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German Pages 280 Year 2020
Wissen und Strategien frühneuzeitlicher Diplomatie
bibliothek altes Reich
Herausgegeben von Anette Baumann, Stephan Wendehorst und Siegrid Westphal
Band 27
Wissen und Strategien frühneuzeitlicher Diplomatie Herausgegeben von Stefanie Freyer und Siegrid Westphal
ISBN 978-3-11-062186-0 e-ISBN (PDF) 978-3-11-062543-1 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-062198-3 ISSN 2190-2038 Library of Congress Control Number: 2020938096 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2020 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Umschlagabbildung: Nürnberger Exekutionstag 1650, Unterzeichnung am 26. Juli 1650, Radierung, abgedruckt in: Theatri Europai Sechster und letzter Theil/ Das ist/ Außführliche Beschreibung der Denckwürdigsten Geschichten (…). Bearbeitet von Johann Georg Schleder. Frankfurt a. M. 1652. URL: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Radierung__N%C3%BCrnberger_Exekutionstag_-_1650.jpg, abgerufen am 09.04.2020. Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com
Inhalt Stefanie Freyer VII Einleitung
Wissen frühneuzeitlicher Diplomatie Anna Lingnau Politische Sprache als Träger politischen Wissens Ein Gesandtschaftsbericht von Friedrich Rudolf von Canitz 3 (1654 – 1699) Winfried Siebers Diplomatie und Politik in der frühaufklärerischen Apodemik Ehrenfried Walther von Tschirnhaus’ „Getreuer Hofmeister auf 23 Academien und Reisen“ (1727) Julian zur Lage Diplomaten als Autoritäten für die Geschichtsschreibung William Robertsons „History of America“ (1777)
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David Gehring Robert Beale – ein englischer Diplomat mit europäischer Ausbildung
61
Katharina Möhle Die Persönlichkeit als Faktor deutsch-englischer Bündnisbemühungen am Ende der 1560er Jahre Zum Deutschland-Bericht des englischen Gesandten Robert 81 Beale
Strategien frühneuzeitlicher Diplomatie Stefanie Freyer Lügen im Namen des Friedens Strategien der englischen Diplomatie vor Beginn des Reichstages 1613 103
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Inhalt
Astrid Ackermann Strategien für den Krieg Das diplomatische Netzwerk Herzog Bernhards von Weimar
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Volker Arnke Die Dritte Partei des Westfälischen Friedenskongresses und die Frage, wie der Frieden möglich wurde 165 Ein Forschungsdesiderat Claudia Kaufold Von „einträchtigen Rivalinnen“ und dem Wert von Bündnissen 187 Der Komponist Agostino Steffani als Diplomat Pauline Puppel „Der einzige Mann am oranischen Hof“ Wilhelmina von Preußen (1751 – 1820) ‒ Erbstatthalterin und 213 Diplomatin Abbildungsverzeichnis Autorinnen und Autoren Register
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Einleitung Der vorliegende Sammelband spiegelt die Diskussionen wider, die jüngst am Osnabrücker „Forschungszentrum Institut für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit (IKFN)“ in verschiedenen interdisziplinären Formaten geführt wurden.¹ In der zunächst recht offen angelegten Annäherung an die Erforschung frühneuzeitlicher Diplomatie kristallisierten sich rasch Fragen nach Wissen und Strategien diplomatischer Akteure als Schnittpunkte heraus. Für das Verständnis des Politischen² in Außenbeziehungen³ wie auch der „kulturellen Prägungen und sozialen Ordnungsmuster des frühneuzeitlichen Europa“⁴ scheint es überaus aufschlussreich, sowohl das strategische Handeln diplomatischer Akteure als auch das Wissen zu untersuchen, auf dem dieses Handeln unter bestimmten Bedingungen aufbauen konnte und das in komplexen Prozessen weitergegeben, (neu)
Die Diskussionen fanden öffentlich im Rahmen der regulären Vortragsreihen des Forschungszentrums IKFN und der Arbeitsgespräche des Promotionsprogramms „Wissensspeicher und Argumentationsarsenal. Funktionen der Bibliothek in den kulturellen Zentren der Frühen Neuzeit“ statt. Zum Begriff des Politischen und zur Kulturgeschichte des Politischen vgl. z. B. Tobias Weidner: Begriffsgeschichte und Politikgeschichte, in: Geschichte und Gesellschaft 44 (2018), S. 29 – 53; ders.: Die Geschichte des Politischen in der Diskussion. Göttingen 2012; Thomas Mergel: Kulturgeschichte der Politik, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 22.10. 2012 (Version 2.0), http://docupedia.de/zg/mergel_kulturgeschichte_politik_v2_de_2012 (letzter Zugriff: 01.02. 2020); Sven Externbrink: Internationale Politik in der Frühen Neuzeit. Stand und Perspektiven der Forschung zu Diplomatie und Staatensystem, in: Christof Kraus/Thomas Nicklas (Hrsg.), Geschichte der Politik. Alte und Neue Wege. München 2007, S. 15 – 39; Barbara Stollberg-Rilinger: Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, in: dies. (Hrsg.), Was heißt Kulturgeschichte des Politischen? Berlin 2005, S. 9 – 26; Achim Landwehr: Diskurs – Wissen – Macht. Perspektiven einer Kulturgeschichte des Politischen, in: Archiv für Kulturgeschichte 85 (2003), S. 71– 117. Zum Begriff „Außenbeziehung“ vgl. Hillard von Thiessen/Christian Windler (Hrsg.): Akteure der Außenbeziehungen. Netzwerke und Interkulturalität im historischen Wandel. Köln u. a. 2010; Gregor Metzig: Kommunikation und Konfrontation. Diplomatie und Gesandtschaftswesen Kaiser Maximilians I. (1486 – 1519). Berlin/Boston 2016, bes. S. 15 – 22. Vgl. Guido Braun: Einleitung, in: ders. (Hrsg.), Diplomatische Wissenskulturen der Frühen Neuzeit. Erfahrungsräume und Orte der Wissensproduktion. Berlin/Boston 2018, S. VII–XLI, hier S. XII. Ähnlich Arndt Brendecke/Markus Friedrich/Susanne Friedrich: Information als Kategorie historischer Forschung. Heuristik, Etymologie und Abgrenzung vom Wissensbegriff, in: diess. (Hrsg.), Information in der Frühen Neuzeit. Status, Bestände und Strategien. Berlin/Münster 2008, S. 11– 44, hier S. 12 f. Zum Stand der Wissensgeschichte vgl. Sabina Brevaglieri/Matthias Schnettger (Hrsg.): Transferprozesse zwischen dem Alten Reich und Italien im 17. Jahrhundert. Wissenskonfigurationen – Akteure – Netzwerke. Bielefeld 2018. https://doi.org/10.1515/9783110625431-001
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generiert, instrumentalisiert oder transformiert wurde. Die Beiträge dieses Bandes legen das breite Erkenntnispotential dieses themenspezifischen Ansatzes offen und zeigen an Fallbeispielen zum einen, welches Wissen in der frühneuzeitlichen Diplomatie virulent war, wie es erworben und funktionalisiert eingesetzt wurde, zum anderen konzentrieren sie sich auf strategisches Handeln, bei dem (Vor‐) Wissen eine entscheidende Rolle spielte. Sie zielen damit auf ein Desiderat, das trotz der schubartigen, inhaltlichen wie methodische Öffnung und Transformation der Erforschung der Geschichte internationaler Beziehungen und der Diplomatiegeschichte hin zu alltags- und kulturgeschichtlichen Fragestellungen in den vergangenen Jahrzehnten noch nicht systematisch erforscht wurde.⁵ Gleichwohl gibt es bereits zahlreiche Erkenntnisse, mit denen sich das Forschungsfeld und seine Herausforderungen umreißen lassen. So ist bekannt,⁶ dass
Braun: Einleitung, S. Xf. Dem Desiderat begegneten jüngst mehrere Tagungen, so z. B. die internationale Tagung des DHI Paris: „Je ne voudrais point un négociateur de métier…“. Die Identität des Diplomaten: Beruf oder „nobler Zeitvertreib“? (Spätmittelalter–19. Jh.), Paris, 14.– 17.06. 2017. Zum Wandel vgl. z. B. Hillard von Thiessen: Außenbeziehungen und Diplomatie in der Frühen Neuzeit und im Übergang zur Moderne. Ansätze der Forschung – Debatten – Periodisierungen, in: Barbara Haider-Wilson/William D. Godsey/Wolfgang Mueller (Hrsg.), Internationale Geschichte in Theorie und Praxis/International History in Theory and Practice. Wien 2017, S. 143 – 164; Dominic Eggel: Quo vadis diplomatic history?, in: ebd., S. 209 – 229; Claudia Garnier/ Christine Vogel: Einführung, in: diess. (Hrsg.), Interkulturelle Ritualpraxis in der Vormoderne. Diplomatische Interaktion an den östlichen Grenzen der Fürstengesellschaft. Berlin 2016, S. 7– 17; Tracey A. Sowerby: Early Modern Diplomatic History, in: History Compass 14/9 (2016), S. 441– 456; Matthias Köhler: Neuere Forschungen zur Diplomatiegeschichte, in: ZHF 40 (2013), S. 257– 271; Christoph Kampmann/Maximilian Lanzinner/Guido Braun/Michael Rohrschneider: Von der Kunst des Friedensschließens. Einführende Überlegungen, in: diess. (Hrsg.), L’art de la paix. Kongresswesen und Friedensstiftung im Zeitalter des Westfälischen Friedens. Münster 2009, S. 9 – 28; Sven Externbrink: Internationale Politik in der Frühen Neuzeit. Stand und Perspektiven der Forschung zu Diplomatie und Staatensystem, in: Christof Kraus/Thomas Nicklas (Hrsg.), Geschichte der Politik. Alte und Neue Wege. München 2007, S. 15 – 39; Holger Th. Gräf: Professionalisierung oder Konfessionalisierung? Zur Entwicklung des „diplomatischen Korps“ um 1600, in: Stefan Ehrenpreis/Ute Lotz-Heumann/Olaf Mörke/Luise Schorn-Schütte (Hrsg.): Wege der Neuzeit. Festschrift für Heinz Schilling zum 65. Geburtstag. Berlin 2007, S. 457– 478; Ursula Lehmkuhl: Diplomatiegeschichte als internationale Kulturgeschichte. Theoretische Ansätze und empirische Forschung zwischen Historischer Kulturwissenschaft und Soziologischem Institutionalismus, in: Geschichte und Gesellschaft 27/3 (2001), S. 394– 423. Für Folgendes vgl. bis auf weiteres Braun, Einleitung; Anuschka Tischer: Art. Botschafter, in: Enzyklopädie der Neuzeit (künftig: EdN), Bd. 2 (2005), Sp. 367– 370, bes. Wolfgang Reinhard: Historische Anthropologie frühneuzeitlicher Diplomatie. Ein Versuch über Nuntiaturberichte 1592– 1622, in: Michael Rohrschneider/Arno Strohmeyer (Hrsg.), Wahrnehmungen des Fremden. Differenzerfahrungen von Diplomaten im 16. und 17. Jahrhundert. Münster 2007, S. 53 – 72; Heidrun R. I. Kugeler: ‚Le parfait Ambassadeur‘. The theory and practice of diplomacy in the century
Einleitung
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es bis zum Aufkommen der ersten Diplomatenschulen im 18. Jahrhundert keine spezifische Gesandtenausbildung oder institutionalisierte Form der professionellen Wissensvermittlung gab. Eine geregelte Laufbahn mit systematischen Karriereschritten etablierte sich erst im 19. Jahrhundert.⁷ Zuvor wurden Gesandte vorwiegend aus dem Personal des Verwaltungs- oder Militärdienstes im Umkreis der Fürstenhöfe rekrutiert, wobei die Beauftragung in der Regel situationsbezogen und zeitlich begrenzt erfolgte. Frühneuzeitliche Diplomatie war daher weniger ein Beruf als vielmehr eine phasenweise ausgeübte Funktion im Patronagegefüge bzw. personalen Dienstverhältnis zum Fürsten. Das galt auch noch dann, als sich die Rang- und Titelhierarchie⁸ im Laufe des 17. Jahrhunderts zunehmend verfestigte. Die Diplomatie profitierte von der Rollenvielfalt ihrer Akteure und konnte sogar – wie Astrid Ackermann in diesem Band zeigt – für mehrere Dienstherren gleichzeitig reibungslos betrieben werden, produzierte aber nicht selten auch genau dadurch Konflikte.⁹ Parallel zu den temporären Missionen kamen im 16. Jahrhundert vermehrt ständige Gesandtschaften auf, wurden aber erst um 1800 flächendeckend etabliert;¹⁰ reisende Gesandtschaften lösten sie freilich nie
following the Peace of Westphalia. Diss. University of Oxford 2006, https://ethos.bl.uk/OrderDetails.do?uin=uk.bl.ethos.439752 (letzter Zugriff: 01.02. 2020). Prägnant zum Berufstand der Diplomaten im 19. Jahrhundert vgl. Verena Steller: Diplomatie von Angesicht zu Angesicht. Diplomatische Handlungsformen in den deutsch-französischen Beziehungen 1870 – 1919. Paderborn u. a. 2011, bes. S. 9 – 15. Zum Wissenstand, den fehlenden Standardisierungen und dem Umgang mit dem Unwissen diplomatischer Akteure im 20. Jahrhundert vgl. z. B. Falko Schnicke: „It is dangerous to generalise about state visits“. Praktiken des Wissens in der britischen Außenpolitik, in: Anna Margaretha Horatschek (Hrsg.), Competing Knowledges – Wissen im Widerstreit. Berlin/Boston 2020, S. 189 – 207. Vgl. André Krischer: Das Gesandtschaftswesen und das moderne Völkerrecht, in: Michael Jucker/Martin Kintzinger/Rainer Ch. Schwinges (Hrsg.), Rechtsformen internationaler Politik. Theorie, Norm und Praxis vom 12. bis 18. Jahrhundert. Berlin 2011, S. 197‒239; Anuschka Tischer: Art. Botschafter, in: EdN, Bd. 2 (2005), Sp. 367– 370; dies: Art. Diplomatie, in: EdN, Bd. 2 (2005), Sp. 1027– 1041; Otto Krauske: Die Entwickelung der ständigen Diplomatie. Vom fünfzehnten Jahrhundert bis zu den Beschlüssen von 1815 und 1818. Leipzig 1885, S. 149 – 204. Zur Rollenvielfalt vgl. Florian Kühnel: Chamäleon oder Chimäre? Rollen und Intersektionen des frühneuzeitlichen Gesandten, in: Saeculum 68 (2018), S. 161– 190; Matthias Köhler: Strategie und Symbolik. Verhandeln auf dem Kongress von Nimwegen. Köln u. a. 2011, bes. S. 159 – 297; Hillard von Thiessen: Diplomatie vom type ancien. Überlegungen zu einem Idealtypus des frühneuzeitlichen Gesandtschaftwesens, in: ders./Windler (Hrsg.), Akteure der Außenbeziehungen, S. 471– 503. Ähnlich für Agenten Marika Keblusek: Introduction. Double Agents in Early Modern Europe, in: dies./Badeloch Vera Noldus (Hrsg.), Double Agents. Cultural and Political Brokerage in Early Modern Europe. Leiden/Boston 2011, S. 1– 10, hier S. 4. Vgl. z. B. Tischer: Diplomatie; Dante Fedele: Naissance de la diplomatie moderne (XIIIe–XVIIe siècle). L’ambassadeur au croisement du droit, de l’éthique et de la politique. Baden-Baden 2017; Catherine Fletcher: Diplomacy in Renaissance Rome. The Rise of the Resident Ambassador.
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ganz ab. In welchem Verhältnis beide Gesandtschaftsformen zueinander standen, gilt es noch genauer zu erforschen. Dabei steht auch die These zur Disposition, Dauergesandtschaften würden eine „diplomatiegeschichtliche Epochenscheide“ markieren.¹¹ Die Anforderungen an stetige wie temporäre Gesandte scheinen jedoch ähnlich gewesen sein, da offenbar von beiden gleichermaßen erwartet wurde, dass sie über die nötigen Wissensbestände, Kompetenzen und Erfahrung zur Erfüllung der diplomatischen Kernaufgaben – repräsentieren, informieren und verhandeln – bereits verfügten.¹² Eine Orientierung, welche Anforderungen gestellt wurden, boten Gesandtschaftstraktate seit etwa dem 16. Jahrhundert, allerdings stets in dem Ansinnen, ein Ideal formulieren und die abgebildete Diplomatiepraxis in ein Regelsystem überführen zu wollen.¹³ Deren Lektüre scheint für die Vorbereitung auf den diplomatischen Dienst dennoch ebenso grundlegend gewesen zu sein, wie die „humanistisch-höfische Bildung, Spracherwerb, Reisen, […] der Besuch von Universitäten oder Ritterakademien“ sowie – das zeigt auch David Scott Gehring in diesem Band – das Sammeln erster, grundlegender Erfahrungen als Begleitung eines Protektors auf Mission.¹⁴ All dies galt indes nicht ex aequo für alle frühneuzeitlichen Gesandte und auch nicht für alle diplomatischen Akteure, zu denen die Forschung den Mitarbeiterstab der Gesandten und auch all jene informell tätigen Akteure zählt, die nicht direkt von Regenten oder republikanischen Gemeinwesen¹⁵ beauftragt und
Cambridge 2015; Heinz Schilling: Konfessionalisierung und Staatsinteressen. Internationale Beziehungen 1559 – 1660. Paderborn u. a. 2007, bes. S. 120 – 138; Matthew S. Anderson: The Rise of Modern Diplomacy, 1450 – 1919. Harlow 1993; Garrett Mattingly: Renaissance Diplomacy. London 1955. Gregor Metzig betont, dass sich Dauergesandtschaften „weder als Indikator für fortschrittlich moderne Staatlichkeit noch als vermeintlich ausschlaggebendes Kriterium zur Markierung einer diplomatiegeschichtlichen Epochenscheide“ eignen. Vgl. Metzig: Kommunikation und Konfrontation, S. 19. Ähnlich Jan Paul Niederkorn: Diplomaten-Instruktionen in der Frühen Neuzeit, in: ders./Anita Hipfinger/Josef Löffler/Martin Scheutz/Thomas Winkelbauer/Jakob Wührer (Hrsg.), Ordnung durch Tinte und Feder? Genese und Wirkung von Instruktionen im zeitlichen Längsschnitt vom Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert. Wien u. a. 2012, S. 73 – 84. Anders von Thiessen: Diplomatie vom type ancien, S. 474; 478, 498 f. Vgl. z. B. Braun, Einleitung, S. XIII; Niederkorn, Diplomaten-Instruktionen, bes. S. 73 – 75. Vgl. Kugeler, Le parfait Ambassadeur, bes. S. 23; Fletcher, Diplomacy in Renaissance Rome, bes. S. 38 – 42. Vgl. z. B. Braun, Einleitung, Zitat S. XX; Tischer, Botschafter, Sp. 369 f.; Keblusek, Introduction. Double Agents; André Krischer: Reichsstädte in der Fürstengesellschaft. Politischer Zeichengebrauch in der Frühen Neuzeit. Darmstadt 2006, bes. S. 123 f. Vgl. Philippe Rogger/Nadir Weber (Hrsg.): Beobachten, Vernetzen, Verhandeln. Diplomatische Akteure und politische Kulturen in der frühneuzeitlichen Eidgenossenschaft. Observer, connecter, négocier. Acteurs diplomatiques et cultures politiques dans le Corps helvétique, XVIIe et XVIIIe
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instruiert worden waren, aber dennoch Außenbeziehungen pflegten oder zuarbeiteten – so etwa Kaufleute, Buchhändler, Gelehrte, Geistliche, Militärs, Musiker und Künstler.¹⁶ Die fließenden Übergänge in der Bestimmung, wer durch welches Agieren als diplomatischer Akteur gelten kann und wo die Grenzen zwischen informellem und formellem Dienst lagen, werden in der Forschung aktuell intensiv diskutiert.¹⁷ Fest steht, dass Diplomatie nie von Einzelnen betrieben wurde; es gab stets eine Vielzahl an Beteiligten. Das wird deutlich, wenn zum Beispiel Gesandte mit nobler Herkunft allein die standesspezifische Repräsentation übernahmen und die übrigen diplomatischen Aufgaben ihren nicht-adligen Mitarbeitern oder Agenten überließen, die nach den nötigen Kompetenzen ausgewählt worden waren. Entsprechend divers und disparat war das Feld in der Frühen Neuzeit aufgestellt: Es gab keine fest umrissene, sozial homogene Gruppe; die Akteure stammten aus unterschiedlichen sozialen Schichten, (Bildungs‐)Milieus und Konfessionen. Zudem waren nicht nur Männer, sondern auch Frauen aktiv. Die Forschung analysiert jüngst immer mehr Beispiele weiblicher Diplomatie und rückt – auch im Zuge des geschlechtsspezifischen Ansatzes – zunehmend das Agieren fürstlicher Familienmitglieder in den Blick.¹⁸ Allerdings werden
siècles. Basel 2018; Andreas Affolter: Verhandeln mit Republiken. Die französisch-eidgenössischen Beziehungen im frühen 18. Jahrhundert. Köln u. a. 2017. Die Forschung nutzt für diese Gruppe auch den Begriff der „nicht-staatlichen Akteure“, hat dabei aber die Prozesshaftigkeit der frühmodernen Staatsbildung im Blick.Vgl. z. B. von Thiessen, Außenbeziehungen und Diplomatie, S. 154 f.; ders., Diplomatie vom type ancien, S. 476 et passim; Affolter, Verhandeln mit Republiken, bes. S. 251– 254; Keblusek/Noldus (Hrsg.), Double Agents; Marika Keblusek/Hans Cools/Badeloch Noldus (Hrsg.): Your Humble Servant. Agents in Early Modern Europe. Hilversum 2006, S. 9 – 15; Christina Brauner: Kompanien, Könige und caboceers. Interkulturelle Diplomatie an Gold- und Sklavenküste im 17. und 18. Jahrhundert. Köln u. a. 2015; Ruth Kohlndorfer-Fries: Diplomatie und Gelehrtenrepublik. Die Kontakte des französischen Gesandten Jacque Bongars (1554– 1612). Tübingen 2009. Dazu jüngst z. B. Sophie Große: Tagungsbericht über: Das Gesandtschaftspersonal in den frühneuzeitlichen Außenbeziehungen/Non-Ambassadorial Agents in Early Modern Diplomacy. 6./7.9. 2018 Vechta, in: H-Soz-Kult, 23. 2. 2019, www.hsozkult.de/index.php/conferencereport/id/ tagungsberichte-8129 (letzter Zugriff: 02.01. 2020); Philip Hoffmann-Rehnitz, Die Geschichte politischer Informalität. Ansätze und Perspektiven neuerer Forschungen, in: ZHF 42/4 (2015), S. 661– 673. Vgl. in diesem Band die Beiträge von Astrid Ackermann und Pauline Puppel. Zur Erforschung diplomatischer Akteurinnen vgl. z. B. Maria-Elisabeth Brunert: Interzession als Praktik. Zur Rolle von Diplomatengattinnen auf dem Westfälischen Friedenskongress, in: Dorothée Goetze/Lena Oetzel (Hrsg.), Warum Friedenschließen so schwer ist. Frühneuzeitliche Friedensfindung am Beispiel des Westfälischen Friedenskongresses. Münster 2019, S. 209 – 226; Nadine Akkermann: Invisible Agents. Women and espionage in seventeenth-century Britain. Oxford 2018; Florian Kühnel: „Minister-like Cleverness, Understanding and Influence on Affairs“. Ambassadresses in Everyday Business and Courtly Ceremonies at the Turn of the Eighteenth Century, in: Tracey A.
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Regenten bzw. Regentinnen bisher kaum als entscheidende diplomatische Akteure untersucht.¹⁹ Die Erforschung der Diplomatie, die als solche erst seit Ende des 18. Jahrhunderts auf den Begriff gebracht wird,²⁰ ist stattdessen stark auf den Handlungsspielraum und die Wirkmacht von Gesandten fokussiert. Für die Erforschung diplomatischen Wissens hat sich diese mit der Jahrtausendwende vollzogene Abkehr von der Diplomatiegeschichte aus der „Vogelperspektive der Entwicklung des Staatensystems und des Kräftespiels der Mächte“²¹ als überaus aufschlussreich erwiesen, auch weil Gesandte wegen ihres breiten Kommunikations- und Aktionsradius als mobile „kulturelle Vermittler par excellence“²² gelten können. Für die Erforschung von Funktionsweisen und Handlungsstrategien frühneuzeitlicher Diplomatie scheint es gleichwohl bedeutsam, den kulturhistorisch geöffneten Blick vermehrt auch auf Fürsten, Fürstinnen und ihre Familienmitglieder als zentrale diplomatische Akteure zu richten. Dem Verständnis des erweiterten akteurszentrierten Ansatzes folgend versammelt der Sammelband Fallstudien diplomatischer Akteurinnen und Akteure mit unterschiedlichem Status: inoffiziell reisende Informanten, offiziell bevollmächtigte und instruierte Gesandte, geschichtsschreibende Gelehrte und Apodemiker, geheim beauftragte Musiker sowie nicht selbst regierende, aber diplomatische agierende Fürsten und Fürstinnen. Mit Wissen und Strategien werden unter diesem methodischen Dach zwei komplexe Themenfelder verbunden, die
Sowerby/Jan Hennings (Hrsg.), Practices of Diplomacy in the Early Modern World c. 1410 – 1800. London/New York 2017, S. 130 – 146; Carolyn James/Glenda Sluga (Hrsg.): Women, Diplomacy and International Politics since 1500. London/New York 2016; Corina Bastian/Eva Dade/Hillard von Thiessen/Christian Windler (Hrsg.): Das Geschlecht der Diplomatie. Geschlechterrollen in den Außenbeziehungen vom Spätmittelalter bis zum 20. Jahrhundert. Köln u. a. 2014; Dorothea Nolde: Was ist Diplomatie und wenn ja, wie viele? Herausforderungen und Perspektiven einer Geschlechtergeschichte der frühneuzeitlichen Diplomatie, in: Historische Anthropologie. Kultur – Gesellschaft – Alltag 21 (2013), S. 179 – 198; Corina Bastian: Verhandeln in Briefen. Frauen in der höfischen Diplomatie des frühen 18. Jahrhunderts. Köln 2013; Eva Kathrin Dade: Madame de Pompadour. Die Mätresse und die Diplomatie. Köln 2010; Katrin Keller: Mit den Mitteln einer Frau. Handlungsspielräume adliger Frauen in Politik und Diplomatie, in: Thiessen/Windler (Hrsg.), Akteure der Außenbeziehungen, S. 219 – 244; Nicole Reinhard: Les relations internationales à travers les femmes au temps de Louis XIV, in: Revue d’histoire diplomatique 117/3 (2003), S. 193 – 230; Anuschka Tischer: Eine französische Botschafterin in Polen 1645 – 1646. Die Gesandtschaftsreise Renée de Guébriants zum Hofe Wladislaws IV., in: L’Homme 12/2 (2001), S. 305 – 321. Jüngste Ansätze in Jonas van Tol: Germany and the French Wars of Religions, 1560 – 1572. Leiden/Boston 2019. Vgl. z. B. Halvard Leira: A conceptual history of diplomacy, in: Costas M. Constantinou/ Pauline Kerr/Paul Sharp (Hrsg.), The SAGE Handbook of diplomacy. Los Angeles 2016, S. 28 – 38. von Thiessen, Diplomatie vom type ancien, S. 471. Braun, Einleitung, S. XXII; Kampmann u. a., Von der Kunst des Friedensschließens, S. 18.
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beide eine handlungsleitende Dimension besitzen und in der Diplomatiegeschichte eng ineinandergreifen. Besonders deutlich wird dies, wenn die jüngere Forschung²³ den „zweckferneren Begriff des Wissens“ auf den Begriff der Information verengt, die Information wiederum von der bloßen Nachricht abgrenzt und begriffsgeschichtlich herleitet, dass darunter ein dreistufiger Prozess der Kenntnisgewinnung²⁴ und -nutzung zu verstehen sei. Dieser Prozess könne letztlich einer Entscheidung oder Handlung zugrunde gelegt werden. Den Schritt von der Information zur Entscheidung²⁵ gelte es jedoch nicht kausal oder linear, sondern in jedem Falle komplex zu denken, da nicht alle Informationen entscheidungsrelevant gewesen seien.²⁶ Eine Information habe gerade in der Diplomatie mindestens drei weitere Funktionen besessen und zum einen dem Überblick, der Unsicherheitsminimierung und Vorsorge, zum anderen als eine Art Währung zum Erlangen und Sichern von Patronage und nicht zuletzt als legitimierendes Symbol für Effizienz und Kompetenz dienen können.²⁷ In den Beiträgen des Sammelbandes werden diese Spielarten der Funktionalisierung von diplomatischen Informationen bzw. im weitesten Sinne von Wissensbeständen beispielhaft beleuchtet, aber auch das auf Informationen und Wissen basierende diplomatische Handeln hinterfragt. Die Zweiteilung des Bandes soll die jeweilige Gewichtung trotz der engen Verknüpfung beider Aspekte widerspiegeln. Im ersten Teil finden sich daher Fallstudien, die sich vornehmlich auf Erwerb, Übermittlung, Anwendung oder Funktionalisierung diplomatischen Wissens konzentrieren, während im zweiten Teil diese Aspekte zwar ebenfalls eine Rolle spielen, aber
Vgl. Brendecke/Friedrich/Friedrich, Information als Kategorie, bes. S. 30. Zur Informationsbeschaffung und Spionage vgl. jüngst z. B. Akkermann, Invisible Agents; Matthias Pohlig: Marlboroughs Geheimnis. Strukturen und Funktionen der Informationsgewinnung im Spanischen Erbfolgekrieg. Köln u. a. 2016; Patrick H. Martin: Elizabethan espionage. Plotters and spies in the struggle between Catholicism and the crown. Jefferson/NC 2016; AnneSimone Rous/Martin Mulsow (Hrsg.): Geheime Post. Kryptologie und Steganographie der diplomatischen Korrespondenz europäischer Höfe während der Frü hen Neuzeit. Berlin 2015; Susanne Friedrich: Drehscheibe Regensburg. Das Informations- und Kommunikationssystem des Immerwährenden Reichstags um 1700. München 2007. Vgl. z. B. Philip Hoffmann-Rehnitz/André Krischer/Matthias Pohlig: Entscheiden als Problem der Geschichtswissenschaft, in: ZHF 45 (2018), S. 217– 281; Sven Externbrink: Kommunikation – Information – Außenpolitik. Frankreich und Brandenburg-Preußen zur Zeit des Siebenjährigen Krieges (1756 – 1763), in: Ralf Pröve/Norbert Winnige (Hrsg.), Wissen ist Macht. Herrschaft und Kommunikation in Brandenburg-Preußen 1650 – 1850. Berlin 2001, S. 157– 176. Vgl. Pohlig, Marlboroughs Geheimnis, bes. S. 305 et passim; ders.: Informationsgewinnung und Entscheidung. Entscheidungspraktiken und Entscheidungskultur der englischen Regierung um 1700, in: Arndt Brendecke (Hrsg.), Praktiken der Frühen Neuzeit. Akteure – Handlungen – Artefakte. Köln/Weimar/Wien 2015, S. 667– 677. Pohlig, Marlboroughs Geheimnis, S. 313.
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das strategische, mithin planvolle und auf ein konkretes Ziel gerichtete Handeln diplomatischer Akteure im Vordergrund steht und die entsprechend dazu angewandten Methoden, Praktiken und Netzwerkaktivitäten analysiert werden.²⁸ Eröffnet wird der Band von Anna Lingnau, die mit den Methoden der Politolinguistik zeigt, wie sich aus dem Vokabular frühneuzeitlicher Gesandter deren Wissen herauskristallisieren lässt. Es geht somit um nichts weniger, als die Frage nach den Wissensbeständen, die in der diplomatischen Praxis Anwendung fanden. Als Beispiel dient der Gesandtschaftsbericht des brandenburgischen Legaten Friedrich Rudolf von Canitz (1654– 1699), der als Vermittler im Streit zwischen Hamburger Bürgerschaft und Senat tätig war und im Oktober 1685 seinem Dienstherrn über den Stand der Dinge berichtete. Der Konflikt bedrohte das fragile politische Gleichgewicht im Norden des Reiches, an dem auch Kurbrandenburg ein spezifisches Interesse hatte. Canitz wusste mit geschickter Wortwahl sich und seine Interaktionspartner innerhalb der europäischen Macht- und Rechtsverhältnisse zu verorten, die Partei der Hamburger Bürgerschaft zu ergreifen und die Strategie seines Dienstherrn als richtig und stimmig zu bestätigen. Er nutzte dazu (Fach‐)Begriffe, Fremdwörter und Ausdrücke, die ein tiefes Wissen um lang tradierte Konfliktlösungsstrategien, etablierte Verfahrenswege, institutionelle und rechtliche Traditionen und nicht zuletzt geltende politische Theorie(n) und Fremdsprachenkenntnisse spiegeln. Canitz scheint diese komplexe politische Sprache kaum ausschließlich aus seiner beruflicher Empirie, wohl aber durch Lektüre seiner gut bestückten Privatbibliothek erworben zu haben, in der entsprechende Buchbestände nachgewiesen werden konnten. Die Empfehlungen zum Erwerb von diplomatischem Erfahrungswissen nimmt sodann Winfried Siebers in den Blick, wenn er die Apodemik von Ehrenfried Walther von Tschirnhaus aus dem Jahre 1727 analysiert. Ausgangspunkt bildet die Erkenntnis, dass sich die Erwartungen an hohe Fürstendiener im auswärtigen Dienst grundsätzlich mit den Erfahrungen und Fähigkeiten deckten, die auf einer Kavalierstour idealerweise erworben werden sollten. Tschirnhaus selbst scheint dies bewusst gewesen zu sein: Auch wenn er sein Werk nicht ausschließlich an diplomatische Akteure adressiert, zeigt er sich überzeugt, dass das Reisen gerade für angehende Gesandte eine ideale Vorbereitung sei. Denn nur dabei sei es möglich, Fremdsprachen, Rhetorik und Gesprächsführung, Umgangsformen des höfischen Zeremoniells sowie die adäquate akteursbezogene Grundlegend zu historischen Praktiken vgl. jüngst z. B. Tracey A. Sowerby/Joanna Craigwood (Hrsg.): Cultures of Diplomacy and Literary Writing in the Early Modern World. Oxford 2019; Brendecke, Praktiken der Frühen Neuzeit; Dagmar Freist: Diskurse – Körper – Artefakte. Historische Praxeologie in der Frühneuzeitforschung. Bielefeld 2015, S. 9 – 30; Lucas Haasis/Constantin Rieske (Hrsg.): Historische Praxeologie. Dimensionen vergangenen Handelns. Paderborn 2015.
