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German Pages 574 [576] Year 2005
Wissenschaft und Kultur in Bibliotheken, Museen und Archiven
Foto: Urban Ruths
Wissenschaft und Kultur in Bibliotheken, Museen und Archiven Klaus-Dieter Lehmann zum 65. Geburtstag Herausgegeben von Barbara Schneider-Kempf, Klaus G. Saur und Peter-Klaus Schuster Redaktion: Martin Hollender
K · G · Saur München 2005
Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme Ein Titelkartensatz für diese Publikation ist bei der Deutschen Bibliothek erhältlich. e-mail: [email protected]
ISBN 3-598-11729-9
© 2005 K. G. Saur Verlag GmbH, München Satz: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz Druck/Bindung: Strauss Offsetdruck, Mörlenbach Gesamtgestaltung: Niels Schuldt Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier
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INHALT
Christina Weiss Der Stiftungskapitän …………………………………………………………………… 11 Klaus Wowereit Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz – ein Glücksfall für Berlin ……………………… 15
Bildende Kunst June Newton Dear Klaus …………………………………………………………………………… 19 Oswald Schwemmer Wozu noch Kunstbilder betrachten? …………………………………………………… 23 Willem R. H. Koops Avantgarde im Norden der Niederlande 1918–1945. Die Groninger Künstlervereinigung „De Ploeg“ ……………………………………… 31 Hartmut Dorgerloh Das Arbeits- und Schlafzimmer Friedrichs des Großen im Schloss Sanssouci – ein Palimpsest ……………………………………………………………………… 47 Heinz Berggruen Zum Werkverzeichnis von Juan Gris …………………………………………………… 55
Präsentation und Vermittlung des Musealen Museumskonzepte, Museumsplanungen und Museumsprobleme W. Michael Blumenthal Archiv und Bibliothek im Jüdischen Museum Berlin ………………………………… 61 Christoph Wolff Bibliothek, Archiv und Museum im Nachlaß von Carl Philipp Emanuel Bach ………… 69 Thomas Ertelt Mixturtrautonium, nach Oskar Sala …………………………………………………… 77 Christoph Sattler Der patriarchalische Klaus-Dieter Lehmann …………………………………………… 85
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INHALT Wulf D. von Lucius Bewahren und Zeigen. Neue und alte Aufgaben in Bibliotheken ……………………… 87 Heinz Tesar Anregung und Reflexion ……………………………………………………………… 95 Petra Roth Urbanität braucht Kultur. Keine lokale Vitalität ohne kulturelle Kollektionen ………… 99 Oswald Mathias Ungers Museumsinsel – Hauptrundgang …………………………………………………… 103 Thomas Flierl Ein kultur- und wissensgestütztes Forum als sinnstiftende neue Mitte der deutschen Hauptstadt …………………………………………………………… 113 Werner Meißner Gegen ein Museumskonzentrat ……………………………………………………… 129 David Chipperfield Happy Birthday Klaus-Dieter Lehmann ……………………………………………… 134 Peter Raue Dunkle Seiten, helle Seiten – Nachdenken über eine fatale Diskussion rund um die Friedrich Christian Flick Collection ……………………………………… 137
Die kulturgeschichtliche Dimension des Gedichteten und Komponierten, des Geschriebenen und Gedruckten Gottfried Honnefelder Triumph in der Krise: Das Buch – (neues) Leitmedium der Gesellschaft? …………… 143 Günther Maihold Die Bibliothek von Babel – Jorge Luis Borges und der Alptraum der vollkommenen Bibliothek ………………………………………………………… 147 Harald Heckmann Die unglückliche Musik, ihre Vergänglichkeit und ihr Überdauern …………………… 157 Karl Dedecius Die grenzenlose Bruderschaft der Bücher …………………………………………… 167 Klaus G. Saur Der Friedenspreis des deutschen Buchhandels………………………………………… 175 Vittorio E. Klostermann Der Leser als Autor. Eine Fußnote zu Robert Darnton ……………………………… 181 Jürgen Hering 924 Bildstreifen in strahlendem Gold. Original und Faksimile des Dresdner Sachsenspiegels ………………………………………………………… 185
INHALT
Bücher verlegen, kaufen und verkaufen – und: Bücher lesen im Lesesaal Georg Siebeck Was Verlage für Wissenschaft tun, von A bis Z ……………………………………… 203 Gordon Graham Ethics in publishing ………………………………………………………………… 211 Knut Dorn Die andere Seite von Harrassowitz: Literaturauswahl für wissenschaftliche Bibliotheken durch Approval Plans ……………………………… 215 Barbara Schneider-Kempf und Martin Hollender Die Staatsbibliothek zu Berlin verändert ihr Erwerbungsprofil ……………………… 223 Franz Georg Kaltwasser „Wärmestube“ oder Forschungsbibliothek. Wem dienen die beiden großen Staatsbibliotheken in Berlin und München? ………… 239 HG Merz Der neue Lesesaal der Staatsbibliothek Unter den Linden. Eine Projektskizze und ein Haiku …………………………………………………… 250 Heinrich Wefing Büchergärten unter Kunststoffhimmeln. Impressionen aus der Berliner Staatsbibliothek am Kemperplatz ……………………… 253 Michael Naumann Gelesene Welten ……………………………………………………………………… 259
Reminiszenzen an den Bibliothekar Klaus-Dieter Lehmann Nationale und internationale Aspekte des wissenschaftlichen Bibliothekswesens aus den vergangenen fünf Jahrzehnten Brian Lang Heartiest Congratulations …………………………………………………………… 265 Günter Gattermann Über Vorgänger und Vorbilder Hanns W. Eppelsheimer, Erich H. Pietsch, Clemens Köttelwesch …………………… 267 Günther Pflug Audiovisuelle Zentren in Universitätsbibliotheken …………………………………… 279 Magda Strebl Frankfurt, Leipzig, Wien – und die Bibliotheken im Osten. Auch Begegnungen mit Klaus-Dieter Lehmann ……………………………………… 287 Hans-Peter Geh Die wiedererstandene Bibliotheca Alexandrina ……………………………………… 295
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INHALT Wim van Drimmelen Crossing borders. National libraries in the digital world ……………………………… 305
Kulturförderung und Kulturfinanzierung Wilhelm Krull Wissen erhalten ist Wissen stiften. Klaus-Dieter Lehmann und die VolkswagenStiftung ………………………………… 317 Henning Schulte-Noelle Die Wirtschaft als Förderer von Kunst und Kultur …………………………………… 323 Jutta Limbach Die Schönen Künste und das liebe Geld ……………………………………………… 329 Reimar Lüst Freiheit, die ich meine. Wie Deutschlands Hochschulen beflügelt werden können …… 333 Jürgen Mlynek Klaus-Dieter Lehmann und die Humboldt-Universität ……………………………… 339
Vom nachhaltigen Umgang mit Kulturgütern: Lagern, Restaurieren, Restituieren, Digitalisieren Esko Häkli Bibliotheken und das kulturelle Erbe. Einige Betrachtungen über die Geschichte und Gegenwart ………………………………………………… 345 Wolfgang Frühwald „Denn die Elemente hassen / das Gebild aus Menschenhand“. Eine kulturhistorische Skizze ………………………………………………………… 353 Regine Dehnel und Georg Ruppelt Bücherraub im Nationalsozialismus und der Umgang mit geraubten Büchern in der Gegenwart …………………………………………………………………… 363 Ingo Kolasa „Die unendliche Geschichte?“ Einige Überlegungen zur Arbeit der Fachgruppe „Bibliotheken“ der Regierungskommission der Bundesrepublik Deutschland und der Russischen Föderation zu Fragen der beiderseitigen Rückführung von Kulturgütern ……………………………………………………… 373 Günther Schauerte Illegale Archäologie – Illegale Kunst. Restitutionsproblematiken der Staatlichen Museen ……………………………………………………………… 393 Karin von Welck Restaurierung von mobilem Kulturgut – eine Aufgabe von nationaler Bedeutung …… 407
INHALT Hermann Leskien Defizite beim Sammeln digitaler Daten ……………………………………………… 413 Elisabeth Niggemann Vierter Erweiterungsbau der Deutschen Bücherei Leipzig …………………………… 421
Zentral und/oder dezentral Kulturpolitik im föderalen Staatswesen Ruth Wagner Begegnungen mit Klaus-Dieter Lehmann …………………………………………… 429 Jürgen Kloosterhuis Schwarz-Weiße Spurensuche. Preußisches in der Stiftung Preußischer Kulturbesitz…… 433 Günter Rühle Der Frankfurter Expressionismus oder: Die Provinz zeigte Berlin, was sie kann ……… 443 Bernhard Fabian Politische Aspekte der Kulturellen Überlieferung ……………………………………… 457 Norbert Lammert Zwischen Hoheit und Hilflosigkeit. Vom Glanz und Elend des deutschen Kulturföderalismus …………………………………………………………………… 467 Paul Raabe Weimar – eine europäische Kulturstadt ……………………………………………… 473 Hermann Rudolph Zwei Welten, gut verflochten. Beiläufige Anmerkungen zu Bund und Ländern ……… 481 Peter-Klaus Schuster National und universal. Zur Begründung der Staatlichen Museen zu Berlin ………… 487 Andreas Schlüter Stiftungen als Träger von Kultureinrichtungen ……………………………………… 499 Martin Hollender Bibliographie der Publikationen von und über Klaus-Dieter Lehmann ……………… 507 Kurzbiographien der Autorinnen und Autoren ……………………………………… 565
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Klaus-Dieter Lehmann wird 65. Er behauptet, das stimme gar nicht, denn im Jahr 2005 gebe es gar keinen 29. Februar – und er entzieht sich allen Geburtstagsverpflichtungen wie auch allen Freuden und ist nicht erreichbar. Er scheidet natürlich auch nicht pünktlich zu seinem 65. Geburtstag aus dem aktiven Dienst – also gar kein Grund zum Feiern? Im Gegenteil. Wir sind der Überzeugung, dass Klaus-Dieter Lehmann in seinem Leben unendlich viel für Wissenschaft und Kultur in Bibliotheken, Museen und Archiven geleistet und erreicht hat und noch vieles mehr in der Zukunft erreichen wird. Ein bunter Kreis von Freunden, Verehrerinnen, Kollegen, Schülern und Verbündeten drückt diese Hochachtung in seinen Beiträgen aus und macht die wahrhaft weit ausgreifende Wirkung Klaus-Dieter Lehmanns deutlich. Wir alle gratulieren ihm und wünschen ihm (absolut egoistisch), dass er weiterhin so ungewöhnlich erfolgreich bleiben und Maßstäbe setzen wird. Barbara Schneider-Kempf
Klaus G. Saur
Peter-Klaus Schuster
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DER STIFTUNGSKAPITÄN CHRISTINA WEISS
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ls Klaus-Dieter Lehmann 1998 als Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz inauguriert wurde, lag seine berufliche Feuertaufe bereits hinter ihm: Die Vereinigung von Deutscher Bibliothek Frankfurt am Main und Deutscher Bücherei Leipzig hatte er ohne jenes Rumoren im Getriebe ins Werk gesetzt, das andernorts bei der Zusammenführung von Ost und West eine so unleidige Lautstärke annehmen konnte. Auch in Berlin hatten sich die Spannungen zwischen einzelnen Institutionen der frisch vereinigten Stadt zu einem veritablen Sturm zusammengebraut, dessen Getöse weithin vernehmbar war. Als studierter Mathematiker konnte sich Klaus-Dieter Lehmann also leicht ausrechnen, was auf ihn nach seinem Amtsantritt zukommen wird: Nichts weniger nämlich, als die Kursbestimmung für eine scheinbar disparate Flotte kultureller Institutionen, die fast alle eine zweigeteilte Nachkriegsgeschichte besaßen. Nicht mehr Ost oder West konnte die Richtung heißen – allein die Zukunft war das Ziel. Obwohl die Vereinigung ihrer Institutionen die große politische Herausforderung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz war, konnte diese ohne die Vision einer von Grund auf modernisierten Museumsinsel nicht gelingen. Der Plan, das Weltkulturerbe im Herzen der Hauptstadt mit Verve zu sanieren und zugleich ein Sammlungskonzept für die dortigen Häuser zu erarbeiten, sollte den Berliner Museumsdampfer nicht nur wieder hochseetauglich machen. Unter den neuen Bedingungen eines in Frieden und Freiheit geeinigten Deutschlands durfte und musste die Reise zu ganz neuen Erkenntnisufern führen. Dem neuen Stiftungs-
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CHRISTINA WEISS
kapitän kam dabei die Aufgabe zu, widerstreitende Meinungen zu moderieren, Arbeiten zu dirigieren, den Respekt vor dem Historischen zu fördern und den Verantwortlichen beim Bund und den Ländern darzulegen, warum diese Aufgabe nur die eines gesamten Landes sein kann. Klaus-Dieter Lehmann erwies sich in dieser Situation als bester Mann an Bord, der die Stiftung bis heute auch bei schwerem Fahrwasser auf Kurs hält. Die unter seiner Ägide sanierte Alte Nationalgalerie nährt für alles noch Kommende die schönsten Hoffnungen. Doch der Bibliothekar Lehmann vergaß über dem Leuchtturm der Museumsinsel nicht das andere große Problemkind seiner Stiftung: die größte Bibliothek Deutschlands. Die Staatsbibliothek Berlin litt (und leidet zum Teil noch immer) mehr als alle anderen Institutionen der Stiftung unter ihrer Trennungsgeschichte. Dass der Stiftungspräsident es mit seinen Mitarbeitern geschafft hat, mit den nun seit geraumer Zeit in Angriff genommen Arbeiten im Haus Unter den Linden eine Zukunft für das Funktionieren der Bibliothek aufzuzeigen, gehört hier zu seinen großen Verdiensten. Ein verantwortungsbewußter Flottenkapitän kümmert sich aber nicht nur um die glänzenden Luxusliner, die von aller Welt bestaunt werden. Klaus-Dieter Lehmann ist sich auch des Wertes bewusst, den die anderen Teile seiner Stiftung besitzen und ohne die das Ganze nicht denkbar wäre. Vom Rathgen-Forschungslabor, das naturwissenschaftliche Analysen für die Restaurierungsateliers anfertigt, über das Kunstgewerbemuseum bis hin zum Gedächtnis Preußens in der Dahlemer Archivstraße haben alle Teile der Stiftung das Recht, von ihrem Präsidenten gehört und gefördert zu werden. Diese Aufgabe wahrzunehmen ist seine eine erste Verpflichtung, und er erfüllt sie nicht allein im stillen Kämmerlein. Klaus-Dieter Lehmann ist ein Mann, der sich mit eigenen Tönen in das Konzert der Standpunkte und Vorschläge einzumischen versteht. Zu vernehmen waren von ihm beispielsweise konzise Ideen zur unbefestigten Meinungsbaustelle für ein wiederzuerrichtendes Berliner Schloss. Dass Lehmann – der seine Stiftung als „einmalige, zukunftsfähige Konstellation“ begreift – hier die außereuropäischen Sammlungen der Museen präsentieren möchte, ist bei weitem kein Zufall. Zusammen mit der Kollektion der Humboldt-Universität entstünde in Sichtweite der Museumsinsel ein zweiter Bildungskomplex, der seinen Besuchern helfen kann, Orientierung im Gewirr der Welterscheinungen zu finden. Noch hat das von Klaus-Dieter Lehmann erträumte „Humboldt-Forum“ nicht alle Klippen genommen. Der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz wird allerdings, da bin ich mir sicher, mit offenem Auge und wachem Verstand jede Kollisionsgefahr erkennen und Kurskorrekturen einleiten können. Dabei werden ihn Partner, aber auch Kritiker als charaktervollen Menschen und konstruktiven Geist schätzen lernen, der stets eine sachliche, kultivierte Atmosphäre, jene produktive
DER STIFTUNGSKAPITÄN
Offenheit zu erzeugen versteht, die auch ich in unseren Gesprächen über die Arbeit und die Zukunft der Stiftung Preußischer Kulturbesitz schätzen gelernt habe. Klaus-Dieter Lehmann ist der perfekte Partner, wenn es gilt, Probleme zu lösen. Sein enormes diplomatisches Geschick hat ihn deshalb für mich und meine Mitarbeiter auch zu einem unentbehrlichen Partner auf einem der heikelsten Problemfelder der jüngsten Zeit gemacht: Bei den oft als unlösbar geltenden Fragen der Beutekunst können wir auf einen Berater seines Schlages schlichtweg nicht verzichten. Dass Klaus-Dieter Lehmann über das Alter hinaus, das die meisten in die Pension schickt, seine Fähigkeiten dem Gemeinwohl zur Verfügung stellt, ist ein Glück. Mögen seine Überzeugungskraft und sein Charme noch lange für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz werben! Das wünsche ich ihm – und uns.
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DIE STIFTUNG PREUSSISCHER KULTURBESITZ – EIN GLÜCKSFALL FÜR BERLIN KLAUS WOWEREIT
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ohl dem, der sich mit Preziosen der Staatlichen Museen zu Berlin unter einem Dach weiß. Dieses Glück wird mir seit nunmehr zwei Jahren zu Teil, seit im Säulensaal des Berliner Rathauses die Ausstellung „Berlin in Gips“ Besucher in großer Zahl anlockt. Von Angesicht zu Angesicht mit den klügsten und gebildetsten Köpfen Preußens wie Berlins, mit Frauen und Männern, die ganz entscheidenden Anteil daran haben, dass wir heute über einen reichen Preußischen Kulturbesitz verfügen – das ist ein Erlebnis, wie es in dieser Ballung nur selten vorkommt. Schwerer erschließt sich hingegen, was es mit dem Preußischen Kulturbesitz auf sich hat. Er lebt in vielen Gestalten: in einer einzigartigen Vielfalt an Museen, in der Staatsbibliothek mit ihrem gewaltigen Fundus an Büchern, Partituren, Karten, Bildern und Handschriften, in mehreren Archiven sowie in erlesenen Forschungseinrichtungen. Dieses Preußen ist nicht der säbelrasselnde Machtstaat, der seine Nachbarn bedroht, sondern die glanzvolle Schnittstelle von bürgerlicher Bildung und aufgeklärtem Absolutismus. Dieses historische Vermächtnis ist nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und der Vereinigung Deutschlands und Europas aktueller denn je. Wie ein Netz durchziehen die zahlreichen Einrichtungen des preußischen Kulturerbes unsere Stadt. Im Tiergarten laufen die Fäden zusammen. Die Villa von der Heydt, heute Sitz des Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, wurde im 19. Jahrhundert von dem gleichnamigen Bankier und preußischen Finanzminister erbaut. Hier gilt: nomen est omen; denn unter der Ägide ihrer drei bisherigen Präsidenten agierte die Preußenstiftung diskret, effizient und so vorausschauend als hüte sie die preußische Staatskasse, ausgestattet mit viel diplomatischem Geschick und nicht zuletzt einer guten Portion Improvisationsgabe. Stets hatten die Präsidenten wahre Herkulesaufgaben zu verrichten. Dem ersten, Hans Georg Wormit, oblagen die Rückführung und Sammlung der zerstreuten Bestände sowie, gemeinsam mit dem Architekten Hans Scharoun, die Anfänge des Kulturforums. Sein Nachfolger, Werner Knopp, vollendete, was unter Wormit begonnen wurde. Unter Werner Knopps Leitung wurden zudem die Weichen für die nächste Großtat gestellt: die Vereinigung der Bestände und Institutionen aus Ost- und West-Berlin nach dem Fall der Mauer. Der amtierende Präsident, Klaus-
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KLAUS WOWEREIT
Dieter Lehmann, steht vor nicht minder großen Aufgaben: Dazu zählt die Modernisierung der Staatsbibliothek sowie die Vollendung der Museumsinsel. Und natürlich will die Stiftung wachsam sein, wenn es um die Nutzung des wiederaufzubauenden Stadtschlosses geht. Es wäre ein Traum für Berlin, wenn die außereuropäischen Sammlungen der Preußen-Stiftung dort dereinst eine neue Heimat fänden. Dann schlösse sich ein Kreis, der durch den Krieg und die Zerstörung der Sammlungen sowie die nachfolgende deutsche Teilung unterbrochen worden war. Das ist Zukunftsmusik. Aber wenn in Berlin die kulturpolitischen Weichen gestellt werden, dann geht es stets um große Zukunftsthemen der deutschen Hauptstadt. Diese kraftvoll und kreativ anzupacken, war und ist auch das Verdienst der Präsidenten der Preußen-Stiftung. Natürlich sind die Berlinerinnen und Berliner besonders stolz darauf, dass mit der Stiftung Preußischer Kulturbesitz eine der weltweit größten Kultur-Institutionen mit ihren grandiosen Museen in dieser Stadt heimisch ist. Dieser Glanz erstrahlt aber auf die ganze Nation, geht es doch um die Repräsentation des Gesamtstaats in der Hauptstadt und von der Hauptstadt aus. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz ist eine bundesunmittelbare Stiftung, an der traditionell alle Länder beteiligt sind. Die Meisterung der großen Zukunftsprojekte auf der Museumsinsel und in der Staatsbibliothek sind deshalb auch ein Stück gemeinsamer Zukunft aller Deutschen. Die gemeinsamen Anstrengungen müssen fortgesetzt werden: Die Museumsinsel ist noch auf lange Sicht eine Baustelle. Und dies nicht nur im Wortsinn: Auf der Museumsinsel entsteht ein Herzstück der Kulturnation. Was nach 1945 zerstört und in alle Winde zerstreut war, kehrt nun an seinen angestammten Platz in Berlins Mitte zurück. Hier wird deutsche Geschichte erlebbar, die beides kannte: einzigartigen kulturellen Glanz, aber auch Krieg, Zerstörung und Teilung. Die Museumsinsel steht für die große Kulturtradition der deutschen Hauptstadt, aber auch für ihre Zukunft. Schon heute strömen Menschen aus aller Welt in die von der Spree umflossenen Museen. Ihre Begeisterung sollte auch Berlin-Skeptiker eines besseren belehren. Auf der Museumsinsel präsentiert sich das deutsche Kulturinteresse in seiner ganzen Weltoffenheit und Vielfalt. Deshalb eignet sich dieser Ort auch wie kaum ein anderer als Baustelle für das Hauptstadt-Bewusstsein aller Deutschen. Dieses einzigartige Ensemble mit seinen fünf Museen konzentriert kulturelles Erbe unserer Nation, seine Sammlungen stehen für den Stolz einer Bürgerschaft auf ihre Bildung und Kultur. Dieses zu bewahren und zu mehren ist seit je her das erklärte Ziel der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Es mit Beharrlichkeit und Geschick erreicht zu haben, ist nicht zuletzt das Verdienst ihrer Präsidenten.
BILDENDE KUNST
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DEAR KLAUS JUNE NEWTON
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JUNE NEWTON
DEAR KLAUS
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WOZU NOCH KUNSTBILDER BETRACHTEN ? OSWALD SCHWEMMER
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er heute auf die Frage „Was ist ein Bild?“ mit dem Hinweis auf das Kunstbild antwortet, verstößt damit gegen die Regeln des aktuellen Bild-Disputs. Der modernisierte Blick grenzt sich nicht ein auf das Kunstbild. Er sieht die Tätowierung ebenso als Bild wie die Vorstellungsbilder und überhaupt die figurativen Motive und Elemente in unserer alltäglichen Erfahrungswelt.1 Der anthropologisch ausgeweitete Blick kann den Blick auf die Kunst nur noch als die bornierte Perspektive einer verspäteten Ästhetik wahrnehmen, die vor der Wende, der kulturwissenschaftlichen Wende, stehen geblieben ist. Wozu noch Kunstbilder betrachten, sich mit ihnen auseinandersetzen, sie zu sehen lernen? Tatsächlich sind die Bilder, die uns in unserer alltäglichen Lebensumgebung begegnen, zumeist keine Kunstbilder mehr und auch nicht überhaupt noch Bilder, die wir als Bilder sehen sollen. Vielmehr sind wir mit visuellen Assoziationsanreizen konfrontiert – mit stets präsenten Logos und Emblemen, Bildzitaten und Bildzeichen –, die alle als Auslöser für unsere Phantasie und im übrigen nicht nur für unsere Bildphantasie funktionieren wollen. Unsere Wahrnehmung soll getroffen und – im Sinne der Märkte und Meinungsforen – bewirtschaftet werden. Was ist es, das diese Bildreize auf unsere Wahrnehmung wirken lässt, und wie wirken Kunstbilder auf sie? Wie ist das Verhältnis von Wahrnehmung und Bild? Zunächst zur Wahrnehmung: Unser alltägliches Wahrnehmen ist durch Prägnanzerzeugung geprägt. Wir sehen, hören, schmecken, riechen, ertasten unsere Umwelt über die Verstärkung von Differenzen zu Kontrasten und die gleichzeitige Konfigurierung der Kontraste zu Formen und Qualitäten.2 Diese kontrastierenden Konfigurationen verleihen unserem Wahrnehmen seine Orientierung. Wir verlieren uns nicht in der unüberschaubaren Mannigfaltigkeit von Einzelreizen, sondern fas-
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Vgl. dazu die entsprechende Konzeption in Hans Belting, Bild-Anthropologie. Entwürfe für eine Bildwissenschaft. München [Wilhelm Fink] 2001. Die Unterschiedlichkeit der verschiedenen Sinnesbereiche muss hier außer Acht bleiben. Vgl. dazu aber den anregenden Aufsatz Hans Jonas, Der Adel des Sehens. Eine Untersuchung zur Phänomenologie der Sinne. In: Ralf Konersmann (Hg.), Kritik des Sehens. Leipzig [Reclam] 1997, S. 247–271.
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sen sie zu Formen und Qualitäten, zu Formelementen und Qualitätsmerkmalen zusammen. In dieser Orientierung, und dies ist in unserem Zusammenhang ein entscheidender Punkt, sind wir bereits orientiert. Die Prägnanzbildung folgt den Mustern, die uns in unserer Umwelt entgegentreten. In eine grobe Formel gebracht, können wir sagen, dass in dem, was wir sehen, die Bilder, die wir gesehen haben und die zu unserer Lebensumgebung gehören, lebendig werden. Wir sehen sozusagen durch die Bilder unserer Bildwelten hindurch, was wir sehen. Wir hören durch die Werke unserer Tonwelten und übrigens auch unserer Geräusch- und Lautwelten hindurch, was wir hören. Und so können wir fortfahren und diese Formulierung für alle unsere Sinne in der entsprechenden sinnesspezifischen Variation wiederholen. Die Orientiertheit und Eindeutigkeit unserer Wahrnehmungen, so können wir weiter sagen, ergibt sich aus den Formen der Prägnanzbildung, den Formbildungsformen, die uns in unserer Umwelt entgegentreten. Man kann diese Formbildungsformen als bestimmte Prägnanzprofile, als die Prinzipien der Prägnanzbildung, analysieren. Durch ihr jeweiliges Prägnanzprofil und damit durch das, was zur selbstverständlichen Orientierung, zur Welt von „Gegebenheiten“ geworden ist, kann man eine Kultur charakterisieren. Dabei ist zu sehen, dass diese „Gegebenheiten“ nicht nur im Bereich der Wahrnehmungen verbleiben, sondern auch deren symbolische Darstellung in unseren Sprach- und Bildwelten durchziehen und sich so zu allgemeinen kulturellen „Gegebenheiten“ erweitern. Als solche bieten unsere alltäglichen Orientierungen einen umfassenden Rahmen, bestärken uns in der Sicherheit, mit der wir etwas wahrnehmen oder einen Ausdruck finden, und geben uns zudem die Möglichkeit, uns wechselseitig in dieser unserer Sicherheit auch zu erhalten. Sollte diese Sicherheit angegriffen werden, so bilden sie den gemeinsamen Boden, auf dem wir uns zur Verteidigung und womöglich zum Gegenangriff versammeln können. Dieser Boden besitzt eine solche Festigkeit, dass er durch Argumente nicht ins Wanken gebracht werden kann. Die Argumente seiner Kritiker verlieren sich für diejenigen, die auf ihm stehen, in die geistige Unerheblichkeit von Spitzfindigkeiten, auf die man sich nicht einzulassen braucht und denen man allein mit einer allgemein geteilten Empörung zu begegnen hat. In diesem Sinne der sich selbst befestigenden kulturellen „Gegebenheiten“ erzeugen die Prägnanzprofile ein totalitäres Moment aller Kultur, einen immanenten Dogmatismus, der die eigene kulturelle Identität zu einem potentiellen Kampfbegriff gegenüber anderen Kulturen macht. In den meisten Kulturen werden die kulturellen „Gegebenheiten“ über die alltäglichen Lebensformen, also über die alltäglichen Wahrnehmungs-, Ausdrucks- und Verhaltensformen, hinaus durch eine eigene Tradition kanonisierter Werke und Werte stabilisiert und damit auch mit einem stets verfügbaren Reservoir von allgemein einsetzbaren Argumenten versehen
WOZU NOCH KUNSTBILDER BETRACHTEN?
und gegenüber jeglicher Kritik sozusagen auf einer zweiten Ebene, nämlich der einer expliziten Auseinandersetzung, immunisiert. Und hier komme ich nun auf die besondere Rolle der Kunst zu sprechen. Die Kunst, so kann man allgemein sagen, ist ein Ort in unserer Kultur, an dem diese Geschlossenheit aufgelöst und die kulturellen „Gegebenheiten“ durch eine Verschiebung der Prägnanzprofile mit Visionen des Utopischen – im wörtlichen Sinne des Ortlosen in der Kultur – durchsetzt werden. Denn die Kunst tut etwas grundsätzlich anderes als wir in unserem Alltag zumindest gewöhnlich und jedenfalls dann tun, wenn wir uns in den kulturellen „Gegebenheiten“ der jeweiligen Prägnanzprofile bewegen. Die Kunst verschiebt diese Prägnanzprofile, indem sie die Grenzen zwischen dem Hervorgehobenen und Zurückgedrängten, zwischen Figuren und Hintergründen und überhaupt zwischen dem Identischen und dem davon Differenten verschiebt. Und da es sich bei diesen Verschiebungen um Verwerfungen des Bodens handelt, auf dem wir Identität und Differenz erst gründen, ist hier jede Verschiebung schon eine Umkehrung, eine Revolution im Wortsinn. Kehren wir wieder zum Sehen zurück. Was wir sehen, ist im allgemeinen – bei ausreichendem Licht, in nicht zu großer Entfernung und freier Sicht – von hoher Prägnanz. Nicht zuletzt diese Prägnanz des Sehens mag dazu beigetragen haben, dass das Sehen immer wieder als Musterbeispiel auch der gedanklichen Orientierung im ganzen – z. B. als Einsicht und Einleuchten, als Klarheit und Deutlichkeit der Gedankenführung und nicht zuletzt als Aufklärung – gewählt worden ist. Seit Platon ist unsere Tradition beherrscht von einer Metaphorik des Sehens, die unserem Denken die Orientierung vorzeichnen will. Und auch die Rede von einer Orientierung, die uns ja dem Osten, wo die Sonne aufgeht, zukehren soll, nutzt eine visuelle Metapher. Gerade das aber, was die Prägnanz des Sehens ausmacht, illustriert den Zusammenhang zwischen der klaren und deutlichen Strukturierung des Gesehenen auf der einen und der eben dadurch erzeugten Unaufmerksamkeit im Umgang mit dem überhaupt Sichtbaren auf der anderen Seite. Man kann dies auch in der Formel zusammenfassen: Sehen ist Übersehen. Mit dem übersehenden Sehen arbeiten wir das in sich verwobene und sich ständig verwandelnde und uns umschließende Feld des Sichtbaren um zu einem in sich gegliederten und vor uns sich ausbreitenden Sehbild3, in dem es identifizierbare Komplexe – die wir etwa als Gegenstände,
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Von einem Sehbild rede ich, um es von einem gemalten Tafelbild, aber auch von einem Vorstellungsbild zu unterscheiden. Das Sehbild ist das Gesehene, das im Prozess des Sehens entsteht. Als eine solche Aktualität des Gesehenen bleibt es übrigens in einer strukturellen Differenz zu jedweder Form der nachträglichen Vergewisserung. In welcher Weise auch immer wir uns auf das aktuell Gesehene beziehen: Es bleibt dieser Bezug eine Rekonstruktion, die niemals mit einer
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z. B. als Personen oder Dinge, sehen – und vielfältige Beziehungen zwischen ihnen und eine Umgebung um sie herum gibt. Ohne hier auf weitere Details einzugehen, mögen die wenigen Bemerkungen bereits genügen, um die Umkehrung deutlich werden zu lassen, die das gemalte Bild gegenüber dem Sehbild vollzieht. Diese Umkehrung hängt mit dem Malen als solchem zusammen und ist nicht nur an verfremdende Darstellungen des Gesehenen etwa in surrealistischen Bildern oder an den Verzicht auf einen Gegenstandsbezug überhaupt in abstrakten Bildern gebunden. Auch die „realistischen“ gegenständlichen Bilder etwa der Renaissance oder der Genremalerei sind Umkehrungen unserer Sehbilder. Nicht darum, was und wie gemalt wird, ist hier entscheidend, sondern die bloße Tatsache, dass überhaupt gemalt und nicht nur gesehen wird. Denn: Malen macht zwar sichtbar, ist aber nicht Sehen. Dieser überaus einfache Unterschied zwischen dem Malen, an dem unsere Hand beteiligt ist und deren Gebrauch von Pinsel, Stift, Farben und all den übrigen Materialien auf einem geeigneten Maluntergrund, und dem Sehen, das von unserem Auge geführt wird, auch wenn die anderen Sinne und unsere Erinnerung das ihre dazu beisteuern, ist erstaunlich wenig thematisiert worden. Dabei ist dieser Unterschied grundlegend für das Verständnis der Umkehrung, die im, wie ich es auch nennen möchte, Malbild gegenüber dem Sehbild geschieht. Der in meinen Augen wichtigste Unterschied ergibt sich aus der unterschiedlichen Wertigkeit, die in unseren Sehbildern und in den Malbildern den gesehenen Gegenständen auf der einen und ihrem Hintergrund, ihrer Umgebung und den Zwischenräumen zwischen ihnen auf der anderen Seite zukommt. Für unsere Sehbilder, ich wiederhole, gilt die Prägnanzformel, dass unser Sehen ein Übersehen ist: Wir sehen die Gegenstände, weil wir ihrem Hintergrund, ihre Umgebung und die Zwischenräumen zwischen ihnen, wenn auch in unterschiedlicher Weise, übersehen. Dass wir all dies übersehen, heißt dabei nicht, dass wir es überhaupt nicht sehen. Vielmehr können wir an die Doppeldeutigkeit der Rede vom Übersehen anknüpfen und sagen, dass wir das Übersehene nur in der Art einer unthematischen Übersicht, als eine Art von Sichtrahmen für das thematisch Gesehene, sehen. Das Verhältnis dieser Wertigkeit ändert sich in den Malbildern grundlegend. Für den Maler besitzen die Gegenstände, die er in seinem Bild, wenn es denn überhaupt gegenständlich ist, im Prinzip keine höhere Wertigkeit für sein Malen als der Hintergrund, die Umgebung und die Zwischenräume. Denn beides muss er malen, weil beides zum Bild gehört. Und beides muss er im Prinzip mit der gleichen Sorgbloßen Replikation verwechselt werden darf. Nur als Nebenbemerkung sei darauf hingewiesen, dass damit prinzipielle Probleme der Verlässlichkeit unserer Erinnerung und der historischen Darstellung verbunden sind.
WOZU NOCH KUNSTBILDER BETRACHTEN?
falt malen. Und selbst wenn er den Gegenständen eine differenziertere Darstellung zuteil werden lässt als dem Hintergrund, der Umgebung und den Zwischenräumen, entbindet ihn dies nicht davon, auch diesen in der Sehbedeutung, d. h. in der Wertigkeit für das Auge des Betrachters, sekundären Bildteilen seine Gestaltungsarbeit zukommen zu lassen. Sogar dann, wenn der Maler auf deren bloße Hintergrund-, Umgebungs- oder Zwischenraumwertigkeit, also auf ihr Übersehenwerden vom Betrachter, aus ist, muss er diese Wertigkeit als unthematische Bildteile in seinem Malen und also eigens gestaltend erst herstellen. Zwischen der Hand des Malers und dem Auge des Betrachters tut sich eine Kluft auf, die zum Teil absichtlich aufgerissen wird. Diese Kluft birgt das Geheimnis der Kunst, ihr Rätsel und ihren Reichtum. Und sie birgt auch die Kraft des anderen Sehens, die unsere Sicht der Dinge aufzustören und neu zu beleben vermag. Sie birgt die Verlockung, die unseren Blick anzieht, und die Verstrickung unseres Blicks in die Ränder des Lebens, die wir längst ausgeblendet hatten und überwunden glaubten. Sie birgt die Möglichkeit des „kranken“ Blickes und der Erschütterung unserer gesund gesehenen Welt: „Der Kranke, der die Tapete seines Zimmers betrachtet, sieht sie plötzlich sich verändern, wie wenn das Muster und die Figur zum Hintergrund werden, während das, was für gewöhnlich als Hintergrund angesehen wird, zur Figur wird. Das Aussehen der Welt würde für uns erschüttert, wenn es uns gelänge, die Zwischenräume zwischen den Dinge als Dinge zu sehen – zum Beispiel den Raum zwischen den Bäumen auf der Straße – und umgekehrt die Dinge selbst – die Straßenbäume – als Hintergrund.“4 Was Merleau-Ponty hier beschreibt, lässt sich als Blick des Malers beim Malen charakterisieren. Es ist dies der Blick, der das Übersehene wie das zu Übersehende im alltäglichen Sehen zum Gegenstand nimmt. Dieser Blick richtet sich nicht nur auf die Gegenstände, die wir zu sehen gewohnt sind. Er richtet sich auf die Verhältnisse, in denen sie zueinander und zu ihrer Umgebung stehen. So kann auch in einem gegenständlichen Bild nicht nur die Tatsache, dass sich in einem Haus Fenster z. B. in einer bestimmten Anzahl und Größe befinden, als „Gegenstand“ dieses Bildes, als das, was der Maler in seinem Bild zur Sichtbarkeit bringt, registriert werden, sondern der Rhythmus oder die Konfiguration, in der diese Fenster angeordnet sind und ein „Bild“ ergeben.
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Maurice Merleau-Ponty, Das Kino und die neue Psychologie. Übersetzt von Claudia BredeKonersmann. In: Ders., Das Auge und der Geist. Philosophische Essays. Neu bearbeitet, kommentiert und mit einer Einleitung hg. von Christian Bermes. Hamburg [Felix Meiner Verlag] 2003, S. 30, und in: Ders., Sinn und Nicht-Sinn. Aus dem Französischen von Hans-Dieter Gondek. München [Wilhelm Fink] 2000, S. 66.
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Der Blick des Malers richtet sich auf das, was er durch sein Malen sichtbar macht. Das sind die Verhältnisse der Sichtbarkeit auf einer Oberfläche. Und diese Verhältnisse schaffen eine Art visueller Gleichberechtigung zwischen allem, was überhaupt sichtbar gemacht wird, seien es nun die Gegenstände unseres alltäglichen Sehens oder seien es die Zwischenräume, die Umgebung oder der Hintergrund. Alle Momente im Bild gewinnen im Blick des malenden Malers ihre Bedeutung. Das Bild des Malers besitzt dadurch eine Bedeutungsdichte: Es gibt keinen Hintergrund, keine Umgebung, keinen Zwischenraum, der nicht die gleiche Bedeutungskraft besäße wie jede andere gegenständliche Stelle des Bildes.5 Im Bild des Malers wie in seinem Blick wird sozusagen eine Basisdemokratie des überhaupt Sichtbaren errichtet, in der die Herrschaft der Gegenstände aufgehoben ist und das durch unser alltäglich übersehendes Sehen visuell Entrechtete und Vergessene wieder zum Vorschein gebracht wird. In diesem Sinne der visuellen Gleichberechtigung aller Bildmomente sind auch die gegenständlichen Bilder ungegenständlich. Es geht überhaupt nicht um die Gegenstände unseres Sehens. Es geht um die Verhältnisse, in denen sie stehen und in die sie eingefügt sind. Es geht um das, durch dessen Übersehen sie überhaupt zu dem werden konnten, was sie sind, nämlich Gegenstände. Die Prägnanz unseres alltäglichen Sehens wird mit dem Malen eines Bildes gleichsam rückgängig gemacht. Sie wird nicht nur von einer gegenständlichen Sichtweise zu einer anderen verschoben. Sie wird in ihrer Struktur verschoben: vom gegenständlichen Sehen zum Sehen ihrer Verhältnisse oder, wie Merleau-Ponty es sagt, zum Sehen der Zwischenräume. Es ist die strukturelle Prägnanzverschiebung, die den Blick des Malers leitet und den Charakter der Kunst ausmacht. Wir brauchen diese Prägnanzverschiebung. Denn nachdem wir dabei sind, unsere Lesefähigkeit zu verlieren und uns auf die digital gesteuerte Visualisierung zu verlassen, sind wir nun durch die Reduktion der Bilder auf Bildreize dabei, uns auch der Sehfähigkeit – der Fähigkeit, wirklich Bilder zu sehen – zu berauben.
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Ich lehne mich hier an Goodmans Rede von einer durchgängigen syntaktischen (und entsprechend auch einer semantischen) Dichte an. „Ein Schema ist syntaktisch dicht, wenn es unendlich viele Charaktere bereitstellt, die so geordnet sind, daß es zwischen jeweils zweien immer ein drittes gibt. Solch ein Schema weist immer noch Lücken auf, etwa wenn die Charaktere allen rationalen Zahlen entsprechen, die entweder kleiner als 1 sind oder nicht kleiner als 2. In diesem Fall wird die Einfügung eines Charakters, der der 1 entspricht, die Dichte zerstören. Wenn keine Einfügung weiterer Charaktere an ihrer normalen Stelle auf diese Weise die Dichte zerstört, dann weist das Schema keine Lücken auf und kann durchgängig dicht genannt werden.“ Nelson Goodman, Sprachen der Kunst. Entwurf einer Symboltheorie. Frankfurt am Main [Suhrkamp Verlag] 1995, S. 133. (Amerikanische Originalausgabe: Languages of Art: An Approach to a Theory of Symbols. Indianapolis [Hackett Publishing Company] 1985)
WOZU NOCH KUNSTBILDER BETRACHTEN?
Nicht nur einer „Invasion der Barbaren“6 sind wir ausgesetzt, sondern es hat die Unterwanderung längst stattgefunden, und so wäre denn von einer – zudem oft noch als lustvoll und interessant propagierten und empfundenen – Mutation zu Barbaren zu reden.7 In dieser Situation setze ich auf die Rolle der Kunst, auf ihre subversive Kraft und ihre unverhofften Listen. Da kann man auf Pop Art und Junk Culture, auf Noveau Realisme und Common Object Painting, auf Neo Dada und New Vulgarism, auf Antikunst und Know-Nothing-Genre8 hinweisen und immer neue Kunstrichtungen ausmachen: Ihnen allen ist gemeinsam, die unser Leben durchspülenden Bildreize in die Kunst einzubauen, sie zu Elementen von Bildern zu machen. Da mag man an Sigmar Polke denken, der seine Bilder mit den Symbolen der bürgerlichen Trivialkultur – mit Palmen und Nierentischen, mit strahlenden Schönheitsklischees und dem Dürerschen Hasen – bestückt, mit den photographisch dokumentierten Schrecksymbolen von Krieg und Vertreibung, der per Hand Rasterbilder malt, die nicht wie gemalt aussehen, der ein Bild mit Handtüchern oder Hemden füllt und als Bildträger auch Stoffe benutzt, die man sonst vors Fenster hängt oder zur Kleidung verwendet. Eben dadurch wird die Welt der Bildreize ins Bild gebannt – mit dem Bannzauber der gelingenden Form. Die Bildreize werden dadurch in eine Anregung des Sehens verwandelt: zu einem Sehen, das durch die Kunstbilder hindurch das visuelle Theater einer logo- und emblemfixierten Welt als Material einer souveränen Sicht zu nutzen versteht: einer Sicht, die sich nicht bewirtschaften lässt, sondern – durchaus mit Ironie und Witz – das gebotene Spektakel zur Kenntnis nehmen, manchmal auch genießen, dabei jedenfalls aber ihre Freiheit bewahren kann. Darum müssen wir auch und gerade heute noch Kunstbilder betrachten, sich mit ihnen auseinandersetzen und sie zu sehen lernen!
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Natürlich denke ich hier an den Film von Denys Arcand. Dies wäre ein Teil der Antwort, die Max Horkheimer und Theodor W. Adorno geben: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Frankfurt am Main [Fischer Taschenbuchverlag] 1988 (Erstveröffentlichung 1944), vor allem das Kapitel Kulturindustrie. Aufklärung als Massenbetrug, S. 128–176. Diese Aufzählung habe ich übernommen aus Martin Hentschel, Solve et Coagula. Zum Werk Sigmar Polkes. In: Sigmar Polke, Die drei Lügen der Malerei, Ostfildern-Ruit [Cantz Verlag] 1997, S. 41.
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AVANTGARDE IM NORDEN DER NIEDERLANDE 1918–1945 DIE GRONINGER KÜNSTLERVEREINIGUNG „DE PLOEG“ WILLEM R. H. KOOPS
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ittlerweile ist es mehr als 85 Jahre her, dass sich in der Stadt Groningen zum ersten Mal eine Künstlergruppe gebildet hat. In den vorangegangenen Jahrhunderten waren es immer nur einzelne Künstler gewesen wie z. B. Jan Swart van Groningen im 16., Jozef Israëls und H. W. Mesdag im 19. Jahrhundert, die hervortraten. Da diese Künstlergruppe im Ausland wenig bekannt ist, möchte ich meinen Beitrag diesem Thema widmen. Anfang der zwanziger Jahre entstand in Groningen, Hauptstadt der gleichnamigen Provinz und Universitätsstadt seit 1614, überraschend eine avantgardistische Strömung expressionistischer und auch konstruktivistischer Art, die Groninger Künstlervereinigung „De Ploeg“ (Der Pflug). Seit etwa dem Ende des 19. Jahrhunderts herrschte in dieser Stadt, mitbestimmt durch die Universität, ein reges geistiges Klima, übrigens eher rezeptiv als kreativ. Trotz ihrer peripheren Lage war man durch niederländische und ausländische Zeitschriften gut über neue Entwicklungen im Bereich der Literatur, bildenden Kunst, Architektur und Musik informiert. Veranstaltet von der altehrwürdigen Vereinigung „Kunstlievend Genootschap Pictura“ und auch von der Buch- und Kunsthandlung Scholtens fanden regelmäßig Kunst- und Kunstgewerbeausstellungen, meistens Verkaufsausstellungen, statt, in denen schon früh außer Werken der in Groningen beliebten Haager Schule auch Arbeiten von bekannten modernen niederländischen, belgischen und französischen, nicht aber von deutschen Künstlern, gezeigt wurden. Einige kunstliebende Groninger Studenten, unter ihnen der Mediziner Willem Leuring (der bereits im Jahre 1901 Henry van de Velde beauftragte, sein Wohnhaus in Scheveningen zu bauen) und der Historiker Johan Huizinga initiierten schon 1895–1897 eigene Ausstellungen moderner Künstler im 1894 eröffneten Groninger Museum. Im Winter 1895–96 veranstalteten sie eine van Gogh Ausstellung, eine seiner ersten überhaupt. 1917 fand in der Pictura eine umfangreiche Übersichtsausstellung über französische Kunst mit mehr als 400 Exponaten statt. Das Groninger Publikum hatte also durchaus die Möglichkeit, sich über neue Tendenzen in der internationalen modernen Kunst zu informieren. Neuerungen lagen damals in der Luft. Eine Gruppe junger talentierter Studenten der Groninger Kunstakademie Minerva bildete sich heraus. Sie wurden von
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ihrem Lehrer F.H. Bach immer wieder angeregt, draußen im Freien zu arbeiten und die Eindrücke, die sich dem Auge boten, schnell und spontan festzuhalten. Als 1918 die Einsendungen einiger von ihnen für die Frühjahrsausstellung von Pictura zurückgewiesen wurden, löste das bei den Betroffenen Unzufriedenheit aus und so kam es – wie so oft – zu einer Art Sezession. Jan Wiegers (1893–1959), der eine stimulierende Rolle spielte, Johan Dijkstra (1896–1978), Jan Altink (1885–1971) und George Martens (1894–1979) ergriffen die Initiative zu einem eigenen Verein, der Groninger Künstlervereinigung „De Ploeg“, die sich bereits am 5. Juni 1918 formierte. Gleich danach schlossen sich Alida Pott (1888–1931), Jan G. Jordens (1883–1962) und bald auch Hendrik N. Werkman (1882–1945) an. Ihr Anliegen war es, die Groninger Künstler einander näher zu bringen sowie das Kunstleben zu fördern, u. a. durch Ausstellungen und Vorträge. Sie hatte also hauptsächlich ein praktisches und organisatorisches Ziel, kein eigenes künstlerisches Programm. Jeder arbeitete auf seine eigene Art weiter, traditionell, impressionistisch und einige auch neoimpressionistisch. Van Gogh war für manche ein Vorbild. Der junge Verein zeigte sich von Anfang an aktiv und ideenreich. Führende Persönlichkeit war zweifellos Jan Wiegers. Er war – reise- und unternehmungslustig – reifer und moderner als seine Malerfreunde, hatte sich mit offenen Augen umgesehen und Erfahrungen gesammelt, als er zwischen 1911 und 1914 auf Wanderschaft in verschiedenen deutschen Städten, u. a. in Düsseldorf, Frankfurt, München und Köln seine Fachkenntnisse erweiterte und als Kirchenmaler und Schnitzer arbeitete. Er besuchte 1912 die legendäre Sonderbundausstellung in Köln, die einen tiefen Eindruck auf ihn machte. Zu Beginn des Ersten Weltkrieges kam er nach Groningen zurück, orientierte sich im eigenen Land und experimentierte in verschiedenen Richtungen. Er war es auch, der als Folge eines merkwürdigen Zufalls einen Durchbruch in eine moderne Richtung bei der Vereinigung „De Ploeg“ bewirkte. Tuberkulose war Anfang des 20. Jahrhunderts die „Volkskrankheit Nummer eins“. Aber gerade die Tuberkulose bewirkte, dass der deutsche Expressionismus den Norden der Niederlande erreichen und dort das Kunstleben tiefgreifend beeinflussen sollte. Jan Wiegers hatte sich nämlich durch die finanzielle Unterstützung seiner „Ploeg“-Freunde ab Frühjahr 1920 zur Genesung von seiner Tuberkulose ein Jahr in der Schweiz aufhalten können, zunächst in einem Sanatorium in Davos. Bald jedoch hatte er sich bei einer Bauernfamilie in Frauenkirch eingemietet. Er kam dort in Kontakt mit Ernst Ludwig Kirchner, der in Frauenkirch lebte. Daraus entwickelte sich eine enge Freundschaft, die bis zu Kirchners Tod im Jahre 1938 anhalten sollte. Der Künstler, den Wiegers kennen lernte, war nicht mehr der Maler und Grafiker der pulsierenden modernen Großstadt Berlin, der Stadtbilder und großartigen
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Straßenszenen – Hauptwerke des deutschen Expressionismus – in ihrer nervösen, spitzwinkligen, schraffierenden Art mit in die Länge gezogenen Figuren. Mensch und Natur hatten Kirchner von Anfang an fasziniert und bestimmten auch weiterhin seine künstlerischen Interessen. Der Ortswechsel 1916 in die Schweiz war eine wesentliche Entscheidung, eine Zäsur, die auch erhebliche Folgen für seine Arbeiten haben sollte und zunächst zum Themenwechsel und später allmählich auch zum Stilwandel führte. Nun waren die Motive alpine Landschaften und Szenen aus dem bäuerlichen Alltag und immer wieder Figurenbilder und Porträts. Wann und wo auch immer, er blieb unter allen Umständen äußerst produktiv als Maler, Zeichner und Grafiker. In seiner selbst gewählten Einsamkeit fand er in Wiegers einen verwandten, gleichgestimmten Künstler, der von der neuen Umgebung stark beeindruckt war, allerdings noch mehr von Kirchners Persönlichkeit. Er bewunderte dessen Werk und ließ sich davon beeinflussen. Für seine künstlerische Laufbahn wurde die Begegnung entscheidend, weil sie seine Richtung bestimmte, die bis dahin noch unsicher war. Sie arbeiteten oft zusammen, zogen gemeinsam ins Freie, um spontan zu skizzieren und zu zeichnen oder um im Atelier grafisch zu arbeiten oder zu malen. Ihre Werke zeigen das. Ab und zu lässt sich sogar schwer unterscheiden, wer
Ernst Ludwig Kirchner, Maler vor der Staffel – Jan Wiegers. Radierung, 25,5 x 20 cm, 1921. [Dube, R. 368-II]. Kirchner Museum, Davos
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von beiden was geschaffen hat, vor allem bei Zeichnungen und Grafiken. Wiegers übernimmt Kirchners Technik beim Holzschnitt und beim Radieren, verarbeitet diese gleichwohl meistens auf selbstständige Art und beeinflusst manchmal seinerseits auch Kirchners Werk. Auch als Maler gerät er in den Bann Kirchners, übernimmt dessen Formsprache und dessen Farbgebrauch der Komplementärfarben sowie seine Technik, bei der der Ölfarbe Bienenwachs und Waschbenzin beigemischt werden, was eine matte Farbe ergibt. Nach seiner Rückkehr nach Groningen im Frühjahr 1921 übertrug Wiegers mit seiner Begeisterung diesen Einfluss auf seine Malerfreunde und vermittelte ihnen die neu gewonnenen künstlerischen Ansichten und Arbeitstechniken. Es waren sozusagen sein Dank und seine Gegenleistung für ihre großzügige Freundschaftshilfe für seinen Aufenthalt in der Schweiz. Nach einiger Zeit folgten in ihren Gemälden als erste Altink, Jordens und Werkman, danach Dijkstra, van der Zee und Martens, jeder nach seiner eigenen Art, der Arbeitsweise Wiegers’ mit den ungemischten, frohen, hellen Farben, großen Flächen und vereinfachten Formen, der Farbmischung aus Ölfarbe, Bienenwachs und Waschbenzin auf der präparierten Leinwand, auf Jute oder Markisenstoff. Sie malten unbekümmert, spontan und direkt im elementaren expressionistischen Stil, wobei immer wieder ihre Verbundenheit mit dem flachen, weiten Groningerland und seiner Bevölkerung zum Ausdruck kam. Aber mehr noch als in den Gemälden zeigte sich ihre künstlerische Begabung in den zahllosen Zeichnungen, Aquarellen, Holzschnitten, Radierungen, Lithografien und Linolschnitten. Bevorzugte Techniken waren die Radierung und der Holzschnitt, wie bei Kirchner direkt mit einem Messer großflächig aus dem Holz geschnitten. So wurde der deutsche Expressionismus, wenn auch spät, zur dominierenden, allerdings nicht einzigen Richtung in „De Ploeg“. Es sollte hier noch darauf hingewiesen werden, dass dies der Expressionismus Kirchners aus den Jahren 1920 bis 1925 war, der dann von den jungen, empfänglichen Groninger
Jan Wiegers, Weggabelung. Holzschnitt, 20 x 12,5 cm, 1923. Groninger Museum
AVANTGARDE IM NORDEN DER NIEDERLANDE Johan Dijkstra, Kartenspieler. Holzschnitt, 32,5 x 43 cm, 1920–1925. Privatsammlung
Künstlern in weniger heftiger Art übernommen und interpretiert wurde. Auch sonst machte sich Wiegers’ Elan wieder bemerkbar in „De Ploeg“; viele Ideen wurden von ihm entwickelt, die teils auch verwirklicht wurden. Damit fing – andernorts ziemlich unbeachtet – die Periode des Groninger Expressionismus an, die nur eine kurze Zeitspanne von etwa 1922–1927 gedauert hat, dennoch der Höhepunkt von „De Ploeg“ gewesen ist und eine nachhaltige Wirkung ausgeübt hat. In diesem anregenden Umfeld entstand eine beträchtliche Anzahl von hervorragenden Gemälden, Zeichnungen, Aquarellen und grafischen Arbeiten von Wiegers, Dijkstra, Altink, Martens, Jordens und anderen. Besonders die Radierungen und Holzschnitte sind charakteristisch für „De Ploeg“; sie gehören zum Besten, was der niederländische Expressionismus überhaupt hervorgebracht hat. Bemerkenswert ist, dass sich der Groninger Expressionismus fast ohne direkte Beziehung zum niederländischen Expressionismus entwickelt hat. Dieser war etwa 1914 hervorgetreten durch Künstler wie Henri le Fauconnier, Leo Gestel und Jan Sluijters, alle von der kubistischen und expressionistischen Kunst beeinflusst. Daraus hat sich die so genannte „Bergense School“ mit ihren schweren Formen und dunkler Palette entwickelt. Obwohl bei ihnen durchaus bekannt, fand diese Richtung keinen Anklang bei den „Ploeg“-Malern. Das war auch nicht der Fall beim flämischen Expressionismus, der sich ebenfalls durch den Einfluss der drei genannten Künstler auf die belgischen Künstler Gustave de Smet und Frits van den Berghe, die während des Ersten Weltkrieges in Holland im Exil lebten, entwickelt hatte, und zwar etwa gleichzeitig mit „De Ploeg“. „De Ploeg“ war aber eigenständig und wurde lange Zeit von der Kunstkritik meist zurückhaltend oder ablehnend als Kunst unter nachweislich deutschem Einfluss beurteilt.
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Zu den bedeutendsten „Ploeg“-Künstlern zählen neben den bereits Genannten Jan van der Zee (1898–1988), Wobbe Alkema (1900–1981), Jannes de Vries (1901 bis 1986), Hendrik de Vries (1896–1990) und Job Hansen (1899–1960). Besonders das Thema des Menschen in seiner Umgebung fesselte sie. Allein oder gemeinsam zogen die Künstler hinaus ins Freie, um zu arbeiten, aufs Land oder in die Stadt; und in ihren Ateliers widmeten sie sich dem Akt- und Modellzeichnen, malten sie Interieurbilder, Selbstbildnisse oder Porträts von Freunden und Kollegen, manchmal Duellporträts, wie sie es nannten, wobei beide Künstler sich gleichzeitig malend darstellten.
Jan Wiegers, Intérieur bohémien. Öl auf Leinwand, 70 x 80 cm, 1925. Groninger Museum
Groningen war Mitte der zwanziger Jahre gekennzeichnet von einer besonders aktiven, kulturellen Vielfalt. Nicht nur die bildende Kunst, sondern auch Literatur, Architektur, Musik und Theater erlebten eine Blüte. „De Ploeg“ hatte daran oft einen wichtigen Anteil, zumal zu deren Mitgliedern auch einige Architekten und Dichter sowie ein Komponist gehörten. Wiegers und Dijkstra spielten eine anregende Rolle im Vereinsleben wie auch das aktive und kritische Mitglied Werkman, der bereits von Anfang an alle Drucksachen für den Verein gestaltete und druckte. Der bedeutende expressionistische Dichter und auch Maler Hendrik de Vries veröffentlichte seine Gedichte; der moderne Komponist und Dirigent Daniel Ruyneman (1886–1963) führte mit Studenten mit großem Erfolg Le Bœuf sur le Toit von Jean Cocteau und Darius Milhaud, mit Bühnenbildern und Masken von Wiegers, auf; Werkman druckte seine besonderen typografischen Erzeugnisse; Dijkstra
AVANTGARDE IM NORDEN DER NIEDERLANDE Jan Altink, Nach dem Besuch. Öl auf Leinwand, 76 x 60 cm, 1925. Groninger Museum
H. N. Werkman, Fassade. Druksel, 64,5 x 50 cm, 1925. Groninger Museum
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WILLEM R. H. KOOPS Johan Dijkstra, L´attente, Öl auf Jute, 91 x 72 cm, 1925. Privatsammlung
Johan Dijkstra, Jan Wiegers [Duellporträt], Öl auf Leinwand, 75 x 100 cm, 1927. Groninger Museum
AVANTGARDE IM NORDEN DER NIEDERLANDE Johan Dijkstra, Chez Dicque [v. l. Werkman, Wiegers, Martens]. Holzschnitt, 39 x 37 cm, 1926. Privatsammlung
und Altink illustrierten mit ihren Zeichnungen und Holzschnitten zahlreiche Bücher, besonders aber Dijkstra, dem es wie wenigen in den Niederlanden gelungen ist, das expressionistische Idiom für die Buchillustration zu verwenden, z. B. in den Werken von Dostojewski. Abendlicher Treffpunkt für die Groninger Künstler war die Bodega von Dik („Chez Dicque“). Regelmäßig wurden in der „Pictura“ oder anderswo Ausstellungen von „De Ploeg“ und anderen Künstlern organisiert. Trotzdem blieb das Groninger Bürgertum eher konservativ und zurückhaltend – so stießen die „Ploeg“-Künstler mit ihrem neuen Ausdruckswillen oft auf Unverständnis und Ablehnung. Im Sommer 1925 zog Wiegers abermals für längere Zeit nach Frauenkirch, diesmal mit seinem „Ploeg“-Freund, dem Literaten Herman Poort (1886–1938). Inten-
Jan Wiegers, Porträt von Kirchner im Atelier. Öl auf Leinwand, 69 x 89 cm, 1925. Groninger Museum
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WILLEM R. H. KOOPS Ernst Ludwig Kirchner, Holländer Maler im Atelier [Kirchners] – Jan Wiegers. Öl auf Leinwand, 51 x 70 cm, 1925. Kirchner Museum, Davos
siv und fruchtbar arbeitete er mit Kirchner zusammen. Gegenseitig malten sie sich in Kirchners Atelier. Über ihren Aufenthalt erschien 1926 ein Büchlein von Herman Poort mit Holzschnitten von Wiegers. Nicht alle „Ploeg“-Mitglieder hatten den Umschwung mitgemacht. Einige traten aus, andere arbeiteten in ihrem eigenen Stil weiter. Ab etwa 1928 ließ der ursprüngliche idealistische Elan allmählich nach und die meisten kehrten zu einem gemäßigten Impressionismus zurück: Altink, Martens und Jordens; Dijkstra erst um 1930, der sich danach vorrangig der Monumentalkunst, Glas- und Wandmalerei zuwendete. Ihre Malweise wurde fortan bedächtiger und ruhiger. Da die Künstler größtenteils für ihren Lebensunterhalt einen Beruf ausüben mussten, verstummten einige von ihnen in den folgenden Krisenjahren oder zogen weg aus Groningen, wie z. B. Wiegers im Jahre 1934 nach Amsterdam. Ein künstlerisches Ereignis ersten Ranges wurde im März 1933 anlässlich des 15jährigen Bestehens von „De Ploeg“ die umfangreiche internationale Ausstellung moderner Kunst in Groningen. Die Absicht war, mit einem repräsentativen Überblick das Interesse und das Verständnis für die moderne Kunst zu wecken. Ermöglicht wurde die Ausstellung durch zahlreiche Leihgaben aus niederländischen Museen, von Privatsammlern und nicht zuletzt von Kunsthändlern im In- und Ausland. Die Galerie Alfred Flechtheim aus Düsseldorf war z. B. mit einer großen Anzahl, fast einem Drittel, der gezeigten Werke in der Ausstellung – die ja auch eine Verkaufsausstellung war – vertreten. Zweifellos war die Wirtschaftskrise ein Grund dafür, dass der Kunsthandel sich derart kooperativ verhielt. So wurde die Ausstellung zu einer sowohl quantitativ wie auch qualitativ eindrucksvollen Übersicht der modernen europäischen Kunstströmungen. Sie zeigte 150 Werke von etwa 100 Künstlern aus vielen Ländern, unter ihnen Barlach, Beckmann, Campen-
AVANTGARDE IM NORDEN DER NIEDERLANDE Ernst Ludwig Kirchner, Zwei Männer [v. l. Herman Poort und Jan Wiegers] Holzschnitt, 40 x 30 cm, 1925 [Dube, H. 523, irrtümlich 1924 datiert]. Kirchner Museum, Davos
donck, Corinth, Dix, Grosz, Heckel, Hofer, Kandinsky, Klee, Kokoschka, Kollwitz, Macke, Marc, Mueller, Munch, Pechstein, Rohlfs, Schmidt-Rottluff, Ensor, Masereel, De Smet, Permeke, De Chirico, Modigliani, Severini, Chagall, van Dongen, Derain, Léger, Matisse, Picasso, Rouault, De Vlaminck und Zadkine. Dass gerade Kirchner fehlte, wurde durch einen Irrtum zwischen ihm und Wiegers verursacht. Die Ausstellung zog die Aufmerksamkeit auf sich und wurde stark besucht, ein beachtenswerter, erhoffter Erfolg für die Organisatoren. Neben der expressionistischen Richtung entwickelte sich gleichzeitig eine bemerkenswerte konstruktivistische, geometrisch-abstrakte Richtung, vertreten durch Wobbe Alkema, Jan van der Zee und H. N. Werkman. Sie pflegten auch Kontakte zum Ausland, hauptsächlich nach Belgien mit Michel Seuphor und Jozef Peeters und ihren konstruktivistischen Zeitschriften Het Overzicht und De Driehoek. Alkema war der überzeugendste und konsequenteste Konstruktivist, van der Zee und Werkman arbeiteten weiterhin auch in expressionistischer Art.
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Im Herbst 1921 erschien eine allgemeine Zeitschrift für moderne Kunst, Blad voor Kunst, herausgegeben und gedruckt von H. N. Werkman, die leider auf nur sechs Lieferungen beschränkt blieb. Einige andere große Projekte waren ebenfalls erfolglos. Werkman, Inhaber einer großen Druckerei, war zwar ein guter Fachmann, künstlerisch veranlagt, jedoch weniger Geschäftsmann. Demzufolge musste er 1923 Konkurs anmelden, setzte aber seine Druckerei mit einer alten Handpresse und einem Sammelsurium von Lettern in ganz bescheidenem Umfang fort, was ihm zwar wenig Einnahmen, dagegen viel Freizeit ließ. Er fing an, mit endloser Fantasie, mit großen Holzlettern, einzelnen Buchstaben, Zahlen und anderem Material aus dem Setzkasten und mit Tinten zu experimentieren. Unter dem Einfluss der konstruktivistischen Kunst entstanden typografische Kompositionen, von ihm als „druksels“ bezeichnet, ursprünglich in wenigen Exemplaren, später vorzugsweise Unikate. Oftmals waren seine Publikationen Manifeste, für die er selbst die meist expressionistisch-absurdistischen Texte verfasste, originell und kunst- oder gesellschaftskritisch zugleich. So veröffentlichte er von 1923 bis 1926 eine eigene Zeitschrift, The Next Call, die er gratis an einige Groninger Freunde und an künstlerisch verwandte ausländische Zeitschriften verschickte. Sie zeigt überzeugend seine besondere Begabung und Originalität, wurde jedoch nur von wenigen beachtet und von noch wenigeren geschätzt, unter ihnen übrigens Seuphor und van Doesburg. Für „De Ploeg“ druckte und gestaltete er in diesen Jahren verschiedene Publikationen, von denen hier nur genannt seien: 1925 die „Ploeg“-Zeitschrift Het Kouter (die Pflugschar); 1926 ein „Ploeg“-Kalender mit Holzschnitten; 1927 die großformatige Publikation De Ploeg Groningen Holland 1927, mit avantgardistischen Texten in deutscher Sprache von Johan Dijkstra und Abbildungen von Werken der „Ploeg“-Künstler, die, wenn auch vergeblich, bezweckte, Propaganda für „De Ploeg“ zu machen. Als Typograf war er nicht in eine bestimmte Gruppe einzuordnen. Auch als Buchdrucker produzierte er einige Bücher von besonderer Qualität, u. a. zwei Sammlungen alter Groninger Volkserzählungen Het boek van Trijntje Soldaats (1928) und Het boek van Minne Koning (1930), kongenial gestaltet von Werkman mit Holzschnitten von Dijkstra. Er ging beharrlich seinen eigenen, unorthodoxen Weg und verfeinerte, dauernd auf der Suche nach neuen Möglichkeiten, immer mehr sein technisches und künstlerisches Können mit neuen Verfahren. Er verwendete zuerst Papierstreifen und Holzblöckchen, zerschnitt danach Papier in bestimmte Formen und benutzte eine Farbwalze für die später angewandte Schablonentechnik, die endlose Variationen in Formen und Farben ermöglichte. Jetzt entstanden Blätter, die auch figürliche Motive zeigten, meistens schematische Vereinfachungen von Menschen, Tieren oder Pflanzen. Einer Folge gab er den Titel Hot printing, in Anlehnung an seinen gelieb-
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ten Hot Jazz. Nur in kleinerem Kreis bekannt, verkaufte er fast nie etwas, ob es nun Bilder, Grafiken oder „druksels“ waren. Aber 1938, von Jan Wiegers auf Werkmans Arbeiten aufmerksam gemacht, kaufte Willem Sandberg, soeben Konservator des Stedelijk Museum in Amsterdam geworden, einige „druksels“. Werkman sah diese Anerkennung wie eine Befreiung aus seiner Isolation an. Die Verbindung zwischen beiden blieb bestehen. Am 10. Mai 1940 wurden die Niederlande durch den Einmarsch der deutschen Wehrmacht überrascht – das Land wurde besetzt. Schon rasch wurden die bürgerlichen Freiheiten systematisch eingeschränkt. So wurde Anfang 1942 die niederländische Kulturkammer von der Besatzungsmacht ins Leben gerufen, der alle Künstler und Künstlervereine als Mitglied beitreten mussten, wenn sie ihre Arbeit weiterführen wollten. Die meisten Künstler und Vereine weigerten sich jedoch, dieser Forderung Folge zu leisten. Damit kam auch die Vereinstätigkeit von „De Ploeg“ zum Erliegen. Drei Groninger Patrioten wählten Werkman zum Drucker ihrer Ausgaben und gründeten im Dezember 1940 „De Blauwe Schuit“ (Die blaue Schute). Es war kein illegaler Verlag: Die beste Tarnung war die Öffentlichkeit. Ihre gezielt und mit großer Sorgfalt ausgewählten Texte waren dem Inhalt nach nicht gegen die Besatzungsmacht gerichtet, sondern nur implizit. Es waren Geheimdrucke, die ohne Genehmigung des neuen Ministeriums für Volksaufklärung und Künste gedruckt wurden. Die „Schiffer“ der „Blauwe Schuit“ bewunderten sein Werk und diese Anerkennung war für Werkman aufregend und anregend zugleich. Die zahlreichen Arbeiten aus den Besatzungsjahren zeigen, auf welch hohem Niveau sich eine künstlerische Kreativität und sein Können bewegten. Gestaltung, Illustration und Druck waren sämtlich in seiner Hand. Er war sehr produktiv; neben den 40 „Blauwe Schuit“-Ausgaben und vielen anderen Drucken in kleinen Auflagen hat er zwischendurch nicht weniger als ein paar Hundert freie „druksels“ hergestellt. Höhepunkte in seinem Schaffen waren, außer dem Türkenkalender 1942 ohne Zweifel die zwei Folgen von je zehn Blättern der Chassidischen Legenden nach Martin Bubers Die Legende des Baalschem. Inzwischen war die allgemeine Lage jedoch immer bedrohlicher geworden. Die meisten Exemplare gingen an Freunde und Bekannte, einige über bestimmte Buchhändler, die es wagten, das Risiko einzugehen, illegale und Geheimdrucke für patriotische Zwecke zu verkaufen. Kurz vor Kriegsende wurde Werkman vom deutschen Sicherheitsdienst verhaftet und ein paar Tage vor der Befreiung der Stadt hingerichtet. Erst nach seinem Tode hat die breite Öffentlichkeit, vor allem dank des Einsatzes von Sandberg, kurz zuvor Direktor des Stedelijk Museums in Amsterdam geworden, in etlichen Ausstellungen im In- und Ausland und durch Veröffentlichungen sein Werk kennengelernt. Allmählich wurde er international, schon
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früh auch in Deutschland, bekannt. Man kann feststellen, dass er inzwischen zusammen mit Wiegers (wenn nicht der pictor intellectualis, so doch jedenfalls der auctor picturalis von „De Ploeg“) zum bekanntesten „Ploeg“-Mitglied geworden ist. Nach Kriegsende setzte „De Ploeg“ seine Aktivitäten wie früher fort, aber auch im Bereich der Kunst hatten sich die Verhältnisse geändert. Neue internationale Strömungen waren inzwischen entstanden, für die sich die junge Generation interessierte, vor allem in Paris, und das allgemeine Interesse richtete sich nun in erster Linie auf zeitgenössische abstrakte Kunstrichtungen wie Cobra. Die figurative ebenso wie die geometrisch-abstrakte Kunst galten als passé und damit auch das Interesse an ihr und ihre Anerkennung. Das traf auch auf die Werke der „Ploeg“-Maler zu, änderte sich allerdings, als Anfang 1955 W. Jos. De Gruyter, ein
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namhafter Kunstschriftsteller und Kunstkritiker, zum Direktor des Groninger Museums berufen wurde. Er begann, moderne Kunst zu sammeln und setzte sich, erstmals, ebenfalls ausdrücklich für den Groninger Expressionismus aus der Blütezeit von „De Ploeg“ ein, dessen Bedeutung er erkannte. Er bemühte sich, „Ploeg“Werke für das Museum zu erwerben und durch Ausstellungen und Publikationen „De Ploeg“ in den Niederlanden bekannter zu machen. Überraschung und Anerkennung waren das Ergebnis. Seitdem hat das Interesse für den Groninger Expressionismus kontinuierlich zugenommen, so dass die Werke mittlerweile bei Sammlern und Museen sehr gefragt sind. Das Groninger Museum machte „De Ploeg“ zu einem Schwerpunkt des Hauses; Künstlernachlässe werden aktiv vom Museum und einigen privaten Kunststiftungen betreut, Ausstellungen veranstaltet, Kataloge und Monografien veröffentlicht. Seit der Eröffnung des neuen Groninger Museumsgebäudes im Jahre 1994 werden in einer Reihe von Einzelausstellungen, begleitet von Monografien, die Werke der bedeutendsten „Ploeg“-Künstler der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Außerdem wurde in den letzten Jahren das Werkman-Archiv aus dem Stedelijk Museum in Amsterdam in das Groninger Museum überführt, und es wurde dort ein „Ploeg“-Forschungszentrum gegründet. Ferner wurde, von einer anderen privaten Kunststiftung finanziert, eine große Abteilung mit sieben Ausstellungsräumen eingerichtet, die den Namen „Ploeg-Pavillon“ erhielt, und ausschließlich Ausstellungen des nordeuropäischen Expressionismus vorbehalten ist. „De Ploeg“ nimmt fortan seinen berechtigten Platz ein als ein Mittelpunkt des niederländischen Expressionismus sowie einen bescheidenen Platz im Rahmen der nordeuropäischen expressionistischen Strömungen.
Literaturauswahl: Petersen, Ad, De Ploeg. Gegevens omtrent de Groningse schilderkunst in de jaren ’20. Den Haag 1982 Gruyter, W. Jos de, 35 jaar moderne kunst in Groningen. Groninger Museum 1956 Venema, Adriaan, De Ploeg 1918–1930. Baarn 1978 Hofsteenge, C., De Ploeg 1918–1941. De hoogtijdagen.Groningen 1993 Bartelink, N. (red.), De Ploeg verzameld in het Groninger Museum. Groninger Museum Cat. 1, 1993 De Ploeg 1918–1928, Dokumentarfilm. Deutsche Ausgabe. Stichting Beeldlijn, Groningen 2000 Boyens, Piet, Expressionisme in Nederland 1910–1930. Singer Museum, Laren/ Waanders, Zwolle 1994
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WILLEM R. H. KOOPS
Langfeld, Gregor, Duitse kunst in Nederland. Verzamelen – tentoonstellen – kritieken, 1919–1964. Gemeentemuseum Den Haag/Waanders, Zwolle 2004 Os, H. W. van, Wobbe Alkema en de Groninger schilderkunst. Groningen 1978 Couvee, D.H. en W. Jos de Gruyter, Jan Altink 1885–1971. Jan Altink Stichting, Heemskerk 1978 (ndl./engl.) Wal, Mieke van der, Wim Koops en Kees van der Ploeg, Johan Dijkstra 1896– 1978. Groninger Museum/Waanders, Zwolle 1996 Straten, Hans van, Hendrik Nicolaas Werkman. De drukker van het paradijs. Epe 1963; 3. Aufl. Amsterdam 1980 Steenbruggen, Han en Sjoukje Posthuma (red.), Hendrik Nicolaas Werkman. Groninger Museum Cat. 2, 1996 (ndl./engl.) Grieshaber, H. A. P. u. a., Hommage à Werkman. Stuttgart 1958 Koops, Willem R. H., Der Groninger Geheimdrucker H. N. Werkman. In: Paul Raabe (Hrsg.) Der Zensur zum Trotz. Das gefesselte Wort und die Freiheit in Europa. Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel 1991 S. 209–222 Assmann, P., M. Berger, W. R. H. Koops und D. Leutscher (Hrsg.) Hendrik de Vries 1896–1989. Der niederländische Kubin. Oberösterreichisches Landesmuseum, Linz 1997 Steenbruggen, Han (red.), Jan Wiegers 1893–1957. Groninger Museum Cat. 6, 2001 (ndl./engl.) Steenbruggen, Han (red.), Jan Wiegers zwischen Kirchner, De Ploeg und der modernen Kunst in den Niederlanden. In: Roland Scotti (Hrsg.) Jan Wiegers 1893–1957. Die Schweizer Jahre. Kirchner Museum, Davos 2002 Steenbruggen, Han (red.), Jan van der Zee. Groninger Museum Cat. 5, 1999 (ndl./ engl.)
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DAS ARBEITS- UND SCHLAFZIMMER FRIEDRICHS DES GROSSEN IM SCHLOSS SANSSOUCI – EIN PALIMPSEST HARTMUT DORGERLOH
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iele Besucher des Schlosses Sanssouci meinen, auf der Suche nach den authentischen Orten der Geschichte dem Geist und der Persönlichkeit Friedrichs des Großen in seinem Arbeits- und Schlafzimmer besonders nahe kommen zu können. Tatsächlich dürfte sich der König nirgendwo sonst so lange und häufig aufgehalten haben. Bei genauerer Betrachtung stellt sich allerdings schnell heraus, dass kein anderer Raum im Schloss, abgesehen von den erst im 19. Jahrhundert angefügten Seitenflügeln, derart tiefgreifend verändert und umgestaltet wurde, der gleichzeitig auf so enge Weise mit dem Nachruhm und der Erinnerung an den großen König verbunden ist. Hier begann die museale, bewusst inszenierte und konstruierte Vergegenwärtigung der preußischen Geschichte in Gestalt ihres Herrscherhauses, die zu den Eckpunkten des historischen Erbes gehört, das heute von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten BerlinBrandenburg in gemeinsamer Verantwortung erhalten, erforscht und erschlossen wird. Der Raum besteht aus einem annähernd quadratischen Arbeitsbereich mit zwei Fensterachsen, dem östlich ein kleineres einfenstriges Schlafgemach angegliedert ist. Zu Friedrichs Zeit waren wie im Potsdamer Stadtschloss beide durch eine puttenbekrönte Bronzebalustrade voneinander getrennt. In der Erstausstattung des Raumes, die der König entscheidend mitbestimmt haben dürfte, zeigte die Decke vergoldete ornamentale Stuckaturen, in die „4 Vögel 20 Kinder 8 Hunde und 7 Thiere“1 eingeschrieben waren. Die Wände waren mit ungemustertem Atlas in Seladongrün, der Lieblingsfarbe Friedrichs II., bespannt. Die darauf befindlichen vergoldeten Holzschnitzereien von Johann Christian Hoppenhaupt d. J. haben sich im Umriss auf der Unterkonstruktion erhalten und zeigen eine architektonische Gliederung mit großen Spiegeln, die an einen offenen Gartenpavillon erinnert. Dieses Motiv findet sich sowohl an der Decke im danebenliegenden Konzertzimmer, wie auch in den Treillagepavillons, die das Schloss rahmen. Die wenigen erhaltenen Möbel der friderizianischen Ausstattung, wie die vom Grafen Rothenburg 1
Rechnungen des Bildhauers Georg Franz Ebenhech, zit. nach: Amtlicher Führer, Schloss Sanssouci, Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, 1996, S. 78.
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HARTMUT DORGERLOH H. Bölke, Aufnahme der unter der seidenen Bespannung der Nordwand im Sterbezimmer Friedrichs d. Großen im Schlosse Sanssouci sichtbaren Spuren der einstigen Gestaltung des Raumes, 1924, Bleistift, Plankammer SPSG, Plansammlung Nr. 53 Foto: SPSG
für Sanssouci 1746 in Paris erworbene Standuhr und der Dokumentenschrank mit Uhraufsatz, belegen die erlesene Qualität des Inventars. Der Raum war sparsam möbliert und ohne Gemälde. Unmittelbar nachdem Friedrich II. am 17. August 1786 im Alter von 72 Jahren nach 46jähriger Regierungszeit in diesem Raum gestorben war, beauftragte sein Nachfolger, Friedrich Wilhelm II., den Architekten Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff mit dessen Neugestaltung. Bereits im Herbst 17862 begann der radikale Umbau, der mit Ausnahme des Fußbodens und des nur leicht veränderten Marmorkamins die gesamte Raumdekoration und -ausstattung vollständig veränderte. Anstelle des veralteten Rokoko entwarf der aus Wörlitz gerufene Kunstberater ein klassizistisches Interieur, das programmatisch den überfälligen politischen und künstlerischen Epochen- und Stilwandel dokumentierte. Nach Abnahme aller Dekorationen erhielten die Wände eine neue Seidenbespannung, wobei man den hellgrünen Farbton beibehielt, während die Decke in der Form eines Velariums mit umlaufenden Tierkreiszeichen bemalt wurde. Das breite und ursprünglich farbig gefasste Deckengesims, die rechteckigen Türen einschließlich ihrer Supraportenreliefs mit Motiven vom Konstantinsbogen in Rom verweisen ebenso auf die antiken Vorbilder wie die beiden mächtigen ionischen Säulen, die den Alkoven abteilen und die von Eckpilastern flankiert werden, die wiederum mit Fruchtgehängen nach Raffaels Loggienausmalungen im Vatikan dekoriert sind. Das vorhandene Mobiliar,
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Am 20. November 1786, drei Monate nach dem Tod Friedrichs II.,waren die Arbeiten schon in vollem Gange. Adelheid Schendel: Erdmannsdorffs Raumgestaltungen in Potsdam und Berlin, in: Friedrich Wilhelm von Erdmannsdorff von 1736 bis 1800. Zum 250. Geburtstag, Wörlitz 1986, S. 42 f.
DAS ARBEITS- UND SCHLAFZIMMER FRIEDRICHS DES GROSSEN
das in andere Räume kam oder dem Kastellan geschenkt wurde, ersetzte Erdmannsdorff durch nach eigenen Entwürfen geschaffene Stücke bzw. durch „moderne“ aus dem Besitz des Thronfolgers.3 Das Aussehen des neugestalteten Zimmers ist in einem Aquarell von A. K. Uchtomski überliefert.4 Die sofortige, vollständige Umgestaltung des privatesten und zugleich offiziellsten Raums Friedrichs des Großen wird immer wieder als quasi „bildstürmerische Geisteraustreibung“ gelesen, mit der sich Friedrich Wilhelm II. von der übermächtigen Erblast seines Onkels befreien wollte. Allerdings plante der neue König offenbar zunächst, Schloss Sanssouci als Sommerresidenz weiter zu nutzen. Dafür war eine Renovierung des Arbeits- und Schlafzimmers aus praktischen Erwägungen notwendig, das der sieche Vorgänger und seine Hunde in einem stark verwohnten und schadhaften Zustand hinterlassen hatten5. Dieser war auch einem ehrenden Andenken an den in ganz Europa bewunderten großen Friedrich abträglich. Denn trotz persönlicher Distanz und politischer Differenzen lag dem neuen König an einer traditionsverstärkenden Indienstnahme des Andenkens an seinen Vorgänger, wie schon die von ihm angeordneten Begräbnisfeierlichkeiten zeigten, die im Widerspruch zum letzten Willen des Verstorbenen prächtig ausfielen. Zu den angeordneten Trauerdekorationen gehörte auch ein Rundbau als Tempel der Unsterblichkeit, den der Maler Bernhard Rode für die Aufstellung des Paradesargs in der Potsdamer Garnisonkirche entwarf. Heinz Schönemann hat nachgewiesen, dass Erdmannsdorff das Arbeits- und Schlafzimmer in einen Gedenkraum für Friedrich II. verwandelte, mit dem damit eins der ersten Denkmalprojekte realisiert wurde, die unmittelbar nach dem Bekanntwerden von Friedrichs Tod vielfach entstanden.6 Die Säulenstellung erhebt den Alkoven als Sterbeort zu einer Weihestätte wie die Cella in einem Tempel, und das ikonografische Programm in den Supraportenreliefs bzw. der Deckenbemalung rühmt in Allegorien der Kriegs- und Dichtkunst bzw. der Weisheit und der Geschichtsschreibung klassische Herrschertugenden. Sie reflektieren zugleich Friedrichs Dualismus zwischen seinen politisch-militärischen sowie künstlerisch-philosophischen Ambitionen und Leistungen. Erdmannsdorff selbst zweifelte daran, ob sein Entwurf der Person und dem Andenken „of that astonishing old hero“7 gerecht wurde, wenn er in einem Brief an seine Frau schrieb: „I don´t know whether he would be much pleased with the 3 4 5 6 7
Siehe: Friedrich Wilhelm II. und die Künste, Ausstellungskatalog SPSG, 1997, S. 217–220. Abgebildet in: Friedrich Wilhelm II. und die Künste, Ausstellungskatalog SPSG, 1997, S. 214. Die Bauschäden waren so groß, dass auch Balkenköpfe repariert werden mussten. Heinz Schönemann: Ein frühes Denkmal für Friedrich den Großen, in: Kulturbauten und Denkmale, H.2, Berlin 1991, S. 32–37. E. P. Riesenfeld: Erdmannsdorff, Berlin 1913, S. 104 f., zit. nach Schönemann, wie Anm. 6, S. 37.
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manner in which I have metamorphized it.“8 Zweifellos hätte sich Friedrich eine derartige memoriale Umwidmung verbeten, wollte er doch als Philosoph begraben werden. Die beabsichtigte Denkmalsetzung bedeutete aber gleichsam die Zerstörung der friderizianischen Raumsituation, denn das Verständnis von der Bedeutung der Erhaltung eines authentischen Ortes bildete sich erst in den nachfolgenden Jahrzehnten im Zusammenhang mit Romantik und Denkmalpflege heraus. Für Erdmannsdorff und seinen königlichen Auftraggeber waren Toten- und Erinnerungskult noch untrennbar mit antiken und archaischen Elementen verbunden, denen das Rokokointerieur weichen musste. Friedrich Wilhelm II. zeigte sich mit Erdmannsdorffs Arbeit sehr zufrieden und bewohnte Schloss Sanssouci erstmals im Juli 1787. Sein wahres Interesse galt aber schon zu diesem Zeitpunkt dem im Bau befindlichen Marmorpalais im Neuen Garten, das nach 1790 Sanssouci als Sommerresidenz ablöste. Königin Luise, die bereits als Kronprinzessin den Sommer des Jahres 1794 in Sanssouci verbrachte, liebte und bewohnte mehrfach das Schloss, ohne es zu verändern. Das Gedächtnis an Friedrich den Grossen war dabei sehr präsent. Ihr Mann, Friedrich Wilhelm III., wandelte bei seinen eher seltenen Besuchen bewusst auf den Spuren seines berühmten Großonkels: „Dann machte ich meinen ersten Versuch, die Rolle des Philosophen von Sanssouci zu spielen“.9 Aber nicht nur das Kronprinzenpaar, sondern auch andere Mitglieder der königlichen Familie bewohnten das Schloss temporär. Sie bezogen offenbar die Gästezimmer im Westflügel und nicht das Apartment Friedrichs im Ostflügel – ein Indiz für den Respekt vor seinem Andenken. Aus eben diesem Grund sorgte Napoleon 1806 persönlich dafür, dass Schloss Sanssouci geschont und von Einquartierungen frei blieb. Möglicherweise hatte er eigene Nutzungsüberlegungen, forderte er doch am 4. November 1806 vom königlichen Hofbauamt die Grundrisse des Schlosses und der Nebengebäude an. Die stärkste Affinität unter den Hohenzollernkönigen zu Friedrich II. und Sanssouci bildete unzweifelhaft Friedrich Wilhelm IV. aus. Schon als Kronprinz erlebte er Schloss und Park auf ausgedehnten Rundgängen mit seinem Erzieher Delbrück. Frisch vermählt mit Elisabeth von Bayern bezog er 1823 die ehemaligen Wohnräume seines Idols im Berliner Schloss, wo von Schinkels Umgestaltung dabei bezeichnenderweise nur das Arbeitszimmer Friedrichs ausgenommen blieb. Das war kronprinzliches Programm und möglicherweise eine Reaktion auf Erdmannsdorffs Radikaleingriff. Beginnend mit ihrem ersten gemeinsamen Sommer 1824 8 9
Ebenda, S. 37. Brief an Luise vom 15. Juni 1806, zit. nach: Angelika Scholz: Die Nutzungsgeschichte des Schlosses Sanssouci, Diplomarbeit (Ms.), Leipzig 1996, S. 17.
DAS ARBEITS- UND SCHLAFZIMMER FRIEDRICHS DES GROSSEN Johann Heinrich Strack, Rekonstruktion der Dekoration des Schlafzimmers Friedrichs des Großen, um 1843, Bleistift, aquarelliert, Plankammer SPSG, Plansammlung Nr. 46 Foto: SPSG
hielt sich das Kronprinzenpaar dann regelmäßig im Schloss Sanssouci auf, wo es im Gästezimmerflügel residierte. Nach der Thronbesteigung im Jahr 1840 wurde Sanssouci zur offiziellen Sommerresidenz und erhielt zwei neue Seitenflügel, deren Fassaden der Architekt Ludwig Persius bewusst in Anlehnung an die Ehrenhofseite des Schlosses ausführte. Persius vermerkte in seinem Tagebucheintrag vom 25. Juli 1843, dass Friedrich Wilhelm IV. selbst mit dem alten Kastellan Ising über „die Beschaffenheit des Sterbezimmers Fr. d. Gr.“10 sprechen wollte. Das ist der erste Hinweis für die Pläne des Königs, die Veränderungen Erdmannsdorffs rückgängig zu machen und die friderizianische Gestaltung zu rekonstruieren. Von Johann Heinrich Strack und Heinrich Häberlin sind dafür mehrere Entwürfe erhalten geblieben. Während die Rekonstruktionsversuche an den Wänden durch die unter der Bespannung erhaltenen Spuren gut gelangen, verraten die frei erfundenen Deckendekorationen und die Balustrade vor dem Alkoven deutlich das Rokokoverständnis der Mitte des 19. Jahrhunderts. Auf Stracks Aquarellen sind die Möbel Friedrichs nicht zurückgekehrt, lediglich ein Windhund erinnert unmittelbar an den früheren Bewohner. Die Pläne wurden schließlich ad acta gelegt, wobei über die Gründe nichts bekannt ist. Möglicherweise zögerte Friedrich Wilhelm IV. vor dieser symbolbeladenen Rekonstruktion, die ausgeführt ohne Beispiel gewesen wäre, weil er befürchten musste, dass sie an dieser entscheidenden Stelle seinen hohen Erwartungen nicht hätte entsprechen können. Angesichts der Rekonstruktionsabsichten überrascht, dass der König den noch original erhaltenen Eichenfußboden, den Erdmannsdorff nicht verändert hatte, im Arbeitsraum 1844 durch einen neuen aus Zedernholz ersetzen ließ, „um den 10 Eva Börsch-Supan: Ludwig Persius. Das Tagebuch des Architekten Friedrich Wilhelms IV., München 1980, S. 83.
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HARTMUT DORGERLOH Schloss Sanssouci, Arbeits- und Schlafzimmer Friedrichs des Großen, Repro nach einer Postkarte, um 1900/1910 Foto: SPSG
Geruch darin zu verbeßern“.11 Noch mehr verwundert allerdings, dass das Parkett im Schlafzimmer des Königs – dem 3. Gästezimmer – wieder verwendet werden sollte. Auch die bis dahin immer grüne Wandbespannung wurde durch eine neue carmoisinrote ersetzt. Allerdings versuchte Friedrich Wilhelm IV. offenbar, die verstreuten originalen Möbel wieder zusammen zu bringen. So konnte mit dem Sterbesessel 1843 eine zentrale „Reliquie“ wieder in Sanssouci aufgestellt werden, die 1841 aus dem Nachlass des Prinzen August erworben wurde. Neben der bezeichnenden Benennung „Sterbezimmer“ verwendete Persius auch den Begriff „Vortrags Z.“, ein Hinweis darauf, dass der König hier ab Anfang der 1840er Jahre die Minister zum Vortrag empfing. Sein Umgang mit dem Raum ist aus heutiger Perspektive ambivalent: Den Rekonstruktionsabsichten stand der weitere Verlust originaler Substanz der Erstausstattung gegenüber. Das war für Friedrich Wilhelm IV. kein gravierendes Problem, denn ihm lag weniger an der historischen Substanz, als an der bewussten Indienstnahme des traditionsfixierten Ortes. Hier sah und verstand sich der König in einer gottgegebenen dynastischen Amtsfolge, deren Selbstverständnis erst durch die Revolution von 1848 erschüttert wurde. So dürfte es kein Zufall gewesen sein, dass er im Schloss Sanssouci am 2. November 1848 die Abordnung der Preußischen Nationalversammlung empfing, die ihm eine Protestnote übergab. Die Abgeordneten befürchteten Einschränkungen der gerade errungenen demokratischen Rechte, weil der König den konservativen Ministerpräsidenten, Graf von Brandenburg, mit der Regierungsbildung beauftragt hatte. Die Inanspruchnahme der dem Arbeitszimmer zugeschriebenen Bedeutung für die preußische Tradition währte über den Tod Friedrich Wilhelms IV. hinaus: Hier 11 Ebenda, Tagebucheintrag vom 11. April 1844, S. 100.
DAS ARBEITS- UND SCHLAFZIMMER FRIEDRICHS DES GROSSEN Schloss Sanssouci, Arbeits- und Schlafzimmer Friedrichs des Großen, um 1930/1935 Foto: SPSG
bahrte man den Leichnam auf, nachdem der Monarch im 1. Gästezimmer am 2. Januar 1861 gestorben war. An derselben Stelle stand im Dezember 1873 auch der Sarg seiner Frau, Königin Elisabeth, die die letzte Bewohnerin bleiben sollte. Konnte das Schloss bis dahin nur bei Abwesenheit der königlichen Familie besichtigt werden, stieg nun die Zahl der Besucher kontinuierlich, so dass 1875 erste feste Regelungen für das Publikum fixiert werden mussten.12 Ab 1. April 1886 wurden Eintritt erhoben und regelmäßige Führungen angeboten. Sanssouci zählt damit zu den ältesten Schlossmuseen überhaupt und spielte neben dem Hohenzollernmuseum und der Ruhmeshalle im Berliner Zeughaus eine zentrale Rolle in der Selbstinszenierung der Hohenzollern. Im geeinten Kaiserreich unter preußischer Führung übernahm dabei Friedrich der Große eine Schlüsselstellung als historische Identifikationsfigur, mit Sanssouci als Wallfahrtsort. Während die Ausstattung der anderen Schlossräume bis zum Ersten Weltkrieg wenig verändert wurde, kam es im Arbeits- und Sterbezimmer zu einer Refriderizianisierung. Das Ensemble von Rokoko- und Neorokokomöbeln einschließlich Paradebett und Fridericus-Rex-Gemälden zeigte sich stark beeinflusst von Interieurs der Gründerzeit und gipfelte in einer lebensgroßen Marmorfigur des in seinem Sterbesessel sitzenden Königs von Harro Magnussen. 1926 ließ es die gerade gegründete preußische Schlösserverwaltung in dem Bemühen entfernen, die Raumsituation der Zeit Friedrichs II. auf Grund genauer Inventarrecherchen wieder herzustellen.13 Dazu kehrte 12 Schon nach dem Tode Friedrichs II. konnten sich Fremde vom Kastellan des Schlosses durch Sanssouci führen lassen, sofern es nicht von der königlichen Familie benutzt wurde. Bis zum 1. Weltkrieg stieg die jährliche Besucherzahl auf ca. 110.000. 13 Bei der Erneuerung der Wandbespannung verwendete man 1924 einen grünen Damast nach einem Stoffmuster aus der Wohnung der Prinzessin Marianne im Berliner Schloss von 1803/04, das sich stilistisch auf den Umbau von Erdmannsdorff bezog.
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HARTMUT DORGERLOH Schloss Sanssouci, Arbeitszimmer Friedrichs des Großen, 2000, Aufnahme: Daniel Lindner Foto: SPSG
1923 bereits der originale Sterbesessel zurück, der 1878 als Höhepunkt in das Hohenzollernmuseum verbracht worden war. Aufnahmen der 1930er Jahre zeigen einen sparsam möblierten, strengen Raum, dominiert von Büsten und Porträts Friedrichs II., aus dem alle Elemente des 19. Jahrhunderts entfernt worden waren. Stattdessen ergänzte man die wenigen erhaltenen Stücke des friderizianischen Raums mit Rokokomöbeln aus anderen Schlössern. Nach 1945 kamen auch Möbel aus dem zerstörten Potsdamer Stadtschloss hierher. Bis in die jüngste Zeit änderten sich die Ausstattung und ihre Anordnung immer wieder, wobei sich in der Raumhülle Erdmannsdorffs wenige friderizianische Möbel aus dem Arbeits- und Schlafzimmer mit Stücken aus anderen Wohnungen des Königs oder Schlössern ebenso mischen wie Gemälde und Skulpturen des 18. und 19. Jahrhunderts, die den König zeigen oder die mit ihm thematisch oder biografisch in Verbindung gebracht werden. Damit setzt sich eine Haltung bis in die Gegenwart fort, die jeweils ihr Geschichts- und Friedrichbild sowie ihr Denkmalverständnis quasi exemplarisch an diesem Raum vorexerziert. Das Arbeits- und Sterbezimmer ist ein Palimpsest. Es erzählt von den Konstruktions- und Dekonstruktionsabsichten preußischer Geschichte und ihres Haupthelden ebenso wie von der Musealisierung der königlichen Schlösser. So ist der heutige Besucher an diesem Ort zwar weit von einem „Originalzustand“ entfernt, dafür aber mitten im Zentrum des Mythos von Sanssouci.
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ZUM WERKVERZEICHNIS VON JUAN GRIS HEINZ BERGGRUEN
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um Abschluss meiner Tätigkeit als Bilderhändler in Paris in den späten siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts veröffentlichte ich das Werkverzeichnis der Gemälde des großen spanischen Malers Juan Gris. Der Verfasser des Œuvre-Kataloges war mein langjähriger Freund Douglas Cooper, ein quirliger Engländer australischer Herkunft, der zurecht neben dem aus der Gegend von Mannheim stammenden Pariser Kunsthändler Daniel-Henry Kahnweiler als die höchste Autorität angesehen wurde, was den Kubismus betraf. Für beide, Cooper und Kahnweiler, gab es nur vier Künstler, die sie als authentische Kubisten akzeptierten: Picasso, Braque, Léger und als Jüngster der Madrilene Juan Gris. Alle anderen, die sich als Kubisten ausgaben, ob sie nun Hayden, Marcoussis, Metzinger oder André Lhote hießen, wurden sowohl von Cooper wie auch von Kahnweiler als Pseudo-Kubisten, als Epigonen und Imitatoren angesehen, die man ignorieren konnte. Vom Schriftsteller und Verleger Klaus Wagenbach stammt der witzige Spruch: „Ich bin die dienstälteste Witwe von Franz Kafka.“ Diese Bezeichnung auf Cooper in Bezug auf Juan Gris zu übertragen, wäre unberechtigt, denn als Cooper noch die Schulbank drückte und wahrscheinlich noch nicht einmal den Namen von Juan Gris kannte, war Kahnweiler schon der uneingeschränkte Förderer des jungen Spaniers, mit dem er 1912 einen Exklusiv-Vertrag abschloss. Aber sehr bald sollte Cooper den Junior der Kubisten für sich entdecken, um sich 40 Jahre akribisch seiner Kunst zu widmen. Nur so lässt sich erklären, dass Coopers Werkverzeichnis, das ich 1977 verlegte, zu einem fehler- und lückenlosen Katalog wurde, den Cooper mit höchster Professionalität erarbeitete. Bei seinen Kollegen, einer Zunft, in der die Mitglieder, um es milde auszudrücken, nicht gerade unkompliziert sind, galt der englische Kunsthistoriker Douglas Cooper als besonders kompliziert und schwierig. Er war in höchstem Maße eine ungewöhnliche Erscheinung, launisch, aufbrausend und streitsüchtig. Ob er sich mit Juan Gris vertragen hätte? Er konnte aber auch von großem Charme sein. Cooper liebte die Provokation, und er liebte es – eine seltsam sadomasochistische Neigung –, sich mit Menschen zu überwerfen. William Rubin, dem dama-
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HEINZ BERGGRUEN
ligen autoritären Direktor des Museum of Modern Art in New York, schickte er mit Bosheiten gespickte Briefe, die von Beleidigungen strotzten, und Freunden, von denen nicht wenige über die Jahre zu Feinden wurden, sandte er stolz Kopien dieser Verletzungsepisteln. Seinen langjährigen Gefährten John Richardson, den renommierten Kunsthistoriker, dessen monumentale Picasso-Monographie als einer der wichtigsten Beiträge zur Picasso-Literatur betrachtet wird, warf er total grundlos vor, einen Großeinbruch in seinem Schloss in Südfrankreich organisiert und viele Arbeiten, vor allem von Picasso, entfernt zu haben. Er verstand es sogar, sich mit Picasso zu entzweien, mit dem ihn über Jahrzehnte eine enge freundschaftliche Beziehung verbunden hatte. Was war passiert? Über die letzte große Ausstellung Picassos zu dessen Lebzeiten, die 1970 im Palais des Papes in Avignon stattfand, schrieb er hemmungslos und wutschnaubend, dass es sich bei all diesen Bildern um Kritzeleien eines geistesgestörten Greises handelte, der im Angesicht des Todes den Verstand verloren hätte. Das war das Ende ihrer Freundschaft. Das Tor zu Picassos Anwesen in Mougins blieb dem kapriziösen Engländer für immer verschlossen. Wie ich es geschafft habe, bis zu Coopers Tod – er starb 1984 – in gutem Einvernehmen mit ihm zu arbeiten, ist ein reines Wunder. Als ich nach Fertigstellung des Manuskriptes des Gris-Kataloges einen relativ bescheidenen, wenn auch wichtigen Einwand machte, kam es zu einer kleinen Krise zwischen uns. Am Schluss der Arbeit gab Cooper, von Reproduktionen unterstrichen, einige interessante Beispiele von Fälschungen. Das war eine gute Sache. Weniger gut war, fand ich, dass Cooper die Besitzer dieser Fälschungen diffamierte. In seiner Beschreibung dieser falschen Gris-Bilder machte er Bemerkungen wie: „Obwohl ich Herrn X“ – ein bekannter und reputierter internationaler Kunsthändler, den Cooper mit vollem Namen zitierte – „darauf aufmerksam machte, dass es sich bei dem abgebildeten Gemälde um eine glatte Fälschung handelt, ignorierte Herr X meine Meinung, und heute befindet sich diese Fälschung in der Sammlung von Herrn Y“ – einem ebenso bekannten Sammler, den Cooper gleichfalls mit vollem Namen zitierte. Das bedeutete natürlich eine Kriegserklärung. Ich machte Cooper darauf aufmerksam, dass seine Enthüllungen reine Provokationen seien und jede Anzahl von Prozessen veranlassen könnten. Sie mögen dazu führen, sagte ich, dass die Veröffentlichung des Kataloges untersagt würde und sogar Schadensersatzforderungen zu erwarten seien. Ein unnachsichtiger Richter würde möglicherweise den Gris-Katalog einstampfen lassen, warnte ich Cooper. Er blieb uneinsichtig. Nach Monaten heftiger Diskussionen akzeptierte er endlich meinen Vorschlag, den Rat eines anerkannten Juristen einzuholen und dessen Rat zu befolgen. Das geschah dann auch, und der Rat des Rechtsgelehrten, eines hohen Mitgliedes der französischen Regierung, wurde befolgt. Die aus der Sicht von Coo-
ZUM WERKSVERZEICHNIS VON JUAN GRIS
Vertragsunterzeichnung anlässlich der Übergabe der Sammlung Berggruen „Picasso und seine Zeit“ an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz am 21. Dezember 2000: Bundeskanzler Gerhard Schröder, stehend hinter Prof. Dr. h. c. Heinz Berggruen (r.), neben ihm der damalige Regierende Bürgermeister von Berlin, Eberhard Diepgen, davor der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Prof. Dr. h. c. Klaus-Dieter Lehmann
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per falschen Juan-Gris-Bilder wurden zwar als Fälschungen publiziert, aber ohne Nennung von Besitzer oder Vorbesitzern. Eine Katastrophe war vermieden. Die letzte Ausstellung in meiner Pariser Galerie war Juan Gris gewidmet und wurde somit eine gute Gelegenheit, Coopers Werkverzeichnis zu präsentieren. Nach Beendigung der Ausstellung, nach der Finissage, wie man im Deutschen sagt (wer hat in Frankreich jemals von Finissage gehört?), fuhren meine Frau und ich zu einem längeren Aufenthalt nach New York, das sich mit Künstlern wie Warhol, Jasper Johns, Roy Lichtenstein und Julian Schnabel zum Zentrum der internationalen Kunst entwickelt hatte und wo jetzt auch eindeutig das Schwergewicht des Kunsthandels und der großen Auktionen lag. Einige Wochen nach unserer Ankunft bekam ich den Anruf der Frau eines prominenten internationalen Bankiers, die dabei war, eine Sammlung klassischer moderner Kunst aufzubauen. Sie hätte kürzlich ein Bild von Juan Gris erworben, sagte sie, hätte zwar keinen Grund, an dessen Echtheit zu zweifeln, würde aber gerne meine Meinung hören, nachdem ich ihr als Experte genannt worden war. Ich besuchte die Dame – Prachtwohnung auf der Fifth Avenue, wie sich das gehört, mit herrlichem Blick auf den Central Park – und ich bestätigte der Sammlerin, ihr Bild sei authentisch, problemlos. Im Übrigen hätte ich gerade das Werkverzeichnis von Juan Gris verlegt, in dem die Arbeit abgebildet sei. Wenn sie möchte, könnte ich ihr ein Exemplar bringen, das Werk bestände aus zwei Bänden, in der Auflage auf 750 nummerierte Exemplare beschränkt, und der Erscheinungspreis sei zweihundert Dollar. „Sehr gern“, sagte die Dame, „Sie täten mir einen großen Gefallen“. Als ich ihr dann ein paar Tage später das Werkverzeichnis brachte, war sie hocherfreut, ihr Gemälde darin abgebildet zu finden. Sie verschwand kurz, kam zurück und legte vier funkelnagelneue Einhundert-Dollar-Scheine auf den Tisch. „Warum vierhundert?“ fragte ich. „Weil es doch zwei Bände sind“, erwiderte sie. Ich erklärte ihr, dass der Preis von zweihundert Dollar sich auf das Gesamtwerk bezog und nicht auf die einzelnen Bände. Seit Jahren ist der Gris-Katalog jetzt vergriffen. Gelegentlich findet man ihn noch im Antiquariat, allerdings zum Zehnfachen des Subskriptionspreises. P. S. Anlässlich des 65. Geburtstages von Professor Klaus-Dieter Lehmann ist es mir eine Freude, ein Exemplar des Werkverzeichnisses von Juan Gris der Kunstbibliothek der Neuen Nationalgalerie in Berlin zu überlassen.
PRÄSENTATION UND VERMITTLUNG DES MUSEALEN MUSEUMSKONZEPTE, MUSEUMSPLANUNGEN UND MUSEUMSPROBLEME
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ARCHIV UND BIBLIOTHEK IM JÜDISCHEN MUSEUM BERLIN W. MICHAEL BLUMENTHAL
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eit ihrer Eröffnung im September 2001 ist die Dauerausstellung des Jüdischen Museums Berlin von weit mehr als zwei Millionen Gästen besucht worden. Dieser starke Zuspruch ist Bestätigung und Herausforderung zugleich und man darf stolz darauf sein, dass mehr als ein Drittel der ausgestellten Exponate aus dem hauseigenen Archiv stammt, und fast alle ausgestellten Bücher aus der eigenen Bibliothek – eine Tatsache, die für solch ein junges Museum nicht unbedingt als selbstverständlich angesehen werden darf. Die Bedeutung von Archiv und Bibliothek reicht jedoch weit über die Präsenz ihrer Bestände in der ständigen Ausstellung hinaus. In den drei Jahren seit Öffnung des Museums bilden sie nicht nur das solide und stets wachsende Fundament für die vielfältigen hausinternen Recherchen, sondern sind eine wichtige Anlaufstelle für Schüler, Studenten, Gelehrte und Forschende geworden. Sowohl das Archiv als auch die Bibliothek haben ihre Wurzeln in der Jüdischen Abteilung des Berlin Museums, die 1971 zum 300jährigen Jubiläum der Neugründung der Jüdischen Gemeinde Berlin im Jahr 1671 eingerichtet wurde. Als Sektion in einem der städtischen Geschichte gewidmeten Haus richtete sich die zunächst bescheidene Sammeltätigkeit dieser Abteilung auf Materialien, welche die Geschichte und Kultur der Juden in Berlin veranschaulichte. Zwar konnte über die folgenden 25 Jahre ein kleines Archiv etabliert werden, aus dessen Beständen einige Ausstellungsvorhaben der Jüdischen Abteilung realisiert wurden, doch wurden mit der Gründung des Jüdischen Museums Berlin und dem damit verbundenen Vorhaben, die Geschichte der Juden in ganz Deutschland darzustellen, Ansprüche geschaffen, die eine erhebliche Erweiterung des Archivs und der Bibliothek unerlässlich machten. Zu diesem Zweck veröffentlichte das Museum Ende der 1990er Jahre Aufrufe in deutsch-jüdischen Emigrantenzeitschriften wie „Aufbau“ und „Israel Nachrichten“, in denen um Stiftung von Familien- und Firmendokumenten, Fotografien, Memoiren, Korrespondenzen sowie Objekten des alltäglichen Gebrauchs gebeten wurde. Die große Resonanz darauf führte zu einem raschen und bedeutsamen Anwachsen des Archivs, das somit in erheblichem Maß zur Konzeption und Verwirklichung der Dauerausstellung beitragen konnte.
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W. MICHAEL BLUMENTHAL
Ein Großteil der Sammlungen, die dem Archiv übergeben wurden, enthält persönliche Lebenszeugnisse jüdischer Familien, die bis zu ihrer Vertreibung in Deutschland lebten und danach in alle Welt zerstreut wurden. Die meisten der Stifter flohen als Kinder mit ihren Eltern, andere flüchteten und überlebten ohne die Eltern bzw. wurden erst im Exil geboren. Größere Konvolute enthalten in der Regel private und berufliche Lebenszeugnisse aus mehreren Generationen, die bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts zurückgehen. Beispielhaft seien hier die Schenkungen zu den Bankiersfamilien Arons und Bleichröder aus Berlin genannt sowie zur Familie Fränkel, den Eigentümern der Textilfabrik S. Fränkel aus Neustadt/Oberschlesien. Manche Stiftungen dagegen beschränken sich auf einzelne Lebensbereiche: z.B. auf das Berufsleben, so die Sammlung des Leipziger Kürschners Gustav Maletzki oder die des Mediziners und Sanitätrats Dr. Moritz Meyer aus Berlin; auf die Beschreibung des Alltagslebens wie in den Briefen von Sophie
Promotionsurkunde für Salomon Fröschel, Halle 1772 (Schenkung von Helmut Koegler)
ARCHIV UND BIBLIOTHEK IM JÜDISCHEN MUSEUM BERLIN
Goldzieher und Edith Jankielewicz (Hamburg, 1837–51, bzw. Frankreich, 1940–44) oder auf Emigrationsbemühungen, wie bei den Görlitzer Unternehmerfamilien Muhr und Cohn oder der Familie Hochherr aus Amsterdam. Im ganzen erstrecken sich die Archivbestände vom ersten Viertel des 18. bis zum Ende des 20. Jahrhunderts und reichen von Personenstandsurkunden, umfangreichen Briefwechseln, Firmenpapieren und berufbezogenen Dokumenten, über Memoiren, Tagebücher und Fotografien bis hin zu Gegenständen des persönlichen und beruflichen Gebrauchs. Aus dem 18. Jahrhundert sind in erster Linie Schutzbriefe und Handelserlaubnisscheine vorhanden, ergänzt durch eine kleine Zahl persönlicher Korrespondenzen und einzelner Schriftstücke, wie die Promotionsurkunde der Universität Halle aus dem Jahr 1772 für den Medizinstudenten Salomon Fröschel aus Prag, die das Museum kürzlich von einem Nachfahren erhalten hat. Die aus dem 19. Jahrhundert stammenden Bestände bieten Einblick in den Aufstieg der jüdischen Bevölkerung in die bürgerliche Gesellschaft vor und während der Kaiserzeit und dokumentieren den starken Drang zur Akkulturation. Als Beispiel hierfür mögen der Arzt Julius Meyer, ab 1867 Professor an der Friedrich-Wilhelm-Universität, und der Jurist Ludwig Bellerstein, der 1905 zum Landesrichter in Düsseldorf bestallt wurde, genannt werden. Dass der größte Teil der Archivbestände jedoch aus dem 20. Jahrhundert stammt, darf nicht überraschen, gerade im Hinblick darauf, dass das Archiv weitgehend aus Familiennachlässen besteht. Nennenswert ist die große Menge an Dokumenten, Korrespondenzen, Tagebüchern und Fotografien zu deutsch-jüdischen Erfahrungen während des Ersten Weltkrieges. Diese spiegeln den starken Patriotismus der deutschen Juden wider sowie die herben Enttäuschungen, die ihnen nur wenige Jahre später bereitet wurden. Besonders umfangreich sind die Zeugnisse jüdischen Lebens während der Nazidiktatur. Einerseits bilden die Bestände die Ausgrenzung der Juden aus dem öffentlichen Leben sowie die zunehmenden Verfolgungsmaßnahmen ab, andererseits schildern sie die Entfaltungen inner-jüdischen Lebens als Reaktion auf die neuen Bedingungen. In diesem Zusammenhang soll die wichtigste Fotosammlung des Hauses besonders hervorgehoben werden: die des Berliner Herbert Sonnenfeld, dem als einem der wenigen jüdischen Fotografen das Fotografieren jüdischen Lebens während der NS Zeit erlaubt war. Die über 3000 Aufnahmen – ein Ankauf der Jüdischen Abteilung aus dem Jahr 1988 – zeigen das Leben der Juden in Berlin zwischen 1933 und 1938 in all seinen Facetten: Wohltätigkeit, Erziehungs- und Gesundheitswesen, religiöses Leben, Kultur und Sport. Darüber hinaus finden sich mehrere Porträts namhafter Berliner Juden in dieser Sammlung. Nicht zuletzt beinhalten viele Sammlungen Dokumente zur deutsch-jüdischen Emigration – nach Palästina, Großbritannien,
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W. MICHAEL BLUMENTHAL Leichtathletikmeisterschaften des Makkabikreises in Deutschland, Sportplatz Berlin-Grunewald, September 1936 (Fotograf: Herbert Sonnenfeld)
Nord- und Südamerika, sowie nach Harbin in der Mandschurei und nach Shanghai – aber auch zur Deportation und Vernichtung ganzer Familien. Allen Stiftern ist der Wunsch gemeinsam, die Erinnerung an das Erlebte und an das Schicksal ihrer Familien in dem Land für die Zukunft aufzubewahren, welches mit den Lebenszeugnissen untrennbar verbunden ist. Die Stiftungen erfolgen im Einvernehmen mit der nachfolgenden Generation, die oft keine deutschen Sprachkenntnisse mehr besitzt. Nicht selten kommt es auch deshalb zu Schenkungen, weil es keine Nachkommen gibt und die berechtigte Sorge besteht, dass mit dem eigenen Tod alles, was aus Deutschland gerettet wurde, weggeworfen wird – und damit von der Familie nichts mehr erhalten bleibt. So brachten viele Stifter anlässlich der Eröffnung des Museums ihre Genugtuung darüber zum Ausdruck, dass mit dem Jüdischen Museum ein Ort geschaffen wurde, an dem die jahrhundertelange Verbundenheit jüdischer Familien mit Deutschland angemessen dargestellt und gewürdigt wird. Seit Eröffnung der Ausstellung verzeichnet das Archiv einen anhaltenden Zugang von Stiftungen aus aller Welt, was auf die internationale Bekanntheit des Museums sowie die hohen Besucherzahlen zurückzuführen ist: Viele Schenkungen erfolgen nach einem Besuch des Museums. In den letzten drei Jahren gingen Materialien von nahezu 600 Personen ein und allein an den letzten Neuzugängen lässt sich die Breite und Vielfalt der Archivbestände ablesen. Hierzu zählen die Nobelpreismedaille für Literatur, die der deutsch-jüdischen Dichterin Nelly Sachs 1966 verliehen wurde, eine Boxtrophäe aus dem Jahr 1936, ein Rabbinertagebuch aus
ARCHIV UND BIBLIOTHEK IM JÜDISCHEN MUSEUM BERLIN Nobelpreismedaille für Nelly Sachs, Stockholm 1966 (Schenkung von Margaretha Holmqvist)
den 1830er Jahren sowie ein Schutzbrief von 1717 für die Judenschaft des schwäbischen Orts Ichenhausen, der im Ausstellungssegment zu Land- und Hofjuden gezeigt wird. Es ist zu hoffen, dass in den kommenden Jahren viele weitere Stiftungen das Archiv bereichern werden. Eine gezielte Vergrößerung der Bestände strebt das Archiv im Zusammenhang mit der geplanten Ausstellung zur deutsch-jüdischen Emigration an, die im Jahr 2006 gezeigt wird. Gleichzeitig wird verstärkt nach Zeugnissen deutsch-jüdischen Lebens in beiden Teilen Deutschlands nach 1945 gesucht. Selbstverständlich sind die Archivbestände nicht nur in der Dauerausstellung des Museums zu sehen. Sowohl in den Wechselausstellungen des Hauses als auch in den multimedialen Geschichten des Learning Centers werden Exponate gezeigt bzw. verarbeitet. Einige Kabinettausstellungen im Learning Center wurden ausschließlich mit Archivmaterialien bestritten, so z. B. die Schau zum Thema Exil in Bolivien und die Ausstellung zu den Erfahrungen deutsch-jüdischer Soldaten im Ersten Weltkrieg. Zu einem wichtigen Bereich der Archivaktivitäten ist die Entwicklung und Durchführung von archivpädagogischen Programmen in Zusammenarbeit mit der Bildungsabteilung geworden. Darin sind seit 2002 unterschiedliche Aspekte der deutsch-jüdischen Geschichte ausschließlich mit Originalmaterialien aus dem
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Archiv behandelt worden. Darunter finden sich Themen wie bürgerliches Leben im 19. Jahrhundert, jüdische Erziehung und jüdische Schulen, Juden und Sport, Migration und Emigration, Selbstbehauptung in der NS-Zeit, Ehen zwischen Juden und Nichtjuden, jüdischer Widerstand und Überleben in Berlin. Unter Anleitung der Archivmitarbeiter untersuchen die Gruppen eine Auswahl von Unterlagen zu einem bestimmten Themenkomplex mit dem Ziel, die Handlungsgeschichte der Dokumente sowie die biografischen Umrisse der betroffenen Personen zu erarbeiten. Die Arbeit mit Originalen hat sich als besonders motivierend erwiesen, die den „Entdeckergeist“ der Mitwirkenden weckt und zu einem regen Austausch führt. Im Jahr 2004 konnte das pädagogische Programm des Archivs dank der Unterstützung des Zukunftsfonds der „Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ mit einem Programm von Stifterworkshops und Zeitzeugengesprächen um eine Facette erweitert werden. Hier lernen die Teilnehmer Einzelheiten zu Leben und Schicksal der Stifter durch die von ihnen überlassenen Familiennachlässe kennen und schaffen somit einen Ausgangspunkt zur Begegnung mit den Stiftern selbst. Über die aus der Gruppenarbeit hervorgegangenen Themen hinaus erzählen die Stifter sowohl von ihren Erinnerungen als auch von ihrer Beziehung zu Deutschland und zu den Deutschen, und wie sich diese über den Verlauf von Jahrzehnten entwickelt und geändert hat. Angesichts der Tatsache, dass die Generation der Zeitzeugen nun langsam ausstirbt, gewinnt die Durchführung der Stifterworkshops eine besondere Wichtigkeit: Sie stellt eine letzte Gelegenheit für junge Deutsche dar, lebendiger deutsch-jüdischer Erinnerung zu begegnen. Neben den eigenen Beständen beherbergt das Jüdische Museum seit Frühjahr 2001 eine Dependance des Archivs des New Yorker Leo Baeck Instituts, welches eine der umfassendsten Sammlungen von Materialien zur Geschichte der deutschsprachigen Juden besitzt. Gegründet wurde das Leo Baeck Institut im Jahr 1955 mit Standorten in New York, London und Jerusalem, mit dem Ziel, wissenschaftliche Forschung zur Geschichte der Juden im deutschsprachigen Raum seit der Zeit der Aufklärung zu betreiben, das dazu nötige Material zu sammeln und die Veröffentlichung entsprechender Darstellungen zu fördern. Seit der Eröffnung der Berliner Dependance ist ein beträchtlicher Teil dieser Materialien direkt in Deutschland zugänglich. Heute stehen über 2000 Mikrofilme zur Verfügung, welche die größten und wichtigsten Nachlässe des Instituts enthalten – z. B. des Journalisten Robert Weltsch, des Schriftstellers Georg Hermann, der Historikerin Selma Stern, des Architekten Fritz Nathan – sowie die einmalige Sammlung von mehr als zwölfhundert zwischen 1790 und heute verfassten Memoiren. Zudem ist die Fotodatenbank des Leo Baeck Instituts mit über 18000 Bildern im Lesesaal des Museums verfügbar.
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In den kommenden Jahren werden fast die gesamten Archivbestände des Leo Baeck Instituts zumeist in Mikrofilmen zugänglich sein. Zugleich haben wir begonnen, die Archivsammlungen des Jüdischen Museums Berlin zu verfilmen, um diese Bestände dann ebenfalls in Form von Mikrofilmen in New York zur Verfügung zu stellen. Die Wichtigkeit dieses gemeinsamen Vorhabens ist nicht nur an der Benutzungserleichterung für die große Zahl deutscher und europäischer Forscher zu ermessen, die bisher nach New York reisen mussten, um das Material zu sichten. Sie muss auch im Licht des wachsenden Interesses an deutsch-jüdischer Geschichte innerhalb der letzten zwei Jahrzehnte seitens einer breiten deutschen Öffentlichkeit gesehen werden. Hinzu kommt die symbolische Bedeutung der Rückkehr von Dokumenten und Objekten in das Land ihres Ursprungs, mehr als sechzig Jahre, nachdem sie von zahlreichen Emigranten ins Exil gerettet wurden. Beide Institutionen sind bemüht, weitere Zeugnisse deutsch-jüdischer Kultur und Geschichte bis zur Gegenwart zu sammeln, um sie zu erforschen, der Öffentlichkeit zu präsentieren und für künftige Generationen zu bewahren. Im Gegensatz zum Archiv, das überwiegend aus gestifteten Materialien besteht, wurden die Bibliotheksbestände des Museums durch kontinuierliche und systematische Ankäufe erweitert. Derzeit umfasst die Bibliothek ca. 35.000 Medien. Neben Primär- und Forschungsliteratur zur deutsch-jüdischen Geschichte, Kultur, Kunst, Religion und Philosophie verfügt sie über historische Zeitschriftenbestände und aktuelle Periodika sowie einer Reihe elektronischer Medien. Zu den bedeutenden Sondersammlungen der Bibliothek gehören in Deutschland herausgegebene Bücher in hebräischer und jiddischer Sprache, darunter eine Vielzahl in Berlin gedruckter Rabbinica und Hebraica, eine umfassende Sammlung gedruckter grafischer Werke namhafter jüdischer Künstler, sowie sämtliche Drucke der 1924 gegründeten Soncino-Gesellschaft der Freunde des jüdischen Buches. Darüber hinaus stehen nahezu 300 deutsch-jüdische Periodika zwischen 1768–2000 in Form
Pessach-Haggada mit Zeichnungen von Joseph Budko, Wien-Berlin 1920/21
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von Mikrofiches und –filmen zur Verfügung. Ein wichtiger Schritt zur Zugänglichkeit der Bibliotheksbestände konnte im Juni 2004 durch die Integration des Katalogs in das Online Verbundsystem Berlin-Brandenburg erfolgen. Seit Mai 2004 sind im Lesesaal des Museums auch die deutschsprachigen Interviews der Shoah Foundation für die Öffentlichkeit nutzbar. Aus den über 50.000 mit Überlebenden des Holocaust geführten Interviews der 1994 von Steven Spielberg gegründeten Survivors of the Shoah Visual History Foundation stehen 1015 in deutscher Sprache bzw. in Deutschland aufgezeichnete Gespräche auf DVD zur Verfügung sowie zusätzlich 36 Interviews mit Stiftern des Jüdischen Museums Berlin. Geplant ist die Hinzufügung weiterer Interviews mit deutsch-jüdischen Überlebenden aus aller Welt in anderen Sprachen. Der Vielfalt der Bestände von Archiv und Bibliothek ist es zu verdanken, dass das Jüdische Museum Berlin innerhalb von drei Jahren zu einer anerkannten und vielbesuchten Forschungseinrichtung geworden ist. Die Erweiterung dieser Bestände stellt eine wichtige Aufgabe für die kommenden Jahre dar und unterstreicht den Auftrag des Hauses insgesamt: die Darstellung und Dokumentation der gesamten deutsch-jüdischen Geschichte.
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BIBLIOTHEK, ARCHIV UND MUSEUM IM NACHLASS VON CARL PHILIPP EMANUEL BACH CHRISTOPH WOLFF
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nsere Kenntnisse über die Musikerfamilie Bach im allgemeinen und über Johann Sebastian Bach im besonderen beruhen im wesentlichen auf Carl Philipp Emanuel Bach (1714–1788), dem zweitältesten Sohn des Leipziger Thomaskantors. Dies gilt sowohl für verbale Mitteilungen über seinen Vater und die weitere Familie als auch für die umfangreichen von ihm aufbewahrten Materialien, die im eigentlichen Sinne das musikalische Erbe der Bachs ausmachen. Beides zusammengenommen bildet seit eh und je den Grundstock all dessen, was wir von Johann Sebastian Bach und den übrigen Mitgliedern wissen und als deren musikalische Hinterlassenschaft kennen und schätzen. Johann Sebastian Bach, der weitaus bedeutendste Vertreter einer Familie, deren professionelle Musikergenerationen bis ins frühe 17. Jahrhundert zurückreichen, hat über sich selbst wenig berichtet. Anders als sein befreundeter Kollege Georg Philipp Telemann, der die Zeitgenossen wie die Nachwelt mit gleich drei gedruckten Autobiographien von 1718, 1729 und 1739 zu beglücken verstand, hatte er an seiner eigenen Biographie offenbar kein Interesse. Denn nur so ist zu erklären, daß er auf mehrmalige Aufforderungen des Hamburger Musikschriftstellers Johann Mattheson, aus seinem Leben zu berichten, nie reagierte.1 Wiederum hatte Bach auf der anderen Seite durchaus das Bedürfnis, zwar weniger über sich selbst als vielmehr über seine Familie und deren lange Geschichte zu berichten. So ergriff er 1735 – als die älteren Söhne das Elternhaus gerade verlassen und ihre Musikerlaufbahn angetreten hatten – die Gelegenheit, einen Familienstammbaum samt genealogischem Bericht zu verfassen, den Ursprung der Musikalisch-Bachischen Familie.2 Offenbar war er der erste und einzige in der weit verzweigten Musikerfamilie, den derartige historische Aufzeichnungen nicht nur faszinierten, sondern der es für notwendig hielt, die Daten schriftlich festzuhalten.
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Siehe Hans-Joachim Schulze, „Über die ,unvermeidlichen Lücken‘ in Bachs Lebensbeschreibung.“ Bachforschung und Bachinterpretation heute (Bachfest-Symposium Marburg 1978), hrsg. von Reinhold Brinkmann, Kassel 1981, S. 32–42. Schriftstücke von der Hand Johann Sebastian Bachs, vorgelegt und erläutert von Werner Neumann und Hans-Joachim Schulze. Bach-Dokumente, Band I, Leipzig und Kassel 1963, S. 255–261.
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Bis heute basieren denn auch die wesentlichen Informationen, die wir über die ältere Bach-Familie besitzen, auf diesen Angaben. Da Johann Sebastian Bach es vermied, sich autobiographisch zu engagieren, fiel es an den literarisch nicht ungewandten Sohn Carl Philipp Emanuel, eine erste biographische Skizze seines Vaters zu erstellen. Er übernahm 1750 die Aufgabe, den Nachruf für seinen Vater zu schreiben. Das Manuskript dieses Nekrologs (bei dem der Bach-Schüler Johann Friedrich Agricola die Würdigung des Meisters übernommen hatte) lag bereits wenige Monate nach Bachs Tod und spätestens Anfang 1751 fertig vor, erschien jedoch erst 1754 im Druck.3 Der Bach-Sohn hatte seinerzeit nicht nur unter dem frischen Eindruck des Verlustes, sondern auch unter Zeitdruck gestanden. Denn nur so erklären sich die widersprüchlichen Bemerkungen, die er rund zwanzig Jahre später gegenüber Johann Nikolaus Forkel machte, als dieser Informationen zu seiner geplanten Bach-Biographie sammelte. Ende 1774 schrieb Bach stolz an Forkel: „Meines seeligen Vaters Lebenslauf im Mizler ist durch meine Hülfe der vollkommenste.“4 Hingegen heißt es wenig später, Anfang 1775, in einem Brief an denselben Empfänger: „Meines seeligen Vaters Lebenslauf im Mitzler, liebster Freund, ist vom seeligen Agricola u. mir in Berlin zusammengestoppelt worden … Es ist nicht viel wehrt.“5 Auf Forkels detaillierte Fragen hin waren ihm wohl Skrupel gekommen, ob der Nekrolog wirklich als vollgültige Biographie gelten könne. Denn dafür gab es inzwischen ein neues Modell in John Mainwarings Memoirs of the Life of the Late George Frideric Handel (London 1760).6 Nichtsdestoweniger bot der Nekolog von 1754 die wichtigsten biographischen Einzelheiten – darunter das erste summarische Verzeichnis von Johann Sebastian Bachs Werken, dann jedoch vor allem ebendige Schilderungen bestimmter Begebenheiten, die auf autobiographischen Erzählungen Bachs beruhen dürften und hin und wieder von einem Schuss Jägerlatein gewürzt erscheinen. Hierzu gehören die Geschichten vom heimlichen nächtlichen Kopieren eines Klavierbuches „bey Mondenscheine“ durch den „im zarten Alter“ stehenden, lernbegierigen Sebastian; vom Stimmbruch Bachs, der acht Tage lang nur „in Oktaven singen und reden konnte“; von Marchands heimlicher Abreise „mit Extrapost von Dreßden“, so daß Bach „allein Meister des Kampfplatzes“ war; vom Orgelspiel vor dem alten Jan Adam Reinken und dessen „Compliment: Ich dachte, diese Kunst wäre gestorben; sehe aber, dass sie in Ihnen noch lebet.“ Besonders erschütternd aber der knappe 3 4 5 6
Dokumente zum Nachwirken Johann Sebastian Bachs 1750–1800, vorgelegt und erläutert von Hans-Joachim Schulze. Bach-Dokumente, Band III, Leipzig und Kassel 1972, S. 80–89. Bach-Dokumente, Band III, S. 284. Ebenda, S. 288. Deutsche Übersetzung von Johann Mattheson, Hamburg 1761.
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Augenzeugenbericht des Bach-Sohnes aus eigenen Kindertagen. Ausgehend von der „vergnügten Ehe“ seiner Eltern erwähnt er die ergreifende Szene, wie der Vater unvorbereitet vom Tod seiner ersten Frau erfuhr, und berichtet von dem „empfindlichen Schmerz, dieselbe bey seiner Rückkunft von einer Reise … todt und begraben zu finden. Die erste Nachricht, dass sie krank gewesen und gestorben wäre, erhielt er beym Eintritte in sein Hauß.“ – So hat die biographische Skizze des Sohnes ihren besonderen Reiz darin, dass sie den Erzählton des Vaters wiederzugeben versteht und eigenes Erleben mit einbezieht, ohne die Gefühle dabei zu unterdrücken. Carl Philipp Emanuel Bachs Brüder, angefangen von Wilhelm Friedemann als dem ältesten bis zu den jüngeren Stiefbrüdern Johann Christoph Friedrich und Johann Christian, haben vergleichsweise wenig, wenn überhaupt zur Familiengeschichte oder zur Uberlieferung und zum Erhalt ihres künstlerischen Erbes beigetragen. Dies wird besonders deutlich aus ihren jeweiligen Nachlässen – falls diese überhaupt nachweisbar sind. In keinem Falle jedoch finden wir Verhältnisse wie bei dem Hamburger Bach, dessen Sorgsamkeit im Blick auf den materiellen Bestand des Familien-Nachlasses kaum zu übertreffen ist. So jedenfalls dokumentiert es das Verzeichniß des musikalischen Nachlasses des verstorbenen Capellmeisters Carl Philipp Emanuel Bach (Hamburg 1790), das zwei Jahre nach dessen Tod im Druck erschien.7 Zwar müssen wir annehmen, daß die Nachlaßregelungen seines Vaters, wenngleich nie schriftlich niedergelegt, seinerzeit ebenso sorgfältig getroffen wurden. Denn die Musikalien, Musikbücher und musikalischen Instrumente konnten im Herbst 1750 unter insgesamt neun Erben verteilt werden, ohne daß der Vorgang (bis auf eine kleine nachträgliche Regelung bei den Instrumenten-Ansprüchen des jüngsten Sohns) Probleme aufwarf.8 Beim Tod des Hamburger Bachs lagen die Verhältnisse jedoch insofern grundsätzlich anders, als bis auf Witwe und Tochter keine weiteren Erben vorhanden waren. Gewiß diente der Nachlaß auch der Versorgung der Erben.9 Denn auf der Titelseite heißt es ausdrücklich: „Liebhaber, welche von diesem Nachlasse etwas zu kaufen wünschen, können sich an die verwitwete Frau Capellmeisterin Bach in Hamburg wenden.“ Doch diente wenigstens das Verzeichnis der Musikalien in erster Linie dazu, Abschriften zu bestellen, nicht aber die Originale zum Kauf anzubieten. Darauf weist der Vermerk auf Seite 66: „Wer von diesen Musikalien etwas zu besitzen wünscht, beliebe sich an die verwittwete Frau Capellmeisterin Bach zu wenden, die für richtige und saubere Copien Sorge tragen wird.“ 7 8 9
Faksimile-Ausgabe, New York 1981. Christoph Wolff, Johann Sebastian Bach, Frankfurt/Main 2000, S. 498. Vgl. auch Ulrich Leisinger, „Die ,Bachische Auction‘ von 1789“, Bach-Jahrbuch 1991, S. 97–126.
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Somit konnte die Witwe Bachs offenbar bewußt Sorge dafür tragen, daß wenigstens der zentrale Notenbestand nicht wie seinerzeit bei Johann Sebastian Bach in alle Winde verstreut wurde und damit großenteils verloren gehen konnte. Carl Philipp Emanuel Bachs Nachlaß einschließlich des väterlichen Erbteils ist in wesentlichen Komplexen erhalten geblieben, dank des nach dem Tode seiner Witwe Johanna Maria (1795) bzw. Tochter Anna Carolina (1804) erfolgten Ankaufs geschlossener Teile durch drei verständige Sammler: Georg Poelchau, Christian Friedrich Gottlieb Schwencke, Nachfolger Bachs in Hamburg, und Abraham Mendelssohn, Vater von Felix Mendelssohn Bartholdy.10 Glückliche Umstände brachten es dann mit sich, daß deren Erwerbungen später im wesentlichen nach Berlin ins Notenarchiv der Sing-Akademie bzw. in die Musikabteilung der Königlichen Bibliothek gelangten.11 Doch wären diese Umstände nie eingetreten, hätte nicht der zweitälteste Bach-Sohn dafür gesorgt, noch zu Lebzeiten seine reichhaltige Hinterlassenschaft in beste Ordnung zu bringen, und dies sehr deutlich nach bibliothekarischen, archivalischen und musealen Gesichtspunkten – eine Vorgehensweise, wie sie zumal unter Musikern im späten 18. Jahrhundert völlig unüblich war.
Bibliothek Der bei weitem umfangreichste Teil des Bachschen Nachlasses bestand in der Notenbibliothek, deren systematische Gliederung (und wohl auch Aufstellung) das gedruckte Nachlaßverzeichnis genau widerspiegelt. Es bietet zunächst auf den ersten 66 Seiten einen Überblick über den Gesamtbestand der Kompositionen Carl Philipp Emanuel Bachs in drei Kategorien: Instrumental-Compositionen, Singcompositionen und vermischte Stücke – alles jeweils mit genaueren Angaben zur Entstehungszeit der einzelnenen Titel. Während die „vermischen Stücke“ nicht weiter untergliedert sind, werden die Vokalwerke in gedruckte und ungedruckte eingeteilt. Der größte Bestand umfaßt hingegen die Instrumentalwerke, die Bach in sieben Klassen aufteilt: (a) Clavier-Soli – die er zum Zweck der besseren Identifikation mit Noteninzipits versieht; (b) Concerte; (c) Trios; (d) Sinfonien; (e) Sonatinen; (f ) Soli für andere Instrumente; (g) Quartette; (h) kleinere Stücke. Es schließen sich zwei weitere Kategorien an, einerseits Kompositionen des Vaters, der drei Brüder und des
10 Die autographe Partitur der H-Moll-Messe J. S. Bachs erwarb zunächst der Zürcher Musikschriftsteller Hans Georg Nägeli 1805 von der Tochter Anna Carolina Bach. 11 Helmut Hell, „,Geschwister‘ finden zueinander. Das Musikarchiv der Sing-Akademie zu Berlin als Depositum in der Musikabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin.“ Jahrbuch des Staatlichen Instituts für Musikforschung Preußischer Kulturbesitz 2002 (Stuttgart 2002), S. 18–24.
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Nachlaßverzeichnis C. P. E. Bach 1790 (Exemplar in der Staatsbibliothek zu Berlin, Signatur: Db 312), Titelblatt und Seite 1.
Vetters Johann Bernhard Bach, andererseits Werke verschiedener Meister (darunter Telemann, Stölzel, Benda und andere). Als besonders sorgfältig muß die Verzeichnung der Werke des Vaters gelten, von denen der Hamburger Sohn den bei weitem umfangeichsten Teil des heute bekannten und erhaltenen Bestandes besaß. Hier handelt es sich um den neben den eigenen Kompositionen größten Teil seiner Notenbibliothek und umfaßt die Seiten 66–81 des Nachlaßverzeichnisses. Auch dieser Abschnitt ist eingeteilt in Instrumental- und Vorkalwerke und Bach vermerkt ausdrücklich, ob handschriftliche Partituren, Stimmen oder gar beides vorhanden sind.
Archiv Als besondere Rarität verzeichnet Carl Philipp Emanuel Bach die von seinem Vater ererbte Sammlung der Kompositionen von dessen Vorfahren. Darunter finden sich vor allem Werke der Brüder Johann Christoph und Johann Michael Bach (letzteres
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Nachlaßverzeichnis C. P. E. Bach 1790, Seite 83–84.
der Schwiegervater Sebastians und Großvater Emanuels), aber auch der wohl erste Komponist in der Familie, der 1604 geborene Johann Bach, ist vertreten. Die Musikalien sind in einer eigenen Kategorie auf den Seiten 83–85 zusammengefaßt und unter der Überschrift Alt-Bachisches Archiv geführt. Es sind zumeist Aufführungsmaterialien, die großenteils Johann Sebastian Bach zur Verwendung in Leipzig vorbereitet hatte. Ein ausdrücklicher Vermerk Emanuels auf Seite 84 weist darauf hin, daß es sich hier um „vortrefflich gearbeitete“ Werke und um nichts weniger als eine Qualitätsauslese handelt. Die Wertschätzung gerade dieses älteren Repertoires der Bach-Familie aus dem 17. Jahrhundert hatte sich schon in Emanuel Bachs Nekrolog auf seinen Vater niedergeschlagen. Denn dort lautet gleich der erste Satz: „Johann Sebastian Bach gehöret zu einem Geschlechte, welchem Liebe und Geschicklichkeit zur Musick, gleichsam als ein allgemeines Geschenck, für alle seine Mitglieder, von der Natur mitgetheilet zu seyn scheinen.“ Das Archiv bietet darum nichts weniger als die Dokumentation der musikalischen Begabung innerhalb der Bach-Familie. Es bildet damit das Pendant zu der von Johann Sebastian Bach selbst angefertigten FamilienGenealogie von 1735 und wurde zweifellos von diesem gleichsam als konkreter
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musikalischer „Kommentar“ zur Genealogie mit angelegt. Ob freilich auch der Name „Alt-Bachisches Archiv“ noch von Sebastian oder erst von Emanuel stammt, ist leider nicht feststellbar.
Museum Bachs Musikinstrumente, insbesondere seine Klaviere, bildeten keine Museumsstücke, sondern Geräte, die der Ausübung des Berufes dienten. Doch findet sich unter den Instrumenten auf Seite 92 mindestens ein Sonderstück: „Ein helfenbeinerner Zinken, der aus einem einzigen Elephanten-Zahn gedrehet ist, und deßwegen in eine Kunstkammer aufgenommen zu werden verdient.“ Bei diesem Cornetto dreht es sich wohl weniger um ein bloß wertvolles Sammlerobjekt, sondern eher um ein altes Erinnerungsstück aus der Stadtpfeiferfamilie Bach, das Emanuel liebevoll aufbewahrte. Der entscheidende Teil seiner musealen Kollektion bestand jedoch in einer bedeutenden Bildniß-Sammlung von Componisten, Musikern, musikalischen Schriftstellern, lyrischen Dichtern und einigen erhalbenen Musik-Kennern – der überhaupt umfangreichsten im 18. Jahrhundert nachweisbaren Sammlung von Musikerbildern, -büsten und -silhouetten. Die Sammlung, detailliert verzeichnet auf den Seiten 92–128, enthielt in ihrem Grundbestand wohl vornehmlich, wenn nicht gar ausschließlich Familienbilder, darunter Gemälde des Vaters und des Großvaters Johann Ambrosius Bach, aber auch der Stiefmutter Anna Magdalena Bach – vermutlich Erbstücke aus dem Leipziger Elternhaus.12 In vermutlich eigener Sammeltätigkeit hatte sich Emanuel Bach dann im Verlauf der Zeit Bilder von Musikern aus drei Jahrhunderten und allen europäischen Ländern beschafft. Die Sammlung ist alphabetisch geordnet, beginnt mit dem Geiger Leopold August Abel aus Ludwigslust und endet mit einem gewissen Violoncello-Virtuosen namens Zygmantowsky, einem Wunderkind „von 61/2 Jahren“ – insgesamt weit über 100, mit genauen Maßangaben versehene Bilder. Die Sammlung als solche ist freilich im Unterschied zur Notenbibliothek verloren. Die wenigen heute nachweisbaren Stücke daraus beschränken sich auf die beiden Familien-Portraits.13 Eine besondere Gruppe innerhalb der Kunstsammlung Carl Philipp Emanuel Bachs (Seite 131–142) bilden die Werke seines Sohnes Johann Sebastian Bach d. J., 12 Hierzu zählt wohl auch der mit 1617 datierte Kupferstich des (nicht zur Wechmarer Linie der Bach-Familie gehörenden) Spielmanns Hans Bach. 13 Das Bild von Johann Ambrosius Bach befindet sich in der Staatsbibliothek zu Berlin (es hängt seit eh und je im Dienstzimmer des Leiters der Musikabteilung) und das Porträt von Johann Sebastian in amerikanischem Privatbesitz.
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Nachlaßverzeichnis C. P. E. Bach 1790, Seite 93–94.
der sich vor allem als Zeichner frühzeitig einen Namen erworben hatte und der bereits 1778 im Alter von 28 Jahren in Rom gestorben war. Aus dessen eigener Sammlung stammen einige gerahmte Kunstwerke, darunter Zeichnungen von Watteau, Tiepoletto und Adam Friedrich Oeser, seinem Lehrer auf der Leipziger Kunstakademie. Aber auch von diesem Teil der musealen und sorgfältig betreuten Sammlung des kunstverständigen Carl Philipp Emanuel Bach ist heute nichts mehr nachweisbar.
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MIXTURTRAUTONIUM, NACH OSKAR SALA THOMAS ERTELT
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m 30. Dezember 1999 sowie am 2. Januar 2000 war der Curt-Sachs-Saal des Staatlichen Instituts für Musikforschung Schauplatz einer denkwürdigen Veranstaltung. Im Rahmen eines „Kunstfestes am Kulturforum“, initiiert und inszeniert von den Berliner Festwochen, wurde ein Pionier aus der Frühzeit der elektronischen Musik mit seinem Instrument gewürdigt: Oskar Sala und das Mixturtrautonium. Der Anlaß war ja kein geringer: Mit dem groß angelegten, mehrtägigen Reigen von Veranstaltungen wurde der Jahrhundertwechsel, der Eintritt in das neue Jahrtausend gefeiert, unter Aufbietung aller Künste, die die Einrichtungen am Kulturforum zu bieten hatten. Natürlich wurden als Programmpunkte vorzugsweise auch solche gewählt, denen man säkulare Bedeutung attestieren konnte: Und dafür stand für den Bereich der Musik unter anderem Oskar Sala mit seinem Instrument ein, in dessen Wirken man den „Klang des Jahrhunderts“ vernehmen und würdigen wollte. Man wird sich hier zunächst mit dem Verdacht des Lokalpatriotismus auseinandersetzen müssen. In der Tat: das Trautonium wurde in Berlin erfunden, in der Rundfunkversuchsstelle der Musikhochschule, im Jahr 1930 von Friedrich Traut-
Oskar Sala im Curt-SachsSaal des Staatlichen Instituts für Musikforschung, 2. 1. 2000
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wein. Sala hat sich sogleich für das neuartige Instrument begeistert und es bis 1939 zum sogenannten Konzert-Trautonium weiterentwickelt. Nach dem Krieg schuf Sala dann in den Jahren von 1949 bis 1952 sein vollgültiges „Mixturtrautonium“ mit den berühmten Subharmonischen. Und die Stadt Berlin hat die nachmalige Berühmtheit Sala und sein Instrument stets mit gebührender Aufmerksamkeit bedacht und gefördert: sei es durch Aufträge zum Nachbau des Instruments, woraus 1992 das so genannte „Senatstrautonium“ im Kulturzentrum „Die Weiße Rose“ am Wartburgplatz hervorging, sei es durch persönliche Auszeichnungen wie der Verleihung der Ehrensenator-Würde, und selbst durch die Auslobung von Kompositionsstipendien für Trautonium noch im Jahr 1999. Aber die Bedeutung Salas wurde nicht nur an der Spree gewürdigt, sondern mindestens ebenso an Isar und Rhein, wie das entschiedene Interesse des Deutschen Museums zeigt. Bereits 1931 hatte das Münchener Institut ein Trautonium der ersten Stunde erhalten, und 1995 hatte Sala gar sein berühmtes Mixturtrautonium – das Originalinstrument, an dem er viele Jahre lang gearbeitet hatte, an dem die Filmmusik zu Hitchcocks Thriller Die Vögel entstanden war – der Bonner Filiale des Deutschen Museums als Gründungsgeschenk vermacht. Am 18. Juli 2000 feierte man schließlich den 90. Geburtstag Salas mit einem Gesprächskonzert im Ehrensaal des Deutschen Museums in München, nicht zuletzt mit der Ankündigung der Errichtung einer Oskar-Sala-Stiftung und der Edition von Korrespondenzen Salas; die Laudatio hielt der Berliner[!] Kultursenator Christoph Stölzl.1 Aber Berlin geht nicht leer aus. Das Instrument, auf dem Sala seit 1988 in seinem Charlottenburger Studio arbeitete, war ein Nachbau des von ihm selbst geschaffenen Mixturtrautoniums, der von den drei Professoren Hans-Jörg Borowicz, Dietmar Rudolph und Helmut Zahn an der Fachhochschule der Deutschen Bundespost mit Mitteln der Mikroelektronik angefertigt worden war. Das Instrument wurde Sala auf Lebenszeit zum Gebrauch überlassen, um nach seinem Tod dem Berliner Musikinstrumenten-Museum übergeben zu werden. Oskar Sala starb am 27. Februar 2002, im Alter von 91 Jahren; das „Mixturtrautonium nach Oskar Sala“, so die Bezeichnung auf dem Schild am Instrument, kam im Jahr darauf bestimmungsgemäß in die Instrumentensammlung des Staatlichen Instituts für Musikforschung, wo es am 14. Dezember 2004 in einer Festveranstaltung zum 20jährigen Jubiläum des Hauses am Kulturforum der Öffentlichkeit klingend präsentiert wurde. * 1
Vgl. die Pressemitteilung des Deutschen Museums Bonn vom Juli 2000: http://www.deutschesmuseum-bonn.de/. – Die Website des Deutschen Museums bietet unter der Überschrift „Oskar Sala im Gespräch“ eine vorbildliche Darstellung zu Wirkungsweise und Geschichte des Instruments.
MIXTURTRAUTONIUM, NACH OSKAR SALA Alfred Hitchcock und Oskar Sala am Mixturtrautonium, Dezember 1961 Foto: Heinz Köster
Mit welcher Beachtung ist inskünftig für das „Mixturtrautonium nach Oskar Sala“ im Musikinstrumenten-Museum des Staatlichen Instituts für Musikforschung zu rechnen, oder, anders gesagt: welche Fragen stellen sich hier an das Instrument? Das Trautonium paßt auf seine Weise ja bemerkenswert gut in den Kontext von Theorie und Praxis hinein, der im Zentrum der Arbeit des Hauses steht; so gut, daß die folgende Skizze hinsichtlich der Verknüpfung der Aspekte beinahe exemplarisch erscheint. Das Trautonium ist ein elektronisches Instrument, ein Spielinstrument, bei dem alle reich differenzierten Möglichkeiten der Tongebung des traditionellen Instruments in einen neuen Zusammenhang transformiert wurden; der Zugang, die ›Schnittstelle‹ zum Instrument, bleibt ihrem Charakter nach unangetastet. Ein schönes Indiz dafür ist die Tatsache, daß Sala sich nach der Fertigstellung des Nachbaues lange noch an der endgültigen Ausbildung des Spielmanuals aufhielt, das seinen Anforderungen an feinste Abstufungen der Ansprache und Tongebung zunächst nicht genügte. Ein Instrument also, und zwar ein hochvirtuoses; die Paga-
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nini-Adaptionen Salas, die Konzertkompositionen Harald Genzmers sind dafür treffliche Beispiele. Aber auch ein Instrument, das mit Theorie zu tun hat, und zwar jenseits der elektrisch-elektronischen Grundlagen. Wir wissen, daß von Anfang an, bei der Entwicklung des ersten Instruments an der Rundfunkversuchsstelle bei der Berliner Musikhochschule, Paul Hindemith der Novität großes Interesse entgegenbrachte;2 Hindemith war es, der seinen jungen Kompositionsschüler Oskar Sala mit dem Erfinder und Namensgeber des ersten Instruments, Friedrich Trautwein, zusammenbrachte und damit bei Sala eine Passion wachrief, die ihn sein ganzes Leben lang erfüllte. Hindemith hat dem Instrument sogleich reichlichen Tribut gezollt: als erster schrieb er, noch im Jahr der Erfindung, 1930, eine Reihe von Originalkompositionen für drei Trautonien, mit dem Untertitel „Des kleinen Elektromusikers Lieblinge“; 1931 folgte das „Konzertstück für ein Trautonium mit Begleitung des Streichorchesters“.3 Das Werk wurde unter Hindemiths Leitung im Rahmen einer Tagung für Rundfunkmusik in München uraufgeführt und in einem Konzert der Berliner Funkstunde in der Singakademie wiederholt. Aber das Instrument wird auch in Hindemiths theoretischem Hauptwerk, der „Unterweisung im Tonsatz“4 gebührend berücksichtigt. Man kann dort in der Danksagung zu Beginn des Werkes lesen: Bei der Niederschrift dieses Buches war mir der Rat und die Kritik meines Kollegen, Herrn Professor Herman Roth, eine äußerst wertvolle Hilfe; ferner boten die akustischen Erkenntnisse, die mir durch das von Herrn Dr. Trautwein konstruierte und von Herrn Oskar Sala gespielte elektrische Musikinstrument Trautonium vermittelt wurden, die Unterlage für eine ganze Anzahl der hier ausgesprochenen Thesen. Für diese Hilfe sei hiermit aufrichtig gedankt. Berlin, April 1937 Natürlich möchte man wissen, welches denn die Thesen im einzelnen seien, bei deren Formulierung das Trautonium eine grundlegende Rolle spielte. Dabei ist zunächst ein naheliegender Verdacht auszuräumen: daß hier an die berühmten „Subharmonischen“, die am Trautonium durch Frequenzteilung künstlich erzeugte Untertonreihe zu denken wäre. Hindemith kannte das Phänomen ja, und er hat es als anregend empfunden, mit der Beschränkung mixturartiger Tonreihen zu kom2 3
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Vgl. Dietmar Schenk, Paul Hindemith und die Rundfunkversuchsstelle der Berliner Musikhochschule, in: Hindemith-Jahrbuch 25, 1996, S. 179–194. Vgl. Klaus Ebbeke, Paul Hindemith und das Trautonium, in: Über Hindemith. Aufsätze zu Werk, Ästhetik und Interpretation, hg. von Susanne Schaal, Mainz 1996, S. 154–190; zuvor unter gleichem Titel in: Hindemith-Jahrbuch 11, 1982, S. 114–125. Paul Hindemith, Unterweisung im Tonsatz, I, Theoretischer Teil, Mainz 1937. Neue, erweiterte Auflage Mainz 1940.
MIXTURTRAUTONIUM, NACH OSKAR SALA
ponieren, wie in seinem „Langsamen Stück und Rondo für Trautonium“ aus dem Jahre 1935, zu dem er in seinem eigenhändigen Werkverzeichnis anmerkte: „Interessante Aufgabe, da das Trautonium neuerdings vierstimmig behandelt werden kann, jedoch nur so, daß je zwei Stimmen gekoppelt werden mit den Tönen 2, 3, 4 oder 5 der Untertonreihe (Oktav, Duodezime, zweite Oktav und Terz unter dieser) wodurch zwar starke Beschränkungen fürs Setzen, aber durch das Durcheinanderlaufen beider Kopplungsreihen (die unabhängig und verschieden voneinander laufen können) seltsame Möglichkeiten sich ergeben.“5 In der Unterweisung wird die Frage der Untertonreihe, an die ja ein umfänglicher musiktheoretischer Diskurs geknüpft ist,6 jedoch ohne Umschweife als irrelevant abqualifiziert: „Diese verwunderliche […] Erscheinung kann für die Musik niemals die Bedeutung bekommen, welche die Obertonreihe hat […], die ungerufen und ohne jede künstliche Beihilfe jederzeit wirksam ist.“7 Die Bedeutung der „akustischen Erkenntnisse“, die Hindemith durch das Trautonium vermittelt wurden, dürfte vielmehr in der exakten Erzeugung von Kombinationstönen innerhalb einer (kontinuierlichen) Folge von Zweiklängen liegen, als der akustischen „Unterlage“ für die so genannte „Reihe 2“, in der Hindemith die zunehmende Spannungsfolge der Intervalle postuliert, wobei als Kriterium die zunehmende Trübung, „Belastung“ der Intervalle durch Kombinationstöne fungiert: „Für den Musiker, der in seinem Handwerke trotz der körperlichen Ungreifbarkeit des Baustoffes ein gesunder Realist ist, sind Zahlen und Intervalle aber erst dann von Wert, wenn er sie erklingen hört. […] Ihm sind darum die Trübungen durch Kombinationstöne nicht Zugaben, die ihn im Genusse der abstrakten Intervallverhältnisse stören, er bedient sich ihrer zur genaueren Erfassung der Klänge.“ Das Trautonium erscheint hier gewissermaßen als ein neuzeitliches Monochord – das es als Instrument nicht ist, seine ,Skala‘ auf dem elektrifizierten Saitenmanual ist äquidistant! –, an dem die Wertigkeit der Intervalle mittels eines klanglichen Sekundärphänomens demonstriert wird. Sala erwähnt in einem Interview ausdrücklich die gemeinsamen „Experimente, mit Kombinationstönen und Summationstönen, das haben wir ihm extra eingestellt, so ein bißchen verzerrt, damit die 5
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Zitiert nach Ebbeke, a.a.O. S. 173. – Partitur und Solostimme des Werks sind verschollen. Im Hindemith-Institut Frankfurt hat sich jedoch jene Decelith-Schallfolie erhalten, auf die Sala das Stück anläßlich des Geburtstages von Hindemith am 16. November 1935 eingespielt hat (Umschnitt im DRA Frankfurt); diese Aufnahme diente Sala als Grundlage für eine „Rekonstruktion“ des vermeintlich vergessenen Werks, die er im Jahr 1985 vornahm. Siehe dazu Martin Vogel, Arthur von Oettingen und der harmonische Dualismus, in: Beiträge zur Musiktheorie des 19. Jahrhunderts (Studien zur Musikgeschichte des 19. Jhs. IV), Regensburg 1966, S. 103–132. Hindemith, Unterweisung im Tonsatz I, 2/1940, S. 101.
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THOMAS ERTELT Das „Mixturtrautonium nach Oskar Sala“ im Musikinstrumenten-Museum SIMPK, Dezember 2004
besonders schön kamen.“8 Ob darüber hinaus noch weitere Theoreme, und in einer spezifischeren Form, dem Demonstrationsinstrument Trautonium verpflichtet sind? * Mit dem Einzug des „Mixturtrautoniums nach Oskar Sala“ in das Berliner Musikinstrumenten-Museum schließt sich ein Kreis: das Instrument ist an dieser Stelle zum ersten Mal öffentlich gespielt worden, am 19. November 1988 im Rahmen der „E 88“. Oskar Sala spielte aus diesem Anlaß den ersten Satz aus seiner im selben Jahr komponierten „Fantasie-Suite“. Für die Zukunft ist dem Mixturtrautonium in der Sammlung ein herausgehobener Platz zugedacht; in der zugehörigen Dokumentation9 wird die Bedeutung des Instruments für die Frühzeit der elektroakustischen Musik mit Quellentexten, Film- und Klangbeispielen angemessen gewürdigt, ebenso wie die Rolle seines Schöpfers, und dessen Qualitäten als Erfin8 9
Gespräch mit Oskar Sala, in: KUNST MACHT POLITIK. Die Nazifizierung der Kunst- und Musikhochschulen in Berlin, hg. von Christine Fischer-Defoy, Berlin 1987, S. 42. Zugänglich auch über die Internet-Präsenz des Instituts: www.sim.spk-berlin.de/mim/exponate.
MIXTURTRAUTONIUM, NACH OSKAR SALA
der, Virtuose und stets geschmackssicherer Künstler, der in allen Genres, die er bediente, immer wußte, „wie die Musik geht“. Ob damit aber der Absicht seiner Erbauer entsprochen werden kann, das Spiel auf dem Instrument in der Nachfolge Salas, über museale Demonstrationen hinaus, zu befördern, oder ob vor dem Hintergrund der Leistung Salas eine gleichsinnige Fortsetzung obsolet erscheint, ist derzeit schwer einzuschätzen; immerhin hat das Trautonium seine Fan-Gemeinde in der Stadt, und es erscheint nicht ausgeschlossen, gemeinsam mit den Senatsinitiativen eine spezifische Berliner Tradition fortzusetzen, und sei es unter dem Motto: Mixturtrautonium, nach Oskar Sala.
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DER PATRIARCHALISCHE KLAUS-DIETER LEHMANN CHRISTOPH SATTLER
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BEWAHREN UND ZEIGEN NEUE UND ALTE AUFGABEN IN BIBLIOTHEKEN WULF D. VON LUCIUS
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eit jeher sind Beschaffen, Erschließen, Bereithalten und Verfügbarmachen die zentralen Aufgaben jeder Bibliothek. Hiervon soll im nachfolgenden Beitrag nicht die Rede sein, sondern von weiteren unverzichtbaren Tätigkeiten einer Bibliothek und dem wohl wachsenden Gewicht dieser Zusatzfunktionen. Es ist die Perspektive eines Nicht-Bibliothekars, der sich aber als Verleger und Sammler wie auch in verschiedenen ehrenamtlichen Funktionen den Bibliotheken seit Jahrzehnten sehr eng verbunden fühlt, nicht zuletzt durch nahezu 25 Jahre im Verwaltungsrat der Deutschen Bibliothek, die auch die gesamte Amtszeit von Klaus-Dieter Lehmann mitumfassen – sehr intensive Jahre mit großen Ereignissen wie dem Neubau der Deutschen Bibliothek in Frankfurt und der von ihm politisch so unvergleichlich klug und effizient in die Wege geleiteten Fusion der Deutschen Bibliothek und der Deutschen Bücherei nach 1990 unter Wahrung voller Funktionalitäten an beiden Orten. Die drei Aspekte, die nachstehend kurz umrissen werden, hat Klaus-Dieter Lehmann als Bibliothekar stets mit Energie und wachem Sinn für deren Öffentlichkeitswirksamkeit als wesentliche Aufgaben angesehen und verfolgt – nicht wenige Bibliotheken handeln ebenfalls in ähnlicher Weise, viele weitere sollten dem folgen. Warum all dies gegenwärtig besonders nötig erscheint, ist Teil meiner Überlegungen.
