

werden

müsse.

Die Empfindung ist also der

Anstoß, der uns zum Denken treibt; und der empirische Mensch beginnt mit der Empfindung, nicht mit dem Denken.

In­

dessen da die Empfindung die Aufnahme der Formen der Dinge

ist, diese Formen aber der Intelligenz angehören, indem sie die allgemeinen Begriffe der Dinge sind, so muß man den

Satz ebenso gut auch umkehren: nibil est in sensu, quod non fuerit in intellectu.

Ohne die Production der allgemeinen

Formen der Dinge durchs Denken würde der Sin» sie nicht

empfinden; und damit ist zugleich die schon im Empfinden

gesetzte Existenz des Denkens erwiesen.

Die Empfindung hat

also die Priorität der Zeit, das Denken die des Begriffs. — Ebenso verhält es sich nun mit den Gefühlen.

Man kann

behaupten, aller Inhalt meines bewußten Denkens, religiöse, sittliche Grundsätze u. s. f. seien vorher in meinem Herzen ge­ wesen, und erst, weil sie so die innere Substanz meines Gei­ stes ausmachen, habe ich sic mir zur Klarheit bringen kön­ nen.

Andererseits, wie käme das Herz zu einem solchen gei­

stigen Inhalt, wenn die Vernunft ihm denselben nicht gelie­

fert hätte?

Die genauere Entscheidung dieser Frage wird unS

auch einen Maßstab und eine Beurtheilung für den Werth der Gefühle geben. b.

In unseren Zeiten besonders ist das Gefühl sehr be­

liebt geworden; und es ist um so nothwendiger, auch den Man­ gel desselben herauszuhcben.

der Vernunft vorgezogcn.

Das Herz wird dem Verstände,

Im Gefühle glaubt man die all­

gemeine Bewährung und die letzte Sicherheit für einen Satz

zu finden.

Die Schwankungen des Räsonncments schneidet

man durch die Berufung auf das Gefühl ab, weil dieses in

der That jedem Grunde Trotz bietet.

Daö Gefühl soll aber

nicht nur der unfehlbarste Beweis einer Wahrheit, sondern

Erkenntnißvermöge». ebenso die Quelle jeder Erkenntniß sein; Moral, Religion,

Alles soll nur auf dem Gefühle beruhen.

Schleiermacher hat

so die ganze christliche Dogmatik aus einem Abhängigkeitsge­

fühle ableiten wollen.

Hiergegen ist zunächst die Dunkelheit

der Gefühle zu rügen.

Wenn auch Alles noch so sehr im

Gefühle ist, ehe es ins Denken kommt, so ist das Gefühl

doch immer unbestimmt, und kann so oder so ausgelegt werden.

Wer sich also auf seine Gefühle beruft, muß sie aussprechen, entwickeln, in Worte fassen; auf diesem Uebergange verniischt

sich das Gefühl schon mit dem Denken, und es sind nicht

bloße Gefühle, sondern zugleich Gedanke», die er vorbringt. Schleiermacher irrt also, wenn er meint, nur ein Gefühl an die Spitze seiner Wissenschaft gestellt zu habe,».

Ein bloßes

Gefühl wäre zu unbestimmt, um irgend etwas darauf zu bauen; und Hegel hat ganz Recht, daß unter das bloße Abhängig­ keitsgefühl auch der Hund subsumirt werden kann.

Unver­

merkt und sehr bald wird aber bei Schleicrmacher aus dem Abhängigkeitsgefühl der Gedanke des individuellen Selbstbe­ wußtseins, das seine Einzelnheit der allgemeinen schaffenden

Kraft des Universums unterordnet.

Ferner wäre die G r u n d l o -

sigkeit des Gefühls anzusühren; es verschmäht nicht nur je­ den Grund für sich selbst, sondern hat sogar die Kühnheit,

jedem Grunde, den der Andere anführt, die unmittelbare Ge­ wißheit des Inneren entgegenzuhalten, welche höher, als alle

Argumente sei.

Freilich läßt sich von Seiten der Argumen­

tation nichts gegen ein solches eigensinniges Beharren bei sei­ nem Gefühle ausrichten.

Ein Mensch, der sich auf seine Ge­

fühle beruft, ist unangreifbar und unwiderlegbar; ebensowenig wird er aber auch den Anderen.überzeugen können.

Durch

diese Apellation an das Gefühl isoliren sich also die Men­

schen, geben die Gemeinschaft auf, welche die Vernunft unter ihnen geschlossen hat, und ziehen sich jeder in ihre particulare

265

Innerer Sinn.

Welt zurück.

Bei diesem Vorwalten des Gefühls gibt es

dann zuletzt nichts objectiv Festes und allgemein Anerkanntes

mehr; jeder hat seine eigene Ueberzeugung, Denkungswcise und Auch versteht Keiner mehr den Anderen; sondern

Religion.

dasselbe Wort faßt jeder, vermittelst seiner Eigenthümlichkeit, So ist endlich der Willkür Thür und Thor ge­

anders auf.

öffnet; und das Gefühl ist das absolut Zufä llige. Jeder In­ halt hat im Herzen Platz; es hat, wie die Schrift sagt, arge

Denn das Gefühl ist der Geist, wie er in Form

Gedanken.

der absoluten Einzelnheit erscheint. c. Die Gefühle, weit entfernt also, die Quelle der Wahr­ heit zu sein, müssen vielmehr durch die Vernunft geläutert werden.

Die natürlichen Gefühle sind nicht das Gute, wie

Rousseau will; sie können irren, und müssen erst durch die Vernunft erprobt werden.

Wir dürfen also den Eingebungen

unseres Gefühls nicht unmittelbar trauen; das Herz kann trü­

gen, und muß erst durch die Vernunft eine sichere Leitung erhalten.

Wir wollen zwar nicht läugnen, daß es auch achte,

wahre Gefühle gibt.

Viele, ja die meisten Menschen handeln

unmittelbar, aus Instinkt; und das Gefühl kann ihnen das Richtige einflößen.

Hiergegen ist aber zu bemerken, daß dies

Gefühl gar nicht das erste, rohe, unmittelbare, sondern das

durch Erziehung, Bildung, Unterricht schon von Kindheit an geläuterte und gebildete ist.

Diese Vermittelungen

vergißt

der Mensch, und glaubt, nur aus Gefühlen zu handeln, da doch diese Gefühle selbst ihre Quelle in den Grundsätzen und

Lehren haben, welche ihm von Jugend auf beigebracht wor­ den sind.

Daher sind auch die Gefühle eines Gebildeten, eines

in einem civilisirten Staate lebenden Menschen Himmel weit

verschieden von denen des Wilden, weil jener, in der geistigen Atmosphäre

seines Volkes

lebend, das

sittliche Bewußtsein

dieses Volkes schon mit der Muttermilch eingesogeu, und dem-

Erkennt» ißvermöge».

266

gemäß seine Gefühle geregelt hat.

Für das Individuum kann

also ein moralischer und religiöser Inhalt blos im Gefühle gewesen sein oder wieder zu einem bloßen Gefühle geworden

sein, wenn er im Bewußtsein des Volkes auch als ein allge­ meiner Grundsatz lebt, der seine Quelle in der denkenden Ver­ nunft

dieses Volkes hat.

Gefühl und Vernunft sind

also

nicht dem Inhalt nach verschieden, sondern nur der Form nach; derselbe Inhalt ist einmal in entwickeltem Bewußtsein, das andere Mal in dumpfer Bewußtlosigkeit vorhanden.

So gilt

also auch hier der Satz: nihil est in intellectu, quod non fuerit

in sensu.

Denn das Volk hat, so wie der Einzelne, seinen

geistigen Inhalt erst in Weise des eingehüllten Fühlens, ehe es ihn als entwickeltes

geistiges Wissen besitzt.

Doch

der

Würde nach ist auch hier das Denken das Erste, der Satz also auch umzukehrcn, da jenes Fühlen eben nur kraft des

schon sich regenden Denkens im Geiste eintreten kann. Gefühl ist also an und für sich inhaltslos; cs Form,

tn

welche

werden kann.

Das

ist nur die

jedweder Inhalt ausgenommen

Diese Form ist aber nothwendig, weil nur

so das, was allgemeines Eigenthum des Volksgeistcs durch seine denkende Vernunft ist, auch 3um nutzbaren und frucht­ bringenden Besitze des Individuums werden kann:

Allen gehört, was Du denkst. Dein Eigen ist nur, was Du fühlest. Soll er Dein Eigenthum sein, fühle den Gott, den Du denkst.

Nicht also nur der Ungebildete muß Alles im Gefühle haben;

sondern auch diejenigen, welche durch Entwickelung ihrer den­ kenden Vernunft Alles mit der Klarheit des Wissens erfassen, müssen diesem Wisicn wieder die Form des Gefühls hinzu­

fügen. 3.

Indem ich die unendliche Menge innerer und äußerer

Empfindungen, vermöge der Einfachheit des inneren Sinnes, auf eine Einheit beziehe,

so fühle

ich

diese Einheit

selbst

267

A nschauu n g. als verschieden^ von

der

Mannigfaltigkeit meiner Zustände.

Das Subject aber, worin alle Empfindungen Eins sind, ist

der Empfindende selbst.

Ich empfinde mich damit als Empfin­

dendes, im Gegensatze zu dem mannigfaltigen Inhalt meiner

Empfindungen; und jene Empfindung ist so ein ganz neuer Inhalt der Empfindung.

Das ist das Selbstgefühl, die

innere Empfindung in ihrer höchsten Intensität.

Ich empfinde

nicht nur, wie im Vitalsinn, das allgemeine Leben meines Or­ ganismus, sondern mich als das geistig Allgemeine, welches

über jeden besonderen Inhalt der Empfindung auch erhaben

ist.

Dadurch, daß im Selbstgefühl das Empfindende, als das

Allgenicine, von der unendlichen Mannigfaltigkeit seiner Em­

pfindungen sich ausscheidet und sie sich gegenüber stellt, ist die unmittelbare Einheit von Subject und Object, die im Be­

griff der Empfindung liegt, aufgehoben.

Das Subject hält

nun nicht mehr den bestimmten Inhalt der Empfindung für

den seinigen und mit sich identisch: sondern trennt sich von dem Gegenstände seiner Empfindung, wirft ihn in Raum und

Zeit aus sich heraus, und verhält sich zu dieser Ursache seiner Empfindung als anschauend.

Zweites Kapitel. Pie Anschauung.

A.

Die zwei in der wirklichen Empfindung verknüpften

Seiten haben sich also jetzt von einander abgeschieden. Indem der Empfindende sich selbst im Gegensatze vom Empfundenen fühlt, ist er zum Bewußtsein seiner selbst, zum Selbstbe­

wußtsein gekommen; und wir haben damit das, was wir Ich nennen.

Die Idealität der natürlichen Dinge, welche in der

268

Erkenntnißvermögen.

Empfindung eine unmittelbare war, ist jetzt eine durch den

Geist gesetzte und für ihn seiende:

die Anschauung also nur

das Bewußtsein, das ich über die Empfindung gewinne. Wir können sagen,

daß dies Erfassen des Selbstbewußtseins, dies

Ausscheiden des reinen Ich aus dem mannigfaltigen Inhalt

des Empfundenen ein hoher Standpunkt ist. Die Thiere kom­ men in ihrem ganzen Leben nicht dazu; sie leben daher nur in Empfindungen, und können sich von dem, was sie cnipfin-

den, nicht unterscheiden. Für sie ist die Verknüpfung des Em­ pfindenden und Empfundenen also im vollsten Sinne wahr; wir sagen daher, daß sie an die Natur gebunden sind, und

blind den Winken und Befehlen derselben Folge leisten müs­

sen.

Im Menschen erkennen wir dagegen sogleich ein Höhe­

res, weil er seine Empfindungen von sich ausschlicßen kann.

Auch Kinder sind zunächst, wie die Thiere;

sie können nicht

Ich sagen, unterscheide» also auch nicht ihre Empfindungen

von sich. Ich ist ihnen nur eine besondere Empfindung neben den übrigen, so lange sie sich noch durch ihren Vornamen be­ zeichnen, und z. B. sagen, Carl will dies;— ein Standpunkt,

auf dem die Amerikanischen Indianer übrigens auch erwachsen stehen bleiben.

Erst wenn das Kind Ich aussprechen kann,

und durch diesen Ausdruck den unendlichen Fortschritt bezeich­

net, den es in seiner Bildung gemacht hat, erzeugt sich ihm da­ mit die Außenwelt; vorher hatte es noch nicht ein deutliches

Bewußtsein derselben. ist

Der Charakter des Selbstbewußtseins

diese Unbeweglichkeit und Unveränderlichkcit mitten in al­

lem Wechsel der Empfindung, diese Identität des Ich, unge­ achtet aller Verschiedenheit der Lagen, Zustände und Handlun­

gen desselben, wie dies philosophischer, als dichterisch, in dem

interpolirten Anfang der Aeneis ausgedrückt ist:

Ille ego, qui quondam, gracili modulatus avcna CarmSii, et, egressus silvis, vieina coegi,

Anschauung.

269

üt quamvis avido parerent arva colono, Gratum opus agricolis, at nunc horrentia Martis Arma virumque cano — Diese Daffelbigkeit des Ich nennt Kant die transscendentale

Appc'ception oder die transscendentale Einheit des Selbstbewußt­ seins, und sagt, daß das Ich alle unsere Vorstellungen begleite.

B.

Da das Selbstbewußtsein nur durch seine Unterschei­

dung von dem Inhalt der Empfindung ist, so ergibt fich, daß

es chne das Bewußtsein der Außenwelt nicht sein kann. Das Eine erzeugt das Andere, und sie unterstützen sich also

gegenseitig.

Ich bin nur Selbstbewußtsein, insofern ich mich

vom Object meines Empfindens unterscheide; um mich aber unterscheiden zu können, muß dies Object auch wirklich vor­ handen sein, und ich mir desselben als eines Seienden bewußt

werden.

Im Gegensatze gegen das Selbstbewußtsein ist nun

das Bewußtsein der Außenwelt in stetem Wechsel begriffen; ich bin mir immer eines anderen Zustandes bewußt, und gehe von der Einen äußeren Empfindung zur anderen über. Da aber

diese äußeren Empfindungen ebenso auch zu inneren Empfin­ dungen werden, so ist das Selbst in der That nicht dieses

Einfache, Sichsclbstgleiche, wie wir cs vorhin auffaßten, son­

dern von dieser unendlichen Mannigfaltigkeit seiner Zustände

erfüllt.

das

Indem ich mein Selbst als davon erfüllt und wie

Bewußtsein in stetem Wechsel begriffen finde, so nenne

ich cs das empirische Selbstbewußtsein.