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Kontaktaufnahme vor Ort zu beobachten, selbst praktisch einzuüben und zu verfeinern. Zudem könnten politische Prozesse aus eigener Anschauung heraus erfasst sowie Informationsakquise, Länderkunde und Verfassungsanalyse betrieben werden. Tschirnhaus gab seinen Lesern dafür einen Katalog an Fragen und zahlreiche Regeln an die Hand und mahnte, dass das studium politicum auf Reisen für einen politicus essentiell sei und sich mit Buchwissen zwar ergänzen, aber nicht ersetzen ließe. Seine zeittypische Apodemik lässt sich demzufolge als Bildungsratgeber und Praxisanleitung lesen, wie und warum (angehende) Gesandte Erfahrung und Wissen für ihre spätere Tätigkeit erwerben sollten. Eine besondere Spielart der Funktionalisierung von Informationen aus der diplomatischen Praxis zeigt sodann Julian zur Lage am Beispiel von William Robertsons Geschichtswerk „History of America“ (1777), in dessen Vorwort suggeriert wird, das Buch basiere auf dem Exklusivwissen erfahrener Diplomaten. Diese Behauptung erweckte bereits das Interesse der jüngeren Forschung, die belegen konnte, dass William Robertson Amerika selbst nie bereist hatte, dennoch über umfangreiches diplomatisches Quellenmaterial verfügte, es letztlich aber – wahrscheinlich weil es etablierten Lehrmeinungen widersprach – nicht einarbeitete. Zur Lage hinterfragt dies, indem er Robertsons Verbindungen zu Diplomaten sowie die Motive und Interessen aller Beteiligten untersucht. Er kann so zeigen, dass weniger die Inhalte als vielmehr die bloßen Kontakte von Bedeutung waren. Die Diplomaten dienten offenbar nur bedingt als Informationslieferanten und sollten stattdessen als Gewährsmänner Robertsons Buchwissen legitimieren und dem Werk „Glaubwürdigkeit und Neuheitswert“ verleihen. Die Informationen waren demnach gar nicht dafür gedacht, inhaltlich eingearbeitet zu werden, sondern sollten Kompetenz symbolisieren. Die zwei folgenden Beiträge von David Gehring und Katharina Möhle untersuchen aus unterschiedlichen Blickwinkeln das Agieren des englischen Gesandten Robert Beale. Gehring wendet sich dem bisher unerforschten jungen Beale zu und (re)konstruiert dessen Lebens- und Bildungsweg durch Europa im konfessionellen Zeitalter. Er zeigt, an welchen Orten und über welche Kontakte sich Beale Wissen aneignen konnte und wie und in welchem Maße ihn dies später als Gesandten der englischen Krone beeinflusste. Der bisherige Forschungsstand über den Wissens- und Kompetenzerwerb diplomatischer Akteure vor ihrer offiziellen Verpflichtung wird dadurch am Fallbeispiel bestätigt und um die These erweitert, dass intellektuell-konfessionelle Aufgeschlossenheit und die Vertrautheit mit wechselnden konfessionellen Umfeldern für erfolgreiche Diplomatie in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts offenbar entscheidend gewesen sind. Katharina Möhle untersucht sodann, welche Art von Informationen über deutsche Fürsten Robert Beale für die englische Königin mit Blick auf mögliche Bündnisschlüsse als relevant erachtete und mit welchen narrativen Strategien er
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diese nach London berichtete. Neben den von der Forschung bereits analysierten religiösen, politischen und ökonomischen Aspekten scheinen auch die potentiellen Bündnispartner selbst und deren persönliche Eigenschaften ‒ in Hinsicht auf deren Charaktere sowie ihrer Vertrauenswürdigkeit und Reputation ‒ bedeutsam gewesen zu sein. Beale platzierte in seinem Bericht entsprechende Informationen über die Kurfürsten von der Pfalz und von Sachsen und versah sie mit einer subtilen Gewichtung, die deutlich macht, wer als Bündnispartner Englands präferiert werden sollte. Mit der Selektion und Narration der Informationen verband sich eine suggestive Deutungsmacht, die Beale als Berichterstatter ohne offizielles Amt offenbar gekonnt ausspielte. Den zweiten Teil eröffnet Stefanie Freyers Beitrag zum strategischen Einsatz von Falschinformationen bzw. Lügen in der Diplomatie. Als Beispiel dient das Agieren des englischen Gesandten Stephen Lesieur, der im Vorfeld des Reichstages 1613 ins römisch-deutsche Reich reiste, beim neuen Kaiser Matthias I. vorstellig wurde und ihn mit einer Lüge über die militärische Kraft der vermeintlich vereinten Protestanten Europas einzuschüchtern versuchte. Sein Ziel war es, den Frieden im Reich durch kaiserliche Zugeständnisse an die deutschen Protestanten zu stabilisieren. Warum er dafür den Kaiser in die Irre führen und emotional provozieren wollte, zeigen die mit einer Konsequenzanalyse ermittelten Handlungsoptionen, die sich Lesieur mit seinem Vorgehen offenhielt. Das Fallbeispiel wirft die Fragen auf, ob das Vorgehen ein Einzelfall oder eine Praktik der englischen Diplomatie um 1600 war und inwieweit die konstellationsorientierte Konsequenzanalyse, d. h. die Rekonstruktion der zeitgenössisch von den Gesandten durchgeführten Risikoabwägung, als Methode der Diplomatiegeschichte übertragbar ist. Astrid Ackermann untersucht das diplomatische Netzwerk Herzog Bernhards (1604‒1639), der als siebter Sohn des Weimarer Fürstenhauses zwar nicht an der Regierung beteiligt war, sich aber dennoch in der Position sah, ihm untergebene Diener mit Aufträgen ins Ausland zu schicken. Für ihn als Militärunternehmer scheint dies im Dreißigjährigen Krieg eine Notwendigkeit gewesen zu sein. Die Gesandten sollten Informationen beschaffen, politische Präsenz demonstrieren oder informell als Fürsprecher agieren. Er wählte sie mit Bedacht nach Sachlage, Loyalität, Konfession, Kompetenzen, Wissensbeständen und insbesondere nach ihren (in)formellen Netzwerken aus – und scheint dabei gezielt auf Pluralität gesetzt zu haben: Er beauftragte stets mehr als nur einen Gesandten mit dem gleichen Auftrag; seine Gesandten waren in der Regel mehreren Kriegsparteien bzw. Dienstherren verpflichtet und ihr diplomatischer Auftrag war stets einer unter vielen. Diese Erkenntnisse werfen zahlreiche weiterführende Fragen auf – beispielsweise inwiefern diese Praktik allein Bernhards individuelle Strategie darstellte, eine Eigenheit diplomatisch aktiver Militärunternehmer im Krieg war
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oder grundsätzlich das Agieren nicht-regierender, hochadeliger Akteure kennzeichnete. Das Fallbeispiel Bernhards von Weimar regt dazu an, verstärkt nichtregierende Akteure als Entsendende in den Blick zu nehmen und diplomatische Handlungsstrategien in Kriegs- und Friedenszeiten systematisch zu vergleichen. Auf Diplomatie in Kriegszeiten konzentriert sich auch Volker Arnke, wenn er seine projektierte Studie zur Dritten Partei des Westfälischen Friedenskongresses vorstellt. Das Eingreifen dieser konfessionsübergreifenden Gruppe aus mehreren, erst spät auf dem Kongress zugelassenen Reichsständen soll ab Ende 1647 essentiell dazu beigetragen haben, letzte strittige Punkte zu lösen, um die Friedensverträge erfolgreich zu beschließen. Die Forschung zeigt sich bisher unsicher, wer zu dieser Gruppe zählte, wer darin die treibende Kraft war, welche Rolle die katholischen Reichsstände spielten und vor allem wie es der Gruppe gelang, die anderen Kongressteilnehmer für jene Lösungen zu gewinnen, die den Weg zum Frieden letztlich ebneten. Um dies zu verstehen, sollen unter Rückgriff auf die Methoden der Verhandlungsforschung die Strategien, Verfahrensweisen und Mechanismen im Kommunikationsprozess der Dritten Partei aufgedeckt werden. Für die noch wenig erforschte Kongressdiplomatie verspricht die Studie somit grundlegende Erkenntnisse.²⁹ Die enge Verknüpfung von Wissen, eingeübten Handlungsmustern und Handlungsstrategien in der diplomatischen Praxis zeigt Claudia Kaufold am Beispiel von Agostino Steffani, der Ende des 17. Jahrhunderts schrittweise von der Musik in die Diplomatie wechselte und dabei Kenntnisse und Fertigkeiten von einem Metier ins andere übertrug. Steffani verhandelte als Münchner Kammermusikdirektor Eheprojekte mit den Welfen, was ihm trotz des Scheiterns ein hohes Ansehen in Hannover verschaffte. Dort wurde er danach offenbar gezielt als Musiker mit politischem Sachverstand angeworben, der ein politisches Programm repräsentativ, legitimierend und unterhaltsam auf die Bühne bringen sollte. Als er später auch von Hannover als informeller Agent eingesetzt wurde, griff er auf Arbeitspraktiken aus der Musik zurück, um das ihm fehlende diplomatische Handwerkszeug zu substituieren. Die Verbindung von Musik und Diplomatie in Personalunion wurde jedoch von der Gesellschaft nicht toleriert und führte dazu, dass Steffani nach seiner offiziellen Bestallung als envoyé extraordinaire nur noch vereinzelt und unter Pseudonym als Komponist tätig wurde. Sein Fallbeispiel unterstreicht die Notwendigkeit, stärker die Grenzen der Rollenvielfalt von informellen und offiziell beauftragten Gesandten zu hinterfragen und dabei auch Zur Kongressdiplomatie vgl. jüngst Dorothée Goetze/Lena Oetzel: Der Westfälische Friedenskongress zwischen (Neuer) Diplomatiegeschichte und Historischer Friedensforschung, in: H-SozKult, 20.12. 2019, (letzter Zugriff: 01.02. 2020).
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die für Steffani immer wieder karriereblockierenden Standesrestriktionen zu bedenken. Die wohl überdachte, von Erfolg gekrönte diplomatische Handlungsstrategie einer hochadligen weiblichen Akteurin analysiert Pauline Puppel am Beispiel des Überfalls auf die Erbstatthalterin der Niederlande,Wilhelmina von Preußen (1751– 1820). Als die Auseinandersetzung zwischen Patrioten und Parteigängern des Erbstatthalters die Niederlande Mitte der 1780er Jahre in einen Bürgerkrieg zu stürzen drohten, ersuchte die geborene Preußenprinzessin vergeblich zunächst ihren Onkel, später ihren Bruder um militärische Hilfe. Beide unterstützten Verhandlungen, lehnten aber Truppenhilfe ab – auch dann, als vieles darauf hindeutete, dass die Patrioten den Erbstatthalter zum Rücktritt zwingen wollten. Wilhelmina setzte daraufhin mit einer Provokation sowohl die feindlich gesinnten Patrioten als auch ihren Bruder unter Handlungszwang: Sie machte sich im Juni 1787 von Nimwegen, wohin sie sich mit Mann und Familie zurückgezogen hatte, auf den Weg nach Den Haag. Das patriotisch regierte Den Haag hatte zuvor mit einem Zutrittsverbot den Erbstatthalter von der Versammlung der Generalstände und somit von Regierungsentscheidungen ausgeschlossen. Die Prinzessin wollte nun eben dort auftreten, wurde aber zuvor von Patrioten unter Gewaltandrohung festgenommen. Der Preußenkönig konnte dies nicht tolerieren, befahl nach Verhandlungen mit England und Frankreich den Einmarsch in die Niederlande, besiegte die Patrioten, erreichte die Wiedereinsetzung des Erbstatthalters und verhinderte so einen Bürgerkrieg. Das geschickte und offenbar strategisch geplante Agieren Wilhelminas zeigt, über welche Handlungsmacht Fürstinnen in Außenbeziehungen verfügten und wie sie über die Rolle als Heiratsvermittlerin hinaus aktiv werden konnten, und gibt Anstoß, weitere Fallbeispiele auf etwaige geschlechtsspezifische Praktiken zu untersuchen. *** Zum Abschluss gebührt ein herzlicher Dank all jenen, die zum Gelingen der zahlreichen ergiebigen Diskussionsrunden und Arbeitsgespräche über frühneuzeitliche Diplomatie im Forschungszentrum IKFN beigetragen haben – darunter an erster Stelle den Autorinnen und Autoren, die sich zudem die Zeit genommen haben, ihre Beiträge für diesen Band in einen Aufsatz zu formen. Ein herzlicher Dank geht auch an Winfried Siebers und Cordula Hubert, die alle Aufsätze aufmerksam und akribisch lektoriert und redigiert haben. Samuel Arends und Tessa Edwards sei für das Erstellen des Personenregisters gedankt, ebenso Bettina Neuhoff für ihre geduldige Begleitung der Drucklegung.
Wissen frühneuzeitlicher Diplomatie
Anna Lingnau
Politische Sprache als Träger politischen Wissens Ein Gesandtschaftsbericht von Friedrich Rudolf von Canitz (1654 – 1699)
Abb. 1. Friedrich Rudolf von Canitz mit Apollo und der janusköpfigen Staatsklugheit sowie zahlreichen politischen Attributen (Kupferstichportrait, 1726)
https://doi.org/10.1515/9783110625431-002
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Im Laufe des 17. Jahrhunderts änderten sich die Vorstellungen dessen, was ein angehender Staatsmann über Politik wissen sollte: Die unabdingbare Voraussetzung für die federführende oder exekutive Teilhabe an Politik bestand nicht mehr nur in christlicher Frömmigkeit und der Kenntnis geltender Tugendkataloge, sondern auch in einem juristischen, territorialen und historischen Fachwissen, das durch gezielte Lernprogramme wie der notitia rerum publicarum erlernt werden konnte und durch politische Lektüreprogrammen gestützt wurde.¹ Während die Inhalte dieser Lernprogramme durch die Forschung bereits sehr gut nachvollzogen wurden, ist es methodisch schwer zu ermitteln, über welches politische Fachwissen ein einzelner politischer Akteur verfügte und inwiefern sich dieses mit gelehrten Idealen deckte. Zeitgenössische (auto‐)biographische Erzählungen sind meist an feste Narrative eines idealen (politischen) Bildungsganges gekoppelt und werden auf diesen hin ausgelegt. Der Ausbildungsgang, die familiäre Sozialisation, Reiseerfahrungen und Bibliotheken können dazu beitragen, ein Wissenspotential zu zeichnen, zu dem eine Person Zugang hatte.² Sie beantworten aber nicht die Frage, welche dieser Potentiale tatsächlich in der politischen Praxis ausgeschöpft wurden. Selbst wenn z. B. die Werke von Hugo Grotius, Machiavelli oder Pufendorf in der Bibliothek eines Rats oder Gesandten nachgewiesen werden können, bleibt meist unklar, ob und wenn ja wie die Argumente dieser Verfasser zur (De‐)Legitimation politischer Maßnahmen herangezogen wurden. Bei dieser Fragestellung empfiehlt sich vielmehr ein intensives Studium der unmittelbarsten Zeugnisse politischer Handlungen und Prozesse: des Gebrauchsschrifttums, das die Kommunikation beteiligter Akteure dokumentiert bzw. überhaupt erst ermöglicht. Insbesondere Gesandtschaftsberichte zeichnen eine oft detaillierte und authentische politische Biographie von Einzelpersonen.
Vgl. Merio Scattola: Der Anweisende Bibliothecarius. Politische Bibliographien als Instrumente der Bewahrung und Vermittlung von Wissen, in: Anette Syndikus/Frank Grunert (Hrsg.), Wissensspeicher der Frühen Neuzeit. Formen und Funktionen. Berlin, Boston 2015, S. 165 – 202; Wolfgang Weber: „Ein vollkommener Fürstlicher Staats-Rath ist ein Phoenix“. Perspektiven einer politischen Ideengeschichte der hohen Beamtenschaft, in: Zeitschrift für historische Forschung 21 (1994), S. 221– 233; ders.: Prudentia gubernatoria. Studien zur Herrschaftslehre in der deutschen politischen Wissenschaft des 17. Jahrhunderts. Berlin 1992; Arno Seifert: Staatenkunde – eine neue Disziplin und ihr wissenschaftstheoretischer Ort, in: Mohammed Rassem (Hrsg.), Statistik und Staatsbeschreibung in der Neuzeit.Vornehmlich im 16.–18. Jahrhundert.. Paderborn 1980, S. 217– 248. Herausragend vollzogen durch: Sabine Holtz: Bildung und Herrschaft. Zur Verwissenschaftlichung politischer Führungsschichten im 17. Jahrhundert. Leinfelden-Echterdingen 2002. Außerdem: Peter Bahl: Der Hof des Großen Kurfürsten. Studien zur höheren Amtsträgerschaft Brandenburg-Preußens. Köln 2001.
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Auch wenn explizite Verweise auf Literatur oder Gesetzestexte in aller Regel fehlen, bezeugen sie implizit das politische Fachwissen einer Person in Hinblick auf eine spezifische Sachlage. Über eine Analyse der Political Language und deren Abgleich mit dem angenommenen wissenssoziologischen Profil ihres Urhebers kann es gelingen, das in einem Text zum Tragen kommende politische Fachwissen herauszuarbeiten. In Hinblick auf diese Überlegungen soll deshalb der Gesandtschaftsbericht des brandenburgischen Legats Friedrich Rudolf von Canitz analysiert werden, der am 6. Oktober 1685 verfasst wurde.³ Friedrich Rudolf von Canitz war ein Gesandter und Geheimer Rat in Diensten von Friedrich Wilhelm I. und Friedrich III. von Brandenburg-Preußen. Er war Teil eines politisch-administrativen Mittelbaus, der zwar aus unprominenter, aber nicht unbedeutender Stellung heraus dazu beitrug, den fragilen politischen Gleichgewichtszustand der 1680er und 1690er Jahre aufrechtzuerhalten und militärische Konflikte verschiedener (Patronage‐)Mächte im Norden des Alten Reiches zu verhindern. Seine politische Biographie ist über die im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz in Berlin überlieferten Gesandtschaftsberichte und eine über hundert Seiten umfassende Lebensbeschreibung von Johann Ulrich König sehr gut dokumentiert.⁴ Durch seine posthum veröffentlichten Gedichte hinterließ Canitz seiner Nachwelt außerdem eine persönliche – wenn auch literarisch stilisierte – Wahrnehmung von sich, seiner gesellschaftlichen Rolle und seinem sozialen Umfeld.⁵ Von seinem Bildungs- und Wissenshorizont zeugt zusätzlich seine über 2000 Bände umfassende Privatbibliothek, die unmittelbar nach seinem Tod aufgelöst und 1700 im Rahmen einer Bücherauktion versteigert wurde.⁶ Der Auktionskatalog wurde im Rahmen einer Dissertation bereits umfassend untersucht.⁷ Er bezeugt die fast vollständige Bandbreite des politischen Schrifttums in Westeuropa und umfasst zahlreiche Korpora, deren Lektüre zeitgenössische Gelehrte als verpflichtend erachteten. –
Canitz am 6. Oktober 1685, Geheimes Staatsarchiv – Preußischer Kulturbesitz, Berlin (künftig: GStA PK), I. HA GR, Rep. 50, Nr. 28 Fasz. 211: Innere Angelegenheiten der Stadt Hamburg, Bd. 3. Johann Ulrich von König: Leben des Freyherrn von Canitz, in: ders. (Hrsg.): Des Freyherrn von Canitz Gedichte, Mehrentheils aus seinen eigenhändigen Schrifften verbessert und vermehret. Berlin/Leipzig 1734, S. 1– 112. Vgl. Friedrich Rudolph von Canitz: Gedichte. Hrsg. v. Jürgen Stenzel. Tübingen 1982 (Nachdruck der Ausg. Leipzig und Berlin 1727). Joachim Lange [erm. Verfasser]: Bibliotheca Caniziana consueto auctionis Berolini. Friedrichswerder 1700. Ein unvollständiges Exemplar wurde von der BSB München digitalisiert (Sign. Cat. 123 m), ein weiteres befindet sich in der Bibliothek des Oberlandesgerichts Celle (Sign. B XI 101). Vgl. Anna Lingnau: Lektürekanon eines Fürstendieners. Die Privatbibliothek des Friedrich Rudolf von Canitz (1654– 1699). (erscheint voraussichtlich 2021)
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Doch welche dieser Inhalte Canitz für seine politische Ausbildung und Information rezipierte, ließ sich auf Grundlage des Auktionskatalogs nicht bestimmen. Es kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossenen werden, dass die Bibliothek dem Gesandten als Nachrichtenquelle (also als Anlaufstelle für die Vorbereitung einer Gesandtschaft) diente: Denn wenn die konkreten politischen Handlungszusammenhänge, mit denen Canitz als Gesandter befasst war, überhaupt in den in seiner Bibliothek enthaltenen Schriften erwähnt werden, erschienen die Werke immer erst Monate oder sogar Jahre nach dem Abschluss der Gesandtschaft. Über Bücher und Flugschriften ließ sich im Vorfeld maximal die dynastische oder rechtliche Vorgeschichte eines Konflikts nachvollziehen, besseren Dienst leisteten Instruktionen oder der mündliche Austausch vor Ort.⁸
1 Canitz’ Bericht über die „Hamburgische Streitsache“ aus dem Jahr 1685 Am 6. Oktober 1685 übersandte Canitz einen 12-seitigen handschriftlichen Bericht an Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg-Preußen (1620 – 1688) und informierte ihn über den aktuellen Stand der sogenannten Hamburgischen Streitsache, in die er seit Anfang des Jahres als brandenburgischer Legat involviert war.⁹ Hamburg befand sich schon seit einigen Jahren in Aufruhr. Der seit 1683 schwelende Konflikt zwischen dem Hamburger Senat und der Bürgerschaft eskalierte 1684, als Bürgermeister Heinrich Meurer (1643 – 1690) infolge heftiger Vorwürfe von Geheimnisverrat, Bestechlichkeit und Geldveruntreuung sein Amt niederlegte und danach entgegen der abgelegten Urfehde aus der Stadt floh und bei Georg Wilhelm von Braunschweig-Lüneburg (1624– 1705) Schutz fand.¹⁰ Da er zum Kaiserhof ebenfalls gute Beziehungen hatte, errang er einen kaiserlichen Schutzbrief und klagte vor dem Reichskammergericht gegen seine Enthebung. Parallel wehrte er sich gegen die Einziehung der von ihm gezahlten Kaution. Georg Wilhelm verlieh Meurers Forderungen Nachdruck, indem er hamburgische Gebiete besetzte, Kaufleute festsetzte und eine Handelssperre einrichtete.¹¹ Vgl. ebd., Kap. 3.5. Überlegungen zum politisch-praktischen Leistungspotential der Bibliothek von Canitz. Canitz am 6. Oktober 1685, in: GStA PK, Innere, Okt.–Dez. 1685. Vgl. die vollständige Transkription (auf die sich auch die nachfolgenden Zeilenangaben beziehen) im Anhang. Vgl. Georg Nicolaus Bärmann: Hamburgische Chronik von der Entstehung der Stadt bis auf unsere Tage. Hamburg 1822, S. 310 – 317. Vgl. Hans-Dieter Loose: Die Jastram-Snitgerschen Wirren in der zeitgenössischen Geschichtsschreibung, in: Verein für Hamburgische Geschichte. Zeitschrift des Vereins für Ham-
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Da Friedrich Wilhelm I. den Handel zwischen Brandenburg und Hamburg gefährdet sah und einen Einflussgewinn Georg Wilhelms über Hamburg fürchtete, sandte er Canitz zur Vermittlung an dessen Hof. Im steten Kontakt zur Hamburger Bürgerschaft versuchte Canitz, den Braunschweiger Herzog zum Einlenken zu bewegen, und erreichte zumindest die Freigabe der konfiszierten Güter und die Freilassung der in Gewahrsam genommenen Kaufleute. Je länger jedoch erfolglos um die Personalie Meurer verhandelt wurde, desto mehr stieg das Risiko, dass die von Cord Jastram und Hieronymus Snitger geführte Hamburger Bürgerschaft beim König von Dänemark politischen Beistand suchte, dem die „Streitsache“ wiederum eine Chance bot, die Lehnsherrschaft über die Handelsstadt zu gewinnen und im Folgejahr sogar ihre Eroberung zu versuchen. Mit der Involvierung Braunschweig-Lüneburgs und Dänemarks erreichte der Konflikt eine europäische Tragweite und drohte in einen Krieg zu eskalieren.¹² In seinem Bericht vom 6. Oktober 1685 dokumentiert und resümiert Canitz den Stand der Dinge: Er berichtet, dass man sich bezüglich der beschlagnahmten Waren und Güter zwar mittlerweile einig geworden sei und sie freigegeben hätte, die Beendigung der Streitsache jedoch immer noch am Bürgermeister Meurer scheitere, der sich unter dem Protektorat des Herzogs und des Kaisers in Celle befinde, während die Hamburger Bürgerschaft weiterhin seine Auslieferung fordere. Canitz sieht das Verhalten des Herzogs als problematisch an und unterstellt ihm, nur das „Meurerische Interesse“ (Z. 20) zu beachten. Er habe dem Herzog zu verstehen gegeben, wie bedauerlich es sei, wenn die Beilegung des Konflikts nur an der Meurerischen Frage scheitere, und ihn gebeten, auch die Ansprüche der Bürgerschaft ernst zu nehmen: Der Bürgermeister habe seine „gebohrenen unterthan, dar sich mit einem Cörperlichen Eyde verbunden“, im Stich gelassen, als er die Stadt verließ (Z. 32 f.). Man könne zwar argumentieren, dass er seinen Rückzug freiwillig begangen habe, um die Situation zu entspannen, allerdings habe er nach seinem Rücktritt eine „uhr fehde“ (Z. 42.) geschworen und gegen eine Kaution von 50 000 Talern versprochen in der Stadt zu bleiben (Z. 43) und
burgische Geschichte 53 (1967), S. 1– 20, hier S. 9 f.; Georg Schnath: Geschichte Hannovers im Zeitalter der neunten Kur und der englischen Sukzession 1674– 1714. Bd. 1: 1674– 1692. Hildesheim 1938, S. 361 f.; Bärmann, Hamburgische Chronik, S. 317– 319. Zum Konflikt vgl. Indravati Félicité: Das Königreich Frankreich und die norddeutschen Hansestädte und Herzogtümer (1650 – 1730). Diplomatie zwischen ungleichen Partnern. Köln 2017, S. 246 – 249; Max Immich: Geschichte des europäischen Staatensystems: 1660 – 1789. Darmstadt 1967, S. 126; Loose, Die Jastram-Snitgerischen Wirren; Schnath, Geschichte Hannovers, S. 361 f.; Samuel von Pufendorf: De Rebus Gestis Friderici Wilhelmi Magni, Electoris Brandenburgici, Commentariorum Libri Novendecim. Berlin 1695, Kap. XIX, § 21– 24 (Bibliotheca Caniziana: Ms,II,9 und Ms,II,192).
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„keine frembde dienst anzunehmen“ (Z. 43 f.). Auch wenn ihn der Kaiser (auf Basis von Meurers einseitiger Berichterstattung) nachträglich von seinem Eid entbunden habe, habe er seinem „vaterlande, dem zum besten ein bonus civis sein eigenes Interesse aufopfern sollte […] tausend unlust und schaden zugefüget“ (Z. 49 f.). Zudem berichtet Canitz, den Herzog dazu ermahnt zu haben, die Rechte der Stadt Hamburg zu wahren und ernst zu nehmen. Die Stadt sei dem Herzog an Macht zwar nicht gleichgestellt, aber immerhin ein „Stand deß Reichs“ (Z. 54), der beanspruchen kann, lokal angeklagte Personen in erster Instanz zu verurteilen. Wenn der Herzog dieses Recht missachte, könne dies einen Präzedenzfall schaffen, der dazu führe, dass jeder flüchtige Schuldige sich einen „patron“ (Z. 63) suche und sich beim Kaiser um Absolution bemühe, ohne sich zunächst der lokalen Gerichtsbarkeit zu stellen. Der Bürgerschaft Hamburg gehe es nicht darum, die Autorität des Kaisers infrage zu stellen, sondern einzig und allein darum, Meurer vor Gericht zu bringen. Im Anschluss referiert Canitz die Gegenantworten des Herzogs: Dieser sei davon ausgegangen, dass Meurer seine Zugeständnisse nur deshalb gemacht habe, weil er „von der populace allein gezwungen worden“ (Z. 80) und um sein Leben gefürchtet habe. Von vielen der Meurer zur Last gelegten Verbrechen habe der Herzog bisher nichts gewusst und sehe sich auch nicht in der Lage, seine Schuldlast zu beurteilen. Er wolle zwar auch eine Befriedung des Konflikts herbeiführen, allerdings seien ohne Zustimmung des Kaisers derzeit keine weiteren Aktionen möglich. Insgesamt, so Canitz, tendiere man dazu, „ein point d’honneur“ (Z. 96 f.) daraus zu machen. Nachdem er Meurer nun in seinen Schutz genommen habe, bedeute seine Auslieferung eine Gefahr für die Wahrung der „Keyserl. und eigene[n] fürstl. Authoritet“ (Z. 99). Eine Unterredung mit dem Geheimen Rat Andreas Gottlieb von Bernstorff (1649 – 1726) habe dies noch einmal bestätigt: „so ferne ihme [i. e. Meurer] die Stadt eines thalers werth einziehen sollte“, würden die Beschlagnahmungen von Schiffen und Waren durch den Herzog sofort wieder aufgenommen, „biß sie völlige satisfaction erhalten hetten“ (Z. 104 – 107). Canitz selbst habe den Erfolg einer solchen Handelssperre vor Bernstorff demonstrativ in Zweifel gezogen: Man könne den hamburgischen Handel nicht sperren, da dieser auf andere Territorien umgeleitet werden könne. Zudem würden sich solche Gewaltmaßnahmen wider die hamburgische „libertet“ richten (Z. 113). Man riskiere es außerdem, andere Potentaten, die sich „an der sicherheit der Elbefarth interessierten“, gegen sich aufzubringen (Z. 117 f.).
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2 Kategorien der Politolinguistik Die in der Paraphrase des Gesandtschaftsberichts vollzogenen Zitationen offenbaren ein sehr aussagekräftiges politisches Vokabular, das auf ein umfassendes Fachwissen schließen lässt. Die heutige Politolinguistik nach Josef Klein unterscheidet in vier Wortfelder, aus der sich die politische Sprache zusammensetzt und an die jeweils spezifische Wissensgebiete angegliedert sind: das Institutionenvokabular, das Ressortvokabular, das Interaktionsvokabular und das Ideologievokabular.¹³ ‒ Das Institutionsvokabular zeichnet den strukturellen Rahmen politischen Handelns und benennt Organisationen, die zugehörigen Vertreter und Bezeichnungen für normierte Verfahrenswege. Von Josef Klein unberücksichtigt bleiben die in frühneuzeitlichen Texten omnipräsenten Anredeformen, die ebenfalls zum Institutionsvokabular gezählt werden müssen. Sie bestimmen nicht nur den Status und die Betitelung eines politischen Akteurs, sondern markieren auch die Beziehung der Akteure untereinander. ‒ Als Ressortvokabular gilt solches Expertenwissen, das aus einem anderen der Politik nahestehenden Wissensfeld in die politische Sprache transferiert wird; in der Frühen Neuzeit betrifft dies vor allem die (fachlich noch nicht sehr weit entwickelte) Ökonomie, die Theologie und das sprachlich hochspezialisierte Rechtswesen. Auch für lokale oder situative Spezifika kann sich eine Fachsprache ausbilden, die unbeteiligten Personen unbekannt oder nicht verständlich ist.¹⁴ Die Politik an sich entwickelt nur selten ein hochtechnisiertes Fachvokabular, weil sie sich auch schon in der Frühen Neuzeit an eine (teils schon gesellschaftsübergreifende) Öffentlichkeit richtete, die Legitimationsstrategien erst verstehen musste, um sie zu befürworten und zu verbreiten. ‒ Das allgemeine Interaktionsvokabular umschreibt Wortformen, die in Bezug auf die Politik sehr häufig vorkommen, aber nicht exklusiv politisch sind; dies sind vor allem Verben, über die sich politisches Handeln gestaltet, sowie längere Floskeln und Ausdrücke. ‒ Das Ideologievokabular bezieht sich auf den Wertekanon einer Person und favorisiert Prinzipien politischen Handelns und Denkens, über die Hand-
Entworfen von Karl Dieckmann, vgl.: Karl Dieckmann: Sprache in der Politik. Einführung in die Pragmatik und Semantik der politischen Sprache. Heidelberg 1969. Ausgebaut durch Josef Klein: Wortschatz, Wortkampf, Wortfelder in der Politik in: ders., Grundlagen der Politolinguistik. Ausgewählte Aufsätze. Berlin 2014, S. 59 – 102, hier S. 60 – 67. Vgl. Klein, Wortschatz, S. 62 f.
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lungen erklärt und legitimiert werden können. Das Ideologievokabular baut dementsprechend auf einen höheren Bekanntheitsgrad, wird von verschiedenen Akteuren in Anspruch genommen und oft kontrovers diskutiert. Obgleich die Methoden der Politolinguistik primär für die Analyse der neuesten und Zeitgeschichte entwickelt wurden, bietet sich ihre Anwendung (unter der Voraussetzung eines meist noch begrenzten Öffentlichkeitsbegriffs) auch auf frühneuzeitliche Kontexte an. Die Ausbildung von Expertenkulturen und Fachsprachen ist nichts spezifisch Neuzeitliches, sondern lässt sich für fast alle historischen Episoden nachweisen.¹⁵
3 Sprachliche Analyse des Canitz’schen Briefes Institutionenvokabular Canitz bedient sich des Institutionenvokabulars intuitiv. Es bezieht sich primär auf die Stadt Hamburg (Statt Hamburg, Bürgerschafft, Bürgermeister, Magistrat)¹⁶ und das Herzogtum Braunschweig-Lüneburg (lüneburg. Territorium, Hannoverische Geheimbde Rähte, Hertzog/Hertzogin Durchlaucht),¹⁷ peripher aber auch auf den Kurfürsten von Brandenburg (Durchlauchtigster Churfürst, gnädigster Herr)¹⁸ sowie das Reich und den Kaiser (Kayserlicher Hof, Stand deß Reichs, Ihre Kayserliche Mayestet).¹⁹ Canitz selbst tritt gegenüber dem Kurfürsten als Unterthänigster treü gehorsamster knecht in Erscheinung.²⁰ Das zunächst banal anmutende institutionelle Vokabular besaß einen nicht zu unterschätzenden Wert: Es schuf einen festen strukturellen Rahmen, innerhalb dessen Canitz sich und seine In-
Vgl. Martin Mulsow: Expertenkulturen, Wissenkulturen und die Risiken der Kommunikation, in: Björn Reich u. a. (Hrsg.): Wissen, maßgeschneidert. Experten und Expertenkulturen im Europa der Vormoderne. Berlin/Boston 2012, S. 249 – 268, hier S. 249 f.: „Das Göttinger Graduiertenkolleg ‚Expertenkulturen des 12. bis 16. Jahrhunderts‘ diagnostiziert zu Recht einen Prozess der Überformung von Kultur durch Expertenwissen, der sich seit dem 12. Jahrhundert durch das Mittelalter zieht und sich in der Frühen Neuzeit nur fortsetzt, nicht etwa dort erst einsetzt.“ Transkription: Statt Hamburg (Z. 28), Bürgerschafft (Z. 36), Bürgermeister (Z. 14 f.), Magistrat (Z. 40) Transkription: lüneburg. Territorium (Z. 116), Hannoverische Geheimbde Rähte (Z. 8 f.), Hertzog/ Hertzogin Durchlaucht (Z. 4, 24 f.). Transkription: Durchlauchtigster Churfürst, gnädigster Herr (Z. 1 f.). Transkription: Kayserlicher Hof (Z. 48), Stand deß Reichs (Z. 54), Ihre Kayserliche Mayestet (Z. 65). Transkription: Unterthänigster treü gehorsamster knecht (Z. 130).
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teraktionspartner positionieren konnte. Er musste sie nicht persönlich kennen, um mit den Rechten und Pflichten zu kalkulieren, die an Ämter und die Machtgefälle zwischen ihnen gekoppelt waren. Canitz’ institutionelles Vokabular barg das Wissen um lang tradierte Lösungen für schon zum Abschluss gebrachte Konflikte oder Verhandlungen – weder er noch seine Interaktionspartner mussten also Energie darauf verwenden, sie erneut auszufechten, wenn sie es nicht darauf anlegten. Sie konnten sich gewohnheitsmäßig an etablierten Verfahrenswegen orientieren bzw. im Konfliktfall an sie appellieren.²¹ Dies beweist kaum besser die Floskel des bekandter maßen wolhergebrachten Rechts, die Canitz heranzieht, um den Herzog von Braunschweig-Lüneburg auf seine Missachtung des Rechtsstatus der Stadt Hamburg hinzuweisen: Ich müste zwar muthmaßen, daß Ihre Dl. nachdem sie dem Meurer einmahl dero protection versprochen, sich schwerlich entschließen könten, Ihn zu abandonniren, ich wüste aber auch woll, daß sie so gerecht wären, und einer Statt, die bekandter maßen ein Stand deß Reichs wäre, ihre erste instantz und wollhergebrachtes Recht zu hemmen nicht verlangen würden.²²
Die Argumentation, die Canitz betreibt, begründet sich nicht an der eigentlichen Sachlage, sondern ausschließlich an der institutionellen und rechtlichen Tradition, die wortwörtlich als bekannt vorausgesetzt wird.²³ Der Ausbau, die Differenzierung und die Normierung des Institutionenvokabulars wurde in der Frühen Neuzeit durch die Erfindung des Buchdrucks massiv befördert: Ein und derselbe Text konnte in hoher Auflage ohne Fehlabweichungen reproduziert und verbreitet werden. Das beweist allein Canitz’ Bibliothek, in der das Institutionenvokabular in sämtlichen Werken zur neueren Geschichte, zur Zeitgeschichte und zum Rechtswesen sowie in veröffentlichten Akten und Vertragsdokumenten omnipräsent ist und das oft schon im Titel als Lerninhalt beworben wird.²⁴ Das zugehörige Vokabular konnte also durch die beiläufige bzw. ganz gezielte Lektüre dieser Werke ausgebaut und gestärkt werden. Vgl. Lingnau, Bibliotheca Politica. Transkription: Z. 51– 55. Vgl. Art. Wohlhergebracht, oder Wohlerlangt, in: Johann Heinrich Zedler (Hrsg.): Großes vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste. 64 Bde. Halle/Leipzig 1731– 1754, Bd. 58, 1748 (Wo–Woq), Sp. 141: „Wohlhergebracht, oder Wohlerlangt, wird in den Rechten besonders von den Gewohnheiten und Gerechtigkeiten gesagt, die sich entweder auf einen langen und ungestöhrten Gebrauch beziehen, oder zu deren Genuß und Besitz jemanden durch erlaubte und rechtmäßige Mittel und Wege zugekommen.“ Vgl. z. B. Hermann Conring/Philipp Andreas (Hrsg.): Oldenburger: Thesaurus Rerum Publicarum. Bd. 1– 4. Genf 1675 (Bibliotheca Caniziana: Miscellanei, 8°, Nr. 55); Johann Christoph Beckmann: Noticia Dignitatum Illustrium Civilium, Sacrarum, Equestrium. Jena 1677 (Bibliotheca
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Ressortvokabular Ähnliches gilt für das in dem Gesandtschaftsbericht zum Tragen kommende Ressortvokabular. In Canitz’ Argumentation fließen vor allem wirtschaftliche und rechtliche Überlegungen mit ein, die an entsprechende Fachwörter gekoppelt sind. Ein wirtschaftlicher Begriff ist der von Canitz zweimal erwähnte Effect, der das Vermögen eines Kaufmanns umschreibt.²⁵ Obwohl er ansonsten immer wieder auch das Handelswesen der Stadt Hamburg thematisiert, fallen kaum Formulierungen auf, die einem wirtschaftlichen Ressort zuzuordnen wären oder speziell einem angegliederten Personenkreis bekannt sind. Anders verhält es sich in Bezug auf rechtswissenschaftliches Vokabular aus dem Jus Civile, dem öffentlichen Recht und dem Gewohnheitsrecht. Hier brachte Canitz schon einiges an Vorwissen mit, da er während seines Studiums sowohl in Leiden als auch in Leipzig rechtswissenschaftliche Vorlesungen besucht hatte.²⁶ Canitz betont den Status der Stadt Hamburg (Stand deß Reichs) und das dazugehörige Recht, eine lokal angeklagte Person primam instantiam zu befragen.²⁷ Er sieht die Gefahr eines Präjudiz (praejudicium), das im Reich Schule machen und die Stände unterminieren würde.²⁸ Weiterhin benutzt er Floskeln, die in der juristischen Argumentation bestimmend sind, wie die conditio sine qua non und die remonstratio. ²⁹ Aus dem deutschen Gewohnheitsrecht stammt indes der Begriff der uhr fehde, die Meurer bei seinem Rückzug aus der Stadt auf Vermittlung des Magistrats hin schwor.³⁰ Über diese im Reich sehr verbreitete Praxis sollte gewährleistet werden, dass ein Schuldiger die verantwortlichen Richter unbehelligt ließ und sein Urteil
Caniziana: Miscellanei, 4°, Nr. 216); Karl Scharschmidt: Systema Juris Publici Romano-Germanici. Quo succincte Solida ejus fundamenta, controversiae Leges fundamentales, Acta & Diplomata […] tractantur. Frankfurt M. 1677 (Bibliotheca Caniziana: Iuridici, 8°, Nr. 41). Transkription: Z. 17. Vgl. außerdem: Art. Effecten, in: Zedler (Hrsg.), Großes vollständiges Universal-Lexicon, Bd. 8, 1734 (E), Sp. 282: „Effecten, wird das Vermögen eines Kaufmannes an Waaren und Gütern genennet.“ Vgl. Album studiosorum Academiae Lugduno Batavae. MDLXXV–MDCCCLXXV; accedunt nomina curatorum et professorum per eadem secula. Leiden 1875, Sp. 570. In der an der Universität Leipzig verfassten historisch-politischen Dissertatio von Canitz befindet sich ein Grußwort des Juristen Friedrich Geißler, was vermuten lässt, dass er auch dessen Lesungen besuchte, vgl.: Friedrich Rudolf von Canitz/Jacob Thomasius: Dissertatio Historico-Politica De Cautelis Principum Circa Colloquia Et Congressus Mutuos […] Fridericus Rudolphus Ludovicus a Kanitz […] A. & R. Leipzig 1674, § XLVII. Transkription: Stand deß Reichs (Z. 54), primam instantiam (Z. 83). Transkription: praejudicium (Z. 61). Transkription: conditio sine qua non (Z. 69), remonstratio (Z. 71). Transkription: uhr fehde (Z. 42).
