Wissenschaft mit Zukunft: Band 19. Wissenschaft mit Zukunft. Die "alte" Kölner Universität im Kontext der europäischen Universitätsgeschichte 9783412504977, 9783412503635


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Wissenschaft mit Zukunft: Band 19. Wissenschaft mit Zukunft. Die "alte" Kölner Universität im Kontext der europäischen Universitätsgeschichte
 9783412504977, 9783412503635

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Studien zur Geschichte der Universität zu Köln Herausgegeben vom Rektor der Universität zu Köln

Band 19

Andreas Speer · Andreas Berger (Hg.)

Wissenschaft mit Zukunft Die ‚alte‘ Kölner Universität im Kontext der europäischen Universitätsgeschichte

2016 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung, Köln.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: Großes Siegel der Universität Köln, Original Abdruck. © Rheinisches Bildarchiv Köln: 1997, rba_c012641.

© 2016 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: Malte und Franziska Heidemann, Berlin Gesamtherstellung: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-412-50363-5

Inhalt Geleitwort  ......................................................................................................  Einleitung  . . ..................................................................................................... 

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Zur Kölner Universität Rudolf Schieffer

Kölner Wissenschaft 1388 und Jahrhunderte davor ....................................  17 William J. Courtenay

From Studia to University. Cologne in the Fourteenth Century  ..............  33 Manfred Groten

Nimis magnum et preciosum iocale?  ..........................................................  51 Peter Walter

Kölner Theologen und ihre Theologie im Mittelalter  ................................  67 Institutionengeschichte und Lebenswelten Frank Rexroth

Wahr oder nützlich? Epistemische Ordnung und institutionelle Praxis an den Universitäten des 13. und 14. Jahrhunderts  .. ...................................  87 Rainer Christoph Schwinges

Ordnung, Ämter und Karrieren: Die mittelalterlich-vormoderne Universität als soziale und kulturelle Institution  .. ......................................  115 Hedwig Röckelein

Studentinnen im Mittelalter? – Diskontinuitäten europäischer Universitäten  . . ...........................................  137 Marian Füssel

Studentenkultur in der Frühen Neuzeit. Praktiken – Lebensstile – Konflikte  . . ...........................................................  173

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Inhalt

Wissenschaftsgeschichte Jacques Verger

From the Artes to the Humanities  . . .............................................................  205 Helmut G. Walther

Die Rechte – eine Karrierewissenschaft?  ....................................................  221 Maarten J. F. M. Hoenen

Scholastik und Humanismus  .......................................................................  255 Olaf Breidbach

Zur Logik der Forschung um 1500. Über die Entstehung der experimentellen Naturwissenschaften im Kontext der Medizin .. .......  315 Sonia Horn

„… reineres Licht über die Wissenschaften im Erzstifte zu Köln …“ Medizin, Gesundheitswesen und Aufklärung an der Maxischen Akademie in Bonn und der medizinisch-chirurgischen Josephsakademie in Wien  ............................................................................  335 Gegenwartsbezüge Martin Kintzinger

Natio academia. Internationalität als Herausforderung der Wissenschaft zwischen Mittelalter und Moderne  ...............................  375 Ulrich Teichler

Bologna – ein normaler Schritt der Studienreform oder ein unerwarteter Systemwechsel?  .......................................................  397 Thorsten Nybom

European Universities: Another Somewhat Lamenting – yet Basically Hopeful – Account  ..................................................................  431 Autoren- und Herausgeberverzeichnis  .......................................................  445 Index nominum  . . ...........................................................................................  449

Geleitwort Der vorliegende Band zur Kölner Universitätsgeschichte geht zurück auf eine wissenschaft­liche Tagung aus Anlass des 625-jährigen Jubiläums der Gründung der „alten“ Kölner Universität im Jahre 1388. Dies ist zweifellos eines der kleineren Jubiläen, das im Vergleich mit dem 1988 gefeierten 600sten Universitätsjubiläum ledig­lich ein Vierteljahrhundert umfasst. Wir haben uns seinerzeit dennoch entschieden, auch ­dieses kleine Jubiläum zu feiern – vor allem mit einer wissenschaft­lichen Tagung, deren Ergebnisse nun in Form ­dieses Bandes vorliegen. Der Band belegt, dass es eine gute Entscheidung war. Ein weiteres Motiv, sich der Geschichte der Kölner Universität von der Gründung bis zu ihrer Schließung durch Napoleon im Jahre 1798 zu versichern, ist das bevorstehende hundertjährige Jubiläum der Wiedereröffnung der Universität zu Köln im Jahre 1919. Diese Wiedereröffnung nach 120 Jahren erfolgte unmittelbar nach dem ersten Weltkrieg auf Initiative des damaligen Kölner Oberbürgermeisters Konrad Adenauer, der d ­ ieses Amt auch nach dem zweiten Weltkrieg noch einmal für kurze Zeit innehatte, bevor er schließ­lich erster Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland wurde. Die Geschichte der „neuen“ Kölner Universität umfasst mithin das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte, aber auch den Neubeginn nach dem zweiten Weltkrieg und die Entwicklung der Universität zu Köln zu einer der größten deutschen Universitäten mit rund 50.000 Studierenden, die sich zudem seit 2012 zu den deutschen Exzellenzuniversitäten zählen darf. Es ist stets von Nutzen, sich der eigenen Geschichte zu versichern, wenn man die Herausforderungen der Gegenwart meistern will. Die Geschichte ist ein Archiv von erfahrungsbasiertem Wissen, von Ideen und Handlungsdispositiven, das uns die Kontinuitäten und Diskontinuitäten, die Brüche und Wiederaufnahmen, an denen die Kölner Universitätsgeschichte durchaus reich ist, besser verstehen lässt. Oftmals liegt der Gewinn mehr in der Distanznahme und in der Kontrastierung als in der unmittelbaren Anknüpfung. Im Fall der Universität täte es gut, sich des mittelalter­lichen Ursprungs der Universitätsidee als „universitas magistrorum et scholarium“ zu erinnern, die geprägt war von der gemeinsamen wissenschaft­ lichen Neugierde der Professoren und Studenten gepaart mit dem Bestreben, für die eigenen Angelegenheiten selbst die Verantwortung zu übernehmen. Zu dieser aktuellen Erinnerung leistet der vorliegende Band, der die historische Analyse mit einem Blick auf die gegenwärtigen Herausforderungen verbindet, einen wichtigen Beitrag. Die Universität zu Köln ist zudem erfreut,

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Geleitwort

dass mit ­diesem Band rechtzeitig zum hundertjährigen Jubiläum der „neuen“ Kölner Universität die Reihe der Studien zur Geschichte der Universität zu Köln – im neuen Design – wieder Fahrt aufnimmt. Denn noch bleibt vieles zu erforschen, was die Kölner Universitätsgeschichte anbelangt. Dieser Band gibt hierzu einen wertvollen Anstoß. So gilt mein besonderer Dank den Herausgebern, die auch seinerzeit die Tagung veranstaltet haben, ferner dem Böhlau-­Verlag für die bewährte Zusammenarbeit sowie der Fritz Thyssen Stiftung, die sowohl die Tagung wie die Drucklegung des Tagungsbandes großzügig unterstützt hat. Köln, im Oktober 2015

Axel Freimuth Rektor der Universität zu Köln

Einleitung Die Universität hat einen sprechenden Namen, der auf das verweist, was sie der Sache nach ist: die universitas magistrorum et scholarium. Das wird gerade heute mitunter vergessen. Im Zuge der schleichenden oder intendierten Verrecht­lichung und Ökonomisierung aller Gesellschaftsbereiche, die wir gegenwärtig erleben, wird das Verhältnis von Lehrenden und Studierenden nach dem inadäquaten Modell von Dienstleister und Dienstleistungsnehmer gedeutet. Die Idee, daß Studierende und Lehrende sich treffen causa studii, also aus bloßem Interesse an einer gemeinsamen Sache, an einer Frage oder einem wissenschaft­lichen Problem, scheint einem solchen Denken gänz­lich abwegig zu sein. Und doch scheint genau ­dieses intrin­sische Interesse an gemeinsamen Fragen und Problemen, an der Sache der Wissenschaft, das Gründungsmotiv für diese mittelalter­liche Wissenszunft gewesen zu sein, die als Selbstorganisa­tion der Lehrenden und Lernenden die Keimzelle der modernen euro­päischen Hochschulen geworden ist. Spuren des mittelalter­ lichen Selbstverständnisses der universitas finden sich auch nach Reforma­ tion, Aufklärung, humboldtscher Reform und Bolognaprozeß in der heutigen Hochschulpolitik gerade im Alltagsleben von Professoren, Dozenten und Studenten – sofern diese es wollen. Eine Gelegenheit, über diese Fragen aus wissenschaft­licher Perspektive nachzudenken, bot eine interna­tionale Fachtagung, zu der die Universität zu Köln vom 23. bis 26. Oktober 2013 anläss­lich ihres 625-jährigen Bestehens seit Gründung der universitas studii sanctae civitatis coloniensis im Jahre 1388 unter dem Thema „Zurück in die Zukunft? Die ‚alte‘ Kölner Universität im Kontext der euro­päischen Universitätsgeschichte“ eingeladen hatte. Ziel der Tagung war die Einordnung der „alten“ Kölner Universität in die maßgeb­ lichen Entwicklungen der euro­päischen Universitäts- und Wissenschafts­ geschichte von der Gründung bis zur Schließung im Jahre 1798. Hierbei galt das Augenmerk gleichermaßen den allgemeinen euro­päischen Entwicklungen wie den Kölner Besonderheiten, den universitären Netzwerken wie den unterschied­lichen Akteuren – also nicht nur den Professoren, sondern auch den Studenten und den städtischen Akteuren –, den intellektuellen Flucht­ linien und politischen Konflikten, die das Universitätsleben tangieren. Denn die Universität war zu allen Zeiten auch ein Katalysator solcher intellektueller und sozia­ler Auseinandersetzungen und Entwicklungen. Auf diese Weise sollten Impulse für die Erforschung der Kölner Universitätsgeschichte

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Einleitung

gesetzt werden 1, jedoch unter Berücksichtigung der na­tionalen und interna­ tionalen Universitätsforschung, die sich in den letzten Jahren zunehmend mit gesamteuro­päischen Fragestellungen 2 in Weiterentwicklung von und Ergänzung zu klas­sischen Problemkomplexen beschäftigt, wie etwa Universitätsgründungen 3, der Sozia­lgeschichte der Universität und der im universitären Kontext lebenden und arbeitenden Menschen 4 sowie der Verbindung von Stadt und Universität 5. * Nun steht die Geschichte der Universität zu Köln durchaus quer zum üb­lichen Standardnarrativ von der humboldtschen Reformidee deutscher Universitäten. Denn als Wilhelm von Humboldt 1809 als Geheimer Staatsrat und Direktor für Kultus und Unterricht seine Reformagenda in Preußen in Gang setzte, war die alte Kölner Universität durch Napoleon im Jahre 1798 bereits geschlossen worden, und es war die Preußische Zentralregierung, die eine Wiedereröffnung der Kölner Universität wiederholt ablehnte. Diese Wiedereröffnung gelang erst unter den veränderten Bedingungen nach dem ersten Weltkrieg der Kölner Stadtregierung unter dem damaligen Oberbürgermeister Konrad

1 Die neueren Beiträge sind allesamt anläss­lich des 600jährigen Jubiläums der Universität 1988/1989 erschienen: Vgl. etwa Erich Meuthen, Kölner Universitätsgeschichte. Band 1: Die alte Universität, Köln 1988; Albert Zimmermann (Hg.), Die Kölner Universität im Mittelalter. Geistige Wurzeln und s­ ozia­le Wirk­lichkeit (Miscellanea Mediaevalia 20), Berlin 1989 oder Karl-­Heinrich Hansmeyer / Friedrich-­Wilhelm Henning (Hgg.), 600 Jahre Kölner Universität 1388 – 1988. Reden und Berichte zur Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Universität, Köln 1989. Ferner muß die magistrale Studie von Götz-­Rüdiger Tewes: Die Bursen der Kölner Artisten-­Fakultät bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts (Studien zur Geschichte der Universität zu Köln 13), Köln 1993, genannt werden. 2 Etwa im jüngsten magnum opus der Disziplin, der vierbändigen, von Walter Rüegg herausgegebenen Geschichte der Universität in Europa, München 1993 – 2010. 3 Vgl. etwa Frank Rexroth, Deutsche Universitätsstiftungen von Prag bis Köln. Die Inten­ tionen und die Wege und Chancen ihrer Verwirk­lichung im spätmittelalter­lichen deutschen Territorialstaat, Köln 1992. 4 Diese Forschungen vor allem der Achtziger und Neunziger Jahre werden zusammengefasst und für die Zukunft aufgestellt von Rainer Christoph Schwinges, Studenten und Gelehrte. Studien zur Sozia­l- und Kulturgeschichte deutscher Universitäten im Mittelalter, Leiden 2008. 5 Vgl. Heinz Duchhardt (Hg.), Stadt und Universität, Köln u. a. 1993.

Einleitung

Adenauer im Jahre 1919. Doch auch diese Neueröffnung der Kölner Universität erfolgt nicht im humboldtschen Geist, sondern war getragen durch die Idee einer Reformuniversität 6. Diese Kölner Bürgerinitiative zugunsten der Universität konnte auf eine gute Tradi­tion zurückblicken. Denn auch die Gründung der „alten“ Kölner Universität im Jahre 1388 ging von den Bürgern und vom Rat der Stadt Köln aus – einer der damals größten euro­päischen Städte. Sie wurde besiegelt durch die auf den 21. März 1388 ausgestellte Gründungsurkunde, nachdem Papst Urban VI. dem Gesuch des Kölner Stadtrates stattgegeben hatte 7. Die Universität zu Köln ist also weder eine bischöf­liche noch eine fürst­liche Gründung, sondern eine Bürgeruniversität. Als Vorbild diente die korporative universitas magistrorum et scholarium, so wie sie sich nach dem Modell der Schwureinung in Bologna, Paris und anderen Städten seit Ende des 12. Jahrhunderts herausgebildet hatte. Hierbei waren die Universitäten der institu­tionelle Träger einer wissenschaft­ lichen Revolu­tion, um mit Thomas S. Kuhn zu sprechen 8, die – nicht zuletzt unter dem Einfluß des Kulturkontaktes zu der weit fortgeschrittenen arabischen Wissenschaftskultur – zu einem Wechsel hin zum Paradigma des aristote­lischen Wissenschaftsverständnisses führte, das bis in die Neuzeit hinein eines der wissenschaftstheoretischen Leitparadigmen bildete. Damit war zugleich ein Diskursstil wissenschaft­licher Argumenta­tion verbunden, der in seiner disputativen Brillanz ein Modell auch für gegenwärtige wissenschaft­liche Debatten darstellt 9. Diese Wissenschaftsidee hat nicht zuletzt Albertus Magnus mit nach Köln gebracht, als er im Jahre 1248 zusammen mit seinem damaligen Schüler Thomas von Aquin von Paris nach Köln kam, um dort das Generalstudium der Dominikaner aufzubauen, das als ein Vorläufer der Universität zu Köln angesehen wird 10. Durch die studia der Orden war Köln in der Tat schon vor der

6 Vgl. Erich Meuthen, Kleine Kölner Universitätsgeschichte, Köln 1998, 30 – 32. 7 Siehe Meuthen, Kölner Universitätsgeschichte (wie Anm. 1), 56 – 58. 8 Thomas S. Kuhn, Die Struktur wissenschaft­licher Revolu­tionen. Frankfurt a. M. 1967 (2. Aufl. 1976). Ders., Die Entstehung des Neuen: Studien zur Struktur der Wissenschaftsgeschichte. Frankfurt a. M. 1978. 9 Siehe hierzu Ludger Honnefelder (Hg.), Albertus Magnus und der Ursprung der Universitätsidee. Die Begegnung der Wissenschaftskulturen im 13. Jahrhundert und die Entdeckung des Konzepts der Bildung durch Wissenschaft. Berlin 2001. Ferner Josef Koch, Artikel „Scholastik“, in RGG Bd. 5 (3. Aufl.) 1494 – 1498. 10 Hierzu Meuthen, Kölner Universitätsgeschichte (wie Anm. 1), 42 – 48; siehe ferner den Beitrag von Rudolf Schieffer in ­diesem Band, S. 17 – 32.

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Einleitung

Universitätsgründung in den euro­päischen Wissenschaftsdiskurs eingebunden. Mit der Gründung im Jahre 1388 tritt die Universität zu Köln sogleich auf die euro­päische Bühne. Denn nachdem die Stadt Köln noch im gleichen Jahr, näm­ lich am 22. Dezember, ihrer neuen Universität weitreichende Zusagen gegeben hatte, nahm die universitas studii sanctae civitatis coloniensis am 6. Januar 1389 den Vorlesungsbetrieb auf – und das sogleich mit einer beeindruckenden Zahl von weit über 700 Immatrikula­tionen, während andere Universitäten Mühe mit ihren Einschreibezahlen hatten 11. Anders näm­lich als viele der euro­päischen Universitäten war die Kölner Universität von Anfang an eine Volluniversität mit vier Fakultäten, die das gesamte Wissenschaftsspektrum der damaligen Zeit abdeckten. * Der nunmehr vorliegende Tagungsband führt die vielfältigen Diskussionen der Jubiläumstagung weiter und möchte auf diese Weise einen Beitrag zur neueren Universitätsgeschichtsforschung leisten. Er gliedert sich in einen Forschungskontext ein, der im deutschsprachigen Raum in den letzten Jahren vor allem durch auf wechselnde Schwerpunktthemen fokussierte Periodika – genannt sei etwa das Jahrbuch für Universitätsgeschichte 12 – sowie durch Sammelbände und Reihen mit klarem regionalen Schwerpunkt bestimmt wurde 13; zudem sind in den letzten Jahren einige einführende Übersichtswerke erschienen 14. Insbesondere enthält der Band einige Beiträge, die sich spezifisch mit der Geschichte der Kölner Universität auseinandersetzen – ein Forschungsbereich, zu dem seit fast 10 Jahren nicht mehr aktuell 15 und seit fast 30 Jahren nicht mehr umfassend 16 publiziert worden ist. Diese Beiträge stehen aber im Zusammenhang der Untersuchung der Entwicklung der euro­päischen Institu­tion „Universität“ in Mittelalter, Neuzeit und Gegenwart; die alte Kölner Universität dient hierbei

11 Meuthen, Kölner Universitätsgeschichte (wie Anm. 1), 31 und 77 – 81. 12 Zuletzt erschienen ist der 16. Band für das Jahr 2013. 13 Vgl. etwa die Reihen zur Heidelberger oder Göttinger Universitätsgeschichte. 14 Hans-­Albrecht Koch, Die Universität. Geschichte einer euro­päischen Institu­tion, Darmstadt 2008 sowie Wolfgang Eric Weber, Geschichte der euro­päischen Universität, Stuttgart 2002. 15 Der letzte Band der Reihe „Studien zur Geschichte der Kölner Universität“ erschien 2007. 16 Die letzten Sammelbände zur Gesamtgeschichte der Universität erschienen Ende der 1980er Jahre, vgl. oben Anm. 1.

Einleitung

als ein Fallbeispiel. Der Tagungsband steht somit konzep­tionell in der Tradi­ tion der monumentalen, mehrbändigen „Geschichte der Universität in Europa“17 und betrachtet die Entwicklung der euro­päischen Universität als Ganzes und unter Berücksichtigung neuester Entwicklungen und Forschungsergebnisse mit einem klar wissenschafts- und institu­tionengeschicht­lichen Fokus. Damit hebt sich der hier vorgestellte Sammelband auch von dem kulturhistorischen Schwerpunkt jüngerer Publika­tionen zur Universitätsgeschichte ab 18. Die insgesamt 16 Beiträge des Bandes sind vier thematischen Blöcken zugeordnet. Am Anfang stehen Beiträge zur „alten“ Kölner Universität von Rudolf Schieffer, William J. Courtenay, Manfred Groten und Peter Walter. Diese Aufsätze behandeln die Ursprungsgeschichte und Konstitu­tion der alten Kölner Universität als Bürgeruniversität und Nachfolgeinstitu­tion der Studia vor allem der Medikantenorden. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf dem Fach, das für die alte Kölner Universität und ihren interna­tionalen Einfluß prägend war: die Theologie. Der zweite thematische Abschnitt widmet sich der Geschichte der Universität als Institu­tion und ihren Lebenswelten. Die Beiträge von Frank Rexroth, Rainer Christoph Schwinges, Hedwig Röckelein und Marian Füssel beleuchten dabei zentrale Aspekte der sozia­len Einrichtung „Universität“: wissenschaft­liche Arbeitspraxis, Ämter- und Karrierewirtschaft, studentisches Leben und speziell die Formen und Mög­lichkeiten der akademischen Ausbildung von Frauen. Zu ­diesem Abschnitt gehören im Grunde auch die online veröffent­lichten Beiträge des wissenschaft­lichen Kolloquiums zur Sozia­l- und Kulturgeschichte des euro­ päischen Studenten vom Mittelalter bis zur Gegenwart unter dem Stichwort „universitas scholarium“, das der Tagung vorausging und sich vorwiegend an Nachwuchswissenschaftler aus den Bereichen der Kultur-, Sozia­l- und Wissenschaftsgeschichte richtete. Gegenstand des Kolloquiums war die Frage nach den Studenten als Akteuren der Geschichte der euro­päischen Universität 19.

17 Vgl. oben Anm. 2. 18 Vgl. etwa den Band von Barbara Krug-­Richter / Ruth-­E. Mohrmann (Hgg.), Frühneuzeit­ liche Universitätskulturen. Kulturhistorische Perspektiven auf die Universitäten in Europa, Köln 2007. 19 Studentengeschichte z­ wischen Mittelalter und Neuzeit, Berger, Andreas; Speer, Andreas (Hg.); historicum.net – Geschichtswissenschaften im Internet e. V., 2015; online: http:// www.historicum-­estudies.net/epublished/studentengeschichte/. Ein besonderer Dank gilt in ­diesem Zusammenhang Herrn Kollegen Marian Füssel für die fach­liche Unterstützung und die Leitung des Kolloquiums.

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Einleitung

Den Schwerpunkt des dritten Themenbereichs bildet die Wissenschaftsgeschichte, die institu­tionell und diskurstechnisch eng mit der Universitätsgeschichte verwoben ist. Die einzelnen Beiträge beschäftigen sich mit den Disziplinen der mittelalter­lichen und neuzeit­lichen Universität: mit den freien Künsten (Jacques Verger), mit der scholastischen und humanistischen Theologie anhand des einflußreichsten theolo­gischen Lehrbuchs (Maarten J. F. M. Hoenen), mit den Rechten (Helmut G. Walther) sowie mit den Anfängen der experimentellen Naturwissenschaft (Olaf Breidbach) und dem Einfluß der Aufklärung auf die Medizin (Sonia Horn). Der abschließende vierte Abschnitt stellt eine Verbindung z­ wischen der Diskussion der mittelalter­lichen und neuzeit­lichen Geschichte der euro­päischen Universitäten und den Realitäten und Herausforderungen der Gegenwart her. Denn das Interesse an der Geschichte ist ja nie bloß antiquarischer Natur. Wir erforschen die Vergangenheit stets auch in der Absicht, um unsere Gegenwart besser zu verstehen – eine Gegenwart, in der wieder einige der Tugenden der „alten“ Universität zum Tragen zu kommen scheinen in dem Versuch von Professoren, Dozenten und Studierenden gemeinsam eine ganze Palette von Problemen zu lösen: angefangen von den Studierendenzahlen über die Bolognareform mit ihren bürokratischen Tücken, die beständigen Studienreformen, die zunehmende Ökonomisierung aller universitären Lebensbereiche. Man könnte von einem „mental habit“ oder von einer kollektiven Habitualität sprechen – früher hätte man vielleicht emphatisch vom Geist der Universität gesprochen, der noch lebendig ist. In den Beiträgen von Martin Kintzinger und Ulrich Teichler sowie dem bilanzierenden Essay von Thorsten Nybom werden die Stichworte Interna­tionalität und Mobilität sowie Studienreform und Paradigmenwechsel angesprochen und in einen historischen Kontext gesetzt; schließ­lich wird ein Ausblick auf die Zukunft der Universität als genuin euro­päische Institu­tion gewagt – ganz im Sinne unseres Obertitels, den wir ­diesem Band nun nicht mehr in Form einer Frage, sondern affirmativ vorangestellt haben. * Wie bereits eingangs erwähnt, geht dieser Band auf einen besonderen Anlass zurück: auf eine interna­tionale Fachtagung anläss­lich des 625-jährigen Jubiläums der Gründung der „universitas studii sanctae civitatis coloniensis“ im Jahre 1388. Wir haben, wie der Rektor der Universität zu Köln Prof. Dr. Axel Freimuth in seinem Geleitwort schreibt, ­dieses „kleine“ Jubiläum auch mit

Einleitung

dem Ausblick auf das bevorstehende hundertjährige Jubiläum der Wiedereröffnung der Universität zu Köln im Jahre 1919 gefeiert. An dieser Stelle danken wir der Kölner Hochschulleitung für die Unterstützung seitens der Universität bei der Vorbereitung und Durchführung der Tagung. Herz­lich gedankt sei auch allen Dezernaten und Dienststellen der Universität zu Köln sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterinnen des Thomas-­Instituts für die vielfältige Unterstützung. Gleich ein doppelter Dank gilt der Fritz Thyssen Stiftung, die sowohl die interna­tionale Fachtagung wie auch die Drucklegung des vorliegenden Bandes großzügig gefördert hat. Ein ganz besonderer Dank jedoch gilt den Autoren ­dieses Bandes, die für den wissenschaft­lichen Ertrag ­dieses Bandes verantwort­lich zeichnen und auf diese Weise die lebhaften Diskussionen der Tagung fortführen. In ­diesem Zusammenhang gedenken wir besonders Olaf Breidbach (*8. November 1957 – †22. Juli 2014), dessen Präsenz auf der Tagung noch in lebendiger Erinnerung ist. Der Philosoph, Neurobiologe und Wissenschaftshistoriker war seit 1995 Inhaber des Lehrstuhls für Geschichte der Naturwissenschaften an der Universität Jena und Direktor des Instituts für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik – Ernst-­Haeckel-­ Haus der Friedrich-­Schiller-­Universität Jena. Seit 2004 war er Mitglied der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina e. V. – Na­tionale Akademie der Wissenschaften. Unser Dank gilt Frau Dr. Carlies Maria Raddatz-­ Breidbach, die uns den Beitrag aus dem Nachlaß von Olaf Breidbach zur Verfügung gestellt hat. Der vorliegende Band erscheint in den Studien zur Geschichte der Universität zu Köln – in bewehrter Qualität, aber in einem neuen Design. Herz­lich gedankt sei dem Böhlau-­Verlag und namentlich Frau Dorothee Rheker-Wunsch, Frau Julia Beenken sowie Frau Franziska Creutzburg für die hervorragende verlegerische Betreuung. Ein besonderer Dank gilt ferner Herrn David M ­ etternich für die sorgfältige Erstellung des Index nominum. Köln, im Oktober 2015

Andreas Speer Andreas Berger

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Zur Kölner Universität Rudolf Schieffer

Kölner Wissenschaft 1388 und Jahrhunderte davor 1 Angelpunkt des halbrunden Jubiläums, das die 1919 wiederbegründete Universität zu Köln 2013 begehen kann,2 ist das (im Original erhaltene) Privileg, worin Papst Urban VI. am 21. Mai 1388, also vor 625 Jahren, in Perugia „den R ­ atsherren, Schöffen, Bürgern und der Gemeinde der Stadt Köln“ das Recht verbriefte, ein studium generale nach dem Muster des studium Parisiense einzurichten, das „nicht allein dieser Stadt, sondern auch den Bewohnern der umliegenden Gegenden“ zugute kommen sollte.3 Im allgemein gehaltenen Einleitungsteil der Urkunde fehlt der Hinweis auf die schöne Lage der Stadt, die gesunde Luft, die ausreichenden Nahrungsmittel oder die Friedfertigkeit der Bürger, wovon man in anderen päpst­lichen Gründungsurkunden für spätmittelalter­liche Universi­ täten lesen kann.4 Dafür aber wird Köln, abweichend vom üb­lichen Formular

1 Öffent­licher Abendvortrag am 24. Oktober 2013. Die Redeform ist beibehalten. 2 Grundlegende Literatur: Erich Meuthen, Die alte Universität (Kölner Universitätsgeschichte 1), Köln, Wien 1988, Frank Rexroth, Deutsche Universitätsstiftungen von Prag bis Köln. Die Inten­tionen des Stifters und die Wege und Chancen ihrer Verwirk­lichung im spätmittelalter­lichen deutschen Territorialstaat (Beihefte zum Archiv für Kultur­ geschichte 34), Köln, Weimar, Wien 1992, S. 227 – 268, Wilhelm Janssen, Das Erzbistum Köln im späten Mittelalter 1191 – 1515, Zweiter Teil (Geschichte des Erzbistums Köln 2/2), Köln 2003, S. 523 – 541, zuletzt Heinz Finger, Wissenschaft und Gelehrsamkeit in Köln vor der Gründung der Universität, in: Glanz und Größe des Mittelalters. Kölner Meister­werke aus den großen Sammlungen der Welt, hg. v. Dagmar Täube, Miriam Verena Fleck (Ausstellungskatalog Schnütgen-­Museum), München 2011, S. 200 – 211. 3 Text und Übersetzung: 600 Jahre Kölner Universität. Älteste Stadtuniversität Nordwesteuropas (Ausstellungskatalog), Köln 1988, S. 13 – 15 (von Manfred Groten); vgl. Anna Dorothee von den Brincken, „In Supreme Dignitatis“. Zur Gründungsurkunde Papst Urbans VI. für die Universität Köln vom 21. Mai 1388, in: Geschichte in Köln 23 (1988), S. 9 – 36, Rexroth (wie Anm. 2), S. 237 – 240. 4 Vgl. Peter Classen, Studium und Gesellschaft im Mittelalter, hg. v. Johannes Fried (Schriften der Monumenta Germaniae Historica 29), Stuttgart 1983, S. 186 f., Meuthen (wie Anm. 2), S. 59.

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Rudolf Schieffer

solcher Bullen,5 ausdrück­lich zu den Orten gerechnet, „die dafür bekannt sind, zur Vermehrung der Samen der Lehre und zum Hervorbringen heilsamer Triebe geeignet und taug­lich zu sein (que ad multiplicanda doctrine semina et germina salutaria producenda apta et ydonea dinoscuntur)“. Offenkundig war dem Papst und seiner Kanzlei bewusst und haben die Kölner Abgesandten, die das Privileg erwirkten, ihnen verdeut­licht, dass es in Köln nicht um den Beginn höheren wissenschaft­lichen Strebens gehen konnte, sondern um dessen Überführung in eine andere, offenere Form der Institu­tionalisierung, die dann bis 1798 unter mancherlei Wandel Bestand haben sollte. Dieser Befund lädt dazu ein, den Blick auf die Jahrhunderte davor zu richten mit der Frage, inwiefern sich Köln längst schon in der Welt der Wissenschaft einen Namen gemacht hatte, bevor es zur förm­lichen Gründung der Universität kam. Erst vor ­diesem Hintergrund wird sich in einem zweiten Schritt abschätzen lassen, was sich eigent­lich durch den Akt von 1388 geändert hat. Schon die Tatsache, dass die Stadt Köln ihrer heutigen Universität die Adresse „Albertus-­Magnus-­Platz“ gegeben hat und vor dem Hauptgebäude seit Jahrzehnten die von Gerhard Marcks geschaffene Sitzstatue ­dieses 1280 verstorbenen Gelehrten steht,6 zeugt von einem Tradi­tionsbewusstsein, das mehr als ein volles Jahrhundert über die Gründung von 1388 zurückreicht. Die Reminiszenz bezieht sich auf das Generalstudium, das die rasch über ganz Lateineuropa verbreiteten, schon seit 1221 auch an der Kölner Stolkgasse ansässigen Dominikaner 7 1246/48 hier eingerichtet haben. Die bis dahin einzige Hochschule des Ordens in Paris erschien angesichts des zahlreichen Nachwuchses von intellektuellem Format nicht länger ausreichend, weshalb gleichzeitig weitere Generalstudien außer in Köln auch in Bologna, Montpellier und Oxford ins Leben gerufen wurden, um die überört­liche wissenschaft­liche Vorbereitung auf die spezifischen Aufgaben im Predigerorden zu gewährleisten.8 Während an den übrigen genannten Orten

5 Vgl. Rexroth (wie Anm. 2), S. 237 f. 6 Vgl. Heinz Ladendorf, Gerhard Marcks, Albertus Magnus 1955 (Werkmonographien zur bildenden Kunst 79), Stuttgart 1962. 7 Vgl. Gabriel M. Löhr, Beiträge zur Geschichte des Kölner Dominikanerklosters im Mittel­alter, Teil 1: Darstellung (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikaner­ordens in Deutschland 15), Leipzig 1920, S. 1 – 5, zuletzt Helmut Gaßen, Die Anfänge der Dominikaner und Minoriten in Köln, in: Analecta Coloniensia 10/11 (2010/11), S. 81 – 130, hier S. 101 – 115. 8 Vgl. Gabriel M. Löhr, Die Kölner Dominikanerschule vom 14. bis zum 16. Jahrhundert. Mit einer Übersicht über ihre Gesamtentwicklung, Köln 1948, Meuthen (wie Anm. 2), S.  42 – 48.

Kölner Wissenschaft 1388 und Jahrhunderte davor 

wie schon in Paris angesehene Universitäten bestanden, zu denen die neuen dominikanischen Generalstudien in enge Wechselbeziehung treten konnten, war Köln im noch völlig universitätslosen Deutschland ohne einen derartigen Anknüpfungspunkt und muss um anderer Standortvorteile willen ausgewählt worden sein, wozu man die Größe, Prosperität und Verkehrslage der Stadt wie auch die Bedeutung des dortigen Konvents wird rechnen dürfen. Jedenfalls folgten dem Beispiel der Dominikaner bis zum Ende des 13. Jahrhunderts alle anderen großen Bettelorden, die ebenfalls in Köln ein Generalstudium etablierten: vor 1260 die Minoriten (nach persön­licher Vermittlung ihres Generalministers Bonaventura), 1290 die Augustiner-­Eremiten, vor 1294 die Karmeliter.9 1285 erfasste der Sog selbst den auf dem Lande lebenden älteren Verband der Zisterzienser, die sich vom Erzbischof die Erlaubnis erbaten, im Kölner Stadthof ihres Klosters Kamp Mitbrüder zum Studium zu versammeln und theolo­gische Vorlesungen abzuhalten.10 Im Hinblick auf die spätere Universität verdient Beachtung, dass diese geballte Präsenz von Ordensgelehrsamkeit nicht auf Initiative des Kölner Erzbischofs oder der Bürgerschaft zustande kam, sondern von außen in die Stadt hineingetragen wurde als Resultat von strate­gischen Überlegungen der zentralen Ordensorgane, die es gewohnt waren, ihre Mitbrüder ohne Rücksicht auf Landes- oder Sprachgrenzen gemäß den eigenen Zielvorstellungen hin und her zu versetzen. Daher implizierte die Einrichtung eines solchen Generalstudiums, dass der Orden für den Zuzug der erforder­lichen Lesemeister (Lektoren) zu sorgen hatte und die einzelnen Ordensprovinzen gehalten waren, eine gewisse Anzahl von befähigten Studenten aus ihren Reihen für einige Jahre dorthin abzuordnen. Die Fremdheit der Beteiligten am Studienort, die daraus ebenso wie an den frühen Universitäten erwuchs und nur untereinander durch die gemeinsame lateinische Sprachbasis abgemildert wurde, hinderte die Bettelmönche im Übrigen nicht, bei der Bevölkerung zu großer Beliebtheit zu gelangen (auf Kosten des regulären bischöf­lichen Klerus) und auch ökonomisch in der Stadt eine beacht­liche, nicht immer unumstrittene

9 Vgl. Willehad Paul Eckert, Die Generalstudien der Mendikantenorden in Köln während des 13. und frühen 14. Jahrhunderts, in: Dombau und Theologie im mittelalter­lichen Köln. Festschrift zur 750-Jahrfeier der Grundsteinlegung des Kölner Domes und zum 65. Geburtstag von Joachim Kardinal Meisner, hg. v. Ludger Honnefelder / Norbert Trippen / Arnold Wolff (Studien zum Kölner Dom 6), Köln 1998, S. 383 – 394. 10 Vgl. Janssen (wie Anm. 2), S. 526.

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Rolle zu spielen.11 Vor allem das Privileg der Laienpredigt, das die Dominikaner bewusst auch zur eigenen Ausbildung fruchtbar machten, sorgte für einen lebendigen Kontakt zum Kirchenvolk und kompensierte bis zu einem gewissen Grade den exklusiven Charakter ihres Studienbetriebs, der sich grundsätz­lich auf den qualifizierten internen Nachwuchs konzentrierte und allenfalls sekundär auch Außenstehende ansprach,12 für alle aber ohne Aussicht auf akademische Grade war. Um sich ein Bild von Niveau und Strahlkraft dieser Ära der Kölner Wissenschaftsgeschichte zu machen, stehen zwei Wege offen. Der eine führt über die Namen und die Werke der hier tätig gewordenen Lehrer, der andere hat die Anzahl und Herkunft der Studierenden zu würdigen. Beginnen wir mit den Lektoren, so ragt eindeutig das am frühesten entstandene Generalstudium der Dominikaner hervor, an dessen Anfang 1248 Albert der Große steht.13 Nach einer frühen Begegnung mit Köln wechselte er damals bekannt­lich von seinem Magisterium der Theologie im Rahmen der Pariser Universität in die Kölner Neugründung seines Ordens über und brachte seinen Schüler Thomas von Aquin gleich mit, der hier erste Vorlesungen als Baccalareus biblicus gehalten haben dürfte, bevor er 1252 nach Paris zurückkehrte, um dort selbst zum Magister aufzusteigen.14 Albert wirkte bis 1254 und dann wieder von 1257 bis 1260 als maßgeb­licher Lehrer am Kölner Generalstudium und nahm in dieser Zeit des beginnenden Domneubaus zugleich eine respektierte Mittlerstellung im Dauer­ streit des Erzbischofs mit der nach politischer Selbstbestimmung drängenden Stadt ein.15 Da in Köln, wo er von 1271 bis 1280 auch den Lebensabend verbrachte, 11 Vgl. Gaßen (wie Anm. 7), S. 106 – 112. 12 Vgl. Janssen (wie Anm. 2), S. 523. 13 Vgl. Walter Senner, Albertus Magnus als Gründungsregens des Kölner Studium generale der Dominikaner, in: Geistesleben im 13. Jahrhundert, hg. v. Jan A. Aertsen / Andreas Speer (Miscellanea Mediaevalia 27), Berlin, New York 2000, S. 149 – 169. 14 Vgl. James A. Weisheipl, Thomas von Aquin. Sein Leben und seine Theologie, dt. Graz, Wien, Köln 1980, S. 42 – 55, Maria Burger, Codex 30 der Dombibliothek Köln. Ein Arbeitsexemplar für Thomas von Aquin als Assistent Alberts des Großen, in: Mittelalter­ liche Handschriften der Kölner Dombibliothek. Erstes Symposion der Diözesan- und Dombibliothek Köln zu den Dom-­Manuskripten, hg. v. Heinz Finger (Libelli Rhenani 12), Köln 2005, S. 190 – 208. 15 Vgl. Hugo Stehkämper, Pro bono pacis. Albertus Magnus als Friedensmittler und Schiedsrichter, in: Archiv für Diplomatik 23 (1977), S. 297 – 382, Manfred Groten, A ­ lbertus ­Magnus und der Große Schied (1258) – Aristote­lische Politik im Praxistest (Lectio Albertina 12), Münster 2011.

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wesent­liche Teile seines exzep­tionell umfangreichen Œuvres entstanden sind, ist die zeitgenös­sische Bezeichnung des Doctor universalis als Albertus Coloniensis ebenso verständ­lich wie gerechtfertigt. Dank ihm war es eben Köln, wo sich ein gutes Stück weit die Aneignung des Aristoteles und des Areopagiten wie auch die Entfaltung der mittelalter­lichen Naturphilosophie abspielen konnte.16 Nach ­diesem frühen Höhepunkt konnte es nicht weiter aufwärts gehen. Vielmehr verblieb Alberts Nachfolgern ein gewichtiges Erbe, das es weiterzugeben und gegen Fehldeutungen zu verteidigen galt. Wir haben keine lückenlose Kenntnis aller dieser Lesemeister,17 und manche überlieferte Namen bleiben für uns bloße Namen, doch finden sich auch mehrere, die durch erhaltene Werke Profil gewonnen haben: Heinrich de Calstris von Löwen etwa, der um 1300 in Köln dozierte, brachte sich mit deutschsprachigen Predigten als Mystiker zur Geltung 18 und wurde gleichsam der Wegbereiter für Meister Eckhart, den führenden Repräsentanten der Dominikanermystik, der z­ wischen 1323 und 1326 in Köln als Prediger auftrat, wobei ungewiss bleibt, ob er zugleich als Lesemeister fungierte.19 Sicher in dieser Rolle bezeugt ist, wenn auch nur für kurze Zeit, der aus Paris gekommene Nikolaus von Straßburg, Verfasser einer Summe der Philosophie, der im Inquisi­tionsprozess gegen den Ordensbruder Meister Eckhart dessen Verteidigung übernahm und dadurch selbst in Häresie­ verdacht geriet.20 Einer seiner Nachfolger um die Mitte des 14. Jahrhunderts war Berthold von Moosburg, von dem wir eine Expositio super elementa­tionem theologicam Procli besitzen,21 wohingegen der Kölner Bürgersohn Johannes von Sterngassen, Autor eines thomistisch geprägten Sentenzenkommentars, nach neuerer Erkenntnis zwar dominikanischer Lesemeister, aber nicht im 16 Vgl. Albertus Magnus. Ausstellung zum 700. Todestag (Historisches Archiv der Stadt Köln), Köln 1980 (von Hugo Stehkämper). 17 Vgl. die Übersicht bei Löhr (wie Anm. 8), S. 40 – 69. 18 Vgl. Peter Kesting, Heinrich von Löwen, in: Verfasserlexikon. Die deutsche Literatur des Mittelalters, Bd. 3 (1981), Sp. 778 – 780. 19 Vgl. Walter Senner, Meister Eckhart in Köln, in: Klaus Jacobi (Hg.), Meister Eckhart: Lebenssta­tionen, Redesitua­tionen (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens, Neue Folge 7), Berlin 1997, S. 207 – 237, hier S. 207 – 210, anders Winfried Trusen, Meister Eckhart vor seinen Richtern und Zensoren. Eine Kritik falsch gedeuteter Redesitua­tionen, ebd. S. 335 – 352, hier S. 337 – 339. 20 Vgl. Eugen Hillenbrand / Kurt Ruh, Nikolaus von Straßburg, in: Verfasserlexikon. Die deutsche Literatur des Mittelalters, Bd. 6 (1987), Sp. 1153 – 1162. 21 Vgl. Willehad P. Eckert, Berthold von Moosburg, in: Verfasserlexikon. Die deutsche Literatur des Mittelalters, Bd. 1 (1978), Sp. 816 f.

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Konvent seiner Heimatstadt gewesen ist.22 Erst 1363 wurde mit Heinrich de Cervo (vanme Hirtze), gleichfalls Verfasser eines Sentenzenkommentars, ein gebürtiger Kölner vom Generalkapitel des Predigerordens zum Lector prima­ rius des dortigen Studiums bestimmt.23 Das um 1260 begründete Kölner Generalstudium der Minoriten stand personell zunächst im Schatten von Alberts Predigerbrüdern, kam aber eine Genera­ tion ­später zu eigenem Glanz, als sich der bereits berühmte Johannes Duns Scotus, auch er aus Paris kommend, dort als Lehrer niederließ, frei­lich nur für ein letztes Lebensjahr bis zu seinem frühen Tod Ende 1308.24 Die unmittelbare Wirkung des Doctor subtilis am Ort hielt sich somit in Grenzen, doch machte ihn sein Grab in der Minoritenkirche – nur wenige Schritte entfernt von Alberts Ruhestätte bei St. Andreas – fortan zur Leitfigur der Kölner Franziskanerschule.25 In einem (zeit­lich nur schwer einzuordnenden) J­ ohannes Coloniensis fand er einen einflussreichen Interpreten, der seine Lehren übersicht­lich für den Unterricht aufbereitete.26 Was die Schüler der Kölner Ordensstudien angeht, so ragen in der verstreuten Überlieferung der Dominikaner einzelne Namen hervor wie Ulrich von Straßburg 27 und der junge Meister Eckhart,28 aber auch der Schwede Petrus de Dacia, der in der Zeit von Alberts Abwesenheit in Köln studierte und darüber aufschlussreiche Briefzeugnisse hinterlassen hat,29 ­später Heinrich Seuse, der

22 Vgl. Walter Senner, Johannes von Sterngassen OP und sein Sentenzenkommentar, Teil I: Studie (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens, Neue Folge 4), Berlin 1995, S. 157 – 168. 23 Vgl. Thomas Kaeppeli, Scriptores Ordinis Praedicatorum Medii Aevi, Bd. 2, Rom 1975, S.  189 f. 24 Vgl. Ludger Honnefelder, Johannes Duns Scotus, München 2005, S. 15. 25 Vgl. Dietrich Esser, Das Grab des seligen Johannes Duns Scotus in Köln, in: Dietrich Esser / Gioacchino D’Andrea, Johannes Duns Scotus. Untersuchungen zu seiner Verehrung (Rhenania Franciscana Antiqua 4), Mönchengladbach 1986, S. 165 – 204, Meuthen (wie Anm. 2), S. 48 f. 26 Vgl. Roger Aubert, Jean de Cologne, in: Dic­tionnaire d’histoire et de géographie ecclésiastiques, Bd. 26 (1997), Sp. 1425 f. 27 Vgl. Loris Sturlese, Ulrich Engelbrecht von Straßburg OP , in: Verfasserlexikon. Die deutsche Literatur im Mittelalter, Bd. 9 (1995), Sp. 1252 – 1256. 28 Vgl. Kurt Ruh, Meister Eckhart. Theologe, Prediger, Mystiker, 2. Aufl. München 1989, S. 20 (gegen die Annahme, er habe Albert noch erlebt). 29 Petrus de Dacia, Vita Christinae Stumbelensis, ed. Johannes Paulson. Nachdruck der Ausgabe Göteborg 1896 (Lateinische Sprache und Literatur des Mittelalters 20), Frankfurt

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hier Meister Eckhart begegnete,30 oder Johannes von Dambach, nachmals Autor einer Consolatio theologiae und erster Regens des Prager Generalstudiums, der in Köln gleichfalls in den Prozess gegen seinen Lehrer Eckhart hineingezogen wurde.31 Pauschale Mitteilungen in den Quellen lassen erkennen, dass sich ganz den Inten­tionen des Ordens, vielleicht nicht immer den eigenen Wünschen der Betroffenen gemäß weitere Mitbrüder aus Italien (neben Thomas von Aquin) zum Studium am Rhein einfanden, daneben aber auch polnische, skandina­ vische, ungarische, böhmische, flämische, spanische und eng­lische Hörer,32 die den durchaus weltläufigen Charakter der reichen Handels- und Hansestadt weiter festigten. Erst mit der Zeit scheinen die Franziskaner mit ihrem etwas ­später eröffneten Generalstudium die Dominikaner an Zulauf übertroffen zu haben, denn bald nach 1300 zählte der Kölner Minoritenkonvent (mit Einschluss seiner studierenden Gäste) rund 300 Mitglieder, denen bloß 50 Dominikaner gegenüberstanden.33 Während deren Generalkapitel 1315 restriktive Beschlüsse zum Ausschluss von „unnützen und lästigen Brüdern (fratres inutiles et onerosi)“ von den höheren Studien fasste,34 reichte bei den Franziskanern um dieselbe Zeit ein Refektorium nicht mehr aus, weshalb gesonderte „Mensaräume“ für dänische, schwedische, irische und oberdeutsche Mitbrüder eingerichtet wurden. Einen merk­lichen Einschnitt, zumindest potenziell, bedeutete der schon etwas früher, näm­lich 1304, auf dominikanischer Seite getroffene Beschluss, fortan in jeder Ordensprovinz ein Generalstudium zu unterhalten, was Köln auf die Teutonia beschränkte und in der davon abgetrennten Provinz Saxonia neue Zentren des Studiums in Magdeburg und Erfurt entstehen ließ.35 Auch wenn die Regelung keineswegs sogleich strikte Beachtung gefunden hat, musste man sich in Köln doch auf Einbußen an Frequenz, Reichweite und damit Sichtbarkeit gegenüber der Blütezeit im 13. Jahrhundert einstellen. Hinzu kamen wachsende Spannungen im Verhältnis zum städtischen Rat, bedingt durch

am Main, Bern, New York 1985 (mit Einschluss von 32 Briefen des Petrus); vgl. Löhr (wie Anm. 8), S. 12 f. 30 Vgl. Alois M. Haas / Kurt Ruh, Seuse, Heinrich, in: Verfasserlexikon. Die deutsche Literatur des Mittelalters, Bd. 8 (1992), Sp. 1109 – 1129. 31 Vgl. Franz Josef Worstbrock, Johannes von Dambach, in: Verfasserlexikon. Die deutsche Literatur des Mittelalters, Bd. 4 (1983), Sp. 571 – 577. 32 Vgl. Meuthen (wie Anm. 2), S. 43. 33 Vgl. Meuthen (wie Anm. 2), S. 48. 34 Vgl. Löhr (wie Anm. 8), S. 15. 35 Vgl. Meuthen (wie Anm. 2), S. 37, Janssen (wie Anm. 2), S. 524.

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den immer mehr zunehmenden Grundbesitz der Bettelmönche, was 1347 in der Schließung des Dominikanerklosters gipfelte.36 Auch wenn nach einigen Jahren dank päpst­lichem Eingreifen der Konflikt überwunden wurde und die Predigermönche zurückkehrten, hatten augenschein­lich die mendikantischen Generalstudien in Köln den Zenit ihrer Entwicklung überschritten, noch bevor die Universitätsgründung von 1388 eine neue Situa­tion schuf. Wenn wir weiter zurückblicken, waren die Bettelorden, als sie im 13. Jahrhundert ihren höheren Studienbetrieb mit entsprechenden Lehrern nach Köln brachten, keineswegs in eine Welt fern von Bildung und Wissenschaft eingedrungen. Die Domstadt war schon seit Jahrhunderten eine kirch­liche Metropole ersten Ranges, in der um 1200 neben der Kathedrale mit dem Domkapitel nicht weniger als acht weitere mit eigenem Vermögen ausgestattete Kanoniker­ stifte, zwei Männerklöster und sechs Frauenkonvente bestanden.37 Sie waren ständig auf Bücher und hinreichend qualifizierten Nachwuchs angewiesen, woraus sich wie überall ein schon von den Bildungserlassen Karls des Großen gefordertes geist­liches Schulwesen ergab. Unter einer obersten bischöf­lichen Aufsicht oblag der Unterricht an den Dom- und Stiftsschulen üb­licherweise einem Scholaster aus den eigenen Reihen, der die Fächer der sieben freien Künste, zumindest der elementaren des Triviums, zu vermitteln hatte und darüber hinaus theolo­gische Grundkenntnisse sowie Handlungswissen über die litur­gische Praxis und das kanonische Recht.38 Besondere Bedeutung kam der Domschule zu, deren Bildungsauftrag sich im Prinzip auf den gesamten Nachwuchs des Diözesanklerus erstreckte und in der Praxis auch einzelne Laien nicht ausschloss. Ihre Scholaster, die vielfach zugleich für den bischöf­lichen Schriftverkehr zuständig waren und manchmal auch als lateinische Dichter, Hagiographen oder Geschichtsschreiber der eigenen ­Kirche hervortraten,

36 Vgl. Löhr (wie Anm. 8), S. 81 – 154, Helga Johag, Die Beziehungen z­ wischen Klerus und Bürgerschaft in Köln ­zwischen 1250 und 1350 (Rheinisches Archiv 103), Bonn 1977, S. 201 f., Meuthen (wie Anm. 2), S. 46 f. 37 Vgl. die Übersicht bei Friedrich Wilhelm Oediger, Das Bistum Köln von den ­Anfängen bis zum Ende des 12. Jahrhunderts (Geschichte des Erzbistums Köln 1), 2. Aufl. Köln 1972, S. 417 – 419, dazu Letha Böhringer, Geist­liche Gemeinschaften für Frauen im mittelalter­lichen Köln (Libelli Rhenani: Series minor 5), Köln 2009, S. 16 – 36. 38 Vgl. Joachim Ehlers, Die Reform der Christenheit. Studium, Bildung und Wissenschaft als bestimmende Kräfte bei der Entstehung des mittelalter­lichen Europa, in: Deutschland und der Westen Europas im Mittelalter, hg. v. Joachim Ehlers (Vorträge und Forschungen 56), Stuttgart 2002, S. 177 – 209.

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bildeten innerhalb der ottonischen, sa­lischen und staufischen Reichskirche eine Funk­tionselite, die im Vergleich zum Episkopat weniger durch hochadli­ ­ge Herkunft als durch persön­liche Befähigung geprägt war und nicht selten auch in den unmittelbaren Dienst des Königshofs trat. Dass ­solche Scholaster etwa seit der Jahrtausendwende zunehmend von auswärts an eine Kathedrale „berufen“ wurden, deutet eine wachsende Professionalisierung ihrer Rolle an, auch wenn bei den meisten über das individuelle intellektuelle Profil mangels Quellen kaum nähere Feststellungen mög­lich sind.39 Dabei gibt die lückenhafte Überlieferung noch am ehesten preis, was aus dem Rahmen fiel.40 In Köln z. B. ist ein gewisser Ragimbold der erste uns mit Namen bekannte Domschulmeister allein deshalb, weil er als Mathematiker glänzte und mit dem Lütticher Kollegen Radulf in den 1020er Jahren eine teilweise überlieferte Korrespondenz über geometrische Probleme auf der Basis von Boethius und Gerbert geführt hat.41 Bald danach unterrichtete zeitweilig am Kölner Dom auch Wolfhelm, der ­später als Abt des nahen Klosters Brauweiler wegen seiner Neigung zur neuplatonischen Philosophie, zumal Macrobius, zur Zielscheibe der Kritik Manegolds von Lautenbach wurde und seinerseits in einem überlieferten Text die Eucharistielehre Berengars von Tours verwarf.42 1075 taucht dann für einen geschicht­lichen Augenblick der Name eines Widukind aus Köln auf, der damals zusammen mit zwei anderen „Philosophen des Reiches

39 Vgl. C. Stephen Jaeger, The Envy of Angels: Cathedral Schools and Social Ideals in Medieval Europe, 950 – 1200, Philadelphia 1994, Herbert Zielinski, Domschulen und Klosterschulen als Stätten der Bildung und Ausbildung, in: Canossa 1077. Erschütterung der Welt. Geschichte, Kunst und Kultur am Aufgang der Romanik, hg. v. Christoph Stiegemann, Matthias Wemhoff, Bd. 1: Essays, München 2006, S. 175 – 181. 40 Vgl. Goswin Frenken, Die Kölner Domschule im Mittelalter, in: Der Dom zu Köln. Festschrift zur Feier der 50. Wiederkehr des Tages seiner Vollendung am 15. Oktober 1880, hg. v. Erich Kuphal (Veröffent­lichungen des Kölnischen Geschichtsvereins 5), Köln 1930, S. 235 – 256 (in manchen Details überholt), Irmgard Jeffré, Handschrift­liche Zeugnisse zur Geschichte der Kölner Domschule im 10. und 11. Jahrhundert, in: K ­ aiserin ­Theophanu. Begegnung des Ostens und Westens um die Wende des ersten Jahrtausends, hg. v. Anton von Euw / Peter Schreiner, Bd. 1, Köln 1991, S. 165 – 171. 41 Vgl. Menso Folkerts, Radulf von Lüttich / Ragimbold von Köln, in: Verfasserlexikon. Die deutsche Literatur des Mittelalters, Bd. 7 (1989), Sp. 972 – 974, dazu Heribert ­Müller, Heribert, Kanzler Ottos III . und Erzbischof von Köln (Veröffent­lichungen des Köl­ nischen Geschichtsvereins 33), Köln 1977, S. 215. 42 Vgl. Heinz Erich Stiene, Wolfhelm von Brauweiler, in: Verfasserlexikon. Die deutsche Literatur des Mittelalters, Bd. 10 (1999), Sp. 1367 – 1370.

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(regni philosophi)“ nach Rom entsandt wurde, um die Wogen ­zwischen Papst Gregor VII. und der deutschen K ­ irche zu glätten.43 Ob derlei Einzelleistungen und Sonderbegabungen typisch für das geistige Niveau am Kölner Dom zur Salierzeit waren, darf man bezweifeln, denn obwohl eine ganze Reihe von späteren Bischöfen schon des 10., aber auch des 11. Jahrhunderts namhaft gemacht werden kann, die am Beginn ihrer geist­lichen Laufbahn in Köln die Schule durchlaufen haben,44 ist doch zu registrieren, dass überregional vergleichende Ruhmesworte, wie sie zugunsten der Hildesheimer, der Bamberger oder der Lütticher Domschule des 11. Jahrhunderts überliefert werden 45, im Hinblick auf Köln in unseren Quellen fehlen. Umgekehrt sollte nicht allzu sehr ins Gewicht fallen, dass sich im Briefcorpus Meinhards von Bamberg ein Schreiben aus den frühen 1070er Jahren erhalten hat, worin sich der Hildesheimer Bischof über einige seiner Scholaren beklagt, die angeb­lich aus Widerwillen gegen die heimische Disziplin und erpicht auf untätigen Müßiggang bis nach Köln entwichen ­seien,46 und dass ein weiterer Brief Meinhards den in Köln studierenden Empfänger ausdrück­lich vor den Reizen der in Seide gewandeten Kölnerinnen und überhaupt dem ganzen „Babylon“ der großen Stadt warnt.47 Solche spora­ dischen Stimmungsbilder illustrieren vor allem die zunehmende Mobilität des geist­lichen Nachwuchses, die geeignet war, die herkömm­liche Ortsbezogenheit des Schulbetriebs aufzulockern, und rasch immer weitere Kreise zog. Unter den Kölner Erzbischöfen war, soweit erkennbar, der 1100 auf die Cathedra gelangte Friedrich I., ein bayerischer Grafensohn, der erste, der zuvor einen 43 Vgl. Carl Erdmann, Studien zur Briefliteratur Deutschlands im elften Jahrhundert (Schriften des Reichsinstituts für ältere deutsche Geschichtskunde 1), Leipzig 1938, S. 266, Christian Schneider, Prophetisches Sacerdotium und heilsgeschicht­liches Regnum im Dialog 1073 – 1077. Zur Geschichte Gregors VII. und Heinrichs IV. (Münstersche Mittelalter-­Schriften 9), München 1972, S. 126. 44 Vgl. Frenken (wie Anm. 40), S. 241, 243, 247, Gunther Wolf, Erzbischof Brun I. von Köln und die Förderung gelehrter Studien in Köln, in: Die Kölner Universität im Mittelalter. Geistige Wurzeln und s­ ozia­le Wirk­lichkeit, hg. v. Albert Zimmermann (Miscellanea Mediaevalia 20), Berlin, New York 1989, S. 299 – 311. 45 Vgl. Claudia Märtl, Die Bamberger Schulen – ein Bildungszentrum des Salierreichs, in: Die Salier und das Reich, Bd. 3: Gesellschaft­licher und ideengeschicht­licher Wandel im Reich der Salier, hg. v. Stefan Weinfurter, Sigmaringen 1991, S. 327 – 345, hier S. 330, 343 f. 46 Briefsammlungen der Zeit Heinrichs IV., bearb. v. Carl Erdmann / Norbert Fickermann (Monumenta Germaniae Historica. Briefe der deutschen Kaiserzeit 5), Weimar 1950, S. 91 f. (H 47). 47 Briefsammlungen (wie Anm. 46), S. 192 – 194 (M 1).

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Studienaufenthalt in Frankreich, näm­lich bei dem späteren Bischof Gerhard von Angoulême, absolviert hatte.48 Im 12. Jahrhundert nahmen derartige Bildungswege dann rapide zu, was die deutschen Domschulen einerseits in ihrer Bedeutung relativierte und andererseits auch neu befruchtete. Ein eindrück­liches Beispiel für die Wirksamkeit der von außen kommenden Impulse ist der erst von der jüngeren Forschung aufgehellte frühe Anteil, den Köln am Aufschwung der euro­päischen Rechtswissenschaft im 12. Jahrhundert gehabt hat.49 Die Initiative ging auf Barbarossas Staatsmann Rainald von ­Dassel zurück, der selbst nach dem Besuch der Hildesheimer Domschule mehrere Jahre zum Studium der Artes in Paris verbrachte und dort zudem philosophische und juristische Kenntnisse erworben hatte.50 Als Erzbischof (ab 1159) brachte Rainald nicht bloß die Gebeine der Heiligen Drei Könige nach Köln, sondern auch einen Studienfreund und inzwischen renommierten Rechts­gelehrten, den Engländer Gerard Pucelle (Puellae), der 1165 das Amt des Kölner Domschulmeisters erhielt, 1168, als Rainald gestorben war, wieder davonzog, aber anscheinend Schüler hinterließ und nach dem Ende des Papstschismas nochmals von 1180 bis 1182 selbst in diese Rolle zurückkehrte, bevor er 1183 kurz vor seinem Tod noch Bischof von Coventry wurde.51 Auf seinen prägenden Einfluss ist es offenbar zurückzuführen, dass die von Bologna ausgegangenen, in Paris und Reims aufgegriffenen neuen Formen der Auseinandersetzung mit dem kanonischen, sekundär auch dem ­römischen Recht nirgendwo früher in Deutschland rezipiert und fortentwickelt wurden als in Köln. Das zeigt sich an zwei erhaltenen Codices der Dombibliothek, einer davon in der Zeit um 1170 im Scriptorium von Groß St. Martin geschrieben, die den Text des Decretum Gratiani verbunden mit der um 1165 aktuellen Bologneser und Pariser Glossierung aufweisen, ferner an einer gleichalten Handschrift des Stadtarchivs mit der ebenfalls bereits glossierten

48 Vgl. Joachim Ehlers, Deutsche Scholaren in Frankreich während des 12. Jahrhunderts, in: Schulen und Studium im sozia­len Wandel des hohen und späten Mittelalters, hg. v. Johannes Fried (Vorträge und Forschungen 30), Sigmaringen 1986, S. 97 – 120, hier S. 102. 49 Vgl. zum Folgenden Peter Landau, Die Kölner Kanonistik des 12. Jahrhunderts. Ein Höhepunkt der euro­päischen Rechtswissenschaft (Kölner rechtshistorische Vorträge 1), Badenweiler 2008. 50 Vgl. Ehlers (wie Anm. 48), S. 103, Landau (wie Anm. 49), S. 5 f. 51 Vgl. Johannes Fried, Gerard Pucelle und Köln, in: Zeitschrift der Savigny-­Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung 68 (1982), S. 125 – 135.

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ältesten Abbreviatio des Dekrets und vor allem an drei, wenn nicht vier binnen weniger Jahre entstandenen kommentierenden Summen, also Lehrbüchern, zum Dekret, von denen die bedeutendste, die sogenannte Summa Coloniensis, mit einiger Wahrschein­lichkeit dem Kanoniker Berthold oder Bertram von St. Gereon, ­später Bischof von Metz, und zwei weitere dem Schulmeister Gottfried von St. Andreas zugeschrieben werden können. Dazu kommen ein prozessrecht­licher Traktat von Gottfrieds Nachfolger an der Schule von St. Andreas namens Rainer sowie zwei legistische Traktate des schon genannten Berthold/Bertram, darunter die älteste bekannte Abhandlung zum Beweisrecht.52 Insgesamt ist mittlerweile deut­lich, dass Köln etwa ­zwischen 1170 und 1190 eine ganz führende Stellung in der damals stürmischen Entfaltung des euro­päischen Rechtsdenkens eingenommen hat. Nach aktuellem Kenntnisstand ist eben hier zuerst die Maxime zu Pergament gebracht worden: Quod omnes tangit, ab omnibus debet comprobari.53 An ­diesem rechtsgeschicht­lichen Befund ist in unserem Zusammenhang zweierlei bemerkenswert: erstens, dass es am Ende des 12. Jahrhunderts anscheinend weniger die Domschule als Stiftskirchen wie St. Gereon und St. Andreas waren, die in der Stadt wissenschaft­lich an der Spitze rangierten, und zweitens, dass der methodische Weg zu solchen Einsichten ganz wesent­lich über kodikolo­ gische Beobachtungen geführt hat. Das lenkt den Blick auf den Umstand, dass die Kölner Bibliotheksgeschichte, insbesondere die bis heute e­ rhaltenen Codices der Dombibliothek, vielfachen Aufschluss nicht so sehr über vollbrachte wissenschaft­liche Leistungen wie über das vorhandene Potenzial dazu bereithält.54 In ­diesem Sinne kann man die nachantike Entwicklung der Kölner Wissenschaft bereits mit dem ersten Erzbischof Hildebald beginnen lassen, dem 818 gestorbenen Erzkapellan Karls des Großen, der als Gründer der

52 Vgl. zuletzt Peter Landau, Die Dekretsumme Fecit Moyses tabernaculum – ein weiteres Werk der Kölner Kanonistik, in: Zeitschrift der Savigny-­Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung 96 (2010), S. 602 – 608, ders., Jurisprudenz und Fälschung in Köln im 12. Jahrhundert. Die Kölner Institu­tionenglosse, in: Rivista Internazionale di Diritto Comune 22 (2011), S. 9 – 33. 53 Vgl. Landau (wie Anm. 49), S. 33 f. 54 Vgl. im Überblick Wolfgang Schmitz, Die mittelalter­liche Bibliotheksgeschichte Kölns, in: Ornamenta ecclesiae. Kunst und Künstler der Romanik in Köln, hg. v. Anton Legner, Bd. 2, Köln 1985, S. 137 – 148, Joachim M. Plotzek, Zur Geschichte der Kölner Dombibliothek, in: Glaube und Wissen im Mittelalter. Die Kölner Dombibliothek, hg. v. Joachim M. Plotzek u. a. (Ausstellungskatalog), Köln 1998, S. 15 – 64.

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Dombibliothek zu gelten hat. Deren Schätze haben nicht nur in bestimmten kostbaren Exemplaren alle Zeiten überdauert, sondern lassen sich auch in ihrem verlorenen Bestand dank einem Bibliothekskatalog vom Jahre 833 recht genau ins Auge fassen.55 Demnach reichte das Spektrum von der Bibel und litur­gischen Büchern über die Kirchenväter und einige lateinische Musterdichter bis hin zu maßgeb­lichen Werken der Grammatik, Kanonistik, Mathematik und sogar Medizin, bot also ganz im Sinne der karolin­gischen Bildungserneue­rung vielfältigen Zugang zu den geistigen Tradi­tionen der vorausliegenden Jahrhunderte. Soweit die Bände ausdrück­lich auf Hildebalds Geheiß angelegt sind, geben sie zudem in ihrer übersicht­lich gliedernden Anlage und der sauberen Schrift zu erkennen, dass sie von vornherein als Studienobjekte und als Vorlagen für weitere Kopien gedacht waren.56 Wie viel Gebrauch von ihnen (und manchen zusätz­lichen Codices, die die folgenden Erzbischöfe erwarben) in der Frühzeit gemacht wurde, ist trotz eines mit dem Bibliothekskatalog verbundenen Ausleihverzeichnisses schwer zu sagen, doch sind erst jüngst Anzeichen dafür aufgespürt worden, dass zwei berühmte Sammelhandschriften der Dombibliothek aus der Zeit Karls des Großen mit singulären Texten anonym bleibender Verfasser auf eine bis ins frühe 8. Jahrhundert zurückreichende Kölner Tradi­ tion der Beschäftigung mit den aus Irland, England und Spanien überkommenen divergierenden Konzepten der Kalenderrechnung, also der Komputistik, schließen lassen, einer kosmolo­gisch begründeten zentralen Wissenschaft des Frühmittelalters.57 Kehren wir abschließend zur Universitätsgründung von 1388 zurück, nachdem wir uns die vorangegangene Kölner Entwicklung von mehr als einem halben Jahrtausend bewusst gemacht haben, die kaum als bloße Vorgeschichte

55 Vgl. Anton Decker, Die Hildebold’sche Manuskriptensammlung des Kölner Domes, in: Festschrift der dreiundvierzigsten Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner, dargeboten von den höheren Lehranstalten Kölns, Bonn 1895, S. 215 – 251, hier S.  224 – 229. 56 Vgl. Henry Mayr-­Harting, Handschriften der Kölner Dombibliothek in der Zeit Erzbischof Hildebalds und die karolin­gische Renaissance, in: Mittelalter­liche Handschriften der Kölner Dombibliothek. Viertes Symposion der Diözesan- und Dombibliothek Köln zu den Dom-­Manuskripten, hg. v. Heinz Finger / Harald Horst (Libelli Rhenani 38), Köln 2012, S. 21 – 40. 57 Vgl. Immo Warntjes, Köln als naturwissenschaft­liches Zentrum in der Karolingerzeit: Die frühmittelalter­liche Kölner Schule und der Beginn der fränkischen Komputistik, ebd. S.  41 – 96.

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begriffen werden kann. Nach einer langen Phase, in der die korporativ verfassten Kölner ­Kirchen Träger eines wissenschaft­lichen Lebens gewesen waren, das sich nur allmäh­lich dem Austausch mit Auswärtigem öffnete, und nach einer weiteren Zeit, in der die gesamtkirch­lich agierenden Bettelorden Köln zu einem der Hauptzentren ihres höheren Studienbetriebs mit europaweiter Ausstrahlung gemacht hatten, war es nun die wohlhabend und selbstbewusst gewordene Stadt, näherhin Rat und Schöffen, die mit ihrer Initiative auf den Plan trat. Unabhängig vom Erzbischof, dessen welt­liche Herrschaft sie längst bis auf geringe Reste abgestreift hatte, aber mit Unterstützung des Domkapitels und auch der Bettelorden verfolgten die Kölner das Ziel der Einrichtung einer Universität, womit sie insofern Neuland betraten, als bis dahin keine Stadt nörd­lich der Alpen einen solchen Schritt gewagt hatte außer Erfurt 1379, wo der Lehrbetrieb jedoch erst 1392 aufgenommen werden konnte.58 Gleich den fürst­lichen Gründern von bestehenden Hohen Schulen wählte auch Köln die Form einer gottgefälligen Stiftung (wenn auch ohne explizite Stiftungs­ urkunde)59 und legte großen Wert auf eine päpst­liche Privilegierung, die unter den Bedingungen des römischen und avignone­sischen Doppelpapsttums bei Urban VI. leichter als sonst zu erlangen war. Was am 21. Mai 1388 an der Kurie in Perugia verbrieft, nach Köln übermittelt und am 22. Dezember im Kapitelsaal des Domstifts feier­lich promulgiert wurde,60 bezeichnete mit Verweis auf das Pariser Vorbild signifikante Unterschiede zum hergebrachten Status quo des Kölner Wissenschaftsbetriebs. Erstens wurden vier Fakultäten vorgesehen, neben den Artes und der Theologie von vornherein auch die Jurisprudenz der Kanonisten wie auch der Legisten sowie die Medizin, die bis dahin in Köln ganz am Rande gestanden hatten oder gar nicht gelehrt worden waren.61 Erst dadurch rechtfertigte sich die Bezeichnung als universitas, die noch nicht im päpst­lichen Gründungsprivileg, wohl aber in einem der Begleitdokumente von 1388 auftaucht und unmittelbar an Paris gemahnt.62

58 Vgl. Robert Gramsch, Erfurt – die älteste Hochschule Deutschlands. Vom Generalstudium zur Universität (Schriften des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt 9), Erfurt 2012. 59 Vgl. Rexroth (wie Anm. 2), S. 243 – 251, 265 – 268. 60 Vgl. Meuthen (wie Anm. 2), S. 57 f., Rexroth (wie Anm. 2), S. 229 f. 61 Vgl. Meuthen (wie Anm. 2), S. 113 – 140. 62 Vgl. Rexroth (wie Anm. 2), S. 324 f.

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Zweitens wurde das Promo­tionsrecht, das den erfolgreichen Absolventen den Zugang zum Lehrkörper anderer Universitäten eröffnete, an den Dompropst verliehen, der damit jedoch einen ständigen Vertreter als Vizekanzler betrauen konnte, was in der Regel einem angesehenen Professor zufiel und die geist­liche Lehraufsicht gegen die innere Autonomie der wissenschaft­lichen Maßstäbe ausbalancierte.63 Drittens richtete sich das Lehrangebot nicht länger primär an den Gelehrtennachwuchs der Bettelorden, sondern an jeden, der die elementaren Voraussetzungen für ein Universitätsstudium erfüllte, näm­lich männ­lichen Geschlechts und hinreichend lateinkundig zu sein. Die Generalstudien der Dominikaner und anderer Bettelorden bestanden daher fort und verschränkten sich mit dem neuen universitären Lehrbetrieb insofern, als den Ordensstudenten, die sich nur zu ­diesem Zweck immatrikulieren mussten, nun auch am Ort die Mög­ lichkeit der Graduierung gegeben war.64 Viertens ist hervorzuheben, dass die Führungsrolle von den nach Köln entsandten Lesemeistern der Bettelorden auf Weltgeist­liche vor allem aus dem Stiftsklerus überging. Als im Januar 1389 die Vorlesungen beginnen sollten, standen 20 Magister bereit, von denen 16 bereits Kanonikate an einer der Kölner ­Kirchen innehatten.65 Sie waren teilweise schon seit vielen Jahren von ihrer Residenzpflicht dispensiert gewesen, um an auswärtigen Universitäten wie Paris, Montpellier, Prag oder neuerdings Heidelberg zu dozieren, und ergriffen offenbar gern die Gelegenheit, dies künftig in Köln fortzusetzen, wo sie bepfründet waren. Eben darin scheint auch ein gutes Stück weit das Interesse der Stadt an der eigenen Universität begründet gewesen zu sein, die sie als Stifterin von Beginn an zu fundieren, zu unterhalten und zu beschirmen versprach. Die spontane und ziem­lich nachhaltige Resonanz der Neugründung, die gleich mit über 700 Studenten begann, entsprach einer im Laufe des Spätmittelalters allgemein stark zunehmenden Nachfrage nach akademischer Bildung.66 Als vierte Universität, die innerhalb des Reiches (nach Prag, Wien und Heidelberg) ins Leben trat, war Köln günstig platziert und erschloss sich als dauerhaftes Einzugsgebiet nicht bloß die Stadt und ihre Umgebung, sondern

63 Vgl. Meuthen (wie Anm. 2), S. 60 f. 64 Vgl. Meuthen (wie Anm. 2), S. 150 f. 65 Vgl. Meuthen (wie Anm. 2), S. 58 f., Rexroth (wie Anm. 2), S. 251 – 256. 66 Vgl. Meuthen (wie Anm. 2), S. 77 – 79.

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den gesamten kontinentalen Nordwesten, also die „niederen Lande“ diesseits und jenseits der heutigen deutschen Grenzen, wo erst 1425 in Löwen (als Ableger von Köln) und 1575 in Leiden weitere Hohe Schulen entstanden. Die krisenfeste Verwurzelung in einem Großraum, der letzt­lich doch begrenzt war, folgte einem verbreiteten Trend zur Regionalisierung und bedeutete damit im Unterschied zur Ära der mendikantischen Generalstudien eine faktische Abkehr vom Universalismus, der die hochmittelalter­liche Frühzeit der euro­ päischen Universität gekennzeichnet hatte. Und so ist sich die einschlägige Forschung seit langem darin einig, dass Köln niemals eine stärkere und weitere wissenschaft­liche Ausstrahlung gehabt hat als in der Zeit vor der Universität.67 Albertus Magnus sitzt ganz zu Recht vor ihrem Haupteingang.

67 Vgl. Meuthen (wie Anm. 2), S. 51.

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From Studia to University. Cologne in the Fourteenth Century

In his groundbreaking history of the emergence of universities in medieval Europe, Heinrich Denifle gave atten­tion, however briefly, to the founding of the University of Cologne.1 In doing so he took issue with Friedrich Paulsen, professor of philosophy and pedagogy at Berlin, who, in a long article a few years earlier on the same subject, had argued that, rather than being an entirely new founda­tion, the University of Cologne was the result of bringing together teaching programs and resources that already existed at Cologne in the colle­ giate Stiftungen and the religious cloisters of the city.2 Knowing that several of the collegiate churches in Cologne as well as the cathedral maintained a school, and that fifteen of the twenty 3 founding professors of the University were canons of those collegiate churches or of the cathedral chapter and held a master of arts degree or higher, Paulsen assumed that they were already teaching in Cologne before 1388. Thus, in his view, the only significant change was to consolidate those schools into one corpora­tion and begin to credential graduates with academic degrees. While acknowledging the importance of Cologne as an intellectual center in the thirteenth and fourteenth centuries as well as the teaching that went on at collegiate churches and mendicant convents, Denifle used informa­tion he had recently acquired as sub-­archivist at the Vatican Archives to point out

1 H. Denifle, Die Entstehung der Universitäten des Mittelalters bis 1400. Berlin 1885; repr. Graz 1956, 387 – 403. 2 F. Paulen, Die Gründung der deutschen Universitäten im Mittelalter, in: Historische Zeitschrift 45 (1881), 251 – 311, at 264 – 65. Paulsen was continuing a view expressed by Franz Joseph von Bianco, Die alte Universität Köln sowie die zu Köln administrierten Studien-­Stiftungen, 2 vols., Köln 1855; Aalen 1974, and Leonard Ennen, Geschichte der Stadt Köln, Köln 1869, Bd. 3, 833 ff. 3 The number is usually given as twenty-­one, but Hermann Keussen, Die Matrikel der Universität Köln, Bd. 1, 2nd ed., Bonn 1928, 7, noted that the last name, that of m[agister] Tidericus de Nyenborg, was added later in a different hand and was probably identical with m[agister] Th. de Nyenborgh who matriculated in 1398.

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that most of the original twenty professors at Cologne, even those who held canonical prebends in its collegiate churches, were not teaching or necessarily even in residence in Cologne before affiliating with this newly founded studium generale.4 On the contrary, seven of them came from Heidelberg and one from Vienna. For Denifle, the University of Cologne therefore began as a new initiative of the burghers of the city and was not the result of combining educa­tional resources already present and func­tioning. Denifle’s evidence was so detailed and seemingly decisive that Paulsen chose not to reply, although he published several books on universities and educa­tion in medieval Germany in subsequent years.5 In what follows I want to reopen that issue by examining the educa­tional institu­tions and resources of Cologne in the fourteenth century and by ­looking at and beyond the evidence Denifle assembled on the twenty initial professors, the group of masters who, as the matricula­tion records state, began the stu­ dium and its incorpora­tion. What I hope to show is that although Paulsen’s view that the University emerged out of educa­tional institu­tions already present and active in Cologne was incorrect, there is more evidence to support parts of his view than Denifle allowed.

1  Cathedral and Collegiate Schools in Fourteenth-Century Cologne before 1388 Some instruc­tion had been conducted by the cathedral chapter at Cologne since the Carolingian period, primarily to prepare priests for the city and diocese of Cologne. Instruc­tion in theology, understood as biblical and pastoral, had been mandated for cathedrals by the late twelfth century, and Cologne would

4 For many of the twenty masters, their last known address was Paris, and on the basis that there is no evidence that they were in Cologne before 1388, Denifle concluded that they were not there. But arguments based on silence prove nothing. We know that those who studied at Paris almost certainly left Paris around 1382 or 1383, and for most of them we have no informa­tion on where they went. 5 F. Paulsen, Geschichte des gelehrten Unterrichts auf den deutschen Schulen und Universitäten vom Ausgang des Mittelalters bis zur Gegenwart, 2 vols., 2nd ed., Leipzig 1896; Paulsen, Die Deutschen Universitäten und das Universitätsstudium, Berlin 1902; ­Paulsen, Das deutsche Bildungswesen in seiner geschicht­lichen Entwicklung, Leipzig 1906. Paulsen shifted his atten­tion to the early modern and modern period.

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have had no trouble or reluctance in meeting that requirement. In view of the expansion of educa­tion in the thirteenth and fourteenth centuries, there is no reason to believe that the cathedral chapter at Cologne, under the scolasticus and chancellor, was not providing instruc­tion in the second half of the fourteenth century. Nevertheless that cathedral school, designed for the training of priests, was probably not a large enterprise and may not have exceeded a handful of students preparing for holy orders and parish posi­tions. It would not have offered lectures on Aristotle or other works that belonged to the arts curriculum. No higher studies beyond theology would have been provided. And there is no evidence that the theological training at the cathedral was what we would call scholastic in the form of lectures on Peter Lombard’s Sen­ tences. There probably would have been instruc­tion on the meaning and proper administra­tion of the sacraments and on penitential practice for purposes of hearing confession, but speculative, doctrinal theology, such as would be offered in the faculty of theology at Paris, Prag, or Vienna, would not have been part of the cathedral program. We have even less informa­tion on the content of teaching in schools connected to the numerous collegiate churches in Cologne in the fourteenth century. It is widely accepted (though poorly documented) that the chapters of colle­giate churches, such as Sankt Aposteln, Maria im Kapitol, Sankt Andreas, Maria ad Gradus, Sankt Gereon, Sankt Kunibert, and others, ran schools. But these were essentially grammar schools, not schools for the arts, philosophy or theology. They were in addi­tion to grammar teachers in the city, who in the fourteenth century were overseen by and probably licensed by the cathedral chapter or its designate, the cantor or a rector scolarum appointed by the chapter. Canons at these collegiate churches as well as at the cathedral did not themselves teach, which was a misunderstanding on the part of Paulsen.6 In fact, even the organiza­tion and running of these schools was the responsibility of a rector scolarum, who hired those who actually did the teaching.7 In 6 Some canons at Notre Dame in Paris in the thirteenth and fourteenth centuries did teach as regent masters in the faculty of theology, but their canonical prebend had been obtained on the basis of reputa­tion and personal connec­tions and was not tied to their posi­tion at the University of Paris. 7 Martin Kintzinger, Scholaster und Schulmeister. Funk­tionsfelder der Wissensvermittlung im späten Mittelalter, in: Gelehrte im Reich. Zur Sozia­l- und Wirkungsgeschichte akademischer Eliten des 14. bis 16. Jahrhunderts, ed. R. C. Schwinges, Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 18 (Berlin 1996), 349 – 74; Kintzinger, Studens artium,

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Paris and Geneva the teacher of a grammar school in the city was licensed by the cantor of the cathedral. In Cologne and many other cities, the oversight of grammar school teachers (magistri scolarium, masters of students) was given to a rector scolarum (rector of schools, in the plural). Many masters of arts at Paris as well as university students who had not yet obtained a degree sought appointment as a rector scolarum in the fourteenth century. While it paid more than teachers of grammar earned, it usually paid less than chaplaincies and considerably less than the income from a parish church or a canonical prebend. One major advantage of appointment as a rector scolarum was that it did not usually require continual residency. The responsibilities were seasonal or could be handled by a paid substitute in such a way that a rector scolarum, if so permitted by the chapter, might continue his own studies at a university and complete his arts degree or obtain addi­tional learning in a higher discipline.8 Let me provide two examples that specifically relate to Cologne. One example is that of Arnold of Aldendorp, from Burg-­Altendorf along the Ruhr, southeast of Essen, who determined (that is, became a bachelor of arts) at Paris in 1354 under Themo Judeus, a German regent master from Münster and a leading figure in the faculty of arts at that time.9 Although Aldendorp’s progress through the arts faculty at Paris, where his burse was declared to be at the poverty level, indicates that he came from a family of modest means, he must have had some patronage at the local level to afford to study at Paris. He was licensed and incepted under Themo as a master in the faculty of arts the following year.10 Aldendorp’s name does not appear in the records of the English-­German na­tion after 1355. He had not obtained any further degree by the fall of 1362, when in

Rector parochiae und Magister scolarum im Reich des 15. Jahrhunderts. Studium und Versorgungschancen der Artisten ­zwischen ­Kirche und Gesellschaft, in: Zeitschrift für Historische Forschung 26 (1999), 1 – 41; Kintzinger, A Profession but not a Career? Schoolmasters and the Artes in Late Medieval Europe, in: Universities and Schooling in Medieval Society, ed. W. J. Courtenay and J. Miethke, Leiden, Boston, Köln 2000, 167 – 81. 8 For examples of leave-­of-­absence for purposes of study, see U. Zahnd, Die Bildungsverhältnisse in den bernischen Ratsgeschlechtern im ausgehenden Mittelalter. Verbreitung, Charakter und Funk­tion der Bildung in der politischen Führungsschicht einer spätmittelalter­lichen Stadt, Schriften der Berner Bürgerbibliothek, Bern 1979, 28 – 31. 9 Auctarium Chartularii Universitatis Parisiensis, subsequently cited as AUP, vol. I, ed. H. Denifle and E. Chatelain, Paris 1894, cols. 169, 179 – 80. 10 AUP I, cols. 180 – 81.

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the supplica­tion roll from the University of Paris he peti­tioned Urban V for a canonry with expecta­tion of prebend in the collegiate church of Maria ad G ­ radus at Cologne.11 That peti­tion made no academic claim beyond his degree in arts, but in a supplica­tion roll of German masters prepared at Avignon at the same time, he peti­tioned for a sacerdotal prebend in the cathedral at Cologne and claimed that in addi­tion to his degree in arts he had some training in medicine (provecto in medicina) and was rector scolarum for the cathedral chapter at Cologne.12 Aldendorp obtained that posi­tion by appointment of the dean and chapter after he had become master of arts.13 Whatever his duties were at Cologne, his presence in Avignon in the fall of 1362 and the fact of his having studied medicine, perhaps at Montpellier near Avignon, show that his duties did not entail continual residence in Cologne. By 1365 he had been awarded a canonical prebend in the cathedral chapter, which he had secured uncontes­ ted by 1370, and had apparently ceased to be rector scolarum.14 But while he held that posi­tion, he had been allowed to return to Paris for study in theology and canon law.15 Aldendorp’s support from the dean and cathedral chapter at Cologne, and later from Friedrich of Saarwerden, archbishop of Cologne in 1370, suggests that he had established close connec­tions there before 1362, and the cathedral chapter may have been the place of his early training and part of his financial support for studies at Paris.

11 Rotuli Parisienses. Supplica­tions to the Pope from the University of Paris, subsequently cited as Rot. Par., vol. II : 1352 – 1378, ed. W. J. Courtenay and E. D. Goddard, Leiden, Boston 2004, 233. 12 Rot. Par. II , 251 – 52. Denifle, Entstehung, 390, interpreted his posi­tion to be head of the cathedral school, but it is unclear whether he was supervisor of those teaching for the cathedral or was head of grammar schools in Cologne, under the authority of the cathedral chapter. 13 Ibid.: “rectori scolarum ecclesie Colonien. cui per ipsius ecclesie decanum et capitulum dudum fuisset provisum …” 14 Vatican City, Archivum Secretum Vaticanum, subsequently cited as ASV, Reg. Suppl. 44, f. 6r [June 1365]; Reg. Suppl. 45, f. 38v [Dec. 1365]; Lettres communes de Grégoire XI , ed. A.-M. Hayez, J. Mathieu and M.-F. Yvan, subsequently cited as LC Grégoire XI, #4890 [Jan. 1371],9 #386 [Feb. 1371], #31871 [Mar. 1374], #36499 [Jan. 1375], #40941 [Apr. 1375], #36898, #40037 [May 1375]. 15 LC Grégoire XI , #9386: “s. cuniberti et s. andree ac s. georgii colonien. ecclesiarum decanis mandatur ut arnaldo de aldendorpe, presbyt., can. colonien., mag. in art. et erudit. in theol. et qui in jur. can. studet, ad suppl. frederici, archiepisc. colonien., cujus capellanus continuus commensalis existit …”

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Aldendorp is an example of someone appointed as a rector scolarum who held a master’s degree in arts. My second example, possibly relevant for the biography of a founding member of the University of Cologne, is of someone who was appointed as a rector scolarum before becoming a master of arts, and who may have used the income from that appointment to help fund his educa­tion at Paris. In the fall of 1363 a certain Gerard of Calcaria, clerk and priest of the diocese of Cologne, was provided with a parish church in the diocese of Strasbourg that had also been granted to another person two months earlier, and it is uncertain whether Gerard ever gained peaceful possession.16 Gerard described himself as a priest, which would put his date of birth in or before 1338, and as having held a posi­tion as “rector scolarum in Alamannia” for ten years.17 In another supplica­tion a few months later, in January 1364, he claimed only seven years as rector scolarum and added that he had studied arts and theology for some time, although he did not hold a degree in either discipline.18 His imprecision about the number of years he had been a rector scolarum is matched by his imprecision about the loca­tion of the schools and teachers he presumably supervised. Alamannia could be anywhere in the area of Alsace or Swabia. Although this Gerard of Calcaria, an arts student from the area of Kalkar, would have been at least 25 in 1363, it is nevertheless possible that he is identical with the Gerard of Kalkar, who like Aldendorp had his academic fees deferred because of poverty, who determined in the faculty of arts at Paris in 1365 and incepted in the following year, studied theology and became a formed bachelor of theology at Paris, and who was among the founding masters of the University of Vienna in 1384. He was also first listed of the twenty founding

16 ASV, Reg. Suppl. 40, f. 84v; 226r. The church was Villavalve, which the editors of the Lettres communes de Urbain V, ed. M.-H. Laurent et al., subsequently cited as LC Urbain V, identified as Val-­de-­Villé, Bas-­Rhin, canton of Sélestat, a tiny settlement without any church. Walbourg, Bas-­Rhin, canton of Woerth, north of Haguenau, with a medieval church, seems a more likely identifica­tion. 17 ASV, Reg. Suppl. 41, f. 32v: “rexit scolas in alamannia 10 annos et amplius et continuavit.” 18 ASV , Reg. Suppl. 41, f. 129v; LC Urbain V, #8940: “in artibus et sacra theologia studet ac per septem annos et amplius scolas et regimen earundem scolarum continuavit”. In a supplica­tion in the following month, ASV , Reg. Suppl. 41, 236v, he described himself as “pauper clericus Colonien. dioc., qui cum magna paupertate tempore juventutis in artibus diligenter laboravit, postea usque in hodiernum diem sacre pagine studiis inclinatus.”

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masters at the University of Cologne.19 If so, he would have been ten years older than many of his contemporaries in the faculty of arts at Paris. And while the men­tion of holy orders is never part of the informa­tion recorded in the register of the English-­German na­tion at Paris or the matricula­tion records of the universities of Vienna and Cologne, it is odd that the Gerard of Kalkar who was at Paris would not have men­tioned being a priest in his supplica­tion to Gregory XI in the fall of 1370. But unlike the listing of benefices held, men­tion of holy orders and ordina­tion were not required informa­tion in supplica­tions. His appointment as a chaplain and vicar at Sankt Viktor in Xanten before 1370 probably did require his being a priest.20 Whether the two Gerards are identical must remain an open ques­tion, but if so, it would add an important piece of informa­tion to his biography and to the role that the posi­tion of rector scola­ rum had in the life of university scholars.21 Returning to the ques­tion of the rela­tion of the secular schools to the founding of the University, the content of teaching at the schools of collegiate churches and at the cathedral in Cologne in the fourteenth century was not what would be offered in the faculties of arts, theology, law, or medicine. Grammar educa­tion was preliminary to university educa­tion, but whether acquired at a town school or through a private teacher, it was a necessary stage before matricula­tion in a faculty of arts.22 It also provided job opportunities for masters of arts, including posi­tions as rectores scolarum.23 Moreover, those holding

19 AUP I, col. 309; AUP I, col. 326. Although the quire containing records from February 1365 through May 1368 is missing in the register, he stated in the autumn of 1370 that he had reigned in arts for more than four years (Rot. Par. II, 434). 20 Rot. Par. II, 434; LC Grégoire XI, #38919. 21 Gerard of Kalkar died between 1393 and 1394. If he was the same person as Gerard of Calcaria, he would have been in his late 50s or early 60s when he died. 22 For grammar schools in the city, diocese, and ecclesiastical province of Cologne see K. Wriedt, Schulen und bürger­liches Bildungswesen in Norddeutschland im Spätmittel­ alter, in: Studien zum städtischen Bildungswesen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, eds. B. Moeller, H. Patze and K. Stackmann, Göttingen 1983, 152 – 172, and E. Ennen, Stadt und Schule in ihrem wechselseitigen Verhältnis, vornehm­lich im Mittelalter, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 22 (1957), 56 – 7 1; repr. in Ennen, Gesammelte Abhandlungen zum euro­päischen Städtewesen und zur rheinischen Geschichte, Bonn 1977, 154 – 68. 23 On job opportunities for university graduates in and apart from teaching, see Gelehrte im Reich. Zur Sozia­l- und Wirkungsgeschichte akademischer Eliten des 14. bis 16. Jahrhunderts, ed. R. C. Schwinges, Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 18, Berlin

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posi­tions as canons in the churches at Cologne, even if in residence, would not have been involved in teaching. So, because of those factors, Paulsen was wrong and Denifle was correct. But there are important points that Denifle did not men­tion. First, almost all of the twenty founding professors of the University of Cologne were from the diocese of Cologne, and some may have returned there after leaving Paris in the early years of the Papal Schism. Moreover, the fifteen who were canons in the churches of Cologne had held those posi­tions for many years before 1388, received income from those churches and were thus familiar with them and with the city of Cologne. Denifle had stressed the lack of evidence that any of them were resident in Cologne before the founding of the University, but for most of them there is no evidence that they were elsewhere than in Cologne. At least two of the twenty probably were in residence in Cologne before 1388. This is certainly true for Hermann of Aldenrode, who was rector of the parish church of S. Columba. It is also probably true for Theoderic Dystel of Unna, canon and scolasticus at Sankt Andreas. Others may also have been in residence, since for most of them we have no idea where they were living between, say, 1382 and 1388. Even so, they were not teaching, and that is the crucial point. There is, however, the possibility that the idea of establishing a university in Cologne was not solely the brainchild of the leading burghers of the city. Some of the twenty initial professors who may have been in residence there before 1388 – all graduates of Paris with the recent examples of the founding of universities at Vienna and Heidelberg in mind – may have encouraged members of the Cologne Rat to seek papal support for the founding of a university. It was certainly in their interest to do so, since it would provide addi­tional income from teaching. Moreover, by the summer of 1388 it would have become known that the city had obtained papal permission for the establishment of a studium generale, and thus founding masters with ties to Cologne who were not already there before 1388 probably came there in anticipa­tion of the beginning of the University; as far as we know they were not being called to Cologne by the city council. Nevertheless, the faculty of arts, both its professors as well as its students, was created de novo in 1388 by the papal response to the request of the Cologne Rat and did not exist as such before that date.

1996; M. Kintzinger, Studens artium, Rector parochiae und Magister scolarum im Reich des 15. Jahrhunderts. Studium und Versorgungschancen der Artisten ­zwischen ­Kirche und Gesellschaft, in: Zeitschrift für Historische Forschung 26 (1999), 1 – 41.

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But that is to look at the issue from the standpoint of the faculty of arts and the faculties of law, and medicine, disciplines that were not taught as such in ­Cologne before the establishment of the University. One part of Paulsen’s argument, however, that Denifle ignored was the teaching programs at the mendicant convents in Cologne and their rela­tion to the establishment of the faculty of theology. Immediately following the names of the 20 founding professors of the university in the matricula­tion records come the names of seven doctors of theology, four doctors of civil or canon law, two doctors of medicine, and a number of licentiates and bachelors in those disciplines.24 This has long been noticed and discussed, but unlike the disciplines of law and medicine, which were formed out of doctors who were not previously teaching in Cologne, the faculty of theology was, to a large extent, built out of teaching programs in the convents of Cologne that corresponded closely with the teaching of theology at the universities of Paris, Oxford, Cambridge, Prague, and Vienna. It is to that issue that I turn next.

2  The Mendicant Schools of Cologne before 1388 Before the middle of the fourteenth century the convents of the four major mendicant orders in Cologne had been designated studia generalia for their respective orders. That meant that they would accept students sent from other provinces of the order, not simply those from the province in which Cologne was the leading convent. Each of the orders maintained schools for the study of logic, natural philosophy, and theology within each province, but each mendicant studium generale served as a center for theological study, and of those, the mendicant convents in Paris were the centers of their respective theological training program. The philosophical and theological teaching in mendicant studia, whether provincial or general, was essentially the same as what was offered in universities in order to provide their younger members with equivalent training and prepare those who might later be sent to the universities of Paris, Oxford, Cambridge, Toulouse and, later, Bologna, Prague, or Vienna for the baccalaureate and doctorate in theology. Thus, unlike the schools run by collegiate churches in Cologne and even the cathedral school, which provided training in grammar or prepared candidates for the priesthood, the content of teaching in the mendicant convents was equivalent to university training both in content and method.

24 Keussen, Die Matrikel, I, 8 – 10.

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The phrase ‘equivalent to’ is important. The studia of the mendicant orders, even those in Paris, were not part of the university. Those that coincided with a town or city that possessed a university, such as at Paris, Oxford, and Cambridge, were affiliated with the university’s faculty of theology, but only a few residents in the convent – namely the lector who served as regent master and the bachelors reading the Bible or the Sentences for a degree in theology – came under the jurisdic­tion of the university and the faculty of theology. The mendicant convents in Paris, in fact, conducted two separate theological programs. One program, the lectorate program, prepared friars in biblical studies and scholastic theology that enabled them to return to their respective provinces as lectors in the convents and schools at the provincial level. Each order also sent advanced students to Paris to take degrees through the university faculty of theology, to become bachelors and doctors of the sacred page, and to serve as regent master in the faculty of theology until a new friar incepted.25 Each province of an order was allowed and expected to send two to three students to Paris for the lectorate program, which lasted only three to five years, during which time residence would be provided at the Paris convent and instruc­tion would be offered by credentialed members of the order. Because of the lectorate program, there was a steady flow of students between Paris and the provinces of the mendicant orders, including the province in which Cologne was the leading convent. That pattern was maintained by all four mendicant orders throughout the fourteenth century, even though we have very little informa­tion on the names and dates of the students who were sent to Paris. Those sent were sent by the province, not by the general chapter of the order, and because the lectorate program was not as prestigious as the doctoral 25 On the differences between these two programs see W. J. Courtenay, Programs of Study and Genres of Scholastic Theological Produc­tion in the Fourteenth Century, in: ­Manuels, programmes de cours et techniques d’enseignement dans les universités médiévales, ed. J. Hamesse, Louvain-­la-­Neuve 1994, 325 – 350; Courtenay, The Parisian Franciscan Commu­nity in 1303, in: Franciscan Studies 53 (1993), 155 – 173; Courtenay, The Instruc­ tional Programme of the Mendicant Convents at Paris in the Early Fourteenth C ­ entury, in: The Medieval Church: Universities, Heresy, and the Religious Life. Essays in Honor of Gordon Leff, ed. P. Biller and B. Dobson, Westbridge, Engl. 1999, pp. 77 – 92; B. Roest, A History of Franciscan Educa­tion, c. 1210 – 1517, Leiden 2000; M. Mulchahey, “First the bow is bent in study …”: Dominican Educa­tion before 1350, Toronto 1998; E. Ypma, La forma­tion des professeurs chez les Ermites de Saint-­Augustin de 1256 à 1354, Paris 1956; Ypma, La promo­tion au lectorat chez les Augustins et le ‘De lectorie gradu’ d’Ambroise de Cora, in: Augustiniana 13 (1963), 391 – 417.

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program, the names of those sent rarely appear in the records of an order. From the standpoint of the exchange of ideas and texts, however, those sent for the lectorate program may have been as important for the transmission of texts as those sent to Paris for the doctoral program. This flow of mendicant students to and from Paris ensured cross-­fertiliza­tion and a continual updating of theological ques­tions and issues at the mendicant studia of the provinces, along with the names of bachelors and masters who were contributing to this scholastic enterprise, decade by decade. In contrast to this continuous flow of lectorate students, the German provinces of the mendicant orders had less opportunity after c. 1300 to send ­friars to Paris for the baccalaureate and doctorate in theology. This was because each order could present only one candidate each year to read the Sentences at Paris. And since the French province of each order controlled most of those openings – half in the case of the Dominicans and a third in the case of the Franciscans – all the other provinces of each order had to compete at the level of the general chapter for the remaining opportunities. As a result, candidates from the German provinces of the Dominican and Augustinian orders were able, on the average, to send a friar to Paris for the baccalaureate and doctorate only once in a decade. The German Carmelites were somewhat less successful. The Franciscans pose a special case. With the large number of Franciscan provinces in Italy, and the importance of the southern French and Spanish provinces within that Order, only one or two Parisian doctors of theology from Germany can be documented among the Franciscans for the entire fourteenth century. To compensate, the mendicant orders in Germany, particularly the Franciscans, used their studia generalia in Germany to prepare bachelors, and credentialed doctors of theology at Bologna and Prague or through the pope mandating the examina­tion and promo­tion of a candidate by a small number of those who held that highest degree. Because of the limited opportunity for German mendicants of promo­tion at Paris, the mendicant studia at Cologne in the fourteenth century func­tioned almost as if they were degree-­granting institu­tions, preparing select students for the doctorate in theology in all but title. Let me take one example from the Dominican studium at Cologne, that of Henricus Cervo, or Heinrich Hirsch. His biography was assembled by Gabriel Löhr and Martin Grabmann almost a century ago.26 He was a native of Cologne,

26 G. Löhr, Beiträge zur Geschichte des Kölner Dominikanerklosters im Mittelalter, Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens in Deutschland 15 – 17, Leipzig

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entered the Dominican order there before 1338, and was probably among those chosen by the province of Teutonia, that is, the province of Cologne, to be sent to Paris for the lectorate program. He had probably completed his theological training, including reading the Sentences, by the time he was appointed lector primarius at the Cologne convent at the meeting of the Dominican General Chapter at Magdeburg in 1363. He was prior of the Cologne convent by 1366 and in 1367 was reappointed lector primarius for three more years. As Grabmann noted, Cervo was a strong defender of the posi­tions of Thomas Aquinas, but he was also aware of, and often argued against, views of fourteenth-­ century English authors, such as Walter Burley and Thomas Buckingham, as well as Parisian theologians such as the Cistercian John of Mirecourt and the Augustinian Hermit Alfonsus Vargas of Toledo. Cervo may have acquired knowledge of those authors at Paris, if he had been sent there for the lectorate program in the late 1340s or early 1350s. It is equally possible, however, that he acquired his knowledge from texts that had come into the Dominican library at Cologne or through the writings of others. Both Löhr and Grabmann assumed that Cervo’s ques­tions on the Senten­ ces were composed and presented at Cologne in or shortly before 1362. This is based on an entry in the catalogue of the Dominican library at Vienna, which describes the second half of codex 191 (formerly codex 157), as “Henrici de Cervo Coloniensis lectura 4 Sententiarum. 1362.” But ‘Coloniensis’ in that entry refers to Cervo himself and not to the loca­tion where the lectures were held. Moreover, it is unclear whether 1362 is the date of the lectures or the date of this manuscript copy. These ambiguities are important, since it is possible that Cervo’s lectura was read at Paris. The Dominican records of sententiarii sent to Paris are incomplete, although far better than those of the other mendicant orders. Extant records present an unbroken sequence of Parisian Dominican sententiarii between 1320 and 1351, but what records survive are missing that informa­tion from 1352 to 1363.27 1359 – 60 and 1361 – 62 were years in which an extern, namely a candidate outside the Dominican province of France, read the Sentences at Paris, 1920, 1922; Löhr, Die Kölner Dominikanerschule, Fribourg 1946; repr. Köln 1948; M. Grabmann, Die Sentenzenkommentar des Magister Henricus de Cervo und die Kölner Dominikanertheologie des 14. Jahrhunderts, in: Archivum Fratrum Praedicatorum 12 (1942), 98 – 117; repr. in: Mittelalter­liches Geistesleben, Bd. III, München 1956, 352 – 369. 27 Denifle included in CUP all appointments of Dominican sententiarii at Paris that survived in the records of Dominican general chapter meetings.

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and also years for which we have no informa­tion on where Cervo was. We do have cita­tions from the principial ques­tions of the Dominican bachelor at Paris in both of those years, as cited by Bonsemblans Baduarius in 1359 – 1360 and by John of Falesca in 1361 – 1362. But we have only Cervo’s ques­tions from his l­ ectura, not from his principia, and thus no way of confirming or excluding any connec­tion between Cervo and the opinions of the Dominican bachelor in those two years in which a non-­French Dominican would have been reading at Paris. As intriguing as it might be to imagine that Cervo was a bachelor of theology at Paris and perhaps even incepted there as a doctor of theology, there is no hard evidence for this. Whatever the source, Cervo’s interest in issues in contemporary theology concerning intension and remission of forms, perplexity of the will in choosing a lesser evil, as well as knowledge of the arguments of fourteenth-­century Oxford and Parisian theologians are important for the understanding of theological discussion at Cologne in the second half of the fourteenth century. It is further evidence that topics beloved by the moderni were much in discussion at Cologne in the middle and latter part of the fourteenth century.28 If Cologne followed the pattern of other towns and cities in which three or four mendicant convents maintained studia for their orders, there would have been disputa­tions among friars from various convents. Such was the case at Amiens in the late 1350s, where we find Franciscan friars debating Augustinian friars in prepara­tion for reading the Sentences at Paris.29 Mendicant doctors of theology resident in a city also engaged each other in debate, such as occurred in 1355 at York in England between the Franciscan John Mardislay and the Dominican William Jordan over the Immaculate Concep­tion. Whether or not disputa­tions were held at Cologne between theological students and lectors from different convents, lectors at those convents provided a steady diet of university-­level lectures on Scripture and the Sentences. It is also important to note the topographical rela­tionship of those convents to each other and to the cathedral and collegiate churches of Cologne. The convents of the four major mendicant orders formed a line running north to south just to the west or east of the Hohestrasse in the Altstadt. At the north 28 On this issue, see W. J. Courtenay, Theologia anglicana modernorum at Cologne in the Fourteenth Century, in: Die Kölner Universität im Mittelalter, Miscellanea Mediaevalia 20, ed. A. Zimmermann, Berlin 1989, 245 – 54. 29 K. H. Tachau, French Theology in the mid-­Fourteenth Century, in: Archives d’histoire doctrinale et littéraire du Moyen Âge 51 (1984), 41 – 80.

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end of that line, the Dominican convent was adjacent to Sankt Andreas, near the Dom. A short distance to the south, adjacent to what is now the Wallraf-­ Richartz-­Museum, was the Franciscan convent, where Duns Scotus was buried, although the medieval remains of that tomb have not survived – a post-­war version of the tomb can be found today in the Minoritenkirche. Further to the southeast was the convent of the Augustinian Hermits, just north of Maria im Kapitol, and beyond that the Carmelite convent between Sankt Georg and St.  Maria-­Lyskirchen. The topography of those convents is important not only for the emergence of the faculty of theology at Cologne, which held its meetings in the chapter house of the Dom, but because the chapter house of Sankt Andreas, next to the Dominican convent, was the site chosen for the first meeting of the university at which the rector was elected. By 1390, however, such meetings were held in the great refectory of the Franciscan convent, perhaps because it offered more space or was more centrally located. Along with the Dom, those convents provided the topographical core of the faculty of theology and to some extent the core of the university community.

3  The Faculty of Theology at Cologne As should by now be apparent, if evidence for the University of Cologne emerging from active cathedral and collegiate schools is lacking, the same cannot be said of the faculty of theology. As has been argued, the mendicant convents in Cologne in the fourteenth century were offering the same type of theology, taught in the same way, as would be found at the universities of Oxford, Paris, and Prague. And immediately after the list of the 20 founding members of the University in the matricula­tion records, we find the names of seven masters of theology, including that of Gerard of Kalkar, who was also listed first among the founding professors. The others in this group of seven were two Carmelite masters, Simon Arnwylen of Speyer 30 and John Brammart of Aachen 31, 30 On Simon’s biblical works, see F. Stegmüller, ed., Repertorium Biblicum Medii Aevi, vol. V, Madrid 1955, 225 – 26 #7686 – 7687. 31 On Brammart, see B. M. Xiberta, De scriptoribus scholasticis saeculi XIV ex ordine Carmelitarum, Louvain 1931, 414 – 452. Brammart’s commentary on book I of Lombard’s Sentences survives in several manuscripts; see F. Stegmüller, Repertorium Commentariorum in Sententias Petri Lombardi, Würzburg 1947, 196 – 97 #409.

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two Augustinian masters, Gyso of Cologne and Nicholas of Neuss, and the principal lector at the Dominican convent, Alexander of Kempen. These were the primary or secondary lectors at their respective convents, and in the case of Simon, Gyso and Nicholas, they had taught in Cologne for many years. ­Brammart, who had read the Sentences at Paris in 1380 – 81 and subsequently incepted as doctor of theology at Bologna, probably arrived at the Carmelite convent in Cologne between 1385 and 1388. The seventh master of theology was Reginald of Buxeria, otherwise known as Reginald of Aulne.32 He was a Cistercian monk from the monastery of ­Aulne-­­sur-­Sambre in eastern Belgium near Charleroi. He had studied at the Collège de Saint Bernard in Paris, read the Sentences there in 1373 – 74, and was licensed and incepted as a doctor of theology at Paris in 1377. While at Paris as regent master, he supported the University in May 1379 in recognizing C ­ lement VII as the legitimate pope. Also while at Paris he overlapped with (and probably would have known) Henry of Langenstein and Marsilius of Inghen. He apparently remained at Paris until 1382, and later migrated to Heidelberg in late 1385 or early 1386, where he was granted a stipend from Rupert I and along with Marsilius of Inghen was a founding member of that university. He was the first professor of theology at Heidelberg, first to take the oaths, and celebrated the inaugural mass for the new university. He transferred to Cologne (nearer his home territory) in 1388 and was the first to matriculate at the University of Cologne in January 1389. Reginald of Buxeria, although a Cistercian monk, seems to have taught secular as well as religious students in theology at Heidelberg and Cologne. In this regard university-­trained Cistercian theologians in the fourteenth century operated differently from mendicant regent masters, who were primarily concerned with students in their own orders, although their classrooms and disputa­tions were open to others, including secular students. Unlike mendicants, and even unlike Benedictines and Carthusians, Cistercians did not have monasteries in or close to cities. The house of study at Paris, the Collège ­St-­Bernard, is an excep­tion, but it func­tioned as an academic institu­tion rather than as a monastery. Its community was made up of students and masters from 32 On Reginald’s commentaries on Ecclesiastes and on Robert Holcot’s commentary on Sapientia, see Stegmüller, Repertorium Biblicum, vol. V, 62 – 63 #7176, 148 – 49 #7421. At least one manuscript of his Ecclesiastes commentary (Brussels, Bibl. Royale, 248 [2056]) claims the work was composed at Paris in 1396, which would mean he returned to Paris after Cologne.

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Cistercian monasteries across Europe, many if not most of which belonged to the Clairvaux family of daughter-­houses and their dependents. The ties between Cistercian scholars at the Collège St-­Bernard and secular scholars is significant. Earlier in the fourteenth century at Paris the ­Cistercians had employed Conrad of Megenberg – at the time a master of arts in the English-­German na­tion at Paris – to teach logic and natural philosophy to young ­Cistercians. And in the second half of the fourteenth century C ­ istercian theologians at Paris had a shaping influence on secular theologians who ­presumably attended their lectures. Such is the case with Richard Barbe, who adopted posi­ tions developed by the Cistercian master Gottschalk of Nepomuk, and Marsilius of Inghen, who referred to the Cisterican master James of Eltville as “magister meus bone memorie.” It was to Eltville, abbot of the monastery of Eberbach, that Henry of Langenstein first went and stayed with after leaving Paris, before going to Vienna. Although Gottschalk and Eltville returned to their respective monasteries, other Cistercians, such as Conrad of Ebrach at Bologna and ­Reginald of Buxeria at Heidelberg and Cologne, chose an academic teaching career in a university rather than settle at an isolated monastery. What is remarkable about the initial group of theological professors at ­Cologne is that there was no Franciscan master among this founding group, although by January 1390 the meetings that elected the rector of the University were regularly held in the refectory of the Franciscan convent. The first Franciscan to become professor in the faculty of theology was John Berenbach in 1393, and the second was Tilmann Lamberti Ruwen of Bonn [de Bunna], who had matriculated in 1390 and who in 1398 was elected dean of the faculty of theology. Although the Cologne convent had long been a studium generale for the Franciscans, the Franciscan studia generalia at Strasbourg and Magdeburg appear to have been more important in the fourteenth century for the training of Franciscans who were accorded the title of master of theology. For the first decade of the faculty of theology at Cologne, professors belonging to the religious orders far outnumbered their secular colleagues. Initially there had been only one professor belonging to the secular clergy, Gerard of Kalkar, and only gradually did their numbers begin to match those of their religious colleagues. But it is well to remember that Reginald of Buxeria primarily taught secular students, and that the classrooms of the mendicant convents were open to secular students. Thus the teaching of mendicant as well as Cistercian masters was influential within the wider intellectual community. As was true of the forma­tion of the faculty of theology at the University of Bologna in 1364, the regent masters in the newly founded University of Cologne

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resulted primarily from the incorpora­tion of the masters of theology already teaching in the religious convents of the city. But precisely when were these mendicant teaching programs incorporated de iure into a faculty of theology and granted the right to confer the doctorate in theology? Twenty-­five years ago Adolar Zumkeller, in his paper at the conference comme­morating the 600th anniversary of the University of Cologne, called atten­tion to a neglected reference in Peter Loy’s Necrologium, copied in the 17th century, stating that Nicholas of Neuss was sent to Rome to seek the confirma­tion and privileges for the University of Cologne.33 Although permission from the Prior General of the Augustinian Order, Bartholomew of Venice, for N ­ icholas to undertake this mission was, according to the document, granted at the General Chapter meeting of the Order at Würzburg on 24 February 1390, the scribe admitted at the end of his entry that he had erred in stating the year for this ac­tion, which should have been 1388, since Urban VI had confirmed the establishment of the university in that year. There is more than a problem of date with the informa­tion in the Necro­ logium. Meetings of the General Chapter of the Augustinian Hermits were held each year at Pentecost, not in February, and the General Chapter held at Würzburg in this period, which authorized the incorpora­tion of their ­Cologne convent into the University, met in May 1391, not in February 1390 or 1388. The scribe apparently had confused ac­tions taken by the Augustinian Order

33 Joachim Brulius, Catalogus Capitulorum et Priorum Provincialium Provinciae Colonien­ sis, f. 1r, in the library of the Augustinian cloister in Ghent, as cited by A. ­Kunzelmann, Geschichte der deutschen Augustiner-­Eremiten, Bd. IV : Die kölnische Provinz bis zum Ende des Mittelalters, Würzburg 1972, 10, n. 36: Nicolaus Nussiensis, qui facta sibi in Capitulo Generali Herbipoli celebrato a Barthomomaeo Veneto Generali facultate Romam abiit, ibique Universitatis Coloniensis confirma­tionem impetravit ac privilegia. Similar informa­tion is found in Hist. Archiv der Stadt Köln, Best. 295, Nr. 62 (formerly Geist. Abt. Nr. 63): Petrus Loy, Necrologium Monasterii Coloniensis fratrum Eremita­ rum S. P. N. Augustini (1630), f. 24r: “cum autem Anno 1390 Generale totius ordinis Capitulum celebraretur concurrentibus et confluentibus ad illud ex toto orbe Patribus, et felicem finem sortiretur VI kalend. Martii [24 February] in urbe Herpibolenti sub [Bar] tholomaeo Veneto XIX Generali, licentiam impetravit, proficiscendi Romam ut a Sede Apostolica obtineret dignitates et privilegia pro Studio Coloniensi, a quo eo ablegatus fuerat. Nota erravi in Anno, iam enim Anno 1388 Urbanus 6. eam confirmarat.” See A. Zumkeller, Das Kölner Augustinerkloster und sein Generalstudium im 14. Jahrhundert – eine Keimzelle der theolo­gischen Fakultät der neuen Universität, in: Die Kölner Universität im Mittelalter, 357 – 365.

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in May 1391, which concerned only the incorpora­tion of the Cologne convent into the University, with ac­tions taken earlier by the Prior General authorizing Nicholas of Neuss to travel to Rome to seek papal permission for the founding of the University. Despite the problems in the Augustinian document, I am inclined to agree with Pater Zumkeller’s conclusion that Nicholas went to Rome in the spring of 1388 and therefore played a role in obtaining the papal bull of founda­tion in May 1388. I would only add that Nicholas was part of a delega­tion on behalf of the Cologne Rat that included representatives of each of the four major mendicant orders as well as others.34 If this interpreta­tion is correct, it adds support for the view that the idea for founding the University may have been suggested to the Cologne Rat by Parisian masters resident in Cologne who would benefit by the crea­tion of a university.

4  Conclusion To return then to the disagreement between Paulsen and Denifle, the University of Cologne as a studium generale was a new beginning, the result of the ac­tions of the leading burghers of the city, acting perhaps on sugges­tions from masters of theology and arts resident in Cologne, who obtained papal recogni­tion and privileges in 1388. For the faculty of theology, on the other hand, it emerged from combining the teaching programs of the mendicant orders along with the participa­tion of Gerard of Kalkar and Reginald of Buxeria. Although histo­ rians may rightly pick one date for the beginning of the University of Cologne, 1388, on the basis of the papal bull, the incorpora­tion of the Augustinian and Carmelite convents with the University in 1391 and the elec­tion of the first dean of the faculty of theology in 1393, suggests that the actual forma­tion of masters into a teaching body in multiple faculties was probably something that emerged across several years, with many different histories involved. 34 Die Chroniken der niederrheinischen Städte, Köln, Bd. 3 (Die Chroniken der deutschen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert, Bd. 14), Leipzig 1877, 728: “In dem vurβ jair sante ein rait van Coellen gen Rome etz­liche moenich van den 4 bedelerorden zo dem pais umb ein gemein studium of universitete van allen facultaten, ind si quamen vur den pais Urbanus ind hielden dem vur die begerde der stat van Coellen, ind he bewil­lichte dat ind bestedichte die ind gaf in privilegie und vriheitden as der hoghen schoil zo Paris.” I thank Helmut Walther for bringing this reference to my atten­tion.

Manfred Groten

Nimis magnum et preciosum iocale?

Der Kölner Rat und seine Universität im 15. Jahrhundert Die mittelalter­liche Kölner Universität war die erste städtische Hochschule, die im deutschen Reich am Dreikönigstag 1389 den Lehrbetrieb aufgenommen hat.1 Verantwort­lich für ihre Sicherheit und ihre Finanzausstattung war der Kölner Stadtrat. Auf dem großen Universitätssiegel von 1392 sieht man unter dem Bild der Anbetung der Heiligen Drei Könige das Kölner Stadtwappen.2 Vom Kölner Erzbischof Friedrich von Saarwerden war keine Unterstützung des Projekts zu erwarten. Sein Offizial war im Gegenteil angewiesen, die erforder­ liche Echtheitsprüfung der päpst­lichen Privilegien für die Kölner Universität so lange wie mög­lich zu verschleppen.3 Aus der Sicht des Erzbischofs war das Vorgehen der Stadt fragwürdig. Ihre faktische Emanzipa­tion von seiner stadtherr­lichen Gewalt akzeptierte er selbstverständ­lich nicht.4 Sie war auch reichsrecht­lich noch nicht anerkannt. Die Kölner Situa­tion unterschied sich

1 Erich Meuthen, Kölner Universitätsgeschichte 1. Die alte Universität, Köln, Wien 1988, S.  57 – 60. 2 Manfred Groten, Älteste Stadtuniversität Nordwesteuropas. 600 Jahre Kölner Universität, Ausstellungskatalog, Köln 1988, S. 64 f. Nr. 72 mit Abbildung. 3 Norbert Andernach (Bearb.), Die Regesten der Erzbischöfe von Köln im Mittelalter 9 (Publika­tionen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 21), Düsseldorf 1983, Nr. 1678 (Anerkennung des Gründungsprivilegs, 3. 12. 1388), Bd. 10, Düsseldorf 1987, Nr. 105 (Mahnung Bonifaz’ IX ., 18. 11. 1391). Druck von Nr. 1678 bei Frank Rexroth, Deutsche Universitätsstiftungen von Prag bis Köln. Die Inten­tionen des Stifters und die Wege und Chancen ihrer Verwirk­lichung im spätmittelalter­lichen deutschen Terri­ torialstaat, Köln, Weimar, Wien 1992, S. 325 f. Nr. 4. 4 Karlotto Bogumil, Die Stadt Köln, Erzbischof Friedrich von Saarwerden und die päpst­liche Kurie während des Schöffenkrieges und des ersten großen abendländischen S­ chismas (1375 – 1387), in: Hugo Stehkämper (Hg.), Köln, das Reich und Europa. Abhandlungen über weiträumige Verflechtungen der Stadt Köln in Politik, Recht und Wirtschaft im Mittelalter (Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln Bd. 60), Köln 1971, S. 279 – 303; Sabine Picot, Kurkölnische Territorialpolitik am Rhein unter Erzbischof Friedrich von Saarwerden 1370 – 1414 (Rheinisches Archiv Bd. 99), Bonn 1977, S. 250 – 281.

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also deut­lich von der der Stadt Erfurt, die für ihre Universitätsgründungspläne im entscheidenden Stadium durchaus die Rückendeckung des Mainzer Erzbischofs hatte.5 Das für „Ratsherren, Schöffen, Bürger und Gemeinde“ ausgestellte Gründungsprivileg der Kölner Universität vom 21. Mai 1388 beschränkte die Mitwirkung der Kölner K ­ irche auf die Verleihung der Kanzlerwürde an den D ­ ompropst.6 Die Dompröpste haben die Obliegenheiten d ­ ieses Amtes aber regelmäßig an einen Vizekanzler delegiert, der dem Lehrkörper der Universität angehörte.7 Die Kölner Erzbischöfe haben das Paradox, dass sie keinen Einfluss auf die Hochschule hatten, an der die meisten ihrer geist­lichen und welt­lichen Amtsträger ausgebildet wurden, erst 1774 durch die Gründung der Maxischen Akademie in Bonn aufgehoben.8 Seit 1786 profilierte sich die Bonner Universität als reform­ orientierte kurkölnische Landesuniversität gegen die als rückständig verschriene städtische Kölner Hochschule.9 Dass es in Köln schon 1394 gelingen würde, die elf städtischen Stifte zur Ausstattung von Professuren heranzuziehen, konnten die Ratsherren 1388 noch nicht wissen.10 Deshalb muss man sich fragen, was sie dazu bewogen hat, von Papst Urban VI. ein Universitätsprivileg zu erbitten. Verstießen sie damit nicht gegen ihren Amtseid, der ihnen vorschrieb, „Gottes Ehre, der Stadt Freiheit und Ehre und das gemeine Beste zu befördern“?11 Denn das Generalstudium war ja keine Einrichtung, die ausschließ­lich den Kölner Bürgern zugute kam, die Errichtung der Universität war vielmehr eine Serviceleistung der Stadt für das Reich und Europa, wenn man es einmal pathetisch formulieren will.12 Ad 5 Robert Gramsch, Erfurt – die älteste Hochschule Deutschlands. Vom Generalstudium zur Universität (Schriften des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt 9), Erfurt 2012, S. 91 f. 6 Text und Übersetzung der Gründungsbulle bei Groten, Stadtuniversität (wie Anm. 2), S. 12 – 15 Nr. 1 mit Nachweis der älteren Drucke. 7 Hermann Keussen, Die alte Kölner Universität. Grundzüge ihrer Verfassung und Geschichte. Festschrift zum Einzug in die neue Universität Köln, Köln 1934, S. 1 – 6. 8 Max Braubach, Die erste Bonner Hochschule. Maxische Akademie und kurfürst­liche Universität 1774/77 bis 1798, Bonn 1966. 9 Meuthen (wie Anm. 1), S. 446 f., Groten, Stadtuniversität (wie Anm. 2), S. 52 – 59. 10 Keussen, Universität (wie Anm. 7), S. 21 – 29. 11 In der Fassung von 1382: goitz ere, der steede vrijheit ind ere in eyn gemeyne beste vort­ zukeren. Walther Stein (Bearb.), Akten zur Geschichte der Verfassung und Verwaltung der Stadt Köln im 14. und 15. Jahrhundert 1, Bonn 1893, S. 117. 12 Zum Einzugsbereich der frühen Kölner Universität vgl. Meuthen (wie Anm. 1), S. 80 – 83.

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ipsius civitatis sed etiam regionum circumadiacentium incolarum commodum et profectum heißt es ausdrück­lich im Gründungsprivileg.13 Um das städtische Schulwesen hat sich der Kölner Rat übrigens weder vor noch nach 1388 sonder­ lich gekümmert. Das hat er den Pfarrern und Privatinitiativen überlassen. Italienische Städte wie Padua, Perugia, Siena und Modena sind schon in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts oder in den ersten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts in die Universitätsfinanzierung eingestiegen.14 In Bologna beteiligte sich die Kommune seit der Mitte des 14. Jahrhunderts an der Professorenbesoldung. Im Reich nörd­lich der Alpen war eine Universität in städtischer Träger­ schaft im Spätmittelalter jedoch eine Ausnahmeerscheinung. Das war 1919, als die zweite städtische Universität in Köln gegründet werden sollte, kaum anders.15 Gegen die Initiative Christian Eckerts, die sich der neue Oberbürgermeister Konrad Adenauer zu eigen machte, regte sich in der Stadt heftiger Widerstand.16 Verständ­lich, wenn man sich vor Augen führt, dass die Universität eine Veranstaltung des Staates sein sollte, deren Kosten sich die Stadt Köln aufzubürden bereit war. In seinem Glückwunschtelegramm vom 17. Juni 1919 würdigte der preußische Kultusminister Konrad Haenisch die ­Kölner Gründung denn auch als eine na­tionale Tat ersten Ranges.17 Angesichts der finanziellen Belastungen und zu erwartender politischer Verwicklungen fällt es nicht leicht zu ermitteln, ­welche Motive hinter der Kölner Universitätsgründung standen.18 Waren die Bettelorden die treibenden Kräfte, wie es die Koelhoff ’sche Chronik von 1499 in der Formulierung sante eyn rait van Coellen gegen Rome etz­liche moenich van den 4 bedelerorden anzudeuten scheint? Tatsäch­lich trat jedoch die Stadt als Antragstellerin auf. Die patri­ zischen Geschlechter, die den Rat bildeten, waren also bereit, die Lasten, die die Hochschule verursachen würde, zu schultern. Was hat sie dazu bewegt? Am ehesten der Wunsch, ihr Prestige zu steigern. Diese Vermutung lässt sich allerdings in den Quellen nicht verifizieren.

13 Wie Anm. 6. 14 Walter Rüegg, Geschichte der Universität in Europa 1, München 1993, S. 97, 100. 15 Bernd Heimbüchel, Die neue Universität. Selbstverständnis – Idee und Verwirk­lichung, in: Kölner Universitätsgeschichte 2. Das 19. und 20. Jahrhundert, Köln, Wien 1988, S.  273 – 335. 16 Heimbüchel (wie Anm. 15), S. 320 – 322. 17 Groten, Stadtuniversität (wie Anm. 2), S. 124 f. Nr. 166. 18 Rexroth (wie Anm. 3), S. 227 – 268.

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Im Jahre 1396, achteinhalb Jahre nach der Eröffnung der Universität, wurde die Herrschaft der Geschlechter durch einen Aufstand der Kölner Bürger­ gemeinde hinweggefegt.19 Im Verbundbrief vom 14. September 1396 gaben sich Rat und Gemeinde eine neue Verfassung.20 Die Gemeinde wurde in 22 Gaffeln gegliedert, in denen sich Handwerker und Kaufleute organisierten.21 Die Gaffeln wählten jähr­lich 36 Ratsherren, die wiederum 13 weitere Ratsherren kooptierten, das so genannte Gebrech. Der Rat wählte jedes Jahr nach dem Johannistag (24. Juni) zwei Bürgermeister, die den Vorsitz im Rat führten und die Stadt nach außen vertraten. Den Rat bildeten Kaufleute und wohlhabende Handwerksmeister, die sich den Aufwand des nur mäßig vergüteten Ehrenamtes leisten konnten. Die Ratsherren und Bürgermeister mussten jeweils nach einem Jahr aus dem Rat ausscheiden und durften erst nach zwei Jahren wiedergewählt werden. Die 147 Mitglieder von drei aufeinanderfolgenden Räten bildeten eine offene politische Elite, die nicht mehr, wie die der alten Geschlechter, geburtsständisch definiert war. Nur wer wiederholt dem Rat angehörte, durfte sich zu ihr zählen. Die neue Elite speiste sich aus verschiedenen Milieus und war deshalb wenig homogen. Viele ihrer Mitglieder wird man als bildungsfern bezeichnen dürfen. Das hatte zweifellos Konsequenzen für ihre Einstellung zur Universität. Das Jahr 1396 war also ein kritisches Jahr für die junge Kölner Hochschule. Würde die neue Ratsoligarchie, die weit stärker als die patrizischen Geschlechter darauf angewiesen war, in der städtischen Bevölkerung Akzeptanz für ihr Handeln zu finden, die Lasten schultern, die der Schutz und die Finanzierung der Universität mit sich brachten? Wie wir wissen, hat die Kölner Universität überlebt. Welche Faktoren den Fortbestand der Hochschule gewährleistet haben, soll Gegenstand der folgenden Ausführungen sein. Der Beichtvater des Papstes, der Patriarch von Grado Pierre Ameilh, bezeichnete die zu errichtende Universität in seinem Glückwunschschreiben

19 Wolfgang Herborn, Die politische Führungsschicht der Stadt Köln im Spätmittelalter (Rheinisches Archiv 100), Bonn 1977, S. 301 – 303; Klaus Militzer, Ursachen und Folgen der innerstädtischen Auseinandersetzungen in Köln in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts (Veröffent­lichungen des Kölnischen Geschichtsvereins 36), Köln 1980, S.  223 – 243. 20 Druck von Manfred Huiskes in: Joachim Deeters / Johannes Helmrath (Hgg.), Quellen zur Geschichte der Stadt Köln 2, Köln 1996, S. 1 – 28 mit Nachweis der älteren Drucke und Literatur. Vgl. Herborn, Führungsschicht (wie Anm. 19), S. 303 – 318. 21 Manfred Huiskes (Bearb.), Beschlüsse des Rates der Stadt Köln 1 (Publika­tionen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 65), Düsseldorf 1990, S. XV–XIX.

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an die Kölner als nimis magnum et preciosum iocale.22 Hat die Stadt Köln ihre Universität tatsäch­lich als ein außerordent­lich großes und wertvolles Kleinod behandelt? Die Universitätsgründung war mit erheb­lichen Kosten verbunden, die angesichts der Tatsache, dass die Ausgaben der Stadt in erster Linie aus Verbrauchssteuern bestritten werden mussten, nicht leicht aufzubringen waren. Zuerst brauchte die Universität Schulgebäude. Der Artistenfakultät wurde ein Beginenkonvent zur Verfügung gestellt, dessen Bewohnerinnen in das Nachbarhaus umziehen mussten.23 Die Mediziner erhielten in der Artistenschule ein separates Kämmerchen.24 Das Ganze war sicher kein Schmuckstück. Auf repräsentative Wirkung wurde auch bei dem Erweiterungsbau, der vor das alte Konventsgebäude gesetzt wurde, kein Wert gelegt. Dennoch belastete die Bauunterhaltung immer wieder den Haushalt der Stadt. Ansehn­licher fiel ein kompletter Neubau der Artistenschule 1472 aus, dessen Kosten die Stadt zur Hälfte übernahm. Den Juristen stellte die Stadt ebenfalls ein Haus mit Grundstück zur Verfügung.25 Die Errichtung eines Neubaus finanzierte im Jahre 1433 allerdings in erster Linie die Universität, vor allem durch den Einsatz von Stiftungsmitteln. Die Theologen waren von vornherein nicht auf die Großzügigkeit der Stadt angewiesen, weil ihnen das Domkapitel ein Gebäude in der Domimmunität zur Verfügung stellte.26 Die Ordensgeist­lichen lehrten in ihren Konventen. Summa summarum waren auf die Dauer gesehen die Kosten für die Gebäude der Universität überschaubar. Anders sah es mit den Personalkosten aus, auch nachdem 1394 ein Teil dieser Kosten auf die Kölner Stifte abgewälzt worden war. 1407/09 besoldete die Stadt neun Professoren mit insgesamt 385 Gulden.27 Im Jahre 1500 gab sie für zwölf Professoren 714 Pagamentsgulden aus.28 Die Gehälter der Professoren variierten stark. Im frühen 15. Jahrhundert wurden für die Vorlesungen über die Dekretalen und die Digesten 100 Gulden gezahlt, für die Dekretvorlesung wurden dagegen nur 40 Gulden geboten, für die Behandlung der Institu­tionen 22 Groten, Stadtuniversität (wie Anm. 2), S. 15 Nr. 2, Druck bei Rexroth (wie Anm. 3), S. 324 f. Nr. 3. 23 Keussen, Universität (wie Anm. 7), S. 303 – 308. 24 Keussen, Universität (wie Anm. 7), S. 288 f. 25 Keussen, Universität (wie Anm. 7), S. 237 – 239. 26 Keussen, Universität (wie Anm. 7), S. 213 – 215. 27 Keussen, Universität (wie Anm. 7), S. 103. 28 Keussen, Universität (wie Anm. 7), S. 104.

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gar nur z­ wischen 18 und 26 Gulden. Ein Mediziner erhielt 40 Gulden, die Theologen mussten meistens mit noch weniger zufrieden sein. Die Dozenten der Artistenfakultät lebten in der Regel von Hörergeldern. Auch die städtischen Professoren waren natür­lich nicht allein auf ihr Grundgehalt angewiesen. Die Nebeneinkünfte aus Pfründen, Gutachtertätigkeit, Privatpraxis und anderen Quellen konnten es erheb­lich übersteigen. Zu den bezifferbaren Kosten kamen für den Rat eher unkalkulierbare Belastungen hinzu. Das Zusammenleben der Bürger mit einer Korpora­tion eigenen Rechts von der Größe der Universität musste zwangsläufig Konflikte erzeugen. Die für 1389/90 dokumentierten 842 Immatrikula­tionen machten etwa zwei Prozent der Bevölkerung von Köln aus. Mit 2260 Einschreibungen z­ wischen 1496 und 1500 stieg der Akademikeranteil auf gut fünf Prozent der Bevölkerung.29 Der Rat hatte keine Gerichtsgewalt über Magister und Studenten.30 Die Universitätsangehörigen zahlten keine Steuern und leisteten keine Wachdienste. Die Universität nahm nicht am öffent­lichen Leben der Stadt teil. So stellte sie keine Delega­tion für die große Stadtprozession der Gottestracht. Die Hochschule hatte ihre eigenen Zeremonien. Die städtischen Quellen des 15. Jahrhunderts sind voll von mehr oder weniger gravierenden Auseinandersetzungen ­zwischen Bürgern und Universitätsangehörigen. 1480 wurde der Sohn eines Kölner Schneiders des Diebstahls überführt.31 Da er immatrikuliert war, wurde er nicht vor das Hochgericht gestellt, das ihn zum Tode verurteilt hätte, sondern in den Domkerker gesteckt. Der bekannte Theologe Jakob Sprenger verkündete dann öffent­lich das Urteil einer Kommission der Universität: Rutenhiebe vom Rektor, den vier Dekanen und weiteren Magistern, anschließend Stadtverweis. Es kann nicht verwundern, dass die Kölner Bürger wenig Verständnis für so vergleichsweise milde Strafen aufbrachten und oft verbittert reagierten. 1459 beschimpfte ein Schuhmacher die Studenten als Spitzbuben (boeven) und kritisierte auch die Ratsherren: „[…] sie halten den Studenten schützend die Hand über das Haupt und bestärken sie in ihren Missetaten“.32 Konflikte mit Universitätsangehörigen konnten die Interven­tion von auswärtigen Mächten auf den Plan rufen. Der Kölner Rat 29 Keussen, Universität (wie Anm. 7), S. 380. 30 Vgl. die Ausführungen über das studentische Leben bei Keussen, Universität (wie Anm. 7), S. 147 – 164. 31 Huiskes (wie Anm. 20), S. 634 f. Nr. 1480, 33. 32 Groten, Stadtuniversität (wie Anm. 2), S. 97 Nr. 129 (halden den studenten die hant over dat heufft und stercken sy in irre boveryen).

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musste sich auch außerhalb seines Zuständigkeitsbereichs für die Belange der Dozenten und Studenten einsetzen und dabei wiederum nicht selten kostspielige Rechtsstreitigkeiten in Kauf nehmen. Wie ernst die Stadt den Schutz der Studenten nahm, belegt eine in der Kölner Stadtchronistik überlieferte Episode aus dem Jahre 1402: Sechs junge Männer kamen nach Köln mit dem Auftrag, einen niederländischen Studenten zu ermorden. Alle wurden verhaftet und zum Tode durch Enthauptung verurteilt, weil „die Herren von Köln die Studenten gefreit und ihnen Schirm zugesagt hatten“.33 Den Kosten und Belastungen standen positive Effekte gegenüber, die sich aus der Gründung der Universität in der Stadt ergaben. Für die Bürger reduzierten sich die Kosten des Universitätsstudiums ihrer Söhne. Der Prozentsatz der Familien, die sich eine ­solche Ausbildung leisten konnten oder wollten, war allerdings verschwindend gering. Aus der Perspektive der Oberschicht, die die Universität als Ausbildungsstätte für ihre Söhne durchaus in Betracht zog, erschien der Vorteil natür­lich größer. Die Hochschule vor der Haustür nutzten allerdings auch breitere Kreise der städtischen Bevölkerung zumindest versuchsweise. So notierte Johann Slosgin, dass sein Sohn Johann am 12. März 1431 in die Burse Heimeriks de Campo auf genommen wurde und sie im März 1432 wieder verließ, ind solde bi ons onse kremeri leren.34 Also ein Schnupperstudium für einen angehenden Kaufmann. Immatrikuliert wurde Johann nicht. Andere Bürger immatrikulierten sich, um als Universitätsangehörige ihren Gläubigern ein Schnippchen zu schlagen oder mit Hilfe des geist­ lichen Gerichts Forderungen durchzusetzen.35 Diese Strategien verurteilte der Rat selbstverständ­lich. Den größten Nutzen aus der Existenz einer Hochschule in Köln zog der Rat selbst. Viele Sekretäre der städtischen Kanzlei und andere Schreiber in Diensten des Rates hatten an der Kölner Universität studiert. Für

33 Die Chroniken der deutschen Städte vom 14 bis ins 16. Jahrhundert 13 (Die Chroniken der niederrheinischen Städte, Cöln 2), Leipzig 1876, S. 92: umb dat die heren von Collen den studenten gevriet ind schirm zogesaicht hatten. 34 Hermann Keussen (Bearb.), Regesten und Auszüge zur Geschichte der Universität Köln 1388 – 1559 (Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln 36/37), Köln 1918, S. 68 Nr. 475. Zur Quelle vgl. Kerstin Seidel, Freunde und Verwandte. Sozia­le Beziehungen in einer spätmittelalter­lichen Stadt (Campus Historische Studien 49), Frankfurt/New York 2009, S.  130 – 149. 35 Beispiele: Keussen, Regesten (wie Anm. 34), S. 253 Nr. 1892, S. 280 Nr. 2067, S. 281 Nr. 2074, S. 285 Nr. 2093.

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Hochschulabsolventen war die städtische Kanzlei ein durchaus attraktiver Lernort für eine praktische Tätigkeit.36 Der Kölner Rat profitierte von einem großen Angebot von jungen Männern, die mit guter Vorbildung eine Kar­ riere als Schreiber in der städ­tischen Verwaltung anstrebten. Die Universität erweiterte also für die städtische Kanzlei den Rekrutierungskreis. Welche Bedeutung ­diesem Standortvorteil allerdings beigemessen wurde, ist nicht näher zu bestimmen. Erheb­lich schwerer wiegen dagegen die Fälle, in denen die Stadt aufgrund ihres Universitätspatronats angesehene Gelehrte in ihre Dienste ziehen konnte, die unter anderen Umständen kaum hätten gewonnen werden können. Einige Beispiele sollen diese Zusammenhänge z­ wischen Stadt, Universität und K ­ irche verdeut­lichen. Im Spätmittelalter konnte eine Stadt wie Köln, die in ganz Europa Handel trieb, nicht mehr ohne juristischen Sachverstand auskommen. Deshalb sicherte sich der Rat vertrag­lich die Dienste erfahrener Juristen als Rechtsbera­ ter und Rechtsbeistand. 1417 verdingte sich der Dr. legum Johann vom Hirtz, Spross eines der 1396 entmachteten Patriziergeschlechter Kölns, auf sechs Jahre als diener ind getruwe rait seiner Vaterstadt mit einem Jahresgehalt von 130 rheinischen Gulden zuzüg­ lich der Kosten für standesgemäße Kleidung und eines Weindeputats.37 Johann vertrat den Kölner Rat auf dem Konstanzer Konzil. 1419 erhielt er einen Dienstvertrag auf Lebenszeit. Bevor ihn die Stadt als Rechtsbeistand gewinnen konnte, hatte Johann eine akademische Karriere durchlaufen. 1370 ist er als Student in Bologna nachzuweisen, 1389 ließ er sich in die Kölner Matrikel eintragen. Zu dieser Zeit amtierte er übrigens zugleich als Kölner Offizial und musste in dieser Funk­tion – wie schon eingangs erwähnt – die Anerkennung von päpst­ lichen Privilegien für die Universität verschleppen. Als Doktor im Kaiserrecht lehrte Johann in der juristischen Fakultät und bekleidete 1404/05 das Amt des Rektors. 1414 wurde ihm eine von der Stadt besoldete Professur verliehen, die er bis zu seinem Tod 1426 innehatte. Alle drei Monate quittierte er den Erhalt von 50 Mark Honorar für seine Vorlesung. 1419 wurde sein Lehrdeputat erhöht. 36 Manfred Groten, Pragmatische Schrift­lichkeit im Rheinland im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit, in: Andreas Rutz (Hg.), Das Rheinland als Schul- und Bildungslandschaft (1250 – 1750) (Beiträge zur Historischen Bildungsforschung 39), Köln, Weimar, Wien 2010, S. 211 – 231, hier S. 219 – 223. 37 Stein (wie Anm. 11), S. CXXXVI f. Nr. 48, Hermann Keussen (Hg.), Die Matrikel der Universität Köln 1 (Publika­tionen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 8), Bonn 21931, S. 26 Nr. II, 226.

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In seinem Falle verdichteten sich die Beziehungen zum städtischen Rat also schrittweise, 1414 zunächst im Hinblick auf die a­ kademische Lehre, 1417 zusätz­ lich als Rechtsberater der Stadt. Das universitäre Amt schuf die Voraussetzung für den städtischen Dienst. Der Dr. legum Johann von Neuenstein (de novo lapide) verhandelte 1394 erfolgreich im Auftrag des Kölner Rates in Rom.38 Ihm gelang es, das Privileg über die schon mehrfach erwähnten Pfründen der ersten Gnade zu erwirken. 1403 schloss er einen Vertrag mit der Stadt Köln auf Lebenszeit mit einem Jahresgehalt von 350 Gulden sowie Wohngeld von 24 Gulden und Kleidung. Als geschworener Rat wirkte er als Verhandlungsführer für die Stadt an verschiedenen Orten. Seine Studien hatten Johann über Heidelberg und Bologna nach Köln geführt, wo er 1392 als Dr. legum und Kleriker der Lütticher D ­ iözese immatrikuliert wurde. Er bekleidete sogleich das Dekanat der juristischen Fakultät und wurde 1395 zum Rektor gewählt. Johann von Neuenstein war nicht nur ein bedeutender Rechtsgelehrter, sondern auch ein mit zahlreichen Pfründen ausgestatteter Weltgeist­licher. Schon 1374 besaß er ein Kanonikat am Aachener Marienstift. Es folgten Kanonikate in St. Servatius in Maastricht, St. Andreas in Worms, St. Martin in Lüttich und St. Mariengreden in Mainz. Auf der Pfarrstelle in Kitzingen bei Würzburg konnte er sich nicht durchsetzen. 1419 beendete er seine Lehre des Kaiserrechts und zog sich aus dem städtischen Dienst zurück, verpflichtete sich aber, im Bedarfsfall dem Kölner Rat weiterhin zu Diensten zu stehen. Bis zu seinem Tod 1447/48 lebte er in Maastricht als Dekan des Servatiusstifts. Der gebürtige Kölner Johann Stommel übernahm 1417 als Protonotar die Leitung der städtischen Kanzlei für ein Jahresgehalt von 500 Mark plus Sachleistungen.39 Bis 1442 wirkte er als Protonotar, dann übernahm er bis zu seinem Tod 1455 die Aufgaben eines städtischen Rates. Johann wurde nach Studien in Erfurt 1399 in Köln immatrikuliert. Vor 1410 erwarb er in Paris den Grad des Magister artium. Seit 1410 lehrte er in der Kölner Artistenfakultät, von 1414 bis 1423 als Inhaber der Universitätspfründe des Stiftes St. Aposteln. Er engagierte sich aber auch als Kanoniker des Stifts. 1442 übernahm er in St. Aposteln das Amt des Scholasters, 1449 das des Dekans. 1440 wurde er auch Pfarrer von St. Kolumba in Köln.

38 Stein (wie Anm. 11), S. CXXXV Nr. 42, Keussen, Matrikel (wie Anm. 37), S. 66 Nr. 12, 23. 39 Stein (wie Anm. 11), S. CXXXIX–CXLIII Nr. 51, Keussen, Matrikel (wie Anm. 37), S. 98 Nr. 44, 1.

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Der Doktor im Kirchenrecht, Lizentiat im römischen Recht und Kanoniker der Osnabrücker Domkirche Johann Schücking von Coesfeld trat 1437 für zunächst acht Jahre mit einem Grundgehalt von 150 Gulden in den Dienst der Stadt Köln.40 Johann wurde 1421 als Kleriker der Diözese Münster in Köln immatrikuliert. Von 1425 bis 1427 lehrte er in der Artistenfakultät. 1427 besuchte er die Universität Löwen. Als Baccalaureus des Kirchenrechts bekleidete er 1431 in Köln das Rektorat (noch einmal 1449). 1435 fungierte er als erzbischöf­licher Offizial. 1436 wurde dem inzwischen zum Doktor im Kirchenrecht Promovierten eine städtische Vorlesung verliehen. 1440 war er Dekan der Juristenfakultät. Johanns Aufgabengebiet im städtischen Dienst war vor allem die Vertretung Kölns im Hanseraum. 1439/40 verhandelte er in Brügge über die Beilegung des Schossstreits, 1441 besuchte er den Hansetag in Lübeck. Bis zu seiner Entlassung aus dem städtischen Dienst im Jahre 1449 war er in den Niederlanden, am Hof des Herzogs von Burgund und in England tätig, dort auch als Kommissar des Bischofs von Münster. 1443 reiste er nach Oberdeutschland. Bis zu seinem Tod 1452 blieb er Inhaber eines Kanonikats an St. Andreas in Köln. Andere Juristen wurden fallweise mit bestimmten Missionen betraut. So wirkte der Dekretist Wilhelm von Werden als Prozessbevollmächtigter des Rates an der Kurie in Rom, bis er sich 1472 nach Ingolstadt abwerben ließ.41 Die Beispiele für Karrieren, die über die Universität und die Kölner Stifte in den Dienst der Stadt führten, ließen sich noch erheb­lich vermehren. Hier sollen die vorgestellten Fälle genügen. Von Interesse für den Kölner Rat waren auch die stiefmütter­lich behandelten Mediziner, die als Berater in Sanitätsfragen und bei der Seuchenbekämpfung in Anspruch genommen wurden.42 Sie waren für die Lepraschau und die Überwachung von Apotheken und Barbieren zuständig. Kölner Mediziner waren bei den benachbarten Fürsten als Ärzte begehrt. Ihre Beurlaubung konnte der Kölner Rat zur Beziehungspflege zu den erlauchten Patienten n ­ utzen.43 Auch die Juristen übernahmen Aufträge der rheinischen Landesherren. 1443 vermittelte der Rat die Erstellung von Rechtsgutachten durch 22 Doktoren für den Herzog von Kleve.44 40 Stein (wie Anm. 11), S. CXLVIII f. Nr. 56, Keussen, Matrikel (wie Anm. 37), S. 235 Nr. 132, 23. 41 Huiskes (wie Anm. 20), S. 478 f. Nr. 1472, 45. 42 Keussen, Universität (wie Anm. 7), S. 273 – 278. 43 Beispiele: Keussen, Regesten (wie Anm. 34), S. 240 Nr. 1790, S. 272 f. Nr. 2013, S. 300 Nr. 2203. 44 Keussen, Regesten (wie Anm. 34), S. 104 Nr. 892.

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Das Patronat über die Universität steigerte somit in vielfältiger Weise das Prestige des Kölner Rates. Keinen Einfluss hatte der Rat auf die Besetzung der Kölner Pfarreien. Es ist deshalb nicht unmittelbar auf sein Einwirken zurückzuführen, dass Pfarrstellen mit Professoren der theolo­gischen Fakultät besetzt wurden. In der praktischen Seelsorge werden diese gelehrten Herren auch kaum in Erscheinung getreten sein. Im 15. Jahrhundert gab es keine unmittelbare Vertretung der Universität im Rat. Die recht­liche Sonderstellung der Hochschulangehörigen und Graduierten schloss sie von der Mitgliedschaft im Stadtrat aus. Der Jurist Johann vom Hirtz, der seit 1484 regelmäßig dem Rat angehört und auch das Bürgermeister­amt bekleidet hatte, musste 1494 förm­lich auf seine akademischen Privilegien verzichten.45 Erst Hermann Weinsberg wurde 1543 ohne entsprechende Auflagen in den Rat gewählt.46 Für die Beziehungen der Stadt zur Universität waren die vier Provisoren zuständig, die der Rat aus seinen Reihen wählte.47 Ihrem Amtseid gemäß mussten sie „das Studium verantworten und es beschützen in seinen Sachen und ihm helfen zu seinem Recht“.48 Sie hatten das Vorschlagsrecht für die Besetzung der städtischen Professuren und gemeinsam mit dem Rektor das Präsenta­tionsrecht für die Vergabe der elf Stiftspfründen der ersten Gnade an Professoren. Bei Pflichtverletzungen konnten die Provisoren Verleihungen auch wieder rückgängig machen. So verlor 1469 der Jurist Johann von Erpel sein städtisches Gehalt, nachdem er das Amt des Kanzlers des Herzogs von Geldern gegen den Willen des Rates angenommen hatte.49 45 Hermann Keussen, Die Stadt Köln als Patronin ihrer Hochschule von deren Gründung bis zum Ausgange des Mittelalters, in: Westdeutsche Zeitschrift 10 (1891), S. 62 – 104, hier S.  92 – 95. 46 Konstantin Höhlbaum (Hg.), Das Buch Weinsberg. Kölner Denkwürdigkeiten aus dem 16. Jahrhundert 1 (Publika­tionen der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde 3), Leipzig 1886, S. 198 f. Zu den Veränderungen seit dem späten 16. Jahrhundert vgl. ­Wolfgang Herborn, Der graduierte Ratsherr. Zur Entwicklung einer neuen Elite im ­Kölner Rat der frühen Neuzeit, in: Heinz Schilling / Herman Diedericks (Hgg.), Bürger­liche Eliten in den Niederlanden und in Nordwestdeutschland. Studien zur Sozia­lgeschichte des euro­päischen Bürgertums im Mittelalter und in der Neuzeit (Städteforschung A 23), Köln, Wien 1985, S. 337 – 400. 47 Keussen, Universität (wie Anm. 7), S. 95 – 101. 48 Rexroth (wie Anm. 3), S. 336: Vort so sollen si dat studium verantworden und beschermen in iren saechen unde helfen si zo irem reicht. 49 Huiskes (wie Anm. 20), S. 372 Nr. 1469, 51.

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Wenn die Begünstigung bestimmter Kandidaten auch ausdrück­lich verboten war, so lässt sich doch immer wieder nachweisen, dass die Provisoren ihre Rechte zur Förderung von Verwandten und Freunden oder zum Aufbau von Klientelverhältnissen missbraucht haben. Es gibt auch Fälle, in denen der Rat die Provisoren angewiesen hat, bestimmte Bewerber zu berücksichtigen. 1493 sollte der Schwager eines Bürgermeisters eine frei gewordene Pfründe erhalten, die nächste sollte dem Sohn des Protonotars verliehen werden.50 Dass der Rat seine Befehle mit der Erklärung garnierte, so etwas werde in Zukunft nicht mehr vorkommen, wird die Provisoren kaum beeindruckt haben. 1496 wurde ihnen denn auch nach längerem Taktieren ein Wunschkandidat Königs Maximilians aufokroyiert.51 Das Kollegium der vier Provisoren war die einzige Kommission des Rates, in die man auf Lebenszeit gewählt wurde. Die singuläre Abweichung von der Maxime der rigorosen zeit­lichen Befristung jeg­licher Amtsführung hatte sach­ liche Gründe. Für die Kölner Ratsherren war die Verwaltung der städtischen Universität eine fremde Materie, in die sich die Verantwort­lichen mühsam einarbeiten mussten. Eine s­ olche Einarbeitung immer neuen Beauftragten zuzumuten, wäre nicht zweckdien­lich gewesen. Im Interesse der bestmög­lichen Betreuung der teuren und prestigereichen Einrichtung verzichtete man daher grundsätz­lich auf die Rota­tion in den Ämtern der Provisoren. Dennoch sollte auch das Provisorenkollegium ein Spiegelbild des sich perio­ disch verändernden Rates sein. Die wechselnde Reihenfolge der Provisoren in den Quittungen der Haich-­Stiftung, auf die noch näher einzugehen sein wird, lässt erkennen, dass in jedem Ratsjahr im Sommer nach dem Amtsantritt der neugewählten Bürgermeister die Rangfolge der Provisoren neu bestimmt ­wurde.52 An die Spitze des Kollegiums trat jeweils der Provisor, der ein Bürgermeisteramt bekleidete. Nach dem Vorbild der regelmäßig wechselnden Vorsteher der Fakultäten der Universität wurde der erste Provisor Dekan genannt. Waren beide Bürgermeister im betreffenden Jahr Provisoren, erhielt der älteste Bürgermeister den ersten Platz, sein Kollege den zweiten. Die Rangfolge der übrigen Provisoren wechselte ebenfalls jähr­lich. Die Kriterien für die jeweilige 50 Huiskes (wie Anm. 20), S. 771 f. Nr. 1493, 14. 51 Keussen, Regesten (wie Anm. 34), S. 277 Nr. 2048, S. 278 f. Nr. 2057, S. 279 Nr. 2059, S. 283 Nr. 2082. 52 Manfred Groten, Bürgermeister und arme Töchter in Köln 1452 – 1670. Die Stiftung des Kölner Bürgers Heinrich Haich von 1452 (Teil 2), in: Rheinische Vierteljahrsblätter 74 (2010), S. 79 – 126, hier S. 89 f.

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Reihung sind nicht überliefert und aus den Belegen auch nicht eindeutig zu erschließen. Wie begehrt die Posi­tion des Dekans war, erhellt aus der Tatsache, dass Gerhard vom Wasservas, der mächtigste Mann im Rat, nach der Niederschlagung einer Revolte im Jahre 1513 durchsetzte, dass der jeweils dienstälteste Provisor in Zukunft auf Lebenszeit Dekan bleiben sollte.53 In den Jahren bis 1396 war es mit der Kontinuität im Provisorenamt nicht weit her, weil die Machtkämpfe innerhalb der städtischen Elite mehrfach zu Umbesetzungen führten. Unter den Provisoren finden sich sowohl Mitglieder des engen patrizischen Rates als auch Vertreter des weiten Rates.54 Zu Provisoren wurden vor dem Umsturz von 1396 nicht unbedingt die führenden Männer der verschiedenen Parteien gewählt. Man hat nicht den Eindruck, dass das Provisorenamt als besonders prestigeträchtig betrachtet wurde. Die Neubesetzung der Provisorenämter nach der Konstituierung des neuen Gaffelrats Ende 1396 zeigt deut­lich, dass man zunächst auf Männer setzte, die schon in der alten Ordnung eine gewisse Rolle gespielt hatten. Der Provisor Gobel von der Eren stammte aus einem der alten Geschlechter.55 Er zählte zu den wenigen Patriziern, die sich mit den neuen Herren arrangiert hatten und sich im politischen System behaupten konnten. Der erste Gaffelrat kooptierte ihn 1396 in das Gebrech. Die neuen Ratsherren Johann von der ­Meerkatzen und Heinrich upme Velde kamen aus den Kreisen, die vor 1396 über den weiten Rat ein gewisses Maß an Einfluss auf das Stadtregiment gehabt hatten.56 Jakob von Bernsau, dessen Familie ebenfalls dieser Gruppe zuzurechnen ist, wurde 1397 in das Gebrech gewählt.57 Das neue Regime setzte also in seinem Verhältnis zur Universität zunächst auf Kontinuität. Dann rückten aber M ­ änner aus anderen Kreisen nach. Zum Jahre 1401 sind ausnahmsweise sechs Provisoren

53 Groten, Bürgermeister 2 (wie Anm. 52), S. 93 f. Vgl. Manfred Groten, Gerhard vom Wasservas (um 1450 – 1520), in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 52 (1981), S. 93 – 130, auch als Beispiel für die Karriere eines Kölner Bürgermeisters. 54 Rexroth (wie Anm. 3), S. 262 – 265. 55 Herborn, Führungsschicht (wie Anm. 19), S. 447, Herbert M. Schleicher, Ratsherrenverzeichnis von Köln zu reichsstädtischer Zeit von 1396 – 1796 (Veröffent­lichungen der Westdeutschen Gesellschaft für Familienkunde NF 19), Köln 1982, S. 181 Nr. 1052. 56 Herborn, Führungsschicht (wie Anm. 19), S. 574, 538; Schleicher (wie Anm. 55), S. 422 Nr. 2682, S. 195 Nr. 1138. 57 Herborn, Führungsschicht (wie Anm. 19), S. 473, 521; Schleicher (wie Anm. 55), S. 71 Nr. 303.

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belegt. Neben Gobel von der Eren, Jakob von Bernsau und Heinrich upme Velde handelt es sich um die Ratsherren Hermann Pine, Hermann vom Atvange und Heinrich von Zirne, die alle über die Wahl in das Gebrech in den Rat kamen.58 Die Provisorenämter wurden also an besonders angesehene Vertreter des neuen Regiments vergeben, die prominenten Gaffeln wie Eisenmarkt oder Schwarzhaus angehörten.59 Das bestätigt die Beobachtung, dass 1404, 1405 und 1406 mit Gobel von der Eren, Hermann vom Atvange und Jakob von Bernsau drei Provisoren zu Bürgermeistern gewählt wurden.60 Gobel bekleidete 1409/10 erneut das Bürgermeisteramt.61 In der ersten Phase nach 1396 stiegen also Provisoren der Universität zu Bürgermeistern auf. Ob das Provisorenamt ein ausschlaggebender Faktor für die politische Karriere war, soll damit noch nicht gesagt werden. Im zweiten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts kehrten sich die Verhältnisse um. Seit dieser Zeit wurden nur noch Männer zu Provisoren gewählt, die entweder schon einmal das Bürgermeisteramt innegehabt hatten oder die unmittelbar oder bald nach ihrer Wahl zum Provisor Bürgermeister wurden.62 Da sich seit den 20er Jahren des 15. Jahrhunderts die Praxis einbürgerte, Bürgermeister alle drei Jahre wiederzuwählen, verdichtete sich die Präsenz der Provisoren in der Bürgermeisterliste mehr und mehr.63 Nur in ganz wenigen Jahren war keiner der beiden Bürgermeister Provisor. Was wir hier beobachten, ist die Formierung einer politischen Elite, die die in der Verfassung eingeräumten Mög­lichkeiten der regelmäßigen Rückkehr in Machtposi­tionen konsequent nutzte. Die Bürgermeister mussten dennoch 58 Herborn, Führungsschicht (wie Anm. 19), S. 583, 518, 611; Schleicher (wie Anm. 55), S. 74 Nr. 322, S. 42 Nr. 94, S. 610 Nr. 4004. 59 Herborn, Führungsschicht (wie Anm. 19), S. 324 (Statistik der Gaffelzugehörigkeit der Bürgermeister). 60 Wolfgang Herborn, Zur Rekonstruk­tion und Edi­tion der Kölner Bürgermeisterliste bis zum Ende des Ancien Régime, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 36 (1972), S. 89 – 183, hier S. 126. 61 Wie Anm. 60. 62 Vgl. die Liste bei Keussen, Universität (wie Anm. 7), S. 383, die Provisoren ab den 50er Jahren des 15. Jahrhunderts bei Groten, Bürgermeister 2 (wie Anm. 53), S. 81 – 88. 63 Zu dieser Entwicklung vgl. Wolfgang Herborn, Verfassungsideal und Verfassungswirk­ lichkeit in Köln während der ersten zwei Jahrhunderte nach Inkrafttreten des Verbundbriefes von 1396, dargestellt am Beispiel des Bürgermeisteramtes, in: Wilfried Ehbrecht (Hg.), Städtische Führungsgruppen und Gemeinde in der werdenden Neuzeit (Städteforschung A 9), Köln, Wien 1980, S. 25 – 52.

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z­ wischen ihren Amtsjahren eine Karenzzeit von zwei Jahren überbrücken. Die Wahl in den Rat und die Ausübung mög­lichst einflussreicher Ämter h ­ alfen über die Phasen der Entfernung von der Macht hinweg.64 Welche Anziehungskraft das auf Lebenszeit verliehene Amt eines Provisors der Universität in dieser Situa­tion ausüben musste, liegt auf der Hand. Kein Wunder, dass sich die ehrgeizigsten Männer aus der Spitzengruppe der Ratsoligarchie um diese Ämter bewarben und sie auch erlangten. Infolge dieser Entwicklung standen immerhin vier der über einen gewissen Zeitraum regelmäßig amtierenden sechs Bürgermeister in ihrer Funk­tion als Provisoren ständig miteinander und mit dem Rat in Verbindung. Welche Bedeutung sie der Provisorschaft beimaßen, erhellt aus einem Ratsbeschluss von 1441, der es den Provisoren erlaubte, ohne Sank­tionen Ratssitzungen zu versäumen, um Einladungen von Studenten und Magistern zu Feiern und Festessen Folge zu leisten.65 Das konnte bedeuten, dass beide Bürgermeister der Ratssitzung fernblieben. Im Jahre 1454 wurde die Zusammenarbeit der Provisoren noch weiter intensiviert. Am 4. Juli 1452 errichtete der reiche Kölner Bürger Heinrich Haich ein Testament, in dem er jähr­lich 600 oberländische Rheinische Gulden zur Versorgung armer ehrbarer Bürgertöchter bestimmte.66 Mit ­diesem Geld sollte drei oder vier jungen Frauen entweder eine Eheschließung oder der Eintritt in ein Kloster mit Klausur ermög­licht werden. Die Stiftung sollte von vier Männern verwaltet werden, denen als Aufwandsentschädigung jähr­lich je fünf Gulden zustanden. Der Rat wies am 16. Oktober 1454 den Provisoren der Universität diese Aufgabe zu.67 Die Haich-­Stiftung war das ertragreichste sozia­lpolitische Instrument des Kölner Rates. Die jähr­lich zu vergebenden Summen konnten sich im Vergleich mit den von der Stadt zur Verfügung gestellten Personalmitteln für die Universität durchaus sehen lassen. Die Provisoren bewilligten auf Vorschlag von zwei vertrauenswürdigen Gewährsleuten oder Bürgen bedürftigen Frauen Stiftungsmittel, deren Höhe in ihrem Ermessen lag. Zwar handelten sie im Auftrag des Rates, der Dank der Empfänger und Vermittler der milden Gaben richtete sich aber 64 Vgl. das Beispiel Groten, Wasservas (wie Anm. 53). 65 Keussen, Regesten (wie Anm. 34), S. 100 Nr. 861 = Huiskes (wie Anm. 20), S. 184 Nr. 1441, 8. 66 Manfred Groten, Bürgermeister und arme Töchter in Köln 1452 – 1670. Die Stiftung des Kölner Bürgers Heinrich Haich von 1452 (Teil 1), in: Rheinische Vierteljahrsblätter 73 (2009), S. 31 – 78, hier S. 39 – 50. 67 Groten, Bürgermeister 1 (wie Anm. 66), S. 53.

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naturgemäß in erster Linie an die Stiftungsverwalter. Auf diese Weise konnten die Provisoren ein Netzwerk von Klientelverbindungen innerhalb der städtischen Gesellschaft aufbauen, das auch ihre politische Posi­tion abzusichern half. Einzelne Provisoren wurden zudem noch zu Verwaltern der Kronenburse der Juristen ernannt, ein Amt, das zur Vergabe von Pfründen an Studenten berechtigte.68 Das Agieren der Provisoren in hochschul- und sozia­lpolitischen Angelegenheiten würde der Kölner mit dem Begriff Klüngel bezeichnen. Bei den häufigen Treffen der Provisoren werden auch hochpolitische ­Themen erörtert worden sein. Dabei zogen die Beteiligten nicht immer an einem Strang. Letzten Endes hatte ja jeder sein Schäfchen ins Trockene zu bringen, wie Hermann ­Weinsberg in seinen Gedenkbüchern für das 16. Jahrhundert mit zahlreichen Beispielen belegt.69 Aber auch das Ausfechten von Konkurrenzkämpfen im engen Kreis trug zur Stabilisierung eines zunehmend von den Bürgermeistern allein bestimmten politischen Kurses bei. Hermann Weinsberg sprach für seine Zeit vom Regiment der sechs Herren, das den Rat, der nach der Verfassung über alle städtischen Angelegenheiten zu entscheiden hatte, zu einem Akklama­tionsforum zu degradieren versuchte.70 In gewissem Sinne kann man das Provi­sorenkollegium als die Keimzelle einer solchen informellen Konzentra­ tion der politischen Macht betrachten. Die Verknüpfung des Provisorenamtes mit dem des Bürgermeisters schmiedete jedenfalls seit den 20er Jahren des 15. Jahrhunderts eine feste Verbindung z­ wischen der Universität und dem engsten Zirkel innerhalb der Kölner politischen Elite. Die Erhaltung der Universität wurde auf diese Weise zum ureigensten Anliegen der mächtigsten Männer der Stadt. Unter ­diesem Protektorat konnte die Hochschule gedeihen und ihre Mission bis zu ihrer 1797 von den franzö­sischen Eroberern verfügten Schließung erfüllen.

68 Hermann Keussen, Die Kölner Juristenschule und die Kronenburse, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 14 (1932), S. 54 – 91, hier S. 63. 69 Beispiel: Höhlbaum (wie Anm. 46), S. 141 f. 70 Alexandra Vullo, „… ich wurde zu Coln burgermeister werden …“. Die Aufzeichnungen des Kölner Ratsherren Hermann Weinsberg als Dokument einer Ratslaufbahn im 16. Jahrhundert, in: Manfred Groten (Hg.), Hermann Weinsberg (1518 – 1597). Kölner Bürger und Ratsherr. Studien zu Leben und Werk (Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte 1), Köln 2005, S. 115 – 230, hier S. 197 – 206. Die Kompetenz des Rates definiert der Verbundbrief mit der Formel yn moegich ind mechtich laissen bliven und sitzen alre sachen. Vgl. Huiskes / Deeters / Helmrath (wie Anm. 20), S. 6.

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Kölner Theologen und ihre Theologie im Mittelalter Die Namen der Theologen, die nach der Gründung der Universität im Jahre 1388 in Köln gelehrt haben, sind heute, wenn überhaupt, nur noch Spezialisten bekannt.1 Unter denjenigen, die zuvor hier gewirkt haben, finden sich hingegen so bedeutende Gelehrte wie Albertus Magnus und Johannes Duns Scotus, unter den Studierenden kein Geringerer als Thomas von Aquino, der hier mög­licherweise auch erste Schritte als theolo­gischer Lehrer ging. Auf alle drei berufen sich Schulen, die in Köln ihre Spuren hinterlassen haben, frei­ lich mehr im Bereich der Philosophie als der Theologie. Noch in den Dunkelmännerbriefen, der großen humanistischen, hauptsäch­lich gegen die angeb­ lich rückständigen Kölner Theologen gerichteten Satire von 1515 – 1517, werden diese drei Schulhäupter genannt.2 Zunächst ist wenigstens kurz von ihnen zu sprechen, um die Voraussetzungen zu klären, auf denen die Kölner Universitätstheologie des späten Mittelalters aufruht. Danach werde ich mich auf das 15. Jahrhundert konzentrieren.