Das reine Ich, als

das Bewußtsein der Identität meines Seins und der Lebens-

Einheit bei allem Wechsel der Zustände, nennen wir dann das reine Selbstbewußtsein.

gegen

das

Dirs ist aber nur eine Abstraktion

empirische Selbstbewußtsein,

welches die höhere

Wahrheit ist, indem in ihm Bewußtsein und Selbstbewußtsein in eine untrennbare Einheit verschmolzen sind.

Bewußtsein, indem Ich es bin,

Ich habe nur

der sich einer Sache bewußt

Erkenntniß v c r in ege n.

270

ist: so bedarfdas Bewußtsein des Selbstbewußtseins; und daß um­ gekehrt dieses nut durch dos Bewußtsein des Objects möglich

ist, sahen wir schon so eben. C.

Diese Einheit von Bewußtsein und Selbstbewußtsein

ist nun die Anschauung selbst. Subject und Object sind darin ebenso gut identisch, als entgegengesetzt;

denn mit dem Be­

wußtsein ihrer Identität, da sie nicht eine unmittelbare ist, ist auch ihr Unterschied gesetzt. Der Ausdruck Anschauung ist dem Sinne des Gesichts entnommen, weil, wegen dessen lediglich

theoretischen Verhaltens zu den Dingen, in ihm die Abschei­

dung von denselben am grellsten hervvrtritt, wogegen Geruch und Geschmack, selbst schon Gehör, wegen der innigeren Ge­ meinschaft von

Subject und Object, mehr subjektive Sinne

sind, und uns also mehr nur der subjektiven Existenz eines Ge­ genstandes in unseren Organen vergewissern: Segnius irritant animos demissa per aures, Quam quae sunt oculis subjecta fidelibus. 1.

Die Anschauung, als diese Thätigkeit, einen bestimm­

ten Inhalt des Bewußtseins in mein Selbstbewußtsein zu set­

zen und mir anzucignen, ist die Perception.

Zur Percep-

tion gehört somit die Richtung des Geistes auf diesen bestimm­ ten

aus gen.

Inhalt

der, Empsinduiig

der unendlichen Ich muß

irgend

und

die Jsolirung

Mannigfaltigkeit

einen

meiner

desselben

Empfindun-

solchen einzelnen. Inhalt

der

äußeren oder inneren Einpfindung isolirrn, wenn ich die All­

gemeinheit meines Ich damit erfüllen will; und diese Richtung

darauf, abgesehen von ihrem Ziel, ist die Aufmerksamkeit. Die Anschauung ist in der Aufmerksamkeit vollendet, und diese

die Bedingung alles Weiteren;

sie ist die erste Regung des

Denkens, dessen Thätigkeit hier beginnt.

Die Aufmerksamkeit

macht erst eine Empfindung zur meinigen;

ich kann tausend

Anschauung

271

sinnliche Eindrücke haben, sie helfen mir aber nichts: und es

ist so gut, als waren se nickt vorhanden, wenn ich nicht auf sie merke. Bildung.

Aufmerksamkeit ist insofern der große Anfang der Einem Ungebildeten

gehen unzählige Gegenstände

vor der Nase vorbei, ohne daß er sich darum kümmert.

Der

Wilde bleibt daher unwissend, weil er keine Anschauung fi>iren kann. Auch bei den einzelnen sinnlichen Eindrücken unterschei­ det der Gebildete mehr, als der Ungebildete, weil er seine Auf­

merksamkeit mehr darauf richtet, und so die Gegenstände nach

alten Seiten hin bis ins Einzelne untersucht, wogegen der rohe

Naturmensch beim

Allgemeinen des Eindrucks stehen bleibt.

Der Gebildete empfindet daher auch mehr Schmerz und Freude, weil bei größerer Aufmerksamkeit die Eindrücke ihn mehr afficiren, als den Ungebildeten, der in stumpfer Gleichgültigkeit

gegen dieselben verharrt. 2.

Das Festhalten einer Empfindung, welches eben das

Wesen der Aufmerksanikeit ist, erfordert Anstrengung und gei­ stige Thätigkeit, weil die Mannigfaltigkeit von sinnlichen Em­

pfindungen, welche stets aufeinander folgen, und auf den Geist

andrängen, nicht so lange warten wollen, bis der Geist ihnen, so zu sagen, Audienz geben will, sondern fortwährend streben,

sich

von selbst Gehör zu verschaffen.

Weise

Sie wollen auf diese

den Geist von der Fizürung Einer Anschauung ent,

fernen, und suchen hiermit dieser Anstrengung der Aufmerksam­

keit ein Gegengewicht entgegenzusetzen. Gelingt es ihnen nun,

das Ucbergewicht über die Macht der Aufmersamkeit zu er­

langen,

so geht die Aufmerksamkeit verloren und in de» Zu­

stand der Zerstreuung über.

Die Aufmerksamkeit ist das

Selbstbewußtsein, welches die Herrschaft über das Bewußtsein

übt; in der Zerstreuung dagegen unterjocht das Bewußtsein

das Selbstbewußtsein. 3.

Die von der Zerstreuung überwundene Aufmerksam«

Erkenntnißvermögen.

272

feit räumt aber damit nicht spglcich das Feld.

Denn da die

Reduction der unendlichen Mannigfaltigkeit des Bewußtseins

auf die Einheit der transscendentalen Apperceplion das noth,

wendige Ziel der Thätigkeit des Geistes ist: so sucht die Auf­

merksamkeit sich von dieser ihrer Niederlagewieder zu erheben, und sich aus der Zerstreuung zu sammeln. In diesem Sammeln liegt einerseits, daß das Selbstbewußtsein sich aus der Man­

nigfaltigkeit des Bewußtseins in seine Einfachheit zurückzieht. Da diese Mannigfaltigkeit aber dann ebenso nothwendig ist,

und immer von Neuem

eindringt: so muß der Geist einen

Vergleich mit ihr schließen,

eine bestimmte Mannigfaltigkeit

in sich eindringen lassen, und seine Aufmerksamkeit zu erwei­

tern suchen, indem er sie gleichmäßig dieser Vielheit zuwendet,

und sich nicht blos auf Eine Anschauung beschränkt.

Diese

erhöhte Aufmerksamkeit faßt mehrere einfache Empfindungen

in den Comple-ms Einer Anschauung zusammen.

Das An­

schauen, als das Auffaffen einer solchen Mannigfaltigkeit, ohne daß damit der Einheit des Bewußtseins im Geringsten Ab­

bruch geschähe, ist nun die Wahrnehmung.

Drittes Kapitel. Die Wahrnehmung.

A.

Die sinnliche Empfindung, auf die ich aufmerksam

bin, hörr auf, eine einzelne und blos diese zu sein.

Wegen

der unendlichen Mannigfaltigkeit von Anschauungen, die auf mich eindringen, fasse ich eine nach der anderen auf: und in­

dem ich sie so vor mein Bewußtsein als unterschiedene trete» lasse, so kann ich bei ihrem Außereinander mich doch auch

ihres Zusammenhangs nicht etwehren; sie schließen sich absolut

Wahrnehmung.

aus,

und

27d

in dcniselben Augenblicke sind sie doch zugleich in

meinem Geiste gegenwärtig. Diese comple^e Anschauung vollendet die Objectivirung unserer Empfindungen.

Denn in­

dem die sich von, einander unterscheidenden Empfindungen mei­ ner sammelnden Aufmerksamkeit,

als mannigfaltige, meinem

Geiste äußerlich sind, so sind sie es auch untereinander. Diese Aeußerlichkcit stellt sich

dar.

als ein Außereinandersein derselben

Die Vielheit von Empfindungen, die ich habe, ist also

unter der Form des Außereinander, oder des Raumes gesetzt, den Kant daher auch eine Form der Anschauungen oder

eine reine Anschauung nannte. Wegen ihrer Aeußerlichkeit sind

die Empfindungen im Raume eine ruhig neben der anderen,

ohne sich zu stören.

Doch ist der Raum auch, wegen seiner

ununterbrochenen Continuität, die Bedingung und das Mit­ tel ihres Zusammenfaffens, welches eben durch die innere Ein­ heit meines Bewußtseins vollsührt wird.

Indessen auch hier

verlieren die Empfindungen den Charakter der Aeußerlichkeit nicht.

Denn um innerlich in der Zeit angeschaut zu werden,

muß ich eine von der anderen trennen, und sie nach einander allmälig durchlaufen, bevor ich sie zu Einer Einheit zusam-

menfaffen kann.

Wie also der Raum die Form der äußeren

Anschauung, so ist die Zeit die Form der inneren Anschauung. Durch beide Formen aber bringe ich die Mannigfaltigkeit mei­ ner Anschauungen unter eine gewisse Einheit, und gebe ihnen

dadurch erst Bestehen. Den» nur wenn ich meine Empfindun­ gen als ein Nebeneinander von einzelnen Hier und eine Suc­

cession von einzelnen Jetzt weiß, so unterscheide ich sie von

mir als dem allgemeinen Ich. Erst durch die Anschauung die­ ser Mannigfaltigkeit, die ich in Raum und Zeit ordne, und

so geordnet von mir abscheide, nehme ich die Dinge, sie in

Wahrheit sind.

wie

Die comple^e Anschauung hat man

also mit Recht Wahrnehmung genannt. Hier hat sich der theo-

18

ErkenntnißvermSgen.

274

rctische Standpunkt erst recht festgesetzt, indem nun die durch die Formen der Anschauung geordneten Objecte zu einer fe­

sten Wirklichkeit sich gestaltet haben, welche der Geist in die Einfachheit seines Ich concentrirt,

ohne ihnen die Mannig­

faltigkeit zu nehmen. Denn Raum und Zeit müssen wiederum auf Eine Einheit bezogen werden, indem die Zeit, obgleich die

eigentliche Form für die inneren Empfindungen, ebenso auch die äußeren zur Einheit zurückführt,

da auch diese nur an uns

kommen, insofern sie zugleich innere werde».

B.

Gerade durch diese Abscheidung der Dinge von dem

Geiste, welche sich im Wahrnehmen vollbracht hat und wodurch ich den Gegenstand in seiner Wahrheit ausfasse, ist zugleich eine

innigere Einheit und Durchdringung beider Seiten zum Vor­ schein gekommen, als die bloße unmittelbare Einheit des Em­ pfindenden

und Empfundenen darbieten konnte.

Indem der

Gegenstand der Empfindung in, der Wahrnehmung unter die Fornien von Raum und Zeit gebracht worden, so hat sich da­

mit auch der Inhalt desselben verändert.

Nachdem wir näm­

lich die Mittel betrachtet, wodurch der Geist eine Vielheit

von Anschauungen zur Einheit zusammenfaßt, müssen wir die­

ses Resultat seiner Thätigkeit näher untersuchen.

Statt eines

einfachen Hier und eines einfachen Jetzt, schaue ich nunmehr

einen

Complezms

von Hier und Jetzt an.

Die räumlichen

Punkte sind außereinander, und ebenso nothwendig auf einan­

der bezogen. Nicht also nur der Geist ist dies Einfache, wel­ ches den mannigfaltigen Inhalt der Wahrnehmung in Eine Einheit zusammenfaßt; sondern weil der Geist den Gegenstand

nimmt, wie er in Wahrheit ist, so kommt dieses Zusammen­

fassen der vielen Empfindungen zur Einheit auch dem Gegen­ stände zu. EinHier istalso nichtblos HebendemandcrcnHier; an

jedem wirklichen Hier lassen sich nicht blos mehrere räumliche Hier, ein Oben, Unten, Links und Rechts unterscheiden. Son-

Wahrnehmung.

275

dem wie ich am Zucker weiß, süß, krystallinisch, schwer u.s.f. im Bewußtsein zwar unterscheide, aber ebenso als Eine un­

trennbare Einheit habe, so verhält es sich auch mit dem Gegenstände. Jedes untheilbare Hier des Zuckers ist das Ineinander aller

seiner Eigenschaften und Merkmale.

Nicht nur Ich ist das

Allgemeine, welches diese Mannigfaltigkeit unter seine Einheit bannt, sondern der Gegenstand ist ebenso dies Allgemeine, oder

der eine Vielheit von Bestimmungen in sich schließende Be­ griff.

Der Gegenstand der Wahrnehmung ist also, fei­

nem Inhalt nach, das Ding mit seinen vielen Merk­ malen, deren Träger es ist: das, was vorhin als comple^e An­ schauung blos eine subjektive Existenz im Wahrnehmenden hatte,

erhält jetzt objective Existenz; und beide Seiten entsprechen ein­ ander vollkommen.

Nicht nur im Ich, auch im Gegenstände

sind die Eindrücke verschiedener Sinne in Einer gemeinsamen

Einheit gehalten. Wie das Ich oder das reine Selbstbewußt­

sein eine Abstraction ist, wenn ich es von der jedesmaligen Erfüllung, die ihm durch die Anschauung zugeführt wird, los­ löse,

ebenso

abstract ist der allgemeine Begriff des Gegen­

standes, wenn ich ihn von seinen Merkmalen absondere; das Ding

sinkt dann zum leeren Begriff der Dingheit oder des

bloßen Auchs seiner Eigenschaften herunter.

Der menschliche

Geist legt also den Empfindungen nicht erst diese Einheit un­ ter, und macht sie dadurch zu einem Objecte, wie der Kan­

tische subjektive Idealismus wollte; sondern diese Einheit kommt

den Dingen an und für sich zu. C. heit ist

Das Zusammenfaffcn der vielen Hier in Eine Ein­

aber wieder

nur

eine

einseitige Betrachtungsweise.

Denn so gut -als der Raum eine gewisse Mannigfaltigkeit em­

pfundener Qualitäten

als

Ein Ding in sich begreift, ebenso

trennt er auch gewisse andere Eigenschaften von diesem zuerst Verknüpften, und verbindet sie zu einem anderen Dinge; denn

18 *

Er kcnntnißvcrmögen.

276 irr Raum ist so

einend, wie scheidend.

Während wir das

Süße mit deut Weißen im Zucker verbanden,

schlossen wir

das (s elbe davon aus und verknüpften dieses in der Galle mit dem Bitteren. Dadurch, daß wir die Dinge im Raume

anschaucn, sind wir immer im Wechsel dieser beiden Thätig­ leiten begriffen. Weil der Raum die absolute Eontinuität des

Außercinander ist, so einige ich wiederum die Dinge, die ich

so eben trennte.

Ineinander

Ich nehme einen Ziegelstein wahr als ein

einer Menge physikalischer Eigenschaften,

dieser

Ziegelstein hängt mit anderen durch den Raum zusammen; ich

verknüpft

sie also

sämmtlich

unter die Wahrnehmung des

Dachs. Von dem Dache unterscheide ich die Mauern, Fenster, Thüren u. s. w.; und dieses so Unterschiedene begreift ich un­

ter die Gesammtivahrnchmung eines Hauses.