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nicht vor höheren Gerichten in Zweifel zog.³¹ Auch wenn Canitz mitunter die Aussagen des Herzogs bzw. die von Bernstorff nacherzählt,³² erfordern seine Paraphrasen ein tieferes Verständnis für reichsrechtliche Prozesse und zeugen von einer intuitiven Anwendung juristischen Fachvokabulars.
Allgemeines Interaktionsvokabular Das allgemeine Interaktionsvokabular von Canitz ist massiv durch Fremdwörter geprägt, die unverändert ins Deutsche integriert oder grammatikalisch angeglichen werden. Insbesondere die lateinische Sprache scheint da einzusetzen, wo die deutsche scheinbar nicht als exakt und präzise genug empfunden wurde. Das betrifft insbesondere angeglichene lateinische Verbformen: Die Stadt Hamburg wird durch Bedrohungen intimidirt, Schiffe werden arrestirt, mit der Stadt versucht man sich zu accommodiren, Canitz bemüht sich, „die intention hiesiges Hofes“ zu penetriren, es wird appellirt, procedirt, resolvirt, praevaliert, abandonnirt und ponderirt. ³³ Die von Canitz gewählten lateinischen Substantive entstammen einem juristischen Ressortvokabular (remonstratio, recess, mediation) oder sind bereits mit einer starken politischen Konnotation belegt (rationes, interesse, respect, protectionum, potentat).³⁴ In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts fand die lateinische Sprache in Reinform immer weniger mündliche Ausdrucksformen. Als transnationale Verhandlungssprache spielte sie – zumindest in Gesandtschaftsberichten und Korrespondenzen – kaum noch eine Rolle, hier gewann das Französische immer mehr an Bedeutung.³⁵ Doch an den deutschen Universitäten und innerhalb der dort erscheinenden Publikationen blieb die Deutungshoheit der lateinischen Sprache weiterhin bestehen. Das demonstriert wiederum die Canitz’sche Privatbibliothek: Diese bestand zu 38 Prozent aus lateinischen Titeln. In der Geschichte und in der Politik betrug der Anteil ebenfalls etwas mehr als ein Drittel. Von Geleistet im Juni 1684, vgl. Meurer’s Resignation, Urfehde und Caution, in: Leonhard Wächter: Historischer Nachlass. Hrsg. von C[hristian]. F[riedrich]. Wurm. Bd. 1. Hamburg 1838, S. 365 – 372, hier S. 370. Transkription, Z. 76 – 93, 120 – 125. Transkription: intimidiren (Z. 100), arrestiren (Z. 11), accommodiren (Z. 88), die intention hiesiges Hofes penetriren (Z. 10 f.), appelliren (Z. 39), procediren (Z. 38), resolviren (Z. 10), praevalieren (Z. 57), abandonniren (Z. 52), ponderiren (Z. 31). Transkription: remonstratio (Z. 71), recess (Z. 38), mediation (Z. 41), rationes (Z. 31), interesse (Z. 20, 50), respect (Z. 66, 71), protectionum (Z. 52, 56), potentat (Z. 117). Heidrun Kugeler: „Le parfait Ambassadeur“. The Theory and Practice of Diplomacy in the Century Following the Peace of Westphalia. Oxford 2009, S. 34.
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190 rechtswissenschaftlichen Publikationen waren sogar 175, also 92 Prozent, lateinisch. Insofern verwundert nicht, dass ein Gesandtschaftsbericht zwar nicht mehr auf Latein verfasst wird, aber immer noch von lateinischen Fremdwörtern und Phrasen durchsetzt ist, die eine in politischen und rechtlichen Fragen unvermindert starke gelehrte Deutungshoheit erkennen lassen, die in der französischen Politik schon lange nicht mehr gegeben war.³⁶ Parallel fallen in dem Gesandtschaftsbericht einige französische Anleihen ins Auge, sie sind quantitativ jedoch deutlich seltener als solche aus dem Lateinischen. Viele der von Canitz verwendeten französischen Wörter dienen zur Umschreibung strategischer Maßnahmen (avantage, rigueur, ouvertüre, intriguen, attrappieren, mainteniren, mesures),³⁷ nur in zwei Fällen verwendet Canitz eine komplexere Phrase: Er spricht etwas despektierlich von der particulier querelle, die sich um den Bürgermeister Meurer drehe, und unterstellt dem Herzog von Braunschweig-Lüneburg, seine Strategie allein auf den point d’honneur hin auszurichten.³⁸ Canitz beherrschte sowohl die französische als auch die lateinische Sprache fließend.³⁹ Doch obwohl in seinen Gedichten und in seiner Bibliothek eine ausgeprägte Gallophilie ersichtlich wird, ist sein professioneller Duktus von einem mehrheitlich lateinischen Ressort- und Interaktionsvokabular geprägt. Canitz bewegte sich hier in einer markanten zeitlichen Phase, da die transnationale Kommunikationssprache zum Ende des 17. Jahrhunderts aufs Französische umschwenkte. Das allgemeine Interaktionsvokabular Canitz’ scheint von diesem Umschwung im Jahr 1685 jedoch nur geringfügig beeinflusst worden zu sein. Von den vor 1686 erschienenen Titeln in Canitz’ Büchersammlung ist ebenfalls nur ein relativ kleiner Anteil auf Französisch publiziert worden (24 Prozent). Bei der Untersuchung der Bibliothek konnte nachgewiesen werden, dass der Sammler erst im Zuge der Zuwanderung der Hugenotten in seine Heimatstadt Berlin ein höheres Maß an französischer Literatur erwarb und wohl auch rezipierte.⁴⁰ Die
Michael Stolleis: Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland. Bd. 1: Reichspublizistik und Policeywissenschaft: 1600 – 1800. München 1988, S. 17. Transkription: avantage (Z. 70), rigueur (Z. 74), ouvertüre (Z. 89), intriguen (Z. 97), attrappieren (Z. 106), mainteniren (Z. 60), mesures (Z. 125). Transkription: particulier querelle (Z. 118 f.), point d’honneur (Z. 96 f.). Ersichtlich wird dies aus den in seiner Biographie zitierten Korrespondenzen und seiner zu Studienzeiten als A&R abgefasste dissertatio. Vgl. Canitz/Thomasius, Dissertatio; König, Leben, S. 74, 102. So erwarb er die Mehrheit seiner Werke wohl bei dem hugenottischen Buchhändler Robert Roger, vgl. Bücherrechnung von Robert Roger an Friedrich Rudolf von Canitz vom 30.10.1693, Franckesche Stiftungen zu Halle, AFSt/H A 22.
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Literatur der Erscheinungsjahre 1685 bis 1699 erschien zu 42 Prozent auf Französisch – Canitz hatte in diesen Jahren also einen deutlich besseren Zugang zur französischen Literatur.⁴¹ Es wäre zu prüfen, ob das Interaktionsvokabular der Gesandtschaftsberichte der 1690er Jahre entsprechend mehr französische Anteile aufweist.
Ideologievokabular Die inhaltlich markantesten Stellen des hier untersuchten Gesandtschaftsberichts finden sich dort, wo politische Ideologien und Überzeugungen zum Tragen kommen, die Canitz erwähnt oder vertritt. Die zu einzelnen Worten und Phrasen gehörigen Deutungszusammenhänge setzt Canitz als bekannt voraus. Er nutzt das Ideologievokabular vor allem dazu, die Argumente der Hamburger Bürgerschaft zu stärken. Das wollhergebrachte Recht, die städtische libertet, die natürliche Obrigkeit, der Status der Stadt Hamburg als Stand deß Reiches, die Wahrung der Keyserl. und eigenen fürstl. Authoritet, die gebohrenen unterthan und ein Cörperlicher Eyd verschlüsseln große und weit gefasste ideelle Komplexe, kontextbezogen verbirgt sich auch hinter der sicherheit der Elbefarth ein strategisches Grundprinzip.⁴² Der Umstand, dass jeder einzelne dieser Begriffe und Schlagworte einen Aufsatz oder eine Monographie rechtfertigen würde, beweist, welches Fachwissen nötig war, um mit ihnen zu argumentieren, zu legitimieren und zu überzeugen. Canitz baut darauf, dass der Kurfürst (dem er den Bericht schreibt) und der Herzog (dem er die geschilderte Argumentation zuvor vorgetragen hat) in etwa dasselbe über diese Worte wussten wie er selbst. Wenn Canitz argumentiert, dass „seinem Vaterlande […] zum besten ein bonus civis sein eigenes Interesse aufopffern“ sollte (Z. 49 f.), dann eröffnet er mit den Lemmata von Vaterland und bonus civis zwei schon in der Antike sehr beliebte Motive, die u. a. von Cicero, Sallust, Livius, Valerius Maximus und Plinius routiniert bespielt wurden.⁴³ Canitz besaß fast von jedem dieser Historiker und Staatsmänner eine oder mehrere
Vgl. Lingnau, Bibliotheca Politica, Kap. 3.3.3: Die Bibliothek als Zeugnis hugenottischen Kulturtransfers. Transkription: wollhergebrachtes Recht (Z. 54), libertet (Z. 113), natürliche Obrigkeit (Z. 35), Stand deß Reiches (Z. 54), Keyserl. und eigene fürstl. Authoritet (Z. 99), gebohrene unterthan (Z. 32 f.), Cörperlicher Eyd (Z. 33), sicherheit der Elbefarth (Z. 117 f.). Vgl. Art. „bonus, -a, -um“, in: Thesaurus Linguae Latinae. Bd. 2: An–Byzeres. Leipzig u. a. 1906, S. 2079 – 2127, hier S. 2081, Z. 74; 2082, Z. 15.
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Werkausgaben, von Cicero allein fünf.⁴⁴ Die ciceronischen Texte, in denen das Motiv des bonus civis⁴⁵ am häufigsten auftaucht, zitierte er schon in seiner dissertatio. ⁴⁶ In seinem Gesandtschaftsbericht instrumentalisiert er nun das tradierte Motiv des bonus civis, um die Anliegen der Hamburger Bürgerschaft und die daran gekoppelten Interessen seines Dienstherrn in ein rechtschaffenes Licht zu stellen. Insofern nutzt er die antiken Texte genau wie im späten 16. und 17. Jahrhundert von der Gelehrsamkeit gefordert: Er deutet und interpretiert einen aktuellen Sachverhalt auf Basis seiner Kenntnis tradierter Weisheiten und Prinzipien aus der Antike. Nach zeitgenössischen Maßstäben liefert Canitz damit ein Paradebeispiel von Staatsklugheit (prudentia civilis).⁴⁷ Im Gegenzug zum bonus civis erscheint der point d’honneur, den Canitz dem Herzog und seinen Räten als vordringlichstes „Interesse“ unterstellt, als ein schwaches und neumodisches Argument, das eher dem Kompetenzbereich eines honnête homme zuzurechnen ist als den tradierten adeligen Tugendkatalogen.⁴⁸ Wiederum lässt sich feststellen, dass die Debatte um den honnête homme (dem die honneur buchstäblich als zentrales Anliegen zugeschrieben wurde), in der Canitz’schen Bibliothek abgedeckt und rezipierbar ist.⁴⁹ Schon in seinen Satiren
Bis 1685: Marcus Tullius Cicero: Epistolae ad familiares. Amsterdam [Jahr unb.] (Bibliotheca Caniziana: Miscellanei, 12°, Nr. 275); ders./Denis Godefroy: Opera omnia quae exstant. Leiden 1588 (Bibliotheca Caniziana: Miscellanei, 8°, Nr. 31); ders./Jacques Proust: Omnes qui ad artem oratoriam pertinent libri […] In usum Delphini. Paris 1687 (Bibliotheca Caniziana: Miscellanei, 4°, Nr. 118); Nach 1685: ders./Philippe DuBois-Goibaud: Les Offices de Cicéron. Traduits en françois sur la nouvelle édition latine de Graevius. Den Haag 1692 (Bibliotheca Caniziana: Miscellanei, 8°, Nr. 384); ders. [u. a.]: Marci Tullii Ciceronis Opera Quae Extant Omnia. Leiden 1692 (Bibliotheca Caniziana: Miscellanei, 8°, Nr. 163, und Miscellanei, 4°, Nr. 117). Vgl. Thesaurus Linguae Latinae. Bd. 2, S. 2081, Z. 75 – 85. Bei Cicero in: de oratione, 2,170; 2,198; Brutus, 2.7; pro Sex. Roscio Amerino, 130; in Verrem, 4,24; 5,82; epistulae ad Atticum, 10,8b,2. Vgl. Canitz/Thomasius, Dissertatio, Proemium; „Lael. p. 100.“ [Laelius de amicitia]; § 21: „Cicero pro Marcello“. Merio Scattola: La storia e la prudenza. La funzione della storiografia nell’educazione politica della prima età moderna, in: Storia della storiografia 42 (2002). S. 42– 73; Wilhelm Kühlmann: Gelehrtenrepublik und Fürstenstaat. Entwicklung und Kritik des deutschen Späthumanismus in der Literatur des Barockzeitalters. Berlin 1982, S. 53; Merio Scattola: „Historia literaria“ als „historia pragmatica“, in: Frank Grunert (Hrsg.), Historia literaria. Neuordnungen des Wissens im 17. und 18. Jahrhundert. Berlin 2007, S. 37– 63, hier S. 39 – 45, 50; Lingnau, Bibliotheca Politica, Kap. 2.3.2: Geschichte als Exempel, Information und Identifikationswissen. Vgl. Art. Point D’honneur, in: Zedler (Hrsg.), Großes vollständiges Universal-Lexicon, Bd. 28, 1741 (Pi–Pk), Sp. 1031: „Lat. Summa honoris, ist eine Sache, so unsere Ehre angehet, deren Verletzung unter dem Adel und Militz so hoch geachtet wird, daß sie nach ihrer Meynung nicht anders, als durch einen Duell ausgemachet werden kan.“ Bis 1685: Antoine de Courtin: Nouveau traité de la civilité qui se pratique en France parmi les honnêtes gens. Amsterdam 1679 (Bibliotheca Caniziana: Miscellanei, 12°, Nr. 72); Marc de Vulson,
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kritisiert Canitz immer wieder einen an Karriere, Ruhm und Reichtum orientierten Höfling und persifliert den ergo als bekannt vorauszusetzenden honnête homme. ⁵⁰ Sein Verweis auf das als übertrieben oder gar rücksichtslos empfundene Handeln des Herzogs spiegelt Sachkenntnis wider, dient hier aber weniger der Adelskritik als dem Ziel, die den Brandenburgern hinderliche herzogliche Politik abzuwerten und zu schmälern. Zwischen der politischen Handlung und ihrer verschriftlichten Darstellung findet ein erheblicher sprachlicher Transfer statt. Ohne bewusst manipulieren zu wollen, bestückt Canitz sein Erleben, Reden und Handeln mit den ihm bekannten und als richtig erachteten politischen Ideologien. Er konstruiert ein Narrativ, in dem die vom Kurfürsten favorisierte Stadt Hamburg auf ihre wohlhergebrachten Rechte pocht, während der Herzog nur unzureichend informiert ist und das Protektorat über Meurer vor allem deshalb aufrechterhält, weil er befürchten muss, an Ansehen und damit an Macht zu verlieren. Das Narrativ dient hier nicht der Kompromissfindung zwischen Herzog und Kurfürst (ein solches wird eher bei den Verhandlungen mit dem Herzog konstruiert), sondern einem identitätsstiftenden Moment zwischen Canitz und dem Kurfürsten. Indem Canitz die kurfürstliche Position bestärkt und minutiös dokumentiert, wie er sie am Cellischen Hofe vertrat, bestätigt er seine Treue zu den ihm mit auf den Weg gegebenen Instruktionen und die Richtigkeit und Stimmigkeit der kurfürstlichen Strategie. In Anbetracht der starken kaiserlichen Patronage über Meurer musste Canitz schon im Oktober 1685 damit rechnen, dass eine friedliche Beilegung des Konflikts langfristig scheitern würde. Indem er die Position der Hamburger ideologisch fundierte und ihren Ansprüchen unter allen Umständen Recht zusprach, koppelte er die Schuld für ein etwaiges Scheitern seiner Vermittlung nicht an sich, sondern an die halsstarrige Haltung des Herzogs. Tatsächlich reiste er zum Ende des Jahres 1685 unverrichteter Dinge wieder ab. – Das Ende der Geschichte: Nach der gescheiterten Belagerung Hamburgs durch die dänischen Truppen im August 1686 wurde Meurer mit Gewalt wieder eingesetzt und Jastram und Snitger, die wegen Sieur de La Colombiere: Le Vray Theatre D’Honneur Et De Chevalerie, Ou Le Miroir Heroique De La Noblesse. Contenant Les Combats Ou Ieux Sacrez Des Grecs & des Romains, les Triomphes, les Tournois, les Ioustes, les Pas, les Emprises ou Entreprises, les Armes, les Combats à la Barrière, […] les Ordres, & autres magnificences & exercices des Anciens Nobles durant la Paix; Avec Le Formulaire D’Un Tournoy Tel […]; Le Tout Enrichy De Figures En Taille-douce sur les principales matieres. Paris 1648 (Bibliotheca Caniziana: Miscellanei, 2°, Nr. 114); nach 1685: Georges Guillet: Les Arts De L’Homme D’Epée, Ou Le Dictionaire Du Gentilhomme. Den Haag 1686 (Bibliotheca Caniziana: Miscellanei, 8°, Nr. 423); Edward Synge: La Religion D’Un Honneste Homme Qui n’est pas Théologien de profession. Amsterdam 1699 (Bibliotheca Caniziana: Theologici, 12°, Nr. 49). Vgl. Friedrich Rudolf von Canitz: Die vierte Satyre. Von dem Hoff-Stadt-und Land-Leben, in: ders., Gedichte. Hrsg. v. J. Stenzel, S. 266 – 275; ders.: Die achte Satyre. Der Hof, in: ebd., S. 294 f.
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der von ihnen mit antizipierten dänischen Belagerung nun zu Verrätern erklärten Wortführer der Bürgerschaft, öffentlich hingerichtet.⁵¹
4 Fazit: Politische Ideengeschichte und Politolinguistik Allein auf der Basis von beruflicher Empirie lässt sich die komplexe politische Sprache Canitz’ nur schwerlich erklären. Jedes Narrativ, das er in seinen Gesandtschaftsberichten entwickelt, erfordert die Kenntnis europäischer Macht- und Rechtsverhältnisse, die Kenntnis mehrerer Sprachen und Fremdwörter und nicht zuletzt die Kenntnis geltender politischer Theorie, über die eine kommunikative Basis entsteht. Insofern bergen Analysen der political language nicht nur für wissenssoziologische Fragestellungen ein großes Potential: Sie können zusätzlich dazu beitragen, die von Vertretern der politischen Ideengeschichte postulierten Verwebungen zwischen politisch-akademischer Theorie und politischer Praxis im Gebrauchsschrifttum zu identifizieren und zu analysieren.⁵²
Transkription Friedrich Rudolf von Canitz am 6. Oktober 1685 an Kurfürst Friedrich Wilhelm I. von Brandenburg-Preußen
Durchlauchtigster Churfürst, gnädigster Herr, Zu meiner letzten unterthsten relation vom ten dieses habe ich gehorsambst gemeldet, daß ich damahls deß Hertzogs Dl. Erklärung und waß selbige bey jedem punct deß bewusten projects die Hamburgsch. Streitt sache betreffend etwa zu erinnern haben mögte, noch nicht erhalten können, und ob ich gleich der gewißen Hoffnung gelebet, man würde nachgehends sich näher herauß gelaßen haben, so ist doch solches noch nicht geschehen, und werde ich erwarten müßen, weßen man sich nach ankunfft der Hannoverischen Geheimbden Rähte, die zwar gestern Abend kommen sollen, aber dem berichte nach erst heute anlangen werden, resolviren wird. So viel ich [S. ] sonst von der Intention hiesiges Hofes penetriren können, will mann nach loßgebung der arrestirten Schiffe, so nunmehr an Zellischer und Hamburgsch. seiten werkstellig soll gemachet seyn, die andern articul
Vgl. Loose, Jastram-Snitgerische Wirren, S. 10 f. Vgl. D. Timothy Goering: Ideen, Handlungen und Gründe in der Ideengeschichte, in: ders. (Hrsg.), Ideengeschichte heute. Traditionen und Perspektiven. Bielefeld 2017, S. 95 – 118, hier S. 98; Barbara Stollberg-Rilinger (Hrsg.): Ideengeschichte. Stuttgart 2010, S. 9 f.
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Abb. 2 Brief von Friedrich Rudolf von Canitz an Kurfürst Friedrich Wilhelm I. von BrandenburgPreußen, 6. Oktober 1685
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deß projects nicht gerne eher rühren, noch sich zu relaxirung der längst zu lande angehaltenen güter und waaren verstehen, biß man siehet, wie eß mit dem gewesenen Bürgermeister Meurer abläufft, und glaube ich woll, daß man das absehen hett, Ihm, im fall das Seinige in der Statt solte angegriffen werden, von denen in Händen habenden Hamburgsch. Effecten die Erstattung zuthun; dahingegen, wann mann besagten Meurer halber einig werden könte, daß übrige mit leichter mühe meinem erachten nach würde abzuthun sein. Ich habe dannenhero und weil ich gesehen, daß mann bey dieser handlung fast einig und allein auf daß Meurerische Interesse reflectiret, und so weinig Lust hat, davon zu abstrahir [S. ] ren, daß man vielmehr solches vor dem Hauptpunct hatt vor nötig geachtet, bey deß Hertzogs Durchl. selbst einen Versuch zuthun, ob eß nicht müglich wäre diesen Stein deß anstoßes auß dem wege zuräumen, zu dem Ende ich dann vorgestern die occasion ergriffen hochgedachter Sr. Durchl. (da deroselben der Hertzogin von Hannover Durchl. gleich bey Ihrer ankunfft nachdencklich dieser Sache halber in meiner gegenwart zugeredet hatte) in einem zimlich langen entretien vorzustellen, daß es gleichwoll zu beklagen wäre, daß dieses einigen Mannes halber ein so heilsahmes accommodement mit der Statt Hamburg abermahls zurückgehen, und die beschwerliche differentiien darauß viel schaden und weitläufftigkeit nothwendig enstehen müsten, immerhin comentiret werden sollten; Se. Durchl. würden befinden, wenn sie dero hohen acquanimität nach recht die Sache zu ponderiren belieben wolten, daß die rationes, so die Statt wieder den Meurer anführete [S. ] allerdings woll fundiret wären, sintemahlen Er Ihre gebohrenen unterthan, dar sich mit einem Cörperlichen Eyde verbunden, nicht auß der Stadt zu weichen, und weil Er solches gethan, ja allen rechten nach schuldig wäre vor selbiger seiner natürlichen Obrigkeit daher rede und antwort zu geben. Ich wüste zwar woll, daß man dawieder einwendete, Eß hatte Ihn die Bürgerschafft mit gewalt, dazu gezwungen, allein eß fünde sich auß denen actis, so in dieser sache vorgegangen, daß die Bürgerschafft vermöge eines recesses vom . Oc. [?] förmblich wieder Ihn procediren wolle, dar Er dann woll seine Sententz abwarten und allenfalß davor appelliren können. Er hette aber selbst den weg der gütlichen Handlung erwehlet, und wäre eß von dem Magistrat, der zwischen Ihm und der Bürgerschafft Mediation gewesen, dahin gerichtet [S. ] worden, daß Er mit gutem willen sich deß Bürgermeister Ambts begeben, nun uhr fehde geschworen und M/ Thl. caution gestellet, nicht außzuweichen, und keine frembde dienst anzunehmen. Auß welchen obigen Umbständen Ihre Durchl. selbst hochvernünfftig judiciren würden, ob Er, da ihm alß ein particulier geruhig in der Stadt zu leben und daß seinige zu genießen freygestanden, mit guten und unverletzten gewißen, ohne ursach heimlich darvon ziehen können, und ob eß verantwortlich, daß er sich vom Eyde am Kayserl. Hoffe absolviren laßen, ein auff seinen einseitigen bericht ertheiltes protectonium erhalten, und dadurch seinem Vaterlande, dem zum besten ein bonus civis sein eigenes Interesse aufopffern sollte, eine zeither tausend unlust und schaden zugefüget hette; Ich müste zwar muthmaßen, daß Ihre Dl. nachdem sie dem Meurer einmahl dero [S. ] protection versprochen, sich schwerlich entschließen könten, Ihn zu abandonniren, ich wüste aber auch woll, daß sie so gerecht wären, und einer Statt, die bekandter maßen ein Stand deß Reichs wäre, ihre erste instantz und wollhergebrachtes Recht zu hemmen nicht verlangen würden. Ihre Durchl. würden dan zweiffels ohne nicht woll damit zufrieden sein, wenn jemand dero vereydeten diener derogleichen protectonium erschleichen, und zu dero Nachttheil sich deßen praevaliren solte. Und obgleich die Statt Hamburg mit Ihre Durchl. alß einen mächtigen Fürsten sonst nicht in comparaison zusetzen; so wäre Ihr doch dießfalß nicht zuverdencken, daß Sie auch so woll, alß andere, die Ihr competirende
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jura und Reichs-Ständliche [S. ] privilegia zu mainteniren bedacht wäre und solches umb desto mehr, weil durch ein dergleichen Exempel Ihr ein großes praejudicium zuwachsen könnte, und wenn Sie hier unter nicht sorgfältig vigilierte, künfftig ein jeder, der eine bösen Sache hette, sich zu Wien an einen patron hengen, und solche protectona außzuwircken anlaß nehmen würde. Und dieses wäre die rechte ursach, warum die Statt den Meurer citiret und sich seiner Effecten versichert hette, nicht aber Ihrer kayserl. Mayt. und Ihrer Durchl. respect dadurch zu kräncken, wie solches außgedeutet werden wolte. Ich hette vielmehr bey meiner letztern anwesenheit zu Hamburg woll vermercket, daß wann der Statt nur nicht weiter unter dem praetext deß Protectonii zugesetzet, und deß Meurers [S. ] sache nicht alß eine conditio sine qua non bey dem Vergleich gehalten würde, derselbe vielmehr avantage dabey finden und die Statt nachgehends Ihrer Dl. gütige Vorsprache und remonstrationes mit gebührendem Respect in consideration ziehen dürffte, und wäre, woll zu wünschen, daß dergleichen Expediens mögte ergriffen werden, weil wiedriges falß die Statt es auff die extrema ankommen laßen, und Ihre Durchl. schwerlich mit der rigueur dem Meurer die praetendierte Satiscation würde verschaffen können. Dieses obige alles, welches ich so gut alß ich gekont repraesentiret, schiene bey des Hertzogs Durchl. einige Impressiones zumachen, gestalt ich dann auß Ihrer antwort und folgenden discursen so viel [S. ] abnehmen konnte, daß . Ihre durchl. gäntzlich bißher in denen gedancken gestanden, alß wenn wieder den Meurer in Hamburgk gantz irreguliertes verfahren, und Er von der populace allein gezwungen worden, alles und zwar auß furcht deß todes einzugehen, und daß Ihr die umbstände, so Ihn graviren können, nicht alle bekant gewesen. . daß Ihre Durchl. nicht eben so irraisonnable gefunden, daß die Statt ihre primam instantiam zu erhalten suchte, . daß Sie den Meurer gantz unschuldig zu sein glaubten, weil man nicht daß geringste wieder Ihn hetterbracht, und Er so weinig, alß jemand anders wüste, weßen man Ihn beschuldiget, . daß sie zwar von ihm gäntzlich itzund zu abstrahiren nicht willens wären, auß mißtrauen gegen der Statt, daß selbige enger alß zuvor wieder Ihn procediren würde, [S. ] . daß es ihm gleichwoll nicht zuwieder sein würde, wenn Meurer in der güte, sich mit der Statt accomodiren könte. . daß Sie aber dafür hielten, die erste ouvertüre zu solchem accommodement würde nicht von Meurer Seiten geschehen können, weil niemand in der Statt sich getrauen würde, dergleichen zu proponiren, und auß furcht sich verhaßt zumachen zu befordern, und denn . daß sich Meurer ohne des Keyserl. Hofes vorwißen in dergleichen tractat vor sich selbst nicht würde einlaßen können. In summa gnädigster Churfürst und Herr, ich hette vorgestern geglaubet, daß dieser hoff selbst einige Vorschläge, dadurch dem Meurer [S. ] ohne weitläufftigkeit in der güte könte geholffen werden, ins mittel bringen würde. Gestern aber habe ich klärlich sehen können, daß man sich noch immerhin ein point d’honneur darauß machet, den Meurer, der durch hinterhand intriguen sonder Zweiffel mit diesen hoffe aufffs genaueste muß verbunden sein, zu vertreten, daß man nach wie vor mit der Keyserl. und eigenen fürstl. Authoritet durch dringen will, und vielleicht noch das falsche principium hatt, die stadt werde sich durch bedrohungen intimidiren laßen, gestalt die der geheime Rath von Bernstorff noch gestern nachmittag zu mir gesaget: Sein gnädigster Herr würde [S. ] zwar gerne geschehen laßen, daß die Stadt mit dem Meurer sich in der güte vergleiche, Sie würde aber woll thun, wenn sie je eher je lieber sich dazu besunnete, denn so ferne Ihm die Statt eines thalers werth einziehen solte, so würden Ihre Durchl. augenblicklich es sey zu waßer oder zu lande, alles waß sie von denen Hambur-
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gern würden attrappiren können, arrestiren, nur es komme auch, wie es wolle, nicht wieder loßgeben laßen, biß sie völlige satisfaction erhalten hetten. Ich antwortete Ihm hierauff, daß ich nicht eben wißen könte, was die [S. ] Statt mit deß Meurers caution zu thun gesinnet wäre. Eß wäre aber zu vermuthen, daß, wann die Streitigkeiten länger dauren solte, man solche endlich angreiffen, und deß erlittenen Schadens halber sich daran erhohlen dürffte, zumahlen wenn man continuiren wolte, die Statt mit gewalt zu etwas zu zwingen, daß Ihrer libertet zuwieder wäre. Sollten nun Ihr Dl. solchen falß / wie ich gleichwoll nicht hoffte / daß commercium aufs neue wieder sperren laßen, so sehe ich nicht ab, waß Sie vor Vortheil dabey haben würden. Denn zu lande könnte die Stadt andere wege, alß durch [S. ] das lüneb. territorium finden, und zu waßer hette es die beschaffenheit, daß unterschiedliche andere potentaten an der sicherheit der Elbefarth interessierten, die dahin sehen wrüden, daß einer solchen particulier querelle halber Ihre lande und unterthanen wegen der Commercien können Schaden und abgang litten. Darauff Er mir wieder sagte, sein gnädigster Herr würde bey der einmahl gefaßeten resolution bleiben, eß entstehe auch darauß, waß eß wollte, undt ersuchte Er mich expressè, daß ich solches überschreiben mögte, [S. ] damit die Statt sich nicht so sehr flattern und hernachmahls beklagen mögte, daß Sie nicht vorher gewuß hette, waß deß Hertzogs Durchl. im fall wieder den Meurer solte procediret werden, vor mesures nehmen würden. Ich bin Durchleüchtigster Churfürst gnädigster Herr Ew. Churfürstl. Durchl. unterthänigster treü gehorsamster knecht F. R. L. v. Canitz Börde des oct:
Winfried Siebers
Diplomatie und Politik in der frühaufklärerischen Apodemik Ehrenfried Walther von Tschirnhaus’ „Getreuer Hofmeister auf Academien und Reisen“ (1727) Die Verhaltensleitbilder, Berufseigenschaften und Ausbildungsverläufe des Diplomaten im Dienst eines frühneuzeitlichen Fürstenhofes sind schrittweise seit der Mitte des 15. Jahrhunderts entstanden. Zu diesem Prozess, der erst im Zeitalter der Aufklärung mit der Gründung mehrerer Diplomatenschulen von dauerhaftem Bestand in Rom, Straßburg und Wien einen nachhaltigen Professionalisierungsschub erfuhr,¹ gehören zahlreiche parallel verlaufende Entwicklungen auf dem Gebiet der internationalen Beziehungen und der frühneuzeitlichen Staatenbildung sowie beim Aufbau einer innerstaatlichen Verwaltungsstruktur mit schriftlicher Aktenführung. Schließlich trug auch die Verbesserung der materiellen und organisatorischen Voraussetzungen des Reisens zur Verstetigung des Gesandtenund Residentenwesens bei. All dies wurde von einer auf derartige Zwecke gerichteten politisch-theoretischen und pädagogisch-philosophischen Traktatliteratur begleitet. In dem hier vorgelegten Beitrag soll in einer ersten Annäherung versucht werden, den Zusammenhang zwischen jenen als maßgeblich angesehenen Berufseigenschaften des Diplomaten – Welterfahrung, Länderkunde, Fremdsprachenkenntnis, Konversationsfähigkeit, Courtoisie – und den Bildungszielen der adligen Kavalierstour aufzuzeigen; oder, in eine Frage gekleidet: Welche Empfehlungen gab die Ratgeberliteratur zum Reisen – also die Schriftengattung der Apodemik – für jene Grand-Tour-Teilnehmer, die sich geradewegs auf eine Karriere als politicus im Fürstendienst vorbereiteten? Zu diesem Zweck wird die um 1700 konzipierte, seit 1704 handschriftlich verbreitete sowie 1727 postum veröffentlichte und durch einen Herausgeber umfangreich erweiterte Apodemik „Getreuer Hofmeister auf Academien und Reisen“ des sächsischen Gelehrten, Philosophen und Erfinders Ehrenfried Walter von Tschirnhaus (1651– 1708) näher betrachtet. Die Abhandlung ragt aus den reisetheoretischen Anweisungen der Zeit vor allem deshalb heraus, weil sie eine empirisch-aufklärerische und wissenschaftsgeschichtlich neuartige Reformpro-
Vgl. Anuschka Tischer: Diplomatie, in: Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 2 (2005), Sp. 1027– 1041, hier Sp. 1032; Heinz Duchhardt: Balance of Power und Pentarchie. Internationale Beziehungen 1700 – 1785. Paderborn 1997, S. 26 f. https://doi.org/10.1515/9783110625431-003
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grammatik in den Regelkanon der Apodemik einführte. Zuvor soll jedoch das „beamtenethisch“ begründete Anforderungsprofil eines höhergestellten und zeitweilig mit diplomatischen Aufgaben betrauten Amtsträgers im Fürstendienst erläutert werden. In diesem Zusammenhang wird zudem auf die Verknüpfung von adliger Kavalierstour und dem Berufsprofil des Diplomaten eingegangen.
1 Das Anforderungsprofil eines hohen Fürstendieners Um festzustellen, welche zeitgenössischen beruflichen Tugenden von einem hohen Amtsträger erwartet wurden, empfiehlt es sich, ein epochenspezifisch einschlägiges Handbuch der praktischen Regierungslehre zu Rate zu ziehen. Hierzu kann das im Jahre 1656 erschienene staatswissenschaftliche Hauptwerk „Teutscher Fürsten-Stat“ des damals in sachsen-gothaischen Diensten stehenden Historikers und Hofrats Veit Ludwig von Seckendorff (1626 – 1692) dienen. Die Schrift erlebte bis in die 1760er Jahre 16 Auflagen, was ihren wegweisenden Einfluss auf das zeitgenössische Staatsdenken und ihre anhaltende Rezeption in gelehrten Kreisen und in der höfischen Amtsträgerschaft belegt. Ein Grund für den Erfolg mag die konsequent empirische Ausrichtung des Werks gewesen sein, denn Seckendorff war weniger an abstrakten Erörterungen der politischen Philosophie gelegen als an einer pragmatischen und deskriptiven Darlegung der „leitenden Prinzipien des christlichen Obrigkeitsstaates im lutherischen Raum“.² Die christliche Fundierung der Politik ist für den Autor die entscheidende Leitlinie; unter diesem Gesichtspunkt befasst er sich mit der Souveränität des Staates, der Außenpolitik, der Verfassung des Alten Reichs sowie mit der inneren Verwaltungslehre, der Wirtschaftsordnung und dem Rechtswesen in einem einzelnen Territorialstaat. Dem Grundgedanken eines „gemäßigten Absolutismus“³ folgend, steht nach Seckendorff nicht nur der Fürst selbst in der Pflicht, die Regierungsgeschäfte in persönlicher Verantwortung auszuüben, sondern er ist desgleichen angehalten, einen verlässlichen Stab an erprobten Bediensteten und Fachleuten auszuwählen, welche die optimale Verwaltung des Staates gewährleisten können.
Klaus Garber: Zur Statuskonkurrenz von Adel und gelehrtem Bürgertum im politischen Schrifttum des 17. Jahrhunderts. Veit Ludwig von Seckendorffs „Teutscher Fürstenstaat“ und die deutsche „Barock“-Literatur, in: ders., Literatur und Kultur im Deutschland der Frühen Neuzeit. München 2017, S. 883 – 906 (Erstdruck 1982), hier S. 885. Detlef Döring: Seckendorff, Veit Ludwig von, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 24 (2010), S. 117 f., hier S. 117 (mit weiterführenden Literaturangaben).