1 Zur Geschichte der an den Kölner Generalstudien der Bettelorden wie an der Universität betriebenen Theologie während des Mittelalters vgl. den umfassenden Überblick von Erich Meuthen, Die alte Universität (Kölner Universitätsgeschichte 1), Köln, Wien 1988, S.  141 – 202. 2 Vgl. Epistolae obscurorum virorum, hg. von Aloys Bömer, Bd. 2, Heidelberg 1924 (ND Aalen 1978), S. 30. Zum Hintergrund vgl. Gerlinde Huber-­Rebenich, Epistolae obscurorum virorum, in: Deutscher Humanismus 1480 – 1520. Verfasserlexikon, hg. v. Franz-­Josef Worstbrock, Bd. 1, Berlin, New York 2008, Sp. 646 – 658.

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1  Theologie in Köln vor der Gründung der Universität 1.1  Das Generalstudium der Dominikaner 3

Hier ist zunächst von den beiden Dominikanern Albertus Magnus und Thomas von Aquino zu sprechen. Der Schwabe Albertus von Lauingen (um 1200 – 1280) kam zum ersten Mal nach Köln als junger Dominikaner, um an dem 1221 noch vom Gründer seines Ordens, Dominicus, ins Leben gerufenen Konvent seine theolo­gische Ausbildung zu absolvieren. Fortan wurde er häufig Albertus de Colonia genannt. Nach Lehrtätigkeit an verschiedenen Ordenshäusern und an der Universität Paris kehrte er 1248 nach Köln zurück, um hier ein Studium generale seines Ordens aufzubauen und an demselben zu lehren. Das hat er bis 1254 getan. Sein bedeutendster ­Schüler war der schweigsame Thomas von Aquino, den seine Mitstudenten den „stummen Ochsen“ nannten 4 und auf den noch zurückzukommen ist. Albert übernahm 1254 das Amt des Provinzials der deutschen Dominikaner­ provinz, lehrte aber ab 1257 wieder in Köln. Danach wurde er Bischof von Regensburg, welches Amt er jedoch nach zwei Jahren wieder aufgab. Von 1270 bis 1280 lebte er erneut in Köln, wo er auch verstarb und in der ­Kirche der Dominikaner, St. Andreas, begraben wurde. Der Süditaliener Thomas von Aquino (1224/5 – 1274), der wohl im Jahre 1245 mit seinem Ordensgeneral Johannes von Wildeshausen nach Paris gekommen war, begegnete dort Albert, der hier Theologie dozierte. Es existiert sogar eine Handschrift des Kommentars zu „De coelesti hierarchia“ des Pseudo-­Areopagiten, den Albert in Paris vorgetragen hat, und die als Autograph des Thomas gilt.5 Während manche Forscher annehmen, dass Th ­ omas

3 Einen guten Überblick von den Anfängen bis zum 16. Jahrhundert gibt Gabriel M. Löhr, Die Kölner Dominikanerschule vom 14. bis zum 16. Jahrhundert. Mit einer Übersicht über die Gesamtentwicklung, Köln 1948. 4 Jean-­Pierre Torrell, Magister Thomas. Leben und Werk des Thomas von Aquin, übers. v. Katharina Weibel in Zusammenarbeit mit Daniel Fischli und Ruedi Imbach, Freiburg, Basel, Wien 1995 (franz. Originalausgabe Fribourg Suisse 1993), S. 48. 5 Die Authentizität dieser Handschrift, die heute in der Biblioteca Nazionale zu Neapel aufbewahrt wird, wird kontrovers diskutiert. Martin Grabmann zweifelt an ihrer Echtheit (vgl. Martin Grabmann, Die Werke des hl. Thomas von Aquin. Eine literarhistorische Untersuchung und Einführung. Fotomechanischer Nachdruck der 1949 erschienenen 3., stark erweiterten Auflage. Mit Literaturergänzungen v. Richard Heinzmann [Beiträge zur

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bereits vor Albert in Köln war, einen Parisaufenthalt also ausschließen, gehen andere davon aus, dass Albert seinen besten Schüler mit nach Köln nahm, wo beide mög­licherweise Zeugen der Grundsteinlegung des neuen Doms am 15. August 1248 wurden. Thomas, der in Köln wohl zum Priester geweiht wurde, setzte seine Arbeit für Albert fort, indem er eine Reinschrift eines weiteren Kommentars Alberts zum Pseudo-­Areopagiten sowie zu dessen Kommentar der Nikomachischen Ethik anfertigte.6 Mög­licherweise hat Thomas in Köln bereits als Baccalaureus biblicus kursorisch über einige bib­lische Bücher gelesen.7 1252 wurde er auf Empfehlung Alberts nach Paris geschickt, um dort die Sentenzen zu kommentieren.8 Nach der Einschätzung eines der besten Kenner der Biographie des Thomas von Aquino, Jean-­ Pierre Torrell, war „[d]er Aufenthalt in Köln [] für das Leben des Thomas von entscheidender Bedeutung“. Denn er hatte hier „Gelegenheit, sich vom Denken Alberts tief durchdringen zu lassen“9. Überhaupt zog das Generalstudium der Dominikaner in den ersten Jahrzehnten eine interna­tionale Schülerschaft nach Köln.10 Als Lieblingsschüler Alberts des Großen gilt Ulrich von Straßburg (1225 – 1277), der 1248 – 1254 in Köln studierte und anschließend bis 1272 als Lektor in Straßburg wirkte, bevor er Provinzial der deutschen Dominikanerprovinz

Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters 22, 1/2], Münster/Westfalen 1967, S. 436 – 440), während Jean-­Pierre Torrell mit Berufung auf neuere Forschungen gegenteiliger Ansicht ist. Die Tatsache, dass Thomas den Text einer Vorlesung Alberts kopierte, die dieser damals in Paris hielt, und sich dabei an die hier üb­liche Pecienform hielt, dient ihm als Beweis dafür, dass Thomas damals wirk­lich in Paris war, was in der Forschung nicht unumstritten ist. Vgl. Torrell (wie Anm. 4), S. 42 – 46. Mittlerweile konnten Glossen in einem Manuskript der Kölner Dombibliothek mit Werken des Pseudo-­Areopagiten ebenfalls Thomas zugeordnet werden. Vgl. Maria Burger, Codex 30 der Dombibliothek Köln. Ein Arbeitsexemplar für Thomas von Aquin als Assistent Alberts des Großen, in: Heinz Finger (Hg.), Mittelalter­liche Handschriften der Kölner Dombibliothek. Erstes Symposion der Diözesan- und Dombibliothek Köln zu den Dom-­ Manuskripten (26.–27. November 2004) (Libelli Rhenani 12), Köln 2005, S. 190 – 208. 6 Vgl. Torrell (wie Anm. 4), S. 46 f. 7 Vgl. ebd., S. 49 f. 8 Vgl. ebd., S. 57 f. 9 Ebd., S. 47. Als Beispiele nennt Torrell die von Thomas kopierten Texte, von denen sich Spuren in seinem Werk finden lassen, vor allem den Kommentar Alberts zur Nikomachischen Ethik. 10 Zum Folgenden vgl. Meuthen (wie Anm. 1), S. 43 – 45.

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wurde.11 An ihn sowie an Albert schloss sich Berthold von Moosburg (vor 1300–nach 1361) an, welcher 1335 – 1361 am Kölner Generalstudium lehrte und einen auf Proklos zurückgreifenden Platonismus propagierte.12 1323 ist ­Meister Eckhart (um 1260 – 1328) als Magister am Generalstudium bezeugt, dessen Lehrtätigkeit der vom Kölner Erzbischof Heinrich von Virneburg (1244, 1306 – 1332) 1326/27 gegen ihn angestrengte Inquisi­tionsprozess beendete.13 In Köln hörte bei Eckhart der Mystiker Heinrich Seuse (1293/1303 – 1366), der anschließend in seinem heimischen Konvent, dem Konstanzer Inselkloster, als Lesemeister wirkte.14 Die Kölner Dominikanerschule, die zunächst noch breiter aufgestellt war, wird im Verlauf des 14. Jahrhunderts, vor allem nach der Heiligsprechung des Thomas von Aquino im Jahre 1323, immer mehr vom Thomismus dominiert und ihrerseits dazu beitragen, dass sich diese Tendenz immer mehr ausbreitet. 1.2  Das Generalstudium der Franziskaner

Ein Generalstudium der Minoriten ist in Köln seit 1260 belegt. Gegründet wurde es mög­licherweise durch den Generalminister Bonaventura, der kurz zuvor zweimal in Köln war. Der bedeutendste Lehrer war der schottische Franzis­ kaner Johannes Duns Scotus (1265/66 – 1308), der in Paris und Oxford studiert hatte, der nach Lehrtätigkeit in Cambridge, Oxford und Paris, wo er 1305 den theolo­gischen Doktorgrad erworben und als Magister regens gewirkt hat, 1307 nach Köln kam. Hier war ihm wegen seines frühen Todes am 8. November 1308 kein langes Wirken beschieden. Seine letzte Ruhestätte fand er in der Minoritenkirche. Gerade durch diese „fortbestehende körper­liche Präsenz“ scheint er „die Formung der Kölner Franziskanerschule beeinflußt“ zu haben.15 Die von Franziskanern des 17. Jahrhunderts aufgestellte Behauptung, Scotus sei nach Köln gekommen, weil der Rat der Stadt diesen vom Generalminister der

11 Vgl. Franz-­Bernhard Stammkötter, Ulrich v. Straßburg, in: Lexikon für Theologie und ­Kirche, 3. Aufl., Bd. 10 (2001), Sp. 359. 12 Vgl. Walter Senner, Berthold v. Moosburg, in: Lexikon für Theologie und K ­ irche, 3. Aufl., Bd. 2 (1994), Sp. 291 f. 13 Vgl. Alois M. Haas, Eck(e)hart, in: Lexikon für Theologie und K ­ irche, 3. Aufl., Bd. 3 (1995), Sp.  443 – 446. 14 Vgl. Peter Dinzelbacher, Heinrich Seuse, in: Lexikon für Theologie und ­Kirche, 3. Aufl., Bd. 4 (1995), Sp. 1397 f. 15 Meuthen (wie Anm. 1), S. 48.

Kölner Theologen und ihre Theologie im Mittelalter

Minoriten erbeten habe, um eine Universität nach Pariser Vorbild zu gründen, gehört wohl ins Reich der Legende. Für die Herausbildung des Skotismus kommt dem alphabetisch geordneten Handbuch mit den Grundgedanken des Scotus eine gewisse Bedeutung zu, das der wohl aus Köln stammende ­Johannes Coloniensis bzw. Agrippinus verfasst hat, dessen Lebenszeit jedoch ganz unsicher ist.16 1.3  Die Generalstudien der Karmeliten und Augustinereremiten

Auch die Karmeliten und Augustinereremiten verfügten seit den 90er Jahren des 13. Jahrhunderts in Köln über je ein Generalstudium, die aber an Bedeutung hinter denen der Dominikaner und Franziskaner zurückblieben.17 Erich Meuthen resümiert: Rückblickend lässt sich ohne Übertreibung sagen, dass die Epoche der Kölner Generalstudien die Spitzen der euro­päischen Wissenschaft in einer Dichte, Fülle und Vollständigkeit in die Stadt geführt hat, wie dies in der Zeit der späteren Universität auch 18 nicht im entferntesten je und insgesamt der Fall sein wird.

Trotz dieser schlechten Prognose gilt es nun den Blick auf die Theologie zu richten, die nach der Gründung der Universität in Köln betrieben wurde.

2  Die Kölner Universitätstheologie im 15. Jahrhundert Auch wenn die Kölner Universität, wie Erich Meuthen bemerkt, nicht aus den Generalstudien der Mendikanten hervorgegangen ist, stellten diese einen wichtigen Anknüpfungspunkt dar.19 Die Generalstudien gingen auch nicht einfach in der Universität auf. Das Studium der artes absolvierten die Angehörigen der Bettelorden auch nach der Gründung der Universität meist an jenen. Sie setzten dann auch ihr Theologiestudium nicht automatisch in der theolo­gischen Fakultät fort. Sie sind

16 Vgl. ebd., S. 48 f. 17 Vgl. ebd., S. 49 – 51. 18 Ebd., S. 51. 19 Vgl. ebd., S. 150.

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zwar auf theolo­gische Lehrstühle erpicht gewesen, scheuten aber das universitäre Theologiestudium. Das hing offensicht­lich auch mit den hohen Promo­tionskosten zusammen, denen sich die Mendikanten entziehen wollten. Jedenfalls haben Stadt und Universität Köln zu Beginn des 15. Jahrhunderts die Bettelorden mehrfach ersucht, doch end­lich Bakkalare ins Theologiestudium zu entsenden, und bei dieser Gelegenheit auch schon gleich Personalvorschläge gemacht. Daraus kann man umgekehrt schließen, dass die Generalstudien ihr Ansehen keineswegs von der theolo­gischen 20 Fakultät abzuleiten brauchten.

2.1  Die unterschiedlichen Theologenschulen 2.1.1  Dominikaner

Nach wie vor stellten die Dominikaner die wichtigste Gruppe innerhalb der theolo­gischen Fakultät der Kölner Universität dar, auch wenn sie an Bedeutung nicht mit den Gelehrten der voruniversitären Zeit konkurrieren konnten.21 Der bedeutendste Theologe der Frühzeit ist ohne Zweifel Jakob von Soest (um 1360–um 1438)22, der als Prager Magister theologiae seit 1405 an der Kölner theolo­gischen Fakultät lehrte und zugleich das Generalstudium der Dominikaner leitete. Von 1407 bis 1417 bekleidete er das Amt des Dekans der theolo­gischen Fakultät. Länger hat es ihm keiner nachgetan. 1421/22 zog er sich nach Soest zurück. Neben seinem universitären Lehramt war er seit 1409 zugleich Inquisitor für die Diözesen Köln, Utrecht, Münster, Osnabrück, Minden, Bremen und Paderborn. Jakob war demnach ein viel beschäftigter Mann. Dennoch hat er ein reiches theolo­gisches Werk hinterlassen, das allerdings einen eher kompilatorischen Eindruck macht. So hat er eine Auslegung der Messe und des Glaubensbekenntnisses geschrieben und in die zeitgenös­sischen Kontroversen eingegriffen: U. a. sprach er sich in der Tradi­tion seines Ordens gegen die Lehre von der Unbefleckten Empfängnis Mariens aus und nahm Anteil am Kampf gegen die Hussiten und deren Forderung nach dem Laienkelch. In seiner „Historia discipulorum Iesu“ (1412) sammelte er Zeugnisse über die Jünger Jesu aus dem Neuen 20 Ebd., S. 152. 21 Für das Folgende vgl. ebd., S. 154 – 157 sowie Löhr (wie Anm. 3), S. 87 – 97. 22 Vgl. Josef Hermann Beckmann, Studien zum Leben und literarischen Nachlaß Jakobs von Soest O. P. (1360 – 1440) (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikaner­ ordens in Deutschland 25), Leipzig 1929.

Kölner Theologen und ihre Theologie im Mittelalter

Testament, Legenden und Martyrologien sowie aus den Schriften der Kirchenväter. Darüber hinaus beschäftigte er sich mit der Geschichte und den Privilegien seines Ordens. Mehr praktisch orientiert war das Œuvre von zwei Zeitgenossen. Der Hofprediger des wittelsbachischen Grafen von Holland und Seeland, Dirc van Delf, der zuvor in Erfurt gelehrt hatte, wurde 1403 in Köln als Theologieprofessor immatrikuliert. 1404 veröffent­lichte er den ersten Katechismus in niederlän­ discher Sprache („Tafel van den kersten ghelove“), der aus den Werken anderer Dominikaner schöpfte wie Hugo Ripelin von Straßburg († 1268), Jacobus de Voragine (1228/29 – 1298) und Thomas von Aquino sowie Ludolf von Sachsen (um 1300 – 1378), der ­später zu den Kartäusern wechselte. Wie lange er in Köln wirkte, ist nicht bekannt. Johannes de Monte († 1442), der 1409 in Köln das Lizentiat erwarb, lehrte hier nach einem k ­ urzen Zwischenspiel in Prag und der Teilnahme am Konstanzer Konzil bis zu seiner Ernennung zum Weih­bischof in Trier 1419/1421. Er verfasste mit dem alphabetisch aufgebauten Werk „Prosodia et Catholicon“ eine Art Handlexikon mit allem für einen Gelehrten Wissenswerten. Auf dem Basler Konzil war Gottfried Slussel († 1451), der an der theolo­ gischen Fakultät von 1417 bis zu seinem Tod lehrte. Wenn man bedenkt, dass er bei Antritt seiner Professur bereits 50 Jahre zählte, dann hat er sein Lehramt bis ins weit vorgerückte Alter ausgeübt. Außer durch die Mitarbeit an einigen Gutachten, u. a. für das Basler Konzil, ist er literarisch nicht hervorgetreten. Das hinderte nicht, dass er in Köln großes Ansehen genoss. Der bekannteste und am besten erforschte Dominikanertheologe seiner Zeit, Heinrich Kalteisen (um 1390 – 1465)23, hatte zwar in Köln die akademischen Grade bis zum Dr. theol. erworben, wirkte aber hauptsäch­lich in Mainz, wo er im Dom auch seine Sentenzenvorlesung hielt. Als Vertreter des Mainzer Erzbischofs nahm er am Basler Konzil teil und setzte sich dort – anders als die Kölner Theologen – für Papst Eugen IV . (1431 – 1447) ein, der ihn 1440 zum päpst­lichen Hoftheologen (Magister sacri palatii) machte. Auf weitere Kölner Dominikanertheologen des späten 15. Jahrhunderts wie Gerhard von Elten, Dietrich von Susteren und Konrad Köllin wird s­ päter eingegangen werden, wenn vom Kölner Thomismus die Rede ist.

23 Vgl. zu ihm Thomas Prügl, Die Ekklesiologie Heinrich Kalteisens OP in der Auseinander­ setzung mit dem Basler Konziliarismus. Mit einem Textanhang (Veröffent­lichungen des Grabmann-­Instituts NF 40), Paderborn u. a. 1995.

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2.1.2  Franziskaner

Für die Kölner Franziskanertheologen des 15. Jahrhunderts existiert bislang keine zusammenfassende Studie, wie sie Gabriel M. Löhr für die Dominikaner vorgelegt hat. Dies hängt vor allem mit der schlechten Überlieferungssitua­tion zusammen. Etwas besser informiert sind wir nur über Heinrich von Werl (um 1400 – 1463)24, der es immerhin dazu gebracht hat, von einem so bedeutenden Maler wie Robert Campin porträtiert zu werden.25 Heinrich, der zuvor an einem italienischen Generalstudium studiert und dort das erste Buch der Sentenzen erklärt hatte, wurde 1430 in Köln immatrikuliert. Hier las er in den nächsten beiden Jahren kursorisch über die Bibel und erklärte in weiteren zwei Jahren die vier Sentenzenbücher. 1435 wurde er zum Dr. theol. promoviert und wirkte anschließend bis 1461 als Professor an der Kölner theolo­gischen Fakultät. 1432 – 1462 war er zugleich Provinzial der Kölner Ordensprovinz und widersetzte sich der Observanzbewegung. Die überlieferten Teile seines Sentenzenkommentars weisen ihn als Skotisten aus, der sich in die Lehrtradi­tion seines Ordens einfügt, nicht nur in Anlehnung an das in Köln verstorbene Schulhaupt, sondern auch durch Bezüge auf dessen Schüler Franciscus de Maironis (1288 – 1328)26, der in manchem, etwa in der Lehre von der potentia Dei absoluta, die Posi­tion des Lehrers noch verschärft hat. Wenn man von Heinrich Kalteisen absieht, der in Mainz und nicht in Köln lehrte, bezog Heinrich von Werl als Einziger der Kölner Theologen Stellung gegen das Basler Konzil und für Papst Eugen IV., auch wenn nicht sicher ist, ob er jemals dort gewesen ist. An seiner Gegnerschaft gegen das Basiliense änderte auch die Tatsache nichts, dass d ­ ieses Konzil 1439 die Lehre von der Immaculata concep­ tio Beatae Mariae Virginis dogmatisierte, die Heinrich als treuer Gefolgsmann des Duns Scotus bereits 1432 in seinem Sentenzenkommentar vertreten hatte.27

24 Vgl. Sophronius Clasen, Heinrich von Werl, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 8 (1969), S. 430 [Onlinefassung]; www.deutsche-­biographie.de/pnd100945732.html (Zugriff: 21. 11. 2013); Meuthen (wie Anm. 1), S. 158 f. 25 Das auf 1438 datierte Bild, der linke Flügel eines Altars, das den knienden Heinrich im Franziskanerhabit vor Johannes dem Täufer zeigt, befindet sich heute im Prado in Madrid. Vgl. www.museodelprado.es/en/the-­collec­tion/online-­gallery/on-­line-­gallery/ obra/saint-­john-­the-­baptist-­and-­the-­franciscan-­heinrich-­von-­werl (Zugriff: 21. 10. 2013). 26 Vgl. Werner Dettloff, Franciscus de Maironis, in: Lexikon für Theologie und ­Kirche, 3. Aufl., Bd. 4 (1995), Sp. 49. 27 Vgl. Henricus de Werla, Tractatus de Immaculata Concep­tione Beatae Mariae V ­ irginis, hg. v. Sophronius Clasen (Henrici de Werla Opera omnia 1), St. Bonaventure NY, Louvain,

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2.1.3  Karmeliten und Augustinereremiten

Die Karmeliten wie die Augustinereremiten traten hinter den Dominikanern und Franziskanern zurück. Die Kölner Karmeliten, die zu Beginn des 15. Jahrhunderts im Anschluss an das Pariser Ordensstudium philosophisch der via moderna und theolo­gisch der via antiqua folgten, schwenkten im weiteren Verlauf immer mehr auf den Weg eines gemäßigten Realismus ein.28 Damit übernahmen sie, wie auch anderswo 29, mangels einer eigenen Ordensdok­trin den Thomismus. Der Karmelit Nicolaus de Spira († 1435), der in Köln das theolo­gische Lizentiat erworben hatte, wurde 1411 in Bologna zum Doktor promoviert, wo er als Provinzial der niederdeutschen Provinz am General­ kapitel seines Ordens teilnahm. Nach seiner Rückkehr lehrte er an der theolo­ gischen Fakultät und vertrat die Universität auf dem Konstanzer Konzil.30 Weiterhin ist zu nennen Gottfried van Loo († 1470)31, der 1428 – 1433 in Köln lehrte und hier 1434 den theolo­gischen Doktorgrad erwarb. Neben zahlreichen Aufgaben im Orden übernahm er 1442/43, als die noch junge, 1425 gegründete Universität Löwen um eine theolo­gische Fakultät erweitert wurde, dort einen theolo­gischen Lehrstuhl. Für die Studierenden seines Ordens schuf

Paderborn 1955. Dieser Abschnitt aus Heinrichs Sentenzenkommentar (In 3 Sent. d. 3 p. 1) stammt aus einem Sammelband zum Thema, den der Konstanzer Bischof Otto von Hachberg (1388 – 1451, Bischof: 1410 – 1434) zusammenstellen ließ. Vgl. ebd., S. IX–XI. Zur Basler Dogmatisierung und deren Hintergründen vgl. Johannes Helmrath, Das Basler Konzil 1431 – 1449. Forschungsstand und Probleme (Kölner Historische Abhandlungen 32), Köln, Wien 1987, S. 383 – 394. Zu Otto von Hachberg, der trotz Übereinstimmung in der Mariologie zum Basler Konzil auf Distanz ging, vgl. ebd., S. 392, 449. 28 Vgl. Meuthen (wie Anm. 1), S. 159 – 161. Vgl. auch Franz-­Bernard Lickteig, The German Carmelites at the Medieval Universities (Textus et studia historica Carmelitana 13), Roma 1981, S.  223 – 258. 29 Zu nennen sind hier, wenn auch erst ins 17. Jahrhundert gehörend, der philosophische Cursus Complutensis (4 Bde., Alcalá, Madrid 1624 – 1628) sowie sein theolo­gisches Gegenstück, Cursus theologiae Salmanticensis (12 Bde., Salamanca u. a. 1631 – 1712). Vgl. Klaus Reinhardt, Complutenser, in: Lexikon für Theologie und ­Kirche, 3. Aufl., Bd. 2 (1994), Sp. 1286 f.; ders., Salamanca 5) Salmantizenser, in: Ebd., Bd. 8 (1999), Sp. 1477. 30 Vgl. Lickteig (wie Anm. 28), S. 235 – 237. 31 Für das Folgende vgl. Anastase de S. Paul, Loe (Godefroid de), in: Dic­tionnaire de Théologie Catholique, Bd. 9 (1926), Sp. 864 – 867, eine aus den Quellen geschöpfte Darstellung mit von Meuthen (wie Anm. 1), S. 160 etwas abweichenden Angaben. Vgl. auch Lickteig (wie Anm. 28), S. 285 u. ö. (S. 568 [Reg.]).

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er hier ein Kolleg, das 1461 von Pius II . als Generalstudium anerkannt und 1469 der Universität inkorporiert wurde und damit dem Kölner Konkurrenz machte. Als Höhepunkt der Kölner Karmelitenschule gilt Johannes Wyrich (um 1441 – 1515) von Neuß, der 1477 – 1515 das Generalstudium leitete und neben wissenschaft­lich-­theolo­gischer Literatur auch Predigten hinterließ, die seinen Thomismus bezeugen.32 Während die deutschen Augustinereremiten am Ende des Mittelalters insgesamt besser dastehen als andere Ordensprovinzen, fällt die Kölner deut­lich ab. Meuthen kommt zu dem Urteil: Die Augustiner-­Eremiten sind unter den Kölner Bettelordenprofessoren am schwächsten vertreten. […] Bedenkt man, dass der Kölner Konvent mit durchschnitt­lich 130 Religiosen besetzt war, erscheinen der wissenschaft­liche und der geist­liche Ertrag 33 doch wohl reich­lich dünn.

Für eine gewisse Ausstrahlung spricht, dass sich der erste Dekan der neu gegründeten Kölner theolo­gischen Fakultät, der Weltkleriker Johannes de Wasia, in seinem Sentenzenkommentar an den bei den Augustinereremiten üb­lichen realistischen Aegidianismus anlehnte.34 2.1.4  Säkularklerus

Die insgesamt bedeutenderen und einflussreicheren Theologen des 15. Jahrhunderts entstammen dem Weltklerus. Erstaun­lich ist, dass diese Entwicklung an der Wende zum 16. Jahrhundert wieder abbricht.35 Im Folgenden sollen nur die Theologen aus dem Säkularklerus genannt werden, die Weichen gestellt haben. Das sind für den Thomismus Heinrich von Gorkum, Gerhardus de Monte sowie Johannes Tinctoris und Heimericus de Campo für den Albertismus. Die Orientierung an Thomas von Aquino gehörte zur Ordensdoktrin der Dominikaner, weswegen der Albertismus in seinem Orden keine Chance 32 Vgl. Lickteig (wie Anm. 28), S. 252 – 258. 33 Meuthen (wie Anm. 1), S. 161. Vgl. insgesamt ebd., S. 161 f. 34 Vgl. ebd., S. 171. Zu dem Theologen, Ordensgeneral der Augustinereremiten und Erzbischof von Bourges Ägidius von Rom (um 1243 – 1316) und seinem Nachwirken vgl. Adolar Zumkeller, Ägidius von Rom, in: Theolo­gische Realenzyklopädie, Bd. 1 (1977), S.  462 – 465. 35 Vgl. Meuthen (wie Anm. 1), S. 163 f.

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hatte.36 Dass es eine ­solche Bewegung überhaupt gab, ist ebenso wie die Etablierung des Thomismus über die Grenzen des Dominikanerordens hinaus maßgeb­lich Kölner Theologieprofessoren aus dem Weltklerus zu verdanken. 2.1.4.1  Thomismus

Eine wichtige Etappe bei der Etablierung des Thomismus als maßgeb­liche philosophisch-­theolo­gische Denktradi­tion über den Kreis des Dominikanerordens hinaus stellt die Ersetzung des tradi­tionellen Lehrbuches, der Sentenzen des Petrus Lombardus, durch die „Summa theologiae“ des Thomas von Aquino dar. Diese vollzog sich auf breiter Front erst im 16. Jahrhundert. Dabei kommt den Kölner Thomisten eine gewisse Vorreiterrolle zu.37 Hier hat der Gründer der Montana-­Burse, der aus Paris kommende Heinrich von Gorkum († 1431), ein Kompendium der „Summa theologiae“ verfasst, das 1473 in Esslingen gedruckt wurde und in die Reihe der für den Schulgebrauch geschriebenen Abbrevia­ tiones der Summa gehört. Solche Kurzfassungen belegen zwar die Hochschätzung ­dieses Werkes, sind aber in ihrer Kürze kaum geeignet, die Argumenta­tion des Thomas nachzuvollziehen. Heinrichs aus der Diözese Tournai stammender Schüler Johannes Tinctoris († 1469), der eine Zeit lang in Köln dozierte, scheint als erster seinen theolo­gischen Vorlesungen neben den Sentenzen die „Summa theologiae“ des Thomas von Aquin zugrunde gelegt zu haben. Sein Schüler, der Dominikaner Gerhard von Elten († 1484), hat diesen Brauch in Köln weitergepflegt, und dessen Schüler haben ihn an anderen Universitäten etabliert, so in Wien, Freiburg i. Br., Rostock und Greifswald. Der bedeutendste Kommentar zur „Summa theologiae“ aus der Feder eines deutschen Theologen stammt von dem ab 1507 in Heidelberg und von 1511 an in Köln lehrenden Dominikaner Konrad Köllin († 1536), dessen „Expositio in Primam Secundae“ als erster in Deutschland gedruckter Thomas-­Kommentar 1512 in Köln erschien.38 Auf die

36 Vgl. Willehad Paul Eckert, Albert-­Legenden, in: Albert der Große. Seine Zeit, sein Werk, seine Wirkung, hg. v. Albert Zimmermann. Für den Druck besorgt von Gudrun Vuillemin-­Diem (Miscellanea Mediaevalia 14), Berlin, New York 1981, S. 1 – 23, hier S. 20. 37 Zum Folgenden vgl. Erich Höhn, Köln als Ort der ersten Kommentare zur „Summa theologiae“ des Thomas von Aquin, in: Willehad Paul Eckert (Hg.), Thomas von Aquino. Interpreta­tion und Rezep­tion. Studien und Texte (Walberberger Studien. ­Philosophische Reihe 5), Mainz 1974, S. 641 – 655. 38 Vgl. Hieronymus Wilms, Der Kölner Universitätsprofessor Konrad Köllin (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens in Deutschland 39), Köln, Leipzig 1941, S.  47 – 64.

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weitere Geschichte kann hier nicht eingegangen werden.39 Jedoch nicht nur im Bereich der Theologie, sondern auch in dem des Studiums der Artes bzw. der Philosophie sorgten die Kölner Thomisten für die Durchsetzung der Lehre ihres Protagonisten.40 2.1.4.2  Albertismus

Ob es so etwas wie eine albertistische Schule überhaupt gegeben hat, ist nicht unumstritten.41 Nur so viel sei gesagt: Der Kölner Albertismus geht auf H ­ eymericus de Campo (van de Velde; um 1395 – 1460) zurück, der in Paris als Schüler des Johannes a Nova Domo für diese Richtung gewonnen worden war. ­Heymericus kam 1422 nach Köln. Er lehrte in der Artes-­Fakultät und qualifizierte sich in der theolo­gischen Fakultät, wo er 1428 den Dr. theol. erlangte. Bis zu seinem Weggang zum Basler Konzil 1432 lehrte er zunächst noch in der Artes-, dann in der theolo­gischen Fakultät. Nach seiner Rückkehr im Frühjahr 1435 war er für kurze Zeit Vizekanzler der Kölner Universität, bevor er dann nach Löwen ging. Seine albertistische Posi­tion hat Heymericus bereits 1423 in Auseinandersetzung mit dem Thomisten Gerardus de Monte (1431 – 1480), einem Schüler Heinrichs von Gorkum, klargelegt.42 Da es sich dabei um eine sich an Albertus Magnus orien­ tierende philosophische Richtung handelt, die innerhalb des Realismus eine vom Thomismus abweichende Posi­tion vertreten hat, kann dieser Streit hier auf sich beruhen. Wenigstens erwähnt werden muss die Verbindung z­ wischen ­Nicolaus Cusanus (1401 – 1464), der 1425 in Köln studierte, und Heymericus sowie beider Verehrung für den katalanischen Mystiker und Religionsphilosophen ­Raimundus Lullus (1232 – 1316).43 39 Vgl. Peter Walter, Die Ausbildung einer thomistischen Schule seit dem 15. Jahrhundert, in: Volker Leppin (Hg.), Thomas-­Handbuch, Tübingen (im Druck). 40 Vgl. Götz-­Rüdiger Tewes, Die Bursen der Kölner Artisten-­Fakultät bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts (Studien zur Geschichte der Universität Köln 13), Köln, Weimar, Wien 1993, S.  470 – 664. 41 Vgl. Hans Gerhard Senger, Albertismus? Überlegungen zur „via Alberti“ im 15. Jahrhundert, in: Albert der Große (wie Anm. 36), S. 217 – 226. Vgl. auch Meuthen (wie Anm. 1), S. 186 sowie insgesamt S. 186 – 192, Ruedi Imbach, Albertismus, in: Lexikon für Theologie und ­Kirche, 3. Aufl., Bd. 1 (1993), Sp. 337 f. 42 Vgl. die inhalt­liche Beschreibung bei Tewes (wie Anm. 40), S. 358 – 367. 43 Vgl. Eusebio Colomer, Nikolaus von Kues und Raimund Llull aus Handschriften der Kueser Bibliothek (Quellen und Studien zur Geschichte der Philosophie 2), Berlin 1961; ders., Heimeric van den Velde entre Ramón Lull y Nicolás de Cusa, in: Spanische Forschungen der Görresgesellschaft, 1. Reihe, Bd. 21, Münster 1963, S. 216 – 232.

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In dem die Zeit vor der Reforma­tion wie keine andere Frage entzweienden Streit um die Konfiska­tion und Vernichtung der „Judenbücher“ standen die Kölner Thomisten im Gegensatz zu den Albertisten, die den konvertierten Juden Johannes Pfefferkorn (1469 – 1522/23) unterstützten, auf der Seite Johannes ­Reuchlins (1455 – 1522) und der mit d ­ iesem sympathisierenden Humanisten. Die gegen die Kölner Theologen gerichteten Dunkelmännerbriefe treffen darum vor allem die dortigen Albertisten, nicht die Thomisten. Auch die Gegner Luthers an der Kölner Universität sind unter den Albertisten und nicht unter den Thomis­ ten zu finden, die in jenem eher den Reformer begrüßten.44 Damit ist bereits einer der zeitgenös­sischen Streitfälle genannt, in w ­ elche die Kölner Theologen verwickelt wurden. Weitere sollen im Folgenden kurz vorgestellt werden. 2.2  Die Kölner Theologen in den Auseinandersetzungen ihrer Zeit 2.2.1  Der Kampf gegen die Hussiten

Kölner Theologen waren im 15. Jahrhundert, wenn auch eher am Rande, in die Kontroversen mit den Hussiten verwickelt.45 Jakob von Soest verfasste eine Quaestio über den Laienkelch. Dabei handelt es sich um einen späteren, mög­ licherweise im Zusammenhang mit dem Konstanzer Konzil stehenden Zusatz zu seinem Kommentar zur hl. Messe von 1412.46 Mit derselben Problematik beschäftigte sich auch Heymericus de Campo in einem Dialog aus dem Jahr 1425, den er Papst Martin V. (1417 – 1431) widmete,47 sowie erneut 1433 mit einer während des Basler Konzils verfassten „Epistula de communione sub utraque specie“ an den führenden utraquistischen Theologen Jan Rokycana (vor 1400 – 1471), die den Abschluss eines Briefwechsels mit demselben bildet, der Basel bereits wieder verlassen hatte.48 Heymericus war 1432 – 1435 in Basel als Gesandter der Kölner

44 Vgl. Tewes (wie Anm. 40), S. 781 – 786, bes. S. 784. 45 Zum Folgenden vgl. Meuthen (wie Anm. 1), S. 164 f. 46 Vgl. Beckmann (wie Anm. 22), S. 16, 97. 47 Vgl. Heymericus, Epistola ad Martinum V. (Hussiten-­Dialog), hg. v. Rolf de Kegel, in: Heymericus de Campo, Opera selecta, Bd. 1, hg. v. Ruedi Imbach / Pascal Ladner (Spici­legium Friburgense 39), Freiburg Schweiz 2001, S. [35 – 68] 69 – 92. Vgl. Tewes (wie Anm. 40), S. 374. 48 Vgl. Pascal Ladner, Heymericus de Campo an Johannes de Rokycana. Zur Laienkelchdiskussion am Basler Konzil, in: Adolf Reinle / Ludwig Schmugge / Peter Stotz (Hgg.), Variorum munera florum. Latinität als prägende Kraft mittelalter­licher Kultur (FS Hans

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Universität.49 Sein thomistischer Gegenspieler Heinrich von Gorkum hat sich zum einen in seiner „Lectura super evangelium“50, zum andern in einem von der Kölner Universität 1430 in Auftrag gegebenen Traktat „Contra articulos Hussitarum“ mit dem Hussitismus auseinandergesetzt.51 Götz-­Rüdiger Tewes hat heraus­ gearbeitet, dass Heinrich in diesen beiden Werken in unterschied­licher Weise auf die hussitischen Posi­tionen eingeht. Während er diese in seiner Vorlesung zu verstehen sucht, lehnt er sie in dem offiziellen Traktat rundum ab. Gegen den radikalen Spiritualismus der Hussiten setzt er die thomistische Analogielehre: Eine streng realistische Determina­tion alles Seienden durch direkte Einwirkung der Ideen wird in einer ästhetisierenden Ontologie durch das Postulat [der] causae secundae als Zwischeninstanz aufgehoben. Gerade die personalen causae secundae ­seien als Empfangende der gött­lichen Güte aufgerufen, diese in kausaler Wirkung tätig weiterzuvermitteln, um so die Weltordnung desto stärker von Gottes Güte durchdrungen 52 werden zu lassen.

Gleichfalls im Auftrag der Kölner theolo­gischen Fakultät verfasste Heinrich Bemel von Xanten einen „Liber contra errores Hussitarum“.53 Der Hussitismus wurde der Kölner theolo­gischen Fakultät zum einen deshalb gefähr­lich, weil jener sich im zweiten und dritten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts auch im Rheinland ausbreitete und von der Inquisi­tion bekämpft wurde.54 Zum andern stellte sich das grundsätz­liche Problem, dass ­zwischen dem hussitischen und dem Kölner Realismus Verbindungen hergestellt werden konnten. Auch wenn der Verdacht „allem Anschein nach wesent­lich auf die Albertisten und ihren exzessiven Realismus zielte, in Ansehen und Wirkung war auch der Thomismus gefährdet“.55 Beide mussten sich von den Hussiten

F. Haefele), Sigmaringen 1985, S. 301 – 308, hier S. 304 – 308. Vgl. ebd., S. 302 f. Anm. 14 – 15 weitere Schriften Heymerics in dieser Sache. Vgl. auch Franz Machilek, Johannes (Jan) Rokycana, in: Lexikon für Theologie und ­Kirche, 3. Aufl., Bd. 5 (1996), Sp. 962 f. 49 Vgl. Tewes (wie Anm. 40), S. 48, 374. 50 Vgl. A. G. Weiler, Heinrich von Gorkum († 1431). Seine Stellung in der Philosophie und der Theologie des Spätmittelalters, Hilversum u. a. 1962, S. 88, 196 – 241, 306 – 309. 51 Vgl. ebd., S. 99 f., 242 – 256. 52 Tewes (wie Anm. 40), S. 356. Vgl. ebd., S. 355 f. 53 Vgl. ebd., S. 375. 54 Vgl. ebd. 55 Ebd., S. 374.

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abgrenzen. Dies war umso notwendiger, als der Kölner Realismus insgesamt in die Kritik geraten war, wie das Mahnschreiben der drei geist­lichen Kurfürsten sowie des Pfalzgrafen und des säch­sischen Kurfürsten vom 10. November 1425 an Bürgermeister und Rat der Stadt Köln in dieser Sache zeigt, in dem z­ wischen dem in Prag herrschenden Realismus und dem Hussitismus ein Kausalnexus hergestellt und deshalb eine Umorientierung angemahnt wird.56 Die Kölner stellen dem die evidentia entgegen, dass es diese Häresie in Köln nicht gebe, quia ex vero non infertur falsum.57 2.2.2  Der Streit über die Oberhoheit des Konzils über den Papst

Die Universität Köln wurde 1388 während des Großen Abendländischen Schismas gegründet und verdankt diese Gründung dem römischen Papst Urban VI. (1378 – 1389).58 Aus der Kölner Universität war zunächst nichts zum Schisma zu hören, da diese mit sich selbst beschäftigt war. Das änderte sich jedoch rasch. 1394 sprach sich die Universität gegenüber derjenigen von Paris für ein Konzil aus, um das Problem zu lösen. Außerdem sandte sie Delegierte zu verschiedenen Fürstentagen, die sich der Sache annahmen. Die Universität stand loyal zur römischen Obödienz, bis sie Ende 1409 den Pisaner Papst Alexander V. (1409 – 1410) anerkannte. Im Vorfeld des Konstanzer Konzils hielt sich die Kölner Universität zurück. Sie sandte relativ spät im Jahr 1414 vier offizielle Vertreter zum Konzil, von jeder Fakultät einen, für die Theologen Dietrich Kerkering von Münster: Dieser verfaßte Anfang 1415 in Konstanz ein Gutachten, in dem er sich nachdrück­lich für die Superiorität des Konzils aussprach, das einen Papst nicht nur wegen Ketzerei, sondern auch wegen Machtmißbrauchs, Widerstands gegen die Einheit und Verstö59 ßen wider die Moral absetzen könne, wie es damals Johannes XXIII . widerfuhr.

56 Vgl. Franz Ehrle, Der Sentenzenkommentar Peters von Candia, des Pisaner Papstes Alexanders V. Ein Beitrag zur Scheidung der Schulen in der Scholastik des vierzehnten Jahrhunderts und zur Geschichte des Wegestreites (Franziskanische Studien. Beiheft 9), Münster in Westfalen 1925, S. [355 f.] 356 – 358, bes. S. 357. 57 Das Antwortschreiben der Kölner in lateinischer und deutscher Sprache: Ehrle (wie Anm. 56), S. [282 f.] 283 – 290, Zitat: S. 284. 58 Zum Folgenden vgl. R. Swanson, The University of Cologne and the Great Schism, in: Journal of Ecclesiastical History 28 (1977), S. 1 – 15; Meuthen (wie Anm. 1), S. 166 f. 59 Meuthen (wie Anm. 1), S. 166.

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Die Kölner Universität trug 1415 dessen Absetzung mit und erkannte den neu gewählten Martin V. fast zwei Monate nach seiner Wahl an. Darüber hinaus wirkten am Konzil auch zahlreiche andere Theologen, darunter Jakob von Soest, mit. Erstaun­lich ist, wie schnell die Universität durch die Übersendung von „Rotuli“ mit Suppliken an die jeweiligen Päpste versuchte, sich und ihren Angehörigen Vorteile zu verschaffen. Dies setzte sich in Basel fort, wo die Universität Köln es sich zunächst mit keiner Seite, weder mit Papst Eugen IV. noch mit dem Konzil, zu verderben suchte. Schließ­lich schlug sie sich dann aber doch auf die Seite des Konzils. Auf dem Basler Konzil war die Kölner Universität offiziell durch Heymericus de Campo und den Kanonisten Lambertus Langenhove vertreten.60 Nachdem Lambertus bereits 1433 und Heymericus 1435 nach Köln zurückgekehrt waren, gab es auf dem Basiliense keinen offiziellen Vertreter der Kölner Universität mehr, wenn auch zahlreiche Professoren weiter vor Ort waren, wie der oben genannte Gottfried Slussel, der wie die meisten der deutschen Dominikaner zu den Konziliaristen gehörte.61 Von Heymericus war im Zusammenhang der Hussitenbekämpfung bereits die Rede. Er hat sich in Basel auch in die ekklesiolo­ gische Diskussion über das Verhältnis von Papst und Konzil eingeschaltet und in der am 10. Februar 1434 abgeschlossenen „Disputatio de potestate ecclesias­ tica“ eine differenzierte Posi­tion vertreten. Pascal Ladner resümiert diese so: Beiden Institu­tionen [d. i. Papst und Konzil] ist gemeinsam das Wohl der ­Kirche anvertraut, dem Konzil aufgrund der allen Aposteln übertragenen Schlüsselgewalt (Mt 16,19; 18,18), dem Papst aufgrund seiner Stellung als Nachfolger des Apostelfürsten Petrus; beide verfügen zu d ­ iesem Zweck über Weihe- und Jurisdik­tionsgewalt sowie über Entscheidungsbefugnis in bezug auf Glaubenslehre und Sakramentenspendung. Die freie, allein an das gött­liche Gesetz und die kirch­lichen Bestimmungen gebundene Ausübung dieser Vollmachten ist dem Papst als dem Stellvertreter Christi übertragen, der sie allein dem Generalkonzil abzutreten hat. Einem solchen dagegen obliegen die allgemeine legislative Steuerung der K ­ irche, ihre Leitung in Notsitua­tionen sowie die Oberaufsicht über die Durchführung und Verwirk­lichung der gefaßten Beschlüsse. – Beiden Institu­tionen sind somit grundsätz­lich verschiedene Aufgabenbereiche zugedacht, so daß die Frage berechtigt ist, ob ­Heymericus mit der von ihm nicht weiterentwickelten Idee einer Gewaltentrennung wohl letzt­lich

60 Für das Folgende vgl. ebd., S. 167 f. 61 Vgl. Helmrath (wie Anm. 27), S. 126.

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die von einzelnen Konziliaristen vertretene Allgewalt eines Generalkonzils relati62 vieren wollte.

Heymericus scheint ­später diese Posi­tion aufgegeben und sich auf die Seite des Papstes geschlagen zu haben. „Als Heymericus de Campo 1440 auf einer Kölner Provinzialsynode für Eugen IV. eintrat, hatte er dort einen schweren Stand; sein Schüler Johannes Tinctoris verteidigte dagegen das Basler Konzil.“63 Heymericus war damals nicht mehr in Köln, sondern in Löwen und war im Gefolge des Bischofs von Lüttich nach Köln gekommen. Doch dies war nicht sein letztes Wort in dieser Sache. In einem auf dem Frankfurter Reichstag von 1446 verfassten „Tractatus de potestate papae et concilii generalis“ wird deut­ lich, dass Heymericus seine frühere konziliaristische Posi­tion nicht einfach revoziert hat. Ladner fasst zusammen: Obwohl zwar in dieser Schrift das Verhältnis der beiden Erscheinungsformen der ­ irche neu bestimmt wird, bleibt dem Generalkonzil grundsätz­lich die VorrangstelK lung vor dem Papst vorbehalten […]. Der in Basel tagenden Kirchenversammlung kann er jedoch das Wesensmerkmal eines Generalkonzils nicht mehr zuerkennen, weil sie seit der Verlegung des Konzils nicht nur diese Einheit nicht mehr verkörpert, sondern ihr mit der Wahl des Konzilspapstes Felix V. geradezu entgegengearbeitet hat. Um die im Streit z­ wischen Eugen IV . und der Basler Kirchenversammlung zerstörte Einheit wiederzugewinnen, hat Heymericus dem Papst die Einberufung eines neuen Generalkonzils empfohlen. – Daraus erhellt aber, dass Heymericus seine ekklesiolo­ 64 gische Grundhaltung nicht gewechselt hat; er hat sie vielmehr vertieft.

Auf den Reichstagen der vierziger Jahre traten Kölner Professoren nach wie vor für das Konzil ein. Einer der wenigen Kölner Theologen, die offen für Eugen IV . Partei ergriffen, war der schon erwähnte Franziskaner Heinrich

62 Pascal Ladner, Revolu­tionäre Kirchenkritik am Basler Konzil? Zum Konziliarismus des Heymericus de Campo (Vorträge der Aeneas-­Silvius-­Stiftung an der Universität Basel 19), Basel, Frankfurt am Main 1985, S. 16. Hier auch S. 18 f. die Edi­tion der die „Disputatio“ abschließenden „Theoremata“. Die in der Bibliothek des Cusanus, Cod. 106, f. 89r–186r, überlieferte „Disputatio“ ist noch immer unediert. Vgl. Ladner, ebd., S. 23, Anm. 37. 63 Meuthen (wie Anm. 1), S. 167. Vgl. auch Prügl (wie Anm. 23), S. 27 f. 64 Ladner (wie Anm. 62), S. 17. Der Traktat ist in einer Handschrift der Universitätsbiblio­ thek Upsala, Cod. C 610, f. 148r–153r, überliefert. Vgl. Ladner, ebd., S. 27, Anm. 85.

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von Werl. Auch die Dominikaner scheinen eine konziliaristische Posi­tion vertreten zu haben. Als einer von ihnen, „der Dominikaner Ludolf Hanen die Autorität der allgemeinen Konzilien bekämpfte, zwang ihn die Universität zum öffent­lichen Widerruf “.65 Jedoch ließ sich diese Posi­tion nicht aufrechterhalten. „Nach dem Sieg des Papsttums hatte die Universität sich ausgerechnet einem ehemaligen ‚Kölner’, dem von Nikolaus V. entsandten Dominikaner Heinrich Kalteisen zu unterwerfen.“66 Als Magister sacri palatii kam er im Herbst 1448 nach Köln.67 Es stellt sich die Frage, warum die Kölner Universität so geschlossen konziliaristisch eingestellt war. Bisweilen wird eine nominalistische Theologie für konziliaristische Posi­tionen verantwort­lich gemacht. Köln war jedoch eine Hochburg des Realismus. Antony Black hat gerade die realistische Posi­tion Heymerics als Grundlage seiner Ekklesiologie herausgestellt, aber auch gezeigt, dass seine Verwendung pseudo-­areopagitischen Denkens, das andere für eine papalistische Posi­tion ausmünzten, von ihm für seine konziliaristische Auffassung herangezogen wird. Auch Lulls Denken wird von Heymericus dafür in Anschlag gebracht.68 2.2.3  Die Auseinandersetzung um die Lehre von der Unbefleckten Empfängnis Mariens

Die Kölner Theologen haben sich, wie bereits mehrfach angesprochen, auch mit dem im 15. Jahrhundert heiß diskutierten Thema der Immaculata concep­ tio Beatae Mariae Virginis beschäftigt, das vom Basler Konzil dogmatisch im positiven Sinn entschieden wurde, allerdings zu einer Zeit, als ­dieses Konzil bereits schismatisch geworden war (1439). Die Kölner Theologen folgten in ihrer Posi­tion jeweils den Schultradi­tionen ihrer Orden. Die Dominikaner – so Jakob von Soest in seinem Traktat „De concepcione Marie“69 – waren demnach

65 Meuthen (wie Anm. 1), S. 168. 66 Ebd. 67 Vgl. die Schilderung der erregten Vorgänge bei Prügl (wie Anm. 23), S. 33 f. 68 Vgl. Antony J. Black, The Realist Ecclesiology of Heimerich van de Velde, in: Edmond J. M. van Eijl (Hg.), Facultas S. Theologiae Lovaniensis 1432 – 1797. Bijdragen tot haar geschiedenis (Bibliotheca Ephemeridum Theologicarum Lovaniensium 45), Leuven 1977, S. 272 – 291, bes. S. 281. 69 Vgl. Beckmann (wie Anm. 22), S. 102 – 104. Diese Schrift wurde veranlasst durch Erklärungen Soester Geist­licher für diese Lehre. Vgl. ebd., S. 102.

Kölner Theologen und ihre Theologie im Mittelalter

gegen, die Franziskaner – so Heinrich von Werl 70 – und die Vertreter anderer Bettelorden ebenso wie die Säkularkleriker dafür. Im Verlauf des 15. Jahrhunderts sprach sich die gesamte Fakultät, mit Ausnahme der Dominikaner, für diese Lehre aus, die auch in Rom – unter dem Franziskanerpapst Sixtus IV . (1471 – 1484) – an Boden gewann. Andere Fakultäten, etwa die Mainzer, schlossen sich ausdrück­lich der Kölner (und der Pariser) an.71

3  Schluss Die Kölner Theologie des ersten Jahrhunderts nach der Universitätsgründung erscheint aus heutiger Perspektive nicht aufregend. Sie weist keine großen Namen auf, die heute noch allgemein bekannt sind. Bedeutendere Theologen wie Heymericus de Campo und Heinrich Kalteisen haben nur kurz hier gewirkt. Die Zeitgenossen aber hatten keinen allzu schlechten Eindruck von den Kölner Theologen, die sich aktiv in die kirch­lichen und theolo­gischen Auseinandersetzungen ihrer Zeit einmischten. Erich Meuthen stellt in seiner Universitätsgeschichte fest: „Die theolo­gische Fakultät genoß in ihrer spätmittelalter­lichen Phase euro­päisches Ansehen.“72 Die Dunkelmännerbriefe, in denen Kölner Theologen Ziel des humanistischen Spotts wurden, bezeugen gleichsam ex negativo die damalige Bedeutung der Fakultät. Dafür spricht auch, dass sie in den Auseinandersetzungen um Martin Luther ein gewichtiges Wort mitzureden hatte.73 Aber das gehört in eine neue Epoche, die hier nicht zu behandeln war.

70 S. o. Anm. 27. 71 Vgl. Meuthen (wie Anm. 1), S. 169. 72 Ebd., S. 141. Er nennt Beispiele sowohl für von außen kommendes wie für eigenes Lob. 73 Vgl. ebd., S. 263 – 265.

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Institu­tionengeschichte und Lebenswelten Frank Rexroth

Wahr oder nützlich? Epistemische Ordnung und institutionelle Praxis an den Universitäten des 13. und 14. Jahrhunderts

Für Ruedi Imbach

1  Einleitung Als zum Jahreswechsel 1388/89 die Kölner Alma Mater eingerichtet wurde, gab es bereits seit rund 200 Jahren die Universität als eine Sonderform der hohen Schule: eine s­ ozia­le Gruppe von Magistern und bzw. oder Scholaren, organisiert nach dem Muster der geschworenen Einung, konstituiert durch einen promissorischen Eid aller an der universitas Teilhabenden, versehen mit einer inneren Ordnung, mit turnusmäßig neu vergebenen Ämtern und mit dem Recht zu promovieren, das heißt der Befugnis, ihren Besuchern eine allgemeingültige Lehrbefugnis (licentia ubique docendi) zu erteilen. Etwa seit der Mitte des 13. Jahrhunderts waren die universitates in Fakultäten gegliedert, die ihrerseits als Schwureinigungen verfasst waren, das heißt als institu­tionell verstetigte s­ ozia­le Gruppen. Auch diese Fakultäten gaben sich ihre eigenen Statuten, verlangten ihren Angehörigen einen eigenen Eid ab und organisierten ihre Belange mittels eigener Magistrate.1 Und auch über den Kölner 1 Otto Gerhard Oexle, Alteuro­päische Voraussetzungen des Bildungsbürgertums. Universitäten, Gelehrte und Studierte (zuerst 1985), in: Ders., Die Wirk­lichkeit und das Wissen. Mittelalterforschung – Historische Kulturwissenschaft – Geschichte und ­Theorie der historischen Erkenntnis, hg. v. Andrea von Hülsen-­Esch / Bernhard Jussen / Frank Rexroth, Göttingen 2011, S. 636 – 687; Frank Rexroth, Die Weisheit und ihre 17 Häuser. Universitäten und Gelehrte im spätmittelalter­lichen Reich, in: Matthias Puhle / Claus-­ Peter Hasse (Hgg.), Heiliges Römisches Reich Deutscher Na­tion 962 – 1806. Von Otto dem Großen bis zum Ausgang des Mittelalters. Essays, Dresden 2006, S. 424 – 437; Walter

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S­ tiftungsakt hinaus sollte es noch für viele Jahrhunderte der Normalweg für die Etablierung der Wissenschaften bleiben, einer Schule für höhere Bildung diese Gestalt zu geben. Selbst noch bei der Neugründung der Kölner Universität nach dem ­Ersten Weltkrieg stand nicht nur das Universitäten-­Fakultäten-­ Muster Pate, sondern sogar der aus dem Mittelalter stammende Brauch, genau vier Fakultäten einzurichten – hier frei­lich mit der ortsspezifischen Abweichung, dass statt einer Theolo­gischen eine Wirtschafts- und Sozia­lwissenschaft­liche Fakultät eingerichtet wurde.2 Konservatismus regierte auch weiterhin, und zwar insofern man noch bis in die 1950er hinein an der Vierzahl festhielt. Erst dann gliederten die Kölner eine Mathematisch-­Naturwissenschaft­liche Fakultät aus der Philosophischen aus.3 Warum war das so? Ist das Festhalten an einer um 1250 bereits gefundenen Organisa­tionsstruktur darauf zurückzuführen, dass sich diese schlechthin kongenial zu den Wissenschaften verhielt, die in ihrem Rahmen betrieben werden? Oder begegnet uns damit ein Zeugnis für jene Starre des vormodernen Korpora­tionen-­Ungeistes, die mit der Aufklärung zur Zielscheibe der Kritik werden sollte?4 Im Folgenden soll eine Antwort auf diesen erklärungsbedürftigen Umstand gesucht werden, indem das Verhältnis ­zwischen der Organisa­tionsform der Mehrfakultäten-­Universität und der epistemischen Ordnung, die von dieser Organisa­tion getragen wird, ausgehend von der Kölner Universitätsgründung einer genaueren Betrachtung unterzogen wird. Mit der „epistemischen Ordnung“ ist dabei das stabilisierte Ensemble divergierender Wissenschaften gemeint, die über jeweils eigene Gegenstandsbereiche und Referenztexte verfügen und in deren Innerem sich distinkte Denkstile ausprägen. Mit der „Organisa­tionsform“

Rüegg (Hg.), Geschichte der Universität in Europa, Bd. 1: Mittelalter, München 1993. Für Rat und Kritik danke ich Jan-­Hendryk de Boer sowie Sebastian Dümling (beide Göttingen) und vor allem Ruedi Imbach. Ihm sei diese Studie gewidmet. 2 Bernd Heimbüchel, Die neue Universität. Selbstverständnis – Idee und Verwirk­lichung, in: Ders. / Klaus Papst (Hgg.), Kölner Universitätsgeschichte, Bd. 2: Das 19. und 20. Jahrhundert, Köln, Wien 1988, S. 101 – 656, hier S. 563 – 573. 3 Ebd., S. 612. 4 Otto Gerhard Oexle, Die mittelalter­liche Zunft als Forschungsproblem (zuerst 1982), in: Ders. (wie Anm. 1), S. 691 – 742. Zur Kritik an den Universitäten und ihren Gliedern als Korpora­tionen während des 19. Jahrhunderts Frank Rexroth, Die Universität, in: Johannes Fried / Olaf B. Rader (Hgg.), Die Welt des Mittelalters. Erinnerungsorte eines Jahrtausends, München 2011, S. 460 – 472, hier S. 468 – 470.

Epistemische Ordnung und institutionelle Praxis

der universitas sei auf die schon beschriebene Schwureinung der Magister und/ oder Scholaren verwiesen, die die Fakultäten als disziplinär verfasste Bereiche in sich enthält, zugleich aber wegen der Unterstellung unter den Willen zentraler Verfassungsorgane mehr ist als deren Summe. Damit sollen im Folgenden Beobachtungen zusammengeführt werden, die üb­licherweise in verschiedenen mediävistischen Disziplinen angestellt werden. Denn die Mittelalterhistorie, der der Verfasser d ­ ieses Beitrags angehört, sieht sich normalerweise für die Organisa­tionsstruktur und die s­ ozia­le Einbettung der Universitätsangehörigen zuständig, während das Wissen der mittelalter­lichen, „scholastischen“ Wissenschaft als Gegenstandsbereich von anderen Fächern für sich reklamiert wird: der Philosophie-, Theologie-, Rechts- und Medizingeschichte, also den Vertretern einer jeweils disziplinär gebundenen Wissenschaftsgeschichte. Der folgende Abschnitt soll anhand der Kölner Eröffnungsfeier, insbesondere der Disputa­tion vom 6. Januar 1389, in das Thema einführen. Dies bietet sich deshalb an, weil die Kölner Disputa­tion nach dem Wenigen, was wir über sie erfahren können, die Rela­tion ­zwischen universitärer Organisa­tion und zeitgenös­sischer Wissensordnung zu ihrem Kerngegenstand machte (2). Anschließend soll die besagte Rela­tion in die Vor- und Frühgeschichte der euro­ päischen Universitäten zurückverfolgt werden. Hierzu muss die Binnendifferenzierung der Wissenschaften, die seit ca. 1100 an den scholae und dann an den Universitäten betrieben wurde, in zweierlei Ausrichtung skizziert werden, näm­lich im Hinblick auf ihre theoretische Begründung in den zeitgenös­sischen Wissenschaftslehren und auf ihre Praxis (3). Wie verschieden die Denkformen und die Habitus waren, die sich in den einzelnen Disziplinen ausprägten, wie überraschend folg­lich deren Integra­tion in der Universität war, ist der Gegenstand des folgenden Abschnitts (4). Ausgehend von der Praxis der Integra­tion von Wissenschaften unter dem Dach der Universität seit 1200 wird dann danach gefragt werden, ­welche institu­tionellen Arrangements derlei Integra­tion ermög­ lichten (5). Abschließend soll vor d ­ iesem Hintergrund abermals die Ära der Kölner Eröffnungsdisputa­tion angesteuert werden, diesmal allerdings mittels eines aussagekräftigeren Textes: der Katharinenpredigt des Wiener Theologen Heinrich von Langenstein aus dem Jahr 1396 (6). Insgesamt sollen mit den folgenden Ausführungen zwei Thesen zur Diskussion gestellt werden. Die erste geht von der Beobachtung der dynamischen Binnendifferenzierung der Wissenschaften aus, wie sie unten ausgeführt wird. Sie besagt, dass schon die vormoderne Wissenschaft wegen dieser Differenzierungsprozesse und der damit einhergehenden zunehmenden Komplexität stärker als andere Wirk­lichkeitsbereiche besonders stabiler institu­tioneller

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Reglements bedurfte, um Kohärenz innerhalb des Systems zu gewährleisten und in der Kommunika­tion mit ihrer Umwelt auf Vertrauen hoffen zu können. Anders ausgedrückt: Gerade weil die Zahl der Gegenstandsbereiche, Fragestellungen und Konzepte des ‚höheren‘ Wissens so stark anstieg, waren diese auf den strukturellen Konservatismus der Universitäten angewiesen.5 Die zweite These ist auf die Annahme gegründet, dass an den Mehrfakultäten-­ Universitäten, die dem ‚Pariser‘ Modell folgten, wissenschaft­liche Disziplinen miteinander dauerhaft zu kommunizieren begannen, die unterschied­lichen Logiken verpflichtet waren: Am einen Ende der Skala waren bestimmte Wissen­ schaften einem philosophischen Wahrheitsideal verpflichtet, das sich vor allem im Inneren der Artistenfakultät Geltung verschaffte. Am anderen Ende rekurrierten Wissenschaften wie vor allem die Jura auf ­sozia­le Nütz­lichkeit als letztes Ideal. Die These, die hier vorgestellt werden soll, lautet daher, dass sich die Universität als diejenige Institu­tion fassen lässt, in deren Innerem sich seit dem 13. Jahrhundert diese zunächst einmal unwahrschein­liche Kommunika­tion verstetigte, die mithin die Differenz z­ wischen den beiden Medien 6 ‚Wahrheit’ und ‚Nütz­lichkeit‘ erfolgreich integrierte. Die Universität wurde schon in den ersten beiden Jahrhunderten ihres Bestehens zu dem Ort, der die Einheit der Wissenschaften als die Einheit dieser elementaren internen Differenz verbürgte.7

5 Dies in Anlehnung an soziolo­gische Beobachtungen, die die Situa­tion in der Moderne betreffen: Laurence Veysey, The Plural Organized Worlds of the Humanities, in: Alexandra Oleson / John Voss (Hgg.), The Organiza­tion of Knowledge in Modern America, 1860 – 1920, Baltimore 1979, S. 51 – 106, der die „intellectual segmenta­tion“ der Geisteswissenschaften in den USA gemeinsam mit der gleichzeitigen „standardiza­tion and uniformity“ von deren institu­tionellen Strukturen betrachtet. Ähn­lich Rudolf Stichweh, Zur Entstehung des modernen Systems wissenschaft­licher Disziplinen. Physik in Deutschland, 1740 – 1890, Frankfurt a. M. 1984: Charakteristisch für die Ausdifferenzierung der modernen Wissenschaft in Disziplinen ist keineswegs die Vervielfältigung der institu­ tionellen Einbettungen, sondern im Gegenteil deren Standardisierung und Bewahrung, s. z. B. S. 62 f. Ich wende diese Lesart im Folgenden auf die universitäre Frühgeschichte an, weil ich glaube, dass sich auch das ‚Pariser‘ Universitätsmodell des 13. und 14. Jahrhunderts damit besser verstehen lässt. 6 Zu symbo­lisch generalisierten Kommunika­tionsmedien Niklas Luhmann, Die Gesellschaft der Gesellschaft, 2 Bde., Frankfurt a. M. 1997, v. a. Kap. 2, prägnant etwa S. 203 f. 7 Erste Überlegungen dazu in Frank Rexroth, Die Einheit der Wissenschaft und der Eigensinn der Disziplinen. Zur Konkurrenz zweier Denkformen im 12. und 13. Jahrhundert, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 67 (2011), S. 19 – 50; ders., Wie einmal zusammenwuchs, was nicht zusammengehörte. Ein Blick auf die Entstehung

Epistemische Ordnung und institutionelle Praxis

2  Einheit und Differenz symbolisch kommunizieren: Köln, am 6. Januar 1389 Als Ausgangspunkt und zur Illustra­tion ­dieses Anliegens sei die Eröffnung der Kölner Universität in Erinnerung gerufen, genauer: die Feier­lichkeiten des Dreikönigstages 1389, als die Versammelten nach einer Messe im Dom in einer feier­lichen Prozession zum Kapitelsaal des Domstifts zogen und dort zunächst einer Predigt Gerhards von Kalkar beiwohnten, des Propstes des ört­ lichen Apostelstifts. An Gerhards Predigt schloss sich eine öffent­liche Disputa­ tion an, die abermals vom Theologen Gerhard eingeleitet wurde. Dieser gab den anwesenden Gelehrten näm­lich die Frage vor, „ob in der Gesamtheit des Wissbaren die Wahrheiten und das Vermögen der heiligen Theologie mit den Wahrheiten und dem Vermögen der menschlichen Philosophie in Einklang stehen“.8 Mit dieser Frage war die Einheit der Wissenschaft als ein Problem der Wissenschaft selbst aufgeworfen, als ein Problem, das sich aus der Spannung von Transzendenz und Immanenz, von Glauben und Wissen, von Offenbarung und Ratio ergab. Die Rede von der ‚universitas scibilium‘ evozierte unter der euro­päischen Universitäten, in: Jahrbuch der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen 2009 (ersch. 2010), S. 85 – 98. 8 Dies geht aus dem Bericht von der Universitätsgründung hervor, der den ersten Einträgen in die Kölner Universitätsmatrikel vorangeht und der die Feier­lichkeiten des 6. Januar 1389 (Festpredigt, Mahl, Disputa­tion) beschreibt: Deinde statim post prandium in eisdem scolis disputavit [erg.: Magister Gerardus Kijcpot, prepositus ecclesie beatorum Apostolorum Coloniensis, Professor sacre theologie, F. R.] istam ques­tionem: ‚Utrum in universitate scibilium omnibus veritatibus et virtutibus humane philosophie consonarent veritates et virtutes sacre theologie‘. Ad quam respondit magister Hartlenus de Marka, et arguerunt contra eum quamplures magistri, doctores, licentiati et alii viri litterati tam seculares quam religiosi. Aus der Disputa­tion heraus wird dann die Aufforderung an alle Immatrikula­tionswilligen entwickelt, sich zu einem gegebenen Zeitpunkt im Andreasstift einzufinden. Frank Rexroth, Deutsche Universitätsstiftungen von Prag bis Köln. Die Inten­tionen des Stifters und die Wege und Chancen ihrer Verwirk­lichung im spätmittelalter­lichen deutschen Territorialstaat (Beihefte zum Archiv für Kultur­ geschichte 34), Köln, Weimar, Wien 1992, S. 328, vgl. dazu S. 246 f. Vgl. Franz Ehrle, Der Sentenzenkommentar Peters von Candia, des Pisaner Papstes Alexanders V. Ein Beitrag zur Scheidung der Schulen in der Scholastik des vierzehnten Jahrhunderts und zur Geschichte des Wegestreites, Münster 1925, S. 43, Anm. 2. Standardwerk zur mittelalter­lichen Kölner Universität ist Erich Meuthen, Kölner Universitätsgeschichte, Bd. 1: Die alte Universität (Kölner Universitätsgeschichte 1), Köln, Wien 1988, der die Disputa­tion auf S. 57 allerdings nur en passant erwähnt.

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einem ‚realistischen‘ Vorzeichen das Verständnis von der scientia als der einen rerum scibilium cognitio und legte damit die Bejahbarkeit der Frage nahe, denn unter ­diesem Verständnis umfasste die eine Wissenschaft sowohl die scien­ tia humana als auch die scientia divina.9 Zugleich eröffnete die Disputa­tion den Kölner Gelehrten die Mög­lichkeit, die Bejahung der Frage performativ zum Ausdruck zu bringen: Wahrschein­lich demonstrierte die Performanz der Disputa­tion vom Dreikönigstag 1389 den Anwesenden rituell das Wechselspiel ­zwischen den verschiedenen disziplinär gebundenen Posi­tionen und zugleich die end­liche positive Lösung der quaestio, die durch solch agonales Wechselspiel zutage gefördert wurde.10 Denn nicht nur der Respondent Hartlevus 9 Claude Lafleur, Quatre introduc­tions à la philosophie au XIIIe siècle. Textes critiques et étude historique (Publica­tions de l’Institut d’études médiévales/Université de Montréal 23), Montréal 1988, S. 259, Z. 49 f. (Anonymi magistri artium Parisiensis Philosophica disciplina, ca. 1245). 10 Die Erforschung der Disputa­tionen verdankt Olga Weijers ihre wesent­lichen Impulse. Stellvertretend: Olga Weijers, In Search of the Truth. A History of Disputa­tion Techniques from Antiquity to Early Modern Times (Studies on the Faculty of Arts: History and Influence 1), Turnhout 2013; dies., The Various Kinds of Disputa­tion in the Faculties of Arts, Theology and Law (c. 1200 – 1400), in: Marion Gindhart / Ursula Kundert (Hgg.), Disputatio 1200 – 1800. Form, Funk­tion und Wirkung eines Leitmediums universitärer Wissenskultur (Trends in medieval philology 20), Berlin, New York 2010, 21 – 31; dies., Queritur utrum. Recherches sur la ,disputatio‘ dans les universités médiévales (Studia artistarum 20), Turnhout 2009, weitere Arbeiten sind über diese zu erschließen. Vgl. künftig Jan-­Hendryk de Boers Beitrag zu Marian Füssel u. a. (Hgg.), Institu­tionen, Praktiken und Posi­tionen der Gelehrtenkultur vom 13. bis zum 16. Jahrhundert. Ein interdisziplinäres Quellen- und Methodenhandbuch, erscheint 2016. Die performative Dimension der quaestio disputata ist Gegenstand von Christoph Kann, Inszenierung von Wissen und Ritual der Vermittlung. Zur mittelalter­lichen ‚quaestio disputata‘ und ihrer Kritik, in: Andrea von Hülsen-­Esch (Hg.), Inszenierung und Ritual in Mittelalter und Renaissance (Studia humaniora 40), Düsseldorf 2005, S. 13 – 34, s. z. B. S. 26 zur Disputa­tion als „szenische Konstella­tion“ und als „pragmatisch motivierte Inszenierung von Wissen“. Vgl. Marco Mostert, De disputatio als tweegevecht van de geest. Over twaalfde-­eeuwse krijgers en intellectuelen, in: Ders. / Rudi Künzel / Albert Demyttenaere (Hgg.), Middeleeuwse cultuur. Verscheidenheit, spanning en verandering (Amsterdamse historische reeks. Grote serie 18), Hilversum 1994, S. 131 – 162; Andrew Taylor, A Second Ajax. Peter Abelard and the Violence of Dialectic, in: David Townsend / Andrew Taylor (Hgg.), The Tongue of the Fathers. Gender and Ideology in Twelfth-­Century Latin, Philadelphia 1998, S. 14 – 34; Anita Traninger, Disputa­tion, Deklama­tion, Dialog. Medien und Gattungen euro­päischer Wissensverhandlungen ­zwischen Scholastik und Humanismus, Stuttgart 2012; Werner Röcke, „Kreative Zerstörung“. Verkehrungen

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de Marka kam dabei als Anwalt der ‚humana philosophia‘ zu Wort; vielmehr war die Disputa­tion darauf angelegt, das Ensemble der vier neuen Fakultäten und ihrer Kölner Vertreter der ersten Stunde einzubeziehen. Diese Annahme legt jedenfalls der Erfahrungsbericht nahe, der einige Zeit ­später, spätestens jedenfalls 1395, in das Handbuch der städtischen Universitäts-­Provisoren eingetragen wurde: Unde dat begonde meister Gherardus van Kalkar, heißt es dort, eyn praist zo sent Apostolen doctor in der heiliger scrift, der disputerden in allen vier facultaten zo eyme male as in der konst van der godheit in deme reychten in medicinen unde in artibus.11 Es ist gut vorstellbar, dass auch die Vertreter der Kölner Bürgergemeinde, die vom Austausch lateinisch vorgetragener Posi­tionen ­dieses Spiels wenig verstanden, doch dessen Sinn aufnehmen konnten: dass die Vertreter der einzelnen Fakultäten zu ein und derselben Materie je eigene Posi­tionen bezogen, dass der anwesende Theologe allerdings die vorgebrachten Aussagen aufzunehmen, zu wägen und zu integrieren vermochte. Offensicht­lich ging es bei dieser performativen Repräsenta­tion der künftigen Fakultätenstruktur darum, die s­ ozia­le Form der Vier-­Fakultäten-­Universität als die Antwort auf die Frage nach der Konsonanz oder Dissonanz der Wissensprovinzen zu präsentierten. Form und Inhalt, s­ ozia­le Struktur und Wissensordnung wurden hier nicht gegeneinander ausgespielt, sondern als notwendige Einheit präsentiert. Die Kölner werden wohl stolz darauf gewesen sein, dass sie derlei beobachten durften. Es war sicher in der Stadt bekannt, dass erst in der besonderen Situa­tion der 1380er Jahre die Einrichtung einer Universität wahrschein­ licher wurde, die den Hauptakteur der feier­lichen Disputa­tion einbegriff: die theolo­gische Fakultät, deren Genehmigung die Päpste zuvor häufiger verweigert als genehmigt hatten. Erst das Große Abendländische Schisma seit 1378 ließ es sowohl den ‚römischen‘ als auch den ‚avignone­sischen‘ Päpsten als geraten erscheinen, den Wünschen der landesherr­lichen und städtischen Suppli­kanten zu entsprechen und auch die ‚oberste‘ mit zu bewilligen. Die Päpste vor 1378

und Rekonstruk­tion von Sinn in den „Quaes­tiones fabulosae“ des Spätmittelalters, in: ­Dominik Fugger (Hg.), Verkehrte Welten? Forschungen zum Motiv der rituellen Inversion (Historische Zeitschrift, Beihefte 60), München 2013, S. 128 – 144. Unter einem Ritual soll hier mit Barbara Stollberg-­Rilinger eine menschliche Handlungsfolge verstanden werden, „die durch Standardisierung der äußeren Form, Wiederholung, Aufführungscharakter, Performativität und Symbolizität gekennzeichnet ist und eine elementare sozia­l strukturbildende Wirkung besitzt“. Barbara Stollberg-­Rilinger, Rituale (­Campus Historische Einführungen 16), Frankfurt am Main 2013, S. 7 – 17, das Zitat auf S. 9. 11 Rexroth (wie Anm. 8), S. 334. Zur Datierung ebd., S. 228.

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hatten sie meist verweigert, um die Lehre der Theologie stärker in Paris zu konzentrieren und damit auch kontrollierbarer zu machen.12 Die Kölner Bürger und vor allem die künftigen Universitätsprovisoren ‚lernten‘ anhand der fest­lichen Disputa­tion, dass die Universität ebenso wie die quaestio disputata ein strukturiertes Ganzes war, ein Ensemble von Wissenschaften, die bei aller Verschiedenheit von Gegenstandsbereichen, Ausgangsannahmen und Referenztexten doch aufeinander bezogen waren. Der eine oder andere Laie mag sich bei der zwei Tage s­ päter stattfindenden ersten Rektorwahl gefragt haben, wieso denn nicht der Vertreter der integrativsten Wissenschaft, der Theologe, zum Rektor des Ganzen wurde, sondern sein philosophischer Respondent. Doch Kundige mögen ihn dann darüber aufgeklärt haben, dass dies in der Pariser Vorbildanstalt immer so gewesen war und dass die artistische Fakultät zwar wegen ihrer propädeutischen Aufgaben in der Dignität der Disziplinen an unterster Stelle stand, wegen gerade dieser Funk­tion aber den besten Zugriff auf prinzipiell jeden Angehörigen der Alma Mater gewährleisten konnte.13

3  Die Binnendifferenzierung der Wissenschaften Die Einführung der universitären Fakultäten (genauer: der Vier-­Fakultäten-­ Universität) ereignete sich inmitten eines langfristigen Prozesses zur Binnendifferenzierung des ‚höheren‘ Wissens, nicht an dessen Anfang und auch ohne diesen Prozess zunächst sicht­lich zu beeinflussen. Aus den Wissenschaftslehren, 12 Zu dieser Praxis und dem Umschwung durch das Schisma Arno Borst, Krise und Reform der Universitäten im frühen 14. Jahrhundert, in: Mediaevalia Bohemica 3 (1970), S. 123 – 147. Am Beispiel der Heidelberger Gründung wird dieser Zusammenhang ersicht­lich bei Jürgen Miethke, Universitätsgründung an der Wende zum 15. Jahrhundert. Heidelberg im Zeitalter des Schismas und des Konziliarismus, in: Die Geschichte der Universität Heidelberg, Heidelberg 1986, S. 9 – 33; Matthias Nuding, Mobilität und Migra­tion von Gelehrten im Großen Schisma, in: Martin Kaufhold / Jürgen Miethke (Hgg.), Politische Reflexion in der Welt des späten Mittelalters (Studies in Medieval and Reforma­tion Tradi­tions 103), Leiden 2004, S. 269 – 287. 13 Unproblematisch war dieser Modus aber dennoch nicht, wie man der Weigerung Kölner Juristen, dem artistischen – und damit als sozia­l inferior angesehenen – Rektor einen Obödienzeid zu leisten; Frank Rexroth, «Finis scientie nostre est regere». Normenkonflikte ­zwischen Juristen und Nichtjuristen an den spätmittelalter­lichen Universitäten Köln und Basel, in: Zeitschrift für Historische Forschung 21 (1994), S. 315 – 344, hier S.  321 – 330.

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auf die man an den frühen Universitäten hätte zurückgreifen können, ergab sie sich nicht.14 Denn ein Teil dieser Schriften folgte in der Tradi­tion Hugos von Sankt Viktor einem enzyklopädischen Ansatz; diese Werke suchten zwar im Allgemeinen die Vielzahl der von ihnen diskutierten Wissensprovinzen auf die Theologie hin auszurichten, wurden aber in ihrer viergliedrigen Binneneinteilung (theoretische und praktische Wissenschaften, mechanische Fertigkeiten, Logik) der Universitätswissenschaft, wie sie sich in den vier Fakultäten niederschlug, nicht gerecht. Die zweite Gruppe war dem aristote­lischen Organon mit seiner Gliederung in eine theoretische und eine praktische Philosophie verpflichtet, wie es über arabische Schriften tradiert und so Gelehrten wie dem Spanier Dominicus Gundissalinus bekannt geworden war. Auch hier konnten die Medizin und die Jurisprudenz allenfalls behelfsmäßig als Spielarten entsprechender ‚praktischer‘ Philosophien zwar genannt, aber keineswegs derart integriert werden, dass ihr Eigengewicht erkennbar blieb. Der Theologie etwa mochten die Verfasser eine Sonderstellung als Erscheinungsform der Metaphysik zuweisen. Die Entwicklung der Wissenschaftslehre und die organisatorische Einteilung der Universität wurden also gleichsam aneinander vorbei entwickelt. So verwendete beispielsweise Robert Kilwardby, der in der formativen Phase der Fakultätenentstehung in Paris lehrte, in seiner Wissenschaftslehre den Begriff facultas kein einziges Mal im Sinne einer organisierten, zur Sozia­lform gewordenen Disziplin, also im Sinne von ‚Fakultät‘.15 Auch trat die Frage nach der

14 Die Literatur zu ­diesem Thema ist überbordend, siehe allein den voluminösen Tagungsband Simo Knuuttila / Reijo Työrinoja / Sten Ebbesen (Hgg.), Knowledge and Science in Medieval Philosophy. Proceedings of the Eighth Interna­tional Congress of Medieval Philosophy, Helsinki 1990; Dominicus Gundissalinus, De divisione philosophiae, hg. v. Ludwig Baur, Münster 1903, S. 316 – 397; Albert Lang, Die Universität als geistiger Organismus nach Heinrich von Langenstein, in: Divus Thomas 27 (1949), S. 41 – 86; Ruedi Imbach, Einführungen in die Philosophie aus dem XIII . Jahrhundert. Marginalien, Materialien und Hinweise im Zusammenhang mit einer Studie von Claude Lafleur, in: Ders., Quodlibeta. Ausgewählte Artikel, hg. v. Francis Chevenal / Thomas Ricklin / Claude Pottier (Dokimion 20), Freiburg, Schweiz 1996, S. 63 – 91; Lafleur (wie Anm. 9). Lafleurs weitere zahlreiche Schriften zu den philosophischen Einführungswerken können hier nicht einzeln nachgewiesen werden. Hier stellvertretend nur ein recht junger Text: Claude Lafleur / Joanne Carrier, L’enseignement philosophique à la Faculté des Arts de l’Université de Paris en la première moitié du XIII e siècle dans le miroir des textes didascaliques, in: Laval théologique et philosophique 60 (2004), S. 409 – 448. 15 Robert Kilwardby, De ortu scientiarum, hg. v. Albert Judy O. P. (Auctores Britannici Medii Aevi 4), Toronto 1976, S. 452, S. 473, S. 503, S. 509 f., S. 542, S. 549, S. 550 – 599,

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Scheidung der Wissenschaften in der Ära, in der die Universitäten entstanden, in den Schatten anderer Probleme, etwa dem der Wissenschaftsfähigkeit der Theologie. Die Verknüpfung der Theologie mit den anderen Wissenschaften stellte die Theologen vor ganz andere Probleme als die Philosophen – der Schauplatz zu ihrer Behandlung wurde die in sich geschlossene Quaestio, nicht die holistische Wissenschaftslehre.16 Ebenso deut­lich ist der Befund für die Perspektive der Juristen. Eine ganze Reihe früher juristischer Texte, etwa die „Excerpta“ des Bulgarus oder die „Summa aurea“ Williams of Drogheda, versuchte sich an Typisierungen der Rechtskundigen und der Defini­tion von gerichtsrelevanten Rollen; doch Arbeiten, die dem Recht einen Platz in einer gedachten Ökumene von Wissenschaften zuwiesen, scheint es vor Bartolus von Sassoferrato nicht gegeben zu haben.17 Zur selben Zeit, zu der die beschriebenen Versuche einer theoretischen Wissenschaftslehre verfasst wurden, wurde die Praxis der Wissenschaft vielseitiger als jemals zuvor. Hervorzuheben wäre mit Blick auf die Differenzierungsprozesse, die dieser Tendenz zugrunde lagen, zunächst das Auseinandertreten der Theologie und des Kirchenrechts während des 12. Jahrhunderts. Noch zur Zeit Gratians und des Petrus Lombardus wäre es schwierig gewesen, eine entsprechende Unterscheidung zu treffen.18 Doch um 1200 hatte das Kirchenrecht

S. 629. Facultas steht dabei für die Einzelwissenschaft, häufig verwendet Robert Formeln wie cuiusque facultatis bzw. in omni facultate. 16 Ulrich Köpf, Die Anfänge der theolo­gischen Wissenschaftstheorie im 13. Jahrhundert (Beiträge zur historischen Theologie 49), Tübingen 1974, s. dort v. a. die Liste der einschlägigen Quaes­tiones S. 276 – 285. 17 Bulgarus, Excerpta legum, hg. v. Ludwig Wahrmund, Innsbruck 1925, Bd. 4, T. 1, S. 2 – 4; William von Drogheda, Summa aurea, hg. v. Ludwig Wahrmund, Innsbruck 1914. Zu Bartolus Susanne Lepsius, Von Zweifeln zur Überzeugung. Der Zeugenbeweis im gelehrten Recht ausgehend von der Abhandlung des Bartolus von Sassoferrato (Studien zur euro­päischen Rechtsgeschichte 160), Frankfurt a. M. 2003, S. 219 – 244. 18 James A. Brundage, The Medieval Origins of the Legal Profession. Canonists, ­Civilians, and Courts, Chicago, London 2008, S. 125. Vgl. am Beispiel Peters von Blois John ­Taliadoros, Communities of Learning in Law and Theology. The Later Letters of Peter of Blois (1125/30 – 1212), in: Constant Mews / John N. Crossley (Hgg.), Communities of Learning. Networks and the Shaping of Intellectual Identity in Europe, 1100 – 1500 (Europa sacra 9), Turnhout 2011, S. 85. Zur Nähe Gratians zu Petrus Lombardus in der Verwendung patristischer Texte und von Synodalbeschlüssen Volker Leppin, Theologie im Mittelalter (Kirchengeschichte in Einzeldarstellungen 11), Leipzig 2007, S. 95. Ausdifferenzierung bei gleichzeitiger Bezugnahme aufeinander vermutet Heinrich

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sich zu einem schöpferischen Gedankengebäude eines lebendigen positiven Rechts entwickelt 19, ja konnte der Theologie in Methodenfragen zum Vorbild werden: Als ein Schüler Gilberts von Poitiers um 1179 Belegstellen zur Frage der Trinität zusammenstellte, schrieb er: Weil es nicht leicht ist, die Menge von Büchern zu lesen oder auch zu besitzen, aus denen die genannten Autoritäten genommen sind, […] ist eine kurze Zusammenstellung einiger Autoritäten […] nach Art der Bücher der Rechtsgelehrten erwünscht.20 Dies belegt das zeitgenös­ sische Bewusstsein der Verschiedenheit von Theologie und Recht und zeugt zugleich von wechselseitigem Respekt. Spätere Stimmen seit dem ausgehenden 13. Jahrhundert betonten dann die Konkurrenzsitua­tion, in der sich die beiden Disziplinen mittlerweile befanden, wenn es um Einfluss und Posi­tionen ging.21 Die Wissenschaftslehren neigten dazu, Disziplinen nicht nur nach ihren Materien, sondern auch nach ihren Methoden und Konzepten zu scheiden und überdies dadurch festzuschreiben, dass sie ihnen einen bestimmten ‚Ort‘ im Ensemble der Wissenschaften zuwiesen: Was genau sind Rechtsbeziehungen, und wie kann man das Gerechte vom Nütz­lichen und dem sitt­lich Guten unterscheiden?22 Diese Trennung emanzipierte nicht nur das Recht von der praktischen Philosophie, sondern zugleich die Ethik vom Grammatik- und Rhetorikunterricht, und dies noch im 12. Jahrhundert und damit lange vor der Rezep­tion der

Fichtenau, Ketzer und Professoren. Häresie und Vernunftglaube im Hochmittelalter, München 1992, S. 241 – 244: Die gleichen T ­ hemen (z. B. Buße, Simonie) bearbeitete man laut Fichtenau mittels jeweils eigener Methoden. Die Kanonisten übernahmen ihre teilweise von den Legisten. Auf der Grundlage definierter Geschiedenheit miteinander zu kommunizieren, war fortan etwas anderes als die disziplinäre Nicht-­Geschiedenheit der Frühzeit. 19 Frank Rexroth, Kodifizieren und Auslegen. Symbo­lische Grenzziehungen z­ wischen päpst­lich-­gesetzgeberischer und gelehrter Praxis im späteren Mittelalter (1209/10 – 1317), in: Frühmittelalter­liche Studien 41 (2007) (ersch. 2009), S. 395 – 414. 20 Zit. bei Fichtenau (wie Anm. 18), S. 243. 21 Karl Shoemaker, When the Devil Went to Law School. Canon Law and Theology in the Fourteenth Century, in: Spencer E. Young (Hg.), Crossing Boundaries at Medieval Universities (Educa­tion and Society in the Middle Ages and Renaissance 36), Leiden, Boston 2011, 255 – 275, hier S. 257 – 260. 22 Dominicus Gundissalinus (wie Anm. 14), S. 66, dort entwickelt an der Rhetorik und dann drei nach Adressaten unterschiedenen Redesitua­tionen zugeordnet: vor dem Richter (das Gerechte), vor dem Fürsten (das Nütz­liche), vor der Volksversammlung (das sitt­lich Gute). Aufgenommen wird diese Scheidung z. B. vom anonymen „Accessus philosophorum“ aus den 1230er Jahren. Lafleur (wie Anm. 9), S. 240, Z. 955.

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aristote­lischen ‚Ethik‘.23 Ähn­liches gilt für die Politik: Das Interesse an ihr wuchs im 12. und 13. Jahrhundert an und war keineswegs abhängig von der Rezep­tion der aristote­lischen „Politik“, wie sie durch die Übersetzung des Wilhelm von Moerbeke mög­lich wurde.24 Deren Bekanntwerden und dann die Traktatliteratur aus der Zeit Bonifaz‘ VIII. und Philipps des Schönen, die ja ihrerseits der Rezep­ tionsgeschichte der „Politik“ angehörten, gaben weitere entscheidende Impulse, wie Jürgen Miethke mehrfach gezeigt hat.25 Zu nennen ist auch die Entstehung einer eigenständigen Naturphilosophie, was Marie-­Dominique Chenu zum Schlagwort von der „découverte de la nature“ veranlasste.26 Auch von einem 23 Zu dieser Frühdatierung Cary J. Nederman, Aristotelianism and the Origins of ‚Political Science‘ in the Twelfth Century, in: Journal of the History of Ideas 52 (1991), S. 179 – 194, s. dort auch die Literatur S. 180 Anm. 4; vgl. Cary J. Nederman, Medieval Aristotelianism and its Limits. Classical Tradi­tions in Moral and Political Philosophy, 12th–15th Centuries (Collected Studies Series 565), Aldershot 1997, v. a. Nr. I. Auch von der christ­lichen Moraltheologie lernt man die philosophische Ethik zu unterscheiden; Fichtenau (wie Anm. 18), S. 239. Die oben erwähnten philosophischen Einführungsschriften, die in Paris in Gebrauch waren, belegen das zunehmende Interesse der Pariser Magister an der Ethik als einer selbständigen, von Grammatik und Rhetorik geschiedenen Disziplin. David E. Luscombe, Crossing Philosophical Boundaries c. 1150–c. 1250, in: Young (wie Anm. 21), S. 9 – 27, S. 25. 24 Zur Frühdatierung abermals Nederman (wie Anm. 23). Zeugen dieser frühen Rezep­tion sind für Nederman vor allem Hugo von St. Viktor (S. 186: „firmly within the tradi­tion of Aristotle“) und Dominicus Gundissalinus, mit dem die ausdrück­lich dem Stagiriten verpflichtete „underground tradi­tion of Aristotelian political science“ einsetze (S. 190). Am wichtigsten ist für Nederman insgesamt der „Policraticus“ Johanns von Salisbury. Mit ihm erscheint die Politik nicht mehr nur in Wissenschaftslehren, sondern in der philoso­ phischen Praxis. Vgl. Nederman (wie Anm. 23). Vgl. Ulrich Meier, Mensch und Bürger. Die Stadt im Denken spätmittelalter­licher Theologen, Philosophen und Juristen, München 1994; Christoph Flüeler, Rezep­tion und Interpreta­tion der aristote­lischen Politica im späten Mittelalter, 2 Bde. (Bochumer Studien zur Philosophie 19), Amsterdam, Philadelphia 1992. 25 Hier stellvertretend Jürgen Miethke, Politiktheorie im Mittelalter – von Thomas von Aquin bis Wilhelm von Ockham. Durchgesehene und korrigierte Studienausgabe, Tübingen 2008, S. 45 – 56. 26 Marie-­Dominique Chenu, La théologie au douzième siècle (Etudes de philosophie médiévale 45), Paris 1957, S. 21 – 30. Vgl. Andreas Speer, Die entdeckte Natur. Untersuchungen zu Begründungsversuchen einer „scientia naturalis“ im 12. Jahrhundert (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 45), Leiden 1995; Guy Guldentops u. a., Philosophische Kommentare im Mittelalter – Zugänge und Orientierungen. Erster Teil, in: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 32 (2007), S. 157 – 177; Rüdiger Arnzen u. a., Philosophische Kommentare im Mittelalter – Zugänge und Orientierungen. Z ­ weiter Teil, in: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 32 (2007), S. 259 – 290, hier S. 262 f.;

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„éveil métaphysique“ sprach Chenu.27 Als die aristote­lische Naturphilosophie an den Schulen bekannt wurde, erschien die Ordnung des Quadriviums allmäh­ lich fragwürdig, die Disziplinen wurden neu geordnet: Die Einteilung nach theoretischen und praktischen Anteilen wurde wichtiger als der Artes-­Kanon des früheren Mittelalters, bei Gundisalvi begegnet man der Medizin neben der Arithmetik, der Musik, der Geometrie und Optik in der Nachbarschaft von der Astrologie und Astronomie sowie der Wissenschaft von den Gewichten (scientia de ponderibus).28 Zur selben Zeit schieden sich auch die Bereiche der pragmatischen Schrift­lichkeit voneinander: Cursus, Ars dictaminis, Ars notaria und die Ars poetriae wurden entwickelt und zugleich theoretisiert. Zwischen 1175 und 1280, so hat David Luscombe gezeigt, wurden allein sechs Traktate über die Kunst des Versbaus geschrieben. Die Praxis war schon da, nun wurden die zugehörigen Lehrwerke geschrieben. Aus der Rhetorik wurden Ars praedicandi und Ars disputa­tionis ausgegliedert.29 Der Wissenskosmos erschien den Zeitgenossen schon im 12. Jahrhundert wahrschein­lich insofern noch vielfältiger, als sie ein auffallendes Interesse an den Spezifika nicht nur von Wissensprovinzen, sondern zugleich von einzelnen ‚Schulen‘ zeigten, Neugier auf die besondere Ausrichtung einzelner Guy Guldentops / Andreas Speer / David Wirmer, Philosophische Kommentare im Mittelalter – Zugänge und Orientierungen. Dritter Teil, in: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 33 (2008) 1, S. 31 – 57. 27 Chenu (wie Anm. 26), S. 309 – 322; Andreas Speer, Das „Erwachen der Metaphysik“. Anmerkungen zu einem Paradigma für das Verständnis des 12. Jahrhunderts, in: ­Matthias Lutz-­Bachmann (Hg.), Metaphysics in the Twelfth Century. On the Rela­tionship among Philosophy, Science and Theology (Textes et études du Moyen Âge 19), Turnhout 2004, S.  17 – 40. 28 Guy Beaujouan, The Transforma­tion of the Quadrivium, in: Robert L. Benson / Giles Constable (Hgg.), Renaissance and Renewal in the Twelfth Century, Cambridge, Mass. 1982, S. 463 – 487; Dominicus Gundissalinus (wie Anm. 14), S. XI. Zu Gundisalvis Wissenschaftslehre Alexander Fidora, Die Wissenschaftstheorie des Dominicus Gundissalinus. Voraussetzungen und Konsequenzen des zweiten Anfangs der aristote­lischen Philosophie im 12. Jahrhundert (Wissenskultur und gesellschaft­licher Wandel 6), Berlin 2003. 29 David E. Luscombe, Dialectic and Rhetoric in the Ninth and Twelfth Centuries. Conti­ nuity and Change, in: Johannes Fried (Hg.), Dialektik und Rhetorik im früheren und hohen Mittelalter. Rezep­tion, Überlieferung und gesellschaft­liche Wirkung antiker Gelehrsamkeit vornehm­lich im 9. und 12. Jahrhundert (Schriften des Historischen Kollegs: Kolloquien 27), München 1997, S. 1 – 20; Florian Hartmann, Ars dictaminis. Briefsteller und verbale Kommunika­tion in den italienischen Stadtkommunen des 11. bis 13. Jahrhunderts (Mittelalter-­Forschungen 44), Ostfildern 2013.

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Lehrer-­Schüler-­Verbände, auf die Stärken und Schwächen bestimmter Magister, auf die Besonderheiten ihrer Lehre.30 Solche Neugier, die sicher von der wechselseitigen Beobachtung und Etikettierung der scholae inspiriert war, wird für den heutigen Betrachter beispielsweise dort fassbar, wo die Angehörigen der Pariser Schulen voneinander als von Porretanern, von Melidu­ nenses, von Adamitae, Albriciani, Parvipontani, Robertini oder schlicht von reales sprachen. Zum Ausdruck kam in diesen Etikettierungen das Interesse an der Attraktivität bestimmter Lehrer und an der lokalen Topographie der scholae, aber auch an den philosophischen Kernüberzeugungen, die bestimmte Schulen prägten.31 Zwar wird heute darauf gedrungen, hinter diesen Bezeichnungen keineswegs „Schulen“ nach modernem Muster zu sehen; doch was in diesen häufig anzutreffenden Etikettierungen zum Ausdruck kommt, ist eine Bejahung von wissenschaft­licher Buntheit, von einem weiten Terrain der Mög­lichkeiten.

4  Wahr oder nützlich? Denkformen und Habitus Sowohl die praktische als auch die theoretische Seite, die gemeinsam diesen Prozess der wissenschaft­lichen Binnendifferenzierung ausmachten, führte zu wechselseitigen Abgrenzungen und zugleich zu Bündelungen und Gruppenbildungen. So hat Peter von Moos betont, dass die jeweils eigenen Denkweisen in den werdenden Disziplinen seit dem ausgehenden 12. Jahrhundert durch die Ausprägung je eigener Axiomatiken gestützt wurden, ja dass es zu einem Ausweis von Wissenschaft­lichkeit geworden sei, diese Axiomata nicht zu durchmischen, beispielsweise die Techniken der artes sermocinales nicht mit denen der Physik zu kreuzen. Wechselseitige Anleihen, so von Moos, ­seien als „Kompetenzüberschreitungen immer verpönter“ geworden.32 Bündelungen ergaben sich vor allem dadurch, dass die Scholastiker die im engeren Sinn 30 Johann v. Salisbury, Metalogicon, II, 10, hg. v. J. B. Hall (Corpus Christianorum, cont. med. 98), Turnhout 1991, S. 70 – 73. 31 Iwakuma Yukio / Sten Ebbesen, Logico-­Theological Schools from the Second Half of the Twelfth Century. A List of Sources, in: Vivarium 30 (1992), S. 173 – 210. 32 Peter von Moos, ‚Sensus communis‘ im Mittelalter. Sechster Sinn und sozia­ler Sinn. Epistemolo­gische, ekklesiolo­gische und eschatolo­gische Aspekte, in: ders., Gesammelte Studien zum Mittelalter, Bd. 3, Öffent­liches und Privates, Gemeinsames und Eigenes, hg. v. Gert Melville, Münster 2007, S. 395 – 458.

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philosophischen Disziplinen von einem archimedischen Punkt aus zu definieren begannen: Näm­lich als Praktiken zur Ermittlung einer überpersön­lichen Wahrheit. Veritas wurde dort das entscheidende Wort, wo die Letztbegründung der philosophia gegeben wurde. Die Absicht der philosophia sei es, „die Wahrheit von allem, was ist, zu erfassen, insoweit es dem Menschen mög­lich ist“, schrieb Gundisalvi in der besagten Schrift „Über die Einteilung der Wissenschaften“,33 und die philosophische Einleitungsliteratur des 13. Jahrhunderts transportierte diesen Gedanken weiter. In Anlehnung an Wilhelm von Conches definierte eines dieser Werke, die philosophia sei das Erfassen der Wahrheit dessen, was ist und was scheint, sowie dessen, was ist und nicht scheint.34 Ihr Studium, so Thomas von Aquin in seinem Kommentar zur aristote­lischen Schrift De Caelo et mundo, sei „nicht zu dem Zwecke da, zu erfahren, was Menschen gedacht haben, sondern wie die Wahrheit der Dinge sich verhält (qualiter habeat ­veritas rerum)“.35 Verdeut­licht wurde den Schülern der Philosophie die Tragweite des Wahrheitspostulats beispielsweise, wo sie lernten, die Astrologie von der Astronomie zu unterscheiden, denn der Rekurs auf die Wahrheit wurde dort in der Einführungsliteratur als Leitdifferenz gebraucht: Astrologie heiße die Wissenschaft, die die Bewegung der Himmelskörper secundum situs terrarum et opiniones hominum behandele, Astronomie aber diejenige, die dasselbe secundum veritatem leiste.36

33 Dominicus Gundissalinus (wie Anm. 14), S. 9: Intentio philosophiae est comprehendere veritatem omnium, quae sunt, quantum possibile est homini. Die Übersetzung nach dems., De divisione philosophiae, lateinisch/deutsch, hg. v. Alexander Fidora / Dorothée Werner (Herders Bibliothek der Philosophie des Mittelalters 11), Freiburg i. Br., Basel, Wien 2007, S. 61. Dazu die Rezension von Ruedi Imbach in: Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie 55 (2008), S. 507 – 510. 34 Wilhelm von Conches, Philosophia, hg. v. Gregor Maurach. Pretoria 1980, S. 18, §4: Philosophia est eorum quae sunt et non videntur, et eorum quae sunt et videntur vera comprehensio. Vgl. Lafleur (wie Anm. 9), S. 255 – 293, das Zit. S. 258, Z. 27 (Anon., Philo­ sophica disciplina). 35 Thomas von Aquin, Super De coelo I, 22; vgl. Marie-­Dominique Chenu, Das Werk des heiligen Thomas von Aquin (Die Deutsche Thomas-­Ausgabe Erg.bd. 2), Heidelberg, Graz 1960, S. 22. 36 Lafleur (wie Anm. 9), S. 219, Z. 641 – 644 (Accessus philosophorum), S. 271, Z. 263 f. bzw. – prägnant – S. 272 f., Z. 291 – 293 (Philosophica disciplina); davon abhängig S. 330 f., Z. 450 – 452 (Divisio scientiarum). Bezeichnend auch S. 273, Z. 300 – 301, wo gesagt wird, Plato und Aristoteles hätten den abergläubischen Anteil der Astrologie rerum ueritate commoti verurteilt.

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Als wahrheitsfähig wurden die Disziplinen dort angesehen, wo sie die Logik zur verpflichtenden Methode und damit – mit dem Worten Augustins – zu ihrer „Superdisziplin“ (disciplina […] disciplinarum) machten 37, denn die Logik sei der privilegierte Weg, durch das Bekannte zur Erkenntnis des Unbekannten vorzudringen.38 Die logica galt als die Wissenschaft der Unterscheidung von Wahr und Falsch schlechthin, von ihr erwartete man, dass sie allen anderen Wissenschaften als methodisches Fundament diente. Wer im Paris des 13. Jahrhunderts in die Artes-­Fakultät eintrat, lernte früh, die drei ­sprachorientierten Disziplinen so zu unterscheiden: Die Grammatik sei die Wissenschaft de ordina­ tione sermonis, die Rhetorik diejenige de ornatu uerborum, die Logik aber diejenige de ueritate dicenda.39 Entscheidend für die Differenzwahrnehmung z­ wischen denjenigen Disziplinen, die gesamthaft unter dem Dach der Universität vereint wurden, war in der Folgezeit, dass die Wissenschaften, die sich im engen Anschluss an das von der Logik reklamierte Wahrheitsparadigma banden, bestimmte habituelle Eigenschaften förderten, die aus ihrem Kult der veritas resultierten. Denn die Suche nach der veritas rerum war nicht nur ein elementares, für weitere Studien vorauszusetzendes Anliegen, sondern auch eines, das sich pathetisch überhöhen und zum letzten Lebensziel ausrufen ließ. Der Bezug auf den Rigorismus der antiken Philosophenschulen unterfütterte solcherlei Lebensentwürfe und gestattete es, diese ethisch zu begründen, wie man schon an der Konstruk­tion eines antiken Philosophen-­Kosmos imŒeuvre des Moralisten Johann von Salisbury ablesen kann.40 Seit dem 12. Jahrhundert war daher auch mit deut­lich kritischen Tönen von einem Milieu der Philosophen die Rede, das die Logik nicht wie eine unverzichtbare Voraussetzung für ‚höhere‘, würdigere Studien betrachtete, sondern dem die Beschäftigung mit der Dialektik zum Lebensziel schlechthin wurde – die Karikatur vom greisen und doch milchbärtigen,

37 Augustinus, De ordine, 2.13.38, hg. v. W. M. Green (Corpus Christianorum: Series Latina 29), Turnhout 1970; vgl. Peter Abaelard, Theologia Summi boni. Tractatus de unitate et trinitate divina. Abhandlung über die gött­liche Einheit und Dreieinigkeit; lateinisch-­ deutsch. Übersetzt, mit Einleitung und Anmerkungen von Ursula Niggli, Hamburg 1989, S. 66; Dominicus Gundissalinus (wie Anm. 14), S. 181, S. 184. 38 Ebd., S. 18. 39 Lafleur (wie Anm. 9), S. 337, Z. 577 – 579 (Divisio scientiarum). Vgl. die Defini­tion der Logik ebd., S. 342, Z. 635: [logica est scientia] discernendi uerum a falso. 40 Johannes von Salisbury, Entheticus Maior and Minor, 2 Bde., hg. v. Jan van Laarhoven, Leiden u. a. 1987.

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ungesund gereiften Logiker wurde zum Bestandteil des gelehrten imaginaire.41 Seinen Körper zu vernachlässigen, bleich und schlecht genährt zu erscheinen, ausgestattet mit einem profunden Misstrauen gegenüber dem, was Normalmenschen für wahr und richtig erachten 42 – der Habitus des Philosophen konnte als Technik der Selbststilisierung eingesetzt werden, wie man etwa der zeitgenös­sischen Kritik am Pariser Schulenmilieu entnehmen kann.43 Diese neue Art, Wissenschaft zu treiben, vergehe sich an der intellektuellen consue­ tudo, klagten die Kritiker seit dem 12. Jahrhundert – kein Wunder, setzte der Kult der Wahrheit deren Priester doch in ein prekäres Verhältnis zur intellektuellen Tradi­tion, zur Autorität, ja zur zuvor verpflichtenden Lehre des eigenen magister. In aphoristischer Kürze ließ sich nun sagen, dass die Tradi­tion eine wächserne Nase habe 44 oder dass Plato zwar ein guter Freund sei, die Wahrheit aber der noch bessere (amicus Plato, sed magis amica veritas)45. Wer so dachte, lief Gefahr, sich bei seiner rigorosen Suche nach der Wahrheit selbst abhanden zu kommen. Diese Mög­lichkeit wurde durchaus gesehen. Die gelehrte Selbstvergessenheit, die distractio mentis des philosophisch Hochbegabten, wurde beispielsweise zum Markenzeichen des Aquinaten.46 Es versteht sich von selbst, dass die Philosophen dort, wo sie über die Leistungen ihrer Disziplinen nachdachten, auch deren Nutzen in der Welt reflektierten. Die Rela­tion des Wahren zum Guten zu bedenken, war ein Gemeinplatz der Einführungsliteratur, und von der utilitas bzw. den utilitates der

41 Frank Rexroth, Wenn Studieren blöde macht. Die Kritik an den Scholastikern und die Kritik an Experten während des späteren Mittelalters, Bern 2015, bei Anm. 57. 42 Frank Rexroth, Monastischer und scholastischer Habitus. Beobachtungen zum Verhältnis ­zwischen zwei Lebensformen des 12. Jahrhunderts, in: Gert Melville / Stefan Weinfurter (Hgg.), Innova­tionen durch Deuten und Gestalten. Klöster im Mittelalter ­zwischen Jenseits und Welt, Regensburg 2014, S. 317 – 333, hier S. 329. 43 Stephen C. Ferruolo, The Origins of the University. The Schools of Paris and their C ­ ritics, 1100 – 1215, Stanford, Calif. 1985; Stephen C. Ferruolo, ,Quid dant artes nisi luctum?‘‘. Learning, Ambi­tion, and Careers in the Medieval University, in: History of Educa­tion Quarterly 28 (1988), S. 1 – 22. 44 Alanus ab Insulis, De fide catholica I, 30, in: Migne Patrologia Latina, Bd. 210, Sp. 305 – 430, hier Sp. 333A: Sed quia auctoritas cereum habet nasum, id est in diversum potest flecti sensum, ra­tionibus roborandum est. 45 Henry Guerlac, Amicus Plato and Other Friends, in: Journal of the History of Ideas 39 (1978), S. 627 – 633; Leonardo Tarán, Amicus Plato, sed magis amica veritas. From Plato and Aristotle to Cervantes, in: Antike und Abendland 30 (1984), S. 93 – 124. 46 Rexroth (wie Anm. 42), S. 318.

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verschiedenen Disziplinen wurde durchaus gesprochen. Doch wurden an der Universität auch Fächer gelehrt, die einem vollständig anderen Ansatz folgten, wenn sie sich selbst begründeten und ihren Nutzen für die außerakademische Umwelt an die erste Stelle ihrer Selbstverortungen rückten. Charakteristisch für diese Disziplinen war von Anbeginn ihre Bedeutung für die Ausprägung sozia­ler Rollen im Kontakt mit ihrer Umwelt: Studierte fanden ihr Auskommen als Ärzte, Advokaten und Seelsorger und traten als Träger dieser Rollen Menschen gegenüber, die sich in entsprechende Komplementärrollen als Patienten, Klienten und Laien hineinfinden mussten.47 In Anlehnung an die moderne Professionenforschung werden diese Disziplinen, deren universitäre Heimat bekannt­lich die ‚oberen Fakultäten‘ waren, im Folgenden als Professionenwissenschaften bezeichnet.48 Am Beispiel der Juristen sei dies hier zumindest angedeutet. Es ist kein Zufall, dass die jüngste Gesamtdarstellung der mittelalter­lichen gelehrten Jurisprudenz von ihrem Verfasser James Brundage als Abhandlung zu den „Origins of the Legal Profession“ konzipiert wurde, beruhend nicht auf luftigen juristischen Wissen­ schaftslehren (die es, wie gesagt, vor Bartolus überhaupt nicht gab), sondern auf mittelalter­lichen „how-­to-­do-­it-­books“. Deren Funk­tion ist es, studierten Juristen Hinweise „about the tricks of the trade“ zu geben.49 Selbstverständ­lich verdankte der Institu­tionalisierungsschub, den diese Wissenschaft in den hundert Jahren seit ca. 1140 erfuhr, auch begriff­lichen Klärungen und methodischen Neuerungen aus der Ära der großen Glossenwerke wesent­liche Impulse und 47 Dieser Prozess wird von einigen Forschungen beleuchtet, die am Göttinger DFG Gradu­iertenkolleg „Expertenkulturen des 12. bis 18. Jahrhunderts“ betrieben wurden und werden; http://www.uni-­goettingen.de/de/100282.html (Zugriff: 26. 07. 2014). 48 Rudolf Stichweh, Wissen und die Professionen in einer Organisa­tionsgesellschaft, in: Thomas Klatetzki / Veronika Tacke (Hgg.), Organisa­tion und Profession, Wiesbaden 2005, S. 31 – 44; ders., Professionen und Disziplinen. Formen der Differenzierung zweier Systeme beruf­lichen Handelns in modernen Gesellschaften, in: Ders., Wissenschaft, Universität, Profession. Soziolo­gische Analysen (Neuaufl.), Bielefeld 2013, S. 245 – 293; ders., Professionalisierung, Ausdifferenzierung von Funk­tionssystemen, Inklusion, in: Ebd., S. 317 – 330; Rainer Schützeichel, Laien, Experten, Professionen, in: Ders. (Hg.), Handbuch Wissenssoziologie und Wissensforschung, Konstanz 2007, S. 546 – 578. Für die Theologie ist frei­lich eine Brückenfunk­tion ­zwischen Professionenwissenschaft und an der Wahrheit orientierter Wissenschaft anzusetzen. Die erstere Qualität wird bspw. deut­lich bei Friedrich Wilhelm Oediger, Über die Bildung der Geist­lichen im späten Mittelalter, Leiden 1953. 49 Brundage (wie Anm. 18), S. 5.

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zeigte sich dabei auch von der zeitgenös­sischen Logik beeinflusst. Doch in viel stärkerem Maß als die Philosophie war sie durch den ständigen Rückbezug auf die Umwelt der Wissenschaft geprägt, hier: auf die foren­sische Tätigkeit, die ja auch von den praktizierenden Lehrern des Rechts genauso ausgeübt wurde wie von den ehemaligen Besuchern der Rechtsschulen.50 Erfahrungswissen, Wissen aus eigener anwalt­licher Tätigkeit, stand hoch im Kurs, die Praktiker unter den Professoren betonten, dass man nichts erreiche, wenn man das kanonische Recht nur theoretisch kenne, doch nicht die practica.51 Die Ehre des Rechtskundigen wurde fortan zur Ehre von Praktikern: Juristen sollten nur gerechte Anliegen vertreten, sie sollten sich loyal zu ihren Klienten zeigen, Interessenkonflikte vermeiden etc.52 Auf die Lehre des Rechts wirkte diese Praxisorientierung auch insofern zurück, als der gelehrten (und für die Ausprägung eines selbstreferentiellen Wissenschaftsbereiches wahrschein­lich unverzichtbaren) Neigung der Professoren, in ihren Vorlesungen Schwerpunkte zu setzen und die sie umtreibenden Fragen besonders konzentriert zu behandeln, seit der Mitte des 13. Jahrhunderts institu­tionelle Schranken gesetzt wurden. Das Pflichtprogramm wurde mittels einer signatio punctorum genau vorgeschrieben, obligatorisch zu behandelnde Texte und deren unverzichtbare Abschnitte wurden so genau benannt.53 In seiner großartigen Gesamtdarstellung dieser Profession hat Brundage genau nachgezeichnet, wie die Jurisprudenz einen Ehrbarkeits-­Code entwickelte, der es potentiellen Klienten nahelegen sollte, Vertrauen in die Träger des gelehrten Rechts zu setzen und ihnen ihre Streitfälle zu überantworten.54 Es mag nicht überraschen, dass die Juristen einen gänz­lich anderen H ­ abitus als die Philosophen ausprägten. Prudentiales Wissen, Allgemeinwissen, das sich aus Erfahrung nährte, war ein hoher Wert, die Träger ­dieses Wissens kultivierten ein gesundes Selbstbewusstsein und nahmen welt­lichen Erfolg

50 Ebd., S. 123. 51 Ludwig Wahrmund, Der Ordo iudiciarius des Aegidius de Fuscarariis (Quellen zur Geschichte des römisch-­kanonischen Prozesses im Mittelalter 3,1), Innsbruck 1916, S. 1: Er schreibe, um junge kanonistische Advokaten zu unterrichten, qui licet periti in iure existant, ignorantes tamen practicam causas nesciunt ordinare. 52 Brundage (wie Anm. 18), S. 184. 53 Brundage (wie Anm. 18), S. 251, mit weiterer Literatur. Bertrand Kurtscheid O. F. M., De utriusque iuris studio saec. XIII , in: Acta congressus iuridici interna­tionalis. VII saeculo a decretalibus Gregorii IX et XIV a codice Iustiniano promulgatis: Romae 12 – 17 Novembris 1934, Bd. 2, Rom 1935, S. 309 – 342, hier S. 323. 54 Ebd., S. 283 – 343 (Kap. 7).

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für den Ausweis hoher fach­licher Kompetenz: „Reichtümer schenkt dir Galen und die Justinianische Weisung. Hole aus Anderem Spreu, aus ­diesem Korn dir zur Speisung“, lautete ein Sprichwort – eine positive Verhaltensanweisung, die bei den Philosophen in dieser Form unerhört gewesen wäre.55 Nähe zur Macht ist für den, der sich der Mühe des Jurastudiums unterzogen hat, eine Verheißung. Reputa­tion und Reichtum dürfen gemäß dem Komment der Juristen durchaus auch vorgezeigt werden! In Bologna dürfen während der Totenfeier von Adligen und Legisten scharlachfarbene Kleider getragen werden; als ein namhafter Kanonist stirbt, scheint diese Begrenzung unerträg­lich, eine Ausnahmegenehmigung für den Einzelfall muss her, die dann in der Folgezeit wegen dessen Verdiensten doch auf die Vertreter des Kirchenrechts allgemein angewendet wird.56 Juristen sind agonal, schenken einander in der Kollegen-­ Konkurrenz nichts, polemisieren in ihren Vorlesungen gegeneinander.57 Die Träger dieser beiden grundverschiedenen Habitus, die demonstrativ weltabgewandten Philosophen und die mondänen Juristen, nahmen einander wahr und kommentierten skeptisch bis abfällig, was sie dabei sahen. Die Philosophen mokieren sich über die Oberfläch­lichkeit und den Karrierismus in den Professionenwissenschaften, die ihren Werten zuwiderlaufen, müssen sich selbst aber als harmlose Wolkenschieber verspotten lassen.58 Es geht frei­ lich auch differenzierter: Philosophen reflektieren über die Gefahr, dass sie sich in ihren lo­gischen Quisquilien verlieren, Juristen wissen, dass man es mit dem Gewinnstreben auch übertreiben, dass man damit seine Glaubwürdigkeit korrumpieren kann. Walter von Châtillon mahnt die Bologneser Lehrer des Rechts und der Artes in einer Ansprache um 1174, dass die Disputa­tionen der 55 Stephan Kuttner, Dat Galienus opes et sanctio Justiniana, in: Alessandro S. Crisafulli (Hg.), Linguistic and Literary Studies in Honor of Helmut A. Hatzfeld, Washington 1964, S. 237 – 246. Die Übersetzung nach Jürgen Miethke, De potestate papae. Die päpst­liche Amtskompetenz im Widerstreit der politischen ­Theorie von Thomas von Aquin bis Wilhelm von Ockham (Spätmittelalter und Reforma­tion N. R. 16), Tübingen 2000, S. 4. 56 Wahrmund (wie Anm. 51), S. XXVII Anm. 1. 57 Am Beispiel des Vincentius Hispanus und des Johannes Teutonicus Javier Ochoa Sanz, Vincentius Hispanus. Canonista boloñes del siglo XIII (Cuadernos del Instituto Jurídico Español 13), Rom, Madrid 1960, S. 68 f. 58 Rexroth, Einheit (wie Anm. 7); ders., Praktiken der Grenzziehung in Gelehrtenmilieus der Vormoderne. Einige einleitende Bemerkungen, in: Ders. / Martin Mulsow (Hgg.), Was als wissenschaft­lich gelten darf. Praktiken der Grenzziehung in Gelehrtenmilieus der Vormoderne (Campus historische Studien 70), Frankfurt a. M. 2014, S. 11 – 37, hier S.  26 f.

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Philosophen harmlos, weil sozia­l folgenlos ­seien, während sich der Dissens in Dingen des Rechts unmittelbar in der Welt auswirke, etwa Erbschaften und Testamente ungültig mache.59

5  Integration in der Praxis: die Universität Über diese wechselseitigen Bedenken hinaus gelang im Rahmen der Universität seit ca. 1200 aber doch die Integra­tion der divergierenden Wissenschaften. Was sie miteinander verband, war die ­sozia­le Praxis der schola, die Tatsache, dass sie sich in einander ähnelnden sozia­len Gruppen organisierten und auf einen Magister hin ausgerichtet waren. Dieser Prozess ist von der sozia­lgeschicht­lichen Universitätenforschung gründ­lich durchleuchtet worden.60 Als die Pariser Lehrer etwa die Konsequenzen aus ihren gemeinsamen Interessen zogen, sahen vor allem die Päpste und der hohe lokale Klerus die Gefahr gegeben, dass der Verbund der Schulen zu einer unzulässigen Durchmischung der wissensmäßigen Grundlagen verschiedener Disziplinen führen würde. So sind die Worte des Pariser Kanzlers Philippe de Grève aus den 1220er Jahren zu verstehen, der die Gesamtheit der scholae als eine Monstrosität bezeichnet: „Ein Monster ist die Verbindung unterschied­licher Natu­ ren in einem Körper […]. Die vier Köpfe d ­ ieses Monstrums sind die vier Fakultäten: die Logik, die Physik, das kanonische und das gött­liche Recht.“61 Die monströsen quattuor facultates, von denen Philippe hier spricht, dürfen noch keineswegs als 59 Walter von Châtillon, Mora­lisch-­satirische Gedichte, hg. v. Karl Strecker, Heidelberg 1929, Nr. 3, S. 33 – 57, hier Abschn. 23, S. 46. Siehe dazu Thomas Haye, Oratio. Mittelalter­ liche Redekunst in lateinischer Sprache (Mittellateinische Studien und Texte 27), Leiden, Boston, Köln 1999, S. 232 – 243, hier v. a. S. 240 – 243. 60 Jüngst Nathalie Gorochov, Naissance de l’université. Les écoles de Paris d’Innocent III à Thomas d’Aquin (v. 1200 – v. 1245) (Études d’histoire médiévale 14), Paris 2012; Spencer E. Young, Queen of the Faculties. Theology and Theologians at the University of Paris, c. 1215–ca. 1250, Diss. phil. Madison 2009. 61 Charles Homer Haskins, The University of Paris in the Sermons of the Thirteenth Century, in: American Historical Review 10 (1904), S. 1 – 27: Circumiit scolas et invenit monstru­ositatem. Monstrum in uno corpore diversarum coniunctio naturarum. Quid est ergo ex diversis na­tionibus universitatem facere nisi monstrum creare? […] Quattuor capita huius monstri sunt quattuor facultates, logice, phisice, canonici et divini iuris.“Divi­ num ius” meint bekannt­lich die Theologie. Mit einer Abweichung (philosophicae statt ­phisice) bei Olga Weijers, Terminologie des universités au XIIIe siècle (Lessico intellettu­ ale europeo), Roma 1987, S. 53 Anm. 6.

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die verfassten Organisa­tionseinheiten eines universitären Körpers verstanden werden, denn diese Bedeutung kann man mit einiger Sicherheit erst für die 1250er Jahre, also etwa eine Genera­tion ­später, im Urkundenbuch der Pariser Universität nachweisen. Die Monstrosität, von der hier die Rede ist, evoziert vielmehr die Norm von der Unvermischtheit disziplinär gebundener Erkenntnisweisen, die, wie gesagt, von der zeitgenös­sischen Wissenschaftslehre durchaus gedeckt war. Ein wesent­licher Aspekt des Außendrucks, der auf die Pariser in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts ausgeübt wurde, war dem Bemühen der Päpste geschuldet, die Attraktivität des bei den Philosophen gepflegten Wahrheits­ ideals vor allem bei den Theologen im Zaum zu halten. Dies ist für die frühen, von einem päpst­lichen Legaten zumindest mitverantworteten Statuten von 1215 ebenso nachzuvollziehen 62 wie für die Bulle Parens scientiarum von 1231: Die Magister und Scholaren der Theologie, so heißt es dort, sollten sich nicht wie Philosophen gebärden und in ihren Schulen nur ­solche Quaes­tionen disputieren, die durch Theologenbücher und Väterschriften angemessen ­seien.63 Bezeichnenderweise wählte Kardinalbischof Odo von Tusculum als päpst­ licher Legat 1247 in derselben Sache das Vokabular der puritas studii und der altbewährten Grenzen der scientiae und der facultates, er sprach vom Schmutz durch Irrtümer (errorum sordibus maculetur), die dadurch entstünden, dass die Theologie auf falsche Weise mit der Logik verbunden werde.64 Dieser auf Trennung bedachte Außendruck beförderte aber die Konstituierung der universitas eher, als dass er sie behindert hätte. Und da es der universitas gelang, das Promo­tionsrecht bei sich anzusiedeln und zu bewahren, wurde dieser Ausgleich z­ wischen Einheitskonzept und der Differenz der Disziplinen auch maßgeb­lich für die Kommunika­tion mit der außerwissenschaft­lichen Umwelt.65 Im Inneren der zu einer Universität vereinigten Schulen gewährleistete eine Reihe

62 Chartularium Universitatis Parisiensis, Bd. 1, hg. v. Heinrich Denifle / Emile Châtelain, Paris 1899, Nr. 20, S. 78 – 80. Dazu Stephen C. Ferruolo, The Paris Statutes of 1215 reconsidered, in: History of Universities 5 (1985), S. 1 – 14. 63 Chartularium (wie Anm. 62), Nr. 79, S. 136 – 139, hier S. 138. 64 Ebd., Nr. 176, S. 206 f. 65 Rainer Christoph Schwinges (Hg.), Examen, Titel, Promo­tionen. Akademisches und staat­ liches Qualifika­tionswesen vom 13. bis zum 21. Jahrhundert (Veröffent­lichungen der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 7), Basel 2007; Olga Weijers, Les règles d‘examen dans les universités médiévales, in: Maarten J. F. M. Hoenen / Jakob Hans Josef Schneider / Georg Wieland (Hgg.), Philosophy and Learning. Universities in the Middle Ages (Educa­tion and Society in the Middle Ages and Renaissance 6), Leiden 1995, S. 201 – 223.

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von Arrangements, dass die Differenz ­zwischen der Eigenlogik der Disziplinen und deren Verbleib unter dem einen Dach der Universität dauerhaft stabilisiert werden konnte. Ein solches Arrangement bestand schon darin, dass die Universitäten in einer Ära, in der die zeitgenös­sischen Wissenschaftslehren die tradi­tionellen artes liberales abwerteten und dem aristote­lischen Wissenschaftsverständnis unterzuordnen begannen, am Konzept der Sieben Freien Künste festhielten, ja es sogar zum Herzstück ihrer Struktur, zum unverzichtbaren Eingangstor auch für die Besucher der ‚oberen Fakultäten‘ und sogar zur ständigen Heimat des Rektorats machten. Septem artes liberales non sufficienter dividunt philosophiam theoricam, schrieb Thomas von Aquin in der zweiten Hälfte der 1250er Jahre, also zu einer Zeit, zu der eben jene septem artes tief in die Verfassung seiner Universität hineingeschrieben wurden.66 Überhaupt bewirkte die Tatsache, dass die produktive geistige Tätigkeit in den Disziplinen im Rahmen der Universität stets an die Lehre zurückgebunden blieb, dass die Verselbständigung von Fragen und Problemen stark gedrosselt wurde. Gerade die Grundlagenfunk­tion der ‚trivialen‘, sprachorientierten Artes blieb dabei unbestritten. Integrierend wirkte weiterhin, dass sich mit der Rezep­tion des gesamten verfügbaren aristote­lischen Werks eine verbind­liche Wissenschaftssprache durchsetzte. Auch wer sich gegen den Stagiriten wandte oder ­diesem sogar fernstand, konnte es sich allmäh­lich nicht mehr leisten, die aristote­lische Sprache nicht zu kennen und nicht zu benutzen.67 Integrierend mochte fernerhin sein, dass die Literaturformen, die diese Wissenschaft

66 Thomas von Aquin, Expositio super librum Boethii De trinitate, qu. 5, art. 1 ad 3, hg. v. Peter Hoffmann / Hermann Schrödter (Herders Bibliothek der Philosophie des Mittel­ alters 3), Freiburg, Basel, Wien 2006, Bd. 2, S. 68. 67 Rolf Schönberger, Was ist Scholastik? (Philosophie und Religion 2), Hildesheim 1991, S. 37, 87, 108, 112; Chenu (wie Anm. 35), S. 25 – 33. Zwei Beispiele: Die Durchsetzung des aristote­lischen Kernbegriffs „experientia“ in der Kanonistik zeigt Knut Wolfgang Nörr, Ideen und Wirk­lichkeiten. Zur kirch­lichen Rechtssetzung im 13. Jahrhundert, in: Andrea Romano (Hg.), „… colendo iustitiam et iura condendo …“. Federico II legislatore del regno di Sicilia nell’Europa del duecento. Per una storia comparata delle codificazioni europee, Rom 1997, S. 39 – 50, hier S. 44 – 50. Zur aristote­lischen Sprache in der Politik Mary Elizabeth Sullivan, The Bond of Aristotelian Language among Medieval Political Thinkers, in: Constant Mews / John N. Crossley (Hgg.), Communities of Learning. Networks and the Shaping of Intellectual Identity in Europe, 1100 – 1500 (Europa sacra 9), Turnhout 2011, S. 213 – 228; Roberto Lambertini, La diffusione della ‚Politica‘ e la definizione di un linguaggio politico Aristotelico, in: Quaderni Storici 34 (1999), S. 677 – 704; Antony Black, Political Languages in Later Medieval Europe, in: Diana Wood (Hg.), The Church and Sovereignty c. 590 – 1918, Oxford 1991, S. 313 – 328.

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trugen, hinläng­lich ausdifferenziert wurden, um sowohl der Eigenlogik in den Disziplinen als auch der Integra­tion von ‚Wissenschaft‘ gerecht zu werden: Raum zur Spezialisierung boten die quaes­tiones, die sophismata und determina­tiones; konservativ, aber integrierend verhielt sich dagegen die Studienführer-­Literatur seit dem 13. Jahrhundert. Wiederum anders, näm­lich in den Dienst eines allgemeineren Erkenntnisinteresses sollte Jean Gerson im frühen 15. Jahrhundert die Weiterentwicklung des Traktats als einer spezifischen Literaturform stellen, wie Daniel Hobbins gezeigt hat.68

6  Eine Theorie der universitären Praxis: Heinrich von Langenstein Mittels der im letzten Absatz beschriebenen Arrangements passte sich die Wissenschaft des 13. und 14. Jahrhunderts an ihre eigene Komplexität an.69 In deren Selbstbeschreibungen kam sie selten als Ensemble von Artisten, Medizinern, Juristen und Theologen vor, und wo dies doch einmal geschah, wurde ­dieses Quartett offenbar nie als Ausdruck einer dahinterstehenden epistemischen Ordnung angesehen.70 Dass sich dies um die Gründung der Kölner Universität herum änderte, dass während der Kölner Disputa­tion vom Dreikönigstag 1389 das Fakultäten-­Quartett als Ausgangspunkt zu Reflexionen über die Konsonanz und Dissonanz der disziplinären Eigenlogiken diente, ist oben deut­lich geworden. Es scheint, als sei dies kein Zufall gewesen, als habe vielmehr seit dem Ausbruch des Großen Schismas die zügige Neugründung von Universitäten, denen fortan die 68 Daniel Hobbins, Authorship and Publicity before Print. Jean Gerson and the Transforma­ tion of Late Medieval Learning, Philadelphia 2009. 69 Niklas Luhmann, Sozia­le Systeme. Grundriß einer allgemeinen T ­ heorie (1984). Ndr. Darmstadt 2002, S. 56. 70 Walter von Châtillon hatte das Quartett einmal bei der oben erwähnten Bologneser Rede von ca. 1174 genannt: die domus scientie, die er seinen Hörern vor Augen führte, war in drei ordines scolarium eingeteilt: die Artisten, die Juristen gemeinsam mit den Medizinern und letzt­lich die Theologen. S. oben, bei Anm. 59. Als Juan Gil de Zamora über 100 Jahre ­später die Übersetzertätigkeit König Alfons’ des Weisen rühmte, erwähnte er erst die artistischen, dann die kanonistischen bzw. romanistischen und schließ­lich die theolo­gischen Texte, die dadurch in die Muttersprache des Königs übertragen worden ­seien. Ramon Llull führte sie in seinem Árbol de la ciencia um 1295 ähn­lich, aber vollständig an; auch die Medizin nannte er. Hier nach Helmut C. Jacobs, Divisiones philo­ sophiae. Spanische Klassifika­tionen der Künste und Wissenschaften im Mittelalter und Siglo de Oro, Frankfurt a. M. 1996, S. 19 und S. 26.

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Theologie nicht mehr versagt wurde, ­solche Reflexionen begünstigt – dies zumal dort, wo man es im Wegestreit mit den ‚Realisten‘ hielt. Es ist jedenfalls auffallend, dass schon bald nach 1389 eine Schrift entstand, die die Rela­tion ­zwischen ‚Wissenschaft‘ und ‚Universität‘ mit aller Deut­lichkeit zur Sprache brachte: die Katharinenpredigt des Wiener Theologen Heinrich von Langenstein.71 Heinrichs Erörterungen über die Frage, wie die einzelnen Wissenschaften zusammenhängen, unterscheiden sich schon dadurch von den klas­sischen Wissenschaftslehren und Einführungswerken, dass sie in Gestalt einer Predigt überliefert sind. Ähn­lich wie bei der Kölner Zusammenkunft vom 6. Januar 1389 müssen wir uns als Publikum idealerweise die gesamte Wiener Universität vorstellen: Man hatte sich wohl im Jahr 1396 zum Katharinentag (25. Nov.) versammelt und hörte zum Patrozinium der ‚artistischen‘ Schutzpatronin den Ausführungen des ersten Theologen am Platz zu.72 Vor Augen stand den ­Anwesenden dabei zweifellos, dass es gerade Heinrich von Langenstein gewesen war, der dem zweiten Versuch einer

71 Zur Biographie Thomas Hohmann / Georg Kreuzer, Heinrich von Langenstein, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters – Verfasserlexikon, Bd. 3, 2. Aufl. (1981), Sp. 763 – 773; siehe auch die Korrekturen und Nachträge in Bd. 11, ebd. 2004, Sp. 632; Georg Kreuzer, Heinrich von Langenstein. Studien zur Biographie und zu den Schismentraktaten unter besonderer Berücksichtigung der Epistola pacis und der Epistola concilii pacis (Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte, N. F. 6), Paderborn, München, Wien 1987; Thomas Prügl, Bibeltheologie und Kirchenreform. Die Errichtung der Wiener Fakultät und ihre theolo­gische Posi­tionierung im Spätmittelalter, in: Johann ­Reikerstorfer / Martin Jäggle (Hgg.), Vorwärtserinnerungen. 625 Jahre Katho­lisch-­Theolo­gische Fakultät der Universität Wien, Göttingen 2009, S. 377 – 398, S. 382 – 392. Albert Lang hat bislang als Einziger diese Predigt eingehend betrachtet und in ihrem größeren Teil ediert: Albert Lang, Die Katharinenpredigt Heinrichs von Langenstein. Eine programmatische Rede des Gründers der Wiener Universität über den Aufbau der Glaubensbegründung und die Organisa­tion der Wissenschaften, in: Divus Thomas 26 (1948), S. 123 – 159 u. S. 233 – 250, die Edi­tion dort S. 132 – 159. Der dritte Großabschnitt der Predigt über die gegenwärtigen kirch­lichen Missstände hat der Editor weggelassen, dazu S. 129 – 131. Vgl. Lang (wie Anm. 14). Die folgenden Ausführungen sind zu sehr dem Zwang zur Kürze unterworfen, als dass sie Langs Ausführungen ersetzen könnten. Auf Seiten- und Zeilenangaben der Lang’schen Edi­tion verweise ich im Folgenden unmittelbar im Haupttext. 72 Zur Datierung der Predigt Lang (wie Anm. 71), hier S. 123. Zu den Universitätspredigten, die von Theologen zu halten sind, s. die Wiener Universitätsstatuten bei Rudolf Kink, Geschichte der kaiser­lichen Universität zu Wien (2 Bde.), Wien 1854, Bd. 2, S. 78. Zum Genus künftig Sita Steckel, Universitätspredigten, in: Marian Füssel u. a. (Hgg.), Institu­tionen, Praktiken und Posi­tionen der Gelehrtenkultur vom 13. bis zum 16. Jahrhundert. Ein interdisziplinäres Quellen- und Methodenhandbuch, erscheint 2015.

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Universitätsgründung am Ort (1384) die entscheidenden Impulse gegeben hatte.73 Wer mit Grundsätz­lichem rechnete, wird nicht enttäuscht worden sein, denn Heinrich knüpfte an die klas­sischen Fragen der Wissenschaftslehre an. So bezog er sich etwa explizit auf die Klassifika­tion der Fertigkeiten und Wissenschaften, die Hugo von St. Viktor in seinem „Didascalicon“ vorgenommen hatte. Doch verknüpfte er die tradi­tionellen Fragen nach der Entstehung, der Reihung und dem Nutzen der Einzelwissenschaften mit der Realität der in Fakultäten gegliederten Universität. Seine Predigt war dabei von drei Hauptgedanken getragen, die gesamthaft die Integra­tion von gelehrter Wissensordnung und organisatorischer Einheit der Universität ermög­lichten. Dadurch, dass er sämt­liche Wissenschaften zwar auf die Theologie hin ausrichtete, gleichzeitig aber die Primärrolle der sprachbezogenen artes als den Anfang allen ra­tionalen Denkens betonte, demonstrierte Heinrich zum ­Ersten, dass es jenseits derartiger Hierarchisierungen eine Perspektive auf die Struktur der Wissenschaften geben musste, die diese Dissonanz von Höchstund Erstbedeutung aufhob. Er plädierte statt einer hierarchischen für eine funk­tionale Betrachtung der Wissensprovinzen (scientiae), die erst in ihrer Binnenkommunika­tion zu Garanten eines epistemischen Ganzen (146, 1: sapien­ cia; 145, 34: omne ingenium humanum) werden können. Derartige funk­tionale Schemata der sozia­len Wirk­lichkeit waren mittelalter­lichem Denken ja keineswegs fremd, hier wurde am ‚Körper‘ der Universität eines für die zeitgenös­ sische Wissenschaft vorgestellt.74 Die Annahme dieser engen funk­tionalen Verzahnung gründete in dem Gedanken, dass es z­ wischen den Disziplinen der Philosophie, die in der Artes-­Fakultät aufgehoben waren, und den drei ‚oberen‘ Fakultäten jeweils privilegierte Rela­tionen gab: Die Medizin verdankte sich der

73 Dazu zuletzt Christian Lackner, Mög­lichkeiten und Perspektiven diplomatischer Forschung. Zum Privileg Herzog Albrechts III. für die Universität Wien vom Jahr 1384, Wien, Köln, Weimar 2013, S. 35 – 42. 74 Otto Gerhard Oexle, Deutungsschemata der sozia­len Wirk­lichkeit im Mittelalter, in: Ders. (wie Anm. 1), S. 340 – 401; Ders., Die funk­tionale Dreiteilung als Deutungsschema der sozia­len Wirk­lichkeit in der ständischen Gesellschaft des Mittelalters, in: Winfried Schulze (Hg.), Ständische Gesellschaft und ­sozia­le Mobilität (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquia 12), München 1988, S. 19 – 51; Ders., Die funk­tionale Dreiteilung der „Gesellschaft“ bei Adalbero von Laon. Deutungsschemata der sozia­len Wirk­lichkeit im früheren Mittelalter, in: Frühmittelalter­liche Studien 12 (1978), S. 1 – 54; Tilman Struve, Die Entwicklung der organolo­gischen Staatsauffassung im Mittelalter (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 16), Stuttgart 1978.

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Naturphilosophie, die beiden Jura 75 der Moralphilosophie, die Theologie in ihren nicht auf Offenbarung beruhenden Teilen der Metaphysik. Damit nicht genug – auch zur Natur- und Moralphilosophie verliefen die Verbindungen der Theologie (153, 27). Und während Heinrich mittels seiner ersten Proposi­tion auf die Notwendigkeit und den Nutzen der Artes-­Fakultät für die Mediziner, Juristen und Theologen einging, legte er unter der zweiten (quelibet facultas cuilibet alteri facultati est necessaria, 154, 14) dar, dass die drei oberen zugleich die Bedingungen schufen, die die untere Fakultät erst ermög­lichten. Deut­lich auf den Punkt gebracht wurde dieser Gedanke der wechselseitigen funk­tionalen Zuordnung mit Heinrichs zweitem und drittem Satz, denen zufolge omnes facul­ tates sibi mutuo serviunt et famulantur bzw. denen zufolge die artes et doctrine sic sunt connexe, quod nulla sine alia perfecte a mortalibus potest acquiri (144, 23). Das wechselseitige Band z­ wischen den Fakultäten hatte die Liebe (karitas) zu sein. Die aus Fakultäten errichtete Universität war nicht nur die notwendige Organisa­ tionsform, die die funk­tional einander zugeordneten Disziplinen integrierte, sie war dabei notwendigerweise auch eine ethisch-­mora­lische Aufgabe. Dies war der zweite tragende Gedanke, mit dem Heinrich die Mehrfakultäten-­Universität motivierte. Sie erschien bei ihm als das ‚real asset‘, in dem sich die Einheit und Differenz zugleich materialisieren. In ihr wurde die Interak­tion der Wissenschaften mit einem Körper versehen, der es gestattete, jene drei Ausprägungsformen von disciplina zur Entfaltung zu bringen, die das Leben und das Martyrium der Katharina bestimmt hatten: das Wissen, den vorbild­lichen Lebenswandel und die Zucht bzw. die Züchtigung – Letzteres eine für die Hörer leicht zu verstehende Assozia­­tion an die Lehrsitua­tion und die Rela­tion ­zwischen Magister und Scholar.76 Der Bezug zum Leben der heiligen Katharina war der dritte Aspekt, unter dem Einheit und Differenz motiviert werden: Er fasst die Einheit der Wissenschaften zugleich als historische Tatsache und als gegenwärtig einzulösende Aufgabe. Wie im Leben der Heiligen, so war auch die gegenwärtige Wissenschaft nur dann leistungsfähig, wenn sie auf die Praxis ausgerichtet war. Das Leben der Heiligen bezeugte einen Zustand, in dem die Wissenschaften noch in einer Person vereinigt waren: Beate Katharine non suffecisset una facultas 75 Hier wird sie in zwei Fakultäten gedacht, einer kanonistischen und einer legistischen. Dies war ein zeittypischer Gedanke. Vgl. Frank Rexroth, „… damit die ganze Schule Ruf und Ruhm gewinne“. Vom umstrittenen Transfer des Pariser Universitätsmodells nach Deutschland, in: Joachim Ehlers (Hg.), Deutschland und der Westen Europas im Mittelalter (Vorträge und Forschungen 56), Stuttgart 2002, S. 507 – 532, hier S. 527 – 529. 76 133, 3; auf die Eigenschaften der hl. Katharina bezogen 134, 5.

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sive una species sciencie, sed necessarium erat ei, ut omnibus scienciis humanis et divinis esset sufficienter edocta et potentissime in scienciis philosophorum, daher auch das disputacionis duellum, das sie de quolibet gegen die 50 heidnischen Magister geführt habe (144, 9). Mit solcher Vollkommenheit konnte die Gegenwart nicht mehr aufwarten, an die Stelle der ungeteilten Präsenz des gesamten gelehrten Wissens bei einer Person musste deren funk­tionale Zuordnung unter dem Dach der einen Gelehrtenkorpora­tion treten. Die Assozia­­tion an die Kölner Simultan-­Disputa­tion des ört­lichen Theologen drängt sich auf – ob hier nicht ähn­liche Gedanken geäußert worden sind?

7  Schluss So bemerkenswert Heinrichs Entwurf auch sein mag, so steht er doch keineswegs am Beginn einer neuen Ära, in der die Wissenschaftstheorie und die universitäre Praxis miteinander zwanglos harmonisiert hätten, ganz im Gegenteil. Zwar folgten Einzelne dem Gedanken, in der Universität die perfekte Lösung für die Vermittlung von disziplinärer Eigenheit und epistemischer Ganzheit zu sehen. Ein Beispiel für diese Sichtweise ist abermals mit der Kölner Universität verbunden, denn der Paveser Rhetorikprofessor Baldassare Rasini äußerte sich in ­diesem Sinn, als er 1437/38 den Kölner Juristen Johann Ruysch in einer Festrede ehrte. Quid aliud, viri primarii, so fragte der humanistische Redner seine Zuhörer, rectoratum esse creditis nisi speculum quoddam et totius sapientie veram imaginem, omnesque dotes, disciplinas omnes suo sinu complectatur ac teneat? Das Rektorat als Spiegel der Weisheit – ob die Anwesenden an dieser Stelle wohl gelacht haben?77 Die Werke, die sich insgesamt der Wissenschaftslehre widmeten, folgten jedenfalls anderen Vorbildern, sie synthetisierten und amalgamierten so wie ihre mittelalter­lichen Vorgänger.78 In den Professionenwissenschaften wusste man mit solchen Überlegungen ohnehin nicht viel anzufangen, diese blieben die Domäne von Wahrheitshubern. Letzt­lich haben die Reflexionen über das ‚höhere‘ Wissen aus solchen Dissonanzen wahrschein­lich größeren Nutzen gezogen, als ihnen eine allgemein verbind­liche Wissenschaftslehre jemals hätte bieten können. 77 Agostino Sottili, Die Lobrede des Baldassare Rasini auf den Kölner Juristen und Kanzler Johann Ruysch (1437/38), in: Geschichte in Köln 23 (1988), S. 37 – 64, hier S. 51. 78 Jean-­Marc Mandosio, Méthodes et fonc­tions de la classifica­tion des sciences et des arts (XVe–XVIIe siècles), in: Nouvelle revue de XVIe siècle 20 (2002), S. 19 – 30; Pierre Speziali, Classifica­tion of the Sciences, in: Dic­tionary of the History of Ideas 1 (1973/74), S. 462 – 467.

Rainer Christoph Schwinges

Ordnung, Ämter und Karrieren: Die mittelalterlich-vormoderne Universität als ­soziale und kulturelle Institution

Seht mal, da unten sitzt ein Magister in artibus und Schulrektor, und ich bin genauso gut Magister wie der, und er kümmert sich nicht im Geringsten um mich: Ich finde das ziem­lich ärger­lich. So klagte neidvoll jemand, der zusammen mit anderen, angeb­lichen Geldsammlern für den Loskauf von Gefangenen, ein Wirtshaus betrat und den Magister im Kreise seiner Freunde dort sitzen sah. Ein Wort gab das andere, es kam zu Beleidigungen, und bald einmal ging man mit Fäusten und Waffen aufeinander los. Dabei schlug der angesprochene Magister, ein gewisser Petrus Vabraulx, ein Priester der Diözese Rouen, einen von der gegnerischen Partei zu Boden, ausgerechnet einen Minderbruder, der am nächsten Tag seinen Verletzungen erlag. Man findet die Schilderung ­dieses Falles in einer Supplik an die römische Pönitentiarie aus dem Februar oder März 1439. Petrus Vabraulx, selbst Geist­licher, hatte den geist­lichen Bruder in Notwehr töd­lich verletzt und bat nun um Absolu­tion, um nicht irregularis zu werden und damit um seine Stellung sowie sein geist­liches und prebendäres Vorankommen, eventuell sogar um die Zulassung zu weiteren Studien hätte fürchten müssen.1 Gut ein Jahrhundert zuvor, rückwirkend auf 1308, legte die kleine Stadt Wesel am Niederrhein eigens eine matricula civium an, ein Neubürgerbuch, was zu dieser Zeit in deutschen Landen noch nicht sehr geläufig war, die Großstadt Köln beispielsweise hatte noch keines. In einer kleinen Vorrede, überschrieben mit Titulus libri discre­tionis opidi Weselensis, fühlte sich der Stadtschreiber im Auftrag seiner Stadtväter bemüßigt zu begründen, warum er von nun an ein solches Buch anlege. Überaus gelehrt und unter Zita­tion vieler Stellen aus den 1 Ecce inferius sedit quidam magister in artibus et rector scolarium, et ego sum ita bonus magister sicut ipse et nichil de me curat, quod est mihi satis molestum. Aus: Poenitentiaria Apostolica, Registra Matrimonialium et Diversorum 2, f. 137v–138r, etwa Februar/März 1439. Für den Hinweis auf diese Stelle danke ich sehr herz­lich Arnold Esch, Rom; vgl. jetzt ders., Die Lebenswelt des euro­päischen Spätmittelalters. Kleine Schicksale selbst erzählt in Schreiben an den Papst, München 2014, S. 200.

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corpora iuris canonici und iuris civilis betonte er den Wert urkund­licher Aufzeichnungen und ihrer Sammlung in Archiven. Im Übrigen habe er in Bologna studiert, sei baccalareus iuris geworden und habe bei seinen Professoren gelernt, wie man rubriziere, wie man also in bestimmten Sachverhalten Ordnung schaffe.2 Eine weitere kleine Geschichte stammt aus dem späten 15. Jahrhundert. Erzählt hat sie einer der bedeutendsten Reichsfürsten dieser Zeit, der Kurfürst von Brandenburg und Markgraf von Ansbach Albrecht Achilles († 1486). Zu Beginn seiner Regierungszeit hielt er noch wenig von den Doctores, so in den püchern lesen, dadurch sie maynen, allem einen schein zu geben, es hab grund oder nicht, und ließ sogar einen kaiser­lichen Rat, den Doktor beider Rechte Ulrich Riederer, aus der Stube werfen, als er, der Fürst, eintrat. Doch schien er bald einmal gelernt zu haben, wie nütz­lich ihm und seinem Landesstaat gelehrte Doktoren sein konnten: Bei seinem Rat Hertnidt von Stein, einem Doktor des Zivilrechts von Bologna, bedankte er sich für erfolgreiches Wirken zugunsten Brandenburgs an der römischen Kurie mit den Worten: Schick einen weysen und bevihle im wenig, so richt er vil auß oder schick einen toren und bevihle im vil, so richt er nichts auß. Am Ende seiner Regierungszeit hatte er nach dem ­Kaiser von allen deutschen Reichsfürsten die meisten Doktoren als gelehrte Räte um sich geschart, adlige und bürger­liche Juristen zumeist, aber auch Theologen und Mediziner.3 Trotz Juristenmilieus konnte es auch anders kommen. Der Kölner Professor Loppo Walingi von Zieriksee im niederländischen Seeland riet auf Grund langjähriger bitterer Erfahrungen, die er als mittelloser Student und Bursendiener 2 Die Listen der Neubürger von 1308 – 1677 (Die Bürgerbücher der Stadt Wesel 1), bearb. v. Adolf Langhans, Duisburg 1950, S. XVII ff. Zur Sache Rainer C. Schwinges, Neubürger und Bürgerbücher im alten Reich des späten Mittelalters: Eine Einführung über die Quellen, in: Ders. (Hg.), Neubürger im späten Mittelalter. Migra­tion und Austausch in der Städtelandschaft des alten Reiches (1250 – 1550) (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 30), Berlin 2002, S. 17 – 50. 3 Zitate nach Ernst Schubert, Albrecht Achilles, Markgraf und Kurfürst von Brandenburg (1414 – 1486), in: Gerhard Pfeiffer (Hg.), Fränkische Lebensbilder 4, Würzburg 1971, S. 130 – 172, hier S. 145, und Suse Andresen, Strategen am Hof. Gelehrte im Einsatz für den Kurfürsten Albrecht von Brandenburg, Diss. phil. Bern 2009. Dies., Akzeptanz der Grade. Die Antwort der Gesellschaft bis 1500, dargestellt am Beispiel der Markgrafen von Ansbach und Kurfürsten von Brandenburg, in: Rainer C. Schwinges (Hg.), ­Examen, Titel, Promo­tionen. Akademisches und staat­liches Qualifika­tionswesen vom 13. bis zum 21. Jahrhundert (Veröffent­lichungen der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 7), Basel 2007, S. 451 – 487.

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in Köln gemacht hatte, armen Studenten dringend davon ab, den juristischen Doktortitel anzustreben – wegen der vielen Mühen und Beschwernisse selbst noch nach Erlangung der akademischen Würden. Loppo blieb auch als Doktor beider Rechte und als Professor ein typischer Randseiter: Man hatte ihn trotz wissenschaft­licher Anerkennung während seiner langjährigen Tätigkeit bis 1479 und trotz einer ordent­lichen Studienstiftung zugunsten der Juristen nicht ein einziges Mal zum Dekan seiner Fakultät, geschweige denn zum Rektor der Universität gewählt, was beim Vierteljahrturnus der Kölner Rektorenwahlen doch recht tief blicken lässt, tiefer wohl als die lokale Überlieferung, die bei ihm einen schroffen, kompromisslosen Charakter vermutete.4 Vier Beispiele – vier Erfahrungen im Umgang mit Universität bzw. universi­ tärer Bildung, wie man ihnen im Forschungsalltag begegnet: zum einen ein unzufriedener, frustrierter Absolvent, der sich im Vergleich mit einem anderen benachteiligt fühlt, der sich beschwert, weil sich dieser oder niemand um ihn kümmere, der also keine Beziehungen in der Universität oder außerhalb hat und nun trotz der erlangten Magisterwürde sich seines Status gar nicht so sicher ist. Oder sein Gegenspieler Petrus, der nach dem Unfall die päpst­ liche Absolu­tion braucht, damit seine geist­liche Karriere nicht ins Stocken gerät. Zum anderen der Weseler Stadtschreiber, vielleicht entweder Johann oder Winhard von Wesel aus dem Lande Kleve, die sich beide zugleich ab 1305 tatsäch­lich in Bologna in den Akten der deutschen Na­tion nachweisen lassen.5 Er hatte etwas gelernt bei seinen Professoren, was sich nach dem Studium zu 4 Loppos Rat in seinem Testament: siehe Hermann Keussen, Die alte Universität Köln. Grundzüge ihrer Verfassung und Geschichte (Veröffent­lichungen des Kölnischen Geschichtsvereins 10), Köln 1934, S. 152; zu ihm ansonsten ebd. S. 231, 264 f. Erich Meuthen, Die alte Universität (Kölner Universitätsgechichte 1), Köln, Wien 1988, S. 101, 136 f. Rainer C. Schwinges, Rektorwahlen. Ein Beitrag zur Verfassungs-, Sozia­l- und Universitätsgeschichte des Alten Reiches im 15. Jahrhundert. Mit Rektoren- und Wahlmänner­ verzeichnissen der Universitäten Köln und Erfurt aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts (Vorträge und Forschungen, Sonderband 38), Sigmaringen 1992, S. 42, 75. Zur Biographie Loppos von Zieriksee siehe: Die Matrikel der Universität Köln, Band 1, hg. v. Hermann Keussen, Bonn 2. Aufl. 1928, S. 401 (5) und unter RAG, Repertorium Academicum Germanicum: www.rag-­online.org/gelehrter/id/2147112885 (Zugriff: 6. 7. 2014). 5 Acta na­tionis Germanicae universitatis Bononiensis, hg. v. Ernestus Friedlaender / Carolus Malagola, Berlin 1887, S. 57 (38, 39): dominus Johannes de Wisalia, dominus Winhardus de Wisalia, 1305. Siehe dazu Gustav C. Knod, Deutsche Studenten in ­Bologna (1289 – 1562), Berlin 1899 (ND Aalen 1970), S. 624 (Nrr. 4157 [Clivensis], 4158). Jürg Schmutz, Juristen für das Reich. Die deutschen Rechtsstudenten an der Universität

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Hause anwenden ließ, und er ist ein bisschen stolz auf sein Wissen und seine erlernten Fertigkeiten: Ich kann rubrizieren. Gelernt hatte auch der mächtige Reichsfürst. Die Universitäten schienen brauchbare Kräfte zu produzieren, deren gelehrtes Buchwissen im Umgang mit ihm, mit ­Kaiser, Reich und Rom zu Expertenwissen gerinnen konnte. Verachtung war Anerkennung gewichen. Und schließ­lich der Kölner Professor aus einfachen Verhältnissen, zeit seines Lebens unter sozia­lem Druck, der anderen wenig Hoffnung machen wollte, sich alles erarbeiten musste, selbst seinen Lohn, er war einer der ganz wenigen, die nicht zugleich eine Chorherrenpfründe oder Pfarrei oder dergleichen besaßen, der aber doch dank der Universität, der er 40 Jahre lang diente, sein Auskommen fand. Vier Beispiele – vier Erfahrungen, aber keineswegs repräsentative. Man bemerkt nur, dass es in jedem Fall um Promovierte ging, um Magister, ­Baccalareus und Doctores, mithin um eine Minderheit, zumindest an den west- und mitteleuro­ päischen Universitäten, die selbst an den größten die Marke von 20 Prozent kaum überschritt.6 Aber man sieht schon die Spannweite, sieht Erfolg und ständig drohenden Misserfolg nahe beieinander liegen. Von dieser Spannweite und ihrer Qualität in der älteren Vormoderne soll im Folgenden die Rede sein, und zwar unter drei Aspekten: Es geht erstens um Grundlagen, zweitens um die s­ ozia­le Ordnung der Universität und drittens schließ­lich um Ämter und Karrieren in Universität und Gesellschaft.

1  Grundlagen Bildung und Wissenschaft, Lehre und Forschung gehören zu den genuinen Antriebskräften euro­päischer Innova­tionsfähigkeit. Institu­tionalisiert wurden sie seit 1200 in der Universität. Die universitas magistrorum et scholarium,

Bologna 1265 – 1425 (Veröffent­lichungen der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 2/2), Teil 2, Basel 2000, S. 609 (2295), S. 759 (3534). 6 Vgl. Christian Hesse, Acta Promo­tionum II. Die Promovierten der Universitäten im spätmittelalter­lichen Reich. Bemerkungen zu Quantität und Qualität, in: Examen, Titel, Promo­tionen (wie Anm. 3), S. 229 – 250. Rainer C. Schwinges, Promo­tionen in histo­ rischer Perspektive: Organisa­tion und Gesellschaft, in: Nathalie Huber / Anna Schelling / Stefan Hornbostel (Hgg.), Der Doktortitel ­zwischen Status und Qualifika­tion (Institut für Forschungsinforma­tion und Qualitätssicherung: IFQ -Working-­Paper 12), Berlin 2012, S.  15 – 23.

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die Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden, entstand in der frühurbanisierten Welt Nordfrankreichs und Oberitaliens, durchaus unter Marktbedingungen, in Konkurrenz näm­lich untereinander der Lehrer bzw. der Bildungsunternehmer am Ort. Unter dem Druck der älteren klerikalen Konkurrenz aus Klöstern und Domstiften schlossen sich die städtischen Magistri zu Genossenschaften oder Korpora­tionen (universitates) zusammen, waren zwar lokal verankert (z. B. universitas Parisiensis), aber ubiquitär in ihrem Lizenzierungs- und Graduierungssystem ausgerichtet. Von Anfang an entwickelten und verteidigten sie ihre und bis heute unsere Zukunft: die liber­ tas scholastica, noch nicht die moderne Wissenschaftsfreiheit, aber doch die Autonomie im Sinne von Statuten­hoheit, Koopta­tionsrecht, Promo­tionsrecht u. a. mehr, was wiederum grundlegend für die (relative) Freiheit des Denkens und die Vielfalt der Wissenschaften geworden ist.7 Dieser Erfolg war nur mög­lich, weil man damals von Paris ausgehend den Schulterschluss mit der bedeutendsten Macht Europas suchte: Von Anfang an war die römische Papstkirche der Partner der neuen Korpora­tionen. Der Begriff Partner ist ausdrück­lich zu betonen, denn die Universitäten waren nie kirch­ liche Anstalten, worüber man schon früh gestritten hatte, als man ­Kirchen- und Staatsanstalt einander gegenüberstellte.8 Aber der Papst gewährte Privilegien, und die künftigen Professoren und Studierenden erhielten – ­später selbst als Laien – etwas, was man neben der Entbindung von der Residenzpflicht nicht hoch genug einschätzen kann, den Zugang näm­lich zu den Pfründen, mithin zu den Finanzen der ­Kirche, ohne gleichzeitig in einem Amt verpflichtet zu sein. Erst das sicherte die wirk­liche Abkömm­lichkeit für gelehrte Arbeit. Man kann sagen, ohne ­dieses papstkirch­liche Engagement, frei­lich immer wieder herausgefordert durch die Korpora­tionen selbst, wäre Universität und das mit ihr angebotene Wissen so nicht mög­lich gewesen.9

7 Zum Überblick siehe Walter Rüegg (Hg.), Geschichte der Universität in Europa, Band 1: Mittelalter, München 1993. Rainer C. Schwinges, Libertas scholastica im Mittelalter, in: Ders. / Rainer A. Müller (Hgg.), Wissenschaftsfreiheit in Vergangenheit und Gegenwart (Veröffent­lichungen der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 9), Basel 2008, S. 1 – 16. 8 Siehe etwa Georg Kaufmann, Geschichte der deutschen Universitäten, Band 1, Stuttgart 1888 (ND Graz 1958), S. 3 f. 9 Zuletzt Nathalie Gorochov, Naissance de l›université. Les écoles de Paris d’Innocent III à Thomas d’Aquin (v. 1200–v. 1245) (Études d‘Histoire Médiévale 14), Paris 2012. Jürgen Miethke, Papsttum und Universitäten. Förderung, Lenkungsversuche und Indienstnahme

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Darüber hinaus – etwas ebenso fundamental Bedeutendes für die Zukunft – wurden die Universitäten und mit ihnen Wissen und Methoden prinzipiell und überall für alle zugäng­lich gemacht (vorerst frei­lich, sofern man männ­ lich war).10 Das hatte enorme Konsequenzen: Die früher allein klöster­lich-­ klerikale Wissenskultur wurde nun Teil der Welt: Schule und Buch, geistiges ­Arbeiten anderen Arbeiten gleichgestellt, was dem Ort des Geschehens, der Stadt geschuldet ist. Nicht von ungefähr folgten die gelehrten Ränge und Grade den urban-­gewerb­lichen: Lehrling, Geselle und Meister spiegelten sich in Scholar, Baccalareus und Magister oder Doctor.11 Auch setzte sich gegen vielfache Kritik, die in Geistesgaben umsonst erhaltene und daher umsonst zu vermittelnde Gottesgeschenke sehen wollte, durch, dass Lehren bezahlt werden muss, nicht für die Weitergabe der Geistesgaben – das ist der Kompromiss, den Juristen gefunden haben –, sondern für die Arbeit, die das Lehren bereitet.12 Unterhalb und neben den Universitäten arbeiteten bereits zahlreiche, zum Teil schon akademisch gebildete Lehrpersonen, vor allem in den Städten, und machten Lesen, Schreiben und Rechnen für jeden Mann und prinzipiell auch jede Frau mög­lich, so dass die Neuzeit in urbanen Räumen zumindest mit einem recht hohen Alphabetisierungsstand beginnen konnte. An den Universitäten stiegen daher die Zahlen der Besucher und Absolventen während des späteren Mittelalters unaufhör­lich an. Das Angebot an Universitätsgebildeten aller Stufen und Fachrichtungen wurde immer größer, sowohl an den alten als auch an den neu gegründeten Universitäten, die ihre Bildungsreserven zusätz­lich aus dem regionalen Umfeld schöpften. Wo man die entsprechenden Quellen hat, kann man diese Entwicklungen auch relativ gut beziffern. Dies ist vor allen anderen in den mitteleuro­päischen, mehrheit­lich

(mit besonderer Rücksicht auf Paris), in: Rainer C. Schwinges (Hg.), Universität, R ­ eligion und K ­ irchen (Veröffent­lichungen der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 11), Basel 2011, S. 9 – 28. 10 Rainer C. Schwinges, Admission, in: A History of the University in Europe I: Universities in the Middle Ages, ed. by Hilde de Ridder-­Symoens, Cambridge 2. ed. 1994, pp. 171 – 194 (deutsch: Die Zulassung zur Universität, in: Rüegg, Geschichte der Universität in Europa [wie Anm. 7], S. 161 – 180). Zu weib­lichen Mög­lichkeiten siehe den Beitrag von Hedwig Röckelein in ­diesem Band. 11 Siehe Laetitia Boehm, Akademische Grade, in: Examen, Titel, Promo­tionen (wie Anm. 3), S.  11 – 54. 12 Siehe Gaines Post, The Medieval Heritage of a Humanistic Ideal: „Scientia donum est, unde vendi non potest“, in: Traditio 11 (1955), S. 195 – 234.

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deutschen Universitäten durch ihre verschiedenen matriculae der Fall. Die deutschen Universitäten erzeugten mit einer Wachstumsrate von 1,75 Prozent pro Jahr seit 1400 und einer Gesamtkapazität von über 6000 Universitätsbesuchern pro Jahr bereits in den letzten beiden Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts einen bis dahin unbekannten Angebotsdruck. Bis 1550 aufsummiert kann man mit rund 300.000 Personen rechnen, darunter mehr als 50.000 Graduierte von Magistern der Artisten bis zu Doktoren der Theologie, der beiden Rechte und der Medizin.13 Diesem Angebot stand frei­lich noch kein angemessener Bedarf gegenüber und folg­lich auch kaum Nachfrage, weder an Königs- und Fürstenhöfen noch in den Städten, Schulen, Ämtern und Gerichten, noch in der K ­ irche, doch immerhin wurde das Angebot mehr und mehr wahrgenommen. Es gebe kein Dorf mehr ohne einen Magister oder Baccalarius – nec est villa quae careat magistro vel baccalario, meinte um 1488 der Lesemeister der Ulmer Dominikaner, Felix Fabri, und der St. Galler Sattlermeister Johannes Kessler sekundierte nach 1519: ja, kein Dorf, da nit zwen, dry pfaffen oder studenten zu den fenster usslugend.14 Universitätsleute waren in der Tat im ausgehenden Mittelalter bekannt und in Typ und Tätigkeit im öffent­lichen Bewusstsein angekommen.

2  Die soziale Ordnung der Universität Schon ein kurzer Blick in das akademische Schriftgut offenbart die selbst aufgezeichnete ­sozia­le Ordnung der Universitäten: Man trifft auf magni und parvi, superiores und inferiores, auf illustres und nobiles, honesti und meriti oder

13 Dazu Rainer C. Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher im 14. und 15. Jahrhundert. Studien zur Sozia­lgeschichte des Alten Reiches (Veröffent­lichungen des Instituts für Euro­päische Geschichte Mainz, Abteilung Universalgeschichte 123: Beiträge zur Sozia­lund Verfassungsgeschichte des Alten Reichs 6), Stuttgart 1986, bes. S. 30 ff.; im euro­ päischen Vergleich ders., Admission (wie Anm. 10), S. 187 ff. (dt. Zulassung wie Anm. 10, S. 174 ff.). Zur Zahl der Gelehrten nach Repertorium Academicum Germanicum (RAG) siehe unten Anm. 33. 14 Zu Felix vgl. Sebastian Brant, Narrenschiff, hg. v. Friedrich Zarncke, Leipzig 1854 (ND Darmstadt 1964), Commentar S. 356 No. 10. Schwinges, Universitätsbesucher (wie Anm. 13), S. 219 f. – Zu Johannes vgl. Beat Immenhauser, Bildungswege – Lebenswege. Universitätsbesucher aus dem Bistum Konstanz im 15. und 16. Jahrhundert (Veröffent­lichungen der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 8), Basel 2007, S. 11.