Das Buch als physischer Zeitzeuge und Kunstobjekt Seit langem ist allgemein akzeptiert, dass Bücher mehr sind als nur eine (austauschbare) Speicherform für Texte und Bilder, sondern vielmehr von ihrer zeittypischen bzw. ästhetischen Beschaffenheit her Bestandteil des physischen Kulturerbes eines Landes oder einer Epoche; sie sind Teil des kulturellen Gedächtnisses auch in ihrer Körperlichkeit, nicht nur in ihrem Inhalt. Die Bücher, die einen unveränderten Text in ihrer sich in den Epochen wandelnden Erscheinung und Gestaltung immer neu präsentieren, sind auch in diesem Äußeren ein Teil der Rezeptionsgeschichte und damit kultur- und sozialgeschichtlich relevanter Teil der Wirkung von Texten;
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die wechselnden Präsentationsformen spiegeln die sich wandelnden Bewertungen und Lesereinstellungen ebenso wie veränderte wirtschaftliche, soziale und politische Gegebenheiten. Das gilt für einen mittelalterlichen Prachtkodex für ein Herrscherhaus ebenso wie etwa für fragile Broschüren wie die Tarnschriften aus Widerstand und Exil: immer erzählt die körperliche Beschaffenheit des Buches etwas, das über den Text hinausgeht und zugleich für seine Wirkung und dessen Verständnis konstitutiv ist. Sie gehört wie gesagt ebenso zum kulturellen Gedächtnis. Aus alledem folgt als notwendige Konsequenz, dass eine Bibliothek auch ein Museum ist. Daher sehen es selbst bei trivialen Alltagsbüchern die Nationalbibliotheken als eine selbstverständliche Verpflichtung an, die ihr als Pflichtstücke zugegangenen Exemplare möglichst authentisch in ihrer originalen Erscheinung bis hin zum Schutzumschlag zu bewahren, was eine nur eingeschränkte Nutzung erlaubt. Stark benutzte Pflichtstücke werden daher zusätzlich noch einmal erworben, um eben den Originalzustand auch langfristig möglichst unbeeinträchtigt zu bewahren und für spätere Zeiten verfügbar zu halten. So ist also schon eine eigentlich weitgehend aufs Funktionale hin konzipierte Depotbibliothek für Pflichtstücke in Wirklichkeit mit den musealen Aspekten von Authentizität und langfristiger Vorhaltung dieser Originalobjekte unmittelbar befasst – und nicht etwa der Bereithaltung von Surrogaten wie Mikrokopien oder Digitalisaten, die mit einem Gipsabguss anstelle eines Marmororiginals vergleichbar sind. Dass diese Zielsetzung sogar für digitale Produkte diskutiert wird, allerdings mit dem eindeutigen Ergebnis, dass das langfristig nicht möglich sein wird, sei nur am Rande erwähnt. Nicht nur bei den Büchern, die selbst hochwertige Kunstschätze sind, wie mittelalterlichen Handschriften, barocken Kupferstichwerken oder modernen Künstlerbüchern, geht es um die Bewahrung und zugleich die erkenntnisstiftende Präsentation von Originalen. Gute konservatorische Grundgegebenheiten, wie sie etwa im unter Klaus-Dieter Lehmanns Generaldirektorat errichteten Neubau der Deutschen Bibliothek in Frankfurt erreicht wurden, sind eine unschätzbare Unterstützung für die Erfüllung dieser Aufgabe. Ebenso das Eintreten für die Verwendung von Materialien mit langfristiger Lebenserwartung, so insbesondere säurefreiem Papier. Hier hat KlausDieter Lehmann in seiner Frankfurter Zeit wegweisende Initiativen in Gang gesetzt, die seinerzeit das Bewusstsein der Verleger für diesen Aspekt sehr geschärft haben. All dies bedeutet noch nicht an sich eine museale Tätigkeit, ist aber eine unverzichtbare Vorstufe oder Voraussetzung dafür, dass das dereinst vielleicht Museumswürdige (etwa eine unscheinbare Broschur einer erst viel später in ihrer Bedeutung erkannten Erstausgabe eines literarischen oder wissenschaftliches Textes) auch in einem dem kulturhistorischen Wert entsprechenden Zustand vorhanden ist. Daher gehören auch konservative, sachgerechte und mit Kapazitätsreserven aus-
BEWAHREN UND ZEIGEN
gestattete Magazine zu den Grunderfordernissen einer Bibliothek, wenn nicht durch pragmatische Notlösungen wie die Anmietung aufgelassener Parkhäuser oder Speditionshallen große Risiken der Bestandsgefährdung eintreten sollen. Schon also bei den in ihrer langfristigen Bedeutung nicht abschätzbaren Alltagsakzessionen einer Bibliothek muss der Gedanke des Bewahrens stets mitbedacht werden. Des weiteren bedarf es einer wirksamen Tätigkeit im Bereich Bucherhaltung in all denjenigen Fällen, in denen Schäden bereits aufgetreten sind. Hier hat KlausDieter Lehmann ab 1990 in der Deutschen Bücherei und durch die Förderung neuer Verfahren wesentliche und fortdauernde Initiativen initiiert, die als Vorbilder auch anderswo gelten dürfen – einmal beiseite gelassen, ob solche Tätigkeiten hausintern erfüllt oder privatisiert und ausgelagert werden sollten. Dass dem Ziel des Bewahrens der Auftrag der Bereitstellung für die Nutzer deutlich entgegensteht, ist eine uralte bibliothekarische Binsenweisheit. Wie bei allen Zielkonflikten im Leben geht es auch hier um einen ausgewogenen Mittelweg. Wer ihn nicht zu gehen bereit ist, endet als eines der beiden Zerrbilder des Bibliothekars. Das eine ist der fafnerhafte Schatzhüter, der seine Bibliothek am liebsten wie einen Banktresor verwalten würde und jede mit einer Nutzung verbundene Gefährdung seiner Schätze – sei es Berührung durch einen Leser, sei es durch Lichtexposition in einer Vitrine – für frevelhaft und unverantwortlich hält. Das andere Extrem ist der unbesorgte, dienstleistungsorientierte, Verbrauch und Verschleiß nicht scheuende Bibliothekar, dem Selbstklebefolien, mehrfaches Umbinden etc. nicht schmerzliche, allerletzte Maßnahmen sind, sondern praxisgerechtes Verhalten. Gewiss beruhen diese beiden Extremausprägungen, soweit es sie überhaupt so reinblütig gibt, darauf, dass es ja ebenso auch sehr verschiedene Bibliotheken gibt: solche mit sehr wertvollen Beständen und andere, die tatsächlich nur der (befristeten) Alltagsversorgung dienen, und in denen die ausgedienten Exemplare in der 1 €Kiste im Eingangsbereich landen. Hier ist Bewahren vielleicht wirklich kein Auftrag – Zeigen könnte es dennoch sein. Davon soll im Folgenden die Rede sein.
Bibliotheken im Wettbewerb der Kulturinstitutionen Es gibt zahlreiche Gründe für die Bedeutung des aktiven Zeigens von Büchern, die alle mit dem Bildungsauftrag der Bibliotheken direkt verbunden sind: da ist das Wecken von Neugier an neuen, dem Besucher bisher unbekannten Themenfeldern und Inhalten, da gilt es zum zweiten, den Reichtum historischer Überlieferung, der in den Magazinkellern bewahrt wird, ans Licht zu heben, und es gilt, die ästhetischen Qualitäten der Buchwelt – sowohl der alten wie der gegenwärtigen – immer wieder zu demonstrieren. Gerade letzterer Aspekt sollte in einer Zeit, die so sehr
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WULF D. VON LUCIUS Ausstellungssaal im Neubau der Deutschen Bibliothek in Frankfurt Foto: Marianne Romisch
bildorientiert ist und in der daher die bildenden Künste besonders hohe Aufmerksamkeit des Publikums genießen, genutzt und ausgeschöpft werden, wie sehr auch mancher Bibliothekar persönlich die Priorität der Texte verinnerlicht haben mag und diese zu fördern bestrebt ist. Das Instrument der Ausstellungen ist ein bewusst einzusetzender Anreiz zugunsten der Institution Bibliothek als solcher. Aber auch den Büchern als Medium wird durch Ausstellungen gedient: diese sollen ja dazu beitragen, das Buch über den Tagesnutzen hinaus in den Köpfen zu verankern und damit das Interesse an Büchern vertiefen und lebendig halten in einer Epoche, in der das Buch als Leitparadigma einer auf Effizienz gerichteten Wissensgesellschaft in den Hintergrund zu rücken droht gegenüber anderen Medien, die wie etwa Fernsehen oder Internet vermeintlich unterhaltender, vielfältiger und aktueller sind. In Letzterem haben die Bücher in der Tat einen unbestreitbaren und auch unheilbaren Nachteil. Sie könnten aber, analog der slow food-Bewegung, gerade
Wechselausstellung im oberen Foyer der Deutschen Bücherei Foto: Christoph Sandig
BEWAHREN UND ZEIGEN Dauerausstellung „500 Jahre Buchplatz Leipzig“ im Deutschen Buchund Schriftmuseum in der Deutschen Bücherei in Leipzig Fotograf: Christoph Sandig
deshalb zum Inbild größeren Genusses ebenso wie größerer Verlässlichkeit und Nachhaltigkeit werden. Dies durch das stetige Herzeigen von Büchern zu belegen und dabei auch die anderen Vorzüge der Bücherwelt immer wieder zu demonstrieren, insbesondere ihre unschlagbare Vielfalt und inhaltliche Tiefe, das ist eine unverzichtbare Aufgabe, die Bibliotheken, nicht zuletzt durch Ausstellungen, erfüllen können. Dazu bedarf es dann nicht nur geeigneter, sondern auch attraktiver Präsentationsmöglichkeiten in dafür konzipierten Ausstellungsräumen – auch diesbezüglich war Klaus-Dieter Lehmann in Frankfurt beim Neubau der Deutschen Bibliothek und in Leipzig mit der Neuorganisation des Ausstellungsbereichs der Deutschen Bücherei tatkräftig engagiert. Wie alle öffentlich finanzierten Institutionen stehen die Bibliotheken unter einem größeren Rechtfertigungsdruck denn je: der Wettbewerb um die schrumpfenden staatlichen Kulturetats wird in einer so sehr an Auftritt, Event und „Visibility“ orientierten Öffentlichkeit nur zu bestehen sein, wenn die Bibliotheken hier mithalten und nach besten Kräften ihr relativ oder zumindest auf den ersten Blick eher stilles Medium so darstellen, dass es mit den gesendeten Medien, den Theatern, den Kinos u.a. mithalten kann. Das ist schwer genug; umso wichtiger, dass es durch einerseits permanente und andererseits ideenreiche, unkonventionelle und im Wechsel ganz unterschiedliche Zielgruppen ansprechende Ausstellungsarbeit geschieht, die sich bei entsprechender Planung mit anderen Veranstaltungen in der Bibliothek oder auch aktuellen Schwerpunkten anderer Kulturinstitutionen am Ort so kombinieren lässt, dass eine wechselseitige Verstärkung eintritt. S. Selbmann hat 1982 die Frage „Ausstellungen – Luxus oder Notwendigkeit“ ganz eindeutig in letzterem Sinne beantwortet, eben als ein unverzichtbares Element in der Öffentlichkeitsarbeit der Bibliotheken.
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Es bedarf also zur wirksamen Selbstdarstellung einer Bibliothek einerseits der Schatzkammer als Dauerausstellung, wobei die Ausstellungsstücke in längeren Abständen durchaus rotieren sollten – sowohl um immer wieder das erneute Interesse der Besucher zu wecken als auch aus konservatorischen Gründen. Zum anderen eben der thematisch akzentuierten, ereignisorientierten Wechselausstellung. Hier scheint mir ein erhebliches Potential für Kooperationen zu schlummern – warum sollte eine gute Ausstellung nicht von Hamburg nach Düsseldorf und Frankfurt wandern? Allzu großer Wille nach Originalität und Zeigen nur von eigenen Beständen steht da sehr oft im Wege. Kooperativ wäre für alle eine größere Wirkung bei reduziertem Aufwand für die Konzeption der einzelnen Ausstellungen zu erreichen. Vielleicht sollte man sich hier die doppelte Zielrichtung von Buchausstellungen noch einmal vor Augen halten: zum einen dienen sie der Selbstdarstellung der Institution – das muss mit eigenen Beständen geschehen. Zum anderen aber sollen sie das Buch überhaupt ins Bewusstsein rücken und sichtbar machen – das kann ebenso gut (manchmal vielleicht sogar besser) mit anderswo konzipierten Ausstellungen aus dortigen Beständen geschehen. Es muss ja nicht gleich ein Wanderzirkus werden, aber gewisse gegenseitige Ausstellungskooperationen erscheinen doch sehr erwägenswert. Die Bibliothek in ihrer Stadt Es gibt nicht wenige Städte, in denen die Bibliotheken bedeutender sind als etwa die städtische Galerie oder Spezialmuseen. Dennoch sind letztere oft viel mehr im Bewusstsein der Bevölkerung (und damit letztendlich auch der Geldgeber) verankert. Ebenso wie beim Wettbewerb um die öffentlichen Haushalte gilt diese Erfordernis der Sichtbarkeit der Bücher und insbesondere der Buchschätze beim Wettbewerb um Sponsorengelder. Auch da hat es eine teure Inkunabel schwer gegenüber dem Bild eines Malers, der gerade überall medienpräsent ist. Im lokalen Zusammenhang gibt es zwei weitere bedenkenswerte Kooperationsmöglichkeiten im Ausstellungsbereich: die mit Unternehmen und die mit privaten Sammlern. Unternehmen im Einzugsgebiet der betreffenden Bibliothek können aus bestimmten Anlässen heraus wie etwa Jubiläum oder Neueinführung von Produkten an thematisch passenden Ausstellungen interessiert sein und diese mit eigenen Beständen abrunden. Wenn dies mit angemessenen Sponsorenbeiträgen oder der Produktion eines Katalogs durch diesen Partner verbunden wird, kann die Bibliothek über die Bereicherung ihrer öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten hinaus unter Umständen sogar Eigenmittel einwerben bis hin zu Raummieten für repräsentative Veranstaltungen. In alledem verzahnen sich dann kulturelle Aktivitäten mit positiven finanziellen Aspekten.
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In etwas anderer Weise kann das auch für die Zusammenarbeit mit privaten Sammlern gelten. Zum einen können thematisch dichte – ggf. auch ungewöhnlich fokussierte – Privatsammlungen reizvolle, publikumswirksame Ausstellungen ermöglichen und zum zweiten kann auf diesem Weg unter Umständen ein Kontakt aufgebaut und gepflegt werden, der später zum Erwerb von Sammlungsteilen führen kann, die eigene Spezialsammlungen sinnvoll erweitern. Wie viele Bibliotheken zählen doch Sammlungskomplexe von Bürgern ihrer Stadt zu ihren besonders wertvollen Beständen. Das Wecken bürgerschaftlichen Engagements ist ja wieder ein ganz wichtiges Thema geworden. Aufmerksamkeit zu wecken, Ereignisse zu schaffen und damit sowohl die Nutzerzahlen der Bibliotheken zu steigern, als auch die kostenintensive Anschaffung und Konservierung von Kostbarkeiten sowie die Haushaltsansätze zu rechtfertigen, ist unverzichtbare Kernaufgabe von Bibliotheken. In einer Zeit, in der selbst Rundfunkanstalten im Wettbewerb um die Aufmerksamkeit des Publikums Clubs und Hörerservice aufbauen, sollten auch Bibliotheken, auch wenn es vielleicht manchmal trivial erscheinen mag und der gewohnten Zurückhaltung des Intellektuellen widerspricht, an diesem Wettbewerb um Aufmerksamkeit und Bindung der Nutzer an die Institution teilnehmen. Insofern sind die Ausstellungstätigkeit und das sonstige Veranstaltungsprogramm auch als Teil einer nachhaltigen PR-Strategie zu sehen, auf die Bibliotheken aus den genannten Gründen heute nicht verzichten können. Es ist positiv, dass einige größere Bibliotheken dies dadurch bestätigen, dass eine Stabsstelle Öffentlichkeitsarbeit geschaffen wurde, die sich planvoll an die verschiedensten Adressaten richtet: die allgemeine Öffentlichkeit, Politiker auf allen Ebenen und die Medien. Es wäre bestürzend, wenn nur so schreckliche Ereignisse wie der Brand in Weimar die bedeutende Rolle der Bücher und der historischen Sammlungen für unser Kulturleben ins allgemeine Bewusstsein brächten, und zwar so, dass die Bereitschaft gestärkt wird, dafür auch das notwendige Geld bereitzustellen. Nicht erst der Schrecken von Zerstörung, sondern die Botschaft von Lebensvielfalt und Lebensfreude, die Bücher auszustrahlen vermögen, müssen die Köpfe der Menschen erreichen und die Geldbeutel der Unterhaltsträger und der Sponsoren öffnen. Das ist eine schwierige, aber allemal lohnende und Phantasie herausfordernde Aufgabe. Das hat schon vor über 70 Jahren Erhart Kästner so überzeugend formuliert, dass es auch heute noch als Aufruf zur tatkräftigen Umsetzung dienen kann: „Bibliotheken besinnen sich wieder darauf, dass sie auch Kunstsammlungen sind … also gilt es, durch den leider allzu unmuseal gewordenen Begriff der Bibliothek wieder etwas von der Festlichkeit und Schaubarkeit durchschimmern zu lassen, die er einstmals … besaß“.
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In diesem Sinn hat Klaus-Dieter Lehmann als Bibliothekar in Frankfurt und Leipzig mit der ihm auch sonst eigenen Überzeugungskraft und nie versiegenden Fähigkeit, Initiativen zu starten, sehr Wichtiges geleistet und hat dies in der noch viel umfassenderen Verantwortung in Berlin in bewundernswerter Weise fortgesetzt.
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ANREGUNG UND REFLEXION Herrn Klaus-Dieter Lehmann herzlich gewidmet von
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rchitektur als Ergebnis eines grundsätzlichen Dialoges, die Positionen wechselnd zwischen Anregung und Reflexion. Die zeitüberdauernde Gültigkeit einer Aussage ist deren höchste Qualität. Schwankungen zwischen generell subjektiv und subjektiv generell sind Positionen, wobei das Generelle dominant ist. Facetten des Subjektiven tendieren zum Atypischen, jene des Generellen belegen die Gültigkeit des Typen. Die Grundpfeiler der Bildsprache Architektur sind Polarität und Kongruenz. Unser Tun bedeutet Eingriff in bestehende Strukturzusammenhänge geistiger und materieller Natur sowie Erweiterung und Ergänzung derselben. In sich ist Architektur Umstandsbestimmung des Ortes, der Zeit, der Art und Weise und des Grundes. Widerspruch und Gestaltbildung sind legitime Formulierungsansätze, wo fundierte Kenntnisse von Ort und Geschichte vermitteln. Typenbildung und atypisches Verhalten sind Mittel der Auseinandersetzung, wesentlich sind Bildhaftigkeit und Aussage, die sich dem Nächsten mitteilen. Ein Scherzwinkel ist offenzuhalten, Idealideologien sind unbrauchbar, konstruktive Arbeit ist nicht blindlings Positivismus. Eine Architektur ohne Denken ist unmöglich. Architektur als bildhaftes Denkvermögen einer Zeit. Überlagerung von Rationalität und Emotion, wobei es zu zeigen gilt, dass dies nicht Gegensätze sind. Die Herausforderung der architektonischen Aussage besteht in der kontinuierlichen Artikulation des Selbstverständnisses und des Glaubens der Gegenwart. Architektur als Bild von Reflexion und Schilderung. Die gesamte Kunst- und Architekturgeschichte stellt eine permanente Herausforderung dar, zeitlose Substanz und Zeitaussage zu überlagern. Gedanken zur Architektur, die Grundlage unserer gemeinsamen Arbeit am Gesamtprojekt der Museumsinsel Berlin sind.
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Bode-Museum Berlin, Erschließungsbauwerk, Modell 1998
ANREGUNG UND REFLEXION
Bipolar Bode-Museum Berlin, Aquarellzeichnung 1996
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URBANITÄT BRAUCHT KULTUR KEINE LOKALE VITALITÄT OHNE KULTURELLE KOLLEKTIONEN PETRA ROTH
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hne eine kommunale Kulturpolitik ist ein urbanes Leben mit seiner gesellschaftsformenden Kraft nicht denkbar. Kultur ist Lebensqualität und schafft Lebensqualität in der Stadt. Die Art und Weise der Nutzung der zur eigenen Verfügung stehenden Zeit wird für die Entwicklung der Individuen in unserer Gesellschaft immer bedeutsamer. Eine sinnvolle und sinnerfüllende Gestaltung der Freizeit ist in einer pluralen Gesellschaft nur durch ein vielfältiges Kulturangebot möglich. Nur dann können individuelle kulturelle Ausdrucksformen erkannt und genutzt werden. Dieses wichtige Kennzeichen unserer Gesellschaft muß die unterschiedlichen kulturellen, sozialen und ethnischen Milieus beachten und sich mit den entsprechenden Interessen befassen. Darüber hinaus ist die kulturelle Infrastruktur einer Stadt nicht eine „freiwillige“ Leistung im Sinne eines Luxusobjektes, auf dessen Besitz man verzichten kann, sondern sie ist zusammen mit Bildung und Wissen sogar ein harter Standortfaktur, kein weicher – so bedeutsam ist die Kultur für den Konkurrenzkampf, in dem sich die deutschen Städte in unserer globalisierten Wirtschaft befinden. Die Zukunftsfähigkeit unserer Städte setzt die Zukunftsfähigkeit ihrer Bürgerinnen und Bürger voraus. Es ist die Bildung, die mehr denn je über die Teilhabe des einzelnen am sozio-ökonomischen Leben entscheidet. Dabei geht es um die Vermittlung von kognitivem Wissen wie um die Vermittlung von Schlüsselkompetenzen. Das Anforderungsprofil wächst, auch infolge einer globalisierten Wirtschaft; es ist komplex und umfaßt Wissen, Fachkompetenz, kreative Kompetenz, soziale Kompetenz und Entscheidungsfähigkeit. Ohne kulturelle Bildung kann diesen Anforderungen nicht entsprochen werden. Die zunehmend globalisierten Lebensverhältnisse benötigen um so mehr die lokale Verwurzelung. Über die Sichtbarkeit von Geschichte in einer Kommune, mit einem lokalen Kulturangebot, zugleich aber auch der Präsenz unterschiedlicher kultureller Prägungen wird die Identität einer Stadt hergestellt und bewahrt. Dabei zeigt sich das kulturelle Erbe einer Stadt nicht als statische Gegebenheit, sondern als ein sich ständig veränderndes Phänomen, weil jede neue Generation aus ihrer jeweiligen Perspektive und ihrem zeitgeschichtlichen Kontext auf die Geschichte und ihre Zeugnisse blickt.
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Demokratie lebt auch vom Verständnis der Geschichte in der Stadt. Sich mit der örtlichen Vergangenheit zu beschäftigen, ermöglicht lebendige Einblicke in die von demokratischen und antidemokratischen Entwicklungen geprägte Geschichte unseres Staates und unserer Gesellschaft. Diese vielschichtigen Befassungen mit vergangener Gegenwart und gegenwärtiger Vergangenheit sind notwendiger Hintergrund zur Entwicklung von Zukunftsperspektiven für eine Stadt. Odo Marquard hat sich – wie auch andere Schüler Joachim Ritters – dazu grundlegend geäußert: Die zunehmende Modernisierung benötige eine entsprechende Kompensation, um lebensweltliche Verluste auszugleichen. Deshalb habe „kein Zeitalter (…) mehr Vergangenheit festgehalten: museal aufbewahrt, konservatorisch gepflegt, ökologisch behütet, archivalisch gesammelt, historisch erinnert. Die – technogene – Dauerzerstörung von Vergangenheit wird modern kompensiert durch die – historische – Daueraufbewahrung von Vergangenheit: ohne sie könnten wir – im Zeitalter der Kontinuitätsbrüche – unseren Kontinuitätsbedarf (…) nicht mehr decken (…)“ (aus: „Apologie des Zufälligen“). Nur dadurch sind und bleiben wir zukunftsfähig. Die permanent entstehenden neuen Sichtweisen verlangen somit eine jeweils eigene Sicht in der Darstellung der Objekte, so daß es nicht ausreicht, auf Lexika zu verweisen. Diese Funktionen kann auch nicht das Internet übernehmen, denn zum einem wird dort nur bedingt lektoriert, zum anderen sind dafür die Archive, Museen und Bibliotheken mit ihren alten Wissensbeständen unverzichtbar. Zu recht ist die kommunale Kulturförderung ein Verfassungsauftrag. Die Städte haben die Aufgabe, für sich selbst jeweils ein Kulturprofil zu entwickeln, das der Identität der Stadt entspricht, dabei Traditionen aufnimmt und daraus Zukunftsperspektiven entstehen läßt. Dadurch ist für die Menschen in der Stadt die notwendige kulturelle Identität herzustellen und zu gewährleisten. Die Erhaltung und Weiterentwicklung einer sozialen und kulturellen Infrastruktur stellen einen unverzichtbaren Beitrag für eine „menschliche Stadt“ dar. Bildung und Kultur sind tragende Elemente in einer Stadtentwicklung. Die Angebote von Bildung und Kultur müssen eng miteinander verknüpft sein. Die Kulturarbeit unterstützt die Menschen in der Suche nach neuen Formen der Kommunikation, der Selbstfindung und Selbstverwirklichung. Es wird ein Mehr an kulturellen Angeboten in den Städten verlangt, wenn die Menschen nicht allein auf Angebote einer expandierenden Freizeitindustrie und auf Fernsehkonsum verwiesen werden sollen. Um diese großen Ziele zu erreichen, ist in unserer finanziell kritischen Zeit wirtschaftliches Handeln, das heißt die vorgegebenen Aufgaben zu einem günstigen Preis zu erfüllen, ebenso notwendig wie neue Verantwortungspartnerschaften. Für ein breites Spektrum an Kooperationsmodellen steht der Begriff „Public-private-
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partnership“. Dies ist sowohl eine Form des bürgerschaftlichen Engagements als auch eine Form der gemeinschaftlichen Finanzierung von Projekten und der Führung von Institutionen. Dabei sollen alle Beteiligten Vorteile genießen. Eine weitere Variante, um mehr Flexibilität, Eigenverantwortung und effektiven Umfang mit knappen Ressourcen zu erreichen, stellt die Umwandlung auch von Kultureinrichtungen in private Rechtsträgerformen dar. Sie ist aber kein Allheilmittel zur Lösung von Finanzproblemen der Öffentlichen Hand und ihrer Einrichtungen. Wie bereits betont, ist die Kultur zugleich ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für die Städte. Für die touristische Attraktivität einer Stadt ist ihr Kulturangebot eine bisweilen wesentliche Komponente. „Kultur schafft Arbeit“ ist somit kein leeres Schlagwort. Der Wirtschaftsstandort Deutschland ist in erster Linie der Standort Stadt, weil gerade in den Kommunen die Wirtschaftsleistung erbracht wird. Im geistigen Umfeld der Städte fanden und finden wichtige Innovationen statt. Deshalb muß gerade hier die dazu notwendige Infrastruktur existieren. Es ist deshalb insbesondere die kulturelle Aktivität der Kommunen, die eine umfassende, differenzierte und integrierende Entwicklung des Standort Deutschlands trägt. Deutschland kann nur einen wirtschaftlichen Spitzenplatz erreichen, wenn es das kulturelle Umfeld dazu bietet. Entsprechende Investitionen werden nicht ohne Zukunftsdividende sein. Daß Öffentliche Bibliotheken unverzichtbar sind, hat die Diskussion um den Bildungsstandort Deutschland unter dem Stichwort Pisa deutlich gemacht. Darüber hinaus sollen die Öffentlichen Bibliotheken die Fortbildung und die Weiterbildung fördern, die Ausübung des Berufs unterstützen, den Bevölkerungsgruppen Kommunikationsmöglichkeiten anbieten und die Gestaltung der Freizeit bereichern sowie die gesellschaftliche Orientierung und freie Meinungsbildung unterstützen. In einigen Städten ist es noch möglich, gezielt in Bibliotheken zu investieren, um sozial schwächer gestellte Menschen zu qualifizieren. Zum Teil ist dies aber aufgrund der kommunalen Finanznöte nicht mehr leistbar. Eine Gemeindefinanzreform ist überfällig. Die Zukunftsorientierung verlangt gerade in Bibliotheken die Beachtung neuerer Entwicklungen wie die Bereitstellung digitaler Unterlagen und Informationen. Sie müssen „am Netz“ sein. Das Museum ist ein Kultur- und Bildungsinstitut eigener Art: Es gewinnt seine Bedeutung und seine spezifische Funktion aus der Sammlung von sinnlich wahrnehmbaren und geistig interpretierbaren Natur- und Kulturgegenständen. Die anschauliche Vermittlung von Emotionen, Eindrücken, Anregungen und Wissen gewinnt den verschiedenen Museen weitere Interessentenkreise. Im Museum findet eine vielfältige kulturelle Aktivität und soziale Begegnungen statt. Gerade junge Menschen werden von Museen angesprochen. In der gegenwärtigen Situation einer anhaltenden Wirtschaftsrezension kommt es darauf an, die Kontinuität der kom-
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munalen Museumsförderung zu sichern und dafür Sorge zu tragen, daß die Museen in ihrem laufenden Betrieb funktionsfähig bleiben und ihren kultur- und bildungspolitischen Auftrag erfüllen können. Das Kultur- und Bildungsangebot der Museen ist in erster Linie ein Verdienst kommunaler Kulturpolitik: Träger der Museen sind in der Mehrzahl die Städte. Die Infrastruktur unserer reichen Museumslandschaft darf nicht wegen der Geldknappheit zurückgeschnitten werden. Das historische Erbe der Kommunen konkretisiert sich außer in Bauwerken und Traditionen auch in Quellen wie Urkunden, Akten, Bildern, Karten, elektronischen und digitalen Speichermedien. Auch sie tragen dazu bei, das unverwechselbare Erscheinungsbild einer Stadt zu kreieren. Die Kommunalarchive leisten dafür einen nicht zu unterschätzenden Beitrag. Und sie sind ein unverzichtbarer Bestandteil für eine nachhaltige Kommunalpolitik. Deshalb gehören zu ihren Aufgabenfeldern die Identitätsstiftung, die Gewährleistung des Informationsrechts, die Bewahrung der Dokumente sowie vor allem die Erforschung der Lokalgeschichte. Das Kommunalarchiv ist das zentrale Archiv der Gebietskörperschaft. Der Fülle des urbanen Lebens, der Breite des politischen, sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Geschehens kann das Kommunalarchiv nur gerecht werden, wenn es kooperativ auch die Registraturen von Firmen, Parteien, Vereinen und lokalen Institutionen einbezieht, Nachlässe von Privatpersonen erwirbt und Dokumente zur Kommunalentwicklung wie Zeitungen und Flugblätter sammelt. Kommunalarchive fördern die Bildung durch die Vermittlung von historischem Wissen, das dienlich ist für das Verständnis vieler Lebensbereiche, durch die Präsentation von Originalen, um einen authentischen Zugang zu Quellen der Vergangenheit zu schaffen und um für die historische Bildungsarbeit die Schaffung eines außerschulischen Lernorts zu gewähren. Kommunale Bibliotheken, Archive und Museen sammeln und präsentieren Objekte und Wissenskomponenten, um uns zur Gestaltung der Zukunft zu befähigen. Gerade wegen der Menschen, die auf diese Einrichtungen besonders angewiesen sind, verdienen sie unser uneingeschränktes Engagement. Herr Professor KlausDieter Lehmann hat dies beispielhaft vorgelebt. Dafür verdient er unseren ausdrücklichen Dank. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der kulturellen Kollektionen sowie die kommunalen Kulturpolitikerinnen und Kulturpolitiker werden diesem Vorbild ungeachtet aller finanziellen Probleme nacheifern.
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MUSEUMSINSEL – HAUPTRUNDGANG OSWALD MATHIAS UNGERS
Konzeption Pergamonmuseum
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as Pergamonmuseum wurde als fünftes Haus der Berliner Museumsinsel in den Jahren 1907 bis 1930 zunächst von Alfred Messel und dann nach seinem Tod von Ludwig Hoffmann geplant und realisiert. Die in dieser Zeit schnell wachsenden Berliner Sammlungen benötigten dringend zusätzliche Räume und so wurden Erweiterungsbauten für die ägyptische, die vorderasiatische und die Antikensammlung in einer programmatischen Denkschrift des damaligen Generaldirektors, Wilhelm von Bode, gefordert. Messel schlug vor, die geforderten Einzelbauten für die verschiedenen Museen in einer Dreiflügelanlage um einen gemeinsamen Hof zu legen. Diese als Forum konzipierte Anlage wurde zum Kupfergraben hin von einem vierten Flügel, einer Kolonnade, abgeschlossen und räumlich gefasst. Es entstand ein in seiner funktionalen Gliederung neues bauliches und räumliches Zentrum, als eine Verbindung zwischen dem Bodemuseum im Süden und den Museumsbauten am Lustgarten. Nach einem langwierigen Bauablauf konnte das Gebäude schließlich nach den Wirren des 1. Weltkrieges und der Weimarer Republik nur als Fragment der Öffentlichkeit übergeben werden: es fehlten die von Messel vorgesehene Kolonnadenbebauung im Westen und ein als Eingang zum Pergamonsaal gedachter Porti-
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OSWALD MATHIAS UNGERS Pergamonmuseum Entwurf von Alfred Messel, 1910
kus. Der halbfertige, bruchstückhafte Charakter prägt das Pergamonmuseum bis heute. Er wird inzwischen überlagert von den noch deutlich sichtbaren Spuren der Kriegszerstörungen und den Zeichen eines rapide zunehmenden Verfalls. Mit der Wiedervereinigung und der Entscheidung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die nach der deutschen Teilung zerrissenen Sammlungen der Museumsinsel wieder an ihrem angestammten Ort zusammenzuführen, sind nun die Voraussetzungen für die Vollendung des Pergamonmuseums geschaffen worden. Sie ist damit untrennbar verbunden mit der Gesamtkonzeption der neuen Museumsinsel, die sich nicht als bloße Rekonstruktion eines Vorkriegszustands begreift, sondern als zeitgemäße Fortführung und Erweiterung der ursprünglichen Museumsidee des Universalmuseums.
Pergamonmuseum Entwurf mit Tempietto und 4. Flügel, 2001
MUSEUMSINSEL – HAUPTRUNDGANG Pergamonmuseum Nordflügel-Kopfbau: Schlütersaal mit der Sphinx der Hatschepsut und der Widderstatue des Gottes Amun (Ägyptisches Museum)
Pergamonmuseum Neuer 4. Flügel: KalabschaTor (um 10 v. Chr., Ägyptisches Museum)
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Museumsforum Unter Hinzufügung eines Tempiettos als Eingang der Antikensammlung und eines vierten Arkadenflügels zum Kupfergraben für den Ägyptischen Tempel wird die Idee des Museumsforums wieder aufgenommen und im Sinne Messels zu Ende geführt. Es entsteht ein städtischer Raum, der durch das offene Erdgeschoß des vierten Flügels jederzeit vom Kupfergraben aus zugänglich ist. Pergamonmuseum Neuer 4. Flügel: SahurêTempel (um 2450 v. Chr., Ägyptisches Museum)
Pergamonmuseum Neuer 4. Flügel: Tell-HalafFassade (9. Jh. v. Chr., Vorderasiatisches Museum)
MUSEUMSINSEL – HAUPTRUNDGANG Pergamonmuseum Südflügel: Prozessionsstraße von Babylon (6. Jh. v. Chr., Vorderasiatisches Museum)
Mit dieser Maßnahme erhält der Hof des Pergamonmuseums seine ursprünglich intendierte städtebauliche Funktion. Das architektonische Vokabular der neuen Bauteile bezieht sich auf die gegebene Architektur des Hauses. Die neuen Bauteile sollen eindeutig als Hinzufügungen erkennbar sein. Die konzeptionelle Strategie zielt darauf ab, die Kontinuität des 1930 unterbrochenen Bauprozesses behutsam wiederherzustellen und in zeitgemäßer Form fortzuführen. In der Logik der Wiederaufnahme der Forumskonzeption liegt auch die Notwendigkeit einer Neuordnung der Zugänge: die einzelnen Museen, die sich um das Forum lagern, sollen wieder in ihrer Eigenständigkeit als Einzelbauten erkennbar werden. So erhalten das Museum für Islamische Kunst im Nordflügel und das Vorderasiatische Museum im Südflügel eigene Eingänge und Foyerbereiche. Der neue Tempietto bleibt allein der Antikensammlung und der räumlichen Vorbereitung auf den Pergamonaltar vorbehalten.
Museum antiker Weltarchitekturen Der inhaltliche Schwerpunkt des Pergamonmuseums liegt auf der Präsentation antiker Großarchitekturen. Auf unvergleichlich direkte und anschauliche Art wird der Besucher hier konfrontiert mit den originalen Zeugnissen antiker Baukunst. Der Pergamonsaal bildet dabei nur den Auftakt. Es folgen die Säle mit dem Milet-
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OSWALD MATHIAS UNGERS Pergamonmuseum Südflügel: Ischtar-Tor von Babylon (6. Jh. v. Chr., Vorderasiatisches Museum)
Pergamonmuseum Mittelbau-Süd: Markttor von Milet (2. Jh. n. Chr., Antikensammlung)
MUSEUMSINSEL – HAUPTRUNDGANG
tor, dem Ischtartor und schließlich der Saal mit der Prozessionsstraße. Diese einzigartige museale Raumfolge wird nun ergänzt und vervollständigt: im Nordflügel wird die Mschatta-Fassade aufgestellt, im neuen vierten Flügel der Ägyptische Tempel, der aus Charlottenburg auf die Museumsinsel zurückkehrt, und im Südflügel schließlich die Palastfassade des Wüstenschlosses Tell-Halaf. Es entsteht ein chronologischer Rundgang durch etwa 3.000 Jahre antiker Architekturgeschichte, und damit ein Museum antiker Weltarchitekturen, das nicht nur die Ursprünge und die Entwicklung der Architektur und der Kunst in Afrika, Europa und Asien, sondern auch die Idee der Museumsinsel als Universalmuseum in eindrücklicher Weise veranschaulicht. Dieses Museum der Weltkulturen bildet den zukünftigen Hauptrundgang der Museumsinsel.
Hauptrundgang Der Hauptrundgang beginnt und endet im Schlütersaal. Von hier aus ist die Anbindung an das neue Eingangsgebäude möglich. Der Rundgang umfaßt einen historischen Zeitraum von über 3000 Jahren Kulturgeschichte und ist in dieser Form ein einmaliges Erlebnis in der Welt der Kulturen. Es beginnt mit dem Ägyptischen Kalabschator, führt zum ägyptischen Sahure Tempel (2.500 v. Chr.), setzt
Pergamonmuseum Mittelbau: Pergamonaltar (2. Jh. v. Chr., Antikensammlung)
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OSWALD MATHIAS UNGERS Pergamonmuseum Mittelbau-Nord: Hellenistischer Saal (Antikensammlung)
sich fort in der Tel-Halaf-Fassade (9. Jh. v. Chr.), gefolgt von der babylonischen Prozessionsstraße aus dem 6. Jh. v. Chr. und findet seinen ersten Höhepunkt im Ischtartor (6. Jh. v. Chr.). Mit dem Markttor von Milet (2. Jh. v. Chr.) beginnt die griechische Antike. Von hier betritt man die Hauptattraktion des Rundganges, den Pergamonsaal mit dem Pergamonaltar (2. Jh. v. Chr.). Der Weg führt weiter zum Antikensaal mit den hellenistischen Großarchitekturen und der Antikensammlung aus verschiedenen Jahrhunderten; führt an der islamischen Mschatta-Fassade (8. Jh. n. Chr.) vorbei und endet schließlich wieder am ägyptischen Kalabscha-Tor und Sahure-Tempel. Dieser Hauptrundgang ist eines der wesentlichen Elemente der Museumsinsel und bildet als Ausstellungsensemble eine Hauptattraktion. Der Rundgang schafft in seiner Einmaligkeit eine völlig neue museale Attraktivität, die es bisher in dieser Erlebnisform noch nicht gegeben hat. Sie ist die Synopsis für den Besucher, der nur kurze Zeit im Museum verweilt und dem ein eindrucksvoller und bleibender Überblick über die Weltkulturen der Antike vermittelt wird. Neben der behutsamen Komplettierung des Hauses geht es also insbesondere darum, das Pergamonmuseum in den Gesamtorganismus der neuen Museumsinsel einzufügen und zwar so, daß der Charakter des Hauses nicht kompromittiert wird. Die Konzeption für das Haus versucht in diesem Sinne, das gegebene formaltypologische und inhaltlich-konzeptionelle Potential des Hauses freizulegen und für die Vision einer neuen Museumsinsel nutzbar zu machen: Die Reinterpretation des
MUSEUMSINSEL – HAUPTRUNDGANG Pergamonmuseum Nordflügel: MschattaFassade (8. Jh. n. Chr., Museum für Islamische Kunst)
Ehrenhofes als Museumsforum, die sinngemäße Ergänzung der historischen Ausstellungskonzeptionen von Wiegand und Andrae durch die Neuaufstellung der Mschatta-Fassade, des Ägyptischen Tempels und der Tell-Halaf-Fassade sowie die Einbindung der Museen des Pergamonmuseums in die Gesamtkonzeption der Sammlungen auf der Museumsinsel, sind Maßnahmen, die darauf abzielen, daß der heute so merkwürdig anmutende Torso des Pergamonmuseums schließlich zu dem wird, was sich Wilhelm Bode 1909 erhoffte, nämlich zu dem „wirkungsvollen Zentrum sämtlicher Bauten der Museumsinsel“. Der Hauptrundgang hat das Potential, die Museumsinsel als zentrale Attraktion zu erfassen und als ein Haupterlebnis zur Wirkung zu bringen und damit einem Weltmuseum antiker Architekturen Geltung zu verleihen.
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EIN KULTUR- UND WISSENSGESTÜTZTES FORUM ALS SINNSTIFTENDE NEUE MITTE DER DEUTSCHEN HAUPTSTADT THOMAS FLIERL
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ast wäre sie nur eine weitere der unzähligen und folgenlos gebliebenen Diskussionen gewesen, diese Runde, in der am Abend des 3. Mai 2000 im Haus Liebermann am Pariser Platz zur Zukunft des Berliner Schlossplatzes diskutiert wurde. Doch es kam anders. Republikweit horchte man auf, als sich – medial vielfach verstärkt – eine zum Konzept wachsende „grundstürzende Idee“ des Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Prof. Dr. h. c. Klaus-Dieter Lehmann, verbreitete, wie „ein Urknall, der das Reden wieder an die Stelle des Raunens setzte“ (Heinrich Wefing). Mit dem Vorschlag zur Verlagerung der Dahlemer Museen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz auf die Mitte der Spreeinsel war nicht nur endlich eine öffentliche Funktion für den ersehnten Neubau gefunden, sondern auch eine Aussicht auf dessen anteilige Finanzierung eröffnet (die Dahlemer Museen müssten ohnehin bald saniert werden). Gleichwohl hatte dieser Vorschlag Voraussetzungen. Zehn Jahre lang hatte man bundesweit kontrovers diskutiert, wie die alte preußisch-deutsche Staatsmitte auf der Spreeinsel, die von der DDR zur gesellschaftlichen Mitte ihrer Republik gemacht worden war, nach der deutschen Einheit genutzt und gestaltet werden sollte. Die Mitte der Spreeinsel war nach 1990 zum bevorzugten Ort symbolischer Auseinandersetzungen geworden. Der Palast der Republik, zu den Wahlen im März 1990 noch gläserne Lobby der neuen Demokratie und Ort des Beschlusses über den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik, wurde aus Anlass der anstehenden Asbestsanierung mehr als ein Jahrzehnt vom gesellschaftlichen Wandel ausgeschlossen. Statt die gesellschaftliche Bedeutung des zentralen Gebäudes, wie die DDR ihren Palast begriff, durch Umnutzung zu erneuern und es durch funktionalen Wandel auch baulich fortzuentwickeln, wurde das Gebäude durch die Schließung retrospektiv ideologisiert: als Ort verlorengegangener Identität. Die einen beklagten den Verlust des DDR-Palastes, die anderen den Verlust des im Krieg teilzerstörten und 1950 abgetragenen Schlosses. Die symbolische Konfrontation von Palast und Schloss in den 90er Jahren war keineswegs nur ein gespenstischer Kampf retrospektiver Erfahrungen von gestern
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gegen die von vorvorgestern. Das unbewältigte Erbe der beigetretenen DDR und die in die Vergangenheit verklärte Zukunft – bei gleichzeitigem politischen Unvermögen, das Projekt auf der Spreeinsel zu einem bundesweiten, diskursiven, Einheit und Sinn stiftenden Projekt zu machen, machte den Schlossplatz zum metaphorischen Ort des aktuellen Standes der deutschen Einigung. Zu keinem Zeitpunkt hat die Regierungspolitik auf Bundes- und Berliner Ebene den Erhalt und den Weiterbau des inzwischen asbestbereinigten Palastgebäudes ernsthaft erwogen. Doch listig, wie die Geschichte ist, bleiben Fragen, selbst wenn alle Antworten scheinbar schon gegeben wurden. Anfänglich hatte die Bundesregierung als Eigentümerin den Platz umkreist und es nicht gewagt, wie zwischenzeitlich erwogen, hier den Sitz eines Verfassungsorgans oder einer internationalen Organisation vorzusehen. Neben den finanziellen Aspekten des Hauptstadtumzugs mag dahinter schon früh die Erkenntnis gestanden haben, dass eine ausschließlich staatlich-repräsentative Nutzung weit hinter das Maß an Öffentlichkeit zurückführen würde, das die DDR in den engen Grenzen ihrer Gesellschaft mit dem Palast der Republik immerhin bereits geschaffen hatte. Von Berliner Seite hatte man zwar ein Konzept zur Wiederbelebung des Palastes der Republik als Standort einer erstmals vereinigten Berliner Landesbibliothek mit Anklang an das Centre Pompidou entwickelt, Berlin allein konnte ein solches „grand projet“ aber nicht stemmen. Währenddessen sich die Stadt ringsum baulich dramatisch veränderte, beherrschte die Mitte der Spreeinsel eine eigentümliche Dualität: die jahrelange Baustelle zur Asbestbeseitigung im Palast und die banalisierte Nutzung auf dem missverständlich Schlossplatz genannten Ort standen völlig neben der städtebaulichen und kunsthistorischen Debatte über die frühere Bedeutung des ehemaligen Berliner Schlosses für die Berliner Innenstadt. Karl Friedrich Schinkel, der insgesamt 21 Entwürfe seines Alten Museums verworfen hatte, bevor er mit einer Version zufrieden war, die sich optimal auf das gegenüberliegende Berliner Schloss bezog, hatte größten Respekt vor dem Werk seines Kollegen Schlüter, als er als Leiter des preußischen Staatsbauamtes schrieb: „Von den eigentlich classischen Gebäuden, die in ihrer ganzen Idee etwas eigenthümliches und vorzüglich großartiges haben, besitzt Berlin nur zwei: das königliche Schloss und das Zeughaus. Den Kunstwerth beider verdanken wir Schlüter; sie stehen zugleich als Monumente der Kunst da und werden immer wichtiger, je weniger die Zeit im Stande sein wird, sich auf so große und neue Werke einzulassen, und zugleich wird von dieser Seite die Pflicht um so dringlicher, die geerbten Schätze in ihrer ganzen Herrlichkeit zu erhalten, selbst in den ungünstigen Zeiten sind die hierauf zu verwendenden Mittel nie als eine überflüssige Verschwendung anzusehen, weil der zwar indirekte Nutzen, welcher daraus erwächst, zu allgemein und zu groß ist.“
EIN KULTUR- UND WISSENSGESTÜTZTES FORUM
Wie nun Berlin mit dem verlorenen und mit dem überkommenen städtebaulichen Erbe umgehen sollte, war – bis auf die politisch gewollte Beseitigung des Republikpalastes – lange durch entschiedene Unentschlossenheit gekennzeichnet: Zunächst wurde am 23. März 1993 ein internationaler Städtebaulicher Wettbewerb ausgelobt, während sich im gleichen Jahr der Förderverein für die Rekonstruktion des Schlosses durch die Errichtung einer Nachbildung der Schlossfassade an einem Stahlrohrgerüst überaus öffentlichkeitswirksam zu Wort meldete. An dem Ideenwettbewerb „Spreeinsel“ des Jahres 1994 beteiligten sich 1.100 Teilnehmer. Bernd Niebuhr wurde für sein Konzept eines modernen Baukörpers in den Dimensionen des Schlosses mit dem ersten Preis ausgezeichnet. Konkrete Folgen hatte das jedoch nicht. Dagegen beschloss der Gemeinsame Ausschuss von Bund und Land Berlin im Mai 1995 ein im Rahmen des Hauptstadtumzugs finanzierbar erscheinendes Konzept, das ein Konferenzzentrum mit Hotel, eine große Bibliothek, eine Ausstellungsfläche sowie Läden und Geschäfte vorsah. Auf dieser Grundlage lobten beide im Juli 1997 ein Interessenbekundungsverfahren aus, an dem sich 55 Interessenten beteiligten. 1998 wurden zwar 14 Arbeiten ausgewählt, ein erster Preis wurde jedoch von den Auslobern nicht gekürt, da kein Vorschlag eine überzeugende, sowohl wirtschaftliche wie auch dem Ort und seiner kulturellen Bedeutung angemessene Gestalt und Konzeption als Lösungsperspektive anbot. Im Juli 1999 verständigten sich Bund und Land Berlin schließlich auf einen neuen Anlauf, die Berufung einer Internationalen Expertenkommission Historische Mitte Berlins, die nun erstmals systematisch die städtebaulichen, historischen, kulturellen und wirtschaftlichen Implikationen des Standortes bearbeiten und eine Empfehlung für eine angemessene Nutzung und Bebauung abgeben sollte. In dieser Situation kam nun die rettende Idee von Prof. Klaus-Dieter Lehmann, die nicht nur den Grundmangel der vorlaufenden Diskussion, das Fehlen eines inhaltlich und konzeptionell überzeugenden Nutzungskonzeptes überwand, die mit der Verlagerung der Dahlemer Museen der außereuropäischen Kulturen indirekt eine erste öffentliche Finanzierungsquelle auswies, sondern sich zugleich in der heftig umstrittenen Frage der Gestalt einer künftigen Bebauung bedeckt hielt, indem er formulierte, dass er sich „auf der Spreeinsel durchaus auch einen Neubau in der heutigen Formensprache vorstellen“ könne. Hier hatte der moderierende Inspirator Prof. Klaus-Dieter Lehmann die heftig miteinander im Streit liegenden Parteien der Rekonstrukteure des Alten und der Verfechter der Moderne mit einem Schlag auf seiner Seite, alles atmete hörbar erleichtert auf und die FAZ konstatierte, „Lehmanns Vorstoß stellt die Debatte bereits jetzt (also schon vor Arbeitsaufnahme der Expertenkommission, T. F.) vom Kopf auf die Füße.“ Schließlich war die Nutzungsfrage „der archimedische Punkt, von dem aus sich eine auf Dauer befriedigende Lösung der Schlossplatzproblematik herleiten lässt“,
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wie Bernd Schulz im Tagesspiegel feststellte. Staatsminister Michael Naumann brachte die Meinung der Öffentlichkeit auf den Punkt, indem er feststellte: „Diesem Plan haftet etwas Genialisches, Einfaches und Naheliegendes an.“ In der Tat hatte der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, der, frisch ins Amt gekommen, sich Arm in Arm mit dem Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, Prof. Dr. Peter-Klaus Schuster, mit voller Kraft auf die Umsetzung des so genannten „Masterplans“ für die Museumsinsel geworfen hatte, die Wurzeln der großartigen Museumslandschaft, dieser „Freistätte für die Kunst und die Wissenschaft“ zurückverfolgt in das Berliner Schloss und dabei nicht nur den engen architektonisch-städtebaulichen Dialog dieses Ensembles, sondern vor allem den inhaltlichen Kontext verinnerlicht, den er nun für die Ausgestaltung der Mitte des neuen Berlin nutzbar machen wollte. Zugleich hatte er ein anderes Sorgenkind seines Zuständigkeitsbereiches im Blick, die dringend sanierungsbedürftigen Dahlemer Museen (Ethnologisches Museum, Museen für Indische, Ostasiatische Kunst sowie für Europäische Kulturen), die mit der neuen Zentrierung des wiedervereinigten Berlins an die Peripherie der Wahrnehmung und der Stadtgeografie geraten waren und nun weit unter ihrem kulturellem Wert gehandelt wurden. Dies alles zusammengenommen führte ihn zu der Überlegung, dass die Verlagerung dieser Museen auf die Spreeinsel nicht nur eine großartige Ergänzung der dort schon versammelten Kunst- und Kulturgeschichte aus 6.000 Jahren Europas und des vorderen Orients, die Aufnahme eines Dialoges der verschiedenen Kulturen an diesem Standort ermöglichen würde. Er verstand die Ansiedlung der unglaublich vielfältigen außereuropäischen Sammlungen in der Mitte der deutschen Hauptstadt auch als eine aufrichtige Geste des wiedervereinigten Deutschland an die Welt. Hier würde die bislang doch eher eurozentrierte, postkoloniale Sicht der ursprünglichen Sammlungen demonstrativ aufgegeben zugunsten einer universellen Haltung, die zum einen vom Respekt vor anderen Kulturen getragen ist, die an ihren eigenen Maßstäben gemessen und gewürdigt werden müssten und zugleich den globalen Dialog über eine gemeinsame, von universellen Prinzipien geleiteten Zukunft der Weltgemeinschaft ermöglicht. In seiner Vorlage an den Stiftungsrat der Stiftung Preußischer Kulturbesitz schrieb Prof. Lehmann am 26. Mai 2000: „Die Dahlemer Sammlungen des Ethnologischen Museums, des Ostasiatischen Museums, des Indischen Museums und des Museums für Europäische Kulturen1 sind
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Das Museum für Europäische Kulturen ist noch immer als „Untermieter“ im Magazin des Geheimen Staatsarchivs untergebracht, weshalb dieses seine ausgelagerten Bestände nicht an den Stammsitz zurückführen kann, sondern mit einer behelfsmäßigen Außenstelle am Westhafen leben muss.
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geeignet, den Kulturen der Welt in unserem Denken und Handeln eine neue Präsenz zu geben, nicht als Rangvergleich mit der abendländischen Kunst, sondern in der Eigenständigkeit, im gegenseitigen Respekt, im Gespräch zwischen den Kulturen. Identität und Offenheit sind das entscheidende Begriffspaar für diese Auffassung. Weder eine eurozentristische Sicht oder imperiale Geste, noch die Reduzierung dieser Kulturen auf formalästhetische Kategorien sind geeignet, das neue Konzept zu bestimmen. Auch das Musée Imaginaire von André Malraux, das alle Bildwerke der ganzen Welt vereinigen soll, genügt wegen seiner selbstreferenziellen Ästhetik dem Ansatz der Kulturen der Welt nicht. Es muss ein Ort sein, der Kunst und Leben in Beziehung setzt, der Mythen sichtbar macht, der auch unauflösbare Fremdheit respektiert, der nicht über, sondern mit dem Fremden arbeitet, eine Werkstatt der Teilhabe, ein Reflexionsort des Staunens, Innehaltens und Verstehens. Damit kommen wir von festgefahrenen starren Bildern zu einer lebendigen gleichrangigen Zeitgenossenschaft der Weltkulturen. Wenn dieses Denken über Weltkulturen eine Werkstatt für den kulturellen Dialog wird, dann hat Berlin einen neuen kulturpolitischen Impuls gesetzt, der im Zusammenhang mit der Museumsinsel nicht nur eine enorme Ausstrahlungskraft haben wird, sondern auch ein neues Bild für die Beziehungen unseres Landes zu anderen Kulturen formen wird. Eine interkulturelle Werkstatt benötigt aber mehr als nur die Museen. Sie bilden den Kern. Hinzutreten müssen weitere Funktionen, wie ein interdisziplinäres Kulturkolleg mit Kolloquien, Veranstaltungen und Wissenschaftsdisziplinen, ein Haus der Kulturen der Welt mit Theater-, Literatur- und Musikaktivitäten, ein Medienzentrum zur Organisation technischer und intellektueller Netzwerke. Dieser Ort der Seherfahrung, der Experimente, der Wissenschaft und der Heiterkeit ist keine Utopie, sondern eine Vision. Eine Vision, die man in pragmatischen Schritten erreichen kann.“ Der Stiftungsrat ließ sich von dieser Vision, aber auch der praktischen Argumentation begeistern und gab dem Stiftungspräsidenten am 13. Juni 2000 den Auftrag „auf der Grundlage des Ideensatzes seiner Vorlage eine inhaltliche und konzeptionelle Konkretisierung in Form einer Studie vorzulegen“. Prof. Lehmann strebte somit keine – von einigen Kritikern ins Feld geführte – weitere Musealisierung der Berliner Mitte, sondern im Gegenteil die Belebung dieses zentralen Ortes, die Vernetzung hier schon vorhandener Kultur-, Bildungs- und Politikeinrichtungen an. Im Sinne Wilhelm von Humboldts sollten das Forum Fridericianum und die Museumsinsel fortentwickelt und die hier schon ansässigen Potenzen durch weitere Ergänzungen zu einem einzigartigen Ensemble zusammengeführt werden.
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Dass solche Konzepte den Forderungen unseres globalisierten Zeitalters entsprechen, zeigt das Beispiel Paris, wo für rund 400 Mio. € das Musée du Quai Branly die bislang eher randständigen ethnologischen Museen nun im Zentrum versammelt und mit einem völlig neuen Ausstellungskonzept die ebenfalls reichen, vor allem aus kolonialer Vergangenheit stammenden Bestände präsentiert. Als schließlich am 16. Januar 2001 die Internationale Expertenkommission für die Historische Mitte Berlins unter dem Vorsitz des ehemaligen Wiener Stadtrats für Stadtplanung und Stadtentwicklung Hannes Swoboda zusammentrat, war der ausführlich erläuterte Vorschlag des Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz bereits breit akzeptiert, war man doch froh, dass der wesentliche Baustein des Kommissionsauftrages, das Nutzungskonzept, mit diesem Vorschlag schon in seinen Grundzügen konsensfähig formuliert worden war. Weitere Aufgaben der Kommission bestanden in der Klärung der baulichen Gestalt der Bebauung und in der Frage der Finanzierung. Als Vorsitzender der „Arbeitsgruppe Nutzungskonzept“ stellte Prof. Lehmann am 19. Dezember 2001 eine „Entscheidungsgrundlage für das Nutzungskonzept Schlossplatz gemäß den Vorgaben der Kommission“, wie sie in der zwischenzeitlichen Diskussion der Expertenkommission formuliert worden waren, vor. Das Papier basiert auf der Auffassung der Arbeitsgruppe, „dass die vorgeschlagene Nutzung mit den Hauptpartnern außereuropäische Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Wissenschaftssammlungen der Humboldt-Universität und die Zentral- und Landesbibliothek Berlin (ZLB) ein optimales neuartiges Konzept bietet, mit dem die Unteilbarkeit von Kunst und Wissenschaft, die Verbindung von Text- und Bildkultur, der Dialog der Kulturen der Welt, der historische Bezug zum Schlosslatz und das Labor des wissenschaftlichen Diskurses offensiv vermittelt werden können.“ Das Konzept firmierte nun unter dem Titel „Humboldt-Forum“. Natürlich wurde heftigst um die Flächenanteile zwischen den drei Nutzern einerseits und dem „Agora“ benannten öffentlichen und gemeinsamen, teilweise auch kommerziellen Bereich gerungen. Es setzte sich aber für die folgenden Beratungen eine Priorität durch, die die Reihenfolge Museum, Wissenschaft und Bibliothek formulierte. Einig war man sich vor allem, dass es kein Nebeneinander bislang unbehauster oder in räumlicher Enge lebender Einrichtungen am Schlossplatz geben solle, sondern dass die Angebote aufeinander bezogen und inhaltlich und auch räumlich miteinander verschränkt sein und so dem Besucher ein völlig neues Angebot machen sollten. Problematisch war allerdings schon in den Beratungen der Expertenkommission, die fachlich begründeten Flächenanforderungen in Übereinstimmung mit den maximal bebaubaren Flächen zu bringen, weshalb das später für eine Privatuniversität zur Verfügung gestellte ehemalige Staatsratsgebäude wie
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auch Flächen auf der ehemaligen Schlossfreiheit zunächst in die Planungen einbezogen wurden. Während das von Prof. Lehmann immer weiter verfeinerte Nutzungskonzept dem Grunde nach nie in der Kontroverse stand, gab es hinsichtlich der äußeren Form, in der ein solches Humboldt-Forum entstehen soll, tiefgreifende Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern der historischen Schlossgestalt in der Schlüterschen Fassung und den Verfechtern einer solchen mit einem modernen Gesicht. Dies zeigte sich dann auch in der entscheidenden Abstimmung im Juli 2001, in der die Rekonstruktion der barocken Fassaden an den drei Außenseiten des Schlosses und im Schlüterhof mit nur einer Stimme Mehrheit (numerisch der Stimme des Moderators Swoboda) empfohlen wurde. In den Schlussabstimmungen wurde das Nutzungskonzept einmütig begrüßt. Damit hatte Prof. Lehmann den Standort auf dem Schlossplatz für den Preußischen Kulturbesitz reklamiert, konzeptionell im Sinne eines „Masterplans II“ gefüllt und dafür bei allen Entscheidungsträgern uneingeschränkte Zustimmung gefunden. Wenn auch noch nicht hinsichtlich eines Realisierungshorizontes, d. h. Finanzkonzeptes, so doch dem Inhalte nach. Grundlage dabei war allerdings immer, dass die Vollendung der Museumsinsel oberste Priorität behält. Der enge Zusammenhang der Schlossplatzfrage mit den maroden Baulichkeiten der Dahlemer Museen (vorübergehende Herrichtung und späterer Umzug an den Schlossplatz versus Grundinstandsetzung und Verbleib in Dahlem) wurde zwar von allen gesehen, aber in der Sache selbst wurde noch keine Entscheidung getroffen. Dem Generaldirektor der Staatlichen Museen, den Dahlemer Museen und ihren Mitarbeiter/innen hat die greifbare Möglichkeit, auf den Schlossplatz zu ziehen, eine neue Perspektive eröffnet. Sie setzten sich daran, Konzepte zu entwickeln, die einen Vorlauf für die künftige Arbeit am Schlossplatz schon in Dahlem ermöglichen sollen, damit man hier schon ausprobieren kann, was dann später am neuen Ort in hierfür besonders qualifizierten Räumen und mit den angestrebten Bezügen zur Arbeit der dort hinzukommenden Institute noch vertieft werden soll. Am 4. Juli 2002 machte sich der Deutsche Bundestag die Empfehlungen der Expertenkommission zu eigen, der Palast solle abgerissen werden, ein Neubau in der Kubatur des Schlosses mit den barocken Fassaden errichtet, das von Expertenkommission empfohlene Nutzungskonzept realisiert werden. Ernüchternd war der Rückschlag, den das Projekt in der Arbeitsgruppe zur Umsetzung der Empfehlungen unter dem Vorsitz der Beauftragten für Kultur und Medien, Kulturstaatsministerin Christina Weiss, erhielt. Es mussten die Flächenberechnungen korrigiert werden, da sich Fehler eingeschlichen hatten. Gleichzeitig forderte das Bundesfinanzministerium einen weitaus größeren kommerziell nutzbaren Bereich zur Refinanzierung des Gesamtprojektes, was die kulturelle Nutzung
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Entwurf für das Humboldt-Forum der Kunst und Kulturen der Welt. Graphische Gestaltung: Renate Sander/Viola König, Ethnologisches Museum – Staatliche Museen zu Berlin 2003
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– also den eigentlichen Kern des Nutzungskonzeptes – nur zu einer Randnutzung gemacht hätte. Die Kulturstaatsministerin und die Verantwortlichen auf Berliner Seite konnten diese, das Projekt in der Substanz auszehrende Zumutung zurückweisen, aber letztlich nur um den Preis eines zweijährigen Moratoriums. In dieser Zeit sollen das Nutzungskonzept weiter ausgearbeitet und die Planungsarbeiten für einen Internationalen öffentlichen Wettbewerb in Angriff genommen werden. Im Beschluss des Deutschen Bundestages vom 13. November 2003, der das Moratorium bestätigte, heißt es zur Realisierungsperspektive: „Die Umsetzung des Bundestagsbeschlusses und die Realisierung sollten bei wirtschaftlich und haushaltsmäßig besserer Situation ohne Zeitverzug möglich bleiben.“ Wieder versuchte Prof. Klaus-Dieter Lehmann einen Ausweg aus dem Dilemma zu finden. In schwierigen Diskussionen mit den verantwortlichen Museumsleuten in der Generaldirektion und den Dahlemer Museen hat der Präsident durchgesetzt, dass die Museumsdepots, die dort jetzt in unmittelbarer Nachbarschaft der Schauräume sind und die im ursprünglichen Konzept des Humboldt-Forums als Schaudepots für den Besucher zugänglich gemacht werden sollen, perspektivisch an einen neu zu schaffenden zentralen Depotstandort der Stiftung nach Friedrichshagen (wo auch die Speicherbibliothek der Staatsbibliothek entstehen soll) verlegt werden. Damit werden die Flächenanforderungen für den Neubau auf dem Schlossplatz in einer Größenordnung entlastet, die vorher nicht realisierbare wirtschaftliche Lösungen ermöglicht. Zum anderen hat er in der Arbeitsgruppe Bau des Stiftungsrates im Oktober 2004 ein Sanierungskonzept vorgelegt, das die weitere Nutzung der Gebäude in Dahlem für einen Zeitraum von „10 plus x“ Jahren ermöglichen soll. Konzeptionell soll dabei die zukünftige Nutzung im Sinne des Humboldt-Forums vorbereitet und erprobt werden. Mit seinem schon im Juli 2003 geschlossenen taktischen Bündnis mit dem Förderverein Berliner Schloss zur Errichtung einer so genannten Info-Box auf dem Schlossplatz hat Prof. Lehmann sich der Möglichkeit versichert, an diesem attraktiven und besucherträchtigen Ort nicht nur den Fortschritt der Projekte auf der Museumsinsel zu dokumentieren, sondern auch die Perspektive auf das HumboldtForum zu lenken. Prof. Lehmann weiß, dass er auf schmalen Grat balanciert. Einerseits ist die ursprüngliche Nutzungsverteilung von 80 zu 20 Prozent zugunsten kultureller gegenüber kommerzieller Nutzung zur Zeit finanziell nicht darstellbar. Andererseits stellt eine weitere Absenkung der kulturell genutzten Flächen das HumboldtForum auch dadurch in Frage, weil Humboldt-Universität und Landesbibliothek aus dem Konzept gedrängt werden. Ausschließlich kommerziell gedachte Privatnutzung kann das Projekt ebenfalls sprengen. Deshalb hat Prof. Lehmann vor kurzem
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seine Vorstellung von der Nutzung der privatwirtschaftlich finanzierten Flächen präzisiert: bei 65 % kultureller Nutzung sollten in den verbleibenden 35 % sich insbesondere die bundesweit agierenden Kultur- und Wissenschaftsinstitutionen ansiedeln. Noch besteht die Chance, die Idee des „Humboldt-Forums“ zu einem kulturund wissensgestützten Forum fortzuentwickeln, ein Forum, das im globalen Dialog gesellschaftliche Zukunft denk- und gestaltbar macht. Diesen offenen Dialog überhaupt zu ermöglichen, ihm eine institutionelle Basis zu geben, ihn zugleich historisch-topografisch sinnstiftend zu verorten – das ist die hauptstadtbildende Idee des neuen Forums, eines Forums, das das Forum Fridericianum und die Museumsinsel reinterpretiert und neu zentriert. Ein Kultur- und Wissenschaftsforum ist die ideale Gestalt eines Bürgerforums des 21. Jahrhunderts, wäre die tatsächliche Aufhebung des preußischen Staatsforums und der Traditionen des Volkshauses bzw. Kulturpalastes. Die Hauptstadtwerdung Berlins ist mit dem Umzug von Parlament und Regierung nicht abgeschlossen. Die Hauptstadt des geeinten Deutschland hat ihr politisches Zentrum im Spreebogen gefunden. Die Zukunftsfähigkeit Deutschlands beim Übergang zur Wissensgesellschaft kann ihr Öffentlichkeit bildendes und damit öffentlichkeitswirksamstes Projekt im kultur- und wissensgestützten Forum als neuer sinnstiftender Mitte der Hauptstadt finden. Nicht die Debatte über die Fassadengestaltung, sondern ob Deutschland überhaupt in der Lage ist, ein solches öffentliches „grand projet“ zu konzipieren und zu realisieren, ist die bundespolitisch entscheidende Frage. Auch der Schlüterhof kann kein Essential des ForumProjektes neuer Art sein. Der Kreis dieser nun in Aussicht genommenen zukünftigen Nutzer sollte es auch sein, der eine gemeinsame Trägerschaft für die Errichtung und Betreibung des Forums entwickelt. Das zu Ende gehende Moratorium wird daher nicht nur eine abstrakt gerechnete Raumverteilung und Finanzierungsstruktur aufweisen, sondern sich zur Kernfrage des Projekts äußern müssen: wer ist Bauherr und zukünftiger Betreiber? Gelingt es, eine dominant öffentlich-rechtliche Struktur zu entwickeln, die das angestrebte Nutzungskonzept realisiert und auf Dauer sichert? Schon die Expertenkommission und das Berliner Angeordnetenhaus hatten eine kulturelle Zwischennutzung des Palastes beschlossen, um die Zeit bis zum konkreten Baubeginn auf dem Schossplatz mit einer lebendigen Nutzung zu überbrücken. Diese Nutzung hat in diesem Jahr begonnen, hat einen großen Anklang beim Publikum gefunden und soll im nächsten Jahr fortgesetzt werden. Die temporäre Zwischennutzung hat zu einer spürbaren Beseitigung der Konfrontation in der Debatte beigetragen. Weder war die Nutzung als „Volkspalast“ auf eine retrospektive Idealisierung des Palastes der Republik gerichtet, noch stellt sie grundsätz-
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lich die Perspektive eines Neubaus in Frage. Noch nie waren so unterschiedliche Akteure und gesellschaftliche Gruppen aus Politik, Wirtschaft, Kultur wie selbstverständlich an diesem Ort präsent. Der Rohbau des früheren DDR-Palastes erwies sich nun – metaphorisch – als Rohbau der Republik. Der von Teilen des Berliner Senats und von der Bundesregierung gewollte kurzfristige Abbruch des Palastes – bevor das Anschlussprojekt konzipiert, beschlossen und tatsächlich in Angriff genommen ist – führt nicht nur in die alte Konfrontation zurück, schafft nicht nur zusätzliche Kosten, sondern er riskiert das Zukunftsprojekt selbst. Auch die Schlossanhänger müssen einsehen: ein Neubau kommt nur solange der Palastrohbau steht. Eine noch so kunstvoll gestaltete Grünanlage in der gesellschaftlichen Mitte der Hauptstadt wäre nur die negative Aufhebung des Vorgängerbaus, das dekorierte Eingeständnis des Scheiterns und des eigenen Unvermögens zu Zukunftsprojekten. Da es nun eine schwierige Phase bis Umsetzung des Forums mit einem Neubau zu überbrücken gilt, wäre es sinnvoll, die weitere Zwischennutzung funktionell und damit auch finanziell stärker mit dem zukünftigen Nutzungskonzept zu verbinden. Nikolaus Bernau hat in der Berliner Zeitung wiederholt ins Gespräch gebracht, die Museen als einen Nukleus des Humboldt-Forums in den Rohbau des Palastes der Republik zu überführen. Die auf 20 bis 60 Mio. € geschätzten Abrisskosten und die über 31 Mio. €, die für die zwischenzeitliche Aufrechterhaltung der Betriebsfähigkeit der Museen in Dahlem für weitere zehn Jahre am dortigen Standort aufgebracht werden müssen, ergäben zusammengenommen ein Finanzvolumen, mit dessen Hilfe man das Gros der dafür erforderliche Kosten schon zur Verfügung hätte, ohne weitere Wegwerfkosten zu produzieren. Der Palastrohbau mit seinen 70.000 qm böte hierfür ausreichend Fläche. Damit ließe sich in kurzer Zeit ein wesentliches Etappenziel des LehmannPlanes schon in kurzer Zeit verwirklichen und es könnte dann in weiteren Ausbaustufen die gesamte Bebauung Schritt für Schritt folgen. Prof. Klaus-Dieter Lehmann hat in den Jahren seiner Amtszeit die Staatlichen Museen im städtebaulichen und kulturellen Gefüge Berlins weit voran gebracht. Nie zuvor seit Kriegsende waren die Staatlichen Museen zu Berlin so im öffentlichen Diskurs und nie zuvor konnten so viele Eröffnungen neuer oder rekonstruierter Häuser und international beachteter Ausstellungen veranstaltet werden. Das war und ist gut für die Museen und für Berlin. Was Prof. Lehmann mit seiner Idee auf den Weg gebracht und seither so konsequent verfolgt hat, ist keine Aufgabe, die leicht zu schultern ist. Das Moratorium soll und muss genutzt werden, um das Nutzungs-, Finanzierungs- und Realisierungskonzept auszuarbeiten und vorzulegen. Die Verlängerung der Amtszeit von Prof. Lehmann um weitere drei Jahre durch den Stiftungsrat der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zeigt, dass der Bund
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und alle Länder darauf hoffen, dass dieser Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz die von ihm initiierten Projekte noch weit voranbringen möge. Gelingen kann dies jedoch nur, wenn Politik und Gesellschaft diese Projekte jetzt auch als ihre eigenen annehmen und in die Tat umsetzen.
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29. Februar 2040: Klaus-Dieter Lehmanns 100. Geburtstag. Das Berliner Schloß ist vor fünf Jahren fertiggestellt und die „Kunstkammer“ des ausgehenden 18., Beginn des 19. Jahrhunderts in vergrößerter und den heutigen medialen, virtuellen Bedürfnissen angepasster Form der Öffentlichkeit als bedeutendstes Wissenschaftsmuseum Deutschlands übergeben worden. Konkurrierende Häuser gibt es lediglich in Ostasien, dort als reine Bildungszentren für Kinder.
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er Traum vom Beginn des 21. Jahrhunderts steht nun verwirklicht in einer Stadt, die seit zwanzig Jahren europäische Hauptstadt geworden ist – und gerade deshalb nicht wirklich glücklich mit der Realisierung der alten Träume ist. Denn im Zentrum, am schönsten Platz der Stadt bewegt sich kein Berliner mehr. Europäer nur ausnahmsweise. Berlins Mitte ist ein einziges Museum geworden, allein acht Millionen Chinesen durchwandern im Jahr mit eiserner Disziplin die Kunst- und Naturschätze. Der Aufstand der Restauratoren des Hauses gegen den hohen Verschleiß der Kunstwerke: zu viel Licht, zu viel Feuchtigkeit, ist durch Verdoppelung der Gehälter vertagt worden; die Humboldt-Universität ist aus Mangel an Entwicklungsfläche – jeder freie Platz wird als Transportmittel-Halteplatz und für Dim-Sum-Buden benötigt – innerstädtisch1 wieder so geworden, wie sie gestartet ist: als „ein Museum mit angeschlossenem Lehrbetrieb“, wie Horst Bredekamp die Wurzeln dieser Universität einst beschrieben hatte; und alles, was den Reiz der europäischen Städte ausmacht: die Mischung aus Kultur, Architektur, Handel, kleiner Produktion, öffentlichen Orten, Wohnen, Möglichkeiten zum Verweilen und Flanieren, zum Sehen und Gesehen-Werden, zur Begegnung und zum Austausch sind vertrieben und geopfert worden. Die Logistik, täglich im Schnitt annähernd 40.000 Menschen durch die Kunst zu schleusen, hat die Oberhand. Produktive 1
Innerstädtisch. Ansonsten streiten sich Humboldt-Universität und Freie Universität – beide sind aus dem Wettbewerb, den die Regierung Anfang des Jahrhunderts eingerichtet hatte, als deutsche Spitzen-Universitäten hervorgegangen – schon lange nicht mehr darüber, wem die zahlreichen Nobelpreisträger des frühen 20. Jahrhunderts zugerechnet werden sollen, sondern wetteiferten darum, wer in Adlershof oder in Dahlem die erste Nobelpreisträgerin oder den nächsten Nobelpreisträger hervorgebracht haben wird.
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Nischen, kreatives Verweilen – all das ist vorbei angesichts von Weltkunst, die, koste es, was es wolle, aktionistisch unters Volk soll. Nach jahrelangen Schloß- und „Volkspalast“-Diskussionen, die in regelmäßigen Rhythmen durch die Stadt liefen, hatte man sich in den Bildungsboomjahren Anfang der 10er Jahre zu der Überlegung durchgerungen, in der Mitte der Stadt ein Bildungs- und Wissenszentrum auf musealer Grundlage zu errichten, das auf Kredit finanziert wurde, in Erwartung hoher tourismusbasierter Einnahmen. Die Rechnung war aufgegangen – nur für ein Wahrnehmen des Bildungsangebots fehlten Zeitfenster und Lernraum: Jeder Zentimeter Innenstadt und jeder Winkel des Schlosses musste für touristentaugliche Infrastruktur genutzt werden. Den Benjamin’schen Flaneur fand man in Berlin nur weiter draußen: etwa in Dahlem. Deshalb wird aktuell, 2040, darüber nachgedacht, Dahlem zum eigentlichen Bildungszentrum zu entwickeln. Zurück: 2005. Das hätte man leichter, schneller und vielleicht auch preiswerter haben können. Ich lade ein zu einem gegenwärtigen Spaziergang durch das alte West-Berliner Universitätsviertel. Kleine Straßen mit Kopfsteinpflaster, breite Alleen, Villen, große UniversitätsInstitute und ganz kleine, die allermeisten gehören der Freien Universität. Aber auch die Humboldt-Universität ist hier vertreten mit ihrer LandwirtschaftlichGärtnerischen Fakultät, sie beherbergt wiederum Institute der Technischen Fachhochschule und der Technischen Universität (die sich 2040 anschickt, von ihrem ewigen zweiten Platz hinter der Spitzen-RWTH Aachen nun an dieser vorbeizuziehen). Der Botanische Garten. Das Harnack-Haus der Max-Planck-Gesellschaft. Ich gehe gerne durch dieses Viertel, seit meinem Studium dort in den sechziger Jahren. Im Sommer, wenn es dort kühler ist als in der Stadt. Im Winter, wenn dort der Schnee länger weiß bleibt. Die Schilder an den Instituten sind alte Bekannte, und sie führen in die letzten Kapillaren des Universitäts-Körpers. Die Studenten sind über all die Jahre jung geblieben, die Atmosphäre ist – wieder – geschäftig und heiter. Es ist Campus-Atmosphäre, wie ich sie bei meinem Studium in Stanford kennen gelernt und – viel später – dann wieder an der University of Toronto angetroffen habe. Nein, es ist kein Campus im eigentlichen Sinne. Webster´s 20th Century Dictionary definiert einen Campus als „the space or grounds belonging to or enclosed by the buildings of a college or school“. Hans Weiler hat anläßlich der Inbesitznahme des I.G. Farben-Hauses von Hans Poelzig durch die Goethe-Universität2 in 2
Mit Dankbarkeit denke ich daran, wie seinerzeit Klaus Dieter Lehmann, der oberste deutsche Bibliothekar, mir, dem damaligen Universitätspräsidenten, geholfen hat, ein angemessenes Bibliothekskonzept für den Poelzig-Bau gegen massiven universitätsinternen Widerstand durchzusetzen.
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Frankfurt – und damit dem Beginn des Aufbaues eines Universitäts-Campus im Frankfurter Westend – geschrieben: „Campus – das ist für die Tradition des amerikanischen Hochschulwesens sowohl die Bedingung als auch die Verkörperung einer akademischen Lebens- und Lernkultur durchaus eigener Art, ein Raumkonzept, das aufs engste mit ganz bestimmten Vorstellungen über den Erziehungsauftrag des amerikanischen College verknüpft ist.“3 Die Freie Universität hat bei ihrer Gründung viel amerikanischen Geist – und amerikanisches Geld – mitbekommen. Ein akademischer Raum innerhalb einer Großstadt, später sogar innerhalb der durch eine Mauer abgeschlossenen Großstadt, ein Raum, in dem man herumschlendern, auf Grünflächen verweilen, in der Bibliothek oder im Biergarten die Zeit verbringen konnte, das war die Idee. Heute schauen wir ganz genau auf die amerikanischen Universitäten, holen von dort Humboldt wieder zurück, wie Gerhard Casper, der frühere Präsident der Stanford University oft gesagt hat. Wir wollen Spitzen-Universitäten und sagen Harvard, wir starten den Bologna-Prozeß und sagen BA und MA, und viele deutsche Hochschulen nennen ein Ensemble von drei, vier Gebäuden stolz ihren „Campus“. Nein, Dahlem ist kein Campus. Hier ist kein Raum, der einer Hochschule gehört oder von ihren Gebäuden abgeschlossen und begrenzt wird, wie es Webster’s Dictionary vorschreibt. Größer ist die Fläche und die Vielfalt der Gebäude und ihrer Zwecke. Viele, bei weitem nicht alle, dienen der Wissenschaft. Einige, wichtige und große, dienen der Kunst und der Kultur. Es sind Häuser für „Kunst und Kulturen der Welt“. Diese Staatlichen Museen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in der Arnimallee, der Takustraße und Im Winkel sind darüber hinaus – wie es der Auftrag jedes guten Museums ist – auch Stätten der Wissenschaft und der Bildung. Sie passen gut nach Dahlem. Sie gehören dazu. Sie würden fehlen, gäbe es sie nicht oder – schlimmer noch – würden sie ausgelagert, ab nach Mitte. Wenn man Kunst und Kulturen der Welt besuchen will, so muß man weit reisen. Nach Indien, nach Ostasien … Will man die reichen Berliner Museen besuchen, die solche Schätze darbieten – zur Erbauung, zur Bildung, zur Unterhaltung –, dann kann eine kleine Reise nicht schaden. Eine angenehme Reise, denn es warten die wohl schönsten offenen U-Bahnstationen Berlins in Dahlem-Dorf und am Thielplatz. Und ein Spaziergang vor oder nach dem Besuch der Museen durch das Viertel gefällt den Berlinern und den Gästen von nah und fern, die eine wich-
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Hans N. Weiler, „Diversity and Community“ – Der amerikanische Campus als Repräsentation amerikanischer Kultur, in: Werner Meißner/Dieter Rebentisch/Wilfried Wang (Hg.), Der PoelzigBau. Vom I.G. Farben-Haus zur Goethe-Universität, Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1999, S. 140.
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tige und liebenswerte Seite unserer Hauptstadt kennen lernen. Aber davon war schon die Rede. Die derzeitige Planung sieht anderes vor – und ich schreibe hier darüber, weil ich hoffe, dass der Preußische Kulturbesitz und sein mit Recht hochgeschätzter Präsident noch einmal über die Planung nachdenken. Es geht dabei um die Funktion von Museen, von innerstädtischem Raum, um Lebensqualität und Ausstrahlung von Berlin und um die Attraktion und das Zusammenspiel von Wissenschaftsstandorten. Es geht auch um Geld, Möglichkeiten und Eitelkeit. Für den Fall, dass es wieder ein Schloß gibt, wollen die Republikaner hinein. Wenn das so ist, muß es ein Ort für alle Berliner werden: Die Idee einer großen, zentralen Stadtbibliothek käme dem näher als die „Kunstkammer“, die als touristische Attraktion nach und nach die Stadtmitte als Ort mit Lebensqualität und Aura veröden ließe. 2040 werden Städte wie Venedig und Florenz daraus längst die Konsequenz gezogen haben: Jeder Stein und jedes Kunstwerk werden virtuell erschlossen sein, man wird eine Wiederansiedlungspolitik für Italiener gemacht haben, und Touristen werden nur in kleinen Kontingenten, mit zeitlicher Beschränkung und für sehr viel Geld zugelassen werden. Die touristische Massenteilhabe findet dann auf dem Bildschirm statt. Vielleicht wäre es ja auch eine Idee, das, was man hat, zu optimieren, die Museen und damit die Besucherströme zu entzerren, die Museen selbst als Bildungsorte zu fit zu machen, dass sie im Wettkampf des Bildungsstandortes Deutschland eine ihren prächtigen Sammlungen angemessene Stellung übernehmen könnten. Ich denke zum Beispiel an das „Museum für Naturkunde“, das trotz vorbildlicher inhaltlicher Zeugnisse durch den Wissenschaftsrat langsam verfällt. 150 Millionen Euro sind nötig, um dieses wichtige Haus zu sanieren, seine Bestände nach heutigen Erfordernissen angemessen zu präsentieren und der Forschung gute Arbeitsplätze zu verschaffen. Für ein Schloß, das bis heute kein stimmiges Konzept hat, welches die Bürger Berlins mitreißt, soll Geld gesammelt werden; für ein vorhandenes, bestens ausgewiesenes Haus, das Teil einer zukünftigen Spitzen-Universität ist, nicht. Da stimmt doch etwas nicht in der stadtpolitischen Gewichtung. Die Museen in Dahlem lässt man vor sich hinverstauben, wegen eines Schlosstraums, für den es bisher keine Mittel gibt. Dabei könnte man die Dahlemer Häuser behutsam zu Bildungszentren entwickeln, in denen deren bedeutsame Sammlungen mit Muße und Erkenntnisgewinn der Begegnung zwischen Einheimischen und Fremden dienen könnten. Der zivilisatorische Mehrwert wäre größer als wenn Massen im Zweiminutentakt an Federn und Masken vorbeigelotst werden müssten. Außerdem: Die Berliner Mitte nach der Wende als attraktiven Lebensraum wiederzuentdecken, war das Ziel von hunderttausenden Berlinern und Besuchern.
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Eine Verdrängung der einen durch die anderen nahm mit der Zeit zu. Die Öffnung des „Volkspalastes“ hat wieder viele junge Leute in die Stadtmitte zurückgeholt. Er „funktioniert“, auch, weil das Bedürfnis, dort, in der Mitte, zu sein, groß ist. Die Mitte braucht ein Angebot für die Jugend auch jenseits des Bildungsbürgertums. Da die Abrisskosten des „Volkspalastes“ schon wesentliche Sanierungskosten für das Naturkundemuseum decken würden, wäre es doch eine Überlegung wert, bis zum Baubeginn des Schlosses, wann er auch immer und ob er je sein wird, den „Volkspalast“ stehen zu lassen (dessen Attraktivität sich in zehn Jahren verbraucht haben wird), der Berliner Jugend ihren innerstädtischen Raum zu geben und in der gewonnenen Zeit noch einmal nachzudenken, was mit dem Schlossplatz architektonisch und inhaltlich geschehen sollte. Wer zwingt denn die Stadt, die an Aufbauleistungen in den letzten Jahren so viel gestemmt hat, in den Fragen des Schlosses, für das ohnehin kein Geld da ist, hastig zu handeln? Auf der Museumsinsel rundet sich in diesen Jahren Schönstes – eine Leistung, die ohne das Geschick und den Durchsetzungswillen von Klaus-Dieter Lehmann kaum denkbar wäre (wir haben ihn in Frankfurt erlebt, wie er in finanziell nahezu aussichtsloser Lage nach der Wende den Neubau für die deutsche Nationalbibliothek durchgesetzt und mit Leipzig zusammen ein schlüssiges Konzept entwickelt hat). Doch, der Überzeugung bin ich, der Preußische Kulturbesitz wird kraftvoller wirken können, wenn er im innerstädtischen Raum Luft zum Atmen und zum Nachdenken lässt und die Stiftung nicht als Museumskonzentrat daherkommt. Mehrere Standorte: die Museumsinsel mit ihrer weltweiten Ausstrahlung, Dahlem als Bildungszentrum, Charlottenburg als preußische Reflexion und das Kulturforum – das gemeinsam hat Hauptstadtcharakter. Weder in Paris noch in London oder Rom sind die bedeutenden Museen so konzentriert, wie sie es jetzt schon in Berlin sind. Aber die drei genannten Städte haben ihr spezifisches Flair beibehalten. Flair macht Städte attraktiv und unverwechselbar, nicht Museumsdichte. Die Ausstrahlung konservierter Entwicklung und eines Quadratmeter für Quadratmeter rückwärts bezogenen Blicks ist das Gegenteil einer produktiven, quirligen, zukunftsgestaltenden Stadt. Die hoffnungsvolle Formel vom Eventcharakter wechselnder Museumsausstellungen ändert daran auch nichts. Wir sollten uns den Konservierern und Restaurateuren nicht vollends ausliefern – dann, meine ich, hätten wir allen Grund, neugierig in Richtung 2040 zu schauen und – dann wie jetzt – Klaus-Dieter Lehmann aus ganzem Herzen zu seiner überlegten, klugen Museumspolitik als Teil von Stadtentwicklung zu gratulieren.
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DUNKLE SEITEN, HELLE SEITEN – NACHDENKEN ÜBER EINE FATALE DISKUSSION RUND UM DIE FRIEDRICH CHRISTIAN FLICK COLLECTION PETER RAUE
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tandfestigkeit, intellektuelle Redlichkeit und die Fähigkeit, Angriffe abzuwehren, hat der Jubilar in den vergangenen Jahren immer wieder auf eindrucksvolle Weise bewiesen. Am Beispiel der Diskussion um die Friedrich Christian Flick Collection treten diese Eigenschaften besonders deutlich und leuchtend hervor: Von Anfang an war Klaus-Dieter Lehmann der Mann, der es einmal entschieden und für immer als zweifelsfrei richtig dargestellt hat: dass die Sammlung von Friedrich Christian Flick (FCF) für zunächst sieben Jahre nach Berlin in den Hamburger Bahnhof und in den von FCF finanzierten Umbau der Rieckhallen kommen möge. Obwohl (oder gerade weil) die Diskussion zu der Frage, ob es zulässig ist, die Sammlung eines Mannes zu zeigen, dessen Name (aber nicht dessen Person) in schwere Schuld verstrickt ist, abgeebbt ist, lohnt es, die Angriffe auf das Flick-Vorhaben in Berlin noch einmal Revue passieren zu lassen. Bei genauem Hinsehen erweisen sich nämlich die Vorwürfe gegen die Entscheidung, der Sammlung Flick in Berlin eine Heimat unter dem Dach der Stiftung Preußischer Kulturbesitz zu geben, als eine Gemengelage von Pseudomoral und irrationalen Gefühlsbekundungen. Peter Richter nennt in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (vom 19. September 2004) das Vorhaben – naturgemäß ohne die Ausstellung gesehen zu haben – „unmoralisch, langweilig, überflüssig“ und spricht von der „moralischen Bodenlosigkeit der Sache“. Dieser Artikel bündelt noch einmal die „Argumente“: der Steuerflüchtige, der Flick-Namensträger, der Mann, der sich weigert, in den Zwangsarbeiterfond einzuzahlen, – bis zu dem absurden Vorwurf, seine Kunst „ausgerechnet in einem alten Industriegebäude zu zeigen, mit Gleisen und Rampe und allem drum und dran“. Kunst in den Deichtorhallen in Hamburg? Naturgemäß. Kunst in der Rieck-Halle? Warum nicht? Aber FCF müsste sich, wenn er schon seine Kunst zeigen will, in einen Neubau begeben. Merkt denn niemand, mit welcher „Bodenlosigkeit“ hier und anderenorts argumentiert wird? Beleuchten wir die Vorwürfe kurz: FCF trägt den Namen eines Nazi-Verbrechers. Mit diesem Namen dürfe keine Sammlung auftreten, so lesen wir, bis hin zum geradezu grotesken Argument: dann müssten wir uns ja auch eine „Goebbels-Sammlung“ gefallen lassen. Der Sohn des Architekten Albert Speer – im Vergleich zu Friedrich Flick wurde Albert Speer zu
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einer fünffach längeren Haftstrafe verurteilt – darf mit diesem Namen bauen und Erfolg haben: kein Vernunftbegabter hat das bisher auch nur in Zweifel gezogen. Ist es denn den Kindern und Kindeskindern eines Nazi-Verbrechers verboten, zu sammeln, zu entwerfen, Filme zu inszenieren? Natürlich nicht – es sei denn, man heißt Friedrich Christian Flick! Außerdem ist FCF ein Steuerflüchtling, so lesen wir in zahlreichen Veröffentlichungen. Hans Leyendecker widmet diesem Scheinargument zwei lange Spalten in der Süddeutschen Zeitung: „Etwas zu kurz gekommen in der Diskussion sind die steuerlichen Probleme der geplanten Ausstellung“. Diese „steuerlichen Probleme“ fantasiert Leyendecker – jenseits jeder rechtlichen Haltbarkeit – damit herbei, dass Eigentümer der gesamten Sammlung eine „Contemporary Art Ltd.“ sei. Was bei anderen Sammlungen – Marx, Berggruen – selbstverständlich ist und von niemandem beanstandet wird (denn es ist nicht zu beanstanden), wird bei FCF zum Sündenfall. Was tut es, dass FCF eine verbindliche Auskunft der Finanzbehörden in Händen hält, wonach eine Steuer bei der Leihe seiner Arbeiten nach Berlin nicht anfällt? Was tut es, dass FCF als Bürger der Schweiz seine Steuern in der Schweiz zahlt? FCF verdient sein Geld nicht in Deutschland und transferiert es nicht in die Schweiz, – er hat seinen Lebensmittelpunkt in der Schweiz und zahlt dort seine Steuern. Aber die Wahrheit verdirbt einem die hässlichste Geschichte! FCF wolle, so wird ihm vorgeworfen, „der dunklen Seite seiner Familiengeschichte eine helle hinzufügen“: da sähe man ja, wie er die Ausstellung „instrumentalisieren“ will! Frau Schramm – Tochter von Albert Speer – bringt sich seit Jahren höchstrespektabel in die Diskussion ein und leistet auf ihre Weise ihre Trauerarbeit: aber will vielleicht auch sie mit ihrem Tun der „dunklen Seite“ ihrer Familiengeschichte eine helle hinzufügen? Ist es denn so schlimm, wenn ein Mann sich in der Mitte des Lebens entschließt, sein Lebenswerk der Öffentlichkeit zu zeigen, – zu zeigen, wo sein Interesse, seine Liebe, sein Engagement liegen, und damit zu belegen, dass er andere Wege geht als der unselige Großvater? Von der sonst so klugen Hildegard Hamm-Brücher lesen wir, dass es erforderlich sei, zunächst die „Familiengeschichte zu erforschen“, bevor eine solche Ausstellung gezeigt wird. Man fasst es nicht! Glaubt denn irgendein Mensch, dass die Erforschung der Flick-Familiengeschichte im Dritten Reich eine helle Seite aufweisen wird? Ist es nicht offensichtlich und selbstverständlich, dass es entsetzlich ist, was Friedrich Flick getan, wie er Menschen ausgebeutet, zu Tode geschunden hat? „Wenn dies alles erforscht ist, dann darf FCF seine Sammlung zeigen, solange dies zwar bekannt aber noch nicht in Details erforscht ist, soll er damit warten“: was für ein abstruses Denken! Bleibt der Vorwurf, FCF habe nicht in den Zwangsarbeiter-Fond eingezahlt. Zugegeben: hätte er – statt der Gründung seiner so segensreichen Potsdamer Stif-
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tung gegen Fremdenhass – einen Betrag von € 5 Mio. in den Fond eingezahlt, wäre man wohl friedlicher mit ihm umgegangen. Aber: kann sich denn nicht jeder einzelne – so wird man dem entgegenhalten dürfen – entscheiden, wie er sich persönlich seiner Verantwortung für die Familiengeschichte stellt? Wollen wir nicht das Argument gelten lassen, dass FCF – der Privatmann, die Flick-Unternehmen haben sich natürlich am Zwangsarbeiterfond beteiligt! – mit seiner Stiftung viel mehr erreicht, ins Heutige wirkt, der Wiederholung des Entsetzlichen entgegenarbeitet, wenn er eine solche Stiftung gründet und unterhält? Eine Einzahlung in den Fond hätte die Beitragspflicht der anderen minimal gekürzt, an der Summe, die an die Zwangsarbeiter ausgezahlt wird, hätte die Einzahlung FCFs nichts geändert. Da verweigert sich FCF und geht den bekannten, – seinen – Weg. Wie bodenlos infam man diese Handlung diffamieren kann, zeigt wiederum Peter Richter in seinem Artikel in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, in dem er ernstlich ausführt: „Und ob nicht doch die letzten Überlebenden von Großvater Flicks Arbeitssklaven das Geld eher verdient hätten als rechtsradikale Brandenburger Jugendliche?“ Unter der Gürtellinie! FCF unterstützt mit seiner Stiftung keine rechtsradikalen Jugendlichen, sondern er investiert, um diese jungen Menschen von Rechtsradikalismus, Fremdenhass, Nazi-Verherrlichung abzubringen durch Einsicht in das Schreckliche, was sie denken und wie sie handeln. Was bleibt übrig vom Angriff auf FCF? Das „Irgendwie-Gefühl“, FCF dürfe seinen durch den Großvater so verschandelten Namen nicht mit einer Kunstsammlung verbinden und wenn er schon sammelt, soll er es gefälligst für sich behalten, die Öffentlichkeit damit verschonen! Der Name „Flick“ erinnert – so lesen wir allenthalben – an Zwangsarbeiter, Sklavenarbeit, Mord. Hat eigentlich jemals jemand ein Argument gegen ein Konzert in der Jahrhunderthalle Hoechst vorgebracht, war jemals ein Einwand zu hören, dass in der Krupp-Villa Ausstellungen stattfinden, obwohl auch diese und viele andere Unternehmen Zwangsarbeiter beschäftigt haben? Hat sich irgendeine Stimme erhoben, als das Spanische Königspaar die Thyssen-Sammlung stolz der Öffentlichkeit präsentiert hat? Krupp und Hoechst und Thyssen: alle diese Unternehmen haben Zwangsarbeiter beschäftigt, „Sklavenhalterei“ betrieben! Ich habe distanzierten Respekt vor denen, die sich mit einer Flick-Sammlung nicht wohlfühlen, – mein Gerechtigkeitssinn wehrt sich aber dagegen, dass mit Scheinargumenten, Halbwahrheiten und intellektueller Unredlichkeit FCF für sein Vorhaben angegriffen und die Stiftung aufgefordert wurde, auf diese Sammlung so „tapfer“ zu verzichten wie die Züricher, die seit Jahren mit der Sammlung Bührle – dem großen Waffenlieferanten des Dritten Reichs – glänzend leben! Lasst uns in die Rieck-Halle gehen, die Kunst betrachten und dann darüber reden, was wir dort sehen und was diese Sammlung mit Friedrich Christian Flick,
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seiner Familiengeschichte, seinem Blick auf unsere Zeit zu tun hat. Dafür haben wir glücklicherweise sieben Jahre Zeit. Dass wir dieses Glück erleben dürfen, verdanken wir auch der Gradlinigkeit und Standfestigkeit des Jubilars!
DIE KULTURGESCHICHTLICHE DIMENSION DES GEDICHTETEN UND KOMPONIERTEN, DES GESCHRIEBENEN UND GEDRUCKTEN
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DAS LEITMEDIUM DER GESELLSCHAFT? GOTTFRIED HONNEFELDER
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n der wachsenden Wissens- und Mediengesellschaft ist das klassische Medium des Wissens und der Unterhaltung – das Buch – in eine Krise geraten. Die Gründe sind bekannt: An die Seite des Buches sind neue Medien getreten – schneller, variationsreicher und fesselnder –, einem wachsenden und sich globalisierenden Markt der vielen medialen und cross-medialen Möglichkeiten wird die Sonderrolle des Buches zum Ärgernis und – last but not least – läßt eine massive Extension von Vertrieb und Verwertung das Buch zum Feind seiner selbst werden. Auf diese zunehmende Krise haben Verlage und Buchhandel mit gewaltigen Anstrengungen reagiert: Noch nie waren Bücher so preiswert und leicht erhältlich, noch nie waren Bücher so breit und so schnell aus dem Hintergrund zu beziehen, noch nie wurden Bücher auf so vielen verschiedenen Vertriebskanälen geliefert, noch nie sind Bücher in so anspruchsvollem und ausgeklügeltem Design dem Leser nahe gebracht worden, Barsortiment und Sortiment haben eine immer feiner ausgeklügelte Warenwirtschaft und Logistik entwickelt, gewaltige Buchkaufhäuser sind entstanden, jedes mediale Ereignis wird von einem Printereignis begleitet. Es gibt Krisen in Form der Armut, nämlich dann, wenn das Notwendige fehlt. Aber es gibt auch Krisen im Überfluß, Krisen mitten im scheinbaren Triumph, nämlich dann, wenn die weitere Entwicklung immer ungewisser wird, wenn die Konzepte für die Zukunft stagnieren. Was aber sind die Konzepte, die dem Buch unter den sich immer schneller verändernden Bedingungen der neuen Wissensund Mediengesellschaft seine Leitfunktion sichern? Die Antwort erscheint ebenso simpel wie zwingend. Ich möchte sie in fünf Thesen ausdrücken: Wir werden die Leitfunktion des Buches nur sichern, wenn wir dem Leser das Buch als ein singuläres, alle anderen Medien begleitendes und nicht zu ersetzendes Medium plausibel machen und es so zur Geltung zu bringen. Dies wird nur gelingen, wenn das Buch seine Bedeutung behält oder neu findet, dem wir einen unersetzlichen kulturellen Wert beimessen: das Buch, in dem sich Menschen wieder erkennen, in dem eine Zeit ihre Identität findet, das unsere Lebensgefühle auf ihren Nenner bringt, das eine ganze Welt spiegelt – kurz, ein Buch, ohne das der Leser nicht der bleibt, der er ist. Es sind solche Bücher, für die es nicht nur Nachfrage und Märkte, sondern einen objektiven Bedarf gibt, die allen
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GOTTFRIED HONNEFELDER
anderen medialen Kreationen vorausgehen und von denen vor jedermann überzeugend dargetan werden kann, daß sie zwar Ware sind, aber keine wie alle anderen. Dabei kann die Antwort nicht sein: Das Buch von hoher kultureller Valenz, jenseits des Interesses an geschicktem Überleben und bloßer Unterhaltung. So oft es auch das Feuilleton beschwört, der Hinweis auf den kulturellen Wert allein überzeugt noch nicht. Kultur ist keine Reserve, die wir einfach abrufen und mobilisieren, wann immer wir uns daran erinnern, dass wir mehr sind als nur ökonomisch Handelnde. Kultur ist nur, wenn wir sie beständig neu schaffen, und sie bleibt nur zu unserer Verfügung, solange wir sie aktiv pflegen. Das aber gelingt allein, indem wir sie ständig verändern. Ihre Identität liegt in der Veränderung, ihr Wert als kulturelle Ressource bleibt nur, wenn wir sie immer wieder neu entdecken. So ist die Buchkultur in ihrer ganzen Breite – von der Überlebenshilfe bis zur Wissensvermittlung und zur Unterhaltung – nicht unabhängig zu denken von der Wertschätzung des Kulturgutes Buch. Es ist die kleine Spitze, von deren Valenz die Breite lebt. Die Leitfunktion des Buches können wir nur erhalten, wenn wir seine kulturelle Bedeutung wieder als Herausforderung begreifen und sie durch neue Wege der buchhändlerischen Vermittlung zum Leben bringen. Es ist nicht die Ökonomisierung durch den Handel und das damit verbundene relative Desinteresse am Produkt als solchem, am Inhalt, die das Buch in seiner kulturellen Funktion bedroht, sondern die Armut seiner Kultivierung und die Einfallslosigkeit im Umgang mit dem Produkt, die Buchhändler und Verlage zunehmend an den Tag zu legen scheinen. Fast möchte man glauben, daß sie dem kulturellen Wert der Hochliteratur selbst nicht mehr zutrauen, daß er ihre ökonomische Basis ist. Deshalb genügt nicht allein die geschickte Vermarktung von kulturell abgesunkenen Varianten, sondern erforderlich ist Phantasie für die Präsentation des Neuen und nicht nur dessen Surrogat in Form von Kosmetik und Anbiederung an andere Medien. Von denen, die Bücher machen und mit ihnen handeln, erwartet der Leser, dass sie die kulturelle Funktion des Buches durch schöpferische Phantasie in Produktion, in Präsentation und Vertrieb erhalten. Was zählt, ist zunächst das einzelne Buch und nichts sonst. Auf die Wege, sich der Stärke des Buches in seiner Leitfunktion gewiss zu werden, machen uns andere kulturelle Leitmedien aufmerksam: Wir sollten uns ernsthaft fragen, ob der Buchhandel im Blick auf das, was er als sein Spitzenprodukt zu bieten hat, heute da ist, wo das Museum und das Spartentheater vor einer Generation waren? Der Blick ins Internet genügt, um festzustellen, wie sehr sich die Erwartungen der jüngeren Generation geändert haben. Suchmaschinen verlaufen nicht mehr
DAS LEITMEDIUM DER GESELLSCHAFT?
nach hierarchischen Ordnungsstrukturen, Stichworte erscheinen längst nicht mehr wie in den Katalogen der Bibliotheken, Archive, Barsortimente und dem Verzeichnis lieferbarer Bücher, sondern in Netzstrukturen, also in neuen Kontexten. Müssen wir auch bei der Art, in der wir Bücher am Markt präsent halten, nicht neuen Mustern folgen, jenseits von Überschriften und Etiketten? Die Ordnung unseres buchhändlerischen Kosmos ist sicherlich eine unserer größten Leistungen, aber die Reformation der erlernten hierarchischen Strukturen würde durchaus nicht Chaos und Unübersichtlichkeit nach sich ziehen. Theater, Tanz, Kunst, Museum haben – um Beispiele aus der kulturellen Nachbarschaft des Buches zu nennen – in den letzen Jahrzehnten neue und wachsende Bedeutung gewonnen, indem sie ihre alten Ordnungen verlassen, sich mit anderen Dimensionen von Kultur und Kunst verbunden haben und damit in neue Kontexte eingetreten sind. Nicht die Isolierung läßt das Buch neu entdecken, sondern gerade seine Versetzung in den veränderten kulturellen und medialen Kontext. Wissenschaft macht ihre größten Entdeckungen, wo Disziplingrenzen überschritten und neue Mischungen eingegangen werden. Bislang getrennte Berufsfelder verbinden sich immer stärker und gewinnen durch die Begegnung mit anderen Denkweisen selbst neues Profil. Man mag den heutigen Zustand buchhändlerischer Ordnung als Ergebnis ökonomischer Rationalisierung preisen, oder man mag ihn als mangelnde Anpassung beklagen. Der Versuch, das Heil allein in der Rationalisierung zu suchen, läuft immer stärker in die Falle, darüber den Inhalt zu vergessen. So wird der Buchhandel scheinbar über Nacht mit seinem Anspruch, innovativ zu sein, zum Opfer der eigenen Rationalisierungen. Als Wahrer der Vielfalt, wofür er vom Gesetzgeber Privilegien erhalten hat, darf er sich nicht nur auf die formale Vielfalt beschränken, will er nicht zum Gleichmacher der Vielfalt von Inhalten werden. Daß Bücher vor allem ihrem Inhalt nach unterschieden werden sollten, wusste schon Francis Bacon: „Von gewissen Büchern muß man nur etwas kosten, andere muß man verschlingen, und einige wenige muß man kauen und verdauen.“ Wenn „Markt“ als Distributionsintrument für das Buch gerechtfertigt ist, dann allein durch die Argumente der für den Käufer günstigsten Kosten-Nutzen-Relation, der leichten Zugänglichkeit zur Information und zur Ware, vor allem aber durch Ubiquität und Dauer, mit der die Ware erwerbbar ist. Dauer ist ja nicht zuletzt eines der entscheidenden Merkmale, die dem gedruckten und gebundenen Buch seinen kulturellen und damit auch ökonomischen Vorsprung vor den neuen phonographischen und elektronischen Medien sichert. Nur wo das Sprachgeschehen Permanenz gewinnt, schafft es dauerhaft Verbindung, bewahrt es Gedächtnis und stiftet es kulturelle Identität, die dauert. Das Internet kennt keine Backlist über begrenzte Dauer hinaus, im antiquarischen Buchhandel finden wir kaum Sammlungen heruntergeladener CD-Roms.
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Als mobile Speicher werden Bücher längst durch die neuen Medien übertroffen, aber als Medien, die eine Geschichte stiften, weil sie selbst ein solche haben, sind Bücher – die „Zeitmaschinen“ – unübertroffen. Aber haben Bücher mit exponiertem kulturellem Wert diese Geschichte noch – außer in elitären Bibliotheken? Sind sie durch den Markt noch in der Lebenswelt von jedermann vorhanden, und zwar so, dass er jederzeit zugreifen kann? Backlists gibt es fast nur noch gezwungenermaßen; ihr Attraktionswert wird wenig erkannt wie effizient genutzt. Die Liste der Bücher des 20. Jahrhunderts, deren Bedeutung erst nach Jahren entdeckt wurde und die heute zu den Longsellern gehören, ist lang, ebenso wie die der immer wieder ihre Konjunktur erfahrenden Titel. Ob dies auch im 21. Jahrhundert noch geschieht und Breitenwirkung erlangt, hängt nicht in geringem Maße davon ab, ob der Buchhandel selbst in der Lage ist, das dauerhafte Potential seines Produktes gezielt zu nutzen und nicht nur die Resultate der Arbeit anderer Medien wie Fallobst mitzunehmen, das ihm in den Korb gefallen ist. Geben wir unseren Büchern Zeit, sonst leben wir wie eine gesellschaftliche Kolonialmacht, nutzen unsere Privilegien, drucken neue Vorschauen, ohne zurückzuschauen, freuen uns an der neu hinzugewonnenen Tagesaktualität für Bücher auf dem Markt des Luxus und der Moden – an Bach, Beethoven und Bohlen – und sprechen nicht von dem, was im Keller liegt und hoffen, das nächste Jahr zu überleben. Der Komponist Wolfgang Riehm hat vor Ostern in einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung über die Krise der Kultur in Deutschland gesagt: „Im Bereich von Kunst und Kultur kann man erst dann von Nutzen sprechen, wenn sich etwas in der Zeit auswirkt.“
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DIE BIBLIOTHEK VON BABEL – JORGE LUIS BORGES UND DER ALPTRAUM DER VOLLKOMMENEN BIBLIOTHEK GÜNTHER MAIHOLD
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m 3. September 2004 schreckte die Nachricht eines verheerenden Brandes in der vor kurzem renovierten Herzogin Anna-Amalia-Bibliothek zu Weimar die Bevölkerung auf. Spekulationen über Brandstiftung kamen auf, angesichts der Tatsache, dass das Dachgeschoss gerade rundum überholt worden war. Doch sie wurden dank der Ermittlungen eines technischen Defektes als Ursache des Feuers mit Erleichterung fallen gelassen. Ein Brand hatte ein Jahr zuvor die Neue Bibliothek von Alexandria, knapp vier Monate nach ihrer Eröffnung heimgesucht. Es wurden Menschen verletzt, die Einrichtung, die Bücher und das Magazin überstanden das Feuer unbeschadet1. Die Beispiele können beliebig fortgesetzt werden2, eines bleibt jedoch trauriges Fazit: die Zerstörung einer Bibliothek, sei es nun mutwillig – wie unter anderem im historischen Falle der Bibliothek von Alexandria, der Alexandrina, welche hier als paradigmatisches Beispiel für Bücherverbrennungen zur Auslöschung unliebsamer Ideologien stehen kann – oder als Zufallsschicksal – durch technische Defekte, höhere Gewalt u.s.w. – geht immer mit Verlust einher, da eine Bibliothek als Symbol der geordneten Erinnerung, der Ordnung des Wissens und als Gedächtnisspeicher dient. Das Sammeln von schriftlichen Zeugnissen war schon immer fester Bestandteil einer entwickelten Hochkultur, die Idee der Beherrschbarkeit des gesamten menschlichen Wissens findet aber erst im Humanismus und in der Klassik ihren vorerst letzten Höhepunkt. Ziel war dabei die Schaffung von Bibliotheken, die allen zugänglich sind, welche vor allem den für die Epoche typischen Wunsch der Beherrschbarkeit der Informationen in Form des Universalwissens widerspiegelt. Der Bibliothek wurde die Aufgabe zuteil, das kulturelle Vermächtnis in räumlich konkreter Form zu verkörpern und die Antinomien von Vergessen und Erinnern, von Zeit und Raum, von Mündlichkeit und Schriftlichkeit, von kanonisierter und
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Hierzu Dietmar Rieger: Wer war der Täter? Zur Konkurrenz der „Geschichten“ über die Zerstörung der Bibliothek von Alexandria, in: Romanische Zeitschrift für Literaturgeschichte 27, 2003, S. 371–380. Dietmar Rieger: Imaginäre Bibliotheken. Bücherwelten in der Literatur. München 2002.
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nicht kanonisierter Literatur zu vereinen; denn bei der systematischen Büchersammlung handelt es sich um eine nach außen projizierte Gedächtnisform, zu deren Organisationsprinzipien nicht nur die Aufnahme, sondern auch die Speicherung, die Tradition und die Verbreitung gehören. Dennoch, Bibliotheken speichern keine Bedeutungen, sondern nur Zeichen, die dann wiederum nur in dem komplexen Zusammenspiel von persönlichen, geschichtlichen, momentanen und diskursiven Elementen untersucht und verstanden werden können. Diese Idee der Beherrschung des menschlichen Wissens musste jedoch schon zu Zeiten von Leibniz aufgegeben werden; sie ist heutzutage, angesichts der Informationsflut durch Gedrucktes und „Cyberspace“ zur Illusion verkommen, und in der Gegenwart nur mehr die Geschichte eines notwendigen Scheiterns. Denn das selektionslose Speichern aller schriftlichen Äußerungen sprengt erst einmal den physischen Rahmen einer Bibliothek, des weiteren führt es aber zur WissensUnordnung oder besser noch zur Nichtwissens-Ordnung3. Die Utopie der vollständigen und beherrschbaren Information in einer Bibliothek kann somit in der Wirklichkeit nicht bestehen4.
Die Bibliothek als Thema der Literatur Die Idee verlagert sich daher in ein übersichtlicheres und steuerbares Paralleluniversum, sie findet Ausdruck in der fiktiven Welt der Bücher. Die Bibliothek wird gerade in den heutigen Zeiten, in der die Krisenerscheinungen von Schrift, Wissen und Gedächtnis in bezug auf den Medienwechsel spürbar werden, in der die Schriftkultur von neuen Codes und Medien in Frage gestellt wird, verbreitet als Motiv in die Literatur eingearbeitet, als eine Art Selbstvergewisserung der Schriftkultur.5 Die Themen in der Literatur reichen vom Ideal der vollkommen bestückten, das Wissen bereichernden Bibliothek bis hin zur Bibliothek in der Krise, die ihre Funktionen nicht mehr wahrnehmen kann, die für den Benutzer unzugänglich oder chaotisch ist, weniger Zufluchtsort denn Gefängnis ist oder Vorhof zur Hölle, im Zustand der Verrottung sich befindend oder der Zerstörung anheim fallend. Bibliothekare sind – paradoxerweise – blind, egomanisch, sie führen sich wie Grals-
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Vgl. Dietmar Rieger / Cornelia Schmelz / Kirsten Dickhaut: Bücher in Bibliotheken – Das Motiv der Bibliothek, in: Spiegel der Forschung. Wissensmagazin der Universität Gießen, Jg. 16, 2. November 1999, S. 15. Jean-Jacques Rousseau in seinem Emile (Paris 1961) äußert sich skeptisch, fast ablehnend gegen die Großmannssucht der vollkommenen Bibliothek. Vgl. Günther Stocker: Schrift, Wissen und Gedächtnis. Nürnberg 1999, S. 284 ff.
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hüter auf, sind verrückt, schwermütig oder gewalttätig6. Im 20. Jahrhundert findet man somit die Bibliothek als festen Bestandteil des Romans, der Erzählung und der Dichtung in ihrer thematischen, oftmals intertextuellen Aufbereitung, d.h. die Quelle der Inspiration entspringt in einem anderen Werk (z. B. La bibliothèque de Borges von Jean Guichard-Meili ist offensichtlich aus der Erzählung von Jorge Luis Borges, La biblioteca de Babel entwickelt worden7). Das Motiv der Bibliothek reicht aber über ihre bloße Materialität hinaus, bis in die Metaebenen symbolischer Weltanschauungen8. Im folgendem soll es darum gehen, in der Erzählung des argentinischen Schriftstellers Jorge Luis Borges La biblioteca de Babel (1941) die Formel der vollkommenen Bibliothek aufzuzeigen und Borges als treibende Kraft in der Versinnbildlichung materieller Räume darzustellen. Doch bevor zur Analyse dieser Erzählung übergegangen werden kann, soll Umberto Ecos Der Name der Rose bearbeitet werden. Chronologisch gesehen ist die Erzählung von Borges Vorläufer des Romans, der 1982 erschienen ist. Das Thema der Bibliothek wird hier aus einer historischen Perspektive heraus bearbeitet, die Motive sind klar definiert, was den Zugang zu den von Borges angestrebten Metaebenen erleichtern vermag. Die Parallelen zwischen den beiden Texten sind nicht von der Hand zu weisen, die Intertextualität reicht von der physischen Raumaufteilung über den Charakter des blinden Bibliothekars (Borges war auch Bibliothekar und sehbehindert) bis hin zur Definition des Prinzips der Ordnung. Borges Text geht aber weiter in der Symbolisierung der Bibliothek – die totale Bibliothek aus dem Mittelalter steht hier der Bibliothek als Sinnbild der Menschheitsgeschichte gegenüber, in einem fantastisch mathematischen Spiel der Wahrscheinlichkeiten und möglichen Sinnebenen.
Die Bibliothek als Teufelswerk: die Motive der Bibliothek bei Umberto Eco Wer kennt sie nicht, den Mönch William von Baskerville und seinen Lehrling Adson9, die in der abgeschiedenen, unwirtlichen und geheimnisumwitterten Abtei Zeugen des rätselhaften Ablebens mehrerer Mönche werden. Erst langsam schiebt sich eine gepflegt und gut bestückte Bibliothek in den Vordergrund, der ein blinder und greiser Mönche – Jorge de Burgos – vorsteht. Mit fast krankhaftem Eifer verwehrt er jeglichen Zugriff auf die Bücher, welche nach einem streng geheimen und 6 7 8 9
Jean Roudaut. Les dents de Bérénice. Essai sur la représentation et l’evocation des Bibliothèques, Deyrolle Editeur 1996. Jean-Guichard-Meili: La bibliothèque de Borges, Paris 1985. Dietmar Rieger. Imaginäre Bibliotheken. München 2002. Umberto Eco. El nombre de la Rosa. México 1984.
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Jorge Luis Borges mit Frau, Eduardo Mallea, Ernesto Garzón Valdes (von rechts) beim Treffen lateinamerikanischer Schriftsteller 1973 im Ibero-Amerikanischen Institut Preußischer Kulturbesitz in Berlin-Lankwitz
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nur ihm bekannten System geordnet sind. Der aufklärerische Wille des Intellektuellen Baskerville führt ihn zur Entschlüsselung der Symbole und ermöglicht ihm den Zugang zu den Büchern. Das überraschende Geheimnis oder Objekt der Begierde der Benediktinermönche ist weder die verbotene und sündige Anziehung zueinander, noch das weibliche Geschöpf, sondern ein Buch, das verschollene zweite Buch der Poetik des Aristoteles. Der „Stein der Weisen“ ist in diesem Fall die Verführung zum Lachen. Aus Umberto Ecos Der Name der Rose lässt sich das Thema der Bibliothek in der Handlung vielleicht am deutlichsten in ihre motivischen Bestandteile herausgliedern: a) der utopische Anspruch auf Totalität des Wissens, b) die Bibliothek als Spiegel des fragmentarischen Weltbildes, c) die Bibliothek als Sinnbild der Ordnung und als Metapher des Geheimnisses als abstrakte Kategorie, d) die Bibliothek als Speicher und Medium zum Zugang zur Welt, e) die Bibliothek als Versteck verlorener und vergessener Bücher, f ) die Bibliothek mit magischen und kabbalistischen Zugangsformeln, g) die Zerstörung der Bibliothek, um der Veränderung Raum zu gewähren. Eco zeichnet eine Bibliothek, welche in ihre Größe unübertreffbar zu sein scheint, in ihrer Konstruktion mathematischen Prinzipien folgt und außerdem in ihrer Architektur einem System heiliger Zahlen unterworfen ist. Die Ordnung der Bücher und die topologische Situierung des Wissens folgen dabei einem Geheimcode, der nur dem Bibliothekar bekannt ist. In diesem Fall sind die Bücher nach der mittelalterlichen Landkarte geordnet, spiegeln somit das Weltbild jener Zeit wider. Das Geheimnis um die Struktur der Bibliothek und ihres Inhalts ist somit die tragende Kraft der bizarren Ordnung im Kloster. Als Baskerville bis zum verbotenen Buch vordringt, implodiert der Raum, in dem die Eintracht von Ordnung und Unübersichtlichkeit vorherrschte. Ein infernalischer Brand zerstört die Bibliothek, die Flammen verschlingen das gesamte Kloster bis auf die Grundmauern. Das Geheimnis ist zwar gelüftet, der Mikrokosmos verfällt aber im Chaos, da es Baskerville nicht gelingt, die durch den Tod der Mönche empfindlich gestörte Ordnung wiederherzustellen. Mit der Zerstörung der Bibliothek verschwindet auch der Anspruch der Mönche auf die Vorherrschaft des Wissens. So sammelt Adson Jahre später Schnipsel zerstörter Bücher, um in mühevoller Kleinarbeit neue Bücher entstehen zu lassen, die als Grundstock einer neuen Bibliothek dienen sollten. Die Aufklärungsarbeit des rationalistischen Intellektuellen Baskerville führt im Roman durch die Vorboten der Apokalypse (die Morde stehen jeweils für ein Zeichen der Apokalypse) zum Zusammenbruch der mittelalterlichen Ordnung; die symbolische
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Deutung offenbart dem Leser, wohin jedoch die Maßlosigkeit des aufklärerischen Begehrens führt: Zur Zerstörung der Ordnung und der Verwirrung des Wissens, in der Art, wie es bei dem Turmbau zu Babel geschah, wo die Einheit der Verständigung durch eine Sprache dem Hochmut zum Opfer fiel. Die Lehre der zerstörten Bibliothek zeigt auf, dass der Wille zum Wissen sich bescheiden und der Totalitätsanspruch aufgeben werden muss10, will man nicht in die Fänge einer Bibliothek geraten, wie es Jorge Luis Borges’ Alptraum darstellt.
Tlön Uqbar, Urbis Tertius, Babel und die Bücher: Jorge Luis Borges’ Alptraum der unendlichen Bibliothek Der argentinische Schriftsteller, Dichter und Intellektuelle Jorge Luis Borges (1899–1986) hat sich nicht nur mit der Schaffung von Büchern beschäftigt11, er war auch Direktor der argentinischen Nationalbibliothek von Buenos Aires (1955 bis 1973) und hat gerne über das Schicksal von Büchern in Büchern nachgedacht, wie es seine Erzählung Tlön Uqbar, Orbis Tertius und die fantastisch-apokalyptische Geschichte La Biblioteca de Babel unter anderem bezeugen. Der endzeitliche Tenor dieser zwischen dem Essay und der Erzählung rangierenden Schriftstücke wurde mit großer Wahrscheinlichkeit durch seine Arbeit als Archivar in einer kleinen Bibliothek beeinflusst, eine Arbeit, die ihn fast zum Wahnsinn getrieben hat und ihn an eine kathartische Lösung in Form dieser Prosastücke denken ließ. Borges war auch ein Intellektueller, der sich immer an den avantgardistischen Strömungen aus Frankreich, England und Deutschland orientiert hat, polyglott war und in seiner Heimat Argentinien diese Schätze okzidentalen Denkens mit Nachdruck verbreitet hat. Er galt als schöngeistiger Kosmopolit, der auch auf Grund seiner Blindheit auf vielfältige Weise metaphysische Themen in seine Literatur einbaut. Beinahe als Ironie des Schicksals übertrug man ihm 1955 das Direktorat der Nationalbibliothek, was er lakonisch kommentiert: „Ich spreche von Gottes glänzender Ironie, wenn er mir auf der Stelle 800 000 Bücher vermacht und vollkommene Finsternis.“12 Um seine Prosa in die Nähe der Erzählung zu bringen, leiht er sich die fantastische Ummantelung vom englischen Erzähler Edgar Allan Poe aus: die Angst, das Unheimliche, das Geheimnis, die Skepsis vor dem Irrationalen13. In Tlön Uqbar, 10 Vgl. Günther Stocker: Schrift Wissen und Gedächtnis. Würzburg 1997, S. 214–215. 11 Sein umfangreiches Werk ist nachzuschlagen in: Jorge Luis Borges. Ficcionario. Una antología de sus textos. México 1985, S. 425–433. 12 Jorge Luis Borges: Autobiografía. 13 Vgl. Luis Harss: Los nuestros. Buenos Aires 1981.
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Orbis Tertius kommt dieses Fantastische zur Geltung. Ein unauffindbares Buch und ein Spiegel sind die Pfeiler der Geschichte. Der Ich-Erzähler, in diesem Falle Borges – „jedes Schriftstück ist auch eine Autobiografie des Schriftstellers“14 - versucht mit Hilfe seines Freundes jenes verlorene Buch (Anglo-American Cyclopaedia) zu finden, in dem der Spiegel im Zusammenhang mit dem nicht auffindbaren Wort „Uqbar“ zu stehen scheint. Der Zufall spielt ihm zwei Bücher zu, welche ihm die Welt der Tlön offenbaren. Er merkt, dass die fiktive Parallelwelt dieser mythischen Geschöpfe unserer sehr ähnlich ist, es scheint als sei ein Spiegel da, der die Welt widerspiegelt mit der Entdeckung, dass sie nur anders ist, weil sie spiegelverkehrt erscheint .15 Gerade im Hinblick auf die Erschaffung der Bücher bemerkt Borges, dass alle Tlön daran beteiligt sind, dass es kein Plagiat gibt; eine Vielzahl von Darstellern folgt nur einem Argument, nicht alle Symbole sind allgemein gültig und jeder Mensch hat mindestens einen Doppelgänger. Um seine Erzählung nicht ins Absurde zu führen, schreibt Borges ein Addendum, in dem er das Geheimnis aufklärt: Es handelte sich um eine in Auftrag gegebene Schaffung einer dritten Welt, Tlön. Doch diese Entdeckung kommt für den Ich-Erzähler zu spät, er ist schon angesteckt durch Tlön: einen Planet, auf dem die Ordnung durch ein Buch geschaffen worden war!16 „Die Kunst“, sagt Borges „ist wie das idealistische Universum von Tlön, sie ist nicht nur sein Spiegelbild, sondern auch sein Anhang.“17 Verlorene, unauffindbare und exotische Bücher in Bibliotheken waren die Motive dieser Erzählung. In La biblioteca de Babel (1942) führt Borges sein Denkspiel noch weiter. In einem 1939 veröffentlichten Artikel äußert er sich fast visionär zu seiner nur 3 Jahre später veröffentlichten Geschichte: „Eine der Eigenschaften des Gedächtnisses ist die Erfindungen schrecklicher Vorstellungen. Es hat die Hölle erfunden, hat über die platonischen Ideen fantasiert, die Schimäre, die Sphynx, die unnatürlichen unendlichen Zahlen (in denen der Teil nicht weniger umfangreich ist wie das Ganze), die Maske, die Spiegel, die Oper, die Dreieinigkeit: der Vater, der Sohn und der Geist unzertrennbar, in einem einzigen Körper artikuliert... Ich habe versucht, ein untergeordnetes Schreckensgespenst vor dem Vergessen zu retten: die unfassbare, sich widersprechende Bibliothek, dessen vertikale Wüsten von Büchern dem ununterbrochenen Schicksal der Veränderung unterliegen. Bücher, die alles bejahen, verneinen und durcheinanderbringen wie ein Gott, der den Verstand verloren hat.“18 14 Harss, op.cit, S. 152. 15 Zu Spiegeln: Umberto Eco: Über Spiegel und andere Phänomene. München 1988, S. 26 ff. 16 Jorge Luis Borges: Tlön Uqbar, Urbis Tertius, in: ders. Ficcionario. Antología de sus textos. México 1985, S. 159. 17 Luis Harss, op. cit, S. 152. 18 Jorge Luis Borges: Ficcionario. Una antología de sus textos. México 1985, S. 128–129.
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Der Plot reduziert sich auf eine Grundidee: den Aufbau einer immensen Bibliothek und den Auswirkungen der darin enthaltenen Bücher auf den Menschen. Es gibt keine Handlung, nur retrospektive und prospektive Äußerungen des IchErzählers, der die absurden Versuche der anderen kommentiert und als einziger die Aussichtslosigkeit des menschlichen Handelns in dieser perfekten Bibliothek durchschaut. Die Bibliothek der perfekten Ordnung: Borges Bibliothek – im Spanischen sogar großgeschrieben, um ihre Wichtigkeit noch zu unterstreichen – ist ein unendliches Konglomerat hexagonaler Galerien, welche sich um einen hexagonalen Luftschacht reihen. In jeder Galerie gibt es 20 Bücherborde, fünf pro Seite, wobei 2 Seiten frei bleiben müssen, eine, um durch ein Tor in eine andere Galerie zu gelangen. Als Schlafplatz und Stilles Örtchen dienen 2 Kabinette auf jeweils einer Seite des Tores. Jedes Bücherbord hat 32 gleich große Bücher, jedes Buch hat 410 Seiten, jede Seite 40 Zeilen, jede Zeile 80 schwarze Buchstaben. Der Traum der perfekten Bibliothek liegt hier als exaktes mathematisches Gebilde vor uns, die lang ersehnte Ordnung des Geschriebenen in einwandfreier topographischer Symmetrie. Aber die Bedrohung kommt erst durch die Sinngebung des Geschriebenen. Denn ähnlich wie das Märchen der Getreidekörner auf dem Schachbrett sind die 25 Buchstaben (im Epigraph ist die Rede von der Kombinatorik von 23 Buchstaben19) – 22 Buchstaben, der Punkt, das Komma und das Auslassungszeichen – in allen erdenklichen Verquickungen mit- und untereinander Inhalt der Bücher. Schlimmer noch: Es fehlt ein übersichtlicher Katalog, ein Katalog aller Kataloge, ein Katalog über die tausenden und abertausenden falschen Kataloge im Umlauf. Erschreckend die Gewissheit, bei Anwendung der ars combinatoria von Gottfried Wilhelm Leibniz20 die Verknüpfungsmöglichkeiten in der Zahl 1073 000 000 000 000 widergespiegelt zu sehen. „Interessanter als diese Zahlenspiele ist, dass Leibniz die Kombinatorik mit der Erklärung des Universums verbindet, (…) Diese Lehre führt die sich fügende Seele an die Grenze der Unendlichkeit. Sie allein erfasst die Harmonie der Welt, die innere Struktur der Dinge und die Reihenfolge der Formen“21. Borges lässt jedoch nicht den abgeklärten Menschen die Unendlichkeit erfassen, sondern trägt sein Denkspiel in den Diskurs hinein. Die Welt entsteht durch den Diskurs, die Wahrnehmungen des Universums von den vorherrschenden Kommunikationsformen – das babylonische Problem liegt so bei Borges nicht in der Ordnung der Bibliothek, sondern in der Sinnlosigkeit dieser Ordnung im Diskurs. 19 By this art you may contemplate the variation of the 23 letters … The anatomy of Melancholy, part 2, sect. II, mem. IV. 20 Vgl. Günther Stocker, op. cit. S. 168 ff. 21 ibid., S. 169–170.
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„Als verkündet wurde, die Bibliothek umfasse alle Bücher, war der erste Eindruck ein überwältigendes Glücksgefühl. Alle Menschen fühlten sich als Herren über einen unversehrten und geheimen Schatz. Es gab kein persönliches, kein Weltproblem, dessen beredte Lösung nicht existierte: in irgendeinem Sechseck. Das Universum war gerechtfertigt, das Universum bemächtigte sich jäh der schrankenlosen Dimension der Hoffnung.“22 Materiell ist die Bibliothek zwar das perfekte Medium, auf der Ebene der Sinnhaftigkeit des Diskurses versinkt sie im Chaos. Die Bibliothek hat aber auf der Metaebene nicht die Funktion, das Universum zu spiegeln, sie ist das Universum. Die Bibliothekare sind die Menschen, die einen Sinn in ihrem Leben suchen und blind im Geheimnis der tausendfachen Möglichkeiten herumstochern, ohne je an das Wissen heranzukommen; keine Magie, Beschwörung oder Kabbala nutzt, um das Geheimnis lüften zu können. Borges´ Paradies des Ur-Diskurses, des Mit- und Nebeneinander aller Bücher in einer Bibliothek – der Traum der Alexandrina - degradiert zum Alptraum, ist nur mehr Reich des Todes, des Vergessens, des Nicht-Wissen. „Als Datenbank und Bedeutungsträger wäre das Universum der Bibliothek von Babel nur dann zu gebrauchen, wenn es gelänge, die Menge der Buchstabenkombinationen zu beschränken, durch Bücherverbrennung, durch Vergessen ...“23 Die Zerstörung einer Bibliothek kann aber nur auf der Ebene fiktionaler Bibliotheken realisierbar sein, in der Wirklichkeit steht der damit verbundene Verlust von historischem Quellenmaterial in keinem Verhältnis zum freudigen Aufbruch zum Neuen. Die Bibliothek als topologischer Speicher des Gedruckten angesichts der Flut von wertvollen und wertlosen Informationen ist aber zu klein geworden. Gesucht wird daher nach Lösungen, die neben der ehrwürdigen alten Bibliothek als Zeichen kultureller Hochzeit neue Speichermöglichkeiten eröffnen, ein sich ergänzendes Nebeneinander von Alt und Neu und nicht ein Ersetzen des Alten durch das Neue. 24
22 Jorge Luis Borges: Die Bibliothek von Babel, in: ders. Fiktionen. Frankfurt am Main 1992, S. 71. 23 Zitat von Wolf Kittler, in: Stocker op. cit. S. 175. 24 Klaus Dieter Lehmann: Das kurze Gedächtnis digitaler Publikationen, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Heft 3, 1996, S. 209–226.
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Die Grammophonplatte, der musikalische Gedanke, die Notenschrift, die Schallwellen, stehen alle in jener abbildenden internen Beziehung zueinander, die zwischen Sprache und Welt besteht. Ihnen allen ist der logische Bau gemeinsam. Ludwig Wittgenstein Ob der Adressat dieser Festschrift der Musik zu- oder abgeneigt ist, weiß ich nicht. Aber ich weiß, daß er in Frankfurt wie in Berlin Verantwortung für bedeutende Einichtungen zu tragen hatte und trägt, deren Ziel es ist, die Überlieferung der Musik zu pflegen: Die Frankfurter Universitätsbibliothek beherbergt eine bedeutende Musik- und Theatersammlung, die Deutsche Bibliothek unterhält in Berlin das Deutsche Musikarchiv mit seinen Sammlungen der aktuellen deutschen Produktionen von gedruckter Musik und von Musik-Tonträgern; unter dem großen Dach der Stiftung Preußischer Kulturbesesitz sind vereint in der Berliner Staatsbibliothek eine der bedeutendsten Musiksammlungen der Welt und beim Staatlichen Institut für Musikforschung eine nicht minder bedeutende Instrumentensammlung. Unsere Beziehung zueinander gestaltete sich viele Jahre hindurch über zwei Institutionen besonders eng. K.-D. Lehmann war es, der als junger Direktor der damaligen Frankfurter Stadt- und Universitätsbibliothek (STUB) dafür sorgte, daß die Zentralredaktion des inzwischen mehr als fünzig Jahre alten Internationalen Quellenlexikons der Musik (RISM) an dieser Frankfurter Bibliothek eine angemessene Arbeitsmöglichkeit erhielt, und von Frankfurt aus verband uns über viele Jahre die gemeinsame Fürsorge für das Berliner Deutsche Musikarchiv. Gründe genug dafür, daß sich dieser Beitrag mit der musikalischen Überlieferung befaßt.
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eonardo da Vinci hat am Ende des 15. Jahrhunderts in seinen posthum unter dem irreführenden Titel Trattato Della Pittura überlieferten unsystematischen Gedanken zur Malerei merkwürdige Überlegungen über die Rangfolge unter den Künsten, insbesondere der Malerei, der Musik, der Skulptur und der Dichtung, angestellt. Vergleiche dieser Art sind allerdings nicht allzu selten in der zeitgenössischen gelehrten Literatur und sie lassen sich leichter verstehen, wenn man sie vor
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dem Hintergrund der damals längst obsolet gewordenen, in der Vorstellung aber immer noch wirksamen Überlieferung der artes liberales betrachtet, die deshalb freie hießen, weil sie der Beschäftigung eines freien Mannes angemessen waren, und dies im Unterschied zu den artes mechanicae. Die Malerei hat im System der septem artes liberales bekanntlich keinen Platz, wohl aber die Musik, die mit Astronomie, Arithmetik und Geometrie im Quadrivium plaziert war (im Unterschied zu den „trivialen“ Künsten, der Grammatik, Dialektik und Rhetorik). Dagegen wendet sich Leonardo nicht als erster, wohl aber als prominentester selbstbewußter neuzeitlicher Künstler, wenn er die Forderung aufstellt: „Nachdem du der Musik einen Platz bei den freien Künsten einräumst, so stellst du entweder auch diese [d. h. die Malerei] dorthin oder du entfernst auch jene. Und wenn du einwendest, daß die Malerei geringe Leute betreiben, ganz ebenso wird auch die Musik von solchen verpfuscht, die nichts von ihr verstehen.“ Leonardo bezeichnet die Musik als die „Schwester der Malerei, aber als die kleinere“. Er versteht also beide „Schwesterkünste“ als Künste im neuzeitlichen Sinne, was die artes liberales im traditionellen Sinne als korporative Zusammenfassung der Wissenschaften im Rahmen des Lehrangebots der Universitäten gar nicht waren. Die Begründung für seine Rangordnung ist eine sehr „neuzeitliche“, eine physikalische. Nach Leonardo übertrifft und beherrscht die Malerei die Musik, „denn sie erstirbt (muore) nicht unmittelbar nach ihrer Schöpfung (creazione), wie das die unglückliche Musik tut.“ Von nascere e morire ist im Zusammenhang mit der Musik an mehreren Stellen die Rede, und schließlich gipfelt die Begründung für den höheren Rang der Malerei in der Feststellung: „Jene Sache ist vornehmer, welche mehr Dauer hat. Daher ist die Musik, die vergeht, während sie entsteht, weniger wert als die Malerei, die man mit Glasur ewig dauernd macht.“ Leonardo hat noch andere Argumente für den höheren Rang der Malerei vor der Musik, doch das der mangelnden Dauer, das Schicksal des morire dopo la sua creazione, ist das stärkste. Er beruft sich dabei auf eine in der physikalischen Natur der Musik begründete und ihr Wesen bestimmende Erscheinung. Tatsächlich: Musik ist ein klangliches Phänomen, und diese Phänomene existieren solange, wie den Schallquellen ständig neue, neuen Schalldruck erzeugende Energie zugeführt wird. Musik hört auf zu existieren, wenn diese neue Energie ausbleibt. Musik ist nichts Statisches, nichts Fixiertes, ist vergänglich, ohne Dauer. Musik ist in keinem Moment ihrer Erscheinung dingfest zu machen, existiert nur im Zeitverlauf. Ihre Gegenwart ist die Erinnerung. Musik zu hören bedeutet, ihre Flüchtigkeit dadurch zu überwinden, daß das gerade Erklingende mit dem schon Verklungenen und mit der Erwartung des noch nicht Erklingenden virtuell zusammengefügt wird.
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Das Bewußtsein von der Flüchtigkeit des Tones, von der „Sterblichkeit“ der Musik ist uralt, und uralt ist auch das Bedürfnis, diese Flüchtigkeit aufzuhalten, die Musik „unsterblich“ zu machen. Der älteste Versuch, Erklingendes festzuhalten, ihm Dauer zu verleihen, galt allerdings nicht der Musik, sondern der Sprache, die das Schicksal der Vergänglichkeit mit dieser teilt. Das Ergebnis ist die Entwicklung einer die Laute der Sprache graphisch fixierenden Schrift, einer Lautschrift (im Unterschied zur älteren ideopiktographischen). Die Zeichen der Lautschrift beziehen sich nicht wie beim Piktogramm auf die Sachen, sondern auf die Wörter, die die Sachen benennen. Insofern ist die Lautschrift eine Codierung der Sprache. Schrift ist die Umwandlung des hörbaren Schalls in sichtbare Zeichen, Schallaufzeichnung zum Zwecke der erneuten Realisierung des zum Hören Bestimmten, Codierung von auditiven Verläufen in optische Zeichen, „Phonographie“. Goethe war der enge Zusammenhang zwischen Sprache und Schrift noch bewußt, als er am Ende des zehnten Buches von Dichtung und Wahrheit feststellte: „Schreiben ist ein Mißbrauch der Sprache, stille für sich lesen ein trauriges Surrogat der Rede“. Trotzdem sind wir in der Lage, den Sinn von Geschriebenem lesend ohne Abstriche zu entschlüsseln, ohne daß das Geschriebene erklingt, ohne daß es zur Sprache kommt, und ein erheblicher Teil der menschlichen Kommunikation geschieht lautlos auf dem Wege über die Abstraktion der Sprache durch lesbare Zeichen. Die aus der Sprache abstrahierte Lautschrift hat sich im Lauf ihrer Geschichte verselbständigt. Wir nehmen den Zusammenhang zwischen Sprache und Schrift nicht mehr unmittelbar wahr, wenn wir lesen, ohne dabei zu sprechen. Das Surrogat im Sinne Goethes ist inzwischen beim Lesen an die Stelle der Sache selbst, der Sprache nämlich, getreten. Das ist in manchen orientalischen Überlieferungen noch anders, in denen grundsätzlich laut, oder jedenfalls nicht ohne Bewegung der Lippen gelesen wird, wie das bei uns allenfalls noch die im Lesen weniger Geübten tun. In der Musik ist der Surrogatcharakter der (Noten)-Schrift nach wie vor evident. Notenschrift ersetzt nicht die Musik, ist zunächst nicht „Sinnträger“, sondern eng mit ihr verbundene, komplexe, zeichenhafte Codierung von Anweisungen für die Erzeugung von Schallwellen. Die frühen Notenschriften, die linienlosen Neumen des choralen liturgischen Gesangs, waren zeichenhafte Erinnerungsstützen, ungefähre Winke, Hinweise für die Wiederaufführung von etwas Bekanntem, schon früher Gehörtem und Gesungenem. Im Laufe ihrer geschichtlichen Entwicklung läßt die Notenschrift bis etwa zur Mitte des 20. Jahrhunderts deutlich die Tendenz zur immer genaueren Fixierung des musikalischen Sachverhalts erkennen: von der ungefähren Angabe des rein melodischen Verlaufs zur eindeutigen Festlegung der rhythmisch-metrischen Relationen, zur eindeutigen Angabe der (relativen) Tonhöhe, zur Niederschrift der
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Klangfarbe in der Instrumentation, zur immer genaueren Abstufung der Lautstärkengrade und des Tempos bis hin zur metronomisch-exakten Fixierung der Dauer der einzelnen Note und schließlich zur verbalen Umschreibung des intendierten Ausdrucks wie etwa bei Beethoven (gesangvoll, mit innigster Empfindung), auch zur verbalen Verdeutlichung des im Notentext schon Angedeuteten, über die Musik Hinausweisendem; so bei Gustav Mahler (Verklingend, rufend, antwortend; Mit verwegenem Ausdruck, beinahe mit Hohn; Etwas schleichend, müde). Der Weg geht von der quasi stenographischen Andeutung bis zur möglichst exakten, vielschichtigen Codierung aller Parameter des vom Komponisten vorgedachten und vorgehörten Klangereignisses, wobei im Laufe des 19. Jahrhunderts die Grenzen zwischen Tempoangabe, Charakterisierung des Ausdrucks und Inhaltsbeschreibungen sich verwischen. Trotzdem ist auch am Ende der Entwicklung, anders als bei der Sprachschrift, eine Kommunikation mittels der Notenschrift und die Erschließung des ohnehin schwer zu bestimmenden musikalischen Sinns aus der bloßen Lektüre der Notenschrift nur schwer vorstellbar; allenfalls annäherungsweise unter Eingeweihten und auch dies nur, wenn das innere Ohr sich während der Lektüre den intendierten Klang als Gehörtes vorstellt. Notenschrift ist ein Spezialcode für Fachleute; musikalisch betrachtet sind fast alle übrigen Menschen „Analphabeten“. Notenschrift ist nicht die einzige Möglichkeit, die flüchtige Musik festzuhalten. Es gibt andere, die mit dem, was erklingt, unmittelbarer verknüpft sind als die notenschriftliche Anweisung zum Musizieren. Die älteste dieser Alternativen ist die Fixierung von Musik durch Mechanische Musikwerke, die eine kompositorische Vorstellung über Raum und Zeit transportieren können. Die ältesten „Musikspeicher“ dieser Art sind spätmittelalterliche Glockenspiele und Orgelwerke mit drehbaren Walzen, auf denen in exakt bestimmten Abständen Stifte angebracht sind, die Töne dadurch auslösen, daß sie direkt oder über von ihnen ausgelöste Hämmerchen an Glocken anschlagen oder die Ventile von Orgelpfeifen öffnen. Ihre Blütezeit hatten derartige Instrumente im 16., 17. und 18. Jahrhundert, und wir kennen Kompositionen für mechanische Musikwerke von Händel, Wilhelm Friedemann Bach, Carl Philipp Emanuel Bach, Mozart und Beethoven. Bis in unsere Tage werden mechanische Orgelwerke gefertigt, bei denen allerdings nicht selten die Stiftwalze durch eine elektrische Traktur ersetzt ist, bei der isolierende Papier- oder Kunststoffstreifen an einem elektrischen Kontakt vorbei geführt werden, der nur an bestimmten gelochten Stellen geschlossen wird und damit eine Tongebung auslöst. Wie sehr bei diesen mechanischen Musikwerken die Realisierung einer Klangvorstellung komponierter Musik die Fertigung bestimmte, dafür gibt es ein Beispiel
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in einer Orgelwalze des Augsburger Mechanikers und Goldschmiedes Achilles Langenbucher aus dem Jahre 1617. Diese Walze weist gegen den Schluß hin einen kunstvoll vergrößerten Abstand der einzelnen Stifte voneinander auf, wodurch beim Abspielen eine Verlangsamung des Tempos, ein regelrechtes Schluß-Ritardando zu hören ist. Hier ist auf einem mechanischen Musikwerk eine aufführungspraktische Besonderheit überliefert, die in dieser Zeit im Allgemeinen im Notentext nicht notiert wurde, weil sie sich von selbst verstand. Der aufführungspraktische Aspekt steht auch im Mittelpunkt der Arbeiten des Pariser Augustinermönches Marie-Dominique-Joseph Engramelle, der 1775 in seiner Tonotechnie die Codierung von Musik auf Stiftwalzen als vom ihm so genannte Notage mit der größten Exaktheit beschreibt. Dabei geht es ihm vor allem um die Fixierung dessen, was die Notenschrift seiner Zeit in Bezug auf das Tempo, die Artikulation und die Verzierungen im weitesten Sinne dem Interpreten überließ. Voraussetzung für diese Übung war ein Kanon von traditionellen Gewohnheiten, die den Rahmen zogen, innerhalb dessen sich die interpretatorische Freiheit entfalten konnte. Die um die Mitte des 18. Jahrhunderts anschwellende Flut von Schulund Lehrwerken des Musizierens und die zunehmend im Detail exakter notierten Kompositionen lassen ahnen, daß die bislang lebendig und selbstverständlich gepflogene Praxis dabei war, verloren zu gehen und daher der Kodifizierung bedurfte. In diesem Zusammenhang ist Père Engramelles Arbeit zu verstehen, deren besondere Bedeutung daran erkennbar ist, daß der maßgebende Autor des Orgelbaus der Zeit, Dom Bédos de Celles, Engramelles Schrift in sein grundlegendes Werk aufnahm und damit gleichzeitig das Ansehen betonte, das Walzenorgeln noch am Ende des 18. Jahrhunderts hatten. Engramelle beklagt, daß seine Erfindung der Notage nicht schon den Großen der Vergangenheit zur Verfügung gestanden habe, wenn er schreibt: „Vor allem die Musik, die dazu gemacht ist, die Seele durch harmonische Gefühle zu erheben, die sie hervorruft, hat Einbußen erlitten, die man nicht wiedergutmachen kann. Wir würden uns noch heute an der Aufführung der Lully, der Marchand und aller großer Männer erfreuen, die die Bewunderung ihrer Zeitgenossen erweckt haben, wenn sie die Notage gekannt hätten: ihre besten Stücke, von ihnen selbst für die Nachwelt auf einige unveränderbare Zylinder übertragen, hätten in dieser Ausdrucksweise bewahrt werden können, von der wir keine Idee haben, außer durch Berichte“; und: „Wer weiß, welches Vergnügen die Couperin und Rameau und unendlich viele unserer besten Komponisten daran gehabt hätten, uns ihre besonders hervorragenden Kompositionen in ihrer ganzen Reinheit übermitteln zu können.“ Dies ist vermutlich der erste Beleg für den Gedanken, mit Hilfe der Aufzeichnung des virtuellen Schalles der Nachwelt eine „reine“, d. h. authentische Interpre-
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tation zu hinterlassen. Heutzutage liegt der Gedanke am Tage; Komponisten des 20. Jahrhunderts liebten es, ihre Werke selbst auf die Schallplatte zu bringen, um so ihre kompositorische Vorstellung quasi testamentarisch festzuhalten. Bisher war von zwei Formen der Codierung von Musik die Rede, von der schriftlichen und von der mechanischen. Bei der schriftlichen in der Form von Musiknoten bleibt für die Realisierung ein zwar nicht unbeschränkter, aber doch erheblicher Ermessensspielraum für den Realisator, den Interpreten. Bei der mechanischen liegt dagegen die klangliche Erscheinung in allen Einzelheiten fest. Es handelt sich um eine „Aufführungsanweisung“, die maschinell decodiert wird und dem mechanischen Realisator, der kein Interpret mehr ist, keinerlei Spielraum läßt. Eine Mittelstellung nehmen Aufzeichnungen ein, welche die mechanischen Vorgänge einer Interpretation dokumentieren. Der eigentliche Erfinder dieser Methode ist Johann Friedrich Unger, der 1752 der Berliner Akademie der Wissenschaften den Entwurf einer Maschine, wodurch alles, was auf dem Klavier gespielt wird, sich von selber in Noten setzt und 1753 eine mechanische Vorrichtung vorführte, die an die Klaviermechanik gekoppelt, die Tastenbewegungen auf ein gleichlaufendes Papierband aufzeichnete und so sichtbar machte. Während Ungers Idee keine praktische Bedeutung gewann, gelten die Klavier und Orgelrollen vom Anfang des 20. Jahrhundert heute mit Recht als Quellen ersten Ranges für die Geschichte der musikalischen Interpretation. Zur Herstellung dieser Rollen spielten bedeutende Pianisten oder Organisten auf einer Klaviatur, die mit einer Vorrichtung verbunden war, welche auf einem sich aufrollenden breiten Papierstreifen die Tastenbewegungen des Spielers durch Perforation festhielt und auf diese Weise Tonhöhe, Tondauer und dynamische Abstufungen auf einem Lochstreifen indirekt aufzeichnete. Es wurde also nicht die klingende Interpretation aufgezeichnet, sondern deren Tastenbewegung zeitgleich codiert. Die Realisierung als Klang setzt einen Adapter voraus, der den Lochstreifen „liest“ und die Tasten eines Pianos oder einer Orgel pneumatisch in Bewegung setzt. 1887 wurde für die Papier-Musikrolle mit pneumatischer Spielvorrichtung ein erstes Patent erteilt, und 1905 erhielt die Freiburger Orgelbaufirma M. Welte & Söhne eine Vorrichtung an mechanischen Musikinstrumenten zur Abstufung des Tastenanschlags patentiert. Diese Patentschrift beschreibt differenziert die pneumatisch gesteuerte Wiedergabe, schweigt sich aber über das Codierungsverfahren selbst, die Umsetzung des Tastenanschlags in die Perforation der Bänder, vollständig aus, das als eine Art von Geschäftsgeheimnis behandelt worden zu sein scheint. Die damals so genannten „Künstlerrollen“ (so genannt im Unterschied zu den mechanisch gestanzten übrigen Rollen) wurden vervielfältigt auf den Markt gebracht und gelten heute als aufführungspraktische Dokumente hohen Ranges, indem sie das Klavierspiel von Edvard Grieg, Claude Debussy, Maurice Ravel,
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Eugen D’Albert, Max Reger, Ferruccio Busoni, Gustav Mahler, Richard Strauss und anderer großer Musiker ihrer Zeit festhalten. Die Herstellerfirma rühmte sich dieses Verfahrens, das „alle Feinheiten des rhythmischen und dynamischen Vortrags mit völligem Erfassen der persönlichen Note“ des Interpreten möglich mache. Der Dokumentationswert der Rollen ist allerdings mehrfach eingeschränkt: Die dynamischen Relationen, d. h. die Valeurs des Spiels zwischen laut und leise sind, je nach Fabrikat und Typus, auf vier bis acht Stufen vereinfacht, und das heißt, daß aus dem dynamischen Continuum des lebendigen Spiels eine terrassenartig abgestufte Folge „diskreter“ Werte geworden ist. Ferner läßt die Aufteilung der Pneumatik in eine Baß- und eine Diskantregion dynamische Unterschiede nur innerhalb dieser Teilung zu. Für das Reproduktionsklavier der Firma Welte gilt ebenso wie für ähnliche Fabrikate der Firmen Hupfeld, Aeolian Company, American Piano Company oder Pleyel, was alle beschriebenen Typen mechanischer Musikinstrumente charakterisiert: sie beschränken sich auf einen bestimmten Instrumententypus, nämlich auf das Tasteninstrument. Wir erfahren mit Hilfe dieser Klaviere (in Annäherungswerten),wie Richard Strauss Klavier gespielt hat, aber um zu hören wie Adolf Busch mit der Geige, Caruso mit der Stimme und Toscanini mit dem Orchester umging, dafür bedurfte es einer anderen Art von Aufzeichnung, der des real erklingenden Schalles, wie sie vor knapp 130 Jahren möglich geworden ist. Dies Prinzip der Schallfixierung unterscheidet sich von den bisher skizzierten dadurch, daß nicht die Vorstellung klanglicher Ereignisse schriftlich (Notenschrift) oder mechanisch (Stiftwalzen) aufgezeichnet, auch nicht die Bewegungen des tonerzeugenden Tastenanschlags fixiert (Reproduktionsklavier), sondern die Schwingungen des real erklingenden Schalles analog festgehalten werden mit dem Ziel, durch eine Umkehrung des Verfahrens die aufgezeichneten Schälle wieder zu reproduzieren. Die früheste Konzeption dieser, die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Akustik voraussetzenden Vorstellung ist dem Franzosen Léon Scott de Martinville zu danken, der, auf den bekannten Versuchen Wilhelm Webers und J. M. Duhamels aufbauend, die Schallschwingungen gesprochener Worte über eine Membrane und eine mit dieser verbundenen Nadel in eine Ruß-Schicht einzeichnete, mit der eine sich drehende Walze geschwärzt war. Ziel dieses Experiment, das er 1859 der Pariser Académie des Sciences vorführte, war es, aus diesen Linien in der Ruß-Schicht lesend entziffern zu können, was gesprochen worden war. Scott wollte eine Maschine konstruieren, die gesprochenes Wort unmittelbar in einen umkehrbar eindeutigen Code überführte, um auf diese Weise den Stenographen zu ersetzen.
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Dies Ziel ließ sich in der Praxis zwar nicht erreichen, aber die Aufzeichnung des Schalles auf einer rotierenden Walze entsprach genau dem Prinzip dessen, was Charles Cros 1877 beschrieb, als er die Konstruktion des Paléophone darlegte, das übrigens auch nie gebaut wurde. Die Idee entspricht dem Prinzip nach auch dem, was der erfolgreichere Thomas Alva Edison im gleichen Jahr realisierte. Am 24. Dezember 1877 meldete er einen Phonograph or Speaking Machine zum USPatent an. Edison selbst, der auch die ökonomischen Aspekte seiner Erfindung von Anfang an in seinem ebenso spekulativen wie pragmatischen Kopf hatte, teilte im Juni 1878 in der North American Review die Ziele und Zwecke mit, die er mit seiner Maschine erreichen wollte. In dieser Liste von zehn Punkten steht die Reproduction of Music erst an vierter Stelle nach dem Letter writing and all kinds of dictation without the aid of a stenographer, nach den Phonographic books für Blinde und dem Teaching of elocution. Unter Punkt sechs findet man Music-boxes and toys. Die Möglichkeit der Dokumentensicherung klingt bei verschiedenen Anwendungen an, einschließlich der Aufnahme der letzten Worte Sterbender. Die alle Vorstellung des Erfinders übersteigende Entwicklung des Tonträgers von der Edison-Walze über die Scheibe Emil Berliners (1887) zur Langspielplatte (1948), zum magnetisierten Tonband (Mitte der 30er Jahre), zur Compact-Disc mit Laserstrahl (1983), über die DVD zum Music-Chip hat gewiß ihr Ende noch nicht erreicht. Diese im emphatischen Sinne des Wortes „epochale“ Erfindung hat unser Musikleben gründlicher verändert als jedes andere Ereignis seit der im Dunkel mythischer Ferne liegenden Erfindung der Musik.
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Das tief wurzelnde Bedürfnis, der flüchtigen Musik Dauer zu verleihen, hat im Laufe der Geschichte zu sehr verschiedenen Methoden der „Phonographie“ geführt, zwei davon haben sich auf die Dauer etabliert: eine abstrakte als schriftliche Anweisung für die Hervorbringung intendierten Klanges, die Notenschrift, und eine konkrete als magnetische oder digitale Aufzeichnung des realen Klanges, der Tonträger. Beide haben ihre eigene Geschichte, ihre eigene Bedeutung, ihren eigenen Rang. Im jüngeren Tonträger haben wir das Vehikel, Musik aller Zeiten und jeden Genres (auch die nicht komponierte) über Raum und Zeit zu transportieren. Wenn man will, kann man die Digitalisierung des Erklingenden analog zur notenschriftlichen Codierung ebenfalls als eine besondere Form der Niederschrift von Musik begreifen, nämlich als eine, die in der realen Zeit verläuft.
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In der älteren Notenschrift haben wir einmal die Voraussetzung für die wiederholte Aufführung von Musik in unterschiedlicher Gestalt. Ohne diese singuläre europäische, inzwischen universal gewordene Entwicklung der Notenschrift gäbe es zwar Musik, wie es zu allen Zeiten Musik gab und gibt, die nicht in Noten aufgeschrieben wird. Aber es gäbe nicht die im strengen Sinne komponierte Musik, die auf der Schriftlichkeit basiert. Und es gäbe nicht die Geschichte der Musik als Geschichte von komponierten Werken, als Geschichte großer Kunst in authentischer Überlieferung. Natürlich können beide Methoden, der flüchtigen Musik Dauer zu verleihen, die „Sterblichkeit“ der Musik im Sinne Leonardos nicht aufheben. Die ist unaufhebbar in ihrer zeitlichen Seinsweise beschlossen. Ihre „Sterblichkeit“ macht die Faszination und die starke emotionale Wirkung von Musik aus, vom Werden und Ersterben handelt alle Musik, sie sind ihr eigentlicher soggeto continuo.