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In diesem Zusammenhang stellt der Autor Überlegungen zur Qualifikation der Fürstendiener in den höchsten Regierungsorganen eines souveränen Staates an. Er kommt darauf zu sprechen, aus welchen Personen ein Geheimer Rat zusammengesetzt werden sollte und welche Anforderungen von künftigen Räten zu erfüllen seien. Zunächst müssten „dieselben von guten Eigenschafften/ Verstand und Tugend seyn“, wenn sie „Ihrem Herren und dem Lande mit nutze rathen/ dienen unnd vorstehen“ wollten.⁴ Sodann sollten sie „genugsam Gelehrte“ und in der „Wissenschafft […] der Christlichen Religion, der Politischen Welt Weißheit unnd […] des gemeinen Keyserlichen und der Landesüblichen Rechten […] des Römischen Reichs und dessen höchster Gerichte/ wol unterwiesen und erfahren […] seyn“ (S. 38). Des Weiteren heißt es: „Ihrem Stand und Herkommen nach/ werden entweder geborne Edelleute/ oder solche Personen die Ihrer geschickligkeit und Wissenschafft halben auff den Hohen Schulen mit einem Ehren-Titul unnd Gradu wie mans nennt eines Doctorn oder Licentiaten gewürdiget werden/ oder doch denenselben gleich zu Schätzen/ zu Räthen bestellet.“ (S. 39) Alle Räte sollten zudem „auch sonst gute qualiteten“ haben sowie über „Wissenschaft der Sprachen/ Beredsamkeit/ höffliche Sitten/ Erfahrung unnd Kundschafft anderer Länder und dergleichen“ verfügen, damit „man sich deroselben in und ausserhalb Landes desto füglicher gebrauchen könne“ (ebd.). Schließlich werden als zusätzliche Tugenden genannt: „Gottesfurcht/ Demuth/ Friedfertigkeit/ Sanfftmut/ Keuschheit/ Mässigkeit und Erbarkeit/ Höffligkeit/ Auffrichtigkeit/ Redligkeit/ Vermeidung des Geitzes/ Warhafftigkeit/ Verschwiegenheit und Genugsamkeit“ (ebd.). Es ist unschwer zu erkennen, dass dieser Tugendkatalog den beiden sozialen Gruppen zugeordnet werden kann, die Seckendorff selbst als Personalreservoir für die höheren Funktionen im Fürstendienst benennt: Geburtsadel und Gelehrtenstand.⁵ Auslandserfahrung, höfische Umgangsformen, die Kunst der Konversation und die umfangreiche Kenntnis der lebenden Sprachen sind Fähigkeiten und Kenntnisse, die sich Adlige während ihrer Grand Tour durch Europa aneig Veit Ludwig von Seckendorff: Teutscher Fürsten-Stat/ Oder: Gründliche und kurtze Beschreibung/ Welcher gestalt Fürstenthümer/ Graff- und Herrschafften im H. Römischen Reich Teutscher Nation […] Regieret/ […] zu werden pflegen. Frankfurt a. M./Hanau 1656, S. 38; digitale Edition des Deutschen Textarchivs nach dem Exemplar der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, http:// www.deutschestextarchiv.de/seckendorff_fuerstenstaat_1656/83; abgerufen am 15.07. 2019. Typographische Differenzierungen (Fraktur- und Antiquaschrift) sind nicht wiedergegeben. Weitere Nachweise im Haupttext (in Klammern). So bereits Garber, Statuskonkurrenz, S. 887; vgl. weiterhin: Stefan Paulus: Rolle und Bedeutung des Beamtentums in Veit Ludwig von Seckendorffs „Teutscher Fürsten-Stat“, in: Erk Volkmar Heyen/Wolfgang E. J. Weber (Hrsg.), Räte und Beamte in der Frühen Neuzeit. Lehren und Schriften. Baden-Baden 2007, S. 85 – 118, insbes. S. 106 – 111.
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neten. Bürgerlichen Gelehrten bot sich diese Gelegenheit nur dann, wenn sie sich als Hofmeister und Reisebegleiter einer solchen Kavalierstour anschlossen. Dagegen sind die zuletzt genannten Eigenschaften (u. a. Mäßigung, Aufrichtigkeit und Genügsamkeit) in den Kanon jener bürgerlichen Tugenden einzureihen, die gegen die geburtsständische Vergabe von Amtsträgerpositionen und im Sinne einer effizienten Leistungsethik von den akademisch gebildeten Gelehrten in Stellung gebracht wurden. Diese Idee vom „wahren Adel“ der Gelehrten, deren Ursprung im italienischen Renaissancehumanismus seit Dante zu suchen ist, hat sich im Verlauf der Frühen Neuzeit zu einer eigenständigen „Beamtenethik“ der Funktionsträger in öffentlichen Ämtern entwickelt, die weitreichendende Folgen für die Rekrutierung dieser Personengruppe hatte.⁶ Was die Überlegungen Seckendorffs im Kontext der hier verfolgten Fragestellung so interessant macht, sind seine Hinweise auf jene „beamtenethischen“ Eigenschaften und Fähigkeiten, die ausschließlich während einer adligen Kavalierstour erfahren und erlernt werden konnten.⁷ Der Rundkurs jugendlicher Adliger durch Europa unter Begleitung eines Hofmeisters oder Gefolges wurde – mit beträchtlichen regionalen Unterschieden und zeitlich schwankenden Konjunkturen – seit der Mitte des 16. Jahrhunderts zu einem festen Bestandteil der aris-
Vgl. Klaus Garber: „De vera nobilitate“. Zur Formation humanistischer Mentalität im Quattrocento, in: ders., Literatur und Kultur im Europa der Frühen Neuzeit. München 2008, S. 443 – 503; zur Geschichte der Beamtenethik in der Frühen Neuzeit vgl. Michael Stolleis: Grundzüge der Beamtenethik 1550 – 1650, in: Roman Schnur (Hrsg.), Die Rolle der Juristen bei der Entstehung des modernen Staates. Berlin 1986, S. 273 – 326 (Erstdruck 1980), sowie den knappen Überblick mit neuen Forschungsergebnissen bei Wolfgang E. J. Weber: Beamtenlehre, in: Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 1 (2006), Sp. 1126 – 1132 (mit weiterführenden Literaturangaben). Vgl. zur Kavalierstour der Frühen Neuzeit den ausgezeichneten Überblick von Mathis Leibetseder: Kavalierstour – Bildungsreise – Grand Tour. Reisen, Bildung und Wissenserwerb in der Frühen Neuzeit, in: Europäische Geschichte Online (EGO), hrsg. v. Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (IEG), Mainz, 14.08. 2013, http://www.ieg-ego.eu/leibetsederm-2013-de; abgerufen am 15.07. 2019, sowie ders.: Die Kavalierstour. Adlige Erziehungsreisen im 17. und 18. Jahrhundert. Köln/Weimar/Wien 2004; ergänzend mit statistischen Auswertungen: Holger Kürbis: Kavalierstour (brand.-preuß. Adel), publiziert am 01.12. 2017, in: Historisches Lexikon Brandenburgs, http://brandenburgikon.net/index.php/de/sachlexikon/kavalierstour-brand-preuss-adel; abgerufen am 15.07. 2019; vgl. ferner: Antje Stannek: Telemachs Brüder. Die höfische Bildungsreise des 17. Jahrhunderts. Frankfurt a. M./New York 2001; Joachim Rees/Winfried Siebers/Hilmar Tilgner (Hrsg.): Europareisen politisch-sozialer Eliten im 18. Jahrhundert. Theoretische Neuorientierung – kommunikative Praxis – Kultur- und Wissenstransfer. Berlin 2002; Rainer Babel/Werner Paravicini (Hrsg.): Grand Tour. Adeliges Reisen und europäische Kultur vom 14. bis zum 18. Jahrhundert. Ostfildern 2005; Hilmar Tilgner: Kavalierstour, in: Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 6 (2007), Sp. 523 – 526; Andrea Voß: Reisen erzählen. Erzählrhetorik, Intertextualität und Gebrauchsfunktionen des adligen Bildungsreiseberichts in der Frühen Neuzeit. Heidelberg 2016.
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tokratischen Erziehung. Johann Wolfgang Goethe, selbst ein reiseerfahrener Schriftsteller und zugleich Minister in herzoglichen Diensten, bezeichnete sie nach dem unwiderruflichen Ende dieser Mobilitätsform um 1800 im Rückblick als die „herkömmliche Kreisfahrt durch das gesittete Europa“.⁸ Ihr Ziel war in der Regel der Aufenthalt an einer ausländischen Universität, einem Adelskolleg oder einer Ritterakademie, an den sich die Besuche der wichtigsten europäischen Höfe anschloss. Die Reise diente der Aneignung und Verfeinerung der höfisch-weltläufigen Lebensart, der Schulung von Konversationsfähigkeit und geselliger Kommunikation, der Einübung in die ritterlichen Fertigkeiten des Reitens, Jagens und Fechtens, dem Erwerb politisch-juristischen Sachwissens, der Demonstration ständischen Repräsentationsvermögens und der internationalen Verflechtung unterschiedlichster Adelskreise. Das „Erfolgsgeheimnis“ der Kavalierstour lag in ihrer „geringen Spezialisierung“,⁹ da ihr Beobachtungs-, Erfahrungs- und Begegnungsraum prinzipiell offen und unabgeschlossen war. Auf diese Weise konnte in mancherlei Hinsicht auch die Außenpolitik zum Betätigungsfeld der reisenden Kavaliere werden. Derartige Aktivitäten hatten ein breites Spektrum, das „von der bloßen Beobachtung über die Informationsbeschaffung bis hin zur Ausübung erster diplomatischer Geschäfte“ reichte.¹⁰ In diesem Zusammenhang sind die von Seckendorff genannten „qualiteten“ eines Amtsträgers von Belang: Fremdsprachenkenntnisse, Rhetorik und Gesprächsführung, Umgangsformen des höfischen Zeremoniells, Länderkunde aus eigener Anschauung und mittels zweckdienlicher Studien sowie eine vielseitige Einsetzbarkeit im In- und Ausland sind genau jene Bildungsziele, welche die Kavalierstour dem jungen Adligen vermitteln sollte und die im We-
Johann Wolfgang Goethe: Wilhelm Meisters Wanderjahre (1829), in: ders., Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe, hrsg. v. Karl Richter u. a. Bd. 17. München/Wien 1991, S. 361 (1. Buch, 11. Kapitel). Leibetseder, Kavalierstour, Abschn. 11; vgl. Rudolf Stichweh: Der frühmoderne Staat und die europäische Universität. Zur Interaktion von Politik und Erziehungssystem im Prozeß ihrer Ausdifferenzierung (16.–18. Jahrhundert). Frankfurt a. M. 1991, S. 280 f., wo mit Blick auf das Erziehungsideal der aristokratischen Eliten von der „Unzulässigkeit adliger Spezialisierung“ die Rede ist. Leibetseder, Kavalierstour, Abschn. 14; ders., Die Kavalierstour, S. 114– 121; zu vergleichbaren Entwicklungen in England siehe Elizabeth Williamson: „Fishing after News“ and the Ars Apodemica. The Intelligencing Role of the Educational Traveller in the Late Sixteenth Century, in: Joad Raymond/Noah Moxham (Hrsg.), News Networks in Early Modern Europe. Leiden/Boston 2016, S. 542– 562.
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sentlichen nur durch Beobachtung vor Ort und praktische Ausübung – und das heißt: durch Erfahrungsaneignung während des Reisens – erlernbar sind.¹¹
2 Die Apodemik als Bildungsratgeber und Praxisanleitung für Gesandte auf Reisen Über die Bedeutung dieser Bildungsziele wurde auch in der zeitgenössischen reisetheoretischen Ratgeberliteratur nachgedacht. Ein prominentes Beispiel hierfür ist die Apodemik „Getreuer Hofmeister auf Academien und Reisen“ von Ehrenfried Walther von Tschirnhaus, die 1727 im Druck erschien, jedoch bereits ein Vierteljahrhundert vorher konzipiert worden war. Tschirnhaus, der 1708 in Dresden verstarb, war bis dahin mit vielseitigen philosophischen, mathematischtechnischen und pädagogischen Schriften hervorgetreten. Er führte ein Leben als adliger Gutsbesitzer und Privatgelehrter, wobei er zahlreiche weitere Berufsrollen ausfüllte. In einer keineswegs vollständigen Aufzählung seiner Beiträge zu verschiedenen Tätigkeitsfeldern wird er „als Philosoph, Pädagoge, Mathematiker, Physiker, Chemiker, Politiker, Wissenschaftsorganisator und nicht zuletzt als genialer Techniker“ bezeichnet.¹² Einer solchen Liste könnte man seine Verdienste als Geologe, Mineraloge, Vulkanologe, Instrumentenbauer, Erfinder und Wirtschaftsförderer anfügen. Der Nachwelt ist er jedoch vor allem als europäischer „Nacherfinder“ des asiatischen Porzellans in Erinnerung geblieben.¹³ Seine gesamte akademische Ausbildung absolvierte Tschirnhaus unabhängig vom Universitätssystem des Alten Reiches im Ausland. Das mag ein Grund für seine eigenständige, unorthodoxe und freidenkerische sowie stark religionskritische und an den experimentellen Naturwissenschaften orientierte Auffassung der Aufklä-
Vgl. auch M. S. Anderson: The Rise of Modern Diplomacy 1450 – 1919. London/New York 1993, S. 88: „The qualities a diplomat needed – quickness of wit, courtly manners and an impressive appearance, social polish and ‚savoir-faire‘ – were not to be acquired in classrooms and libraries.“; ähnlich Hillard von Thiessen: Diplomatie vom „type ancien“. Überlegungen zu einem Idealtypus des frühneuzeitlichen Diplomaten, in: ders./Christian Windler (Hrsg.), Akteure der Außenbeziehungen. Netzwerke und Interkulturalität im historischen Wandel. Köln/Weimar/Wien 2010, S. 471– 503, hier S. 488. Siegfried Wollgast: Ehrenfried Walther von Tschirnhaus und die deutsche Frühaufklärung. Berlin 1988, S. 54. Vgl. Werner Hübschmann: Von Tschirnhaus’ Beitrag zur europäischen Neuerfindung des Porzellans, in: Technikgeschichte 39 (1972), S. 102‒113, hier S. 110 (Begriff „Nacherfindung“); vgl. Martin Schönfeld: Was There a Western Inventor of Porcelain?, in: Technology and Culture. The International Quarterly of the Society for the History of Technology 39 (1998), S. 716‒727.
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rung gewesen sein, so dass er durchaus zu deren seit einigen Jahrzehnten intensiver untersuchtem „radikalen“ Flügel zu zählen ist.¹⁴ In der Aufklärungsforschung wird er heutzutage in einem Atemzug mit den weithin bekannten ‚Gründervätern‘ dieser Denkrichtung – Gottfried Wilhelm Leibniz, Christian Thomasius und Christian Wolff – genannt. Der „Getreue Hofmeister auf Academien und Reisen“ wurde von einem „Vetter“ des Autors, Wolff Bernhard von Tschirnhaus, herausgegeben.¹⁵ Bei der Schrift handelt es sich um eine zeittypische Apodemik, also eine Anleitung zum Reisen, in der die Methodik des mustergültigen Beobachtens und Verhaltens auf Reisen gelehrt sowie über Absicht, Zweck und Nutzen des Reisens überhaupt reflektiert wird. Der „Getreue Hofmeister“ geht offenbar auf eine Material-, Notizen- und Gedankensammlung zurück, die Ehrenfried Walter von Tschirnhaus zur Vorbereitung der Reiseinstruktion seines Sohnes Gottlob Ehrenfried im Jahre 1704 zusammengetragen hatte.¹⁶ Diese 30 „Anmerckungen“ wurden von Wolff Bernhard von Tschirnhaus mit eigenen Zusätzen, Ergänzungen sowie einem rund 120seitigen Anhang versehen und zum Druck befördert. Das Werk richtet sich ganz ausdrücklich an adlige „Standes-Personen“, die im Begriff waren, ihre Söhne auf die traditionelle Kavalierstour durch Europa zu entsenden, sowie an die zumeist
Vgl. Jonathan Israel: Radical Enlightenment. Philosophy and the Making of Modernity 1650‒ 1750. Oxford 2001, S. 637‒641. Zu W. B. von Tschirnhaus vgl. Johann Heinrich Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste. Bd. 45. Leipzig/Halle 1745, Sp. 1380; vgl. die knappen Bemerkungen von Rudolph Zaunick im genealogischen Anhang von Ehrenfried Walther von Tschirnhaus: Medicina mentis sive artis inveniendi praecepta generalia. Editio nova (Lipsiae 1695). Erstmalig vollst. ins Dt. übers. und komm. v. Johannes Haußleiter. Mit mathematikgeschichtlichen Zusätzen v. Herbert Oettel und einer biographischen Einführung sowie mehreren Anhängen v. Rudolph Zaunick. Leipzig 1963, S. 393 – 395; die wenigen überlieferten Angaben zur Person W. B. von Tschirnhaus’ belegen, dass sein Wirkungszeitraum in die Jahre 1700 – 1729 fällt und er als Hofmeister und Reisebegleiter adliger Schüler sowie als Übersetzer geistlicher Schriften aus dem Englischen tätig war; der Verwandtschaftsgrad zu E. W. von Tschirnhaus ist ungeklärt, die Bezeichnung „Vetter“ wird in der unpaginierten „Vorrede“ (Bl. A6r) des „Getreuen Hofmeisters“ (siehe folgende Anm.) verwendet. Der vollständige Titel lautet: Wolff Bernhard von Tschirnhaus: Getreuer Hofmeister auf Academien und Reisen,Welcher Hn. Ehrenfr.Walthers von Tschirnhauß auf Kißlingswaldau, [et]c. Für Studierende und Reisende, sonderlich Standes-Personen, und Deroselben Hofmeister, zu einer sichern Anleitung zur anständigen Conduite auf Universitäten und Reisen in Manuscripto hinterlassene XXX. Nützliche Anmerckungen mit XLVI. Erläuterungen und XII. Beylagen vermehrter, wohlmeynend ans Licht stellet. Hannover 1727; digitale Edition des Deutschen Textarchivs nach dem Exemplar der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt zu Halle/Saale, http:// www.deutschestextarchiv.de/book/show/tschirnhaus_anleitung_1727; abgerufen am 15.07. 2019; die erwähnte „Instruction“ ist im „Getreuen Hofmeister“ abgedruckt, vgl. ebd., S. 260 – 266.
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Abb. 3: Ehrenfried Walther von Tschirnhaus (1651–1708), Kupferstich von Martin Bernigeroth
bürgerlichen gelehrten Hofmeister, die eine solche Reise organisierten und beaufsichtigten. Die Schrift traf damit auf eine beständige Nachfrage nach derartigen Reiseanleitungsbüchern für die adlige Rundfahrt, die – wie bereits erläutert – bis in das 18. Jahrhundert hinein eine gängige Praxis der aristokratischen Erziehung blieb. Die Apodemik war um 1570/80 im Umkreis des Baseler Späthumanismus als eigene Schriftengattung entstanden. Sie formte sich in Abgrenzung, Umgestaltung
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und Übernahme von Einzelelementen aus thematisch verwandten Genres, etwa den Itinerarien, dem Städtelob, den Pilgerbüchern, den Volks- und Landeskunden sowie den Reiseinstruktionen für Gesandte, Missionare oder Gelehrte. Ihre in der Entstehungsphase bestehende Verknüpfung mit der philosophischen Richtung des Ramismus, die als Schulphilosophie des Calvinismus bezeichnet werden kann, erklärt die auch später beibehaltene strenge Regelhaftigkeit, den starken pädagogischen Impuls und das im Wesentlichen auf die Staats- und Landeskunde sowie das verwertbare politische Wissen gerichtete Beobachtungsprogramm. Diese ‚Methodisierung‘ des Reisens sollte die Fülle des auf einer Rundfahrt Beobachtbaren systematisch gliedern und für eine spätere Wissensauswertung verfügbar machen. Apodemische Schriften enthalten deshalb in der Regel eine Definition des Reisens, Argumente dafür und dagegen, religiöse, moralische, gesundheitliche, lebenspraktische und technische Reiseratschläge, Anweisungen zur Beobachtung und Beschreibung unterwegs sowie zur Benutzung von Hilfsmitteln, schließlich konkrete Informationen über die Nationalcharaktere einzelner Völker und die Eigenarten einzelner Länder. Das wichtigste methodische Mittel waren jedoch die Fragen, welche die Apodemiker den Reisenden zur Beantwortung vorlegten. Sie betrafen alle Gesellschaftsbereiche bis hin zu statistischen Auflistungen. Der niederländische Jurist und Bibliothekar Hugo Blotius stellte 1629 in seiner „Tabula peregrinationes“ 117 Fragen, der tschechischösterreichische Politiker und Weltreisende Leopold Graf Berchtold legte im Jahr 1789 eine Liste mit 2443 Fragen an, die der Reisende zu beachten habe. Mit der rund 1400 Seiten umfassenden „Apodemik oder die Kunst zu reisen“ (2 Bde., 1795) des Prager Bibliothekars Franz Posselt ist zugleich das Ende der Apodemik als eigenständiger reisetheoretischer Literaturform erreicht. Erst Posselt verlieh der Gattung rückwirkend ihren heute eingeführten Namen. Fortan wanderten die apodemischen Maßregeln, nunmehr auf das Notwendigste verknappt, in die Vorworte und Einleitungen der Reiseführer und Länderkunden ein, wo sie sich noch heute in allerdings oft verkürzter Form finden lassen.¹⁷ Die Geschichte der Apodemik hat maßgeblich der Kulturanthropologe und Soziologe Justin Stagl in zahlreichen Veröffentlichungen untersucht; vgl. in Auswahl: Justin Stagl/Klaus Orda/ Christel Kämpfer: Apodemiken. Eine räsonnierte Bibliographie der reisetheoretischen Literatur des 16., 17. und 18. Jahrhunderts. Paderborn u. a. 1983; Justin Stagl: Die Apodemik oder „Reisekunst“ als Methodik der Sozialforschung vom Humanismus bis zur Gegenwart, in: Mohammed Rassem/J. Stagl (Hrsg.), Statistik und Staatsbeschreibung in der Neuzeit, vornehmlich im 16.– 18. Jahrhundert. Paderborn u. a. 1980, S. 131– 204; ders.: Das Reisen als Kunst und Wissenschaft (16.–18. Jahrhundert), in: Zeitschrift für Ethnologie 108 (1983), S. 15 – 34; ders.: Die Methodisierung des Reisens im 16. Jahrhundert, in: Peter J. Brenner (Hrsg.), Der Reisebericht. Die Entwicklung einer Gattung in der deutschen Literatur. Frankfurt a. M. 1989, S. 140 – 177; ders.: Eine Geschichte der Neugier. Die Kunst des Reisens 1550 – 1800. Wien/Köln/Weimar 2002; ders.:
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3 Tschirnhaus’ 30 Regeln für die Auslandsreise Im „Getreuen Hofmeister“ bilden die 30 Regeln E. W. von Tschirnhaus’, die jeweils eine halbe bis zwei Druckseiten umfassen, den Grundtext, der vom Herausgeber W. B. von Tschirnhaus mit ergänzenden Kommentaren und Erläuterungen versehen wurde. Durch diese zweigeteilte Anordnung entsteht eine Art Dialog zwischen den beiden Textabschnitten und auch zwischen den beiden Autoren, deren jeweiliger Wissensstand mehr als 20 Jahre auseinanderliegt.¹⁸ Die ersten vier „Anmerckungen“ handeln von den Grundprinzipien der adligen Erziehung, deren Einbettung in eine umfassende theologische, kirchenrechtliche und juristische Bildung betont wird. Eine eigene Anmerkung gilt dem Verhältnis von reisendem Kavalier und begleitendem Hofmeister, die nach Möglichkeit auf gegenseitigem Vertrauen beruhen sollte. Von Letzterem wird „Genio und Humeur“ (S. 77)¹⁹ im Umgang mit seinem Schüler gefordert. Die folgenden sieben Regeln befassen sich mit der Förderung sowohl der intellektuell-rhetorischen als auch der sittlich-tugendhaften Eigenschaften des Schülers, dem idealen Zeitplan für die Anordnung und den Tagesablauf der Studienfächer, den Anforderungen und Grenzen der adligen „Exercitiis“ (S. 103), also der Einübung körperlicher Fertigkeiten, welche auf das überlieferte Ritterideal des Adelsstandes Bezug nehmen (Tanzen, Fechten, Reiten), und schließlich dem Umfang der sprachlichen Ausbildung. Dabei hält E. W. von Tschirnhaus beim Lateinischen, Holländischen und Englischen ein Verstehensniveau für ausreichend, während Italienisch und Französisch als ‚Redesprachen‘ klassifiziert werden. Statt übermäßig Latein zu üben, sei es sinnvoller, seine Ausdrucksfähigkeit im Deutschen zu verbessern, damit jeder Standesvertreter „einen geschickten Brief in der teutschen Sprache aufsetzen“ (S. 108 f.) könne.²⁰ Apodemik, in: Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 1 (2005), Sp. 489 – 491; vgl. weiterhin: Uli Kutter: Reisen, Reisehandbücher, Wissenschaft. Materialien zur Reisekultur im 18. Jahrhundert. Neuried 1996; Karl A.E. Enenkel/Jan L. de Jong (Hrsg.): „Artes Apodemicae“ and Early Modern Travel Culture, 1550 – 1700. Leiden/Boston 2019. Für eine kurze Charakteristik von Tschirnhaus’ Werk im Kontext der frühaufklärerischen Apodemik vgl. Winfried Siebers: Johann Georg Keyßler und die Reisebeschreibung der Frühaufklärung. Würzburg 2009, S. 69 – 73; eine knappe Inhaltsangabe in Stagl/Orda/Kämpfer, Apodemiken, S. 98. Nachweise aus Tschirnhaus, Getreuer Hofmeister, erfolgen künftig im Haupttext (in Klammern). Fast zeitgleich mit Tschirnhaus ist Leibniz für die Förderung der deutschen Sprache eingetreten; vgl. Gottfried Wilhelm Leibniz: Unvorgreifliche Gedanken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der deutschen Sprache. Zwei Aufsätze. Hrsg. v. Uwe Pörksen, komm. v. U. Pörksen und Jürgen Schiewe. Stuttgart 1983; die zwei Schriften wurden um 1680 und 1697 verfasst; vgl.
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In einer dritten Gruppe von Regeln (XII. bis XX. „Anmerckung“) kommt das Verhalten während der Reise selbst zur Sprache, wobei insbesondere die Besuchsorte und die zu nutzenden Kommunikationskanäle im Mittelpunkt stehen. So seien längere Aufenthalte in Metropolen und großen Städten sinnvoller als das schnelle Wechseln von Ort zu Ort, da sie zugleich Sammelpunkte von zahlreichen Herrschaftsträgern und Gelehrten darstellten. Neben Fragen des Quartiers und des Dienstpersonals werden die Kommunikations- und Informationswege angesprochen, die sich zur Kontaktaufnahme mit lebenserfahrenen Amtsträgern und Praktikern des politischen Lebens eignen: Deshalb soll man möglichst weitgereiste Persönlichkeiten treffen, jedoch aufdringliche Abenteurer, die einen zum „Spielen, Wetten, oder Lust-Reisen“ (S. 143) verleiten wollen, abweisen. Auch der Kontakt zu den Bedienten von „vornehme[n] Gesandten und Ambassadeurs“ (S. 148) sei nützlich, da sie über Mittel verfügten, dem Fremden einen Zugang zu sehenswerten zeremoniellen Ereignissen zu verschaffen. Um den Finanzetat der Reise zu entlasten, solle man im Übrigen im Ausland Bücher nicht kaufen, sondern nur ausleihen. Schließlich sei es wichtig, sich als Reisender der kulturellen Eigenart des jeweiligen Landes bewusst zu werden; dabei sei es das Ziel der Reise, sich nur die „gute[n] Sachen“ einer jeden „Nation“ anzueignen und die jeweiligen „schlimme[n] Gewohnheiten“ (S. 156) zu erkennen und zurückzuweisen. In einer weiteren Gruppe von Regeln werden die Lernorte während der Reise und ihr organisatorischer Ablauf thematisiert (XXI. bis XXVIII. „Anmerckung“). Es wird empfohlen, wegen des besseren Erfahrungsaustausches und Lernerfolgs im Umkreis der Hofgesellschaft nur in Kleingruppen zu reisen und lediglich kurze „Touren auf Lust- und Jagd-Schlösser“ (S. 158) zu unternehmen. Es folgen reisepraktische Fingerzeige zum Verkehrswesen vor allem in Italien und den Niederlanden, Maßnahmen zur Gesundheitsvorsorge sowie zum Verhalten beim Auftreten der Seekrankheit. Sodann werden Hinweise zur besten Reisezeit für einige Zielländer gegeben, die Verfahren zur Finanzierung und Geldversorgung während der Reise erläutert und schließlich Zollangelegenheiten und Einreiseregelungen besprochen. Die beiden letzten „Anmerckungen“ (Nr. XXIX und XXX) fassen die Zweckbestimmung der adligen Auslandsreise noch einmal eindringlich und pointiert zusammen. Dabei benennt der Autor das Studium Politicum als das wichtigste Ausbildungsziel eines Adligen; dieses kann jedoch nur aus eigener Anschauung in der täglichen Praxis erreicht und in Tuchfühlung mit erfahrenen Staatsmänner
zuletzt Markus Hundt: Leibniz – der Universalgelehrte und die deutsche Sprache, in: Deutsche Sprache 44/4 (2016), S. 293 – 316.
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angeeignet werden – und ist somit ausschließlich auf Reisen zu erlernen. Dazu heißt es: Das vornehmste darauf sich ein junger Cavalier auf Reisen absonderlich befleißigen soll, ist das Studium Politicum. […] Und zu diesem dienen derer Professorum Schrifften wenig oder gar nichts; Auf Universitäten kan auch hierinnen nicht gar viel gethan werden, weil man mit andern Studiis genung zu thun hat, und gehöret diß absonderlich auf Reisen, da man bey Gelegenheit aus klugen Discursen guter Staats-Leute viel nehmen, und […] gar leicht lernen kan, wie ein Staat in Flor und Aufnehmen zu bringen. (S. 206 f.)
Die zuletzt genannten „Haupt-Punkte“ (S. 207) des Regierungshandelns stellt Tschirnhaus eigens heraus, indem er ganz im Sinne des zeitgenössischen Kameralismus die Wirtschaftsförderung ohne übermäßige Steuerbelastung für die Untertanen, den Schutz vor äußeren Gefahren und die Gewährleistung der inneren Sicherheit als Ziele staatlicher Politik umreißt. Die hier dargestellte apodemische Regel ist sehr wahrscheinlich aus Tschirnhaus’ Erfahrungen als wirtschaftspolitischer Berater des Kurfürsten Friedrich August I. von Sachsen (August der Starke) entstanden. Jener und dessen zeitweiliger Statthalter, Anton Egon Fürst von Fürstenberg-Heiligenberg, unterstützten seit 1696 Tschirnhaus’ Vorschläge, nach dem Beispiel des französischen Merkantilismus in die zukunftsträchtige Glas- und Porzellanherstellung zu investieren und entsprechende Manufakturen im Kurfürstentum zu eröffnen, da die dazu benötigten mineralischen Rohstoffe ebendort zur Verfügung standen. Die merkantilistische Wirtschaftspolitik hatte der sächsische Gelehrte bereits rund 20 Jahre zuvor während eines Aufenthalts im Hause des einflussreichen französischen Finanzministers JeanBaptiste Colbert kennengelernt. Tschirnhaus erforschte selbst die in Frage kommenden mitteldeutschen Lagerstätten und besuchte im Verlauf einer Studienreise 1701/2 in die Niederlande und nach Frankreich die bedeutenden Manufakturstandorte Delft und Saint-Cloud bei Paris.²¹
Vgl. Rudolph Zaunick: Einführung: Ehrenfried Walther von Tschirnhaus in seinem Werden und Wirken, in: Tschirnhaus, Medicina mentis (Ausgabe Haußleiter/Zaunick), S. 5 – 28, hier S. 22; diese „Einführung“ ist auch als Einzelschrift mit aktualisierter Bibliographie verfügbar: Rudolph Zaunick: Ehrenfried Walther von Tschirnhaus. Mit einer biographischen Notiz zu Rudolph Zaunick hrsg. v. Lothar Dunsch. Dresden 2001. – Zur Glas- und Porzellanherstellung in Sachsen vgl. Gisela Haase: Tschirnhaus und die sächsischen Glashütten in Pretzsch, Dresden und Glücksburg, in: Peter Plaßmeyer/Sabine Siebel (Red.), Ehrenfried Walther von Tschirnhaus (1651‒1708). Experimente mit dem Sonnenfeuer. Ausstellung des Mathematisch-Physikalischen Salons der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, 11. April bis 29. Juli 2001. Dresden 2001, S. 55 – 67; Werner Loibl: Ehrenfried Walther von Tschirnhaus und der frühneuzeitliche Glasguss in Sachsen, in: Neues Lausitzisches Magazin, N.F. 16 (2013), S. 65 – 96.
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Aufschlussreich sind die Literaturempfehlungen, die Tschirnhaus in diesem Abschnitt den jungen Kavalieren gibt. Dabei nennt er niederländische, englische, französische und deutsche Referenzwerke. Aus dem Umkreis der politischen Philosophie des niederländischen Republikanismus, der mit dem Ende des Achtzigjährigen und zugleich des Dreißigjährigen Krieges seit 1650 entscheidende neue Impulse erfuhr, erwähnt er den von den beiden Unternehmern und Buchautoren Pieter und Johan de la Court verfassten staatstheoretischen Text „Politike Discoursen“ (Leyden 1662). Darin vertreten die Gebrüder de la Court einen gegen die Statthalterverfassung der Niederlande gerichteten konsequenten Antimonarchismus, der auf die Stärkung der Bürgertugenden gegründet ist. Ein gemäßigter Parteigänger des Republikanismus ist der zweite der genannten niederländischen Autoren: Pieter (Petrus) Valkenier, dessen Schrift „’t Verwerd Europa“ (Amsterdam 1675; dt. „Das verwirrte Europa“, 1677) sich als ein republikanisches Pamphlet gegen Ludwig XIV. von Frankreich entpuppt. Valkenier legte darin die politischen Erfahrungen aus seiner rund 30 Jahre währenden Tätigkeit als niederländischer Gesandter im Alten Reich und in der Schweiz nieder.²² Als englischsprachigen Beitrag zur politischen Bildung nennt Tschirnhaus den Bericht „An Account of Denmark, as it was in the Year 1692“ (London 1694) aus der Feder des gebürtigen irischen Juristen und Diplomaten Robert Molesworth, 1st Viscount Molesworth. Dessen Philippika gegen die dänische Monarchie – Molesworth war zuvor drei Jahre Botschafter Großbritanniens in Kopenhagen gewesen – führte zu diplomatischen Verwicklungen zwischen Großbritannien und Dänemark. Der Autor hatte nämlich Kritik an den dort festzustellenden autoritären Tendenzen der Herrschaftsausübung geäußert, Sympathien für die Idee eines die politische Ordnung begründenden Gesellschaftsvertrags gezeigt und schließlich vor dem allzu großen Einfluss einer Priesterkaste auf die staatliche Verwaltung gewarnt. Methodisch innovativ wurde Molesworth’ Werk dadurch, dass er erste Ansätze einer komparativen politischen Analyse in die Darstellung aufnahm. Dieses Verfahren einer „Komparatistik der Verfassungsformen“ wurde zu einem grundlegenden methodischen Prinzip der auf die politische Bildung ausgerichteten Europareisen der aufgeklärten Eliten des 18. Jahrhunderts.²³ Aus der deutschen bzw.
Vgl. zu den niederländischen Staatstheoretikern Thomas Maissen: „Par un pur motief de religion et en qualité de Republicain“. Der außenpolitische Republikanismus der Niederlande und seine Aufnahme in der Eidgenossenschaft (ca. 1670 – 1710), in: Luise Schorn-Schütte (Hrsg.), Aspekte der politischen Kommunikation, S. 233 – 283, hier S. 239 f. und 245 – 247 (de la Court) sowie S. 253 – 262 (Valkenier). Vgl. zu Molesworth Steve Pincus: Absolutism, Ideology and English Foreign Policy. The Ideological Context of Robert Molesworth’s „Account of Denmark“, in: David Onnekink/Gijs Rommelse (Hrsg.), Ideology and Foreign Policy in Early Modern Europe (1650 – 1750). Farnham,
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österreichischen kameralistischen Tradition empfiehlt Tschirnhaus die zum zeitgenössischen Standardwerk avancierte wirtschaftspolitische Programmschrift „Fürstliche Schatz- und Rent-Cammer“ (Leipzig 1686) des Juristen und Ökonomen Wilhelm von Schröder. Dieser Buchratschlag steht geradezu im Gegensatz zu den bisher erwähnten Schriften, denn von Schröder ist ein ausgesprochener Gegner der naturrechtlichen Vertragstheorie; vielmehr versucht er, die unbestrittene ‚absolute‘ Fürstenherrschaft mit dem Wohl der Untertanen zu verknüpfen, indem er ein stetiges Wachstum des Staatshaushaltes propagiert, wobei die eingetriebenen Geldmittel gezielt für obrigkeitlich gesteuerte Manufakturgründungen genutzt werden sollen.²⁴ Überraschend ist der letzte der angeführten Werktitel, den Tschirnhaus knapp kommentiert: „Les Avantures de Telemaque, können zu gleichem Zweck gelesen werden.“ (S. 207) „Zu gleichem Zweck“ heißt hier: zur Vorbereitung des politischen Anschauungsunterrichts auf Reisen. Tschirnhaus betrachtet den – 1699 zunächst anonym in Brüssel und Den Haag erschienenen – Bildungsroman „Les Avantures de Télémaque“ des französischen Geistlichen und Schriftstellers François de Salignac de La Mothe-Fénelon also nicht als Werk der ‚Poesie‘, sondern ordnet die Schrift der politischen Ratgeberliteratur zu. Offenbar sah er einen engen Zusammenhang mit der von ihm vertretenen politischen Philosophie, wie sie in der XXIX. „Anmerckung“ knapp formuliert ist, und Fénelons pädagogischer Erzählung, in welcher der Protagonist auf seinen Reisen mit den Vorzügen und den Nachteilen verschiedener Staatsformen konfrontiert und in der in einer Art Fürstenspiegel das Bild eines idealen Landesherrn entworfen wird. Gleichzeitig wird in der Schrift – gewissermaßen auf einer zweiten Reflexionsstufe – auf die Bedeutung des Reisens an sich wie auch auf die gewissenhafte Lektüre politischer Literatur während der Reise hingewiesen – zwei Faktoren, die nach Ansicht Tschirnhaus’ für die Ausbildung der künftigen Herrschaftselite unentbehrlich sind. Der „Télémaque“ wird von Tschirnhaus somit in erster Linie im Hinblick auf seine theoretische und praktische Anwendbarkeit für das studium politicum rezipiert.²⁵
U.K./Burlington, Vt. 2011, S. 29 – 54; zur „Komparatistik der Verfassungsformen“ vgl. Joachim Rees/Winfried Siebers: Erfahrungsraum Europa. Reisen politischer Funktionsträger des Alten Reichs 1750 – 1800. Ein kommentiertes Verzeichnis handschriftlicher Quellen. Berlin 2005, S. 81– 84. Vgl. zu von Schröder als Kameralist: Winfrid Halder: Schröder, Wilhelm Freiherr von, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 23 (2007), S. 577 f. Zur Rezeption des Werkes bei Tschirnhaus vgl. Christoph Schmitt-Maaß: Fénelons „Télémaque“ in der deutschsprachigen Aufklärung (1700 – 1832). 2 Bde. Berlin/Boston 2018, hier Bd. 1, S. 265 f.