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einfach statum tenentes sowie auf communes, mediocres oder simplices, divites und pauperes.15 Das heißt: Jedermann trug seinen persön­lichen Rang und den seiner Herkunftsfamilie und zum Teil auch den Rang seiner Beziehungen in die Universität hinein, suchte ihn dort zu behaupten und darzustellen und gegebenenfalls im Rahmen des Mög­lichen zu verbessern. Statushalter konnten eben diesen Status auch gegen entsprechende Finanzmittel erwerben. Insofern war die Universität gemäß ihrer Herkunft aus dem bürger­lichen Milieu der euro­päischen Stadtgesellschaften stets ein Teil ihrer sozia­len Umgebung. Ihre innere Ordnung folgte der äußeren und prägte damit eine spezifische Kultur. Es war jedermann auch sehr bewusst, dass die Universität darüber hinaus ein zweites Beurteilungskriterium besaß, näm­lich ihr Promo­tions- oder Graduie­ rungswesen vom baccalarius über den licentiatus bis hin zum magister oder doctor einer jeden Fakultät, das heißt ihr eigenes Rang- und demonstrativ eingesetztes Erfolgssystem.16 Das Problem war nur, wie man beide Rangordnungen ra­tione status aut gradus – wie man knapp formulierte 17 – in Einklang bringen konnte, so dass es der Universität und der umgebenden Gesellschaft vermittelbar und mehr noch, dass es von ihr akzeptiert wurde. Konfliktfrei verlief das nicht, und im Übrigen ist der Gleichklang von Selbst- und Fremdeinschätzung nie wirk­lich gelungen. Gradus blieben gegenüber status und honores innerhalb wie außerhalb der Universitäten zweitrangig. Ihr eigent­licher Sinn lag im Erreichen und im stufenweisen Ausdehnen der Lehrbefähigung, und die bot zunächst einmal keineswegs einen Ersatz für mangelnden Status. Kommt hinzu, dass die mit höheren sozia­len Posi­tionen halbwegs äquivalenten Grade des Doktors oder allenfalls noch des Lizentiaten einer der höheren Fakultäten, am ehesten noch der juristischen Fakultät, nur von relativ wenigen Universitätsbesuchern (unter drei Prozent der gesamten Frequenz des Reiches) erreicht worden sind,18 am wenigsten von solchen, für die ein Doktorgrad ein wirk­licher sozia­ler oder geburtsständischer Ausgleich gewesen wäre. Ausnahmen hat es gegeben, doch 15 Schwinges, Universitätsbesucher (wie Anm. 13), S. 341 – 344. 16 Zum Promo­tionswesen: Examen, Titel, Promo­tionen (wie Anm. 3) und darin die Beiträge von Martin Kintzinger, Licentia. Institu­tionalität „akademischer Grade“ an der mittelalter­lichen Universität, S. 55 – 88, Laetitia Boehm (wie Anm. 11), Christian Hesse (wie Anm. 6) und Suse Andresen (wie Anm. 3). 17 Schwinges, Universitätsbesucher (wie Anm. 13), S. 346 ff. 18 Ebd. S. 342. Hesse, Acta Promo­tionum (wie Anm. 6), S. 242 – 248. Immenhauser, Bildungs­ wege (wie Anm. 14), S. 157 – 161.

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der eingangs erwähnte Professor Loppo von Zieriksee lag wohl der Realität sehr viel näher. Auch ist immer wieder zu betonen, dass die Mehrheit der deutschen Universitätsbesucher des 14. bis frühen 16. Jahrhunderts nicht einmal den untersten Grad, den des baccalarius artium, geschweige denn höhere Grade erwarb, was nur heißen kann, dass neben den tradi­tionellen ­Wertvorstellungen die s­ ozia­le Akzeptanz des akademischen Bewertungssystems unterhalb der Doktoren- und Lizentiatenschaft noch lange ziem­lich gering gewesen, sie erst einmal eine Frage der Selbstergänzung gewesen ist.19 Probleme des Ineinanderfügens ra­tione gradus aut status hatten zwar alle euro­päischen Universitäten, doch mussten die deutschen von Anfang an eine zusätz­liche Schwierigkeit bewältigen. Die deutschen Universitäten entstanden von vornherein als Vier-­Fakultäten-­Universitäten, in der die älteren euro­ päischen Vorbilder zu einem eigenen, dem „deutschen Typus“ verschmolzen. Für die älteren Vorbilder, ebenso jeweils typenbildend, mögen als Chiffren „Paris“ und „Bologna“ stehen, die eine für die sozia­l diffuse Masse von Artisten und Theologen, die andere für den exklusiven Kreis der Juristen und mit Abstrichen Mediziner, die in Südeuropa jeweils ihre eigenen Universitäten hatten. Hier trafen nun – noch dazu in den engen Verhältnissen der meisten deutschen Standorte – die Milieus von Herren und Nichtherren aufeinander, und das ging zunächst nicht gut. Prag hatte das sofort demonstriert, als sich 1372 die domini juristae vom gemeinsamen Studium Pragense separierten und nach italienischem Muster ihre eigene Universität gründeten.20 19 Wie Anm. 18 und Rainer C. Schwinges / Klaus Wriedt, Das Bakkalarenregister der Artistenfakultät der Universität Erfurt 1392 – 1521 (Registrum baccalariorum de facultate arcium universitatis studii Erffordensis existencium), Stuttgart, Jena 1995, S. XXIX– XXXIV. Vgl. auch Meuthen, Alte Universität (wie Anm. 4), S. 117 f., 120, 126 f. 20 Von einem „deutschen Typus“ sprach bereits Friedrich Paulsen, Die deutschen Universitäten und das Universitätsstudium, Berlin 1902 (ND Hildesheim 1966), S. 3, allerdings in anderer Weise, anspielend auf Unterschiede z­ wischen franzö­sischen, eng­lischen und deutschen Universitäten um 1900. Zu den mittelalter­lichen Typen und ihren Konse­quenzen habe ich mich mehrfach geäußert, siehe zum Beispiel Rainer C ­ hristoph S­ chwinges, Genossenschaft und Herrschaft in der Universität der Vormoderne vom 12. bis 15. Jahrhundert, in: Entwicklung und Realisierung des Genossenschaftsgedankens vom Mittelalter bis zur Gegenwart, hg. v. Historischen Verein bayerischer Genossenschaften (Schriftenreihe zur Genossenschaftsgeschichte 2), München 2000, S. 78 – 94. Ders., The Medieval ­German University: Transforma­tion and Innova­tion, in: Paedagogica Historica 34 (1998), S. 375 – 388. Ders., Prestige und gemeiner Nutzen. Universitätsgründungen im deutschen Spätmittelalter, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 21 (1998), S. 5 – 17.

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Am Ende ist die Integra­tion der so gänz­lich inhomogenen Personenverbände nur durch den Zugriff der Landesherrschaft oder der städtischen Obrigkeit gelungen, frei­lich um den Preis, dass sich die Juristen überall durchsetzten und sich die Artisten, im Gegensatz zu den alten Pariser Verhältnissen, in den unteren Rängen wiederfanden. Man blieb zwar formell so lange Mitglied der Artistenfakultät, bis die Doktorpromo­tion einer der höheren Fakultäten vollzogen war, doch orientierten sich spätestens deren Lizentiaten immer wieder deut­lich aus ihr hinaus. Lange noch hat es wegen fakultärer Rangeleien mehr oder weniger offen in den Universitäten rumort. Nicht von ungefähr wurde nach den Prager Erfahrungen beim rituellen öffent­lichen Verlesen der Statuten die concordia facultatum beschworen, und von nahezu allen Rektor­ wahlen wurde ebenso rituell berichtet, sie habe concorditer oder unanimi­ ter stattgefunden.21 Gelegent­lich musste sich das angehäufte Unbehagen in symbo­lischen Handlungen eine Bahn brechen. Ein schönes Beispiel dafür ist der so genannte „Heidelberger Birettstreit“ von 1497/98, in dem sich selbst die Anfängerscholaren der Juristenfakultät den Magistri Artium gleichstellen und dies durch T ­ ragen des gleichen Magisterbiretts zum Ausdruck bringen wollten. Der Kurfürst entschied natür­lich zu Gunsten der Juristen.22 Etwa zur gleichen Zeit kam es in Ingolstadt zum Streit um Gürtel und 1513 noch einmal in Wien, ein Krawall, der dort als „lateinischer Krieg“ in die Annalen einging.23

21 Siehe zum Beispiel: Jan Goossens, De oudste algemene statuten van de universiteiten van Keulen en Leuven, een verglijkende tekstanalyse, in: Archives et Bibliothèques de Belgique 48 (1977), S. 42 – 78, 52 ff. Die Matrikel der Universität Heidelberg von 1386 bis 1662, hg. v. Gustav Toepke, Band 1, Heidelberg 1884, S. 73, concorditer electus fuit in rectorem. 22 Vgl. Urkundenbuch der Universität Heidelberg, Band 1, hg. v. Eduard Winkelmann, Heidelberg 1886, S. 198 f., 202 f. Dazu Gerhard Ritter, Die Heidelberger Universität im Mittelalter (1386 – 1508). Ein Stück deutscher Geschichte, Heidelberg 1936 (ND Heidelberg 1986), S. 404 ff. Eike Wolgast, Die Universität Heidelberg 1386 – 1986, Berlin 1986, S. 23. 23 Thomas Maisel, Der „lateinische Krieg“. Eine studentische Revolte des frühen 16. Jahrhunderts in Wien, in: Historische Anthropologie 3 (1995), S. 389 – 411. Vgl. dazu Arno Seifert, Die Universität Ingolstadt im 15. und 16. Jahrhundert. Texte und Regesten (­Ludovico Maximilianea: Universität Ingolstadt – Landshut – München, Quellen 1), Berlin 1973, S. 38 – 56, hier S. 44 f., 51 f. Rainer A. Müller, Universität und Adel. Eine soziostrukturelle Studie zur Geschichte der bayerischen Landesuniversität Ingolstadt 1472 – 1648 (Ludovico Maximilianea: Universität Ingolstadt – Landshut – München, Forschungen und Quellen 7), Berlin 1974, S. 131.

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Wieder waren Juristen die Wortführer der Statushalter, die ihre Kleidung nicht klerikal gürten wollten wie die anderen, unabhängig davon, ob sie selbst Kleriker waren oder nicht. Auch hier entschieden die fürst­lichen Regierungen zu Gunsten der Juristen aus Furcht vor Ansehens- und Frequenzverlusten. Natür­lich ging es nicht per se um Hüte oder Gürtel, sondern um den Ausdruck einer spezifischen Sozia­l­kultur, die auch die Fakultäten überformte und die in ihnen gelehrten Wissenschaften. Damals wie heute waren Wert und Prestige der Wissenschaften unterschied­lich verteilt. Und davon waren gerade die deutschen Universitäten besonders betroffen. Im Gegensatz näm­lich zu den süd- und westeuro­päischen Juristen-­Zentren rekrutierten die deutschen Universitäten (wie auch ihre Schwestern im öst­ lichen und nörd­lichen Europa) ihre Besucher zu 80 und mehr Prozent als Artisten, was man nicht oft und intensiv genug betonen kann, angesichts der Konsequenzen im euro­päischen Vergleich; nur 15 bis 20 Prozent entfielen auf Juristen, mehrheit­lich noch Kirchenrechtler, den Rest teilten sich Theologen und verschwindend wenige Mediziner (1 bis 2 Prozent). Was sie in dieser Weise trennte, war nicht allein die fachspezifisch wissenschaft­liche, sondern auch die damit kombinierte ­sozia­le Ungleichheit. So trennte denn, im Grunde mit Wirkung bis ins 18./19. Jahrhundert, eine deut­liche Barriere die Artistenfakultät, ich nenne sie den „Raum der Masse“ vom „Raum der Wenigen“ in den sogenannten höheren Fakultäten, insbesondere dem der Juristen als der vornehmsten Gruppe an jeder Universität. Der Adel und die anderen von Rang, dazu die vielen Honorierten und die Spitzen der städtischen oberen Klientel trafen sich in der weit überwiegenden Mehrheit in d ­ iesem relativ exklusiven Kreis. Die niedere Stufe der deutschen Artistenfakultät war nicht nur eine Folge ihres Bemühens um die Anfänger, sondern hatte zugleich tiefe ­sozia­le Ursachen. Weit mehr als das der Theologen, Mediziner und Juristen prägten ­sozia­le Differenzen und große Schwankungen das Massenmilieu der Artisten, dem mit verschwindend wenigen Ausnahmen arme Universitätsbesucher, die pauperes scholares, angehörten. Im euro­päischen Vergleich erreichten diese daher gerade an den deutschen Universitäten den höchsten Anteil an der Besucherschaft von mehr als 15 Prozent.24 Angesichts solch gravierender Probleme war es umso wichtiger, dass die Universitäten eine Ordnung entwarfen, die das schwierige Verhältnis der äußeren und inneren Ränge regelte. Die Basler Universität – im Anschluss übrigens

24 Zu d ­ iesem Abschnitt siehe Schwinges, Universitätsbesucher (wie Anm. 13), S. 465 – 486, 447.

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an einen Führungsstreit mit den Juristen – hatte dazu in den 70er Jahren des 15. Jahrhunderts eine Ordnung kreiert, die sie ordo differencie nannte und die von anderen Universitäten, zum Teil wortwört­lich wie in Tübingen, übernom­ men wurde. Man sah in der genauen und geziemenden Beachtung des persön­ lichen und familiären Ranges jedes einzelnen Universitätsangehörigen geradezu eine Garantie für den Bestand der Hochschule, quia nulla universitas poterit alia racione subsistere, nisi magnus eam differencie regulat ordo – weil keine Gemeinschaft ohne ein solches Regelwerk des Unterschieds vernünftiger­weise existieren könne.25 In der Praxis brauchte man eine s­ olche Ordnung bei allen Versammlungen der Universität. Jedem Einzelnen sollte dabei der ihm gebührende Platz nach seinem Stand und bei Ranggleichheit nach Dignität und Lebensalter auf jeweils erhöhter Bank zugewiesen werden, und zwar so, dass auf der einen Seite der Rektor und die Dekane sowie die Doktoren und Lizentiaten sowie die Magister der Artisten saßen und auf gegenüberliegender Seite der Adel und die Prälaten, auch jeweils nach ihren Rängen, dazu die Bakkalare der höheren Fakultäten sowie die Magister und Doktoren anderer Universitäten. In Zweifelsfällen entschied der Rektor, ansonsten gehörte die Kontrolle über diese Lozierung zum Aufgabenkreis des Pedells, der sich jedes Halbjahr vom Rektor und den Dekanen ein Verzeichnis der zu setzenden Personen geben lassen und ihnen danach die Plätze anweisen sollte.

25 Liber statutorum (Universitätsarchiv Basel A1). Dazu Wilhelm Vischer, Geschichte der Universität Basel von der Gründung 1460 bis zur Reforma­tion 1529, Basel 1860, S. 94 ff., 100 – 111, 132. Edgar Bonjour, Die Universität Basel von den Anfängen bis zur Gegenwart, 1460 – 1960, Basel 1960, S. 51, 73 f. Waldemar Teufel, Universitas Studii Tuwingensis. Die Tübinger Universitätsverfassung in vorreformatorischer Zeit (1477 – 1534), Tübingen 1977, S. 274, § 96. Zum ordo differencie habe ich mich mehrfach geäußert, vgl. Rainer C. Schwinges, Universitätsbesucher (wie Anm. 13), S. 344 – 347, zuletzt ders., Universität, ­sozia­le Netzwerke und Gelehrtendynastien im deutschen Spätmittelalter, in: Frank Rexroth (Hg.), Zur Kulturgeschichte der Gelehrten im späten Mittelalter (Vorträge und Forschungen LXXIII), Ostfildern 2010, S. 47 – 70, hier S. 52 ff. Im euro­päischen Rahmen ders., Der Student in der Universität, in: Rüegg, Geschichte der Universität in Europa (wie Anm. 7), S. 181 – 223, hier S. 187 – 195; diesen Texten folge ich hier weitgehend. Zum Zusammenhang mit dem Basler Führungsstreit künftig ders., Reformverlierer an der Basler Universität des 15. Jahrhunderts oder: die verhinderte Defini­tionsmacht der Juristen, in: Andreas Bihrer / Dietmar Schiersner (Hgg.), Reformverlierer 800 – 1800. Zum Umgang mit Niederlagen in der Geschichte der euro­päischen Vormoderne (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft), Berlin 2016 (im Druck).

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Dieser Ordo erforderte eine geradezu delikate Sorgfalt, wenn das ra­tione gradus aut status ausgewogene Gegenübersitzen in Bewegung gebracht und bei Prozessionen im öffent­lichen Raum sichtbar und bewusst gemacht werden sollte. Es bedurfte großen protokollarischen Geschicks, die graduati und die spectabiles personae wie bei einem Reißverschluss nacheinander und ineinander zu fügen.26 Einen besonders ausgefeilten Ordo, der selbst noch geringe Rang­ unterschiede darzustellen suchte, besaß die Universität zu Löwen, angefertigt aus Anlass von Begräbnisfeiern hochgestellter Persön­lichkeiten aus Universität, Stadt und dem Herzogtum Brabant.27 Doch bleiben wir in Basel: Nach dem Rektor bildete man hier noch vor dem Dekan der Theologen stilo italico einen ‚Statusraum‘ für die hohen Besucher, Studenten, Gelehrte und Würdenträger vom Fürsten bis zum Baron, vom Bischof bis zum Dekan einer Metropolitankirche. Pröpste und Dekane der übrigen Kathedralkirchen sollten sich den Doktoren der Theologie hinzugesellen, vorausgesetzt, sie ­seien viri maturi und vornehmen Standes, was sich an der Mindestzahl von zwei begleitenden Dienern bemaß. Dann folgten die Juristen hinter ihrem Dekan und die übrigen so weiter nach Rang der Fakultäten und dem der verschiedenen geist­lichen und welt­lichen Statushalter, am Schluss die Scholarenschaft ebenfalls nach Rang der Fakultäten, nach Semesterzahl und Lebensalter. Die famuli universitatis, der Pedell und eigens bestellte ‚Protokoller‘, hatten jedenfalls die Marschordnung ebenso zu überwachen wie die Sitzordnung und strengstens dafür zu sorgen, dass sich niemand ad locum sibi non competentem begebe oder befördere.28 Der ordo differencie machte sich nicht allein bei den offiziellen Anlässen bemerkbar, vielmehr war die ganze Lebenswelt der Universität durch ihn bestimmt. Der Ordo durchzog noch viele andere Regelwerke, auch die Inrotula­ tionsordnungen für die Suppliken an den Papst, mit erheb­lichen Konsequenzen für den Erfolg der Bitten;29 und selbst auf ureigenem akademischem Terrain spielten die sozia­len Regeln der Zeit. Selbstverständ­lich saßen die Bessergestellten

26 Zum Stellenwert solcher Rangordnungen in der Vormoderne siehe Marian Füssel, Gelehrtenkultur als symbo­lische Praxis. Rang, Ritual und Konflikt an der Universität der Frühen Neuzeit, Darmstadt 2006, S. 93 – 108. 27 Valerius Andreas, Fasti academici Studii Generalis Lovanienses, 2. Aufl. Löwen 1650 (auch online). 28 Liber statutorum (wie Anm. 26). 29 Vgl. Jürg Schmutz, Erfolg oder Misserfolg? Die Supplikenrotuli der Universitäten Köln und Heidelberg 1389 – 1425 als Instrumente der Studienfinanzierung, in: Zeitschrift für Historische Forschung 23 (1996), S. 145 – 167.

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in den vorderen Bänken des Hörsaals, und selbstverständ­lich waren auch die Graduierungsordnungen betroffen, so dass in Examina und Promo­tionen die ständische Ehre nicht immer, aber oft mehr galt als die persön­liche Leistung. Auch Jahrgangsbester war man ra­tione gradus aut status. Der Ordo antwortete auf das ausgeprägte Bedürfnis der adligen und bürger­lichen, klerikalen wie laikalen Zeitgenossen, in Herkunftskategorien zu denken, sich auszuzeichnen und voneinander zu distanzieren. Auch im Universitätsmilieu sollten allen Beteiligten stets die ihnen zustehenden Ehren erwiesen werden. Überlagert wurde der Ordo allerdings von einer besonderen, aus den regio­ nalen Kerngebieten der Universitäten heraus definierten Klientel von Protegierten. Ein dichtes Netz aus familiae, Tischgenossenschaften und Patronage, die auf Verwandtschaft, Freundschaft oder Landsmannschaft beruhten, umgab Universität und Personal. Brüder, Söhne und Neffen, Freunde und Landsleute wurden in aller Selbstverständ­lichkeit anderen vorgezogen. Hochrangige K ­ irchen- und Hofmänner, Universitätsprofessoren, gelehrte Juristen und Rechtspraktiker, Kaufleute und angesehene Bürger bildeten den familialen Hintergrund der Protegierten. Sie kamen zwar oft noch ohne Amt und Würden zur Universität, doch Herkunft und Verbindungen machten dies mehr als wett. Dabei war diese Gruppe, der man schon bei der Immatrikula­tion wegen Beziehungsreichtums die üb­lichen Gebühren erließ (gratis propter reverentiam personae), nur die Spitze des sprichwört­lichen Eisberges; die familiale Struktur durchzog die gesamte Universität. Geläufig war die Magisterfamilia, die sich nicht nach abstrakt-­wissenschaft­lichen, sondern in der Regel nach kompatrio­ tischen Motiven aufbaute. Sie wurde von der Universität selbst befördert, die von jedem neuen Studierenden den Anschluss an einen Magister seiner Wahl verlangte, um damit zugleich Lernerfolg und ­sozia­le Kontrolle zu sichern.

3  Universität und Gesellschaft: Ämter und Karrieren Die bisherigen Ausführungen mögen dazu gedient haben, und sollten das auch, die Erwartungen nicht zu hoch zu schrauben. Universitätsbesuch kann man nicht eins zu eins in neue Qualitäten der Wissensvermittlung, der Berufs­ fähigkeit oder gar der Professionalität umsetzen.30 Chancengleichheit gemäß

30 Dazu schon Ernst Schubert, Motive und Probleme deutscher Universitätsgründungen des 15. Jahrhunderts, in: Peter Baumgart / Notker Hammerstein (Hgg.), Beiträge

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heutiger politischer Forderung hat es nicht gegeben. Wer schon jemand war, forderte auch mehr. Und im Übrigen war das, was für den einen auf Grund seiner Herkunft vielleicht ein riesiger Karriereschritt war, für den anderen nur ein kleiner. Dennoch wird man erwarten dürfen, dass Berufsfelder entstanden sind, in denen universitär erworbenes Wissen wirkungsvoll und förder­lich umgesetzt werden konnte. Die vier Eingangsbeispiele haben schon etwas davon demonstriert. Meine These ist seit längerem, dass der pure Angebotsdruck, auch der massenhaft artistische Druck, die Dinge neu in Bewegung brachte und beruf­liche Mög­lichkeiten ausweitete, so dass das eindringende gebildete Personal schließ­lich auch für sich selbst die Aufgabenbereiche definierte, was ich für außerordent­lich zukunftsträchtig halte.31 Auch die Unzufriedenheit des eingangs erwähnten franzö­sischen Magisters von 1439 als mög­liches Movens gehört in diesen Bereich. Das alles geschah allerdings unter außerordent­lich großen regionalen Schwankungen mit entsprechenden zeit­lichen Verzögerungen. Was am Rhein, einer klas­sischen Vorsprungslandschaft, geschah, konnte anderswo sehr viel mehr Zeit in Anspruch nehmen, und eine gewisse Lösung des Drucks lag ohnehin erst im 16. Jahrhundert.32 Gewiss wissen wir über Karrieren und gelehrte Tätigkeiten schon relativ viel, vom Eindringen akademischer Experten in die höfische Verwaltung, in territoriale und städtische Ämter, in Gerichte und Schulen, in freie medizi­ nische und juristische Berufe, in die Universitäten selbst und natür­lich in die ­Kirche; ferner wissen wir, wenn auch nicht schon im gleichen Maße, von der Personenwirkung an Ort und Stelle, vom Einfluss juristischer, medizinischer und theolo­gischer Berater, von Gutachtern, Diplomaten, von akademisch versierten Schreibern, Rhetorikern, Predigern, Astrologen und Astronomen, und nicht zuletzt von Personen, die im Training der aristote­lischen Philosophie

zu Problemen deutscher Universitätsgründungen der frühen Neuzeit, Nendeln 1978, S. 13 – 74, hier S. 36 ff. 31 Siehe dazu Schwinges, Universitätsbesucher (wie Anm. 13), S. 23 – 37, Register. Ders., Zur Professionalisierung gelehrter Tätigkeit im deutschen Spätmittelalter, in: Hartmut Boockmann / Ludger Grenzmann u. a. (Hgg.), Recht und Verfassung im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, Teil II: Bericht über Kolloquien der Kommission zur Erforschung des Spätmittelalters. 1996 – 1997 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, phil.-hist. Klasse, 3. Folge 239), Göttingen 2001, S. 473 – 493. 32 Beat Immenhauser, Quantitative Aspekte des Universitätsbesuchs in der Diözese Konstanz von 1460 bis 1550, in: František Šmahel (Hg.), Geist, Gesellschaft, K ­ irche im 13. bis 16. Jahrhundert, Prag 1999, S. 289 – 301. Ders., Bildungswege (wie Anm. 14), S. 118 ff.

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und der scholastischen Methode kausal zu denken und begründet zu handeln gelernt hatten. Neuere Forschungsarbeiten klären uns erfreu­licherweise weiter auf, und auch das Forschungsunternehmen der Historischen Kommission bei der Baye­rischen Akademie der Wissenschaften, das so genannte RAG (Repertorium Academicum Germanicum), schreitet zügig voran, in dem es darum geht, der Spur von graduierten Gelehrten des gesamten Reiches zu folgen.33

33 Zum RAG siehe www.rag-­online.org. Zur Erläuterung ebd. und Rainer C. S­ chwinges, Das Repertorium Academicum Germanicum (RAG ). Ein Who’s Who der graduierten Gelehrten des Alten Reiches (1250 – 1550), in: Peter Moraw (Hg.), Gesammelte Beiträge zur deutschen und euro­päischen Universitätsgeschichte. Strukturen – ­Personen – Entwicklungen (Educa­tion and Society in the Middle Ages and Renaissance 31), Leiden 2008, S. 577 – 602, mit ausgewählter Literatur zu vorstehenden Aussagen. Ders., Das Repertorium Academicum Germanicum (RAG ): ein digitales Forschungsvorhaben zur Geschichte der Gelehrten des alten Reiches (1250 – 1550), in: Jahrbuch für Universitätsgeschichte 16 (2013 [2015]), S. 215 – 232; Suse Andresen, Der Blick hinter die Kulissen des Repertorium Academicum Germanicum, in: Dies. / Rainer C. S­ chwinges (Hgg.), Über Mobilität von Studenten und Gelehrten z­ wischen dem Reich und Italien 1400 – 1600 (RAG -Forschungen 1), Zürich 2011, S. 1 – 18 (www.rag-­online.org/index. php/de/publika­tionen.html). Wolfram C. Kändler / Frank ­Wagner, Das Repertorium Academicum Germanicum (RAG ): Grundlagenforschung für eine Geschichte des Wissens, in: Spiegel der Forschung. Wissenschaftsmagazin der Justus-­Liebig-­Universität Gießen 25 (2008), S. 88 – 93. Frank Wagner, Das Repertorium Academicum Germanicum – Mehr als ein Who’s Who des gelehrten Deutschland vom 13. bis zum 16. Jahrhundert, in: Ulf Morgenstern / Thomas Riechert (Hgg.), Catalogus Professorum Lipsiensis. Konzep­tion, technische Umsetzung und Anwendungen für Professorenkataloge im Semantic Web, Leipzig 2010, S. 145 – 150. Suse [­Baeriswyl]-Andresen, Das „Repertorium Academicum Germanicum“. Überlegungen zu einer modellorientierten Datenbankstruktur und zur Aufbereitung prosopographischer Informa­tionen der graduierten Gelehrten des Spätmittelalters, in: Sigrid Schmitt [Hirbodian] / Michael Matheus (Hgg.), Städtische Gesellschaft und K ­ irche im Spätmittelalter, Mainz 2007, S. 17 – 36. Dies., Die graduierten Gelehrten des Alten Reiches und die Räte des Kur­ für­sten. Forschungen zur Geschichte der Räte des Kurfürsten Albrecht Achilles von Brandenburg-­Ansbach im Rahmen des interna­tionalen Projektes „Repertorium Acade­ micum Germanicum“, in: Jahrbuch für Universitätsgeschichte 6 (2003), S. 169 – 183. Christian Hesse, Repertorium Academicum Germanicum (RAG ): Die graduierten Gelehrten des Alten Reiches z­ wischen 1250 und 1550. Auf dem Weg zu den Grundlagen der vormodernen Wissensgesellschaft, in: Jahrbuch der historischen For­schung in der Bundesrepublik Deutschland, München 2007, S. 105 – 108. Ders., Repertorium Academicum Germanicum. Sozia­l- und Wirkungsgeschichte spätmittelalter­licher Gelehrter im Reich. Ein Forschungsprojekt zur Geschichte des Wissens, in: Peter Csendes /

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Immer noch problematisch ist dabei nur, was man für die ältere Vormoderne insgesamt immer wieder bemerken wird, dass kaum eine strukturelle Kontinuität aufkam, der Faden also oft wieder abriss, alles eigent­lich immer noch sehr von jenen Personen abhing, die gerade vorhanden, gerade greifbar waren oder sich anboten. Gelehrten- und Amtsdynastien, die das Studium in ihre Familienstrategie aufnahmen, steckten noch in den Anfängen.34 Die Stadt Bern zum Beispiel, der größte Stadtstaat nörd­lich der Alpen und der mächtigste Kern der alten Eidgenossenschaft im 15. Jahrhundert, leistete sich nur einmal während des ganzen Jahrhunderts einen gelehrten Juristen als Stadtschreiber und Rat, den in Pavia 1473 promovierten Dr. Thüring Fricker. Er hatte einige Veränderungen in der Kanzlei bewirkt – wie der Weseler Stadtschreiber mehr als 150 Jahre zuvor –, systematische, ordnende Veränderungen, die dem Studium der Rechte geschuldet waren, aber viel wichtiger war für die Stadt, dass man jetzt jemanden hatte, der mit den juristischen Experten, Gesandten und Räten der umgebenden euro­päischen Mächte, dem König von Frankreich, dem ­Kaiser und dem Papst und seiner Kurie auf Augenhöhe verkehren und verhandeln konnte.35

Johannes Seidl (Hgg.), Stadt und Prosopographie (Forschungen zur Geschichte der Städte und Märkte Österreichs 6), Linz 2002, S. 109 – 116. Peter Moraw / Rainer C. Schwinges, Repertorium Academicum Germanicum (RAG ) – Das Who’s Who der graduierten Gelehrten des Alten Reiches (1250 – 1550), in: Jahresbericht der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, München 2003, S.  27 – 43. 34 Dazu etwa Hartmut Boockmann, Die Rechtsstudenten des Deutschen Ordens. Studium, Studienförderung und gelehrter Beruf im späten Mittelalter, in: Festschrift für Hermann Heimpel, Band 2, Göttingen 1972, S. 313 – 375, 315 f., 318 ff. Schubert, Motive (wie Anm. 30), S. 22. Klaus Wriedt, Personengeschicht­liche Probleme universitärer Magisterkollegien, in: Zeitschrift für Historische Forschung 2 (1975), S. 19 – 30. Ders., Universitätsbesucher und graduierte Amtsträger z­ wischen Nord- und Süddeutschland, in: Werner ­Paravicini (Hg.), Nord und Süd in der deutschen Geschichte des Mittelalters, Sigmaringen 1990, S. 193 – 201. Christian Hesse, Landesherr­liche Amtsträger – Artisten im Beruf, in: ­Rainer Christoph Schwinges (Hg.), Artisten und Philosophen. Wissenschafts- und Wirkungsgeschichte einer Fakultät vom 13. bis zum 19. Jahrhundert (Veröffent­lichungen der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 1), Basel 1999, S. 25 – 51. Immenhauser, Bildungswege (wie Anm. 14), S. 228 – 231. 35 Siehe Beat Immenhauser, Schulen und Studium in Bern, in: Ellen J. Beer / Norberto Gramaccini u. a. (Hgg.), Berns grosse Zeit. Das 15. Jahrhundert neu entdeckt, 2. Aufl. Bern 2003, S. 155 – 161, hier S. 159.

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Problematisch ist ferner, dass man immer auch Personen in den genannten Tätigkeitsbereichen findet, die nie eine Universität besucht haben, und zwar in mindestens ebenso großer Zahl wie die der nachweis­lich Studierten. Immer gab es Alternativen zum Akademiker, in den höfischen Kanzleien und Räten, selbst beim eingangs erwähnten Markgrafen Albrecht von Brandenburg, der seine Doktoren so schätzen lernte, aber den allergrößten Teil seiner Räte (84 Prozent) doch anderweitig rekrutierte.36 Alternativen gab es immer in den Stadt- und Gerichtskanzleien, in denen vielfach selbst zu Schreiber und Notar ausgebildet wurde 37, ferner auch in den Lateinschulen, die ohnehin zur Universität hin durchlässig waren, ganz abgesehen davon, dass die eine oder andere Lateinschule (wie die von Deventer, Zwolle, Emmerich oder Schlettstadt) besser ausbildete und attraktiver war als so manche Artistenfakultät.38 Die personelle Alternative galt selbst auch für den nach wie vor größten Arbeitgeber, für die Papstkirche, in der ganze zwei Drittel aller Universitätsleute, gleichviel ob graduiert oder ungraduiert wenigstens mit einem Bein unterzukommen hofften 39; die Alternative galt selbst in den höheren Rängen der Dom- und Kollegiatstiftskirchen, in denen die s­ ozia­le Überformung durch regional-­adlige und großbürger­liche Umgebung oft mächtiger war als die studienfördernden Konzilsdekrete seit 1418 zugunsten von akademischer Bildung. Und diese Alternative galt selbst beim höchsten Amt, dem Bischofs­ amt, dessen Akademisierung erst nachtridentinisch vollendet ist und – wie immer in der Sozia­lgeschichte – von den Rändern her allmäh­lich voranschritt, von den weniger wichtigen Bistümern zu den bedeutenden geist­lichen Fürstbistümern auch am Rhein.40 36 Andresen, Strategen (wie Anm. 3). 37 Urs Martin Zahnd, Studium und Kanzlei. Der Bildungsweg von Stadt- und Ratsschreibern in eidgenös­sischen Städten des ausgehenden Mittelalters, in: Rainer C. Schwinges (Hg.), Gelehrte im Reich. Zur Sozia­l- und Wirkungsgeschichte akademischer Eliten des 14. bis 16. Jahrhunderts (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 18), Berlin 1996, S.  453 – 476. 38 Schubert, Motive (wie Anm. 30), S. 34 ff. Martin Kintzinger, Wissen wird Macht. Bildung im Mittelalter, Ostfildern 2003, S. 135 – 142. 39 Vgl. Peter Moraw, Der Lebensweg der Studenten, in: Rüegg, Geschichte der Universität in Europa (wie Anm. 7), S. 225 – 254, hier S. 250 f. 40 Rainer Christoph Schwinges, Gelehrte Bischöfe im späten Mittelalter – Neue Autoritäten in der Reichskirche?, in: Hubertus Seibert / Werner Bomm / Verena Türck (Hgg.), Autorität und Akzeptanz. Das Reich im Europa des 13. Jahrhunderts, Ostfildern 2013, S.  223 – 236.

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Und problematisch ist zum Dritten, dass die Gebildeten in ihren vermeint­ lich beruf­lichen Posi­tionen gar nicht als Experten, als Juristen, Mediziner, Theologen oder Artisten, tätig sein mussten, sondern ganz anders respektive in genau der gleichen Weise wie vor ihrem Studium handeln konnten, zum Beispiel als Schreiber und Notare im Amt, als Handwerker und Kaufleute in ihren herkömm­lichen Gewerben und Geschäften, als Kleriker in ihren Herkunftskirchen.41 Gerade für Letztere war es jedenfalls vor der Reforma­tion noch absolut normal, dass man erst einmal eine einträg­liche Posi­tion bzw. Einnahmen daraus haben sollte, eine Anzahl Benefizien, eine Pfarrei, ein Kanonikat, um sich einem Studium, insbesondere einem höheren Studium widmen zu können. Erst nach 1500 wird sich das in die bekannte Abfolge von Studium und Tätigkeit umkehren.42 Aber auch die Tatsache, dass man sich nur bilden wollte, ohne irgendwelche weiteren Absichten, muss ernst genommen werden. Die einzige Institu­tion, in der man das konnte und in der auch niemand aus einem anderen Sozia­lraum denn ein Graduierter einen Dozentenplatz besetzte, war natür­lich die Universität. Sie vergab Ämter und ließ Karrieren zu, doch waren ihre Handlungsspielräume insofern begrenzt, als sie nicht von sich aus ihren Kräften den Lebensunterhalt sichern konnte. So darf man durchaus sagen, der Universitätsprofessor in der historischen Dimension seiner heutigen Existenz entstand erst dann wirk­lich, als man ihn bezahlen musste.43 Honorare, Kolleggelder und Bursengelder, Prüfungsgebühren und andere Formen reiner Subsistenzwirtschaft reichten dazu nicht aus. Erst die Pfründe, man denke an den erwähnten Schulterschluss mit dem Papsttum, 41 Vgl. etwa Schmutz, Juristen für das Reich (wie Anm. 5), S. 188 ff., 267 ff. Immenhauser, Bildungswege (wie Anm. 14), S. 365 f. 42 Siehe z. B. Erich Meuthen, Zur euro­päischen Klerusbildung vom 14. zum 16. Jahrhundert, in: Wolfgang Harms / Jan-­Dirk Müller (Hgg.), Mediävistische Komparatistik. Festschrift für Franz Josef Worstbrock zum 60. Geburtstag, Stuttgart, Leipzig 1997, S. 263 – 294. Immenhauser, Bildungswege (wie Anm. 14), S. 316 – 333. Rainer Christoph Schwinges, Karrieremuster: Zur sozia­len Rolle der Gelehrten im Reich, in: Gelehrte im Reich (wie Anm. 37), S. 11 – 22. 43 Bemerkung von Peter Moraw anläss­lich einer Tagung der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte; siehe den Tagungsband: Rainer C. Schwinges (Hg.), Finanzierung von Universität und Wissenschaft in Vergangenheit und Gegenwart (Veröffent­lichungen der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 6), Basel 2005, S. 176. Vgl. noch Peter Moraw, Der deutsche Professor vom 14. bis zum 20. Jahrhundert, in: Alexander von Humboldt-­Magazin 72 (1998), S. 15 – 26.

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schien Entlastung, ein Stück Freiheit von der täg­lichen Sorge, jedenfalls etwas Angemessenes zu bringen. Mit ihr entstand der Lehrstuhl des Ordinarius der höheren Fakultäten, insbesondere der Theologie und des kanonischen Rechts, vor allem im nordalpinen Raum, weniger im Süden, wo der Markt für geistige Arbeit sehr viel früher bekannt war. Sie wurde seine Ausstattung, eine Dom- oder Chorherrenpfründe, Pfarr- oder Predigerpfründe oder besser gleich mehreres zusammen.44 Wenn man von den reinen Universitätsstiften absieht, wie zum Beispiel von Heiliggeist in Heidelberg oder von den mehrfachen Funda­tionsrunden oder so genannten Gnaden an den ört­lichen Stiften in Köln oder Löwen 45, geriet der Professor jedoch unweiger­lich in den konkurrierenden Verband eines Stiftes oder einer anderen kirch­lichen oder welt­lichen Institu­tion und hatte sich auch mit ganz anders lautenden, universitätsexternen Interessen und Aufgaben auseinanderzusetzen. Das aber war der Normalfall in unserer Epoche und führte wie in anderen Berufsfeldern so auch in der Universität zur typischen Doppeloder Mehrspurigkeit des Arbeitens: Auf der einen Seite standen die universitäre Lehre und damit verwandte Verfasserschaften, auf der anderen die Tätigkeiten in den verschiedensten Ämtern der K ­ irche sowie in der bischöf­lichen Verwaltung und ferner in vielen Bereichen der Stadt und des Fürstenhofes, als Gutachter, Stadtschreiber, Räte und Gesandte.46 Wie beschwer­lich der Weg sein konnte, ohne entsprechenden sozia­len Hintergrund oder ein Networking in den familiae von Universität, K ­ irche, Stadt und Hof, hat uns Loppo von Zieriksee bereits mitgeteilt. Sein unerschütter­ liches Beharrungsvermögen lag aber ganz im Rahmen des Curriculums. Wer am sichersten Professor werden wollte, blieb am besten an seiner einmal gewählten

44 Dazu Peter Moraw, Stiftspfründen als Elemente des Bildungswesens im spätmittelalter­ lichen Reich, in: Irene Crusius (Hg.), Studien zum welt­lichen Kollegiatstift in Deutschland (Veröffent­lichungen des Max-­Planck-­Instituts für Geschichte 114), Göttingen 1995, S. 270 – 297. Christian Hesse, Pfründen, Herrschaften und Gebühren. Zu Mög­lichkeiten spätmittelalter­licher Universitätsfinanzierung im Alten Reich, in: Finanzierung (wie Anm. 43), S. 57 – 86; Schwinges, Kommentar, ebd., S. 180 – 184. 45 Siehe Hermann Weisert, Universität und Heiliggeiststift, in: Ruperto Carola 32, Heft 64 (1980), S. 55 – 77; ebd. 33, Heft 65/66 (1981), S. 72 – 87. Keussen, Die alte Universität Köln (wie Anm.4), S. 21 – 38. Meuthen, Alte Universität (wie Anm. 4), S. 62 ff. Jacques Paquet, Salaires et prébendes des professeurs de l’université de Louvain au XVe siècle, Léopoldville (Kinshasa) 1958, S. 16 – 23. 46 Zahlreiche Beispiele unter www.rag-­online.org/abfrage.

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Universität sitzen oder kam bald aus erlaubtem Auswärtsstudium zurück, blieb also ein Hiesiger, der sich gemäß Loka­tionsordnung seiner Universität ausrechnen konnte, wann er als regierender Magister oder ordinarie lesender Professor zum Zuge kam, wenn nicht Obrigkeit oder Landesfürst es anders wollten oder das eigene Netzwerk eingriff. Im ausgehenden 15. Jahrhundert verstärkte sich die Tendenz, nicht zuletzt um Einfluss und Einkommen in der eigenen Universität zu sichern, anderswo promovierte Gelehrte abzulehnen und als unerwünschte Kandidaten zu behandeln, sie zumindest aber einer erneuten Prüfung zu unterziehen, was der ursprüng­lichen licentia ubique docendi widersprach.47 Berufungsvorgänge oder, wie man zeitgenös­sisch sagte, Rezep­tionen sind denn auch in den höheren Fakultäten der Jurisprudenz, der Theologie und der Medizin sehr überschaubar geblieben. Man sollte diese Entwicklung mitbedenken, wenn vom Entstehen der Gelehrtendynastien die Rede ist, den Anfängen der späteren, frühneuzeit­lichen Universitätsfamilien, in denen es so aussah, als würden Lehrstühle vererbt. Nur erst sehr wenige Personen hätten sich eine Professur leisten können und wollen, die frei gewesen wäre von allen weiteren Verpflichtungen, um sich ganz auf universitäre Aufgaben zu konzentrieren; doch nur dann konnte man auf eine im Wortsinn recht ‚merkwürdige‘ Idee kommen. Hermann und Johannes Rinck wurden Juristen und Professoren in Köln, und dies auf ausdrück­lichen Wunsch ihres Vaters, des höchst erfolgreichen Kölner Kaufmanns Johann Rinck. In seinem Testament von 1512 hatte er seinen Söhnen ernst­lich geraten, statt des schweren, Seele und Gemüt belastenden Kaufmannsberufs doch lieber den des Universitätsprofessors zu ergreifen, weil dies der sicherste, gemäch­lichste und fried­lichste Beruf der Welt sei.48 Beide folgten ­diesem Rat, blieben jedoch in typischer Mehrspurigkeit auch dem Familiengeschäft treu.

47 Dazu ein Kölner Beispiel: Hermann Keussen, Wilhelm Kurmann von Werden, der erste Vizerektor der Universität Ingolstadt und sein Prozeß mit der Universität Köln, in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 9 (1936), S. 99 – 107. Das Thema ist noch Forschungsdesiderat. 48 Nach Franz Irsigler, Kaufmannsmentalität im Mittelalter, in: Cord Meckseper (Hg.), Mentalität und Alltag im Spätmittelalter, Göttingen 1985, S. 53 – 75, hier S. 71. Ders., Peter Rinck († 1501), in: Rheinische Lebensbilder 6, Düsseldorf 1975, S. 55 – 69.

Hedwig Röckelein

Studentinnen im Mittelalter? – Diskontinuitäten euro­päischer Universitäten

1  Gab es an den mittelalterlichen Universitäten Studentinnen? Eine junge Frau besuchte – als Mann verkleidet – zwei Jahre lang die Universität Krakau. Sie hörte eifrig die Vorlesungen, wohnte in der Studentenburse und hatte Umgang mit den Studenten, mied aber das Bad. Sie hatte bereits in Großpolen einen Lehrer gehabt, der sie zusammen mit anderen Kindern unterrichtet hatte. Als ihre Eltern starben, trat sie das Erbe an, verkleidete sich als Mann und ging zur Universität. Dort stand sie kurz davor, das Baccalaureat abzuschließen. Die Sache flog auf, als ein Ritter sie in der Stadt im Haus des Bürgers Kaltenbrück (Kaltherbrig) sah und gegenüber den Kommilitonen den Verdacht äußerte, diese Person sei ein Mädchen. Er ging mit den anderen eine Wette ein. Als die Studentin zur Tür des Hauses kam, stellten sie sie, setzten sie auf einen Tisch und entkleideten sie. Nachdem so ihre Geschlechtsidentität aufgedeckt worden war, wurde sie vor den Richter geführt. Sie bekannte, dass sie sich aus Liebe zum Studium (amore studii) als Mann verkleidet habe. Nachdem der conventor, der Leiter der Burse, und die Kommilitonen (socii) unter Eid ausgesagt hatten, dass sie nichts Ehrenrühriges über sie sagen könnten, wurde beschlossen, dass sie einem Frauenkloster übergeben werden solle. Sie wurde dort Magistra und Äbtissin. Der Erzähler schließt mit der Beteuerung: „Ich glaube, sie lebt noch, denn ich habe kürz­lich Nachforschungen über sie von einem erhalten, der sich in Krakau aufgehalten hat.“1

1 Senatorium sive Dialogus Historicus Martini Abbatis Scotorum Viennae Austriae, cap. 2, Prolog, in: Scriptores rerum Austriacarum veteres ac genuini, hg. v. Hieronymus Pez, Bd. 2, Leipzig 1725, col. 629: […] puto, quod adhuc vivit: quia noviter habui scrutinium de ea a quodam, qui Cracoviae moratus fuit.

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Diese Geschichte wird im „Senatorium“ des Magisters Martin von Leibitz kolportiert,2 einem Dialog ­zwischen einem „Älteren“ (senex – daher Senato­ rium) und einem „Jüngeren“ (iuvenis).3 In ­diesem mittelalter­lichen Lehrdialog berichtet der Ältere dem Jüngeren von seinen Lebenserfahrungen (experientia).4 Auf die Aufforderung des iuvenis, etwas Seltenes, Außergewöhn­liches aus seiner Krakauer Studienzeit zu erzählen,5 gibt er die Geschichte von der Studentin zum Besten. Der Autor d ­ ieses Lehrdialogs, Martin von Leibitz, gebürtig aus der Zips, hatte die Artes in Krakau, Neißen (Nissa, Schlesien) und seit 1424 in Wien studiert.6 Nach dem Magisterexamen schrieb es sich in Wien für Theologie und kano­ nisches Recht ein. 1446 wurde er zum Abt des Schottenklosters in Wien eingesetzt. Er übte d ­ ieses Amt bis 1461 aus 7 und starb 1464?/vor 1470. Das Ereignis, von dem Martin von Leibitz den Senior hier berichten lässt, müsste sich also in den 20er Jahren des 15. Jahrhunderts in Krakau zugetragen haben. Aber: Hat es sich tatsäch­lich zugetragen? Oder legte Martin dem Senior nur ein Exemplum in den Mund? Und falls dies zutrifft, was sollte die Moral des Exemplums sein? Michael Shank 8 hat sich Ende der 1980er Jahre in einem abgelegen publizierten Aufsatz mit dieser Erzählung befasst, als er der Frage nachging, ob Frauen

2 Kloster Melk, L. N. 59, p. 430 – 439 = Ms. 139, 187ra–187va; ed. Pez (wie Anm. 1), col. 629 f. 3 Pez (wie Anm. 1), Prolog, col. 625: Senex loquitur cum Juvene … Juvenis … quaerentis, et Senex quasi plus expertus, per modum respondentis: potest idcirco Opus praesens vocari S e n a t o r i u m a Sene. 4 Pez (wie Anm. 1), col. 625: Senex: … dicam tibi quae expertus sum in mea juventute. Der Lehrdialog beginnt auf Nachfragen des Jünglings mit der Biographie des Älteren. Im Cap. 2 (De experientia in adolescentia, coll. 628 – 632) berichtet der Ältere über seine Studienerfahrungen an der damals berühmten Universität Krakau. 5 Pez (wie Anm. 1), col. 629: Juvenis: … Dic aliqua rara, si nosti, ibidem Cracoviae facta. 6 Martinus de Lewbicz wurde im Wintersemester 1420 an der Universität Wien immatrikuliert, vgl. Die Matrikel der Universität Wien, Bd. 1 (1377 – 1450), hg. v. Leo Santifaller (Publika­tionen des Österreichischen Instituts für Geschichtsforschung/Quellen zur Geschichte der Universität Wien, 1. Abt.), Graz 1956, S. 130, Z. 24. 7 Laut Cölestin R. Rapf, Das Schottenstift (Wiener Geschichtsbücher 13), Wien, Hamburg 1974, S. 33, hat Leibnitz (!) während seiner Amtszeit zahlreiche Neuerungen im Konvent eingeführt, Bautätigkeiten angeregt und eine Verbesserung der Bibliothekssitua­ tion herbeigeführt. 8 Michael H. Shank, A Female University Student in Late Medieval Krakow, in: Judith Bennett u. a. (Hgg.), Sisters and Workers in the Middle Ages, Chicago, London 1989, S.  190 – 197.

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im Mittelalter an Universitäten studieren konnten. Er argumentierte, dass die Geschichte auf einer wahren Begebenheit beruhen müsse, denn die Familie der Kaltenbrück habe es in Wien tatsäch­lich gegeben. Diese Schlussfolgerung ist m. E. nicht zwingend. Man könnte genauso annehmen, der Erzähler habe diesen realen Hintergrund eingefügt, um der Geschichte veritas und Plausibilität zu verleihen. Was die Faktizität des Ereignisses angeht, so bin ich skeptisch. Denn in Polen kursierten im Spätmittelalter mehrere Varianten ­dieses Erzählmotivs, sowohl in der christ­lichen wie in der jüdischen Literatur. Außerdem diskutieren Senex und Iuvenis im „Senatorium“ im Anschluss an die Wiener Studentin weitere Geschichten mittelalter­licher Transvestitinnen, unter anderem die der Päpstin Johanna und weib­licher Heiliger, die sich als Männer verkleideten. Dadurch wird der exemplarische Charakter der Wiener Erzählung unterstrichen. M. E. handelt es sich hier um eine fik­tionale Erzählung, deren mora­lische Botschaft lautet: Transvestiten verstoßen zwar gegen die gött­liche Natur. Wenn sie sich aber aus Liebe zur Wissenschaft verkleiden, sollen sie nicht mit der Todesstrafe verfolgt werden. Der Wunsch junger Frauen nach Bildung und Gelehrsamkeit habe seine Berechtigung, er dürfe frei­lich nicht an der Universität gestillt werden. Vielmehr sei das Kloster der Ort, an dem er zu befriedigen sei. Da die Studentin unserer Erzählung ihre Jungfräu­lichkeit bewahrt hatte, konnte sie als virgo problemlos ins Kloster wechseln. Die Universitäten Europas sollten bis zum Ende des Ende des 19. Jahrhunderts, im Reich sogar bis 1908/09, weitgehend „frauenfreie Räume“ bleiben. Als sich die Kölner Bürgerschaft 1919 entschloss, eine neue Universität zu gründen, war dies nicht die erste Hochschule der Stadt, die Frauen akzeptierte. Schon die „Kölner Handelshochschule“ (1901 – 1907) und die „Hochschule für kommunale und ­sozia­le Verwaltung“ (gegr. 1912), die beide 1919 in die Universität integriert wurden, hatten Frauen zu Handelslehrerinnen und für s­ ozia­le Berufe ausgebildet.9 9 Vgl. Irene Franken u. a. (Hgg.), „Ja, das Studium der Weiber ist schwer!“ Studentinnen und Dozentinnen an der Kölner Universität bis 1933. Katalog zur Ausstellung in der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln, 28. April–10. Juni 1995, Köln 1995, S. 25 – 29. Als dritte Institu­tion wurde die 1904 gegründete „Kölner Akademie für praktische Medizin“ in die Universität eingebracht. Diese Institu­tionen bildeten die wirtschaftswissenschaft­liche und die medizinische Fakultät. Neu eingerichtet wurde die juristische Fakultät (Wintersemester 1919/20) und die philosophische Fakultät (Sommersemester 1920).

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Jenny Gusyk schrieb sich am 11. April 1919 als erste Studentin an der Kölner Universität ein. Sie war 1897 in Russland geboren worden und besaß die tür­ kische Staatsbürgerschaft. 1911 war sie mit ihrer Familie nach Solingen gezogen und hatte dort das Lyzeum besucht.10 Im Sommersemester 1919 schrieben sich mit ihr weitere 194 Frauen zum regulären Studium an der Universität Köln ein. Kehren wir zur Universität des Mittelalters zurück, an der es keinen Platz für Studentinnen gab. Zwei Fragen sollen nun verfolgt werden: 1) Welche Auswirkungen hatte die Abwesenheit des weib­lichen Geschlechts auf die mittelalter­liche Universität und ihre Mitglieder? 2) Gab es für die Frauen im Mittelalter alternative Orte des Lernens und der Gelehrsamkeit? Welche Zugangsbedingungen herrschten dort und w ­ elche Inhalte wurden dort vermittelt?

2  Die mittelalterliche Universität als frauenfreier Raum 2.1  Die Universität als männerbündische Institution

Bea Lundt hat die These aufgestellt, dass die mittelalter­liche Universität eine männerbündische Vereinigung gewesen sei.11 Von den Universitätsangehörigen, den Studierenden wie den Magistern, wurde ein Leben im Zölibat erwartet. Nach dem Studium, das nur selten zu einem Abschluss gebracht wurde, sicherten sich die meisten Studenten ihren Lebensunterhalt durch kirch­liche Pfründen. Sowohl hinsicht­lich des Zölibats wie hinsicht­lich der Sicherung ihres Auskommens unterschieden sie sich daher kaum von den Klerikern. Die Mehrzahl der Studenten war zwar nicht adeliger Abstammung, imitierte aber den Habitus des Adels: Sie trugen Waffen und teure Kleidung und sie richteten kostspielige Bankette aus.12 Der aristokratische Habitus vertrug sich frei­lich nicht mit der

10 Ebd., S.  33 – 35. 11 Bea Lundt, Zur Entstehung der Universität als Männerwelt, in: Elke Kleinau / Claudia Opitz (Hgg.), Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung, Bd. 1: Vom Mittelalter bis zur Aufklärung, Frankfurt a. M., New York 1996, S. 103 – 118, S. 109: „Universität als Männerbund“; S. 110: „antifeministische[…] Abgrenzung gegenüber gelehrten Frauen“. 12 Ruth M. Karras, Sharing Wine, Women, and Song: Masculine Identity Forma­tion in the Medieval European Universities, in: Jeffrey J. Cohen / Bonnie Wheeler (Hgg.), Becoming Male in the Middle Ages (The New Middle Ages 4), London u. a. 1997, S. 187 – 202, hier S.  189 f.

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auferlegten Askese. Vergeb­lich versuchten die Lehrer, den Studenten klarzumachen, dass die geistige Existenz Abstinenz erfordere. Die Untersuchungen von Ruth Mazo Karras bestätigen die These Lundts. Sie hat gezeigt, dass die Universitäten des Mittelalters den Männern, die unter sich blieben, reich­lich Gelegenheit boten, ihre Kräfte untereinander zu messen und Grenzen zu überschreiten. Die Universitäten vermittelten den Studenten nicht nur Wissen; sie sozia­lisierten sie auch und prägten ihre männ­liche Identität.13 Sie verschafften einer rein männ­lichen Klientel Zugang zu Netzwerken, w ­ elche für die weitere Karriere von großem Nutzen sein konnten.14 Die Studenten hatten in der Regel nur Kontakt zu Frauen aus den niederen Schichten, vor allem zum Dienstpersonal der Stadtbürger und zu Prostituierten, mithin zu Außenseitern der Gesellschaft. Innerhalb der Universität und ihrem männ­lich und klerikal geprägten Umfeld entwickelte sich eine frauenfeind­liche Kultur, die sich auch in den Lehrplänen niederschlug.15 Die jungen Männer grenzten sich vom Weib­lichen und Weibischen ab.16 Während ihrer Aufenthalte in der Stadt äußerten sie sich diskriminierend gegenüber Frauen und schreckten auch vor körper­lichen Attacken gegen sie nicht zurück. 2.2  Weibliche Repräsentationsformen der mittelalterlichen Universitäten

Zwar waren Frauen aus den Universitäten ausgeschlossen, dennoch finden sich dort Imagina­tionen des Weib­lichen an prominenter Stelle. Die frauenfreie Korpora­tion Universität suchte sich paradoxerweise gerade weib­liche Symbole für ihre Repräsenta­tion. Auffallend häufig wählten einzelne Institu­tionen innerhalb der Universität oder die Universität als Ganze Maria als Schutzpatronin.17 13 Ebd., S. 196: “The universities trained graduates by transmitting knowledge and inculcating habits of mind, but they also socialized the students and helped create their mature masculine identities.” 14 Ebd., S. 187. 15 Ebd., S. 195 f. 16 Ruth M. Karras: Separating the Men from the Goats: Masculinity, Civiliza­tion and Identity Forma­tion in the Medieval University, in: Jacqueline Murray (Hg.), Conflicted Identities and Multiple Masculinities. Men in the Medieval West, New York 1999, S. 189 – 213; ähn­lich Ruth M. Karras, From Boys to Men. Forma­tions of Masculinity in Late Medieval Europe, Philadelphia 2003, chap. 3: „Separating the men from the beasts: medieval universities and masculine forma­tion“. 17 Michael Stolz, Maria und die Artes liberales. Aspekte einer mittelalter­lichen Zuordnung, in: Claudia Opitz u. a. (Hgg.), Maria in der Welt. Marienverehrung im Kontext

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Die thronende Maria beherrscht beispielsweise das Rektoratssiegel der 1348 von Karl IV. gegründeten Universität Prag. Die Universität Köln, gegründet 1388, benutzte seit 1392 ein Hauptsiegel mit der Anbetung der drei Könige.18 Die in Seitenansicht dargestellte Gottesmutter hält, auf dem Thron der Weisheit sitzend, den drei Weisen ihr Kind entgegen. Unter der Szene befindet sich auf einem Schild das Kölner Stadtwappen, drei Kronen über einer Rautenschraffur. Die Siegelumschrift lautet: s[igillum] universitatis studii s[an]c[ta]e civitatis coloniensis. Graven vermutet, dass sich die Kölner Professoren mit der Wahl des Motivs Maria Sedes sapientiae an das Siegel der Universität Paris aus dem 13. Jahrhundert anlehnten.19 Weshalb war gerade Maria, die Gottesmutter, bei den universitären Männergemeinschaften so beliebt? Zum einen galt Maria als gebildete Frau. Sie wird in der Kunst des Spätmittelalters häufig mit einem Buch als Lesende, die Bibel Studierende dargestellt. Zum anderen galt sie als Vorbild im rechten Glauben, in der katho­lischen Lehre und Wahrheit, als fons omnis catholicae doctrinae et veritatis.20 Maria als Sitz der Weisheit hat in der Theologie eine lange Tradi­tion. Seit karolin­gischer Zeit wurde Maria, auf deren Schoß Jesus sitzt, unter Bezug auf Spr 9,1 – 5 („Die Weisheit hat sich ein Haus gebaut“) als Sitz und Thron der Weisheit bzw. als Haus der Weisheit interpretiert.21 In einem Pseudo-­Albertinischen

der Sozia­lgeschichte (10.–18. Jahrhundert) (Clio Lucernensis 2), Zürich 1993, S. 95 – 120. Weitere Mariensiegel an den Universitäten Ingolstadt, Wien, Erfurt, Basel, Würzburg und Leipzig nennen Klaus Schreiner, Maria – Jungfrau, ­Mutter, Herrscherin, München, Wien 1994, S. 136, und Hubert Graven, Das große Siegel der alten Kölner Universität vom Jahre 1392, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 16 (1934), S. 193 – 214, S. 199. 18 Graven (wie Anm. 17), S. 209, Abb. 1. Die Darstellung symbolisiert die Anbetung der drei Könige, die unterschied­liche Altersklassen und Körperhaltungen bzw. Gesten repräsentieren. Sie entsprechen dem sog. „Schauspieltypus“, der aus Frankreich nach Köln gekommen sein soll (Graven, ebd., S. 203). 19 Graven (wie Anm. 17), das Pariser Siegel abgebildet ebd., S. 209, Abb. 2. 20 Vgl. Klaus Schreiner, Die lesende und schreibende Maria als Symbolgestalt religiöser Frauenbildung, in: Gabriela Signori (Hg.), Die lesende Frau (Wolfenbütteler Forschungen 121), Wiesbaden 2009, S. 113 – 154; Klaus Schreiner, Marienverehrung, Lesekultur, Schrift­lichkeit. Bildungs- und frömmigkeitsgeschicht­liche Studien zur Auslegung und Darstellung von „Mariä Verkündigung“, in: Frühmittelalter­liche Studien 24 (1990), S. 314 – 367 u. Tafeln XIII–XXII. 21 Stolz, (wie Anm. 17), S. 96; Monika Leisch-­Kiesl, Verlust oder Erweiterung weib­licher Eigenständigkeit? – Sophia und Maria, in: Verena Wodtke (Hg.), Auf den Spuren der

Studentinnen im Mittelalter? 143

„Mariale“ wird Maria als gebildete Frau gepriesen, die − dank gött­licher Eingebung − die sieben freien Künste ebenso beherrsche wie die Metaphysik, die Theologie sowie die in den Sentenzenbüchern niedergelegten Wahrheiten der katho­lischen Lehre.22 Die „Summa de laudibus christiferae virginis“, ein weiterer Albertus Magnus zugeschriebener Traktat, rühmt Maria wegen ihrer Kenntnis des römischen Zivilrechts und des kanonischen Rechts. Dank dieser Expertise sei sie ein vollkommener Anwalt der Entrechteten, so der Kommentar.23 Litur­ gische Hymnen und Antiphonen priesen Maria als Nährmutter (alma mater) und als Lehrerin aller Lehrer (magistra magistrorum). Die Gelehrten stillten bei Maria ihren Wissensdurst. Diese Auffassung ist in einer vatikanischen Handschrift unter der Überschrift hic depingitur virago Sapiencie ins Bild gesetzt: Maria reicht den Gelehrten ihre Brüste.24 Allerdings gab es auch Stimmen, die unter Berufung auf das Vorbild Maria Frauen die Anwendung ihres gelehrten Wissens in der Öffent­lichkeit versagten. Petrus Venerabilis, Abt von Cluny, argumentierte im 12. Jahrhundert, Maria sei nicht dazu auserwählt worden, das Wort Gottes zu predigen, sondern das Wort Gottes zu gebären; daher sei sie auch nicht zu den Völkern gesandt worden.25 Nach dem Vorbild Marias sollten Frauen ihre geist­lichen Gaben nicht in der Öffent­lichkeit zur Schau stellen, sondern sie nur in der privaten Unterweisung ­nutzen. Papst Innozenz III. verbot Äbtissinnen, während des Gottesdienstes das Evangelium zu lesen und zu predigen.26 1210 argumentiert er im ­Dekretale

Weisheit. Sophia. Wegweiserin für ein neues Gottesbild, Freiburg, Basel, Wien 1991, S. 138 – 153, bes. S. 144 f. 22 Pseudo-­Albertus Magnus, Mariale super evangelium Missus est, in: Augustus Borgnet / Aemilius Borgnet (Hgg.), Albertus Magnus, Opera omnia, Bd. 37, Paris 1898, Quaes­tiones 98 – 111, S.  159 – 166. 23 Der Hinweis auf die beiden Pseudo-­Albertinischen Schriften bei Schreiner (wie Anm. 17), S.  134 f. 24 Vgl. Lundt (wie Anm. 11), S. 117, Abb. 14. 25 Petrus Venerabilis, Epistola 94, hg. v. Giles Constable, Cambridge MA 1967, Vol. 1, S. 241: Mater enim domini non ad praedicandum verbum dei, sed ad generandum verbum dei electa fuerat, nec ad aliquem gentium hac de causa mittenda erat. Vgl. Schreiner (wie Anm. 20), S. 138. 26 Innocentius III . papa, Regestorum lib. XIII , c. 187 (De benedic­tione monialium et praedica­tione vetita abbatissis), Migne PL 216, Sp. 356: Nova quaedam nuper, de quibus miramur non modicum, nostris sunt auribus intimata, quod abbatissae videlicet in Bur­ gensi et Palentinensi dioecesibus constitutae moniales proprias benedicunt, ipsarumque confessiones criminalium audiunt, et legentes Evangelium praesumunt publice praedicare.

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Nova quaedam, Maria habe die Apostel zwar an Würde und Erhabenheit überragt; doch Gott habe nicht ihr, sondern den Aposteln die „Schlüssel des Himmelreiches“ anvertraut – will heißen den Auftrag zur Mission, zur öffent­lichen Verkündigung des Wortes erteilt. Auf Innozenz (Liber Extra III, De sententia excommunica­tionis = X.5.39.33) berief sich der Dominikaner und Rechts­gelehrte Raimundus von Peñaforte (um 1180 – 1275), als er den Äbtissinnen verbot zu predigen, zu weihen, loszusprechen, zu urteilen und jemandem mit dem Kirchenbann zu belegen.27 Der erfolgreiche Dominikanerprediger Berthold von Regensburg (* um 1210, † 1272) lehnte es unter Verweis auf Maria ab, Frauen mit „gaist­lichen Ampten“ zu betrauen.28 Kanonisten und Theologen, die Frauen das Lehramt verwehren wollten, konnten sich auf den Apostel Paulus berufen, der im 1. Brief an die ­Korinther (I Kor. 14,34) sank­tioniert hatte: mulieres in ecclesiis taceant, non enim permittitur eis loqui („Frauen sollen in den Versammlungen schweigen; es sei ihnen nicht gestattet zu reden“). Diesen Grundsatz bekräftigte er im 1. Brief an ­Timotheus (I Tim.  2,11 – 12): mulier in silentio discat cum omni subiec­tione; docere autem mulieri non permitto neque dominari in virum sed esse in silentio („Die Frau soll in Schweigen und in aller Unterordnung lernen; einer Frau gestatte ich weder zu lehren noch den Mann zu beherrschen; vielmehr verharre sie in Stille.“). Frauen gezieme es, Frömmigkeit durch gute Werke zu versprechen, wie P ­ aulus im Schreiben an Timotheus weiter ausführt (I Tim. 2,10: decet mulieres pro­ mittentes pietatem per opera bona). Neben Maria gab es mit Katharina von Alexandrien eine zweite weib­liche Heilige, mit der sich Universitätsangehörige gelegent­lich identifizierten. Die Königstochter lebte nach Aussage der Legende im 4. Jahrhundert. Nach der spätantiken Passio Cum igitur id absonum si pariter et absurdum, nec a nobis aliquatenus sustinendum, discre­tioni vestrae per apostolica scripta mandamus quatenus ne id de caetero fiat auc­ toritate curetis apostolica firmiter inhibere; quia licet beatissima virgo Maria dignior et excellentior fuerit apostolis universis, non tamen illi, sed istis Dominus claves regni coelo­rum commisit. 27 Raimundus de Pennaforte, Summa de iure canonico, Pars II tit. 26 (De feminis non ordinandis), hg. v. Xaverio Ochoa / Aloisio Diez, Rom 1975, Sp. 137 f.: Sed illa capitula ‚Diaconissam’ et ‚Si quis’ vocant diaconissam illam super qua forte fundebatur aliqua benedictio, ra­tione cuius consequebatur aliquod speciale officium, forte legendi homilia in matutinis, vel aliud quod non licebat aliis monialibus. 28 Die „Rechtssumme“ Bruder Bertholds: eine deutsche abecedarische Bearbeitung der „Summa confessorum“ des Johannes von Freiburg. Synoptische Edi­tion der Fassungen B, A und C, hg. v. Georg Steer u. a., Bd. 4: Buchstabenbereich R–Z, Tübingen 1987, S. 2338.

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war Katharina außerordent­lich gebildet und hatte in einem von K ­ aiser Maxentius angeordneten Streitgespräch 50 pagane Philosophen vom Christentum überzeugt. Dafür wurden diese wie s­ päter auch Katharina auf Befehl des Kaisers getötet. Seit dem 12. Jahrhundert fand Katharina zunehmend Anhänger unter den Gelehrten im Westen. Ein Gemälde aus der Katharinenkapelle der Kathedrale von La Seu d‹Urgell, das ­zwischen 1241 und 1255 entstand, zeigt sie in eine Disputa­tion mit den Philosophen verstrickt (Barcelona, Museo nacional de Catalonya). Im Spätmittelalter wurde Katharina – nun unter die 14 Nothelfer aufgenommen – von Philosophen, Advokaten, Studenten, Nonnen und weib­lichen Religiosen verehrt.29

3  Gelehrte Frauen im Mittelalter Viele geist­liche Frauen ließen sich weder von Paulus noch von der Dekretale Innozenz’ III. davon abhalten, die Heiligen Schriften selbständig zu studieren, auszulegen und anderen zu erklären. Allerdings ist nicht zu übersehen, dass für Frauen aller Stände der Zugang zu den Wissensschätzen der Septem Artes und der Theologie im frühen und hohen Mittelalter leichter war als im späten Mittelalter. Offenbar zeigte das Dekret Innozenz‘ III ., das sich sehr schnell verbreitete, doch Wirkung. 3.1  Formen des Wissens: scientia − sapientia − experientia − Charisma

Gelehrtes Wissen (scientia) stand – das ist für die Frage nach den Autoritäten und der Autorisierung weib­licher Gelehrsamkeit von Bedeutung – in einem teils komplementären, teil konkurrierenden Verhältnis zur „Weisheit“ (sapien­ tia, Sophía), einem Wissenssystem, das auf klugem Verhalten und mora­lischen Werten basierte. Gelehrtes Wissen stand zudem als theoretisches Wissen im Gegensatz zum praktischen Erfahrungswissen (experientia), zur Empirie, und in Konkurrenz zu der durch Charisma legitimierten, auf gött­licher Inspira­tion beruhenden Erkenntnis.30

29 Jacques Dubois, Katharina, hl. (v. Alexandrien), in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 5 (1991), Sp.  1068 f. 30 Zu diesen Unterscheidungen vgl. Hedwig Röckelein, Einleitung: Experten ­zwischen scientia und experientia, in: Dies. u. Udo Friedrich (Hgg.), Experten der Vormoderne

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Wissenschaft­lich gebildete Frauen treffen wir vom 10. bis 12. Jahrhundert vor allem an den Höfen und in den Klöstern an. Als Trägerinnen der Weisheit (sapientia) und Klugheit (prudentia), als Wissende aus Erfahrung (experien­ tia) und als Charismatikerinnen genossen sie das ganze Mittelalter über hohes gesellschaft­liches Ansehen. Aus den Fürstenspiegeln und Krönungsordines wird ersicht­lich, dass die Bildung und Gelehrsamkeit der Mädchen und Frauen darauf abzielte, sie zur „Weisheit und Klugheit“ in der Regierung sowie zur mora­lischen Erziehung ihrer Kinder, der Hofbediensteten und ihres Ehemannes, des Regenten, zu befähigen.31 Im Akt der Krönung hebt das Rituale auf die Klugheit der Königin ab, die sich aus ihrer Reinheit und Keuschheit ergebe. Sie wird verg­lichen mit den klugen Jungfrauen, die am Tag des Jüngsten Gerichts wohlvorbereitet den himm­lischen Bräutigam erwarten. Außer den technischen Fertigkeiten des Lesens und Schreibens erwartete man von den Frauen in Führungsposi­ tionen klugen Rat sowie die Fähigkeit, Konflikte zu lösen und Frieden zu stiften. Das Konzept der „weisen Herrscherin“ war ­zwischen dem 9. und 12. Jahrhundert praktisch wirksam, als Regentinnen ihr Amt im Consortium mit dem Gemahl ausübten, im Reich vor allem unter den ottonischen Königinnen Adelheid (um 931 – 999) und Theophanu (um 960 – 991).32 Weil sie den König gut beriet, geschickt vermittelte, weise Gesetze erließ, die sieben freien Künste förderte und die K ­ irche(n) unterstützte, erhielt die schottische Königin M ­ athilde 33 (Edith) († 1118) den ehrenden Beinamen Good Queen Maud. Von Bianca von Kastilien (1188 – 1252), der Gemahlin König Ludwigs VIII. von Frankreich, die z­ wischen Wissen und Erfahrung (Themenheft der Zeitschrift „Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung” 17/2), Berlin 2012, S. 3 – 7. 31 Sogenannter „Sieben-­Formeln-­Ordo“, überliefert im Pontificale Romano-­Germanicum (Mainz, um 960): Die Ordines für die Weihe und Krönung des Kaisers und der ­Kaiserin, hg. v. Reinhard Elze. Hannover 1960 (Monumenta Germaniae historica Fontes iuris germanici antiqui in us. schol. separatim editi 9), Nr. III, S. 6 – 9: Ordo für die Krönung der Königin, im ottonischen Pontifikale auch für die Kaiserin bestimmt (westfränkisch, um 900). Vgl. dazu Janet L. Nelson, Early Medieval Rites of Queen-­making and the Shaping of Medieval Queenship, in: Anne J. Duggan (Hg.), Queens and Queenship in Medieval Europe. Proceedings of a Conference Held at King’s College London, April 1995, Woodbridge 1997, S. 301 – 315. 32 Zu den mitregierenden Herrscherinnen vgl. Amalie Fößel, Die Königin im mittelalter­lichen Reich. Herrschaftsausübung, Herrschaftsrechte und Handlungsspielräume, Stuttgart 2000. 33 Louis L. Huneycutt, Matilda of Scotland. A Study in Medieval Queenship, Woodbridge 2003. Die Bezeichnung der Königin als „Mutter der Na­tion“ steht in der Tradi­tion der

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längere Zeit selbst die Regierung führte, hieß es, sie sei zu Pferd genauso sattelfest wie in den Artes liberales.34 Im Unterschied zu gelehrten Männern beschäftigten sich Frauen jedoch nur in bestimmten Phasen ihres Lebens mit den Wissenschaften. Die erste Phase intellektuellen Trainings fand in der Kindheit und frühen Jugend statt. Sie endete mit der Heirat meist im Alter von 12 bis 14 Jahren, mit den Schwangerschaften und Geburten, mit der Übernahme der Verantwortung für die Kinder und die Familie.35 Erst im fortgeschrittenen Alter traten diese Frauen, oft inzwischen verwitwet, in eine zweite intellektuelle Phase ein. Der Witwenstand galt als aetas perfecta,36 erlaubte er es den Frauen doch, in der Öffent­lichkeit aufzutreten. Man traute den Witwen die Bewältigung männ­licher Aufgaben zu, weil sie während der „Familienarbeit“ Verantwortung für das Gemeinwesen übernommen hatten. Es ist bemerkenswert, dass auch Hildegard von Bingen, die als Nonne und Äbtissin keine Familienlasten zu tragen hatte, nach ihrer eigenen Einschätzung den intellektuellen Zenit erst in höherem Alter erreichte. 3.2  Orte der Vermittlung und Anwendung des Wissens 3.2.1  Gelehrte Frauen im Umkreis des Hofes

An den Fürstenhöfen wurden die Söhne und Töchter oft zunächst gemeinsam von der ­Mutter, ­später von Privatlehrern unterrichtet. Guibert de Nogent (1055[?]– um 1125) teilt in seiner Autobiographie mit, er habe von seiner M ­ utter Lesen und Schreiben gelernt, bevor ihn ein Privatlehrer in die lateinische Grammatik, Rhetorik und Stilistik eingeführt habe.37 In der täg­lichen Lektüre des Psalters ostkirch­lich-­byzantinischen Kaiserin Helena. Sie ist im Westen nur selten zu finden, näm­lich bei Mathilde und ihrer ­Mutter Margarethe von Schottland. 34 Philippe Delorme, Blanche de Castille. Epouse de Louis VIII, mère de Saint Louis (Histoire des Reines de France), Paris 2002. 35 So beschreibt Christine de Pizan ihren Lebenslauf. Zur symbo­lischen Bedeutung des Geschlechterkampfes um das gelehrte Wissen vgl. Anneke B. Mulder-­Bakker, The Metamorphosis of Woman: Transmission of Knowledge and the Problems of Gender, in: Pauline Stafford / Anneke Mulder-­Bakker (Hgg.), Gendering the Middle Ages (­Gender and History 12/3), Oxford 2000, S. 642 – 664, hier S. 656 – 659. 36 Ebd., S. 656. 37 Guibert de Nogent, Autobiographie, Lib. I, cap. 4 – 6, hg. v. Edmond-­Rene Labande (Les Classiques de l’Histoire de France au Moyen Âge 34), Paris 1981, S. 27 – 43. Vgl. Hedwig Röckelein, Zwischen M ­ utter und Maria: Die Rolle der Frauen in Guibert de Nogents

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vermittelten die Mütter mora­lische Werte und die Technik des Memorierens, die Kenntnis der lateinischen Sprache, ihrer Metrik und Rhetorik sowie der Musik.38 Die lateinische Grammatik des Donat und die Bibel, vor allem die Psalmen, bildeten das Wissensfundament der Dhuoda von Uzès, der Ehefrau des Vasallen Bernhard, die im 9. Jahrhundert (zwischen 841 und 843) ein „Handbuch“, eine Art Fürstenspiegel, für ihren Sohn Wilhelm verfaßte.39 Die meisten adeligen Frauen dürften im Besitz eines Psalters gewesen sein. Das Buch der Psalmen wurde mit der Gerade, dem Frauengut, an die Töchter vererbt.40 Im Spätmittelalter traten Breviere und Stundenbücher an die Stelle der Psalterien, die Volkssprache an die Stelle des Lateins. Wer es sich leisten konnte, engagierte hochrangige Künstler für die Ausstattung dieser Bücher zum Gebrauch im täg­lichen Gebet.41 Herausragende Autobiographie, in: Claudia Opitz u. a. (Hgg.), Maria – Abbild oder Vorbild? Zur Sozia­l­ geschichte mittelalter­licher Marienverehrung, Tübingen 1990, S. 91 – 109. Zur Ausbildung Guiberts vgl. Hedwig Röckelein, Reflexionen über Erziehung und Lebenslauf in Autobiographien des Hochmittelalters, in: Jahrbuch für historische Bildungsforschung 2 (1994) [erschienen 1995], S. 33 – 58. 38 Herbert Grundmann, Die Frauen und die Literatur im Mittelalter. Ein Beitrag zur Frage nach der Entstehung des Schrifttums in der Volkssprache, in: Archiv für Kulturgeschichte 26 (1936), S. 129 – 161, hier S. 133 ff. 39 Edi­tion des lateinischen Textes: Dhuoda, Handbook for her Warrior Son: Liber manualis (Cambridge Medieval Classics 8), hg. v. Marcelle Thiébaux, Cambridge 1998. Zu ­Dhuodas Wissensbeständen vgl. Bernadette Janssens, L’étude de la langue et les cita­tions bibliques dans le ,liber Manualis‘ de Dhuoda: un sondage, in: Marc van Uytfanghe / Roland Demeulenaere, Aevum inter utrumque. Mélanges offerts à Gabriel Sanders (Instrumenta Patristica 23), Steenbrugge 1991, S. 259 – 275. 40 Zu Psalterien in der Hand welt­licher und geist­licher Frauen vgl. Hedwig Röckelein, Die Heilige Schrift in Frauenhand, in: Patrizia Carmassi (Hg.), Präsenz und Verwendung der Heiligen Schrift im christ­lichen Frühmittelalter: exegetische Literatur und litur­ gische Texte (Wolfenbütteler Mittelalter-­Studien 20), Wiesbaden 2008, S. 139 – 209, bes. S.  146 – 158; Jürgen Wolf, saltervrouwen. Schlüssel zur Bildungswirk­lichkeit des welt­lichen Hofes? (Jahrbuch für Interna­tionale Germanistik. Reihe A: Kongressberichte 71), in: Anton Schwob / Karin Kranich-­Hofbauer (Hgg.), Zisterzien­sisches Schreiben im Mittel­ alter – das Skriptorium der Reiner Mönche. Beiträge der Interna­tionalen Tagung im Zisterzienserstift Rein, Mai 2003, Bern u. a. 2005, S. 305 – 321. 41 Zum Buchbesitz hochgestellter Laienfrauen im Spätmittelalter vgl. Priscilla Bawcutt, „My bright buke“: Women and their Books in Medieval and Renaissance Scotland, in: Jocelyn Wogan-­Browne u. a. (Hgg.), Medieval Women. Texts and Contexts in Late Medieval Britain. Essays for Felicity Riddyn (Medieval Women: Texts and Contexts 3), Turnhout 2000, S. 17 – 34. Zum Buchbesitz adeliger und bürger­licher Frauen vgl. Gabriela Signori, Bildung, Schmuck oder Medita­tion? Bücher, Seidenhüllen und Frauenhände

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Illuminatoren wie Jean de Pucelle schmückten die Marginalien der Gebetbücher mit Drolerien und Grotesken aus. Sie dienten der mora­lischen Belehrung der Leserin und zugleich ihrer Erheiterung. Die Bildebene erschloss sich frei­lich nur derjenigen Benutzerin, die über die Kenntnisse der Artes verfügte.42 In den spätmittelalter­lichen Städten bot die Lateinschule eine Alternative zum Privatunterricht, aber nur für die männ­liche Jugend. Mädchen wurden dort nicht zugelassen. Sie wurden stattdessen weiterhin in der Familie unterrichtet. Christine de Pizan (1365 – 1429/30) erhielt den ersten Unterricht von ihrem Vater, einem angesehenen Venezianer Mediziner und Astrologen, der zunächst als Professor an der Universität Bologna gelehrt hatte und 1368 in den Dienst König Karls V. von Frankreich eingetreten war.43 Im „Livre du Chemin de long Estude“ (1402/03) schildert Christine ihre Ausbildung und ihren Werdegang als Schriftstellerin.44 Außer dem Vater unterrichteten die junge Frau auch Freunde der Familie und s­ päter ihr Ehemann, der Notar und könig­liche

in der flämischen Tafelmalerei des 15. Jahrhunderts, in: Andrea Löther u. a. (Hgg.), Mundus in imagine. Bildersprache und Lebenswelten im Mittelalter. Festgabe für Klaus Schreiner, München 1996, S. 125 – 167. 42 Jean de Pucelle illuminierte um 1310 – 20 das Brevier der Blanche von Frankreich (Navarra) (Vatican, Urb. lat. 603), der zweiten Gemahlin König Philipps VI. von Frankreich aus dem Haus der Valois, und z­ wischen 1324 und 1328 das Stundenbuch der Jeanne d‹Evreux (New York, The Metropolitan Museum of Art, The Cloisters 54.1.2), der dritten Ehefrau König Karls IV. von Frankreich (1322 – 1328) aus dem Haus der Kapetinger. Die Drolerien der beiden Medita­tionsbücher spielen auf das Problem der männ­lichen Erbfolge und der Thronfolge in Frankreich an, um die die beiden Handschriftenbesitzerinnen respektive deren Ehemänner miteinander rangen. Aus dem Testament der Blanche von Frankreich († 1398) (Testament de Blanche de Navarre, ediert v. Leopold Delisle, in: Mémoire de la société d‹histoire de Paris 12 [1885], S. 1 – 64) lässt sich ihr privater Besitz rekonstruieren, darunter auch Kunstgegenstände und Handschriften, die teilweise noch erhalten sind. Vgl. dazu Brigitte Buettner, Le système des objets dans le testament de Blanche de Navarre, in: Clio 19 (2004), S. 37 – 62. 43 Charity C. Willard, Christine de Pizan, the Astrologer’s Daughter, in: Mélanges à la mémoire de Franco Simone. Moyen Âge et Renaissance (1980), S. 95 – 112, hier S. 101. Christine de Pizan, Buch von der Stadt der Frauen (Buch 2, Kap. XXXVI), übers. v. Margerete Zimmermann, Berlin 1986, S. 185. Vgl. dazu Charity C. Willard, The Franco-­ Italian Professional Writer, in: Katharina M. Wilson (Hg.), Medieval Women Writers, Manchester 1984, S. 333 – 363. Zum Unterricht von Christines Vater vgl. Bärbel Zühlke, Christine de Pizan in Text und Bild. Zur Selbstdarstellung einer frühhumanistischen Intellektuellen (Ergebnisse der Frauenforschung 36), Stuttgart 1994, S. 48 – 58. 44 Vgl. dazu Mulder-­Bakker (wie Anm. 35), bes. 653 ff.

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Sekretär Etienne du Castel. Bereits als Mädchen sei sie in der Rhetorik unterrichtet worden und habe Gedichte verfasst. Für die Morallehre allerdings sei ihre M ­ utter zuständig gewesen. Über die M ­ utter beklagt sich Christine wiederholt, da sie sie an den gelehrten Studien zu hindern suchte und zu „typischen Frauen­arbeiten“ im Haus und zu Textilarbeiten angehalten habe. Nach der Eheschließung nahm Christine eine längere intellektuelle und krea­tive Auszeit. Als ihr Mann 1390 starb, ernährte die 25-jährige Witwe sich und ihre kleinen Kinder durch die Schriftstellerei. 14 Jahre lang kämpfte sie um die Ansprüche an ihrer Dos gegen die Schuldner ihres Ehemannes. Aus eigener Erfahrung beklagte sie die Rechtsunfähigkeit und die mangelnde Rechtskenntnis der Frauen. Im Selbststudium frischte sie die Kenntnisse aus ihrer Jugendzeit auf. Wie aus der „L‹Avision Christine“ (1405) zu ersehen ist, begann sie nun, ihren eigenen Stil zu entwickeln. Ihre Gedichte brachte sie in aufwendig illuminierten Handschriften zur Niederschrift, die sie den Herzögen von Burgund und von Berry sowie der Königin Isabella von Bayern (1371 – 1435), der Gemahlin König Karls VI. von Frankreich widmete,45 in der Hoffnung auf reichen Lohn. Im Alter von 40 Jahren begann Christine, staatstheoretische, geschichts- und moralphilosophische Werke zu verfassen und sich in die Politik einzumischen. Sie setzte sich für den Frieden ein in einer Zeit, als sich die franzö­sische Krone in einem beklagenswerten Zustand befand und im Hundertjährigen Krieg von den Engländern bedroht wurde. Christine unterstützte u. a. Jeanne d’Arc. Christine legitimierte ihre öffent­lichen Auftritte im „Livre du Chemin de long Estude“ mit einer Traumvision unter der Leitung der chumaeischen Sybille und stilisierte sich selbst zur Prophetin, zur Charismatikerin. Die Sibylle führt darin Christine in einer von Boethius, Dante und Jean de Mandeville inspirierten allegorischen Traumreise zu Richesse, Sagesse, Chevalerie und Noblesse. Sie erläutert ihr die Mög­lichkeiten der Herrschaft der Raison auf Erden und sie zeigt ihr die Quelle der Weisheit, in der die Musen baden.46 Im „Livre de la Mutacion de Fortune“ (1403) führt Christine dann selbst ihre Leser und Leserinnen in das System der Wissenschaften ein.47

45 Miniatur: London, BL, Harley, 4431, Vol. 1, 3r: Christine überreicht ihre Werke 1414 an Königin Isabella von Bayern (Isabeau de Bavière). 46 Miniatur: London, BL, Harley, 4431, Vol. 2, 183r. 47 Christine de Pizan, Livre de la Mutacion de Fortune, Band 2, Teil 4: Philosophie, ­Theologie, Physik, Mathematik, Arithmetik, Musik, Geometrie, Astronomie, Ethik, Ökonomie, Politik, Grammatik, Dialektik, Rhetorik.

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In späteren Jahren verließ Christine die von ihrem Vater gelegten Pfade der Gelehrsamkeit in der aristote­lischen Philosophie (scientia) und wandte sich mehr dem platonischen Weisheitsideal der sapientia (sagesse) in der Tradi­tion des Boethius zu. In einem utopischen Roman, dem „Livre de la Cité des Dames“ (1405), empfiehlt sie den Frauen, sich die Tugenden der Raison (Vernunft), Sagesse (Weisheit), Prudence (Klugheit), Justice (Gerechtigkeit) und Droitture (Rechtschaffenheit) anzueignen. Zur Patronin ihrer „Stadt der Frauen” wählte Christine Maria. Die Gottesmutter schien ihr ein Vorbild an Gelehrsamkeit, der „süßen Lust des Wissens und Lernens“. Christine war davon überzeugt, dass Gott Männern und Frauen eine ebenbürtige Intelligenz gegeben habe und dass er den weib­lichen Verstand für das Verstehen, Analysieren und Memorieren begreifbarer Dinge gemacht habe. Wäre es üb­lich, die kleinen Mädchen eine Schule besuchen und sie im Anschluss daran, genau wie die Söhne, die Wissenschaft erlernen zu lassen, dann würden sie genauso gut lernen und die letzten Feinheiten aller Künste und Wissenschaften ebenso mühe48 los begreifen wie jene,

so ihr Fazit. Ähn­lich äußerten sich Pierre du Bois und Thomas Morus in ihren Utopien über die Gleichrangigkeit von Männern und Frauen im Feld des Wissens. 3.2.2  Gelehrte Frauen in Klöstern und Stiften des frühen und hohen Mittelalters

Während am Hof das prudentiale Wissen der Frauen wie der Männer gefragt war, boten Kloster und Stift zumindest im frühen und hohen Mittelalter Frauen Raum zur Beschäftigung mit der gelehrten Theologie und der Schriftexegese. Bevor die hohen Schulen und die Universitäten entstanden, wurden in diesen Institu­tionen die Septem Artes gelehrt. Das Bildungsniveau der Kanonissen war in der Regel höher als das der Benediktinerinnen. In Sachsen, einer Region hoher Dichte an Kanonissenstiften ­zwischen dem 9. und 13. Jahrhundert, konnte sich die weib­liche Gelehrtenkultur besonders gut entfalten.49

48 Christine de Pizan, Das Buch von der Stadt der Frauen, Übersetzung Zimmermann (wie Anm. 43), S. 94 f. 49 Das belegt eindrück­lich Katrinette Bodarwé, Sanctimoniales litteratae. Schrift­lichkeit und Bildung in den ottonischen Frauenkommunitäten Gandersheim, Essen und Quedlinburg

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Die Kanonissen von Essen verfügten über theolo­gisch-­exegetische Kenntnisse, die den Vergleich mit den führenden Domschulen im Reich nicht zu scheuen brauchten. Davon zeugt ein sog. „Psalterium quadruplex“ aus dem Besitz des Konventes,50 das sich im Gegensatz zum normalen Psalter nicht für das täg­liche Gebet, sondern nur zum Studium der Heiligen Schrift eignete. Dieser Typus des Lehr- und Studienpsalters geht auf den Konstanzer Bischof Salomon III . (amt. 890 – 919/920) zurück. Das „Psalterium quadruplex“ bietet vier verschiedene Versionen des Psalters in einer Synopse: in den ersten drei Spalten die lateinischen Übersetzungen bzw. Revisionen der gal­lischen (Gallicanum), der römischen (altita­lischen) (Romanum) und der hebräischen Fassung (Hebraicum) durch Hieronymus; die vierte Spalte enthält die griechische Fassung in lateinischer Umschrift.51 Der Psalter gestattete Lesern mit geringen Griechischkenntnissen den Vergleich mit den lateinischen Varianten, die sich im Laufe des frühen Mittelalters herausgebildet hatten. Solche Psalterien sind außer für das Frauenstift Essen auch für das Benediktinerkloster St. Michael in Bamberg und die Kölner Domschule belegt; wahrschein­lich besaßen auch die Benediktiner in Werden a. d. Ruhr ein Exemplar.52 Als Dichterin mit einem beacht­lichen gelehrten Wissen darf an dieser Stelle die Gandersheimer Kanonisse Hrotsvith (um 935 – 975) nicht fehlen. Von ihr

(Quellen und Studien. Veröffent­lichungen des Instituts für kirchengeschicht­liche Forschung 10), Münster 2004. 50 Essen, Domschatz, Hs. 4, 2. Hälfte 11. Jh.; Provenienz unklar, Benediktinerkloster Werden (?). Vgl. Krone und Schleier. Kunst aus mittelalter­lichen Frauenklöstern, hg. v. d. Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, und dem Ruhrlandmuseum Essen, München 2005, Kat.nr. 92*, S. 232 f.; Bodarwé (wie Anm. 49), S.  411 f. 51 Hieronymus, Hebraicae quaes­tiones in libro Geneseos. Liber interpreta­tionis hebraicorum nominum. Commentarioli in psalmos. Commentarius in Ecclesiasten, hg. v. Paul de Lagarde u. a. (Corpus Christianorum, Series Latina 72), Turnhout 1959. Die verschiedenen Versionen sind im Widmungsschreiben Salomos III. erläutert, das allerdings in dem Essener Exemplar fehlt. Zu ­diesem Psaltertyp vgl. Samuel Berger, Histoire de la Vulgate pendant les premiers siècles du Moyen Âge, Paris 1893. 52 Köln, Erzbischöf­liche Diözesan- und Dombibliothek, Cod. 8; Bamberg, Staatsbibliothek, Ms. Bibl. 44. Auf ­diesem Codex beruht Rom, Bibl. Vat., Pal. lat. 39 (Heiligenberg bei Heidelberg). Entweder in Essen oder in Werden gab es ein weiteres ‚Psalterium quadruplex‘, von dem nur noch Fragmente erhalten sind (Ps 78,9 – 79,11 u. 82,5 – 83,5): Düsseldorf, Universitäts- und Landesbibliothek, Fragment K16:Z 1/2a, 11. Jh.), vgl. dazu Bodarwé (wie Anm. 49), S. 402.

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sind acht Verslegenden,53 sechs Dramen 54 und zwei historische Epen erhalten, des Weiteren die Geschichte des ottonischen Geschlechts von Heinrich I. (919) bis Otto I. (965) („Gesta Ottonis“) und die Geschichte ihres Konventes von 846 bis 919 („Primordia Coenobii Gandeshemensis“).55 Die Dramen sind vollständig überliefert in der Handschrift München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 14485, die um 1000 in Gandersheim entstand und ­später in das Kloster St. Emmeram in Regensburg gelangte.56 Der gelehrte Humanist Conrad Celtis hat sie dort Ende des 15. Jahrhunderts entdeckt und 1501 zum Druck gebracht. Die „Primordia coenobii Gandeshemensis“ und die ersten vier Dramen sind – in einer von der Verfasserin rezensierten Version? – in der Handschrift Köln, Stadtarchiv W 101* erhalten. Hrotswith war eine exzellente Rhetorin und Stilistin, eine Meisterin der Prosodie und der Metrik, die den gereimten Hexameter genauso beherrschte wie das ele­gische Distichon. Sie kannte ihren Terenz,57 ersetzte die aufreizenden Frauengestalten seiner Komödien jedoch durch keusche christ­liche Jungfrauen. Im „Lapsus et conversio Mariae neptis Abrahae eremita“ und in der „Conversio Thaïdis meretricis“ führt sie vor, wie Prostituierte durch Rhetorik zu einem keuschen geist­lichen Leben bekehrt werden können. In ihren Dramen legt Hrotswith die „Fäden und Fasern vom Kleid der Philosophie“ aus, wie Boethius es im 1. Buch der „Consolatio philosophiae“

53 1) Nativitas Mariae, 2) Ascensio Domini, 3) Gongolfus martyr, 4) Pelagius martyr, 5) Theophilus, 6) Basilius, 7) Dionysius martyr, 8) Agnes virgo et martyr. 54 1) Conversio Gallicani principis militiae, 2) Dulcitius = Passio virginum Agapis, C ­ hioniae et Irenae, 3) Resuscitatio Drusianae et Calimachi, 4) Lapsus et conversio Mariae neptis Abrahae eremitae, 5) Pafnutius = Conversio Thaïdis meretricis, 6) Sapientia = Passio ss. virginum Fidei, Spei et Caritatis. 55 Hrotsvit, Opera omnia, hg. v. Walter Berschin (Bibliotheca scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana), München u. a. 2001. Insgesamt sind bis heute acht Handschriften und Fragmente mit Werken Hrotsviths bekannt geworden. Die Neuedi­tion Berschins von 2001 beruht auf allen diesen Zeugnissen. 56 Hartmut Hoffmann, Hrotswith von Gandersheim, Werke, in: Matthias Puhle (Hg.), Otto der Große, Magdeburg und Europa, Bd. 2: Katalog, Mainz 2001, Kat.nr. V.32, S.  357 – 360 hat den Codex unicus der Werke Hrotswiths (München, BSB, Clm 14485) den Händen von sechs Magdeburger Klerikern zuschreiben wollen. Wie Bodarwé (wie Anm. 49), S. 99 – 105, zeigt, ist eine Entstehung dieser Handschrift in Gandersheim aber weit wahrschein­licher. 57 Judith Tarr, Terentian Elements in Hrotsvit, in: Katharina M. Wilson (Hg.), Hrotsvit of Gandersheim – rara avis in Saxonia, Ann Arbor 1987, S. 55 – 62.

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metaphorisch beschrieben hatte.58 Hrotswith beherrschte die mathematischen Regeln der Musik 59 und der Arithmetik 60 und konstruierte sogar ihre Dramen danach.61 Im 1. Akt des Dramas „Pafnutius“ führt Hrotsvith vor, wie der Unterricht in der Musik in Gandersheim abgelaufen sein könnte.62 In einem Lehrdialog vermittelt Abt Pafnutius der konversionsbereiten Prostituierten Thaïs die Kunst der Musik, nach der Lehre des Pythagoras eine hörbare Form der Weltenharmonie, und die der Arithmetik. Für Hrotswith sind die Artes kein Selbstzweck, sondern nur Mittel zur Erlangung der Weisheit. Ihrem Passionsdrama um die Allegorien/Jungfrauen Glaube, Hoffnung und Liebe („Passio ss. virginum Fidei, Spei et Caritatis“) gab sie den programmatischen Titel „Sapientia“. Als rara avis in Saxonia, wie der gelehrte Mönch und Geschichtsschreiber Bodo († 1553) aus dem Kloster Clus Hrotswith im 16. Jahrhundert rühmte, nimmt sie zwar eine Sonderstellung ein, aber sie war in Gandersheim in einem Zirkel gelehrter Frauen sozia­lisiert und ausgebildet worden. Als ihre Lehrerinnen werden die sapientissima atque benignissima Rikkardis magistra 63 und die Äbtissin Gerberga II. (amt. 949?/956? –1001),64 eine Nichte ­Kaiser Ottos I.,

58 Berschin (wie Anm. 55), S. 135: Si qua forte fila vel etiam floccos de panniculis a veste Philosophiae abruptis evellere quivi. Vgl. Franz Baur: Der Trost der Philosophie und die Vertreibung der Musen bei Boethius. Notizen zur Muße im Gefängnis, in: Paragrana 16/1 (2007), S. 49 – 61. 59 David Chamberlain, Musical Imagery and Musical Learning in Hrotsvit, in: Katharina M. Wilson (Hg.), Hrotsvit of Gandersheim – rara avis in Saxonia, Ann Arbor 1987, S.  79 – 97. 60 William Provost, The Boethian Voice in the Dramas of Hrotsvit, in: Katharina M. ­Wilson (Hg.), Hrotsvit of Gandersheim – rara avis in Saxonia, Ann Arbor 1987, S. 71 – 78. 61 Katharina M. Wilson, Hrotsvit of Gandersheim. The Ethics of Authorial Stance (Davis Medieval Texts and Studies 7), Leiden 1988; Katharina M. Wilson, Mathematical Learning and Structural Composi­tion in Hrotsvit’s Works, in: Katharina M. Wilson (Hg.), Hrotsvit of Gandersheim – rara avis in Saxonia, Ann Arbor 1987, S. 99 – 111. 62 Berschin (wie Anm. 55), S. 218 – 244. Hrotswith kannte offenbar die frühmittelalter­ lichen Vorlagen der Thaïs-­Geschichte, die Vita Thaïdis des Dionysius Exiguus und die anonyme Vita der Maria Aegyptiaca. 63 Vgl. Hans Goetting, Das reichsunmittelbare Kanonissenstift Gandersheim (Germania Sacra, N. F. 7: Die Bistümer der Kirchenprovinz Mainz 1, Das Bistum Hildesheim), ­Berlin/New York 1973, Par. 44, S. 373. 64 Zur Biographie und Datierung von Gerbergas Amtszeit vgl. ebd., Par. 40, S. 293 – 295, als Lehrerin der Hrotswith ebd., S. 294.

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genannt. Bertini vermutete,65 dass Hrotswith antike und apokryphe Vorlagen in lateinischer und griechischer Sprache für ihre Dramen und Legenden aus dem Umkreis des ottonischen Herrscherhauses erhalten hatte, etwa von Ottos Bruder Brun, dem Kanzler, Erzbischof von Köln und Herzog von Lothringen, einem hervorragenden Kenner und großen Liebhaber der Komödien des Terenz. Obwohl das 10. Jahrhundert im ostfränkischen Reich hinsicht­lich der Literatur als ein „dunkles“ Zeitalter gilt,66 war Hrotswith bei weitem nicht die einzige gelehrte Frau ihrer Zeit. Auch Mathilde († 968), die zweite Gemahlin König Heinrichs I., war gelehrt, wie überhaupt das Frauenkloster Herford, in dem sie ausgebildet wurde, bis ins 11. Jahrhundert als ein hochstehendes Zentrum der Bildung gelten darf.67 3.2.3  Frauenstudium an den hohen Schulen der Medizin, Jurisprudenz und Theologie?

Am Ende des 11. Jahrhunderts entstanden in Italien und Frankreich „hohe Schulen“, an denen die Jurisprudenz, die Theologie und die Medizin gelehrt wurde, Wissenschaften, die über den Septem Artes standen. Diese Schulen erreichten ihren Zenit im 12. Jahrhundert und gingen ­später in den Universitäten auf.

65 Ferruccio Bertini: Hrotsvith, die Dichterin, in: Ders. (Hg.), Heloise und ihre Schwestern: acht Frauenporträts aus dem Mittelalter, München 1991, S. 100 – 138, bes. S. 101 f. u. 107. Bertini vermutet Hadwig vom Hohentwiel, Rather von Verona, Gunzo von Novara, Liutprand von Cremona, Ebf. Wilhelm von Mainz und die Äbtissin Gerberga II . v. Gandersheim als Lieferanten literarischer Vorlagen an Hrotswith. 66 John Newell, Educa­tion and Classical Culture in the Tenth Century: Age of Iron or Revival of Learning? in: Katharina M. Wilson (Hg.), Hrotsvit of Gandersheim – rara avis in Saxonia, Ann Arbor 1987, S. 127 – 141, mag das schlechte Image des 10. Jahrhunderts hinsicht­lich der Schrift­lichkeit und Bildung für Gandersheim nicht gelten lassen. Zum Bildungshorizont Hrotsviths und zum Curriculum in Gandersheim vgl. Wilson (wie Anm. 61), S. 154 – 156. 67 Zum Niveau der Herforder Stiftsschule vgl. Alfred Hartlieb von Wallthor, Dom-, K ­ losterund Stiftschulen in Westfalen bis 1800, in: Karl Hengst (Hg.), Westfä­lisches Klosterbuch. Lexikon der vor 1815 errichteten Stifte und Klöster von ihrer Gründung bis zur Aufhebung, Teil 3: Institu­tionen und Spiritualität (Veröffent­lichungen der Historischen Kommission für Westfalen 44: Quellen und Forschungen zur K ­ irchen- und Religionsgeschichte 2,3), Münster 2003, S. 577. Weitere Beispiele gebildeter Frauen bei Katrinette Bodarwé, Lesende Frauen im frühen Mittelalter, in: Gabriela Signori (Hg.), Die lesende Frau (Wolfenbütteler Forschungen 121), Wiesbaden 2009, S. 65 – 79.

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Initiatoren und Träger der Einrichtungen waren Könige (Friedrich II. in Sizilien und Unteritalien), potente Adelige (der Herzog von Albi als Gründer der Medizinschule von Montpellier), Städte (Rechtsschule von Bologna) und die ­Kirche dank ihrer Pfründen. An den franzö­sischen Theologenschulen unterrichteten ambulante Lehrer, die sich vorübergehend an den Kathedralen von Paris,68 Chartres, Reims und Laon niederließen und ihren Lebensunterhalt aus Hörergeldern bestritten. Der Unterricht fand im öffent­lichen oder halböffent­ lichen Raum statt, so dass Frauen vereinzelt daran teilnehmen konnten; zumindest für die medizinischen und juristischen Vorträge ist dies belegt.69 Das klerikale Umfeld des Theologiestudiums verhinderte indes das Studium von Frauen an den Domschulen. Abaelard (1079 – 1142), der berühmte Lehrer an der Pariser Kathedralschule Notre Dame, unterrichtete Heloise (1100 – 1164) privat im Haus ihres Onkels, des Kanonikers Fulbert.70 Im Gegensatz zu ­vielen seiner Zeitgenossen vertrat Abaelard die Ansicht, dass Frauen wie Männer gleichermaßen mit der gött­lichen Gabe des Intellektes ausgestattet s­ eien. Anders als sein Zeitgenosse Petrus Venerabilis traute er den Frauen durchaus das Lehramt zu, so wie er Maria Magdalena und andere in den Apokryphen genannte Frauen in der Umgebung Jesu als Apostel ansah.71 68 Jacques Verger, A propos de la naissance de l‹université de Paris: contexte social, enjeu politique, portée intellectuelle, in: Johannes Fried (Hg.), Schulen und Studium im ­sozia­len Wandel des hohen und späten Mittelalters (Vorträge und Forschungen 30), Sigmaringen 1986, S. 69 – 96. 69 Belege für Hörerinnen ­zwischen 1200 und 1500 in Frankreich, Italien und England in den artistischen, medizinischen und juristischen Vorlesungen nennt Andrea von Hülsen-­ Esch, Frauen an der Universität. Überlegungen anläß­lich einer Gegenüberstellung von mittelalter­lichen Bildzeugnissen und Texten, in: Zeitschrift für Historische Forschung 24 (1997), S. 315 – 346. Frauen als Universitätsangehörige kann sie nicht nachweisen, „… doch muß es in den Anfängen der Universitäten einen Freiraum gegeben haben, der Frauen im universitären Umfeld zuließ“ (S. 345). Der von ihr angeführte Fall der Studentin in Krakau, den ich eingangs dargestellt habe, hält allerdings einer kritischen Prüfung nicht stand. 70 Zur Gelehrsamkeit der Heloise und anderer Frauen des 12. Jahrhunderts in Nordfrankreich, u. a. in Fontevrauld, vgl. Constant Mews, Women Readers in the Age of Heloise, in: Gabriela Signori (Hg.), Die lesende Frau (Wolfenbütteler Forschungen 121), Wiesbaden 2009, S. 81 – 111. 71 Briefwechsel ­zwischen Abaelard und Heloise, 7. Brief, c. 14: Petrus Abaelardus, Der Briefwechsel mit Heloisa (Universal-­Bibliothek 3288), übers. v. Hans-­Wolfgang Krautz, Stuttgart 2001, S. 150 f.: „Wir schließen aus diesen Berichten [i. e. des Neuen Testaments], daß jene frommen Frauen gleichsam als Apostelinnen über die Apostel gesetzt wurden,

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Obwohl Frauen als Zuhörerinnen an den Domschulen nicht zugelassen waren, drang die scholastische Methode über personelle und intellektuelle Netzwerke aus dem Norden Frankreichs und aus Burgund zu den geist­lichen Frauen, die im Rheinland, im Elsass und im öst­lichen Harzraum lebten, und zwar dank der Vermittlung von Augustinerchorherren, Bischöfen und reformbereiten Benediktinern.72 Sowohl im theolo­gischen wie im musika­lischen Werk der Hildegard von Bingen (1098 – 1179) werden diese Einflüsse aus Frankreich greifbar, obwohl sie in ihren Selbstaussagen stets großen Wert auf die Feststellung legt, dass der Quell ihres Wissens und ihrer Weisheit die gött­liche Eingebung sei, die sie in den Visionen empfangen habe.73 Die Forschung über die theolo­gischen, musikolo­gischen  74 und medizinischen Werke Hildegards hat aber hinreichend gezeigt, dass sie eine belesene und gelehrte Frau war, auch wenn sie ihre Quellen – das ist in der Tat ungewöhn­lich – nicht direkt zitiert. Hildegards Auffassungen von Dialektik, ra­tionalitas und der Trinität lassen erkennen, dass sie an den Entwicklungen der Pariser Schulen partizipierte. Fabio Chávez Alvarez vermutet, dass Hildegard die Septem Artes und insbesondere die Musik und Kosmologie in der Neuinterpreta­tion des „Didascalicon“ Hugos von St. Viktor († 1141) gekannt habe.75 Hugos Lehre, wonach der Zweck der gelehrten Studien in der Weisheit bestehe, die in ewigen und unveränder­lichen

da sie entweder vom Herrn oder von den Engeln zu ihnen gesandt werden, um ihnen die Freude der Auferstehung zu verkünden, auf die alle warteten, so daß die Apostel von den Frauen zuerst erfuhren, was sie nachher aller Welt predigten.“ 72 Hedwig Röckelein, Die Auswirkung der Kanonikerreform des 12. Jahrhunderts auf Kanonissen, Augustinerchorfrauen und Benediktinerinnen, in: Franz J. Felten u. a. (Hgg.), Institu­tion und Charisma. Festschrift für Gert Melville z. 65. Geb., Köln u. a. 2009, S.  55 – 72. 73 Vita sanctae Hildegardis, hg. v. Monica Klaes (Corpus Christianorum, Continuatio Mediaevalis 126), Turnhout 1993, Bd. 1, S. 24. 74 Vgl. dazu Barbara Stühlmeyer, Die Gesänge der Hildegard von Bingen. Eine musikolo­ gische, theolo­gische und kulturhistorische Untersuchung (Studien und Materialien zur Musikwissenschaft 30), Hildesheim, Zürich, New York 2003; Jürg Stenzl, Wie hat „­Hildegard von Disibodenberg und Rupertsberg“ komponiert? Ein analytischer Versuch mit den E-Antiphonen und dem „Ordo Virtutum“, in: Archiv für Musikwissenschaft 64 (2007/3), S.  179 – 210. 75 Fabio Chávez Alvarez, „Die brennende Vernunft“. Studien zur Semantik der ra­tionalitas bei Hildegard von Bingen (Mystik in Geschichte und Gegenwart 8), Stuttgart 1991, S. 104 f. sieht eine gewisse geistige Verwandtschaft z­ wischen Hildegard und Hugo sowie jener und

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Wahrheiten unter den wechselvollen Mannigfaltigkeiten der äußeren Sinneswahrnehmungen verborgen liege, stimmt mit Hildegards Posi­tion überein, ebenso Hugos Annahme, dass die Seele des Menschen aus allen Teilen der Natur zusammengesetzt sei, ein Mikrokosmos, der seinen eigenen Ursprung vergessen habe. Wenn durch die Studien die verborgenen Zusammenhänge der Natur erforscht werden, so Hugo, bedeute dies, die eigenen Gedächtnislücken zu überwinden und das Vergessene zurückzuholen und zu erkennen. Woher und durch wen aber hatte Hildegard Kenntnis der philosophischen, theolo­gischen und musiktheoretischen Innova­tionen, die in Paris entwickelt worden waren? Den ersten Unterricht empfing sie von Uda von Göllheim, einer Privatlehrerin, zusammen mit Jutta von Sponheim (1092 – 1136), mit der sie seit 1112 bis zu deren Tod 24 Jahre lang eine Klause neben dem Benediktinerkloster Disibodenberg teilte.76 Hildegard beschreibt Jutta eher als Asketin denn als Gelehrte, die jedoch als Ratgeberin von den Laien geschätzt werde.77 Im 12. Jahrhundert gab es zweifelsohne in den zahlreichen Zellen, die überall in Europa entstanden,78 belesenere Inklusen als Jutta. Nach Aussage ihres Hagiographen Albert von Stade soll Hildegard als Inklusin nur den Psalter beherrscht haben. Wir müssen jedoch annehmen, dass sie bereits auf dem Disibodenberg durch ihren späteren Sekretär und Propst auf dem Rupertsberg, den Mönch und Magister Volmar († 1173), mit gelehrtem Wissen aus den Büchern des 1108 gegründeten Klosters vertraut gemacht worden war. Felix Heinzer vermutet,

Richard von St. Victor bei gleichzeitig unterschied­licher Begriffsbildung. Im Gegensatz zu Hildegard verwendet Hugo den Begriff ra­tionalitas nicht für die Trinitätstheologie. 76 Franz Staab, Aus Kindheit und Lehrzeit Hildegards. Mit einer Übersetzung der Vita ihrer Lehrerin Jutta von Sponheim, in: Edeltraud Forster (Hg.), Hildegard von Bingen. Prophetin durch die Zeiten, 2. Aufl. Freiburg u. a. 1982, S. 58 – 86, hier 69 f. 77 Jutta and Hildegard. The Biographical Sources (Medieval Women. Texts and Contexts 1), übers. u. hg. v. Anna Silvas, Turnhout 1998. Sowohl die Hildegardvita des Albert von Stade wie auch die brief­lichen Äußerungen Hildegards zu Jutta sind kritisch zu lesen. Vgl. dazu Franz J. Felten, Was wissen wir über das Leben Juttas und Hildegards auf dem Disibodenberg und auf dem Rupertsberg?, in: Falko Daim / Antje Kluge-­Pinsker (Hgg.), Als Hildegard noch nicht in Bingen war. Der Disibodenberg – Archäologie und Geschichte, Regensburg 2009, S. 111 – 113. Zum Verhältnis der beiden vgl. auch Patricia Ranft, Women in Western Intellectual Culture 600 – 1500, New York 2002, S. 51 – 70. 78 Anneke B. Mulder-­Bakker, The Reclusorium as an Informal Centre of Learning, in: Jan Willem Drijvers / Alasdaer A. MacDonald (Hgg.), Centres of Learning (Brill’s Studies in Intellectual History 61), Leiden u. a. 1995, S. 245 – 254; Anneke B. Mulder-­Bakker, Lives of the Anchoresses. The Rise of the Urban Recluse in Medieval Europe, Philadelphia 2005.

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Hildegard habe ihre Musiktheorie und Harmonienlehre unter dem Einfluss der benediktinischen Reformbewegung und der Hirsauer Frühscholastik ­entwickelt. Wenn sich dies bestätigte, so fiele der Verdacht auf den Hirsauer Reformabt Wilhelm, einen berühmten Musiktheoretiker und Astronomen, der seine Ausbildung in den Artes im Benediktinerkloster St. Emmeram in Regensburg erhalten hatte. Über den Buchbestand des zur clunianzenischen Observanz gehörenden Benediktinerklosters Disibodenberg wissen wir leider wenig, da sich weder die Bücher noch ein mittelalter­licher Bibliothekskatalog erhalten haben. Indirekt lässt sich aus chronika­lischen Zeugnissen immerhin schließen, dass einige Werke Anselms von Canterbury vorhanden gewesen sein müssen.79 Mög­licherweise kam Hildegard in der Zeit, in der sie ihre Rechtgläubigkeit verteidigen musste – um 1146 – 1148 – auch mit den Werken Abaelards und Bernhards von Clairvaux in Berührung.80 Ihre ersten Komposi­tionen dürften im selben Zeitraum, näm­lich ­zwischen 1147 und 1155, entstanden sein.81 Die quellenkritische Analyse Barbara Stühlmeyers hat gezeigt, dass Hildegards musika­lisches und musiktheore­tisches Werk zwar einerseits auf dem Boden der Regula Benedicti, der Psalmen und des Neuen Testaments steht, andererseits aber in engster Verbindung zu ihrer Theologie gesehen werden muss. Zudem sieht sie Hildegard keineswegs als Einzelkämpferin, sondern als Komponistin, die eng in das Netzwerk innovativer Musikentwicklungen ihrer Zeit eingebunden war.82 Öst­lich des Rheins spielte Hugo von St. Victor eine entscheidende Rolle bei der Vermittlung der Scholastik. Als ein Zentrum der Rezep­tion des Wissens aus den nordfranzö­sischen Kathedralschulen ist der Harzraum anzusehen. Dort stützten sich die Bischöfe der Diözesen Hildesheim und Halberstadt in ihren Reformbemühungen nicht auf Benediktiner, sondern auf Augustinerchorherren.83 Treibende Kraft dieser Transferprozesse war Bischof Reinhard von

79 Stühlmeyer (wie Anm. 74), S. 29. 80 Briefwechsel Hildegards mit dem Magister Odo von Paris: Hildegardis Bingensis Episto­ larium (Corpus Christianorum, Continuatio mediaevalis 91), hg. v. Lieven van Acker, Turnhout 1991, Epistula 91. Vgl. dazu Stühlmeyer (wie Anm. 74), S. 36 f. 81 Zur Beweisführung Stühlmeyer (wie Anm. 74), S. 46. 82 Ebd., S. 344 f. 83 Zu nennen sind hier die Hildesheimer Reformbischöfe Berthold I. (1119 – 1130), Bernhard I. (1130 – 1153) und Adelog (1170/71 – 1190); vgl. dazu Röckelein (wie Anm. 72), S. 57 – 61, und Nathalie Kruppa, Reform und Bildung. Die Klosterreformen der Hildesheimer Bischöfe im 12. Jahrhundert am Beispiel der Regularkanoniker, in: Mirko Breitenstein /

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­ alberstadt (amt.  1107 – 1123),84 der an der Pariser Viktorinerschule studiert hatte H und gute Kontakte nach Trier und in den mittelrheinischen Raum besaß. Zur Drehscheibe des Wissens entwickelte sich im Bistum Halberstadt das Chorherrenstift St. Pankratius in Hamersleben (Kreis Oschersleben, Ostharz),85 an dem Hugo ausgebildet und unterrichtet worden war und dem St. Viktor in Paris durch eine Gebetsverbrüderung eng verbunden war.86 Seit der Mitte des 12. Jahrhunderts wurden in Hamersleben – ursprüng­lich ein Doppelkloster 87 – massenhaft Texte aus der Viktorinerschule kopiert. An der raschen Verbreitung der Schriften wirkten neben Hamersleben zwei Benediktinerinnenklöster mit – eines in Lamspringe, das andere in Lippoldsberg an der Weser -,88 die beide zeitweise von Pröpsten aus Hamersleben geleitet wurden. Während der Amtszeit des Chorherrn Gerhard (1178 – 1205) kopierten acht bis zehn

Stefan Burkhardt / Julia Dücker (Hgg.), Innova­tion in Klöstern und Orden des Hohen Mittelalters. Aspekte und Pragmatik eines Begriffs, Berlin 2012, S. 39 – 64. 84 Karlotto Bogumil, Das Bistum Halberstadt im 12. Jahrhundert. Studien zur Reichs- und Reformpolitik des Bischofs Reinhard und zum Wirken der Augustiner-­Chorherren, Köln 1972. Bischof Reinhard hatte auch enge Kontakte zu den Reformzentren Springiersbach und Andernach am Rhein im Erzbistum Trier. Vgl. dazu Röckelein (wie Anm. 72), S.  64 f. 85 Günter Peters, Das Augustinerchorherrenstift Hamersleben. Entstehung und sozia­les Umfeld einer doppelklöster­lichen Regularkanonikergemeinschaft im hochmittelalter­ lichen Ostsachsen, in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands. Zeitschrift für vergleichende und preußische Landesgeschichte 52 (2006), S. 1 – 53. 86 Nekrolog von St. Viktor zum 11. Oktober: Item commemoratio sollempnis fratrum et benefactorum Magdeburgensis ecclesie. Vgl. Matthias M. Tischler, Zwischen Zentrum und Peripherie. Die Umgestaltung der Bildungslandschaft im Bistum Hildesheim durch frühscholastische Bücher aus Nordfrankreich im 12. Jahrhundert, in: Monika E. Müller (Hg.), Schätze im Himmel, Bücher auf Erden. Mittelalter­liche Handschriften aus Hildes­ heim, Wolfenbüttel 2010, S. 237 – 252, hier S. 239, Anm. 29. 87 Aliza Cohen-­Mushlin, Scriptoria in Medieval Saxony. St. Pancras in Hamersleben, Wiesbaden 2004. 88 Im Gegensatz zu Lamspringe hat sich aus Lippoldsberg nur der Katalog der mittelalter­ lichen Bibliothek erhalten; darin werden 55 Codices genannt (‚Catalogus bibliothecae Lippoldesbergensis‘ in Scriptores. Supplementa tomorum I, V, VI, XII. Chronica aevi Suevici, hg. v. Georgius Henricus Pertz (Monumenta Germaniae Historica, SS XX ), ­Hannover 1868 (ND Stuttgart 1989), S. 556 f.). Vgl. dazu Julie Hotchin, Women’s ­Reading and Monastic Reform in Twelfth-­century Germany. The Library of the Nuns of Lippolds­ berg, in: Alison I. Beach (Hg.), Manuscripts and Monastic Culture. Reform and Renewal in Twelfth-­century Germany, Turnhout 2007, S. 139 – 189.

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Lamspringer Nonnen Handschriften aus Hamersleben und vielleicht auch aus dem Benediktinerinnenkloster Lippoldsberg an der Weser. Darunter befanden sich die Traktate des Anselm von Canterbury (1033 – 1109) und seines Schülers Honorius Augustodunensis, des Hugo von St. Viktor und des Rupert von Deutz zur Simonie, zur Beteiligung der Laien an sakralen Handlungen und zur Messe,89 alles Schriften, die kurz zuvor an den nordfranzö­sischen Kathedralschulen entstanden waren und für lebhafte Diskussionen gesorgt hatten. Wesent­lichen Anteil an d ­ iesem Wissenstransfer hatten neben Hamersleben das Augustinerchorherrenstift Riechenberg, das Benediktinerkloster St. Michael in Hildesheim und die Kathedralschule zu Halberstadt.90 Relativ schnell wurden die neuen Methoden und Wissensinhalte aus Paris auch im Elsass rezipiert. Ihre Spuren finden sich im Augustinerchorfrauen­ stift auf dem Odilienberg unter den Reformäbtissinnen Relind und Herrad (amt. vor 1176– nach 1196)91 und im Doppelkloster der Augustiner in Marbach-­ Schwarzenthann. Unverkennbar ist der Einfluss der Pariser Schule auf den „Hortus Deliciarum“ der Herrad von Hohenburg.92 In ­diesem Codex, der nicht zuletzt für die Identität des Konventes von fundamentaler Bedeutung war, verarbeitete Herrad 89 Zu den Inhalten der von den Lamspringer Nonnen kopierten Texte vgl. Helmar Härtel, Lamspringe. Ein mittelalter­liches Skriptorium in einem Benediktinerinnenkloster, in: Nathalie Kruppa / Jürgen Wilke (Hgg.), Kloster und Bildung im Mittelalter (Veröffent­ lichungen des Max-­Planck-­Instituts für Geschichte 218), Göttingen 2006, S. 115 – 153, und Helmar Härtel, Geschrieben und gemalt: Gelehrte Bücher aus Frauenhand. Eine Klosterbibliothek säch­sischer Benediktinerinnen des 12. Jahrhunderts, Wolfenbüttel 2006, S.  26 – 28. 90 Zu den neueren Arbeiten über diese Konvente vgl. Hedwig Röckelein: Schriftlandschaften – Bildungslandschaften – religiöse Landschaften in Norddeutschland, in: Patrizia Carmassi / Eva Schlotheuber / Almut Breitenbach (Hgg.), Schriftkultur und religiöse Zentren im norddeutschen Raum (Wolfenbütteler Mittelalter-­Studien 24), Wiesbaden 2014, S.  19 – 139. 91 Die Reform des bereits im 7. Jahrhundert gegründeten Frauenklosters auf dem Odilien­ berg wurde auf Anregung und unter Mitwirkung ­Kaiser Friedrich Barbarossas von Äbtissin Relind in die Wege geleitet und von ihrer Nachfolgerin Herrad vollendet. Die Umwandlung in ein Augustinerchorfrauenstift fand bereits unter Relind statt. Zur Identität dieser Äbtissin und zum Reformvorgang vgl. Röckelein (wie Anm. 72), S. 65. 92 Der Codex verbrannte im Deutsch-­Franzö­sischen Krieg 1870, das Kreisdiagramm befand sich f. 32r, siehe das Faksimile: Christian M. Engelhardt, Herrad von Landsperg, Aebtissin zu Hohenburg, oder St. Odilien, im Elsaß, im zwölften Jahrhundert; und ihr Werk: Hortus deliciarum. Ein Beytrag zur Geschichte der Wissenschaften, Literatur, Kunst,

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enzyklopädisches und historiographisches, bib­lisches und patristisches Tradi­ tionswissen, das sie neu ordnete und originell bearbeitete. Die Rezep­tion der Pariser Schulen macht sich unter anderem beim Rad der Philosophie und in den Musikstücken, die dem Codex angehängt sind, bemerkbar. Hinter der Erzählung von der Sintflut fügte Herrad ein Kreisdiagramm ein, eine Darstellung des Rades der Philosophie.93 Solche Diagramme dienten der Erklärung und Visualisierung abstrakter Gegenstände und wurden im scholastischen Unterricht häufig eingesetzt.94 In Herrads Darstellung thront die gekrönte Philosophie im Zentrum des Kreises auf dem Sitz der Weisheit, der Sedes sapientiae. Sie ist hier an die Stelle Marias getreten. Zu den Füßen der Philosophie sitzen in Schreiberpose Sokrates und Platon, nach mittelalter­licher Auffassung die Mitbegründer der Septem Artes. Im äußeren Kreis stehen die weib­lichen Allegorien der sieben Künste, erkennbar an ihren Attributen. Herrad deutet sie in den Beischriften in doppelter Weise als wissenschaft­liches Lehr­ gebäude der sieben freien Künste und als die sieben Gaben des hl. Geistes. Alle Elemente des Diagramms interpretiert sie gleichermaßen als Bestandteile des Systems der scientia, der Wissenschaft, wie als Teil der sapientia, der Weisheit und Gotteserkenntnis. An den „Hortus Deliciarum“ ist die Sequenz Sol oritur/occasus nescius („Die Sonne stieg auf, die den Untergang nicht kennt“) angehängt, die üb­licherweise in der Weihnachtsliturgie gesungen wurde.95 Diese Sequenz ist in einem

Kleidung, Waffen und ­Sitten des Mittelalters. Mit 12 Kupfertafeln in Folio, Stuttgart, Tübingen, Cotta 1818, Taf. VIII. 93 Herrads Darstellung und Deutung des Rades der Philosophie basiert auf Boethius, ­Martianus Capella, Platon und dem Propheten Jesaja. Dazu und zur weiteren Ikonologie dieser Miniatur vgl. Katharina U. Mersch, Sozia­le Dimensionen visueller Kommunika­ tion in hoch- und spätmittelalter­lichen Frauenkommunitäten. Stifte, Chorfrauenstifte und Klöster im Vergleich (Nova Mediaevalia 10), Göttingen 2012, S. 113 – 124. 94 Vgl. Christel Meier, Die Quadratur des Kreises. Die Diagrammatik des 12. Jahrhunderts als symbo­lische Denk- und Darstellungsform, in: Alexander Patschovsky (Hg.), Die Bildwelt der Diagramme Joachims von Fiore. Zur Medialität religiös-­politischer Programme im Mittelalter, Ostfildern 2003, S. 25 – 53 u. 221 – 237; Jeffrey F. Hamburger, Haec figura demonstrat: Diagrams in an Early-­Thirteenth Century Parisian Copy of Lothar de Segni‹s De missarum mysteriis, in: Christine Beier (Hg.), Neue Forschungen zur Buchmalerei (Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte 58), Wien u. a. 2009, S. 7 – 76. 95 Sequenz Sol oritur occasus nescius zu De nativitate domini auf A,C,E,F,C-Linien: Fol. 90v: Herrad of Hohenbourg: Hortus Deliciarum. Vol. 1: Commentary; Vol. 2: Reconstruc­ tion (Studies of the Warburg Institute 36 1/2), hg. v. Rosalie Green u. a., Leiden, London

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5-­Liniensystem für mehrere Gesangsstimmen notiert. Wir haben es hier mit einem der frühesten Belege polyphoner Musik zu tun, die an der Pariser Kathedrale Notre-­Dame in der Umgebung des Petrus Abaelardus gerade erst entstanden war.96 Dass die Chorfrauen auf dem Odilienberg in Kontakt zur P ­ ariser Schule standen,97 beweist zudem die Komposi­tion Diapente et diatesseron im „Hortus Deliciarum“, die aus einem Pariser Graduale des 12. Jahrhunderts übernommen worden ist.98 Es handelt sich dabei um ein Stück e­ xperimenteller

1979, Nr. 331, S. 143 und Engelhardt (wie Anm. 92), Taf. X, der Text ebd., S. 137. Ebenfalls für die Weihnachtsliturgie gedacht war der Rhythmus De primo homine Vv.  1 – 5 (Text ebd., S. 142) (Primus parens hominum) auf fol. 109v (= Green [wie Anm. 95], Nr. 374, S. 178 f.). Er ist auf A,F,D,B-Linien notiert. Fol. 109 ist als Einzelblatt in die Parabel vom guten Samariter eingelegt. In der Rekonstruk­tion von Green sind nur die Anfänge der neumierten Stücke im Faksimile wiedergegeben (ca. 1 Zeile) und der Text. Vgl. auch Kenneth Levy, The Musical Nota­tion, in: Rosalie Green (Hg.), Herrad of Hohenbourg: Hortus Deliciarum. Vol. 2: Reconstruc­tion (Studies of the Warburg Institute 36 2/2), Leiden, London 1979, chap. VII, S. 87 f. Als Hörprobe: Herrad von Hohenburg, H ­ ortus Deliciarum, fol. 90v, polyphone Sequenz Sol oritur zum Weihnachtsfest, in: Krone und Schleier. Musik aus mittelalter­lichen Frauenklöstern/Crown and Veil. Music from Medieval Female Monasteries. Sequentia Köln unter der Leitung von Benjamin Bagby, Bonn, Essen, Köln 2005, Nr. 9. 96 Vgl. Jacques Le Goff, Une musique de jubila­tion: la musique de l’Occident médiéval, in: Marion Challier (Hg.), Moyen Âge entre ordre et désordre. Exposi­tion dans les Musées de la musique Paris, 26 mars–27 juin 2004, Paris 2004, S. 13 – 19, hier besonders S. 17 f. Zwar gab es bereits in den Klöstern des 9. Jahrhunderts mehrstimmige Musik, systematisch entwickelt wurde sie aber erst seit dem Ende des 11., Anfang des 12. Jahrhunderts an der Pariser Kathedralschule. Mersch (wie Anm. 93), S. 110 u. ebd. Anm. 514, weist im Textteil des Hortus deliciarum die Rezep­tion musiktheoretischer Traktate des Odo von Cluny nach. 97 Als Mittler z­ wischen den Chorfrauen und Paris käme das elsäs­sische Augustinerdoppelkloster Marbach-­Schwarzenthann in Betracht. Der dortige Männerkonvent hatte in der Tat Beziehungen zur Schule von St. Viktor, vgl. Volkhard Huth, Staufische „Reichshistoriographie“ und scholastische Intellektualität: das elsäs­sische Augustinerchorherrenstift Marbach im Spannungsfeld von regionaler Überlieferung und universalem Horizont (Mittelalter-­Forschungen 14), Ostfildern 2004. Als Zeugnis der engen Koopera­tion und Kollabora­tion ­zwischen dem Männer- und dem Frauenkonvent gilt der Codex Guta-­Sintram von 1154 (Straßburg, Bibliothèque du Grand Séminaire, Ms. 37 [anc. 78]). 98 Vgl. Olivier Cullin, La voix, le geste et l’inten­tion: la musique médiévale dans la culture occidentale, in: Moyen Âge entre ordre et désordre. Exposi­tion dans les Musées de la musique Paris, 26 mars–27 juin 2004, hg. v. Marion Challier, Paris 2004, S. 220 und

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Musik, das vorführt, wie die Quinte (Diapente) und die Quarte (Diatessaron) zusammen gesungen die harmonische Konsonanz der Oktave (diapason) ergeben. Durch die Melismen wird die Musik als Zahlenkunst hörbar gemacht. Der Text erläutert das Gehörte. 3.2.4  Die Entstehung der Universitäten und strikte Klausur: Ausgrenzung der Frauen vom gelehrten Wissen

Als die Universitäten im 13. und 14. Jahrhundert entstanden, sich als Institu­ tionen verfestigten und unter die Kontrolle der ­Kirche gerieten, wurden die Frauen gänz­lich von dieser Lehreinrichtung ausgeschlossen. Ursache dafür ist zum einen die misogyne Haltung einflussreicher Theologen und Kirchenlehrer, zum anderen der starke Einfluss der Dominikaner nicht zuletzt an den maßgeb­lichen Universitäten Paris und Köln.99 Die Rezep­tion der aristote­lischen Naturphilosophie trug nicht unerheb­lich dazu bei, virulente misogyne Tendenzen, die von den frühen Kirchenlehrern geäußert worden waren, zu verstärken. Die Kölner „Hausapostel“ Albertus Magnus und Thomas von Aquin gehören dabei nicht zu den harmlosesten Frauen­verächtern.100 Thomas diskutiert in der „Summa theologica“ (um 1270) die Frage, ob die Gnade der Predigt, der Weisheit und der Wissenschaft auch den Frauen zukomme. Er bejaht dies zwar, meint aber, dass sie, da sie dem Manne untertan ­seien, von ihrer Gabe nur im privaten Unterricht, nicht hingegen in der öffent­lichen Lehre Gebrauch machen dürften.101 Ähn­liche Argumente ­brachten die Nr. 4 auf der CD (inkl. dem Text des Stücks). Weitere Pariser Spuren, vor allem der Einfluss des Hugo von St. Viktor, weist Mersch (wie Anm. 93), S. 119 f. nach. 99 Michèle Mulchahey, The Dominican studium System and the Universities of Europe in the Thirteenth Century. A Rela­tionship Redefined, in: Jacqueline Hamesse (Hg.), M ­ anuels, programmes de cours et techniques d’enseignement dans les universités médiévales. Actes du Colloque interna­tional de Louvain-­la-­Neuve (9 – 11 septembre 1993) (Textes, Études, Congrès 16), Louvain-­la-­Neuve 1994, S. 277 – 324. 100 Vgl. dazu Elisabeth Gössmann, Anthropologie und s­ ozia­le Stellung der Frau nach Summen und Sentenzenkommentaren des 13. Jahrhunderts, in: Albert Zimmermann (Hg.), Sozia­le Ordnungen im Selbstverständnis des Mittelalters. Band 1 (Miscellanea Mediaevalia 12/1), Berlin, New York 1979, S. 281 – 297; Kari E. Børresen, Subordina­tion et équivalence. Nature et rôle de la femme d’après Augustin et Thomas d’Aquin, Paris, Oslo 1968. 101 Thomas von Aquin, Summa theologica, II,2 q. 177 (Utrum gratia sermonis, sapientiae et scientiae pertineat etiam ad mulieres), a. 2: Utrum mulieres si gratiam sapientiae aut

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− wie eingangs dargelegt − auch Raimundus de Peñaforte und Ps.-Albertus Magnus vor. Sie alle stützten sich direkt oder indirekt auf die Sendschreiben des Paulus an die Korinther und an Timotheus. Auf die Frage, ob sich Frauen mit der theolo­gischen Wissenschaft beschäftigen sollten, antwortete Anfang des 13. Jahrhunderts der Dominikaner Heinrich von Gent: Niemand soll in dieser Wissenschaft [damit ist die Exegese der Schrift gemeint] unterrichtet werden, es sei denn, dass er mit ihren Geheimnissen vertraut sein sollte, damit er sie anderen gegenüber öffent­lich überzeugend ausführen und Gegnern gegenüber verteidigen könne. Dies steht einer Frau nicht zu: Es ist ihr nicht erlaubt, in der Öffent­lichkeit Unterricht zu geben […]. Wegen der Schwäche ihres weib­lichen Verstandes ist es ihr sogar nicht mög­lich, die dazu erforder­liche Vollkommenheit in dieser Wissenschaft zu erreichen; im Gegenteil, wenn sie sich in die Verborgenheiten dieser Kenntnis vertiefen sollte, dann würde sie durch Irrgang eher rückwärts gehen, als dass sie vorwärts ginge […]. Ein kluger Gelehrter wird einer Frau von dieser Wissenschaft nur dasjenige erklären, was für sie nötig und zuträg­lich ist, und nichts weiter, auch wenn sie mehr davon erfahren wollte. Denn Frauen sind darauf begierig, Dinge zu wissen zu bekommen, die ihnen nicht nütz­lich sind […]. Darum: Sehr unvernünftig handeln jene, die Frauen Unterricht geben, außer über das, was für sie angebracht und förder­lich ist, vor allem aber handeln sie unvernünftig, wenn sie ihnen die Geheimnisse der Heiligen Schrift auslegen oder ihnen diese in der Volks102 sprache zu lesen geben.

Diese Einstellung Heinrichs ist durchaus repräsentativ für die Dominikaner. Sie erklärt, weshalb Frauen vom Studium an der Universität wie im Orden ausgeschlossen wurden: Nach der Auffassung der Dominikaner brauchten sie ­dieses Wissen nicht, da sie nicht in der Öffent­lichkeit auftreten, nicht predigen, nicht missionieren und nicht die Sakramente erteilen sollten. Im Gegenteil, das selbständige Studium der Hl. Schrift würde eher ihre scientiae habeant, possunt ea administrare secundum privatam doctrinam, non autem secundum publicam. 102 Henricus a Gandavo, Summa quaes­tionum ordinarium, I a. 12 (De auditore Theologiae), q. 1 (utrum mulier possit esse auditor sacrae scripturae), Paris 1520 (ND New York 1951), fol. 83v–84v. Auch Heinrich von Gent beruft sich auf Paulus und auf Augustin. Vgl. Johannes Beumer, Die Stellung Heinrichs von Gent zum theolo­gischen Studium der Frau, in: Scholastik. Vierteljahresschrift für Theologie und Philosophie 32 (1957), S.  81 – 85.

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Rechtgläubigkeit gefährden. Folg­lich stellten die Brüder den klausurierten Frauen ihres Ordens, die sie als Beichtväter betreuten, anstelle vollständiger Bibeltexte und theolo­gischer Summen nur mundgerecht zubereitete Florilegien zur Verfügung.103 Lateinkenntnisse erachteten sie für das Verständnis der Glaubenswahrheiten nicht als zwingend. In den süddeutschen Dominikanerinnenkonventen findet sich so gut wie keine lateinische Literatur.104 Die Bibliothek des Nürnberger Katharinenklosters wurde wegen ihrer volkssprach­lichen, nicht wegen ihrer lateinischen Texte berühmt.105 Die Dominikaner waren also maßgeb­lich für den Ausschluss der Frauen von der gelehrten Bildung und von der Universität verantwort­lich. Sie befanden sich offenbar in Konkurrenz zu den gebildeten Frauen, vor allem zu den gelehrten Äbtissinnen der alten Orden und der Stifte, die ihnen den Rang um die Predigt und das Lehramt streitig machten. Die intellektuelle Isola­tion und die Abwesenheit anspruchsvoller exegetischer Schriften kompensierten viele Klosterfrauen durch andere Medien: durch mystische Visionen und Spekula­tionen über die Geburt, das Leiden und Sterben sowie die Auferstehung Christi und über die Eucharistie; durch Bilderwelten, die sie sich selbst schufen und in dem ihnen eigenen weib­lichen Medium, der 103 Zu den Auswirkungen der strengen Klausur auf die Frauenklöster des 13.–15. Jahrhunderts in religiöser, intellektueller und ökonomischer Hinsicht vgl. Hedwig Röckelein: Inklusion – Exklusion: weib­lich – männ­lich, in: Gert Melville / Bernd Schneidmüller / Stefan Weinfurter (Hgg.), Innova­tionen durch Deuten und Gestalten. Klöster im Mittel­ alter ­zwischen Jenseits und Welt (Klöster im Hochmittelalter als Innova­tionslabore 1), Regensburg 2014, S. 127 – 144. 104 Marie-­Luise Ehrenschwendtner, Die Bildung der Dominikanerinnen in Süddeutschland vom 13.–15. Jahrhundert (Contubernium 60), Stuttgart 2004. In England scheint die Latinität in den Frauenklöstern unabhängig von der Ordenszugehörigkeit seit dem 12. Jahrhundert gänz­lich verschwunden zu sein, vgl. dazu David N. Bell, What Nuns Read: Books and Libraries in Medieval English Nunneries (Cistercian Studies Series 158), Kalamazoo 1995; Jocelyn Wogan-­Browne, Women’s Formal and Informal Tradi­ tions of Biblical Knowledge in Anglo-­Norman England, in: Mathilde van Dijk / Renée Nip (Hgg.), Saints, Scholars and Politicians. Gender as a Tool in Medieval Studies. Festschrift in Honour of Anneke Mulder-­Bakker (Medieval Church Studies 15), Turnhout 2005, S.  85 – 109. 105 Barbara Steinke, Paradiesgarten oder Gefängnis? Das Nürnberger Katharinenkloster ­zwischen Klosterreform und Reforma­tion (Spätmittelalter und Reforma­tion N. F. 30), Tübingen 2006; Antje Willing, Literatur und Ordensreform im 15. Jahrhundert. Deutsche Abendmahlsschriften im Nürnberger Katharinenkloster (Studien und Texte zum Mittelalter und zur frühen Neuzeit 4), Münster u. a. 2004.

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Textilkunst, zum Ausdruck brachten. Als Anregung und Ausgangspunkt für Gebet und Medita­tion gewannen nun Wandmalereien, Skulpturen, Altarretabel, Wandteppiche und Banklaken an Bedeutung, die das visualisierten, was den geist­lichen Frauen in früheren Jahrhunderten in geschriebener Form zur Verfügung gestanden hatte. Einen guten Eindruck der überwältigenden Fülle an visuell transportierten religiösen Botschaften bietet das niedersäch­sische Zisterzienserinnenkloster Wienhausen im ersten Drittel des 14. Jahrhunderts.106 Doch scheinen sich bei weitem nicht alle Nonnen − nicht einmal die streng klausurierten Dominikanerinnen und Klarissen − der intellektuellen Gängelung durch die Beichtväter widerstandslos unterworfen zu haben.107 Die Dominikanerinnen im Kloster Paradies bei Soest fertigten in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts eine Reihe lateinischer Handschriften an, in denen sich die Kopistinnen und Illustratorinnen in Initialen und Fleuronnées selbst porträtierten.108 Elisabeth von Luenen schrieb um 1360 ein Graduale für ihren Bruder, einen Dortmunder Dominikaner, und forderte ihn darin um Gebetshilfe auf.109 106 Abbildung in: Krone und Schleier (wie Anm. 50), S. 88. 107 Zur Bibliothek und Buchbinderwerkstatt der Dominikanerinnen in Lemgo, Sankt Marien, demnächst: Jeffrey F. Hamburger / Eva Schlotheuber, Books in Women‹s Hands: Liturgy, Learning and the Libraries of Dominican Nuns in Westphalia, in: Nicole Bériou / M ­ artin Morard (Hgg.), Entre stabilité et itinérance: Livres et culture des ordres mendiants (13e–15e siècles). Colloque de clôture des travaux du groupe de recherche „Les frères et les sœurs des ordres mendiants et leurs livres“, 19 – 20 novembre 2010, Turnhout 2014, S.  129 – 157. 108 Düsseldorf, ULB MS D 11, p. 649: Graduale aus dem Dominikanerinnenkloster Paradies bei Soest, 4. V. 14. Jh., Nonne im Fleuronnée zur Sequenz Iubilemus in hac die (AH 54, Nr. 279) zu Ehren Marias. Vgl. Susan Marti, Sisters in the Margins? Scribes and Illuminators in the Scriptorium of Paradies near Soest, in: Jeffrey F. Hamburger (Hg.), Leaves from Paradise. The Cult of John the Evangelist at the Dominican Convent of Paradies bei Soest (Houghton Library Studies 2), Cambridge MA 2008, S. 5 – 54 mit ausführ­licher Beschreibung der einschlägigen Handschriften; die Abb. der genannten Initiale in der Mariensequenz ebd. S. 27 Fig. 1.11. 109 Dortmund, Archiv der Propsteikirche, B 6 (Graduale aus dem Dominikanerkloster Dortmund, um 1360): das Schreiberinnen-­Kolophon, fol. 324v; T-Initiale der Schreiberin Elisabeth von Luenen aus dem Dominikanerinnenkloster Paradies bei Soest mit der Bitte um Gebetsgedenken „Orate Deum pro me“, ebd. fol. 169v. Vgl. dazu Susan Marti, Schwester Elisabeth schreibt für ihre Brüder in Dortmund. Das Graduale für das Dortmunder Dominikanerkloster, in: Thomas Schilp / Barbara Welzel (Hgg.), Die Dortmunder Dominikaner und die Propsteikirche als Erinnerungsort (Dortmunder Mittelalter-­Forschungen 8), Bielefeld 2006, S. 277 – 294.

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Bert Roest hat in einer vergleichenden Untersuchung zu spätmittelalter­lichen Franziskanerinnen- und Klarissenklöstern festgestellt,110 dass sich vor allem diejenigen Äbtissinnen und Nonnen, die aus führenden städtischen und adeligen Familien stammten, gegen die strenge Klausur, gegen die Kontrolle und Supervision der Beichtväter und gegen das Predigtverbot zur Wehr setzten. Caritas Pirckheimer monierte, dass die Franziskanerbrüder ihr nach der Wahl zur Äbtissin des Nürnberger Klarissenklosters verboten, lateinische Briefe zu schreiben. Offenbar betrachteten diese die Latinität als Exklusivrecht männ­ licher Prediger und des Beichtvaters. Unabhängig von der derzeit geführten Debatte, ob es in der Latinität bzw. Volkssprach­lichkeit unter den Frauenklöstern des Reiches ein Nord-­Südgefälle gegeben habe,111 ist offensicht­lich, dass die beiden im norddeutschen Raum

110 Bert Roest, Ignorantia est mater omnium malorum. The Valida­tion of Knowledge and the Office of Preaching in Late Medieval Female Franciscan Communities, in: M ­ athilde van Dijk / Renée Nip (Hgg.), Saints, Scholars and Politicians. Gender as a Tool in Medieval Studies. Festschrift in Honour of Anneke Mulder-­Bakker (Medieval Church Studies 15), Turnhout 2005, S. 65 – 83. 111 Eva Schlotheuber, Klostereintritt und Bildung. Die Lebenswelt der Nonnen im s­ päten Mittelalter. Mit einer Edi­tion des „Konventstagebuchs“ einer Zisterzienserin von Heilig-­Kreuz bei Braunschweig (1484 – 1507) (Spätmittelalter und Reforma­tion, Neue Reihe 24), Tübingen 2004: Edi­tion und Interpreta­tion des Tagebuchs einer anonymen Zisterzienserin aus dem Hl.-Kreuz Kloster Braunschweig (WF , HAB , Cod. 1159 Novi). Schlotheuber vertritt darin die These, dass nicht die Ordenszugehörigkeit, sondern die Kulturgeographie maßgeb­lich für die Sprachkenntnisse gewesen sei. Während sich im Norden die lateinische Sprache über Jahrhunderte hinweg durchzusetzen vermochte, sei der Süden von der Übersetzung in die Volkssprache geprägt. Gabriela Signori, in: Mittellateinisches Jahrbuch 42,1 (2007) S. 174 f., meint hingegen, dass d ­ ieses Bild zu sehr von den prominenten Beispielen wie den reformierten Dominikanerinnen in St. Katharinen in Nürnberg oder Schönensteinbach geprägt sei. Vielmehr sei gerade das von Schlotheuber als Beleg für ausschließ­liche Volkssprach­lichkeit genannte Benediktinerinnenkloster Rolandswerth / Nonnenwerth „ein außergewöhn­licher Herd humanistisch gebildeter und in lateinischer Sprache versierter Klosterfrauen“ (S. 175) gewesen. Dennoch ist das Nord-­Südgefälle nicht nur bei den Dominikanerinnen, sondern auch bei den Zisterzienserinnen zu beobachten, vgl. Arnold Schromm, Die Bibliothek des ehemaligen Zisterzienserinnenklosters Kirchheim am Ries. Buchpflege und geistiges Leben in einem schwäbischen Frauenstift (Studia Augustana 9), Tübingen 1998. Im Norden dagegen hat Schlotheuber die Latinität der Schwestern im Hl.-Kreuz-­Kloster in Braunschweig nachweisen können und Jessica Kreutz die der Zisterzienserinnen von Wöltingerode (Die Buchbestände von Wöltingerode. Ein

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greifenden Reformbewegungen des 15. Jahrhunderts, die sog. Windesheimer und die Bursfelder Reform, dafür sorgten, dass das Bildungsniveau in den Frauenkonventen stieg. Der Reformer Johannes Busch versuchte die Nonnen geradezu mit Hilfe des Lateinlernens zu disziplinieren!112 Die aktuellen Forschungen über niederländische und norddeutsche Klosterbibliotheken zeigen, dass Zisterzienserinnen und Augustinerchorfrauen, Susterfrauen und Beginen nun ihre Florilegien in lateinischer Sprache selbst kompilierten und damit den sog. Rapiarien, einer neuen theolo­gisch-­pastoralen Literaturgattung, zum Aufschwung verhalfen oder sich in der Volkssprache mit eigens zusammengestellten Schwesternbüchern behalfen.113 Auch auf dem männerdominierten Feld der Historiographie mischten die reformierten Nonnen erstmals seit Hrotswiths Zeiten wieder mit.114 Die Chorfrauen von Heiningen (bei Wolfenbüttel) besannen sich auf das Bildungssystem der Sieben Freien Künste und bestickten im Jahr 1516 einen Teppich beträcht­lichen Ausmaßes – er umfasst 4,77 Meter im Quadrat – mit dem Rad der Philosophie und den Allegorien der Künste, im darauffolgenden Jahr einen zweiten vergleichbarer Größe mit den Sibyllen,115 den Allegorien der Weisheit, auf die Zisterzienserinnenkloster im Kontext der spätmittelalter­lichen Reformbewegungen (Wolfenbütteler Mittelalter-­Studien 26), Wiesbaden 2014). Schlotheuber untersucht gerade die umfangreiche spätmittelalter­liche Korrespondenz der Benediktinerinnen von Ebstorf, die ebenfalls von einem hohen Niveau humanistisch geprägter Latinität zeugt. 112 Eva Schlotheuber, Sprachkompetenz und Lateinvermittlung. Die intellektuelle Ausbildung der Nonnen im Spätmittelalter, in: Nathalie Kruppa / Jürgen Wilke (Hgg.), Kloster und Bildung im Mittelalter (Veröffent­lichungen des Max-­Planck-­Instituts für Geschichte 218), Göttingen 2006, S. 61 – 89. 113 Zur lateinischen Tradi­tion vgl. Britta-­Juliane Kruse, Innere Einkehr, äußere Ordnung. Verhaltensregeln für Inklusen aus einem spätmittelalter­lichen Rapiarium, in: Monika Costard u. a. (Hgg.), Mertens lesen. Exemplarische Lektüren für Volker Mertens zum 75. Geb., Göttingen 2012, S. 67 – 88: zu einer Inklusenregel in WF, HAB, Cod. Guelf. 1187 Helmst. aus dem Stift Steterburg. Zur volkssprach­lichen Literatur aus den Schwesternhäusern der Devotio moderna vgl. Anne Bollmann, Lesekult und Leseskepsis in den Frauengemeinschaften der Devotio moderna, in: Gabriela Signori (Hg.), Die lesende Frau (Wolfenbütteler Forschungen 121), Wiesbaden 2009, S. 155 – 176. 114 Vgl. dazu Heike Uffmann, Wie in einem Rosengarten. Monastische Reformen des ­späten Mittelalters in den Vorstellungen von Klosterfrauen (Religion in der Geschichte 14), Bielefeld 2008. 115 Philosophieteppich aus dem Augustinerchorfrauenstift Heiningen bei Wolfenbüttel, 1516: London, Victoria and Albert Museum Inv. Nr. 1876 – 289. Der Sibyllenteppich (Brünn,

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sich bereits Christine de Pizan bezogen hatte. Wenngleich der Heininger Philosophie-­Teppich, in den zugleich die Gründungslegende des Konventes eingestickt ist, auf den ersten Blick dem Kreisdiagramm des „Hortus Deliciarum“ aus dem 12. Jahrhundert sehr ähn­lich zu sein scheint,116 so sind bei genauerer Betrachtung doch erheb­liche Unterschiede und eine originelle, vom Humanismus beeinflusste Deutung durch die gelehrten Frauen in Heiningen zu erkennen, etwa in der Reduk­tion der Sieben-­Zahl der Artes auf fünf und einer abweichenden Zusammensetzung des Corpus der Künste.117 Die Heininger Augustinerchorfrauen hielten sich offenbar nicht an die Vorschrift der Windesheimer Statuten von 1455, wonach die Sanktimonialen − im Gegensatz zu den Brüdern − keine Bücher philosophischen Inhalts verfassen oder abschreiben sollten.118 Man findet in ihrer Bibliothek unter anderem Auszüge aus den „Summulae logicales“ des Petrus Hispanus (um 1205 – 1277), einem Lehrbuch, das an der Universität Köln noch 1522 zum prüfungsrelevanten Stoff gehörte.119

Moravskà galerie, Inv. Nr. 4614) ist weniger gut erhalten. 116 So Falk Eisermann, Die Inschriften auf den Textilien des Augustiner-­Chorfrauenstifts Heiningen (Nachrichten der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Phil.-Hist. Klasse 6), Göttingen 1996. 117 Zur Analyse der Heininger Teppiche vgl. ausführ­lich Mersch (wie Anm. 93), S. 292 – 314. Zu den Varianten der Septem-­artes-­Zyklen vgl. Michael Stolz, Artes-­liberales-­ Zyklen: Forma­tionen des Wissens im Mittelalter, 2 Bde. (Bibliotheca Germanica 47), ­Tübingen 2004. 118 Acta Capituli Windeshemensis, hg. v. Sape van der Woude (Kerkhistorische Studien 6), ’S-Gravenhage 1953, S. 53. 119 Wolfenbüttel, Herzog-­August-­Bibliothek, Cod. Guelf. 1054 Helmst. Der Hinweis auf das Kölner Curriculum bei Mersch (wie Anm. 93), S. 302. Die Bibliothek des H ­ eininger Konvents wird derzeit systematisch von Britta-­Juliane Kruse und Bertram Lesser an der Herzog-­August-­Bibliothek Wolfenbüttel untersucht. Erste Einblicke geben Britta-­ Juliane Kruse / Bertram Lesser, Virtuelle und erhaltene Büchersammlungen aus den Augustiner-­Chorfrauenstiften Steterburg und Heiningen, in: Sabine Graef / Sunje Prühlen / Hans-­Walter Stork (Hgg.), Sammler und Bibliotheken im Wandel der Z ­ eiten (Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie, Sonderband 100). Kongress in Hamburg am 20.–21. Mai 2010, Frankfurt a. M. 2010, S. 97 – 115.

Studentinnen im Mittelalter? 171

4  Fazit Sucht man Frauen an den Universitäten des Mittelalters, so wird man sie als Individuen dort schwer­lich finden. Weib­liche Gestalten existierten an den Universitäten nur als Allegorien der Sieben freien Künste, als Metaphern und Identität stiftende Symbole. Erziehung und Unterricht für Frauen, Gelehrsamkeit von Frauen ereigneten sich außerhalb der universitas scholarium: an den Höfen der Fürsten und Könige, in Stiften und Klöstern und in den Zellen der Klausnerinnen. Dort eigneten sich Frauen die Kenntnisse des Lesens und Schreibens, der latei­nischen Sprache und der Sieben freien Künste an. Die Frauen am Hof wie die in den geist­lichen Institu­tionen suchten die Gelehrsamkeit nicht für die Wissenschaft (scientia), auch nicht um eine scholastische Disputa­tion zu bestehen. Vielmehr diente sie ihnen als Hilfsmittel, um Weisheit (sapientia, sophía), Klugheit (prudentia) und Gotteserkenntnis zu erlangen. Bis in das Hochmittelalter hinein hatten Frauen ungehinderten Zugang zu allen Beständen gelehrten Wissens sowohl am Hof wie in den Klöstern und Stiften. Zu den scholastischen Diskursen der Domschulen, des Predigerordens und der Universitäten hatten die Frauen keinen Zugang. Den in strenger Klausur lebenden geist­lichen Frauen wurde nur noch vorsortiertes Wissen zugäng­lich gemacht, es sei denn, sie verfügten selbst über ausreichende Lateinkenntnisse, um sich theolo­gisches Wissen zusammenzustellen. Die Frauen am Hof verloren ihre Rolle als Beraterin im späten Mittelalter, als ihr Hofstaat von dem des Herrschers getrennt wurde und als an den Universitäten ausgebildete Männer sie als Ratgeber der Fürsten ablösten. An den außeruniversitären humanistischen Diskursen partizipierten Frauen in Europa sehr unterschied­lich. Während sie in den oberitalienischen Stadtrepubliken durch Vermittlung ihrer männ­lichen Verwandten Zutritt zu den humanis­ tischen Zirkeln erhielten, blieben sie im Reich − von wenigen Ausnahmen wie Caritas Pirckheimer, den Nonnen von Heiningen und Nonnenwerth abgesehen − davon ausgeschlossen. Was bleibt als Fazit für das Kölner Universitäts-­Doppel-­Jubiläum aus der Sicht des Frauenstudiums? Mit Blick auf den Generaltitel der Tagung „Zurück in die Zukunft?“ kann ich nur sagen: „Zukunft“ − ja bitte, „zurück“ − nein danke.

Marian Füssel

Studentenkultur in der Frühen Neuzeit. Praktiken – Lebensstile – Konflikte

Die vormoderne Universität bildete einen privilegierten Personenverband, dessen institu­tionelle Verfestigung und Legitima­tion sich wesent­lich einigen Schutzprivilegien ­Kaiser Friedrichs I. aus dem Jahr 1188 verdankt.1 Sie gewährten den Magistern und Scholaren unter anderem die ­gleiche Sondergerichtsbarkeit wie dem Klerus und sicheres Geleit auf dem Weg zum Studienort. Ausgehend von diesen Basisprivilegien entwickelte sich europaweit eine eigene Kultur akademischer Freiheit, die sogenannte libertas scholasti­ ca.2 Als Angehörige jenes von den Privilegien der Universität geschützten Personenverbandes entwickelten sich die Studenten in der vormodernen Gesellschaft zu einer distinkten sozia­len Forma­tion mit bestimmten recht­ lichen Privilegien, einem eigenem Lebensstil und spezifischen Handlungsmustern.3 Die Teilhabe an dieser privilegierten Lebenswelt war jedoch auf die Dauer des Studiums bzw. präziser der Immatrikula­tion beschränkt. Man kann daher von einer „Standeskultur auf Zeit“ sprechen.4 Ausgehend von der Idee

1 Winfried Stelzer, Zum Scholarenprivileg Friedrich Barbarossas (Authentica Habita), in: Deutsches Archiv für die Erforschung des Mittelalters 34 (1978), S. 123 – 165. 2 Laetitia Boehm, Libertas Scholastica und Negotium Scholare. Entstehung und Sozia­lprestige des akademischen Standes im Mittelalter, in: Dies., Geschichtsdenken, Bildungsgeschichte, Wissenschaftsorganisa­tion. Ausgewählte Aufsätze von Laetitia Boehm anläss­lich ihres 65. Geburtstages, hrsg. von Gert Melville / Rainer A. Müller / Winfried Müller, Berlin 1996, S. 607 – 646; Pearl Kibre, Scholarly Privileges in the Middle Ages. The Rights, Privileges, and Immunities of Scholars and Universities at Bologna, Padua, Paris and Oxford, London 1961. 3 Eine neuere Gesamtdarstellung existiert bislang nicht, als Überblick vgl. Rainer A. ­Müller, Studentenkultur und akademischer Alltag, in: Walter Rüegg (Hg.), Geschichte der Universität in Europa, Bd. 2: Von der Reforma­tion bis zur Franzö­sischen Revolu­ tion (1500 – 1800), München 1996, S. 263 – 286. Zum „Lebensstil“ als Forschungsheuristik vgl. Martin Dinges: „Historische Anthropologie“ und „Gesellschaftsgeschichte“: Mit dem Lebensstilkonzept zu einer „Alltagskulturgeschichte“ der Frühen Neuzeit?, in: Zeitschrift für Historische Forschung 24 (1997), S. 179 – 214. 4 Vgl. Marian Füssel, Devianz als Norm? Studentische Gewalt und akademische Freiheit in Köln im 17. und 18. Jahrhundert, in: Westfä­lische Forschungen 54 (2004), S. 145 – 166.

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akademischer Freiheit ist die besondere ständische Qualität der vormodernen Studentenkultur im Spannungsfeld korporativer Autonomie, städtischer Lebenswelt und männ­licher Jugendkultur zu verorten. „Studentenkultur“ wird im Sinne eines Verständnisses von ‚Kultur als Praxis‘ als die Gesamtheit der Bedeutungen begriffen, die sich in den historischen Praktiken der Studenten als sozia­ler Gruppe konstituierte: Reisen und den Studienort Wechseln, Lesen, Schreiben und Hören, sich Verbrüdern und Schlagen, Protestieren und Demonstrieren, Konsumieren und Verschulden, Initiieren und Graduieren, Erinnern und Vergessen.5 Ein so verstandener praxeolo­gischer Zugang beschränkt sich damit nicht auf die in der tradi­tionellen Studentenhistoriographie dominanten devianten Praktiken, sondern umfasst alltäg­liches ebenso wie außeralltäg­liches, konformes ebenso wie nonkonformes Verhalten.6 Der Student tritt uns so nicht als ein überhistorisch-­abstrakter Idealtypus entgegen, sondern als eine histo­rischem Wandel unterliegende „partizipative Identität“, eine Identität, die sich wesent­ lich aus der Teilhabe an einer sozia­len Gruppe speist.7 Studentenkultur ist so verstanden kein abstraktes und genau zu konturierendes System, sondern allein in actu präsent und zu untersuchen. Daher werden im Folgenden Fragen nach

5 Karl H. Hörning / Julia Reuter (Hg.), Doing Culture. Neue Posi­tionen zum Verhältnis von Kultur und sozia­ler Praxis, Bielefeld 2004; Andreas Reckwitz, Grundelemente einer ­Theorie sozia­ler Praktiken, in: Ders., Unscharfe Grenzen. Perspektiven der Kultursozio­ logie, Bielefeld 2008, S. 97 – 130. 6 Zur Einordnung in den universitätsgeschicht­lichen Diskurs vgl. Matthias Asche / ­Stefan Gerber, Neuzeit­liche Universitätsgeschichte in Deutschland – Entwicklungs­ linien und Forschungsfelder, in: Archiv für Kulturgeschichte 90 (2008), S. 159 – 201, hier S. 196 – 197. Zur Tradi­tion der älteren Cultur- und Sittengeschichte vgl. Robert von Mohl, Geschicht­liche Nachweisungen über die ­Sitten und das Betragen der Tübinger Studierenden während des 16ten Jahrhunderts (1840), ND Tübingen 1977; Richard Fick, Auf Deutschlands hohen Schulen. Eine illustrierte kulturgeschicht­liche Darstellung deutschen Hochschul- und Studentenwesens, Berlin 1900, S. 44 – 59; Wilhelm Bruchmüller, Das deutsche Studententum von seinen Anfängen bis zur Gegenwart, Leipzig, Berlin 1922; Max Bauer, Sittengeschichte des deutschen Studententums, Dresden 1926; ­Friedrich Schulze / Paul Ssymank, Das deutsche Studententum von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart, 4. völlig neu bearb. Aufl., München 1932; Arnold Brügmann, Zucht und Leben der deutschen Studenten 1648 – 1848 (Veröffent­lichungen des Instituts für Deutsche Studentengeschichte Würzburg 1), Berlin 1941. 7 Alois Hahn, Partizipative Identitäten, in: Ders., Konstruk­tionen des Selbst, der Welt und der Geschichte. Aufsätze zur Kultursoziologie, Frankfurt a. M. 2000, S. 13 – 79.

Studentenkultur in der Frühen Neuzeit 175

Abb. 1: Szenen des studentischen Lebens, um 1610 im Stammbuch des Christoph Agricola aus Amberg (BSB München), aus: Stadt Ingolstadt u. a. (Hg.), Ingolstadt – vom Werden einer Stadt. Geschichten & Gesichter, Ingolstadt 2000, S. 90.

Kontinuität und Wandel akademischer Vergesellschaftung im Rahmen einer Perspektive langer Dauer anhand von ausgewählten Schlüsselpraktiken studentischen Lebens diskutiert.8

8 Weite Teile der bisherigen deutschsprachigen Forschung können erschlossen werden durch Wilhelm Erman / Ewald Horn, Bibliographie der deutschen Universitäten, Leipzig, Berlin 1904, Bd. 1, S. 579 – 647; Edwin Stark, Bibliographie zur Universitätsgeschichte. Verzeichnis der im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland 1945 – 1971 veröffent­lichten Literatur (Freiburger Beiträge zur Wissenschafts- und Universitätsgeschichte 1), Freiburg 1974, S. 37 – 42; Thomas Pester, Geschichte der Universitäten und Hochschulen im deutschsprachigen Raum von den Anfängen bis 1945. Auswahlbibliographie der Literatur der Jahre 1945 – 1986, Jena 1990, S. 199 – 241; Matthias Stickler, Neuerscheinungen zur Studentengeschichte seit 1994. Ein Forschungsbericht über ein bisweilen unterschätztes Arbeitsfeld der Universitätsgeschichte, in: Jahrbuch für Universitätsgeschichte 4 (2001), S. 262 – 270.

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Mit dem Jahrhundert der Reforma­tion brach im Alten Reich die alte mittel­ alter­liche Ordnung des studentischen Zusammenlebens langsam auf und es kam zu einer zunehmenden Konfessionalisierung der obrigkeit­lichen Disziplinierungsbemühungen.9 An den katho­lischen, häufig vom Jesuitenorden geprägten Hochschulen herrschte ein relativ strenges Regiment, und die Studenten standen auch weiterhin zu großen Teilen in Bursen und Seminaren unter Beobachtung.10 In den protestantischen Universitätsstädten des Reiches entwickelte sich hingegen ein im Wortsinne freizügigeres Leben, da dort die Studenten meist privat bei Bürgern oder Professoren untergebracht waren. Ein Prozess, der jenseits seiner konfessionellen Prägung strukturell auch als Beharrung oder Auflösung der Magisterfamilie, verstanden als „Lehr- und Subsistenzgemeinschaft ­zwischen Lehrenden und Lernenden“, beschrieben werden kann.11 Die konfessionelle Differenz innerhalb der deutschen Universitätslandschaft bedeutete allerdings nicht, dass es in den katho­lischen Universitätsstädten nicht zu Formen studentischer Devianz in Form von Zweikämpfen, übermäßigem Alkoholkonsum, Kleiderluxus, nächt­licher Ruhestörung oder Verstößen gegen die Sexualmoral kam – gerade die alte Universität Köln ist dafür ein gutes Beispiel.12 9 Zur Kölner Situa­tion im Vergleich zu einer fürstbischöf­lichen Universität vgl. Hans-­ Wolfgang Bergerhausen, Zwei Universitäten im konfessionellen Zeitalter im Vergleich – Würzburg und Köln, in: Peter Herde / Anton Schindling (Hg.), Universität Würzburg und Wissenschaft in der Frühen Neuzeit, Würzburg 1998, S. 75 – 94. 10 Vgl. als knappen Überblick Otto Krammer, Bildungswesen und Gegenreforma­tion. Die hohen Schulen der Jesuiten im katho­lischen Teil Deutschlands vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, Würzburg 1988, S. 125 – 143; zu den Jesuiten vgl. Karl Hengst, Jesuiten an Universitäten und Jesuitenuniversitäten. Zur Geschichte der Universitäten in der Oberdeutschen und Rheinischen Provinz der Gesellschaft Jesu im Zeitalter der konfessionellen Auseinandersetzung, Paderborn u. a. 1981. 11 Ulrich Rasche, Cornelius relegatus und die Disziplinierung der deutschen Studenten (16. bis frühes 19. Jahrhundert). Zugleich ein Beitrag zur Ikonologie studentischer Memoria, in: Barbara Krug-­Richter / Ruth-­E. Mohrmann (Hg.), Frühneuzeit­liche Universitätskulturen. Kulturhistorische Perspektiven auf die Hochschulen in Europa, Köln, Weimar, Wien 2009, S. 157 – 221, hier S. 157 – 158. Allerdings darf der Gegensatz zum Studentenleben der Bursenzeit nicht übertrieben werden, denn auch hier handelte es sich keineswegs um eine effektiv disziplinierte Lebenswelt, vgl. etwa Klaus-­Bernward Springer, Luther als Student der Artes und studentisches Leben in Erfurt im Spätmittelalter und zu Beginn der Frühen Neuzeit, in: Verein für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt 72 = N. F. 19 (2011), S. 72 – 97. 12 Vgl. Füssel, Devianz (wie Anm. 4); Hermann Keussen, Die alte Universität Köln. Grundzüge ihrer Verfassung und Geschichte, Köln 1934, S. 147 – 176; zwei Mandate gegen

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Zu den entscheidenden Unterschieden gehörten vielmehr das weitgehende Fehlen bestimmter Schlüsselpraktiken studentischer Selbstorganisa­tion – wie der Pennalismus und der Zusammenschluss in Landsmannschaften – sowie vor allem das Ausbleiben einer dem protestantischen Raum vergleichbar dichten medialen Selbstthematisierung akademischer Freiheit.13 Im Folgenden werden zunächst verschiedene studentische Praktiken im Spannungsfeld von Normalität und Überschreitung vorgestellt (1), dann Faktoren der sozia­len Differenzierung und der Gruppenkohäsion innerhalb der Studentenkultur diskutiert (2), um schließ­lich auf einige grundlegende Forschungsthesen zum Wandel des studentischen Lebensstils im 18. Jahrhundert einzugehen (3).