Wie die Thei­

lung der Hier in den Raum hinein ins Unendliche geht, auch seine Expansion hinaus.

so

Neben dem Einen Hause steht

ein anderes, neben diesem wieder ein anderes;

und ich fasse

sie zusammen unter die Wahrnehmung einer Straße. Ich er­ steige den Thurnr einer Kirche und fasse alle Hauser zu mei­

nen Füßen in die Wahrnehmung einer Stadt zusammen: ei­

nen hohen Berg, — und Wiese, Wald und Acckcr, Dörfer, Flecken und Städte verschwimmen mir zu Einer Landschaft,

Gegend und Provinz. So komme ich durch immer steigende Syn­

these zu der höchsten komplexen Anschauung,

wenn ich des

Nachts mein Auge zum Sternenhimmel erhebe, und die ganze Unendlichkeit dieser Sphären mir in das kleine Wörtchen Welt zusanimenschrumpst. Nur durch diesen letzten Act ist die Welt

der Wahrnehmung vollendet.

Das Ding mit seinen Ei­

genschaften war zwar schon ein Allgemeines; ich bleibe, es wahrzunchmen'

um

nicht bei der sinnlichen Einzclnheit stehen.

Aber die Allgemeinheit des Dinges war durch andere Dinge beschrankt, das Ding

also nur ein

sinnliches oder einzelnes

Wahrne h in u » g.

277

Allgemeines neben anderen sinnlichen Allgemeinheiten. In der Wahrnehmnng bet Welt sind wir nun zu einer umfangsrei­ cheren Allgemeinheit gelangt, die nicht mehr durch andere sinn­ liche Einzelnheiten beschrankt ist. Da der Raum aber ins Un­ endliche continuirlich ist, so ist diese Synthese nie vollendet; um eine räumliche Unendlichkeit wirklich durchlaufen zu ha­ ben, bedürften wir einer zeitlichen Unendlichkeit. Die objective Einheit, welche der Welt zu Grunde liegt, ist also nie in der äußeren Erscheinung der Dinge gegeben, sondern nur in ih­ rem inneren Ansich. Dennoch ist die Welt die alleinige wahre Eristenz, gegen die ihre einzelnen Theile nur verschwindende Schatten sind. Die objective Einheit der Welt ist also ein Jen­ seits der sinnlichen Dinge, eine übersinnliche Welt, in die uns die dazwischen geschobene Decke dieser sinnlichen Dinge einzudringen verhindert. In der That aber ist das Ver­ mögen des Zusammenfaffens aller Einzelnheiten zur Allge­ meinheit das Vorrecht des idealisirenden Geistes ; und indem er dies Vorrecht gegen das Außereinander der Natur übt, so überträgt er feine Einheit auf dieselbe, und macht die ganze Welt zu einet eben solchen objectiven Einheit, wie er vorhin das Ding als das Zusammenfassende seiner Merkmale setzte. Das Innere der Welt, welches dem Geiste als das ferne Jen­ seits einer übersinnlichen Welt erschien, ist vielmehr sein eige­ nes Innere— die intelligible Welt in ihm —, welches, die Decke der sinnlichen Erscheinung durchstoßend, in dem inneren We? seit der Dinge nur sich selbst oder seine eigene Bestimmung wieder findet. Die transscendentale Einheit der Apperception, welche alle Empfindungen in die Einheit des Ich zusammen­ faßt, eint ebenso alle Dinge in den Begriff der Welt. Diese objective Einheit ist aber in der That nur eine den sinnlichen Din­ gen untergelegte; und die Wahrnehmung scheitert au dem Begriffe der Welt. Bis zum Dinge konnte sie sich erheben

Er kennt« iß vermög en.

278

weil dessen Allgemeinheit

immer

noch

eine

sinnliche

blieb.

Die Verknüpfung aller Dinge zum Begriff der Welt ist aber

nur ein inneres Bild des Geistes, dem kein sinnlicher Gegen­

stand correspondirt. Wir haben hiermit die Grenze des Gebiets der Sinnlich­ keit erreicht; und diese hat sich durch ihre eigene Dialektik in

eine höhere Sphäre erhoben. Die Einheit, wodurch die Dinge

zusammengehalten werden, ist eine innere, durch den Geist ge­ setzte; und wenn wir nicht auf das äußere Band der Gegen­

stände reflectiren, sondern auf das innere Bild, wodurch wir unsere Empfindungen zusammenfaffen, so haben wir die Ein­

bildungskraft.

Dieses Bild tritt nun nicht nur bei der Welt,

sondern auch bei den einzelnen sinnlichen Dingen ein.

Wenn

ich ein Haus betrachte, so sind Dach, Mauern, Fenster, Thü­ ren u. f. w. wohl anch durch ein objectives Band verbunden.

Sparren, Mörtel, Zargen halten diese Theile zusammen; diese

sind aber auch gleichgültig gegen ein solches Zusammenhalten, nnd können recht gut auch außerhalb dieses Zusammenhangs c^i-

stiren.

Die objective Einheit, welche wir vorhin das Innere

der Dinge nannte», ist also dem sinnlichen Hause äußerlich,

und

somit zufällig.

Die nothwendige Verknüpfung aller die­

ser Momente zu Einem Ganzen findet nur im Inneren des

Geistes Statt.

Das Allgemeine am Dinge, was die Wahr­

nehmung heraushebt,

ist also im höheren Sinne die eigene

Bestimmung des menschlichen Geistes,

als es der subjective

Idealismus der kritischen Philosophie verstand.

Der Kitt des

Geistes ist ein festerer und dauerhafterer, als der des Mau­

rers, um die Einheit des Hauses hervorzubringen. Durch dies

Abstreifen der Sinnlichkeit ist die Wahrnehmung zu einem gei­

stigen Inhalt gekommen.

Das wahrgenommene Haus, als

ein inneres Allgemeines, ist nicht mehr dies in der Empfin­ dung und Anschauung Gegebene, sondern ein durch die innere

Einbildungskraft.

279

Thätigkeit des Geistes Producirtes; und dieses Bild des Hau­ ses ist eben der Gegenstand der Einbildungskraft.

Zweiter Abschnitt. Die LinbildungsKralt.

Die Einbildungskraft, welche zwischen Sinnlichkeit und Denken in

der

Mitte

steht,

verarbeitet den Stoff,

wel­

chen die Sinnlichkeit ihr zuführt: wie der Handwerker die durch

den Landmann gewonnenen rohen Stoffe formirr. geistige Thätigkeit, den sinnlichen

Als die

Stoff dem Denken entge-

genzuhebcn, bringt die Einbildungskraft an ihn die Form der

Allgemeinheit; sie theilt mit dem Sinn die Abhängigkeit vom gegebenen Inhalt, mit dem Denken die Freiheit der Selbst­

bewegung.

Innerhalb der Einbildungskraft kann der Fort­

schritt nur darin bestehen, die Abhängigkeit vom Gegenstände

der Sinnlichkeit immer mehr abzustreifen und das Denken im­ mer klarer durchbrechen zu

lassen.

Hiernach

müssen wir

die Thätigkeiten der Einbildungskraft unter folgende drei Ver­ mögen zusammenfaffen.

Die unabhängig von der Anschauung

reproducirten Einzel-Bilder der sinnlichen Dinge werden zu­

erst,

so viel ihrer derselben Art. sind, zu Einem allgemeinen

Bilde verknüpft; das ist das Vorstellungövermögen. Zweitens

sucht der Geist

diesen innerlich erzeugten Vorstellungen Ob­

jektivität zu verschaffen,

indem er sie wieder auf die Sinn­

lichkeit bezieht, und diesen Abstractionen einen concreten Aus­ druck durch die Phantasie verschafft, welche dieselben in sinn­

liche Bilder hüllt.

Daß drittens

dieses Dasein der Vor­

stellung nicht in die sinnliche Einzelnheit zurückfalle, sonder» in Form der Allgemeinheit verbleibe, also ein dem Geiste an-

Einbildungskraft.

279

Thätigkeit des Geistes Producirtes; und dieses Bild des Hau­ ses ist eben der Gegenstand der Einbildungskraft.

Zweiter Abschnitt. Die LinbildungsKralt.

Die Einbildungskraft, welche zwischen Sinnlichkeit und Denken in

der

Mitte

steht,

verarbeitet den Stoff,

wel­

chen die Sinnlichkeit ihr zuführt: wie der Handwerker die durch

den Landmann gewonnenen rohen Stoffe formirr. geistige Thätigkeit, den sinnlichen

Als die

Stoff dem Denken entge-

genzuhebcn, bringt die Einbildungskraft an ihn die Form der

Allgemeinheit; sie theilt mit dem Sinn die Abhängigkeit vom gegebenen Inhalt, mit dem Denken die Freiheit der Selbst­

bewegung.

Innerhalb der Einbildungskraft kann der Fort­

schritt nur darin bestehen, die Abhängigkeit vom Gegenstände

der Sinnlichkeit immer mehr abzustreifen und das Denken im­ mer klarer durchbrechen zu

lassen.

Hiernach

müssen wir

die Thätigkeiten der Einbildungskraft unter folgende drei Ver­ mögen zusammenfaffen.

Die unabhängig von der Anschauung

reproducirten Einzel-Bilder der sinnlichen Dinge werden zu­

erst,

so viel ihrer derselben Art. sind, zu Einem allgemeinen

Bilde verknüpft; das ist das Vorstellungövermögen. Zweitens

sucht der Geist

diesen innerlich erzeugten Vorstellungen Ob­

jektivität zu verschaffen,

indem er sie wieder auf die Sinn­

lichkeit bezieht, und diesen Abstractionen einen concreten Aus­ druck durch die Phantasie verschafft, welche dieselben in sinn­

liche Bilder hüllt.

Daß drittens

dieses Dasein der Vor­

stellung nicht in die sinnliche Einzelnheit zurückfalle, sonder» in Form der Allgemeinheit verbleibe, also ein dem Geiste an-

Erkenntnißvermögen,

280

gemessener Ausdruck sei, ist die Aufgabe des Bczeichnungsver-

mögenS.

Erstes Kapitel. Pa» Vorstellungsorrmögen.

Die Wahrnehmung, als Verknüpfen des Mannig­

A.

faltigen zu Einer Einheit vermittelst des Raumes, wird da-

durch zu einem vom Geiste erzeugten Bilde des Gegenstan­

des

in mir,

das

ich von der Materie dieses Gegenstandes

abstrahire. Dieses Bild hat durch seine Verpflanzung ins Reich

des Jntelligiblen eine festere Dauer erhalten, besaß.

als es vorher

Der Geist thut, was im Prolog des Faust der Herr

den Engeln anbefiehlt r Und was In schwankender Erscheinung schwebt, Befestiget mit dauernden Gedanken.

Der Geist versteinert zu ewiger Dauer, wie das Haupt der Gorgone:

ben.

aber zugleich ohne, wie diese, das Leben zu rau­

Das Bild ist nicht mehr von der Vergänglichkeit des

sinnlichen Eindrucks abhängig. Diese hat nämlich einen doppelten

Grund, entweder den Untergang des Gegenstandes, oder daß ich ihm meine Gegenwart entziehe.

Wenn ich mich nun aber

auch vom Gegenstände meiner Anschauung wegwcnde, und also

den räumlichen und zeitlichen Zusammenhang, worin ich mit demselben stehe, aufgcbe, so kann ich doch die gehabte Wahr

nehmung sesthalten und über die Dauer des wirklichen Ein­

drucks hinaus verlängern.

Dieses Sich-Einbilden der Wahr­

nehmung in den Geist ist die erste Thätigkeit der Einbildungs­

kraft.

Nun ist das Bild nicht mehr auf der Netzhaut, sondern

lediglich in meinem Geiste; cs ist dem objectiven Zusammen-

281

Vorstellungsvermögen.

Hang von Raum und Zeil, den es mit den übrigen Gegen­ ständen der Anschauung hatte, entrissen.

Doch ist damit nicht

jede Beziehung des Bildes auf den Raum aufgehoben, son­

als

dern

Angrschautcs

und Wahrgenommenes muß es im

räunilichcn und zeitlichen Zusammenhänge bleiben.

Indem ich

es also der Zeit und dem Raunie der Außenwelt entnehnic, so setze ich es in meinen Raum und in meine Zeit.

In mei­

nem Kopfe kann ich mir das Bild des Hauses, welches ich

gesehen habe, unter ganz anderen räumlichen Verhältnissen

denke», als die sind, unter denen ich es sah.

Das Bild des

Hauses, worin ich in Berlin wohne, kann ich im Geiste nach

Paris unter ganz

andere räumliche

Verhältnisse versetzen.

Das Bild ist also dem Weltzusammenhange entnommen und zu einem Eigcnthume des Geistes geworden.

B.

Die Einbildungskraft verläßt hiermit den Boden der

Außenwelt, sie flieht in die inneren Räume des Geistes; abrr

wie der Vogel, der, seiner Haft entflohen, den Faden »och

«ach sich zieht, an dem der Knabe ihn fcstgebundcn hielt, so ist auch die Einbildungskraft mit dem Klotze der Sinnlichkeit behaftet, den sie nachzuschleppen gezwungen ist.

Dieses Weg­

wenden des Geistes von der äußeren Wahrnehmung, dies Ver­

innerlichen des Bildes können wir mit einem allgenreinen Aus­ druck die Erinnerung nennen, das Sich-Erinnern des Gei­

stes, sein Zusichselbstkommen aus diesem Verhalten zum An­ deren.

1.

Die Grundlage der Erinnerung ist nun die Aufbe­

wahrung des Bildes im Inneren des Geistes, freilich so, daß das Bewußtsein dieses Bildes auch wieder verschwindet. Denn da der Geist eine unendliche Menge von Wahrnehmun­

gen gehabt hat, und durch

die Aufmerksamkeit gezwungen

wird, sich nur auf Eine zu richten: so muß er diese Unendlichkeit von Bildern auch wieder fallen lassen, indem eins das andere

282

Erken ntnißvcrmögen.

verdrängt. Diese so vergessenen und aufgehobenen Bilder find

aber ebenso äufbewahrt, wenn gleich bewußtlos.

Was ein­

mal im Geiste gewesen ist, bleibt unverloren sein Eigenthum. Die Natur verliert Alles wieder, was sie producirt; sie ist arm und muß immer wieder von vorn anfangen, denn sie

schöpft ins Faß der Danaiden.

Jrn unendlichen Reichthum

des Geistes sind aber alle seine Erwerbungen verzeichnet und registrirt, obgleich allerdings sehr lange Vergessenes und nicht

wieder Aufgcfrischtes entweder gar nicht oder nur durch außer­

ordentliche Zustände, wie wir in der Anthropologie sahen, an

den Tag des Bewußtseins heraufgefördert werden kann.

Der

Geist ist also einem tiefen Schacht zu vergleichen, dessen Bo­

den unergründlich und dessen Inhalt also unerschöpflich ist.