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In der abschließenden XXX. „Anmerckung“ werden diese Überlegungen zur Erziehung eines adligen politicus durch das Reisen in fünf übergreifende philosophische Maximen eingebettet. Der junge Kavalier solle sich, so Tschirnhaus, zunächst einen „Scopum principalem“ (S. 212) wählen, also ein verbindliches Lebensprinzip, auf dessen innersten Kern alle Alltagsaktivitäten auszurichten seien. Das solle ihn aber – zweitens – nicht davon abhalten, sich einen Sinn für Gelegenheiten, Zufälle oder Situationen zu bewahren, aus denen abseits dieses Lebensprinzips viel zu lernen sei. Die dritte Maxime steht unter der Leitfrage: Wie kann ich zum Gemeinwohl des Staates beitragen? Eine vierte thematisiert die Gottesfürchtigkeit und die christlichen Werte, die ein im Fürstendienst stehender Staatsmann zu beachten habe. Dies alles solle – fünftens – dem adligen Kavalier eine gewisse Lebenszufriedenheit ermöglichen und ihn an der „Glückseeligkeit des menschlichen Lebens“ (S. 212) teilhaben lassen.
4 Tschirnhaus’ Lebenswelt als Kontext seiner Apodemik Ein Großteil der von Tschirnhaus entwickelten apodemischen Ratschläge und Empfehlungen ist aus seinen eigenen Lebenserfahrungen, seinen Auslandsaufenthalten, den wissenschaftlichen Interessen und der philosophischen Grundorientierung abzuleiten.²⁶ Mit der religionskritischen und rationalistischen Philosophie kam er während des Studiums in Leiden in Berührung, wo er in den Freundeskreis von Baruch de Spinoza aufgenommen wurde. Danach absolvierte er von Mai 1675 bis November 1679 eine viereinhalbjährige „wis-
Eine moderne, umfassende und wissenschaftlichen Ansprüchen genügende Biographie zu Tschirnhaus fehlt; von begrenztem Wert ist das populär-publizistische Taschenbuch von HansJoachim Böttcher: Ehrenfried Walther von Tschirnhaus. Das bewunderte, bekämpfte und totgeschwiegene Genie. Dresden 2014; noch immer heranzuziehen ist der exakte und faktentreue biographische Abriss von Rudolph Zaunick in der „Medicina mentis“-Ausgabe von Haußleiter/ Zaunick aus dem Jahr 1963 (Zaunick, Einführung, S. 5 – 28); vgl. die folgenden neueren Handbuchartikel: Günter Mühlpfordt: Art. Ehrenfried Walther von Tschirnhaus (1651‒1708), in: Gerald Wiemers (Hrsg.), Sächsische Lebensbilder. Bd. 6/2. Leipzig/Stuttgart 2009, S. 739‒783; auch als Preprint im Einzeldruck verfügbar: ders.: E. W. von Tschirnhaus (1651‒1708). Zu seinem 300. Todestag am 11. Oktober 2008. Leipzig 2008; Herbert Jaumann: Art. Tschirnhaus, Ehrenfried Walter von, in: Killy Literaturlexikon. Bd. 11. Berlin/Boston 2011, S. 626‒629; Susan Splinter: Tschirnhaus, Ehrenfried Walther Ritter von, in: NDB, Bd. 26 (2016), S. 480 f.; C[hristiane]. S[childknecht].: Tschirnhaus, Ehrenfried Walter von, in: Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. 2., neu bearb. und wesentl. erg. Aufl. Bd. 8. Stuttgart 2018, S. 121 f.
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senschaftliche Kavalierstour“,²⁷ die ihn u. a. über London, Paris, Lyon, Mailand, Padua, Rom und Neapel bis nach Sizilien und Malta führte. Während dieser Reisen trat er mit den bedeutendsten europäischen Philosophen, Wissenschaftlern und Technikern der Zeit in persönlichen Kontakt, etwa mit Henry Oldenburg, Robert Boyle, John Collins, Christiaan Huygens, Gottfried Wilhelm Leibniz, Athanasius Kircher, Nicolas Malebranche sowie vermutlich auch mit Isaac Newton. In Paris unterrichtete er zeitweilig die Söhne des Finanzministers Colbert als Hauslehrer. Zu Beginn der 1680er Jahre etablierte Tschirnhaus auf dem elterlichen Gutsbesitz in Kieslingswalde bei Görlitz – später ergänzt um eine Zweigstelle in Dresden – eine private Forschungsstätte mit Werkstatt, Laboratorium und Bibliothek, um dort naturwissenschaftliche Experimente durchzuführen und vor allem die technische Entwicklung des Glasgusses, die Produktion von hochwertigen Brennspiegeln und die Fabrikation des europäischen Hartporzellans voranzutreiben, seit 1706 unter Mitarbeit seines Gehilfen Johann Friedrich Böttger.²⁸ Während dieser Zeit erschienen zudem seine drei philosophischen, in lateinischer Sprache geschriebenen Hauptwerke: die „Medicina corporis“ (1686; dt. „Die Curiöse Medicin“, 2 Teile, 1688 und 1708), die „Medicina mentis“ (1687) und die „Gründliche Anleitung zu nützlichen Wissenschafften“ (1700).²⁹ Während die „Medicina corporis“ nach Art eines Medizinratgebers auf philosophischer
Vgl. Zaunick, Einführung, S. 8. Vgl. zum naturwissenschaftlich-technischen Werk Tschirnhaus’ vor allem Plaßmeyer/Siebel, Ehrenfried Walther von Tschirnhaus. Anonym: Medicina corporis seu cogitationes admodum probabiles de conservanda Sanitate. Amsterdam 1686; Anonym: Die Curiöse Medicin, darinnen die Gesundheit des Leibes in sehr wahrscheinlichen Gedancken in XII. Reguln vorgestellet/ Und wie solche durch gar leichte Mittel zu unterhalten/ gezeiget wird. Frankfurt/Leipzig 1688; Anonym: Der Curiösen Medicin Zweyter Theil/ Darinnen die wichtigsten Objectiones Wider den Ersten Theil Gründlich auffgelöset … Lüneburg 1708; Anonym: Medicina mentis, sive tentamen genuinae logicae, in qua disseritur de methodo detegendi incognitas veritates. Amsterdam 1687; Medicina mentis et corporis. Reprograf. Nachdr. der Ausg. Leipzig 1695. Mit einem Vorwort v. Wilhelm Risse. Hildesheim 1964; eine vollständige dt. Übers. der „Medicina mentis“ erschien erstmals 1963 in der Ausgabe von Haußleiter/Zaunick (siehe Anm. 15). – Anonym: Gründliche Anleitung zu nützlichen Wissenschafften absonderlich zu der Mathesi und Physica wie sie anitzo von den Gelehrtesten abgehandelt werden. O.O. [Halle] 1700; Gründliche Anleitung zu nützlichen Wissenschaften … Faksimile-Neudr. der 4., verm. und verb. Aufl. Frankfurt und Leipzig 1729, mit 2 Beilagen, hrsg. und eingeleitet v. Eduard Winter. Stuttgart-Bad Cannstatt 1967. – Von einer auf 16 Bände in drei Reihen geplanten Gesamtausgabe von Tschirnhaus’ Schriften erschienen nur vier Textbände und ein KolloquiumsBeiband, vgl. E. W. von Tschirnhaus: Gesamtausgabe. Hrsg. v. Eberhard Knobloch. Bd. I/5, II/1, 4, 5 nebst Beiband. Leipzig 2000 – 2004. Das Editionsprojekt der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig wurde nach 11-jähriger Laufzeit im Dezember 2003 eingestellt.
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Grundlage zwölf elementare, der gesamten Lebensführung dienende Gesundheitsregeln aufstellt und erläutert, enthält die „Medicina mentis“ eine essayistisch vorgetragene Theorie der Logik, die Descartes folgt und in drei Teilen die ethischanthropologischen Voraussetzungen, die methodologischen Verfahrensweisen (ars inveniendi; Kunst des Entdeckens) und die Anwendungsgebiete der Wahrheitsfindung darlegt. In der auf Wunsch des Hallenser Pädagogen August Hermann Francke verfassten „Gründlichen Anleitung“ plädiert er für eine an den Sachgegenständen und der Empirie orientierte Reform der herkömmlichen humanistischen Bildung, indem die Selbsttätigkeit der Schüler gestärkt und der Unterricht an den Naturwissenschaften ausgerichtet werden sollte. Die Schrift gilt heute als ein „Markstein auf dem Weg der aufgeklärten Pädagogik“.³⁰ Daneben erschienen in der 1682 neu gegründeten wissenschaftlichen Zeitschrift „Acta eruditorum“ 22 lateinische Aufsätze, in denen der sächsische Gelehrte seine neuesten Erkenntnisse, mathematische Lösungen (u. a. die sog. TschirnhausTransformation) sowie technische Erfindungen mitteilte.³¹ Überblickt man das gesamte philosophisch-pädagogische Werk Tschirnhaus’ und insbesondere seine Apodemik „Getreuer Hofmeister auf Academien und Reisen“, so lassen sich daran einige wissenschaftsgeschichtliche Beobachtungen anschließen. Tschirnhaus’ Schriften sind in den Wandlungsprozess einzuordnen, der sich am Ende des 17. Jahrhunderts im Zeichen der Wissenschaftskritik innerhalb der Gelehrten- und Bildungsgeschichte vollzog.³² Dabei sind drei geistesgeschichtlich neue Entwicklungen hervorzuheben: (1) die Opposition gegen die von der lateinischen Sprache geprägte humanistische Gelehrsamkeit vor allem im höheren Schulwesen; (2) die Forderung nach einem größeren Anteil der Realdisziplinen (Naturwissenschaften, Geographie, moderne Sprachen, ökonomischpraktische Wissensvermittlung) an der Allgemeinbildung; (3) die Empfehlung zur stärkeren Berücksichtigung der Muttersprache im Unterrichtsprozess. Alle diese Tendenzen spiegeln sich im Werk von Tschirnhaus wider. So räumt er der lateinischen Sprache keinen Vorrang mehr ein, sondern stellt das Französische und
Mühlpfordt, E. W. von Tschirnhaus (Preprint 2008), S. 44. Vgl. zum philosophischen Werk Tschirnhaus’ neben Israel, Radical Enlightenment, und Wollgast, Ehrenfried Walther von Tschirnhaus, vor allem Jean-Paul Wurtz: Ehrenfried Walter von Tschirnhaus, in: Helmut Holzhey (Hrsg.), Grundriss der Geschichte der Philosophie. Begründet von Friedrich Ueberweg. Völlig neubearb. Ausg. [Abt. 4:] Die Philosophie des 17. Jahrhunderts. Bd. 4. Halbbd. 2. Basel 2001, S. 958 – 967, sowie die ältere Arbeit von Johannes Verweyen: Ehrenfried Walter von Tschirnhaus als Philosoph. Bonn 1905. Vgl. zum Folgenden Gunter E. Grimm: Letternkultur. Wissenschaftskritik und antigelehrtes Dichten in Deutschland von der Renaissance bis zum Sturm und Drang. Tübingen 1998, S. 143 – 145.
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Italienische sowie sehr gute Kenntnisse der Muttersprache in den Mittelpunkt (XI. „Anmerckung“, S. 108). Des Weiteren wurde er mit seiner „Gründlichen Anleitung zu nützlichen Wissenschafften“ zu einem Anreger und Mitstreiter bei der reformpädagogischen Integration der Realienfächer in den Schulunterricht, u. a. am Halle’schen Waisenhaus. Als akademisch gebildeter Adliger und als wissenschaftlicher Autor wählte Tschirnhaus sein Zielpublikum im Rahmen der res publica literaria und der entstehenden publizistischen Öffentlichkeit der Jahrzehnte um 1700 exakt aus. Für seine gelehrten Schriften bediente er sich des Lateinischen, das er in der akademisch-universitären Sphäre nach wie vor für unerlässlich hielt. Einen größeren und vielfältigeren Leserkreis versuchte er mit der an die fortschrittlichen Erzieher im höheren Schulwesen gerichteten und in deutscher Sprache verfassten „Gründlichen Anleitung“ zu erreichen. Mit dem „Getreuen Hofmeister“ schließlich spricht Tschirnhaus nur noch einen kleinen Kreis von Hofmeistern und Privatlehrern an, die sich der Erziehung der adligen Jugend widmeten. Zwar mag das handschriftliche Dokument in Abschriften zirkuliert sein, die postume Veröffentlichung durch W. B. von Tschirnhaus mehr als zwanzig Jahre nach seiner Abfassung trifft jedoch bereits auf einen gänzlich anderen kulturgeschichtlichen Kontext. Die Publikationsstrategien von Tschirnhaus sind deshalb auch nicht mit dem „Postulat allgemeiner Zugänglichkeit von Wissenschaft“ vereinbar,³³ wie es die Philosophengeneration um Christian Thomasius in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts propagierte. Tschirnhaus’ Auseinandersetzung mit Thomasius zeigt überdies, dass sein Denken in gesellschaftsgeschichtlicher Perspektive adelsständisch geprägt blieb.
5 Schlussbemerkungen: Apodemik und Diplomatiegeschichte Die Ausgangsfrage dieser Darlegung zielte auf den Zusammenhang von Reisen im adligen oder gelehrten Kontext mit der Fachausbildung von Amtsträgern im Fürstendienst, einschließlich der dabei zu erwartenden diplomatischen Aufgaben. Als Verbindungsglied der beiden Aspekte wurde die Gattung der Apodemik in den Mittelpunkt gerückt. Im jüngsten Forschungsbericht zu diesem Gegenstandsbereich wird darauf hingewiesen, dass die Anzahl von Untersuchungen, die sich ausführlich und kontextbezogen mit Einzelschriften der
Grimm, Letternkultur, S. 144.
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Gattung befassen, immer noch viel zu gering sei.³⁴ Die vorliegende kurzgefasste Skizze versteht sich in diesem Sinne als ein solcher Beitrag zur Ideen- und Literaturgeschichte der Apodemik. Ihre Ergebnisse könnten für die hier ins Auge gefasste Phase der Frühaufklärung mit weiteren Studien zu einigen wichtigen Reisehandbüchern mit apodemischem Inhalt erweitert und ergänzt werden. Für die europäischen Hauptorte und -länder wäre auf folgende Werke hinzuweisen: Heinrich Ludolf Benthems „Holländischer Kirch- und Schulen-Staat“ (1698) über die Niederlande, Joachim Christoph Nemeitz’ „Séjour de Paris, Oder Getreue Anleitung …“ (1718) über Paris, Johann Basilius Küchelbeckers „Der Nach Engelland reisende curieuse Passagier“ (1726) über London sowie Johann Georg Keyßlers „Neueste Reise durch Teutschland …“ (1740/41; gereist 1729/31) vorwiegend über Italien.³⁵ Gleichzeitig ist die Apodemik aufgrund ihrer traditionsgeschichtlichen Herkunft und ihrer literarisch-rhetorischen Gestaltung eine Mischform, die Elemente der politischen Bildung, der Staats- und Landeskunde, der zeitgenössischen pädagogischen Lehre, der philosophischen Grundhaltung sowie der spezifischen sozialen und mentalitätshistorischen Stellung ihrer jeweiligen Zielgruppe miteinander verknüpft. Überdies stellt sie in methodischer Hinsicht Listen, Tabellen und Schemata zur Beobachtung und Erfassung der auf Reisen erlebten Welt bereit. Schließlich bietet sie dem Leser und Nutzer verschiedene Verwendungsweisen vor der Abfahrt und während des Reisens an: als Ratgeber-, Anleitungs- und Nachschlageliteratur.³⁶ All dies macht die Apodemik deshalb zu einem Spiegelbild der aktuellen geistigen und kulturellen Tendenzen ihrer Entstehungszeit. Insofern ist die Gattung eine äußerst nützliche Quelle der Diplomatiegeschichte, weil sie wichtige Grundthemen der diplomatischen Tätigkeit behandelt, darunter zielgerichtetes Reisen, akteursbezogene Kontaktaufnahme, Repräsentation im höfischen Umkreis, Beobachtung politischer Prozesse sowie allgemeine Informationsakquise und Verfassungsanalyse. Die Apodemik als lebensweltliche Handlungsanweisung für Gesandte Karl Enenkel/Jan L. de Jong: Introduction. „Artes Apodemicae“ and Early Modern Travel Culture, 1550 – 1700, in: dies. (Hrsg.)‚ „Artes Apodemicae“, S. 1– 13, hier S. 6: „The majority of the Artes Apodemicae have not been analysed as texts or in any detail. Even the actual contents and contexts of most Artes are hardly known.“ (Hervorhebungen im Original). Vgl. für eine erste Kurzinformation zu diesen Autoren und Werken die kommentierten Einträge in der Reiseliteratur-Datenbank der Forschungsstelle zur historischen Reisekultur an der Eutiner Landesbibliothek, https://lb-eutin.kreis-oh.de/index.php?id=351; abgerufen am 15.07. 2019; zu J. G. Keyßler ausführlich: Siebers, Keyßler. Vgl. Gábor Gélleri: Handbooks for the Courtier and Handbooks for the Traveller. Intersections of Two Forms of Early Modern Advice Literature, in: Enenkel/de Jong (Hrsg.), „Artes Apodemicae“, S. 148 – 165.
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auf Reisen stellt somit ein Quellenrepertoire dar, das als ein Musterfall für die neueren Forschungsansätze einer akteurszentrierten und wissenskulturell orientierten Diplomatiegeschichte der Frühen Neuzeit betrachtet werden kann.³⁷
Vgl. Guido Braun: Einleitung, in: ders. (Hrsg.), Diplomatische Wissenskulturen der Frühen Neuzeit. Erfahrungsräume und Orte der Wissensproduktion. Berlin/Boston 2018, S. VII–XLI.
Julian zur Lage
Diplomaten als Autoritäten für die Geschichtsschreibung William Robertsons „History of America“ (1777) Was verband Historiographie und Diplomatie im 18. Jahrhundert? Diese Beziehung erhielt bisher dann Aufmerksamkeit, wenn Geschichtsschreibung zum Beleg alter Rechte diente und diplomatisch-politische Ziele beförderte.¹ Kaum erforscht ist dagegen die mit Unterstützung von Gesandten verfasste Geschichtsschreibung. Denn die neuere Diplomatiegeschichte legt trotz ihres Interesses an Praktiken und Alltag der Gesandten ihren Fokus weiterhin auf Tätigkeiten im Rahmen der offiziellen Aufgaben.² Diese Perspektive entspricht zwar dem naheliegenden Erkenntnisinteresse der historischen Diplomatieforschung, blendet aber Tätigkeiten außerhalb des eigentlichen Aufgabenfelds aus, die ebenfalls Aufschluss über das Umfeld, die Arbeitsweisen und die Handlungsspielräume der Akteure bieten. Ein Perspektivwechsel, der die Rolle der Gesandten im Prozess der Geschichtsschreibung und nicht die Historiographie als Hilfswissenschaft der Diplomatie betrachtet, scheint dabei besonders ergiebig, wie am Beispiel des schottischen Historikers William Robertson (1721– 1793) zu zeigen sein wird. Robertson schlug zunächst eine geistliche Laufbahn ein, die ihn in bedeutende Positionen der Church of Scotland brachte. Parallel dazu erlangte er als Historiker erst eine Professur, dann die Position als Principal der Universität von Edinburgh und schließlich den Ehrentitel Historiographer to his Majesty for Scotland. Mit seiner „The History of the Reign of the Emperor Charles V.“ (1769)
Ein gut erforschtes Beispiel stellen die Versuche des Welfenhauses um 1700 dar, mit Gottfried Wilhelm Leibniz’ genalogischen Forschungen die eigenen Ansprüche auf eine Kurwürde zu unterstreichen. Siehe dazu etwa Matthias Schnettger: Leibniz’ Italienbild und die Bedeutung Italiens für Geschichte und Politik des Welfenhauses, in: Friedrich Beiderbeck/Irene Dingel/Wenchao Li (Hrsg.), Umwelt und Weltgestaltung. Leibniz’ politisches Denken in seiner Zeit. Göttingen u. a. 2015, S. 527– 550, hier S. 534– 540, auch zur Kooperation mit den Este und Lodovico Antonio Muratori. Siehe für diese Tendenz etwa Heidrun Kugeler/Christian Sepp/Georg Wolf: Einführung: Internationale Beziehungen in der Frühen Neuzeit. Ansätze und Perspektiven, in: dies. (Hrsg.), Internationale Beziehungen in der Frühen Neuzeit. Ansätze und Perspektiven. Hamburg 2006, S. 9 – 35, hier S. 23 f.; Jan Hennings/Tracey A. Sowerby: Introduction: Practices of Diplomacy, in: Tracey A. Sowerby/Jan Hennings (Hrsg.), Practices of Diplomacy in the Early Modern World c.1410 – 1800. London 2017, S. 1– 21, hier S. 2 f. https://doi.org/10.1515/9783110625431-004
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erwarb er auch über Großbritannien hinaus einen Bekanntheitsgrad, den er später für die im Folgenden zu untersuchende „History of America“ (1777) einzusetzen wusste.³ Robertsons Hauptinteresse lag auf den Ereignissen der spanischen Eroberung Mittel- und Südamerikas und der Kultur und Geschichte der Bevölkerung dieser Regionen. Aufgrund des Amerikanischen Unabhängigkeitskriegs blendete er die Geschichte Nordamerikas weitgehend aus.⁴ Selbst hatte Robertson den Doppelkontinent nie betreten, er verließ sich stattdessen auf gedruckte Werke, Manuskripte und von Reisenden ausgefüllte Fragebögen als Quellen. Er erbat ab etwa 1770 von zahlreichen Kontakten auf dem europäischen Festland Mittlertätigkeiten oder direkt Informationen. Zu den wichtigsten Informanten bzw. Zuträgern der „History of America“ gehörten in Spanien tätige britische Diplomaten wie der Botschafter Thomas Robinson, Lord Grantham (1738 – 1786), und sein Kaplan Robert Darley Waddilove (1736 – 1828) sowie für spätere Neuauflagen Sir Robert Liston (1742– 1836), der verschiedene Positionen in Madrid innehatte. Aus Wien vermittelte der Botschafter Sir Robert Murray Keith (1730 – 1795) spanische Manuskripte an Robertson, die unter anderem durch die habsburgische Personalunion dorthin gelangt waren. Für Brasilien konnte der Botschafter Portugals in London, Luis Pinto de Sousa Coutínho (1735 – 1804), aus eigenen Kenntnissen über die lokalen Bedingungen berichten und gab zusätzlich Bücher und andere Informationen aus zweiter Hand weiter. Diese Personen stehen im Fokus des folgenden Aufsatzes, da sie aus ihrer Rolle als Diplomaten heraus als Autoritäten für Robertsons Geschichtsschreibung agierten. Andere Kontakte Robertsons etwa nach Frankreich erfolgten stattdessen über klassische Kanäle der Republique des lettres und werden daher hier nur am Rande thematisiert.⁵
Vgl. William Robertson: The History of the Reign of the Emperor Charles V. With a View of the Progress of Society in Europe, from the Subversion of the Roman Empire, to the Beginning of the Sixteenth Century. 3 Bde. London 1769; ders.: The History of America. 2 Bde. London 1777, siehe das Titelblatt für die Positionen. Als wichtigster biographischer Überblick: Jeffrey R. Smitten: The Life of William Robertson. Minister, Historian and Principal. Edinburgh 2017, etwa S. 166 zu Robertsons internationalem Erfolg. Robertson sah angesichts des Krieges keine Möglichkeit, die Geschichte der britischen Kolonien angemessen zu behandeln. Deshalb erschienen erst posthum einige bereits abgefasste Teile des geplanten größeren Werks, so William Robertson: The History of America. Books IX. and X. Containing the History of Virginia, to the Year 1688; and the History of New England, to the Year 1652. London 1796, S. Vf. Siehe John Renwick: The Reception of William Robertson’s Historical Writings in Eighteenthcentury France, in: Stewart J. Brown (Hrsg.), William Robertson and the Expansion of Empire. Cambridge u. a. 1997, S. 145 – 163, hier S. 154. Details und Nachweise zu den Biographien der Diplomaten schließen sich daran an.
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Für die Wirkung und Rezeption der „History of America“ waren die von Robertson mit Hilfe seiner Zuträger gesammelten, wenig bekannten Quellen von erheblicher Bedeutung, wie er selbst gegenüber Keith hervorhob: „I flatter myself that from the uncommon opportunities I have had of getting information from Spain this book may prove interesting & curious.“⁶ Im Vorwort lenkte Robertson seine Leser gezielt auf diese Besonderheit seines Werkes. Auf etwa zehn Seiten dankte er ausführlich den verschiedenen Diplomaten und anderen Unterstützern für ihre Zuarbeit und betonte die Bedeutung einer exakten Quellen- und Belegarbeit. An das Ende des zweiten Bands fügte er zudem – auf Anregung seines Historikerkollegen Edward Gibbon – das Verzeichnis „A Catalogue of Spanish Books and Manuscripts“ im Umfang von zwölf Seiten als eine Art Quellenverzeichnis bei.⁷ Diese Punkte verdeutlichen die Relevanz der Gesandten für Robertsons Selbstverständnis als präziser, quellennah arbeitender Historiker. Ein Korrespondenzpartner, der französische Gelehrte Charles de Brosses, stimmte dem zu und betonte die Bedeutung des Materials sogar schon vor Veröffentlichung der „History of America“: „Vous me faites plaisir de m’apprendre que vous avés reçû d’Espagne a cet égard de nouveaux matériaux peu connus propres à rendre votre ouvrage interessant et même nouveau à divers égards.“⁸ Dieser äußerst positiven Einschätzung der Quellenarbeit Robertsons folgte die ältere Forschung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts weitgehend unkritisch.⁹ In der Folge blieb bis heute ein großes Interesse an den kontinentaleuropäischen Kontakten des Historikers erhalten. Allerdings ergab sich diese Aufmerksamkeit für den Austausch in der Regel aus der Beschäftigung mit Werk und Arbeitsweise Robertsons, so dass Rolle und Bedeutung seiner Korrespondenzpartner nur nachrangig behandelt wurden.¹⁰ Zudem kamen in der jüngeren Forschung Zweifel
William Robertson an Robert Murray Keith, 26.08.1776, British Library, Add. Ms. 35350, fol. 60r–61v, hier fol. 61r. Robertson, The History of America (1777), Bd. 1, S.VII–XIII für die Danksagungen; S. XVf. für die Belegarbeit und Gibbons Anregung; Bd. 2, S. 523 – 535 für den Catalogue. Charles de Brosses an William Robertson, Dijon, 28.02.1777, National Library of Scotland, Ms. 3943, fol. 5r–6v, hier fol. 5v. So etwa Dugald Stewart: Account of the Life and Writings of William Robertson. 2. Aufl. London 1802, S. 112; John B. Black: The Art of History. A Study of Four Great Historians of the Eighteenth Century. London 1926, S. 120 f. Konkret zu den spanischen Kontakten: Jeremy Black: The Enlightenment Historian at Work. The Researches of William Robertson, in: Bulletin of Hispanic Studies 65 (1988), S. 251– 260; Bruce P. Lenman: „From savage to Scot“ via the French and the Spaniards. Principal Robertson’s Spanish Sources, in: Brown (Hrsg.), William Robertson, S. 196 – 209; Jeffrey Smitten: Robertson’s Letters and the Life of Writing, in: ebd., S. 36 – 54, hier S. 43 – 47, nimmt ebenfalls ausführlich auf Robertsons Korrespondenz mit Diplomaten in Spanien Bezug. Kontakte und Rezeption Robertsons
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an der praktischen Bedeutung von Robertsons Selbstdarstellung als intensiver Nutzer von Archivquellen und Augenzeugenberichten auf: In der „History of America“ verwendete er die Dokumente kaum, sondern verließ sich den Belegen zufolge weitgehend auf gedruckt vorliegende Werke. Diesen Aspekt hat unter anderem Mark Duckworth bereits eingehend untersucht und die These formuliert, dass Robertson mit seinen Funden und Erhebungen wenig anfangen konnte, weil sie etablierten Lehrmeinungen zuwiderliefen.¹¹ Warum aber betonte Robertson dann die Kontakte zu den Diplomaten in seinem Vorwort so stark? Gerade diese Diskrepanz zwischen Robertsons Selbstdarstellung und der tatsächlichen Nutzung der gesammelten Materialien fordert eine genauere Analyse seiner Beziehungen zu den Diplomaten heraus. Zentral ist die Frage, welche Interessen beide Seiten mit dem scheinbar praktisch wenig ertragreichen Austausch verfolgten. Auf diese Weise lässt sich mehr über Robertsons Arbeitsweise und über die Bedeutung der Diplomaten jenseits ihrer vermeintlichen Rolle als Informationslieferanten erfahren. Im Ergebnis wird deutlich, dass Robertson seine Kontakte nicht primär für die Übermittlung von Quellen benötigte, sondern die Gesandten mit ihrer Autorität das Werk legitimieren sollten.
1 Diplomaten als Übermittler spanischer Drucke Die älteste bemerkenswerte Episode für Robertsons Verhältnis zu seinen Zuträgern stammt noch aus der Zeit, bevor seine Kontaktperson eine erfolgreiche Laufbahn im diplomatischen Dienst antrat. Robert Liston, ehemaliger Student im restlichen Europa erhielten ebenso Aufmerksamkeit: Edmund Heier: William Robertson and Ludwig Heinrich von Nicolay, his German Translator at the Court of Catherine II, in: The Scottish Historical Review 41 (1962), S. 135 – 140; Renwick, The Reception of William Robertson’s Historical Writings; László Kontler: Translations, Histories, Enlightenments. William Robertson in Germany, 1760 – 1795. New York 2014. Siehe: Mark Duckworth: An Eighteenth-century Questionnaire. William Robertson on the Indians, in: Eighteenth-century life 11 (1987), S. 36 – 49, hier S. 42 f. In Ansätzen findet sich dieser Punkt bereits bei Peter J. Marshall/Glyndwr Williams: The Great Map of Mankind. Perceptions of New Worlds in the Age of Enlightenment. Cambridge, Mass. 1982, S. 219. Ähnlich betont die jüngere Robertson-Forschung, dass er im Wesentlichen kompilatorisch arbeitete: Karen O’Brien: Narratives of Enlightenment. Cosmopolitan History from Voltaire to Gibbon. Cambridge u. a. 1997, S. 158; Charlotte Roberts: Tracing a Meridian through the Map of Time. Fact, Conjecture and the Scientific Method in William Robertson’s History of America, in: Ben Dew/Fiona Price (Hrsg.), Historical Writing in Britain, 1688 – 1830. Visions of History. Basingstoke u. a. 2014, S. 109 – 126, hier S. 122; Neil Hargraves: Beyond the Savage Character. Mexicans, Peruvians, and the „Imperfectly Civilized“ in William Robertson’s History of America, in: Larry Wolff/Marco Cipolloni (Hrsg.), The Anthropology of the Enlightenment. Stanford 2007, S. 103 – 118, hier S. 109 f.
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Robertsons an der University of Edinburgh, gelangte im Lauf seiner langen Karriere als einziger „commoner“ im 18. Jahrhundert in den Rang eines Botschafters.¹² Die nötigen Beziehungen für diesen Aufstieg knüpfte er in erster Linie unter schottischen Landsmännern. Nach seinem Studium begleitete er ab 1762 die Brüder Gilbert und Hugh Elliot auf ihrer Grand Tour; die gleiche Rolle übernahm er ab 1768 für Thomas Johnes.¹³ Im Rahmen dieser Reisen auf dem europäischen Kontinent erwarb er nicht nur vielfältige Kontakte und Sprachkenntnisse, sondern erweckte 1770 erstmals Robertsons Aufmerksamkeit als möglicher Vermittler von Informationen aus Spanien. Der schottische Gelehrte Andrew Dalzell hatte dem Historiker von dem Madridbesuch seines engen Freundes Liston berichtet: Amidst our conversation the doctor [Robertson] enquired very kindly after you. I told him that I believed you was on your way from Madrid to Toulouse at that very time. When he heard of your having been at Madrid, he exprest great regret that he had not known of your intention before you set out for that City, for as the best materials for the American History are contained in Spanish Authors he finds it absolutely necessary to have recourse to Spain for providing such books.¹⁴
Das Interesse Robertsons lag vorerst nicht auf dem Zugang zu spanischen Archivquellen, sondern auf der Beschaffung gedruckter Werke. Dass bereits diese vermeintlich einfachere Aufgabe ihre Tücken aufwies, verdeutlicht der weitere Bericht Dalzells: [Robertson] told me that the only Correspondence he had with Madrid was by means of Balfour the Bookseller in this place, & that Balfour’s method of corresponding was not at all clever, or satisfactory. He therefore regrets much that he had lost the opportunity of your being in the spot as you would have probably found out a proper person for furnishing him with the books he wanted.¹⁵
Schon die Herstellung eines zuverlässigen Kontaktes nach Spanien war für Robertson offenbar nicht ohne weiteres möglich, obwohl er bereits andere Mittler
Jennifer Mori: The Culture of Diplomacy. Britain in Europe, c. 1750 – 1830. Manchester u. a. 2010, S. 216. Siehe dazu James C. Nicholls: Introduction, in: ders. (Hrsg.), Mme Riccoboni’s Letters to David Hume, David Garrick and Sir Robert Liston, 1764– 1783. Oxford 1976, S. 11– 30, hier S. 20. Zur Bedeutung von Schotten im diplomatischen Dienst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts siehe David Bayne Horn: The British Diplomatic Service 1689 – 1789. Oxford 1961, S. 115 – 122. Andrew Dalzell an Robert Liston, Edinburgh, 15.04.1770 [unter einem Brief Edward Maccormicks an Liston], National Library of Scotland, Ms. 5513, fol. 183r–184v, hier fol. 184r. Dalzell an Liston, 15.4.1770, hier fol. 184r. Siehe dazu Smitten, The Life of William Robertson, S. 168.
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eingeschaltet hatte. Auch Liston konnte wegen seiner Abreise aus Madrid nicht die gewünschten Bände übermitteln. Erst zwei Jahre später erhielt Robertson von Lord Grantham die notwendige Unterstützung. Als Sohn des britischen Botschafters 1738 in Wien geboren, hatte Grantham nach ersten Karriereschritten in London im Jahr 1771 den Botschafterposten in Madrid übernommen. Auch ihm gegenüber betonte Robertson seine Schwierigkeiten in Bezug auf die relevante Fachliteratur: „The collection of Spanish books both in London and here [in Edinburgh] is very defective.“¹⁶ Grantham delegierte die eigentliche Arbeit der Materialbeschaffung an seinen Kaplan Waddilove, den Robertson in seiner Einleitung ausführlich würdigte: During five years, that gentleman has carried on researches for my behoof, with such activity, perseverance, and knowledge to the subject, to which his attention was turned, as have filled me with no less astonishment than satisfaction. He procured for me the greater part of the Spanish books, which I have consulted; and as many of them were printed early in the sixteenth century, and are becoming extremely rare, the collecting of these was such an occupation, as, alone, required much time and assiduity.¹⁷
Waddiloves Beitrag zur „History of America“ war somit Robertsons eigenen Worten zufolge beträchtlich, obwohl die Rolle des Buchankäufers nicht gerade zu den üblichen Pflichten eines Geistlichen gehörte. Die meist überschaubare personelle Ausstattung der diplomatischen Vertretungen trug vermutlich genauso wie seine persönlichen Interessen dazu bei, dass Waddilove diese Aufgabe zufiel. Er hatte in Cambridge studiert, ging dann nach Ausübung verschiedener kirchlicher Positionen mit Grantham nach Madrid und blühte vor allem in seiner Rolle als Vermittler und Übersetzer zwischen Spanien und Großbritannien auf. Mit dem Botschafter und dessen Bruder Frederick Robinson in London organisierte er ein Netzwerk, das interessierten Briten spanische Literatur beschaffte. Wie Nicolás Bas Martín gezeigt hat, sorgte gerade Granthams Gesandtschaft zwischen 1771 und 1779 für mehr Aufmerksamkeit für die spanische Kultur und Literatur in Großbritannien.¹⁸
Ein Teil der Korrespondenz Robertsons mit Grantham und Waddilove liegt ediert vor: William Robertson an Thomas Robinson, Baron Grantham. Edinburgh, 21.02.1772, in: Black, The Enlightenment Historian at Work, S. 254. Zu Grantham siehe G. F. R. Barker/Hallie Rubenhold: Robinson, Thomas, second Baron Grantham, in: Oxford Dictionary of National Biography. From the Earliest Times to the Year 2000. 60 Bde. Oxford u. a. 2004, hier Bd. 47, S. 416. Robertson, The History of America (1777), Bd. 1, S. VIII. Vgl. Nicolás Bas Martín: Spanish Books in the Europe of the Enlightenment (Paris and London). A View from Abroad. Leiden 2018, S. 132– 138; Nigel Aston: Waddilove, Robert Darley, in: Oxford Dictionary of National Biography, Bd. 56, S. 642 f.
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Diese Entwicklung ist bemerkenswert, weil sie eine Abschwächung des negativen Spanienbildes widerspiegelt. Besonders bis zum Ende des Siebenjährigen Krieges hatte in Großbritannien eine traditionell vom konfessionellen Gegensatz, zahlreichen Kriegen gegen die bourbonischen Mächte und der „Leyenda Negra“ geprägte Sicht dominiert. Das katholische Spanien galt durch die Inquisition und die als übermäßig grausam dargestellte Expansion in Amerika als Gegenpol des protestantisch-liberalen Großbritannien. Im ausgehenden 18. Jahrhundert bestand weiterhin Konfliktpotential um koloniale Interessen; britische Erfolge verstärkten zudem die Wahrnehmung einer Krisenhaftigkeit und Rückständigkeit Spaniens. Somit bewegten sich die Botschafter in Madrid in einer komplizierten Situation, die etwa in der erneuten Aussetzung der Beziehungen während der spanischen Beteiligung am Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg zum Ausdruck kam.¹⁹ Robertsons Interesse an der Geschichte des Landes, Granthams Bemühungen um eine Popularisierung spanischer Literatur in Großbritannien und auch der Aufenthalt Listons zählen trotz der weiterhin schwierigen Beziehungen zu den Anzeichen eines intensivierten Austauschs. Gleichzeitig verdeutlichen Robertsons Probleme in der Buchbeschaffung das niedrige Ausgangsniveau der Kontakte. Anders als der nur durchreisende junge Liston hatten die vor Ort lebenden Botschaftsangehörigen immerhin Möglichkeiten zur Übermittlung von Büchern und damit einer systematischen Förderung des Spanien-Interesses in Großbritannien. Robertsons Hinweis auf die komplizierte Materialbeschaffung durch Waddilove verdeutlicht jedoch, dass eine reine Anwesenheit vor Ort nicht genügte und die besonderen Fähigkeiten der Gesandten gefragt waren.
2 Archivquellen und Informationen durch persönliche Kontakte Die Hauptschwierigkeit beim Zugang zu Archivquellen aus Spanien lag in der offiziellen Verschlusspolitik für alle Unterlagen mit Bezug zu den Kolonien. Insbesondere Ausländer sollten keinen Zugang zu den Dokumenten im Archivo de Simancas erhalten, wie Robertson in seinem Vorwort zur „History of America“
Zur Spanien-Wahrnehmung in Großbritannien und den Beziehungen der beiden Staaten vgl. Ulrike Hönsch: Wege des Spanienbildes im Deutschland des 18. Jahrhunderts. Tübingen 2000, S. 83 – 85; Heinz Duchhardt: Balance of Power und Pentarchie. Internationale Beziehungen 1700 – 1785. Paderborn [u. a.] 1997, S. 170 f.