1  Zwischen Studienalltag und Exzess Das frühneuzeit­liche Studentenleben und die Wahl der ‚richtigen‘ Universität stellten die Elternhäuser ebenso wie die künftigen Studenten schon zu Studienbeginn vor eine ganze Reihe praktischer Fragen, zu deren Beantwortung eine eigene Ratgeberliteratur, die sogenannte Hodegetik, zur Verfügung stand. Die Anfänge dieser Gattung liegen mit Texten wie dem Manuale Scholarium bereits im späten Mittelalter, der hodegetische Diskurs gewann jedoch vor allem im 18. Jahrhundert an Umfang und Bedeutung.14 Mit dem Abschied von Zuhause begab sich der werdende Student schon bei geringer räum­licher Entfernung in eine fremde Umwelt, die ihm allerlei Grenzerfahrungen bescherte.15 Bereits studentische Exzesse von 1681 und 1768 finden sich bei Franz Joseph von Bianco, Die alte Universität Köln und die spätern Gelehrten- Schulen dieser Stadt, I. Theil, Köln 1855, Anlagen L und M, S. 392 – 396. 13 Vgl. zur visuellen Selbstthematisierung in Stammbüchern Rasche, Disziplinierung (wie Anm. 11); Marian Füssel, Deviante Vor-­Bilder? Studentische Stammbuchbilder als Repräsenta­tionen standeskultureller Ordnung, in: Anna-­Maria Blank / Vera Isaiasz / Nadine Lehmann (Hg.), Bild – Macht – UnOrdnung. Visuelle Repräsenta­tionen ­zwischen Stabilität und Konflikt (Eigene und fremde Welten 24), Frankfurt a. M. 2011, S. 135 – 163. 14 Vgl. Friedrich Zarncke, Die deutschen Universitäten im Mittelalter, Leipzig 1857, S. 1 – 48 ; Jan H. Olberz, Hodegetik – hallesche Wurzeln einer universitätspädago­gischen Denktradi­tion im Licht der akademischen Freiheit, in: Günter Jerouschek / Armo Sames (Hg.), Aufklärung und Erneuerung. Beiträge zur Geschichte der Universität Halle im ersten Jahrhundert ihres Bestehens (1694 – 1806), Hanau, Halle 1994, S. 234 – 244. 15 Für das späte Mittelalter vgl. Jürgen Miethke, Die Studenten, in: Peter Moraw (Hg.), Unterwegssein im Spätmittelalter (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 1),

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Abb. 2: Deposi­tion, Ingolstadt um 1575, im Stammbuch des Johann Philipp Remboldt aus Augsburg, aus: Stadt Ingolstadt u. a. (Hg.), Ingolstadt – vom Werden einer Stadt. Geschichten & Gesichter, Ingolstadt 2000, S. 81.

die Ankunft am Studienort stellte den künftigen Studenten vor einige harte Proben.16 Denn zur Immatrikula­tion gehörte bis in das frühe 18. Jahrhundert die sogenannte Deposi­tion: ein gewaltsames Initia­tionsritual, in dem den Kandidaten künst­liche Hörner abgeschlagen wurden.17 Neben der depositio cornuum, die dem Ritual auch seinen Namen gab, folgten allerlei andere Neckereien und Erniedrigungen, die sich während des 17. Jahrhunderts in den Praktiken des sogenannten Pennalismus fortsetzten.18 ­Während

Berlin 1985, S. 49 – 70; für das 18. Jahrhundert vgl. Marian Füssel, Grenzen erfahren. Räum­liche Mobilität in Selbstzeugnissen protestantischer Studenten des 18. Jahrhunderts, in: Christian Hesse / Tina Maurer (Hg.), Von Bologna zu ‚Bologna‘. Akademische Mobilität und ihre Grenzen (= Itinera Fasc. 31), Basel 2011, S. 47 – 67. 16 Vgl. Carl Heiler, Der Herborner Student 1584 – 1817, in: Nassauische Annalen 55 (1935), S.  1 – 100, hier S.  14 – 17. 17 Vgl. Marian Füssel, Riten der Gewalt. Zur Geschichte der akademischen Deposi­tion und des Pennalismus in der frühen Neuzeit, in: Zeitschrift für Historische Forschung 32/4 (2005), S. 605 – 648; speziell zu Köln vgl. Füssel, Devianz (wie Anm. 4), S. 148 – 151. 18 Vgl. dazu jetzt die Dokumenta­tion von Matthias Hensel (Hg.), Pennalismus: Ein Phänomen protestantischer Universitäten im 17. Jahrhundert, Leipzig 2014.

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des Pennal-­Jahres war der junge Student fortwährender ökonomischer Ausbeutung und phy­sischer wie psychischer Erniedrigung durch seine älteren Kommilitonen, darunter in erster Linie seiner Landsleute, ausgesetzt.19 Im Gegensatz zum „Brauch“ der Deposi­tion war der „Missbrauch“ des Pennalismus jedoch von der akademischen Obrigkeit nie akzeptiert.20 Nach einer reichsweiten Verbotsbewegung der protestantischen Universitäten am Ende des 17. Jahrhunderts transformierten sich entsprechende Praktiken ab dem 18. Jahrhundert in die sogenannte Fuchsentaufe.21 Die als Füchse bezeichneten Studienanfänger wurden dabei einer längeren Phase der Erniedrigung durch ihre älteren Kommilitonen unterzogen, die meist schon bei der Ankunft der Postkutsche am Hochschulort begann. Der s­ ozia­le Sinn dieser akademischen ‚Riten der Gewalt‘ liegt zum einen in deren finanziellen Profiten für die Institu­ tion oder Gruppe, zum anderen in der Inkorporierung bestimmter Regeln und der symbo­lischen Produk­tion von Zugehörigkeit, sei es im Fall der Deposi­tion zu Burse oder Hochschule oder im Falle von Pennalismus und Fuchsentaufe zur Gruppe der Studenten bzw. Burschen. Doch das Studium bestand zweifellos nicht nur aus den Exzessen, von denen die Akten der akademischen Gerichtsbarkeit so zahlreich berichten und die Universitätsreformer aller Jahrhunderte beständig beklagten.22 Wenn wir

19 Zum Zusammenhang von Pennalismus und Landsmannschaften vgl. etwa Otto H ­ einemann, Studentische Verbindungen in Greifswald bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, in: Baltische Studien N. F. 10 (1906), S. 67 – 117. 20 Vgl. Füssel, Riten (wie Anm. 17), S. 636. 21 Ebd., S.  637 – 640. 22 Zur akademischen Gerichtsbarkeit vgl. in Auswahl Peter Woeste, Akademische Väter als Richter. Zur Geschichte der akademischen Gerichtsbarkeit der Philipps-­Universität unter besonderer Berücksichtigung von Gerichtsverfahren des 18. und 19. Jahrhunderts, Marburg 1987; Stefan Brüdermann, Göttinger Studenten und akademische Gerichtsbarkeit im 18. Jahrhundert, Göttingen 1990; Eckhard Oberdörfer, Bemerkungen zur Geschichte der akademischen Gerichtsbarkeit der Universität Heidelberg, in: Zeitschrift für Geschichte des Oberrheins 145 (1997), S. 474 – 490; Kim Siebenhüner, „Zechen, Zücken, Lärmen“. Studenten vor dem Freiburger Universitätsgericht 1561 – 1577 (Alltag & Provinz 9), Freiburg 1999; Michael Trauth, Eine Begegnung von Wissenschaft und Aufklärung. Die Universität Trier im 18. Jahrhundert, Trier 2000, S. 297 – 310; Klaus Michael Alenfelder, Akademische Gerichtsbarkeit, Baden-­Baden 2002; Bettina Bubach, Richten, Strafen und Vertragen. Rechtspflege der Universität Freiburg im 16. Jahrhundert (Freiburger Rechtsgeschicht­liche Abhandlungen, N. F. 47), Berlin 2005; Susanne Rudolph, Die akademische Gerichtsbarkeit der Universität Leipzig: Strafverfahren des

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etwa studentische Selbstzeugnisse, Reiseberichte oder Verbild­lichungen des Studentenlebens heranziehen, ergeben sich durchaus andere Eindrücke.23 Die meiste Zeit des Studienalltags verbrachten die Studenten in Vorlesungen und Übungen – in Ermangelung von öffent­lichen Hörsälen meist in den Privatwohnungen der Professoren. Dass die Studenten dabei auch unter der Nachlässigkeit ihrer Lehrer litten, machen verschiedene Beschwerden über schlecht oder gar nicht gehaltene Vorlesungen deut­lich.24 In Köln etwa wandten sich Studenten der medizinischen Fakultät 1756 mit einem Beschwerdeschreiben an die Hochschulleitung, in dem sie klagten, „daß sie fast schon zwei Jahre um öffent­liche Vorlesungen vergebens angehalten hätten. Die Professoren schützten bald ­dieses bald jenes Hinderniß vor. Sie verzehrten alle blos ihr Geld und könnten nichts lernen.“25 Aus der Klage ergibt sich die Lehrpraxis gleichsam ex negativo: Der eine Doktor diktiere die ganze Stunde ohne jeg­liche Erklärung und gehe auf keinerlei Fragen ein, ein anderer ist nie zu Hause oder ist angeb­lich verhindert, so dass die Vorlesungen unterblieben. Ein weiterer schließ­lich habe den Studenten bislang den Zugang zum botanischen Garten verweigert und jetzt, da sie dreimal darin gewesen, habe er ihnen keine einzige Pflanze erklärt.26 Ähn­liche Klagen finden sich an nahezu allen deutschen Universitäten, so dass stets auch die Professoren als akademische Lehrer im Visier der Obrigkeiten standen und durch Rechenschaftsberichte oder Visita­ tionen überprüft wurden.

18. Jahrhunderts, in: Detlef Döring (Hg.), Universitätsgeschichte als Landesgeschichte. Die Universität Leipzig in ihren territorialgeschicht­lichen Bezügen (Beiträge zur Leip­ ziger Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte Reihe A Bd. 4), Leipzig 2007, S. 187 – 203; Christin Veltjens, Die akademische Gerichtsbarkeit der Universität Jena. Rechtsinstitu­ tion, Rechtsnorm und Rechtspraxis unter besonderer Berücksichtigung der Visita­tion von 1766/1767, in: Zeitschrift für Thürin­gische Geschichte 64 (2010), S. 181 – 214. 23 Marian Füssel, Selbstzeugnisse, in: Ulrich Rasche (Hg.), Quellen zur frühneuzeit­lichen Universitätsgeschichte. Typen, Bestände, Forschungsperspektiven (Wolfenbütteler Forschungen 128), Wiesbaden 2011, S. 399 – 419; zur Visualisierung der Studentenkultur allg. vgl. Karl Konrad, Bilderkunde des deutschen Studentenwesens. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte des deutschen Studententums, 2. Aufl., Breslau 1931. 24 Vgl. Heiler, Herborner Student (wie Anm. 16), S. 85 – 89; Marian Füssel, Lehre ohne Forschung? Die Praxis des Wissens an der vormodernen Universität, in: Martin ­Kintzinger/ Sita Steckel (Hg.), Akademische Wissenskulturen: Praktiken des Lehrens und Forschens vom Mittelalter bis zur Moderne (VGUW 13), Basel 2015, S. 59 – 87. 25 Bianco, Universität Köln (wie Anm. 12), S. 592. 26 Ebd.

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Um seine Mitschriften zu ordnen oder auch den Stoff in Lehrbüchern, die im 18. Jahrhundert verstärkt publiziert wurden, nachzulesen, verbrachte der Student – nicht anders als heute – auch viel Zeit allein zu Hause.27 Auch gab es schon früh studentische Wohngemeinschaften, in denen aus finanzieller Not viele Studierende auf engem Raum hausten. Die Stube war neben der Straße und der Kneipe auch einer der zentralen Orte studentischer Geselligkeit.28 Hier wurde zusammen gefeiert und zum Teil auch musiziert – in jedem Fall aber massiv getrunken.29 Der ritualisierte Alkoholkonsum spielte sich ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts häufig in Gestalt eines sogenannten Hospitiums ab.30 Das ritualisierte Bruderschaftstrinken bildete einen wichtigen Mechanismus studentischer Vergesellschaftung und endete oft im Erbrechen – zeitgenös­sisch speyen –, einem beliebten Motiv in Stammbuchbildern.31 Das sprichwört­liche ‚unter den Tisch trinken‘ erfüllte dabei Funk­tionen als Sozia­lisa­tionsinstanz ebenso wie als Praktik der Einschreibung in das körper­liche Gedächtnis. Der übermäßige Alkoholkonsum war oftmals auch Teil jener Situa­tionen, bei denen es in der studentischen Anwesenheitsgesellschaft rasch zu Beleidigungen und Ehrverletzungen kommen konnte.32 In der retorsiven Logik des Ehrkonflikts kam es dann häufig zu einer Duellforderung. Das studentische Milieu scheint 27 Als Motiv der studentischen Ikonographie vgl. den „fleissigen“ Studenten in Dendrono-­ Puschners Natür­liche Abschilderung des Academischen Lebens in schönen Figuren ans Licht gestellet. Eingeleitet und beschrieben von Konrad Lengenfelder, Nürnberg 1962, Bild 3; Adam Wolfgang Winterschmidt, Der tugend- und lasterhafte Studente poetisch mora­lisch entworfen. Das Studentenleben in 30. Kupfern vorgestellt, Frankfurt a. M., Leipzig 1764 (ND Würzburg 1979), unpag., Bild 6 oder in Ralf-­Torsten Speler (Hg.), Vivat academia, vivant Professores. Hallesches Studentenleben im 18. Jahrhundert, Halle 2011, S. 77. 28 Vgl. zuletzt als Überblick Kirsten Bernhardt / Barbara Krug-­Richter / Ruth-­E. Mohrmann (Hg.), Gast­lichkeit und Geselligkeit im akademischen Milieu in der Frühen Neuzeit, Münster u. a. 2013. 29 Vgl. etwa Tina Braun / Elke Liermann, Freunde, Feinde, Zechkumpane. Freiburger Studentenkultur in der Frühen Neuzeit, Münster u. a. 2007. 30 [Anonym], Das Hospitium oder Richtiger Beweis aller bey dem Hospitio üb­lichen Rechte und Gewohnheiten, aus den ältesten und besten Schriftstellern erläutert mit Urtheilen und allerhand Anm. ausgez., Frankfurt/Leipzig 1747; Robert Paschke, Der Brauch beim Hospitium des 18. Jahrhunderts – ein Vorläufer des studentischen Kneipkomments, in: Einst und Jetzt 7 (1962), S. 131 – 155. 31 Füssel, Deviante Vor-­Bilder (wie Anm. 13), S. 151 – 153. 32 Vgl. Georg Objartel, Die Kunst des Beleidigens. Materialien und Überlegungen zu einem historischen Interak­tionsmuster, in: Dieter Cherubim u. a. (Hg.), Gespräche ­zwischen

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dabei neben Adel und Militär eines der sozia­len Felder gewesen zu sein, in denen das Duellwesen sich im alten Reich besonders schnell und nachhaltig ausprägte.33 Der Degen gehörte bis in das 18. Jahrhundert zur Standeskleidung des Studenten und viele Universitäten beschäftigten eigene Fechtmeister, hinzu kam die Vorbildfunk­tion von Adels- und Militärkultur, so dass gerade das akademische Milieu zu einer besonderen Intensivierung des Duellwesens beitrug.34 Schon vor den geregelten Duellen hatten die Praktiken des bewaffneten Zweikampfs in der Studentenkultur eine Schlüsselrolle eingenommen.35 Die Übergänge vom spontanen Raufhandel und rencontre zum verabredeten Duell waren dabei fließend. Als imaginierter Vorläufer des Mensurwesens des 19. und 20. Jahrhundert hat die studentische Fechtkultur seit Beginn der Studentenhistoriographie immer besondere Aufmerksamkeit genossen, was jedoch oftmals auf Kosten einer konsequenten Historisierung sowohl der konkreten Praktiken als auch ihrer Frequenz ging. So liegen selbst zu vermeint­lich zeitgenös­sischen Hochburgen der akademischen Duellkultur wie Jena bislang kaum valide Zahlen vor.36 Alltag und Literatur. Beiträge zur germanistischen Gesprächsforschung, Tübingen 1984, S.  94 – 122. 33 Barbara Krug-­Richter, Ein stund ernennen unnd im ein schlacht lieffern. Anmerkungen zum Duell in der studentischen Kultur, in: Ulrike Ludwig / Barbara Krug-­Richter / Gerd Schwerhoff (Hg.), Das Duell. Ehrenkämpfe vom Mittelalter bis zur Moderne, Konstanz 2012, S. 275 – 287; Marian Füssel, Il duello studentesco tra onore e disciplinamento, in: Uwe Israel / Gherardo Ortalli (Hg.), Il duello fra medioevo e età moderna: prospettive storico-­culturali, Rom 2009, S. 99 – 134. 34 Zum Waffentragen Oskar F. Scheuer, Das Waffentragen auf Deutschlands Hohen ­Schulen, in: Wende und Schau. Kösener Jahrbuch 2 (1932), S. 65 – 89. Zum Kontext des frühneuzeit­ lichen Waffenbesitzes vgl. Ann Tlusty, The Martial Ethic in Early Modern Germany. Civic Duty and the Right of Arms, Basingstoke, Hampshire u. a. 2011. 35 Vgl. Barbara Krug-­Richter, Du Bachant, quid est grammatica? Konflikte ­zwischen Studenten und Bürgern in Freiburg/Br. in der Frühen Neuzeit, in: Dies. / Ruth-­E. Mohrmann (Hg.), Praktiken des Konfliktaustrags in der Frühen Neuzeit, Münster 2004, S. 79 – 104; Braun / Liermann, Freiburger Studentenkultur (wie Anm. 29); Sophie Cassagnes-­Brouquet, La violence des étudiants au Moyen Âge, Rennes 2012. 36 Vgl. allerdings die Angaben bei Johann Adolph Leopold Faselius, Neueste Beschreibung der herzog­lich Säch­sischen Residenz- und Universitätsstadt Jena […], Jena 1805, S. 159 – 189. Unter den dort gelisteten 375 z­ wischen 1531 und 1804 in Jena durch „einen widernatür­lichen Tod ums Leben gekommenen“ Personen, finden sich 77 erstochene, erschossene und erschlagene Studenten, davon im 16. Jh. 3, im 17. Jh. 31 und im 18. Jh. 43. Siehe auch, allerdings ohne Angabe der Todesart, Johann Christian Jacob Spangenberg,

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Angesichts einer zwangszölibatären homosozia­len Lebenswelt liegt es nahe, gerade die Studentenkultur aus einer geschlechtergeschicht­lichen Perspektive zu behandeln. Fragt man etwa nach der Bedeutung von Männ­lichkeit, so zeigt sich eine Pluralität von Männ­lichkeitsentwürfen, die sich bis in das späte 18. Jahrhundert noch stärker aus einer Binnendifferenzierung hegemonialer Männ­lichkeiten nach Stand und Lebensalter als aus einer Abgrenzung gegen das weib­liche Geschlecht speisen.37 Diese gewinnt erst mit dem bürger­ lichen Zweigeschlechtermodell und dann mit der Zulassung von Frauen an der Universität an Bedeutung.38 Dennoch fühlten sich die Studenten durch den Ausschluss vom bürger­lichen Eheleben offenbar immer wieder provoziert, wie u. a. besonders in Universitätsstädten anzutreffende Störungen von Hochzeiten belegen.39 Sexualität war in der studentischen Kultur immer mit der Überschreitung geltender Normen verknüpft.40 Sei es der Besuch von Pros­ tituierten oder Beziehungen zu Dienstmägden und Bürgerstöchtern, der Student

Handbuch der in Jena seit beinahe 500 Jahren dahingeschiedenen Gelehrten, Künstler, Studenten und anderen bemerkenswerthen Personen, Jena 1819. 37 Marian Füssel, Studentenkultur als Ort hegemonialer Männ­lichkeit? Überlegungen zum Wandel akademischer Habitusformen vom Ancien Régime zur Moderne, in: Martin Dinges (Hg.), Männer – Macht – Körper. Hegemoniale Männ­lichkeiten vom Mittelalter bis heute (Geschichte und Geschlechter 49), Frankfurt a. M. 2005, S. 85 – 100. 38 Beatrix Niemeyer, Ausschluß oder Ausgrenzung? Frauen im Umkreis der ­Universitäten im 18. Jahrhundert, in: Elka Kleinau / Claudia Opitz (Hg.), Geschichte der Mädchenund Frauenbildung, Bd. 1: Vom Mittelalter bis zur Aufklärung. Frankfurt a. M., New York 1996, S. 275 – 294; Trude Maurer (Hg.), Der Weg an die Universität. Höhere Frauen­ studien vom Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert, Göttingen 2010. 39 Ernst Schubert, Studium und Studenten an der Alma Julia im 17. und 18. Jahrhundert, in: Rolf-­Joachim Baum (Hg.), Studentenschaft und Korpora­tionswesen an der Universität Würzburg (1582 – 1982), Würzburg 1982, S. 11 – 47, hier S. 22; Stefan Brüdermann, Streitlustige Einwohner – Studenten in der Universitätsstadt des 18. Jahrhunderts, in: Ulrich Knefelkamp (Hg.), Universität und Stadt. Ringvorlesung zum 500. Jubiläum der Europa Universität Viadrina Frankfurt/Oder, Schöneiche bei Berlin 2007, S. 39 – 79, hier S. 57 – 58; ders., Studenten als Einwohner in der Universitätsstadt Helmstedt, in: Braunschwei­gisches Jahrbuch für Landesgeschichte 81 (2000), S. 9 – 27, hier S. 24 – 25; Holger Zaunstöck, Die Brautnacht, oder die Fensterkanonade. Der permanente Konflikt ­zwischen Stadtbürgern und Studenten im 18. Jahrhundert, in: Jahrbuch für hal­lische Stadtgeschichte 4 (2006), S. 61 – 76; Heiler, Herborner Student (wie Anm. 16), S. 73 – 75. 40 Vgl. aus der älteren sittengeschicht­lichen Literatur Oskar F. Scheuer, Das Liebesleben des deutschen Studenten im Wandel der Zeiten (Abhandlungen aus der Sexualforschung 3,1), Bonn 1920; Heiler, Herborner Student (wie Anm. 16), S. 91 – 92.

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machte sich stets strafbar, allerdings stets in weit geringerem Maße als die betroffenen Frauen. Immer wieder kam es zu Fällen sexueller Nötigung oder vorehe­licher Schwangerschaften, die im vormodernen Ehr- und Rechtssystem immer zu Lasten der betroffenen Frauen gingen.41 Sexuelle Übergriffe wurden in Studentenliedern und Stammbuchbildern zu Kavaliersdelikten verharmlost.42 Beliebte Motive waren gehörnte Ehemänner, Kupplerszenen und Frauen, die die Studenten mit ihrem Nachwuchs konfrontierten. Eine eigenwillige Form der geschlecht­lichen Provoka­tion suchten offenbar Kölner Studenten im frühen 18. Jahrhundert mit einer Mischung aus Stern­ singen und Exhibi­tionismus. So verbietet ein Mandat des Rates von 1736, daß sowohl einige Studenten als auch andere mit Mäntelen und sonsten mit Gewehr versehene Vagabunden in späther Abents-­Zeit über die Gassen und langs die H ­ äuser gleichsamb mit singen, Stern -tragen und dergleichen ein Almoß suchen, hin und wider durch hiesige Stadt herumb wandelen, andere auch gantz nackend under einem Mantel herumbgehen, und die ihnen begegnende Weibs-­Personen fast ärger­lich ergreiffen, in der That aber unter solchem Schein-­Bettelen allerhand Aergernussen und Diebe43 reyen verüben.

Maskerade, Vermummung und der Schutz der Dunkelheit stellten in der studentischen Kultur zentrale Schutzmaßnahmen im Rahmen des devianten Treibens dar. Immer wieder berichten die Quellen von „verbotenem Masquiren“, von maskierten Schlittenfahrten oder vom Ruf „Licht aus!“, auf dessen Nichtbefolgung das Einwerfen beleuchteter Fenster erfolgte.44 Ziel entsprechender 41 Woeste, Akademische Väter (wie Anm. 22), S. 114 – 128; Brüdermann, Göttinger Studenten (wie Anm. 16), S. 399 – 420; Silke Wagener, Pedelle, Mägde und Lakaien. Das Dienstpersonal an der Georg-­August-­Universität Göttingen 1737 – 1866, Göttingen 1996, S.  203 – 224. 42 Füssel, Deviante Vor-­Bilder (wie Anm. 13), S. 155 – 157. 43 Verordnung des Kölner Rathes gegen das ärger­liche Betragen und Vagiren der Studenten [vom 31. Dezember 1736], in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 28/29 (1876), S. 299. 44 Brüdermann, Streitlustige Einwohner (wie Anm. 39), S. 39; Oberdörfer, Bemerkungen (wie Anm. 22), S. 479; Dietz-­Rüdiger Moser, Maskeraden auf Schlitten. Studentische Faschings-­Schlittenfahrten im Zeitalter der Aufklärung, München 1988. Vgl. auch die mehrfach aufgelegte und erweiterte Disserta­tion von Johann Philipp Treiber [Praes.] u. a., Dissertatio Jvridica De Excvssione Fenestrarvm Von Fenster-­Einschmeissen, Jena 1706; ders., Commentatio Iuridica De Excussione Fenestrarum. Von Fenster-­Einschmeissen.

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Abb. 3: Wetzen in Altdorf, um 1730, Gouache auf Pgt. aus dem Stammbuch des David Franz Hezel (1709 – 1781), 1730, 9,6 × 16 cm, Nürnberg, GNM: Hs. 181.990, fol. 79r; aus: Werner Wilhelm Schnabel (Hg.): Athena Norica. Bilder und Daten zur Geschichte der Universität Altdorf, Nürnberg 2012 [CD-ROM] (gff digital, Reihe A: Digitalisierte Quellen, Bd. 3).

Praktiken, die meist als „lärmen und vagiren“ in den Quellen firmieren, war eine symbo­lische Aneignung des städtischen Raumes.45 Hierzu zählte beispielsweise das sogenannte „wetzen“ (wezzen), das Einschlagen mit dem Degen auf das Straßenpflaster, bis die Funken flogen 46 – eine weit verbreitete Praktik, um optisch wie akustisch die eigene Wehrhaftigkeit zu kommunizieren. Gerade angesichts der schützenden Dunkelheit zählten viele studentische Praktiken der Aufmerksamkeitserzeugung auf eine akustische Durchdringung

Adiectum est opusculum [August Rudolph Jesaias Bünemann] De Studiosis Baccantibus Tumultuantibusque. Von Schwermenden und tumltuirenden Studenten. Item von der Purschen-­Freyheit, Wetzen, Lichtweg, VIVAT- und PEREAT-Ruffen, Halle 1737. 45 Zur symbo­lischen Markierung räum­licher Präsenz innerhalb der frühneuzeit­lichen Jugendkultur vgl. allg. Norbert Schindler, Die Hüter der Unordnung. Rituale der Jugendkultur in der frühen Neuzeit, in: Giovanni Levi / Jean-­Claude Schmitt (Hg.), Geschichte der Jugend, Bd. 1, Frankfurt a. M. 1996, S. 319 – 382, hier S. 360. 46 Vgl. Art. „Wezzen“, in: Robert Salmasius, Kompendiöses[s] Handlexikon der unter den Herren Purschen auf Universitäten gebräuch­lichsten Kunstwörter [1749], abgedruckt in: Helmut Henne & Georg Objartel (Hg.), Bibliothek zur historischen deutschen Studentensprache, 6 Bde., Berlin, New York 1984, Bd. 2, S. 1 – 25, hier S. 15.

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des urbanen Raumes, sei es durch Musizieren, Schreien oder das beliebte pereat-­ Rufen bei unliebsamen Rektoren, Professoren oder Kommilitonen. ‚Mantel und Degen‘ wurden damit nicht nur zu wichtigen Teilen studen­tischer Kleidung, sondern waren integraler Bestandteil ihrer identitätsstiftenden Praktiken, so gewährte etwa der umgeschlagene Mantel auch Schutz vor Erkennung.47 Teil des provokativen Männ­lichkeitskonzeptes war ferner auch der studentische Hundebesitz, der in vielen Universitätsstädten zum alltagsprägenden Faktor wurde.48 Angesichts eines Verbots von Erwerbstätigkeit, zum Teil weiter Entfernung von Eltern und Verwandten und nicht zuletzt besonderer Anforderungen eines standesgemäßen Lebensstils stellte eines der zentralen Probleme des Studentenlebens die Verschuldung dar.49 Ein besonders aufsehenerregender Fall ereignete sich um 1790 in Göttingen und fand sogar rasch Eingang in zeitgenös­sische Studienführer: „Auf einer unsrer bekanntesten Universitäten hatte durch die schreyendste Gewissenlosigkeit eines solchen verworfenen Juden ein junger Edelmann 19.000 Rthlr. sage neunzehn tausend Thaler Schulden gemacht.“50 Der Prozess um den damit angesprochenen Freiherrn von Grote ging 1790/91 sogar bis vor das Reichskammergericht.51 Das war gewiss ein Ausnahmefall und noch dazu der eines Adeligen, doch er zeigt, wie weit das Schuldenmachen in der studentischen Kultur gehen konnte. Ihre idealtypische Verkörperung fanden die vorgestellten Praktiken der studentischen Devianz in der Figur des Cornelius Relegatus: Ein Student sitzt von einem Zweikampf verwundet in seiner mit Trink-, Spiel- und Musiziergerät und zertrümmertem Mobiliar gepflasterten Studentenbude, als er Besuch von 47 Barbara Krug-­Richter, Von Messern, Mänteln und Männ­lichkeit. Aspekte studentischer Konfliktkultur im frühneuzeit­lichen Freiburg im Breisgau, in: Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit 4 (2004), S. 26 – 52. Zur studentischen Kleidung vgl. Hermann Mitgau, Die Studententrachten, in: Das akademische Deutschland, Bd. 2: Die deutschen Hochschulen und ihre akademischen Bürger, Berlin 1931, S. 135 – 154. 48 Barbara Krug-­Richter, Hund und Student. Eine akademische Mentalitätsgeschichte (18.–20. Jh.), in: Jahrbuch für Universitätsgeschichte 10 (2007), S. 77 – 104. 49 Brüdermann, Göttinger Studenten (wie Anm. 22), S. 298 – 379; zu den Lebenshaltungskosten auch Heinrich Bosse, Studien- und Lebenshaltungskosten Hal­lischer Studenten, in: Notker Hammerstein (Hg.), Universitäten und Aufklärung (Das 18. Jahrhundert: Supplementa 3), Göttingen 1995, S. 137 – 158. 50 Carl Heun, Vertraute Briefe an alle edelgesinnte Jünglinge die auf Universitäten gehen wollen, 2 Bde., Leipzig 1792, Bd. 1, S. 92. 51 Brüdermann, Göttinger Studenten (wie Anm. 22), S. 370 mit Anm. 471.

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Abb. 4: Cornelius Relegatus, „Cornelius bin ich genant, allen Studenten wolbekant“, Kupferstich aus dem Pugillus Facetiarum Iconographicarum in Studiosorum potißimum gratiam ex proprijs eorundem Albis desumptarum et iam primum hac forma editarum, S. l., 1637, Niedersäch­sische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen.

einer jungen Frau mit einem neugeborenen Kind im Arm bekommt, die ihre Alimente fordert. Die Wand schmückt ein sogenanntes Pumpregister, auf dem in Kreide alle ausstehenden Schulden aufgelistet sind, während an der Zimmertür bereits der Pedell die Vorladung zum Rektor anschreibt.52 Der Rostocker Magister Albert Wichgrev hatte im Jahr 1600 eine gleichnamige Komödie geschrieben, die zur Abschreckung von den Lastern des Studentenlebens dienen sollte, damit junge Männer „nicht von der Cornelianischen Seuche inficiret und vergifftet werden, sondern Gefäß der Gnade Gottes“ würden, wie es in der Vorrede der deutschen Übersetzung von 1605 heißt.53 Rasch folgten Verbild­lichungen in der Emblematik und in Stichserien zum akade­mischen Leben, so 1608 in Jakob von der Heydens Pugillus facetiarum, das 1618 als zum Speculum

52 Vgl. grundlegend Rasche, Disziplinierung (wie Anm. 11) sowie ders., Cornelius relegatus in Stichen und Stammbuchbildern des frühen 17. Jahrhunderts. Zur Memoria studen­ tischer Standeskultur in deren Forma­tionsphase, in: Einst und Jetzt 53 (2008), S. 15 – 47. 53 Zitiert nach Rasche, Cornelius relegatus (wie Anm. 52), S. 21.

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cornelianum erweitert erschien. Von hier fand das Motiv dann Eingang in einzelne Stammbücher und wurde fortan in der studentischen Kultur jedoch nicht als Mahnung, sondern als Vorbild angeeignet. Der Cornelius wurde damit zum Antihelden des „burschikosen“ studentischen Lebensstils. Überhaupt sollte man die Rolle der Literatur als Multiplikator und Vorbild von Lebensstilentwürfen innerhalb der studentischen Kultur nicht unterschätzen.54 Ein trotz der ungebrochenen Konjunktur von Konfessionalisierungsforschung bislang noch wenig beachteter Teil der studentischen Lebenswelt war ihre religiöse Kultur – die religiös devianten Formen eingeschlossen.55 Im Rahmen der hohen phy­sischen wie symbo­lischen Gewaltbereitschaft großer Teile der Studenten kam es immer wieder zu Übergriffen gegen Andersgläubige, sei es wie an der alten Universität Köln gegen Protestanten oder wie reichsweit an vielen Universitäten gegen Juden.56 Gerade in letzterem Fall bot sich für die chronisch verschuldeten Studenten auch eine Mög­lichkeit, ihre jüdischen Gläubiger loszuwerden.57 Die ersten mit einem Grad abschließenden jüdischen Studenten an deutschen Hochschulen finden sich während des 17. Jahrhunderts und verstärkt dann im 18. Jahrhundert, meist im Bereich der Medizin.58 Ein Grundproblem im Umgang mit studentischen Normverstößen war die mangelnde Sank­tionspraxis. Für die meisten Vergehen wurden Karzerstrafen verhängt, die härteste akademische Sank­tion bestand in der Relega­tion, also dem Universitätsverweis.59 In Köln stellte sich die Situa­tion nicht nur

54 Vgl. Kurt Lange, Der Student in der deutschen Literatur des 18. Jahrhunderts, Diss. Phil. Breslau 1930; Herbert Nimtz, Motive des Studentenlebens in der deutschen Literatur von den Anfängen bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts, Diss. Würzburg 1937. 55 Marian Füssel, Zwischen Beten und Fluchen. Zur Religiosität der Studenten in der ­Frühen Neuzeit, in: Rainer Christoph Schwinges (Hg.), Universität, Religion und K ­ irchen (VGUW 11), Basel 2011, S. 455 – 478. 56 Zu einem offenbar konfessionell motivierten Übergriff auf den preußischen Residenten von Diest im Jahr 1708 vgl. Bianco, Universität Köln (wie Anm. 12), S. 584 – 585. Der Fall ging noch zwölf Jahre s­ päter ein in das Theatrum Europaeum, Th. 18 (1720), S. 102 – 103. 57 Brüdermann, Göttinger Studenten (wie Anm. 22), S. 364 – 372. 58 Monika Richarz, Der Eintritt der Juden in die akademischen Berufe. Jüdische Studenten und Akademiker in Deutschland 1678 – 1848, Tübingen 1974; Manfred K ­ omorowski, Bio-­bibliographisches Verzeichnis jüdischer Doktoren im 17. und 18. Jahrhundert (Biblio­graphien zur deutsch-­jüdischen Geschichte), München u. a. 1991. 59 Für das 16. und 17. Jahrhundert vgl. Andreas Gößner, Disziplinierung an der luthe­ rischen Universität der Frühen Neuzeit, in: Daniela Siebe (Hg.), „Orte der Gelahrtheit“. Personen, Prozesse und Reformen an protestantischen Universitäten des Alten Reiches

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aus konfessioneller Sicht besonders dar, Devianz gab es ja auch an anderen katho­lischen Universitäten, sondern aufgrund ihres Charakters als städtischer Universitätsgründung. Im Reich war dies mit Ausnahmen wie Straßburg oder Altdorf vergleichsweise selten.60 Anders als an landesherr­lichen Gründungen war damit das Verhältnis von Hochschule und Stadt von einer deut­lichen Asymmetrie zugunsten der Stadt geprägt. Im Bereich der Disziplinargerichtsbarkeit führte dies immer wieder zu Frik­tionen, da die Zuständigkeiten umstritten waren und so ein Freiraum entstand, der von den Studenten ausgenutzt wurde. So beanspruchte der Kölner Rat zum großen Unmut der Universitätsleitung immer wieder die Gerichtshoheit und ließ die Studenten in den Rathausturm sperren – ein Vorgehen, das in der Frühen Neuzeit nicht zuletzt deshalb recht alternativlos blieb, da die Universität trotz mehrfacher Aufforderung offenbar nicht in der Lage war, einen funk­tionierenden Karzer zur Verfügung zu stellen.61 Tumulte und Zweikämpfe waren nicht die einzigen Ursachen, aufgrund derer ein Student zu Tode kommen konnte, viele Studenten ertranken in Flüssen und Gewässern, wobei im Einzelnen schwer auszumachen ist, ob es sich um einen Unfall oder Suizid handelte.62 Oder sie fielen Krankheiten zum Opfer. Starb ein Student während des Studiums, erfolgte seine Beisetzung häufig mit besonderen Ehrungen sowohl seitens seiner Kommilitonen als zum Teil auch der Professoren.63

(Contubernium 66), Stuttgart 2008, S. 103 – 118, hier S. 105 – 108; vgl. zu den Strafen auch Woeste, Akademische Väter (wie Anm. 22), S. 50 – 58; Heiler, Herborner Student (wie Anm. 16), S. 79 – 85. 60 Anton Schindling, Straßburg und Altdorf – zwei humanistische H ­ ochschulgründungen von evange­lischen freien Reichsstädten, in: Peter Baumgart / Notker Hammerstein (Hg.), Beiträge zu Problemen deutscher Universitätsgründungen der frühen Neuzeit (Wolfenbüttler Forschungen 4), Nendeln, Liechtenstein 1978, S. 149 – 189. 61 Von Bianco, Universität Köln (wie Anm. 12), S. 580. 62 Faselius, Beschreibung (wie Anm. 36) listet für das frühneuzeit­liche Jena allein 19 Fälle an ertrunkenen Studenten auf; vgl. exemplarisch zu einem Todesopfer eines Zweikampfes Rudolf Kleinert / Erika Kleinert, Alexander Kock († 1584). Die Geschichte eines studentischen Zweikampfes an der Universität Helmstedt (1584). Ein Beitrag zur Wilhelm Raabe Forschung (Die alte Universität), in: Braunschwei­gisches Jahrbuch 62 (1981) S.  53 – 85. 63 Andreas Gößner, Die Studenten an der Universität Wittenberg. Studien zur Kulturgeschichte des studentischen Alltags und zum Stipendienwesen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts (Arbeiten zur K ­ irchen- und Theologiegeschichte 9), Leipzig 2003, S.  196 – 204.

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2  Einheit und Unterscheidung Als ­sozia­le Gruppe wiesen die Studenten einerseits einen hohen internen Differenzierungsgrad auf, andererseits waren sie nach außen durch einen hohen Grad an Gruppensolidarität geprägt. Bereits eine eigene Studentensprache bzw. genauer ein bestimmtes Vokabular unterschied die Studentenkultur von der der „Philister“ ihrer stadtbürger­lichen Umwelt.64 Zu den internen Unterscheidungskriterien zählten vor allem ständische Herkunft und landsmannschaft­liche Zugehörigkeit.65 So entwickelten sich an protestantischen Hochschulen während des 17. Jahrhunderts „Vereinigungen von Studierenden gleicher geographischer Herkunft“, die im Unterschied zu den mittelalter­lichen Na­tiones „keine offiziellen Einrichtungen“ darstellten, mit ihnen jedoch gemeinsam hatten, eine Art Schutz- und Integra­tionsfunk­tion für Studienanfänger zu beanspruchen.66 Über die regionale wie s­ ozia­le Herkunft geben vor allen die Universitätsmatrikeln Auskunft. Ausgehend von der Erforschung der spätmittelalter­lichen 64 Vgl. die ausführ­liche Dokumenta­tion in Henne / Objartel, Bibliothek (wie Anm. 46). 65 Hilde de Ridder-­Symoens, Rich Men, Poor Men. Social Stratifica­tion and Social Representa­tion at the University (13th–16th Centuries), in: Wim Blockmans / Antheun Janse (Hg.), Showing Status: Representa­tion of Social Posi­tions in the Late Middle Ages, Turnhout 1999, S. 159 – 175; Ilse Costas, Die Sozia­lstruktur der Studenten der Göttinger Universität im 18. Jahrhundert, in: Hans-­Georg Herrlitz / Horst Kern (Hg.), Anfänge Göttinger Sozia­lwissenschaft (Göttinger Universitätsschriften A 4), Göttingen 1987, S. 127 – 145; Schubert, Studium (wie Anm. 39), S. 29 – 33; James H. Overfield, Nobles and Paupers at German Universities to 1600, in: Societas 4 (1974), S. 175 – 210. 66 Vgl. Rainer A. Müller, Landsmannschaften und studentische Orden an deutschen Universitäten des 17. und 18. Jahrhunderts, in: Harm-­Hinrich Brandt / Matthias ­Stickler (Hg.), ‚Der Burschen Herr­lichkeit‘ – Geschichte und Gegenwart des studentischen Korpora­tionswesens, Würzburg 1998, S. 13 – 34, hier S. 19 – 26; Wolfgang Hardtwig, Studentenschaft und Aufklärung: Landsmannschaften und Studentenorden in Deutschland im 18. Jahrhundert, in: Etienne François (Hg.), Sociabilité et société bourgeoise en France, en Allemagne et en Suisse : 1750 – 1850/Geselligkeit, Vereinswesen und bürger­ liche Gesellschaft in Frankreich, Deutschland und der Schweiz, 1750 – 1850, Paris 1986, S. 239 – 260. Als heuristischen Zugang zur sozia­lhistorischen Analyse des Besucherprofils einer Hochschule nutzt die Landsmannschaften Matthias Asche, Von der reichen han­sischen Bürgeruniversität zur armen mecklenbur­gischen Landeshochschule. Das regionale und ­sozia­le Besucherprofil der Universitäten Rostock und Bützow in der frühen Neuzeit (1500 – 1800); mit einer kommentierten Bibliographie über neuere Arbeiten zur Rostocker und Bützower Universitätsgeschichte seit dem 575. Gründungsjubiläum im Jahre 1994, 2., durchges. Aufl., Stuttgart 2010, S. 242 – 357.

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Universitätsbesucher durch Rainer Christoph Schwinges hat die quantifizierende Auswertung von Matrikeln dem sozia­lgeschicht­lichen Aufschwung der deutschen Universitätsgeschichte seit den 1980er Jahren wesent­liche Impulse verliehen.67 Obwohl neben der Erforschung des sozia­len Besucherprofils inzwischen fast unzählige regionale Studien des Typs Studenten aus X an der Universität Y existieren, hält sich ausgehend von den im 17. und 18. Jahrhundert zu beobachtenden Territorialisierungstendenzen des absoluten Fürstenstaats hartnäckig die These, die deutschen Universitäten hätten sich im Vergleich zum späten Mittelalter während der Frühen Neuzeit weitgehend provinzialisiert.68 Tatsäch­lich lässt sich angesichts einer, wenn nicht der dichtesten Universitätslandschaften Europas im Reich ein Rückgang der italienische Universitäten besuchenden Studenten beobachten und zahlreiche Reglements verordneten denjenigen Landeskindern, die s­ päter in landesherr­liche Dienste als Pfarrer, Juristen oder Ärzte treten wollten, eine Pflichtstudienzeit an der ‚eigenen‘ Hochschule.69 Doch zu einer völligen territorialen Einkapselung hat dies keineswegs 67 Rainer Christoph Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher im 14. und 15. Jahrhundert. Studien zur Sozia­lgeschichte des Alten Reiches. Stuttgart, 1986; Franz Eulenburg, Die Frequenz der deutschen Universitäten von ihrer Gründung bis zur Gegenwart, Leipzig 1904 (ND Berlin 1994); Willem Frijhoff, Surplus ou déficit? Hypothèses sur le nombre réel des étudiants en Allemagne à l’èpoque moderne (1576 – 1815), in: Francia 7 (1979), S. 173 – 218; Ulrich Rasche, Über die deutschen, insbesondere über die Jenaer Universitätsmatrikeln, in: Genealogie 25 (2000/2001), S. 29 – 46 u. S. 84 – 109; die Auswertungsmög­ lichkeiten der Daten methodisch weiterführend vgl. Uwe Alschner, Universitätsbesuch in Helmstedt 1576 – 1810. Modell einer Matrikelanalyse am Beispiel einer norddeutschen Universität, Braunschweig 1998; Asche, Bürgeruniversität (wie Anm. 66). 68 Vgl. die knappe, aber einflussreiche Darstellung bei Friedrich Paulsen, Geschichte des gelehrten Unterrichts auf den deutschen Schulen und Universitäten vom Ausgang des Mittelalters bis zur Gegenwart: mit besonderer Rücksicht auf den klas­sischen Unterricht, Bd. 1, Leipzig 1919 (ND Berlin 1960), S. 257 – 258. Zu den einzelnen Untersuchungen zu Studenten an auswärtigen Hochschulen vgl. Stark, Bibliographie (wie Anm. 8), S. 42 – 46. 69 Wilhelm Schrader, Geschichte der Friedrichs-­Universität zu Halle, Berlin 1894, 2 Bde., Bd. 1, S. 348; Schubert, Studium (wie Anm. 39), S. 12 u. S. 28; Thomas Ellwein, Die deutsche Universität. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Wiesbaden 1997, S. 76; in euro­ päischer Perspektive vgl. Hilde de Ridder-­Symoens, Bildungslandschaften des Mittelalters und der Frühen Neuzeit im Deutschen Reich und in Europa, in: Dirk Alvermann u. a. (Hg.), Die Universität Greifswald in der Bildungslandschaft des Ostseeraums, Berlin, Münster 2007, S. 13 – 28, hier S. 21 und dies., Mobilität, in: Rüegg, Geschichte, Bd. 2 (wie Anm. 3), S. 335 – 359.

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geführt.70 Neben Studenten aus Skandinavien, Großbritannien, Ungarn bzw. generell Osteuropa an deutschen Hochschulen finden sich beispielsweise ein reger Austausch mit den niederländischen Universitäten ebenso wie eine hohe Mobilität innerhalb des Reiches.71 Auch konfessionelle Grenzen und Differenzen spielten ab dem 18. Jahrhundert eine immer geringere Rolle bei der Wahl des Studienortes. In Wien war beispielsweise klar, wie etwa die vielzitierten Worte Joseph von Sonnenfels belegen, „wer ächte freie Politik hören wolle, müsse nach Göttingen gehen“.72 Ab den 1770er Jahren entwickelten sich alternativ, jedoch zum Teil aus den Landsmannschaften hervorgehend, zum Teil in bewusster Abgrenzung zu ihnen, die studentischen Orden.73 Vorwiegend an den protestantischen Universitäten beheimatet waren sie aber auch einzeln in Mainz, Wien oder Würzburg anzutreffen.74 Zu den wichtigsten überregional verbreiteten Orden zählten die Harmonisten (Jena 1764), die Amicisten

70 Kritisch zu älteren Einschätzungen einer Provinzialisierung etwa am Beispiel Gießens vgl. Stephan Goldschmidt, Johann Konrad Dippel (1673 – 1734). Seine radikalpietistische Theologie und ihre Entstehung, Göttingen 2001, S. 53 – 55. 71 Matthias Asche, „Peregrinatio academica“ in Europa im Konfessionellen Zeitalter. Bestandsaufnahme eines unübersicht­lichen Forschungsfeldes und Versuch einer Interpreta­tion unter migra­tionsgeschicht­lichen Aspekten, in: Jahrbuch für Euro­päische Geschichte 6 (2005), S. 3 – 33; Márta Fata / Gyula Kurucz / Anton Schindling (Hg.), Peregrinatio Hungarica. Studenten aus Ungarn an deutschen und österreichischen Hochschulen vom 16. bis zum 20. Jahrhundert, Stuttgart 2006. 72 Christian von Schlözer (Hg.), August Ludwig von Schlözers öffent­liches und Privat­ leben, Bd. 2, Leipzig 1828, S. 30. 73 Vgl. grundlegend Hardtwig, Studentenschaft (wie Anm. 66); aus der älteren Literatur vgl. Hans-­Joachim Schoeps, Zur Geschichte der studentischen Orden des 18. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte 2 (1949/50), H. 3, S. 264 – 271; Karl Hoede, Zur Frage der Herkunft geheimer studentischer Verbindungen, in: Einst und Jetzt 12 (1967), S. 5 – 42. 74 Georg Heer, Studentenorden an der Universität Marburg seit Mitte des 18. Jahrhunderts, in: Zeitschrift des Vereins für hes­sische Geschichte und Landeskunde 56 (1927), S. 199 – 2 42; Otto Götze, Die Jenaer akademischen Logen und Studentenorden des 18. Jahrhunderts, Jena 1932; Otto Deneke, Göttinger Studentenorden, Göttingen 1938; Georg Schmidgall, Die akademischen Logen und Studentenorden in Tübingen, in: Beiträge zu Tübinger Studentengeschichte 3 (1940), Heft 2, S. 33 – 50; Heft 3, S. 65 – 95; Heft 4, S. 97 – 122; Walter Richter, Akademische Orden in Helmstedt, in: Braunschwei­gisches Jahrbuch 57 (1976), S. 49 – 91; Rolf-­Joachim Baum, Aus der Frühzeit der Würzburger Verbindungen (1770 – 1815), in: Ders., Studentenschaft (wie Anm. 39), S. 48 – 74.

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(Jena 1770), die Unitisten (Halle 1774) und die Constantisten (Halle 1777).75 Die Orden orientierten sich in Brauchtum und Organisa­tion offenbar an den Freimaurerlogen und wurden von den akademischen Obrigkeiten nie akzeptiert.76 Ausnahmen bildeten Organisa­tionen wie der Göttinger ZN-Orden, der von Professor Johann Friedrich Blumenbach (1752 – 1840) geleitet eine „kon­ trollierte“ und daher legitime Variante darstellte.77 Adelige Studierende, die oft von einem Hofmeister begleitet wurden, sich zum Teil in eine eigene Matrikel einschrieben und im Hörsaal eigene bevorrechtigte Plätze einnahmen, unterschieden sich sowohl von ihrem Studienverhalten wie von ihrem Lebensstil markant von ihren ‚bürger­lichen‘ Kommilitonen.78 Der „Universitätsbereiser“ Christoph Friedrich Rinck beobachtete beispielsweise in Göttingen 1784: „In den Collegiis ist ein besonderer Tisch für die Graven, ganz nahe beym Professor, davor zalen sie auch alle Collegia doppelt, ein Prinz zalt 4fach.“79 Auch in den Studienpraktiken wurden die Unterschiede manifest. Adelige strebten keinen Abschluss an, denn sie standen bereits weit über der von den Graduierten reklamierten nobilitas literaria und präferierten eigene Kavaliersfächer wie die Ausbildung in Fechten, Reiten und Tanzen, Fortifika­tionskunde, Reichsgeschichte, Genealogie oder modernen Fremdsprachen wie Eng­lisch, Franzö­sisch oder Italienisch.80 Ihr Studium

75 Ernst Deuerlein, Neues vom Constantisten-­Orden, in: Wende und Schau, Frankfurt a. M. 1932, S. 98 – 193; Andreas Klinger, „Elite der Menschheit?“ Identität und Selbstverständnis im Studentischen Konstantistenorden, in: Gonthier-­Louis Fink / Andreas Klinger (Hg.), Identitäten. Erfahrungen und Fik­tionen um 1800 (Jenaer Beiträge zur Geschichte 6), Frankfurt a. M. 2004, S. 455 – 483; Erich Bauer / F. A. Pietzsch, Zum Göttinger Unitistenorden (1786 – 1799), in: Einst und Jetzt 13 (1968), S. 55 – 67. 76 Vgl. zu den masonischen Tradi­tionen Peter Kaupp, Freimaurerei und Burschenbrauch. Kontinuität von Ordenstradi­tionen im Korpora­tionsstudententum, in: Einst und Jetzt 46 (2001), S. 33 – 68. 77 Walter Richter, Der Esperance- und ZN-Orden, in: Einst und Jetzt 19 (1974), S. 30 – 54. 78 Vgl. Hans-­Otto Keunecke, 250 Jahre Erlanger Studentengeschichte. Sozia­le Bestimmung, politische Haltung und Lebensform im Wandel, in: Henning Kössler (Hg.), 250 Jahre Friedrich-­Alexander-­Universität Erlangen-­Nürnberg. Festschrift, Erlangen 1993 (Erlanger Forschungen. Sonderreihe 4), S. 153 – 203, hier S. 170 – 173; Heiler, Herborner Student (wie Anm. 16), S. 6 – 9. 79 Christoph Friedrich Rinck, Studienreise 1783/84: unternommen im Auftrage des Markgrafen Karl Friedrich von Baden, hrsg. von Moritz Geyer, Altenburg 1897, S. 196. 80 Rainer A. Müller, Universität und Adel. Eine soziostrukturelle Studie zur Geschichte der bayerischen Landesuniversität Ingolstadt 1472 – 1648, Berlin 1974; Christian Wieland,

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z­ eichnete sich dem Anspruch nach durch Ungezwungenheit und Exklusivität aus, während die Stipendiaten umgekehrt einer rigiden Kontrolle durch Geldgeber und Institu­tion ausgesetzt waren und nur durch Studienfleiß sozia­len Aufstieg erreichen konnten.81 Finanziell wohl situierte Studenten blickten auf die Pauperes oder Konviktoristen herab, die in reglementierten Wohneinrichtungen, in Halle etwa in den Francke’schen Stiftungen, untergebracht waren und an Freitischen speisen mussten, während die anderen privat bei Professoren oder Bürgern Kost und Logis nehmen konnten.82 Der jeweilige Tisch bzw. die Speisegemeinschaft bildete daher eine zentrale Vergesellschaftungseinheit für die meisten Studierenden.83 In Köln waren es die unterschied­lichen Gymnasien, w ­ elche für Binnendifferenzierungen innerhalb der Studentenschaft sorgten.84 Im Jahr 1675 eskalierten die Rivalitäten der Gymnasien zu öffent­lichen Straßenschlachten, derer der Rat kaum Herr werden konnte.85

Status und Studium. Breisgauischer Adel und Universität im 16. Jahrhundert, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 148 (2000), S. 97 – 150; Simone Giese, Studenten aus Mitternacht: Bildungsideal und „peregrinatio academica“ des schwedischen Adels im ­­Zeichen von Humanismus und Konfessionalisierung, Stuttgart 2009. 81 Zum 16. Jahrhundert vgl. Gößner, Studenten (wie Anm. 63); Gudrun Emberger, Ain ewig Stipendium. Das Collegium Sanctorum Georgii et Martini – eine Tübinger Studien­ stiftung des 16. Jahrhunderts (Berliner Mittelalter- und Frühneuzeitforschung 16), Göttingen 2013; zum 18. Jahrhundert vgl. Anthony la Vopa, Grace, Talent and Merit. Poor Students, Clerical Careers and Professional Ideology in Eighteenth-­century Germany, Cambridge 1988 sowie zuletzt der Überblick bei Matthias Asche / Stefan Gerber (Hg.), Studienförderung und Stipendienwesen an deutschen Universitäten von den Anfängen bis zur Gegenwart, Stuttgart 2013 (= Jahrbuch für Universitätsgeschichte 15 [2012]). 82 Marta Asche, Das Konvikt an der Universität Helmstedt, in: Braunschwei­gisches Jahrbuch 47 (1966), S. 52 – 124; Alrun Tauché, Das Konvikt an der Universität Leipzig im 18. Jahrhundert – Profil, ­sozia­le und wirtschaft­liche Bedeutung, in: Döring, Universitätsgeschichte (wie Anm. 22), S. 239 – 259. 83 Vgl. Marian Füssel, Der ma­gische Tisch. Sozia­le Raumbezüge studentischen Lebens der Barockzeit im Spiegel einer Scherzdisputa­tion, in: Karin Friedrich (Hg.), Die Erschließung des Raumes. Konstruk­tion, Imagina­tion und Darstellung von Räumen und Grenzen im Barockzeitalter, 2 Bde., Wiesbaden 2014, Bd. 2, S. 489 – 504. 84 Füssel, Devianz (wie Anm. 4), S. 157 – 159. Josef Kuckhoff, Die Geschichte des Gymnasium Tricoronatum, Köln 1931; Dorothea Fellmann, Das Gymnasium Montanum in Köln 1550 – 1798. Zur Geschichte der Artes-­Fakultät der alten Kölner Universität (Studien zur Geschichte der Universität zu Köln 15), Köln 1999. 85 Bianco, Universität Köln (wie Anm. 12), S. 580.

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Parallel zu den manifesten sozia­len Unterschieden, der Zugehörigkeit zu Bursen oder Tischen und der landsmannschaft­lichen Herkunft entwickelten sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts auch Typologien des studentischen Lebensstils.86 So visualisiert eine Medaille von Christian Wermuth aus dem Jahr 1699 drei mitteldeutsche Studententypen mit den begleitenden Versen: „Wer von Leipzig kömmt ohne Weib, von Wittenberg mit gesunden Leib, und von Iehna ohne schlagen, hat von grossem Glück zu sagen.“87 Mit der Gründung der Universität Halle im Jahr 1694 trat mit dem pietistischen „Kopfhänger“ ein vierter Studententyp hinzu. Fortan avancierte die Vierergruppe zu einem der beliebtesten Motive der Stammbuchmalerei. Alle vier hatten einen jeweils leicht modifizierten Wahlspruch, der ihre jeweiligen Schlüsselpraktiken beschrieb. „In Leipzig sucht der Bursch die Mädchen zu betrügen“, „In Halle muckert er u. seuffzet ach! U. weh“, „In Jena will er stets vor blanker Klinge liegen“ und „der Wittenberger bringt ein a bonne Amitie“. Eine andere Variante lautet: „In Leipzig ißt man Tag und Nacht auf Courtoisie u. Staat bedacht“, „In Halle gibt es viele Mucker u. sind darbey Kaldaunen Schlucker“, „In Jena kommt ein Renommist der Galle zeigt u. eißen frißt“ und „In Wittenberg gibt’s naße Brüder Sie lernen speyen und sauffen wieder“. Regionale Stereotype verbinden sich mit den Praktiken der Galanterie (Leipzig), des Zweikampfes (Jena), des übermäßigen Alkoholkonsums (Wittenberg) und des braven Studiums bzw. einer pietis­tischen Frömmigkeit (Halle).88 Die Beliebtheit der Typologie, die auch in anderen regionalen Varianten wie etwa der hes­sischen Universitätslandschaft mit Marburg, Gießen, Herborn, Rinteln existiert, verdankt sich sicher­lich zu weiten Teilen ihren zahlreichen Identifika­tions- und Interpreta­tionsmög­lichkeiten. So können mög­licherweise auch die vier Fakultäten assoziiert werden, wobei Theologie (Hallenser) und Jurisprudenz (Leipzig) recht eindeutig sind, Medizin und Philosophie hingegen weniger.89 Mit dem ­fechtenden Renommisten,

86 Vgl. zum Folgenden bereits Füssel, Deviante Vor-­Bilder (wie Anm. 13), S. 146 – 149; ders., Studentenkultur (wie Anm. 37), S. 88 – 90; ders., Zwischen Beten und Fluchen (wie Anm. 55), S. 456 – 457. 87 Abgebildet bei Gunnar Berg u. a. (Hg.), Emporium. 500 Jahre Universität Halle-­ Wittenberg Landesausstellung Sachsen-­Anhalt 2002, Halle 2002, S. 348. 88 Zur Leipziger Studentenkultur vgl. den Überblick von Detlef Döring, Der Leipziger Student – Galan oder Pauper?, in: Enno Bünz / Manfred Rudersdorf / Detlef Döring, Geschichte der Universität Leipzig 1409 – 2009. Ausgabe in fünf Bänden, Bd. 1, Leipzig 2009, S. 594 – 625; zu Wittenberg vgl. Gößner, Studenten (wie Anm. 55). 89 Asche, Bürgeruniversität (wie Anm. 66), S. 488.

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Abb. 5: Charakteristik der Säch­sischen Studenten, Gouache um 1775, aus: Joachim Bauer u. a. (Hg.), Logen­ brüder, Alchemisten und Studenten. Jena und seine geheimen Gesellschaften im 18. Jahrhundert, Rudolstadt und Jena 2002, S. 160.

dem Trinker, dem galanten Frauenheld und dem braven studierenden Mucker bzw. Kandidaten sind sowohl deviantes wie konformes, adeliges wie ‚bürger­ liches‘ Milieu adressierbar. Dass kulturelle Praktiken immer auch an die Interak­tion mit bestimmten Objekten und materiellen Arrangements gebunden sind, macht ein weiteres beliebtes Motiv der Stammbücher deut­lich, die sogenannten „Studentenmeubel“.90 In diesen Bildern stehen allein die Einrichtungsgegenstände für die jeweiligen Praktiken und greifen dabei die in der Vierertypologie symbolisierte Ordnung als ‚Ordnung der Dinge‘ auf: Als „nütz­liche“ Möbel werden Bücher und Studienutensilien etikettiert, als „gefähr­liche“ – bezeichnenderweise unter Mobiliar verding­licht – eine junge Frau und Spielkarten, als „unentbehr­ liche“ Kleidung, Geld und Dokumente, als „nöthige“ Waffen und als „Grillos curasos vertreibende“ Musikinstrumente. Auch hier dominieren die zum devianten Lebensstil gehörenden Artefakte, doch sind auch die eigent­lichen Studien­gegenstände stets präsent.

90 Vgl. Reckwitz, Praktiken (wie Anm. 5), S. 114 – 115.

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Wurden die Studenten von außen bedroht und in ihrer kollektiven Standesehre verletzt, kam es rasch zu kollektiven Praktiken des Protestes. Anwerbung durch das Militär, ein unliebsamer Rektor oder eine als unverhältnismäßig erachtete Strafe konnten schnell zu einem Tumult führen.91 Schon ein aus heutiger Sicht harmloses Mandat wie das 1726 von der Universität Leipzig erlassene Verbot, sich in Schlafrock, Nachtmütze und Tabakspfeife auf den Gassen aufzuhalten, konnte in der studentischen Ehrkultur zu einem größeren Tumult führen.92 Eine für die zunehmende Trennung der Lebenswelten von Lehrenden und Lernenden seit Beginn der Frühen Neuzeit signifikante Entwicklung lässt sich an der Geschichte akademischer Auszüge ablesen.93 Hatten im Mittelalter noch ganze Universitäten die sie beherbergende Stadt verlassen, so finden sich in der frühen Neuzeit nur noch symbo­lische Auszüge von Studenten. Zu kollektiven studentischen Gewaltak­tionen kam es regelmäßig im Zuge von Rivalitäten mit Handwerkern oder dem ört­lichen Militär.94 Als akade­ mische Bürger waren die Studenten von militärischen Diensten befreit, gerieten jedoch immer wieder ins Visier von Werbern.95 Als beispielsweise der Student Plag aus Hennef 1774 von einem churpfälzischen Werber im ber­gischen Dorf

91 Zu einem frühen Wiener Konflikt, der aus der studentischen Kleidung resultierte, vgl. Thomas Maisel, Der „Lateinische Krieg“. Eine studentische Revolte des frühen 16. Jahrhunderts in Wien, in: Historische Anthropologie 3 (1995), S. 389 – 411. 92 Vgl. Barbara Krug-­Richter, Von Schlafpelzen und akademischer Freiheit. Ein Leipziger ‚Studententumult‘ im frühen 18. Jahrhundert, in: Michaela Fenske (Hg.), Alltag als Politik – Politik im Alltag. Dimensionen des Politischen in Vergangenheit und Gegenwart. Ein Lesebuch für Carola Lipp, Berlin 2010, S. 215 – 228. 93 Vgl. Karsten Bahnson, Akademische Auszüge aus deutschen Universitäts- und Hochschulorten (Diss.), Saarbrücken 1973. 94 Zu Auszügen infolge von Streitigkeiten mit Handwerkern vgl. Stefan Brüdermann, Der Göttinger Studentenauszug 1790. Handwerkerehre und akademische Freiheit (­Lichtenberg–Studien 7), Göttingen 1991; Keunecke, Erlanger Studentengeschichte (wie Anm. 78), S. 159 – 161. 95 Heiler, Herborner Student (wie Anm. 16), S. 55 – 59; Schrader, Halle, Bd. 1 (wie Anm. 69), S. 349. Friedrich II . verfügte 1748, nachdem Schlesien Teil Preußens geworden war, an die Universität Breslau, dass von den „Jesuiter-­Studenten keine weiter zu Kriegsdiensten genommen werden sollen, es wäre dann, daß bei ein odern andern sich keine ­Capacité zum Studiren fände oder selbige von besonderer Größe wären“. Norbert Conrads (Hg.), Quellenbuch zur Geschichte der Universität Breslau 1702 bis 1811, Köln [u. a.] 2003, S. 234.

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Brück geworben worden war, versammelten sich dreihundert bewaffnete Kölner Studenten und stürmten das Haus des Werbe-­Offiziers, plünderten es und entführten einen beurlaubten Soldaten.96 Mit dieser ‚Beute‘ zogen sie über die Deutzer Brücke triumphierend zur Schola Artium. In der Folge kam es zu einem Einsatz von Soldaten, die den Churpfälzer befreien sollten, während dessen ein Student erschossen und mehrere Soldaten verletzt wurden. In der zeitgenös­ sischen Studentensprache als „Schnurren-­Bataillen“ geführte Zusammenstöße mit dem Militär bildeten auch beliebte Motive von Stammbuchbildern, was noch einmal ihren hohen Stellenwert in der studentischen Gruppenkultur unterstreicht.97 Viele Universitätsstädte waren ab dem Zeitalter der stehenden Heere gleichzeitig auch Garnisonsstädte wie u. a. Ingolstadt, Würzburg, Frankfurt/Oder, Halle oder Göttingen. Konflikte mit dem Militär standen daher an der Tagesordnung.98 In Ingolstadt trug die Präsenz des Militärs schließ­lich sogar zur Verlegung der Universität nach Landshut bei.99 Umgekehrt zeigte sich in Städten ohne Militärpräsenz, wie schwer im Falle eines Tumultes die Ordnung wiederherzustellen war. Eine besondere politische Brisanz gewannen die studentischen Protestpraktiken, als sich nach 1789 der Ruf nach akademischer Freiheit in den Ohren der Obrigkeiten untrennbar mit dem Ruf der franzö­sischen Revolu­tionäre nach politischer Freiheit verknüpfte.100 Vor allem für das studentische Ordenswesen führten in den 1790er Jahren strikte Verbote, die aus der Furcht der Obrigkeiten vor einem latenten Jakobinismus resultierten, zu einem raschen Ende. 96 Bianco, Universität Köln (wie Anm. 12), S. 589. 97 Speler, Vivat academia (wie Anm. 27), S. 121. 98 Ute Fahrig, „Er hätte eben nicht über die Soldaten zu klagen, dass sie ihm malefiziret hätten“ – brandenburg-­preußisches Militär in Halle, in: Werner Freitag / Andreas Ranft (Hg.), Geschichte der Stadt Halle, Bd. 1, Halle 2006, S. 430 – 446; Brüdermann, Göttinger Studenten (wie Anm. 22), S. 277 – 297; Schubert, Studium (wie Anm. 39), S. 27 – 28; Brüdermann, Streitlustige Einwohner (wie Anm. 39), S. 59 – 63. 99 Siegfried Hofmann, Unbehagen an Ingolstadt – die Klagen der Universität über die Stadt um die Mitte des 18. Jahrhunderts, in: Sammelblatt des historischen Vereins Ingolstadt 99 (1990), S. 203 – 249, hier S. 206 f., 215, 223, 225, 228 f., 245. 100 Vgl. materialreich, aber die Überblendung beider Freiheitsbegriffe nicht ausreichend differenzierend Axel Kuhn / Jörg Schweigard, Freiheit oder Tod! Die deutsche Studentenbewegung zur Zeit der Franzö­sischen Revolu­tion, Köln, Weimar, Wien 2005; auf Grundlage von Stammbucheintragungen differenzierter urteilend Horst Steinhilber, Von der Tugend zur Freiheit. Studentische Mentalitäten an deutschen Universitäten 1740 – 1800, Hildesheim u. a. 1995.

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3  Disziplinierung – Zivilisierung – akademische Gentrifizierung? Die Studentenhistoriographie ist von Narrativen der Krise und des Wandels geprägt, die sich meist analog zu den allgemeinhistorischen Entwicklungen verhalten. So brachte die Reforma­tion zunächst einen Frequenzeinbruch, der unter anderem aus recht­lichen Unsicherheiten im Graduierungswesen resultierte, sich aber alsbald wieder ausg­lich.101 Das Zeitalter der Konfessionalisierung wird, wie bereits angedeutet, für konfessionell geprägte Sonderwege der Studentenkultur verantwort­lich gemacht. Im Sinne der Konfessionalisierungsforschung zeichnet sich hier jedoch eine Relativierung allzu strikter Gegensätze ab.102 Lange geprägt von den Folgen einer protestantisch-­borus­sischen Forschungstradi­tion des 19. Jahrhunderts existiert bis in die jüngste Zeit vor allem ein Ungleichgewicht in der Erforschung von katho­lischen und protestantischen Studentenkulturen.103 Als besonders zählebige Verzerrung des Bildes frühneuzeit­licher Studenten hat sich die These von der Verwilderung in Folge des Dreißigjährigen Krieges erwiesen, die sich bei näherer Betrachtung trotz aller Gewalteskala­tion des Krieges eher als das Konstrukt einiger protestantischer Theologen erweist denn als valider sozia­lgeschicht­licher Befund.104 In der Forschung besteht ein weitgehender Konsens darüber, dass sich spätestens ab dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts ein signifikanter Wandel innerhalb der Studentenkultur abzeichnete. Das „güldene Alter der Pursche“ wich einer neuen, stärker an den Werten der Aufklärung, des aufstrebenden Bürgertums und der Verwaltungseliten orientierten Kultur.105 Weniger 101 Beat Immenhauser, Universitätsbesuch zur Reforma­tionszeit. Überlegungen zum Rückgang der Immatrikula­tionen nach 1521, in: Jahrbuch für Universitätsgeschichte 6 (2003), S. 69 – 88; Matthias Asche, Frequenzeinbrüche und Reformen: die deutschen Universitäten in den 1520er bis 1560er Jahren z­ wischen Reforma­tion und humanistischem Neu­anfang, in: Walther Ludwig (Hg.), Die Musen im Reforma­tionszeitalter. Akten der Tagung der Stiftung Luthergedenkstätten in der Lutherstadt Wittenberg 14.–16. Oktober 1999, Leipzig 2001, S. 53 – 96. 102 William Clark, Academic Charisma and the Origins of the Research University, Chicago 2006, S.  3 – 30. 103 Vgl. zu den allg. historiographischen Tendenzen Asche / Gerber, Universitätsgeschichte (wie Anm. 6), S. 159 – 201, hier S. 165 – 168. 104 Marian Füssel, Akademischer Sittenverfall? Studentenkultur vor, in und nach der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, in: Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit 15/1 (2011), S.  124 – 146. 105 Rasche, Disziplinierung (wie Anm. 11), S. 202.

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Einigkeit herrscht allerdings darüber, wie dieser Wandel zustande kam und ­welche Faktoren ihn maßgeb­lich bestimmten. Stefan Brüdermann hat in seiner wegweisenden Studie zu den Studenten vor der Göttinger Universitätsgerichtsbarkeit mit dem Modell der Sozia­ldisziplinierung im Anschluss an Gerhard Oestreich und Michel Foucault argumentiert. Wolfgang Hardtwig hatte zuvor bereits in einer Reihe grundlegender Aufsätze die Entwicklung einer eher an Norbert Elias angelehnten Selbstzivilisierung der jugend­lichen Bildungsschicht beschrieben.106 Eine bereits in diesen Arbeiten angelegte Tendenz, näm­lich die Verlagerung von der obrigkeit­lichen top-­down-­Perspektive auf eine auf die Aneignungsformen ‚von unten‘, hat in jüngerer Zeit Holger Zaunstöck mit seiner Analyse der Denunzia­tionspraktiken an den protestantischen Universitäten des 18. Jahrhunderts konsequent weitergeführt.107 Eine wichtige sozia­lgeschicht­liche Hypothese hat zur gleichen Zeit Ulrich Rasche entwickelt, der argumentiert, dass der studentische „Mentalitätswandel“ des 18. Jahrhunderts sich deshalb so „rasch und reibungslos“ einstellen konnte, „weil sich die Studentenschaft nun vornehm­lich aus bürger­lichen Schichten und damit aus der sozia­len Trägerschicht dieser Wandlungsprozesse rekrutierte“,108 ein aus Überfüllung und Teuerung resultierender Prozess, den man neudeutsch auch als ‚akademische Gentrifizierung‘ bezeichnen könnte. Entgegen der Etymologie müsste man allerdings den Adel davon ausnehmen, der zwar für die Teuerungsspirale in Lebensstilfragen verantwort­lich war, aber sich in seiner Studienausrichtung deut­lich vom bürger­lichen Milieu unterschied. Ein in d ­ iesem Zusammenhang bislang eher am Rande behandelter Faktor ist der Wandel studentischer Konsumgewohnheiten. Aufklärung war, wie vor allem zahlreiche britische Forschungen gezeigt haben, ganz wesent­lich auch ein Prozess

106 Wolfgang Hardtwig, Krise der Universität, studentische Reformbewegung (1750 – 1819) und die Sozia­lisa­tion der jugend­lichen deutschen Bildungsschicht. Aufriß eines Forschungsproblems, in: Geschichte und Gesellschaft 11 (1985), S. 155 – 176; ders., Sozia­l­ verhalten und Wertewandel der jugend­lichen Bildungsschicht im Übergang zur bürger­ lichen Gesellschaft, in: VSWG 73 (1986), S. 305 – 335; ders., Die Lebensführungsart der jugend­lichen Bildungsschicht 1750 – 1819, in: Helmut Asmus (Hg.), Studentische Burschenschaften und bürger­liche Umwälzung. Zum 175. Jahrestag des Wartburgfestes, Berlin 1992, S. 36 – 53; Brüdermann, Göttinger Studenten (wie Anm. 22), S. 28. 107 Holger Zaunstöck, Das Milieu des Verdachts. Akademische Freiheit, Politikgestaltung und die Emergenz der Denunzia­tion in Universitätsstädten des 18. Jahrhunderts, Berlin 2010. 108 Rasche, Disziplinierung (wie Anm. 11), S. 209 – 210.

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neuer Praktiken des Konsums.109 Im studentischen Milieu verdrängte nach dem Verbot des Degentragens der Spazierstock den Degen, Mitglieder einer Jenaer Antiduellbewegung wurden nach einem modischen Getränk, bei dessen Genuss man Konflikte fried­lich beilegen sollte, als „Chokoladisten“ verspottet, und viele Universitätsstädte erreichte eine kulturelle Modernisierung durch die Einrichtung von Kaffeehäusern oder Billardspielen.110 Neue Konsumgüter bedeuteten häufig ebenso eine Abgrenzung gegenüber der altständischen Trink- und Geselligkeitskultur wie die Eröffnung neuer sozia­ler Distink­tionspraktiken. Aus den Verordnungen zum Schuldenmachen geht deut­lich hervor, welch zentrale Rolle der Luxuskonsum für den studentischen Lebensstil spielte.111 So verordneten die Universitäten das ganze 18. Jahrhundert über ähn­lich lautende Kreditedikte wie etwa 1774 das Heidelberger Verbot zur Verpfändung für „Sachen die ledig­ lich zur Wollust und Üppigkeit gehören, als Caffee, Thee, Chocolat, gebrannte Wässer, Essen und Trinken auf Speziergängen, Billard, Pferd, Chaisen, Capriolet und Schlitten, Miethgeld und alle Gattungen von Galanterie- Waren“.112 Allerdings musste die Abkehr vom übermäßigen Bierkonsum nicht zwangsläufig einen mora­lischeren Lebenswandel nach sich ziehen. So beklagt Johann Georg Heinzmann in einem Artikel Zur Characteristik der Studenten zu Halle von 1791: Die barbarischen Trink-­Gelage, an w ­ elchen sie sich um Verstand und Gesundheit schwelgten, haben fast gänz­lich aufgehört […]. Doch hat diese Art von Verfeine­ rung auf der andern Seite wiederum schlimme Folgen. Als dem Studenten noch sein

109 Neil McKendrick / John Brewer / John Harold Plumb, The Birth of a Consumer Society. The Commercializa­tion of Eighteenth-­century England, London 1983; zum „Kulturkonsum“ im Alten Reich vgl. Michael North, Genuß und Glück des Lebens. Kulturkonsum im Zeitalter der Aufklärung, Köln 2003. 110 Horst Bernhardi, Weshalb Friedrich der Große den Studenten das Degentragen verbot, in: Einst und Jetzt 2 (1957), S. 71 – 75; zum Spazierstock vgl. Anja Pohl, Studentische Lebensführung im 18. Jahrhundert. Erkenntnisse aus Nachlassakten verstorbener Studenten, in: Döring, Universitätsgeschichte (wie Anm. 22), S. 205 – 237, hier S. 232 – 234; zu den Chocoladisten Herbert Koch, Die „Chocoladisten“ in Jena, in: Altes und Neues aus der Heimat. Beilage zum Jenaer Volksblatt 1934 – 1936, sechste Folge, Jena 1936, S. 99 f.; Peter Albrecht, K ­ affee und Kaffeehäuser in der Universitätsstadt Helmstedt vom Ende des 17. bis zum Anfang des 18. Jahrhunderts, in: Braunschwei­gisches Jahrbuch 72 (1991), S.  95 – 118. 111 Heiler, Herborner Student (wie Anm. 16), S. 89 – 91. 112 Oberdörfer, Bemerkungen (wie Anm. 22), S. 478 – 479; Brüdermann, Göttinger Studenten (wie Anm. 22), S. 301 – 350; ders., Helmstedt (wie Anm. 39), S. 15 – 19.

202 Marian Füssel Bier-­Glas alles in allem war, hörte man wenig von Ausschweifungen der Unkeusch­ heit, aber jetzt […] sind sie weit häufiger, und die Anzahl der lieder­lichen Häuser steigt in dem Grade, als die Sauf-­Gelage und die ausschweifenden Dorf-­Parthien 113 seltner werden.

Auch veränderte Konsumpraktiken scheinen aus Sicht der Sittenwächter demnach keinen Anlass zu Hoffnung auf grundsätz­liche Besserung zu bieten. Die Konzentra­tion auf das aktenkundige Verhalten der Studenten hat in der bisherigen Forschung insgesamt zu einer gewissen Schieflage geführt.114 Vielfach entstand so ein bereits von den zeitgenös­sischen Sittenwächtern, wie im 17. Jahrhundert etwa prominent Johann Matthäus Meyfart (1590 – 1642), vorgezeichnetes Bild einer Kultur der Devianz, innerhalb der das Studium zur Nebensache wurde.115 Bei näherer Sicht auf einzelne Studienbiographien und Lebenswege zeigt sich jedoch zum einen die enorme Bandbreite der studentischen Lebensstile, zum anderen eine Differenz unterschied­licher Studienphasen. So sind der Studien­ anfang und zum Teil auch die ersten Jahre häufig vom Milieu der D ­ evianz geprägt. Selbst mancher Student, der ­später eine erfolgreiche Pfarrerslaufbahn einschlagen sollte, tritt während dieser Zeit als Teilnehmer an mehreren Duellen in Erscheinung. Nach einer Weile kommt es dann aber – nicht zuletzt vielfach durch Druck aus dem Elternhaus – zu einer Umorientierung, die sich beispielsweise auch in der Wahl neuer Mitbewohner ausdrückt, und der Student begibt sich in das Milieu der fleißigen Studierenden, sei es mit dem Ziel eines Abschlusses oder auch nicht.116 Ihr offizielles Ende fand die akademische Gerichtsbarkeit in Deutschland erst nach der Reichseinigung mit dem am 1. Oktober 1879 in Kraft getretenen Gerichtsverfassungsgesetz von 1877, durch das die privilegierten Sondergerichtsbarkeiten abgeschafft

113 [Anonym], Zur Characteristik der Studenten zu Halle, in: Annalen der Teutschen Akademien 1791, 2. St., S. 239 – 246, hier S. 239 f., der Text zuerst in: Johann Georg Heinzmann, Beobachtungen und Anmerkungen auf Reisen durch Deutschland. In Fragmenten und Briefen, Leipzig 1788, S. 364 ff. 114 Ein Faktor, vor dem bereits die ältere Historiographie warnte, etwa bei Wilhelm Martin Becker, Gießener Studententum in der Frühzeit der Universität (1605 – 1624), in: Mitteilungen des Oberhes­sischen Geschichtsvereins N. F. 11 (1902), S. 57 – 84, hier S. 58. 115 Vgl. Füssel, Akademischer Sittenverfall (wie Anm. 104). 116 So etwa im Falle von Johann Christian Müller, Meines Lebens Vorfälle & Neben-­ Umstände. Teil 1: Kindheit und Studienjahre (1720 – 1746). Hg. von Katrin Löffler und Nadine Sobirai, Leipzig 2007, vgl. dazu Füssel, Grenzen erfahren (wie Anm. 15), S. 57 – 58.

Studentenkultur in der Frühen Neuzeit 203

wurden.117 Da den Universitäten jedoch weiterhin die Disziplinargerichtsbarkeit blieb, kam es erst am 1. April 1935 zur endgültigen Abschaffung der Karzerstrafe.118

4  Fazit 1.  Ausgehend von den mittelalter­lichen Ursprüngen der Universität als privilegiertem Personenverband wurde gezeigt, wie im Schutze akademischer Freiheit eine spezifische studentische Standeskultur entstand – eine Kultur, die von einem eigenen Lebensstil bestimmt war und eine bestimmte Quellenüberlieferung hervorgebracht hat, die unser Bild des vormodernen Studentenlebens bis heute maßgeb­lich prägt. Die ständischen Vorrechte schufen Handlungsspielräume, die auf je spezifische Weise von den Studenten angeeignet wurden und dabei zu einer permanenten Überschreitung sowohl der Normen der eigenen Institu­tion als auch der sie umgebenden Stadtgesellschaft führten. So stellt sich die Frage nach der sozia­len Logik einer spezifischen Gruppenkultur, die sich aus verschiedenen anderen Elementen wie der monastischen Kultur, dem städtischen Handwerk und dem Schulwesen zu einer neuen Forma­tion zusammensetzte. 2.  Der recht­lich eröffnete Handlungsspielraum der Studenten formte sich erst in seiner konkreten Nutzung zu jener spezifischen Studentenkultur. Ein praxeolo­gischer Zugang zu den Praktiken des Studentenlebens zeigt, wie erst durch permanente Wiederholung bestimmte kulturelle Muster entstanden, die von Genera­tion zu Genera­tion weitergetragen wurden, sich durch ihre fortwährende Performanz jedoch auch langsam wandeln und veränderten Umweltbedingungen anpassen konnten. Die Rechte und Pflichten auf dem Papier der Statuten und Verordnungen waren zunächst ebenso normative Geltungsbehauptungen wie die Ideale der studentischen Vergesellschaftung. Der fleißige Student der Statuten und die Legitima­tionsrhetorik in den Briefen an das Elternhaus bildeten wie der deviante Cornelius-­Student Rollenerwartungen, die sich jeweils erst im konkreten sozia­len Handeln ausformten. 3.  Ein Blick auf die Praktiken zeigt auch die Vielfalt studentischer Lebensstile auf, die keineswegs durch Geschlecht, Alter oder Stand vollständig determiniert

117 Oberdörfer, Bemerkungen (wie Anm. 22), S. 486. 118 Ebd., S. 490.

204 Marian Füssel

waren, sondern sich erst im Zusammenspiel mit den jeweiligen lokalen Bedingungen und strukturellen Gegebenheiten des Studentenlebens zu spezifischen Praxisforma­tionen ausbildeten. Weit weg von zu Hause, ohne eigene Erwerbsarbeit, jedoch mit hohen Kostenanforderungen konfrontiert und durch eine spezifische korporative Verfassung recht­lich abgesichert, ergaben sich in einer frühneuzeit­lichen Anwesenheitsgesellschaft bestimmte Lebensbedingungen, die Grenzüberschreitungen nicht zwingend erforder­lich machten, aber offenbar besonders nahelegten. Diese latente Devianz konnte dann je nach Studienphase, Freundeskreis bzw. landsmannschaft­licher Bezugsgruppe und ständischem Herkunftsmilieu in unterschied­lichen Graden praktisch vollzogen werden. 4.  Während einzelne Bereiche der historischen Anthropologie vormoderner Studentenkulturen wie Geselligkeit oder Streitkulturen bereits recht gut erforscht sind, klaffen in anderen Feldern noch beträcht­liche Lücken. Will man sich nicht einseitig auf aktenkundiges Verhalten oder die Quantifizierung von Migra­tionsströmen verlegen, sollten künftig beispielsweise stärker die Praktiken des Lehrens und Lernens in den Blick genommen werden. Auf diese Weise würde die Studentengeschichte nicht nur stärker mit der Wissenschaftsgeschichte vernetzt werden, die sich den Studenten wenn überhaupt meist als passiven Konsumenten der Ideen großer Männer widmet, sondern auch auf den Kern dessen zielen, wofür eine Hochschule eingerichtet wird. Die Praktiken der Ausbildung von der Vorlesung bis zur Graduierung verweisen auf die ökonomischen ebenso wie die epistemischen Grundlagen der akademischen Lebenswelt, deren Angehörige eine ganz spezifische Form der ‚Arbeit‘ verrichteten – eine Arbeit, die sich deut­lich von der in Stadt und Land verrichteten körper­lichen Arbeit unterschied und ähn­lich dem Klosterleben einen besonderen recht­lichen wie ökonomischen Freiraum erforder­lich machte. Doch bot sich in einer sich schrittweise säkularisierenden Institu­tion wie der Universität allerdings weitaus mehr Potential zu eigensinnigen Aneignungen. 5.  Eine so verstandene Geschichte der vormodernen Studentenkultur kann dabei weit mehr leisten als eine Form institu­tioneller Selbstbespiegelung, eine Sparte im akademischen Jubiläumsschrifttum zu sein oder die Legitima­tionshistoriographie studentischer Verbindungen zu verlängern. Sie schließt die Universitätsgeschichte an die allgemeine Sozia­l- und Kulturgeschichte der frühneuzeit­lichen Gesellschaft an und kann nicht nur deren leitende Fragestellungen produktiv aufnehmen, sondern selbst einen Beitrag zur interdisziplinären Erschließung einer gerade für die Gesellschaft des alten Reiches enorm einflussreichen Lebenswelt sein.

Wissenschaftsgeschichte Jacques Verger

From the Artes to the Humanities The system of the seven liberal arts (liberales artes) goes back to Antiquity. It appeared in the Hellenic age and was progressively defined in a more and more systematic way up to the theoreticians of the late Roman Empire, like Martianus Capella or Boethius, before passing on to the Middle Ages and beyond. This system has two main characteristics: first, it is a system which brings together, under the auspices of reason, all the recognized, authorized knowledge; it is not a mere list of intellectual disciplines, it is a coherent and structured system based on the distinction of trivium and quadrivium, of the sciences of words and signs on one hand and of the sciences of numbers and things on the other hand. Secondly, it is a teaching curriculum which every scholar should study in its entirety in order to reach the perfect wisdom of philosophy. One must add that the system of the liberal arts had also undoubtedly an elitist note as it was limited to the most honourable knowledge, those which enable the man – and more precisely the male – to enjoy the benefits of his natural freedom (liberal arts) and to behave as a philosopher and a full citizen, as opposed not only to the slave but to any kind of craftsman or manual (mechanical) worker involved in technical practices and material operations.1 This cultural and educational tradition was transmitted, at least in Western Europe, from the Antiquity to the Middle Ages and, through them, up to the present day. In this process, the specific role of the Middle Ages was, first of all, to confront and, as far as possible, to reconcile this ancient and therefore pagan system with the Christian faith and, secondly, to insert it within a precise and original framework, that of the so-called faculty of arts, a designation 1 For a general overview, see: Arts libéraux et philosophie au Moyen Âge. Actes du quatrième congrès international de philosophie médiévale. Université de Montréal, Montréal, Canada, 27 août–2 septembre 1967, Montréal–Paris 1969; David L. Wagner (ed.), The Seven Liberal Arts in the Middle Ages, Bloomington 1986; Artisten und Philosophen. Wissenschafts- und Wirkungsgeschichte einer Fakultät vom 13. bis zum 19. Jahrhundert, hg. v. Rainer C. Schwinges (Veröffentlichungen der GUW Bd. 1), Basel 1999.

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which, at least in Anglo-Saxon countries, has survived till now; elsewhere, it has been replaced by others (faculty of letters, of philosophy, of sciences, etc.), but the historical continuity is nevertheless unquestionable. These are the points which will be considered in the present paper.

1  Preparatory or secular learning ? Preparatory or secular learning? Or, in other words, how did the confrontation between the legagy of ancient Greco-Roman liberal culture and Christian faith turn out ? As a matter of fact, this problem had already been touched in the age of the Church Fathers, in particular by saint Augustine whose De doctrina christiana (396 – 426) remained, I think, for all the Middle Ages, the best statement of this crucial debate.2 The answer of the Augustinian tradition is apparently clear: the Christians should not reject the seven liberal arts, they were useful and even necessary to the complete training of an educated man (and in particular of an educated churchman), because they permitted a good understanding of the Holy Scriptures and therefore of the Christian dogma and also because they were useful for the transmission of the Christian faith through eloquent preaching. But liberal arts should be used carefully, because they included many useless and even dangerous – not to say demoniacal (that is to say, for Augustine, linked to the pagan religion) – elements which should be expurgated (but expurgated by whom? the Christian doctors? the Church authorities? this was not perfectly clear). In other words, the liberal arts should not be an end in themselves, but just a preparatory training for upper studies in the religious sciences – exegesis, theology, preaching. This conception was preserved in medieval Europe for centuries. It was absolutely undisputed in the monastic schools of the Early Middle Ages. It remained the guiding line of Hugh of St-Victor’s Didascalicon (ca. 1130).3 It was still present in the universities and underlay the statutes of the faculties of arts and of theology, as they distinguished very clearly arts and religious training, 2 La doctrine chrétienne. De doctrina christiana (Œuvres de saint Augustin, 11/2), Paris 1997. On saint Augustine and the liberal arts, see Henri-Irénée Marrou, Saint Augustin et la fin de la culture antique, 4e éd ., Paris 1958. 3 Hugonis de Sancto Victore Didascalicon de studio legendi, Charles H. Buttimer ed., Washington 1939.

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the former being of course seen as a mere preparation for the latter on which field they must not encroach.4 From this point of view, every art could be equally useful but practically, from the XIII th century onwards, with the growing insistence of the theolo­ gians on literal exegesis and dogmatic theology, the arts of the trivium prevailed more and more, in particular grammar which was indispensable to understand the Bible and the Fathers, and dialectics, which sustained the demonstrations of speculative theology; conversely, the quadrivium partly lost its exegetical efficiency and was somewhat marginalized in the university curricula, as it became more or less optional.5 This conception of the liberal arts as ancilla theologiæ was clearly the predominant and official one in the medieval universities, especially in those, like Paris and Oxford, recognized as the main centers for theological studies; it was also the case in the Mendicant Orders whose networks of studia logica and studia naturalia were obviously conceived to prepare the friars for upper Biblical or theological studies.6 In many universities, the link between arts and theology remained strong up to the end of the Middle Ages, for example in some German universities like that of Cologne where the bursae system and the debate about the two viae kept alive this straight connection till the XVth century.7 But elsewhere, and in particular in Paris, it was more and more discussed, questioned and even demolished by a growing number of students and masters of arts.

4 This distinction was already clearly mentioned by pope Gregory IX in the famous bull Parens scientiarum (7 April 1231): Magistri vero et scolares theologie in facultate quam profitentur se studeant laudabiliter exercere, nec philosophos se ostentent, sed satagant fieri theodocti, nec loquantur in lingua populi et populi linguam hebream cum Azotica confundentes, sed de illis tantum in scolis questionibus disputent, que per libros theologicos et sanctorum patrum tractatus valeant terminari (Chartularium Universitatis Parisiensis, Heinrich Denifle and Émile Chatelain eds., t. I, Paris 1889, n°79). 5 For Paris, see: Olga Weijers, Le maniement du savoir. Pratiques intellectuelles à l’époque des premières universités (xiiie–xive siècles) (Studia artistarum. Études sur la Faculté des arts dans les Universités médiévales. Subsidia), Turnhout 1996, p. 9 – 22; for Oxford: The History of the University of Oxford, Trevor H. Aston ed., vol. I, The Early Oxford Schools, Jeremy I. Catto ed., Oxford 1984, p. 369 – 469. 6 For the Dominicans, see: M. Michèle Mulchahey, “First the Bow is Bent in Study”. Dominican Education before 1500, Toronto 1998, p. 219 – 277; for the Franciscans, Bert Roest, A History of Franciscan Education (c. 1210 – 1517), Leiden–Boston–Köln 2000, p. 137 – 146. 7 Cf. Götz-Rüdiger Tewes, Die Bursen der Kölner Artisten-Fakultät bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts (Studien zur Geschichte der Universität zu Köln 13), Köln, Weimar, Wien 1993.

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In fact, this tendency towards autonomy was already at work by some XII th century authors like Abelard, Gilbert de la Porrée or Thierry of C ­ hartres, who tried to give, thanks to dialectics, a rational approximation – but not a complete exposure – of the Christian truth, or to interpret secundum physicam the creation of the world as it is related in the Book of Genesis.8 But the real discrepancy between artes and sacra pagina occurred in the XIII th century. At this moment, as we shall see later, the first faculties of arts were firmly established. The problem was not the growing confidence in the hermeneutic power of the artes for a better understanding of the Holy Scriptures and the Christian dogma, a point largely admitted in the Western scholastic tradition and to which the numerous Aristotelian commentaries of Albertus Magnus and Thomas Aquinas bore witness (even if some masters remained more suspicious).9 It was the fact that the artes, as an intellectual discipline, were becoming more and more independent and self-sufficient. This was due to the work of the masters of arts themselves, to the i­ nnumerable lectures, comments, questions, disputations they produced and often published. It was also due to the discovery or rediscovery of many philosophical or scientific authorities through the translations from Greek or Arabic realized in Spain or Italy since the middle of the XII th century and circulated all over Western Europe. It is not necessary to recall here the list of these translations, in particular of Aristotle and his main Arabic commentators, Avicenna and Averroes. But one must realize that it represented a huge amount of forgotten knowledge which was rediscovered and spread all over the arts schools of France and England and raised the intellectual enthusiasm of young scholars.10 This expansion of new knowledge overwhelmed the old system of the seven liberal arts and for many people it was not any more possible to reduce it to a subordinate and preparatory role as regards to the sacred sciences. The very list of the seven liberal arts – even if the terms survived – was often replaced by more sophisticated systems of divisio scientiarum, borrowed from various 8 Cf. Gillian R. Evans, Old Arts and New Theology: the Beginnings of Theology as an Academic Discipline, Oxford 1980. 9 Cf. Gilbert Dahan, L’exégèse chrétienne de la Bible en Occident médiéval, xiie–xive siècle, Paris 1999. 10 The most recent publication on this theme is: Wissen über Grenzen: arabisches Wissen und lateinisches Mittelalter. 34. Kölner Mediävistentagung, 7.–10. September 2004, hg. v. Andreas Speer und Lydia Wegener (Miscellanea mediaevalia 33), Berlin, New York 2006.

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ancient or arabic authors, which were usually based on the distinction of the “three philosophies” – rational, natural and moral philosophy – among which the old liberal arts were reintegrated and completed by new and more precise disciplines, especially in the field of physics and ethics.11 It would be too long to set out here all the new disciplines which came out into the teaching of the faculty of arts, especially in Paris, in the XIII th century; their list corres­ ponded, roughly speaking, to the list of the various philosophical writings of Aristotle. But what we must underline, is that these new ­teachings were more and more autonomous, regardless of their conformity with the C ­ hristian truth, that they had their own rules and principles, the perfect mastery of which could lead the scholar, alongside with the practice of philo­sophical virtues, to a form of terrestrial happiness, owing nothing to the divine grace.12 This did not mean that philosophy had become anti-religious, aiming to oppose its own truth to that of the Gospel; we have better speak of a process of secularization, the masters of arts remained good and faithful Christians, but they considered that philosophy and theology, as intellectual operations, belonged to two distinct fields, were situated at two different levels which should not interfere with each other.13 This claim could naturally launch major intellectual and institutional clashes with the theologians and the Church authorities who had the opposite pretension to keep the “artists“ and philosophers in a subordinate position. Of course, one would have recognized, through this rough description, a reference to the so-called Parisian “averroists“ of the 1270ies and to the famous syllabus of bishop Tempier of March, 7th, 1277.14 It could be said that this was a borderline case, but it is nevertheless significant, since it has been

11 See: James A. Weisheipl, Classification of the Sciences in Mediaeval Thought, in: Mediae­ val Studies, 27 (1965), p. 54 – 90; Gilbert Dahan, Les classifications du savoir aux xiie et xiiie siècles, in: L’enseignement philosophique 40/2 (1990), p. 5 – 27; Weijers, Le maniement du savoir (see n. 5), p. 187 – 198. 12 Cf. Fernand Van Steenberghen, La philosophie au xiiie siècle (Philosophes médiévaux IX), Louvain–Paris 1966. 13 See: François-Xavier Putallaz / Ruedi Imbach, Profession philosophe: Siger de Brabant, Paris 1997. 14 See: Luca Bianchi, Il Vescovo e i filosofi. La condanna parigina del 1277 e l’evoluzione dell’aristotelismo scolastico (Quodlibet. Ricerche e strumenti di filosofia medievale 6), Bergamo 1990; La condamnation parisienne de 1277, Daniel Piché éd. (Sic et Non), Paris 1999.

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shown that in reality this kind of “averroist“ mentality was quite widespread at the faculty of arts of Paris at this moment and that it will re-emerge several times at Paris and Padua in the following centuries 15. It is also possible that the so-called “nominalist“ touch which characterized many philosophical teaching in Paris during the XIV th century had a similar effect.16 And even when it did not result in such crisis, the evolution towards more autonomy and self-sufficiency of the teaching of arts can be observed in many faculties of arts at the end of the Middle Ages. But this affirmation of the independence and identity of the faculty of arts within the general frame of the medieval university was not only an intellectual problem, it was also an institutional one, which we must consider now.

2  Facultas artium, fundamentum et radix aliarum Let’s start from this phrase which can be read in several Paris documents of the XIVth century,17 but whose exact significance is somewhat ambiguous. In the Early Middle Ages and even in the first decades of the XIIth century, liberal arts and sacra pagina were usually taught in the same schools by the same masters. It was yet the case of masters like William of Champeaux at Notre Dame, Abelard in his private school or master Hugh at St-Victor abbey.18 By the middle of the century, at Paris, appeared new schools specialized in arts or even in one or another particular art (grammar, dialectics, quadrivium) according to the testimony of John of Salisbury in a well-known chapter of the Metalogicon, while sacra pagina remained mainly taught in the cathedral school of Notre-Dame.19 In 15 Cf. Luca Bianchi, Censure et liberté intellectuelle à l’université de Paris (xiiie–xive siècles), Paris 1999. 16 Cf. Gordon Leff, The Dissolution of the Medieval Outlook: An Essay on Intellectual and Spiritual Change in the Fourteenth Century, New York 1976. 17 These words or other more or less similar can be read in the Chartularium universitatis Parisiensis, Heinrich Denifle and Émile Chatelain eds, t. II, Paris 1891, n° 728a, and Paris 1894, n° 1238, 1319, 1537. 18 Cf. Constant J. Mews, Philosophy and Theology 1100 – 1150: the Search for Harmony, in: Le xiie siècle. Mutations et renouveau en France dans la première moitié du xiie siècle, Françoise Gasparri éd. (Cahiers du Léopard d’Or 3), Paris 1994, p. 159 – 203. 19 Ioannis Saresberiensis Metalogicon, John B. Hall ed. (Corpus Christianorum. Continuatio mediaevalis, XCVIII), Turnhout 1991, p. 70 – 73; this passage has been commented upon by Olga Weijers, The Chronology of John of Salisbury’s Studies in France

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the following decades, these arts schools got more and more numerous, usually located on the Montagne Sainte-Geneviève.20 At the beginning of the XIII th century, during the process of the institutionalization of the university, the masters of arts joined together to form what was soon to become the faculty of arts and the “nations”. The exact role of the masters of arts, especially in Paris, has been discussed by historians. Some of them think they played a leading role in the university movement, being less inserted in the old ecclesiastical structures than the masters of divinity of NotreDame or St-Victor.21 But others claim that only the older masters of theology and canon law had enough authority to impose the creation of a totally new institution.22 In any case, by the middle of the XIIIth century, if not before, the university was well established as a united community, an autonomous and recognized federation of masters and of schools, the masters of the same discipline constituting the various faculties within the general framework of the university.23 From this time on, each faculty was firmly established, with its own statutes, its officials (in particular its dean), its graduation system, its general meetings, its topographical location in some particular streets. According to the Parisian model of the universitas magistrorum (as opposed to the Italian one

(Metalogicon II, 10), in: The World of John of Salisbury, Michael Wilks ed. (Studies in Church History. Subsidia 3), Oxford 1984, p. 109 – 116 and Katharine S. B. Keats-Rohan, John of Salisbury and Education in Twelfth Century Paris from the Account of his Metalogicon, in: History of Universities 6 (1986 – 87), p. 1 – 45. 20 Cf. John W. Baldwin, Masters at Paris from 1179 to 1215. A Social Perspective, in: Renaissance and Renewal in the Twelfth Century, Robert L. Benson and G. Constable eds., Cambridge Mass. 1982, réimpr. Toronto 1991, p. 138 – 172. 21 This is what I suggested in: Jacques Verger, À propos de la naissance de l’université de Paris: contexte social, enjeu politique, portée intellectuelle, in: Schulen und Studium im sozialen Wandel des hohen und späten Mittelalters, hg. v. Johannes Fried (Vorträge und Forschungen XXX), Sigmaringen 1986, p. 69 – 96, spéc. p. 86 (réimpr. in: Jacques Verger, Les universités françaises au Moyen Âge (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance 7), Leiden, New York, Köln 1995, p. 1 – 36, spéc. p. 22). 22 This is the thesis of Nathalie Gorochov, Naissance de l’université. Les écoles de Paris d’Innocent III à Thomas d’Aquin (v. 1200–v. 1245) (Études d’histoire médiévale 14), Paris 2012. 23 Cf. Jacques Verger, Que sait-on des institutions universitaires parisiennes avant 1245?, in: Les débuts de l’enseignement universitaire parisien (1200 – 1245 environ), Jacques Verger et Olga Weijers éds. (Studia artistarum. Études sur la Faculté des arts dans les Universités médiévales 38), Turnhout 2013, p. 27 – 47.

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of the universitas scolarium, which we will not consider here), a model which will spread all over Northern Europe, first in England and afterwards in the German Empire, where most universities were founded by masters graduated in Paris, and beyond. There could be up to four faculties: arts, medicine, law,24 theology.25 Medicine, law and theology were the so-called “superior” faculties whose studies and degrees were self-sufficient, an end in themselves; one or two faculties could be missing, the remaining ones nevertheless constituted a true university, a studium generale recognized by the papacy and able to confer the ius ubique docendi to its doctors; for example at Orléans, there existed but one faculty, the faculty of law (canon and civil law) and it was nevertheless undoubtedly, since the papal bull of 1306, a true university.26 But on the other hand, a faculty of arts could not constitute by itself a university. It was, theoretically, a mere preparatory, primary, inferior, school – studium particulare – whose training and degrees could not guarantee the perfection of science normally attached to the idea of studium generale.27 Therefore, it was usually considered – and, naturally, most of all by the members of the “superior“ faculties and the Church authorities – that the faculty of arts had to be kept under the moral and intellectual, if not institutional, control and supervision of the superior ones – and in particular that of theology – because of the inexperience and potential danger represented by its students and teachers, both socially and intellectually. But the concrete situation was somewhat different. It is true that the arts faculty was the youngest one, the majority of students being boys less than twenty years old and most teachers hardly older. But this faculty was also the more numerous, 24 One must recall that in Paris, after 1219 and the bull Super Speculam (Chartularium, t. I [see n. 4], n° 32), only canon law was taught; civil law, as a profane and lucrative science whose prestige could have threatened philosophy and theology, was prohibited. 25 Cf. A History of the University in Europe, Walter Rüegg ed., vol. I, Universities in the Middle Ages, Hilde de Ridder-Symoens ed., Cambridge 1992, p. 35 – 62. 26 Jacques Verger, Autour de 1306, des écoles à l’université: exception orléanaise ou règle commune ?, in: L’université d’Orléans, 1306 – 2006: regards croisés sur une histoire singulière. Actes du colloque d’Orléans, 10 octobre 2006, Michel Pertué éd., Orléans 2008, p. 27 – 34. 27 In his Yconomica (c. 1348 – 1352), Konrad von Megenberg, for example, makes a clear distinction between the studia particularia he calls scolae levinomae [of poor repute] carentes privilegiis, and the scolae autenticae, i. e. the studia generalia provided with papal privileges, the model of which was for him the university of Paris (Konrad von Megenberg Werke. Ökonomik, hg. v. Sabine Krüger [MGH, Staatsschriften des späteren Mittelalters III, 5/3], Stuttgart 1984, p. 23, 25 – 29, 34 – 38).

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not only in Paris where it represented probably about the three quarters of the total number of students and masters, but elsewhere too.28 In Cologne for example, the majority of the first teaching staff was composed of Parisian masters of arts.29 Was it really a preparatory faculty for upper studies ? Yes and no. It is true that, normally, students in theology and medicine had previously studied in arts; they had got their degree of master of arts, usually taught arts for two or three years (the so-called “compulsory regency“) and then passed on to the superior faculty; yet, there was an exception, that of the monks and friars who usually came directly from their conventual studia into the faculty of theology; and for the jurists, it is not perfectly clear, but it seems likely that many of them passed directly from some local grammar school to the law faculty. But on the other hand, it is obvious that, for various reasons, many arts students – even if they had realized a complete cursus studiorum – never went further nor intended to do so.30 And even among the teachers, we find some who were not fresh gra­ duated masters, but men of experience and repute, making all their career at the faculty of arts; Siger of Brabant or Jean Buridan are well-known examples of such professional masters of arts who, even if they were clerics, never tried to undertake theological studies 31. It is difficult to say if such careers were exceptional or not. In any case, it is obvious that such professional arts t­ eachers were less ready to bear the supervision of their colleagues of the “superior“ faculties, finding them equal rather than superior to themselves. One should make another point. Many masters and students of the superior faculties had been previously, as I just said, members of the arts faculty. Not only they owed it their initial training, but during their stay at the faculty of arts, in various occasions, they had sworn loyalty, obedience and respect to the faculty and its officials, the proctors of the nations and the rector; they remained bound by these oaths sworn ad quemcumque statum deveneritis. For

28 At least in Paris, at the beginning of the xvth century, according to Jean Favier, Nouvelle histoire de Paris. Paris au xve siècle, 1380 – 1500, Paris 1974, p. 69 – 72, there was about 2 000 to 3 000 students in the faculty of arts and less than 800 in the superior faculties. 29 See the contribution of William J. Courtenay in the present volume. 30 See: Jacques Verger, Pour une histoire de la maîtrise ès-arts au Moyen Âge: quelques jalons, in: Médiévales 13 (1987), p. 117 – 130. 31 See: Fernand Van Steenberghen, Maître Siger de Brabant (Philosophes médiévaux XXI), Louvain, Paris 1977, and Bernd Michael, Johannes Buridan: Studien zu seinem Leben, seinen Werken und zur Rezeption seiner Theorien im Europa des späten Mittelalters, 2 Bde., Berlin 1985.

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the faculty of arts, it was an efficient weapon against the superior faculties when they tried to interfere in its internal affairs.32 This lead to the somewhat paradoxical situation we can notice in Paris and, to a lesser extent, elsewhere in Northern Europe. In spite of belonging to the younger and officially subordinate faculty, the masters of arts exercised a real power within the medieval university. Not only did the general meetings of the faculty and of the nations enjoy a real autonomy of decision, but the elected head of the nations, namely the rector, whose existence is clearly attested at the end of the 1240ies,33 progressively became the head of the whole university and its official representative in front of the external authorities, either ecclesiastical or monarchical. Naturally the chancellor, that is to say the representative of the ecclesiastical authorities, who was usually a doctor of divinity, and the deans of the superior faculties tried to cut down or limit the powers of the rector and the conflicts with him, real or symbolical, were numerous, but generally unsuccessful.34 The suspicion and distrust between the faculty of arts and the superior faculties are still obvious at Paris in the two great reformations of 1366 and 1452, inspired by the chancellor and the masters of theology.35 Even if in medieval universities, the real power lay in the general meetings rather than in the hands of the rector, whose mandate was very brief, the latter was considered as the head of the university and enjoyed large rights of precedence. This situation enables the faculty of arts to claim to be fundamentum et origo aliarum facultatum, meaning by this that it did not represent a mere stage in a university career, but the very matrix of the university, out of which everything came out.36 32 See infra n. 34. 33 The first indisputable mention of the rector of the university of Paris is to be found in a document of october 1249 (Chartularium, t. I [n. 4], n° 187). 34 See: Jacques Verger, Rector non est caput universitatis. Pouvoir et hiérarchie à l’université de Paris au Moyen Âge, in: Vaticana et Medievalia. Études en l’honneur de Louis Duval-Arnould, Jean-Marie Martin, Bernadette Martin-Hisard et Agostino Paravicini Bagliani éds., Firenze 2008, p. 457 – 472. 35 The texts of these two reformations have been published in the Chartularium universitatis Parisiensis, Heinrich Denifle and Émile Chatelain eds., t. III, Paris 1894, n° 1319, et t. IV, Paris, 1897, n° 2690; I studied them in: Jacques Verger, La première réformation générale de l’université de Paris (1366), in: Académie des Inscriptions et Belles-Lettres. Comptes rendus des séances de l’année 2011. Juillet–octobre, fasc. 3 (2011), p. 1229 – 1251, et Jacques Verger, La réforme du cardinal d’Estouteville (1452): l’université de Paris entre Moyen Âge et modernité, in: Les universités en Europe (1450 – 1814), Paris 2013, p. 55 – 75. 36 See supra n. 17.

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This was the Parisian situation. Elsewhere, the pretensions of the artists were less extreme; the nations, which were in Paris the basis of the faculty of arts system, did not exist everywhere (there were no nations in Cologne, for example)37 and the chancellor (in England)38 or the rector (in Germany)39 was exclusively or normally elected among the doctors of the superior faculties, not among the masters of arts. Nevertheless, at the end of the Middle Ages, it existed all over Northern Europe a tendency towards a greater autonomy of the faculty of arts. This contradictory status of the arts faculty lasted up to the end of the Ancien Régime university, as it is shown by the old historians of the university like Du Boulay and Crevier at Paris whose writings still testify of the long-lived rivalry between the various faculties.40 Nevertheless, this story had to come to an end. In the modern times, sooner or later, the final outcome of the evolution was the division of the old medieval faculty of arts into two kinds of distinct and separate entities. On one side, the most elementary levels of the faculty of arts learning, those devoted to grammar and rhetoric, for the youngest pupils, were taken up by new institutions which multiplied from the end of the Middle Ages: colleges “de plein exercice“, public schools, gymnasia, later lycées and so on; they were usually boarding schools, private or religious, in which the families had to pay for their children; they had their own buildings and their own body of teachers and tutors. These institutions progressively slipped out of the university framework and control to become what we call today secondary schools, playing the preparatory role previously assigned to the medieval faculties of arts.41 37 Pearl Kibre, The Nations in the Mediaeval Universities, Cambridge Mass. 1948, p. 177. 38 Alan B. Cobban, The Medieval English Universities. Oxford and Cambridge to c. 1500, Berkeley–Los Angeles 1988, p. 64 – 76. 39 Rainer C. Schwinges, Rektorwahlen. Ein Beitrag zur Verfassungs-, Sozial- und Universitätsgeschichte des alten Reiches im 15. Jahrhundert (Vorträge und Forschungen, Sonderband 38), Sigmaringen 1992. 40 César Égasse Du Boulay, Historia Universitatis Parisiensis …, 6 t., Paris 1665 – 1673, and Jean-Baptiste-Louis Crevier, Histoire de l’Université de Paris depuis son origine jusqu’en l’année 1600, 7 vol., Paris 1761, are the two main ancient histories of the university of Paris. Du Boulay and Crevier themselves had taught in the colleges of Navarre and of Dormans-Beauvais which were part of the faculty of arts, and in their histories, they both strongly defended the rights of their faculty against what they considered as the arrogance of the theologians. 41 Marie-Madeleine Compère, Du collège au lycée (1500 – 1850). Généalogie de l’enseignement secondaire français (Archives, 96), Paris 1985.

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On the other side, the highest levels of arts teaching, which were sometimes called philosophy, restricted to the final classes of the colleges and leading to the traditional degrees of bachelor and master of arts, remained inside the university and finally gave rise, in the XIXth century, to what some historians have called the “academic faculties“ of letters or philosophy and of sciences, in contrast with the “vocational faculties“ of divinity, law and medicine, direct heirs of the medieval “superior“ faculties, intended to produce learned professionals like clergymen, every kind of lawyers, medical doctors.42

3  From the unity of knowledge to the division of disciplines The idea of the fundamental unity of human knowledge is an old and everlasting idea which goes from the Antiquity to our days, through various and more or less sophisticated classifications or divisions of sciences (divisio scien­ tiarum, divisio philosophiae), which tried to combine the variety, coherence and hierarchy of the various disciplines and the unity of method and spirit which should prevail in all to secure the legitimacy of the whole human cogni­tive activity.43 In the Middle Ages, the seven liberal arts played that role before being superseded by the Aristotelian or Stoic system of the three philosophies. In both cases, the sacra pagina, like philosophy in Antiquity, was not part of the system; it was above, crowning it and enabling the scholar who had passed through the complete curriculum of artes or philosophy, to get finally access to the sacred science and then wisdom, contemplation and eventually salvation. At this point, we may recall that medieval philosophers had some problems, in their classifications of sciences, with law and medicine which they regarded with suspicion. Sometimes, they just ignored or rejected them, as lucrative or mechanical arts. Sometimes, they rather tried to insert them within the philo­ sophy system, linking them either to ethics and politics (for law) or to natural philosophy and astronomy (for medicine). But such solutions were totally unrealistic, as they ignored the pretensions of the lawyers and of the medical doctors who, since the XIIth century, boasted the complete autonomy and the

42 The French case is explained in: Jacques Verger (dir.), Histoire des universités en France, Toulouse 1986, p. 301 – 323. 43 See supra n. 11.

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high intellectual and social dignity of their disciplines.44 This ambiguous situation is probably the reason why in Paris and elsewhere in Northern Europe law and medicine, although recognized as superior faculties, remained somewhat in the backstage with regard to arts and theology. In Mediterranean Europe, the situation was quite different: law and medicine were predominant and theology was rather marginalized, being the quasi monopoly of the Mendicant Orders, so that the faculties of arts remained here of secondary importance;45 they taught grammar more than dialectics or philosophy – which later, paradoxically, enables them to welcome the new humanist interest for the Classics more easily than in the Northern faculties of arts, dominated by the tradition of scholasticism, because everywhere the expansion of humanism, in the XIVth and XVth centuries, was a challenge for the medieval university system.46 It is currently admitted that humanism, understood as a return to classical Latin and Ciceronian rhetoric and therefore to the moral ideas and values of perfect humanity carried by the works of classical authors, is a literary movement born in Italy in the XIVth century, with Petrarca and some others, outside the university, but which progressively pervaded it, first in the Italian faculties of arts, law and medicine, meeting sometimes strong resistance and refusals but eventually largely accepted, so that in the last years of the XVth century and the beginning of the XVIth, it was introduced beyond the Alps, in many universities, especially in Germany and Central Europe but also in Paris, Louvain or Cambridge.47 At this moment, it was the theme of bonae litterae or studia 44 On this theme, see for example: Patrick Gilli, La noblesse du droit. Débats et controverses sur la culture juridique et le rôle des juristes dans l’Italie médiévale (xiie–xve siècles) (Études d’histoire médiévale 7), Paris 2003, and Vern L. Bullough, The Development of Medicine as a Profession: The Contribution of the Medieval University to Modern Medicine, Basel, NewYork 1966. 45 I have studied the case of Southern France in: Jacques Verger, Remarques sur l’enseignement des arts dans les universités du Midi à la fin du Moyen Âge, in: Annales du Midi 91 (1979), p. 355 – 381. 46 Cf. Marteen J. F. M. Hoenen, Am Ende der Künste? Zum Begriff der Artes liberales in der Spätscholastik, in: Florilegium Mediaevale. Études offertes à Jacqueline Hamesse à l’occasion de son éméritat, José Meirinhos et Olga Weijers éds. (FIDEM. Textes et é­ tudes du Moyen Âge 50), Louvain-la-Neuve 2009, p. 323 – 347. 47 Agostino Sottili, Humanismus und Universitätsbesuch/Renaissance Humanism and University Studies. Die Wirkung italienischer Universitäten auf die Studia Humanitatis nördlich der Alpen/Italian Universities and their Influence on the Studia Humanitatis

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humanitatis, that is to say the mastery of Ciceronian rhetoric and the imitation of the Classics, including the Greek authors, which influenced the teaching of the university faculties, especially in arts, but also in law and medicine and, to a lesser extent, theology, trying to give a new kind of unity and coherence to the activity of the human mind.48 In some way, the humanistic ideal was closer to the liberal arts system, with its insistence on grammar and rhetoric, than to the medieval scholastic philosophy. This tradition of literary humanities, the deep attachment to the inheritance of the Greek and Latin Classics will last in European culture and in particular in the European universities until the XXth century.49 Nevertheless, they could not prevent, after the Protestant Reformation, the Scientific Revolution of the XVIIth century and the Age of the Enlightenment, the splitting-off of the arts into a growing number of specialized disciplines, both in humanities and sciences, more and more distinct from each other, as regards their contents as well as their methodological approaches.50 It would be too long to draw here the complete panorama of the new fields thus opened to knowledge and to university teaching. The major point was pro­ bably the greater attention henceforth paid to both exact and natural sciences as well as techniques, engineering, etc., but one must also bear in mind the new interest for modern languages and literatures and what we may call social sciences (history, geography, economy, politics, etc.).51

in Northern Europe (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance 26), Leiden, Boston 2006. 48 Cf. Anthony Grafton and Lisa Jardine, From Humanism to the Humanities: Education and the Liberal Arts in Fifteenth- and Sixteenth-Century Europe, London 1986; see also Der Humanismus und die oberen Fakultäten, hg. v. Gundolf Keil, Bernd Moeller und Winfried Trusen (Mitteilungen XIV der Kommission für Humanismusforschung), Weinheim 1987, which deals only with the superior faculties, mainly in Germany. 49 See: A History of the University in Europe, Walter Rüegg ed., vol. III, Universities in the Nineteenth and Early Twentieth Centuries (1800 – 1945), Walter Rüegg ed., Cambridge 2004, p.  393 – 458. 50 See: A History of the University in Europe, Walter Rüegg ed., vol. II, Universities in Early Modern Europe (1500 – 1800), Hilde de Ridder-Symoens ed., Cambridge 1996, p.  489 – 620. 51 See supra n. 50 and, for the following period, A History of the University in Europe, vol. III (see n. 49), p. 459 – 635.

From the Artes to the Humanities 219

These new disciplines appeared first in the curricula of some German universities like Halle and Göttingen in the XVIIth and XVIIIth centuries.52 It was much later that they were adopted elsewhere, for example in France where the old humanistic disciplines remained very strong in the final classes of the lycées during the whole XIXth century.53 The new faculties of letters and of sciences which replaced the old faculties of arts after the Revolution, alongside with the Grandes Écoles for exact sciences and technology, ­developed very slowly ­during the XIXth century – much more slowly than in Germany – and it is only towards the end of the century that they reached a level high enough to allow them to play a real role in the intellectual and cultural life of the country and that they began to discover the problems which are still today the major p ­ roblems of the modern university:54 an ever growing and ever more hetero­geneous mass of students, the urgent need for new financial resources, the difficulties of autonomous government, the necessary connection between university teaching and the expectations of the various professions, etc. These were already the issues to which the present-day European faculties of letters and of sciences are now confronted, while the record of the medieval faculty of arts is slowly vanishing from its collective memory. And so, we may stop at this point this sketchy presentation of a long history which started more than eight centuries ago.

52 A History of the University in Europe, vol. II (see n. 50), Halle and Göttingen, index s. v. 53 Cf. Françoise Waquet, Le latin ou l’empire d’un signe, xvie–xxe siècle, Paris 1999. 54 Cf. George Weisz, The Emergence of Modern Universities in France, 1863 – 1914, Prince­ ton 1983.

Helmut G. Walther

Die Rechte – eine Karrierewissenschaft?

1  Einleitung Was hat man sich unter einer Karriere im Mittelalter vorzustellen, speziell der eines Juristen? Bevor wir über dieser Frage in Reflexionen über abweichende Vorstellungen der Moderne und vertikale Mobilität in der mittelalter­lichen Gesellschaft versinken, befragen wir lieber einen damaligen Zeitgenossen, der offen in seinen Lebenserinnerungen thematisierte, weshalb er selbst das ­römische Recht in Köln studiert hatte und was er sich davon versprochen hatte bzw. was er von vornherein nicht erwarten konnte. Der Autor Hermann von Weinsberg war der älteste Sohn einer zu Wohlstand gelangten Kölner Bürgerfamilie. Der Großvater hatte 1474 das Bürgerrecht erlangt und in Ratsherren-­ Familien eingeheiratet. Sein Sohn Christian ging zum Erwerb durch Leintuchfärben und Weinzapfen über und mehrte den Wohlstand. Enkel Hermann wurde wie schon Vater und Großvater Mitglied der Gaffel Schwarzhaus, seit 1396 die dritte in der Rangfolge von insgesamt 22 in Köln. Christian war zu Weihnachten 1517, kurz vor Hermanns Geburt, erstmals Ratsherr seiner Gaffel geworden; 1543 wurde auch Hermann zunächst Geselle im Schwarzhaus und dann schon zu Johanni zu dessen Ratsmitglied gewählt.1 Offensicht­lich hatte der Vater große Pläne für seinen Ältesten, der deshalb nach Elementar- und Lateinschulbesuch in und außerhalb Kölns 1534 zum Studium in Köln als Artist in die Laurentius-­Burse eintrat, aber schon im Dezember einen Platz in der vornehmen Kronenburse der Juristen aus der Stiftung Dwerg bekam. Hermann macht in seinen autobiographischen 1 Quellen zur Familie Weinsberg bei Wolfgang Herborn, Die politische Führungsschicht der Stadt Köln im Spätmittelalter (Rheinisches Archiv 100), Bonn 1977, S. 399, 609 (Nachweis für Christian Weinsberg fehlt für 1518!), Manfred Groten, Beschlüsse des Rates der Stadt Köln 1320 – 1550, Bd. 2 (1513 – 1550) (Publ. der Ges. f. Rhein. Geschichtskunde 65), Düsseldorf 1989; biographische Darstellungen: http://www.weinsberg.uni-­bonn. de/Projekt/Weinsberg/Weinsberg.htm [Wolfgang Herborn, Biographisches; Manfred Groten, Zum Werk Hermann Weinsbergs; Joseph Stein, Die Familie Weinsberg] (zuletzt aufgerufen am 05. 11. 2013).

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Aufzeichnungen keinen Hehl aus der Tatsache, dass dies offensicht­lich den guten Beziehungen seines Vaters zu den für die Bursenplatzvergabe zuständigen drei städtischen Provisoren zu verdanken war. Es wird nicht das letzte Mal sein, dass ­Hermann entscheidend durch Kölner Klüngelei an den Statutenbestimmungen vorbei gefördert wird. Da er nach eigenem wie nach Wunsch seiner Eltern ein Studium des welt­lichen Rechts absolvieren sollte, wäre dafür nach den Kölner Statuten für einen Jurastudenten eine vorausgehende Promo­tion zum Artistenmagister nicht nötig gewesen. In seinem Lebensrückblick bekennt Hermann auch offen, dass die von seinem Vater stammenden Aufwendungen von insgesamt 47 Gulden für die Promo­tionen als artistischer Bakkalar und Magister letzt­lich eine Fehlinvesti­tion gewesen s­ eien: Aber mir quamen min promo­tiones nit zu nutz, diweil ich folgens welt­lich wart, und het min fatter das gelt, so er an disse promo­tiones in artibus an mich gedacht hat, wol mogen sparen, dan sei sint mir wenich profit­lich gewest.2 Der Vater griff auch danach nochmals kräftig in die Tasche, um den Sohn mit den notwendigen Texten für das Legistikstudium auszustatten. Natür­lich geht das nicht ab, ohne dass er dabei auch jetzt wieder seine Beziehungen zu einem befreundeten Kölner Buchhändler spielen ließ. Der Buchhändler war damals Ratsherr wie der Vater: [] und her Goddert Hittorf half minen fatter, das er mir von her Johan Ruisch utrumque corpus juris und opera Bartoli – waren in all 13 boicher in den rech­ ten – galt, nem­lich umb 14 daler, das corpus juris civilis war sehr alt.3 Es könnte sich beim Corpus Iuris Civilis noch um ein handgeschriebenes Exemplar (also mög­licherweise ursprüng­lich sogar in Form der Peciae erworben 4) gehandelt haben; bei den aus zweiter Hand erworbenen Werken des Bartolus ist wohl an 2 Das Buch Weinsberg, Kölner Denkwürdigkeiten aus dem 16. Jahrhundert, bearb. v. Konstantin Höhlbaum, Bd. I (Publ. d. Ges. f. Rhein. Geschichtskunde 3), Leipzig 1886, S. 115; jetzt in Neued. und als Hs.-Scan in: Die autobiographischen Aufzeichnungen Hermann Weinsbergs – Digitale Gesamtausgabe : http://www.Weinsberg.uni-­bonn. de/Band.htm (zuletzt aufgerufen am 05. 11. 2013). 3 Ebd. 4 Vgl. den Forschungsstand in: Louis J. Bataillon / Betrand G. Guyot / Richard H. Rouse (Hgg.), La produc­tion du livre universitaire au Moyen Âge, Exemplar et pecia, Paris 1988, repr. 1991; Frank Soetermeer, Utrumque ius in peciis, Die Produk­tion juristischer Bücher an italienischen und franzö­sischen Universitäten des 13. und 14. Jhs. (Studien zur Euro­päischen Rechtsgeschichte 150), Frankfurt/M. 2002; Vincenzo Colli (Hg.), Juris­ tische Buchproduk­tion im Mittelalter (Studien zur Euro­päischen Rechtsgeschichte 155) Frankfurt/M. 2002 (hier v. a. die Beiträge von Frank Soetermeer u. Ingrid Baumgärtner, S.  481 – 516 u S.  741 – 804).

Die Rechte – eine Karrierewissenschaft? 223

eine der frühen seit 1504 in Venedig oder Lyon gedruckten Gesamtausgaben des berühmten italienischen Kommentators des 14. Jahrhunderts zu denken. Für diese beiden Gesamtausgaben war der gezahlte Preis von vierzehn Talern frei­lich beinahe ein Schnäppchen.5 Hermann von Weinsberg promovierte dann 1539 zum Bakkalar der Rechte. Er vermerkte in seinen Erinnerungen sorgfältig, dass ihn das elf Goldgulden gekostet habe, für die folgende Graduierung zum Lizentiaten der Rechte 1543 mussten dem prüfenden Doktor im Privatexamen drei Goldgulden überreicht werden, das öffent­liche Examen kostete ihn zusätz­lich vier mit Goldgulden gefüllte Börsen plus einen Gulden für den Pedell. Stolz vermeldet Weinsberg, dass ihn der goldene Siegelring mit seinem Wappen, den er nun als Lizentiat tragen durfte, acht Taler gekostet habe. Außerdem habe er sich wie auch seine zwei Mitprüflinge porträtieren lassen.6 Schon zuvor hatte Hermann mehrfach als Advokat in Köln praktiziert, nicht zuletzt für seinen Vater Christian, der offensicht­lich eine Fülle von Zivilprozessen gegen Geschäftspartner, aber auch um Erbschaftsrechte in der weitläufigen Familie führte. Auch in diesen Fällen spielte offenbar wiederum Kölner Klüngelei ein wichtige Rolle: 1543 verpflichtete der Vater, als er vor dem Ratsgericht verklagt wurde, den Primarius im Römischen Recht als Anwalt, während Clapis bereits im Jahr zuvor in der Juristischen Fakultät der Universität dafür gesorgt hatte, dass Hermann zur Lizentiatenprüfung zugelassen wurde.

5 Zu den Bibliotheksverhältnissen der Kölner Juristen Hermann Keussen, Die alte Kölner Universitätsbibliothek, in: Jb d. Kölnisch. Geschichtsvereins 11 (1929), S. 191 – 229, hier S. 125, 127 f. (allgem. Verhältnisse und spezielle jurist. Fachliteratur bei den Artisten). Baumgärtner, Meßbares Wissen. Juristische Handschriften an spätmittelalter­lichen deutschen Kollegien und Universitäten (wie Anm. 4), S. 774 – 778; Maximilian Schuh, Aneignungen des Humanismus. Institu­tionelle und individuelle Praktiken an der Universität Ingolstadt im 15. Jahrhundert (Educa­tion and Society in the Middle Ages and Renaissance 47), Leiden, Boston 2013, S. 125 – 128. In Köln verzeichnete weder die Bibliothek der juristischen Kronenburse noch der Bestand der Artistenbibliothek in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts Werke des Bartolus, geschweige denn gar eine Gesamtausgabe des berühmten Juristen, während für das 15. Jh. immerhin der Besitz von (teilweise während des Studiums in Italien abgeschriebenen) Bartolus-­Hss. für Kölner Juristen bezeugt ist, vgl. Codices operum Bartoli a Saxoferrato recensiti. Iter Germanicum, a cura di Emanuele Casamassima, Firenze 1971 (s. v. Köln). In Ingolstadt bezahlte man 1493 für einen Druck der ersten Gesamtausgabe des Bartolus (vermut­lich Venedig 1490 – 92) allein 10 Goldgulden (Baumgärtner, Meß­ bares Wissen, S. 781). Zu den frühesten Gesamtausgaben des Bartolus, Josephus L. J. van de Kamp, Bartolus de Saxoferrato 1313 – 1357, Amsterdam 1936, S. 108 – 119. 6 Buch Weinsberg I, S. 207 bzw. Das boich Weinsberg (wie Anm. 2).

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Auch ­solche Klüngelei und Protek­tion boten frei­lich keine ausreichende Garantie für eine dauerhaft erfolgreiche Karriere. Als nur 22-Jähriger war Hermann 1539 über Gaffelbeziehungen seines Vaters schon zum Rektor der Kronenburse avanciert, als Administrator dieser Institu­tion dann aber kläg­lich gescheitert. 1543 verzichtete der nun zum Lizentiaten der Rechte Designierte auf sein Amt in der Burse. Auch für eine Doktorpromo­tion wäre er sicher vom Legisten Dr. Clapis unter seine Fittiche genommen worden. Aber auf diese zusätz­liche Würde verzichtete Hermann, wie er in seinen Erinnerungen feststellt, da sie ihm nur Unkosten verursacht hätte, nichts aber zu seinem Fortkommen in Köln beigetragen haben würde. Drei gescheiterte Versuche, sich eine Versorgung durch Pfründen zu sichern, signalisierten ihm deut­lich, dass er für deren Erwerb wohl in den falschen personellen Netzwerken Kölns verankert war. Nachdem der Versuch des Lizentiaten Hermann gescheitert war, eine Pfründe am Stift St. Gereon zu bekommen, sodann Trierer Offizial zu werden, schließ­lich ihm selbst die rangniedrigste Lektur der Institu­ tionen an der Kölner Rechtsfakultät verweigert wurde,7 wurde er als Advokat am Kölner erzbischöf­lichen Offizialat tätig und übernahm zusätz­lich nach dem Tode seines Vaters dessen Posten als Borggreve unterm Kölner Rathaus, begnügte sich für die Zukunft also mit der frei­lich gutbezahlten Posi­tion eines Ratsbediensteten, wozu noch erheb­liche Zusatzeinnahmen aus vermieteten Häusern in Köln und Dormagen kamen. Nüchtern bilanzierte er in seinem Erinnerungsbuch: Es sint wol et­liche advocaten und doctores, die durch sonder­liche geschick­lichkeit ader durch gutte frunde in groisse ansehen komen, groisse digneiteten, mangelt, deinsten und dergleichen beifell und abentur erlangen neben irer arbeit. Die haben sich dess zu erfreuwen , aber in dem planeten bin ich vil­licht nit geboren, das mir sulches geburren mochte. Ich hatte auch die gnade von gode dem herren nit, das ich redse­lich ware 8 ader stark von memorien, daran es mir fil felet.

Er fällte aufgrund seiner Erfahrungen deshalb auch ein Gesamturteil über den begrenzten Nutzen einer juristischen Doktorpromo­tion unter ökonomischen Gesichtspunkten und legte seinen Nachkommen in seinem Hausbuch auch ans Herz, dass ein studierter Jurist auch ohne Doktortitel sehr wohl sein Auskommen finden könne. Denn finanzieller Aufwand für die Promo­tion und daraus sich einstellender Ertrag stünden in keinem vernünftigen Verhältnis:

7 Das Buch Weinsberg (wie Anm. 2), I, S. 275. 8 Ebd., I, S. 213; Das boich Weinsberg (wie Anm. 2) (aufgerufen 05. 11. 2013).

Die Rechte – eine Karrierewissenschaft? 225

Ich hab aber bei mir bedacht und überlacht, das mir der doctorat sched­licher sein worde dant bat­lich, dieweil er wol bei 300 ader 400 daler sulte kosten, wilche man nutz­licher an erf- ader leifrenten lachte, so moist man sich dem titel und wirdicheit des doctoratz auch aller ding gemeis halten, sich und sin hausfrau prachtiger tragen mit kleidung und klinater und sonder­lich gesinde und pracht uff groisse kosten ­halten; man moste sich auch geringer handlungen, dar fast notz von komen mogte, unthalten. So kunte ein licentiat, wan er geschickt gnog were, ebenso practiseren als ein doctor und etwas gewinnen mit sinen advoceren; hat schon ein doctor etwas mehe gerechtig­ 9 keit, das er ein letz haben mag, das sollte zu dur stain.

Von Wissenschaft ist bei solchen Überlegungen gar nicht die Rede. Das Rechtsstudium – hier im frühen 16. Jahrhundert wird bereits, da keine geist­liche Laufbahn angestrebt wird, die Legistik gegenüber der Kanonistik bevorzugt – wird allein unter dem Gesichtspunkt von Einkommenschancen und Nütz­lichkeit betrachtet. Ist dies die typische Sicht eines Kölner Bürgers gegenüber einer von der Kölner Bürgerschaft getragenen Universität oder treffen wir damit auf eine weitgehend zu verallgemeinernde Einstellung gegenüber dem Studium der gelehrten Rechte?10

2  Rahmenbedingungen einer Karrierewissenschaft Vom Bologneser Rechtslehrer Odofredus aus der städtischen Familie der Denari enthält das seit 1936 in der Biblioteca Comunale in Imola liegende Familienarchiv leider kein Testament. Dafür finden sich dort an die 30 Urkunden, die Immobiliengeschäfte des Odofredus in Bologna und in dessen Umland betreffen. So konnte im Mai und August 1260 Odofredus das neben seinem Wohnhaus gelegene Haus samt dem Grundstück erwerben, in dem seine Rechtsschulen (scole) untergebracht waren. Bis dahin – auch dafür haben sich die entsprechenden Urkundenzeugnisse erhalten – hatte er für das Grundstück immer Miete bezahlt.11 9 Ebd. (wie Anm. 2), I, S. 302. 10 Vgl. zuletzt die etwas andere Akzentsetzung bei den Entwicklungslinien in: Thomas Wetzstein, Der Jurist, Bemerkungen zu den distinktiven Merkmalen eines mittelalter­ lichen Gelehrtenstandes, in: Frank Rexroth (Hg.), Beiträge zur Kulturgeschichte der Gelehrten im späten Mittelalter (Vorträge u. Forsch. 73), Ostfildern 2010, S. 243 – 296. 11 Ausführ­lich zu Odofredus Helmut G. Walther, Learned Jurists and their Profit for Society, Some Aspects of the Development of Legal Studies at Italian and German

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Gerade wenn die ältere Forschungsmeinung, die Familie des Odofredus gehöre zum Bologneser Stadtadel, sich nicht zuletzt anhand dieser Familiendokumente nun als falsch erwiesen hat und Odofredus wohl der erste doctor legum ausder Familie der Denari ist, gewinnen die aus seinen Vorlesungen reportierten Bemerkungen und Reflexionen des Rechtslehrers über die eigene unverhohlen an Erwerbsgesichtspunkten ausgerichtete Betätigung in der juristischen scientia nostra Bolognas ein besonderes Gewicht. Odofredus aus der dem popolo Bolognas zuzurechnenden Familie der Denari entsprach als Leiter einer juristischen schola mit seinem politischen Engagement für die Partei des popolo und der zusätz­lichen Tätigkeit als Gesandter seiner Heimatkommune völlig den Erwartungen, die die Kommune nicht nur an die Bologna stammenden doctores legum in der Stadt knüpfte. Die noch im 12. Jahrhundert konfliktträchtige eid­liche Verpflichtung auch der stadtfremden Rechtslehrer auf die Kommune konnte jedoch bereits seit 1217 statutarrecht­ lich abgesichert werden.12 Die Loyalität des Odofredus als Bologneser Bürger gegenüber seiner Kommune blieb ungebrochen. Sie erwies sich nicht zuletzt im Streit um das von den Nichtbologneser Studenten seit der Wende zum 13. Jahrhundert geforderte Recht, sich zu universitates zusammenschließen zu dürfen. Die Bologneser Rechtslehrer lehnten diesen Anspruch auch im Interesse der eigenen Stellung als Schulleiter mit korpora­tionsrecht­lichen Überlegungen prinzipiell ab und sahen nur die Mög­lichkeit, selbst nach Pariser Vorbild eine Korpora­tion zu bilden und einen Rektor zu wählen. Die Studenten riskierten jedoch den offenen Konflikt mit der Kommune und setzten dabei seit 1204 das wirksame Druckmittel der cessio mehrfach und im Endergebnis erfolgreich ein. Für den Rechtslehrer Odofredus wurde es geradezu typisch, wie er in seinen Lehrveranstaltungen sein Berufsbild reflektierte und damit den mehrheit­lich italienischen Legistikstudenten zeigte, worauf sie sich nach ihrem Studienende

Universities in the Late Middle Ages, in: William Courtenay / Jürgen Miethke (Hgg.), Universities and Schooling in Medieval Society (Educa­tion and Society in the Middle Ages and Renaissance 10), Leiden, Boston, Köln 2002, S. 100 – 126 (mit Quellennachweisen); Andrea Padovani, L’archivio di Odofredo. Le pergamene della famiglia G ­ andolfi Odofredi, edizione e regesto (1163 – 1499) (Università degli Studi di Bologna, Miscellanea 7), Spoleto 1992. 12 Walther, Learned Jurists (wie Anm. 10), S. 101 f.; zu den Bologneser Studienverhältnissen im frühen 13. Jh. zuletzt Carlo Dolcini, Lo Studium fino al XIII secolo, in: Ovidio Capitani (Hg.), Storia di Bologna 2, Bologna nel Medio Evo, Bologna 2007, S. 477 – 498.

Die Rechte – eine Karrierewissenschaft? 227

einzurichten hätten. Als Bürger Bolognas musste er sich der lex municipalis fügen, den scholares das Recht zur Rektorenwahl und damit zur universitas-­ Bildung zubilligen, auch wenn ihm diese Entscheidung im Gegensatz zur Bologneser Rechtstradi­tion der Exegese von Codex 3.17.3 zu stehen scheint.13 Andererseits bekennt Odofredus auch, dass es für einen Rechtslehrer angesichts der sozia­len Stellung seiner Studenten (si vero scholaris est magnus, contra quem magister timet) nicht leicht sei, seine als Richter seiner Scholaren getroffenen Urteile auch durchzusetzen. Die von ihm so vehement für Bologna als allein dafür legitimierter Ort verteidigte scientia nostra galt ihm dabei keineswegs als eine Wissenschaft von Philo­ sophen, die Geld verachteten. Schon Justinians Digesten hatten die recte philo­ sophantes (qui) contemnunt pecuniam (Papinian in D.50.5.8.4) von den studiosi iuris unterschieden, qui salaria petebant und diese Zahlungen von Antoninus Pius bewilligt erhalten (Ulpian in D.50.13.4). Zu den Geld verachtenden Philosophen gehörten die Juristen nicht. Wer diese scientia studieren wollte, konnte ­später auf erheb­liche Einnahmen rechnen. Papst Innozenz II. hatte deswegen 1130 auf dem Konzil von Clermont den Mönchen und Regularkanonikern das Studium der Medizin und der leges ausdrück­lich als scientiae lucrativae verboten.14 Seit 1229 blieben die leges nach dem Verbot von Honorius III. als Objekt der Pariser Studien ausgeklammert. Doch auch die Disziplin des Kirchenrechts konnte sich der Diskussion nicht entziehen, für die der in Bologna lehrende

13 Andererseits ist der Anmerkung des Odofredus bei seiner Behandlung der Authentica ‚Habita‘ (post C.4.13.5) in seiner Codex-­Lectura, dass die Studenten in Bologna während der Auseinandersetzungen mit der Bologneser Kommune auf das Gerichtsstandprivileg der ‚Habita‘ verzichtet hätten, eine besondere Bedeutung zuzumessen, wenn man sie mit der Bologneser statutarischen Neuregelung vom 15. April 1244 konfrontiert, in der der engere Rat der Kommune dem Antrag der universitas scolarium auf Neuregelung der städtischen Bannvorschriften bei Totschlagsdelikten an Studenten zustimmt. Zur Situa­tion von 1244 Walther, Learned Jurists (wie Anm. 10), S. 102 f.; generell zur Einbeziehung der Rechtslehrer in die Politik der Kommune allgemein Antonio Ivan Pini, I maestri dello Studio nell‘attività amministrativa e politica del Comune bolognese. In: Cultura universitaria e pubblici poteri a Bologna dal XII al XV secolo, Atti del 20 Convegno, a cura di Ovidio Capitani, Bologna 1990, S. 151 – 178, hier S. 157 ff. 14 Walther, Learned Jurists (wie Anm. 10), S. 104; auch ­Kaiser Friedrich II. glaubte Studenten aus Bologna für seine Neugründung in Neapel abwerben zu können, indem er dortigen Jurastudenten „lucra divitiarum“ und könig­lichen „favor et gratia“ in Aussicht stellte (Jean-­Louis-­Alphonse Huillard-­Breholles, Historia diplomatica Federici II, Bd. II.1, Paris 1852, S. 451).

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deutsche Kanonist Johannes Zemecke die schöne Sentenz prägte, dass die Wissenschaft eine Gabe Gottes sei, weshalb sie nicht verkauft werden dürfe. Aber dieser Bologneser Dekretalist der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts war wie schon Gratian im Jahrhundert zuvor selbstverständ­lich der Ansicht, dass Honorare für juristischen Rat und Beistand vor Gericht mora­lisch unanstößig ­seien und deshalb zu Recht gefordert werden dürften. Da das Studium beider Rechte, insbesondere aber das der leges nicht zuletzt wegen der notwendigen Bezahlung der Leistungen der Rechtslehrer nicht billig war, wurde es in den Rechtsschulen genau nach den Regeln von Preis und Leistung ausgestaltet und normiert. Odofredus rechnete seinen Bologneser Studenten vor, dass sie jähr­lich etwa 100 Lire benötigten, d. h. für ein fünfjähriges Rechtsstudium, das für die Anstellung als iudex in einer italienischen Kommune im Durchschnitt vorausgesetzt wurde, die überaus beacht­liche Summe von mindestens 500 Lire aufzuwenden hätten. Odofredus selbst verlangte als Rechtslehrer von seinen Studenten sogar 400 Lire pro Jahr. Wie prekär sich frei­ lich das Verhältnis eines nichtadligen Rechtslehrers zu adligen Rechtsstudenten in der Praxis gestalten konnte, zeigt die Bemerkung des Odofredus an anderer Stelle, dass die Studenten nicht ihren Lehrer grüßten, sondern darauf warteten, dass er sie zuerst grüße. Er jedenfalls sprach seine Hörer stets als Signori an.15 Wer als Ultramontanus sich auf den Weg zum Rechtsstudium nach Bologna machte, wusste im Regelfall, ­welche Lebenshaltungskosten auf ihn zukamen.

15 Odofredus, Lectura super Codice I Lyon 1532 (Repr. Bologna 1968), ad 1.4.8: Si vero scho­ laris est magnus, contra quem magister timet vel nollet procedere exequendo sententiam, potest adire presidem provincie (fo. 30vb); dazu Walther, Learned jurists (wie Anm. 10), S. 103. Noch vier Jahre nach dem Tod seines Vaters Odofredus treibt Albert eine Restsumme von 36 Lire vom Anteil zweier Schüler seines Vaters vom insgesamt fälligen, collecta genannten Betrag der jähr­lichen Studiengebühren von 400 Lire ein. Der Sohn Albert setzt, wie nun das Familienarchiv belegt, die Immobiliengeschäfte seines Vaters in gleicher Intensität fort und betätigt sich schon vor dem Tod des Vaters lebhaft als Darlehensgeber für Studenten, wobei das jähr­lich eingesetzte Kapital weit über 1000 Lire liegt.Schon Odofredus wusste anzüg­lich in seiner Codex-­Lectura zu bemerken, dass die Studenten bekanntermaßen schlechte Zahler s­ eien, die zwar ­Wissen erwerben, aber dafür nichts bezahlen wollten und noch zusätz­lich ihre Professoren um Kredite angingen. Als arm galt ihm ein Student der Rechte, dem nicht pro Jahr 100 Lire zur Verfügung standen. Vielleicht wollte der berühmte Rechtslehrer mit solchen Zahlen auch etwas seinen gewiss der Oberschicht angehörigen Hörern schmeicheln und mit solchen Bemerkungen in den Vorlesungen auch etwas zur Verbesserung ihrer Zahlungsmoral beitragen, Walther, Learned Jurists (wie Anm. 10), S. 105.

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Auch wenn die Mehrzahl der Studenten aus dem Reich an den Reno zu kanonistischen Studien kam, da für Legisten in der Heimat keinerlei Bedarf bestand und das Bologneser Studium praxisbezogen ausbildete, ist doch auch für ­solche Kirchenrechtsstudenten eine Zugehörigkeit zur (adligen) Oberschicht anzusetzen, die tradi­tionell Zugang zu reichen Pfründen beanspruchen konnte, mit denen ein Bologneser Studium abgesichert werden konnte. Ohne eine derartige Kapitels- oder Stiftspfründe war auch einem in Italien als pauper Eingestuften ein Rechtsstudium kaum mög­lich. Denn in seiner Glossa Ordinaria zu ­Gratians Dekret hatte noch vor der Mitte des 13. Jahrhunderts der schon genannte ­Johannes Teutonicus erklärt: Wer Bücher wälzen und juristische Glossen studieren müsse, verdiene auch als Kirchenrechtslehrer eine anständige Bezahlung.16 Deshalb nahmen im Oktober 1264 die Herren Aegidius von Brügge, der Tournaier Kanoniker Magister Johannes de Insula und die mit ihnen befreundeten Herren Johannes von Gent und Blundus bei Doktor Odofredus einen Kredit über 25 Lire pro necessariis sumptibus et expensis in studio Bononiensis auf, da sie dort Kanonistik weiterstudieren wollten. Schließ­lich wurden die ersten Studiengebühren für die Rechtslehrer entsprechend den Statuten am 30. November fällig. Odofredus machte übrigens zur Vertragsbedingung, dass die Studenten auf die Gerichtsstandsprivilegien der Kleriker und der kaiser­lichen Konstitu­ tion Barbarossas ‚Habita‘ von 1154 verzichteten. Auch die ersten, merkwürdig unbestimmten salaria competentes der Kommunen sicherten den doctores iuris nur ein „Grundgehalt“. Frei­lich wurde die Spannweite solcher salaria recht groß. Sie reichte im Padua des 15. Jahrhunderts bei den Legisten von 1000 Dukaten für den Ordinarius im Codex bis zu bloßen 15 für die Institu­tionenvorlesung, bei den Kanonisten von 300 für den Dekretalisten bis zu 40 für den zweiten Sextisten. Der Doktor beider Rechte Baldus de Ubaldis wurde mit 2000 Gulden Salär aus der visconteischen Staatskasse bei seiner zweiten Verpflichtung für Pavia 1393 zu einem der höchstbesoldeten Juristen des Spätmittelalters.17 Der Aufschwung der Studien des römischen Rechtes, der von der älteren Forschung so genannte „miracolo bolognese“ seit dem 11. Jahrhundert, wurde offensicht­lich durch den prozessrecht­lichen Erfolg des Einsatzes römischrecht­licher 16 Johannes Teutonicus, Glossa ordinaria ad Di. 37 c. 12 s. v. „ut magistri“; dazu Gaines Post / Kimon Giocarinis / Richard Kay, The Medieval Heritage of a Humanistic Ideal: ‚Scientia donum Dei est, unde vendi non potest‘, in: Traditio 11 (1955), S. 195 – 234; J­ ohannes Fried; Vermögensbildung der Bologneser Juristen im 12. und 13. Jahrhundert, in: Università e società nei secoli XII–XVI, Pistoia 1982, S. 27 – 55, hier S. 30 f. 17 Walther, Learned Jurists (wie Anm. 10), S. 107.

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Argumente ausgelöst, da der gleichzeitige mehrschichtige s­ ozia­le und politische Transforma­tionsprozess zur Entfaltung der neuen Herrschaftsform der Kommune in Italien diese Entwicklung und somit eine systematische Erschließung der spätantiken Rechtstexte der Digesten und des Codex durch Spezialisten begünstigte. Seit dem letzten Drittel des 11. Jahrhunderts lässt sich eine Trägerschicht ­dieses innovativen Schubs feststellen. Die ihn tragenden Juristen schufen mit ihrer rechtspraktischen Tätigkeit nicht nur eine ra­tionale Anpassung des Rechtssystems an die veränderten sozia­len Rahmenbedingungen, sondern bewirkten dabei auch, dass die Normen des spätantiken römischen Rechts bei den Führungsschichten in den sich ausbildenden neuartigen politischen Gemeinschaften der Kommunen auf Akzeptanz stießen, da sie deren inneren Frieden durch neue Formen des sozia­len Ausgleichs beförderten.18 Es war diese praktische, in Rechtsstreitigkeiten prozessual sich bewährende Tätigkeit der zunächst nur wenigen im römischen Recht gebildeten Juristen, die ihnen Einfluss und auch sozia­len Aufstieg in den Kommunen verschaffte. Inhalt­lich und methodisch erwiesen sich diese doctores legum gegenüber ihren rein gewohnheitsrecht­lich argumentierenden Kollegen deshalb als überlegen, weil sie die spätantiken Texte der Justinianischen Kodifika­tionen des 6. Jahrhunderts durch die Methode der Glossierung, vor allem der Texte der nun handschrift­lich bekannt gewordenen Digesten, als geschlossenes ra­tionales System betrachten und argumentativ in den Prozessen einsetzen konnten. Diese überlegene Durchsetzungskraft von derart am römischen Recht geschulten Juristen begünstigte zum Dritten auch den Aufschwung der von ihnen geleiteten Rechtsschulen, die damit die Konkurrenz von auch andernorts 18 In Absetzung von den älteren Deutungsmustern, Forschungsparadigmen und jüngsten personellen Zuweisungen und Datierungskontroversen Kenneth Pennington, The „Big Bang“. Roman Law in the Early Twelfth-­century, in: Rivista Internazionale di Diritto Comune 18 (2007), S. 43 – 70. Er beschränkt sich frei­lich auf das Paradigma des Praxisbezugs erst in den Zeugnissen von um 1130, als der Ertrag legistischer Lehren Eingang in die Konstitu­tionen König Rogers II. von Sizilien, in die ersten Rezensionen des Decretum Gratians, in Marginaltexte der als lateinische Authenticae rezipierten griechischen Novellen in kanonistischen Handschriften und in das Constitutum usus der Kommune Pisas findet; den sozia­len Rahmen der norditalienischen Kommune berücksichtigt er nicht. Vgl. dazu aber Helmut G. Walther, Lex und consuetudo. Zum politischen Hintergrund ihres Verhältnisses in den Lehren der Bologneser Legisten des 12. bis 14. Jahrhunderts, in: Das Gesetz, hgg. v. Andreas Speer und Guy Guldentops (Miscellanea Mediaevalia 38), Berlin, New York 2014, S. 109 – 122, hier S. 112 ff.

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in Norditalien und Südfrankreich bezeugten Bemühungen von Juristen um die prozessuale Nutzung des kodifizierten römischen Rechts bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts allmäh­lich ausschalteten. Die Trägergruppe des kommunalen Rechtssystems der Richter und Prozessanwälte orientierte sich in ihrer Methode der Textglossierung immer systematischer am kodifizierten spätantiken römischen Recht als höchster Autorität in Rechtsfragen. Mit der Übernahme römischrecht­licher Prozess­ technik und der dazugehörigen Argumenta­tion trug sie zugleich zur Verstetigung und Akzeptanz der Herrschaftsverhältnisse bei; denn die den sozia­len Wandel begleitenden latenten bis offenen sozia­len und politischen Konflikte in den Kommunen konnten durch ra­tionale Argumenta­tion vor Gericht nun entschärft und beigelegt werden. Die Normen, die sich durch die Autorität eines schrift­lich aus der Zeit vor den gegenwärtigen Parteistreitigkeiten stammenden Rechtssystems legitimierten, konnten in der kommunalen Welt durchaus sozia­l befriedend wirken. Die sozia­lgeschicht­lichen Untersuchungen der letzten Jahre haben ergeben, dass die ersten doctores legum in der Regel keine Angehörigen der Konsulats-­Oberschicht der Kommunen waren, dass ihr Angebot der Autorität des römischen Rechts von den Angehörigen der Mittelschichten nicht als bloßes neues Machtinstrument der von ihnen bekämpften städtischen Führungsschicht der milites verstanden und die ­daraus entwickelte Legalität als weitgehend „neutral“ in den innerstädtischen Konflikten angesehen wurde.19 Die Anfänge ­dieses Prozesses sind trotz aller Bemühungen der Forschung nicht im Detail zu rekonstruieren, jedenfalls nicht wie in Bologna seit dem ausgehenden 12. Jahrhundert und nachfolgend lange Zeit durch die Historiker auf die Person des genialen Rechtslehrer Irnerius in Bologna zurückzuführen. Der stärkste Propagandist dieser Legende war der bologne­sische Legist Odofredus de Denariis († 1265). In der politisch kritischen Situa­tion, als ­Kaiser Friedrich II. nach 1226 das Rechtsstudium in der ihm feind­lich gesonnenen Kommune B ­ ologna zugunsten seiner Hauptstadt Neapel verbieten wollte und zudem bereits an vielen Orten Norditaliens konkurrierende Rechtsschulen und universitates von Rechtsstudenten entstanden waren, war es ein geschickter Schachzug, die alleinige Legitimität der Bologneser Rechtsschulen von diesen Anfängen unter Irnerius her zu behaupten.

19 Zusammenfassungen bei Carlo Dolcini, Lo Studium (wie Anm. 11) u. Walther, Lex und consuetudo (wie Anm. 17).

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Dieser enge Schulterschluss ­zwischen den Rechtslehrern und der Kommune in Bologna war nicht zuletzt durch die politische Entwicklung in Nord­italien befördert worden, als die gefähr­lichen Konsequenzen der Lehren Bologneser Rechtslehrer in deren dritter Genera­tion in der Kommune am Reno klar wurden. So wurde um 1200 eine stete Lehrkontinuität in Bologna behauptet, die stets der consuetudo des Volkes die Mög­lichkeit einer zumindest partikularrecht­lichen Rechtssetzungskraft auch gegen den Wortlaut schrift­lich fixierter leges des Princeps eingeräumt habe. Damit wurde zugleich das kommunale Statutarrecht als verschrift­lichtes Gewohnheitsrecht legitimiert.20

20 Kaiser Barbarossa hatte sich 1158 der Hilfe der sog. Quattuor Doctores aus Bologna, der vier bedeutendsten Leiter von Bologneser Schulen des römischen Rechts, bedient, um gegenüber den auf ihre autonome Stellung pochenden Kommunen der Lombardei seine kaiser­lichen Rechtsansprüche durchzusetzen. Da Bologna sich in der Folgezeit der militärisch gegen Barbarossa durchaus erfolgreich agierenden Liga der lombardischen Kommunen angeschlossen hatte, um eigene Autonomieansprüche ebenfalls gegen die Staufer zu verteidigen, distanzierte sich die mittlerweile nachgewachsene dritte Genera­tion von Rechtslehrern in dieser Kommune mehrheit­lich von den älteren Lehren der vier Rechtsdoktoren von einer umfassenden Herrschergewalt (iurisdictio) des Princeps. Besonders die 1158 in Bologna mit Hilfe der vier Doktoren formulierte Lex Omnis iurisdictio billigte dem Princeps die alleinige iurisdictio zu und erhob den Anspruch, dass er allein allen Rechtsprechungsorganen die administratio verleihen und diese mit einem Richtereid an sich binden könne. Im Sinne der kommunalen Autonomie ­wurden s­ olche früheren Lehräußerungen und ihre praktische Umsetzung nun als schwerer Fehler, wenn nicht gar als Verbrechen betrachtet. Frei­lich wollte man nachträg­lich zumindest den Bulgarus, einen der vier Doktoren, von der Schande des Urhebertums von antikommunalen Lehren ausgenommen wissen, da sich auf ihn und seine Schule inzwischen alle namhaften Vertreter der Legistik in Bologna zurückführten. Aus der Bologneser Schultradi­tion der in die Sammlung des sog. Libri Feudorum inserierten kaiser­lichen Novellen wurden diese und zwei weitere leges ­Barbarossas von 1158 dann spätestens zur Mitte des 13. Jahrhunderts ausgeschieden. Dazu Helmut G. Walther, Sozia­ldisziplinierung durch die gelehrten Rechte im Mittelalter, in: Gewalt und ihre Legitima­tion im Mittelalter, hg. v. Günther Mensching (Contradictio 1), Würzburg 2003, S. 26 – 47 u. Walther, Lex und consuetudo (wie Anm. 17), S. 115 – 117; eine abweichende Deutung der Entstehung der Pferdeanekdote und der Rolle der Bologneser Rechtslehrer Martinus, Bulgarus, Azo und Odofredus bei ihrer Entstehung versuchte 1993 Kenneth Pennington, The Prince and the Law 1200 – 1600. Sovereignty and Rights in the Western Legal Tradi­tion, Berkeley, Los Angeles, Oxford 1993, p. 8 – 37 (‚The Emperor is Lord of the World‘).

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3  „Der Text erklärt den Text“. Zur Methode der gelehrten Juristen Bei allen Konflikten ­zwischen Rechtslehrern und Studenten über die Autonomie der sich bildenden studentischen universitates gibt es keine Zeugnisse über Kontroversen zum Inhalt juristischer Lehre. Von Anfang an stand für die Legisten der Praxisbezug ihres Studiums im Vordergrund. Mit der von prozesserfahrenen Rechtskundigen in Bologna entwickelten Methode, die neuen Texte des Codex Justinians und der Digesten systematisch aufzubereiten und dadurch prozessual-­argumentativ anwendbar zu machen, erwies sich die Überlegenheit dieser leges in der Praxis, weil sie von Rechtslehrern vermittelt wurden, die zugleich über die Erfahrung von Rechtspraktikern verfügten. Diese Durchsetzungsfähigkeit erzeugte zudem eine hohe Attraktivität, die diese scientia nostra Bolognas nicht nur in den Regionen Italiens mit römischem Vulgarrecht ausübte, sondern konkurrierende Ansätze zur Nutzbarmachung des römischen Rechts etwa in Südfrankreich überlagerte und erstickte. Dies ist umso auffälliger, als Odofredus als Schüler des Jacobus Balduini wie schon sein Lehrer in erheb­lichen methodischen Auseinandersetzungen mit dem aus Florenz nach Bologna gekommenen Rechtslehrer Accursius stand. A ­ ccursius gelang es, seine von ihm zusammengestellte Glossa ordinaria zu den Teilen des Corpus Iuris Civilis, die allein Gegenstand des Rechtsunterrichts waren, mit einer nahezu unangreifbaren Autorität auszustatten. Auf diese Weise geriet die Auseinandersetzung mit der juristischen Lebenswirk­lichkeit in den beiden Rechtsuniversitäten Bolognas und den anderen citramontanen Rechtsschulen in den Hintergrund, während im jungen Rechtsstudium von Orléans Schüler von Guido de Cumis, einem nach dort ausgewanderten Schüler des Jacobus Balduini, und anderen eine offensive Auseinandersetzung mit dem regionalen franzö­sischen Gewohnheitsrecht geführt wurde. Gerade der franzö­sische Königshof profitierte in innen- und außenpolitischen Konflikten erheb­lich von den „légistes“, so dass Philipp IV. 1312 in einer Ordonnance ausdrück­lich die Leistungen in Orléans bezüg­lich der doctrina equitatis et ra­tionis hervorhob, die Defizite älterer könig­licher Gesetzgebung und des Gewohnheitsrechtes zu beheben hülfen und einheit­liche Rechtsprechung mög­lich machten. Mit Cinus de Pistoja und seinem Schüler Bartolus setzte sich diese eigent­lich bei ­Balduini und Odofredus schon angelegte texttranszendierende Methode wieder in Italien durch. Das Renommee der schon zu ihren Lebzeiten als besondere Autoritäten anerkannten Bartolus und seines Schülers Baldus beruhte auf ihrer Methode, konkrete Rechtsprobleme nach den Rechtsprinzipien des

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Corpus Iuris nicht mehr durch bloße Textexegese zu lösen. Zum Kennzeichen aller renommierten Rechtslehrer wurden deshalb ihre Consilia, die, von ihnen und ihren Schülern bald gesammelt, an literarischer Bedeutung und Wirkung die zur juristischen Schulung verfassten Kommentare zu den Büchern des Corpus Juris weit übertrafen.21 Für die Periodisierung der mittelalter­lichen Universitätsgeschichte, für den Ausgriff der Institu­tion der studia generalia auch in die Regionen nörd­lich der Alpen und öst­lich des Rheins ist sicher­lich von Bedeutung, dass sich die Einrichtung von legistischen Studien im Rahmen der juristischen Fakultäten der neugegründeten Universitäten in Mitteleuropa erst zu dem Zeitpunkt vollzog, als diese neue konsiliaristische Legistik gerade wegen ihrer prak­tischen Pro­ blemkompetenz allerhöchstes Ansehen überall in Europa genoss. Andererseits darf diese methodische Entwicklung der universitären Jurisprudenz nicht überschätzt werden. Wegen ihrer überwiegend rechtsdogma­tischen Ausrichtung neigt die rechtshistorische Forschung dazu, methodische Gesichtspunkte überzubetonen. Sozia­lhistorische Aspekte relativieren s­ olche rein dogmengeschicht­ lichen Periodisierungsansätze nicht nur, sondern verweisen darauf, dass langfristigen Kontinuitäten für Karrieremotiva­tionen ein größeres Gewicht zukommt als rein disziplingeschicht­lichen Gesichtspunkten. Selbst in Italien blieben bis zum Ende des Mittelalters die Anforderungen an einen städtischen Judex unverändert: eine fünf- bis sechsjährige Studienzeit, in der die Hauptbücher des Corpus Juris gehört wurden und der Besitz eines Exemplars des Codex Iustiniani nebst dem zugehörigen Handbuch des Azo, ebenso Exemplare des Digestum Vetus und der Institu­tionen.22

21 Dolcini, Lo Studium (wie Anm. 11), pass.; Helmut G. Walther, Zum Wandel und zur Begründung juristischer Argumenta­tionstechniken an den italienischen und deutschen Universitäten im 15. und frühen 16. Jahrhundert, in: Muster im Wandel, Zur Dynamik topischer Wissensordnungen in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, hg. v. Wolfgang Dickhut / Stefan Manns / Norbert Winkler (Berliner Mittelalter- und Frühneuzeitforschung 5), Göttingen 2008, S. 49 – 73, hier S. 54 ff. 22 Annalisa Belloni, L’insegnamento giuridico nelle università italiane, in: Luciano Gargan / Oronzo Limone (Hgg.), Luoghi e metodi di insegnamento nell’Italia medioevale (secoli XII –XIV ), ed., Lecce 1989, S. 141 – 152; Walther, Sozia­ldisziplinierung (wie Anm. 19), S. 33 ff.; zur einseitig an der Entwicklung der Rechtsdogmatik ausgerichteten Rechtsgeschichtsforschung s. Jan Schröder (Hg.), Entwicklung der Methodenlehre in Rechtswissenschaft und Philosophie vom 16. bis zum 18. Jahrhundert (Contubernium 46), Stuttgart 1998.