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DIE GRENZENLOSE BRUDERSCHAFT DER BÜCHER KARL DEDECIUS
Ode an das Wörterbuch Im Namen von Alpha und Beta, der Eklektiker der Sprache, dieser goldenen Kälber der Ordnung, der Zeit Patrone, der Zeremonienmeister, der Väter des Alphabets, das Anfang ist und Ende, das war und sein wird, dieser schweren dicken Bände, wo wir nicht wissen, was wir eigentlich da suchen und wo wir immer einen Grund zur Freude finden, bekenne ich von Wort zu Wort, so wie ich lebe. Nach Pilgerfahrten zu den goldnen, heilbringenden Mitten, nach Wanderungen rings um letzte Ziele, nach tiefsten Tiefensonden, höchsten Höhenflügen, nach wirren Irrungen, vom Faden bis zum Knäuel, nach Aussöhnung der Zwiste, Spaltung eines Haares und Waschung mit dem Weihwasser aus Quellenworten, von überall mit schnellsten Wünschen und Parabeln komm’ immer ich auf dich zurück, mein trautes Lager, wo ich den Grund, das Land der Wörtlichkeit berühre. Du kluge Jungfrau aus der Bibel, von den vielen erschlossenen Weltköpfen schlauer, deine Lippen versöhnen wahrheitsprechend besser als die Bücher der Weisheit, was auch Mythen schlecht und recht versöhnen, wie Sodom mit Gomorra, und Ödipus mit Komplexen, den Verbalismushimmel mit der Deutungshölle. Wie fetter Ton so roh, wie Adams Rippe fruchtbar, so objektiv als wie der Baum von Gut und Böse, das frohe Vorwort kommender Komplikationen, und kindisch, lieber Gott, wie alle Kindereien! Du schmückst mit Scherzen dich und züchtest Komplimente wie Blumenzier für irgendwessen Winterpelze,
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du trauriges, frivoles, lässiges, genaues, du breites Meer der Einsichtstugenden und -sünden! Der Sprache Apatriden, die verlornen Worte, die in den Wind geworfenen, wie Spreu verwehten, begrüßt mit frischer Furche du, daß sie aufs neue die Wurzel darin schlügen und, wer weiß, auch blühten. Du führst verirrte Worte, Worte kleiner Kinder am Händchen in die Schule des Verstandes, mögen sie was bedeuten, wenn sie unter Menschen kommen. Du Goldes Waage, keine Apothekerwaage, mit Schalen, die so tief sind wie das Lot der Erde. Aus welchen Teufelspakten, Engelskämpfen schöpfst du Die Kraft der Unparteilichkeit, der Zeit zuwider? Du teilst die Worte nicht in weiße, schwarze, bunte, erhöhst den Löwen nicht, den Adler, Mond, die Sonne, du kennst nur eine Huld – die Einzigkeit des Fehlers. Das Mittelalter hätte dich verbrannt als Ketzer, die Zeit danach wahrscheinlich für den Wahn der Gleichheit. In dir ist alles, alles, was nur was bedeutet. Und hinter dir ist alles, alles, was vorhanden. Hier waltet die Gemarkung jener Gegensätze, die Höllen, Weisheiten und Poesien scheiden. Während das Land mit jedem Keim, mit Hunger, Ernten, die Lebenssäfte mehrt, die Sicherheit des Daseins, streust du ins Land das Salz, das Salz der Erde, Zweifel. Du bist das Buch des Lebens, denn in dir erst findet die Welt Beginn und Schluß und ihres Sinnes Grenzen. In dir ist jedes Wort, das jemals Leib geworden. Hat irgend etwas seinen Daseinsgrund verloren, kommt es zu dir zurück, Orakel wie Beschwörung, sein neues Sein, die neue Sterblichkeit zu hören. Den Zweifelnden gibst du im Zweifel alle Chancen, du bist das Paradies des Zweifelns. Wer da zweifelt an sich, und an der Liebe, Gegenwart und Zukunft, dem leihst du Flügel: fliege in die Wortsinnwildnis. Es neigt sich zu dir jeder, der am Recht verzweifelt, um deine Seiten, wie ein Herz, zu untersuchen, ob Etymologie ein Zeugnis für die Wahrheit
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oder die Lüge ist, ob Unrecht bis zum Kern reicht. Ein Ding ist unvollkommen, schon aus seinem Wesen, doch richten, wenden, beugen kann man’s wie ein Dingwort, wenn nur die ungetrübten Wortequellen sprießen, solang das Wort nicht lügt, kann nichts die Welt bedrohen. Du kluge Jungfrau aus der Bibel, Öl der Weisheit, du tolle Jungfrau, wie das Quecksilber lebendig, führe mich in Versuchung fort von Wort zu Wort. [1959]
Im Anfang war das Wort …
S
o könnte man die Freundschaftsadresse an Klaus-Dieter Lehmann biblisch beginnen. Das Wort, die Wörter, die besonderen Wörter, die Wörterbücher, die Bücher-Schutzräume, die Bibliotheken, Museen, Tempel unserer Kultur und die dazugehörigen Sammler, Entdecker, Überträger, allesamt Experten-Mittler der Wissenschaften und Künste und ihres kostbaren Kerns, der historischen und der kulturellen Wahrheit und Bedeutung. Bei dieser Mission und in solchen Schutzräumen stießen wir vor Jahren in der DEUTSCHEN BIBLIOTHEK – und danach immer öfter auch woanders – zueinander. Wahlverwandtschaft mit den Qualitäten tiefen Respekts und ebensolcher Sympathie ist dessen Folge: Gemeinsamkeit immer mehr in der europäischen Zielsetzung unserer Arbeit – seiner im großen, meiner im kleinen Maßstab. Zwei Fußkranke der letzten katastrophalen Völkerwanderung von Ost nach West und West nach Ost heilen ihre Wunden und versuchen auch die Schäden zu reparieren. Das führt uns öfter an unserem Schicksalsstrom zusammen, in die Viadrina in Frankfurt/Oder, wo mein Lebenslauf dreimal eine folgenreiche Wende nahm, und in die Leopoldina in Breslau, seinem Geburtsort, auch meiner Alma Mater. Die „Ode an das Wörterbuch“ des Polen Zbigniew Bieńkowski (1913–1994) brachte ich Ende der fünfziger Jahre von meiner ersten Reise nach Polen zurück, mit anderen Büchern, für mich Entdeckungen und Überraschungen (von Miłosz, Rożewicz, Szymborska, Herbert, Gombrowicz, Bruno Schulz …). Betroffen von der starken, unbeirrbaren Bindung polnischer Intellektueller an den europäischen
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Westen in ihrer auch neuen, zwangsweisen Situation, in den ihnen genuin fremden „Ostblock“ gezwängt, ein- und ausgesperrt. Die Poesie, die uns von dort erreichte, machte uns hier im Westen hellhörig. Es waren Stimmen der Freiheit und des Widerstands, Ansätze eines möglichen Dialogs auf dem Wege zum gemeinsamen Nenner in Europa. Bieńkowskis POETISCHES WORT, der Kunst des Sehens und dem Werkzeug des Denkens verschrieben, lobt in der „Ode“ hymnisch die Sprengkraft der Sprache, ohne ihre Entartung zur „Fälscherin der Wirklichkeit“ zu übersehen. Das Wort kann „Verzückung ohne Ende“zufügen, aber ebensogut Gewalt antun, Kette und Knebel sein, Leid und Verderben bereiten. Diese poetischen Lektionen aus Polen bestätigten bald der Aufstand in Ungarn, der Prager Frühling und der Polnische Oktober. „sobald das Wort nicht lügt, kann nichts die Welt bedrohen…“ Dieser Sinn für WAHRHAFTIGKEIT UND FREIHEITSLIEBE hat in blutigen Aufständen erkaufte Tradition. Ein schönes Beispiel dafür ist die Huldigung des Wilnaer Studenten Adam Mickiewicz im Jahre 1822 an seinen Professor der Weltgeschichte Joachim Lelewel, Sohn eines aus Ostpreußen eingewanderten Juristen, den polnische Monographien bis heute einen „Preußen reinen Blutes“ nennen. 1807 debütierte er mit einer kommentierten Übersetzung der „Edda“ und wurde zunächst in seiner wissenschaftlichen Laufbahn (vielleicht der Herkunft wegen?) behindert. Wenige Jahre später, polonisiert, genoß er bereits den Ruf eines hervorragenden Gelehrten als Historiker, Geschichtsphilosoph, Bibliograph und Bibliologe; Begründer der polnischen BIBLIOTHEKSWISSENSCHAFT (zweibändige „Bibliographie“ 1823–1826, Geschichte der Bibliotheken“ 1827–1828, „Die Geschichte Polens“ 1829). Der Student Adam Mickiewicz (1798–1855) wurde bald – und blieb es bis heute – Polens Nationaldichter Nr. 1, Idol und Idee der Nation. Sein junger Geschichtsprofessor Joachim Lelewel (1786–1861), sein Ideengeber, wurde ein bedeutender Forscher der Nationalgeschichte der Polen, Pionier auch anderer Wissenschaften, Abgeordneter zum Sejm 1828, geistiger Vertreter der Opposition im Schicksalsjahr 1830, während des Novemberaufstands Mitglied der Nationalregierung und Vorsitzender der Patriotischen Gesellschaft, seit 1831 in der Emigration in Paris Vorsitzender des Polnischen Nationalkomitees. Seit 1833 in Brüssel intensiv wissenschaftlich und politisch aktiv, kämpfte er für die Konsolidierung des Einheitsprogramms der republikanischen, gemäßigt demokratischen Freiheitsbewegung. Er war Anhänger des Untergrundkampfes in Polen und „Fürst der Romantiker“ in ihrem Streit mit den Klassikern. Seine Autorität und Wirkung in jener Zeit und darüber hinaus war gewaltig. Im Geiste Lelewels schrieb der Romantiker Mickiewicz 1833 in Paris in seiner dort gegründeten Zeitung „Pielgrzym Polski“, Nr. 3:
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„Welcher ist im Augenblick der erste, wichtigste, lebendigste Wunsch der Völker? Wir zögern nicht zu sagen, daß es der Wunsch nach Verständigung, Vereinigung, Gleichsetzung der Interessen ist, ohne die man unmöglich den allgemeinen Willen wird verstehen können […] In der Tat, kann es etwas Schändlicheres geben als jenes alte Vorurteil, daß eine von der Hand der Könige quer durchs Land, oft durch eine Stadt gezogene Linie die Bewohner, sogar Verwandte, in Landsleute und Fremde, natürliche Feinde trennen darf? […] Die Gewohnheit hat viele sonst anständige Menschen gefühllos gemacht […]“ Das lehrte Lelewel in Wilna, Warschau und Brüssel und das schrieb Mickiewicz in Paris 1833 (!) Sie taten es auch für das Berlin und das Europa von heute.
AN JOACHIM LELEWEL anläßlich der Eröffnung der Vorlesungsreihe über Weltgeschichte an der Wilnaer Universität am 9. Januar 1822
Bellorum causas, et vitia, et modos Ludumque Fortunae, gravesque Principium amicitias, et arma … Periculosae plenum opus aleae, Tractas, et incedis per ignes Suppositos cineri doloso. Horat. L. II. c. I.
Wie lange wünschten dich herbei deine Verehrer, Nun kommst du zu uns wieder, königlicher Lehrer! Und wieder wirst umringt du von den Brüderscharen, Die Herzen zu erbauen, den Verstand zu klaren. Ein andrer, dessen Wirkung sich im Witz erschöpfe, Ist froh, spukt nur sein Name oft durch viele Köpfe, Und wenn sein Werk den Buchhändlern den Rücken krümme:
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Nicht der gewinnt für Dauer Volkes Herz und Stimme; Nur dessen Ruhmesglanz die andern überstrahle, Der hier als Landsmann lebt, ein Bruder für uns alle. In beidem sind, LELEWEL, andere dir minder: Du glücklicher als Freund und auch als Wahrheitskünder. (…) Wie viel Dir aber Litauen Verehrung spende, Bekennt der Beifall unsrer Worte, unsrer Hände. Wie oft kam aus dem Hörsaal unbefriedigt, kühler Ein wißbegieriger, von dir verwöhnter Schüler; Vollbringe wieder Wunder, wenn wir im Gedränge So wie vor einem Jahr an deinen Lippen hängen, Laß mit den Zaubermitteln, die dir selbst nur eigen, Die Römer und die Griechen aus den Gräbern steigen. (…) Der Wahrheit Sonne kennt doch weder West noch Osten, Sie läßt von ihrer Wärme alle Stämme kosten Und spendet Licht für alle Völker, alle Lande, Für sie sind alle Menschen ausnahmslos Verwandte. Wer sich vertieft in ihr Gesicht, in ihre Falten, Hat stets den reinen Menscheninhalt festzuhalten, Verzichten, womit er gefällig werden könnte, Auf Zufallszugewinn und fremde Dividende. Zu solcher Arbeit ruft der Himmel den Chronisten, Gar mancher nimmt es auf sich, doch wer trotzt den Zwisten? Nur der, den jenes seltne Wunder machte reifer, Die göttliche Begabung und der schlichte Eifer, Sich von der Leidenschaft und Selbstsucht zu entfernen, Nur der entflieht dem finstren Zeitgeist zu den Sternen; Er warnt vor Stürmen, die den Völkern künftig grollen, Vertieft sich in den Abgrund dessen, was verschollen; Und grabend in vergangner Zeiten tiefem Dunkel, Hebt er daraus der Wahrheit goldhaltige Funken. (…) Wo bin, LELEWEL, ich? Was ist in mich gefahren, Die Meere zu besingen, die ich nie befahren? Ein flaches Kriechtier möchte wie ein Adler fliehen, Den Flug deines gelehrten Denkens nachvollziehen!
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So steh mir bei, denn unter Polens Professoren Bist du der würdigste und uns zum Haupt erkoren! Du, der so viele Quellen nicht zu lügen zwangest Und selbst durch Lügen noch zu Wahrheiten gelangest, (…) Kennst besser deiner schweren Wissenschaft Gebresten, Dir ihrer Früchte Süße selbst bewußt am besten; Mit einer Stimme, die stets unsren Beifall zündet, Sag uns, du helles Frühlicht, wie du es ergründet? Zum Gipfel des Parnaß, auf deine Musenschanze, Verführ uns Niederen mit mildem Augenglanze. Viel Lorbeer kam auf dich aus würdigeren Händen, Laß deine Schüler auch dir dankbar einen spenden. Verzeih uns, wenn wir weltweit rühmen deine Gaben, Daß wir den Kranzesschmuck von Dir genommen haben. [Januar 1822]
Wilna, um 1750
Paris, um 1840
Brüssel, um 1840
Breslau, um 1730
Frankfurt a.d. Oder, um 1825
Berlin, um 1740
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DER FRIEDENSPREIS DES DEUTSCHEN BUCHHANDELS KLAUS G. SAUR
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n Deutschland, Österreich und der Schweiz werden zur Zeit etwa 1.500 Literaturpreise vergeben. Die meisten jährlich, einige unregelmäßig, in einigen Fällen werden entsprechende Stipendien gewährt, aber nur zwei Preise haben einen Bekanntheitsgrad erreicht, der weit über die literarischen Kreise hinausgeht. Zum einen der Büchner-Preis der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, der jeweils im Oktober in Darmstadt verliehen wird und der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, der jährlich als Höhepunkt der Frankfurter Buchmesse in der Paulskirche in Frankfurt feierlich überreicht wird. Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ist dabei der einzige Preis, der grundsätzlich komplett von diversen Fernsehanstalten übertragen wird. Er entstand 1949 aus der Initiative weniger Schriftsteller und Verleger, wurde 1950 erstmalig in einem Privathaus in Hamburg verliehen und wurde dann vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels übernommen, der ihn seit 1951 jährlich in Frankfurt verleiht. Der eigentliche Initiator war Max Tau, der mit seinem Freund dem Lyriker und Dramatiker Heinz Schwarz diese Idee intensiv diskutierte und sie mit den Verlegern Friedrich Wittig, Paul List, Erna Leonhard, Heinrich Rennebach vom FurcheVerlag in Hamburg, Otto H. Fleischer vom Steingrüben-Verlag und Wolfgang Strauß von Bertelsmann sowie mit Kurt Desch, dem Münchner Verleger, realisierte. Nach der ersten Verleihung entstand der Gedanke, dass dies eine Angelegenheit des gesamten deutschen Buchhandels sein müsste. Der schon in Hamburg beteiligte Friedrich Wittig übernahm die Verhandlungen mit dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels und - insbesondere aufgrund des starken Einsatzes von Carl Hanser, dem Münchner Verleger -, übernahm der Börsenverein dann ab 1951 diesen Preis und verlieh ihn jedes Jahr. Der erste Preisträger in Frankfurt war Albert Schweitzer; als Laudator wurde Bundespräsident Theodor Heuss gefunden. Dies war eine absolut ideale Kombination. Albert Schweitzer, der große und weltweit angesehene Deutsche als Arzt von Lambarene, als Bach-Forscher international anerkannt und Theodor Heuss, der liberale Bundespräsident, dessen erste Rede
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beim Friedenspreis eine ungewöhnlich breite Anerkennung fand. Die kulturpolitische Verantwortung des deutschen Buchhandels wurde deutlich und sichtbar herausgestellt. Das damit verbundene Bekenntnis zum Frieden und zur Völkerverständigung wurde dankbar angenommen. Der Vorschlag, Albert Schweitzer auszuzeichnen, kam vom ersten Preisträger Max Tau. Die Geschichte des Friedenspreises spiegelt auch in einem ganz deutlichen Maße die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland wider. Die Zeitströme werden klar erkennbar. Die große Akzeptanz, die schon die beiden ersten Preisträger gefunden haben, konnte fortgesetzt werden, die weiteren Preisträger in den 50er und 60er Jahren waren als fachliche und moralische Autoritäten ganz allgemein anerkannt, wie die Philosophen und Theologen Romano Guardini, Martin Buber, Karl Jaspers, Sarvepalli Radhakrishnan, Paul Tillich, Kardinal Bea und Visser’t Hooft, Ernst Bloch sowie der Physiker und Philosoph Carl Friedrich von Weizsäcker. Es waren die Historiker und Schriftsteller Carl J. Burckhardt, Hermann Hesse, Reinhold Schneider, Thornton Wilder und Theodor Heuss selber, Gabriel Marcel, Nelly Sachs und der Verleger Victor Gollancz. Ab 1952 gab es einen Stiftungsrat, dem damals der sechsköpfige Vorstand des Börsenvereins komplett angehörte und fünf weitere Mitglieder, die berufen wurden. Wie Albert Schweitzer zeichneten sich auch die weiteren Preisträger bis 1968 mit Ausnahme Ernst Blochs durch eine im moralisch-religiösen, geistig apolitischen Bereich angesiedelte Arbeit für Frieden und Verständigung aus, bzw. wurden dafür ausgezeichnet. Einige der Gekürten, wie Heuss, Burckhardt und Radhakrishnan hatten hohe politische Ämter inne, aber sie wurden vorrangig für ihr Wirken für die Versöhnung der Völker, der Religionen und der Konfessionen gewürdigt. Neben deutschen Preisträgern gab es schon sehr früh Amerikaner, Franzosen, Engländer oder den Inder Radhakrishnan, neben den evangelischen und katholischen Christen auffallend viele Juden. Emigranten waren stark vertreten, ebenso Persönlichkeiten, die im Dritten Reich Repressionen und Verfolgungen ausgesetzt waren. 1968 geriet der Friedenspreis in die Kritik. Es wurde ausgezeichnet Léopold Senghor, der senegalesische Dichter und Staatspräsident, der in seinem eigenen Land Arbeiter- und Studentenunruhen in Dakar gewaltsam hatte niederschlagen lassen. Nur mit einem massiven Polizeiaufgebot konnte die Besetzung der Paulskirche seinerzeit verhindert werden. Dies führte zu einer Belebung der Nominierungsdiskussion. Damals wurde festgehalten, dass jedes Mitglied des Börsenvereins Vorschläge machen dürfe und die Jury wurde stark nach außen geöffnet. Nun wurden auch stärker Sozialpsychologen wie Alexander Mitscherlich, die schwedischen Friedensforscher Alva und Gunnar Myrdal und die Journalistin Marion Gräfin Dönhoff ausgezeichnet.
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Nicht nur literarisch bedeutende Autoren wurden ausgezeichnet, sondern auch Politologen und Politiker wie Alfred Grosser, George F. Kennan und Teddy Kollek. 1972 wurde dem polnischen Arzt und Waisenhausvater Janusz Korczak, der 1942 mit 200 Kindern in Treblinka ermordet wurde, der Preis posthum zuerkannt, ein Jahr später erhielt ihn der Club of Rome für die von ihm aufgezeigten „Grenzen des Wachstums“. 1995 wurde die Orientalistin und Arabistin Annemarie Schimmel prämiert und 1999 der Historiker Fritz Stern, der seit Eisenhower alle amerikanischen Präsidenten beraten hatte und 1938 mit seinen Eltern aus Breslau in die USA emigrieren musste. Die Bedeutung des Friedenspreises geht weit über den Ansatz „Politik für das Buch“ hinaus. Der Preis spiegelt deutlich den Wertebezug und den Wertewandel wider und er verkörpert damit auch ein Stück bundesrepublikanischer Geschichte. Die Liste der Friedenspreisträger und ihrer Laudatoren macht dies überdeutlich. Jahr
Preisträger
Laudator
1950 1951 1952 1953 1954 1955 1956 1957 1958 1959 1960 1961 1962 1963 1964 1965 1966
Max Tau Albert Schweitzer Romano Guardini Martin Buber Carl J. Burckhardt Hermann Hesse Reinhold Schneider Thornton Wilder Karl Jaspers Theodor Heuss Victor Golancz Sarvepalli Radhakrishnan Paul Tillich Carl Friedrich von Weizsäcker Gabriel Marcel Nelly Sachs Augustin Kardinal Bea und W. A. Visser’t Hooft Ernst Bloch Léopold Sédar Senghor Alexander Mitscherlich Gunnar Myrdal u. Alva Myrdal
Adolf Grimme Theodor Heuss Ernst Reuter Albrecht Goes Theodor Heuss Richard Benz Werner Bergengruen Carl J. Burckhardt Hannah Arendt Benno Reifenberg Heinrich Lübke Ernst Benz Otto Dibelius Georg Picht Carlo Schmid Werner Weber Paul Mikat ebenfalls Paul Mikat Werner Maihofer Francois Bondy Heinz Cohut Karl Kaiser
1967 1968 1969 1970
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1971 1972 1973 1974
Marion Gräfin Dönhoff Janusz Korczak The Club of Rome Frère Roger
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Alfred Grosser Max Frisch Leszek Kolakowski Astrid Lindgren
1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004
Yehudi Menuhin Ernesto Cardenal Lew Kopelev George F. Kennan Manès Sperber Octavio Paz Teddy Kollek Władysław Bartoszewski Hans Jonas Siegfried Lenz Vaclav Havel Karl Dedecius György Konrád Amos Oz Friedrich Schorlemmer Jorge Semprún Annemarie Schimmel Mario Vargas Llosa Yasar Kemal Martin Walser Fritz Stern Assia Djebar Jürgen Habermas Chinua Achebe Susan Sontag Peter Esterhazy
Alfred Grosser Hartmut v. Hentig Nello Celio kein Laudator (es fand auf ausdrücklichen Wunsch von Frère Roger ein Dialog mit jungen Menschen verschiedener Nationalitäten statt) Paul Frank Hartmut v. Hentig Gesine Schwan Hans-Christian Kirsch und Gerold Ummo Becker Pierre Bertaux Johann Baptist Metz Marion Gräfin Dönhoff Carl Friedrich v. Weizsäcker Siegfried Lenz Richard von Weizsäcker Manfred Rommel Hans Maier Robert Spaemann Yohanan Meroz André Glucksmann Heinrich Olschowsky Jorge Semprún Siegfried Lenz Richard v. Weizsäcker Wolf Lepenies Roman Herzog Jorge Semprún Günter Grass Frank Schirrmacher Borislaw Geremek Barbara Frischmuth Jan Philipp Reemtsma Theodor Berchem Ivan Nagel Michael Naumann
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Mitglieder der Jury waren neben den Vertretern des Börsenvereins bedeutende Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und der Wissenschaft wie z. B. Professor Dr. Theodor Berchem, langjähriger Präsident der Rektorenkonferenz und des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, Professor Dr. Eugen Biser, Dr. Marion Gräfin Dönhoff, Professor Dr. Wolfgang Frühwald, langjähriger Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Humboldt-Stiftung, Dr. Hildegard Hamm-Brücher, Staatsministerin, Professor Dr. Eberhard Jäckel, Professor Dr. h. c. Klaus-Dieter Lehmann, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Professor Dr. Jutta Limbach, Präsidentin des Bundesverfassungsgerichtes und des GoetheInstituts, Professor Dr. Hans Maier, Bayerischer Kultusminister, Professor Dr. Hubert Markl, Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Max PlanckGesellschaft, Professor Dr. Paul Raabe, Professor Dr. Peter Wapnewski oder auch Professor Dr. Heinz Zahrnt. Die Wirkung heute geht auch weit über den Rahmen der Frankfurter Buchmesse hinaus, denn nur noch wenigen Lesern oder Zuhörern ist heute bewusst, dass der Friedenspreis eine Einrichtung der Buchmesse ist.
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DER LESER ALS AUTOR1 EINE FUSSNOTE ZU ROBERT DARNTON2 VITTORIO E. KLOSTERMANN
ber3 Alles an anfängt Anfang Arbeit aufgehört beurteilen da daß das der der die dies dieser durchschwimmen einmal Ende fehlen freilich gesagt haben Haupt könnte Ja liebes Liebhaber Liebling nicht nichts Oder Phaidros Rede reden rückwärts scheint schon seinem Sokrates sollte sondern tun und verlangen viel vom vom war was wieder will wir wo zu zu zu:,,,,,,,.,,?
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das das Ende er Freilich ist nur Phaidros redet Sokrates wohl worüber:,,. aber als aufzuzeigen aus das das daß daß den der der der der deutlich dieses du durcheinandergeworfen eben einem einfiel es es folgenden ganz gesagt gestellt Grunde habe Hast hat hat ihm in in irgendeine irgendeinem irgendeines ist Mann Mir müssen nacheinander nicht Nichtwissenden Notwendigkeit Oder oder Ordnung Rede rednerische scheint schien Schreiber sein so Sokrates Stücken übrige Und unordentlich vielleicht von vornehm warum was wenigstens wie Zweite Zweite:?,?,,?,,,.,? bist daß die Du du genau gut jenes mir Phaidros sehr so zutraust zu:,,. auch behaupten das daß daß die dieses doch du eigentümlichen ein einander eine eine einem Enden Fuß Ganze gearbeitet gebaut gegen gegen glaube haben hat ich 1 Durch eine vernetzte Welt kann sich ein Leser (oder „Nutzer“) nach eigenem Geschmack bewegen, nicht festgelegt durch den starren Pfad, den ihm der klassische Autor vorgibt. In der Navigation durch die Datenwelt schafft er sich seinen eigenen Text. Vernetzung gilt daher als demokratisch. Das Wort hat Konjunktur, ist Schlagwort der kulturpolitischen und wissenschaftspolitischen Rede. (Und auch die Förderprogramme der DFG richten sich seit 1995 nicht mehr auf die Anstrengung des einzelnen Autors, sondern auf die „Weiterentwicklung des wissenschaftlich-technischen Buches zur multimedialen Wissensrepräsentation“.) 2 Neun Jahre später liest sich´s kaum anders: „Obwohl die Materialpräsentation strikten akademischen Standards entspricht, kann jeder damit machen, was er möchte. So gibt es keinen festgelegten Text, und der Eigenmächtigkeit des Lesers sind keine Grenzen gesetzt.“ Robert Darnton in seiner Dankesrede für die Verleihung des Gutenbergpreises 2004, zur elektronischen Version seiner Darstellung des Buchhandels im vorrevolutionären Frankreich. 3 Platons Phaidros, 264a–c, in der Übersetzung von Schleiermacher, ist die Textbasis dieses Beitrags.
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ihren in ist Körper Kopf lebendes Mitte müsse noch ohne ohne Rede schicklichen sein sie sind so Sokrates sondern und und und Verhältnis weder Wesen wie wirst:,,,,,,. Phaidros:
Wie sollte ich nicht?
*** Sokrates:
Alles Anfang aber, worüber er redet, anfängt Arbeit, vornehm gesagt. Eigentümlichen Körper, was wir verlangen, wie ein lebendes Wesen. Habe das Zweite in der Rede oder irgendeines Ordnung nacheinander gestellt? Und wie? Das Zweite aus irgendeinem Grunde, als einem Nichtwissenden, warum der Mann von den folgenden Stücken so genau zu beurteilen. Oder ist der Schreiber ganz unordentlich durcheinandergeworfen?
Phaidros:
Du bist sehr gut, daß du mir zutraust, die rednerische Notwendigkeit hat jenes.
Sokrates:
Dieses, glaube ich, scheint es nicht deutlich, daß übrige sein müssen? Mir wenigstens schien es, daß hat, was ihm eben einfiel. Hast du aber vielleicht irgendeine aufzuzeigen?
Phaidros:
Wie sollte ich nur dieses so in der Rede nicht?
Sokrates:
Ja, viel scheint freilich zu fehlen, Kopf ist noch ohne Fuß, sondern eine Mitte hat und Enden, in einem schicklichen Verhältnis das Ganze gearbeitet sind. Wirst du doch auch behaupten, daß eine müsse gebaut sein und ihren haben, so daß sie weder ohne die gegen einander und gegen, sondern vom und da. Wo der Liebhaber schon durchschwimmen will, daß dieser das rückwärts tun sollte, der nicht einmal vom Ende an die Rede aufgehört haben könnte zu seinem Liebling zu reden. Oder war dies wieder nichts gesagt, Phaidros, liebes Haupt?
Phaidros:
Freilich wohl ist das das Ende, Sokrates.
*** Sokrates:
Ja, viel scheint freilich zu fehlen, daß dieser das tun sollte, was wir verlangen, der nicht einmal vom Anfang, sondern vom Ende an rückwärts
DER LESER ALS AUTOR
die Rede durchschwimmen will, und da anfängt, wo der Liebhaber schon aufgehört haben könnte zu seinem Liebling zu reden. Oder war dies wieder nichts gesagt, Phaidros, liebes Haupt? Phaidros:
Freilich wohl ist das nur das Ende, Sokrates, worüber er redet.
Sokrates:
Und wie? Alles übrige in der Rede, scheint es nicht unordentlich durcheinandergeworfen? Oder ist deutlich, daß das Zweite aus irgendeinem Grunde habe das Zweite sein müssen, oder irgendeines von den folgenden Stücken? Mir wenigstens schien es, als einem Nichtwissenden, daß der Schreiber ganz vornehm gesagt hat, was ihm eben einfiel. Hast du aber vielleicht irgendeine rednerische Notwendigkeit aufzuzeigen, warum der Mann dieses so in der Ordnung nacheinander gestellt hat?
Phaidros:
Du bist sehr gut, daß du mir zutraust, die Arbeit jenes so genau zu beurteilen.
Sokrates:
Aber dieses, glaube ich, wirst du doch auch behaupten, daß eine Rede wie ein lebendes Wesen müsse gebaut sein und ihren eigentümlichen Körper haben, so daß sie weder ohne Kopf ist noch ohne Fuß, sondern eine Mitte hat und Enden, die gegen einander und gegen das Ganze in einem schicklichen Verhältnis gearbeitet sind.
Phaidros:
Wie sollte ich nicht?
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ORIGINAL UND FAKSIMILE DES DRESDNER SACHSENSPIEGELS JÜRGEN HERING
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n einer Festschrift für Klaus-Dieter Lehmann ist ein bibliothekarischer Beitrag aus Dresden nicht nur eine ehrenvolle Aufgabe und eine Respektsbezeugung für einen herausragenden Kulturmanager, sondern geradezu eine Anstandspflicht gegenüber einem ehemaligen Kollegen, der das so genannte ‚Dresdner Bibliothekskonzept‘ mit aus der Taufe gehoben hat. Als Wortführer einer im November 1992 vom Sächsischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst berufenen Arbeitsgruppe, die im März 1993 die Empfehlung aussprach, die 1556 unter Kurfürst August begründete Sächsische Landesbibliothek und die 1828 in Vorläufern entstandene Bibliothek der Technischen Universität Dresden zu vereinigen, hatte Lehmann wesentlichen Anteil, dass diese Fusion – nach einer lang währenden, heftig und kontrovers geführten öffentlichen Diskussion – im Juni 1995 vom Landtag beschlossen und nach dem Errichtungserlass vom Januar 1996 als „Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden“ (SLUB) ihre Arbeit aufnehmen konnte. Es war ein Glücksfall, dass gleichzeitig die Planungen für einen Neubau anliefen, die im Juli 1998 zum 1. Spatenstich führten und im Sommer 2002 zur Fertigstellung eines Bibliotheksgebäudes, das nach Größe, Ausstattung und Benutzungsfrequenz inzwischen zu den ersten Adressen in Deutschland zählt. Dabei resultiert die Anziehungskraft in erster Linie aus dem Angebot von weit über 8 Mio. Medieneinheiten, die für die Angehörigen der Technischen Universität Dresden mit ihren 30 000 Studenten ebenso unverzichtbar sind wie für die Nutzer aus Stadt, Region und darüber hinaus, die für ihre Studien die Sondersammlungen der Bibliothek oder die integrierten Bestände der Deutschen Fotothek benötigen oder das neu errichtete Buchmuseum aufsuchen. In den reichlich sechs Jahren (1997 bis 2003), in denen ich diese Bibliothek führen durfte – Jahre, in denen man oft überlegte, ob auch keine der beiden Hauptfunktionen, nämlich die Aufgaben der Staatsbibliothek für den Freistaat Sachsen sowie diejenigen für die Universitätsbibliothek der TU Dresden, zu kurz kommt – in dieser Zeit der Konsolidierung der Fusion nach innen und außen hätte ich den Bibliothekar und Museumsfachmann Lehmann gern öfter in Dresden begrüßt und nicht nur zur großen Einweihungsfeier für den Neubau im Januar
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2003, bei der er in seinem Grußwort befriedigt feststellen konnte, dass das Konzept der Arbeitsgruppe umgesetzt, die Belange der Universität berücksichtigt und die Pflege der wertvollen Bestände an nationalem und internationalem Schriftgut darüber nicht vernachlässigt wurden. Gern hätten wir ihn öfter teilhaben lassen, wenn sich die Bibliothek mit ihren Schätzen in die Öffentlichkeit begeben hat, sei es im September 1997 in der schon fertig gestellten Unterkirche der Frauenkirche anlässlich einer Spendenübergabe der Max Kade Foundation New York, sei es im Oktober 1999 beim JubiläumsKolloquium der UNESCO für das wichtigste Epos der Turkvölker „Dede Korkuts Buch“, von dem die SLUB das einzige vollständige Exemplar einer Handschrift besitzt, oder auch bei der Vorstellung der Schlegel-Briefe im Sommer 2004, die die Bibliothek vor einigen Jahren zwecks Vervollständigung ihres Schlegel-Nachlasses bei Christie’s in London ersteigern konnte. Aber da dies aus Zeitgründen nicht sein konnte, hat die SLUB einen denkwürdigen Termin ihrer Bestandsgeschichte genau auf den Tag gelegt, der auch für KlausDieter Lehmann eine gewisse Bedeutung hat: als er am 29. Februar des Schaltjahres 2000 seinen 60. Geburtstag begehen konnte (die Feier dazu hatte im großen Rahmen im Berliner Museum ‚Hamburger Bahnhof‘ schon am Vorabend begonnen), versammelte sich im Sitzungszimmer der Stadtsparkasse Dresden eine illustre Runde, um eine der größten Raritäten der ehemaligen Sächsischen Landesbibliothek, die sich acht Jahre zur ,Kur‘ in Niedersachsen befand, wieder in den Schoß der Heimat aufzunehmen – die Bilderhandschrift des Dresdner Sachsenspiegels. • Feierliche Übergabe des restaurierten Sachsenspiegels am 29. Februar 2000 Etwa 30 geladene Gäste, darunter die Staatsminister der Finanzen, Justiz und Wissenschaft und Kunst, Rektor und Kanzler der Universität, der Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, der Direktor der Franckeschen Stiftungen Halle, der Chef der Akademischen Druck- und Verlagsanstalt Graz, der Kulturbürgermeister der Stadt, der Generaldirektor der Staatsbibliothek zu Berlin und viele andere waren dabei, als der Direktor der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel und sein Chefrestaurator die wieder hergestellte und mit neuem Einband versehene Handschrift, die zwischen 1347 und 1363 im Raum Meißen entstanden ist, dem Sächsischen Staatsminister für Wissenschaft und Kunst übergaben, der sie an mich weiterreichte. Es waren bewegende Momente, als sich die Fachleute, Bibliophilen und Sponsoren über dieses berühmteste Rechtsbuch des Mittelalters beugten, das seit Kriegsende (mit zwei Ausnahmen) nicht mehr in der Öffentlichkeit zu sehen war – ein Grund für unseren Entschluss, es die folgenden sechs Wochen im Buchmuseum auszustellen. Die „Sächsische Zeitung“ titelte am nächsten Tag auf der ersten Seite
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„Der Sachsenspiegel ist wieder zu Hause“ und die Dresdner machten regen Gebrauch, sich davon zu überzeugen. Der 29. Februar 2000 war also ein guter Tag für Bibliothekare und Sachsenspiegelforscher, aber er erinnerte mich auch an die zurückliegenden Bemühungen um diese schwer geprüfte Handschrift, die mich während meiner gesamten Dresdner Dienstzeit nicht mehr losließen. Am 18. Januar 1997, wenige Tage nach meinem Amtsantritt, wurde im Japanischen Palais, also in dem Gebäude, das von 1786 bis 1945 der Sächsischen Landesbibliothek als Heimstatt diente und in dessen Tiefkeller neben anderen Zimelien auch der Dresdner Sachsenspiegel in den letzten Kriegstagen 1945 schwer geschädigt wurde, die Ausstellung „Der Sachsenspiegel. Ein Rechtsbuch spiegelt seine Zeit“ eröffnet. Es handelte sich um eine Präsentation des Staatlichen Museums für Naturkunde und Vorgeschichte Oldenburg in Zusammenarbeit mit dem Landesmuseum für Vorgeschichte Dresden, die durch rund 250 archäologische Funde aus Sachsen ergänzt wurde. In Oldenburg war die Ausstellung 1995 eingebunden in einen ganzen Ausstellungszyklus zum 650-jährigen Stadtjubiläum, zu dem eine zweibändige gewichtige Dokumentation vorliegt [1] sowie ein 1996 nachgereichter Katalog für die Wanderausstellung [2]. • Der Oldenburger Sachsenspiegel in Dresden Für Dresden war diese Ausstellung mit dem ausnehmend schönen Plakat in wenigstens dreierlei Hinsicht von Bedeutung. Erstens konnte man (zumindest eine Woche lang) den Oldenburger Codex picturatus (O) im Original sehen, zweitens wurde die Frage nach der Dresdner Bilderhandschrift (D), die sich seit mehr als fünf Jahren in Wolfenbüttel befand, wieder laut gestellt, und drittens übergab Justizminister Heitmann das 1995 bei der Akademischen Druck- und Verlagsanstalt Graz (ADEVA) erschienene Faksimile des Oldenburger Sachsenspiegels (O), das ihm bei der Ausstellungseröffnung vom Sponsor, der Niedersächsischen Sparkassenstiftung Hannover, überreicht worden war, an die SLUB. Diese Stiftung hatte die Originalhandschrift 1991 vom Herzog von Oldenburg erworben und als Dauerleihgabe an die Landesbibliothek Oldenburg gegeben. Die Bilderhandschrift O ist die einzige der vier erhaltenen Codices picturati – neben D sind noch Heidelberg (H) und Wolfenbüttel (W) zu nennen – die in mittelniederdeutscher Sprache abgefasst ist, ihren Schreiber, den Benediktinermönch Hinrik Gloyesten aus Rastede, nennt und das Entstehungsjahr 1336 angibt. Während O den vollständigen Text aufweist, ist sie in den Bildleisten unvollendet: nur etwa zwei Drittel der Textseiten sind bebildert, nur 44 von 578 Bildzeilen farbig ausgemalt, alle übrigen nur in den Umrissen gezeichnet. Hier liegt nun gerade die Stärke der Dresdner Handschrift, die mit ihren 924 Bildstreifen auf 92
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Blättern, unter üppiger Verwendung von Blattgold, nicht weniger als 4000 Figuren darstellt, und damit als der künstlerisch wertvollste Codex eingestuft wird. Dass bei der Ausstellung 1997 im Japanischen Palais nur einige großformatige Reproduktionen von D gezeigt werden konnten, erinnerte die Dresdner an das schlimme Geschehen in den Bombennächten vom Februar und März 1945 und damit auch an das Erschrecken der Bibliothekare, die am 17. März den Zugang zum Tiefenmagazin des Palais freilegten und die Zimelienschränke im Wasser schwimmend vorfanden. Man hat gestritten, ob es Löschwasser oder Grundwasser war, das durch Mauerrisse eingesickert war, die Folgen aber waren übereinstimmend katastrophal, zumal auch die Bergung der Kostbarkeiten, das erste Trocknen, das Verbringen nach Weesenstein (das während der Hochwasser-Flut im August 2002 eine traurige Berühmtheit erlangte) und der Rücktransport nach Dresden unter denkbar unglücklichen Umständen erfolgten. Man muss dazu die authentischen Berichte von Hermann Neubert und Karl Assmann lesen sowie von Ilse Schunke, die die verheerenden Folgen des schmutzigen Wassers in einem Brief von 1946 an Erhart Kästner schildert [3], um die Schädigungen zu begreifen, an deren Behebung zum Teil heute noch gearbeitet wird. • Erste Kontakte zwischen Wolfenbüttel und Dresden Paul Raabe, der für seinen Wolfenbütteler Sachsenspiegel (W) eine FaksimileAusgabe bei Edition Leipzig erwog, fehlende Seiten aus der Dresdner Handschrift komplettieren wollte und zu diesem Zweck schon 1985 bei Direktor Burgemeister vorsprach, war von D beeindruckt. Im Dankbrief vom 19. Dezember 1985 schrieb er an Burgemeister: „In der Tat sieht die Handschrift böse aus, auf der anderen Seite ist sie doch wesentlich besser erhalten, als uns immer vor Augen stand.“ Raabe bot gleichzeitig an, seine Restauratorin Gerta Frantzen nach Dresden zu schicken – die sich dann auch vom 15. bis 18. Juli 1986 in der Sächsischen Landesbibliothek (SLB) aufhielt und von der ein sechsseitiger Zustandsbericht vom 5. Juli 1988 vorliegt – und er kündigte im Brief vom 3. Februar 1986 den Besuch des Vorstands des Spar- und Giroverbandes Hannover an – eine Weichenstellung, die sich in den Folgejahren als Segen für den Dresdner Sachsenspiegel auswirken sollte. Es besteht kein Zweifel, dass SLB-Chef Burgemeister, der vom 12. bis 14. Juni 1986 zu einem Gegenbesuch nach Wolfenbüttel reiste, die Restaurierungshilfe aus Raabes Bibliothek annehmen und befördern wollte, aber die Besuchsverhandlungen verliefen, den schwierigen Reisebedingungen für DDR-Bürger geschuldet, zäh. Das Jahr 1987 verstreicht und im Jahr 1988 hält sich zunächst Manfred Mühlner, der Leiter der Sondersammlungen der SLB, in Wolfenbüttel auf. In seiner unterstützenden Bewertung der geplanten Reise für Antje Trautmann, Leiterin der Restaurierungswerkstatt der SLB, spricht Mühlner schon 1988 von einer „Faksi-
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mile-Ausgabe (der Dresdner Handschrift) in Verbindung mit dem Wolfenbütteler Codex“. Der Reiseantrag Trautmann wird am 15. August 1988 beim Minister für Hoch- und Fachschulwesen eingereicht, aber es wird September 1989, bis Trautmann, die Originalblätter des Sachsenspiegels im vom DDR-Zoll verplombten Handköfferchen nach Wolfenbüttel bringt, um in eine erste Beratung mit ihrem westdeutschen Kollegen einzutreten. Beide erarbeiteten einen Zustandsbericht der Handschrift und legten erste Empfehlungen zur Konservierung und Restaurierung vor. Zu diesem Zweck wurden in Wolfenbüttel auch Ektachromes von allen Seiten der Pergamenthandschrift angefertigt. Danach war Antje Trautmann verpflichtet, den Sachsenspiegel wieder in die DDR einzuführen. Thomas Bürger schrieb in einem Rückblick, dass die Restauratoren aus Ost und West nun ein Konzept für die Rettung in der Tasche hatten, was noch fehlte, war die ‚Wende‘ [4]. Nun, sie kam und sie hat auch diesen Bereich deutsch-deutscher Kulturpolitik befördert. Die Handschrift konnte jetzt ganz offiziell – diesmal als Kultur-Transport – nach Niedersachsen gebracht und der Herzog August Bibliothek am 9. Dezember 1991 zur Restaurierung übergeben werden; das Protokoll und eine von beiden Bibliotheken unterzeichnete Vereinbarung liegen vor. • Konservierung und Restaurierung Die Wolfenbütteler Bibliothek war in der Zeit davor nicht untätig geblieben und hatte im Juni 1990 einen Antrag auf Förderung dieser Restaurierung an die Niedersächsische Sparkassenstiftung gestellt, der im Mai 1991 bewilligt wurde. Man konnte nun, da die Handschrift im Hause war, auch an die wissenschaftlichen Untersuchungen denken, die Gerta Frantzen schon 1988 zur Klärung der Ursachen für die Material- und Pigmentveränderungen empfohlen hatte. Die Dresdner hatten 1988 dazu eine Einschätzung von Gerhard Banik vom Institut für Farbenlehre und Farbenchemie in Wien eingeholt, und mit Hans-Peter Schramm von der Hochschule für Bildende Künste in Dresden war eine Multielementaranalyse mittels Protonenstrahlen geplant. Wolfenbüttel nutzte seinen Kooperationsvertrag mit der TU Clausthal, um eine Diplomarbeit über die Farbmittel in der mittelalterlichen Buchmalerei zu vergeben; Laborversuche am Institut für Anorganische und Analytische Chemie schlossen sich an. Nach einer weiteren Analyse, die Robert Fuchs und seine Mitarbeiter von der Fachhochschule Köln, Fachbereich Restaurierung und Konservierung von Kunstund Kulturgut, im März 1995 in Wolfenbüttel vornahmen, bei der die von den Restauratoren Frantzen, Petersen und Trautmann festgestellten Schädigungsmechanismen bestätigt wurden, konnte man im Mai 1995 mit der Restaurierung beginnen.
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Dag-Ernst Petersen schildert die einzelnen Schritte dieser nicht risikolosen Behandlung sowohl im SLUB-Kurier von 1/2000 [5] als auch im Interimskommentar zum Dresdner Sachsenspiegel [6] – Quellen, auf die ich verweisen darf. Was den zeitlichen Umfang dieser aufwändigen Arbeiten anbelangt, so muss – lässt man die chemischen Voruntersuchungen und das erst in der zweiten Hälfte 1999 vorgenommene Einbinden außen vor – die Zeit von Mai 1995 bis Juli 1998, also etwas mehr als drei Jahre angesetzt werden. Ein Informationsdefizit zwischen Wolfenbüttel und Dresden in der ersten Hälfte dieses Zeitraums wurde durch den Briefwechsel zwischen HAB-Direktor Schmidt-Glinzer und mir im März 1997 beseitigt. Erwähnenswert sind die beiden Auftritte, die die Dresdner Handschrift noch im ‚Aschenputtel‘-Gewand zu absolvieren hatte. Von 12. Februar bis 11. März 1992, also gegen Ende der Dienstzeit von Paul Raabe und nur kurze Zeit nach dem Erwerb des Oldenburger Codex picturatus aus Privatbesitz, wurden in Wolfenbüttel erstmals alle vier erhaltenen Bilderhandschriften des Sachsenspiegels ausgestellt – eine Premiere in der über 660jährigen Geschichte dieser Codices, wie es Friedrich Hoppenstedt, der Präsident des Niedersächsischen Spar- und Giroverbandes und Vorstandsvorsitzende der Niedersächsischen Sparkassenstiftung, im Geleitwort des Ausstellungskatalogs „Gott ist selber Recht“ [7] ausdrückt. Auch für Ruth Schmidt-Wiegand, die Nestorin der Sachsenspiegelforschung, ist es etwas Einmaliges, dass sie diese vier Codices an einem Ort zeigen und im Katalog miteinander vergleichen kann. Für die Dresdner Handschrift, zu der sich auch Wolfgang Milde und Dag-Ernst Petersen äußern, ist bedeutsam, dass von den im Katalog abgedruckten Blättern ein kriegsgeschädigtes Blatt (fol. 65 r) dem gleichen aus der Faksimile-Ausgabe von 1902 gegenübergestellt wird. Bekanntlich hat der Münchner Rechtshistoriker Karl von Amira die erste Faksimile-Ausgabe von D schon 1902 herausgegeben und damit die moderne Forschung zur Dresdner Bilderhandschrift eingeleitet. Nicht nur seine 1925/26 folgenden zwei Kommentarbände [8] sind für die nachfolgenden Wissenschaftler unentbehrlich, sondern auch die 184 in schwarz-weiß und 6 in Farbe faksimilierten Tafeln, weil für sie das unbeschädigte Original zugrunde lag. Künftig wird man drei Blätter nebeneinander legen müssen: ein Blatt vom Faksimile 1902, ein geschädigtes Blatt vor und ein Blatt nach der Restaurierung. Der Vergleich wird zeigen – das lässt sich auch mit den im Wolfenbütteler Kommentarband abgedruckten Dresdner Schadensblättern nachweisen – dass die Lesbarkeit der entsprechenden restaurierten Blätter erheblich verbessert werden konnte. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass D zusammen mit H, O und W auch in der Anfang 1995 in der Landesbibliothek Oldenburg eingerichteten Sachsenspiegel-Ausstellung gezeigt wurde. Im zwei Jahre davor erschienen Band 50 der
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Patrimonia-Reihe der Kulturstiftung der Länder [9] geht Ruth Schmidt-Wiegand erneut auf die vier Codices ein und auf die nun gegebenen Möglichkeiten der Textund Bildinterpretation. • Planungen für eine Faksimile-Ausgabe von D Wer die oben geschilderten Restaurierungsabschnitte nachgerechnet hat, wird den Zeitraum 1998/99 vermissen, was aber leicht aufzuklären ist. Diese Zeit war den Überlegungen vorbehalten, eine neue, zeitgerechte Faksimile-Ausgabe für den Dresdner Sachsenspiegel zu erstellen, einmal zum Schutz des gerade wieder hergestellten Originals, zum anderen mit der Aussicht, dieses von den Illustrationen her umfangreichste Rechtsbuch, das der Forschung lange entzogen war, einer umfassenden und vergleichenden Interpretation zuzuführen. Diese Absicht bedingte rein praktisch, die wundersam geglätteten Pergamentblätter des 14. Jahrhunderts noch nicht mit einem Einband zu versehen, sondern – noch vor der Frage nach den Finanzierungsmöglichkeiten – nach einem Verlag Ausschau zu halten, der zur Herausgabe befähigt und bereit war und gleichzeitig auch Herausgeber und Bearbeiter für die Textbände zu finden. Begünstigt wurde das Vorhaben durch die inzwischen erschienenen Faksimile-Ausgaben von Wolfenbüttel (1993) und Oldenburg (1995/96), jeweils mit einem Text- und einem Kommentarband [10 + 11]. Auch vom Heidelberger Sachsenspiegel, der wegen seines geringen Umfangs an Text und an Bildleisten als Fragment angesehen wird, liegt ein Faksimile (bereits seit 1970) vor [12]. Die Originalhandschrift, die um 1310 in Obersachsen entstanden sein soll und mit der ‚Bibliotheca Palatina‘ fast 200 Jahre im vatikanischen Exil verbracht hat, war im Frühjahr 1999 zu Gast im Dresdner Schloss, als die Heidelberger Universitätsbibliothek mit ihren „Kostbarkeiten gesammelter Geschichte“ eine 1997 in Heidelberg gezeigte Ausstellung der SLUB erwiderte [13]. Das Thema ‚Faksimile vom Dresdner Sachsenspiegel‘ lag also greifbar in der Luft und ich konnte keinen besseren Partner in dieser Situation haben als meinen Kollegen und Stellvertreter Thomas Bürger, der 1998 von Wolfenbüttel nach Dresden gewechselt war. Durch seinen direkten Draht zu Paul Raabe und den Bibliothekaren der Herzog August Bibliothek und durch seine Begeisterungsfähigkeit für das besondere Projekt innerhalb der ihm anvertrauten Dresdner Handschriftensammlung hatte er schnell die richtigen Fäden gezogen. Rasch war der Kontakt zu Heiner Lück, seit 1994 Lehrstuhlinhaber für Bürgerliches Recht, Europäische und Deutsche Rechtsgeschichte an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, hergestellt. Als Ordentliches Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig und mit dem Forschungsschwerpunkt ‚Rezeptionsgeschichte des Sachsenspiegel‘ war Lück geradezu prädestiniert für unser Vorhaben. Im April 1999 hatte er die SLUB um Abbildungen von D für sein Buch „Über den Sachsenspie-
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Restaurierte Originalhandschrift (Fol. 47v) und der von D.-E. Petersen in Wolfenbüttel gestaltete Holz-Leder-Einband Aufn.: ADEVA, Graz
gel“ gebeten, das er als ständigen Führer zur Dauerausstellung auf der Burg Falkenstein geschrieben hatte [14]. Im darauf folgenden Monat spricht Bürger ihn wegen des Kommentarbandes zur ‚wiedererstandenen‘ Handschrift D an, Anfang Juni trifft man sich in Halle und bereits am 11. Juni 1999 legt Lück ein 8-seitiges Exposé „Erste Überlegungen zu einem Text- und Kommentarband zum Faksimile der Dresdner Bilderhandschrift des Sachsenspiegels (D)“ vor. Als Glücksfall muss auch die nicht ausgeschlagene Mitwirkung von Ruth Schmidt-Wiegand angesehen werden, die durch ihre Arbeit an der Universität Münster und die langjährige Leitung des Sonderforschungsbereichs 231 der Deutschen Forschungsgemeinschaft „Träger, Felder, Formen pragmatischer Schriftlichkeit im Mittelalter“ das Rüstzeug für eine interdisziplinäre und vergleichende Erforschung gerade der Sachsenspiegel-Handschriften geschaffen hat; die Ergebnisse dieser Text-Bild-Interpretationen haben sich niedergeschlagen in den von ihr herausgegebenen Kommentarbänden zu W und O. Es konnte aber auch ein Verleger gefunden werden, der auf hochwertige Faksimile-Ausgaben spezialisiert ist, von der Bedeutung des Dresdner Sachsenspiegels überzeugt war und – mit entsprechender finanzieller Absicherung, sprich: Subventionierung – bereit war, ohne Verzögerung in die Vorbereitungsarbeiten einzusteigen. Die 1949 in Graz gegründete Akademische Druck- und Verlagsanstalt, die
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ihre 1960 ins Leben gerufene CODICES SELECTI als die größte Faksimile-Reihe der Welt bezeichnet (bislang sind hier 107 Titel erschienen), legt die Messlatte für ihre ‚perfekten‘ Faksimiles sehr hoch. Ein Blick auf die Verlagsprodukte oder auch in die Festschrift zur 50-Jahr-Feier 1999 [15] bestätigen das und lesenswert sind noch immer die Ausführungen von Hans Zotter aus der Einleitung der im Verlag erschienenen „Bibliographie faksimilierter Handschriften“ [16]. ADEVA-Chef Michael Struzl, ‚der Mann mit dem Koffer‘, wie ihn „Die Literarische Welt“ vom 11. Nov. 1999 in einem Essay betitelte, ist Kaufmann und Idealist und beurteilt die Aufnahme einer Handschrift ins Verlagsprogramm nicht nur danach, ob sie schön ist, sondern ob sie für wissenschaftliche Zwecke gebraucht wird. Nun, beim Dresdner Codex war das keine Frage, sondern eher die Überlegung, ob man von den in Wolfenbüttel restaurierten, noch immer ungehefteten Pergamentblättern Druckvorlagen mittels Ektachromes herstellt – auch im Sinne einer Sicherheitsverfilmung – oder ob man die verhältnismäßig neue Technik des Scannens bevorzugt. Diese Diskussion erstreckte sich über Monate, bis ein Verlagsbericht vom Februar 1999, der über weitgehend positive Erfahrungen mit der Scan-Methode (beim Projekt Lorscher Evangeliar aus Alba Julia) berichtet, mir die Entscheidung erleichterte, die Vorlagen umgehend scannen zu lassen, damit der Codex endlich gebunden werden und nach Dresden zurückkehren kann. Um es kurz zu machen: die Scans wurden im April in Wolfenbüttel angefertigt und Dag-Ernst Petersen fertigte im Zeitraum Juli bis Oktober 1999 den so genannten ‚Konservierungseinband‘ an, den er mit seiner Kollegin Trautmann (Dresden) abgestimmt und entwickelt hat. Die obige Abbildung zeigt das Ergebnis: Heftung auf doppelte, echte Bünde, gewickelte Kapitale, ein Deckel aus gedämpftem Buchenholz (7,5 mm dick), halb bezogen mit selbst gefärbtem Ziegenleder, zwei Langriemenschließen. Dazu schuf er eine Klima-Kassette, die auch Platz für den alten Ledereinband mit dem Supralibros Augusts des Starken bietet [s. a. 5]. Der Rücktransport nach Dresden erfolgte am 11. Nov. 1999 in Amtshilfe mit Sicherheitsfahrzeugen des sächsischen Innenministeriums. Damit kehrt das bekannteste und einflussreichste Rechtsbuch des deutschsprachigen Mittelalters, die künstlerisch wertvollste von vier erhaltenen Bilderhandschriften des Sachsenspiegels in die Bibliothek zurück, die den Codex schon im ersten Katalog (1574) der Bibliothek von Kurfürst August I. von Sachsen aufführt. Das ist Anlass genug, Wissenschaftsminister Hans Joachim Meyer über das Zurückliegende umfassend zu berichten, die Übergabezeremonie vorzubereiten und Gedanken über die geplante Faksimilierung und deren Finanzierung vorzutragen. Das ist die Situation am Tag von Klaus-Dieter Lehmanns 60. Geburtstag, am 29. Februar 2000, als die oben beschriebene feierliche Übergabe des Dresdner Sachsenspiegels erfolgte. Wichtig war, dass dabei nicht nur die an der Restaurie-
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JÜRGEN HERING Dresdner Bilderhandschrift des Sachsenspiegel (Mscr. Dresd. M 32) Fol. 7 verso Erbschaftssachen (Landrecht § I,10–I,13) Aufn: ADEVA, Graz
1: Der Erbfall ist eingetreten. Hinter dem toten Vater steht der Sohn mit Pferd und Harnisch, die er zu Lebzeiten des Vaters als Geschenk bekam und die folglich nicht zum Erbgut zählen. Rechts sieht man den Sohn mit zwei weiteren Erbberechtigten. Das unbewegliche Erbe wird durch die Halme, das bewegliche durch das Geld symbolisiert. 2: Zwei Kinder, die unter der Vormundschaft des Vaters stehen, können beim Tod der Mutter deren Erbschaft einfordern. Hinter den Verstorbenen sind die Kinder jeweils rechts als Unmündige und links als Erwachsene mit fordernder Geste zu sehen.
3: Die Brüder teilen das Erbgut. Auch hier stehen die Halme und das Geld für unbewegliches und bewegliches Erbe. Der älteste, bärtige Bruder in der Hütte weist mit der linken Hand auf den Besitz, den er nicht teilen muss, da ihn seine Frau (rechts) in die Ehe mitbrachte. 4: Der Verschwender unter den Brüdern bringt das Geld durch: beim Würfelspiel (links), mit einer Hure, beim Tanz (Spielmann mit Flöte). 5: Beim Erbfall gibt es die Ausgleichspflicht. Dargestellt sind ein Grundstück und Beispiele beweglichen Erbes. Die Pferde sind außerhalb des Bilderstreifens angeordnet, da sie nach damaligem Recht nicht in die Erbmasse einzubringen waren.
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rung Beteiligten und die Bibliothekare anwesend waren, sondern die Minister, Sponsoren und Wissenschaftler, die unser Vorhaben unterstützen und gestalten konnten. Zu diesem Zweck waren die bisher erschienenen Faksimile-Ausgaben von H, W und O ausgelegt, und Verlagsleiter Struzl aus Graz hatte für jeden in der Runde zwei farbige Probeblätter einer künftigen Faksimile-Ausgabe D mitgebracht. Der Vortrag von Heiner Lück war den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels generell und der Dresdner im Besonderen gewidmet und er stellte auch die Forschungsperspektiven mit Prognosen für die Textbände in den Raum. Das ‚Gewicht‘ der Ausführungen von Dietrich Hoppenstedt, inzwischen Präsident des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, und seine eindringlichen Worte an den Unterstützungswillen auch der staatlichen Seite, hatten sicher eine positive Wirkung bei den anwesenden Ministern hinterlassen. So ging die kleine, aber feine Veranstaltung für mich mit dem Gefühl zu Ende, dass man an einem 29. Februar nicht nur ‚runde‘ Geburtstage feiern, sondern dass dieser Tag auch die Geburtsstunde für ein wunderschönes Projekt werden kann. • Finanzierung und Präsentation des Faksimiles Das verbleibende Jahr 2000 wird genutzt für Finanzaufstellungen, Zeitpläne, Abstimmungen zwischen Bibliothek, Herausgeber und Verlag sowie für Öffentlichkeitsarbeit. So wurde das Faksimile-Projekt einschließlich der restaurierten Originalhandschrift beim 63. Deutschen Juristentag am 29. September 2000 in Leipzig vorgestellt – nicht ganz einfach angesichts eines wenige Tage davor erfolgten Justizminister-Wechsels. Dann, im Januar 2001 erfahre ich von Präsident Hoppenstedt mündlich die stattliche Fördersumme, die dem Projekt vom Kulturfonds des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes unter Beteiligung der Ostdeutschen Sparkassenstiftung zufließen soll; am 29. März (der 29. Tag eines Monats taucht auffällig häufig auf ) erfolgt die schriftliche Mitteilung dazu. Der Freistaat Sachsen wird sich mit der gleichen Summe beteiligen, wobei ich es dem jetzigen Ministerpräsident Georg Milbradt noch heute hoch anrechne, dass er mir die Zusage am 29. Januar 2001, einen Tag vor seinem Rücktritt als Finanzminister, mündlich übermittelte. Damit steht das ganze Vorhaben auf festen Füßen. Sowohl das Faksimile als auch die beiden Textbände sind gesichert; der Vertrag mit dem Verlag konnte im Juli 2001 unterzeichnet werden. Die Auflage wird weltweit auf 580 nummerierte Exemplare limitiert, was angesichts der 480 Exemplare des Oldenburger Sachsenspiegel-Faksimiles, die längst vergriffen sind, eine realistische Zahl ist. Gleichzeitig läuft die Werbung an. Lück und Bürger liefern der ADEVA Texte und Abbildungen für großformatige Prospekte (denen auch die Überschrift für die-
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sen Beitrag entnommen ist), der Verlag bietet auf Bestellung eine aufwändige Dokumentation mit zwei Werkstattblättern zum Faksimile an und auf der Frankfurter Buchmesse stellt er die Präsentation des Sachsenspiegel-Projekts am 12. Oktober 2001 in den Mittelpunkt der Pressekonferenz. Im Frühjahr 2002 war es soweit (und beinahe hätte es wieder geklappt mit dem letzten Februartag): am 20. März, am gleichen Tag der Eröffnung der Leipziger Buchmesse können ADEVA und SLUB ihren Geldgebern und Sponsoren – stilgerecht im Ständehaus an der Brühlschen Terrasse, in dem das Oberlandesgericht residiert – das fertig gestellte Faksimile der Dresdner Bilderhandschrift des Sachsenspiegels vorstellen. Ein Spitzenprodukt in der drucktechnischen Qualität, eingebunden in den gleichartigen Holz-Leder-Einband, den Petersen für das restaurierte Original kreiert hat, und zusätzlich mit einem repräsentativen Holzschuber versehen. Daneben gibt es auch eine begrenzte Anzahl von Exemplaren mit dem Ganzledereinband, der das Supralibros Augusts des Starken trägt. Gleichzeitig konnte ein 80-seitiger Interimskommentar vorgelegt werden, den sein Herausgeber, Heiner Lück, zum Anlass nimmt, um bei der Vorstellung über den Stand der Arbeiten am Text- sowie am Aufsatzband zu referieren. Für die Dresdner Bibliothek ist es auch ein gutes Omen, dass gute Tage für den Sachsenspiegel sich schon zum zweiten Mal an die Merkdaten des Neubaugeschehens anlehnen. Erfolgte die Rückgabe-Zeremonie im Februar 2000 nur zwei Wochen nach dem Richtfest (14. Februar 2000) für die neue SLUB, so rückte die Präsentation des Faksimiles der Dresdner Bilderhandschrift jetzt ganz nahe an die Bauübergabe-Feier für den wichtigsten Kulturneubau in Sachsen (15. April 2002). Dies bedeutete für die Originalhandschrift (und das Faksimile) eine letzte öffentliche Ausstellung vom 21. März bis zum 30. April 2002 im Buchmuseum des alten Gebäudes in der Dresdner Albertstadt, bevor das Museum am 25. Mai 2002 seine Pforten im ‚Provisorium‘ Marienallee 12 nach fast genau 50 Jahren schloss, um sich auf Umzug und Neukonzeption vorzubereiten. • Text- und Aufsatzband Die Fertigstellung des Faksimiles und die verstärkte Arbeit an der Herausgabe der Textbände fügen sich auch gut ein in die Zeit eines erweiterten Europa und der damit verbundenen Angleichung nationaler Rechtsordnungen. Reichte die Wirkungsgeschichte des Sachsenspiegels schon in deutschen Ländern bis ins 19. und 20. Jahrhundert, so beruhen die Normen für den Rechtsalltag vieler ostmitteleuropäischer Staaten vielfach auf Quellen des Sachsenspiegels und des Magdeburger Stadtrechts. Heiner Lück hat das verschiedentlich belegt und verstärkt ausgeführt in einem Vortrag vor der Dresdner Juristischen Gesellschaft im Oktober 2002 [17].
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So bleibt an der Jahresschwelle 2004/05 nachzutragen, dass es beim Erscheinungszeitpunkt der Textbände zum Faksimile des Dresdner Sachsenspiegels zu Verzögerungen kommen wird, die aber weitgehend auf einer besonders sorgfältigen Text- und Bildinterpretation beruhen. Da W eine Tochterhandschrift von D ist, wird man sich bei der Edition auf die in Wolfenbüttel gemachten Erfahrungen stützen, ohne sie spiegelgleich zu übernehmen. Es ist deshalb ein Glücksumstand, dass in diesem Rahmen ständige Konsultationen zwischen Heiner Lück und der erfolgreichen Sachsenspiegelforscherin Ruth Schmidt-Wiegand stattfinden. Festhalten kann man schon jetzt, dass man sich bei D inzwischen für nur drei Spalten entschieden hat: die zitierfähige Fassung des Originaltextes, die neuhochdeutsche Übersetzung und den Bildkommentar, der die gesamte rechte Seite einnehmen wird, da bei andersartigen Darstellungen häufig auf W, H und O verwiesen werden muss. Die paläographisch getreue Abschrift des Textes von D wird aber in einem Anhang des Textbandes zu finden sein. Für den Aufsatzband sind nach dem Stand von Mitte November 2004 insgesamt 19 Autoren mit 20 Beiträgen eingeworben, die sich in fünf Themenbereichen bewegen: Landesgeschichte, Ikonographie/Kunstgeschichte, Wirkungsgeschichte, Sprache und Forschungsgeschichte/Restaurierung. Das Erscheinungsjahr 2006 wird mit dem 800jährigen Jubiläum von Dresden, mit der 450-Jahr-Feier der ehem. Sächsischen Landesbibliothek und mit dem in Dresden stattfindenden 95. Deutschen Bibliothekartag zusammenfallen. • Geburtstags- und andere Termine Bei aller Ernsthaftigkeit meiner Ausführungen habe ich nicht vermeiden können und wollen, hin und wieder eine Parallele zu dem auffallenden Datum 29. Februar zu ziehen oder auf die Duplizität von Ereignissen hinzuweisen. Das gilt z. B. auch für den 12. Oktober 2001, als die ADEVA auf der Frankfurter Buchmesse der Presse erstmals das neue Sachsenspiegel-Projekt vorstellte und am gleichen Tag in Dresden drei um diese berühmte Handschrift verdiente Männer aus der Hand von Ministerpräsident Biedenkopf den Sächsischen Verdienstorden erhielten – der Urheber der ganzen Rettungsaktion Paul Raabe, der Chefrestaurator Dag-Ernst Petersen und der Sachsenspiegelfreund und Sponsor Dietrich Hoppenstedt. Dem Februar 2005 mangelt es leider an einem zusätzlichen Tag. Man könnte aber zu Ehren des zu feiernden Klaus-Dieter Lehmann am 28. Februar in Dresden einen Filmabend einrichten und – um beim Sachsenspiegel zu bleiben – aus der SLUB-Mediathek einen alten DDR-Fernseh-Film aus der heute noch beliebten Reihe Polizeiruf 110 aus dem Jahr 1980 (da war K.-D. Lehmann gerade 40 und noch in Frankfurt) herauszusuchen, in dem die berühmte Handschrift eine Hauptrolle spielt. Unter dem Titel „Die Entdeckung“ verschwindet kurz vor dem Berliner
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Mauerbau der Bergmuseumsdirektor samt der berühmten Pergamenthandschrift, die im Film ‚Landesspiegel‘ heißt und nicht von Eike von Repgow, sondern von ‚Busso von Heimburg‘ aufgeschrieben wurde. Wollte der Direktor in den Westen flüchten oder die Handschrift nach Halle a. d. Saale, dem Zentrum der Sachsenspiegelforschung, bringen? Ich kann es hier nicht verraten, aber die Sendung wird wahrscheinlich im Februar 2005 wiederholt. Literaturverzeichnis [1] der sassen speyghel. Sachsenspiegel – Recht – Alltag Band 1: Beiträge und Katalog zu den Ausstellungen Bilderhandschriften des Sachsenspiegels – Niederdeutsche Sachsenspiegel und Nun vernehmet in Land und Stadt. Oldenburg – Sachsenspiegel – Stadtrecht. Hrsg. von Egbert Koolman, Ewald Gäßler, Friedrich Scheele (Veröffentlichungen des Stadtmuseums Oldenburg. Bd. 21; Schriften der Landesbibliothek Oldenburg. 29) Band 2: Beiträge und Katalog zur Ausstellung. Aus dem Leben gegriffen – Ein Rechtsbuch spiegelt seine Zeit. Hrsg. von Mamoun Fansa (Archäologische Mitteilungen aus Nordwestdeutschland. Beiheft 10), Oldenburg 1995 [2] Der Sachsenspiegel. Aus dem Leben gegriffen. Ein Rechtsbuch spiegelt seine Zeit Katalog zur Wanderausstellung. Ausstellungstexte von Irmtraud Rippel-Manss, (Archäologische Mitteilungen aus Nordwestdeutschland. Beiheft 14), Oldenburg 1996 [3] Neubert, Hermann: Bericht über die Ereignisse in der Sächsischen Landesbibliothek bei den Fliegerangriffen in der Nacht vom 13./14. Februar und 2. März 1945 und über deren Folgen. Vom 25. 4. 1945 (Maschinenschr.); Assmann, Karl: Jahresbericht 1945. 1946 (maschinenschr.) Schunke, Ilse: Brief vom 14. Juli 1946 an Erhart Kästner (in ein ägyptisches Gefangenenlager) (Sign.: Mscr. Dresd. Aut. 455) [4] Bürger, Thomas: Der Dresdner Sachsenspiegel. Zur Bedeutung und Restaurierung des mittelalterlichen Rechtsbuchs. – In: Sächsische Heimatblätter 46 (2000) S. 126–133 (17 Abb.) [5] Petersen, Dag-Ernst: Zur Konservierung und Restaurierung des Dresdner Sachsenspiegels. – In: SLUB-Kurier 14 (2000) Heft 1, S. 15–17. – Im gleichen Heft finden sich auch Beiträge zum Dresdner Sachsenspiegel von Thomas Bürger, Heiner Lück und Thomas Haffner. [6] Ders.: Zur Erhaltung des Dresdner codex picturatus: Die Schäden und ihre Geschichte; Konservierung und Restaurierung. – In: Die Dresdner Bilderhandschrift des Sachsenspiegels. Interimskommentar. Hrsg. von Heiner Lück. Graz 2002 [7] Gott ist selber Recht. Die vier Bilderhandschriften des Sachsenspiegels. Oldenburg. Heidelberg. Wolfenbüttel. Dresden. Wolfenbüttel 1992 (Ausstellungskataloge der Herzog August Bibliothek. Nr. 67) [8] Almira, Karl von: Die Dresdner Bilderhandschrift des Sachsenspiegels. Erster Band: Facsimile der Handschrift. Leipzig 1902 [Neudr. Osnabrück 1968] – Zweiter Band, Teil I u. II: Erläuterungen. Leipzig 1925/26 [Neudr. Osnabrück 1969] [9] Niedersächsische Sparkassenstiftung: Die Oldenburger Bilderhandschrift des Sachsenspiegels. Hrsg. von Ruth Schmidt-Wiegand. Berlin 1993 (Patrimonia. 50) [10] Eike von Repgow: Sachsenspiegel. Die Wolfenbütteler Bilderhandschrift Cod. Guelf. 3.1 Aug. 2°, 3 Bde (Faksimile, Text, Kommentar), hrsg. von Ruth Schmidt-Wiegand. Berlin 1993 Sonderausgabe 1998 (Faksimile und Textband) [11] Der Oldenburger Sachsenspiegel. Vollständige Faksimile-Ausgabe im Originalformat des Codex picturatus Oldenburgensis CIM I 410 der Landesbibliothek Oldenburg, 3 Bde (Faksimile, Text, Kommentar), hrsg. von Ruth Schmidt-Wiegand. Graz 1995/96
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[12] Koschorrek, Walter: Die Heidelberger Bilderhandschrift des Sachsenspiegels. Kommentar zum Faksimile von CPG 164. Frankfurt a.M. 1970 – (Neuauflage in verkleinerter Form: Der Sachsenspiegel. Die Heidelberger Bilderhandschrift Cod. Pal. Germ. 164 Kommentar und Übersetzung von Walter Koschorrek, neu eingeleitet von Wilfried Werner. Frankfurt a. M. 1989) [13] Kostbarkeiten gesammelter Geschichte. Heidelberg und die Pfalz in Zeugnissen der Universitätsbibliothek. Hrsg. von Armin Schlechter. Heidelberg 1999 (Schriften der Universitätsbibliothek Heidelberg. Bd I) [14] Lück, Heiner: Über den Sachsenspiegel. Entstehung, Inhalt und Wirkung des Rechtsbuches. Mit einem Beitrag zu den Grafen von Falkenstein im Mittelalter von Joachim Schymalla. Halle a. d. Saale 1999 (Veröffentlichungen der Stiftung Schlösser, Burgen und Gärten des Landes SachsenAnhalt. Heft 1) [15] Codices Selecti. Eine Idee geht um die Welt. Text von Michael und Ursula Struzl. Graz 1999 [16] Zotter, Hans: Bibliographie faksimilierter Handschriften. Graz 1976. – 2. Aufl. 1996 als Computerdatei. Hans und Heidi Zotter [17] Lück, Heiner: Der Sachsenspiegel. Europäische Dimensionen und Aktualität eines mittelalterlichen Rechtsbuches. Vortrag Dresden 10. Okt. 2002 [maschinenschr.]
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WAS VERLAGE FÜR WISSENSCHAFT TUN, VON A BIS Z GEORG SIEBECK*
I. Der Markt für wissenschaftliche Informationen
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eder Autor möchte gern, daß seine Texte die bestmögliche gestalterische Form bekommen und sodann nachhaltig und mit größtmöglicher Reichweite den potentiellen Interessenten bekanntgemacht und geliefert werden; als Wissenschaftler ist er darauf sogar beruflich angewiesen: Wenn immer es um „Berufungen“ geht, also neue, bessere Chancen des Wirkens, spielen seine Veröffentlichungen als Auslöser und Maß eine große Rolle. Jeder Forscher und Lehrer ist darauf angewiesen, daß er die Erkenntnisse anderer Wissenschaftler zügig, wohlstrukturiert und möglichst versehen mit Signalen ihrer Relevanz zur Kenntnis nehmen kann. Dafür arbeiten allein in Deutschland tausende qualifizierter Mitarbeiter in wissenschaftlichen (und allgemeinen) Verlagen; weltweit sind das viele zehntausend. Die Bedürfnisse der Wissenschaftler als Autoren und Nutzer gelten nicht nur für gedruckte Werke sondern ebenso im Bereich digitaler Anbietungsformen. Der Glaube, in der digitalen Welt würde dies einfacher oder billiger, ist weithin verbreitet, aber unrealistisch: Auch und gerade hier bedarf es professionell betreuter, effizienter Produktionsabläufe und Absatzwege. Wer auf Verlage verzichten zu können glaubt, muß all dies selbst tun oder auf staatliche Infrastrukturen hoffen. Was dabei alles bedacht werden muß, will ich nachstehend ganz allgemein in Tätigkeitsbereichen und dann konkret in einem alphabetischen Stichwortkatalog umreißen.
II. Was Verlage in verschiedenen Bereichen bewirken 1. Allgemeines Umfeld, „Infrastruktur“. Verlage bringen als Unternehmen das Marktelement in das Veröffentlichungswesen ein; sie wirken daran mit, daß es eine Rechts- und Wirtschaftsordnung für qualitätsvolle Veröffentlichungen überhaupt * Aus dem Kreis der Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher Verleger bekam ich viele sachliche Anregungen und Formulierungsvorschläge. Ich danke besonders denen von Wolfgang Beisler, Dietrich Goetze, G.-Jürgen Hogrefe, Wulf D. v. Lucius und Arthur Sellier.
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gibt und daß deren Qualität zu bezahlbaren Kosten ständig fortentwickelt wird. Gegenüber den Nutzern der Werke vertreten sie die Interessen der Autoren, gegenüber den Autoren vertreten sie die Interessen der Leser. Ohne die Vielzahl der im Wettbewerb untereinander stehenden Verlage gäbe es für die Autoren ungleich weniger Publikationschancen, von einer aktiven Vertriebsarbeit ganz zu schweigen. Hierzu findet sich mehr unter den Stichwörtern: Anwälte der Autoren und der Leser, Ausbildung, Effizienz, Erfahrungsakkumulation, Ermutigen, Gestaltung, Koordination, Marktentwicklung, Nachwuchs, Netzwerke, Neutrale Entscheidungsinstanz, Originalität und Integrität, Plattform, Präsenz, Qualitätssicherung, Rechtsgestaltung, Reputationstransfer, Schutz, Vertrauenstransfer, Vielfalt. 2. Beratung von Autoren, Herausgebern, Institutionen im Vorfeld. Verlage akkumulieren Erfahrungen und Kenntnisse hinsichtlich Organisation, Durchführung und Marktchancen von Veröffentlichungen und bringen diese schon in der Planungsphase ein; sie tragen dadurch bereits im Vorfeld der von ihnen betreuten Publikationen zur Effektivität bei. Hierzu findet sich mehr unter den Stichwörtern: Anregen, Ausbildung, Beratung, Entwicklung von Großprojekten, Ermutigen, Koordination, Neutrale Entscheidungsinstanz, Zitationsstandards. 3. Zustandekommen konkreter Publikationen. Verlage fördern das tatsächliche Zustandekommen geplanter Veröffentlichungen; sie sorgen für Produkte mit hohem Nutzwert für die Käufer und Leser; sie leisten oft entscheidende Beiträge zur Aufbereitung und Gestaltung der Texte. Hierzu findet sich mehr unter den Stichwörtern: Anwälte der Leser, Didaktik, Finanzierung, Honorar, Gestaltung, Illustration, Inszenierung, Koordination, Mischkalkulation, Produktqualität, Qualitätssicherung, Qualitätsverbesserung, Standardisierung, Strukturierung, Verweise, Wirtschaftlichkeit, Zitationsstandards. 4. Breite und nachhaltige Wirksamkeit von Publikationen. Verlage verschaffen ihren Publikationen und damit deren Autoren eine breite (auch internationale) und dauerhafte Sichtbarkeit; sie setzen Signale für die Anschaffung neuer (und deshalb unbekannter) Publikationen. Hierzu findet sich mehr unter den Stichwörtern: Auffindbarkeit, Aufmerksamkeit, Authentizität, Kritik, Marktentwicklung, Mediensprung, Nachhaltigkeit, Originalität und Integrität, Präsenz, Qualitätssicherung, Qualitätssignal, Reputationstransfer, Schutz, Vertrauenstransfer, Verweise, Werbung, Zitationsstandards.
WAS VERLAGE FÜR WISSENSCHAFT TUN
III. Was Verlage so tun, von A bis Z Anregen. Verlage regen Werke an, insbesondere solche, die der Zusammenarbeit vieler Autoren bedürfen (Zeitschriften, Handbücher, Lehrwerke, Datensammlungen, Wörterbücher, Enzyklopädien, etc.). Anwälte der Autoren. Verlage wachen über die Werktreue und schützen die Urheberpersönlichkeitsrechte der Autoren, nicht nur im Zusammenhang mit der Originalveröffentlichung, sondern auch bei unzähligen Sekundärnutzungen. Anwälte der Leser. Weil sie sich aus dem Verkauf ihrer Produkte finanzieren, sind Verlage die Anwälte der Leser im Publikationsprozeß, gerade auch gegenüber den Autoren. Als solche sind sie Filter (von für die Leser nicht Relevantem) und Förderer des leserorientierten Schreibens. Arbeitsteilung. Der technische Fortschritt und die zunehmende internationale Vernetzung lassen die Anforderungen an Professionalität und aktuelles Fachwissen in Produktion und Vertrieb stetig wachsen. Die Verlage entlasten die Autoren in dieser Hinsicht und ermöglichen ihnen die Konzentration auf ihre eigentlichen Aufgaben: Forschung und Lehre. Verlage sind somit effiziente Elemente eines komplexen Wissenschaftssystems. Auffindbarkeit. Verlage investieren in Publikationen und refinanzieren sich über deren Verkauf. Sie sorgen aus Eigeninteresse für dauerhafte Auffindbarkeit und Erreichbarkeit ihrer Publikationen. Durch ihre Programme tragen sie zur Übersichtlichkeit bei. Das gilt auch für Online-Publikationen. Aufmerksamkeit. Verlage sorgen für optimale Werbung um Aufmerksamkeit für ihre Publikationen: Lohnende Chancen werden genutzt, nicht lohnende werden (kostensparend) ausgelassen. Ausbildung. Verlage bilden junge Menschen aus, welche die vielen Dispositionen und Tätigkeiten, auf die es in einem funktionierenden Publikationswesen ankommt, effizient, intelligent und phantasievoll ausführen. Ausdauer. Verlage ermuntern als langfristige Vertragspartner (oft länger als deren Arbeitgeber) Autoren und Herausgeber dazu, auch an schwierigen oder mühsamen Publikationsprojekten festzuhalten und sie tatsächlich fertigzustellen. Authentizität. Verlage sorgen für Authentizität der Texte, indem sie das Ihnen exklusiv übertragene Verbreitungsrecht in seiner Exklusivität verteidigen. Begutachtung. Verlage sorgen durch interne und externe Begutachtung der angebotenen und eingeworbenen Manuskripte für eine sinnvolle qualitative Auswahl der publizierten Werke. Beratung. Verlage beraten Autoren, Institutionen, Leser und andere Nutzer über sinnvolle Möglichkeiten des Publizierens und vermitteln ihnen die dazu erforderlichen Fertigkeiten.
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Didaktik. Weil Verlage die Publikationen auch an diejenigen verkaufen wollen, die über deren Inhalt (noch) wenig wissen, achten sie auf eine angemessene Didaktik. Effizienz. Der intensive Wettbewerb zwingt die Verlage, effizient zu arbeiten: möglichst kostengünstig zu produzieren und möglichst hohe Verkaufszahlen bzw. größtmögliche Verbreitung zu erzielen. In allen Arbeitsbereichen haben sie an diesem Ziel ausgerichtet gut ausgebildete Mitarbeiter mit Spezialkenntnissen. Entwicklung von Großprojekten. Editionen, Werkausgaben eines Verfassers, große Sammelwerke, Zeitschriften, all das plant ein Wissenschaftler nicht allzu häufig von sich aus. Hier ist die organisatorische und finanzielle Erfahrung von Verlagen wichtig, um vorhandene Ressourcen möglichst zielgerichtet einzusetzen. Erfahrungsakkumulation. Verlage akkumulieren Erfahrungen über Fertigkeiten und organisatorische Strukturen, die für ein gut funktionierendes Publikationswesen wichtig sind. Ermutigen. Verlage ermutigen oder verführen Autoren oft überhaupt erst dazu, zu schreiben, insbesondere für ein bestimmtes Publikum zu schreiben, weil sie durch ihr vielseitiges Agieren auf dem Markt einen Bedarf dafür erkennen. Finanzierung. Verlage legen, wie der Name sagt, die Kosten der Veröffentlichung vor, und dies, weil sie nicht an Vergaberegeln gebunden sind, freier und „intuitiver“ als das eine Forschungsinstitution kann oder darf. Insoweit es eine pluralistische Verlagslandschaft gibt, ist das ein besonderer Vorteil gegenüber zentralen Fördereinrichtungen (siehe auch: Wettbewerb). Gestaltung. Verlage sorgen durch eine angemessene Gestaltung der Publikationen für eine inhaltsgerechte, positive Anmutung der Produkte. Herstellung. Verlage führen alle Arbeiten aus, die notwendig sind, um aus einem Manuskript eine fertige Publikation zu machen und beauftragen die jeweils geeignetsten technischen Betriebe. Honorar. Verlage honorieren kreative Leistungen von Autoren und anderen, die am Zustandekommen der Publikationen beteiligt sind. Auch dadurch motivieren sie Autoren, weiterhin solche Publikationen zu schreiben, an denen die Leser interessiert sind, bzw. bestehende Publikationen durch Überarbeitungen weiter zu verbessern. Hybride Strukturen. Die Erwartung, gedruckte Information werde weitgehend durch digitale Formen abgelöst, hat sich nicht bestätigt. Bibliothekare sprechen inzwischen von der Hybridbibliothek, die in beiden Bereichen ihre Dienstleistungen erbringen muß. Verlage, die seit jeher aus verschiedenen Vorlagen mit verschiedenen Techniken verschiedene Publikationsformate erstellt haben, verfügen über die beste Kenntnis und Organisation, um auf der Produktionsseite beide Bereiche verzahnt zu betreuen.
WAS VERLAGE FÜR WISSENSCHAFT TUN
Illustration. Verlage sorgen für Illustration von Texten durch Abbildungen, Diagramme usw., wo das erforderlich und hilfreich ist, und sie sorgen für deren einheitliche Gestaltung. Internationaler Vertrieb. Verlage sorgen entweder durch ihre eigene Vertriebsorganisation, durch Zusammenarbeit mit internationalen Buchhandlungen oder durch Lizenzvereinbarungen mit ausländischen Verlagen für eine auch räumlich weite Verbreitung. Gerade im Auslandsgeschäft ist der einzelne Autor auf einen verhandlungsstarken Partner angewiesen. Innovation. Verlage zeichnen sich dadurch aus, daß sie in Produktions-, Entscheidungs- und Vetriebsstruktur flexibel sind; nach allen Seiten beobachten und agieren sie zwar, aber typischerweise mit einzelfallbezogenem „Outsourcing“. Dadurch sind sie in besonderem Maße geeignet, fachliche Innovationen von seiten der Autoren und Leser, sowie technische von Produktion und Vertrieb aufzugreifen und schnell umzusetzen. Inszenierung. Verlage „inszenieren“ Texte durch geeignete Typographie, Illustration und sonstige Ausstattung, was die Aufnahme des Sinns vereinfacht oder verstärkt. Koordination. Verlage koordinieren die vielen unterschiedlichen Befähigungen, die zusammenwirken müssen, um eine Publikation gut und erfolgreich zu machen: Autoren, Herausgeber, evtl. anonyme Gutachter, Lektoren, Grafiker, Designer, Setzer, Drucker, Verlinker, Provider, Buchhändler, Bibliothekare, Leser – und um das alles am Laufen zu halten, auch Kapitalgeber. Kritik. Verlage sorgen für Rezensionen ihrer Publikationen und für deren Rückmeldung an die Autoren. Dadurch kommen mehr und frühere Kritiken zustande. Durch die Zwischenschaltung des Verlages wird die Chance erhöht, daß die Kritik sachlich ausfällt. Marktentwicklung. Verlage beobachten nicht nur, sondern sie agieren auch in den von ihnen bearbeiteten Märkten: Sie entwickeln und testen neue Projekte, neue Publikationskonzepte, neue Angebotsformen, neue Preisgestaltungen. Mediensprung. Verlage sorgen für Besprechungen auch in anderen Medien, sie vermitteln Interviews, Lesungen und andere Auftritte der Autoren in benachbarten Kreisen und verschaffen den Autoren zusätzliche Auftritts- und Einflußmöglichkeiten. Mischkalkulation. Verleger legen die Erträge aus erfolgreichen Veröffentlichungen auf weniger erfolgreiche Veröffentlichungen um und sorgen dadurch für eine stete Erneuerung des Angebots. Nachhaltigkeit. Verlage haben im Sinne der Markenbildung ein Interesse daran, institutionelles Umfeld und Erscheinungsbild von Publikationen, sowie diese selbst nicht abrupt sondern nur Stück um Stück zu verändern. Dadurch und durch lang-
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fristige Lieferbarkeit sorgen sie für eine Nachhaltigkeit dieser Publikationen und ihrer Nutzbarkeit. Nachwuchs. Verlage suchen, motivieren und beraten den Nachwuchs an Autoren, Herausgebern und Redaktoren in Literatur und Wissenschaft. Bei sich selbst sorgen sie für die ständige Aus- und Fortbildung ihrer Mitarbeiter, die dadurch kompetente Partner der Autoren werden. Netzwerke. Verlage stellen den Autoren und damit den Wissenschaften ihre (ganz anders zusammengesetzten) Netzwerke zur Verfügung, die über Länder-, Sprach- und insbesondere über Fächergrenzen hinweg reichen. Neutrale Entscheidungsinstanz. Verlage stellen im Schulenstreit der Wissenschaften eine unabhängige Entscheidungsinstanz dar: Sie sind in der Regel am ganzen Fach, nicht an einer bestimmten Fakultät oder Schulrichtung interessiert. Nutzwert. Weil Verlage sich in der Regel aus dem Verkauf ihrer Publikationen finanzieren, achten sie darauf, daß diese einen möglichst hohen Nutzwert für ihre Leser haben. Orientierung. Verlagsprogramme bedeuten inhaltliche Bündelung und vermitteln Qualitätssignale. Sie sorgen so dafür, daß ihre Autoren sich „in guter Gesellschaft“ befinden und von den Lesern entsprechend wahrgenommen werden können. Originalität und Integrität. Verlage sorgen für Originalität und Integrität des von ihnen Angebotenen – andernfalls würde ihnen niemand etwas abkaufen. Plattform. Verlage schaffen (z. B. durch Zeitschriften, aber auch durch Schriftenreihen) Plattformen, auf denen Autoren der sofortigen oder alsbaldigen Aufmerksamkeit einer Zielgruppe sicher sein können. Nicht selten gibt das einem Autor, einer Idee überhaupt erst die Chance, wahrnehmbar und auffindbar zu werden. Präsenz. Verlage sorgen für eine Präsenz der Veröffentlichungen im einschlägigen Handel und bei allen Gelegenheiten, wo das einschlägige Publikum zusammenkommt (Messen, Kongresse). Produktqualität. Durch die Bündelung vieler Titel akkumulieren sich beim Verlag ein hohes konzeptionelles und technisches Wissen und entsprechende Auftragsvolumina; dadurch kann bei den technischen Betrieben hohe Qualität bei günstigen Kosten durchgesetzt werden. Programm. Durch seine Programmarbeit schafft der Verleger einen Kommunikationsraum, der Autoren ein ihnen gemäßes Umfeld und dem Leser bzw. Käufer Orientierungs- und Entscheidungshilfen bietet (siehe auch: Qualitätssignal, Plattform). Qualitätssicherung. Verlage sorgen für eine Qualitätssicherung unabhängig von den wissenschaftsinternen Sicherungen. Bei ihnen werden Ausreißer viel schneller
WAS VERLAGE FÜR WISSENSCHAFT TUN
durch Abbestellungen bzw. Nichtbestellungen geahndet als die Reputation eines einzelnen Wissenschaftlers in der Breite der Zunft leidet. Qualitätssignal. Verlage geben Signale für eine bestimmte Qualität von Veröffentlichungen auch solchen von bisher unbekannten Autoren oder zu bisher unbekannten Themen. Eine Vielzahl von themenspezifischen Verlagen kann auch viel differenziertere Signale geben als eine zentrale Veröffentlichungsstelle. Qualitätsverbesserung. Verlage verbessern durch Lektorat und Redaktion in Zusammenarbeit mit den Autoren die inhaltliche Qualität der Publikationen. Rechtsgestaltung. Verlage entwickeln die Rechtsordnung des Publizierens fort: Sie wirken an der Entwicklung und Gestaltung des Urheberrechts, der Autorenverträge, Herausgeberverträge, Redaktionsverträge, usw. mit, sorgen für ihre Autoren für grenzüberschreitende Rechtssicherheit durch internationale Lizenzvereinbarungen und die Durchsetzung ihrer Beachtung. Reisen. Verlage ersparen Reisen von Autoren, indem sie ihre Lektoren und Projektentwickler reisen lassen. Notwendige Reisen der Autoren und Herausgeber organisieren und finanzieren sie in vielen Fällen; dabei wird aus Eigeninteresse auf sinnvolle Verwendung von Zeit und Mitteln geachtet. Reputationstransfer. Verlage schaffen im Rahmen ihres Programms den Transfer von Reputation von bekannten Autoren und Herausgebern auf junge, noch nicht so bekannte. Schutz. Verlage schützen den Inhalt von Veröffentlichungen gegenüber der Nutzung durch Unberechtigte und in unangemessenen Zusammenhängen (siehe auch: Rechtsgestaltung). Standardisierung. Verlage bringen durch Redaktion und Layout ihre Publikationen in standardisierte (Druck- und Daten-) Formate und machen sie so leichter oder überhaupt erst vergleichbar und damit besser nutzbar. Strukturierung. Verlage sorgen für eine graphische und/oder datenmäßige Struktur der Publikationen und ermöglichen dadurch einen schnellen Zugriff, und sei es nur zur Konsultationszwecken. Synthese. Verlage sind mehr an nachhaltigen Publikationen interessiert; sie ermuntern Autoren und Herausgeber dazu, auch Synthesen großer Gebiete eines Faches zu wagen. Verbreitung. Verlage sorgen für eine größtmögliche Verbreitung der Publikationen, weil sie sich überwiegend aus den Verkaufserlösen finanzieren. Vermeintlich störende Beschränkungen der Verbreitung (z. B. beim Kopieren) sind letztlich auch im Interesse der Leser, denen ohne die Verlage schnell der Lesestoff ausginge. Verfügbarkeit. Bücher in Lagerräumen oder Texte auf Servern nützen niemandem: sie müssen zum Leser. Dafür sorgt die Vertriebsarbeit der Verlage. Die entsprechende Abteilung ist in vielen Verlagen die größte von allen. Der gewinnorien-
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tierte Verlag hat die stärksten Anreize, das zu tun, was Autoren wünschen, nämlich alles zu tun, damit ihre Texte zu den Lesern gelangen. Vertrauenstransfer. Verlage organisieren einen Vertrauenstransfer in zwei Richtungen: Den Lesern und Nutzern vermitteln sie, daß sie versuchsweise von den bekannten Autoren und Themen auf unbekannte, neue schließen können, wenn diese im gleichen Verlag, in der gleichen Schriftenreihe, in der gleichen Zeitschrift, im gleichen Sammelband erscheinen. Den Autoren vermitteln sie, daß sie bei Veröffentlichung im gleichen Verlag in einer Weise betreut und behandelt werden, wie das ihren Kollegen dort ergangen ist, und daß mit ihrem Werk in einer Weise umgegangen wird, wie es ihnen aus diesem Umfeld als Leser und Nutzer bekannt ist. Verweise. Verlage sorgen für eine rationale Verweistechnik innerhalb einzelner Publikationen und über diese hinaus. Vielfalt. Verlage sorgen in Bereichen, die von Großforschungsanstalten gekennzeichnet oder gar dominiert sind, für die Vielfalt, die zu einer Evolution des Wissens notwendig ist. Dafür sorgt nicht zuletzt der Wettbewerb unter den privatwirtschaftlichen Verlagen. Werbung. Verlage betreiben Werbung für die Publikationen und damit für deren Autoren, deren „Marktwert“ dadurch steigt. Aus Eigeninteresse gestaltet der Verlag seine Werbung möglichst wirkungsvoll bei möglichst geringen Kosten, z. B. durch die Verbundwerbung für eine Mehrzahl von Titeln in einem Gebiet. Auch in der digitalen Verbreitungsform ist diese Art von Werbung unverzichtbar. Wettbewerb. In allen Gebieten gibt es miteinander konkurrierende Verlage. Das erhöht die Publikationschancen der Autoren gegenüber zentralisierten öffentlich-rechtlichen Organisationsformen und zwingt die Verlage zur Wirtschaftlichkeit (siehe dort) in Produktion, Werbung und Vertrieb. Wirtschaftlichkeit. Aufgrund seiner Marktkenntnis und Marktpräsenz erreicht der Verlag in aller Regel die höchstmögliche Verkaufsauflage und kann wegen der Kostendegression den Lesern günstigste Preise bieten, den Autoren höchstmögliche Honorare bezahlen bzw. mit geringstmöglichem Zuschußbedarf wirtschaften. Zitationsstandards. Verlage sorgen durch eine dauerhafte Formatierung für eine Wiederauffindbarkeit einzelner Passagen und damit für die rationelle Zitierbarkeit von Texten. Im Digitalbereich haben Verlage z. B. neue Zitationssysteme wie „CrossRef“ konzipiert, die die Effizienz des wissenschaftlichen Arbeitens enorm erhöhen.
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ETHICS IN PUBLISHING GORDON GRAHAM
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ublishing is, of course, part of the world of business, and ethics in business is a much-discussed subject these days. But publishing is a unique kind of business. We traffic in ideas and this places us at the centre of the business world, not its periphery. Reaching publishing decisions, we are obliged to make ethical judgments about our authors, their intentions and the substance of the manuscripts which are offered to us. If it is non-fiction, is it accurate? If it is fiction, is it something to which we are ready to lend our imprimatur? Anyway, what is ethics? It is the exercise of moral choice, the making of which may, or may not serve the decision-makers’ short-term interest, and which may, or may not, prove to have been in their long-term interest. When I was at university in Scotland in the 1930s, ethics was called moral philosophy – as opposed to natural philosophy, which was the study of the sciences. My two years of studying ”moral phil” introduced me to the works of Leibniz and Schopenhauer. (Nietzsche was considered too modern). There was a separate course called ”Logic” in which we learned about syllogisms, Descartes, John Locke and which seemed to imply that moral philosophy might not be logical. Maybe not, but is it profitable? This I studied in another class called Political Economy, for which one of the textbooks was Adam Smith’s Wealth of Nations, published in 1789. On moral philosophy our Scottish authority was David Hume. It all seemed then of mainly academic significance. After all, in principle, we are all ethical – aren’t we? But ethics becomes complex when we are faced with practical decisions and seek a balance between what we publishers delicately call commerce and culture, or, more bluntly, self-interest and the public good. I have selected fourteen incidents from recent publishing history in which publishers were faced with moral choices. They are all actual stories, but I shall omit the names of the individuals, the countries and the companies, and pose the moral choices only as questions, without revealing what the publishers decided. You will recognize some of these cases. A professor of history who died at the age of eighty-nine in 2002 had for fifty years been fighting his country’s Ministry of Education for the right to tell the
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truth, as he saw it, about the history of a war in which his country had participated, in textbooks of which he was the author and in the adoption of which by schools the Ministry of Education was the arbiter. Moral choice: do the publishers make an independent assessment of the author’s view or conform with the Minister of Education’s wishes? A leading international publisher of fiction is in the habit of accepting alterations in the texts of translated editions for the purpose of making the books more acceptable. Moral choice: should the authors be consulted about such changes? A multimedia corporation found that one of its subsidiaries was about to publish a book which would offend the government of a large country in which the corporation had television interests. Moral choice: should the corporation permit the subsidiary to go ahead with publication or require that the contract be cancelled? A state government which purchases textbooks in bulk is under pressure from parental associations and church groups not to adopt textbooks which contain certain words and expressions. Moral choice: should the textbook publishers conform to these strictures for the purpose of maximizing their chances of adoption or should they question the ethical grounds of such intrusions? A foundation which is a front for a political organization offers a publisher a subsidy to publish a book in line with its goals. Moral choice: should the publisher, if the book is accepted, reveal the subsidy in the book? A publisher of a bestseller which has taken large pre-publication orders from the trade is planning a book club edition for simultaneous release. Moral choice: should the trade be informed? A leading Internet bookseller – not unconnected with a famous river – is in the habit of publishing anonymous reviews of books on its website. Some of these reviews come from the authors of the books, who, not surprisingly, praise them highly. Moral choice: should the bookseller conceal the sources of such reviews from its readers? A country forbids importation of a book on the grounds that it reveals some of its official secrets. Moral choice: should the publisher go ahead with importation and risk government displeasure and possible prosecution? A multimedia corporation has a branch in a country which practises racial oppression. Certain municipalities in the corporation’s home country threaten it with loss of valuable contracts if it does not close its subsidiary and cease to do business with the offending country? Moral choice: stay in business or sell out? Scientific publishers are informed that institutions in developing countries find their publications too expensive. Moral choice: should they make concessionary prices?
ETHICS IN PUBLISHING
The head of a large corporation finds that a book about to be published by one of its subsidiaries is immoral and repulsive. A large advance has been paid. Moral choice: should he intervene? An old soldier’s memories are offered as a biography. Checking reveals that some of his material is fantasy and fabrication. But it makes good reading. Moral choice: should the publisher check the accuracy before publishing the book as a memoir? An anti-government book is due for publication on the day when the country is struck by a national disaster. Moral choice: should the book be released, delayed or amended? A publisher finds that he can make more money publishing in English than in the language of his country. Moral choice: does a publisher have a duty to support the language of the country in which his company is located? Of course, we can always say this kind of thing never happened to us, but even if we are not involved, it’s good to ask ourselves what we would do if we were faced with these choices. Notice that none of them is between the legal and the illegal. They are all matters of conscience. There are many ethical issues in which the law is involved, for example, libel, piracy, pornography or plagiarism, and in these cases the moral choice facing the publisher is whether to go to law. These also raise the ethical issue of freedom to publish, which is a tenet of publishing in democratic countries. But when does freedom become anarchy? Copyright is the one legal and moral question on which publishers are not only united, but active. Is this because copyright is our life’s blood or because we believe infringements are morally wrong? Or both? The defence of freedom to publish is beyond the means of the individual publisher and devolves on our professional associations. Associations can be no stronger than their members. There have been many notable victories of which the publishing industry can be proud, but we should ask ourselves to what extent our collective actions are motivated by commercial threats and to what extent by the conviction that a free and moral publishing industry is at the heart of a democratic society. Publishers are by definition in the vanguard of ethical practice. This responsibility has never been greater than it is today, because the boundaries between ethics and amorality have become blurred in so many directions and many people are deeply confused. Our five-hundred-year-old role as guardians and gatekeepers – decision makers who, with our capital and our consciences, determine what the public should read – is under threat as never before. We can divide this threat under three headings:
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1) by governments, who are not necessarily authoritarian or oppressive. Democratic governments do sometimes challenge the independence of publishing and freedom of speech on alleged grounds of public interest. 2) by the Internet, insofar as it is used to challenge the principle of copyright and undermine the role of the publisher as a conscientious intermediary between author and reader. 3) by ourselves, insofar as we subordinate the interests of authors and readers to those of our shareholders. Of these three, the threat by governments is the hardest to deal with because it claims to be beneficent and claims to have the force of law. History gives no examples of book industries flourishing under oppressive governments. But too many democratic governments today, tempted by the facility of digital information, fancy themselves as publishers. Governments do have essential roles to play in book publishing which can be summarized as: adequate copyright laws absence of censorship sufficient funding of libraries and schools free movement of books across borders protection of book sales from taxation. But that is all. Any steps beyond should make our ethical antennae quiver. So if we publishers are to remain in this century responsible conduits of knowledge and ideas, we have to be alert to, and conscious of, our ethical responsibility. We have to demonstrate by our actions that we are a profession as well as a business. We have to be more proactive, and less reactive. In what looks increasingly like an age of moral decline, people are yearning for moral leadership in which publishers are uniquely equipped to play a part.
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DIE ANDERE SEITE VON HARRASSOWITZ: LITERATURAUSWAHL FÜR WISSENSCHAFTLICHE BIBLIOTHEKEN DURCH APPROVAL PLANS KNUT DORN
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n der Praxis der amerikanischen Bibliotheken ist der Approval Plan die älteste und zugleich die überzeugendste und erfolgreichste Form des Outsourcing, die bislang realisiert worden ist. Aus dem Bestandsaufbau wird ein Arbeitsbereich, nämlich die Auswahl von Neuerscheinungen, an Buchhandelsfirmen, also an Geschäftspartner ausserhalb der Bibliothek, vergeben. Damit geht meistens ein Bündel an Zusatzleistungen technischer Art einher, wenn Bereitstellung von bibliographischen Arbeitsdaten, Budgetkontrollen und die Übermittlung elektronischer Rechnungs- und Katalogisierungdaten für den Auftrag eingefordert werden. Im Grunde hat der Approval Plan zwei Erscheinungsformen, einmal basiert er auf der Auswahl und der tatsächlichen Lieferung der Bücher, zum anderen auf der Lieferung von bibliographischen Daten als Zetteldienst, in gedruckter oder elektronischer Form, für den die Dienstleistung ebenfalls in der Auswahl bzw. Vorauswahl aufgrund eines Kundenprofils besteht. Der Service ist im Grunde in beiden Fällen eine Reduktion eines bibliographischen „Universums“ auf eine kundenspezifische Teilmenge, die sich für die Bibliothek in einer Arbeits- und damit einer Kostenersparnis niederschlägt. In unserem Fall ist es die Reduktion der Datenmenge der Nationalbibliographien der deutschsprachigen Länder auf das Titelsegment, wie es durch das Profil der jeweiligen Bibliothek definiert ist. In beiden Ausformungen des Approval Plans bleibt die letzte Entscheidung, ob das Buch gekauft wird oder nicht, beim Bibliothekar, wobei der Approval Plan mit der vollzogenen Lieferung bis zu einem gewissen Grad eine Art „Fait accompli“ schafft, das allerdings durch eine Rücksendung korrigiert werden kann, der Zetteldienst hingegen nach wie vor die originäre Entscheidung des Bibliothekars vor der Lieferung erfordert. In den USA bedienen sich fast alle grossen Bibliotheken, die wissenschaftliche Bücher aus dem deutschsprachigen Raum, d. h. Deutschland, Österreich, Schweiz, kontinuierlich und in bestimmten Sachgebieten sogar systematisch sammeln, des Approval Plans, wie ihn Harrassowitz in Zusammenarbeit mit eben diesen Bibliotheken entwickelt hat. Die grosse Mehrheit kombiniert die beiden Formen, fordert die Buchlieferung für den Kern des geplanten Anschaffungsvolumens mit Ergänzungen aus dem Zetteldienst, während andere Bibliotheken den Zetteldienst als alleinige Arbeitsgrundlage bevorzugen.
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Der Approval Plan, wie ihn die Firma Harrassowitz anbietet, ist vom Sachgebiet her definiert, hat eine Tradition von gut 50 Jahren und begann, als die Buchhandlung Harrassowitz 1952 mit dem sogenannten Farmington Plan für Deutschland betraut wurde. Ein Konzept, das unter Federführung der Association of Research Libraries auf einer Tagung in Farmington, CT formuliert wurde und sich an das deutsche Konzept der Sondersammelgebiete anlehnt. Danach sollte jeweils ein Buchhändler in den in das Konzept eingebundenen Ländern dafür sorgen, dass ein Exemplar einer jeden wissenschaftlichen oder dokumentarisch bedeutsamen Publikation an bestimmte Bibliotheken in den USA geliefert wird, die für die jeweiligen Sachgebiete bereits umfassende Spezialsammlungen aufzuweisen hatten. Der Auftrag ging nun bereits von Anfang an über das eine Exemplar, das in den USA vorhanden sein sollte, hinaus, da weitere Bibliotheken an den gleichen Sachgebieten interessiert waren und sich parallel zu der vom Programm bestimmten Empfängerbibliothek ebenfalls für die kontinuierliche Belieferung notieren liessen. Dabei wurden sofort individuelle, an der Tradition der jeweiligen Sammlung ausgerichtete Wünsche in den Auftrag eingebracht. Damit begann für Harrassowitz die individuelle Auswahl und Belieferung von Neuerscheinungen an amerikanische Bibliotheken, die dann als Approval Plan bekannt wurde. Dieser kann in der Methodik am besten mit den Ansichtslieferungen verglichen werden, wie sie deutsche Bibliotheken von ihrem Buchhändler am Ort in der Vergangenheit gewohnt waren. In beiden Modellen werden die Lieferungen in der Bibliothek von Spezialisten und Fachreferenten begutachtet und letztendlich zur Anschaffung freigegeben oder auch nicht. Dieser Approval Plan war ein Konzept, das in den 60er Jahren von der Firma Richard Abel für amerikanische und englische Publikationen äusserst erfolgreich flächendeckend in den USA eingeführt und weiterentwickelt wurde, mit differenzierter Auswahl aufgrund eines komplexen Sachgebietsthesaurus und zusätzlicher Lieferung von Kataloginformationen. Ein ehrgeiziges Projekt, das Schlagzeilen machte, aber scheiterte, als die Firma Richard Abel versuchte, das System in andere Länder zu exportieren und, aus amerikanischer Sicht, fremdsprachige Literatur einzubeziehen. Solche Pläne überstiegen die betriebswirtschaftlichen Möglichkeiten des Buchhandels, auch für eine damals so erfolgreiche Firma wie Richard Abel. Nachfolgende Firmen, wie Academic Book Center und später Blackwell und YBP übernahmen das Konzept und führten es für amerikanische und englische Publikationen weiter, häufig mit einem auf einer Verlagsliste fussenden Auswahlmechanismus bzw. einer Kombination von Verlag und Sachgebiet als Auswahlraster. Demgegenüber hat Harrassowitz von Anfang an versucht, die wissenschaftliche Produktion der deutschsprachigen Länder insgesamt in den Approval Plan einzubeziehen, weitgehend unter Einschluss von grauer Literatur und Publikationen, die
DIE ANDERE SEITE VON HARRASSOWITZ
ausserhalb des Buchhandels erschienen. Das Konzept wurde von den amerikanischen wissenschaftlichen Bibliotheken positiv aufgenommen, Harrassowitz führt bis heute über 100 solcher Approval Plans für amerikanische Bibliotheken, in unterschiedlicher Grössenordnung und Gewichtung und höchst individuell nach den Wünschen und Instruktionen der einzelnen Bibliotheken ausgerichtet. Dazu kommen ca. 60 Aufträge für den Bereich der zeitgenössischen Literatur, die anhand einer von Harrassowitz entwickelten Namensliste bedient werden, wobei auch hier Autorenlisten unterschiedlicher Gewichtung für verschiedene Bibliotheksbedürfnisse angeboten werden. Das Ergebnis ist, dass nicht ein einziger Approval Plan mit einem anderen übereinstimmt, was an den individuellen Profilen liegt und zusätzlich durch die unterschiedliche Anzahl der für jede Bibliothek notierten Fortsetzungen auf monographische Serien bewirkt wird, die natürlich aus dem Approval Plan herausgehalten werden. Der Erfolg des Harrassowitz Approval Plans in den amerikanischen Bibliotheken war – ebenso wie die Programme anderer europäischer Buchhändler, etwa Casalini Libri in Italien und Nijhoff in den Niederlanden – eine Folge der Tatsache, dass kein stationärer Buchhandel in den amerikanischen Universitätsstädten vorhanden war, der mit den europäischen Firmen hätte wirksam konkurrieren können, und dass in den meisten amerikanischen Bibliotheken kein vergleichbares professionelles Netz von Fachreferenten verfügbar war, wie es etwa traditionell in deutschen Bibliotheken mit der Buchauswahl betraut ist. Der Approval Plan wird von den amerikanischen Fachreferenten, die derzeit in den führenden Bibliotheken des Landes die deutsche Buchauswahl betreuen, nicht in Frage gestellt, sondern durchgehend als wichtige Komponente in die eigene Auswahlmethodik integriert. Das mag zwar manches Mal unter Druck geschehen, aus der schieren Not der Arbeitsüberlastung heraus, wenn die Referenten einmal über das eigene Fachgebiet hinaus häufig für die gesamten Geistes- und Sozialwissenschaften verantwortlich sind und zudem in der zeitaufwendigen fachlichen Betreuung von Studenten und Lehrkörper am Reference Desk gefordert sind. Für eine konsequente bibliographische Auswahlarbeit ist dann einfach nicht mehr genug Zeit vorhanden – und da boten sich der Approval Plan und die enge Zusammenarbeit mit den Bibliographen im Hause Harrassowitz als Alternative an. Aus der Sicht beider Seiten ist diese professionelle Kooperation über die Jahre und Jahrzehnte hinweg äusserst erfolgreich praktiziert worden und hat sich für die Bibliothek dabei als effizient und kostensparend zugleich erwiesen. Wie überall kommen auch in den USA Bibliothekare nur selten dazu, Analysen zu Kostenstellen durchzuführen, aber seit die Stanford University in den 90er Jahren für die Arbeitsgänge in der Bibliothek errechnet hatte, dass für den Approval Plan im Vergleich zur traditionellen Bestellung (Firm Order) ein Kostenvorteil von 5:1 zu Buche schlägt, war dem Approval Plan auch aus der Analyse der
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Praxis heraus die betriebswirtschaftliche Berechtigung zugesprochen, zumal wenn die Bibliothek die von Buchhändlern angebotene Rechnungsstellung und Übermittlung der Katalogdaten über EDI nutzen kann. Harrassowitz arbeitet für die Definition eines Approval Plan Profils mit einem differenzierten Sachgebietsthesaurus, der mit einer Vorschlagsliste von Publikationsformen und geographischen Abgrenzungen, also von nicht sachgebietsorientierten Optionen kombiniert ist. Aus dieser Kombination kann der Bibliothekar die spezifischen Instruktionen zusammenstellen, die das eigene Profil für den Bestandsaufbau widerspiegeln und den Rahmen für den gewünschten, ganz spezifischen Approval Plan abgeben. Darüber hinaus können zusätzliche, an der individuellen Tradition der Bibliothek orientierte Wünsche einbezogen werden, die zusätzlich in das Profil einfliessen, das Harrassowitz für jeden Approval Plan Kunden erstellt, und das in seinen Umrissen für die Bibliothek online zur Verfügung steht und in Zukunft interaktiv jederzeit für Änderungen und zusätzliche Instruktionen genutzt werden kann. Die Tendenz ist, dass zusätzlich zu Auswahl und Lieferung mit Finanzkontrollen und der Katalogisierung nach AACR2 in Kombination mit MARC21-Daten immer mehr bibliothekarische Zusatzleistungen eingefordert werden. Um allen Kundenwünschen möglichst weit entgegenzukommen, hat Harrassowitz für die Sachgebietsauffächerung ein eigenes Modell geschaffen, das zwar an die Library of Congress und Die Deutsche Bibliothek angelehnt ist, aber über vorhandene Systeme insofern hinausgeht, als im Gefolge der Dynamik des wissenschaftlichen Publizierens die Vorgabe war, für Neuentwicklungen, Area Studies und letzte Trends in Dokumentation und Wissenschaft jederzeit aufgeschlossen zu sein. Auf ein offenes, jederzeit variierbares Modell dieser Art kommen jährlich neue Sachgebietszuordnungen hinzu, die sich aus Kundenwünschen rekrutieren oder sich aus der Arbeit der Bibliographen im Hause ergeben. Ein System ausgefeilter Kontrollen ist über die Jahre entstanden, aus dem Management Reports entwickelt wurden, die, von den Kunden hochgeschätzt, in Form von statistischen Erhebungen zu Anzahl und Preisen der ausgewählten Titel per Sachgebiet für den jeweiligen Approval Plan angeboten werden oder für den Gesamtbereich des wissenschaftlichen Verlegens in den deutschsprachigen Ländern entsprechende Daten zusammentragen. Diese werden von den Kunden zur Ausgabenkontrolle und zur Bestimmung von Budgets genutzt und bieten über die Jahre hinweg weithin gefragte Daten für rückwärtige Analysen und zukünftige Mengengerüste an. Die Auswahl ist auf die Bedürfnisse einer wissenschaftlichen Bibliothek im Ausland, im Falle von Harrassowitz im angelsächsischen Ausland, speziell in Nordamerika, ausgerichtet. Die Folge ist eine relativ strenge Definition des wissenschaft-
DIE ANDERE SEITE VON HARRASSOWITZ
lichen Buches, d. h. die Auswahl ist, mit wenigen Ausnahmen, auf die forschungsrelevante verlegerische Produktion beschränkt. Das begrenzt die Anzahl der Titel, die selbst für einen weit ausgreifenden Approval Plan benötigt werden. Die Bibliographen bei Harrassowitz haben über die Jahre gelernt, dass weite Bereiche der allgemeineren, der populären und der kreativen Informationsvermittlung, in USA wie in jedem anderen Empfängerland, durch eigene Publikationen in der eigenen Sprache abgedeckt werden. Im Klartext gesprochen: bei dem Harrassowitz Approval Plan werden allgemeinere kursorische Darstellungen, alle populären Abbildungen von wissenschaftlich möglicherweise relevanten Zusammenhängen, alle Einführungen, alle journalistischen und für den interessierten Laien publizierten Texte einer äusserst kritischen Überprüfung unterzogen. Das führt zu relativ restriktiven Auswahlkriterien, die eine jährliche Gesamtproduktion der deutschsprachigen Länder von ca. 80.000 Titeln für den aktiven Approval Plan auf einen Umfang von ca. 25.000 potenziellen Titeln reduzieren, zwar weitere 10.000 Titel für Spezialbibliotheken mit weitergehenden Bedürfnissen einbeziehen, diese dann aber weitgehend dem Zetteldienst und somit der Entscheidung der Bibliothekare vorbehalten. Eine solche Reduzierung von jährlich ca. 80.000 auf gut 35.000 Titel, die in den Bewertungsprozess einbezogen werden, liegt auf der Linie der konservativen Buchauswahl, wie Harrassowitz sie in der Selbstdarstellung als sinnvoll und dezidiert als Programm propagiert. Sie ist auf volle Zustimmung der amerikanischen Bibliothekskunden gestossen und hat dazu geführt, dass der Approval Plan betriebswirtschaftlich bei einer Rücksendequote von unter 2,5 % im Durchschnitt über viele Jahrzehnte hinweg erfolgreich durchgehalten werden konnte. Diese Leitlinie für die Buchauswahl ist ein wichtiger Punkt, der bedacht sein will, wenn es zu der Frage kommt, ob der Approval Plan in dieser Ausformung auch für deutsche Bibliotheken interessant sein könnte. Über Jahre hinweg waren Gespräche mit deutschen Bibliothekaren zum Approval Plan gar nicht angesagt. Das System, nach dem die Auswahl durch wissenschaftlich ausgebildete Fachreferenten in der Bibliothek vorgenommen wird, war und ist die optimale Lösung für die deutschen Bibliotheken, und es ist als solches jedem Approval Plan überlegen, wenn es denn ein Entweder – Oder und nicht doch eine Kombination von beiden Ansätzen sein sollte. Harrassowitz hat sich daher auch nie darum bemüht, das Approval Plan-Konzept deutschen Bibliothekaren nahezubringen oder den Versuch zu machen, es für Bedürfnisse der Bibliotheken im eigenen Lande zu modifizieren. Dazu bestand in der Vergangenheit keine Notwendigkeit, und sie ist weiterhin nicht gegeben, solange das Konzept der Fachreferenten Bestand hat und nicht durch Budgetbeschränkungen und Personaleinsparungen ausgehöhlt wird. Nun zeichnet sich ab, dass es aber gerade dazu kommen kann und Notsituationen entstehen, in der ausscheidende Mitarbeiter, darun-
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ter auch Fachreferenten, nicht mehr ersetzt werden können. In genau dieser Situation ist eine bedeutende Bibliothek in Deutschland auf Harrassowitz zugekommen und hat nachgefragt, ob eine solche Lücke durch einen Approval Plan geschlossen werden könnte. Es kam zu einer Übereinkunft, einen Approval Plan auf einem Fachgebiet zu formulieren und in der Form eines Experimentes einzuführen. Um es vorwegzunehmen, das Experiment ist gescheitert, und zwar aus der Sicht von beiden Partnern und es wurde nach einem Jahr mit Ende des Kalenderjahres 2004 wieder aufgegeben. Es handelte sich um den Fachbereich der Naturwissenschaften bzw. um eine Reihe von Teilbereichen, für die der Fachreferent ausgefallen war und dessen Verantwortungsbereich nicht von Kollegen mit übernommen werden konnte. Nach intensiver Diskussion und einer detaillierten Einführung in die Arbeitsprozesse auf beiden Seiten wurde ein Budget festgesetzt und die Auswahl mit Imprint 2004 begonnen. Nach einem Jahr war beiden Seiten klar, dass das Experiment auf dem falschen Sachgebiet aufgesetzt hat, und dass bei Harrassowitz zu ungenaue Vorstellungen dazu vorhanden waren, wie sich der Leserkreis in der Bibliothek zusammensetzte. Die Naturwissenschaften sind der Teil des Harrassowitz Approval Plan Spektrums, das von amerikanischen Bibliotheken am wenigsten eingefordert wird. Das ist erklärlich aus der Situation, in der naturwissenschaftliche Titel in deutscher Sprache in naturwissenschaftlich orientierten Bibliotheken im englischsprachigen Ausland nicht oder nur in sehr begrenztem Masse gewünscht werden. Die daraus folgende Dominanz der englischsprachigen Titel in den Sciences im Harrassowitz Approval Plan entsprach nicht dem Bedürfnis der deutschen Bibliothek. Diese war vielmehr auf eine breitgefächerte Auswahl deutschsprachiger Texte angewiesen, da sie ein Segment ihres Lesepublikums zufriedenstellen musste, das weniger im akademischen, sondern eher im öffentlichen Bereich angesiedelt war. Damit fielen Titel allgemeinerer Art, populärwissenschaftliche Titel und Titel zur Einführung, für das Vorstudium und Erstsemester an, die als solche ausserhalb des Harrassowitzschen Spektrums der Buchauswahl lagen. Das war sicher ein Problem der Kommunikation und eine Folge der nicht ausreichend geführten Analyse zu dem Thema, welche Publikation in dem Kontext des Auftrages der bestimmten Bibliothek als ein wissenschaftliches bzw. erforderliches Buch zu gelten hat. Dazu basierte der Wunsch nach Verschlagwortung der Titel auf dem ganz speziellen System der Bibliothek, das bei Harrassowitz nicht für andere Kunden genutzt werden konnte und als proprietärer Arbeitsgang für eine Bibliothek eingeführt werden musste. In der Analyse waren sich die Bibliothek und Harrassowitz einig: Das Experiment setzte auf dem falschen Sachgebiet auf. Eine grössere Übereinstimmung wäre sicherlich in jeder Fachrichtung der Geistes- und möglicherweise auch der Sozial-
DIE ANDERE SEITE VON HARRASSOWITZ
wissenschaften zu erreichen gewesen, und es wäre auch in einer Spezialbibliothek erfolgreicher verlaufen als in der Partnerbibliothek, die ein sehr breit gefächertes Lesepublikum zufriedenzustellen hatte. Es wurde vereinbart, dass es zu einer Fortführung des Experimentes in einem angemesseneren Sachgebiet kommen werde, sollte aufgrund von Personal- oder Kostenzwängen eine vergleichbare Notwendigkeit auf seiten der Bibliothek eintreten, so wie sie zu dem Zeitpunkt Ende 2003 im Bereich der Naturwissenschaften gegeben war. Wichtig war der Einblick in die unterschiedliche Gewichtung des Grades der Wissenschaftlichkeit, der bei einem Teil der Publikationen von beiden Seiten unterschiedlich beurteilt wurde. Das war ein Lernprozess speziell auf seiten von Harrassowitz, der in mögliche spätere Aufträge von deutschen Bibliotheken einfliessen kann. Dazu mag es oder mag es nicht kommen, der Approval Plan könnte aber zu einer Option werden, wenn es bei der technischen Zuarbeitung zusätzlich zu Auswahl und Lieferung zu einem grösseren Mass an Übereinkunft in den bibliothekarischen Anforderungen kommt, wenn etwa auch deutsche Bibliotheken MARC21 and AACR2 einfordern sollten und dabei auf die Routine bei Harrassowitz zurückgreifen können, wie sie für angelsächsische Bibliotheken bereits etabliert ist und ständig fortgeschrieben wird.
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ur was sich ändert, bleibt!“ – dieses seit spätestens den frühen neunziger Jahren gern verwendete Motto Klaus-Dieter Lehmanns1 vernahm man nicht zuletzt auch am 22. Januar 1998, als er – als Vorsitzender des Beirates der Stiftung Preußischer Kulturbesitz – in der Rotunde des Alten Museums in Berlin Herrn Professor Dr. Werner Knopp als Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in den Ruhestand verabschiedete – mit einer Würdigung Knopps, die zugleich ein fulminanter, ein visionärer Ausblick in die Zukunft der Stiftung war. „Nur was sich ändert, bleibt!“ – mächtig programmatisch klingt dies; und unter den vielen Motti, die uns tagtäglich zur Nachahmung anempfohlen werden, ist dieses Leitmotiv für das eigene Denken und Handeln sicherlich nicht das schlechteste. Der systematische Bestandsaufbau
Über Jahrzehnte hinweg gehorchte die Bucherwerbung in der Staatsbibliothek2 ganz eigenen Gesetzen: gekauft wurde, was möglichst anspruchsvoll klang, wissenschaftlich bedeutsam und hochgelehrt. Der Bestandsaufbau geschah weitgehend unabhängig vom aktuellen Benutzungsinteresse, da der wissenschaftliche Wert der Neuzugänge für sich sprach und über jeden Zweifel an der Nachfragehäufigkeit 1
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„Mein Motto war immer ,Nur was sich ändert, bleibt‘“, bekannte Lehmann beispielsweise im Dezember 1998 gegenüber einem Journalisten (Heute fällt die Entscheidung über die Staatsbibliothek. Mit dem Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Klaus-Dieter Lehmann, sprach Johann Michael Möller, in: Die Welt, 17. Dez. 1998). – Klaus-Dieter Lehmann war es auch, der dafür sorgte, dass der 88. Deutsche Bibliothekartag 1998 in Frankfurt am Main unter eben dieses Motto „Nur was sich ändert bleibt“ gestellt wurde. (Freundlicher Hinweis von Frau Dr. Sabine Wefers, Jena, vom 18. Nov. 2004). Zur Erwerbungspolitik der Staatsbibliothek zu Berlin vgl. grundsätzlich: Grundsätze des Bestandsaufbaus. Bearbeitet von Gerhard Kanthak. Zweite, veränderte Auflage, Berlin: SBB-PK 1998; Keiler (jetzt: Weber), Jelka: Bibliothekarische Erwerbungsarbeit – Äußerungen zum Bestandsaufbau der Berliner Staatsbibliothek von 1661 bis 1945, in: Planen und Gestalten. Festgabe für Günter Baron anlässlich seines Ausscheidens aus dem Amt des Ständigen Vertreters des Generaldirektors der Staatsbibliothek zu Berlin. Hrsg. von Antonius Jammers unter Mitarbeit von Martin Hollender und Ralf Breslau, Berlin: Staatsbibliothek zu Berlin 2001, S. 155–185.
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erhaben war. Dieses von der Staatsbibliothek bislang verfolgte Prinzip nennt sich im Fachjargon ,Systematischer Bestandsaufbau‘ und ist, solange man sich die Verwirklichung finanziell auch leisten kann, ein vorbildliches und nachhaltig effizientes System zum Aufbau konsistenter und in sich geschlossener Sammlungen. Die Bibliothek kauft für eine Nachfrage, die vielleicht heute existiert, vielleicht auch erst morgen; präzise weiß es niemand. Kaufen also in eine Zukunft hinein, die andere wissenschaftliche Fragen stellt als wir Heutigen und in fünfzig, in hundert oder zweihundert Jahren nach eben diesen Büchern verlangt, die wir somit heute nicht vernachlässigen dürfen, weil ihre Titel und ihre Thesen allzu spezialisiert und abseitig anmuten. Bücherkaufen ergo als Vorratshaltung, als prospektive Archivierung? Warum nicht – die Wege der Forschung sind bekanntlich unergründlich und stoische (Staats-)bibliothekare haben in dieser Frage einen sehr langen Atem: Ein jedes Buch hat seine Zeit … Wer sich in der Staatsbibliothek einmal in den Regalen umsieht, in denen die vom Benutzer bestellten Bücher ihrer Abholung harren, der kommt aus dem Wundern und aus dem Staunen nicht mehr heraus. Zu welch bizarrer Untersuchung,
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welch exotischer Analyse mag wohl dieses oder jenes Buch beitragen, über dessen Existenz man allein schon den Kopf schütteln möchte, mehr aber noch darüber, dass sich tatsächlich jemand bereitgefunden hat, es freiwillig zu bestellen? Diese Bucherwerbung ,auf Verdacht‘ ist ein rechtes ,Luxusprinzip‘, gleichwohl zur Erhaltung des kulturellen Erbes und zur Wissenschaftsförderung unabdingbar, geeignet jedoch nur für weltweit wenige, sehr wenige Bibliotheken. In Deutschland können – neben den Spezialbibliotheken – mit solcher Großzügigkeit wohl nur die Bayerische Staatsbibliothek in München und die Staatsbibliothek in Berlin verfahren. Eine Staatsbibliothek wie diejenige in Berlin ist hinsichtlich des Niveaus und des Umfangs ihres Bestandsaufbaus irgendwo zwischen einer Universitätsbibliothek und einer Ansammlung von Spezialbibliotheken angesiedelt: erstere bietet von vielem manches, letztere von einzelnen Fächern (fast) alles – die Staatsbibliothek aber bietet von allem sehr viel: eine für alle Beteiligten, ob Bibliothekare oder Benutzer, komfortable und forschungsfreundliche Existenz.
Stagnierender Erwerbungsetat bei steigenden Preisen Wie aber verfahren, wenn sich die Zeiten ändern? Der Erwerbungsetat der Staatsbibliothek wird derzeit ,überrollt‘, d.h. er stagniert, auf erfreulicherweise sehr hohem Niveau. Das ist viel und dankenswert in Zeiten, in denen ganze Bibliotheken geschlossen oder zu Tode gespart werden. De facto aber sinkt die Kaufkraft auch der Staatsbibliothek. Kamen 1997 noch 150.000 Bücher jährlich in die Magazine, so sind es momentan nur noch um die 120.000. Ein Rückgang um ein Fünftel also binnen weniger Jahre. Die Ursachen liegen zum einen bei den steigen-
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den Preisen für Bücher und Zeitschriften und zum anderen bei den rasant anwachsenden Online-Angeboten, für die – abgesehen von flankierenden Finanzierungen durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft – von Seiten der Unterhaltsträger keine Extramittel zur Verfügung gestellt werden. Allen Unkenrufen zum Trotz sinkt die Zahl der gedruckten – und für eine Bibliothek mit wissenschaftlichem Anspruch auch kaufenswerten! – Bücher weiterhin nicht, so dass, ein ganz simples Rechenexempel ist dies, bei gleichzeitig ansteigendem Preisniveau schlussendlich weniger Bücher eingekauft werden können. Und überdies fordert jedermann heute die hybride, die vernetzte, die elektronische, multimediale, digitale und virtuelle Bibliothek. Zwar mag sich niemand so recht vom gedruckten Buch trennen, aber zusätzlich sollen elektronische Zeitschriften und Online-Datenbanken für Volltexte, Abstracts und Bibliographien flächendeckend in den Bibliotheken (und selbstredend auch in der Staatsbibliothek zu Berlin) Einzug halten. Neue Medien sind dies, die ein hohes Prestige sowohl in der jeweiligen academic community wie auch im öffentlichen Diskurs besitzen und deren horrende Preise kaum jemand kritisch hinterfragt. Ihre Existenz in den Bibliotheken gilt indes als selbstverständlich, wenn auch ihre dauerhafte Finanzierung zumeist auf tönernen Füßen steht und zu Lasten anderer wertvoller wissenschaftlicher Publikationen gehen muß. Wo also einsparen? Bei Personal- und Betriebskosten ist entweder kein nennenswertes Kürzungspotential gegeben oder aber es ist bereits hinlänglich ausgereizt. Reserven sind bei den Kosten für Bleistifte und Licht, Server und Wasser nicht mehr zu mobilisieren; es fände vielmehr eine gegenseitige Kannibalisierung der Kosten für Bücher, Mitarbeiter und die Infrastruktur statt.3
Bestandsbreite versus Bestandstiefe Kürzen also, reduzieren, einsparen: weniger Bücher kaufen. Aber welche? Am einfachsten ist das Rasenmäherprinzip: Für alle Wissenschaftsdisziplinen, von der Ägyptologie bis zu den Wirtschaftswissenschaften, werden pauschal soundsoviel Prozent weniger Etat angesetzt. Vor allem konfliktfrei ist dieses Vorgehen, denn im eigenen Haus wird sich das Murren der jeweils zuständigen Bibliothekare in überhörbaren Grenzen halten. Die große Gleichmacherei verhindert energische Proteste der Fachreferenten, derjenigen wissenschaftlichen Mitarbeiter, die für die Auswahl 3
Vgl. hierzu grundlegend, weil mit den Etatproblemen der Staatsbibliothek in vielerlei Hinsicht vergleichbar, Stefan Jockel und Elisabeth Niggemann: Die Deutsche Bibliothek in Haushaltsnöten, in: Dialog mit Bibliotheken, Jg. 16 (2004), Nr. 3, S. 4–11.
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der Bücher aus dem internationalen Buchmarkt verantwortlich zeichnen. Wenn alle dran glauben müssen: der Widerstand wird sich in Grenzen halten. Auf der anderen Seite ist ein solches Vorgehen der sichere Weg in die Sackgasse für eine Staatsbibliothek, die mit dem Anspruch auftritt, ganz wesentlich mehr zu bieten als andere. Jährlich flächendeckend den Etat zu senken, weiterhin aber jedes Fachgebiet gleichberechtigt bedenken zu wollen, führt im Verlauf gar nicht einmal sehr vieler Jahre zu einer Nivellierung des Angebots, zu einer Verflachung der Literaturauswahl, weil die Bestandsbreite Priorität gegenüber der Bestandstiefe besitzt. Von allem aus der zeitgenössischen wissenschaftlichen Literaturproduktion ein wenig, kaum eine Disziplin mehr aber mit Tiefgang und Spezialforschungen? Vermutlich niemandem wäre mit einem derartigen ,Erwerbungssozialismus‘ gedient, der sich beharrlich scheut, tiefe Schnitte zu setzen. Als konsensfähiger Ausweg diente die einzige Alternative: einige Wissenschaftsfächer weitgehend zur Disposition zu stellen, um in anderen das traditionelle Erwerbungsniveau nicht allein aufrechterhalten, sondern sogar steigern zu können. Was von vornherein nicht in Betracht kam, war ein Ausspielen der Fachgebiete untereinander. Wem verdanken wir schließlich die Chemie, das elektrische Licht, die Buchdruckerkunst, die eine Festschrift für Klaus-Dieter Lehmann überhaupt erst möglich macht? Den technischen, den ingenieurwissenschaftlichen Disziplinen. Und die Medizin erst, wo stünden wir ohne die bahnbrechenden medizinischen Erfolge, die durch die medizinwissenschaftliche Forschungsliteratur und ihre Verbreitung durch die Bibliotheken international publik gemacht wurde! Wahre Gedanken, aber wohin sollen diese Überlegungen in letzter Konsequenz führen? Einem dogmatischen Nützlichkeitsdenken zu frönen und auf die schöngeistigen, die kulturgeschichtlichen Fächer in Bibliotheken und Büchereien zu verzichten? Nun, da die finanziellen Möglichkeiten des allumfassenden Bücherkaufens schwinden, sämtliche Mittel in Bücher und Zeitschriften über das drohende Abschmelzen der Polkappen investieren und die Welterklärungsversuche der Philosophen, Romanciers und Essayisten negieren? Gleichfalls eine Sackgassenlösung.
Nachfrageorientierung und die Nutzungserhebung Den vorläufigen Königsweg fand die Staatsbibliothek in der Verletzung eines staatsbibliothekarischen Sakrilegs: in der partiellen Abkehr vom systematischen Bestandsaufbau nämlich. Den Schritt hin zum Naheliegendsten, zur selbstverständlichsten aller Fragen aber einzuschlagen, hatte sich die Staatsbibliothek lange Zeit selbst verbaut durch ihr Beharren auf einer fast elitär zu nennenden Erwerbungspolitik, die die Erfahrungen anderer Bibliotheken gerne zu ignorieren glaubte. Unbeeinflußt
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von aktuellen Forschungsmoden sollte die Staatsbibliothek als Archivbibliothek mit möglichst breitem Radius Literatur für jedwede Wissenschaftler vorhalten. ,Angebot und Nachfrage‘ wurden nicht gemeinsam betrachtet, da bei der Literaturauswahl allein das Angebot im Blickfeld stand. Doch wer den Erwerbungshaushalt verwaltet und die schmaler werdenden Etatströme fließen sieht, kommt vermutlich eher auf den pragmatischsten aller Gedanken: Welche Nutzungsfrequenz haben unsere wissenschaftlichen Zeitschriften denn eigentlich? Hin also zum Gegenpol in der Erwerbungstheorie, zum nachfrageorientierten Bestandsaufbau, dem sich Stadtbüchereien und Universitätsbibliotheken schon seit langem verpflichtet fühlen. Gekauft wird, was gefällt – bzw. was benötigt wird. Ergo orientieren sich die Stadtbüchereien an den Bestsellerlisten und die Universitätsbibliotheken registrieren feinnervig die Schwerpunkte der Hochschuldozenten in Forschung und Lehre, um möglichst punktgenau die in Instituten und Labors, Gewächshäusern und Hörsälen benötigte wissenschaftliche Literatur einzukaufen. Eine effiziente Methode, die mit den vorhandenen finanziellen Ressourcen verantwortungsbewusst und zielführend umgeht und die festumrissene Klientel aus Dozenten und Studenten exakt im Blick hat. Nun also fand dieses Prinzip erstmals auch Einzug in die Erwerbungspolitik der Staatsbibliothek. Die Leitung der Medien- (sprich: Erwerbungs-) abteilung ließ in den Jahren 2002 bis 2004 durch schlichte Strichlisten die Nachfragehäufigkeit wissenschaftlicher Zeitschriften in der Staatsbibliothek zu Berlin auswerten. In der Zeitschriftenablage, wo die aktuellen, noch ungebundenen Ausgaben tausender von der Staatsbibliothek abonnierter wissenschaftlicher Zeitschriften lagern, wurde jede Bestellung registriert – mit dem eindeutigen Ergebnis, dass die Nachfrage nach den sogenannten STM-Zeitschriften gegen Null tendierte. STM steht für Science, Technology und Medicine; anders formuliert: für alle Forschungszweige, die nicht
Staatsbibliothek zu Berlin, Haus Unter den Linden Allgemeiner Lesesaal
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unter die Philologien und die im weitesten Sinn als Geistes- und Gesellschaftswissenschaften zu verstehenden Fächer zu subsumieren sind. Die Erhebung, so simpel wie signifikant, öffnete uns erstmals ein Stück weit die Augen für die Interessen unserer Leser.4 Just jene Zeitschriften, die mit Abstand am teuersten sind, liegen in der Gunst unserer Nutzer an hinterster Stelle! Jeder privatwirtschaftlich geführte Betrieb hätte schon längst die Notbremse gezogen, denn er hätte seit jeher Angebot und Nachfrage in sein Kalkül einbezogen. Die Staatsbibliothek hielt bislang beispielsweise 89 Chemie-Zeitschriften, die jährlich durchschnittlich 2.150 € kosteten5 und somit mit summa summarum 191.350 € pro Jahr im Erwerbungsetat zu Buche schlugen. Eklatanter noch stellt sich die Kosten-Nutzungs-Analyse bei den wissenschaftlichen Zeitschriften aus dem Bereich der Biologie dar: die bis dato abonnierten 333 Periodika haben Preise von im Durchschnitt gut 800 € und belasten den Haushalt mit knapp 270.000 €.6 Für Zeitschriften aus den Bereichen Physik, Chemie, Mathematik, Informatik, Kybernetik, Biologie, Technik, Astronomie, Medizin und Geowissenschaften wendet die Staatsbibliothek momentan jährlich über 1,3 Millionen Euro auf – trotz kaum vorhandener Nachfrage.7 Ganz anders stellt sich die Situation in den nachfragestarken philologischen, geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Fächern dar: Die immens hohe Zahl von 4
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Vgl. auch bereits 1994 Gerhard Kanthak: „Der Druck auf die Bibliotheksetats wird so stark, daß es sich Bibliotheken zunehmend nicht mehr leisten können, teure Druckschriftenbestände für eine potentielle, nicht wirkliche Nutzung aufzubauen, zu erschließen und zu magazinieren.“ (Kanthak, Gerhard: Auf dem Wege zu einem Erwerbungsprofil für die Staatsbibliothek zu Berlin, in: Tradition und Wandel. Festschrift für Richard Landwehrmeyer aus Anlaß seines Ausscheidens aus dem Amt des Generaldirektors der Staatsbibliothek zu Berlin am 28. Februar 1995. Hrsg. von Daniela Lülfing und Günter Baron, Berlin: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz 1995, S. 83–100, hier S. 95). Bei vier Entleihungen p.a. kostet somit jede Benutzung ca. 500 €. – Nicht eingerechnet sind die Kosten für die buchbinderische Verarbeitung und die indirekten Kosten der bibliothekarischen Bearbeitung. Vergleichsweise preiswert sind medizinische und veterinärmedizinische sowie geowissenschaftliche Zeitschriften mit durchschnittlich 407 bzw. 455 € für das Jahresabonnement (461 bzw. 213 Abonnements für 188.000 bzw. 97.000 €). Das Mittelfeld bilden Zeitschriften aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Kybernetik, Biologie, Technik und Astronomie mit durchschnittlich 900 € jährlich (insgesamt 808 Zeitschriften für 680.000 €); die Spitzengruppe bildet neben der Chemie das Fach Physik mit einem durchschnittlichen Zeitschriftenpreis von 2.333 € (69 Zeitschriften für 161.000 €). Gerhard Kanthak erklärte 1994, unter Bezugnahme auf eine Zeitschriften-Abbestellaktion des Jahres 1982, die hohe Zahl der STM-Zeitschriften in der Staatsbibliothek als vereinigungsbedingt: die Deutsche Staatsbibliothek der DDR hatte beim naturwissenschaftlich-technischen Sektor einen deutlichen Schwerpunkt gesetzt. Vor allem aber warnte Kanthak bereits damals vor den unweigerlich zu ziehenden Konsequenzen aus explodierenden Preisen: „Durch die Über-
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1.299 Zeitschriftenabonnements aus den Bereichen Archäologie, Geschichte und Kulturgeschichte verursacht Kosten von ,nur‘ 125.000 €, da der Durchschnittspreis derartiger Zeitschriften bei sehr niedrigen 96 € liegt. Vergleichbar die Preissituation auch in ähnlichen Fächern: 101 € jährliche Kosten für theologische Fachzeitschriften, 117 € für volks- und völkerkundliche, 141 € für philosophische Zeitschriften.8 – Dort zu sparen, wo auch tatsächlich ein signifikantes Einsparpotential gegeben ist, liegt ohnehin nahe – und dass auch die Benutzer eben jenen hochpreisigen STM-Zeitschriften nicht die ihnen gebührende Wertschätzung entgegenbringen, erleichterte die Entscheidung, die zukünftige Sammlungsintensität auf einem sehr viel niedrigeren quantitativen Niveau zu betreiben, zusätzlich. Das seit Jahrzehnten ganz maßgeblich von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierte System der überregionalen Literaturversorgung hat ein theoretisch wie benutzungspraktisch hervorragend eingespieltes Koordinatensystem von Sondersammelgebieten zahlreicher deutscher Bibliotheken hervorgebracht. Spitzenforscher kennen diese Bibliotheken, die ihnen nahezu lückenlos jedes gewünschte – vor allem fremdsprachige – wissenschaftliche Werk ihres Interesses bieten können. So deckt die Deutsche Zentralbibliothek für Medizin in Köln die spezifische Literaturversorgung mit medizinwissenschaftlichen Werken ab wie etwa die Technische Informationsbibliothek in Hannover als deutsche Zentralbibliothek für Technik und deren Grundlagenwissenschaften, insbesondere für Chemie, Informatik, Mathematik und Physik fungiert. Kaum verwunderlich ist es somit, dass die Elite der STM-Fachwissenschaftler in der Staatsbibliothek zu Berlin mit ihren zwar breiten, aber von Spezialbibliotheken noch bei weitem übertroffenen Beständen ihre Bedürfnisse nicht verwirklicht sah und sich andernorts orientierte und versorgte.
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nahme der Zeitschriftenabonnements der Deutschen Staatsbibliothek ist eine große Zahl der 82er Abbestellungen der SBPK wieder rückgängig gemacht worden. Die in der SBPK gegebene Bestandspräponderanz der Geistes- und Sozialwissenschaften konnte zurückgenommen, die Naturwissenschaften konnten deutlich stärker gewichtet werden in der Absicht, als Linie des Bestandsaufbaus der SBB eine Universalität ohne fachliche Einschränkungen zu verfolgen. Dieser einmalige, starke Anstieg der Abonnements im Bereich der naturwissenschaftlich-technisch-medizinischen Zeitschriften könnte die Staatsbibliothek früher als erwartet zum Opfer der Zeitschriftenkrise mit ihren explodierenden Abonnementskosten werden lassen.“ (Kanthak: Auf dem Wege, S. 92). – Vgl. weiterführend auch ders.: Die Druckschriftenerwerbung der Deutschen Staatsbibliothek und der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz (1945–1991), in: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz. Mitteilungen, N.F. 7 (1998), H. 1, S. 1–17. Für Zeitschriften gab die Staatsbibliothek zu Berlin im Jahre 2003 insgesamt 3,6 Millionen € aus. Zieht man hiervon den indifferenten Bereich ,Allgemeines‘ (522.000 €) und – weil mit dem Status eines Sondersammelgebiets firmierend – den Sonderfall ,Ausländisches Recht‘ ab (363.000 €), so erweist sich, dass mit 1.316.000 € für die nachfrageschwachen STM-Fächer nahezu ebensoviel ausgegeben wird wie mit 1.400.000 € für die Zeitschriften sämtlicher anderer Wissenschaftsdisziplinen.
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Verändertes Benutzerverhalten und die Konsequenzen der Staatsbibliothek Wenn betriebswirtschaftliches Denken zunehmend Einzug auch in Kultureinrichtungen wie die Staatsbibliothek finden soll, liegt nichts näher, als die Zeichen der Zeit nicht nur zu erkennen, sondern naheliegende Konsequenzen zu ziehen und sich alsbald aus der Beschaffung der nachfrageschwachen Literatur zurückzuziehen. Immerhin hatte die Staatsbibliothek den Naturwissenschaftlern, Technikern und Medizinern mit ihrer großzügig bemessenen Zahl an laufend bezogenen Zeitschriften aus dem STM-Sektor ja über viele Jahre hinweg durchaus ein attraktives Angebot gemacht. Die Zeitschriften waren sämtlich in lokalen und nationalen Bibliothekskatalogen nachgewiesen und standen zur Ausleihe zur Verfügung wie alle anderen Periodika auch. Die Analyse musste somit zwangsläufig lauten: die Staatsbibliothek zu Berlin ist offensichtlich keine Anlaufstelle für Wissenschaftler jener Disziplinen, woraus weiterführend die früher kaum jemals in Erwägung gezogene Entscheidung zu fällen war (erst knappe Kassen machen manches vormals Undenkbare sehr wohl möglich), diese naturwissenschaftlichen Literatursegmente aus dem Erwerbungsportfolio zu nehmen.9 Eine Trennung bedeutet dies also von dem traditionellen Ethos der Staatsbibliothek, einer „auf nationale Repräsentanz ausgerichteten Erwerbungspolitik, in der alles gewollt und nichts beschränkt wird.“10 Die Informationsbeschaffung gehorcht in den STM-Fächern ohnehin schon seit einer Weile anderen Regeln als dem althergebrachten persönlichen Gang in das Bibliotheksgebäude, wo zunächst eine Fachbibliographie konsultiert wird, um anschließend Monographien und Fachzeitschriften aus dem Magazin zu bestellen. Die Mitarbeiter akademischer STM-Institute verlassen zur Literaturrecherche und -aneignung heute in aller Regel nicht mehr ihren Arbeitsplatz und können auf den Gang in die Bibliothek verzichten. Die Vorherrschaft kostenpflichtiger elektronischer Zeitschriften und Datenbanken in diesen Fächern hat das jahrhundertwährende Informationsversorgungsmonopol der Bibliotheken löchrig, wenn nicht in einigen Sektoren sogar zunichte gemacht: An die Stelle der Bibliotheken sind kommerzielle private Dienstleister getreten, die dem STM-Forscher die gewünschte Studie sekundenschnell in maschinenlesbarer Form auf den Institutsarbeitsplatz 9
Naheliegenderweise wird der weitgehende Rückzug der Staatsbibliothek aus den STM-Diziplinen in formaler Hinsicht nicht bei den Zeitschriften Halt machen. So trennt sich die Staatsbibliothek auch im Bereich der monographischen und der bibliographischen STM-Literatur von der bisherigen Politik des Bestandsaufbaus. Zeitschriftenaufsätze in von der SBB gekauften Bibliographien aufzufinden, die eigentlichen Zeitschriften jedoch nicht mehr zu führen, ist wenig sinnvoll. Es soll an dieser Stelle jedoch nicht verschwiegen werden, dass diese Frage mit der gegenteiligen Antwort „Was schon nicht vorhanden ist, muß wenigstens bibliographisch nachgewiesen werden“ im eigenen Hause durchaus auch kontrovers eingeschätzt wird. 10 Kanthak, Auf dem Wege, S. 94.
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BARBARA SCHNEIDER-KEMPF / MARTIN HOLLENDER Staatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße Katalogzentrum
senden.11 Mit modernen pay-per-view-Verfahren und Finanzbudgets für die wissenschaftlichen Mitarbeiter wird nicht mehr notwendigerweise eine ganze Zeitschrift abonniert, vielmehr wird der Einzelzugriff auf den zu liefernden Aufsatz mit dem Arbeitgeber, zumeist einer Universität oder einem Forschungsinstitut, abgerechnet. Eine ,Parallelwelt‘ der Informationsvermittlung ist so in den letzten Jahren sehr rasch und ebenso effektiv entstanden, die an den Realitäten des STMBestandsaufbaus der Staatsbibliothek völlig vorbeilief. Freilich: diese Verlagerungen weg von der Lesesaallektüre und hin zu Dokumentlieferdiensten und einer direkten Kommunikation des Forschers mit privatwirtschaftlich arbeitenden Datenbankbetreibern war der Staatsbibliothek bewusst – allein: diese Umwälzungen blieben zunächst ohne Folgen. Denn das Primat des ausschließlich systematischen Bestandsaufbaus verbot eine Trennung von ganzen Fachdisziplinen; vor allem aber: in den Zeiten großzügiger Etats musste die Frage nach der Lukrativität des Literaturangebotes nicht notwendigerweise gestellt werden. Die aufzuwendenden Kosten in eine Relation zur tatsächlichen Nachfrage zu stellen, galt als ,unfreundlicher Akt‘, da das wissenschaftliche Schrifttum zu den ,Orchideenfächern‘ als erstes zur Disposition stehen würde. Erst die Verknüpfung mit einem dritten Kriterium, dem Preis, lieferte aussagefähige Zahlen und bewies, dass just die preiswerten Zeitschriften, Monographien und Bibliographien aus den Philologien, den Geistes- und den Gesellschaftswissenschaften hinsichtlich ihrer Beliebtheit den ungleich teureren
11 Die immensen Abonnementkosten machen den privaten Bezug wissenschaftlicher Zeitschriften zumindest im STM-Sektor mittlerweile nahezu unmöglich.
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Pendants aus dem naturwissenschaftlichen, technischen und medizinischen Spektrum den Rang abliefen. Da die Forscher aus den STM-Disziplinen also die Staatsbibliothek zu Berlin nicht als Domäne ihrer Literaturversorgung ansehen, kann die Staatsbibliothek aufgrund der zunehmend schwieriger sich gestaltenden Etatsituation ihre vermeintliche, aber bislang wahrgenommene Verantwortung für eine umfassende Literaturversorgung der Berliner akademischen Landschaft nicht länger aufrechterhalten. Die Staatsbibliothek kann somit weder die Finanzmisere der umliegenden Hochschulbibliotheken ein Stückweit kompensieren noch die bekannte ,Haltet das letzte Abo in der Region!‘-Politik fortzuführen. Weder moralisch noch de jure sieht sich die Staatsbibliothek weiterhin in einer Verpflichtung für diejenigen Aufgaben, die genuine Anforderungen an die Berliner und Brandenburger Universitätsbibliotheken darstellen.
Umsetzung und Perspektiven Gemäß § 5 des Stiftungsgesetzes der Stiftung Preußischer Kulturbesitz hat ein Beirat den Stiftungsrat und den Präsidenten der Stiftung zu beraten. Aus den Mitgliedern des Beirates bilden sich eine Museums- und eine Bibliothekskommission. Letztere hat sich auf ihrer Herbstsitzung am 8. November 2004 eingehend mit der von der Generaldirektion der Staatsbibliothek zu Berlin beabsichtigten Veränderung des Erwerbungsprofils befasst. Der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Professor Klaus-Dieter Lehmann, hatte im Vorfeld der Sitzung das designierte Mitglied der Bibliothekskommission, Herrn Dr. Rolf Griebel, Generaldirektor der Bayerischen Staatsbibliothek, um eine gutachterliche Stellungnahme gebeten.12 Herr Dr. Griebel trug am 8. November in Berlin seine Stellungnahme vor. Die hieran anschließende Diskussion ergab eine einmütige Zustimmung der anwesenden Mitglieder der Bibliothekskommission sowohl zu den Anmerkungen Dr. Griebels wie auch zu dem grundsätzlichen Vorhaben der Staatsbibliothek – getragen nicht zuletzt auch von der Vorsitzenden der Bibliothekskommission, Frau Dr. Elisabeth Niggemann, als promovierter Biologin und dem Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Professor Klaus-Dieter Lehmann, einem diplomierten Physiker.
12 Herr Dr. Griebel ist durch seine langjährige Tätigkeit als Erwerbungsleiter der Bayerischen Staatsbibliothek, als Leiter der Erwerbungskommission des Deutschen Bibliotheksinstituts sowie als Verfasser zahlreicher Aufsätze zur Thematik des Bestandsaufbaus in wissenschaftlichen Bibliotheken als der deutschlandweit führende Experte in Erwerbungsfragen bestens ausgewiesen.
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BARBARA SCHNEIDER-KEMPF / MARTIN HOLLENDER Staatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße Handbibliothek Anglistik
Seither wird die Abbestellung von ca. 75 % aller STM-Zeitschriften an der Staatsbibliothek vorbereitet. Eine knappe Million Euro dürfte somit disponibel sein – aufgrund der langen Kündigungsfristen freilich nicht eben kurzfristig. Exakte Kenntnisse über die tatsächlichen Etatauswirkungen werden erst um die Jahreswende von 2006 auf 2007 vorliegen. Gleichwohl: trotz des beträchtlichen Umfangs dieser Einsparungen bedeutet dieser Paradigmenwechsel nicht, dass nun die Erwerbung der internationalen Literaturproduktion in den geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Fächern auf bis dato unbekannte Höhen erklimmen kann. Denn zum einen wollen, wie bereits oben ausgeführt, kostspielige Lizenzen für den Zugang auf wissenschaftliche Datenbanken erworben werden, zum anderen machen die weiter steigenden Preise auf dem Buchmarkt13 allzu euphorische Träume vom Entstehen einer gewaltigen geistes- und gesellschaftswissenschaftlichen Spezialbibliothek rasch wieder zunichte. De facto wird das weitgehende Kappen des STM-Literaturzugangs die Staatsbibliothek hinsichtlich des jährlichen Bestandszuwachses allenfalls wieder in den Status der Jahre 1999 bis 2001 zurückversetzen. Soviel jedoch steht fest: von den Einsparungen mittelfristig profitieren werden – in alphabetischer Sortierung: Allgemeine und vergleichende Sprach- und Literaturwissenschaften, Anglistik, Archäologie, Germanistik, Geschichte, Klassische Philologie, Philosophie, Romanistik sowie Religionswissenschaften/Theologie. Mit abgeschwächter Intensität wird der Bestandsaufbau zukünftig verfolgt in den Fächern Buch- und Bibliothekswesen, Ethnologie, Geographie, Kunst- und Thea13 Den Endverkaufspreis subventionierende Druckkostenzuschüsse werden seltener als in Zeiten üppiger finanzieller Ressourcen bei potentiellen Zuwendungsgebern gewährleistet; gleichzeitig sinken aufgrund schwächelnder Nachfrage bei den wissenschaftlichen Bibliotheken die Druckauflagen wissenschaftlicher Werke, was höhere Preise des einzelnen Exemplars bewirkt.
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terwissenschaften, Militärwesen, Pädagogik, den kleineren Philologien, Politikwissenschaften, Psychologie, Publizistik, den Sozial- und den Wirtschaftswissenschaften. – In der mit Abstand dichtesten Sammlungsintensität werden auch weiterhin die Publikationen aus jenen Disziplinen erworben, die als Sondersammelgebiete eine erhebliche und kontinuierliche finanzielle Unterstützung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft erfahren: Rechtswissenschaften, allgemeine Orientalistik, Ost- und Südostasien, Slawistik, Veröffentlichungen zur Kartographie, ausländische Zeitungen, Parlamentaria und topographische Karten.
Die Staatsbibliothek: dennoch auch weiterhin eine Universalbibliothek? Darf sich die Staatsbibliothek nach diesem weitgehenden Abschied aus der wissenschaftlichen Welt der Naturwissenschaften, der Technik und der Medizin weiterhin Universalbibliothek nennen? Sie darf. Denn der zugrundeliegende Begriff der Universalität bedeutet ja keine (auch nicht annähernde) Komplettheit der Wissensproduktion in den Regalen, sondern lediglich die Möglichkeit, sich mittels der Bibliotheksbestände über sämtliche wissenschaftlichen Fragen und Themen fundiert informieren zu können. In der Tat ist es eine Chimäre, bei großen Staatsbibliotheken, die sich als Universalbibliotheken bzw. Forschungsbibliotheken bezeichnen, an eine auch nur annähernde Vollständigkeit der Bestände zu glauben, die – von wenigen Lücken abgesehen – durch den Ankauf sämtlicher relevanter Literatur der internationalen Buchmärkte entstanden sei. „Konnte die Preußische Staatsbibliothek zwischen den Kriegen noch etwa 50% der wissenschaftlich relevanten Weltbuchproduktion erwerben, so sind es heute in der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz gerade noch 22%, und das bei einem jährlichen Zugang von immerhin 110.000 Bänden.“14 Universalität hat also nichts mit der Bestandsdichte zu tun, sondern ist nur eine relative Größe. Der Rückzug aus den STM-Disziplinen15 ist somit freilich nur ein partieller. Zum einen behält die Staatsbibliothek ihren Anspruch aufrecht, als Universalbibliothek zu allen nur erdenkbaren wissenschaftlichen Fragestellungen sämtlicher 14 Detemple, Siegfried: Die Bibliotheken in der postmodernen Situation, in: Der Österreichische Bibliothekartag 1990. Bregenz, 4.–8. September 1990. Bibliotheken mit und ohne Grenzen: Informationsgesellschaft und Bibliothek. Vorträge und Kommissionssitzungen. Hrsg. von der Vereinigung Österreichischer Bibliothekare. Redaktion: Helga Weinberger, Wien 1991 (= BiblosSchriften, 154), S. 152–162; hier S. 156. 15 Im einzelnen bedeutet dies eine zukünftig zurückhaltendere Erwerbung in den Disziplinen Mathematik, Informatik, Physik, Chemie, Biologie, Astro- und Geowissenschaften, Landwirtschaft, Medizin und Technik sowie ebenfalls im Bereich der wissenschaftlichen Literatur über Sport und Spiele.
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Forschungsrichtungen Materialien vorzuhalten. Die Bestandsdichte wird sich verringern, namentlich zur Erstinformation dienende Lesesaalwerke wie Kompendien, Handbücher, Einführungen, Fachenzyklopädien etc. werden jedoch auch weiterhin in reicher Auswahl angeschafft werden. Denn die zunehmend interdisziplinäre Forschung verlangt nach Überblickswerken, die auch dem Philosophen ein grundlegendes Einfinden in die Materie der ihm grundsätzlich fernen und fremden Wissenschaftsfächer ermöglichen. Zur Repräsentation des Stands der Wissenschaften in den STM-Disziplinen wird die internationale Buchproduktion auch in Zukunft in breiter Auswahl erworben werden. Was aber alsbald nicht mehr Bestandteil des Erwerbungsprofils sein wird, sind speziellere Monographien und Zeitschriften aus dem STM-Sektor, die in der Staatsbibliothek nicht das hinreichende Benutzerinteresse fanden.