Wie wird aber dieser Reichthum, der, als vergessen,

2.

so gut, wie keiner ist, wieder ausgebcutet?

Zu diesem aufge­

häuften Schatze von Bildern, den der Geist wegen dessen Un­

endlichkeit gar nicht einmal überschlage» kann, komnicn täg­

lich und stündlich, ja, man möchte sagen, in jedem Augenblicke

eine Menge neuer Bilder hinzu.

Wie verhalten sich nun diese

neue Wahrnehmungen zu jenen alten Bildern? Unter den ersteren werden sich welche finden, die der Geist schon öfter gehabt

hat, andere werden wenigstens Aehnlichkeiten mit den schon erworbenen Bildern darbieten.

Diese Verwandtschaft der neuen

Wahrnehmungen mit den alten ist der Grund der Anziehungs­ kraft,

die jene

besitzen,

indem ihre Gegenwart

im

Geiste

die ihnen ähnlichen Bilder in das Bewußtsein desselben zurückrust.

Diese

Thätigkeit

der

Wiedererkennung

der

alten Bilder in den neuen Wahrnehmungen ist eben das, was wir vorzugsweise Erinnerung nennen.

Wenn ich eine neue

Wahrnehmung habe, so bleibe ich nicht dabei stehen, lediglich

ein neues Bild daraus zu machen; sondern eine solche neue Erkenntniß rührt die alten in mir auf, und macht sie dadurch

Vorstellungsvermögen. erst nutzbar.

Der äußere Änstoß läßt mich in mein Inneres

zurückgchcn, mich dort zu verinnerlichen, und nun die durch die Erinnerung hervorgerufenen Bilder mit meinen Anschauun­

gen zu vergleichen.

Ehe mit absoluter Freiheit das Denke»

den Inhalt der Erkenntniß aus dem Schachte des Inneren ohne fremde Beihülfe erzeugt, muß die Einbildungskraft diese

Unabhängigkeit von der Sinnlichkeit wenigstens durch Synthesiren ihres Stoffs bekunde».

So war die erste Synthesis

die der Wahrnehmung, wie auch Kant sehr gut gesehen hat; und wir sind auf beni Wege, die zweite der von ihm betrach­ teten Synthesen, die Synthesis der Einbildungskraft, zu ge­

winnen.

Die Erinnerung ist nämlich der Weg, um zu ihr zu

gelangen. 3.

Indem die Erinnerung zu dieser Synthese aber noch

des äußeren Anschaucns bedarf, so ist sie vom Gedächtniß verschieden, welches ohne äußeren Anstoß freie Reproduk­

tion eines geistigen Inhalts ist.

Die Erinnerung steht also

noch auf der niedrigste» Stufe der geistigen Thätigkeiten; und

insofern man

bei

den Thieren Analoga der psychologischen

Thätigkeiten wieder finden will,

kann man ihnen höchstens

Erinnerung, nicht aber Gedächtniß zuschrciben.

Es gibt zwar

Leute, welche den Thieren Räsonnement, Verstand und der­

gleichen zuschreibcn; und Her bart fürchtet sogar, daß, wenn

die Hunde sprechen könnten (ja wohl: wenn!), sie die Men­ schen bald überflügeln würden.

Allerdings scheint das Be­

nehmen mancher Thiere,

namentlich des Hundes, zuweilen

Ueberlegung zu verrathen.

Wenn nämlich ein Hund von sei­

nem Herrn Prügel bekommen hat, weil er etwas gefressen hat, was er nicht sollte, oder aus einem anderen Grunde: so

wird er dies Verbotene nicht wieder thun, wie sehr seine Be­

gierde ihn auch dazu antreibt.

Ist in diesem Betragen nicht

ein vollständiger Schluß enthalten?

„Wenn ich dies thue,

281

Erken ntnißvermögen.

so bekomme ich Prügel: nun will ich diese nicht; also unter­ lasse ich jenes."

Einem Menschen, selbst einem Kinde kann

man dies Räsonnement zutraue».

Aber beim Thiere ist Alles

Instinkt, oder doch nur Erinnerung.

Die Anschauung -der

Speise erweckt in ihm einerseits die Begierde nach derselben,

andererseits aber ebenso

das Bild des Schmerzes, welches

ihm der Stock verursachte.

Dieses aufbewahrte Bild, was

aber ohne jene äußere Anschauung gar nicht wieder zum Vor­ schein kommen würde, treibt den Hund von seiner Begierde ab, und er enthält sich dieser verbotenen Speise.

Alles ist also

nur Verknüpfung sinnlicher Bilder.

C.

Das Resultat der Synthese der Einbildungskraft ist

nun die Vorstellung, deren Erzeugung eben durch die Er­ innerung vermittelt wird.

1.

Die Production der Vorstellungen geht so

vor sich, daß, indem ich durch Vergleichung der alten und neuen Bilder mit einander die Aehnlichkeit der gleichartigen gewahr

werde, ich nun diese dergestalt vermischt, daß sich aus den vielen einzelnen Bildern einer und derselben Art, durch wischung des ihnen anklebenden ein

allgemeines Bild

stellung nenne.

erzeugt,

Ver­

unwesentlichen Unterschieds,

welches ich eben eine Vor­

Zuerst fasse ich die sinnlichen Bcstandstücke

eines Hauses zu Einer Einheit zusammen, schon hier gehen

manche Acußerlichkeiten verlöre»; und die Wahrnehmung ist eben auch insofern ein Nehmen des Hauses, wie cs in Wahr­ heit ist, als dieses Unwahre daran wcggclasscn wird.

Dieselbe

Operation wiederhole ich nun mit den vielen Bildern verschie­ dener Häuser, welche nach und nach sich in meiner Erinne­

rung gesammelt haben.

Ich lasse an diesen einzelnen Bildern

forc, daß sie zwei oder drei Etagen, sieben oder zehn

Fenster

ii. s. f. haben; und behalte nur das Allgemeine bei.

Dieses

allgcnieine Bild ist ebenfalls ein im Geiste aufbewahrtcs; aber

285

Vorstcllungsvcrmögen.

die einzelnen Bilder haben nicht gleichen

Werth mit ihm.

Diese durch die Wiederholung vieler Wahrnehmungen kräftig

gewordene Vorstellung ist nämlich ein Musterbild, ein Maß­ stab für die neuen Anschauungen, durch welchen, mit einem

Kantischcn Ausdruck, die Recognition der Vorstellungen in den sinnlichen Bildern bewerkstelligt wird.

Sind aber einmal aus

den einzelnen ausbcwahrten Bildern allgemeine Vorstellungen

geworden, so verschwinden jene mehr und mehr aus der Er­

innerung; denn sie sind nutzlos geworden, außer wo in der Natur das Individuelle für sich Werth hat, wie beim Men­

schen, oder dieser ihm ein pretium affcctionis beilegt, wie es

Pferde- oder Hunde-Liebhaber thun.

Solche allgemeine Vor­

stellung ist die Epikureische Anticipation oder

durch

welche ich die stets neu zuströmenden Bilder sowohl mir aneigne Ehe die Kinder einen Hund, der ihnen entge-

als beurtheile.

genkommt, als das aussprcchen können, was er ist, und also

ihre alten Anschauungen in der neuen wiederzuerkenncn im Stande sind, muß sich ihnen aus den früheren Anschauungen

vieler Hunde die allgemeine Vorstellung des Hundes schon ge­ bildet haben.

Sie brauchen nicht alle einzelnen Hunde ge­

sehen zu haben, um dies auf sie zukommende Thier für einen Hund zu erkennen; sondern weil die Vorstellung alle Indivi­ duen einer und derselben Gattung unter sich begreift, so ist in ihr die Einzel-Anschauung jedes Individuums dieser Gattung

schon anticipirt.

Es beginnt hier der erste Schimmer einer

dem Denken allein angehörigen Erkenntniß a‘priori, wenn auch nur erst schwach, hindurchzubrechen, während jeder sinnliche

Eindruck nur Erkenntniß a posteriori geben kann. Die Erzeugung der allgemeinen Vorstellungen aus den einzelnen sinnlichen Bildern darf man nicht auf diese schiefe

mechanische Weise, wie die Materialisten es thun, sich vor­ stellen, als ob die gleichartigen Bilder im Gehirne, vielleicht

Erkenntnißvermögen.

286

weil Gleiches und Gleiches physische Altractionskraft aufein-

ander ausübt, eines über das andere sich legten und ihre Un­ terschiede an einander abricben, bis sie sich endlich vollständig

deckten und in Einen Gesammteindruck Zusammenstößen.

Al­

lerdings gehört zu dieser Congruenz und Production der all­

gemeinen Vorstellung Zeit.

Die Bilder sind aber nicht im

Gehirn als fertige materielle Dinge zu nehnien.

Da sie nur

als Formen, d. h. nach ihrer intelligiblen Seite, im Geiste enthalten sind: so ist er selbst, nicht das Gehirn, so zu sagen, die abreibende Thätigkeit, welche ihre Unebenheiten und Be­

sonderheiten in Eine Allgemeinheit zusammenfaßt.

Hier tritt

der Geist, indem so zum ersten Male der Charakter des Den­

kens durchblickt, von der sinnlichen Welt zurück, worin alle

Individuen bisher allein das ihnen gcmeinsameBand ihrer gegen­ seitigen Verständigung fanden. So lange die Menschen bei den je­

verweilen, sind

desmal gegenwärtigen Anschauungen

sie

in

einer gemeinsamen Welt, wie Fichte die Sinnlichkeit als die­ sen Ort der Gemeinsamkeit behauptete.

Sich zurückziehcnd in

das Reich seiner Vorstellungen, hat dagegen jeder Mensch seine eigene Welt.

Denn nicht nur, daß durch andere Anschauun­

gen auch jeder einen anderen Kreis von Vorstellungen haben kann:

durch die Eigenthümlichkeit jedes Individuums sind

auch seine Vorstellungen auf eine andere Weise mit einander

verknüpft,

bei

als

einem anderen; endlich weil diese Vor­

stellungen das Eigenthum des Geistes geworden sind, so kann er sie in einer beliebigen Ordnung reprvduciren.

2.

Die Reproduktion

der Vorstellungen ver-,

hält sich zur Vorstellung, wie die Erinnerung zu den sinnli­

chen Bildern.

Zugleich ist aber auch eiu wesentlicher Unter­

schied vorhanden.

Die Bilder konnten nur durch den Anstoß

neuer Bilder wiedererzeugt werden.

Da hier aber der Geist

seine Vorstellungen gänzlich in seine Gewalt bekommen hat.

287

Vorstellungsvermögen.

so kann er mit dieser seiner intelligiblen Welt nach Willkür schalten und walten. a.

Diese freie Reproduktion der Vorstellungen ist das

Sich-Besinn en

des Geistes.

Die erste Mangelhaftigkeit

der Einbildungskraft, nur thätig zu sein auf Veranlassung ei­ nes

äußeren

Anstoßes,

hat der Geist hiermit überwunden.

Wenn der Mensch durch fortgesetzte sinnliche Wahrnehmungen einen reichen Stoff von Bildern und Vorstellungen in seinem

Inneren gesammelt hat, so kann er auch unabhängig von neuen Wahrnehmungen diesen geistigen Inhalt wieder in sich

rcproduciren.

Hiermit nimmt die Einbildungskraft schon einen

höheren Aufschwung; sie wendet sich gänzlich von den Ob­ jecten weg, und versirt nur im Gebiete ihres eigenen In­

neren.

Der Schatz von Vorstellungen, den sie erworben hat,

ist zwar durch ihr Sich-Abwenden von den Dingen nicht noth­ wendig mit diesen in Uebereinstimmung; ungeachtet die Vor­ stellung nur von sinnlichem Inhalt erfüllt ist, braucht sie doch

nicht der jedesmaligen Objectivität zu entsprechen.

Aber als

Entschädigung für diesen Standpunkt der Subjectivität ist das System unserer Vorstellungen auch nicht ein todter Besitz, son­ dern ein nutzbares Eigenthum, das sich stets durch sich selbst

vervielfältigt.

Der Gebrauch, den der Geist von diesem Stoffe

macht, ist eben die lebendige Verarbeitung desselben im Be­ wußtsein.

Der Geist ist immer

thätig, selbst im Schlafe;

und seine Thätigkeit ist nur dies Bewußtsein und dies Vor­

stellen selbst.

Diese reproduktive Einbildungskraft ist nun im

Sichbesinnen noch an keine Regel gebunden.

Der Geist, aus

der Mannigfaltigkeit seiner äußeren Wahrnehmungen sich zu-

rückziehend, sammelt nicht mehr sie zu Einer Einheit, sondern sich selbst.

Er vereinfacht nämlich sich selbst, -wendet seine

ganze Thätigkeit auf sich, und steigt in das Verließ seines eigenen Inneren nieder, seine Schätze zu überzählen und sie

288

Erkenntnißvcrmögcn.

die Musterung passiren zu lassen. Die Reihenfolge, in der ich sie erscheinen lasse, ist an keinen objectiven Zusammenhang int Raum und in der Zeit gebunden; ebenso wenig bin ich an den subjektiven Zusammenhang meines Raumes und meiner Zeit gebunden. Denn es handelt sich hier nicht mehr von Bildern der Sinnlichkeit, sondern von allgemeinen Vorstellun­ gen, die raum- und zeitlos in meinem Inneren niedergelegt sind. . Im Besinnen citire ich also beliebig diese oder jene Vorstellung herauf, je nachdem ich sie brauche; jede muß auch aus der Reihe der bannenden Kraft des Geistes gehorchen. Freilich muß ich schon vorläufig wissen, was ich suche; die Vorstellung muß nicht in die Lcthefluthen des Geistes eingetaucht worden sein, sondern gewissermaßen der Sphäre des Bewußtseins nahe schweben. Daher sagen wir auch oft, daß etwas uns unmittelbar auf der Zunge schwebt, und wir nahe daran sind es zu ergreifen, obgleich es uns doch noch nicht zum klaren Bewußtsein gekommen ist. b. Die Willkür der Reproduktion ist also nicht eine un­ endliche; auf manche Vorstellungen können wir uns leichter be­ sinnen, als auf andere. Woher kommt dies? Unsere Vor­ stellungen haben im Geiste ohne unser Zuthun einen gewissen subjektiven Zusammenhang, und dieser ist bei verschiedenen Menschen ein verschiedener. Ungeachtet des gemeinsamen Bodens der Sinnenwelt, auf dem Alle sich befinden, berührt diese doch einen Jeden an einem anderen Punkte. Jeder hat also seinen Kreis und seine Reihe von Anschauungen, aus denen sich also auch ein verschiedenes und verschiedentlich geordnetes System von Vorstellungen erzeugen muß. Ent­ hält sich nun der Wille, in dasselbe thätig einzugreifen und diese oder jene im Besinnen absichtlich hervorzuholen, läßt er sich vielmehr auf den Wogen derselbe», wie ein Kahn auf of­ fenem Meere, treiben, so fragt sich: In welcher Ordnung wer-

Vorstellungsvermögen,

den sie sich dem Geiste vergegenwärtigen?