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Verschieden war die Situa­tion frei­lich von Anfang an in der Kanonistik durch die bewusste Novellierung der Rechtsmaterie mittels päpst­licher Dekretalen und der anschließenden systematisierenden Novellensammlungen des päpst­ lichen Dekretalenrechts. Neben dem Liber Extra Gregors IX. und dem Liber Sextus Bonifaz’ VIII., den Clementinen und den Extravaganten als den vier offiziellen Kodifika­tionen durch die päpst­liche Kurie im 13. und 14. Jahrhundert standen noch die „halboffiziellen“ bzw. authentisierten Sammlungen päpst­ licher Dekretalen. Durch die ständige Fortbildung des Kirchenrechts mit diesen päpst­lichen Dekretalen, deren Urheber ja zumeist selbst Kanonisten waren, oft sogar mit längerer Lehrerfahrung im Rechtsstudium, erfuhr der Studienplan der Kanonistikstudenten eine stete Aktualisierung, wenn auch im normalen Lehrbetrieb bereits Liber Sextus und Clementinen nicht den Sprung in die ordi­ narie vormittags oder nachmittags stattfindenden Vorlesungen schafften, wie die jüngsten eingehenden Untersuchungen des Lehrbetriebs in Italien ergaben. Die Dekretistik erhielt wohl erst in Zusammenhang mit den Problemen des Großen Schismas und der nachfolgenden Konzilsdiskussion wieder eine größere Bedeutung. Allerdings verraten uns einige Studentenberichte, dass die Dekretvorlesung ganz im Unterschied zur Dekretalenlectura nur kursorisch erfolgte. Der in den Rotuli des Paduaner Studienbetriebs nur als ordinarie mit einem Salär von 300 Dukaten stets vormittags die Dekretalen lesende Prosdocimo Conti ist uns 1423 aus der Vorlesungsmitschrift des Nikolaus von Kues zusätz­lich als Lehrer des Prozessrechtes bezeugt 23. Das Verhältnis der Rechtslehrer zu den Rechtsstudenten an den renommierten italienischen Rechtsschulen war zwar keineswegs konfliktfrei, doch betrafen die Auseinandersetzungen ­zwischen den doctores und den die Korpora­ tionen der universitates bildenden studentischen Landsmannschaften (na­tio­ nes) der Citramontani und Ultramontani durchwegs nur Probleme bei der Organisa­tion der Lehre, nicht jedoch die Studieninhalte. Bis zum 14. Jahrhundert hatten sich bereits in vielen Kommunen Ober- und Mittelitaliens 23 Annalisa Belloni, Professori giuristi a Padova nel secolo XV. Profili bio-­bibliografici e cattedre (Ius Commune. Sonderheft 28), Frankfurt/M. 1986; nun ausführ­lich in drei Bänden: Der Einfluss der Kanonistik auf die euro­päische Rechtskultur, Köln, Weimar, Wien 2010 ff.; konkrete Beispiele: Helmut G. Walther, Pavia und Padua im frühen 15. Jahrhundert. Zur Profilierung zweier Rechtsuniversitäten bei der Ausbildung für die politische Praxis, in: Jacques Krynen / Michael Stolleis (Hgg.), Science politique et droit public dans les facultés de droit européennes (Studien zur euro­päischen Rechtsgeschichte 22), S. 263 – 282.

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universitates studii für den Rechtsunterricht etabliert. Im Gefolge d ­ ieses Verbreitungsprozesses waren die Lehrer der Legistik und Kanonistik anders als noch im vorhergehenden Jahrhundert nicht mehr allein von den Studiengebühren ihrer Rechtsstudenten abhängig, sondern erhielten in der Mehrzahl bereits zusätz­lich genau fixierte Gehälter aus den Schatullen der Kommunen bzw. der Signori. Obwohl die Rechtslehrer also auch nicht mehr organisatorisch von den weiterhin von den studentischen na­tiones getragenen univer­ sitates abhängig waren, gibt es auch aus dieser Periode keine Zeugnisse von Konflikten über Studieninhalte und Methoden. Rechtslehrer und Studenten waren sich von Anfang an seit der Institu­tionalisierung des Rechtsunterrichts im 12. Jahrhundert darüber einig, dass die Rechtsschulen keine Rechtsgelehrten, sondern Berufsjuristen ausbilden sollten. Welche Konsequenzen hatte das aber konkret für den Rechtsunterricht, wenn sich unter den führenden Rechtsgelehrten im Verlauf des 14. Jahrhunderts an den italienischen Juristenuniversitäten neue Methoden der Rechtswissenschaft durchsetzten, die Rechtsstudenten aberim Sinne der Anwendbarkeit des Erlernten weiterhin auf den alten Lehrmethoden bestanden? Ein Befund zu dieser Problematik lässt sich durchaus aus mehreren erhaltenen italienischenHandschriften von Büchern des Corpus Iuris Civilis aus offensicht­lich studentischem Besitz erheben, und zwar insbesondere anhand der in diese Texte in zeit­licherAufeinanderfolge eingetragenen Glossierungen. Der Rechtsstudent erwarb beim Sta­tionarius seines Universitätsortes sog. Pecien-Exemplare der Bücher des römischen Rechts, die in genau vorgeschriebener Reihenfolge Gegenstand der Lecturae seiner Lehrer bildeten. Diese offiziösen Hefte enthielten neben dem Quellentext des Corpus Iuris auch die Glossa ordinaria des Accursius. Während derVorlesungen über die in den Studienplänen jeder Juristenuniversität zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt zu behandelnden Bücher, tituli und leges der Teile des Corpus, trug der Student jeweils am Rand die von der Glosse abweichenden und den derzeitigen Forschungsstand spiegelnden vom Professor vorgetragenen Lehrmeinungen ein. Es war geradezu das Charakteristikum des Rechtsunterrichts, den jeweils aktuellen Stand der„herrschenden Lehre“ per viam addi­tionem anzumerken. Die erhaltenen italienischen Handschriften zeigen nun als Befund, dass die Pecien-­Texte sogar über mehrere Studentengenera­tionen wiederverwendet wurden: Sie weisen näm­lich addi­tiones verschiedener Hände auf, die in der Regel mit den Siglen der für sie verantwort­lichen Rechtslehrer versehen wurden, so dass sich eine zeit­liche Reihung herstellen lässt und vor allem auch die Lehrmeinungen dieser Rechtslehrer als authentisiert gelten können. Aus

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einem heute in der Kapitelbibliothek von Lucca verwahrten Codex lässt sich auf diese Weise die Vorlesung rekonstruieren, die der berühmte Rechtslehrer Bartolus von Sassoferrato in den Jahren 1353/54 an der Universität Perugia zum Digestum Novum hielt.24 Dies gilt nicht nur für die dem Auditorium vorgetragenen Lehrinhalte, sondern auch für die in der Vorlesung angewandte Methode. Die Handschrift vermerkt näm­lich als wört­liche Mitschrift in Ich-­Form die Ausführungen, die Bartolus in seiner Lectura an den Stellen machte, wo er über die Standardglosse des Accursius hinausging bzw. sie korrigierte. Er verwendete dabei noch immer die tradi­tionelle Form der additio zur Standardglosse. Dies ist umso auffälliger, als ja Bartolus als wichtigster Vertreter der vom Rechtslehrer Dinus de ­Rossonis aus dem Mugello über dessen Schüler Cino di Sighibuldis aus Pistoia und Andrea Ciaffi aus dem Usus des franzö­sischen Rechtsstudiums in Orléans übernommenen modernen Form des Problemkommentars zu den leges des Corpus Iuris Civilis gilt. Dieser von der an den italienischen Rechtsuniversitäten noch immer herrschenden tradi­tionellen Methode der Wortglossierung (Der Text erklärt den Text) abweichende accessus der franzö­sischen Legisten wurde von Bartolus und seinem Schwiegersohn in ihren weite Verbreitung erlangenden Kommentarwerken zu den Büchern des Corpus Iuris Civilis bereits seit den 40er Jahren des 14. Jahrhunderts konsequent angewendet und bildete auch die methodische Grundlage der so einflussreichen Problemkommentare des Bartolus in Traktatform. Nicht zuletzt deshalb galt Bartolus schon im Spätmittelalter als bedeutendster Vertreter der neuen Schule der legistischen Kommentatoren, die bis heute in der Geschichte der Rechtswissenschaft von der älteren Methode der Glossatoren geschieden wird. Dennoch steht durch das genannte handschrift­liche Zeugnis aus Lucca, das inzwischen durch einige andere ergänzt wird, fest, dass auch um die Mitte des 14. Jahrhunderts an den italienischen Rechtsstudia der Unterricht im römischen Recht noch nach dem alten Schema der Behandlung des in puncta gegliederten Textes der Teile und Bücher des Corpus IurisCivilis erfolgte und der Glossa ordinaria des Accursius vom Rechtslehrer jeweils nur notwendige Ergänzungen hinzugefügt wurden. So verfuhr auch Bartolus noch im Unterricht in seinen letzten Lebensjahren in Perugia.25 24 Walther, Zum Wandel (wie Anm. 20), S. 50 – 53. Umfassend zum Pecien-­System an Rechtsstudien Soetermeer, Utrumque ius (wie Anm. 4). 25 Dazu nun anhand von Textvergleichen z­ wischen hss. Überlieferung und gedruckten Kommentaren Susanne Lepsius, Bartolus’ Auseinandersetzung mit dem Digestum Novum ­zwischen lectura und commentum, in: Bartolo da Sassoferrato nel VII centenario

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Damit kann als zusätz­licher Befund gesichert gelten: Als Rechtswissenschaftler orientierten sich Bartolus und seine Kollegen in den italienischen Rechtsstudia zwar an der neuen in Orléans entwickelten Methode des Sachkommentars und verbreiteten ihre Commentarii, Tractatus und Consilia auf handschrift­lichem Wege. Die neue bald als sog. „Bartolismo“ rezipierte Methode der Legistik verbreitete sich jedoch zunächst nur über diese verschrift­lichten Kommentare, die fälschlich oft Lecturae benannt wurden, jedoch nicht in der Vorlesungspraxis der italienischen Rechtsstudien und damit für die Ausbildung der Juristen eine Rolle spielten. Der Rechtsunterricht zielte weiterhin auf bloßes Textverständnis und eine entsprechende glossierende Interpreta­tion. Doch wie war diese bemerkenswerte intellektuelle Leistung der hoch­mittel­ alter­lichen Rechtsgelehrten in Norditalien und Südfrankreich der Etablierung einer scientia civilis überhaupt mög­lich, d. h. die Aneignung einer fremden Rechtswelt und ihre Nutzbarmachung für und Anwendung auf die Verhältnisse der eigenen mittelalter­lichen Gegenwart? Für viele moderne Interpreten nur dadurch, dass die ersten legistischen Rechtsgelehrten eine ihnen aus ihrer Schulbildung bekannte Topik auf das Textcorpus der spätantiken Rechtstexte anwandten und es damit ordneten.26 Aber prinzipiell unterschied sich das Verhältnis von Theologen und Juristen an der Pariser Universität nicht von den Bologneser Verhältnissen. In Paris, so bemerkt der Bologneser Jurist Johannes von Legnano gegen Ende des 14. Jahrhunderts bitter, würden die Kanonisten sogar als asini bezeichnet, bloß weil sie sich in ihrem Fach nicht der aristote­lischen Wissenschaftslehre bedienten. Solchen unqualifizierten Angriffen glaubt Legnano entgegentreten zu können, da er als Kenner dieser Wissenschaftslehre – und das war eben für einen Juristen ungewöhn­lich – diese Vorwürfe als völlig haltlos entkräften zu können glaubte.27

della nascita: Diritto, politica, società (Atti dei Convegni del Centro italiano di studi sull basso medioevo – Accademia Tudertina 27), Spoleto 2014, S. 601 – 629. 26 Walther, Zum Wandel (wie Anm. 20), S. 56 f.; Andrea Padovani, ‚Tenebo hunc ordinem‘. Metodo e struttura della lezione nei giuristi medievali (secoli XII–XIV), in: Tijdschrift voor Rechtsgeschiedenis 79 (2011), S. 353 – 389. 27 Johannes von Legnano, a) Biografie: Filippo Bosdari, Giovanni da Legnano, canonista e uomo politico del 1300. Attti e memorie Storia Patria Provincie di Romagna 18 (1901), S. 1 – 337; Egidio Giannazza e Giorgio d’Ilario, Vita e opere di Giovanni da Legnano, Legnano 1983; Helmut G. Walther, Canonica sapiencia und civilis sciencia.Die Nutzung des aristote­lischen Wissenschaftsbegriffs durch den Kanonisten Johannes von Legnano

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Bereits 1364 – also wohl kaum zufällig im Jahr der Integra­tion der mendikantischen Studien als theolo­gische Generalstudien in die Bologneser Universitäten – war Johannes von Legnano von seinen Kollegen und Studenten der Rechtsuniversitäten in der Kommune gebeten worden, die Moralphilosophie des Aristoteles, also den Teil, in dem in der tradi­tionellen Wissenschaftslehre die Tätigkeit der Juristen angesiedelt wurde, aus der besonderen Terminologie des Stagiriten und der Artisten in die der Kanonistik zu übertragen und zu erläutern. Legnano erfüllte diese Bitte mit seinem Traktat „De pace“. 1372 wollte dann der Doktor der beiden Rechte in seinem Traumtraktat („Somnium“) sich nicht bloß in Gegenpolemik gegen die pseudoartisti, mendi­ canti et medici erschöpfen, sondern ganz aristotelisierend mit Hilfe der habitus-­ Lehre den Gegnern beweisen, dass Kanonisten und Legisten auch nach dieser Lehre ein Platz unter den Wissenschaften zukomme.28 Legnano stellte sich dabei selbst die Aufgabe, die Abqualifika­tion der Tätigkeit der Juristen zu einer bloßen cognicio zu widerlegen, indem er sie in der aristote­lischen habitus-­Hierarchie nicht nur auf die Stufe von ars und prudencia (1320 – 1383) im Kampf der Disziplinen, in: Scientia und ars im Hoch- und Spätmittelalter (Miscellanea Mediaevalia 22), Berlin, New York 1994, S. 863 – 876; Maria Consiglia De Matteis, Giovanni da Legnano e il papato, in: La Chiesa di Bologna e la cultura europea (2002), S. 51 – 61; Giorgio D’Ilario, Le origini di Giovanni degli Oldrendi da Legnano, in: Giullietta Voltolina (Hg.), Giovanni da Legnano, Somnium, Legnano 2004 (nicht paginiert); Andrea v.Hülsen-­Esch, Zur Konstituierung des Juristenstandes durch Memoria, Die bild­liche Repräsenta­tion des Giovanni da Legnano, in: O. G. Oexle (Hg.), Memoria als Kultur, Göttingen 1995, S. 185 – 206; Roberto Lambertini, Contributo al profilo culturale di Giovanni da Legnano: Buridano come fonte del Somnium, in: Scritti di storia medievale offerti a Maria Consiglia de Matteis, Spoleto 2011, Sp. 300 – 311, Sp. 304 f.; b) politische Aktivität: Bosdari, pass.; Maria Consiglia. De Matteis, Profilo di Giovanni da Legnano, in: O. Capitani (Hg.), L’Università a Bologna. Personaggi, momenti e ­luoghi dalle origini al XVI secolo, Bologna 1987, S. 157 – 171; Helmut G. Walther, Canonica sapien­ cia und civilis sciencia, pass.; de Matteis, Diritto e politica nel Somnium di Giovanni da Legnano, in: Voltolina, Somnium (wie oben), nicht paginiert. Zuletzt Helmut G. Walther, Giuristi contro teologi. Il contesto storico della nascita della facoltà di Teologia dell’Università di Bologna, in: Università, teologia e studium domenicano dal 1360 alla fine del Medioevo (Biblioteca di „Memorie Domenicane”), Florenz 2015, S. 29 – 42; ders., Canon Law and Theology. John of Legnano’s Part in the Quarrels b ­ etween Aristotelians and Jurists at Bologna in the 14th Century, in: Proceedings of the XIVth Interna­tional Congress of Medieval Canon Law, Città del Vaticano 2016 (i. Dr.). 28 Johannes de Legnano, Somnium, ed. Voltolina (wie Anm. 25). Zitate sind jeweils an der Leithandschrift, Vat. lat. 2639, fo. 247ra–273vb, überprüft und z. T. stillschweigend korrigiert.

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erhob, sondern für die Kanonistik den Nachweis zu führen versuchte, es handle sich bei ihr um eine sapiencia, bei der Legistik aber zumindest um eine s­ ciencia. Von der Terminologie her beanspruchte Legnano damit für die Kanonistik Gleichrangigkeit mit der Theologie. 58 mög­liche Gegenargumente versammelt Johannes zunächst, mit denen die Gegner der Juristen deren habitus auf den Status einer cognicio fabularis herab­drücken wollten, die deshalb eben nicht dem ordo der habitus intellectua­ les zugerechnet werden könne. Denn der habitus der Juristen gehe auf Gesetze zurück, die von Menschen gemacht s­ eien, während für sapiencia, sciencia und intellectus, aber auch für prudencia gelte, dass sie sich auf Universalien bezögen und gründeten.29 Der habitus der Kanonisten und Legisten sei keine sciencia, da durch die sich stets verändernde Gesetzgebung nicht klar ­zwischen Mög­lichem, Unmög­lichem und Notwendigem geschieden werden könne, wie das Aristoteles in der Nikomachischen Ethik und in den Analytica posteriora als Kriterium für eine Wissenschaft gefordert habe. Der habitus der Juristen sei nach Meinung der Gegner aber auch nicht als intellectus (der aristote­lische nous) einzustufen, da die Gesetze und Dekretalen nicht auf erste Prinzipien zurückgeführt werden könnten, sondern vom menschlichen Willen bestimmt würden. Der habitus entspreche zum Dritten aber auch nicht dem aristote­lischen Kriterium für sapiencia, ja nicht einmal demjenigen für prudencia, da bei leges und Dekretalen eben der Wille des Gesetzgebers entscheide, nicht aber die experiencia, in der sich Universales und Partikulares verbänden. Schließ­lich könne nach Meinung der Gegner der habitus der Juristen nicht einmal als eine ars gelten, da er bloße actio erzeuge, nicht aber dem dafür geforderten aristote­lischen Kriterium der factio genüge.30 Angesichts solcher Argumenta­tion der Gegner verzichtet Johannes von ­Legnano bewusst auf die Gewinnung von Gegenargumenten aus klas­sischen juristischen Texten. Er merkt an, dass ihm beim Zitieren von Aussagen von Juristen über die eigene Wissenschaft sonst sofort entgegengehalten würde, dies ­seien bloß nicht beweiskräftige textus familiares producti de domo juriste. Seinen Gegenbeweis tritt Johannes von Legnano vielmehr damit an, utendo et termis phylosophorum, ut propriis codicibus confudantur vituperantes et vilificantes hunc habitum.31 29 Somnium I, c. 1 – 56. ed. Voltolina, p. 22 – 37 = Cod. Vat. lat. 2639, fo. 247v. 30 Somnium I, c. 1 – 20 (scientia), c.  21 – 28 (intellectus), c.  29 – 38 (sapiencia), c.  39 – 45 (ars), c.  46 – 56 (prudencia), ed. Voltolina, p.  22 – 30, 30 – 31, 31 – 34, 34 – 35, 35 – 37. 31 Somnium I, c. 59, ed. Voltolina, p. 38 = Vat. lat., fo. 248va. Ähn­lich sein Verweis, nachdem er knapp die sapientia-­Lehre des Aristoteles aus dessen „Metaphysik“ nach Buridians

Die Rechte – eine Karrierewissenschaft? 241

Legnano teilt die virtutes morales zunächst nach ihrem Universalien- und Partikularienbezug in zwei Gruppen ein, trennt also sapiencia, sciencia und intellectus als Gruppe von prudencia und ars. Für sapiencia sei die Befassung mit allgemeinen Prinzipien kennzeichnend, die entweder per Syllogismus bewiesen würden oder als natür­liche aus sich selbst heraus verständ­lich ­seien. Die ockhamistische Posi­tion wird nur kurz referierend erwähnt. Nun kann für Legnano die Kanonistik sogar als sapiencia perfectissima gelten, da sie durch Offenbarung am Gött­lichen teilhabe; denn dies sei Teil ihrer Aufgabe, über den katho­lischen Glauben zu unterrichten. Ihre besondere Tätigkeit bei der Konfliktlösung unter Menschen sichere ihr eine eigenständige Aufgabe für die Gewinnung des ewigen Heils.32 Die Kanonistik sei aber auch sapiencia ut sciencia, indem sie dafür sorge, dass die sciencia principiorum über den Weg des Verstehens (intellectus) auf Partikularien angewandt werde. Unverkennbar ist hier die Absicht Legnanos, seiner Disziplin Kanonistik die Gleichrangigkeit mit der Theologie zu sichern. Die Fixierung auf ­dieses Beweisziel lässt den Argumenta­tionsgang Legnanos an dieser Stelle etwas arg gezwungen und keinesfalls stringent erscheinen.33 Dagegen hat er weniger Mühe, Legistik und Kanonistik den Rang einer bloßen sciencia zu sichern. Nach Aristoteles sei wissenschaft­liche Kenntnis mehr spekulativ als praktisch. Obwohl sich Gesetze nur mit kontingenten Dingen beschäftigten, sei der habitus der Legisten eine wahre sciencia, da er die Parti­ kulargesetze unter allgemeinen Prinzipien subsumiere, so wie die ­sciencia moralis die Unbestimmtheiten menschlichen Verhaltens unter Prinzipien mora­lischer Existenz ordne. Auch wenn sämt­liche positiven Gesetze beseitigt würden, bliebe doch eine Rechtswissenschaft bestehen, da die Prinzipien, auf denen das Recht beruhe, universal und ewig s­ eien. Kein Fürst könne die menschliche Fähigkeit, diese Prinzipien zu erfassen, abschaffen.34 In ähn­licher Weise bemüht sich Legnano, in den nächsten zwei Schritten zu zeigen, dass die Tätigkeit der Juristen auch den Kriterien für eine Tätigkeit als prudencia einer von einer bloßen ars unterschiedenen virtus intellectualis entspricht. Dabei sei der habitus der Juristen als habitus cum vera ra­tione activus Kommentar referiert hat: Isti sunt modi secundum quos dicitur sapiencia in herendo dictis phylosophorumut utar terminis eorum et non utar testibus domesticis productis de familia iuristarum (Somnium I, c.72, ed. Voltolina, p. 43). 32 Somnium I, c. 60 – 74, ed. Voltolina, p. 38 – 44. 33 Somnium I, c. 75 – 85, ed. Voltolina, p. 45 – 51. 34 Somnium I, c. 75 – 83, ed. Voltolina, p. 45 – 50.

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von der ars als habitus vera ra­tione factivus zu unterscheiden.35 Der Diskussion, was eine ars nach der Wissenschaftslehre der Philosophen sei, widmet Johannes von Legnano nur wenige Kapitel.36 Es kommt ihm vor allem darauf an, dass die Tätigkeit der Juristen den höherrangigen habitus zuzurechnen sei. Dabei gewährt er den meisten Raum in seinen Ausführungen der Lehre von der prudencia. Er greift dabei auf die Unterscheidung von prudencia monastica, yconomia und politica zurück, die in der moralphilosophischen Diskussion der Artisten des 13. Jahrhunderts eine so große Rolle gespielt hatte.37 Prudencia, die zum Guten führe, habe unter den handlungsbezogenen virtutes die ­gleiche Rolle inne wie die Metaphysik unter den theoretischen. J­ ohannes sucht an ­diesem Punkt besonders die Auseinandersetzung mit den Lehren der Pariser Artisten. Denn von diesen werde behauptet, dass die Kanonisten wegen ihrer Unbeholfenheit in wissenschaftstheoretischen Dingen Esel genannt werden müssten. Johannes pointiert geschickt seine Verteidigung gegen ­solche Anwürfe: Es waren ja gerade die Artisten gewesen, die im 13. Jahrhundert die Tradi­tion begründet hatten, die moralis philosophia der Nikomachischen Ethik des Aristoteles in ethica (monastica), oeconomia und politica zu untergliedern. Dabei setzte diese artistische Wissenschaftsschematik die Politik einfach mit den leges und decreta gleich. Erst nach der Rezep­tion der Aristote­lischen Politik galt dann für die Wissenschaftsschematik „politica est plus quam legispo­ sitiva“. Damit war zugleich ein neuer Diskurs zur Begründung einer eigenen scientia civilis eröffnet, an dem sich frei­lich die gelehrten Juristen weniger aus Nichtkompetenz als mangels ihrer terminolo­gischen Unkenntnis in der Regel nicht beteiligten.38 35 Somnium I, c. 201, ed. Voltolina, p. 113 f. 36 Somnium I, c. 204 ff., ed. Voltolina, p. 115 ff. 37 Somnium I, c. 86 – 157, ed. Voltolina, p. 51 – 86. Zur prudencia-­Lehre Legnanos ausführ­ lich Walther, Canon Law and Theology (wie Anm. 25). 38 Zum Wissenschaftsdiskurs über die scientia civilis im 14. Jh. Walther, Die Monastica als philosophia practica. Zu einem Aspekt der Aristotelesrezep­tion im 13. und 14. Jahrhundert, in: Konrad von Megenberg (1309 – 1374) und sein Werk, in: Claudia Märtl / Gisela Drossbach / Martin Kintzinger (Hgg.), Das Wissen der Zeit (Zeitschr. f. bayer. Landesgesch., Beih. 31), München 2006, S. 297 – 316; ders., Canon Law and Theology (wie Anm. 25). Angesichts des Diskursverlaufes verzichtet Legnano auf Aussagen von Juristen über die eigene Wissenschaft, da solchen textus familiares producti de domo juriste von den Gegnern keine Beweiskraft zugebilligt würde.(Somnium I, c. 59, ed Voltolina, p. 37). Zur Einschätzung ihrer scientia civilis als höchstrangige Wissenschaft und zu den Folgerungen der gelehrten Juristen über die Nobilitierung ihrer Praxis jetzt

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Johannes von Legnano bemüht sich in seiner Argumenta­tion, die ältere Tradi­tion der Artisten für seinen Beweiszweck und damit für die Juristen nutzbar zu machen. Er greift deshalb zusätz­lich die aristote­lische Diskussion über eubulia und acubulia, synesis und sygnome, prudencia simplex und prudencia secundum quid auf und versucht damit nachzuweisen, dass die beiden Rechte vollkommen den Anforderungen der prudencia als eines Wegs zum Guten entsprächen. Während das Kirchenrecht als Ziel die felicitas coelestis habe, setze sich das welt­liche Recht die Erreichung der irdischen Glückseligkeit als Aufgabe, die aber indirekt auf den näm­lichen Endzweck ziele. Mit der Leitung menschlicher Handlungen auf den Pfad der Tugend, der Anleitung zum Leben im Frieden, der Bestrafung von Verbrechen und der Beilegung von Konflikten sowie der Suche nach dem öffent­lichen Guten stellten die sacri virtutes intellec­ tuales eine perfekte Erfüllung der geforderten virtutes der prudencia dar. Eine ars sei dieser habitus frei­lich nur in dem Sinn, dass das ius civile archite(c)tonice alle spezifischen artes normiere und regele.39 Frei­lich begnügt sich Legnano noch nicht mit solchen Feststellungen. Ihm kommt es als Fazit seiner Beweisführung darauf an zu zeigen, dass die Rolle der sapiencia, die zumindest der Kanonistik zukomme, eine ranghöhere sei als die einer einfachen prudencia. Mit dieser Rangerörterung leitet Legnano zum zweiten Teil seines Traktates über, in dem er das Verhältnis der beiden Rechte zueinander erörtern will. Indem er dabei den Vorrang des kanonischen Rechtes hervorhebt, präfiguriert

umfäng­lich Patrick Gilli, La noblesse du droit. Débats et controverses sur la culture juridique et le rôle des juristes dans l’Italie médiévale (XII e – XIII e siècles) (Études d’histoire médiéval 7), Paris 2003. 39 Somnium I. c. 123 – 141. ed. Voltolina, p. 67 – 75. Zusammenfassend: Adhuc VI Ethycorum distinguit [sc. Philosophus] tres partes prudencie secundum tres partes bonorum in nobis procuratorum bonum, scilicet bonum monasticum, bonum yconomicum et bonum polliticum. Ponit eciam divisionem officiorum que gerimus in civili communitate: illa enim spectat ad principem et vocatur architetonica sive legis positiva; alia spectat ad subditos et vocatur pollitica. Sic potest dividi yconomica in paternam et filialem, in virilem et uxoriam. Hiis attentis luce clarius demonstratu, quod habitus ellicitus ex compilla­tionibus legum et canonum sunt vera generalis prudencia. Nam hii habitus finem sibi faciunt, scilicet felicitatem mundialem, ad quam tendit vivere humanum que consistit in operibus virtutum et specula­tionibus intellectus, quarum prima pars est felicitas pollitica(Somnium I, c. 141, ed. Voltolina, p. 75 = Vat. lat. 2639, fo. 253va).

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er schon den abschließenden Abschnitt über das Verhältnis ­zwischen geist­ licher und welt­licher Gewalt.40 Aber nicht diese Version vergleichbarer zahlreicher Abhandlungen über die Zwei-­Gewalten-­Lehre im 14. Jahrhundert, in der der doctor utriusque iuris charakteristischerweise eine Trennung des welt­lichen vom geist­lichen Recht leugnet, sondern die Argumenta­tionsweise des Johannes von Legnano mit Hilfe des aristote­lischen Begriffsvokabulars ist das Bemerkenswerte ­dieses Traktates. Johannes stellt damit eine der wenigen Ausnahmen unter den Juristen des 14. und 15. Jahrhunderts dar, die sich auf das Experiment einlassen, die aristote­ lische Terminologie für juristische Erörterungen in politischen Traktaten zu verwenden.41 Im Lehrbetrieb an den Universitäten war diese Terminologie ungebräuch­lich und auch völlig unnötig. In der späteren Praxis der hier ausgebildeten Juristen war eine Kenntnis der aristote­lischen Philosophie unnötig, ja vielleicht sogar hinder­lich. Auf alle Fälle empfanden Juristen keine methodolo­gische Notwendigkeit, sich mit dem so andersartigen Begriffsapparat und mit der fremden Wissenschaft der Artisten und Theologen auseinanderzusetzen. Renommierte juristische Universitätslehrer mochten Unbehagen angesichts der herablassenden bis offen despektier­lichen Titulierung ihrer Tätigkeit durch Philosophen und mendikantische Theologen empfinden, ja über die Qualifizierung als asini offen empört sein; ihrer überragenden sozia­len Stellung im politischen Gefüge der italienischen Kommunen, ihrem Prestige als Fachleute und der starken Nachfrage nach ihren Consilia an den Höfen tat dies keinen Abbruch.

40 Somnium II, Vat. lat 2639, fo. 259ra–273vb. = ed. Voltolina, p. 134 – 293. Dieser in der Dedika­tionshandschr. auf fo. 259ra nur mit Initialen deut­lich abgehobene Traktatteil umfasst zunächst einen vom Autor hier inserierten eigenen älteren Traktat „De prin­ cipatu“, der bis Vat. lat 2639 fo. 261va (= Somnium, ed. Voltolina, p. 163) reicht. Vgl. dazu Giuseppe Ermini, Un ignoto trattato di Giovanni da Legnano, „De principatu“, in: Ermini, Scritti di Diritto Comune, Padova 1976, S. 461 – 612, 623 – 648 (ed.); Korrekturen u. Ergänzungen zu Ermini bei Domenico Maffei, La donazione di Costantino nei ­giuristi medievali, Milano 1964 (Repr. 1969), S. 125 ff. Frau Voltolina berücksichtigt diese Korrekturen Maffeis leider nicht in ihrer Edi­tion. Der letzte Teil, von ihr „Somnium: pars secunda“ benannt, ist von ihr in 256 Kapitel gegliedert (p. 159 – 292). 41 Helmut G. Walther, „Verbis Aristotelis non utar, quia ea iuristae non saperent“. Legis­tische und aristote­lische Herrschaftstheorie bei Bartolus und Baldus, in: Das Publikum politischer ­Theorie im 14. Jahrhundert (Schrr. d. Histor. Kollegs, Kolloquien 21), ­München 1992, S.  111 – 126.

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Dennoch gab es eben Einzelne unter ihnen, die ­solche Angriffe aus anderen Disziplinen nicht einfach als neidgesteuert abtaten, sondern sich von den vorgetragenen Argumenten herausgefordert fühlten und sich aus wissenschaftstheoretischem Interesse selbst der aristote­lischen Philosophie zuwandten. Dabei fühlten sich weder Kanonisten noch Legisten durch die seit dem letzten Drittel des 13. Jahrhunderts völlig auf aristote­lische Basis gestellte Wissenschaft der Artisten in der Gültigkeit der Prämissen ihrer Lehre und Praxis prinzipiell beeinträchtigt.42 Es war vielmehr eine gesellschaft­liche Herausforderung, die Einzelne unter den juristischen Doktoren zu einer Zuwendung und zum Eindringen in die aristote­ lische Philosophie brachte. Bartolus von Sassoferrato zog um die Mitte des 14. Jahrhunderts den Fürstenspiegel De regimine principum des Aegidus Romanus heran, um die Verfassungslehre aus der „Politik“ des Stagiriten seinen Kollegen und den iudices und juristischen Doktoren in den italienischen Kommunen nahebringen. Damit wollte er sie zum Widerstand gegen die sich verbreitende neue Verfassungsform der Signorie anspornen. Sein Schüler Baldus degli Ubaldi benutzte gerne die aristote­lische Terminologie, um seine juristischen Lösungen an den Fürstenhöfen als den Adressaten seiner consilia leichter verständ­lich zu machen.43 1364 bekamen die bislang allein von Rechtsstudenten geprägten Bologneser Universitäten (die Studien der ars notaria und der Medizin standen unter Kontrolle der juristischen universitates) nun plötz­lich ein neues theolo­gisches Studium, dessen Lehrer und Studenten aus den Mendikantenorden aristote­lisch geprägt oder wie der gegen die Öffnung gegenüber der aristote­lischen Philosophie feind­lich eingestellte Theologe Hugolin von Orvieto doch in ihren Denkmustern wesent­lich durch die aristote­lische Terminologie geprägt waren. Das Verhältnis ­zwischen den Bologneser Artisten und Theologen auf der einen und den dortigen Juristen auf der anderen Seite war offensicht­lich von Anfang an nicht konfliktfrei. Despektier­liches bis hämisches Gerede über das wissenschaft­liche Niveau der Legisten und Kanonisten gehörte wohl zum täg­lichen Umgangston.

42 Walther, Verbis (wie Anm. 39). 43 Walther, Verbis (wie Anm. 39) u. ders., Canonica Sapiencia (wie Anm. 25). Diesem ungewohnten philosophischen Fundament für praktische juristische Lösungen folgten die Fachkollegen des Baldus nicht: Das Epitheton Baldus philosophus kann hochachtungsvoll oder spöttisch herablassend verstanden werden. Doch auf Legnanos aufwendigem Grabmal in San Domenico in Bologna bezeichnete ihn die Inschrift auch als Alter Aristoteles. Vgl. auch die Abbildungen der Reste des Grabmals (heute im Museo Civico ­Medievale Bologna) bei De Matteis, Profilo (wie Anm. 25), S. 163 und die Ausführungen bei Hülsen-­Esch, Konstitutierung (wie Anm. 25).

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4  Die Juristen an der Kölner Universität und an den anderen Universitäten des mitteleuropäischen Typs Für die Periodisierung der mittelalter­lichen Universitätsgeschichte, für die Ausdehnung der Institu­tion der studia generalia auch in die Regionen nörd­lich der Alpen und öst­lich des Rheins ist sicher­lich von Bedeutung, dass sich die Einrichtung von legistischen Studien im Rahmen der juristischen Fakultäten der neugegründeten Universitäten in Mitteleuropa erst zu dem Zeitpunkt vollzog, als diese neue konsiliaristische Legistik gerade wegen ihrer prak­tischen Problemkompetenz allerhöchstes Ansehen überall in Europa genoss. Die detaillierten Untersuchungen Robert Gramschs zu den Rahmenbedingungen und Karrieremög­lichkeiten der Erfurter Rechtsstudenten im Spätmittelalter haben deut­lich klargelegt, ­welche Bedeutung Karrieremotiva­tionen der Universitätsbesucher der juristischen Fakultäten für die universitätsgeschicht­liche Entwicklung des Spätmittelalters besitzen.44 Solche Gesichtspunkte sollten im Rahmen unseres Themas durch Fragen nach den strukturellen Voraussetzungen ergänzt werden. Denn das Pariser Universitätsmodell war nicht nur im Unterschied zu den italie­nischen Juristen­universitäten von der Gliederung in vier Fakultäten, sondern innerhalb der zahlenmäßig dominierenden Artisten durch deren studentische na­ tiones strukturiert. Allein diese stellten durch die Wahl eines ihrer Magister den Rektor als die administrative Spitze und Repräsentanten des gesamten Generalstudiums. 44 Walther, Zum Wandel (wie Anm. 20), pass.; Helmut G. Walther, Die Grundlagen der Universitäten im euro­päischen Mittelalter, in: ZfThürGesch. 63 (2009), S. 75 – 98; vgl. zur rein rechtsdogmatisch ausgerichteten rechtsgeschicht­lichen Methodendiskussion Maximiliane Kriechbaum, Zur juristischen Interpreta­tionslehre im Mittelalter, in: Dies. (Hg.), Festschrift für Sten Gagnér zum 3. März 1996, Ebelsbach 1996, S. 73 – 109 u. ­Gerhard Otte, Theolo­gische und juristische Topik im 16. Jahrhundert, in: Schröder, Entwicklung (wie Anm. 21), S. 17 – 26; Hervorhebung des sozia­lgeschicht­lichen Aspekts bei Peter Moraw, Über gelehrte Juristen im deutschen Spätmittelalter [zuerst 2001], in: Ders., Gesammelte Beiträge zur deutschen und euro­päischen Universitätsgeschichte (Educa­tion and Society in the Middle Ages and Renaissance 31), Leiden, Boston 2008, S. 435 – 464; Rainer Christoph Schwinges, Universität, ­sozia­le Netzwerke und Gelehrtendynastien im deutschen Spätmittelalter, in: Rexroth, Beiträge (wie Anm. 9), S. 47 – 70; zum Erfurter Exempel Robert Gramsch, Erfurter Juristen im Spätmittelalter, Die Karrieremuster und Tätigkeitsfelder einer gelehrten Elite des 14. und 15. Jahrhunderts (Educa­tion and Society in the Middle Ages and Renaissance 17), Leiden, Boston 2003.

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In den Städten der italienischen Juristenuniversitäten erlangten neben der Kanonistik und der Legistik auch seit ihrer Berücksichtigung als eigene Universitäten im 14. Jahrhundert andere Disziplinen nur eine Randfunk­ tion. Die studentischen Na­tionen dort waren von Anfang an durch die ganz andere Sozia­lstruktur der Rechtsstudenten geprägt. Sie trugen lange Zeit allein auch finanziell den Rechtsunterricht dieser universitates scolarium. Der studentische Rektor einer Rechtsuniversität hatte richter­liche Gewalt über alle mit Eid an ihre universitas gebundenen Studierenden. Auch wenn seit dem 14. Jahrhundert die italienischen Kommunen oder die Signori und nicht mehr die universitates die Mehrheit der Professoren besoldeten, war die Struktur der italienischen Rechtsuniversitäten mit dem Pariser Modell kaum zu vereinen, in dem die Artisten dominierten und die Autorität der Theologen den Ruhm ausmachte.45 Karls IV . Prager Gründung, die um die Mitte des 14. Jahrhunderts beide Modelle ohne strukturelle Vorgaben einfach vereinen wollte, war noch nach zwei Jahrzehnten letzt­lich wenig funk­tionstüchtig. Selbst die seit 1372 bezeugte Lösung einer Trennung in zwei Prager Universitäten mit ihren für uns nicht mehr ganz durchschaubaren institu­tionellen Konsequenzen konnte die Pro­ bleme offensicht­lich nicht beseitigen. Die ungelösten Schwierigkeiten ­zwischen Juristen und Nichtjuristen wiederholten sich somit stets auch bei den Neugründungen von Universitäten anderswo im spätmittelalter­lichen Mitteleuropa, wenn dort ein starkes Juristenstudium mit seiner besonderen Klientel entstand. In Heidelberg fehlte nach 1385 zunächst ein Juristenstudium; es hatte auch so schon genug Probleme mit der Zuwanderung zweier heterogener Artistenklientelen aus Paris und Prag. In Wien beschwor man nach der erfolgreicheren Zweitgründung in den 80er

45 Dazu Walther, Grundlagen (wie Anm. 42). Der Erklärungsansatz für die überall greifbaren Reforminten­tionen einer dauerhaften Sicherung der Institu­tion der Studia gene­ ralia im Spätmittelalter, den Tina Maurer, Universitätsreform im Mittelalter. Wesen und Inhalt anhand franzö­sischer und deutscher Beispiele, in: Jb f. Universitätsgesch. 13 (2010), 11 – 25 vorlegte, erscheint problematisch. Sie sieht bei allen von ihr in den Interessenlagen geschiedenen aktiven Reformergruppen (Gesamtkirche, Universitätsangehörige und welt­liche und kirch­liche lokale, regionale und überregionale Kräfte) eine gemeinsame Basis der Reformvorstellungen und -maßnahmen in einer Anpassung an wahrgenommene gesellschaft­liche Veränderungen. Die Problematik einer erfolgreichen wahrnehmungsgeschicht­lichen Analyse bei den Akteuren wird aber von der Autorin unterschätzt.

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Jahren des 14. Jahrhunderts mutuus amor et favor inter quatuor facultates et na­tiones und meinte doch eigent­lich nur die integra­tionsunwilligen Juristen.46 Die erfolgreiche Integra­tion einer juristischen Fakultät erforderte also strukturelle Experimente, die von einer bloßen Übernahme des Pariser Na­tionen-­ Modells wegführen mussten. Erfolgreich war die Gründung der Kölner Stadt­ universität von 1388, nachdem die Anfangsschwierigkeiten in der ersten Phase nicht ausgeblieben waren. Doch der städtische Rat hatte durch die erreichte Pfründenprivilegierung an allen zehn Kölner Stiften und durch die zusätz­liche Besoldung weiterer fünf Professuren schon in der Gründungsphase dokumentiert, dass er an der neuen Universität ein starkes Juristenstudium etabliert haben wollte. Vier Kanonisten, fünf Legisten und zwei doctores juris utrius­ que standen schon 1389 für die Lehre zur Verfügung, 116 Studenten, also fast 20 Prozent der 842 quellenmäßig gesicherten Studierenden ließen sich bis 1390 immatrikulieren. Die auffällige, ja bis in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts dann überwiegende Stellung der Legisten bei den juristischen Lehrern, frei­lich nicht den Kölner Studenten, entsprach durchaus dem Interesse und Willen des Rates. Das Gewicht der juristischen Fakultäten in Köln und Erfurt ist dabei offensicht­lich mit der Tatsache zu verbinden, dass beide dortigen Universitäten im engeren Reichsgebiet die ersten aus städtischer Initiative gegründeten waren. Die Kölner Rechtsprofessoren übernahmen außerhalb ihrer Lehrtätigkeit von Anfang an zusätz­liche Schlüsselposi­tionen in der ­Kirche und in welt­lichen Funk­tionen, was ihre ausgedehnte Konsiliartätigkeit belegt. Eine Sonderstellung der Kölner Juristen innerhalb der Universitätsstruktur ergab sich durch die Verbindung von Kanonisten und Legisten in einer Fakultät mit ausdrück­lich so bezeichnetem Doppelcharakter, obwohl die überwältigende Mehrzahl der Studenten auch in Köln Kanonistik hörte und nur wenige beim

46 Dazu umfassend Peter Moraw, Universität, Hof und Stadt im ausgehenden Mittelalter, in: Studien zum städtischen Bildungswesen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit (Abh. d. Akad. d. Wiss. zu Göttingen, Phil.-Hist. Kl., 3. Folge, Bd. 137), Göttingen 1983, S. 524 – 552, Nachdruck in: Ders., Gesammelte Beiträge (wie Anm. 42), S. 295 – 331; Matthias Nuding, Die Universität, der Hof und die Stadt um die Wende zum 15. Jahrhundert: Fragen an die ältesten Heidelberger Rektoratsakten, ZGO 146 [N. F. 107] (1988), S. 197 – 248;Miethke, Jürgen, Landesherr­liche Universitätsreform im 15. Jahrhundert, Das Beispiel Heidelbergs, in: Blanka Zilynská, (Hg.), Universitäten, Landesherren und Landeskirchen: Das Kuttenberger Dekret von 1409 im Kontext der Epoche von der Gründung der Karlsuniversität 1348 bis zum Augsburger Religionsfrieden 1555 (­Historia Universitatis Carolinae Pragensis XLIX. Fsc. 2), Prag 2009, S. 157 – 168.

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Promovieren den Grad eines doctor utriusque iuris anstrebten. Probleme mit den Artisten, wie sie andernorts die Regel waren, gab es jedoch weniger, da sich in Köln keine mächtige Artistenfakultät entwickeln konnte, sondern die auch hier zahlenmäßig dominierenden Artesstudenten auf die konkurrierenden B ­ ursen aufgeteilt waren. Damit deutet sich schon an, dass das sich im Spätmittel­alter entwickelnde universitäre College-­System zwar das Na­tionen-­Problem der Artistenfakultäten praktisch obsolet machen konnte, jedoch niemals im Diskurs der Universitätsangehörigen als eine Alternative zur Na­tionengliederung diskutiert wurde.47 Während Erfurt einfach keine Na­tionengliederung in seiner im zweiten Anlauf erfolgreich etablierten städtischen Universität einführte, litt die Neugründung in Leipzig unter den Konflikten ihrer vier Universitätsna­tionen. Da

47 Zu den Kölner Verhältnissen Götz-­Rüdiger Tewes, Die Bursen der Kölner Artisten-­ Fakultät bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts (Studien zur Geschichte der Universität zu Köln 13), Köln 1993; Meuthen, Erich, Die alte Universität (Kölner Universitätsgeschichte 1), Köln, Wien 1988, S. 88 ff.; 102 ff., 131 ff.; ders., Die Artesfakultät der alten Kölner Universität, in: Albert Zimmermann (Hg.), Die Kölner Universität im Mittelalter (Miscellanea Mediaevalia 20), Berlin, New York 1989, S. 366 – 393; zum Rechtsstudium und der Entwicklung der juristischen Doppelfakultät Hans-­Jürgen Becker, Die Entwicklung der juristischen Fakultät in Köln bis zum Jahre 1600, in: Gundolf Keil (Hg.), Der Humanismus und die oberen Fakultäten (Mitt. der Komm. f. Humanismusforschung der DFG 14), Weilheim 1987, S. 43 – 62; Meuthen, Die alte Universität, S. 126 – 140; dadurch z. T. überholt Hermann Keussen, Die juristische Fakultät, in: ders., Die alte Universität Köln, Grundzüge ihrer Verfassung und Geschichte, Festschrift zum Einzug in die neue Universität Köln, Köln 1934, S. 229 – 268 u. Gotthold Bohne, Die juristische Fakultät der alten Kölner Universität in den beiden ersten Jahrhunderten ihres Bestehens, in: Festschrift zur Erinnerung an die Gründung der alten Universität Köln im Jahre 1388, Köln 1938, S. 109 – 236. Zur Konsiliartätigkeit der Kölner Juristen Becker, S. 48 f. u. Meuthen, Die alte Universität, S. 138 ff. u. ders., Konsilien Kölner Professoren zum Utrechter Bistumsstreit 1425/1426, in: Helmut Neuhaus / Barbara Stollberg-­Rilinger (Hgg.), Menschen und Strukturen in der Geschichte Alteuropas, Festschrift für Johannes Kunisch zur Vollendung seines 65. Lebensjahres, dargebr. v. Schülern, Freunden und Kollegen, Berlin 2002, S. 1 – 17 (Lit.); zur Mitwirkung des Kölner Legisten und ersten juristischen Rektors (1392) und nachmaligen erzbf. Offizials (1401) Hermann Stakelwegge als Konsiliar bei der Absetzung König Wenzels im August 1400 Helmut G. Walther, Der gelehrte Jurist als politischer Ratgeber, Die Kölner Universität und die Absetzung König W ­ enzels 1400, in: Die Kölner Universität, S. 467 – 487; Josef Kohler u. Ernst Liesegang, Das Römische Recht am Niederrhein, Gutachten Kölner Rechtsgelehrter aus dem 14. und 15. Jahrhundert, Stuttgart 1896, 1898, Repr. Amsterdam 1962.

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in Leipzig wegen seiner Gründung aus den Querelen um die Zession der drei nichtböhmischen Na­tionen aus Prag von 1409 die Na­tionengliederung nahezu ein sakrosanktes Merkmal seiner Universitätsverfassung war, andererseits bis ins 16. Jahrhundert keine flächendeckende Kollegiumslösung für die Artisten gefunden wurde, wurden die tradi­tionellen Konflikte der Artisten mit den Juristen dann sogar auf die Auseinandersetzung um den Humanismus übertragen.48 Es gelang den im Verlauf des Großen Schismas und dann in nennenswerter Zahl seit der Mitte des 15. Jahrhunderts neu gegründeten deutschen Universitäten nur mühsam, sich im Selbstbewusstsein ihrer Mitglieder gegen die Konkurrenz der „alten“ zu behaupten. Insbesondere richtete sich der Blick auf Paris, das offensicht­lich quasi das natür­liche Vorbild für die Universitäten öst­lich des Rheins bildete. Gegenüber den italienischen Juristenuniversitäten wussten sich die deutschen gelehrten Juristen ohnehin in einer deut­lichen fach­lichen Unterlegenheit. In Köln glaubte man sich in der lokalen Chronistik dieser Inferiorität mit dem Mittel entwinden zu können, das zwei Jahrhunderte zuvor schon der Kölner Kanoniker Alexander von Roes angewandt hatte: Bei unangenehmer Konkurrenz empfahl sich ein Aufteilen der Funk­tionen: Wie im modernen Ranking konnten die neuen Universitäten natür­lich nicht die Universalfunk­tionen von Paris und Bologna übernehmen; aber auf Teilgebieten der Wissenschaft glaubten sie durchaus einen Spitzenplatz zu erreichen: So bleibt Paris in der sog. Koelhoff ’schen Chronik „die höchste und beste Schule in den sieben freien Künsten, so wie Bologna in den geist­lichen und welt­lichen Rechten“. Aber das deutsche Köln sei die beste Hochschule in der Theologie, das italienische Pavia in der Medizin und Pharmazie und das polnische ­Krakau in der Astronomie.49 48 Zur Leipziger Entwicklung zuletzt Enno Bünz, Gründung und Entfaltung. Die spät­ mittel­alter­liche Universität Leipzig 1409 – 1539, in: Geschichte der Universität Leipzig 1409 – 2009, Bd. 1: Spätes Mittelalter und Frühe Neuzeit 1409 – 1830/31, Leipzig 2009, S.  21 – 325. 49 Chronica van der hilliger stat van Coellen bis 1499 (sog. Koelhoff ’sche Chronik), zweite Hälfte (Chroniken d. dt. Städte 14 = Chroniken d. niederrh. Städte, Cöln 2, Leipzig 1876, S. 289): „Want alle zit van minen jongen dagen bis nu zer zit hain ich hoeren sagen: In Paris in Frankrich is die hoichste ind beste schoil in den 7 vrien kunsten ind natur­lichen kunsten. Zo Collen in Duitschland is die hoechste ind beste schoil in der hilligen got­licher schrift. Zo Bononien in Lombardien is die hoechste ind beste schil in geist­liche ind werent­ lichen rechten. Zo Pavi in Italien die hoechste ind beste schoil in der medicinen und in der artzedi. Zo Cracaw in Polant die hoechste ind beste schoil in der astronomie, dat is die kunst van dem gestirntz.“ Frank Rexroth, Finis scientie nostre est regere, Normenkonflikte

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Erfurt verzichtete von Anfang an für seine Universität auf die Einführung von Na­tionen bei den Artisten und schaffte es so noch leichter als Köln, die Rechtsstudenten zu integrieren, ja beinahe zu einer deutschen Juristenuniversität zu avancieren, was man 1460 auch in Basel gern geworden wäre. Der Basler Rat schrieb deshalb 1459 in seine Supplik an den neuen Papst Pius II., dass er eine universitas Studii generalis omnium facultatum nach dem Vorbild ­Bolognas (ad instar universitatis Studii Bononiensis) bewilligt erhalten wolle. Die alleinige Bezugnahme auf Bologna als Vorbild verrät, dass hier in Basel eine den bisherigen Rahmen der deutschen Durchschnittsuniversität übersteigende, offensicht­lich auf das Rechtsstudium konzentrierte Universität gegründet werden sollte, also nichts anderes als eine italienische Juristenuniversität nun nörd­lich der Alpen. Alle Entscheidungen des städtischen Rates, insbesondere dann bei Personalverhandlungen für die juristischen Professuren, deuten auf ­dieses Ziel. Deswegen hatte sich die vom Rat eingesetzte Beratungskommission auch ein Exemplar der Bologneser Statuten besorgt, nachdem zuvor beschlossen worden war, habeantur ordinaciones aliquorum studiorum Ytalie et Alamanie; sodann auch die Statuten der bei den studierwilligen Führungsschichten im Südwesten des Reichs besonders beliebten Universität Pavia und schließ­lich auch diejenigen der Universität Erfurt, die 1447 mit ihren neuen Statuten noch einmal ihre Rolle als Universität für anspruchsvolle Rechtsstudenten betont und ausdrück­lich die Legistik als eigene disciplina und Promo­tionsfach hervorgehoben hatte, was bislang in Deutschland nur an der Universität Köln mög­lich war.50 z­ wischen Juristen und Nichtjuristen an den spätmittelalter­lichen Universitäten Köln und Basel, ZHF 21 (1994), S. 315 – 344; Rainer Christoph Schwinges, The Medieval German University: Transforma­tion and Innova­tion, in: Paedagogica Historica 34 (1998), S. 375 – 388; Frank Rexroth, „… damit die ganze Schule Ruf und Ruhm gewinne“. Vom umstrittenen Transfer des Pariser Universitätsmodells nach Deutschland, in: Joachim Ehlers (Hg.), Deutschland und der Westen Europas im Mittelalter (Vorträge u. Forsch. 56), Stuttgart 2002, S. 507 – 532. 50 Helmut G. Walther, Gelehrtes Recht und Reich in der politischen T ­ heorie des Basler Kanonisten Peter von Andlau, in: Lebenslehren und Weltentwürfe im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, hg. v. Hartmut Boockmann, Bernd Moeller u. Karl Stackmann (Abh. d. Ak. d. Wiss. Göttingen, Phil.-Hist.-Kl., 3. F., Nr. 179), Göttingen 1989, S. 77 – 111, hier 86 f.; zuletzt zur Basler Gründung Marc Sieber, Motive der Basler Universitätsgründung, in: Sönke Lorenz (Hg.), Attempto – oder wie stiftet man eine Universität. Die Universitätsgründungen der sogenannten zweiten Gründungswelle im Vergleich (Contubernium 50), Stuttgart 1999, S. 113 – 128.

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Auch wenn diese Beispiele zeigen, dass die Attraktivität der italienischen Juristenuniversitäten in Deutschland niemals verloren ging und der dortige Doktorgrad im Prestige unerreicht blieb, so lässt sich eben doch bei der Mehrheit der neugegründeten Reichsuniversitäten eine Orientierung an Paris und damit eine Übernahme des Na­tionenmodells feststellen. Im regulären Studienbetrieb des Reichs blieben die Juristen die happy few. Die gefundene spezifisch deutsche Lösung besteht in der offenkundigen Bescheidung der deutschen Reichsuniversitäten, wie sie aus den Bemerkungen der sog. ­Koelhoff ’schen Chronik abzulesen ist:51 Theoretisch wird ein großer Anspruch erhoben und im interna­tionalen euro­päischen Ranking Anspruch auf Spitzenplätze erhoben; praktisch und faktisch war man jedoch eine landesherr­liche oder städtische Universität, die sich auf das Prinzip der Arbeitsteiligkeit als Existenzlegitima­tion berief: In Erfurt war die Integra­tion der Juristen deshalb leicht gefallen, da die dortige Artistenfakultät gar keine Na­tionen besaß. Entsprechend konnte man die Rektorwahl mit einem System indirekter Wahl­ gremien lösen und damit deut­lich nach außen demonstrieren, dass an dieser Universität ein institu­tionelles Übergewicht der Juristen bestand und damit die ganze Universität als Studienort für wohlsituierte Studenten zu gelten habe, die man zugleich auf ein Weiterstudium in Italien mit Promo­tion bestens vorbereite. Die han­sische Neugründung Rostock des 15. Jahrhunderts orientierte sich dann weitgehend an der Erfurter Regelung. Wer frei­lich als Jurist interna­tional etwas gelten wollte, musste weiterhin in Italien promovieren. Doch lief unterhalb dieser Ansprüche der Regionalisierungsprozess der euro­päischen Universitäten weiter. Schisma und Konziliarismus brachten faktisch eine Verflachung der Bedeutungshierarchie unter den euro­päischen Generalstudien hervor. Die in ihrer Zahl im 15. Jahrhundert noch einmal deut­lich anwachsenden deutschen Universitäten bedeuten also keinen wirk­ lichen Konkurrenzdruck, sondern waren Teil eines euro­päischen Regionalisierungsausgleiches, der schließ­lich erst mit der konfessionellen Spaltung im 16. Jahrhundert zum vorläufigen Abschluss kam.52 51 S. o. Anm. 47; zur Bedeutung der Koelhoff ’schen Chronik in der städtischen Geschichtsschreibung Kölns Georg Möh­lich / Uwe Neddermeyer / Wolfgang Schmitz (Hgg.), Spätmittelalter­liche städtische Geschichtsschreibung in Köln und im Reich. Die „­Koelhoffsche“ Chronik und ihr historisches Umfeld (Veröff. d. Kölnischen Geschichtsvereins 43), Köln 2001. 52 Helmut G. Walther, Pavia und Padua (wie Anm. 22), S. 263 – 282; Schwinges, Medieval German University (wie Anm. 47), pass.

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Das Studium der gelehrten Rechte war für die Mehrzahl der Immatrikulierten jedoch von Anfang an auf die Rechtspraxis orientiert. Garantierte ordent­liche Ausbildung hierfür, nicht die Leistung der Rechtslehrer für die Wissenschaft bestimmt Attraktivität und Rang der juristischen Fakultät und der Universität. Dass die Rechtslehrer trotz des Ehrenvorrangs der Theologen faktisch die führenden Mitglieder im Lehrkörper waren und deshalb nicht etwa nach ­Pariser Muster vom Rektoramt auszuschalten waren, stellte sich schnell an allen Reichsuniversitäten als ­sozia­le Wirk­lichkeit ein.53 Dass das Rechtsstudium in der Regel zu attraktiven und einflussreichen Posten und zu Wohlstand führte, machte neben dem ohnehin überlegenen sozia­len und ökonomischen Rang der Studenten diese zu einer abgehobenen Universitätsklientel. So wie die studentischen universitates zunächst sich die besten Rechtslehrer im Sinne der späteren Karriere für den Unterricht verpflichtet hatten und streng deren Tätigkeit kontrollierten, so waren auch an den Reichsuniversitäten die Rechtsstudenten darauf bedacht, die beste Ausbildung für ihre spätere Rechtspraxis zu erhalten. Der uns schon bekannte Hermann von Weinsberg schildert ausführ­lich, dass auf studentische Initiative an der Kölner Universität im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts ein Collegium juri­ dicum gegründet wurde, das am Sonntagabend unter Leitung eines in Köln zum Doktor oder Lizentiaten der Rechte promovierten Studenten Disputa­ tionen der gesamten Rechtsmaterien abhielt. Diese offenkundig als Erfolgsmodell beliebten Disputa­tionen entsprachen also den Erwartungen an eine praxisnahe Ausbildung im Studium. Kein Wunder, dass sich Hermann von

53 Zu den unterschied­lichen Aspekten d ­ ieses Führungsanspruchs der Juristen: W ­ olfgang Eric Wagner, Wer hat im Mittelalter „gerufen“? Fürsten, Städte, Universitäten und ihre Interessen an gelehrten Personen in: Professorinnen und Professoren gewinnen. Zur Geschichte des Berufungswesens an den Universitäten Mitteleuropas, hg. v. Chr. Hesse u. R. Chr. Schwinges (Veröff. der GUW 12), Basel 2012, 11 – 30 (Personalpolitik), Rainer Christoph Schwinges, Rektorwahlen. Ein Beitrag zur Verfassungs-, Sozia­l- und Universitätsgeschichte des alten Reiches im 15. Jahrhundert (Vortr. u. Forsch. Sonderbd. 38), Sigmaringen 1992; Beat Immenhauser, Judex id est rex. Formen der Selbstwahrnehmung gelehrter Juristen im späten Mittelalter, in: Stefan Kwiatkowski / Janusz Małłek (Hgg.), Ständische und religiöse Identitäten in Mittelalter und früher Neuzeit, Toruń 1998, S. 43 – 61 (Selbstwahrnehmung), Andrea v. Hülsen-­Esch, Gelehrte in Miniaturen spätmittelalter­licher Handschriften. Stereotype, Differenzierungen, Deutungsschemata, in: Rexroth, Beiträge (wie Anm. 9), S. 297 – 320.

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Weinsberg als Redaktor der Statuten des Kollegiums hervortat!54 Gerade weil der Praxisbezug das durchgängige Strukturmerkmal des Studienbetriebs in den Rechten darstellt, zeigt sich, ­welche Bedeutung er für die Konzep­tion der Juristenuniversitäten und der Rechtsfakultäten als Ausbildungsstätten besaß. Die gelehrten Rechte verstanden sich von Anfang an als Teil der philosophia practica im aus der Spätantike überkommenen Wissenschaftskatalog oder – wie Johannes von Legnano erklärt – als scientia civilis im aristote­lischen Wissenschaftssystem. Wir können das für die Praxis getrost als Karrierewissenschaft übersetzen.

54 Buch Weinsberg I, S. 116 f. bzw. Das boich Weinsberg (wie Anm. 2) (zuletzt aufgerufen am 15. 11. 2013); zum Collegium juridicum Becker (wie Anm. 45), S. 56 ff., Meuthen, Alte Universität (wie Anm. 45), S. 102.

Maarten J. F. M. Hoenen

Scholastik und Humanismus Die Sentenzenkommentare des Heymericus de Campo († 1460), Hieronymus Raynerii († nach 1487) und Paulus Cortesius († 1510)

Für Antonio Loprieno

1  Einleitung Über die Bezüge z­ wischen Scholastik und Humanismus wurde schon viel geschrieben. Grundsätz­lich hat sich dabei gezeigt, dass es hier um Größen geht, die sich nicht leicht miteinander vergleichen lassen. Denn bei der Scholastik spielt der institu­tionelle Rahmen der Universität eine wichtige Rolle, wohin­ gegen der Humanismus eher um einzelne Gelehrte kreist, die ganz verschiedent­ lich, jedoch kaum institu­tionell vernetzt sind.1 Diese Differenz macht es auch schwierig, ohne Weiteres von einer Bewegung weg von der Scholastik und hin zum Humanismus mit seinen diversen Ausprägungen zu sprechen. Denn die Scholastik hat sich vom Humanismus nicht verdrängen lassen. Im Gegenteil. Macht man zum Beispiel die Scholastik an der Kommentierung des Aristoteles fest, dann lässt sich in der frühen Neuzeit, der Periode, die gemeinhin als die Blütezeit des Humanismus gefeiert wird, an den Universitäten eine Zunahme an Kommentaren zum Corpus Aristotelicum feststellen.2

1 Siehe dazu mit einer Diskussion der Literatur: Dieter Mertens, Heiko A. Oberman und der ‚Mythos des Tübinger Humanismus‘, in: Sönke Lorenz / Dieter R. Bauer / Oliver Auge (Hgg.), Tübingen in Lehre und Forschung um 1500. Zur Geschichte der Eberhard Karls Universität Tübingen, Ostfildern 2008, S. 241 – 254. Hilfreich sind auch die Beiträge in Angelo Mazzocco (Hg.), Interpreta­tions of Renaissance Humanism (Brill’s Studies in Intellectual History 143), Leiden 2006. 2 Dies wird herausgestellt in Charles Lohr, The Social Situa­tion of the Study of Aristotelian Natural Philosophy in the Sixteenth and Early Seventeenth Centuries, in: Cees Leijenhorst / Christoph Lüthy / Johannes M. M. H. Thijssen (Hgg.), The Dynamics of Aristotelian Natural Philosophy from Antiquity to the Seventeenth Century (Medieval and Early Modern Science 5), Leiden 2002, S. 343 – 348.

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Dennoch ist unverkennbar, dass die Scholastik von den kulturellen Umwälzungen in ihrem Umfeld nicht unberührt geblieben ist. Schon die einfache Tatsache, dass in den universitären Redeakten die Sprache aufwendiger und immer öfters Quellen aus der klas­sischen Antike herangezogen wurden, belegt diesen Einfluss eindrucksvoll.3 Zugleich muss man sich bei solchen Änderungen aber fragen, wo der eigent­liche Auslöser liegt. Gründet diese Neuorientierung auf Sprache und Quellen in der eigenen Heuristik der Scholastik, oder wird sie von außen durch den Humanismus mit seinem Rückgriff auf das antike Schrifttum und seiner Wende zur Rhetorik an sie herangetragen?4 In ­diesem Beitrag möchte ich die genannte Problematik aufgreifen, und zwar aus der Perspektive des Philosophiehistorikers, der auf literarische Gattungen schaut und die darin verwendeten Quellen und Argumenta­tionsweisen studiert. Ich tue dies, indem ich eine Gattung nehme, die in einem ganz besonderen Maße dem institu­tionellen Rahmen der Scholastik Rechnung trägt, näm­lich die Tradi­ tion der Kommentare zu den Sentenzen des Petrus Lombardus. Die im Rahmen dieser Tradi­tion entstandenen Kommentare gelten als die wichtigsten theolo­ gischen Schriften des späten Mittelalters.5 Ich werde drei ­solche Kommentare vorstellen und historisch bewerten, die alle in dieser Tradi­tion stehen, jedoch in ganz verschiedenen Kontexten entstanden sind und somit auch völlig verschiedene Ausrichtungen in Hinblick auf Zielsetzung, Vokabular, Argumenta­ tionsform und Quellenverwendung besitzen, die von der tradi­tionellen Scholastik bis zum klas­sischen Humanismus der Renaissance reichen. Es geht dabei 3 Beispielhaft sind die Vorträge, die an der Universität Leipzig gehalten wurden. Diese sind ediert in Georg Buchwald / Theo Herrle (Hgg.), Redeakte bei Erwerbung der akademischen Grade an der Universität Leipzig im 15. Jahrhundert (Abhandlungen der philolo­ gisch-­historischen Klasse der säch­sischen Akademie der Wissenschaften 36), Leipzig 1921. Bemerkenswert sind auch die Disputa­tionen aus dem Jahre 1411, die Johannes Hus an der Universität Prag aufgezeichnet hat, in denen die Disputanten sich jeweils mit einer Persön­ lichkeit aus der antiken Gelehrtengeschichte identifizierten wie etwa Thales, Sokrates, Platon oder Zenon. Siehe Magistri Iohannis Hus Quodlibet. Disputa­tionis de Quolibet Pragae in Facultate Artium Mense Ianuario anni 1411 habitae Enchiridion, hg. v. Bohumil Ryba, Edi­tionis anno 1948 perfectae impressio aucta et emendata (Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis 211), Turnhout 2006, bes. S. 289 (magistrorum series). 4 Über den Humanismus und seine verschiedenen Formen informieren Walter Rüegg u. a., Humanismus, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 5 (1991), Sp. 186 – 205. 5 Zu dieser Tradi­tion siehe Mediaeval Commentaries on the Sentences of Peter Lombard, Bd. 1, hg. v. Gillian R. Evans, Leiden 2002; Bd. 2, hg. v. Philipp W. Rosemann, Leiden 2010 und Bd. 3, hg. v. Philipp W. Rosemann, Leiden 2015.

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um das vom Kölner und späteren Leuvener Professor Heymericus de Campo vor 1439 verfasste Werk Super Sententias, das als Teil einer großen Einleitung zu seinem Apokalypse-­Kommentar geschrieben wurde; um die unmittelbar aus der Vorlesungspraxis hervorgegangene Lectura super Sententiarum libros des Hieronymus Raynerii, die 1487 an der Kölner Theolo­gischen Fakultät entstanden ist, und schließ­lich um das Werk In quattuor libros Sententiarum des lange Zeit an der päpst­lichen Kurie tätigen Paulus Cortesius, ein Werk, das als theolo­gisches Handbuch nach den Vorgaben des eloquium romanum konzipiert und 1504 in Rom und ­später auch Basel und Paris gedruckt wurde. Diese drei Werke zeigen, dass man innerhalb einer an den Universitäten entstandenen und dort fest etablierten Tradi­tion, näm­lich der der Kommentierung der Sentenzen des Lombardus, Übergänge zu den Anliegen der Humanisten finden kann. Fokussiert man die Grundlage dieser Kommentare, näm­lich die Sentenzen des Lombardus, dann gehören alle drei Werke eindeutig der Scholastik an. Hebt man die Art der verwendeten Quellen, die Argumenta­tionsweisen oder die Sprache hervor, wird die Angelegenheit unschärfer und tritt eine Nähe zum Humanismus hervor. Ich werde im Nachfolgenden versuchen, vor d ­ iesem komplexen Hintergrund die drei genannten Werke in die scholastische beziehungsweise die humanistische Tradi­tion einzuordnen, um so einen kleinen Beitrag zur großen Frage zu leisten, wie die Bezüge ­zwischen Scholastik und Humanismus historisch zu deuten sind. 1.1  Trinität

Bevor ich jedoch dazu übergehen kann, muss ich noch eine thematische Einschränkung vornehmen. Denn es ist kaum mög­lich, an dieser Stelle die drei genannten Sentenzenkommentare in ihrer Gesamtheit vorzustellen und miteinander zu vergleichen. Ich bin mir bewusst, dass eine Auswahl gerade für unsere Frage gefähr­lich sein kann, wenn sie willkür­lich ist. Deshalb habe ich mich für eine Thematik entschieden, die mir mit Blick auf unsere Frage besonders ertragreich scheint, näm­lich die Trinitätslehre. Es handelt sich näm­lich bei der Trinitätslehre um ein Lehrstück, das nach damals gängiger Meinung ein Glaubensgeheimnis darstellt und somit die Vernunft und die menschliche Vorstellungskraft übersteigt.6 Dennoch hat die mittelalter­liche

6 Siehe etwa Thomas von Aquin, Summa theologiae (Opera omnia 4), Rom 1888, Pars 1, quaest. 32, art. 1, S. 349b: Respondeo dicendum quod impossibile est per ra­tionem

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Scholastik einen gewaltigen Apparat mit Begriffen wie origo, relatio, notio und proprietas entworfen, um den schwierigen Umstand des einen, ungeteilten Gottes, der zugleich drei voneinander unterschiedene Personen ist, verständ­lich zu machen.7 Sie hat dabei versucht, das, was in den Glaubensbekenntnissen und Konzilsbeschlüssen festgelegt war, konzep­tionell zu erfassen. Grundlegend für die Zeit, die wir hier studieren, waren vor allem das Pseudo-­Athanasianum und die Bestimmungen des Lateranense IV .8 Aber vieles, was ab dem 13. Jahrhundert in den Sentenzenkommentaren auftauchte, ging über den Wortlaut dieser kirch­lichen Dokumente hinaus. Es wurde über Begriffe diskutiert, deren Bedeutung immer wieder neu festgelegt werden musste, vor allem auch weil die älteren Quellen diese Begriffe nicht oder in einer anderen Bedeutung kannten. Damit lagen mög­liche Verwirrungen oder sogar Häresien auf der Hand. So hob J­ ohannes Duns Scotus hervor, dass im Vergleich zu den Zeiten des Ambrosius und Anselmus die Anzahl der no­tiones und proprietates, die die Theologen den gött­lichen Personen zuschreiben, zugenommen und die inhalt­liche Bestimmung sich verändert habe.9 Das Problem dabei war, dass weder die Heilige Schrift noch die Konzilsbeschlüsse s­ olche Begriffe wie no­tio­ nes oder proprietates verwendet hatten und somit eine feste Grundlage, w ­ elche Anzahl oder inhalt­liche Deutung als orthodox zu gelten hatte, fehlte. Es war die theolo­gische Tradi­tion an den Universitäten, die diese Terminologie in ihrer besonderen Bedeutung geprägt hatte und dabei zunehmend selbst die

naturalem ad cogni­tionem Trinitatis divinarum Personarum pervenire. Die Geschichte der Trinitätslehre wird dargestellt in Gilles Emery / Matthew Levering (Hgg.), The Oxford Handbook of the Trinity, Oxford 2011. 7 Die Vielfältigkeit der Ansätze wird ausführ­lich dargestellt in Russell L. Friedman, Intellectual Tradi­tions at the Medieval University. The Use of Philosophical Psychology in Trinitarian Theology among the Franciscans and Dominicans, 1250 – 1350 (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 108/1 – 2), 2 Bde., Leiden 2013. 8 Siehe Enchiridion symbolorum, defini­tionum et declara­tionum de rebus fidei et morum, hg. v. Henricus Denziger / Adolphus Schönmetzer, 34. Aufl., Freiburg 1967, nn. 75 – 76, S.  40 – 42 (Pseudo-­Athanasianum) und ebd., nn.  800 – 802, S.  259 – 260 (Lateranense IV). 9 Johannes Duns Scotus, Ordinatio (Opera omnia 6), Civitas Vaticana 1963, Lib. 1, dist. 28, quaest. 1 – 2, n. 34, S. 125: Tempore enim Ambrosii non videntur fuisse usitatae tres ­no­tiones in Patre, quia noluit uti hoc nomine ‚ingenitus‘; tempore etiam Anselmi non videntur fuisse usitatae duae no­tiones positivae in Patre, quia non utitur ipsa ‚vi spirativa‘, sed pro illa accipit ‚deitatem‘, communem Patri et Filio.

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Maßstäbe setzte, was richtig war und was nicht.10 Nun war diese Normierung gerade bei der Trinität problematisch. Schon Augustinus hatte in De Trinitate hervorgehoben, dass der Mensch Vorsicht und Besonnenheit walten lassen soll, wenn er die Geheimnisse Gottes mit seiner Vernunft ergründen will. Er kann Bilder und Metaphern verwenden, soll dabei jedoch immer auf der Hut sein, dass er sich dadurch nicht in die Irre führen lässt, denn es handelt sich hier nur um Hilfsmittel, die der Mensch aus seiner eigenen, geschaffenen Umgebung nimmt, um etwas zu bezeichnen, das die Schöpfung gänz­lich übersteigt. In seiner Betrachtung der Trinität ist der Mensch somit grundsätz­ lich auf die Offenbarung angewiesen und hat sich seine Vernunft dem gött­ lichen Wort unterzuordnen.11 Das war die eine Seite, die den Ausgangspunkt beim Glauben setzte. Zugleich hatte Gott den Menschen als ein vernünftiges

10 Ein vielsagendes Beispiel liefert die Stellungnahme des Ingolstädter Theologen ­Johannes von Adorf gegen die Nominalisten an seiner Universität, in der er festhielt, dass nach Lehre der ­Kirche die gött­lichen Personen sich durch Rela­tionen unterscheiden. Diese Stellungnahme ist ediert in: Franz Kardinal Ehrle, Der Sentenzenkommentar Peters von Candia, des Pisaner Papstes Alexanders V. Ein Beitrag zur Scheidung der Schulen in der Scholastik des 14. Jahrhunderts und zur Geschichte des Wegestreits, Münster 1925, S. 338 – 342, bes. S. 338: Tenet ecclesia quod divine persone rela­tionibus distinguuntur (…). Was Johannes von Adorf hier als die Lehre der K ­ irche bezeichnet, ist ledig­lich die Auffassung des Thomas von Aquin, die zwar von vielen Theologen im späten Mittelalter geteilt wurde, jedoch auch Gegner hatte. Siehe Thomas von Aquin (wie Anm. 6), Pars 1, quaest. 40, art. 2, S. 413b: Unde melius dicitur quod personae seu hypostases distinguantur rela­tionibus, quam per originem. Eine kirch­ liche Lehrentscheidung hat es diesbezüg­lich nicht gegeben. Es waren ledig­lich die Auseinan­dersetzungen z­ wischen den Theologen, die dazu geführt hatten, dass im späten Mittelalter die betreffende Auffassung als Lehre der K ­ irche allgemein akzeptiert wurde. Diese Debatte wird beschrieben in Russell L. Friedman, Medieval Trinitarian Thought from Aquinas to Ockham, Cambridge 2010, bes. S. 5 – 49 und Maarten J. F. M. Hoenen, Nominalism in Cologne. The Student Notebook of the Dominican Servatius Fanckel. With an Edi­tion of a Disputatio Vacantialis held on July 14, 1480: Utrum in Deo uno simplicissimo sit trium personarum realis distinctio, in: Spencer E. Young (Hg.), Crossing Boundaries at Medieval Universities (Educa­tion and Society in the Middle Ages and Renaissance 36), Leiden 2011, S. 85 – 144. 11 Der Anfang von De Trinitate ist hier programmatisch. Siehe Aurelius Augustinus, De Trinitate libri XV (Corpus Christianorum Series Latina 50), hg. v. William J. Mountain / Franciscus Glorie, Turnhout 1958, Lib. 1, cap. 1, n. 1, S. 27: Lecturus haec quae de trinitate disserimus prius oportet ut nouerit stilum nostrum aduersus eorum uigilare calumnias qui fidei contemnentes initium immaturo et peruerso ra­tionis amore falluntur.

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Wesen geschaffen und ihn durch den Mund des Petrus beauftragt, den Glauben zu verteidigen und zu verbreiten.12 Auch Augustinus hatte in mehreren seiner Werke ein Loblied auf den Nutzen der Logik bei Entscheidungen über Fragen des Glaubens gesungen und sie in der Auseinandersetzung mit etwa Cresconius gezielt eingesetzt.13 Sollte so nicht die Wissenschaft die Grenzen dessen bestimmen, was in der Auslegung der Offenbarung richtig und falsch ist? Das war die Praxis, die an den Universitäten befolgt wurde. Damit standen Fragen nach Vokabular, Argumenta­tionsform und Quellenverwendung in der Trinitätslehre, wie sie in den Sentenzenkommentaren behandelt wurden, unter einem besonderen Vorzeichen. Diese Kommentare waren ein Produkt der Universitäten und unterlagen somit den Standards der Wissenschaft­lichkeit, die dort etabliert waren.14 In der Praxis bedeutete das die Heuristik des Aristoteles. Bemerkenswert ist dabei, dass diese Heuristik in vielen Fällen nicht hinterfragt wurde. Es gab natür­lich Auseinandersetzungen über die Auslegung des Aristoteles. Aber in der Regel ging man davon aus, dass das, was Aristoteles in seinen Schriften ausgeführt hatte, dem entsprach, was der Mensch mit der bloßen Vernunft erschließen konnte. Damit war auch klar, dass Aristoteles in der Theologie einen Platz hatte.15 12 1 Pt 3,15. 13 Aurelius Augustinus, De doctrina christiana libri IV (Corpus Christianorum Series Latina 32), hg. v. Josephus Martin, Turnhout 1962, Lib. 2, cap. 31, n. 48, S. 65 – 66: Sed disputa­ tionis disciplina ad omnia genera quaes­tionum, quae in litteris sanctis sunt, penetranda et dissoluenda, plurimum ualet (…). Siehe auch Aurelius Augustinus, Ad Cresconium (Augustinus Opera 30), zweisprachige Ausgabe, hg. v. Hermann-­Josef Sieben, Paderborn 2014, Lib. 1, cap. 20, n. 25, S. 96: Hanc enim artem, quam dialecticam vocant, quae nihil aliud docet quam consequentia demonstrare seu vera veris seu falsa falsis, numquam doctrina christiana formidat, sicut eam in Stoicis non formidavit apostolus, quos se cum volentes conferre non respuit. 14 Über diese Standards informieren William J. Courtenay, Schools and Scholars in Fourteenth-­century England, Princeton NJ 1987 und für die spätere Zeit Arno Seifert, Das höhere Schulwesen. Universitäten und Gymnasien, in: Notker Hammerstein / August Buck (Hgg.), Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, Bd. 1: 15. bis 17. Jahrhundert. Von der Renaissance und der Reforma­tion bis zum Ende der Glaubenskämpfe, ­München 1996, S. 197 – 374. 15 Für die spätmittelalter­liche Würdigung des Aristoteles galt gleichermaßen, was Averroes in seinem großen Kommentar zu De anima über ihn gesagt hatte, näm­lich dass er die Grenze gesetzt hatte dessen, was der Mensch mit seiner natür­lichen Vernunft erreichen kann. Siehe Averroes, Commentarium Magnum in Aristotelis De anima libros (Corpus Commentariorum Averrois in Aristoteles 6/1), hg. v. F. Stuart Crawford, Cambridge

Scholastik und Humanismus 261

1.2  Wegestreit

Diese Konstella­tion gilt auch für das 15. Jahrhundert, jedoch mit dem Zusatz, dass die Auseinandersetzungen über die Auslegung des Aristoteles schärfer wurden. Sie gipfelten im sogenannten Wegestreit mit seiner Trennung einer via moderna und einer via antiqua, die jeweils eine andere Interpreta­tion des Aristoteles brachten.16 Der Wegestreit etablierte sich an vielen Universitäten in einer Form, die mehr als nur ein Streit z­ wischen Gelehrten darstellte. Er hatte eine direkte Auswirkung auf die Institu­tion, indem vielerorts der Unterricht entsprechend der beiden Wege aufgeteilt wurde. Die via moderna und die via antiqua hatten jeweils ihren eigenen Aristoteles, den sie mit eigenen Magistern an jeweils eigenen Studenten lehrten.17 Durch diese Verankerung in der Universität wurde sie immer mehr zu einer Selbstverständ­lichkeit. Problematisch an dieser Aufteilung

MA 1953, Lib. 3, t. 14, S. 433. Diese Aussage hatte auch in die sogenannten Auctoritates Aristotelis Eingang gefunden. Siehe Les Auctoritates Aristotelis. Un florilège médiéval. Étude historique et édi­tion critique (Philosophes Médiévaux 17), hg. v. Jacqueline Hamesse, Louvain 1974, S. 190 (n. 189): Credo quod ille homo, scilicet Aristoteles, fuit in natura regula et exemplar quoddam. Nam advenit ad demonstrandum ultimam perfec­ tionem in materia. Über den Umgang mit Aristoteles informieren die Beiträge in Luca Bianchi (Hg.), Christian Readings of Aristotle from the Middle Ages to the Renaissance (Studia Artistarum 29), Turnhout 2011 und Peter von Moos, Heiden im Himmel? Geschichte einer Aporie z­ wischen Mittelalter und Früher Neuzeit. Mit kritischer Edi­tion der Quaestio de salva­tione Aristotelis des Lambertus de Monte (um 1500) von Philipp Roelii (Schriften der Philosophisch-­Historischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften 54), Heidelberg 2014. 16 Dazu mit einer Übersicht über den Streit an den verschiedenen Universitäten Astrik L. Gabriel, Via Antiqua and Via Moderna and the Migra­tion of Paris Students and Masters to the German Universities in the Fifteenth Century, in: Albert Zimmermann (Hg.), Antiqui und Moderni. Tradi­tionsbewußtsein und Fortschrittsbewußtsein im späten Mittelalter (Miscellanea Mediaevalia 9), Berlin 1974, S. 439 – 483. Die inhalt­liche Seite der Auseinandersetzung wird erörtert bei Zénon Kaluza, Les étapes d’une controverse. Les nominalistes et les réalistes parisiens de 1339 à 1482, in: Alain Le Boulluec (Hg.), La controverse religieuse et ses formes, Paris 1995, S. 297 – 317. 17 Dies lässt sich am Beispiel von Freiburg im Breisgau zeigen, wo die Akten der ­Artesfakultät die Verteilung der Vorlesungen und Übungen zu den gleichen Texten des Aristoteles getrennt für die beiden Wege auflisten. Siehe für die Jahre 1497 und 1508 die Angaben bei Heinrich Schreiber, Geschichte der Albert-­Ludwigs-­Universität zu Freiburg im Breisgau, Teil 1: Von der Stiftung der Universität bis zur Reforma­tion (Geschichte der Stadt und Universität Freiburg im Breisgau 2), Freiburg i. Br. 1857, S. 60 – 63.

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war jedoch, dass sie eigent­lich gar nicht selbstverständ­lich war. Denn unter dieser Bedingung konnte Aristoteles natür­lich nicht mehr wie vorher mit der menschlichen Vernunft identifiziert werden. Denn welcher Aristoteles sollte dann nunmehr die von Gott geschaffene Vernunft repräsentieren, die ohne Gefahr für Häresie in der Theologie eingesetzt werden konnte: der Aristoteles, wie ihn die via moderna oder der, wie ihn die via antiqua sah?18 Der Wegestreit zwang die Beteiligten somit, die Frage nach der Begründung der in der Theologie eingesetzten Vernunft neu zu stellen. Gewiss, die Antwort auf diese Frage sah ganz anders aus für die, die sich am tagtäg­lichen Geschäft der Universität beteiligten, als für die, die draußen waren. Denn der universitäre Alltag mit seinen Studenten und etablierten Curricula machte es für den einzelnen Magister kaum mög­lich, hier neue Wege zu gehen. Ihm blieb oft nur die Mög­lichkeit, etablierte Gegebenheiten der Universitätslandschaft in einen neuen Zusammenhang zu bringen. Unterlag man nicht oder kaum solchen institu­tionellen Zwängen, dann gab es natür­lich mehrere Mög­lichkeiten. In d ­ iesem Fall konnte man neue Elemente, die bis jetzt noch keine Rolle gespielt hatten, in den theolo­gischen Diskurs miteinbeziehen.19 Mit den anfangs genannten Werken von Heymericus de Campo, ­Hieronymus Raynerii und Paulus Cortesius sind drei Beispiele ausgewählt, die jeweils in einem anderen Umfeld entstanden sind und ganz anders auf die Herausforderung einer vernunftgemäßen Auslegung der Trinität reagieren. Gehen wir also nach dieser Einleitung auf die Quellen ein. Ich möchte dabei die historische Abfolge verlassen und mit der Lectura super Sententiarum libros des ­Hieronymus Raynerii beginnen. Denn ­dieses Werk exemplifiziert den alltäg­lichen Betrieb an den Universitäten des späten Mittelalters, wie er sich im Laufe der Zeit etabliert hat. Ausgehend von ­diesem Werk können dann die beiden anderen Schriften betrachtet werden, die von ­diesem Standard abweichen.

18 Diesen Punkt habe ich weiter ausgeführt in Maarten J. F. M. Hoenen, Der Wegestreit in Ingolstadt. Hintergründe zur Auseinandersetzung ­zwischen Realisten und ­Nominalisten um 1500, in: Franz Fuchs (Hg.), Humanismus in Ingolstadt (Pirckheimer Jahrbuch für Renaissance- und Humanismusforschung 27), Wiesbaden 2013, S. 29 – 52. 19 Wie die Trinität außerhalb der Grenzen der Universität behandelt wurde, lässt sich an den Werken von Autoren wie Raimundus Lullus und Nikolaus von Kues ablesen, die sich gegenüber einer mög­lichen Erschließung der gött­lichen Trinität durch die menschliche Vernunft viel offener zeigen. Siehe Kurt Flasch, Nikolaus von Kues, Geschichte einer Entwicklung, Frankfurt a. M. 1998, S. 678 (Index s. v. ‚Trinität, Trinitätsphilosophie‘) und Alexander Fidora / Josep E. Rubio (Hgg.), Raimundus Lullus. An Introduc­tion to his Life, Works and Thought (Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis 214), Turnhout 2008, S. 498 – 510.

Scholastik und Humanismus 263

2  Die scholastische Tradition: Der Sentenzenkommentar des Hieronymus Raynerii Der Sentenzenkommentar des Hieronymus Raynerii liegt in einer Abschrift vor, die unmittelbar nachdem die Vorlesung stattgefunden hatte, im Jahre 1488 fertiggestellt wurde.20 Der Schreiber dieser Abschrift war der Dominikaner Werner von Selden, der in der Handschrift auch ausdrück­lich als solcher genannt wird.21 Von ihm wissen wir mehr als vom Verfasser des Kommentars. Werner von Selden war näm­lich ein Dominikaner aus Basel, der in Köln auch die Sentenzenvorlesung des Peter Siber mitgeschrieben hatte und sich 1487 an einer dortigen Disputa­tion über die gött­liche Gerechtigkeit beteiligt hatte, wie aus dem Notizbuch des Servatius Fanckel hervorgeht.22

20 Die Datierungen ergeben sich aus Notizen in der Handschrift. Siehe Basel, Universitätsbibliothek, A X 14, fol. 95r: Explicit lectura venerabilis patris Hieronymi Raynerii sacrae theologiae baccalarii super secundum Sententiarum in die sancti Vincentii confessoris quae fuit quinta feria ante palmarum anno 1487. Scripta ac completa feria quarta post octavam Pascae anno 1488. Ein Hinweis auf die Datierung der Vorlesung über das dritte Buch (1487) findet sich auf ebd., fol. 146v. Eine weitere Bestätigung, dass die Handschrift 1488 erstellt wurde, gibt der Text auf ebd., fol. 98r: Scripta sunt ista feria quinta post octavam Pascae anno 1488 (…). 21 Ebd., fol. 158v, findet sich folgende Bemerkung zum Schreiber: De libris fratris Wernheri de Selden de Arau quem scripsit Colonie manu propria. 22 Zu ihm siehe Gabriel Löhr, Die Teutonia im 15. Jahrhundert. Studien und Texte vornehm­ lich zur Geschichte ihrer Reform (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens in Deutschland 19), Leipzig 1924, S. 125, Anm. 6 und ders., Die theolo­gischen Disputa­tionen und Promo­tionen an der Universität Köln im ausgehenden 15. Jahrhundert nach den Angaben des P. Servatius Fanckel O. P. (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens in Deutschland 21), Leipzig 1926, S. 120: Anno 1487 infra oct. s. Martini in die deposicionis venerabilis domini Alberti (= November 15) presedi fratri Wernero (de Selden) de conventu Basiliensi respondenti pro prima de iusticia dei et misericordia et igne infernali agente in corpora et spiritus dampnatorum. Seine Abschrift des Sentenzenkommentars des Peter Siber (Buch I-II) befindet sich in Basel, Universitätsbibliothek, A X 72. Siehe ebd., fol. 276r: Explicit lectura reverendi patris Petri Siber (…) super secundum Sententiarum (…) anno etc. (14)88 per me fratrem Wernherum de Selden conventus Basiliensis, tunc temporis studentem Colonie. In Basel sind auch einige gedruckte Werke aus seinem Besitz erhalten wie etwa Lambertus de Monte, Copulata omnium tractatuum Petri Hispani, Köln 1486, sowie Thomas von Aquin, Summa theologiae, Pars 1, Venedig 1484 und Thomas von Aquin, Quaes­tiones disputatae, Straßburg 1500. Siehe Pierre L. Van der Haegen, Die Wiegendrucke der Universitätsbibliothek

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Weshalb Werner von Selden die Vorlesung von Hieronymus Raynerii mitgeschrieben hat, ist nicht mit Sicherheit zu bestimmen. Wahrschein­lich hat die Tatsache dabei eine Rolle gespielt, dass Hieronymus den Sentenzenkommentar des Thomas von Aquin als Ausgangspunkt seiner Vorlesung genommen und ihn auch gegen die Angriffe des Durandus und des Aureoli verteidigt hatte.23 Womög­lich hat er sich auf diese Weise auf seine eigene Sentenzenvorlesung vorbereiten wollen, die er ­später auch in Basel halten sollte.24 Wir können davon ausgehen, dass die Abschrift des Werner von Selden eine getreue Abbildung dessen ist, was in der Vorlesung geschah. Denn er stützt sich nicht auf eine ihm vorliegende Handschrift, sondern auf seine eigenen Notizen, die er während der Vorlesung gemacht hatte. Einen Beleg dafür finden wir im ersten Buch, als er bei der Behandlung der Frage, ob die Wahrheit im Intellekt bestehe, die Ausführungen nicht zu Ende schreiben kann und etwas verzweifelt hinzufügt: Sequi non potui scribendo.25 Offensicht­lich ging die Vorlesung so schnell, dass er nicht immer mitkommen konnte. Auch an anderen Stellen fällt auf, dass Sätze nicht vollständig sind und Ausführungen ausgelassen wurden.26 Würde man auf den ersten Blick vermuten, dass man es hier mit einer direkten Niederschrift der Vorlesung zu tun hat, so belehren einen die vielen Korrekturen, von denen sich auf jeder Seite wohl einige finden

Basel, Bd. 1, Basel 2006, S. 75 (12, 23), Bd. 2, Basel 2009, S. 44 (17, 2) und Bd. 3, Basel 2013, S. 165 (66, 2). 23 Siehe dazu weiter unten. 24 Er begann seine Vorlesung zu den Sentenzen in Basel im Jahre 1492, wie aus den Angaben in Die Matrikel der Universität Basel, Bd. 1: 1460 – 1529, hg. v. Hans Georg ­Wackernagel, Basel 1951, S. 149 (n. 41) hervorgeht. Siehe auch Registrum litterarum (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens in Deutschland 10), hg. v. Benedictus Maria Reichert, Leipzig 1914, S. 54 (Registrum secundum litterarum Joachimi Turriani Veneti). Allerdings ist dort (irrtüm­licherweise?) von einem ‚Vincentius‘ die Rede. Siehe ebd., Fr. Vincentius de Selden conv. Basiliensis assign. ad legendum Sententias pro gradu et forma magisterii in universitate Basiliensi et expleta lectura potest magistrari. Basilee 24. febr. 25 Basel, Universitätsbibliothek, A X 14, fol. 28r. Folgende zwei unvollständigen Sätze ­stehen untereinander: Nota quod sicut est duplex scibile, scilicet complexum et incom­ plexum und Nota quod aliquid addat aliquod super ens modum generalem. Sie sind mit einer Akkolade verbunden, hinter der geschrieben steht: Sequi non potui scribendo. 26 Zum Beispiel wird auf ebd., fol. 1v der Satz Quaeritur utrum nicht fortgeführt. Die Zeile ist weiterhin leer. Auf der nächsten Zeile geht der Text wie folgt weiter: Ubi nota quod dupliciter contingit unam scientiam subalternari alteri.

Scholastik und Humanismus 265

lassen. Denn diese lassen darauf schließen, dass die betreffende Handschrift eine Reinschrift der Aufzeichnungen darstellt, ähn­lich wie das auch beim Notizbuch des ­Servatius Fankel der Fall ist.27 Der Aufbau der Vorlesung folgt in der Regel einem vorgegebenen Muster, näm­lich dem Sentenzenkommentar des Thomas von Aquin. Diesem Werk ist über längere Strecken die Abfolge der zu behandelnden Th ­ emen entnommen.28 Wie wir aus den im 15. Jahrhundert gedruckten Ausgaben der Sentenzen des Petrus Lombardus wissen, wurde diesen Werken öfters ein Inhaltsverzeichnis aus dem Kommentar des Thomas von Aquin beigefügt.29 Offensicht­lich war es also zu der Zeit gängige Praxis, den Aufbau ­dieses Werkes als Grundlage zu nehmen. Unser Autor hatte jedoch mehr zur Hand als nur das Inhaltsverzeichnis. Denn er verweist an einigen Stellen auf den Doctor in littera und gibt den Zuhörern hin und wieder zu verstehen, dass bestimmte ­Themen von Thomas nicht angesprochen wurden, etwa durch den Hinweis de qua hic non loquitur Doctor.30 Das bedeutet nicht, dass die 27 Siehe etwa die Korrekturen, die in der beigefügten Edi­tion im Anhang weiter unten verzeichnet sind, bei denen es sich zweimal um eine Wortumstellung handelt (S. 303 Anm. 147 und S. 306 Anm. 158). Die Art und Weise, wie Servatius Fanckel sein Notizbuch erstellt hat, wird diskutiert in Hoenen (wie Anm. 10), S. 100 – 101. 28 Am Anfang dagegen, bei der Behandlung der einleitenden Fragen zur Natur der Theologie als Wissenschaft, stützt der Autor sich auf den Beginn der Summa theologiae des Thomas, auf die er auch verweist. Siehe etwa Basel, Universitätsbibliothek, A X 14, fol. 1v: Unde concludit Doctor, quia theologia nostra est quasi subalternata scientiae divinae beatorum, a qua capit sua principia. Siehe Thomas von Aquin (wie Anm. 6), Pars 1, quaest. 1, art. 2, S. 9a–b: Et hoc modo sacra doctrina est scientia, quia procedit ex principiis notis lumine superioris scientiae, quae scilicet est scientia Dei et beatorum. Einleitende Fragen zur Natur der Theologie behandelt Thomas nicht in seinem Sentenzenkommentar. Sie waren seit dem späten 13. Jahrhundert jedoch Bestandteil eines jeden Prologs zur Sentenzenkommentierung. Deshalb musste Hieronymus Reinerii hier auf die Summa theologiae des Thomas ausweichen. 29 Dies ist zum Beispiel der Fall in einigen Ausgaben der Sentenzen, die auch die Conclusio­nes des Heinrich von Gorkum abdrucken. Für eine Auflistung siehe Anton G. Weiler, Heinrich von Gorkum († 1431). Seine Stellung in der Philosophie und der Theologie des Spätmittelalters, Hilversum 1962, S. 90 – 92. Die 1489 in Basel bei Nicolaus Kesler gedruckte Ausgabe erwähnt Thomas ausdrück­lich auf der Titelseite: Textus Sententiarum cum conclusionibus (sc. Henrici de Gorichem, MH) ac titulis quaes­tionum sancti Thomae (…). 30 Siehe Basel, Universitätsbibliothek, A X 14, fol. 29r: Arguitur Aureoli (…) quod est contra Doctorem in littera. Und ebd., fol. 71r: Per hoc solvitur argumentum, quod bene procedit de virginitate propriissime capta, de qua hic non loquitur Doctor.

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Vorlesung nur darin bestand, den Kommentar des Thomas vorzutragen oder zusammenzufassen. Denn vieles, was gebracht wird, geht über Thomas ­hinaus, wie wir noch sehen werden. Die Vorlage des Werkes bestimmt auch die inhalt­liche Ausrichtung. Auch wenn diese Vorlesung nicht als eine Verteidigung des Thomas von Aquin in dem Sinne gestaltet ist wie die Defensio des öfters zitierten Johannes ­Capreolus, ist klar, dass die Sichtweise des Thomas gegen die Kritik von vor allem Durandus und Aureoli verteidigt wird, wie dies auch Johannes Capreolus tat.31 Thomas ist der Doctor noster, dem es zu folgen gilt und dessen Vorgehensweise auch in der Anwendung auf neue ­Themen weitergeführt werden soll.32 Dabei ist die einzige Grenze, vor der es zu halten gilt, die Autorität der ­Kirche. So heißt es an einer Stelle im Hinblick auf die Gottesmutter Maria, dass die gebrachten Ausführungen die Inten­tion des Thomas aufgreifen und fortführen wollen, vorausgesetzt, sie würden nicht mit den Bestimmungen der ­Kirche im Widerspruch stehen: Ista dicta sunt secundum inten­tionem Doctoris Sancti, salva semper tamen determina­tione Ecclesiae.33 Was hier im Hintergrund spielt, ist nicht nur die ablehnende Haltung der Dominikaner gegenüber der zu der Zeit als Glaubenslehre verteidigten unbefleckten Empfängnis Marias.34 Wichtig ist 31 Johannes Capreolus wird zum Beispiel genannt auf ebd., fol. 36v: Capreolus negat mino­ rem, quia aequalitas, licet non fundetur in unitate reali, tamen in unitate virtuali. Siehe Johannes Capreolus, Defensiones theologiae divi Thomae Aquinatis, hg. v. Ceslaus Paban / Thomas Pèques, Bd. 2, Tours 1900 (ND Frankfurt a. M. 1967), Lib. 1, dist. 31, quaest. 1, S. 318a–326a. Auch an dieser Stelle argumentiert Capreolus gegen die Argumente des Aureoli und Durandus. Über Johannes Capreolus als Verteidiger des T ­ homas von Aquin siehe Ruedi Imbach, Le contexte intellectuel de l’œuvre de Capreolus, in: Guy Bedouelle / Romanus Cessario / Kevin White (Hgg.), Jean Capreolus en son temps (1380 – 1444). Colloque de Rodez, Paris 1997, S. 13 – 22, bes. S. 19 – 21. 32 Siehe etwa folgenden Abschnitt, in dem es um die Frage geht, ob die Theologie eine praktische oder eine spekulative Wissenschaft ist: Basel, Universitätsbibliothek, A X 14, fol. 2r: Et illa est opinio Scoti et Aureoli. Sed Doctor noster dicit quod (sc. theologia, MH) est speculativa et practica, magis tamen speculativa. Ubi nota quod praxis (…). 33 Ebd., fol. 99v. 34 Dazu Ulrich Horst, Die Diskussion um die Immaculata Conceptio im Dominikanerorden. Ein Beitrag zur Geschichte der theolo­gischen Methode (Münchner Universitäts-­ Schriften N. F. 34), Paderborn 1987, bes. S. 4 – 18, und ders., Dogma und Theologie. Dominikanertheologen in den Kontroversen um die Immaculata Conceptio (Quellen und Forschungen zur Geschichte des Dominikanerordens N. F. 16), Berlin 2009, bes. S. 34 – 52. Für die Debatte in den volkssprach­lichen Quellen siehe Réjane Gay-­Canton, Entre dévo­tion et théologie scolastique. Récep­tions de la controverse médiévale autour

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auch die Tatsache, dass jeder Sentenziar und somit auch Hieronymus Raynerii am Anfang seiner Vorlesung feier­lich zu schwören hatte, er werde nichts sagen, das gegen die Lehren der ­Kirche ginge oder als Verteidigung irgendeiner der an den Universitäten ausgesprochenen Verurteilungen verstanden werden konnte. Dieses Gelöbnis fand in den Statuten vieler spätmittelalter­licher Universitäten Erwähnung und wurde auch von den Dominikanern übernommen.35 Es erklärt, weshalb vielen Handschriften und Drucken des 15. Jahrhunderts Sammlungen der wichtigsten Verurteilungen beigefügt waren, die meistens Überschriften tragen wie Articuli in Anglia et Parisius condemnati.36 Diese Articuli wurden auch während der Vorlesung des Hieronymus mehrfach herangezogen, wie die Abschrift bezeugt.37 de l’Immaculée Concep­tion en pays germaniques (Bibliothèque d’histoire culturelle du Moyen Âge 11), Turnhout 2011, bes. S. 315 – 384. 35 Dies ist zum Beispiel der Fall an den Universitäten in Wien, Köln, Freiburg und Ingolstadt. Derartige protesta­tiones waren nicht nur an den Universitäten Brauch, sondern auch in den Orden. Der Dominikaner Albert Löffler notierte am Ende einer von ihm um 1450 geschriebenen Handschrift folgende protestatio, die durch die Verwendung von ‚Pater Lector‘ auf den Kontext des Unterrichts im Orden verweist. Sie ist dem universitären Modell nachgebildet. Siehe Basel, Universitätsbibliothek, F VI 58, fol. 311v: Protestor ego quod non intendo in praesenti actu sive in quocumque alio per me Dei gratia in posterum fiendo aliquid dicere, asserere seu pertinaciter defendere quod sit contra determina­tionem sacrosanctae Romanae ecclesiae, quod sit contra doctores sanctos ab ecclesia Dei appro­ batos, vel quod sit contra articulos Parisius et in aliis universitatibus condemnatos. Et si quid talium dixero vel ex lapsu linguae vel ex ignorantia, quae heu magna est in me, seu vi argumentorum, quod magis timeo, illud ex nunc prout ex tunc revoco, adnullo et peto quod habeatur pro non dicto submittens me correc­tioni vestrae, reverende Pater Lector, et omnium aliorum quorum interest taliter delinquentes corrigere et a veritate deviantes ad viam veritatis reducere. Qua protesta­tione praemissa sit haec in ordine conclusio mea prima (der Rest fehlt, MH). 36 Siehe die Aufzählungen mit Handschriften und Drucken in Johannes M. M. H. T ­ hijssen, What Really Happened on 7 March 1277? Bishop Tempier’s Condemna­tion and Its Institu­tional Context, in: Edith Sylla / Michael McVaugh (Hgg.), Texts and Contexts in Ancient and Medieval Science (Brill’s Studies in Intellectual History 78), Leiden 1997, S. 84 – 114, bes. S. 106 – 112 (Appendix 1) und in Henrik Wels, Aristote­lisches Wissen und Glauben im 15. Jahrhundert. Ein anonymer Kommentar zum Pariser Verurteilungs­ dekret von 1277 aus dem Umfeld des Johannes de Nova Domo (Bochumer Studien zur Philosophie 41), Amsterdam 2004, S. xi–lii. 37 Siehe etwa Basel, Universitätsbibliothek, A X 14, fol. 41v: (…) et sic per eam (sc. opera­ tionem, MH) angelus est in loco primo modo accipiendo opera­tionem sicut articulus Pari­ siensis damnat tamquam erroneum dicere angelum esse in loco per ipsam opera­tionem.

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Schaut man sich das Werk näher an, dann fällt zuerst die enorme Dichte des gebrachten Materials auf. Es ist aus heutiger Sicht kaum verständ­lich, wie Zuhörer den Stoff aufnehmen konnten. Dieser Eindruck wird noch dadurch verstärkt, dass die Inhalte sehr systematisch aufbereitet sind. Sie werden in einzelnen Sätzen, sogenannten conclusiones, auf den Punkt gebracht, die dann erläutert und begründet und in corollaria und notanda weitergeführt werden.38 Auch finden sich vielfach Begriffsbestimmungen in Form von Schemata in der Handschrift. Diese Sätze und Schemata sind wohl das Gerüst der Vorlesung, das vom Magister, in unserem Fall Hieronymus Raynerii, kommentiert und in kleineren Fragen zur Diskussion gestellt wurde, die in der Handschrift aufgeführt werden. Bei den Begriffsbestimmungen und kleineren Fragen zieht der Autor viele Quellen des 13. bis 15. Jahrhunderts heran. Bemerkenswert sind auch die Hinweise auf zeitgenös­sische Autoren. So spricht er von der Lehre der doctores universitatis Coloniensis und von den Auffassungen des Laurentius von Groningen, des Regens der albertistischen Laurentiana-­Burse, und des Johannes Tinctoris, der als Verteidiger der Lehre des Thomas galt.39 Er posi­tioniert seine Und ebd., fol. 58r: Arguitur ex articulo Parisiensi: Intellectu existente in apice ra­tionis voluntas potest in oppositum. Ergo in considera­tione ra­tionis non potest esse origo peccati. Dicendum quod impossibile est (…). Vgl. David Piché (Hg.), La condamna­tion Parisienne de 1277 (Sic et Non), Paris 1999, S. 120 (n. 135) und S. 140 (n. 204). 38 Siehe die Edi­tion weiter unten, S. 302 – 307. 39 Auf die Doktoren der Universität Köln wird verwiesen im Rahmen einer Auseinandersetzung über den Bezug z­ wischen Wesen und Vermögen. Siehe Basel, Universitäts­ bibliothek, A X 14, fol. 8r: Contra. Si Deus crearet calorem subsistentem per se, sic etiam daret sibi opera­tionem. Ad quod doctores universitatis Coloniensis, quod non est factibile, quia creatio terminatur ad aliquid existens. Accidens autem per se non subsistit. Ergo per se non potest esse terminus crea­tionis. Laurentius von Groningen und Johannes ­Tinctoris werden genannt bei der Behandlung von Fragen über die Sündhaftigkeit der Engel. Siehe ebd., fol. 59r: Arguitur. Cuicumque angelus adhaeret, immobiliter adhaeret. Ergo si in primo instanti omnes se ad Deum converterint, nulli demeruissent. Dicendum quod maior vera est quantum ad rem electam, non autem quoad modum eligendi nisi post confirma­tionem. Magister Laurentius solvit sic, quod maior vera est de conversione per perfectam elec­tionem. Magister Johannes Tinctoris dicit quod est duplex conversio, scilicet naturalis et supernaturalis. Zu Johannes Tinctoris und Laurentius von Groningen siehe Götz-­Rüdiger Tewes, Die Bursen der Kölner Artisten-­Fakultät bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts (Studien zur Geschichte der Universität zu Köln 13), Köln 1993, S. 910 (Reg.) und S. 915 (Reg.). Dass Johannes Tinctoris als Nachfolger des Thomas galt, wird bezeugt durch eine Notiz in der Handschrift Eichstätt, Cod. st. 687, fol. 158v:

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S­ tellungnahmen somit in einem geistigen Zeitraum, der bei Alexander von Hales und Bonaventura seinen Anfang nahm, in den Debatten, wie sie Heinrich von Gent, Hervaeus Natalis, Durandus und Aureoli führten, seinen Höhepunkt erreicht hatte und von dem es nun galt, vor dem Hintergrund der Autorität des Thomas von Aquin das Fazit zu ziehen. Insgesamt wirken die Ausführungen sehr routiniert. Der Autor sucht nirgends nach einer Stellungnahme, sondern posi­tioniert sich bei jeder Frage immer wieder neu in dem genannten geistigen Umfeld. Er bringt den Zuhörern das begriff­liche Handwerk bei, oder vielleicht besser, er zeigt ihnen mit dem Duktus eines Mathematiklehrers, wie Probleme zu lösen sind. Denn die begriff­liche Kreativität, die die Sentenzenkommentare des Thomas von Aquin, Durandus von Saint Pourçain und Peter Aureoli kennzeichnen, fehlt hier vollkommen. Das Werk besticht eher durch Prägnanz und Schlichtheit. Es entsteht so der Eindruck einer völligen Transparenz im Hinblick auf die behandelte Problematik. Diese ist jedoch nur nach innen auf die scholastischen Debatten gerichtet, wie sie sich im Laufe der vielen Jahrzehnte an den Universitäten eingeschliffen haben. Denn einen Blick nach außen auf das Umfeld, in dem das Werk entstanden ist, kann man der Abschrift der Vorlesung an keiner Stelle abgewinnen. Es gibt nur eine ­solche Stelle, die zugleich jedoch dramatisch belegt, dass die theolo­gischen Erörterungen eine Selbständigkeit gewonnen hatten, die es dem Magister kaum mög­lich machte, die Ereignisse des Tages mitzureflektieren. Es handelt sich hier um einen Zusatz des Schreibers, der mitten in den Ausführungen zur Christologie steht. Ohne Bezug zum Thema und somit den Eindruck eines Hilferufs erweckend notiert er, dass die ganze Welt nun gegen die Flamen in den Krieg gezogen sei: Deus det nobis pacem, so schließt er diesen Hinweis und geht mit der nächsten Frage weiter.40

Fuit autem iste Magister Johannes Tinctoris universitatis Coloniensis et pro maiori parte sequens Sanctum Doctorem. Die Handschrift enthält Johannes’ Kommentar zur Phy­ sik. Die Notiz wurde am Ende des Kommentars nachgestellt. Siehe dazu Maarten J. F. M. Hoenen, Speculum philosophiae medii aevi. Die Handschriftensammlung des Dominikaners Georg Schwartz († nach 1484) (Bochumer Studien zur Philosophie 22), Amsterdam 1994, S. 89 – 90. 40 Siehe Basel, Universitätsbibliothek, A X 14, fol. 98r: Sed comparatae (sc. duae naturae Christi, MH) ad personam assumentem, sic esset unus homo etc. Scripta sunt ista feria quinta post octavam Pascae anno 1488 tempore quo totus mundus contra Flemingos con­ citabatur ad bellum propter regem Romanorum filium Frederici imperatoris, qui capti­ vus tenebatur in Prugis. Deus det nobis pacem. Es handelt sich hier um den von K ­ aiser

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So viel zur Art des Kommentars. Gehen wir jetzt auf die dort angesprochenen Inhalte ein. In der Regel sind die Ausführungen straff gehalten und die Verteilung über die einzelnen Distink­tionen der Sentenzen ist gleichmäßig. Es gibt jedoch auch Ausnahmen, bei denen sich die Ausführungen über viele Seiten der Handschrift erstrecken, etwa wenn bei der Trinitätslehre ausführ­lich auf die Frage des Realunterschieds z­ wischen Wesen und Sein eingegangen wird.41 Die für unsere Frage ausgewählten Textstellen betreffen jedoch keine s­ olche Ausnahme, sondern wollen einen Einblick in die Heuristik vermitteln, die sich durch das ganze Werk hindurchzieht. Das erste Beispiel soll zeigen, wie H ­ ieronymus Begriffe auf die Thematik der Trinität anwendet. Anschließend wird das zweite Beispiel verdeut­lichen, wie er dabei die Autorität des Thomas verteidigt. Das erste Beispiel betrifft die 6. Distink­tion, in der es um das Problem geht, wie die zweite Person der Trinität, der Sohn, von der ersten, dem Vater,

Friedrich III. initiierten Feldzug zur Befreiung seines 1488 in Brügge gefangen genommenen Sohnes König Maximilian I. Der ­Kaiser hat sich in dieser Angelegenheit auch an die Stadt Köln gewandt. Über die Ereignisse informiert Hermann Wiesflecker, K ­ aiser Maximilian I. Das Reich, Österreich und Europa an der Wende zur Neuzeit, Band 1, Wien 1971, S. 207 – 218. Eine ähn­liche, fast brutale Routine belegen die sogenannten Quaes­tiones vacantiales, die in der Ferienzeit jeden Freitag abgehalten wurden. In dem bereits genannten Notizbuch des Servatius Fanckel sind die Quaes­tiones vacantiales, die in der Zeit ­zwischen 1475 und 1488 in Köln gehalten wurden, notiert. In der Regel handelte es sich um zehn bis elf solcher Disputa­tionen pro Jahr. In einigen Jahren sind die Zahlen jedoch bedeutend geringer. Die Sammlung selbst gibt zu diesen Ausfällen keine Informa­tion. Dazu muss man auf andere Quellen ausweichen, die den Punkt direkt ansprechen wie die damaligen Chroniken. Sie heben hervor, dass in den betreffenden Jahren die Pest wütete, was wohl der Grund war, weshalb die Studenten von der Universität wegblieben, ein Ereignis, das in den Disputa­tionen selbst an keiner Stelle erwähnt wird. Dazu mit weiteren Verweisen Hoenen (wie Anm. 10), S. 101. 41 Diese Ausführungen befinden sich im Kommentar zur 8. Distink­tion des ersten Buches. Siehe Basel, Universitätsbibliothek, A X 14, fol. 11v–13r. Auch Thomas von Aquin geht in seinem Sentenzenkommentar an dieser Stelle auf den Bezug z­ wischen Sein und Wesen ein. Hieronymus Raynerii spricht darüber hinaus noch den Unterschied ­zwischen Thomas von Aquin und Albertus Magnus an. Siehe ebd., fol. 12r–v: Corollarium. Doctor Sanctus et dominus Albertus non sumunt esse existentiae eodem modo. Esse enim essentiae, essen­ tia et esse existentiae differunt solum modaliter et sunt idem realiter secundum dominum Albertum. Differunt enim solum secundum modum intelligendi. Et dat exemplum simile de aqua stante in se fluente et extra se fluente per rivulos. Doctor autem Sanctus aliter loquitur de esse existentiae. Auch zitiert er Heinrich von Gent und Hervaeus Natalis.

Scholastik und Humanismus 271

hervorgebracht wird.42 Im Hintergrund steht hier ein Satz aus dem Pseudo-­ Athanasianum, dass der Sohn weder gemacht noch erschaffen, sondern vom Vater gezeugt sei.43 Die Frage, die sich dabei stellt, ist, ob diese Zeugung eine notwendige oder eine freie sei. Beide Mög­lichkeiten haben ihre Schwierigkeiten, denn wenn die Zeugung notwendig ist, scheint Gott einem Zwang zu unterliegen. Wenn sie willent­lich ist, dann hat Gott sich dazu entschlossen und gibt es somit einen Moment vor dem Entschluss, in dem es den Sohn nicht gab, was der gött­lichen unveränder­lichen Ewigkeit widerspricht. In den Sentenzen des Lombardus wird diese Thematik mit Hilfe von Stellen aus Augustinus erörtert, der sich in ­diesem Punkt mit Eunomius auseinandergesetzt hatte.44 Im Kommentar des Thomas von Aquin dagegen ist nicht Augustinus, sondern Aristoteles der wichtigste Gesprächspartner. Er liefert Thomas das begriff­liche Rüstzeug, z­ wischen den verschiedenen Bedeutungen von ,notwendig‘ und ,willent­lich‘ zu unterscheiden.45 In der Lectura des Hieronymus Raynerii wird die Linie von Thomas aufgegriffen und weiterverfolgt. Die Erörterung beginnt mit einem Schema, in dem die verschiedenen Bedeutungen des Begriffes necessarium dargestellt werden. Dann folgt die erste conclusio, dass der Vater den Sohn nur nach einer ganz bestimmten Auffassung von Notwendigkeit zeugt, näm­lich mit einer absoluten Notwendigkeit, einer Notwendigkeit also, die im Wesen des Erzeugers gründet und in keiner Weise von außen aufgezwungen oder aus einer auferlegten Bedingung entsteht. Begründet wird diese Notwendigkeit mit der gött­lichen Ewigkeit. Dann folgen zwei corollaria, in denen andere Bedeutungen von ,Notwendigkeit‘ wie Bedürfnis und Zwang von Gott ausgeschlossen werden, und erneut ein Schema, in dem die verschiedenen

42 Ebd., fol. 9v–10r. Der Text ist im Anhang ediert. 43 Enchiridion symbolorum (wie Anm. 8), n. 75 – 76, S. 40 – 42 (Symbolum ‚Quicumque‘ Pseudo-­Athanasianum), bes. n. 75, 42: (…) Filius a Patre solo est, non factus nec creatus, sed genitus (…). 44 Petrus Lombardus, Sententiae in IV libris distinctae, Band 1/2 (Spicilegium Bonaventurianum 4), Grottaferrata 1971, Lib. 1, dist. 6, cap. un., S. 89 – 91. 45 Thomas beginnt die Antwort auf die erste Frage, die er in Bezug auf diese Distink­ tion erörtert, mit einem Verweis auf Aristoteles. Siehe Thomas von Aquin, Scriptum super libros Sententiarum, Bd. 1, hg. v. Pierre Mandonnet, Paris 1929, Lib. 1, dist. 6, quaest. 1, art. 1, S. 166: Respondeo dicendum, quod, secundum Philosophum, V. Metaph., text. 6, necessarium dicitur multipliciter. Vgl. Aristoteles, Metaphysica, Lib. 5, cap. 5, S. 1015a20–b15.

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Arten von Notwendigkeit mit den vier Ursachen des Aristoteles verbunden werden.46 Damit ist die Thematik noch nicht zu Ende geführt. Es wird wie bei ­Thomas eine Frage angehängt, näm­lich ob der Vater den Sohn willent­lich zeugt.47 Diese Frage wird nach dem Muster, wie es auch in den Kölner Repara­tiones zu ­Aristoteles geschieht, erörtert. Denn es folgt direkt nach der Frage die Lösung ohne Argumente für und wider.48 In seiner Antwort führt Hieronymus erneut eine ganze Reihe von Unterscheidungen an, diesmal bezüg­lich der Begriffe voluntas und voluntarie. Auch diesmal wird ein Schema hinzugefügt. Nur in dem Sinne wird der Sohn vom Vater willent­lich gezeugt, so heißt es, als der gött­liche Wille mit dem gött­lichen Wesen zusammenfällt. Das Ganze wird abgeschlossen mit einer conclusio und drei corollaria, in denen die Zeugung des Sohnes als ein natür­licher Vorgang dargestellt wird, der mit dem Hervorbringen eines mentalen Konzeptes im Denkprozess verg­lichen wird. Etwas verloren wird noch ein Zitat des Hilarius angehängt, das nicht aus Lombardus stammt, sondern von Thomas in der betreffenden Distink­tion angeführt wird: Si quis voluntate Dei Filium tamquam factum dicat, anathema sit.49 Dieses Beispiel zeigt, dass die Vorgehensweise hauptsäch­lich aus der Anwendung von Begriffen und Begriffsunterscheidungen besteht. Die Lösungen auf die gestellten Fragen sind in der Regel schon bekannt. Es geht im Unterricht nur darum, den Zuhörern zu vermitteln, wie sie diese Antworten widerspruchsfrei verteidigen können. Dabei spielen die aristote­lischen Schriften als Lieferant der Begriff­lichkeit eine entscheidende Rolle. Die Tatsache, dass diese Schriften Hauptgegenstand des Unterrichts in den Artesfakultäten und den Studien der Orden und somit fester Bestandteil des akademischen Wissens waren, verlieh

46 Siehe die Edi­tion weiter unten, S. 302 – 303. 47 Siehe Thomas von Aquin (wie Anm. 45), Lib. 1, dist. 6, quaest. 1, art. 2, S. 167 – 168. 48 Ähn­lich verkürzt wird vorgegangen in Arnold von Tongern, Repara­tiones lec­tionum et exercitiorum novae logicae Aristotelis, Köln (Quentell) 1507, wie aus folgendem Beispiel hervorgeht, ebd., fol. Aii: Quaeritur. Quis est primus inter libros novae logicae? Solutio: Liber priorum. Et ratio illius est (…). 49 Thomas führt ­dieses Zitat in einem ‚Sed contra‘ an. Siehe Thomas von Aquin (wie Anm. 45), Lib. 1, dist. 6, quaest. 1, art. 2, S. 167. Bei Lombardus findet sich zwar eine ähn­ liche Aussage des Hilarius aus De synodis, aber nicht diese. Siehe Petrus Lombardus (wie Anm. 44), Lib. 1, dist. 6, cap. un., n. 5, S. 91. Vgl. Hilarius, Liber de synodis (Patro­logia Latina 10), hg. v. Jacques-­Paul Migne, Paris 1844, Cap. 38, n. 487, S. 512: Si quis voluntate Dei, tamquam unum aliquid de creatura, factum dicat Filium, anathema sit.

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dieser Art der Problemlösung eine enorme Kraft, zumindest solange über die Auslegung des Aristoteles eine grundsätz­liche Einigkeit bestand, was im späten Mittelalter nicht ohne Weiteres der Fall war – wir haben ja oben auf den Wegestreit verwiesen. 2.1  Verteidigung des Thomas von Aquin

Der Autor unseres Sentenzenkommentars übernimmt die aristote­lische Begriff­ lichkeit in der Regel nicht aus Aristoteles selbst, sondern aus anderen Sentenzenkommentaren, vor allem aus dem Kommentar des Thomas sowie aus dessen beiden Summen und den Quaes­tiones disputatae. Für ihn spielt die Frage der richtigen Interpreta­tion des Aristoteles dann auch keine hauptsäch­liche Rolle. Ganz anders ist es bei der Autorität des Thomas von Aquin. Hier muss Hieronymus sich gegen die Angriffe vor allem von Durandus und Aureoli verteidigen.50 So kommen wir zum zweiten Beispiel, das einige Stellen herausnimmt, an denen Thomas verteidigt wird. Beginnen wir die Untersuchung dieser Stellen mit einigen Beobachtungen. Zuerst fällt auf, dass die Anzahl dieser Stellen beträcht­lich ist. Es ist handelt sich hier also um ein wichtiges Anliegen des Autors. Dann ist bemerkenswert, dass das Heranziehen der beiden Gegner nicht gleichmäßig ist. In der Trinitätslehre wird vor allem Aureoli als Gegner aufgeführt. An anderen Stellen des Werkes ist es hauptsäch­lich Durandus. Schaut man sich schließ­lich diese Stellen näher an, so wird klar, dass sie in der Regel auf Capreolus’ Defensiones zurückgehen und die dortigen Ausführungen zusammenfassen. Capreolus ist für unseren Autor also eine wichtige Stütze in der Etablierung der Autorität des Thomas. Fragt man sich, weshalb ­Capreolus eine so prominente Rolle spielt, ist zu bedenken, dass die Defensio­ nes als Gesamtwerk 1484 im Druck vorlagen.51

50 Über Durandus und Aureoli und ihre Kritik an Thomas informieren mehrere Aufsätze in dem Sammelband Stephen Brown / Thomas Dewender / Theo Kobusch (Hgg.), Philosophical Debates at Paris in the Early Fourteenth Century (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 102), Brill 2009. Zu Durandus siehe auch Isabel ­Iribarren, Durandus of St Pourçain. A Dominican Theologian in the Shadow of Aquinas, Oxford 2005. 51 Das Werk, das nach dem Modell eines Sentenzenkommentars erstellt war, wurde in Venedig bei Octavianus Scotus gedruckt. Die ersten drei Bücher lagen 1483, das vierte Buch 1484 vor. Siehe Guy Bedouelle, Les édi­tions ‚humanistes‘ de Capreolus, in: Bedouelle / Cessario / White (wie Anm. 31), S. 195 – 207, bes. S. 196.

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Es lassen sich bei Hieronymus’ Verteidigung des Thomas zwei Typen von Stellen unterscheiden. Zuerst die, bei denen es um einen schlichten Meinungs­ unterschied geht und Hieronymus ledig­lich feststellt, dass die betreffenden Autoren eine von Thomas abweichende Meinung vertreten haben.52 Weit bedeutender jedoch sind die Stellen, in denen innere Widersprüche in den Schriften des Thomas im Mittelpunkt stehen, die von Durandus und Aureoli angeprangert wurden. Denn in ­diesem Fall geht es um die Validität von Thomas als akademischem Lehrer. Wenn seine Schriften tatsäch­lich Widersprüche aufweisen, lassen sie sich nicht als Ausgangspunkt der Lehre und noch weniger als Beispiel für die Anwendung des Aristoteles in der Theologie einsetzen.53 Durandus und Aureoli sind nicht die ersten, die auf Probleme des Widerspruchs bei Thomas hingewiesen haben. Schon am Ende des 13. Jahrhunderts wurden sie innerhalb und außerhalb des Dominikanerordens gesammelt. Eine berühmte Liste aus dieser Zeit, die nachher mehrfach Ergänzungen erfuhr, trug den vielsagenden Titel Articuli in quibus frater Thomas melius in Summa quam in Scriptis.54 Petrus de Bergamo erstellte im 15. Jahrhundert einen ähn­lichen Katalog mit 200 Widersprüchen, der 1480 in Köln gedruckt wurde.55 Sein Schüler Ambrosius Alemannus fügte dieser Liste noch mehr als 1000 weitere Problemstellen hinzu.56 Es war also durchaus angebracht, in einer Vorlesung, die

52 Gelegent­lich wird auch hervorgehoben, dass der Unterschied nicht inhalt­licher, sondern nur sprach­licher Natur ist, so etwa bei der Gnadenlehre. Siehe Basel, Universitätsbiblio­ thek, A X 14, fol. 77r: (…) esse gratum Deo aliquid ponit in anima consequenter, quia semper ad esse Deo gratum sequitur gratia in anima. Corollarium. Doctor et Durandus non differunt in hoc nisi secundum vocem, quia quod Doctor dicit, quod esse Deo gratum semper ponit aliquid in anima, intelligit consequenter, non antecedenter. 53 Über die Etablierung von Thomas als akademischem Lehrer siehe Maarten J. F. M. Hoenen, Thomas von Aquin und der Dominikanerorden. Lehrtradi­tionen bei den Mendikanten des späten Mittelalters, in: Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie 57 (2010), S. 260 – 285. 54 René A. Gauthier, Les Articuli in quibus frater Thomas melius in Summa quam in Scrip­ tis, in: Recherches de Théologie ancienne et médiévale 19 (1952), S. 271 – 326. Für die späteren Ergänzungen siehe ebd., S. 315 – 326. 55 Siehe Petrus de Bergamo, Etymologiae seu Concordantiae conclusionum in quibus Thomas de Aquino videtur sibi contradicere, Köln (Arnold Therhoernen) 1480. Der Druck wird beschrieben bei Ernst Voulliéme, Der Buchdruck Kölns bis zum Ende des fünfzehnten Jahrhunderts, Bonn 1903 (ND Düsseldorf 1978), S. 404 (n. 912). 56 Diese ausführ­liche Liste wurde ebenfalls unter dem Namen des Petrus (de Bergamo) gedruckt. Siehe Petrus de Bergamo, Concordantiae dictorum et conclusionum Thomae

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den Sentenzenkommentar des Thomas als Vorlage benutzte, zu diesen Widersprüchen Stellung zu beziehen. Johannes Capreolus hatte in seinen Defensio­ nes gezeigt, wie in der Auseinandersetzung mit Aureoli und Durandus s­ olche Widersprüche zu lösen sind. Hieronymus Raynerii schließt sich in dieser Sache Johannes Capreolus an. Das ausgewählte Beispiel betrifft die Frage, ob der Mensch auf natür­liche Weise, ohne Gnade das Gute tun und somit Gott über alles lieben kann, ein Thema das in der 17. Distink­tion, die der Wirkung des Heiligen Geistes als dritter Person der Trinität gewidmet war, von Hieronymus abgehandelt wurde.57 Der Wortlaut der Ausführungen macht klar, dass Hieronymus hier die Defensiones des Capreolus zur Hand hatte.58 Zuerst stellt Hieronymus die betreffenden Stellen aus dem Sentenzenkommentar und der Summa nebeneinander und bemerkt dazu, dass Aureoli auf Grund dieser Stellen einen Widerspruch bei Thomas meint feststellen zu können. Denn im Sentenzenkommentar hatte Thomas behauptet, dass ein akzidenteller Habitus von außen notwendig sei, wohingegen er in der Summa theologiae ausführte, die natür­liche Veranlagung reiche aus.59 Nach Aureoli de Aquino sacri ordinis fratrum praedicatorum, in: Tabula in libros, opuscula et commentaria divi Thomae de Aquino (…), Venedig (Johannes Rubeus Vercellensis) 1497, fol. 323r–362v. 57 Siehe die Edi­tion weiter unten, S. 305 – 307. 58 Siehe Johannes Capreolus (wie Anm. 31), Lib. 1, dist. 17, quaest. 1, art. 2, S. 73b–93b, bes. S. 74a und S. 81b. 59 Siehe die Edi­tion weiter unten, S. 305. Die betreffenden Stellen, auf die Hieronymus Bezug nimmt, sind Thomas von Aquin (wie Anm. 45), Lib. 1, dist. 17, quaest. 1, art. 1, S. 394: Et ideo cum actus charitatis perfec­tionem quamdam habeat ex hoc quod est meri­ torius omnibus modis, oportet ponere charitatem esse habitum creatum in anima; quae quidem efficienter est a tota Trinitate (…). Und ders., Summa theologiae (Opera omnia 7), Rom 1892, Pars I-II, quaest. 109, art. 3, S. 295b: Et ideo dicendum est quod homo in statu naturae integrae non indigebat dono gratiae superadditae naturalibus bonis ad dili­ gendum Deum naturaliter super omnia; licet indigeret auxilio Dei ad hoc eum moven­ tis. Zu bemerken ist, dass Aureoli zwar von einem Widerspruch bei Thomas spricht, jedoch in d ­ iesem Zusammenhang nicht explizit die Stelle aus dem Sentenzenkommentar erwähnt, sondern eine zweite Stelle aus der Summa theologiae heranzieht, näm­lich Thomas von Aquin, Summa theologiae (Opera omnia 8), Rom 1895, II-II, quaest. 23, art. 2, S. 165b: Unde maxime necesse est quod ad actum caritatis existat in nobis aliqua habitualis forma superaddita potentiae naturali, inclinans ipsam ad caritatis actum, et faciens eam prompte et delectabiliter operari. Siehe Petrus Aureoli, Commentariorum in primum librum Sententiarum prima pars, Rom 1596, Dist. 17, art. 3, fol. 413b–414b.

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jedoch genügt der menschliche Wille als solcher, um das Gute zu tun und so das ewige Leben zu erlangen. Der Mensch brauche also nicht zusätz­lich noch die Unterstützung der gött­lichen Gnade.60 In seiner Antwort hebt Hieronymus zuerst hervor, dass Aureoli Thomas falsch verstanden habe, um dann zu zeigen, dass der heilige Doktor – das Adjektiv ,heilig‘ übernimmt er hier aus Capreolus 61 – sich in keiner Weise widersprochen habe.62 Beide Stellen gehen nach Meinung des Hieronymus also zusammen. Denn auch nach Thomas kann der Mensch auf Grund seiner natür­lichen Kräfte das Gute tun und Gott über alles lieben, wie es in der Summa heißt. Was Thomas im Sentenzenkommentar jedoch unterstreichen wollte, war, dass der Gipfel dieser Liebe und somit der verdienst­liche Akt nur mit Gottes Hilfe in Form einer akzidentellen Gnadengabe, die der Mensch nicht aus sich hat, erreicht werden kann. In dieser Auseinandersetzung stehen erneut aristote­lische Begriffe im Mittelpunkt, näm­lich ,Habitus‘, ,Akzidenz‘ und ,Akt‘, diesmal angewandt auf die Frage nach der Notwendigkeit der Wirkung des Heiligen Geistes als dritter Person der Trinität. Aureoli wollte mit seiner Kritik an Thomas herausstellen, dass man philosophisch gesprochen den vollkommenen Akt nicht von einer akzidentellen, übernatür­lichen Gabe von außen abhängig machen kann, da unter dieser Annahme die Natur ihr Ziel nicht selbst erreichen kann und sie so grundsätz­lich vergebens wirkt.63 Diese Kritik ist

Allerdings verweist Thomas an dieser Stelle seiner Summa theologiae auf die Sentenzen des Lombardus. Siehe ebd., II-II, quaest. 23, art. 2, S. 165a: Respondeo dicendum quod Magister perscrutatur hanc quaes­tionem in XVII dist. I Lib. Sent. (…). 60 Siehe Petrus Aureoli (wie Anm. 59), Dist. 17, art. 3, fol. 414a: Sed nec opinio, nec ra­tiones videntur necessitatem charitatis supernaturalis habitus demonstrare. Non est enim verum, quin voluntas possit in substantiam actus dilec­tionis charitativae in puris naturalibus constituta. Die Argumenta­tion des Aureoli wird ausführ­lich dargestellt bei Johannes Capreolus (wie Anm. 31), Lib. 1, dist. 17, quaest. 1, art. 2, S. 74a–76b. 61 Meistens spricht Hieronymus ledig­lich von „Doctor“ oder „Doctor noster“, wenn er Thomas von Aquin meint. 62 Siehe die Edi­tion weiter unten, S. 306 – 307. 63 Petrus Aureoli (wie Anm. 59), Dist. 17, art. 3. fol. 414a: (…) ex puris naturalibus possit diligere Deum supra se et supra omnia, nisi fore dicatur, quod amplius diligi possit quam supra se et supra omnia vel quod dilectio charitativa sit inferior naturali. Diese Konsequenz würde jedoch im Widerspruch stehen zu dem bekannten aristote­lischen Satz Deus et natura nihil faciunt frustra. Siehe Auctoritates Aristotelis (wie Anm. 15), S. 161 (n. 18).

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berechtigt. Denn Thomas erweitert im Sentenzenkommentar die aristote­ lische Begriff­lichkeit des Habitus auf eine besondere Weise, indem er ihn als von außen verursacht versteht, um so die christ­liche Lehre der Notwendigkeit der gött­lichen Gnade verständ­lich zu machen. Insofern war es für Hieronymus wichtig, an dieser Stelle im Anschluss an Capreolus die Heilig­ keit des Thomas hervorzuheben. In den Sentenzen des Lombardus wird die Frage der Gabe des Heiligen Geistes mit ausführ­lichen Verweisen auf die Heilige Schrift und Augustinus behandelt. Von diesen Quellen fehlt bei Hieronymus jede Spur. Sogar ein verloren stehendes Väterzitat, wie es im ersten Beispiel der Fall ist, lässt sich hier nicht aufweisen. Es werden nur Autoren aus der Zeit der Universitäten genannt: neben Aureoli auch Bonaventura, dem eine Auflistung der verschiedenen Arten von Liebe zugeschrieben wird, und Durandus, aus dessen Werk eine Unterscheidung in Bezug auf die Bedeutung von „Gott gefallen“ entnommen ist. Die Problemdarstellung, wie Hieronymus sie in seiner Lec­ tura super Sententiarum libros bringt, findet auch hier im engen Raum der universitären Tradi­tion statt.

3  Zurück zu den alten Quellen: Das Werk Super Sententias des Heymericus de Campo Gehen wir nun zum zweiten Kommentar über, den wir für unsere Untersuchung ausgewählt haben, näm­lich das Werk Super Sententias des Heymericus de Campo. Diese Schrift hat einen ganz anderen Charakter als die Lectura des Hieronymus. Sie ist kein Kommentar im eigent­lichen Sinne, sondern fasst die Sentenzen des Lombardus zusammen. Sie galt lange Zeit als verloren, bis sie als Teil der Einleitung von Heymericus’ Kommentar zur Apokalypse nachgewiesen werden konnte.64

64 Siehe Maarten J. F. M. Hoenen, Heymericus de Campo Reads Peter Lombard. Late Medieval Abbrevia­tions of the Libri Sententiarum. With a Partial Edi­tion of his Super Sententias, in: Monica Calma / Chris Schabel (Hgg.), Philosophical Psychology in Late-­ Medieval Commentaries on Peter Lombard’s Sentences (Recontres de Philosophie Médiévale), Turnhout, im Druck. Über Heymericus’ Kommentar zur Apokalypse informiert Klaus Reinhardt, Werke des Heymericus de Campo († 1460) im Codex Cusanus 24, in: Traditio 50 (1995), S. 295 – 314.

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Heymericus ist einer der spannendsten Theologen des späten Mittelalters.65 Er hat sein ganzes Leben der Universität gewidmet, jedoch ist sein Schrifttum in keiner Weise den gängigen Produkten dieser Institu­tion vergleichbar.66 Man könnte auf den ersten Blick vermuten, er sei ein Außenseiter, da seine Schriften eigene Th ­ emen setzen, ungewöhn­liche Quellen heranziehen und auch wenn er Aristoteles oder Lombardus kommentiert, einen eigenen Weg gehen, der an den mos geometricus erinnert.67 Auch seine Sprache ist außergewöhn­lich. Er liebt lange Perioden mit ideosynkratischen Begriffen, die nicht zum Repertoire des akademischen Lateins gehören.68 Dennoch war er kein Außenseiter, sondern ein wichtiger Spieler der akademischen Kultur an den Universitäten von Köln und ­später auch Leuven.69 Er hatte schon bald nach seiner Ankunft in Köln im Jahre 1422 den Albertismus als Gegenpol zum Thomismus etabliert und vertrat in der Zeit von 1432 bis 1435 die Universität auf dem Konzil von Basel.70 Dort hat er auch

65 Zu ihm siehe mit weiterführender Literatur Florian Hamann, Das Siegel der Ewigkeit. Universalwissenschaft und Konziliarismus bei Heymericus de Campo (Buchreihe der Cusanus-­Gesellschaft 16), Münster 2006, bes. S. 17 – 63 und den Sammelband Klaus Reinhardt / Harald Schwaetzer / Franz-­Bernhard Stammkötter (Hgg.), Heymericus de Campo. Philosophie und Theologie im 15. Jahrhundert (Philosophie interdisziplinär), Regensburg 2009. 66 Für ein Verzeichnis seiner Schriften siehe Luc Burie, Proeve tot inventarisatie van de in handschrift of in druk bewaarde werken van de Leuvense theologieprofessoren uit de XVe eeuw, in: Edmond J. M. van Eijl (Hg.), Facultas S. Theologiae Lovaniensis, 1432 – 1797. Bijdragen tot haar geschiedenis (Bibliotheca ephemeridum theologicarum Lovaniensium 45), Leuven 1977, S. 215 – 272, bes. S. 221 – 237. 67 Diese besondere Vorgehensweise ist zum Beispiel ersicht­lich an seinem Quadriparti­ tus quaes­tionum syllogistice supra quattuor libros Sententiarum. Siehe dazu mit Edi­tion Maarten J. F. M. Hoenen, Academic Theology in the Fifteenth Century. The Sentences Commentary of Heymericus de Campo, in: Paul J. J. M. Bakker (Hg.), Chemins de la pensée médiévale. Études offertes à Zénon Kaluza (Textes et Études du Moyen Âge 20), Turnhout 2002, S. 513 – 559. 68 Die nicht leicht zugäng­liche Sprache des Heymericus wurde auch von Zeitgenossen wie Gerardus de Monte bemerkt und sogar angeprangert. Siehe etwa den Verweis in ­Gilles Meersseman, Geschichte des Albertismus, Heft 2: Die ersten Kölner Kontroversen (Disserta­tiones historicae 5), Rom 1935, S. 99. 69 Die wichtigsten Daten seiner Biographie sind zusammengestellt bei Hamann (wie Anm. 65), S. 17 – 63. 70 Einige der Briefe, die er aus Basel an die Universität geschickt hat, sind ediert im Anhang von Franz Joseph von Bianco, Die alte Universität Köln und die spätern Gelehrten-­ Schulen dieser Stadt, Teil 1, Abteilung 1: Die alte Universität Köln, Köln 1855.

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eine Anzahl seiner Schriften verfasst.71 Im Jahre 1435 zog er nach Leuven, wo er einer der berühmtesten Professoren wurde, fünfmal das Rektorenamt bekleidete und nicht nur an der Universität, sondern auch in den umliegenden Klöstern unterrichtete, und zwar über Th ­ emen und Autoren wie etwa Raimundus Lullus, die an der Universität nicht unterrichtet werden durften.72 Aus seiner Hand sind drei verschiedene Kommentare zu den Sentenzen bekannt. Ob alle drei für den Unterricht erstellt wurden, ist unklar. Im Falle des Super Sententias, der in der Zeit vor 1439 entstanden ist, ist dies sogar sehr unwahrschein­lich.73 Denn das Werk ist eigent­lich nicht viel mehr als eine Zusammenfassung von Bibel- und Väterzitaten, die den Sentenzen des ­Lombardus entnommen sind.74 Die Schrift unterscheidet sich durch diesen Fokus auf die Väter von vielen anderen Zusammenfassungen der Sentenzen, die einen Bezug zur Unterrichtspraxis haben. Denn diese Werke stellen den Studenten den Aufbau und Inhalt des Werkes in einer hand­lichen Form zur Verfügung, damit sie nicht den viel ausführ­licheren Text der Sentenzen selbst anschaffen mussten.75 In der Zusammenfassung des Heymericus jedoch kann man wenig über die Struktur der Sentenzen erfahren. Zum Beispiel fehlen die Titel der Distink­tionen. Wenn man die Sentenzen nicht schon gründ­lich kennt,

71 Das gilt etwa für das Colliget principiorum. Siehe zu ­diesem Werk Dragos Calma und Ruedi Imbach, Heymeric de Campo. Auteur d’un traité de métaphysique. Étude et édi­ tion partielle du Colliget principiorum, in: Archives d’histoire doctrinale et littéraire du moyen âge 80 (2013), S. 277 – 423. 72 Dazu Hamann (wie Anm. 65), S. 54 – 56. 73 Die Datierung geht aus dem Explizit der Handschrift hervor, in dem sich auch der Schreiber, Martinus de Medemblick, zu erkennen gibt. Siehe Bernkastel-­Kues, St. ­Nikolaus Hospital, Cus. 24, fol. 481vb: Scriptum et finitum per me Martinum de Medemblick anno Domini 1439 13 Maii. 74 Siehe die im Anhang weiter unten, S. 307 – 309, edierten Textstellen, die in dieser Hinsicht exemplarisch sind. 75 Dieser Zweck einer Zusammenfassung der Sentenzen des Lombardus wird auf der Titelseite von Burkhard von Hornecks Compendium theologiae, das als eine ­solche Zusammenfassung konzipiert war, hervorgehoben. Siehe Burkhard von Horneck, Compendium theologiae, Nürnberg (Friedrich Peypus) 1515: Compendium theologiae excerptum e quattuor libris Sententiarum magistri Petri Lombardi non minus utile quam necessarium, editum a clarissimo viro doctore Burckhardo Horneck ad iuvanda pauperum studia in sacrarum litterarum disciplina. Zu Burkhard von Horneck siehe Peter Assion, Burkhard von Horneck, in: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, 2. Auflage, Bd. 1, Berlin 1978, S. 1137 – 1139.

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würde man den Überblick bald verlieren. Sein Werk lässt sich dann auch kaum als Grundlage für eine Vorlesung über die Sentenzen verwenden. Kennzeichnend für das Fehlen einer Verbindung mit dem Unterricht ist zum Beispiel auch, dass in keiner Weise auf die Stellen hingewiesen wird, in denen die Magister Petrus Lombardus nicht folgen. Eine Liste mit solchen Stellen entstand im frühen 13. Jahrhundert und wurde mit dem Titel Articuli in quibus Magister communiter non tenetur überschrieben, als deut­lich wurde, dass die Sentenzen des Lombardus einen Begriffsapparat verwendeten, der aus der Zeit vor der Aristotelesrezep­tion stammte und deshalb zu Verwirrungen bei den Studenten Anlass geben konnte.76 Diese Liste wurde im Laufe der Zeit auch ergänzt. Im späten Mittelalter war die ursprüng­liche Zahl von 19 bis auf 26 solcher Stellen angewachsen.77 In vielen Zusammenfassungen der Sentenzen

76 Siehe Edward A. Synan, Nineteen Less Probable Opinions of Peter Lombard, in: Mediaeval Studies 27 (1965), S. 340 – 344 und Claire Angotti, Les listes des opiniones Magistri Sententiarum quae communiter non tenentur. Forme et usage dans la lectio de Sentences, in: Mediaeval Commentaries on the Sentences, Bd. 3 (wie Anm. 5), S. 79 – 144. Diese Verwirrung betraf zum Beispiel die Bedeutung des Wortes ‚Person‘ und die Frage, ob es auch von der abgetrennten Seele ausgesagt werden konnte, wie Lombardus es im dritten Buch seiner Sentenzen tat. Siehe Synan (wie Anm. 76), S. 343 (n. 9); Angotii (wie Anm. 76), S. 136 (n. 9 [Liste 1]), S. 137 (n. 5 [Liste 2]), S. 138 (n. 5 [Liste 3]), S. 138 (n. 5 [Liste 4]), S. 139 (n. 7 [Liste 5]), S. 141 (n. 9 [Liste 6]), S. 143 (n. 7 [Liste 8]), S. 144 (n. 5 [Liste 9]) und Petrus Lombardus, Sententiae in IV libros distinctae, Bd. 2 (Spicilegium Bonaventurianum 5), Grottaferrata 1981, Lib. 3, dist. 5, cap. 3, n. 2, S. 48: Absoluta enim a corpore, (anima, MH ) persona est, sicuti angelus. Aus aristote­lischer Perspektive war diese Gleichstellung von Seele und Person problematisch wegen der grundsätz­lichen Einheit von beiden. Siehe etwa folgende Stelle aus dem anonymen Thesaurus Magistri Sententiarum, einer kommentierten Tabula, die als alphabetische Zusammenfassung der Sentenzen betrachtet werden kann: Thesaurus Magistri Sententiarum cum plenis sententiis in ordinem alphabeticum redactus, Speyer (Peter Drach) 1495, littera P ante E, fol. n[iii]r: In hoc Magister non tenetur, quod scilicet anima per se sit persona. Unde Bonaventura dicit quod individuum hic importat triplicem distinc­tionem, scilicet singularitatis, incommunicabilitatis et supe­ reminentis dignitatis. Sed ra­tione incommunicabilitatis non convenit animae, quia est pars et potest venire in composi­tionem tertii. Igitur non est persona. Haec Bonaventura. Siehe Bonaventura, Liber III Sententiarum (Opera Theologica Selecta 3), Florence 1941, Dist. 5, art. 2, quaest. 3, S. 130. 77 Dies ist der Fall in der Liste abgedruckt bei Johannes Beckenhaub, Tabula super libros Sententiarum cum Bonaventura, Freiburg (Kilian Fischer) 1493, fol. q[1]ra–[r5]vb, bes. fol. r[1]vb–r2ra.

Scholastik und Humanismus 281

wird auf diese Liste Bezug genommen, indem die Studenten gewarnt werden, dass sie den Wortlaut des Lombardus an bestimmten Stellen nicht ohne Weiteres übernehmen sollten.78 Dagegen fehlen s­ olche Hinweise bei Heymericus. Dies mag auf den ersten Blick verwundern. Bei näherer Betrachtung des Werkes wird jedoch klar, dass der Bezug zu Lombardus verschieden ist von dem in den anderen Zusammenfassungen. Es geht Heymericus um den Text des Lombardus selbst, nicht als Stoff für Studenten, der mit Rücksicht vermittelt werden sollte, sondern als Fundgrube für die reiche Tradi­tion der K ­ irche, zu der er auch Petrus Lombardus rechnet, und zwar als einen ihrer letzten Vertreter.79 Es werden keine Autoren aus einer späteren Zeit genannt. Die Namen von Alexander von Hales, Bonaventura, Thomas von Aquin wie auch anderen Scholastikern aus der Zeit der Universitäten sucht man in Heymericus’ Super Sententias vergebens.80 Heymericus setzt sich nicht mit ihnen und ihrer Sicht auf Lombardus auseinander, wie es im Unterricht üb­lich war, sondern mit dem früheren Erbe der Theologie, in dem Aristoteles noch keinen Platz hatte. 78 Siehe etwa Hieronymus Dungersheim, Epitomata quattuor librorum Sententiarum, Leipzig (Wolfgang Monacensis) 1514, Lib. 3, dist. 5, fol. 36r: Quod vero Augustinus dicit Verbum assumpsisse hominem, intelligitur per hominem non persona, sed natura. Quod etiam Magister dicit animam separatam esse personam non tenetur. 79 Diese Hochschätzung für Petrus Lombardus ist bemerkenswert, jedoch nicht außer­ gewöhn­lich. Sie lässt sich auch bei Dionysius dem Kartäuser feststellen. Lombardus gehörte, so Dionysius, einer Zeit an, in der die Weisheit der ­Kirche gipfelte. Siehe ­Dionysius der Kartäuser, Commentaria in quattuor libros Sententiarum (Opera omnia 19), Tournai 1902, Proœmium, S. 36: Et maxime a tempore quo Magister Petrus Lombar­ dus Parisiensis episcopus, librum comportavit Sententiarum, videtur sapientia multam et magnam elucida­tionem, excrescentiam exuberantiamque sortita. Quod olim Isaias prae­ videns: ‚Repleta est (inquit) terra scientia Domini, quasi aquae maris operientes‘, id est valde abundanter. Vgl. Is. 11,9. Die Periode danach, in der die vielen Kommentare zu Lombardus geschrieben wurden, betrachtete Dionysius als eine Zeit des zunehmenden Verfalls. Siehe ebd., S. 36. Offensicht­lich teilten Heymericus und Dionysius ihre Einschätzung der Bedeutung von Petrus Lombardus. 80 Das ist nicht der Normalfall bei Zusammenfassungen der Sentenzen. In einem Brief an die Benutzer von Burkhard von Hornecks Compendium theologiae weist H ­ ieronymus Schenck darauf hin, dass in d ­ iesem Werk auch Autoren wie Thomas von Aquin und B ­ onaventura herangezogen werden. Siehe Hieronymus Schenck, Ad Lectorem, in: ­Burkhard von Horneck, Compendium theologiae (wie Anm. 75), fol. Aiiv: Enimvero hic videbis, quid sanctus Thomas, sanctus Bonaventura, Alexander de Hales, Scotus, Richardus disputa­ runt, et cum iis etiam antiquiores doctores per Magistrum et ipse Magister quid met, et id quidem succinctius quam credi possit audies.

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Das Werk ist relativ umfangreich, obwohl in keiner Weise mit einem normalen Kommentar zu vergleichen, auch wenn es alle vier der Sentenzenbücher berücksichtigt. Der Aufbau folgt einem einfachen Schema. Aus jeder Distink­ tion bei Lombardus ist eine Anzahl von Zitaten entnommen und in Form eines Arguments zusammengebracht. Auch in anderen seiner Werke wie etwa dem Centheologicon hat Heymericus diese Methode befolgt, indem er die Meinungen der Tradi­tion in einer Gesamtschau zusammenführte.81 Heymericus hält sich an die Abfolge der einzelnen Distink­tionen, obwohl der Text aus einem Guss geschrieben ist. Auch der Übergang ­zwischen den vier einzelnen Büchern ist fließend. Nach der Lektüre bleibt dem Leser der Eindruck eines ausgeprägten theolo­gischen Universums, in dem trotz der Vielheit der Meinungen die Einheit gesichert ist. Das Werk ist so lange dem Blick der Forschung entzogen gewesen, nicht nur weil es ledig­lich in einer Handschrift überliefert ist, sondern auch weil es dort neben Auszügen aus Werken von Iunilius Africanus, Alain de Lille und Nicolas von Amiens in die Einleitung seines Kommentars zur Apokalypse eingebettet ist.82 Wie aus dem Vorwort hervorgeht, dient die Zusammenfassung des L ­ ombardus als Hilfestellung bei der Lösung von bei der Lektüre der Apokalypse aufkommenden Fragen.83 Das Entscheidende hinter dieser Vorgehensweise liegt auf der Hand. Nicht die aristote­lische Logik, sondern die Redeweise der kirch­lichen Tradi­tion soll bei der Lösung von theolo­gischen Fragen die Richtung vorgeben. In dieser Zusammenfassung ist der scholastische Argumenta­tionsdiskurs des späten Mittel­alters, wie wir ihn aus der Lectura des Hieronymus Raynerii kennen gelernt haben, verlassen. Heymericus hat den Fokus auf den Begriff durch den Rekurs auf das von der Autorität ausgesprochene Wort gelegt, wie folgende drei Beispiele erläutern werden, die einige grundsätz­liche Fragen der Trinitätslehre ansprechen. Wie schon in der Einleitung angedeutet, stellt die Trinitätslehre eine besondere Herausforderung für die Theologie dar. Die menschliche Vernunft kommt hier an ihre Grenzen. Denn wie erklärt der Mensch zum Beispiel, dass Vater 81 Dazu Mario Meliadò, La teologia delle scuole filosofiche antiche. Eimerico di Campo e la dossografia del Centheologicon, in: Alessandro Palazzo (Hg.), L’antichità classica nel pensiero medievale (Textes et études du Moyen Âge 61), Porto 2011, S. 385 – 412. 82 Siehe die Angaben bei Reinhardt (wie Anm. 64), S. 306 – 309. 83 Bernkastel-­Kues, St. Nikolaus Hospital, Cus. 24, fol. 54va: Quae quidem Sententiae, quia plerumque utiles sunt ad decidendum dubia circa lecturam Apocalypsis emersura, ideo pro complemento huiusmodi introduc­tionis accidentalis sunt ipsae etiam cum praefatis tractatibus eidem lecturae prooemialiter praemittendae (…).

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und Sohn beide die ungeteilte gött­liche Wesenheit sind, die unveränder­lich immer dieselbe ist, ohne hervorgebracht zu sein, obwohl der Vater den Sohn zeugt und der Sohn vom Vater gezeugt wird? Und wie lässt sich die Zeugung des Sohnes durch den Vater mit der Vollkommenheit Gottes vereinen, da Zeugung doch anscheinend etwas Neues hervorbringt, das es vorher nicht gab? Schließ­lich, wenn Vater und Sohn beide Gott sind, jedoch nur der Vater Vater und nur der Sohn Sohn ist, müsste man dann nicht konsequenterweise auch behaupten können, dass nur der Vater Gott ebenso wie nur der Sohn Gott ist? Das jedoch würde der Lehre der Trinität, wie sie etwa im Pseudo-­Athanasianum zum Ausdruck gebracht wird, widersprechen. Hiermit sind drei Fragen angesprochen, die in den Distink­tionen 5, 9 und 21 der Sentenzen des Lombardus behandelt und in den Kommentaren zu Lombardus meist mit Hilfe von Unterscheidungen und Begriffen aus der aristote­lischen Tradi­ tion gelöst werden.84 Heymericus geht bei diesen ­Themen jedoch ganz anders vor. 3.1  Fokus auf die Redeweisen

Bevor dargestellt werden kann, wie Heymericus mit diesen ­Themen umgeht, ist Folgendes hervorzuheben. Zuerst fällt auf, dass Heymericus die inhalt­liche Problematik nicht in Form einer systematischen Fragestellung auf den Punkt bringt, sondern mit Zitaten aus der Heiligen Schrift und den Sentenzen des Lombardus umreißt, die er wie in einer Kette aneinanderreiht. Diese Zitate werden in der Regel einem Kirchenvater zugewiesen. Gelegent­lich sind sie auch anonym. Sie lassen sich jedoch alle bei Lombardus finden, wenn auch manchmal in einer anderen Abfolge.85 Zweitens tritt aus dieser Kette von Zitaten eine deut­liche Schwerpunktsetzung auf die mit der betreffenden Thematik verbundenen Sprechweisen hervor. Heymericus spricht von locu­tiones und usus loquendi. Dieser Fokus wird in der Regel nicht von ihm selbst an die behandelten Th ­ emen herangetragen, sondern von den herangezogenen Autoritäten übernommen. Auch die Lösungen stammen nicht aus seiner eigenen Feder. Sie ergeben sich aus den Stellungnahmen der Tradi­tion. 84 Siehe Petrus Lombardus (wie Anm. 44), Lib. 1, dist. 5, S. 80 – 88; ebd., dist. 9, S. 103 – 110 und ebd., dist. 21, S. 174 – 177. Die Anwendung der aristote­lischen Begriff­lichkeit in der Trinitätslehre ist nachweisbar bei Kommentatoren seit der Mitte des 13. Jahrhunderts und setzt sich dann im Laufe der Zeit in verschiedenen Ausrichtungen fort. Dazu F ­ riedman (wie Anm. 10), bes. S. 15 – 30 und S. 77 – 93. 85 Siehe die Edi­tion im Anhang, S. 307 – 309.

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So steht im Mittelpunkt der Zusammenfassung der 5. Distink­tion, die sich mit der Frage beschäftigt, ob nicht das dem Vater zugesprochene Prädikat ,zeugen‘ auch der gött­lichen Essenz zugesprochen werden soll, die Bemerkung des Hilarius, dass sich nicht der Gegenstand nach dem Wort, sondern das Wort nach dem Gegenstand richten soll.86 Damit wird dem Leser zu verstehen gegeben, dass er sich bei dieser Frage an den Vorgaben zu orientieren habe, wie der Glauben sie lehrt. Dieser bestimmt im Pseudo-­Athanasianum eindeutig, dass es eine Einheit in der Trinität als auch eine Trinität in der Einheit gibt.87 Die Grammatik und Logik können hier also nicht von sich aus vorschreiben, was als Wahrheit behauptet werden soll. Sie muss sich an den Glauben anpassen. Mit Hilfe von Petrus Lombardus schlägt Heymericus dann eine Sprachregelung vor, die dort Anwendung findet, wo die Aussagen bestimmter Väter missverständ­lich sein könnten, obwohl sie den Glauben richtig wiedergeben, etwa wenn Hilarius behauptet, dass der Sohn die gezeugte Wesenheit ist.88 Diese Sprachregelung sieht wie folgt aus: Nach dem, „was sie sind“, sind Vater und Sohn die ungeteilte gött­liche Wesenheit. In dem Sinn kann man also nicht von „zeugen“ und „gezeugt werden“ sprechen, denn die Wesenheit ist für beide gleich. Nach dem, „wie sie sind“ jedoch, sind Vater und Sohn voneinander verschieden. Hier trifft der Unterschied also zu, da der Vater den Sohn zeugt und selbst nicht vom Sohn gezeugt wird.89 Ähn­lich wird auch in der Behandlung der 9. Distink­tion vorgegangen, in der es um die Frage der ewigen Zeugung des Sohnes geht. Hier steht der Bezug von Zeugung zur Vollkommenheit im Mittelpunkt. Wenn mit ,Zeugung‘ gemeint ist, dass der Sohn hervorgebracht wird, um einen Mangel zu beheben, oder damit Gott sich vervollkommnet, dann ist ­dieses Verständnis des Wortes ,Zeugung‘

86 Hilarius Pictaviensis, De trinitate (Corpus Christianorum Series Latina 62), hg. v. P ­ ieter Smulders, Turnhout 1979, Lib. 4, cap. 14, n. 14, S. 116: Intelligentia enim dictorum ex c­ ausis est adsumenda dicendi, quia non sermoni res sed rei est sermo subiectus. 87 Pseudo-­Athanasianum in Enchiridion symbolorum (wie Anm. 8), n. 75, S. 41: Fides autem catholica haec est, ut unum Deum in Trinitate, et Trinitatem in unitate veneremur (…). 88 Siehe Anhang, S. 307 – 308. Heymericus bringt dort eine Reihe von nicht eindeutigen Aussagen der Kirchenväter, die er alle aus Petrus Lombardus zitiert. 89 Petrus Lombardus (wie Anm. 44), Lib. 1, dist. 5, cap. 1, n. 5, S. 82: Ad quod respondemus, illa verba sic intelligenda esse dicentes: ‚Pater de se ipso genuit illud quod ipse est‘, id est Filium qui est illud quod Pater est. Nam quod Pater est, et Filius hoc est; sed non qui Pater est, et Filius hic est.

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irreführend.90 Die Zeugung des Sohnes muss hingegen als eine Hervorbringung des Lebendigen aus dem Lebendigen aufgefasst werden, die sich in einer ewigen Präsenz vollzieht. Sie ist Ausdruck der immerwährenden Vollkommenheit Gottes, einer Vollkommenheit, die es bei den Geschöpfen nicht gibt.91 Die Autoritäten, auf die Heymericus hier verweist, sind die Heilige Schrift, Gregorius und Hilarius. Beendet wird die Zusammenfassung mit einem weiteren Zitat des Gregorius, dass der Mensch nur stammelnd und soweit er als Geschöpf dazu im Stande ist, die Vollkommenheit Gottes wiedergeben kann.92 In der 21. Distink­tion dreht sich die Darstellung um das Wort ,nur‘, wenn es verwendet wird in Sätzen wie „Nur der Vater ist Gott“ oder „Der Vater ist nur Gott“. Petrus Lombardus zitiert dabei aus der Heiligen Schrift, vor allem aber aus den Werken des Augustinus, in denen diese Redewendungen kommentiert wurden.93 Ähn­lich geht auch Heymericus vor. Sein Hauptaugenmerk gilt jedoch vor allem der Sprechweise der Heiligen Schrift. Denn diese, so hebt Heymericus hervor, weicht vom gängigen Sprachgebrauch ab, wenn es um Exklusionen und Ausnahmen geht, die sich auf die Trinität beziehen. So heißt es in der Heiligen Schrift, dass niemand den Vater kennt außer der Sohn.94 Nach dem gängigen Sprachgebrauch aufgefasst, würde ­dieses „niemand“ bedeuten, dass Vater und Heiliger Geist von dieser Erkenntnis ausgeschlossen sind. Beide haben jedoch auch an der gött­lichen Erkenntnis teil, da diese als Eigenschaft des ungeteilten

90 Im Hintergrund steht hier die Vorstellung, die sich bereits in der Antike findet, dass die Zeugung das Instrument der vergäng­lichen Substanzen ist, an der gött­lichen Ewigkeit teilzuhaben. Eine Substanz, die etwas zeugt, ist somit selbst nicht gött­lich oder ewig. Siehe etwa Aristoteles, De anima, Lib. 2, cap. 4, S. 415a26–b2. 91 Obwohl weder bei Lombardus noch bei Heymericus genannt, ist das Modell hier die Auffassung des Boethius über die gött­liche Ewigkeit. Sie ist der vollkommene Besitz des unbegrenzten Lebens in der ewigen Präsenz. Siehe Boethius, De consola­tione philo­ sophiae (Bibliotheca Teubneriana), editio altera, hg. v. Claudio Moreschini, München 2005, Lib. 5, pros. 6, n. 4, S. 155: Aeternitas igitur est interminabilis vitae tota simul et perfecta possessio, quod ex colla­tione temporalium clarius liquet. 92 Gregorius Magnus, Moralia in Iob libri I–X (Corpus Christianorum Series Latina 143), hg. v. Marcus Adriaen, Turnhout 1979, Lib. 5, cap. 36, n. 66, S. 265: Sed quia hunc exprimere perfecto sermone non possumus, humanitatis nostrae modulo quasi infantiae imbecillitate praepediti, eum aliquatenus balbutiendo resonamus. 93 Petrus Lombardus (wie Anm. 44), Lib. 1, dist. 21, S. 174 – 177. Auch in der Liturgie spielte das Wort ‚nur‘ eine Rolle, etwa wenn es im Gloria heißt Tu solus sanctus, Tu solus domi­ nus, Tu solus altissimus, Jesu Christe. 94 Mt 11, 27.

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gött­lichen Wesens für alle drei der Personen die Gleiche ist. Heymericus unterstreicht in ­diesem Zusammenhang dann auch, dass ­solche Sätze nur nach Regeln verstanden werden können, die nach den Vorgaben der Schrift gestaltet sind. Jedes Festhalten am gängigen Sprachgebrauch, wie weit auch immer gefasst, der die Trinität nicht miteinbezieht, würde hier in die Irre führen.95 Bemerkenswert an diesen Beispielen ist nicht das Problembewusstsein oder die Begriffsanalyse. Denn in dieser Hinsicht haben die regulären Sentenzenkommentare, die im Rahmen des Unterrichts entstanden sind, viel mehr zu bieten.96 Es ist das konsequente Verzichten auf die Ergebnisse der akade­mischen Auseinandersetzung. Dies ist umso bedeutender, als gerade auf dem Gebiet der Logik an den Universitäten enorme Fortschritte gemacht wurden, die auch die von Heymericus in den Mittelpunkt gestellte Frage betrafen. So gab es klare Bezüge ­zwischen der von ihm in der betreffenden Distink­tion angesprochenen Problematik und der Lehre der Exklusiva.97 Heymericus verschließt sich

95 Siehe den Text im Anhang, S. 309. Heymericus folgt hier erneut Lombardus, der ebenfalls hervorhebt, dass in der Schrift oft die Trinität insgesamt mitverstanden werden soll, auch wenn nur eine der Personen ausdrück­lich genannt wird. Siehe Petrus ­Lombardus (wie Anm. 44), Lib. 1, dist. 21, cap. 3, n. 2, S. 177: Uno ergo istorum nomi­ nato, etiam reliqui intelliguntur; quod in pluribus Scripturae locis occurrit. Zugleich schwingt in Heymericus’ Bemerkung, Anhang, S. 309: (…) hae locu­tiones ‚Solus Pater est Deus‘ et ‚Pater est solus Deus‘, cum sint obscurae, potius interpretandae sunt quam in usu loquendi extendendae ein Anklang an Thomas von Aquin mit. Siehe Thomas von Aquin, Summa theologiae (Opera omnia 4), Rom 1888, Pars 1, quaest. 31, art. 4, S. 347b: Unde non est extendenda talis locutio (sc. Solus Pater est Deus, MH ); sed pie exponenda, sicubi invenia­tur in authentica scriptura. Ähn­liche Aussagen lassen sich auch bei J­ ohannes von S­ alisbury, Petrus ­Abaelardus und Alain von Lille finden. Siehe etwa Palémon Glorieux, La somme Quoniam homines d’Alain de Lille, in: Archives d’histoire doctrinale et littéraire du moyen âge 20 (1953), S. 113 – 364, bes. 182: Et sunt figurate huiusmodi locu­tiones, unde non sunt extendende. 96 Siehe etwa die Ausführungen des Wilhelm von Ockham oder des Heidelberger Magisters Marsilius von Inghen zu der Frage, ob nur der Vater Gott sei: Wilhelm von O ­ ckham, Scriptum in librum primum Sententiarum. Ordinatio (Opera theologica 4), hg. v. ­Girardus I. Etzkorn / Franciscus E. Kelley, St. Bonaventure NY 1979, Lib. 1, dist. 21, quaest. un., S. 38 – 44 und Marsilius von Inghen, Quaes­tiones super quattuor libros Sententiarum (Studies in the History of Christian Tradi­tions 173), Bd. 3, hg. v. Maarten J. F. M. Hoenen / Markus Erne, Leiden 2014, Lib. 1, quaest. 24, S. 80 – 97. 97 Beispiele für die ausführ­liche Behandlung der Exklusiva in der zeitgenös­sischen Logik sind etwa Wilhelm von Ockham, Summa logicae (Opera philosophica 1), hg. v. ­Philotheus Boehner / Gedeon Gál / Stephanus Brown, St. Bonaventure NY 1974, Pars 2, cap. 17,

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dieser Entwicklung vollkommen und setzt dabei auf ganz andere Quellen. Der Grund ist nicht Ignoranz. Er selbst hat über das Organon gelehrt und sich auch grundsätz­lichen Fragen der Logik gewidmet.98 Es ist vielmehr die Einsicht, dass die Offenbarung sich an ihren eigenen Maßstäben messen soll. Augustinus und Petrus Lombardus sind für Heymericus bessere Ratgeber als Aristoteles und Petrus Hispanus.99 Blicken wir nochmal zurück. Bei Hieronymus Raynerii wurde deut­lich, dass er sich in seiner Themenstellung, Quellenwahl, Vorgehensweise und seinem Begriffsapparat ganz von der akademischen Dynamik leiten ließ. Er setzt fort, was sich in der Theologie an den Universitäten seit dem 13. Jahrhundert etabliert hatte. Sogar die Insistenz auf die Autorität des Thomas gehört zu d ­ iesem Programm, wenn auch dies eine Besonderheit des 15. Jahrhunderts ist. Heymericus de Campo dagegen folgt einem ganz anderen Weg, der nicht den Aufgaben des Unterrichts verpflichtet ist, sondern ihn als Gelehrten und Theologen herausfordert. Er richtet den Blick auf die Zeit vor der Gründung der Universitäten und greift dabei auf andere Quellen zurück. Seine bevorzugten Autoren waren keineswegs vergessen. Sie standen durch die Sentenzen des Lombardus eigent­ lich schon immer zur Verfügung. Jedoch wurden sie nicht ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Heymericus bestimmt so den Status der Autoritäten in der Theologie neu. Zugleich geht dies bei ihm einher mit einer Aufwertung der Sprache der Tradi­tion. Die Aufgabe der Theologie besteht für ihn darin, sich in der Verteidigung des Glaubens am Wortgebrauch der Heiligen Schrift und der Väter zu orientieren. S. 296 – 307 und Lambert M. de Rijk, Walther Burley’s Tract De exclusivis. An Edi­tion, in: Vivarium 23 (1985), S. 23 – 54. 98 Siehe Jean-­Daniel Cavigioli, Les écrits d’Heymericus de Campo (1395 – 1460) sur les œuvres d’Aristote, in: Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie 28 (1981), S.  289 – 371. 99 Diese Tendenz lässt sich ansatzweise auch in einigen Sentenzenkommentaren feststellen, die sich stark auf die aristote­lische Logik stützen. Zum Beispiel ist Marsilius von Inghen der Meinung, dass, wenn Kirchenväter und aristote­lische Logik sich widersprechen, den Kirchenvätern zu folgen sei. Siehe Marsilius von Inghen (wie Anm. 96), Quaest. 30, art. 4, S. 253: Non enim debemus in divinis inniti prudentiae nostrae vel credere ra­tioni­ bus quantumcumque apparentibus in contrarium dictorum per doctores sanctos. Anders als Marsilius hat Heymericus diese Haltung in seinem Super Sententias auf den ganzen Inhalt des Glaubens ausgedehnt. Er greift grundsätz­lich nur auf die Autorität der Schrift und der Kirchenväter inklusive Lombardus zurück, auch wenn es keine Konfikte mit der aristote­lischen Logik gibt.