Interdisziplinäre und wissenschaftshistorische Zeitschriften Zum anderen behält die Staatsbibliothek die Abonnements all jener STM-Zeitschriften bei, die sich zu nennenswerten Teilen mit interdisziplinären Fragestellungen beschäftigen, die die Grenzen zwischen den ,weichen Buchwissenschaften‘ und den ,harten Laborwissenschaften‘ aufweichen und überschreiten. Gekündigt wird der Fortbezug allein der Zeitschriften, die ausschließlich dem genuinen Naturwissenschaftler, Techniker oder Mediziner dienen – sobald indes eine deutliche thematische Tendenz hin zu ethischen, moralphilosophischen oder kulturwissenschaftlichen Fragestellungen erkennbar ist, verbleibt die Zeitschrift dauerhaft im Bestand der Staatsbibliothek, um die Kontroversen etwa um die Gentechnik nicht nur vom philosophischen, sondern auch vom medizinischen Standpunkt aus verfolgen und nachvollziehen zu können.16 Zugleich trennt sich die Staatsbibliothek nicht von STM-Fachzeitschriften, die sich der allgemeinen Wissenschaftsgeschichte oder derjenigen einzelner Disziplinen widmen. Der Ausbau des Hauses Unter den Linden der Staatsbibliothek zu einer Spezialbibliothek für wissenschaftsgeschichtliche Fragestellungen macht den Fortbezug der einschlägigen Organe unabdingbar.17 – Eines freilich muß konzediert werden: die fachgeschichtliche Forschung im Bereich der STM-Disziplinen, die die Staatsbibliothek sich – vor allem durch die Arbeit ihrer Abteilung für Historische
16 Fortgeführt wird also der Bezug beispielsweise der Zeitschriften Ethik in der Medizin, Journal of Medicine and Philosophy, Behavioral Ecology and Sociobiology oder Medicina e Morale. 17 Also etwa der Zeitschriften Archives Internationales d‘Histoire des Sciences, Historical Studies in the Physical and Biological Sciences oder Sudhoffs Archiv / Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte.
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Drucke – auf die Fahnen geschrieben hat, wird für die nach uns kommenden Epochen in der Berliner Staatsbibliothek kaum noch möglich sein. Wer sich gegenwärtig für medizinhistorische Fragestellungen interessiert, wer über den Kenntnisstand der Augenheilkunde im 17. und 18. Jahrhundert forscht, der findet in der Staatsbibliothek und ihren exzellenten historischen Sammlungen breites zeitgenössisches Quellenmaterial wie kaum irgendwo sonst. Diese Tradition, mit der im Verlaufe von Jahren, Jahrzehnten und Jahrhunderten ganz unmerklich aus tagesaktuellen gedruckten Wissenschaftserkenntnissen Zeugnisse des fachlichen Wissens und der Erkenntnisse einer Epoche werden und uns von den sich stetig verfeinernden medizinischen Behandlungsmethoden erzählen, wird versiegen. Denn wo nur noch spärlich hochspezialisierte medizinische Zeitschriften abonniert werden, kann dereinst, in heute noch fernen Jahren und Jahrzehnten, keine Quelle mehr künden von den Fortschritten, die die Forschung in den vor uns liegenden Jahren hoffentlich erzielen wird. Doch die Berliner Abkehr von Detailstudien aus dem STMBereich bedeutet keinen nationalen Verlust. Die Spezialbibliotheken in Köln, in Hannover und anderswo in Deutschland garantieren durch den Archivstatus ihrer Bestände wissenschaftsgeschichtliche Studien auf unverändert breiter Quellengrundlage.
Fazit Die Veränderung des Erwerbungsprofils schwächt die Staatsbibliothek nicht; die Anpassung an die veränderte Haushaltslage eröffnet vielmehr die Chance, die Bestände insgesamt zu straffen und das Profil eines ausgewählten Segmentes schärfer zu konturieren. Blicken wir noch einmal zurück zum Prinzip einer globalen Etatkürzung in allen Fächern: Es würde das bewusste Bekenntnis zur Masse bedeuten, zur Aufrechterhaltung eines Sammlungsprinzips, das alle Disziplinen versorgen möchte, nirgends aber mehr vertiefte Ansprüche befriedigen kann. Die Staatsbibliothek setzt konträr auf Klasse und stärkt den geistes- bzw. sozialwissenschaftlichen Bestandsaufbau. Aufgrund der in diesen Bereichen traditionell niedrigen Buchpreise wird zumindest mittelfristig der weitere Ausbau der Buchbestände in einer für Deutschland annähernd einzigartigen Dichte gegeben sein, wird es möglich sein, Alleinstellungsmerkmale durch den Ankauf von nirgends in Deutschland als in der Staatsbibliothek zu Berlin vorhandener Literatur herauszubilden und auf veränderte Forschungsschwerpunkte wie etwa die ,Gender Studies‘ flexibel und zeitnah zu reagieren. Und nur so, durch Konzentration auf Schwerpunkte, ist die Bildung von ,Leuchttürmen‘ in der Wissens- und Informationsgesellschaft möglich. Nur wer über den Durchschnitt hinausragt, leuchtet und strahlt in die Ferne.
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„Nur was sich ändert, bleibt!“, rief Klaus-Dieter Lehmann anlässlich der Verabschiedung von Werner Knopp aus, „nicht im Sinn einer Wegwerfmentalität sondern ganz im Gegenteil, im Sinn einer neuen inhaltlichen Beziehung und einer neuen gestalterischen Aufbereitung.“18 Das gestaltende Aufbereiten des Erwerbungsprofils im Sinne einer neuen inhaltlichen Ausrichtung steht im Zeichen des Änderns, um das eigene Bleiben zu sichern. Denn die Staatsbibliothek zu Berlin wird ihre lokale, regionale, nationale und internationale Bedeutung als Dienstleistungsinstitution nur dann verteidigen und verfestigen können, wenn auf von außen einwirkende Veränderungen wie dem stagnierenden Erwerbungsetat mit einer Straffung des Profils reagiert wird. Der wissenschaftlich arbeitende Bibliotheksbenutzer erwartet keinen profanen Grundbestand von Büchern aller Disziplinen, zwischen denen mehr Lücken als tatsächlich vorhandene Werke klaffen, sondern eine profilscharfe und sauber konturierte Sammlung historischer und aktueller Werke, auf deren Qualität er vertrauen kann. Diesen Anspruch aufrechtzuerhalten, diente der Paradigmenwechsel.
18 Lehmann, Klaus-Dieter: Das Konzept des kulturellen Ensembles, in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz, Bd. XXXIV (1997), S. 22–27; hier S. 24.
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„WÄRMESTUBE“ ODER FORSCHUNGSBIBLIOTHEK WEM DIENEN DIE BEIDEN GROSSEN STAATSBIBLIOTHEKEN IN BERLIN UND MÜNCHEN ? FRANZ GEORG KALTWASSER
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ie Stabi fungiert als Studententreff, Eheanbahnungsinstitut des akademischen Nachwuchses und Wärmestube.1 Gemeint ist die Bayerische Staatsbibliothek. Ein großer Teil der Nutzung hat mehr den Charakter eines Hauses der Begegnung („Jahrmarkt“).2 Damit ist die Staatsbibliothek zu Berlin gemeint. Oder in Bezug auf dieselbe Bibliothek: der Lesesaal sei zum Heiratsmarkt für Juristen und Mediziner heruntergekommen, in dem ernsthafte Forschung unmöglich sei.3 Solche vielfach geäußerten Wahrnehmungen in der Öffentlichkeit müssen zum Nachdenken anregen; denn bei beiden Bibliotheken handelt es sich primär um Forschungseinrichtungen. Aber diese Funktion ist von einer anderen überlagert, die nicht nur nebenher läuft, sondern erstere massiv zu stören in der Lage ist: Die überaus große Beliebtheit des Scharounbaus bei den Studenten – etwa 70 % der Leser – hat zur Folge gehabt, dass die in Wissenschaft, Forschung und Lehre tätigen sogenannten „qualifizierten“ Benutzer, zu denen auch Doktoranten und Diplomanten zu rechnen sind, den Allgemeinen Lesesaal des Hauses Potsdamer Straße eher meiden, weil sie ggf. keinen Platz finden und ein ruhiges Arbeiten in den offenen Raumstrukturen nicht immer möglich ist. Es ist höchst unbefriedigend, wenn die Benutzergruppe, für die die Staatsbibliothek genuin ist, fernbleiben muss, weil ihr nicht die Arbeitsbedingungen geboten werden, die sie erwarten darf.4 Dieser höchst unbefriedigende Zustand hat weit in der Vergangenheit liegende Ursachen, deren Wirkungen jetzt verschärft hervor treten. Es ist die immer wieder zwiespältig beantwortete Frage, wem die beiden Hof- und dann Staatsbibliotheken 1 2
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Besprechung des Buches „Bayerische Staatsbibliothek. Ein Selbstporträt“, München 1997. In: Süddeutsche Zeitung, 7./8. März 1998. Die Zukunft der Staatsbibliothek zu Berlin. Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums des Innern vorgelegt von Hermann Leskien, Karl Wilhelm Neubauer und Paul Raabe. 10. September 1997 (= Staatsbibliothek zu Berlin. Mitteilungen. N. F. 6, 1997, Sonderheft). Niemals an die Leser denken. Der neue Präsident der Preußen-Stiftung muss die Staatsbibliothek reformieren. In: Die Welt. 23. Nov. 1998. Jammers, Antonius; Günter Baron; Hartmut List: Die Staatsbibliothek zu Berlin mit neuer Perspektive. Bemerkungen zur Bausituation und Bauplanung. In: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie. 47 (2000), S. 317–342, hier S. 327.
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in Berlin und München, die unabhängig von dem Lehr- und Forschungsbetrieb einer Universität sind, zu dienen haben, allein der Forschung oder zusätzlich einem allgemeinen Literaturbedürfnis, und daraus folgend, welchem Benutzerkreis, oder im McKinsey-Deutsch, welchen „Kunden“? Sie haben sich im Gegensatz zu den Nationalbibliotheken in London, Paris und anderenorts für ein sowohl als auch entschieden, dabei eine Präsenzhaltung der Bestände abgelehnt. Die folgenden Ausführungen beschäftigen sich nicht mit der weltweit anerkannten wissenschaftlichen Bedeutung und Benutzung der beiden Bibliotheken, sondern mit den Problemen, die durch anderweitige Benutzung entstehen. Die Überlegungen beziehen sich dabei auf die klassischen Bibliotheksmaterialien, also insbesondere die Bücher, und nicht auf die neuen Medien, die anderen Gesetzen unterliegen. Dabei zeigen sich zahlreiche Parallelen zwischen Berlin und München. Beide Hofbibliotheken, sowohl in Berlin wie in München, die sich noch vor dem kulturellen Umbruch durch die Französische Revolution aus privaten Fürstenbibliotheken zu öffentlichen Einrichtungen gewandelt hatten, wurden in den achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts zu Präsenzbibliotheken deklariert bei gleichzeitig großzügigen Öffnungszeiten. Dies geschah zur Beförderung der Wissenschaften für jedermann ohne Unterschied des Standes, wie es höchst liberal im Reskript des bayerischen Kurfürsten Karl Theodor im Jahr 1789 hieß.5 Strittig wurden jedoch schnell die Modalitäten der Benutzung der Bibliotheken, d. h. welche Benutzerschichten nun wirklich zuzulassen seien, wer dieser Jedermann in Wirklichkeit sei, und in welcher Form sie die Bibliotheken benutzen dürften. Es setzten sich schließlich die Befürworter von Ausleihbibliotheken, die auch für eine nicht-forschungsbezogene Benützung zu öffnen seien, gegen die Vertreter von Präsenzbibliotheken durch. In Berlin wurde die Präsenzhaltung vier Monate nach dem Tode König Friedrichs II. im Jahr 1786, der sie verordnet hatte, abgeschafft, in München auf das Betreiben vor allem von Mitgliedern der Bayerischen Akademie der Wissenschaften durch Kurfürst Max IV. Joseph im Jahr 1802.6 In München geriet die Ausleihe durch Unterlaufen der geltenden Bestimmungen bald außer Kontrolle. Der Direktor Karl August von Ringel stellte 1814 fest: Ich war bemüht, die seit einigen Jahren bei dem Ausleihen der Bücher aus der Hofbibliothek eingeschlichenen Missbräuche so viel möglich abzustellen, was nun freilich – da viele dieselbe als Leihebibliothek ansehen, da man von Seite der Akademie recht populär scheinen wollte, sogar den Aufwärtern in Kaffeehäusern Bücher ver-
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Kundmachung der Eröffnung der Churfürstlichen Hofbibliothek betreffend. In: Münchener Intelligenzblätter. 1789, 27tes Stück. Reskript vom 10. April 1802. Abgedruckt in: Churpfalzbaierisches Regierungs-Blatt. 1802, Sp. 287–290.
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abfolgte.7 Die Akademie der Wissenschaften, der die Hofbibliothek damals unterstand, war dem Sog der Quantität, der großen Zahl verfallen, ein auch heute wieder zu beobachtendes Phänomen. Es ging das Wort um vom „Ruin der Bibliothek“, da die ausgeliehenen Bücher, vor allem durch Schüler, oft stark misshandelt wurden. Den dadurch ausgelösten schweren Auseinandersetzungen innerhalb und außerhalb der Bibliothek suchte der Bibliothekar Martin Schrettinger mit einem Vorschlag zur Wiedereinrichtung der Präsenzhaltung der Bücher zu begegnen.8 Er konnte sich nicht durchsetzen. 1826 wurde die Universität von Landshut nach München verlegt. Die mitgebrachte Universitätsbibliothek stand auf einem hohen Niveau, sodass mit der Entlastung der Königlichen Hof- und Staatsbibliothek gerechnet werden konnte. Die Universitätsbibliothek geriet jedoch in den Schatten der viel leistungsfähigeren Hofbibliothek, wodurch sie jahrzehntelang zur Zweitrangigkeit herabsank. Die Studenten bestürmten die Hofbibliothek. Die 1828 erlassenen „Gesetze für den Besuch und die Benutzung der königlich Baierischen Hof- und Staatsbibliothek“9 suchten klare Verhältnisse zu schaffen, indem sie deklarierten, dass die Hof- und Staatsbibliothek nur zum Zwecke gelehrter Forschungen und Bearbeitungen zur Verfügung stehe, nicht aber für Lesen zur Unterhaltung. Dies stieß jedoch auf Kritik, die sich am heftigsten in einem Aufsatz in der Zeitschrift „Hesperus“ im Jahr 1829 artikulierte.10 Es prallten zwei ganz unterschiedliche Auffassungen aufeinander. Die „Gesetze“ wollten Ordnung in die verschluderte Praxis der wissenschaftlichen Bibliothek bringen. Dem stand eine andere, im „Hesperus“ propagierte extreme Auffassung gegenüber, gemäß der jedermann auch ohne wissenschaftlichen Zweck die Bibliothek benützen dürfe, auch zur reinen Unterhaltung. Die Auseinandersetzungen waren in der Folge heftig. Die Verhältnisse klärten sich auch nicht nach Einzug der Bibliothek in ihr neues Gebäude an der Ludwigstraße im Jahr 1843. Es wurde eher noch schlimmer: Es kommen junge Leute auf die Bibliothek, die keine andere Absicht bey diesem Besuch zu haben scheinen, als ein warmes Zimmer oder ein paar Stunden Unterhaltung zu finden. So der Direktor Philipp Lichtenthaler.11 Es taucht also bereits vor anderthalb Jahrhunderten die „Wärmestube“ auf.
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Kopie des Schreibens an König Max I. in: BSB, A-Reg. A 73 a – XIII, Nr. 53. Schrettinger, Martin: Ansichten und Vorschläge. Das Lesezimmer und Ausleihgeschäft in der k. Hofbibliothek betreffend. Nov. 1826. In: BSB, A.Reg, A 21, Nr. 9. 9 Gesetze für den Besuch und die Benutzung der königlich Baierischen Hof- und Staatsbibliothek. München 1829. 10 Trauer der Literaturfreunde in München. In: Hesperus. Encyclopädische Zeitschrift für gebildete Leser. Stuttgart und Tübingen. 1829, S. 602/603, 610/611, 616, 619, 624 und 627. 11 Entwurf eines Schreibens vom 20. Februar 1851 an das Staatsministerium des Innern. In: BSB, A-Reg. A 23, Nr. 51.
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In Berlin wurde die Situation der Königlichen Bibliothek zu Beginn des 19. Jahrhunderts grundsätzlich und auf Dauer entscheidend durch die von Wilhelm von Humboldt betriebene Errichtung einer neuen preußischen Universität bestimmt. Für Berlin als Ort der neuen Universität sprach nach Humboldts Meinung das Vorhandensein verschiedener Einrichtungen und Sammlungen, wobei die Königliche Bibliothek ausdrücklich die Rolle einer Universitätsbibliothek übernehmen sollte. Diese aus der Sparsamkeit, aber wohl auch aus dem Humboldtschen Ideal der Einheit von Lehre und Forschung entsprungene Vorstellung der Übernahme der Funktion einer Universitätsbibliothek durch die Königliche Bibliothek verbaute letzterer wohl für immer den Weg zu einer in Berlin ansässigen „Nationalbibliothek“. Es stellte sich im Laufe der Zeit heraus, dass die Königliche Bibliothek die Funktion einer Universitätsbibliothek nur dadurch zufriedenstellend erfüllen konnte, indem sie den Studenten Lehr- und Handbücher, ferner Klassikerausgaben in Mehrfachexemplaren zur Verfügung stellte, die dann so, wie in München, in einem oft kläglichen Zustand in die Bibliothek zurückgelangten. Schließlich führten die immer unzuträglicheren Zustände doch zur Gründung einer eigenen Universitätsbibliothek, die allerdings noch lange Zeit in Abhängigkeit der Königlichen Bibliothek blieb, und im übrigen heillos unterdotiert war. Die Ausleihpraxis der Königlichen Bibliothek wurde mit extremer Großzügigkeit gehandhabt. Den in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts angestellten Überlegungen, die Königliche Bibliothek zur Präsenzbibliothek umzugestalten, erteilte der Historiker Heinrich von Treitschke als Sprachrohr des „allmächtigen Ministerialdirektors“ Friedrich Althoff eine mit polemischen und nationalen Argumenten durchsetzte Absage: Und noch weniger kann ein Unbefangener wünschen, daß wir, um fremden Vorbildern nachzuahmen, das Einzige aufgeben sollten was unsere Büchereien vor dem Ausland voraus haben, die unvergleichliche Liberalität der deutschen Bibliotheksverwaltung.12 Und, den wohl wahren Grund unterstützend, die reine Bequemlichkeit und die Gewohnheit der deutschen Stubengelehrsamkeit: Mit diesen Verhältnissen hat die deutsche Verwaltung zu rechnen; sie darf nicht ausländischen Mustern zu Liebe die Wirksamkeit unserer Bibliotheken gefährden, noch die tief eingewurzelten Gewohnheiten der deutschen Gelehrsamkeit stören.13 Das Spitzweg-Idyll des heimischen Stubengelehrten wurde zum deutschen Dogma, auf das man sich auch in München bezog.14 12 Treitschke, Heinrich von: Die Königliche Bibliothek in Berlin. In: Preußische Jahrbücher. 53. (1884), S. 473–492, hier S. 483/484. 13 Treitschke, a.a.O., S. 473. 14 Petzet, Erich: Die Zentralisierungsbestrebungen im deutschen Bibliothekswesen und die bayrischen Bibliotheken. In: Süddeutsche Monatshefte. Stuttgart 3. (1906), Heft 5, S. 524–545, hier S. 540.
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Freilich erkannte auch Treitschke die ständig zunehmende Überlastung der Königlichen Bibliothek durch eine unwillkommene und unberufene Kundschaft15, womit er Studenten und rein berufsbezogene Benutzer wie Juristen meinte. Er musste sogar zugeben, dass die Überbenutzung und die ständige Ausleihe vieler Bücher dazu geführt hatten, dass die Berliner Bibliothek von auswärtigen Gelehrten sehr wenig in Anspruch genommen wird. Sie suchten ihr Glück in einer minder reichen, aber minder stark benutzten Provincialsammlung. In diesem Zusammenhang taucht wohl zum ersten Mal anstelle des Benutzers der Bibliothek der heute so umworbene „Kunde“ auf, wenn auch mit negativen Vorzeichen. Treitschke suchte zwar die Tore, die er so weit geöffnet hatte und durch die zunehmend die „unberufene Kundschaft“ herein kam, wieder ein wenig zu schließen, indem er die große Königliche Bibliothek zunächst für die productiven Wissenschaften bestimmt sah16, also für den Forscher. Die „rezeptive“ Benutzung, wie es bei den meisten Studenten der Fall ist, die nur auf Berufsexamina hinarbeiten, und für die Nachschlagewerke in Mehrfachexemplaren benötigt werden, gehörte demnach nicht in die Forschungsbibliothek. Doch die Tore ließen sich nicht mehr schließen. Bald war in Berlin die Königliche Bibliothek von rezeptiv arbeitenden Studenten überlaufen: Der Lesesaal derselben ist von vielen Personen besucht worden, besonders von Studenten, die hier, namentlich im Winter, einen Unterschlupf für sonst verlorene Stunden suchten […] Sie mussten hier an einer falschen Stelle ein passendes Unterkommen suchen, weil die Anstalt, die ihnen das hätte bieten sollen, die Universitätsbibliothek, zu überfüllt war und auch nicht die nötigen Bücher besaß.17 Derweilen baute Adolf von Harnack, Generaldirektor der Kgl. Bibliothek im Nebenamt, die Bibliothek auch noch zur „nationalen Ausleihe-Bibliothek“ aus und lehnte die Einrichtung derselben als Präsenzbibliothek für die Forschung ab. Er wollte damit den „deutschen Gelehrten“ im ganzen Land die Möglichkeit geben, weiterhin die Bücher der Bibliothek zu Hause bei der Lampe zu studieren.18 Seit ihrer Gründung spielte also in Berlin die Königliche Bibliothek in einem erheblichen Umfang auch die Rolle einer Universitätsbibliothek. Das war in einem noch größeren Ausmaß als in München der Fall, wo die im Vergleich zur Berliner
15 Treitschke, a.a.O., S. 488. 16 Treitschke, a.a.O., S. 489. 17 Hartwig, Otto: Zum Neubau der Königlichen Bibliothek Berlin. In: Die Nation. 15 (1897/98), S. 748. 18 Harnack, Adolf: Die Königliche Bibliothek zu Berlin. In: Harnack, Adolf: Aus Wissenschaft und Leben. 1. Bd. Giessen 1911, S. 127–162, hier S. 136. Nachgedruckt in: Harnack, Adolf: Wissenschaftspolitische Reden und Aufsätze. Zusammengestellt und hrsg. von Bernhard Fabian. Hildesheim 2001, S. 106–112, hier S. 111.
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Königlichen Bibliothek im 19. Jahrhundert viel größere Königliche Hof- und Staatsbibliothek zunächst allein stand und erst im Jahr 1826 durch die von Landshut nach München verlegte Universität mit der studentischen Benutzung konfrontiert wurde. In beiden Städten beklagte man die Überbenutzung der Bibliotheken durch Studenten, ohne dass Abhilfe geschaffen wurde. Daran änderte auch die Ansicht der bayerischen Kammer der Abgeordneten im Jahr 1906 nichts, dass die Studenten zuerst auf die Universitätsbibliothek zu verweisen seien. Sie suchten weiterhin ihre Literatur vor allem in der Hof- und Staatsbibliothek. Die Professoren aber entfernten sich in dem Grade zunehmend von der Hof- und Staatsbibliothek, in welchem sie anstelle ihrer bisherigen Privatbibliotheken Präsenzbibliotheken mit beschränktem Zugang als eigene Seminarbibliotheken einrichteten. Die fächerübergreifende persönliche Begegnung mit der Forschungsliteratur in der Staatsbibliothek, wie sie noch der Erwerbungschef der Bibliothek, Emil Gratzl, beschrieben hatte, schlief ein: Für die alte Generation unserer gelehrten Benützer jedenfalls kann ich bezeugen, daß sie den Novitätentisch der Staatsbibliothek viel weniger dazu aufsuchten, um auf ihrem engsten Gebiet auf dem laufenden zu bleiben, sondern um entsprechend ihrem weiten Gesichtskreis zu sehen, was ausserhalb ihres Faches gearbeitet werde.19 Ein weiteres gravierendes Problem kam gegen Ende des 19. Jahrhunderts verstärkt auf die großen wissenschaftlichen Bibliotheken durch das Literaturbedürfnis des wachsenden Bildungsbürgertums zu. Im angloamerikanischen Bereich wurde ab der Mitte des 19. Jahrhunderts diesem Bedürfnis durch die Einrichtung von Public Libraries rechtzeitig Rechnung getragen, wobei in den USA die Boston Public Library zum Vorbild wurde. Erst die „Bücherhallenbewegung“ suchte „die Öffentliche Bibliothek als regelmäßige Bildungsanstalt für alle Volksschichten, als festes Glied im System des nationalen Bildungswesens“ (Constantin Nörrenberg) zu etablieren. Doch war es schwierig, die wachsende neue Leserschicht auf die nun langsam entstehenden Öffentlichen Büchereien umzupolen. Es kam hinzu, dass auch damals Bibliothekare wiederum dem verführerischen Reiz der großen Zahlen unterlagen, der Zahl der Benutzer, und sie besannen sich nicht immer auf die Kernaufgaben ihrer Bibliothek. Der noch junge, aber nachdenkliche Münchner Bibliothekar Erich Petzet beklagte 1906 die Missstände der üblich gewordenen Fehlbenutzung und kritisierte die pure Quantitätssteigerung: Die Bibliothek habe eine höhere Aufgabe als die Steigerung der Benutzungsziffern und das Heranziehen populärer Kostgänger. Er empfahl die Einführung von Benutzerkarten, wie in Berlin, London oder Paris, um die Bibliothek vor unberufner Kundschaft zu schützen. Die 19 Gratzl, Emil: Erinnerungen aus der k. Hof- und Staatsbibliothek. 1945. Eigenhändiges Manuskript. In: BSB, Gratzliana E 1 b.
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großen Zentralbibliotheken dürfen eben nicht als Wärmestuben überfüllt und ihrer Bestimmung ernster Arbeit entfremdet werden. Und: Es ist dann doch zu beachten, wie sehr der im Lesesaal zusammenströmende Wissensdurst vom Wetter abhängig ist, und wie manche Wintergäste beim Beginn des Karnevals oder der wärmeren Jahreszeit ausbleiben.20 Auch die bayerische Kammer der Abgeordneten beschäftigte sich 1906 mit der Lage der Hof- und Staatsbibliothek und stellte fest, daß die Staatsbibliothek ein wissenschaftliches Institut sei, nicht eine Volkslesehalle oder eine Wärmestube.21 Nach dem Ersten Weltkrieg setzt eine erneute Unsicherheit über das Rollenverständnis der, wie sie nun hieß, Bayerischen Staatsbibliothek ein. Man mutmaßte zumindest, dass Hans Schnorr von Carolsfeld den Plan habe, aus der Staatsbibliothek eine Volksbibliothek zu machen, nur um den Wünschen der jetzigen Machthaber entgegen zu kommen.22 Am 7. November 1918 hatte Kurt Eisner den „Freien Volksstaat Bayern“ ausgerufen. Nun, das war eine kurze Episode. Grundsätzlicher wurde man im „Dritten Reich“. Seit 1933 gingen die Benutzungszahlen der großen wissenschaftlichen Bibliotheken infolge des durch die nationalsozialistische Politik bedingten geistigen Aderlasses unter den Wissenschaftlern und der damit einhergehenden Verflachung der Wissenschaft stark zurück. Diesem Trend setzt der ab 1935 amtierende Generaldirektor Rudolf Buttmann eine Politik der Öffnung der Bayerischen Staatsbibliothek für noch weitere Kreise entgegen. Er plädierte nun eindeutig für eine Umgestaltung der Bibliothek in Richtung Öffentlicher Bücherei. Er wollte, dass die Bibliothek von sich aus näher an den Mann auf der Straße heranrückt.23 Dem „Volksgenossen solle die Furcht vor dem feierlichen Aufgang genommen werden. Der „Völkische Beobachter“ bemerkt dazu, die Aufgabe der Bibliothek umschreibend: Neuer Lebensmut und neue Lebensfreude sollten in das Volk aus der Bibliothek hineinströmen. Der Zweite Weltkrieg brachte andere Sorgen. Danach war die Preußische Staatsbibliothek zersplittert und auch die Bayerische Staatsbibliothek lag zu großen Tei20 Petztet; Erich: Die Zentralisierungsbestrebungen im deutschen Bibliothekswesen und die bayrischen Bibliotheken. In: Süddeutsche Monatshefte. Stuttgart. 3 (1906), Heft 5, S. 524–545, hier S. 538 und 542/543. 21 Stenographischer Bericht über die Verhandlungen der bayerischen Kammer der Abgeordneten. 171. öffentliche Sitzung. 11. Juli 1906. In: Verhandlungen der Kammer der Abgeordneten des bayerischen Landtages im Jahr 1905/1906. V. Band. München 1906, S. 302–309. 22 Eigenhändiger Brief von Michael Philipp (Bibliotheksrat an der Bayerischen Staatsbibliothek von 1895–1932) an Georg Wolff vom 1. XII. 1918. In: Universitätsbibliothek München, Abt. Handschriften, Nachlässe, alte Drucke, Nachlass G. Wolff. 23 „Näher an den Mann der Straße heran!“ Feierliche Einweihung der neuen Räume der Bayerischen Staatsbibliothek. In: Völkischer Beobachter. Münchener Ausgabe vom 23.Februar 1937, Beiblatt „Münchener Beobachter“.
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len in Trümmern. In München glaubte man kurzfristig, die Probleme zwischen Universitätsbibliothek und Bayerischer Staatsbibliothek durch Zusammenlegung beider Institute lösen zu können. Dazu kam es nicht und es wäre angesichts des dann einsetzenden rasanten Wachstums der Zahl der Studenten auch keine akzeptable Lösung geworden. Nach dem Zweiten Weltkrieg schrieb Wieland Schmidt 1967 der Stiftung Preußischer Kulturbesitz anlässlich der Errichtung der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz in Westberlin weitsichtig ins Stammbuch, dass diese Bibliothek vor allem für die produktive Wissenschaft bestimmt sei: Obwohl diese Entwicklung in aller Bewusstsein ist, will man es doch nicht wahrhaben, noch nicht wahrhaben, daß unsere Universalbibliotheken in der Erfüllung zweier verschiedener Benutzerkategorien dauernd überbeansprucht sind und den Bedürfnissen weder des einen noch des anderen Typus in vollem Umfang und zufriedenstellend entsprechen können.24 Die Worte verhallten. Nach der Eröffnung der Westberliner Staatsbibliothek entstand zunächst angesichts des großen Gebäudes ein horror vacui. Auch wenn man den Forschungscharakter der Bibliothek beteuerte, öffnete man sie weit für Studenten jeden Semesters.25 Völlig gleich dachte man in dieser Hinsicht auch in der Deutschen Staatsbibliothek in Ostberlin.26 In meiner Antrittsrede als Direktor der Bayerischen Staatsbibliothek im Februar 1972 habe ich auf die ungelösten Fragen der Literaturversorgung für Lehre einerseits und Forschung andererseits hingewiesen und Lösungen eingefordert.27 Doch zunächst wirkten sich die „Empfehlungen des bayerischen Beirats für Wissenschafts- und Hochschulfragen zum Erwerb des Büchergrundbestandes und zur Sicherung der Literaturversorgung an den bayerischen Universitäten“ aus den Jahren 1982 und 1983 noch negativer auf die Münchner Verhältnisse aus, da der Beirat es ablehnte, die ganz unterschiedlichen Zahlen der Studenten an den einzelnen Universitäten als Faktor in die Berechnungen einzubringen, was der Massenversorgung mit Literatur in München nicht gerecht wurde und die angespannte Literaturversorgung in München weiter verschlechterte. In den achtziger Jahren eskalierte die Situation und es kam zu heftigen Diskussionen in der Öffentlichkeit. Schließlich griff der Landtagsabgeordnete Erich Schosser in der Landtagsinterpellation „Literatur und Sprache“ die Problematik auf und sagte unter anderem: Für 24 Schmidt, Wieland: Die Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz. Wesen und Aufgaben. In: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz. 1967. Köln, Berlin 1986, S. 63. 25 Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz. Bibliotheksführer. Berlin 1980, S. 12. 26 Deutsche Staatsbibliothek: Wissenswertes über die Bestände und ihre Nutzung. Berlin 1987, S. 6. 27 Kaltwasser, Franz Georg: Die Aufgaben der Bayerischen Staatsbibliothek. Rede bei der Amtseinführung als Direktor der Bayerischen Staatsbibliothek. In: Bibliotheksforum Bayern. 1/1973, S. 4–11.
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wissenschaftliche Arbeiten ist sie [die Bayerische Staatsbibliothek] für viele Forscher aller Kontinente zur Quelle ihrer Arbeit geworden. Diese außerordentliche globale Aufgabe ist bedroht, weil sie vor allgemeinem Publikumsansturm sich nicht mehr retten kann.28 Die daraufhin eingesetzte Arbeitsgruppe, die im Jahr 1990 „Empfehlungen zur Verbesserung der Literaturversorgung an der Ludwig-Maximilians-Universität“ ausarbeitete, argumentierte im Sinne der Landtagsinterpellation: Es gibt wohl keine Bibliothek auf der Welt, die in den letzten Jahrzehnten aufgrund einer ungesteuerten Entwicklung in eine solche Doppelrolle gedrängt wurde wie die Bayerische Staatsbibliothek […] Dies hat zu einer kritischen Situation der Bayerischen Staatsbibliothek geführt, die ihren guten Bestand den Wissenschaftlern nur ungenügend darbieten kann und deren Bücher zum Teil verschlissen werden. Die unterschiedlichen Benützerströme behindern sich gegenseitig. […] Es ist notwendig, die Bayerische Staatsbibliothek wieder stärker in ihre Rolle als Forschungsbibliothek einzusetzen.29 Das war jedoch in den Wind gesprochen. Das einzige konkrete Ergebnis dieser „Empfehlungen“ war die Anschaffung eines Bücherautos für die Universitätsbibliothek! Der damalige Prorektor, Professor Wolfgang Frühwald, der spätere Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, sah das Anliegen der Arbeitsgruppe, deren Mitglied er gewesen war, als nicht erfüllt an. Er hielt es daher für angemessen, die in den „Empfehlungen“ für den Fall, dass keine andere Lösung gefunden würde, vorgeschlagene Maßnahme zu ergreifen, durch schroffe Restriktionen die große Mehrzahl der Studierenden von der Ausleihe der Bayerischen Staatsbibliothek fernzuhalten.30 Eine solche Maßnahme seitens der Staatsbibliothek ohne deutliche politische Rückendeckung durchzuführen, hätte wohl unabsehbare – oder vielleicht auch absehbare – Folgen gehabt, die das Problem jedenfalls nicht gelöst hätten. So blieb es bei den bestehenden Verhältnissen. 1993 waren die im politischen und wissenschaftlichen Raum angestellten Überlegungen zur angespannten Situation der studentischen Literaturversorgung in München und deren schädliche Folgen schlagartig vergessen. Die Bayerische Staatsbibliothek begab sich auf den Weg hin zu einer Allgemeinbibliothek für einen größeren, wenn auch nicht genau definierten „Kundenkreis“. Auf diesem Weg sehen wir sie zurzeit, ganz genau wie die Staatsbibliothek zu Berlin. Nach der Wiedervereinigung zeitigte die weite Öffnung der Westberliner Staatsbibliothek dramatische Folgen. Man nahm sie hin: Das Problem der Übernutzung der Staatsbibliothek durch das studentische Publikum ist natürlich auch schon lange in
28 Bayerischer Landtag. 11. Wahlperiode. Plenarprotokoll 11/92. 16. 03. 1989, S. 6461. 29 Empfehlungen zur Verbesserung der Literaturversorgung an der Ludwig-Maximilians-Universität. München 1990. 30 A.a.O., S. 26/27.
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FRANZ GEORG KALTWASSER
den Gremien der Stiftung und insbesondere auch im Hinblick auf einen besseren Ausbau der Hochschulbibliotheken diskutiert worden – ein weites, ein zu weites Feld – aber es würde ohnehin nichts weiter nützen, der Scharounbau ist die beliebteste Universitätsbibliothek Berlins und wird es wohl bleiben. Zugangsbeschränkungen lehnen wir ab. Es müssen andere Lösungen gefunden werden.31 „Die beliebteste Universitätsbibliothek Berlins“! Die Staatsbibliothek ist für alle da, sagte der Pressesprecher der SBB, aber sie sollten nicht alle auf einmal kommen, lautete der fromme Wunsch.32 Das Projekt „SBB 2011“ sieht darüber hinaus sogar die „Erschließung neuer Benutzergruppen in der Hauptstadt Berlin“ vor.33 In München wird die „Erschließung neuer „Benutzergruppen“ für die Bibliotheken und damit auch für die Bayerische Staatsbibliothek gar als ein Kampf um „Kunden“ angesehen: Jede Bibliothek wird zu beweisen haben, dass sie auf dem Markt bibliothekarischer Leistungen im Geflecht von Angebot und Nachfrage eine erfolgreiche Position einnehmen kann. Wir leben in einer Risikogesellschaft, in der wirksames Chaos-Management mehr zählt als solideste Verwaltungskenntnis. Die Fähigkeit zur Anpassung und zum schnellen Wandel wird über Erfolg oder Nichterfolg auf dem Markt entscheiden.34 Dass eine solche „Kunden“-orientierte Politik auch Einfluss auf Erwerbung, Erschließung und Benutzung hat, versteht sich. Es gibt aber in jüngster Zeit auch eine neue Bedenklichkeit bezüglich des Rollenverständnisses einer der beiden Staatsbibliotheken: Die Staatsbibliothek [zu Berlin] besitzt nicht erst seit gestern ein gewisses „Identitätsproblem“, aufgrund dessen sie sich energischer als früher fragen muss: ,An wen wenden wir uns, für wen arbeiten wir?‘ Die Staatsbibliothek verfügt nun einmal nicht wie eine Universitätsbibliothek über eine fest umrissene Klientel […], sondern widmet sich mit einer gewissen Uneindeutigkeit, den „Wissenschaftlich Arbeitenden“ – wer immer das sein mag. Wer ist denn eigentlich der Forscher, von dem wir so gerne reden?35 In der Tat: nicht ein im Unbestimmten 31 Baron, Günter: Service-oriented Concept of a State Library. Deutschsprachige Fassung eines Referates auf der British-German Conference 2000. In: Staatsbibliothek zu Berlin. Mitteilungen. N.F. 10 (2001), Nr. 1, S. 62–71, hier S.65. 32 Schwersky, Uwe. In: Staatsbibliothek täglich überfüllt: Abiturienten kontra Studenten. In: Die Welt. Ausgabe D. Berlin, 18.01.2003. 33 Schneider-Kempf, Barbara und Martin Hollender: „Evolutionär, nicht revolutionär“. Die Optimierung von Funktionen und Strukturen der Staatsbibliothek zu Berlin im Rahmen der stratetic review „SBB 2011“ – Erste Erfahrungen. In: Bibliotheken führen und entwickeln. Festschrift für Jürgen Hering zum 65. Geburtstag. München 2002, S. 130–135, hier S. 134. 34 Leskien, Hermann: Ein Zeitalter für Bibliotheken. Vielfältig gewandelte Rahmenbedingungen erfordern eine tiefgreifende Neuorientierung. In: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie. 44 (1997), S. 1–19, hier S. 14. 35 Amtseinführung der Generaldirektorin der Staatsbibliothek zu Berlin. In: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz. 40. Berlin 2004, S. 49–57: Rede von Barbara Schneider-Kempf anlässlich ihrer Amtseinführung, hier S. 53
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bleibender, sich ständig wandelnder „Markt“ sollte das bibliothekarische Geschehen der großen Staatsbibliotheken bestimmen, sondern ein Konkretisierung der Zielsetzung im Dienste der Forschung. Es ist dies die lange Geschichte eines höchst unbefriedigenden Zustandes, die hier in aller Kürze in ausgewählten Beispielen erzählt wurde. Sie zeigt, dass in den großen Staatsbibliotheken in Berlin und in München durch den Mangel klarer Zielvorstellungen Probleme über zwei Jahrhunderte hin ungelöst blieben, die in London, Paris, Washington und in weiteren anderen Länder besser gelöst worden sind. Doch heute scheint es außer Frage zu stehen, dass angesichts weiter steigender Studentenzahlen und insbesondere durch die zur Zeit erheblich anders organisierten Ausbildungsgänge an den Universitäten, die sich das Bologna-Modell der berufsbezogenen Bachelor-Ausbildung zu eigen machen, auch die Literaturversorgung für die studentische Lehre gegenüber der forschungsrelevanten endlich besser abgesetzt werden muss, wenn es nicht zum Schaden der Forschung zu weiteren Verwerfungen kommen soll. Es zeigt sich heute, wie schädlich es ist, dass es in Deutschland nicht zur Ausbildung von Undergraduate Libraries gekommen ist. Deren Aufgabe können jedoch die großen Forschungsbibliotheken mit Archivcharakter je länger, je weniger übernehmen. Die moderne Informationstechnologie wird hierzu Lösungen anbieten können. Darüber ein anderes Mal.36
36 Die hier vorgelegten Ausführungen und Gedanken behandele ich eingehender in einem größeren Rahmen, den ich in Bälde in Buchform zu publizieren gedenke, wobei ich Vorschläge zur Behebung der unbefriedigenden Zustände durch den Einsatz neuer Techniken machen werde.
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DER NEUE LESESAAL DER STAATSBIBLIOTHEK UNTER DEN LINDEN EINE PROJEKTSKIZZE UND EIN HAIKU HG MERZ
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BÜCHERGÄRTEN UNTER KUNSTSTOFFHIMMELN IMPRESSIONEN AUS DER BERLINER STAATSBIBLIOTHEK AM KEMPERPLATZ HEINRICH WEFING
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ie Staatsbibliothek am Berliner Kemperplatz betritt man nicht einfach – man steigt in sie auf. Sechs Meter Höhenunterschied liegen zwischen dem düsteren Foyer im Erdgeschoß und der Weite der Lesesäle. Die breitgelagerte Treppe aber, die oben und unten verbindet, ist so bequem, ihre Anordnung im Raum derart logisch, ja verlockend, daß man die Steigung kaum wahrnimmt. Der Eintretende verläßt den Steinbelag des Windfangs, passiert die Einlaßkontrolle, wechselt auf Teppichboden, der den Auftritt dämpft, und aus dem gewohnten Gang wird beinahe notwendig ein Schreiten. Man kann die – mit Thomas Mann zu sprechen – „in splendider Langsamkeit sich hebenden Stufen“ nicht erklimmen, man muß schlendern, beinahe schweben; oder immer zwei Stufen auf einmal nehmen. Das eigenwillige Steigungsverhältnis hebt den Besucher aus dem Alltag empor, heraus aus der Hektik der Straße. Die Treppe bildet eine Schwelle, bietet dem eintretenden Leser ein Passagenerlebnis, das ihn subtil auf das spezifische Reizklima dieser Bibliothek vorbereitet. Es ist durchaus symptomatisch für das Lebensgefühl in der „Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz“, daß die Treppe nicht in einen zentralen Katalograum führt oder gleich ins Allerheiligste, die Lesehalle, sondern vor den Schwingtüren der Cafeteria endet. Wer in einem der gut zehn Millionen Bände aus den Magazinen blättern will, der muß sich noch einmal umwenden und weitere Stufen erklimmen, ehe sich vor ihm die terrassierte Landschaft des Lesesaals entfaltet. In dessen angeregter Stille vereinzeln sich, in ihren Papieren raschelnd, die Besucher – nur um sich in der dampfenden Enge der Cafeteria einander wieder anzunähern. Dort hat die Stimme der Leser alle Freiheit, dort dürfen die Bedürfnisse befriedigt werden, die in den Hallen des Geistes verboten sind: Essen, Trinken, Rauchen, Lachen, Reden. Die Cafeteria der Stabi, vom Angebot her eine veritable Mensa, räumlich eher eine Eckkneipe, ist ein Marktplatz intellektueller Möglichkeiten, eine Oase des Sozialen für vereinsamte Forscher, Zwischenlager ihrer Lesefrüchte und Schaufenster possierlicher Eitelkeiten. Es wäre vielleicht einmal ein lohnender Gegenstand für eine wissenschaftshistorische Studie zu untersuchen, wie viele Buchideen über die Jahre in diesem halböffentlichen Berliner Salon entstanden sind, wie viele
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HEINRICH WEFING Staatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße, Blick von der Cafeteria in die Eingangshalle Foto: Florian Bolk
akademische Intrigen dort gesponnen wurden, wer in dem Stauraum der Gelehrsamkeit wem begegnet ist und wie viele Dissertationsprojekte dort über Milchkaffee, selbstgedrehten Zigaretten oder Mineralwasser verplaudert wurden. Die West-Berliner Geistesgeschichte der achtziger Jahre jedenfalls läßt sich vermutlich kaum ohne den Kreuzungspunkt von Lebenswegen und Lektürepfaden am Kulturforum verstehen. Freilich darf man sich auch den Lesesaal nicht als körperlosen Reflexionsraum vorstellen. Auf den Balkonen und Plateaus, auf den Treppen und zumal in der neunzehn Meter hohen Osthalle herrscht mitunter die Geschäftigkeit eines Basars. Handys fiepen, Kopierer rauschen, Blicke schweifen, Grüppchen hocken beieinander und palavern, und beileibe nicht nur über Fachfragen. Denn die Stabi ist auch ein erotischer Ort. Die konstante Raumtemperatur von einundzwanzig Grad und eine Luftfeuchtigkeit von stets um die fünfzig Prozent, stabilisiert von mächtigen Klimaanlagen unter dem Dach, führen zu einer gewissen Nachlässigkeit der Kleidung, fördern die Neigung zur Enthüllung und damit die Ablenkung der Schauenden. Tatsächlich kann es gelegentlich lohnender sein, die Mädchen respektive Jünglinge zu studieren als die Druckerzeugnisse. Wer je eine Weile in dieser Bibliothek
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gearbeitet hat, weiß, daß dort bisweilen die Kontakte schneller entstehen als die Fußnotenapparate unter Magisterarbeiten. Und für mindestens eine Ehe, die im Lesesaal der Stabi angebahnt wurde, kann sich der Verfasser dieser Zeilen verbürgen. All diese Vorgänge, die ja mit dem originären Daseinszweck einer Bibliothek, dem Sammeln und Horten von Büchern, Handschriften, Landkarten und vielerlei anderen Aufzeichnungen, recht eigentlich nichts zu tun haben, sind Ausweis des ungeheueren Erfolgs der Berliner Staatsbibliothek. Das von Hans Scharoun entworfene, nach schier endloser Planungs- und Bauzeit 1978 eröffnete Haus ist das selbstverständliche Zentrum der Berliner Bücherwelt. Es ist, bei aller Liebe für den Stammsitz der alten Preußischen Staatsbibliothek im imposanten Ihne-Bau Unter den Linden, was die Museumsinsel für die Kunst oder die Philharmonie für die Musik der Hauptstadt sind: Mittelpunkt. Maßstab. Und Magnet für das Publikum, das fast täglich in Scharen herbeiströmt. Als der Neubau vor gut fünfundzwanzig Jahren eingeweiht wurde, herrschte dort noch akademische Ruhe und ein formidabler Service. „Der Weg zum Buch ist kurz und schnell“, schwärmte eine Berliner Zeitung seinerzeit anläßlich der Stabi-Eröffnung. „Was nicht in den Regalen steht, wird über die mechanische Förderanlage in höchstens fünfundzwanzig Minuten angeliefert.“ Heute dauert die Ausleihe im besten Fall ein paar Stunden, und an vielen Vormittagen weist ein Schild im Foyer Spätaufsteher ab, der Lesesaal sei wegen Überfüllung geschlossen. Vor allem Juristen und Mediziner, vom Zwang getrieben, für tausenderlei Prüfungen zu pauken, lieben den goldglänzenden Bücherbuckel als Lernort. Alle Versuche, nach dem Vorbild anderer Nationalbibliotheken den Zugang zur Stabi vom Nachweis akademischer Forschungsvorhaben
Lesesaal der Staatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße Foto: Florian Bolk
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abhängig zu machen, würden sie vermutlich mit zivilem Ungehorsam, mit Sitzblockaden oder Selbstfesselungen, beantworten. Diese innige Zuneigung der Leserschaft hat viele Gründe. Da ist, natürlich, zuvörderst der Reichtum der Bücherschätze, die die Stabi bereithält. Hinzu kommen die offenbaren Schwächen der diversen Universitätsbibliotheken Berlins und, trotz der Amerika-Gedenkbibliothek, das Fehlen einer leistungsfähigen, attraktiven Kommunalbibliothek, die nach dem Vorbild der amerikanischen „Public libraries“ den Lesehunger der Stadtbürgerschaft befriedigen könnte. All diese Aufgaben muß die Staatsbibliothek gleichsam nebenbei miterledigen, ohne über die entsprechenden Ressourcen zu verfügen. Schließlich wird ihre Anziehungskraft vom Reiz ihrer Räume gesteigert, denen Wim Wenders im „Himmel über Berlin“ ein filmisches Denkmal gesetzt hat. Die von Scharoun entworfenen hängenden Büchergärten sind ohne Vorbild: eine vielfach gebrochene architektonische Großplastik mit weit auskragenden Balkonen, grazilen Wendeltreppen, Betonfelsen, Stützenbäumen, Tälern und einem lichten Kunststoffhimmel. Wer sie zu beschreiben versucht, dem schleicht sich fast unvermeidlich etwas Metaphorisches in die Sprache: Landschaftsbilder zumeist oder Märchenmotive. „Scharounesk“ sei der Bau, heißt es, und das
Lesesaal der Staatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße Foto: Florian Bolk
BÜCHERGÄRTEN UNTER KUNSTSTOFFHIMMELN
bedeutet auch: er besitzt Katakomben, in deren Raumfalten Penner schnarchen, er hat Ecken und nutzlose Winkel – und klitzekleine Büros. Die Weitläufigkeit der Lesehallen jedenfalls steht in denkbar scharfem Kontrast zur Kargheit der nichtöffentlichen Räume. Der langjährige Direktor des Hauses, Günter Baron, hat denn auch 1999 in seiner Rede zum zwanzigjährigen Jubiläum darüber spekuliert, ob die „asketische Seite des bibliothekarischen Berufes in der Gestaltung der Verwaltungsbereiche ihren Ausdruck finden sollte.“ Der fabelhafte Erfolg der Stabi, der Bibliothekaren und Nutzern längst auch zur Last geworden ist, mutet freilich um so erstaunlicher an, als dort mindestens in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre Arbeitsbedingungen herrschten, die alles andere als ideal waren. Während vor den Augen der Plauderer in der Cafeteria erst die Mauer fiel, dann der Potsdamer Platz sich von einer versteppten Brache in ein gigantisches Baufeld verwandelte und schließlich das Musicaltheater emporwuchs, dessen Rückseite heute den freien Blick nach Osten verstellt, ächzte der Bücherapparat immer vernehmlicher unter der Überlast. Die Magazinkapazitäten waren schon 1986, zehn Jahre nach der Eröffnung des Baus, erschöpft gewesen, die Kataloge blieben lange so zerklüftet, wie Kriegswirren und deutsche Teilung sie hinterlassen hatten, und die Besucher begannen auf Treppenabsätze oder den Fußboden auszuweichen, um nur irgendwie lesen und exzerpieren zu können. Manches hat sich seither zum Besseren gewandelt. In die Kataloge hat das elektronische Zeitalter Einzug gehalten; die Öffnungszeiten wurden gelinde verlängert, wiewohl die Nutzung rund um die Uhr, an sieben Tagen jeder Woche, ein ferner Traum bleibt; Umbauten sind im Gange. Niemand aber würde sich wohl sträuben, wenn ein Finanz- oder Kulturstaatsminister die „kleine Bitte“ erfüllte, die Kurt Tucholsky schon 1931 äußerte: man möge doch der (damals noch Preußischen) Staatsbibliothek „die Kosten für eine mittlere Infanterie-Division bewilligen, auf daß sie eine moderne Bibliothek werde.“
Staatsbibliothek zu Berlin, Haus Potsdamer Straße, Blick von Nordwesten Foto: Florian Bolk
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Der tägliche Ansturm auf die Stabi, so lästig er einigen Forschern und Bibliothekaren sein mag, hat aber auch sein Gutes. Dank des Nutzerstroms, der an manchen Tagen abebbt, aber praktisch nie versiegt, ist das Büchergebirge am Kemperplatz der permanente Kraftquell jenes eigentümlichen Ensembles hochkarätiger Gebäude und Institutionen, das den seltsam farblosen Namen Kulturforum trägt. Gelegentlich, wie anläßlich der MoMA-Ausstellung im Sommer 2004 in der Neuen Nationalgalerie, mögen sich Schlangen um die Museen winden, abends, vor großen Konzerten, ballen sich mitunter die Menschen vor der Philharmonie oder dem Kammermusiksaal. Kein anderes Haus am Platze aber lockt so zuverlässig, derart gleichmäßig und stetig Menschen an wie die Stabi. Würde sie für eine Weile geschlossen, sähe es düster aus um den merkwürdigen Ort, der von Dinosauriern der Architekturgeschichte umstanden wird, aber zusehends in den Windschatten der Museumsinsel zu geraten droht. Sitzt man gelegentlich an Winterabenden in den Lesesälen der Stabi, die langsam zur Ruhe kommt, und schaut hinaus über die Leere im Herzen des Kulturforums, hinaus ins Dunkel, aus dem allenfalls das Glashaus von Mies van der Rohes Nationalgalerie leuchtet, kann man schon heute fast den Eindruck gewinnen, auf ein vergessenes Archipel zu blicken, das langsam zu versinken droht. Scharouns Staatsbibliothek ist ein Glücksfall für die Stadt wie für das Kulturforum, und ein Glücksfall ist es auch, daß die Stabi zur selben Stiftung Preußischer Kulturbesitz zählt wie die Museen vis à vis. Der enorme Erfolg der Bibliothek sollte Ansporn und Auftrag für die Verantwortlichen in dieser Stiftung sein, über ihre ehrgeizigen Pläne für die historische Mitte Berlins das Kulturforum nicht aus den Augen zu verlieren.
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GELESENE WELTEN MICHAEL NAUMANN
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n Bibliotheken, ob großen oder kleinen, öffnet sich für jedermann ein Fenster zur Welt. Wer einen Teil seiner Kindheit mit Leselust und Neugier in Büchereien verbracht hat, wird, kehrt er in sie zurück, zuerst einmal ihren Geruch wiedererkennen. Die Stadtbibliothek meiner Heimatstadt Köthen in Sachsen-Anhalt roch schon in den 50er Jahren nach diesem Desinfektions- oder Reinigungsmittel, das sich mit der landestypischen Braunkohleluft zu jenem merkwürdigen DDR-Dunst vermischte, der noch 40 Jahre später im Staatsratsgebäude zu Berlin die langen Korridore durchwehte. Doch dem zehnjährigen Leser von 1952 fehlten damals die Vergleichsmöglichkeiten. Eine unbestimmte Neugier auf das Leben jenseits der Rübenacker ringsum wurde in der Bibliothek erstmals gestillt. Eine junge Bibliothekarin drückte mir damals ein Buch in die Hand, das mich überwältigte und das auf verblüffende Art und Weise mein Leben verändern sollte: Es war Mark Twains „Tom Sawyer“ – den ich damals noch als „Tom Sawier“ zu schätzen lernte. Russisch, nicht Englisch stand auf dem Stundenplan. Toms Abenteuer empfand ich als gedruckte Bestätigung meines Alltags, der sich ganz und gar im Freien abspielte, im Wald, an den Tümpeln und Teichen, die immer noch mit den Waffen einer flüchtigen deutschen Division gefüllt waren und die schließlich zum gefährlichen Spielzeug der Kinder wurden; viele von ihnen Halbwaisen, da ihre Väter im Krieg gefallen waren, lauter Tom Sawyers auf der Suche nach dem großen Abenteuer. Da floss ein Bach namens Ziethe am Rand der Stadt, den heute ein Erwachsener mit einigem Geschick überspringen könnte. Für uns war er breit wie der Mississippi. Sieben Jahre nach dem literarischen Urerlebnis fand ich mich als Austauschschüler nur wenige Kilometer von Hannibal im US-Staat Missouri entfernt wieder, dem kleinstädtischen Spielplatz von Tom Sawyer. Der Zaun, den der freche, geschickte Knabe von seinen Freunden hatte anmalen lassen, stand noch (er wird hin und wieder erneuert). Ich wohnte nicht weit entfernt in einem kleinen Ort namens Mexico, und auch der hatte eine Stadtbibliothek. Sie verfügte über wenige Bücher – aber auch über einen Schallplattenspieler mit Kopfhörer, und seltsamer Weise fand ich eine Langspielplatte mit Gustav Mahlers „Kindertotenliedern“. Ich hatte schon ein halbes Jahr lang kein einziges Wort Deutsch mehr gehört – und dann dies!
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Verglichen mit den überlangen prüfungsgepflasterten Studienwegen von heute war die akademische Laufbahn der 60er Jahre eine Rennstrecke. Die Bibliotheken glichen stillen Raststätten. Das Institut für Politische Wissenschaften in Münchens Konradstraße, aus dem später das Geschwister-Scholl-Institut werden sollte, spiegelte den literarischen Geschmack seines Gründers, des Remigranten Eric Voegelin wider. Er war in Wien aufgewachsen, im Bannkreis von Robert Musil und Karl Kraus und empfahl seinen Studenten, sich auf der Suche nach den Wurzeln des Nazismus weniger auf Geschichtsbücher zu verlassen, als auf die Belletristik der Jahre zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg. Wie Recht er hatte. Sein Instituts-Bibliothekar, ein Herr Fries, hatte in einem Antiquariat für 650 Mark die gesamte Ausgabe von Kraus’ „Fackel“ gekauft – gleichzeitig erschien bei Kösel eine Werkausgabe des Wiener Satirikers, alles in allem über 30.000 Seiten. Sie sollten die letzten zwei Jahre meines Studiums bestimmen. Es war eine kleine, edel sortierte Bibliothek, man kannte sich und durfte Bücher auch nach Hause mitnehmen. Wahrscheinlich war es die glücklichste Zeit meines Lebens – das Privileg, bis zu acht Stunden täglich zu lesen, unterzugehen in einer anderen Epoche – das waren himmlische Monate, unterbrochen von allerlei Demonstrationen zur Verbesserung der Welt, die sich aber als unverbesserlich herausstellte. Sieben Jahre später, nach einer akademischen Mini-Karriere, folgte das Erlebnis der Bodleian Library in Oxford. Merkwürdig, auch hier bleibt ein typischer Bibliotheks-Geruch in Erinnerung. Diesmal ist es derjenige von ledergebundenen Bänden in der Theologischen Abteilung. Ein akademisches Paradies: Ein obskurer Titel aus dem 18. Jahrhundert zur Pachtregelung in Irland lag – kaum war der Ausleihzettel abgeliefert – dreißig Minuten später auf dem Tisch, herbei getragen von einer freundlichen Bibliothekarin, als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt. In dem Lesesaal mit schweren hellen Eichentischen saßen gewöhnlich bis zu fünfzig Studenten und Professoren, hüstelten manchmal leise (wir sind in England, das Wetter …) und vermieden es aufs ernsthafteste, auch nur ein wenig mit dem Nachbarn zu flüstern, und wäre es ein Nobelpreisträger gewesen. So bleibt aus dieser Bibliothek eine Atmosphäre unbedingter Strebsamkeit in Erinnerung, aber auch das Gefühl, ganz unberechtigt zu den wahren Gelehrten zu zählen. Es war, als wollte diese sicherlich schönste Bibliothek der Welt ihren Lesern suggerieren, der Weltgeist wohne auf dem Dach, mehr noch, der ewige Frieden sei ausgebrochen. Ausgerechnet hier, nur wenige Kilometer entfernt vom nächsten Atomkraftwerk, vom nächsten Raketenstützpunkt des Kalten Kriegs. Books and Peace lautete das ungeschriebene Motto des Bücher-Asyls für neun Millionen Titel. Ganz anders dann die National Library in Dublin. Sie ist ein viktorianisches Juwel, eine helle Bücherschatulle mit Kuppeldach. Partner-Tische aus würdig gealtertem Mahagoni (oder war es Teak oder auch nur dunkle Eiche?) und jene
GELESENE WELTEN
gedämpften, grasgrünen Leselampen, die inzwischen wieder Mode geworden sind, spiegelten eine akademische Solidität vor, die von den Saaldienern (ja, die gab es!) auf eine fabelhafte Weise konterkariert wurde. Da kamen sie an in ihren grauen Hosen, die bei der Grundsteinlegung ausgegeben worden sein mussten, ja, die Herren selbst stammten eindeutig aus jener Zeit, in der Yeats und O’Casey unter den Lampen saßen, lasen und wahrscheinlich auch dichteten. Auf die Anfrage nach dem Nachlass des sozialistischen Osterrevolutionärs von 1916, James Connolly, schleppte einer der dienstbaren Geister eine Pappkiste an und schüttete sie mit nicht minder revolutionärer Geste auf den Tisch. Eine Lawine von Briefen und Notizen prasselte ungeordnet vor dem Forscher nieder. Man stelle sich vor, in Washingtons Library of Congress würde jemand nach Gründungsdokumenten der Republik fragen und erhielte sie prompt hingeblättert. Aber so war’s. Damals lief im irischen Fernsehen die weltweit erfolgreiche amerikanische Serie „Roots“, eine Familiengeschichte des westafrikanischen Sklaven Kunta Kinte und seiner Nachfahren in den Vereinigten Staaten. Sie sollte auch Amerikas irische Emigrantennachfahren beflügeln: Scharenweise kamen sie nach Dublin, um die Wurzeln ihrer Familien aufzuspüren. In den meisten Fällen vergebens. „Kunta O’Kintes“ nannten sie die Bibliothekare, die so unbekümmert mit ihrer eigenen jüngsten Geschichte umzugehen pflegten. Zurück in Oxford, verbrachte ich die letzten hauptberuflichen Lese-Monate meines Lebens in der Bibliothek des Queen’s-College. Sie stammt aus dem Architekturbüro Sir Christopher Wrens. Ihr Bestand hatte den Vorzug aller Bibliotheken des 18. Jahrhunderts. Er war profund und übersichtlich, nicht überfüllt mit der intellektuellen Massenproduktion unserer Zeit und bot Gelegenheit für überraschende ideengeschichtliche Entdeckungen: In ihrem Keller fand ich die völlig ungenutzten Erstausgaben von Immanuel Kant, jede einzelne ein kleines Vermögen wert, aber auch die unaufgeschnittenen Bücher des Auguste Comte – ihr jungfräulicher Zustand war der insularen Selbstgewissheit Englands geschuldet, und das einzige Rätsel, das sie stellten, war die Frage, wie sie es überhaupt über den Kanal geschafft hatten. Andererseits: Diderots komplette Enzyklopädie stand zur Verfügung, wenngleich hinter feinmaschigen Drahtgittern – wie auch die älteren Bücher kleinerer Colleges noch jahrelang an dünnen Ketten hingen wie Hofhunde der Pädagogik. Sie sind ein merkwürdiges Ding, diese Bibliotheken; denn sie stehen im Widerspruch zum unbestreitbaren Streben ihrer Nutzer, das, was man weiß oder wissen möchte, nach Hause zu tragen. Sie sind der Buch gewordene Widerspruch zur bürgerlichen Idee des Eigentums. Oder, um es zuzuspitzen, in ihnen waltet die Utopie des Geistes, der niemandem persönlich gehört, dem anzugehören aber alle Men-
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schen, alle Leser eingeladen sind. Mag sein, dass dies der Kern ihrer modernen Krise ist: In einer Welt, in der jeder Mensch haben, nichts als haben möchte, ist die Idee zu teilen, zu leihen oder auch nur gemeinsam zu genießen etwas aus der Mode gekommen.
REMINISZENZEN AN DEN BIBLIOTHEKAR KLAUS-DIETER LEHMANN NATIONALE UND INTERNATIONALE ASPEKTE DES WISSENSCHAFTLICHEN
BIBLIOTHEKSWESENS AUS DEN VERGANGENEN FÜNF JAHRZEHNTEN
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HEARTIEST CONGRATULATIONS
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ÜBER VORGÄNGER UND VORBILDER HANNS W. EPPELSHEIMER, ERICH H. PIETSCH, CLEMENS KÖTTELWESCH GÜNTER GATTERMANN
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n seiner Rede am 28. Januar 1999 anläßlich der feierlichen Verabschiedung als Generaldirektor der Deutschen Bibliothek sprach Klaus-Dieter Lehmann davon, daß er in einer Reihe stehe mit sehr engagierten Vorgängern, ohne deren Vorarbeit und Weitsichtigkeit er die Entwicklungsschritte der letzten zehn Jahre nicht hätte gehen können. Als eine der großen Leitfiguren seiner Arbeit nannte er Hanns W. Eppelsheimer, den Gründer und ersten Direktor der Deutschen Bibliothek. Professor Dr. Hanns W. Eppelsheimer war lange pensioniert, als Klaus-Dieter Lehmanns Werdegang ihn zum 1. Oktober 1969 in eine der von Eppelsheimer geprägten Frankfurter Bibliotheken führte; nicht in die Deutsche Bibliothek, sondern in die Stadt- und Universitätsbibliothek. Hier besuchte er die „Bibliotheksschule“ bis zur Laufbahnprüfung für den höheren Bibliotheksdienst. Eppelsheimers Abschied als Direktor der Stadt- und Universitätsbibliothek lag elf Jahre zurück, der von der Deutschen Bibliothek auch schon zehn Jahre. Eppelsheimer ist einundachtzigjährig am 14. August 1972 gestorben, ein Jahr bevor Lehmann – nach einem „Zwischenspiel“ in Darmstadt – als Bibliothekar endgültig nach Frankfurt kam. Lehmann ist wohl dem „grand old man“ noch persönlich begegnet, am ehesten in Eppelsheimers Domizil im ehemaligen Rothschild-Palais am Untermainkai. Gewiss hat der junge Bibliothekar damals noch nicht geahnt, daß er zweimal das Erbe Eppelsheimers antreten würde, 1978 als Nach-Nachfolger in der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt am Main (nach Clemens Köttelwesch) und 1988 als dritter Nachfolger in der Deutschen Bibliothek (nach Kurt Köster und Günther Pflug). Die chaotischen Nachkriegsjahre, als beide Bibliotheken aufs äußerste beengt in provisorisch hergerichteten Räumen, ja Notunterkünften am Untermainkai nebeneinander arbeiten mußten, hat Lehmann nicht mehr miterlebt. Aber selbst im modernen Neubau der Stadt- und Universitätsbibliothek an der Bockenheimer Warte waren Ausstrahlung und Autorität Eppelsheimers noch zu spüren, als Clemens Köttelwesch den jungen Fachreferenten für Physik und Mathematik 1973 aus Darmstadt nach Frankfurt holte und zu seinem Stellvertreter machte. Eppelsheimers Lebensleistung als Gründer und Direktor zweier Bibliotheken in den Jahren 1946 bis 1958 bzw. 1959 ist vielfach beschrieben worden. Lehmann selbst hat seinen Vor-Vorgänger mit Respekt charakterisiert: „Sein Improvisations-
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GÜNTER GATTERMANN Hanns W. Eppelsheimer
vermögen, sein Mut und seine natürliche Autorität machten ihn zu dem Mann der ersten Stunde. Mit beispielhafter Tatkraft, Zähigkeit, Optimismus und einem motivierenden Charme schaffte er aus den Trümmern wieder ein funktionierendes wissenschaftliches Bibliothekswesen in Frankfurt“. Er hebt Eppelsheimers weltoffene Gelassenheit hervor. Dieser war jedoch nicht nur ein großer Bibliothekar; er galt auch als Bibliograph aus Leidenschaft, bedeutender Literaturwissenschaftler, Freund und Förderer der Literatur und des Buchhandels, als Europäer, homme de lettres, ja selbst als defensor humanitatis. Kaum einer der Laudatoren erwähnt aber, daß Eppelsheimer auch im Dokumentationswesen seine Spuren hinterlassen hat: er war von 1951 bis 1955 Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Dokumentation. Bereits auf der 2. Jahrestagung der nach dem Krieg wiedergegründeten DGD referierte Eppelsheimer im Februar 1950 über „Die Dokumentation als Organisation geistiger Arbeit“. Mit dem Abdruck dieses Vortrags begannen die „Nachrichten für Dokumentation“ (Organ der DGD) in Heft 1 des 1. Jahrgangs 1950 ihr Erscheinen. Was mag Eppelsheimer bewogen haben, trotz großer Anspannung und aufreibender Tätigkeit in der Leitung zweier Bibliotheken, sich auch diesem Feld zuzuwenden? Er hatte wohl früher als die meisten seiner Kollegen erkannt, daß die Dokumentationsbewegung nach dem Zweiten Weltkrieg begann, sich neben dem Bibliothekswesen als eine eigene selbständige Domäne zu etablieren. Die deutschen wissenschaftlichen Bibliotheken litten noch stark unter den Kriegsschäden. Sie hatten nicht genügend Personal und Mittel, um mit der steigenden Fülle der Publikationen Schritt zu halten. Insbesondere die großen wissenschaftlichen Universalbibliotheken sahen sich außerstande, den schnell wachsenden Anforderungen aus der Wissenschaft, aber auch von Verwaltungen, Verbänden, von Industrie und
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Gewerbe nachzukommen. Hier setzten die Wortführer der neuen Bewegung mit ihrer Kritik an: • Bibliotheken sammelten nur „Fertigfabrikate“ und kümmerten sich nicht um die schwer beschaffbare „graue Literatur“, die jedoch für Forschung und Entwicklung wichtiger sei als der Inhalt von Büchern; • Bibliothekare katalogisierten nicht die einzelnen Artikel der Fachzeitschriften, deren Nachweis jedoch unverzichtbar sei; • Bibliothekare brauchten viel zu viel Zeit für die Bearbeitung der neuen Publikationen; • Bibliotheken leisteten keine aktive „Information“ für ihre Kunden und schließlich • Bibliothekare zögerten zu lange, neue technische Verfahren der Reprographie oder der mechanischen Selektion für die Rationalisierung ihrer Arbeit einzusetzen. Daraus folgte das Urteil, der Dokumentar sei das Produkt der Unzufriedenheit mit dem Bibliothekar und habe sich deswegen außerhalb der Bibliotheken in zahlreichen Dokumentationsstellen der Wirtschaft und Industrie entwickelt. Ein buntes Volk, wie Eppelsheimer meinte, von Autodidakten mit höchst unterschiedlichen Interessen und Fragestellungen, die jedoch mit Elan und Optimismus daran gingen, dem ihrer Ansicht nach rückständigen und mit veralteten Methoden arbeitenden Bibliothekar seine Grenzen zu zeigen. Ohne hier auf die Auseinandersetzungen der fünfziger Jahre näher einzugehen, Mißverständnisse und Vorurteile aufzuklären und die Streitliteratur über die Herkunft der Dokumentation um einen weiteren Beitrag zu vermehren, sei nur gesagt, daß Eppelsheimer mit bibliothekspolitischem Weitblick schnell und überlegt Position bezogen hat: Dokumentation war ein zwar neues, aber für ihn allgemeines Anliegen, das es zu fördern galt. Die Tätigkeit des Dokumentars erschien ihm nicht wesensverschieden von der des Bibliothekars. Das Auseinanderdriften der beiden Zweige mußte verhindert werden, beide hatten voneinander zu lernen. Eppelsheimers bereits erwähnter Vortrag über die Dokumentation als Organisation geistiger Arbeit auf der 2. Jahresversammlung der DGD im Februar 1950 muß in seiner Mischung von Sachkenntnis und ermunterndem Appell, von kritischer Betrachtung und mildem Spott die Anwesenden so beeindruckt haben, daß die Mitglieder der DGD den Redner bereits auf der nächsten Jahrestagung 1951 zu ihrem Vorsitzenden wählten. Eppelsheimer rühmte Melvil Dewey, den großen Heiligen der Dokumentare, für die genormte systematische Einteilung der Wissenschaften bis in kleinste Unterteilungen und warnte gleichzeitig davor, die Dezimalklassifikation „als gottgewollte unabänderliche Einrichtung hinzunehmen“; es gebe auch andere Verfahren der Normung und Ordnung. Er rief dazu auf, neue Maschi-
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nen und Techniken für Speicherung und Leihverkehr zu nutzen, jedoch ihre dienende Bestimmung nicht zu vergessen und sich nicht allzu fortschrittsgläubig der Technik zu unterwerfen. Auf der 4. Jahrestagung der DGD 1953 in Goslar überraschte Eppelsheimers Referat „Fragen des Ausbaus unserer Dokumentation“ die Dokumentare mit dem Vorschlag, die Vielfalt dokumentarischer Einrichtungen in der Bundesrepublik Deutschland zu ordnen: nicht jedoch durch Zentralisierung, das sei ein utopisches Abenteuer mit vorhersehbarer Erfolglosigkeit, vielmehr durch fachliche und räumliche Dezentralisation. Er forderte ein „Netz“ von spezialisierten Dokumentationsstellen, Bibliotheken und Archiven jeder Art, das mit einem Minimum an gemeinsamer Organisation auskomme. Dafür brauche man zwei übergreifende Stellen, eine für die wissenschaftliche Erforschung der Dokumentation und ihrer Methoden, eine zweite für die praktische Vermittlung, ein „Büro für das Clearing“. Für letzteres sei die Deutsche Bibliothek in Frankfurt der ideale Ort. Auf Anregung des Bundesinnenministeriums und der Deutschen Forschungsgemeinschaft werde hier ein „Deutsches Zentrum für wissenschaftliche Dokumentation“ eingerichtet, das übrigens auch die Unesco wünsche. Die Vereinigung von Information und Dokumentation an dieser Bibliothek, die zugleich Archiv und Bibliographisches Institut für das deutsche Schrifttum sei, werde den Fortschritt der Dokumentation fördern. Eigene Dokumentation werde das Zentrum freilich nicht treiben, sagte Eppelsheimer, um mögliche Befürchtungen zu entkräften; man werde Hilfsdienste anbieten und vermitteln. In seinem programmatischen Aufsatz „Bibliotheken und Dokumentation“ von 1954 bekräftigt er die Notwendigkeit, das „Clearing House“ bei der Deutschen Bibliothek als eine zentrale Vermittlungsstelle für Information zu verwirklichen. Die Konjunktion „und“ im Aufsatztitel steht für Eppelsheimers weitsichtige Prognose eines letzlich unumgänglichen Miteinanders der beiden Seiten in Theorie und Praxis. Dieses Anliegen war ihm so wichtig, daß er seinen Aufsatz in der von ihm mitbegründeten und herausgegebenen „Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie“ als ersten Beitrag veröffentlichte: der Text erschien 1954 in Heft 1 des ersten Jahrgangs auf den ersten Seiten. Eppelsheimer war dann ab 1954/55 mit der Durchsetzung eines Neubaus für die in Provisorien notdürftig untergebrachte Deutsche Bibliothek so sehr in Anspruch genommen, daß er 1955 nicht mehr für den Vorsitz der DGD kandidierte. Als sein Nachfolger wurde Professor Dr. Erich H. Pietsch, Direktor des Gmelin-Instituts für anorganische Chemie, auf der 7. Jahrestagung in Bad Homburg zum Vorsitzenden gewählt. Eppelsheimer verabschiedete sich mit einem Vortrag über das Thema „Die Bedeutung der Klassifikation für die Dokumentation“. Angesichts einer massiven Propagierung der Dezimalklassifikation bezeichnet er es als kurzsichtig,
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sich generell auf ein System festzulegen, das ein positivistisches Weltbild unserer Großväter spiegele und weder logisch noch plausibel sei. Die Mahnung wurde zwar gehört, das Interesse der Dokumentare hatte sich jedoch inzwischen stärker dem zugewendet, was der neue Vorsitzende über die Mechanisierung der Dokumentation aus amerikanischen Erfahrungen zu berichten wußte. In diese Phase des Aufbruchs nach neuen Zielen bin ich unversehens hineingeraten. Eppelsheimer hatte mich als Bibliotheksreferendar an der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt zum 1. April 1955 eingestellt. Das „Einstellungsgespräch“ fand in seinem Wohn- und Arbeitszimmer im 2. Stockwerk des alten Rothschildgebäudes am Untermainkai statt. In diesem Haus begann meine Lehrzeit, von Anfang an eher durch Eppelsheimers Stellvertreter Clemens Köttelwesch betreut, da der Chef nur selten in den Arbeitsräumen der Bibliothek zu sehen war. Gegen Ende des ersten Ausbildungsjahres war es auch Köttelwesch, der den jungen Kollegen zu einer Fachtagung mitnahm: die 6. Tagung der „Arbeitsgemeinschaft Technisch-Wissenschaftlicher Bibliotheken“ fand am 14. und 15. März 1956 im Frankfurter Battelle-Institut statt. Hier sprach Professor Dr. Wilhelm Gülich, der Direktor der Bibliothek des Instituts für Weltwirtschaft, Kiel, über „Bibliothekar und Dokumentar“. Gülich galt unter Kollegen als Außenseiter, obwohl er in 34 Jahren erfolgreicher Arbeit die Kieler Bibliothek zu einer international renommierten Einrichtung entwickelt hatte. Sie sammelte auch schwer beschaffbare „graue Literatur“ und verzeichnete einschlägige Aufsatztitel aus Zeitschriften in ihren Katalogen. Das von Gülich entworfene System der inhaltlichen Erschließung in fünf Teilkatalogen galt als vorbildlich. Viele sahen in der Bibliothek eine „echte Dokumentationsstelle“. Gülich, zeitweise Finanzminister in Schleswig-Holstein und seit 1949 Mitglied des Bundestages, war stolz darauf, daß er die Bibliothek ohne eigene bibliothekarische Vorkenntnisse aufgebaut hatte. In seiner Rede vertrat auch er mit Leidenschaft und Eloquenz die These, der Dokumentar sei hauptsächlich ein Produkt der Unzufriedenheit mit der Arbeit der Bibliothekare: diese seien rückständig, auf nicht aktuelle Buchbestände konzentriert und reagierten nur unzureichend auf die Wünsche ihrer Kunden. Er forderte die Bibliothekare zum radikalen Umdenken und zu tiefgreifenden Reformen auf, wenn sie denn überleben wollten; wörtlich: „Schaffen die Universalbibliotheken nicht Wandel, werden sie in wenigen Jahren Museen sein und die Bibliothekare Museumsdiener“. Schafften sie jedoch diesen Wandel, werde sich umgekehrt der Dokumentar als ein „Modejüngling unser Zeit“ erweisen. Diese „Paukenschläge“ erhielten Beifall, wirkten polarisierend. Anwesende Bibliotheksdirektoren hüllten sich weitgehend in Schweigen. Eppelsheimer, mehrfach zitiert, griff in die Diskussion ein. Der verblüffte Referendar erhoffte sich eine pointenreiche und fundierte Replik. Weit gefehlt, Eppelsheimer ließ Gülichs Pro-
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vokation ins Leere laufen, war ganz Charmeur und voller Ironie: Gülich zeichne ein Idealbild der irdischen Verhältnisse, mit denen sich der Bibliothekar leider herumschlagen müsse: „Verzeihen Sie uns, wenn wir das Ideal noch nicht ganz erfüllt haben, aber wir geben uns alle Mühe“. Für mich war das alles neu und beunruhigend. Welche der beiden Sacherschließungsmethoden die bessere sei, hatte ich nicht erfahren: ob die Kieler von Wilhelm Gülich oder die des Mainzer Sachkatalogs von Eppelsheimer. Ich nahm mir vor, die Dezimalklassifikation von Melvil Dewey näher zu betrachten; ich wollte fortan nicht zu den „Rückständigen“ gehören und fing an, mich für die Dokumentation und deren Leute, für Mikrofilm und Reprographie, Hand- und Maschinenlochkarten, Normen und Standards, für Automatisierung zu interessieren. Als noch nachhaltiger erwies sich dann ein zweites Erlebnis. Nach dem Staatsexamen für den höheren Bibliotheksdienst kehrte ich am 1. April 1957 an die Stadt- und Universitätsbibliothek zurück. Clemens Köttelwesch hatte es ermöglicht, und der „Alte“ war nicht dagegen. Köttelwesch war damals 41 Jahre alt und kam aus einer anderen Generation als Eppelsheimer. Er litt noch immer an einer schweren Verwundung aus dem 2. Weltkrieg. Seine unkonventionelle Art gefiel mir. Neuem gegenüber war er aufgeschlossen, auch der Dokumentation. Meist zögerte er nicht, der Bibliothek und sich selbst weitere Lasten aufzupacken, ohne immer die möglichen Folgen zu bedenken. Zusätzlich zu vielen anderen Aufgaben hatte er es übernommen, als Dozent im „Ersten Halbjahres-Lehrgang über Dokumentation“ 1957/58 über bibliographische Hilfsmittel vorzutragen. Dozieren gehörte zu seinen Leidenschaften; es drängte ihn, sein Erfahrungswissen an den Nachwuchs weiterzugeben. Die Lehrgänge für angehende Bibliotheksinspektoren
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der Frankfurter Bibliotheksschule waren eine ideale Plattform für ihn. Und nun hatte er begonnen, vor einem ganz anderen, sehr heterogenen Kreis den Nutzen bibliographischer Nachschlagewerke vorzuführen. Eines Tages Anfang 1958 rief er mich nachmittags ans Krankenbett und bat, seine Stunden am nächsten Morgen vertretungsweise zu übernehmen. Darauf war ich zwar nicht vorbereitet, aber welcher junge Assessor hätte damals in dieser Situation nein sagen können! Köttelwesch war zum 1. November als Nachfolger Eppelsheimers vorgesehen, und ich sollte Studienleiter der Bibliotheksschule werden. Ich fuhr mit einem Koffer voller Vorzeigebibliographien zu den Dokumentaren und bin dort viele Jahre lang „hängen geblieben“: aus der einmaligen Vertretung wurde eine langwährende „Nebensache“. Dieser erste Lehrgang zur Ausbildung von Dokumentaren fand im GmelinInstitut für anorganische Chemie statt, dessen Direktor Erich H. Pietsch das Institut im Jahr zuvor von Clausthal-Zellerfeld nach Frankfurt verlegt hatte. Pietsch war, wie schon gesagt, seit 1955 auch Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Dokumentation, leitete deren Ausschuß zur Mechanisierung der Dokumentation und gehörte der Kommission für Nachwuchsbildung (seit 1957 Kuratorium für Nachwuchsfragen) an. Nach vorhergegangenen kurzen Fachkursen für Dokumentationspraxis sollte jetzt ein regelrechter Ausbildungslehrgang stattfinden, der „nicht auf bestimmte Fach- und Arbeitsgebiete begrenzt alle Arten von Dokumentationsstellen in Wissenschaft und Industrie, Handel, Gewerbe und Verwaltung umfaßt“. Der Lehrgang wurde durch eine Prüfung abgeschlossen, Pietsch war Vorsitzender des Prüfungsausschusses. Ihm ist es zuzuschreiben, daß schon im 2. Halb-
Erich H. Pietsch
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jahres-Lehrgang 1959 das Bibliothekswesen durch vier Fachleute vertreten wurde: Neben Clemens Köttelwesch kamen Ludwig Sickmann aus Köln, Gabriele Mulert, die Bibliothekarin des Instituts und ich hinzu. Pietsch hatte frühzeitig erfaßt, wie wichtig die Ressourcen wissenschaftlicher Bibliotheken für die Redaktion des Gmelin-Handbuchs für anorganische Chemie waren. Er war zehn Jahre lang Mitglied des Bibliotheksausschusses der Deutschen Forschungsgemeinschaft, davon einige Zeit zusammen mit Eppelsheimer. Beide schätzten einander, beide waren „Generalisten“ im besten Sinne. Pietsch suchte ebenso wie Eppelsheimer immer wieder den Brückenschlag zwischen Bibliothekswesen und Dokumentation. Er hat, wie es in einem Nachruf heißt, der Dokumentation und dem Einsatz der elektronischen Datenverarbeitung in der Dokumentation den Weg bereitet und „die Regierenden in der Bundesrepublik Deutschland informationsbewußt gemacht“. Pietsch hat großen Anteil daran, daß in Frankfurt am Main neben den beiden Großbibliotheken zentrale Einrichtungen des Dokumentationswesens entstanden, das Institut für Dokumentationswesen (1961) unter Martin Cremer, die Zentralstelle für Maschinelle Dokumentation unter Klaus Schneider, das Lehrinstitut für Dokumentation unter Karl Fill. In dieser Konzentration verschiedener Einrichtungen an einem Ort entstand ein Klima fruchtbarer Zusammenarbeit zwischen Bibliothekaren und Dokumentaren; in die Zukunft weisende Vorhaben wurden begonnen. Es ist merkwürdig, daß Pietsch, obwohl hochgeachtet und vielfach geehrt, in keiner der führenden Fachzeitschriften des Bibliothekswesens ein Nachruf gewidmet worden ist. Selbst in der Deutschen Biographischen Enzyklopädie fehlt eine Eintragung über ihn. Pietsch war davon überzeugt, daß Bibliothekare und Dokumentare zusammengehörten; ebenso fest war er jedoch der Auffassung, daß Dokumentare ein eigenes Berufsbild und eine eigenständige Ausbildung benötigten. Er hielt es für zweckmäßig, die Ausbildung zum Dokumentar in Analogie zu den bibliothekarischen Ausbildungsgängen zu organisieren. Auf diese Weise hoffte er, eine staatliche Anerkennung der neuartigen Ausbildung trotz der „privaten“ Trägerschaft durch die DGD e.V. zu erreichen. Da der Bund mangels Zuständigkeit zunächst keine Aussichten bot, hat Pietsch zu den Abschlußprüfungen der „Jahreslehrgänge“ der DGD immer wieder „Beobachter“ des Hessischen Kultusministeriums eingeladen. Eines der Bundesländer, das Sitzland Hessen, sollte den Weg zur staatlichen Anerkennung frei machen. Dieser Weg führte jedoch in ein Gewirr von Widersprüchen, die praktisch nicht auflösbar waren: die Mehrzahl der Teilnehmer an den Jahreslehrgängen kam aus Industrie und Verbänden und suchte vornehmlich eine berufsbegleitende Fortund Weiterbildung für eine Tätigkeit außerhalb des Öffentlichen Dienstes. Für
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sie waren Laufbahnverordnungen und Tätigkeitsmerkmale ziemlich uninteressant. Andere Teilnehmer kamen aus staatlichen oder kommunalen Einrichtungen; sie wünschten sich eine staatlich anerkannte Qualifikation. Herkunft, Berufserfahrung und Bildungsniveau hätten kaum unterschiedlicher sein können. Neben Akademikern saßen Autodidakten mit mehrjähriger Berufspraxis. Wie sollten solche Differenzen ausgeglichen werden! Schon als Vorsitzender der DGD hatte Eppelsheimer die Unvereinbarkeiten gesehen und daher versucht, die Ausbildung von Dokumentaren an die Frankfurter Bibliotheksschule zu ziehen. Aber gerade in der Frage der Berufsausbildung, einer Frage des eigenen Selbstverständnisses, trafen die Gegensätze zwischen Dokumentaren und Bibliothekaren besonders hart aufeinander, war eine Grenzüberschreitung zu dieser Zeit nicht möglich. Eppelsheimers Vorschlag wurde abgelehnt. Sein Nachfolger Clemens Köttelwesch, mit Gespür für das Machbare begabt und stets bemüht, Einfluß und Bedeutung seiner Bibliothek zu mehren, scheute die grundsätzliche Auseinandersetzung mit den Theorien der Dokumentare. Als Pragmatiker suchte er, das Kuratorium für Nachwuchsfragen der DGD mit eher praktischen Vorschlägen von den Vorteilen einer gemeinsamen Ausbildung zu überzeugen. Als Anfang der sechziger Jahre ein eigenständiges „Lehrinstitut für Dokumentation“ gegründet werden sollte, war Köttelwesch schnell bereit, die Dokumentarausbildung doch noch in irgendeiner Form der Bibliotheksschule anzugliedern. Er hatte die Schule 1967 um eine Abteilung für den höheren Dienst erweitert und bot dadurch günstigere Voraussetzungen als je zuvor. Doch auch für seinen Versuch war die Zeit noch nicht reif. Die Vertreter der Dokumentare, Persönlichkeiten wie Karl Fill, Erich Pietsch, Helmut Arntz, Robert Harth und andere, besaßen ein starkes Selbstbewußtseins und glaubten optimistisch daran, ihre Ziele auch ohne Hilfe der Bibliothekare durchsetzen zu können. Sie blockierten die Integration, weil sie jetzt doch Hilfe vom Bund erhofften, der sich mehr und mehr für die Dokumentation zu interessieren begann. Das schließlich 1967 von der DGD gegründete Lehrinstitut, einige Zeit durch das Institut für Dokumentationwesen finanziell getragen, hat jedoch eine staatliche Anerkennung nie erreicht und ist Ende 1991 im Gestrüpp der Bund-Länder-Zuständigkeiten gescheitert. Die Integration der differenten Ausbildungszweige, für die sich beide Vorgänger Lehmanns engagiert hatten, blieb einer späteren Entwicklung vorbehalten. Als Klaus-Dieter Lehmann am 1. August 1978 die Leitung der Stadt- und Universitätsbibliothek von seinem Vorgänger Clemens Köttelwesch übernahm, waren die Hypotheken des Amtes ihm wohl bewußt: er war fünf Jahre lang Stellvertreter des Direktors gewesen. Jedoch, die Szene war anders geworden. Lehmanns VorVorgänger Eppelsheimer war seit zwanzig Jahren im Ruhestand, Erich Pietsch auch
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schon seit 11 Jahren. Martin Cremer, der Direktor des Instituts für Dokumentationswesen, war ihnen 1977 in den Ruhestand gefolgt. In Amt und Person hatte Cremer sozusagen als „Klammer“ zwischen Bibliothekaren und Dokumentaren gedient und häufig zwischen Eppelsheimer, Pietsch und Köttelwesch vermittelt. Mehr und mehr bestimmte jetzt das Bundesministerium für Forschung und Technologie durch seine „IuD-Programme“ die Entwicklung des Dokumentationswesens in der Bundesrepublik und konzentrierte in Bonn möglichst umfassende Planungs- und Förderungskompetenz. Unter Verweis darauf, daß für Bibliotheken das Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft und die Deutsche Forschungsgemeinschaft zuständig seien, drohten die beachtlichen Initiativen des BMFT eine Zeit lang, die wissenschaftlichen Bibliotheken auf dem Weg in das „Informationszeitalter“ im Abseits stehen zu lassen. Klaus-Dieter Lehmann hat diese Gefahr gesehen. Mit diplomatischem Geschick hat er sich daher nachdrücklich „eingemischt“, in zahlreichen Beratungsgremien des BMFT mitgearbeitet und so seine hohe Fachkompetenz alsbald für das BMFT unentbehrlich gemacht. Die durch seine Initiative eröffneten Chancen hat er konsequent genutzt: Lehmann hat nicht nur die Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt zu einer wissenschaftlichen Großbibliothek ausgebaut, sondern auch die Entwicklung des deutschen Bibliothekswesens zwei Jahrzehnte lang entscheidend geprägt. Was aber ist geblieben von den drei Vorgängern und Vorbildern außer Erinnerungen? Erich Pietsch, Chemiker und „Spiritus rector“ eines großen bibliographischen Unternehmens, hat bewundernswert dazu beigetragen, Vorurteile und Mißtrauen zwischen Bibliothekaren und Dokumentaren abzubauen. Er war in beiden „Welten“ zu Hause. Mit Elan und Geschick hat er für Dokumentation und Information nicht nur in den Ministerien, sondern auch in der „scientific community“ geworben. Geisteswissenschaftlich ausgebildeten Bibliothekaren wie mir hat er den Zugang zu den Naturwissenschaften eröffnet und den Blick für die Chancen der Automatisierten Datenverarbeitung geschärft. Sein Vorbild hat nachhaltig gewirkt. Stärker und unmittelbarer noch war der Einfluß, der von Eppelsheimer und Köttelwesch ausging. Für Beruf und Karriere konnte man von Köttelwesch mehr lernen als von Eppelsheimer. Letzterer hielt sich als Chef aus dem operativen Geschäft weitgehend heraus. Auch war er in den letzten Dienstjahren weitaus mehr mit den Problemen der Deutschen Bibliothek befaßt. Eppelsheimer beeindruckte vor allem durch die Ausstrahlung seiner Persönlichkeit. Sein Vorbild lehrte, über den „Tellerrand“ des eigenen Berufsstands hinauszusehen und nicht im Kleinkram des Berufsalltags stecken zu bleiben. Bei der Gründung der Deutschen Bibliothek hatte er politisches Gespür und bibliotheks-
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politischen Weitblick gezeigt. Selbst größte Schwierigkeiten hatte er mit einer gehörigen Portion rheinhessischer Dickköpfigkeit und Zähigkeit gemeistert. Weil er über den Dingen stand, konnte er souverän über Unebenheiten des Wegs hinwegsehen. Nicht alles, was er mit leichter Hand pflanzte, wuchs, schon gar nicht in den Himmel. Das hat ihn aber nicht entmutigt. Über seine Erfahrungen plauderte er gern, wenn er in Referentensitzungen auftauchte, was selten geschah. Er konnte über Berufskollegen, die er nicht mochte, sarkastisch urteilen. Hinter Ironie und Spott war aber er selbst verletzlich. Seine Freunde hatte er unter Schriftstellern, Verlegern und Buchhändlern. Humanität und Liberalität dieses großen Mannes bleiben unvergessen. Eppelsheimers Idee der spartenübergreifenden Vernetzung von Bibliotheken und Archiven, Dokumentationsstellen und bibliographischen Unternehmungen war richtungsweisend. In der Mitte dieses Netzes stellte er sich die Deutsche Bibliothek als Schalt- und Vermittlungszentrale vor. Dazu ist es damals nicht gekommen. Die ersten beiden Nachfolger hatten andere Sorgen. Erst Klaus-Dieter Lehmann hat die kühne Idee wieder aufgegriffen und Schritt für Schritt mit Hilfe moderner Vernetzungstechnologie verwirklicht. Eppelsheimer hatte das bis 1959 mühsam erkämpfte Gebäude der Deutschen Bibliothek, auf das er sehr stolz war, von vorneherein zu klein geplant. Klaus-Dieter Lehmann blieb es schließlich vorbehalten, die Deutsche Bibliothek durch einen ansprechenden und großzügig dimensionierten Neubau 1997 aus jahrzehntelanger räumlicher Beengtheit heraus zu führen. Die Prägung durch Clemens Köttelwesch war anders. Seiner zupackenden Art und seinem mitreißenden Temperament konnte sich kaum jemand entziehen. Er war rastlos für die Bibliothek tätig und schonte sich nicht. Mehr noch als Eppelsheimer war er ein Meister der Improvisation. Die Mitarbeiter motivierte er durch seinen eigenen Einsatz. Manchmal war seine Dynamik atemberaubend. Nicht alle konnten oder wollten mithalten. Er war ein hoch begabter Praktiker, der sich auch nicht vor den kleinen Entscheidungen drückte. Er gab sich nicht zufrieden mit der Optimierung bereits vorhandener Aufgaben, er suchte stets neue. Davon war schon die Rede. Einerseits konnte er Mitarbeiter völlig vereinnahmen, andererseits bot er ihnen großzügige Entfaltungsmöglichkeiten. Er zog junge Talente an sich und ließ sie auch wieder ihre eigenen Wege gehen. Er war in der Bibliothek unnachahmlich präsent; den Mitarbeitern begegnete er menschlich offen und hilfsbereit. Eppelsheimers Pläne für den längst überfälligen Neubau der Stadt- und Universitätsbibliothek sind nicht realisiert worden. Sein Nachfolger wußte, eigene Chancen zu nutzen. Köttelweschs Konzept war in den sechziger Jahren neu in Deutschland: umfangreiche frei zugängliche Buchbestände in großen Lesesälen, davor ein großzügig dimensioniertes Informationszentrum mit Handbibliotheken und Kata-
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logen, gestaffelte Mehrfachexemplare viel benutzter Literatur in einer „Lehrbuchsammlung“, Sonderlesesäle für wissenschaftliche Spezialbenutzung, Sofortbedienung der Kunden durch eine automatisierte Ausleihe. Sein Gebäude hat die Neubauplanung anderer Universitätsbibliotheken stark beeinflußt, beispielsweise die von Wolfgang Kehr in Freiburg und meine eigene in Clausthal-Zellerfeld und in Düsseldorf, später noch in Dresden. Köttelweschs Einsatz für die Ausbildung des Nachwuchses war beispielhaft. Als Studienleiter der Bibliotheksschule habe ich sein Engagement unmittelbar erlebt. Von Theorie hielt er nicht viel. Er dozierte zwar gern, förderte jedoch zielstrebig die praktische Seite der Ausbildung auch im Lehrangebot der Schule. Man mußte aufpassen, daß historische Fächer nicht zu kurz kamen. Hatte man gute Argumente, ließ er sich überzeugen. Köttelweschs Vorbild hat meine spätere Tätigkeit als Dozent und Prüfer in vielen Staatsexamen lange Jahre begleitet. Köttelwesch war von 1959 bis 1961 Vorsitzender des „Vereins deutscher Bibliothekare“. Sein Engagement ging zeitweise bis an den Rand seiner Kräfte. Dennoch erntete er Kritik und Undank der Kollegen. Köttelweschs Erfahrungen haben bewirkt, daß ich der Vereinsarbeit ferngeblieben bin. Klaus-Dieter Lehmann hat ebenfalls kein Amt im Verein übernommen. Andererseits lernten wir bei Köttelwesch, welche Bedeutung die Deutsche Forschungsgemeinschaft für die Hochschulbibliotheken hatte und wieviel Gestaltungsmöglichkeiten die Mitgliedschaft im Bibliotheksausschuß der DFG bieten konnte. In der Rückschau scheint es so, als ob ich viel länger als fünf Jahre unter Eppelsheimer und Köttelwesch gearbeitet hätte. So stark sind auch heute noch die Eindrücke, die beide hinterlassen haben. Ich blicke dankbar auf diese bibliothekarischen Lehrmeister zurück. Klaus-Dieter Lehmann wird es ähnlich gehen. Aus den Würdigungen, die er über Eppelsheimer und Köttelwesch geschrieben hat, spricht, daß auch er sich an diesen Vorbildern orientiert hat. Sicher anders als ich und gewiss viel intensiver, da er sich mit dem Erbe, das sie hinterlasssen haben, gestalterisch unmittelbar auseinandersetzen mußte. Zunächst zehn Jahre lang in der einen, dann weitere zehn Jahre in der anderen Bibliothek. Wieviel dankbare Menschen werden eines Tages glaubhaft versichern und zu beschreiben versuchen, daß Klaus-Dieter Lehmann ihren beruflichen Werdegang ebenso nachhaltig beeinflußt, ihre Karriere ähnlich gefördert hat? Daß sie durch seine Persönlichkeit geprägt worden sind? Dafür wird sicher eine weitere Festschrift geschrieben werden müssen, die der Gefeierte dann hoffentlich anläßlich eines späteren Jubiläums in allerbester Gesundheit und mit viel Vergnügen lesen kann. Daß dies so kommt, wünsche ich Ihnen, lieber Herr Lehmann, ganz herzlich.
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ie Erweiterung des Informationsmaterials in Forschung und Lehre um neue Medien setzte in Deutschland in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts ein. 1931 wurde in Berlin die Reichsstelle für den Unterrichtsfilm gegründet, der 1935 eine Abteilung für den Hochschulfilm angegliedert wurde. Nach einigen Wandlungen aufgrund der politischen Entwicklung entstand daraus 1956 das Institut für den wissenschaftlichen Film in Göttingen als Anstalt des Bundes und der Länder. Zugleich legten sich die Universitäten Filmreferenten zu, die die Beschaffung der in ihrer Hochschule benötigten Filme koordinierten. Dies ist die erste und älteste Basis für die Errichtung audiovisueller Zentren in Universitäten. Neben den Film trat das Fernsehen als neues Lehrmedium, das seit Mitte der sechziger Jahre unter dem Terminus „Fernsehen im Medienverbund (FIM)“ vor allem von den Fernsehanstalten propagiert wurde. Das löste eine lebhafte Diskussion zwischen den Rundfunkanstalten und den Hochschulen aus, die diesem Konzept ein eigenes „Hochschulinternes Fernsehen (HIF)“ entgegensetzten. Dies wiederum führte in der Mitte der sechziger Jahre zur Gründung des „Arbeitskreises für Hochschuldidaktik“, der sich auch mit den Problemen des Einsatzes von technischen Hilfsmitteln in der Hochschuldidaktik befaßte.1 Eine erste Übersicht des Arbeitskreises listet etwa 140 derartige Projekte in zwölf Fachbereichen – mit einem Schwergewicht auf die Natur- und Ingenieurwissenschaften – auf, und der Band von Martin Krampen „Forschungs- und Entwicklungsprojekte in der Hochschuldidaktik der Medizin“ weist zahlreiche laufende und geplante Projekte im medizinischen Fernstudium nach, als erstes ein Projekt an der Universität Rotterdam, das mehrere Nachfolger in Deutschland fand.2 Doch zeigte sich im medizinischen Unterricht noch eine weitere Tendenz bei dem Bestreben, Operationen mit entsprechenden Geräten in Hörsäle zu übertra-
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Fernstudium im Medienverbund. Hrsg. von Helmut Fritzsch u. a., Tübingen 1971. Krampen, Martin: Forschungs- und Entwicklungsprojekte in der Hochschuldidaktik der Medizin, Hamburg 1970.
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gen. Bereits in der Mitte der sechziger Jahre wurde diese Technik – etwa am Klinikum der Universität Frankfurt – erprobt. In die Diskussion um das Fernsehen in der Hochschullehre mischten sich schließlich Überlegungen, die Lehre überhaupt von ihrer räumlichen Bindung zu lösen und – etwa nach dem Vorbild der „Open University“ in England – eine Fernuniversität zu gründen, wie sie schließlich 1974 in Hagen realisiert wurde. Doch wurde diese Entwicklung zeitlich überholt von der Gründung von Sprachlabors seit der Mitte der sechziger Jahre, die den Sprachunterricht auf eine neue Basis stellten, indem sie ihn individualisierten, die Aktivitäten der Lernenden vergrößerten und den Unterricht ortsunabhängig machten. Zwar bezog sich auch hier – wie beim Film – der erste Akt auf den Selbst-, später auf den Schulunterricht, wobei bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert mit der Schallplatte und dem Telefon erste auditive Materialien einbezogen wurden. Auch die Hochschulen bemühten sich um derartige Labors, vor allem die Pädagogischen Hochschulen. So existierten um 1970 etwa 500 Sprachlabors in Deutschland, als erstes an einer traditionellen Universität in Heidelberg für den neuphilologischen Fachbereich und das Dolmetscherinstitut.3 Diese Erweiterung des universitären Unterrichts veranlaßte 1970 die Westdeutsche Rektorenkonferenz zu zwei Umfragen über die technischen Unterrichtsmittel und die Gründung einer entsprechenden Kommission. Ein entscheidender Aspekt in dieser Entwicklung war die Frage nach den apparativen Anforderungen der neuen Lehr- und Lernformen. So entstand Anfang der sechziger Jahre eine neue pädagogische Forschungsinitiative, die sich mit den kybernetischen Grundlagen des Lernens und Lehrens befaßte. Sie prägte den Begriff der „Lernmaschine“.4 Diese Tendenzen, so verschieden sie in ihrem Ursprung und in ihrer Zielsetzung auch sind, führten zu Überlegungen, die technische Ausstattung für die verschiedenen Unterrichts- und Forschungsformen, ihre Beschaffung, Wartung, sowie die Vermittlung des erforderlichen audiovisuellen Materials in einem Zentrum zusammenzufassen, zuerst etwa an den Pädagogischen Hochschulen in Hildesheim, Bielefeld und Dortmund, wo Nikolaus Koch, der Direktor der Pädagogischen Zentralbibliothek des Landes Nordrhein-Westfalen 1971 ein „Informations- und Medienzentrum“ der Bibliothek angliederte.5 Doch auch an den Universitäten entstand der Gedanke, diese Zentren nicht den linguistischen oder pädagogischen Bereichen anzugliedern, sondern als selbständige
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Meyer, Ernst/Rihovsky, Karel: Vom hochschulinternen Fernsehen zum audiovisuellen Zentrum, Heidelberg 1972. Frank, Helmar: Kybernetische Grundlagen der Pädagogik, Baden-Baden 1962. Koch, Nikolaus: Das Dortmunder Modell. In: Aula. 4.1971, S. 106–108.
AUDIOVISUELLE ZENTREN
audiovisuelle Zentren dem Zentralbereich zuzuordnen. Mit der Schaffung eines solchen Zentrums für die gesamte Hochschule stellte sich natürlich die Frage, in wie weit dieses Zentrum an eine der zentralen Anlagen – etwa der Hochschulbibliothek oder dem Rechenzentrum – angegliedert werden könne. Wem dabei der Vorzug gegeben werden sollte, entschied sich an der Gewichtung, ob der technischen Ausrichtung oder dem Informationsmaterial die entscheidende Rolle zuzuordnen sei. Eine erste umfassende Diskussion dieses Problems hat es jedoch erst in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre gegeben. Dabei war es zuerst eine weitgehend subjektive Entscheidung, die den ersten Impuls zur Eingliederung eines audiovisuellen Zentrums in eine Hochschulbibliothek gab. Die Initiative ging von Eckhard Franzen aus, der den Leiter der Universitätsbibliothek Bochum dazu gewinnen konnte, einen Antrag an die Deutsche Forschungsgemeinschaft zur Finanzierung eines audiovisuellen Zentrums an der Universitätsbibliothek Bochum zu stellen, der mit der Auflage bewilligt wurde, über die Erfahrungen in einem Symposium zu berichten. Damit begann die Eingliederung von audiovisuellen Materialien und Techniken in eine Universitätsbibliothek. Zwar gab es bereits im Bereich der öffentlichen Bibliotheken seit der Mitte der sechziger Jahre Bestrebungen, audiovisuelles Material in ihren Bestand einzufügen und sich von einer Bibliothek zu einer Mediothek zu entwickeln, dabei offensichtlich in Konkurrenz zu den örtlichen Bildstellen.6 Doch damals folgten die wissenschaftlichen Bibliotheken diesem Trend nur zögernd, wie etwa die Abneigung der Deutschen Bibliothek zeigt, deren Pflichtstückverordnung noch 1970 alle neuen Medienformen – mit Ausnahme des Mikrofilms – ausschloß, und noch 1980 deutliche Vorbehalte gegenüber diesen Medien besaß.7 Insofern stellt die Errichtung eines audiovisuellen Zentrums an der Universitätsbibliothek Bochum einen Sonderfall dar. Bochum hat sich dabei im wesentlichen vier Aufgaben gesetzt: – den Mitschnitt von Rundfunk- und Fernsehsendungen auf Anforderung von Instituten oder Studenten der Ruhr-Universität – die Eigenproduktion und Aufzeichnung auf Magnetband im Auftrag von Hochschulangehörigen – die Vermittlung von audiovisuellem Material, vor allem von Forschungs-, aber auch von Spielfilmen, die in den Geisteswissenschaften als Forschungsobjekte zunehmend ein Interesse fanden – die Wartung und Aktualisierung des erforderlichen Geräteparks.8
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Rösner, Helmut: Audio-visuelle Medien, Berlin 1972. Die Deutsche Bibliothek. Hrsg. von Rolf Dieter Saevecke. 2. Aufl. Düsseldorf 1980, S. 50–51. Franzen, Eckhard: Dienstleistungen audiovisueller Zentren in Hochschulen. In: Bibliothekarische Kooperation, Wiesbaden 1974, S. 193–200.
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Über die Erfahrungen der ersten Jahre hielt die Universitätsbibliothek Bochum 1972 ein Seminar unter dem Titel „Audiovisuelle Medien in Hochschulbibliotheken“ ab.9 Der Plural im Titel führt leicht in die Irre, jedenfalls was die Lage in Deutschland betrifft. Sieht man von den Ansätzen an der Pädagogischen Hochschule Dortmund ab, wo in Zusammenhang mit der Pädagogischen Zentralbibliothek entsprechende Pläne entwickelt wurden, – ein Projekt, auf das das Bochumer Symposium nicht eingegangen ist –, konnten nur ausländische, vor allem amerikanische Beispiele präsentiert werden10. In den folgenden Jahren wurde die Frage der Eingliederung von audiovisuellen Zentren in die Hochschulbibliotheken lebhaft diskutiert. Die „Empfehlungen für das Bibliothekswesen an den Fachhochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen“ aus dem Jahr 1972 messen – wohl unter dem Einfluß der Bochumer Entwicklung – den technischen Medien eine große Bedeutung bei, ordnen der Bibliothek jedoch nur die Beschaffung und Bereitstellung zu11, und auch das „Gemeinsame Konzept der Gesamthochschulbibliotheken des Landes Nordrhein-Westfalen“ aus dem Jahr 1974, das sich ausdrücklich mit der „Grundfunktion und der Struktur der zu errichtenden audiovisuellen Zentren“ befaßt12, greift das Thema in einer eingeschränkten Weise auf. In nationalem Rahmen wurde die Frage etwa auf dem Bibliothekartag 1973 in Hamburg13 und auf der Tagung der Arbeitsgemeinschaft der Hochschulbibliotheken 1975 in Frankfurt14 behandelt. So werden im Grundsatz den audiovisuellen Zentren weiterhin drei Funktionen zugeordnet, die Unterrichtsmitschau, das Sprachlabor und der computergestützte Unterricht. Doch wird auch hier der Bibliothek nur die Erwerbung, die Erschließung und die Bereitstellung übertragen. Dieser Einschränkung entsprach schließlich auch die Entwicklung in Bochum. Zwar hat Eckhard Franzen noch auf dem Bibliothekartag in Hamburg das Bochumer Modell vorgestellt, doch teilte er dabei mit, dass das audiovisuelle Zentrum inzwischen aus der Universitätsbibliothek ausgegliedert sei. So spricht er denn auch in dem Frankfurter Vortrag von 1975 nur noch von „Audiovisuellen Medien“ und nicht mehr von „audiovisuellen Zentren“. Auch die Entwicklung des audiovisuellen 9
Audio-visuelle Medien in Hochschulbibliotheken. Hrsg. von Eckhard Franzen und Günther Pflug, München 1972. 10 Süle-Prenzel, Gisela: Audiovisuelle Medien in amerikanischen Bibliotheken. In: Audiovisuelle Zentren in Bibliotheken, München 1972, S. 35–52. 11 Empfehlungen für das Bibliothekswesen an den Fachhochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 1972, S. 10. 12 Es liegt nur als Manuskript vor. 13 Bibliothekarische Kooperation, Wiesbaden 1974. 14 Eckhard Franzen: Audiovisuelle Medien in Hochschulbibliotheken. In: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 22.1975, S. 334–339.
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Zentrums in Heidelberg, das wesentlich mit dem hochschulinternen Fernsehen verbunden ist, zeigt keine Verbindung zur Hochschulbibliothek auf.15 Auch an der Fernuniversität Hagen stellt nicht die Hochschulbibliothek, sondern das Rechenzentrum das Material zur Verfügung. Lediglich an der Universität Saarbrücken wurde 1976 ein entsprechendes Zentrum in die Universitätsbibliothek eingegliedert. Die weitere Entwicklung wurde in der zweiten Hälfte der siebziger und achtziger Jahren von fünf Tendenzen bestimmt. Zum einen hat die Bedeutung der Kybernetisierung des Hochschulunterrichts deutlich abgenommen. Das drückt sich in der sinkenden Bedeutung von bereits errichteten Zentren für das programmierte Lernen aus – zum Beispiel in den Sprachlabors und den entsprechenden Einrichtungen des hochschulinternen Fernsehens. So wurde etwa das audiovisuelle Zentrum an der Ruhr-Universität Bochum nach seiner Ablösung von der Bibliothek 1974 weiter reduziert und zu einem Selbstlernzentrum in die Fakultät für Philologie eingegliedert. An einigen Hochschulen ist das Sprachlabor zwar noch eine selbständige Einrichtung, zum Beispiel in Göttingen oder Bremen, wo es als zentrale Einrichtung für vier Hochschulen betrieben wird. Doch selbst dort, wo es heute noch als selbständige Einrichtung betrieben wird, ist das Interesse und damit auch seine Nutzung deutlich rückläufig. Eine zweite Tendenz für die Hochschulbibliotheken ergibt sich aus der Kommerzialisierung der Produktion von audiovisuellen Medien. Damit wird die etwa seit den sechziger Jahren von den öffentlichen, seit den siebziger Jahren auch von den wissenschaftlichen Bibliotheken diskutierte Frage des Sammelns dieses Materials ihrer Sonderstellung beraubt. Wie zum Beispiel die Schallplatte oder die Diskette ohne große Probleme in das Erwerbungsprofil eingegliedert wurde, so auch nun das audiovisuelle Material. So rechnet etwa Karl Heinz Weimann in seiner Bibliotheksgeschichte von 1975 Film, Schallplatte, Tonband und audiovisuelles Medium zum Sammelgut einer Hochschulbibliothek und ordnet ihr damit auch die Funktion zu, Lehrfilme in Hörsäle zu übertragen.16 Eine dritte Tendenz für den Einsatz audiovisueller Medien in Hochschulbibliotheken zeichnet sich Ende der 1970er Jahre ab. Hier geht es nicht um die Bereitstellung von erworbenem Material, sondern um die Information zur Bibliotheksbenutzung mittels derartiger Medien. Eine Zusammenstellung dieser Tendenz liefert zum Beispiel Wolfhard H. Anders, wobei er feststellt, dass sich „der Medieneinsatz im Bibliotheksbereich zu etablieren beginnt, nachdem die Euphorie der ersten
15 s. Anm. 3. 16 Karl Heinz Weimann: Bibliotheksgeschichte, München 1975, S. 115–117.
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Jahre vorbei ist“.17 Das „Lexikon der audiovisuellen Bildungsmittel“ weist für 1971 16 Tonbildschauen und 2 Videoprogramme aus.18 Ein charakteristisches Beispiel für diese Entwicklung hat bereits 1979 Horst Schild mit seinen „Technischen Ratschlägen für die Produktion einer Tonbildschau“19 geliefert. Auch diese Darstellung zeigt, dass der umfassende Einsatz elektronischer Medien auf Reserven stößt. So geben die meisten Hochschulbibliotheken der statischen Diaschau mit Tonerläuterungen den Vorzug vor einer filmischen oder elektronischen Einführung in ihre Benutzung. Eine vierte Tendenz läßt sich in der Mitte der sechziger Jahre feststellen. Nun sind die Bibliotheken bestrebt, die Elektronik zur allgemeinen bibliographischen Information einzusetzen. Diese Entwicklung wird von dem Übergang von einem Zettelkatalog oder einem Ausdruck des elektronisch gespeicherten Katalogs initiiert und findet ihre Ausprägung in der Entwicklung von elektronischen Informationsnetzen. So befaßt sich der 1986 neu gegründete Arbeitskreis „Bibliotheken und Fachinformation“ ausdrücklich mit der Entwicklung und dem Einsatz neuer Produktions-, Speicher- und Distributionstechniken in Bibliotheken. Zur Konstituierung dieses Arbeitskreises hat Klaus-Dieter Lehmann einen grundsätzlichen Vortrag gehalten.20 Hier geht es nicht mehr um die Produktion oder die Darbietung von audiovisuellem Material oder die Darbietung ihrer Nutzungsmöglichkeiten durch Bibliotheken, sondern um den weltweiten Austausch von Informationen über entsprechende elektronische Netze mit den damit verbundenen Hard- wie Softwarefragen und der entsprechenden nationalen wie internationalen Standardisierung. Schließlich erfolgte – als fünfte Tendenz – in den neunziger Jahren eine gewisse Rückkehr zu dem Plan, audiovisuelle Zentren mit Hochschulbibliotheken zu verbinden. So begründete das Hochschulbibliothekszentrum 1996 den Arbeitskreis INETBIB, der die Rolle der elektronischen Publikationen, jedoch auch das E-learning, den Digitalisierungsprozess und den Suchmaschinenbetrieb als bibliothekarische Aufgaben untersuchen sollte. 1996 hat der Bibliotheksausschuß der Deutschen Forschungsgemeinschaft ausdrücklich die „Hochschulbibliothek als Verleger“ gefordert, deren Aufgabe es sei, die in elektronischer Form vorliegenden Forschungsergebnisse des Lehrkörpers den Angehörigen der Hochschule online
17 Wolfhard H. Anders: Audiovisuelle Medien zur Einführung in die Benutzung einer Hochschulbibliothek. In: Verband der Bibliotheken des Landes Nordrhein-Westfalen. Mitteilungsblatt. N.F. 30.1980, S. 14–23. 18 Lexikon der audiovisuellen Bildungsmittel. Hrsg. von Heribert Heinrichs, München 1971, S. 211. 19 In: Benutzerschulung in Hochschulbibliotheken, München 1979, S. 199–212. 20 Klaus Dieter Lehmann: Bibliotheken im Netz. In: Umschau 1986, S. 299–300.
AUDIOVISUELLE ZENTREN
zugänglich zu machen. Christian Benz hat in der Festschrift für Hans Limburg 1998 ausdrücklich gefordert, dass die Hochschulbibliothek in den Veröffentlichungsprozess „eingeklinkt“ werden soll.21 Das blieb natürlich nicht ohne Widerspruch seitens der Verleger22 und der bibliothekarischen Seite. Doch ist dieser Prozess wohl nicht aufzuhalten, wie das Lüneburger Symposium „Buchwissenschaft – Medienwissenschaft“ im Jahre 2003 zeigte.23 In seinem dort gehaltenen Vortrag stellt Wolfgang Schmitz ausdrücklich fest, dass sich die Hochschulbibliothek nicht nur in der Sammlung und Bereitstellung digitaler Medien, sondern auch in ihrem Herstellungsprozess engagieren muß. Mit diesen drei Aufgaben der Erwerbung, Bereitstellung und Herstellung von digitalen Medien – wozu natürlich als notwendige Folge auch die entsprechende Geräteausstattung kommt – wird die Bochumer Konzeption von 1971 eines audiovisuellen Zentrums innerhalb der Hochschulbibliothek wieder aufgegriffen, wenn auch in einer geänderten Form, die den seitherigen technischen Entwicklungen Rechnung trägt.
21 Christian Benz: Die deutsche Hochschulbibliothek auf dem Weg zur Electronic Library: In: De Officio Bibliothecarii, Köln 1998, S. 25–39. 22 Vittorio E. Klostermann: Bibliothek als Verleger. In: Wolfenbütteler Notizen zur Buchgeschichte. 24.1999, S. 57–65. 23 Schmitz, Wolfgang: Das Buch und andere Medien aus bibliothekswissenschaftlicher Sicht. In: Buchwissenschaft – Medienwissenschaft, Wiesbaden 2004, S. 149–166.
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FRANKFURT, LEIPZIG, WIEN – UND DIE BIBLIOTHEKEN IM OSTEN. AUCH BEGEGNUNGEN MIT KLAUS-DIETER LEHMANN MAGDA STREBL
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rankfurt am Main entwickelte sich seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts zum Zentrum des europäischen Buchhandels. Ab 1564 erschienen die ersten Messkataloge; sie vermitteln einen Überblick über das geistige Schaffen in ganz Europa, und wurden, als ein wichtiges Werbeinstrument der Drucker und Verlage, auch von vielen Bibliotheken genutzt. Die größte Ausdehnung erreichte die Frankfurter Buchmesse zwischen 1560 und 1630, neben den deutschen nahmen auch Verlage aus den Ländern der heutigen Schweiz, den Niederlanden, aus Frankreich, Italien, England, Böhmen, Polen, Russland und Dänemark an ihr teil. Die kaiserliche Hofbibliothek in Wien reicht mit ihren Anfängen bis in das 14. Jahrhundert zurück. Seit der Erfindung des Buchdruckes entwickelte sie sich zu einer der bedeutendsten Universalbibliotheken. Die Herstellung der gedruckten Bücher war aufwendig, deshalb bemühten sich die Verleger nicht nur um landesfürstliche, sondern auch um kaiserliche Druckprivilegien, um ihre Produkte gegen Nachdruck zu schützen. Als Gegenleistung waren Belegexemplare an die kaiserliche Hofkanzlei abzuliefern. Seit 1569 hatte eine kaiserliche Bücherkommission ihren Sitz in Frankfurt. Ihre Aufgabe war einerseits die Kontrolle der Ablieferung der Privilegienexemplare, andererseits die Überwachung der Bücher in politischer und religiöser Hinsicht. Eine für Verleger und Buchhändler ungeliebte Einrichtung. Ein Erlaß Kaiser Rudolfs II. vom 15. März 1608 verfügte die Ablieferung nicht nur der Privilegienexemplare, sondern eines Exemplares aller aus dem geographischen Einzugsbereich auf der Buchmesse gehandelten Exemplare. Dieser Erlaß wurde immer wieder verschärft in Erinnerung gebracht. Außerdem war die Ablieferung nach Prag bzw. nach Wien mit hohen Transportkosten verbunden. Daß diese Bestimmungen dem Handelsplatz Frankfurt schweren wirtschaftlichen Schaden zufügten, ist verständlich. Die Buchhändler und Verleger übersiedelten daher in das landesfürstliche sächsische Leipzig, wo sie dem unmittelbaren Zugriff eines kaiserlichen Kommissars entzogen waren. Ab 1693 erreichte kaum mehr ein Privilegienexemplar die Hofbibliothek in Wien. Die Händler aus England, den Niederlanden, Venezien
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hatten schon früher Ausnahmen von der Ablieferung erreicht oder sich jeweils vom Messeplatz Frankfurt zurückgezogen. Da jedoch ein Großteil der betroffenen Literatur an der heutigen Österreichischen Nationalbibliothek dennoch vorhanden ist, waren diese Klagen in Wien überzogen oder man hat die Exemplare nach Möglichkeit später käuflich erworben. Auch die Messkataloge erschienen nun in Leipzig und bildeten auch in Wien wichtige Nachschlagewerke, historisch gesehen noch heute. Während der Regierungszeit Maria Theresias (1740–1780) wurde in den Ländern der österreichischen Reichshälfte eine großzügige Bibliotheksreform durchgeführt, die wesentlich vom Präfekten der Hofbibliothek in Wien, Gerard van Swieten (Präfekt 1745–1772) getragen wurde. Universitäten wurden gegründet und erhielten eigene Bibliotheken. In jenen Kronländern, die keine Universitäten besaßen, wurden Studienbibliotheken eingerichtet. Ebenso wurden insgesamt 14 „Matices“ als kulturelle Zentren geschaffen, die meist mit den Bibliotheken im Konnex waren. Heute besteht nur mehr eine: die Mati´ca Slowenska nahe der heutigen slowakischen Nationalbibliothek in St. Martin, Slowakei. Alle diese Bibliotheken standen untereinander und mit der Hofbibliothek in engem Kontakt bei Leihund Tauschverkehr und dieses hinweg über die Zeit des Zusammenbruches der österreichisch-ungarischen Monarchie und der zahlreichen politischen Veränderungen, die sich in diesen Ländern vollzogen haben; bis in unsere Tage setzen sich die Kontakte und die Zusammenarbeit fort. Ein bleibendes Zeugnis dieser Zusammenarbeit ist der weltweit wohl älteste umfangreiche Zeitschriftenzentralkatalog, erstellt vom Direktor der Universitätsbibliothek Wien, Ferdinand Grassauer, welcher 1898 unter dem Titel „Generalkatalog der laufenden periodischen Druckschriften an den österreichischen Universitäts- und Studienbibliotheken“ erschienen ist und die Zeitschriftenstandorte in allen heutigen Nachfolgestaaten der Donaumonarchie nachweist. Seit 1815 gab es in Deutschland keine offizielle Stelle, die das gesamte Schrifttum des Reiches sammelte. Eine Abhilfe wurde durch eine freiwillige Vereinbarung im Börsenverein des Deutschen Buchhandels zur Gründung der Deutschen Bücherei in Leipzig im Jahre 1912 geschaffen, die das gesamte deutschsprachige Schrifttum ab 1913 sammelt. Es war auch somit das deutschsprachige Schrifttum Österreichs und seine bibliographische Erfassung miteinbezogen und blieb es bis heute. Die Deutsche Bücherei in Leipzig galt bald als vorbildlich organisiert und geführt. So erhielt auch Josef Stummvoll, später Generaldirektor der Österreichischen Nationalbibliothek von 1948 bis 1968, in Leipzig seine Ausbildung und arbeitete hier von 1925 bis 1933. Eine wesentliche Verbindung zwischen Leipzig und Wien lag auch in der Person von Josef Bick, Generaldirektor der Nationalbibliothek in Wien von 1926 bis 1938
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und von 1945 bis 1948, der ab 1929 für mehrere Jahre Mitglied des Verwaltungsrates und des geschäftsführenden Ausschusses der Deutschen Bücherei in Leipzig war. (Bick wurde 1938 in seinem Büro in der Nationalbibliothek in Wien verhaftet und mit dem ersten Transport in das Konzentrationslager Dachau, später dann nach Sachsenhausen überstellt, später bis Kriegsende in Hausarrest entlassen und von 1945 bis 1948 wieder als Generaldirektor der Österreichischen Nationalbibliothek eingesetzt). Auch nach dem Anschluß Österreichs an das Deutsche Reich 1938 wurden der internationale und nationale Tausch- und Leihverkehr aufrechterhalten, soweit dieser durch Kriegsereignisse nicht behindert war. Nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges trachtete die Österreichische Nationalbibliothek, wieder Anschluß an ihre früheren bibliothekarischen Partner im Ausland zu erlangen, wobei der amtierende Generaldirektor Josef Bick damals oft mühsame Auslandsreisen auf sich nahm, obwohl er bereits das gesetzliche Dienstalter überschritten hatte. 1946 gründete er die Österreichische Bibliographie – auch als Zeichen der Abhebung eines von Deutschland unabhängigen Österreichs – aber nach dem bewährten Muster der deutschen Nationalbibliographie. Josef Stummvoll, seit 1948 Generaldirektor der Österreichischen Nationalbibliothek, suchte wieder Verbindung mit der Deutschen Bücherei in Leipzig, wohl in Erinnerung an seine dortige Tätigkeit in den 20er Jahren, in denen er die fachliche Qualität dieser Bibliothek schätzen gelernt hatte. Sie sollte den Tausch primär der wissenschaftlichen Literatur zwischen der DDR und Österreich wieder in Gang bringen. In der Folge besuchten Bibliothekare aus beiden Institutionen wechselseitig die Bibliotheken und lernten neben der Arbeit auch viele Kollegen und deren Probleme kennen. Nach der Trennung der beiden Deutschland wurde 1946 die Deutsche Bibliothek in Frankfurt/M. gegründet, die ihrerseits eine Deutsche Bibliographie herausbrachte. Zu dieser Institution entstanden intensive Beziehungen, die den Austausch einzelner Bibliothekare über einige Wochen hindurch ermöglichten. In den 60er Jahren bemühte man sich um eine Annäherung der Katalogisierungsvorschriften an neue internationale Standards und war bestrebt, ein gemeinsames Regelwerk in Deutschland einzuführen. Da damals gemeinsame Tagungen zwischen den beiden deutschen Bibliotheken in Leipzig und Frankfurt nicht möglich waren, veranstaltete man „Internationale Arbeitsgespräche“ gemeinsam mit Vertretern österreichischer Bibliotheken in Wien, so dass sich Österreich den neuen „Regeln für die alphabetische Katalogisierung“ (RAK) anschloß. Um 1975 begann man auch in Österreich mit den Vorarbeiten für die Einführung der EDV im Bibliothekswesen. Hier war man um einen engen Erfahrungsaustausch mit der Deutschen Bibliothek in Frankfurt bemüht. Gespräche und
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Fortbildungsveranstaltungen fanden in Frankfurt und in Wien statt. In dankenswerter Weise hatte damals Generaldirektor Günther Pflug die österreichischen Bemühungen sehr unterstützt. Seitens der Österreichischen Nationalbibliothek, aber auch der Universitätsbibliotheken in Graz und in Wien wurden Beziehungen zu den Bibliotheken in Ost- und Südosteuropa aufgenommen, vornehmlich jenen der ehemaligen österreichisch-ungarischen Monarchie. Die Erwerbung der Literatur aus diesen Ländern war wegen der damals bestehenden Devisenbestimmungen schwierig. Man behalf sich, wie auch bei Leipzig, mit Seitenverrechnung. Anläßlich eines späteren internationalen Kongresses berichtete der Vertreter einer Tauschbibliothek im Osten, dass die Entlehnung der aus Österreich kommenden Bücher verboten war: „aber merkwürdigerweise waren viele Bücher schon sehr zerlesen, bevor sie in den Regalen der Magazine zur Aufstellung kamen“ – was man in Wien längst vermutet hatte. Gerne folgten Vertreter dieser Bibliotheken aus dem Osten der Einladung zu den österreichischen Bibliothekartagen oder zu Fortbildungsveranstaltungen, die auch die Möglichkeit zu Gesprächen mit Kollegen aus anderen westeuropäischen Bibliotheken gaben. Gegeneinladungen folgten, etwa anlässlich der Übersiedlung der Ungarischen Nationalbibliothek in ihren neuen Standort auf der Burg von Budapest. Auch Generaldirektor Pflug aus Frankfurt war gekommen. Ebenso gab es Einladungen nach Prag, Bratislava und St. Martin. Auch bei den jährlich stattfindenden Kongressen der IFLA ergaben sich vereinzelt Gespräche und fachliche Annäherungen. In Leipzig hatte man ein Institut für Restaurierung eingerichtet, das besonders unter der Leitung von Wolfgang Wächter neue Wege der Papierrestaurierung beschritten hatte. Der Leiter des Österreichischen Instituts für Restaurierung, Otto Wächter, auch als Lehrer an der Akademie der Bildenden Künste in Wien tätig, lud den Leipziger Kollegen zu einem Symposion nach Wien ein, um gegenseitig neue Methoden der Restaurierung vorzustellen. Gemeinsam mit IFLA, FID und ICA veranstaltete die Österreichische Nationalbibliothek im Jahre 1986 ein Seminar „Teaching of Conservation and Preservation“ in Wien, an dem Fachleute aus allen Kontinenten, darunter auch Vertreter aus mehreren Oststaaten, teilnahmen, und bei dem auch das in Wien mit finanzieller Unterstützung der Stiftung Volkswagenwerk von Otto Wächter entwickelte Papierentsäuerungsverfahren präsentiert wurde. Umgekehrt nahmen auch Vertreter Österreichs an Veranstaltungen in Leipzig teil und schließlich 1988 an der Abschiedsfeier für Generaldirektor Günther Pflug an der Deutschen Bibliothek in Frankfurt, bei der die Vertreterin Österreichs die Dankesansprache für die ausländischen Bibliothekare halten durfte. Bei dieser Gelegenheit wurde auch der Gefeierte dieser Festschrift als nachfolgender Generaldirektor in Frankfurt eingeführt.
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Besondere Beachtung fand bei diesem Festakt auch die Anwesenheit von Generaldirektor Helmut Rötzsch von der Deutschen Bücherei in Leipzig; wohl die erste offizielle Teilnahme eines Bibliotheksdirektors aus der damaligen DDR in der BRD. Die beginnende Annäherung von Ost- und West-Deutschland war nicht zu übersehen. 1989 kam es dann zur Wiedervereinigung Deutschlands. Im Einigungsvertrag wurde ausdrücklich die Vereinigung der Bibliotheken Frankfurt und Leipzig festgeschrieben. Durchführung und Neuorganisation oblag dem neuen Generaldirektor Lehmann – ein in vielen Schichten schwieriger Auftrag. Da sich Klaus-Dieter Lehmann kurze Zeit später anlässlich eines Symposions in Wien aufhielt, war sehr wohl zu erkennen, wie er sich einsetzte, die oft diffizilen Personalfragen in jedem Einzelfall mit menschlichem Gespür und in direkten persönlichen Gesprächen zu lösen. 1987 war die Conference of European National Libraries (CENL) gegründet worden; zunächst unter dem Vorsitz Großbritanniens, dann von Klaus-Dieter Lehmann übernommen, mit vielen Initiativen zur internationalen Zusammenarbeit und Einbeziehung von Nationalbibliotheken auch außerhalb der Europaratländer. Im Vertrauen auf die Kontakte zu den Nationalbibliotheken im Osten aufgebaut und gepflegt, wurden Direktoren dieser Bibliotheken nach Wien eingeladen. Es entstand ein Arbeitskreis, der – so könnte man sagen – die EU-Erweiterung 2004 im Bereich der Nationalbibliotheken vorweggenommen hatte. Zunächst war es ein gegenseitiges Erkunden des jeweiligen organisatorischen und informationstechnischen Entwicklungsstandes, dann die Aktivierung eines Rahmenprogramms zur Entwicklung von Forschung und Technologie mit dem Ziel, neue Formen zur besseren Zusammenarbeit und Zugänglichmachung aller Bibliotheksbestände zu erreichen. Den Fortschritt dieser Entwicklung habe ich nur aus ruheständlicher Distanz erlebt. Die raschen Änderungen der Technik fordern immer weitere Aktivitäten. Abseits der bisher genannten Bibliotheksaktivitäten wurde das österreichische Bundesministerium für Auswärtige Angelegenheiten tätig und errichtete seit 1990 in osteuropäischen Ländern „Österreich-Bibliotheken“, meist bei bestehenden universitären Einrichtungen, mit den Schwerpunkten bei österreichischer Literatur, Geschichte und Kunst. Zunächst war an zehn Bibliotheken gedacht, heute sind es bereits mehr als 50 Österreich-Bibliotheken. Sie haben ähnliche Aufgaben wie die deutschen Goethe-Institute, sind aber anders organisiert. Nicht unerwähnt darf aber bleiben, dass viele österreichische und deutsche Bibliothekare jeweils an den deutschen bzw. österreichischen Bibliothekartagen gerne teilnahmen und auch zu Vorträgen eingeladen wurden und werden – wichtige Gelegenheiten für viele Gespräche zur fachlichen Fortbildung, aber auch zu
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MAGDA STREBL Fußballmatch der Bibliothekare Deutschland : Österreich Klaus-Dieter Lehmann und Magda Strebl
geselligem Beisammensein und menschlichen Kontakten. Einmal wurde sogar ein Fußballmatch Deutschland : Österreich veranstaltet. Sehr „stilgerecht“ haben dabei die beiden Bibliotheksverbandspräsidenten Klaus-Dieter Lehmann und Magda Strebl gleichzeitig mit zwei Fußbällen das Match angekickt. Auch zweier Ereignisse darf gedacht werden: der feierlichen Eröffnung des jahrzehntelang erkämpften Tiefspeichers der Österreichischen Nationalbibliothek im September 1992, bei welcher Klaus-Dieter Lehmann die Festansprache hielt Und nur wenige Wochen später der im Redoutensaal der Wiener Hofburg ausgebrochene Brand – in unmittelbarer Nachbarschaft zur Österreichischen Nationalbibliothek mit dem weltberühmten barocken Prunksaal aus dem 18. Jahrhundert. Seit zwei Uhr nachts waren Feuerwehr und Polizei im Einsatz, um eine noch
Eröffnung des neuen Tiefspeichers der Österreichischen Nationalbibliothek Wien 1992, Festansprache Klaus-Dieter Lehmann
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größere Katastrophe zu verhindern. Als die ärgste Gefahr des Übergreifens des Brandes gebannt war, und ich erschöpft in die Räume der Direktion zurückkehrte, teilte man mir mit, dass ein Anruf aus der Deutschen Bibliothek in Frankfurt eingelangt war und Hilfe angeboten wurde. Eine solche spontane Geste der Hilfsbereitschaft gibt ungemein Auftrieb. Im März 1993 bin ich in den Ruhestand getreten und beobachte seither mit dem gebotenen Abstand die weitere Entwicklung der Bibliotheken, in Österreich und in Frankfurt, Leipzig und Berlin, aber auch die umfassenden Arbeiten im Bereich der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. „Wer hat, dem wird gegeben werden“ (Lk 19,26), doch nicht Geld und Reichtum – sondern Arbeit. Wer die ihm anvertrauten Arbeiten gut macht und viele Talente einzusetzen vermag, dem werden immer mehr und weitere Arbeiten anvertraut. Klaus-Dieter Lehmann ist ein Beweis dafür.
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DIE WIEDERERSTANDENE BIBLIOTHECA ALEXANDRINA HANS-PETER GEH
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ehr gern komme ich der Bitte nach, einen Beitrag für die Festschrift von KlausDieter Lehmann zu schreiben. Dies um so mehr, als ich den Herrn Präsidenten bereits während seiner theoretischen Ausbildung an der Frankfurter Bibliotheksschule, die ich bis 1970 geleitet hatte, kennen- und schätzen gelernt habe. Schildern möchte ich ein Projekt, dem ich seit 1987 verbunden bin und das mich auch heute noch fasziniert: die Wiedererstehung der Bibliotheca Alexandrina. Damals wurde ich als Präsident der IFLA von der UNESCO gebeten, in einem Team von Architekten, Informationswissenschaftlern und Bibliothekaren, darunter auch Ahmed Helal, an Feasibility Studies mitzuarbeiten, um zu erkunden, auf welche Weise ein solcher Plan in die Wirklichkeit umgesetzt werden könnte. „Medizin für die Seele“ oder noch griffiger in der englischen Form „Hospital for the soul“ hieß der Wahlspruch der bedeutendsten Bibliothek des Altertums. Über zwei Jahrtausende hinweg ist der Mythos dieser Bibliothek tief im kulturellen Bewusstsein der Menschen verankert geblieben. Zu allen Zeiten fand die Bibliothek Erwähnung in den Werken bedeutender Autoren von Seneca und Plutarch bis hin zu Jorge Luis Borges und Umberto Eco. Die Ermittlung der bisher erschienenen Publikationen hat bereits die Zahl 2000 überschritten. Vor allem in der Zeit der Aufklärung begann man Forschungen über die erste öffentliche Bibliothek, ihre Bestände und ihre Benutzer durchzuführen. Doch sehr bald musste man erkennen, dass die Quellenlage außerordentlich dürftig ist und die Schilderung späterer Autoren oftmals dazu noch ungenau oder gar unglaubwürdig. Fest steht jedoch, dass Alexandria im April 331 vor Christus von Alexander dem Großen, der keinen Geringeren als Aristoteles zum Tutor hatte, als Hafenund Handelsstadt auf dem afrikanischen Kontinent gegründet worden ist. Bereits vier Jahrzehnte später ist vom Nachfolger Alexanders in Ägypten, Ptolemaios Soter, das Museion und die Bibliothek im königlichen Bezirk Alexandrias errichtet worden; und wiederum 50 Jahre danach als Tochterbibliothek das Serapeum. Berühmte Gelehrte, z. B. Aristardes, Erastostenes, Euclid, der in Alexandria geboren wurde, Archimedes und Kallimachos, der Dichter und gelehrte Verfasser des Bestandskatalogs (Pinakes), dem Rudolf Blum den Charakter einer Nationalbibliographie beimisst, haben dort gewirkt. Darüber hinaus bezeichnet Blum die
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Bibliothek aufgrund ihres umfassenden Sammelcharakters inländischer und ausländischer Literatur als Nationalbibliothek im modernen Sinn. Doch nach rund 250 Jahren wurde dieser großartigen wissenschaftlichen Institution ein vernichtender Schlag versetzt, von dem sie sich nicht mehr erholt hat: Im alexandrinischen Krieg, den Julius Cäsar im Jahre 48 führte, wurde im Hafenbecken von Alexandria die gegnerische Flotte von den Römern in Brand geschossen und das Feuer sprang auch auf die Bibliothek, die sich in Ufernähe befand, über. Die Verlustzahlen bei den einzelnen Autoren differieren erheblich. Nach neueren Berechnungen soll der Bestand 700.000 Rollen – etwa 100.000 Werke – umfasst haben, von denen der allergrößte Teil verbrannt sein dürfte. Die Bestände im Serapeum, das im ägyptischen Bezirk lag, standen jedoch der Öffentlichkeit bis zum Jahre 391 weiterhin zur Verfügung. In jenem Jahr ist durch ein Dekret des Kaisers Theodosius, das die Vernichtung des heidnischen Schrifttums zum Ziel hatte, auch dieser Bestand ein Opfer der Flammen geworden. Nur ein Papyrus der alten Bibliothek ist nach heutigem Forschungsstand erhalten geblieben; er befindet sich in der Österreichischen Nationalbibliothek. Nach diesem sehr kurzen Abriss über die alte Bibliothek soll nun in der gebotenen Kürze die Entstehung der heutigen Bibliotheca Alexandrina geschildert werden. In den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts haben sich der damalige Rektor der Universität von Alexandria, der Mediziner Professor Lotfi Dowidar, und der Historiker Mostafa El-Abbadi („The life and fate of the ancient Library of Alexandria“, UNESCO 1990) die Wiedererstehung der alten Bibliothek zum Ziel gesetzt. Sie wandten sich zunächst an die ägyptische Regierung und später direkt an Präsident Mubarak. Bei einem Besuch des damaligen Generaldirektors der UNESCO, Amadou-Mahtar M’Bow, in Ägypten 1986 wurde ein Engagement der Weltorganisation bei diesem Projekt erörtert. Auf den positiven Bericht des Generaldirektors hin, fasste das Executive Board der UNESCO wenige Monate danach folgenden Beschluss: „to cooperate within the limits of UNESCO’s resources with the Egyptian government in the implementation and execution of this project.“ Bereits ein Jahr später richtete M’Bow einen Appell an alle Mitglieder der UNESCO, das Projekt von „universaler Dimension“ zu unterstützen. Im März 1988 fand ein erstes Expertentreffen auf Einladung der UNESCO und der ägyptischen Regierung in Alexandria statt, bei dem beschlossen wurde, Machbarkeitsstudien für die einzelnen Bereiche zu erstellen. Vorrangig ging es sodann, nachdem bereits am 26. Juni des gleichen Jahres die Grundsteinlegung durch den ägyptischen Präsidenten und den neuen Generaldirektor der UNESCO, Federico Mayor, vorgenommen worden war, um die Ausschreibung und Durchführung des Architektenwettbewerbs unter der Ägide der International Union of Architects.
DIE BIBLIOTHECA ALEXANDRINA
Am Wettbewerb, der von UNESCO/UNDP finanziert wurde, nahmen 524 Büros aus aller Welt teil. Den ersten Preis erhielt von der prominent besetzten Jury ein internationales Architektenteam zuerkannt: Snohetta Architektur Landscapt Associates (Norwegen). Danach bestand eine wesentliche Aufgabe der Verantwortlichen darin, die notwendigen Mittel für den Bau und seine Einrichtung einzuwerben, nach damaliger Schätzung etwa 200 Millionen US-$. Zu diesem Zweck wurde von der UNESCO und der ägyptischen Regierung eine „International Commission for the Revival of the Alexandrian Library“ berufen. Sie bestand aus 18 Mitgliedern: u. a. Königin Noor von Jordanien, Sofia von Spanien, Prinzessin Caroline von Monaco, dem Herrscher der Vereinigten Arabischen Emirate, Sheikh Zayed, Präsident Mitterand, Melina Mercouri und dem Verfasser dieses Beitrags. Bei dem „Fundraising Meeting“ in Assuan am 12. Februar 1990 hielt jedes Mitglied eine wohlfeile Ansprache; das wichtigste für die Veranstalter war jedoch die Zusage einer kräftigen finanziellen Unterstützung für dieses anspruchsvolle Projekt. Dem wurden vor allem die Vertreter der Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabiens und des Irak gerecht, die zusammen 64 Millionen US-$ in den Spendentopf warfen. Die anderen Kommissionsmitglieder versprachen entweder Sachspenden (z. B. Informationstechnologie von Frankreich) oder aber sicherten ideelle Unterstützung zu. Zum Abschluss ist in Assuan eine Deklaration in Arabisch, Englisch und Französisch verabschiedet worden. Darin wird in wohlgesetzten, ja geradezu pathetisch klingenden Worten das Projekt und seine Bedeutung beschrieben und an die Völker der Welt appelliert, es nach Kräften zu unterstützen: „This Library is the attempt to constitute a summum of knowledge, to assemble the writings of all the peoples“. Am 30. Oktober wurde dann das Dokument zur Realisierung des Baus und drei Jahre später am 24. Oktober 1993 der Vertrag mit Snohetta unterzeichnet. Im Mai 1995 erfolgte der erste Spatenstich und im Sommer 2002 konnte nach mehreren Verzögerungen das Gebäude seiner Bestimmung übergeben werden. Das Grundstück im Wert von 60 Millionen US-$ – nahe der alten Bibliothek gelegen – wurde von der ägyptischen Regierung zur Verfügung gestellt. Die eigentlichen Baukosten beliefen sich auf 225 Millionen US-$, von denen Ägypten etwa 140 Millionen beisteuerte. Was nun die Konzeption des Baus anbelangt, bei der das Symbol der Sonne – tief verwurzelt in der alten ägyptischen Tradition und Religion – eine besondere Rolle spielt, so sei zusammenfassend die Charakterisierung durch den Vorsitzenden der internationalen Jury, Professor Carl Warneke (USA), wiedergegeben: „In this winning design the library is in a form of a tilted cylinder whose circular roof slants
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subtly towards the sea and the harbour and points towards the sky, the sun and the moon. A large portion of the library is underground. And from the ground level it appears as a strong cylindric masonry form emerging from the earth. It emerges from this particular site like the rebirth of an earlier form: the ancient library of Alexandria.“ Das hervorstechendste Merkmal dieses Gebäudes ist die runde Form. Von besonderem Interesse ist die imposante Außenmauer, die einen Raum von 160 Metern Durchmesser umgibt und mit 6000 Granitplatten aus Assuan, in die etwa 4000 Zeichen aus den Alphabeten der Welt eingemeißelt wurden, versehen ist. Die Gestaltung ist ein Werk der norwegischen Künstlerin Jorunn Sannes. Das Gebäude, das sich zwischen dem Meer im Norden und den geistes- und sozialwissenschaftlichen Universitätseinrichtungen im Süden erstreckt, hat elf Stockwerke, ist an der höchsten Stelle 33 Meter hoch und hat eine Nutzfläche von etwa 55.000 m2. Hinzu kommt das Konferenzzentrum mit etwa 33.000 m2. Zentraler und zugleich architektonisch hervorstechendster Teil sind die terrassenförmig ansteigenden und auf sieben Ebenen untergebrachten Fachlesesäle, die 2000 Arbeitsplätze und 300 Workstations für die Benutzer bieten. Imposant ist auch der Abschluss des Gebäudes durch eine flache, feingliedrige Glas- und Aluminiumkuppel, durch die mildes Nordlicht dringt. Sie funkelt abends wie ein gigantischer Microchip an Alexandrias imposanter Strandpromenade, der Corniche. Das Gebäude enthält neben der Erwachsenenbibliothek noch eine Kinder-, eine Jugend-, eine Blinden- und eine Multimediabibliothek sowie eine spezielle Handschriften- und Rara-Abteilung mit einem nach modernsten Gesichtspunkten eingerichteten Buchmuseum. Dazu kommen noch ein Kalligraphie-Zentrum, das Museum für Altertümer, das zahlreiche imposante Fundstücke enthält, die in der
Das hervorstechendste Merkmal der Bibliotheca Alexandrina ist die runde Form
DIE BIBLIOTHECA ALEXANDRINA Sie funkelt abends wie ein gigantischer Microchip an Alexandrias imposanter Strandpromenade
Baugrube für die Bibliothek zum Vorschein kamen (z. B. ein herrliches BodenMosaik) und Stücke, die Unterwasserarchäologen kürzlich im vorgelagerten Hafenbecken fanden, und schließlich das Museum für Technikgeschichte. Außerdem gibt es für Dauer– und Wechselausstellungen zahlreiche, über das Haus verteilte Einrichtungen. Und schließlich wären neben dem von der italienischen Regierung äußerst großzügig ausgestatteten Restaurierungslaboratorium auch noch zahlreiche Forschungszentren zu nennen. Für die Entstehung des Baus und die ursprüngliche Konzeption der Bibliothek zeichnete von ägyptischer Seite als Manager Dr. Mohsen Zahran, Professor für Architektur an der Universität Alexandria, verantwortlich. Dies war aus mancherlei Gründen eine sehr schwierige Aufgabe. Anfang 2001 übernahm dann der geniale
Der zentrale Teil der Bibliotheca Alexandrina: die auf sieben Ebenen untergebrachten Fachlesesäle
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Dr. Ismail Serageldin, der zuvor 8 Jahre Vizepräsident der Weltbank gewesen war und während dieser Zeit vielfältige internationale Kontakte zu bedeutenden Persönlichkeiten und Institutionen geknüpft hatte, die Leitung der Bibliothek. Für die Entwicklung der Bibliothek waren und sind von allergrößtem Nutzen Serageldins ausgezeichnete Kontakte zu Präsident Mubarak und insbesondere zur First Lady, die auch den Vorsitz im Board of Trustees innehat. Nur durch ihr großes Engagement und ihre stete Hilfsbereitschaft ist die Bibliothek zu dem geworden, was sie heute darstellt: eine Institution von nationaler und internationaler Bedeutung. Die Bibliotheca Alexandrina, die aus der eigentlichen Bibliothek, dem Konferenzzentrum, dem Planetarium und dem Dokumentationszentrum für das Kulturund Naturerbe CULTNAT in Kairo besteht, hat folgende Aufgaben: to be the world’s window on Egypt to be Egypt’s window on the world to be an instrument for rising to the digital challenge to be a scientific cultural and intellectual centre for the interaction between civilisations and cultures. In diesem Zusammenhang ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass die Bibliothek in Ägypten eine ganz besonders herausgehobene Stellung hat. Serageldin hat es nämlich erreicht, dass sie durch Law no. 1 zu einer autonomen Institution erklärt wurde, die direkt dem Präsidenten unterstellt ist. Darüber hinaus ist die Bibliothek, was in Ägypten von unschätzbarem Wert ist, von dem bürokratischen System des Staatsdienstes befreit („liberated from the civil service bureaucratic system“). Außerdem ist der Bibliothek zur Wahrnehmung ihrer vielfältigen Aufgaben große Flexibilität zugesichert worden. Dies gilt z. B. auch für die Festsetzung von Gehältern für Spitzenpositionen. Ferner regelt ein präsidiales Dekret die Struktur der Bibliothek. So gibt es neben dem Direktor, der sich übrigens Librarian of Alexandria und Director of the Bibliotheca Alexandrina nennt, zwei Gremien, die international besetzt sind: Das Council of Patrons: Königliche Hoheiten, Staatsmänner und andere hochgestellte Persönlichkeiten, die für die Bibliothek im weitesten Sinne gute Dienste zu leisten vermögen und Das Board of Trustees: „eminent Egyptians and non Egyptians for the library to benefit from their vision and their expertise“. Den Vorsitz in diesem Entscheidungsgremium führt, wie bereits erwähnt, Frau Mubarak. Die Bibliothek hat derzeit 1100 Personalstellen; bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass zahlreiche Führungspositionen mit jungen, tüchtigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern besetzt sind (fast 80 % des Personals ist unter 35 Jahre alt). Um die Arbeitsleistung hochzuhalten, werden in der Regel nur Drei-
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jahresverträge – selbstverständlich mit Verlängerungsmöglichkeiten – abgeschlossen. Für die eigentliche Bibliotheksarbeit sind 137 Stellen vorgesehen, für den Bereich Informationstechnologie 69, für Öffentlichkeitsarbeit 21, dazu 16 Tourguides, die Führungen durch die Bibliothek in mehreren Sprachen anbieten. Denn seit der großartigen feierlichen Eröffnung der Bibliothek am 26. Oktober 2002 im Beisein zahlreicher Staatsmänner sind bis heute etwa eine Million Besucher gezählt worden. Großer Wert wird in dieser vollautomatisierten Bibliothek (die im Bibliotheksbereich das System VTLS anwendet) auf Fortbildung der Bibliothekare gelegt. Einmal in der Woche werden an einem Vormittag Seminare oder Vorträge veranstaltet und außerdem werden den Bibliothekaren Stipendien für längere Auslandsaufenthalte angeboten. Was nun die Bestände anbelangt, so hat Dr. Serageldin als Technikfreak immer wieder die Meinung vertreten, dass durch das Internet und all die anderen elektronischen Möglichkeiten der Aufbau eines guten Buch- und Zeitschriftenbestandes nicht das Vordringlichste sei. Daher besitzt die Bibliothek derzeit nur etwa 350.000 Druckwerke, die zum großen Teil aus Bücherspenden stammen. Um den Bestandsaufbau wesentlich zu verbessern – eine Konzeption für eine umfassende Erwerbungspolitik liegt seit mehreren Jahren vor – wurden auf meine immer wieder vorgebrachten Empfehlungen hin Ende 2003 nicht nur zehn Fachreferenten, die zugleich auch noch in der Lehre im universitären Bereich tätig sind, eingestellt, sondern auch zum 1. Juli 2004 ein Chief Librarian. Die Findungskommission, die ich zu leiten hatte, wählte eine Ägypterin aus, die seit über 20 Jahren in den USA in leitenden Funktionen tätig war. Es ist zu hoffen, dass durch diese personellen Maßnahmen und einen ausreichenden Erwerbungsetat nun der Bestandsaufbau, der in den vergangenen Jahren immer wieder zu herber Kritik in der Weltpresse Anlass gab, zügig vorangetrieben werden kann. Mutig und bewundernswert sind die zahlreichen Aktivitäten, die sich die Bibliothek für die nächsten Jahre vorgenommen hat. So will man, um nur ganz wenige Beispiele zu erwähnen, 75.000 arabische Bücher in verhältnismäßig kurzer Zeit digitalisieren – Erfahrungen hat man schon mit der Digitalisierung einer großen Zahl von Handschriften gesammelt – und darüber hinaus ein „Knowledge Centre for the Digital Age“ aufbauen, wofür eine detaillierte Projektbeschreibung bereits vorliegt. Auch ist die Bibliothek sehr daran interessiert, mit der Europäischen Union zu kooperieren. So weilten bereits einige EU-Delegationen in Alexandria und ein versierter Beauftragter der Bibliothek – ein Europäer – pendelt ständig zwischen Alexandria und Brüssel. Man hofft in diesem Zusammenhang auch, dass das „EUArab Centre“ in Alexandria angesiedelt und dann der Bibliothca Alexandrina angegliedert werden wird.
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Eines ganz besonderen Zuspruchs erfreut sich auch das imposante Konferenzzentrum, das nicht nur für Tagungen, sondern für Veranstaltungen ganz unterschiedlicher Art eingerichtet ist: Vorträge, Rezitationen, Konzerte, Tanz, Folklore und natürlich auch bedeutende nationale und internationale Konferenzen. So fand im April 2004 ein höchst interessantes Symposium über Bio Vision statt, das künftig jährlich wechselnd in Lyon und Alexandria durchgeführt werden wird. 1300 Teilnehmer aus aller Welt kamen zu dieser hervorragend organisierten Tagung, darunter vier Nobelpreisträger. Hinzugefügt sei an dieser Stelle noch, dass die Bibliothek auch ein eigenes Orchester und einen Chor hat, deren Dirigent von der Oper in Kairo abgeworben wurde. Wie stark auch dieser Bereich der Bibliotheca Alexandrina Anklang findet, geht schon daraus hervor, dass jährlich etwa 400 gut besuchte Veranstaltungen dort stattfinden. Darüber hinaus dient der imposante Platz, der von der Bibliothek, dem Kongresszentrum und dem Planetarium eingerahmt wird, nicht nur als „Pausenhof“ für Leser – die Bibliothek ist meist bis auf den letzten Platz besetzt – und Veranstaltungsbesucher oder zum Flanieren junger Liebespaare in der lauen Abendluft mit herrlichem Blick auf das Meer, sondern wird auch zu zahlreichen Freilichtveranstaltungen einschließlich großer Empfänge genutzt. Die Internationalität dieser Bibliothek unterstreichen auch die derzeit 37 „Vereinigungen der Freunde der Bibliotheca Alexandrina“ rund um den Globus, welche die Bibliothek in mannigfacher Weise unterstützen und auch Vorschläge hinsichtlich der Aktivitäten der Bibliothek machen. Auch in Deutschland gibt es seit dem Jahr 2000 eine Vereinigung, deren Mitglieder der Bibliothek schon nennenswerte Spenden haben zukommen lassen: eine Telelift-Anlage, eine Jugendbibliothek, zwei kleine Omnibusse sowie eine Büchersammlung des Verlegers KG Saur. Jedes Jahr treffen sich Vertreter dieser Freundeskreise in Alexandria zum Gedankenaustausch und zu geselligem Beisammensein. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Bibliotheca Alexandrina bereits ein bedeutendes Kultur- und Kommunikationszentrum in Alexandria und weit darüber hinaus geworden ist. Eine wichtige Aufgabe besteht nun darin, dass nach bereits erfolgter sachgerechter personeller Ausstattung auch der Bestandsaufbau ganz entscheidend vorangetrieben wird. Dann wird die Bibliotheca Alexandrina in nicht allzu ferner Zukunft auch ein bedeutendes Informationszentrum sein. Die derzeitige finanzielle Ausstattung – etwa 25 Millionen US-$ jährlich – die unter Einschluss von Mitteln aus internationalen Hilfsprogrammen von der ägyptischen Regierung zur Verfügung gestellt wird, soll nach vorliegenden Planungen baldmöglichst auf eine breitere internationale Basis gestellt werden. Ob dies in naher Zukunft angesichts der weltweit angespannten wirtschaftlichen Situation
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gelingen wird, daran habe ich als kritisches, realitätsbewusstes Mitglied des Board of Trustees und des Finance-, Administration-, and Personnel-Committee so meine Zweifel. Im Interesse der Bibliotheca Alexandrina hoffe ich, eines Tages eines Besseren belehrt zu werden: INSHALLAH!
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or over two decades information technology has been revolutionising the work of national libraries. On top of that we have witnessed a speeding up of developments in global communication facilities and the Internet. From the point of view of library users, the key issue in those developments is remote access. Furthermore, in a digital world all kinds of traditional boundaries start to blur. Digitisation can be applied to a large variety of information and objects: texts, music, film, pictures, artefacts etc. Digitisation is the great equalizer. It all becomes a single homogeneous substance, to be delivered at the user’s screen. The user wants it there, no matter form what location it has to come, what the original medium is, or from what type of institution it originates. In order to keep up with these opportunities and the user’s expectations national libraries have to cross borders, not only borders between countries, but also borders between cultural sectors: libraries, archives and museums. During his presidency of CENL (the Conference of European National Librarians) Klaus-Dieter Lehmann greatly fostered cooperation among Europe’s national libraries. When he became president of the Stiftung Preußischer Kulturbesitz he took charge of one the world’s largest and richest conglomerates of cultural institutions which brings together museums, archives and libraries. Therefore it seems appropriate to me to devote this contribution to the Festschrift to the theme of crossing borders. Crossing national borders: The European Library Communication facilities and the Internet are no goal in itself: they transfer information for the user, who is eventually only interested in content. National libraries are among the largest content owners. They are keepers of the national heritage in writing and in print. They maintain major research collections and systematically collect – as a rule on the basis of legal regulations – all printed publications produced in their countries, and more and more also electronic publications. National libraries comprise the complete cultural and intellectual production of the world community. We can envisage revolutionary ways of opening up this universe, thanks to new technology.