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beklagte.²⁰ Grantham hatte in einem Brief deutlich gemacht, dass aus diesem Grund offizielle Anfragen keinen Erfolg versprachen: I found soon after my arrival that the most effectual way of answering the Purpose which you had recommended to me, would be by private applications, and making use of Incidents, rather than by exercising the Formality of the Influence which my Situation might give me. It is in the Country extremely difficult to persuade anybody that Enquiries of the kind, which you wished to be made, are directed to general and liberal Purposes, not to some particular View, and that they may be literary, not Political Pursuits.²¹
Als Begründung für die Schwierigkeiten beim Zugang zu spanischen Archiven führte Grantham an, dass es den Offiziellen an einem Verständnis für die generelle, über nationale Interessen hinausgehende Bedeutung von Forschung fehle. Grantham berief sich so auf eine grundlegende Idee der Aufklärung und unterstellte seinem Gastland eine Rückständigkeit in dieser Hinsicht. Die spanische Seite beharrte auf der Position, dass alle Dokumente aus den Archiven potentiell politische Bedeutung besaßen. Über diese und ähnliche Auseinandersetzungen, die auch innerspanische Konflikte nach sich zogen, äußerte sich Waddilove ähnlich – sie beeinträchtigten ihn persönlich: „Such stuff has sometimes sicken’d me in your service for months, I have then taken it up again with Eagerness, & so by one way or another picked up some materials for some parts of your History.“²² Die Konflikte während der Recherchen schienen Waddiloves Begeisterung für die Arbeit für Robertson zumindest zeitweise einzuschränken. Zudem zeigt die Aussage erneut, dass offizielle Anfragen in Spanien nicht sonderlich aussichtsreich waren, andere Wege also bessere Ergebnisse versprachen. Wohl auch aufgrund der Zugangssperren bemühte Robertson weitere Kontakte, um an spanische Quellen zu gelangen. Die Habsburgische Personalunion im 16. Jahrhundert hatte eine Alternative geschaffen, da wichtige Dokumente der spanischen Kolonialgeschichte so teils im Original oder zumindest als Abschrift auch nach Wien gelangt waren. Der britische Botschafter vor Ort, Robert Murray Keith, konnte durch eine offizielle Anfrage einen Brief Hernan Cortes’ kopieren lassen. Keith, Sohn eines Diplomaten, aber eigentlich mit Ambitionen zu einer militärischen Karriere, hatte nach Stationen in Dresden und Kopenhagen 1772 den
Robertson, The History of America (1777), Bd. 1, S. IX. Thomas Robinson, Baron Grantham an William Robertson, Escorial, 31.10.1776, in: Black, The Enlightenment Historian at Work, S. 256 – 258, Zitat S. 256. Robert Darley Waddilove an William Robertson, Escorial, 3.11.1777, National Library of Scotland, Ms. 3943, fol. 42r–45v, hier fol. 44r.
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Dienst in Wien angetreten – ein Posten, den er zwanzig Jahre behalten sollte.²³ Der Wiener Hof zeigte sich offen für Forschungsinteressen: Robertson betonte in seinem Vorwort zur „History of America“ ausdrücklich die wohlwollende Reaktion von Kaiserin Maria Theresia auf seine Bitte um die Kopie des Cortes-Briefs, die im Kontrast zur spanischen Haltung stehe.²⁴ Der spanische Protektionismus stellte somit im europäischen Vergleich einen gewissen Sonderfall dar. Wie die von Grantham auf persönlichem Weg erfolgreich beschafften Dokumente zeigen, gab es trotz der geschlossenen Archive Möglichkeiten, auf relevantes Material zuzugreifen. Inoffizielle Kontakte wiesen allerdings eine besondere Problematik auf: Sie waren geprägt von wechselnden Beziehungen und biographischen Entwicklungen. Den Extremfall stellte der Tod eines Informanten dar, wie Robert Liston feststellen musste. Nach dem Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg trat er 1783 den Posten als Sekretär des neuen Botschafters Lord Mountstewart in Madrid an. Aufgrund der dauerhaften Abwesenheit seines Vorgesetzten übernahm er de facto die Leitung der diplomatischen Vertretung und erhielt daher eine Beförderung zum minister-plenipotentiary. ²⁵ In dieser Funktion konnte er Robertson für die Neuauflage der „History of America“ unterstützen. Besonderes Interesse hatte der Historiker im Jahr 1787 an der Frage, ob im spanischen Amerika Indigene zur Priesterweihe zugelassen seien. Hintergrund war eine Auseinandersetzung mit dem exilierten mexikanischen Jesuiten Francisco Javier Clavijero, der Robertson fehlende Präzision bis hin zu antiindigenen Manipulationen in seiner Darstellung vorwarf.²⁶ Robertson wollte daher die Fakten überprüfen und bat Liston, Gewährsmänner für seine Position zu finden. Liston übernahm diese Aufgabe bereitwillig, stand allerdings vor einem unerwarteten Problem:
Siehe dazu Alexander Du Toit: Keith, Sir Robert Murray, in: Oxford Dictionary of National Biography, Bd. 31 (2004), S. 74– 76, hier S. 75. Robertson, The History of America (1777), S. Xf. Siehe Deborah Manley: Liston, Sir Robert, in: Oxford Dictionary of National Biography, Bd. 34 (2001), S. 3 f., hier S. 3. Ursprünglich erschien das Werk bereits 1781/82 auf Italienisch, aber erst die Übersetzung ins Englische sorgte für eine breitere Rezeption in Großbritannien. Für massive Kritik an Robertson siehe etwa Francisco Javier Clavijero: The History of Mexico. Collected from Spanish and Mexican Historians, from Manuscripts, and Ancient Paintings of the Indians. Illustrated by Charts, and other Copper Plates, to which are Added Critical Dissertations on the Land, the Animals, and Inhabitants of Mexico. Translated from the original Italian, by Charles Cullen, Esq. 2 Bde. London 1787, Bd. 1, S. XXVf.; Bd. 2, S. 352. Siehe für die Auseinandersetzung Silvia Sebastiani: What Constituted Historical Evidence of the New World? Closeness and Distance in William Robertson and Francisco Javier Clavijero, in: Modern Intellectual History 11/3 (2014), S. 677– 695, hier S. 688 – 691.
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I had entertained hopes of being able completely to resolve your doubts concerning the admission of Indians into Holy orders, by means of the Minster of the American Department, with whom I have always endeavoured to be on a good footing […]. But his sudden death, which happened about ten days ago, has deprived me of that source.²⁷
Funktion und Lebensdaten verweisen darauf, dass es sich bei dem verstorbenen potentiellen Informanten um José de Gálvez (1720 – 1787) handelte. Durch sein Amt und einen längeren Aufenthalt in Mexiko hätte er aller Wahrscheinlichkeit nach tatsächlich die gewünschte Auskunft geben können.²⁸ Durch Gálvez’ Tod musste sich Liston nach Alternativen umsehen. Zumindest teilweise war er schon erfolgreich, bevor er überhaupt seinen Brief an Robertson verfasste: Enveloped you will find a letter on the subject by Count Campomanes, whose solution seems perfectly decisive, and whose name must carry with it the highest authority. On my return to Madrid, which will be the beginning of next week, I will endeavor to procure more information on the same subject from persons who have lived in South-America.²⁹
Obwohl Liston die Kompetenzen des Staatsmannes und Gelehrten Pedro Rodríguez de Campomanes in aller Deutlichkeit anpries, wollte er noch weitere Informanten mit persönlicher Expertise in der Frage ausmachen. Robertson berief sich jedoch auch in der Neuauflage seiner „History of America“ nur auf Campomanes’ Brief, der seinen Standpunkt weitgehend bestätigte: Nur in seltenen Ausnahmefällen würden Indigene zum Priesteramt zugelassen. Listons weitere Nachforschungen erreichten Robertson – „owing to some incidents which it is unnecessary to specify“ – nicht vor der Veröffentlichung des Buchs, was die logistischen Schwierigkeiten in der Informationsvermittlung durch Gesandte deutlich macht.³⁰ Robertson dürfte Campomanes jedoch nicht nur aus Mangel an Alternativen als Autorität herangezogen haben. Er kannte den Gelehrten schon aus einem früheren Briefwechsel, der über die vorhergehende Botschaftsdelegation mit
Robert Liston an William Robertson, Aranjuez, 28.06.1787, National Library of Scotland, Ms. 3943, fol. 216r–217v, hier fol. 16r. Vgl. Herbert Ingram Priestley: José de Gálvez. Visitor-General of New Spain (1765 – 1771). Berkeley 1916, S. 10 f. für Gálvez’ Tod am 17.7.1787; das Werk als Ganzes befasst sich mit Gálvez’ Zeit in Mexiko. Liston an Robertson, 28.06.1787, hier fol. 216r. William Robertson: The History of America. 5., veränderte Aufl., 3 Bde. London 1788, Bd. 3, Zitat S. 423, S. 420 – 423, für die Wiedergabe des Campomanes-Briefs und einiger Lobes- und Dankesworte an Liston. Campomanes wird nicht namentlich erwähnt, wohl mit Rücksicht auf mögliche Verwicklungen in Spanien. Das auf Spanisch verfasste Original ist überliefert: Pedro Rodríguez de Campomanes an William Robertson, Madrid, 27.06.1787, National Library of Scotland, Ms. 3943, fol. 210r–215v.
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Grantham und Waddilove vermittelt wurde. Dieser Kontakt zeigt, dass Diplomaten als Mittler eines länger anhaltenden gelehrten Austauschs fungierten, der über die reine Informationsbeschaffung hinausging.
3 Motive und Interessen der Beteiligten am Austausch Es ist naheliegend, dass Robertson genauso wie die Gesandten und die Gelehrten vor Ort Interesse an intensiveren Kontakten als nur einer kurzen Informationsbeschaffung hatte. Praktisch alle Beteiligten dürften sich im weitesten Sinn der Republique des lettres zugehörig gefühlt haben, die einen solchen Austausch positiv konnotierte. Allerdings standen der Kommunikation praktische Probleme wie die Entfernungen, zwischenzeitliche Kriege und mitunter auch sprachliche Hürden im Weg. Die Korrespondenz von Robertson und Campomanes zog sich etwa über zehn Jahre hin, beschränkte sich jedoch auf nur eine einstellige Anzahl von Briefen. Den Anfang machte ein Schreiben des spanischen Gelehrten aus dem Herbst des Jahres 1777, das über Grantham nach Schottland ging.³¹ Die britischen Gesandten fungierten nicht nur als Relaisstation der Nachrichten zu verschiedenen Gelehrten,³² sondern gaben auch zusätzliche Informationen weiter. So berichtete Waddilove in dem bereits zitierten Brief zu innerspanischen Konflikten über die Auseinandersetzungen um eine mögliche Übersetzung der „History of America“ ins Spanische. Das Werk stieß zunächst auf Anklang, da Robertson sich kaum auf die „Leyenda Negra“ berief und auch sonst mit dem für ihn typischen Neutrali-
Vgl. Pedro Rodríguez de Campomanes an William Robertson, Madrid, 29.09.1777, National Library of Scotland, Ms. 3943, fol. 38r–41v. Neben Campomanes korrespondierte Robertson etwa auf Vermittlung Waddiloves ab 1778 mit Antonio de Alcedo, vgl. Charles E. Ronan: Antonio de Alcedo. His Collaborators and His Letters to William Robertson, in: The Americas 34/4 (1978), S. 490 – 501, hier S. 498 – 501 mit Abdruck einiger Briefe, die u. a. ein Angebot zur Übersendung von Büchern enthalten. Auch ein Brief des spanischen Diplomaten und Gelehrten Ignacio de Asso ist in Robertsons Unterlagen überliefert: Ignacio de Asso an William Robertson, Madrid, 01.01.1775, National Library of Scotland, Ms. 3942, fol. 184r–185v. Da jedoch kein weiterer Austausch nachweisbar ist, findet Asso hier keine intensivere Berücksichtigung. Eine aktuelle Biographie Assos nimmt keinen Bezug auf Robertson: Antonio Peiró Arroyo: Ignacio de Asso. Ciencia y diplomacia en la Europa de la Ilustración. Zaragoza 2014.
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tätsanspruch antispanische Ressentiments außen vor ließ.³³ Campomanes initiierte daher eine offizielle Übersetzung durch die Real Academia de la Historia und setzte Robertsons Ernennung zum Ehrenmitglied in Gang. Während die Auszeichnung tatsächlich umgesetzt wurde, stoppte José de Gálvez 1778 schließlich das weit fortgeschrittene Übersetzungsprojekt. Die „History of America“ wurde stattdessen als antispanisch diskreditiert und verboten. Ausschlaggebend war ein Gutachten, das möglicherweise der in der Folge selbst mit einem Werk zur Geschichte des spanischen Amerika beschäftigte Juan Bautista Muñoz (1745 – 1799) verfasste.³⁴ Auch in dieser Frage setzte sich somit die Einschätzung durch, dass Robertsons Arbeit politische Brisanz aufwies und nicht nur als gelehrtes Unterfangen verstanden werden konnte. Campomanes’ Einsatz für Robertson endete folglich mit einer innenpolitischen Niederlage – und war damit nicht der einzige gelehrte Austausch ohne Fortune für die Beteiligten. Robert Murray Keith hatte in Wien nicht nur bei den offiziellen Archiven angefragt, sondern zusätzlich seine persönlichen Kontakte genutzt. So erhielt Robertson ein Manuskript des einflussreichen Bildungsreformers Johann Melchior Edler von Birckenstock (1738 – 1809). Der Korrespondenz Robertsons mit Keith zufolge ging die Rücksendung jedoch verloren, was für den Historiker eine zwar unverschuldete, aber trotzdem erhebliche Peinlichkeit bedeutete: I had the honour of your letter of Nov. 23, & it was the first time in my life that the perusal of any thing written by you gave me pain. I should have been ashamed of even the appearance of inattention to a friend of yours, more especially to M. Birkenstock whose conduct towards me had been so remarkably polite.³⁵
Robertsons Unbehagen wurde sicher durch die Tatsache verstärkt, dass der Vorfall negativ auf Keith zurückfallen konnte. Entsprechend unternahm er einigen Aufwand, um den Schaden gering zu halten. Konkret kontaktierte er Liston in
Wie Lenman, „From savage to Scot“, S. 206 f., betont, ersetzte Robertson die antispanische Darstellung der Kolonisierung Mittel- und Südamerikas durch eine antiindigene, was die Grenzen des Neutralitätsverständnisses aufzeige. Zu den Hintergründen des Konflikts siehe María Teresa Nava Rodríguez: Robertson, Juan Bautista Muñoz y la Academia de la Historia, in: Boletín de la Real Academia de la Historia 187/3 (1990), S. 435 – 456, insbesondere S. 444 f.; Jorge Cañizares-Esguerra: How to Write the History of the New World. Histories, Epistemologies, and Identities in the Eighteenth-Century Atlantic World. Stanford 2001, S. 170 – 182. William Robertson an Robert Murray Keith, Edinburgh, 06.02.1788, British Library, Add. Ms. 35540, fol. 48r–v, hier fol. 48r.
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Madrid, der eine Abschrift des Manuskripts besorgen sollte. Erneut wird Robertsons Verlegenheit deutlich: I believe the M.S. may be easily found in Spain & as I unfortunately lost a copy of it which my Friend Sir Robert Murray Keith borrowed for me from a German Nobleman, I am very deferent to have it transcribed, that Sir Robert may not be put into an awkward situation by my negligence.³⁶
Es handelte sich um die „Historia de la vida y hechos del invictísimo Emperador Don Carlos“ des spanischen Hofchronisten Pedro Mexía (1497– 1552), von der tatsächlich diverse Kopien existierten und bis heute überliefert sind.³⁷ Trotzdem lassen Alter und Herkunft des Dokuments keinen Zweifel daran, dass dessen Verlust die Beziehung zwischen Birckenstock und Keith hätte belasten können. Angesichts von Birckenstocks Nähe zum Hof bestand somit die Gefahr, dass Robertsons Anfrage diplomatisch-politische Auswirkungen hätte haben können.³⁸ Die Episoden mit Campomanes und Keith beziehungsweise Birckenstock zeigen, dass die Unterstützung für Robertson sowohl für die Diplomaten als auch für ihre lokalen Kontaktleute risikobehaftet war. Gerade deswegen stellt sich die Frage, welche Interessen die Beteiligten verfolgten. Bei allen Akteuren bestand mit Sicherheit der Wunsch, im Sinne des Aufklärungsdenkens zu einem gelehrten Projekt beizutragen. Dies verdeutlicht Granthams bereits zitierte Kritik an spanischen Offiziellen, die sich weigerten, die Archive zu öffnen. Er missbilligte ihre Interpretation, das Vorhaben als politisch, nicht als gelehrt einzustufen. Die lokalen Zuträger in Madrid und Wien dürften auf verbesserte Kontakte zu den Botschaftern gehofft haben, was ihnen zu einem späteren Zeitpunkt selbst Vorteile hätte einbringen können. Die Diplomaten wiederum verstanden es als Teil ihrer Tätigkeit, Verbindungen zwischen ihren Landsleuten und der gastgebenden
William Robertson an Robert Liston, Edinburgh, 03.07.1787, National Library of Scotland, Ms. 5547, fol. 43r–v, hier fol. 43v. Die Titel der Werke unterscheiden sich leicht, exemplarisch wurde hier ein digitalisiertes Manuskript der Biblioteca Nacional de España herangezogen: Pedro Mexía: Historia de la vida y hechos del invictísimo Emperador Don Carlos de Austria, V de este nombre, rey de España 1597. Biblioteca Nacional de España, Ms. 1765, http://bdh-rd.bne.es/viewer.vm?id=0000045307 (abgerufen am 17.11. 2018). Zu Mexía siehe auch John G. A. Pocock: Barbarism and Religon. Bd. 3: The First Decline and Fall. Cambridge u. a. 2003, S. 239 f. Zu Birckenstock siehe Heinrich Benedikt: Birckenstock, Johann Melchior Edler von, in: NDB, Bd. 2 (1955), S. 254, https://www.deutsche-biographie.de/pnd119462206.html#ndbcontent (abgerufen am 17.11. 2018).
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Nation zu knüpfen.³⁹ Im Fall eines so bekannten Bittstellers wie Robertson konnte die Unterstützung auch zeitraubende Aufgaben wie die Suche nach Büchern und Manuskripten umfassen. Besonders für die commoners unter den Diplomaten, Liston und Waddilove, dürfte zudem die Hoffnung auf Unterstützung für die weitere Karriere eine Rolle gespielt haben. Beide zeigten Ambitionen, eine gelehrte Laufbahn einzuschlagen, für die Robertsons Patronage hilfreich gewesen wäre.⁴⁰ Gerade im Fall Listons ist ein langfristiger Austausch von Gefälligkeiten und Komplimenten zu beobachten. Robertson behielt seinen ehemaligen Studenten positiv in Erinnerung, wie der Austausch mit Andrew Dalzell über Listons erste Reisen auf dem Kontinent verdeutlicht. Nach seiner Rückkehr versuchte Liston sich als Redakteur des „London Magazine“. In dieser Funktion verfasste er 1772 eine an Wohlwollen kaum zu übertreffende Kurzbiographie seines ehemaligen Professors.⁴¹ Obwohl die Eloge auf Robertson über das Ziel hinausschoss und spöttische Repliken provozierte, wird der Beschriebene sie positiv zur Kenntnis genommen haben.⁴² Der Historiker revanchierte sich 1784 mit seiner Unterstützung für die Aufnahme Listons in die Royal Society of Edinburgh.⁴³ Der Austausch ging somit weit über Listons Rolle als Diplomat hinaus. Vielmehr war es für Robertson ein glücklicher Zufall, dass sein ehemaliger Student den Posten in Madrid erhielt. Bei den übrigen britischen Gesandten resultierten die engsten Kontakte erst aus Robertsons Anfragen nach Quellen. In diesen Fällen sorgte wohl eine Kombination aus zwei Faktoren zur
Dazu Mori, The Culture of Diplomacy, S. 8; S. 151– 166 etwa zur Rolle von Botschaftern als Gastgeber für Briten auf der Grand Tour. Siehe für Liston Nicholls, Introduction, S. 21, sowie Horn, The British Diplomatic Service, S. 94. Waddiloves gelehrtes Engagement zeigte sich neben seiner Unterstützertätigkeit auch in späteren antiquarischen Aufsätzen, etwa: Robert Darley Waddilove: An Historical and Sescriptive Account of Ripon Minster, in the West Riding of the County of York, by the Rev. Robert Darley Waddilove, Dean of Ripon, F.A.S. In a Letter to William Bray, Esq. F.A.S. Treasurer, in: Archaeologia 17 (1814), S. 128 – 137. [Robert Liston:] Character of Dr. Robertson, in: The London Magazine 41 (1772), April, S. 151 f., https://hdl.handle.net/2027/mdp.39015021278612 (abgerufen am 13.10. 2018). [James Boswell:] Sceptical Observations upon a late Character of Dr. Robertson, in: The London Magazine 41 (1772), Juni, https://hdl.handle.net/2027/mdp.39015021278612 (abgerufen am 13.10. 2018). Zum vor allem kirchenpolitischen Hintergrund der Auseinandersetzung siehe Richard B. Sher: Scottish Divines and Legal Lairds. Boswell’s Scots Presbyterian Identity, in: Greg Clingham (Hrsg.), New Light on Boswell. Critical and Historical Essays on the Occasion of the Bicentenary of „The Life of Johnson“. Cambridge u. a. 1991, S. 28 – 55, hier S. 49. Siehe C. D. Waterston/A. Macmillan Shearer: Former Fellows of The Royal Society of Edinburgh, 1783 – 2002. Biographical Index. Part 2. Edinburgh 2006, https://www.rse.org.uk/cms/files/fellows/biographical_index/fells_indexp2.pdf (abgerufen am 13.10. 2018), S. 549. Andrew Dalzell war ein weiterer Unterstützer von Listons Aufnahme als Fellow.
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Bereitschaft, Robertson zu unterstützen: Zum einen die Hoffnung auf Anerkennung und Prestigegewinn für die Unterstützung des bekannten Historikers, zum anderen ein genuines Interesse an Robertsons historiographischer Tätigkeit. Mit Luis Pinto de Sousa Coutínho nahm auch ein auswärtiger Diplomat in Großbritannien eine Korrespondenz mit Robertson auf. Der portugiesische Botschafter stellt eine interessante Kontrastfolie zu den bisher erörterten Fällen dar, weil seine Situation einerseits der seiner britischen Kollegen ähnelte, er andererseits aber selbst Informationen für Robertson bereitstellen konnte. Als ehemaliger Gouverneur von Mato Grosso im portugiesischen Brasilien hatte er die für die „History of America“ gefragte Expertise bezüglich der Lebensweise und Kultur der indigenen Bevölkerung, weswegen er wie zahlreiche andere Reisende und amerikanische Gelehrte einen entsprechenden Fragebogen Robertsons beantwortete.⁴⁴ Seine Position als Diplomat in London spielte diesbezüglich nur insoweit eine Rolle, als sie den Kontakt vereinfachte. Die bei den britischen Delegationen zu beobachtende Mittlerfunktion übernahm Pinto jedoch ebenfalls, indem er Robertson Bücher und weitere Quellen anbot: „Cependant puisque vous continuez encore à travailler à la partie, qui concerne le Bresil, Je serai en état Mons[ieur], de vous fournir des Memoires, qui pourront être de quelque utilité, et surtout la Carte, qui concerne l’interieur du Brasil, avec les Observations astronomiques qui en font la base.“⁴⁵ Der Ausschnitt verdeutlicht Pintos Bereitwilligkeit, ja Eigeninitiative in der Unterstützung der „History of America“, die auch seine übrige Korrespondenz mit Robertson kennzeichnet. Er verstand das Werk als bedeutendes gelehrtes Vorhaben, zu dem er so weit wie möglich beitragen wollte.⁴⁶ Robertson bedankte sich mit einer Erwähnung im Vorwort, die mit dem Satz schloss: „I have often followed him as one of my best instructed guides.“⁴⁷ Dieses Kompliment gilt es allerdings zu relativieren, da die Informationen aus den Fragebögen in der „History of America“ nur eine vergleichsweise kleine Rolle spielten. Pinto war zwar mit drei Nennungen tatsächlich der meistzitierte persönliche Kontakt Robertsons, was
Luis Pinto de Sousa Coutínho: Réponses aux demandes de Mr Le Dr. Robertson, National Library of Scotland, Ms. 3954, fol. 80r–93v. Siehe zu Pinto und seiner Korrespondenz mit Robertson auch Kenneth Maxwell: Conflicts & Conspiracies. Brazil and Portugal, 1750 – 1808. London 1973. Nachdruck: New York u. a. 2004, S. 177 f. Luis Pinto de Sousa Coutínho an William Robertson, London, 15.06.1777, National Library of Scotland, Ms. 3943, fol. 24r–v. Luis Pinto de Sousa Coutínho an William Robertson, London, 30.11.1776, National Library of Scotland, Ms. 3942, fol. 245r–v. Robertson, The History of America (1777), Bd. 1, S. XIII.
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aber in erster Linie an der geringen Gesamtzahl von nur neun Belegen aus dem Fundus der beantworteten Fragebögen liegt.⁴⁸ Die Diskrepanz von Aufwand und Ertrag bei Robertsons Anfragen an Diplomaten sind für die Evaluierung seines Interesses an diesem Austausch zentral. Duckworths These, dass Robertson mit seinen Funden und Erhebungen wenig anfangen konnte, weil sie etablierten Lehrmeinungen zuwiderliefen,⁴⁹ ist sicherlich nicht falsch. Für sich allein kann diese Überlegung aber genauso wenig überzeugen wie die Argumentation, Robertson sei über die eher mageren Ergebnisse seiner Nachforschungen enttäuscht gewesen. Stattdessen soll hier eine andere Deutung vertreten werden, durch die Robertsons ausführliche Danksagungen an die Zuträger im Vorwort der „History of America“ verständlich werden. Essentiell für Robertson war, dass die Recherchen durch Diplomaten in seinem Auftrag dem Werk Glaubwürdigkeit und Neuheitswert verliehen, unabhängig von den tatsächlich hervorgebrachten Informationen.
4 Fazit: Die Autorität der Diplomaten Nur etwa 50 Jahre nach der „History of America“ erschien mit William H. Prescotts „History of the Conquest of Mexico“ eine Arbeit, die nicht mehr von den Problemen geprägt war, die William Robertson mit Hilfe seiner diplomatischen Kontakte zu lösen versucht hatte. Prescott erhielt ab 1838 Zugang zu den spanischen Archivalien, die Juan Bautista Muñoz Ende des 18. Jahrhunderts aufgearbeitet hatte.⁵⁰ Besonders aufschlussreich für das Verständnis von Robertsons Quellenarbeit ist jedoch ein anderer Fund Prescotts: Zahlreiche relevante Dokumente hätten sich in der Bodleian Library in Oxford befunden. Mit einer deutlichen Spitze hielt er fest: „The circumstance has brought some obloquy to this historian, who, while prying into the collections of Vienna and the Escorial, could be so blind to these under his own eyes.“⁵¹ Dieses Übersehen der Quellen in Großbritannien, das isoliert keine größere Bedeutung besessen hätte, ergibt mit den übrigen Ergebnissen dieses Artikels ein stimmiges Bild. Robertsons Interesse an den Recherchen seiner Zuträger waren nicht nur die konkret beschafften Quellen und Informationen. Für ihn zählte gerade der Eindruck des gut vernetzten, gründlich arbeitenden Historikers, den er Siehe Duckworth, An Eighteenth-Century Questionnaire, S. 42. Duckworth, An Eighteenth-Century Questionnaire, S. 42 f. Siehe William H. Prescott: History of the Conquest of Mexico. 3 Bde. Boston 1856, https:// catalog.hathitrust.org/api/volumes/oclc/3704681.html (abgerufen am 18.11. 2018), Bd. 1, S. Vf. Prescott, History of the Conquest, Bd. 1, S. 103.
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durch die Anfragen in Kontinentaleuropa und ihre prominente Erwähnung im Vorwort der „History of America“ erzeugen konnte. Dass es sich bei einem Großteil von Robertsons Kontaktleuten um Diplomaten handelte, war sicherlich teilweise praktischen Umständen wie ihrer Anwesenheit in den relevanten Ländern geschuldet. Zusätzlich verlieh dieser Status den Recherchen jedoch Autorität und damit der „History of America“ Legitimität. Von Gesandten konnten die Leserinnen und Leser des Werks durch ihr Leben vor Ort ein Niveau an Kontakten sowie Lokal- und Sprachkenntnissen erwarten, das etwa beliebige britische Reisende nicht garantiert hätten. Zudem wiesen Diplomaten durch ihre Position ein staatliches Siegel der Zuverlässigkeit auf. Durch seine Danksagungen im Vorwort konnte Robertson subtil auf diese Eigenschaften verweisen, ohne sich durch eine zu deutliche Betonung seines Beziehungsnetzwerks dem Vorwurf der Unbescheidenheit auszusetzen. Somit scheint der Inhalt der übermittelten Dokumente nicht von zentraler Bedeutung gewesen zu sein. Sicher hätte es ebenfalls in Robertsons Interesse gelegen, wenn seine Zuträger bahnbrechende Neuheiten übermittelt hätten. Das für sein Werk wichtigste Gut der Gesandten war allerdings ihre Autorität, nicht die von ihnen übermittelten Informationen. Die zeitgenössische Würdigung für Robertsons Quellenarbeit lässt annehmen, dass die Diplomaten keinen Grund zur Klage über die geringe Berücksichtigung ihrer Mühen sahen. Sie hatten die Bitte eines bedeutenden Gelehrten erfüllt, damit zu einem wichtigen historiographischen Werk beigetragen und an prominenter Stelle die angemessenen Dankesworte erhalten. Diese stellten mit Sicherheit einen Prestigegewinn dar, da Robertson die Fähigkeiten seiner Mittler ausführlich würdigte. Auch das unvorhergesehene Konfliktpotential aus ihren Tätigkeiten entfaltete sich nicht: Weder kam es aufgrund des verlorengegangenen Manuskripts von Birckenstock zu Auseinandersetzungen, noch ging Campomanes aus seinem Einsatz für die Übersetzung der „History of America“ Ende der 1770er Jahre so beschädigt hervor, dass er weitere Kontakte abgelehnt hätte – schließlich korrespondierte er auf Vermittlung Listons 1787 nochmals mit Robertson. Gerade der Konflikt um Campomanes weist auf einen bemerkenswerten Aspekt des Austauschs hin: Robertson selbst, die britischen Gesandten, Pinto und Birckenstock verstanden die „History of America“ als weitgehend unpolitisches Werk, für das im Rahmen der Republique des lettres über Ländergrenzen hinweg Unterstützung gewährt werden konnte. Schlüsselakteure in Spanien wie José de Gálvez teilten diese Einschätzung nicht. Die Geheimhaltungspraxis für Wissen über das Kolonialreich wurde zumindest offiziell beibehalten, was – wie Granthams Klage verdeutlicht – den Zugriff auf Akten weitgehend unmöglich machte. Die unterschiedliche Bewertung der Quellen scheint auf den ersten Blick Ro-
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bertsons Quellenbasis reduziert und damit der Qualität der „History of America“ geschadet zu haben. Jedoch sorgte gerade die Exklusivität des Materials, das die Diplomaten beschaffen konnten, für den hervorragenden Ruf des Werks. Der spanische Protektionismus trug somit entscheidend dazu bei, dass Robertson die „History of America“ mit der Autorität der von ihm kontaktierten Gesandten legitimieren konnte.
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Robert Beale – ein englischer Diplomat mit europäischer Ausbildung 1 Die frühen Jahre in Europa Robert Beale wurde ungefähr 1541 in London geboren, aber, wie der renommierte Frühneuzeithistoriker Patrick Collinson bemerkte, „it is the beginning of wisdom to understand that Beale was anything but a little Englander“.¹ Er war der Sohn eines Londoner Textilhändlers, der ebenfalls Robert mit Vornamen hieß. Vermutlich hatte seine Familie Verbindungen nach Suffolk (außerhalb von London); jedoch scheint der jüngere Robert nie Interesse an diesem Landstrich gehabt zu haben. Er wurde in den Midlands in Coventry² in einer Elementarschule ausgebildet, die von dem Humanisten John Hales (1516?–1572) gegründet wurde. Beale verließ England während der Herrschaft von Queen Mary und floh ins Alte Reich, das in dieser Zeit für protestantische Exilanten aus England einen sicheren Schutzraum bot. Der Ort Coventry blieb Beale aber sein Leben lang lieb und teuer, denn er wurde später in den 1580er Jahren zum Beschützer für die Neffen und Freunde seines einstigen Lehrers John Hales, die in und um Coventry lebten.³ Wahrscheinlich waren es John Hales oder Beales Onkel, Sir Richard Morison (1510 – 1556), die Robert Beale dazu brachten, im Jahre 1553 oder 1554 aus England Patrick Collinson: Servants and Citizens. Robert Beale and other Elizabethans, in: Historical Research 79/206 (2006), S. 488 – 511, hier S. 501 f.; ders.: This England. Essays on the English Nation and Commonwealth in the Sixteenth Century. Manchester 2011, S. 109; die besten biographischen Informationen finden sich in der unveröffentlichten Dissertation von Mark Taviner: Robert Beale and the Elizabethan Polity. Diss. phil. University of St. Andrews 2000, und in meiner geplanten eigenen Biographie über Beale; Umrisse von Beales Biographie, mit einigen Fehlern, in: Gary M. Bell: Art. Beale, Robert, in: Oxford Dictionary of National Biography. Online-Version vom 28.05. 2015. https://doi.org/10.1093/ref:odnb/1804 (abgerufen am 15.11. 2018); J.C.H./P.W. Hasler: Art. Beale, Robert (1541– 1601), of Barn Elms, Surr., Priors Marston,Warws. and of London, in: P.W. Hasler (Hrsg.), The History of Parliament. The House of Commons. Bd. 1. London 1981, S. 411– 414. Collinson: Servants and Citizens, S. 501 f.; ders.: This England, S. 109. Siehe z. B. Beales Dokumente über St. Mary’s, Coventry, in: British Library (künftig: BL), Additional MS 32100; Parishes: Priors Marston, in: Louis F. Salzman (Hrsg.), A History of the County of Warwick. Bd. 5: Kington Hundred. London 1949, S. 140 – 141; vgl. Patrick Collinson: The Elizabethan Puritan Movement. London/New York 1982, S. 414 f.; über Beales eigene Gedanken zu Coventry im späteren Leben siehe Beale an Whitgift, 22.08.1590, BL, Additional MS 48039, fol. 74r. https://doi.org/10.1515/9783110625431-005
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zu fliehen – zu dieser Zeit war der junge Mann gerade erst etwa zwölf oder dreizehn Jahre alt. Hales spielte weiterhin eine entscheidende, beinahe väterliche Rolle in Beales Leben: Während der 1550er und 1560er Jahre brachte er ihn in Kontakt mit bedeutenden politischen und religiösen Persönlichkeiten wie dem Großschatzmeister Polens, Spytek Jordan, mit dem religiösen Flüchtling Jan Łaski und mit dem lutherische Theologen Georg Maior.⁴ Über den Aufenthalt von Beales Geschwistern oder seiner Mutter ist nichts bekannt. Sein Vater war 1548 gestorben, John Hales kann daher als Beales Ersatzvater gelten.⁵ Beale lebte in den 1550er Jahren zunächst in Straßburg bei seinem Onkel, Sir Richard Morison, und John Abell, einem Londoner Kaufmannsbanker.⁶ Er war dort Teil einer kleinen, aber geschützten englischen Gemeinschaft protestantischer Exilanten, aus der später viele prominente Kirchenmänner und Regierungsbeamte des elisabethanischen Englands hervorgehen sollten.⁷ Beales Zeit in der Freien Reichstadt Straßburg war absolut entscheidend für seine spätere Entwicklung. Er besuchte dort die Vorlesungen von Peter Martyr und Johann(es) Sturm, aber sein Lehrmeister war John Aylmer, der einstige Hauslehrer von Lady Jane Grey (1537– 1554) und zukünftige Bischof von London, der offenbar nicht zögerte, den jungen Beale mit einer Rute zu schlagen.⁸ Während seiner Zeit in Straßburg zählte Beale zu einer besonders fortschrittlichen protestantischen Gruppe, der mehrere Jugendliche angehörten.⁹ Im Jahre 1556 oder 1557 zog er mit Aylmer nach Zürich und blieb dort etwa ein Jahr. Sein Mentor Aylmer kümmerte sich nicht mehr um ihn, sondern überließ den jungen Beale sich selbst.¹⁰ Zürich war die Heimat einer anderen Gemeinschaft Aberdeen University Library (künftig: AUL), MS 1009/1, Artikel 11, 12; Taviner, Robert Beale, S. 49. Vgl. Robert Beales (der Ältere) letzter Wille und Testament, The National Archives (künftig: TNA), PROB 11/32/171. Tracey A. Sowerby: Renaissance and Reform in Tudor England. The Careers of Sir Richard Morison c.1513– 1556. Oxford 2010, S. 223 – 232. Über die englischen Exilanten vgl. Christina Hallowell Garrett: The Marian Exiles. A Study in the Origins of Elizabethan Puritanism. Cambridge 1938. The answer of Robert Beale concerninge such thinges as have passed between the L. Archbishopp of Canterburye and him, 01.07.1584, BL, Additional MS 48039, fol. 48r–v; über Martyr und Sturm siehe R. Gerald Hobbs: Strasbourg.Vermigli and the Senior School, in: Torrance Kirby/Frank A. James II/Emidio Campi (Hrsg.), A Companion to Peter Martyr Vermigli. Leiden 2009, S. 35 – 69; Lewis W. Spitz/Barbara Sher Tinsley: Johann Sturm on Education: The Reformation and Humanist Learning. St. Louis, Mo. 1995. So ist z. B. belegt, dass Aylmer einen weiteren jungen Mann namens Thomas Dannett als Schüler hatte; vgl. Danett an Burghley, 01.05.1595, Hatfield House, Cecil Papers (künftig: CP), 32/ 14. BL, Additional MS 48039, fol. 48r.