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4  Einfluss der Rhetorik: Paulus Cortesius und sein In quattuor libros Sententiarum Bei Paulus Cortesius lernen wir nun einen dritten Weg kennen. Er setzt sich in seinem In quattuor libros Sententiarum 100 ein zweifaches Ziel. Zum einen will er die Theologie durch einen Rückgriff auf Cicero sprach­lich erneuern und sie aus dem Gerüst des scholastischen Lateins befreien, so dass sie durch ihre Schönheit besser überzeugen kann. Zum anderen unternimmt er den Versuch, die christ­ liche Glaubenslehre in einem zusammenhängenden Überblick seinen humanistischen Kollegen zu empfehlen, die sich immer mehr den paganen Vorbildern zugewandt hatten.101 Auch für ihn geht es also, wie bei Heymericus, um Quellen und um Sprache. Jedoch sucht er den offenen Gelehrtendiskurs, wohingegen Heymericus sich eher in einem kleinen Kreis von Anhängern und Freunden bewegt hatte. Damit kommen wir zum letzten Werk, auf das wir hier eingehen möchten, näm­lich das In quattuor libros Sententiarum des Paulus Cortesius, der bis 1503, ein Jahr bevor das Werk erstmals veröffent­licht wurde, aposto­lischer Sekretär war, und sich somit außerhalb der Welt der Universitäten bewegte.102 In dem Pius II . gewidmeten Vorwort zum ersten Buch, das zugleich den Rahmen und das Ziel für das ganze Werk absteckt, deckt er seine Sprachauffassung auf.103 Wie die Natur immer das Nütz­liche mit dem Schönen ­verbindet,

100 Zum Titel des Werkes siehe Anm. 118 weiter unten. 101 Zu Paulus Cortesius und seinem Sentenzenkommentar siehe John F. d’Amico, Renaissance Humanism in Papal Rome. Humanists and Churchmen on the Eve of the Reforma­ tion (The Johns Hopkins University Studies in Historical and Political Science, 101st Series, 1), Baltimore 1983, S. 144 – 168 und Gian Carlo Garfagnini, Paolo Cortesi e i Libri IV Sententiarum. Una rilettura umanistica di un ‚classico‘ medievale, in: Medioevo e ­Rinascimento 11/n. s. 8 (1997), S. 97 – 123 (mit weiterführender Literatur). Das Werk wurde viermal gedruckt: 1504 in Rom, 1513 in Paris und Basel und 1540 nochmals in Basel. Der Text dieser Drucke weicht kaum voneinander ab. Ich zitiere in den Anmerkungen die Ausgabe Paris 1513, nicht die Ausgabe Rom 1504, die zu Lebzeiten des Cortesius aufgelegt wurde, da diese nicht durchweg foliert ist. Die Edi­tion im Anhang weiter unten, S. 310 – 314, bringt hingegen den Text der Ausgabe von 1504. 102 Für biographische Details siehe Roberto Ricciardi, Cortesi Paolo, in: Dizionario Biografico degli Italiani, Bd. 29, Rom 1983, S. 766 – 770. Das Umfeld schildert d’Amico (wie Anm. 101), S. 76 – 81. Siehe auch Roberto Cardini, ‚Antichi e Moderni‘ in Paolo Cortesi, in: La Rassegna della Letteratura Italiana, Ser. 8, 95 (1991), S. 20 – 28. 103 Paulus Cortesius, In quattuor libros Sententiarum argutae Romanoque eloquio disputa­tiones, Paris (Jodocus Badius Ascensius) 1513, Prooemium in librum primum

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so sollten auch die wissenschaft­lichen Inhalte, die der Mensch zum Erreichen seines Lebensziels braucht, in eine rhetorisch geschickte Form gegossen werden. Nur dann können alle Menschen sie annehmen.104 Das scholastische Latein, so gibt er zu verstehen, erheitert nicht und regt somit nicht zum Studium an. Sein technisches Vokabular trägt zu einer Abschottung gegenüber dem nichtakademischen Umfeld bei, wodurch innere Streitigkeiten sich voll entfalten können.105 Um die Verbreitung der christ­lichen Lehre zu befördern, kleidet er sie in die Sprache des klas­sischen Lateins, wobei Cicero die Norm abgibt.106 Das führt zu merkwürdigen Neubildungen, denn bestimmte Begriffe, die bis dahin die theolo­gischen Diskussionen geprägt hatten, gehören eindeutig nicht zum Wortschatz des Marcus Tullius. So spricht Cortesius, wenn er auf die Trinität eingeht, nicht von trinitas, sondern von triumviratum oder von tergemina divinitas. Auch vermeidet er es, die erste Person der Trinität als pater zu bezeichnen, und spricht lieber von parens, da der Vater ja nur Vater ist, weil er den Sohn gezeugt hat.107 Solche Neubildungen sind natür­lich nicht ohne Probleme, denn offizielle Dokumente der ­Kirche haben sich nicht an Cicero gehalten. Ambiguitäten sind somit nicht ausgeschlossen. Denn wie lässt sich feststellen, ob die Grenzen der

Sententiarum ad Iulium II pontificem maximum, fol. 4r–5r. 104 Ebd., fol. 4r: Ex quo confiteri necesse, eiusmodi philosophiae speciem litteratam et arti­ ficiosam videri, quae ad naturae pulchritudinem statuatur. Quod si artificiosa dicitur, nemini dubium esse debet, eam speciem philosophiae studiis esse aptiorem, quae suavis quam quae absona feratur, propterea quod suavitas, cum in intelligendi sensum irrepat, philosophiae studia amplificat. Und ebd., fol. 4v: (…) natura semper pulchritudinem cum utilitate suopte quodam foedere coniungit, ut praeclare in solis ac siderum genere osten­ ditur (…). Equidem eloquentiam in doctrinarum genere tamquam in celsissimo corpore pulchritudinem putarim, quae ab his velut decor a sanitate seiungi non possit. 105 Cortesius setzt sich in seinem Vorwort von der Sprachauffassung des Giovanni Pico della Mirandola ab, der in seinem Brief an Ermolao Barbaro (1485) das scholastische Latein verteidigt hatte. Siehe dazu d’Amico (wie Anm. 101), S. 149 – 150 und Quirinus Breen, Giovanni Pico della Mirandola on the Conflict of Philosophy and Rhetoric, in: Journal of the History of Ideas 13 (1952), S. 384 – 412. 106 Für Cortesius’ (differenzierte) Haltung zu Cicero siehe Christopher S. Celenza, End Game. Humanist Latin in the Late Fifteenth Century, in: Yanick Maes / Jan Papy / Wim Verbaal (Hgg.), Latinitas Perennis, Bd. 2: Appropria­tion and Latin Literature (Brill’s Studies in Intellectual History 178), Leiden 2009, S. 201 – 244, bes. S. 201 – 212. Cicero wird in dem Werk auch genannt. Siehe etwa Paulus Cortesius (wie Anm. 103), Lib. 1, fol. 9r. 107 Siehe den Text im Anhang weiter unten, zum Beispiel S. 311.

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Orthodoxie nicht überschritten werden, wenn er zum Beispiel beim Hervorgehen des Heiligen Geistes aus dem Sohn von dimanare und nicht von procedere spricht?108 Weil er sich d ­ ieses Problems wohl bewusst ist, unterstreicht Cortesius, dass er die Lehre der K ­ irche befolgt, und unterlässt es nicht, die Autorität des Thomas hervorzuheben.109 Damit ist auch das Werk in seiner Gesamtheit auf den Punkt gebracht. Es zeichnet sich nicht durch inhalt­liche Neuerungen aus, sondern gibt eher eine Darstellung der wichtigsten Auffassungen im gesamten Bereich der Theologie. Die Sentenzen des Petrus Lombardus bieten ihm dafür das Gerüst. Auch wenn er nicht alle ­Themen aufgreift, die in ­diesem Werk angesprochen werden, so wird doch eine grundsätz­liche Vollständigkeit erreicht, die dem Rahmen des von ihm gesetzten Ziels der Glaubensvermittlung entspricht.110 Dementsprechend bleibt eine ganze Reihe von Debatten, die in den universitären Kommentaren zu den Sentenzen tradi­tionell aufgegriffen werden, außer Betracht. Dennoch bekommt der Leser einen Einblick in die scholastischen Auseinandersetzungen wie etwa die ­zwischen Thomisten und Scotisten.111 Auch beschränkt Cortesius sich nicht ledig­lich auf die Nennung großer Namen wie Augustinus, Alexander von Hales und Thomas von Aquin, sondern zitiert die Lehren vieler Philosophen

108 Johannes Gerson, Kanzler der Universität von Paris, hebt in seiner Kritik an Johannes Ruusbroec mit einem Verweis auf Augustinus hervor, dass in der Theologie ein normierter Sprachgebrauch notwendig sei, damit keine Verwirrungen und Irrlehren durch eine eigenwillige Wortwahl entstünden. Siehe Johannes Gerson, Brief an Bartholomeus Clantier (Paris, April–Juni 1408), in: Œuvres complètes, hg. v. Palémon Glorieux, Bd. 2, Paris 1960, S. 97 – 103 (n. 26), bes. S. 97: Nobis ad certam regulam loqui fas est. Posita est illic sententiosissima haec verissimaque Augustini sententia quae tollit barbaram con­ fusionem linguarum a sacra doctrina. Nam qualis altera esset efficacior via prohibendi aedifica­tionem turris davidae in bonum quam si fieret nominum vel terminorum pro libitu cujuslibet variatio? Siehe Aurelius Augustinus, De civitate Dei libri I–X (Corpus Christianorum Series Latina 47), hg. v. Bernardus Dombart / Alphonsus Kalb, Turnhout 1955, Lib. 10, cap. 23, S. 297: Nobis autem ad certam regulam loqui fas est, ne uerborum licentia etiam de rebus, quae his significantur, impiam gignat opinionem. 109 Thomas wird in dem Werk immer wieder gelobt, unter anderem als der frömmste Wächter des christ­lichen Heils. Paulus Cortesius (wie Anm. 103), Lib. 4, fol. 36r: Divus enim Thomas, religiosissimus christianae salubritatis custos (…). 110 Garfagnini fügt seinem Artikel eine Transkrip­tion der Tabula aus dem Basler Druck von 1513 bei, die einen Überblick über die behandelten T ­ hemen gibt. Siehe Garfagnini (wie Anm. 101), S. 118 – 123. 111 Dazu d’Amico (wie Anm. 101), S. 162 – 163.

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und Theologen aus der gesamten Geschichte, die für ihn bis zu den Präsokra­ tikern zurückreicht. Vor allem fällt die erheb­liche Anzahl von Autoren aus dem 14. Jahrhundert auf, die er mehrfach heranzieht.112 Auch wenn Cortesius auf alle vier der Bücher der Sentenzen eingeht, ist das Werk deut­lich weniger umfangreich als die gängigen Kommentare, wie wir sie aus dem späten Mittelalter kennen.113 Offensicht­lich will er dem Leser nicht durch langwierige Ausführungen die Lust am Stoff nehmen. Er bedient sich dabei eines Stils, der eher erzählerisch als argumentativ ist. Es geht Cortesius nicht um Begriffsklärungen und Unterscheidungen, sondern um eine breite Darstellung denkerischer Ansätze aus verschiedenen Tradi­tionen. Er sucht nicht die Auseinandersetzung mit den Kollegen, sondern will den Leser über die Inhalte des Glaubens informieren, wobei er vor allem bestrebt ist, diese zu einem inhalt­lichen Ganzen zusammenzubringen.114 Den Drucken sind ein Inhaltsverzeichnis und eine Liste mit zitierten Autoritäten beigefügt wie zu der Zeit üb­lich.115 Die Abfolge der Autoritäten ist nicht für alle Bücher gleich. Thomas von Aquin ist die erstgenannte Autorität für das erste Buch, Galen für das zweite und Augustinus für das dritte und vierte.116 Auffallend ist, dass das Werk zwar in Distink­tionen gegliedert ist, deren thematische Zuordnung jedoch anders ist als bei Lombardus. Einzelne Distink­tionen behandeln Themenkomplexe, die in den Sentenzen über mehrere Distink­ tionen verteilt sind.117 Im Inhaltsverzeichnis sind diese Distink­tionen jeweils

112 Zum Beispiel verweist er auf die Auffassungen von Wilhelm von Ockham, Petrus Aureoli, Thomas von Straßburg, Robert Holkot und Gregor von Rimini. 113 In der Pariser Ausgabe umfasst das Werk insgesamt 46 Folios. 114 Das Schlusswort an Pius II. bringt dies deut­lich auf den Punkt. Siehe Paulus Cortesius (wie Anm. 103), fol. 45v: Habes, Pontifex Maxime, theologumenon sententiarum typum, ex quo iudicare poteris, quanta ceterorum membrorum laxitas existat. Nam de Deo, de ortu rerum, de instaura­tione, ac de sacris aeque contracte est a nobis explicata disputatio, ac in parva saepe tabella orbis magnitudo exprimitur. 115 Die Liste mit Autoritäten fehlt im Pariser Druck. 116 Die Autoritäten sind in den Ausgaben von 1504 und 1513 weder dem Namen noch dem Gewicht nach geordnet, sondern aufgelistet, wie sie (mit geringen Abweichungen) nacheinander im Laufe des jeweiligen Buches erwähnt werden, jedoch ohne Doppelungen. Somit stehen pagane und christ­liche Autoren durcheinander. In der Ausgabe von 1540 ist die Reihung alphabetisch. 117 Das ergibt sich schon daraus, dass die Anzahl der Distink­tionen viel kleiner ist als in vielen anderen Kommentaren. Das erste Buch umfasst neun Distink­tionen, das zweite Buch sieben, das dritte Buch acht und das vierte Buch wieder neun. Eine ­solche

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in ­mehrere Fragen aufgeteilt. Diese Fragen lassen sich jedoch im Werk selbst nicht so einfach bestimmen, da die Ausführungen innerhalb einer Distink­tion in der Regel aus einem Guss sind. Die Sentenzen des Lombardus bestimmen den Aufbau des Werkes eindeutig und auch die Drucke aus den Jahren 1504 und 1513 weisen die Schrift zweifelsfrei der Tradi­tion der Sentenzenkommentaren zu.118 Dennoch lässt sich an einigen Stellen beobachten, dass auch die Werke des Thomas die Struktur mitgeprägt haben wie etwa die Summa contra gentiles. So spricht Cortesius in der 2. Distink­tion des ersten Buches, das der Natur Gottes gewidmet ist, eine Reihe von Th ­ emen an, die Thomas im ersten Buch seiner Summa contra gen­ tiles behandelt.119 Auch ist bemerkenswert, dass er die Diskussion der Trinität am Ende des ersten Buches in einer eigenen Distink­tion behandelt und sie nicht wie Lombardus am Anfang erörtert. Wie Thomas in der Summa contra gentiles lagert er die Trinität aus und bespricht sie getrennt von den gött­lichen Attributen.120 Denn für ihn ist klar, wie auch für Thomas, dass die Trinität ein Zusammenfassung der ­Themen ist nicht unüb­lich in den Sentenzenkommentaren des späten Mittelalters. Siehe Paul J. J. M. Bakker und Chris Schabel, Sentences Commentaries of the Later Fourteenth Century, in: Mediaeval Commentaries on the Sentences, Bd. 1 (wie Anm. 5), S. 425 – 464, bes. S. 428 – 431. 118 Der Druck Rom 1504 beginnt mit dem Hinweis Tabula super libros Sententiarum. Danach ist das Vorwort zum ersten Buch überschrieben mit Prooemium in Librum Primum Senten­tiarum. Im Druck Basel 1513 heißt das Werk auf der Titelseite In Sententias, in der Ausgabe Paris 1513 In quattuor libros Sententiarum argutae romanoque eloquio disputa­ tiones. Die Ausgabe Basel 1540 präsentiert das Werk eher allgemein als Sacrarum littera­ rum, ­omniumque disciplinarum scientia. In dieser Ausgabe ist das Werk zusammen mit Schriften von Hieronymus Savonarola gedruckt, was vielleicht die Änderung des Titels erklären kann (die Seitenzählung ist durchgehend). 119 Ich zitiere hier aus der Tabula des Pariser Druckes von 1513 die gesamten Angaben zur 2. Distink­tion und setze in Klammern die entsprechenden Kapitel aus dem ersten Buch der Summa contra gentiles dazu (Paulus Cortesius [wie Anm. 103], Tabula, fol. [1]v): An Deus cognosci possit ab hominibus (14), An Deum esse demonstrari possit (10 – 13), An sit corpus (20), An sit compositus (18), An sit aeternus (15), An sit in potentia (16), An sit in materia (17), An patiatur accidens (23), An sit forma corporis (27), An sit perfectus (28), An sit infinitus (43). 120 Cortesius behandelt die Trinität als neunte und letzte Distink­tion des ersten Buches, nachdem er über die Theologie in der ersten, über die Natur Gottes in der zweiten, über das gött­liche Wissen in der dritten, über die Ideen in der vierten, über die Vorsehung in der fünften, über die Prädestina­tion in der sechsten, über die Macht Gottes in der siebten und über den Willen Gottes in der achten gesprochen hat. Lombardus dagegen

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Glaubensgeheimnis darstellt, das der Mensch nicht ohne die Hilfe Gottes erkennen kann.121 4.1  Umfassende Darstellung statt Debatte um Begriffe

Damit sind wir bei der Thematik der Trinität angekommen. Cortesius beginnt seine Darstellung mit einer langen, in einem schönen Latein verfassten Ausführung über die Notwendigkeit der Offenbarung, wenn es um die Erkenntnis der Trinität geht. Dieses Thema hat im Laufe der Zeit zu großen Auseinandersetzungen geführt, so hebt er gleich am Anfang hervor.122 Der Mensch braucht hier also Hilfe, um die Sachlage richtig zu verstehen. Er weist in d ­ iesem Zusammenhang die Meinung von, wie er sagt, vielen Gelehrten zurück, die nur das annehmen wollen, was sie selbst verstehen, wahrgenommen haben oder für mög­lich halten.123 Mit einem Verweis auf das Unbegreif­liche der Natur legt er dem Leser dann nahe, dass, wenn der Mensch der Schöpfung Wunderbares zutraut, das er mit eigenen Augen sehen kann wie etwa das Fliegen bestimmter Fische, er auch dem Schöpfer Eigenschaften zusprechen soll, die seine Vernunft übersteigen.124 ordnet die Trinität nach der Natur Gottes und vor den Attributen Wissen, Macht und Willen an. Darin folgen ihm fast alle Kommentatoren. 121 Paulus Cortesius, In quattuor libros Sententiarum (wie Anm. 103), Lib. 1, dist. 9, fol. 12r: Ex quo sciri maxime potest homines in magna rerum obscuritate versari, ac ea quae ra­tio­ num adiumentis indagari nequeunt, instructu libatuque divino oportere credi. 122 Ebd., fol. 11v: Hactenus de Dei natura conscripsimus. Nunc sequitur ut ea divina genera persequamur, quibus Deum unum et trinum esse ostenditur, de qua quidem re magna hominum certa­tione pugnatur. 123 Ebd.: Nonnulli vero, dum habent ratum quod probarint et falsum quod opina­tione suspi­ cantur, foedissime in Dei natura labuntur. Quibusdam etiam, qui ne ignem quidem calere putant, nisi eum manu contrectarint, nihil credendum esse placet quod supra progredien­ tem naturam videatur. Multorum quoque studia tardantur, quod id credere nolint, quod minus sub eorum cogni­tionem cadat. Quae quidem errorum pravitas ex ingeniorum imbecillitate defluxit. Der Anklang an Thomas von Aquin ist hier nicht zu überhören, auch wenn Cortesius ausführ­licher formuliert. Siehe Thomas von Aquin, Summa contra gentiles (Opera omnia 13), Rom 1918, Lib. 1, cap. 5, S. 14b: Sunt enim quidam tantum de suo ingenio praesumentes ut totam rerum naturam se reputent suo intellectu posse metiri, aestimantes scilicet totum esse verum quod eis videtur, et falsum quod eis non videtur. 124 Paulus Cortesius (wie Anm. 103), Lib. 1, dist. 9, fol. 11v: Quod si haec fieri videmus naturae progredientis via, quorum nulla afferri ratio potest, num existimandum est nobis quaedam incredibiliora in Dei natura existere, quae nullo modo sub hominis no­tionem cadant?

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Im Anschluss bringt er dann eine Reihe von Argumenten aus den ersten Kapiteln der Summa contra gentiles, ohne ­dieses Werk zu erwähnen, zum Beispiel dass der Mensch die Offenbarung benötigt, da er keine Zeit hat, sich mit dem Haushalt beschäftigen muss oder über zu wenig Geisteskraft und zu viel Ambi­tion verfügt und sich deshalb leicht irrt.125 Die Geschichte der Philosophie ist wohl das beste Beispiel für die Veranlagung des Menschen, Fehler zu begehen, so führt er aus. Denn auch Denker haben andere große Denker korrigiert, wie etwa Aristoteles Platon auf seine Widersprüche hingewiesen hatte.126 Es ist also unbedingt erforder­lich, dass der Mensch, wo es um das Begreifen von Gott als Ziel seines Lebens geht, sich auf den von Gott geschenkten Glauben stützt.127 Damit hat er den Leser auf eine rhetorisch gelungene Weise darauf hingewiesen, dass mit der Frage der Trinität ein besonderes Gebiet der Theologie angesprochen ist, das jenseits der Philo­ sophie liegt. Dieser Hinweis, vor allem in einer solchen Ausführ­lichkeit, würde sich in jedem akademischen Sentenzenkommentar erübrigen. C ­ ortesius sieht sich vielleicht jedoch einer Öffent­lichkeit gegenübergestellt, die nicht mit dieser Tradi­tion, sondern eher mit Werken von Autoren wie Raimundus Lullus und Nikolaus von Kues vertraut ist, in denen die Trinität als eine mit der Vernunft zu begründende Eigenschaft Gottes dargestellt wird, und muss deshalb anders vorgehen.128 Mit dieser Einleitung in die Problematik hat Cortesius schon die Hälfte der neunten Distink­tion, die bei ihm der Trinität gewidmet ist, gefüllt. Die 125 Ebd., fol. 12r: Quid dicam de his, qui vitae procura­tione occupantur, quorum alii in arti­ ficiorum, alii in bellorum genere, alii in re publica versantur? Iam quantum opere in alea, in conviviis, in erudito luxu consumitur? Quantum studii eorum ambitio conterit, qui ad fortunae altitudinem obrepere volunt, cum tamen pusiones ut nihilo celsiores faciant, etiam si in Hadrianae molis fastigio locentur? Quos quidem omnes fatendum est a Dei agni­tione avocari, cum ab his nullum tempus ad eius perquirendam naturam seponantur et cum ceterarum rerum avari sint in temporis iactura prodigi reperiuntur. Siehe dazu Thomas von Aquin (wie Anm. 123), Lib. 1, cap. 4, S. 11a–b. 126 Paulus Cortesius (wie Anm. 103), Lib. 1, dist. 9, fol. 12r: Aut quis non videt id quod ­Platoni placet, vehementer Aristoteli displicere? 127 Siehe das Zitat oben in Anm. 121. 128 Es ist in dieser Hinsicht bemerkenswert, wie stark Cortesius im Vorwort an Pius II . sein Werk als ein philosophisches Projekt deutet. Dasselbe gilt auch für das Schlusswort am Ende des Werkes. Vor d ­ iesem Hintergrund muss er dann deut­lich machen, wo für ihn die Grenzen der natür­lichen Vernunft liegen. Thomas von Aquin ist für ihn hier das Beispiel.

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andere Hälfte lässt sich inhalt­lich wie folgt zusammenfassen:129 Im Mittelpunkt steht die Frage nach der Hervorbringung der gött­lichen Personen, bei der er in der Fragestellung und Vorgehensweise erneut Thomas von Aquin folgt, diesmal seiner Summa theologiae.130 Zuerst führt Cortesius aus, dass es Hervorbringungen in Gott gibt und dass diese anders als bei den Geschöpfen bewertet werden müssen. Da Gott ohne Materie ist, so geht er weiter, können sie nicht numerisch, sondern müssen notwendig generisch voneinander unterschieden sein und somit auch die beiden hervorgebrachten gött­lichen Personen: Der Sohn wird durch den Intellekt und der Heilige Geist durch den Willen hervorgebracht.131 Da Gott ungeteilt und ewig ist, müssen diese Hervorbringungen beide aus einem Prinzip erfolgen, dem Vater. Aus demselben Grund sind die gött­lichen Personen gleichwertig und ohne zeit­liche Abfolge nach einem festen Muster geordnet. Der Vater bringt den Sohn hervor und der Sohn, zusammen mit dem Vater, den Heiligen Geist. Die Ausführung schließt mit einem Verweis auf Augustinus, der diese Abfolge als eine Ordnung der Natur bezeichnet hatte. Im Inhaltsverzeichnis wird angegeben, dass diese Ausführung aus neun verschiedenen Fragen besteht.132 Tatsäch­lich jedoch sind diese Fragen in der Darstellung organisch miteinander verwachsen. Cortesius legt offenbar großen Wert darauf, dem Leser einen fließenden Text zu präsentieren. Jedoch ist nicht nur die sprach­liche Gestaltung, sondern auch der Inhalt abgerundet. Sie zielt in einer in sich geschlossenen Erzählung auf die Hauptthese, dass die gött­liche Einheit eine geordnete Dreiheit von gleichwertigen Personen ist. 129 Siehe dazu den im Anhang edierten Text, S. 310 – 314. 130 Es betrifft hier Thomas von Aquin, Summa theologiae, Pars 1, quaest. 27, art. 1 – 4 und ebd., quaest. 42, art. 1 – 3. Siehe auch die Verweise im Anhang. 131 Cortesius greift hier eine Begründung für die trinitarischen Unterschiede ­zwischen Sohn und Heiligem Geist auf, die zwar auf Thomas zurückgeführt werden kann, im 13. und 14. Jahrhundert jedoch eher von franziskanischen als von dominikanischen Autoren verteidigt wurde. Siehe Friedman, Intellectual Tradi­tions, Bd. 1 (wie Anm. 7), S.  34 – 36. 132 Paulus Cortesius (wie Anm. 103), Tabula, fol. [1]v: An sit processio in divinis, An processio sit generatio, An Spiritus Sanctus procedat ut amor, An Amor procedat a Verbo, An possit assignari ordo in divinis, An in divinis ponatur nomen personae, An tres personae sint aequales, An persona procedens sit coaeterna principio suo, An in divinis sit ordo naturae. Paulus Cortesius orientiert sich in der Auswahl der ­Themen nicht nur an den Sentenzen des Lombardus, sondern auch, wie gesagt, an der Summa theologiae des Thomas. Siehe Anm. 130 oben.

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Ein kurzer Blick auf die zitierten Quellen macht klar, dass es Cortesius nicht um eine inhalt­liche Auseinandersetzung mit den Scholastikern geht. Denn zur Unterstützung seiner Darstellung verweist er zum Beispiel auf Thomas von Aquin, Johannes Duns Scotus, Heinrich von Gent und Gregor von Rimini, und dies ohne auch nur ein Wort der Kritik.133 Er benutzt die unterschied­ lichen Posi­tionen dieser Denker eher als eine Vorlage für die Absteckung des Feldes. Thomas ist für ihn der Theologe, dessen Posi­tion am besten die verschiedenen Sichtweisen von Johannes Duns Scotus und Gregor von Rimini hinsicht­lich der Art und Weise, wie der Heilige Geist in Gott hervorgebracht wird, zusammenbringt.134 Seine Gegner sind vielmehr bekannte Häretiker wie Arius, Sabellius, Eunomius und Priscillianus. Jedoch findet mit ihnen keine Debatte statt. Sie werden ledig­lich als Repräsentanten von Irrlehren dargestellt und erfüllen somit eher eine ornamentale Funk­tion, ähn­lich wie dies in den Werken der genannten Scholastiker der Fall ist.135 Schließ­lich ist es vor dem Hintergrund seiner Einleitung, in der er die Notwendigkeit der Offenbarung unterstreicht, bemerkenswert, dass er nirgends auf die Heilige Schrift oder auf irgendein anderes Dokument der ­Kirche verweist. Würde man die Einleitung nicht zur Kenntnis nehmen, könnte man denken, seine Ausführungen wollen mit Hilfe der natür­lichen Vernunft die besondere Natur der Trinität erschließen. Insofern ist sein Insistieren auf der Offenbarung eher eine Öffnung für das Übernatür­liche als ein Bekenntnis, sich im Bereich der Trinität an den Wortlaut der ­Kirche zu halten, was ihm mit seinem an Cicero ausgerichteten Latein auch schwerfallen würde. 133 Siehe den Text im Anhang, S. 310 – 311. 134 Gregor von Rimini kritisierte die Auffassung des Johannes Duns Scotus (und Heinrich von Gent), dass der Heilige Geist als freier Akt des gött­lichen Willens und nicht notwendig wie der Sohn hervortrete. Siehe Gregor von Rimini, Lectura super primum et secundum Sententiarum, Bd. 2 (Spätmittelalter und Reforma­tion. Texte und Untersuchungen 7), hg. v. Venicio Marcolino u. a., Berlin 1982, Lib. 1, dist. 10, quaest. 1, art. 2, S.  164 – 175. 135 Cortesius geht nicht über das hinaus, was in den gängigen Quellen wie ­Augustinus, Ambrosius, Hieronymus und dem Decretum Gratianum über die betreffenden Irrlehren zu finden ist. Diese Werke sind in der Edi­tion im Anhang weiter unten, S. 310 – 314, verzeichnet. Bemerkenswert ist, dass die Wortwahl des Cortesius sehr nah an diesen Autoren ist. Auch in den akademischen Kommentaren werden die tradi­tionellen Ketzereien erwähnt (siehe etwa Marsilius von Inghen [wie Anm. 96], Index doctrinalis, S. 436, s. v. ‚Error‘), nicht zuletzt, weil auch Petrus Lombardus sie nennt.

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5  Schlussfolgerung Ziehen wir jetzt ein Fazit. Ich habe am Anfang meiner Darstellung darauf hingewiesen, dass die besondere Situa­tion am Ende des Mittelalters die Gelehrten zwang, sich in der Theologie neu zu posi­tionieren, vor allem in Fragen der Trinität. Nun gab es mindestens drei Gegebenheiten, die bei dieser Neuorien­ tierung eine Rolle gespielt haben. Die erste war die Autorität des Thomas von Aquin, die im ausgehenden Mittelalter immer mehr Bedeutung gewann. Damit haben wir den Kontext für die Lectura des Hieronymus Raynerii. Der Thomismus des 15. Jahrhunderts war der Versuch, Aristoteles für den universitären Unterricht in der Theologie zu retten. Die Heiligsprechung des Thomas galt für viele Magister als Bestätigung, dass es mög­lich war, Aristoteles und Christentum miteinander zu verbinden. Denn Thomas von Aquin habe in seinen theolo­gischen Werken immer wieder auf Aristoteles Bezug genommen, um den Glauben zu verteidigen, so wurde gesagt.136 Auf diese Weise wurde ein Universitätslehrer als Maßstab für die richtige Auslegung des Aristoteles und somit als Antwort auf den Wegestreit etabliert. Diese Strategie lässt sich in der Lectura super Sententiarum libros des Hieronymus Raynerii im vollen Umfang wiederfinden. Denn in seinem Kommentar kommen Thomas von Aquin, A ­ ristoteles und die Sentenzen des Lombardus wie in einer Synthese zusammen. Das Werk bleibt jedoch ganz innerhalb der Grenzen der Institu­ tion, aus der die Kommentartradi­tion hervorgegangen ist. Es gehört somit ohne Zweifel der Scholastik an. Der Wegestreit hatte auch zu Überlegungen geführt, wie es denn zu dieser Auseinandersetzung gekommen sei. So stoßen wir auf eine zweite Gegebenheit, die den Kontext für das Werk Super Sententias des Heymericus de Campo liefert. Einige Magister des 15. Jahrhunderts wie Dionysius der Kartäuser hatten den Ursprung des Wegestreits bei Johannes Duns Scotus gelegt, der neue Methoden eingeführt hatte, die eher auf die Erfindung von Begriffen als auf die

136 Siehe zum Beispiel die Stellungnahme der Universität Köln an die Stadt (1425) als Begründung, weshalb sie an der Lehre des Thomas von Aquin festhalten will, bei Ehrle (wie Anm. 10), S. 281 – 285, bes. S. 284: (…) Doctor Sanctus in omnibus summis suis utitur eiusdem principiis, quibus usus est libros Philosophi exponendo, prout luce clarius constat cuilibet in ejus doctrina erudito. Für eine Erörterung des Umfelds siehe Harm J. Goris, Thomism in Fifteenth-­century Germany, in: Mishtooni Bose / Paul J. J. van Geest (Hgg.), Aquinas as Authority, Leuven 2002, S. 1 – 24.

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Vermittlung von erprobtem Wissen abzielten.137 Als Gegenbewegung entstand ein Interesse für Quellen aus der früheren Zeit. Was als vernünftig galt, wurde auf Grund der Tradi­tion entschieden. Dieser Linie begegnen wir im Werk Super Sententias des Heymericus de Campo. Dort stellte er alte Quellen neu in den Mittelpunkt. Diese Quellen gehörten zum festen Bestand der Scholastik. Insofern bewegt er sich innerhalb der Grenzen dieser Tradi­tion. Dennoch war der ausschließ­liche Blick auf diese Quellen zu seiner Zeit keineswegs Teil des scholastischen Programms. Im Kommentar des Heymericus findet somit eine Neuorientierung im Hinblick auf Quellen und Sprache statt, die zwar der Form nach der Scholastik verpflichtet ist, jedoch einen neuen Inhalt sucht. Er greift in seiner Hinwendung zu den Vätern eine Vorgehensweise auf, die zu seiner Zeit auch von vielen Humanisten verfolgt wurde.138 Schließ­lich gab es noch eine dritte Gegebenheit, die am Ende des Mittel­ alters eine große Rolle spielte, näm­lich die Frage der Zuläng­lichkeit der aristote­lischen Logik für die Theologie. Johannes Gerson plädierte in seinem Werk De duplici logica für eine Ausdifferenzierung des wissenschaft­lichen Instrumentariums bei der Auslegung des Glaubens. In der Theologie könne man nicht dieselben Regeln gelten lassen wie in der Physik oder Metaphysik.

137 So beurteilt Dionysius die Formaldistink­tion des Johannes Duns Scotus als eine Neue­rung, die keinen Halt in der Tradi­tion hat und dieser sogar entgegensteht. Siehe ­Dionysius der Kartäuser (wie Anm. 79), Lib. 1, dist. 2, quaest. 2, S. 173bCD : (…) tot sancti doctores totque excellentissimi in theologia magistri qui ante Joannem Scotum fuerunt, concorditer senserint inter attributa divina nullam esse non identitatem aut for­ malem ex natura rei distinc­tionem. Et novitatis oppositae videtur Scotus fuisse inventor, qui nullam Sanctorum auctoritatem habet pro se. Imo, sicut mox innotescet, auctoritates majorum et seniorum quas allegat pro se, si rite intelligantur, directe sunt et militant contra eum; et est opinio sua tam summis philosophis quam supremis theologis contra­ ria. Dionysius’ Sicht auf die scholastische Tradi­tion wird dargestellt in Kent Emery, Jr., Denys the Carthusian and the Doxography of Scholastic Theology, in: Mark D. Jordan / Kent Emery, Jr. (Hgg.), Ad Litteram. Authoritative Texts and Their Medieval Readers (Notre Dame Conferences in Medieval Studies 3), Notre Dame IN 1992, S.  327 – 359, bes. S.  346 – 347. 138 Zur damaligen Bedeutung der Kirchenväter siehe etwa die Beiträge in Leif Grane / Alfred Schindler / Markus Wriedt (Hgg.), Auctoritas Patrum. Zur Rezep­tion der Kirchenväter im 15. und 16. Jahrhundert, Bd. 1 – 2 (Veröffent­lichungen des Instituts für Euro­päische Geschichte Mainz, Beiheft 37 und 44), Mainz 1993 – 1998 und Mariarosa Cortesi / ­Claudia Leonardi (Hgg.), Tradizioni Patristiche nell’Umanesimo (Millennio Medievale 17, Atti di Convergni 4), Florenz 2000.

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Die Heilige Schrift wie auch die Werke der Kirchenväter versuchten den Glauben durch das Überzeugen zu verbreiten. Ihre Argumente sind deshalb eher nach den Regeln der Rhetorik zu beurteilen als nach denen der Logik. Deshalb sollte auch in der Theologie, wenn sie die Heilige Schrift verstehen und den Glauben verteidigen und verbreiten wolle, auf die Rhetorik zurückgegriffen werden.139 Nun muss man bei ­diesem Vorschlag bedenken, dass die Rhetorik im universitären Lehrplan des 15. Jahrhunderts keine bedeutende Rolle spielte. Sie gehörte nicht zum etablierten Organon der Artesfakultät.140 Sie galt für den wissenschaft­lichen Betrieb als ungeeignet, da sie neben der Sache auch die Perspektive des Darstellers und des Zuhörers mit einbezog. Sie zielte nicht auf die Wahrheit, sondern auf das Überzeugen und stand somit bei vielen unter Verdacht. Jedoch: Bot sie nicht gerade durch ihren Fokus auf die Rezipienten eine Mög­lichkeit, die Einheit ­zwischen Philosophie und Theologie wieder herzustellen, wo die Auseinandersetzung über die Sache zu unauflösbaren Streitigkeiten geführt hatte? Eine Theologie, die sich von der Rhetorik inspirieren ließ, will den Glauben nicht durch die Schärfe der Logik, sondern durch die Kraft der Sprache verbreiten, die die Zuhörer aufhorchen lässt und sie für die durch das Wort getragenen Inhalte öffnet. Dieser Weg wurde von Paulus Cortesius

139 Johannes Gerson, De duplici logica, in: Œuvres complètes, hg. v. Palémon Glorieux, Bd. 3, Paris 1962, S. 57 – 63, bes. S. 58: Illa (sc. die Logik, MH) enim inquirit tantummodo veritatem in rebus prout veritas est adaequatio rei intellectae ad intellectum speculati­ vum; ista (sc. die Rhetorik, MH) autem prout est adaequatio quaedam ad effectum seu practicum intellectum. Über die Logik bei Gerson informiert Sigrid Müller, Bonum est mel cum favo. Gerson und die Notwendigkeit der Logik für die Theologie, in: Dominik Perler / Ulrich Rudolph (Hgg.), Logik und Theologie. Das Organon im arabischen und im lateinischen Mittelalter (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 84), Leiden 2005, S. 469 – 497, bes. S. 471 – 473. 140 Über die Rhetorik konnte zum Beispiel in Freiburg zwar gelesen werden, wenn ein Magister das wollte, jedoch wird sie in den Statuten von 1490 und 1504 – 1505 nicht in den Listen mit Werken aufgeführt, die für die Grade von Bakkalar und Magister erforder­ lich waren. Siehe The Mediaeval Statutes of the Faculty of Arts of the University of Freiburg im Breisgau (Texts and Studies in the History of Mediaeval Educa­tion 10), hg. v. Hugo Ott und John M. Fletcher, Notre Dame IN 1964, S. 82 – 83 (1490) und S. 116 – 117 (1504 – 1505). Ähn­liches trifft für andere Artesfakultäten des 15. Jahrhunderts zu wie etwa die der Universität Ingolstadt, an der die Rhetorik ebenfalls eine episodische Stellung hatte. Dazu Maximilian Schuh, Humanismus vor Celtis. Die studia humanitatis an der Ingolstädter Artistenfakultät, in: Fuchs (wie Anm. 18), S. 9 – 28.

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in seinem In quattuor libros Sententiarum befolgt. Er bedient sich dazu einer scholastischen Vorgabe, die er auch mit scholastischen Inhalten füllte. Jedoch waren seine Darstellungsweise und seine Sprache ungewohnt und für akade­ mische Ohren sogar befremd­lich. Denn sie erlaubte es nicht, über den Wortlaut die Verbindung mit der Tradi­tion zu legen. Hier wurden ganz andere Bezüge geknüpft, näm­lich zu denjenigen Lesern, die sich einer Sprache bedienten, die als ­­Zeichen der Abgrenzung von der Scholastik galt, näm­lich des Lateins der paganen Klassik.141 Dennoch trifft hier zu, was wir auch bei Heymericus gesehen haben, näm­lich dass die Scholastik durch die Bereitstellung von Vorlagen selbst die Öffnung für das Neue ermög­licht hat.142 Ich komme zum Abschluss. Was besagt uns dieser Befund über die Bezüge ­zwischen Scholastik und Humanismus? Eigent­lich sehr viel. Denn auch wenn man die Grenzen des Gegenstands eng zieht und auf eine literarische Gattung schaut, die als Produkt der Scholastik gilt, lassen sich Berührungspunkte finden. Diese zeigen, dass die Scholastik im Hinblick auf Argumenta­tionsweise, Verwendung von Sprache und Benutzung von Quellen trotz ihrer eigenen Heuristik ein bemerkenswertes Potential zur Neubildung und zur Aufnahme in neue Kontexte hatte, so dass man vermuten kann, dass die Bewegung hin zum Humanismus zum Teil wohl auch im Programm der Scholastik selbst begründet lag.143

141 Dazu d’Amico (wie Anm. 101), S. 115 – 143. 142 Es spricht von selbst, dass diese drei Vorgehensweisen sich auch teilweise überschnitten. Denn Thomas von Aquin spielte zum Beispiel nicht nur bei Hieronymus Raynerii als Maßstab eine Rolle, sondern auch bei Paulus Cortesius. Zur Bedeutung des Thomismus für die Renaissance siehe Paul O. Kristeller, Medieval Aspects of Renaissance Learning, hg. v. Edward P. Mahoney, Durham NC 1974, bes. S. 29 – 91. 143 Ich danke Markus Erne und Guy Guldentops für die hilfreichen Hinweise.

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Anhang In ­diesem Anhang habe ich die wichtigsten Stellen aus den Sentenzenkommentaren zugäng­ lich gemacht, die im vorausgehenden Artikel untersucht werden, unter Berücksichtigung aller in der Literatur bekannten Zeugen dieser Werke. Es handelt sich dabei um folgende Abschnitte, die auf der Grundlage der angegebenen Handschriften und Drucke kritisch ediert wurden: 1. Hieronymus Raynerii, Lectura super Sententiarum libros, Basel, Universitätsbibliothek, A X 14, fol. 9v–10r (Lib. 1, dist. 6) und fol. 24v (Lib. 1, dist. 17). 2. Heymericus de Campo, Super Sententias, Bernkastel-­Kues, St.-Nikolaus-­Hospital, Cus. 24, fol. 55ra (Lib. 1, dist. 5), fol. 55rb (Lib. 1, dist. 9), und fol. 56rb (Lib. 1, dist. 21). 3. Paulus Cortesius, In quattuor libros Sententiarum, Rom 1504 (nicht foliert) (Lib. 1, dist. 9), Basel 1513, fol. 11r–12r (Lib. 1, dist. 9), Paris 1513, fol. 12r–13r (Lib. 1, dist. 9), Basel 1540, fol. 24 – 26 (Lib. 1, dist. 9). Informa­tionen zu den Handschriften und Drucken sind dem vorausgehenden Artikel zu entnehmen. Die Orthographie wurde nach dem Vorbild des klas­sischen Lateins standardisiert. Die Zeichensetzung ist dem modernen Gebrauch angepasst. Alle in den Texten ausdrück­lich erwähnten Quellen wurden im Apparat identifiziert. In der Edi­tion der Lectura super Sententiarum libros des Hieronymus Raynerii sind auch die impliziten Quellen (Thomas von Aquin und Johannes Capreolus) angegeben. Grundlage für die Edi­tion des Sentenzenkommentars des Paulus Cortesius war der Druck Rom 1504, der zu Lebzeiten des Autors erschienen ist. Alle Varianten in den anderen Drucken sind im Apparat verzeichnet. Die Marginalien in diesen Werken sind nicht berücksichtigt, da sie ledig­lich kurze Angaben zum Inhalt und den Namen der im Text genannten Autoren betreffen. Im Apparat wurden folgende Siglen und Abkürzungen verwendet: R Paulus Cortesius, In quattuor libros Sententiarum, Rom 1504 B1 ders., Basel 1513 B2 ders., Basel 1540 P ders., Rom 1513 supplevi […] expunxi add. addidit cod. codex del. delevit lin. linea sup. supra

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Hieronymus Raynerii, Lectura super Sententiarum libros Circa quaes­tionem sextam

Quaeritur utrum Pater genuit Filium necessitate144 Necessarium absolute, quod est necessarium per aliquid quod est in essentia sua, sive illud sit sua essentia. sive sit pars ut materia vel forma. ex condicione agentis et hoc per violentiam. finis, sine quo aliquis non potest consequi finem. sine quo aliquis non faciliter potest consequi. Ulterius nota quod necessariorum absolutorum quoddam est quod habet esse ab alio 145 sic omnia creata. Aliud est necessarium cuius necessitas non dependet ab alio.

144 Vgl. Thomas von Aquin, Scriptum super libros Sententiarum, Bd. 1, hg. v. Pierre ­Mandonnet, Paris 1929, Lib. 1, dist. 6, quaest. 1, art. 1, S. 166 – 167: Utrum Pater genuit Filium necessitate. 145 Vgl. ebd., S. 166: Respondeo dicendum, quod secundum Philosophum, V Metaph., text. 6, necessarium dicitur multipliciter. Est enim necessarium absolute, et necessarium ex condi­tione; et hoc est duplex: scilicet ex condi­tione finis vel ex condi­tione agentis. Neces­ sarium ex condi­tione agentis, est necessarium per violentiam: non enim eum qui violenter currit, necesse est currere, nisi sub hac condi­tione, si aliquis eum cogit. Necessarium ex condi­tione finis est illud sine quo non potest consequi aliquis finis, vel non ita faciliter. Finis autem est duplex: vel ad esse, et hoc modo cibus vel nutrimentum dicuntur esse necessaria, quia sine eis non potest esse homo; vel pertinens ad bene esse, et sic dicitur esse navis necessaria eunti ultra mare; quia sine ea exercere non potest ac­tionem suam. Necessarium autem absolute dicitur quod est necessarium per id quod in essentia sua est; sive illud sit ipsa essentia, sicut in simplicibus; sive, sicut in compositis, illud principium sit materia, sicut dicimus, hominem mori est necessarium; sive forma, sicut dicimus, hominem esse ra­tionalem est necessarium. Hoc autem absolute necessarium est duplex. Quoddam enim est quod habet necessitatem et esse ab alio, sicut in omnibus quae cau­ sam habent: quoddam autem est cujus necessitas non dependet ab alio, sed ipsum est causa necessitatis in omnibus necessariis, sicut Deus. Vgl. Aristoteles, Metaphysica, Lib. 5, cap. 5, S. 1015a20–b15.

Scholastik und Humanismus 303

Conclusio. Pater genuit Filium necessitate absoluta, quae est necessitas exigentiae vel 146 immuta­tionis, licet non genuerit eum necessitate condicionata. Prima pars patet. Omne aeternum est necessarium. Sed generatio divina est aeterna. Ergo necessaria. Quod productio, quae est per modum naturae et impediri non potest, est summe necessaria. Sed generatio in divina est opus naturae nec ullo modo impediri potest per quodcumque. Ergo [etc.] summa necessitate Pater producit Filium. Corollarium. Necessitas indigentiae non potest esse in Deo. 147

Item. Necessitas coac­tionis  non potest esse in Deo, quia eo nihil est potentius et in eo non est tristitia.

Necessitas indigentiae, quae ad causam materialem reducitur. violentiae, quae reducitur ad causam efficientem. expedientiae, quae reducitur ad causam finalem. Non sunt in Deo. exigentiae, quae est ex quo debetur rei omne illud quod exigit natura eius et reducitur ad causam formalem. Et hoc est in Deo. Ratio. Necessarium est quod impossibile est aliter esse. Vel hoc fit per essentiam rei, ut in prima causa.

Quaeritur utrum Pater genuit Filium voluntate.148 Dicendum quod non. Probatur. Illa solum voluntate produci dicuntur, quae possunt esse vel non esse. Sed impossibiliter est Filium non esse. Ergo etc. Maior dupliciter intelligitur. Uno modo vel producitur in identitate naturae, et sic non intelligitur, quia Spiritus Sanctus

146 Vgl. Thomas von Aquin (wie Anm. 144), S. 166 – 167: Dicendum ergo, quod generatio in divinis non est ex necessitate condi­tionata, sive condi­tionetur ex fine, sive ex agente. Non ex agente; cum ipse Deus sit primum principium; neque ex fine cum etiam sit ultimus finis. Sed est necessaria necessitate absoluta, sicut est necessitas primae causae, quae non dependet ab alio, sed ipsa potius est causa necessitatis in omnibus aliis. 147 potest] add. sed del. cod. 148 Vgl. Thomas von Aquin (wie Anm. 144), Lib. 1, dist. 6, quaest. 1, art. 2, S. 167 – 168: Utrum Pater genuit Filium voluntate.

304 Maarten J. F. M. Hoenen procedit ut amor et quia voluntas eius est natura. Alio modo intelligitur maior in diversitate naturae sicut Deus producit creaturas, et sic vera est. Voluntas potest comparari ad aliquid dupliciter. Vel sicut potentia ad obiectum suum, et sic omne volitum a Deo dicitur voluntate volitum. Et sic ille ablativus solum dicit concomitantiam et conceditur quod Pater genuit Filium voluntate. Alio modo comparatur voluntas sicut principium ad effectum. Et hoc dupliciter. Aut illud ad quod comparatur dicit ra­tionem principiandi, aut est ipsum principiatum. Si primum, sic comparatur voluntas divina ad processionem Spiritus Sancti, quia sic Deus omnia vult et producit in amore. Et sic intellectus comparatur ad unum. Si secundo modo, tunc principiatum procedit a voluntate secundum condicionem voluntatis, quae in quantum in se est, 149 libera est. Voluntas accedens, quae de novo accedit operi vel operanti. Illa non est in Deo. concomitans, quae dicitur per compara­tionem ad obiectum tantum, et sic comparatur voluntas ad genera­tionem Filii. antecedens, quae dicit compara­tionem principii ad principiatum.150 Conclusio. Pater genuit Filium natura. Probatur, quia Filius a Patre procedit ut verbum in intellectuali processione. Sed de ra­tione verbi est assimilatio ei de quo formatur obiective,

149 Vgl. ebd., S.  167 – 168: Respondeo dicendum, quod voluntas potest comparari ad aliquid dupliciter: aut sicut potentia ad objectum, aut sicut principium. Si comparetur ad aliquid sicut ad objectum, tunc omne volitum a Deo, potest dici esse voluntate ejus; et sic potest dici, Pater est Deus voluntate sua; vult enim se esse Deum; et similiter potest concedi quod Pater genuit Filium voluntate. Si autem comparetur voluntas ad aliquid sicut principium, hoc potest esse dupliciter: quia aut illud ad quod comparatur sicut principium dicit ra­tio­ nem principiandi; aut dicit ipsum principiatum. Si primo modo, sic comparatur voluntas ad processionem Spiritus sancti, qui procedit ut amor, in quo amore voluntas principiata producit, scilicet creaturas; et secundum hunc modum etiam intellectus in Deo se habet ad genera­tionem Filii, qui procedit ut verbum et ars. Si secundo modo, tunc principiatum voluntatis procedit a voluntate secundum voluntatis condi­tionem. Voluntas autem, quan­ tum est in se, libera est: unde principiata voluntatis sunt tantum ea quae possunt esse vel non esse. Et hoc modo constat, quod voluntas divina comparatur ad crea­tionem rerum, et non ad genera­tionem Filii. 150 Vgl. ebd., S. 168: Et hinc est quod quidam distinguunt voluntatem in tria, scilicet in voluntatem accedentem, quae scilicet de novo accedit operi vel operanti, et talis non est in Deo secundum aliquem trium dictorum modorum voluntatis, quia omnis operatio ejus est a voluntate aeterna. Item in voluntatem concomitantem quae dicitur secundum compara­tionem ad objectum tantum; et sic est in Deo respectu genera­tionis Filii. Item in voluntatem antecedentem; et sic dicit compara­tionem principii ad principiatum; et sic est respectu creaturarum.

Scholastik und Humanismus 305

quia etiam intellectio fit per assimila­tionem. Cum ergo generatio naturae est per assimila­ 151 tionem etc. 152

Corollarium. Pater non  produxit Spiritum Sanctum natura, si natura dicat modum produc­tionis naturae. Si autem natura dicit principium produc­tionis, sic Pater produxit Spiritum Sanctum natura. Corollarium. Pater non genuit Filium essentia. Item. Si dicatur quod, si Filius est Patri similis, potuit generare alium Filium, non valet, quia si sic, non esset similis, sed idem cum eo et non distinctus personaliter. Hilarius, De synodo: „Si quis voluntate Dei Filium tamquam factum dicat, anathema sit.“ 153 Ergo. Circa distinc­tionem decimam septimam



Nota. Voluntas non est sufficiens principium actus dilec­tionis, nisi superaddatur habitus 154 infusus. Ita dicit doctor hic. Secundo. Homo ex puris naturalibus potest diligere Deum super omnia. Ita dicit doctor 155 I–II , quaes­tione 109, articulo 3, in corpore.

151 Vgl. ebd., Lib. 1, dist. 6, quaest. 1, art. 3, S. 169: Et quia de ra­tione genera­tionis est ut pro­ ducatur genitum in similitudinem generantis, et hujus produc­tionis principium pertinet ad naturam, quae est ex similibus similia procreans; ideo dicitur, quod Pater natura gene­ rat Filium. 152 non] genuit add. sed del. cod. 153 Vgl. Hilarius, Liber de synodis, hrsg. v. Jacques-­Paul Migne, Paris 1844 (Patrologia Latina 10), Cap. 38, n. 487, S. 512: Si quis voluntate Dei, tamquam unum aliquid de creatura, factum dicat Filium, anathema sit. Vgl. Thomas von Aquin (wie Anm. 144), Lib. 1, dist. 6, quaest. 1, art. 2, S. 167. 154 Thomas von Aquin (wie Anm. 144), Lib. 1, dist. 17, quaest. 1, art. 1, S. 394: Et ideo cum actus charitatis perfec­tionem quamdam habeat ex hoc quod est meritorius omnibus modis, oportet ponere charitatem esse habitum creatum in anima; quae quidem efficienter est a tota Trinitate (…). 155 Ders. Summa theologiae (Opera omnia 7), Rom 1892, Pars I-II, quaest. 109, art. 3, S. 295b: Et ideo dicendum est quod homo in statu naturae integrae non indigebat dono gratiae

306 Maarten J. F. M. Hoenen Ex hoc arguit Aureoli sic quod Doctor contradicit sibi ipsi. Diligere enim Deum super omnia est habere dilec­tionem in se. Sed in puris naturalibus potest hoc homo. Ergo voluntas habet sufficiens in se, ut exeat in actum dilec­tionis sive gratuitis. Et per 156 consequens potest ex puris naturalibus mereri vitam aeternam. Dicendum quod male imaginatur Aureoli. Non enim requiritur habitus infusus caritatis propter substantiam actus. Sed intendit dicere quod ad hoc quod voluntas eliciat actum caritatis perfectum quoad omnia quae requiruntur ad hoc quod sit meritorius, requiritur 157 habitus caritatis. 158

Ex quo patet quod Doctor Sanctus intelligit quod habitus  caritatis non exigitur ad 159 hoc quod sit bonus in genere suo, sed ad hoc quod debite ordinetur in debitum finem.

superadditae naturalibus bonis ad diligendum Deum naturaliter super omnia; licet indi­ geret auxilio Dei ad hoc eum moventis. 156 Petrus Aureoli, Commentariorum in primum librum Sententiarum prima pars, Rom 1596, Dist. 17, art. 3, fol. 414aD: Unde non apparet, quin sit repugnantia in his duabus proposi­ tionibus, prima quidem, quod voluntas non sit sufficiens principium actus dilec­tionis, nisi superaddatur aliquis habitus supernaturalis, secunda vero, quod ex puris naturalibus ­possit diligere Deum supra se et super omnia. Vgl. Johannes Capreolus, Defensiones theologiae divi Thomae Aquinatis, hg. v. Ceslaus Paban / Thomas Pèques, Bd. 2, Tours 1900 (ND Frankfurt a. M. 1967), Lib. 1, dist. 17, quaest. 1, art. 2, S. 73b–74a: Argumenta Aureoli (…) Diligere enim super omnia Deum, et supra se, et toto conamine et ex tota virtute, est habere substantiam charitativae dilec­tionis. Sed secundum istos, I-II, q. 109, art. 3, homo in naturalibus constitutus potest Deum diligere super se, et super omnia; et similiter ange­ lus idem potest. Ergo voluntas habet principium sufficiens in se, sine habitu superaddito supernaturaliter, ergo potest in substantiam dilec­tionis charitativae. Unde non apparet quin sit repugnantiam in his duabus proposi­tionibus: prima quidem, quod voluntas non sit sufficiens principium actus dilec­tionis, nisi superaddatur aliquis habitus supernaturalis; secunda vero, quod ex puris naturalibus possit diligere Deum supra se et super omnia (…). 157 Vgl. Johannes Capreolus, Defensiones (wie Anm. 156), Lib. 1, dist. 17, quaest. 1, art. 2, S. 80b–81a: Ad argumenta Aureoli. (…) Ex quibus patet quod non intendit sanctus Doc­ tor dicere quod habitus charitatis exigatur ad actum dilec­tionis Dei propter substantiam actus, sicut arguens credit, nec propter aliquam circumstantiam nobis notam, vel a nobis experibilem, quam habeat actus elicitus a voluntate informata habitu charitatis, et non habeat sine charitate elicitus ab eadem voluntate; sed intendit quod, ad hoc quod voluntas eliciat actum dilec­tionis Dei perfectum, quantum ad omnia requisita ad bonitatem actus meritorii, necessario exigitur quod sit informata habitu charitatis. 158 habitus] non add. sed del. cod. 159 Vgl. Johannes Capreolus (wie Anm. 156), Lib. 1, dist. 17, quaest. 1, art. 2, S. 81b: Ex quo patet quod ipse intelligit quod habitus charitatis non exigitur ad hoc ut actus sit bonus ex genere vel ex circumstantia, sed ut debite ordinetur in finem ultimum, propter quem sit meritorius.

Scholastik und Humanismus 307

Ex quo patet quod nulla est repugnantia illarum duarum proposi­tionum allegatarum. Prima propositio intelligitur quod voluntas non sufficit ad eliciendum actum caritatis quantum ad omnia quae requiruntur ad suam ultimam perfec­tionem, nec in statu naturae integrae nec corruptae. Secunda autem propositio intelligitur quod voluntas in statu naturae integrae ex naturalibus poterat diligere Deum super omnia quantum ad hoc quod in nulla[m] 160 circumstantia deficeret, licet quoad hoc quod esset meritorius, indigeret habitu caritatis.

Heymericus de Campo, Super Sententias Distinctio 5 Essentia Dei neque generat neque generatur, eo quod ipsa est absoluta et eadem in tribus personis secundum ra­tionem intelligendi praecedens actum genera­tionis. Ideoque, si ipsa generaret, idem gigneret se ipsum, et si generaretur, gignens esset 161 per suum genitum. Quamobrem hae locu­tiones, quae videntur innuere quod essentia generet vel generetur, sunt pie interpretandae,162 „quia non sermoni res, sed rei sermo subiectus est“, ait Augustinus 163 IV De Trinitate.164 Verbi gratia, cum dicit Augustinus in Libro de Symbolo: „Pater genuit quod ipse est, id est Filius, qui est, quod ipse est“, non dicit: „qui ipse“, ly „quod“ enim supponit pro essentia et „qui“ personam.165 Item, cum dicit in libro VII De Trinitate: „Essentiam de essentia“166 et in libro De fide ad Petrum: „Naturam Christi de natura Patris natam“167 et in XV De Trinitate:

160 Vgl. ebd., S. 81b–82a: Ex quibus patet quod in dictis sancti Doctoris nulla est repugnantia. Prima enim propositio, de qua facit arguens men­tionem, intelligitur sic: quod voluntas sine habitu supernaturali non est sufficiens principium actus dilec­tionis Dei, quantum ad omnia requisita ad ejus ultimam perfec­tionem, nec in statu naturae integrae, nec in statu naturae corruptae. Secunda autem propositio intelligitur sic: quod homo ex solis bonis naturalibus in statu naturae integrae poterat diligere Deum super omnia, ita quod ille actus in nulla circumstantia deficeret; licet ad hoc quod esset propor­tionatus ad merendum vitam aeternam, homo in illo statu indigeret donis supernaturalibus, scilicet gratia et charitate. 161 esset] est add. sed del. cod. 162 Vgl. Petrus Lombardus, Sententiae in IV libris distinctae, Band 1/2 (Spicilegium Bonaventurianum 4), Grottaferrata 1971, Lib. 1, dist. 5, cap. 1, n. 17, S. 86. 163 Augustinus] recte Hilarius sicut apud Lombardum, ebd., dist. 5, cap. 1, n. 10, S. 84. 164 Ebd., dist. 5, cap. 1, n. 10, S. 84. 165 Ebd., dist. 5, cap. 1, n. 5, S. 82 und cap. 2, n. 2, S. 87. 166 Ebd., dist. 5, cap. 1, n. 7, S. 82. 167 Ebd., dist. 5, cap. 1, n. 7, S. 82.

308 Maarten J. F. M. Hoenen „Substantiam de substantia et sapientiam de sapientia“.168 Item, cum dicit Hilarius in IV De Trinitate: „Nihil nisi natum habet Filius“.169 Habet autem essentiam seu naturam, quam aperte dicit „genitam“, IX De Trinitate.170 Etiam dicitur frequenter in Sacra Scriptura quod Pater de sua substantia genuit Filium, sicut etiam meminit Augustinus in De fide ad Petrum.171 Ac dicit in XV De Trinitate: „Christum esse Filium substantiae Patris et de substantia Patris genitum“172, cum „non sit de materia vel ex nihilo“, ut etiam vult Hilarius.173 Unde in omnibus istis locu­tionibus et similibus nomen essentiale praesupponit personale, sicut consequens antecedens, ut puta ‚Pater essentia genuit Filium essentiam‘ et sic de aliis, eo quod attributa relativa per se primo conveniunt personis, sicut 174 attributa absoluta essentiae seu naturae.175 Nota bene. 176

Distinctio 9

Deus Pater, eo ipso quo est aeternaliter sapiens et semper generans, iuxta illud Isaiae „Ante me non est Deus nec est 177 post me“,178 genuit ante saecula coaeternum sibi Filium,179 qui secundum Apostolum „est virtus et sapientia Patris“180, ad modum quo aeternus, si esset, ignis, produceret coaevum calorem.181 Et ideo, quia esse aeternum est perfectum et non lapsum neque destitutum 182 etc.,183 dicit Propheta in verbo Patris de Filio „Ego hodie genui te“,184 quomodo dicit Gregorius quod „verius“, id est „congruentius“, dicit „Filius semper natus“, quam „semper nascitur“,185 licet

168 Ebd., dist. 5, cap. 1, n. 7, S. 82 – 83. 169 Ebd., dist. 5, cap. 1, n. 9, S. 83. 170 Ebd., dist. 5, cap. 1, n. 9, S. 84. 171 Vgl. ebd., dist. 5, cap. 1, n. 12, S. 85. 172 Ebd., dist. 5, cap. 1, n. 13, S. 85. 173 Ebd., dist. 5, cap. 1, n. 16, S. 86 und cap. 2, n. 1, S. 87. 174 sicut] persona add. sed del. cod. 175 Vgl. ebd., dist. 5, cap. 1, n. 17, S. 87. 176 9] 19 cod. 177 est] add. sup. lin. cod. 178 Is 43, 10. Vgl. ebd., dist. 9, cap. 2, n. 5, S. 104. 179 Vgl. ebd., dist. 9, cap. 2, n. 1, S. 103. 180 I Cor 1, 24. Vgl. ebd., dist. 9, cap. 2, n. 4, S. 104. 181 Vgl. ebd., dist. 9, cap. 2. n. 3, S. 104. 182 destitutum] destitutis cod. 183 Vgl. ebd., dist. 9, cap. 4, n. 2, S. 106. 184 Ps 2, 7. Vgl. ebd., dist. 9, cap. 4, n. 3, S. 106. 185 Ebd., dist. 9, cap. 4, n. 4, S. 107 und ebd., n. 6, S. 108.

Scholastik und Humanismus 309

hoc secundo modo possit dici secundum Origenem,186 eo quod illa „nativitas est viventis de vivente“, ut dicit Hilarius.187 Et ideo illud fieri est perfectum.188 Ecce hoc modo „balbutiendo ut possumus excelsa Dei resonamus“, inquit Gregorius.189 Distinctio 21 „Solus Pater est Pater“,„Solus Filius est Filius“, etc., sunt simpliciter verae propter proprietatum convertibilem distinc­tionem. Praeterea, dicit Augustinus quod „Trinitas est solus Deus“,190 ut notetur excludi participatio 191 et non comparticipatio existendi, quia nec hic nec ibi sequitur solitudo essendi.192 Siquidem existente Patre existit et Filius et nunc existente Deo sunt cum eo angelice 193 spiritus.194 Praeterea, hae locu­tiones ‚Solus Pater est Deus‘ et ‚Pater est solus Deus‘, cum sint obscurae, potius interpretandae sunt quam in usu loquendi extendendae,195 ex quo saepe invenitur in Scripturis poni exclusio, etiam exceptio circa personam respectu verbi non no­tionalis, sed essentialis, cuius significatum est commune tribus personis, ut haec: „Nemo novit Patrem nisi Filius“196 et haec: „Haec est vita aeterna, ut cognoscam 197 te Deum et quem misisti Iesum Christum“,198 in quibus locu­tionibus non excluditur Spiritus Sanctus vel Pater, etc.199

186 Vgl. ebd., dist. 9, cap. 4, n. 4, S. 107. 187 Ebd., dist. 9, cap. 4, n. 7, S. 108. 188 Ebd., dist. 9, cap. 4, n. 2, S. 106 und ebd., n. 7, S. 108. 189 Ebd., dist. 9, cap. 4, n. 2, S. 106. 190 Ebd., dist. 21, cap. 2, n. 5, S. 176 und ebd., cap. 3, n. 1, S. 177. 191 participatio] parti add. sed. del. cod. 192 Vgl. ebd., dist. 21, cap. 3, n. 2, S. 177. 193 angelice] an scribendum angelici? 194 Vgl. ebd., dist. 21, cap. 3, n. 1, S. 177. 195 Vgl. Thomas von Aquin, Summa theologiae (Opera omnia 4), Rom 1888, Pars 1, quaest. 31, art. 4, S. 347b: Unde non est extendenda talis locutio (sc. Solus Pater est Deus, MH); sed pie exponenda, sicubi inveniatur in authentica scriptura. 196 Mt 11, 27. Vgl. ebd., dist. 21, cap. 3, n. 2, S. 177. 197 haec est vita aeterna ut cognoscam] ut cognoscant apud Petrum Lombardum, ebd., dist. 21, cap. 3, n. 2, S. 177. 198 Joh 17, 3. Vgl. ebd., dist. 21, cap. 3, n. 2, S. 177. 199 Vgl. ebd., dist. 21, cap. 3, n. 2, S. 177.

310 Maarten J. F. M. Hoenen

Paulus Cortesius, In quattuor libros Sententiarum De Trinitate

Itaque in eiusmodi quaes­tione quaerendum est primum, num in divina natura progressio 200 esse videatur. Arius enim haereticorum fax perinde est istiusmodi progressionem mensus, 201202 ut effectuum genera a causa dimanant. A quo Sabellii adiutus est error, qui aeque eam 203 progressionem expendit, ac causa progredi in effectum  dicitur, quatenus scilicet aut eum 204 impellit, aut in eo similitudinem suam insculpit. Quorum neuter progressionem in Dei natura statuit. Siquidem nullo modo eiusmodi progressionem definimus quatenus in rerum corporearum natura versatur, sed dimana­tione quae intelligi potest metimur, ut verbum 205 a loquente quod intelligi potest in eoque insidet. Ex quo sciri debet verbi progressum 206 genera­tionem in Dei natura vocari verbumque dimanans nominari Filium. Quare non sine causa magno certamine disceptari solet, an spiritus ut amor et voluntas dimanet. Divus enim 207 Thomas maturus et sanus theologus personam aliquam quam Graeci ‚πρόσωπον‘  vocant 208 amoris modo in Dei natura progredi arbitratur. At acerrimus bellator Scotus, qui velut

200 Der Anfang der Darstellung folgt Thomas von Aquin (wie Anm. 195), Pars 1, quaest. 27, art. 1, S. 305a–306b: Utrum processio sit in divinis. Bei Thomas werden auch zuerst die Auffassungen von Arius und Sabellius einander gegenübergestellt, ebd., S. 305a–b. Anschließend geht er, wie Paulus Cortesius hier, mit einer inhalt­lichen Erörterung der Problematik weiter. 201 perinde … dimanant] om. B2. 202 Vgl. Aurelius Augustinus, In Iohannis evangelium tractatus CXXIV (Corpus Christiano­ rum Series Latina 36), hg. v. Radbodus Willems, Turnhout 1954, Tract. 45, n. 5, S. 390: Arius dicit: Aliud est Pater, aliud est Filius. 203 effectum] effectu R, P. 204 Ambrosius Mediolanensis, De fide ad Gratianum Augustum (Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum 78), hg. v. Otto Faller, Wien 1962, Lib. 1, cap. 1, n. 6, S. 6 – 7: Adsertio autem nostrae fidei haec est, ut unum deum esse dicamus neque ut (…) Sabellius patrem confundamus et verbum, ut eundem patrem adseramus et filium (…). 205 Vgl. Thomas von Aquin (wie Anm. 195), Pars 1, quaest. 27, art. 2, S. 309a–310b. 206 Vgl. Thomas von Aquin, ebd. 207 πρόσωπον] πρώσωπον B, P, B2. 208 Vgl. Thomas von Aquin (wie Anm. 195), Pars 1, quaest. 27, art. 3, S. 311b: Unde et prae­ ter processionem verbi, ponitur alia processio in divinis, quae est processio amoris. Und ebd., art. 4, S. 313b: Processio autem quae attenditur secundum ra­tionem voluntatis, non consideratur secundum ra­tionem similitudinis, sed magis secundum ra­tionem impellentis et moventis in aliquid. Et ideo quod procedit in divinis per modum amoris, non procedit ut genitum vel ut filius, sed magis procedit ut spiritus (…).

Scholastik und Humanismus 311

ferrum usu splendescit, Spiritum tamquam amoris actum dimanare censet, affirmans in his, quae in rerum divinarum no­tione versantur, divorum coetum sequendum esse ducem, qui 209 in omni methodice christiana spiritum amorem nominent. Henricus autem, qui pervenire ad triumviratum cupit, ex his rebus affirmat, quae usu experimur, nos debere ad naturae divinae no­tionem permeare, quandoquidem in nobis tergeminae divinitatis simulacrum 210 insidere dicatur. At cum aiat  nos duplex amoris experiri genus, quorum unus blandissimus 211 212 ex rei obiectae invitamento  oriatur, alter igneus et  exardescens sit, quo voluntas ad rem 213 obiectam impellatur, utrumque analogica colla­tione in Deo esse opinatur. Nos vero, cum 214 215 dicamus quippiam οὐσιῶδες  amoris divinitatisque  actu in divinitate progredi, facile 216 sequi volumus prosopon aliquam  esse, amoris et voluntatis progressione manantem. Sed cum perspicuum sit nullam quam Spiritus prosopon videri, in promptu esse dicimus Spiritum amoris voluntatisque progressu dimanare. Sed causa Scoto exoritur, cur nolit a Parente et Filio spiritum natura educi? Cui ita est Gregorius Ariminensis assensus, ut nec 217 eum libere dimanare opinetur. At vero cum affirmamus Filium intelligentiae modo ut verbum, ac Spiritum voluntatis modo ut amorem progredi, necesse erit confiteri nobis amorem a verbo dimanare. Idque maxime rerum ordine probatur. Siquidem numquam cernere licet ab uno plura sine ordine progredi, nisi in eorum genere, quae inter se materia differant, ut figulus ollas materia inter se distinctas tornat, quae inter se nullum certum ordinem nanciscuntur. At in his generibus, in quibus nulla est materiae distincta descriptio, 218 219 semper ordinem reperiri dicimus. Quod si ab una Parentis persona πρόσωπα  duas  220 dimanare  affirmabimus, fatendum erit etiam a nobis in his ordinem quempiam versari.

209 Johannes Duns Scotus, Lectura (Opera Omnia 17), Civitas Vaticana 1966, Lib. 1, dist. 10, quaest. un., n. 5, S. 116: Respondeo quod Spiritus Sanctus producitur per actum voluntatis (…). Und ebd., n. 27, S. 124: Unde Spiritus Sanctus est amor divinae essentiae (…). 210 aiat] ait B2. 211 invitamento] iuvitamento B. 212 et] om. P. 213 Heinrich von Gent, Summa quaes­tionum ordinariarum, Bd. 2, Paris 1520 (ND Louvain 1953), Art. 61, quaest. 5, fol. 177vC: Sicut enim est quaedam notitia simplex et essentialis et quaedam declarativa sive illustrativa et personalis, quae Verbum est secundum superius declarata, sic est quidam amor simplex et essentialis et quidam incentivus sive gratificativus et personalis, qui zelus dici potest, et se habet ad Spiritum Sanctum sicut se habet Verbum ad Filium. 214 οὐσιῶδες] ὅυσιωδης R, οὐσιωδὲς B, B2, ôυσιωδες P. 215 divinitatisque] an scribendum voluntatisque? 216 aliquam] an scribendum aliquod? 217 Gregorius von Rimini, Lectura super primum et secundum Sententiarum, Bd. 2 (Spätmittelalter und Reforma­tion. Texte und Untersuchungen 7), hg. v. Venicio Marcolino u. a., Berlin 1982, Lib. 1, dist. 10, quaest. 1, S. 167: Tertia (sc. conclusio, MH), quod spiritus sanctus producitur naturaliter et non libere. 218 πρόσωπα] πρώσωπα R, B, B2, P. 219 duas] an scribendum duo? 220 dimanara] dimare R.

312 Maarten J. F. M. Hoenen At cum nullum his praeter naturae ordinem ascribi posse videamus, quo unus ab altero existit, fieri non posse scimus, ut Filius et Spiritus ita a Parente progrediantur, ut eorum 221 nemo ab altero dimanet, nisi in his materiae distincta descriptio statuatur, quod fieri ullo modo in Dei natura nequit. Ex quo fas erit confiteri Spiritum a Filio dimanare. Itaque ob eam causam divinitati prosopa ascribimus, inquirimusque primo, an hae inter se aequales esse dicantur. In quo non desino eorum haereticorum letalem stolidissimamque superbiam illudere, qui opinionum pravitate lacerarunt Deum. Quod enim dolium tam 222 pertusum quam Macedonius Pontifex inveniri potest, cui Spiritus non videtur Deus? Aut 223 quid  Donato Numida crassius, qui Africam totam hoc taetro latice respersit, ut Parente 224 225 Filius et Spiritus Filio minor videretur? Nam  quid de Eumonio moroso sophista dicam, 226 a quo est divinitati dissimilitudo adiecta? Quid Priscillianum commemorem, qui ut 227 228 229 bigener  quoddam  monstrum conflaret, gnostica et manichea venena permiscuit? Iam quid Arium nominem ardentium haereticorum follem, qui in divinitate multitudinem 230 tamquam gradus minoris gentium adiunxit? Nonne satius fuisset nullum eis tributum

221 statuatur] statnatur R. 222 Corpus iuris canonici, hg. v. Aemilius Friedberg, Pars prior: Decretum magistri G ­ ratiani, Leipzig 1879, Pars 2, causa 24, quaest. 3, canon 39, n. 43, S. 1004: Macedoniani a Mace­ donio episcopo sunt dicti, negantes Deum esse Spiritum sanctum. 223 quid] om. P. 224 Aurelius Augustinus, Sermones (Patrologia Latina 38), hg. v. Jacques-­Paul Migne, Paris 1845, Sermo 183, cap. 5, n. 9, S. 991: Donatista quid? Donatistae plurimi hoc confitentur de Filio quod nos, quod aequalis sit Patri Filius, ejusdemque substantiae; alii vero eorum, ejus­ dem quidem substantiae confitentur, sed aequalem negant. Und Hieronymus, Liber de viris inlustribus (Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchrist­lichen Literatur 14), hg. v. Ernest C. Richardson, Leipzig 1896, Cap. 93, S. 46: Donatus, a quo Donatiani per Africam sub Constantino Constantioque principibus, adserens a nostris Scripturas in persecu­tione ethnicis traditas totam paene Africam et maxime Numidiam sua persuasione decepit. 225 nam] an scribendum num? 226 Aurelius Augustinus, De haeresibus (Corpus Christianorum Series Latina 46), hg. v. Roel Vander Plaetse / Clemens Beukers, Turnhout 1969, Cap. 54, S. 324: Eunomius quippe in dialectica praeualens, acutius et celebrius defendit hanc haeresim, dissimilem per omnia patri asserens filium, et filio spiritum sanctum. 227 bigener] an scribendum bigenerum? 228 quoddam] quondam R, B, B2. 229 Ebd., Cap. 70, n. 1, S. 333: Priscillianistae, quos in Hispania Priscillianus instituit, maxime Gnosticorum et Manichaeorum dogmata permixta sectantur, quamuis et ex aliis haeresi­ bus in eos sordes tamquam in sentinam quandam horribili confusione confluxerint. 230 Ders., Sermones, in: Miscellanea Agostiniana, Bd. 1: Sancti Augustini sermones post Maurinos reperti (Sermones ex collec­tione Guelferbytana 11), hg. v. Germanus Morin, Rom 1930, S. 474 – 478, bes. S. 477: Item Arrianus: Duo sunt, unus maior, alter minor, non aequali substantia.

Scholastik und Humanismus 313

esse ingenium, quam tanta cum lue datum? Quamquam intelligi potest eos, cum nocere 231 vellent, profuisse, provisumque a Deo ut eorum adumbratis  praestigiis veritatis lumen eluceret. At quanto melius ex nostris divus Thomas aequalitatem in divinitate statui 232 oportere putat, cum maius et minus in Dei natura versari posse negat. Nobis vero, si divinitati aequalitatem adimendam esse placeret, confitendum etiam esset nullo modo 233 234 235 οὐσίαν  unam in tergemina divinitate existere, nec πρόσωπα  tres  unum existere 236 Deum, quod fieri nullo modo potest. Ergo necesse videri debet, ut aequalitas  in divinitate statuatur. 237

Sed quaerendum hoc loco videtur, an πρόσωπον  dimanans principio suo sit in aeternitate par. Arius enim duodecim generandi genera inducit, quae asseclis suis 238 tamquam chrias ediscendas praebuit. Ex quibus multitudo illa appendix, varia est monstrorum genera commenta. At divus Thomas detrahendarum controversiarum 239 causa Filium affirmat Parenti in aeternitate esse parem, cum praeclare  notum sit 240 Filium a Parente non voluntate, sed natura generari. Itaque parentis naturam ab aeternitate absolutam esse dicit, ac ut Filium parenti, ita Spiritum utrique aeternum 241 esse parem. Sed cum Parens  is sit, a quo alius dimanet, facile intelligi posse putat Parentem principium debere dici. In quo affirmat a Graecis principii et causae nomen 242 ἀδιάφορως  misceri, rectiusque nostros principii nomine uti, cum nomen quo latius videatur, eo aptius divinitati congruat, quare divinae naturae nomina imponimus, 243 quatenus eius absolutio in rerum creatarum  absolu­tione splendescit, multaque

231 adumbratis] adumbrantis R. 232 Thomas von Aquin (wie Anm. 195), Pars 1, quaest. 42, art. 1, S. 435b: Respondeo dicendum quod necesse est ponere aequalitatem in divinis personis. 233 οὐσίαν] οὐσιαν P. 234 πρόσωπα] πρώσωπα R, B, B2, P. 235 tres] an scribendum tria? 236 ut aequalitas] aequalitas ut P. 237 πρόσωπον] πρώσωπον R, B, B2, P. 238 Vgl. Candidus Arianus, Liber de genera­tione divina ad Marium Victorinum rhetorem (Patrologia Latina 8), hg. v. Jacques-­Paul Migne, Paris 1844, S. 1014 – 1020, bes. S. 1015 (n. 4). Diese zwölf Arten der Genera­tion werden von Thomas aufgelistet in Thomas von Aquin (wie Anm. 195), Pars 1, quaest. 42, art. 2, S. 438a: Arius enim duodecim modos genera­tionis assignat. Primus modus est (…). 239 praeclare] praeclar R. 240 Thomas von Aquin (wie Anm. 195), Pars 1, quaest. 42, art. 2, S. 438b–439a: Respondeo dicendum quod necesse est dicere Filium esse coaeternum Patri. (…) Manifestum est autem secundum praemissa, quod Pater non generat Filium voluntate, sed natura. (…) Relinquitur ergo quod Filius fuit, quandocumque fuit Pater. 241 parens] par ens B2. 242 ἀδιάφορως] ἀδιαφόρως R, B1, P, ἀδιαφώρως B2. 243 creatarum] creaturarum B, B2.

314 Maarten J. F. M. Hoenen 244

245

etiam interdum metaphoricos inducimus. Ex  quo fatendum erit naturae ordinem in divinitate statui, cum semper ordo ad quodpiam principium colla­tione referatur. Sed intelligendum est origine ordinem sine antegressione statui, qui divo Augustino 246 247 auctore  naturae ordo dicatur. Finis primi libri Sententiarum.

248

244 Vgl. ebd., Pars 1, quaest. 33, art. 1, ad. 1, S. 358a–b: Ad primum ergo dicendum quod Graeci utuntur in divinis indifferenter nomine causae, sicut et nomine principii, sed latini doctores non utuntur nomine causae, sed solum nomine principii. Cuius ratio est, quia principium communius est quam causa (…). Quanto autem aliquod nomen est communius, tanto convenientius assumitur in divinis, ut supra dictum est, quia nomina, quanto magis spe­ cialia sunt, tanto magis determinant modum convenientem creaturae. 245 ex] et B2. 246 auctore] autore B2. 247 Aurelius Augustinus, Contra Maximinum Haereticum (Patrologia Latina 42), hg. v. Jacques-­Paul Migne, Paris 1845, Lib. 2, cap. 13, n. 8, S. 775: Non enim genitorem ab eo quem genuit, sed genitum a genitore mitti oportebat: verum haec non est inaequalitas substantiae, sed ordo naturae; non quod alter prior esset altero, sed quod alter esset ex altero. Vgl. Thomas von Aquin (wie Anm. 195), Pars 1, quaest. 42, art. 3, S. 439b: Unde oportet ibi (sc. in Gott, MH) esse ordinem secundum originem, absque prioritate. Et hic vocatur ordo naturae secundum Augustinum, non quo alter sit prius altero, sed quo alter est ex altero. 248 finis ... Sententiarum] primi Sententiarum libri finis B, B2.

Olaf Breidbach

Zur Logik der Forschung um 1500. Über die Entstehung der experimentellen Naturwissenschaften im Kontext der Medizin1 

Es sind nicht die Demonstra­tionsexperimente der Physik, die in der Tradi­tion von Thomas Bradwardine 2 und Nikolaus von Oresme 3 Reak­tionsprinzipien zu demonstrieren vermochten, in denen das experimentelle Verfahren der Naturforschung gründet. Die Tradi­tion des experimentellen Erschließens gründet vielmehr in der Tradi­tion des alten experimentum, das sich im Rahmen der medizinischen Forschung systematisierte. Deren theoretische Bearbeitung sucht nach einer sach­lichen Begründung des in den empirischen Wissenschaften zulässigen vollkommenen Beweises, wie sie schließ­lich Jacopo da Forli 4 in seiner Methodenlehre fixiert, dem regressus oder der demonstratio circularis, in der bei einem Sachverhalt einmal analytisch von den Folgen auf die Gründe, und, dazu ergänzend, aus den Gründen auf die Folgen zu schließen ist. Der

1 Olaf Breidbach verstarb während der Arbeit an der Druckfassung am 22. Juli 2014. ­Carlies Maria Raddatz-­Breidbach fügte die Anmerkungen hinzu. 2 Thomas Bradwardine (um 1290 – 1349), Theologe, Mathematiker und Naturphilosoph, wirkte 1321 – 1337 an der Universität Oxford (Prokurator seit 1325), seit 1337 als Kanzler an St. Paul’s zu London. Er begleitete 1346 – 1349 Edward III. auf seinen Frankreichfeldzug, wurde 1349 zum Erzbischof von Canterbury geweiht, s. H. L. L. Busard, Bradwardine, Thomas, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 2 [1983] (Lizenzausgabe der Wissenschaft­ lichen Buchgesellschaft), Sp. 538 f. 3 Nikolaus von Oresme (um 1320 – 1382), Theologe, Physiker, Mathematiker und Ökonom, war seit 1356 Großmeister des Kollegs von Navarra zu Paris, seit 1362 Dekan der Kathedrale zu Rouen, seit 1377 Bischof von Lisieux, außerdem seit 1359 Erzieher des späteren Königs Charles V. von Frankreich, s. Jürgen Mittelstraß, Oresme, Nikolaus v., in: Enzyklopädie und Wissenschaftstheorie, Bd. 3, Stuttgart, Weimar 1995, ND 2004, S.  1089 – 1091. 4 Jacopo da Forli (Jacobus de Forlivio) (um 1360 – 1414) lehrte 27 Jahre Logik, dann Medizin in Padua. Seine Quaes­tiones in artem medicinalem Galeni „became … the norm for succeeding professors of theoretical medicine”, Charles H. Talbot, Medicine, in: David C. Lindberg (Hg.), Science in the Middle Ages (The Chicago History of Science and Medicine), Chicago, London 1978, S. 391 – 428, S. 418.

316 Olaf Breidbach

Regress war einer der Hauptpunkte der wissenschaftstheoretischen Diskussion, anknüpfend an Galen 5 über Averroës 6 bis in die Renaissance. Es ging darum, mit Hilfe der Logik Ursachen der natür­lichen Phänomene aufzufinden. Es wäre also zu einfach – Brecht folgend – den Umbruch im wissenschaft­ lichen Denken an dem – im weiteren Sinne gespannt zu denkenden – Moment festzumachen, in dem Galileo Galilei 7 seinen Kritikern den Blick durch das Fernrohr offerierte, und hier nun der eine sich auf d ­ ieses neue „Einsehen“ einließ und demnach neue Erfahrungen machte, die das Tor zu einer neuen Weltsicht öffneten; wohingegen der andere, der sich dieser neuen apparativ gelenkten Einsicht verschloss, im altvorderen Denken verblieb.8 Diese Sicht wäre zu einfach. Es ist nun nicht so, dass man die Dinge mittels des Apparates schlicht einsehen kann. Vielmehr steht die Apparatur zunächst vor den Dingen. Und so ist solch eine Apparatur zunächst zu evaluieren. Die Sonnenflecken, die im Teleskop erscheinen, werden in Jena noch im Jahr 1760 atmosphärischen Verun­reinigungen zugeschrieben.9 Die Mondlandschaft, die im Fernrohr als fein differenziertes Relief erscheint, ist zunächst als Bild zu interpretieren. So sammelt Galilei unermüd­lich Material, 5 Zu Claudius Galenus (Galen) (131–um 216 n. Chr.) Olaf Breidbach, Geschichte der Naturwissenschaften. Bd. 1: Die Antike. Heidelberg 2014, S. 335 – 346; „der bedeutendste Arzt der römischen Antike“ (S. 335) wirkte in Pergamon und Rom und hinterließ 300 Werke. 6 Averroës (I Abu Al-­Walid Muhammad ibn Ahmad ibn Muhammad ibn Ahmad ibn Ahmad ibn Ruschd) (1126 – 1198), Philosoph und Arzt, 1169 – 1171 Kadi in Sevilla, 1171 – 1182 Kadi in Cordoba, seit 1182 Leibarzt des Almohaden Yusuf, unter dessen Nachfolger A ­ l-­Mansur wurde er 1195 als Irrlehrer verurteilt. Seine Aristoteleskommentare beeinflussten wesent­lich die mittelalter­liche Aristotelesrezep­tion, s. Otto Mazal, Geschichte der abendländischen Wissenschaft des Mittelalters, Bd. 1, Graz 2006, S.  353 – 356. 7 Galileo Galilei (1564 – 1642), Mathematiker, Physiker, Astronom und Philosoph, lehrte seit 1589 in Pisa, ab 1592 in Padua, seit 1610 war er Hofmathematiker Großherzog ­Cosimos II. in Florenz. Sein Eintreten für das kopernikanische Weltbild führte schließ­ lich 1633 zu seiner Verurteilung durch die Inquisi­tion, s. Peter Janich, Galilei, Galileo, in: Enzyklopädie und Wissenschaftstheorie, Bd. 1, Stuttgart, Weimar 1995, ND 2004, S.  700 – 703. 8 Bertolt Brecht, Leben des Galilei, 20. Aufl. Berlin, 1976, S. 27 f. 9 S. Otto Knopf, Die Astronomie an der Universität Jena: von der Gründung der Universität im Jahre 1558 bis zur Entpflichtung des Verfassers im Jahre 1927, in: Zeitschrift des Vereins für thürin­gische Geschichte und Altertumskunde 7 (1937), S. 103 f.

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um aufzuzeigen, dass die im Teleskop detailliert nachzuzeichnende Helldunkel­ grenze des auf den Mond fallenden Erdschattens in der Tat ein Relief moduliert.10 Er muss gleichsam eine Bildsequenz produzieren, in der die Umzeichnung des Mondreliefs in der Folge der genau abgestimmten Bilder deut­lich wird. Es ist also nicht der einfache Blick durch das Fernrohr, es ist dessen eingehende Interpreta­tion mittels einer exakten Darstellung der Bildfolgen, in denen der Mond als Gebirgslandschaft erscheint.11 Und noch viel problematischer ist der von Brecht als so einfach beschriebene Blick auf die Mediceischen Gestirne, die Jupitermonde, deren Existenz als Planetensystem im Kleinen das kopernikanische Modell so unmittelbar anschau­lich zu machen schien.12 Was im Fernrohr zu sehen ist, ist aber nicht die Bahn dieser Jupitermonde, sondern immer nur eine Reihe von Punkten, die in einer je wechselnden Distanz zu Jupiter vor einem zudem auch fortwährend wechselnden Hintergrund zu betrachten sind. Es sind Punktmengen, die im Fernrohr, das keine Raumtiefen erkennen lässt, überhaupt erst in einem Grundordnungsbezug zu beschreiben sind. Der aber wechselt, da die Monde sich um Jupiter drehen und so in immer wechselnden Distanzen zu ihm posi­tioniert erscheinen. Es bedarf der Bildfolge, in der immer wieder neu die je wechselnden Konstella­tionen gerade dieser Punkte sichtbar zu machen sind, die dann sekundär – das heißt interpretiert vor dem Hintergrund der Annahme, dass es sich hier ja um Trabanten handeln könnte – als Elemente bestimmt sind, die Jupiter umkreisen. So beschreibt Galilei: Am 18., 020 Stunden nach Sonnenuntergang bot sich folgender Anblick: … [schematisierende Zeichnung Galileis] der öst­liche Stern war größer als der west­liche und 8‘ vom Jupiter entfernt; der west­ liche war 10‘ vom Jupiter entfernt. Am 19., um die zweite Nachtstunde standen die Sterne in folgender Anordnung: … [schematisierende Zeichnung Galileis]

10 Galileo Galilei, Sidereus Nuncius. Nachricht von neuen Sternen, hg. u. eingeleitet v. Hans Blumenberg, 3. Aufl., Frankfurt a. M. 2014, S. 87 – 96 (Sidereus Nuncius. Magna, longeque admirabilia spectacula pandens, suspiciendaq q́ue proponens vnicuique, praesertim verò philosophis, atq́[ue] astronomis, Venedig 1610). 11 Zu den Illustra­tionen Galileis s. Olaf Breidbach, Bilder des Wissens. Zur Kulturgeschichte der wissenschaft­lichen Wahrnehmung (Bild und Text), München 2005, S. 105 – 110. 12 Brecht, Galilei, S. 44 – 48.

318 Olaf Breidbach drei Sterne lagen haargenau auf einer geraden Linie mit dem Jupiter: einer öst­lich, vom Jupiter 6‘ entfernt; z­ wischen dem Jupiter und dem ersten west­lich anschließen13 den lag ein Abstand von 5‘ […].

Das heißt, ich brauche die ­Theorie, um das Erscheinungsbild zu interpretieren. Was mache ich also, will ich wie Galilei arbeiten? Ich schaue nicht einfach hin und bin dann entzückt von der Sicht auf eine mir qua Apparatur verfügbare Himmelsmechanik. Vielmehr beobachte ich einen Phänomenbereich und isoliere in ihm zunächst interessante Teilphänomene. Das heißt hier: eine bestimmte, in bestimmten Regularitäten erscheinende Punktmenge. Dabei erarbeite ich in deren Zusammenstellung Korrela­tionen, die ich durch Zeichnungen dokumentieren kann, und über die eine Teilmenge der Lichtpunkte vor dem Sternenhintergrund als aufeinander bezogen auszuweisen ist. Damit habe ich dann das System der Jupitermonde als solches zunächst isoliert und kann dies nun unter wechselnden Hintergrundkonstella­tionen betrachten. Daraus folgt, dass die hier betrachteten, in ihren Distanzverhältnissen zu Jupiter als regelmäßige Konfigura­tionen zu beschreibenden Lichtpunkte Objekte zeigen, die in der Tat auf Jupiter bezogen sind. Es sind also nicht Sterne, sondern Monde, die um Jupiter kreisen, die hier zu sehen sind. Dies ist der erste Teil des Regressus Galileis. Umgekehrt kann ich nun unter der Voraussetzung, dass Jupiter Trabanten hat, die zu ihm in bestimmten Abstandsverhältnissen stehen, folgern, wie deren Bahnen gestaltet sein müssen. Als analoger Fall dient die Bahn der Venus um die Sonne. Die Venus durchläuft Phasen wie der Mond; diese sind nach dem Modell des Kopernikus interpretierbar. Daraus kann ich dann weiter folgern, wie die wechselnden Posi­tionen dieser Monde auf den um Jupiter kreisenden Bahnen für einen Beobachter ausschauen müssen, der sie aus großer Entfernung von der Seite betrachtet. Es zeigt sich, dass ich mit dieser Hypothese die Beobachtungen der Posi­tionen der Himmelskörper bestimmen kann, die den erarbeiteten Beobachtungen Galileis zu den Mediceischen Sternen entsprechen. Zweiter Teil des Regressus des Galilei. Genau diese beiden Schritte hat Galilei unternommen. Und so zeigt die Fülle an Posi­tionsdaten, die er registriert, seine Mühe, das empirische Material zu erarbeiten, das dann zu einer Vorstellung führt, die er – ausgehend von der Hypothese, dass es sich um Trabanten handelt, die Jupiter umkreisen – in

13 Galilei, Sidereus, S. 115.

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eine Modellvorstellung umsetzen kann, die in ihren Konstella­tionen genau dem entspricht, was er in seinen Beobachtungen registrierte. Was zu beweisen war. Genau dies ist auch die Methode des Regressus, die Galilei in Padua aufnahm und die er nun in dieser Art des experimentellen Beobachtens methodisch sicherte. Davon zu unterscheiden ist der Galilei, der ausgehend von prinzi­piellen Vorstellungen zu den Gesetzmäßigkeiten einer Mechanik dann von den spezifischen Bedingungen der Welt unter dem Mond abzusehen hat, um die Erfahrungen in ein Erklärungsgrundgefüge einzubinden, das er dann jeweils – nachdem er es gefunden hat – in vereinfachenden Experimenten demonstriert. Hier wird im Experiment eine Vorstellung demonstriert, wobei die Interpreta­tion des Experiments ggf. von den es bestimmenden Randbedingungen absieht. Darauf kommen wir noch einmal zurück. Der seine Beobachtungen ordnende Galilei, der die Posi­tionen der Sterne in ein Vorstellungsgefüge einbindet, steht in einer anderen Tradi­tion, der Tradi­tion einer medizinischen Diagnosepraxis, die – theoretisch aufbauend auf den Reflexionen zum aristote­lischen Zugang zur Erfahrung, im Sinne der averroistischen Interpreta­tionen – explizit in direkter Tradierung der Medizin zu verorten ist. Diese Linie führt zurück zur Schule von Salerno,14 die sich ­zwischen dem 10. und 13. Jahrhundert – in direktem Kontakt mit der arabischen medizinischen Tradi­ tion, vermittelt über die Übersetzungen des Constantinus Africanus 15 – mit der klas­sischen galenischen Medizin beschäftigte. Dies geschah nicht nur theoretisch, sondern auch in einer eigenständigen Überprüfung von Erfahrungswerten, im Rahmen von Sek­tionen, und etwa auch in einer fortlaufenden Erweiterung des pharmazeutischen Kenntnisstandes. In dieser Schule, die im Übrigen auch Frauen als Scholaren wie als Magister zuließ,16 wurde ganz im Galen’schen Sinne seziert. Als Objekte dienten – wie bei Galen – Schweine,17 wobei die Interpreta­ tion physiolo­gisch-­anatomischer Spezifika auf Grund der dem Menschen analogen Ernährung direkt zuordenbar erschien und so zumindest indirekt Einblick in die prinzipiel­len Verhältnisse beim Menschen zu geben schien. Diese unter 14 S. Walter Bruchhausen / Heinz Schott, Geschichte, T ­ heorie und Ethik der Medizin, Göttingen 2008, S. 53 f. 15 Zu Constantinus Africanus (um 1065 – 1085), Benediktinermönch in Monte Cassino, s. David C. Lindberg, Die Anfänge abendländischen Wissens, übers. v. Bettina Obrecht, München 2000 (amerik. Originalausgabe Chicago 1992), S. 343. 16 David C. Lindberg, a. a. O., S. 342. 17 S. Breidbach, Geschichte, S. 341.

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averroistischem Einfluss stehende Galen-­Rezep­tion wurde dann ab etwa 1300 vor allem auch in Padua 18 bedeutsam und hier im Weiteren um eine explizite Beweislehre bereichert. Dabei ging es um die sach­liche Begründung eines „vollkommenen Beweises“ für die empirischen Wissenschaften. In dieser Diskussion bildete sich ein doppeltes Verfahren heraus: einerseits die Analyse der für einen Phänomenkomplex bedeutsamen Einzelheiten und andererseits die Deduk­tion der mög­lichen Begründungen für ein postuliertes Wirkgefüge. Dazu war es zum einen über die Demonstra­tion der Gründe für eine bestimmte Folge in der Gerichtsmedizin mög­lich – etwa in Bologna ab dem 13. Jahrhundert –, eine Todesursache festzustellen. Andererseits war aber – synthetisch – von den Gründen auf die Folgen zu schließen. Das waren also – zum einen – die Figur der Demonstra­tion, in der aufzuweisen war, dass immer dann, wenn bestimmte Veränderungen auftraten, eine bestimmte Folge zu konstatieren war, wohingegen umgekehrt – zum anderen – aus der Darstellung des erschlossenen Zusammenwirkens eine Folge bei entsprechender Verursachung zu postulieren war. War also festzustellen, dass eine entsprechende Folge nun in der Tat mit den postulierten Veränderungen einherging, so war ein Wirkgefüge erschlossen. Damit war für die Empirie ein Begründungshorizont aufgewiesen, der diese nur auf den je betrachteten Ursache-­Wirkungs-­Kontext eingrenzte. Die hier beschriebenen Zusammenhänge und der Beweis von deren Gültigkeit waren also unabhängig von einem übergeordneten Wissensordnungsmodell. Die üb­liche Differenzierung von artes und scientia entzieht derart also der Kunst nicht etwa jedes Beweismoment, zeigt diese allerdings eingegrenzt auf einen bestimmten Erfahrungshorizont. Wir kennen dies explizit nur wenig ­später aus der Differenzierung des ­Pomponazzi,19 der zwei Aspekte der scientia voneinander unterschied: die ontolo­gische scientia und die scientia quoad nos. In seinem 1413 erschienenen Kommentar „Super Tegni Galeni“ wird der Paduaner Mediziner Jacopo da Forli bereits explizit. Er entwickelt die vorab 18 Die Schule von Padua hatte „auf aristotelischer Seite maßgeblichen Einfluß auf die Entstehung der neuzeitlichen Naturwissenschaft“, Jürgen Mittelstraß, Padua, Schule von, in: Enzyklopädie und Wissenschaftstheorie, Bd. 3, Stuttgart, Weimar 1995, ND 2004, S. 21 f., S. 21. 19 Pietro Pomponazzi (1462 – 1524), Philosoph und Mediziner, lehrte ab 1488 in Padua, ab etwa 1510 in Bologna, s. Jürgen Mittelstraß, Pomponazzi, Pietro, in: Enzyklopädie und Wissenschaftstheorie, Bd. 3, Stuttgart, Weimar 1995, ND 2004, S. 288 f.

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skizzierte Methodik als explizite Methodenlehre der Lehre von Resolu­tion und Komposi­tion. Von einer Beobachtung ausgehend, wird ein Erfahrungskomplex in seine Bestandteile zerlegt: Das Fieber [ist] in seine Ursachen [aufzulösen], da jedes Fieber von der Erhitzung entweder der Säfte oder des Gemütes oder der Gliedmaßen herrührt; weiterhin stammt die Erhitzung der Säfte entweder aus dem Blut oder aus dem Schleim u. s. w., bis man schließ­lich auf die spezifische und deut­liche Ursache stößt und zur Erkenntnis ­dieses 20 Fiebers gelangt.

Das bedeutet also, dass das Fieber nicht einfach nur als Krankheitszustand angenommen wird, sondern auf spezifische – organische – Ursachen hin zurückzubeziehen ist. Daraufhin kann dann eine Hypothese über die Ursache des Fiebers formuliert werden, die insofern aus der Beobachtung abgeleitet wurde. Diese abgeleitete Folgerung legt dann ein Experiment respektive eine nach diesen Prämissen erfolgende Diagnostik – etwa im Rahmen einer Sek­tion – nahe, worüber die insoweit aufgestellte Hypothese zu verifizieren ist. Nach ­diesem Verfahren – und das ist Lehrstoff von da Forli – sind dann auch Sek­ tionen anzulegen, über die eine Todesursache festgestellt werden kann, aber auch Therapien verifiziert werden können. Und in Folge dieser Überlegungen behauptete dann Agustino Nifo 21 um 1506, „da die Hypothesen der Naturwissenschaft auf den Tatsachen beruhen, die sie erklären sollen, besteht die ganze Naturforschung aus nichts anderem als Mutmaßungen und Hypothesen“.22 Das klingt zunächst abwertend, setzt diese Naturforschungen aber aus dem Ordnungsgefüge einer umfassenden Wissenschaftslehre frei. Und da mit dem Prozess von Resolu­tion und Komposi­tion, den er als Regressus in einem gleichsam lokalen, das heißt nur auf bestimmte Aussagezusammenhänge bezogenen Beweisverfahren expliziert hat, sind ­solche 20 Jacopo da Forli, „Super Tegni Galeni“ Text 1 (1413), zitiert nach: Alistair C. Crombie, Von Augustinus bis Galilei. Die Emanzipa­tion der Naturwissenschaft (1959), München 1977, S. 261. 21 Agustino Nifo (1473 – 1546), Philosoph und Mediziner, lehrte ca. 1492 – 1499 in Padua, ­später in Neapel und Salerno, ab 1514 in Rom, von 1519 – 1522 in Pisa, 1522 – 1535 in Salerno, s. Jürgen Mittelstraß, Nifo, Agostino, in: Enzyklopädie und Wissenschaftstheorie, Bd. 3, Stuttgart, Weimar 1995, ND 2004, S. 1015 f. 22 Crombie, a. a. O., S. 262.

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Detailaussagen methodisch gesichert. Es gibt also so etwas wie einen empirischen Beweis. Anders formuliert: Die Künste sind sich ihrer Einzelaussagen – die sie allein im Rahmen ihrer jeweiligen Erfahrungszusammenhänge begründen – sicher. So wird die ­Theorie des Regressus, das heißt des Rückgehens vom Bedingten zur Bedingung, um 1500 als explizite Methodenlehre fixiert. Frei von theolo­ gischen und metaphy­sischen Grundüberlegungen erlaubt es diese Methode, für Beobachtungen auch nur in einem Teilkomplex des Gesamterfahrungszusammenhanges ein Ursache-­Wirkungs-­Gefüge aufzuweisen. Die Grundidee war also, einen Erfahrungskomplex in seine Bestandteile aufzulösen, dann Hypothesen zu formulieren, inwieweit die Einzelkomponenten des Erfahrungszusammenhanges aufeinander bezogen sind. Ausgehend von dieser Vorstellung kann dann ein Experiment konzipiert werden, welches verifiziert, dass die angenommene Kombina­ tion der zu erfahrenden Teilmomente des analysierten Erfahrungskomplexes nun in der Tat zu einem der formulierten Hypothese entsprechenden Resultat führt. Und dies führt nun in der Anatomie, die zusehends den Erfahrungsraum überschreitet, der aus den tradi­tionellen Schriften Galens übermittelt ist, zu einer explizit empirisch fundierten Methode der Interpreta­tion funk­tioneller Zusammenhänge. Um hier den Kontext in etwa abzugrenzen, zunächst nur skizzenhaft einige Angaben zum historischen Rahmen dieser Entwicklung um die Mitte des 16. Jahrhunderts: In Paris identifizierte der Anatom Johann Günther von Andernach 23 die Bauchspeicheldrüse.24 Der Anatom Charles Estienne 25 beschrieb u. a. den Gelenkknorpel, den Meniskus und den Feinbau der Knochen. Der Militärchirurg Ambroise 23 Johannes Günther von Andernach (auch: Johann Winther von Andernach oder Johann Winter [1487 – 1574]), Humanist und Arzt, übersetzte u. a. Werke Galens aus dem Griechischen, lehrte seit 1534 Medizin in Paris, das er 1538 verlassen musste, weil er Protestant war, s. http://www.summagallicana.it/lessico/g/GuentherJohannvonAndernach. htm#JohannGuenthervonAndernach (Zugriff: 23. 03. 2015). 24 Richard Toellner, Illustrierte Geschichte der Medizin, Bd. 2, S. 872, Vaduz, Erlangen 1992 (überarb. Sonderausgabe von: Raymond Villey u. a., Histoire de la Médicine, de la Pharmacie, de l’Art Dentaire et de l’Art Vétérinaire, Paris 1978). 25 Charles Estienne (um 1505 – 1564), lehrte 1544 – 1547 Anatomie in Paris. 1551 übernahm er von seinem aus konfessionellen Gründen nach Genf geflüchteten Bruder die Buchdrucke­ rei der Familie. Sein wegen eines Rechtsstreits verspätet veröffent­lichtes illustriertes Anatomie-­Handbuch „De dissec­tione partium corporis humani libri tres“ enthielt bereits viele Erkenntnisse, die die Vesals vorwegnahmen, s. ­Barbara I. Tshisuaka, E ­ tienne (Stephanus), Charles, in: Enzyklopädie Medizingeschichte, ­Berlin 2005, S. 371.

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Paré 26 ermög­lichte mit seiner „Anatomie Universelle du Corps humain“27 auch den Chirurgen den Zugang zur Anatomie. Auch der Chirurg Jacopo Berengario da Carpi 28 in Bologna distanzierte sich in der Anatomie mitunter von der Lehre Galens. Er beschrieb als erster das Herzklappensystem, befasste sich u. a. mit den Gehirnhöhlen und der Epilepsie. Bartolomeo Eustachio 29 in Rom verband umfassende Erfahrungen als Arzt mit wegweisenden anatomischen Erkenntnissen, die er in anatomische Zeichnungen umsetzen ließ.30 Während der Chirurg Paré in Paris umwälzende Verbesserungen in der Wundheilung einzuführen begann – 1545 erschien seine Schrift „La Méthode de t­ raicter les playes“31 –, verlegte Andreas Vesal,32 Schüler Günter von Andernachs und 26 Ambroise Paré (um 1510 – 1590), „Vater der franzö­sischen Chirurgie und der Geburtshilfe“, gelangte zu wesent­lichen Fortschritten in der Heilkunst und wagte es, die Autoritäten Galen und Hippokrates zu kritisieren, s. Barbara I. Tshisuaka, Etienne (Stephanus), Charles, in: Enzyklopädie Medizingeschichte, Berlin 2005, S. 1107 f. 27 Ambroise Paré, Anatomie Universelle du Corps humain, reueue & augmentee par ledit autheur avec J. Rostaing du Bignosc, Paris 1561. 28 Jacopo Berengario da Carpi (um 1470 – 1530) lehrte von 1502 – 1522 in Bologna, 1526 flüchtete er nach Ferrara, s. Gundolf Keil, Berengario de Carpi, Jacopo, in: Enzyklopädie Medizingeschichte, Berlin 2005, S. 165 f. 29 Bartolomeo Eustachio (um 1500 – 1574) kam 1549 als Leibarzt des Kardinals Giulio de la Rovere nach Rom. Dort lehrte er an der Sapienzia Anatomie und obduzierte in Hospitälern Verstorbene. Er beschrieb u. a. die nach ihm benannte Eustachio-­Klappe ­zwischen Mittelohr und Rachenraum. Die für ihn 1552 gefertigten Kupferplatten mit wegweisenden anatomischen Darstellungen wurden erst zu Beginn des 17. Jahrhunderts aufgefunden, s. Barbara I. Tshisuaka, Eustachius, Bartolomaeus, in: Enzyklopädie Medizingeschichte, Berlin 2005, S. 382. 30 Bartolomaeus Eustachius, Tabulae Anatomicae, 1714. 31 Ambroise Paré, La Méthode de traicter les playes faictes par hacquebutes et aultres bastons à feu et de celles qui sont faictes par flèches, dardz et semblables, aussy des combus­tions spécialement faictes par la pouldre à canon, Paris 1545, s. hierzu Wolfgang U. Eckart, Geschichte der Medizin, 5. Aufl. Heidelberg 2005, S. 94 – 96. 32 Andreas Vesal (Andries van Wesel) (1514 – 1564), Sohn eines kaiser­lichen Hofapothekers, studierte in Paris, Leuwen, Brüssel und Padua, wo er 1537 promoviert und sogleich zum Professor der Chirurgie und Anatomie ernannt wurde. Seit 1544 Hofarzt K ­ aiser Karls V., begegnete Vesal im belagerten St. Dizier sur Marne Paré. Nach der Abdankung Karls V. begleitete Vesal, nunmehr Comes palatinus, 1556 Philipp II. nach Spanien, 1564 starb er während einer Pilgerfahrt in das Heilige Land. S. Gerrit Arie Lindeboom, Andreas Vesalius and his Opus Magnum. A Biographical Sketch and an Introduc­tion to the ­Fabrica, Nieuwendijk 1975, S. 1 – 11.

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Estiennes, seit 1537 Professor der Chirurgie und Anatomie in Padua, seine reich illustrierte umfassende neue Anatomie des menschlichen Körpers, das Epoche machende Werk „De humanis corpora fabrica“.33 In Padua entwickelte die Anatomie sich mit dem Wirken Vesals und seines Schülers Gabriele Falloppio 34 zur Leitwissenschaft der Medizin.35 Vesal verwirk­licht die Forderung Galens, Befunde aufgrund eigener Beobachtungen zu überprüfen, wobei ihm, der leidenschaft­lich sezierte, Widersprüche z­ wischen den ausschließ­lich an Tieren gewonnenen anatomischen Erkenntnissen Galens und seinen Sek­tionsbefunden auffielen, so dass er Galen in vielen Details korrigierte. Seine wissenschaft­lich und künstlerisch wertvollen Darstellungen der Muskelsek­tionen zeigen die Beziehungen der Muskeln, Sehnen und K ­ nochen; außerdem gelangen ihm zahlreiche neue Beobachtungen an Arterien, Venen und Nerven. Hierbei listete er Details, die so komplett neu waren und nunmehr eine differenzierte und eben auch über Galen hinausweisende funk­ tionsmorpholo­gische Darstellung erforderten. Dabei ergaben sich neue funk­tionsmorpholo­gische Problemstellungen. Vorauszusetzen habe ich, dass Galen die Vorstellung eines Blutkreislaufes nicht kannte. Ihm zufolge pumpte das Herz Blut aus dem Unterleibsbereich ins Herz hoch, filterte es ­zwischen der rechten und linken Herzkammer ab, die seiner Vorstellung nach durch ein feines Sieb getrennt waren, und pumpte dann leichtes Blut ins Hirn und schweres Blut zurück in den Unterleib und an die Körperperipherie, wo das Gewebe aus dem Blut die Nährstoffe entnahm. Nun war nach Vesals Beobachtung die Scheidewand ­zwischen der linken und der rechten Herzkammer nicht porös. Demnach wäre Galens Vorstellung der Blutzufuhr an das Gewebe des menschlichen Körpers aber zu korrigieren. Wie aber könnte sich dessen Idee einer Art Pumpe, die die Nährstoffe

33 Andreas Vesalius, De humanis corpora fabrica libri septem, Basel 1543 (Reprint Nieuwendijk 1975). Die Abbildungen Johann Stephan van Kalkars (Jan van Kalkar, um 1510 – 1546) machten das Werk zu einem „milestone in the history of the anatomical illustra­tion”, Lindeboom, a. a. O., S. 13. 34 Gabriele Falloppio (1523 – 1562) lehrte Anatomie in Ferrara seit 1548, seit 1549 in Pisa, seit 1551 in Padua. Er erforschte u. a. die weib­lichen Geschlechtsorgane und die Gesichts­ nerven und beschrieb in seinen Observa­tiones anatomicae, Venedig 1561, alle Körperteile, s. Barbara I. Tshisuaka, Fallopia, Gabriele, in: Enzyklopädie Medizingeschichte, Berlin 2005, S. 391 f. 35 Bruchhausen / Schott, a. a. O., S. 63.

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des Blutes und die Wärme der Luft an die peripheren Gewebe übermittelte, nunmehr vor dem Hintergrund einer differenzierten Darstellung des Verlaufs der Blutgefäße verändern? Vesal bildete nunmehr eine erste umfassende Synthese einer Darstellung des menschlichen Körperbaus, die schon in den Darstellungen der relativen Verhältnisse einzelner Organsysteme erste Funk­tionsinterpreta­tionen lieferte. Sie waren aber nun in einer Diskussion mit den physiolo­gischen Vorstellungen der galenischen Tradi­tion zu vermitteln. Schon 1542 hatte der prominente franzö­sische Arzt Jean Fernel 36 erkannt, dass die Arterien an Größe zunehmen, wenn die Herzkammern kontrahieren.37 Er postulierte nun einen Zusammenhang, der aber erst im Kontext einer umfassenden anatomischen Darstellung der Organisa­tion des Herz-­Kreislauf-­ Systems zu verstehen war. Zentral war hierzu die erwähnte Aussage Vesals 1543, dass sich keine Poren im Septum befinden. In zweiter Auflage seiner „Fabrica“ 1555 schreibt Vesal dann auch: „Ich zögere nicht im Geringsten, was die Funk­tion des Herzens in dieser Hinsicht angeht“,38 eben Galen zu korrigieren. Und sehr rasch führt das zu einer umfassenden Umschichtung in der Vorstellung der Organisa­tion physiolo­gischer Prozesse im menschlichen Körper: Vesals Schüler und Assistent Realdo Colombo 39 beschreibt 1559 den kleinen Blutkreislauf ­zwischen Herz und Lunge, den Lungenkreislauf.40 Er kommt

36 Jean Fernel (um 1497 – 1558), Leibarzt Heinrichs II . v. Frankreich, seit 1534 Professor der Medizin in Paris, s. Barbara I. Tshisuaka, Fernel, Jean, in: Enzyklopädie Medizingeschichte, Berlin 2005, S. 394. Sein Werk „De naturali parte medicinae libri septem“, Paris 1542, beeinflusste „für rund 100 Jahre das Denken über die Funk­tionen des Körpers maßgeb­lich“. Karl E. Rothschuh, Physiologie. Der Wandel ihrer Konzepte, Probleme und Methoden vom 16. bis 19. Jahrhundert (Orbis Academicus, Bd. II /15), Freiburg, München 1968, S. 41. 37 Crombie, a. a. O., S. 455. 38 Zitiert nach Crombie, a. a. O., S. 456. 39 Realdo Colombo (um 1510 – 1559), seit 1544 Nachfolger und Konkurrent Vesals in Padua, lehrte 1546 – 1549 in Pisa, ab 1549 in Rom, s. Susanne Hahn, Colombo, Realdo, in: Enzyklopädie Medizingeschichte, Berlin 2005, S. 267 f. 40 Realdus Columbus, De re anatomica libri XV, Venedig 1559. Mit der Illustra­tion seines Werkes beauftragte er Paolo Veronese. Paolo Caliari, gen. Veronese (1528 – 1588) war „neben Tintoretto der bedeutendste Maler der venezianischen Spätrenaissance“, Jan Bialostocki / E. K. J. Reznicek, Paolo Caliari, gen. Veronese, in: Georg Kaufmann, Die Kunst des 16. Jahrhunderts (Propyläen Kunstgeschichte, Bd. 8), Berlin 1970, S. 175 f.

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zu Aussagen über die physiolo­gische Entstehung der Stimme und studiert die Lungenbewegungen. An der Vivisek­tion eines Hundes zeigte er, dass dieser auch noch nach Entfernung des Herzens Bewegungen vollzieht. Das mag brutal anmuten, was es auch ist, hat aber umfassende Konsequenzen – zunächst nicht im Sinne des Tierschutzes, sondern in Blick auf die Vorstellung einer Physiologie des Lebendigen. Ist denn das Herz, wenn solches mög­lich ist, wirk­lich das Organ des Lebens? Colombo räsoniert weiter, sieht das Blut als das, was durch das Herz transportiert wird und so die Lebensprozesse am Laufen hält. Ergo ist es für ihn der spiritus animalis, der in den Pulsarterien pulsiert, der das Leben formiert. Colombo beschreibt die Herzbewegungen und erkennt, dass sich bei der Systole des Herzens (Zusammenziehung) allein die Arterien ausdehnen, bei der Diastole aber kontrahieren. Er öffnet die Venen und findet darin keine Luft – was Galen behauptet hatte –, sondern Blut. Aus all diesen Beobachtungen, bei denen er Teilphänomene seziert und dann zu einem Gesamterklärungsgefüge zusammenbindet, folgert er schließ­ lich, dass das Blut nicht einfach pulsiert, sondern im Körperinnern zirkuliert. Er beschreibt, dass Blut von der Lunge durch die Lungenarterie zur linken Herzkammer geführt und über die rechte Herzkammer dann zurückgeführt wird. Allerdings glaubt er, dass ein Teil des Blutes durch das Septum in die rechte Herzkammer gelangt. Colombos Schüler Andrea Cesalpino 41 schreibt in seinem Werk „Quaes­tionum peripateticarum“42 dann nur wenig ­später, dass das Herz bei der Kontrak­tion Blut in die Aorta zwingt und bei der Ausdehnung Blut aus der vena cava empfängt. Und weiter formuliert er in seinen „Quaes­tionum medicarum“: Das Durchströmen des Herzens ist von der Natur so geregelt, daß ein Strom von der vena cava aus in die rechte Herzkammer fließt, und von daher geht der Weg in die Lunge. Von der Lunge aus gibt es einen anderen Zugang zur linken Herzkammer, und von daher geht der Weg in die Aorta; an der Mündung der Gefäße sind bestimmte Membranen so angebracht, daß ein Rückfluß verhindert wird. Es gibt also so etwas 41 Andrea Cesalpino (Caesalpinus) (1525 – 1603), Naturphilosoph, Botaniker und Arzt, lehrte seit 1556 Botanik in Pisa und leitete den Botanischen Garten. Er war Leibarzt Cosimos I. Medici; 1592 wurde er Arzt Papst Clemens‘VIII. und Professor der Sapien­ zia in Rom. Staffan Müller-­Wille, Cesalpino, Andreas, in: Lexikon der bedeutenden Naturwissenschaftler, Bd. 1, Heidelberg 2007, S. 314 f. 42 Andreae Caesalpini Aretini quaes­tionum peripateticarum libri V, Venedig 1571.

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wie eine Dauerbewegung von der vena cava durch Herz und Lunge in die Aorta […] Wenn wir überlegen, daß im Zustand des Wachseins eine Bewegung der natür­lichen Wärme nach außen, d. h. zu den Sinnesorganen hin, stattfindet, und im Zustand des Schlafes eine entgegengesetzte Bewegung nach innen, d. h. zum Herzen hin erfolgt, dann müssen wir erkennen, daß im wachen Zustand sehr viel Blut und Atem von den Arterien beansprucht wird. Denn durch sie geschieht der Zugang zu den Nerven. Andrerseits kehrt im Schlaf die anima­lische Wärme durch die Venen ins Herz zurück, nicht durch die Arterien, weil der von der Natur geschaffene Eingang in das Herz die vena cava und nicht die Aorta ist. Denn im Schlaf wandert die Eigenwärme von den Arterien in die Venen durch einen Vereinigungsprozess, den man Anastomose nennt, 43 und von dort aus ins Herz.

Das heißt also, die galenische Vorstellung ist aufzugeben. Ich will den weiteren Fortgang der Diskussion hin zu Harveys 44 Nachweis des großen Blutkreislaufs nicht im Detail skizzieren. Darzustellen ist hier nur, wie sich in der Identifika­tion immer neuer Einzelheiten, der Zuordnung der Beobachtungen und in dem so formulierten Funk­tionsmodell ein empirisches Denken formiert, das ganz nach der Methode des Regressus funk­tioniert. Formuliert werden immer neue Hypothesen, die die „sezierten“ Befunde ineinander binden. Diese werden dann wieder ausgeweitet, neu zusammengebunden und in eine Funk­tionsvorstellung gebracht. Dabei erzähle ich Ihnen mit dieser Geschichte der empirischen Forschung keinen Seitenweg, sondern einen der zentralen Stränge in der Wissenschaftsentwicklung der Moderne. Noch Descartes 45 verweist ausdrück­lich auf Harvey – und dessen Darstellung des Blutkreislaufs – mit dessen methodischem Vorgehen.46 Dies, 43 Andreae Caesalpini Aretini quaes­tionum medicarum libri II , Venedig 1593, Buch 2, Frage 17, zitiert nach: Crombie, a. a. O., S. 458. 44 William Harvey (1578 – 1657), Arzt und Physiologe, Schüler des Vesal-­Schülers Girolamo Fabrizio d‘Aquapendente (um 1533 – 1619), in Padua. Er praktizierte seit 1604 als Arzt in London, war seit 1607 Fellow des Royal College of Physicians, seit 1618 Hofarzt bei James I. und Charles I., s. Bruchhausen / Schott, a. a. O., S. 69. 45 René Descartes (1596 – 1650), Philosoph, Mathematiker und Naturforscher, besuchte von 1607 – 1615 das Collège Royal in La Flèche. 1615/16 studierte er Jura in Poitiers. Nach seiner Ausbildung zum Offizier in der Armee Moritz v. Nassaus 1618 und längeren Reisen emigrierte er 1628 in die Niederlande. Zu seinem Werk s. Heinz Schütt, René Descartes, in: Lexikon der bedeutenden Naturwissenschaftler, Bd. 1, Heidelberg 2007, S. 395 – 400. 46 René Descartes, Discours de la méthode pour bien conduire sa raison, et chercher la verité dans les sciences, S. 82 (= 50 – 51 ed. Adam / Tannery), in: Ders., Philosophische

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so Descartes, habe ihn in seiner noch sehr viel weitergehenden Darstellung einer Naturwissenschaft geleitet – aber das wäre ein eigenes Thema. Robert Boyles 47 Erinnerung an ein Gespräch mit Harvey wirft ein Licht auf Harveys Ausgangspunkt: Boyle hatte Harvey 1658 gefragt, was ihn auf den Gedanken eines Blutkreislaufs gebracht habe, er antwortete mir, er habe bemerkt, dass die Klappen in so vielen Venen des Körpers derart angeordnet sind, dass sie einen freien Fluss des Blutes zum Herzen mög­lich machen, aber den 48 Rückfluss des venösen Blutes verhindern […].

Trotz der Forschungsergebnisse der Anatomen von Paris und Padua zum Herzen, den Venen und den Venenklappen war niemand zur Infragestellung der ­Theorie Galens von der Produk­tion des Blutes in der Leber gelangt. Harvey untersuchte nun die offenbaren Widersprüche und wandte die vergleichende Methode, die er in Padua erlernt hatte, konsequent an. In zahlreichen Experimenten untersuchte er die Bewegung des Herzens und des Blutes der Tiere. Die in ihnen und durch Messungen und Versuche am Menschen gewonnenen Hypothesen überprüfte er gemäß der Methode des Regressus. Schließ­lich publizierte er seine Entdeckung des geschlossenen Blutkreislaufs 1628 in seiner Schrift „Exercitatio anatomica de motu cordis et sanguinis in animalibus“: „Cum haec confirmata sint omnia, & ra­tionibus & ocularibus experimentis, quod sanguine per pulmones & cor, pulso ventriculorum pertranseat, & in universum corpus impellatur, & immitatur, & ibi in venas & porositates carnis obrepat […]. Necessarium est concludere circulari quodam motu in circuitu agitari in animalibus sanguienem; 49 & esse in perpetuo motu […].“

Schriften in einem Band, Hamburg 1996. 47 Robert Boyle (1627 – 1691), Naturforscher, Physiker, Chemiker und Philosoph, untersetzte die experimentelle Methode mit systematischen Reflexionen und eröffnete den Weg zur wissenschaft­lichen Chemie, Hubert Laitko, Robert Boyle, in: Lexikon der bedeutenden Naturwissenschaftler, Bd. 1, Heidelberg 2007, S. 226 – 232. 48 Zitiert nach Crombie, a. a. O., S. 459. 49 William Harvey, Exercitatio anatomica de motu cordis et sanguinis in animalibus, 1628 (Reprint New York 1995), S. 58 (14. Kapitel).

Zur Logik der Forschung um 1500 329

Harvey stellte für die menschliche Physiologie heraus: die ideale Bewegung des Blutes als Kreisbewegung, das Septum als eine abgerundete, geschlossene Sonde, eine Analogie z­ wischen technischer Klappenkonstruk­tion und Biologie. Er demonstrierte den Blutdruck durch Abbindeversuche am Arm und kalkulierte den Zirkula­tionsumsatz des Blutes. Seine Experimente mit niederen Tieren, die ungewöhn­lich waren, begründete er: „Cum errandi occasionem praebuisse probabile est, quam in hominis vident […]­cordis cum pulmone connexionem: In hoc peccant, qui dum die paribus animalium (uti vulgo omnes Anatomici faciunt) pronunciare, & demonstrare, aut cognoscere volunt, unum tantum hominem, eumque mortuum introspiciunt, & sic tanqaum, qui una 50 reipub. forma perspecta disciplinam politicam componere.“

Harvey wurde wegen der Infragestellung der überkommenen Lehren und der Einführung quantitativ-­physika­lischer Verfahren heftig angegriffen, vor allem von dem Pariser Anatom Jean Riolan.51 Er blieb im Übrigen dem aristote­ lischen Weltbild verhaftet, wie auch seine Begründung der Epigenese in seinem embryolo­gischen Werk „Exercita­tiones de genera­tione animalium“52 zeigt.53 Kehren wir zurück zu der Situa­tion um 1500. Hier bleibt die Diskussion nicht einfach im innerwissenschaft­lichen Gefüge, sondern wird explizit auch theoretisch weitergeführt. Ausgehend von der aristote­lischen Differenzierung ­zwischen artes und scientia fragt es sich, ob den artes nur durch die scientia eine Begründung zukommen kann oder ob sich in den artes nicht selbst eine Begründung finden lässt. Eine Antwort auf diese Frage ist zentral für die ­etwaige Etablierung eines empirisch geleiteten Wissens, ist dies doch – wie vorab ausführ­lich beschrieben – immer bezogen auf einen eingegrenzten Erfahrungshorizont abzugreifen; und jeweils bezogen auf diesen sind dann Hypothesen zu finden, die die interessierenden Teilfunk­tionen, nicht aber unbedingt deren Letztbegründung darzustellen erlauben. 50 Harvey, a. a. O., S. 32 f. (6. Kapitel). 51 Jean Riolan (1580 – 1657) war ein Gegner von Tierversuchen, gewann aber bei seinen Sek­tionen wichtige wissenschaft­liche Erkenntnisse, s. Barbara I. Tshisuaka, Riolan, Jena, in: Enzyklopädie Medizingeschichte, Berlin 2005, S. 1253. Zu Harveys Widerlegung Riolans s. Rothschuh, a. a. O. , S. 72 – 74. 52 William Harvey, Exercita­tione de genera­tione animalium, Amsterdam 1651. 53 Gereon Wolters, Harvey, William, in: Enzyklopädie und Wissenschaftstheorie, Bd. 2, Stuttgart, Weimar 1995, ND 2004, S. 44 – 46, S. 44.

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Hier setzt nun in direkter Auseinandersetzung mit den skizzierten Entwicklungen in Padua, die er zusammenfassen konnte, der der Schule des ­Pomponazzi verpflichtete Jacopo Zabarella 54 an, der seit 1563 Logik in Padua lehrt: Es ist diese Zweischichtigkeit von artes und scientia, von der er ausgeht. Er sucht nun nach einem Verfahren, das, ohne Letztbegründungen annehmen zu müssen, empirische Aussagenzusammenhänge zu sichern erlaubt. Gibt es also so etwas wie einen empirischen Beweis? Kann ich also eine Erklärung aus dem Welterfahrungszusammenhang einer umfassenden Naturlehre lösen und in der einfachen Praktikabilität eines für einen bestimmten Erfahrungsbereich einzusetzenden Begründungsgefüges beschreiben? Zabarella sucht damit nach einer Technik, er beschreibt eine vernunftgesetzte Kunst zur Begründung und Darstellung einer Logik von Teilbereichen des Wissens. Zu fragen ist also nicht nach der theoretischen Struktur der Sachverhalte, sondern nach einem Organon, demzufolge nicht Wissenschaft im Sinne einer letztbegründeten scientia, sondern als τεχνη, und das heißt – übertragen auf die Logik – also nicht im Sinne einer ordo naturae, sondern im Sinne einer ordo doctrina zu beschreiben wäre. Damit wäre sie nicht auf notwendige, sondern – im aristote­lischen Sinne – auf veränder­liche Objekte und deren Handhabung in praktischen Disziplinen zu beziehen. Philosophie der Natur als scientia und medizinische Kunst als Teil der artes haben zwar dasselbe Objekt. Doch ist die Kunst der Medizin opera­tional strukturiert und somit ist sie nicht scientia; ihr Begründungsanspruch wird durch Praktikabilität ersetzt. Sie sucht nach Heilverfahren, nicht nach Wissen im Sinne einer Letztbegründung. Sie wendet letzt­lich die regressive Methode nicht strikt an. Denn zur vollen Erkenntnis eines Sachverhaltes – also eines methodisch abgrenzbaren Teilraumes unseres Erfahrungsgefüges, so Zabarella – bedarf es einzig einer Untersuchung der Folgen auf ihre Gründe, dann einer Prüfung der Gründe, so dass sich aus diesen wieder Folgen deduzieren lassen. In der so erstellten Verbindung von Grund und Folge wird d ­ ieses Verhältnis zunächst bloß „distincte“ gewusst. Um dies dann auch nachvollziehbar zu machen, ist das Gegebene qua Analysis in seine Voraussetzungen aufzulösen. In einem zweiten Schritt sind dann die analytischen Prinzipien zu prüfen, nach denen diese Einzelheiten als ­solche identifiziert und aufeinander zu beziehen sind.

54 Zu Jacopo Zabarella (1533 – 1589) s. Jürgen Mittelstraß, Zabarella Giacomo, in: Enzyklo­ pädie und Wissenschaftstheorie, Bd. 4, Stuttgart, Weimar 1995, ND 2004, S. 804 f.

Zur Logik der Forschung um 1500 331

Zabarella sieht sich hier zunächst einer scharfen Kritik gegenüber, wie sie etwa von Francesco Piccolòmini 55 formuliert wurde, der solch eine Eingrenzung der Logik – als Schlusslehre – auf eine Methodenlehre ablehnt. Hierin kondensiert sich dann noch einmal die schon angedeutete Tradi­tion einer averroistisch geprägten Aristotelesrezep­tion, wie wir sie in der Schule von Salerno dingfest machen konnten. So laufen hier die skizzierte Praxis und die Theoriediskussion parallel. Zentrales Dictum Zabarellas ist – ganz entsprechend der vorab im Detail explizierten Methodenlehre – Logik nicht mehr als Deduk­tion, gebunden an ein Gesamtwissensordnungssystem, im Sinne einer Letztbegründung, darzustellen, sondern als Methodenlehre zu formulieren. In dieser Hinsicht vergleicht er dann die aristote­lische Naturphilosophie mit dem Buch des Euklid: Euklid habe nicht alle Theorien aufgeführt, „satis igitur ei fuit praecipua quaedam theoremata demonstrare, ex quibus postea aliorum plurimorum […] demonstra­tiones deducerentur; […] eamque puto fuisse 56 causam cur Euclides libros sous elementa appelauerit“.

Festhalten können wir demnach: Das ist so – in d ­ iesem eben auch methodolo­ gischen Anspruch – neu; und derart begründet Zabarella in seiner Schrift „De natura logicae“57 eine Technik zur Begründung und Darstellung von Wissenszusammenhängen, die nicht nach der theoretischen Struktur der Sachverhalte, im Sinne einer letztbegründeten scientia, sondern nur nach den Vernunftregeln einer Zuordnung von Aussagen über Beobachtungszusammenhänge fragt. In der Kombina­tion von Analytik und einem Verfahren einer qua Hypothesen gegründeten Aussage über mög­liche Verknüpfungen der Beobachtungen werden ­Theorie und Erfahrung derart in neuer Weise aufeinander bezogen. Dabei richten sie sich auf einen analytisch betrachteten Erfahrungsteilkomplex und nicht auf einen umfassenden, letzt­lich nur metaphy­sisch zu erfassenden Ordnungszusammenhang. 55 Francesco Piccolòmini (1582 – 1604) lehrte von 1564 – 1601 in Padua. Er betonte in ­seinen Schriften „Universa philosophia de moribus“, 1583, und „Comes politicus pro recta ordinis ra­tione propugnator“, 1594, „die Unabdingbarkeit metaphy­sischer Grundlagen der Naturphilosophie“. Jürgen Mittelstraß, Piccolòmini, Francesco, in: Enzyklopädie und Wissenschaftstheorie, Bd. 3, Stuttgart, Weimar 1995, ND 2004, S. 244 f. 56 Giacomo Zabarella, De naturalis scientiae constitu­tione (1586), in: Ders., De rebus naturalibus libri XXX, Venedig 1590, S. 89. 57 Ders., in: Jacobi Zabarellae Opera Logica, hg. v. Wilhelm Risse (Köln 1597), Reprint 1966.

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Diese Logik ist nur mehr eine Technik, eine vernunftgesetzte Kunst zur Begründung und Darstellung einzelner Wissensinhalte. Zabaralla bestreitet, dass die Logik eine strenge Wissenschaft im Sinne des Aristoteles, also eine nach letzten Prinzipien und auf letzte Prinzipien hin strukturierte Disziplin sei. Damit löst er sie aus einem metaphy­sischen Kontext und formuliert sie als einfache Methodenlehre. Es geht um die jeweilige Sicherung in der Erklärung einfacher Sachverhalte, erhalten wird damit ein ordo doctrinae.58 Diese Logik ist derart also nicht Vorgabe für jede Erfahrung, sondern wird je nach der Erfahrung ausgerichtet. Es geht also nicht um – metaphy­ sisch – notwendige, sondern um jeweils – metaphy­sisch – veränder­liche Zusammenhänge. Damit geht diese Logik nicht synthetisch von vorgegebenen Prinzipien aus, sondern wird analytisch angelegt und identifiziert somit die jeweiligen immer nur lokal – für einen bestimmten Erfahrungszusammenhang – geltenden Prinzipien. Dabei ist das Verfahren selbst als solches zu bestimmen und in der ihm eigenen Logik darzustellen. Dies ist aber ein formales Verfahren, das immer wieder nur auf verschiedene Sachverhalte anzuwenden ist. Damit begründet sich eine Wissenschaftslehre für die empirische Forschung, und damit sind die Grundlagen einer experimentellen Naturwissenschaft formuliert. Erlauben Sie mir nunmehr noch eine Einschränkung. Es ist eben nicht die Mathematisierung von Beschreibungszusammenhängen, sondern diese Logifizierung der Forschung um 1500, in der das neue Profil der modernen Naturwissenschaften konturiert ist. Die Mathematisierung selbst, in der Darstellung mög­licher Zusammenhänge einer doch imperfekten Welt, ist nicht einfach auf Beobachtungszusammenhänge bezogen. Im Vordergrund etwa der Galileischen Mechanik steht eine Th ­ eorie, die sich dann im Experiment als dem Kriterium der Wahrheit demonstriert, wie dies schon sein Buchtitel „Discorsi“59 ausweist.60 Es ist dann nicht mehr weit zu Newtons 61 „Principia mathematica“, die eben auch mit einem Kapitel defini­tiones, gefolgt von einer Darstellung der axiomata, ansetzen. 58 S. Wilhelm Risse, Einführung, in: Zabarellae Opera Logica, S. IX. 59 Galileo Galilei, Discorsi e dimostrazioni matematiche, intorno à due nuoue scienze attenenti alla mecanica & i movimenti locali, Leiden 1638. 60 Galilei konstruierte seine Experimente zur Untersetzung des von ihm theoretisch begründeten Gesetzes vom freien Fall, s. hierzu Breidbach, Bilder, S. 70 f. 61 Isaac Newton (1643 – 1727), Naturphilosoph und Physiker, sah sich als Galileis Nachfolger „und Vollender seines Werkes“, Ed Dellian, Einleitung, S. XIII, in: Isaac Newton.

Zur Logik der Forschung um 1500 333

Angedeutet ist hier, dass die Geschichte des Experimentellen damit nicht einfach in einer Spur zu zeichnen ist. Die Mathematisierung ist nicht einfach die Perfek­tionierung des Experimentellen – sie fundamentiert zunächst den Anspruch der ­Theorie. Aber damit greifen wir weit aus in die weitere Naturwissenschaftsgeschichte. Hier bleibt bezogen auf die Situa­tion um 1500 festzuhalten: Die Tradi­tion des experimentellen Erschließens gründet in der Tradi­tion des alten experi­ mentum, das sich in Europa vom 13. Jahrhundert an im Rahmen der medizi­ nischen Forschung systematisierte. Deren theoretische Bearbeitung sucht nach einer sach­lichen Begründung des in den empirischen Wissenschaften zulässigen vollkommenen Beweises, wie ihn schließ­lich Jacopo da Forli in seiner Methodenlehre fixiert: Regressus oder demonstratio circularis, in dem einmal analytisch von den Folgen auf die Gründe, demonstratio quia, zum anderen synthetisch aus den Gründen auf die Folgen geschlossen wird (demonstratio propter quid). Diese Beweismethode mit ihrer ­Theorie des nicht widersprüch­ lichen Zirkelbeweises dringt vor 1500 in die Logik ein. Frei von theolo­gischen und metaphy­sischen Grundüberlegungen formieren sich so die artes als in sich zu begründende Disziplinen. Zabarella formuliert: „[…] dicimus igitur Philosophiam naturalis esse scientiam contemplatiuam, quae naturalium corporum quatenus principum motus in se habent, perfectam cogni­tionem tradit […] quare naturalis scientia scopus nullus alius est, quam cognoscere principia 62 corporum naturalium […] per suas causas.“

Seine Begründung des Regressus impliziert die Forderung, dass wissenschaft­ liches Wissen genau sein muss und „nihil in se absurditas habet“.63 In der Auseinandersetzung mit den Gegnern seiner Methode macht er deut­lich, dass es eine Hierarchie der Wissenschaft nach der Nobilität der betrachteten Dinge gibt. Hier formiert sich vor der Mathematisierung und vor den demonstra­tiones des Galilei die empirische Naturwissenschaft; und sie wird zugleich mit einer Logik der Forschung untersetzt. Mathematische Grundlagen der Naturphilosophie, ausgewählt, eingeleitet u. übersetzt von Ed Dellian (Philosophische Bibliothek 394), Hamburg 1988 (lat. Originalausgabe Philosophiae Naturalis Principia Mathematice, London 1687). 62 Zabarella, De naturalis scientia, S. 12. 63 Zabarella, De regressu, in: Opera Logicae, Sp. 496 A.

Sonia Horn

„… reineres Licht über die Wissenschaften im Erzstifte zu Köln …“ Medizin, Gesundheitswesen und Aufklärung an der Maxischen Akademie in Bonn und der medizinisch-­chirur­gischen Josephsakademie in Wien Florian Horn gewidmet Die medizinischen Fakultäten der Universitäten Wien und Köln eint nicht nur die Tatsache, dass die Wiener Statuten von Köln übernommen wurden und sich daraus einige Ähn­lichkeiten ergaben.1 In gewisser Weise ist auch das „Schicksal“, das diese beiden Einrichtungen gegen Ende des 18. Jahrhunderts „erlitten“, vergleichbar, allerdings mit dem Unterschied, dass die Wiener medizinische Fakultät „überlebte“ und jene in Köln nach einiger Zeit erfolgreich „reanimiert“ wurde, wie es in der medizinischen Sprachkultur beschrieben werden würde. Beiden medizinischen Fakultäten wurden gegen Ende des 18. Jahrhunderts medizinische Ausbildungsstätten gegenübergestellt, die neuen Konzepten folgten und von Joseph II. als universitäre Einrichtungen definiert wurden. Die eine war Teil der Maxischen Akademie in Bonn, die andere war eine rein medizinisch ausgerichtete Neugründung, die medizinisch-­chirur­gische Akademie in Wien, die 1786 als universitäre Institu­tion den Namen „Josephsakademie“ erhielt, von dem sich die gebräuch­lichere und bekanntere Bezeichnung „Josephinum“ ableitet. Den medizinischen Fakultäten in Köln und Wien wurden gewisse Vorbehalte

1 Paul Diepgen / Ernst Theodor Nauck, Die Freiburger medizinische Fakultät in der Österreichischen Zeit. Freiburg 1957, S. 127 – 134. Die Kölner Statuten dienten wiederum als Vorbild für die Statuten der medizinischen Fakultäten von Heidelberg und Ingolstadt. Wenn Wolfgang Lazius 1538 die Wiener medizinische Fakultät als „… in hoc celeberrimo gymnasio, omnium tocius Germanie parente …“ bezeichnet, ist dies also nicht gerade abwegig (UAW Cod. Med. Acta Facultatis Medicae Universitatis Vindobonensis 1.3. fol. 133r). Ausführ­liches zur frühen Geschichte der medizinischen Fakultät der Universität zu Köln findet sich bei Erich Meuthen, Die alte Universität. Kölner Universitätsgeschichte, Bd. 1 (Kölner Universitätsgeschichte herausgegeben von der Senatskommission für die Geschichte der Universität zu Köln, Bd. 1). Köln, Wien 1988, S. 120 – 123.

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gegenüber den neueren Strömungen in der Medizin nachgesagt. Zumindest für Wien kann dies (auch) mit unterschied­lichen Zielen in der medizinischen Ausbildung argumentiert werden.2 In beiden Fällen zeigt sich, dass mit der Gründung der beiden Akademien Ansprüchen des Staates an die Medizin im Sinn einer Unterstützung des Zieles, einen Wohlfahrtsstaat zu etablieren, entsprochen werden sollte. Medizinische Ausbildung und Wissensproduk­tion erfuhren dadurch eine Ausrichtung, die grundsätz­lich dem Gemeinwohl dienen sollte und nicht nur der Behandlung von einzelnen Patientinnen und Patienten.

1  Wohlfahrtsstaat und christliche Caritas Ein wesent­licher Aspekt der frühneuzeit­lichen Wirtschafts- und Staatstheorien war die Erhöhung der Popula­tion. Die hohen Bevölkerungsverluste des Dreißigjährigen Krieges und die damit verbundene wirtschaft­liche Situa­tion waren hierfür ausschlaggebende Erfahrungen. Allerdings ging es nicht nur darum, eine höhere Zahl an Menschen zu erreichen, das Ziel war vielmehr eine gesunde und produktive Bevölkerung, die auch über das Potential verfügen sollte, zu konsumieren und somit die Wirtschaft in Gang zu halten. Hierbei sollte nicht nur bei der Zahl der Geburten angesetzt werden, sondern auch bei der Gesundheit der Bevölkerung. Eine Aussage des Direktors der medizinischen Studien, Anton von Störck (1731 – 1803), in Bezug auf die mög­liche Reduzierung von Lehrpersonal an der Wiener medizinischen Fakultät bringt diese Denkweise treffend auf den Punkt: „Es ist eine der vornehmsten Angelegenheiten eines wohl eingerichteten Staates für die Erhaltung seiner Bürger zu sorgen. Seine Macht wächst und fällt nach dem Maße des Wachstums oder der Abnahme seiner Glieder. Nicht seyn oder durch Krankheit für die Bedürfnisse der Gesellschaft untaug­lich seyn, läuft in dieser Betrachtung auf eines hinaus. Alle bürger­lichen Handlungen setzen das phy­sische Wohl unseres Kör3 pers zum Grunde voraus.“

2 Sonia Horn, „… eine Akademie in Absicht der Erweiterung der medizinisch – chirur­gischen Wissenschaft …“ Das Josephinum. Hintergründe für die Entstehung der medizinisch-­ chirur­gischen Akademie. In: Renate Zedinger / Wolfgang Schmale (Hgg.), Échecs et réussites du Joséphisme/Josephinismus – eine Bilanz (Jahrbuch der Österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts, Bd. 22). Bochum 2008, S. 225 – 229. 3 ÖStA, AVA, Akten der StHK, Karton 4, fol. 72r, 30. 11. 1782 (Vortrag der Studienhofkommission, die Zahl der bey hiesiger Universität angestellten Lehrer betreffend; Votum

Medizin, Gesundheitswesen und Aufklärung an der Maxischen Akademie in Bonn 337

Von einer durchstrukturierten medizinischen Versorgung versprach man sich gesündere Untertanen, die produktiv sein konnten, aber auch mehr Kinder in die Welt setzen würden. Naheliegend ist daher, dass sich damit auch neue Wissensfelder entwickelten wie die „medizinische Polizey“, ein Bereich, den man mit der Lehre von der umfassenden Gestaltung und Verwaltung des Gesundheitswesens beschreiben kann.4 Der Geburtshilfe wurde ebenfalls besondere Aufmerksamkeit gewidmet, Maßnahmen zur persön­lichen Gesunderhaltung und Gesundheitsförderung wurden diskutiert und propagiert. Der Informa­ tion der Bevölkerung wurde dabei besondere Bedeutung zugemessen, diese erfolgte über den Schulunterricht, über Zeitschriften und Predigten, aber auch über Ratgeberliteratur, die von Fachleuten für medizinische Laien geschrieben wurde. Auch in dieser Hinsicht ist es schlüssig, dass die Alphabetisierung und Bildung breiter Bevölkerungsschichten Teil eines Gesamtkonzeptes waren, das der Förderung der Wirtschaft dienen sollte und für das ein geordnetes Staatswesen als Voraussetzung betrachtet wurde. Das Ziel war eine Gemeinschaft, in der es allen gut gehen sollte, in der Untertanen fleißig und in vom Staat gewährleisteter persön­licher Sicherheit ihren Beschäftigungen nach­gehen konnten, gebildet waren und bei Bedarf angemessen sozia­l versorgt wurden. Innerer Frieden und wirtschaft­liche Stärke wurden als Charakteristika des pros­ perierenden Wohlfahrtsstaates, wie dies genannt wurde, propagiert. Besonders für die habsbur­gischen Länder hatten die Wirtschafts- und Staatstheorien von Johann Joachim Becher (1635 – 1682)5, seinem Schwager Philipp Wilhelm Hörnigk (1640 – 1714)6 und von Wilhelm von Schröder (1640 – 1688)7 des Hofrats Freyherr v. Störck; facult. med.). 4 Werner Sohn, Von der Polizey zur Verwaltung. Transforma­tionen des Wissens und Veränderungen der Bevölkerungspolitik um 1800. In: Ders. / Bettina Wahrig (Hgg.), Zwischen Aufklärung, Polizey und Verwaltung. Zur Genese des Medizinalwesens 1750 – 1850 (Wolfenbütteler Forschungen herausgegeben von der Herzog Augustbibliothek, Bd. 102). Wiesbaden 2003, S. 71 – 89. 5 Z. B.: Johann Joachim Becher, Politischer Discurs: Von den eigent­lichen Ursachen deß Auf- und Ablebens der Städt, Länder und Republicken. Frankfurt a. Main 1668; ders., Närrische Weißheit Und Weise Narrheit: Oder Ein Hundert so Politische alß Physica­lische Mechanische und Mercanti­lische Concepten und Proposi­tionen. Frankfurt a. Main 1682. 6 Philipp Wilhelm von Hörnigk: Oesterreich über alles, wann es nur will. das ist: wohlmeinender Fürschlag, wie mittelst einer wolbestellten Lands-­Oeconomie, die Kayserl. Erbland in kurzem über alle andere Staat von Europa zu erheben, und mehr als einiger derselben von denen andern independent zu machen. 1684. 7 Z. B.: Wilhelm von Schröder: Fürst­liche Schatz- und Rentkammer. Leipzig 1686.

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besondere Bedeutung. Gemeinsam war ihnen das große Interesse an Naturwissenschaften und technolo­gischen Entwicklungen, die zum Wohle der allgemeinen Prosperität und Wohlfahrt weiterentwickelt werden sollten. Becher und Schröder verbrachten viele Jahre auf Reisen, hielten sich häufig in London auf und waren Mitglieder der Royal Society, weshalb sie heute vor allem in wissenschaftshistorischen Kreisen eher als Alchemisten bekannt sind denn als bedeutende Wirtschafts- und Staatstheoretiker. Im katho­lischen Kontext verbanden sich diese wirtschaftstheoretischen Konzepte auch mit einer konkreten Moraltheologie und Sozia­llehre, wie sie von Ludovico Antonio Muratori (1672 – 1750)8 vertreten wurde. Ziel war ein Staatswesen, das der „Glückseligkeit des Volkes“ (pubblica felicità) dienen sollte.9 Zum Erreichen dieser Glückseligkeit sollte die hygienische und ästhetische Gestaltung von Städten 10 (u. a. auch mit ausreichend Kaffeehäusern 11 zum intellektuellen Austausch und gut geordneten öffent­lichen Archiven als Grundlage für eine ordent­liche Verwaltung 12) ebenso dienen wie ein Sozia­l- und Gesundheitswesen 13, das allen zugängig war. Dem Staat und den Fürsten sollten die Bekämpfung der Armut, die Gesundheit der Untertanen und die Hebung des Bildungsniveaus besondere Anliegen sein. In ­diesem Sinn definierte Muratori es beispielsweise als vordring­licher, Spenden kirch­lichen Institu­tionen zuzuwenden, die sich der Betreuung von Armen und Kranken oder der Bildung von Unterschichten widmeten, statt sie in die prachtvolle Gestaltung von kirch­ lichen Bauwerken zu investieren, wie dies u. a. von der reichen Ausgestaltung ­barocker Stifte und Klöster bekannt ist. Dieser Morallehre zufolge sollten Gläubige ihre Dota­tionen nicht Messstiftungen zukommen lassen, sondern kirch­ lichen oder auch staat­lichen Institu­tionen der Armenpflege, des Gesundheitsoder Bildungswesens.14 Vergegenwärtigt man sich die prachtvolle Gestaltung von Stiften und Klöstern, etwa des Stiftes Melk oder der Salzburger Residenz,

8 Ludovico Antonio Muratori, Della carità Cristiana in quanto essa é amore del prossimo ­tratta­to di Ludovico Antonio Muratori bibliotecario del serenissimo Signor Duca di Modena. Modena 1723; ders., Della pubblica felicità oggetto de’ buoni principi trattato di Ludovico Antonio Muratori bibliotecario del serenissimo Signor Duca di Modena. Lucca 1749. 9 Muratori, Pubblica felicità (wie Anm. 8), S. 1 – 10. 10 Muratori, Pubblica felicità (wie Anm. 8), S. 446 – 457. 11 Muratori, Pubblica felicità (wie Anm. 8), S. 447. 12 Muratori, Pubblica felicità (wie Anm. 8), S. 395 – 403. 13 Muratori, Pubblica felicità (wie Anm. 8), S. 406 – 412. 14 Muratori, Carità Cristiana (wie Anm. 8), S. 68 – 77.

Medizin, Gesundheitswesen und Aufklärung an der Maxischen Akademie in Bonn 339

wird nachvollziehbar, dass diese Theologie unter der katho­lischen Geist­lichkeit nicht immer auf Zustimmung traf. Muratori und seine Anhänger hatten in kirch­lichen Kreisen demnach nicht nur Freunde.15 Die Etablierung eines Staatswesens, das der Glückseligkeit, in anderen Worten der „Wohlfahrt“ der Untertanen diente, wurde durch die christ­liche Caritas theolo­gisch begründet. Für Muratori war es die Verantwortung der jeweiligen (katho­lischen) Landesfürsten als „Hirten und Väter des Volkes“ („Pas­ tori e Padri del Populo“)16, gemeinsam mit ausgewählten Ratgebern für ein geordnetes Staatswesen zu sorgen. Muratori widmete sein Werk „Della carità Cristiana …“ K ­ aiser Karl VI., der ihn schätzte und ihm viele Mög­lichkeiten eröffnete, in Wien zu recherchieren;17 der Traktat „Della pubblica felicità …“ ist dem Salzburger Fürsterzbischof Andreas Jakob von Dietrichstein (1689 – 1753) gewidmet. Muratoris Texte wurden auch zur Erziehung der habsbur­gischen Erzherzoginnen und Erzherzöge eingesetzt, zu denen immerhin die spätere Kaiserin Maria Theresia gehörte.18 Karl Anton von Martini (1726 – 1800), Professor für Natur- und Staatsrecht an der Universität Wien, schätzte die Theorien von Muratori sehr, sie finden sich mehrfach inhalt­lich diskutiert und zitiert in seinen Werken. Es ist naheliegend, dass Martini als Lehrer der Söhne von Maria Theresia, Leopold, Ferdinand und Maximilian (dem späteren Kurfürsten von Köln) und ihrer Tochter Maria Karoline diese Inhalte im Unterricht vermittelte. Für Joseph II. besorgte er Bücher, unter denen wohl auch Muratoris Publika­tionen gewesen sein mögen.19 Jedenfalls zeigen die von Maria Theresia, Joseph II. und ihren Beratern umgesetzten sozia­l-, bildungs- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen sehr deut­liche Ähn­lichkeiten mit Muratoris Konzepten. Sehr klar wird ­dieses Konzept in der „Instruc­tion pour mes enfants“ von ­Kaiser Franz I. Stephan, dem Ehemann von Maria Theresia. Dieser von ihm verfasste Text war ein wohl sehr authentisches, persön­liches Dokument seiner Lebenseinstellung und in ­diesem Sinn ein Vermächtnis an seine Kinder, das ihnen nach seinem Tod übergeben wurde. Die folgende Passage ist an Deut­ lichkeit wohl nicht zu übertreffen: 15 Eleonore Zlabinger, Lodovico Antonio Muratori und Österreich (Nikolaus Grass [Hg.], Studien zur Rechts-, Wirtschafts- und Kulturgeschichte 6 – Veröffent­lichungen der Universität Innsbruck; 53). Innsbruck 1970, S. 25 – 39. 16 Muratori, Pubblica Felicità (wie Anm. 8), S. 14. 17 Zlabinger (wie Anm.15), S. 96 – 104. 18 Zlabinger (wie Anm. 15), S. 107 – 111. 19 Zlabinger (wie Anm. 15), S. 108 – 109.

340 Sonia Horn „Ich verlange von euch, daß ihr betrachtet, daß, wenn Gott seine Kreatur in einen solch beweinenswerten Zustand versetzt hat, diese nach seinem Bild und Gleichnis als Schöpfer nicht weniger Kreatur bleibt, denn vor dem Schöpfer sind wir alle gleich. Es ist nicht der Reichtum, der uns voneinander trennt, und nur unsere Lebensführung kann rechtfertigen, daß wir über anderen Kreaturen stehen. Diese Gleichheit muß uns zum Mitleid für sie anregen und wir müssen trachten, unsere Güter für sie 20 zu verwenden.“

Aus Muratoris Morallehre ergab sich gewissermaßen eine theolo­gische „Unterfütterung“ der Praktiken des Sozia­lwesens. Das katho­lische Verständnis der Sorge um Arme umfasste grundsätz­lich alle Bedürftigen, auch wenn gefordert wurde, dass darauf geachtet werden sollte, ob Bedürftige vielleicht doch eher dem Müßiggang folgen, als dass sie durch menschliche Schwäche und unglück­ liche Zufälle in ihre schwierige Situa­tion geraten sind. Im Vordergrund stand hier eine Theologie der grundsätz­lichen Barmherzigkeit gegenüber allen Mitmenschen ebenso wie ein Übernehmen von Verantwortung für „Schwache“ als Leitlinie für die staat­liche Verwaltung. Katho­lische Bischöfe, die gleichzeitig auch Landesherren waren, wurden durch diese Grundsätze in besonderer Weise wohl geradezu in die Pflicht genommen. Der Förderung von Wissenschaften, besonders der Naturwissenschaften und der Entwicklung verschiedener Technologien, kam ebenfalls Bedeutung zu, denn dies sollte das Leben der Menschen erleichtern, den Wohlstand unterstützen und in gewisser Weise dazu beitragen, über die Auseinandersetzung mit der Natur auch das Wirken Gottes zu erkennen. Um das Ziel zu erreichen, die Bevölkerungszahl und die Glückseligkeit der Untertanen zu steigern, war die Medizin sowohl in der ­Theorie als auch in der Praxis besonders gefordert. Die Betreuung von Patientinnen und Patienten wurde zu dieser Zeit nicht alleine von akademischen Ärzten gewährleistet, sondern mehrheit­lich von Heilkundigen, die ihr theoretisches und praktisches Wissen nicht primär an Universitäten erworben hatten. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Vertreterinnen und Vertreter dieser Berufsgruppen „unwissend“ gewesen wären, was häufig in älterer medizinhistorischer Literatur nachzulesen 20 Elisabeth Kovacs, Katho­lische Aufklärung und Josephinismus. Neue Forschungen und Fragestellungen. In: Harm Klueting / Norbert Hinske / Karl Hengst (Hg.), Katho­lische Aufklärung – Aufklärung im katho­lischen Deutschland (Studien zum achtzehnten Jahrhundert herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts, Bd. 15). Hamburg 1993, S. 253 – 254.

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ist. Spätestens zur Mitte des 18. Jahrhunderts stand die Ausbildung von Heilkundigen verschiedener Bereiche bereits im Zusammenhang mit universitären Einrichtungen, etwa die Ausbildung von Wundärzten und Hebammen. Allerdings war das Gesundheitswesen regional oft sehr unterschied­lich gestaltet. Von klaren Vorgaben für die Ausbildung von Heilkundigen und einer geregelten Verwaltung des Gesundheitswesens versprach man sich auch eine bessere medizinische Versorgung der Bevölkerung. Ludwig Hörnigk (1600 – 1664), Vater des oben genannten Wirtschafts- und Staatstheoretikers und Schwiegervater von Johann Joachim Becher, beschrieb in seinem 1638 publizierten Werk „Politia Medica …“21 ein klar strukturiertes und durchgehend verwaltetes Gesundheitswesen. Dieses Konzept weist starke Ähn­lichkeiten mit den Strukturen des Gesundheitswesens auf, die sich im Einflussbereich der Wiener und der Prager medizinischen Fakultäten über einige Jahrhunderte hinweg Schritt um Schritt entwickelt hatten. Ludwig Hörnigk musste ­dieses System gekannt haben, denn auch er war in Wien als Arzt tätig, immerhin bewarb er sich 1647, im Jahr seiner Konvertierung zum Katholizismus, um die Stelle eines Pestarztes und wurde von der medizinischen Fakultät aus einem Dreiervorschlag angenommen.22 Da er auch in Padua studiert hatte und dort Strukturen des Gesundheitswesens ähn­lich gestaltet waren, könnten auch diese Eindrücke in die „Politia Medica …“ eingeflossen sein. Zu bemerken ist, dass er in d ­ iesem und anderen Werken häufig eine stark antisemitische Stellung bezog. Schlussend­lich fungierte er an der Universität Mainz mehrfach als Dekan und Rektor, 1661 promovierte er seinen zukünftigen Schwiegersohn Johann Joachim Becher zum Doktor der Medizin. Die medizinische Versorgung wurde in erster Linie von professionellen Heilkundigen gewährleistet, die nicht oder nicht primär im universitären Kontext ausgebildet worden waren, v. a. von Wundärzten, Badern, Hebammen und spezialisierten Heilkundigen wie Okulisten, Bruch- und Steinschneidern, Zahnärzten oder „Franzosenärzten“, die Syphiliskranke behandelten. Als eine 21 Ludwig Hörnigk, Politia medica oder Beschreibung dessen, was die Medici, sowohl ins gemein als auch verordnete Hof-, Statt-, Feldt-, Hospital- und Pest- Medici, Apotheker, Materialisten, Wundtärzt, Barbierer, Feldtscherer, Oculisten, Bruch- und Steinschneider, Zuckerbecker, Krämer und Bader, Deßgleichen die obriste geschwohrne Frawen, Hebammen, Unter Frawen und Kranckenpflegere […] so dann end­lichen die Patienten oder Krancke selbsten zu thun und was auch wie sie in Obacht zu nehmen […] zusammengetragen […]. Franckfurt am Mayn 1638. 22 UAW Cod. Med. 1.5., fol. 231v.

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wesent­liche Maßnahme wurde nunmehr gefordert, dass diese Heilkundigen ein gewisses einheit­liches Wissensniveau erreichen sollten. Meist wird dies in der zeitgenös­sischen Literatur ebenso wie in den Archivalien als notwendige „Hebung“ des Wissensstandes der jeweiligen Heilkundigen bezeichnet, vielfach wird auch die „Unwissenheit“ derselben beklagt und daraus die Notwendigkeit der Unterweisung abgeleitet. In der medizinhistorischen Sekundärliteratur wurden diese Argumente meist unhinterfragt übernommen, um das Wissen späterer Epochen als Fortschritt gegenüber der Vergangenheit darzustellen. Die Frage ist jedoch, ob das vorhandene Wissen in vielen Bereichen nicht durchaus den relevanten Anforderungen entsprach, es aber nunmehr darum ging, das Gesundheitswesen klarer zu strukturieren und an Normen anzupassen, die für weitere Regionen, also einen ganzen „Staat“, relevant waren – zum Beispiel nicht nur für eine Stadt wie Köln, sondern für das gesamte Kurfürstentum. Es ist nachvollziehbar, dass nicht alle praktizierenden ­Heilkundigen diesen einheit­lichen Vorgaben entsprachen, denn üb­licherweise wurden sie von erfahrenen Berufskolleginnen und -kollegen ausgebildet, allerdings gab es vielfach keine konkreten (inhalt­lichen) Richtlinien hierfür. Bader und Wundärzte waren meist in Zünften zusammengeschlossen, was eine gewisse Standardisierung des weitergegebenen Wissens bewirkte, das den geforderten Normen mehr oder weniger entsprach. In ­diesem Zusammenhang steht auch die Einsetzung von Kommissionen, die meist als „Collegium Medicum“ bezeichnet wurden und die das Gesundheitswesen strukturieren, organisieren und administrieren sollten – von der Ausbildung der Heilkundigen angefangen über die Entwicklung von Strukturen des Gesundheitswesens, die sowohl im Alltag als auch in schwierigen Phasen wie Kriegen, Mangelversorgung oder Seuchen funk­tionieren sollten, bis hin zur Informa­tion der Bevölkerung über gesundheitsförderndes Verhalten. Allerdings zogen hier einzelne Orte oder Institu­tionen nicht immer mit – auch hier ist die Stadt Köln zu erwähnen, ebenso wie die medizinische Fakultät ihrer Universität.23 Im Zusammenhang mit der Einsetzung solcher Verwaltungseinheiten wurden auch Richtlinien erlassen, nach denen das Gesundheitswesen gestaltet und verwaltet werden sollte. Für die habsbur­gischen Länder war dies die Sanitätsund Kontumazordnung von 1770, mit der eine eigene administrative Körperschaft, die Sanitätshofkommission, eingerichtet wurde. Diese übernahm die diesbezüg­lichen Agenden der medizinischen Fakultäten von Wien und Prag.