Hier muß wegen

der Verschiedenheit des Inhalts natürlich bei den verschiede­ nen Menschen auch der größte Unterschied hervortreten.

Die

Einbildungskraft, welche den Steuermann abgibt, wird hier

affociirend, und bildet die dritte Synthese der Art, die sich

uns darbietet: wie die Wahrnehmung Anschauungen, die Er­ innerung Bilder, so verknüpft die associirende Einbildungskraft Vorstellungen.

Dies ist denn das, was man gewöhnlich in

der Psychologie die Association der Ideen nennt, wir aber richtiger als Association der Vorstellungen bezeichnen

können; denn der Ausdruck Idee gehört einer viel höheren Sphäre an.

Es fragt sich nun, ob diese Association gewißen

Gesetzen unterworfen ist, oder der menschliche Geist für die Reproduktion seiner Vorstellungen auf das mehr willkürliche

Besinnen angewiesen ist.

Schon Aristoteles kennt diese Art

der Erinnerung, und nennt sie Wiedererinnerung im Gegensatze zur Erinnerung

sitze einer Vorstellung.

als dem bloßen Be­

Er und die ihm hierin folgten haben

auch in der That die Bedingungen scstzustellen gesucht, an

welche diese Wiedererweckung unserer Vorstellungen geknüpft ist, und ihnen sogar den Werth von nothwendigen Gesetzen

dieser Association geben wollen. Dieser sogenannten Gesetze lassen sich vier angeben, und

sie gründen sich sämmtlich auf eine gewisse Verwandtschaft und

einen Zusammenhang, der sich unter den Vorstellungen findet. Zuerst werden nämlich diejenigen Vorstellungen wieder in un-

serem Geiste erweckt, welche zugleich oder nebeneinander, so­ wohl räumlich als zeitlich, sich in demselben gebildet haben. Da aber diese Entstehungsart eine zufällige, und bei jedem Individuum eine andere ist, so hangen auch bei einem jeden

verschiedene Vorstellungen mit einander zusammen. nothwendigen Gesetzes

Statt eines

haben wir also nur einen zufälligen

19

Er kenntni ßv erwögen.

290

Zusammenhang; und die Association wird damit selbst zu etwas

Zufälligem, was gar nicht auf Gesetze zurückgeführt werden kann. Diese durch die Entstehungsart der Vorstellungen hervorgcbrachte Association derselben ist sehr hübsch von Göthe in seinem

Gedichte „Verschiedene Empfindungen an Einem Platze" be­

schrieben, indem in einer einsamen Waldgegend der Jäger an

seine Hasen, der Liebende an seine Geliebte u. s. f. erinnert wird.

Wie an diesem Orte der Eine diese, der Andere jene

Vorstellungen gehabt hat, so associirt sich auch häufig mit demsel­

ben Gegen stände Verschiedenes. Hier geht die Wiedererweckung noch von einer sinnlichen Anschauung aus.

Aber auch die

Vorstellung einer Waldgegend für sich, ohne daß man schon

verschiedene Empfindungen daselbst gehabt habe, kann ver­

schiedene Menschen auf solche verschiedene Vorstellungen brin­ gen.

Das zweite Gesetz ist ebenso subjcctiver, als zufälliger

Art.

Wir verknüpfen nämlich die Vorstellungen verschiedent­

lich, je nachdem wir verschiedene Zwecke und Interessen haben. Wenn also in einer Gesellschaft vom Kriege und der Möglich­

keit, daß er ausbrechen könne, gesprochen wird: so wird der Soldat von da auf den Rrihm und die Ehre kommen, die er dadurch wird erlangen können, der Kaufmann wird für seinen Credit besorgt sein, der Armee-Lieferant schon den glänzend­

sten Gewinn in Aussicht haben.

Dieses Gesetz ist durch und

durch zufällig" und subjektiv, während bei dem ersten doch ein objectiver Zusammenhang des Raumes und der Zeit vorhan­

den ist, wenn gleich derselbe aus zufälligen Gründen entsprang.

Die beiden anderen Gesetze beruhen dagegen auf dem ob­ jectiven Zusammenhang der Vorstellungen selbst, indem theils

diejenigen mit einander verknüpft werden, welche einander ähn­ lich sind und eine wirkliche Verwandtschaft mit einander haben: theils aber auch gerade umgekehrt die unähnlichen und con-

trastircnden; denn auch diese stehen in einem gewissen objecti-

Vor stell« ngsvermögen.

ven Zusammenhänge, weil jeder Gegensatz sein Corrclatum nothwendig mit sich führt. So bemerkt Aristoteles, die ma­ thematischen Sätze erzeugen sich durch Association der Vor­ stellungen einer aus dem anderen, weil ihre Ordnung durch Aehnlichkeit geboten sei; Alles, was Ordnung hat, läßt sich also leichter wiedererzeugen, wie auch Pascal eine ganze Reihe von Sätzen der Elementar-Geometrie auf diese Weise sogar, durch ihre objective Ordnung geleitet, ohne Unterricht wie von Neuem geschaffen haben soll. ' Ebenso, führt Aristoteles als Beispiel an, kommen wir von der Milch auf das Weiße, vom Weißen auf die Luft, von der Luft aufs Feuchte, vom Feuch­ ten auf den Herbst, den wir suchten. Thiere, setzt er hinzu, haben nur Erinnerung, nicht Wiedererinnerung. Denn diese ist gewissermaßen ein Schluß: weil ich etwas früher sah und dachte, muß ich es wiedererzeugen; das ist aber eine Unter­ suchung, und diese nicht ohne Berathschlagung. So viel ist gewiß, dem Zusammenhang solcher Vorstellungen fehlt die Nothwendigkeit eines Gesetzes; er ist ein loser, und soll auch ein solcher bleibe». Es geht in der Association der Vorstellun­ gen, wie bei einer gesellschaftlichen Conversation her, welche selbst vermittelst einer solchen geführt wird; die Vorstellungen entwickeln sich wie von selbst und ungezwungen auseinander, wie die Ge­ genstände eines Gesprächs. Die Einbildungskraft kommt so vom Hundertsten aufs Tausendste; und ihre Freiheit besteht eben darin, auch Zwischenglieder überspringen zu können. c. Ueberläßt sich aber der Geist nicht dem unwillkürli­ chen Spiele seiner Vorstellungen, sondern will er zugleich mit seiner Freiheit diesen Zusammenhang beherrschen und diese As­ sociation leiten: so haben wir die besonnene Association der Vorstellungen, auf welcher auch die Kunst des Jmprovisirens beruht, nur daß hier der Strom der Begeiste­ rung den Schein des Unwillkürlichen noch beibehält. Der 19*

-292

Erken ntnißv erm ögen.

Zusammenhang ist bei der besonnenen Association nicht unmittelbar gegeben; er ist wohl an und für sich vorhanden, aber erscheint nicht an der Oberfläche. Um also den Zusammenhang auf­ zufinden, muß der Geist sich besinnen; nur so entdeckt er den tiefer liegenden, und somit objectiven Zusammenhang der Vor­ stellungen. Da nun dieser nach den zwei letzten Gesetzen der Association theils auf Achnlichkrit, theils auf Contrast beruht, so wird die bewußte und besonnene Association der Vorstel­ lungen darin bestehen, einerseits eine Aehnlichkeit zwischen Vorstellungen aufzufindcn, die einen Contrast bilden oder doch wenigstens weit auseinander liegen, andererseits einen Unter­ schied und Contrast bei Vorstellungen hcrauszubringcn, die für ähnlich und homogen angesehen werden. Die erste Thätigkeit der Einbildungskraft ist der Witz, die andere der Scharfsinn; und von Beide» haben wir einige Worte zu sagen. «. Der Witz ist hiernach die Thätigkeit der'Einbil­ dungskraft, eine nicht gegebene Association zu produciren. Der Witz ist aber nur dann gut, wenn wirklich zwischen zwei Vorstellungen ein objectiver Zusammenhang e--istirt, den indessen die Gesetze der Association für sich hcrzustellen nicht im Stande sind. Der Witz, indem er Heterogenes mit einander vergleicht, erzeugt Lachen durch den Contrast, welchen er auf­ zulösen strebt, aber eben dadurch zugleich grell heraushebt, dt Ein Witz, der sich auf solchen inneren Zusammen­ hang gründet, heißt nun ein Sachwitz. Selbst dem trivialen Witz über die Aehnlichkeit eines Advvcaten und eines Wagen­ rades, daß man sie Beide schmieren müsse, kann man dieses Prädicat nicht absprcche». Höher sich erhebend, findet der Sachwitz sogar in der größten Leidenschaft seineStelle: wie wenn irt tragischen Situationen das tragische Pathos sich oft in Witzen Lust macht. Der Held ist ganz erfüllt von seinem Zwecke, seinem inneren Zustande: so daß er alles Aeußere, was an ihn

Vorstellu ngsv er mögen.

293

kommt, in Beziehung auf denselben setzt und mit ihm ver­ gleicht. Der von einer heftigen Leidenschaft ergriffene Mensch findet Beziehungen auf, die dem ruhigen Beschauer entgehen, und spricht sie aus, um seinem von Gefühlen bestürmten Ge­ müthe Erleichterung zu verschaffen. So enthalte» die Worte Hamlets über Poriks Schädel auf dem Kirchhofe Sachwitze; und diese Witze sind bei Hamlet besonders gut angebracht, da der ganze Standpunkt Hamlets eben die Reflexion des Verstandes ist, die der Held zu seinem Pathos gemacht hat. Hamlet handelt nämlich nicht, wie das unmittelbare Gefühl und die Leidenschaft ihn treibt; er mistraut vielmehr diesem Gefühl der Rache, d. h. der Stimme des Geistes: sie könne ja auch einem Lügengeiste der Hölle angehören. So will er also erst durch verständige Reflexion hinter die Wahrheit kom­ me». Hamlets Charakter ziemt daher das Verstandesspiel, wie der Witz es zeigt, am meisten; und durch solche Reflexivnen wird stets das Rachegefühl, das ihn zur Handlung treiben sollte, gehemmt. Dieser Zwiespalt zwischen Handeln und Reflectiren ist die stets sich wiederholende tragische Situation Hamlets. Er hat Witz genug, um jede äußere Lage, in die er kommt, auf das innere Gebot seiner Pflicht zu beziehen, und als mahnende Antriebe zur That aufzufassen. Vor lauter Betrachtungen über diese äußeren Anreize kommt er aber nie zur That, bis er endlich wie willenlos zu derselben gestoßen wird, und sie, nachdem des Reflectirens keine Zeit mehr ist, sterbend vollbringt. Hamlets melancholisches Gemüth, dem keine Beziehung entgeht, füllt so unaufhörlich seine Reden mit dem schlagendsten Sachwitze. So wendet er sich in der an­ gedeuteten Scene, nachdem er mehrere Betrachtungen über Schädel gemacht, und den letzten, den er ausgehoben, noch in der Hand hält, mit folgende» Worten an seinen Freund Horatior

291

Erkenntnißvcrmögen.

„Glaubst Du, daß Alexander in der Erde solchergestalt aussah? Horatio. Gerade so. Hamlet. Und so roch? Pah! (wirft den Schädel hin.) Horatio. Gerade so, mein Prinz. Hamlet. Zu was für schnöden Bestimmungen wir kom­ me», Horatio. Warum sollte die Einbildungskraft nicht den edlen Staub Alexanders verfolgen können, bis sie ihn stndct, wo er ein Spundloch verstopft? Horatio. Die Dinge so betrachten, hieße sie allzu genau betrachten. Hamlet. Nein, wahrhaftig im Geringsten nicht. Man könnte ihm bescheiden genug dahin folgen, und sich immer von der Wahrscheinlichkeit führen lassen. Z. B. so: Alexan­ der starb, Alexander ward begraben, Alexander verwandelte sich in Staub. Der Staub ist Erde, aus Erde machen wir Lehm. Und warum sollte man nicht mit dem Lehm, worein er verwandelt worden, ein Bierfaß stopfen können?" Dieser Witz ist ein Sachwitz, weil dieser objective Zu­ sammenhang ganz im Bereiche der Möglichkeit liegt; zugleich ist er treffend und sinnreich, weil er einen tiefen Ernst über die Hinfälligkeit des menschlichen Lebens ausdrückt. Auch gibt der Held den Adel seines Geistes dadurch zu erkennen, indem er zeigt, daß er auch wieder nicht in seine Leidenschaft nur versenkt ist, sondern noch genug Freiheit des Geistes sich zu bewahren wußte, um seine Leidenschaft in Beziehung auf die umgebende Welt zu setzen, von jener auf diese überzu­ gehen, und so auch über seine Leidenschaft erhaben zu sei». Oft haben Kritiker diese Seite an Shakespeare getadelt, be­ sonders Französische, die, als engherzige Kunstlichter, darin nur alberne Späße sahen, welche die Ernsthaftigkeit der tra­ gischen Situationen verunreinigten. Gerade darin liegt aber

V orstellungsvermög'en.

295

die Tiefe Shakespeares, und der Beweis, wie richtig er den

menschlichen Geist und seine Leidenschaften zu beurtheilen wußte.

Ist nun bei einem Witze, der sachliche Zusammen­ hang oberflächlich, lose und äußerlich, so ist auch der Witz

schaal und flach.

Im Ganzen gilt dies auch von den Witzen,

die gar nicht auf die Sache, sondern auf das Wort gehend, lediglich eine Achnlichkcit in den Wörtern, nicht in den Sa­ chen zulassen.

Das sind die Wortwitze, Wortspiele und

Calembours, zu denen sich die Griechische, besonders aber die Auch der Wortwitz kann

Französische Sprache leicht bietet.

dem tragischen Pathos dienen, indem die Ironie über das

Unglück sich durch solch' äußerliches Spiel dec Phantasie zu zerstreuen sucht.

Darunter ist der Witz des Sophokleischen

Ajax zu rechnen, dessen Name

in der Griechischen Form

mit dem Weheruf fast gleich lautet:

al, al* zis äv rroi? , wird endlich die reine Bildersprache

entweder gar nicht ausdrücken können, oder nur sehr unvoll­ kommen, indem sie eine bildliche Darstellung zu Hilfe nimmt.

Sprache.

315

Wegen dieser nothwendigen Lücken fehlt ihr auch noch das Sy­

stematische und der Umfang, die gerade das Charakteristische der Sprache sind.

Zur Schrift werden solche Darstellungen

erst, wenn sie eine Rede in ihrer Folge bestimmt wiederzu­

geben im Stande sind.