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englischer protestantischer Exilanten, die in ihren theologischen Lehrmeinungen, religiösen Doktrinen und in ihrer konfessionellen Disziplin wesentlich strenger und kompromissloser waren.¹¹ Aylmer passte wegen seiner eigenen theologischen Überzeugungen gut zu dieser Züricher Gruppe. Beale scheint dagegen die Zeit in Zürich nicht sonderlich genossen zu haben. Später im Leben ließ er nie viel über den Ort oder die Leute verlauten, die er dort traf. Ein nächster Hinweis auf seinen darauffolgenden Aufenthaltsort und seine Aktivitäten stammt aus Beales eigener Erinnerung – beiläufig erwähnt in einem Buch über religiöse Kontroversen, das er 1584 für den Erzbischof von Canterbury geschrieben hat und das als eine Verteidigung von Beales intellektuellen und religiösen Positionen gelesen werden kann. Beale bemerkte darin, dass sein Studium des Zivilrechts 26 Jahre zurückliege. Es lässt sich somit auf das Jahr 1558 datieren.¹² Als Elisabeth I. im November 1558 auf den Thron kam, eilten die meisten protestantischen Männer und Frauen aus dem deutschen und schweizerischen Exil zurück in ihr Heimatland, Beale jedoch nicht. Als sein Lehrmeister Aylmer Zürich Anfang 1558 verließ, um an die Universität der Ernestiner in Jena zu gehen, zog Beale wahrscheinlich von Zürich nach Heidelberg.¹³ Angesichts der wenigen Quellen ist es zwar sehr kompliziert, Beale zu dieser Zeit in Heidelberg zu verorten. Jedoch scheint seine spätere Korrespondenz mit Franz Balduin (Balduinus, eigentl. François Baudouin, 1520 – 1573), Professor für Zivilrecht an der Universität Heidelberg, in diese Richtung zu weisen.¹⁴ Beale und Balduin verband ein sehr ähnliches Interesse und Verständnis für Recht und Geschichte, das Beale möglicherweis erst von Balduin erlernte. Balduin lehrte an der Universität von Straßburg zu der Zeit, als auch Beale dort in den Jahren 1555 bis 1556 studierte.¹⁵ Nach seinem Wechsel an die Uni-
Über die Engländer in Zürich siehe ihre Korrespondenzen in Hastings Robinson (Hrsg.): The Zurich Letters. Cambridge 1842, 1845, 1846; ders. (Hrsg.): Original Letters Relative to the English Reformation. Cambridge 1846, 1847. Vgl. Beale an Whitgift, 07.05.1584, BL, Additional MS 48039, fol. 42r–45v. Brett Usher: Art. Aymer, John, in: Oxford Dictionary of National Biography. Online-Version vom 03.01. 2008. https://doi.org/10.1093/ref:odnb/935 (abgerufen am 15.11. 2018); Johann Friedrich II. an John Hales, 01.01.1559, BL, Additional MS 15943, fol. 1r–2r; Taviner dachte, dass Beale vielleicht an die Universität von Padua gegangen wäre, aber diesbezüglich gibt es keine direkten Beweise (s.u.). AUL, MS 1009/2, Artikel 35 – 38. Alexander Russell: The Colloquy of Poissy, François Baudouin and English Protestant Identity, 1561– 1563, in: The Journal of Ecclesiastical History 65/3 (2014), S. 551– 579, hier S. 569; über Balduin im Allgemeinen siehe: Michael Erbe: François Bauduin (1520 – 1573). Biographie eines Humanisten. Gütersloh 1978; Mario Turchetti: Concordia o Tolleranza? François Bauduin (1520 –
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versität Heidelberg stieg Balduin zwischen 1556 und 1561 zu einem hoch angesehenen Professor für Zivilrecht auf und entwickelte in Auseinandersetzung mit den lutherischen Ideen eine besondere Sicht auf die Geschichte, sei es auf einzelne Ereignisse oder auf ganze Epochen. Seine Freundschaft mit Philipp Melanchthon scheint dabei nicht unerheblich gewesen zu sein. Folgt man der modernen Forschung, dann sind in Balduins Heidelberger Werken eindeutig Melanchthons Ideen zur Geschichte aus lutherischem Geist zu erkennen. Das ist bemerkenswert, da Balduin zuvor eine längere Zeit dem Calvinismus, später dem Katholizismus zugeneigt war.¹⁶ Balduin griff Melanchthons Ideen auf, dachte sie weiter und trat in seinen Vorlesungen für eine „new wave of legal Humanism“ ein. Das tat er zuerst in Straßburg 1555 und dann intensiver und ausführlicher in Heidelberg 1559; im Jahre 1561 wurden seine Ideen schließlich veröffentlicht.¹⁷ Balduins Kombination von Recht, Geschichte und Protestantismus in Heidelberg lieferte wichtige (methodische) Argumente für die Etablierung der Geschichte als Wissenschaft in Deutschland und Frankreich.¹⁸ Allerdings hatte er auch Einfluss auf Engländer, zumindest knüpfte er auch Kontakte zu Beales englischen Landsleuten. Zur selben Zeit studierte nämlich ein weiterer Engländer in Heidelberg, Henry Killigrew (1525/28 – 1603). Er hatte sich 1558 formell an der Universität immatrikuliert und war durch einen gemeinsamen Kontakt in Straßburg – Sir Anthony Cooke (1505/6 – 1576) – mit Beale verbunden. Killigrew und Beale wurden später in der Regierung von Königin Elisabeth I. enge Kollegen. Killigrew, Cooke und Balduin scheinen in Heidelberg Freundschaft geschlossen zu haben, und so ist es denkbar, dass Beale dem Zivilrechtsprofessor Balduin auf einer persönlichen Ebene begegnete, nicht nur im akademischen Milieu.¹⁹ Balduins Freundschaft mit
1573) e i „Moyenneurs“. Milano 1984; Donald Kelley: Historia Integra. François Baudouin and his Conception of History, in: Journal of the History of Ideas 25/1 (1964), S. 35 – 57; zu Balduins Zeit in Heidelberg siehe Universitätsarchiv Heidelberg, RA 659, 660, 662. Z. B. Lars Boje Mortensen: François Bauduin’s „De Institutione Historiæ“ (1561). A Primary Text behind Anders Sørensen Vedel’s „De Scribenda Historia Danica“ (1578), in: Symbolae Osloenses. Norwegian Journal of Greek and Latin Studies 73 (1998), S. 188 – 200; vgl. Barbara Pitkin: Calvin’s Mosaic Harmony. Biblical Exegesis and Early Modern Legal History, in: The Sixteenth Century Journal 41/2 (2010), S. 441– 466. Pitkin, Calvin’s Mosaic Harmony, S. 458, 462. Wie Donald Kelley betont, bot Balduin „the first serious attempt in France to formulate a definition of history – indeed, to promote history from an art to a science by organizing it in a methodical way“; vgl. Donald Kelley: Foundations of Modern Historical Scholarship: Language, Law, and History in the French Renaissance. New York 1970, S. 116; vgl. ders., Historia Integra. Gustav Toepke (Hrsg.): Die Matrikel der Universität Heidelberg von 1386 bis 1662. Bd. 2. Heidelberg 1886, S. 16 (23.11.1558); Russell, The Colloquy of Poissy, S. 568; Balduin an Cecil, 15.03.
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Melanchthon und einem anderen gleichgesinnten Philippisten, Hubert Languet (1518 – 1581), begann 1557 auf dem Wormser Kolloquium. Um dieselbe Zeit schloss auch Beale eine bleibende Freundschaft mit Languet, lernte Melanchthon selbst aber nie kennen. Weitere mögliche personelle Verbindungen zwischen Balduin und Beale sind der Jurist und spätere pfälzische Geheimrat Christoph Ehem (1528 – 1592) und der englische Agent in Deutschland Christoph Mundt (1496/7– 1572).²⁰ Der Einfluss der melanchthonschen Umgebung Heidelbergs in den späten 1550er Jahren auf Beales intellektuelle Entwicklung ist zwar nur schwer zu bestimmen. Auffällig ist aber, dass Beale die gleichen Ideen über Geschichte, Recht und Religion vertrat wie Balduin und dass beide denselben Personenkreis kannten. Die Verbindung zwischen den beiden Männern wurde erst in den 1560er Jahren fester, sie scheint aber schon 1558 in Heidelberg ihren Anfang genommen zu haben. Beales Aktivitäten in Heidelberg und seine Vertrautheit mit der Stadt in den 1560er Jahren unterstützen die These, dass er schon früher dort war. Unklar ist gleichwohl, was er im Alter von 17 oder 18 Jahren dort machte, ob er Zivilrecht studierte oder versuchte, von Zürich nach England zurückzukehren. In jedem Falle scheint er die Unterstützung anderer Engländer mit Verbindung nach Straßburg gehabt zu haben. Der junge Beale hatte einige einflussreiche Unterstützer wie Richard Morison und John Aylmer,²¹ dennoch reiste und lebte er zum größten Teil allein. Es gibt nur wenige spekulative Anhaltspunkte, dass Beale in den 1550er oder 1560er Jahren nach Italien reiste, um Rechtswissenschaften an der Universität von Padua zu studieren.²² Wesentlich wahrscheinlicher ist es, dass sein Interesse an Zivilrecht und Geschichte vor allem von Balduin in Heidelberg gefördert und später in Paris fortgeführt wurde (wo Balduin auch für einen Großteil der 1560er Jahre residierte). Es ist bemerkenswert und wohl mehr als ein Zufall, dass auch Balduin zunehmend an englischen Angelegenheiten interessiert war, direkt an Minister der englischen Regierung und Vertreter der Kirche schrieb und sich persönlich mit dem englischen Agenten in Deutschland, Christoph Mundt, austauschte.²³ Noch wichtiger aber ist, dass Balduin am Anfang von Elisabeths I. Regierungszeit einen Traktat unmittelbar für die Königin schrieb – über die englische Thronfolge sowie die Gleichwertigkeit und Legitimität ihres Herr-
1559, TNA, SP 70/3, fol. 52r–53v; zum religiösen Charakter der Universität Heidelberg zu dieser Zeit siehe Charles D. Gunnoe, Jr.: Thomas Erastus and the Palatinate. A Renaissance Physician in the Second Reformation. Leiden 2011, S. 56 – 62. Zu Balduins Kontakten sieh Erbe, François Bauduin; Turchetti, Concordia o Tolleranza? Vgl. oben. Vgl. z. B. Taviner, Robert Beale, S. 54. Balduin an Cecil, 15.03.1559, TNA, SP 70/3, fol. 52r–53v.
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schaftsanspruches.²⁴ Beale schrieb zwei Jahre später (1563) ebenfalls zwei Abhandlungen über die königliche Nachfolge und die Legitimität des Anspruchs auf den englischen Thron, wenn auch von einer anderen Thronanwärterin.²⁵ Bemerkenswert ist, dass Beale darin den vorgezeichneten Linien von Balduins Argumentation folgte. Beales Ausbildung stand zweifellos unter dem Einfluss von Engländern, die dem Protestantismus in England in den 1540er und frühen 1550er Jahren den Weg bereitet hatten. Dennoch hatten seine Erfahrungen und Kontakte in lutherischen und reformierten Territorien des Alten Reiches während der 1550er Jahre wahrscheinlich einen größeren Einfluss auf die Entwicklung seiner Ideen in Bezug auf Religion und Politik im Allgemeinen und auf die englischen Beziehungen zu Protestanten in Deutschland im Besonderen. Es ist anzunehmen, dass sich Beale sein Wissen für den späteren Diplomatenberuf, insbesondere sein außenpolitisches Expertenwissen, in sehr jungen Jahren durch direkte Erfahrung und Austausch angeeignet hat. Letztlich ist es aber schwierig herauszufinden, wo sich Beale in den 1550er Jahren aufhielt. Er war zu dieser Zeit ein Teenager ohne Familie, der in etlichen fremden Ländern unterwegs war. Er hatte nur die lose Unterstützung einer Gruppe von Exilanten, die versuchten, nirgendwo aufzufallen und sich aus Schwierigkeiten herauszuhalten. Beale selbst sagte später, dass er „took grat pains in travelling in divers countries on foot for lack of other abilities“.²⁶ Wegen seines jungen Alters sind von ihm keine Steuerdokumente oder anderen offiziellen Dokumente in Straßburg, Zürich oder Heidelberg erhalten geblieben. Der große Frankfurter Verleger André Wechel notierte in den 1570er Jahren, dass Beale „fast alle Schulen Deutschlands, Frankreichs und Italiens besucht“ habe, jedoch lassen sich an den Universitäten von Paris oder Padua keine Immatrikulationsakten finden – es gibt somit keine Belege für gerade jene zwei Orte, die von der älteren historischen Forschung am ehesten mit Beales Zivilrechtslehre in Verbindung gebracht wurden.²⁷ Obwohl sich Beales Name leider auch nicht in den Matrikeln der Universität Heidelberg findet, verweisen die übrigen späteren Quellen und personellen Verbindungen dennoch stark auf einen Aufenthalt in Heidelberg. Mit großer Sicherheit lässt sich dagegen Beales Aufenthaltsort am 17. Mai 1560 bestimmen, weil er sich an diesem Tag formell an der Universität von Wittenberg
BL, Additional MS 48114, fol. 54r–68v. Dazu ausführlicher im zweiten Teil des Aufsatzes. Beale an Burghley, 1591, BL, Lansdowne MS 68/107, fol. 238r–v. André Wechel: Rerum Hispanicarvm Scriptores Aliqvot, quorum nomina versa pagina indicabit. Ex Bibliotheca clarißimi viri Dn. Roberti Beli Angli. Bd. 1. Frankfurt 1579, fol. Iijr; Taviner, Robert Beale, S. 54.
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immatrikulierte.²⁸ Er traf dort auf die meisten diplomatischen und politischen Vertreter der melanchthonschen oder reformierten Intellektuellen und intensivierte überdies seine Freundschaft mit Hubert Languet.²⁹ Es gibt Hinweise darauf, dass sich Beale und Languet möglicherweise schon in Heidelberg getroffen haben. Mit Sicherheit kamen sie in Wittenberg zusammen. Sucht man in Europa nach einem verwandten Geist, der Beale in diplomatischer Hinsicht gleichkam, dann findet man ihn in der Person Hubert Languets. Dessen Verbindungen zu Melanchthon waren tief, sein Bekenntnis zum Protestantismus war international, und sein politischer Scharfsinn war zuspitzend und treffend. War Beale seit Mitte der 1550er Jahren zunächst im westlichen Deutschland und in der Schweiz unterwegs, wurde er ab 1560 immer mehr mit dem östlichen Deutschland, insbesondere mit Sachsen vertraut. Die Entscheidung, sich in Wittenberg einzuschreiben, war bedeutsam. Es ist anzunehmen, dass Beale schon vor 1560 die theologischen und politischen Positionen des unnachgiebigen Lutheraners Matthias Flacius (Illyricus) bekannt waren, denn Flacius hatte großen Einfluss auf Beales früheren Tutor John Aylmer an der Universität Jena.³⁰ Zu diesem Zeitpunkt (1560) hatte sich Beale allerdings von harten, unnachgiebigen religiösen Positionen bereits entfernt, wenn er überhaupt je ein Hardliner gewesen ist; zudem war er mittlerweile durch eine Heidelberger Umgebung geformt und geprägt, zu der mehr theologisch gemäßigtere – und politisch geschicktere – Akademiker und Diplomaten gehörten, als dies in Jena der Fall war.³¹ Ebenfalls aussagekräftig, aber noch nicht schlüssig zu erklären, ist Beales Besitz eines Briefes von Georg Maior (1502– 1574) über Beales Ersatzvater, John Hales.³² Im Jahr 1560 war Georg Maior in Wittenberg, und vielleicht war er auch der Grund, warum Beale dorthin ging; Maior wurde später wie Languet zu einer der Schlüsselfiguren unter den Philippisten.³³ Es spricht deutlich für Beales frühe und spätere Überzeugung, dass er zu den Philippisten in Wittenberg und nicht zum Gnesio-Lutherischen Kreis in Jena ging.
Karl Eduard Förstemann u. a. (Hrsg.): Album Academiae Vitebergensis. Ältere Reihe in 3 Bdn. 1502– 1602. Bd. 2. Leipzig/Halle 1894, S. 4. Über Languet, Melanchthon und Beale siehe Béatrice Nicollier-de Weck: Hubert Languet (1518 – 1581). Un Réseau Politique International de Melanchthon à Guilaume d’Orange. Genf 1995, insbes. S. 226 f.; Taviner, Robert Beale, S. 64– 66 und passim. Vgl. BL, Additional MS 48039, fol. 55r. Vgl. Gunnoe, Thomas Erastus and the Palatinate. AUL, MS 1009/1, Artikel 12. Über Maior siehe Robert Kolb: Georg Major as Controversialist. Polemics in the Late Reformation, in: Church History 45/4 (1976), S. 455 – 468; Heinz Scheible: Art. Major, Georg, in: Gerhard Müller u. a. (Hrsg.), Theologische Realenzyklopädie (TRE). Bd. 21. Berlin/New York 1991, S. 725 – 730.
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Er mag die Strenge und Disziplin von Zürich nicht gemocht haben; oder er bevorzugte das politisch aktive Luthertum von Straßburg und Heidelberg. Wittenberg scheint er jedoch aus gutem Grund gewählt zu haben – zumindest lässt sich diese Entscheidung mit seinem moderaten Luthertum und seiner (späteren) politischen und diplomatischen Flexibilität gut begründen.
2 Beales Schritte in die Welt der Diplomatie Da Beales Leben in den frühen 1560er Jahren prinzipiell schwer in den Quellen greifbar ist, bietet es sich an, seine 1563 angefertigte Rechtfertigungsschrift für John Hales im Namen von Edward Seymour, Graf von Hertford (1539?–1621), näher zu betrachten. Darin ging es um die Heirat des Grafen mit Catherine Grey, Schwester der Neun-Tage-Königin Lady Jane Grey, und um die Legitimität ihres Anspruchs auf die englische Thronfolge für den Fall, dass Elisabeth I. kinderlos sterben sollte.³⁴ Damit war Beale zu einem sehr frühen Zeitpunkt in seinem Leben unmittelbar in Fragen um die Monarchie involviert – und das, obwohl er der königlichen Führungsriege noch relativ – wenn nicht ganz und gar – unbekannt war. Für einen politischen Außenseiter hätte diese Position sehr gefährlich werden können. Ziemlich sicher war es Hales gewesen, der Hertford Beale vorgeschlagen hatte – wegen Beales Interesse und seiner Kontakte zum Zivilrecht und wegen Balduins früherer Abhandlung über die königliche Thronfolge. Beale reaktivierte tatsächlich seine internationalen Kontakte und konsultierte nachweislich Juristen in Marburg, Köln, Speyer und (später) Paris mit Fragen über Hertfords Ehe und Greys Anspruch.³⁵ Er schrieb über diese Frage seinen eigenen „lardge discourse“, folgte dabei Balduins Argumentationslinien und bestätigte sowohl die Legitimität der Seymour-Grey-Ehe als auch die Legitimität von Greys Anspruch auf den englischen Thron. Zudem schrieb Beale einen zweiten Traktat über die Legitimität der Ehe zwischen Charles Brandon, Herzog von Suffolk, und Frances Grey (Catherines Mutter), um die Richtigkeit seiner Behauptung weiter zu untermauern.³⁶ Beale bewies in beiden Traktaten detailliertes juristisches Wissen und zeigte, dass er bereits mit 22 Jahren ein bedeutender Experte im kanonischen Recht wie auch im Zivilrecht war und zudem hervorragende Kontakte zur Rechtswissen-
Vgl. zu dieser Frage Mortimer Levine: The Early Elizabethan Succession Question 1558 – 1568. Stanford, Calif. 1966, S. 62– 85. Cambridge University Library, MS Ii.v.3. Vgl. Cambridge University Library, MS Dd.iii.85, Artikel 18.
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Abb. 4: Beales Traktat zum Abschluss der Hertford-Grey-Ehe (1563)
schaft pflegte – auch zu Juristen am deutschen Reichskammergericht.³⁷ Wegen der politischen Spannungen, die Jane Greys Anspruch verursachte, erhielten Hales und andere ernste Drohungen und Tadel, aber nicht Beale – wahrscheinlich
Cambridge University Library, MS Ii.v.3, Artikel 3, 5.
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aufgrund seiner Jugend und seiner entfernteren Stellung. Dennoch lässt sich mit Fug und Recht behaupten, dass er spätestens seit 1563 in das Sichtfeld von William Cecil (1521– 1598), dem engsten Berater und Hauptsekretär Königin Elisabeths, geriet.³⁸ Cecil wurde später über lange Jahre Beales beständigster Unterstützer in der englischen Regierung und förderte dessen Karrierestart in der Außenpolitik. Beale schickte seine Traktate sowie die rechtlichen Einschätzungen der deutschen Juristen zu Hales nach England. Ob Beale selbst in einer Mission oder mit einem spezifischen Auftrag nach England zurückgekehrt war, lässt sich schwer sagen. Er könnte als Kurier für Briefe zwischen London, Deutschland und Frankreich agiert haben. Letztlich lässt sich aber kaum belegen, wo sich Beale während dieser Bildungsjahre aufhielt. Als gesichert kann dagegen sein Aufenthalt in Paris gelten, wo er seit 1564 lebte.³⁹ Beales Zeit und seine informellen Positionen in Paris während der mittleren und späten 1560er Jahre waren in vielerlei Hinsicht das Produkt und der Höhepunkt seiner zuvor erworbenen Erfahrungen. Denn obwohl sein Wissen und seine angehende Expertise in reformierten und lutherischen Angelegenheiten hauptsächlich deutsche und schweizerische Länder betrafen, war Paris der wichtigste Ort für die englische Diplomatie und enorm wichtig für das Sammeln von Nachrichten auf dem europäischen Festland. Wollte Beale sich einen Namen machen und die Achtung und Aufmerksamkeit potentieller Förderer und Unterstützer in der englischen Regierung auf sich ziehen, dann war Paris der Ort, wo er sein musste. Während seiner Zeit in Paris diente Beale als enger Mitarbeiter und Kurier für die folgenden englischen Botschafter: Sir Thomas Smith (1513 – 1577), Sir Thomas Hoby (1530 – 1566), Hugh Fitzwilliam (ca. 1534–ca. 1576) und Sir Henry Norris (ca. 1525 – 1601).⁴⁰ Es ist anzunehmen, dass Beale weiterhin Kontakt zu Balduin hatte, dem Professor für Zivilrecht, der 1561 als moderate Stimme bei den Religionsgesprächen im „Kolloquium von Poissy“ agiert hatte und danach nach Paris umzogen war. Vier Briefe von Balduin an Beale sind an der Universität von Aberdeen erhalten. Obwohl Balduin diese Briefe erst um 1570 in Paris und Angers schrieb, sind sie überaus wertvoll, da sie auf die frühere Korrespondenz und ihre persönliche Beziehung Bezug nehmen.⁴¹ In Paris scheint sich Beale auch mit dem oben genannt Verleger André Wechel angefreundet zu haben, der später eine
Viele Dokumente zu diesem Rechtsfall befinden sich im persönlichen Archiv von Cecil: CP 154/60 – 65. Beale an Burghley, 15.04.1578, BL, Lansdowne MS 27/32, fol. 63r. Vgl. dazu auch Taviner, allerdings ohne die Jahre 1564/65: Taviner, Robert Beale, S. 70 – 103. AUL, MS 1009/2, Artikel 35 – 38.
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große Sammlung spanischer Bücher aus Beales Bibliothek herausgab.⁴² Mitte der 1560er Jahre traf Beale in Paris auch wieder auf seinen Wittenberger Kommilitonen Hubert Languet, der während jener Jahre ebenfalls lange Zeit in Paris tätig war, nämlich als Botschafter des Kurfürsten von Sachsen.⁴³ In Paris war Beale nun mittlerweile etwa 24 Jahre alt: Er war weit gereist, hatte in verschiedenen konfessionellen Umfeldern studiert (wenn auch zumeist informell) und begonnen, das diplomatische Handwerk und die Praxis der Diplomatie in der englischen Botschaft in Paris zu erlernen. Seine Auffassung von der Funktionsweise des Rechts im historischen Kontext war maßgeblich von Balduin geprägt worden, sein Verständnis für das Wechselspiel zwischen Politik und Religion verdankte er seinen Reisen und seiner Freundschaft mit Languet. Seine englischen Zeitgenossen gingen davon aus, dass er in erster Linie von Sir Thomas Smith lernte und von diesem beraten wurde.⁴⁴
3 Europäisches Wissen als Befähigung zum Diplomatendienst Beale trat vor 1566 in den Dienst von William Cecil ein, dem Hauptsekretär von Elisabeth I. Das geht aus einem überaus informativen Brief von Beale an Cecil über den englischen Botschafter in Paris hervor.⁴⁵ Dieser Brief ist sehr aufschlussreich, weil er viel über Beales frühes Verständnis für die Feinheiten der religiösen und politischen Diplomatie aussagt. Die sprachlichen Formulierungen des Briefes zeigen zunächst, dass Beale dem Hauptsekretär regelmäßig Berichte geschickt hatte und dass Beale in Cecil einen Patron von höherer Bedeutung sah – und zwar wesentlich höher als seinen einstigen „Ersatzvater“ Hales (der 1565 wegen des Hertford-Grey-Fiaskos inhaftiert worden war).⁴⁶ Beale kommunizierte dies direkt und schrieb an Cecil: „I haue none other frend but you“.⁴⁷ Beales Kommentare über den Kontakt des englischen Botschafters mit den Franzosen zeigen, dass er in vielerlei Hinsicht durch die Beobachtung der Praxis lernte, was ein Diplomat zu tun hatte und was nicht, was in der internationalen Diplomatie funktionierte und was keine Wirkung zeigte. So Vgl. Anm. 27. Taviner, Robert Beale, S. 64, Anm. 48; Nicollier-de Weck, Hubert Languet, S. 85 – 209. Vgl. z. B. Smiths Dokumente in Beales eigenem Archiv: BL, Additional MSS 48023, 48026, 48047, sowie Smith an Cecil, 09.03.1572, TNA, SP 70/146, fol. 55r. Beale an Cecil, Nov. 1566, TNA, SP 70/87, fol. 75r–76v. Levine, The Early Elizabethan Succession Question, S. 76. Ebd., fol. 76r.
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Abb. 5: Robert Beales frühester erhaltener Brief an John Hales and William Cecil
bemerkte er zum Beispiel über die Situation in Paris, dass es sehr schwierig sei, „these fickell hedded frensh men“ in religiösen Angelegenheiten zufriedenzustellen, wenn sich ihre Religion von der des Fürsten unterschied, und der Botschafter „bothe wary, witty, and circumspect“ sein musste. Tatsächlich dachte Beale, dass dies selbst dem „wisest and politickest man in England not to[o]
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sufficient“ sein konnte.⁴⁸ Allgemeiner schrieb Beale, dass „these dangerous tymes require one bothe of greate wisdom learning, and experience“, wegen der klugen und subtilen Art der Männer in der Regierung. Aus Beales Bemerkungen im Jahre 1566 wird klar, dass die Natur der Diplomatie Männer mit tiefem Wissen und Verständnis erforderte; es bedurfte eines Spezialisten für das Land, in das er entsandt wurde. Für einen Engländer der damaligen Zeit ist dieses Denken sehr vorausschauend, und es deutet darauf hin, dass Beale bereits sehr gut über die Praktiken der italienischen Diplomatie informiert war.⁴⁹ Beale lernte die Umrisse des elisabethanischen diplomatischen Dienstes in Paris während der ersten Jahre der französischen Religionskriege kennen, behielt aber ein nachhaltiges und bald auch nützliches Interesse an den deutschen Angelegenheiten bei, besonders als die Spannungen in den spanischen Niederlanden wuchsen. Im Januar 1568 schickte Beale zum Beispiel zusammen mit einer detaillierten Darstellung der religiösen und politischen Streitpunkte unter den protestantischen Fürsten des Alten Reiches nach London.⁵⁰ Beale beschrieb die beachtlichen militärischen Fähigkeiten des Kurfürsten August von Sachsen (1526 – 1586) und den Ruf des Kurfürsten von der Pfalz, Friedrich III. (1515 – 1576), als „Arbiter of the hole cau[s]e“ in Frankreich. Darüber hinaus berichtete er, dass Herzog Christoph von Württemberg (1515 – 1568) regelmäßig andere Fürsten über seine Korrespondenz mit dem Herzog von Alba (1507– 1582) informierte, insbesondere wenn eine Gefahr für die Protestanten wahrscheinlich wurde. Beale lieferte des Weiteren Informationen über die Aktivitäten und Glaubensrichtungen anderer lutherischer Fürsten in Sachsen, der Pfalz, Zweibrücken, Holstein und Braunschweig. Aber sein Fokus blieb stets auf die Wahrscheinlichkeit gerichtet, dass diese deutschen Fürsten die Protestanten in Frankreich unterstützen könnten und würden – trotz der politischen Rivalitäten und religiösen Differenzen untereinander. Diese Beobachtungen waren scharfsinnig. August von Sachsen und Friedrich III. von der Pfalz waren die mächtigsten Protestanten in Deutschland, und Friedrich war fraglos am meisten geneigt, seine konfessionellen Brüder in der Fremde zu unterstützen. Die anderen lutherischen Fürsten schwankten
Ebd., fol. 75r, 76r. Ebd., fol. 75v; über Beale und die italienischen relazioni vgl. David Scott Gehring (Hrsg.): Diplomatic Intelligence on the Holy Roman Empire and Denmark during the Reigns of Elizabeth I and James VI. Three Treatises. Cambridge 2016, S. 37. Vgl. TNA, SP 70/96, fol. 65r–66v.
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dagegen. Einige begrüßten zwar militärische Aktionen für religiöse Zwecke, mochten sich darauf aber nicht festlegen lassen.⁵¹ Beale beschrieb, wie schwierig es war, die verschiedenen deutschen Fürsten für ein Ziel zusammenzubringen, das über die Interessen ihres eigenen Territoriums und ihrer Dynastie hinausging. Letztlich blieb er aber fest davon überzeugt, für die Idee der „protestantischen Internationale“ zu arbeiten. Mit seinen eigenen Worten drückte er es so aus: „As the papists haue theiyr ligue, so were yt not amiss that the princes protestants for theyr defence had the like.“⁵² Innerhalb eines Jahres rückten die europäischen Religionskriege bedrohlich an die Niederlande heran, was dazu führte, dass sich die Protestanten in ganz Europa enger zusammenschlossen. Als der pfälzische Kurfürst 1568 schließlich vorschlug, einen Bund zur Verteidigung (der Religion) festzuschreiben, antwortete die englische Königin mit der Entsendung von Henry Killigrew. Es war die bisher ehrgeizigste englische Gesandtschaft an die deutschen Fürsten.⁵³ Beale war formal nicht in Killigrews Mission involviert, ähnlich wie er in den 1560er Jahren nie offiziell der englischen Botschaft in Paris angehört hatte. Allerdings hielt er sich in Deutschland auf – und das mit Sicherheit zur richtigen Zeit. Er war in Heidelberg, als Killigrew in Verhandlungen mit dem Kurfürsten von der Pfalz eintrat, und blieb im Umkreis des Kurfürsten, nachdem Killigrew nach England zurückgekehrt war.⁵⁴ Beale erneuerte und schloss Kontakte mit neuen und gleichgesinnten Freunden, wie Hubert Languet und Christoph Ehem.⁵⁵ Währenddessen sammelte er so viel Wissen und Informationen wie möglich über das Heilige Römische Reich im Allgemeinen und über religiöse Angelegenheiten im Besonderen.⁵⁶ Beale reiste mit Killigrew von Heidelberg nach Sachsen und Vgl. Jonas A. M. van Tol: Germany and the French Wars of Religion, 1560 – 1572. Leiden 2018. Maximilian Lanzinner: Friedenssicherung und politische Einheit des Reiches unter Kaiser Maimilian II. (1564– 1576). Göttingen 1993, bes. S. 195 – 209. TNA, SP 70/96, fol. 66v. Vgl. David Scott Gehring: Anglo-German Relations and the Protestant Cause. Elizabethan Foreign Policy and Pan-Protestantism. London 2013, S. 44– 47, 175 – 177; ders. (Hrsg.), Diplomatic Intelligence, S. 10 – 16. De Lumbres an Beale, 11.02.1569, AUL MS 1009/1, Artikel 22; De Lumbres an Beale, 17.04.1569, Brigham Young University, Provo, Utah, MS 457, Artikel 1; Kurfürst Friedrich an Elizabeth, 28.09. 1569, Bodleian Library, Oxford, Ashmole MS 1729, fol. 126r–7v. Für die Korrespondenz von Languet mit Beale vgl. BL, Egerton MS 1693; Ehem an Beale, 06.11. 1570, 16.02.1571, AUL, MS 1009/2, Artikel 27, 28. Vgl. z. B. Languet an Beale, 21.05.1569, BL, Egerton MS 1693, fol. 3r–v; Ehem an Beale, 06.11. 1570, AUL 1009/2, Artikel 27; andere Freunde und Mitarbeiter waren Louis Frennes, Seigneur de Lumbres; Odet de Coligny, Kardinal von Châtillon; und Guillaume Stuart de Vézines; über diese Verbindungen wird die in Vorbereitung befindliche Biographie des Verfassers über Beale detailliert Auskunft geben.
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konnte die Aktivitäten in den kurfürstlichen Residenzen beobachten – wie dort agiert wurde und wie sich die Kurfürsten zu verschiedenen Themen äußerten. Und er studierte die Quellen der Macht und des Reichtums der Kurfürsten. Im Fall von Sachsen stieg Beale sogar in ein Bergwerk ein, um die dortigen hochentwickelten Bergbautechniken zu inspizieren.⁵⁷ In einem Erfahrungsbericht – überschrieben mit dem Titel „The State of Germany“ – fasste Beale schließlich seine Erkenntnisse zusammen, beschrieb die Einnahmen und Kräfte der zehn Reichskreise, die Form und den Ablauf des deutschen Reichstages sowie die Rolle und Vielfalt der Freien Reichsstädte. Er listete zudem in einem Register auf, was es kosten würde, 6000 Reiter und zwei Regimenter Soldaten für ein ganzes Jahr zu unterhalten.⁵⁸ Die Abhandlung enthielt zudem genaue Beschreibungen des Kurfürsten von der Pfalz und des Kurfürsten von Sachsen sowie der jeweiligen Höfe. Beide waren die entscheidenden Akteure, um andere lutherische Fürsten zu bewegen, einem protestantischen Bündnis beizutreten. Beales Beobachtungen über die religiöse Politik des Kurpfälzers und die finanziellen Ressourcen des Kursachsens waren völlig korrekt.⁵⁹ Neben der Beschreibung der politischen Ordnung des Alten Reiches und den Charakterbewertungen zeigte sich Beale hervorragend über die religiösen Überzeugungen der Fürsten informiert. Das wird insbesondere an seiner Darstellung der theologischen Entzweiung der Gnesio-Lutheraner und der Philippisten über Soteriologie und Liturgie deutlich, ebenso wie in seiner Einschätzung, dass genau diese Differenzen die englischen Pläne für ein vereintes, pan-protestantisches Bündnis unmöglich machen würden. Bemerkenswerterweise benannte Beale Matthias Flacius und Georg Maior als jeweilige Repräsentanten der beiden theologischen Lager.⁶⁰ Beales Abhandlung, die sich eng an venezianische relazioni anlehnte, wurde direkt für den Hauptsekretär William Cecil geschrieben. In Anbetracht der früheren Berichte Beales an Cecil liegt es nahe, dass er diesen Bericht über Deutschland Cecil sogar persönlich in London übergab. Er nutzte dazu wahrscheinlich die Gelegenheit, als er – zwar noch nicht als Diplomat, wohl aber als Kurier vom Festland – einen eigenhändig verfassten Brief des pfälzischen Kurfürsten an Elisabeth I. überreichte.⁶¹
Gehring (Hrsg.), Diplomatic Intelligence, S. 72 f. Der Bericht liegt ediert vor in ebd., S. 51– 108. Vgl. Z. B. Uwe Schirmer: Kursächsische Staatsfinanzen (1456 – 1656) Strukturen – Verfassung – Funktionseliten. Stuttgart 2006; Bernard Vogler: Le rôle des Électeurs palatins dans les Guerres de Religion en France (1559 – 1592), in: Cahiers d’histoire 10 (1965), S. 51– 85 Ebd., S. 104 f. Ebd., S. 14 f., Anm. 35; Christoph Ehem war für Beales Ernennung zum Kurier Königin Elisabeths verantwortlich; vgl. folgende Schreiben: Rat an Friedrich, 28.09.1569, sowie Memoran-
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Um 1570 begann sodann Beales Karriereaufstieg, wobei seine Arbeit für Cecil in Frankreich und in Deutschland förderlich wirkte. Innerhalb eines Jahres trat er offiziell in den Dienst des englischen Diplomaten in der Pariser Botschaft, Francis Walsingham. Im Sommer 1572 avancierte Beale zum Sekretär des Geheimen Rates. Seit diesem Zeitpunkt betrachteten viele im elisabethanischen Regime Beale als einen der führenden Experten für französische und deutsche Angelegenheiten sowie für rechtliche Fragen, und sie taten dies zu Recht. Frühneuzeithistoriker wie Patrick Collinson und einige andere seiner Kollegen, die sich intensiver mit Robert Beale beschäftigt haben, wussten bereits um seine religiösen Neigungen, rechtlichen Interessen und besonderen individuellen Kompetenzen, berücksichtigten allerdings nur seinen zweiten Lebensabschnitt seit den 1570er Jahren.⁶² Das Ausmaß und die Bedeutung von Beales früheren Reisen, Kontakten und Erfahrungen auf dem Kontinent waren dagegen bisher unbekannt. Ohne Familie und mit nur wenigen Freunden gelang es Beale nicht nur, zu überleben, sondern sich während seiner Zeit im Ausland von 1553/54 bis 1569 zu einer weltoffenen Persönlichkeit mit besonderen Fähigkeiten, umfangreichem politisch-konfessionellem Wissen und diplomatischem Talent heranzubilden. Obwohl er in dieser Zeit mit ziemlicher Sicherheit (immer wieder) als Kurier aus Paris nach London beziehungsweise nach England zurückkehrte, war nicht England, sondern das kontinentale europäische Ausland sein Zuhause. Das beweist auch eine Textstelle, mit der Beale von John Herbert – einem Kollegen und Freund in Paris – im August 1570 daran erinnert wurde, dass einige seiner Pakete und Koffer noch immer in Paris seien, obwohl Professor Balduin bereits etliche nach Angers gebracht habe, wo dieser mittlerweile einen Lehrstuhl an der (streng katholischen) Universität angenommen habe.⁶³
4 Fazit und Ausblick Beales Aufenthalt auf dem europäischen Festland nachzuzeichnen, ist aufschlussreich. Denn die diversen Aufenthaltsorte und das personelle Netzwerk aus Unterstützern, Freunden, Bekannten und Kollegen zeigen, dass und wie ihn dieser bisher noch nicht untersuchte, erste Teil seines Lebens maßgeblich prägte und ihn jenes Wissen lehrte, das ihm später erfolgreich Verhandlungen im Alten Reich ermöglichte. Seine Flucht aus England fiel zusammen mit der Vertreibung dum von den Fürsten, 26.09.1569, München, Hauptstaatsarchiv, Kasten Schwarz 16682, fol. 462r– 464v, 509r–510v. Siehe Anm. 1. AUL, MS 1009/2, Artikel 22, fol. 1r.