23 Meuthen (wie Anm. 1), S. 397 – 404.

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Hierbei wurde das Modell weitergeführt, das sich an diesen Institu­tionen über mehrere Jahrhunderte lang ausdifferenziert hatte. Für das Kurfürstentum Köln wurde 1779 mit dem „Medizinalrath“ eine ähn­liche Institu­tion eingerichtet, die mit der Maxischen Akademie in Verbindung stand.24

2  Medizin im Dienste des Wohlfahrtsstaates Die frühneuzeit­liche Medizin war primär auf das Individuum ausgerichtet, sowohl die von akademischen Ärzten angewandte als auch jene, die von Heilkundigen ausgeübt wurde, die nicht primär im akademischen Kontext ausgebildet und verortet waren. Der angestrebte Wohlfahrtsstaat stellte die Medizin jedoch vor besondere Anforderungen, denn immerhin war nunmehr auch Wissen gefordert, das die ganze Bevölkerung betraf und nicht nur die jeweiligen Patientinnen und Patienten. Es ging um Konzepte, wie ein Gesundheitswesen entwickelt und verwaltet werden sollte, w ­ elche gesundheitspolitischen Maßnahmen sinnvoll wären, um die ganze Bevölkerung und nicht nur einzelne Patientinnen und Patienten zum Beispiel vor einer Seuche zu s­ chützen, oder wie das Ziel erreicht werden könnte, mög­lichst viele gesunde U ­ ntertanen zu bekommen. Auch die Berechnung der Bevölkerungsentwicklung mit statistischen Methoden, die Analyse von Mortalität und Morbidität sowie der Ursachen erhöhter Sterb­lichkeit und Mög­lichkeiten, diese etwa durch Unfallverhütung und Propagierung gesunder Lebensweisen zu reduzieren, wurden nunmehr ebenso als medizinisches Wissen benötigt wie Verbesserungen in der Ernährung der Bevölkerung oder prophylaktische Maßnahmen wie die Pockenschutzimpfung. Die Medizin war also vor neue Herausforderungen gestellt, das Ergebnis waren neue bzw. neu definierte medizinische Gebiete wie die eingangs erwähnte „medizinische Polizey“, aber auch die Gerichtsmedizin (z. B. zur Klärung von Unfällen oder Verbrechen) oder die von Chirur­ gen geleistete Geburtshilfe. In Bezug auf die Geburtshilfe ist zu erwähnen, dass es – zumindest in den habsbur­gischen Ländern während der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts – nicht darum ging, Hebammen Kompetenzen oder Patientinnen wegzunehmen. In den sehr verbreiteten und in mehreren Sprachen übersetzten geburtshilf­lichen Lehrbüchern von Johann Nepomuk

24 Rembert A. Watermann, Vom Medizinalwesen des Kurfürstentums Köln und der Reichsstadt Köln (1761 – 1802). Neuss 1977, S. 27.

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Crantz (1722 – 1797)25, Josef Jakob Plenk (1735 – 1807)26 und Johann Raffael ­Steidele (1727 – 1823)27, nach dem auch in Bonn unterrichtet wurde, wird die Indika­ tion für den Einsatz von Instrumenten äußerst eng gestellt. Diese sollten erst dann zum Einsatz kommen, wenn manuelle Maßnahmen völlig versagt hatten. Dazu zählten auch verschiedene Mög­lichkeiten der Wendung des Kindes in der Gebärmutter, um es in eine Lage zu bringen, aus der es geboren werden konnte. Auch komplizierte Entbindungen sollten von Hebammen durch die Wendung auf die Füße bewältigt werden, einer Interven­tion, die auf die „Chur-­ Brandenbur­gische Hof-­Wehemutter“ Justine Sigemundin (1636 – 1715) zurückgeht.28 Dieses Eingreifen erforderte sehr viel Erfahrung und Geschick­lichkeit, Steidele forderte daher von Hebammen umfassendes medizinisches Wissen sowie Übung an geburtshilf­lichen Phantomen und an Leichen von Frauen, die während der Geburt verstorben waren. Letzteres sollte auch konkret dazu dienen, dass die Hebammenschülerinnen die körper­lichen Veränderungen nach töd­lich verlaufenen Entbindungen sehen und verstehen konnten. Steidele hält in seinem Buch „Verhaltensregeln für Schwangere, Gebährende und Kind­ betterinnen“ fest, dass die Entbindungskunst im Grunde ein Fach sei, in dem man sämt­liche körper­lichen Vorgänge verstehen sollte, und es daher sinnvoll wäre, ein komplettes Medizinstudium zu absolvieren, um die Betreuung von Geburten kompetent ausüben zu können. Dass Hebammen nur in der Entbindungskunst ausgebildet wurden, sieht er als Reduk­tion von Wissen, und da es seiner Meinung nach unter den Hebammen auch sehr kluge Frauen gäbe, sollten sich diese ein Beispiel an Dorothea Erxleben (1715 – 1762) nehmen und, so wie sie auch, „… Medizin studieren und Doktorinn werden“.29 25 Johann Nepomuk Crantz, Einführung in eine wahre und gegründete Hebammenkunst […]. Wien 1756. 26 Josef Jakob Plenk, Anfangsgründe der Geburtshülfe. Wien 1768. 27 Johann Raffael Steidele, Lehrbuch von der Hebammenkunst. Wien 1784. 28 Justine Sigemund, Die Chur-­Brandenbur­gische Hoff-­Wehe-­Mutter/ Das ist: Ein höchst-­ nöthiger Unterricht/ Von schweren und unrecht-­stehenden Geburten […]. Cölln/Spree 1690. Dieses Buch ist auch im Inventar der Bibliothek von Johann Georg Menn verzeichnet, die 1781 von der Maxischen Akademie erworben wurde. Vgl. dazu auch Waltraud Pulz, „Nicht alles nach der Gelahrten Sinn geschrieben“ – das Hebammenanleitungsbuch von Justina Siegemund. Zur Rekonstruk­tion geburtshilf­lichen Überlieferungswissens frühneuzeit­licher Hebammen und seiner Bedeutung bei der Herausbildung der modernen Geburtshilfe. 1994. 29 Raphael Steidele, Verhaltensregeln für Schwangere, Gebährende und Kindbetterinnen. Wien 1787, Vorrede (ohne Seitenangabe).

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Der bevorzugte Einsatz von Männern in der Geburtshilfe ist für Steidele kein Thema, vielmehr bezieht er gegen jene Chirurgen Stellung, die sich auch als Geburtshelfer posi­tionieren wollten und versuchten, Patientinnen zu bekommen, indem sie ihnen die mög­lichen Gefahren einer Entbindung drastisch schilderten und ihnen die von ihnen angebotene Betreuung und den Einsatz von Instrumenten als einzig mög­liche Lösung darstellten. Nur Chirurgen, die auch über eine konkrete geburtshilf­liche Ausbildung verfügten, sollten seiner Meinung nach zu problematischen Entbindungen beigezogen werden. In jedem Fall waren es jedoch Hebammen, die auch sehr schwierige Geburten begleiten sollten. Zusammenfassend wäre demnach festzuhalten, dass die Fächer „medizinische Polizey“, Gerichtsmedizin und Geburtshilfe als charakteristisch für eine Medizin verstanden werden können, die nicht nur die Behandlung von einzelnen Patientinnen und Patienten zum Ziel hatte, sondern auch Wissensfelder weiterentwickelte und lehrte, die dem Staat, vor allem dem Aufbau des Wohlfahrtsstaates, dienen sollten. Mathematische und analytische Methoden kamen zum Einsatz, um in Naturwissenschaften und Medizin einerseits Beweise zu führen, andererseits um auch die Bevölkerungsentwicklung zu beschreiben und die Effizienz von bevölkerungspolitischen Maßnahmen überprüfen und nachweisen zu können. Solche Konzepte wurden zeitgenös­sisch auch mit aufgeklärtem Denken in Verbindung gebracht, sie sollten eben auch „… reineres Licht über die Wissenschaften bringen …“30, was selbstverständ­lich in der medizinischen Ausbildung umgesetzt werden sollte. Allerdings war man von dieser Zugangsweise nicht überall überzeugt und so gab es sowohl in Wien als auch im Kurfürstentum Köln medizinische Fakultäten, die eher an herkömm­lichen Konzepten und Ausbildungsinhalten festhielten, und Akademien/Universitäten, die andere Ziele verfolgten und ihnen in einiger räum­licher Nähe „gegenübergestellt“ wurden. Elegant könnte man dies als „Verfolgen unterschied­licher Ausbildungsziele“ beschreiben, was durchaus auch zutraf, aber ebenso zutreffend ist auch die daraus resultierende Konkurrenzsitua­tion im Alltag.

30 Thaddaeus Dereser, Entstehung und Einweihungsgeschichte der Kurkölnischen Universität zu Bonn unter der glorreichen Regierung Maximilian Franzens, von Gottes Gnaden Erzbischofs zu Köln […]. Bonn 1786, S. 4.

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3  „Wien“ In der Sekundärliteratur über die medizinische Fakultät in Köln und über die Maxische Akademie bzw. die spätere Universität Bonn wird häufig erwähnt, dass bedeutende Mediziner dieser Institu­tionen zum Studium oder zur Weiter­ bildung „nach Wien“ gegangen wären. Allerdings gab es hierfür mehrere Mög­ lichkeiten, die sich von der Ausrichtung her unterschieden. Die medizinische Fakultät der Universität Wien war 1365 gegründet worden und nahm den Betrieb offenbar sehr bald auf.31 Schritt um Schritt übernahm sie administrative Aufgaben im Gesundheitswesen. Durch ein 1407 erlassenes Dekret des Passauer Bischofs Georg von Hohenlohe, der auch als Kanzler der Universität Wien fungierte, war in der Diözese Passau nur jenen die Ausübung der „cura interna“ gestattet, die von der Wiener medizinischen Fakultät hierfür eine Lizenz erhalten hatten. Die „cura interna“ kann gewissermaßen mit der heutigen „Inneren Medizin“ beschrieben werden und war jener medizinische Bereich, der primär von akademischen Ärzten ausgeübt wurde. Für die unerlaubte medizi­ nische Tätigkeit in d ­ iesem Bereich wurde die Exkommunika­tion angedroht. Diese Maßnahme war von der Wiener medizinischen Fakultät initiiert worden, und da die Strafe über die kirch­liche Rechtsprechung verhängt wurde, galt diese Richt­ linie für alle christ­lichen Bewohnerinnen und Bewohner der Diözese Passau, die immerhin ganz Ober- und Niederösterreich umfasste, Teile von Bayern, Teile des heutigen Burgenlandes und selbstverständ­lich auch die Stadt Wien. Die Umsetzung dieser Richtlinie war kostspielig und mit hohem administrativem Aufwand verbunden, immerhin musste hier auch die Kurie in Rom eingebunden werden. Allerdings scheute die medizinische Fakultät offenbar keine Kosten und Mühen, denn in den folgenden Jahren wurden mehrere Personen, die ohne die Approba­ tion der medizinischen Fakultät die „cura interna“ ausübten, exkommuniziert. Dazu gehörten zahlreiche Frauen, die als „Matronen“ in ihren Pfarren Arme und Kranke betreuten und manchmal auch unentgelt­lich behandelten. Häufig wurde die Exkommunika­tion jedoch wieder rückgängig gemacht, nachdem die Betreffenden öffent­lich versprochen hatten, nicht mehr zu praktizieren, und entsprechend schwerwiegende Bußübungen auf sich genommen hatten.32 Auch 31 Paul Uiblein, Beziehungen der Wiener Medizin zur Universität Padua im Mittelalter. In: Römische historische Mitteilungen 23. Wien 1981, S. 271 – 286. 32 Sonia Horn, Approbiert und examiniert. Die Wiener medizinische Fakultät und nicht-­ akademische Heilkundige in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Phil. Diss. Univ. Wien 2001, S.  96 – 98.

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dem Pfarrer von Krems wurde 1467 diese Kirchenstrafe angedroht, er enthielt sich danach jedoch offenbar weiterer Versuche, medizinisch tätig zu werden.33 Der medizinischen Fakultät gelang es trotz mehrfacher Anläufe lange Zeit nicht, die medizinische Tätigkeit von Angehörigen des Dominikanerordens zu unterbinden. Dieser Streit zog sich viele Jahre hin, 1519 beendeten die Dominikaner schließ­lich ihre medizinischen Aktivitäten.34 Ab 1465 sollten die Wiener Apotheken regelmäßig von den Doktoren der medizinischen Fakultät kontrolliert werden, was zu Beginn meist in sehr konfliktbeladener Weise umgesetzt wurde. Schlussend­lich wurden ab 1517 die Meister der Bader und der Wundärzte von der medizinischen Fakultät approbiert, was bedeutet, dass diese sich nach der abgelegten Meisterprüfung auch einer Prüfung durch die medizinische Fakultät unterziehen mussten. In Wien waren diese beiden medizinischen Berufsgruppen seit 1521 in getrennten Zünften organisiert, außerhalb der Stadt wurde die medizinische Versorgung der Bevölkerung in erster Linie von Badern getragen, die jedoch bei ihren Prüfungen nachweisen mussten, dass sie „… auch in der Wundartzney genuegsam erfahren“ wären.35 In manchen Regionen war es diesen auch gestattet, die „cura interna“ auszuüben, wenn kein akademischer Arzt erreichbar war – manchmal hatten sie dazu auch den Auftrag. Zu erwähnen ist in dieser Hinsicht auch, dass Bader und Wundärzte in diesen Regionen keineswegs als „unehr­lich“ galten, eher das Gegenteil war der Fall. Häufig bekleideten sie gesellschaft­lich hoch angesehene Funk­tionen wie Markt- oder Dorfrichter.36 1638 wurde die Prüfung von Meistern der Bader und Wundärzte durch die Wiener medizinische Fakultät auch in Österreich ob und unter der Enns verpflichtend. Mittlerweile waren die ursprüng­lich im Kirchenrecht verankerten Richtlinien für die Approba­tionen von Heilkundigen in welt­liches Recht übergegangen, außerdem war es durchaus üb­lich geworden, dass Bader und Wundärzte die beispielsweise von einer Stadt, den Ständen oder einer Herrschaft angestellt werden sollten, zu einer Prüfung nach Wien geschickt wurden.37 Die medizinische Fakultät wurde

33 Horn (wie Anm. 32), S. 102. 34 Horn (wie Anm. 32), S. 102, S. 122. 35 Susanne Miedler-­Leimer, „… ob er auch in der Kunst der Wundtarzney genuegsamb erfahrn sey“. Bader und Wundärzte im frühneuzeit­lichen Tal Wachau (1523 – 1679). Phil. Diss. Univ. Wien 1988, S. 82. 36 Monika Grass, Medizinische Versorgung in der Grafschaft Forchtenstein und in den Herrschaften Eisenstadt und Hornstein in der frühen Neuzeit bis zum Sanitätsnormativ von 1770. Phil. DA Univ. Wien 2006, S. 112. 37 Horn (wie Anm. 32), S. 139 – 146.

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somit in gewisser Weise als Garant für die Qualität der Kenntnisse der Kandidaten in Anspruch genommen. Aber auch Patientinnen und Patienten konnten sich an die medizinische Fakultät wenden, wenn sie meinten, falsch behandelt worden zu sein.38 Approbierte Heilkundige wiederum hatten die Mög­lichkeit, die medizinische Fakultät einzuschalten, wenn in ihrem Einzugsbereich unerwünschte Konkurrenten praktizierten. Sollte sich herausstellen, dass diese nicht approbiert waren, ging die medizinische Fakultät meist sehr streng vor, immerhin konnte sie in berufsrecht­licher Hinsicht Kerker- oder Geldstrafen verhängen. Dies war sowohl für die approbierten Heilkundigen von Vorteil als auch für die Finanzen der Fakultät. Die medizinische Fakultät war demnach für die approbierten nichtakademischen Heilkundigen ein Partner, der auch deren Interessen vertrat. Diese Situa­tion mag nun dafür ausschlaggebend gewesen sein, dass sich eine der wohl angesehensten Wiener Hebammen, Elisabeth Haidin, 1643 an die medizinische Fakultät wandte und diese ersuchte, sie in der Hebammenkunst zu prüfen und hierfür eine entsprechende Bestätigung auszustellen. Nach anfäng­lichem Zögern entsprach die medizinische Fakultät ihrem Anliegen und in den nächsten Monaten folgten zahlreiche Wiener Hebammen dem Vorbild ihrer Kollegin. In ­diesem Sinn bedeutete die Prüfung der Hebammen durch die medizinische Fakultät eine gewisse Abgrenzung gegenüber Konkurrentinnen, allerdings kam auch ein weiterer, sehr bedeutender Aspekt hinzu. Wiener Hebammen bildeten auch Schülerinnen aus. Eine Lehrzeit von vier Jahren, die bei den erfahrensten Hebammen der Stadt absolviert wurde, dürfte bereits üb­lich gewesen sein, als Elisabeth Haidin sich der Prüfung unterzog. Kurz danach ersuchte sie die medizinische Fakultät zu dokumentieren, dass sie eine Schülerin aufgenommen hatte. Auf diese Weise sollte eindeutig nachgewiesen werden, ob die Schülerin die gesamte Lehrzeit absolviert hatte, wenn sie beabsichtigte, die Prüfung abzulegen. Diesmal zögerte die Fakultät nicht, sondern beschloss, Hebammenschülerinnen zu immatrikulieren und zu inskribieren. Dafür mussten sie eine Gebühr zahlen und wurden zu Mitgliedern der „civitas academica“, was bedeutete, dass Hebammen und Hebammenschülerinnen zum Gerichtsstand der Universität gehörten und somit auch deren Privilegien genossen, etwa die Befreiung von steuer­lichen Abgaben an die Stadt Wien. In der Folge entwickelte sich die Prüfung von Hebammen durch die Wiener

38 Sonia Horn, Des Propstes heilkund­licher Schatz. Medizinische Literatur des 16. und 17. Jahrhunderts in der Bibliothek des ehemaligen Stiftes St. Pölten (= Beiträge zur Kirchen­geschichte Niederösterreichs 9). St. Pölten 2002, S. 79.

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medizinische Fakultät offenbar auch zu einem Qualitätskriterium. Zahlreiche Grundherrschaften bemühten sich darum, eine in Wien geprüfte Hebamme anzustellen, mehrere Schülerinnen von Hebammen, die Angehörige des Wiener Hofes betreuten, begleiteten Erzherzoginnen, die ins Ausland verheiratet wurden. Die Stadt Graz, die Kärntner Stände, aber auch ungarische Städte wie Güns oder Sopron bemühten sich darum, ihre bereits angestellten Hebammen in Wien prüfen zu lassen. Diese wiederum ließen ihre Schülerinnen in Wien immatrikulieren, inskribieren und schlussend­lich auch prüfen, obwohl sie diese in ihrem eigenen Wirkungsbereich, weit entfernt von Wien, ausbildeten.39 Die Doktoren der Wiener medizinischen Fakultät erstellten außerdem verschiedene Gutachten u. a. in recht­lichen Fragen und wurden immer wieder zu Stellungnahmen in Bezug auf die aktuelle Situa­tion des Gesundheitswesens und gesundheitspolitische Maßnahmen aufgefordert, besonders wenn abzuklären war, ob Seuchen im Anzug waren und was dagegen unternommen werden sollte. Zur Mitte des 17. Jahrhunderts war die Posi­tion der Wiener medizi­nischen Fakultät am „medizinischen Markt“ gefestigt und sie mit ihren Aufgaben gegenüber der Gesellschaft fast schon überfordert, wie die häufigen Klagen der Doktoren zeigen, die darauf hinweisen, dass sie aufgrund der vielen Prüfungen und der von verschiedenen Obrigkeiten verlangten Stellungnahmen kaum mehr dazu kämen, Patientinnen und Patienten zu betreuen, geschweige denn sich wissenschaft­lichen Th ­ emen zu widmen.40 Mit den ab 1749 von Gerhard van Swieten durchgeführten Reformen des Medizinalwesens wurden einerseits schon lange von der medizinischen Fakultät erarbeitete Pläne zur Verbesserung des medizinischen Unterrichts umgesetzt, andererseits wurde auch die Verwaltung des Gesundheitswesens neu strukturiert. Das Ergebnis war die „Sanitäts- und Kontumazordnung“ für die habsbur­gischen Länder, die 1770 in Kraft trat. Diese umfassende und detailreich ausgearbeitete Ordnung bestand aus zwei Teilen – eine galt gewissermaßen für den „Alltag“ im Gesundheitswesen, der andere Teil bezog sich auf seuchenhygienische Maßnahmen. Wesent­lich ist hierbei, dass grundsätz­lich dem Modell gefolgt wurde, das sich über lange Zeit entwickelt und offenbar 39 Sonia Horn, Wiener Hebammen 1643 – 1753. In: Studien zur Wiener Geschichte (= Jahrbuch des Vereins für Geschichte der Stadt Wien, Bd. 59). Wien 2003, S. 35 – 102. 40 Sonia Horn, Geschichte(n) von Gesundheit und Krankheit z­ wischen Kameralismus und medizinischer Polizey. Forschungsdesiderata für Österreich und Ungarn in der Frühen Neuzeit. In: Begegnungen. Schriftenreihe des Europa-­Institutes Budapest 19. Budapest 2003, S.  227 – 246.

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bewährt hatte – und in dem die medizinischen Fakultäten von Prag und Wien die koordinierende Funk­tion innehatten. Nunmehr wurde hierfür jedoch eine eigene zentrale administrative Einheit geschaffen, die Sanitätshofkommission, mit mehreren nachgeordneten Dienststellen, die auf verschiedenen Ebenen das Gesundheitswesen verwalteten. Die medizinische Fakultät war nunmehr von den enormen administrativen Agenden befreit und auch in Bezug auf das Studium der Medizin wurde einiges umgesetzt, was schon lange gewünscht und vorbereitet war. Allerdings blieben die Struktur und die Einteilung der Fächer bis zu Beginn, in manchen Bereichen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, so wie sie seit langem gestaltet waren. Das an den meisten euro­päischen medizinischen Fakultäten zu dieser Zeit üb­liche System der drei Professuren, die Professur der Institu­tionen (= der vorbereitenden Fächer, z. B. Anatomie, Botanik, Materia medica), die Professur für theoretische Medizin und jene der praktischen Medizin, die der Erfahrenste unter den Professoren bekleidete, blieb bestehen, allerdings wurden zusätz­liche Lehrende eingesetzt. Eine weitere Institu­tion, an der Medizinstudenten oder junge Ärzte ihre Ausbildung vervollkommnen konnten, war das 1737 gegründete Dreifaltigkeitsspital, das 1758 mit dem sog. „Spanischen Spital“ (gegr. 1717) zum „Unierten Spital“ vereinigt wurde. Über diese Institu­tion existiert derzeit keine Sekundärliteratur, dem Codex Austriacus sind jedoch sehr ausführ­liche Informa­tionen darüber zu entnehmen, wie die Ausbildung an dieser Institu­tion verlief und dass hier auch ausländische Studenten und Ärzte ein Praktikum absolvieren konnten.41 Dieser Quelle lässt sich auch entnehmen, dass 1740 ein Ausbau des Spitals geplant war, der 800 Betten umfassen sollte. Am Dreifaltigkeitsspital wurden sowohl Studenten der Medizin als auch der Chirurgie direkt an den Patientinnen und Patienten ausgebildet, sowohl in einer Art Ambulanz als auch auf einer Bettensta­tion. Sie waren an den Obduk­tionen ebenso beteiligt wie an der Behandlung und Pflege der Kranken. Außerdem standen ihnen für die täg­lich vorgeschriebene Studienzeit von zwei Stunden eine Bibliothek und ein Museum zur Verfügung, in dem sie an Präparaten und Modellen lernen konnten. Dieses „Lehrkrankenhaus“ stand mit der medizinischen Fakultät in Verbindung, u. a. wurden die einzelnen Abteilungen von Mitgliedern derselben geleitet. Es handelt sich dabei jedoch nicht um die Gerhard van Swieten zugeschriebene

41 „Anordnung und Verfassung des Krankenspitals zur allerheiligsten Dreyfaltigkeit“. In: Codex Austriacus, Suppl. Teil 5, 1740 – 1758. Wien 1777, S. 59 – 94.

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„Klinik“, diese befand sich im Bürgerspital. Es ist jedoch wahrschein­lich, dass sich Praktikanten am Wiener Dreifaltigkeitsspital nicht immatrikulieren und inskribieren mussten, wodurch sich erklären ließe, warum zahlreiche Mediziner, die „in Wien studiert“ hatten, nicht in den Aufzeichnungen der medizi­nischen Fakultät aufscheinen, wie etwa der Kölner Professor Johann Georg Menn. Für die Umsetzung der in der Sanitäts- und Kontumazordnung vorgesehenen Maßnahmen zur Verwaltung des Gesundheitswesens wurden sowohl das Wissen hierfür – eben z. B. die „medizinische Polizey“ – als auch die Personen benötigt, die über die notwendige Ausbildung verfügten, um diese Maßnahmen durchführen zu können. Joseph II. bemühte sich geraume Zeit darum, diese Ausbildungsziele in Zusammenarbeit mit der medizinischen Fakultät der Universität Wien umzusetzen, blieb schlussend­lich jedoch erfolglos, denn die Wünsche des Kaisers und seiner Berater unterschieden sich zu stark von den Denkweisen der medizinischen Fakultät. Allerdings muss eingeräumt werden, dass so manche Ideen Josephs wohl kaum in die Realität umsetzbar waren. 1770 wurde in Gumpendorf, heute ein Teil von Wien, ein Militärspital eingerichtet, zu dem auch eine medizinische Schule gehörte, an der Wundärzte für das Heer ausgebildet wurden.42 Auf Basis dieser Institu­tion wurde 1785 von Joseph II. die medizinisch-­chirur­gische Akademie gegründet, an der jedoch nicht nur Militärärzte ausgebildet wurden, sondern auch „Zivilärzte“. 1786 wurde diese neue medizinische Schule den Universitäten gleichgestellt und erhielt das Recht, Doktorate zu vergeben und Magister zu graduieren. Gleichzeitig erhielt sie den Namen „medicinisch-­chirur­gische Josephsakademie“, wofür bald die Bezeichnung „Josephinum“ gebräuch­lich wurde. Die Tatsache, dass diese Institu­tion der Verwaltung des Heeres zugeordnet war, ermög­lichte die direkte Einflussnahme des Kaisers, dem das Heer unterstand. Dies bedeutete, dass Ausbildungskonzepte und Lehrinhalte umgesetzt werden konnten, ohne dass mit verschiedenen Interessenvertretungen von Universitäten oder Ärzten diskutiert werden musste. An der „medicinisch-­chirur­gischen Josephsakademie“ wurden, anders als an der medizinischen Fakultät, Ausbildungsziele verfolgt, die, wie oben beschrieben, als charakteristisch für eine Medizin gesehen werden können, die auf den Aufbau eines Wohlfahrtsstaates ausgerichtet waren. Medizinische Polizey, Gerichtsmedizin und (chirur­gische) Geburtshilfe waren

42 Vgl. dazu Marianne Acquarelli, Von Zöglingen und Studierenden. Die medizinisch-­ chirur­gische Ausbildung in Wien und Niederösterreich von 1777 bis 1748. In: Virus – Beiträge zur Sozia­lgeschichte der Medizin, Bd. 12 (2013), S. 167 – 192.

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im Lehrplan ebenso vertreten wie Augenheilkunde, Zahnheilkunde und die Behandlung von venerischen Erkrankungen. Ähn­lich wie im Fall der medizi­ nischen Fakultät der Universität von Köln und der Maxischen Akademie bzw. ab 1784 der medizinischen Fakultät der Universität Bonn wurde auch der Wiener medizinischen Fakultät eine Institu­tion gewissermaßen „vor die Nase gesetzt“, die in der medizinischen Ausbildung einem anderen Konzept folgte und Wissen in jenen Fächern vermittelte, die für die „aufgeklärte Medizin“ typisch waren. Aus diesen Erläuterungen ergibt sich nun zweierlei: Studenten und junge Ärzte, die „nach Wien“ gingen, hatten mehrere Mög­ lichkeiten, ihr Wissen hier zu erweitern. Allerdings waren diese Institu­tionen unterschied­lich ausgerichtet und daher ist es besonders im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts von Relevanz zu wissen, an welcher Institu­tion studiert und/ oder eine Graduierung erworben wurde – an der medizinischen Fakultät, die eher tradi­tionelle Ausbildungsziele verfolgte, oder an der eindeutig an „aufgeklärten“ Konzepten orientierten medizinisch-­chirur­gischen Josephsakademie. Der zweite Aspekt dieser Ausführungen ist, wie schon eingangs erwähnt, die große Ähn­lichkeit der Situa­tionen ­zwischen den Universitäten und den neu eingerichteten, nach „aufgeklärten“ Inhalten orientierten Akademien, die schlussend­lich beide über Joseph II. zu universitären Institu­tionen wurden.

4  Medizin an der Universität Köln Das von Maria Barbara Rössner-­Richarz veröffent­lichte und beeindruckend ausführ­liche Inventar von Quellen zur Geschichte der Medizin in der Reichsstadt Köln, die sich im Historischen Archiv der Stadt Köln befinden, gibt einen umfassenden Einblick in die Strukturen des Gesundheitswesens der Stadt und in die diesbezüg­lichen Aufgaben der medizinischen Fakultät der dortigen Universität.43 1388 gegründet, war auch diese Institu­tion, ähn­lich wie Wien, in vielfältiger Weise in die Verwaltung des Gesundheitswesens eingebunden, allerdings primär für den Bereich der Reichsstadt Köln. Eine der diesbezüg­lichen Aufgaben der Kölner medizinischen Fakultät war die Beschau von Leprösen,

43 Maria Barbara Rössner-­Richarz (ed. nach Vorarbeiten von Ulrich Simon, Irmgard Tietz-­ Lassotta und Jürgen Ziese), Quellen zur Geschichte der Medizin in der Reichsstadt Köln. Ein sachthematisches Inventar für vier Jahrhunderte (1388 – 1798) = Everhard Kleinertz (ed.), Mitteilungen aus dem Stadtarchiv von Köln, 78. Heft. Köln, Weimar, Wien 1998.

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die spätestens ab dem Ende des 15. Jahrhunderts regelmäßig vorgenommen wurde, wobei jedoch auch auswärtige Patientinnen und Patienten begutachtet wurden.44 Die Fakultät war zudem an der Bildung einer ständigen Kommission beteiligt, die ab 1478 die Kölner Apotheken zwei Mal im Jahr visitieren sollten, 1565 gelang es trotz einiger Konflikte z­ wischen der Stadt und der Fakultät, ein Arzneimittelbuch zu veröffent­lichen, das für die Apotheken verpflichtend war. Es enthielt auch Richtlinien für die Ausbildung von Apothekern und war nach der Heidelberger und der sehr verbreiteten Augsburger Pharmakopöe die dritte derartige Richtlinie für die Herstellung von Medikamenten, die im deutschsprachigen Raum erschienen war.45 Anatomische Demonstra­tionen fanden in Köln ab dem späten 15. Jahrhundert statt, 1479 hatte der ­Kaiser zugestimmt, dass der medizinischen Fakultät vom Kölner Hochgericht jähr­lich zwei Leichen von Exekutierten „zum Aufschneiden“ zur Verfügung gestellt werden sollten. Bereits im folgenden Jahr fand eine anatomische Sek­tion statt, zu der auch Kollegen der Umgebung eingeladen wurden.46 Danach dürften anatomische Demonstra­tionen nur vereinzelt stattgefunden haben. 1715 wurde ein „Theatrum Anatomicum“ eingerichtet.47 Ab 1776 stand ein wesent­lich größerer und heller Hörsaal für die anatomische Ausbildung der Studenten der Medizin und der Chirurgie zur Verfügung, der auf Kosten der Stadt Köln errichtet worden war. Zudem wurde von der Stadt auch die Bereitstellung von Leichen aus den Hospitälern oder von Exekutierten finanziert.48 Um die Mitte des 18. Jahrhunderts wurden auch in Köln Wund­ ärzte, Hebammen und akademische Ärzte von der medizinischen Fakultät zur Ausübung ihrer Tätigkeit zugelassen, Apotheken wurden ebenso kontrolliert wie der Verkauf von Heilmitteln oder die Zulassung von Medikamenten.49 Allerdings dürften dennoch Mängel im Unterricht und in der Verwaltung bestanden haben, erwähnt wird beispielsweise, dass es für mehrere Jahre kein offizielles Vorlesungsverzeichnis gab und die Professoren ihren Unterrichtsverpflichtungen eher zöger­lich nachgekommen sind. Daher versuchte der Rat 44 Meuthen (wie Anm. 1), S. 125. 45 Meuthen (wie Anm. 1), S. 398 – 399. Zu bemerken ist hierbei, dass es der Wiener medizinischen Fakultät erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts gelungen war, eine eigene „Wiener Pharmakopöe“ zu erstellen, bis dahin stand jene von Augsburg in Gebrauch. 46 Meuthen (wie Anm. 1), S. 123. 47 Meuthen (wie Anm. 1), S. 403. 48 Watermann (wie Anm. 24), Medizinalwesen, S. 66. 49 Maria Barbara Rössner-­Richarz (wie Anm. 43), S. XV.

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der Stadt, das Studium der Medizin und der Chirurgie zu verbessern und die medizinische Fakultät dazu zu bewegen, den Verpflichtungen in der Verwaltung des Gesundheitswesens der Stadt, vor allem in der Approba­tion von Heilkundigen, sorgfältiger nachzukommen.50 Dabei wurde der Rat besonders von Prof. Johann Georg Menn unterstützt, der sich 1777 in seiner „Rede von der Nothwendigkeit der Chemie“ gegenüber dem Stadtrat deut­lich posi­tionierte: „Machet Köln wiederum zur Republik der Wissenschaften und Euch zu Vätern eines neuen Athen!“51 Johann Georg Menn (1730 – 1781) besuchte das Kölner Gymnasium Laurentianum, nahm danach ein Studium der Medizin in Köln auf und verbrachte auch einige Jahre in Wien. Dieser Aufenthalt müsste ­zwischen 2. 5. 1752 und 11. 8. 1755 gelegen sein, wie Gerhilt Reuss aufgrund der ihr zugängigen Quellen herausgefunden hat. Allerdings lassen sich in den Aufzeichnungen der Wiener medizinischen Fakultät für diesen Zeitraum keine Hinweise auf eine Immatrikula­tion, eine Inskrip­tion, auf Prüfungen oder andere Kontakte mit der Fakultät finden. Mög­lich wäre, dass er in diesen drei Jahren am Dreifaltigkeitsspital ein Praktikum absolviert hat. Hierfür waren drei Jahre vorgesehen, die Dauer seines Aufenthaltes in Wien würde dafür sprechen. Am 8. 8. 1755 wurde Menn in Köln zum Doktor der Medizin promoviert, nachdem er eine Disserta­tion „De febribus hemitritavis“ vorgelegt hatte. Danach war Menn zunächst im Heeresdienst tätig, 1757 wurde er in die Fakultät aufgenommen, 1761 wurde er zum „Professor primarius“ ernannt. Mehrmals bekleidete er das Amt des Dekans der medizinischen Fakultät und bemühte sich um die Verbesserung der medizinischen Ausbildung und des Gesundheitswesens in Köln. Da den Studenten und Ärzten nur eine sehr kleine Bibliothek zur Verfügung stand und auch die Ausstattung mit Lehrmitteln nicht allzu umfangreich gewesen sein dürfte, baute er auf eigene Kosten eine Privat­bibliothek sowie eine Instrumenten- und Präparatesammlung auf, die auch seinen Kollegen zur Verfügung stand. Nach seinem Tod 1781 wurden diese umfangreiche Bibliothek, seine Instrumente und Präparate von der ­Maxischen Akademie angekauft. Die Universität Köln hatte sich offenbar nicht darum bemüht, diese Hinterlassenschaft zu übernehmen.52

50 Watermann (wie Anm. 24), S. 70 – 7 1. 51 Meuthen (wie Anm. 1), S. 400 – 401. 52 Gerhilt Reuss, Der Kölner Medizinprofessor Johann Georg Menn. In: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 28. Köln 1953, S. 210 – 258.

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Im Inventar dieser Bibliothek sind zahlreiche Bücher angeführt, die für die medizinische Ausbildung in Wien in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts charakteristisch waren. Unter den Instrumenten und Präparaten befanden sich zahlreiche chemische Geräte, ein Skelett und ein weib­liches Becken mit Bändern, weiters eine Levrett’sche Geburtszange, ein Royhoos’scher Geburtshaken sowie ein geburtshilf­liches Phantom, die nunmehr der Maxischen Akademie zur Verfügung standen.53 Um 1776 ging, wie Daniel Schäfer es nennt, ein Ruck durch die Kölner medizinische Fakultät, dessen Ergebnis eine neue Studienordnung war, die auch den Unterricht im Fach Geburtshilfe inkludierte.54 Wesent­liche Impulse dürften hierbei von den Medizinstudenten selbst ausgegangen sein, wobei auch ein sehr starker Bezug zu Wien auffällt.55 Vielleicht ist dies jedoch auch in Zusammenhang mit der Tatsache zu sehen, dass es nunmehr an der Maxischen Akademie ebenfalls einen Professor gab, der medizinischen Unterricht erteilte. Als der Kölner „Professor primarius“ Peter Wilhelm Joseph Gynetti (1735 – 1804), der gemeinsam mit Menn versucht hatte, das Studium der Medizin in Köln zu reformieren, 1783 an die Maxische Akademie wechselte, wurde dies von der medizinischen Fakultät der Universität Köln als Beleidigung empfunden, und man überlegte ein geeignetes Vorgehen gegen den abtrünnigen Kollegen – was schließ­lich jedoch keine Konsequenzen hatte. Die Erhebung der Maxischen Akademie zur Universität hatte bei den Professoren und Doktoren der medizinischen Fakultät offensicht­lich große Bestürzung zur Folge. Man wandte sich mit der Bitte an den Stadtrat, die Fakultät vor der „völligen Verelendung“ zu bewahren, schlussend­lich war man zu beschäftigt, um an der feier­lichen Eröffnung der Universität von Bonn teilzunehmen.56

53 Universitätsbibliothek Bonn, Katalog der Bibliothek des Kölner Mediziners Johann Georg Menn (Köln 1780). 54 Daniel Schäfer, Einführung: Rheinische Hebammengeschichte im Kontext. In: Ders. (Hg.) Rheinische Hebammengeschichte im Kontext (Kölner Beiträge zur Geschichte und Ethik der Medizin herausgegeben von Klaus Bergdolt, Axel Kahrenberg, Daniel Schäfer und Christiane Woopen, Bd. 1). Kassel 2010, S. 23. 55 Meuthen (wie Anm. 1), S. 406. 56 Watermann (wie Anm. 24), S. 71 – 72.

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5  Gesundheitswesen im Kurfürstentum Köln Sowohl in den zuvor genannten moraltheolo­gischen Texten als auch in den wirtschafts- und staatstheoretischen Konzepten wird ein klar strukturiertes und gut verwaltetes Gesundheitswesen als eines der vordring­lichsten Ziele und als Teil eines geordneten Staatswesens beschrieben, das der Glückseligkeit der Bevölkerung dienen sollte. Der Aufbau von Verwaltungsstrukturen für das Gesundheitswesen und die darauf abgestimmte medizinische Ausbildung gingen meist Hand in Hand – die Verwaltung des Gesundheitswesens baute auf dem Wissen von entsprechend ausgebildeten Personen auf, die ­dieses erwerben und nachweisen mussten. Ein gewisser Wissensstandard wurde für die Ausübung von medizinischen Tätigkeiten als notwendig erachtet und daher gefordert, aber auch gefördert. Prüfungen durch Kommissionen und Approba­tionen durch Obrigkeiten wurden daher als eine der Grundlagen für das Funk­tionieren des Gesundheitswesens gesehen und umgesetzt. Hierfür waren jedoch auch klare juridische Vorgaben notwendig, etwa dass regionale Obrigkeiten verpflichtet waren, sich bei Anordnungen zur Umsetzung von Maßnahmen gegen Seuchen an die Vorgaben der Medizinalbehörden zu halten. Persön­liche Ärzte von Fürstinnen und Fürsten hatten an sich meist eine Anstellung und verfügten über umfassendes Wissen (oder zumindest besaßen sie einen außergewöhn­lichen Ruf) und es ist daher naheliegend, dass diese nicht nur Beratungsfunk­tionen innehatten, sondern auch in der Verwaltung des Gesundheitswesens eingesetzt wurden, besonders dann, wenn es darum ging, bestehende Strukturen umzugestalten. Gerhard van Swieten, einer der persön­lichen Ärzte von Maria Theresia, und Johann Alexander Brambilla, der persön­liche Chirurg von Joseph II., sind hierfür gute Beispiele. Das Fürstbistum Münster wurde in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in Personalunion vom Kölner Fürstbischof regiert, der vom Domherrn Franz Friedrich von Fürstenberg (1729 – 1810) vertreten wurde. Dieser übte drei Funk­ tionen aus – die des Ministers des Kölner Erzbischofs für das Fürstbistum Münster (ab 1762), die des Generalvikars der Diözese (ab 1770) und die des Vizekanzlers der 1773 gegründeten Universität, als deren Kanzler der Fürstbischof von Köln fungierte.57 Fürstenberg setzte sowohl im wirtschaft­lichen

57 Alwin Hanschmidt, Aufgeklärte Reformen im Fürstbistum Münster unter besonderer Berücksichtigung des Bildungswesens. In: Harm Klueting / Norbert Hinske / Karl Hengst (Hg.), Katho­lische Aufklärung – Aufklärung im katho­lischen Deutschland (= Studien

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Bereich als auch im Bildungs- und Gesundheitswesen administrative Strukturierungen um, die auf der Auffassung beruhten, dass der Staat, in ­diesem Fall der Fürstbischof und die Landstände, zum Wohl der Untertanen und des Staates agieren sollten. Dazu gehörten sowohl der wirtschaft­liche Wohlstand, die Rechtssicherheit der Untertanen, die Förderung kultureller Aktivitäten als auch die geregelte medizinische Versorgung und die Umstrukturierung des Bildungswesens. In ­diesem Zusammenhang wurden u. a. die bestehenden juristischen Richtlinien kodifiziert und ein ­Theater gebaut, das vielfältig genützt werden konnte. 1777 wurde eine Medizinalordnung erlassen und ein Medizinalkollegium ins Leben gerufen.58 Um die Gründung einer Universität hatte man sich seit 1765 bemüht, 1773 erhielt diese die päpst­liche und kaiser­liche Bestätigung, im selben Studienjahr wurde mit dem Lehrbetrieb begonnen. Argumentiert wurde hierbei, dass in erster Linie „Landeskinder“ ausgebildet werden sollten und diese in Ermangelung einer eigenen katho­lisch orientierten Universität auf die nahe gelegenen protestantischen Universitäten ins Ausland ausweichen müssten. Christoph Ludwig Hoffmann (1721 – 1807), der die Medizinalordnung ausgearbeitet und umgesetzt hatte, unterrichtete an der medizinischen Fakultät Anatomie, Chirurgie und Geburtshilfe.59 Der Personalstand der medizinischen Fakultät erreichte 1795 mit der Besetzung der vorgesehenen vier Professorenstellen die geplante Vollständigkeit.60 Die Aufgabe der medizinischen Fakultät war laut Fürstenberg in erster Linie die Ausbildung von Wundärzten und Ärzten, die in der medizinischen Versorgung der Region eingesetzt werden konnten – was auch den fach­lichen Schwerpunkt des ersten berufenen Professors der Medizin (Anatomie, Chirurgie, Geburtshilfe) erklärt. Im Kurfürstentum Köln wurden ähn­liche Ziele verfolgt, wobei in vielen Bereichen die in Münster durchgeführten Maßnahmen als Vorbild gedient haben mögen. Als treibende Kraft hinter den diesbezüg­lichen Maßnahmen

zum achtzehnten Jahrhundert herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts, Bd. 15). Hamburg 1993, S. 320. 58 Hanschmidt, Aufgeklärte Reformen im Fürstbistum Münster, S. 321 – 322. 59 Raphaela Gmeiner, Lernen am „ledernen Kind“. Die Hebammenausbildung im Erzstift Köln und in angrenzenden Gebieten von 1740 bis zur franzö­sischen Besetzung. In: Daniel Schäfer (Hg.), Rheinische Hebammengeschichte im Kontext (= Kölner Beiträge zur Geschichte und Ethik der Medizin herausgegeben von Klaus Bergdolt, Axel Kahrenberg, Daniel Schäfer und Christiane Woopen, Bd. 1). Kassel 2010, S. 51. 60 Hanschmidt, Aufgeklärte Reformen im Fürstbistum Münster, S. 326 – 327.

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wird Caspar Anton von Belderbusch (1722 – 1784) gesehen,61 der auch die Wahl von Franz Maximilian, dem jüngsten Sohn von Maria Theresia, zum Koadjutor des Kurfürsten von Köln vorbereitet hatte.62 Belderbusch bekleidete unmittelbar nach dem Amtsantritt von Erzbischof Maximilian Friedrich 1761 zunächst das Amt des kurfürst­lichen Hofkammerpräsidenten und ab 1766 jenes des Geheimen Konferenzministers. 1767 wurde er zum Premierminister ernannt.63 1748 und 1765 ergingen Anordnungen, dass medizinisch Tätige ihre Zeugnisse dem persön­lichen Arzt des Kurfürsten vorlegen mussten oder von ­diesem geprüft und approbiert werden sollten. 1779 wurde schließ­lich für das Kurfürstentum Köln ein Medizinalrat eingesetzt, der in Bonn tagte.64 Der erste Schritt war, einen Überblick über die aktuell im Kurfürstentum medizinisch Tätigen zu erstellen und deren Qualifika­tion zu überprüfen. Eine von dieser Behörde ausgestellte Approba­tionsurkunde diente dem Nachweis, dass die betreffenden Personen die medizinische Tätigkeit rechtmäßig ausüben durften. Der Medizinalrat erstellte des Weiteren medizinische Gutachten und traf sanitätspolizei­liche Anordnungen. Naheliegend war in d ­ iesem Zusammenhang auch, für den angemessenen Unterricht der Heilkundigen im Kurfürstentum zu sorgen, daher fiel die Ausbildung von Wundärzten und Hebammen in den Tätigkeitsbereich der 1777 gegründeten Maxischen Akademie, an der seit 1776 Franz Wilhelm Kauhlen unterrichtete. Nach der Gründung der Universität Bonn 1784 gehörten dem Medizinalrat auch die Professoren der medizinischen Fakultät an. 1787 wurde diese Behörde von Erzbischof Maximilian Franz aufgelöst, die medizinische Fakultät übernahm schlussend­lich deren Aufgaben.65

61 Conrad Varrentrapp, Beiträge zur Geschichte der kurkölnischen Universität Bonn. Festgabe, dargebracht zur fünfzigjährigen Stiftungsfeier der Rheinischen Friedrich-­ Wilhelms-­Universität am 3. August 1868 vom Verein von Alterthumsfreunden im Rheinlande (1868), dazu auch Watermann (wie Anm. 24), S. 16 und 44. 62 Max Braubach, Maria Theresias jüngster Sohn Max Franz. Letzter Kurfürst von Köln und Fürstbischof von Münster. Wien, München 1961, S. 55 – 64; 88 – 89. 63 Max Braubach: Belderbusch, Kaspar Anton Graf von. In: Neue Deutsche Biographie (NDB), Band 2. Berlin 1955, S. 28. 64 Watermann (wie Anm. 24), S. 27, Gmeiner (wie Anm. 59), S. 52. 65 Watermann (wie Anm. 24), S. 30 – 32.

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6  Medizin an der Maxischen Akademie in Bonn Die Gründung der Maxischen Akademie ist in Zusammenhang mit dem Bestreben zu sehen, den Bildungsstand der Bevölkerung im Kurfürstentum Köln zu heben und in der Konsequenz das Bildungswesen neu zu strukturieren. Die oben genannten katho­lischen Werte in Bezug auf das Bildungs- und Sozia­lwesen, die sich aus den Konzepten der Aufklärung, aber auch aus der Moral- und Sozia­llehre von Muratori als grundlegende denkerische Strömung in katho­ lisch geprägten Regionen ergaben, wurden hier offenbar ebenso wirksam wie in den habsbur­gischen Ländern. 1639 war das von Minoriten geleitete fünfklassige Gymnasium „Antonio-­ Paduanum“ eröffnet worden, an dem die Söhne von Adeligen und Beamten unterrichtet wurden. 1673 wurde die Leitung ­dieses Gymnasiums den Jesuiten übertragen. 1729 und 1731 wurden zwei weitere Professoren angestellt, die zusätz­liche Kurse für Logik und Physik abhielten, die auch als „Philosophicum“ bezeichnet wurden. Die Institu­tion wurde nach Fürstbischof Clemens August benannt und erhielt den Namen „Clementinum“. Um 1733 wurde zudem eine juristische Professur eingerichtet, die der Vorbereitung auf ein Studium der Rechte an einer Universität diente.66 Im Sommer 1773 erfolgte die Aufhebung der Gesellschaft Jesu durch den Papst, was auch für das Bildungswesen Europas weitreichende Folgen hatte, da die von Jesuiten geführten Gymnasien und Fakultäten an Universitäten nicht mehr von ­diesem Orden betreut werden konnten. Zahlreiche Ordensangehörige wurden jedoch, wie zum Teil auch in Bonn, an den Nachfolgeinstitu­tionen als Lehrende weiterhin eingesetzt. Auch das Bonner Jesuitengymnasium war von diesen Maßnahmen betroffen, was zum Anlass genommen wurde, das bisherige „Clementinum“ als kurfürst­liche Akademie weiterzuführen und auszubauen. Dies konnte durch die Übernahme der Gebäude, die Ausstattung des Kollegs wie z. B. der Bibliothek und der Lehrmittelsammlung sowie die Einkünfte der Jesuiten erfolgen. Zudem verpflichtete der Erzbischof die Stifte und Klöster seiner Diözese, entweder Lehrende für die Akademie zur Verfügung zu stellen oder zweckgebundene Abgaben zur Finanzierung derselben zu leisten.67

66 Max Braubach, Die erste Bonner Universität und ihre Professoren. Ein Beitrag zur rheinischen Geistesgeschichte im Zeitalter der Aufklärung, Bonn 1945, S. 12 – 14. 67 Varrentrapp (wie Anm. 61), S. VII–VIII sowie Braubach (wie Anm. 66), S. 30.

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Dem Studium an der Universität Köln stand man von Seiten der kurfürst­ lichen Regierung eher skeptisch gegenüber, der Auszug aus einem Aktenstück, das bei Varrentrapp abgedruckt ist, macht dies deut­lich: „… wir sahen fernen die höheren Schulen und Wissenschaften in unserem Erzstift und Staaten eingeschläfert und in der Gefahr ganz vernachlässigt zu werden. Wir erkannten, dass die Köllnischen Schulen jene Früchte nicht mehr hervorbrächten, w ­ elche 68 man sich bei ihrer Einrichtung versprach …“

Hingewiesen wird in ­diesem Zusammenhang auch auf die vielfältigen, aber offenbar nicht allzu erfolgreichen Bemühungen der Vorgänger von Max ­Friedrich, diesen Missständen abzuhelfen. Ein Argument, das u. a. auch von Maria Theresia im Bezug auf die Verbesserung der Studien in Wien und den habsbur­gischen Erbländern angeführt wird, ist die Sorge, dass junge Menschen aufgrund der mangelhaften Qualität der lokalen Ausbildung ins Ausland gehen würden und dort mit gefähr­lichen Denkweisen, vor allem aber mit nicht-­katho­ lischen Theologien in Berührung kommen würden. So heißt es in Bezug auf das Kurfürstentum Köln: „Wir vernahmen zu unserem höchsten Missvergnügen vielfältige Klagen, dass Unter­ thanen unseres Landes und Zöglinge unseres Erzstifts, auch jene w ­ elche genannten Schulen die nächsten wären, sich von selbigen entfernten, auf andere Universitäten, wo unserer Religion entgegenstehende Lehren und Sätze vorgetragen wurden, sich verfügten, um in jenen Wissenschaften, nicht ohne Gefahr ihrer einzigen und wahren Religion, sich zu üben, ­welche sie auf den Schulen unseres Erzstifts und Staaten nicht 69 erlernen zu können, wegen Abgang nöthiger Einrichtung, vermeinten.“

Im Herbst 1774 erfolgte eine Neustrukturierung der Maxischen Akademie. Die Gymnasialklassen wurden von den früheren Lehrern, Jesuiten, die nun in den Stand von Weltgeist­lichen versetzt worden waren, weitergeführt. Die beiden schon bestehenden philosophischen Professuren und die neu geschaffenen für Dogmatik, Moral und geist­liches Recht wurden mit Minoriten besetzt. Die ursprüng­lich nur durch eine Professur vertretenen juristischen Studien wurden erweitert, nunmehr unterrichteten drei Professoren das Staats- und

68 Varrentrapp (wie Anm. 61), S. IV. 69 Varrentrapp (wie Anm. 61), S. V.

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Völkerrecht, die Pandekten (Analysen des Römischen Rechts) sowie das pein­ liche und Lehensrecht. Diese Lehrstühle wurden nicht mit Geist­lichen besetzt, sondern mit bewährten Ziviljuristen.70 Ab 1775 fanden regelmäßig öffent­liche Disputa­tionen statt, was an sich eher für Universitäten charakteristisch war. Anfang 1776 erfolgte die Berufung eines Professors für Medizin, Franz Wilhelm Kauhlen (1750 – 1793), wodurch nunmehr die für Volluniversitäten üb­lichen vier Fakultäten vorhanden waren. 1777 wurden für die Maxische Akademie neue Statuten erlassen, es wurde ein Akademierat bestellt und auch die finanzielle Basis für das weitere Bestehen der Institu­tion wurde gesichert.71 Franz Wilhelm Kauhlen (1750 – 1793) hatte das Jesuitengymnasium in Neuss sowie das Kölner Laurentianum besucht und danach ein Studium der Theologie und Rechtswissenschaften in Köln begonnen. 1771 wechselte er an die „könig­ lich-­brandenbur­gische Universität zu Duisburg“, immerhin eine „preußisch-­ reformierte“ Institu­tion, wie Braubach betont.72 Als Schüler des Chemikers Johann Gottlob Leidenfrost (1715 – 1794)73 verfasste er 1774 eine medizinische Disserta­tion über den Sauerbrunnen von Roisdorf.74 Chemische Analysen von Mineralwässern und Heilquellen waren zu d ­ iesem Zeitpunkt häufig Th ­ emen 75 von wissenschaft­lichen Arbeiten wie auch Wasser an sich. Nach seinem Studium widmete sich Kauhlen an der Straßburger Universität u. a. der Weiter­ bildung in der Geburtshilfe, weshalb er s­ päter auch als Hebammenlehrer wirkte. 1775 ließ er sich als Arzt in Bonn nieder.76 Ab 1778 unterrichtete er an

70 Braubach (wie Anm. 66), S. 17. 71 Braubach (wie Anm. 66), S. 20. 72 Braubach (wie Anm. 66), S. 161. 73 In der Chemie ist Leidenfrost durch den „Leidenfrost-­Effekt“ bekannt. Wassertropfen „tanzen“ auf einer heißen Oberfläche, da sich an der Kontaktstelle eine Dampfschicht bildet, auf der der Wassertropfen gewissermaßen schwebt und sich durch die Wärmeströmung bewegt. Im Alltag ist dies zu beobachten, wenn Wasser überkocht und Tropfen auf die heiße Herdplatte geraten. 74 Franz Wilhelm Kauhlen, Dissertatio Inauguralis Medica in qua proponitur examen fontis mineralis Soterii Roisdorffiensis prope Bonnam. Duisburg 1774. 75 Vgl. dazu: Hasok Chang, Is water H2O? Evidence, Realism and Pluralism (Boston ­Studies in the Philosophy and History of Science, Vol. 293). Dordrecht 2012. 76 Walter Bruchhausen, Akademische Hebammenlehrer in Bonn (1777 – 1823). Vom kurfürst­ lichen Leibarzt zum preußischen Professor. In: Daniel Schäfer (Hg.), Rheinische Hebam­ mengeschichte im Kontext (= Kölner Beiträge zur Geschichte und Ethik der Medizin herausgegeben von Klaus Bergdolt, Axel Kahrenberg, Daniel Schäfer und Christiane Woopen, Bd. 1). Kassel 2010, S. 66 – 67.

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der Maxischen Akademie in der ersten Zeit laut Varrentrapp Anatomie, Physiologie, Chirurgie, Pathologie und gericht­liche Medizin.77 Dies könnte durchaus damit übereinstimmen, dass Kauhlen in der ersten Zeit vor allem Chirurgen und Hebammen ausgebildet haben soll.78 Kauhlen war Mitglied des Bonner Medizinalrates, wirkte an der Umstrukturierung der Maxischen Akademie mit und fungierte schließ­lich als erster Dekan der medizinischen Fakultät und als dritter Rektor der Universität Bonn. Sein besonderes medizinisches Interesse galt Erkrankungen, die heute als „infektiös“ bezeichnet werden, etwa dem Wundfieber, der Ruhr oder dem Kindbettfieber. Offensicht­lich war ihm die Informa­tion medizinischer Laien über gesundheitsförderndes Verhalten ein Anliegen, denn er publizierte verschiedene Abhandlungen im „Bön­nischen Intelligenzblatt“ und in der Bonner Zeitschrift „Beiträge zur Beförderung nütz­ licher Kenntnisse“, z. B. über ungesunde und gesunde Wohnungen oder über Rein­lichkeit. Kauhlen war überdies Mitglied im Illuminatenorden und wandte sich in Reden und Schriften oftmals gegen das „Vorurteil des Ansehens“, also dass eher Menschen geglaubt wird, die über hohes Ansehen verfügen, als den Wahrheiten, die sich aus analytischem Denken und mathematisch fundierter Prüfung ergeben. Er widmete sich als Garnisonsarzt auch der medizinischen Versorgung des Heeres und verstarb nach einem Besuch des Lazaretts am sog. „Lazarettfieber“.79

7  Medizin an der Universität Bonn Das offizielle Schreiben des Kölner Erzbischofs Max Friedrich an Joseph II . vom 23. 3. 1784, in dem um die Erhebung der Maxischen Akademie zur Universität gebeten wird, und das Konzept der positiven Antwort sind im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv erhalten.80 Beide Dokumente sind in der Urkunde, mit der die Maxische Akademie zur Universität wurde, enthalten und bei ­Varrentrapp wört­lich abgedruckt.81 Das Schreiben des Erzbischofs beginnt mit 77 Varrentrapp (wie Anm. 61), S. VI. 78 Watermann (wie Anm. 24), S. 45 und Braubach (wie Anm. 66), S. 151. 79 Braubach (wie Anm. 66), S. 160 – 163. 80 ÖStA, HHStA AT-RHR Grat. Feud. Confirmat. privileg. Lat. expedit.; Akademien A–G; Schachtel 9, Konv. 3 – 1: Bonnae In Civitate Universitatis Erectio pro Electore Coloniensi de Anno 1784. 81 Varrentrapp (wie Anm. 61), S. 7 – 19.

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Abb. 1: Triumphpforte zur Eröffnung der Universität Bonn 1786. Aus: Thaddaeus Dereser, Entstehung und Einwei­hungsgeschichte der Kurkölnischen Universität zu Bonn unter der glorreichen Regierung Maximilian Franzens, von Gottes Gnaden Erzbischofs zu Köln []. Bonn 1786, Anhang.

einer ­Darstellung der jahrhundertelangen Bemühungen der Kölner Erzbischöfe um die höhere Bildung im Kurfürstentum. Hingewiesen wird zunächst auf Entscheidungen von Karl V. von 1548 und von Ferdinand I. von 1559, die offenbar mit konfessionellen Fragen in Zusammenhang stehen, aber nicht konkret genannt werden. Betont wird, dass die Verbesserung im Bildungsbereich als Maßnahme zur Bewahrung des katho­lischen Glaubens dienen sollte. Weiters wird auf den Kölner Erzbischof H ­ ermann (von Wied) und das Jahr 1543 verwiesen, womit wohl die Konflikte um die Kölner Reforma­tion gemeint sind. Auch hier wird die Wichtigkeit von Bildungsmaßnahmen betont, die gelehrte theolo­gische Auseinandersetzungen in konfessionellen Fragen ermög­lichen. Zu d ­ iesem Zweck hatte Erzbischof Hermann beabsichtigt, in Bonn eine Schule zu gründen, in der alle Künste und Wissenschaften gelehrt und diskutiert werden sollten. Ende 1548 und zu Beginn des

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nachfolgenden Jahres war es dem Nachfolger des zurückgetretenen Hermann von Wied, Erzbischof Adolf (von Schaumburg), in einer Synode gelungen, die konfessionellen Konflikte im Kurfürstentum beizulegen. Die Etablierung einer höheren Bildungseinrichtung in der Residenzstadt wurde als angemessene Maßnahme zur Sicherung dieser Einigungen betrachtet. In den genannten Dokumenten wird weiters berichtet, dass 1673 das Jesuitengymnasium in Bonn gegründet wurde und dass von Erzbischof Clemens außerdem ein Philosophicum eingerichtet worden war, also ein Lehrgang zur Vorbereitung auf ein Universitätsstudium. Es wird darauf hingewiesen, dass das Bonner Jesuitengymnasium aufgrund der Aufhebung des Jesuitenordens nach einhundertjährigem Bestehen geschlossen wurde und Max Friedrich selbst umgehend dafür sorgte, dass die Bildung junger Menschen weitergeführt werden konnte, indem er 1777 eine Akademie gründete, um die er sich intensiv bemüht hatte. Diese entwickelte sich gut und war auch finanziell abgesichert, so dass nunmehr Joseph II. darum gebeten wurde, sie zu einer Universität zu erheben. In ­diesem Schreiben wurde besonders hervorgehoben, dass diese jahrhundertelangen Bemühungen um die Bildung der Jugend und die Pflege der Künste und Wissenschaften dazu beigetragen hätten, die konfessionelle Einigkeit und die katho­lische Ausrichtung des Landes zu erhalten, und dass die Erhebung der Akademie zur Universität dies weiterhin gewährleisten würde. Dies war wohl auch im Hinblick auf eine eventuell einzuholende Genehmigung der Gründung der Universität durch die römische Kurie ein gutes Argument. An der medizinischen Fakultät sollten dem Ansuchen des Kölner Erzbischofs entsprechend folgende Professuren eingerichtet werden. Diese wurden auch im auf ­diesem Antrag basierenden Gründungsdokument der Universität angeführt:82 [fol. 3r] C: In facultate medica: a: Anatomia, Opera­tiones chyrurgicae et ars obstetricia [fol. 3v]: b: Physiologica, Pathologia, Semiotica, Therapia generalis et specialis, Medicina casuistica, et manuductio ad Praxin c: Chemia, materia medica et Diaetetica, Botanica, methodus conscribendi formulas, d: Physiologia, Pathologia, et Materia chirurgica et medicina legalis, idiomate germanico

82 HHStA (wie Anm. 80).

Medizin, Gesundheitswesen und Aufklärung an der Maxischen Akademie in Bonn 365

Diese Zusammenstellung der Fächer macht das Ausbildungsziel deut­lich, das wenig ­später auch an der medizinisch-­chirur­gischen Akademie in Wien verfolgt wurde. Es ging offenbar darum, „medizinische Allrounder“ auszubilden, die im Fall der Wiener Akademie bereit waren, auch in entlegene Regionen zu gehen, um dort das Gesundheitswesen zu reorganisieren oder aufzubauen. Hierfür wurde ein didaktisches Konzept entwickelt, in dem Fächer, die mitein­ ander in Zusammenhang stehen, aufeinander aufbauend kombiniert wurden: Anatomie umfasst nicht nur den Bau des gesunden menschlichen Körpers, sondern auch die patholo­gische Anatomie, die Histologie (= mikroskopischer Aufbau von Geweben), die Embryologie und gelegent­lich auch die Tiermedizin.83 Diese Kenntnisse sind Voraussetzung, um chirur­gische Opera­tionen verstehen zu können.84 Geburtshilfe bedeutet in ­diesem Zusammenhang primär instrumentelle und von Chirurgen ausgeführte Geburtshilfe, was sich u. a. aus den zuvor vorgestellten geburtshilf­lichen Lehrbüchern ableiten lässt. Physiologie, also die Lehre vom Funk­tionieren des gesunden Körpers, ist Voraussetzung, um Veränderungen zu beschreiben, was in der Pathologie erfolgt. Unter medizinischer „Semiotik“ wurde die Lehre von den Zeichen, ­­ an denen sich Krankheiten erkennen lassen, verstanden. Die lo­gische weitere Folge ist die Lehre von der Behandlung von Krankheiten – die allgemeine und die spezielle Pathologie, die Analyse von Fallgeschichten und die Anleitung zur praktischen ärzt­lichen Tätigkeit v. a. in der Inneren Medizin, wie dies heute genannt werden würde. Chemie ist im Grunde ein neu definiertes Fach, unter „materia medica“ wurde die Lehre von (inner­lich angewandten) Arzneimitteln verstanden, was heute in etwa der Pharma­kologie entsprechen würde. Hierbei kamen jedoch nicht nur Heilpflanzen zum Einsatz, sondern auch minera­lische oder tierische Substanzen. Diätetik war ein Fach, das sowohl eine der Situa­tion angemessene Ernährung als auch die entsprechende Lebensführung zum Gegenstand hatte, was in ­diesem Konzept von Gesundheit und Krankheit sowohl therapeutische als auch präventive Bedeutung hatte. Botanische Kenntnisse waren in Bezug auf die Anwendung von Heilpflanzen sowohl zur Präven­tion als auch zur Therapie notwendig, die zuvor erwähnte Chemie war ebenso wie die Botanik eine Grundlage für das Wissen um die Anwendung verschiedener Heilmittel. Die korrekte Zusammensetzung und Verschreibung von Medikamenten ist ein

83 Joseph Claude Rougemont, Rede über die Zergliederungskunst bey der Eröffnung des neuen anatomischen Gebäudes. Bonn 1789, S. 32 – 38. 84 Rougemont (wie Anm. 83), S. 38 – 42.

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weiterer wichtiger Aspekt, denn zu dieser Zeit wurden Medikamente individuell auf den aktuellen Zustand und die „Konstitu­tion“ der Patientinnen und Patien­ ten abgestimmt. Ein sog. „Compositum“ bestand aus mehreren Heilpflanzen oder chemischen Komponenten. Dabei war nicht nur die Wirkung auf das Individuum, sondern auch die Wechselwirkung der einzelnen Bestandteile dieser Arzneimittel aufeinander und die damit verbundene Wirkung im menschlichen Organismus zu berücksichtigen. Ärzte verschrieben daher individuell abgestimmte Medikamente, die von Apothekern hergestellt wurden, daher kam auch der Unterweisung im „Formulieren“ von Rezepten besondere Bedeutung zu. Der vierte Bereich wurde offenbar auf Deutsch unterrichtet. Unter „materia chirurgica“, der „Lehre von den Wirkungen der in der Wundarzney gebräuch­ lichen Heilmittel“,85 wurden Therapien verstanden, die primär äußer­lich angewandt wurden, z. B. Arzneimittel, die auf die Haut aufgebracht wurden, etwa Pflaster oder Salben, Schienungen, Bandagen, das Setzen von Nähten und selbstverständ­lich Opera­tionstechniken, aber auch Medikamente, die eingenommen werden mussten, die jedoch nur aus einer Komponente bestehen sollten. Auch das Zusammenstellen von „Wundtränken“ gehörte zu dieser „materia chirurgica“. Dazu gehörten schmerzstillende und bis zu einem gewissen Grad narkotisierende Medikamente, aber auch ­solche, die inner­lich verabreicht wurden und der Heilung von Wunden oder Erkrankungen an der Körperoberfläche zuträg­lich sein sollten. Zu ­diesem Bereich gehörte auch die Behandlung von Tierbissen, im Fall von Schlangenbissen auch die Behandlung mit Gegengiften. In ­diesem Zusammenhang ist auch verständ­lich, dass die Behandlung der Tollwut („Hundswuth“) in den Bereich der chirur­gischen Behandlung gehörte.86 Zu bedenken ist hierbei, dass auch Erkrankungen der Haut, der Augen und der Zähne in diesen medizinischen Arbeitsbereich fielen. Auch die Behandlung der Zähne ist nicht einfach als „Zahnbrecherei“ in die Nähe der „Pfuscherei“ zu setzen, auch ästhetische Zahnbehandlungen wurden durchgeführt.87 Die Verschrift­lichung ­dieses Wissens, das vor allem münd­lich 85 Joseph Jakob Plenk, Materia Chirurgica oder Lehre von den Wirkungen der in der Wund­ arzney gebräuch­lichen Heilmittel, 2. Auflage. Wien 1777, Vorrede (ohne Seitenangabe). 86 Vgl. dazu: Joseph Claude Rougemont, Abhandlung von der Hundswuth, übers. v. Franz Gerhard Wegeler. Frankfurt a. Main 1798. Dieses Werk ist Johann Peter Frank, dem Direktor des Allgemeinen Krankenhauses in Wien, gewidmet. 87 Vgl. dazu: Christina Rattinger, „ Aesthetic Dentistry in Eighteenth Century Europe: Conservative, Orthodontic, and Prosthetic Measures for the Embellishment of the Mouth“, Med. Dent DA, Med. Uni Wien, 2014.

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weitergegeben wurde, ist ein Phänomen des 18. Jahrhunderts und erinnert an die Sammlung und Kodifizierung von praktiziertem, jedoch noch nicht verschrift­ lichtem Recht zur selben Zeit. In der „medicina legalis“ (auch „medicina forensis“) ging es darum, die Gerichte bei der Entscheidungsfindung zu unterstützen, aber nicht immer handelte es sich dabei um „Mord und Totschlag“, sondern auch um bleibende Schäden nach Verletzungen oder medizinische Fehlbehandlungen. Im Zusammenhang mit kirchenrecht­lichen Fragen wurde z. B. die Ungültigkeit von Ehen aufgrund der Unfruchtbarkeit von Eheleuten diskutiert, manchmal auch die Frage der Vaterschaft, etwa aufgrund von äußeren Ähn­lichkeiten.88 Auch Hebammen waren als Gutachterinnen tätig, etwa in Fällen von Kindsmord, Vergewaltigungen oder Missbrauch von Mädchen. Daher finden sich in den zeitgenös­sischen Hebammenlehrbüchern auch Abschnitte über die Gutachtertätigkeit von Hebammen. In Wien fungierten Chirurgen auch als amt­liche Totenbeschauer und erbrachten die für die ab 1648 geführte Dokumenta­tion der Todesfälle durch das „Totenbeschreibamt“ notwendigen Informa­tionen. Auch die amt­liche Totenbeschau war Teil der „medicina legalis“, diente jedoch auch der laufenden Beobachtung des Auftretens von Seuchen, wodurch sich ein weiterer Zusammenhang mit der „medizinischen Polizey“ ergab. Die Defini­tion der gericht­lichen Medizin als eigener Fachbereich ist wohl auch mit der gerade in dieser Zeit aktuellen Kodifizierung von oftmals münd­ lich überliefertem Recht zu sehen. Die Aufnahme der gericht­lichen Medizin in den Kanon jener Fächer, die an der medizinischen Fakultät der Universität Bonn unterrichtet wurden, ist als deut­liches „aufklärerisches“ ­­Zeichen zu sehen. Dass hier nochmals Physiologie und Pathologie Erwähnung finden und auf Deutsch unterrichtet werden, ist wohl darauf zurückzuführen, dass hier die Ausbildung von Wundärzten im Vordergrund stand. Zu bedenken ist gleichzeitig auch, dass 1783 an den habsbur­gischen Universitäten Deutsch als Unterrichtssprache eingeführt wurde, vielleicht nahm man sich dies zum Vorbild. Ein weiterer Aspekt wäre die Tatsache, dass alltäg­liche medizinische Begriff­lichkeiten auch in der Landessprache erlernt werden sollten, da Wundärzte mit eher „alltäg­lichen“ Problemen befasst waren und daher die Sprache der „einfachen Leute“ verstehen mussten. Auf das Problem der sprach­lichen Kommunika­tion von Heilkundigen untereinander, mit ihren Lehrenden und mit ihren Patientinnen und Patienten

88 Vgl. dazu: Silvia de Renzi, Resemblance, Paternity, and Imagina­tion in Early Modern Courts. In: Staffan Müller-­Wille / Hans-­Jörg Rheinberger (Hgg.), Heredity Produced. At the Crossroads of Biology, Politics and Culture. Cambridge MA 2007, S. 61 – 84.

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weist auch Franz Gerhard Wegeler in der Vorrede zu seinem „Buch für die Hebammen“ hin.89 Die Bestätigung der Erhebung der Maxischen Akademie zur Universität mit dem Recht, Doktoren und Magister zu graduieren, die ihre Tätigkeit auch außerhalb des Kurfürstentums ausüben durften, ist auf den 7. 4. 1784 datiert. Wenige Tage danach starb Max Friedrich, noch bevor das Schriftstück in Bonn eingetroffen war. Maximilian Franz, der Bruder von ­Kaiser Joseph II., hatte schon seit 1780 als Koadjutor fungiert und folgte dem verstorbenen Erzbischof nach. Die Universität war somit wohl gegründet, die feier­liche Eröffnung erfolgte jedoch erst 1786. In der Zwischenzeit wurde an der Umsetzung der vorgesehenen Strukturen dieser Institu­tion gearbeitet, wobei Franz Anton von Spiegel (1753 – 1815) eine wesent­liche Rolle spielte, besonders im Hinblick auf die Umsetzung von Konzepten der Aufklärung – immerhin war er auch Freimaurer.90 Der Akademierat entwickelte mehrere Entwürfe, jene für die Medizin wurden jedoch kaum geändert und dürften auf den von Kauhlen ausgearbeiteten Plänen beruht haben. Vorgesehen waren in den einzelnen Studienjahren folgende Fächer:91 1. Kurs: 1. Halbjahr: Anatomie und Chemie, Materia medica und Historia medica 2. Halbjahr: Materia medica, Botanik, Physiologie, Chirurgie 2. Kurs: 1. Halbjahr: Anatomie, Physiologie, Pathologie, Semiotik, Diätetik, Therapeutik 2. Halbjahr: Chirurgie, Geburtshilfe, Formulare und Pharmazeutik 3. Kurs: 1. Halbjahr: Praxis – Klinik – Medicina forensis, Opera­tiones chiriurgicae, Medicina veterinaria 2. Halbjahr: Politia medica, Praxis, Augenkrankheiten und praktische Geburtshilfe

89 Franz Gerhard Wegeler, Das Buch für die Hebammen. Köln 1800. 90 Rudolfine Freiin von Oer, Franz Wilhelm von Spiegel zu Desenberg und die Aufklärung in den Territorien des Kurfürsten von Köln. In: Harm Klueting / Norbert Hinske / Karl Hengst (Hgg.) Katho­lische Aufklärung – Aufklärung im katho­lischen Deutschland (Studien zum achtzehnten Jahrhundert herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts, Bd. 15). Hamburg 1993, S. 306 – 343. 91 Varrentrapp (wie Anm. 61), S. 26.

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Bis zur eigent­lichen Eröffnung der Universität im November 1786 wurden jedoch nicht nur Chirurgen und Hebammen ausgebildet, sondern auch Mediziner, so dass auch Lizentiaten geprüft wurden.92 Im Zusammenhang mit der Erteilung der Rechte einer Universität an die Maxische Akademie erfolgte auch die Berufung weiterer Professoren. Peter Wilhelm von Gynetti war als „Professor primarius“ an der Kölner medizinischen Fakultät tätig gewesen und hatte gemeinsam mit Menn mehr oder weniger erfolglos versucht, die Studien an der medizinischen Fakultät von Köln zu reformieren. 1783 wechselte er nun an die Maxische Akademie. Im Programm des Festaktes zur Eröffnung des Studienjahres am 11. 11. 178393 wurde Gynetti als consiliarius intimissimus des Erzbischofs und als Materiae medicae et chirurgicae, Medicinae legalis et Scientiae pharmaceuticae professor publ[icus] ordin[arius] bezeichnet, der über die Ursachen verschiedener Krankheiten und die Maßnahmen, diese zu verhüten und zu vertreiben, referierte. Daraus ergibt sich der Tätigkeitsbereich des renommierten Professors, der zudem ein wesent­lich höheres Gehalt erhielt als seine Kollegen.94 In ­diesem Programm wird auch Joseph Claude Rougemont genannt, der als anatomiae, chirurgiae ac artis obstetricae professor publ[icus] ordin[arius] eine Rede De instituto medico chirurgico hielt. Joseph Claude Rougemont wurde 1756 in der franzö­sischen Kolonie St. Domingo geboren und erhielt seine Ausbildung zunächst in Dijon, danach in Paris, wo er in die „Ecole pratique“ aufgenommen wurde. Ab 1781 war er als Chirurg und Anatom am Militärspital von Brest tätig, 1783 begann er seine Tätigkeit in Bonn, wo er sich besonders der Anatomie und der Chirurgie widmete. Die deutsche Sprache beherrschte er offenbar sehr bald. Eine seiner zahlreichen Publika­tionen, eine Arbeit über die Vererbung, wurde 1790 mit einem Preis der Pariser Société Royale de Médecine ausgezeichnet.95 In d ­ iesem Text werden verschiedene zu dieser Zeit diskutierte Theorien über die Vererbung beschrieben und

92 Watermann (wie Anm. 24), S. 52. 93 Anni MDCCLXXXLIII dies undecima Novembris academica solemnis quando […] scholae majores in academia archiepiscopali & electoriali coloniensi, quae Bonnae existit, aperie­ bantur et minibus clementissimis programmata sua praesentabant […] (1783). 94 Braubach (wie Anm. 66), S. 163 – 165. 95 Vgl. dazu: Carlos Lopez Bertran, The Medical Origins of Heredity. In: Staffan Müller-­ Wille / Hans-­Jörg Rheinberger (Hgg.), Heredity Produced. At the Crossroads of Biology, Politics and Culture. Cambridge MA 2007, S. 108 – 129.

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analysiert.96 Besonders im Abschnitt über erb­liche Krankheiten und wie mit diesen umgegangen werden sollte, nimmt Rougemont, so wie in seinen anderen Texten, mehrfach und sehr positiv formuliert auf Johann Peter Frank und seine Maßnahmen der „medizinischen Polizey“ Bezug 97 – womit auch hier die starke Ähn­lichkeit zur aufgeklärten Medizin in den habsbur­gischen Ländern zu erkennen ist. Auch Rougemonts Rede über die Kleidertracht, die er anläss­lich der Eröffnung der Universität Bonn hielt, steht in Zusammenhang mit Bevölkerungspolitik und Gesundheitsförderung. Der Appell, sich gesund zu kleiden, ist nicht nur an Frauen gerichtet, sondern bezieht sich auch auf Männer und Kinder. Die zu dieser Zeit gebräuch­liche Schnürbrust sieht Rougemont als eine der Ursachen von Haltungsschäden, Schwierigkeiten bei der Empfängnis, problematischen Schwangerschaften und komplizierten Entbindungen. Durch das zu frühe Schnüren der Körper der Mädchen wird auch die Entwicklung der weib­lichen Brust behindert, was wiederum für das Stillen von Nachteil ist. Es versteht sich in ­diesem Zusammenhang fast von selbst, dass das Stillen durch die eigene M ­ utter unbedingt befürwortet wurde. Hierbei ist zu darauf hinzuweisen, dass in den von Joseph II . gegründeten Internaten für Mädchen die Verwendung von Schnürbrüsten ausdrück­lich verboten war.98 Die Kleidung der neugeborenen Kinder sollte luftig und leicht sein, so dass sie sehr viel Bewegungsfreiheit lässt und auch das Wechseln der Windeln erleichtert wird. Das tradi­tionelle Wickeln, wie es aus zahlreichen bild­lichen Darstellungen von „Wickelkindern“ bekannt ist, lehnte Rougemont ab. Grundsätz­lich sollten Kinder, mit Ausnahme der Neugeborenen, nicht zu warm angezogen werden, er empfiehlt das Barfußgehen vom Frühjahr bis zum Herbst. Auch die Kleidung der Männer sollte leicht und luftig sein, vor allem von engen Hosen rät Rougemont ab, da diese die Fruchtbarkeit beeinträchtigen können. Die Körperpflege sollte häufig, hauptsäch­lich aber mit kaltem Wasser durchgeführt werden, hierbei verweist er auf die Vorzüge der Kaltwassertherapie, die von dem in Bonn geborenen Wiener Arzt und obersten Gesundheitsbeamten von Niederösterreich, Johann Pascal Ferro (1753 – 1809), empfohlen wurde.99 96 Joseph Claude Rougemont, Abhandlung über die erb­lichen Krankheiten, übers. v. Friedrich Gerhard Wegeler. Frankfurt a. Main 1794. 97 Johann Peter Frank, System einer vollständigen medicinischen Polizey, mehrere Bände. 1729 – 1827. 98 ÖStA, AVA, Studienhofkommission, Karton 104, Fasc. 83 (19. 9. 1786), fol. 10r/10v. 99 Johann Pascal Ferro, Vom Gebrauche der kalten Bäder. Wien 1781.

Medizin, Gesundheitswesen und Aufklärung an der Maxischen Akademie in Bonn 371

Als weiterer Lehrer wird für das Studienjahr 1783/84 auch Johann Heinrich Creveldt genannt, der ebenfalls einige Zeit lang „in Wien“ studiert hatte.100 Er wird als Lehrer für „Arzney“ und Botanik genannt. Der Arzt Constantin von Schönbeck wird ebenso als Lehrender erwähnt, der Naturgeschichte und Physik unterrichtete, aber der philosophischen Fakultät zugeordnet war. Beide schieden jedoch offenbar relativ bald (vor 1786) aus dem Lehrkörper aus.101 Mög­licherweise wurden sie vom persön­lichen Arzt des Kurfürsten, Martin von Ney, ersetzt, der Maximilian Franz aus Wien begleitet hatte. Ney verließ die Universität Bonn jedoch im Frühjahr 1791 wieder.102 Die feier­liche Eröffnung der Universität dauerte mehrere Tage, vom 20. bis 22. 11. 1786. Bei dieser Gelegenheit wurden zahlreiche Reden und öffent­liche Disputa­ tionen gehalten. Kauhlen hielt als Dekan der medizinischen Fakultät eine Rede „Von den Hindernissen, die der Vervollkommnung der Arzneigelehrsamkeit im Wege stehen“, in der er die „… Verabsäumung der echten Philosophie, der mathematischen Methode und der Naturlehre“ als Gefährdung der Weiterentwicklung der Medizin thematisierte.103 Joseph Claude Rougemont hielt ebenfalls eine Rede „Etwas über die Kleidertracht, in wie ferne sie einen nachtheiligen Einfluss auf die Gesundheit hat. Nebst einigen anatomischen und chirur­gischen Beobachtungen.“ In d ­ iesem Rahmen fand auch die erste feier­liche Promo­tion eines Doktors der Medizin statt. Franz Gerhard Wegeler absolvierte eine Disputa­tion über seine Disserta­tion. 1787 erhielt er ein Stipendium des Kurfürsten, um „nach Wien“ zu gehen und seine medizi­ nischen Kenntnisse zu erweitern. Diese Reise unternahm er gemeinsam mit seinem Jugendfreund Ludwig van Beethoven. Wegeler studierte nach Angaben von Braubach bei Johann Hunczowsky (1752 – 1798), der an der medizinisch-­chirur­gischen Josephsakademie Chirurgie, Geburtshilfe und gericht­liche Medizin unterrichtete.104 Später widmete Wegeler Hunczowsky mehrere seiner Publika­tionen, u. a. seine Ausführungen über die Bedeutung der Gerichtsmedizin für den Staat.105 In ­diesem Fall ist klar, dass Wegeler an jener Wiener Institu­tion ausgebildet wurde, an der eindeutig aufklärerische Konzepte vertreten wurden. Wegelers besonderes Interesse an gericht­licher Medizin und Geburtshilfe mag damit in Zusammenhang stehen. 100 Braubach (wie Anm. 66), S. 170. 101 Braubach (wie Anm. 66), S. 170 – 171, Watermann (wie Anm. 24), S. 50 – 51. 102 Braubach (wie Anm. 66), S. 171. 103 Braubach (wie Anm. 66), S. 163. 104 Braubach (wie Anm. 66), S. 172. 105 Franz Gerhard Wegeler, Rede über die Vortheile, die dem Staate aus einer Schule der gericht­lichen Arzneiwissenschaft zufliessen. Bonn 1790.

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Folgende Lehrende sind an der Bonner medizinischen Fakultät in dieser Zeit genannt:

Franz Willhelm Kauhlen: Medizinische Praxis, Rezeptverschreibungen, Pathologie und medizinische Polizei Peter Wilhelm Ginetty: Medizinische Praxis, Physiologie, Semiotik und Botanik Jospeh Claude Rougemont: Anatomie, Chirurgie und etwa ab 1788 Augenheilkunde Martin Ney: Geburtshilfe 106 1789 wurde das neue Gebäude für die Anatomie eröffnet. Im Rahmen ­dieses Festaktes hielt Rougemont seine bereits genannte Rede über die Zergliederungskunst, in der er zunächst über die Geschichte der Anatomie referierte und danach auf die Wichtigkeit der Anatomie als Grundlage für jeg­liche medizi­ nische Tätigkeit hinwies. Diese Rede gibt einen ausgezeichneten Einblick in die verschiedenen Bereiche der Anatomie, wie sie am Ende des 18. Jahrhunderts verstanden wurden, und die Argumente, warum ­diesem medizinischen Fach so große Bedeutung zugemessen wurde. Das gedruckte Vorlesungsverzeichnis für November 1789 bis September 1790 zeigt folgende Zuordnungen:

Peter Wilhelm Gynetti: Physiologie, Semiotik (Winter), Botanik (Sommer) Franz Wilhelm Kauhlen: Pathologie, medizinische Praxis, medizinische Polizei und Rezepte Jospeh Claude Rougemont: Anatomie und chirur­gische Opera­tionen (im Winter), Chirurgie und Geburtshilfe (im Sommer) sowie venerische Erkrankungen und Augenheilkunde. Außerdem wurde auch „freies Zergliedern“ angeboten. Franz Gerhard Wegeler: Geburtshilfe und foren­sische Medizin 107

106 Watermann (wie Anm. 24), S. 53. 107 Varrentrapp (wie Anm. 61), S. 36.

Medizin, Gesundheitswesen und Aufklärung an der Maxischen Akademie in Bonn 373

Abb. 2: Anatomisches Gebäude der Universität Bonn. Aus: Joseph Claude Rougemont, Rede über die Zergliederungskunst bey der Eröffnung des neuen anatomischen Gebäudes. Bonn 1789, Vorsatz.

Für November 1792 bis September 1793 sind folgende Zuteilungen angeführt:

Peter Wilhelm Gynetti: Physiologie, Semiotik (Winter), Botanik (Sommer) Franz Wilhelm Kauhlen: Pathologie, medizinische Praxis Jospeh Claude Rougemont: Anatomie und chirur­gische Opera­tionen (im Winter), Chirurgie und Geburtshilfe (im Sommer), venerische Erkrankungen, Augenheilkunde und „freies Zergliedern“ Franz Gerhard Wegeler: Gerichtsmedizin, Entbindungskunst, Materia medica Dieser Fächerkanon ist im Grunde mit jenem identisch, der auch an der medizinisch-­chirur­gischen Josephsakademie in Wien umgesetzt wurde. Es wäre naheliegend, dass die Überlegungen zur Konzep­tionierung der medizinischen Ausbildung an der Maxischen Akademie und an der aus dieser hervorgegangenen Universität Bonn auch mit der Gründung der medizinisch-­chirur­gischen Akademie und der Zuerkennung der Rechte einer Universität an diese Institu­tion in Zusammenhang stehen. Vielleicht waren die Entwicklungen in Bonn auch Impulsgeber für die Entscheidung

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von Joseph II ., in Wien eine medizinische Schule zu gründen, die ähn­lichen Konzepten folgte. Anzunehmen ist auch, dass die jeweiligen Akteure miteinander in Kontakt standen und sich über diese Konzepte austauschten – nicht nur über beruf­liche Beziehungen, sondern auch über familiäre und, was im Zusammenhang mit dem Verständnis von Medizin und ihren Aufgaben für das Gemeinwohl sowie den Denkweisen der Aufklärung in dieser Region ebenfalls von Bedeutung ist, über die informellen Netzwerke der Freimaurer und Illuminaten. Die für beide Institu­tionen charakteristischen Fächer sind die medizi­nische Polizei, Gerichtsmedizin, Augenheilkunde, Geschlechtskrankheiten und Geburtshilfe. An der medizinischen Fakultät der Universität Wien und an jener in Köln waren diese Fächer, mit Ausnahme der Geburtshilfe, im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts jedoch noch nicht im Lehrplan vorgesehen. Die 1786 publizierte Beschreibung der Fest­lichkeiten zur Eröffnung der Bonner Universität 108 schließt mit der Passage: „So war nun die feier­liche Einweihung der neuen Universität vollendet, ­welche ein ewig bleibendes Denkmal der Weisheit Maximilian Franzens, ihres durchleuchtigsten Errichters seyn wird. Die späteste Nachwelt wird die süßen Früchte der Aufklärung, ­welche sie nach den Absichten ihres Stifters über das ganze Erzstift zu verbreiten sucht, dankbar genießen, und den unsterb­lichen Namen unsers großen Fürsten aus dem Hause Österreich ewig segnen.“

Die Tatsache, dass die Universität Bonn einen Weg „im Lichte der Aufklärung“ beschritten hatte, und dies nicht nur in der Medizin, sondern auch in anderen Fächern, mag im Endeffekt dazu beigetragen haben, dass auf Veranlassung von Friedrich Wilhelm von Preußen die Universität in Bonn ab 1818 weitergeführt wurde, die Universität zu Köln jedoch erst einige Zeit ­später wie bei deren Gründung 1388 durch das Engagement der Stadt „wiederbelebt“ wurde.

108 Dereser (wie Anm. 30), S. 78.

Gegenwartsbezüge Martin Kintzinger

Natio academia. Interna­tionalität als Herausforderung der Wissenschaft zwischen Mittelalter und Moderne

1  Köln, der Karneval und die Universität Vieles gab es zu feiern im Herbst 2013 in Köln und die Zukunft spielte dabei eine besondere Rolle. „Zokonf. Mer spinkse wat kütt“, so hieß das Motto der närrischen Saison des Kölner Karnevals 2013/14, die zwei Wochen nach der Tagung, wie immer am 11. 11., eröffnet wurde. Die digitalen Foren erlauben dem dialektalen Illiteraten heute nach einer Übersetzung zu fragen und man erhält dann die Version: „Zukunft, wir schauen schon mal, was kommt.“1 Ist es Zufall, dass das Jubiläum der „alten“ Kölner Universität ebenfalls die Zukunft zum Motto ihrer Feier­lichkeiten nahm, mit der historiographisch gewagten Wendung „Zurück in die Zukunft!“? Wer 625 Jahre alt geworden ist, so könnte man behaupten, fürchtet auch die nächsten 300 Jahre nicht. Sehr wahrschein­lich wird die Universität auch wieder mitfeiern, wenn das Festkomitee Kölner Karneval, worauf jetzt schon hingewiesen sei, im Jahr 2323 seiner­ seits 500-jähriges Jubiläum feiern wird.

1 http://www.koelner-­karneval.org/wissenswertes/karnevalsmotto-2014-zokunf-­mer-­ spingkse-­wat-­kuett/ (Zugriff: 21. Oktober 2013). In einer offiziellen Exegese des Mottos heißt es: „Der Kölner Karneval ist ein Spiegel der Gesellschaft, das Festkomitee Kölner Karneval hat die Aufgabe, Tradi­tionen zu bewahren, aber ­dieses wunderbare Fest auch weiter zu entwickeln. Wie wird unser schönes Brauchtum wohl in 50, 70, 100 oder gar in 300 Jahren gelebt, wenn das große Jubiläum ansteht? […] Im Jahr 2323 feiert das Festkomitee Kölner Karneval sein 500-jähriges Bestehen. Wie wird Köln dann ­aussehen, wie werden wir leben, arbeiten und Karneval feiern?“ http://www.koelnerkarneval. de/aktuelles/detail/article/das-­motto-­der-­koelner-­karnevalssession-2014/ (Zugriff: 21. Oktober 2013).

376 Martin Kintzinger

Beide, Universität und Karneval, haben durchaus manches gemeinsam. Das Lob auf den Kölner Karneval beispielsweise, es könne „jeder mitmachen, egal ob reich, arm, jung, alt, Kölsch oder Imi“ würde so ähn­lich auch für die Universität zutreffen, in deren Bemühen um Chancengleichheit, Life-­long-­learning und interkulturelle Kompetenz.2 Universalität soll also ein Markenzeichen des Karnevals sein – wie sie seit jeher zur Universität gehörte. Beide haben zudem gemeinsam, dass sie ihre Gegenwart und zuversicht­lich erwartete Zukunft aus der Tradi­tion einer jahrhundertelangen Geschichte erklären: Die Tradi­tion des närrischen Treibens in Köln ist erstmals 1341 urkund­lich belegt und dann auch schon mit Verweis auf eine länger zurückreichende Tradi­tion, das besagte Kölner Festkomitee fand aber erst 1823 zusammen. Die „alte“ Universität wurde, wie üb­lich nach längerer schu­lischer Vorgeschichte, 1388 gegründet und die neue, in deren Räumen das Jubiläum der „alten“ heutzutage gefeiert wird, 1919. Mittel­ alter und Moderne treffen sich in Köln im Karneval und in der Universität.3 „Universität und Kontroversen“: Wenn das unser Thema ist, dann handeln wir von der Geschicht­lichkeit des Gegenwärtigen ebenso wie von der Gegenwärtigkeit des Zukünftigen – also von der „alten“ ebenso wie von der neuen Universität Köln und den vielen anderen in Europa. Einige Linien unserer Diskussion während der Tagung möchte ich im Folgenden nochmals aufnehmen, werde dabei sowohl im Mittelalter als auch in der Moderne und Gegenwart sein, in der Ereignis- wie in der Forschungsgeschichte und dabei besonders auf die Herausforderung durch die Interna­tionalität achten. Sie stand nicht im Thema unserer Tagung, kam eher ­zwischen den Zeilen vor, dafür aber immer wieder und immer mit einem offenen Ende. Hier will ich versuchen weiterzudenken.

2  Die lange Dauer und die Welt Bekannt­lich ringen die Universitäten Paris und Bologna bis heute um den Vorrang des älteren Ursprungs. Beiden hat die Moderne dabei geholfen, ihre Erinnerung neu zu konstruieren. 1998 hatte eine euro­päische Ministerkonferenz in Paris in den Räumen der „Sorbonne“ vorbereitet, was 1999 in Bologna

2 http://www.citynews-­koeln.de/koelner-­motto-­karneval-­christoph-­kuckelkorn-­stadt-_ id6969.html (Zugriff: 21. Oktober 2013). 3 Vgl. Helene Klauser, Kölner Karneval ­zwischen Uniform und Lebensform (Interak­ tionistischer Konstruktivismus 4), Münster 2007, S. 132 u. ö.

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beschlossen wurde: bis 2010 einen einheit­lichen euro­päischen Hochschulraum schaffen zu wollen.4 Was daraus wurde, wissen wir heute und es wird im Beitrag von Ulrich Teichler kritisch gewürdigt. Für beide Universitäten bot die EU-Deklara­tion einen willkommenen Anlass, an ihrer historischen Selbstvergewisserung zu arbeiten. Paris legte sich 1998 ­darauf fest, sein 800-jähriges Gründungsjubiläum zu feiern, also 1198 entstanden zu sein. Bologna entschied sich, seine Gründung auf 1088 festlegen zu wollen und ließ sich dazu ein eigenes Siegel schneiden, das ­dieses Gründungsdatum als historisches Faktum ausgibt, immerhin 110 Jahre früher als Paris, also als erste Universität überhaupt, und darauf kam es schließ­lich an. Auch die Umschrift des Bologneser Siegels ist universal akzentuiert: Alma mater studiorum. A. D. 1088 und Petrus ubique pater legum Bononia mater. In der Ubiquität lag ein entscheidender Schritt zur Universalität der mittel­ alter­lichen Universität. Erstmals 1233 an der erst vier Jahre zuvor gegründeten Universität Toulouse hatte man das Privileg des ius ubique docendi für die eigenen Magistri erstritten, den Rechtsanspruch, dass die Tolosaner Gelehrten an jedem anderen Studienort der Welt ohne weitere Examinierung lehren dürften.5 Eine ­solche universale Geltung reklamierten die beiden ältesten Universitäten nun auch für sich. Sie brauchten immerhin bis 1292, um diesen Anspruch durchzusetzen. Noch heute führt eine der Pariser Universitäten, Paris IV – Paris Sorbonne, ­dieses Motto: Hic et ubique terrarum.6 In Köln brauchte man noch länger, um überhaupt eine Universität einzurichten, war dann aber als Gründungsuniversität für die eigene Zeit besonders fortschritt­lich: Nicht ein Landesherr gründete 1388 die Kölner Universität, sondern der Rat der Stadt. 40 Jahre nach der ersten nordalpinen Universität, Prag, 4 Vgl. Martin Kintzinger, Universitas. Wissensgeschichte ­zwischen Institu­tionen und Interessen, in: Helmut Grössing, Kurt Mühlberger (Hgg.), Wissenschaft und Kultur an der Zeitenwende. Renaissance-­Humanismus, Naturwissenschaft und universitärer Alltag im 15. und 16. Jahrhundert (Schriften des Archivs der Universität Wien 15), Göttingen 2012, S. 17 – 36. Ders., Universität, in: Pim de Boer, Heinz Duchhardt, Georg Kreis, Wolfgang Schmale (Hgg.), Euro­päische Erinnerungsorte 2. Das Haus Europa, München 2012, S. 307 – 312. 5 Vgl. Martin Kintzinger, Licentia. Institu­tionalität „akademischer Grade“ an der mittel­ alter­lichen Universität, in: Rainer C. Schwinges (Hg.), Examen, Titel, Promo­tionen: Akademisches und staat­liches Qualifika­tionswesen vom 13. bis zum 21. Jahrhundert (Veröffent­lichungen der Gesellschaft für Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte 7), Basel 2007, S. 55 – 88. 6 http://en.wikipedia.org/wiki/Paris-­Sorbonne_University (Zugriff: 23. Oktober 2013).

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23 Jahre nach Wien und noch zwei Jahre nach Heidelberg war Köln die vierte Universitätsgründung im Heiligen Römischen Reich und die erste städtische. Man führte daher nicht ohne Absicht die Siegelumschrift universitas studii sanctae civitatis Coloniensis. Das „heilige Köln“ stellte sich selbstbewusst an die Seite des Kaisers und jener Herzöge, die die früheren Universitäten gegründet hatten, und ist bis in die modernen närrischen Tage dabei geblieben; noch heute lautet die Siegelumschrift Sigillum universitatis studii sanctae civitatis Coloniensis. Schon damit und selbstverständ­lich mit dem im 14. Jahrhundert allgemein üb­lichen Anspruch auf universale Anerkennung der eigenen Grade und Qualifika­tionen war die Universität Köln auch als städtische und damit eigent­lich lokale Gründung genau so auf Universalität ausgerichtet wie die übrigen, älteren und auch die herrschaft­lich gegründeten. Damals mag in der Sicht der Reichsfürsten die städtische Initiative geradezu alarmierend gewesen sein. Im Reich des 14. und noch des 15. Jahrhunderts hatte man sich widerwillig an die Stärke und Unabhängigkeit der Reichs- und Freien Städte gewöhnt. Der Grenzen übergreifende Vergleich mit Frankreich rückte die Verhältnisse wieder zurecht: Dort galten die Städte als bonnes villes, wenn sie der Politik des Königs folgten. Entsprechend waren die nach Paris gegründeten Universitäten – Montpellier und Toulouse im frühen 13., Angers Mitte des 13., Avignon, Cahors und Perpignan bis Mitte des 14. Jahrhunderts sowie Orange kurz nach der Jahrhundertmitte – herrschaft­liche Gründungen. Die weiteren, ab Aix-­en-­Provence 1409, sind allesamt s­ päter als Köln entstanden. Keine der genannten Universitäten in Frankreich ging auf eine stadtbürger­liche Initiative zurück. Der interna­tionale Vergleich macht das Besondere an der Entstehung der „alten“ Universität Köln deut­lich. Er zeigt auch, dass Köln damit auf eigene Art die lange Dauer der euro­päischen Universitätsgeschichte repräsentiert: Rainer Schwinges hat 2010 nochmals die Herkunft der Universitäten „aus dem bürger­lichen Milieu der west- und südeuro­päischen Stadtgesellschaften“ betont.7 Wenn es zur Eigenart der mittelalter­lichen euro­päischen Universität gehörte, dass sie in Städten entstand oder gegründet wurde, so war sie doch niemals städtisch, sondern blieb als institu­tionelle Rechtskörperschaft eigenständig. ­Rüdiger vom Bruch hat darauf während unserer Tagung schon hingewiesen. Trotz eines verbreiteten,

7 Rainer Christoph Schwinges, Universität, s­ ozia­le Netzwerke und Gelehrtendynastien im deutschen Spätmittelalter, in: Frank Rexroth (Hg.), Beiträge zur Kulturgeschichte der Gelehrten im späten Mittelalter (Vorträge und Forschungen 73), Ostfildern 2010, S. 47 – 70, hier S. 48 f.

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durch die Topographie (keine Universität außerhalb einer Stadt) bedingten Missverständnisses in der Moderne waren die Universitäten des mittelalter­lichen Europa also zwar Einrichtungen in der Stadt, aber nicht städtische Einrichtungen. Köln stellt hier eine der ganz seltenen Ausnahmen dar. In jedem Fall dürfte schon bis hierher deut­lich geworden sein, weshalb der „Kontext der euro­päischen Universitätsgeschichte“ für das Verständnis der besonderen Bedingungen vor Ort einer jeden mittelalter­lichen Universität entscheidend aussagekräftig ist. Das bis heute maßgeb­liche, von Walter Rüegg herausgegebene Standardwerk zur Universitätsgeschichte trägt den schlichten, aber programmatischen Titel „Geschichte der Universität in Europa“. Der Herausgeber formulierte im ersten, 1993 erschienenen, dem Mittelalter gewidmeten Band seinen ersten, einleitenden Satz gewiss mit Bedacht: „Die Universität ist eine, ja die euro­päische Institu­tion par excellence.“8 Analog nimmt Joachim Ehlers in seinem 2004 erschienenen Überblickswerk zur Geschichte Westeuropas im Mittelalter eigene Kapitel zu „Wissenschaft und Studium“ sowie „Studium und Lehre“ auf und beschreibt die Entstehung der Universität „als euro­päisches Phänomen“.9 Mit Bezug auf die entwickelte scholastische Dialektik als dominantes lo­gisches Paradigma beschreibt Ehlers dessen kontinentale Wirkungsdimension: Ohne Kontinuität und Kohärenz der Vermittlung von Wissen und Methode, wie sie Schule, Lehre und Studium verbürgten, wäre es kaum zu jenem überraschenden Aufstieg wissenschaft­licher Bildung und literarischer Kultur in Westeuropa gekommen, der das geistige Profil einer Epoche bestimmt und zur zivilisatorischen Eigenheit des 10 Kontinents beigetragen hat.

Unter der schlagkräftigen Überschrift „Deutschland fragt an“ folgert er dann: Eine wichtige Voraussetzung für den Erfolg des neuen wissenschaft­lichen Denkens war die Mobilität der Gelehrten und der Scholaren, die […] in teilweise weiteren Wanderungen bestimmte Ziele erreichten, die mit den Namen berühmter Magister 11 verbunden waren. 8 Walter Rüegg, Vorwort, in: Ders. (Hg.), Geschichte der Universität in Europa: 1. Mittel­ alter, München 1993, S. 13 – 20, hier S. 13. 9 Joachim Ehlers, Das west­liche Europa (Die Deutschen und das euro­päische Mittelalter), München 2004, S. 335. 10 Ebd., S. 282 – 308 und S. 309 – 336, das Zitat S. 309. 11 Ebd., S. 323.

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Das römisch-­deutsche Reich war, jedenfalls zunächst und mit einer in dessen Genese häufigen Verspätung, Rezipient, nicht Initiator oder Träger der aktuellen Entwicklung. Dennoch unternimmt es die heutige Forschung, das früher beliebte Bild einer Vorbild-­Abbild-­Rela­tion gerade ­zwischen Frankreich und dem Deutschen Reich zu relativieren. Dies geschieht zur Zeit auf dem Feld der vergleichenden Erforschung der Hofkultur und wird sich zweifellos auch in der universitätshistorischen Forschung durchsetzen. Statt von Übernahmevorgängen wird man eher von wechselseitigen Wahrnehmungen und Einflüssen sprechen wollen, wie es Rainer Schwinges zuletzt 2010 mit dem Instrumentarium der Netzwerkforschung vorgeführt hat.12 Erst ein solches methodisches Vorgehen erlaubt belastbare Aussagen zu dem für die Zeitgenossen präsenten euro­päischen Kontext der mittelalter­lichen Universitätsgeschichte und so auch zu einer tragfähigen Bewertung nachweisbarer Migra­tionen. Obwohl besser abgesichert als früher, mögen die Ergebnisse im Einzelnen allerdings doch unerwartet sein: Köln, obwohl eine der größten Universitäten im Reich, erscheint hier als Ort besonderer personeller und räum­licher Nähe und Vernetzung, damit aber auch der Begrenztheit und Immobilität.13 Dass personale Bindungen und Vernetzung für die Selbstorganisa­tion gerade auch der Universitätsangehörigen entscheidend waren, ist unstrittig. Sie konnten zu interna­tionaler Verflechtung geweitet werden, sich aber auch zu begrenzter Bindung verdichten.14

3  Das Ende der Dauer und die Zukunft Das Schicksal der willkür­lichen Aufhebung der „alten“ Universität teilt Köln ebenfalls mit anderen, so schon mit Paris. Dort 1793 im Zuge der Revolu­ tion, in Köln 1798 durch die napoleonische Administra­tion wurde die jahrhundertealte Tradi­tion per Erlass beendet. In Paris begann man, nach der napoleonischen Université impériale von 1806, erst 1896 wieder mit einem regulären Lehrbetrieb, in Köln sogar erst 1919. Nun hatte es Köln aber besser getroffen. In Paris fiel auch die neue Universität nochmals unter administrative Willkür. Im Gefolge der 68er-­Unruhen wurde sie 1970/71 strukturell zerschlagen und

12 Schwinges, Universität (wie Anm. 7). 13 Ebd., S. 62. 14 Ebd., passim. Ehlers, Das west­liche Europa (wie Anm. 9), S. 326, 328.

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in 13 durchnummerierte Einheiten unterteilt. Nur Eingeweihten ist es heute noch mög­lich, Konturen der „alten“ Universität Paris in der neuen Ordnung wiederzufinden. Mit dem revolu­tionären oder napoleonisch-­imperialen Eifer des späten 18. Jahrhunderts hatte man die damaligen Veränderungen auch als Befreiung aus der Enge na­tionaler Tradi­tionen verstanden. Die Maßnahmen nach 1968 waren dem Reformwillen einer politischen Interna­tionale geschuldet, die die gewachsenen Universitätsstrukturen als Ausdruck na­tionalkonservativer Regierungspolitik überwinden wollten. Heutzutage haben sich die Verhältnisse wieder beruhigt, die Interna­tionalität ist hingegen auf dem aktuellen Entwicklungsstand Programm geblieben. So definiert die Universität Paris IV /Paris-­Sorbonne ihr Aufgabenfeld über die Begriffe „lettres et civilisa­tions“ methodisch konservativ.15 Mit der Erweiterung um „un pont entre les civilisa­ tions“ wird die institu­tionelle und exklusive Außenstelle von Paris IV in Abu Dhabi legitimiert.16 Interkulturalität, heute eine der großen Herausforderungen unserer Zeit, scheint hier bereits programmatische Realität geworden zu sein. Mit der großen Ausstellung „A golden age of arabic science“ akzentuiert man in Abu Dhabi nicht nur diese politische Posi­tion, sondern schlägt – wohl eher unbeabsichtigt – auch eine Brücke zurück ins Mittelalter: in die Zeiten, als die euro­päisch-­christ­liche von der arabisch-­muslimischen Wissenschaft lernen konnte. Das Kölner Jubiläumsmotto „Zurück in die Zukunft“ wird man in Paris und Abu Dhabi vermut­lich übersehen haben, es würde hier geradezu ideal passen. Die Wege in Köln sind nach der Einrichtung der neuen Universität vergleichsweise ruhiger verlaufen. Unter dem antikisierenden Titel „Universität zu Köln“ konnte sich die „neue“ Kölner Universität bis heute behaupten und wird zweifellos 2019, ein eigenes, dann 100-jähriges Jubiläum feiern und wohl auch 2029 die Grundsteinlegung des noch heute bestehenden Hauptgebäudes, die am 26. Oktober (des Jahres 1929), erfolgte. Köln findet Grund zum Feiern, nicht nur im Karneval, und die Universität ist daran beteiligt. Vor allem hat auch sie die Zeichen ­­ der Zeit erkannt: Auf der Homepage der Universität wird in diesen Tagen vom Abschluss eines „Global Network Partnerschaftsvertrages“ mit der bel­gischen Universität Leuven berichtet. Im Rahmen „ihrer Interna­tionalisierungsstrategie“ will Köln damit „jedem

15 http://www.paris-­sorbonne.fr/l-­universite/ (Zugriff: 23. Oktober 2013). 16 http://www.sorbonne.ae/FR/pages/default.aspx (Zugriff: 23. Oktober 2013). Eine kritische Bestandsaufnahme: Louis Vogel, L´Université, une chance pour la France, Paris 2010.

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zweiten Studierenden eine akademische Auslandserfahrung ermög­lichen“ und zugleich „Austauschmög­lichkeiten in unmittelbarer geographischer Nähe zu Köln“ herstellen.17 Schwieriger steht es hingegen um das in früheren Zeiten eher unbewusste und erst heutzutage aufgebrochene Konkurrenzverhältnis zur zwei Jahre älteren Universität Heidelberg. Gemeinsam war beiden, dass sie als relativ späte Gründungen das alte na­tiones-­System nicht mehr übernahmen. Ansonsten finden sich feine Unterschiede. Das heutige Heidelberger Siegel ist noch immer das alte, stammt aus den Anfängen der 1386 gegründeten Universität und es enthält die Umschrift Sigillum studii universtitatis heydelbergen­ sis, nach dem üb­lichen typolo­gischen Schema und selbstverständ­lich ohne Erwähnung der Stadt. Heidelberg feierte im selben Jahr wie Köln, 2013, allerdings das 627ste Jubiläum. Eine ungewöhn­liche Datierung, aber zwei Jahre älter als Köln, und dies dürfte für die Heidelberger wichtig sein. Diese Fokussierung erinnert an das Ringen z­ wischen Paris und Bologna um den Status als die ältere Universität. Als Heidelberg 625-jähriges Jubiläum feierte, 2010/11, fand man dort zu der Selbstbeschreibung „Eine steinalte Wissenschafts-­Institu­tion vernetzt sich selbst“.18 Auch hier hätte das Kölner Motto „Zurück in die Zukunft“ gut gepasst. Dem Bemühen, die lange Dauer der eigenen Geschichte mit der heute notwendigen Zukunftsfähigkeit zusammenzubringen, entspricht bereits das offizielle und tradi­tionelle Motto der Universität Heidelberg, semper apertus – immer offen (sinngemäß: für die jeweils aktuellen Herausforderungen der interna­tionalen wissenschaft­lichen Forschung). In heutiger Zeit noch verständ­ licher ist allerdings die seit den frühen 2000er Jahren geführte Namensergänzung: „Universität Heidelberg. Zukunft. Seit 1386“.19 „Schon immer Zukunft“, so könnte man das Heidelberger Motto zusammenfassen, „Zukunftsfähigkeit durch Erinnerung“, so hingegen das Kölner. Wieder fällt auf, dass beide Universitäten sich über den Anspruch definieren, an der und für die Zukunft zu arbeiten, und ihre Expertise dafür aus ihrer langen Geschichte herleiten.

17 http://www.portal.uni-­koeln.de/nachricht+M54c9ac96f11.html (Zugriff: 26. Oktober 2013). 18 http://scienceblogs.de/zeittaucher/2010/10/23/625-jahre-­universitat-­Gem-­eine-­steinalte-­ wissenschaftsinstitu­tion-­vernetzt-­sich-­interna­tional/ (Zugriff: 22. Oktober 2013). 19 Exemplarischer Nachweis: http://www.uni-­heidelberg.de/presse/unispiegel/us06spez1/ uni.html (Zugriff: 22. Oktober 2013).

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4  Inland und Ausland Dass die euro­päische Universitätsgeschichte in den vielfältigen Linien und Brüchen ihrer Entwicklung für den heutigen Betrachter zahlreiche Déjà-­vu-­ Erlebnisse bereithält, kann kaum überraschen. War man als Mediävist früher gewohnt, das Thema der „Bildungsmigra­tion“ als Teil der Universitätsgeschichte weitgehend allein zu besetzen, so hat die EU auch hier Neues bewirkt. Aktuelle Studien untersuchen heute den Zusammenhang von „Bildungsmigra­tion“ durch Auslandsstudium und persön­lichen Entwicklungsschancen.20 Der Begriff „Entwicklungsschancen“ reagiert, vielleicht unbewusst, auf ein schon dem Mittel­ alter wie noch der Moderne vertrautes Dilemma: Informa­tion, Bildung und Wissen vermochten viele für eine Verbesserung ihrer Lebenssitua­tion zu ­nutzen und ein Auskommen zu finden, wozu sie ohne diese Qualifika­tion nicht in der Lage gewesen wären. Wenige nur erreichten mehr dadurch, funk­tionale Kompetenz und sozia­len Aufstieg. Für jene vielen wird man von Versorgung sprechen müssen und nur für diese wenigen auch von Karriere sprechen können.21 Die damit gestellte fundamentale Frage nach dem Zusammenhang von Studium und folgender Karriere ist nicht neu. Vor allem Rainer Christoph Schwinges hat sie, ausgehend von soziolo­gischen wie historischen Ansätzen, für das Mittelalter und den Übergang zur frühen Neuzeit in die Diskussion gebracht. Mit dem von ihm initiierten Repertorium Academicum Germanicum sollen, wie es im Untertitel des Projekts heißt, „die graduierten Gelehrten des Alten Reiches z­ wischen 1250 und 1550“ und „ihre euro­päische Vernetzung“ untersucht werden.22 Schon durch die tradi­tionelle Methode der Matrikelauswertung war bekannt, wie viele Studenten an den Universitäten im Gebiet des römisch-­deutschen Reiches eingeschrieben waren und wie häufig sie ihren Studienort wechselten. Die sogenannte Reichsfrequenz, die Anzahl der Studienanfänger pro Jahr, ließ sich so für jede Universität recht genau bestimmen. Zwischen 1348 und 1505 sind 20 Vgl. Nina Wolfeil, Auswirkungen des Auslandsstudiums auf spätere Mobilitäts- und Karrieremuster. Das Beispiel der polnischen Studierenden an deutschen Hochschulen. Der Einfluss von Bildungsmigra­tion auf Karrieremuster (Migra­tions- und Integra­tions­ forschung 3), Göttingen 2012. 21 Grundlegend für diesen Zusammenhang: Jacques Verger, Les gens de savoir en Europe à la fin du Moyen Âge (Moyen Âge), Paris 1997. 22 http://www.rag-­online.org (Zugriff: 24. Oktober 2013). Schwinges, Universität (wie Anm. 7).

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demnach nicht weniger als 205.000 Immatrikula­tionen an den Universitäten des Reiches erfolgt. Die Universität Köln gehörte seit ihrer Gründung 1388 stets zu den größten, auch wenn sie lange Zeit nach der Anzahl der Neuimmatrikula­ tionen nur den vierten Rang belegte und erst nach 1471 aufholen konnte.23 Die Methode der Ermittlung und Auswertung der sogenannten Reichsfrequenz und das früher verbreitete Verfahren, Matrikeleinträge punktuell und selektiv auszuwerten, ist allerdings vielfach, so von Rainer Schwinges 1986 und von Peter Moraw 1994, wegen ihrer Fehleranfälligkeit kritisiert worden.24 Die Methode der digitalen Datenverwaltung des Repertorium Academicum Germanicum eröffnet hier grundlegend neue Mög­lichkeiten. Zu fast 48.000 Personen ist bereits jetzt die Online-­Recherche mög­lich. Unter den 17 bislang erfassten Universitäten des Reiches findet sich selbstverständ­lich auch diejenige von Köln. Für eine künftige Erweiterung des Erfassungsfeldes ist nun unter anderem vorgesehen, auch Studenten zu identifizieren, die sich an Universitäten des Reiches nachweisen lassen, aber an anderen Universitäten in Europa promoviert worden sind. Diese Erweiterung des Fokus erfordert, eine erheb­ lich komplexere Überlieferungslage zu bewältigen, und wird in der Umsetzung zweifellos eine besondere Herausforderung darstellen. Um den gesellschaft­lichen Realitäten des Mittelalters gerecht zu werden, wird man nicht mehr länger nur auf die Studienortwahl innerhalb des Reiches sehen dürfen. Schon das inzwischen zum Klassiker gewordene Werk Gustav Knods von 1899 über die deutschen Studenten in Bologna und die dortige natio Ger­ manica ­zwischen 1289 und 1562 zeigt eine erstaun­liche interna­tionale Mobilität der Studenten im späten Mittelalter.25 Knod konnte sich damals auf einen vergleichsweise geschlossenen Matrikelbestand konzentrieren, Bologna hatte als

23 Vgl. auf der Grundlage vor allem der Forschungen von Rainer C. Schwinges: Wolfram Baier, Universitätsbesucher in Erfurt und Köln im Mittelalter – ein statistischer Vergleich, Norderstedt 2002, S. 11 f. 24 Rainer Christoph Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher im 14. und 15. Jahrhundert. Studien zur Sozia­lgeschichte des Alten Reiches (Veröffent­lichungen des Instituts für Euro­päische Geschichte Mainz, Abteilung Universalgeschichte 123. Beiträge zur Sozia­l- und Verfassungsgeschichte des Alten Reiches 6), Stuttgart 1986, S. 234 u. ö. Peter Moraw, Die hohe Schule in Krakau und das euro­päische Universitätssystem um 1400, in: Johannes Helmrath, Heribert Müller (Hgg.), Studien zum 15. Jahrhundert 1, Festschrift Erich Meuthen, München 1994, S. 521 – 539, hier S. 534. 25 Gustav C. Knod, Deutsche Studenten in Bologna (1289 – 1565) […]. Bibliographischer Index zu den Acta na­tionis Germanicae universitatis Bononiensis, Berlin 1899.

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Ort der Rechtsstudien eine Sonderstellung und der Ansatz Knods entsprach dem Methodenhorizont seiner Zeit. Dennoch sollte der seither zugunsten einer na­tionalen oder territorialen Perspektive vernachlässigte euro­päische Entwicklungsraum der mittelalter­lichen Universitätsgeschichte wieder stärker in die Forschung einbezogen werden. Die Einzelbefunde des Repertoriums zeigen schon jetzt eine insgesamt überaus bemerkenswerte, mitunter durchaus als individuelle Biographie fassbare Studentenmobilität. Viele haben ihre Heimatstadt oder Herkunftsregion zwar räum­lich, nicht aber mental verlassen. Sie suchten den „Universitätsbesuch“ ledig­lich als Instrument zur Verbesserung ihrer sozia­len Chancen und blieben bei der Studienortwahl mög­lichst in der Nähe ihrer Heimatstadt. Anders s­ olche, die an bekannte Orte der Wissenschaft zogen oder sich bestimmten Magistern anschlossen. Jene waren zweifellos in der Mehrheit. Diese, die „Migranten“ unter den Studenten, zeigen hingegen eindrucksvoll, was in der Zeit denkbar und mög­lich war: eine grundsätz­lich europaweite Mobilität von Studenten, um an ausgewiesene Studienorte zu gelangen, und von Absolventen, um mit ihrer universitären Qualifika­tion die bestmög­liche Nutzung ihrer persön­lichen Entwicklungsschancen innerhalb der Gesellschaft zu erreichen. Grenzen waren, wie es scheint, überwindbar. Der wohl bekannteste Beleg dafür ist die von den Bologneser Scolaren 1155 Friedrich I. auf dem Weg zu seiner Kaiserkrönung vorgelegte Textfassung einer Privilegierung, die dieser auf der Rückreise drei Jahre ­später bestätigen und ausfertigen ließ. Weil sie um des Studiums willen auf Reisen s­ eien – ins Exil gegangen, so sagten die Scolaren –, sollten sie nun Rechtsschutz vor der Gewalt Dritter finden.26 In seiner monographischen Studie von 1986 zu den Universitätsbesuchern im 14. und 15. Jahrhundert, mit besonderer Akzentuierung auf der Universität Köln, hat Rainer Schwinges (wahrschein­lich erstmals in der einschlägigen Forschungsliteratur) ein zehnseitiges Kapitel „Reichsangehörigkeit und

26 Carmen des gestis Frederici I. Imperatoris in Lombardia, hg. v. Irene Schmale-­Ott (MGH SS rer. Germ. i. u. s. 62), Hannover 1965, S. 1 – 110, hier S. 16 – 18, v. 463 – 504. Paolo Nardi, Die Hochschulträger, in: Geschichte der Universität (wie Anm. 8), S. 83 – 108, hier S. 83 f. Zu den Formen der Selbstorganisa­tion der Gelehrten und den ­Konfliktpotentialen innerhalb der Universitäten wie z­ wischen Universitäten und Umwelt im Mittelalter wird aktuell gearbeitet. Zuletzt: Sophie Cassagnegs-­Brouquet, La violence des étudiants au Moyen Âge (Historiens d´aujourd´hui), Rennes 2012. Eine Studie von Alain D ­ estemberg (Université d´Artois, Arras) ist im Druck.

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,Interna­tionalität‘“ eingefügt.27 Er kann für die Universität Köln vor allem Studenten aus den Regionen Frankreichs und Flanderns nachweisen, ­solche aus Italien, Ungarn und dem Baltikum, aus Schottland und Skandinavien. Für Angehörige des Deutschordenslandes, dessen eigene Gründungsinitiativen gescheitert waren, galt Köln als erste Adresse. Insgesamt war der Anteil der nicht aus dem Reich kommenden Studenten in Köln aber erstaun­lich gering und setzte ohnehin erst 30 Jahre nach der Gründung statistisch messbar ein. Er blieb durchweg uneinheit­lich, sowohl was die Frequenzzahlen als auch was die Verteilung auf euro­päische Regionen betrifft. Schwinges argumentiert zur Erklärung ­dieses komplexen Befundes überzeugend mit einer „Kongruenz von Handels- und Kulturinteressen“. Franzosen und Flamen kamen beispielsweise verstärkt in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, blieben dann aber fern, sobald ihre heimischen Handelsre­ gionen Absatzprobleme hatten und damit auch ihre Handelsbeziehungen zum Kölner Raum in die Krise gerieten. Statt der Franzosen kamen in der zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts verstärkt die Schotten und Balten. Ihre Zahl nahm relativ zu, als Köln in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts von wirtschaft­ lichem Aufschwung profitierte. Die für die deutschsprachige Universitätsgeschichtsforschung grundlegende, erstmals in den 30er, dann wieder den 50er Jahren vorgetragene These Herbert Grundmanns vom „Amor sciendi“ als Motiva­tion der frühen Studenten, zu einer Wanderung an eine fern gelegene Hohe Schule oder Universität aufzubrechen, bezeichnete mit der Anerkennung persön­lichen Wissenwollens eine zeitübergreifend und bis heute vorauszusetzende Gegebenheit. Dass er dafür andere, ökonomische oder pragmatische Motive zur Entscheidung für ein Studium sowie eine Disziplin und einen Ort der eigenen Studien ausblendete und erklärtermaßen für nachrangig erklärte, ist vielfach bemängelt worden. Michael Borgolte hat die kritischen Stimmen aus den 50er Jahren 1996 in einer zusammenfassenden Würdigung von Debatten der 50er Jahre Revue passieren lassen.28 Um die interna­tionale Dimension der Studieninteressen oder Karriere­ planungen ging es dabei aber nur bedingt. Die Diskussion um die Thesen Grundmanns während der 50er Jahre ist nur vor dem Hintergrund des (damals noch mög­lichen) kritischen Diskurses

27 Schwinges, Deutsche Universitätsbesucher (wie Anm. 23), S. 234 – 244. 28 Michael Borgolte, Sozia­lgeschichte des Mittelalters (Historische Zeitschrift, Beiheft 22), München 1996, S. 21 – 23.

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z­ wischen der west- und der ostdeutschen Geschichtswissenschaft verständ­ lich. Erst mit Peter Classens kritischer, eher explizierender als zurückweisender Stellungnahme in den 60er Jahren ging es dann um den „Amor sciendi“ selbst. Klaus Schreiner hat 1989 die Diskussion um die These Grundmanns als Votum für die Freiheit des Wissens und Wissenwollens und der Universität gegen sachfremde Eingriffe von außen gedeutet und verteidigt.29 Der Ansatz Schreiners bezeichnet die Identität der euro­päischen Universität als autonome Rechtskörperschaft in ihrer Substanz. Er ist daher von bleibender Aktualität, auch wenn er über die These von Grundmann und auch diejenige von C ­ lassen weit hinausführt. Deren Debatte ist erst und vorläufig zum letzten Mal 1996 indirekt wieder aufgenommen worden von Arno Seifert in seinem umfangreichen Beitrag zum Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte, durch eine pointierte Würdigung der sozia­len und gesellschaft­lichen Kontexte und Konnota­tionen des Studienwillens mittelalter­licher Studenten.30 Waren alle bisherigen Stimmen in dieser Debatte noch mit unerklärter Selbstverständ­lichkeit auf das Referenzfeld der Universitäten im römisch-­deutschen Reich bezogen geblieben, so findet sich bei Seifert – und leider bis heute nicht hinreichend rezipiert oder fortgeschrieben – ein kurzes Kapitel zum Thema „das Auslandsstudium“.31 Das Kapitel ist als fünftes Unterkapitel des ersten Hauptkapitels gezählt. Während Seiferts Beitrag insgesamt mit nahezu 180 Seiten monographischen Umfang erreicht, bleibt ­dieses Unterkapitel auf eine halbe Seite beschränkt. Allein diese quantitative Größe macht die Probleme deut­lich, vor denen eine Untersuchung der interna­tionalen Dimensionen des Universitätsstudiums für das spätere Mittelalter vor fast 20 Jahren stand und offenbar heute immer noch steht.

29 Klaus Schreiner, Wissenschaft von der Geschichte des Mittelalters nach 1945. Kontinuitäten und Diskontinuitäten der Mittelalterforschung im geteilten Deutschland, in: Ernst Schulin, Elisabeth Müller-­Luckner (Hgg.), Deutsche Geschichtswissenschaft nach dem Zweiten Weltkrieg (1945 – 1965) (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 14), München 1989, S. 87 – 146, hier S. 120 f. Vgl. auch: Ders., Klaus Schreiner, Disziplinierte Wissenschaftsfreiheit. Gedank­liche Begründung und geschicht­liche Praxis freien Forschens, Lehrens und Lernens an der Universität Tübingen (1477 – 1945), Tübingen 1981. 30 Arno Seifert, Das höhere Schulwesen. Universitäten und Gymnasien, in: Notker H ­ ammerstein (Hg.), Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte 1. 15. bis 17. Jahrhundert. Von der Renaissance und der Reforma­tion bis zum Ende der Glaubenskämpfe, München 1996, S. 197 – 374, hier S.  214 – 222. 31 Ebd., S. 222.

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Zutreffend weist Seifert darauf hin, dass Studienwillige aus dem Deutschen Reich „bis weit ins 14. Jahrhundert hinein […] ins Ausland reisen“ mussten, wohingegen diese Notwendigkeit „an der Schwelle zur Neuzeit“ nicht mehr bestanden habe. Dennoch ist demnach eine große Zahl von Studenten in jedem Jahr vor allem an die Universitäten in Oberitalien und der Île-­de-­France gezogen, deren hohen Ansehens in den Rechten bzw. der Theologie wegen. Wie schon von Knod nachgewiesen, verweist auch Seifert darauf, dass in Italien die Anzahl der deutschen Studenten hinreichend groß gewesen sei, um eigene na­tiones zu bilden. Mit der Mög­lichkeit, nicht mehr zum Studium ins Ausland gehen zu müssen, ist, anders gewendet, die programmatische Absicht (vor allem) fürst­licher Universitätsgründer beschrieben, ihre Landeskinder nicht mehr an weit entfernte Ort zum Studium ­schicken zu müssen, sondern an heimischen Universitäten im eigenen Territorium halten zu können. Schon ­Kaiser Karl IV . argumentierte 1348 genau so, als er (nicht als ­Kaiser, sondern) in seinem Amt als König von Böhmen die Universität Prag als ersten Studienort im römisch-­deutschen Reich gründete. Als Vorläufer und auch hier seiner Zeit voraus wird man ­Kaiser Friedrich II . nicht unerwähnt lassen wollen, der bereits 1224 die Universität Neapel in seinem Königreich Sizilien gründete, um seine studienwilligen Untertanen im eigenen Herrschaftsbereich zu behalten und ihre an der Universität erworbenen Kenntnisse ­später selbst ­nutzen zu können. Man wird annehmen dürfen, dass die Gründungsakte gerade darin ihren Anlass fanden, dass die Untertanen der fürst­lichen Stifter vordem in größerer Zahl zu Studienzwecken das Land verlassen hatten und für längere Zeit fortgeblieben, et­liche wohl auch gar nicht mehr zurückgekehrt waren. Auch späteren Universitätsgründern war dasselbe Argument vorrangig wichtig, bis hinein in die frühreformatorische Zeit mit den Gründungen von Wittenberg 1502 und Frankfurt 1506, mit denen üb­licherweise der Abschluss der mittelalter­lichen Universitätsgeschichte im Reich datiert wird. Diese und ebenso spätere Gründungen wie Marburg 1527 standen zudem im ­­Zeichen des reformierten Bekenntnisses der Stifter und der konfessionspolitischen Parteibildungen. Sie markieren daher eine Regionalisierung der Universitätspolitik. Sogar die Universität Köln blieb von der Krise der Universität in dieser Zeit nicht verschont. Zwischen dem ersten Jahrzehnt und der Mitte des 16. Jahrhunderts verlor die Universität ihre frühere Stellung als einer der am häufigsten frequentierten Studienorte des Deutschen Reiches und vor allem ihre überregionale Anziehungskraft. Die Mehrheit der Studenten kam jetzt

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aus dem Umland. Auch Köln war auf dem Weg zu einer Regionaluniversität, vorübergehend jedenfalls.32 Wir Heutigen sind übrigens im ­­Zeichen der Globa­ lisierung vor d ­ iesem Risiko keineswegs geschützt, woran Richard Münch mit seinem Essay „Globale Eliten, lokale Autoritäten“ 2009 erinnert hat.33 Die späteren territorialen Landesuniversitäten waren damit vorgezeichnet. Es sollte an diesen Universitäten gerade nicht mehr darum gehen, aufwendig in die räum­liche und disziplinäre Welt des Wissens zu gelangen, sondern im schnellen Zugriff funk­tionales, für Gesellschaft und Herrschaft unmittelbar nutzbringendes Wissen zu erwerben. Die Absichten jedenfalls der Stifter und gewiss auch vieler der Studenten, die Aussicht hatten, als Absolventen der Studien an der Universität ihres Landesherrn in dessen einträg­liche Dienste treten zu können, wird mit einem „Amor sciendi“ kaum mehr zu beschreiben sein. Bezeichnend ist, dass an den solchermaßen regio­nalisierten Universitätsgründungen um und nach 1500 deren Siegel und Motti nicht mehr vom Anspruch auf Universalität, sondern von Person und Devise des Territorialherrn geprägt waren. Erstaun­licherweise verkündete man mancherorts allerdings gleichzeitig, man lehre alles Wissen aller Zeiten.34 Immerhin waren die landesherr­lichen Stifter und ihre gelehrten Helfer offenbar so selbstkritisch zu bemerken, was sie mit ihrem Zugriff auf die Universitäten bewirkten. Der Diskurszusammenhang von Nutzpragmatik und Wissenschaftsexzellenz ist den Universitäten bekannt­lich bis heute erhalten geblieben. Mitunter ist die bereitwillige Ökonomisierung in der Politik von Hochschulleitungen und die gefällige Selbstelitarisierung im ­­Zeichen einer drittmittelbegründeten Exzellenz durch Universitätsangehörige selbst nicht weniger widersprüch­lich und entlarvend. Die Ursprünge der hoch- und noch spätmittelalter­lichen Universitäten und ihrer (zumindest doch auch) dem Wissenwollen und der wissenschaft­ lichen Neugier folgenden Studenten sind damit tatsäch­lich verlassen.

32 Ingmar Ahl, Humanistische Politik ­zwischen Reforma­tion und Gegenreforma­tion. Der Fürstenspiegel des Jakob Omphalius (Frankfurter Historische Abhandlungen 44), Stuttgart 2004, S. 39 f. 33 Richard Münch, Globale Eliten, lokale Autoritäten. Bildung und Wissenschaft unter dem Regime von PISA, McKinsey & Co., Frankfurt/M. 2009. 34 Martin Kintzinger, Frankfurt an der Oder. Eine moderne Universität?, in: Attempto – oder wie stiftet man eine Universität? Die Universitätsgründungen der sogenannten zweiten Gründungswelle im Vergleich, hrsg. v. Sönke Lorenz (Contubernium 50), Stuttgart 1999, S. 209 – 236.

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5  Der Migrationshintergrund im Mittelalter Auch wenn die Welt insgesamt im Übergang zur Neuzeit weiter geworden sein soll, so wurde doch die Welt der Universitäten offenbar enger. Wenig ist seit dem Übergang zum 16. Jahrhundert noch von jener Bildungsmigra­tion zu hören, die einst, seit dem 11., im 12. und noch im 13. Jahrhundert, eine neue Karte Europas zu beschreiben erlaubte: Die Karte der universitären Studienorte kennt, wie sie Jacques Verger 1993 in den entscheidenden Entwicklungsschritten nachgezeichnet hat, Regionen der Verdichtung und ­solche der Absenz.35 Politische Grenzen sind auf dieser Karte mit gutem Grund nicht eingezeichnet. Ähn­lich den Karten von wirtschaft­lichen Kontaktzonen, die beispielsweise den Ärmelkanal überspringen, um Südengland und den Küstenbereich von Nordfrankreich, Flandern und dem römisch-­deutschen Reich zu einer eigenen Einheit zu verbinden, verhält es sich auch mit der Karte der Universitäten. Ober- Mittel- und Süditalien sind über Universitätsorte bereits vor 1300 markiert, ebenso Zentralfrankreich, die zentrale Region der Iberischen Halbinsel und Südengland. Dass Gründung (vollends Gründungsabsicht) und faktische Existenz nicht dasselbe sind, ist bekannt. An tatsäch­lich funk­tionierenden Universitätslandschaften bleiben, wiederum um 1300, Zentralfrankreich und die mittlere Region der Iberischen Halbinsel, Ober- und Süditalien und der Süden Englands zu nennen. Um 1378 verdichteten sich die bestehenden Räume durch weitere Gründungen, blieben aber als dominante Regionen bestehen. Erst danach, ­zwischen 1378 und 1500, zogen sich Universitätsgründungen nahezu flächig über Mitteleuropa, so dass es für die Zeit um 1500 kaum mehr mög­ lich ist, größere Regionen ohne funk­tionierende Universitäten zu entdecken. Dass die Universität als Flächenphänomen um den Preis der Regionalisierung ihrer Horizonte vor Ort erkauft war und die Karte der ubiquitären Verbreitung insofern täuscht, als sie eher für eine Summe von Einzelorten und weniger für eine vernetzte Struktur in ganz Europa steht, war ebenfalls schon zu sehen. Für „Bildungsmigranten“ hatten sich damit am Beginn des 16. Jahrhunderts die Bedingungen geändert und verschlechtert. Ganz am Anfang, noch vor der Entstehung der ersten Universitäten, hatte es bereits eine quantitativ rudimentäre, aber qualitativ wirkmächtige Bildungsmigra­tion gegeben. Gelehrte und neugierige junge Kleriker zogen seit

35 Jacques Verger, Grundlagen, in: Geschichte der Universität (wie Anm. 9), S. 49 – 80, die Kartenwerke S.  72 – 78.

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dem 11. Jahrhundert aus ganz Europa, selbst aus dem politisch einflussreichen, aber als kulturell und wissenschaft­lich rückständig geltenden Nordosten des Deutschen Reiches, in die zentralen Orte der sich entwickelnden mitteleuro­ päischen Schullandschaft. Auch hier ist es eine Frage der Bewertung, ob man, wie früher, von einer einlinigen Entwicklung der Rezep­tion und einer folgen­ losen persön­lichen Wissensaneignung sprechen will oder doch davon ausgehen, dass mit den zurückkehrenden Klerikern das von ihnen getragene neue Wissen auch in ihre Herkunftsregionen einzog.36 Sita Steckel hat 2011 die These vertreten, dass die Hohen Schulen im Deutschen Reich zumal ab dem 12. Jahrhundert und infolge der Auswirkungen des Investiturstreits strukturell in andere Kontexte gestellt waren, insofern den franzö­sischen Kathedralschulen nicht ohne weiteres vergleichbar und daher auch nur unter Vorbehalt als ihnen gegenüber rückständig zu bewerten s­ eien.37 In seiner Biographie Ottos von Freising betont Joachim Ehlers 2013, die insbesondere im deutschen Episkopat und zumal infolge der Auswirkungen des Wormser Konkordats bestehenden administrativen Verpflichtungen und die nach wie vor dominante sozia­lständische Qualifika­tionsanforderung für höhere kirch­liche Ämter, die auch bei Studienaufenthalten etwa in Paris, wie im Falle Ottos von Freising, die persön­lichen Interessen und Kapazitäten für eine eingehendere Auseinandersetzung mit den neuen wissenschaft­lichen Methoden am Ort ihrer Auslandsstudien begrenzt sein ließen.38 Deshalb könne von einer

36 Vgl. Joachim Ehlers, Dom- und Klosterschulen in Deutschland und Frankreich im 10. und 11. Jahrhundert, in: Martin Kintzinger / Sönke Lorenz / Michael Walter (Hgg.), Schule und Schüler im Mittelalter. Beiträge zur euro­päischen Bildungsgeschichte des 9. bis 15. Jahrhunderts (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 42), Köln, Weimar, Wien 1996, S. 29 – 52. Zu den interdisziplinär profilierten Protagonisten der kunsthisto­ rischen Erforschung in den hier skizzierten Zusammenhängen gehört Harald Wolter-­von dem Knesebeck (Bonn). Vgl. ders., Neue Formen der Bildung und neue Bildformen im Vorfeld der Ebstorfer Weltkarte in Sachsen, in: Nathalie Kruppa / Jürgen Wilke (Hgg.), Kloster und Bildung im Mittelalter (Veröffent­lichungen des Max-­Planck-­Instituts für Geschichte 218), Göttingen 2006, S. 231 – 261. 37 Sita Steckel, Kulturen des Lehrens im Früh- und Hochmittelalter. Autorität, Wissenskonzepte und Netzwerke von Gelehrten (Norm und Struktur 39), Köln, Weimar, Wien 2011, S.  1185 – 1191. 38 Joachim Ehlers, Otto von Freising. Ein Intellektueller im Mittelalter, München 2013, S. 35, 43, 47. Ebenso für Frankreich wie das Deutsche Reich: Ders., Das west­liche Europa (wie Anm. 9), S. 324. Zu dem tendenziell noch immer ähn­lichen Befund im Spätmittelalter Schwinges, Universitäten (wie Anm. 7), S. 49 f.

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überdurchschnitt­lichen wissenschaft­lichen Bildung des deutschen Episkopats im 12. Jahrhundert auch angesichts zeitgleich zunehmender Studienaufenthalte in Frankreich nicht gesprochen werden; Deutschland habe sich „immer weiter von der westeuro­päischen Progression entfernt“.39 Gleichwohl war es unvermeid­lich, dass auswärtige Studienaufenthalte im Wissenshaushalt der Betreffenden tiefere Spuren hinterließen. Das erlernte methodische Instrumentarium vermochten sie, auch wenn man sie hinsicht­ lich ihrer Inten­tion und Studienmotiva­tion nicht als Bildungs-, sondern eher als Statusmigranten ansprechen kann, anschließend funk­tional einzusetzen, und die eigene Schriftproduk­tion veränderte sich darunter. Nicht nur das Werk Ottos von Freising ist ein eindrück­licher Beweis dafür. Neben den so zu beschreibenden Angehörigen des statusbewussten Hochadels gab es aber auch eine große Zahl von tatsäch­lichen Bildungsmigranten. Vor allem die Hohen Schulen in der Île-­de-­France, Chartres, Reims, Laon, auch Paris, wurden zu Anlaufstellen jener aus weiten Teilen Europas, die von einer neuen Wissenschaft dort, der ab dem Übergang zum 12. Jahrhundert methodisch freigesetzten Logik, gehört hatten.40 In der gegenwärtigen Forschung ist umstritten, ob es tatsäch­lich die Faszina­tion für die Wissenschaft (und damit dann doch eine Form des „Amor sciendi“) gewesen ist, was diese Bildungsmigra­tion ausgelöst hat, oder nicht auch und vielleicht sogar dominant der Wunsch, sich einem berühmten Lehrer anzuschließen, den man an fernem Ort wusste und suchte. Sita Steckel hat diese aus der philolo­gischen Arbeit an der Wirkung charismatischer Personen gewonnene Interpreta­tion im geschichtswissenschaft­lichen Diskurs profiliert.41 Auch hierbei bleibt die Migra­tion der Gelehrten und ihre Grenzen und Regionen übergreifende Vernetzung ein wesent­liches Element der Erklärung, bei Steckel als „ausbildungsbezogene Mobilität [… von] Scholaren“ bezeichnet. Unter der Vielzahl von Belegen für die grundsätz­lich gegebene Bereitschaft der kirch­lichen Oberen, ihren wissbegierigen jungen Klerikern einen Ortswechsel zu Studienzwecken zu erlauben, finden sich auch einige Nachweise dafür, dass sich die Betreffenden ohne Erlaubnis an andere Orte begaben und dabei eine Reise bis nach Frankreich auf sich nahmen.

39 Ehlers, Otto von Freising, ebd., S. 35, das Zitat S. 43. Ders., Das west­liche Europa, ebd., S. 329: „Deutschland blieb rezeptiv.“ 40 Vgl. Ehlers, Otto von Freising (wie Anm. 37), S. 63 – 65. 41 Steckel, Kulturen des Lehrens (wie Anm. 36), S. 803 – 813, zu Frankreich S. 805.

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In jedem Fall wird deut­lich, dass die Hohen Schulen und die ihnen folgenden Universitäten trotz zunehmender Juridifizierung und Institu­tionalisierung im Kern durch Personalität, Strukturen personaler Bindung, gekennzeichnet blieben und darin durchaus den Lebensbedingungen ihrer Zeit und Gesellschaft entsprachen.42 Nur durch die persön­liche Prägung von Lehrer-­Schüler-­ Beziehungen, den Anschluss des einzelnen Studenten an eine (vielleicht auch von regionaler Herkunft beeinflusste, aber vornehm­lich) als Schülerkreis organisierte „akademische“ Gefolgschaft eines Magisters gelang eine dichte Vermittlung und wirkungsvolle Verbreitung von Wissensinhalten und wissenschaft­ lichen Methoden. Aus den Anfängen der Universitätsgeschichte ist davon eindrück­lich von Peter Abaelard berichtet worden. Dass die Ausformung der organisierten Wissenschaft an den Universitäten im 12. und 13. Jahrhundert auf derselben Grundlage sozia­ler Organisa­tion erfolgte, hat Elsza Marmurszteyn 2007 in ihrer Arbeit über „L’autorité des maîtres“ nachgewiesen.43 Noch in den methodischen Richtungsstreiten an den Universitäten des Spätmittelalters waren es dieselben personellen Bindungsformen, die Zuordnung und Abgrenzung ermög­lichten. 1993 hat Goetz-­Rüdiger Tewes zeigen können, dass die Posi­tionierung von Studenten und Gelehrten an fernen Studienorten demselben Muster personaler Bindung folgte und auch Verflechtungen im interna­tionalen Rahmen damit gestaltbar waren. Die Kölner Artisten beispielsweise waren im frühen 15. Jahrhundert an der Universität Paris, in der eng­lischen Na­tion, entsprechend organisiert und konnten sich dadurch wirksam posi­tionieren.44 Goetz-­Rüdiger Tewes hat auf unserer Tagung berichtet, dass die Kölner Bursenpolitik, vermittelt über die Studentenmigra­tion, außerhalb, gerade auch in Paris, bekannt und als vorbild­lich geschätzt worden sei. Man wusste voneinander und war für Anregungen aus dem Laboratorium des anderen offen, modern würde es heißen: für Erfahrungen von „best practice“. Der Austausch

42 Vgl. Schwinges, Universität (wie Anm. 7), S. 60. 43 Elsa Marmursztejn, L´autorité des Maîtres. Scolastique, normes et société au XIII e siècle (Histoire), Paris 2007. Martin Kintzinger, Gelehrte Autorität. Das späte Mittelalter und die Anfänge der euro­päischen Wissensgesellschaft, in: Autorität und Akzeptanz. Das Reich im Europa des 13. Jahrhunderts, hrsg. v. Hubertus Seibert / Werner Bomm / Verena Türck, Ostfildern 2013, S. 203 – 222. 44 Goetz-­Rüdiger Tewes, Die Bursen der Kölner Artisten-­Fakultät bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts (Studien zur Geschichte der Universität zu Köln 13), Köln, Weimar, Wien 1993, S.  343 – 347.

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war gegenseitig. Unter anderem „Bürgerkriegsflüchtlinge“ aus der France ­Anglaise gingen im ersten Drittel des 15. Jahrhunderts über die Grenze und sie kamen, worauf schon Erich Meuthen 1998 hingewiesen hat, gern nach Köln.45 Jetzt erwies sich, dass man mit den Migranten auch Meinungen und Methoden übernahm: In Paris eine Minderheit, konnten die Vertreter der Via antiqua im zeitgenös­sischen Richtungsstreit nach ihrem Wechsel nach Köln dort bald dominieren. Peter Walter berichtete auf unserer Tagung von angesehenen Kölner Theologen, die in derselben Zeit aus ausländischen Universitäten, insbesondere aus Paris, nach Köln gekommen waren und dort wirksam blieben. Zeitgleiche Verbindungen der Kölner Universitätstheologen zu England sind ebenfalls bekannt.46 Hier wird eine Entwicklungslinie sichtbar, die aber noch nicht zureichend erforscht ist. In der Diskussion ­zwischen Jacques Verger und Bill Courtenay wird zudem klar, dass man damit sogar auf die Ursprünge zurückgeht, denn schon bei der Gründung der Kölner Universität spielten Pariser Gelehrte eine bedeutende Rolle. Von Joachim Ehlers wissen wir schließ­lich, das bereits im ausgehenden 12. Jahrhundert mehrere Gruppen gelehrter Kanonisten aus franzö­sischen Kathedralschulen in Köln tätig waren und an den dortigen Stiftsschulen nachhaltige Wirkung hatten.47 In der Diskussion zum Vortrag von Herrn Walter formulierte Andreas Speer schließ­lich eine Conclusio, die sich in der Tat aufdrängt: Wir sollten die Rela­tionen ­zwischen Köln und den anderen Universitäten genauer untersuchen, also auch die interna­tionalen Beziehungen der Universität Köln in Europa. An dieser Stelle sollten wir weiterdenken. Das Themenfeld der interna­tionalen Beziehungen ist vergleichsweise neu in den historischen Wissenschaften etabliert, zumal für die Vormoderne.48 Es ist heute durch einen kulturwissenschaft­lichen Zugang gekennzeichnet, der sich von früheren Exklusivansprüchen einzelner Realisierungsfelder (der Geschichte der Herrschaftspolitik vor allem, aber auch der Diplomatie) löst. Universitäten zum Gegenstand der Studien über die zeitgenös­sischen Beziehungen im 45 Erich Meuthen, Die Artes-­Fakultät der alten Kölner Universität, in: Albert Zimmermann (Hg.), Die Kölner Universität im Mittelalter. Geistige Wurzeln und s­ ozia­le Wirk­lichkeit (Miscellanea Mediaevalia 20), Berlin 1989, S. 366 – 393. 46 Monika Asztalos, Die theolo­gische Fakultät, in: Geschichte der Universität (wie Anm. 8), S. 359 – 385, hier S. 377. 47 Ehlers, Das west­liche Europa (wie Anm. 9), S. 329. 48 Künftig als monographische Darstellung: Martin Kintzinger, Interna­tionale Beziehungen im Mittelalter, Stuttgart.

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spätmittelalter­lichen Europa zu wählen, wäre neu und würde weiterführen.49 Dies auch, weil man die Universitäten nicht isoliert zum Gegenstand nehmen könnte, sondern als integralen Bestandteil der euro­päischen Geschichte verstehen und in deren Kontext beschreiben müsste. „Zurück in die Zukunft?“, das Thema unserer Tagung endet mit einem Fragezeichen. Thematisch dürfen wir es jetzt sicher durch ein Ausrufezeichen ersetzen und damit die Dynamik des Kölner gegenüber der Tradi­tionalität des Heidelberger Zukunftsmottos bestätigen. Ohne Satzzeichen, dafür mit dem Untertitel „Öffent­liche Wissenschaft 2.0“ handelt ein soeben erschienener Aufsatz unter derselben Überschrift im Journal des Deutschen Hochschullehrerverbandes. Die Autoren konstatieren einen bislang sukzessiven Rückzug der Wissenschaft aus der Öffent­lichkeit und einen neuen Anfang der wissenschaftsinternen wie der in die Öffent­lichkeit gerichteten Kommunika­tionsfähigkeit der Wissenschaft mit den digitalen Medien.50 Zukunft geht weiter und sie hat mit den Bedingungen ihrer jeweils eigenen Zeit zu tun. Mittelalter und Moderne begegnen sich hier immer wieder. Es beginnt beispielsweise mit der Frage nach den Wissenschaftssprachen. Ist jene Variante des „Deng­lischen“ oder „Franglais“, zu deren Gunsten wir, nachdem wir das Latein bereits verloren haben, unsere modernen Kultursprachen, auch das Eng­lische, ebenfalls noch aufzugeben bereit sind, für die zukünftige Wissenschaftskommunika­tion wirk­lich tragfähig? In Frankreich hat der Sprachwissenschaftler Claude Hagège einen Diskurs hierzu angeregt, der in Deutschland von dem Wissenschaftsjournalisten Dieter Zimmer begleitet wird.51 Das letzte Wort dazu ist noch lange nicht gesprochen, in welcher Sprache auch immer. Schließ­lich sollten wir uns darüber klar werden, ­welche ungeheuren Chancen die Digitalisierung der Wissenschaftskommunika­tion für uns bietet – und ­welche Risiken einzugehen sie von uns verlangt. Auch hier wird noch viel zu sprechen sein, verbal, gedruckt/in print/imprimé oder eben digital. 49 Zusammen mit Rainer C. Schwinges (Bern) plant der Autor des vorliegenden Beitrags eine interna­tionale fachwissenschaft­liche Tagung zu ­diesem Arbeitsfeld. 50 Carsten Könnecker / Beatrice Lugger, Zurück in die Zukunft. Öffent­liche Wissenschaft 2.0, in: Forschung und Lehre 9 (2013), S. 742 f. 51 Claude Hagège, Contre la pensée unique, Paris 2012. Vgl. Benoît Grevin, Le p ­ archemin des cieux. Essai sur le Moyen Âge du langage, Paris 2012. Im Interdisziplinären Frankreich-­ Forum an der Universität Münster wird unter Leitung des Autors des vorliegenden Beitrags ein Arbeitsvorhaben zum Thema „Dominanzsprachen“ vorbereitet.

396 Martin Kintzinger

Der inzwischen 83-jährige franzö­sische Wissenschaftshistoriker Michel Serres hat sich deshalb nochmals mit einem Essay zu Wort gemeldet: „Erfindet euch neu! Eine Liebeserklärung an die vernetzte Genera­tion“, so heißt der Titel in deutscher Übersetzung. Er, der in Princeton und Paris-­Sorbonne gelehrt hat, beneidet die junge Genera­tion darum, jetzt zu leben, wenn alles neu erfunden wird. Und er zitiert eine Stimme der von ihm „poucette“ genannten Jugend, die viel selbstverständ­licher als früher über die Grenzen sieht: „Wenn es bei Paris bleibt, kommt ihr [Überreste großer Vergangenheit wie der Eiffelturm] mir alt vor […]. Laßt diesen Baum auch auf den Ufern des Rheins aufleuchten …“52 Was könnte anderes damit gemeint sein als das heilige Köln, die Welt seiner alten wie neuen Universität – und deren Zukunft?

52 Michel Serres, Erfindet euch neu! Eine Liebeserklärung an die vernetzte Genera­tion (franz. Original Paris 2012, dt. Übers.), Berlin 2013, S. 77.

Ulrich Teichler

Bologna – ein normaler Schritt der Studienreform oder ein unerwarteter Systemwechsel?

1  Einleitung Wenn heute Fragen nach Lehre und Studium sowie nach der Situa­tion der Studierenden in Deutschland – und nicht nur in Deutschland – zur Diskussion stehen, dann fällt sehr schnell der Begriff „Bologna“. Damit wird Bezug genommen auf die „Bologna-­Erklärung“ vom Sommer 1999, in der die für Hochschulfragen zuständigen Minister aus etwa dreißig euro­päischen Ländern übereinkamen, europaweit ein System gestufter Studiengänge und -abschlüsse einzuführen. Wenn wir nicht mitten in dieser Diskussion steckten, sondern Distanz zu ihr hätten, könnten wir drei allgemeine Fragen aufwerfen: –– Ist die Einführung gestufter Studiengänge und -abschlüsse überhaupt eine so wichtige Änderung, dass diese so viele angeregte und aufgeregte Diskussionen auszulösen in der Lage ist? –– Warum gibt es auf einmal Bemühungen um eine ähn­liche – eine „konvergente“ – Strukturreform in allen euro­päischen Ländern, nachdem die euro­ päischen Länder in der Vergangenheit doch ziem­lich unterschied­liche Wege in der Hochschulentwicklung beschritten hatten und dies oft als ein besonderer Wert der euro­päischen Vielfalt charakterisiert worden war? –– Warum werden mit dieser Strukturreform so viele weit reichende Hochschulreformen über das Strukturelle hinaus verbunden? Mit der dritten Frage ist das Phänomen berührt, dass unter dem Begriff „Bologna-­Prozess“ eine enorme Fülle mög­licher Reformgegenstände angesprochen wird. In der vorliegenden Literatur wird kontrovers dargestellt, was zu „Bologna“ bereits durch die Bologna-­Erklärung gehört (z. B. zweifelsfrei die Einführung gestufter Studiengänge und -abschlüsse), was „offiziell“ im Laufe der Jahre ergänzt worden ist (z. B. die „sozia­le Dimension“), was zwar nicht so deut­lich in den offiziellen Dokumenten in den Mittelpunkt gestellt wird, aber durch die Systemlogik dazugehört (z. B. die Ermunterung, nach einem relativ ­kurzen Studium berufstätig zu werden), und schließ­lich, was alles gerne dem Bologna-­Prozess zugerechnet wird, um Reformimpulse zu verstärken, selbst

398 Ulrich Teichler

wenn eine Beziehung zu „Bologna“ kaum zu erkennen ist (z. B. Veränderungen im Hochschulmanagement). Betrachten wir jedoch die Diskussionen, die rund um Bologna über inzwischen mehr als ein Jahrzehnt stattgefunden haben, genauer, so erscheint die Aussage berechtigt, dass drei ­Themen in ­diesem Rahmen eine besonders große Bedeutung erlangt haben: –– Dazu gehört erstens natür­lich die Strukturveränderung der Studiengänge: Dabei geht es insgesamt um die Konfigura­tion der Differenzierung des Hochschulsystems, und dabei ist zweifellos zu bedenken, dass diese Strukturveränderung in einem Prozess eines deut­lichen Wachstums der Studien­ anfänger- und Absolventenquoten stattfindet. –– Zweitens wird in der Bologna-­Erklärung für die Verwirk­lichung des operativen Ziels der Einführung gestufter Studiengänge als wichtigstes strate­gisches Ziel angegeben, dass dadurch die interna­tionale Mobilität der Studierenden gefördert werden soll. Die Bologna-­Reformen sollen im weiteren Sinne die Interna­tionalierungstrends im Hochschulwesen unterstützen. –– Drittens wurde die Bologna-­Reform zwar nicht von Anfang an, aber im Laufe der Jahre immer mehr in enger Verbindung mit dem gesehen, was oft mit dem Schlagwort employability charakterisiert wird: Die wachsende Erwartung an die Hochschulen, eindeutig zur professionellen Relevanz des Studiums beizutragen. Im Folgenden soll nach einer Darstellung der Grundzüge des „Bologna-­Pro­ zesses“ aufgezeigt werden, was bei den drei zentralen Th ­ emen vor allem Gegenstand der Diskussion ist und w ­ elche Veränderungen tatsäch­lich zu ­beobachten sind.1 Übergreifend soll der Frage nachgegangen werden: Handelt es sich bei „Bologna“ eher um sehr überraschende Entwicklungen in Richtung eines „Systemwechsels“ oder eher um normale Schritte der Studienreform, die sich bereits länger anbahnen? 1 Zum Stellenwert dieser drei ­Themen in der hochschulpolitischen Diskussion wie in der Hochschulforschung siehe eingehender Ulrich Teichler, Die Interna­tionalisierung der Hochschulen. Neue Herausforderungen und Strategien, Frankfurt a. M., New York 2007; Ulrich Teichler, Hochschulstrukturen im Umbruch. Eine Bilanz der Reformdynamik seit vier Jahrzehnten, Frankfurt a. M., New York 2005; Ulrich Teichler, Hochschulsysteme und quantitativ-­strukturelle Hochschulpolitik, Münster 2014; Ulrich Teichler, Hochschule und Arbeitswelt. Konzep­tionen, Diskussionen, Trends, Frankfurt a. M., New York 2003.

Bologna 399

2  Ein Blick auf die Ereignisse Die Bologna-­Reform wurde von dem Wunsch ausgelöst, die interna­tionale studentische Mobilität zu fördern. In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre gewann in einigen Ländern Europas die Vorstellung an Boden, dass das jeweilige Land für Studierende aus anderen Weltregionen attraktiver werden könnte, wenn gestufte Studiengänge und -abschlüsse eingeführt würden. In Deutschland verbreiteten sich s­ olche Konzepte sehr schnell. Bereits in der ersten Jahreshälfte 1998 schuf eine Änderung des Hochschulrahmengesetzes die Mög­lichkeit, gestufte Studiengänge und -abschlüsse neben oder anstelle der vorher dominierenden Studiengangsstruktur einzuführen.2 Anläss­lich einer Jubiläumsfeier der Sorbonne-­Universität in Paris riefen die für Hochschulfragen zuständigen Minister von Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien am 25. Mai 1998 in einer gemeinsamen Erklärung zu einer „Harmonisierung der Architektur des euro­päischen Hochschulsystems“ auf. Darin kam die Hoffnung zum Ausdruck, dass ein gestuftes System von Studiengängen und -abschlüssen mit dazu beitragen könnte, dass langfristig die Hälfte der Studierenden wenigstens einen Teil ihrer Studienzeit in einem anderen Land verbringt. Die Sorbonne-­Erklärung löste eine kontroverse Diskussion aus. Drei Vorbehalte wurden vor allem sichtbar: –– Erstaunen erregte, dass nunmehr eine strukturelle Ähn­lichkeit der Hochschulsysteme in Europa gefördert werden sollte. Denn seit den 1970er Jahren hatten ja die Regierungen der einzelnen Länder der Euro­päischen Kommission hochschulpolitische Gestaltungsspielräume nur unter der Bedingung zugestanden, dass bei allen Maßnahmen die Vielfalt der euro­päischen Systeme respektiert würde. –– Bemerkenswert war, dass die Politik durch eine gemeinsame Erklärung – und s­ päter durch die regelmäßige Zusammenarbeit – von Regierungen der einzelnen euro­päischen Länder formuliert und getragen werden sollte, das heißt nicht durch suprana­tionale Institu­tionen – wie etwa den Europarat, die OECD oder die Euro­päische Kommission, die in den vorangehenden

2 Siehe dazu Ulrich Teichler, Gestufte Studiengänge und -abschlüsse in den Geis­ tes- und ­Sozia­lwissenschaften, in: Deutscher Akademischer Austausch­dienst (Hg.), Tagungsdokumenta­tion Bachelor und Master in den Gei­stes-, Sprach- und Kulturwissenschaften (Dok & Mat 33), Bonn 1999, S. 37 – 141.

400 Ulrich Teichler

Jahrzehnten europaweite Hochschulpolitiken vorangetrieben hatten.3 Die Euro­päische Kommission fühlte sich offenkundig brüskiert, dass sie von der Unterzeichnung der Sorbonne- und der Bologna-­Erklärung ausgeschlossen war. –– Dass vier euro­päische Länder einen Reformvorschlag für Europa vorlegten, wurde als ein Schritt in Richtung eines „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ verstanden: Entscheidungen basieren demnach nicht auf einem euro­päischen Konsens, sondern einige aktive Länder „preschen vor“ und nötigen die anderen, im Laufe der Zeit zu folgen. Das letzte Problem konnte wenigstens dadurch gelöst werden, dass ein Jahr s­ päter eine neue Erklärung mit vielen euro­päischen Unterzeichnern vorgesehen wurde. Am 19. Juni 1999 unterzeichneten die Minister von 29 euro­päischen Ländern in Bologna die „Bologna-­Erklärung“. Im Kern wurde für ganz Europa die Einführung eines Systems von leicht erkenn- und vergleichbaren Studiengängen und -abschlüssen gefordert, die nach Zyklen von „undergraduate“-Studien und „graduate“-Studien gegliedert sind. Dies sollte vor allem dazu beitragen, dass ein Studium in Europa für Studierende anderer Kontinente attraktiver und innereuro­päische studentische Mobilität erleichtert wird. Daneben wurden unterstützende Maßnahmen – so die Einführung von Credit-­Systemen und Diploma Supplements – empfohlen und einige weitere Ziele genannt, so die Stärkung euro­päischer Dimensionen und eine enge Zusammenarbeit in Evalua­tionsfragen. Seitdem ist vom „Bologna-­Prozess“ die Rede, womit die offene Koordina­tion auf euro­päischer Ebene und der aufwendige Implementa­ tionsprozess unterstrichen werden. Bis zum Jahre 2010 sollten die Reformziele so weit verwirk­licht werden, dass man von einem „Euro­päischen Hochschulraum“ reden könnte.4 Die na­tionalen Ministerien entschieden 1999, die Koordina­tion d ­ ieses Reformprozesses selbst in die Hand zu nehmen. Im Abstand von zumeist zwei Jahren fanden Nachfolgekonferenzen in Prag (2001), Berlin (2003), Bergen 3 Ulrich Teichler, Hochschulbildung, in: Rudolf Tippelt / Bernhard Schmidt (Hgg.), Handbuch Bildungsforschung, 3., durchgesehene Auflage, Wiesbaden 2010, S. 421 – 444. 4 Zur Entwicklung des Bologna-­Prozesses siehe Hochschulrektorenkonferenz (Hg.), Bologna-­Reader. 4. Aufl. (Beiträge zur Hochschulpolitik 8/2004), Bonn 2004; Hochschulrektorenkonferenz (Hg.), Bologna-­Reader II (Beiträge zur Hochschulpolitik 5/2007), Bonn 2007; Hochschulrektorenkonferenz (Hg.), Studienreform nach Leuven (Beiträge zur Hochschulpolitik 3/2010), Bonn 2010.

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(2005), London (2007), Leuven und Louvain-­la-­Neuve (2009), Budapest und Wien (2010) sowie Bukarest (2012) statt, in denen bisherige Entwicklungen bilanziert und zukünftige Akzentuierungen und Erweiterungen des Reformprozesses in Communiqués formuliert wurden. Die Koordina­tion erfolgte zwischendurch durch eine Bologna Follow-­up Group unter der Leitung der Regierung der jeweils nächsten Nachfolgekonferenz; diese war auch Träger von jähr­lich etwa vier Konferenzen, in denen Politiker, Interessenvertreter und Experten die Programmatik der Reform auf einer nicht ganz so offiziellen Ebene berieten und detailliert ausformulierten.

3  Die Vielzahl der Ziele Wenn sich Hochschulreformbemühungen zu „Bewegungen“ verdichten, sind die Erwartungen und die Ziele meistens sehr vielfältig. Ihre Stoßkraft soll nicht durch Schlankheit des Programms erreicht werden, sondern dadurch, dass fast alles mit eingebunden wird, was zu der Zeit als gut und wichtig gilt. So kann es nicht überraschen, dass in Analysen zum Bologna-­Prozess durchgängig die Vielfalt der genannten Ziele und häufig auch die Größe der verbleibenden Interpreta­tionsspielräume, was denn nun gewollt wird, unterstrichen werden.5 So werden in der Bologna-­Erklärung eine Reihe von großen, übergreifenden Zielen genannt: „Größere Kompatibilität und Vergleichbarkeit von Hochschulsystemen“, ein System „leicht verständ­licher und vergleichbarer Abschlüsse“ und die „Errichtung des euro­päischen Hochschulraums“; zuweilen wird der Rahmen noch weiter gesteckt: Zum Beispiel soll eine Erhöhung der „Wettbewerbsfähigkeit“ der euro­päischen Hochschulen erreicht werden.

5 Siehe Barbara M. Kehm / Ulrich Teichler, Mit Bachelor- und Master-­Studiengängen wohin? Eine Zwischenbilanz zum Bologna-­Prozess, in: Das Hochschulwesen 54 (2006), 2, S. 57 – 67; Johanna Witte, Change of Degrees and Degrees of Change, Enschede: University of Twente, CHEPS 2006 (Disserta­tion); Eurydice, Fokus auf die Hochschulbildung in Europa 2010, Brüssel: EACEA Eurydice 2010; Johanna Witte / Don F. W ­ esterheijden / Andrew McCoshan, Wirkungen von Bologna: Eine Bestandsaufnahme in 48 Hochschulsystemen, in: Sigrun Nickel (Hg.), Der Bologna-­Prozess aus Sicht der Hochschulforschung (Arbeitspapiere 148), Gütersloh: Centrum für Hochschulentwicklung 2011, S. 36 – 49; Ulrich Teichler, The Impact of Convergent Higher Educa­tion ­Re­forms in European Countries, in: Alma Malmonado-­Malmonado / Roberta M. Basset (Hgg.), The Forefront of In­terna­tional Higher Educa­tion, Dordrecht 2013, S. 141 – 153.

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Es werden jedoch auch konkrete Ziele und Maßnahmen genannt: So ist in den verschiedenen Erklärungen und Communiqués von zwei oder drei Stufen die Rede: Ohne dass dieser Terminus immer verwandt wird, geht es um eine Stufung wie Bachelor und Master in der angelsäch­sischen Terminologie, wobei allerdings keine verbind­lichen Vorgaben zur Dauer der beiden Stufen gemacht werden, und häufig wird die Doktorandenausbildung als dritte Stufe genannt. Gefordert wird die Erhöhung grenzüberschreitender studentischer Mobilität, wobei ebenfalls keine Aussagen erfolgen, wie dies zu definieren und zu messen sei. Und es wurden in der Bologna-­Erklärung von 1999 einige weitere konkrete Maßnahmen – zum Teil als „begleitende Maßnahmen“ bezeichnet – empfohlen: –– Das Diploma Supplement, das seit Ende der 1980er Jahre empfohlen wird,6 um die im Studium erworbenen und mit dem offiziellen na­tionalen Abschlussdokumenten zertifizierten Erträge des Studiums interna­tional lesbar und verständ­lich zu machen, soll europaweit vergeben werden. –– Die Bewertung von Ergebnissen des Studiums soll flächendeckend in studienbegleitender Form durch Credits erfolgen (in Deutschland setzte sich dafür der Terminus „Leistungspunktesystem“ durch). Die Credit systems sollten ähn­lich dem ECTS (European Credit Transfer System) sein, das seit 1989 im Rahmen des ERASMUS-Programms zur studentischen Mobilität in Europa besteht.7 –– Maßnahmen sollten ergriffen werden, um bisher noch bestehende Hinder­ nisse für die Mobilität der Studierenden abzubauen: so zur Erhöhung der Freizügigkeit und zur Sicherung der Anerkennung der im Studium in anderen Ländern erbrachten Studienleistungen. –– Die europaweite Zusammenarbeit bei der Qualitätssicherung von Lehre und Studium sollte erhöht werden. Dabei sollten „vergleichbare Kriterien und Methoden der Qualitätssicherung“ erarbeitet werden. –– Schließ­lich sollten die „erforder­lichen euro­päischen Dimensionen im Hochschulbereich“, insbesondere in Bezug auf Curriculum-­Entwicklung, gefördert werden. 6 Carin Berg / Ulrich Teichler, Unveiling the Hidden Informa­tion in Credentials: A Proposal to Introduce a Supplement to Higher Educa­tion Diplomas, in: Higher Educa­tion in Europe 13 (1988), 3, S. 13 – 24; siehe auch Hochschulrektorenkonferenz (Hgg.), Diploma Supplement. Funk­tion – Inhalte – Umsetzung (Beiträge zur Hochschulpolitik, 4/2005), Bonn 2005. 7 Stefanie Schwarz / Ulrich Teichler (Hgg.), Credits an deutschen Hochschulen, Neuwied 2000; Volker Gehm­lich, The Added Value of Using ECTS, in: Eric Fromment u. a. (Hgg.), EUA Bologna Handbook. Making Bologna Work, Berlin 2007, C 3.3 – 1, S. 1 – 38.