Die Bildersprache ist somit einerseits

nur das Begleitende der anderen Sprachen, wie die Gebärde,

die am Ende auch eine Bildersprache und zwar die ursprüng­ lichste ist; und andererseits kommt sie nur noch sporadisch für

einzelne Fälle, vor, wie auf den Ladenschildern der Verkäufer, de» Wappen der Heraldik, der Brandmarkung der Galeeren­

sklaven u. s. f. 2.

Den nächsten Schritt in der Bildersprache bezeichnet

die Hieroglyphensprache der Acgyptier, die einzige Sprache

fürs Auge, welche dies Volk kannte, und in der auch Bil­

der und Symbole noch vorkoimnen.

Die Aegyptischen Hiero­

glyphen, die Humboldt sehr gut Jdeenschrift, im Gegensatze zur Lautschrift, nennt, sind nicht durch die Vermittelung des Tones hindurchgegangen,

wie die sogenannten phonetischen

Alphabete der übrigen Völker: sondern die einzelnen Figuren sind

unmittelbare Zeichen für

nahme

die Vorstellungen,

mit Aus­

der Eigennamen und Inschriften, wo, nach Cham-

pollion dem Jüngeren, die Hieroglyphen später auch phonetisch gebraucht wurden, und daher auch in so weit von ihm mit

Sicherheit entziffert werden konnten; wobei er annimmt, daß die Acgyptier sich, für jeden einzelnen Buchstaben, der Hiero­ glyphe derjenigen Sache bedienten, welche mit diesem Laute

ansing oder aus demselben bestand.

Man könnte die Vermu­

thung ausstellen, daß die Hieroglyphen Ueberreste

einer ur­

sprünglichen Bildersprache gewesen sind, wie die Buchstaben

vielleicht wiederum Ueberreste der Hieroglyphen sind; so findet man in der That unter den Hieroglyphen, außer einigen gram­ matischen Zeichen, fast lauter Formen, die wirkliche Sachen

316

Er kennt« iß vermögen.

darstellen.

Aber die wirklichen Gegenstände wurden nicht häufig

durch sich selbst, sondern mehr durch andere figürlich angtzdeutet: der Mund z. B. durch eine Schlange, die Milz durch

eine» Hund, der Schlund durch einen Finger u. s. f.

So

scheint vielmehr ost gar keine Aehnlichkeit zwischen dem Zei­

chen und dem Bezeichneten Statt zu finden; und bei geistigen Gegenständen mußte sie meist ganz fortfallen, wie wenn der

Haß durch das Bild eines Fisches, die Gerechtigkeit als Strauß­ feder, Unterthanengehorfam als Biene u. f. f. bezeichnet wur­

den.

Die Hieroglyphensprache ist aus dem Grunde sehr be­

schränkt, weil sich für geistigen Inhalt sehr schwer allgemein verständliche Zeichen werden auffinden lassen, indem die Aegyptier in ihrer Hieroglyphenschrist absichtlich das Symbolische

verdrängen zu wollen scheinen.

Doch bezeichnete z. B. noch

das Bild des Löwen den Muth, das des Herzens verbunden mit einem Rauchfasse Eifersucht.

In den meisten Fällen ist in­

dessen der Zusammenhang der Vorstellung mit dem Zeichen, mit

Uebergehung des sich leicht Darbietenden, ein un­

erwarteter und gesuchter.

Die Aegyptier sahen nämlich

ein, daß eine auch noch so sehr verbesserte Bildnerei nie zur

Schrift führen konnte; und so schufen sie in der Hieroglyphen­ schrift ein ganz neues System, indem sie die schreibende Bil­

derschrift, wie Humboldt sich ausdrückt, von der malenden son­ derten.

Nichts desto weniger war diese feste räumliche Bezeich­

nung der Vorstellungen durch Schrift, wo man im Gebiete der Bilder blieb und sich von ihnen schwerer losmachen konnte,

immer sehr unbehilflich, da zugleich die feinen geistigen Nüancen und Verhältnisse sich unmöglich auf diese Weise darstellen

lassen.

Und schon hieraus können wir auf das Statarische

und Unlebendige der Aegyptischen Bildung schließen, für die

die Läirgen der

mit

Hieroglyphen

übersäeten

Wände

ihrer

317

Sprache.

Obelisken und Pyramiden die einzigen Bücher gewesen sind,

wie wir sie von Papier und Druckerschwärze haben. Aus dem Gesagten ergibt sich auch schon der Werth

des Leibnitzischen Vorschlags, bei der Mannigfaltigkeit der ver­ schiedenen Tonsprachen, für den Verkehr aller Völker, beson­

ders aber der Gelehrten, eine vollständige Hieroglyphensprache zu erfinden, welche, ohne die Tonsprache jedes Volkes zu be­

rühren, unmittelbar zum Ausdruck der Vorstellungen diente.

Für einen gewissen Kreis von Vorstellungen, die bei allen

Völkern genau dieselben sind, cjiflireit in der That schon solche hieroglyphischen Zeichen, so z. B. für die Zahlen, die Pla­ neten, alle mathematischen Grund-Begriffe u. s. f.

Aber den

ganzen Complezms unserer Vorstellungen und ein umfassendes

Ganzes der Rede auf diese Weise auszudrücken, würde höchst

schwer werden.

Nehmen wir an, daß die Sprache ungefähr

hunderttausend Wörter besitzt, so läge die Schwierigkeit nicht

etwa darin, 100,000 Zeichen dafür zu erfinden; das wäre das Geringste, man brauchte nur z. B. 1—100,000 zu wählen.

die Zahlenzeichen von

Aber wo bleiben die Bezeichnungen

für die Fälle, Numeri und Conjugationen?

Dieser Mangel

macht zunächst jede Hieroglyphenschrift unbestimmt.

Ferner

wie sollen bei geistigem Inhalte, der durch die Bildung der

Zeit stets fortschreitet, diese weiteren Entwickelungen und Modificationen der Bedeutung in Hieroglyphen ausgedrückt wer­

den können?

Endlich hat nicht bei den verschiedenen Völkern

dasselbe Wort die verschiedensten Bedeutungen?

Wenn also

esprit und Geist z. B. durch dasselbe hieroglyphische Zeichen

ausgcdrückt würden, so hätte die hieroglyphische Schrift eines

bestimmten Buches nur Sinn, wenn man sie in die Sprache zurück übersetzte, aus der es gekommen ist.

Man müßte also

wissen, bei welchem Volke dasselbe erschienen ist, und um es

zu verstehen, doch die Sprache dieses Volkes kennen; was

Erken ntnißvcrmö gen.

318

gerade durch

diesen Umweg

vermieden werden sollte.

Hat

jede Sprache nicht auch Wendungen, Partikeln, Redensarten, die, wenn man Wort für Wort Zeichen einer anderen Sprache

an die Stelle der Hieroglyphen setzen wollte, wie doch bei ihrer Entzifferung geschehen müßte, ganz sinnlos werden würden?

Nur das Allgemeinste des Gedankens, und auch dieses noch

sehr unbeholfen, würde herauszubringen sein. 3.

In diesen zwei ersten Formen der Bildersprache hat

das Zeichen, eben weil es noch mit dem symbolischen Cha­ rakter mehr oder weniger behaftet ist, noch nicht seine Allge­

meinheit errungen, sondern die Gestalt sinnlicher Einzelnheit behalten.

In der Hieroglyphcnschrift gibt es eigentlich so viel

Zeichen als Vorstellungen; jedes einzelne ist also ein ganz in­ dividuelles Zeichen für eine ganz bestimmte Bedeutung.

In

der Chinesischen Schriftsprache, oder, wie sie Humboldt auch nennt, Figurenschrift, die von der Bildersprache abging,

ohne sich zur alphabetischen zu erheben, ist nun der Ucbergang zur Allgemeinheit des Zeichens gemacht, indem die Zeichen nicht mehr ganze Vorstellungen, aber auch noch nicht, wie

in den übrigen Schriftsprachen, bloße Buchstabe», sondern ein­ zelne Sylben bedeuten.

Diese Zeichen für Sylben sind die

einfachen und elementarischcn Zeichen, deren Zahl freilich noch

nicht so gering, wie die unserer Buchstaben, aber doch ande­ rerseits auch nicht mehr so bedeutend ist, daß ihr Erlernen

lange aufhalten könnte.

Es sollen ihrer nur 214 sein; und

sie werden auch Schlüssel genannt.

Da sie durchweg einsylbig

sind, so ist jedes mehrsytbige Wort eine Zusammensetzung aus

diesen schon für sich bedeutungsvollen Elementen, sollte hin

und wieder die eigenthümliche Bedeutung der einzelnen Sylben auch verloren gegangen sein.

Indem ferner die Verbindung

der Schlüssel, wodurch die große Mannigfaltigkeit der zusam­

mengesetzten Zeichen für den ganzen Umfang der Vorstellungen

319

Sprache.

entsteht, oft sehr willkürlich und phantastisch ist, wiewohl auch naiver Sprachstnn und geistreiche Phantasie darin nicht zu

verkennen sind: so ist die Erlernung dieser Zeichen, die fast

wie ursprüngliche angesehen werden können, eben von großer

Schwierigkeit für einen Europäer; und daher gibt es so we­ nige, die diese Sprache gründlich kennen.

die

Manier

der Zusammensetzung

Als Beispiele für

möge Folgendes

dienen.

Das Zeichen für den Ton Mu, welcher Baum heißt, bedeutet,

wenn man es doppelt nimmt, Wald; dreifach gesetzt, zeichnet cs einen dichten Wald.

Cho,

be­

Das Zeichen des Feuers,

unter das des Baumes gesetzt, heißt Brennen; das

Zeichen ist also noch nicht vollkommen verallgemeinert, indem

die ganz allgemeine Vorstellung Brennen noch an den Baum geknüpft ist, weil in Brennmaterial ist.

der That das Holz das allgemeinste

Verbindet man das Zeichen des Menschen,

Sching, mit dem Zeichen der Zahl Zwei, El, so bedeutet

es Liebe, Barmherzigkeit, nämlich, was ein Mensch einem An­ deren, als seines Gleichen, leisten muß.

Das Zeichen des

Menschen mit dem Zeichen der Waffen, G e, verbunden, heißt

Kämpfen: Herz (Ssing) verbunden mit Mund (Keu) be­ zeichnet Treue und Eifer: Mann (Fu) und Mädchen (H j u i),

Sehnsucht: Sonne (Ii) und Mond.(Juja), erleuchtet oder sehr hell; der Tag wird als Sohn (Tseu) der Wärme und

des Lichts bezeichnet u. s. f. Aus einigen dieser Beispiele sieht man, wie schwer es

besonders den Chinesen wird, Geistiges auszudrücken, wiewohl sie nicht ohne Gewandtheit die ihnen entgegentretendc Schwie­

rigkeit zu überwinden suchen.

Auch diese Sprache paßt dem­

nach nur für ein Volk, welches nicht geistig fortschreitet, son­ dern in seiner Bildung statarisch ist, und keinen sich stets er­

neuernden Schatz geistiger Kenntnisse besitzt.

Zugleich kann

diese Schriftsprache, weil sie so schwer zu erlernen ist, nicht

Erkenntnißvermögen, im Volke allgemein fein, sondern bleibt ein Eigenthum der gelehrten Mandarinen.

Ein anderer Nachtheil derselben ist,

daß sie die Ausbildung der Tonsprache hindert.

Denn da die

hieroglyphische Sprache nicht des Tons bedarf, so kann dieser nicht zu der Reinheit und Articulation gelangen, welche er

durch eine Buchstabenschrift gewinnt, die sich bemüht, die ver­ schiedenen Töne durch ihre Zeichen auszudrücken.

Nicht ein­

mal die Umwandlung der elementarischen Zeichen in zusam­

mengesetzte kommt dem Ton zu gut.

Denn wenn auch z. B.

das Zeichen für die Thräne aus dem Zeichen des Wassers und

des Auges zusammengesetzt ist, so hat doch der Ton (Lui), der die Thräne bezeichnet, durchaus keine Beziehung auf die

Töne, welche das Auge (Mo) und das Wasser (Schui)

ausdrücken.

Es herrschte überhaupt in dieser Nation die Ver­

standesrichtung vor dem Gefallen an Lautwechsel vor.

„Wo

der Geist nicht die Möglichkeit sieht," sagt Humboldt, „die verschiedenen Beziehungen des Denkens auch mit gehörig ab­ gestuften Nuancen des Lauts zu umkleiden, geht er in die feine Unterscheidung dieser Beziehungen weniger ein."

Die Un­

vollkommenheit der Chinesischen Tonsprache zeigt sich so z. B.

darin, daß derselbe Ton zehn bis zwanzig ganz verschiedene

Bedeutungen hat, die nur durch eine verschiedene Accentuation, Intensität der Stimme u. s. f. von einander beim Aus­ sprechen unterschieden werden können.

So entsprechen dem

Tone Fu sogar achtzig verschiedene Schriftzeichen, die Groß,

Schön, Menge, Reichthum, Glück u. s. f. bedeuten, und in der Aussprache nur durch eine besondereBetonung ausgedrückt werden. Was ist nun nicht für eine geschmeidige Kehle und ein feines Ohr

erforderlich, um diese verschiedenen Töne aussprechen und un­

terscheiden zu können!

Der Europäer fällt daher in die lä­

cherlichsten Misverständniffe, ehe er sich diese absurde Feinheit der Accentuation und des nicht articulirten Tons zu eigen

321

Sprache.

gemacht hat.

Selbst Chinesen, weil sie einander ost nlchk verste­

hen, sehen sich genöthigt, dem Mangel der Tonsprache durch die Gcbehrde,

welche

eben die unentwickeltste Bildersprache

ist, zu Hilfe zu kommen, indem sie das hieroglyphische Schrift­ zeichen des auszusprechenden Tons zugleich in die Luft schrei­

ben.

Je gebildeter dagegen eine Sprache ist, desto weniger

erlaubt sie der Accentuation, weil diese eben das Unarticulirte

ist, hervorzutreten: wie denn die Vollkommenheit der Franzö­ sischen Aussprache eben darin liegt, daß sie ohne Accent ge­ sprochen wird; was dem Ausländer sehr schwer wird.

Auch

konnte nach Humboldts Bemerkung in China „keine die Ver­ bindung der Rede leitende Wortbeugung entstehen, da sich der

die Sylben starr auseinander haltende Lautbau, ihrer Umfor­ mung und Zusammenfügung widerstrebend, festgesetzt hatte."

Derselbe

Ton und

dasselbe Schriftzeichen drückt also als

Verbum das Activum oder Passivum, als Substantiv den No­

minativ oder Accusativ aus, u. s. f., ohne die geringste Ver­

änderung des Stammworts. Nur der Zusammenhang läßt daher den Sinn errathen, indem die Chinesen, beim Aufbau der Ein­

heit des Satzes, dem Verstände, theils nur durch lautlose Mittel, wie z. B. die Stellung ist, theils durch eigene wie­

der abgesonderte Wörter (Partikeln), zu Hilfe kommen, und auch diese mehr im neueren als im älteren Styl gebrauchen. . Diese Nachtheile der Chinesischen Schriftsprache scheinen

durch einen ungeheueren Vortheil ausgewogen zu werden.