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Europe’s national libraries already present themselves as one system, be it in a modest way. After a pilot period a relatively simple but very successful portal was launched in January 1997, which was called Gabriel. Created under the auspices of CENL, Gabriel aimed at providing information about Europe’s national libraries, their collections and their services in order to facilitate access to them, and fostering the development of new services based on a shared infrastructure. Gabriel serves as a comprehensive and up-to-date online guide. It also helped to build collaborative links between European national libraries in the field of networking. Every national library in Europe has appointed a contact person who is participating in the network of experts. Gabriel is still a rather simple portal, because searching for information is only possible by following the links to the individual libraries. To find a solution for this, a project was carried out, which was called The European Library. The aim was to prepare the ground for an operational service. As Director General of Die Deutsche Bibliothek, Klaus-Dieter Lehmann was one of the founding fathers of this ambition to create a virtual European library. The European Library is a professionally designed single access point to selected parts of holdings, spanning a range of collections in all the partner libraries. The service should enable a researcher or informed citizen in any country to utilise the resources not only of his own national library but also, during the same search session, the resources of any other partner national library which may hold material relevant to his or her interest. This integrated discovery and access tool will be multilingual and it will support the various character sets in use in CENL libraries. The feasibility of this venture has successfully been tested, with funding from the European Commission. The operational service is expected to be launched in the beginning of 2005. All CENL libraries are partners in this virtual European Library. In the first stage only the former project partners are participating as full members, but it is anticipated that more and more of the CENL member libraries will join the enterprise as full partners in the near future. The service will be managed by The European Library Office, which is established in the Koninklijke Bibliotheek. As a first step in the process of expanding the number of full participants the ten new Member States of the EU will participate in a EU-funded project. The impact of the project will be that TEL services will be available in all ten national libraries with an interface in the local language. Crossing borders between libraries, archives and museums By digitising heritage collections and providing user-friendly access, national libraries make it possible for anyone with internet access, anywhere in the world, to
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become acquainted with treasures that are preserved – and often hidden – in library stacks. An early example of cooperation between national libraries is the digitisation of two related atlases in The British Library and the Koninklijke Bibliotheek: the Atlas Beudeker and the Atlas Van der Hagen, important sources for the study of the life and art of the seventeenth and eighteenth centuries. The atlases are collections of maps and topographic images along with portraits, prints of cityscapes, maps, emblems and mythological scenes. The Atlas Beudeker (circa 1750) derives its name from the wealthy Amsterdam merchant Christoffel Beudeker (1675-1756). The collection is devoted to the northern and southern Netherlands. The atlas consists of 27 parts of 100 to 150 pages, interspersed with a few large pages containing smaller prints. Twenty-four parts are located in the British Library. The Atlas Van der Hagen (circa 1690) contains topographical illustrations and prints from the entire world. This relatively unknown atlas from the Koninklijke Bibliotheek consists of four leather-bound volumes, each about 100 pages. They were collected at the end of the seventeenth century, probably by the Amsterdam merchant Dirk van der Hagen. The Atlas contains about 450 maps and prints from all parts of the world. Of course archives and museums are digitising collections too. By presenting their collections jointly within one coherent framework, libraries, archives and museums are able to generate large added value to the user. The collections comprise different kinds of material, such as books, pamphlets, prints, commemorative medals, paintings, letters, other types of unique documents and a wide range of three dimensional artefacts ranging from ship models to harnesses. The objects are often not fully catalogued, they are sometimes vulnerable and therefore not easily accessible. An example of cross-sectoral co-operation is the ‘Digital Historical Atlas: Contemporary images and texts concerning Dutch history’, an initiative of the Koninklijke Bibliotheek and the Rijksmuseum in Amsterdam. A website is being developed to serve several types of users, e.g. experts at the universities with their students, teachers of history and their students at high schools and a wider audience that is interested in the ‘Age of Rembrandt and Vermeer’. The website will contain approximately 2200 pamphlets from the KB, and 600 historical prints and 200 commemorative medals from the Rijksmuseum. The infrastructure is developed in such a way that it can easily be extended with other types of objects like paintings and three-dimensional objects. Other organisations, such as archives, can co-operate and other periods can be included. Yet another example is the project ‘The Atlantic World: America and The Netherlands’. It is a digital collection, including books, maps, manuscripts, and
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photographs, among other materials. This collection presents an impression of the ties that have existed between the Netherlands and North America since the seventeenth century. The digital collection consists of extremely diverse materials. It comprises a few thousand digital images in all, which together form an impression of the life led by Dutch people in America. The collection touches on a variety of subjects. Complete rare contemporary books describe the complicated political situation in New Netherland. Unique manuscripts and drawings depict the personal experiences and impressions of travellers and of the new inhabitants of the New World. Maps show how limited the knowledge of the region actually was. Most of the objects come from the collection of the Koninklijke Bibliotheek and the Library of Congress. In addition there are objects from the Netherlands National Archives, the Amsterdam Municipal Archives, Netherlands Maritime Museum Amsterdam and the Artis Library of the Library of the University of Amsterdam. Together they form an entirely new digital collection that is accessible to a broad public. The Atlantic World collection is part of the ‘Memory of The Netherlands’, a large-scale, cross-sectoral digitisation project (www.geheugenvannederland.nl) coordinated and managed by the Koninklijke Bibliotheek. The material includes illustrations, written material, sound and moving pictures. Project proposals are to be submitted by the memory institutions themselves. Projects are chosen on the basis of national coverage and a proportionate spread among museums, libraries and archives. The website currently gives access to 55 collections from about 50 Dutch memory institutions, and more collections will be added. The Koninklijke Bibliotheek also co-operates with other national libraries whose collections throw light on aspects of Dutch history, for instance the Library of Congress and The British Library. The website currently also has an educational section, where secondary school teachers can find educational tools related to more than 30 collections. A scanning department was set-up in order to guarantee high quality scans. In 2001 the KB and OCLC formed a joint venture (Strata Preservation NV) to improve the professional management and exploitation of the service on a national and international scale. Crossing the traditional borders of the preservation challenge: the e-Depot at the Koninklijke Bibliotheek The primary goal of libraries is to serve their users. National libraries however, do have a specific responsibility towards future users, the generations to come: preservation of the national heritage. Medieval manuscripts and old and rare printed books are part of this heritage, and a spectacular part to that, but actually a relati-
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vely small part. National libraries are systematically collecting the current production, either in print or in electronic form, and that is going to be the major part of our heritage. It is the mission of national libraries to preserve those resources to ensure that they remain available and accessible for future generations. For this reason national libraries started building deposit libraries for electronic publications. Development of the KB deposit system The history of the e-Depot in the Koninklijke Bibliotheek goes back almost ten years. Already in 1994 it was decided to include electronic publications in the deposit collection. This was considered as a logical extension of the deposit for printed publications already in place. The KB was one of the first national libraries to make this decision. The era of the so-called big deals with international publishers had still to come, the electronic journal was still in its experimental phase. It would take another six or seven years for the peak of the Internet hype to be reached. The first pilot system the KB developed was together with AT&T/Bell Laboratories. After the AT&T conglomerate came into serious troubles in the late nineties, the KB had to look for another provider. Ever since, we have been co-operating with IBM. Along the way a lot of research has been carried out. A crucial step forward was the NEDLIB project (Networked Electronic Deposit LIBrary), which was co-funded by the European Commission and initiated and managed by the KB. In the project eight national libraries and three international publishers participated: Elsevier Science, Kluwer Academic Publishers and Springer. The main result of the project was a process model for an electronic deposit system. It is based on the principle that the process of archiving should be separated from other processes like searching, authentication and authorisation. The model is an extension of OAIS-RM, the Open Archival Information System Reference Model. In 2002 the current e-Depot became operational. The primary goal is future access. The system is dedicated specifically to long-term preservation and safeguarding long-term accessibility. This makes the system quite different from usual storage facilities. It could not be purchased „off-the shelf“. Furthermore, the system is dedicated to protecting the authenticity and integrity of its content. In order to reach these goals, the KB has committed itself to the permanent development of an ever-changing preservation and accessibility toolbox, because formats, software and hardware will keep changing for ever. The technical heart of the e-Depot is the Digital Information Archiving System (DIAS). It is a generic archiving system, developed by IBM in co-operation with the KB. It has a storage capacity of 12 Terabytes and it is scalable to over 500 Terabytes. The KB has developed a workflow for archiving electronic publications and
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has implemented the other parts of the technical infrastructure in which the deposit system is embedded. This infrastructure consists of a variety of functions: for accepting and pre-processing electronic publications; for generating and resolving identification numbers (such as NBN and DOI); for searching and retrieving publications and for identifying, authenticating and authorising users. The system contains the content of hand-held media (‘installables’) as well as online information, especially millions of scientific articles. Agreements with publishers Electronic publications are deposited at the KB on the basis of two types of agreements. In the first place there is a general agreement with the Dutch Publishers’ Association since 1999. It is similar to the existing agreement for printed publications. Apart from this the KB has bilateral, so-called archiving agreements with international publishers of scholarly journals. Currently there are six archiving agreements in place, with Elsevier, Kluwer Academic Publishers, BioMed Central, Blackwell, Taylor & Francis and Oxford University Press. Entering into an agreement with BioMed Central signified a major step in two ways. Firstly it underlines the international role of our national deposit system. Both Elsevier and Kluwer, although evidently international publishers, are of Dutch origin. Their headquarters are in The Netherlands, at least until now. They represent a long and impressive history of publishing in The Netherlands. BioMed on the other hand has no Dutch origin. Furthermore it was established as an „open access“ publisher right from the start. For these two reasons, the BioMed agreement represents a major strategic step. For entering into an archiving agreement a minimum set of conditions have to be fulfilled. Publishers must deposit their publications free of charge. On the other hand, the KB has to accept restrictions on access. There is however a bottom-line: the minimum level is on site access for any registered user and availability for interlibrary document supply within The Netherlands. These conditions are similar to those applied for deposited printed material. Of course on-site access is a stone-age way of giving access in a digital world. It is expected that in the future there will be possibilities to introduce remote access as well, be it on a limited basis. Last but not least, the KB archive serves as a guarantee to all licensees all over the globe. In case of calamities or in case the publisher does not meet his obligations, the KB safeguards the access that licensees have paid for. Preservation measures Electronic information has an extremely short life-span. Deterioration of the storage medium and obsolescence of hard- and software are the problem. In recent
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years, the digital preservation challenge has been recognised by people outside the traditional memory institutions (libraries, archives, museums, etc). The problem of digital preservation has become an international issue, and a matter of concern to governments, memory institutions, research organisations, data-intensive commercial companies and ICT-vendors. The problem of digital preservation has also gained political support and actions have been undertaken to raise broad awareness, e.g. by the European Commission and UNESCO1. As a follow-up to a conference on permanent access to the records of science, which took place in November 2004 at the occasion of the Netherlands EU presidency, the KB took the initiative, as host of the conference, to form a task force of representatives of the different sectors involved. This task force will be asked to define a research agenda and to develop scenarios for a European networked infrastructure for long-term preservation and permanent access. The results will be presented to the European Strategy Forum for Research Infrastructures (ESFRI) and to the European Union Research Commissioner. What can be done further? The key concepts are refreshing, migration and emulation. Refreshing means transferring the bits and bytes to a fresh physical storage medium. As to the format and the rendering tool there are several strategies you might follow. The most widespread method is migration to a new format, but in the process some information might get lost. The alternative is emulation: instructing a new rendering tool to behave like an obsolete one. Experiments done jointly by the Koninklijke Bibliotheek and Rand Corporation indicated that this is a viable technique. The method however is labour-intensive and therefore costly. Currently a new method is being developed together with IBM: the Universal Virtual Computer. The concept is based on a combination of migration and emulation. The UVC programme runs on any conceivable platform, supporting all software applications through time. The architecture of the UVC relies on wellknown computer concepts: segmented memory, registers and a set of low-level instructions. Because the UVC instruction set is so simple, it is relatively straightforward to write a UVC emulator for any given computer (Oltmans & Van Wijngaarden, 2004). Whatever strategy is followed, it will always imply repeated actions. It is unclear what actions will have to be taken, because we don’t know what future technology will be like. Therefore a permanent R&D effort is needed.
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UNESCO’s Charter on the Preservation of the Digital Heritage, 2003. http://portal.unesco.org/ci/en/file_download.php/4cc126a2692a22c7c7dcc5ef2e2878c7Charter_en.pdf
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Permanent access strategies In the printed paper world deposit collections are built on a national and geographical basis. It is a world wide system, providing a clear assignment of responsibilities. It is based on global arrangements supported by IFLA and UNESCO. But can this model be maintained in the digital era? Especially in relation to international scholarly publications an alternative model might emerge, especially because the current international journals have no longer a fatherland that can be identified easily. Digital objects are omnipresent, volatile, extremely perishable and very rapidly growing in volume. From these characteristics the requirements for a permanent archive can be derived. Permanent archives presuppose permanent commitment. This may seem self-evident, but it is a fundamental requirement. A permanent archive should provide reasonable guarantee for continuity. Permanent archiving takes substantial resources, both organisational and technical ones. Sustained R&D efforts are required. Whenever new platforms or new formats emerge, the means will have to be devised for maintaining accessibility. Fortunately, there are also considerable economies of scale. The fixed costs of a permanent archiving system are relatively substantial. Once the system is working well, the storage capacity can relatively easily be expanded, costs per unit will go down. It’s an economic law that economies of scale inevitably result in a degree of concentration. Exploiting economies of scale therefore calls for co-operative efforts. R&D efforts should also be shared. It wouldn’t make sense for each research or university library to try to establish its own permanent archiving system. In the case of international scholarly journals a handful of permanent archives, wisely spread around the globe, might suffice. Three strategies for permanent access are currently emerging: the Safe Place Strategy, the LOCKSS Strategy and the Institutional Repositories Strategy. Each of these strategies is still in its pilot phase. In all the three of them storage of digital publication is a core issue, but they differ in how they emphasise long term preservation. Only the first one, the Safe Place Strategy, makes from long-term preservation its primary goal. The Safe Place Strategy is directly derived from the requirements for permanent archives. From these requirements it follows that permanent archiving should be taken care of by a limited number of institutions, dedicated to this task. Permanent archiving should be prominent in their mission. The model clearly draws its inspiration from the deposit system in the printed paper world. In this view national libraries are natural candidates for permanent archiving. This has been their mission all the way through. Other institutions also may qualify, provided they meet the requirements and provided they are willing to take part in the global arrange-
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ments that are needed. Large library co-operatives could be an example of such institutions. The LOCKSS strategy, a co-operative venture supported by the Mellon Foundation, seeks safeguard in large numbers. Libraries should request their own copy of digital publications to be stored in their own electronic stack room. The more libraries do so, the better chances are that future availability can be guaranteed. What is missing in the model is that long term preservation implies permanent development and application of a preservation toolbox. The Institutional Repositories Strategy is closely related to the Open Archives Initiative. Its primary goals are not in the realm of permanent archiving. Academic institutions want to display the intellectual output of their faculty. On top of that, the advocates of this strategy claim a role in the dissemination process of scholarly information. However, the Institutional Repositories Strategy tends to underestimate or to neglect the requirements for permanent archiving. Safeguarding future accessibility is no by-product that automatically derives from establishing repositories. Universities indeed should take their responsibility for future access. May be in doing so, they might rely a bit more on co-operation with Safe Places as hosts and guardians of their intellectual output.
Conclusion To meet the user’s expectations national libraries have to cross borders. An example of crossing geographical borders is The European Library service, which is expected to add value to the existing services of Europe’s national libraries. Libraries, archives and museums should cross the borders of their sector by jointly presenting heritage collections. Moreover, R&D efforts should be shared to meet the preservation challenge. A sustained commitment is needed and new global arrangements for the deposit, permanent archiving and permanent accessibility of digital publications have to be developed. The Koninklijke Bibliotheek strongly supports the principle of resource sharing in the field of R&D for permanent access and will participate actively in the international discussion on new models for the allocation of responsibilities.
References Erik Oltmans and Hilde van Wijngaarden. Digital preservation in practice: the e-Depot at the Koninklijke Bibliotheek. In: Vine vol. 34 (2004) no 1, 21–26.
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rivate Wissenschaftsförderung, so liest und hört man immer wieder von kritisch gesinnten Wissenschaftlern und Journalisten, orientiere sich an schnell messbaren, wirtschaftlich verwertbaren Ergebnissen, vernachlässige die Geisteswissenschaften und gefalle sich darin, den Bereichen, die eh’ schon in Mode seien, noch mehr Geld hinterher zu werfen und damit eine Art Kontrolle durch die Hintertür über die Wissenschaft auszuüben. Anträge auf Förderung müssten heute mit einer fast unerträglichen Innovationsrhetorik verbrämt werden, und die beantragten Projekte würden in einer Art und Weise den Vorgaben des Drittmittelgebers angepasst, dass von dem eigentlichen Forschungsvorhaben kaum mehr etwas übrig bleibe. Im Übrigen sorge das System des Peer Review dafür, dass sich alteingesessene Wissenschaftler die Forschungsfördermittel getreu dem Seneca’schen Motto manus manum lavat gegenseitig zuschanzten. Vor dem Hintergrund dieses in den Feuilletons und bei einigen Fachgesellschaften allgegenwärtigen Lamentos wird man sich kaum vorstellen können, dass sich gegen Ende der 70er Jahre der Antrag eines noch nicht einmal 40jährigen DiplomPhysikers und Bibliotheksdirektors mit dem so gar nicht reißerisch-innovativ klingenden Titel „Erhaltung mittelalterlicher abendländischer Handschriften, Inkunabeln sowie der Musik- und Theatersammlungen“ über fast 400.000 DM bei der VolkswagenStiftung überhaupt eine Chance auf Bewilligung ausrechnen durfte. Um die Missverständnisse auf die Spitze zu treiben, könnte man gar noch fragen: Warum sollte ausgerechnet ein Automobilkonzern die Restaurierung und Erhaltung von Bibliotheksbeständen unterstützen? Die zweiteilige Antwort auf diese Frage ist nicht ganz kurz, aber doch recht einfach; denn zunächst einmal ist die VolkswagenStiftung keine Unternehmensstiftung der Volkswagen AG. Sie verdankt ihren Namen wie auch ihre Gründung einem Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Land Niedersachsen. Auf diesem Wege wurden – da es nach dem Zweiten Weltkrieg keine identifizierbaren Eigentümer mehr gab – die Auseinandersetzungen um die unklaren Eigentumsverhältnisse am Volkswagenwerk beendet. Der Erlös aus der Privatisierung des Volkswagenwerkes und die Gewinnansprüche auf die dem Land und dem Bund verbliebenen Anteile wurden als Vermögen der neu gegründeten Stiftung
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Volkswagenwerk, wie sie bis 1989 hieß, übertragen. Mittlerweile hat die Stiftung ihr Ursprungskapital auf rund 2,2 Milliarden Euro vervierfacht und mit über 3 Milliarden Euro fast 28.000 Projekte gefördert. Mit ihrem Förderangebot möchte die Stiftung Wissenschaftlern Anregungen und Hilfestellung dafür geben, neue Ansätze und Fragestellungen aufzugreifen sowie Theorien, Arbeitsrichtungen, Methoden und auch neue Verbindungen zwischen den Fächern zu entwickeln und zu erproben. Auch hat das Stiftungsengagement zum Ziel, die strukturellen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen von Forschung und Lehre sowie die Kommunikation innerhalb der Wissenschaften und zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit generell zu verbessern. In diesem Sinne konzentriert die Stiftung ihr Förderangebot auf bestimmte Bereiche der Wissenschaft, um wirksam Impulse geben zu können. Diesem Prinzip der Fokussierung auf in Interaktion mit der Wissenschaft entwickelte Förderinitiativen folgt die VolkswagenStiftung seit über dreißig Jahren. Im Übrigen handelte es sich bei dem jungen Antragsteller nicht um irgendjemanden, sondern um Klaus-Dieter Lehmann. Schon damals „agil wie ein Manager“ – so schrieb 1984 das Börsenblatt des Deutschen Buchhandels. Lehmann, so das Börsenblatt weiter, der seine Bibliothek nicht verwalte, sondern den Zug der Zeit erkennend, sie nach Managementgesichtspunkten leite, verfolge „konsequent eine Politik der stärkeren Differenzierung der Dienstleistungen, bezogen auf die unterschiedlichen Ansprüche der einzelnen Ziel- und Benutzergruppen.“1 Dass sich ein solcher Ansatz mit dem Ziel der VolkswagenStiftung, die strukturellen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen von Forschung und Lehre sowie die Kommunikation innerhalb der Wissenschaften und zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit zu verbessern, gut vertrug, war und ist offenkundig. Und so war Klaus-Dieter Lehmanns Antrag, der bei der Stiftung, wie gleich zu zeigen sein wird, auf fruchtbaren und bereits kultivierten Boden fiel, der Beginn einer langjährigen und bis heute andauernden Partnerschaft. Denn seit ihrer Gründung und noch heute fühlt sich die Stiftung nicht zuletzt dem auch mit dem Namen Klaus-Dieter Lehmann verbundenen Gedanken2 verpflichtet, dass geisteswissenschaftliche Forschung auf die materielle Basis kultureller Überlieferung in ihrer ganzen Breite und Unterschiedlichkeit angewiesen ist. Diese Grundüberzeugung zieht sich als roter Faden durch die Geschichte der Stiftung
1 Herbert Vogdt, „Bibliotheca Publica. 500 Jahre Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt.“ In: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, 9. 11. 1984, S. 2664–2669. 2 Aus wissenschaftspolitischer Sicht ist hier vor allem an Klaus-Dieter Lehmanns Rolle als langjähriger Vorsitzender des Bibliotheksausschusses der Deutschen Forschungsgemeinschaft und an seine Mitwirkung in der AG „Retrospektive Katalogisierung“ des Wissenschaftsrats zu denken.
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und spiegelt sich bis heute in ihrem Förderhandeln wider. Von 1962 bis 1974 wurden rund 64 Mio. DM für wissenschaftliche Bibliotheken bewilligt – zum großen Teil handelte es sich hier um Mittel für Literaturbeschaffung, aber auch um die Finanzierung von Maßnahmen zur Modernisierung und Rationalisierung von Bibliotheken und ihrer Arbeit: einen „Marshall-Plan für Literatur“ hat Klaus-Dieter Lehmann selbst das frühe Engagement der Stiftung für die deutschen Bibliotheken genannt. Ab 1975 verfolgte die Stiftung dann einen neuen Ansatz zur Förderung der Infrastruktur der geisteswissenschaftlichen Forschung, indem sie in ihrem Förderschwerpunkt „Erfassen, Erschließen und Erhalten von Kulturgut als Aufgabe der Wissenschaft“ ihre Mittel nicht mehr vorrangig auf Institutionen bezogen – das heißt zum Beispiel zur Erhaltung oder Vervollständigung eines Bibliotheksbestandes – sondern funktional, also aus der Sicht des wissenschaftlichen Nutzers vergab: es entstanden Inventare, Findbücher, Kataloge und Indizes, die unmittelbaren Nutzen für die Wissenschaft haben sollten. Für 179 Vorhaben stellte die Stiftung von 1976 bis 1982 insgesamt 42 Mio. DM zur Verfügung. Nach 1982 konzentrierte die Stiftung ihre Förderung von Infrastruktur geisteswissenschaftlicher Forschung auf „Beispiele Kulturwissenschaftlicher Dokumentation“ – es würde den Rahmen dieses Beitrages sprengen, die geförderten Projekte hier auch nur annähernd gebührend zu würdigen: Stichworte wie der Marburger Index und das MIDAS-System, der kunstwissenschaftliche Datenverbund DISKUS („Digitales Informationssystem für Kunst- und Sozialgeschichte“), der Index deutschsprachiger Zeitschriften des 18. Jahrhunderts und nicht zuletzt Bernhard Fabians eindrucksvolles „Handbuch der historischen Buchbestände“ mögen jedoch ausreichen, um zu demonstrieren, dass es der Stiftung nicht nur um Quellensammlungen ging, sondern immer auch um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen geisteswissenschaftlicher Forschung durch neue Formen der Erschließung und Dokumentation kultureller Überlieferung.3 Die Stiftung ging freilich noch einen Schritt weiter und beauftragte Professor Bernhard Fabian mit der Erstellung einer Studie zum Thema „Buch, Bibliothek und Geisteswissenschaftliche Forschung“4, in der es um einen Maßnahmenkatalog für die grundlegende Verbesserung der Literaturversorgung der Geisteswissenschaften in Deutschland ging: 3 Der Leser sei hier auf den Beitrag von Klaus-Dieter Lehmann im Jubiläumsband zum 40jährigen Bestehen der VolkswagenStiftung verwiesen: „Infrastruktur für geisteswissenschaftliche Forschung: Kulturgut und kulturwissenschaftliche Dokumentation“ in: Impulse geben – Wissen stiften. 40 Jahre VolkswagenStiftung, Göttingen 2002, S. 345–378. 4 Vgl. Bernhard Fabian, Buch, Bibliothek und Geisteswissenschaftliche Forschung. Zu Problemen der Literaturversorgung und der Literaturproduktion in der Bundesrepublik Deutschland (Schriftenreihe der Stiftung Volkswagenwerk Bd. 24), Göttingen 1983.
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„Es war nicht nur ein initiierendes, sondern auch ein provozierendes Konzept, das Anfang der 80er-Jahre sehr schnell zum beherrschenden Thema unter Fachleuten, Wissenschaftlern und Politikern wurde. Die kritische Analyse beschränkte sich nicht nur auf das Aufzeigen von einzelnen Schwerpunkten, sondern auch auf eine strukturelle Reorganisation […] keine Frage: Die Fabianschen Thesen haben die Träger der Bibliotheken mehr als nur aufmerken lassen.“5 Dass die Träger der Bibliotheken, also vor allem die Bundes- und Länderministerien, aber auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft mehr als nur aufmerkten, sondern sich in der Folge der durch die Stiftung initiierten Fabian-Studie im Bereich der materiellen Grundlagen geisteswissenschaftlicher Forschung verstärkt engagierten, ist zum großen Teil das Verdienst von Klaus-Dieter Lehmann. Ein Beispiel aus der Förderung der Stiftung mag dies belegen: die „Sammlung Deutscher Drucke“, fraglos eines der ehrgeizigsten Projekte der Stiftung. Bernhard Fabian hatte vorgeschlagen, nationale Archivbibliotheken einzurichten, in denen – jeweils für einen bestimmten Zeitabschnitt – das nationale Schrifttum retrospektiv gesammelt werden sollte. Die fünf ausgewählten Bibliotheken in München (1450–1600), Wolfenbüttel (1601–1700), Göttingen (1701–1800), Frankfurt/M. (1801–1870) und Berlin (1971–1912) sollten so gemeinsam eine dezentrale Nationalbibliothek bilden. 25 Millionen stellte die Stiftung Anfang der 90er Jahre zur Verfügung – fraglos viel Geld, aber für ein Projekt mit solch historischer Größenordnung nur ein Anfang. Gerade Klaus-Dieter Lehmann und seinem unnachgiebigen Verhandlungstalent ist es zu verdanken, dass die „Sammlung Deutscher Drucke“ 1996 gemeinschaftlich finanziert von Bund und Ländern in die Verantwortung der beteiligten Bibliotheken übergehen konnte. Ein weiteres Programm im Bereich kulturwissenschaftlicher Dokumentation widmete sich schließlich von 1995 bis 1999 der Erfassung und Erschließung von „Archiven als Fundus der Forschung.“ Die Förderung sollte sich – auch vor dem Hintergrund der deutschen Wiedervereinigung – vor allem auf nichtstaatliche Archive sowie auf Erfassung von Archivalien ohne Schriftgutcharakter konzentrieren. Die schwierige Situation, in der sich die Archive in den neuen Ländern befanden, bewegte die Stiftung jedoch dazu, auch die Tiefenerschließung von schriftlichen Quellen zu fördern. Ausgeschlossen dabei waren allerdings überregionale Archivprojekte, denn deren Förderung hatte sich inzwischen die DFG angenommen – für die Stiftung also kein Aktionsfeld mehr. Der Grundsatz der Arbeit der Stiftung, Förderinitiativen prinzipiell zu modifizieren oder zu beenden, wenn diese ihre Impuls gebende Kraft verloren haben – im besten Fall aufgrund der erfolgten Etablierung des neuen Forschungsgebietes in 5 Lehmann 2002, S. 368
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der Scientific Community – oder wenn öffentliche Geldgeber sich in den entsprechenden Bereichen engagieren, ist nicht überall auf Begeisterung gestoßen, im Falle des beendeten Förderbereiches „Kulturwissenschaftliche Dokumentation“ wohl auch bei Klaus-Dieter Lehmann nicht. In seinem Beitrag zum Jubiläumsband der VolkswagenStiftung hat er deren weiteres Engagement angemahnt: „Für die Infrastruktur der Geisteswissenschaften vollziehen sich derzeit tief greifende Änderungen, die einer hohen öffentlichen Aufmerksamkeit und einer systematischen fachlichen Analyse bedürfen. Es wäre an der Zeit, ähnlich wie in den zurückliegenden Jahrzehnten, in einer Studie, die die kulturelle Überlieferung zum Gegenstand hat, einen neuen Statusbericht zu beauftragen, der nicht nur unter fachwissenschaftlichen, sondern auch unter kultur- und förderungspolitischen Prämissen formuliert wird.“6 Inzwischen fördert die Stiftung – außerhalb ihrer Förderinitiativen – eine Studie namens „Die kulturelle Überlieferung – Zukunftsaspekte der Vergangenheit“, durchgeführt wiederum von Bernhard Fabian. Der Förderung kultureller Überlieferung als materielle und ideelle Basis für Wissenschaft und Forschung bleibt die Stiftung also treu. Und die Förderung von Maßnahmen zur Erhaltung von Buchbeständen durch die Stiftung war auch kein singuläres Phänomen der frühen 80er-Jahre: So stellt die VolkswagenStiftung seit 2003 einer Initiativgruppe unter Leitung der Bayerischen Staatsbibliothek München 210.000 Euro zur Verfügung zur „Erarbeitung einer nationalen operativen Strategie zur Bestandserhaltung des bedrohten schriftlichen Kulturguts“. Da eine Erhaltung des Gesamtbestandes angesichts der dafür notwendigen Mittel unrealistisch erscheint (es sind über 60 Millionen Bücher betroffen), soll mit den Geldern der Stiftung ein Konzept erarbeitet werden, das Folgendes leistet: Zum einen gilt es, die Frage zu beantworten, welche Prioritäten aus bibliotheks- und archivwissenschaftlicher Sicht zu setzen sind. Auch bedarf es einer Bestpractice-Analyse der zurzeit vorhandenen technischen Verfahren zur Entsäuerung, vor allem im Massenverfahren. Andererseits müssen im föderalen Deutschland, in dem es keine Nationalbibliothek gibt wie in Frankreich oder England, Strukturen der Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Bibliotheken und Archiven aufgebaut werden, damit in Zeiten leerer Kassen nicht an zwei Orten zugleich dasselbe Buch „gerettet“ wird. Des Weiteren soll eine Agentur für Kulturmarketing eine Strategie entwickeln mit dem Ziel, die Öffentlichkeit für das Problem zu sensibilisieren – nicht zuletzt in dem Bewusstsein, dass für dieses langfristig angelegte Vorhaben möglichst umgehend weitere Finanzierungsquellen zu erschließen sind. Ziel ist es darüber hinaus, alsbald den beteiligten Initiativkreis zu erweitern, der zurzeit 6 Lehmann 2002, S. 376 f.
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elf große Bibliotheken und Archive in Deutschland umfasst. Zudem legt die Stiftung Wert darauf, dass die entstehenden Sicherheitsverfilmungen an alle öffentlichen wissenschaftlichen Bibliotheken und Archive in Deutschland zum gleichen Preis und möglichst kostengünstig abgegeben werden. Der Leitsatz der VolkswagenStiftung heißt „Wir stiften Wissen“, und wir verstehen uns ohne Frage primär als Innovationen fördernde Stiftung. Grundsatz unserer Förderphilosophie ist aber auch, dass Wissen nur dort entstehen kann, wo es bereits existiert, wo es erhalten und gepflegt wurde. Diese Überzeugung hat KlausDieter Lehmann wie kaum ein anderer vertreten und uns immer wieder daran erinnert – bis heute. Für die Stiftung hat er eine wertvolle Doppelrolle gespielt: einerseits als Berater, andererseits als unermüdlicher, innovativer Antragsteller. Klaus-Dieter Lehmann war und ist für die VolkswagenStiftung in beiden Rollen ein Glücksfall – auch im Interesse der VolkswagenStiftung ist daher zu hoffen, dass das Erreichen des für viele Berufstätige einschneidenden Alters von 65 Jahren ihn in seinem Tatendrang nicht bremsen wird.
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nsere Bürgergesellschaft zieht ihre Kraft aus einer lebendigen und vielgestaltigen Kultur, die ihr Orientierung und Antrieb zugleich ist. Über die Kultur vergewissern wir uns unserer geistigen Wurzeln und wachsen über den Status Quo hinaus. Sie ist uns ein bedeutender Sinnstifter und Anreger. Kunst und Kultur vermitteln ein Eigenbild, reflektieren die Zustände der Welt und bauen Brücken zu anderen Kulturen und Wertprägungen. Sie zeigen auf, aus welchen Quellen wir schöpfen, stellen Zusammenhänge infrage und fordern zu neuen Lösungen auf. Oft gelangt gerade die Kunst zu diesen neuen Antworten. Kultur wird hier verstanden als die Summe der Produkte, Produktionsformen, Verhaltensweisen sowie Leitvorstellungen des Menschen, die auf Dauer angelegt sind, die den kollektiven Sinnzusammenhang gestalten (die vertraut sind und die unsere Einstellungen zum Menschen und zu unserer Welt bestimmen) und die insbesondere ethischen und stilistischen Ansprüchen genügen. Die in diesen Kulturbegriff eingebettete Kunst (Literatur, Musik, darstellende und bildende Kunst) umfasst sodann die Gesamtheit der schöpferischen Gestaltungen, die nicht durch eine Funktion eindeutig festgelegt oder darin erschöpft sind und die im heutigen Verständnis weitgehend auf Intuition beruhen. Zu ihren Voraussetzungen gehört hervorragendes Können und großes geistiges Vermögen, hohe gesellschaftliche und individuelle Geltung, ohne dadurch vorangegangene Werke außer Kraft zu setzen oder den Beweis der Richtigkeit einer Aussage antreten zu müssen. Insgesamt vermittelt Kultur der Bürgergesellschaft Richtung und Halt. Wie sehr wir auf unsere kulturellen und künstlerischen Ressourcen angewiesen sind, hat zuletzt die Globalisierung gezeigt. Diese bietet nach wie vor große wirtschaftliche Chancen, die wir beherzt aufgreifen sollten. Sie hält aber auch, wie wir sehen, spezifische Enttäuschungen bereit, wenn allein ökonomische Kategorien zum Maß aller Dinge erhoben werden. Effizienz und ökonomische Optimierung allein, so unerlässlich sie heute auch im Weltmaßstab sind, stellen auf Dauer niemanden zufrieden. Das ist eine der Erfahrungen aus den letzten Jahren. Diese Erkenntnis ist nicht neu und war schon vor dem jüngsten Aufbruch in eine interdependente Weltwirtschaft aktuell. Doch die Globalisierung hat diese Wahrheit unter eine besonders scharfe Brennlinse
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gestellt. Ein sicheres Zeichen dafür ist die überall spürbare Neubetonung regionaler und nationaler Kulturtraditionen. Auch die Forderung, gerade der Jugend, dass im Ökonomismus der modernen Gesellschaften wieder mehr Raum für nichtökonomische Werte geschaffen werden muss, fügt sich in dieses Bild. Ein Dasein, dass sich allein in „Soll“ und „Haben“ erschöpft, ohne Rückkopplung an ein kulturelles Wertegerüst, das emotionalen Halt vermittelt und uns auf die Zukunftsgestaltung vorbereitet, entlässt uns in die Beliebigkeit und kappt wichtige Wurzeln unserer Prosperität. Wir leben, kurzum, bewusst oder unbewusst von Kunst und Kultur. Ihr Formenreichtum, ihr kritischer Zugriff, ihre Kreativität und ihre Fähigkeit, Sinn zu stiften, ist ein elementarer Teil unserer Existenz. Allerdings: So impulsiv, innovativ und vital Kunst und Kultur zuweilen sind – allein aus sich heraus kann dieser Bereich eher selten leben. Denn es ist eine Sphäre, die ihre Kosten für Spitzenleistungen nicht auf die Konsumenten, etwa die Ausstellungs- und Musikveranstaltungsbesucher, die immer nur einen Teilbereich der Gesellschaft darstellen, gesamthaft umlegen kann. Dennoch sind kulturelle Höchstleistungen von großer Relevanz für gesellschaftlichen Zusammenhalt und gesellschaftliche Wohlfahrt. Künstler und die Kultur bedürfen also der finanziellen, manchmal auch der geistig-ideellen Begleitung und Förderung. Sie benötigen einen Partner, der ihnen Freiräume schafft, um interpretierend und gestaltend ihren Auftrag zu erfüllen. Das gilt für das Neue ebenso wie für die Überlieferung. Der Staat nimmt seine Verantwortung so gut es geht wahr, ist aber zunehmend gezwungen, sich aus der Förderung zurückzuziehen und konzentriert sich vornehmlich auf die Bestandsfinanzierung von Kulturinstitutionen. Die öffentlichen Kassen sind leer. Aber auch der Zeitgeist hat sich geändert. Individualität und Selbstverantwortung genießen eine höhere Wertschätzung als eine oder gar zwei Dekaden zuvor. Die Epoche, in der die öffentliche Hand mit großer Selbstverständlichkeit für allzuständig erklärt wurde, auch in Fragen der Kultur, geht zu Ende. Denn die Überforderung des Staates und der Steuerzahler ist nicht mehr zu übersehen. Damit ist Kultur verstärkt auf privates Engagement angewiesen. Aber nicht allein deshalb, weil der Staat gerade mit den Folgen einer Überdehnung ringt. Vielseitigkeit und Disparität von Kunst und Kultur können nur gewahrt und gefördert werden, wenn auch die Finanzierung vielseitig ist. Das gilt besonders für junge Kunst und neue Ausdrucksformen, die aus sich heraus auf Staatsferne, ja auf einer spezifische Freiheit vom Staat bestehen. Wer, wenn nicht vornehmlich die Wirtschaft, sollte sich für den Erhalt dieser Lebensadern unserer Bürgergesellschaft engagieren? Hier hat der Kulturkreis des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), hier haben zahlreiche Unternehmensstiftungen bereits Vorbildliches geleistet, und das erfreuliche an dieser Entwicklung ist, dass trotz wirtschaftlicher Stagnation das Interesse an Kulturengagements tendenziell eher zu- als abnimmt.
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Hierin spiegeln sich veränderte Grundeinstellungen von Unternehmen zum Sinn und zu den Zielen ihres Wirtschaftens wider. Der kernige Leitsatz Milton Friedmans, „The business of business is business“ wurde aufgeweicht zugunsten einer differenzierteren Betrachtung. Das alte Paradigma, nach dem Unternehmen sich allein um ihre Geschäfte kümmern und alles weitere dem Staat oder den Aktionären überlassen, findet nicht mehr vorbehaltlos Zustimmung. Unternehmen spüren, dass sie neben der alles überragenden Aufgabe, Werte zu schaffen und das Aktionärsvermögen zu mehren, auch eine gesellschaftliche Verantwortung tragen. Es ist nicht nur so, dass sie allein aus eigenem Antrieb ein good Corporate Citizen sein wollen, ein Mitglied der Bürgergesellschaft, das seine spezifische Verantwortung für ein funktionierendes Gemeinwesen erfüllt. Diese Erwartung wird auch von außen an die Wirtschaft herangetragen, nicht allein von der breiten Öffentlichkeit, sondern zunehmend auch von der Geschäftswelt selbst, beispielsweise von Rating-Agenturen und vereinzelt auch schon von Finanzanalysten, die auf Nachhaltigkeit von Geschäftsmodell und Gesamtexistenz des Unternehmens pochen. Die ausschließliche Orientierung am Shareholder-Value ist also nicht mehr zeitgemäß. Neue Indexfamilien wie der Dow Jones Sustainability Index oder Footsie4 Good bilden Verantwortungswahrnehmung von Unternehmen nachvollziehbar ab und erlauben einen aufschlussreichen Vergleich. Allerdings würde ich mir wünschen, dass in diesen Aufstellungen auch das kulturelle und soziale Engagement stärker berücksichtigt wird, und zwar auch dann, wenn ein unmittelbarer Bezug zur Nachhaltigkeit schwer nachweisbar ist. In dieser Sphäre lassen sich erfahrungsgemäß eher selten schnelle und leicht messbare Erfolge für das einzelne Unternehmen erzielen. Dieser Zusammenhang mag auch erklären, dass sich die Wirtschaft mit der Kulturförderung zuweilen schwerer tut als mit anderen gesellschaftlichen Engagements. Dabei sind die wechselseitigen Bezüge zwischen Unternehmern und Künstlern augenfällig. Jürgen Ponto, der von Terroristen ermordete Vorstandssprecher der Dresdner Bank, hat in einer viel beachteten Rede vor rund 30 Jahren einige verwandte Elemente im geistigen Prozess beider Bereiche herausgearbeitet: Beide gestalten die Dinge, suchen nach neuen Wegen und neuen Formen. Dieser kreative Vorgang kann aber nicht ad infinitum kreisen – er muss durch eine Entscheidung abgeschlossen werden. Dem Zwang zur Tat entspricht das Risiko, das Risiko des Widerstandes, das Risiko der Nichtanerkennung, das Risiko des Versagens. Der mögliche Ertrag freilich kann reicher ausfallen, als das Ergebnis herkömmlicher Arbeit, weil Neues entsteht. Nicht zuletzt diese Rede hat jüngst den BDI-Kulturkreis inspiriert, ein Stipendium auszuloben, das Studenten, die zukünftige Führungskompetenz erkennen lassen, über die Begegnung mit Kunst Zugang zu schöpferischen Prozessen und kreativen Denkmodellen eröffnet.
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Es ist also nicht abwegig, die Kulturförderung durch die Wirtschaft als kreativitätssteigernde Maßnahme zu verstehen. Sie steht auch symbolhaft für eine Haltung: Unsere Unternehmenskultur verbindet sich nicht allein mit Arbeitszeiten, Geschäftsmodellen und Finanzdaten. Sondern wir stehen zu unserer Verantwortung für die Bürgergesellschaften, in denen wir leben und arbeiten, und wollen sie auch jenseits des Wirtschaftlichen fördern. Wichtig ist aus meiner Sicht, dass der Einsatz für Kunst und Kultur, der für sich keine leichte Entscheidung darstellt, auf Langfristigkeit und Beständigkeit ausgerichtet ist. Zu den besten Wegen, dies zu erreichen, gehört die Einrichtung einer Stiftung, damit keine politischen und wirtschaftlichen Schwankungen, keine kurzfristigen und sachfremden Interessen den Förderwillen konterkarieren. Deshalb entschied sich auch die Allianz im Jahr 2000, ihre diversen Kulturengagements in einer Stiftung zusammenzufassen, die mit einem Stiftungskapital von rund 51 Millionen Euro ausgestattet ist. Die Allianz Kulturstiftung setzt sich zum Ziel, Kunst-, Kultur- und Bildungsprojekte zu unterstützen, die im Geiste der europäischen Integration wirken und die insbesondere die Jugend Europas zusammenführen. Sie will dieser jungen Generation, der die künftige Gestaltung eines geeinten Europas obliegen wird, mit neuen Ansätzen und Sichtweisen das reiche kulturelle Erbe Europas wieder stärker ins Bewusstsein rücken und ihr gleichzeitig helfen, aus diesen gemeinsamen Wurzeln heraus selbst Neues hervorzubringen, das räumliche und geistige Schranken auf unserem Kontinent überwindet. Wir lassen uns dabei von der Erkenntnis tragen, dass Kultur besser als jedes andere Medium geeignet ist, grenzüberschreitende Verbindungen und Verständigungen zwischen jungen Kulturschaffenden aus allen Teilen Europas, mit ihren je unterschiedlichen Mentalitäten und Sprachen, herzustellen. Wir wollen auch dazu beitragen, dass Kulturbrücken zu anderen Generationen entstehen. Die Allianz Kulturstiftung lebt also vom Netzgedanken. Neben den Projekten führen Foren und Klausuren ehemalige Stipendiaten, Preisträger und unsere Partner zusammen. Dadurch entsteht etwas Neues, Zukunftsweisendes, das die kulturelle Substanz, die Europa trägt, erweitert. Um unsere Ansprüche an die Kulturstiftung zu erfüllen, wurden die Förderkriterien bewusst weit gefasst. Denn wir wollen nicht, dass die Arbeit unserer Stiftung aus formalen Gründen eingeengt wird, etwa über einen starren Kulturbegriff oder über die Festlegung auf bestimmte Sparten. Öffnen die Projekte neue Horizonte, sowohl gedanklich als auch in ihrem Zukunftsbezug, treffen sie unsere Standards und unsere Erwartungen. Was bewog ein Unternehmen wie die Allianz, seine Förderung von Kunst und Kultur eng mit der Jugend Europas zu verknüpfen? Dieser Wirtschafts- und Kul-
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turraum ist nicht allein unser Heimatmarkt. Es ist zugleich ein Ort, dessen Geschichte sich als ein ständiger, geradezu dialektischer Konflikt zwischen zwei Grundtendenzen darstellt: Der Auseinanderentwicklung von Staaten, Nationen und Kulturen – und zugleich der enge europäisch-abendländische Zusammenhang. Diese dauerhafte Spannung zwischen universalistischen Tendenzen und partikularer Vielfalt ist eine Grunddeterminante Europas, wie Karl Dietrich Bracher in seiner bis heute gültigen Europa-Studie schrieb. Damit bietet Europa traditionell ein komplexes Bild des Unfertigen. Die gemeinsame europäische Kultur ist also ein Schlüsselelement, das Europa jenseits aller politisch-ökonomischen Auseinandersetzungen eint. Ich wünschte, die aktuelle öffentliche Diskussion über die Grenzen Europas und seine Identität würde dies stärker berücksichtigen und das komplexe Thema nicht allzu oft auf die Frage der Religionszugehörigkeit verkürzen. Diese gemeinsame Kultur ist es, die unabhängig von nationaler Herkunft unsere Lebensweise formt und die wir formen. Kaum einer hat das treffender ausgedrückt als der spanische Philosoph José Ortega y Gasset. Er schrieb 1929, also inmitten der nationalistischen Welle zwischen den zwei Weltkriegen, im „Aufstand der Massen“: „Machten wir heute eine Bilanz unseres geistigen Besitzes – Theorien und Normen, Wünsche und Vermutungen – , so würde sich herausstellen, dass das meiste davon nicht unserem jeweiligen Vaterland, sondern dem gemeinsamen europäischen Fundus entstammt. In uns allen überwiegt der Europäer bei weitem den Deutschen, Spanier, Franzosen …; vier Fünftel unserer inneren Habe sind europäisches Gemeingut.“ Die Allianz Kulturstiftung lebt von der Überzeugung, dass über die grenzüberschreitende Weiterentwicklung dieses gemeinsamen Erbes, über wechselseitige kulturelle Vermittlung, Europa innerlich weiter- und zusammenwachsen kann. Kunst, gerade auch junge, experimentelle Kunst, warnt, sagt, welche Probleme bestimmend sind und aus welchen Motiven gehandelt wird. Sie gibt insgesamt ein sehr einfühlsames Bild des Lebens und vor allem des Innenlebens ihrer Zeit ab. Sie etabliert aber auch, integriert und domestiziert – in ihrer jeweiligen Kunstform. Damit schafft sie einen Ausgleich zwischen Wachstum und Effizienz und dem Bedürfnis nach Geborgenheit im Vertrauten seiner Kulturtradition. Kunst und Kultur schaffen ein sinnstiftendes Verhältnis zur realen, technisch-ökonomisch überformten Welt. Sie fordern auf, Stellung zu nehmen und sich eine Meinung zu bilden – auch darüber, was Europa heute ist, wie es in Zukunft werden soll und wie der Einzelne zum Gelingen Europas beitragen kann. Von Karl Kraus ist der Satz überliefert: „Kunst ist das, was Welt wird, nicht was Welt ist“. Das könnte ein treffender Leitgedanke für die Allianz Kulturstiftung mit ihrer Ausrichtung auf Europa und die Jugend sein – wie dieser Aphorismus auch insgesamt für die Förderung von Kunst und Kultur durch die Wirtschaft spricht.
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er sich in der westlichen Welt umschaut, sieht: Theater, Oper, Literatur, Bildende Kunst, Film und Architektur stehen in voller Blüte. Diese Tatsache darf uns nicht darüber hinweg täuschen, dass die finanzielle Grundlage künstlerischen Schaffens stets ein Problem ist. Nicht nur in der Vergangenheit, sondern auch heute leben Künstler – insbesondere junge Künstler – häufig von der Hand in den Mund. Im Gegensatz zum Handwerk, das die Gegenstände unseres täglichen Gebrauchs produziert, kann man die Kunst nicht den Gesetzen des freien Marktes überlassen. Das Prinzip von Angebot und Nachfrage gilt zwar auch für den Kunstmarkt. Doch werden die hohen Erlöse zumeist mit Werken erzielt, deren Schöpfer schon lange nicht mehr unter den Lebenden weilen. Wenige Ausnahmen bestätigen die Regel. Die Kunst taugt nicht zum Broterwerb. Sie entzieht sich dem KostenNutzen-Denken. Kunst bedarf der Förderung. Diese Einsicht konfrontiert uns mit der Frage: Wie und durch wen soll Kunst gefördert werden? Welche Kunst soll gefördert werden? Gibt es einen objektiven Maßstab, der uns die Würdigkeit von Kunst beurteilen lässt? Und nicht zuletzt stellt sich die Frage, ob derjenige, der Kunst fördern will, auf die Themen, Inhalte und Methoden künstlerischer Tätigkeit Einfluss nehmen darf. Staat und Gesellschaft sind gleichermaßen herausgefordert, die Künste zu fördern. Die staatliche Verantwortung für die Förderung der Kunst ist nur in wenigen Verfassungen verankert. In Deutschland bestimmen nur einige Landesverfassungen ausdrücklich, dass Kunst und Kultur durch das Land und die Gemeinden „zu pflegen und zu fördern“ sind.1 Die Verfassung für die Europäische Union verspricht in ihrem Art. 3 die Wahrung der kulturellen Vielfalt und den Schutz des kulturellen Erbes Europas. Ebenfalls kann die Europäische Union im Bereich der Kultur unterstützende, koordinierende und ergänzende Maßnahmen mit europäischer Zielsetzung ergreifen.2 Darüber hinaus ist der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte zu erwähnen, der inzwischen von einer großen Zahl von mehr als 100 Ländern ratifiziert worden ist. Laut dessen Art. 15 haben die Ver1 2
So z. B. Art. 18 der Verfassung von Nordrhein-Westfalen. Art. 16 des Vertrags über eine Verfassung für Europa.
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tragsstaaten Schritte zu unternehmen, um Wissenschaft und Kultur zu fördern. Sie haben überdies die Teilnahme eines jeden am kulturellen Leben zu ermöglichen und den internationalen Kulturaustausch zu pflegen. Die US-amerikanische, die russische und die deutsche Verfassung garantieren zwar die Freiheit der Kunst. Einen Staatsauftrag, die Kunst zu fördern, kennen sie nicht. Wer sich jedoch in der deutschen Kulturlandschaft umschaut, begegnet der staatlichen Förderung auf Schritt und Tritt. Unsere Theater, Opernhäuser, Orchester und Museen wären ohne staatliche Gelder gar nicht lebensfähig. Zwar lässt sich ein solcher Auftrag, die Kunst zu fördern, nicht aus dem Verfassungstext unmittelbar ablesen. Gleichwohl sind die Pflege und der Schutz der Kunst eine staatliche Aufgabe. Das Bundesverfassungsgericht hat diesen Auftrag aus dem Artikel des Grundgesetzes hergeleitet, der die Freiheit der Kunst statuiert. Kraft dieser Wertentscheidung verstehe sich der moderne Staat im Sinne einer Staatszielbestimmung auch als Kulturstaat.3 In Europa wird gegenwärtig eine heftige Debatte darüber geführt, durch wen und wie die Kunst künftig zu fördern sei. Das kommt nicht von ungefähr. Da die öffentlichen Kassen leer sind, versucht der Staat, sich aus der Kunst zurück zu ziehen. Das gilt nicht nur für die Bundesrepublik Deutschland, sondern auch für Frankreich, wo sich der Staat aus der Gegenwartskunst zurück zieht. Die Privatwirtschaft hingegen entdeckt sie als Imagefaktor und eilt der Kunstszene zur Hilfe. In Deutschland beobachten wir zunehmend eine Art Misch-Finanzierung. So liegen zum Beispiel die Berliner Philharmoniker nicht nur der Stadt Berlin auf der Tasche. Auch die Deutsche Bank hat den Philharmonikern wiederholt mit erheblichen Finanzspritzen ausgeholfen und agiert als deren Mäzen. Ohne die großen Stiftungen wäre die Trendwende von der staatlichen zur privaten Initiative nicht möglich. Diese sind allenthalben zu einem unverzichtbaren Element modernen bürgerschaftlichen Engagements geworden. Zwar haben die Stiftungen in Europa eine große Tradition. Gleichwohl ist das Stiftungswesen der USA das große Vorbild. Die USA gelten als „Musterland der Philanthropie“, als ein wahres „Stiftungsparadies“. Das Stiftungswesen wird in den USA als ein soziales Korrektiv verstanden, dass auch Einwohnern zu gute kommt, die über ein nur geringes Einkommen verfügen. Die Stiftungen versehen nicht nur im Lande wichtige gesellschaftliche Aufgaben. Sie sind auch die großen Akteure im internationalen Kulturaustausch und spielen zum Beispiel im Prozess der Demokratisierung einst totalitärer oder autoritärer Staaten eine hervorragende Rolle. Die USA haben ihr Stiftungsrecht schon weitgehend modernisiert. Europa hat diese Aufgabe noch 3
Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Bd. 36, S. 321 ff. (331), und Ingolf Pernice, in: H. Dreier (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. I, Art. 5 III Rn. 15.
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zu meistern.4 Die sich ein Stück weit aus der Förderung der Kunst zurückziehende öffentliche Hand muss der privaten Förderung mehr Freiräume geben, etwa im Steuerrecht. Vor allem muss der Staat durch ein neues Stiftungsrecht mehr Anreize schaffen. Die Frage, wer die Kunst zu fördern hat, sollte nicht im Sinne eines EntwederOder beantwortet werden. Kunst und Kultur brauchen eine breite Unterstützung. Die Kunst ist eine öffentliche Angelegenheit und Gegenstand eines allgemeinen Interesses. Sie zu pflegen und zu unterstützen ist daher eine Gemeinschaftsaufgabe von Staat und Gesellschaft. Das sollte nicht nur in Zeiten angespannter öffentlicher Haushalte gelten. In solchen Zeiten werden die Vorbehalte gegen das Engagement der Wirtschaft in der Kunst gern zurückgestellt. Man fürchtet nämlich, dass die Ökonomie versuchen könnte, die Kunst zu beeinflussen, getreu dem alten Sprichwort „Wes’ Brot ich ess’, dessen Lied ich sing’ “. Doch auch die staatliche Förderung ist vor der Versuchung der Einflussnahme und Zensur nicht gefeit. Diese Gefahr droht immer dann, wenn die Frage zu beantworten ist, was Kunst ist und welche künstlerischen Projekte förderungswürdig sind. Auch die Frage nach dem Wesen von Kunst ist vor die deutschen Gerichte gebracht worden. Diese haben sich nur sehr zurückhaltend zu dieser Frage geäußert. Vorn an das Bundesverfassungsgericht hat Kunst nur sehr allgemein als „die Gesamtheit der innerhalb einer Gesellschaft wirksamen geistigen Kräfte begriffen, die sich unabhängig vom Staate entfalten und ihren Wert in sich tragen“.5 Diese Definition endet mit der Feststellung, dass Kultur ihrem Wesen nach nicht staatlich verwaltet werden könne. Das Gericht stellt einen Wesenszug der Kunst heraus, nämlich ihre Autonomie, die es in einer freiheitlich-rechtsstaatlichen Demokratie zu respektieren gilt. Das Gericht sah sich außerstande, Kunst generell zu definieren. Fehlt doch auch in der Kunsttheorie jeglicher Konsens über objektive Maßstäbe. Das hat etwas mit dem besonderen Gut der Kunst zu tun. Die jeweilige Avantgarde strebt danach, die Grenzen der Kunst zu erweitern. – „Dies und ein weit verbreitetes Misstrauen von Künstlern und Kunsttheoretikern gegen starre Formen und strenge Konventionen sind Eigenheiten des Lebensbereichs Kunst, welche zu respektieren sind und bereits darauf hindeuten, dass nur ein weiter Kunstbegriff zu angemessenen Lösungen führen kann.“6 Wenn die künstlerische Kreativität Grenzen überschreitet, neue 4
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Zum Vorstehenden vgl. Andreas Schlüter, Stiftungsrecht zwischen Privatautonomie und Gemeinwohlbindung. Ein Rechtsvergleich Deutschland, Frankreich, Italien, England, USA, München 2004, S. 127 ff. Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Bd. 10, S. 36. So das Bundesverfassungsgerichts in: Amtliche Sammlung der Entscheidungen, Bd. 67, S. 213 (224 f.).
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Sichtweisen und Ideen wagt, dann muss sich auch die staatliche wie private Förderung bewegen. Beide dürfen nicht in eingefahrenen Bahnen stecken bleiben. Auch die engagierte Kunst steht unter dem Schutz der Freiheit der Kunst. Man kann einem Künstler nicht vorschreiben, wie er sich mit einem aktuellen Geschehen auseinander zu setzen und welche Haltung er gegenüber der Wirklichkeit einzunehmen habe. Das weite Verständnis von Kunst hat historische Gründe: Die Garantie der Freiheit von Kunst ist unter dem Eindruck der leidvollen Erfahrung in das Grundgesetz aufgenommen worden, die Künstler während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gemacht haben.7 Man denke nur an die Bücherverbrennungen und den Feldzug gegen die so genannte „entartete Kunst“. Die Einsicht in die Autonomie der Kunst bedeutet nicht den Verzicht auf Qualitätsmaßstäbe. Angesichts der Vielzahl künstlerischer Projekte kann nicht nach dem Gießkannenprinzip verfahren werden. Es müssen Bewertungen vorgenommen und Prioritäten festgelegt werden. Das bedeutet nicht zwangsläufig den Vorrang von Hochkultur. So manches früher in der Vergnügungsindustrie angesiedelte Projekt hat im Laufe der Jahre das Prädikat Hochkultur erworben. Man denke an den Film oder den Jazz. Es ist wohl eine deutsche Eigenart, zwischen Kunst und Unterhaltung strikt unterscheiden zu wollen – eine absurde Trennung fürwahr. (Johannes Schaaf ) Die Qual der Wahl bei der Förderung von Kunst lässt sich nicht mit dem Demokratieprinzip mildern. Die Mehrheitsregel taugt nicht als Mittel der Auslese von Kunst. Ein Seitenblick auf die Quoten des Fernsehens kann nur als Warnung dienen. Wer der künstlerischen Sensibilität der Politik und Ökonomie misstraut, lasse sich mit einem Hinweis beruhigen: In der Praxis sowohl des Staates als auch der Stiftungen ist ein ausgeklügeltes Experten- und Beiratswesen entwickelt worden. Schon im ureigenen Interesse bedienen sich die Entscheidungsträger eines solchen Sachverstands, um sich gegen die Kritik der Enttäuschten zu wappnen. Der Wert künstlerischer Tätigkeit lässt sich nicht in Prozentpunkten des Bruttosozialprodukts darstellen. Das führt dazu, dass sich in Zeiten der Krise Staat und Wirtschaft am schnellsten aus der Förderung der Kunst zurückziehen. Hier gilt es immer wieder eines deutlich zu machen: Kunst ist nicht lediglich schmückendes Beiwerk eines grauen Alltags, Kunst ist Sauerstoff einer zivilen Gesellschaft.
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Das Bundesverfassungsgericht, ebenda.
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FREIHEIT, DIE ICH MEINE WIE DEUTSCHLANDS HOCHSCHULEN BEFLÜGELT WERDEN KÖNNEN REIMAR LÜST
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eit mehr als dreißig Jahren wird über die Universitäten und über die für sie notwendigen Reformen diskutiert, allerdings nur unter den Fachleuten. Bundeskanzler Schröder hat es mit dem umstrittenen Stichwort „Elite-Universitäten“ geschafft, endlich eine öffentliche Debatte über die deutschen Universitäten in Gang zu setzen. Aber brauchen wir wirklich Elite-Universitäten nach dem Vorbild der USA? Unabhängig von der Beantwortung dieser Frage ist doch deutlich geworden, daß endlich gehandelt werden muß, nachdem in den vergangenen Jahren alles gesagt worden ist. Oder hindern uns ideologische Blockaden immer noch daran? Es lohnt sich, in diesem Zusammenhang an den Start der Berliner Universität zu erinnern. Am 11. Oktober 1810 wurde sie, wie von Wilhelm von Humboldt am 24. Juli 1809 dem König vorgeschlagen, gegründet. Zuvor hatte er alles Notwendige über die zukünftigen Aufgaben und die Gestalt einer Universität in einer Denkschrift gesagt. Nur vierzehn Monate nachdem er den Antrag an den König gestellt hatte, wurde die Universität gegründet. Eine so rasche Umsetzung ist heute nicht mehr vorstellbar. Dabei waren es auch für Preußen keine einfachen Zeiten. Das läßt sich auch noch heute aus Wilhelm von Humboldts Antrag herauslesen, den er mit den folgenden Worten einleitete: „Es wird befremdend scheinen, daß die Sektion des öffentlichen Unterrichtes im gegenwärtigen Augenblick einen Plan zur Sprache zu bringen wagt, dessen Ausführung ruhigere und glücklichere Zeiten vorauszusetzen scheint“. Hundert Jahre später schrieb der Kabinettschef von Kaiser Wilhelm II. zum Jubiläum der Berliner Universitätsgründung: „In der Geschichte der deutschen Hochschulen bedeutet die Gründung der Universität Berlin im Jahre 1810 den Beginn eines neuen Abschnittes. Waren die Universitäten mit wenigen Ausnahmen bis dahin schon nach ihrer ganzen Verfassung in erster Linie ,hohe Schulen‘ für die gelernten Berufe gewesen, so wurden sie durch die Ideen Fichtes und Schleiermachers, die dank der Initiative Wilhelm von Humboldts in der Neugründung ihre Verwirklichung fanden, zu Stätten wissenschaftlicher Forschung. Die Idee Fichtes, daß der bedeutende Gelehrte, der Mann der Wissenschaft immer auch der beste, in letzter und tiefster Absicht wirksamste Lehrer sein werde, hat in kurzer Zeit umgestaltend auf alle deutschen Universitäten gewirkt und so den Boden bereitet, auf
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dem sich der gewaltige Aufschwung deutscher Wissenschaft während des 19. Jahrhunderts vollziehen konnte, der Deutschland in seinem wissenschaftlichen Ansehen für lange Zeit an die Spitze aller Kulturnationen gerückt und seine Hochschuleinrichtungen zu maßgebenden Vorbildern gemacht hat.“ Heute sind die deutschen Universitäten kaum noch Vorbild, aber die Humboldtsche Idee einer Universität ist noch längst nicht gestorben. Sie wurde vor allem von Hochschulen in den USA übernommen, manche berufen sich ausdrücklich in ihrer Charta darauf. Allerdings wurde die Humboldtsche Vorlage dort stets als Motor für Neuanfänge genutzt, während sie hier in Deutschland eher als Bremse gegen mögliche Reformen dient. Dabei sind die Veränderungen in der deutschen Universitätslandschaft gewaltig, jedoch der Auftrag der Universität ist indessen gleich geblieben. Er lautet immer noch: Zum einen junge Menschen, die dazu befähigt sind, in der Wissenschaft auszubilden und berufsfähig zu machen, zum anderen Zentren der Forschung zu sein. Welches sind die Veränderungen, die sich an den Universitäten seit Ende der sechziger Jahre vollzogen haben? Am augenscheinlichsten ist dies an der Zahl der Studenten abzulesen. Während 1950 nur etwa 6 Prozent und 1960 nur 8 Prozent eines Geburtsjahrganges ein Hochschulstudium begannen, sind es jetzt zwischen 25 und 30 Prozent. Dies ist im internationalen Vergleich auch völlig angemessen und darf nicht rückgängig gemacht werden. Aber trotz dieses Zuwachses glauben auch heute noch manche Leute, daß diese Zahlen im Rahmen des alten Hochschulsystems nach Humboldt zu bewältigen seien, während die Einsichtigen die Notwendigkeit erkannten, daß die Aspekte der Humboldtschen Universitätsidee nur durch ein gestuftes Studium zu verwirklichen sind, bei dem die Ausbildung in Forschung und Lehre erst in der zweiten Phase voll zum Tragen kommen kann. Was ist nötig, damit die deutschen Hochschulen im internationalen Vergleich bestehen können? Natürlich benötigen alle Universitäten mehr Geld. Das ist eine Binsenwahrheit und hierfür müssen die notwendigen Prioritäten in der Politik gesetzt werden. Aber das allein wird nicht helfen. Entscheidend ist, daß unsere Universitäten sich dem Wettbewerb stellen. Aber Wettbewerb ist nur möglich, wenn man den Hochschulen Freiheit gibt, Freiheit von staatlicher Bürokratie und von falsch verstandener staatlicher Kontrolle. Nun sollte man anerkennen, daß in etlichen Bundesländern mit der Einsetzung von Kuratorien und Hochschulräten in dieser Beziehung ein richtiger Weg eingeschlagen wird. Aber das kann nur ein erster Schritt sein. Bisher gilt immer noch der Grundsatz der Gleichheit aller Universitäten. Dabei ist die Gleichheit aller Universitäten eine Fiktion, wenn man auf die Qualität der Forschung blickt. Es gibt durchaus aussagekräftige Ranglisten der Universitäten. Die Alexander von Humboldt-Stiftung zeigt in jedem Jahr, welche Universitäten
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von den ausländischen Stipendiaten bevorzugt werden. Die Qualitätsunterschiede zwischen den Fakultäten oder Fachbereichen der verschiedenen Universitäten werden durch den strengen Wettbewerb in der Forschung gefördert. Es geht stets um den ersten Platz bei den Forschungsergebnissen und um die Mittel für die Forschungsvorhaben. Zu Recht sind die Höhe der Drittmittel ein gewisser Indikator über die Güte eines Fachbereiches oder eines Institutes. Nur durch den Wettbewerb können wir in der Forschung international mithalten. Deswegen muß bei der Auswahl der Hochschullehrer die Qualifikation durch die Forschung das entscheidende Kriterium sein. Weder Habilitation noch die Institution des Juniorprofessors werden bei der Förderung des qualifizierten Nachwuches an jungen Hochschullehrern entscheidend sein. Vielmehr sind es die optimalen Bedingungen, die junge promovierte Forscher, die Postdocs, für eigene Forschungsvorhaben brauchen. Dafür müssen die Universitäten sorgen. Die Postdocs sollen sich auch in ausländischen Forschungseinrichtungen bewähren, jedoch müssen die Universitäten ihnen dann auch den Weg zurück nach Deutschland erleichtern. So sehr der Wettbewerb in der Forschung allgemein anerkannt ist, so wenig wird noch der Wettbewerb der Hochschulen um die besten Studenten ernst genommen. Bereits 1971 wagte der damalige und aus der SPD kommende Forschungsminister der Bundesregierung Klaus von Dohnanyi, auszusprechen, daß „in einem auf Chancengleichheit angelegten Bildungssystem kein Weg an der Hochschul-Eingangsprüfung vorbei führt“. Politiker hören den Vergleich nicht gerne: aber wahr ist, daß die Universitäten und die Gefängnisse die einzigen Institutionen in unserem Land sind, die unbesehen alle Bewerber annehmen müssen. In jedem anderen Bereich – sei es in der Wirtschaft oder im öffentlichen Gemeinwesen – versteht es sich von selbst, daß ein Bewerber sich einer Eignungsprüfung oder einer Bewertung stellen muß. Jede Hochschule sollte sich ihre Studenten in Zukunft selbst auswählen können. Das Verfahren könnte der Hochschule – natürlich in transparenter Form – überlassen bleiben, wobei die Gesamtstudentenzahl der Hochschulen von der Landesregierung vorgegeben wird. Das Abitur wäre eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Zulassung an die Hochschule. Nun kann man die Einwände gegen diese Vorschläge schon auswendig herbeten. Automatisch heißt es, daß die Gesetzeslage und vor allem die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes die Aufnahmeverfahren einzelner Hochschulen nicht zuließen. Doch wenn der Gesetzgeber es politisch wollte, könnte sicher eine gesetzliche und eine vom Bundesverfassungsgericht nicht anfechtbare Lösung gefunden werden. Es kann doch einfach nicht angehen, daß es die Verwaltungsgerichte sind, die über die Hochschulpolitik entscheiden.
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Natürlich wird es auch kräftige Gegenstimmen aus den Hochschulen selbst geben. Die schon jetzt kaum zumutbare Arbeitsbelastung wird geltend gemacht. Dem möchte ich aber entgegenhalten, daß es zu allererst die Hochschullehrer selber sind, die etwas tun müssen, um dem desolaten Zustand ihrer Hochschulen abzuhelfen und ihr Ansehen zu stärken. Das Argument, daß man ungeeignete Studenten nach dem zweiten und vor allem nach dem vierten Semester, also nach dem Vordiplom oder der Zwischenprüfung (sofern sie überhaupt besteht), aus den Hochschulen prüfen könnte, klingt mir etwas zynisch. Denn damit vergeudet man kostbare Jahre eines Menschenlebens, vom volkswirtschaftlichen Verlust einmal ganz abgesehen. Aber was gewinnt die einzelne Hochschule, wenn sie sich die Studenten selbst auswählen kann? Zum einen wird damit ein Wettbewerb der Hochschulen, vor allem der Fakultäten und Fachbereiche untereinander, in Gang gesetzt. Zum anderen könnte hierdurch auch eine stärkere personelle Verantwortung eines jeden Professors für den einzelnen Studenten initiiert werden. Denn er hat ihn ja selbst mit ausgewählt. In einem vor kurzem erschienenen Artikel über die Studienbedingungen in Deutschland hieß es: „Wahrgenommen werden, das wünschen sich viele Studenten. Fast alle die man fragt, was sie vom Studium erwarten, bringen das Recht auf Anerkennung zur Sprache. Diese Studierenden möchten fachliche wie menschliche Zuwendung und Kritik.“ Dieses Wahrgenommen werden könnte in der Tat schon beginnen bei dem individuellen Aufnahmegespräch des Professors mit dem Studenten. Schließlich muß die Hochschule an Studenten interessiert sein, die in der Lage sind, ihr Studium in möglichst kurzer Zeit – in der Regelstudienzeit – abzuschließen. Hierbei sei angemerkt, daß die Einführung eines Bakkalaureats als Studienabschluß in den Geisteswissenschaften sicher auch zur Studienzeitverkürzung beitragen würde, wenn damit eine gewisse Berufsfähigkeit bescheinigt wird. Zugleich würde es für ausländische Studenten attraktiver, an deutschen Hochschulen zu studieren. An dieser Stelle wird man sicher einwenden, daß Langzeitstudenten praktisch keine Belastung für die Hochschulen darstellen, da sie an Vorlesungen und Seminaren sowieso nicht mehr teilnehmen und sie bei Verlassen der Hochschule eher die Arbeitslosenquote weiter erhöhen. Selbst Politiker und mitleidige Hochschullehrer sind sich nicht zu schade für das Argument, es sei doch nichts Schlechtes, wenn die Hochschulen als Wärmehallen für solche Akademiker dienen, für die auf dem Arbeitsmarkt gerade kein Platz ist. Sollte dies wirklich die Aufgabe der Hochschulen sein? Aber der Wettbewerb im Hochschulbereich müßte auch dadurch wieder beflügelt werden, daß den Studenten das Studium nicht mehr zum Nulltarif zur
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Verfügung steht. Studiengebühren für jeden Studenten halte ich für zumutbar. Selbstverständlich muß dies sozial verträglich geregelt werden, damit den sozial Schwächeren das Studium nicht unmöglich gemacht wird. Es will mir einfach nicht einleuchten, daß Gebühren für Kindergartenplätze in manchen Bundesländern in einer Höhe von jährlich mehreren tausend Mark politisch akzeptiert werden, Studiengebühren aber nicht. Im übrigen: Im Jurastudium sind Studiengebühren gang und gäbe, über die Gebühren der Repetitoren wird gar nicht geredet. Studiengebühren sind auch sozial gerecht, denn gegenwärtig hilft der sozial Schwächere mit seinen Steuern demjenigen zu einem gebührenfreien Studium, der später in den meisten Fällen ein beträchtliches Einkommen erzielen kann. In der gegenwärtigen finanziellen Situation unseres Staates scheinen Studiengebühren die einzige Möglichkeit zu sein, jeder einzelnen Hochschule einen gewissen Zusatz an finanziellen Mitteln zur Verfügung zu stellen. Aber auch das Argument der verstärkten Eigenverantwortung der Hochschulen ist dabei nicht unerheblich. Eltern und Studenten, die Studiengebühren aufbringen, haben dadurch einen viel stärkeren Anspruch auf einen entsprechenden Gegenwert für diese Leistungen. Das gilt zunächst für die Lehre, in den höheren Semestern jedoch auch für die Forschung ihrer Professoren. In Bremen hat nach amerikanischem Vorbild eine private Universität – die International University Bremen – vor drei Jahren ihren Betrieb aufgenommen und gezeigt, daß Aufnahmeprüfungen und Studiengebühren in Deutschland zum Erfolg führen können. Dort studieren jetzt etwa 600 Studenten aus 68 Ländern (20 Prozent aus Deutschland), die alle auf dem Campus in drei Colleges wohnen. 60 Prozent der Studenten erhalten ein Stipendium, während 40 Prozent die Studiengebühren von 15.000 € selber zahlen können. Anfang Juni dieses Jahres wird der erste Jahrgang mit dem Bachelor-Examen die Universität verlassen. Nur etwa drei Prozent der Studenten haben dies nicht geschafft, während an deutschen Hochschulen die Ausfallquote zum Teil mehr als 50 Prozent beträgt. Die beiden Fakultäten, die naturwissenschaftliche und ingenieurwissenschaftliche Fakultät, sowie die geistes- und sozialwissenschaftliche Fakultät umfassen 85 Professoren, die gemeinsam mit den Studenten nach Humboldtschem Vorbild in Forschung und Lehre engagiert sind. Hinzu kommt als dritte Säule das Jacobs Center for Lifelong Learning and Institutional Development, das sich gerade im Aufbau befindet. Mit dieser privaten Universität wird das deutsche Universitätssystem nicht verändert werden. Aber die IUB könnte eine Leuchtturmfunktion wahrnehmen und zeigen, welchen Weg man in Deutschland auch beschreiten kann. Wir brauchen in
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Deutschland eine Vielfalt von Universitäten, die wie in den USA ein ganz unterschiedliches Profil haben können. Auch Elite braucht eine breite Basis. Ausgangspunkt für den Anstoß des Bundeskanzlers war die Stärkung der Innovationskraft in Deutschland. In den USA sind die herausragenden Universitäten, wie MIT oder Stanford, der Humusboden für Innovation, weil dort sehr gute Professoren mit sehr guten Studenten in der Grundlagenforschung zusammen arbeiten. Das muß auch die Zielrichtung der deutschen Universitäten sein. Auch schon 1911, beim hundertsten Geburtstag der Berliner Universität, sollte die Innovationskraft in Deutschland durch Spitzenleistungen in der Forschung weiter gestärkt werden. Deswegen wurde damals die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, die heutige Max-Planck-Gesellschaft, gegründet. Die Argumente dafür sind auch heute noch gültig.
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laus-Dieter Lehmann und die Humboldt-Universität zu Berlin sind eng miteinander verbunden. Dies gilt zum einen für die geistige Verwandtschaft zwischen ihm und den Brüdern Humboldt, den Namensgebern unserer Universität. Mit Wilhelm von Humboldt verbinden ihn die Humboldtschen Ideale von Bildung und Wissenschaft: der Titel Professor ist für Klaus-Dieter Lehmann nicht Zierde, sondern ernst genommene Verpflichtung, neues Wissen zu erwerben und weiterzugeben. Mit Alexander von Humboldt hat er die Weltläufigkeit und die analytische Präzision des Naturforschers gemeinsam. Dabei hilft ihm sicherlich die Tatsache, dass er von Haus aus Physiker ist, was ihn mir übrigens noch sympathischer macht als er mir ohnehin schon ist. Alexander von Humboldt war aber auch ein großer Kommunikator. Sein Briefwechsel mit „Gott und der Welt“ ist überwältigend. Klaus-Dieter Lehmann ist ebenfalls ein Vielschreiber, und darüber hinaus ein ausgezeichneter, der sich immer zum richtigen Zeitpunkt zu einem wichtigen Thema zu Wort meldet. Er besetzt regelrecht Themen und anderen ergeht es dabei wie in der Geschichte von dem Hasen und dem Igel: der Igel Lehmann ist immer als Erster im Ziel und ruft lauthin hörbar in die Welt: „Ich bin schon hier!“, während die anderen oft abgehetzt noch nach Orientierung suchen. Ein gutes Beispiel hierfür ist die zukünftige Gestaltung des Schlossplatzes im Herzen von Berlin. Am Anfang stand Lehmanns Idee, die einzigartigen außereuropäischen Sammlungen der Staatlichen Museen zu Berlin aus den renovierungsbedürftigen Gebäuden in Dahlem auf dem Schlossplatz in einem wie auch immer gestalteten „Gehäuse“ unterzubringen, um so der abendländischen Kultur in Berlin-Mitte im wahrsten Sinne des Wortes das Außereuropäische gegenüberzustellen. Daraus hat sich das Konzept eines „Humboldt-Forums“ entwickelt: die außereuropäischen Sammlungen der Staatlichen Musen zu Berlin, Deutschlands wohl bedeutendste wissenschaftlichen Sammlungen aus der Humboldt-Universität zu Berlin und ausgewählte Literaturbestände der Zentral- und Landesbibliothek sollen die Grundlage für ein neuartiges Zusammenspiel von Kultur und Wissenschaft bilden. Ein wahrhaft visionäres Unterfangen: das Humboldt-Forum in der Mitte Berlins als Zentrum der nationalen Identität, ein Ort der Begegnung von Kultur und Wissenschaft, von Wissenschaft und Öffentlichkeit, von Europa mit der Welt.
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In dem zuletzt Gesagten klingen zwei „Saiten“ von Klaus-Dieter Lehmann an, die ich kurz zum Schwingen bringen will und die mit den Begriffen Vision und Öffentlichkeit verbunden sind. Klaus-Dieter Lehmann ist ein bekennender Visionär. Er ist ein Freund der großen Entwürfe, „think big“ ist für ihn eine ständige Herausforderung. Er denkt strategisch und stets in nach vorne gerichteter Perspektive. Zaghaftigkeit ist seine Sache nicht, wenn er von etwas überzeugt ist. Dann kann er geradezu beschwörend wirken und seine Umgebung in hypnotische Zustände der widerspruchslosen Begeisterung versetzen. Natürlich hilft ihm dabei auch der ihm eigene, unnachahmliche Charme, der durch das rollende „R“ seiner Sprache nur noch an Unwiderstehlichkeit gewinnt. Klaus-Dieter Lehmann weiß aber auch, dass für seine Arbeit der Dialog mit der Öffentlichkeit entscheidend ist. Er versteht sehr gut, dass in der öffentlichen Meinung nur das zur Realität wird, worüber berichtet wird und was als Realität wahrgenommen wird. Der Erwerb und das „zur Schau stellen“ von Kunstgegenständen ist auch immer ein Stück gesellschaftlicher Auseinandersetzung, die häufig rational nicht begreifbar ist. Mit dieser Problematik weiß er souverän umzugehen, ohne sich dabei gegenüber seinen Kritikern zu verbiegen. Ein jüngstes Beispiel für diese Gratwanderung ist die „Flick-Collection“. Das Pro und Contra ist in den Medien breit diskutiert worden. Klaus-Dieter Lehmann hat seine Position klar und mit, wie ich finde, überzeugenden Argumenten vertreten, ohne die in dieser Frage notwendige Sensibilität für den Umgang mit der jüngeren deutschen Geschichte vermissen zu lassen. Klaus-Dieter Lehmann liebt nicht nur die Kunst, sondern auch die Bücher. Er hat wichtige Bibliotheken in Deutschland geleitet und ich bin sicher, dass ihn seine Zuständigkeit für die Staatsbibliothek, dem Stammhaus der größten deutschen Universalbibliothek, hier in Berlin mit besonderer Freude erfüllt. Damit sind wir übrigens wieder bei der Humboldt-Universität, die einerseits Nachbar und andererseits Gast der Staatsbibliothek in Berlin-Mitte ist. Noch nutzt die HumboldtUniversität voll Dankbarkeit einige tausend Quadratmeter in der Staatsbibliothek für ihre Universitätsbibliothek, aber sie wird demnächst ausziehen müssen. Der Grund für die Aufkündigung des Gastrechts ist der bald beginnende Neubau des zentralen Lesesaals der Staatsbibliothek, der die Voraussetzung für die Funktionsfähigkeit und für die innere Raumfolge der Staatsbibliothek bildet. Dies ist nur eines der vielen großen Bauvorhabens von Klaus-Dieter Lehmann, die er bisher beharrlich und mit langem Atem verfolgt hat. Übrigens werden Staatsund Universitätsbibliothek Nachbarn bleiben: die Humboldt-Universität wird in den nächsten Jahren ihre neue zentrale Bibliothek, das Jakob und Wilhelm GrimmZentrum, gleich um die Ecke an der S-Bahn zwischen Geschwister-Scholl- und Max-Planck-Straße bauen. Dahin wird dann auch die bekannte Grimm-Bibliothek
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umziehen. Apropos Gebrüder Grimm: Klaus-Dieter Lehmann ist ein hervorragender Märchenerzähler, wohlgemerkt nur zur Weihnachtszeit. Seine Weihnachtsgeschichten zum Adventstee in der Villa von der Heydt sind neben der legendären Weihnachtsbäckerei seiner Frau Lisa immer ein lang ersehnter Höhepunkt für Insider im dezemberlichen Berlin. Klaus-Dieter Lehmanns Auge ruht aber nicht nur im nachbarschaftlichen Sinn auf der Humboldt-Universität, sondern es wacht auch im direkten Sinn über ihr. Er ist Mitglied und stellvertretender Vorsitzender des Kuratoriums neuer Art der Humboldt-Universität. Das neue Kuratorium ist Bestandteil der vorläufigen Verfassung der Humboldt-Universität und im Rahmen der Experimentierklausel des Berliner Hochschulgesetzes vor einigen Jahren als ein Organ zur Erprobung neuer Leitungs- und Entscheidungsstrukturen eingeführt worden. Dieses Erprobungsmodell stellt einen entscheidenden Autonomiegewinn für die Humboldt-Universität dar und das neue Kuratorium hat am mittlerweile allgemein anerkannten Erfolg dieses Modells zentralen Anteil. Wie überall besitzt auch in diesem Gremium die Stimme von Klaus-Dieter Lehmann besonderes Gewicht. In seiner Person sind Kenntnisse über die innere Funktionsweise einer Universität vereint mit dem kritischen Blick eines mit vielfältiger institutioneller Erfahrung ausgestatteten Außenbeobachters. Die große persönliche und fachliche Wertschätzung für Klaus-Dieter Lehmann rührt meines Erachtens daher, dass viele Menschen diesen Klaus-Dieter Lehmann für einen Glücksfall halten, für Berlin, für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und für sie selbst. Für mich ist die persönliche Bekanntschaft mit Klaus-Dieter Lehmann genau dies: ein Glücksfall!
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VOM NACHHALTIGEN UMGANG MIT KULTURGÜTERN: LAGERN, RESTAURIEREN, RESTITUIEREN, DIGITALISIEREN
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BIBLIOTHEKEN UND DAS KULTURELLE ERBE EINIGE BETRACHTUNGEN ÜBER DIE GESCHICHTE UND GEGENWART ESKO HÄKLI
1. Eine schwierige Aufgabe
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ach dem heutigen Sprachgebrauch werden Archive, Bibliotheken und Museen Gedächtnisorganisationen (memory organizations) genannt, weil es ihre Aufgabe ist, den Fortbestand der Merkmale der geistigen Errungenschaften der Menschheit sicherzustellen. Historisch gesehen ist das Erhalten des Weltkulturerbes eine schwierige und problematische Aufgabe, auch wenn wir uns nicht damit befassen wollen, was zu diesem Erbe gehört, gehören sollte oder hätte gehören sollen. Ohne Übertreibung können wir sagen, dass uns der größte Teil der Merkmale der früheren Kultur abhanden gekommen ist. Wir wissen überhaupt nicht, was alles endgültig verloren gegangen ist. Nicht einmal ein Gesamtbild der alten griechischen Literatur steht uns zur Verfügung, und das, was aus dieser Literatur erhalten geblieben ist, ist uns nicht als Original überliefert worden, sondern existiert nur in der Form späterer Abschriften. Einige Beispiele sollen ausreichen, um die Problematik der Vergangenheit zu beleuchten. Nehmen wir zuerst die alte chinesische Schriftkultur. Bevor Papier in Europa bekannt wurde, hatte man es über mehr als tausend Jahre in China in großem Umfang als Schreibstoff benutzt. Doch ist nur ein winziger Bruchteil des Geschriebenen für spätere Zeiten erhalten geblieben. Schuld daran ist nicht die schlechte Qualität des Papiers. Die Ausgrabungen etwa des schwedischen Forschers Sven Hedin, die er Anfang des 20. Jh. in Lou-lan in Ost-Turkestan unternommen hat, haben Papierfunde aus dem 3. Jh. n. Chr. ans Tageslicht gebracht. Die Qualität des Papiers ist immer noch hervorragend, obwohl diese weggeworfenen Dokumente etwa 800 Jahre in Trümmern eines Gebäudes gelegen haben. Etwa auf eine ähnliche Weise ist die ältere arabische Literatur verschwunden. Der Zugang zum Papier, 500 Jahre bevor die Europäer es kennengelernt haben, hat in der islamischen Welt eine Renaissance der Literatur zustande gebracht. Wieder sind nur Bruchteile aus dieser blühenden Schreibkultur für die Nachwelt erhalten geblieben. Es sind viele Faktoren, nicht nur die Qualität des Schreibstoffes, die diese Verluste verursacht haben. Trotz der Existenz einiger berühmter Institutionen, wie der
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Bibliotheken in Alexandria und Pergamon, ist die systematische Sammeltätigkeit erst ein Charakteristikum späterer Epochen. Aber was nützt eigentlich das Sammeln, wenn die Sammlungen systematisch vernichtet werden? Kriege und ideologische Umwälzungen, aber auch Feuer, sind Feinde des geschriebenen und gedruckten Wortes gewesen. Die Reconquista z. B. hat die blühende Schriftkultur der Mauren restlos vernichtet. In den Wirren der Völkerwanderungen wurden Bibliotheken zum Opfer des Vandalismus. Nicht nur Literatur aus der Antike, sondern auch aus dem frühen Christentum hat irreparable Schäden erlitten. Spätere kriegerische Ereignisse in Europa, wie der Dreißigjährige Krieg oder die Französische Revolution, haben große Zerstörungen in die Wege geleitet, die von den späteren Weltkriegen, politischen Umstürzen und ideologischen Umbrüchen ergänzt worden sind. Dass solche Verluste nicht nur zur fernen Geschichte gehören, beweisen u. a. das Schicksal der Bibliothek in Sarajevo und die schweren Verluste der Anna Amalia Bibliothek in Weimar.
2. Das Schreibmaterial als Problem Trotz der direkten Vernichtung des geschriebenen Wortes stellt der Schreibstoff jedoch ein bedeutendes Problem dar. Während mehrerer Jahrtausende wurde Papyrus als Schriftträger benutzt. Schon für die Zeitgenossen war es aber klar, dass die Beständigkeit des Papyrus vieles zu wünschen übrig ließ. Sofort, als Pergament zugänglich wurde, begann man deshalb Texte auf Pergament zu kopieren. Diese mehr oder weniger systematische Rettungsaktion wurde besonders im 3. und 4. Jh. n. Chr. betrieben, bevor Pergament den Papyrus als Schreibunterlage ersetzte. Man hatte eingesehen, dass aktive und systematische Maßnahmen von Nöten waren, um das geistige Erbe an die späteren Generationen überliefern zu können. Das Kopieren der Texte vom Papyrus auf das Pergament könnte als die erste große Rettungsaktion der europäischen Literatur bezeichnet werden. Im Mittelalter wurden Bücher in den Skriptorien der Klöster fleißig kopiert, was in der Praxis die einzige Möglichkeit war, eine bedeutende Bibliothek aufzubauen. Verglichen mit dem Kopieren der Papyrus-Texte auf Pergament war das mittelalterliche Kopieren keine Konversion, d. h. keine Überführung von einem Schreibmaterial auf ein anderes. Die auf Pergament geschriebenen Texte wurden auf Pergament abgeschrieben. Bevor das Papier im 13. Jh. bekannt wurde, war das Pergament der einzige Beschreibstoff. Beim Kopieren der Bücher ging es aber nicht nur um die Verbreitung der Literatur, sondern auch um eine bewusste Rettung der zerstreut erhaltenen Bücher, die die Stürme der Völkerwanderungen überlebt hatten. Die karolingische Renaissance schuf u. a. eine neue Schrift, die sogenannte karolingi-
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sche Minuskel. Mit Hilfe dieser Schrift wurden Texte des klassischen Altertums und des frühen Christentums systematisch kopiert und verbreitet – und zwar auf Veranlassung Karls des Großen und seiner Hofbibliothek. Es wäre nun übertrieben zu behaupten, daß die ganze Literatur aufs Neue geschrieben wurde. Die Bedeutung dieser Aktion für die Verbreitung und Erhaltung der Literatur darf jedoch nicht unterschätzt werden. Die Renaissance im 14. und 15. Jh. war wieder eine große Zeit für das Kopieren der Texte und für den Aufbau großer Bibliotheken – und zwar nicht mehr alleine von Seiten der kirchlichen Instanzen. Das handschriftliche Abschreiben wurde allmählich vom Buchdruck ersetzt, und besonders die Humanisten haben von dieser neuen Methode der Vervielfältigung Gebrauch gemacht. Der Nachfolger des Pergaments als Schriftträger war also Papier. Schon im Mittelalter wurde Papier als Beschreibstoff auch für Bücher benutzt, aber erst mit dem Buchdruck ist Literatur systematisch auf das Papier überführt worden. Die Dauerhaftigkeit des Papiers wurde zwar lange in Zweifel gezogen, was seine Verbreitung jedoch nicht hindern konnte. Grundsätzlich waren alle diese Übergänge von einer sehr großen prinzipiellen Bedeutung, weil sie neue Möglichkeiten eröffneten, Literatur herzustellen und sie zu benutzen. Papyrus war hauptsächlich für den geschriebenen Text geeignet. Pergament schuf Voraussetzungen für eine blühende Buchkunst u. a. mit wunderschönen Miniaturen. Das Papier ermöglichte das Drucken von großen Auflagen und eröffnete zum ersten Mal die Möglichkeit, auch Bilder zu vervielfältigen. Aus dem Gesichtspunkt der Konversion war der Buchdruck eine völlig neue Methode. Während der ersten Jahrzehnte des Buchdrucks wollte man Manuskripte mechanisch kopieren. Bücher wurden als Imitationen der Manuskripte hergestellt. Dass es um Konversion ging, war ganz offensichtlich. Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass während der ersten Jahrzehnte des Buchdrucks nur Bücher gedruckt wurden, die schon als handgemachte Kopien verbreitet worden waren, keine Neuerscheinungen also. Weil der Buchdruck eine viel effizientere Methode war als das Handkopieren, wurden Bücher selbstverständlich auch viel effizienter verbreitet. Erst die Buchdruckerkunst hat das literarische Erbe des klassischen Altertums und des Mittelalters in einem größeren Umfang den späteren Generationen zugänglich gemacht. Auf diese Weise hat sie tatkräftig dazu beigetragen, dass dieses Erbe nicht mehr in einem gleichen Maße wie früher bedroht war, als die Texte nur in einigen wenigen Exemplaren und weit zerstreut vorlagen. Aber nicht einmal der Buchdruck hat Garantien dafür geben können, dass alles was gedruckt wurde, erhalten bleiben konnte. Viele Titel liegen nur in einem einzigen Exemplar vor, viele sind total verschwunden. Schuld daran ist nicht das Papier als Druckunter-
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lage. Es sind wiederum außerliterarische Faktoren, die diese Schäden verursacht und sogar ganze Bibliotheken zerstört haben. Im Zusammenhang mit dem frühen Buchdruck können wir jedoch nicht von einer systematischen Aktivität hinsichtlich der Rettung der früheren Literatur sprechen. Die Drucker konzentrierten sich allzu sehr auf Titel, die schon früher populär gewesen waren. Bücher zu drucken, war ein kommerzielles Unternehmen, und der Drucker musste genau berechnen, was zu drucken sich auch lohnte. Weniger bekannte Titel hatten daher kleine Chancen, gedruckt zu werden. Der Buchdruck entwickelte sich allmählich zu einer Industrie, mit der Aufgabe, Bücher und andere Publikationen zu verbreiten und den Interessen der Auftraggeber und Drucker bzw. Verleger zu dienen. Die Erhaltung des Kulturguts blieb als Triebkraft im Hintergrund. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg ist der Buchdruck wieder im Dienste des Zugangs zur schon einmal veröffentlichten Literatur eingesetzt worden, als die große Reprint- oder Nachdruckindustrie geschaffen wurde. Sie hatte die Aufgabe, den Bibliotheken und anderen Institutionen beim Füllen der im Krieg entstandenen Lücken behilflich zu sein.
3. Der Papierzerfall Bibliotheken, deren Aufgabe es ist, das literarische Erbe ihres Landes für die Zukunft aufzubewahren, kämpfen heute mit enormen Problemen und zwar wegen der Qualität des Papiers. Ähnliche Probleme gibt es auch in den Archiven. Das alte handgemachte Hadernpapier hat sich als dauerhaft erwiesen, obwohl erhebliche Qualitätsschwankungen keineswegs unbekannt waren. Die Probleme, die es jetzt gibt, werden von dem industriell hergestellten Papier verursacht. Das Papier ist vielleicht die wichtigste Grundlage gewesen, auf der die Entwicklung unserer heutigen industrialisierten und demokratischen Gesellschaft aufgebaut werden konnte. Die rasante Entwicklung begann, als die Papierindustrie entstand und als sie Holz als Rohmaterial zu benutzen gelernt hatte. Aber auch in diesem Paradies gab es eine Schlange! Während einer Periode von etwa hundert Jahren bis zu den 60er Jahren des 20. Jh. war das Papier sauer, mit der Folge, dass es vergilbt und versprödet. Es ist keine Übertreibung, vom Papierzerfall zu sprechen. Am meisten bedroht ist jenes Papier, das aus Holzschliff hergestellt ist. Der größte Teil der Bestände der großen Bibliotheken stammt aus der Periode eben dieser hundert Jahre. Der Papierzerfall schwebt wie ein Damoklesschwert über den Bibliotheken. Wenn der drohende Zerfall nicht verhindert werden kann, werden unvermeidlich große Lücken in unserem geistigen Erbe entstehen. Will man sich vor diesen Schä-
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den schützen, gibt es grundsätzlich zwei Alternativen: entweder die existierenden Originalexemplare so zu behandeln, dass sie auch in der Zukunft zugänglich sind, oder den Inhalt wieder auf ein anderes Material zu überführen. Lücken in unserem kulturellen Erbe wären zwar nichts Neues. Der Umfang der Probleme scheint aber überwältigend zu sein, und nicht einmal die Tatsache, dass die bedrohte Literatur in vielen Fällen, nicht aber immer, in mehreren Bibliotheken vorhanden ist, schützt die bedrohten Bestände. Sie sind alle in Gefahr. Weil die Benutzung und die Bedingungen, unter denen die Bestände aufbewahrt werden, den Zerfall entweder beschleunigen oder verlangsamen, gibt es Unterschiede in dem jeweiligen Zustand der Bestände, was aber das Hauptproblem nicht beseitigen kann. Man wird ab und zu mit der Frage konfrontiert, ob wirklich alle Sammlungen für die Zukunft im Original aufbewahrt werden müssen. Natürlich müssen sie, wäre die einfachste Antwort. Aber ist das überhaupt möglich? Sicher nicht in allen Bibliotheken. Verschiedene Methoden sind zwar entwickelt worden, die es ermöglichen, große Buchbestände massenweise zu behandeln. Es gibt aber kein Universalmittel, das alle Probleme lösen könnte – und dies schon gar nicht zu einem akzeptablen Preis. Für die Langzeitarchivierung genügt es nicht, den schädlichen Prozess, der das Papier allmählich zerstört, durch Massenentsäuerung abzubrechen. Das spröde Papier sollte auf irgendeine Weise auch befestigt werden, um sicherzustellen, dass die gedruckten Veröffentlichungen auch in der Zukunft noch berührt und benutzt werden können. So weit sind wir aber noch nicht. Wenn es um die Massenentsäuerung und das Papierspalten geht, um nur diese zwei bekannten Methoden zu erwähnen, liegt Deutschland im internationalen Vergleich ganz vorne. In vielen anderen Ländern werden noch nicht einmal die Massenentsäuerungsmethoden benutzt. Weil die Kosten hoch und die Mittel nur begrenzt sind, muss schon bei der Anwendung der jetzigen Methoden eine Auswahl getroffen werden, welche Teile der Bestände als Originale aufbewahrt werden sollen. Die zweite Alternative, die Überführung der Texte auf einen anderen Schriftträger, heisst wieder Konversion. Aber wie weit können Originalexemplare mit Surrogaten oder Reproduktionen ersetzt werden, und vor allem: welche Publikationen? Der Bedarf an Originalpublikationen besteht ganz unzweideutig auch in der Zukunft. Kultur kann nicht nur auf Surrogaten und Textkopien aufgebaut werden. Für wen und in welcher Situation würden die Reproduktionen den gleichen Wert besitzen wie die Originalexemplare? Ein Wissenschaftler, der an der Textanalyse arbeitet, kann den Text auch als Kopie benutzen. Ein Historiker will das Original in die Hand nehmen. Erst das Gefühl der Authentizität kann eine Sicherheit bieten, dass es historische Kontinuität gibt. Wir brauchen nur an die Erwartungshaltung des Publikums in den Ausstellungen zu denken. Nur das Original ist interessant, nicht die Reproduktionen.
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Die herkömmlichen Methoden, Surrogate herzustellen, sind die Mikroverfilmung und die Nachdrucke. Beide sind teuer und arbeitsintensiv. Trotz langjähriger Arbeit hat man durch Mikroverfilmung nur einen ziemlich kleinen Teil der Bestände sichern können. Doch ist die Verfilmung immer noch völlig brauchbar. Der Mikrofilm ist ein dauerhaftes Medium und bleibt, in adäquaten Verhältnissen aufbewahrt, mehrere hundert Jahre benutzbar, also viel länger als das holzhaltige, saure Papier. Mikroverfilmung ist somit eindeutig ein Mittel, mit dessen Hilfe der Informationsinhalt der Publikationen als Faksimile für die Zukunft gerettet und zur Verfügung gestellt werden kann. Es sind besonders Tageszeitungen, die in einem großen Umfang verfilmt worden sind, aber auch andere Gruppen von Druckschriften sind auf Film überführt worden. Verleger haben ihrerseits in vielen Fällen Nachdrucke durch Mikrofilme ersetzt. Weil die Qualität des Papiers während der letzten Jahrzehnte erheblich verbessert wurde, gibt es heute eine reiche Auswahl dauerhaft haltbaren Papiers auf dem Markt. Aber immer noch wird Papier auch aus Holzschliff hergestellt, und ein völlig neues Problem ist mit dem Recycling-Papier entstanden, das die Forderungen der Dauerhaftigkeit nicht erfüllt. Zeitungen werden meistens auf Recycling-Papier gedruckt, das aber auch für Bücher benutzt wird. Die Zukunft der heutigen Bücher liegt also in den Händen der Verleger und Herausgeber der Bücher, die das Papier für ihre Publikationen wählen.
4. Fragen der Bestandssicherung heute Die elektronischen Medien haben die Szene erobert und beherrschen den Diskurs, gerade so, als ob Druckschriftensammlungen schon heute ohne Bedeutung wären. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die alte Aufgabe, die gedruckten Bestände weiterzuführen und für die Zukunft aufzubewahren, besteht und darf nicht vernachlässigt werden. Was aber zunehmend deutlicher wird, ist die Notwendigkeit, die Aufgaben und Ziele der verschiedenen Bibliothekstypen zu differenzieren. Wissenschaftliche Gebrauchsbibliotheken haben andere Aufgaben als Archivbibliotheken, auch wenn es nicht immer leicht ist, eine klare Trennung zwischen diesen zwei Gruppen vorzunehmen. Die heutige Diskussion führt leicht zu dem Eindruck, dass die Digitalisierung die seit langem ersehnte Universallösung sein könne. Experten für elektronischen Medien sind jedoch anderer Meinung. Digitalisierung ist noch keine Methode für die langfristige Sicherung der Bestände. Trotz einiger großer Programme und Entwicklungsprojekte ist die Dauerhaftigkeit der elektronischen Medien immer noch unsicher, weshalb die digitalen Speicherungsformen sich nicht zur Langzeitauf-
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bewahrung eignen. Selbstverständlich baut die ganze Gesellschaft ihre Tätigkeit jedoch auf der Hoffnung auf, dass diese Frage rechtzeitig gelöst wird, würde man doch andernfalls in ernsthafte Schwierigkeiten geraten. Der Mikrofilm muss hier noch einmal erwähnt werden, weil er auch in der elektronischen Umgebung nicht völlig überholt zu sein scheint. Seriöse Versuche werden unternommen, den Film als Speichermedium auch für elektronische Publikationen zu benutzen. Nachdem die Veröffentlichungen digitalisiert worden sind, können sie gleich, direkt aus dem Rechner, auf Film überführt werden. Nach diesem Konzept können die auf dem Film gespeicherten Veröffentlichungen später, wenn ein Bedarf daran entsteht, aufs Neue digitalisiert werden und zwar mit dem Film als Ausgangspunkt und mit Hilfe der aktuellen Technik der Zeit. Dieses Verfahren macht die oft komplizierte Datenkonversion überflüssig und scheint momentan die einzige Art und Weise zu sein, Digitalisierung einigermaßen handhabbar zu betreiben. Dieses Procedere kann aber nicht als eine Universallösung eingesetzt werden, sondern muss eher als eine vorläufige Notlösung betrachtet werden. Trotz der offenen Fragen hinsichtlich der Beständigkeit der digitalisierten Dokumente, ist die Digitalisierung jedoch keineswegs ohne Bedeutung für die Langzeitsicherung der Bestände. Die gedruckten Originalveröffentlichungen können viel besser geschont werden, wenn man sie nur als Digitalisate benutzt. Unter dem Gesichtspunkt der Langzeitsicherung setzt diese Lösung jedoch voraus, dass die Substanz der Originale gesichert worden ist oder dass sie auf ein dauerhaftes Medium überführt worden sind. Die Digitalisate alleine, so teuer sie auch sind, sind leider keine Garanten des Fortbestands. Digitalisierte Reproduktionen haben aber einen anderen Vorteil, der unter dem Gesichtspunkt der Nutzung von großer Bedeutung ist. Sie verbessern auf eine radikale Weise den Zugang zu den Beständen, und zwar nicht nur in einzelnen Bibliotheken. Elektronische Mittel eröffnen uns ein ganz neues virtuelles Universum. Es ist eine bekannte Tatsache, dass die Quellen des literarischen Erbes in Europa, eigentlich ja global, zerstreut sind, in verschiedenen Ländern und in verschiedenen Bibliotheken und Archiven. Zum ersten Mal haben wir jetzt Zugang zu einem effizienten Mittel, das uns behilflich sein kann, diese zerstreuten Bestände wenigstens auf der virtuellen Ebene zusammenzuführen. Diese Möglichkeit ist von einer immensen kulturpolitischen Bedeutung, kann aber auch der Forschung neue Impulse geben. Elektronische Veröffentlichungen entstehen nicht nur durch Digitalisierung der existierenden Bestände. Es gibt schon jetzt eine wachsende Anzahl Publikationen, die nur in elektronischer Form zugänglich sind. Sie sind wichtige Dokumente unserer heutigen Kultur und müssen deshalb aufbewahrt werden. Daher haben mehrere Nationalbibliotheken schon jahrelang zielbewusst daran gearbeitet, die
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Probleme der Langzeitarchivierung zu lösen und ihre Aufgaben auch im elektronischen Zeitalter wahrzunehmen. Bei der nachträglichen Digitalisierung bereits bestehender gedruckter Veröffentlichungen haben die Bibliotheken wenigstens die Wahlmöglichkeit, sich für oder gegen eine zusätzliche Digitalisierung zu entscheiden. Die von vornherein ausschließlich elektronisch vertriebenen Veröffentlichungen und Materialien erlauben dagegen keine Wahl. Man muss eine Methode finden, sie auch in der Zukunft zugänglich zu halten. Wenn wir einmal so weit gekommen sind, werden auch die Probleme des digitalisierten Materials gelöst. 5. Prioritäten oder alles? Lassen wir die elektronisch vorliegenden Publikationen für eine Weile beiseite und betrachten wir die Problematik der Konversion der bereits existierenden Bestände. Im Zusammenhang mit dieser Entwicklung entstehen für Bibliotheken mit großen historischen Beständen schwierige Probleme, die richtige ‚Policy‘ zu wählen Was ist wichtiger für die bestandsorientierten Bibliotheken, den Fortbestand ihrer Bestände zu sichern oder einen möglichst großen Teil von ihnen über das Internet im Volltext zugänglich zu machen? Ein leichterer Zugang zu den Beständen ist wichtig für Gedächtnisorganisationen, auch wenn ihre erste Pflicht die Aufbewahrung und gezielte Vermehrung ihrer Bestände ist. Die Frage heisst in dieser Situation: Wer soll den verbesserten und im Prinzip globalen Zugang bezahlen? Kann man sie auf Kosten des Bestandsaufbaus oder der Bestandserhaltung finanzieren? Bibliotheken als Gedächtnisorganisationen können nicht nur für die Zukunft arbeiten. Sie müssen auch der heutigen Gesellschaft dienen. Wie können diese unterschiedlichen Bedürfnisse und Interessen ausbalanciert werden? Digitalisierung, so lange die Beständigkeit der elektronischen Archive nicht gesichert ist, dient an erster Stelle den tagesaktuellen Bedürfnissen, während die übergeordnete Zielsetzung eine langfristige Sicherung der Bestände voraussetzt. Es geht also darum, wie die bestandsorientierten Bibliotheken ihre Prioritäten setzen und nach welchen Leitlinien sie arbeiten, weil leider nicht alles erreicht werden kann. Der kurze historische Überblick hat gezeigt, dass nur ein Bruchteil des gesamten Weltkulturerbes erhalten geblieben ist. Unsere Frage lautet jetzt, was mit dem Erbe geschehen wird, dessen Verwalter wir, die heute Lebenden, sind? Auf der einen Seite haben wir gegen den Papierzerfall zu kämpfen, der ein riesiges Ausmaß erreicht hat. Auf der anderen Seite müssen wir die Probleme lösen können, die die Entwicklung der elektronischen Medien mit sich gebracht hat. Es mangelt an Geld und an verlässlichen technischen Lösungen. Keine leichte Aufgabe für diejenigen, die die Prioritäten setzen sollen.
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„DENN DIE ELEMENTE HASSEN /DAS GEBILD AUS MENSCHENHAND“ EINE KULTURHISTORISCHE SKIZZE1 WOLFGANG FRÜHWALD 1.
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s sei, heißt es, der Leichtsinn eines Goldmachers gewesen, „dem das Feuer auskam, das am 2. August 1618 den Hornstein [also die Burg in Weimar] in Asche legte“.2 Für Weimar kehrten, wie für viele deutsche Städte und Dörfer bis tief ins 19. Jahrhunderts hinein, große Brandkatastrophen periodisch wieder. Im Zyklus von wenigstens 100 Jahren waren Leichtsinn, Unachtsamkeit, Nachlässigkeit, Armut, Krieg und Brandstiftung Ursachen großer Feuersbrünste. 1299 schon wurde das Weimarer Schloß von einer Feuerkatastrophe zerstört; 1424 legte ein großes Feuer die Stadt zur Hälfte, Schloß und Pfarrkirche gänzlich in Schutt und Asche; 1618 brannte der Osttrakt des Schlosses nieder. Am 6. Mai 1774 brach in der Küche des Schlosses ein Feuer aus, das in kürzester Zeit von Stockwerk zu Stockwerk sprang, Kanzleien, Sammlungen, Oper und Kirche in Ruinen verwandelte. Der Rokokobau mit der Anna Amalia-Bibliothek, der das große Feuer 1774 und zwei Weltkriege überstanden hatte, wurde durch ein Großfeuer in der Nacht vom 2. auf den 3. September 2004 schwer beschädigt. Eine Feuersbrunst, „die niemand mehr für möglich hielt in unseren Zeiten“,3 vernichtete in einer Nacht 50.000 meist historische Bücher. 62.000 Bände wurden durch Feuer und Wasser stark beschädigt, mehr als ein Zehntel des Gesamtbestandes (von rund einer Million Bücher) ging in dieser Nacht verloren. Zu den Totalverlusten zählen 37 Ölgemälde und Fürstenporträts des 16. bis 18. Jahrhunderts, die Musikaliensammlung der Herzoginmutter Anna Amalia, die durch die Notensammlung der Zarentochter Maria Pawlowna ergänzt worden war, mehrere Gelehrtenbibliotheken des 17. Jahrhunderts, viele Texte von Mitgliedern der 1617 in Weimar gegründeten 1
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Der Obertitel zitiert die Feuerpassage aus Schillers „Das Lied von der Glocke“, Verse 167/168. Die Skizze ist Klaus-Dieter Lehmann, dem Physiker und Bücherfreund, in freundlicher Erinnerung an lange Jahre guter Zusammenarbeit und mit herzlichem Dank für Rat und Hilfe und für Dezenz und Contenance in vielen schwierigen Situationen gewidmet. Effi Biedrzynski: Goethes Weimar. Das Lexikon der Personen und Schauplätze. Zürich 31994, S. 377. Zur Brandgeschichte Weimars vgl. ebd. S. 376–386. Regina Mönch im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 6. September 2004.
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„Fruchtbringenden Gesellschaft“, eine umfassende Sammlung der Schriften Jean Pauls etc.4 Was in dieser Bibliothek, die ihren Namen erst 1991 bekommen hat, verwahrt wurde, daß sie eine Art von Kunstkammer gewesen ist, darüber hat im Jahre 2002 Michael Knoche Auskunft gegeben, ohne zu wissen, daß im September 2004 mehr zerstört werden würde als durch alle von ihm geschilderten Umbrüche vorher.5 Auch im 21. Jahrhundert also „entkommt“ uns das Feuer. Wir sind von Brandkatastrophen nicht verschont. Die Geschichte des Schlosses zu Weimar gar läßt sich durch die großen Brände periodisieren. Es dauerte stets Jahrzehnte, ehe das Schloß wieder aufgebaut werden konnte, so auch nach dem großen Brand 1774. Für die Anna Amalia-Bibliothek, die zum Weltkulturerbe der Unesco gehört, ist vorläufig eine Aufbauphase bis 2007 vorgesehen, doch schätzt ihr Direktor allein die Kosten für die Einzelrestaurierung der geretteten, aber beschädigten Bücher auf 20 Millionen Euro. Goethe kam (im November 1775) nach Weimar, als das Schloß eine Ruine war. Das arme Land konnte sich einen Wiederaufbau damals nicht leisten. Erst nach seiner Rückkehr aus Italien wurde Goethe (am 23. März 1789) in eine Schloßbaukommission berufen. Er war für die künstlerische Ausgestaltung des Neubaus verantwortlich und erlebte, wie die Herzoginmutter,6 noch den Einzug der Erbprinzessin Maria Pawlowna, einer Enkelin der Zarin Katharina der Großen, im November 1804 in das wiederhergestellte Schloß. Das war knapp zwei Jahre vor der Besetzung und der Plünderung Weimars durch französische Truppen nach der Niederlage Preußens gegen Napoleon in der Schlacht bei Jena und Auerstedt. Nur das beherzte und mutige Eingreifen der Herzogin Louise hat damals die Brandschatzung Weimars, dessen Herzog als Regimentskommandant in preußischen Diensten stand, verhindert.7 Daß Goethe bei der Plünderung der Stadt in Lebensgefahr geriet und einen panischen Lebensschrecken erfuhr, der ihn zeitlebens nicht mehr verlassen hat,8 ist seinen Biographen wohlbekannt.
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Ich folge hier dem Zwischenbericht zur Schadensbilanz von Michael Knoche in der Süddeutschen Zeitung vom 15. Oktober 2004. Michael Knoche: Die historischen Buchbestände als Aufgabe – Die Herzogin Anna AmaliaBibliothek, Weimar. In: Antonius Jammers, Dietger Pforte, Winfried Sühlo (Hgg.): Die besondere Bibliothek oder Die Faszination von Büchersammlungen. München 2002, S. 127–137. Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach starb am 10. April 1807 in Weimar. Vgl. dazu den noch immer lesenswerten Aufsatz von Ernst Beutler: Luise von Weimar, in: ders.: Essays um Goethe. Bd.1. Wiesbaden 41946, S. 289–298. Über Goethes Hochzeit mit Christiane Vulpius am 19. Oktober 1806, wenige Tage nach der Plünderung Weimars, schrieb Charlotte Schiller am 24. November 1806 an Fritz von Stein: „Die Trauung hat mir etwas Grauenhaftes, gesteh ich. In einer Kirche, wo Tote, Verwundete tags vorher lagen, wo man sicher erst alle Spuren der vorhergehenden Tage sorgsam verwischt hatte, eine Zeremonie vorzunehmen, die jeder Mensch nur in den glücklichsten Tagen seines Lebens oder
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2. In den früheren Jahrhunderten war die unglückselige Kombination der bevorzugten Baumaterialien (Holz und Stroh) dem offenen Feuer, den Heiz- und Kochstellen, den schadhaften Kaminen, dem leichtsinnigen handwerklichen Umgang mit dem Feuer nicht gewachsen. „Feuer bei Stroh brennt lichterloh“, lautete ein verbreitetes Sprichwort. Goethe, der lange Jahre das kleine Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach mit verwaltet hat, war diese bedrohliche Kombination noch sehr bewußt. In einem (von ihm korrigierten und abgezeichneten) Reskript des Herzogs Carl August an die Weimarer Brandassekurations-Kommission wegen des Wiederaufbaus der vom Brand in Großbembach betroffenen Gebäude (vom 1. August 1780) wird streng befohlen, daß die wiederaufzubauenden Gebäude ausnahmslos mit Ziegeln zu decken und jene (der Kosten wegen widerstrebenden) Untertanen, die ihre Dächer „nicht zu Ziegeldächern eingerichtet“ haben, nicht nur von den Versicherungzahlungen auszunehmen, sondern sogar zu bestrafen seien: „Soviel die drei Abgebrannte Thomas Baum, Thomas Reichmuth und Heinrich Walther, welche ihre wiederaufgebaute respektive Scheuern und Wohnhaus nicht nur mit Stroh gedecket, sondern auch überhaupt dergestalt errichtet, daß solche keine Ziegeln tragen können, anlangt, ist Unsere Intention diese, daß dieselben wegen ihrer hierunter begangenen Kontravention gegen die landesherrlichen Befehle andern zum Exempel mit dreitägiger Gefängnisstrafe belegt werden sollen […].“9 Die im gleichen Reskript erlaubten Ausnahmen, „wegen ermangelnden hinlänglichen Vorrats an guten Ziegeln“, belegen, wie langsam sich die feuerresistente Bauweise in dem noch immer an den Schäden des Siebenjährigen Krieges leidenden Herzogtum durchgesetzt hat. Auch Schillers „Lied von der Glocke“, als Gegenstück zu Goethes bürgerlichem Epos „Herrmann und Dorothea“ zwischen 1797 und 1799 entstanden, enthält eine lange (und bis heute eindrucksvolle) Brandpassage, weil der folgenreiche Leichtsinn bei der Bewahrung des Feuers und die vom offenen Feuer in den Häusern und Werkstätten stets drohende Brandgefahr immer erfahrbare Teile des Lebens auch der Stadtbürger gewesen sind:
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nie feiern sollte, dieses ist mir ein Gefühl, das ich nicht ganz verdrängen kann. [...] Es war etwas Unberechnetes in diesem Schritt, und ich fürchte, es liegt ein panischer Schrecken zum Grund, der mir des Gemüts wegen wehe tut, das sich durch seine eigene große Kraft über die Welt hätte erheben sollen.“ (Goethe in vertraulichen Briefen seiner Zeitgenossen. Zusammengestellt von Wilhelm Bode. Bd.II 1794–1816. Quellennachweis, Textrevision und Register Regine Otto. Anmerkungen Paul-Gerhard Wenzlaff. München 1982, S. 339). Reinhard Kluge (Hg.): Johann Wolfgang Goethe. Amtliche Schriften. Teil I: Geheimes Consilium und andere bis zur Italienreise übernommene Aufgabengebiete. Frankfurt am Main 1998, S. 89. Das folgende Zitat ebd. S. 90.
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„Wohltätig ist des Feuers Macht, Wenn sie der Mensch bezähmt, bewacht, Und was er bildet, was er schafft, Das dankt er dieser Himmelskraft; Doch furchtbar wird die Himmelskraft, Wenn sie der Fessel sich entrafft, Einhertritt auf der eignen Spur Die freie Tochter der Natur.“10 Ein gebildetes Zeitalter hat die Anklänge an den Mythos von Prometheus sogleich erkannt. Dieser hat bekanntlich den Göttern das Feuer gestohlen, es den Menschen gebracht und sie damit kulturfähig gemacht. Ein Zeitalter der Bildung und der Erinnerung hat aus diesen Worten auch gelesen, daß die Bewahrung und die Zähmung des Feuers die eigentliche Kulturaufgabe der Menschheit ist. Denn dort, wo das Feuer aus Herd und Gefäß „ausbricht“, wo es einem Menschen „auskommt“, wo es aus den von Menschenhand gebildeten Fesseln „entkommt“, vernichtet es alles, was ihm im Wege steht. Die gierige Flamme frißt das Brennbare so lange, bis sie keine Nahrung mehr findet. In den Kulten der Naturvölker spielen deshalb die Elementarmythen eine besondere Rolle. Als ein Menschen und Vieh verzehrender Wolf oder als ein wilder, roter Hahn wird das Feuer nicht nur in den Kulten der Frühgeschichte abgebildet. Noch Gerhart Hauptmann hat Elementar- und Geschlechtermythen so zueinander geordnet, daß er die wassergeborene Frau und den feuerentsprossenen Mann im geheimen und offenen Geschlechterkrieg verfangen sah.11 Das Feuer des Herdes ist „heilig“, es wird bei vielen Stämmen als ein nie verlöschendes Dauerfeuer gehütet, das „ewige Licht“ in den christlichen Kirchen hat mythische Wurzeln. Bei den Römern gab es Priesterinnen, die das Feuer zu bewachen hatten, im antiken Griechenland wurde bei der Gründung einer Kolonie das Feuer aus der Heimat in die neue Stadt übertragen. Feuer und Wasser sind jene „alten Elemente“, deren Namen schon für Platon aus nichtgriechischen Wurzeln herrühren. Noch im 19. Jahrhundert war der Streit zwischen den Neptunisten, welche die Weltentstehung aus Wasser und Sedimentation herleiten wollten, und den Plutonisten, welche sie aus Feuer, Steinschmelze, Faltung und Hebung ableiteten, so heftig, daß darunter 10 Georg Kurscheidt (Hg.): Friedrich Schiller. Gedichte. Frankfurt am Main 1992, S. 60 f. Vgl. auch den Kommentar ebd. S. 878 ff. 11 Vgl. den Antagonismus von Frau Wolff (der späteren Frau Fielitz) und dem Schuhmachermeister und Polizeispion Fielitz in Hauptmanns Komödien „Der Biberpelz“ (1893) und „Der rote Hahn“ (1901). Daß beide Komödien im Zeitalter der elektrischen Bändigung des Feuers entstanden, sollte nachdenklich machen.
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selbst die Freundschaft zwischen (dem Neptunisten) Goethe und (dem im Anblick der südamerikanischen Vulkane zum Plutonisten gewordenen) Alexander von Humboldt gelitten hat. Eine neue Epoche der Feuerzähmung aber brach in der Kulturgeschichte der Menschheit an, als das Feuer, in Dampf verwandelt, Maschinen anzutreiben begann, als durch Dampfwagen und Lokomotiven ein nie gekanntes Mobilitätsgefühl entstand und der uralte Traum vom Fliegen neue Nahrung erhielt. Einen „Feuerdrachen“ hat Gottfried Keller seine Vision eines lenkbaren Luftschiffes genannt.12 Die Kombination von Wasser und Feuer schließlich, als aus Wasser Strom gewonnen, Wasser gleichsam in Feuer überführt wurde, hat die Welt verwandelt. Was mit der Gasbeleuchtung der Städte begonnen hatte, als die Nacht zum Tag gemacht wurde und ein neues Lebensgefühl die Menschen der erhellten Städte ergriff, wurde am Ende des 19. Jahrhunderts vollendet. Damals, im Zeitalter bürgerlicher Sicherheit und des Weltvertrauens, hat Werner von Siemens Berlin elektrifiziert, wucherten die Visionen, daß Licht und Wärme der Bogenlampen das Sonnenlicht substituieren, daß es „Heu trocknen und in kalten englischen Winternächten Pfirsiche, Melonen und Erdbeeren reifen lassen“ könne.13 Schillers „Lied von der Glocke“ hat all das präludiert. Es ist deshalb das vom bürgerlichen Bildungsdialekt meist zitierte und somit auch das meist parodierte Gedicht deutscher Sprache: „Ungeheure Popularität fiel ihm zu fast im Augenblick seines Erscheinens, und erst in der Nacht von Unbildung und Erinnerungslosigkeit, die jetzt einfällt, beginnt sie sich zu verlieren. Aber es ist noch nicht lange her, daß Leute aus den einfachsten Volksschichten das Ganze auswendig konnten, und der Däne Hermann Bang sagt in einer seiner ‘Excentrischen Novellen’ von einem rezitierenden Hofschauspieler: ‚Er war der einzige im Saal, der in der ‘Glocke’ nicht ganz sicher war.‘ “14
3. Als die Lichtstärke in Kerzen und die Motorkraft in Pferdestärken gemessen wurden, war in Wort und Namen die Erinnerung an den Ursprung der hier wirkenden Kräfte und an die von ihnen ausgehenden Gefahren anschaulich und konkret
12 Kai Kaufmann (Hg.): Gottfried Keller. Gedichte. Frankfurt am Main 1995, S. 156. Das Gedicht ist 1845 entstanden, als lenkbare Luftschiffe noch nicht konstruiert werden konnten. 13 David Guggerli: Redeströme. Zur Elektrifizierung der Schweiz 1880–1914. Zürich 1996, S. 26. 14 Thomas Mann: Versuch über Schiller. In: Hans Bürgin (Hg.): Thomas Mann. Schriften und Reden zur Literatur, Kunst und Philosophie. Bd.3. Frankfurt am Main 1968, S. 317.
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gegenwärtig. Die Geschichte der technisierten Moderne aber ist eine Geschichte der Vereinzelung und der fortschreitenden Abstrahierung. Beides, die Lösung der Probleme aus ihren Lebenskontexten und die zunehmende Abstraktion, fördert das katastrophenträchtige Vergessen. Wir haben vergessen, welche Kräfte wir entfesseln, wenn wir am Lichtschalter drehen, sehen nur selten, welche Energiemengen durch eine Hochspannungsleitung fließen, welchen Schaden eine alt und brüchig gewordene Stromleitung anrichten kann, denn schließlich hat die Moderne alles „abgesichert“, technisch und finanziell. Die Katastrophe selbst ist dann die Quelle, aus der die Erinnerung und jene lebendige Vergangenheit auftaucht, die uns das Gestern wieder bedeutsam und für unsere Gegenwart lebendig macht.15 „Vielen Bibliothekaren“, meinte Elisabeth Niggemann, „ist wohl ein Alptraum gemeinsam: der von der brennenden Bibliothek.“16 Sie meinte zwar, daß es eher Filme, Erinnerungen an alte Wochenschauen und die eigene Phantasie seien, die uns solche Alpträume vorspiegeln. Nach dem Weimarer Brand hätte sie vermutlich anders formuliert. Denn dieser Brand im September 2004 hat den Alptraum (nicht nur für Bibliothekare) realisiert. Bibliotheksbrände bezeichnen offenkundig in der Kulturgeschichte der Menschheit Epochenschwellen, weil Bücher – mehr als alle Dinge des täglichen Gebrauchs – von Papier und Einband bis zum geschriebenen oder gedruckten Text ein Gebilde aus Menschenhand sind, Inbegriff des Erinnerns und damit der Kultur. „Wir glauben fest daran, daß sich unsere gesellschaftliche Entwicklung, unsere Geschichte, besonders gut anhand von Texten nachvollziehen läßt.“ Das Thomas Mann 1933 zugesandte, verkohlte Exemplar eines seiner Bücher, das von Stefan Zweig mit offenem Schauder beschriebene Exemplar eines seiner Bücher, durch das ein großer Nagel getrieben war, bedeuteten Todesdrohungen. Sie verkündeten den Wunsch, die Menschen, welche diese Bücher verfaßt hatten, so hinzurichten, wie die an ihrer Stelle ermordeten Bücher, durch Verbrennen, durch Kreuzigung. Heinrich Heines unheimliche Prophezeiung in der Tragödie „Almansor“ ist nicht erst nach den öffentlichen Bücherverbrennungen im nationalsozialistischen Deutschland (im Mai 1933) schreckliche Realität geworden:
15 Vgl. dazu Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen. München 1992, und Aleida Assmann: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses. München 1999. Dort (bei Jan Assmann) insbesondere die Ausführungen über die soziale Konstruktion von Vergangenheit aus den Bedürfnissen der Gegenwart und (bei Aleida Assmann) die Überlegung, daß jede Erinnerung eine lebendige Quelle braucht, aus der sie schöpfen kann, daß sie gleichsam unter Strom stehen müsse. 16 Elisabeth Niggemann: Die Deutsche Bibliothek – Gedächtnis der Nation. In: Jammers, Pforte, Sühlo, S. 47. Das folgende Zitat ebd.
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„Almansor: Wir hörten daß der furchtbare Ximenes, Inmitten auf dem Markte, zu Granada – Mir starrt die Zung’ im Munde – den Koran In eines Scheiterhaufens Flamme warf! Hassan: Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher Verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.“17 Wo Bücher brennen, sei es absichtlich oder unabsichtlich, ist der Sieg des Elementaren über die Kultur unmittelbar einsichtig, überfällt uns eine Ahnung davon, wie dünn die Decke der Zivilisation ist, auf der wir gehen. Bibliotheksbrände legen daher gleichsam Erinnerungsschneisen in den Sturz der Zeiten,18 vor allem dann, wenn mit ihnen ganze Kulturen symbolisch in Asche gelegt werden. Der Brand der Bibliothek von Alexandria, wann immer er stattgefunden hat,19 bedeutete den Untergang der hellenistischen und mit ihr der klassisch-antiken Kultur; die in Brand geschossene Bibliothek von Sarajewo weckte uns 1992 aus dem Traum eines neuen Jahrhunderts des Friedens und der europäischen Zusammenarbeit; der Brand der Anna Amalia-Bibliothek ließ mit einem Schlag alle jene Stimmen verstummen, die noch kurz vorher eine lautstarke Debatte darüber geführt hatten, ob Bibliotheken in Zukunft überhaupt noch existieren sollten, ob die Bibliotheken nicht besser zu schließen seien, „das alte Gehäuse bis auf den Keller abgetragen werden [könne], in dem nur noch das Rechenzentrum, die Datenbank überleben soll“.20 Ist schon der Brand einer großen Bibliothek (mit reichen historischen Beständen) in moderner Zeit erstaunlich genug,21 so ist die daraus entstandene Rettungs17 Manfred Windfuhr (Hg.): Heinrich Heine. Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke. Bd. 5. Hamburg 1994, S. 16. 18 Sie sind tiefe Einschnitte auch in ein Gelehrtenleben, wie etwa der Brand der Bibliothek Theodor Mommsens (vgl. Jammers, Pforte, Sühlo, S. 205 ff.). Die Geschichte dieses Bibliotheksbrandes wird freilich den Doktoranden, deren Arbeitsmaterialien in Weimar (2004) verbrannten, kein Trost sein können. 19 Vermutlich nicht, als Caesar 47 v. Chr. die ptolemäischen Schiffe im Hafen von Alexandria in Brand steckte, vermutlich auch nicht, als die Araber Alexandria eroberten, sondern wahrscheinlich im Jahr 272 n. Chr., im Bürgerkrieg zur Zeit des Kaisers Aurelian. Die Tochterbibliothek der berühmten Bibliothek des Museions, das Serapeion, fiel dann christlichen Eroberern im 4. Jahrhundert zum Opfer. Jeder Eroberer suchte das Gedächtnis der Besiegten zu zerstören. Was eignete sich dazu besser als eine Nationalbibliothek, die sich rühmte, in etwa 700.000 Schriftrollen das ganze Wissen der Antike versammelt zu haben, und als Forschungsbibliothek diente? 20 Vgl. Hans Magnus Enzensbergers Satire auf den Umgang mit dem Benutzer: Der Benutzer. Ein Postskriptum. In: Jammers, Pforte, Sühlo, S. 323 f. 21 Vgl. den sicher nicht unvoreingenommenen, aber doch bedenkenswerten Leserbrief von Joachim Menge in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 28. September 2004, S. 10, mit der Überschrift: Kein unvorhersehbares Unglück.
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und Wiederaufbaudebatte noch erstaunlicher. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht neue Verlustmeldungen, neue Hilfsangebote, neue Kostenschätzungen bekannt werden. Selbst die Deutsche Bank entdeckte in einer ganzseitigen Anzeige ihre „leidenschaftliche Liebe“ zur klassischen deutschen Kultur, weil sich das so gut auf den neuesten Werbeslogan der Bank „Leistung aus Leidenschaft“ reimt. Es ist, als rühre sich nicht nur das schlechte Gewissen, daß wir selbst Teile des Weltkulturerbes vor Schaden nicht bewahren konnten, sondern als überdecke diese lautstarke Rettungsaktion die öffentliche Debatte um die großen Bibliotheken Deutschlands, denen eingefrorene (oder gar sinkende) Etats, abgebrochene Sammlungen, die steigenden Zeitschriftenpreise, der mangelnde Magazinraum, die von der Öffentlichkeit und der Politik kaum wahrgenommene Zwischenstellung zwischen Bibliothek und Dokumentationszentrum schwer zu schaffen machen. Doch hat die Debatte auch ihre guten Seiten, weil die sonst an Bibliotheken reichlich desinteressierte Öffentlichkeit, sogar die Politik, entdeckte, daß eine Bibliothek mehr ist als eine Bewahranstalt für verstaubende und wenig benutzte Bücher, daß sie eine Kulturinstitution ist, in welcher noch zerstörte oder schwer beschädigte Bücher von der Kontinuität der Geschichte sprechen. Wenn der Mensch tatsächlich ein Tier ist, „für das gesprochene, gemalte, in Stein gehauene und gesungene Träume den Lebensatem darstellen“, wenn es denn keine menschliche Gemeinschaft auf Erden gibt, „die ohne Musik, ohne eine Form der graphischen Kunst, ohne jene Erzählungen von imaginierter Erinnerung auskäme, welche wir Mythos und Dichtung nennen“,22 dann sind Bibliotheken mit bloßen Datenbanken nicht zu verwechseln, dann nämlich sind sie gleichsam Sanatorien, in denen wir uns beatmen lassen, in denen wir jenen Lebensatem finden, der aus einer Memorialkultur entspringt. In den Bibliotheken herrscht nicht das atemlose Lebensfieber, dem wir in den Turbulenzen der modernen Erfahrungsbeschleunigung ausgesetzt sind, in ihnen lebt eine Vergangenheit, die auf unsere Gegenwart wirkt, auch dann, wenn wir dies nicht wahrzunehmen scheinen. Eine Bibliothek, so ist in der Inschrift des Diodorus Siculus am Portalbogen der Stiftsbibliothek von St. Gallen zu lesen, ist „Psychesiatreion“, eine Seelenapotheke. „Diodorus Siculus will diese Inschrift an einer Tempelkirche in Ägypten gelesen haben, und zwar an einer Bibliothek, deren Gründung auf König Ramses II. zurückgehen soll, also in das dreizehnte Jahrhundert ante Christum natum …“23 In solchen Bibliotheken ist die Erinnerung nicht parzelliert. Sie ist (idealiter) noch eingebettet in ein kulturelles Kontinuum, das dem Einbruch des Elementaren in das Leben der Menschen entschieden widerstreitet. In solchen Bibliotheken ereignen sich wahre Wunder der 22 George Steiner: Grammatik der Schöpfung. München 2001, S. 265. 23 Thomas Hürlimann: Fräulein Stark. Novelle. Zürich 2001, S. 34 f. Das folgende Zitat ebd. S. 21.
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Selbstvergewisserung, werden Wünsche erfüllt, die sich der Verstand einzugestehen nicht getraute. Mancher von uns hat in solchen Bibliotheken schon die Zeit vergessen, flog wie jener kleine Junge „um die ganze Welt, durchquerte fieberverseuchte Kontinente, erforschte Vulkane, geriet in Taifune und verlief [sich] in fernöstlichen Städten mit scharf riechenden Pfeffermagazinen, dämmrigen Opiumhöhlen und wüsten Hafenkaschemmen“. Aber das ist eine andere Geschichte …
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BÜCHERRAUB IM NATIONALSOZIALISMUS UND DER UMGANG MIT GERAUBTEN BÜCHERN IN DER GEGENWART REGINE DEHNEL UND GEORG RUPPELT
„Unabhängig von der Durchsetzbarkeit von Rechtsansprüchen (gibt es) die Entschlussfreiheit zur freiwilligen Leistung“ (Klaus-Dieter Lehmann)
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ls am 3. Dezember 1998 die Washingtoner Konferenz über Vermögenswerte aus der Zeit des Holocaust die Grundsätze in Bezug auf Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt wurden1, verabschiedete, konnten deutsche Bibliotheken auf eine eigene Geschichte der Erforschung des Bücherraubs im Nationalsozialismus zurückblicken. Spätestens mit der Veröffentlichung der Vortragstexte der 5. Jahrestagung des Wolfenbütteler Arbeitskreises für Bibliotheksgeschichte vom 11. bis 14. April 1988 und eines bibliothekshistorischen Seminars desselben Arbeitskreises vom 25. bis 27. September 1989 unter dem Titel Bibliotheken im Nationalsozialismus2 lag zu diesem Thema eine materialreiche und anspruchsvolle Publikation vor. Nach einer schwierigen Zeit des Schweigens und der Verdrängung war Ende der achtziger und zu Beginn der neunziger Jahre ein wichtiger Meilenstein gesetzt.3 Wohl standen nicht die während des NationalsoziaTitelzitat nach: Klaus-Dieter LEHMANN: Restitution jüdischen Kulturgutes als Aufgabe der deutschen Kulturpolitik, in: Jüdischer Buchbesitz als Beutegut, (Schriftenreihe des Niedersächsischen Landtages; H. 50), Hannover 2003, S. 21. 1
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Vgl. BEITRÄGE öffentlicher Einrichtungen der Bundesrepublik Deutschland zum Umgang mit Kulturgütern aus ehemaligem jüdischen Besitz, hg. von der Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste Magdeburg, Magdeburg 2001, (Veröffentlichungen der Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste; 1), S. 301–302. Bibliotheken während des Nationalsozialismus, hg. von Peter VODOSEK und Manfred KOMOROWSKI, Wiesbaden, Teil I (1989), Teil II (1992), (Wolfenbütteler Schriften zur Geschichte des Buchwesens; Bd. 16) Zur aktuellen Forschungssituation und zur Wirkungsgeschichte der Wiesbadener Veröffentlichung vgl. Peter VODOSEK: „Reflex der Verdrängung“? Zur Rezeptionsgeschichte eines schwierigen Themas; Manfred KOMOROWSKI: Wissenschaftliche Bibliotheken in der NS-Zeit: Forschungstendenzen der letzten 15 Jahre, in: Das bibliothekarische Gedächtnis. Aspekte der Erinnerungskultur an braune Zeiten im deutschen Bibliothekswesen, hg. von Sven KUTTNER und Bernd REIFENBERG, Marburg 2004, S. 10–22; S. 54–83.
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lismus geraubten Bücher im Vordergrund dieser Publikation. Vielmehr ging es um eine Auseinandersetzung mit dem eigenen Berufsstand, mit dem Agieren einzelner – qua Amt und/oder Überzeugung – exponierter Bibliothekare und der berufsständigen Organisationen. Und es ging um die Bibliothekspolitik zwischen 1933 und 1945 in Deutschland und den von Deutschland besetzten Gebieten. Zahlreiche Beiträge benannten bei der Darstellung dieser Themen gleichwohl auch die Opfer des nationalsozialistischen Bücherraubs. Es wurde deutlich, dass mit der zunehmenden Entrechtung der jüdischen Bürger in Deutschland diese auch die ersten Opfer des Bücherraubes waren. Nachdem mit dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. 4. 1933 sowie dem Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehe vom 14. 9. 1935 jüdische Akademiker, Ärzte, Rechtsanwälte, Angestellte und Beamte, darunter auch Bibliothekare, ihrer ursprünglichen Existenzgrundlage beraubt worden waren, verschärfte sich im April 1938 mit der Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden und nach dem Novemberpogrom 1938 ihre Lebenssituation weiter. Vor Auswanderung und Emigration „freiwillig“ verkauft oder ab 1938/39 von Finanzämtern oder Gestapo systematisch konfisziert, gelangten Bücher aus jüdischem Privatbesitz in wissenschaftliche Bibliotheken, „wo sie nach Bedarf eingearbeitet wurden“4. Jüdische Buchhändler, an der Ausübung ihres Berufes gehindert, mussten ihre Geschäfte schließen und sich von ihren Büchern trennen. Verbotene, unerwünschte und „schädliche“ Literatur wurde, wenn nicht vernichtet, so aus Leihbüchereien, Studentenbüchereien und Volksbüchereien entfernt und in größeren, wissenschaftlichen Bibliotheken konzentriert. Bereits 1933 waren Parteien, Gewerkschaften und Organisationen im Zuge der Gleichschaltung ihres Vermögens und damit auch ihrer Bibliotheken oder Buchbestände beraubt worden. Trafen diese Vorgänge zunächst auf das Reichsgebiet zu, erstreckten sie sich nach dem „Anschluss“ Österreichs im März 1938, der „Angliederung“ der an Deutschland angrenzenden tschechischen Gebiete und der Besetzung Böhmens und Mährens 1939 auch auf diese. Mit dem Überfall auf Polen am 1. September 1939 weiteten sich die Möglichkeiten zur Plünderung auf ausländisches Kulturgut, darunter auch auf Bücher, aus. Einzelne Autoren der eingangs genannten Publikation machten deutlich, dass Bibliothekare in der Regel zwar nicht Hauptakteure, wohl aber Nutznießer des Bücherraubs waren. Sehr klar hatte Hans-Gerd Happel dies in seinem Beitrag formuliert: „In fast allen Universitätsarchiven bzw. in den Universitätsbibliotheken selbst befinden sich Belege, die den oft zähen Kampf der wissenschaftlichen Bibliothekare um die Freigabe der beschlagnahmten und verbotenen 4
Manfred KOMOROWSKI: Die wissenschaftlichen Bibliotheken im Nationalsozialismus, in: Bibliotheken während des Nationalsozialismus, Teil I, wie Anm. 2, S. 13.
BÜCHERRAUB IM NATIONALSOZIALISMUS
Literatur für die Bibliotheken dokumentieren. Bei der Erwerbung eingezogener jüdischer Bibliotheksbestände kannte man nur wenig Hemmungen.“5 Als ein Hauptakteur des nationalsozialistischen Bücherraubes wurde das Reichssicherheitshauptamt (RSHA) benannt. Reichsführer SS Heinrich Himmler, seit dem 9. 10. 1939 zugleich Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums, hatte am 27. 9. 1939 Sicherheitspolizei und Sicherheitsdienst (SD), Gestapo und Abwehr im RSHA zusammengeführt und jene zentralen Strukturen geschaffen, die „Gegnerforschung und -bekämpfung“ sowie „weltanschauliche Forschung“ aber auch die Ausbeutung der annektierten Gebiete leisten sollten. Das Hauptinteresse von Schutzstaffel, Sicherheitsdienst und Gestapo konzentrierte sich damit auf die Beschlagnahmung und Verbringung jener Kulturgüter, die für den Staatsschutz relevant schienen. Bereits im Oktober 1939 wurde ein Rundschreiben an Einsatzkommandos in Polen vorbereitet, in dem diese gebeten werden sollten „festzustellen, welche jüdischen, katholischen, marxistischen und gegebenenfalls freimaurerischen Bibliotheken sich innerhalb ihrer Arbeitsbereiche befinden“6. Entsprechende Runderlasse des Reichsführers SS schufen im Dezember 1939 die Grundlage für die Beschlagnahme polnischen Kulturgutes. Besondere Organisationen, wie die Generaltreuhandstelle Ost wurden für deren Verwaltung geschaffen. Die Bedeutung des Ahnenerbes für den Kulturgüterraub wurde offenkundig. Verfolgte es innerhalb der nationalsozialistischen Plünderungspolitik auch besondere Ziele, indem es nach Belegen für die Überlegenheit der germanischen Rasse suchte, hatte es doch andererseits auch Interesse an Büchern.7 Neben dem RSHA wurde der Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR) als wichtiger Akteur bei der Plünderung von Kulturgütern im Allgemeinen und dem Bücherraub im Besonderen benannt. Rosenberg hatte als Beauftragter des Führers für die Überwachung der gesamten geistigen und weltanschaulichen Schulung und Erziehung der NSDAP per Dekret vom 29. 1. 1940 die Erlaubnis erhalten, die
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Hans-Gerd HAPPEL: Die Quellensituation für die Universitätsbibliotheken, in: Bibliotheken während des Nationalsozialismus, Teil I, wie Anm. 2, S. 310. Andrzej ME˛ŻYŃSKI: Kommando Paulsen. Organisierter Kunstraub in Polen 1942–45, Köln 2000, S. 118. Das Ahnenerbe wurde am 1. 7. 1935 u. a. von Heinrich Himmler als „Forschungs- und Lehrgemeinschaft“ der SS gegründet. Zu seiner Tätigkeit insbesondere in der Sowjetunion und Frankreich vergleiche Anja HEUSS: Kunst- und Kulturgutraub. Eine vergleichende Studie zur Besatzungspolitik der Nationalsozialisten in Frankreich und der Sowjetunion, Heidelberg 2000, S. 205–249. Als Bibliotheksexperte für das Ahnenerbe war beispielsweise Dr. Heinz Zirnbauer, bis 1938 an der Bayerischen Staatsbibliothek, dann Direktor der Landesbibliothek Speyer, seit 1941 an der Studienbibliothek Salzburg und ab 1942 als SS-Untersturmführer im SD in Südtirol, tätig. Vgl. hierzu: Fridolin DRESSLER: Die Bayerische Staatsbibliothek im Dritten Reich, in: Bibliotheken während des Nationalsozialismus, Teil I, wie Anm. 2, S. 57.
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Errichtung einer Hohen Schule als zentraler nationalsozialistischer Universität mit Forschungsabteilungen im ganzen Land vorzubereiten. Nach dem Einmarsch in Frankreich wurde daraufhin am 17. 7. 1940 der ERR gegründet. Dessen Aufgabe bestand im Abtransport „herrenlosen jüdischen Besitzes“ und „wertvoll erscheinender Kulturgüter“ nach Deutschland. Dabei kam es, wie so häufig im nationalsozialistischen Machtgefüge, zu Interessenkonflikten und Kompetenzgerangel. Während beispielsweise das RSHA und insbesondere dessen Amt VII („weltanschauliche Forschung und Auswertung“) im Rahmen so genannter „Gegnerbibliotheken“ Bestände zu Kirche, Freimaurern, Marxismus und Judentum zusammentrug, baute Rosenberg seinerseits zur pseudowissenschaftlichen Forschung ein Institut zur Erforschung der Judenfrage auf und war an Judaica- und Hebraica-Sammlungen, aber auch an jüdischer Literatur im weitesten Sinne interessiert. Nach der feierlichen Eröffnung des Instituts am 26. 2. 1941 plünderten Sonderkommandos des ERR u. a. in Griechenland Büchersammlungen von Schulen, Synagogen und Vereinen. Nach dem Überfall auf die Sowjetunion arbeiteten dort drei Hauptarbeitsgruppen des ERR in Riga, Minsk und Kiew. Sammelstellen entstanden außerdem in Wilna (Vilnius) und Kowno (Kaunas).8 Ein weiteres gigantisches Projekt des ERR stellte die so genannte Ostbücherei dar, in welcher zunächst in Berlin, später in Ratibor (Racibórz) hunderttausende Bücher des so genannten bolschewistischen Schrifttums zusammengetragen wurden. Erst ein Erlass Heydrichs vom April 1944 regelte den Vorrang des RSHA vor dem ERR und dem Aufbau der Hohen Schule. Entsprechend der konkreten Betroffenheit beschäftigten sich die Wolfenbütteler Vorträge auch mit der Frage der Buchvernichtung. Neben der Zerstörung stand dabei die skrupellose Makulierung von durch die „Neustrukturierung“ der Bibliothekslandschaft in den besetzten Gebieten willkürlich geschaffenen Dubletten. Weitere Akteure des nationalsozialistischen Buchraubs wurden erwähnt, so das Sonderkommando Künsberg des Auswärtigen Amtes, welches vor allem in der Sowjetunion tätig war9. Auf andere nationalsozialistische Projekte als Ergebnis des Bücherraubes wie die Bibliothek des 1942 gegründeten Jüdischen Zentralmuseums („Museum einer ausgerotteten Rasse“) in Prag wurde verwiesen.10
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Zur Tätigkeit von RSHA und ERR vgl. u. a.: Dov SCHIDORSKY: Das Schicksal jüdischer Bibliotheken im Dritten Reich, in: Bibliotheken während des Nationalsozialismus, Teil II, wie Anm. 2, S. 189–222. 9 Manfred KOMOROWSKI: Deutsche Bibliothekspolitik in der Sowjetunion (1941–1944), in: Bibliotheken während des Nationalsozialismus, Teil I, wie Anm. 2, S. 479. 10 Robert LUFT: Zur Bibliothekspolitik im Sudentenland und im Protektorat Böhmen und Mähren, in: Bibliotheken während des Nationalsozialismus, Teil I, wie Anm. 2, S. 461.
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Es wurde auch deutlich, dass es insbesondere bei der Räumung jüdischer Wohnungen, die Möbelhändlern und Spediteuren überlassen wurde, private Nutznießer gegeben haben musste. Teile der geplünderten Bibliotheken wanderten in den antiquarischen Buchhandel ab und fanden dort neue Besitzer.11 Besonders markante Verluste wurden benannt, so das in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts von König Stanisław August Poniatowski gegründete Kupferstichkabinett der Warschauer Universitätsbibliothek, welches bis heute zu den polnischen Kriegsverlusten zählt.12 Insgesamt stand das einzelne verlorene Buch jedoch noch nicht im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Dies sollte sich nach dem Dezember 1998 für die Bibliotheken der Bundesrepublik Deutschland ändern, folgte doch der Washingtoner Konferenz im Dezember 1999 die Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz (Gemeinsame Erklärung).13 Bezogen sich die in Washington verabschiedeten Grundsätze noch auf die moralische Verpflichtung, Kunstwerke, die von den Nationalsozialisten beschlagnahmt und in der Folge nicht zurückerstattet wurden, zu identifizieren, reflektierte die Gemeinsame Erklärung vom Dezember 1999, dass es bei weitem nicht nur Kunstwerke waren, die während des Nationalsozialismus ihren Eigentümern geraubt, abgepresst oder anderweitig entzogen worden waren. Dasselbe hatte sich mit Büchern und Archivalien ereignet. Damit standen die Bibliotheken der Bundesrepublik ebenso in der Pflicht, wie Museen und Archive, ihre Bestände auf Kulturgüter zu überprüfen, die im Ergebnis nationalsozialistischer Verfolgung in ihren Besitz gelangt waren. Der Stiftungsrat der Stiftung Preußischer Kulturbesitz hatte bereits nach der Washingtoner Konferenz und vor Verabschiedung der Gemeinsamen Erklärung gehandelt. Am 4. Juni 1999 nahm er einen entsprechenden Beschluss an. Eine Herausgabe von Kunstwerken, unabhängig davon, ob dies zwingende Folge einer gesetzlichen Regelung ist, wurde akzeptiert.14 1999 gab die Gemäldegalerie Berlin 11 Vgl. Dov SCHIDORSKY, wie Anm. 8, S. 197. 12 Jan PIROŻYŃSKI, Krystyna RUSZAJOWA: Die nationalsozialistische Bibliothekspolitik in Polen während des Zweiten Weltkrieges, in: Bibliotheken während des Nationalsozialismus, Teil I, wie Anm. 2, S. 205 sowie Wanda RUDZINSKA: Die Verluste in den Beständen der Abteilung Kupferstiche der Warschauer Universitätsbibliothek während des Zweiten Weltkrieges, Vortrag während des Seminars GUTE ZEITEN – SCHLECHTE ZEITEN. Deutsch-Polnische Bibliothekszusammenarbeit, 28./29. 06. 2004, Warschau. 13 Vgl. BEITRÄGE öffentlicher Einrichtungen der Bundesrepublik Deutschland zum Umgang mit Kulturgütern aus ehemaligem jüdischen Besitz, wie Anm. 1, S. 303–306. 14 Siehe hierzu Norbert ZIMMERMANN: Die Praxis der Restitution, in: Museen im Zwielicht/die eigene Geschichte, hg. von der Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste Magdeburg, Magdeburg 2002, (Veröffentlichungen der Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste; 2), S. 313–328.
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– Preußischer Kulturbesitz eine Dokumentation des Fremdbesitzes der Gemäldegalerie heraus.15 Im Juli 1999 erfolgte mit der Rückgabe der Zeichnung „L’olivette“ von Vincent van Gogh aus der Breslauer Sammlung Max Silberberg (1878 Neuruppin–1943 Theresienstadt) an die einzigen überlebenden Angehörigen seitens der Stiftung Preußischer Kulturbesitz eine erste Restitution. Weitere sollten folgen.16 Allerdings bezogen sich diese bisher – ganz im Sinne der Washingtoner Grundsätze – auf Kunstwerke. Das bedeutet nicht, dass im Bereich der Bibliotheken nicht um eine Umsetzung der Gemeinsamen Erklärung gerungen würde. Es gibt jedoch eine Reihe von Besonderheiten, die die Suche nach geraubten Büchern erschweren. Der in der Regel fehlende Unikatcharakter von Büchern bewirkte bereits während der nationalsozialistischen Raubzüge, dass zusammengehörende, und nur in ihrer Zusammengehörigkeit identifizierbare Bestände auseinander gerissen und an verschiedene Orte verbracht wurden. Als Dubletten interpretierte Bücher aus geschlossenen Sammlungen wurden im günstigsten Fall „verwertet“, d. h. verkauft oder an Partnereinrichtungen abgegeben, im unglücklichen Fall, und dies in großem Umfang, makuliert. Fehlende Kennzeichnungen selbst seltener Bücher durch Exlibris, handschriftliche Namenseinträge oder Stempel erschweren ihre Zuordnung zu früheren Eigentümern. Ihre, in der Regel, geringere Exklusivität bedingt, schlimme Katastrophen wie den Brand der Herzogin Anna Amalie Bibliothek im August 2004 ausgenommen, ein geringeres öffentliches Interesse. Die bisher durchaus zahlreichen Bücherrückgaben fanden in der Presse entsprechend weniger Beachtung. Zu nennen wären seit Verabschiedung der Gemeinsamen Erklärung an Bücherrückgaben u. a. • die Rückgabe der Spezialbibliothek des jüdischen Arztes Dr. Cäsar Hirsch (1885–1940) an dessen Sohn und Erben Peter J. Hearst im Juni 2001 durch die Universitätsbibliothek Tübingen17, • die Rückgabe einzelner Bände aus der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen18, 15 Irene GEISMEIER: Gemäldegalerie. Dokumentation des Fremdbesitzes. Verzeichnis der in der Galerie eingelagerten Bilder unbekannter Herkunft, Berlin 1999. 16 Wie Anm. 14. Ein Beispiel für die Restitutionsaktivitäten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz war jüngst Gegenstand einer Ausstellung in der Alten Nationalgalerie – Staatliche Museen zu Berlin. Vgl. hierzu: Christina WEISS: Kunst und Moral. Zu Restitution und Rückkauf des Gemäldes „Der Watzmann“ von Caspar David Friedrich; Peter-Klaus SCHUSTER, Claude KEISCH: Unfassbar – der „Watzmann“ von Caspar David Friedrich in der Nationalgalerie, in: Caspar David Friedrich – Der Watzmann, hg. von Birgit VERWIEBE, Berlin und Köln 2004, S. 7; S. 8–11. 17 Vgl. Peter-Michael BERGER: Die Rückgabe der Bibliothek Cäsar Hirsch, in: BEITRÄGE öffentlicher Einrichtungen (…), wie Anm. 1, S. 294–298. 18 Vgl. Jürgen BABENDREIER: Jüdische Buch- und Lebensspuren, in: BEITRÄGE öffentlicher Einrichtungen (…), wie Anm. 1, S. 39–53.
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• die Rückgabe von Büchern aus der Marburger Universitätsbibliothek an die Erben des deutsch-jüdischen Fabrikanten Max Wolf am 20.11.200119, • die Rückgabe von 70 Büchern im November 2002 durch die Zentral- und Landesbibliothek Berlin an das Karl-Marx-Haus-Trier, respektive an die FriedrichEbert-Stiftung20, • die Rückgabe von zwei Schulfibeln an eine ehemalige Nürnberger Jüdin und die Übergabe von 27 Bänden aus verschiedenen jüdischen Institutionen in Wien an deren Rechtsnachfolger, die Israelitische Kultusgemeinde Wien21. Dabei ist festzuhalten, dass es trotz der hoffnungsvollen Ansätze nach Wolfenbüttel22 in den neunziger Jahren zunächst neben wenigen engagierten Bibliothekarinnen und Bibliothekaren, oft Journalisten waren, die nach der Herkunft der geraubten Büchern fragten23. Der Ansatz, den gerade diese „Außenseiter“ beförderten, war, über die Herkunft der Bücher hinaus die Frage nach dem Schicksal jener Menschen zu stellen, denen diese Bücher einst gehörten. Dies mündete in Aktivitäten wie der Ausstellung Seligmanns Bücher, die Umzugsgut, welches 1939 von emigrierenden Juden im Hafen von Bremen zurückgelassen und das 1942 beschlagnahmt und versteigert worden war, nun als „legal, aber nicht rechtmäßig erworbene Buchbestände“24 der Bremer Staats- und Universitätsbibliothek vorstellte. Ziel der an mehreren Orten gezeigten Ausstellung war neben der Darstellung der Geschehnisse während des Nationalsozialismus auch die Suche nach den rechtmäßigen Eigentümern.
19 Vgl. hierzu: Margret LEMBERG: Verboten und nicht verbrannt. Die Universitätsbibliothek Marburg und ihre Bücher von 1933 bis 1946, (Schriften der Universität Marburg; 110), Marburg 2001 sowie Bernd REIFENBERG: Eine wissenschaftliche Bibliothek als Sammelstelle für indizierte Literatur – Zur Rückgabe von sechs Büchern an die Erben des deutsch-jüdischen Fabrikanten Max Wolf, in: BEITRÄGE öffentlicher Einrichtungen (…), wie Anm. 1, S. 233–242. 20 Vgl. Annette GERLACH: Return of books to the Karl Marx House Trier, in: Spoils of War, Nr. 8, May 2003, S. 106–108. 21 Vgl. hierzu: Christine SAUER: Schwierige Suche nach den rechtmäßigen Eigentümern. Die „Sammlung der Israelitischen Kultusgemeinde“ (ehemals Stürmer-Bibliothek) in der Stadtbibliothek Nürnberg, in: Buch und Bibliothek 56 (2004) 5, S. 350. 22 Wie An. 3. 23 Sowohl in Bremen als auch in Tübingen wurde die Beschäftigung mit den geraubten Büchern durch investigative Journalisten ausgelöst. Zwischen der Wiesbadener Veröffentlichung und den Nachforschungen seit 1999 war es vor allem der Arbeitskreis kritischer BibliothekarInnen, der sich mit diesem Thema befasste. Vgl. u. a.: Displaced books. Bücherrückgabe aus zweierlei Sicht. Beiträge und Materialien zur Bestandsgeschichte deutscher Bibliotheken im Zusammenhang von NS-Zeit und Krieg, hg. von Maria KÜHN-LUDEWIG, Hannover 1999. 24 Peter SCHULZE: Die Ausstellung „Seligmanns Bücher“. Enteignete Bücher als historische Quellen, in: Jüdischer Buchbesitz als Beutegut, (Schriftenreihe des Niedersächsischen Landtages; H. 50), Hannover 2003, S. 11.
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REGINE DEHNEL / GEORG RUPPELT Exlibris Aenne Löwenthal, hannoversche Archivarin und Journalistin, die 1942 nach Warschau deportiert wurde. Aus: Mechthild Lichnowski: Gott betet, Leipzig 1918 (Bestand Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek – Niedersächsische Landesbibliothek, Signatur: 43/497)
Diese Suche gestaltet sich schwierig. Es kommen jene Gründe zum Tragen, die bereits die Identifizierung der belasteten Bücher erschweren. Nur durchschnittlich jedes zehnte Buch trägt einen Besitzvermerk im Sinne eines Exlibris, eines Stempels, einer Widmung oder einer handschriftlichen Eintragung. Zahlreiche jüdische Familien wurden ausgelöscht, es sind keine Erben da, die sich für diese Bücher interessieren könnten. Manches Mal aber fehlt diesen, selbst wenn sie Holocaust und Vertreibung überlebten, Mut und Motivation, sich auf die Suche nach ihrem Eigentum zu begeben, da diese Suche zwangsläufig alte Wunden neu aufreißen würde.
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Nicht zuletzt deshalb ist es so wichtig, dass die Bibliotheken ihrerseits weiter und noch stärker als bisher nach den geraubten Büchern suchen. Die Suche nach dem konkreten Buch und nach dem möglichen heutigen Eigentümer wird dabei mit der Erforschung der Strukturen des nationalsozialistischen Bücherraubes zu verknüpfen sein. Notwendig sind weitere Untersuchungen über die Verteilerzentren und die Verteilungsmechanismen der geraubten Bücher25, aber auch über die geraubten Buchsammlungen selbst. Erste Grundlagen hierfür hatte bereits nach Kriegsende die Commission on European Jewish Cultural Reconstruction geschaffen. Als Organisationseinheit der Conference on Jewish Relations erarbeitete sie unter der Leitung von Hannah Arendt Listen zu jüdischen Bibliotheken, Archiven und Museen, welche vor 1933 existiert hatten. Nicht zuletzt auf Grundlage dieser Listen wurde die Restitution von mehr als 2,5 Mio. im Collecting Point Offenbach Archival Depot zusammengetragenen Büchern an ihre Herkunftsländer möglich.26 Das Wissen um den nationalsozialistischen Kunstraub ist mit den Standardwerken von Lynn H. Nicholas27, Hector Feliciano28 oder Jonathan Petropoulos29 gestiegen. Insbesondere Publikationen zum nationalsozialistischen Kulturgutraub in Osteuropa machten deutlich bzw. erneut bewusst, dass die Raubzüge bei Weitem nicht nur Werken der bildenden und angewandten Kunst, sondern gerade auch Bibliotheken gegolten hatten.30 Polnische Wissenschaftler befassten sich ihrerseits mit den ihnen durch den Nationalsozialismus verloren gegangenen Büchern.31 Erste Veröffentlichungen in Russland geben Auskunft darüber, wo sich einzelne
25 Vgl. hierzu Klaus-Dieter LEHMANN: Restitution jüdischen Kulturgutes als Aufgabe der deutschen Kulturpolitik, in: Jüdischer Buchbesitz als Beutegut, wie Anm. 24, S. 23. 26 Eine Fortsetzung findet diese Arbeit u. a. bei Evelyn ADUNKA: Der Raub der Bücher. Plünderungen in der NS-Zeit und Restitution nach 1945, (BIBLIOTHEK DES RAUBES; Bd. IX), Wien 2002. 27 Lynn H. NICHOLAS: Der Raub der Europa. Das Schicksal europäischer Kunstwerke im Dritten Reich, München 1995. (Amerikanische Originalausgabe: The Rape of Europa, New York 1994). 28 Hector FELICIANO: Das verlorene Museum. Vom Kunstraub der Nazis, Berlin 1998. (Französische Originalausgabe: Le Musée disparu. Enquete sur le pillage des oeuvres d’art en France par les nazis, Paris 1995) 29 Jonathan PETROPOLOUS: Kunstraub und Sammelwahn. Kunst und Politik im Dritten Reich, Berlin 1999. (Amerikanische Originalausgabe: Art as Politics in the Third Reich, North Carolina 1996). 30 Vgl. hierzu u. a.: „Betr.: Sicherstellung“. NS-Kunstraub in der Sowjetunion, hg. von Wolfgang EICHWEDE und Ulrike HARTUNG, Bremen 1998; Anja HEUSS, wie Anm. 7. 31 Vgl. u. a. Andrzej ME˛ŻYŃSKI: Wissenschaftliche Bibliotheken im Generalgouvernement. Fakten und Mythen, in: Die Beziehungen der Berliner Staatsbibliothek nach Polen. Reflexionen zur Zeitund Bestandsgeschichte, hg. von Antonius JAMMERS, Wiesbaden 1997, (Beiträge aus der Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz; Bd. 5), S. 47–80; Andrzej ME˛ŻYŃSKI, wie Anm. 6.
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Bücher der geraubten jüdischen Sammlungen heute befinden.32 Dank dieser inzwischen umfangreichen Literatur sind wesentliche Aspekte des nationalsozialistischen Buchraubes deutlicher benannt und allgemein bekannter als noch Ende der 80er Jahre. Jedoch haben die Forderungen, die im November 2002 während des Symposiums Jüdischer Buchbesitz als Beutegut formuliert wurden, nichts an Aktualität eingebüßt, und die von Peter Vodosek und Manfred Komorowski im März 2004 in Leipzig formulierte Sorge, wer die Lücken in der bibliothekshistorischen Forschung eigentlich schließen soll, darf nicht ohne Antwort verhallen. Am 14. 11. 2002 hatten die Teilnehmer des von der Niedersächsischen Landesbibliothek und dem Niedersächsischen Landtag gemeinsam veranstalteten Symposiums einstimmig an die Verantwortlichen des deutschen Bibliothekswesens appelliert: „Unterstützen Sie die Suche nach Raubgut in unseren Bibliotheken; bündeln Sie vorhandene Aktivitäten, und vernetzen Sie die Sucharbeit; bilden Sie ein überregionales Arbeits-Gremium, das die historische Forschung koordiniert. […] Werben Sie gezielt Fördermittel ein für die Erforschung und öffentliche Vermittlung dieses wichtigen Vorhabens. Überzeugen Sie Ihre Unterhaltsträger von der kulturpolitischen Bedeutung der Ermittlung von Raubgut jüdischer Provenienz und den Möglichkeiten der Restitution. Die bibliothekarischen Ausbildungsstätten sind dringend aufgefordert, die Bibliotheksgeschichte, insbesondere auch die Zeit des Nationalsozialismus, in ihre Curricula aufzunehmen“.33 Einen Beitrag hierzu wird das Zweite Hannoversche Symposium Jüdischer Buchbesitz als Raubgut leisten, welches seitens der Niedersächsischen Landesbibliothek und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz mit Förderung der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien für den 10./11. Mai 2005 vorbereitet wird. An zwei Tagen werden Forscherinnen und Forscher, Bibliothekarinnen und Bibliothekare aus Argentinien, Deutschland, Israel, den Niederlanden, Österreich und Russland neue Forschungen zu Strukturen, Akteuren und Opfern des nationalsozialistischen Bücherraubs vorstellen, Erfahrungen bei der Suche nach dem heutigen Standort dieser Bücher und ihren rechtmäßigen Eigentümer diskutieren und nach Antworten suchen, wie Bibliotheken heute am Besten mit diesem wichtigen und sensiblen Thema umgehen können.