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Eine genaue Lektüre der Bologna-­Erklärung macht deut­lich, dass ­dieses Dokument nicht durchgängig von konzeptueller Kohärenz geprägt ist. Es basiert auf Kompromissen und bietet Platz für Sonderwünsche der einzelnen Länder und aller am Reformprozess Beteiligten. Übereinstimmung besteht in Analysen zu dieser Thematik darüber, dass der Bologna-­Prozess nicht als Prozess der mehr oder weniger getreuen Realisierung von einmal formulierten Zielen verstanden werden kann. Sondern es ist konstitutiv für diesen Prozess, dass die Ziele wiederholt überprüft, präzisiert, ergänzt und modifiziert wurden. So wird in einer Analyse nach einem Jahrzehnt der Bologna-­Prozess als „moving target“ bezeichnet.8 Eindeutig können die ministeriellen Folgekonferenzen von 2001 bis 2009 als Orte solcher Modifika­tionen und Erweiterungen des Reformprogramms verstanden werden.9 Auf der ersten Folgekonferenz in Prag (Tschechische Republik) im Jahr 2001 wurde vor allem die Bedeutung lebenslangen Lernens unterstrichen. Maßnahmen sollten ergriffen werden, um den euro­päischen Hochschulraum attraktiver zu machen. Schließ­lich sollten die Hochschulen und die Studierenden sichtbar an den Entscheidungen im Rahmen der Bologna-­Reform beteiligt werden. Insgesamt war der Tenor des Prager Communiqués, dass das Bologna-­Modell offen für eine gewisse Vielfalt ­zwischen den einzelnen Ländern sein sollte. Im Communiqué der zweiten Folgekonferenz, die im Jahr 2003 in Berlin (Deutschland) stattfand, wurden konkrete Schwerpunkte für die Entwicklung der nachfolgenden zwei Jahre gesetzt. Dies war zweifellos eine Reak­tion auf die Beobachtung, dass sich der Bologna-­Prozess in den einzelnen Ländern mit unterschied­licher Geschwindigkeit und mit verschiedenen Akzenten vollzog.10 Gefordert wurde, die Zusammenarbeit in der Qualitätssicherung und der Etablierung der gestuften Studiengänge voranzutreiben. Bei Fragen der Anerkennung des Studiums in anderen Ländern wie bei der Ausstellung des Diploma Supplements sollten alle Zertifizierungen ohne Kosten für die Studierenden erfolgen. Neu wurde betont, dass die Doktoranden-­Stufe als dritte Stufe des Bologna-­Prozesses verstanden werden sollte und dass eine stärkere Verbindung z­ wischen den Bemühungen um den Euro­päischen Hochschulraum und denen um den Euro­päischen Forschungsraum, den die EU -Länder seit der 8 Barbara M. Kehm / Jeroen Huisman / Bjørn Stensaker (Hgg.), The European Higher Educa­tion Area. Perspectives on a Moving Target, Rotterdam 2009. 9 Die folgenden Ausführungen stützen sich auf Eurydice (wie Anm. 5), S. 11 – 14. 10 Siehe Sybille Reichert / Christian Tauch, Progress Toward the European Higher Educa­ tion Area, Brussels: European University Associa­tion 2003.

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sogenannten „Lissabon-­Erklärung“ von 2000 anstreben (mit dem Ziel, die öffent­lichen und privaten Forschungsaufgaben bis 2010 auf drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts anzuheben und Europa zur „wettbewerbsfähigsten Ökonomie“ der Welt zu machen), entstehen sollte. Auf der dritten Folgekonferenz von 2005 in Bergen (Norwegen) wurden Standards und Leitlinien für die Qualitätssicherung verabschiedet. Auch kam es zur Einigung auf sogenannte „Qualifika­tionsrahmen“ für die Bestimmung der Aufgaben der verschiedenen Ebenen von Studien und Abschlüssen. Zum ersten Mal wurde der – bereits vorher erwähnten – „sozia­len Dimension“ des Bologna-­Prozesses ein höherer Stellenwert eingeräumt. Schließ­lich wurde gefordert, mehr Raum für flexible Lernwege zu schaffen und in ­diesem Zusammenhang auch Prozeduren für die Anerkennung von Lernleistungen vor dem Studium (recogni­tion of prior learning) zu entwickeln. Auf der vierten Folgekonferenz von 2007 in London (Großbritannien) wurde bekannt gegeben, dass im Zuge des Bologna-­Prozesses erstmals eine recht­lich verbind­liche Institu­tion geschaffen worden sei: das European Quality Assurance Register (EQAR), in dem Agenturen registriert werden können, die für externe Evalua­tion zuständig sind und dabei den gemeinsam entwickelten euro­päischen Standards folgen. Betont wurde die „globale Dimension“, um die Strategien für die Etablierung des Euro­päischen Hochschulraums in einen globalen Rahmen zu setzen. Größeren Nachdruck als zuvor wurde im Communiqué der „sozia­ len Dimension“ des Bologna-­Prozesses verliehen, wobei konkrete Maßnahmen zur Stärkung genannt wurden. Gefordert wurde, die na­tionalen Qualifika­ tionsrahmen weiterzuentwickeln und mit na­tionalen Maßnahmen Barrieren gegenüber studentischer Mobilität zu verringern. In dem Communiqué der fünften Folgekonferenz von 2009, die in Leuven und Louvain-­la-­Neuve gemeinsam von den Regierungen in Belgien, Luxemburg und den Niederlanden veranstaltet worden war, wurden drei Ziele des Bologna-­Prozesses besonders hervorgehoben, die vorher eher als ergänzende Ziele erschienen: lebenslanges Lernen, studentenzentriertes Lernen und die Förderung der Beschäftigungsfähigkeit („employability“). Zum Thema der „sozia­len Dimension“ wurde konkret gefordert, die Studienbeteiligung von bisher unterrepräsentierten sozia­len Gruppen zu erhöhen. Insgesamt wurden auf dieser Konferenz nicht so sehr Ziele bis 2010 präzisiert, sondern erste Schritte einer übergreifenden Bilanz unternommen und Ziele für das nachfolgende Jahrzehnt formuliert – so insbesondere eine Zielzahl: Bis zum Jahr 2020 sollten 20 Prozent der jeweiligen Absolvent(inn)en eines Jahres eine Studien- oder Praxisphase in einem anderen Land erlebt haben.

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Ergänzend ist zu erwähnen, dass in den einzelnen euro­päischen Ländern besondere Akzente der Bologna-­Reform formuliert wurden. Diese werden hier nicht näher behandelt. Als Beispiel kann jedoch genannt werden, dass in einer Evalua­tion des Bologna-­Prozesses in Finnland als wichtiges Ziel genannt wird, Studienzeitverlängerung zu reduzieren.11

4  Systematische Analysen zum Bologna-Prozess Der Bologna-­Prozess ist Gegenstand einer Vielzahl von Analysen geworden. Dass eine Reihe von systematischen Analysen unternommen wird, ist im Falle eines größeren Reformprozesses zu erwarten. Im Falle des Bologna-­Prozesses kommen zwei Gründe hinzu: Erstens können sich die handelnden Akteure bei Reformbestrebungen, die zugleich in einer großen Zahl von Ländern unternommen werden, auf ihre Eindrücke nicht so verlassen, wie sie das oft bei Reformen in einem na­tio­nalen Rahmen tun. Zweitens ist in der Hochschulpolitik insgesamt in jüngster Zeit die Vorstellung verbreitet, dass man „Evalua­tionen“ braucht, um die Ergebnisse von Reformbestrebungen mit einer Mindestsolidität einschätzen zu können. So wurden die einzelnen Regierungen der am Bologna-­Prozess beteiligten Länder aufgefordert, jeweils vor der nächsten Folgekonferenz einen Stocktaking Report anzufertigen. Die jeweilige Bologna Follow-­up Group bis zur nächsten Folgekonferenz beauftragte dann einige Experten, die Dokumente der Länder in einem vergleichenden Bericht zu analysieren, der dann der Konferenz vorgelegt wurde; einige dieser Berichte wurden nicht nur als Vorbereitungsmaterial online zugäng­lich gemacht, sondern gesondert publiziert. Daneben stellten anfangs einige Länderministerien und s­ päter die Euro­päische Kommission Geld zur Verfügung, so dass unter der Ägide der Hochschulrektoren (seit 2002 der European University Associa­tion) bei den Hochschulen Europas regelmäßig Umfragen zum Verlauf und Fortschritt des Bologna-­Prozesses durchgeführt werden konnten.12 Einige 11 Jari Niemelä u. a., Evalua­tion of the Bologna Process Implementa­tion in Finland. ­Helsinki: FINHEEK 2012. 12 Siehe insbesondere Guy Haug / Jette Kirstein / Inge Knudsen, Trends in Learning Structures in Higher Educa­tion, Kopenhagen: Danish Rectors’ Conference Secretariat 1999; David Crosier / Lewis Purser / Hanne Smidt, Trends V: Universities Shaping the European Higher Educa­tion Area, Brüssel: European University Associa­tion 2007; Andrée Sursock / Hanne Smidt, Trends 2010: A Decade of Change in European Higher Educa­ tion, Brüssel: European University Associa­tion 2010.

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solcher Studien konzentrierten sich auf ausgewählte Aspekte, so zum Beispiel die Entwicklung von Master-­Studiengängen.13 Daneben förderte die Euro­päische Kommission – abgestimmt mit oder veranlasst von der jeweiligen Follow-­up Group – einige größere Evalua­tionsstudien. Als größte ist die „Independent Assessment“-Studie zu nennen, in der die Entwicklungen des ersten Jahrzehnts des Bologna-­Prozesses innerhalb aller bis dahin beteiligten 47 Länder zusammengetragen wurde.14 Die Euro­päische Kommission beauftragte auch ihre eigene Informa­tionsagentur mehrmals, die Erträge des Bologna-­Prozesses zu bilanzieren.15 Einzelne euro­päische Länder gaben ihrerseits vergleichende Studien zum Bologna-­Prozess in Auftrag.16 Oder sie ließen besondere Studien zur Entwicklung des Bologna-­Prozesses im eigenen Lande erstellen. In manchen Fällen wurden Studien direkt in der Verantwortung von Hochschulforscher(inne)n durchgeführt.17 Als ein anderes, besonders gründ­liches Beispiel ist die bereits erwähnte Finnische Evalua­tionsstudie zu nennen: Dabei beauftragte die Fin­ nische Evalua­tionsagentur zunächst Wissenschaftler(innen) mit der Durchführung einer Analyse und koordinierte dann eine größere landesweite Diskussion über die Ergebnisse.18 Viele Studien wurden von Instanzen koordiniert oder durchgeführt, die selbst an den hochschulpolitischen Entscheidungen beteiligt sind. In manchen Fällen wurden Studien öffent­lich ausgeschrieben und dann in der Tat von solchen Vertretungen der Akteure, von Consulting-­Firmen oder Hochschulforscher(innen) durchgeführt. In den Jahren 200819 und 2011 wurde von den politisch Verantwort­lichen explizit eine Reihe von 13 Howard Davies, Survey of Master Degrees in Europe, Brüssel: European University Associa­tion 2009. 14 Center for Higher Educa­tion Policy Studies (CHEPS)/Interna­tional Centre for Higher Educa­tion Research Kassel (INCHER)/ECOTEC (Hgg.), The First Decade of Working on the European Higher Educa­tion Area. The Bologna Process Independent Assessment. Band 1, Enschede: CHEPS 2010. 15 Siehe Eurydice (wie Anm. 5); Exekutivagentur Bildung, Audiovisuelles und Kultur, Schlüssel­zahlen zum Bildungswesen 2012, Brüssel: EACEA, Eurydice 2012. 16 Bettina Alesi u. a. (Hgg.), Bachelor- und Master-­Studiengänge in ausgewählten Ländern Europas im Vergleich zu Deutschland. Bonn, Berlin: BMBF 2005. 17 Stefanie Schwarz-­Hahn / Meike Rehburg, Bachelor und Master in Deutschland. Empirische Befunde zur Studienstrukturreform, Münster 2004. 18 Niemelä (wie Anm. 11). 19 Kehm / Huisman / Stensaker (wie Anm. 8).

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Hochschulforscher(inne)n zur jeweils nächsten Bologna-­Konferenz eingeladen, die „researchers’ voice into higher educa­tion interna­tional policy making“ einzubringen.20 Betrachten wir die Fülle der vorliegenden einzelnen Publika­tionen zum Bologna-­Prozess, so lässt sich nicht immer eindeutig abgrenzen, was als Impressionen von Einzelnen oder von Gruppen von Beobachtern oder Beteiligten einzustufen ist, was typische Evalua­tionen sind, was als Bilanzen von Experten verstanden werden kann und was als konzep­tionell und methodisch fundierte wissenschaft­liche Studien einzustufen ist. Dazu können jeweils nur Beispiele genannt werden: Wenn zum Beispiel der Titel „Bologna-­Schwarzbuch“21 gewählt wird oder wenn im Titel die Formulierung „eine ruinierte Institu­tion“ vorkommt,22 so wird sicher­lich kaum Zurückhaltung in der Bewertung geboten. Eine Mischung unterschied­licher Experten, die im Bologna-­Prozess eher Chancen als Barrieren sehen, bilanziert ausgewählte Aspekte des Bologna-­Prozesses in dem EUA Bologna Handbook, das der Raabe-­Verlag im Auftrag der European University Associa­tion seit 2007 als Loseblattsammlung veröffent­licht.23 Im Rahmen der Hochschulforschung sind eine Fülle von Kommentaren,24 Sammelbänden mit Analysen,25 Sammlungen von Ergebnissen vorliegender Studien 26 und größeren analytischen Werken 27 veröffent­licht worden, die wertvolle Informa­tionen und Denkanstöße bieten.

20 Adrian Curaj u. a. (Hgg.), European Higher Educa­tion at the Cross­roads. Between the Bologna Process and Na­tional Reforms. 2 Bände, Dordrecht 2012. 21 Christian Scholz / Volker Stein (Hgg.), Bologna-­Schwarzbuch, Bonn: Deutscher Hochschulverband 2009. 22 Ulrike Haß / Nikolaus Müller-­Schöll (Hgg.), Was ist eine Universität? Schlag­lichter auf eine ruinierte Institu­tion, Bielefeld 2009. 23 Eric Fromment u. a. (Hgg.), EUA Bologna Handbook. Making Bologna Work, Berlin 2007. 24 Siehe z. B. Pavel Zgaga, Reconsidering the EHEA Principles: Is There a ‘Bologna Philo­ sophy’?, in: Adrian Curaj u. a. (Hgg.) (wie Anm. 20), S. 17 – 38. 25 Justine Suchanek u. a., Bologna (aus)gewertet. Eine empirische Analyse der Studien­ strukturreform, Göttingen 2012. 26 Sigrun Nickel (Hg.), Der Bologna-­Prozess aus Sicht der Hochschulforschung. Analysen und Impulse für die Praxis (Arbeitspapiere, Nr. 148), Gütersloh: Centrum für Hochschulentwicklung 2011. 27 Siehe z. B. die eingehende Studie von Witte (wie Anm. 5).

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5  Die Implementation des Strukturmodells und anderer Maßnahmen Vorliegende Studien zeigen, dass sich innerhalb eines Jahrzehnts in der Tat alle am Bologna-­Prozess beteiligten Länder für eine gestufte Studienstruktur entschieden haben, aber keine Einigung zur Studiendauer erreicht worden ist. Bis zum Jahre 2009 wählten 19 Länder eine 3+2-Struktur, d. h. Bachelor in der Regel nach drei Jahren Studiendauer und Master nach zwei (weiteren) Jahren. 20 Länder sahen den Bachelor-­Abschluss ebenfalls nach drei Jahren vor, ermög­ lichten aber auch eine 3 ½-jährige oder vierjährige Dauer; wobei die Dauer von Master-­Studiengängen kürzer als zwei Jahre sein konnte (in einigen Ländern ist eine 3+1-Struktur dominant). In sieben Ländern dauert das Bachelor-­Studium in der Regel vier Jahre und das Master-­Studium ein bis zwei Jahre.28 Im Jahre 2011 berichteten jeweils acht Länder, dass alle ihre Bachelor-­Studierenden in Programmen von dreijähriger Dauer (180 ECTS-Credits) bzw. von vierjähriger Dauer (240 ECTS-Credits) ­seien, während in der Mehrzahl der Länder die Dauer des Bachelor-­Studiums variierte.29 Hinzu kommt, dass die gestufte Struktur nicht immer „flächendeckend“ eingeführt worden ist. Auf eine Umfrage der European University Associa­tion im Jahr 2009 gaben 95 Prozent der Hochschulen an, dass sie gestufte Studiengänge eingeführt hätten. Das traf bei diesen Hochschulen jedoch nur zu 28 Prozent in den medizinischen Fächern, zu 46 Prozent in der Architektur, zu 61 Prozent in der Rechtswissenschaft und zu 73 Prozent in den Ingenieurwissenschaften zu.30 Allerdings ist zu bedenken, dass weniger als ein Fünftel der Hochschulen bei der Befragung geantwortet hatten; vorstellbar ist, dass die Implementa­tion unter den Nicht-­Antwortenden seltener erfolgt ist. Die OECD 31 berichtete für den Durchschnitt für 22 euro­päische Länder, dass die Bologna-­Strukturen bis 2010 zu 71 Prozent eingeführt worden ­seien. Dabei reichten die Quoten von nur sieben Prozent bis zur flächendeckenden Einführung; für Deutschland wurde mit 27 Prozent die viertniedrigste Quote genannt. Bereits vor 1999 hatten zahlreiche euro­päische Länder ein Credit-­System. Im Studienjahr 2011 berichteten 23 der am Bologna-­Prozess beteiligten Länder, dass sie ECTS oder ein anderes Credit-­System flächendeckend eingeführt

28 Witte / Westerheijden / McCoshan (wie Anm. 5). 29 Exekutivagentur Bildung, Audiovisuelles und Kultur (wie Anm. 15), S. 34. 30 Sursock und Smidt (wie Anm. 12). 31 OECD, Bildung auf einen Blick 2012. OECD-Indikatoren, Paris 2012, S. 86.

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hätten. Bei 21 Ländern war das zumindest zur Hälfte der Fall. Nur in Deutschland, Österreich und der Slowakei war die Quote geringer.32 Das Diploma Supplement wurde nach den Aussagen dieser Umfrage bei den Länderregierungen in 25 Ländern jeder Absolventin und jedem Absolventen (zumeist in der Landessprache und in Eng­lisch) ausgestellt. In vielen anderen Ländern erfolgte eine Ausstellung jeweils auf Wunsch, darunter in vier Ländern gegen Bezahlung einer Gebühr. In fünf Ländern wurden keine Diploma Supplements ausgestellt.33 Für das unterschied­liche Tempo und den unterschied­lichen Grad der Einführung von gestuften Studiengängen hat es von Land zu Land verschiedene Ursachen gegeben. Unter anderem gab es Unterschiede in der Akzeptanz. So wurde im Jahre 2007 in einer repräsentativen Umfrage bei Wissenschaftler(inne) n an Hochschulen in 31 euro­päischen Ländern gefragt, ob man dem Statement zustimme: „It would have been better if the old single-­tier system (without a split in Bachelor and Master) was kept.“ Diese Ablehnung des Kern-­Elements der Bologna-­Reform wurde am häufigsten von den deutschen Befragten zum Ausdruck gebracht (53 Prozent), gefolgt von den Befragten in Estland (46 Prozent), Ungarn und Italien (je 42 Prozent) – im euro­päischen Durchschnitt dagegen nur von einem Drittel.34 Bei einer im Winter 2011/12 in Deutschland durchgeführten Befragung von Wissenschaftler(inne)n an Universitäten und Fachhochschulen zeigte sich in vielen einzelnen Aspekten eine Zustimmung zu den Reformzielen des Bologna-­Prozesses. Auf die Frage jedoch, ob sie die Einführung einer zwei­ stufigen Studien­gangstruktur für sinnvoll hielten, äußerten sich nur 25 Prozent zustimmend und 19 Prozent unentschieden; 56 Prozent dagegen gaben an, dass sie diese Strukturreform nicht für sinnvoll hielten (darunter 59 Prozent der Universitäts- und 44 Prozent der Fachhochschulprofessor[inn]en).35

32 Exekutivagentur Bildung, Audiovisuelles und Kultur (wie Anm. 15), S. 47. 33 Ebd., S. 53 f. 34 Gallup Organiza­tion, Percep­tions of Higher Educa­tion Reforms (Flash Eurobarometer, Nr. 198), Brüs­sel: European Commission 2007. 35 Harald Schomburg / Choni Flöther / Vera Wolf, Wandel von Lehre und Studium an deutschen Hochschulen – Erfahrungen und Sichtweisen der Lehrenden, Bonn: Hochschulrektorenkonferenz 2012, S. 88.

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6  Der Bologna-Prozess und die internationale studentische Mobilität Die Sorbonne- und die Bologna-­Erklärung nennen, wie bereits dargestellt, eine Fülle von Zielen und Maßnahmen; Übereinstimmung besteht jedoch in der Interpreta­tion, dass die Förderung der studentischen Mobilität das wichtigste strate­gische Ziel ist. Ein Vertreter der Euro­päischen Kommission formulierte das in einer Bilanz des Bologna-­Prozesses wie folgt: Promoting the mobility of students is a declared objective of the European Higher Educa­tion Area. The Sorbonne declara­tion of 25 May 1998, which preceded Bologna with 1 year, already emphasized ‘the crea­tion of the European area of higher educa­ tion as a key way to promote citizens mobility and employability and the Continent’s overall development’. The Bologna Declara­tion of 19 June 1999 referred to citizens’ mobility as well as the mobility of students, teachers, researchers and administrative staff. The 2009 Communiqué recalled that ‘mobility shall be the hallmark of the Euro36 pean Higher Educa­tion Area’.

Grenzüberschreitende Mobilität von Studierenden ist hochschulpolitisch im Laufe der Zeit zweifellos immer mehr in den Vordergrund gerückt. Vorliegende Statistiken zeigen, dass in den 1950er Jahren nur etwa 200.000 Studierende in aller Welt Ausländer waren, aber bis zu Beginn des 21. Jahrhunderts ein Anstieg auf mehr als drei Millionen erfolgt ist. Allerdings ist die absolute Zahl der weltweit Studierenden in fast ähn­lichem Maße gestiegen. Der Anteil der ausländischen Studierenden ist demnach über Jahrzehnte mit etwa zwei Prozent konstant geblieben und hat sich auch in jüngster Zeit nicht wesent­lich erhöht.37 Aber die Bedeutung interna­tionaler studentischer Mobilität wird immer mehr betont. Damit verbinden sich verschiedene Erwartungen: dass das gegenseitige Verständnis der Völker in der Welt wächst und die Gefahr von Kriegen sich vermindert; dass eine größere Zahl von Absolventen mit wachsenden interna­ tionalen Beziehungen umgehen kann; dass durch grenzüberschreitende Erfahrungen insgesamt ein „Lernen aus dem Kontrast“ zunimmt; dass die mobilen 36 Peter van der Hijden, Mobility Key to the EHEA and ERA, in: Adrian Curaj u. a. (Hgg.) (wie Anm. 20), S. 377 – 386, hier S. 377. 37 William K. Cummings, Foreign Students, in: Philip G. Altbach (Hg.), Interna­tional ­Higher Educa­tion. An Encyclopedia, New York, London: 1992, S. 107 – 125; Melissa Banks / Rajika Bhandari, Global Student Mobility, in: Darla K. Deardorff u. a. (Hgg.), The SAGE Handbook of Interna­tional Higher Educa­tion, Los Angeles CA, S.  325 – 342.

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Studierenden ihre Karriereaussichten verbessern; dass die gastgebenden Länder durch ausländische Studierende Einnahmen haben und von einer Zuwanderung ausländischer Humanressourcen profitieren u. a. m. In Europa gilt die Etablierung des ERASMUS-Programms durch die Euro­ päische Kommission im Jahre 1987 als der sichtbarste hochschulpolitische Akt zur Popularisierung studentischer Mobilität. Jähr­lich erhält fast ein Prozent der Studierenden in den beteiligten Ländern eine finanzielle Förderung, die im Prinzip die Zusatzkosten decken sollen, die entstehen, wenn sie ein oder zwei Semester an einer Partnerhochschule in einem anderen euro­päischen Land studieren und durch verschiedene Vereinbarungen zu sichern versucht wird, dass die Studienleistungen in der Auslandsstudienphase nach der Rückkehr von der Herkunftshochschule als gleichwertig zu einem Studium daheim anerkannt werden.38 Zu fragen ist allerdings, wieso die Etablierung gestufter Studiengänge und -abschlüsse die studentische Mobilität fördern kann. Am plausibelsten erscheint dies im Falle von Überlegungen, das gesamte Studium in einem anderen Land zu verbringen: Während in den meisten Entwicklungs- und Schwellenländern, aus denen die Mehrzahl der Studierenden kommt, die sich für ein ganzes Studium im Ausland entscheiden, eine gestufte Studienstruktur seit langem besteht, war das in Europa nur bei einer Minderheit der Länder Fall. Deutschland zum Beispiel konnte kein attraktives Zielland sein, weder für Studierende, die lieber ein kurzes Erststudium im Ausland absolvieren wollten, noch für Studierende, die daheim einen Bachelor-­Abschluss erwarben und in einem anderen Land einen Master-­Abschluss erreichen wollten. Für die intra-­euro­päische Mobilität, die überwiegend temporär – ein oder zwei Semester – ist, lässt sich dagegen nicht eindeutig ein großer Vorteil der gestuften Struktur benennen: Hochschulen verschiedener euro­päischer Länder könnten sich darauf verständigen, ein oder zwei Semester Auslandsstudium im zweiten oder dritten Studienjahr gegenseitig anzuerkennen – unabhängig davon, ob ­dieses Studienjahr eine Phase des Bachelor-­Studiums oder eines universitären Langstudiums ist. So ist die Stufung der Studiengänge zum Beispiel bei den Studien zur Evalua­tion des ERASMUS-Programms nie als eines der zentralen Probleme für Einschränkungen in der Anerkennung genannt worden.39 38 Siehe dazu Ulrich Teichler, Student Mobility and Staff Mobility in the European ­Higher Educa­tion Area beyond 2010, in: Kehm / Huisman / Stensaker (Hgg.) (wie Anm. 8), S.  183 – 201. 39 Siehe die europaweiten Evalua­tionsstudien zum ERASMUS-Progamm: Ulrich Teichler / Friedhelm Maiworm, The ERASMUS Experience. Major Findings of the ERASMUS

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Tatsäch­lich wurden die Bologna-­Reformen nicht zuletzt in der Erwartung empfohlen, dass dadurch die Attraktivität der Hochschulsysteme Europas, die bisher keine gestufte Studiengangsstruktur hatten, für Studierende aus anderen Weltregionen erhöht würde und zugleich die intra-­euro­päische (überwiegend temporäre) Mobilität gefördert würde. Hinzu kommt, dass die Aufmerksamkeit auf Qualitätsunterschiede auf den einzelnen Studienstufen ­zwischen den verschiedenen Hochschulen immer mehr gewachsen ist, was die zunehmende Popularität von „Ranking“-Studien belegt; damit verringert sich der Wert von formalen Studienstufen als Indikator für eine Ebene der Studienqualität und somit auch die Bereitschaft der einzelnen Hochschulen, ein Auslandsstudium an vielen anderen Hochschulen als gleichwertig zum Studium daheim anzuerkennen. Was immer wir über die Potenziale und Grenzen der Förderung studentischer Mobilität durch die europaweite Einführung gestufter Studiengänge spekulieren mögen: Wir könnten annehmen, dass wir hier nach einiger Zeit eindeutig messen könnten, ob und ggf. in welchem Maße im Zuge des Bologna-­ Prozesses die grenzüberschreitende Mobilität steigt. Tatsäch­lich erweist sich die Datenlage jedoch als höchst unbefriedigend.40 So wird tradi­tionell in den interna­tionalen Bildungsstatistiken, bei deren Erstellung UNESCO, OECD und EUROSTAT kooperieren, die Zahl der ausländischen Studierenden erhoben und mit deren Hilfe Daten der im Ausland Studierenden ermittelt – also die Differenz von Studienland und Na­tionalität der Studierenden. Erst in jüngster Zeit nimmt die Zahl der euro­päischen Länder zu, die eine ähn­liche Unterscheidung vornehmen wie in den deutschen Statistiken z­ wischen Bildungsinländern und Bildungsausländern. Auf der Basis von Statistiken dieser Länder lässt sich schätzen, dass nur etwa drei Viertel der

Evalua­tion Research Project, Luxembourg: Office for Official Publica­tions of the European Communities 1997; Ulrich Teichler (Hg.), ERASMUS in the SOCRATES Programme, Bonn 2002; Sandra Bürger / Ute Lanzendorf (Hgg.), Higher Educa­tion Institu­ tions in Europe: Mobilised by Mobility? (Werkstattberichte 73), Kassel: Interna­tional Centre for Higher Educa­tion Research, Kassel 2010. 40 Ute Lanzendorf / Ulrich Teichler, Statistics on Student Mobility within the European Union, Luxembourg: European Parliament 2003; Maria Kelo / Ulrich Teichler / Bernd Wächter (Hgg.), EURODATA. Student Mobility in European Higher Educa­tion, Bonn 2006; Ulrich Teichler / Irina Ferencz / Bernd Wächter (Hgg.), Mapping Mobility in European Higher Educa­tion, 2 Bände, Bonn: Deutscher Akademischer Austauschdienst 2011.

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ausländischen Studierenden in Europa ausländisch mobile Studierende sind – d. h. für den Zweck des Studiums eine Grenze überschritten haben; ein Viertel lebte und lernte dagegen schon vorher in dem Land des Studiums. Hinzu kommt, dass etwa ein Zehntel der mobilen Studierenden keine Ausländer sind – manche kehren zum Zwecke des Studiums in das Land ihrer Na­tio­ nalität zurück, und manche haben inzwischen die Staatsangehörigkeit ihres Studienlandes angenommen. Hinzu kommt ein weiteres gravierendes Problem der interna­tionalen Statistiken. Die einzelnen Länder werden aufgefordert, die temporär mobilen Studierenden nicht in die Statistiken einzubeziehen – d. h. gerade diejenigen, die bei der innereuro­päischen Mobilität im Mittelpunkt der Bemühungen um Mobilitätssteigerung stehen. Zwar lässt sich schätzen, dass in den interna­tionalen Statistiken etwa die Hälfte der temporär mobilen Studierenden einbezogen wird, weil manche datenliefernde Länder sie mitzählen, aber insgesamt wird dadurch eine beträcht­liche Zahl mobiler Studierender nicht berücksichtigt. Infolgedessen haben sich alle Studien, die den Wandel der studentischen Mobilität europaweit im Zuge des ersten Jahrzehnts des Bologna-­Prozesses zu messen suchten, tatsäch­lich auf ausländische Studierende bezogen und eine unbestimmte, aber zweifellos große Zahl von temporär mobilen Studierenden nicht berücksichtigt. Erst für neuere Jahrgänge gibt es statistische Veröffent­ lichungen, die – je nach bestmög­lich verfügbaren Daten – für manche Länder die Zahlen für mobile Studierende und für andere Länder weiterhin die für ausländische Studierende ausweisen, allerdings häufig unter unvollständiger Abdeckung mobiler Studierender.41 So zeigte eine Analyse, dass die Zahl der ausländischen Studierenden in 32 euro­päischen Ländern (den an ERASMUS beteiligten Ländern und der Schweiz) von etwa 827.000 im Jahre 1999 auf 1.516.000 im Jahre 2007 wuchs, also etwa um 80 Prozent. Allerdings nahm in ­diesem Zeitraum die Zahl der Studierenden im tertiären Bereich in diesen euro­päischen Ländern um etwa 40 Prozent und in anderen Regionen der Welt insgesamt noch stärker zu. Ein besserer Maßstab ist die Veränderung des Anteils der ausländischen Studierenden. Dabei zeigt sich, dass innerhalb dieser acht Jahre der Anteil der ausländischen Studierenden aus anderen Weltregionen von 2,4 Prozent auf 3,7 Prozent anstieg, der aus anderen euro­päischen Ländern dagegen nur von 3,0 Prozent auf 3,3 Prozent.42

41 Exekutivagentur Bildung, Audiovisuelles und Kultur (wie Anm. 15), S. 154 – 160. 42 Teichler / Ferencz / Wächter (Hgg.) (wie Anm. 39).

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Trotz der Schwäche der Daten ist der Schluss erlaubt, dass die Einführung gestufter Studiengänge und ‑abschlüsse in der Tat ein Studium in den euro­ päischen Ländern, die zuvor keine s­ olche Stufung hatten, für Studierende aus anderen Weltregionen attraktiver geworden ist. Es ist aber nicht zu erkennen, dass der bestehende Trend zu mehr intra-­euro­päischer Mobilität durch die Einführung gestufter Studiengänge einen Auftrieb bekommen hat. Auf der Nachfolgekonferenz im Jahre 2009 entschieden die für Hochschulfragen zuständigen Minister, an der Förderung studentischer Mobilität als einem zentralen Ziel festzuhalten. Sie formulierten für das Jahr 2020 eine konkrete Zielzahl und dabei zugleich eine Präferenz für ein bestimmtes Konzept von Mobilität: Bis 2020 sollte erreicht werden, dass im Durchschnitt der beteiligten Länder 20 Prozent der Studierenden im Laufe ihres Studiums eine Studienphase (gegebenenfalls auch eine studienbezogene Praxisphase, gegebenenfalls auch das gesamte Studium) im Ausland studiert haben. Das heißt: Es geht nicht in erster Linie um die Anwerbung von Studierenden aus anderen Regionen der Welt oder um Mobilitätsquoten in den einzelnen Studienjahren oder Kalenderjahren, sondern es geht in erster Linie darum, dass viele der eigenen Studierenden im Laufe des Studiums interna­tionale Erfahrungen gewinnen. Um zu prüfen, wieweit dieser Zielwert erreicht wird, müssten regelmäßige Erhebungen bei Studierenden zum Zeitpunkt des Studienabschlusses und bei Absolvent(inn)en stattfinden. Eine Sekundärauswertung von Absolventenstudien in zehn euro­päischen Ländern, die vor 2010 durchgeführt worden sind, zeigt, dass im Durchschnitt dieser Länder bereits mehr als zehn Prozent der Bachelor-­Absolvent(inn)en temporär in einem anderen euro­päischen Land studiert hatten.43 Rechnen wir hinzu, dass etwa drei Prozent der euro­päischen Studierenden ihr gesamtes Studium in einem anderen Land verbringen, und beziehen wir das Master-­Studium mit ein, so kann der Zielwert für 2020 als erreichbar angesehen werden. Dramatisch sind allerdings die Differenzen nach Ländern: Während bereits mehr als 20 Prozent der niederländischen und österreichischen Studierenden wenigstens eine Phase ihres Studiums in einem anderen Land verbringen, sprechen Quoten von unter fünf Prozent in Großbritannien und Polen dafür, dass dort der Zielwert in absehbarer Zeit nicht annähernd zu erreichen ist.

43 Harald Schomburg / Ulrich Teichler (Hgg.), Employability and Mobility of Bachelor Graduates in Europe. Key Results of the Bologna Process, Rotterdam 2011.

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7  Die gestufte Studienstruktur als Element der Differenzierung In Analysen zur Entwicklung von Hochschulsystemen besteht weitgehend Einigkeit, dass deren Differenziertheit im Zuge ihrer Expansion in den letzten Jahrzehnten zugenommen hat. Dies wird gewöhn­lich als ein normaler, unvermeid­licher oder wünschenswerter Prozess angesehen.44 Am bekanntesten wurde die These von Martin Trow, dass sich, wenn die Studienanfängerquote etwa 15 Prozent der entsprechenden Jahrgangsstärke überschreitet, neben „elite higher educa­tion“ nunmehr „mass higher educa­tion“ entwickelt und dass, wenn die Studienanfängerquote etwa 50 Prozent überschreitet, „universal higher educa­tion“ als drittes Element der Differenzierung hinzutritt.45 Als Erklärung für eine s­ olche Differenzierung wird – erstens – häufig betont, dass im Zuge der Expansion die Studierenden in ihren Wünschen, Befähigungen und voraussicht­lichen späteren Berufstätigkeiten immer heterogener würden. Zweitens wird weithin für selbstverständ­lich gehalten, dass sich die Forschung weniger breit und weniger gleichmäßig als zuvor über ein expandiertes Hochschulsystem verteilen wird. Es gibt allerdings von Land zu Land große Unterschiede im Hinblick darauf, ob sich sehr große Differenzen ­zwischen den Hochschulen beziehungsweise Studienangeboten entwickelt haben oder ob sich diese Differenzen in Grenzen gehalten haben. Die USA gelten als ein Land, in dem sich innerhalb des

44 Zu Konzep­tionen und Entwicklungen von Differenzierung siehe Robert Birnbaum, Maintaining Diversity in Higher Educa­tion, San Francisco CA: Jossey-­Bass 1983; Ulrich Teichler, Euro­päische Hochschulsysteme: Die Beharr­lichkeit vielfältiger Modelle, Frankfurt a. M., New York 1990; Claudius Gellert (Hg.): Diversifica­tion of European Systems of Higher Educa­tion, Frankfurt a. M. 1995; V. Lynn Meek u. a. (Hgg.), The Mockers and the Mocked. Comparative Perspectives on Differentia­tion, Convergence and Diversity in Higher Educa­tion, Oxford 1996; Ulrich Teichler, Higher Educa­tion, in: Neil J. S­ melser / Paul B. Baltes (Hgg.), Interna­tional Encyclopedia of the Social and B ­ ehaviorial Sciences, Amsterdam, S. 6700 – 6705; Peter Scott, Structural Differentia­tion in Higher Educa­ tion, in: Barbara M. Kehm (Hg.), Hochschule im Wandel, Frankfurt a. M., New York 2008, S. 169 – 180; Jeroen Huisman, The Bologna Process Towards 2020: Institu­tional Diversifica­tion or Convergence?, in: Kehm / Huisman / Stensaker (Hgg.) (wie Anm. 8), S. 245 – 262; Ulrich Teichler, Diversity in Higher Educa­tion, in: Penelope Petersen / Eva Baker / Barry McGaw (Hgg.), Interna­tional Encyclopedia of Educa­tion. Volume 4, Oxford 2010, S. 347 – 353. 45 Martin Trow, Problems in the Transi­tion from Elite to Mass Higher Educa­tion, in: OECD (Hg.), Policies for Higher Educa­tion, Paris 1974, S. 51 – 101.

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Hochschulsystems ein sehr hoher Grad der Differenziertheit entwickelt hat, während in Deutschland die Differenziertheit klein geblieben zu sein scheint.46 Auch gibt es von Land zu Land große Unterschiede darin, welches Gewicht die verschiedenen Dimensionen struktureller Differenzierung für die Differenziertheit des Hochschulsystems insgesamt haben. Fünf wichtige strukturelle Dimensionen der Differenzierung im Hinblick auf Lehre und Studium sind vor allem zu nennen.47 Drei davon können als formale Dimensionen der Differenzierung bezeichnet werden; sie sind auf die eine oder andere Weise formal festgeschrieben – oft in Gesetzen – oder in anderer Weise eindeutig verankert: (1) verschiedene Arten von Hochschulen, (2) verschiedene Arten von Studiengängen und (3) verschiedene Stufen von Studiengängen und -abschlüssen. Zwei sind als informelle Dimensionen der Differenzierung zu bezeichnen. Sie sind nicht offiziell verankert; es gibt keine eindeutigen festgelegten Abgrenzungen, aber sie sind für die Hochschulen und ihre gesellschaft­lichen Auswirkungen nicht weniger bedeutsam als die formalen: (4) Unterschiede im Ansehen und in der Attraktivität von Hochschulen beziehungsweise Studiengängen des gleichen Typs und (5) Unterschiede im Profil der Hochschulen und Studiengänge. Wenn wir über diese einzelnen Dimensionen hinausgehen und nach der Gestalt der Hochschulsysteme fragen, können wir die Hochschulsysteme nach drei Aspekten einordnen. Erstens stellen wir fest, dass in manchen Hochschulsystemen Differenzierung eher in Form klarer Gliederungen erfolgt (zum Beispiel nach Typen von Hochschulen und Studiengängen), während in anderen Hochschulsystemen fließende Übergänge überwiegen. Zweitens kann eine Differenzierung „vertikal“ und „horizontal“ erfolgen. Als vertikal sind Unterschiede in der „Qualität“, „Attraktivität“ und Ähn­liches zu bezeichnen. „Horizontale“ Differenzierung zeigt sich in unterschied­lichen „Profilen“, „Spezialisierungen“, wissenschaft­lichen „Schulen“. Drittens kann die Differenzierung „inter-­institu­tionell“ oder „intra-­institu­tionell“ erfolgen. Im ersteren Falle unterscheiden sich die Hochschulen voneinander in Qualität und Profil. Im letzteren Fall gibt es zum Beispiel verschiedene Arten von Studiengängen und -abschlüssen (das war in Deutschland von den 1970er Jahren 46 Siehe dazu Ulrich Teichler, Shape and Size of the Higher Educa­tion System: The German Perspective, in: Stefanie Schwarz (Hg.), Universities of the Future (Dok & Mat 46), Bonn: Deutscher Akademischer Austausch Dienst 2002, S. 43 – 50. 47 Ulrich Teichler, The Changing Roles of the University and Non-­University Sectors of Higher Educa­tion in Europe, in: European Review 6 (1998) 4, S. 475 – 487.

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an für Gesamthochschulen der Fall und ist in jüngster Zeit überall durch die Bachelor- und Master-­Stufung aktuell) oder verschiedene wissenschaft­liche „Schulen“ innerhalb einer Hochschule. Wenn wir die Geschichte der Differenzierung in Deutschland genauer betrachten, so können wir für lange Zeit Deutschland als ein „Universitätssystem“ bezeichnen, d. h., eindeutig vorherrschend waren Universitäten – verstanden als multidisziplinäre Stätten von Forschung und Lehre, die das Recht haben, wissenschaft­liche Titel (so Doktortitel und auch Habilita­tionen) zu verleihen. Im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden – durch Neugründungen und Aufwertungen – eine Fülle von Spezialhochschulen, insbesondere technische, Wirtschafts-, theolo­gische und pädago­gische Hochschulen. Diese unterstrichen zum Teil stolz die Differenzen zu den Universitäten und strebten zugleich eine Annäherung und eine Gleichberechtigung mit ihnen an. Bis etwa 1970 war in der Bundesrepublik Deutschland eine so weitgehende Annäherung an die Universitäten erfolgt, dass wir von einer Integra­tion von Spezial-­Hochschulen und einer Entdifferenzierung der Hochschulstruktur sprechen können.48 Gleichzeitig mit den letzten Schritten zur Aufhebung der alten Differenzierung wurden jedoch die ersten Schritte zu einer neuen Differenzierung unternommen. In den 1960er Jahren gewann im Zuge der Hochschulexpansion die Überzeugung an Rückhalt, dass die Differenzierung im Hochschulbereich deut­ lich zunehmen müsse. Betont wurde, dass die Studierenden immer heterogener würden, die Kosten für ein langes Studium aller Studierenden nicht zu tragen ­seien und dass nicht alle Bereiche des wachsenden Hochschulwesens in gleichem Maße Forschungsaufgaben haben könnten. Dabei setzte sich nach einiger Zeit der Diskussion über mög­liche Differenzierungen nach Arten von Hochschulen, nach Arten von Studiengängen und nach der Dauer der Studiengänge das erstgenannte Modell durch: Es entstand – als dominantes Muster – eine Zwei-­Hochschularten-­Struktur, und damit erfolgte die Differenzierung interinstitu­tionell. 1968 entschieden die Ministerpräsidenten der Länder, eine zweite Art der Hochschulen – die Fachhochschulen – einzurichten.49 48 Ulrich Teichler, Alle wollen die Gesamthochschulidee, niemand will die Gesamt­ hochschule, in: Das Hochschulwesen 49 (2001) 4, S. 102 – 197. 49 Zur Entwicklung und Situa­tion der Fachhochschulen in Deutschland siehe Wissenschaftsrat, Empfehlungen zur Entwicklung der Fachhochschu­len in den 90er Jahren, Köln 1991; Clemens Klockner, Was Fachhochschulen leisten sollen, was sie leisten wollen und was wir darüber (nicht) wissen, in: Das Hochschulwesen 41 (1993) 6, S. 253 – 257;

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Diese wurden in der Tat Anfang der 1970er Jahre eingerichtet und nehmen seitdem ungefähr ein Drittel oder sogar mehr der Studienanfänger auf. Das ist allerdings weniger, als in einer Fülle von hochschulpolitischen Dokumenten, die sich für die weitere Differenzierung des Hochschulsystems einsetzten, gefordert wurde. Die Fachhochschulen unterschieden sich von den Universitäten vor Beginn des Bologna-­Prozesses im Hinblick auf Ziele und Struktur des Studiums vor allem durch (a) eine Betonung des Anwendungsbezugs des Studiums, (b) die Mög­lichkeit des Zugangs schon nach zwölf Jahren Schulbildung (gegebenenfalls auch teilsweise beruf­licher Ausbildung), wobei eine stärker berufsbezogene Sekundarschulstufe II durchlaufen werden kann, (c) eine geringe Dauer des Studiums (anfangs drei Jahre, ­später vier Jahre einschließ­lich Praxis- und Prüfungszeiten), (d) eine niedrigere Ebene der Einstufung der Absolventen im öffent­lichen Dienst (gehobener Dienst statt höherer Dienst im Falle der Universitäts-­Absolventen) und (e) kein Angebot zum Erwerb der Promo­tion innerhalb von Fachhochschulen. Hinzu kommt, dass die Professoren an den Fachhochschulen einen anderen Weg der Qualifizierung beschreiten (mehr Praxis, weniger Forschung). Ihre Lehrverpflichtung ist mehr als doppelt so hoch wie an Universitäten, und es ist ihnen freigestellt, in angewandter Forschung tätig zu sein. Schließ­lich hat die Fachhochschule im Gegensatz zur Universität keine Aufgabe der Heranbildung des wissenschaft­lichen Nachwuchses. Daneben wurden in den 1970er Jahren einige Gesamthochschulen eingerichtet, d. h. eine intra-­institu­tionelle Differenzierung. An einigen Gesamthochschulen in Nordrhein-­Westfalen wurde ein sogenanntes Y-Modell ­etabliert: Studierende mit unterschied­lichen Eingangsvoraussetzungen studierten zunächst gemeinsam und wurden dann in ein universitäres Studium auf der einen Seite und ein kürzeres anwendungsorientiertes Studium andererseits aufgegliedert. An der Gesamthochschule Kassel wurde in verschiedenen Studiengängen ein sogenanntes Konsekutiv-­Modell eingeführt: Die Diplom-­I-/ Diplom-­I I -Struktur entsprach in ihren Grundzügen der späteren Bachelor-­ Master-­Struktur. Die Gesamthochschulstruktur blieb jedoch umstritten, und die Gesamtzahl der Studierenden in derartigen Studiengängen erreichte nie mehr drei Prozent aller Studierenden.50 Matthias Klumpp / Ulrich Teichler, German Fachhochschulen: Towards the End of a Success Story?, in: James S. Talyor u. a. (Hgg.), Non-­University Higher Educa­tion in Europe, Dordrecht 2008, S. 99 – 122. 50 Zur Entwicklung der Gesamthochschulen in Deutschland siehe Ladislav Cerych u. a., Gesamthochschule – Erfahrungen, Hemmnisse, Zielwandel, Frankfurt a. M., New York 1981.

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In vielen euro­päischen Ländern gab es von den 1960er Jahren bis in die 1990er Jahre Diskussionen über die besten Wege der Differenzierung und Entscheidungen für verschiedene Strukturmodelle, aber es wurden von Land zu Land sehr unterschied­liche strukturelle Modelle gewählt. Es lassen sich andere Beispiele für eine Zwei-­Hochschularten-­Struktur nennen, für ein ausschließ­liches Angebot von universitären Langstudiengängen, für eine Dominanz der Stufen und von Studiengängen oder auch für eine Kombina­ tion von Hochschularten und Hochschulstufen.51 Es kursierten Begriffe wie „non-­university higher educa­tion“, „short-­cycle higher educa­tion“ und „alterna­ tives to universities”, aber keiner der Begriffe und keines der Modelle setzte sich flächendeckend durch; vielmehr war eine „Beharr­lichkeit der Vielfalt“ zu beobachten.52 Allerdings war erkennbar, dass bei der bestehenden Vielfalt der Strukturen eher eine interna­tionale Verständigung über Studienstufen als über Hochschultypen mög­lich war: Wenn es um Fragen der interna­tionalen Anerkennung von Studienabschlüssen ging, dann sprach man von Kurzstudienbzw. sub-­level degree-­Abschlüssen, von Bachelor- bzw. Bachelor-­äquivalenten Abschlüssen und von Master- und Master-­äquivalenten Abschlüssen (zu den letzteren wurden gewöhn­lich auch die Diplome, Magister und Staatsexamen deutscher Universitäten gerechnet). Mit dem Bologna-­Prozess haben die euro­päischen Länder entschieden, Stufen von Studiengängen zur dominanten formalen Struktur des Hochschulwesens zu machen. Andere formale Differenzierungen – so nach Hochschularten – wurden damit nicht abgeschafft, aber untergeordnet. Im Falle von Deutschland konnten nicht nur die Universitäten, sondern auch die Fachhochschulen Bachelor- und Master-­Studienprogramme einführen. Dabei wurden in Deutschland keine unterschied­lichen Bachelor-­Arten eingeführt, wohl aber unterschied­liche Arten von Master-­Abschlüssen; Ähn­liches traf für viele andere euro­päische Länder zu.53 Die gestufte Struktur hat nicht eine s­ olche Dominanz erhalten, dass damit unterschied­liche Arten von Hochschulen verschwanden. Bisher hat kein euro­päisches Land, das 1999 mehrere Hochschularten hatte, die inter-­institu­ tionelle Differenziertheit zugunsten der intra-­institu­tionellen Differenziertheit

51 Hanna Jablonska-­Skinder / Ulrich Teichler, in Zusammenarbeit mit Matthias ­Lanzendörfer, Handbook of Higher Educa­tion Diplomas in Europe, München 1992. 52 So der Untertitel des Buches von Ulrich Teichler 1990 (wie Anm. 44). 53 Siehe Davies (wie Anm. 13).

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völlig abgeschafft. Kein Land hat in d ­ iesem Zeitraum eine ähn­liche Entscheidung getroffen wie etwa Großbritannien im Jahre 1992, als alle „Polytechnics“ offiziell Universitäten wurden.54 Das intendierte Ziel einer Differenzierung nach Studienstufen wäre jedoch nur dann wirk­lich erfüllt, wenn ein großer Teil der Studierenden nach dem Bachelor-­Studium nicht weiterstudiert, d. h. in der Regel berufstätig wird. Aus Ländern mit gestufter Studienstruktur war bei den Beratungen zur S­ orbonneund Bologna-­Erklärung bekannt, dass ­zwischen einem Fünftel und zwei Fünftel der Bachelor-­Absolventen s­ päter einen Master-­Abschluss o. Ä. erwerben, und Ähn­liches wurde offenkundig für die euro­päischen Länder gewünscht, die einen Bachelor an Universitäten neu einführten. Den Verantwort­lichen für diese Erklärungen war durchaus bewusst, dass ein universitärer Kurzstudienabschluss in vielen euro­päischen Ländern unbekannt war; auch waren sie sich der Mög­lichkeit bewusst, dass die Bachelor-­Studiengänge so gestaltet und die Bachelor-­Studierenden so beraten werden könnten, dass der Bachelor praktisch nur den Wert eines Zwischenzeugnisses („Vor-­Diplom“, „DEUG “ oder Ähn­liches) bekommen könnte. Sie forderten demgegenüber in der Bologna-­Erklärung von 1999: „The degree awarded after the first cycle shall also be relevant to the European labour market as appropriate level of qualifica­tion.” Deutschland war zweifellos eines der Länder, in denen eine deut­liche Zunahme des relativ kürzeren Studiums zu erwarten war. Deutschland gehörte damals zu den ökonomisch fortgeschrittenen Ländern mit einer besonders geringen Studienanfängerquote. Dagegen war, als die Diskussion über die Einführung gestufter Studiengänge und -abschlüsse begann, die Quote der Universitätsabsolvent(inn)en am entsprechenden Jahrgang mit 11 Prozent fast ebenso hoch wie die Quote von Master- und ähn­lichen Absolvent(inn)en in den USA und in Großbritannien. Der große Unterschied ­zwischen diesen Ländern bestand darin, dass in den USA im Jahre 1996 35 Prozent einen Bachelor erreichten und in Großbritannien 34 Prozent; in Deutschland war neben den universitären Abschlüssen nur eine Quote von 6 Prozent Fachhochschul­ absolvent(inn)en zu nennen. Wenn ein Land wie Deutschland sich nicht in der Struktur, sondern auch in der quantitativen Verteilung an Länder annähern würde, in denen tradi­tionell eine gestufte Struktur besteht, dann hätte man

54 Peter Scott, Structural Developments in Higher Educa­tion: The Experience of Unified Systems, in: Das Hochschulwesen 45 (1997) 3, S. 133 – 139.

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im Zuge des Bologna-­Prozesses damit rechnen können, dass die im Bologna-­ Prozess zusätz­lich hinzukommenden Studienanfänger(innen) in Deutschland alle ihr Studium mit einem Bachelor beenden.55 Tatsäch­lich zeigte sich jedoch in vielen euro­päischen Ländern, in denen es an Universitäten nur Langstudiengänge gegeben hatte, eine begrenzte Akzeptanz des Bachelor-­Abschlusses seitens der Studierenden: Die Mehrheit der Bachelor-­Absolvent(inn)en von Universitäten entschied sich für ein Weiter-­ Studium. Nach der genannten Sekundärstudie von Absolventenstudien traf das für zwei Drittel bis drei Viertel der universitären Bachelor-­Absolvent(inn) en in Deutschland, Norwegen, Österreich und der Tschechischen Republik zu, dagegen weniger in Italien (57 Prozent) und Ungarn (44 Prozent) und ebenfalls weniger bei Absolvent(inn)en von Fachhochschulen und ähn­lichen zweiten Hochschularten.56 Zu erwähnen ist allerdings, dass sich ein nicht unbeträcht­ licher Anteil der nach dem Bachelor-­Abschluss Weiterstudierenden für ein Nebeneinander von weiterem Studium und Berufstätigkeit entschied – so in Norwegen mehr als die Hälfte und in Deutschland fast ein Drittel. Die Bedeutung gestufter Studiengänge für die Hochschulstruktur insgesamt wurde sicher­lich in vielen euro­päischen Ländern auch dadurch in Grenzen gehalten, dass zugleich der Stellenwert der informellen vertikalen Differenzierung stieg. Auch die Zunahme horizontaler Mobilität – hier sind die Expertenstimmen nicht einig, ob diese ebenfalls in sehr vielen Ländern Europas erfolgt ist – kann den Stellenwert der formalen Differenzierung reduzieren. In vielen Ländern ist tradi­tionell eine ausgeprägte vertikale Differenzierung des Hochschulwesens zu beobachten; auch in Deutschland, wo die Universitäten tradi­tionell als ähn­lich in der Qualität gegolten hatten, wuchs seit den 1980er Jahren die Aufmerksamkeit auf Unterschiede in Qualität und Reputa­tion.57 Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurde die vertikale informelle Differenziertheit ein zentrales Thema in den euro­päischen Ländern, in denen nur eine flache informelle Hierarchie der Universitäten bestanden hatte. Ranking-­Studien 55 Ulrich Teichler, Studieren bald 50 Prozent eines Geburtsjahrgangs?, in: Das Hochschulwesen 47 (1999) 4, S. 116 – 119. 56 Schomburg / Teichler (wie Anm. 43). 57 Wissenschaftsrat, Empfehlungen zum Wettbewerb im deutschen Hoch­schulsystem, Köln 1985; Wissenschaftsrat, Empfehlungen zur Struktur des Studiums, Köln 1986; Ulrich Teichler, Strukturentwicklung des Hochschulwesens, in: Aylâ Neusel / Ulrich Teichler (Hgg.), Hoch­schulentwicklung seit den sechziger Jahren. Kontinuität – Umbrüche – Dynamik? (Blickpunkt Hochschuldidaktik 79), Weinheim, Basel 1986, S. 93 – 143.

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von „World class universities“ erlangten höchste Aufmerksamkeit.58 Auch die sogenannte „Exzellenz-­Initiative“ in Deutschland 59 kann als ein Versuch verstanden werden, die vertikalen Abstände in Qualität und Reputa­tion zu erhöhen, und damit als ­­Zeichen einer wachsenden Überzeugung in Deutschland, dass die Qualität der Forschung und eventuell auch von Lehre und Studium steigen werde, wenn „Exzellenz“ an einer begrenzten Zahl von Universitäten konzentriert werde. Bei wachsender informeller Differenzierung ist zu erwarten, dass alle, die Bildungsleistungen vergleichend bewerten – etwa Unternehmen, die Absolventen einstellen, oder Hochschulen, die Absolventen für eine höhere Stufe von Studiengängen auszuwählen haben, oder Hochschulen, die über die Anerkennung der Leistungen während einer Studienphase im Ausland nach der Rückkehr entscheiden, die formale Gleichheit der Stufe immer weniger als ein ­­Zeichen eines bestimmten Leistungsniveaus betrachten. Man mag Studierende und Absolventen von bestimmten Reputa­tionsrängen oder bestimmten inhalt­lichen Profilen vorziehen oder man kann zur temporären Aufnahme von Studierenden anderer Universitäten bzw. zur Anerkennung der im Ausland erreichten Studienleistungen nur bereit sein, wenn das Vertrauen besteht, dass die Qualität und das Profil an der jeweils anderen Universität der Qualität und dem Profil der eigenen Universität entspricht.

58 Zu den Konzep­tionen, Methoden und Ergebnissen der globalen Ranking-­Studien sowie zu deren Kritik siehe Jan Sadlak / Nian Cai Liu (Hgg.), The World-­Class University and Ranking. Aiming beyond Status. Cluj-­Napoca 2007; Barbara M. Kehm / Bjørn ­Stensaker (Hgg.), University Rankings, Diversity and the New Landcape of Higher Educa­tion, Rotterdam 2009; Ellen Hazelkorn, Rankings and the Reshape of Higher Educa­tion, Basingstoke 2011; Jung Cheol Shin / Robert K. Toutkoushian / Ulrich Teichler (Hgg.), University Rankings. Theoretical Basis, Methodology, and Impacts on Global Higher Educa­tion, Dordrecht 2011. 59 Siehe dazu Stephan Leibfried (Hg.), Die Exzellenzinitiative. Zwischenbilanz und Perspektiven. Frankfurt a. M., New York 2010; Stefan Hornbostel, Exzellenz und Differenzierung, in: Barbara M. Kehm (Hg.), Hochschule im Wandel. Frankfurt a. M., New York 2008, S.  253 – 266.

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8  Der Bologna-Prozess und „Employability“ Im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts ist „employability“ zu einem zentralen hochschulpolitischen Thema in Europa geworden. Dabei gehen die Ansichten auseinander, ob diese Thematik von Beginn an zentral im Bologna-­Prozess gewesen ist 60 oder ob es ein Thema des „Zeitgeists“ war, das im Laufe der Zeit dem Bologna-­Prozess zugeschrieben wurde.61 In jedem Falle konnte die Einführung gestufter Studiengänge und -abschlüsse nicht als eine rein quantitativ-­strukturelle Maßnahme verstanden werden, die ohne Folgen für den Gehalt des Studiums ist. Es war zu klären, in welcher Weise ein Bachelor-­Studium zugleich Grundlagen für eine spätere Berufstätigkeit aufbaut und als erste Stufe für ein weiteres Studium dient. Es war darüber hinaus in jedem Falle zu berücksichtigen, dass im Zuge wachsender Studienanfängerquoten die meisten Bachelor-­Absolvent(inn)en ­später in beruf­lichen Bereichen tätig werden, die nicht als typische Akademiker-­Berufe gelten und in denen, soweit sie nicht völlig neu sind, früher Personen ohne Hochschulabschluss tätig gewesen sind. In der Sorbonne-­Erklärung von 1998 und der Bologna-­Erklärung klingt erstens an, dass der Bachelor-­Abschluss als eine Grundlegung für den Beruf ernst zu nehmen ist. Zweitens wird darauf hingewiesen, dass Sorge über die Beschäftigungsaussichten von Hochschulabsolvent(inn)en insgesamt besteht: Dies mag auch die Wahl des Begriffes „Beschäftigungsbefähigung“ erklären. Drittens wird in ­diesem Kontext auf ein zu erwartendes „Europe of knowledge“ verwiesen; dem liegt die Einschätzung zugrunde, dass sich die euro­päischen Länder auf dem Weg zu „Wissensgesellschaften“ bzw. „Wissensökonomien“ befinden, in denen systematisches Wissen einen zentralen Stellenwert für das kulturelle und zivilisatorische Leben sowie für technolo­gische Innova­tionen und wirtschaft­lichen Erfolg hat. Diskussionen über die Beziehung von Hochschule und Beruf werfen immer die Frage auf, in welchem Maße und in welcher Weise die Studienangebote an der Logik des Wissenssystems einerseits und an der Logik der zu 60 Siehe Guy Haug, The Public Responsibility of Higher Educa­tion: Prepara­tion for the Labour Market, in: Luc E. Weber / Sjur Bergan (Hgg.), The Public Responsibility for ­Higher Educa­tion and Research, Strasbourg: Council of Europe Publishing 2005, S. 203 – 209; Exekutivagentur Bildung, Audiovisuelles und Kultur (wie Anm. 15), Kapitel 5. 61 So Ulrich Teichler, Der Jargon der Nütz­lichkeit. Zur Employability-­Diskussion im Bologna-­Prozess, in: Das Hochschulwesen 56 (2008) 3, S. 68 – 79.

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erwartenden beruf­lichen Aufgaben von Absolvent(inn)en andererseits orien­ tiert sein sollen. Dabei wird ebenfalls immer kontrovers diskutiert, inwieweit die „Anforderungen“ aus dem Beschäftigungssystem durch Arbeitgeber, mächtige Berufsverbände u. Ä. vorgegeben werden sollen oder inwieweit die Hochschulen eine kritische und innovative Funk­tion nur dann haben können, wenn ­solche Vorgaben nicht machtvoll an sie herangetragen werden. In den Communiqués der Minister sowie in den Berichten zu den offiziellen Konferenzen und offiziellen Arbeitsgruppen, die zur Frage der „Employ­ability“ eingerichtet worden waren, wird in der Tat sehr stark betont, dass bei der Gestaltung der Studienangebote beruf­liche Notwendigkeiten und die Erwartungen der Arbeitgeber stark berücksichtigt werden sollen;62 sichtbar ist ein „Jargon der Nütz­lichkeit“.63 Dennoch ist insgesamt festzustellen, dass durch den Bologna-­Prozess nur sehr wenig mehr oder weniger bindende „Vorgaben“ gemacht werden; die einzelnen Länder, die einzelnen Hochschulen und die Verantwort­lichen für die einzelnen Studiengänge haben große Spielräume in der inhalt­lichen Ausgestaltung.64 Versuche, im Rahmen des Bologna-­ Prozesses zu einer Übereinkunft der Ziele des Studiums – zu einer „Bologna philosophy“ – zu kommen, sind nie zu einem Ergebnis gekommen.65 Und die Bemühungen um eine euro­päische Zusammenarbeit in „Quality Assurance“ richteten sich eher auf die Professionalität von Evalua­tions- und Akkreditierungsprozessen und der entsprechenden Agenturen als auf substanzielle Fragen nach der „Qualität“ des Studiums. Als sehr unterschied­lich erwiesen sich jedoch die Vorstellungen, ­welche substanziellen Akzentverschiebungen in Studienangeboten sowie Lehr- und Lernprozessen gefördert werden sollten. Besonders ausgeprägt war die Diskussion zu dieser Thematik in Großbritannien, wo vielfach einerseits eine höhere fach­ lich-­beruf­liche Spezialisierung gefordert wurde und andererseits eine stärkere

62 Siehe dazu Exekutivagentur Bildung, Audiovisuelles und Kultur (wie Anm. 15), S. 103. 63 So die Formulierung von Teichler (wie Anm. 61); siehe auch Martina Vusakovic, Decons­ tructing and Reconstructing Employability, in: Eric Fromment u. a. (Hgg.), EUA ­Bologna Handbook, Berlin 2007, Teil 1.4 – 2. 64 Auf die Verschiedenheiten der na­tionalen Ausgestaltungen des Bologna-­Prozesses verweisen insbesondere Curaj u. a. (Hgg.) (wie Anm. 20); zur Fülle unterschied­licher Ansätze in der Gestaltung des Studiums im Kontext des Bologna-­Prozesses siehe Suchanek u. a. (wie Anm. 25); Gudrun Hessler / Mechthild Oechsle / Ingrid Scharlau (Hgg.), Studium und Beruf. Studienstrategien – Praxiskonzepte – Professionsverständnis, Bielefeld 2013. 65 Siehe Zgaga (wie Anm. 24).

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Betonung von grundlegenden Befähigungen („generic skills“).66 In Deutschland dagegen fand die Vorstellung weite Verbreitung, dass das Studium stärker zur Vermittlung von „Schlüsselqualifika­tionen“ beitragen sollte, und dies wurde durch Vorgaben für die Akkreditierung auch mehr oder weniger obligatorisch.67 Für die Diskussion über „employability“ im Rahmen des Bologna-­Prozesses war zweifellos auch von Bedeutung, dass sich in Europa seit den 1980er Jahren verschiedene Mechanismen der Evalua­tion verbreitet hatten und dass damit eine stärkere Aufmerksamkeit auf die Ergebnisse und Wirkungen der Aktivitäten der Hochschulen verbunden war. So wurden zum Beispiel in Deutschland in jüngster Zeit verschiedene regelmäßige Systeme von Hochschulabsolventenbefragungen eingeführt, die den einzelnen Hochschulen und Studiengängen Rückmeldungen geben – zum beruf­lichen Verbleib, zur beruf­lichen Tätigkeit, zu Kompetenzen und deren Verwendung sowie zur nachträg­lichen Einschätzung der Stärken und Schwächen in den Studienangeboten und -bedingungen.68 Auch verbreitete sich zur Zeit des Bologna-­Prozesses die Vorstellung, dass das Studium ertragreicher ist, wenn in den Lehr- und Lernprozessen nicht primär auf die Vermittlung von Wissen geachtet wird, sondern auf die damit zu fördernden Kompetenzen.69 So ging in Deutschland auch in die Akkreditierungsvorgaben ein, dass die Ziele eines Studiengangs in Form zu erreichender Kompetenzen formuliert werden sollen. Die Betonung von Kompetenzen schlägt sich auch in generellen Richtlinien nieder, die im Rahmen des Bologna-­Prozesses zur Charakterisierung der Bildungsziele der einzelnen Studienstufen entwickelt wurden. Die zuständigen 66 Siehe dazu die eingehende Analyse in Mantz Yorke, Employability in Higher Educa­tion, in: Eric Fromment u. a. (Hgg.), EUA Bologna Handbook, Berlin 2007, Teil 1.4 – 1. 67 Siehe Manuel Pietzonka, Die Gestaltung von Bachelor- und Masterstudien­gän­gen im ­­Zeichen von Bologna. Kassel: Universität Kassel, Disserta­tion 2013, S. 53; zur Diskussion von Schlüsselqualifika­tionen siehe Sandra Bürger / Ulrich Teichler, Besondere Komponenten der Studiengangentwicklung, in: Winfried Benz / Jürgen Kohler / Klaus Landfried (Hgg.), Handbuch Qualität in Studium und Lehre, Berlin 2004, Teil E 3.1. 68 Siehe die Übersichten in Ralf Alberding / Kerstin Janson (Hgg.), Potentiale von Absolventenstudien für die Hochschulentwicklung (Beiträge zur Hochschulentwicklung 4/2007), Bonn: Hochschulrektorenkoferenz 2007; Kerstin Janson, Die Implementierung und Verwendung von Absolventenstudien in der Hochschule, in: Barbara M. Kehm / Harald Schomburg / Ulrich Teichler (Hgg.), Funk­tionswandel der Universitäten, Frankfurt a. M., New York 2012, S. 141 – 159. 69 Zum wissenschaft­lichen Diskussionsstand siehe Sigrid Blömeke u. a. (Hgg.), Modeling and Measuring Competencies in Higher Educa­tion, Rotterdam 2013.

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Minister der euro­päischen Länder waren im Jahre 2003 zu dem Ergebnis gekommen, dass ­solche generellen Richtlinien als „Qualifika­tionsrahmen“ (qualifica­ tions frameworks) bezeichnet werden sollten. Die Offenheit solcher Richtlinien wurde dadurch unterstrichen, dass Qualifika­tionsrahmen auf euro­päischer Ebene fachrichtungsübergreifend formuliert wurden und die einzelnen Länder zugleich aufgefordert wurden, Qualifika­tionsrahmen – sowohl übergreifend als auch für die einzelnen Fachrichtungen bzw. Fachrichtungsgruppen – zu entwickeln. Im April 2005 wurde von der Kultusministerkonferenz nach gemeinsamen Vorarbeiten mit dem Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, der Hochschulrektorenkonferenz und der KMK ein Qualifika­tionsrahmen für Studiengänge in Deutschland beschlossen.70 Dieser ist weitgehend an die drei Stufen der euro­päischen Vorgaben im Rahmen des Bologna-­Prozesses angelehnt. Dazu gehört auch, dass keine Unterscheidungen z­ wischen Hochschularten vorgenommen werden; dazu heißt es: „Die unterschied­lichen Bildungsziele dieser Hochschularten sollen jedoch nicht in Frage gestellt, sondern für die neuen Strukturen nutzbar gemacht werden.“ Im Qualifika­tionsrahmen ist zum Beispiel die Kategorie „Wissensvertiefung“ genannt. Dort heißt es zur Bachelor-­Ebene: Sie verfügen über ein kritisches Verständnis der wichtigsten Theorien, Prinzipien und Methoden ihres Studienprogramms und sind in der Lage, ihr Wissen vertikal, horizontal und lateral zu vertiefen. Ihr Wissen und Verstehen entspricht dem Stand der Fachliteratur, sollte aber zugleich einige vertiefte Wissensbestände auf dem aktuellen Stand der Forschung in ihrem Lerngebiet einschließen.

Zur Master-­Ebene: Ihr Wissen und Verstehen bildet die Grundlage für die Entwicklung und/oder Anwendung eigenständiger Ideen. Dies kann anwendungs- oder forschungsorientiert erfolgen. Sie verfügen über ein breites, detailliertes und kritisches Verständnis auf dem neuesten Stand des Wissens in einem oder mehreren Spezialbereichen.

70 Siehe dazu Nadine Merkator / Ulrich Teichler, Strukturwandel des tertiären Bildungssystems (Arbeitspapier Demokratische und s­ ozia­le Hochschule 205). Düsseldorf: Hans Böckler Stiftung 2010 (htttp://www.boeckler.de/show_product_hbs.html).

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Zur Doktoratsebene: Sie haben durch die Vorlage einer wissenschaft­lichen Arbeit einen eigenen Beitrag zur Forschung geleistet, der die Grenzen des Wissens erweitert und einer na­tionalen oder interna­tionalen Begutachtung durch Fachwissenschaftler standhält.

Nennenswert ist auch die Kategorie „Instrumentelle Kompetenz“. Dort heißt es zur Bachelor-­Ebene: „[..] ihr Wissen und Verstehen auf ihre Tätigkeit oder ihren Beruf anzuwenden und Problemlösungen und Argumente in ihrem Fachgebiet zu erarbeiten und weiterzuentwickeln“. Zur Master-­Ebene: „[] ihr Wissen und Verstehen sowie ihre Fähigkeiten zur Problemlösung auch in neuen und unvertrauten Situa­tionen anzuwenden, die in einem breiteren oder multi­ disziplinären Zusammenhang mit ihrem Studienfach stehen“. Schließ­lich zur Doktoratsebene: „[] wesent­liche Forschungsvorhaben mit wissenschaft­licher Integrität selbständig zu konzipieren und durchzuführen“. Schließ­lich ist zu erwähnen, dass im Kontext der Forderungen an die Hochschulen, die Beschäftigungsbefähigung ihrer Studierenden zu erhöhen, regelmäßig vorgeschlagen wird, dass die Hochschulen in allen Fragen des Übergangs zum Beschäftigungssystem aktiv sein sollten (so in Informa­tion und Beratung zu Arbeitsmarktsitua­tion und Berufswahl wie auch mög­licherweise bei der Arbeitsplatzsuche und Kontaktaufnahme zu Arbeitgebern). Auch wird in d ­ iesem Zusammenhang oft empfohlen, dass die Universität zu ihren Alumni regelmäßig Kontakt hält.

9  Ein – vorläufiges – Fazit Der Bologna-­Prozess hatte nach Absicht seiner Initiatoren nach etwa einem Jahrzehnt einen mehr oder weniger eindeutig sichtbaren Abschluss erreichen sollen, für den die Bezeichnung „Euro­päischer Hochschulraum“ ab 2010 avisiert worden war. Tatsäch­lich haben sich schrittweise teils bemerkenswerte und teils bescheidene Veränderungen ergeben, die nicht zu einem klaren Schlusspunkt gekommen sind. Von dem „Euro­päischen Hochschulraum“ ist um 2010 nicht mehr so häufig die Rede, aber es wurden weitere Entwicklungsziele bis 2020 formuliert. Die Hochschullandschaft in Europa hat sich durch den Bologna-­Prozess deut­lich verändert: Die gestuften Studiengänge und -abschlüsse sind eindeutig das wichtigste Element formaler Differenzierung der Hochschulen geworden.

428 Ulrich Teichler

Damit gehen unvermeid­lich Veränderungen in der Betrachtungsweise der Funk­tionen der Hochschulen einher. Die Universitäten in den Ländern, in denen sie früher nur lange universitäre Studiengänge anboten, können sich auf die Dauer nicht mehr der Grundfrage von „mass higher educa­tion“ verschließen: Welche Aufgabe haben sie, wenn etwa die Hälfte eines Jahrgangs studiert, für diejenigen Studierenden, die ­später nicht in typische Akademiker-­Berufe übergehen, sondern in Berufsbereiche eher in der Mitte der beruf­lichen Status-­ Hierarchie? Insofern hat der Bologna-­Prozess mit den universitären Bachelor-­ Abschlüssen etwas in Gang gebracht, was im Zuge der Hochschulexpansion bedeutsam werden musste. Und in ­diesem Kontext war es zu erwarten, dass die Frage der beruf­lichen Relevanz des Studiums eingehend zu diskutieren war – unabhängig davon, w ­ elche Verständnisse und Missverständnisse Termini wie „employability“ auslösen. Überraschend ist dennoch, dass sich die Diskussion in Europa so stark auf die formale Struktur des Hochschulwesens konzentriert hat. Denn je mehr die Hochschulexpansion voranschreitet, desto mehr wächst ja gerade die Bedeutung informeller Differenzen: Der Abschluss eines Bachelors und eines Masters wird immer mehr vertikal (nach Rängen in Qualität und Reputa­tion) und horizontal (nach Profil des Studiengangs oder der Hochschule) bewertet. Bisher ist schwer zu beurteilen, ob sich interna­tional eine ähn­lich große informelle Differenzierung entwickeln wird, wie das in den USA Tradi­tion hat, oder ob manche Länder auf Dauer ein begrenztes Maß informeller Diffe­ renzen erhalten.71 Es war zu erwarten, dass die europaweite Einführung gestufter Studiengänge und -abschlüsse in mancher Hinsicht grenzüberschreitende studentische Mobilität fördert, in anderer Hinsicht nicht. In der Tat sind die euro­päischen Hochschulsysteme für Studierende aus anderen Weltregionen, die ein ganzes Studium – insbesondere ein Master-­Studium – in einem anderen Land verbringen wollen, attraktiver geworden. Für die innereuro­päische studentische Mobilität hätte man voraussehen können, dass die Veränderungen von Studien­ gangstrukturen kaum Auswirkungen haben würden.

71 Zur deutschen Diskussion siehe Wissenschaftsrat, Empfehlungen zur Differenzierung der Hochschulen, Köln 2010; Wissenschaftsrat, Perspektiven des deutschen Wissenschaftssystems, Köln 2013. Zur interna­tionalen Situa­tion siehe Ulrich Teichler, Between Over-­Diversifica­tion and Over-­Homogeniza­tion: Five Decades of Search for a Creative Fabric of Higher Educa­tion, in: Kehm / Stensaker (Hgg.) (wie Anm. 58), S. 155 – 181.

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Unterschied­lich fallen die Aussagen dazu aus, ob der Bologna-­Prozess ein Laboratorium für ein hohes Maß an euro­päischer Integra­tion ist. Zur Zeit der Sorbonne-­Erklärung (1998) und der Bologna-­Erklärung (1999) wurde „Europa“ in der Tat großgeschrieben, und dazu passte die Aussage, dass bis zum Jahre 2010 ein „Euro­päischer Hochschulraum“ verwirk­licht werden sollte. Das wichtigste Werk zur Bilanzierung des Bologna-­Prozesses trägt den Titel „European Higher Educa­tion at the Crossroad. Between the Bologna Process and Na­tional Reforms“.72 Die vorsichtigen Formulierungen deuten eher an, dass ständig ein Kompromiss z­ wischen Annäherungen in einzelnen Elementen und der Fortführung von Unterschieden ­zwischen den euro­päischen Ländern erfolgt. Auch in dieser Hinsicht erbrachte der Bologna-­Prozess keine völlig überraschenden Ergebnisse.

72 Curaj u. a. (Hgg.) (wie Anm. 20).

Thorsten Nybom

European Universities: Another Somewhat Lamenting – yet Basically Hopeful – Account

1  Introduction Even if my deliberations on this occasion will be personal and my “conclusions” – to put it mildly – will be contestable, they are nevertheless founded in my fairly extensive practice, reading, writing, discussion, and a wee bit of thinking regarding the specific field of study and social practice we usually call higher education and research policy.1 As far as I am concerned, the starting point for any discussion today of the position, organisation, and tasks of the European universities must be that the university no longer has the same, self-evident and undisputed legitimacy that it still had even 30 years ago. First, because today practically all European research and higher education systems are in flux, regardless of their organisation, structure, historic roots and funding principles. Second, and perhaps even more seminal, because the traditional European universities are plagued by deep social, economic and intellectual uncertainty and this goes to the very core of the institutions. In short, the university has, so to speak, to renegotiate its “social contract” with regard, not only to its funders and students, but also to society at large. Paradoxically, the crisis the universities are presently facing can at least partly be seen as a consequence of the emergence of, what is usually called, the knowledge society, because this has meant not only a rise in the demand for higher education, professional skills and sophisticated knowledge, but also to 1 Since this is a slightly extended version of an invited “Abendvortrag” closing the international conference “Wissenschaftliche Tagung zum Kölner Universitätsjubiläum” 2013 – 10 – 23/26, I have decided to keep it that way, accordingly there are no ­appropriate references or foot-notes in the text. I have however attached the titles of a handful of recent essays/books on this and closely related subjects where my most important references are to be found and discussed – for those interested.

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an enormous growth in the supply of such services. 50 years ago, the university, still, seemed to have a virtual monopoly of producing and distributing qualified knowledge and research. Today, one can find producers and transmitters of knowledge all over the place and in a number of alternative, institutional arrangements – in industry, in public and private bureaucracies, in the arts and the entertainment sector, and even in the media. As a result, the university, to funders, students, and prospective employers is only one of several possible alternatives or options. This competitive situation has, in turn, resulted in growing demands for accountability and external scrutiny. Clearly, it has become gradually more or less impossible and irresponsible to go on trying to defend the somewhat “uncommunicative” higher education systems – both economically and intellectually speaking – which have existed in many parts of Europe until the 1980s. Thus it is also high time, that we at the European universities start admitting that the present-day universities are nothing like what they still were in the 1970s. We are doing more – and different – things as we did then, and under totally different conditions; there is a different student body. The student-­ faculty ratio has changed dramatically. The principles, level and sources of funding have changed radically. The distance between high-quality research and under­graduate education has become almost insurmountable, in many cases cutting-edge research has left the university altogether. Yet another paradox is that coupled with a great and widespread uncertainty about the future tasks and institutional organisation of the higher education and research system, there exists a virtually implicit belief in the salutary effects of research and higher education – not least among the chattering political classes. This belief presupposes an immediate connection between the volume of research and higher education, on the one hand, and economic development, on the other. This is a fairly dubious assumption; at least it must be accompanied by considerable reservations. The only thing we historians can really say, regarding the interrelation between the educational level of a nation and its economic performance is that a connection of this kind exists but to proceed from this reasonable assumption to categorical statements about what this connection actually looks like and how it should be institutionalised, organised, and funded is not only hazardous it is irresponsible and even silly.

European Universities 433

2  Historical mistakes: The disintegration of the European higher education system(s) When the Continental European institutions of higher learning in the late 1960s and early 1970s, as a consequence of legitimate demographic, democratic and economic pressures, were transformed from rather exclusive to mass institutions, this was accomplished, in contrast to the US 20 years earlier, without a simultaneous restructuring of the existing higher education system. This blatant sin of omission on the part of both ignorant politicians and arrogant academics had a number of more or less fatal and long-lasting consequences: –– The universities in some parts of Europe have sometimes virtually ceased to function as proper institutions of higher learning (Southern Europe). –– In some parts of Europe the institutions of higher education were “reconstructed” through heavy-handed bureaucratic means, which eventually lead to even greater uniformity instead of a necessary differentiation (Sweden). –– As a consequence, wherever it has been possible, a substantial part of qualified research has tried to decouple itself from the comprehensive university, either through different forms of “inner emigration” (Sweden) or by simply leaving the university in favour of independent extramural research institutes (Germany). –– The 200-year-old contract between the state and the university system is no longer honoured by the politicians. Instead, there has emerged a fundamental lack of trust between the two parties. To the first two points; during the last 30 years there has been a sharp and continuous rise in student enrolment, which means that several of the European higher education systems have turned from being mass to become almost universal higher education systems. In most European cases this has happened without any fundamental structural and institutional changes in the existing, often unitary and inflexible, European continental state-controlled higher education systems. Accordingly, this growth has caused substantial structural, institutional, and intellectual dysfunctions and deficits. To make things even worse, the rapid growth of the student body has been accompanied by u ­ nchanged or, in many cases, reduced levels of per-capita state funding. To the fourth point; this could be seen as an undisputable indication of the European states’ and central governments’ massive retreat from their traditional “Humboldtian” obligation of being the ultimate guardian angel of their national higher education institutions. And additionally, the resources which

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were in fact allocated to the universities and research gradually turned from a system that had included a substantial share of block grant funding into a system where so-called “competitive funding” became the standard opera­ ting procedure. This meant that the possibilities of long-range planning at the university level became more or less illusory, and, eventually, it also led to a reduced capacity to function as autonomous institutions. Thus, I maintain, that during the last 15 years, European central governments have become just another – but even more powerful – “stakeholder“ in the university, who is primarily treating the universities not as a public good as such, but rather as just another political means for achieving all sorts of political ends the present government is aiming for. Paradoxically, but to an historian certainly not surprising, this “New Public management”-inspired “withdrawal by the state” and deregulation was almost everywhere accompanied by a general trend of increased politicisation of higher education and research, which in some cases has led to a redefinition of the ultimate role and mission of higher education institutions. The most obvious example of this dual development is England but the trends are visible almost all over Europe – not least in my own country. Universities are no longer considered to be invaluable national academic institutions and cultural centres. They are primarily seen as instrumental means; to function as “development or innovation centres” in national or even regional economic policy. In addition, this process has been accompanied by an almost explosive growth of evalua­ tions and accountability schemes, which have turned the traditional European system of exclusive and strict “input control” (Abitur and peer-­review) into different schemes of “output control” where practically “everything that moves is measured”. Furthermore, and in a European “etatist” university context and tradition certainly not least important, it remains an undisputable fact that, as of today, very few among the present European central governments can be said to articu­ late, and much less pursue, any form of conscious and certainly not consistent national science and higher education policy, with the ­possible exception of Switzerland, Denmark, and The Netherlands. Instead practically every European politician is standing on the ruins of his/her crumbling university systems delivering one statement after the other – in Brussels and elsewhere – regarding the strategic importance of knowledge, research, innovation, education, etc. Against this background, one could very well start wondering if the euphoria primarily among European politicians and higher education bureaucrats over the alleged unlimited possibilities opened up by the implementation of

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the Bologna process in European higher education, has anything to do with a serious will on part of its academic and political protagonists to promote the pursuit of qualified knowledge. A more cynical observer would perhaps rather detect a hidden political agenda behind the massive enthusiasm among national and European politicians, bureaucrats, and lobbyists, which might indicate that the main advantage of the Bologna scheme is that it gives these politicians an opportunity to avoid the risk of having to take the responsibility of a number of necessary but probably very controversial reforms on the national level concerning a) funding (fees), b) differentiation, c) access (master), d) marketization. Instead, unpopular undertakings can be presented as “unavoidable and logical consequences” of Bologna. This type of argumentation is sometimes called the TINA syndrome (There Is No Alternative) and is frequently used by politicians, bureaucrats, and econo­mists – not only concerning higher education. In the worst of all possible cases the politicians – together with their allies in academia – not least the European Association of Universities (EAU ) – will succumb to the illusion, or at best maintain the unfounded belief, that Bologna will, in itself, both raise the quality of higher education and research and at the same time take care of the constantly growing needs for qualified vocational training and lifelong learning structures.

3  The Confluence of Internal and External Forces of Change But it is certainly not only politics and political decisions that have had deep-­ going consequences as regards the university and institutionalised research. It is possible to distinguish, at least, a number of fundamental – and partly concurring – structural processes that to high degree will define the decisive parameters for European higher education and research systems at present and in the future. The extraordinary in today’s situation is, by no means, the fact that the systems are changing. On the contrary, more or less dramatic change has characterised the universities ever since they emerged, 1000 years ago. The exceptional in the present development – just like 200 years ago – is that we are facing something close to a Cultural Revolution. By this I mean that the ongoing and coming changes will have significant consequences at almost every level and for every actor and activity within the higher education and research system:

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–– Shift from Mass Higher Education to Universal Tertiary Education and Life-long Learning –– Comment: This will in the European systems lead to more or less unplanned – sometimes planned (Germany) – vertical stratification, not to functional horizontal differentiation as in the US. –– Uncontrollable Growth of Qualified Knowledge –– Comment: Usually when we are discussing the massive and rapid growth in higher learning we are almost exclusively concentrating on the numbers of students and rising over-all costs. Almost as significant and potentially as transforming is the enormous growth in knowledge production. This perpetual expansion has at least two fundamental consequences for the tradi­tional institutions of higher education and research: a) The universities can no longer pretend or maintain the illusion of being the sole provider of qualified knowledge in society. b) This process of knowledge flooding puts an additional strain on the internal coherence and the common value system of the universities. –– Constant Growth of Institutional Heterogeneity –– Comment: This fact has brought about a situation where the higher education sector is neither capable of nor interested in acting as a joint political force in higher education and research policy. The most obvious example here is, once again, England where a number of different so called “mission groups” among the universities are certainly not engaged in any “common course” but instead actively fighting each other. This dissolution process is also visible in other European countries. –– ICT and the (probable) Coming of a Cognitive, Pedagogical and Logistic Revolution –– Comment: The long-term impact of this process on university life and organi­ zation remains yet to be seen. There will be some major consequences – not only regarding curricula and pedagogy – but the consequences will probably not be the ones the “MOOC-zealots” are presently missionizing about. –– Simultaneous Processes of Globalisation, Individualisation and “Marketisation” –– Comment: These are of course general developments with deep impact and consequences in all spheres of modern society, but I nevertheless believe their impact on the European higher education systems will be relatively more deep-going simply because many of those systems up to the 1980s were considered to, at least partly, be living in “a world of their own”. –– Dissolution of the Historical Nexus between the Nation State and the Higher Education and Research System

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–– Chronic Public Underfunding and Retreat from Political Responsibility: “The New Public Management” revolution –– New Relations between Knowledge-Industry-Society: “Triple-Helix”, “Mode 2”, “Entrepreneurial Universities” etc. –– Comment: Potentially this process could have substantial consequences not only on curricula, training, funding and research out-put, but also concer­ ning university leadership and university governance and steering. –– Growing Tensions between Education as a “Public” and a “Private Good” –– Comment: This is perhaps the most fundamental and momentous shift during the last 30 years. First, because this shift immediate concerns the fundamental ethos and self-understanding of the Western universities. Second this will also change the role and behavior of the students and gradually turn them into “customer”. And where there are customers looking for private goods there will certainly also be a number of prospective profit-seeking private providers of such “goods” – probably in many cases of dubious quality. –– The Growing Mix-up between “Information” and “Knowledge” –– Comment: When most commentators and “experts”, in a routine fashion, use “the information society” and “the knowledge society” as synonymous and interchangeable conceptions, it not only shows a lack of insight, but also constitutes a nearly fatal mistake. The information society is and remains at odds with something that should rightfully be labelled the knowledge society; hence in the very near future the media can develop into perhaps the deadliest enemy of institutionalized science and knowledge production. –– Dissolution of Traditional Academic Values and a Subsequent Crisis of Legitimacy and Rationality Excursus 1: Research Policy Planning in Europe: from Bush to Brussels

Roughly during the same period I am here dealing with, research funding has undergone a period of massive bureaucratization and instrumentalization. This is primarily but certainly not only manifested by the constantly growing importance – direct and indirect – of the so-called EU “Framework Programmes”. It has also, to a very high degree, become a dominant trend in science policy and research funding on the national level. The “Policy for Science” that characterized the first three decades after the Second World War, the Vannevar Bush formula, has been abandoned for something that rightfully could be labelled “Politicized Science”.

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This has gradually led to the growing tendency in research funding to replace the traditional criterion of academic excellence by more nebulous criteria, sometimes labelled “strategic”, sometime “social- economic relevance”, sometimes “mode 2”, sometimes “the production of socially robust knowledge”. One could go on almost forever with this almost Orwellian type of science policy “New-speak”. Subsequently this has led to a system of research funding, where politically controlled earmarking, “pork-barrelling”, and “strategic” allocation of resources have become the rule rather than the exception. (Significantly enough, the laudable establishment of the European Research Council [ERC] – a small step back towards the Vannevar Bush-principle of research funding – was by no means an initiative by the Brussels research bureaucrats or even by European university leaders, it was initiated and carried through by a handful of independent European research foundations and Academies of Science, in spite of fairly heavy resistance). Ultimately this development has eventually had deep consequences also for discipline formation and for other dimensions of the internal life of science and the universities, including the self-understanding and professional ethos among scientists and scholars. Thus it is not only relevant to talk about a gradual demise of the university, but at least in relative terms, also a decline of the disciplines, particularly in research policy planning. Even if the traditional disciplinary structure is still well anchored in academic life and prestige structure, it has never­theless gradually lost its favourable position in the research policy hierarchy. Usually this development is explained as a more or less natural consequence of the alleged widening gap between academic basic research and the acute problems the world is facing and will be facing in the near future. But this is only partly true. For instance, the insistence on interdisciplinary approaches is not only dictated by the alleged lack of relevance in modern science, it has also turned into an ideological or political tool to undermine the traditional academic value system and autonomy, with deep-going and lasting consequences on the well-being of the European university. Excursus 2: Internationalization, Excellence, and Ranking

Before concluding these perhaps not too original deliberations let me at least touch upon three of the most frequently used buzz-words in the present higher education debate: internationalisation, excellence, and ranking, since these dimensions are usually discussed in either fairly uncomplicated enthusiastic or dismissive terms.

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Internationalization is almost always presented as one of the key features of higher education and research that should have top priority. In principle this is all well and true, but one must also realise that internationalisation, like everything else in human life, is combined with certain risks and drawbacks. Hence, internationalisation of research and graduate education can lead to growing unease and even disintegration at the local level. Because, when a person is joining – or is admitted into – “the international tribe of top ‘gipsy-scholars’”, her first loyalty will be towards that particular tribe. The home university/department and local colleagues will quite naturally tend to become less interesting – or even unimportant. So, in these days of Festreden over the unending blessings of internationalisation one should still remember the sobering words of Jürgen Mittelstrass about a dilemma that existed at least until quite recently: “There is nothing more international than m ­ odern elite research, and probably nothing more national than the European university systems.” Furthermore, one should also be aware of the fact that the internationalisation euphoria together with frequent media exposure is not exclusively connected with elite- or cutting-edge research. The intensified international exchange has also opened the door for “unconventional” academic careers and research-­ related entrepreneurship, where “visibility”, “beautiful fiends”, and “performance”, to a high degree has superseded documented and solid research achievements as viable “intellectual capital”. One can find, at least Swedish, examples where individuals and entire institutes have chosen this alternate route to “fame and fortune”. If the international academic community is not prepared to actively fight this steadily growing Geschäft it is running the risk of compromising the entire traditional scholarly endeavour. Concerning the issue of excellence, or Centres of excellence, the small European nations – and in research and science we are all small compared to US – must realise that if we are going to create real centres of excellence in research and research education, we can very seldom do so on a local or even national level. We have to think, behave, and act like MIT or UC Berkeley. To create genuine centres of excellence one has to look for competence, literally, everywhere. So, if my former university Uppsala decides to become a Centre of excellence in almost any field of study, 90 times out of 100, only a minority of the researchers would – or should – come from Uppsala. This, together with the fact, that the establishment of Centres of Excellence takes a lot of resources, means that the internal and national, funding system will be put under a lot of stress – organisationally, economically, and culturally.

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Last rankings; in the last two decades, different types and variations of r­ ankings, preferably in the form of league tables, have become a more or less regular, although still controversial, element in higher education and research policy. However, regardless of the actual motives behind this worldwide deluge of rankings, there is hardly any reason for the higher education representatives to moralize over the present state of affairs. Instead, it is high time universities contemplated what deficits and negligence in their own behavior, and even lack of responsibility, have actually promoted or at least contributed to a situation where externally initiated rankings today appear to be not just news and information commodities, but are also perceived as totally legitimate and relevant evaluations of academic quality to an increasing number of societal actors, who more or less justifiably consider themselves to be legitimate stakeholders when it comes to deciding the higher education system’s size, quality, efficiency, resources and missions. What is the actual impact of rankings on higher education institutions so far? According to recent studies, the impact of rankings for the individual student’s actual institutional and educational choice, seems, for very good reasons, to be extremely limited, so far. The only reasonable guess put forward is that the students from more privileged social strata (and their parents) probably have a more pronounced tendency to study the rankings than fellow students who come from deprived socio-academic conditions. The same differences might possibly be observed between those students who have an international pers­ pective, and those who have a local perspective in their educational choices. But with the gradual introduction of almost North-American Ivy League levels of tuition fees in some European countries, the impact of rankings might become a very significant dimension and eventually play an increasingly important role when students, not least the ones coming from over-seas, choose their institutional affiliation and academic career. However there are at least three levels or areas of higher education and research policy planning where rankings have had an obvious and distinct impact: politics, university boards and university leadership/management. When it comes to politics I will only state as my definite conviction that the German “Exzellenz-Initiative” (or any other comparable European excellence scheme for that matter) would probably never have come about without the impact of the Shanghai Jaio Tong- and Times Higher Education-rankings! Furthermore, and perhaps not surprising, it seems to be university boards that are most likely to ascribe immediate policy relevance to ranking results. To a sometimes lay-dominated university board, often recruited from the

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quarterly report-obsessed business sector or from politics primarily obsessed with vote-catching, and with sometimes almost rudimentary knowledge of university life, changes in the ranking can be perceived as almost the only unambi­ guous and ‘objective’ evidence of institutional success or decline. League tables then tend to become the bottom line in the ‘balance sheet’ of the ‘company’. Whenever a university board is getting worried, at least an insecure and academically weak university leadership immediately becomes concerned and feels a more or less urgent pressure to take actions. Eventually then, manage­ ment prone university executives could be tempted to carry out relatively extensive and expensive ‘quick fixes’ primarily in order to affect simple, but in some ­rankings weighty, indicators, actions which only marginally will have anything to do with the actual quality of their core activities – teaching and research, but which could have deep-going effects with regard to the steering and balance of power within the institution.

4  Concluding Remarks and Some Very Modest Proposals 2 In conclusion and in my view, the European higher education systems have ­during the last 30 – 35 years been going through a process of disorientation, brought about by the confluence of several simultaneous cultural and intellectual, as well as economic and political forces. The development in science policy, research organization and higher education has also had a lack of focus and has actually led to a crumbling of the value system and self-confidence of the traditional European University. I would go so far as to compare the current period to the era of turbulence and decline that preceded the foundation and development of a university that gradually transformed virtually all universities, i. e. the creation of the so-called Humboldtian University (A process that incidentally also led to the closure of the old and proud institution Universität Köln!). Having stated this I would nevertheless urge us all to, at long last, take a definite if certainly affectionate and grateful fare-well to Wilhelm von Humboldt and instead turn to other and more recent authorities for guidance. Furthermore, 2 Since I have seen no obvious reason to radically change my mind in the last year or so, this concluding passage is an almost verbatim quotation from Thorsten Nybom, The Disintegration of Higher Education in Europe, 1970 – 2010: A Post-Humboldtian Essay in Sheldon Rothblatt [Ed.], Clark Kerr’s World of Higher Education Reaches the 21st Cen­ tury: Chapters in a Special History. Springer, Dordrecht 2012, pp. 179 – 180.

442 Thorsten Nybom

we certainly do not need any additional pompous declarations by European prime ministers or ministers of education, or even by representatives of the EAU about the glorious future of the European universities in 20XX. Instead, we have to devote all our intellectual efforts, and a substantial part of our economic and human resources, to rebuild our education systems in general, and our damaged higher education systems in particular. According to my humble opinion the position and future development of the European university systems calls for rethinking on a systematic level comparable to what occurred in California in the 1950s and early 1960s, even if, as the Californians appear to feel, no fundamental change can ever be permanent. The California model, it is clear, is in trouble, but that does not mean that the issues it confronted are not issues that Europeans should be confronting today. One crucial message we should take away from the California Master Plan and its instigator Clark Kerr’s vision is the importance and even necessity to make an effort to seriously contemplate how quality universities, supported from the public purse and with rigorous critical standards, educating and training talented young persons at the highest level, can be combined with a system of mass higher education access. In short, the crucial issues still remain system differentiation i. e. a) how do we construe a workable higher education system, which is able to fulfil the steadily growing number of diversified tasks and obligations put upon it; b) how do we define the characters and numbers of institutions actually needed in each category or segment of that system; c) how do we secure the continued existence and flourishing within this system of the delicate species called the research university with its particular qualities, and d) how could we best fund and finance such a diversified system? Unless this happens, I fear that at least a research system will gradually emerge, which is more or less independent from that particular and peculiar Lebenswelt that the European research university has constituted for 150 years, because the latter will sooner or later suffer from a gradual loss of creativity, competence and eventually of legitimacy. In short, I would like to see a discussion of how the European university of the past may be reconstituted to serve the present by regaining its historical strengths – not by nurturing its obvious weaknesses. The European governments and responsible ministers initiating such a discussion, long overdue, would not only be worthy of our unreserved respect and praise. They would also have started the long and cumbersome road back “to business”. The days of quick fixes and flashing one-liners in European

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higher education and research policy should definitely be over. Accordingly, it would perhaps be not only proper but even wise if concerned European actors in all sectors of academia and research policy planning reminded themselves of the academic sincerity, administrative ingenuity, political wisdom and, not least, the intellectual and moral integrity that characterized the way and works of the late Clark Kerr. It would of course be both improper and even pointless to compare Professor Clark Kerr with Wilhelm Freiherr von Humboldt, but still and nevertheless he is probably the closest we have come in the last century!

Relevant articles (Thorsten Nybom) A Rule-governed Community of Scholars: The Humboldt-vision in the History of European University, in: Peter Maassen / Johan P. Olsen (Eds.), University Dynamics and European University Integration. Springer, Dordrecht 2007. The Visible Hand vs. the Invisible Hand. Allocation of Research Resources in Swedish Universities, in: Richard Whitley and Jochen Gläser (Eds.), The Changing Gover­nance of the Sciences. The Sociology of the Sciences Yearbook 2008. Springer, Berlin 2008 (with Lars Engwall). Humboldts Vermächtnis. Betrachtungen zu Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des europäischen Hochschulwesens, in: Bernd Henningsen (Hg.), Humboldts Zukunft. Das Projekt Reformuniversität. Berliner Verlag, Berlin 2008. University autonomy: a Matter of Political Rhetoric?, in: Lars Engwall /Denise Waire (Eds.), The University in the Market Place. Portland Press, London 2008. Power, Knowledge, Morals: Society in the Age of Hybrid Research, in: Sharon Rider / Ylva Hasselberg / Alexandra Waluszewski (Eds.), Transformations in Research, Higher Education and the Academic Market. The Breakdown of Scientific Thought. Springer, Dordrecht 2013. The Disintegration of Higher Education in Europe, 1970 – 2010: A Post-Humboldtian Essay in Sheldon Rothblatt (Ed.), Clark Kerr’s World of Higher Education Reaches the 21st Century: Chapters in a Special History. Springer, Dordrecht 2012. Universities in the World of Ranking: From Rejection to Response, in: Lars Engwall / Peter Scott (Eds.), The Role of Trust in Higher Education: Ethical and quality standards in research and teaching. Portland Press, London 2013.

Autoren- und Herausgeberverzeichnis Olaf Breidbach (†), von 1995 bis 2014 Inhaber des Lehrstuhls für Geschichte der Natur­ wissenschaften an der Universität Jena und Direktor des Instituts für Geschichte der Medizin, Naturwissenschaft und Technik (Ernst-­Haeckel-­Haus). Seine Arbeitsschwerpunkte waren Hirnforschung, Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte und Bildwissenschaft. Seit 2004 war er Mitglied der Leopoldina. William J. Courtenay, Hilldale and Charles Homer Haskins Professor emeritus an der Universität Wisconsin. Er ist Fellow der Medieval Academy of America, der American Academy of Arts and Sciences, der Royal Historical Society und der British Academy. Sein Arbeitsschwerpunkt liegt in der mittelalter­lichen Geistesgeschichte,u. a. Parisian Scholars in the Early Fourteenth Century (1999), Rotuli Parisienses, 3 vols. (2002, 2004, 2013) sowie Ockham and Ockhamism (2008). Marian Füssel, seit 2010 Inhaber des Lehrstuhls für Geschichte der frühen Neuzeit unter besonderer Berücksichtigung der Wissenschaftsgeschichte an der Georg-­August-­ Universität Göttingen. Seine Forschungsschwerpunkte sind Universitäts-, Wissenschaftsund Studentengeschichte, Militärgeschichte der frühen Neuzeit, Historiographiegeschichte und Geschichtstheorie. Manfred Groten, ab 1998 Professur für Mittelalter­liche Geschichte an der Universität zu Köln, von 1999 – 2015 Professur für Mittelalter­liche und Neuere Geschichte/Rheinische Landesgeschichte an der Universität Bonn. Seine Arbeitsschwerpunkte sind euro­päische Geschichte des 11.-13. Jahrhunderts, Rheinische Landesgeschichte des 11.-13. Jahrhunderts, Stadtgeschichte, die Erforschung von Personengruppen sowie Sphragistik. Maarten J. F. M. Hoenen, bis 2013 Professur für Antike und Mittelalterliche Philosophie in Freiburg i. Br., sodann Professur für Antike und Mittelalter­liche Philosophie an der Universität Basel; dort ist er auch Vizerektor für Lehre und Entwicklung. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Geistesgeschichte am Übergang von Mittelalter zur Neuzeit. Sonia Horn, Privatdozentin an der Universität Wien. Sie forscht als Medizinhistorikerin zur Geschichte des Gesundheitswesens und der medizinischen Ausbildung in der ­frühen Neuzeit. Martin Kintzinger, 1999 bis 2002 Professur für Wissenschafts- und Universitätsgeschichte LMU München, seit 2002 Professur für Mittelalter­liche Geschichte an der Universität Münster. Seine Forschungsschwerpunkte sind Wissens-, Schul- und Universitätsgeschichte, Geschichte der auswärtigen Politik, Diplomatie, interna­tionalen Beziehungen und des Völkerrechts im westeuro­päischen Spätmittelalter sowie die franzö­sische Geschichte im Spätmittelalter.

446 Autoren- und Herausgeberverzeichnis Thorsten Nybom, Professor und stellvertretender Vizekanzler an der Universität Örebro, von 1998 – 2001 Stiftungsprofessur am Nordeuropa-­Institut der Humboldt-­Universität Berlin. Tätigkeit in zahlreichen Hochschulkommissionen, seit 2008 Mitglied der König­ lichen Schwedischen Akademie für Ingenieurswissenschaften. Frank Rexroth, 1999 bis 2000 Professur für Geschichte des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit in Bielefeld, seit 2000 Professur für Mittlere und Neue Geschichte an der Georg-­ August-­Universität Göttingen. Seine Forschungsschwerpunkte sind unter anderem die Gelehrtenkultur im Okzident, Expertenkultur und interkulturelle Transferprozesse im hohen und späten Mittelalter. Hedwig Röckelein, seit 1999 Professur für Geschichte des frühen und hohen Mittelalters an der Georg-­August-­Universität Göttingen. Seit 2008 ist sie ordent­liches Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Religion und Kultus, Hagiographie sowie Frauen- und Geschlechtergeschichte. Rudolf Schieffer, von 1980 bis 1994 Inhaber des Lehrstuhls für mittlere und neue Geschichte an der Universität Bonn und 1994 bis 2012 Präsident der Monumenta Germaniae Historica in Verbindung mit einem Lehrstuhl an der Ludwig Maximilians-­Universität München. Seine Hauptarbeitsgebiete sind politische Geschichte, ­Kirchen- und Rechtsgeschichte von der Spätantike bis zum Hochmittelalter sowie Quellenkunde und Textedi­tion. Rainer Christoph Schwinges, von 1989 bis 2008 Professur für Mittelalter­liche Geschichte in Bern, seit 2007 Leiter des „Repertorium Academicum Germanicum (RAG): Die graduierten Gelehrten des Alten Reiches ­zwischen 1250 und 1550“ und Mitglied zahlreicher Fachgesellschaften. Seine Forschungsschwerpunkte sind Sozia­l- und Verfassungsgeschichte, Ideen- und Kulturgeschichte des hohen und späten Mittelalters, Universitäts-, Bildungsund Wissenschaftsgeschichte des Mittelalters und der Neuzeit. Ulrich Teichler, von 1978 bis 2013 Professor am Interna­tionalen Zentrum für Hochschulforschung (INCHER) der Universität Kassel und für viele Jahre Direktor ebendort. Er war langjähriger Vorsitzender des Consortium of Higher Educa­tion Research (CHE) und ist Doctor h. c. der Universität Turku. Seine Forschungsschwerpunkte sind Hochschule und Beruf, Hochschulsysteme im interna­tionalen Vergleich, Interna­tionalisierung und interna­tionale Mobilität, Hochschullehrerberuf, Situa­tion der Hochschulforschung. Jacques Verger, Professor emeritus an der Universität Paris-­Sorbonne, Mitglied der Académie des Inscrip­tions et Belles-­Lettre. Seine Forschungsschwerpunkte sind mittelalter­liche Kultur und Bildung vom 12. bis zum 15. Jahrhundert, die Schulen des 12. Jahrhunderts und die Geschichte der mittelalter­lichen franzö­sischen Universitäten.

Autoren- und Herausgeberverzeichnis 447

Peter Walter, von 1990 bis 2015 Professor für Dogmatik und Direktor des Arbeits­bereichs Quellenkunde der Theologie des Mittelalters (Raimundus-­Lullus-­Institut) an der Albert-­ Ludwigs-­Universität Freiburg i. Br. Seine Forschungsschwerpunkte sind theolo­gische Hermeneutik sowie die Theologiegeschichte des Mittelalters und der Neuzeit. Helmut G. Walther, von 1993 bis 2009 Professur für Mittelalter­liche Geschichte an der Universität Jena. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Sozia­le Trägergruppen politischer Ideen im Mittelalter, die Geschichte der gelehrten Rechte im Mittelalter, Staatsbildungsprozesse seit dem späteren Mittelalter, die Geschichte der religiösen Bewegungen und Häresien im Mittelalter, die Beziehungen z­ wischen Abendland und Islam, Universitätsund Wissenschaftsgeschichte sowie die Rezep­tionsgeschichte des Mittelalters.

Herausgeber Andreas Speer, seit 2004 Inhaber des Lehrstuhls für Philosophie und Direktor des Thomas-­ Instituts der Universität zu Köln. Er ist u. a. ordent­liches Mitglied der Nordrhein-­West­ fä­lischen Akademie der Wissenschaften und der Künste, Direktor der a. r. t. e. s.-Graduate School for the Humanities Cologne sowie Prodekan für Forschung und wiss. Nachwuchs der Philosophischen Fakultät. Seine Forschungsschwerpunkte liegen vor allem im Bereich der Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte des Mittelalters. Er leitet zudem eine Reihe von Langzeitprojekten zur Textedi­tion. Andreas Berger, von 2010 bis 2015 Mitarbeiter des Thomas-­Instituts der Universität zu Köln, ist Historiker und hat zur frühmittelalter­lichen Rechts- und Mentalitätsgeschichte geforscht.

Index nominum A Accursius (Glossator)  233, 236 – 237 Acker, K. van  159 Acquarelli, M.  351 Adalbero von Laon 112 Adelheid von Burgund  146 Adelog von Hildesheim  159 Adolf von Schaumburg 364 Adriaen, M  285 Aegidius de Fuscarariis  105 Aegidius Romanus  76, 245 Aegidius von Brügge 229 Aemilius Borgnet  143 Aertsen, J.A.  20 Agustino Nifo 322 Ahl, I.  389 Ajax 92 Al-Mansur (Almohaden) 316 Alanus ab Insulis  103, 282, 286 Alberding, R.  425 Albert Löffler 267 Albert von Stade 158 Albert Wichgrev 187 Albertus Magnus  11, 18, 20 – 22, 32, 67, 68 – 70, 77 – 78, 143, 164, 208, 270 Albertus von Lauingen 68 Albrecht Achilles von BrandenburgAnsbach  116, 130, 132 Albrecht III.  112 Albrecht von Brandenburg 116 Albrecht, P.  201 Alenfelder, K.M.  179 Alesi, B.  406 Alexander Kock 189 Alexander of Kempen 47 Alexander V.  81, 91, 259 Alexander von Hales  269, 281, 290 Alexander von Humboldt  133 Alexander von Roest 250

Alfons der Weise 110 Alfonso Vargas von Toledo 44 Alfred Hartlieb von Wallthor 155 Alschner, U.  191 Altbach, P.G.  410 Alvarez, F.C.  157 Alvermann, D.  191 Ambroise de Cora, 42 Ambroise Paré 323 Ambrosius Alemannus  274 Ambrosius (Kirchenlehrer)  258, 296, 310 Andernach, N.  51 Andrea Cesalpino 326f. Andreas Jakob von Dietrichstein 339 Andreas Vesalius  322 – 325, 327 Andresen, S.  116, 122, 130, 132 Angotti, C.  280 Anselm von Canterbury  159, 161, 258 Anton von Störck 336 Antoninus Pius 227 Aristoteles  21, 35, 98, 101, 103, 109, 208 – 209, 239 – 245, 255, 260 – 262, 271 – 274, 276, 278, 281, 285, 287, 294, 297, 302, 316, 332 Arius  296, 310 Arnold Therhoernen 274 Arnold von Aldendorp  36 – 38 Arnold von Tongern 272 Arnzen, R.  98 Asche, M.  174, 190, 192, 194 – 195, 199 Asche, Marta  194 Asmus, H.  200 Assion, P.  279 Aston, T.H.  207 Asztalos, M.  394 Aubert, R.  22 Auge, O.  255 August Ludwig von Schlözer 192 August Rudolph Jesaias Bünemann 185

450 Index nominum Augustinus  102, 164 – 165, 206, 259, 260, 271, 277, 281, 285, 287, 290 – 291, 296, 307 – 309, 312, 314, 321 Augustus Borgnet 143 Averroes  208, 260, 316 Avicenna 208 Azo von Bologna 232f. B Bagby, B.  163 Bahnson, K.  197 Baker, E.  415 Bakker, P.J.J.M.  278, 292 Baldassare Rasini 114 Baldus de Ubaldis  229, 233, 244 – 245 Baldwin, J.W.  211 Baltes, P.B.  415 Banks, M.  410 Bartholomeus Clantier 290 Bartholomäus von Venedig 49 Bartolomeo Eustachio 323 Bartolus von Sassoferrato  96, 104, 222 – 223, 233, 244 – 245 Basset, R.M.  401 Bataillon, L.J.  222 Bauer, A.E.  193 Bauer, D.R.  255 Bauer, J.  196 Bauer, M.  174 Baum, R.-J.  183, 192 Baumgart, P.  128, 189 Baumgärtner, I.  222f. Baur, F.  154 Baur, L.  95 Bawcutt, P.  148 Beach, A.I.  160 Beaujouan, G.  99 Beckenhaub, J.  280 Becker, H.-J.  249, 254 Beckmann, J.H.  72, 79, 84 Bedouelle, G.  266, 273 Beenken, J.  15

Beer, E.J.  131 Beier, C.  162 Bell, D.N.  166 Belloni, A.  234f. Bennett, J.  138 Benson, R.L.  99, 211 Benz, W.  425 Berengar von Tours 25 Berg, C.  402 Berg, G.  195 Bergan, S.  423 Bergdolt, K.  355, 357, 361 Berger, A.  13, 15, 447 Berger, S.  152 Bergerhausen, H.-W.  176 Bériou, N.  167 Bernhard I von Septimanien 148 Bernhard I. von Hildesheim  159 Bernhardi, H.  201 Bernhard von Clairvaux 159 Bernhardt, K.  181 Berschin, W.  153f. Berthold I. von Alvensleben  159 Berthold von Moosburg  21, 70 Berthold von Regensburg 144 Berthold/Bertram von St. Gereon  28 Bertini, F.  155 Bertran, C. L.  369 Beukers, C.  312 Beumer, J.  165 Bhandari, R.  410 Bialostocki, J.  325 Bianca von Kastilien 146 Bianchi, L.  209, 210, 261 Bianco, F.J. von  33, 177, 180, 188 – 189, 194, 198, 278 Bihrer, A.  126 Biller, P.  42 Birnbaum, R.  415 Black, A.  109 Black, A.J.  84 Blanche de Castille 147

Index nominum 451

Blanche de Navarre 149 Blank, A.-M.  177 Blockmans, W.  190 Blömeke, S.  425 Blumenberg, H.  317 Blundus 229 Bodarwé, K.  151 – 153, 155 Boehm, L.  120, 122, 173 Boehner, P.  286 Boer, J.-H- de  88, 92 Boer, P. de  377 Boethius  25, 150 – 151, 153 – 154, 162, 205, 285 Bogumil, K.  51, 160 Bohne, G.  249 Böhringer, L.  24 Bollmann, A.  169 Bömer; A.  67 Bomm, W.  132, 393 Bonaventura  19, 70, 269, 277, 280 – 281 Bonifaz IX.  51 Bonifaz VIII.  98, 235 Bonjour, E.  126 Bonsemblans Baduarius 45 Boockmann, H.  129, 131, 251 Borgolte, M.  386 Børresen, K.E.  164 Borst, A.  94 Bosdari, F.  238, Bose, M.  297 Bosse, H.  186 Boulluec, A. le  261 Brandt, H.-H.  190 Brant, S.  121 Braubach, M.  52, 358 – 359, 361 – 362, 369, 371 Braun, T.  181f. Brecht, B.  316f. Breen, Q.  289 Breidbach S.  319 Breidbach, O.  14 – 15, 315 – 318, 320, 322, 324, 326, 328, 330, 332, 445 Breitenbach, A.  161 Breitenstein, M.  159

Brewer, J.  201 Brincken, D. von den  17 Brown, S.  273, 286 Bruch, R. vom  378 Bruchhausen, S.W.  319, 324, 327, 361 Bruchmüller, W.  174 Brüdermann, S.  179, 183 – 184, 186, 188 – 197, 198, 200 – 201 Brügmann, A.  174 Brun von Köln 155 Brundage, J. A.  96, 104 – 105 Bubach, B.  179 Buchwald, G.  256 Buck, A.  260 Buettner, B.  149 Bulgarus  96, 232 Bullough, V.L.  217 Bünz, E.  195, 250 Burger, M.  20, 69 Bürger, S.  412, 425 Burie, L.  278 Burkhard von Horneck  279, 281 Burkhardt, S.  160 Busard, H.L.L.  315 Buttimer, C.H.  206 C Calma, D.  279 Calma, M.  277 Candidus Arianus 313 Capitani, O.  226, 239 Cardini, R.  288 Caritas Pirckheimer  168, 172 Carmassi, P.  148, 161 Carolus Malagola 117 Carrier, J.  95 Caspar Anton von Belderbusch 358 Cassagnes-Brouquet, S.  182, 385 Catto, J.I.  207 Cavigioli, J.-D.  287 Celenza, C.S.  289 Cerych, L  418

452 Index nominum César Égasse Du Boulay 215 Cessario, R.  266, 273 Challier, M.  163 Chamberlain, D.  154 Chang, H.  361 Charles Estienne  322 – 324 Charles I. (England) 327 Charles V. (Frankreich)  315 Châtelain, E.  108 Chatelain, E.  36, 207, 210, 214 Chenu, M.-D.  98 – 99, 101, 109 Cherubim, D.  181 Chevenal, F.  95 Creutzburg, F.  15 Christian Eckert 53 Christian von Schlözer 192 Christian von Weinsberg  221, 223 Christian Wermuth 195 Christine de Pizan  147, 149, 150 – 151, 170 Christoph Agricola 175 Christoph Friedrich Rinck 193 Christoph Ludwig Hoffmann 357 Cino di Sighibuldis 237 Cinus de Pistoja 233 Clapis  223, 224 Clark, W.  199 Clasen, S.  74 Classen, P.  17, 387 Clemens August von Bayern  359, 364 Clemens VII. 47 Clemens VIII. 326 Cobban, A.B.  215 Cohen, J.J.  140 Cohen-Mushlin, A.  160 Colli, V.  222 Compère, M.-M.  215 Conrad Celtis 153 Conrad of Ebrach 48 Conrad of Megenberg 48 Conrad Varrentrapp  358 – 360, 362, 368, 372 Conrads, N.  197 Constable, G.  99, 143, 211

Constantin von Schönbeck 371 Constantinus Africanus 319 Cornelius Relegatus  176, 186 – 188 Cortesi, M.  298 Cosimo I. de Medici 326 Cosimo II. de Medici 316 Costard, M.  169 Costas, I.  190 Courtenay, W.J.  13, 33 – 34, 36 – 38, 40, 42, 44 – 46, 48, 50, 213, 226, 260, 394, 445 Crawford. F.S.  260 Cresconius 260 Creutzburg, F.  15 Crisafulli, A.S.  106 Crombie, A.C.  321, 325, 327 – 328 Crosier, D.  405 Crossley, J. N.  96, 109 Crusius, I.  134 Csendes, P.  130 Cullin, O.  163 Cummings, W.K.  410 Curaj, A.  407, 410, 424, 428 D D’Andrea, G.  22 D’Amico, J.F.  288 – 290, 300 D’Ilario, G.  239 Dahan, G.  208f. Daim, F.  158 Dante Aligheri 150 David Franz Hezel 185 Davies, H.  406, 419 Deardorff, D.K.  410 Decker, A.  29 Deeters, J.  54, 66 Delisle, L.  149 Dellian, E.  332, 333 Delorme, P.  147 Demeulenaere, R.  148 Demyttenaere, A.  92 Deneke, O.  192

Index nominum 453

Denifle, H.  33 – 34, 36 – 37, 40 – 41, 44, 50, 108, 207, 210, 214 Denziger, H.  258 Destemberg, A.  385 Dettloff, W.  74 Deuerlein, E.  193 Dewender, T.  273 Dhuoda von Uzès 148 Dickhut, W.  234 Diedericks, H.  61 Diepgen, P.  335 Dietrich Kerkering von Münster 81 Dietrich von Susteren 73 Diez, A.  144 Dijk, M. van  166, 168 Dinges, M.  173, 183 Dinus de Rossonis 237 Dinzelbacher, P.  70 Dionysius Areopagita  21, 68 – 69 Dionysius der Kartäuser  281, 297 – 298 Dionysius Exiguus 154 Dirc van Delf 73 Dobson, B.  42 Dolcini, C.  226, 231 Dombart, B.  290 Dominicus (Ordensgründer)  68 Dominicus Gundissalinus  95, 97 – 99, 101 – 102 Donatus  312 Döring, D.  180, 194 – 195, 201 Drijvers, J.W.  158 Drossbach, G.  242 Dubois, J.  145 Duchhardt, H.  10, 377 Dücker, J.  160 Duggan, A.J.  146 Dümling, S.  88 Durandus von Saint Pourçain  264, 266, 269, 273 – 275, 277 Duval-Arnould, L.  214

E Ebbesen, S.  95, 100 Eckart, W.U.  323 Eckert, W.P.  19, 21, 77 Edward III.  315 Ehbrecht, W.  64 Ehlers, J.  24, 27, 113, 251, 379, 380, 391 – 392, 394 Ehrenschwendtner, M.-L.  166 Ehrle, F.  81, 91, 259, 297 Eijl, E.J.M. van  84, 278 Eisermann, F.  170 Elias, N.  200 Elisabeth Haidin 348 Elisabeth von Luenen 167 Ellwein, T.  191 Elze, R.  146 Emanuele Casamassima 223 Emberger, G.  194 Emery, G.  258 Emery, K. Jr.298 Engelhardt, C.M.  161, 163 Engwall, L.  443 Ennen, E.  39 Ennen, L.  33 Erdmann, C.  26 Erman, W.  175 Ermini, G.  244 Ermolao Barbaro 289 Erne, M.  286, 300 Ernestus Friedlaender 117 Esch, A.  115 Esser, D.  22 Etienne du Castel 150 Etzkorn, G.I.  286 Eugen IV.  73 – 74, 82 – 83 Euklid 331 Eulenburg, F.  191 Eunomius  271, 296 Eusebio Colomer 78 Evans, G.R.  208, 256

454 Index nominum F Fahrig, U.  198 Faller, O.  310 Fata, M.  192 Favier, J.  213 Felix Fabri 121 Felix V. 83 Fellmann, D.  194 Felten, F.J.  157f. Fenske, M.  197 Ferdinand Karl Anton 339 Ferdinand I. 363 Ferencz, I.  412f. Ferruolo, S.C.  103, 108 Fichtenau, H.  96 – 98 Fick, R.  174 Fickermann, N.  26 Fidora, A.  99 – 100, 262 Finger, H.  17, 20, 29, 69 Fink, G.-L.  193 Fischli, D.  68 Flasch, F.  262 Fleck, M.V.  17 Fletcher, J.M.  299 Flöther, C.  409 Flubert (Onkel der Heloise)  156 Flüeler, C.  98 Folkerts, M.  25 Forster, E.  158 Fößel, A.  146 Foucault, M.  200 Francesco Petrarca 217 Francesco Piccolòmini 331 Franciscus de Mayronis 74 Franco Simone 149 François, E.  190 Franken, I.  139 Franz Anton von Spiegel 368 Franz Friedrich von Fürstenberg 356 Franz Gerhard Wegeler  366, 368, 370 – 373 Franz I. Stephan 339

Franz Wilhelm Kauhlen  358, 361 – 362, 366, 371 – 373 Freiin von Oer, R.  368 Freimuth, A.  8, 15 Freitag, W.  198 Frenken, G.  25f. Freyherr von Störck 337 Fried, J.  17, 27, 88, 99, 156, 211 Friedberg, A.  312 Friedman, R. L.  258 – 259, 283, 295 Friedrich I. Barbarossa  26 – 27, 161, 173, 229, 232, 385 Friedrich II. der Große 201 Friedrich II. (HRR)  109, 156, 197, 227, 231, 388 Friedrich III.  269f. Friedrich Peypus 279 Friedrich Schiller  15 Friedrich von Saarwerden  37, 51 Friedrich Wilhelm III.  374 Friedrich, K.  194 Friedrich, U.  145 Frijhoff, W.  191 Fromment, E.  402, 407, 424 – 425 Fuchs, F.  262, 299 Fugger, D.  93 Füssel, M.  13, 92, 111, 127, 173 – 174, 176 – 184, 186, 188, 190, 192, 194 – 196, 198, 199 – 200, 202, 204, 445 G Gabriel, A.L.  261 Gabriele Falloppio 324 Gagnér, S.  246 Gál, G.  286 Galen  316, 319 – 326 Galileo Galilei  316 – 319, 321, 332 Garfagnini, G.C.  288, 290 Gargan, L.  234 Gasparri, F.  210 Gaßen, H.  18, 20 Gauthier, R.A.  274

Index nominum 455

Gay-Canton, R.  266 Geest, P.J.J. van  297 Gehmlich, V.  402 Gellert, C.  415 Georg von Hohenlohe  346 Georgius Henricus Pertz 160 Gerard of Calcaria  38, 39 Gerard Pucelle  27 Gerard von Kalkar  38 – 39, 46, 48, 50, 91, 93 Gerardus Kijcpot  91 Gerber, S.  174, 194, 199 Gerberga II. von Gandersheim 154f. Gerhard (Chorherr) 160 Gerhard van Swieten  349, 350, 356 Gerhard vom Wasservas  63, 65 Gerhard von Angoulême  27 Gerhard von Elten  73, 77 Gerhardus de Monte  76, 78, 278 Geyer, M.  193 Giese, S.  194 Gilbert von Poitiers  97, 208 Gilli, P.  217, 243 Gindhart, M.  92 Giocarinis, K.  229 Giovanni Pico della Mirandola 289 Girolamo Fabrizio d’Aquapendente 327 Giulio de la Rovere 323 Gläser, J.  443 Glorie, F.  259 Glorieux, P.  286, 290, 299 Gmeiner, R.  357, 358 Gobel von der Eren  64 Goddard, E.D.  37 Goddert Hittorf 222 Goetting, H.  154 Goff, J. le  163 Goldschmidt, S.  192 Goossens, J.  124 Goris, H.J.  297 Gorochov, N.  107, 119, 211 Gössmann, E.  164 Gößner, A.  188 – 189, 194 – 195

Gottfried Slussel  73, 82 Gottfried van Loo 75 Gottfried von St. Andreas 28 Gottschalk of Nepomuk  48 Götze, O.  192 Grabmann, M.  43, 44, 68 Grado Pierre Ameilh 54 Graef, S.  170 Grafton, A.  218 Gramaccini, N.  131 Gramsch, R.  30, 52, 246 Grane, L.  298 Grass, M.  347 Grass, N.  339 Gratian  96, 228 – 229, 230, 237, 312 Graven, H.  142 Green, R.  162, 163 Green, W.M.  102 Gregor I. der Große  285, 308 – 309 Gregor IX.  105, 207, 235 Gregor VII. 26 Gregor von Rimini  291, 296, 311 Gregor XI.  37, 39 Gregor XIV. 105 Grenzmann, L.  129 Grevin, B.  395 Grössing, H.  377 Groten, M.  13, 17, 20, 51 – 56, 58, 60, 62 – 66, 221, 445 Grundmann, H.  148, 386, 387 Guerlac, H.  103 Guibert de Nogent  147, 148 Guido de Cumis 233 Guldentops, G.  98, 99, 230, 300 Gunzo von Novara 155 Guyot, B.G.  222 Gyso of Cologne 47 H Haas, A. M.  23, 70 Hadwig vom Hohentwiel 155 Haefele, H. F.  79f.

456 Index nominum Haegen, P.L. van der  263 Hagège, C.  395 Hahn, A.  174 Hahn, S.325 Hall, J.B.  100, 210 Hamann, F.  278, 279 Hamburger, J.F.  162, 167 Hamesse, J.  42, 164, 217, 261 Hammerstein, N.  128, 186, 189, 260, 387 Hanschmidt, A.  356, 357 Hansmeyer, K.-H.  10 Hardtwig, W.  190, 192, 200 Harms, W.133 Härtel, H.  161 Hartlenus de Marka  91 – 93 Hartmann, F.  99 Haskins, C.H.  107 Haß, U.  407 Hasse, C.-P.  87 Hasselberg, Y.  443 Hatzfeld, H.A.  106 Haug, G.  405, 423 Haye, T.  107 Hayez, A.-M.  37 Hazelkorn, E.  422 Heer, H.  192 Heiler, C.  178, 180, 189, 193, 197, 201 Heimbüchel, B.  53, 88 Heimpel, H.  131 Heinemann, O.  179 Heinrich Bemel von Xanten 80 Heinrich de Calstris von Löwen  21 Heinrich de Cervo 22 Heinrich Haich  62, 65 Heinrich Hirsch  43 Heinrich I. (Deutschland)  153, 155 Heinrich II. (Frankreich)  325 Heinrich IV. (HRR)  26 Heinrich Kalteisen  73 – 74, 84 – 85 Heinrich Quentell 272 Heinrich upme Velde  63f. Heinrich von Gent  165, 269 – 270, 296, 311

Heinrich von Gorkum  76 – 78, 80, 265 Heinrich von Langenstein  47 – 48, 89, 95, 110 – 114 Heinrich Seuse  22 – 23, 70 Heinrich von Virneburg  70 Heinrich von Werl  74 – 75, 83 – 85 Heinrich von Zirne 64 Heinzer, F.  158f. Heinzmann, R.  68 Helena 147 Helmrath, J.  54, 66, 75, 82, 384 Heloise 155f. Hengst, K.  155, 176, 340, 356, 368 Henne, H.  185, 190 Henning, F.-W.  10 Henningsen, B.  443 Henricus Cervo  43 – 45 Hensel, M.  178 Herborn, W.  54, 61, 63 – 64, 221 Herde, P.  176 Hermann Pine 64 Hermann Rinck 135 Hermann Stakelwegge 249 Hermann vom Atvange 64 Hermann von Aldenrode 40 Hermann von Weinsberg (Christians Sohn)  221 – 224, 253 – 254 Hermann von Wied 363 Hermann Weinsberg (Vater von Christian) 61, 66, 221 – 222 Herrad von Hohenburg  161 – 163 Herrle, T.  256 Herrlitz, H.-G.  190 Hertnidt von Stein 116 Hervaeus Natalis 269f. Hesse, C.  118, 122, 130 – 131, 134, 178, 253 Hessler, G.  424 Heun, C.  186 Heymericus de Campo  76, 78 – 80, 82 – 85, 255, 257, 262, 277 – 279, 281 – 282, 284 – 288, 297 – 298, 300 – 301, 307 Hieronymus  152, 296

Index nominum 457

Hieronymus Dungersheim 281 Hieronymus Raynerii  255, 257, 262 – 265, 267 – 268, 270 – 277, 282, 287, 297, 300 – 302, 312 Hieronymus Schenck 281 Hijden, P. van der  410 Hilarius Pictaviensis  272, 284 – 285, 305, 307 – 309 Hildebald  28 – 30 Hildegard von Bingen  147, 157 – 159 Hillenbrand, E.  21 Hinske, N.  340, 356, 368 Hippokrates 332 Hobbins, D.  110 Hoede, K.  192 Hoenen, J.F.M.  14, 108, 218, 255 – 256, 258 – 260, 262, 264 – 266, 268 – 269, 270, 272, 274, 276 – 278, 280, 282, 284, 286, 288, 290, 292, 294, 296, 298, 300, 302, 304, 306, 308, 310, 312, 314, 445 Hoffmann, H.  153 Hoffmann, P.  109 Hofmann, S.  198 Höhlbaum, K.  61, 66, 222 Hohmann, T.  111 Höhn, E.  77 Honnefelder, L.  11, 19, 22 Honorius Augustodunensis 161 Honorius III. 227 Horn, E.  175 Horn, F.  335 Horn, S.  14, 335 – 336, 338, 340, 342, 344, 346 – 350, 352, 354, 356, 358, 360, 362, 364, 366, 368, 370, 372, 374, 445 Hornbostel, S.  118, 422 Hörning, K.H.  174 Horst, H.  29 Horst, U.  266 Hotchin, J.  160 Hrotswith von Gandersheim  152 – 155, 169 Huber, N.  118 Huber-Rebenich, G.  67

Hugo Ripelin von Straßburg 73 Hugo von St. Viktor  95, 98, 112, 157 – 161, 164, 206, 210 Hugolin von Orvieto 245 Huillard-Breholles, J.-L.-A- 227 Huiskes, M.  54, 56, 60 – 62, 65 – 66 Huisman, J.  403, 406, 411, 415, 425 Hülsen-Esch, A. von  87, 92, 156, 239, 245, 253 Huneycutt, L.L.  146 Huth, V.  163 I Imbach, R.  68, 79, 87, 88, 95, 100, 209, 266, 279 Immenhauser, B.  121 – 122, 129, 131, 133, 199, 253 Innozenz II. 227 Innozenz III.  143 – 145 Iribarren, I.  273 Irnerius (Glossator) 231 Irsigler, F.  135 Isaac Newton 332 Isabella von Bayern 150 Isaiasz, V.  177 Israel, U.  182 Iunilius Africanus 282 J J. Rostaing du Bignosc 332 Jablonska-Skinder, H.  419 Jacobi, K.  21 Jacobs, H. C.  110 Jacobus Balduini 233 Jacobus de Voragine 73 Jacopo Berengario da Carpi 323 Jacopo da Forli  315, 320 – 321, 333 Jacopo Zabarella  330 – 333 Jaeger, C.S.  25 Jäggle, M.  111 Jakob Omphalius 389 Jakob Sprenger 56

458 Index nominum Jakob von Bernsau 63f. Jakob von der Heydens 187 Jakob von Soest  72, 79, 82, 84 James Brundage 104 James I. 327 James of Eltville 48 Janich, P.  316 Janse, A.  190 Janson, K.  425 Janssen, W.  17, 19 – 20, 23 Janssens, B.  148 Jardine, L.  218 Jean de Cologne 22 Jean de Mandeville 150 Jean de Pucelle 149 Jean Fernel 325 Jean Riolan 329 Jean-Baptiste-Louis Crevier 215 Jeanne d’Arc 150 Jeanne d‘Evreux 149 Jeffré, I.  25 Jenny Gusyk 140 Jerouschek, G.  177 Jesaja  162, 308 Jesus Christus  72, 142, 156, 166, 285, 309 Joachim Brulius 49 Joachim von Fiore 162 Joachim Turrianus  264 Jodocus Badius Ascensius 288 Johag, H.  24 Johan Ruisch 222 Johann Adolph Leopold Faselius  182, 189 Johann Alexander Brambilla 356 Johann Berenbach 48 Johann Brammart von Aachen  46f. Johann Christian Jacob Spangenberg 182 Johann Christian Müller 202 Johann Friedrich Blumenbach 193 Johann Georg Heinzmann 201f. Johann Georg Menn  344, 351, 354 – 355, 369 Johann Gottlob Leidenfrost 361 Johann Heinrich Creveldt 371

Johann Hunczowsky 371 Johann Joachim Becher  337 – 338, 341 Johann Konrad Dippel 192 Johann Matthäus Meyfart 202 Johann Nepomuk Crantz 343f. Johann Pascal Ferro 370 Johann Peter Frank  366, 370 Johann Philipp Remboldt 178 Johann Philipp Treiber 184 Johann Raffael Steidele 344f. Johann Rick  135 Johann Ruysch 114 Johann Schücking von Coesfeld  60 Johann Slosgin 57 Johann Slosgin (Sohn)  57 Johann Stephan van Kalkar  324 Johann Stommel  59 Johann vom Hirtz  58, 61 Johann von der Meerkatzen 63 Johann von Erpel 61 Johann von Neuenstein  59 Johann/Winhard von Wesel 117 Johannes (Jan) Rokycana 79f. Johannes a Nova Domo  78, 267 Johannes Buridan  213, 240 Johannes Busch 169 Johannes Capreolus  266, 273, 275 – 277, 301, 306 Johannes Coloniesis  22, 71 Johannes de Insula 229 Johannes de Monte  73 Johannes de Wasia 76 Johannes der Täufer 74 Johannes Duns Scotus  22, 46, 67, 70 – 71, 74, 258, 266, 281, 296 – 298, 311 Johannes Gerson  110, 290, 298 – 299 Johannes Günther von Andernach 322f. Johannes Hus  256 Johannes Kessler 121 Johannes Pfefferkorn 79 Johannes Reuchlin 79 Johannes Rinck 135

Index nominum 459

Johannes Rubeus Vercellensis 275 Johannes Ruusbroec 290 Johannes Teutonicus  106, 229 Johannes Tinctoris  76, 77, 83, 268 – 269 Johannes von Adorf 259 Johannes von Dammbach 23 Johannes von Freiburg 144 Johannes von Gent  229 Johannes von Legnano  238 – 245, 254 Johannes von Sterngasse  21f. Johannes von Wildeshausen  68 Johannes Wyrich von Neuß 76 Johannes XXIII.  81 Johannes Zemecke 228 John Mardislay  45 John of Falesca  45 John of Mirecourt  44 John of Salisbury  98, 100, 102, 210 – 211, 286 Jordan, M.D.  298 Josef Jakob Plenk  344, 366 Joseph Claude Rougemont  365, 366, 369 – 373 Joseph II.  335, 339, 351 – 352, 356, 362, 364, 368, 370, 374 Joseph von Sonnenfels 192 Juan Gil de Zamora 110 Judy, A.  95 Jussen, B.  87 Justine Sigemundin 344 Justinian 227 Jutta von Sponheim 158 K Kaeppeli, T.  22 Kahrenberg, A.  355, 357, 361 Kalb, A.  290 Kaluza, Z.  261, 278 Kamp, J.L.J. van de  223 Kändler, W.C.  130 Kann, C.  92 Karl Anton von Martini 339 Karl der Große  24, 28 – 29 Karl Friedrich von Baden 193

Karl IV. (HRR)  142, 150, 247, 388 Karl V. (HRR)  149, 323, 363 Karl VI. (HRR) 339 Karras, R.M.  140 – 141 Katharina von Alexandrien  113, 144 – 145 Kaufhold, M.  94 Kaufmann, G.  119, 325 Kaupp, P.  193 Kay, R.  229 Keats-Rohan, K.S.B.  211 Kegel, R. de.  79 Kehm, B.M.  401, 403, 406, 411, 415, 422, 425, 428 Keil, G.  218, 249, 323 Kelley, F.E.  286 Kelo, M.  412 Kern, H.  190 Kerr, C.  441- 443 Kesting, P.  21 Keunecke, H.-O.  193, 197 Keussen, H.  33, 41, 51, 55 – 62, 6 – 66, 117, 134 – 135, 176, 223, 249 Kibre, P.  173, 215 Kilian Fischer 280 Kink, R.  111 Kintzinger, M.  14, 36, 40, 122, 132, 180, 242, 375 – 378, 380, 382, 384, 386, 388 – 394, 396, 445 Kirstein, J.  405 Klaes, M.  157 Klatetzki, T.  104 Klauser, H.  376 Kleinau, E.  140, 183 Kleinert, E.  189 Kleinert, R.  189 Kleinertz, E.  352 Klinger, A.  193 Klockner, C.  417 Klueting, H.  340, 356, 368 Kluge-Pinsker, A.  158 Klumpp, M.  418 Knefelkamp, U.  183

460 Index nominum Knesebeck, H.W. von dem  391 Knod, G.C.  117, 384 – 385, 388 Knopf, O.  316 Knudsen, I.  405 Knuuttila, S.  95 Kobusch, T.  273 Koch, H.  201 Koch, H.-A.  12 Koch, J.  11 Kohler, J.  249, 425 Komorowski, M.  188 Könnecker, C.  395 Konrad Adenauer  7, 10 – 11, 53 Konrad Haenisch 53 Konrad Köllin  73, 77 Konrad von Megenberg  212, 242 Konrad, K.  180 Kopernikus 317 Köpf, U.  96 Kössler, H.  193 Kovacs, E.  340 Krammer, A.O.  176 Kranich-Hofbauer, K.  148 Krautz, H.-W.  156 Kreis, G.  377 Kreutz, J.  168 Kreuzer, G.  111 Kriechbaum, M.  246 Kristeller, P.O.  300 Krüger, S.  212 Krug-Richter, B.  13, 176, 181 – 182, 186, 197 Kruppa, N.  159, 161, 169, 391 Kruse, B.-J.  169, 170 Krynen, J.  235 Kuckelkorn, C.  376 Kuckhoff, J.  194 Kuhn, A.  198 Kuhn, T.S.  11 Kundert, U.  92 Kunisch, J.  249 Künzel, R.  92 Kunzelmann, A.  49

Kuphal, E.  25 Kurtscheid, B.  105 Kurucz, G.  192 Kuttner, S.  106 Kwiatkowski, S.  253 L Laarhoven, J. van  102 Labande, E.-R.  147 Lackner, C.  112 Ladendorf, H.  18 Ladner, P.  79, 82, 83 Lafleur, C.  92, 95, 97, 101 – 102 Lagarde, P. de  152 Laitko, H.  328 Lambertini, R.  109, 239 Lambertus de Monte  261, 263 Lambertus Langenhove 82 Landau, P.  27, 28 Landfried, K.  425 Lang, A.  95, 111 Lange, K.  188 Langhans, A.  116 Lanzendorf, U.  412 Lanzendörfer, M.  419 Laurent, M.-H.  38 Laurentius von Groningen 268 Leff, G.  42, 210 Legner, A.  28 Lehmann, N.  177 Leibfried, S.  422 Leijenhorst, C.  255 Leisch-Kiesl, M.  142 Lengenfelder, K.  181 Leonardi, C.  298 Leopold II. 339 Leppin, V.  78, 96 Lepsius, S.  237 Lesser, B.  170 Levering, M.  258 Levi, G.  185 Levy, K.  163

Index nominum 461

Lickteig, F.-B.  75f. Liermann, E.  181f. Liesegang, E.  249 Limone, O.  234 Lindberg, D.C.  315, 319 Lindeboom, S.G.A.  323f. Lipp, C.  197 Liu, N.C.  422 Liutprand von Cremona 155 Löffler, K.  202 Loe, G. de  75 Lohr, C.  255 Löhr, G. M.  18, 21, 23, 24, 43, 44, 68, 74, 163 Loppo Walingi von Zieriksee  116, 117, 123, 134 Loprieno, A.  255 Lorenz, S.  251, 255, 389, 391 Lothar de Segni 162 Löther, A.  149 Ludolf Hanen 84 Ludolf von Sachsen 73 Ludovico Antonio Muratori  338 – 340, 359 Ludwig Hörnigk 341 Ludwig van Beethoven 371 Ludwig VIII. 146f. Ludwig, U.  182 Ludwig, W.  199 Lugger, B.  395 Luhmann, N.  90, 110 Lundt, B.  140 – 141, 143 Luscombe, D. E.  98f. Lüthy, C.  255 Lutz-Bachmann, M.  99 M Maassen, P.  443 MacDonald, A. A.  158 Macedonius I. 312 Machilek, F.  80 Macrobius 25 Maes, Y.  289 Maffei, D.  244

Mahoney, E.P.  300 Maisel, T.  124, 197 Maiworm, F.  411 Małłek, J  253 Malmonado-Malmonado, A.  401 Mandonnet, P.  271, 302 Mandosio, J.-M.  114 Manegold von Lauterbach  25 Manns, S.  234 Marcks, G.  18 Marcolino, V.  296, 311 Marcus Tullius Cicero  288 – 289, 296 Margarethe von Schottland 147 Maria (Mutter Gottes)  74, 84, 141 – 144, 148, 151, 153, 162, 167, 266 Maria Aegyptiaca 154 Maria Karoline 339 Maria Magdalena 156 Maria Theresia  339, 356, 358, 360 Marmurszteyn, E.  393 Marrou, H.-I.  206 Marsilius von Inghen  47 – 48, 286 – 287, 296 Marti, S.  167 Martianus Capella 205 Martin Luther  79, 85, 176 Martin V.  79, 82 Martin von Leibitz 138 Martin von Ney 371f. Martin, J.  260 Martin, J-M.  214 Martin-Hisard, B.  214 Martinus  232 Martinus de Medemblick 279 Märtl, C.  26, 242 Matheus, M  130 Mathieu, J.  37 Mathilde (Edith) von Schottland  146 – 147, 155 Matteis, M.C. de  239, 245 Maurach, G.  101 Maurer, T.  178, 183, 247 Max Planck  134, 161 Maxentius 145

462 Index nominum Maximilian Franz von Österreich  339, 345, 358, 360, 363, 368, 371, 374 Maximilian Friedrich von KönigseggRothenfels  358, 362, 364, 368 Maximilian I.  62, 270 Mayr-Harting, H.  29 Mazal, O.  316 Mazzocco, A.  255 McCoshan, A.  401, 408 McGaw, B.  415 McKendrick, N.  201 McVaugh, M.  267 Meckseper, C.  135 Meek, V.L.  415 Meersseman, G.  278 Meier, C.  162 Meier, U.  98 Meinhard von Bamberg 26 Meirinhos, J.  217 Meisner, J.  19 Meister Eckhart  21 – 23, 70 Meliadò, M.  282 Melville, G.  100, 103, 157, 166, 173 Mensching, G.  232 Merkator, N.  426 Mersch, K.U.  162, 164, 170 Mertens, D.  255 Mertens, V.  169 Metternich, D.  15 Meuthen, E.  10 – 12, 17 – 18, 22 – 24, 30 – 32, 51 – 52, 67, 69 – 71, 75 – 76, 78 – 79, 81, 83 – 85, 91, 117, 123, 133 – 134, 249, 254, 335, 342, 353 – 355, 384, 394 Mews, C.  96, 109, 156, 210 Michael, B.  213 Miedler-Leimer, S.  347 Miethke, J.  36, 94, 98, 106, 119, 177, 226, 248 Migne, J.-P.  272, 305, 312 – 314 Miguel de Cervantes  103 Militzer, K.  54 Mitgau, H.  186

Mittelstraß, J.  315, 320 – 321, 330 – 331, 439 Moeller, B.  39, 218, 251 Moh, R. von  174 Möhlich, G.  252 Mohrmann, R.-E.  13, 176, 181 – 182 Morard, M.  167 Moraw, P.130 – 134, 177, 246, 248, 384 Moreschini, C.  285 Morgenstern, U.  130 Morin, G.  312 Moritz von Nassau  327 Moser, D.-R.  184 Mostert, M.  92 Mountain, W.J.  259 Mühlberger, K.  377 Mulchahey, M.  42, 164, 207 Mulder-Bakker, A.B.  147, 149, 158, 166, 168 Müller, H.  25, 384 Müller, J.-D.  133 Müller, M.E.  160 Müller, R.A.  119, 124, 173, 190, 193 Müller, S.  299 Müller, W.  173 Müller-Luckner, E.  387 Müller-Schöll, N.  407 Müller-Wille, S.  326, 367, 369 Mulsow, M.  106 Münch, R.  389 Murray, J.  141 N Napoleon Bonaparte  7, 10 Nardi, P.  385 Nauck, E.T.  335 Neddermeyer, U.  252 Nederman, C.J.  98 Nelson, J.L.  146 Neuhaus, H.  249 Neusel, A.  421 Newell, J.  155 Nicholas of Neuss  47, 49, 50 Nickel, S.  401, 407

Index nominum 463

Nicolas von Amiens 282 Nicolaus de Spira 75 Nicolaus Kesler 265 Niemelä, J.  405f. Niemeyer, B.  183 Niggli, U.  102 Nikolaus V. 84 Nikolaus von Kues  78, 235, 262, 294 Nikolaus von Oresme 315 Nikolaus von Straßburg  21 Nimtz, H.  188 Nip, R.  166, 168 Nörr, K.W.  109 North, M.  201 Nuding, M.  94, 248 Nybom, T.  14, 431 – 434, 436, 438, 440- 443, 446 O Oberdörfer, E.  179, 184, 201, 203 Oberman, H.A.  255 Objartel, G.  181, 185, 190 Obrecht, B.  319 Ochoa, X.  144 Octavianus Scotus 273 Odo von Cluny 163 Odo von Tusculum 108 Odofredus de Denariis  225 – 229, 231 – 233 Oechsle, M.  424 Oedinger, F.W.  24, 104 Oestreich, G.  200 Oexle, O.-G.  87 – 88, 112, 239 Olberz, J. H.  177 Oleson, A.  90 Olsen, J.P.  443 Opitz, C.  140 – 141, 148, 183 Ortalli, G.  182 Orwell, G. 438 Ott, H.  299 Otte, G.  246 Otto I. der Große  87, 153 – 155 Otto III.  25

Otto von Freising  391, 392 Otto von Hachberg 75 Overfield, J.H.  190 P Paban, C.  266, 306 Padovani, A.  226, 234, 238 Pafnutius 154 Palazzo, A  282 Paolo Caliari, gen. Veronese 325 Papst, P.  88 Päpstin Johanna 139 Papy, J.  289 Paquet, J.  134 Paravicini, A.  214 Paravicini, W.  131 Paschke, R.  181 Patschovsky, A.  162 Patze, H.  39 Paulsen, F.  33 – 35, 40 – 41, 50, 123, 191 Paulson, J.  22 Paulus  144 – 145, 165 Paulus Cortesius  255, 257, 262, 288 – 296, 299 – 301, 310 Pennington, K.  230, 232 Pèques, T.  266, 306 Perler, D.  299 Pertué, M.  212 Pester, T.  175 Peter Drach 280 Peter Rinck 135 Peter Siber 263 Peter von Andlau 251 Peter von Blois, 96 Peter von Candia 81,91,259 Peter von Moos  100 Peter Wilhelm Joseph Gynetti  355, 369, 372 – 373 Peters von Candia 91 Peters, G.  160 Petersen, P.  415 Francesco Petrarca 217

464 Index nominum Petrus  23, 82, 260 Petrus (Kleriker)  117 Petrus Abaelardus  92, 102, 156, 159, 163, 208, 286, 393 Petrus Aureoli  264 – 266, 269, 273, 275 – 277, 291, 306 Petrus de Bergamo 274 Petrus de Dacia 22 Petrus Hispanus  170, 287 Petrus Lombardus  35, 46, 77, 96, 256 – 257, 265, 271 – 272, 276 – 297, 307, 309 Petrus Loy 49 Petrus Vabraulx 115 Petrus Venerabilis  143, 156 Pez, H.  137, 138 Pfeiffer, G.  116 Philipp II. 323 Philipp IV. der Schöne  98, 233 Philipp VI. 149 Philipp Wilhelm Hörnigk  337 Philippe de Grève 107 Piché, D.  209, 268 Picot, S.  51 Pierre du Bois 151 Pietro Pomponazzi 320 Pietzonka, M.  425 Pietzsch, F.A.  193 Pini, A.I.  227 Pius II (Aeneas Silvius Piccolomini)  76, 83, 251, 288, 291, 294 Plaetse, R.V.  312 Plag aus Hennef 197 Platon  101 – 102, 162, 256, 294 Plotzek, J.M.  28 Plumb, J.H.  201 Pohl, A.  201 Post, G.  120, 229 Pottier, C.  95 Priscillianus  296, 312 Proklos  70 Prosdocimo Conti 235 Provost, W.  154

Prügl, T.  73, 83 – 84, 111 Prühlen, S.  170 Pseudo-Albertus Magnus  142 – 143, 165 Puhle, M.  87, 153 Pulz, W.  344 Purser, L.  405 Putallaz, F-X.  209 Pythagoras 154 R Raabe, W.  189 Raddatz-Breidbach, C.M.  15, 315 Rader, O.B.  88 Radulf von Lüttich  25 Ragimbold von Köln 25 Raimundus Lullus  78, 84, 262, 279, 294 Raimundus von Peñaforte  144, 165 Rainald von Dassel 27 Rainer (von St. Andreas)  28 Ramon Llull 110 Ranft, A.  198 Ranft, P.  158 Rapf, C.R.  138 Rasche, U.  176, 180, 187, 191, 199 – 200 Rather von Verona 155 Rattinger, C.  366 Realdo Colombo  325, 326 Reckwitz, A.  174, 196 Reginald of Buxeria/Reginald of Aulne  47 – 48, 50 Rehburg, M.  406 Reichert, B.M.  264 Reichert, S.  403 Reikerstorfer, J.  111 Reinhard von Halberstadt 159f. Reinhardt, K.  75, 277, 278, 282 Reinle, A.  79 Relind  161 René Descartes  327, 328 Renzi, S. de  367 Reuss, G.  354 Reuter, J.  174

Index nominum 465

Rexroth, F.  10, 13, 17 – 18, 30 – 31, 51, 53, 55, 61, 63, 87 – 94, 96 – 98, 100, 102 – 104, 106, 108, 110, 112 – 114, 126, 225, 246, 250 – 251, 253, 378, 446 Reznicek, E.K.J.  325 Rheinberger, H.-J.  367, 369 Rheker-Wunsch, D.  15 Richard Barbe 48 Richard von St. Victor 158 Richardson, R.C.  312 Richardus (Rufus) 281 Richarz, M.  188 Richter, W.  192f. Ricklin, T.  95 Ridder-Symoens, H. de  120, 190 – 191, 218 Riddyn, F.  148 Rider, S.  443 Riechert, T.  130 Rijk, L.M.de  287 Risse, W.  331f. Ritter, G.  124 Robert Boyle 328 Robert Campin 74 Robert Holcot  47, 291 Robert Kilwardby 95f. Robert Salmasius 185 Röcke, W.  92 Röckelein, H.  13, 120, 137 – 138, 140, 142, 144 – 48, 150, 152, 154, 156 – 162, 164, 166, 168, 170, 446 Roelii, P.  261 Roest B.  42, 168, 207 Roger II. von Sizilien 230 Romano, A.  109 Rosemann, P.W.  256 Rössner-Richarz, M.B.  352, 353 Rothblatt, S.  441, 443 Rothschuh, K.E.  325, 329 Rouse, R.H.  222 Rubio, J.E.  262 Rudersdorf, M.  195 Rudolph, S.  179

Rudolph, U.  299 Rüegg, W.  10, 53, 87 – 88, 119 – 120, 126, 132, 173, 191, 212, 218, 256, 379 Ruh, K.  21f. Rupert I.  47 Rupert von Deutz  161 Rutz, A.  58 Ryba, B.  256 S S. Paul, A. de.  75 Sabellius  296, 310, 312 Sadlak, J.  422 Salomon III. 152 Sames, A.  177 Sanders, G.  148 Santifaller, L.  138 Sanz, J.O.  106 Savonarola 292 Schabel, C.  277, 292 Schäfer, D: 355, 357, 361 Scharlau, I.  424 Schelling, A.  118 Scheuer, O.F.  182f. Schieffer, R.  11, 13, 17 – 18, 20, 22, 24, 26, 28, 30, 32, 446 Schiersner, D.  126 Schilling, H.  61 Schilp, T.  167 Schindler, A.  298 Schindler, N.  185 Schindling, A.  176, 189, 192 Schleicher, H.M.  63f. Schlotheuber, E.  161, 167 – 169 Schmale, W.  336, 377 Schmale-Ott, I.  385 Schmidgall, G.  192 Schmidt, B.  400 Schmitt, J.-C.  185 Schmitt, S.  130 Schmitz, W.  28, 252 Schmugge, L.  79

466 Index nominum Schmutz, J.  117, 127, 133 Schnabel, W.W.  185 Schneider, C.  26 Schneider, J.H.J.  108 Schneidmüller, B.  166 Schoeps, H.-J.  192 Scholz, C.  407 Schomburg, H.  409, 414, 421 Schönberger, R.  109 Schönmetzer, A.  258 Schott, H.  319, 324, 327 Schrader, W.  191, 197 Schreiber, H.  261 Schreiner, K.  142 – 143, 149, 387 Schreiner, P.  25 Schröder, J.  234, 246 Schrödter, H.  109 Schromm, A.  168 Schubert, E.  116, 128, 131 – 132, 183, 190 – 191, 198 Schuh, M.  223, 299 Schulin, E.  387 Schulze, F.  174 Schulze, W.  112 Schütt, H.  327 Schützeichel, R.  104 Schwaetzer, H.  278 Schwartz, G.  269 Schwarz, S.  402, 416 Schwarz-Hahn, S.  406 Schweigard, J.  198 Schwerhoff, G.  182 Schwinges, R.C.  10, 13, 39, 108, 115 – 126, 128 – 129, 130 – 134, 188, 191, 205, 215, 246, 251 – 253, 377, 378, 380, 383 – 386, 391, 395, 446 Schwob, A  148 Scott, P.  415, 420, 443 Seibert, H.  132, 393 Seidel, K.  57 Seidl, J.  131 Seifert, A.  124, 260, 387, 388

Senger, H.-G.  78 Senner, W.  20 – 22, 70 Serres, M.  396 Servatius Fanckel  263, 265, 270 Shank, M.H.  138 Shin, J.C.  422 Shoemaker, K.  97 Siebe, D.  188 Sieben, H.-J.  260 Siebenhüner, K.  179 Sieber, M.  251 Siger von Brabant  209, 213 Signori, G.  142, 148, 155 – 156, 168, 169 Silvas, A.  158 Simon Arnwylen of Speyer  46 Simon, U.  352 Sixtus IV. 85 Šmahel, F.  129 Smelser, N.J.  415 Smidt, H.  405, 408 Smulders, P.  284 Sobirai, N.  202 Soetermeer, F.  222 Sohn, W.  337 Sokrates  162, 256 Sottili, A.  114, 217 Speer, A.  13, 15, 20, 98 – 99, 208, 230, 394, 447 Speler, R.-T.  181, 198 Speziali, P.  114 Springer, K.-B.  176 Ssymank, P.  174 Staab, F.  158 Stackmann, K.  39, 251 Stafford, P.  147 Stammkötter, F.-B.  70, 278 Stark, E.  175, 191 Steckel, S.  111, 180, 391, 392 Steenberghen, F.van  209, 213 Steer, G.  144 Stegmüller, F.  46f. Stehkämper, H.  20 – 21, 51

Index nominum 467

Stein, J.  221 Stein, V.  407 Stein, W.  52, 58 – 60 Steinhilber, H.  198 Steinke, B.  166 Stelzer, W.  173 Stensaker, B.  403, 406, 411, 415, 422, 428 Stenzl, J.  157 Stichweh, R.  90, 104 Stickler, M.  175, 190 Stiegemann, C.  25 Stiele, H.E.  25 Stollberg-Rilinger, B.  93, 249 Stolleis, M.  235 Stolz, M.  141 – 142, 170 Stork, H.-W.  170 Stotz, P.  79 Strecker, K.  107 Struve, T.  112 Stühlmeyer, B.  157, 159 Sturlese, L.  22 Suchanek, J.  407, 424 Sullivan, M.E.  109 Sursock, A.  405, 408 Swanson, R.  81 Sybille 150 Sylla, E.  267 Synan, E.A.  280 T Tachau, K.H.  45 Tacke, V.  104 Talbot, C.H.  315 Taliadoros, J.  96 Talyor, J.S.  418 Tarán, L.  103 Tarr, J.  153 Täube, D.  17 Tauch, C.  403 Tauché, A.  194 Taylor, A.  92

Teichler, U.  14, 377, 397 – 402, 404, 406, 408, 410 – 426, 428, 446 Tempier of March  209, 267 Terenz 155 Teufel, W.  126 Tewes, G.-R.  10, 78 – 80, 207, 249, 268, 393 Thaddaeus Dereser  345, 363, 374 Thaïs 154 Thales 256 Themo Judeus  36 Theoderic Dystel of Unna 40 Theophanu  25, 146 Thiébaux, M.  148 Thierry von Chartres  208 Thijssen, J.M.M.H.  255, 267 Thomas Bradwardine 315 Thomas Buckingham  44 Thomas Morus 151 Thomas von Aquin  11, 20, 23, 44, 67 – 70, 73, 76 – 78, 98, 101, 106 – 107, 109, 119, 164, 208, 211, 257, 259, 263 – 266, 268 – 277, 281, 286, 287, 290 – 297, 300 – 303, 305 – 306, 309, 313 – 314 Thomas von Straßburg 291 Thüring Fricker  131 Thyssen, Fritz  8, 15 Tidericus de Nyenborg 33 Tietz-Lassotta, I.  352 Tilmann Lamberti Ruwen of Bonn 48 Timotheus  144, 165 Tippelt, R.  400 Tischler, M.M.  160 Tlusty, A.  182 Toellner, R.  322 Toepke, G.  124 Torrell, J.-P.  68f. Toutkoushian, R.K.  422 Townsend, D.  92 Traninger, A.  92 Trauth, M.179 Trippen, N.  19 Trow, M.  415

468 Index nominum Trusen, W.  21, 218 Tshisuaka, B.I.  322 – 325, 329 Türck, V.  132, 393 Työrinoja, R.  95 U Uda von Göllheim 158 Uffmann, H.  169 Uiblein, P.  346 Ulrich Riederer 116 Ulrich von Straßburg  22, 69 – 70 Urban V.  37f. Urban VI.  11, 17, 30, 49 – 50, 52, 81 Uytfanghe, M. van  148 V Valerius Andreas 127 Vannevar Bush  437, 438 Veltjens, C.  180 Verbaal, W.  289 Verger, J.  14, 156, 205 – 206, 208, 210 – 218, 383, 390, 394, 446 Veysey, L.  90 Villey, R.  322 Vincentius Hispanus  106 Vischer, W.  126 Vogel, L.  381 Volmar  158 Voltolina, G.  239 – 244 Euw, A. von  25 Vopa, A. la  194 Voss, J.  90 Voulliéme, E.  274 Vuillemin-Diem, G.  77 Vullo, A.  66 Vusakovic, M.  424 W Wächter, B.  412f. Wackernagel, H.G.  264 Wagener, S.  184 Wagner, D.L.  205

Wagner, F.  130 Wagner, W.E.  253 Wahrig, B.  337 Wahrmund, L.  96, 105 – 106 Waire, D.  443 Walter Burley  44, 287 Walter von Châtillon  106 – 107, 110 Walter, H.G.  14 Walter, M.  391 Walter, P.  13, 67 – 68, 70, 72, 74, 76, 78, 80, 82, 84, 394, 446 Walther, H. G.  50, 221 – 222, 224 – 240, 242, 244 – 252, 254, 447 Waluszewski, A.  443 Waquet, F.  219 Warntjes, I.  29 Watermann, R.A.  343, 353 – 355, 358, 362, 369, 371, 372 Weber, L.E.  423 Weber, W. E.  12 Wegener, L.  208 Weibel, K.  68 Weijers, O.  92, 107 – 108, 207, 209 – 211, 217 Weiler, A.G.  80, 265 Weinfurter, S.  26, 103, 166 Weisert, H.  134 Weisheipl, J.A.  20, 209 Weisz, G.  219 Wels, H.  267 Welzel, B.  167 Wemhoff, M.  25 Wenzel von Luxemburg  249 Werner von Selden 263f. Werner, D.  101 Westerheijden, D.F.  401, 408 Wetzstein, T.  225 Wheeler, B.  140 White, K.  266, 273 Whitley, R.  443 Widukind aus Köln  25 Wieland, C.  193 Wieland, G.  108

Index nominum 469

Wiesflecker, H.  270 Wilhelm (Abt von Hirsau) 159 Wilhelm Kurmann von Werden 135 Wilhelm Martin Becker 202 Wilhelm von Conches 101 Wilhelm von Humboldt  10, 441, 443 Wilhelm von Mainz 155 Wilhelm von Moerbeke 98 Wilhelm von Ockham  98, 106, 259, 286, 291, 445 Wilhelm von Schröder 337f. Wilhelm von Uzès 148 Wilhelm von Werden  60 Wilke, J.  161, 169, 391 Wilks, M.  211 Willard, C.C.  149 Willems, R.  310 William Harvey  327 – 329 William Jordan  45 William of Champeaux 210 Williams of Drogheda 96 Willing, A.  166 Wilms, H.  77 Wilson, K.M.  149, 153 – 155 Winkelmann, E.  124 Winkler, N.  234 Winterschmidt, A.W.181 Wirmer, D.  99 Witte, J.  401, 407 – 408 Wodtke, V.  142 Woeste, P.  179, 184, 189 Wogan-Browne, J.  148, 166 Wolf, G.  26 Wolf, J.  148 Wolf, V.  409 Wolfeil, N.  383 Wolff, A  19 Wolfgang Lazius 335 Wolfgang Monacensis 281 Wolfhelm von Brauweiler  25 Wolfram Baier 384 Wolgast, E.  124

Wolters, G.  329 Wood, D.  109 Woopen, C.  355, 357, 361 Worstbrock, F. J.  23, 67, 133 Woude, S.van der  170 Wriedt, K.  39, 123, 131 Wriedt, M.  298 X Xiberta, B.M.46 Y Young, S. E.  97 – 98, 107, 259 Ypma, E.  42 Yukio, I.  100 Yusuf I. (Almohaden) 316 Yvan, M.-F.  37 Z Zahnd, U.M.  36, 132 Zarncke, F.  121, 177 Zaunstöck, H.  183, 200 Zedinger, R.  336 Zenon 256 Zgaga, P.  407, 424 Zielinski, H.  25 Ziese, J.  352 Zilynská, B.  248 Zimmer, D.  395 Zimmermann, A.  10, 26, 45, 77, 164, 249, 261, 394 Zimmermann, M.  149 Zlabinger, E.  339 Zühlke, B.  149 Zumkeller, A.  49 – 50, 76

JULIa KaUn, ULrICH S. SoÉnIUS (Hg.)

JaHRBuCH DeS KÖlNiSCHeN GeSCHiCHtSVeReiNS 82 (2013/14) (JaHrBUCH DeS KÖLnISCHen geSCHICHTSVereInS e.V.,BanD 82)

Die Jahrbücher des Kölnischen Geschichtsvereins bringen aktuelle Beiträge zu Kölner Geschichte und Kultur vom Altertum bis in die Gegenwart sowie Rezensionen und Buchanzeigen. Inhalt Band 82 (2013/14): Diethelm Eikermann, „Pro perpetua memoria – Die Grabstätten in der alten Kölner Dominikanerkirche Heilig Kreuz – Klaus Militzer, Köln als Einkaufszentrum der Herzöge von Jülich – Gisela Lange, „Last vns erfrewen hertzlich sehr“. Struktur und Analyse des Liedes von Friedrich Spee – Everhard Kleinertz, Städtische Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen 1848/1849 und die Kommission für öffentliche Arbeiten

– Irmgard

Stamm, „Die Revolution verschlingt ihre Kinder“. Jean Jansen aus Köln, erschossen in Rastatt 1849 – Fritz Bilz, Eingemeindungsdiskussionen in und um Köln von 1860 bis 1914 – Axel Requardt, Walter Bock (1895-1948) und die Erfindung des Buna – Ulrich S. Soénius, Louis Hagen, ein Unternehmer in der Zeitenwende – Jahresbericht des Kölnischen Geschichtsvereins. 2015. 336 S. 12 S/W-aBB. Br. 155 X 230 mm | ISBn 978-3-412-22370-0

böhlau verlag, ursulaplatz 1, d-50668 köln, t: + 49 221 913 90-0 [email protected], www.boehlau-verlag.com | wien köln weimar

OK! AUC H ALS eBO

THOMAS DERES, MARTIN KRÖGER, GEORG MÖLICH, JOACHIM OEPEN, WOLFGANG ROSEN, LARS WIRTLER, STEFAN WUNSCH

GESCHICHTE IN KÖLN ZeitschRiFt FÜR stADt- UnD ReGiOnAlGeschichte, BAnD 62

Das aktuelle Heft der »GiK« bietet eine Überblicksdarstellung zu »Aktuellen Perspektiven der vergleichenden Städteforschung« und Beiträge u.a. zum Kölner Erzbischof Rainald von Dassel und seinen Grabdenkmälern, zur Kölner Dommusik im Spannungsverhältnis zwischen Erzbischof, Domkapitel, kirchenmusikalischen Ansprüchen und liturgischen Normen, über die Judenverfolgung in der Nordeifel im »Dritten Reich« oder über türkische Arbeitnehmer bei den Kölner Ford-Werken 1961 bis 1983 zwischen Integration und Rückkehrförderung. 2015. 324 S. 18 S/W-ABB. BR. 148 X 210 MM. ISBN 978-3-412-50397-0 [BUCH] | ISBN 978-3-412-50404-5 [E-BOOK]

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