Da

nämlich in derselben das Zeichen unmittelbar ein Zeichen für die Vorstellung, nicht für den Ton ist: so folgt, daß bei keinem Volke die Schrift so innig mit dem Inhalt der Vorstellung

verbunden ist, als bei den Chinesen.

Nirgends lernt man also

die Begriffe der Sachen so unmittelbar beim Lesen kennen, als dort: nirgends ist die reine Kraft des Gedankens so her­

ausgestellt, weil dir Sprache alle kleine» störenden Verbin-

21

Erkenntnißvermögen.

322

dungslaute abschneidet; und doch läßt sie nicht die geistige

Thätigkeit ungehindert sich entwickeln.

Bei der Buchstaben­

schrift, die nur Zeichen für die Töne enthält, kann man lesen

lernen, d. h. die Töne auszusprcchen verstehen, ohne im min­

desten den Inhalt zu fassen.

Dem Kinde wird zuerst der Ton

und die Geläufigkeit ihn auszusprechen beigebracht; cs wird auf den Ton für sich Aufmerksamkeit verwendet, und dadurch

eben die Tonsprache ausgebildet.

Da aber bei den Chinesen

der Ton für die Schrift ganz gleichgültig ist, so heißt Lesen

lernen, nicht Töne, sondern Vorstellungen erlernen.

Die Kin­

der kann man also nicht lesen lehren, weil sie die Vorstellun­ gen noch nicht fasse» würden; sondern Lesen ist allein Sache

des Erwachsenen und Gelehrten.

Wie spät kann also die gei­

stige Bildung in den Menschen dringen? nicht ihr Inhalt?

Und wie dürftig ist

In der That besteht die ganze Weisheit

und Gelehrsamkeit der Dkandarinen darin, lesen zu können;

denn damit ist ihnen auch der ganze Inhalt des Wissens, den man nicht zu erweitern trachtete, als ein Fertiges und Gege­ benes eröffnet.

B.

Die Tonsprache.

Das räumliche Zeichen der

Vorstellung ist ein unvollkommener Ausdruck derselben, weil

es auch unabhängig von der Existenz der Vorstellung eine

Dauer im Raume behält, und so eine Bedeutung für sich ge­ winnt.

Die andere Form der Anschauungen, die Zeit, ent­

hält hem Geiste angemessenere Ausdrücke.

Der Ton bleibt

nicht, wie die Hieroglyphe, schwarz auf weiß, wenn die Vor­ stellung verschwunden ist; sondern er ist so innig mit derselben verknüpft, daß seine Dauer nicht über die der Vorstellung hinausreicht.

Wie in der Succession der Vorstellungen eine

der anderen Platz macht, so verschwindet auch der Ton in

demselben Augenblicke, wo er hervorgetreten ist.

Durch diese

Flüchtigkeit und Idealität des Tones wird er eben zum adä-

Sprache.

323

quaken Ausdruck des Geistes, der in ihm seine eigene Jdealität abgcspiegelt findet; denn als Erzittern des Räumlichen ist der Ton die Negativität des Sinnlichen innerhalb der Sinnlichkeit selbst. „Man kann von ihm nicht sagen," bemerkt Städler in seiner Wissenschaft der Grammatik, „daß er etwas' Vorhandenes sei; er ist, wie das Denken, nur, insofern er producirt wird:" die Sprache selbst also, nach Humboldt, „kein Werk (sgyov), sondern eine Thätigkeit (ey^y««)." Auch ist der Ton schon darum höher, als das räumliche Bild, weil er ein Zeichen ist, welches der Geist nicht aus der äu-ßeren sinnliche» Natur nimmt, sondern an seinem eigenen sinn, lichen Sein hat. Die Kehle und die darin eingeschlossene Luft, welche erzittert, sind die Elemente des Tons, dieser also ein dem Geiste angewachsenes und somit verwandtes Zeichen; er ist die Aeusterung, welche in der Innerlichkeit selbst enthalten ist. 1. Soll der Ton aber dieser adäquate Ausdruck des Geistes sein, so darf er nicht so gelassen werden, wie die Natur ihn gibt mit den blos natürlichen Modificationen des Star­ ken, Schwachen, Hohe», Tiefen u. s. f. Und wir haben ge­ sehen, daß eben das Mangelhafte der Chinesischen Tonsprache darin besteht, daß, wegen unvollkommener Ausbildung des art i c u l i r t e n T o n s, sie zu den natürlichen Jnflezüonen der Stimme ihre Zuflucht nehmen muß, wenn sie die Vorstellungen des Geistes ausdrücken will. Die unarticulirten Töne in ihrer Reinheit gehören blos der thierischen Stimme. Das Eigen­ thümliche des Menschen ist es, seine Töne zu articuliren; da­ her Homer den Menschen das Beiwort gibt. Weil den Griechen die anders redenden Menschen als solche vor­ kamen, die unarticulirte Töne hatten (denn so klingt jede uns fremde Sprache), so nannten sie dieselben ßdgßagoi, wie auch noch beim Aristophanes die Vögel wegen ihrer unarti­ culirten Töne diese» Namen bekommen. Das Wesen des ar21*

32 t

Erkenntnißvermögen.

ticulirten Tons setzt Humboldt in der Absicht und in der Fä­ higkeit zur bestimmten Bedeutsamkeit durch Darstellung eines

Vorgestellten.

Ihrem Sein nach beruht aber die Articulation

des natürlichen Tones auf dieser Gewalt des Geistes über die Sprachwerkzeuge, vermöge welcher theils die kustsäule, theils

die um dieselbe herumliegcndcn Glieder in ihrem Erklingen nicht i» ihrer gewöhnlichen Lage gelassen, sondern durch den Willen modisicirt werden, um dem Tone dadurch den mensch­ lichen Charakter und eine geistige Bedeutung zu verleihen.

Die

Thiere haben alle Werkzeuge zum Sprechen, aber sie können es dennoch nicht, nicht blos weil nach Aristoteles' Bemerkung ihre Organe nicht so geschmeidig sind, sondern vornehmlich auch weil ihnen der Wille fehlt, jene Organe für diesen Zweck zu gebrauchen.

a.

Die Modifikationen beim Erzittern der bloßen in die

Kehle eingeschlossenen Luftsäule geben nun den Selbstlauter,

den eigentlichen selbstständigen Ton; denn diese Luftsäule kann

erklingen,

ohne

eines

anderen Mitklingenden zu bedürfe».

„Der Vocal ist," wie Städler sagt, „der unmittelbare Anklang des Inneren, die Stimme in ihrer ursprünglichen Freiheit und gediegenen Einfachheit."

Je nachdem beim

Luftsäule aus dem Munde dieselbe eingeengt

Ausgange

der

oder erweitert

wird, wird auch der Ton ein anderer; und da diese Modifi­

kation durch die größere oder mindere Oeffnung des Mundes hervorgebracht wird, so sind auch die Vocale schon articulirte

Töne, weil sie nur mit Hilfe dieses Gliedes hervorgebracht

werden können. «. Was die einsachenVocale betrifft, so wird bei der Aus­ sprache des A der Mund am meisten geöffnet, das Erzittern der Luft­

säule in der Kehle also am freisten und ungehindertsten gelassen. A ist daher, nach Städler, der reine, unbedingte, in sich ho­

mogene Klang, der Ausdruck für die unterschiedslose, conti-

325

Sprache.

nuirliche Einheit des Inneren und Aenßeren und der natür­ liche Einklang Beider.

Wenn wir das U aussprechen, so

öffnen wir den Mund am wenigsten und nähern die Lippen

einander: beim I ist der Mund halb geöffnet, und das Kehl­

organ zusammengczogen; diese Vocale stehen somit auf dem Sprunge,

jene Organe mittönen zu lassen, und also Conso­

nanten zu werden, wie es im v und j wirklich geschieht.

E

ist die Mitte zwischen A und I, daher die Verbindung dieser Beiden auch in vielen Sprachen, wie im Französischen, und

bei den Griechen, wenigstens den jetzigen, E lautet; O endlich steht zwischen I und U in der Mitte.

Wie A den einfachen

Vocal, so nennt Städler U und I die Vocale des Gegen­

satzes, indem jener das Aeußere, Dumpfe, Dunkle, Grauen­ hafte, Schauerliche, Bewußtlose: dieser die lichte, in sich ver­ tiefte, heimische Innigkeit und Heiterkeit darstelle.

O faßt er

als Vermittelung von A und U, hiermit als ein Aufstrcben

des Dunklen zum Klaren, als Ausdruck der Bewunderung, des Stolzes.

E, die Vermittelung von A und I, ist ihm der

vollendetste Vocal, die regelniäßige, edle, aber anspruchslose

Stimmung der Rede, der Ausdruck der Helligkeit, die mit der

Einsicht und dem Denken verbunden.

Daher überwiege er

auch im Deutschen, wie auch aus obiger Begriffsbestimmung

des I das Vorwalten

dieses

Vocals in der Griechischen

Sprache, die von den älteste» Zeiten an ein stetes Annähern

an den Jtacismus zeigt, erklärt werden kann; denn Griechen­

land ist das Volk dieser Heiterkeit und Lichtseite des Geistes,

wie Deutschland des Erkennens. ß.

Die Um laute sind nur weitere Modificationen dieser

ersten einfachsten Unterschiede, besonders vermittelst des E, das

auch dadurch seine Allgemeinheit bewährt. lichen

Diphthongen tönen wirklich

Nur in den eigent­

zwei Vocale hörbar

durch; aber auch sie Haben dies mit den reinen Vocalen ge-

Erkenntnißvermögen.

326

mein, daß bei ihnen die Organe des Sprechens selber überall

nicht mittönen, sondern nur die Zunge mechanisch den Bewe­

Die ältesten Sprachen, z. B. die

gungen des Mundes folgt.

Semitischen, haben gar keine Mischlaute, und auch die Latei­ nische und Griechische weit weniger, als die modernen Spra­

chen, in denen die complicirtesten Laute vorkommen, wie ai, ei, au, eu, oi im Deutschen, oa in den Skandinavischen

Sprachen, im Englischen und Französischen u. s. f.

Die Grie­

chen haben eigentlich nur den Umlaut ä («»), denn ov ist ein ganz einfacher Laut; und Beide gehören zu der Klaffe von Diph­ thongen, von denen die Griechischen Grammatiker sagen, daß

beide Vocale gleichen Werth in ihnen haben.

Was aber die

zwei anderen Klassen betrifft, von denen die alten Gramma­ tiker bemerken, daß in der Einen (av, ev) der erste Vocal, in der zweiten (oi, &) der letzte Vocal dominirt: so sind auch dies, nach dem Jtacismus, keine Diphthongen, indem jene

av und ev, diese i lauten. b.

Tönen nun die verschiedenen Organe des Mundes

beim Erklingen der reinen Luftsäule mit, so haben wir den

Consonanten oder Mitlauter, die Kehr- und Schatten­ seite der Stimme, woran sie sich bricht, aber auch erst Halt

und Festigkeit

gewinnt.

„Die

Consonanz," sagt

Grimm,

„gestaltet, der Vocal bestimmt und beleuchtet das Wort." a.

Die Haupteintheilung der Consonanten in der

Griechischen Grammatik ist die der Natur der Sache gemäße, indem sie darauf beruht, daß die Verschiedenheit der erzittern­

den Glieder auch einen verschiedenen Buchstaben hervorbringt. Die Zungenbuchstaben sind so S, -c, penbuchstaben ß, rr, y, r, x, x>

v, X, q, fäiöv re) zugewendet, auch die Nacht zur Führerinn und Leiterinn des Tages machten.

Nur sind sie wieder incon»

sequent, den Tag dennoch als Mann, die Nacht als Weib aufgefaßt zu haben.

Wenn viele Völker aber auch den Tag

mit Recht zum Manne machen (il giorno, le jour), so schwan­

ken doch andere (7 qpega, r6 -r^ag, dies).

Die See ist,

nach Harris, bei einigen Völkern weiblich, weil sie viel in sich

aufnimmt, bei anderen männlich (6 ’ßxsavos) wegen ihres dum­

pfen Getöses und ihrer ungestümen Natur.

Die Zeit ist bei

den Griechen und Engländern, so wie bei vielen anderen Völ­ kern, männlich,

wegen

ihres mächtigen Einflusses auf alle

Dinge: ebenso der Tod, wegen seiner unwiderstehlichen Ge­

walt.

Auch hier macht die Auffaffungsweise der verschiedenen

Völker wieder Alles; und es lassen sich ebenso gute Gründe für die Weiblichkeit des Todes in der Lateinischen Sprache und deren Töchter auffinden.

War der Tod

den Römern

nicht der mütterliche Schooß, in den sie die Individualität

willig, wie ins Grab, legten, um dies Accidenz der Substanz

des Staats diesem zum Opfer zu bringen?

Gott dagegen

ist, nach Harris, bei allen Völkern männlich, als der Schö­ pfer aller Dinge, und weil das männliche Geschlecht vortreff­

licher und vorzüglicher sei, als das weibliche; nur noch als Neutrum könne Gott begriffen werden, wie in de» Ausdrücken

376

Erkenntnißvermügen.

io &610V, numen, Deity, weil er eben als unendliche Totali­

tät, keiner von beiden Gegensätzen sei.

Der Artikel, als der Begleiter des Hauptworts, ist nur der Ausdruck von dessen Substantialität und Zeugungsfähig­

keit.

Die Allgegenwart der Substanz, die im Artikel schon

an sich vorhanden ist, wird nun in der Totalität der Acci­

denzien und Veränderungen der Substanz gesetzt.

Das Haupt­

wort ist so sehr Hauptwort, daß es auch in allen übrigen

Ncdethcilen zum Vorschein kommt, und keiner ohne dasselbe auskommen kann.

Durch diese Allgegenwart hat das Haupt­

wort also die Kraft, jeden Redetheil zu sich zu erheben, und

in seine Substanz zu verwandeln; und auch dazu dient das Geschlechtswort, welches eben jeden Rcdetheil begleiten, und ihn

dadurch schon zu einem Hauptwort machen kann, z. B. to X$y$tv, to

xaXöv, die Drei u. s. f.

Meist aber ist der Artikel dann im

sächlichen Geschlechte gesetzt, weil solche Pseudo-Substanzen

nicht nach dem verschiedenen Geschlcchtscharakter

als thätig

oder als leidend austreten können.

b.

Der zweite Grundgedanke des Verstandes

ist also

die Substanz in ihrem Anderssein, oder das sich Aus­

legen derselben in ihre Accidenzien. «.