32 Vgl.: Catalogue of Manuscripts and Archival Materials of Juedisch-Theologisches Seminar in Breslau held in Russian Depositories, Moscow 2003. 33 Vgl. Hannoverscher Appell, in: Jüdischer Buchbesitz als Beutegut, wie Anm. 24, S. 71.
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„DIE UNENDLICHE GESCHICHTE ?“ Einige Überlegungen zur Arbeit der Fachgruppe „Bibliotheken“ der Regierungskommission der Bundesrepublik Deutschland und der Russischen Föderation zu Fragen der beiderseitigen Rückführung von Kulturgütern
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eit geraumer Zeit stecken die Verhandlungen über die Rückführung kriegsbedingter Kulturgüter zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Russischen Föderation in einer tiefen Sackgasse. Dies soll Anlass sein, die Geschichte der Bemühungen zur Lösung dieses Problems aus der subjektiven Sicht eines beteiligten Bibliothekars Revue passieren zu lassen und ein kritisches Resümee zu ziehen. 2005 jährt sich zum sechzigsten Mal das Ende des Zweiten Weltkriegs und noch immer ist eines der schmerzhaftesten und nach Lösung drängenden Probleme im Bereich der Kulturpolitik zwischen unseren beiden Ländern nicht gelöst. Die Geschichte des Ringens um die Lösung dieses Dilemmas geht nunmehr ins 13. Jahr und war von intensiven Lösungsbemühungen seitens beauftragter Fachleute beider Länder gekennzeichnet. Diese äußerst engagierten Bemühungen auf der Fachebene erhielten einen empfindlichen Dämpfer, nachdem der russische Präsident Putin das „Föderale Gesetz über die Kulturgüter, welche im Verlauf des 2. Weltkriegs durch die UdSSR auf das Territorium der Russischen Föderation gelangten“, umgangssprachlich das „Beutekunstgesetz“ genannt, unterzeichnet hatte. Die Bemühungen um die Lösung eines der letzten großen Probleme, die der Zweite Weltkrieg hinterließ, gingen auch nach der Verabschiedung des Gesetzes auf der Fachebene weiter, leider sind in letzter Zeit aber weder substanzielle Fortschritte noch eine koordinierte Vorgehensweise auf deutscher Seite zu erkennen. Angesichts der frustrierenden Bilanz der Verhandlungen liest man in letzter Zeit in der einschlägigen bibliothekarischen Presse merkwürdige Einschätzungen, so tauchen plötzlich Anschuldigungen auf, die von „Rechthaberei“ sprechen und der deutschen Seite „Beharren auf völkerrechtlichen Standpunkten“ vorwerfen. Es macht sich eine Ungeduld breit, auch ein gewisser Frust, dass vermeintlich nichts erreicht wurde und es gibt Kollegen, die angesichts dieser Einschätzung quasi auf eigene Faust wohlgemeinte Initiativen ergreifen und für Lösungsansätze plädieren, die aber bedauerlicherweise alle in gewisser Weise von russischer Seite juristisch so ausgewertet werden können, als würde die deutsche Seite durch diese Aktionen de facto in letzter Konsequenz das russische „Beutekunstgesetz“ akzeptieren, bzw. die-
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ser kurzsichtige Aktionismus kann dazu führen, dass diese Initiativen als Akzeptanz des Status Quo (aus russischer Sicht) verstanden werden können. Da gibt es Vorstellungen von „gemeinsamen Stiftungen“, die das geraubte Kulturgut auf russischem Territorium der Öffentlichkeit zugänglich machen sollen, wozu ja die russischen Kulturinstitutionen bekanntlich längst nicht in der Lage sind, es gibt weiter Vorstellungen, Stiftungen zu schaffen, welche die Präsentation von „Beutekunst“ außerhalb der Grenzen Russlands ermöglichen sollen, ohne dass die sonst zwangsläufig erfolgende Beschlagnahme der Kulturgüter durch europäische Gerichte erfolgen soll. Angeblich würde die starre deutsche Haltung die Zusammenarbeit zwischen deutschen und russischen Bibliotheken behindern. Als Jemand, der von Anfang an intensiv an der Lösung dieser Probleme mitgearbeitet hat, stellte ich mir die Frage: Wissen die Kollegen, die so etwas befördern, eigentlich wovon sie reden und welche Konsequenzen solch ein Handeln nach sich zieht? Selbst bei wohlwollender Betrachtungsweise kann man hier nur „Blauäugigkeit“ konstatieren. Es scheint angesichts dieser Entwicklungen angebracht, die Geschichte der bisherigen Verhandlungen noch einmal aufzurollen und an einige wichtige Grundsätze zu erinnern. Dieser Abriss soll auch gleichzeitig eine Würdigung der Verdienste von Prof. Dr. Klaus-Dieter Lehmann auf diesem Gebiet sein, der die fachlichen Verhandlungen auf der Bibliotheksseite und später auch im Museumsbereich maßgeblich geprägt hat. Als Autor unterscheide ich in diesem Beitrag sehr wohl zwischen fachlich orientierten Verhandlungen und den Verhandlungen auf politischer Ebene, die allerdings immer schon große Überschneidungsbereiche besaßen und daher auch politisch brisant waren. Die Bundesregierung war seit Beginn der 90er Jahre bei der Lösung des Problems der Rückführung kriegsbedingter Kulturgüter um eine koordinierte abgestimmte Vorgehensweise bemüht. Die Federführung hatten sowohl das Auswärtige Amt als auch anfänglich das Bundesinnenministerium und später der bzw. die Beauftragte der Bundesregierung für Fragen der Kultur und der Medien. Abstimmungen fanden auch stets mit den Ländern, d. h. der Kultusministerkonferenz, statt. Diese Abstimmungen waren nicht immer einfach und problemlos, es gab mitunter Einzel-Initiativen von Personen und Ländern, die nicht immer bis ins letzte Detail mit den federführenden Ministerien bzw. nachgeordneten Instanzen abgestimmt waren, aber im Großen und Ganzen existierte eine gemeinsame Strategie und Vorgehensweise, die natürlich – wen wundert es – auf anerkannten völkerrechtlichen Grundsätzen und Rechtsauffassungen basierte und in alle Ebenen der Verhandlungen einfloss. Dies gilt natürlich auch für alle Bemühungen auf der Fachebene. Es gab regelmäßige Abstimmungsrunden zwischen den Beteiligten und eine Koordination bei der Vorgehensweise.
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Leider vermisst man diese koordinierte abgestimmte Vorgehensweise, zumindest auf der Fachebene, spätestens seit der Verabschiedung des „Beutekunstgesetzes“ durch die russische Regierung. Dieser einseitige, die deutsche Verhandlungsseite vor vollendete Tatsachen stellende Schritt hätte mehr denn je eine gefestigte, koordinierte und abgestimmte Position aller Beteiligten erfordert. In einem Artikel mit dem Titel „Quo vadis?“ habe ich versucht, dies deutlich zu machen, indem ich schrieb: „Der Autor ist der Ansicht, dass man weiter über das heikle Thema verhandeln sollte, nur ist nun durch die Unterzeichnung des russischen Beutekunstgesetzes eine neue Situation eingetreten und die deutsche Seite kann nicht so tun, als wäre nichts geschehen.“ Leider trat genau das Gegenteil ein, einzelne private Initiativen und Konferenzen tun genau das, was meiner Ansicht nach nicht geschehen sollte, man tut bewusst so, als hätte es die zehnjährigen Verhandlungen nicht gegeben, man ignoriert alle bereits erfolgten Bemühungen, man tut so, als wäre das russische Beutekunstgesetz unabänderlich und versucht Initiativen, die in letzter Instanz zu einer stillschweigenden Akzeptanz dieses russischen Gesetzes führen, man versucht sogar, das Gesetz im europäischen Rahmen hoffähig zu machen, in dem Initiativen ergriffen werden, russischen Einrichtungen die Möglichkeit zu geben, „Beutekunstexponate“ außerhalb Russlands in Ausstellungen zu präsentieren. Es sei daran erinnert, dass jeglicher Versuch in diese Richtung zu einer Beschlagnahme führen würde, was einiges über die völkerrechtliche Relevanz des russischen „Beutekunstgesetzes“ aussagt.
Erste Sondierungsdelegation in St. Petersburg, vor der Isaak-Kathedrale v.l.n.r.: Prof. Burgemeister (SLB Dresden), Prof. Lehmann (DDB), Dr. Ingo Kolasa (SBB), Senatsrat Opper (Hamburg), Dolmetscher
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Aber kehren wir zum Anliegen dieses Beitrags zurück, einen kurzen Abriss der Verhandlungen auf fachlicher Ebene zu versuchen. Dieser muss bei mir als Beteiligtem zwangsläufig subjektiv ausfallen. Im Juni 1992 unternahm ich meine erste Sondierungsreise als Mitglied einer kleinen Delegation unter Leitung von Prof. Lehmann. Am Rande der IFLA-Tagung 1991 hatte Prof. Lehmann in Abstimmung mit dem deutschen Botschafter in Russland vereinbart, Sondierungsreisen nach Russland zu unternehmen, um zu klären, ob nach den Jahren der Perestroika eine Veränderung der Haltung der russischen Seite in der jahrzehntelang totgeschwiegenen Angelegenheit zu beobachten sei. Natürlich – dies soll nicht verschwiegen werden – gab es bereits von Seiten einzelner mutiger Bibliotheksdirektoren zu Zeiten der Sowjetunion und der DDR vorsichtige Versuche, das Thema in vertraulichen Gesprächen unter vier Augen anzusprechen. Wie man sich vorstellen kann, waren diese Versuche von wenig Erfolg gekrönt. Herr Prof. Burgemeister, der uns bei dieser ersten Sondierungsreise im Auftrage der Kultusministerkonferenz begleitete, könnte davon einiges berichten. Im Verlauf des Jahres 1992 unternahm unsere dreiköpfige Delegation weitere Reisen nach Moskau und St. Petersburg, um die Haltung der einzelnen Bibliotheksdirektoren der wichtigsten und größten russischen Bibliotheken zu den sogenannten „Beutebüchern“ zu eruieren. Parallel dazu führten wir sehr konkrete Verhandlungen mit dem Institut für wissenschaftliche Information der Gesellschaftswissenschaften der Akademie der Wissenschaften Russlands über die Rückgabe der restlichen 4.000 Bände der „Gothaer Bibliothek“, die nach der großen Rückgabe von deutschen Kulturgütern durch die sowjetische Regierung an die DDR in den 50er Jahren durch unglückliche Umstände in Russland verblieben waren. Diese Verhandlungen waren kompliziert, führten aber relativ schnell zu einem Vertrag, der zu einer Rückgabe im gegenseitigen Interesse geführt hätte. Leider muss man sagen „hätte“, denn obwohl beide Verhandlungsseiten sich einig waren, wurde die Rückgabe von der russischen Regierung blockiert. Kürzlich las ich in den Vorbemerkungen zu dem Vorwort der 4. Auflage der Beutekunst-Bibliographie von Peter Bruhn den Satz: „Was beim Rückgabeverlangen auf deutscher Seite nach Einschätzung des Unterzeichneten (Walter Andreesen) wohl hätte beachtet werden können, war die noch lebendige Erinnerung der russischen Öffentlichkeit an die Barbarei, mit der ihrem Land Millionen Menschenopfer und auch der unwiederbringliche Verlust von Kulturgütern zugefügt wurde. Dies ist dort nicht vergessen. Hier mag es an Sensibilität auf deutscher Seite gefehlt haben.“ Die Aussage hat mich einerseits getroffen und andererseits sehr verwundert, denn bei allen Verhandlungen, die auf Regierungs- und Fachebene geführt wurden,
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hat dieser Aspekt stets im Vordergrund gestanden. Da uns von Anfang an klar war, dass die Erinnerung an die von deutscher Seite im Zweiten Weltkrieg angerichteten Gräueltaten und die riesigen Verluste und Zerstörungen im Bewusstsein der russischen Bevölkerung noch wach sind und dass es eine große Asymmetrie bei den jeweils zurückzugebenden Kulturgütern gibt, da viele russische Kulturgüter im Krieg zerstört wurden, hat die deutsche Verhandlungsseite, und insbesondere auch die Fachebene, sehr sensibel verhandelt und deutlich gemacht, dass bei einer erfolgreichen Rückführung die deutsche Seite dem russischen Bibliothekswesen besondere Unterstützung zukommen lassen würde, um ihre Dankbarkeit zu zeigen, wobei natürlich auch stets klar war, dass ein „Rückkauf“ der deutschen Kulturgüter quasi als nachträgliche Reparationszahlungen nicht in Frage kommen würde. Dies war eines der Grundprinzipien sowohl bei den ersten Gesprächen über die Rückführung der Gothaer Bücher als auch bei sämtlichen späteren Fachgruppenverhandlungen. Aber bleiben wir bei der Chronologie der Ereignisse. Nach den Sondierungsreisen im Jahr 1992, die zu vorsichtigem Optimismus Anlass gaben, wurde ein für die damalige Zeit sehr mutiger Schritt unternommen. In enger Kooperation mit der Bibliothek für Ausländische Literatur in Moskau wurde am 11. und 12. Dezember 1992 ein „Runder Tisch Deutscher und Russischer Bibliothekare in Moskau“ zu dem heiklen Thema „Beutekunst“ durchgeführt, an dem von deutscher Seite 15 Bibliotheksdirektoren teilnahmen und der auf russischer Seite noch weit mehr Teilnehmer hatte. Die in einem ZfBB-Sonderheft bewusst fast wortwörtlich abgedruckten Diskussionsbeiträge vermitteln auch heute noch die knisternde Atmosphäre dieser Veranstaltung, das Aufeinanderprallen der gegensätzlichen Ansichten und das allmähliche Verstehen der Positionen der jeweils anderen Seite. Das Bemerkenswerte dieses Runden Tisches bestand auch nicht zuletzt darin, dass erstmalig ein russischer Kollege es wagte, konkrete Fakten über das Vorgehen der russischen Trophäenkommissionen während und nach dem Krieg offenzulegen, was vor allem bei den russischen Kollegen zu sehr unterschiedlichen Reaktionen führte. Bereits damals zeigte sich ein Aspekt des Problems, der sich bis heute durch die gesamten Verhandlungen zieht und leider auch die öffentliche Meinung in Russland stark dominiert. Die russischen Fachkollegen wissen weit weniger über das Wirken der russischen Trophäenkommissionen und der gezielten Beutezüge des Stalin-Regimes, die nachgewiesener Weise von Anfang an vorhatten, sich nicht an die offiziellen Reparationsvereinbarungen mit den westlichen Alliierten zu halten, als mittlerweile die Kollegen im Ausland. Es gibt bis heute keine seriöse umfassende Darstellung dieser Vorgänge in der russischen Fachliteratur, obwohl die russischen Kollegen am ehesten Zugang zu den Quellen gehabt hätten und sehr zur Aufhellung dieser Ereignisse beitragen könnten. Über die Raubzüge der deutschen Spe-
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zialkommandos sind mittlerweile unzählige Bücher erschienen, auch von deutschen Fachleuten, man hat auf diesem Gebiet viel zur Aufklärung der traurigen Raubund Vernichtungsaktionen deutscher Spezialkommandos in West- und Osteuropa beigetragen und wird auch angesichts der noch offenen Ansprüche jüdischer Organisationen und Privatpersonen noch Vieles aufarbeiten müssen. Ich erwähne diesen Umstand, weil unter dem Eindruck des „Runden Tisches“ von 1992 vorgesehen war, den gegenseitigen Zugang zu Informationsquellen (Archive) und Kulturgüterbeständen zu gewähren. Um sensibel und einfühlsam vorzugehen, wurden Einzellösungen gegenüber Gesamtlösungen auf die Tagesordnung gesetzt und ein schrittweises Vorgehen präferiert. Wir alle, die wir um Verhandlungslösungen bemüht waren, haben versucht, uns auf die russischen Befindlichkeiten und die russische Mentalität einzustellen; was hier – in einem solchen Beitrag – möglicherweise wie ein taktisches Kalkül wirkt, hat in Russland eine ganz andere Dimension. Das intensive Ringen um die äußerst sensiblen und schmerzlichen Fragen der Kulturgüterrückführung brachte es zwangsläufig mit sich, dass man die „Verhandlungspartner“ besser kennen und schätzen lernte. Wer mit russischen Verhältnissen vertraut ist, weiß, dass die persönliche Komponente bei Gesprächen und Verhandlungen in der russischen Mentalität immer eine weit gewichtigere Rolle gespielt hat, als es etwa in den westlichen Ländern üblich ist. Auch dies haben wir gelernt, und obwohl die Bilanz der Verhandlungen unter dem Strich bescheiden erscheint, kann man auch heute noch sagen, dass die persönlichen und fachlichen Kontakte zwischen den Protagonisten seit dieser Zeit stabil geblieben und von gegenseitiger Achtung gekennzeichnet sind – ein Umstand, der unsere Expertengruppe „Bibliotheken“ wohl von den anderen Fachgruppen bis heute unterscheidet. Das bedeutet auch, dass man bei Bedarf die nach wie vor nicht aufgelösten Fachgruppen jederzeit wieder für gezielte und koordinierte Verhandlungen reaktivieren könnte – ein nicht zu unterschätzendes Potenzial! Vom 9. bis 10. Februar 1993 fand in Dresden die gemeinsame Sitzung der Regierungskommission der Bundesrepublik Deutschland und der Russischen Föderation zu Fragen der beiderseitigen Rückführung von Kulturgütern statt. Die Verhandlungen wurden von deutscher Seite durch den Bundesminister des Inneren, Herrn Rudolf Seiters, und von russischer Seite durch Jewgenii Jurjewitsch Sidorow, den Minister für Kultur der Russischen Föderation, geleitet. Auch die Bundesländer waren in der deutschen Delegation durch Staatsminister und Senatoren vertreten. Auf dieser Sitzung der Regierungskommission bestand noch Einigkeit darüber, dass die bisher geschlossenen Verträge auf dem Gebiet der Rückführung eingehalten werden sollen. So heißt es im Protokoll dieser Sitzung: „Beide Seiten stellen fest, dass mit dieser gemeinsamen Sitzung die Verhandlungen über beiderseitige Rückführungen offiziell aufgenommen wurden. Sie bekräf-
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tigten in diesem Zusammenhang ihr Bestreben, gemäß der Verpflichtung des Artikels 16 Absatz 2 des Vertrags vom 09. 11. 1990 über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit darauf hinzuwirken, dass verschollene und unrechtmäßig verbrachte Kulturgüter, die sich auf ihrem Territorium befinden, an den Eigentümer oder seinen Rechtsnachfolger zurückgegeben werden. Beide Seiten verweisen in diesem Zusammenhang auch auf Ziffer 11 der Gemeinsamen Erklärung von Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl und Präsident Boris Jelzin vom 21. November 1991 sowie auf Artikel 15 des Abkommens zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Russischen Föderation über Kulturelle Zusammenarbeit vom 16. Dezember 1992 … … Beide Seiten unterstreichen, dass sie die Verhandlungen zu dem Zweck der Erzielung praktischer Vereinbarungen in der Frage der gegenseitigen Rückführung von Kulturgütern im Sinne des Artikel 16 Absatz 2 des Vertrages vom 09. 11. 1990 als einen bedeutsamen Bestandteil der Bestrebungen betrachten, die darauf gerichtet sind, den deutsch-russischen Beziehungen eine neue Qualität zu verleihen und zu einer engen und vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Russischen Föderation beizutragen. In diesem Zusammenhang bekräftigten sie den beiderseitigen Willen, den Verhandlungsprozess in dieser Frage intensiv, umfassend und in der Absicht zu führen, möglichst bald zu konkreten Regelungen zu gelangen.“ Ich zitiere diesen Abschnitt aus dem Protokoll vor allem, um deutlich zu machen, dass zum damaligen Zeitpunkt großer Anlass zu Optimismus bestand. Auf dieser Sitzung der Regierungskommission wurden auch Verfahrensfragen geklärt, unter anderem die Einsetzung einer Gemeinsamen Kommission zur beiderseitigen Rückführung von Kulturgütern und die Einsetzung von Fachgruppen für die Bereiche Archive, Bibliotheken, Museen/Sammlungen und für Rechtsfragen unterhalb der Gemeinsamen Rückführungskommission. Die Mitgliederzahl der Fachgruppen wurde auf fünf Personen auf jeder Seite begrenzt. Die Fachgruppen sollten einbzw. zweimal zwischen den Sitzungen der Regierungskommission tagen und Vorschläge in die Arbeit der Kommission einbringen. Schon auf dieser konstituierenden Sitzung der Gemeinsamen Regierungskommission wurde festgestellt: „Beide Seiten werden bestrebt sein, bezüglich der Kulturgüter, die Gegenstand der Rückführung sind oder sein sollen, den gegenseitigen Informationsaustausch auszubauen und nach Möglichkeiten den Zugang von Fachleuten und Experten beider Länder zu solchen Kulturgütern zu erleichtern. Es wurde die Bereitschaft geäußert, bei der Durchführung dieser Arbeiten gegenseitige Hilfe mittels einer breiten Einbeziehung von Fachleuten und Experten beider Länder zu leisten.“ In der Zwischenzeit versuchte eine Gruppe von Fachleuten unter Leitung von Prof. Lehmann die Sondierungsarbeiten zur Lokalisierung von kriegsbedingt nach
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Russland verbrachten deutschen Beständen weiterzuführen und durch breit angelegte Kontaktaufnahme den wichtigen Informationsfluss zwischen beiden Seiten zu intensivieren. Es soll an dieser Stelle betont werden, dass diese Arbeit nie einseitig auf die Lösung von Restitutionsproblemen abzielte, sondern dass wir unsere Mission auch stets (und dies gilt bis heute) in der Verbesserung der Beziehungen auf dem Gebiet des Bibliothekswesens zwischen Russland und Deutschland gesehen haben. So reagierten wir selbstverständlich positiv auf Bitten der russischen Verhandlungskollegen, speziell des Russischen Ministeriums für Kultur, Informationsund Vortragsreisen durch Russland zu unternehmen, um einerseits den russischen Kollegen etwas über das deutsche Bibliothekswesen zu vermitteln und gleichzeitig bei Kollegen und Bibliotheken in Russland für die Rückgabe deutscher Bestände zu werben. Von großem Erfolg gekrönt war vor allem die Reise von Prof. Lehmann und Dr. Landwehrmeyer nach Moskau, Smolensk, Wladimir, Tjumen und Tobolsk und später weitere Reisen zum Beispiel nach Petropawlowsk Kamtschatski. Neben der Vermittlung von Kenntnissen über das deutsche Bibliothekswesen spielten die Reisen als vertrauensbildende Maßnahmen eine nicht zu unterschätzende Rolle und dienten der Anknüpfung vieler Fachkontakte sowie dem Sammeln von Erkenntnissen über die Aufbewahrungsorte von sogenannten „Beutebeständen“ in der Russischen Föderation. Ein wichtiger Bestandteil dieser Aufklärungs- und Sondierungsarbeit war auch ein Zusammentreffen unserer kleinen Delegation mit dem damaligen Minister für Kultur der Russischen Föderation, Herrn Sidorow. Während dieser Besprechung konnten wir die Bitte um Unterstützung für die ersten gemeinsamen Pilotprojekte auf dem Gebiet des Bibliothekswesens vorbringen. Gleichzeitig konnten wir auf die ersten im großen Maßstab angelaufenen deutschen Hilfsprogramme für russische Bibliotheken verweisen. Außerdem wurde in Übereinstimmung mit den Vereinbarungen der Gemeinsamen Regierungskommission von Prof. Lehmann eindringlich die Bitte um Zugang für deutsche ausgewählte Spezialisten zu den „Spezialsammlungen“ von „Beutebüchern“ in russischen Bibliotheken vorgetragen. Was Herr Sidorow (nachzulesen in einem gemeinsamen Protokoll) zusicherte. An dieser Stelle sei erwähnt, dass im Laufe der langjährigen Verhandlungen mehrere solcher Gespräche mit den russischen Ministern für Kultur, Herrn Sidorow, Herrn Jegorow und zuletzt Herrn Schwytkoi stattfanden, was einiges über das Ansehen der von Prof. Lehmann geleiteten Fachgruppe „Bibliotheken“ aussagt. Prof. Lehmann dokumentierte den damaligen Stand der Verhandlungen in seinem ZfBB-Artikel „Deutsche und osteuropäische Bibliotheken zwischen Vergangenheit und Neuanfang“, einem auch aus heutiger Sicht noch lesenswerten Beitrag. Ende Oktober 1993 gelang einer kleinen Gruppe deutscher Fachleute eine sensationelle Sondierungsreise. Wir bekamen Zugang zu dem „Geheimtresor“ der Rus-
„DIE UNENDLICHE GESCHICHTE?“ Fachgruppe „Bibliotheken“ bei der Unterzeichnung des Abschlussprotokolls in Frankfurt a. M. 30. November 1993; im Vordergrund am Tisch v. l.: Prof. Lehmann (DDB), Herr Saizew (RNB St. Petersburg)
sischen Staatsbibliothek in Moskau und konnten erstmalig die Gutenbergbibel, die Klemmsammlung und weitere vermisste Zimelien in Augenschein nehmen. Was sich an dieser Stelle möglicherweise als Selbstverständlichkeit darstellt, war eine äußerst sensible und fragile Angelegenheit; tägliche Rückversicherungen und intensive Gespräche, um „Genehmigungen“ für fast jede Bewegung unserer Fachleute zu erlangen, mussten mit den Instanzen im Russischen Kulturministerium geführt werden. Das Misstrauen war noch groß. Am 29. und 30. November 1993 fand dann die erste Sitzung der Deutsch-Russischen Expertengruppe Bibliotheken der Gemeinsamen Regierungskommission zur gegenseitigen Rückführung von Kulturgütern statt. Von russischer Seite war Herr Wladimir Nikolajewitsch Saizew, Direktor der Russischen Nationalbibliothek zum Co-Vorsitzenden des russischen Teils der Fachgruppe „Bibliotheken“ ernannt worden. Entsprechend den Regularien nahmen neben den regulären Mitgliedern der Expertengruppe auch diverse Vertreter von Pilotprojekten teil. Die Zusammenarbeit auf bibliothekarischer Ebene und die Vorarbeiten waren zu jenem Zeitpunkt so weit fortgeschritten, dass man sich bereits auf der ersten Sitzung mit sehr konkreten Projekten beschäftigen konnte und nicht nur mit der Klärung allgemeiner Verfahrensfragen befasst war. Beide Seiten forderten in dem gemeinsamen Protokoll: „Gewährleistung des unbegrenzten Zugangs zu Katalogen, Magazinen und Archiven der staatlichen Bibliotheken für Fachleute, die durch die Expertengruppe bestimmt werden. … Die Gewährung des Zugangs zu staatlichen Archiven sowie die Unterstützung bei der Suche nach Dokumenten zu Restitutionsfragen in privaten Archiven wird für notwendig erachtet. Beide Seiten werden die vorhandenen Daten und Materialien austauschen.“ Gleichzeitig wird die bereits vorbereitete Rückgabe der Reste der Gothaer Bibliothek befürwortet. Zwei weitere Pilotprojekte
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INGO KOLASA Lockere Fortsetzung der Fachgruppengespräche auf der Datscha von Frau Geniewa (Bibl. f. Ausländische Literatur Moskau). Prof. Lehmann und Dr. Landwehrmeyer beim Anheizen eines echten russischen Samowars
mit der Staatlichen Öffentlichen Historischen Bibliothek Russlands und der Allrussischen Staatlichen Bibliothek für Ausländische Literatur werden gebilligt und sollen forciert werden. Auch die Russische Nationalbibliothek in St. Petersburg bekundet den Willen zur Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Restitution mit Bibliotheken in Bremen, Lübeck, Hamburg und Magdeburg. In Folge dieser ersten Gemeinsamen Expertengruppensitzung Bibliotheken konnten der Gemeinsamen Regierungskommission bereits sehr konkrete Vorschläge unterbreitet werden. Im Januar 1994 fand eine Bund-Länder-Sitzung zur Vorbereitung der Regierungskommissionssitzung in Moskau statt, auch hier flossen die Ergebnisse der Expertengruppenverhandlungen in die gemeinsame Strategiefindung ein. Am 23. und 24. März 1994 fand die 1. Sitzung der Gemeinsamen deutsch-russischen Kommission zur beiderseitigen Rückführung von Kulturgütern in Moskau statt. Co-Vorsitzender auf deutscher Seite war der Bundesminister des Auswärtigen der Bundesrepublik Deutschland, Dr. Klaus Kinkel, und Co-Vorsitzender von russischer Seite war Herr Jewgeni Jurjewitsch Sidorow, Kulturminister der Russischen Föderation. Auch im Protokoll dieser Sitzung berief man sich auf die bilateralen Abkommen von 1990 und 1992 und bekräftigte die Absicht der gegenseitigen Restitution von
„DIE UNENDLICHE GESCHICHTE?“ Rast auf einer Fahrt zur Gebietsbibliothek in Smolensk. Prof. Lehmann (DDB) im Gespräch mit dem Leiter der Abteilung Bibliotheken im Russischen Ministerium für Kultur, Herrn J. I. Kuzmin
kriegsverbrachten Kulturgütern, beauftragte aber auf Wunsch der russischen Seite die Fachgruppe für Rechtsfragen der Gemeinsamen Kommission, „Vorschläge bezüglich der Rechtsauslegung der Vereinbarungen, die in den oben erwähnten beiderseitigen Dokumenten festgelegt sind sowie Empfehlungen für effektive Verfahrensregeln zu ihrer zügigen Umsetzung auszuarbeiten.“ Aus deutscher Sicht waren die geschlossenen völkerrechtlichen Verträge eindeutig, was die russische Seite nun plötzlich anders sah. Man war der Ansicht, die Verträge wären zu allgemein gehalten und bedürften einer „genaueren Interpretation“. Außerdem dürften die Rückführungsprozesse nach russischer Ansicht nicht einseitig verlaufen. Bereits zu diesem Zeitpunkt setzte ein schleichender Prozess ein, der darin mündete, dass die russische Seite nicht bereit war, die von ihr freiwillig abgeschlossenen und völkerrechtlich verbindlichen Verträge zu erfüllen. Es gab aber auch positive Tendenzen: So forderte man die Intensivierung der Expertengruppenarbeit, um konkrete Projektvorschläge zu unterbreiten, und die „listenmäßige Erfassung von Kulturgütern, die Gegenstand der Rückführung sein können“. Beide Seiten verpflichteten sich, Experten den freien Zugang zu diesen Kulturgütern an ihrem Aufbewahrungsort zwecks Durchführung einer gemeinsamen Identifizierung und Anfertigung spezialisierter Expertisen zu gewähren und dafür günstige Arbeitsbedingungen zu schaffen. Weiterhin sollte der illegale Verkauf von relevanten Kulturgütern unterbunden werden. Die russische Seite verkündete, dass man die Rückgabe der Gothaer Buchbestände und der sogenannten Baldin-Sammlung „den höchsten staatlichen Organen der Russischen Föderation“ empfohlen habe. Der russische Kulturminister hob während der Verhandlungen die sehr gute Zusammenarbeit der Expertengruppe „Bibliotheken“ hervor und
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stellte ihre Arbeit als konstruktiv und beispielgebend heraus. In der Tat konnte nur die Expertengruppe „Bibliotheken“ auf konkrete Fortschritte verweisen. Ein weiterer großer Durchbruch aus deutscher Sicht war dann auch die zweite Mission einer ausgewählten Gruppe von Fachleuten zur Sichtung und Lokalisierung von „Beutebeständen“ in der russischen Nationalbibliothek St. Petersburg vom 16. bis 23. April 1994. Es konnten Inkunabeln und Handschriften aus Hamburg, Lübeck und Halberstadt lokalisiert und identifiziert werden. Die Recherchen vor Ort waren nicht immer einfach und von beiden Seiten mit vielen Emotionen begleitet. Auch nach dieser zweiten Sondierungsreise blieben natürlich noch viele Fragen offen. Allen Beteiligten war klar, dass dies nur ein Anfang gewesen sein konnte. Vom 16. bis 17. Juni 1994 fand in St. Petersburg die zweite Sitzung der Deutsch-Russischen Expertengruppe Bibliotheken der Gemeinsamen Regierungskommission zur gegenseitigen Rückführung von Kulturgütern statt. Bereits in dieser zweiten Sitzung musste im gemeinsamen Protokoll festgestellt werden, dass beide Seiten „ihre Unzufriedenheit darüber zum Ausdruck (bringen), dass die effektive Arbeit der Expertengruppe in Russland keine Fortsetzung auf staatlicher Ebene findet.“ In der Tat war es so, dass von Seiten der Expertengruppe eine Reihe von „Pilotprojekten“ vorbereitet worden waren, die jeder Zeit ohne große Probleme hätten umgesetzt werden können, aber von den staatlichen russischen Stellen gab es keine Genehmigung dafür, obwohl auf der Fachebene beide Seiten vehement für eine Realisierung plädierten. Die ersten Pilotprojekte bezogen sich meist auf relativ unspektakuläre Sammlungen, überwiegend Dubletten bzw. Literatur, die auf russischer Seite nicht benötigt wurden. Einige der Projekte waren soweit gediehen, dass die Bestände fertig verpackt nur noch auf eine Ausfuhrgenehmigung warteten. Der Ansatz der Expertengruppe bestand darin, einen Anfang für echte Restitutionen zu finden, ohne dabei gleich die emotional umstrittenen „Spitzenkulturgüter“ zum Verhandlungsthema zu machen. Es ging darum, von beiden Seiten akzeptierte Mechanismen und Abläufe zu finden, die für weitere Restitutionsprozesse als Leitfaden hätten dienen können. Außerdem legten wir allergrößten Wert darauf, Vertrauen aufzubauen und gegenseitiges Verständnis für die Schwierigkeiten der jeweils anderen Seite zu wecken. Dies war ein Prozess, der sich unabhängig von den negativen Entwicklungen im politischen Bereich über die nächsten Jahre sehr günstig entwickeln sollte. Auch auf dieser Sitzung der Expertengruppe stand der Zugang zu den Beständen und zu den einschlägigen Informationsmitteln auf der Tagesordnung. Von deutscher Seite stellte die Forschungsstelle Osteuropa in Bremen Informationen zur Verfügung, die die russischen Kollegen benötigten. Es wurde auch die Idee geboren, ein ständiges Informationsbüro an der Russischen Nationalbibliothek zu schaffen, welches die gegenseitige Suche nach vermissten Kulturgütern koordinieren sollte – ine Einrichtung, die angesichts der politischen
„DIE UNENDLICHE GESCHICHTE?“ Nach einer Bootsfahrt auf dem „Irtysch“
Gesamtentwicklung leider nie richtig zum Tragen kam. Die deutsche Seite setzte konsequent ihre Bemühungen fort, die Verhandlungen nicht nur auf die Restitution zu beschränken, sondern parallel die Beziehungen im Bereich des Bibliothekswesens zu verbessern. Es wurden gemeinsame Seminare auf der Leipziger Buchmesse organisiert, das Deutsche Bibliotheksinstitut legte ein Programm zur Weiterbildung russischer Bibliothekare auf, es wurden Aktivitäten über die neu geschaffene Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Unterstützung der osteuropäischen und russischen Bibliotheken vorgestellt. Auch durch diese Sitzung der Expertengruppe Bibliotheken konnten diverse Vorschläge an die deutsch-russische Regierungskommission weitergeleitet werden, gleichzeitig musste Prof. Lehmann als Leiter der Gruppe feststellen: „Ich werde besonders die mangelnde Umsetzung der Empfehlungen auf Regierungsebene ansprechen sowie die von uns definierten Einzelprojekte“. Ein dementsprechender Bericht mit den verschiedenen Vorschlägen und Pilotprojekten wurde an die Regierungskommission weitergeleitet. Die nächste Sitzung der deutsch-russischen Regierungskommission fand am 29. und 30. Juni 1994 in Bonn statt. Geleitet wurden die Verhandlungen von russischer Seite durch den Stellvertretenden Kulturminister der Russischen Föderation, Herrn Michail J. Schwytkoi, und von deutscher Seite vom Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Dr. Jürgen Trumpf. Die bedenklichen Tendenzen, die sich bereits
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INGO KOLASA Auf der Fahrt nach Smolensk, Besuch des Anwesens der Familie Glinka (des berühmten russischen Komponisten). Vorn, v. l.: Prof. Lehmann, Herr Kuzmin, Frau Geniewa, die Leiterin der Smolensker Bibliothek, Dr. Landwehrmeyer
bei den letzten Regierungsverhandlungen angedeutet hatten, setzten sich auch bei diesen Verhandlungen fort. Herr Schwytkoi verwies auf die unterschiedlichen – sich immer weiter auseinander entwickelnden – Rechtsauffassungen zu den abgeschlossenen Verträgen, aber auch zu den grundsätzlichen völkerrechtlichen Grundpositionen zum Thema Restitution. Er beklagte sich außerdem über die allgemeine Stimmungslage zum Thema Restitution in Deutschland und Russland und meinte, „wir verspüren den Atem der Patrioten beider Seiten im Genick“, womit er vermutlich in erster Linie die erstarkten nationalistischen Tendenzen in Russland und ihre Auswirkung in der Duma und dem Föderationsrat meinte. Erstmalig unterstrich die russische Seite, neben den rechtlichen Aspekten, dass nach ihrer Ansicht der Prozess der Restitution ein beiderseitiger und ausgewogener sein müsste. Man muss hier anmerken, dass den Experten und Politikern beider Seiten bewusst war, dass es eine starke Asymmetrie bei den relevanten Kulturgütern gibt. Die russischen Truppen hatten nach ihrem Sieg natürlich mit größter Gründlichkeit auch jene russischen Kulturgüter wieder zurückgeführt, die durch deutsche Spezialeinheiten in ganz Europa geraubt worden waren, außerdem waren die Verluste im Bereich der russischen Kulturgüter in die Ermittlung der Reparationsleistungen Deutschlands an die Alliierten, insbesondere an die Sowjetunion, eingeflossen und beglichen worden. Und nicht zuletzt wurde eine sehr große Zahl von russischen Kulturgütern über die amerikanischen „Collecting Points“ an die Sowjetunion zurückgegeben. Leider kamen viele dieser Kunstschätze nie an den ursprünglichen Aufbewahrungsorten an, sondern wurden von der Sowjetunion „umverteilt“, ein Umstand, der erst durch neuere Forschungen belegt werden konnte und bei vielen russischen Kollegen die Überzeugung geschürt hatte, dass man von den amerikanischen Verbündeten nichts zurückbekommen hätte. Wenn die russische Seite nun
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auf eine „ausgewogene“ und „gegenseitige“ Rückführung drängte, zeichnete sich bereits die Tendenz zu einer „restitution in kind“ ab, was de facto auf einen Rückkauf oder einen „gleichwertigen“ Rücktausch der geraubten Kulturgüter hinauslief, wobei die russische Seite bis heute davon ausgeht, dass die Bundesrepublik relevante russische Kulturgüter auf den Auktionen dieser Welt erwirbt, um sie dann „gleichberechtigt“ bzw. „gleichwertig“ gegen die von uns gesuchten Kulturgüter zurücktauscht, quasi eine nachträglich verhängte einseitige Reparationszahlung, Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Tendenz zu Kompensationen von deutscher Seite zog sich durch die gesamten Verhandlungen. Es wurde deutlich, dass sowohl das russische Kulturministerium als auch der amtierende Kulturminister und die russische Regierungskommission unter starken Druck der beiden Parlamentskammern und einer nationalistischen Öffentlichkeit gerieten. Dies wurde insbesondere in der Argumentationslinie der russischen Expertengruppe für Rechtsfragen deutlich. In der Absicht, die zwischen der Russischen Föderation und der Bundesrepublik existierenden Verträge als „ungenau“ oder „zu präzisieren“ darzustellen, wurden die abenteuerlichsten „Rechtsauslegungen“ herangezogen, man stritt um die Fragen: Was versteht man unter verschollenen Kulturgütern?, Was sind eigentlich „unrechtmäßig verbrachte Kulturgüter?“, es wurde von russischer Seite auf geheime Beschlüsse des alliierten Kontrollrates verwiesen, die man aber nicht vorlegen wollte, der Geltungsbereich von internationalem Völkerrecht wurde teilweise bzw. ganz in Frage gestellt, was letzten Endes darauf hinauslief, dass die Ausfuhr der Kulturgüter aus Deutschland rechtens gewesen wäre und man gar nicht von „unrechtmäßig verbrachten Kulturgütern“ reden könne. Auch die Frage des Zugangs zu den Depots und Magazinen wurde wieder auf die Tagesordnung gebracht. Es hatte sich in der Zeit seit der letzten Sitzung der Regierungskommission gezeigt, dass dieses Recht auf Zugang zu den Beständen – mit Ausnahme im Bereich der Bibliotheken – nicht funktionierte und am Widerstand russischer Museumsdirektoren scheiterte, die plötzlich schriftliche Einzelerlaubnisse von ihrem Minister für jede Sammlung vorgelegt haben wollten. Es zeigte sich, dass selbst in der elementaren Frage des Zugangs zu den vermissten Beständen bis auf wenige Ausnahmen kein Fortschritt erzielt werden konnte. Die vorherrschende Meinung in der russischen Öffentlichkeit zur Frage der geraubten Kulturgüter, die immer noch von den Propagandalegenden aus Stalinbzw. Sowjetära geprägt ist, veranlassten unsere Expertengruppe auch über vielleicht auf den ersten Blick absonderliche Projekte nachzudenken. So versuchten wir im Juli 1994 zusammen mit Partnern aus der Moskauer Bibliothek für Ausländische Literatur die Finanzierung eines Dokumentarfilms zu organisieren, der von einem russischen Filmteam für einen unabhängigen russischen privaten Fernsehkanal (damals gab es so etwas noch) produziert werden sollte. Anliegen dieses Films sollte es
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sein, auf der Grundlage von Dokumenten und Berichten von noch lebenden Zeitzeugen, sachlich und gut recherchiert etwas über die Arbeit der Trophäenkommissionen und das ungelöste Problem der „letzten Geiseln“ des Zweiten Weltkriegs zu berichten. Obwohl das vorgelegte Konzept schlüssig war und die Kosten auf bescheidenem Niveau lagen, gelang es uns nicht, die deutschen Instanzen zur Realisierung (und vor allem Finanzierung) dieses Projekts zu bewegen. Bis zum heutigen Tag ist das mangelnde Wissen in der russischen Öffentlichkeit und auch bei den russischen Kollegen ein Grund für die festgefahrenen Ansichten zum Thema Restitution. Dass die russische Seite nach wie vor ihren eigenen Wissenschaftlern den Zugang zu den Dokumenten der Trophäenkommissionen verweigert und es andererseits aus Mangel an Forschungsmitteln auf Seiten russischer Fachleute kaum Interesse an der Aufarbeitung dieses problematischen Teils der russischen Geschichte gibt, daran wird sich wohl auf absehbare Zeit kaum etwas ändern. Bedauerlicherweise werden Publikationen ausländischer Kollegen zu diesem Thema häufig als „antirussische Propaganda“ und als „Fälschungen“ angesehen. Selbst die in unseren Publikationen abgebildeten russischen Originaldokumente werden mitunter als Manipulationen bezeichnet. Im November 1994 schrieb Prof. Lehmann in einem Brief an den russischen Kulturminister auch von „lähmenden Stagnationen“ in den Verhandlungen und bat um Unterstützung für Einzelprojekte, vor allem um die Rückgabe der Reste der Gothaer Bibliothek. Nach der demonstrativen Übergabe von vier Büchern durch Minister Sidorow an Außenminister Kinkel war man davon überzeugt, dass nun dieses seit drei Jahren vorbereitete Projekt wenigstens zum Abschluss kommen würde. Diese Hoffnung hat sich bis heute nicht erfüllt. Ungeachtet der sich abzeichnenden, immer größer werdenden Schwierigkeiten in den Verhandlungen mit Russland auf der Regierungsebene, wurde auf der Expertenebene weiter gearbeitet. Vom 28. bis 29. November 1994 fand in Stuttgart die dritte Sitzung der Deutsch-Russischen Expertengruppe Bibliotheken der Gemeinsamen Regierungskommission statt. Erneut und mit Nachdruck stellte die Gruppe fest, „dass die Arbeit der Expertengruppe Bibliotheken konstruktiven Charakter trägt und die kulturelle Zusammenarbeit zwischen Russland und der Bundesrepublik Deutschland fördert. Beide Seiten bringen ihre Unzufriedenheit darüber zum Ausdruck, dass die effektive Arbeit der Expertengruppe in Russland keine Fortsetzung auf staatlicher Ebene findet.“ Die Zahl der vorbereiteten Pilotprojekte hatte mittlerweile einen beachtlichen Umfang erreicht. Komplette Sammlungen warteten verpackt auf Ausfuhrgenehmigungen, es wurden Kataloge und Karteien über vermisste Sammlungen ausgetauscht, es fanden diverse Projekte zur Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen russischen und deutschen Bibliotheken statt, Partner-
„DIE UNENDLICHE GESCHICHTE?“ Über den Dächern von Tbilissi bei den ersten Sondierungsverhandlungen mit Georgien; v. l.: Frau Winkler (Auswärtiges Amt), Prof. Lehmann, Dr. Ingo Kolasa
schaftsverträge wurden abgeschlossen, die Hilfsprogramme für russische Bibliotheken wurden weitergeführt. Vom 30. 11. bis zum 2. 12. 1994 fand in Bremen eine Fortsetzung des „Runden Tisches“ zwischen deutschen und russischen Bibliothekaren unter dem Motto „Kriegsbedingt verlagerte Kulturgüter als kulturelles Erbe des Zweiten Weltkriegs – Dokumentation und Recherche der Verluste“ statt. Dieses Motto war gut gewählt, denn seit Beginn der Stagnation in den Verhandlungen auf der Regierungsebene war man auf der Fachebene zwangsläufig, neben der Vorbereitung der Pilotprojekte, verstärkt dazu übergegangen, in möglichst großem Stil die vermissten Kulturgüter zu lokalisieren und zu identifizieren. Wir gingen davon aus, dass uns dies nach einer möglichen Regelung auf Regierungsebene die praktische Rückführungsarbeit erleichtern könnte. Da sich in der gesamtpolitischen Entwicklung in Russland abzuzeichnen begann, dass das nationalistisch dominierte Parlament, die Duma, sich immer stärker in der Rückführungsproblematik im Sinne der Schaffung einer Gesetzesinitiative engagierte, beschloss Prof. Lehmann im Dezember 1994, den Versuch zu unternehmen, im Komitee für Wissenschaft, Bildung und Kunst, speziell dem Unterkomitee Kunst, vorzusprechen und unseren Standpunkt auch dort vorzutragen. Dieses Gespräch kam auch tatsächlich zustande. Wir nutzten die Gelegenheit, unsere Projekte vorzustellen und um Unterstützung zu werben. Der Vorsitzende des Unterausschusses, Herr Seslawinski, hörte uns an, zeigte sich auch in der Sache relativ gut informiert, verwies aber auf die öffentliche Meinung in Russland, von der er
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meinte, „sie würde mit der Demokratisierung nicht Schritt halten“. Wir haben in diesem Gespräch deutlich gemacht, dass auch das russische Parlament einiges zur Aufklärung der Sachverhalte in der Öffentlichkeit beitragen könne und verwiesen auf die Dokumente der Trophäenkommissionen, die immer noch nicht frei zugänglich sind. Man gab uns in dieser Frage Recht, meinte aber, „dass dies alles eine gewisse Zeit erfordern würde“. Grundsätzlich nahm man unsere Vorschläge und Erwägungen zwar zur Kenntnis, verwies aber auf die geltende russische Gesetzgebung bzw. gleichzeitig auf das Fehlen eines nationalen Gesetzes über diese Kulturgüter. Unser vorsichtiger Hinweis auf völkerrechtlich verbindliche Verträge wurde mit der Bemerkung abgetan, dies sei eine Frage der nationalen Gesetzgebung und ausschließlich Angelegenheit der Russischen Föderation. Obwohl das Zustandekommen dieses Gesprächs von uns bereits als Erfolg gewertet wurde, ergaben sich leider aus diesen Kontakten keine weiterführenden Gespräche und auch keine messbaren Konsequenzen. Ungeachtet der sich immer bedrohlicher abzeichnenden Aktivitäten der russischen Regierung, ein Gesetz zu schaffen, dass die Mehrzahl der während und nach dem Krieg aus Deutschland verbrachten Kulturgüter zum Eigentum der Russischen Föderation zu erklären versuchte, waren wir weiter bemüht, die Arbeit auf der Fachebene voranzutreiben. Vom 10. bis 13. Juni 1996 fand die 4. und bisher letzte Sitzung der Gemeinsamen Expertengruppe „Bibliotheken“ in Moskau statt. Das Ergebnis der langjährigen Bemühungen um die Lösung von Rückführungsfragen mündete in einem gemeinsamen „Memorandum der russisch-deutschen Fachgruppe Bibliotheken über die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Rückführung von Büchersammlungen, die als Ergebnis des Zweiten Weltkrieges verlagert worden sind“. Dieses Memorandum, abgedruckt im Heft 8–9/1996 der Zeitschrift „Bibliotheksdienst“, hat Prof. Lehmann zum Anlass genommen, um zu diesem Memorandum und zur Arbeit der Expertengruppe Stellung zu nehmen. Er schrieb damals angesichts der drohenden Verabschiedung des russischen Beutekunstgesetzes: „Aber die Fachgruppe glaubt noch immer an die Kraft der Argumente und die Notwendigkeit, über die Zusammenhänge aufzuklären.“ Gleichzeitig musste er feststellen: „Bis jetzt sind größere Buchsammlungen aus Russland noch nicht zurückgekehrt. Die Zeit wurde jedoch genutzt, um die deutschen Bibliotheksbestände auf Grund von Geheimdokumenten, recherchiert in den verschiedenen Archiven, zu lokalisieren. Das ist für rund 80 % der Bestände möglich gewesen. Außerdem konnten erfolgreiche Verhandlungen mit Georgien über die Rückführungen abgeschlossen und mit der Ukraine aufgenommen werden.“ Leider hat das Memorandum der gemeinsamen Expertengruppe das russische Beutekunstgesetz nicht verhindern können, trotzdem konnten wir einiges zur Auf-
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klärung und zur Verbesserung der Beziehungen zwischen den Bibliotheken beider Länder leisten. Obwohl die Fachgruppenarbeit keine offizielle Fortsetzung gefunden hat, wurde auf den oben genannten Betätigungsfeldern intensiv weitergearbeitet. Neben Georgien und der Ukraine konnten auch in Armenien bei der Rückführung Erfolge erzielt werden. Beschämend ist natürlich, dass wir nach 13 Jahren immer noch um den Zugang zu einzelnen Sonder-Magazinen kämpfen, dass der Zugang zu den russischen Archiven nach wie vor nicht gegeben ist, und dies trotz mehrfacher Zusagen aller bisher involvierten russischen Kulturminister. Der Zugang zu den Musikalienbeständen in der Handschriftenabteilung der Russischen Staatsbibliothek ist uns kürzlich wieder verwehrt worden. Um einen Zugang zu den Beständen des Glinka-Museums mussten wir eineinhalb Jahre kämpfen. Von der Lösung der Restitutionsproblematik sind wir meiner Ansicht nach weiter entfernt als in der ersten Hälfte der 90er Jahre. Die russische Haltung ist bekannt, man vermisst aber auch von deutscher Seite eine geschlossene, abgestimmte Politik zu dieser Problematik. Auf der obersten Regierungsebene scheint das Problem angesichts von wirtschaftlichen Interessen – jenseits von Öl- und Gasgeschäften und geostrategischen Überlegungen – weit in den Hintergrund gerückt zu sein. Gerade diese nicht sichtbar konsequent koordinierte Politik auf dem Gebiet der Rückführung kriegsbedingt verlagerter Kulturgüter führt zu manchen sicher gut gemeinten, in der letzten Konsequenz aber wenig hilfreichen Aktivitäten. Man muss bei allen Bemühungen, auch auf der Fachebene, berücksichtigen, dass die Existenz des russischen Beutekunstgesetzes die Gesprächsund Verhandlungsprämissen grundlegend geändert hat. Da die Bundesrepublik dieses Gesetz nicht anerkennen kann und wird, weil es völkerrechtlich verbindlichen Verträgen widerspricht und weil sie nicht zuletzt die Interessen von staatlichen und privaten Rechtspersonen wahrzunehmen hat, muss man bei der Entwicklung von Vorschlägen und Projekten sehr bedacht vorgehen; manch wohlgemeinte Initiative kann von russischer Seite als de-facto-Anerkennung dieses Gesetzes ausgelegt werden. Selbst eine scheinbar positive Aktivität auf der Fachebene, wie ein Austausch von Dubletten oder so genannten „Reservefonds“, kann zu einem Politikum werden, sofern man bei der Rückgabevereinbarung eine Klausel vergisst, die erstens ausdrücklich darauf verweist, dass der Austausch nicht auf der Grundlage des russischen Beutekunstgesetzes stattfindet, oder zweitens auf die offiziellen Formulierungen des Auswärtigen Amtes zurückgreift. Die Lage hat sich nach der Verabschiedung des Gesetzes grundlegend geändert, dem muss man Rechnung tragen. So lange dieses Gesetz existiert, bleibt das Gesamtproblem ungelöst und man sollte nicht glauben, dass man daran etwas durch „Stiftungen“ oder scheinbar harmlose „Austauschaktionen“ ändern könnte. Es wäre dann wohl besser, das Problem auf fachlicher Ebene so lange ruhen zu lassen, bis sich auf staatlicher Ebene auf beiden
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Seiten die Erkenntnis durchsetzt, dass hier Handlungsbedarf besteht. In der Russischen Föderation gilt der Kulturminister als „Minister der dritten Kategorie“, und es war stets eine Illusion zu glauben, dass das grundsätzliche Problem auf dieser Ebene zwischen unseren beiden Ländern geklärt werden könnte. An dieser Stelle ist eine andere Ebene der Politik gefordert. Kürzlich war im Tagespiegel unter der Rubrik „40 Zeilen des Zorns“ ein Kommentar zu dem Prozess um die Affäre des „Beute-Gemäldes“ von Peter Paul Rubens „Torchance und Lucretia“ zu lesen, der mit folgenden Worten endete: „Nur bleibt alle Exegese fruchtlos, weil russischerseits der politische Wille fehlt, die völkerrechtlich gebotene Rückkehr erbeuteter und gestohlener Kunstwerke zu ermöglichen. Darin liegt der eigentliche Skandal …“ Dem ist eigentlich nur hinzuzufügen, dass auch auf deutscher Seite keine energischen Bemühungen auf der obersten politischen Ebene zu erkennen sind. Solange dies so bleibt und mit dem Erkenntnisstand vom November 2004, muss man auf der Fachebene klug agieren und die Zeit nutzen, um weiter Lokalisierungs- und Sondierungsarbeit zu leisten, ohne dabei politische Lösungen zu behindern.
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u Ende 2003 gaben etwa 30 Direktoren führender kunst- und kulturhistorischer Museen aus Europa und Nordamerika eine „Declaration on the Importance and Value of Universal Museums“ ab. Anlaß war eine sich häufende Zahl von Restitutionsforderungen aus Ursprungsländern von wichtigen Einzelstücken oder Kollektionen ihrer Sammlungen. Die Äußerung der Museen warb einerseits um Verständnis für ihre Haltung, alle Forderungen um Herausgabe individuell zu prüfen, und wies andererseits darauf hin, daß vor allem historisch gewachsene Museumssammlungen über einen mehrhundertjährigen Zeitraum entscheidend zu einem besseren Verständnis der Vielfalt und der gegenseitigen Achtung unterschiedlicher Zivilisationen beigetragen haben. Die parallel dazu in Großbritannien laufende Debatte über die „Elgin Marbles“ gab uns Anlaß, wiederum über die Rechtmäßigkeit unserer Eigentumsrechte an den eigenen Sammlungsbeständen, aber auch unserer eigenen Rückgabeforderungen nachzudenken. Dazu bedarf es eines Rückblickes in die Geschichte. In den möglichen Grenzen, die ja durch die von König Friedrich Wilhelm IV. geschaffene Freistätte für Wissenschaft und Kunst umrissen war, haben zwei Elemente den Berliner Erwerbungsalltag über seine 175-jährige Geschichte bestimmen können: einerseits der wissenschaftlich begründete Sammelauftrag, andererseits die selbst definierten Schranken. Gleichwohl waren den Begehrlichkeiten von Direktoren und Kustoden immer wieder Grenzen gesetzt, zumal das Budget nie ausreichte und im Extremfall zu Zeiten der Hitlerdiktatur die Sammlungen massiv verhaßte Kunst abgeben mußten. Dieses läßt sich besonders unter Verweis auf die von Kaiser Wilhelm II. abgeschmetterten Erwerbungen der damaligen Avantgarde und die zahlreichen Entnahmen, Verkäufe und Zerstörungen durch die Aktion „Entartete Kunst“ deutlich machen. Dennoch darf man festhalten, daß unsere Museen und deren Konzepte dauerhaft von einem Geiste einer grenzüberschreitenden Zivilisation geprägt waren, wie es die Widmung am Gebälk des Alten Museums seit der Einweihung 1830 bis heute verkündet: „ANTIQUITATIS OMNIGENAE ET ARTIUM LIBERALIUM“.
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Erwerbungspolitik Die Staatlichen Museen zu Berlin verstehen sich als Universalmuseum mit dem Auftrag, die sächlichen Zeugnisse der Menschheitsgeschichte zu sammeln, zu erforschen und der Öffentlichkeit durch Ausstellungen, Publikationen und Publikumsveranstaltungen zu vermitteln. Darüber hinaus sind aber auch die Museen auf der Museumsinsel selbst Weltkulturerbe, deren Architektur und deren heute 175jährige Geschichte immer die politischen Erwartungen, Hoffnungen, Aufschwünge und Katastrophen der Deutschen im Wechselspiel mit der übrigen Welt spiegelt. Die grundlegende Konzeption der preußischen Sammlungen, die sie zu Forschungs- und Bildungsstätten von internationalem Rang werden ließ, wurde von bedeutendsten Männern um Wilhelm von Humboldt im Auftrag von König Friedrich Wilhelm III. entworfen. Stark beeinflußt durch den Geist der Aufklärung und unter dem Eindruck des Pariser Louvre entwarf man den Plan, in Berlin ein öffentliches Museum zu errichten, das gleichermaßen unterhalten und bilden sollte und hohen wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht würde. Die Bestände kamen gleichermaßen aus den königlichen Schlössern und dem Kunsthandel, wobei der schon damals nicht so „wild“ war, wie man annehmen möchte. Ohne Kaufvertrag und Exporterlaubnis lief gar nichts, besonders bei Archäologica. Der Kirchenstaat in Italien hatte schon ab 1796, Griechenland ab 1834 den Antikenexport verboten. Man erwarb vielfach Kunstwerke aus historischen Sammlungen. Hinzu kam, daß man sich auf ein finanzkräftiges Bürgertum stützen konnte, das sich sowohl bei der Errichtung neuer Museen, dem Ausbau vorhandener Sammlungen als auch bei der Finanzierung von archäologischer und ethnologischer Feldforschung engagierte.
Archäologische Feldforschung und Erwerbungspolitik Bei den archäologischen Sammlungen ruhte anfangs das Interesse vor allem auf der griechisch-römischen Antike und dem alten Ägypten. Man sammelte angebotsbedingt Kleinkunst, bemalte Vasen und Skulpturen, bei letzteren häufig Kopien in Gips. Mit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts wurden die archäologischen Sammlungen durch monumentale Funde aus eigenen Grabungen bereichert, was zum Bau des Pergamonmuseums mit seiner einzigartigen Sammlung von Großarchitekturen der altorientalischen, griechisch-römischen und frühislamischen Kulturen führte. Die erste Ausgrabung des Deutschen Reiches wurde 1875 in Olympia durchgeführt. Dazu kamen das Markttor von Milet, der Pergamonaltar, Säulen, Kapitelle
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und Gebälkteile von Samos, Baalbek etc. Auch die anderen Abteilungen bauten ihre Bestände durch eigene Grabungen oder solche ihrer Förderervereine, besonders der Deutschen Orientgesellschaft, aus. Das Ägyptische Museum führte vor dem 1. Weltkrieg Grabungen in Amarna und Abusir durch, von wo viele Objekte durch Fundteilung nach Berlin gelangten, ebenso der größte Teil der Papyrussammlung. Vergleichbar auch die Anfänge des Vorderasiatischen Museums mit wichtigsten Fundteilungen aus Fara, Assur und Uruk. Besonders prominent ist Babylon, wo die mit Istanbul vereinbarte Fundteilung erst nach dem 1. Weltkrieg mit Zustimmung der irakischen Regierung im Jahr 1926 realisiert wurde. Diese Zeiten sind vorbei. Großarchitektur ist nicht mehr zu erwerben und die Ausgrabungen oder Rettungsaktionen mit dem angenehmen Nebeneffekt des materiellen Dankes sind die Ausnahme, namentlich Syrien mit Habuba Kabira, Tell Bi’a und Tell Scheich Hassan sowie Ägypten wegen der Unterstützung in Abu Simbel mit dem Kalabsha-Tor. Normalerweise aber verbleiben alle Funde und – zumindest in Kopie – auch die Grabungsdokumentationen im Grabungsland. Dagegen wird der archäologische Kunstmarkt von Angeboten bestimmt, deren Herkunft häufig genug Anlaß zum Zweifel geben. Dieses ist in vorzüglicher Weise in der Publikation „Illegale Archäologie“, herausgegeben von Wolf-Dieter Heilmeyer und Cornelia Eule (Berlin 2004), dargestellt. Auf Grund weltweiten Handels mit illegalen archäologischen Objekten und der damit verbundenen Verluste an Informationen und der Verwüstung von Fundstätten sah sich die UNESCO zum Handeln gezwungen. Am 14. November 1970 wurde in Paris die Konvention „Über Maßnahmen zum Verbot und zur Verhütung der unzulässigen Einfuhr, Ausfuhr und Übereignung von Kulturgut“ von der UNESCO-Generalkonferenz beschlossen, wonach Museen, Bibliotheken und Archive als kulturelle Einrichtungen dafür Sorge zu tragen haben, daß ihre Bestände nach weltweit anerkannten moralischen Grundsätzen angelegt werden. Auch wenn bis heute die Bundesrepublik Deutschland diese Konvention noch nicht ratifiziert hat, haben sich die Staatlichen Museen zu Berlin durch einen alle Mitgliedseinrichtungen bindenden Beschluß auf ihrer Direktorenkonferenz im April 1976 die Selbstverpflichtung auferlegt, „keine Objekte zum Ankauf vorzuschlagen, an deren rechtmäßiger Herkunft bzw. Einfuhr Zweifel bestehen.“ Damit versuchten die Staatlichen Museen zu Berlin – laut Stiftungsgesetz zur Errichtung einer Stiftung Preußischer Kulturbesitz vom Juli 1957 verpflichtet, den Bestand zu erhalten und zu vermehren –, den schwelenden Konflikt zu lösen, was sie erwerben dürfen, da sie ja weltweit agieren. Im Kunsthandel und von privater Seite angebotene Kunstwerke oder Konvolute müssen daher grundsätzlich darauf geprüft werden, ob sie legaler Herkunft sind. In jedem Fall wird vom Verkäufer
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Auskunft über die Herkunft des angebotenen Objekts angefordert. Ist nicht zweifelsfrei zu klären, ob das Objekt sein Ursprungsland rechtens und vor Erlaß von nationalen Kulturgutschutzgesetzen und Exportverboten oder -beschränkungen verlassen hat, hat das an der Erwerbung interessierte Museum bei den Landesregierungen und/oder deren zuständigen Denkmalbehörden nachzufragen. Nur wenn diese keine Einwände haben, dann erwerben die Staatlichen Museen. Ein Fall mit Konsequenzen aus dem Jahre 1980: Die Antikensammlung beabsichtigte den Kauf der fragmentierten Vorderseite eines römischen Sarkophages, der nur aus Rom oder Ostia stammen konnte. Trotz rechtzeitiger Recherchen bei den italienischen Kollegen stellte sich erst nachträglich heraus, daß das Stück an einen 1976 bei Ostia aufgefundenen Sarkophag anpaßte. Das hätte dort auffallen müssen; andererseits ließ sich nicht zweifelsfrei beweisen, daß der Diebstahl erst in jüngster Zeit erfolgt sei. Die Generaldirektion im Italienischen Kulturministerium und die Staatsanwaltschaft sprachen Berlin von allen Vorwürfen frei und stellten fest, es bestünden keine Gründe für eine Rückgabe an Italien, was rechtlich unanfechtbar, aber vom ethischen Standpunkt her unbefriedigend war. Die Berliner Museen einigten sich mit der italienischen Seite darauf, die Relieffragmente als Dauerleihgabe an das Museo Ostiense in Ostia Antica zu geben. Von den Ostienser Kollegen erhält die Antikensammlung seitdem museologisch wichtige, hier fehlende Objekte wie kaiserzeitliche Wandmalereifragmente, Mosaiken usw. als lang-
Vorderseite eines römischen Sarkophags mit Deckel. Marmor. Auf dem Kasten: Achills Rüstung und Ausfahrt, Achill und Patroklos. Auf dem Deckel: Schleifung Hektors und Waschung seines Leichnams vor der Übergabe an Priamos. Aus Ostia, um 160 n. Chr. Inv.-Nr. 1982.1 Foto: Ingrid Geske
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fristige Leihgaben, wozu das italienische Kulturgüterschutzgesetz zum Vorteil vieler eigens geändert werden mußte. Dieses ließ die Berliner Kollegen, allen voran Wolf-Dieter Heilmeyer als Direktor der Antikensammlung, nicht ruhen, diese Situation nachhaltig zu klären. Zuerst auf dem Internationalen Kongreß für Klassische Archäologie 1988 durch die „Berliner Erklärung zu Leihgaben und Neuerwerbungen von archäologischen Objekten durch Museen“, sodann 15 Jahre später auf der Internationalen Konferenz über zukünftige Probleme bei unerlaubtem Antikentransfer im Jahre 2003 – durch die „Berliner Resolution“ fixiert – forderten die Konferenzteilnehmer, die Haager Konventionen von 1954 „Zum Schutz von Kulturgut in bewaffneten Konflikten“, die UNESCO-Konvention von 1970 und die UNIDROIT-Konvention von 1995 „Über gestohlene oder illegal exportierte Kulturgüter“ anzuerkennen und umzusetzen. Ein wichtiger Schritt ist die Forderung, nach Möglichkeit vom Kauf archäologischer Fundstücke abzusehen und statt dessen einen Leihgabenaustausch, (gegenseitige) Restaurierungsmaßnahmen und einen intensiven Erfahrungsaustausch einzugehen, wie es in der „Erklärung von Rom über die neue Politik der Zusammenarbeit zwischen archäologischen Museen aus Italien und Deutschland“ 2002 unter maßgeblicher Beteiligung der Berliner Antikensammlung vereinbart wurde. Eine vergleichbare Vereinbarung wurde zwischen Berlin und Olympia, Griechenland, ebenfalls noch in 2002 getroffen. Nun mag man ins Feld führen, daß solche Regelungen in einer relativ homogenen europäischen Zone realisierbar sind. Kriegerische Konflikte bzw. rechtsfreie Zustände, verbunden mit der Plünderung kultureller Stätten, werden regelmäßig weltweit verzeichnet. Je weiter man sich von Europa entfernt, umso mehr sinken die Skrupel. Archäologische Objekte aus dem Irak, Afghanistan, Nepal oder Südostasien sowie aus Süd- und Mittelamerika entziehen sich stärker moralischen Bedenken als Objekte aus der eigenen Heimat. Gewarnt sei vor Schutzbehauptungen öffentlicher Museen, man verstehe solchen Kunsterwerb quasi als Sicherstellung für zukünftige Generationen. Das konstruiert eine rechtliche Unbedenklichkeit, ja Legitimität des Handelns, die man dann schlecht Privatpersonen versagen kann. Man verletzt damit auch die Autonomie dritter Staaten oder Gesellschaften und gerät damit in einen seltsamen Konflikt, den man zu allerletzt gewünscht hat, wehren die Staatlichen Museen sich doch gegen den Vorwurf kolonialistischen Verhaltens: Die in der Öffentlichkeit verbreitete Anschauung, ethnologische Museen oder Museen der außereuropäischen Kunst seien Produkte des Kolonialismus und würden überwiegend Objekte besitzen, die bei kolonialen Raubzügen zusammengetragen wurden, entbehrt zumindest für die Staatlichen Museen zu Berlin jeder Grund-
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lage. Das frühere Königliche Museum für Völkerkunde unter der Leitung von Adolf Bastian hat sich ganz bewußt von kolonialistischer Einflußnahme distanziert und versucht, ein Archiv der materiellen Kultur von außereuropäischen Völkern anzulegen. Gerade der letztlich auf den Einfluß Alexander von Humboldts zurückgehende Amerika-Schwerpunkt beweist, daß kolonialpolitische Überlegungen bei der Sammeltätigkeit keine Rolle spielten. Bei wissenschaftlichen Expeditionen oder individuellen Forschungsreisen erfolgte der Erwerb von ethnologischen Objekten durch Tauschhandel oder Kauf eben nicht von lokalen Händlern und Sammlern, sondern bei den Produzenten selbst, die zusätzliche, gleichwohl authentische „traditionelle“ Kulturgüter für die europäischen Kaufinteressenten herstellten. Das Ethnologische Museum sieht sich auf Grund solcher guten Praxis nur ausnahmsweise mit Forderungen nach Rückführung konfrontiert. Es steht vielmehr in einem intensiven weltweiten Austausch mit wissenschaftlichen Institutionen und Repräsentanten tribaler Gruppen, die zur Erschließung ihres kulturellen Erbes nach Berlin kommen und dabei von der Kompetenz unserer Wissenschaftler profitieren. Relativ entspannt sehen sich die Staatlichen Museen auch im Verhältnis zu den sog. außereuropäischen Hochkulturen in Süd- und Ostasien. Schon der erste Direktor des Museums für Ostasiatische Kunst, Otto Kümmel, stellte die Maxime auf, keine Kunstwerke aus intakten Zusammenhängen heraus zu erwerben, um zu verhindern, daß Tempelschätze oder andere bestehende Kontexte zerrissen und damit zerstört würden. Sollte es wirklich zu strittigen Situationen kommen, gilt auch hier der Grundsatz von Recht und Gesetz. Das Museum für Indische Kunst der SMB hat in den vergangenen Jahren zweimal Kunstwerke nach Südasien zurückgegeben, die sich einmal nach Kauf, das andere Mal bei der vorherigen Prüfung als gestohlen oder extrem zweifelhaft herausgestellt haben. Auch hier gelten also dieselben Maßstäbe wie in der europäischen und der Archäologie der Mittelmeeranrainerstaaten.
Restitution verfolgungsbedingt entzogenen Eigentums und die Beutekunstproblematik Die bisherigen Fälle basierten auf Geschäften, die im rechtsstaatlichen Umfeld vollzogen wurden. Schwieriger wird es im Zusammenhang mit Kunstwerken, bei denen sich die Eigentumsverhältnisse während der Jahre 1933–1945 verändert haben. In der zwölf Jahre währenden Nazidiktatur wurde größtes Unrecht an politischen Gegnern, sozialen, religiösen oder ethnischen Gruppen verübt oder eine
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Reihe von Ländern in Europa und Nordafrika ihrer Souveränität beraubt, unterdrückt und verwüstet. Die damit verbundenen Vorkommnisse und daraus resultierenden Ereignisse haben millionenfaches Unrecht und Massenmord erzeugt und belasten die deutsche Geschichte bis in die heutigen Tage, wie die aktuelle Diskussion um die Entschädigung von Zwangsarbeitern zeigt. Die nationalsozialistische Aggression richtete sich aber nicht nur gegen Personen und Staaten, sondern hatte ja auch einen Kulturkampf zur Folge, der mit der Verfolgung jüdischer und aus politischen oder anderen Gründen verfemten Wissenschaftlern und Kulturschaffenden begann, und sich in die Vernichtung von Büchern, Kunst und Baudenkmalen bis hin zur Zerstörung ganzer Städte wie Warschau steigerte. Diese unter der nationalsozialistischen Herrschaft entwickelte Perversion hat ja auch die bekannten Auswirkungen auf die eigene Institution, die ja die preußischen Staatsmuseen waren, erzeugt: In unseren Museen mit den fünf Facetten – Selbstzerstörung der Sammlungen zur Klassischen Moderne in der Aktion „Entartete Kunst“ – sitten- oder rechtswidriger Erwerb von ehemals jüdischem Kunstbesitz – Zerstörung von Museen oder Sammlungsbeständen durch kriegerische Handlungen im Rahmen des alliierten Bombenkrieges oder des Endkampfes um Berlin – Diebstahl und Plünderung der in Berlin verbliebenen oder der ausgelagerten Sammlungen durch Kombattanten oder Zivilpersonen – Offizielle Beschlagnahme und Abtransport durch die Siegermächte und deren militärische Gliederungen Den Verantwortlichen an den Staatlichen Museen ist klar, daß Kunstschätze, die sie auf staatlichen Druck und Anweisung wie in der Aktion „Entartete Kunst“ aus ihren Sammlungen entnehmen und abliefern mußten, unmöglich an sie restituiert werden müssen. Denn der Staat selbst als Eigentümer ist ja als Veräußerer aufgetreten. Anders verhält es sich, wenn sie auf umgekehrtem Wege in den Besitz privaten oder öffentlichen Eigentums gelangt sind. Der erste Fall ist mit zahlreichen Kunstwerken, Gemälden, Graphiken und Kunstgewerbe aus jüdischem Besitz zu belegen, die die Museen selbst oder ihre Förderervereine von den Eigentümern, aus dem Kunsthandel oder auf anderem Wege erwarben oder die über Dritte als Geschenk oder zum Kauf zu ihnen gelangten. Gerade auch der Tatbestand, daß die SMB durch die Wiedervereinigung erst mit dem Jahre 1990 bei großen Sammlungsteilen überhaupt zur Klärung in der Lage waren und damit der ursprüngliche Erwerbungszeitraum anderthalb Generationen zurücklag, viele Erwerbungsunterlagen, Auktions- oder Verkaufskataloge vernichtet oder verschwunden waren, hat die
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Arbeiten nicht erleichtert. Es kommt hinzu: die Geschädigten oder Angehörige von Geschädigten mit Zeugencharakter können durchaus jünger sein als die handelnden Vertreter der Einrichtungen, die gekauft haben oder zugewiesen bekamen. Dennoch gibt es eine klare Berliner Linie, nämlich daß nachgewiesermaßen verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut ungeachtet von Erklärungs- oder Anspruchsfristen zurückerstattet wird oder Treuhändern wie der Jewish Claims Conference zur Verwertung ausgehändigt wird.1 So war es schon früher und so ist es auch nach der Wiedervereinigung. Bekanntestes Beispiel ist das Gemälde „Der Watzmann“ von Caspar David Friedrich, dem zur Jahreswende 2004/2005 eine Sonderausstellung in der Alten Nationalgalerie gewidmet ist. Das Gleiche gilt für Hans von Marées „Mann mit Hut“ oder van Gogh-Zeichnungen, des weiteren für Werke von Giovanni Battista Tiepolo, Berthel Thorvaldsen, Adolph Menzel, Lovis Corinth usw. Das geschieht nicht ohne verbindliche Regelungen, wozu der Stiftungsrat der Stiftung Preußischer Kulturbesitz 1999 einen Beschluß gefaßt hat.2 Vor diesem Hintergrund sollte ein dritter Komplex nicht ausgeblendet werden, bei dem die Eigentumsansprüche ebenfalls nicht unumstritten sind: die Rückführung von Kulturgütern, die kriegsbedingt verlagert sind und die zwischen der Bundesrepublik Deutschland einerseits und andererseits den GUS-Staaten, besonders der russischen Konföderation, und Polen strittig sind. Im Falle der vor allem mit Rußland strittigen Kulturgüter war der Eroberungskrieg Nazideutschlands der auslösende Faktor. Deutsche zivile und militärische Organisationen haben mit unterschiedlicher Zielrichtung Kunst- und Kultureinrichtungen in Osteuropa okkupiert und geplündert, Baudenkmale, religiöse Bauwerke und Museen radikal zerstört. Sowohl beim deutschen Vormarsch an allen Fronten wie auch in den besetzten Gebieten wurde unter den Bedingungen der deutschen Zwangsherrschaft in größtem Maßstab Kulturbesitz entzogen oder unter zweifelhaften Bedingungen scheinlegal an- und verkauft, wie es vordem schon besonders gegenüber den jüdischen Bürgern in Deutschland und Österreich geschehen war. Soweit aber von Deutschen abtransportierte Kunstwerke nicht zerstört wurden oder in privaten Kanälen verschwanden, wurden diese nach dem Kriege den Ursprungsländern zur Repatriierung übergeben. Zwischen 1945 und 1948 verließen nach bisherigen Erkenntnissen nachweislich mindestens vierzehn Transporte mit ca. einer halben Million Kunstgegenständen Deutschland in Richtung Sowjetunion, in den Jahren 1952–53 folgten zwei weitere. Dieses betraf nur die Besatzungszonen der Westalliierten. Was aus der Sowjetischen Besatzungszone 1 2
Ausführlich dazu Dorothea Kathmann, Jüdische Kunstsammlungen, in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz 35 (1998) 165ff. Vgl. Kathmann, a.a.O.
ILLEGALE ARCHÄOLOGIE – ILLEGALE KUNST Hans von Marées, Selbstbildnis mit gelbem Hut. Öl auf Leinwand, 1874 Inv.-Nr. A II 858 Zunächst im Besitz von Adolf v. Hildebrand, aus dessen Besitz erworben durch den Fabrikanten Max Silberberg, Breslau; 1935 bei dem Auktionshaus Paul Graupe, Berlin, für die Nationalgalerie ersteigert; 1999 der Schwiegertochter Greta Silberberg zurückgegeben; 2000 wieder für die Nationalgalerie erworben
(SBZ) und Berlin zurückgeführt wurde, ist mengenmäßig unbeziffert, da uns die russischen Archive weiterhin verschlossen bleiben. Im Namen und Auftrag offizieller sowjetischer Stellen beschlagnahmten mit Beginn der Besatzung sog. ,Trophäenbrigaden‘ in großem Maßstab Industrieanlagen, Gebrauchsgüter, aber auch deutsches Kulturgut aus Museen und Sonderdepots. Durch die Aufteilung Deutschlands waren die Bestände zahlreicher öffentlicher Museen und privater Sammlungen, die nur die Depots der großen Museen als sichere Verwahrmöglichkeit in halblegaler Weise mitbenutzt hatten, nach dem Kriege in die vier Besatzungszonen verstreut. Die willkürliche Grenzziehung nahm darauf keine Rücksicht. Wo die britischen oder amerikanischen Truppen auf deutsche Kulturgüter trafen, wurden sie unter militärische Aufsicht gestellt und in zwei zentrale Sammellager abtransportiert, die Central Collecting Points Wiesbaden und Celle bei Hannover. Das Kapitel des von den Westalliierten sichergestellten Kulturgutes endete im Jahr 1949 mit den Übergaben der Depots in deutsche Treuhandverwaltung durch die Amerikanische, Französische und Britische Militärregierung. Jedoch haben die Alliierten gewisse Archiv- und Bibliotheksbestände weiterhin ein-
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behalten, von denen z.B. größere Komplexe in der Library of Congress in Washington liegen (NS- und Armeearchive). Die weitere Geschichte betrifft von einzelnen Personen geraubte Kunstschätze, wie etwa den Quedlinburger Domschatz. Für Berlin aber war diese Angelegenheit noch nicht ausgestanden: Weil West-Berlin kaum über geeignete Museumsgebäude verfügte, dauerte die Rückführung der Sammlungsbestände aus Westdeutschland bis Mitte der fünfziger Jahre. Den ostdeutschen Museen übergab die Regierung der Sowjetunion bis Juli 1960 nach offiziellen russischen Angaben 1.571.995 Gegenstände und 121 Kisten mit Büchern, Tondokumenten und Notenheften sowie über drei Millionen Archiveinheiten. Die russischen Kunsthistoriker K. Akinsha und G. Koslow machten mit ihren Publikationen, voran mit den Artikeln in den New Yorker ARTnews, auf diese verborgenen Schätze aufmerksam: darunter so aufsehenerregende Komplexe wie den sog. ,Goldschatz des Priamos‘ und fast die gesamte Sammlung des Ostasiatischen Museums der Staatlichen Museen zu Berlin. Die von Akinsha und Kuslov zusammengestellten Zahlen summieren sich wie folgt: Die Botschaft der DDR hatte, gewiß nicht ohne diskrete Aufforderung aus Moskau, am 31. Mai 1957 dem Außenministerium der UdSSR eine Auflistung von Sammlungen übergeben, die in den ostdeutschen Museen seit Kriegsende vermißt wurden. Das Moskauer Kulturministerium registrierte in internen Papieren insgesamt 2.614.874 Objekte von künstlerischem Wert und 534 Kisten mit archäologischen Bruchstücken, darunter ca. vier Prozent Kunstgegenstände aus Privatbesitz. Nur der KGB gab keine Auskunft. Es verblieben über eine Million Objekte in der Sowjetunion. Darüber wurde die DDR nicht informiert, weshalb deren Regierung durchaus gutgläubig erklären konnte, der große Bruderstaat habe alles Mögliche getan. Man vermißte, nun eher im Glauben, dieses sei unwiederbringlich zerstört, unter anderem die drei Transportkisten mit „Unersetzlichem“ – das sind 1538 Einzelobjekte – aus dem Museum für Vor- und Frühgeschichte, z. B. die Goldschätze von Troja und Eberswalde, 80 Prozent der Sammlung des Museums für Ostasiatische Kunst – in Zahlen 5451 Stück, und mit 75.000 Objekten ein Fünftel der Bestände des Ethnologischen Museums. Ähnlich geht es vielen unserer anderen Museen, wie in der 2003 gemeinsam mit Klaus-Dieter Lehmann herausgegebenen Bestandsaufnahme der SPK „Kulturschätze – verlagert und vermißt. 60 Jahre nach Kriegsende“ dargestellt ist. Nach deutschem Rechtsstandpunkt ist der Verbleib Berliner und anderer deutscher Sammlungen in russischer Verwahrung völlig unbefriedigend und, mehr noch, illegal. Mit dem Abkommen von Den Haag wurde erstmals am 18. Oktober 1907 eine völkerrechtlich verbindliche Regelung geschlossen. Nach deren Artikel 46 Absatz 1 darf ‚Privateigentum nicht eingezogen werden‘ und nach Artikel 46 Absatz 2 und Artikel 56 sind ‚Werke der Kunst und Wissenschaft‘ und ‚der Kunst
ILLEGALE ARCHÄOLOGIE – ILLEGALE KUNST Ritualgefäß, Typ zun, in Form eines Elefanten. Bronze. China, 10. Jh. v. Chr. Inv.-Nr. 6355 Schenkung Pauline Oeder, Verbringungsort unklar, Verbleib unbekannt
und der Wissenschaft gewidmete Anstalten‘ auf besetztem Gebiet vor Beschlagnahme geschützt, und zwar unabhängig davon, ob sie sich in privatem oder öffentlichem Eigentum befinden. Die Haager Konvention erkannte das deutsche und das russische Reich völkerrechtlich an. Hier sollte der Hinweis nicht entfallen, daß es die russische Delegation war, die – ihrem Rechtsberater Frederic de Martens folgend – diese genannten Einfügungen in das Abkommen sogar veranlaßte. Gleiches regelt noch einmal die „Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten“ vom 14. Mai 1954, der die UdSSR im Januar 1957 beigetreten ist. Unter Hinweis darauf fordert nun die Bundesrepublik Deutschland die Rückführung deutscher Kulturgüter, die während und nach dem Zweiten Weltkrieg von Organen der Sowjetunion abtransportiert wurden. Auf der Grundlage des deutschsowjetischen ‚Vertrages über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit‘ vom 9. November 1990 wurde am 16. Dezember 1992 das völkerrechtlich bindende deutsch-russische Kulturabkommen geschlossen. In Artikel 15 heißt es: „Die Vertragsparteien stimmen darin überein, daß verschollene oder unrechtmäßig verbrachte Kulturgüter, die sich in ihrem Hoheitsgebiet befinden, an den Eigentümer oder seinen Rechtsnachfolger zurückgegeben werden.“ Der Verfasser erspart sich, die gesamten zwischen Deutschland und Rußland als Rechtsnachfolger der SU offenen Fragen auszubreiten. Wichtig bleibt – mit Rücksicht auf die seitdem auf Regierungs- und Fachebene gelaufenen Gespräche und Besichtigungstermine – festzuhalten, daß die hohen Erwartungen auf beiden Seiten nicht erfüllt wurden. Man sollte auf deutscher Seite nicht die russischen Interessen übergehen, daß auch
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dieser Seite schmerzhafte Verluste beigebracht wurden, bedenkt man die traumatische Situation mit den zerstörten St. Petersburger Schlössern Zarskoje Selo und Peterhof, dem Abtransport und spurlosen Verschwinden des Bernsteinzimmers, besonders wenn dann doch Bilder oder Möbel in Deutschland auftauchen. Jedoch sagen uns gerade die völkerrechtlich verbindlichen Haager Verträge, daß die Vertragsparteien davon „Abstand nehmen, bewegliches Kulturgut, das sich auf dem Hoheitsgebiet einer anderen Hohen Vertragspartei befindet, zu beschlagnahmen.“ Diesen 1954 im Art. 4 Ziff. 3 vereinbarten Grundsatz kann man im Hinblick auf Ereignisse, die gerade einmal neun Jahre zurücklagen, unmöglich ausblenden, zumal man wiederum zwei bis sechs Jahre später gerade eine gewaltige Rückgabeaktion auch noch mit einem Bündnispartner DDR durchführt. Indem sich Rußland nach der Auflösung der Sowjetunion eine demokratische Verfassung gab, ist es für uns als Betroffene schier unglaublich, daß ein Verfassungsorgan dieses Staates, nämlich die Staatsduma, am 15. April 1998 das „Föderale Gesetz über die Kulturgüter, die in Folge des Zweiten Weltkrieges in die UdSSR verbracht wurden und sich auf dem Territorium der Russischen Föderation befinden“ beschloß (in Kraft seit dem 25. Mai 2000), das die völkerrechtswidrige Beschlagnahme, Verbringung und den dauerhaften Verbleib eben nicht nur deutschen, sondern Kulturgutes aus vielen anderen europäischen Ländern sanktionierte. Um unsere Verluste zu dokumentieren, geben wir wie auch andere deutsche, russische und polnische Institutionen die Reihe ,SMB-PK. Dokumentation der Verluste‘ heraus, in der in wenigen Wochen ein weiterer Band über die Verluste der Antikensammlung erscheinen wird. Auch dieser Tage überraschen uns neue Informationen und Erkenntnisse über den relativen Umfang der endgültigen Verluste. Manches für immer verloren Geglaubte taucht bei Kollegenbesuchen, in Fernsehreportagen – z. B. am 25. Januar 2004 in ‚Spiegel-TV‘ über den Eberswalder Goldfund – oder bei Politikerbesuchen überraschenderweise auf, was die Spekulationen über den Erhalt von deutschem Kulturgut fördert und zu wiederholten Forderungen gegenüber mittel- und osteuropäischen Staaten Anlaß gibt, den Umfang und den Zustand des gesamten „Beutekunst“-Bestandes offenzulegen und freien Zugang zu den Objekten und Dokumentationen zu gewährleisten. Dabei muß jedem Beteiligten klar sein, daß jede Diskussion über das Eigentum und den Verbleib dieser weiterhin umstrittenen „Beutekunst“ nicht allein mit Blick auf die kunsthistorische und ökonomische Bedeutung des einzelnen Objektes und damit auch als Kompensationsgut für materielle Schäden oder sonstiges erlittenes Unrecht zu führen ist. Vielmehr können die Auswirkungen laufender und künftiger Entscheidungsprozesse nur dann maßvoll und dauerhaft tragfähig sein, wenn ein allgemeiner Kenntnisstand erreicht ist, der die Geschichte der Kunstwerke im Kon-
ILLEGALE ARCHÄOLOGIE – ILLEGALE KUNST
text mit den Sammlungen aufzeigt, in die sie eingebettet waren. Nicht zu vergessen den Zusammenhang auch mit den Museumskomplexen und den am Herkunftsort vernetzten Forschungseinrichtungen wie den Universitäten, Akademien, dem Deutschen Archäologischen Institut oder den Sammlerpersönlichkeiten, deren Zielsetzung es war, dieses kulturelle Erbe eben in Berlin zusammengetragen und ausgestellt zu wissen. Da diese zudem über die wesentlichen Informationen und Dokumente zu Vor- und Erwerbungsgeschichte der Kulturgüter verfügen, sind die kriegsbedingt verbrachten Sammlungen, selbst wenn sie in geringem Umfang ausgestellt werden, unauthentisch und zumindest vermindert aussagefähig. So wie sich die Alliierten darüber einig waren, daß von den Deutschen und ihren Verbündeten entwendeter oder enteigneter Kulturbesitz selbstverständlich an die Vorbesitzer oder deren legale Nachfolger zurückgegeben werden mußte, so sollte doch außer Frage stehen, daß in der Behandlung vormals deutschen Kulturbesitzes auch in Rußland oder Polen allgemeine Rechtsnormen Bestand haben und die Diskussion über Verbleib oder Restitution bestimmen sollten. Ehemalige SU-Staaten wie die Ukraine oder Georgien haben sich davon in sehr positiver Weise abgehoben. Wichtig jedenfalls ist eine umfassende Kenntnis über die historischen und kulturellen Zusammenhänge. Ein wichtiger Schritt wäre der unbeschränkte und freie Zugang zu allen Kulturgütern aus deutschen Sammlungen, die durch die Kriegsereignisse und nachfolgenden politischen Regelungen wie Grenzverschiebungen in dritter (öffentlicher) Hand verblieben. Man möge bedenken, daß es sich auch bei Verhandlungen über Extrempositionen schlecht partnerschaftlich über Eigentumsverhältnisse und -verlagerungen verhandeln läßt, wenn der genaue Umfang dessen, worüber man zu reden sich bemüht, geheimgehalten wird. Einen guten Anfang bilden abgeschlossene und geplante Ausstellungsprojekte, in denen in Rußland Beutekunstkomplexe wie Schliemanns Troja-Schätze oder Grabkomplexe der Merowingerzeit der Öffentlichkeit bekannt gemacht werden.
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ie glanzvolle Reihe der Eröffnungen von Museumsneubauten, die in der Bundesrepublik Deutschland in den 1960er Jahren begann, ist bis heute nicht abgerissen. Doch die prachtvollen Einweihungsfeste und lebhaften Architekturdebatten, die großzügigen Eingangshallen und weiträumigen Ausstellungsräume lenkten von den Problemen der Museen ab: So sieht es zum Beispiel in den für die Öffentlichkeit verborgenen Bereichen, in den Magazinen und Depots, nur allzu oft desaströs aus – zum Schaden der Objekte. Daher sind die Aufgaben, die es hinsichtlich der Bewahrung der Objekte – insbesondere der nicht gezeigten – zu bewältigen gilt, überall in der Republik letztlich sehr vergleichbar. Es entsteht zuweilen der Eindruck, dass die Verantwortlichen in den Museen, Bibliotheken und Archiven sich resignierend damit abgefunden haben, dass es wesentlich einfacher ist, Politiker, Verwaltungen, Mäzene und Sponsoren für spektakuläre Ausstellungen, Neuerwerbungen und Buchproduktionen zu gewinnen als für die Neueinrichtung eines Magazins, die Anschaffung von säurefreien Archivmappen, die Einrichtung von Werkstätten und die zeitlich und damit finanziell aufwändige Restaurierung von Kulturgut. Ohne Zweifel ist es um die Bewahrung des Kulturguts in unseren Museen, Bibliotheken und Archiven oft geradezu katastrophal bestellt, wobei diese Lage nicht zuletzt durch die Zeitläufe bedingt ist, das heißt durch die beiden Weltkriege, durch die hindurch unsere Vorgänger das ihnen anvertraute Kulturgut retten mussten. Auch die Nachkriegszeit war alles andere als einfach für die Museen. Es ging damals oft um zentralere oder besser: lebensbedrohlichere Themen als um die Bewahrung oder Restaurierung von Kulturgut. In den zurückliegenden Jahrzehnten ist zwar das Bewusstsein und damit die öffentliche Anteilnahme für Probleme des Baudenkmalschutzes gestiegen – bis hin zu der Erkenntnis, dass es auch so etwas wie den Schutz und die Pflege von Industriedenkmälern geben müsse. Ähnliche Überlegungen sind jedoch in Hinsicht auf mobiles Kulturgut nach wie vor erschreckend unterentwickelt. Nach der Wende ging, was den Denkmalschutz betrifft, zumindest in den neuen Ländern der sprichwörtliche Ruck durch unser Land. Für vom Verfall bedrohte
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Kirchen, Bürgerhäuser und Schlösser wurde und wird seitdem enorm viel getan. Die Investitionsprogramme der Bundesregierung, der Länder und Kommunen haben in den neuen Ländern Segensreiches bewirkt, und Initiativen wie diejenige der Stiftung Denkmalschutz, die unzählige Menschen motivierte, sich ehrenamtlich und/oder finanziell für die Restaurierung von Gebäuden zu engagieren, sind nicht hoch genug zu rühmen. Allein, die Lobby für die Objekte und Sammlungen, die sich in den bedrohten Gebäuden befanden, war und ist erstaunlich klein. Vielleicht mit Ausnahme der unzähligen Initiativen, die sich – landauf, landab – für die Restaurierung von Orgeln (und manchmal auch von Glocken) in den Kirchen einsetzten und einsetzen, gab es kaum jemanden, der auf die Notstände in den Sammlungen hinwies. Nur sehr vereinzelt drangen Berichte über derartige Probleme an die Öffentlichkeit. Unverständnis, Katastrophen, Kriege und nicht zuletzt so manche „Errungenschaft(en)“ der Zivilisation haben zur Vernichtung authentischer Zeugnisse unserer Geschichte und Kultur geführt, so dass wir häufig schon zufrieden sind, wenn wenigstens Replikate oder Faksimiles existieren. Dabei muss es aber eigentlich um mehr gehen, nämlich um die Bewahrung von Originalen. Jeder, der mit Kulturgut umgeht, weiß, dass die Aura des Originals in fast allen Fällen unersetzlich ist. Die Sicherung und Bewahrung dieses Originals, oder besser dieser Originale, können jedoch nur die Museen, die Bibliotheken und die Archive mit Hilfe ihrer Restauratoren leisten. Warum sind – um nur ein Beispiel zu nennen – etwa die Sammlungen der Völkerkundemuseen so kostbar? Sicher nicht, weil die Preise für ethnographische Objekte in Brüssel und Paris kontinuierlich steigen. Nein – sie sind so kostbar, weil mit diesen Sammlungen die geistige und kulturelle Vergangenheit ganzer Völker bewahrt wird, die sonst verloren ginge. Im Übrigen stellen gerade diese Sammlungen auf Grund ihrer enormen Vielzahl an unterschiedlichsten Materialien die Zunft der Restauratoren vor gewaltige Probleme – nur vergleichbar mit denen, die zu bewältigen sind, wenn die Werke von Künstlern wie Schwitters, Duchamps und Beuys zur Restaurierung anstehen. Halten wir fest: Die Notwendigkeit und Schwierigkeit der Bewahrung der Originale gilt nicht nur für die Ethnographika und für die Werke der zeitgenössischen Kunst, sondern für alle Sammelbereiche der Museen, Bibliotheken und Archive. Dabei geht es zuweilen auch darum, Restaurierungsfehler der Vergangenheit rückgängig zu machen, wie zum Beispiel im Landesmuseum in Schwerin. Dort gibt es eine großartige Gemäldesammlung alter niederländischer Meister, die Ende des 19. Jahrhunderts von einem Restaurator, der von seiner Restaurierungs- und Firniskunst überzeugt war, dermaßen intensiv behandelt wurde, dass die Hintergründe der rund fünfhundertzwanzig Gemälde heute fast monochrom schwarz erscheinen und in mühsamer Arbeit wieder „ans Licht geholt“ werden müssen.
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Dabei geht es, zweitens, zugleich darum, aufbauend auf genauen wissenschaftlichen Analysen, Verfahren zu entwickeln, die für die langfristige Rettung der Gemälde tatsächlich geeignet sind. Spielend kommt so pro Gemälde ein finanzieller Aufwand von zehntausend Euro zusammen, was umgerechnet auf die fünfhundertzwanzig Gemälde der Sammlung natürlich ein gigantisches wissenschaftliches, finanzielles und zugleich äußerst zeitaufwändiges Abenteuer ist. Andere Objekte haben durch häufiges Umlagern oder direkte Kriegseinwirkungen Schaden genommen; zwei Beispiele unter schier unendlich vielen sollen hier erwähnt werden: Erstens: Die berühmte Chinoiserie-Tapete aus dem Rittergut Zehmen, die sich heute im Grassi-Museum in Leipzig befindet. Die Tapete spiegelt die China-Mode des 18. Jahrhunderts wider, doch nimmt sie im Vergleich zu anderen erhaltenen Chinoiserie-Tapeten eine Sonderstellung ein, weil sie statt der üblichen Figurengruppen in dekorativ gerahmten Panneaus eine sich über mehrere Bahnen erstreckende Landschaft mit Architektur- und Personengruppen abbildet. Forschungen haben ergeben, dass die Leipziger Tapete wohl im Umkreis des Münchner Hofkünstlers François Cuvilliés entstand. Um 1900 brachte ein Mitglied der Familie Volkmar, der zu jener Zeit das Rittergut Zehmen gehörte, die Tapete von einer Reise mit und ließ sie in ein Gästezimmer einfügen. 1948 sollte das Herrenhaus abgerissen werden, und die so genannte „Landeskommission für die Sicherung und Verwertung des nichtlandwirtschaftlichen Inventars der durch die Bodenreform enteigneten Herrenhäuser“ überwies die Tapete an das Museum für Kunsthandwerk nach Leipzig. Bereits damals war der Erhaltungszustand derart schlecht, dass eine Präsentation ohne vorherige Verstärkung des Untergrunds durch eine zweite Leinwand nicht möglich war. Um die Raumausstattung in Form einer Tapete von immerhin cirka siebzehn Metern Länge und einer Höhe von zweieinhalb Metern zu restaurieren, fehlten dem Museum aber die finanziellen Mittel. Erst in den 1980er Jahren wurden fünf Einzelstücke teilweise restauriert, auf Rahmen gespannt und wie die übrigen Teile magaziniert. Die Sicherung und Konservierung der gesamten Wandbespannung ist heute nötiger denn je. Mit Hilfe von tatkräftigen Mäzenen konnte sie in den vergangenen Jahren in Angriff genommen werden. Ein weiteres, markantes Beispiel eines Exponats, das durch die Zeitläufe in Mitleidenschaft gezogen wurde, ist eine hebräische Bibel aus der Staatsbibliothek zu Berlin, die im Zweiten Weltkrieg durch Feuer und Löscharbeiten schwer beschädigt wurde. In Zeiten der DDR war an eine Restaurierung nicht zu denken. Aber auch nach der Wende hatten in der Staatsbibliothek solche Restaurierungsarbeiten Priorität, mit denen fortschreitender Schaden verhindert werden konnte. Es wurde in solchen Fällen restauriert, bei denen die Behebung der Schäden einen Wettlauf mit der Zeit darstellte, wie es zum Beispiel bei dem Tintenfraß an den Bach-Autogra-
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KARIN VON WELCK Durch Feuer und Löschwasser schwer geschädigter Buchblock der „Erfurter Bibel“
phen der Fall war. Auf der anderen Seite handelt es sich aber bei dieser hebräischen Handschrift um eine der bedeutendsten Bibelhandschriften überhaupt. Nach bisherigem Forschungsstand war sie bis 1349 im Besitz einer jüdischen Gemeinde in Thüringen und gelangte später in ein Erfurter Kloster. Ab 1706 wurde sie in der Bibliothek des Evangelischen Ministeriums aufbewahrt und 1880 von der Königlichen Bibliothek in Berlin erworben. Wegen ihrer Größe (60,5 cm x 44,5 cm) und ihres Gewichts (immerhin wiegen die zwei Bände fast fünfzig Kilo pro Band) wurde sie im Zweiten Weltkrieg nicht in ein Außenlager am Stadtrand, sondern in dem der Bibliothek nahe gelegenen Keller der Reichsbank in vermeintliche Sicherheit gebracht. Das Reichsbankgebäude wurde jedoch von Bomben getroffen und die Bibel zuerst durch Feuer und dann durch Löschwasser so schwer beschädigt, dass sie seitdem nicht mehr lesbar war. Mit Hilfe eines Mäzens, den die Kulturstiftung der Länder vermitteln konnte, wird die Bibel derzeit in einem aufwändigen Verfahren restauriert, für das zirka 6500 Arbeitsstunden veranschlagt wurden und
Blatt aus der „Erfurter Bibel“ vor und nach der Glättung
RESTAURIERUNG VON MOBILEM KULTURGUT
eine eigens für das Restaurierungsverfahren notwendige, komplizierte Presse entwickelt werden musste. Mit viel Geduld und großem Aufwand wird so ein wichtiges Dokument unserer Kulturgeschichte für künftige Generationen erhalten und wieder verfügbar gemacht. Während es gelungen ist, für die Schweriner Gemäldesammlung, die Chinoiserie-Tapete in Leipzig und die Erfurter Bibel Mäzene zu gewinnen, die die Kosten der Restaurierung übernehmen, werden für unzählige weitere Projekte noch Finanzierungsquellen gesucht. Der 1999 gegründete Freundeskreis der Kulturstiftung der Länder und Stiftungen wie zum Beispiel die ZEIT-Stiftung, die Ostdeutsche Sparkassenstiftung oder die Reemtsma-Stiftung haben die Restaurierung von mobilem Kulturgut in ihr Aufgaben-Spektrum aufgenommen. Die derzeit zur Verfügung stehenden Mittel reichen allerdings bei weitem nicht aus, um die anstehenden Probleme zu lösen. Um zu vermeiden, dass viele der Objekte in den Museen, Bibliotheken und Archiven der Bundesrepublik Deutschland in wenigen Jahren unwiederbringlich verloren gehen, gilt es daher, zusätzliche Anstrengungen zu unternehmen. Aus Sicht all derer, die sich in den letzten Jahren intensiv mit dem Thema beschäftigt haben, ist es dringend erforderlich, dass im Zusammenwirken von Bund und Ländern endlich ein nationales Programm zur Restaurierung von mobilem Kulturgut aufgelegt wird. Um ein solches Programm durchzusetzen, bedarf es einer klugen Marketing-Kampagne, mit der das wichtige Thema in der Öffentlichkeit und in den Köpfen und Herzen der Verantwortlichen verankert werden kann. Die großartigen Werbefeldzüge, die die Deutsche Stiftung Denkmalschutz in den vergangenen Jahrzehnten für unzählige Baudenkmale durchführte, könnten hierfür Vorbild sein. Schon jetzt sind die bekannten Fakten alarmierend genug. So wurde zum Beispiel bereits 1989 eine Dokumentation der Bestandserhaltungssituation in den Bibliotheken der damaligen Bundesrepublik Deutschland, also in den alten Ländern, vorgelegt. Dabei zeigte sich, dass im Durchschnitt sechsundzwanzig Prozent der Bestände in Bibliotheken dringend restaurierungsbedürftig sind und davon zirka zwölf Prozent bereits als unbenutzbar gelten. Heute, rund fünfzehn Jahre nach der Veröffentlichung der Untersuchung, muss davon ausgegangen werden, dass die Situation noch dramatischer geworden ist. Ähnlich schlecht ist es um das Material in den Archiven bestellt: Allein in den öffentlichen Bundes- und Landesarchiven warten zirka sechshundert Kilometer (!) Archivbestand auf seine Restaurierung. Da ein Großteil der geschädigten Objekte in den Archiven Unikate sind, droht wertvolles, unersetzliches Kulturgut für die Wissenschaft, die Forschung und nicht zuletzt für die Öffentlichkeit verloren zu gehen, wenn es uns nicht gelingt, die notwendigen Maßnahmen zu seiner Erhaltung zu ergreifen.
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Einige Länder in der Bundesrepublik Deutschland tragen diesem Sachverhalt bereits Rechnung, indem sie Mittel zur Bestandserhaltung in Bibliotheken in ihren Landeshaushalt eingestellt haben. Doch die Haushalte von Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Bremen, Rheinland-Pfalz, dem Saarland und Schleswig-Holstein sehen solche Etatposten nicht vor. Allerdings relativieren sich leider beim Blick auf die Zahlen auch die Möglichkeiten in denjenigen Ländern, in denen Bestandserhaltung für Bibliotheken tatsächlich bereits auf dem Programm steht. Wenn man sich zum Beispiel den Bayerischen Etatposten aus dem Jahr 2000 ansieht, der etwa 500.000 Euro für dieses Programm umfasste, und man dabei bedenkt, dass allein die Bayerische Staatsbibliothek dreieinhalb Millionen Problemfälle hat, für deren Bewältigung sie fünfundsiebzig Millionen Euro benötigt, wird man sehr nachdenklich. Die Sorge wird noch größer, wenn man sich die Ergebnisse der Erhebung des Deutschen Museumsbundes aus dem Jahr 2003 zum Zustand der Objekte in den Museen vor Augen führt, in der die fünfhundertvierundsechzig beteiligten Museen für siebzig Prozent ihrer Bestände Restaurierungsbedarf anmeldeten. Ein Appell an die verantwortlichen Politiker aus Bund, Ländern und Kommunen, ein nationales Programm zur Restaurierung von mobilem Kulturgut aufzulegen, ist also mehr als überfällig. Allen Verantwortlichen sollte dabei klar sein, dass Bestandserhaltungsprogramme für Objekte aus Museen, Bibliotheken und Archiven nicht nur restauratorische Maßnahmen beinhalten müssen, sondern auch Sicherheits- und Nutzungsverfilmungen (mit ihren speziellen Restaurierungsproblemen) sowie die Verbesserung der Depotsituation. Im Rahmen eines solchen Programms sollten zunächst Modellprojekte gefördert werden, mit deren Hilfe Erkenntnisse auch für andere Vorhaben gewonnen werden könnten. Wie beim Ankauf national wertvollen Kulturgutes bewährt, könnte eine Stiftung, etwa die Kulturstiftung der Länder, die Kulturstiftung des Bundes oder aber eine gemeinsam von Bund und Ländern getragene Kulturstiftung, hierbei zentrale Koordinierungsaufgaben übernehmen. Ausgestattet mit einem entsprechenden Etat, könnte eine solche Stiftung zudem für ausgewählte Projekte Finanzmittel von bis zu einem Drittel der benötigten Summe bereitstellen und beim Schmieden von Finanzierungskoalitionen helfen, durch die dann weitere Mittel aufgebracht werden könnten. Die Zeit drängt. Die Umsetzung der beschriebenen Pläne darf nicht allzu lange auf sich warten lassen. Sonst ist es für viele Objekte zu spät.
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or fast zehn Jahren veröffentlichte der Bibliotheksausschuss der Deutschen Forschungsgemeinschaft ein Positionspapier zum Thema „Elektronische Publikationen im Literatur- und Informationsangebot wissenschaftlicher Bibliotheken“.1 Der Text war in einem längeren Prozess von einer Arbeitsgruppe unter ständigem Rückkontakt zum Bibliotheksausschuss entworfen worden. Sie war ausgewogen aus den Bereichen Wissenschaft, Bibliothek und Rechenzentrum besetzt; ihr gehörten auch der Jubilar Klaus-Dieter Lehmann als Generaldirektor der Deutschen Bibliothek und der Autor als Vorsitzender des Bibliotheksausschusses an. Das Positionspapier sollte „absehbare Entwicklungen umreißen und Anforderungen an den Service wissenschaftlicher Bibliotheken“ aufzeigen, und dies im Bewusstsein, „daß die Entwicklungen im Bereich elektronischer Publikationen in raschem Fluß sind.“ Um der Gefahr zu entgehen, einen Text zu präsentieren, der in kurzer Frist Makulatur würde, hatte man sich „vornehmlich auf grundsätzliche Aussagen konzentriert.“ Die hohe Geschwindigkeit, die bei der Änderung im Informationsbereich allgemein erwartet worden war, ist in vielen Teilbereichen tatsächlich eingetreten. Auf anderen Sektoren hingegen hat sich überraschend wenig getan. Dazu zählt die Aufgabe, pragmatische und dennoch weitsichtige Erwerbsprofile zu entwickeln und zu praktizieren. Der folgende Beitrag will den Versuch unternehmen, die Perspektive beim Sammeln digitaler Dokumente in einem wichtigen Punkt zu weiten. Dabei steht nicht die Funktion der Langzeitarchivierung, so wichtig sie ist, im Vordergrund, sondern der zweite Aspekt des DFG-Papiers von 1995, nämlich die Service- und Versorgungsfunktion.
Ausgangslage In Kapitel 4 des DFG-Papiers von 1995 finden sich Ausführungen zur Langzeitverfügbarkeit, die heute noch nicht überholt sind, zumal rechtliche Regelungen, die 1 In: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie 42(1995), S. 445–463, sowie separater Druck, Bonn Juni 1995, 24 S.
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den Bedarf abdecken, nach wie vor fehlen. Selbst die damals angekündigte „Novellierung des Pflichtexemplarrechts mit dem Ziel einer entsprechenden Erweiterung des Sammelauftrags der Deutschen Bibliothek“ ist unverändert nur „eingeleitet“, mitnichten aber vollzogen. Andererseits hat sich im Hintergrund sehr viel getan, vor allem hinsichtlich der Abstimmung der Interessen von Der Deutschen Bibliothek und den Bibliotheken, die in der Arbeitsgemeinschaft der Regionalbibliotheken organisiert sind. So liegt neben dem neuen Textentwurf des Gesetzes über Die Deutsche Bibliothek nebst den zugehörigen Verordnungen auch ein Musterentwurf für Landesgesetze über die Sammlung von Pflichtexemplaren vor.2 Angesichts dessen können wir gegenwärtig in Deutschland von einer relativ abgestimmten Auffassung zu diesem Themenkomplex ausgehen. Bei den Projekten, die zurzeit verfolgt werden, steht die Lösung technischer und organisatorischer Probleme im Vordergrund.3 Ursprünglich hatte Die Deutsche Bibliothek die Rolle als nationale Digitale Bibliothek schlechthin angestrebt und in diesem Zusammenhang angeboten, die Vermittlung zu den übrigen Nationalbibliotheken zu übernehmen. Auf diesem Weg sollte das gesamte Spektrum der Archivierung elektronischer Publikationen global gesichert werden. Dahinter stand das Prinzip der Einfachspeicherung. Obwohl sich diese Sicht logisch geradezu aufzwingt, schnitt schon der Bibliotheksausschuss der Deutschen Forschungsgemeinschaft diese Vorstellung in der Redaktionsphase des Positionspapiers von 1995 mit Blick auf die konkurrierenden Interessen von Staats- und Landesbibliotheken, auf den Sondersammelgebiets-Plan und auf die lokal notwendigen Archivierungsaufgaben deutlich zurück. Das änderte nichts an der Anerkennung der führenden Rolle Der Deutschen Bibliothek, zumal wenn sie sich auf umfassende Kooperation ausrichtete und keine Ausschließlichkeit für sich beanspruchte. Gegenwärtig dominieren bei der Archivierung von Informationen unverändert die Printmedien, und dies – wie es scheint – im allseitigen Interesse. Die Verlage können auf diese Weise den Vertrieb digitaler Dokumente unter Kontrolle halten und damit die aus ihrer Sicht bestehende Gefahr umschiffen, dass der Markt durch ungezügeltes Kopieren zusammenbricht. Die Autoren haben ein verständliches Interesse daran, aus dem gut etablierten wissenschaftlichen Publikationswesen Nutzen zu ziehen. Die Bibliotheken sind froh, das technisch und kostenmäßig noch
2 Erarbeitet von der UAG Pflichtexemplar der Arbeitsgemeinschaft Regionalbibliotheken; Stand 6. Oktober 2003. 3 Nähere Informationen unter http://www.ddb.de/wir/netzpubl.htm; http://deposit.ddb.de/netzpub/web_langzeiterhaltung_ep.htm; http://www.ddb.de/professionell/projekte.htm sowie die jeweiligen dort verzeichneten weiterführenden Links
DEFIZITE BEIM SAMMELN DIGITALER DATEN
ungelöste Problem der Langzeitarchivierung digitaler Dokumente auf den relativ kleinen Anteil der genuin elektronischen Medien beschränkt zu haben. Die Nutzer hingegen beklagen eine gewisse Stagnation bei der eigentlich möglichen Innovation. Denn bibliothekarische Digitalisierungsprogramme klammern im Wesentlichen genau jene Erscheinungsjahre aus, die in der Benutzung stark nachgefragt sind. Konvertiert werden mehr oder minder ausschließlich urheberrechtsfreie, d. h. in der Regel also alte Dokumente. Und Verlage bieten die aktuellen Dokumente in elektronischer Version in eigenen Verlagsportalen zu respektablen Kosten an. So liegt ein höchst bedeutsames Entwicklungspotenzial bibliothekarischer Dienste gegenwärtig brach. Unter Fortführung des derzeit praktizierten Modells wird man unter Vermeidung verbreitungsrechtlicher Schranken erst in rund siebzig Jahren daran gehen, heute erscheinende wichtige Texte zu digitalisieren. Wer zwei bis drei Generationen hinterher hinkt, kann jedoch weder heute noch morgen erwarten, bei der jeweils aktuellen Informationsversorgung eine tragende Rolle zu spielen. Dies umso weniger, wenn die Daten schon heute digital vorliegen; das ist eigentlich blamabel. Denn jede Publikation, die erscheint, bedient sich selbstverständlich digitaler Herstellungsmethoden. Ein konsequenter Anspruch auf die Verfügungsgewalt der betroffenen Bibliotheken über digitale Daten bei den Verlagen, seien es Daten, die bei der Herstellung als Zwischenprodukt anfallen, seien es Daten aus digitalen Parallelversionen, wird derzeit nicht erhoben. Auch die Entwürfe der Pflichtstückeregelung auf Bundes- und auf Landesebene lassen kein diesbezügliches ernsthaftes Interesse erkennen. Vielmehr wird allgemein von der verbreiteten Vorstellung ausgegangen, dass es neben Print- und AV-Medien sowie digitalen Offline-Informationsträgern künftig auch flüchtige Netzpublikationen als Sammelobjekte geben wird, die den Auftrag der Bibliotheken mit Pflichtregal additiv bereichern.
Beispiele Im Folgenden seien einige mehr oder minder zufällig herausgesuchte, jedoch bewusst divergierende Beispiele vorgestellt; sie mögen verdeutlichen, warum Bibliotheken in umfassender Weise ein dringendes Interesse anmelden müssen, möglichst alle digital vorliegenden Daten in die eigene Verfügung zu bekommen. Die Bayerische Staatsbibliothek arbeitet seit den 60er Jahren an einem umfassenden Katalog ihrer Inkunabelsammlung, die – nach Exemplaren gemessen – die größte der Welt ist. Natürlich war zum Beginn des Projekts Datenverarbeitung nicht im Blickfeld. Anders ist die Situation heute, da der Katalog mit Ausnahme
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der Register gedruckt vorliegt.4 Das Eigeninteresse der Bibliothek an einer OnlineVersion war so drängend, dass intensiv nach gangbaren Wegen zu diesem Ziel gesucht wurde. Dabei ergab sich die Chance, auf elektronische Daten für die Druckvorlagen, die bei der Druckerei noch überwiegend vorhanden waren, zurück zu greifen und die typographisch gegliederten Sätze in eine Datenbank zu überführen. Die Konversionskosten lagen deutlich niedriger als bei anderen denkbaren Verfahren, zumal die hohen Investitionen in die Datenqualität (d.h. aufwändige Korrekturläufe) nur durch Datenkonversion gesichert werden konnten. Ein Vertrag mit dem Verlag bietet nun die Grundlage, die Datenbank der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Hätte die BSB als Urheber oder die zuständige Landesbibliothek (in diesem Fall Wiesbaden) auf der Basis des Pflichtregals die Daten erhalten und wären die Daten routinemäßig unter einem einheitlichen Format gespeichert worden, wäre das Auflegen der BSB-Ink-Datenbank kein Glücksumstand, sondern Standard gewesen. Andererseits ist es ein Erfolg, wenn Verlag und Bibliothek sich einigen konnten, dass die Datenbank nicht erst nach Ablauf von siebzig Jahren nach Publikation ans Netz ging. Vor kurzem stellte der K. G. Saur-Verlag das Projekt „World Biographical Information System Online (WBIS)“ vor.5 Mit angestrebten fünf Millionen nachgewiesenen Personen handelt es sich um die umfangreichste biographische Datenbank der Welt. Sie basiert auf der Digitalisierung der Mikrofiche-Editionen der „Biographischen Archive“ des Verlags. Das bayerische Pflichtstückegesetz von 1986 bietet derzeit keine Handhabe für eine Ablieferung der digitalen Daten. Eine Vereinbarung mit dem Verlag ist hoffentlich dennoch möglich, wird jedoch für die Bayerische Staatsbibliothek und die regional zuständige Universitätsbibliothek München angesichts der hohen Herstellungskosten und der bestehenden Entschädigungspflicht in jedem Fall teuer werden. Zieht man ins Kalkül, dass inhaltlich zudem „nichts Neues“ gegenüber der Mikrofiche-Version geboten wird, liegt es angesichts der hohen Kosten möglicherweise nahe, auf den Erwerb der Parallelversion zu verzichten. Zu einem ganz anderen Urteil kommt man, wenn das Konversions-Interesse der Bibliothek ins Spiel gebracht wird; zumal der Verlag neben einem OnlineAbonnement auch eine Archivversion anbietet. Spinnt man diesen Faden ein wenig weiter und denkt an das digitale Engagement der BSB auf biographischem Gebiet (Bayerische Landesbibliothek Online mit einem Biographie-Modul, Allgemeine Deutsche Biographie und Neue Deutsche Biographie, Personennamendatei), dann zeichnet sich geradezu ein Druck ab, die Verfügungsgewalt über all diese Daten zu 4 Bettina Wagner: Vom Print zur elektronischen Ressource : Der Inkunabelkatalog der Bayerischen Staatsbibliothek im Internet. – In: Bibliotheksforum Bayern, 32(2004), S. 254–267 5 http://www.saur.de/wbis-online/index.htm
DEFIZITE BEIM SAMMELN DIGITALER DATEN
erhalten. Nur so könnte eine nutzerfreundliche Implementierung eines gemeinsamen Index und einer synoptischen Anzeige in Angriff genommen werden. Unter diesem Aspekt nimmt sich die Beurteilung der Kosten völlig anders aus. Da der Verlag die Konversionskosten bereits kalkulatorisch finanziert hat, und die Bibliothek allein nie im Stande sein wird, derartige Objekte zu digitalisieren, öffnet sich möglicherweise ein Raum für Verhandlungen. Ein weiteres Beispiel betrifft die Archivierung von Zeitungen, hier insbesondere unter dem Blickwinkel der offenkundigen Problematik der Bestandserhaltung.6 Dauerhafte Originalerhaltung ist ein ehrgeiziges Ziel, das langfristig nicht in allen Fällen durchzuhalten sein wird. Die heute weit verbreitete Mikroverfilmung sichert zwar die Information auf Jahrhunderte, hat aber – blickt man hinter die Kulissen – nicht nur den Nachteil mangelnder Akzeptanz bei den Lesern, sondern auch den Nachteil der Unvollständigkeit der gesamten Überlieferung einschließlich der undurchführbaren exakten Kollationierung. Diese Problematik hat sich weiter verstärkt, seit es aufgrund der Pressekonzentration und wegen des Drucks zu immer größerer Aktualität zunehmend mehr Ausgaben in hoher Unübersichtlichkeit gibt. Bei der Archivierung durch Bibliotheken oder Archive widersprechen die Prinzipien Vollständigkeit und Wirtschaftlichkeit einander gravierend. Wer alle Blätter sammeln will, muss bei einer Zeitung wie der „Augsburger Allgemeinen“ 26 Ausgaben je Erscheinungstag (die unterschiedlichen Versionen innerhalb eines Tages und einer Ausgabe nicht gerechnet!) archivieren, wobei die Überschneidungsquote zwischen zwei Ausgaben mehr als 80% beträgt. Verzichtet eine Bibliothek auf die Nebenausgaben, hat sie in der Regel gerade die sonst nicht dokumentierten Informationen von lokalem und regionalem Interesse aus der Überlieferung eliminiert. Als denkbarer Ausweg eröffnet sich ein anderer Weg. Da sämtliche Zeitungen heute auf elektronischem Weg produziert werden, sollten die in der Pflicht des Sammelns stehenden Bibliotheken danach streben, die digitale Gesamtmenge der Daten zu bekommen.7 Den Verlagen scheint es grundsätzlich möglich zu sein, die Informationen in Einfachspeicherung herauszufiltern. Mit einem optimalen Informationsstand ginge auf diese Weise eine erhebliche Einsparung bei Raumkosten ebenso einher wie ein Ansatz für einen perfekten Nutzerservice. Es ist das Verdienst des KOBV und persönlich von Joachim Lügger, die dauerhafte Informationssicherung von digital vorliegenden Dokumenten thematisiert und als von der Arbeitsgemeinschaft der Verbundsysteme getragenes DFG-Projekt
6 Ich danke Claus-Michael Trapp (Bayerische Staatsbibliothek) für die Mitteilung sachlicher Details. 7 Es steht Bibliotheken dann immer noch der Weg offen, ggf. dauerhafte Mikroformen herzustellen, solange die Langzeitarchivierung digitaler Dokumente noch nicht tragfähig genug ist.
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„Verteilter Dokumenten Server (VDS)“ auf den Weg gebracht zu haben.8 Triebfeder war die drängende Sorge, dass Bibliotheken mit hohem Finanzaufwand Lizenzen zur Nutzung von Datenbanken, elektronischen Versionen von Zeitschriften und dergleichen Dokumenten erwerben. Bibliothekare sehen sich nicht nur einem Wirrwarr von Web-Sites und von unterschiedlichen Datenformaten gegenüber – beides bewusst als Wettbewerbselement entstanden und zur Vielfalt in einem komplexen Marktgeschehen drängend. Im Allgemeinen haben Bibliotheken die digitalen Daten allerdings weder physisch noch rechtlich in ihrer Verfügung. Sie stehen am Ende mit leeren Händen da, wenn die ökonomisch interessante Vertriebsphase durch die Produzenten vorüber ist oder wenn der Lizenzvertrag ausläuft. Der VDS zielt als erstes Großprojekt genau auf das in diesem Beitrag aufgezeigte Defizit, und zwar in einem Bereich, in dem Bibliotheken gegenwärtig riesige Summen aufwenden müssen. Daher ist zu hoffen, dass das Projekt erfolgreich inszeniert wird und langfristig die richtigen Früchte trägt.
Schlussfolgerungen Heute liegen fast alle Daten von wissenschaftlicher Relevanz digital vor, und zwar im Volltext. Das Interesse der Bibliotheken fokussiert sich dagegen zurzeit allzu sehr auf die Sammlung und Erschließung jener Daten, die primär als Nicht-Printmedien publiziert werden, also der genuin digitalen Daten einerseits, und auf die Konversion von sog. urheberrechtsfreien Dokumenten (überwiegend in bloßen Image-Versionen). Hier muss eine wesentliche Änderung der Perspektive stattfinden. Wir werden uns insgesamt daran gewöhnen müssen, dass es auf dem Sektor der digitalen Publikationen in viel geringerem Ausmaß als früher eine feste Rollenverteilung gibt. Es gibt auch keine ordnende Hand. Der Akteure sind zu viele und zu disparate, um sie zu synchronisieren (Verbünde, Agenturen, Verlage, Internetunternehmen, Bibliotheken mit lokalem Bedarf, mit regionalem Auftrag, mit nationalem Auftrag, hinzu kommt das gesamte Archivwesen). Überschneidungen sind unvermeidlich, eine ökonomische Einfachspeicherung ist nicht planbar. Bibliotheken sollten sich und anderen daher nicht gegenseitig das Recht zur Sammlung und Vorhaltung digitaler Daten streitig machen. Vielmehr sollten sie darauf achten, ihre eigenen Aufgaben in wohl verstandenem Eigeninteresse auf wirtschaftliche Weise angemessen zu lösen.
8 http://www.kobv.de/deutsch/content/wir_ueber_uns/projekt_vds_agv.htm
DEFIZITE BEIM SAMMELN DIGITALER DATEN
Auf einem ganz anderen Feld droht eine weit größere Gefahr, nämlich die der weißen Flecken. Es ist dringend Zeit, dass Bibliotheken in ihrem eigenen Zukunftsinteresse eine Wende einleiten – hin zu dem Ziel, alles was wo auch immer digital vorliegt, auf Sammelwürdigkeit zu prüfen. Schon jetzt gehen täglich Daten verloren, die nie oder nur mit höherem Aufwand als dem heute nötigen in digitale Präsentationsform gebracht werden können. Zur Erinnerung: Verlagsarchive haben nur in seltenen Ausnahmefällen die Aufgabe dauerhafter Langzeitspeicherung übernommen. So werden auch die heute verfügbaren digitalen Daten, wenn sich Bibliotheken oder Archive ihrer nicht annehmen, in absehbarer Zeit gelöscht oder technisch unlesbar werden. Es geht in diesem Kontext keineswegs nur um die Archivierung von Daten in der Sorge für künftige Generationen; sondern es geht auch und gerade um den Gewinn, der aktuell dadurch erzielt werden kann, dass inhaltlich verwandte Daten nutzerfreundlich ineinander integriert werden und so als Mehrwert auf den Informationsmarkt kommen. Die Andersartigkeit digitaler Dokumente gegenüber den traditionellen Informationsträgern verpflichtet die Bibliotheken, bei der Wahrnehmung ihres kulturhistorischen und kulturpolitischen Auftrags über die bloße Ergänzungsfunktion des neuen Mediums hinaus zu gehen. Die Sorge für künftige Generationen beginnt bereits heute mit der Vorhaltung von in der Zukunft benötigten digitalen Informationen – selbst um den Preis von Entschädigungszahlungen gemäß den vom Bundesverfassungsgericht 1981 definierten Grundsätzen. Die Urteilsbegründung definiert die Pflicht der Bibliotheken sehr klar und weitsichtig. „Im Blick auf diese soziale Bedeutung stellt es ein legitimes Anliegen dar, die literarischen Erzeugnisse dem wissenschaftlich und kulturell Interessierten möglichst geschlossen zugänglich zu machen und künftigen Generationen einen umfassenden Eindruck vom geistigen Schaffen früherer Epochen zu vermitteln. Diesem kulturpolitischen Bedürfnis kann durch eine Ablieferungspflicht zugunsten öffentlicher Bibliotheken sinnvoll Rechnung getragen werden.“9 Es gilt nun, diese grundsätzlichen Aussagen großräumig in die digitale Welt zu übertragen. Man sollte die langen Gesetzgebungsprozesse als Chance nutzen, die Position von Bibliotheken in diesem Punkt drastisch zu verbessern. Es ist zu hoffen, dass sich die Welt in weiteren zehn Jahren grundlegend gewandelt hat und die Bibliotheken ihre große Chance als umfassende Informationszentren verwirklicht haben.
9 Rz. 47, BVerfG 1. Senat. Beschluß vom 14. Juli 1981. Az: BvL 24/78; http://www.jurisweb.de/ jurisweb/cgi-bin/j2000cgi.sh
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VIERTER ERWEITERUNGSBAU DER DEUTSCHEN BÜCHEREI LEIPZIG ELISABETH NIGGEMANN
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ie Spur beginnt in Frankfurt am Main. Auch wenn Masterplan, Baudauer und Finanzierung komplexer und schwieriger sind in Berlin: Bauen gelernt hat Klaus-Dieter Lehmann in Frankfurt – und hier wohl auch seine Liebe zum Bauen entdeckt, sozusagen Blut geleckt! Dabei war auch die Sache mit der Deutschen Bibliothek Frankfurt am Main gar nicht so einfach. Aber vielleicht weckt ja auch der Widerstand bzw. der Sieg über Widerstände, Widrigkeiten und Zähigkeit die Lust, macht die Freude am Erfolg Appetit auf mehr. Und so erklären sich mir der Masterplan für die Museumsinsel der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die Pläne für die Sanierung des Hauses der Berliner Staatsbibliothek Unter den Linden und für den Neubau eines zentralen Lesesaales in Form eines gläsernen Kubus aus den Erfolgserlebnissen und den Erfahrungen, die sich nach einer überlangen Planungsphase seit den achtziger Jahren und nach dem Bangen um die Entscheidung für einen Frankfurter Neubau zur Zeit der Wiedervereinigung Deutschlands in der 5-jährigen Bauzeit einstellten und mit dem Einzug in das schöne „Haus der Bücher“ gekrönt wurden, das am 14. Mai 1997 durch Helmut Kohl eröffnet wurde. Aber nicht nur in Frankfurt wurde gebaut. Das schöne Gebäude der Deutschen Bücherei Leipzig war restaurierungs- und rekonstruktionsbedürftig und auch hier sorgte Klaus-Dieter Lehmann dafür, dass schon bald nach der Wiedervereinigung Deutschlands Baubeginn war. Noch immer wird hier gebaut, aber die Arbeit am denkmalgeschützten Altbau ist abgeschlossen: Lesesäle, Fassade, Foyer – alles prangt in neuer Schönheit. Lange konnte Klaus-Dieter Lehmann diese Erfolge nicht genießen, denn schon Anfang 1999 verließ er Die Deutsche Bibliothek, um nach Berlin zu gehen. Er hinterließ aber Der Deutschen Bibliothek die Idee für ein neues Bauvorhaben: den vierten Erweiterungsbau für die Deutsche Bücherei Leipzig. Und so möchte ich heute für die Festschrift des Ideengebers einen kurzen Bericht geben: „Was bisher geschah“ oder „Wie weit ist der vierte Erweiterungsbau der Deutschen Bücherei Leipzig?“. Am 2. September 1916 wurde die Deutsche Bücherei am Deutschen Platz in Leipzig feierlich eingeweiht. Von ihrer heutigen Form war sie damals noch weit
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entfernt. Errichtet wurde in diesem ersten Schritt lediglich der 120 Meter lange Baukörper mit seiner ausgesprochen kunstvoll gestalteten Fassade und einem mittig an das Hauptgebäude angeschlossenen Lesetrakt. Mit schlichteren und funktionalen Anbauten begann die Weiterentwicklung des Gebäudes. Eine erste Erweiterung folgte auf den Gründungsbau im Abstand von 20 Jahren von 1934 bis 1936 mit dem Bau des Südostflügels, der mit einem zweiten, kleineren Lesesaal an die Schnittstelle zum großen Lesesaal anschließt. Wiederum rund 20 Jahre später wurde zwischen 1959 und 1963 ein Nordwestflügel ergänzt, mit dem die Symmetrie der Gesamtanlage wieder hergestellt wurde. Nur 13 Jahre später wurde der Platz in der Deutschen Bücherei schon wieder zu knapp und es musste von 1976 bis 1982 eine vollständig neue Lösung für die Magazine verwirklicht werden. Unabhängig vom bestehenden Ensemble wurde als dritter Erweiterungsbau nordwestlich des Hauptgebäudes eine Gruppe von fünf Einzelsegmenten unterschiedlicher Höhe als freistehendes Magazingebäude errichtet. Schon 1996 waren die Kapazitäten der Deutschen Bücherei Leipzig insbesondere im Magazinbereich erneut erschöpft. Seitdem müssen Ausweichmagazine auf dem alten Messegelände in Leipzig angemietet werden; diese bieten aber keine geeigneten Lagerungsbedingungen, unter denen Bestandsschutz bei dauerhafter Aufbewahrung gewährleistet ist. Neben den Mietkosten fallen nun Transportkosten und ein höherer personeller Aufwand für die Bibliothek an; Benutzer müssen sich seither auf längere Wartezeiten bis zur Bereitstellung der bestellten Bücher einstellen. Dabei bietet das Grundstück, das der Deutschen Bücherei zur Gründung von der Stadt Leipzig geschenkt wurde, ausreichend Fläche für einen vierten Erweiterungsbau, der Magazinflächen und Räume für das Deutsche Buch- und Schriftmuseum bereitstellen könnte. Eine projektbezogene Arbeitsgruppe hat von Dezem-
Deutsche Bücherei Leipzig mit Bücherturm im Hintergrund Frank-Heinrich Müller, Leipzig
VIERTER ERWEITERUNGSBAU
ber 1999 bis März 2000 die Möglichkeiten analysiert und einen Bauantrag ausgearbeitet. Dieser Bauantrag wurde im Mai 2000 von dem Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien dem Bundesministerium der Finanzen und dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Wohnungswesen zur Genehmigung vorgelegt. Knapp zwei Jahre sollten vergehen, bis die Bundesrepublik Deutschland im Februar 2002 einen offenen einstufigen baulichen Realisierungswettbewerb in zwei Phasen für die Erweiterung der Deutschen Bücherei Leipzig auf ihrem Grundstück am Deutschen Platz auslobte. Die Wettbewerbsbeiträge sollten neben der Bauwerksplanung für den rund 11.000 qm umfassenden vierten Erweiterungsbau die entsprechende Freianlagenplanungen und eine optimale gebäudetechnische Ausstattung enthalten. Sie mussten darüber hinaus die bisherigen Gebäudeteile, die vollkommen unterschiedlichen städtebaulichen Leitbildern folgen, verbinden. Im Juni 2002 kam die Wettbewerbsjury unter dem Vorsitz von Regierungsbaumeister Peter Conradi, Präsident der Bundesarchitektenkammer, zum ersten Mal zusammen. Sie hatte die Entwürfe von 209 Teilnehmer der 1. Wettbewerbsphase zu begutachten. Die wesentlichen Kriterien der Bewertung waren neben den funktionellen und gestalterischen Aspekten für ein Gebäudekonzept des vierten Erweiterungsbaus die städtebaulichen Aspekte einer Gesamtlösung für das Ensemble am Deutschen Platz. Der jeweiligen Anbindung des neuen Bauwerks an das historische Hauptgebäude und an den Bücherturm kam besondere Bedeutung zu. Für die sich anschließende 2. Phase des Wettbewerbs wurden 33 Entwürfe ausgewählt. Bereits im November trat das Preisgericht erneut zusammen, um die Ergebnisse der zweiten Wettbewerbsphase zu bewerten. Neben der städtebaulichen und architektonischen Gestaltung wurden nun auch Aspekte des Energiekonzeptes sowie der Wirtschaftlichkeit des Gebäudes nicht nur beim Bau, sondern auch in der Nutzungsphase als Beurteilungskriterien hinzugezogen. Als Ergebnis dieser Phase des Wettbewerbs wurden insgesamt fünf Preise und vier Ankäufe vergeben. Sowohl die Wettbewerbsjury als auch der Verwaltungsrat Der Deutschen Bibliothek, der sich in seiner Sitzung am 18. November 2002 mit dem Ergebnis des Wettbewerbs befasste, kamen zu einem eindeutigen Votum für den mit dem ersten Preis bedachten Wettbewerbsbeitrag. Realisiert werden solle der Entwurf der Stuttgarter Architektin Gabriele Glöckler, dessen städtebauliche, architektonische und funktionelle Prägnanz überzeuge. Nicht nur in Leipzig selbst, auch in der Fachpresse wurde der bauliche Realisierungswettbewerb für den vierten Erweiterungsbau der Deutschen Bücherei mit großem Interesse verfolgt. Die Planungen wurden als anspruchsvolle Bauaufgabe an einem prominenten Standort verstanden, denn der Deutsche Platz verfügt mit den bisherigen Gebäuden der Deutschen Bücherei, der neu entstandenen Biocity Leip-
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ELISABETH NIGGEMANN Vierter Erweiterungsbau der Deutschen Bücherei Leipzig, Luftbild Montage Blick Süd-Ost; Gabriele Glöckler, Stuttgart – Architektur / Jan Forner, Stuttgart – 3D-Virtualisierung
zig und dem Gebäude des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie bereits über prägnante Bauwerke. Die Wettbewerbsarbeiten wurden deshalb der Öffentlichkeit in einer Ausstellung zugänglich gemacht, die noch im November 2002 in einer ehemaligen Baumwollspinnerei im Leipziger Stadtteil Plagwitz eröffnet werden konnte. Als nächster Schritt in der Planung wurde im Januar 2003 eine Optimierungsstudie vom Bundesministerium für Verkehr-, Bau- und Wohnungswesen beauftragt. Unter Berücksichtigung des Leitfadens zu nachhaltigem Bauen und besonders des energetischen Konzeptes galt es, die Gesamtbaukostenschätzung zu präzisieren und zusätzlich auch eine Bewertung der Gesamtkosten über den Nutzungszeitraum zu erstellen. Im Verlauf der Durchführung der Optimierungsstudie hat der Entwurf sehr viel konkretere Gestalt angenommen. In der trotz des hohen Zeitdrucks vertrauensvollen und produktiven Zusammenarbeit aller Beteiligten, Baubehörde, Nutzer, Fachplaner und Architektin wurden in dieser Phase entscheidende Erkenntnisse für den vierten Erweiterungsbau der Deutschen Bücherei gewonnen. Lage und Gestaltung der Räume konnten durch die Prüfung und Optimierung der Arbeitsabläufe konkreter festgelegt werden und für die Dauerausstellung des Deutschen Buch- und Schriftenmuseums wurden grundlegende Überlegungen hinsichtlich des Ausstellungskonzepts und des dafür notwendigen Ausstellungsraumes angestellt. Mitte des Jahres 2003 lagen die Ergebnisse der Optimierungsstudie vor und mit ihr wurde auch das Bild des Erweiterungsbaus deutlicher. Die logistischen Fragen des Büchertransportes über eine Transportanlage und mit Bücherwagen sind in die Planungen eingeflossen und ergänzen die nun präzisierte Anbindung des Erweiterungsbaus an die Magazintürme einerseits und das Hauptgebäude der Deutschen Bücherei andererseits. Mit der Planung der Gestaltung der Außenanlagen wurden
VIERTER ERWEITERUNGSBAU Vierter Erweiterungsbau der Deutschen Bücherei Leipzig, Perspektive Ansicht deutscher Platz; Gabriele Glöckler, Stuttgart – Architektur / Jan Forner, Stuttgart – 3D-Visualisierung / Frank-Heinrich Müller, Leipzig – Fotografie
die öffentlichen und die internen Wege zwischen den Gebäudeteilen sichtbar und eine Führung der Besucherströme geplant. Ausgangspunkt der Planungen für die kompakte Hülle des Gebäudes sind vorgeformte Betonfertigteile auf gekrümmten Unterzügen und eine Außenwandverkleidung mit mehrschichtigem Aufbau aus Wärmedämmung und vorgeformten Aluminiumverbundplatten. Drei klimatechnische Varianten wurden im Laufe der Studie untersucht: konventionelle Klimatechnik; reduzierte Vollklimaanlage mit Wärmerückgewinnung und Betonkernaktivierung; Betonkernaktivierung mit Phasenwechselmaterial. Die zweite dieser Alternativen, die reduzierte Vollklimaanlage mit Betonkernaktivierung und Wärmerückgewinnung, stellte sich als wirtschaftlichste Variante heraus. Schließlich hat die Studie ergeben, dass unter baufachlichen und wirtschaftlichen Aspekten die Sanierung der Fassade der Büchertürme und eine Verstärkung ihrer Wärmedämmung zeitnah zum Baugeschehen für den Erweiterungsbau vorgenommen werden sollte. Die Vorentwurfsplanung wurde vom Bundesministerium für Verkehr-, Bau- und Wohnungswesen in dieser Form geprüft und im Dezember 2003 baufachlich genehmigt. Die wirtschaftlichste Bauzeit beträgt danach 26 Monate und natürlich wünschen sich alle Beteiligten einen möglichst schnellen Baubeginn. Von einem realistischen Erwartungshorizont und dem Kenntnisstand im Dezember 2004 aus betrachtet, kann man von einem Baubeginn 2006 und einer Fertigstellung im Jahre 2009 ausgehen. Bis zur Einweihung des Erweiterungsbaus werden noch viele Schritte zu gehen sein. Wir hoffen auf zügiges Voranschreiten mit flexibler Umgehung kleinerer Hindernisse und ohne große Stolpersteine. Klaus-Dieter Lehmann ist schon heute ganz besonders herzlich eingeladen zu allen Feierlichkeiten, die in guter Tradition Neubauten begleiten: Grundstein-
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legung, Richtfest und feierliche Einweihung! So möchten wir ihn auf der Spur des Bauens von Frankfurt über Berlin immer wieder nach Leipzig locken und wir sind sicher: dem Berliner Museums- und Bibliotheksbauer wird der Leipziger Bibliotheks- und Museumsbau gut gefallen.
ZENTRAL UND/ODER DEZENTRAL KULTURPOLITIK IM FÖDERALEN STAATSWESEN
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BEGEGNUNGEN MIT KLAUS-DIETER LEHMANN RUTH WAGNER
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ch habe Klaus-Dieter Lehmann zu Beginn meiner Abgeordnetentätigkeit im Hessischen Landtag Ende der 70er Jahre kennen gelernt. Er war Leiter der Stadtund Universitätsbibliothek zu Frankfurt am Main, einer Bibliothek, in der ich als Studentin gelesen, gelernt und gearbeitet habe und die neben der Universität selbst, der Bibliothek des Deutschen Hochstiftes und der Senckenbergischen Universität zu meinen Lieblingslernorten in den 60er Jahren gehörte. Mit meinem Einstieg in die Politik als Beruf verband sich der glückliche Umstand, dass ich das, was ich in meinem Studium der Germanistik, Geschichte und Politikwissenschaft, als Gymnasiallehrerin und als Interessenvertreterin der hessischen Lehrerschaft an Erfahrung sammeln konnte, in die Funktion einer bildungs- und kulturpolitischen Sprecherin meiner Fraktion einbringen konnte. Der Kontakt, vor allem zu kulturellen Institutionen, gehörte deshalb zum selbst auferlegten Pflichtprogramm. So geschah es, dass ich meine bestehenden Kontakte zu den großen Bibliotheken in Hessen und den bibliothekarischen Verbänden intensivierte und zum ersten Mal ein Gespräch mit Klaus-Dieter Lehmann über die Frankfurter Stadt- und Universitätsbibliothek hatte, die erst während meiner späteren Ministerverantwortung im Jahr 2000 mit Hilfe des so genannten Kulturvertrages des Landes Hessen und der Stadt Frankfurt aus der doppelten Trägerschaft in die vollständige Kompetenz des Landes als Universitätsbibliothek überging. Es ging nicht nur um die Frankfurter Institution, sondern um die finanzielle, strukturelle und personelle Situation aller Bibliotheken in Hessen, ihre im Bundesdurchschnitt vergleichsweise schlechte Ausstattung, sowohl der Landes- und der Hochschulbibliotheken, wie auch der kommunalen Bibliotheken und Büchereien in privater Trägerschaft, was übrigens trotz aller Erfolge der letzten Jahre im Ranking für Hessen immer noch gilt. Zusätzlich gab es in Hessen bis zum Jahr 1980 drei kleine, wenig schlagkräftige Personalverbände der Bibliothekare, aber keinen Bibliotheksverband. Und so schlug Klaus-Dieter Lehmann mit anderen Kollegen eines Tages vor, einen Deutschen Bibliotheksverband – Landesverband Hessen zu gründen und mich um die Kandidatur als Vorsitzende zu bitten. Klaus-Dieter Lehmann wurde Geschäftsführer des Verbandes, ich die Gründungsvorsitzende: und gemeinsam mit weiteren aktiven Bibliothekaren hat der Verband in den letzten
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25 Jahren eine wichtige Interessenvertretung für die Bibliotheken gegenüber Landtag und Landesregierung, kommunalen Parlamenten und Magistraten wie auch gegenüber der Öffentlichkeit wahrgenommen. Anwalt der Bücher und zugleich der Bibliotheken als bedeutender Institutionen zur Wahrung des kollektiven Gedächtnisses einer Nation zu sein, das war und ist für Menschen wie Klaus-Dieter Lehmann nicht nur eine ganz persönliche und professionelle Pflicht. Das öffentliche Sich-Einsetzen für das geschriebene Wort, für die Erhaltung des Buches als Kommunikationsmittel, für Literatur und Sprache, gehörte für ihn zur persönlichen, kulturpolitischen Überzeugungsarbeit, die er ein Leben lang betrieben hat. Die Gründung des Hessischen Bibliotheksverbands vor einem Vierteljahrhundert hat nachhaltige Wirkung erzielt: Die Landtage und die Regierungen befassten sich mehrfach in grundsätzlichen Debatten, bei Haushaltsberatungen, aber auch in Diskussionen und Gesprächen mit dem Verband oder auf dem Hessischen Bibliothekstag sowie anläßlich der Verleihung des Bibliothekspreises mit der Bedeutung der Bibliotheken, der Bücher und der Lesefähigkeit der Jugendlichen. Meine zweite gemeinsame Arbeit mit Klaus-Dieter Lehmann ergab sich aus seiner Übernahme der Leitung der Deutschen Bibliothek in Frankfurt, für die er unverzüglich einen Förderverein gründete, dem ich von Anfang an angehörte und in dessen Vorstand ich auch heute noch mitwirke. Die mäzenatische Förderung und das Sponsorship für die große Deutsche Nationalbibliothek in Frankfurt und dann auch in Leipzig, haben es ermöglicht, besondere Projekte zu fördern, wie zum Beispiel die Entsäuerung gefährdeter alter Buchbestände voranzutreiben. Das dritte gemeinsame Projekt, das Klaus-Dieter Lehmann und ich auf den Weg brachten, ist für uns beide eine große Freude, nämlich der Bau und die Ausstattung eines Museums zur Pflege der Erinnerung an Leben und Wirken von Christian Daniel Rauch in Bad Arolsen. Das Gedenken an den klassizistischen Bildhauer, der 1777 in der Residenzstadt der Fürsten von Waldeck und Pyrmont geboren wurde, war zwar über Jahre schon in Bad Arolsen in seinem Elternhaus bewahrt worden. Bis zur Eröffnung des neuen Museums im Jahr 2002 anlässlich seines 225. Geburtstages gab es jedoch keine gesamte museale Würdigung mehr, nachdem das Rauch-Museum als Dependance der Nationalgalerie zu Berlin schon vor dem Zweiten Weltkrieg geschlossen und die Bestände verstreut und geteilt worden waren. Nach der Wiedervereinigung und aus Anlass des Jubiläums bot sich die Möglichkeit, ein museales Haus des Gedächtnisses – nicht nur für den großen klassizistischen Bildhauer – zu errichten, sondern sein Wirken in den Zusammenhang der europäischen Kunst des 19. Jahrhunderts zu stellen. In nur vier Jahren gelang in einer modellhaften Aktion von vorbildlich gelebtem Föderalismus, die Gründung eines neuen Museums, das für das heutige Bad Arolsen, für Hessen und für Deutschland hohe Attraktivität besitzt. Im ehemaligen Marstall des Fürstentums,
BEGEGNUNGEN MIT KLAUS-DIETER LEHMANN
der damit auch denkmalgerecht saniert wurde, ist in einer Kooperation des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst, der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, der Nationalgalerie in Berlin, der Hessischen Kulturstiftung, der Stadt und des Kreises, wie auch der Dominalverwaltung, ein neues Museum des deutschen und europäischen Klassizismus entstanden; „ein Modellfall, der hoffentlich Schule macht“, wie Klaus-Dieter Lehmann formulierte. Jenseits der theoretischen und vorläufig gescheiterten Diskussion über die Neuordnung der bundesrepublikanischen Föderalordnung, vor allem jenseits der kleinmütig, bürokratisch und eher zänkisch denn konstruktiv geführten Debatte zur so genannten „Entflechtung“ im Kulturbereich ist hier ein nachhaltiges Beispiel an privater, kommunaler und Landesverantwortung sowie bundespolitischem Gestaltungswillen erreicht worden. Die Diskussion um eine Neuordnung ist dringend notwendig und muss weiter geführt werden, weil die derzeitige Situation in ihrer Komplexität kaum mehr zu durchschauen ist. Wettbewerb, Arbeitsteilung, Kooperation und Solidarität schließen sich nicht aus, sondern können zu produktiven Ergebnissen führen. Das Beispiel in Arolsen zeigt, dass denkmalgerechte Sanierung eines Gebäudes, das zur Residenz Arolsens gehört, mit Hilfe des Landes geschehen konnte, dass ein kluges und attraktives, museales Netzwerk vor Ort bereits bestand und ausgebaut wurde und dass die Kultur eines kleinen Fürstenhofes vom Barock über das 18. bis ins 19. Jahrhundert für uns heutige Menschen in wunderbarer Weise anschaulich gemacht werden konnte. Es wurde aber auch ein zweites Wunder bewirkt, nämlich die Wiedervereinigung der lange Jahre zerstreuten reichen Skulpturenbestände, Zeichnungen, Architekturmodelle und Gemälde von Christian Daniel Rauch in den geteilten staatlichen Museen in Berlin. Ihre Restaurierung mit hessischen Landesmitteln und eine langfristige vertragliche Überlassung durch die Nationalgalerie Berlin an das Museum in Bad Arolsen sind ein Beispiel kultureller Wiedervereinigung nach der Überwindung der Teilung. Ein internationales Symposium zu Rauch und seinen Zeitgenossen und deren Wirkung in der europäischen Epoche des Klassizismus hat im Jahr 2003 diesem Projekt zu Recht einen wichtigen Platz in der Dokumentation der europäischen Geistesgeschichte zugewiesen. Dass „Metropole“ und „Provinz“, wenn sie nur wollen, zu solcher Kooperation fähig sind, ist vor allem Klaus-Dieter Lehmann zu danken, der mit solcher Erinnerungsarbeit sein Leben lang Kulturpolitik für die Zukunft betrieben hat.
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SCHWARZ-WEISSE SPURENSUCHE PREUSSISCHES IN DER STIFTUNG PREUSSISCHER KULTURBESITZ JÜRGEN KLOOSTERHUIS
1. Preußen-Adler und Stiftungsidentität „Und immer wieder schickt ihr mir Briefe, in denen ihr, dick unterstrichen, schreibt: Herr Kästner, wo bleibt das Positive? Ja, weiß der Teufel, wo das bleibt!“
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m Beginn einer „schwarz-weißen Spurensuche“ Erich Kästners freche Gebrauchslyrik zu zitieren, provoziert auf die Frage: „Wo bleibt das Preußische in der SPK“ natürlich die Antwort „Ja, weiß der Teufel, wo das bleibt!“ Welchen Stellenwert hat Preußen im Alltag der Stiftungsverwaltung, in der Kulturpolitik des Stiftungspräsidenten? Solche Fragen sind sicher am Besten aus der Villa Von der Heydt zu beantworten. Wenn sich hier der Direktor des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz darauf zu respondieren traut, ermutigt ihn, dass „seine“ Einrichtung in der Stiftung selbstverständlich die preußische Tradition trägt. Sie symbolisiert das Stiftungs-Zeichen, der auffliegende Preußen-Adler, wie er auch das Giebelfeld über dem Archivportal ziert. Kein Geringerer als Ministerpräsident Otto Braun hatte übrigens bei der Einweihung des Archivgebäudes 1924 die Anweisung gegeben, den Wappen-Aar in seiner 1921 für den Freistaat Preußen gestalteten Form dort anzubringen, nachdem das ursprünglich vor 1914 geplante und nach 1918 unmögliche Königswappen zunächst durch ein verlegenes Ochsenauge ersetzt worden war. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz hat ihren (vom Münchener Bildhauer Karl Roth graphisch gestalteten) Adler 1961 in das Dienstsiegel aufgenommen, das sie nach Paragraph 1 Abs. 2 ihres Errichtungsgesetzes führt. In der Urkundensprache handelt es sich dabei um ein Corroborationselement erster Ordnung, emblematisch formuliert um einen Bedeutungsträger von höchstem Gewicht, und im Slang des modernen Marketing-Jargons um das Logo der corporate identity. So fliegt jener Vogel – insofern zivil- und wohl auch markenrechtlich geschützt – auf Ernennungsurkunden und Dienstausweisen des Präsidenten ebenso wie auf Plakaten und Kopfbögen der Stif-
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JÜRGEN KLOOSTERHUIS Mit dem Preußen-Adler im Giebelfeld: Das Portal des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz Foto: J. Kirchmair, GStA PK
tungseinrichtungen. Umso mehr gilt es zu stutzen, wenn deren wohl populärste Gruppe, die Staatlichen Museen zu Berlin, den Adler 2002 durch ein eigenes Logo kurzum zu ersetzen begann: Die rechtwinklig gesetzte und gegebenenfalls in schlichtes Gold geprägte Buchstabentrias SMB. Seitdem ist die Behördenfirma „Preußischer Kulturbesitz“ im Schrifttum dieses Stiftungs-Teiles nur noch unterm Kleingedruckten auszumachen. Schon der Blick auf das Layout von Marketing-Produkten provoziert also die Frage nach dem preußischen Verbleiben in der SPK; erst recht die weitere Überlegung, ob in ihren Einrichtungen Preußisches bewusst oder unbewusst fortzuwirken vermag. Bildet Preußen für die Stiftung heute noch einen identitätsfördernden Erinnerungswert; finden sich Spuren preußischer Gedanken in der Kulturpolitik der SPK?
2. Präsidenten zwischen Preußen-Passio und Stiftungs-Missio Der ehemalige Stiftungs-Präsident Werner Knopp hat einmal erzählt, dass er bei seinem Bewerbergespräch 1977 auch über sein persönliches Verhältnis zu Preußen befragt worden sei – was bei der Suche nach seinem Nachfolger 1998/99 dann keine besondere Rolle mehr gespielt hätte. Für Knopp, den gebürtigen Braunschweiger des Jahrgangs 1931, Hochschuljuristen und Universitätspolitiker, bildete diese Frage sicher eine eher intellektuelle Herausforderung. Ähnliches darf für Klaus-Dieter Lehmann vermutet werden, der, 1940 in Schlesien geboren und nach der Vertreibung in Nordrhein-Westfalen aufgewachsen, Karriere als Naturwissenschaftler und Bibliothekar gemacht hat. Dagegen dürfte sich der erste Stiftungs-
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kurator bzw. (ab 1967) Präsident Hans-Georg Wormit als Preuße kath’exochen gefühlt haben, denn der Verwaltungsjurist war 1912 in Ostpreußen als Sohn einer Familie gar prußischen Ursprungs zur Welt gekommen. Wormit übernahm 1962 die exekutive Leitung der bekanntlich 1957 gegründeten Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Ihre materiellen Kompetenzen bestimmte Paragraph 2 des Stiftungsgesetzes. Demnach gingen Eigentum und sonstige Vermögensrechte des Landes Preußen in die Stiftungshand über, und zwar vor allem Kulturgüter (Archiv-, Bibliotheks- und Museumsbestände sowie sonstige Kunst- und wissenschaftliche Sammlungen), soweit es sich dabei nicht um Bibliotheksgut im Bereich der Hochschulen, Archivalien von regionaler Bedeutung in den Staatsarchiven der Bundesländer oder Bestände der Kunstsammlungen in Kassel handelte. Diesen Kulturbesitz galt es in den Anfangsjahren neu zu ordnen und wieder auf-, in der Folge aber nach Kräften auszubauen. Die Arbeit stand in den 1960er Jahren a priori unter preußischen Vorzeichen, wenn die Stiftung nach Paragraph 3 des Errichtungsgesetzes zum Zweck hatte, die ihr „übertragenen preußischen Kulturgüter für das deutsche Volk zu bewahren, zu pflegen und zu ergänzen, unter Beachtung der Tradition den sinnvollen Zusammenhang der Sammlungen zu erhalten und eine Auswertung dieses Kulturbesitzes für die Interessen der Allgemeinheit in Wissenschaft und Bildung und für den Kulturaustausch zwischen den Völkern zu gewährleisten“. Entsprechend hatte insbesondere Wormit an eine genuin preußische Sinngebung der SPK geglaubt und alle Energie daran gesetzt, „die Leistungen des geistigen Preußen über die Auflösung des Staatsgebildes hinaus wachzuhalten und ihnen wieder Anerkennung zu verschaffen“ (wie es in Gerhart Rudolf Baums Laudatio zu Wormits Verabschiedung hieß). Die SPK nahm damit von Anfang an nicht das Erbe des 1947 aufgelösten Staates schlechthin, sondern die Nachfolge des „geistigen Preußen“ in Anspruch. Während Wormit dabei gleichsam von borussischer Passion beseelt war, stilisierte nach ihm Werner Knopp einen ebenso gelehrt-differenzierten wie gelassen-heiteren Umgang mit Preußen. Gleichzeitig entfalteten sich die Stiftungseinrichtungen unter seinem Präsidium nach der Devise „Nur was wächst, lebt“ zu einem weit über Berlin ausstrahlenden Kulturorganismus – erst recht, voll und ganz unter den Vorzeichen der deutschen Wiedervereinigung. Die großartig genutzte Chance setzte sich in den 1990er Jahren in eine neue Zielsetzung um. Es geht dabei nicht nur um die Fortentwicklung der einzelnen Stiftungseinrichtungen, sondern nach dem Leitbild des seit 1999 amtierenden Stiftungspräsidenten auch um ihre innere Integration zu einem kulturellen Ensemble, das in zeitlichen wie räumlichen Dimensionen seinesgleichen sucht. Daraus möglichst weite Wirkung zu erzeugen, und die SPK zukunftsfähig zu machen, sind für Klaus-Dieter Lehmann zwei Seiten derselben Sache. Zur alten Preußen-Passio ist
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durch den kulturpolitischen Einsatz dreier Präsidenten unter je eigenen Rahmenbedingungen eine neue Stiftungs-Missio getreten.
3. Preußische Provenienzen als Stiftungsklammer Wiederum Werner Knopp pflegte die SPK liebevoll als „Wurmfortsatz des preußischen Kultusministeriums“ zu bezeichnen. Klaus-Dieter Lehmann sieht sich substantieller in der „Nachfolge des preußischen Kultusministers“. Beide beziehen sich damit natürlich auf den per „Preußenschlag“ 1932 amtsentsetzten Adolf Grimme, seine Vorgänger und ihre Behörde weiland Unter den Linden 4. Gleichwohl muss auch der Preußische Ministerpräsident genannt werden, wenn die preußischen Provenienzen aller SPK-Einrichtungen auf ihrem Vorkriegsstand freigelegt werden sollen. Ihm waren, wie ein Blick in das letzte Preußische Staatshandbuch von 1939 zeigt, damals unmittelbar unterstellt: die Generaldirektion der preußischen Staatsarchive (Generaldirektor Dr. Zipfel), das Preußische Geheime Staatsarchiv (Direktor Dr. Brenneke), sodann die Staatsarchive in den Provinzen und in besonderer Weise das Brandenburg-Preußische Hausarchiv (Leiter Dr. Dehio). Daneben gehörten übrigens nur noch die Staatstheater unter Generalintendant Gründgens zum ministerpräsidialen Ressort; sic transit gloria mundi. Im Geschäftsbereich des Reichs- und Preußischen Ministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung waren u. a. die Abteilungen Wissenschaft und Volksbildung zu unterscheiden. Die erste Abteilung betreute die Staatlichen Wissenschaftlichen Anstalten, von denen hier die Preußische Staatsbibliothek zu Berlin (Generaldirektor DDr. Krüß), das Preußische Institut für Archivwissenschaft und geschichtswissenschaftliche Forschung (Direktor Dr. Zipfel) und das Ibero-Amerikanische Institut (Präsident Generalmajor a. D. Faupel) interessieren. Zur Abteilung Volksbildung zählten u. a.: I. die Staatlichen Museen (Generaldirektor Prof. Dr. Kümmel) mit den Abteilungen Spreeinsel, Schlossmuseum (das kriegszerstörte Monbijou), Zeughaus (heute DHM), Museum für Völkerkunde und Kunstbibliothek, II. die Nationalgalerie zu Berlin, III. die Museen und Kunstsammlungen in den Provinzen, IV. die Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten (heute SPSG), V. die Staatliche Bildstelle (heute beim Landesarchiv Berlin) und VI. das Staatliche Institut für Deutsche Musikforschung mit Musikinstrumentenmuseum (Leiter Prof. Dr. Seiffert). Was davon heute in der Stiftung Preußischer Kulturbesitz vereint ist, spiegelt sich seit 2000 am eindruckvollsten im Prachtwerk „Schätze der Weltkulturen in den Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz“ (der den kleineren Bildband „25 Jahre in Berlin“ von 1986 abgelöst hat). Er durchschreitet einen „Kosmos
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der Kulturen“ für das 21. Jahrhundert, dessen Bestandteile im „Sinn des Denkens von Wilhelm und Alexander vom Humboldt“ gesehen werden und verstanden sein sollen. Damit bezieht sich dieser Kosmos noch immer vor allem auf die Erbmasse der preußischen Kulturpolitik v. a. des 19. Jahrhunderts, die sich meist auf ausgewiesene Kennerschaft und gekonnte Sammeltätigkeit der Gelehrten, finanzielle Großzügigkeit des Staates und nicht zuletzt ein vital interessiertes und spendenfreudiges Publikum verlassen konnte. Freilich reichen die Anfänge mancher Stiftungseinrichtungen weiter zurück. So sind einige der von der Generaldirektion der 17 Staatlichen Museen verwalteten Häuser auf die Kunstkabinette der Hohenzollern zu beziehen; vornehmlich das Münzkabinett, das mit einem 1619 erstmals belegten Katalog „zum alten Adel der Berliner Museen“ gehört. Die Generaldirektion der Staatsbibliothek zu Berlin darf sich als Nachfolgerin der 1661 gegründeten Kurfürstlichen Bibliothek betrachten. Und das weiland Preußische Geheime Staatsarchiv, das nach 1945 zunächst verschämt als „Hauptarchiv für Behördenakten“ firmierte und erst 1961 als Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz zur SPK kam, kann die Anfänge seiner Archivarbeit auf das Jahr 1598, deren kanzleigemäßen Ursprung gar auf 1282 datieren. So gegebenenfalls in der (brandenburg-) preußischen Tradition tief verwurzelt, vereint die zahlreichen, nach wissenschaftlichen Disziplinen, institutionellen Größen und vergleichbaren Relevanzen so differenzierten Stiftungseinrichtungen nichts anderes (scil. geringeres) als eben diese preußische Provenienz. Der Klammer eignet sogar magnetische Kraft, die auch den Hamburger Bahnhof oder die Sammlung Newton einzubinden vermag.