Die Accidenzien sind die an der Substanz heraus­

tretenden Unterschiede; und diese, als wesentliche Unterschiede

der Substanz, bilden die Qualitäten oder Eigenschaftcn der Substanz, das noiöv des Aristoteles.

Da die Totalität der

Accidenzien die Substanz selber ist, so ist mit der Verände­

rung derselben auch das Sein der Substanz ein anderes ge­ worden; und eine solche Bestimmtheit, mit der das Sein einer Sache untergeht,

nennen wir eben

seine Qualität.

Auch

kann man jede dieser Eigenschaften als ein Moment der Form ansehen; und die Totalität dieser Formen ist dann wiede Substanz selbst.

die

Der Rcdetheil, welcher nun dieser Verstau-

Grammatik.

377

des-Kategorie entspricht, ist das Beiwort (noineu adjecti-

Als die wesentliche Form der Substanz auödrückcnd,

vum).

steht cs dem Hauptwort am nächsten, und hat davon auch

seinen Namen erhalten.

Wiewohl zunächst die Substanz nur

durch das Ineinander aller ihrer Eigenschaften constituirt wird, so kann doch bald die Eine bald die andere als die wesent­

lichste hcrvvrgehoben werden; einer jeden wohnt also eine sub­ stantivische Kraft bei, und zwar nicht blos dadurch, daß sie, wie

wir es bei den abstracten Substantiven sahen, zu einem voll­ ständigen Hauptworte erhoben wurde, sondern auch so, daß

sie, ihre adjectivische Form beibehaltcnd, durch den sächlichen

Artikel einem Hauptwort gleich gemacht wird:

Das Grüne,

das Schöne, das Wahre u. s. f.

ß.

Das Accidentclle ist aber nicht blos der Substanz

wesentlich, sondern es hat auch eine Seite der Unwesentlich­

keit und des gleichgültigen Unterschieds gegen dieselbe.

Dies

ist die Materie im Verhältniß zur Form, oder die Quan­ tität (to nottiv) im Gegensatz zur Qualität.

und

die Substanz

Die Form

bleibt sich gleich, auch bei eintrctenden

quantitativen Veränderungen, möge die sich verändernde Größe

nun eine discrctc oder eine continuirliche sein.

liche Größe zwar wird,

wegen

Die continuir-

des Zusammenhanges ihrer

Theile untereinander, nicht bis zur Zersplitterung der Sub­

stanz fortgehcn, und so selbst oft noch durch Beiwörter aus­ gedrückt werden, wie: lang, kurz, groß, klein, unermeßlich

u. s. f.

In der diskreten Größe dagegen, wo die Selbst­

ständigkeit jedes Theils gesetzt ist,

und

er somit zu einem

Ganzen wird, zerfällt die Substanz in viele Substanzen, in­

dem die Accidenzien, da sie eben der Substanz nicht mehr wesentlich angehören, sondern gegen sie gleichgültig sind, die Einheit der Substanz vernichten.

Das Zahlwort (nomen

numerale) ist der Ausdruck für dieses Außcreiuanderfallen der

378

Erkenntnißvermögen.

Accidentalität.

Die

reine

Selbstständigkeit

der Quantität

drücken nun die Grundzahlen (cardinalia) aus, welche da­ her auchssubstantivische Natur zu haben scheinen, wie wenn ich sage „die Zweiund sie besitzen die Kraft, durch ihr Hinzukommen,

Eine Substanz in viele Substanzen zu verwandeln, z. B. „drei Menschen."

Doch muß diese discrete Größe auch ihre Un­

selbstständigkeit gegen die Substanz anerkennen, und so er­ scheint sie auch als eine bloße Modisication der Substanzen durch Flexion, in der Zahlform (numerus), wo denn der Sin­ gular die Einheit, der Dual die Zweiheit, und der Plural die

weiteren Zahlen bezeichnet. Indem hier die Zahl ihre Trennung von der Substanz

y.

aufgibt, und sich als ein integrirendes Moment derselben er­ weist: so wird sie ihr wesentlich, und schlägt damit in die

Qualität, die eben das der Substanz wesentliche Accidenz ist, um.

Das Eigenschaftswort, welches der Ausdruck der Qua­

lität ist, kommt auf diese Weise selbst mit der Quantität in

Berührung; und diese Durchdringung und wesentliche Einheit von Qualität und Quantität, welche das Maß ist, haben

wir jetzt zu betrachten. X.

Die Qualität wird zunächst mit der ersten Kate­

gorie der Quantität, nämlich der Einheit, verknüpft, ui»

eine isolirte in einem gewissen Grade vorhandene Qualität zu

bezeichnen, ohne daß ihr Verhältniß zu anderen Qualitäten

berücksichtigt

werde.

Diese Beziehungslosigkeit drückt unter

den Comparationsgraden der Beiwörter der Positiv aus.

Wird diese Qualität mit einer oder mehreren anderen

verglichen, so haben wir eine Vielheit von Qualitäten, deren

verschiedene Quantität durch den Comparativ ausgedrückt wird.

Wenn endlich eine Qualität auf die Allheit der ihr

ähnlichen bezogen, und der höchste Grad ihr zugeschriebeu

wird, so haben wir den Superlativ.

Da aber die Allhc:

Grammatik.

379

nie erschöpft ist, so muß neben den relativen Superlativ (z. B.

„der größte aller Menschen"), welcher eigentlich nie mit Si­

cherheit ausgesagt werden kann, der absolute gestellt werden, der die Eigenschaft nur in einem sehr hohen Grade prädicirt:

„Ein sehr großer Mensch."

In manchen Sprachen, z. B.

der Lateinischen, ist die Form für beide Fälle dieselbe; denn optimus heißt sowohl der Beste, als ein sehr Guter. Wie in den Vergleichungsgraden der Eigenschafts­ wörter die Qualität quantitativ wird, so erheben sich umge­

kehrt die Zahlwörter, wo die Quantität die Grundlage bildet,

zur Qualität.

Mit einer gewissen Quantität ist eine verschie­

dene Qualität verbunden.

Statt also daß in den Verglei­

chungsgraden die Beiwörter an die Zahlwörter streiften, wird

hier das Zahlwort ausdrücklich zu

einem Eigenschaftswort:

der Erste, der Zweite, der Dritte unterscheiden sich nicht blos quantitativ von einander, sondern zugleich durch den Rang und die Ordnung, die sie einnehmen; daher heißen diese ad-

jectivischen Zahlwörter auch Ordnungszahlwörter (ordinalia).

Es tritt mit ihnen eine Vergleichung der Substanzen

ein, wie wir es so eben bei den Comparationsgraden sahen.

3-

Wird endlich die Quantität nicht blos auf eine Ei­

genschaft des Substantivs angewendet, noch auf die ruhende Substanz als solche, sondern auf die in Thätigkeit übergegan­

gene Substanz: so haben wir die Adverbial-Zahlen, die eigentlich nicht hierher, sondern zum Verbum und seinem Um­

standsworte gehören.

c.

Dadurch, daß die Quantität, als die Weise des gleich­

gültigen und unwesentlichen Andersseins der Substanz, selber

in beit wesentlichen oder qualitativen Unterschied umgeschlagen ist, hat sich die Substanz vollkommen in ihrem Anderssein

erhalten, und ist mithin im Anderen ihrer gänzlich bei sich

selbst.

Die Substanz, indem sie in ihren Accidenzien sich nicht

380

Erkenntnißvermögen.

versiert, ist die für sich seiende Substanz: d. h. die wirk­

same Substanz, welche sich selber in ihre Aecidenzien auslegt.

Die Substanz ist aber noch nicht in einer bestimmten Thätig­

keit gesetzt, sondern hat sich nur als die allgemeine Macht ihrer Accidenzien gezeigt, die in jedem derselben gegenwärtig ist.

Wenn nun vorhin das Object eine Substanz wurde, indem es,

wie das Ich, das Allgemeine seiner Bestimmungen ist, so ist jetzt der grammatische Verstand zum Bewußtsein dieser Natur

der

Substanz

gekommen:

sie ist

als

Subject, als innere

Quelle aller Thätigkeit gesetzt, ohne schon wirklich thätig zu

sein; dies drückt die Sprache durch das Fürwort (pronomen) aus.

Mit Recht sagt daher Städler, daß das Für­

wort das Werk der Sprache sei, die sich hiermit auS ihr selbst

schaffend und in ihrer eigenen substantiellen Wirklichkeit er­

weise.

Doch folgt hieraus noch nicht, wie er meint, daß das

Fürwort nicht seinen Ursprung in der Natur der Dinge habe.

Denn dieses Fürsichsein Natur der Sache.

der Substanzen

liegt eben in

der

Das Pronomen ist also nicht blos erfun­

den worden, um die Wiederholung des Hauptworts zu ver­

meiden; es steht zwar wohl, wie schon Apollonius von Alexan­ drien bemerkt, statt des Substantivs («n’ drdftaroe), und

hat daher auch im Griechischen den Namen avtun’vpla.

Aber

dieser Nutzen desselben genügt noch nicht, sein Wesen zu er­

klären.

Denn warum gibt es denn keine Proverba, Proadjec­

tiva und dergleichen mehr?

Der tiefere Grund ist der, daß nur

das Substantiv sich so vertreten lassen kann, weil nur ihn:

diese Kraft beiwohnt, überall hinzugedacht werden zu müssen. Qualitäten, Quantitäten, Thätigkeiten, Zuständen, kurz Allem,

was man auch immer ausdrücken wolle, liegt eine Substanz,

als die unumgängliche Bedingung jener übrigen Kategorien, zu Grunde.

Die Substanz ist die absolute Voraussetzung alles

Denkens, gegen die alle übrigen Nedethcile verschwinden, wie

Grammatik.

381

sie ja auch alle zum Substantiv erhoben werden können. gen

dieser Allgegenwart der Substanz

We«

bedarf es nur eines

kleinen Worts, um uns stets an dieselbe zu erinnern, wie auch in der Schule des Pythagoras beim Disputiren sein Name

nicht genannt wurde, sondern man nur zu sagen brauchte:

Avt6um vertreten werden, z. B. in ovQavdtXe, welches, ähnlich wie beim Dativ, durch Wegfällen des

telst ovQavde in ovqavov überging.

vermit­

Der Accusativ endlich steht

statt der Präposition eis: und man sagt auf die Frage Wohin eis otxov, oizov und oixovde, selbst el$ aXade. Ja, es gibt Spra-

26

402

Erkennt nißvcrmö gen.

chen, die gar keine Fälle haben, und durch Vorwörter aus­

drücken, was andere durch Fälle bezeichnen; hierher gehören

namentlich alle Romanischen und die Englische Sprache.

So

steht z. B. dc im Französischen sür den Genitiv, a für den Dativ; d. h. die Ortsverhältniffe der Entfernung und Annä­ herung, welche in diesen Präpositionen liegen, drücken zugleich

die allernächsten indirecten Verhältnisse aus, die sonst durch diese Fälle bezeichnet werden.

Das

dirccte Verhältniß oder der

Accusativ ist in jenen Sprachen das Wort selbst; und da er

wegen mangelnder Flexion nur aus der Stellung erkannt wer­ den kann, so liegt hierin eben der äußerliche Grund der vor­

hin

berührten inneren Nothwendigkeit für die Romanischen

Sprachen, der logischen Ordnung treu zu bleiben.

Umgekehrt

hat die Lateinische Sprache selbst für entferntere Verhältnisse am Ablativ einen Fall, den die meisten übrigen Sprachen

durch Präpositionen ersetzen müssen.

y.

Indem auf diese Weise der Fall und die Präposition

einander gänzlich vertreten können,

so liegt darin auch die

Identität der von ihnen ursprünglich bezeichneten Verhält­ nisse, nämlich des directen und des indirecten Ver­ hältnisses.

Zwei durch ein transitives Zeitwort vermittelte

Substanzen können sich dennoch als Nominativ und Genitiv

oder Nominativ und Dativ zu einander verhalten, indem ganz directer Weise in einem Zeitwort schon die genitivische Bedeutung

der Präposition von, z. B. also des Entfernens, in einem an­ deren die dativische Bedeutung der Präposition zu, z. B. also des Annäherns, enthalten ist.

So sagen wir im Deutschen, „Ich

entbehre des Vergnügens," oder „Ich folge Dir," u. s. f.

Doch hängt hier wieder Alles von der Auffassungswcise der Völker ab, wie die Lateiner ja sequi aliquem sagen.

Die

Deutschen sagen ferner „Ich bitte Dich," während doch die

Griechen, vielleicht richtiger, diopal $

erheben.

Wer im Reflectiren und Abwägen der Gründe, in steter Berathschlagung bleibt, ohne diese je zu schließen, handelt nicht,

490

Begehr» ngsvermögen.

und ist charakterlos; er ist eine schöne Seele, die aus der

Fülle ihres Inneren nicht heraustreten mag, um nicht ein­

seitig zu werden.

Ein solcher Mensch ist freilich leidenschafts­

los; wer aber handeln will, muß einseitig werden, und was er beschlossen, mit eiserner Verstandes -Consequenz ausführen. Namentlich ist alles Große mit Leidenschaft zu ergreifen

und durchzufechten; hier tritt der Adel der Leidenschaft hervor.

Alle Helden, die etwas Großes erreichten, sind in

der Leidenschaft gewesen.

Hamlet, der blos reflcctirende Held,

macht eine Ausnahme; er handelt nicht, sondern bewahrt sich durch Reflexion die formelle Freiheit, über den jedesmalige»

Gegenstand und Anstoß seines Handelns auch hinaus zu sein und die negative Seite am Handeln hcrauszukehrenr Jetzt konnt' ich's thun bequem; er ist im Beten. Jetzt will ich's thun. — Und so geht er gen Himmel. Ei, das wär' Sold und Löhnung, Rache nicht.

So treibt ihn jeder Anlaß nur zu neuen Reflexionen und Be­

trachtungen, und statt dem Ziele näher zu kommen, scheint sich der Held immer mehr davon zu entfernen: Der angeborncn Farbe der Entschließung

Wird des Gedankens Bläße angekränkelt.

Doch ist gerade diese Verstandes-Reflexion Hamlets das Pa­ thos, das ihn unfrei macht, — freilich nur ein modernes Pa­

thos, daher aber auch ein für uns um so anziehenderer Stoff; und die tragische Collisivn liegt darin, daß sein Pathos ihn

in Verwickelungen bringt, die ihn zuletzt fast willenlos zur

Handlung bestimmen, welche das Schicksal ihm gleich anfangs

auferlcgte.

Die Nebenpersonen, der Chor sind in einer Tra­

gödie nicht im Pathos,

indem sie nicht die Kühnheit des

Entschlusses haben, ein einseitiges Motiv zu erwählen.

So

wagt Jsmene nicht, wie Antigone, sich für die oberen oder

die unteren Götter, den Staat oder die Familie, zu entscheiden:

Leidenschaft.

491

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