4. Der „Januskopf“ im Stiftungsjahrbuch Das erste Jahrbuch der Stiftung Preußischer Kulturbesitz folgte 1962 in seiner Einteilung der Devise „Vermächtnis und Verpflichtung“, und schulterte damit tapfer Glanz und Last der preußischen Geschichte, für die man so gerne die Metapher vom Januskopf bemüht. Die mutige Devise tauchte im Band von 1964/65 noch einmal auf, um dann von schlichteren Formal-Rubriken abgelöst zu werden. So boten die Jahrbücher zum Beispiel lange Zeit einen Aufsatzteil, in dem bis etwa 1990 viele große Preußenforscher zu Wort kamen: Hans Joachim Schoeps und Walter Bussmann, Gerhard Oestreich und Oswald Hauser (mit einem PreußenForschungsbericht 1972), Hagen Schulze, Walter Hubatsch, Hermann Kunisch, Klaus Hildebrand oder Hans Hattenhauer. In den folgenden zehn Jahren wurde das Nachdenken über Preußen im Stiftungsbrevier immer deutlicher zur Domäne des Präsidenten Knopp, der vorläufig das letzte Mal im Jahrbuch 2000 seine Leser mit der Frage provozierte: Was geht uns Preußen an? (Viel, wenn das demokrati-
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sche Gemeinwesen wieder staatsbezogene Tugenden einfordern will.) Im gleichen Zeitraum besetzten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des GStA PK immer mehr die (ost-)preußischen Detailthemen. Das lief letztendlich auf eine Reduzierung der Preußen-Reflexionen im gesamten Stiftungsspektrum hinaus, was zum Beispiel an den Beiträgen zum 2002 erschienenen Jahrbuch auf das „Preußenjahr“ 2001 erhellte. Seine Themen pointierten: Wiedergeburt der Museumsinsel, Urständ der Nationalgalerie, internationale kulturelle Zusammenarbeit und die Praxis der Restitution, Rückkehr der Singakademie – und am Ende immerhin: Victoria im Preußenjahr! Hinter dem Wandel steht mittlerweile auch eine neue Jahrbuchkonzeption, die ihren Akzent weniger auf preußische Themenaufsätze, sondern vielmehr auf aktuelle Stiftungsthemen legt. Vielleicht konzentrieren sich die preußischen Erinnerungen im zeitgenössischen Stiftungsalltag immer exklusiver auf das GStA PK. Dennoch scheint ein „schwarzweißer“ Grundgedanke in der SPK virulent zu bleiben. Gemeint ist die JanuskopfMetapher, um die sich schnell alles dreht, wenn gelehrte Studien, programmatische Festreden oder populäre Zeitungsartikel preußische Probleme memorieren. Auch im Stiftungsselbstverständnis spielte von Anfang an das Aperçu der Madame de Stael von 1810 eine wichtige Rolle: „Preußen zeigt ein Doppelgesicht wie der Januskopf: ein militärisches und ein philosophisches“. Obwohl es notabene die Stael zu ihrer Zeit sicher schwer gehabt hätte, die Probe aufs Exempel zu geben und Preußen vor wie nach dem Frieden von Tilsit als aggressiven Militärstaat zu beschreiben, ist ihre Metapher von der zwiespältigen Gottheit an der politischen Kultur gerade dieses Staates wirkungsmächtig hängen geblieben. Beispielsweise vertiefte sie der Historiker Rudolf Stadelmann 1950 im „Preußen-Ploetz“ mit packenden Adjektiven: „Das Preußentum hat zu allen Zeiten ein unheimliches Janusgesicht besessen. Es ist zugleich nach vorwärts und nach rückwärts gewandt. Es ist verbissen reaktionär und fast bodenlos modern. Es ist pietistisch und aufgeklärt, patriarchalisch und industriell, legitimistisch und revolutionär“. Hinter der Wucht dieser Perioden stand das fassungslose Entsetzen eines Bildungsbürgers über die deutsche Katastrophe von 1933 ff. und ihr preußisches Nachspiel, das Kontrollrats-Gesetz Nr. 46 vom 25. Februar 1947, das mit seiner plumpen Präambel wiederum auf die Versailler Verdikte von 1919 und weiter auf den „Krieg der Ideen“ verwies, der 1914 den Waffengang propagandistisch flankiert hatte. Wer am Beginn der demokratischen Entwicklung der Bundesrepublik daher Preußen nicht sofort die Sündenbockfunktion auf dem Sonderweg zuschob, war meist bemüht, in den preußischen Grenzen „Athen“ von „Sparta“ zu unterscheiden. Diese antithetische Gedanken-Konstruktion fußte auf der Antikenrezeption seit Winkelmann und im Klassizismus der Schinkelzeit. Im preußischen Vermächtnis das „militärisch-schlechte“ Lakedaimonische vom „geistig-guten“ Attischen zu sezieren, und sich nur dem Zweiten ver-
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pflichtet zu fühlen, lief aber leider auf Geschichtsklitterung hinaus. Bekanntlich verdankte das Athen der Pentekontaëtie seine kulturelle Blüte höchst imperialer militärisch-maritimer Machtentfaltung. Mutatis mutandis reichten sich Macht und Kultur auch in den meisten Staaten der Neuzeit die Hand, vornehmlich in Frankreich, um nur auf das frühmoderne kulturelle Vorbild Europas zu einer Zeit zu verweisen, in der Preußen allenfalls ein Name, aber noch kein Begriff war. Auch in der Folge schrumpfte der Januskopf keinesfalls auf ausschließlich preußische Kragengröße. Umso weniger sollte heute die Metapher taugen, um eine verwerfliche Kultur der Macht von einer verwertbaren Macht der Kultur zu scheiden und mit letzterer ein „geistiges Preußen“ (aber nicht, horribile dictu, den „preußischen Geist“!) als akzeptable Essenz der SPK zu destillieren. Denn wer Preußen im Schild führt, muss es jedenfalls als historisches Ganzes respektieren, um sich vielleicht auf seine Kulturpolitik im Einzelnen beziehen zu können.
5. Preußische Spuren in föderaler Kulturarbeit Zu dem Gesetz, nach dem die Stiftung 1957 angetreten und alsbald fortgeschritten war, gehörte bekanntlich die Anfechtung, inwieweit die Finanzierung des preußischen Kulturbesitzes Bundesländern ohne preußischen Rückbezüge zur Aufgabe gemacht werden konnte. Das Bundesverfassungsgericht gab darauf in seinem Urteil von 1959 eine ebenso klare wie historisch fundierte Antwort: „Der preußische Kulturbesitz diente, soweit er vom Stiftungsgesetz erfasst und auf die Stiftung übertragen wird, zumindest seit der Reichsgründung, einer Aufgabe, die weit über den Bereich des ehemaligen Landes Preußen hinauswies und den preußischen Sammlungen in der Reichshauptstadt einen gesamtdeutschen, nationalrepräsentativen Charakter verlieh.“ Mit bemerkenswertem Fingerspitzengefühl wurde der preußische Kulturbesitz also von Anfang an nicht schlechthin als kulturelles Vermögen begriffen, dem fataler Weise der angestammte staatliche Träger abhanden gekommen war. Vielmehr wurde Preußens Kulturbesitz in der (damals ja nur heimlichen) Hauptstadt als gesamtdeutsch-föderale Sache verortet. Solche Auffassungen konnten durchaus von preußischen Geschichtserfahrungen abgeleitet werden, wenn zum Beispiel nach dem Staatszusammenbruch von 1806 von den preußischen Reformern bildungspolitische Leitideen als Teil eines Erneuerungsprozesses entwickelt wurden, die in ganz Deutschland und darüber hinaus Resonanz fanden. Auch nach 1815 spielte die Kulturpolitik im neugestalteten Staat, dessen Gesamtheit auf der Summe seiner Provinzen beruhte, eine bedeutende Rolle. „Preußen als Kulturstaat“ wurde im 19. Jahrhundert immer pointierter föderal konzipiert, da kulturpolitische Leistungen im Wechselspiel von zentraler Vorgabe und regionaler Selbstverwaltung
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ebenso provinziale Integration wie gesamtstaatliche Identität stärken sollten. Diese Dialektik war der SPK mutatis mutandis schon immer zu eigen; expressis verbis wurde sie seit 2001 mit der Auflage eines „Föderalen Programms“ proklamiert, zu dem vor allem die SMB, dann auch die SBB, das GStA PK, das IAI und das SIM beitrugen. Im vergleichsweise eng begrenzten Spielraum bemüht sich beispielsweise das Archiv, seinen Erschließungsauftrag im Interesse der Geschichtspflege in den Bundesländern „mit preußischer Vergangenheit“ zu akzentuieren; nicht zuletzt auch in Zusammenarbeit mit „ehemals preußischen Staatsarchiven“. Auch unter gewandelten Voraussetzungen darf die föderale Kulturpolitik der SPK daher als eine preußische Spur betrachtet werden. Aller Einsicht nach war darüber hinaus der föderale Ansatz kultureller Arbeit im Interesse einer Integration durch Identifikation gerade für Preußen lebenswichtig. Das „Kunststück“ besaß ja lange Zeit kein geschlossenes Staatsgebiet, sondern nur einen Staatsgedanken; es beruhte nie auf einem einheitlichen Volksverband, sondern nur auf einem durchorganisierten Staatsgefüge. Preußen war im Lauf seiner Geschichte als Staat nie selbstverständlich – daher konnte es ebenso in Deutschland aufgehen wie aufgelöst werden –, sondern durch einen besonderen Anspruch „von Königsberg bis Kleve“ definiert und in zeitlichen Begrenzungen durch teils außerordentliche macht- wie kulturstaatliche Leistungen legitimiert. Analog muss auch die SPK „toujours en vedette“ sein, und sich bei ihren Zuwendungsträgern, beim Bund und den Ländern, durch kulturelle Leistung bewähren – jedes Jahr aufs Neue oder in den periodisch fälligen Finanzierungsdebatten. Auch dies könnte wie der föderale Ansatz eine weitere überraschende Preußenspur in der Stiftung sein.
6. Preußischer Denkmal-Zauber „Ein Europäer von Geschmack und Kultur, deutsch erzogen, kam gegen das Jahr 1932 nach Berlin, um Preußen zu suchen. Dabei ergab es sich, daß ihn seine Vorstellung von Preußentum im Stich ließ. Es waren Pikkoloflöten und Trommeln. Es war ein dreispitziger Hut, ein Krückstock und ein König, dessen Augen im Film leuchteten. Es waren Generäle mit Zöpfen, blanke Grenadiermützen, die über eine Operettenbühne marschierten. Im Hintergrund stand eine Mühle und drehte sich im Dreivierteltakt. Das – und noch einiges andere, was mit Pflicht, Akkuratesse und Sauberkeit zu tun hatte, hielt er für Preußen. Übrigens fand er es nirgends in Berlin.“ Das Zitat versetzt uns am Ende über siebzig Jahre zurück, in das Preußen der Weimarer Republik. Es stammt aus dem „Auftakt“, mit dem der Schriftsteller Eckart von Naso damals seinen Seydlitzroman eröffnet hat. Wir lesen dort weiter, dass der
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„Europäer“ glaubte, nach einem Lindenbummel zum Schloß hinunter „Berlin im Kopf“ zu haben. Er verzichtete nun auf weitere Entdeckungen (das „Brandenburger Tor kannte er zur Genüge“) und fuhr zu seinem Hotel zurück. Doch da hat jener „Europäer“ Glück, denn an abseitiger Stelle, dem inmitten der Stadt gelegenen (und in DDR-Zeiten zielsicher überbauten) Wilhelmplatz, läßt ihn von Naso Preußen finden. Auf diesem Platz war nämlich seit Ende des 18. Jahrhunderts sechs Generalen Friedrichs des Großen ein einzigartiges Denkmalensemble gewidmet: für den Ruppiner Zieten und den am Niederrhein geborenen Seydlitz aus schlesischer Familie, den Schotten Keith und Winterfeld aus der Uckermark, den Mecklenburger Grafen Schwerin und den Fürsten von AnhaltDessau. Für jeden Mann dieses superpreußischen und daher supranationalen Sextetts stand ein Standbild und lud zum Nachdenken über Preußens Fortwirken ein. „Ein eigentümliches Gefühl der Ehrfurcht und Vertrautheit befiel den Europäer. Das war ein magischer und zugleich unbegreiflich schweigsamer Kreis mitten in dieser schreiend banalen Stadt. Einfache Bronzen standen hier, halb von Bäumen bedeckt, und jede einzelne war eine Leistung, ein Name, ein Mann. […] Mit fremdem Blick streifte der Europäer den ,Kaiserhof‘. Er dachte nicht mehr, daß es Zeit zum Lunchen sei. Mitten in Berlin, dort, wo es niemand vermuten konnte, hatte er Preußen gefunden.“ Die sechs Denkmäler schließen auch den Kreis dieser Überlegungen über preußische Gedanken und Erinnerungen in der SPK. Die Statuen gehören zur „schwarz-weißen Spurensuche“: Sie sind preußischer Kulturbesitz, werden heute im Bode-Museum auf der Museumsinsel verwahrt und sollen dort bald wieder zu besichtigen sein. Zwei bronzene Zwillingsbrüder der Marmorgenerale, Zieten und Anhalt-Dessau, haben sich mittlerweile sogar wieder am Wilhelmplatz positioniert und präsentieren dem Betrachter Preußen – durch Kunst, sogar im militärischen Kostüm. Es scheint eine eigenartige Kraft zum Fortwirken in diesen und diesem Preußen zu liegen – jenseits aller Klischees, in und außerhalb der SPK.
Literatur zum 1. Abschnitt: Johann Karl von Schroeder: Der preußische Adler von 1921, in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz 22 (1987), S. 243–263. Reinhart Strecke: Der lange Weg nach Dahlem. Baugeschichte und -probleme des Geheimen Staatsarchivs, in: Archivarbeit für Preußen, Berlin 2000, S. 27–46. Daniel Wiedmann: Rechtsgutachten zum Schutz der Namensrechte am Preußischen Hoheitsadler, Berlin (Manuskript) 2004.
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2. Abschnitt: Die rechtliche Ordnung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, herausgegeben vom Präsidenten der SPK, Berlin (3. Aufl.) 2003. Gerhard Rudolf Baum: Hans-Georg Wormit. Erster Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz 14 (1977), S. 13–18. 3. Abschnitt: Preußisches Staatshandbuch, herausgegeben vom Preußischen Staatsministerium 141 (1939), Berlin o. J. Preußischer Kulturbesitz 25 Jahre in Berlin. Sammeln-Forschen-Bilden, Berlin 1986 (= Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz Sonderband 3). Schätze der Weltkulturen in den Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Herausgegeben von Klaus-Dieter Lehmann, Berlin 2000. 4. Abschnitt: Jahrbuch der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (Bd. 5 ff: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz). Herausgegeben im Auftrag des Stiftungsrates von dem Kurator (Bd. 5 ff: vom Präsidenten) der Stiftung, Köln und Berlin 1 (1962) – 40 (2004), dazu derzeit 3 Sonderbände 1983, 1984, 1986. Preussen Ploetz. Herausgegeben von Manfred Schlenke, Freiburg/Brsg. (3. Aufl.) 2003. Bernd Heidenreich, Frank-Lothar Kroll (Hrsg.): Macht- oder Kulturstaat ? Preußen ohne Legende, Berlin 2002. Gabriele Hundrieser, Hans-Georg Pott u. a. (Hrsg.): Geistiges Preußen – preußischer Geist. Deutsch-Polnische Konferenz 2002, Bielefeld 2003. Esther Sophia Sünderhauf: Griechensehnsucht und Kulturkritik, Berlin 2004. 5. Abschnitt: Patrick Bahners, Gerd Roellecke: Preußische Stile. Ein Staat als Kunststück, Stuttgart 2001. Wolfgang Neugebauer: Geschichte Preußens, Hildesheim 2004. Bärbel Holtz: Ein Neuvorhaben für den Kulturstaat Preußen, in: Circular 8 (2004), S. 20. 6. Abschnitt: Eckart von Naso: Seydlitz. Roman eines Reiters, Bielefeld / Leipzig 1932. Lothar Lambacher: Ein Berliner Denkmalensemble des 18. Jahrhunderts und sein Schicksal, in: Bildende Kunst 35 (1987), S. 198–201. Bernhard Maaz: Denkmalverständnis und Denkmalpflege im 19. Jahrhundert am Beispiel der Generalsstandbilder vom Wilhelmsplatz, in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz 34 (1997), S. 237–260.
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Für Klaus-Dieter Lehmann, der als Direktor der Stadt- und Universitätsbibliothek in Frankfurt einst auch Herr der Manskopfschen Theatersammlung war, in der so viel von dem aufgehoben ist, wovon im Folgenden die Rede ist.
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m August und September 1909 hatte Frankfurt zwei Ereignisse zu gleicher Zeit: Die große Internationale Luftfahrtsausstellung und, in Zusammenhang damit, das lange Gastspiel des Max Reinhardtschen Theaters aus Berlin. „Faust“, „Die Räuber“, „Kabale und Liebe“, „Der Kaufmann von Venedig“, „Lysistrata“ … elf verschiedene Aufführungen bis hin zur „Revolution in Krähwinkel“: plötzlich war Theaterbegeisterung in der Stadt. Man schwelgte schnell in der Vorstellung, ein Festspielhaus zu bauen wie in Bayreuth: nur für Schauspiele. Man träumte noch einmal den gleichen Traum wie Louise Dumont und Gustav Lindemanns wenige Jahre zuvor in Weimar. Der Oberbürgermeister der Stadt, Adickes, korrespondierte mit Max Reinhardt. Dieser und sein Stellvertreter, Felix Hollaender, legten im November sogar schon ein Exposé vor. Die Stadt eigne sich sehr für ein Festspielhaus wegen ihrer wachsenden Bedeutung und ökonomischen Kraft. Es blieb bei dem Traum. Damals wurde Frankfurt zu einer ewig unruhigen Stadt. Der neue Hauptbahnhof, die Adler-Werke mit ihren Automobilen, die chemischen Werke in Höchst waren die Zeichen der neuen Zeit. Da kamen zwei Leute mit dem Plan, zusätzlich zur Oper und Schauspielhaus ein neues, aktives Privattheater zu bauen. Nach Reinhardts Vorbild. Als AG. Ohne Subvention. Nahe dem Hauptbahnhof. Geld: Kein Problem. Reiche, großzügige Familien gab es in Frankfurt genug: Rothschild, Cahn, von Schnitzler. Die beiden Männer, die bei ihnen Besuch machten, hatten Erfolg. Sie hießen Arthur Hellmer und Max Reimann. Sie sprachen, wie einst Ludwig Börne, der ein scharfer, treibender Kritiker des Theaters in Frankfurt gewesen war, von einer „Freien Volksbühne“: Anspruchsvolle Stücke zum niedrigen Preis, mit literarisch-dramaturgischer Begleitung. Nach gut einem Jahr stand am prominenten Platz das neue Haus, stattlicher als das der Kammerspiele in München.
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Arthur Hellmer war ein findiger Mann, Schauspieler aus Wien, jüdischer Herkunft, Arthur Ehrlich mit richtigem Namen. ‚Hellmer‘ hieß er als Künstler. Der Plan, in Frankfurt ein eigenes Haus zu gründen, war wohl in dem Jahr entstanden, als er bei Karl Heinz Martin im Frankfurter Komödienhaus spielte. Das war 1910. Reinhardts Gastspiele hatte er gewiß gesehen. Er war längst in der Stadt, Schauspieler am Schauspielhaus. Er spürte also, was fehlte. Er hatte kühnen Sinn, Organisationstalent und ein Gefühl für Menschen, auch für das Mögliche am Ort. Gerade dreißig war er alt, als er auf Geldsuche ging, einunddreißig, als er sein „Neues Theater“ eröffnete. Er machte aus sich einen gründlichen Kenner der deutschen Szene und der deutschen Schauspieler. Und aus seiner Bühne einen aktuellen, lebendigen Platz. Sein Spielplan war geschickt gemischt: Sinnliche Attraktion und geistiges Wagnis, Tendenz zum Literarisch-Intellektuellen. Nie geschmacklos, Geschäftstheater mit Anspruch. Eröffnung war am 11. September 1911mit Kleists „Der zerbrochne Krug“ und „Die Romantischen“ von Edmond Rostand. Und am 25. November folgte „Der lebende Leichnam“ von Leo Tolstoi: als deutsche Erstaufführung. Man zeigte Ambition und großen Fleiß: Elf Premieren in 54 Tagen, jeden Samstag eine. Es war nichts Ungewöhnliches in den privaten Theatern damals. Mit Premieren von Hauptmann, Wedekind und Schnitzler vor allem, bis zu Eduard Stucken und Lion Feuchtwanger. Bevor die Strindberg-Mode begann, war der Schwede ein Hauptautor des Hauses. Sogar Strindbergs „Traumspiel“ wagte man. Deutlicher als in den Staats- und Stadttheatern zeigte sich in den privaten, neuen Bühnen, was das deutsche Theater bis 1914 insgesamt an Beweglichkeit, Entschlußkraft, Erneuerungsfähigkeit, aber auch an Willen zur Kunst gewonnen hatte. Man war hier süchtig nach dem Neuen. In der Literatur waren 1914 längst die jungen Dichter am Werk. Expressionisten nannte man sie bald. Sie schrieben auch Theaterstücke. Aber was gedruckt werden durfte, durfte noch lange nicht aufs Theater. Die Zensur war ein guter Wächter. Doch im dritten Jahr des Krieges wuchs die Unruhe. In Frankfurt zeigte sich nun am deutlichsten, was im Inneren des Theaters vor sich ging. Es begann die Auseinandersetzung mit dem Krieg. Im „Neuen Theater“ setzte die kommende Epoche ihr Zeichen. Sechs Tage vor Weihnachten 1916 sah man auf der Bühne des Neuen Theaters in Frankfurt auf eine Szene aus dem damals deutschen Elsaß. Zwei Brüder im Grenzland, Hans und Balthasar. Der Krieg, der bis ins Schnakenloch bei Straßburg gedrungen war, hatte sie vor die Frage gestellt, wohin sie gehörten; zu Deutschland, zu Frankreich? Der junge Eugen Klöpfer spielte den zwischen den Nationen hin und her gerissenen Hans. Er entscheidet sich für die Franzosen und reißt sich los von seiner Frau: „Ich werde häßlich sein im Tod. Hingeschleudert, alle Viere ausgestreckt, und mit krampfhaften Händen, die noch im Tode würgen“. Über dem
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Ruf in den Krieg zerbricht eine Liebe. Es war ein kaltes, hartes Stück. Die Uraufführung von René Schickeles „Hans im Schnakenloch“ war freigegeben von der Militärzensur, zunächst für eine einmalige „Wohltätigkeitsveranstaltung“. Regie: Arthur Hellmer. Es wurden zwölf Vorstellungen: Den Bruder, der sich zu Deutschland bekennt, spielte Otto Wallburg. Noch war das Publikum parteiisch. In Frankreich galt das Stück als deutsche Propaganda und kam nicht ins Theater. Es war das erste, das durch den Krieg aufgeworfene Probleme dichterisch behandelte, schon 1914 geschrieben. Es war ein Auftakt. Man war hier ganz nah an der Gegenwart. „Ich habe Ihr Stück auf die Welt kommen sehen, und es ist am Ende des Abends bereits galoppiert. Es war ein furchtbarer, ein kühner und illustrer Abend“ schrieb Kasimir Edschmid dem Autor noch zehn Jahre später. Viele Theater griffen nach dem neuen Stück. Es wurde bald wieder verboten. – Das Wagnis machte Mut. Einen Monat später wagte Hellmer ein Stück von Georg Kaiser, von dem seit langem die Rede war: „Die Bürger von Calais“. Die Uraufführung brachte zwei Entdeckungen auf einmal: Einen Autor und ein Thema. 29. Januar 1917. Kaiser war der Älteste unter den neuen Dichtern. Von der Herkunft: Kontorist aus Magdeburg, nach Jahren in Spanien und Italien freier Schriftsteller, jetzt schon achtunddreißig Jahre alt. Im Äußeren: schmal, schmächtig, mit großem Kopf und wilden Augen, ein Büromensch anscheinend — aber dauernd zum Ausbruch bereit, im Inneren brennend, wie sein Held in „Von Morgens bis Mitternachts“. Er schrieb Stücke seit 1910. Nur das Neue Theater in Wien hatte sich schon an eines von ihm gewagt, an: „Der Fall des Schüler Vehgesack“. Aber „Die jüdische Witwe“, „Rektor Kleist“, „König Hahnrei“, „Von Morgens bis Mitternachts“, „Europa“ und andere Stücke warteten zum Teil seit Jahren auf ihre Uraufführung. Für diese „Bürger von Calais“ hatte Gustav Landauer schon 1916 seine Stimme erhoben: „… ein gewaltig aufgebautes und durchgeführtes Bühnenspiel. … Hebt in dieser Stadt nicht ein neuer Geist und eine neue Nation an? … Dieses Stück wird eindringlich und packend Tausende festhalten“. Georg Kaiser schlug hier ein Thema an, das ein ganzes Jahrzehnt prägen sollte; das von der Erneuerung des Menschen. Die Handlung führte weit zurück: Die Engländer sind vor den Toren der Stadt. Der Bürger Eustache de Saint Pierre verhindert den Kampf um die Stadt um des Hafens willen. Die Engländer stellen ein Ultimatum. Sechs Geiseln sollen sich stellen, sonst wird die Stadt zerstört. Sieben melden sich. Einer zuviel. Wer am nächsten Morgen zuletzt den Marktplatz betritt, soll befreit sein. Wer am Morgen zuletzt kommt, ist ausgerechnet Eustache. Aber er kommt nicht lebend. Tot wird er auf die Bühne getragen. Er hat sich geopfert, um die anderen nicht am Sinn ihres Opfers zweifeln zu lassen. Er setzt den Geist gegen den Tod. Und der blinde Vater des Eustache, der den toten Sohn auf die Bühne bringt, verkündet: „Ich habe den neuen Menschen gesehen. – In dieser Nacht ist er geboren!“. Die Schlußszene: die Apotheose des
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Toten. „Hebt diesen auf und stellt ihn innen auf die höchste Stufe nieder: – der König von England soll – wenn er vor dem Altar betet – vor seinem Überwinder knien!“ Ein Stück nach einer Legende. Und das Monument einer neuen Gesinnung: das reine Opfer für das Leben aller. Ein Gegenstück gegen Sternheims macht- und geldgierige Vorkriegssatire „1913“. Auch hier: Gespannte Entscheidungen, gestraffte Szenen, gedrängte Sätze, entschlossene Figuren, markante, sinnfällige Darstellung. Eugen Klöpfer spielte den ersten „Neuen Menschen“. Das war Kaisers Anfang und der Beginn eines Kaiserstarken Jahrzehnts. Kaiser wurde der produktivste und meistgespielte Autor der zwanziger Jahre. Seine Stücke waren keine Komödien, keine Tragödien. Eher dramaturgische Exerzitien um ein Thema. Keine Menschen und ihre Schicksale, sondern Figuren in Konstellationen. Oft nur Allegorien, nach Farben benannt (der Mann in Grau, der Herr in Blau). Man wurde hineingezogen in scharf kalkulierte, auf eine Erkenntnis, ein Beispiel, auch auf einen Effekt hin hochgetriebene, fast märchenhaft-wahnwitzige Handlungen. „Denkspiele“ nannte sie Bernhard Diebold. Kaisers Stücke kamen nun in schneller Folge auf die Bühne. Nach der „Sorina“ im Lessing-Theater in Berlin zeigte das Frankfurter Schauspielhaus den „Zentaur“. Schon am 27. Oktober 1917 inszenierte Hellmer die Uraufführung der „Koralle“, den ersten Teil von Kaisers „Gas“-Trilogie. Klöpfer spielte den Milliardär, der sich in das Schicksal seines Doppelgängers flüchtet, um sich eine „glückliche“ Jugend zu verschaffen, die er nicht hatte. Der Denkspieler gab sich gern als Moralist. Die Entpersönlichung des Menschen war eines seiner großen Themen. Kaiser war mit seinen Stoffen oft nah an den sozialen Gegebenheiten, den klaffenden Gegensätzen von Arm und Reich, Vereinsamung und Rausch, technischer Produktion und Verantwortung. Er behandelte Menschheitsfragen und Kleinbürgerwünsche. Fast immer waren seine Figuren auf der Flucht anderswohin, in eine andere Existenz, in andere Zustände. Er traf damit ein wachsendes Verlangen im neuen Jahrzehnt, dem „Tempo“ zum Kennwort und: Film, Radio, Automobil und Flugzeug die Erfindungen zur Flucht aus dem letzten Jahrhundert wurden. Mit Georg Kaiser begann der „Frankfurter Expressionismus“. Arthur Hellmers „Neues Theater“ war der Vorläufer. Wenige Monate später hatte dieser Frankfurter Expressionismus schon zwei Häuser in der Stadt. Ans Schauspielhaus kam der Mann, der schon in Dresden als Leiter des Schauspiels große Aufmerksamkeit erregt hatte: Carl Zeiß. Er war nun fünfundvierzig Jahre alt. Es war eine folgenreiche Berufung. Zeiß kannte die Frankfurter Verhältnisse von Gastspielen her. Und seinen Studien zu einem Gutachten über das Frankfurter Haus. Er machte Schluß mit der Fahrigkeit, die nach dem Abschied des alten, ehrwürdigen Emil Claar im Jahre 1912 das Theater bestimmt hatte. Ab 1. August 1917 war er im Amt. Sein Ehrgeiz war, aus Frankfurts städtischen Bühnen das führende Theater
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in Südwestdeutschland zu machen. Wenn er, wie einst Immermann, wie Heinrich Laube, aber auch der Graf Seebach in Dresden vom „gepflegtem Kulturtheater“ sprach, meinte er ein Theater, „das in allen seinen Teilen beherrscht ist von künstlerischem Geist.“ Zeiß eröffnete seine kurze Ära mit Hauptmanns „Florian Geyer“. Er hatte die Uraufführung in Berlin miterlebt. Seitdem war in ihm eine zornige Trauer darüber, daß sie mißglückte. Schon sein erster Spielplan brachte das Theater in die Reihe der sich formierenden Avantgarde. „Der junge Goethe und die jungen Dichter“: das war sein Programm. „Stella“, „Die Geschwister“, „Clavigo“, „Egmont“, „Erwin und Elmire“ und – „Urfaust“. Das harmonierte mit den Stücken der Jungen, die auf die Bühne drängten. Zeiß wollte die klassische Zeit mit der Gegenwart und diese mit jener verbinden. Zeiß fand in Frankfurt einen Regisseur, der seine Impulse mit geistiger Leidenschaft auf die Bühne übertrug: Gustav Hartung. Ein Ostpreuße, bis 1914 Oberspielleiter in Bremen, seitdem hier, dreißig Jahre alt, dramaturgisch denkend. Zeiß hatte an sich erfahren: daß man Menschen vertrauen muß, damit sie wachsen. Er wiederholte es an Hartung. Gleich übertrug er ihm die Uraufführung von Sternheims „Perleberg“, 9. September 1917, und band damit Sternheim an Frankfurt. Und zwei Monate später machte Hartung die Uraufführung von Paul Kornfelds „Die Verführung“. So erschien im Frankfurter Schauspielhaus zum ersten Mal Bitterlich, ein Jüngling aus expressionistischer Vision. Bitterlich war schon ein Geschöpf des Jahres 1913: ein „von allem Jammer der Welt gehetzter Held“. Sein Name war sein Omen: Er verfluchte Gott, beklagte die Liebesleere der Welt, sehnte sich nach Idealen und nach Erlösung im Geist. Mit seinem Nein zur Welt verharrte er im Gefängnis seiner selbst, bis seiner Geliebten die Verführung zur Welt gelang. Er hielt sie nicht aus. Das Stück war ein großer Dialog des Autors mit sich selbst. Ein Grundstück des Expressionismus. Jacob Feldhammer war der erste Bitterlich. Er stand in Front zum Publikum, die Arme eng am Körper, seinen Jammer bis in den klagenden Schrei fast lyrisch hinausrufend, sich seelisch erschöpfend. „Brennt nicht die Welt an allen Enden? Donnert’s nicht über und unter der Erde? Du bleibst sanft, sanfter Wind? Du bleibst strahlend, strahlender Mittag? Du bleibst leuchtend, leuchtendes Gras? Und ich sterbe hier? Ist’s nicht grotesk? Grotesk wie mein Ende? War jemals einer auf der Welt und hat nicht gewußt, ob er tot oder lebendig ist? Und noch war Lärm um mich! Noch habe ich selbst geschrien! Es ist grotesk! Und nur Einer ist mir dafür gestorben! Wie wenig ist das!“ – Diebold nannte diesen Darsteller „ein vollendetes Vorbild für die Art der expressionistischen Technik“. Paul Kornfeld hatte sie gefordert: Sich lösen von aller Erinnerung an Erlebtes, nicht so tun, als entstünde der Gedanke im Augenblick des Sprechens. Der Schauspieler „wage es, groß die Arme auszubreiten und an einer sich aufschwingenden Stelle so zu sprechen, wie er es
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niemals im Leben täte (…) er schäme sich nicht, daß er spielt, er verleugne das Theater nicht (…) Er abstrahiere also von den Attributen der Realität und sei nichts als Vertreter des Gedankens, Gefühls oder des Schicksals! Die Melodie einer großen Geste sagt mehr, als die höchste Vollendung dessen, was man Natürlichkeit nennt, es jemals könnte“. Hartung erspürte hier die Abkehr von jeglichem Naturalismus, von Psychologie und begründenden Details und erfühlte den expressionistischen Gestus. Die nach außen drängende innere Gebärde, den komprimierten Ausdruck, die symbolische Wirkung. Der Bühnenbildner F. K. Delavilla gab die entsprechende Bühne, kräftige, farbige, konturierte Flächen, rhythmisch bewegte Bilder, alle gefühlsstark, die Wirkung der Körper unterstützend. Kasimir Edschmid, als Schriftsteller selbst junger Expressionist, schrieb nach der Uraufführung: „Dies Drama will über seitherige Ziele hinaus. (…) die Konflikte vergangener Zeit des bürgerlichen Gefühls sind vorüber. Keine Eheskandale mehr, kein Milieu, kein Charakterstück mehr. (…) Hier soll sich das Menschliche frei entfalten und nichts sein als das Kläglichste und Erhabenste: der Mensch. Es redet das Herz allein. Das Überzeitliche erscheint: das reine Gefühl. (…) Dies alles ist dichterisch vom Anfang bis an das Ende“. Man spürt in den Zeilen noch den Enthusiasmus der Empfänglichen. Das war drei Wochen, bevor der erste dieser leidenden Jünglinge, der Junge Dichter in Reinhard Johannes Sorges „Der Bettler“ in Max Reinhardts Inszenierung die Bühne des Deutschen Theaters in Berlin betrat. Frankfurt war damals ein empfänglicherer Boden für die neue Kunst als das realistische Berlin. Hier gab es, seit den Tagen der Stürmer und Dränger um den jungen Goethe, dann den Tagen Börnes und Gutzkows eine Offenheit für Kommendes, ein Verlangen nach Neuerung. Unter den jungen Dramatikern gab es die Empfindsamen, die vom Nichtmehrertragen der Wirklichkeit zum Sprechen kamen – wie Sorge und Kornfeld – und die, denen das Sterben im Krieg den Gedankenschrei löste. Von ihnen war Fritz von Unruh der Stärkste. „Ein grausamer Erleuchter, und ein hoffender Seher: der deutsche Dichter des Krieges“, so begrüßte ihn Bernhard Diebold, Kritiker der „Frankfurter Zeitung“. Auch Unruh war ein durch die Kriegserlebnisse Verwandelter und Gewandelter. Der Freiwillige von 1914 hatte schon in seinem dramatischen Gedicht „Vor der Entscheidung“ das Entsetzen des Sterbens beschrieben und dafür vor dem Kriegsgericht gestanden. „Ein Geschlecht“ war sein dramatischer Ausbruch, geschrieben im Schützengraben 1915/16. Ein Bild der Zerstörung der jungen Generation und vom Chaos der Gefühle. Auf der Bühne im Frankfurter Schauspielhaus ein Hügel mit Kreuzen unter weitem Himmel, davor eine Mauer: Bergfriedhof, Bestattung des gefallenen Sohnes, des Lieblings der Mutter, die dunkel zwischen ihren Kindern stand. Der Älteste, – ein Frauenschänder, – an die Mauer gefesselt, der zweite als Feigling (Deserteur) gefangen, brünstig auf beide die wilde Tochter: ein Chaos, in dem die Mutter anklagend,
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klagend, stark aber hilflos verging und nur der jüngste Sohn als Hoffnung zwischen bekehrter Soldateska zu Tal stürzt. Zusammengedrängtes Geschehen, pathetische Wortballungen, rhythmische Gliederung in Sprechen und Bewegung: man hielt von Unruh fast für einen neuen Kleist. Rosa Bertens, die Strindbergspielerin, war die klagende Mutter, Carl Ebert, der älteste der Söhne: „alles Ausdruck, in jedem Muskel ein Sinn; kein Wort ohne Glut, im Leisen, im lauten eine drohende Urkraft; Bewegungen bis zur Ausschweifung: tänzerische Formen; das rasende Wüten gegen die Friedhofskreuze, wenn er des Todes Heuchelei zerbricht, von grandioser Gespenstigkeit“. Gerda Müller, die Tochter: nervös vibrierend, peitschend ihre Sätze und Gesten. Der Beifall war stark. „Deutschland hat seinen Dichter gesehen“ rief Diebold. Er griff zu großen Worten. Wohl im Überschwang des Neuen, das hier über die Szene hereinbrach in einem Augenblick, in dem die Furcht vor dem Verlorengehen des Krieges wuchs. In Unruhs Stück war alles: Krieg, Trauer, Opfer, Zerstörung, Verbrechen und Hoffnung und eine bis dahin nicht gehörte Sprache. Es war das erste Stück einer Trilogie, von der nur noch das zweite, „Platz“, auf das Theater kam. Paul Kornfelds „Verführung“ und Fritz von Unruhs „Geschlecht“ wurden zu Ikonen des Expressionismus. Die beiden Frankfurter Uraufführungen waren Hartungs Meisterstücke. Er fügte – nach der Revolution von 1918 – ein drittes hinzu: Sternheims endlich von der Zensur freigewordenes „1913“, das Reinhardt drei Jahre zuvor nicht spielen durfte. Es standen Sätze drin wie dieser: „Ist eines Systems Höhe erreicht, steht die Möglichkeit eines Wechsels stets vor der Tür“. Der Wechsel war jetzt da. Die Aufführung bestätigte Sternheims Witterung und Diebold bestätigte Hartung: „eine vorzügliche Aufführung: bedacht auf unwirklichen Stil und überzeugende Dialektik. Komischer Glanzpunkt: die Probierszene mit dem gefürchteten Schneiderkönig Easton und der Tango phantastischer Schlafanzüge“. Dazu: Heinrich George als der alte Maske: starkes Temperament, hämmernde Energie. Carl Ebert als Friedrich Stadler „feurig beredt, so als wäre er der früh gefallene Ernst Stadler“. Das wohlgetroffene Personal: „redende Gehirne hinter Masken. Und doch glaubhaft im Zusammenspiel“. – Sternheim nannte Carl Zeiß den „größten und zuverlässigsten Verwalter eines Theaters“. Was sich an den neuen Stücken an Ausdruck und Spielform entwickelte, übertrug Zeiß auf klassische Texte. Mit dem naiven Furor des expressiven Gefühls inszenierte er selbst Goethes „Urfaust“. 8. Mai 1918: Es war die erste kompetente Aufführung des fragmenthaften Stücks überhaupt. Erich Schmidt hatte es dreißig Jahre zuvor entdeckt. In Weimar hatte man es 1912 zum ersten Mal gezeigt. Man las es jetzt mit neuen Sinnen, spürte, daß dies nicht der alte Faust mit Bart und müden Augen war, sondern ein junger, dreißigjähriger Ausbrecher, der wie Don Juan zur Hölle fahren könnte. Schneller, fast filmhafter Wechsel der einundzwanzig Szenen.
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Die Bühne einfach: nur Stoffvorhänge und Licht. „Faust im Studierzimmer, nur von einem Lichtstrahl getroffen, so daß rembrandtisch das Haupt des Titanen hervortrat, die farbige Gruppe der zechenden Studenten von mattem Ampellicht übergossen, die Landstraße (Kreuz am Wege), die Domszene. Valentin auf der Steinbank, vor einem glatten, von unten angeleuchteten Vorhang, selbst die kurze Szene ‚Nacht auf offenem Feld‘ mit ihren expressionistisch abgerissenen sechs Sätzen konnte dargestellt werden, und die gespenstisch, silhouettenhaft vor einem transparenten Vorhang vorbeistürmenden Figuren des Faust und des Mephisto blieben stark in Erinnerung“. So beschrieb Zeiß selbst die Arbeit. Der straffe Carl Ebert, im Lederwams, spielte Faust, Gerda Müller, dieses kräftige, junge Weib, das Gretchen, (sie war es später noch einmal: bei Jeßner im Staatstheater von Berlin), Robert Taube, ein junger dreister Kerl, Mephisto. Zu Zeißens ausdrucksstarkem Ensemble gehörten außer Carl Ebert und Gerda Müller Jacob Feldhammer, Robert Taube, Fritz Odemar, Fritta Brod und – Heinrich George. George, den Zeiß aus Dresden herbeigeholt hatte, war schon damals eine Bühnenmacht für sich. Zeiß brauchte deutliche, kraftvolle Schauspieler, die ihm auch halfen, die Klassiker jung zu machen. Als die Revolution ausbrach, hatte er Schillers „Die Räuber“, den „Don Carlos“ und „Wilhelm Teil“ im Spielplan. Manche sagten, vom inneren ‚Sturm und Drang‘-nahen Furor dieser Inszenierungen gepackt, Zeiß habe – vor Jeßner in Berlin – in Schiller den Expressionisten entdeckt. Die neue Regie wurde in diesen Frankfurter Inszenierungen entwickelt. Gustav Hartung sah als ihre Aufgabe „das seelische Erlebnis fühlbar zu machen, aus dem eine Dichtung geboren wurde.“ Zeiß gehörte zu den wenigen Intendanten, die wußten, welche enge Beziehung zwischen der Arbeit an der Bühne und dem geistigen Leben der Nation besteht. Das Frankfurter Theater unter Carl Zeiß wurde ein Brennpunkt am und im Ende des Krieges. Manche Stadt beneidete Frankfurt. München voran. Ein neuer Generalintendant wurde dort gebraucht. Der Griff der Münchner nach Carl Zeiß war eine der rüdesten Abwerbungen jener Jahre. Zeiß sah die Aufgabe. Konnte er gehen? War es vorstellbar: Im katholischen München ein jüdischer Intendant in der Direktion der bayerischen Staatstheater? Die Sache war heikel. Zeiß krönte seinen Abgang mit der Uraufführung von Fritz von Unruhs neuem Stück: „Platz“. Regie: Gustav Hartung. „Platz“ war ein wirres, wildes, groß daher kommendes Szenarium, die Weiterführung von „Ein Geschlecht.“ Der „Platz“ stellte sich dar als Herrschaftsfeld der alten Macht. Er war zu erobern, Leben in Liebe war ja das Ziel. Der Text: ein ausholendes atemloses Stück Expressionismus. Es riß Diebold zu einer seiner größten Elogen hin. „Kundgebung eines Willens zur Änderung der Welt (…) Strindberg ist ja schon das Gestern. Unruh ist freudiges, kampfeswilliges Heute.“ Auf der Bühne am 3. Juni 1920, abends: Heinrich George als Schleich, Herr des Platzes in grotes-
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ker Maske, weißgrün geschminkt, „ein Tausendmann zwischen Teufel und Tier; Lügner und Prophet (…) Der Totentanz mit Bianca – starres Grausen erregt noch die Erinnerung“.1 Gerda Müller als liebesrasende Hyazinte. Ein Skandal war zu befürchten. Er betraf auch Zeiß. Die Uhr ging schon auf Zehn. Unruh hatte sich dem voll besetzten Haus schon vor der Pause zeigen müssen. Die Hoffnung, daß er der erwartete, dem Kriegschaos entstiegene „messianische“ Dichter sei, schien sich zu erfüllen. Da gab es im 2. Teil plötzlich Tumult. Auf dem „Platz“ auf der Bühne war auch ein großes Kreuz aufgeschlagen, vor dem sich nun die wollüstige Szene einer Verführung abspielte. („Psychopathia sexualis“ tönte es schon aus dem Parkett. „Pornographie!“ wird das Frankfurter Skandalblatt „Die Fackel“ schreiben.) Zeiß mußte spüren: jetzt kann es losgehen. Im nächsten Bild hatte die Hure das Kreuz zu stürzen. Wenn das mit dem Kreuzsturz dort in München in die Zeitung kam, was dann? Bange Minuten. Der saftige Heinrich George und die unbekümmert drastische Gerda Müller spielten unterdessen die provozierenden Deftigkeiten der Unruhschen Groteske („Loch! Behaarter Pavian fletscht dich an!“) mit Wohlbehagen. Jetzt wäre das Kreuz zu stürzen. Die Müller dreht sich um: Das Kreuz ist weg. Kurzer Moment des Schocks. Dann ging das vorangepeitschte Spiel unter Pfiffen und Ovationen zu Ende. Der Mann, der in der sich aufladenden Stimmung entschlossen das Kreuz von der verdunkelten Bühne rücken ließ, war der kommende Intendant. Er witterte die Folgen des möglichen Skandals und verhinderte ihn. Als Zeiß in diesem Sommer 1920 dann nach München wechselte, war die Trauer in Frankfurt groß. Er hinterließ aber ein stabiles Haus mit guten Kräften und jenen Nachfolger: Richard Weichert, seit einem Jahr schon Oberregisseur. Weichert holte Ludwig Sievert, Bühnenbildner in Mannheim; seit ihrer im expressionistischen Theater epochemachenden Aufführung in Mannheim von Hasenclevers „Der Sohn“ waren sie Freunde im gemeinsamen Ruhm. Es war ein Gespann mit Zukunft. Weicherts Berufung hatte das Haus in Frankfurt gestärkt. Er hatte sich hier vorgestellt mit Hasenclevers zum Frieden rufenden, hochgepeitschten „Antigone“. Gerda Müller war seine Antigone. Weichert hatte den Expressionismus im Blut. Seine Berufung zum Intendanten bewirkte aber eine Trennung der Rivalen. Hartung unter Weichert? Das ging nicht. Hartung hatte den Frankfurter Expressionismus begründet. Mit der Inszenierung von „Platz“, seiner letzten in Frankfurt, hatte er ihm noch einmal ein Monument gesetzt. Das benachbarte Darmstadt griff gleich nach ihm. Weichert blieb am Ort und setzte den Frankfurter Expressionismus fort, Hartung nahm seinen Teil davon hinüber in seine erste 1
Bernhard Diebold in: Frankfurter Zeitung, 5. Juni 1920. – Auch in Günther Rühle, Theater für die Republik, S. 244f.
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Intendanz. Vom 1. September 1920 ab hatte der Frankfurter Expressionismus drei Bühnen. Weichert blieb von den Dreien der energischste. Er war ein leidenschaftlicher Mensch. Auf einem hochgeschossenen Körper saß ein Feuerkopf mit Berliner Schnauze, bartlippig, ein Mann: mitreißend, aber heiter. Zeiß war noch nicht aus dem Haus, da hatte er inszeniert, was man nirgends sonst sah, den „Tod des Empedokles“ von Hölderlin. Selbstopfer eines Empörers, der auch eine Königskrone ausschlug, um sich mit den Göttern zu versöhnen. Weichert spürte das innere Pathos dieser Figur, das Außerordentliche dieses Lebenswegs, die ekstatische Seele und setzte sie fast hymnisch ins Licht. Carl Ebert spielte Empedokles. Er war Stimme und Gebärde. Der Weg hinauf auf den Ätna war auf der Bühne eine außerordentlich hohe Schräge; Ebert schritt bergan mit gereckten Armen, aufwärtsstrebend, den Kopf zurückgeneigt. Das Gewand rot, blau der Fels, gelb das flutende Licht. Es
DER FRANKFURTER EXPRESSIONISMUS Heinrich George, Gerda Müller, Fritz Odemar in „Orpheus und Euridyke“, Uraufführung im Frankfurter Schauspielhaus
war alles zusammen, was zu einer expressionistischen Inszenierung gehörte: der ekstatische Körper, die fast religiöse Aura, das dramaturgisch gesetzte Licht, die große Gebärde und das Pathos, das fern aller Deklamation von einst eine Sprache der Seele war, und die in die Höhe gegliederte Bühne. Ludwig Sieverts Bühnenbilder beherrschten mit ihren symbolischen Farben und Wegen diese Frankfurter Versuche, die klassischen Stoffe in die glühende, fortreißende Gegenwart einzubringen. Unter Weicherts Direktion kam „Penthesilea“ von Kleist: ein Weg wie ein Blitz, der hoch hinaufgebaut mit scharfem Absturz oben endete. Die kriegerischen Figuren darauf wie auf einem schmalen Pfad der Leidenschaften. Penthesilea: Gerda Müller, Achill: Carl Ebert. Dann „Macbeth“: auf schiefer Ebene unter einem gewaltigen Fallgatter, das herunterstürzend die erstrebte Herberge für den König Duncan zum Gefängnis und zum Schlachthaus machte. „Judith“ von Hebbel, ein buntes, großes, hochgestelltes Zelt auf freiem Feld und eine in heißem Licht
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gleißende Stadt, durch die der Schrei der Masse fuhr: „Judith kommt“. Ein großer Auftritt nach der Tat. Wieder George (Holofernes) und Gerda Müller. An der neuen Näherung an Hebbel war Weichert sehr beteiligt. Die Stücke des jungen Schiller riß er hier in einen neuen Rhythmus – „Fiesco“, mit Carl Ebert, wurde so zum Ereignis. Weicherts erste Jahre waren gefüllt mit Wagnis und Visionen. Die „Stammväter des Expressionismus“ waren ihm: Hölderlin und Novalis im Lyrischen, Kleist und Büchner im Drama. Er führte sie zusammen mit seinen jungen Dichtern. Paul Kornfeld war in Frankfurt zu Hause. Weichert inszenierte von ihm noch „Himmel und Hölle“, und „Kilian oder Die gelbe Rose“, von Hasenclever die Uraufführung seines „Jenseits“, Arnolt Bronnens „Vatermord“ und „Katalaunische Schlacht“ wurden in Weicherts Haus zuerst gezeigt. Auch „Anarchie in Sillian“ und sogar der „Ostpolzug“. Heinrich George machte hier seine erste Bühnenregie. Kokoschkas, des Freundes, „Orpheus und Eurydike“ – das Segelwerk des Schiffes war ein Spinnennetz, die roten Ritter gingen auf Kothurnen. Das Frankfurter Theater war so kräftig, es erweckte den Neid in Berlin. Jeßner, Intendant des Staatstheaters in Berlin, wollte an sein Herz. 1922 hatten seine Werbungen Erfolg. Gerda Müller, Carl Ebert, Robert Taube, später auch Jakob Feldhammer wechselten nach Berlin, wurden Jeßner-Schauspieler mit Frankfurter Touch. George war schon im Herbst 1920 nach Berlin gegangen, kam aber für einzelne Aufgaben gerne zurück. Frankfurt, sagte er, sei seine eigentliche Heimat. Weichert brachte hier Stücke, die man in Berlin vergebens suchte. Von Paul Claudel die Uraufführung von „Der Tausch“, Byrons „Kain“, Shelleys „Cenci“, Calderons „Andacht zum Kreuz“. Zeißens Maximen vom einem geistig geprägten Theater galten noch immer. Darum konnte Jhering noch 1923 schreiben „Man glaubt im Reich an das Theater. Das ist der Unterschied zu dem Betrieb in Berlin“. Und Stefan Großmann: „ Der Wille, ein reines Theater zu schaffen, war nirgends so groß wie hier.“ Gustav Hartung war im Sommer 1920 gern in die Nachbarstadt Darmstadt gegangen. Versehen mit Georg Büchners neu begründetem Ruf, als Zentrum des Jugendstils und als Kunststadt prangend, hatte das Theater dort auf einen tatkräftigen Mann gewartet. Hartung wurde in Darmstadt gebraucht. In der Stadt gab es eine Opposition junger Künstler; führend waren der junge Expressionist Kasimir Edschmid und Carlo Mierendorff. Beide hatten schon für die Ablösung des letzten Intendanten gesorgt, den der Großherzog noch eingesetzt hatte. Das danach installierte Direktorium versuchte die Anpassung an die neue Zeit allein durch Aufführung neuer Stücke: Hasenclevers „Antigone“, Julius Maria Beckers „Das letzte Gericht“, zum ersten Mal sah Darmstadt auch den „Woyzeck“ Büchners, der seiner revolutionären Gesinnung wegen auf dem Hoftheater nicht erscheinen durfte. Allein die Stücke reichten nicht. Edschmid, dauernder Gast in den Frankfurter Premieren, setzte Hartungs Berufung durch. Der sprach gleich von „Verlebendi-
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gung“ des Theaters. Seine Energie wurde genährt aus einer phantasievollen Witterung für kommende Dinge. Das glich aus, was ihm an Bildung und Sicherheit des Geschmacks fehlte. War er im Grunde ein Snob? Er war jetzt 33 Jahre alt, hinreichend definiert durch seine bisherige forcierte Arbeit. Hartung – nun rivalisierend mit Weichert in Frankfurt – eröffnete mit einer starken „Jungfrau von Orleans“. Er nahm Fritz von Unruh mit und machte Heinrich George in Frankfurt kontraktbrüchig, als er ihn als „Louis Ferdinand, Prinz von Preußen“ verpflichtete. Das 1913 von Unruh geschriebene Stück war im Kaiserreich verboten. George, in preußischer Uniform, war zwar kein Louis Ferdinand, aber eine mitreißenden Kraft auf der Bühne. „Sein heißer Atem hauchte Leben“ schrieb Diebold. Hartung, nun Schwager Unruhs, blieb auch der Regisseur seiner nächsten Dramen. In der Uraufführung von Unruhs Liebesleidenschaftsdrama „Stürme“ spielt Carl Ebert die Hauptrolle. Es war die letzte vor seinem Gang zu Jeßner nach Berlin. Knut Hamsuns „Königin Tamara“ hatte hier seine Uraufführung und Gerda Müller spielte die nachsichtige Herrscherin von Georgien. Auch Sternheim zog Hartung mit nach Darmstadt. Bei der Uraufführung seines „Entfesselten Zeitgenossen“ saß er im Parkett. Und wieder spielte eine Frankfurterin eine Hauptrolle: Fritta Brod, die Paul Kornfeld heiratete. Hartung blieb bei Sternheim. „1913“ gab es auch hier, und die Uraufführung des „Nebbich“. Bei der Uraufführung in Kasimir Edschmids „Kean“ gab es schon heftige Proteste gegen Hartungs forciertes Theater und die erste Aufführung von Büchners „Leonce und Lena“ entzündete die reaktionären Köpfe in Stadt und Land. Darmstadt hatte seine eigene Gemütlichkeit, Hartung schätzte sie nicht. Seine Aufführungen hatten eine harte Klarheit. Auch hier bestätigte sich, daß der Bühnenbildner mit dem Expressionismus deutlicher hervortrat. H. C. Pilartz, von Hause aus Bildhauer, vertrieb hier die Bühnenmalerei durch seine architektonischen Bauten, seine gegliederten Räume und Treppen. Pilartz prägte Hartungs Bühne. Hartung hatte im Hause einige Leute mit Zukunft: Fritz Valk, den langen Schauspieler, der hier Richard III und in Hartungs Regie Strindbergs Karl XII spielte; Josef Gielen, Friedrich Kenter als junge Regisseure; in der Dramaturgie saß, las und diskutierte der junge Peter Suhrkamp: seine bleibende Liebe zum Theater, (die ihn später mit Brecht verband), wuchs hier. Er lernte hier sogar inszenieren. Mit Strindbergs „Rausch“, „Scheiterhaufen“, Wedekinds „König Nicolo“, Tolstois „Lebenden Leichnam“ wuchs er so, daß er die Ära Hartung schließen durfte. Mit Bronnens wilder „Anarchie in Sillian“. In Darmstadt waren viele Leute froh, daß Hartung die Werbung Kölns annahm, und 1924 dort das Theater übernahm. Er ging nicht in glückhafte Zeiten. Darmstadt war seine beste. Es war auch die beste von Darmstadt. Hier trug ihn noch der Elan aus den Frankfurter Jahren, hier konnte seine Energie sich noch an den verhockten Gemütern, wie Niebergall sie im „Datterich“ zeigte, reiben.
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Das waren lebendige, aufregende, es wurden schwierige Jahre. Die Zeit selbst wurde grotesk, die Inflation war das erste Zeichen. Am 31. Dezember 1923 hatte das Frankfurter Schauspiel einen Fehlbetrag von 9 570 903 313 647 331,85 Mark. Man mußte überall lernen, solche Zahlen zu lesen und zu benennen und – damit umzugehen. Schließlich konnte die Stadt nicht mehr ausweichen, wenn sie sich die Theater erhalten wollte. 1925 kamen die als AG geführten Bühnen in städtische Hand. Da war auch der Expressionismus zu Ende. Carl Zuckmayer setzte mit seinem „Fröhlichen Weinberg“ das Zeichen der Ablösung und Hasenclever mit seinen „Ehen werden im Himmel geschlossen“. Das war im Schauspielhaus. Im „Neuen Theater“ war die Uraufführung von Georg Kaisers „Kolportage“ ein Schlußstück. In Frankfurt wie in Berlin versiegte die Leidenschaft des Expressionismus im neuen Lachen. Auch Hartung hatte gespürt, daß die Impulse von 1919 im Theater erloschen, daß die gesellschaftlichen Kräfte, die er in sich spürte, sich änderten. Als er unversehens – mit einer übernommenen Inszenierung von „Figaros Hochzeit“, dann mit Schrekers „Der ferne Klang“ – als Opernregisseur Erfolg hatte, holte er sich den Abschiedsjubel der Darmstädter mit: „Carmen“, als wolle er sie endlich zur Zustimmung zwingen. Er zeigte bei der Gelegenheit, was ein leidenschaftlicher Regisseur des Schauspiels für die künftige Regie der Oper bedeuten konnte: Er forderte im Sänger den Schauspieler, im Chor die dramatische Kraft, von der Szene aktive Deutlichkeit. Auch das gehört zu den Übergängen Mitte der zwanziger Jahre. – Mit Hartung hatte der Frankfurter Expressionismus in Darmstadt eine Dependance. Hartung und Weichert: ihre rivalisierende Konkurrenz brachte auch die Theater in eine Spannung zueinander. – Eine vergleichbare gab es erst wieder in den fünfziger Jahren, als Harry Buckwitz in Frankfurt und Gustav Rudolf Sellner in Darmstadt Theater machten.
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ie Institutionalisierung der Kulturellen Überlieferung in Europa begann 1537 mit dem Dekret König Franz I. von Frankreich, wonach von jedem neu gedruckten Buch ein Exemplar an die Königliche Bibliothek abzuliefern war – zur Archivierung des nationalen Schrifttums. Es war eine jener brillanten RenaissanceIdeen, die weltweit bis in die Gegenwart wirken. Der Staat nahm die gedruckte Überlieferung in Obhut und hielt sie zur Verfügung. In der Geschichte des dépot légal manifestiert sich die dominante Rolle des gedruckten Textes in der Kulturellen Überlieferung und seine Bedeutung für die Herausbildung von Nationalkulturen. Unter dem Leitbegriff der Kulturstaatlichkeit formierten sich im neunzehnten Jahrhundert fast überall in Europa jene Institutionen, die heute das oberste Stratum der klassischen Trias von Bibliotheken, Museen und Archiven repräsentieren. Der Prozeß der Etablierung begann symbolisch mit der Umwandlung der Bibliothèque du Roi in die Bibliothèque Nationale (1795) und endete mit der Transformation der Hofbibliothek in Wien zur Österreichischen Nationalbibliothek (1920). In England wurde die – seit der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts alle anderen überragende – Bibliothek in das schon 1753 gegründete British Museum integriert. Neue Nationalbibliotheken entstanden in Rußland (1814), in Ungarn (1802) und anderwärts. Nationale Museen konstituierten sich entsprechend, so der Louvre (der erstmals und bis heute die Idee des großen, vom Staat getragenen Museums verkörpert), die National Gallery (zusätzlich zum Britischen Museum), das Rijksmuseum, die Museen in den skandinavischen Ländern und andere. Überall verwandelte sich das aristokratische Privileg, Kunst zu besitzen, in ein Recht der demokratisch verfaßten Gesellschaft. Im Zeitalter des Nationalismus waren die Museen und Bibliotheken natürlicher Weise Ausdruck von Nationalbewußtsein und Nationalstolz. Aber die physische Präsenz der nationalen Literatur und eines nationalen Fundus von Kunstwerken bedeutete auch geistigen Rückhalt in Zeiten von Not und Bedrängnis. Unter den totalitären Regimen des zwanzigsten Jahrhunderts stützte sich der Widerstand gegen kulturelle Verdrängung und kulturelle Aushöhlung in zahlreichen Ländern auf die institutionell aufbewahrten Nationalkulturen, und als Reaktion auf Unterdrückung und Vernichtungsabsicht bildeten sich im Zweiten Weltkrieg allenthal-
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ben kulturell fundierte Überlebensstrategien aus. Die Gegenwart bietet neue – auch beunruhigende – Beispiele für diese Zentralität des Kulturellen.
II Und Deutschland? In Deutschland liegen die Dinge anders. Wie in vielen Bereichen gibt es auch bei der Bewahrung der Kulturellen Überlieferung einen deutschen Sonderweg. Er ist, in die Zukunft projiziert, ein Weg, der ins europäische Abseits zu führen droht. Als „verspätete Nation“ besaß Deutschland bis lange ins neunzehnte Jahrhundert keine Institutionen, in denen sich eine Nationalkultur hätte symbolisch darstellen können. Von der „Reichs-“ oder „Nationalbibliothek“, beschlossen von der Nationalversammlung in der Paulskirche, befindet sich ein Torso in der Deutschen Bücherei in Leipzig. Das 1852 gegründete Germanische Nationalmuseum in Nürnberg ist das umfassendste Museum deutscher Kunst und Kultur, aber von der Anlage her kein eigentlich ,nationales‘ Museum; es wird auch nicht als das deutsche Nationalmuseum empfunden. Nach der Reichsgründung von 1871 konnte Deutschland – trotz fehlender politischer Einheit immer wieder als Kulturnation apostrophiert – keine seinem neuen politischen Rang entsprechenden Kulturinstitutionen vorweisen und keinen Vergleich mit den zeitgenössischen Großmächten England und Frankreich aufnehmen. Preußen war als Hegemonialmacht des Zusammenschlusses politisch dominant, aber trotz einer konsequent modernisierenden Bildungs- und Wissenschaftspolitik nicht kulturell führend. In seine Rolle als Kulturstaat, die heute mit Recht hervorgehoben wird, wuchs es erst schrittweise hinein. Die Jahrzehnte zwischen der Reichsgründung und dem Ersten Weltkrieg waren geprägt von einer beispiellosen Aufholjagd. Berlin lag in dieser Zeit zwar meist abseits von neuen zeitgenössischen Entwicklungen in Kunst, Musik und Literatur, und es gab Dissonanzen zwischen Macht und Kultur. Gleichwohl wurde Berlin zu einem Zentrum und einem Hort der Kulturellen Überlieferung – der eigenen und auch der fremder Kulturen. Bereits bestehende Museen wurden ausgebaut, neue von unterschiedlicher Art und Zwecksetzung kamen überraschend schnell hinzu. In Grundzügen formierte sich – ohne ein Pendant in Europa – jener Komplex von Museen, der heute zum Weltkulturerbe der UNESCO gehört. Paradigmatisch war die Transformation der Königlichen Bibliothek. Als Direktor entwarf der Ägyptologe Richard Lepsius das Konzept für eine universale Großbibliothek, wie es sie nur in England und Frankreich gab: „Es kommt jetzt die Reihe an Deutschland, welches diesem Beispiele folgen muß; und so weit äußere
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Umstände noch verhindern, … eine Deutsche Reichsbibliothek hinzustellen, muß, wie schon so oft, Preußen an die Stelle von Deutschland treten, und diese große Aufgabe, so weit es vermag, über sich nehmen.“1 Preußen handelte also stellvertretend für Deutschland, das sich eine „Reichsbibliothek“ anders nicht hätte schaffen und leisten können. Wie keine deutsche Bibliothek zuvor oder danach erhielt die Königliche Bibliothek den Auftrag, die deutsche Literatur zu sammeln und damit nach dem von den westlichen Großmächten etablierten Vorbild als Nationalbibliothek zu fungieren. Alle Planungen für Kultur und Wissenschaft kamen aus dem Preußischen Kultusministerium, nicht aus einem Ministerium des Deutschen Reiches. Ausgeführt wurden sie für das Deutsche Reich als Gesamtstaat oder für Preußen als Teil des Reiches. Die duale Aufgabenstellung und Wirksamkeit war vielfach verschlungen. Preußen agierte in eigener Zuständigkeit und übernahm gleichzeitig – ohne Beteiligung der dem Reich beigetretenen Länder – eine gesamtstaatliche Verantwortung. Die entstehenden Institutionen – kulturelle, technische und wissenschaftliche von der Ostasiatischen Kunstsammlung über die Physikalisch-Technische Reichsanstalt bis zur Kaiser Wilhelm Gesellschaft – kamen zwar unter dem wachsenden Druck politischer Rivalität in der Vorweltkriegszeit zustande. Aber sie waren zugleich fundamentale institutionelle Beiträge zur Etablierung einer deutschen Nationalkultur. Sie führten Deutschland, wie es schon der Gründer des Germanischen Nationalmuseums gewünscht hatte, über das „Provinzialinteresse“ hinaus einem „gemeinsamen Nationalinteresse“ entgegen.2
III Nach dem Zweiten Weltkrieg war die institutionelle Sicherung der Kulturellen Überlieferung neu aufzubauen. Die DDR konnte wichtige ,preußisch-deutsche‘ Institutionen weiterführen. Die Bundesrepublik mußte für die ihr zugefallenen Teile des preußischen ,Erbes‘ neue Organisationsformen finden, nach dem Ausfall der Deutschen Bücherei vor allem für die Archivierung des nationalen Schrifttums. Das politische Klima, in dem sich die neue Institutionalisierung vollziehen mußte, wurde durch die politischen Erfahrungen unter dem Nationalsozialismus bestimmt. Die vorherrschende Strömung war eine entschiedene Ablehnung von Nationalismus und Zentralismus (wie immer diese verstanden wurden). Die neue 1 2
Universitätsbibliothek Heidelberg, Heid. HS. 899, fol. 194 r. Mit freundlicher Genehmigung der Bibliothek. Hans Freiherr von und zu Aufsess, Verhältniss der historischen Vereine zum germanischen Museum (Bayreuth 1853), S. 4.
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Verfassung wurde föderalistisch ausgerichtet in der Erwartung, daß der Föderalismus den besten Schutz gegen die Gefahren des Zentralismus bieten würde. Zudem ließ sich der Föderalismus als natürliches Korrelat des für Deutschland als charakteristisch angesehenen Regionalismus ausgeben. Die vielleicht folgenreichste föderalistische Entscheidung war die Übertragung der sogenannten Kulturhoheit auf die Länder. Mit Ausnahme weniger Bereiche wurden die Länder für alle kulturellen Belange in der Bundesrepublik zuständig. Das bedeutete eine Regionalisierung der Kultur. In kulturellen Angelegenheiten war hinfort die regionale Ebene als primäre Ebene anzusetzen. Was oberhalb dieser Ebene lag, sich ereignete oder ausgeführt werden mußte, war sekundär, abgeleitet oder supplementär. Mit anderen Worten: die Ebene der Nationalkultur und der nationalkulturellen Belange war in der Bundesrepublik nicht mehr mit jener Erstrangigkeit vorgegeben, die fast überall in Europa selbstverständlich ist. Damit brach eine Tradition ab, die nach der Reichsgründung von Preußen etabliert worden war. Preußen hatte nicht nur exzellente Kulturinstitutionen geschaffen, sondern zugleich versucht, Deutschland als „verspätete Nation“ an die in Europa gültige Konfiguration von Institutionen der Kulturellen Überlieferung ,anzugleichen’. Dies war und bleibt die herausragende kulturstaatliche Leistung Preußens. Sie wird weder durch damals begangene und heute erkennbare Fehler und Mißgriffe beeinträchtigt noch durch die Perversionen der nationalsozialistischen Zeit annulliert. Der Föderalismus der Bundesrepublik erwies sich schon früh als nur bedingt geeignet für die Sicherung der nationalen Kulturellen Überlieferung. So wurde die heutige Deutsche Bibliothek als Archivbibliothek des nationalen Schrifttums nicht vom Staat ins Leben gerufen, sondern von der Buchhändlervereinigung. Jahrelang notdürftig von der Stadt Frankfurt und vom Land Hessen unterstützt, geriet sie in das – heute sattsam bekannte – Kompetenzgerangel von Bund und Ländern. Der Bund lehnte seine Zuständigkeit unter Hinweis auf die Kulturhoheit der Länder ab, diese erklärten sie zur einer „administrativen Veranstaltung“ in der Zuständigkeit des Bundesinnenministers.3 Erst zwanzig Jahre nach ihrer Gründung gab es, nicht zuletzt unter internationalem Druck, in der Bundesrepublik eine Archivbibliothek in voller nationaler Verantwortung. Als Generaldirektor der Königlichen Bibliothek bemerkte Adolf von Harnack 1912: „Es gehört … wie zur nationalen Existenz so auch zur vollen Ausgestaltung der nationalen Würde, daß das geistige Leben der Nation, wie es sich in der Bücherproduktion ausspricht, in einer nationalen Bibliothek gesammelt wird.“4 3 4
Vgl. Rolf-Dieter Saevecke (Hg.), Die Deutsche Bibliothek (Düsseldorf 1980), 2. Aufl., S. 31–32. Wissenschaftspolitische Reden und Aufsätze (Hildesheim 2001), S. 126–127.
POLITISCHE ASPEKTE DER KULTURELLEN ÜBERLIEFERUNG
Für die Sammlung des älteren Schrifttums bestand von vornherein keine nationale Zuständigkeit. Es galt als ausgemacht, daß die Bibliotheken des Landes im Ensemble den kompletten nationalen Buchbesitz repräsentierten – bis eine Enquête einen Fehlbestand von dreißig Prozent erwies. Die VolkswagenStiftung initiierte daraufhin in fünf Bibliotheken ein Förderprogramm zur Schließung der Lücken in den historischen Beständen – eine Ersatzlösung für eine (fast überall sonst bestehende) Nationalbibliothek, die es, verfassungskonform, in der Bundesrepublik nicht oder höchstens in virtueller Form geben kann. Ein weiteres Beispiel bietet der Denkmalschutz. Für ihn besteht ein „Nationalkomitee“ unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten, das im Hinblick auf die Kulturhoheit der Länder eigentlich nicht existieren dürfte. Es verdankt seine Entstehung auch nicht einem länderübergreifenden nationalen Engagement, sondern der UNESCO, die anläßlich des Denkmaljahres (1975) von jedem Land die Bildung eines „national committee“ erwartete. (Seine Zusammensetzung gewährt einen Einblick in die föderalen Proporzprobleme.) Seit den vergeblichen preußischen Bemühungen um einen national organisierten Denkmalschutz ist dieser eine Angelegenheit der Länder. Im Denkmalschutzjahr mußte der Bundespräsident der Öffentlichkeit mitteilen, daß – nach Erkenntnissen des Europarates – im Zuge des Wiederaufbaus in der Nachkriegszeit mehr historische Bausubstanz in der Bundesrepublik vernichtet worden war als während des gesamten Zweiten Weltkriegs.5 Die Frage stellt sich hier wie in vielen anderen Zusammenhängen, wie gut die kulturelle Überlieferung Deutschlands unter den vorgegebenen föderalen Bedingungen gesichert ist und bewahrt wird.
IV Nach der Wiedervereinigung hätte das Verhältnis von Staat und Kultur neu überdacht werden können. Die Möglichkeit der Suche nach einem zukunftsfähigen politischen und institutionellen Umgang mit der Kulturellen Überlieferung stand offen. Mit der bloßen Übertragung der Verfassung der Bundesrepublik auf die ehemalige DDR wurde indessen auch hier die Kulturhoheit der Länder verbindlich. Das bedeutete eine generelle Anpassung an die Ebene regionaler Kulturpolitik – auch für solche Institutionen, die vorher herausgehoben waren und wieder hätten herausgehoben werden sollen. Die „Stiftung Weimarer Klassik“ bietet ein Beispiel. Der 5
Walter Scheel in Eine Zukunft für unsere Vergangenheit: Denkmalschutz und Denkmalpflege in der Bundesrepublik Deutschland (München 1975), S. 169.
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gesamte Komplex ist von höchstem symbolischen Wert, und seine nationale Bedeutung nicht zu übersteigern. Die von der DDR gewählte Bezeichnung stellte seine nationale Bedeutung heraus, gleichviel was sie sonst zum Ausdruck brachte. Die neue Bezeichnung eliminiert jeden Bezug auf das Nationale, vermutlich in der Absicht, das Niveau der Bezeichnung der neuen primären Landeszuständigkeit anzupassen. Verdient die deutsche Klassik nicht mehr als ein lokales Etikett? ,National‘ war lange (und ist vielfach immer noch) ein Tabu-Wort im politischgesellschaftlichen Diskurs der Bundesrepublik. Der nationalsozialistische Mißbrauch ist bekannt, liegt aber inzwischen lange zurück. Überall sonst in Europa ist das Wort unbelastet und wird als ein neutraler politischer Orientierungsbegriff benutzt. Die politische Klasse in der Bundesrepublik hat es bislang versäumt, ihn in diesem neutralen Sinne wieder diskursgeeignet zu machen, so daß es kaum möglich ist, unbefangen von Nationalkultur und nationalkulturellen Belangen oder Verpflichtungen zu sprechen. Der Verdacht liegt nahe, daß der Begriff nur als Gegenbegriff zu föderal verstanden wird und deswegen unerwünscht ist. Von der unvermeidlichen nationalen Archivbibliothek abgesehen, dürfen Kulturinstitutionen in der Namengebung offenbar nicht über das Regionalniveau hinausweisen. Der in den Westen ausgelagerte Teil der ehemaligen Preußischen Staatsbibliothek hieß einige Zeit Hessische Bibliothek, dann Westdeutsche Bibliothek. Ihr neuer Name ist Staatsbibliothek zu Berlin und bleibt damit noch unter dem Niveau, das durch Bezeichnungen wie Staatsbibliothek Bamberg gesetzt wird. Im Ausland kursiert die ironische Frage, warum die beiden Häuser nicht durch die Bezeichnungen Staatsbibliothek Berlin-Mitte und Staatsbibliothek Berlin-West unterschieden werden. Der Vorschlag, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Nationalstiftung umzubenennen – nicht um dadurch die Bedeutung der darin vereinigten Institutionen über Gebühr herauszuheben, sondern um die gesamtstaatliche Verpflichtung gegenüber einem singulären Erbe zu verdeutlichen – hat Stürme der Entrüstung ausgelöst. Preußens Vermächtnis, hieß es fast unisono, würde damit Schaden zugefügt. Wirklich? Schon bei der Gründung der Stiftung (1957) ist der nationale Rang des ehemals preußischen Kulturbesitzes bekundet worden (signifikanter Weise durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts). Preußen trat, wie Lepsius es ausdrückte, „an die Stelle des Reiches“ und agierte ,national‘. Nichts anderes als eine verspätete Anerkenntnis dieser Kulturpolitik wäre eine Neubenennung der Stiftung. Oder spricht aus dem Protest die Befürchtung, das nicht mehr existente Preußen könnte posthum über das heute verbindliche Regionalniveau hinausragen?
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V Mit seinem uneingeschränkten Föderalismus versperrt sich Deutschland den Zugang zu Europa. Das zusammenwachsende Europa ist durch eine Symbiose von Nationalkulturen gekennzeichnet. Ungeachtet der vielbeschworenen ,gemeinsamen‘ europäischen Kultur (die schwierig zur Geltung zu bringen ist) wird es auch in Zukunft ein nationalkulturell geprägtes Gebilde sein. Die Nationalkulturen werden nicht mehr miteinander rivalisieren, wie im neunzehnten Jahrhundert, aber sie werden, wie sich schon allenthalben zeigt, miteinander konkurrieren. Institutionell spielen die monumentalen Institutionen der Kulturellen Überlieferung, die das neunzehnte Jahrhundert geschaffen hat, die dominante Rolle, voran die Nationalbibliotheken und die Nationalmuseen. Sie werden, wo immer es möglich ist (und erstaunlich viel wird auch in kleineren Ländern durch hohe Aufwendungen möglich gemacht), zu eindrucksvollen Zentren kultureller Präsenz ausgestaltet. Mehr noch: die nationalen Institutionen sind meist nicht nur Medien für eine selbstgewisse nationale Eigendarstellung, sondern auch Kompetenzzentren, aus denen die Ideen und Konzepte für den künftigen Umgang mit der Kulturellen Überlieferung hervorgehen. In diesem Szenario spielt Deutschland nicht den Part, den es spielen könnte und spielen müßte. Es kann ihn nicht spielen, auch wenn – da und dort – der Wunsch danach bestehen sollte. Sein politisches und institutionelles Gefüge ist inkompatibel mit den Gegebenheiten und mit den Erfordernissen in Europa. Niemand sonst hat seine kulturelle ,Hoheit‘ so weit regional delegiert, daß ein nationalkulturelles Stratum praktisch nicht existent ist. Selbst die Deutsche Bibliothek als „bundesunmittelbare Anstalt“ kann Deutschland international nur begrenzt repräsentieren. Sie ist, gesetzlich festgelegt, nur eine Archivbibliothek für das seit 1913 erschienene Schrifttum, keine vollgültige Nationalbibliothek. Wie hier, so bestehen auch in anderen Bereichen Inkongruenzen, hervorgerufen nicht durch sachliche Differenzen, sondern durch politische Blockaden. Die kulturelle Absenz Deutschlands in Europa ist offenbar und wird immer wieder bemerkt. Nicht daß sich Deutschland nicht zu seinem und anderer Vorteil in ein Europa der Kulturen einfügen könnte. Die kulturelle Substanz dafür ist allemal vorhanden, aber sie wird nicht zur Geltung gebracht, weil sie nicht gebührend zur Geltung gebracht werden kann und darf. Wenn Deutschland in Europa kulturell kaum in Erscheinung tritt, dann deswegen, weil es, wie treffend bemerkt worden ist, „in Europa das Land ohne Vision ist. … Deutschland ist in Europa, jenseits seiner wirtschaftlichen Rolle, das unklarste Land – mit schönen Regionen und ausgeprägtem regionalem Bewußtsein, aber auch in der Berliner Republik immer noch nur der gute Schüler Europas … Zur vielgerühmten Vielfalt Europas leistet
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Deutschland den geringsten Beitrag. Ein Blick auf Österreich wird schnell deutlich machen, wie sehr es den Deutschen an der Gabe kultureller Selbstinterpretation und Selbstvermarktung fehlt.“6 Die Innenansicht ist nicht weniger desolat. Kultur soll eine „Gemeinschaftsaufgabe“ von Bund, Länder und Kommunen sein. Das geforderte Miteinander ist indessen meist ein Gegeneinander. Streit oder zumindest endlose Abstimmung ist an der Tagesordnung. Kompetenzgerangel und Abstimmungsschwierigkeiten treten häufig genug an die Stelle von produktiver Kooperation. Die ,nationale‘ Funktion des Bundes beschränkt sich vielfach nur auf die Bereitstellung von Mitteln zur Verbesserung der Finanzsituation in den für die Kultur zuständigen Ländern. Zentrifugale Tendenzen sind inzwischen allenthalben wirksam, und ein Maß ihrer Stärke ist die Absicht, die Verantwortung des Bundes für die sogenannte „Hauptstadtkultur“ festzuschreiben. Wiederum ist die Sprachregelung verräterisch: Es geht nicht um eine nationale Kulturaufgabe, an der alle beteiligt sein könnten und sollten, sondern lediglich um die Betreuung einer kulturellen Regionaleinheit, die zufällig das Zentrum des ganzen Landes ist. Ist Deutschland noch ein Bundesstaat, oder schon auf dem Wege zum Staatenbund? Für den politischen Zustand unserer nationalkulturellen Überlieferung sind zwei disparate Ereignisse aus jüngster Zeit erhellend: die Verordnung der Rechtschreibreform und der Brand der Weimarer Bibliothek. Kein überliefertes Kulturgut ist für ein Land so wichtig und wertvoll wie die Sprache. Welche Wertschätzung sie hierzulande erfährt, dokumentiert sich, voraussichtlich bis in ferne Zukunft, in der Anmaßung einer Konferenz von Regionalministern, das Flickwerk von Experten, die ihr Metier nur unvollkommen beherrschen, einer Sprachgemeinschaft aufzuzwingen. Ob man die Reform als Farce oder Trauerspiel betrachtet – die Fassungslosigkeit über das staatliche Vorgehen ist bei Sprachverständigen im In- und Ausland gleich groß. Keine zweite Bibliothek der Bundesrepublik ist für das kulturelles Eigenverständnis symbolisch so bedeutsam wie die Herzogin Anna Amalia Bibliothek. Sie ist staatliches Eigentum, und es besteht eine staatliche Verpflichtung zur Erhaltung dieses Eigentums, sogar eine erhöhte Verpflichtung, weil die Bibliothek zum Weltkulturerbe gehört. Der Bund, das Land Thüringen und die Stadt Weimar stehen gemeinsam in der Pflicht – nach föderalen Maßstäben theoretisch die beste Absicherung für die Bibliothek. Die Verantwortung für das, was geschehen ist, liegt deswegen letztlich bei denen, die politisch zuständig sind. Das wohlwollende Desinteresse der Politik an den Bibliotheken ist bekannt. Darf es so weit gehen?
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Hennig Ritter, „Deutschland tritt bei“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 30. April 2004.
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Wie sagte doch die Staatsministerin für Kultur und Medien der Bundesregierung angesichts der abgebrannten Bibliothek? Man brauche endlich einen Investitionsfonds für das Weltkulturerbe „als konstante Bundeshilfe für die Länder und Kommunen …, die mit der Erhaltung der ihnen anvertrauten Schätze oft überfordert seien. Man müsse Prioritäten setzen, und bisher befänden sich die Stätten des Weltkulturerbes, zu deren Pflege sich Deutschland verpflichtet habe, allein in der Obhut der Länder.“7 Prioritäten sind also zu setzen. Die erste bestände nicht in der Abschaffung des Föderalismus, sondern in seiner Selbstaufklärung. Statt eines verbohrten Föderalismus brauchen wir einen offenen und vorurteilslosen, statt mehr Hoheit mehr Kultur, statt eines exzessiven Regionalismus eine breite Basis für eine Nationalkultur, die sich sichtbar und sinnvoll in das Mosaik der europäischen Nationalkulturen einfügt. Wir brauchen einen intelligenten und verantwortungsbewußten Umgang mit unserer Kulturellen Überlieferung. Wir brauchen auf allen Ebenen Politiker, die dazu willens und fähig sind. Die Chancen, daß wir bekommen, was wir brauchen, scheinen allerdings nicht so gut zu stehen wie sich dies, mit einem neuen Lieblingsausdruck unserer politischen Klasse gesagt, „die Menschen draußen“ wünschen.
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„Katastrophenschutz“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10. September 2004.
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ie Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Rechtsstaat“ (GG, Art. 20, Abs. 1). Rechtsstaat, Sozialstaat, Bundesstaat: von Kulturstaat ist im Grundgesetz keine Rede. Dennoch ist die kulturstaatliche Verfassung dieser Republik nicht weniger ausgeprägt als seine sozialstaatliche Verpflichtung und seine bundesstaatliche Ordnung. Die geradezu selbstverständliche Förderung von Kunst und Kultur als öffentliche Aufgabe mit auch in schwierigen Zeiten beachtlichen Haushaltsansätzen läßt die politische Praxis fast besser erscheinen als die immer wieder kritisierte Lücke in der Verfassungstheorie. Die im internationalen Vergleich beispielhafte Vielfalt und Qualität der deutschen Kulturlandschaft verdanken sich ganz wesentlich einer föderalen Verfassungsordnung mit dem historisch gewachsenen Ehrgeiz der Länder auch und gerade in der Förderung von Kunst und Kultur. Dabei ist im Laufe der Jahre ein immer dichteres Netz der Trägerschaft, Finanzierung, direkter und indirekter Unterstützung von Institutionen und Projekten entstanden, an dem Städte und Kreise, die Länder und der Bund in unterschiedlicher Weise beteiligt sind. Die aktuelle Debatte über eine „Entflechtung“ gemeinsam wahrgenommener Aufgaben zwischen Bund und Ländern ist ein aufschlußreiches Beispiel für Glanz und Elend des deutschen Kulturföderalismus: Er ist als Prinzip ebenso unbestritten wie er in seiner Praxis schwierig ist. Dabei drohen im Kompetenzstreit von Bund und Ländern demonstrative Gestaltungsansprüche und verletzte Eitelkeiten in der Wahrnehmung einer vermeintlichen „Kulturhoheit“ gelegentlich mit noch mehr Nachdruck verfolgt zu werden als die Förderung von Kunst und Kultur. In ihren Konferenzen im Dezember 2001 und März 2002 hatten die Regierungschefs der Länder „Eckpunkte für eine Vereinbarung über die Abgrenzung der Zuständigkeiten und Aufgaben von Bund und Ländern im Kulturbereich“ beschlossen. Dabei geht es neben der Mitwirkung der Länder in der Kulturstiftung des Bundes auch um die Frage einer gemeinsamen Kulturstiftung der Länder und des Bundes sowie die künftige Verantwortung für die bisher gemeinsam getragene Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Ginge es nach den erklärten Absichten der Länder-Ministerpräsidenten, soll sich der Bund in der Kulturförderung in Zukunft auf fünf Bereiche beschränken: Aus-
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wärtige Kulturpolitik, Förderung der Hauptstadt Berlin und der Bundesstadt Bonn, Gedenkstättenarbeit, Förderung der im Einigungsvertrag festgelegten Einrichtungen sowie der deutschen Stätten des Weltkulturerbes. Mit diesen Absichten steht im Kern die Zukunft des Kulturföderalismus in Deutschland zur Disposition. Die Überlegungen und späteren Entscheidungen zur Förderung national und international bedeutender Kultureinrichtungen durch Bund und/oder Länder in der Hauptstadt Berlin, in der Bundesstadt Bonn und in den Ländern, die Pflege nationaler Stätten des Weltkulturerbes sowie eine veränderte Lastenverteilung bei der Finanzierung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz haben weitreichende Folgen für die Entwicklungschancen und Arbeitsbedingungen vieler anderer Kulturinstitutionen, Festspiele und Projekte, die regelmäßig oder aus besonderem Anlaß auch vom Bund gefördert werden. Daß am Ende einer kulturpolitischen Entflechtung für die Kultur mehr Mittel zur Verfügung stehen als bisher, ist eine eher einfältige Vorstellung, die weder durch die Verfassungs- noch durch die Haushaltslage von Bund und Ländern begründet ist. Die zeitweiligen Spekulationen über die Zukunft der Stiftung Preußischer Kulturbesitz sind exemplarisch für die Schwierigkeiten des Bundes und der Länder in der Wahrnehmung gesamtstaatlicher kulturpolitischer Verantwortung. Während der Präsident der Stiftung diese zu Recht als Zukunftsmodell bezeichnet, das die vielstrapazierte Kulturhoheit der Länder nicht nur nicht gefährde, sondern auch und gerade bei der kulturellen Gestaltung der deutschen Hauptstadt zur Geltung bringe, stellte ausgerechnet der Senat der Hauptstadt die eigene Mitwirkung an dieser Gemeinschaftsaufgabe in Frage. Nach dem Beschluß der Ministerpräsidentenkonferenz vom 20. 12. 2001 strebten die Länder an, „daß der Bund die Stiftung Preußischer Kulturbesitz einschließlich ihrer Finanzierung grundsätzlich in eigene Verantwortung übernimmt; dabei sind die besonderen Belange von Berlin und Brandenburg angemessen zu berücksichtigen. Die Länder ziehen sich im übrigen aus dem Finanzierungsabkommen zurück.“ Diese Forderung schien der folgerichtige Schlußpunkt einer in den letzen Jahren immer stärker notleidend gewordenen Wahrnehmung der gemeinsamen Verantwortung nach dem Finanzierungsabkommen zwischen Bund und Ländern zu sein. Der Bund hatte immer mehr finanzielle Verpflichtungen Berlins und der anderen Länder übernommen, direkt und indirekt, auf Zeit oder auf Dauer. Schon im Haushaltsjahr 2002 trug der Bund von den Gesamtaufwendungen für Investitionen und Betrieb von über 260 Millionen Euro rund 80 %. Daß trotz der unverändert geltenden Satzung der Bund die gestiegenen Finanzierungslasten fast alleine übernehmen mußte, ist ganz gewiß kein Ruhmesblatt für die mit Nachdruck reklamierte kulturpolitische Kompetenz der Länder. Die kontinuierliche Ausdünnung des finanziellen Engagements der Länder war beinahe eine Selbstabdankung, die mit der zwischenzeitlich geplanten Kündi-
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gung des Abkommens über die gemeinsame Finanzierung zum 31. Dezember 2005 formalisiert worden wäre. Dabei muß es bei nüchterner Betrachtung ein vitales Interesse der Länder sein, über die Stiftung Preußischer Kulturbesitz gesamtstaatliche Verantwortung wahrzunehmen und damit zugleich den Bund in die Mitverantwortung für herausragende Kultureinrichtungen und Veranstaltungen von nationaler und internationaler Bedeutung in den Ländern zu zwingen. Erst eine Alleinvertretung des Bundes für die Repräsentanz des Kulturstaates nach innen und außen macht die Länder kulturpolitisch zur Provinz. Diese Einsicht kommt glücklicherweise in dem Beschluß der Ministerpräsidentenkonferenz vom Oktober 2002 zum Ausdruck, den föderalen Charakter der größten Kulturinstitution in Deutschland beizubehalten. Zwar hat sich Berlin endgültig aus der Verantwortung für den Bauhaushalt verabschiedet, den der Bund künftig alleine finanziert, wobei die jährlich rund 100 Mio. Euro die fehlenden Berliner Haushaltsmittel nicht voll ausgleichen. Entsprechend mußte der „Masterplan“ zur Nutzung der historischen Bauwerke auf der Museumsinsel zeitlich gestreckt werden. Immerhin aber kann am Weltkulturerbe Museumsinsel seit zwei Jahren weitergebaut werden, und die Länder beteiligen sich auch weiterhin an den Betriebskosten der Stiftung. Die bisherige Regelung einer umfassenden Trägerschaft des Bundes und der Länder als Ausdruck gesamtstaatlicher Verantwortung bleibt damit erhalten. Mit ganzen 25 Prozent der laufenden Ausgaben und ausschließlicher Finanzierung der Investitionen durch den Bund bleibt die Beteiligung der Länder allerdings wesentlich bescheidener als ihr kulturpolitischer Anspruch. Der fast euphorische Kommentar des Präsidenten Klaus-Dieter Lehmann: „Die Stiftung ist die operative Kulturstiftung des Bundes und der Länder“, ist leider eher Wunsch als Wirklichkeit. Tatsächlich ist die Stiftung Preußischer Kulturbesitz vor inzwischen fast einem halben Jahrhundert erst gegen den ausdrücklichen Widerstand einiger Länder zustande gekommen, nachdem das Bundesverfassungsgericht deren Klage gegen diese Initiative des für unzuständig gehaltenen Bundes zurückgewiesen hatte. Daß das preußische Kulturerbe seitdem nicht nur von den Nachfolgeländern Preußens, sondern als gemeinsames Erbe des neuen deutschen Staates vom Bund und allen seinen Ländern wahrgenommen wird, ist kulturpolitisch gut begründet und hat sich im allgemeinen zweifellos bewährt. Insbesondere nach der Wiedervereinigung wurde die Preußen-Stiftung durch den Beitritt auch der neuen Länder zu einem wichtigen Ausdruck der großen deutschen, wiedervereinigten Kulturnation und ihres gewachsenen Kulturföderalismus. Allerdings sind von Beginn an die unterschiedlichen historischen Verbindungen und die daraus abgestuften Interessen deutlich geworden. Das herausragende Interesse des Bundes, von Berlin und mit
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Abstrichen auch des größten Bundeslandes Nordrhein-Westfalen gegenüber allen übrigen Ländern kommt sowohl in der Finanzverteilung wie in der Besetzung der Gremien zum Ausdruck. Im zwanzigköpfigen Stiftungsrat sind je zwei Vertreter des Bundes, des Landes Berlin und des Landes Nordrhein-Westfalen vertreten; die übrigen Länder entsenden je einen Vertreter. Schon die Unauffälligkeit Brandenburgs ist nicht historisch, sondern nur finanziell zu begründen. So eindrucksvoll ihr kulturpolitisches Engagement in den jeweils eigenen Ländern in den meisten Fällen ist, in der Wahrnehmung nationaler Aufgaben der Kunst- und Kulturförderung sind die Länder für den Bund leider weder eine ernsthafte Konkurrenz, noch gibt es überzeugende Kooperation. Niemand wird ernsthaft bestreiten wollen, daß vor und nach der Wiederherstellung der deutschen Einheit im Verhältnis von Bund und Ländern über Jahrzehnte hinweg allzu komplizierte gemeinsame Aufgaben und Finanzierungssysteme entstanden sind, die in den Planungen undurchsichtig und in den Verantwortlichkeiten unklar geworden sind. Das Bemühen um eine stärkere Systematisierung der Aufgaben von Bund und Ländern ist vor diesem Hintergrund verständlich. Ob und wo sich die Entflechtung von Aufgaben künftig in voneinander getrennten Zuständigkeiten niederschlägt, ist im Einzelfall sorgfältig zu klären. Die Mitverantwortung des Bundes für herausragende Einrichtungen und Ereignisse im Kunst- und Kulturbereich ist zweifellos unverzichtbar und darf gerade deshalb nicht auf die Hauptstadt Berlin und die Bundesstadt Bonn beschränkt sein. Umgekehrt muß der Anspruch der Länder auf eine besondere Verantwortung für den Kulturstaat Deutschland auch und gerade in der Mitwirkung an der Wahrnehmung gesamtstaatlicher Aufgaben im Kulturbereich deutlich werden. Die kurzfristige Hilfsaktion für die Wiederherstellung der Anna Amalia Bibliothek in Weimar nach dem verheerenden Brandschaden ist ein ebenso aktuelles wie dramatisches Beispiel für die praktischen Probleme der bundesdeutschen Kulturpolitik. Wenigstens vierzig Millionen Euro werden benötigt, um die Schäden zu beseitigen und die Buchbestände zu restaurieren oder wiederaufzufüllen. Doch die unmittelbar betroffene Stiftung Weimarer Klassik ist hilflos, die Bundeskulturstiftung ist unzuständig und darf nicht helfen, die Länderkulturstiftung ist nahezu mittellos und kann nicht helfen, schon gar nicht kurzfristig, während vier Millionen Euro Soforthilfe zur Verfügung gestellt werden – aus dem Etat der Kulturstaatsministerin. Immerhin will nach dem jüngsten Beschluß ihres Stiftungsrates die Länderkulturstiftung der Anna Amalia Bibliothek bei der Wiederbeschaffung historischer Buchbestände helfen. Eine Zusammenführung der Kulturstiftung des Bundes und der Kulturstiftung der Länder mit ihren jeweiligen eher zufällig verteilten Aufgabenprofilen ist gewiß überfällig, aber sie wäre weder ein überzeugender Beitrag zur „Entflechtung“ noch
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zu einer gesamtstaatlichen Kulturförderung, wenn sie – anderen schlechten Beispielen folgend – dem Bund die ganz überwiegende Finanzierungspflicht zumuten und einzelnen Ländern ein Vetorecht gegen mögliche Förderungen von Projekten oder Institutionen zugestehen würde. Die eigentlich besorgniserregende Wendung der jüngeren Debatte besteht in dem Rückzug der Länder aus der gesamtstaatlichen Verantwortung für die Kultur bei gleichzeitiger, allzu großzügiger Bereitschaft zur Aufgabenübertragung der Kulturförderung in der Hauptstadt Berlin, der Bundesstadt Bonn, der deutschen Stätten des Weltkulturerbes sowie der im Einigungsvertrag festgelegten Einrichtungen an den Bund, der ohnehin für die Auswärtige Kulturpolitik zuständig ist. Eine heftige Auseinandersetzung über eine solche gravierende Veränderung der kulturpolitischen Gewichte ist nicht nur zulässig, sondern dringend geboten. Dieser Streit muß sein. Und er gehört in die Parlamente von Bund und Ländern, deren Zuständigkeit für die Übernahme und Abtretung öffentlicher Aufgaben nicht an Regierungskommissionen abgegeben werden kann, auch dann nicht, wenn sie von Bund und Ländern gemeinsam besetzt werden. Abschließende Entscheidungen über mögliche Empfehlungen solcher Kommissionen bedürfen der parlamentarischen Zustimmung, nicht zuletzt wegen der damit verbundenen langfristigen haushaltsrechtlichen Konsequenzen. In der Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland ist Kultur eine Gemeinschaftsaufgabe von Bund, Ländern und Kommunen. Der Streit zwischen Bund und Land um die vermeintliche „Kulturhoheit“ ist dabei doppelt absurd: Zum einen haben die Kommunen über Jahrzehnte hinweg fast die Hälfte der öffentlichen Kulturausgaben finanziert und damit fast genau so viel wie der Bund und alle Länder zusammengenommen; erst in den letzten Jahren haben die Länder mit stagnierenden Haushalten die finanziell überlasteten Städte und Kreise in der Summe der Kulturhaushalte überholt. Zum anderen ist das Verhältnis der Politik zur Kultur kaum mißverständlicher auszudrücken als durch den Begriff der „Hoheit“. Ein Staat, der der Kultur mit hoheitlicher Gebärde begegnet, ist sicher kein Kulturstaat. Allen für die Kulturpolitik Verantwortlichen in Bund und Ländern sollte bewußt sein, daß die Kultur in Deutschland nicht einen Streit um Kompetenzen, sondern ihr gemeinsames Engagement verdient. Nur wenn Bund und Länder die Wahrung und Pflege nationalen Kulturerbes, die Darstellung des Kulturstaates Deutschland im Inland wie im Ausland und die Förderung herausragender Ereignisse und Entwicklungen der aktuellen Kunst- und Kulturszene als Gemeinschaftsaufgabe begreifen und dafür ausreichende Mittel mobilisieren, wird der föderal verfaßte Kulturstaat Deutschland seinem Anspruch gerecht: Mehr Kultur und weniger Hoheit.
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Der Tag der Vereinigung der beiden deutschen Staaten am 3. Oktober 1990 wie der Mauerfall am 9. November ein Jahr zuvor: für jemanden, der die Teilung Deutschlands bewußt miterlebt hat, war dies jenseits des Privaten das nachhaltigste, beglückendste unvergessene Ereignis seines Lebens. Die Herausforderung, die sich daraus ergab, hat Klaus-Dieter Lehmann in der Vereinigung der Deutschen Bibliothek Frankfurt mit der Deutschen Bücherei Leipzig in der Wahrung der historischen Konstellation hervorragend gemeistert, so daß man ihm in Berlin eine noch größere Aufgabe, die Fortsetzung der Zusammenführung des preußischen Kulturbesitzes, anvertraute. So hat er sich um die Herstellung der deutschen Einheit große Verdienste erworben. Als Bewunderer dieser Lebensleistung widme ich ihm diesen Beitrag über einen anderen ostdeutschen Kulturstandort: Weimar.
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ie deutsche Wiedervereinigung brachte unserem Land einen ungeheuren Zugewinn an kulturellen Gütern. Das reiche Erbe Ostdeutschlands stellt eine ungeahnte Bereicherung unseres Lebens dar und ist eine allerdings im Westen allzu wenig gewürdigte Morgengabe, die der Osten in die Vereinigung eingebracht hat. Diese überwältigende Fülle kultureller Überlieferung an Baudenkmälern, an Schlössern und Burgen, Kirchen und Domen, an Museen, Bibliotheken und Archiven ist eingebettet in einen Kranz historischer Städte von Wismar bis Görlitz und weiten Landstrichen ungestörter Natur von der Ostsee bis zum Erzgebirge, von der Uckermark bis zum Thüringer Wald. Ostdeutschland erscheint so als eine ungewöhnliche und im Ganzen noch gar nicht wahrgenommene Kulturlandschaft. Ihre Schönheit und ihr Reichtum werden leider durch die Industriebrachen und Fabrikruinen als Folgen der staatlichen Lenkung in der DDR allzu sehr überdeckt. Was in dem Umbau der Wirtschaft in guten Ansätzen gelingt, nämlich die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in West und Ost herzustellen, ist im Kulturbereich zwar noch nicht vollendet, wohl aber weitgehend erreicht worden. Der Aufbau Ost hat wahre Wunder in der Erhaltung und Neugestaltung historischer Bauwerke und kultureller Einrichtungen vollbracht. In Weimar ist die Rettung und Sanierung einer ganzen Stadt gelungen, bei der sich die Erinnerung an eine besondere Geschichte mit der Verpflichtung zur
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Bewahrung dieses einzigartigen kulturellen Erbes verbunden hat. Der europäische und internationale Anspruch dieser Provinzstadt – ein Kuriosum und ein typisches Beispiel für Kultur in Deutschland gleichermaßen – geht auf Goethe und Schiller, Herder und Wieland und ihre Zeitgenossen zurück, die dank ihrer dichterischen und literarischen Werke für die Kultur in Deutschland in der Verbindung von Aufklärung und Klassik einerseits und einem obrigkeitlichen Verständnis andererseits Maßstäbe setzten. Goethe hat den Widerspruch von Enge und Weite Weimars beim Wort genommen: „Wo finden Sie auf einem so engen Fleck noch so viel Gutes! … Es gehen von dort die Tore und Straßen nach allen Enden der Welt … Ich bin immer gerne nach Weimar zurückgekehrt“, und schon der junge Dichter hat einen prophetischen Zweizeiler verfaßt: O Weimar! Dir fiel ein besonderes Los! Wie Bethlehem in Juda, klein und groß! Durch Goethe und seine weltweite Wirkung als Dichter der deutschen Klassik und als Vollender eines humanistisch-ästhetischen Weltbildes erhielt das kleine Weimar den Ruf einer Stadt der Literatur und Kunst. Doch jedes Zeitalter setzte hier Zeichen oder hinterließ Spuren. Der Komponist und Klaviervirtuose Franz Liszt, ein wahrer Europäer seiner Zeit, versuchte in der Mitte des 19. Jahrhunderts, Weimar zu einer Kulturstadt zu machen wie später Harry Graf Kessler und seine Freunde um die Jahrhundertwende. Im wilhelminischen Deutschland wurde Weimar das Zentrum einer weltweiten Goetheverehrung und -forschung durch die Gründung der Goethe-Gesellschaft und den Bau des Goethe- und Schiller-Archivs. Dies ist bis heute so geblieben. Am Anfang des 20. Jahrhunderts steht der Dichterprophet Friedrich Nietzsche, der 1900 in Weimar starb. Nach seinem Tode entstand hier das Nietzsche-Archiv als Zentrum der Nietzscheforschung in der Nachbarschaft der Gedenkorte in Röcken und Naumburg. Nach Goethe hat kein Denker die Philosophie und Kunst Europas so beeinflußt wie er. Und weiter: In Weimar gründete Walter Gropius 1919 das Staatliche Bauhaus, und von hier trat die moderne Architektur im 20. Jahrhundert ihren Siegeslauf durch die Welt an. Am gleichen Ort, ja im gleichen Gebäude, das Henry van der Velde entworfen hatte, signalisierten Kandinsky, Klee und Feininger mit ihren Kollegen und Schülern den Durchbruch der modernen Kunst in Deutschland. In Weimar wurde ebenfalls 1919 die erste deutsche Republik beschlossen und ihre Verfassung nach Weimar benannt. In keiner deutschen Kleinstadt haben auf engem Raum so viele epochale Ereignisse stattgefunden, im Positiven wie im Negativen, denn im sogenannten Dritten Reich entstand 1933 im benachbarten Buchenwald ein Konzentrationslager, eine der schändlichen Stätten deutscher Barbarei, in der Goethes Humanität zur Unmenschlichkeit pervertierte. In den unvoll-
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endeten Bauten des „Gauforums“ hat das „Tausendjährige Reich“ am Rande der Innenstadt ein absurdes Denkmal hinterlassen. Vor diesem Hintergrund wurden 1953 in der DDR die Nationalen Forschungsund Gedenkstätten der klassischen deutschen Literatur gegründet. Dieses Ensemble der Gedenkstätten in und um Weimar war der eindrucksvolle Versuch, auch in einer parteilich eingeengten Welt das kulturelle Erbe seines Weltbürgers zu bewahren und zu fördern. Es ist dem damaligen Generaldirektor Helmut Holtzhauer auch gelungen, die Hybris sozialistischen Bauens vom Zentrum Weimars fernzuhalten. Doch den Verfall der Stadt konnte auch er nicht aufhalten. Die politische Wende 1989/90 führte in vielen ostdeutschen Städten zur Sanierung der historischen Bausubstanz. Doch in ihrem Umfang unvergleichlich ist die Restaurierung und Neugestaltung Weimars. Dieser erstaunliche Aufschwung ist jedem unvergessen, der ihn miterlebt hat. Er wurde getragen von den Verantwortlichen der Stadt, des Landes, des Bundes wie von den Bürgern selbst und wurde über Jahre begleitet von dem Beifall und Zuspruch der Presse, des Rundfunks und des Fernsehens. Dieser Aufbruch gipfelte in dem europäischen Kulturstadtjahr Weimar 99, das, von dem Weimarer Archivar Volker Wahl bereits 1990 ins Gespräch gebracht, dann im Wesentlichen von Land und Bund getragen, in einem unvergessenen Wirbel von kulturellen Ereignissen, Ausstellungen, Aufführungen mit internationaler Beteiligung gipfelte, das die Welt nach Weimar führte und das mit dem Namen Bernd Kauffmann verbunden bleibt. Das Festjahr, das an alle nachfolgenden europäischen Kulturhauptstädte die höchsten Erwartungen knüpft, ist mit dem Millennium zu Ende gegangen, aber das Erreichte ist überall in Weimar sichtbar. Die Stadt wurde in vorbildlicher Weise im Zentrum und auch in den angrenzenden historischen Vierteln im Laufe von zehn Jahren Haus für Haus saniert, die wieder aufgebaute Häuserzeile am Stadtmarkt vollendet. Die Plätze, Straßen, Parks und Alleen wurden neu gestaltet, die Klassikerstätten, die Kirchen, das Theater, die Museen, die Kultureinrichtungen, die Hochschulen, alle auf engstem Raum überliefert, erneuert und wiederhergestellt. Die Weimarhalle von 1930 wurde durch einen funktionalen, aber gelungenen Neubau am alten Platz im Herzen der Stadt ersetzt. Auch nach dem Kulturstadtjahr wird weitergebaut und arrondiert. Endlich wird das Schloß, größtenteils ein Denkmal des Klassizismus, im Äußeren und Inneren restauriert, ebenfalls das benachbarte riesige Marstallgebäude für das Thüringische Hauptstaatsarchiv. Fast vollendet schien die Herzogin Anna Amalia Bibliothek als Forschungsbibliothek der deutschen Klassik zu sein. Ein modernes unterirdisches Büchermagazin soll zwei für die Bibliothek restaurierte Schloßgebäude mit der historischen Bibliothek zu einem Komplex im Zentrum der Stadt verbinden. So stand die Restaurierung von Herzogin Anna Amalias Bibliothek bevor. Durch den
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schrecklichen Brand, fünf Wochen vor dem Umzug, hat dieses Konzept einen schweren Rückschlag erlitten. Die Wiederherstellung des durch Löschwasser stark beschädigten berühmten Rokokosaals mag in den nächsten Jahren gelingen. Doch die Vernichtung von 50.000 alten Drucken und die Brand- und Wasserschäden an 62.000 weiteren Bänden ist für diese Bibliothek eine große Katastrophe. Da ist es auch kein Trost, daß Weimar mehrfach schwere Zerstörungen erleiden mußte: 1774 brannte das alte Schloß ab, und 1945 zerstörten Bomben viele historische Gebäude der Innenstadt. Weimar ist heute eine einladende Stadt mit hervorragenden Hotels und Abertausenden von Besuchern aus der ganzen Welt, denn für die Gäste aus dem Ausland ist sie neben Berlin und Heidelberg das beliebteste Ausflugsziel in Deutschland. Weimars freundliches und lebendiges Stadtbild wird jedoch nicht nur durch Touristen geprägt, sondern von jungen Menschen, Studierenden der beiden erfolgreichen Hochschulen, der Franz Liszt-Hochschule für Musik und der BauhausUniversität. Das Erbe Goethes und die Kultur der Goethezeit, der Nachlaß Nietzsches und die Werke des frühen 20. Jahrhunderts werden von der Stiftung Weimarer Klassik verwaltet, die die Nachfolge der NFG antrat. Sie führt seit kurzem auch die Kunstsammlungen im Namen, denn das Museum im Schloß, das Neue Museum und das Bauhaus-Museum wurden von der Stadt übernommen. Sie selbst umfaßt mit dem Goethe- und Schiller-Archiv, der Herzogin Anna Amalia Bibliothek und dem Goethe-Nationalmuseum die bedeutendsten Kultur- und Forschungsstätten Weimars. Aber allein in der Stadt gehören dazu auch das Goethehaus am Frauenplan und das Wittumspalais, das Schillerhaus und das Liszthaus, die Fürstengruft, der Ilmpark mit Goethes Gartenhaus, dem Römischen Haus und den Denkmälern, auch die Parkhöhlen und das Kirms-Krackow-Haus aus dem 19. Jahrhundert. Außerhalb der Stadt bewahren die Schlösser Belvedere, Tiefurt, Ettersburg und die Dornburger Schlösser sowie mehrere Gedenkstätten und Parks das klassische Erbe unter der Obhut dieser Kulturstiftung. Neben den musealen Aufgaben führt sie ein jährliches abwechslungsreiches Kulturprogramm mit Ausstellungen, Lesungen, Vorträgen etc. durch und fördert die wissenschaftliche Arbeit durch Editionen, Veranstaltungen und eigene Forschungen. Auch die Stadt trägt zum kulturellen Leben Weimars bei, sie unterhält die Stadtbibliothek, das Stadtarchiv, das Stadtmuseum, die Volkshochschule und fördert Kulturvereine und soziokulturelle Zentren. Doch was die Stadt von anderen vergleichbaren unterscheidet, ist der Besitz des Deutschen Nationaltheaters, das in seinem Spielplan überregionalen Ansprüchen gerecht werden will. Außerdem wird das Weimarer Kunstfest fortgeführt, das seit 1990 zum Image der Stadt außerordentlich beiträgt.
WEIMAR – EINE EUROPÄISCHE KULTURSTADT
Diese Aufzählung der Kulturstätten und -veranstaltungen in Weimar, die dem Erbe der deutschen Klassik und seinen Wirkungen und Folgen bis ins 20. Jahrhundert verpflichtet sind, macht deutlich, daß die Kommune, aber auch die Stiftung durch die Fülle der Aufgaben in finanzieller Hinsicht unvergleichlich gefordert sind. Weimar ist eine Stadt mit 70 000 Einwohnern, letzten Endes eine Kleinstadt von europäischer Größe, „ein Bethlehem klein und groß“. Wenngleich die Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen einen großen Teil der kulturellen Aufgaben in Weimar wahrnimmt, so kann die Stadt allein die Verpflichtungen, die sich für sie aus dem Anspruch einer europäischen Kulturstadt herleiten, nicht erfüllen. Sie hat unter Aufbietung vieler Kräfte der Möglichkeit einer Fusion des Nationaltheaters mit Erfurt tapfer und aus historischer Verantwortung widerstanden. Aber sie mußte die wundervoll restaurierten Bertuchhäuser, die die für das Verständnis Weimars so wichtige Stadtgeschichte in ihren Räumen den Einheimischen und Fremden seit einigen Jahren eindrucksvoll vermitteln, schließen, da die Mittel fehlen, und weitere Einschnitte drohen. Sie kann ihren Beitrag zur Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen, die sie mit 10 % mitfinanziert – den Hauptanteil tragen der Freistaat Thüringen und der Bund – nicht mehr zahlen und bringt so auch sie in Bedrängnis. Weimar bricht in diesen Jahren unter der Last seiner kulturellen Verantwortung finanziell zusammen und gefährdet dadurch die Kulturstiftung. Da das weltweite Ansehen Weimars keinen Schaden nehmen darf, verlangt die Lage eine Lösung, und diese kann nur heißen: Weimar ist als eine europäische Kulturstadt eine gesamtstaatliche Aufgabe. Es wäre leichter, von einer nationalen Aufgabe zu sprechen. Doch der durch die zwölf unseligsten Jahre unserer Geschichte obsolet gewordene Begriff ist so gut wie ganz aus den Lexika und Wörterbüchern verschwunden. Seit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten 1990 und spätestens seit der EU-Osterweiterung 2004 ist es allerdings deutlich geworden, daß sich unser Land, wie alle anderen europäischen Länder, als Nationalstaat verstehen muß und daß der Bund trotz der sogenannten Kulturhoheit der Länder nationale Aufgaben zu erfüllen hat. Die Umschreibung „gesamtstaatlich bedeutsam“ ermöglicht es dem Bund, bestimmte kulturelle Projekte mitzufinanzieren. Für die neuen Bundesländer ist dies in § 35 des Vertrags über die Herstellung der Einheit Deutschlands festgelegt worden. Dort heißt es, daß „in den Jahren der Trennung (…) Kunst und Kultur (…) eine Grundlage der fortbestehenden Einheit der deutschen Nation“ darstellten und daß „Stellung und Ansehen eines vereinten Deutschlands in der Welt“ auch „von seiner Bedeutung als Kulturstaat“ abhängt. Der Bund sah sich in die Pflicht genommen: er kann „übergangsweise zur Förderung der kulturellen Infrastruktur einzelne kulturelle Maßnahmen und Einrichtungen mitfinanzieren“.
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So hat sich der Bund große Verdienste um den kulturellen Aufbau Ost durch die zahllosen Projektförderungen kultureller Einrichtungen in Ostdeutschland erworben, nicht zuletzt durch die Mitfinanzierung der„kulturellen Leuchttürme“, die in dem auf Veranlassung der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien herausgegebenen „Blaubuch“ (2. Aufl. 2003) beschrieben sind. Zu den privilegierten Kulturinstitutionen, die der Bund in diesem Rahmen mitfinanziert hat, zählt, wie schon erwähnt, die Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen. Wenn ich, daran anknüpfend, den Vorschlag wage, der Bund solle auch die Kulturstadt Weimar mitfördern, so mag das auf den ersten Blick befremden, denn es scheint doch ganz ausgeschlossen zu sein, daß der Bund eine Kommune direkt finanziell unterstützt. Doch der Hinweis auf den Bonn-Vertrag zeigt, daß der Bund durchaus Ausnahmen zu machen in der Lage ist. Wenn man Weimar unter dem Blickwinkel einer europäischen Kulturstadt betrachtet und ihr diesen Rang zubilligt, so ist dies durch die Bedeutung Goethes, Liszts und Nietzsches und ihre historische Wirkung bis in das 20. Jahrhundert hinein als Spiegelbild deutscher Geschichte gerechtfertigt. Die von der Stadt und der Kulturstiftung getragenen Verpflichtungen in Weimar sind in ihrer Komplexität und ihren Chancen im Rahmen einer europäischen Zukunft unseres Landes exzeptionell. Goethe ist weit über Europa hinaus eine geschichtliche Größe, sein Rang ist trotz aller deutscher Selbstzweifel unbestritten. Goethe war ein Europäer wie auch Friedrich Nietzsche, dessen Wirkungsgeschichte mit Weimar ebenfalls verknüpft ist. In dem zusammenwachsenden Europa sollten sie als Kronzeugen einer abendländischen Wertegemeinschaft gesehen zu werden. Deshalb plädiere ich für eine staatliche Anerkennung Weimars als europäische Kulturstadt. Es sollte dem Bund trotz der Widerstände der Länder, die jede Mischfinanzierung abschaffen möchten, ermöglicht werden, Weimar finanziell zu fördern. Ich will am Ende dazu auch einen konkreten Vorschlag machen: Der Bund unterstützt die Kultur Bonns im Rahmen des Bonn-Vertrags zur Kompensation der Einbuße als Bundeshauptstadt mit der stattlichen Summe von 150 Millionen € jährlich. Würde er nur den angesichts dieser Größenordnung geringen Betrag von 10 Millionen € auf dem Umweg über den Freistaat Thüringen zweckgebunden der europäischen Kulturstadt Weimar zukommen lassen, so würde damit in Europa in der Kulturpolitik ein Zeichen gesetzt: die Förderung exzeptioneller historischer Kulturstädte, die sich durch ihren Rang und ihre Bedeutung beispielhaft in Europa auszeichnen. In Deutschland käme nur noch Wittenberg in Frage, die Stadt Martin Luthers, von der eine Glaubensbotschaft ausging und die für alle Lutheraner in der Welt ihr „Mekka“ bedeutet. Martin Luther war nicht nur Theologe, er war auch Neuschöpfer unserer Sprache und Begründer einer modernen Stadt- und Bildungskultur. Die historischen Stätten in Wittenberg wie in Weimar sind Weltkulturerbe
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der UNESCO. Die Stadt wurde ebenfalls im Laufe der letzten fünfzehn Jahre mit ihren zahlreichen Renaissancebauten und Gedenkstätten vorbildlich restauriert. Mein Vorschlag soll einen Anstoß geben. Ich habe ihn als Westdeutscher niedergeschrieben, der die Entwicklung Weimars mit Spannung, Trauer und Genugtuung über viele Jahrzehnte verfolgt hat. Es wäre wünschenswert, wenn über die Förderung einer europäischen Kulturstadt in unserem Lande nachgedacht würde.
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ZWEI WELTEN, GUT VERFLOCHTEN BEILÄUFIGE ANMERKUNGEN ZU BUND UND LÄNDERN HERMANN RUDOLPH
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ind wir zusammengefügt aus Staaten, oder sind wir auseinandergegliedert in Staaten?” Setzt man an die Stelle des „wir“ die Bundesrepublik und bezeichnet die Staaten als Länder, so liest sich die Frage wie ein Kommentar zum Problemstand der Debatte um das Verhältnis von Bund und Ländern, der ziemlich aktuell anmutet. Der Satz stammt aber sozusagen aus der ersten Stunde dieser Republik; Theodor Heuss hat ihn in der Rede formuliert, die er 1949 nach seiner Wahl zum Bundespräsidenten hielt. Offenbar hat sich am alten Grundthema des Bundesstaats, der Spannung von Einheitlichkeit und Eigenständigkeit im Verhältnis zwischen Bund und Ländern, nichts grundsätzlich geändert. Allerdings würde man heute, eingedenk der aktuellen Gereiztheiten dieses Verhältnisses und der Debatten um die Föderalismusreform, das gleiche anders formulieren. Etwa so: Sind „wir“, ist die Bundesrepublik in erster Linie der Bund, im Polit-Jargon „Berlin“, hinter dem die Länder zurückstehen müssen – schon deshalb, weil dieser Staat in der Epoche von Globalisierung und zunehmender Komplexität sonst Gefahr läuft, auseinanderzufliegen, sich im Inneren selbst zu blockieren und nach außen nicht handlungsfähig zu sein? Oder umgekehrt: Sind „wir“ vor allem auch ein Bund von Ländern, die eine eigene Staatlichkeit praktizieren, weshalb der Bund, also „Berlin“, eher ein notwendiges Ärgernis ist – auch weil er die Substanz der Länder im Laufe der Jahre und Jahrzehnte ausgehöhlt hat? Aber was sind Bund und Länder? Was wir gemeinhin wissen, wissen wir gemäß dem Grundgesetz – Zweiter Hauptteil, diverse Artikel, dazu die Vorschriften über die Gesetzgebung, ausschließlich oder konkurrierend, die Ewigkeitsgarantie im Artikel 79, dritter Absatz. Doch wie so oft haben viele Probleme erst dann ihren Auftritt, wenn die Staatsrechts-Weisheit abgetreten ist. Denn im Bundesstaat Bundesrepublik sind Bund und Länder auch Lebensräume, Identitätsträger und je besondere Produktionsstätten von Leistungen und Bewusstsein. Und ein Ding, das keiner ganz aussinnt, sind sie auch noch, mythische Größen, mit denen wir als Politiker, Beamte und Bürger ringen, ein Stoff für Eingeweihte und Kenner. Erst recht liegt ein Geheimnis in dem Verhältnis beider Größen, dem Kern des Föderalismus – ein durchaus flüssiger, von Interessen, Absichten und Ansprüchen in blubbernder Bewegung gehaltener Kern. Schließlich verkörpern Bund und Länder die
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Vielfalt in der Einheit, also die politische Botschaft der Staatsform Bundesstaat, kaum weniger mystisch als die Trinität im Christentum – und sind doch zugleich das Feld sehr realen Rechtens, Abgrenzen und Streitens. Mit alledem bilden Bund und Länder den Spannungsbogen, aus dem die Bundesrepublik zum guten Teil lebt – und den Wackelkontakt, der ihre Staatlichkeit immer wieder einmal unruhig flackern lässt. Und was ist es, das Bund und Länder jenseits ihrer Rechtsgestalt ausmacht? Der Bund: das ist, unbestreitbar, der Ort, an dem die Grundbedingungen für den Gesamtstaat fixiert werden – außenpolitischer Standort, Wirtschaftskurs, Wohlstandszumessung. Er ist der Rahmen für die Bedürfnisse einer Wirtschaft, die in großen Zusammenhängen arbeiten muss, und für die großflächige Regelung von Normen und Vorschriften, ohne die die komplizierte Apparatur moderner Gesellschaften nicht funktionieren kann. Aber im Bund wird – mit den Bundestagswahlen – auch der (partei-)politische Grundton angegeben, der im Gesamtstaat vier Jahre lang dominiert. Er stellt die große Arena zur Verfügung, in welcher der Löwenanteil der Ein-Tages- oder Eine-Woche-Sensationen inszeniert wird, die erst die Bildschirme besetzen und die Schlagzeilen füttern, um dann den Gesichtskreis des Publikums auszufüllen. Er bringt schließlich die Zeichen hervor, die das Bild der Republik nach innen und außen transportieren – früher Langer Eugen und Rheinufer, nun Reichstagskuppel und Kanzleramt. Kurz: er ist das Vehikel für die Schaffung des Lebensraums von Lörrach bis Rostock, in dem sich die Bundesrepublik als Gemeinschaftsveranstaltung bildet, politisch, wirtschaftlich, aber auch kulturell, durchaus eine Art tägliches, alltägliches Plebiszit. Er nimmt den großen Zug zur Vereinheitlichung auf, dem moderne Gesellschaften im Zeitalter von unablässiger Kommunikation und Globalisierung gar nicht ausweichen können. Und die Länder? Sie führen aus und füllen aus, sie ordnen und verwalten, sie leisten und regulieren, zumeist jedoch das, was Berlin und Brüssel beschließen. In erster Linie sind sie die Verwaltung, die zum größten Teil in den Ländern stattfindet, außerdem – nicht zu unterschätzen – eine entscheidende Plattform des Parteibetriebs, in dem man sich durchsetzen muss, um Karriere zu machen und seine Position zu halten, also Unterbau des politischen Überbaus, des staatlichen ebenso wie des parteipolitischen. Natürlich sind sie auch politische Zentren, eigene Lebensräume, Identitätsspender, aber auf begrenzte Erfahrungen und Begründungen bezogen – Nähe-Erfahrungen, landsmannschaftliche Bindungen, nicht zuletzt den Charakter der Politik, für die das jeweilige Land den Schauplatz bildete. Schauplätze der Politik sind natürlich auch sie, aber Nebenschauplätze, und in welchem Maße sie politische Staatlichkeit bilden, ist eine offene Frage. Denn wie weit tragen deren Bestimmungsgrößen noch? Alle vier Wochen kann man es im Bundesrat beobachten: An der Wand die Wappen der Länder, die in heraldischer Symbolik
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die regionale Vielfalt aufbewahren – doch als politisches Organ spricht der Bundesrat in der instrumentalisierenden, einebnenden Sprache des Verwaltungsstaats über die gleichen Themen wie sein Gegenüber im Reichstag, der Bundestag. Kann man damit noch Staat machen? Man kann jedenfalls mitmachen. Daran lassen es die Länder nicht fehlen: Sie wirken mit in der Bundespolitik, im Gesamtstaat, korrigieren, präzisieren, satteln drauf und blockieren. Der Bundesrat ist das Forum dafür – und dadurch zuletzt ins Gerede gekommen. Doch auch die Regierungschefs der Länder, gewählt in den Ländern, also nur von einem kleinen Teil der Bevölkerung, sind Gestalten und Gestalter der Bundespolitik geworden. Wenn in einem Land gewählt wird, zittert ohnedies am Tag danach Berlin, weil immer auch für den Bund gewählt wird. Dahinter steht eine tiefe Durchdringung von Bund und Ländern, ein Zusammenhang von Aufgaben, aber auch ihrer Lebensräume, in die die Kompetenzen des Grundgesetzes ein wenig Ordnung zu bringen versuchen; es gehört dazu, dass diese Zusammengehörigkeit sich auf der Länder-Ebene auch noch sechzehnfach verzweigt. Es kennzeichnet dieses Verhältnis, dass die Länder zwar keineswegs Bundesländer in dem strikten Sinn sind, dass sie wie Eva aus Adams Rippe gemacht wären – weshalb sich puristische Föderalisten den Begriff auch verbitten –, aber sie existieren doch auf den Bund hin: außerhalb des Bundesstaates gibt es für sie kein Leben. Fügen wir hinzu, dass in der Praxis für dieses Verhältnis keineswegs immer die treuherzige Formel gilt: Bund und Land Hand in Hand, vereint in der arbeitsteiligen Nutzung ihrer unterschiedlichen Fähigkeiten. Dafür sieht man sie zu oft im Handgemenge. Als Probe aufs schwierige Exempel mag der Blick aus der Frosch-Perspektive des Bürgers dienen. Wo leben wir denn, im Bund oder in den Ländern? Als Bayer oder Brandenburger selbstverständlich in dem jeweiligen Land, aber wie weit bestimmt uns noch die Zugehörigkeit zu den deutschen Stämmen? Als Schüler und Studenten lernen wir, beispielsweise, in Berlin, Bayern oder Niedersachsen, denn die Länder unterhalten Schulen und Universitäten. Aber schon mit den Hörsälen und Instituten, in denen die Studenten sitzen, sind wir partiell Bundesbürger, weil der Bund am Hochschulbau beteiligt ist. Als Steuerzahler nimmt uns das Land in Beschlag, das die Finanzämter unterhält und kassiert, unterstehen aber auch dem Bund, weil er die Gesetze für unsere Veranlagung beschließt. Als Kulturkonsumenten dagegen genießen wir zumeist auf der Ebene von Gemeinden oder Ländern, die Theater und Museen finanzieren, seltener – etwa auf der Berliner Museumsinsel oder in Bayreuth – als Nutznießer von Bund und Ländern. Undsoweiterundsofort: Ziehen wir die Summe, so sind wir Bürger beider Welten, in jeweils unterschiedlicher Weise, und, je nachdem, noch anderer – der Regionen, der Ballungsgebiete, auch, mehr und mehr, Europas.
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Wie unterschiedlich dabei Bund und Länder in Erscheinung treten können, zeigt der Blick auf die Amplitude, die ihr Verhältnis im Laufe der Geschichte der Bundesrepublik gekennzeichnet hat. Das beginnt mit dem Anfang, an dem es die Länder schon gab, während der Bund erst entstand. Dennoch war ihre Existenz im Bewusstsein von Politikern und Bürgern keineswegs gesichert. Im Parlamentarischen Rat spottete Carlo Schmid über die Zufallsgebilde, die ihre Entstehung der „Demarkationslinie zwischen zwei Infanteriedivisionen verdanken“, und die von den Ländern in das Gremium entsandten Abgeordneten empfanden sich keineswegs als Delegierte ihrer Länder, sondern als Treuhänder des zerstörten Gesamtstaats. Noch zu Beginn der fünfziger Jahre hätte, nach Ausweis der Demoskopen, die Auflösung der Landesregierungen die Zustimmung der Mehrheit der Bürger gefunden, bis weit in die sechziger Jahren hinein stieß die Erweiterung der Kompetenzen des Bundes auf Zustimmung, und kluge Köpfe plädierten für die Degradierung der Länder zu Verwaltungsprovinzen. Erst seit den siebziger Jahren sucht das Lebensgefühl der Bundesrepublik Halt in den Ländern, wo es inzwischen so sesshaft geworden ist, dass die Länder in der bundesstaatlichen Konkurrenz um Macht und Einfluss zumindest auf Verständnis, wo nicht auf Unterstützung rechnen können. Es fällt nicht schwer, darin eine gegenläufige Bewegung zur den vereinheitlichenden Tendenzen zu erkennen, welche die Bundesrepublik über viele Jahre ihrer Entwicklung bestimmt haben. Sind also Bund und Länder „zusammengefügt“ oder „auseinandergegliedert“? Es war das Zusammenwachsen von Aufgaben und Lebensräumen, das seit den siebziger Jahren den Begriff der „Verflechtung“ ins Zentrum der Debatten katapultiert hat, um dann die „Entflechtung“ zum Leitwort der Föderalismus-Debatte zu machen. Aber man darf sich nicht täuschen. Entflechtung ist gut und notwendig. Sie kann Blockaden aufheben und den Föderalismus wieder produktiv machen. Aber es gibt Verflechtungen im Verhältnis von Bund und Ländern, die unumgänglich sind. Die wichtigste, unaufhebbare ist – wenn man so will – der Bundesstaat selbst. Ein anderer Fall ist Berlin, das als Hauptstadt im Einflussgebiet von Bund und Ländern liegt und deshalb nur durch das gemeinsame Engagement beider auf die Höhe seiner Aufgabe gehoben werden kann. Dass es in Bezug auf die Kultur darauf ankommt, „dass man Entflechtung nicht zum Prinzip erhebt, sondern sie immer mit dem Anwendungsbereich zusammen beurteilt“, hat der Jubilar hervorgehoben und mit seinem energischen Eintreten für die gemischte Finanzierung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz exemplarisch erläutert. Es ergibt sich aus der Natur der Sache, aber auch aus der Einsicht in die vorhandenen Stärken des kooperativen Föderalismus. Es folgt der Erkenntnis, die Alt-Bundespräsident Johannes Rau formuliert hat – notabene ein überzeugter Föderalist –: dass „eine föderale Ordnung keine Maschine ist, sondern aus Zusammengehörigkeitsgefühl, Ver-
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trauen, Solidarität und gegenseitigen Zugeständnissen erwächst“. In der Hitze des Gefechts ist das etwas aus dem Blick geraten. Aber die Bundesrepublik braucht Bund und Länder, die miteinander konkurrieren und kooperieren. Und die Erkenntnis, dass der Föderalismus keine Veranstaltung der Länder gegen den Bund oder des Bundes gegen die Länder ist, sondern der Inbegriff ihres Zusammenlebens.
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NATIONAL UND UNIVERSAL ZUR BEGRÜNDUNG DER STAATLICHEN MUSEEN ZU BERLIN PETER-KLAUS SCHUSTER
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as Museum ist immer auch sein Gegenteil. You can imagine the opposite, diese Leuchtschrift von Maurizio Nannucci über dem Eingang des Lenbachhauses in München scheint mir unverändert die intelligenteste Museumsdefinition. Was immer ein Museum sein mag, was immer auch ein Museum begründen mag, sein Gegenteil ist ebenso der Fall. Das zeigt sich besonders deutlich, allerdings erst auf den zweiten Blick, auch am Gründungsmythos der Staatlichen Museen zu Berlin, die in diesem Jahr ihr 175jähriges Jubiläum feiern. Am Beginn der Staatlichen Museen zu Berlin, der vormals Königlich Preußischen Museen, steht der Gedanke der Menschheit. Schinkels 1823 entworfenes und am 3. August 1830, also vor genau 175 Jahren eröffnetes Museum am Lustgarten ist mit seiner monumentalen Säulenvorhalle (Abb.1) und der Rotunde als Zentralraum (Abb. 2) geradezu zum Inbegriff eines klassizistischen Bildungstempels geworden, welcher nicht einer einzelnen Nation, sondern der ganzen Menschheit gewidmet ist. Abb. 1 Karl Friedrich Schinkel, Idealansicht der Schlossbrücke mit Altem Museum, Dom und Schloss • Lavierte Federzeichnung, 1823, Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett
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PETER-KLAUS SCHUSTER Abb. 2 Karl Heinrich Beichling, Die Rotunde des Alten Museums • Aquarellierte Radierung nach einer Zeichnung von Carl Emanuel Conrad, 1830, Potsdam, Stiftung Preußische Schlösser und Gärten
Entsprechend universal lautet auch die große Inschrift auf dem Architrav der Tempelfront Studio antiquitatis omnigenae et artium liberalium … gewidmet dem Studium der Künste und der Altertümer aus der ganzen Welt, omnigenae, woher sie auch kommen und woraus auch immer sie gemacht sind. Einer solch umfassenden Inschrift, im Sinne enzyklopädischer Aufklärung ersonnen von dem Archäologen Aloys Hirt, konnten auch die eigentlichen geistigen Väter der Berliner Museen, Schinkel und die Brüder Humboldt, umso mehr zustimmen, als damit im Sinne von Goethes Idee einer Weltliteratur den Berliner Museen von Anfang an der umfassende Auftrag zugesprochen war, alles, die Kunst und Kultur der ganzen Welt zu sammeln. Als Ort für diese so kühne wie umfassende Bildungsutopie war einzig die Mitte Berlins angemessen. Schinkels Plan für den Neubau des Museums am Lustgarten genau gegenüber dem Schloss verrät unschwer, wie sehr damit bereits ein Masterplan für alle zukünftigen Museumsbauten vorgegeben war, die nötig wurden, um diesem universalen Sammlungsauftrag zu entsprechen. Antithetisch zur politischen Macht im Schloss, antithetisch auch zum Dom als Sitz des Glaubens und zum Zeughaus als Ort der militärischen Gewalt ist Schinkels weit geöffnetes Museum ein jedermann zugänglicher Tempel bürgerlicher Bildung. Es war mithin der selbstbewusste Bürger, der von der offenen Vorhalle des Schinkelschen Museums seinem
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königlichen Souverän auf der anderen Seite auf gleicher Augenhöhe gegenüber trat. In dem klassizistischen modernen Gebäude als Gegensatz zum Schloss im höfischen Barockstil hatte der Bürger nun einen ganz ihm eigenen Bereich des ästhetischen Genusses, der Bildung und Gelehrsamkeit zum ausschließlichen Zweck seiner Selbstvervollkommnung gewonnen. Diesen entscheidenden Gedanken, der die Berliner Museen als Bildungsort der Menschheit so sehr auszeichnet, zelebrierte Schinkel im ästhetischen Andachtsraum seiner Rotunde. Mit der Rotunde im Zentrum, dem Pantheon in Rom nachgebildet, ist Schinkels Museum ganz offensichtlich das Architektur gewordene Zeugnis jener Kunstreligion Goethes und des Weimarer Idealismus, wonach die Betrachtung der Künste – insbesondere die der Antike – den Menschen zu jener Vollkommenheit erhebt, die er als ein gesellschaftlich bedingtes Wesen auf anderem Weg kaum je erreichen kann. So wird in Schillers berühmten Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen von 1795 klar unterschieden zwischen dem Reich der Kunst und den gesellschaftlichen Zwängen, denen der Mensch unterliegt und die er auch durch Revolutionen – wie der Französischen Revolution – letztlich nicht zu ändern vermag. Im Reich der Kunst hingegen ist der Mensch frei. Einzig im Reich der Kunst kann sich jeder zur Vollkommenheit seiner menschlichen Natur und Anlagen entwickeln und so jedem politischen Souverän ebenbürtig werden. Im entscheidenden Unterschied zum Louvre sind die Berliner Museen in ihrer Gründungsidee also gerade kein Museumsmonument der nationalen Größe eines Zentralstaates, sondern sie verstehen sich ausdrücklich und von Anfang an als Ort der Menschheitsbildung durch die ästhetische und gelehrte Verehrung aller Künste und Kulturen der Welt. Entsprechend entwarf Schinkel für seine Vorhalle einen Freskenzyklus zur Entwicklung des Menschengeschlechtes im Kontrast zur Götterwelt, wobei die Menschheit mit Hilfe der Künste sich zwischen Naturgewalt und Kriegsgewalt als Gemeinschaft moralischer Individuen zu bewähren hat, ein Menschheitsprogramm, das nach Schinkel seit 1840 von Cornelius und seinen Schülern in der Säulenhalle zur Ausführung kam und in Folge der Kriegszerstörungen heute verloren ist.1 Mit seiner Säulenhalle und seiner Rotunde als pathetisches Heiligtum der Kunst der ganzen Menschheit zugedacht, ist Schinkels so sehr ins Universale ausgreifender Museumstempel jedoch keineswegs ohne patriotische Absichten. Hatten die katastrophalen Niederlagen gegen die Armeen Napoleons den Grund zu den preu-
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Vgl. Christoph Martin Vogtherr, Das Königliche Museum von Berlin. Planungen und Konzeption des ersten Berliner Kunstmuseums, in: Jahrbuch der Berliner Museen, 39,1997 (Beiheft) und Elsa van Wezel, Die Konzeption des Alten und Neuen Museums zu Berlin und das sich wandelnde historische Bewusstsein, in: Jahrbuch der Berliner Museen, 43, 2001 (Beiheft).
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ßischen Reformen gelegt, zur Einsicht in die Notwendigkeit einer geistigen Erneuerung Preußens, so war es der 1815 endlich errungene Sieg in den Befreiungskriegen, der die bereits beschlossenen Kulturreformen mitsamt ihren Museumsplänen entscheidend voranbrachte. All die zahlreichen Denkschriften, in denen der Archäologe Aloys Hirt und andere ganz im Sinne der Aufklärung seit 1798 unermüdlich die Einrichtung eines öffentlich zugänglichen Museums gefordert hatten, all diese viel diskutierten Forderungen gewannen ihre wirkliche Dynamik erst durch den Sieg über Napoleon und die Rückkehr der als Kriegsbeute nach Paris verbrachten Kunstschätze Preußens. Was unter Vivant Denon, dem obersten Kunstkommissar und künstlerischen Auge Napoleons, in Berlin konfisziert worden war, um im Louvre, im so genannten Musée Napoléon als Trophäen der Siege Frankreichs, als Besitz der militärisch wie kulturell führenden Nation vorgezeigt zu werden, all das sollte nach seiner 1815 erfolgten Rückkehr nun auch in Preußen nicht weniger öffentlich und nicht weniger bedeutsam präsentiert werden. Das galt besonders für die Berliner Antiken als den kostbarsten Trophäen, die Napoleon aus den Sammlungen des Preußischen Königs entwendet hatte. Genau am 14. Oktober 1807, am ersten Jahrestag des französischen Sieges in der Schlacht Abb. 3 Charles Normand und Benjamin Zix, Musée Napoléon im Louvre, „La Salle de la Victoire“ mit der Aufstellung der Berliner Antiken • Aquarellierter Stich, 1807, Paris, Musée du Louvre, Cabinet des Dessins
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Abb. 4 Charles Normand und Benjamin Zix, „La Salle de Diane“ mit dem „Betenden Knaben“ im Zentrum • Aquarellierter Stich, 1807, Paris, Musée du Louvre, Cabinet des Dessins
von Jena, wurden die Berliner Antiken in der Rotunde des Apoll im Louvre der Öffentlichkeit zugänglich gemacht (Abb. 3). Bezeichnenderweise hatte Denon die Rotunde des Apoll, bisher als Bibliothek des Institut de France genutzt, erstmals in einen Museumssaal verwandelt und diesen fast ausschließlich den Berliner Meisterwerken der Antike vorbehalten. Diese neu geschaffene Museumsrotunde trug höchst absichtsvoll den Namen Salle de la Victoire, womit auf das Arrangement auf der linken Seite der Rotunde Bezug genommen ist. Dort steht die bronzene Kolossalbüste Napoleons als Kaiser mit Siegeskranz, gerahmt von den beiden geraubten Victorien aus Berlin, die damals noch ihre von Rauch ergänzten Flügel tragen. Über der bekränzten Büste Napoleons hängt passend das aus Kassel entwendete Gemälde von Rubens Mars bekrönt von Victoria. An der umlaufenden Wand der Rotunde stehen zehn weitere antike Marmorstatuen aus dem Tempel der Antike von Schloss Sanssouci. In der Mitte dieses musealen Siegessaales in Form einer Rotunde lagert, ebenfalls aus der Sammlung des Preußischen Königs, die berühmte jugendliche Knöchelspielerin, die im Kreis der umstehenden Götter und vor den Augen Napoleons über den Zufall des Schicksals nachsinnt. Der Betende Knabe hingegen, jene schon damals legendäre, von Friedrich dem Großen erworbene antike Bronzestatue eines nackten Jünglings mit himmelwärts
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PETER-KLAUS SCHUSTER Abb. 5 Karl Friedrich Schinkel, Ansicht eines Adlers auf dem Gesims des Alten Museums, 1829
erhobenen Armen, bildete bereits seit 1799 den viel bewunderten Mittelpunkt im Saal der Diana im Erdgeschoss des Louvre (Abb. 4). Der Betende Knabe steht dort im Zentrum von 39 antiken Statuen, die zumeist aus den Sammlungen des Landgrafen von Hessen-Kassel und des Preußischen Königs stammten, angeordnet nach Symmetrie und Ikonographie, also nach ästhetischen und wissenschaftlichen Kriterien. Gerade sie liefern auf den in ganz Europa verbreiteten Kupferstichen die Legitimation dieser musealen Präsentation geraubter Kunstwerke: die Kunst bleibt nicht mehr in den höfischen Sammlungen verborgen, sondern bewundert – wie die Kupferstiche zeigen – von einem zahlreichen Publikum, gehört diese Kunst nun der gebildeten Welt der Kunstliebhaber. Zu ihr gehören, wie ein aquarellierter Kupferstich von Benjamin Zix (Abb. 4) absichtsvoll demonstriert, auch die Besucher aus Persien und Indien. Im Musée Napoléon im Louvre, so lautete die Botschaft, die von den zahlreichen Besuchern aus Deutschland wie den Brüdern Humboldt, von August Wilhelm Schlegel, von Schinkel und Gustav Friedrich Waagen, dem späteren Direktor der Berliner Gemäldegalerie, sehr wohl verstanden worden ist, im Musée Napoléon sind die Kunstschätze nicht länger höfisches Privileg, sondern erstmals gehören sie der gebildeten Öffentlichkeit aus aller Welt. Obschon als Trophäen zusammengetragen, bezeugen sie den Ruhm des siegreichen Frankreichs als Schutzmacht der Kunst. Man sammelt die Kunst der Welt und gibt sie der Welt zurück mit den wissenschaftlichen Kriterien des Museums.2 2
Vgl. Bénédicte Savoy, Patrimoine annexé. Les biens culturels saisis par la France en Allemagne autour de 1800, Paris 2003, Bd. 1, S. 352 ff. (= Passagen, Deutsches Forum für Kunstgeschichte Vol. 5), Ausst. Kat. Dominique-Vivant Denon, L’oeil de Napoléon, Paris, Musée du Louvre, 1999, Nr. 155, 157, und Thomas W. Gaehtgens, Das Musée Napoléon und sein Einfluss auf die Kunstgeschichte, in: Johann Dominicus Fiorillo. Kunstgeschichte und die romantische Bewegung um 1800, hrsg. von Antje Middeldorf-Kosegarten, Göttingen 1995, S. 139 ff.
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Abb. 6 H. Rückwardt, Schlossbrücke über den Kupfergraben. Im Mittelgrund das Alte Museum, dahinter das Neue Museum, links das Zeughaus (1886), Berlin, Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz
Mit der Rückkehr der geraubten Kunstwerke aus Paris konnte man auch in Berlin nicht mehr hinter diese Nobilitierung zurückgehen, die sie im Musée Napoléon bereits erfahren hatten. Zurückgekehrt nach Preußen mussten sie ebenfalls bedeutsam und öffentlich präsentiert werden. Schinkels Museum am Lustgarten entspricht völlig dieser patriotischen Perspektive. Denn nicht nur hat er absichtsvoll die Säulenfront seines Museums – ebenfalls erst beim zweiten Blick erkenntlich –, reihenweise mit preußischen Adlern bekrönt und die Kunst somit unter staatlichen Schutz gestellt. (Abb. 5) Aber auch die schon von Schinkel beschlossenen Skulpturen der kämpfenden Amazone und des Löwenkämpfers auf beiden Seiten der Freitreppe sind nicht nur allgemeine Sinnbilder des menschlichen Triumphes über animalische Gewalt, sondern meinen sehr wohl auch den wehrhaften Schutz des Museums als Schatzhaus. Weit bemerkenswerter im Hinblick auf die kriegerische Verteidigung ist aber, dass Schinkel sein Museum mit strategischem Kalkül vis-à-vis vom Schloss und zugleich auch am Ende der via triumphalis Unter den Linden positioniert hat. Diese via triumphalis beginnt militärisch am Brandenburger Tor und sie endet militärisch mit Schinkels Schlossbrücke und dem von ihm bereits 1819 als Schmuck für die Brücke entworfenen Skulpturenprogramm auf die
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PETER-KLAUS SCHUSTER Abb. 7 Emil Wolff, Nike lehrt den Knaben Heldensagen, Marmor, 1847, Schlossbrücke
Befreiungskriege. Diese acht Skulpturen zur Erinnerung an die siegreichen Befreiungskriege, die Schinkels Zeichnung seines Museums von 1823 gleichsam als Blick in die Zukunft Berlins auf seiner Schlossbrücke bereits als vollendet darstellt (Abb. 1), sie thematisieren auf dem öffentlichen Weg zum Museum das im Befreiungskrieg vollbrachte Heldenopfer der Bürger für den Staat, für die Errettung Preußens und ganz Deutschlands aus der napoleonischen Gefangenschaft. Man kann sich Schinkels Museum – noch heute – nicht nähern, ohne auf diesen siegreichen Befreiungskampf der Deutschen auf der Schlossbrücke hingewiesen zu werden. (Abb. 6) Dabei handelt es sich bei Schinkels Skulpturen auf der Schlossbrücke um ein veritables Erziehungsprogramm. Von Unter den Linden kommend, betritt man die Brücke und sieht in der ersten Skulpturengruppe rechts einen jungen Knaben, der von Nike auf die Heldenvorbilder Alexander, Caesar und Friedrich den Großen verpflichtet wird (Abb. 7). Das Programm endet auf der linken Brückenseite mit dem Heldentod des Jünglings fürs Vaterland. Der gefallene Krieger liegt in den
NATIONAL UND UNIVERSAL Abb. 8 August Wredrow, Iris trägt den gefallenen Krieger zum Olymp empor, Marmor, 1857, Schlossbrücke
Armen der Iris, die ihn zum Olymp empor trägt (Abb. 8), eine Skulpturengruppe, die in Abwandlung von Schinkels Idealplan nun ganz am Ende der linken Brückenseite unmittelbar vor dem Lustgarten platziert ist. Jenseits der Brücke mit den opferbereiten Jünglingen fürs Vaterland erscheint auf Schinkels Zeichnung von 1823 in hellem Sonnenlicht der Lustgarten, der Dom und sein Museum wie eine Verheißung, während das Schloss im Schatten liegt.3 (Abb. 1) Wer Schinkels Museum, wie auf seiner Zeichnung von 1823 vorgegeben, nach Überquerung der Schlossbrücke als Denkmalbrücke auf die siegreichen Befreiungskriege betritt, dem kann nicht länger verborgen bleiben, dass die unversehrt aus Paris zurückgekehrten Kunstwerke Preußens, insbesondere die kostbaren Antiken wie der Betende Knabe, gerahmt von den beiden ihrer Rauchschen Flügel inzwischen entledigten Victorien, keineswegs zufällig in der Hauptblickachse von Schin3
Vgl. Peter Springer, Schinkels Schlossbrücke in Berlin. Zweckbau und Monument, Berlin 1981, S. 40 ff.
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kels Rotunde stehen. (Abb. 9) Vielmehr hat Schinkel selbst programmatisch die kostbarsten Antiken bezeichnenderweise aus der Sammlung Friedrich des Großen, den Betenden Knaben und die zu Schinkels Zeiten noch selbstverständlich geflügelten Victorien wie ein Triumphmotiv gegen den Kunstraub Napoleons in die Blickachse seines Museums gestellt (Abb. 2). Mit der Rückkehr der geraubten Kunst verband sich aber sichtbar auch der Sieg über Napoleon. Man könnte von Schinkels klassizistischem Museum mit seinem erhabenen Zentralraum und dem himmelwärts Betenden Knaben als der Dialogfigur jedes eintretenden Besuchers geradezu von einer Befreiungshalle der Deutschen sprechen. Schinkels bedeutsames Triumph- und Siegeszeichen in der Achse eines weitgehend ebenfalls nach Paris verschleppten und von dort ebenfalls schadlos zurückgekehrten Götterreigens, das ist ganz offensichtlich eine absichtsvolle Umkehrung jener Salle de la Victoire, jener Siegesrotunde, die Vivant Denon im Musée Napoléon im Louvre mit fast denselben Berliner Werken eingerichtet hatte.4 Freilich gibt es einen entscheidenden Unterschied. Wurden in Denons Rotunde die Kunstwerke als befreit gefeiert, so richtet sich in Schinkels Heiligtum der Kunst nun der Appell an den Bürger, im Angesicht der befreiten Kunst sich selbst zu befreien. Die Botschaft in Schinkels ästhetischem Tempel der Weimarer Kunstreligion ist also weitergehend: Zivilisation soll Kultur, soll Selbstvervollkommnung des Menschen und der Menschheit durch Kunst werden. Denn nichts anderes thematisiert Schinkels Bildungslandschaft in der Mitte Berlins, seine 1823 gezeichnete Vision der Prachtstraße Unter den Linden als kultureller wie militärischer Bedeutungsachse, als eben den Glaubenssatz der Weimarer Klassik: Man lebt und wirkt als Bürger seines jeweiligen Staates, um im Museum, im Anblick der Kunst, als Grieche und mithin als Mensch wieder zu erstehen. Schinkels Museum ist also nicht nur die urbanistische, sondern auch die gedankliche Fortsetzung seiner Schlossbrücke. Kaum zufällig hatte Schinkel deshalb als Skulpturenschmuck für die Vorhalle seines Museums vorgesehen, dort fortlaufend Standbilder jener Männer aufstellen zu lassen, die sich nicht im Krieg, sondern im Frieden für das Vaterland 4
Zu Schinkels Einrichtung der Rotunde von 1830 vgl. ausführlich Wolf-Dieter Heilmeyer in: Wolf-Dieter Heilmeyer, Huberta Heres, Wolfgang Maßmann, Schinkels Pantheon. Die Statuen der Rotunde im Alten Museum, Mainz 2004, bes. S. 14. Bereits Heilmeyer vermerkt das gegen Napoleon gerichtete „Triumphbogenmotiv“ in Schinkels Aufstellung des Betenden Knaben, flankiert von den beiden Viktorien. Zur Ausstellung der aus Paris zurückgekehrten Kunstwerke heißt es 1815 in Berlin mit eindeutigem Bezug zu den Befreiungskriegen: Die „Gemälde und Kunstwerke, welche durch die Tapferkeit der vaterländischen Truppen wiedererobert worden sind, wurden auf Verfügung eines hohen Ministers des Innern in den Sälen der Königlichen Akademie der Künste zugunsten der verwundeten Krieger des Vaterlandes vom 4ten Oktober 1815 an … öffentlich ausgestellt.“ (Zit. nach Volker Plagemann, Das deutsche Kunstmuseum 1790–1870, München 1967, S. 66).
NATIONAL UND UNIVERSAL Abb. 9 Blick aus der Rotunde auf den „Betenden Knaben“ flankiert von den Victorien
verdient gemacht haben, wobei die für die Wiederbelebung der Künste besonders Hervorgetretenen dort bevorzugt einen Ehrenplatz erhalten sollten. Kaum zufällig unter dem patriotischen Aspekt ist auch, dass zur Eröffnung von Schinkels Museum das einzige zeitgenössische Bildwerk in der Antikensammlung im Saal der Römischen Kaiser eine Büste von Napoleon war.5 Die Dialektik der Geschichte mit ihrer ganz eigenen List hat es somit gefügt, dass der einstige Widersacher im Kunsttempel deutscher Befreiung als Mitbegründer dieses neuen universalen Guten verewigt werden konnte. You can imagine the opposite, – Aufklärung und ästhetische Religion, Menschheitspathos und patriotische Gesinnung, National und Universal, das sind offensichtlich keineswegs Gegensätze, die sich ausschließen, sondern die komplementären Leitbilder der Berliner Museen sowohl ihrer geistigen wie auch ihrer gebauten
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Vgl. Bernhard Maaz und Jörg Trempler, Denkmalkultur zwischen Aufklärung, Romantik und Historismus. Die Skulpturen der Vorhalle im Alten Museum und im Säulengang vor dem Neuen Museum in Berlin, in: Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft, Bd. 56/57, 2002–2003, S. 211 ff.
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Architektur von Anbeginn. Der Mensch ist frei einzig in der Kunst und nur in den Künsten und als künstlerisches Wesen ist er wirklich ein Mensch. Diese ästhetische Grundüberzeugung der Weimarer Klassik reicht von Schinkels Museum durch den fortdauernden Einfluss der Bildungswelt der beiden Humboldts über die gesamte Museumsinsel als Freistätte für Kunst und Wissenschaft. Die Museumsinsel verwirklicht damit die besten Traditionen der deutschen Bildungsgeschichte, nämlich die Künste und Kulturen der Welt zum Vergnügen und Nutzen möglichst vieler Besucher zu erhalten, zu erforschen und zugänglich zu machen. Im Hinblick auf die enge Verknüpfung der Berliner Museumsgeschichte mit der deutschen Geschichte hat die Museumsinsel mithin ein Doppeltes bewirkt: Sie stiftete den Deutschen nicht zuletzt dank der seit 1865 bereits geplanten Nationalgalerie auf der Museumsinsel ein anschauliches Bewusstsein ihrer nationalen Einheit im Bereich der Kultur, Jahre bevor diese Einheit 1871 im politischen Leben Wirklichkeit wurde. Und weiterhin durften sich die Deutschen auf der Museumsinsel und gerade dort auch in ihrer Nationalgalerie als dem historischen Ort für den Beginn der internationalen Moderne im Museum als wirkliche Kosmopoliten im Reich der Kunst, als die Begründer, die Hüter und die Bewohner eines einzigartigen Kosmos der Künste und Kulturen der Welt empfinden. Alle politischen Indienstnahmen, die der Museumsinsel widerfahren sind, haben nichts daran geändert, dass sie und mit ihr die Staatlichen Museen eine der wichtigsten Orte und Einrichtungen der Aufklärung in Deutschland geblieben sind, Aufklärung und Selbstaufklärung durch den Genuss und die Erforschung von Kunst. Mit ihren insgesamt 17 Museen, ihren vier Forschungsinstituten und ihrem unverändert universalen Anspruch, die Kunst und Kultur der ganzen Welt zu sammeln, dürfen die Staatlichen Museen zu Berlin zudem als die umfangreichste Sammlung in Deutschland gelten. In der Weise wie die Staatlichen Museen als Teil der Stiftung Preußischer Kulturbesitz vom Bund und allen Ländern finanziert werden und damit das Flagschiff des deutschen Kulturföderalismus sind, dürfen sie in der Tat – wie die National Gallery in London selbstbewusst von sich auf ihrem Briefpapier vermerkt – als the collection of the Nation, als Nationalgalerie verstanden werden. Insofern hat der Vorschlag unseres Jubilars, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz in eine Nationalstiftung Preußischer Kulturbesitz umzubenennen, durchaus seine Berechtigung. Dem Selbstverständnis jener, welche die Staatlichen Museen zu Berlin vor 175 Jahre begründet haben, würde ein solcher Name, wie gezeigt, sehr wohl entsprechen.
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STIFTUNGEN ALS TRÄGER VON KULTUREINRICHTUNGEN ANDREAS SCHLÜTER
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er Adressat dieser Festschrift steht an der Spitze einer der größten Kulturstiftungen in Deutschland. Mit dem gegenwärtigem Stiftungsboom rücken Stiftungen zunehmend in das private und öffentliche Interesse, wenn es darum geht, kulturelle Institutionen in eine neue Trägerschaft zu überführen und auf eine Stiftung zu übertragen. In Zeiten schwieriger Finanzlage erscheinen Stiftungen als Rettungsanker in der Not. Dass diese Meinung von vielen Förderern geteilt wird, zeigen knapp 800 Stiftungsgründungen in Deutschland pro Jahr, seitdem die steuerlichen Förderungen für Stiftungen ausgeweitet und die Gründung erleichtert wurden. Als Anfang der 90er Jahre eine schleichende Einschränkung der von öffentlicher Hand für den kulturellen Sektor bewilligten finanziellen Mittel deutlich wurde, entstand eine Bewegung, die genau das förderte, was Stiftungen in ihrer fast 1000jährigen Geschichte bis heute ausmacht – Bürgerengagement. Doch Kritiker warnen: Der Staat kann und darf sich seiner Pflicht der Bewahrung und Förderung kultureller Vielfalt nicht entziehen.1 Dies muss jedoch nicht der Fall sein, denn es gibt durchaus Stiftungsformen, die bürgerliches Engagement mit staatlicher Fürsorgepflicht verknüpfen.
Stiftungen als Spiegel der Zeit Stiftungen waren in ihren Anfängen als Ausdruck feudalen und kirchlichen Fürsorgeverständnisses primär auf den sozialen Sektor beschränkt. Doch auch das Stiftungswesen folgte gesellschaftlichen Entwicklungstendenzen, so dass im 19. Jahrhundert der bürgerliche Gestaltungswille die Kultur ins Zentrum des Interesses rückte. Als „Mutter aller Kulturstiftungen“2 kann die „Stiftung Städelsches Kul-
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siehe z. B.: Bayerische Landesverfassung Art. 3 § 2: „Der Staat schützt die natürlichen Lebensgrundlagen und die kulturelle Überlieferung“; Art. 149 § 3: „Das kulturelle Leben und der Sport sind von Staat und Gemeinden zu fördern“. König, Dominik von: Stiftungen als Träger von Kultureinrichtungen, in: Deutscher Kulturrat aktuell, November 2001.
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turinstitut“ in Frankfurt am Main, gegründet 1815, angesehen werden. Zu ihrer Entstehung war ein langer Rechtsstreit nötig, dessen Ende die Anerkennung von Kunst und Kultur als stiftungswürdigen Gegenstand markierte. Diese rechtliche Grundlage lässt auch heute viele in Not geratene Kultureinrichtungen hoffen. Ziele und Aufgaben von Stiftungen haben sich gewandelt, sind vielfältiger geworden. Sie sollen nicht mehr nur sorgen, pflegen und konservieren. Sie sollen als „Motoren des Wandels“ und „Ideenagenturen für die Lösung der Probleme unserer Gesellschaft“3 fungieren.
Stiftungsformen Kulturstiftungen sind häufig klassische Stiftungen des Privatrechts. Diese werden in aller Regel von Bürgern mit Geld, Lebenserfahrung und einer außergewöhnlichen Motivation ins Leben gerufen. Reiner Altruismus steckt jedoch wohl selten dahinter. Das bürgerliche Engagement wird vom Staat unterstützt, entweder durch direkte staatliche Zuwendungen oder indirekte öffentliche Beiträge in Form von Steuererleichterungen. Eine starke Ausweitung genau dieser steuerlichen Förderung durch eine von Kulturstaatsministerin Weiss vorangetriebenen Reform des deutschen Stiftungsrechts kann als einer der Hauptmotoren des oben beschriebenen Stiftungsbooms angesehen werden. Das Engagement des Staates ist hier nur zu verständlich – stärkt es doch die Motivation des Bürgers zur Mitgestaltung. Er fördert spontaner, engagierter, kostengünstiger und schneller als eine häufig schwerfällige Verwaltung.4 Neben der Finanzierung ist besonders ein Merkmal von Stiftungen privaten Rechts hervorzuheben: Alle Stiftungsräte und Vorstände sind ausschließlich dem Gründungsauftrag der Stiftung verantwortlich. Sind also z. B. Politiker im Stiftungsrat vertreten, so sind sie nicht ihrer Partei, sondern allein den im Stiftungsauftrag verankerten Zielen verpflichtet. Dem gegenüber stehen Stiftungen des öffentlichen Rechts. Sie erhalten vom Staat eine jährliche Finanzierung und unterscheiden sich besonders dadurch von den Stiftungen, die aus mehr oder weniger unerschütterlichen Kapitalerträgen zur Unterstützung kultureller Projekte oder Preise Geld bereitstellen. Die inhaltliche Führung wird hier von einem Stiftungsgremium übernommen, in dem sich der Staat durch Mitglieder im Stiftungsrat vertreten lässt, die aus den eigenen Reihen
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Bundespräsident Roman Herzog, in: Schlüter, Stiftungsrecht zwischen Privatautonomie und Gemeindewohlverbindung 2004, S. 1. Purtschert, Robert; Claudio Beccarelli; Georg von Schnurbein: Förderung des Gemeinwesens mit Stiftungen, in: Neue Zürcher Zeitung, 7. Juni 2004.
STIFTUNGEN ALS TRÄGER VON KULTUREINRICHTUNGEN
berufen wurden.5 Der Stiftungsrat setzt sich jedoch zumeist nicht nur aus staatlichen, sondern auch aus Vertretern der Wirtschaft und des öffentlichen Lebens zusammen. Eine zu große Nähe zum Staat, die wiederum eine gewisse Unbeweglichkeit mit sich führen könnte, wird so vermieden. Außerdem wird ebenfalls der Bogen geschlagen zu potentiellen neuen Förderern, die sich durch eine stärkere Orientierung am „Markt“ auszeichnen. Gleichzeitig sichert dieser Trägerpluralismus die bereits erwähnte Zusicherung einer generellen Freiheit der Kunst im Sinne des Grundgesetztes, der Landesverfassungen und nicht zuletzt des Einheitsvertrages. Verantwortung und Kompetenzen sind vereint. Das kameralistische Rechnungswesen der öffentlichen Hand wird durch ein kaufmännisches ersetzt, welches die Transparenz erhöht. Besonders wichtig ist dies nicht nur aufgrund der überjährigen Verwendung finanzieller Ressourcen, sondern auch im Interesse einer nachvollziehbaren Finanzierungsverwendung für Förderer und Öffentlichkeit. Wie sich am Beispiel der Hamburger Staatlichen Museen zeigt, steigen auch die Serviceorientierung und der Stolz der Mitarbeiter auf gelungene Projekte und Veranstaltungen.6 Stiftungen öffentlichen Rechts sind also nicht unabhängig, sondern eng mit Politik und Verwaltung verbunden. Diese übernehmen die Garantie für die finanzielle Versorgung der Stiftung und stellen sich gleichzeitig der Verantwortung zur Bewahrung und Förderung von Kultur. Eine Kontrolle und Begrenzung politischer Aktivitäten werden durch öffentliches Interesse und Stiftungsräte aus der Wirtschaft gewährleistet. Das Public-Private-Partnership (PPP) versucht die beiden vorgestellten Stiftungstypen zu vereinen. Das Engagement einzelner Personen oder privatwirtschaftlicher Unternehmen wird hier mit der staatlichen Fürsorgepflicht für den Dritten Sektor zusammengebracht. Die drei Kräfte, die kulturelles Schaffen und dessen Vielfalt beeinflussen, gehen Hand in Hand: bürgerliches Engagement, Markt und Staat. Während in Stiftungen öffentlichen Rechts die Privatwirtschaft zwar meistens im Stiftungsrat vertreten ist, sich finanziell aber nicht beteiligt, besteht im PPP diese Trennung nicht. Als Förderer treten sowohl Privatpersonen, die Wirtschaft und der Staat auf. Ein Zusammenspiel mehrerer Beteiligter mit ganz unterschiedlichen Stiftungseinsätzen ist nicht ungewöhnlich, wie es z. B. die „Stiftung Museum 5
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Laut öffentlichem Haushaltsrecht ist der Staat gesetzlich verpflichtet, einen „angemessenen Einfluss“ auf die Stiftungsarbeit auszuüben: siehe Bundeshaushaltsordnung (BHO) § 65 Abs. 1 Nr. 3 (nach: Winands, Günter: Der Staat als Stifter: Notwendigkeit, Möglichkeiten und Grenzen des staatlichen Einflusses, in: Graf Strachwitz, Rupert und Volker Then: Kultureinrichtungen in Stiftungsform, Verlag Bertelsmann Stiftung, Gütersloh 2004, S. 67). Vgl. die Rede der Kulturstaatsministerin Christina Weiss zum Thema „Stiftungen der öffentlichen Hand“ anlässlich der 5. Tagung des Arbeitskreises Kunst- und Kulturstiftungen am 18. November 2002; www.bundesregierung.de
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Schloss Moyland – Sammlung van der Grinten – Joseph Beuys Archiv des Landes Nordhein-Westfalen“ zeigt.7 Hier wurde das Grundstück mit einer Burgruine von der Familie von Steengracht, die Kunstsammlung von den Gebrüdern van der Grinten gestiftet. Das Land NRW als dritter Stifter hat sich verpflichtet, die Burg wieder aufzubauen und den laufenden Museumsbetrieb mit 80 Prozent zu unterstützen. Weitere zehn Prozent des Etats werden durch einen Freundeskreis getragen, und die verbleibenden zehn Prozent muss das Museum selbst erwirtschaften. Es wird deutlich, dass alle Beteiligten ihre spezifischen Stärken einsetzten und eigene finanzielle Mittel mitbringen. Die sich aus dieser Situation ergebenden Kooperationsbedingungen zwingen zu ökonomischem, zeitnah am Markt orientierten Arbeiten – die Wirtschaftlichkeit der Projekte schont die Ressourcen und damit auch die öffentlichen Fördermittel. Kunst wird heutzutage in komplexen Netzwerken ermöglicht. Wenn Stiftungen, wie in dem hier beschriebenen Fall einer PPP, als kulturfördernde Einrichtungen öffentliche Gelder beziehen, so sind sie auch Teil eines Netzwerkes. Sie müssen mit verschiedenen Förderinstanzen interagieren. Der Staat erfüllt dabei die Rolle eines „Netzwerkmanagers“ und steht in einer Gewährleistungspflicht und Finanzierungsverantwortung.8
Demokratieverständnis und Stiftungen Die bisher erfolgte Darstellung der Stiftungsformen wirft ein sehr positives Licht auf eine mögliche Umwandlung von staatlichen Kultureinrichtungen in die Stiftungsform. Doch bei aller Euphorie über den Stiftungsboom in Deutschland und die damit verbundene Hoffnung auf Aufrechterhaltung einer qualitativ hochwertigen Kulturarbeit ohne weitergehende Belastung des Staatshaushalts soll nicht verschwiegen werden, dass es sehr wohl Klippen zu umschiffen gilt, die auch eine große Stiftung bedrohen können. Diese Gefahren reichen von primär finanziellen Aspekten bis zum Verlust des Ansehens in der Bevölkerung. Auch dies ist nicht zu unterschätzen, denn Kultureinrichtungen leben nicht zuletzt von einer positiven Haltung ihnen gegenüber. Sie erfüllen ihre Aufgabe für das Volk und sind, wie am Beispiel der Stiftung Museum Schloss Moyland gezeigt, direkt von Besuchern abhängig. Schließlich: Was wäre der Sinn eines Museums ohne Besucher?
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König, S. 14. Sievers, Norbert: Trägerpluralismus und Ressourcenmix – Kulturpolitik im Kontext der Zivilgesellschaft, in: Kultureinrichtungen in Stiftungsform, S. 32/33.
STIFTUNGEN ALS TRÄGER VON KULTUREINRICHTUNGEN
Die Einrichtung einer Stiftung führt nicht per se zu einer sprudelnden Geldquelle von privater Seite.9 An einem weiterem Beispiel aus Nordrhein-Westfalen kann man sehen, wie entscheidend die finanzielle Basis für den Fortbestand einer Stiftung sein kann. Im Haushaltsjahr 2004/2005 werden kulturelle Einrichtungen des Landes von Kürzungen des Etats ausgenommen. Nichtstaatliche Einrichtungen haben hingegen finanzielle Einbußen von 40 Prozent und mehr zu befürchten. All diejenigen Kultureinrichtungen, die vom Staat bzw. Land in Stiftungen überführt wurden, sind also ebenfalls von den Kürzungen betroffen. Eine finanzielle Ausstattung der Stiftung mit einem Vermögen, dessen Zinsen zur Deckung des laufenden Betriebs ausreichen, ist daher sinnvoll. „Mithin entpuppt sich das Versprechen größerer Selbständigkeit durch Entstaatlichung im Nachhinein nicht selten als reine Abwicklungsstrategie.“10 Dies steht im „Widerspruch zur Theorie des aktivierenden Staates, verletzt den Grundsatz der verlässlichen Partnerschaft und gibt ein fatales Signal für den Dritten Sektor.“11 Dieser Gefahr kann aber durch gute Verträge oder, wie bereits geschildert, durch die Gründung einer kapitalbasierten Stiftung begegnet werden, die sich über Zinserträge finanziert. Die Steuervergünstigungen, die auch in Deutschland nach dem Jahr 2000 zu einem wahren Boom von Stiftungsgründungen geführt haben, werfen eine weitere Diskussion auf. Sie sind dafür verantwortlich, dass der öffentlichen Hand Steuereinnahmen verloren gehen. Doch Martin Roth weist sehr richtig darauf hin, dass eigentlich eine Frage am Anfang dieser Diskussion beantwortet werden müsste: „Wem gehört die Kultur, dem Staat oder der Gesellschaft?“12 Der Diskussion um die Bedeutung von Stiftungen als Träger von Kultureinrichtungen geht also eine sehr fundamentale Frage voraus, die in diesem Kontext nicht zu beantworten ist, da sie Raum für eine weitere Publikation bietet. Nichtsdestotrotz ist deutlich geworden, dass Stiftungen sich durchaus als Träger großer Kultureinrichtungen eignen und nicht allein dem Staat dazu dienen, sich aus seiner Verantwortung zu stehlen. In stürmischen Zeiten können Sie durchaus festen Halt bieten.
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König, S. 15. Sievers, Norbert: Trägerpluralismus und Ressourcenmix, S. 35. Ebd. Roth, Martin: „Unterschätzte Schätze – zur Aufgabe des Staates in der Stiftungsdiskussion“, in: Kultureinrichtungen in Stiftungsform, S. 14.
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BIBLIOGRAPHIE
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BIBLIOGRAPHIE DER PUBLIKATIONEN VON UND ÜBER KLAUS-DIETER LEHMANN ZUSAMMENGESTELLT VON
MARTIN HOLLENDER
Vorwort Zu den Publikationen Klaus-Dieter Lehmanns
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laus-Dieter Lehmann gilt hinsichtlich seiner öffentlichen Wahrnehmung heute vor allem als Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und als eloquenter und erfolgreicher Kulturpolitiker bzw. Kulturmanager – und dies, obwohl er von mittlerweile 35 Berufsjahren stattliche 26 Jahre bibliothekarisch und bibliothekspolitisch tätig war. Diese absolute Dominanz des ,ersten beruflichen Lebens‘ drückt sich signifikant im publizistischen Schaffen Lehmanns aus: von seinen insgesamt mehr als 400 Studien, Berichten und Aufsätzen, die er in nunmehr 32 Jahren veröffentlicht hat, sind nicht weniger als 80 Prozent genuin bibliothekarischer Natur. In seiner umfangreichen Publikationstätigkeit beschäftigte sich Klaus-Dieter Lehmann in der Tat über 25 Jahre – von 1972 bis 1997 – nahezu ausschließlich mit dem wissenschaftlichen Bibliothekswesen. Seit der ersten Veröffentlichung des Bibliotheksrats Klaus-Dieter Lehmann, einem Bericht über ein Symposium, das sich im Januar 1972 Fragen der automatisierten Zeitschriftenbearbeitung in Bibliotheken widmete, zeichnen sich seine Aufsätze durch ihren kaum zu übertreffenden Praxisbezug aus. Bei der Lektüre der Titel findet sich nirgends ein bibliothekshistorisches Sujet oder eine schöngeistige l’art pour l’art-Betrachtung aus dem Blickwinkel des Bibliothekars. Sämtliche seiner Publikationen trachteten danach, die bibliothekarische Welt nachhaltig zu verändern. Selbst sein Aufsatz „Rothschild’sche Bibliothek. Eine Forschungsbibliothek für das 19. Jahrhundert“ verläßt nur allzu rasch die Bibliotheksgeschichtsschreibung. Denn nicht ohne Grund trägt diese Studie aus dem Jahr 1988 den progressiven Untertitel „Neue Akzente für die Rothschildsche Bibliothek“ und deutet den alsbald einsetzenden Schwenk vom Rückblick in die Vorschau dieser Frankfurter Bibliothek an. Historische Sammlungen zu beschreiben, machte für KlausDieter Lehmann offenbar vor allem dann einen Sinn, wenn zugleich auch ihre moderne Erschließung und Benutzung thematisiert wurde. Folglich beschreibt Lehmann die Katalogisierung „mit Hilfe eines computergestützten Verbundsystems“, er kündigt die „Überführung der konventionellen Kataloge in maschinenlesbare Form“ an und rühmt „neue faszinierende Arbeitsmöglichkeiten“, die sich historisch arbeitenden Wissenschaftlern durch die Vernetzung der Einzelkatalogisate zu nationalen Bibliotheksdatenbanken bieten würden.
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MARTIN HOLLENDER Deutlich wird bereits anhand dieser wenigen Beispiele, dass Klaus-Dieter Lehmann nicht die ,weichen‘ – zumeist bibliothekshistorischen – Themen reizten, sondern die ,harten‘ Sujets, die um Bibliotheksautomatisierung und den flächendeckenden, koordinierten EDVEinsatz kreisten. Die Beiträge Klaus-Dieter Lehmanns in den bibliothekarischen Fachzeitschriften sind in aller Regel kurz; die philologische Beredsamkeit und Textanreichung mit zahllosen Fußnoten lag dem gelernten Physiker, der aus der Tradition des nüchternen Berichtswesens kam, nicht. Eine Vorreiterrolle nahm Klaus-Dieter Lehmann ein, als er bereits zu Beginn der siebziger Jahre mit Beiträgen wie dem „Bericht über Planungen für den Einsatz der EDV im Bibliothekswesen des Bundeslandes Hessen“ versuchte, seine bibliothekarischen Fachkollegen zum Mittun zu motivieren. Dass sich indes heute die Nachweissituation über die deutschen Bibliotheksbestände so weitgehend IT-gestützt darstellt, ist als ein ganz wesentliches Verdienst Klaus-Dieter Lehmanns hervorzuheben. Die Bibliographie seiner Publikationen verdeutlicht die Beharrlichkeit, mit denen er innovative Ideen verschriftlichte und in den maßgeblichen bibliotheksfachlichen Zeitschriften ‚an den Mann‘ brachte. Zugleich aber bezeugt die Bibliographie auch die Unermüdlichkeit, mit der Klaus-Dieter Lehmann auf Bibliothekartagen, auf Konferenzen, Fortbildungsveranstaltungen und Symposien für avantgardistische, weil EDV-basierte Modelle der Bibliotheksautomatisierung und Verfahrensstandardisierung warb. Dieser Überzeugungsarbeit, vereinheitlicht, vernetzt und auf elektronischer Grundlage zu arbeiten, blieb Klaus-Dieter Lehmann über Jahrzehnte treu: zunächst, als er als Leiter der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt noch vornehmlich auf lokaler und regionaler Ebene agierte, warb er seit den späten siebziger Jahren für die Vernetzung der hessischen Bibliotheken mit dem System HEBIS; später, als Leiter der Deutschen Bibliothek mit ihren nationalen Aufgaben, setzte er sich für die Vernetzung der zahlreichen Nationalbibliotheken zu einem europäischen Bibliotheksgesamtkatalog ein. Leiter der Deutschen Bibliothek – de facto der deutschen Nationalbibliothek – zu werden, hieß für Lehmann zugleich also auch, Leiter einer virtuellen und verteilten ‚Internationalbibliothek‘ zu werden. Der Gliederungspunkt dieser Bibliographie „A. 4 Europäisierung und Internationalisierung des Bibliothekswesens“ spielte vor 1988, in den Jahren Lehmanns an der Frankfurter Stadt- und Universitätsbibliothek, eine noch marginale Rolle, gewann aber nach 1989 markant an Gewicht. Innerhalb der drei ‚klassischen‘ bibliothekarischen Geschäftsgangsfelder – Erwerbung, Erschließung und Benutzung – hat sich Klaus-Dieter Lehmann nahezu ausschließlich, dafür dann aber umso häufiger, zu Fragen der Bibliotheksbenutzung geäußert – für einen Pragmatiker wie Lehmann vermutlich ohnehin die Königsdiziplin, denn was kann erfüllender sein und das eigene Bekenntnis zur Dienstleistungsorientierung nachdrücklicher unter Beweis stellen als Publikationen, die sich der Verbesserung der Benutzungsmodalitäten widmen? Leihverkehrsbeschleunigung und Dokumentenlieferung waren die Schlagworte der siebziger und achtziger Jahre – und Klaus-Dieter Lehmann, seine Veröffentlichungen belegen dies eindrucksvoll, wirkte ebenso auf nationaler Ebene (wie etwa in der Benutzungskommission des Deutschen Bibliotheksinstituts) wie auch in den vergleichbaren internatio-
BIBLIOGRAPHIE nalen Gremien und Verbänden, beispielsweise der Section on Interlending and Document Delivery des weltweit agierenden Bibliotheksverbandes IFLA. Zwei spezielle und politisch hochsensible Bereiche der bibliothekarischen Provenienzforschung haben Klaus-Dieter Lehmann in besonderer Weise interessiert und herausgefordert. Zu Beginn der neunziger Jahre, im Anschluß an die Demokratisierung der ostmittel- und osteuropäischen Staaten, engagierte er sich für die Restitution kriegsbedingt verbrachter Bestände nach Deutschland; seit den späten neunziger Jahren wirbt er für eine verstärkte Hinwendung der nicht allein bibliothekarischen Öffentlichkeit zur Problematik des NSverfolgungsbedingt entzogenen Raubgutes an Büchern. Diese Polarität seiner Anstrengungen mag zunächst verwundern, handelt es sich auf den ersten Blick um einen gänzlich verschiedenen Umgang mit historischen Büchern: jene noch heute in Osteuropa aufbewahrten Bücher deutscher Provenienz sollten, so fordert Lehmann, ihren Weg zurück nach Deutschland finden; die von deutschen NS-Behörden – den zumeist jüdischen Eigentümern – geraubten Buchbestände sollten, so gleichfalls seine Forderung, in den Bibliotheksregalen ermittelt und alsbald restituiert werden. Büchertransfers also vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkriegs, die zum einen die Bestände deutscher Bibliotheken vermehren sollen, zum anderen jedoch Einzelwerke wie auch ganze Sammlungen an Überlebende und Erbengemeinschaften zurückübereignen – deutlich wird der übermächtige Gerechtigkeitsgedanke, der den Bibliothekar und Kulturpolitiker Lehmann umtreibt. Gerechtigkeit soll den ursprünglichen Eigentümern – Privatpersonen wie Bibliotheken – widerfahren, auch Jahrzehnte noch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, vor allem aber sollen die Bücher selber in ihren ursprünglichen Sammlungskontext reintegriert werden, um nachträglich wieder zusammenzuführen, was in den zwanziger und frühen dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts in jüdischen öffentlichen und privaten Sammlungen, in der Preußischen Staatsbibliothek und anderswo zusammengehörte. Seine unangefochtene Autorität als international erfahrener Moderator machte Klaus-Dieter Lehmann als Anwalt dieser ‚doppelten Restitution‘ niemals unglaubwürdig. Der Anwalt beider Seiten für kriegsbedingt ihrem Ursprungsstandort entzogene Bücher – und auch Kunstwerke – bediente sich, so wird im Gliederungspunkt „A. 5 Restitutionsfragen“ deutlich, vor allem auch der überregionalen deutschen Qualitätspresse, um über den engen Radius der bibliothekarischen Fachorgane hinaus eine Resonanz auf seine Thesen zu befördern. Nach 1999 verlagerte sich die Publikationstätigkeit Klaus-Dieter Lehmanns naheliegenderweise von Frankfurt nach Berlin, vom Bibliothekarischen hin zum umfassenderen Kulturkontext der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Den Impetus, durch für die jeweilige Institution werbende Aufsätze, gedruckte Festreden und Interviews – in aller Regel jährlich ein halbes Dutzend – maßgeblich zu einer effizienten Öffentlichkeitsarbeit beizutragen, hat Lehmann nahtlos von der Deutschen Bibliothek auf die Vielfalt von Bibliotheken, Archiven und Museen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz übertragen. Namentlich die heute nationale Bekanntheit der Museumsinsel wie auch die Begeisterung über ihre fortschreitende Generalsanierung sind ein Gutteil der Erfolg der breitgefächerten Public Relations Lehmanns in Tageszeitungen von der taz bis zur FAZ (und selbst auch in Boulevardblättern), in Fachzeitschriften, Tagungsbänden, kulturpolitischen Sammelwerken und prachtvollen Cof-
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MARTIN HOLLENDER fee-Table-Books. Zugleich erwachte, auch dies belegen seine Publikationen deutlich, in Berlin ein übergreifendes kulturgestaltendes und kulturförderndes Interesse. Mit Themen wie dem „bürgerschaftlichen Engagement“ (Nr. 325) für die Kultur, der „Hauptstadtkultur in einem föderalen Staat“ (Nr. 264) oder dem „Kulturmanagement heute“ (Nr. 333) zeichnen sich durch die ersten Publikationen in diesem Metier neue Tätigkeitsfelder ab, die über die konkrete publizistische Beschäftigung mit Institutionen wie der Deutschen Bibliothek oder den Stiftungseinrichtungen weit hinausweisen. Der Berichtszeitraum dieser Bibliographie der Publikationen Klaus-Dieter Lehmanns endet im Dezember 2004 und lässt in den kommenden Jahren Raum für Fortschreibungen mannigfaltiger Art, denn die Publikationsfreude Klaus-Dieter Lehmanns ist quantitativ weiterhin ungebrochen und durch das Aufgreifen neuer thematischer Schwerpunkte qualitativ überaus dynamisch. Diese Bibliographie der Publikationen Klaus-Dieter Lehmanns ist unvollständig. Der Überraschungscharakter der Festschrift zu seinem 65. Geburtstag, als dessen Bestandteil sie erscheint, bringt es mit sich, dass mir nur eine lückenhafte interne Zusammenstellung der Publikationen, nicht jedoch die private Sammlung der Belegexemplare Klaus-Dieter Lehmanns zugänglich war und somit ein erheblicher Teil der hier verzeichneten Texte in Allgemein- und Fachbibliographien sowie durch Internetrecherchen ersatzweise ermittelt werden musste. Viele Texte, namentlich das ephemere Kleinschrifttum aus dem nichtbibliothekarischen Bereich, sind jedoch nirgends bibliographisch verzeichnet. Für die so entstandenen Lücken bitte ich den Benutzer dieser Bibliographie freundlich um Verständnis und Nachsicht. Neben Frau Dr. Stefanie Heinlein, Frau Marita v. Chrzanowski und Frau Angela Dobbernack bin ich vor allem Herrn Bibliotheksreferendar Vladimir Neumann für die Erfassung der Texte in kyrillischer Schrift zu herzlichem Dank verpflichtet.
BIBLIOGRAPHIE A. A.1 A.2 A.3 A.4 A.5 A.5.1 A.5.2 A.6 A.7 A.8
Bibliothekswesen Bibliotheksbenutzung, Literaturversorgung, Leihverkehr Bibliotheksautomatisierung und Verfahrensrationalisierung durch IT-Einsatz Wesen und Aufgaben der Nationalbibliothek Europäisierung und Internationalisierung des Bibliothekswesens Restitutionsfragen Restitution jüdischen Buch- und Kunstbesitzes durch deutsche Bibliotheken und Museen Restitution deutscher Bücher aus Osteuropa Bestandserhaltung Zu einzelnen Bibliotheken Verschiedene Beiträge aus dem Buch- und Bibliothekswesen
B. B.1 B.2
Stiftung Preußischer Kulturbesitz Zur Stiftung Preußischer Kulturbesitz im Allgemeinen Einzelne Einrichtungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz
C.
Würdigungen und Nachrufe
D. D.1 D.2 D.3 D.4
Sonstiges Bildende Kunst, Literatur und Musik Zur Gestaltung des Berliner Schlossplatzes Sicherung und Förderung des kulturellen Erbes Varia
E.
Herausgebertätigkeit
F.
Rezensionen
G.
Literatur über Klaus-Dieter Lehmann
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MARTIN HOLLENDER A. A.1
Bibliothekswesen Bibliotheksbenutzung, Literaturversorgung, Leihverkehr
1.
Grenzen und Möglichkeiten des regionalen Leihverkehrs, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Jg. 23 (1976), H. 1, S. 1–8.
2.
Interlending and Union Catalogues [Bericht über die Sitzung des gleichnamigen Standing Committee im Rahmen der IFLA-Generalversammlung in Brüssel, 4. u. 8. Sept. 1977], in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Jg. 25 (1978), H. 2, S. 145–147.
3.
Inter-Library Loan in the Federal Republic of Germany and the Resposibility for International Loan, in: Ligue des Bibliothèques Européennes de Recherche (LIBER). Bulletin (Florenz), Nr. 12 (1978), S. 34–49.
4.
Maßnahmen und Modellversuche zur Verbesserung des Leihverkehrs, in: Bibliotheken als Informationsvermittler. Probleme und Modelle. Vorträge, gehalten auf dem Bibliothekskongreß 1978 vom 16. bis 20. Mai in Stuttgart. Hrsg. im Auftrag der Deutschen Bibliothekskonferenz von Paul Kaegbein, Hans Joachim Kuhlmann u. Helmut Sontag, Frankfurt am Main: Klostermann 1979 (= Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie. Sonderheft, 28), S. 99–104.
5.
Interlibrary Lending with computerised Union Catalogues, in: Interlending Review (Boston Spa, GB), Jg. 8 (1980), Nr. 1, S. 15–17.
6.
Kommission für Benutzungsfragen [Tätigkeitsbericht der gleichnamigen Kommission des Deutschen Bibliotheksinstituts für 1979], in: Bibliotheksdienst (Berlin), Jg. 14 (1980), Nr. 5/Mai, S. 424–428.
7.
The Librarians Point of View with Regard to Electronic Publishing, in: Electronic Document Delivery – II. Proceedings of a Workshop and Exhibition organized by the Commission of the European Communities, Directorate General Information Market and Innovation, Luxembourg, 18–19 December 1980. Hrsg. von J. R. U. Page, Oxford u. a.: Learned Information Ltd. 1981, S. 165–167.
8.
Internationaler Leihschein [Bericht aus der Benutzungskommission des Deutschen Bibliotheksinstituts], in: Bibliotheksdienst (Berlin), Jg. 15 (1981), Nr.2/Feb., S. 122– 123 + Anhang.
9.
Informationsvermittlung und Literaturversorgung, in: Gemeinsame Probleme von Staats- und Hochschulbibliotheken in Großbritannien und der Bundesrepublik Deutschland. Common Themes in Academic Librarianship in the Federal Republic
BIBLIOGRAPHIE of Germany and in the United Kingdom. Tagung englischer und deutscher Bibliothekare in Konstanz, Mai 1981, Berlin: Deutsches Bibliotheksinstitut 1981 (= dbi-materialien, 10), S. 21–41. 10.
Literaturversorgung in den Biowissenschaften, in: Information und Dokumentation in der Biologie. Ergebnisse eines Symposiums, abgehalten in Frankfurt am Main vom 9.–11. Oktober 1981. Hrsg. von Udo Halbach unter Mitarbeit von Marlies Ockenfeld und Ruth Raiss, Schlüchtern 1982 (= Berichte der Ökologischen Außenstelle Schlüchtern, Johann Wolfgang Goethe Universität Frankfurt am Main, 10 / Schriften der Arbeitsgruppe Informationswissenschaften in der Biologie, Johann Wolfgang Goethe Universität Frankfurt am Main, 2), S. 91–100.
11.
Benutzungskommission des DBI [Tätigkeitsbericht der gleichnamigen Kommission des Deutschen Bibliotheksinstituts für 1981], in: Bibliotheksdienst (Berlin), Jg. 16 (1982), Nr. 5/Mai, S. 398–400.
12.
Benutzungskommission des DBI/IuD-Kommission des DBI. Online-Bestellformen bei Bibliotheken im Rahmen von ODIN, in: Bibliotheksdienst (Berlin), Jg. 16 (1982), Nr. 5/Mai, S. 435–438.
13.
Die Stellung der Universitätsbibliotheken auf dem Gebiet der Informationsvermittlung, [Berlin]: IFLA General Conference Munich 1983, Division General Research Libraries. – 23 S.
14.
Leihverkehr und das UAP-Programm von IFLA und UNESCO, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Jg. 30 (1983), H. 2, S. 103–109.
15.
Sektion Leihverkehr und Dokumentenlieferung [Bericht über die Sitzung der Section on Interlending and Document Delivery im Rahmen der IFLA-Generalversammlung in Chicago 1985], in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Jg. 33 (1986), H. 1, S. 54.
16.
Leihverkehr und Bestandssicherung in der Bundesrepublik Deutschland, Den Haag: IFLA 1986 (Materialien zur IFLA-Generalversammlung, Tokio 1986). – 10 Bl.
17.
Literature Supply for the Humanities: Use and Protection of Historical Collections in the German Interlibrary Loan System, in: Interlending & Document Supply (Boston Spa/GB), Jg. 14, Nr. 4, Okt. 1987, S. 108–110.
18.
UAP Advisory Committee [Bericht über die Sitzung des gleichnamigen Committee im Rahmen der 55. IFLA-Generalversammlung in Paris 1989], in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Jg. 37 (1990), H. 1, S. 83.
513
514
MARTIN HOLLENDER 19.
[Diskussionsbeiträge zum Thema „Débat sur l’informisation des bibliothèques“], in: Les grandes bibliothèques de l’avenir. Actes du Colloque international des Vauxde-Cernay, 25–26 juin 1991, Paris: La Documentation française 1992, S. 287–288.
20.
Wissenschaftliche Literatur im direkten Zugriff. Ein Modellvorhaben, in: Forschung und Lehre. Mitteilungen des Deutschen Hochschulverbandes (Bonn), Jg. 1, Nr. 1/2 (1994), S. 6–10.
21.
Die Bibliothek kommt zum Leser. Neue Informationsdienste mit SUBITO und DBV-OSI, in: Deutsche Universitäts-Zeitung (Bonn). Beilage DUZ spezial „Datenautobahnen“, 17. Nov. 1995, S. 14.
22.
Bund-Länder-Initiative SUBITO: Organisation und Funktionalität der Literatur- und Informationsdienste, in: Die Herausforderung der Bibliotheken durch elektronische Medien und neue Organisationsformen. 85. Deutscher Bibliothekartag in Göttingen 1995. Hrsg. von Sabine Wefers, Frankfurt am Main: Klostermann 1996 (= Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie. Sonderheft, 63), S. 72–80 [gemeinsam mit Sabine Wefers].
A.2
Bibliotheksautomatisierung und Verfahrensrationalisierung durch IT-Einsatz
23.
Bericht über Planungen für den Einsatz der EDV im Bibliothekswesen des Bundeslandes Hessen, in: Arbeitsstelle für Bibliothekstechnik bei der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz. Informationen (Berlin), Nr. 12, 15. Juli 1973, S. 48–59.
24.
Regionalplanung beim Einsatz der Datenverarbeitung im Bibliothekswesen, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Jg. 20 (1973), H. 4, S. 308–309.
25.
Verwendung der ISBN im Bereich des Hessischen Zentralkatalogs. Ein Förderungsprojekt der DFG, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Jg. 21 (1974), H. 5/6, S. 466–468.
26.
Gemeinsame Aufgaben der wissenschaftlichen Bibliotheken in Hessen. Situation und Ausblick, in: Bibliothek und Buch in Geschichte und Gegenwart. Festgabe für Friedrich Adolf Schmidt-Künsemüller zum 65. Geburtstag am 30. Dez. 1975. Hrsg. von Otfried Weber, München: Verlag Dokumentation 1976, S. 236–257 [gemeinsam mit Clemens Köttelwesch].
27.
Hessen [EDV-Einsatz im Bibliotheks- und Informationswesen in der Bundesrepublik. Planung, Vorbereitung, Durchführung. Beiträge und Berichte zur 2. Informationssitzung des Unterausschusses für Datenverarbeitung im Bibliothekswesen der
BIBLIOGRAPHIE Deutschen Forschungsgemeinschaft], in: Arbeitsstelle für Bibliothekstechnik bei der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz. ABT-Informationen (Berlin), Nr. 20, 15. Sept. 1976, S. 34-41. 28.
Minicomputers in Library Circulation and Control, in: Advancements in Retrieval Technology as related to Information Systems. Advance copies of papers to be presented at the Technical Information Panel Specialists’ Meeting to be held in Arlington, VA USA, 20–21 October 1976, Neuilly sur Seine: North Atlantic Treaty Organization. Advisory Group for Aerospace Research and Development 1976 (= AGARD Conference Preprint, 207), S. 3-1–3-5.
29.
Der Hessische Zentralkatalog auf Mikrofiche, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Jg. 23 (1976), H. 3, S. 201–202.
30.
Hessisches Bibliotheks-Informationssystem (HEBIS), in: Die Zukunft automatisierter Bibliotheksnetze in der Bundesrepublik Deutschland. Möglichkeiten und Grenzen aus technischer und bibliothekarischer Sicht. Bericht eines Symposiums, veranstaltet von der Arbeitsstelle für Bibliothekstechnik am 1./2. Dezember 1976, München: Verlag Dokumentation 1977, S. 192–214.
31.
The Use of ISBN in Union Catalogs and Interlibrary Loans. A Project of the Hessian Union Catalog, in: ISBN Review (München), Jg. 1 (1977), Nr. 1, S. 55–64 [gemeinsam mit Heidi L. Hutchinson].
32.
Some Aspects of Data Recording and Microform Output for Information Distribution, in: Scientific Information Transfer: The Editor’s Role. Proceedings of the First International Conference of Scientific Editors, April 24–29, Jerusalem. Hrsg. von Miriam Balaban, Dordrecht u. a.: D. Reidel Publishing Company 1978, S. 3–8.
33.
Hessen [EDV-Verbund in Bibliotheken der Bundesrepublik Deutschland. Fortschritte, Probleme. Bericht auf der Sitzung der AG Hochschulbibliotheken am 14. 4. 1978 in Göttingen], in: Arbeitsstelle für Bibliothekstechnik bei der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz. ABT-Informationen (Berlin), Nr. 26, 19. Juni 1978, S. 8–11.
34.
Landeseinheitliche ADV-Verfahren für die Erschließung wissenschaftlicher Bibliotheksbestände in Hessen, in: Arbeitsgemeinschaften der Spezialbibliotheken (ASpB). Bericht über die 17. Tagung in Kassel, 6. bis 9. März 1979. Redaktion: Frieda Otto, Berlin: Arbeitsgemeinschaft der Spezialbibliotheken 1979, S. 83–96.
35.
Verbundkatalogisierung in Hessen, in: Zentrale Einrichtungen und zentrale Dienste im Bibliothekswesen. 69. Deutscher Bibliothekartag in Berlin vom 5. bis 8. Juni 1979. Hrsg. von Alexandra Habermann, Hermann Havekost u. Helmut Sontag,
515
516
MARTIN HOLLENDER Frankfurt am Main: Klostermann 1980 (= Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie. Sonderheft, 29), S. 165–168. 36.
Konzipierung einer Datenverarbeitungs-Lehrwerkstatt für die integrierte Ausbildung von Diplom-Bibliothekaren und Diplom-Dokumentaren auf Fachhochschulebene. Hrsg. von der Fachhochschule Hannover, Institut für regionale Bildungsplanung, Hannover: Fachhochschule 1980 (= Konzeption und Entwicklung von Studiengängen im Bereich Bibliothek, Information und Dokumentation. Materialien zum Modellversuch, 4). – 57 Bl. [gemeinsam mit Gunter Bock, Berndt Dugall, Harm Glashoff u. Jürgen Klonk].
37.
Einsatzmöglichkeiten von schlüsselfertigen EDV-Systemen im Rahmen der bibliothekarisch-dokumentarischen Ausbildung, in: ABI-Technik. Zeitschrift für Automation, Bau und Technik im Archiv-, Bibliotheks- und Informationswesen (Wiesbaden), Jg. 1 (1981), Nr. 1, S. 1–18 [gemeinsam mit Bernd Dugall].
38.
HEBIS-MON-Situationsbericht, in: Hessischer Zentralkatalog. HZK-Dialog: Informationen für die hessische Leihregion (Frankfurt am Main), Nr. 3, 1981, S. 1–5.
39.
Hessisches Bibliotheks- und Informationssystem, in: ABI-Technik. Zeitschrift für Automation, Bau und Technik im Archiv-, Bibliotheks- und Informationswesen (Wiesbaden), Jg. 2 (1982), Nr. 3, S. 195–203.
40.
Vorwort [zum Textbericht „Dialogteil HEBIS-KAT“], in: HZK-Dialog: Informationen für die hessische Leihregion (Frankfurt am Main), Nr. 6, 1982, S. I–III.
41.
Fragenkatalog zum derzeitigen Stand der regionalen Bibliothekszentren und regionalen Verbundsysteme, in: Aufbau Regionaler Verbundsysteme und Einrichtung Regionaler Bibliothekszentren. Berichte zum aktuellen Stand vor dem Unterausschuß für Datenverarbeitung der Deutschen Forschungsgemeinschaft am 28. Januar 1983. Redaktion: Heinz Habermann, Berlin: Deutsches Bibliotheksinstitut 1983, S. 5–8.
42.
Katalogisierungsverbund der hessischen Leihregion, ebd., S. 23–24.
43.
Einsatz neuer Medien in Bibliotheken, in: Die Umschau. Das Wissenschaftsmagazin (Frankfurt am Main), Jg. 83, Nr. 16, 5. Aug. 1983, S. 463.
44.
Die regionalen Verbundsysteme in der Bundesrepublik, in: HZK-Dialog: Informationen für die hessische Leihregion (Frankfurt am Main), Nr. 7, 1983, S. 1–6.
45.
Informationsdatenbanken für Lehre und Forschung. Konsequenzen für Universitätsbibliotheken, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Jg. 31 (1984), H. 3, S. 215–231.
BIBLIOGRAPHIE 46.
Die Auswirkung elektronischer Technologie: Eine gemeinsame Erklärung der europäischen Bibliothekare und Verleger, in: Bibliotheksdienst (Berlin), Jg. 18 (1984), H. 10, S. 997–1001 [gemeinsam mit J. Frank Cavanagh, John Davies, Willem Koops, J. Alexis Koutchoumow, Maurice Line, Aire A. Manten, Paul Nijhoff Asser, Manfred Seidel u. Lars Tynell].
47.
Verbund: Zentren und Bibliotheken, in: Bibliothekenverbund und lokale Systeme. Bericht über eine Studienreise in die USA vom 24. 9. bis 13. 10. 1984. Von Günter Beyersdorff, Rudolf Frankenberger, Günter Gattermann, Klaus-Dieter Lehmann, Reinhard Rutz, Gerhard Schlitt, Berlin: Deutsches Bibliotheksinstitut 1985 (= dbimaterialien, 45), S. 29–67. – Vgl. auch: Klaus-Dieter Lehmann (im Namen der Reisegruppe): Vorwort, ebd., S. 3.
48.
Bibliothekenverbund und lokale Systeme. Bericht über eine Studienreise in die USA, in: Literaturversorgung in den Geisteswissenschaften. 75. Deutscher Bibliothekartag in Trier 1985. Hrsg. von Rudolf Frankenberger u. Alexandra Habermann, Frankfurt am Main: Klostermann 1986 (= Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie. Sonderheft, 43), S. 313–323.
49.
Funktionswandel zwischen Verbundzentren und Bibliotheken, in: Bibliotheken im Netz. Funktionswandel wissenschaftlicher Bibliotheken durch Informationsverbindungsnetze. Konstanzer Kolloquium (19.–21. 2. 1986). Vorträge Joachim Stoltzenburg zu Ehren. Hrsg. von Richard Landwehrmeyer, Klaus Franken, Ulrich Ott u. Günther Wiegand, München u. a.: Saur 1986, S. 83–102.
50.
Verbundzentren und lokale Bibliothekssysteme [Referat, gehalten auf einem Fortbildungsseminar des Österreichischen Bundesministeriums für Wissenschaft und Forschung und der Österreichischen Nationalbibliothek], in: Biblos (Wien), Jg. 35 (1986), H. 4, S. 337–345.
51.
Bibliotheken im Netz, in: Die Umschau. Forschung, Entwicklung, Technologie. Offizielles Organ der Arbeitsgemeinschaft Fachinformation (Frankfurt am Main), Jg. 86 (1986), H. 5/Mai, S. 299–300.
52.
Funktionale Abhängigkeit regionaler und lokaler Bibliotheksstrukturen. Vortrag, gehalten auf der Jahrestagung des Deutschen Bibliotheksverbandes in Heidelberg am 23. 10. 1986, in: Deutscher Bibliotheksverband. DBV-Info, Nr. 13 (1986), Teil I (DBV-Jahrestagung 1986 in Heidelberg. Tagungsergebnisse), S. 66–73.
53.
Die Bibliotheken im deutschen Forschungsnetz, in: ABI-Technik. Zeitschrift für Automation, Bau und Technik im Archiv-, Bibliotheks- und Informationswesen (Wiesbaden), Jg. 7 (1987), Nr. 3, S. 247–249.
517
518
MARTIN HOLLENDER 54.
Wissenschaft zu öffentlichem Wissen machen. Die Bibliotheken im Informationsverbund, in: Who is who. Das Jahrbuch zur Infobase ’87. Adressbuch der Online-Szene über Personen, Firmen, Datenbanken, deren Produzenten und Anbieter, Frankfurt am Main 1987, S. 39–41.
55.
Bibliotheksautomatisierung – Förderpolitik in der Bundesrepublik Deutschland, in: 77. Deutscher Bibliothekartag in Augsburg 1987. Reden und Vorträge. Hrsg. von Yorck A. Haase und Gerhard Haas, Frankfurt am Main: Klostermann 1988 (= Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie. Sonderheft, 46), S. 257–268.
56.
Libraries in Relation to the German Research Network, in: Open Systems Interconnection: The Communications Technology of the 1990’s. Papers from the PreConference Seminar held at London, August 12–14, 1987. Hrsg. von Christine H. Smith, München u. a.: Saur 1988 (= IFLA Publications, 44), S. 157–164.
57.
Offene Anwendungsnetze in Bibliotheken, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Jg. 35 (1988), H. 1, S. 103–111.
58.
Optische Speichermedien als Volltextpublikation: Kooperation zwischen Verlagen und Bibliotheken. Eine Gemeinschaftsstudie europäischer Bibliothekare und Verleger, in: ABI-Technik. Zeitschrift für Automation, Bau und Technik im Archiv-, Bibliotheks- und Informationswesen (Wiesbaden), Jg. 8 (1988), Nr. 1, S. 59–63 [gemeinsam mit John Davies, Willem Koops, J. Alexis Koutchoumow, Maurice Line, Arie A. Manten, Paul Nijhoff Asser u. Manfred Seidel].
59.
Mikrofilm-Anwendung in Bibliotheken. Fortbildungsseminar in Frankfurt, in: Bibliotheksdienst (Berlin), Jg. 22 (1988), Nr. 4/5, S. 377–378.
60.
Die künftigen Informations- und Kommunikationstechniken in ihrer Bedeutung für Spezialbibliotheken, in: Spezialbibliotheken in den neunziger Jahren. 22. Arbeits- und Fortbildungstagung der ASpB Arbeitsgemeinschaft der Spezialbibliotheken, 7. bis 11. März 1989 in Karlsruhe (Universität), Leverkusen 1989, S. 131–151.
61.
Deutscher Bibliotheksverbund – ein Konzept zur Vernetzung, in: Bibliothekstechnologie im Wandel. Referate aus dem Kurs III/21 des Fortbildungsprogramms für die Wissenschaftsverwaltung (Projekt im Rahmen des OECD-Hochschulverwaltungsprogramms) vom 13.-15. März 1989 in Augsburg. Hrsg. von der Arbeitsgruppe Fortbildung im Sprecherkreis der Hochschulkanzler, Essen: Universität Gesamthochschule Essen 1989 (= Fortbildungsprogramm für die Wissenschaftsverwaltung, 38), S. 49–73.
62.
DFN-Nutzergruppe Bibliotheken konstituiert, in: Bibliotheksdienst (Berlin), Jg. 23 (1989), H. 12, S. 1303-1304.
BIBLIOGRAPHIE 63.
Ein Netzkonzept für Bibliotheken, in: Moderne Informationsdienstleistungen. Trends und Aspekte, Entwicklungen und Probleme in Bibliotheken, Informationszentren und Dokumentationseinrichtungen der Bundesrepublik Deutschland. Referate eines Seminars für Bibliothekare und Informationsfachleute aus osteuropäischen Ländern in Hohenroda (Hessen), 24.–26. September 1989, Berlin: Deutsches Bibliotheksinstitut 1990 (= dbi-materialien, 95), S. 51–67.
64.
Section on Information Technology [Bericht über die Sitzung des gleichnamigen Standing Committee im Rahmen der 55. IFLA-Generalversammlung in Paris 1989], in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Jg. 37 (1990), H. 1, S. 90.
65.
Offene Kommunikation für Bibliotheken. Sachstandsbericht des BMFT-Förderprojekts OSI, in: Regionale und überregionale Katalogisierung. Bestandsnachweis und retrospektive Konversion. Referate beim Sachverständigengespräch im Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft Bonn, 20. und 21. Februar 1990, Berlin: Deutsches Bibliotheksinstitut 1990 (= dbi-Materialien, 96), S. 53–66 [gemeinsam mit Heinz Bork].
66.
Kommunikation und Information – die neue Sachlichkeit, in: UNESCO heute (Bonn), Jg. 38, Nr. 10/12, Okt./Dez. 1991, S. 294–299 [Bericht über die Beratungen der Fachkommission „Kommunikation, Information und Informatik“ der 26. UNESCO-Generalkonferenz; gemeinsam mit Friedrich-Carl Bruns u. Brigitte Weyl].
67.
Die elektronische Informationskette, in: Dialog mit Bibliotheken, Jg. 3 (1991), Nr. 2, S. 8–17.
68.
Der Aktionsplan auf dem Weg, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Jg. 38 (1991), H. 3, S. 289–291.
69.
Nutzergruppe Bibliotheken im Deutschen Forschungsnetz, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Jg. 38 (1991), H. 3, S. 291.
70.
Standardisierte Dienstleistungsschnittstellen auf Netzen, in: Neue Kommunikations- und Informationsdienste. Möglichkeiten und Formen der Zusammenarbeit zwischen wissenschaftlichen Rechenzentren und Universitätsbibliotheken. Kolloquium an der Universität Tübingen vom 13. November 1991. Hrsg. von Berndt v. Egidy und Dietmar Kaletta, Tübingen 1992, S. 65–74.
71.
Bibliotheksnetze und ihre Standards, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Jg. 39 (1992), H. 1, S. 16–24.
519
520
MARTIN HOLLENDER 72.
Einleitung, in: OSI-Anwendungen für Bibliotheken und Fachinformation. Band 1. Anforderungen und Lösungskonzepte, Frankfurt am Main: Die Deutsche Bibliothek 1992, S. 9–11.
73.
Strategien zur [OSI-]Weiterentwicklung, Implementierung und Anwendung, ebd., S. 76–85.
74.
Links in the Information Chain, in: Cadernos de biblioteconomia, arquivística e documentação (Coimbra), Nr. 1/2(1990), S. 7–27. – Erneut in: Seminar on Bibliographic Records. Proceedings of the Seminar Held in Stockholm, 15–16 August 1990, and Sponsored by the IFLA UBCIM Programme and the IFLA Division of Bibliographic Control. Hrsg. von Ross Bourne, München u. a.: Saur 1992 (= UBCIM Publications – New Series, 7), S. 81–100.
75.
Vorwort, in: Sigrid Reinitzer u. Karl F. Stock, Bibliotheksautomation in Österreich. Die Zusammenführung der EDV-Konzepte der Universitätsbibliotheken zu einem langfristigen und weitblickenden Gesamtkonzept. Mit einem Geleitwort von Franz Kroller und einem Vorwort von Klaus-Dieter Lehmann, Graz 1992, S. 8–9.
76.
OSI-Anwendungen für Bibliotheken und Fachinformation, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Jg. 39 (1992), H. 3, S. 268–273.
77.
10 Jahre Arbeitsgemeinschaft der Verbundsysteme, in: Informationen zu den regionalen und überregionalen Verbundsystemen der Bundesrepublik Deutschland. Zweite, überarb. u. aktualisierte Aufl., Berlin: Deutsches Bibliotheksinstitut 1993, S. 4–7.
78.
Die offene Bibliothek, in: PICA mededelingen (Leiden), Jg. 17 (1994), Nr. 4, S. 6–10.
79.
Elektronische Publikationen. 47. Frankfurter Buchmesse. Klaus-Dieter Lehmann über die Zukunft der Bibliotheken, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 236, 11. Okt. 1995, S. 56.
80.
Preserving Digital Incunabula, in: Electronic dream? Virtual Nightmare. The Reality for Libraries. 1996 VALA [Victorian Association for Library Automation Inc.] Biennial Conference and Exhibition. Conference Proceedings, 30 January to 1 February 1996, World Congress Centre Melbourne, Melbourne 1996, S. 319ff.
81.
Spannende Zeit [Regine Meyer-Arlt im Interview mit Klaus-Dieter Lehmann über Elektronische Publikationen], in: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, Jg. 163 (1996), Nr. 20, S. 8.
BIBLIOGRAPHIE 82.
Das kurze Gedächtnis digitaler Publikationen, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Jg. 43 (1996), H. 3, S. 209–226.
83.
Betrachtungen zur notwendigen Reform von Regelwerken, in: Bibliothek als Lebenselixier. Festschrift für Gottfried Rost zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Johannes Jacobi u. Erika Tröger, Leipzig u. a.: Die Deutsche Bibliothek 1996, S. 101–113.
84.
„Bücher haben Vorteile“. Bibliotheksdirektor Klaus-Dieter Lehmann [im Gespräch mit Johannes Saltzwedel u. Mathias Schreiber] über die Aussichten des gedruckten Wortes im Computerzeitalter, in: Der Spiegel (Hamburg), Nr. 51, 16. Dez. 1996, S. 184–189. – In englischer Übersetzung gekürzt erneut in: The Commission on Preservation and Access. Newsletter (Washington, D.C.), Nr. 96, Feb. 1997.
85.
Dissertationen Online, in: Bibliotheksdienst (Berlin), Jg. 31 (1997), Nr. 4, S. 645– 651 [überarbeitete Fassung eines Vortrags auf der Tagung der Sektion 4 des Deutschen Bibliotheksverbands am 5. März 1997 in Hamburg].
86.
Mut zur Lücke [Anne Buhrfeind im Gespräch mit Klaus-Dieter Lehmann über das Sammeln u.a. elektronischer Publikationen], in: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, Jg. 164, Nr. 37, 9. Mai 1997, S. 18–23.
87.
Das zweite Bibliotheksprogramm der EU war netzwerkorientiert, jetzt sind Inhalte an der Reihe, in: Buchreport (Dortmund), Jg. 28, Nr. 20, 15. Mai 1997, S. 94–97.
88.
Die Mühen der Ebenen. Regelwerke – Datenformate – Kommunikationsschnittstellen [überarb. Fassung eines Vortrags auf der Sitzung der Sektion 4 des Deutschen Bibliotheksverbands am 5. März 1997 in Hamburg], in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Jg. 44 (1997), H. 3, S. 229–240.
89.
Bibliotheken in der Informationsgesellschaft, in: Spektrum der Wissenschaft (Heidelberg), H. 2/1999, S. 921–923.
90.
Eine bibliothekarische Antwort auf den digitalen Wandel, in: Bücher, Menschen und Kulturen. Festschrift für Hans-Peter Geh zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Birgit Schneider, Felix Heinzer und Vera Trost unter Mitarbeit von Edith Gruber, Verena Höser u. Arietta Junginger, München: Saur 1999, S. 255–262.
91.
Buch, Bild und Bibliothek in Zeiten des Internet, in: Deutsche Stiftungen: Vielfalt fördern! Bundesverband Deutscher Stiftungen. Bericht über die 56. Jahrestagung vom 10. bis 12. Mai 2000 in Weimar. Redaktion: Annegret Buchholtz, Berlin: Bundesverband Deutscher Stiftungen e.V. 2000, S. 192–199.
521
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MARTIN HOLLENDER 92.
A.3
Die Bibliothek im digitalen Zeitalter [Festrede, gehalten anläßlich der feierlichen Eröffnung der Universitätsbibliothek Erfurt am 3. November 2000], in: Erfurter Universitätsreden 2000. Hrsg. von Wolfgang Bergsdorf, München: Iudicium Verlag 2001, S. 55–62.
Wesen und Aufgaben der Nationalbibliothek
93.
Integration elektronisch: Die Vernetzung der Nationalbibliografien, in: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, Frankfurter Ausgabe, Jg. 45, Nr. 10, 3. Feb. 1989, S. 394–395.
94.
Aktualität und Qualität für die nationalbibliografischen Informationsdienste, in: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, Frankfurter Ausgabe, Jg. 45, Nr. 26, 31. März 1989, S. 1108–1111.
95.
Deutsche Bibliothek (Frankfurt): Nationalbibliothek im Konflikt zwischen Archivpflicht und Raumnot, in: Buchreport (Dortmund), Jg. 20, Nr. 33, 17. Aug. 1989, S. 22.
96.
Nationalbibliographische Dienste in der EG, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Jg. 37 (1990), H. 3, S. 266–267.
97.
Réflexions sur le dépôt légal, in: L’avenir des grandes bibliothèques. Colloque international organisé par la Bibliothèque Nationale, 30 Janvier–2 Février 1990. Édition français-anglais, Paris: Bibliothèque Nationale 1991 (= Les colloques de la Bibliothèque Nationale, 4), S. 105–110.
98.
Die Bedeutung nationalbibliografischer Dienste für wissenschaftliche Bibliotheken, in: Bibliotheek, wetenschap en cultuur. Opstellen aangeboden aan mr. W. R. H. Koops bij zijn afscheid als bibliothecaris der Rijksuniversiteit te Groningen. Hrsg. von L. J. Engels u. C. G. Huisman, Groningen: Universiteitsbibliotheek 1990, S. 111– 121.
99.
Die Bücher der Stunde und die Bücher aller Zeiten bewahren, Stuttgart: Steiner 1991 (= Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz. Abhandlungen der Klasse der Literatur. Jahrgang 1991, Nr. 2). – 14 S.
100. Des services bibliographiques, in: Les grandes bibliothèques de l’avenir. Actes du Colloque international des Vaux-de-Cernay, 25–26 juin 1991, Paris: La Documentation française 1992, S. 151–154.
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A.4
Europäisierung und Internationalisierung des Bibliothekswesens
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MARTIN HOLLENDER 128. Etappenziel: Die virtuelle Europäische Bibliothek. Vom Nutzen der Bibliotheken im digitalen Zeitalter – dem Leser eröffnet sich der Reichtum aller großen Buchbestände, in: Das Parlament, Nr. 9, 26. Feb. 1999, S. 6.
A.5 A.5.1
Restitutionsfragen Restitution jüdischen Buch- und Kunstbesitzes durch deutsche Bibliotheken und Museen
129. Leichtfertig verschleudert? Max Silberbergs Olivenbäume [zum Vorwurf des Journalisten Andreas Strobl, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz habe eine Zeichnung van Goghs durch die Restitution an die Schwiegertochter Silberbergs „leichtfertig verschleudert“], in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 57, 8. März 2002, S. 45. 130. Restitution jüdischen Kulturgutes als Aufgabe der deutschen Kulturpolitik, in: Jüdischer Buchbesitz als Beutegut. Eine Veranstaltung des Niedersächsischen Landtages und der Niedersächsischen Landesbibliothek. Symposium im Niedersächsischen Landtag am 14. November 2002, Hannover 2002 (= Schriftenreihe des Niedersächsischen Landtages, 50), S. 17–24. 131. Restitution jüdischen Buchbesitzes. Anspruch und Wirklichkeit, in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz (Berlin), Bd. XXXIX (2002), S. 91–99. 132. Es war der Versuch, eine ganze Kultur zu beschlagnahmen. Beuteschriften: Zur Diskussion um Bücher aus jüdischem Eigentum in deutschen Bibliotheken, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 77, 1. April 2003, S. 38.
A.5.2
Restitution deutscher Bücher aus Osteuropa
133. Bibliotheken als kulturelles Bindeglied zwischen Rußland und Deutschland, in: Restitution von Bibliotheksgut. Runder Tisch deutscher und russischer Bibliothekare in Moskau am 11. und 12. Dezember 1992. Hrsg. von Klaus-Dieter Lehmann und Ingo Kolasa, Frankfurt am Main: Klostermann 1992 (= Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie. Sonderheft, 56), S. 21-28 [vgl. auch Nr. 355 u. 397]. 134. tur“]. –
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MARTIN HOLLENDER 145. Rückführung der Bücher aus Georgien. Auszüge aus der Rede anläßlich der Feierstunde am 30. Oktober 1996 in der Staatsbibliothek zu Berlin, in: Dialog mit Bibliotheken, Jg. 9 (1997), Nr. 1, S. 27–28. 146. Kulturgüter als Kriegsgeiseln, in: Der Rotarier, Jg. 48, H. 573, Okt. 1998, S. 18–20. – Gekürzt erneut in: Displaced Books. Bücherrückgabe aus zweierlei Sicht. Beiträge und Materialien zur Bestandsgeschichte deutscher Bibliotheken im Zusammenhang von NS-Zeit und Krieg, Hannover: Laurentius 1999, S. 43. 147. Jetzt geht es um das Wie der Rückgabe der Bücher, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 292, 16. Dez. 1998, S. S. 35. 148. 129
21. 07. 1999.
149. Vorwort, in: Kulturschätze – verlagert und vermisst. Eine Bestandsaufnahme der Stiftung Preußischer Kulturbesitz 60 Jahre nach Kriegsende. Hrsg. von Klaus-Dieter Lehmann und Günther Schauerte unter Mitarbeit von Uta Barbara Ullrich, Berlin: Stiftung Preußischer Kulturbesitz 2004, S. 9–10.
A.6
Bestandserhaltung
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A.7
03. 01. 2002.
Zu einzelnen Bibliotheken Berlin Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz
157. Die Staatsbibliothek zu Berlin im Kreis der großen National- und Staatsbibliotheken, in: Die Staatsbibliothek Unter den Linden. Ein Kolloquium in der Staatsbibliothek zu Berlin am 11. Juni 1997. Hrsg. von Gabriele Spitzer, Frankfurt am Main: Klostermann 1997 (= Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie. Sonderheft, 69), S. 59–65. 158. Geleitwort, in: Architekturwettbewerb Staatsbibliothek zu Berlin. Ein neuer Lesesaal für das Haus Unter den Linden. Hrsg. von der Staatsbibliothek zu Berlin und dem Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung. Konzeption und Redaktion: Matthias Vollmer, Dr. Daniela Lülfing, Dr. Olaf Asendorf, Berlin: jovis Verlag 2001, S. 6. 159. Geleitwort, in: Gründungssanierung Staatsbibliothek zu Berlin. Ersatzpfahlgründung und Erneuerung der Fundamente des Hauses Unter den Linden. Herausgeber: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz; Bundesamt für Bauordnung und Raumwesen. Konzeption und Redaktion: Dr. Daniela Lülfing, Christa Grevesmühl, Dr. Kurt Stepper, Josef A. Patron (= Erhalten und Gestalten – Sanierung des Hauses Unter den Linden, 2), Berlin: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz und Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung 2002, S. 6. Dresden Sächsische Landesbibliothek / Universitätsbibliothek der Technischen Universität Dresden 160. Tradition und Verpflichtung. Ein Dresdner Bibliothekskonzept, in: Die Landesbibliotheken an der Schwelle zum nächsten Jahrtausend. Symposion am 9. und 10. September 1993 in der Sächsischen Landesbibliothek zu Dresden. Redaktion:
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MARTIN HOLLENDER Ortrun Landmann u. Michael Golsch, Dresden: Gesellschaft der Freunde und Förderer der Sächsischen Landesbibliothek e.V.; Arbeitsgemeinschaft der Regionalbibliotheken im Deutschen Bibliotheksverband 1993, S. 10–17. – Erneut in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Jg. 40 (1993), H. 6, S. 558–564. Frankfurt am Main 161. Frankfurter Bürgersinn bewährt sich auch im Bibliothekswesen. Die Geschichte der Buchbestände beweist Stifterfreudigkeit über fünf Jahrhunderte bis in die Gegenwart [gek. Fassung eines Vortrags vor dem Kuratorium Kulturelles Frankfurt], in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 241, 25. Okt. 1984, S. 34. 162. Von der Stiftungsbibliothek zur Forschungsbibliothek. Bibliotheksplatz Frankfurt, in: Literatur in Frankfurt. Ein Lexikon zum Lesen. Hrsg. von Peter Hahn, Frankfurt am Main: Athenäum 1987, S. 643–651. Rothschild’sche Bibliothek 163. Die Forschungsbibliothek für das 19. Jahrhundert. Neue Akzente für die Rothschildsche Bibliothek, in: Die Rothschild’sche Bibliothek in Frankfurt am Main. Hrsg. von der Gesellschaft der Freunde der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt am Main e.V. Redaktion: Jochen Stollberg, Frankfurt am Main: Klostermann 1988 (= Frankfurter Bibliotheksschriften, 2), S. 157–174. – U. d. T. Hundert Jahre Rothschild’sche Bibliothek. Eine europäische Bildungsbibliothek verändert erneut in: Archiv für Frankfurts Geschichte und Kunst (Frankfurt am Main), Jg. 62 (1993), S. 251–262. Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt am Main 164. Die Stadt- und Universitätsbibliothek / Senckenbergische Bibliothek Frankfurt am Main, in: Dokumentation Information. Zeitschrift für Allgemein- und Spezialbibliotheken, Büchereien und Dokumentationsstellen (Hannover), Jg. 26 (1978), Sonderheft zum Deutschen Dokumentartag 1978, S. 21–23. – Erneut in: Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Uni-Report, Jg. 11, 1. Dezember 1978, S. 1. 165. Dokumente eines bürgerlichen Opernbetriebs. Die Stadt- u. Universitätsbibliothek sammelt Quellen u. Nachrichten zum Frankfurter Theaterleben, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 4, 6. Jan. 1981, S. 23. 166. Die Stadt- und Universitätsbibliothek 1950-1984, in: Bibliotheca Publica Francofurtensis. Fünfhundert Jahre Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt am Main. Hrsg. von Klaus-Dieter Lehmann. Textband, Frankfurt: Stadt- und Universitätsbibliothek 1984, S. 227–282.
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MARTIN HOLLENDER 176. Editorial, in: Die Deutsche Bibliothek. Gesamtarchiv und Nationalbibliographisches Informationszentrum. Zentrales Sammeln, Erschließen, Vermitteln, Frankfurt am Main u. Leipzig: Die Deutsche Bibliothek 1991, S. 3–4. 177. Deutschland war kulturell immer polyzentrisch [Anne Buhrfeind im Interview mit Klaus-Dieter Lehmann über Die Deutsche Bibliothek], in: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, Jg. 158, Nr. 1, 4. Jan. 1991, S. 34–39. 178. Chancen für eine tragfähige Entwicklung sind günstig, in: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, Jg. 158, Nr. 25, 28. März 1991, S. 1134–1139. 179. Neubau für die Deutsche Bibliothek Frankfurt a. M., in: Dialog mit Bibliotheken, Jg. 3 (1991), Nr. 3, S. 25. 180. Conserver les Livres d’aujourd’hui et de tous les temps, in: Bulletin des Bibliothèques de France (Paris), Jg. 36 (1991), Nr. 5, S. 420–428 [übersetzt von Dominique Arot]. 181. Au-delà du rideau, de chaque côté du mur, in: Les grandes bibliothèques de l’avenir. Actes du Colloque international des Vaux-de-Cernay, 25–26 juin 1991, Paris: La Documentation française 1992, S. 111–116 [vgl. auch die Diskussionsbeiträge von Klaus-Dieter Lehmann auf S. 283–286]. 182. PICA und Die Deutsche Bibliothek, in: Dialog mit Bibliotheken, Jg. 4 (1992), Nr. 1, S. 19–21. 183. Die Deutsche Bibliothek – Was bleibt – was wird, in: Bibliotheken in alten und neuen Hochschulen. 82. Deutscher Bibliothekartag in Bochum 1992. Hrsg. von Hartwig Lohse, Frankfurt am Main: Klostermann 1992 (= Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie. Sonderheft, 55), S. 71–82. 184. Die Deutsche Bibliothek – ein gelungenes Integrationsmodell. Bericht der Deutschen Bibliothek vor der 38. Hauptversammlung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels am 7. Mai in Leipzig, in: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, Jg. 159, Nr. 30, 14. April 1992, S. 39–46. 185. Vorwort, in: Die Deutsche Bibliothek. Sammelrichtlinien für die Deutsche Bücherei, die Deutsche Bibliothek und das Deutsche Musikarchiv. Stand 1. Oktober 1992, Leipzig 1992, S. 5–6. – Erneut in: Die Deutsche Bibliothek. Sammelrichtlinien für Die Deutsche Bibliothek. Stand 1. Januar 1994, Leipzig 1994, S. 5–6. – Erneut in: Sammelrichtlinien für Die Deutsche Bibliothek. Dritte, überarb. Aufl., Leipzig 1997, S. 4–5.
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MARTIN HOLLENDER 197. The Information Highway and the Cultural Heritage: Thoughts on a Concept for Die Deutsche Bibliothek [Paper presented at Libraries and Modern Societies. International Seminar. National Library of Russia, St. Petersburg, 24–25 May 1995], in: European Research Libraries Cooperation ERLC. The LIBER Quarterly (Graz), Jg. 5 (1995), Nr. 4, S. 431–439. 198. Informacionnye telekommunikacii i kulturnoe nasledie: razmyšleniâ o koncepcii nemeckoj biblioteki [The Information Highway and the Cultural Heritage: Thoughts on a Concept for Die Deutsche Bibliothek], in: Biblioteki i sovremennoe obscestvo: materialy Mezdunarodnoj Naucnoj Konferencii, Posvjascennoj 200Letiju Osnovanija Rossijskoj Nacional’noj Biblioteki, (Sankt-Peterburg, 24 i 25 maja 1995 g.) / [otv. za podgot. izd. V. N. Zajcev …], Sankt-Peterburg: Izdat. Rossijskoj Nacional’noj Biblioteki 1996 = Libraries and modern society: Proceedings of the International Conference to mark the Bicentenary of the National Library of Russia; St. Petersburg: National Library of Russia 1996, S. 136–150. 199. Die Deutsche Bibliothek as Competence Centre, in: European Research Libraries Cooperation ERLC. The LIBER Quarterly (Graz), Jg. 6 (1996), Nr. 3, S. 262–269. 200. Die Transformation einer Bibliothek, in: Deutsche Bibliothek Frankfurt am Main. Ein Dialog zwischen Architekten und Bibliothekaren. Hrsg. von Klaus-Dieter Lehmann und Ingo Kolasa in Zusammenarbeit mit Arat-Kaiser-Kaiser. Eine Veröffentlichung der Gesellschaft für das Buch e.V., Ostfildern-Ruit: Hatje 1997, S. 7–11. 201. Leitungswechsel in Leipzig, in: Dialog mit Bibliotheken, Jg. 9 (1997), Nr. 1, S. 45. 202. Haus der Bücher – Elektronisches Archiv, in: Dialog mit Bibliotheken, Sondernummer 1997, S. 8–10. 203. Klick, klick, klick. Die Bibliothek als Tor zur großen weiten Welt – von Frankfurt aus geht’s über Gateways und Netze in ferne Bücher- und Datenspeicher und die Benutzer können nun auch aus Tokio oder Neufundland deutsche Literatur und Informationen suchen, in: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, Jg. 164, Nr. 37, 9. Mai 1997, S. 28–30. 204. Dankesrede anläßlich der feierlichen Einweihung der Deutschen Bibliothek am 14. Mai 1997, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Jg. 44 (1997), H. 5, S. 473–478. – Erneut in: Dem Kurzlebigen Dauerhaftigkeit geben. Ansprachen zur Eröffnung des Neubaus der Deutschen Bibliothek Frankfurt am Main am 14. Mai 1997, Wiesbaden: Harrassowitz 1998 (= Gesellschaft für das Buch, 5), S. 47–56.
BIBLIOGRAPHIE 205. Die Deutsche Bibliothek, in: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Jg. 164 (1997), Nr. 43, 30. Mai 1997, S. 55–58. 206. Die neue Deutsche Bibliothek: Haus der Bücher – Elektronisches Archiv, in: BüchereiPerspektiven. Mitteilungen des Büchereiverbandes Österreichs, Nr. 3/1997, S. 34–37. 207. Wissenschaft zu öffentlichem Wissen machen. Der Auftrag der Deutschen Bibliothek in Zeiten des Umbruchs, in: Maß und Mitte und Visionen. Festschrift für Albert Weber. Hrsg. von Hans-Wolfgang Pfeifer u. Hans-Joachim Tonnellier, Frankfurt am Main: DG-Verlag 1997, S. 127–136. 208. Im Neubau Adickesallee 1, in: Dialog mit Bibliotheken, Jg. 9 (1997), Nr. 3, S. 5–8. 209. La Deutsche Bibliothek. Son rôle dans la création d’une bibliothèque numérique pour l’ Europe, in: Bulletin des Bibliothèques de France (Paris), Jg. 43 (1998), Nr. 4, S. 28–35 [übersetzt von Oristelle Bonis]. 210. Ein Hort nicht nur der Dichter und Denker: Die Deutsche Bibliothek in Frankfurt und Leipzig ist ein Paradebeispiel für den Aufbruch ins Zeitalter der elektronischen Medien, in: Buch & Bild. Ein Vierteljahresmagazin für Buch- und Graphiksammler (Hannover), Jg. 2 (1998), Nr. 3, S. 34–36. 211. Die Deutsche Bibliothek, in: Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel, Jg. 165, Nr. 37, 8. Mai 1998, S. 55–60. 212. Die Deutsche Bibliothek als digitale Depotbibliothek im europäischen Kontext, in: Nur was sich ändert, bleibt. 88. Deutscher Bibliothekartag in Frankfurt am Main 1998. Hrsg. von Sabine Wefers, Frankfurt am Main: Klostermann 1999 (= Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie. Sonderheft, 75), S. 28–42. – U. d. T. Die Deutsche Bibliothek as a European Digital Deposit Library erneut in: Liber Quarterly. The Journal of European Research Libraries (München), Jg. 8 (1998), Nr. 3, S. 319– 333. Paris Bibliothèque Nationale 213. La Bibliothèque de France, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Jg. 37 (1990), H. 3, S. 264–265.
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MARTIN HOLLENDER A.8
Verschiedene Beiträge aus dem Buch- und Bibliothekswesen
214. Zeitschriftensymposium in Berlin, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Jg. 19 (1972), H. 2, S. 128–130. 215. Vorwort, in: HZK-Dialog: Informationen für die hessische Leihregion (Frankfurt am Main), Nr. 1, 1980, S. 1–2. 216. Hessisches Zeitschriftenverzeichnis, in: Buch und Bibliothek (Bad Honnef ), Jg. 32 (1980), Nr. 11/12, S. 985. 217. Le biblioteche universitarie nella Repubblica Federale Tedesca, in: La riforma universitaria e le biblioteche delle università. Atti del Convegno internazionale su le biblioteche universitarie e i loro problemi di struttura, coordinamento, unificazione, Roma, 4-5 ottobre, 1980, Rom: Bulzoni 1981 (= Il bibliotecario, 9), S. 73–88. 218. Der Deutsche Bibliotheksverband – Landesverband Hessen zieht eine erste Bilanz, in: HZK-Dialog: Informationen für die hessische Leihregion (Frankfurt am Main), Nr. 4, 1982, S. 1–4. 219. Frankfurt: Gesellschaft für das Buch gegründet, in: Bibliotheksdienst (Berlin), Jg. 23 (1989), Nr. 2, S. 159–160. 220. Literatur und literarisches Leben in Deutschland 1945–1949 – eine Ausstellung der Deutschen Bibliothek mit dem Arbeitskreis selbständiger Kultur-Institute e.V., in: Dialog mit Bibliotheken, Jg. 2 (1990), Nr. 2, S. 30–31. 221. Ein neuer Abschnitt, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Jg. 38 (1991), H. 1, S. 1–2 [zur Zusammenführung der Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie und des Zentralblatts für Bibliothekswesen]. 222. Bund-Länder-Arbeitsgruppe Bibliothekswesen, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Jg. 38 (1991), H. 6, S. 618-620. 223. Das wissenschaftliche Bibliothekswesen in der Bundesrepublik Deutschland, in: Wanderungen durch die Kulturpolitik. Festschrift für Sieghardt von Köckritz. Hrsg. von Günter Ermisch, Berlin: Nicolai 1993, S. 221–229. 224. Schätze der Schwarzen Kunst – totes Blei?, in: Der Tagesspiegel (Berlin), 9. April 1994. 225. Neues aus der Anne-Frank-Shoa-Bibliothek. Datenbanken des Leo-Baeck-Institutes eingerichtet. Rede anläßlich der Übergabe, in: Dialog mit Bibliotheken, Jg. 6 (1994), Nr. 3, S. 26–31.
BIBLIOGRAPHIE 226. [Grußwort], in: Das Haus des Buches in Leipzig. Zu seiner Eröffnung herausgegeben vom Kuratorium „Haus des Buches“ e.V. Leipzig. Redaktion: Herbert Kästner, Leipzig: Kuratorium „Haus des Buches“ e.V. 1996, S. 13–15. 227. [Rede anläßlich der Eröffnung der neuen ständigen Ausstellung des Deutschen Buch- und Schriftmuseums Leipzig im Mai 1996], in: Dialog mit Bibliotheken, Jg. 8 (1996), Nr. 3, S. 43–46. 228. Nachwort, in: Die unendliche Bibliothek. Digitale Information in Wissenschaft, Verlag und Bibliothek. Börsenverein des Deutschen Buchhandels e.V., Die Deutsche Bibliothek, Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheksverbände, Wiesbaden: Harrassowitz 1996, S. 118–120. 229. Begrüßung, in: Das Loch in der Mauer. Der innerdeutsche Literaturaustausch. Hrsg. von Mark Lehmstedt und Siegfried Lokatis, Wiesbaden: Harrassowitz 1997 (= Veröffentlichungen des Leipziger Arbeitskreises zur Geschichte des Buchwesens. Schriften und Zeugnisse zur Buchgeschichte, 10), S. 9–13. 230. Vorwort, in: Die vollkommene Lesemaschine. Von deutscher Buchgestaltung im 20. Jahrhundert. Schöne Bücher, ausgewählt und mit Anmerkungen versehen von Friedrich Friedl, Rainer Groothuis, Matthias Gubig, Wolfgang Rasch, Christian Scheffler, Frankfurt am Main: Stiftung Buchkunst 1997, S. 4–5. 231. Editorial [anläßlich der Änderung des Layouts der Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie], in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Jg. 44 (1997), H. 4, S. 345. 232. Vorwort, in: Wolfgang Nieblich, ohne ISBN [Katalog anläßlich der gleichnamigen Ausstellung im Deutschen Buch- und Schriftmuseum Leipzig, 19. 6.–27. 9. 1997]. Redaktion: Hannelore Schneiderhenze, Leipzig u. a.: Die Deutsche Bibliothek 1997, S. 5. 233. Geleitwort, in: Lesen im Umbruch – Forschungsperspektiven im Zeitalter von Multimedia. Dokumentation des Symposiums der Stiftung Lesen in Zusammenarbeit mit dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels […] am 27./28. Juni 1997 in Frankfurt am Main. Redaktion: Bodo Franzmann unter Mitarbeit von Manuela Badur u. Anne Laubenheimer, Baden-Baden: Nomos 1998, S. 18–20. 234. IFLA-Konferenz 1998 in Amsterdam, in: Dialog mit Bibliotheken, Jg. 10 (1998), Nr. 3, S. 39–40.
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MARTIN HOLLENDER 235. Vorwort zu: Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Innovationszentrum für Bibliotheken (IZB). Denkschrift Berlin 2000, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Jg. 48 (2001), H. 2, S. 143.
B. B.1
Stiftung Preußischer Kulturbesitz Zur Stiftung Preußischer Kulturbesitz im Allgemeinen
236. „Ich bin für mehr Sinnlichkeit!“ Klaus-Dieter Lehmann will die Stiftung Preußischer Kulturbesitz reformieren [Caroline Fetscher und Moritz Müller-Wirth im Gespräch mit Klaus-Dieter Lehmann], in: Der Tagesspiegel (Berlin), 24. Nov. 1998. 237. Gute Aussichten. [Peter Iden] im Gespräch mit Klaus-Dieter Lehmann, dem Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, in: Frankfurter Rundschau, 27. Nov. 1998, S. 11. 238. „Preußen ist vieles“ [Interview mit Klaus-Dieter Lehmann], in: Der Spiegel (Hamburg), Nr. 49, 30. Nov. 1998. 239. Am rechten Ort! [Antrittsrede Klaus-Dieter Lehmanns anläßlich seiner Einführung in das Amt des Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz am 2. Februar 1999], in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz (Berlin), Bd. XXXV (1998), S. 23–28. – U. d. T. Antrittsrede erneut in: Museumskunde (Berlin), Bd. 64, Nr. 1/1999, S. 67– 69. – U. d. T. Beständigkeit und Vergänglichkeit erneut in: Antike Welt. Zeitschrift für Archäologie und Kulturgeschichte (Mainz), Jg. 30 (1999), H. 3, S. 293–297. 240. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz im Jahr 1998, in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz (Berlin), Bd. XXXV (1998), S. 31–48. 241. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz im Jahr 1999, in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz (Berlin), Bd. XXXVI (1999), S. 11–32. 242. „Berlin muß wieder modern werden“. Heute tritt Klaus-Dieter Lehmann an die Spitze der Stiftung Preußischer Kulturbesitz [Ralph Bollmann im Gespräch mit Klaus-Dieter Lehmann], in: die tageszeitung/taz (Berlin), 2. Feb. 1999, S. 19. 243. Erbschaft dieser Insel. Die Zukunft der Stiftung Preußischer Kulturbesitz hat begonnen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 31, 6. Feb. 1999, S. 44. 244. Schlossplatz, nein danke. Stiftungs-Präsident Klaus-Dieter Lehmann über die neuen Pläne für die Berliner Museumsinsel, in: Der Tagesspiegel (Berlin), 20. Dez. 1999 [Interview].
BIBLIOGRAPHIE 245. Akropolis der Künste. Ein Zehnjahresprogramm für die Museumsinsel, in: Bau und Raum / Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (Ostfildern-Ruit). Jahrbuch 1999/2000, S. 42 u. 44. – U. d. T. Acropolis of the Arts. A Ten-Year Program for the Museum Island ebd., S. 43 u. 45. 246. Das kulturelle Ensemble des Preußischen Kulturbesitzes, in: Archiv und Geschichte. Festschrift für Friedrich P. Kahlenberg. Hrsg. von Klaus Oldenhage, Hermann Schreyer u. Wolfram Werner, Düsseldorf 2000 (= Schriften des Bundesarchivs, 57), S. 438–443. 247. Die Rückkehr der Alten Meister. Stiftungschef Klaus-Dieter Lehmann über die kostspielige Zukunft der Berliner Museumsinsel und ihren besonderen Charme [Interview von Gudrun Meyer mit Klaus-Dieter Lehmann], in: Focus, Nr. 4, 24. Jan. 2000, S. 104–108. 248. Ein Kosmos der Kulturen, in: Schätze der Weltkulturen in den Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Hrsg. von Klaus-Dieter Lehmann. Konzeption und Redaktion: Bernhard Fabian, Berlin: Nicolai 2000, S. 9–12. – U. d. T. A Cosmos of Cultures auch in der englischsprachigen Ausgabe: Cultural Treasures of the World in the Collections of the Prussian Cultural Heritage Foundation, ebd., S. 9–12. 249. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz im Jahr 2000, in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz (Berlin), Bd. XXXVII (2000), S. 13–31. 250. Die Berliner Museen als kulturelles Gedächtnis für das neue Millennium, in: Deutsche Gesellschaft für Chirurgie. Mitteilungen (Stuttgart), Jg. 29, Juli 2000, S. 118–122. 251. Grußwort, in: Masterplan Museumsinsel Berlin. Ein europäisches Projekt. Hrsg. von Andreas Lepik [Katalog anläßlich der gleichnamigen Ausstellung der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz im Neuen Museum, 23. September bis 5. November 2000], Berlin: Staatliche Museen zu Berlin 2000, S. 7. 252. „Nationale Angelegenheit“. Warum der Bund [hinsichtlich der Stiftung Preußischer Kulturbesitz] in Berlin verstärkt Flagge zeigen sollte, in: Focus, Nr. 42, 15. Okt. 2001, S. 135 [Interview]. 253. Die Berliner Museumsinsel. 100 Jahre Museumsarchitektur – 6000 Jahre Menschheitsgeschichte, Berlin: AIV [Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin] 2001. – 19 S. 254. Nichts für Entflechter. Kooperation und Konkurrenz: Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz ist ein Modell mit Zukunft, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr.
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MARTIN HOLLENDER 265, 14. Nov. 2001, S. 51. – Überarb. u. d. T. Kooperation und Konkurrenz: Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz ist ein Modell mit Zukunft erneut in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz (Berlin), Bd. XXXVIII (2001), S. 187–194. 255. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz im Jahr 2001, in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz (Berlin), Bd. XXXVIII (2001), S. 13–44. 256. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz als Beispiel kooperativen Föderalismus, in: Jahrbuch für Kulturpolitik (Essen), Bd. 2 (2001), S. 203–208. 257. Zum Jagen tragen. Klaus-Dieter Lehmann über den angekündigten Ausstieg der Länder aus der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, in: Der Tagesspiegel (Berlin), Nr. 17701, 10. März 2002, Kultur. 258. „Bedeutender als der Louvre“. Klaus-Dieter Lehmann über die Berliner Museumsinsel, in: Der Spiegel, Nr. 14, 30. März 2002, S. 14 [Interview]. 259. Die urbane Kraft der Museumsinsel, in: Die neue Museumsinsel: der Mythos, der Plan, die Vision. Hrsg. von Carola Wedel, Berlin: Nicolai 2002, S. 10–12. 260. Museumsinsel Berlin – ein kulturpolitisches Gravitationszentrum, in: trend. Zeitschrift für soziale Marktwirtschaft (Berlin), Nr. 91, II. Quartal 2002. 261. Entflechten oder bündeln? Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, in: Kulturpolitik in der Berliner Republik. Hrsg. von Hilmar Hoffmann u. Wolfgang Schneider, Köln: DuMont 2002, S. 177–186. 262. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz im Jahr 2002, in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz (Berlin), Bd. XXXIX (2002), S. 13–44. 263. Berlin wuchert zu wenig mit seinen Pfunden Wissenschaft und Kultur [Georg Gafron im Gespräch mit Klaus-Dieter Lehmann], in: B.Z. am Sonntag (Berlin), Jg. 126, Nr. 24, 15. Juni 2003, S. 12. 264. Hauptstadtkultur in einem föderalen Staat – Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz als Modell, in: Berlin – was ist uns die Hauptstadt wert? Hrsg. im Auftrag der Deutschen Nationalstiftung von Kurt Biedenkopf, Dirk Reimers u. Armin Rolfink, Opladen: Leske + Budrich 2003, S. 119–125. 265. Willkommen in der Schatzkammer! Exklusiv: Preußen-Chef Prof. Klaus-Dieter Lehmann zeigt der B.Z. die neue Museumsinsel, in: B.Z. (Berlin), Jg. 127, Nr. 151, 1. Juli 2004, S. 28.
BIBLIOGRAPHIE 266. Vorbemerkung, in: Museumsinsel Berlin. Hrsg. von Peter-Klaus Schuster und Christina Inês Steingräber, Berlin u. Köln: SMB-DuMont 2004, S. 19–21.
B.2
Einzelne Einrichtungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz Alte Nationalgalerie
267. Die Mitte Berlins zurückgewinnen [Ansprache anläßlich der Feier des Richtfestes der Alten Nationalgalerie am 4. Oktober 1999], in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz (Berlin), Bd. XXXVI (1999), S. 74–77. 268. Die Wiedergeburt der Museumsinsel [Ansprache anläßlich der Wiedereröffnung der Alten Nationalgalerie am 2. Dezember 2001], in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz (Berlin), Bd. XXXVIII (2001), S. 48–51. – Erneut in: Die neue Alte Nationalgalerie. Feierliche Wiedereröffnung am 2. Dezember 2001. Mit Reden von Klaus-Dieter Lehmann, Julian Nida-Rümelin, Klaus Wowereit, Peter-Klaus Schuster und einem Festvortrag von Werner Hofmann. Redaktion: Moritz Wullen, Köln DuMont 2002, S. [9]–[13]. Museum für Indische Kunst 269. Ein Museum indischer Kunst von Weltrang [Ansprache anläßlich der Wiedereröffnung des Museums für Indische Kunst am 20. Oktober 2000], in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz (Berlin), Bd. XXXVII (2000), S. 75–81. – Erneut in: Indo-Asiatische Zeitschrift. Mitteilungen der Gesellschaft für Indo-Asiatische Kunst (Berlin), Jg. 4/5 (2000/2001), S. 10–11. Museum für Ostasiatische Kunst 270. Ein Stern geht wieder auf! [Ansprache anlässlich der Wiedereröffnung des Museums für Ostasiatische Kunst am 13. Oktober 2000], in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz (Berlin), Bd. XXXVII (2000), S. 51–54.
C.
Würdigungen und Nachrufe
Günter Baron 271. Geleitwort, in: Planen und Gestalten. Festgabe für Günter Baron anlässlich seines Ausscheidens aus dem Amt des Ständigen Vertreters des Generaldirektors der Staatsbibliothek zu Berlin. Hrsg. von Antonius Jammers unter Mitarbeit von Martin Hollender und Ralf Breslau, Berlin: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz u. Wiesbaden: Reichert 2001 (= Beiträge aus der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, 13), S. 9–10.
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MARTIN HOLLENDER 272. Auf Günter Baron [Ansprache anläßlich der Verabschiedung von Dr. Günter Baron aus dem Amt des Ständigen Vertreters des Generaldirektors der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz in den Ruhestand am 29. Mai 2001], in: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz. Mitteilungen, N.F. 10 (2001), Nr. 1, S. 29–31. Heinz Berggruen 273. Vorwort, in: Picasso und seine Zeit. Die Sammlung Berggruen. Hrsg. von Hans Jürgen Papies, Berlin: Nicolai 42003, S. 9–10. – U. d. T. Foreword – ins Englische übertragen –, auch in der Ausgabe Picasso and his Time. The Berggruen Collection ebd., S. 9–10. Anne Buhrfeind 274. Laudatio auf die Preisträgerin des Helmut-Sontag-Preises 1992, Frau Anne Buhrfeind, in: Deutscher Bibliotheksverband. DBV-Info (Berlin), Nr. 18 (1994), S. 19 f. Heinrich Cobet 275. Bundesverdienstkreuz für Heinrich Cobet, in: Dialog mit Bibliotheken, Jg. 2 (1990), Nr. 3, S. 27–29. Wolf-Dieter Dube 276. Ein Macher mit konzeptionellem, funktionsbezogenem Denken und pragmatischem Ansatz [Ansprache anlässlich der Verabschiedung von Prof. Dr. Wolf-Dieter Dube aus dem Amt des Generaldirektors der Staatlichen Museen in den Ruhestand am 19. Juli 1999], in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz (Berlin), Bd. XXXVI (1999), S. 35–39. Hanns W. Eppelsheimer 277. Hanns W. Eppelsheimer (1890–1972). Laudatio bei der Eröffnung der Ausstellung anlässlich seines 100. Geburtstags in der Deutschen Bibliothek Frankfurt a.M., in: Dialog mit Bibliotheken, Jg. 3 (1991), Nr. 1, S. 30–32. Jürgen Hering 278. [Grußwort], in: Bibliotheken führen und entwickeln. Festschrift für Jürgen Hering zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Thomas Bürger und Ekkehard Henschke, München: Saur 2002, S. 20–21. Antonius Jammers 279. Eine gelungene Wegstrecke [Ansprache anlässlich der Verabschiedung von Dr. Antonius Jammers aus dem Amt des Generaldirektors der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz in den Ruhestand am 26. Februar 2002], in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz (Berlin), Bd. XXXIX (2002), S. 81–87.
BIBLIOGRAPHIE Franz Georg Kaltwasser 280. Zur Verabschiedung von Franz Georg Kaltwasser, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Jg. 40 (1993), H. 1, S. 110–113. Michael Klostermann 281. [Nachruf ], in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Jg. 39 (1992), H. 5, S. 373–374. Werner Knopp 282. Das Konzept des kulturellen Ensembles [Ansprache anläßlich der Verabschiedung von Prof. Dr. Werner Knopp aus dem Amt des Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in den Ruhestand am 22. Januar 1998], in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz, Bd. XXXIV (1997), S. 22–27. – Erneut in: Museumskunde (Berlin), Bd. 64, Nr. 1/1999, S. 64–66. – U. d. T. Klick in Preußens Blüte. Mit modernen Kulturtechniken zur Kunst führen: Welche Möglichkeiten bietet das Ensemble der Stiftung Preußischer Kulturbesitz? gekürzt erneut in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 20, 24. Jan. 1998, S. 37. Sieghardt von Köckritz 283. Literaturfreund [Nachruf auf Sieghardt v. Köckritz], in: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, Jg. 163, Nr. 70, 30. Aug. 1996, S. 14–15. Clemens Köttelwesch 284. Ein persönliches Wort, in: Die Hochschulbibliothek. Beiträge und Berichte, dem Direktor der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt a. M. Prof. Dr. Clemens Köttelwesch aus Anlaß seines 40jährigen Dienstjubiläums gewidmet. Hrsg. von Klaus-Dieter Lehmann und Hildegard Hüttermann, Frankfurt am Main: Klostermann 1978 (= Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie. Sonderheft, 27), S. 9–13. 285. Clemens Köttelwesch (1915–1988), in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Jg. 36 (1989), H. 1, S. 84–86. Richard Landwehrmeyer 286. Geistige Orientierung schafft Stabilität, in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz [Ansprache anläßlich der Verabschiedung von Dr. Richard Landwehrmeyer aus dem Amt des Generaldirektors der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz in den Ruhestand am 2. März 1995], in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz (Berlin), Bd. XXXII (1995), S. 77–84. – Erneut in: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz. Mitteilungen, N.F. 4 (1995), Nr. 1, S. 9–16. Heinz Lanzke 287. Der Gründer des Deutschen Musikarchivs Berlin geht. Verabschiedung von Heinz Lanzke, in: Dialog mit Bibliotheken, Jg. 10 (1998), Nr. 2, S. 43–44.
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MARTIN HOLLENDER Wulf D. von Lucius 288. Zuverlässig und kompetent: Wulf D. v. Lucius. Zum 65. Geburtstag des Verlegers, in: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, Jg. 170 (2003), Nr. 48, S. 36. Erich Marx 289. Innehalten, in: Eine Sammlung für die Nationalgalerie. Festschrift Erich Marx. Hrsg. von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und dem Verein der Freunde der Nationalgalerie. Redaktion: Heiner Bastian, München: Schirmer/Mosel 2001, S. 7. Bertold Picard 290. Verabschiedung von Dr. Bertold Picard, in: Dialog mit Bibliotheken, Jg. 10 (1998), Nr. 3, S. 59–60. Günther Pflug 291. [Zum Ausscheiden von Günther Pflug aus dem Bibliotheksdienst], in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Jg. 35 (1988), H. 2, S. 211–212. 292. [Gratulation zum 75. Geburtstag], in: Dialog mit Bibliotheken, Jg. 10 (1998), Nr. 2, S. 47. Wolfgang Rasch 293. Bekenntnis, in: Rasch-Hour – ein Lebewohl. Zur Verabschiedung von Wolfgang Rasch im Dezember 2000, Frankfurt am Main: Stiftung Buchkunst 2000, S. 108– 111. Helmut Rötzsch 294. Ansprache, in: Ansprachen anlässlich der Verabschiedung des bisherigen Generaldirektors der Deutschen Bücherei Professor Dr. Helmut Rötzsch am 10. Januar 1991 im Lesesaal der Deutschen Bücherei, Leipzig. Deutsche Bücherei 1991, S. 15–23. Gottfried Rost 295. Der Weggefährte, in: Bibliothek als Lebenselixier. Festschrift für Gottfried Rost zum 65. Geburtstag. Hrsg. von Johannes Jacobi u. Erika Tröger, Leipzig u. a.: Die Deutsche Bibliothek 1996, S. 7–8. 296. [Ansprache anläßlich der Verabschiedung von Dr. Gottfried Rost aus dem Bibliotheksdienst am 14. Nov. 1996], in: Ansprachen anläßlich der Verabschiedung von Gottfried Rost am 14. November 1996 im Großen Lesesaal der Deutschen Bücherei Leipzig, Leipzig u. a.: Die Deutsche Bibliothek 1997, S. 23–31. 297. Fachmann erster Klasse, in: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, Jg. 163, Nr. 93, 19. Nov. 1996, S. 10.
BIBLIOGRAPHIE 298. Der Unverdrossene. Zum Tod von Dr. Gottfried Rost, in: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, Jg. 167, Nr. 57, 18. Juli 2000, S. 20. Klaus G. Saur 299. Orange, in: Erste Begegnungen – gemeinsame Projekte. Klaus G. Saur zum 60. Geburtstag. Hrsg. von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des K. G. Saur Verlags, München u. Leipzig: Saur 2001, S. 106. Barbara Schneider-Kempf 300. [Ansprache], in: Reden gehalten anlässlich der feierlichen Amtseinführung von Barbara Schneider-Kempf in das Amt der Generaldirektorin der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz am 17. Februar 2004. Redaktion: Martin Hollender u. Bettina-Martine Wolter, Berlin: Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz 2004, S. 4–8. Jürgen Settgast 301. Nachruf Professor Dr. Jürgen Settgast, in: Altschülerschaft der Großen Stadtschule zu Wismar. Mitteilungsblatt der Altschülerschaft Wismar (Kiel), Bd. 101 (2004), S. 20.
D. D.1
Sonstiges Exilliteratur
302. Vorwort, in: Deutsches Exilarchiv 1933-1945. Katalog der Bücher und Broschüren. Redaktion: Mechthild Hahner, Stuttgart: Metzler 1989 (= Sonderveröffentlichungen der Deutschen Bibliothek, 16), S. VII–IX. 303. Vorwort, in: Leo Perutz 1882–1957. Eine Ausstellung der Deutschen Bibliothek, Frankfurt am Main. Ausstellung und Katalog: Hans-Harald Müller und Brita Eckert unter Mitwirkung von Werner Berthold, Wien u. Darmstadt: Zsolnay 1989 (= Sonderveröffentlichungen der Deutschen Bibliothek, 17), S. IX–XI. 304. Vorwort, in: Deutsche Intellektuelle im Exil. Ihre Akademie und „American Guild for German Cultural Freedom“. Eine Ausstellung des Deutschen Exilarchivs 1933– 1945 der Deutschen Bibliothek, Frankfurt am Main. Ausstellung und Katalog: Brita Eckert, Frank Wende, München u. a.: Saur 1993 (= Die Deutsche Bibliothek: Sonderveröffentlichungen, 18), S. V–VI. 305. Vorwort, in: Inventar zu den Nachlässen emigrierter deutschsprachiger Wissenschaftler in Archiven und Bibliotheken der Bundesrepublik Deutschland. Bearbeitet im Deutschen Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Bibliothek, Frankfurt am Main. Redaktion: Gabriele von Glasenapp u. Barbara Brunn. Band 1, München u. a.: Saur 1993 (= Die Deutsche Bibliothek: Sonderveröffentlichungen, 19), S. VII–IX.
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MARTIN HOLLENDER 306. Vorwort, in: Deutsche Literatur im Exil in den Niederlanden. Eine Ausstellung des Deutschen Exilarchivs 1933–1945 der Deutschen Bibliothek, Frankfurt am Main. Redaktion: Frank Wende, Leipzig u.a.: Die Deutsche Bibliothek 1993 (= Die Deutsche Bibliothek: Sonderveröffentlichungen, 20), S. 7–8. 307. Vorwort, in: Exil in Brasilien. Die deutschsprachige Emigration 1933–1945. Eine Ausstellung des Deutschen Exilarchivs 1933–1945 der Deutschen Bibliothek, Frankfurt am Main. Redaktion: Christine Hohnschopp unter Mitwirkung von Frank Wende, Leipzig u.a.: Die Deutsche Bibliothek 1994 (= Die Deutsche Bibliothek: Sonderveröffentlichungen, 21), S. 7–9. 308. Vorwort, in: Richard A. Bermann alias Arnold Höllriegel. Österreicher – Demokrat – Weltbürger. Eine Ausstellung des Deutschen Exilarchivs 1933–1945 der Deutschen Bibliothek, Frankfurt am Main. Begleitbuch: Hans-Harald Müller u. Brita Eckert unter Mitwirkung von Werner Berthold, München u.a.: Saur 1995 (= Die Deutsche Bibliothek: Sonderveröffentlichungen, 22), S. VII–XI. 309. Vorwort, in: Werner Berthold, Exilforschung und Exilliteratur. Ausgewählte Aufsätze, Vorträge und Rezensionen, Wiesbaden: Harrassowitz 1996 (= Gesellschaft für das Buch, 3), S. 7–10.
D.2
Zur Gestaltung des Berliner Schloßplatzes
310. Die Humboldts vereinigen. Klaus-Dieter Lehmann [im Gespräch mit Heinrich Wefing] über die Zukunft des Schlossplatzes, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 104, 5. Mai 2000, Berliner Seiten 1. 311. Idealbau der Weltkulturen. taz-Debatte zum Schlossplatz (Teil 5). Klaus-Dieter Lehmann, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, plädiert [im Gespräch mit Katrin Bettina Müller] für die Konzentration der Sammlungen auf dem MuseumsSchloß-Bezirk, in: die tageszeitung/taz (Berlin), Lokalausgabe Berlin, 22. Juni 2000, S. 22. 312. Erst das Konzept, dann die Fassade: Klaus-Dieter Lehmann, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, und Schloss-Initiator Wilhelm von Boddien im Gespräch [mit Claudia Becker u. Volker Blech] über die künftige Nutzung des Schlossplatzes. Das Volk soll nicht draußen bleiben, in: Berliner Morgenpost, Jg. 102, Nr. 184, 8. Juli 2000, S. 21. 313. Die Stadt, das Schloß und die Hoffnung auf bessere Zeiten. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz wartet auf den politischen Befreiungsschlag: Ein Interview [von
BIBLIOGRAPHIE Ilona Lehnart] mit dem Stiftungspräsidenten Klaus-Dieter Lehmann, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 89, 17. April 2002, Berliner Seiten, S. 1. 314. Nutzungskonzept für das Schloss-Areal, in: Der Schlossplatz in Berlin. Bilanz einer Debatte. Hrsg. von Hannes Swoboda, Berlin: Bostelmann & Siebenhaar 2002, S. 65– 70.
D.3
Sicherung und Förderung des kulturellen Erbes
315. Making the Transitory Permanent: The Intellectual Heritage in an Digitized World of Knowledge, in: Daedalus. Journal of the American Academy of Arts and Sciences (Cambridge, Mass.), Jg. 125 (1996), Nr. 4, S. 307-329. 316.
[„The Information Highway and Cultural Heritage“], .: , 1996, 4, . 38–46 [Proceedings of the International Conference „Libraries and modern community”].
317. Kulturelle Überlieferung sichern, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Jg. 46 (1999), H. 4, S. 311–317. 318. Labor der Kulturpolitik des 21. Jahrhunderts, in: Kultur Pur (Berlin), Sommer 1999, S. 8. 319. Den Egoismus fruchtbar machen. Der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Klaus-Dieter Lehmann, fordert eine Debatte über den Kulturföderalismus [Moritz Müller-Wirth u. Heinrich Wefing im Gespräch mit Klaus-Dieter Lehmann], in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 168, 22. Juli 2000, Berliner Seiten, S. 1. 320. Die Vorzüge der Virtualität. Das kurze Gedächtnis digitaler Medien und die kulturelle Überlieferung, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 240, 16. Okt. 2000, S. 54. – U. d. T. Das kulturelle Gedächtnis in Zeiten der Virtualität erneut in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz (Berlin), Bd. XXXVII (2000), S. 99–106. 321. Kulturelle Überlieferung und das kurze Gedächtnis der neuen Medien, in: Die Zukunft des Gewesenen. Erinnern und Vergessen an der Schwelle des neuen Millenniums. Herbert-Quandt-Stiftung der Altana AG, 13. Sinclair-Haus-Gespräch, 12.– 13. November 1999, Bad Homburg v.d. Höhe: Herbert-Quandt-Stiftung 2000. 322. Foreword, in: Rational Decision-Making in the Preservation of Cultural Property. Report of the 86. Dahlem Workshop on Rational Decision-Making in the Preserva-
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MARTIN HOLLENDER tion of Cultural Property, Berlin, March 26-31, 2000. Hrsg. von N. S. Baer u. F. Snickars, Berlin: Dahlem University Press 2001 (= Dahlem Workshop Report, 86), S. XV–XVII. 323. Infrastruktur für geisteswissenschaftliche Forschung: Kulturgut und kulturwissenschaftliche Dokumentation, in: Impulse geben – Wissen stiften. 40 Jahre VolkswagenStiftung. Redaktion: Michael Globig, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2002, S. 345–377. 324. Unser Zusammenleben ist eine kulturelle Leistung – Die Bedeutung von Sammlungen und Kulturdenkmälern, in: Wörlitzer Denkanstöße. Vorträge 1997 bis 2002: Troge, Stürmer, Hirsch, Lehmann, Brickwedde, Raabe. Eine Vortragssammlung der Gesellschaft der Freunde des Dessau-Wörlitzer Gartenreiches e.V., Dessau: Gesellschaft der Freunde des Dessau-Wörlitzer Gartenreiches 2002, S. 76–85. 325. Bürgerschaftliches Engagement für die Kultur, in: Maecenata Actuell, Nr. 40, Juni 2003 [elektronische Zeitschrift]. – Erneut in: Maecenata. Jahrbuch für Philanthropie und Zivilgesellschaft (Berlin), Jg. 1 (2003), S. 251–259. 326. Rich Cultural Heritage and its Transformation to Digital, in: Digital Resources from Cultural Institutions for Use in Teaching and Learning. A Report of the American-German Workshop. The Andrew W. Mellon Foundation / Stiftung Preußischer Kulturbesitz, München: Saur 2004, S. 11–13.
D.4
Varia
327. Verwaltung kontra Wissenschaft. Paläontologen wollen die Grube Messel erhalten, in: Bild der Wissenschaft (Stuttgart), Jg. 15, Nr. 5, Mai 1978, S. 128–135. 328. Grube Messel: Den Paläontologen bleibt eine Sammlerecke, in: Bild der Wissenschaft (Stuttgart), Jg. 21, Nr. 7, Juli 1984, S. 10–11. 329. Mein Kulturtip, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Nr. 32, 13. Aug. 1995, S. 26. 330. Kultur als Waffe, in: Ossietzky. Zweiwochenschrift für Politik, Kultur, Wirtschaft (Hannover); Jg. 3, Nr. 18, 9. Sept. 2000, S. 635–639. 331. Geleitwort, in: André Glucksmann, Berlin Photography Prize 2000 an Richard Avedon. Eine Initiative der DG Bank in Zusammenarbeit mit dem International Center of Photography, New York, und dem Projekt Deutsches Centrum für Photographie, Berlin, Frankfurt am Main: DG-Bank 2000, S. 6–7.
BIBLIOGRAPHIE 332. Zum Geleit, in: Felix-Mendelssohn-Bartholdy-Preis. Geschichte, Satzung, Wettbewerbsrichtlinien, Preisträger, Stipendiaten. Hrsg. vom Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Berlin: Stiftung Preußischer Kulturbesitz 2001, S. 7–8. 333. Kulturmanagement heute, in: Wege zum Erfolg. Zukunftsweisende Managementund Marketingmodelle im öffentlich-rechtlichen Kultur- und Medienbereich. Hrsg. von Klaus Siebenhaar u. Andreas Bersch, Berlin: Vistas-Verlg 2001, S. 27–41. 334. Preußens Wiederkehr vollzieht sich allein in der Betrachtung seiner Geschichte. Erinnerung statt falscher Namensgebung, in: Die Welt (Berlin), Jg. 52, 19. Feb. 2002, S. 28 [zu den Überlegungen, die Länder Berlin und Brandenburg nach ihrer Fusionierung mit dem Namen ‚Preußen‘ zu versehen]. 335. Lasst mich lesen! Bekenntnisse des Zeitungsstaplers Klaus-Dieter Lehmann, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, in: Die Zeit (Hamburg), Nr. 33, 8. Aug. 2002, S. 46. 336. Ein Ergebnis idealer Partnerschaft [Ansprache anlässlich der Eröffnung des Christian Daniel Rauch-Museums in Bad Arolsen am 20. Oktober 2002], in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz (Berlin), Bd. XXXIX (2002), S. 59–63. 337. Friedrichswerdersche Kirche. Ein perfekter Raum, in: Berlin. Wo es am schönsten ist. 88 Lieblingsplätze. Hrsg. von Florian Barckhausen, Berlin: Bostelmann & Siebenhaar 2003, S. 40–42. 338. Kulturelles Engagement in der Zivilgesellschaft. Festvortrag, in: Vom Steuerstaat zum Stifterengagement. Bundesverband Deutscher Stiftungen. 59. Jahrestagung des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen 14. bis 16. Mai 2003, Berlin. Hrsg. von Christoph Mecking, Berlin: Bundesverband Deutscher Stiftungen 2003, S. 380–388. 339. Verlobt für sieben Jahre. Ein Gespräch [von Jens Bisky und Ulrich Raulff ] mit Klaus-Dieter Lehmann über die Friedrich Christian Flick Collection und einen gewollten Skandal, in: Süddeutsche Zeitung, 9. Juli 2004, S. 11. 340. Kunst und Kirche [Festvortrag anläßlich des Empfangs der Kirchenleitung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg zum Reformationsfest am 31. Oktober 2003 in der Gemäldegalerie der Staatlichen Museen zu Berlin], in: Norbert Frensch. [Ausstellungskatalog] 26. Februar bis 9. April 2004, St. Matthäus-Kirche im Kulturforum. Hrsg. von Christhard-Georg Neubert, Berlin: Stiftung St. Matthäus, Kulturstiftung der Evangelischen Kirche in Berlin-Brandenburg 2004, S. 13–17. – U.d.T. Art and Ecclesias, ins Englische übertragen, ebd., S. 18–21.
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MARTIN HOLLENDER 341. 150 Jahre Verlag des Germanischen Nationalmuseums. Ansprache zur Festveranstaltung im Germanischen Nationalmuseum am 3. 12. 2003, in: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums 2004, S. 173–177. E.
Herausgebertätigkeit Monographien
342. On-line library and network systems. Symposium held at Dortmund University March 22–24, 1976. Organized by E. Edelhoff, W. Lingenberg, G. Pflug, V. Wehefritz. Edited by E. Edelhoff and K.-D. Lehmann, Frankfurt am Main: Klostermann 1977 (= Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie. Sonderheft, 23). – 167 S. [darin S. 7–8: Eckhard Edelhoff u. Klaus-Dieter Lehmann: Preface]. Besprechungen: 343–346. Hans-Albrecht Koch, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Jg. 24 (1977), H. 5, S. 468–469; Denis Pallier, in: Bulletin des Bibliothèques de France, Beilage Bulletin de documentation bibliographique, Jg. 23 (1978), Nr. 1, S. 36; Gottfried Rost, in: Zentralblatt für Bibliothekswesen, Jg. 92 (1978), H. 2, S. 105–106; Ron Miller, in: College and Research Libraries, Jg. 39 (1978), Nr. 3, S. 228–229. 347. Die Hochschulbibliothek. Beiträge und Berichte. Hrsg. von Klaus-Dieter Lehmann und Hildegard Hüttermann, Frankfurt am Main: Klostermann 1978 (= Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie. Sonderheft, 27). – 229 S. + Bildanhang. 348. Bibliotheca Publica Francofurtensis. Fünfhundert Jahre Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt am Main. Hrsg. von Klaus-Dieter Lehmann, Frankfurt: Stadtund Universitätsbibliothek. 348a. Textband (1985). – 341 S. 348b. Tafelband (1985). – 221, [60] S. 348c. Register zum Textband und zum Tafelband. Bearbeitet von Hildegard Hüttermann (1986). – 34 S. Besprechungen: 349–353. Peter Vodosek: „Zu Furderunge gemeynes Notzes“, in: Buchhandelsgeschichte, Nr. 1/1986 (Beilage zum Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, Frankfurter Ausgabe, Nr. 22 vom 18. März 1986), S. B 31–B 32; Gerhart Lohse, in: Bibliothek. Forschung und Praxis, Jg. 10 (1986), Nr. 1/2, S. 139–140; Hartwig Lohse, in: Verband der Bibliotheken des Landes Nordrhein-Westfalen e.V. Mitteilungsblatt, N.F., Jg. 36 (1986), Nr. 3, S. 267–269; Günter Gattermann, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Jg. 33 (1986), H. 4, S. 247–253; Aloys Schwersmann, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte, Jg. 36 (1986), S. 466.
BIBLIOGRAPHIE 354. The Application of Micro-Computers in Information, Documentation and Libraries. Proceedings of the Second International Conference on the Application of Micro-Computers in Information, Documentation and Libraries Baden-Baden, F.R.G., 17–21 March, 1986. Edited by Klaus-Dieter Lehmann and Hilde StrohlGoebel, Amsterdam u. a.: North-Holland 1986 (= Contemporary Topics in Information Transfer, 4). – XXI, 813 S. [darin S. V–VI: Hilde Strohl-Goebel u. Klaus-Dieter Lehmann: Editors’ Preface]. 355. Restitution von Bibliotheksgut. Runder Tisch deutscher und russischer Bibliothekare in Moskau am 11. und 12. Dezember 1992. Hrsg. von Klaus-Dieter Lehmann und Ingo Kolasa, Frankfurt am Main: Klostermann 1992 (= Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie. Sonderheft, 56). – 154 S. [darin von K.-D. Lehmann: S. 7–9 Vorwort; S. 10 Hinweise für den Leser; S. 21–28 Bibliotheken als kulturelles Bindeglied zwischen Rußland und Deutschland; S. 14–16, 28–30, 59, 68f., 80, 94f., 121–130; 132, 134f., 137, 139, 141–145, 147 Diskussionsbeiträge; S. 148 Kommuniqué des „Runden Tisches Restitution der Bibliotheksbestände und Zusammenarbeit in Europa“ (gemeinsam mit E.J. Geniewa)] [vgl. auch Nr. 133]. Besprechungen: 356–360. Horst Röhling, in: Verband der Bibliotheken des Landes Nordrhein-Westfalen e.V. Mitteilungsblatt, N.F., Jg. 43 (1993), Nr. 4, S. 472–473; Hermann Leskien, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Jg. 41 (1994), H. 1, S. 67–68; Pamela Spence Richards, in: Bibliothek. Forschung und Praxis, Jg. 18 (1994), Nr. 2, S. 264–265; Paul Kaegbein, in: Das deutsche Buch in Ostmitteleuropa. Bestände und Rezeption / Institut Nordostdeutsches Kulturwerk Lüneburg (= Nordost-Archiv; N.F., 4,1), Lüneburg 1995, S. 301–304; Maria Kühn-Ludewig: Bücherkrieg – Forschung und Praxis, in: Buchhandelsgeschichte, Nr. 1/1997 (Beilage zum Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, Nr. 24 vom 25. März 1997), S. B 28–B 37. 361. Die Trophäenkommission der Roten Armee. Eine Dokumentensammlung zur Verschleppung von Büchern aus deutschen Bibliotheken. Hrsg. von Klaus-Dieter Lehmann und Ingo Kolasa, Frankfurt am Main: Klostermann 1996 (= Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie. Sonderheft, 64). – 251 S. + Bildanhang [darin S. 7–10: K.-D. Lehmann: Einleitung]. Besprechungen: 362–373. Klaus Garber: The Trophy Commission of the Red Army, in: Spoils of war. International Newsletter / Koordinierungsstelle der Länder für die Rückführung von Kulturgütern beim Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt (Magdeburg), Nr. 3 (1996), S. 17–18; Manfred Komorowski, in: Bibliothek. Forschung und Praxis, Jg. 21 (1997), Nr. 1, S. 113–115; Werner Schochow, in: Staatsbibliothek zu Berlin –
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MARTIN HOLLENDER Preußischer Kulturbesitz. Mitteilungen, N.F. Jg. 6 (1997), Nr. 1, S. 115–118; Maria Kühn-Ludewig 1997 [wie Nr. 360]; Klaus Garber: Am Ende des Schweigens, in: Neue Zürcher Zeitung, Nr. 161, 15. Juli 1997, S. 32; Peter Kittel, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Jg. 44 (1997), H. 4, S. 435–438; Alexandr Haritonow, in: Neues Archiv für Sächsische Geschichte, Jg. 68 (1997), S. 458–460; B. van den Abeele, in: Scriptorium (Brüssel), Beilage Revue Codicologique, Jg. 52 (1998), Nr. 1, S. 122–123; Pamela Spence Richards, in: The Library Quarterly, Jg. 68 (1998), Nr. 4, S. 493; Peter Kittel, in: Mitteldeutsches Jahrbuch für Kultur und Geschichte, Bd. 6 (1999), S. 354–355; Ralf G. Päsler, in: IASL online (http://iasl.unimuenchen.de); Klaus Garber, in: Germanistik, Bd. 42 (2001), Nr. 3/4, S. 893–894. 374. Deutsche Bibliothek Frankfurt am Main. Ein Dialog zwischen Architekten und Bibliothekaren. Hrsg. von Klaus-Dieter Lehmann und Ingo Kolasa in Zusammenarbeit mit Arat-Kaiser-Kaiser. Eine Veröffentlichung der Gesellschaft für das Buch e.V., Ostfildern-Ruit: Hatje 1997. – 130 S. Besprechungen: 375–376. Barbara Schneider-Eßlinger, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Jg. 45 (1998), H. 1, S. 91–93; Dieter Schmidmaier: Ein „Bilder-Buch“, in: Buch und Bibliothek, Jg. 50 (1998), Nr. 4, S. 292. 377. Alfred Estermann: Kontextverarbeitung. Buchwissenschaftliche Studien. Hrsg. von Klaus-Dieter Lehmann und Klaus G. Saur in Verbindung mit der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt am Main, München: Saur 1998. – 486 S. [darin S. 5–6 K.-D. Lehmann u. K.G. Saur, Vorwort]. Besprechung: 378. Siegfried Seifert, in: Informationsmittel für Bibliotheken (IFB). Besprechungsdienst und Berichte, Jg. 6 (1998), Nr. 3/4, S. 361–362. 379. Schätze der Weltkulturen in den Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Hrsg. von Klaus-Dieter Lehmann. Konzeption und Redaktion: Bernhard Fabian, Berlin: Nicolai 2000. – 607 S. 379a. Als englischsprachige Ausgabe u.d.T. Cultural treasures of the World in the Collections of the Prussian Cultural Heritage Foundation ebd. – 607 S. 380. Kulturschätze – verlagert und vermisst. Eine Bestandsaufnahme der Stiftung Preußischer Kulturbesitz 60 Jahre nach Kriegsende. Hrsg. von Klaus-Dieter Lehmann und Günther Schauerte unter Mitarbeit von Uta Barbara Ullrich, Berlin: Stiftung Preußischer Kulturbesitz 2004. – 107 S.
BIBLIOGRAPHIE 380a. Als englischsprachige Ausgabe u.d.T. Cultural assets – transferred and missing. An inventory of the Prussian Cultural Heritage Foundation 60 years after the end of World War II ebd. – 107 S. 380b. Als russischsprachige Ausgabe u.d.T. Sokrovisca kul’tury – peremescennye i utracennye. Inventarizacija Fonda Prusskoe Kul’turnoe Nasledie spustja 60 let posle okoncanija vojny ebd. – 107 S. Periodika 381. Stadt- und Universitätsbibliothek / Senckenbergische Bibliothek Frankfurt a. M. Jahresbericht 1978–1987 382. Bibliographie linguistischer Literatur: BLL. Bibliographie zur allgemeinen Linguistik und zur anglistischen, germanistischen und romanistischen Linguistik = Bibliography of Linguistic Literature. Für das Sondersammelgebiet Linguistik der Stadt- und Universitätsbiblithek Frankfurt am Main hrsg. von Klaus-Dieter Lehmann Frankfurt am Main: Klostermann Jg. 4 (1978)–Jg. 12 (1986) darin: Vorworte von Klaus-Dieter Lehmann in: Jg. 3 (1977), S. V; Jg. 4 (1978), S. V– VI; Jg. 5 (1979), S. V–VI; Jg. 6 (1980), S. V–VI. 383. HZK-Dialog. Informationen für die hessische Leihregion Frankfurt am Main: Stadt- und Universitätsbibliothek / Hessischer Zentralkatalog. Verantwortlich: Klaus-Dieter Lehmann und Hildegard Hüttermann Nr. 1/1980–8/1983 384. STUB intern. Neues aus der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt am Main Nr. 1 (23. Juli 1984)–Nr. 6 (24. Okt. 1985) darin: Editorial von Klaus-Dieter Lehmann in Nr. 1 (23. Juli 1984), S. 1; Nr. 2 (10. Aug. 1984), S. 1; Nr. 4 (19. Dez. 1984), S. 1; Nr. 5 (4. Juli 1985), S. 1; Nr. 6 (24. Okt. 1985), S. 1. 385. Deutsche Bibliothek (Frankfurt am Main) / Die Deutsche Bibliothek (Leipzig, Frankfurt am Main, Berlin) Jahresbericht 1987–1998 386. Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie Frankfurt am Main: Klostermann Jg. 36 (1989), H. 1 – Jg. 46 (1999), H. 6
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MARTIN HOLLENDER 387. Dialog mit Bibliotheken Jg. 1 (1989), Nr. 1 – Jg. 11 (1999), Nr. 1 darin: Editorial von Klaus-Dieter Lehmann in: Jg. 1 (1989), Nr. 1, S. 1; Jg. 1 (1989), Nr. 2, S. 1–2; Jg. 2 (1990), Nr. 1, S. 1; Jg. 2 (1990), Nr. 2, S. 1; Jg. 2 (1990), Nr. 3, S. 1; Jg. 3 (1991), Nr. 1, S. 1; Jg. 3 (1991), Nr. 2, S. 1; Jg. 3 (1991), Nr. 3, S. 1–2; Jg. 4 (1992), Nr. 1, S. 1; Jg. 4 (1992), Nr. 2, S. 1; Jg. 4 (1992), Nr. 3, S. 1; Jg. 5 (1993), Nr. 1, S. 1; Jg. 5 (1993), Nr. 2, S. 1; Jg. 5 (1993), Nr. 3, S. 1; Jg. 6 (1994), Nr. 1, S. 1; Jg. 6 (1994), Nr. 2, S. 1–2; Jg. 6 (1994), Nr. 3, S. 1; Jg. 7 (1995), Nr. 1, S. 1–2; Jg. 7 (1995), Nr. 2, S. 1; Jg. 7 (1995), Nr. 3, S. 3; Jg. 8 (1996), Nr. 1, S. 3–4; Jg. 8 (1996), Nr. 2, S. 3; Jg. 8 (1996), Nr. 3, S. 3; Jg. 9 (1997), Nr. 1, S. 3; Jg. 9 (1997), Nr. 2, S. 3–4; Jg. 9 (1997), Nr. 3, S. 3; Jg. 10 (1998), Nr. 1, S. 3. 388. Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz Berlin: Gebr. Mann Bd. XXXV (1998). – 415 S. Bd. XXXVI (1999). – 411 S. Bd. XXXVII (2000). – 423 S. Bd. XXXVIII (2001). – 475 S. Bd. XXXIX (2002). – 470 S. F.
Rezensionen
389. Maschinengerechte Erfassung von Titelaufnahmen mit Lochstreifenschreibmaschinen, Berlin u.a.: Beuth 1972 (= Zentralstelle für Maschinelle Dokumentation. A, 23), in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Jg. 20 (1973), H. 4, S. 301. 390. Empfehlungen für den Einsatz der Datenverarbeitung in den Hochschulbibliotheken des Landes Nordrhein-Westfalen (erste Planungsgrundlagen für die Zeit bis 1980). Planungsgruppe „Bibliothekswesen im Hochschulbereich Nordrhein-Westfalen“ beim Minister für Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 1974, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Jg. 22 (1975), H. 1, S. 58–60. 391. Robert M. Hayes / Joseph Becker: Handbook of Data Processing for Librarians, Los Angeles: Melville 21974, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Jg. 22 (1975), H. 5, S. 396–398. 392. Fortschritte des EDV-Verbundes in Bibliotheken der USA (OCLC und BALLOTS). Bericht über eine Studienreise von Christine Boßmeyer, Ilse Jöstlein, Rainer Klar, Gottfried Mälzer und Klaus Sailer / Arbeitstelle für Bibliothekstechnik bei der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, München: Verlag Dokumentation 1976, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Jg. 24 (1977), H. 2, S. 119–121.
BIBLIOGRAPHIE 393. Bibliotheksverbund in Nordrhein-Westfalen. Planung und Aufbau der Gesamthochschulbibliotheken und des Hochschulbibliothekszentrums 1972–1975. Hrsg. von Klaus Barckow u. a., München: Verlag Dokumentation 1976, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Jg. 24 (1977), H. 3, S. 245–247. 394. Peter Schweigler: Einrichtung und technische Ausstattung von Bibliotheken, Wiesbaden: Reichert 1977 (= Elemente des Buch- und Bibliothekswesens, 4), in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Jg. 25 (1978), H. 3, S. 222–223. 395. OCLC. A National Library Network. Hrsg. von Anne Marie Allison u. Ann Allan, London: Mansell 1979, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Jg. 27 (1980), H. 1, S. 60–61. 396. Lorcan Dempsey: Libraries, networks and OSI. A Review with a Report on North American Developments, Bath: University Library – UK Office for Library Networking 1991, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Jg. 38 (1991), H. 5, S. 473–475. 397. Präzise und emotionslos. Eine Bestandsaufnahme zum Streit um die Beutekunst. Zu Waldemar Ritter: Kulturerbe als Beute? Die Rückführung kriegsbedingt aus Deutschland verbrachter Kulturgüter – Notwendigkeit und Chancen für die Lösung eines historischen Problems, Nürnberg: Verlag des Germanischen Nationalmuseums 1997, in: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, Jg. 164, Nr. 87, 31. Okt. 1997, S. 17 [vgl. auch Nr. 133–149]. 398. Dorothea Eimert / Eva-Maria Hanebutt-Benz: Schöpfungen in Papier. Bücher und Bilder von John Gerard, Münster: Mandragora Verlag 1997, in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Jg. 45 (1998), H. 2, S. 196–198. 399. „Nur was sich ändert, bleibt“. Das Handbuch „Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels 1825–2000“ bietet einen umfassenden Überblick über Geschichte, Branchenpolitik und Dienstleistungen des Verbands. Zu Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels 1825–2000. Ein geschichtlicher Aufriß. Hrsg. im Auftrag der Historischen Kommission von Stephan Füssel, Frankfurt am Main: Buchhändler-Vereinigung 2000, in: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, Jg. 167 (2000), Nr. 39, S. 14–15.
G.
Literatur über Klaus-Dieter Lehmann
400. Struckmeier, Dore: Kein technokratisch-kühler Buchmanager: Klaus-Dieter Lehmann neuer Direktor der Stadt- und Universitätsbibliothek, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20. Nov. 1978, S. 27.
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MARTIN HOLLENDER 401. Koßmann, Bernhard: [Klaus-Dieter Lehmann], in: Bibliotheca Publica Francofurtensis. Fünfhundert Jahre Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt am Main. Hrsg. von Klaus-Dieter Lehmann. Textband, Frankfurt: Stadt- und Universitätsbibliothek 1984, S. 275–276. 402. Frankfurter Gesichter: Klaus-Dieter Lehmann, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21. April 1984, S. 38. 403. Seibt, Gustav: Herr über vier Millionen Bücher. Klaus-Dieter Lehmann, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 122, 27. Mai 1988, S. 12. 404. Kern, Ingolf: Der Kanzler gegen die Länder. Stölzl, Lehmann oder Thies? – Wer wird neuer Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, in: Die Welt, 8. Okt. 1997, Berliner Hintergrund. 405. Wefing, Heinrich: Schwarzer Rauch über dem Berliner Konklave. Karrieredreisprung: Wer wird neuer Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14. Okt. 1997. 406. Müller, Katrin Bettina: Gesucht: Ein Wundermann, der alles kann, in: taz / die tageszeitung (Berlin), 6. Dez. 1997. 407. Jähner, Harald: Ein Mann für den Olymp. Mit der Wahl des Präsidenten für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz fällt eine Entscheidung über die kulturelle Gestalt der Berliner Republik, in: Berliner Zeitung, 9. Dez. 1997. 408. Wefing, Heinrich: Blockade-Bilderbuch. Dingend gebraucht: Ein Präsident für die Preußen-Stiftung, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 9. Dez. 1997. 409. Schulz, Bernhard: Tanker sucht Steuermann, in: Der Tagesspiegel (Berlin), 9. Dez. 1997. 410. Kannenberg, Sofia: Bund oder Länder: Kann nur einer gewinnen? Morgen wird der neue Präsident gewählt, in: Berliner Morgenpost, 10. Dez. 1997. 411. Seibt, Gustav: Templerorden, in: Berliner Zeitung, Nr. 291, 13./14. Dez. 1997, S. 9. 412. Bilke, Jörg Bernhard: Mit dem letzten Zug aus Breslau geflohen. Gespräch mit Bibliotheksdirektor Klaus-Dieter Lehmann, in: Kulturpoltische Korrespondenz (Bonn), Nr. 1027/1028, 30. Dez. 1997, S. 4–7. 413. Schulz, Bernhard: Peinlichkeiten ums hohe Amt, in: Der Tagesspiegel (Berlin), 27. Jan. 1998.
BIBLIOGRAPHIE 414. Kipphoff, Petra: Kopflos. Wir suchen einen Präsidenten, in: Die Zeit (Hamburg), 29. Jan. 1998. 415. „Die Fronten sind verhärtet“. Stölzl oder Lehmann – wird heute der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz gewählt? Kultursenator Radunski im Gespräch [mit Volker Blech und Michael Fuchs], in: Berliner Morgenpost, 18. Feb. 1998, S. 31. 416. Dönhoff, Marion Gräfin: Soviel Reichtum und kein Chef. Wer ist der geeignete Nachfolger Werner Knopps für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz?, in: Die Zeit (Hamburg), 26. Feb. 1998. 417. Görtz, Franz Josef; Pudenz, Martin (Fotos): Im Lagerhaus des Geistes. Klaus-Dieter Lehmann, in: Frankfurter Allgemeine Magazin, 9. Woche, H. 939, 27. Feb. 1998, S. 8–16. 418. Wefing, Heinrich: Stiften gehen. Klaus-Dieter Lehmann gibt auf, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 50, 28. Feb. 1998, S. 33. 419. Kannenberg, Sofia: Lehmann hat genug. SPK-Präsidentenwahl: Stölzl bleibt übrig, in: Berliner Morgenpost, 28. Feb. 1998. 420. Preußenstiftung: Lehmann gibt Kandidatur auf. Heftige Vorwürfe gegen die Bundesregierung, in: Der Tagesspiegel (Berlin), 28. Feb. 1998. 421. Seibt, Gustav: Sitzblockade, in: Berliner Zeitung, 28. Feb. 1998. 422. Lehmanns Gründe. Die Verzichtserklärung im Wortlaut, in: Berliner Zeitung, 28. Feb. 1998. 423. Fuchs, Michael: Wütendes Wort. Preußischer Kulturbesitz, in: Berliner Morgenpost, 28. Feb. 1998. 424. V.A.: Rücke vor bis zur Wahl!, in: Süddeutsche Zeitung, 28. Februar 1998. 425. wfg. [= Heinrich Wefing]: Enttäuscht, erleichert. Reaktionen auf Lehmanns Rückzieher, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2. März 1998. 426. Herold, Thea: Ein Präsident fehlt noch immer – und mehr denn je. Nach dem vierten vergeblichen Versuch, einen neuen Chef für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz zu finden, in: Stuttgarter Zeitung, 12. März 1998.
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MARTIN HOLLENDER 427. Kannenberg, Sofia: Supertanker ohne Käpt’n. Der Streit um die Führung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz gerät zur Polit-Farce – zum Schaden der Stiftung und eines fähigen Kandidaten, in: Berliner Morgenpost, 12. März 1998. 428. Schirrmacher, Frank: Preußens Abgang, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16. März 1998, S. 1. 429. Güntner, Joachim: Eine Farce. Oben ohne: Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, in: Neue Zürcher Zeitung, 7. April 1998. 430. Fetscher, Caroline: Stratege mit Weitsicht. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz sucht einen neuen Präsidenten. Wird Klaus-Dieter Lehmann, Generaldirektor der Deutschen Bibliothek, nun mächtigster Mann in der deutschen Kulturverwaltung, in: Der Tagesspiegel (Berlin), Nr. 16490, So., 18. Okt. 1998, S. 3. 431. Klare Linie. Klaus-Dieter Lehmann will nun doch SPK-Präsident werden [Sofia Kannenberg im Gespräch mit Klaus-Dieter Lehmann], in: Berliner Morgenpost, 24. Okt. 1998. 432. Bollmann, Ralph: Der Kulturtanker bewegt sich doch. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz agiert in Berlin derzeit ohne Präsidenten. Klaus-Dieter Lehmann, Chef der Deutschen Bibliothek in Frankfurt und Leipzig, gilt nun als bester Kandidat, die west-östliche Aufgabe zu lösen, in: die tageszeitung/taz (Berlin), 29. Okt. 1998. 433. „Ich rede nie von Problemen, sondern nur von Aufgaben“. Am Montag steht in Berlin die Wahl des neuen Chefs der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, der größten Kulturinstitution Deutschlands, an. Der Frankfurter Direktor der Deutschen Bibliothek, Klaus-Dieter Lehmann, ist der Kandidat. Gabriele Nicol sprach mit ihm, in: Frankfurter Neue Presse, 21. Nov. 1998, S. 1. 434. Schulz, Bernhard: Die Preußen-Stiftung und ihr Präsident, in: Der Tagesspiegel (Berlin), 23. Nov. 1998, S. 1. 435. Bollmann, Ralph: Das Warten hat sich gelohnt. Michael Naumann lässt wählen: Nach fast einjährigem Gezerre bekommt die größte kulturelle Einrichtung Deutschlands heute wieder einen Präsidenten, in: die tageszeitung/taz (Berlin), 23. Nov. 1998. 436. Möller, Johann Michael: Ein neuer Kopf für Preußens Kultur. Nach einjährigem Interregnum wird heute die Wahl Klaus-Dieter Lehmanns zum Stiftungspräsidenten erwartet, in: Die Welt, Lokalausgabe Berlin, 23. Nov. 1998. 437. Jähner, Harald: Vom Mond nach Berlin, in: Berliner Zeitung, 23. Nov. 1998, S. 1.
BIBLIOGRAPHIE 438. Bollmann, Ralph: Neuer Steuermann für die „Galaxie der Kultur“. Der künftige Präsident Klaus-Dieter Lehmann will den Preußischen Kulturbesitz modernisieren, in: die tageszeitung/taz (Berlin), 23. Nov. 1998, S. 2. 439. Raulff, Ulrich: Galaktiker. Stiftungspräsident Lehmann, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 273, 24. Nov. 1998, S. 41. 440. Schulz, Bernhard: Aufbruch ins Internet. Lehmanns neue Pläne, in: Der Tagesspiegel (Berlin), Nr. 16527, Di., 24. Nov. 1998. 441. Jähner, Harald: Preußische Dienstleistung. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz hat wieder einen Präsidenten, in: Berliner Zeitung, 24. Nov. 1998. 442. Mies, Joachim: Europa soll wieder staunend auf die Museumsinsel blicken. Politische Lähmung nach einem Jahr überwunden: Klaus-Dieter Lehmann tritt an die Spitze der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, in: Rheinische Post (Düsseldorf ), 24. Nov. 1998. 443. Halbig, Heinrich: Das Glück der zweiten Chance. Neuer Präsident. Lehmann leitet Preußischen Kulturbesitz, in: Kölner Stadt-Anzeiger, 24. Nov. 1998. 444. Seewald, Berthold: Stunde des Bibliothekars, in: Die Welt, Lokalausgabe Berlin, 25. Nov. 1998. 445. Pietrzok, Marion: Bewegung in den Schatzkammern. Preußischer Kulturbesitz, in: Neues Deutschland (Berlin), 26. Nov. 1998. 446. Heine, Matthias; Kern, Ingolf: Niemals an die Leser denken. Der neue Präsident der Preußen-Stiftung muß die Staatsbibliothek reformieren, in: Die Welt, Lokalausgabe Berlin, 26. Nov. 1998. 447. Glombitza, Birgit: Die Kultur-Dampflok, in: Die Woche (Hamburg), 27. Nov. 1998. 448. Bienert, Michael: Hin zum Flottenverband. Klaus-Dieter Lehmann, der neue Chef der Preußen-Stiftung, in: Stuttgarter Zeitung, 27. Nov. 1998 [Michael Bienert im Gespräch mit Klaus-Dieter Lehmann]. 449. Iden, Peter: Gute Aussichten. Im Gespräch mit Klaus-Dieter Lehmann, dem Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, in: Frankfurter Rundschau, 27. Nov. 1998, S. 11.
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MARTIN HOLLENDER 450. Möller, Johann Michael: Manager für einen Kulturkonzern. Mit Klaus-Dieter Lehmann hat die Preußen-Stiftung wieder einen Präsidenten, in: Die Welt, Lokalausgabe Berlin, 28. Nov. 1998. 451. Schülke, Claudia: Mit Büchern zum Olymp. Preußischer Kulturbesitz / Klaus-Dieter Lehmann, der neue Präsident, in: Rheinischer Merkur (Bonn), 4. Dez. 1998. 452. Heute fällt die Entscheidung über die Staatsbibliothek. Mit dem Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Klaus-Dieter Lehmann, sprach Johann Michael Möller, in: Die Welt, 17. Dez. 1998. 453. „Ich hab’ noch einen Koffer in Frankfurt“. Wulf-Dietrich von Lucius im Gespräch mit Klaus-Dieter Lehmann, in: Dialog mit Bibliotheken, Jg. 11 (1999), Nr. 1, S. 5–13. 454. Caspar, Helmut: Neuer Präsident der Stiftung, in: Berlinische Monatsschrift (Berlin), Jg. 8, H. 1, Jan. 1999, S. 62–64. 455. Wegener, Ernst: Aufbruch zum nächsten Kraftakt. Klaus-Dieter Lehmann zieht nach Berlin / Wahl des Nachfolgers voraussichtlich Donnerstag, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 20, 25. Jan. 1999, S. 58. 456. Clewing, Ulrich: Kapitän für den Supertanker. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz hat endlich einen neuen Präsidenten. Klaus Dieter Lehmann tritt jetzt sein Amt an und will die größte Kulturinstitution der Republik auf die Höhe der Zeit bringen, in: zitty (Berlin), Nr. 3/1999, S. 24–25. 457. Schneller sein als Bus und Bahn. Klaus-Dieter Lehmann hat sich als neuer Präsident der Preußen-Stiftung viel vorgenommen, in: Berliner Zeitung, 2. Feb. 1999 [Michael Mönninger und Gustav Seibt im Gespräch mit Klaus-Dieter Lehmann]. 458. Wefing, Heinrich: Preußens Reformer, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3. Feb. 1999. 459. Müller-Wirth, Moritz: Von der kulturellen Ökonomie. An symbolischem Ort: Die Einführung des Präsidenten der Preußenstiftung, Klaus-Dieter Lehmann, in: Der Tagesspiegel (Berlin), 3. Feb. 1999. 460. Möl [Johann Michael Möller]: Preußens Erbe soll die kulturpolitische Klammer bilden. Der neue Stiftungspräsident Klaus-Dieter Lehmann unterstreicht die Verantwortung von Bund und Ländern, in: Die Welt, 3. Feb. 1999. 461. MM: Spaßfaktor. Die Pläne Klaus-Dieter Lehmanns in Berlin, in: Frankfurter Rundschau, 17. Feb. 1999.
BIBLIOGRAPHIE 462. Seewald, Berthold: Lob des Pragmatismus, in: Die Welt, 17. Feb. 1999. 463. mmw: Geben und Nehmen. Erweitern, entlasten: SPK-Präsident Lehmann kündigt Reformen an, in: Der Tagespiegel (Berlin), 17. Feb. 1999. 464. Bienert, Michael: Der neue Präsident der Preußenstiftung macht Dampf, in: Stuttgarter Zeitung, 18. Feb. 1999. 465. Preußens Ehrenretter. Mag keine Hierarchien: Klaus-Dieter Lehmann, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, wird heute 60, in: Berliner Morgenpost, Di., 29. Feb. 2000, S. 17 [Claudia Becker und Volker Blech im Gespräch mit Klaus-Dieter Lehmann]. 466. Wefing, Heinrich: Preußens Sammlungen kräftig durchpusten. Er liefert den nötigen Wind, wo andere gegen Mühlen angerannt sind: Klaus-Dieter Lehmann zum sechzigsten Geburtstag, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 50, Di., 29. Feb. 2000, S. 53. 467. Schwab, Waltraud: Sich sonnen im Anderssein. Exklusiv: Klaus-Dieter Lehmann feiert seinen 15. Geburtstag, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 50, 29. Feb. 2000, Berliner Seiten, S. 1. 468. Lucius, Wulf D. von: Diplomat. Prof. Klaus-Dieter Lehmann zum 60. Geburtstag, in: Börsenblatt für den deutschen Buchhandel, Nr. 17, 29. Feb. 2000, S. 31–32. 469. Wegener, Ernst: Auf den Spuren preußischer Kultur. Wiedersehen mit: Klaus-Dieter Lehmann, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 10, 12. Jan. 2001, S. 64. 470. Schirrmacher, Annegret: Was macht …? Ständig auf der Suche nach Sponsoren. Klaus-Dieter Lehmann hat sich in Berlin bestens eingelebt und pflegt die Frankfurter Schule, in: Frankfurter Rundschau, 10. Aug. 2001, S. 24. 471. Baumann, Sabine: [Interview mit Klaus-Dieter Lehmann], in: Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Jg. 49 (2002), H. 3, S. 171–174. 472. CW [Carola Wedel]: Der Präsident. Klaus-Dieter Lehmann: Der Diplomat, in: Die neue Museumsinsel: der Mythos, der Plan, die Vision. Hrsg. von Carola Wedel, Berlin: Nicolai 2002, S. 72–73. 473. Michel, Sascha: Über die Verantwortung für Kultur. Klaus-Dieter Lehmann, Direktor der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, setzt sich in Frankfurt für eine Bildungsoffensive ein, in: Frankfurter Rundschau, 11. Feb. 2004, S. 20.
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MARTIN HOLLENDER 474. Effelsberg, Hannelore: Late Night in der Deutschen Bücherei Leipzig, in: Dialog mit Bibliotheken, Jg. 16 (2004), Nr. 2, S. 52–53 [zur ‚Enthüllung‘ des Lehmann-Porträts von Helmut Newton in der Deutschen Bücherei am 25. März 2004].
KURZBIOGRAPHIEN
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KURZBIOGRAPHIEN DER AUTORINNEN UND AUTOREN
Prof. h.c. Dr. e.h. Heinz BERGGRUEN 1936 Emigration in die USA. 1949–1980 Leitung der Galerie Berggruen in Paris mit Schwerpunkt auf der Kunst der Klassischen Moderne. 1996 Eröffnung der Sammlung Berggruen in Berlin. Im Dezember 2000 Übereignung von 165 Werken von Matisse, Picasso, Giacometti, Klee und anderen an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz. – Zahlreiche Ehrungen wie z. B. 2000 Ernennung zum Commandeur der Französischen Ehrenlegion, 1993 Ernennung zum Doctor of Humane Letters der Adelphi University im Staate New York, 1997 Verleihung einer Ehrenprofessur des Berliner Senates. 2004 Großes Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland sowie Ehrenbürgerschaft der Stadt Berlin. Prof. Dr. W. Michael BLUMENTHAL 1954 bis 1957 Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Princeton University; 1957 bis 1996 in der amerikanischen Privatwirtschaft. 1961 bis 1967 Berater der Präsidenten Kennedy und Johnson im Außenministerium der USA; 1977 bis 1979 Finanzminister der USA. Seit 1997 Direktor des Jüdischen Museums Berlin. David CHIPPERFIELD Architekt in London und Berlin. Beauftragt mit dem Wiederaufbau des Neuen Museums auf der Berliner Museumsinsel und dem Bau eines neuen, zentralen Eingangsgebäudes. Prof. Dr. h.c. mult. Karl DEDECIUS Essayist, Lyriker und Übersetzer. Initiator und erster Direktor des 1979 gegründeten Deutschen Polen-Institutes in Darmstadt. 1990 Auszeichnung mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Ehrendoktorwürde der Universitäten Köln, Lodz, Thorn, Krakau und Breslau. Dr. Regine DEHNEL 1998 bis 2004 Mitarbeiterin bei der Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste in Magdeburg; seit 2004 Projektverantwortliche für das Zweite Hannoversche Symposium Jüdischer Buchbesitz als Raubgut im Mai 2005.
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KURZBIOGRAPHIEN
Prof. Dr. Hartmut DORGERLOH Seit 2002 Generaldirektor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten BerlinBrandenburg in Potsdam. Dr. Knut DORN 1962/63 Library Internship Yale University Library; ab 1964 verantwortlich für den Bibliotheksservice bei Otto Harrassowitz Exportbuchhandlung und Verlag; seit 1972 geschäftsführender Gesellschafter der Otto Harrassowitz KG in Wiesbaden. Mitglied im Export- und Bibliotheksausschuss des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels von 1974 bis 1982; seit 1983 Mitglied des Beirats der Deutschen Bibliothek. Dr. Wim van DRIMMELEN Generaldirektor der Koninklijke Bibliotheek. Nationale bibliotheek van Nederland in Den Haag. Dr. Thomas ERTELT Direktor des Staatlichen Instituts für Musikforschung – Preußischer Kulturbesitz in Berlin. Prof. Dr. Dr. h.c. Bernhard FABIAN em. Professor der Englischen Philologie und Buchwissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Corresponding Fellow of the British Academy. 1976 bis 1984 Mitglied des Bibliotheksausschusses der Deutschen Forschungsgemeinschaft; Gründungsvorsitzender der Gesellschaft für das Buch. Dr. Thomas FLIERL Senator für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Berlin; stellv. Vorsitzender des Stiftungsrates der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Wolfgang FRÜHWALD 1970 bis 2003 Professor für Neuere Deutsche Literaturgeschichte an den Universitäten Trier-Kaiserslautern und München. Von 1982 bis 1987 Vorsitzender des Bibliotheksausschusses des Wissenschaftsrates.1994 bis 1999 und wieder seit 2003 Mitglied der Jury für den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. 1992 bis 1997 Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Seit 1999 Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung.
KURZBIOGRAPHIEN
Prof. Dr. Günter GATTERMANN 1961 bis 1970 Direktor der Universitätsbibliothek Clausthal; 1970 bis 1994 Direktor der Universitätsbibliothek Düsseldorf; 1995/96 kommissarischer Generaldirektor der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden. 1976 bis 1981 Mitglied des Bibliotheksausschusses der Deutschen Forschungsgemeinschaft, 1976 bis 1992 Mitglied von dessen Unterausschuss für Datenverarbeitung (1976 bis 1982 als Vorsitzender). Prof. Dr. Hans-Peter GEH 1970 bis 1997 Direktor der Württembergischen Landesbibliothek in Stuttgart; bis 1980 auch Leiter der dortigen Bibliotheksschule. 1985 bis 1991 Präsident der International Federation of Library Associations and Institutions (IFLA); 1991 bis 1995 Präsident der European Foundation for Library Cooperation (EFLC). 1970 Berufung zum UNESCO-Berater; seit 2001 Mitglied des Board of Trustees und des Committee for Finance, Administration and Personnel der Bibliotheca Alexandrina in Alexandria. Dr. h.c. Gordon GRAHAM Herausgeber der Fachzeitschrift für Verleger Logos; vormals Chairman of the Board des Londoner Verlages Butterworth und des Verlages Bowker in New York. Prof. Dr. Esko HÄKLI 1976 bis 2001 Direktor der Universitätsbibliothek Helsinki / Die finnische Nationalbibliothek, von 1990 bis 1998 Vizepräsident bzw. Präsident von LIBER. Von 1993 bis 2001 Mitglied des CoBRA Forums der Conference of European National Librarians. Dr. Harald HECKMANN 1971 bis 1991 Vorstand des Deutschen Rundfunkarchivs in Frankfurt am Main und in dieser Eigenschaft von 1982 bis 1994 Vorsitzender des Beirats für das Deutsche Musikarchiv in Berlin. Ehrenpräsident der Association Internationale des Bibliothèques Musicales (AIBM) und des Répertoire International Des Sources Musicales (RISM). Prof. Jürgen HERING 1974 bis 1996 Direktor der Universitätsbibliothek Stuttgart; 1997 bis 2003 Generaldirektor der Sächsischen Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden. 1979 bis 1983 Vorsitzender des Vereins Deutscher Bibliothekare (VDB); 1989 bis 1992 Vorsitzender des Deutschen Bibliotheksverbandes (DBV). 1992 bis
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KURZBIOGRAPHIEN
1996 Mitglied der deutsch-russischen Expertengruppe ‚Bibliotheken‘ der gemeinsamen Regierungskommission zur gegenseitigen Rückführung von Kulturgütern; 1993 bis 2003 Mitglied der Bibliothekskommission des Beirats der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Dr. Martin HOLLENDER Referent der Generaldirektorin der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz; Redakteur der Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie. Dr. Gottfried HONNEFELDER 1974 bis 1996 tätig für die Verlage Suhrkamp und Insel in Frankfurt am Main. Mitgesellschafter des von ihm nach 1981 aufgebauten Deutschen Klassiker Verlags. Seit 1997 Leiter des DuMont Literatur und Kunst Verlags in Köln. Ehrenamtliche Tätigkeit für den Börsenverein des Deutschen Buchhandels. Dr. Franz Georg KALTWASSER 1954 bis 1992 Mitarbeiter der Bayerischen Staatsbibliothek in München; von 1958 bis 1961 abgeordnet als Leiter der Landesbibliothek Coburg. 1972 bis 1992 Direktor der Bayerischen Staatsbibliothek. Mitglied der Bibliothekskommission des Beirats der Stiftung Preußischer Kulturbesitz von 1972 bis 1992, dessen Vorsitzender von 1982 bis 1992. Prof. Dr. Jürgen KLOOSTERHUIS Seit 1996 Direktor des Geheimen Staatsarchivs – Preußischer Kulturbesitz in Berlin. Lehrbeauftragter an der Freien Universität Berlin und der Fachhochschule Potsdam; Mitglied bzw. Vorstandsmitglied mehrerer Historischer Kommissionen. Vittorio E. KLOSTERMANN Seit 1977 geschäftsführender Gesellschafter des Verlags Vittorio Klostermann in Frankfurt am Main. Von 1998 bis 2001 Mitglied des Vorstands des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels; seit 1999 im Verwaltungsrat der Deutschen Bibliothek. Verleger der Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie. Dr. Ingo KOLASA 1989 Stellv. Generaldirektor der Deutschen Staatsbibliothek; 1992 Baureferent für das Haus Unter den Linden der Staatsbibliothek zu Berlin; 1993 bis 1998 Die Deutsche Bibliothek als Baureferent und zuständig für Restitutionsfragen. Seit 1998 Direktor des Deutschen Musikarchivs in Berlin. Seit 1993 Mitglied der deutsch-russischen Expertengruppe ‚Bibliotheken‘ der gemeinsamen Regierungskommission zur gegenseitigen Rückführung von Kulturgütern.
KURZBIOGRAPHIEN
Willem R. H. KOOPS 1964 bis 1990 Direktor der Bibliothek der Rijksuniversiteit Groningen; 1969 bis 1976 Schriftführer der IFLA Section of National and University Libraries; 1977 bis 1986 Vorsitzender des Steering Committee, später des Advisory Committee des IFLA International Programme for UAP (Universal Availability of Publications); 1985 bis 1990 Mitglied der IFLA/GELC Working Group of European Librarians and Publishers; 1969–1990 Mitbegründer und Vorstandsmitglied der Stiftung Bibliotheksautomatisierung PICA; 1989–1991 Berater für die Einführung des PICA-Systems in Deutschland (Niedersachsen/Sachsen-Anhalt und Die Deutsche Bibliothek); 1979–1995 Vorstandsvorsitzender des Niederländischen Literaturmuseums und -archivs. Dr. Wilhelm KRULL Generalsekretär der VolkswagenStiftung in Hannover. Mitglied mehrerer Beratungs- und Aufsichtsgremien deutscher und internationaler Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Dr. Norbert LAMMERT Mitglied des Bundestages seit 1980. 1989 bis 1998 Parlamentarischer Staatssekretär in drei verschiedenen Bundesministerien. 1998 bis 2002 kultur- und medienpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion; seit 2003 Vorsitzender des Gesprächskreises Kultur der CDU Deutschland. Mitglied des Goethe-Instituts. Seit 2002 Vizepräsident des Deutschen Bundestages. Dr. Brian LANG 1991 bis 2000 Chief Executive und Deputy Chairman der British Library in London; seit 2001 Principal und Vice-Chancellor der University of St Andrews, Schottland. Dr. Hermann LESKIEN 1992–2004 (General-)Direktor der Bayerischen Staatsbibliothek in München. Mitglied in zahlreichen bibliothekarischen Gremien, u. a. im Beirat Der Deutschen Bibliothek sowie in der Bibliothekskommission des Beirats der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, deren Vorsitzender von 1999 bis 2003. Mitherausgeber der Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie; Mitverfasser des Gutachtens zur Zukunft der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz. Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Jutta LIMBACH 1989 bis 1994 Senatorin für Justiz des Landes Berlin; 1994 bis 2002 Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts; seit 2002 Präsidentin des Goethe Instituts.
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Dr. Wulf D. von LUCIUS Geschäftsführer der v. Lucius & v. Lucius Verlagsgesellschaft mbH in Stuttgart. Seit 1981 Mitglied des Verwaltungsrates der Deutschen Bibliothek, des Vorstandes der Stiftung Buchkunst und der Maximilian-Gesellschaft. Vorsitzender der Württembergischen Bibliotheksgesellschaft. Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Reimar LÜST Professor für Physik an der Universität Hamburg. 1969 bis 1972 Vorsitzender des Wissenschaftsrats; 1972 bis 1984 Präsident der Max-Planck-Gesellschaft; 1984 bis 1990 Director General der European Space Agency (ESA); 1989 bis 1999 Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung; 1999 bis 2004 Chairman des Board of Governors der International University Bremen (IUB); 1990 bis 2004 Mitglied des Goethe-Instituts. Dr. Günther MAIHOLD 1999 bis 2004 Direktor des Ibero-Amerikanischen Instituts – Preußischer Kulturbesitz; seit 2004 stellv. Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Prof. Dr. Werner MEISSNER Professor für Volkswirtschaftslehre an der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main. 1980 bis 1985 Mitglied des Senats- und Bewilligungsausschusses für die Sonderforschungsbereiche der Deutschen Forschungsgemeinschaft. 1992 bis 1994 Wissenschaftlicher Leiter des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts des Deutschen Gewerkschaftsbundes (WSI) in Düsseldorf. 1994 bis 2000 Präsident der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Vorsitzender des Hochschulrats der Hochschule für Gestaltung in Offenbach am Main. Seit 2004 Präsident der Privaten Hochschule für Internationales Management in Bad Homburg. Prof. HG MERZ Architekt in Stuttgart und Berlin. Verantwortlich für die Neugestaltung der Alten Nationalgalerie; beauftragt mit dem Neubau des Lesesaals und der Grundinstandsetzung der Staatsbibliothek zu Berlin, Haus Unter den Linden. Prof. Dr. Jürgen MLYNEK Seit 2000 Präsident der Humboldt-Universität zu Berlin.
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Prof. Dr. Michael NAUMANN 1998 bis 2001 Beauftragter der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien und in dieser Eigenschaft Vorsitzender des Stiftungsrates der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Seit 2001 Herausgeber der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit. June NEWTON Fotografin in Monte Carlo. Dr. Elisabeth NIGGEMANN 1994 bis 1999 Direktorin der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf; seit 1999 Generaldirektorin Der Deutschen Bibliothek in Leipzig, Frankfurt am Main und Berlin. Vorsitzende des Beirats und der Bibliothekskommission des Beirats der Stiftung Preußischer Kulturbesitz; Mitglied des Kuratoriums der Kulturstiftung der Länder sowie des Board of Trustees von OCLC. Prof. Dr. Günther PFLUG 1963 bis 1974 Direktor der Universitätsbibliothek Bochum; 1975–1976 Hochschulbibliothekszentrum Köln; 1976 bis 1988 Generaldirektor der Deutschen Bibliothek und in dieser Funktion Vorgänger Klaus-Dieter Lehmanns. – 1976 bis 1988 Vizepräsident der IFLA und der Deutschen UNESCO-Kommission; Mitglied des Advisory Committee der Hebräischen Nationalbibliothek. Ehrenmitglied der Gesellschaft für deutsche Sprache und des Arbeitskreises selbständiger Kulturinstitute; Honorary Fellow der Library Association; Honorarprofessor für Philosophie an den Universitäten Bochum und Frankfurt am Main. Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Paul RAABE 1958 bis 1968 Direktor der Bibliothek des Deutschen Literaturarchivs in Marbach a.N., 1968 bis 1992 Direktor der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel; 1992 bis 2000 Direktor der Franckeschen Stiftungen zu Halle an der Saale. 1991 bis 2001 Mitglied des Stiftungsrats der Stiftung Weimarer Klassik. Prof. Dr. Peter RAUE Rechtsanwalt in Berlin; Gründer der Berliner Sozietät Raue-Braeuer-Kuhla, Berliner Senior-Partner der Sozität Hogan & Hartson Raue. Lehrbeauftragter der Freien Universität Berlin (Urheberrecht), Mitbegründer und seitdem Vorsitzender des Vereins der Freunde der Nationalgalerie.
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Petra ROTH Seit 1995 Oberbürgermeisterin der Stadt Frankfurt am Main; seit 1997 Vizepräsidentin, Amtierende Präsidentin bzw. Präsidentin des Deutschen Städtetages. Dr. Hermann RUDOLPH Geschäftsführender Herausgeber der Berliner Tageszeitung Der Tagesspiegel. Dr. Günther RÜHLE 1960 bis 1974 Feuilletonredakteur und Theaterkritiker der Frankfurter Allgemeinen Zeitung; 1974 bis 1985 Leiter des Feuilletons der FAZ. Von 1985 bis 1990 Intendant Schauspiel Frankfurt, von 1991 bis 1994 beim Berliner Tagesspiegel als Berater und Leiter des Feuilletons, seither freier Publizist in Bad Soden. Herausgeber der Gesammelten Werke von Marieluise Fleißer und Alfred Kerr und Verfasser zahlreicher theatergeschichtlicher Werke. Ehrenpräsident der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste. Dr. Georg RUPPELT 1987 bis 2002 stellv. Direktor der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel; seit 2002 Direktor der Niedersächsischen Landesbibliothek in Hannover. Vorstandsvorsitzender der Stiftung Lesen; Sprecher von Bibliothek & Information Deutschland. Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheks- und Informationsverbände; Mitglied der Deutschen UNESCO-Kommission. Christoph SATTLER Architekt in Berlin. Das Büro Hilmer & Sattler und Albrecht war bzw. ist für die Stiftung Preußischer Kulturbesitz bei folgenden Projekten tätig: Neubau der Gemäldegalerie, Umbau des westlichen Stülerbaus zur Sammlung Berggruen, Masterplan Museumsinsel und Grundinstandsetzung Altes Museum. Weitere in Berlin ausgeführte Projekte sind der Masterplan für den Potsdamer Platz und das Beisheim-Center am Potsdamer Platz. Senator e.h. Prof. Dr. h.c. mult. Klaus Gerhard SAUR Verleger (Verlage Dokumentation, K.G. Saur in München und – seit 2005 als geschäftsführender Gesellschafter – de Gruyter in Berlin). 1988–2001 Stellvertretender Vorsitzender bzw. Vorsitzender des Beirates Der Deutschen Bibliothek; Honorarprofessor an der Humboldt-Universität zu Berlin und der University of Glasgow; Vorsitzender der Historischen Kommission des Deutschen Buchhandels; Mitglied im Präsidium des Goethe-Instituts.
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Prof. Dr. Günther SCHAUERTE Stellvertretender Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz Dr. habil. Andreas SCHLÜTER Generalsekretär des Stifterverbandes der Deutschen Wissenschaft Barbara SCHNEIDER-KEMPF Generaldirektorin der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz. Dr. Henning SCHULTE-NOELLE Aufsichtsratsvorsitzender der Allianz AG. Prof. Dr. Peter-Klaus SCHUSTER Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz und Direktor der Nationalgalerie. Prof. Dr. Oswald SCHWEMMER Seit 1993 Inhaber des Lehrstuhls für Philosophische Anthropologie und Kulturphilosophie am Institut für Philosophie der Humboldt-Universität zu Berlin, seit 2002 dekan der Philosophischen Fakultät I der Humboldt-Universität zu Berlin. Dr. h.c. Georg SIEBECK Seit 1976 Leiter, seit 1983 Inhaber des Mohr Siebeck Verlages in Tübingen, seit 2001 Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlicher Verleger. Dr. Magda STREBL 1983 bis 1993 Generaldirektorin der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien. Mag. Heinz TESAR Architekt in Wien und Berlin. Mitglied der Planungsgruppe Museumsinsel Berlin; beauftragt mit der Grundinstandsetzung und der Gestaltung der permanenten Ausstellung des Bode-Museums. Prof. Dr.-Ing. e.h. Oswald Mathias UNGERS Architekt in Köln. Mitglied der Planungsgruppe Museumsinsel Berlin; beauftragt mit der Vorplanung für die Grundinstandsetzung und Ergänzung des Pergamonmuseums.
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Ruth WAGNER Seit 1995 Landesvorsitzende der hessischen FDP. 1999 bis 2003 stell. Ministerpräsidentin des Landes Hessen und zugleich Ministerin für Wissenschaft und Kultur. Von 1987 bis 1991 und seit 2003 Vizepräsidentin des Hessischen Landtages. Dr. Heinrich WEFING Leiter des Berliner Feuilletons der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Dr. Christina WEISS 1991 bis 2001 Kultursenatorin der Freien und Hansestadt Hamburg. Seit 2002 als Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien Staatsministerin beim Bundeskanzler. Vorsitzende des Stiftungsrates der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Prof. Dr. Karin von WELCK 1990 bis 1998 Direktorin des Reiss-Museums der Stadt Mannheim; 1994 Ernennung zur Honorarprofessorin an der Universität Mannheim; 1998 bis 2004 Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder. Seit 2004 Kultursenatorin der Freien und Hansestadt Hamburg. Mitglied im Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentages, im Universitätsrat der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, im Stiftungsrat der Kulturstiftung der Länder und im Kuratorium der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel. Professor Dr. Dr. h.c. mult. Christoph WOLFF Seit 1976 Ordinarius für Musikwissenschaft an der Harvard University (1991–92 kommissarischer Direktor der University Libary) und seit 2001 zugleich Direktor der Stiftung Bach-Archiv Leipzig. Klaus WOWEREIT Regierender Bürgermeister von Berlin.