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aller Fremden, die kein Bürgerrecht besaßen und keinen Handel betrieben. Es war für Beale der Auftakt, um fortan mit einer Vielzahl von Menschen unterschiedlicher religiöser und nationaler Herkunft zusammenzuleben. Im Alter von 12 oder 13 Jahren war er gewissermaßen dazu konditioniert worden, von Leuten verschiedenster (konfessioneller) Couleur zu lernen und mit ihnen zusammenzuarbeiten, wenngleich er keineswegs als ökumenischer Christ gelten kann. Hier lag ein deutlicher Unterschied zwischen Balduin und Beale: Balduin war ein Ireniker, der versuchte, Protestanten und Katholiken im Rahmen der Religionsgespräche von Poissy im Jahre 1561 und in der folgenden Zeit zu versöhnen. Beale hingegen versuchte, Protestanten zu vereinen, um eventuellen katholischen Angriffen widerstehen zu können. Während dieser Zeit (besonders in den 1560er Jahren) begann Beale allerdings, die Welt des religiösen Konflikts in Schwarz-Weiß zu sehen. In seiner Vorstellung stand der protestantischen Körperschaft – dem Corpus Protestantium – die römisch-katholische Kirche mit ihren politischen Manifestationen feindlich gegenüber. Innerhalb der protestantischen Gemeinschaft sah er verschiedene Grautöne, die sich jedoch trotz der unterschiedlichen theologischen oder ekklesiologischen Anschauungen noch unter dem Banner des Antikatholizismus zusammenschließen konnten. Unter Berufung auf den neutestamentlichen Korintherbrief (1. Korinther 12) benutzte er dies als Argument, als er 1577 die protestantischen Fürsten für einen Bündnisschluss zu gewinnen suchte.⁶⁴ Für Beale war die Unterstützung und Zusammenarbeit Englands mit der internationalen protestantischen Gemeinschaft sowohl im In- als auch im Ausland schlichtweg eine notwendige Angelegenheit. In England behauptete er, dass er sich in religiösen Angelegenheiten fest an das geltende Recht des Landes gehalten habe. Beale interpretierte die elisabethanische Religionsregelung von 1559, also die Bestimmungen zur Reform und Etablierung der englischen Kirche im protestantischen Sinne, klar als ein protestantisches Bollwerk gegen den Katholizismus.⁶⁵ Im Ausland, wo er die Kunst der Diplomatie erlernt hatte, wusste Beale, wie man mit Protestanten verschiedener Richtungen arbeitete, um eine Einheitsfront zu schaffen. Was lässt sich also über die Entwicklung von Robert Beale als englischer Diplomat und europäischer Intellektueller sagen? Beale war ein Engländer und zugleich europäischer Intellektueller mit dem Wissen und der Sachkenntnis, um genau diese europäische Sicht diplomatisch in die Tat umzusetzen. Seine Er Gehring, Anglo-German Relations, S. 72. In der 1580er Jahren sagte John Whitgift, Erzbischof von Canterbury, dass Beale puritanische Neuerungen in die elisabethanische Kirche bringen wollte, aber Beale antwortete, indem er die etablierte Kirche bestätigte. Zu Whitgift und Beale siehe Collinson, The Elizabethan Puritan Movement, S. 243 – 282.
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fahrung erinnert daran, dass Protestantismus wie intellektueller Austausch im 16. Jahrhundert am besten in einem internationalen, diplomatischen Zusammenhang verstanden werden kann. Am Beispiel Robert Beales können drei Sachverhalte der englischen Diplomatie des 16. Jahrhunderts deutlich gemacht werden: Erstens wurde Beales Protestantismus in einer internationalen Gemeinschaft von Gelehrten und Theologen aus England, Deutschland, der Schweizer Eidgenossenschaft und Frankreich sowie an verschiedenen Orten in diesen Ländern geformt und geprägt. Während der 1550er und 1560er Jahre wuchsen religiöse Spannungen zu großen kriegerischen Feuersbrünsten heran, aber es ist klar, dass Beale die Konflikte an den konfessionellen Grenzen erfolgreich bewältigte. Er war den Ideen strenger Gnesio-Lutheranern wie dem in Jena lehrenden Matthias Flacius ausgesetzt, schien aber eher unter Philippisten wie Franz Balduin in Heidelberg und Hubert Languet in Wittenberg zu Hause zu sein. Zweitens: Trotz der internationalen Ursprünge von Beales religiösem Denken war seine Treue zu England – sowohl in der Religion als auch in der Politik – unerschütterlich. Gleichwohl wollte er, dass England mit den religiösen Glaubensbrüdern und -schwestern auf dem europäischen Festland zusammenstand. Für ihn konnte das protestantische England nicht vom restlichen protestantischen Europa getrennt werden. Diese konfessionelle Offenheit zu politischen Zwecken ist wichtig. Drittens: Beale war ein international denkender Engländer, der aufgeschlossen genug war, um gemeinsam mit anderen Protestanten für politische und publizistische Zwecke zu arbeiten. Dennoch besaß er ein sehr genaues Gespür dafür, was für ihn selbst die richtige und was die falsche Religionsauslegung war. Manchmal präsentierte er eine beindruckende Weitsicht und vorausschauende Perspektive, zu anderen Zeiten biss er sich aber an kleinen Details fest oder war einfach nur pedantisch. Er war ein feinsinniger, juristisch denkender Kopf. Es scheint, als ob er jahrelang einen inneren Groll gehegt hat. Nach eigenen Angaben war er ein bisschen nörgelig.⁶⁶ Beale war möglicherweise moderner als viele seiner Zeitgenossen. Seine Weltanschauung war aufgrund seiner frühen Konfrontation mit verschiedenen politischen und religiösen Perspektiven intellektuell aufgeschlossen. Später konzentrierte sich seine Tätigkeit in London stärker auf einen Ort und auf spe Vgl. BL, Additional MS 48039, fol. 55r; Historiker des 17. Jahrhunderts und später kommentierten Beales (scheinbar) schlechte Laune und bittere Persönlichkeit; vgl. auch z. B. William Camden: Annales Rervm Anglicarvm et Hibernicarvm, Regnante Elizabetha. London 1615, S. 338; Peter Heylyn: Aërius Redivivus: or the History of the Presbyterians. London 1672, S. 264 f.; Thomas Fuller: The Church History of Britain […]. A New Edition. Bd. 3. London 1837, S. 41 f.
Robert Beale – ein englischer Diplomat mit europäischer Ausbildung
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zifische Fragen der englischen Außenpolitik. Seine internationale Erfahrung war der Grund, weshalb er schließlich offiziell als englischer Botschafter für Elisabeth I. verpflichtet wurde. So war er im Dienste ‚Her Majesty‘ ein Engländer, fühlte sich aber wahrscheinlich auch in Deutschland und Frankreich nicht fremd. Beale scheint zugleich Engländer und Europäer gewesen zu sein, je nachdem, aus welcher Perspektive man schaut.
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Die Persönlichkeit als Faktor deutsch-englischer Bündnisbemühungen am Ende der 1560er Jahre Zum Deutschland-Bericht des englischen Gesandten Robert Beale „As far as foreign policy was concerned, statesman had to ask whether it should be guided by considerations of national interest or religious alliance, particularly when the two fail to coincide.“¹ Laut Erkki Ilmari Kouri standen die Herrscher des 16. und 17. Jahrhunderts vor dem Dilemma, ihre Außenbeziehungen entweder nach nationalen oder nach religiösen Interessen auszurichten. Beispielhaft zeigt der Historiker dies für die englische Königin Elisabeth I., die sich in den 1560er Jahren mit eben dieser Entscheidung konfrontiert sah und abwägen musste, ob und mit welchem Ziel sie ein Schutzbündnis mit den protestantischen kontinentaleuropäischen Mächten eingehen sollte.² Die Forschung ist sich einig, dass sich in den späten 1560er Jahren ein Wendepunkt in der Bündnispolitik der englischen Regierung vollzog. Von innenpolitischen Krisen belastet, von den Glaubenskämpfen in Frankreich beunruhigt und von den Freiheitskämpfen in den Niederlanden alarmiert, zeigte England ein aktives Interesse an einem Schutzbündnis mit protestantischen Mächten und folglich auch an einem Bündnisschluss mit den deutschen protestantischen Fürsten, welches letztlich allerdings nie realisiert wurde.³ Mit welcher Motivation England die Bündnisse schließen wollte, wird in der Forschung kontrovers diskutiert. Kouri stellt in seiner wegweisenden Studie aus dem Jahr 1981 die These auf, dass die englischen Bündnispläne mit deutschen protestantischen Fürsten vor allem politisch und ökonomisch motiviert gewesen seien und die Religion eine zweitrangige Rolle gespielt habe.⁴ David Gehring widerspricht jüngst dieser Gewichtung und sieht in
Erkki Ilmari Kouri: England and the Attempts to Form a Protestant Alliance in the Late 1560s. A Case Study in European Diplomacy. Helsinki 1981, S. 14. Vgl. Erkki Ilmari Kouri: Die Entwicklung eines Systems der europäischen Außenpolitik in der Zeit von 1558‒1603 aus englischer Perspektive, in: Friedrich Beiderbeck/Gregor Horstkemper/ Winfried Schulze (Hrsg.), Dimensionen der europäischen Außenpolitik zur Zeit der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert. Berlin 2003, S. 307‒336, hier S. 309. Vgl. Kouri, Die Entwicklung, S. 309. Vgl. Kouri, England and the Attempts, S. 78‒80. https://doi.org/10.1515/9783110625431-006
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den religiösen Aspekten das zentrale Motiv für die Intensivierung der Bündnisbestrebungen zwischen europäischen Protestanten. Politische Überlegungen seien dagegen zweitrangig gewesen, wenn auch nicht unwichtig, da die Position Englands wie auch die der Protestanten in Kontinentaleuropa gefährdet gewesen sei.⁵ Bemerkenswerterweise belegen beide Historiker ihre Thesen anhand eines Instruktionsentwurfes, den der englische Staatsekretär William Cecil für Henry Killigrew verfasst hatte. Killigrew war als Gesandter in das Alte Reich geschickt worden, um bei den protestantischen Fürsten für ein Defensivbündnis zu werben.⁶ Die Forschung argumentierte somit bisher aus dem Blickwinkel der Königin bzw. ihrer Regierungsbeamten und beachtete kaum die Sichtweise der Gesandten vor Ort. Die jüngere Diplomatiegeschichte kritisiert dies und regt einen Perspektivwechsel unter Einbeziehung aller Akteure an, da Vertreter von Staaten immer nur ihre Vorstellungen von den Interessen eines Staates zum Ausdruck bringen können.⁷ Greift man dies auf und schenkt auch den Gesandten Aufmerksamkeit, wird deutlich, dass neben den beiden von Kouri und Gehring benannten Motiven ein dritter Faktor für den Abschluss von deutsch-englischen Bündnissen entscheidend gewesen zu sein scheint. Sehr anschaulich ist dieser Sachverhalt in dem 1569 von Robert Beale verfassten diplomatischen Reisebericht „The State of Germany“ zu greifen. Beale schildert darin den Aufbau des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation beispielhaft an den Reichskreisen und legt durch seine ausführlichen Beschreibungen nahe, dass auch die Persönlichkeit der jeweiligen Reichsfürsten, insbesondere ihre individuellen Charaktereigenschaften, bei den Bündnisbestrebungen bedacht werden sollten. Für ihn waren dies offensichtlich relevante und essentielle Informationen, um Bündnispartner einzuschätzen und Bündnisse schließen zu können.⁸ Der Forschung ist bekannt, dass das persönliche Element in der Politik und besonders in der Diplomatie⁹ eine entscheidende Rolle spielte. Autoren diplo-
Vgl. David Scott Gehring: Anglo-German Relations and the Protestant Cause. Elizabethan Foreign Policy and Pan-protestantism. London 2013, S. 45. Vgl. Kouri, England and the Attempts, S. 78‒80; Gehring, Anglo-German Relations, S. 45. Vgl. Hillard von Thiessen/Christian Windler: Einleitung. Außenbeziehungen in akteurszentrierter Perspektive, in: dies. (Hrsg.), Akteure der Außenbeziehungen. Netzwerke und Interkulturalität im historischen Wandel. Köln 2010, S. 5. Robert Beale: The State of Germany, in: David Scott Gehring (Hrsg.), Diplomatic Intelligence on the Holy Roman Empire and Denmark during the Reigns of Elizabeth I and James VI. Three Treatises. London 2016, S. 51‒108. Obwohl sich Begriffe wie Diplomatie und Diplomat erst ab dem 18. Jahrhundert etablieren, werden sie in diesem Aufsatz auch für das Gesandtschaftswesen Ende des 16. Jahrhunderts benutzt, vgl. Inken Schmidt-Voges: Europäische Friedensprozesse der Vormoderne, in: Europäische Geschichte Online (EGO), hg. vom Leibniz-Institut für Europäische Geschichte (IEG), Mainz
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matischer Berichte beeinflussten politisches Handeln in erheblichem Maße durch ihre individuelle Biografie, ihre eigenen Prioritäten, persönlichen Beziehungen und Überzeugungen.¹⁰ Auch deshalb betont Hannes Ziegler, dass Emotionen und politische Kultur eng miteinander verknüpft waren.¹¹ Er zeigt, dass sich politisches Verhalten in der Frühen Neuzeit bewusst über Vertrauen definierte und dies als Grundlage für politisches Handeln diente. Dazu beleuchtet Ziegler unter anderem die Beziehungen zwischen den Fürsten sowie ihre Persönlichkeit, die anhand des Tugendkanons der Fürstenspiegel ermessen werden können.¹² Diese methodischen Erkenntnisse sind aufschlussreich für Beales Reisebericht, in dem die Charaktere der Kurfürsten August von Sachsen und Friedrich III. von der Pfalz anhand der Maßstäbe von Tugenden und ihrer Reputation vergleichend bewertet werden. Im Zuge dessen wird dem Leser aufgezeigt, wie verlässlich und vertrauenswürdig die beiden Kurfürsten einzustufen seien. Dabei fällt auf, dass der pfälzische und sächsische Kurfürst einander nur in bestimmten Aspekten direkt gegenübergestellt werden und dass der Vergleich in eine geschickte Auf- bzw. Abwertung der Charaktereigenschaften mündet. Im Folgenden wird analysiert, wie Beale in seinem Reisebericht die Persönlichkeiten der beiden Fürsten schildert, wie er deren Reputation unter den deutschen Reichsfürsten und unter den Untertanen bewertet und welches Wissen er damit der englischen Regierung zum Abschluss von Bündnissen anbietet. Der Analyse geht eine kurze Einordnung voraus, in welchem Kontext Beale seinen Bericht verfasste. Im Fazit werden die Empfehlungen Beales für einen möglichen deutsch-englischen Bündnisschluss im Hinblick auf die beiden Kurfürsten abschließend beleuchtet.
1 Beales Reisebericht im Kontext englischer Bündnisbestrebungen Die Kriege in den Niederlanden und in Frankreich können als ein Auslöser dafür gelten, dass sich England in den 1560er Jahren aktiv nach protestantischen Ver2019 – 03 – 14, http://www.ieg-ego.eu/schmidtvogesi-2019-de (abgerufen am 21.12. 2019), insbes. Abschnitt 19. Vgl. Daniel Riches: Protestant Cosmopolitanism and Diplomatic Culture. Brandenburg-Swedish Relations in the Seventeenth Century. Leiden 2003, S. 4. Vgl. Hannes Ziegler: Emotionen und die Geschichte des Politischen. Perspektiven in der Mittelalter- und Frühneuzeitforschung, in: ZHF 44/4 (2017), S. 661‒691, hier S. 661 f. Vgl. Hannes Ziegler: Trauen und Glauben. Vertrauen in der politischen Kultur des Alten Reiches im Konfessionellen Zeitalter. Affalterbach 2017, S. 108 u. 124.
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bündeten umzusehen begann.¹³ Bereits seit mehreren Jahren schwelte ein Konflikt zwischen England, Spanien und Frankreich. Im Inselkönigreich befürchtete man, im Falle einer Neuordnung der Mächteverhältnisse unter den kontinentaleuropäischen Großmächten benachteiligt zu werden. Aus dieser Angst heraus festigte sich auch der Glaube an eine katholische Verschwörung, ausgehend von Philipp II. von Spanien und Katharina von Medici in Frankreich.¹⁴ Um dem entgegenzuwirken, wandte Königin Elisabeth I. sich in den späten 1560er Jahren an die protestantischen Fürsten des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation und versuchte, ein protestantisches Defensivbündnis zu etablieren, mit dem sie ihre Interessen wahren konnte.¹⁵ David Gehring sieht Beales Reisebericht „The State of Germany“ als Ergebnis eines privat motivierten, aber dennoch diplomatischen Auslandsaufenthaltes und stuft ihn daher als nicht-offiziellen Bericht ein. Beale selbst war zum Zeitpunkt der Niederschrift noch kein offiziell bestellter Gesandter.¹⁶ Nach dem heutigen Kenntnisstand fand der Bericht dennoch Gehör bei dem Diplomaten John Hales und einem der wichtigsten Mitglieder der englischen Regierung,William Cecil, der schon Killigrew mit Instruktionen zu einem pan-europäischen Bündnisschluss beauftragt hatte. Beale schrieb seinen Bericht, als er eben diese Mission Killigrews zeitweise begleitete.¹⁷ Seine Schrift diente der Informationsbeschaffung über potentielle Bündnispartner und orientierte sich dazu am thematischen Aufbau der venezianischen relazioni. ¹⁸ Diese galten im 16. Jahrhundert als hochmoderne diplomatische Berichte und waren angesehene Arbeiten, die auch als Einstieg in eine diplomatische Karriere dienten. In der Tradition der relazioni wurden Themen zur diplomatischen Erfassung eines Reiches oder zur Beurteilung eines Herrschers bzw. einer Herrscherin vorgeschlagen, an denen sich auch Beale orientierte. Im Zusammenhang mit den zu untersuchenden Herrschern konnten deren Gewohnheiten, Aussehen, Religion und Gesinnung sowie ihre Charaktere erfasst werden. Darüber hinaus empfehlen die Anleitungen zum Verfassen von relazioni, familiäre Beziehungen, Freund- und Feindschaften und den Ruf der Vgl. Esther-Beate Körber: Habsburgs europäische Herrschaft. Von Karl V. bis zum Ende des 16. Jahrhunderts. Darmstadt 2002, S. 73‒75; Daniela Busse: Der katholische Aufstand von 1569 in England. Ursachen, Verlauf, Pressereaktionen und Folge. Diss. phil. Osnabrück 2005, S. 72 f. Vgl. Malcolm R. Throp: Catholic Conspiracy in Early Elizabethan Foreign Policy, in: The Sixteenth Century Journal 18/4 (1984), S. 431‒449, hier S. 432‒447. Vgl. Kouri, England and the Attempts, S. 9; Gehring, Anglo-German Relations, S. 10. Vgl. David Gehrings Beitrag in diesem Band. Vgl. Gehring (Hrsg.), Diplomatic Intelligence, S. 10 u. 38. Vgl. Donald E. Queller: The Developement of Ambassadorial Relazioni, in: J. R. Hale (Hrsg.), Renaissance Venice. London 1973, S. 174‒196, hier S. 180 f.; Filippo de Vivo: How to read Venetian relazioni, in: Renaissance and Reformation 34/1‒2 (2011), S. 25‒59, hier S. 25 f.
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Herrscher unter den Untertanen zu schildern. Dies zeigt, dass die Person des Herrschers und seine Reputation zu den elementaren Themen der diplomatischen Informationsbeschaffung gehörten und einer langen Tradition folgend auch Mitte des 16. Jahrhundert weiterhin als relevant angesehen wurden. Die Forschung spürt dem erst seit Kurzem vermehrt nach und untersucht die Vertrauenswürdigkeit und das Vertrauen unter Herrschern.¹⁹ Beales Bericht fügt sich in diese diplomatischen Gepflogenheiten ein: Zur Bewertung der Vertrauenswürdigkeit potentieller deutscher Bündnispartner geht er besonders auf die Persönlichkeit und die Reputation beider Fürsten ein und gewichtet diese unterschiedlich gut oder schlecht. So ordnet er durch seine Wertungen die zwei Charaktere und ihre Vertrauenswürdigkeit für die englische Regierung ein. Außerdem beschreibt er die politische und materielle Macht beider Kurfürsten und thematisiert ebenfalls die innerkonfessionelle Uneinigkeit der Protestanten.²⁰ Die konfessionelle Spaltung gewichtet er als besonders problematisch für den angestrebten englisch-deutschen Bündniswunsch.²¹
2 Die Persönlichkeit der Fürsten Beale strukturierte seinen Bericht nicht stringent als einen nach Kategorien geordneten Vergleich zwischen Friedrich III. und August, sondern beschreibt zunächst den Kurpfälzer und danach den Kursachsen. Dennoch wird deutlich, dass Friedrich III. hinsichtlich seiner Frömmigkeit, Arbeitsethik und herrschaftlicher Tugendhaftigkeit – die in englischen Fürstenspiegeln über die Jahrhunderte gefordert wurden²² – systematisch aufgewertet und August durch negative Zuschreibungen abgewertet wird. Beale stellt so über die individuellen Eigenschaften der Fürsten heraus, wen er für einen Bündnisschluss als besonders attraktiv und vertrauenswürdig einstuft. Besonders die Darstellung der Frömmigkeit und Glaubenspraxis der Kurfürsten sticht hervor und verdeutlicht, wie und warum August von Sachsen eher weniger zu den konfessionellen Idealen Englands passte. Im englischen Tu-
Vgl. Ziegler, Emotionen, S. 661 f.; ders., Trauen und Glauben, S. 108‒163; Michael Rohrschneider: Reputation als Leitfaktor in den internationalen Beziehungen der Frühen Neuzeit, in: HZ 291 (2010), S. 331‒352, hier S. 331‒333. Vgl. Beale, The State of Germany, S. 66 f., 98‒108. Vgl. ebd., S. 108. Vgl. Lester Kruger Born: The Perfect Prince. A Study in Thirteenth- and Forteenth-Century Ideals, in: Speculum 3/4 (1928), S. 470‒504.
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gendsystem wurde Frömmigkeit von einem guten Herrscher erwartet.²³ Die Konfession scheint dabei eine nicht unerhebliche Rolle gespielt zu haben. Denn Beale stellt fest, dass August von Sachsen „not the perfect knowledge of God“ habe,²⁴ während Friedrich III. als Calvinist der „true doctrine“²⁵ folge. Das Luthertum wurde damit zwar nicht direkt angegriffen, aber doch im Vergleich zum Calvinismus degradiert. Diesem Muster folgend wird auch die Glaubenspraxis dargestellt: Friedrich III. bete jeden Morgen und Abend, gehe regelmäßig in die Kapelle und lasse auch die Mahlzeiten von einem Geistlichen segnen. Zudem reite er durch seine Lande, um sich selbst davon zu überzeugen, wie seine Untertanen sich an die „true doctrine“ hielten, da in manchen Teilen seines Landes die calvinistische Konfession erst noch etabliert werden müsse.²⁶ Der Pfälzer wird damit selbst als fromm und zugleich als ein fürsorglicher Herrscher porträtiert, womit er den zeitgenössischen Anforderungen entsprach, die an einen Regenten gestellt wurden. So gehörte es auch zu den herrschaftlichen Pflichten, die Untertanen anzuhalten, den wahren Glauben zu praktizieren.²⁷ Dafür habe er sich auch auf Reichsebene eingesetzt. Allein durch seine Frömmigkeit, „with the Bible in the one hand, and the Confession of Augusta, in the other“,²⁸ habe er Kritiker zum Schweigen gebracht und die anderen Reichsfürsten überzeugen können, den Calvinismus im Reich zu akzeptieren. Da die Forschung annimmt, es sei Kurfürst August von Sachsen zu verdanken gewesen, dass die Kurpfalz weiterhin calvinistisch bleiben konnte bzw. die Konfession vorübergehend geduldet wurde, ist diese Darstellung bemerkenswert.²⁹ Beale verschweigt hier offensichtlich den machtvollen und erfolgsgekrönten Einsatz des Kursachsen für den Calvinismus, der im Augsburger Religionsfrieden von 1555 reichsrechtlich nicht anerkannt
Vgl. Ursula Machoczek: Die regierende Königin. Elisabeth I. von England. Aspekte weiblicher Herrschaft im 16. Jahrhundert. Pfaffenweiler 1996, S. 84; Born, The Perfect Prince, S. 477. Beale, The State of Germany, S. 76. Ebd., S. 65. Vgl. Beale, The State of Germany, S. 62 u. 64 f.; die Forschung bestätigt die Aussage Beales: Andreas Edel: Der Kaiser und die Kurpfalz. Eine Studie zu den Grundelementen politischen Handelns bei Maximilian II. (1564‒1576). Göttingen 1997, S. 165. Vgl. Machoczek, Die regierende Königin, S. 16. Beale, The State of Germany, S. 67. Vgl. Jens Bruning: Die kursächsische Reichspolitik zwischen Augsburger Religionsfrieden und Dreißigjährigem Krieg ‒ nur reichspatriotisch und kaisertreu?, in: Helmar Junghans (Hrsg.), Die sächsischen Kurfürsten während des Religionsfriedens von 1555 bis 1618. Stuttgart 2007, S. 81‒94, hier S. 86; Joachim Whaley, Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation und seine Territorien. Bd. I: Von Maximilian I. bis zum Westfälischen Frieden 1493‒1648. Darmstadt 2014, S. 481.
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worden war.³⁰ August hatte nachweislich versucht, zwischen den konfessionellen Parteien zu vermitteln und die übrigen Stände und vor allem den Kaiser zu beschwichtigen, um den Frieden im Reich zu erhalten. Beale lässt dies nicht nur unerwähnt, sondern schreibt diesen Erfolg stattdessen klar dem Pfälzer Kurfürsten zu, der dadurch als überzeugter und reichspolitisch durchsetzungsstarker Calvinist erscheint. Unterstrichen wird dies mit kleineren Anekdoten, die Beale aus eigener Augenzeugenschaft heraus berichtet. So will Beale selbst beobachtet haben, dass Friedrich III. unerschütterlich auf Gott vertraute und selbst, als sein Anwesen im April 1569 brannte, trotz der Gefahr und der Flammen wiederholt zu Gott sprach: „Dein Wille geschehe“.³¹ Die Frömmigkeit des Kurfürsten von Sachsen wird dagegen in Beales Bericht weit weniger ausführlich thematisiert, als es bei dem Pfalzgrafen der Fall ist. Dennoch wird auch damit wieder ein Gegensatz gezeichnet, da Augusts Glaubenspraxis keinerlei Erwähnung findet. Beale würdigt die Konfession der Lutheraner sogar herab, zum Beispiel wenn er von „superstitious Ceremonies“ spricht, welche „the Lutherans throughout all Germany […] yett vse“.³² In Nebenbemerkungen wird die lutherische Konfession Augusts somit negativ beurteilt, wodurch Friedrichs III. calvinistische Frömmigkeit überaus positiv erscheint. Im Einklang mit dieser polarisierenden Charakterisierung von Friedrich III. und August weist Beale beiden sodann auch ein unterschiedliches Maß an Ehre und Vertrauenswürdigkeit zu.³³ Die Beschreibungen des Tagesablaufes, welcher bei dem Pfalzgrafen beinahe stundengenau aufgelistet ist, bei August jedoch keiner genaueren Beschreibung wert scheint, stechen in Beales Bericht besonders ins Auge. Durch diese lassen sich Rückschlüsse auf ihre Arbeitsethik ziehen. Friedrich III. wird als überaus fleißig und diszipliniert dargestellt: Der Pfälzer habe einen sehr strukturierten Tagesablauf und feste Zeiten, in denen er arbeite und sich den Bitten und Anliegen seiner Untertanen persönlich widme. Außerdem habe der Fürst kaum freie Zeit, die sich nur dann ergebe, wenn keine Anfragen seiner Untertanen vorlägen.³⁴
Thomas Brockmann: Art. Augsburger Religionsfriede, in: Enzyklopädie der Neuzeit Online. Stuttgart/Weimar 2005 – 2012, https://referenceworks.brillonline.com/entries/enzyklopaedie-derneuzeit/augsburger-religionsfriede-SIM_243147 (abgerufen am: 21.12. 2019); der Calvinismus etablierte sich im Alten Reich erstmals 1561, sechs Jahre nach dem Augsburger Religionsfrieden, unter Friedrich III., vgl. Horst Rabe: Reich und Glaubensspaltung. Deutschland 1500 – 1600. München 1989, S. 325. Vgl. Beale, The State of Germany, S. 68. Ebd., S. 67. Vgl. Ziegler, Trauen und Glauben, S. 109‒126, 164 f. Vgl. Beale, The State of Germany, S. 64 f.
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Dadurch zeichnet Beale hier ein Bild eines sehr aktiven und gewissenhaften Herrschers und Politikers, dem vertraut werden könne. Laut der Forschung entsprach ein solches Auftreten den Verhaltensmaßstäben und -idealen, an denen fürstliche Politik gemessen wurde.³⁵ Beale schließt seinen Bericht über die Arbeitsethik des kurpfälzische Herrschers ab, indem er dessen Regierungsstil lobt und „this good Princes gouerment“ als vorbildlich bezeichnet.³⁶ Er verwendet dabei explizit den Begriff der „goodly conversacion“, welcher in der Forschung als Ausdruck für Vertrauenswürdigkeit gelesen wird. „Gute Korrespondenz“ galt im Alten Reich als „praktische kommunikative Grundlage der ‚Hypothese künftigen Verhaltens, die sicher genug [war], um praktisches Handeln darauf zu gründen.‘“³⁷ Beale stufte Friedrich III. demnach als vertrauenswürdig ein und präsentierte ihn der englischen Regierung als attraktiven möglichen Bündnispartner. Im Vergleich dazu entwirft Beale von Kurfürst August von Sachsen ein nahezu gegensätzliches Bild. Statt Augusts Tagesablauf zu beschreiben, lenkt er den Blick des Lesers auf dessen Hobby, das Spiel des Virginals, eines Tasteninstruments. Der Kurfürst widme dieser Freizeitbeschäftigung viel Zeit, ziehe sich zudem häufig in seine privaten Räumlichkeiten zurück und komme nur zu den Malzeiten aus seinem Zimmer.³⁸ Er rede außerdem nur mit ausgewählten Leuten seines Hofrats. Diese Abschottung gehe so weit, dass sich der Kursachse sogar bei der Jagd von seiner Garde bewachen lasse, damit niemand, ungeachtet seines konkreten Anliegens, zu ihm kommen und mit ihm reden könne. Das gelte auch für die Gesandten anderer Fürsten, denen er nur selten Audienzen gewähre. In der Regel würden diese nur von einem kursächsischen Kanzler, nicht aber vom Kurfürsten selbst empfangen werden.³⁹ Von einer „guten Korrespondenz“, wie sie beim Kurpfälzer gelobt wurde, finde sich nichts. Beale spricht August damit nichts weniger ab als die für ein Bündnis notwendige Vertrauensbasis.⁴⁰ Er skizziert das Bild eines müßigen und an den Regierungsaufgaben desinteressierten Fürsten, der seine Pflichten vernachlässige.⁴¹ August von Sachsen erscheint selbstbezogen und genussfrönend, kaum verantwortungsbewusst und dadurch unzuverlässig. Der Lebensstil, insbesondere aber das Übertragen der Amtsgeschäfte an seinen
Vgl. Ziegler, Trauen und Glauben, S. 109. Beale, The State of Germany, S. 68. Ziegler, Trauen und Glauben, S. 95. Vgl. Beale, The State of Germany, S. 76 f. Vgl. ebd. Vgl. Ziegler, Trauen und Glauben, S. 95. Vgl. Machoczek, Die regierende Königin, S. 19.
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Kanzler, erweckt zudem den Eindruck, als betreibe August keine aktive Politik und sei im Hinblick auf die Arbeitsethik geradezu das Gegenteil von Friedrich III. Beale nutzt die polarisierenden Gegenüberstellungen der beiden Kurfürsten, um den Lesern seines Berichts geschickt zu vermitteln, dass der Kurpfälzer der geeignetere Bündnispartner sei, ohne dabei bevormundend zu wirken. Es fällt schwer, angesichts der negativen Charakterisierung des Kursachsen, der kaum an die geforderten Ideale der englischen wie deutschen Fürstenspiegel heranreichte, nicht zu diesem Schluss zu kommen. Im Vergleich zu dieser herausgestrichenen Unzulänglichkeit erschienen das Agieren und Wirken des Kurpfälzers als geradezu idealtypisch. Besonders sichtbar wird dies an der Darstellung der persönlichen Tugendhaftigkeit.⁴² Zeitgenössische Fürstenspiegel forderten, dass Herrschende bestimmte Tugenden – wie temperantia, justitia, sapientia, liberalitas und misericordia ⁴³ – besaßen und ihr Handeln daran ausrichteten.⁴⁴ Beale verzichtet jedoch bemerkenswerterweise darauf, die Tugendhaftigkeit des Kurpfälzers en detail zu beschreiben, erhebt ihn stattdessen zum Ideal schlechthin und postuliert freimütig, dass Friedrichs III. „example is notable and worthie of all good Princes to be followed“.⁴⁵ August spricht er dagegen systematisch Herrschertugenden ab oder unterstellt ihm, diese zu verletzen. Besonders bildlich geschieht dies im Falle der misericordia (Gnade), indem er behauptet, dass August unverhältnismäßig grausam bestrafe. Als Beweis beschreibt Beale die Vierteilung von Straftätern – eine Exekutionsform, die so bizarr und abstoßend gewesen sei, dass die Leute bei Hof sich diese nicht hätten ansehen können. Aufgrund des Zusatzes, dass August bei der Bestrafung keine Rücksicht auf ihm persönlich Bekannte oder auf Gentlemen aus alten Adelsfamilien nehme, wird dessen negatives Bild zusätzlich verstärkt.⁴⁶ Beale unterstellt dem Kurfürsten damit, seine Klientel nicht pflegen zu können und als Herrscher seine Gunst und Missgunst zu seinem Vorteil auszuspielen. Ebenso wird August auch die Tugend der Freundschaft abgesprochen⁴⁷ ‒ eine Tugend, die im Patronagesystem Englands ebenfalls
Vgl. ebd. Vgl. ebd., S. 20‒24 u. 41 f.; Ulrike Graßnick: Ratgeber des Königs. Fürstenspiegel und Herrscherideale im spätmittelalterlichen England. Köln 2004, S. 135‒142. Vgl. Graßnick, Ratgeber des Königs, S. 135. Beale, The State of Germany, S. 63. Vgl. ebd., S. 78. Vgl. Silke Edinger/Christian Müller: Einleitung, in: Christian Müller/Silke Edinger/Christian Alvarado Leyton (Hrsg.), Nahbeziehungen zwischen Freundschaft und Patronage. Zur Politik und Typologie affektiver Vergemeinschaftung. Göttingen 2017, S. 7‒13, hier S. 7.
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eine große Rolle spielte und an der aufgezeigt wird, dass August ein anderes politisches Selbstverständnis gehabt habe als Elisabeth I.⁴⁸ Ähnlich wird August ex negativo die Tugend liberalitas abgesprochen, indem Beale ihm nachsagt, er sei habgierig und dem Laster avaritia (Geiz, Habgier) verfallen.⁴⁹ Beale deutet an, dass seine Untertanen unzufrieden seien, da August ihnen weder materielle Güter noch Aufgaben zugestehe.⁵⁰ Die Darstellung Augusts ist in diesem Punkt allerdings nicht stringent. So behauptet Beale zum Beispiel, dass der Kurfürst den Handel in seinem Land ausnahmslos in seinen Aufgabenbereich ziehe, was offensichtlich als Kritik verstanden werden sollte, aber nicht zum Bild des müßiggängerischen, bloß Virginale spielenden Herrschers passt. Durch diesen und ähnliche Widersprüche wird deutlich, dass Beale das Stilmittel der Übertreibung nutzt, um August in ein schlechtes Licht zu rücken und ihm zusätzlich auch temperantia, die Mäßigung, abzuerkennen, nach der ein Herrscher nicht maßlos seinen Leidenschaften folgen sollte, besonders nicht dem Vergnügen.⁵¹ Im frühneuzeitlichen Verständnis ist dabei in erster Linie die Enthaltsamkeit angesprochen, wovon wir in Beales Bericht jedoch wenig erfahren.⁵² All das widersprach grundlegend dem englischen Ideal eines gerechten, gnädigen und besonnenen Herrschers.⁵³ Es bleibt zu erforschen, inwieweit diese Charakterisierung Augusts zutraf. Die Forschung ist sich dahingehend uneins: So kann zum Beispiel Christian Heinker zeigen, dass August durchaus aus persönlichen Launen und (Rache‐)Motiven heraus agierte und von Misstrauen getrieben war. Dagegen betont Hannes Ziegler den politisch beschwichtigenden Charakter Augusts und kommt zu der Überzeugung, dass Vertrauen in dessen politischem Denken einen großen Platz einnahm.⁵⁴ Fest steht, dass in Beales Bericht die ne-
Vgl. Victor Morgan: Some Types of Patronage, Mainly in Sixteenth- and Seventeenth-Century England, in: Antoni Maczak (Hrsg.), Klientelsysteme im Europa der Frühen Neuzeit. München 1988, S. 92‒115, hier S. 101; Edinger stellt hingegen heraus, dass August individuelle Nahbeziehungen würdigte: Silke Edinger: August von Sachsen und die Nahbeziehungen zu seinen Räten vor 1563, in: Chr. Müller u. a. (Hrsg.), Nahbeziehungen, S. 17‒36, hier S. 33 f. Vgl. Beale, The State of Germany, S. 78; Graßnick, Ratgeber des Königs, S. 137 u. 141. Vgl. Beale, The State of Germany, S. 78. Vgl Graßnick, Ratgeber des Königs, S. 136. Vgl. Machoczek, Die regierende Königin, S. 21 f. Vgl. ebd. , S. 20‒24; Born, The Perfect Prince, S. 470‒504. Vgl. Christian Heinker: Kontrollieren oder Delegieren? Zur Interaktion Kurfürst Augusts mit seinen Geheimen Räten, in: Winfried Müller/Martina Schattkowsky/Dirk Syndram (Hrsg.), Kurfürst August von Sachsen. Ein nachreformatorischer „Friedensfürst“ zwischen Territorium und Reich. Beiträge zur wissenschaftlichen Tagung vom 9. bis 11. Juli 2015 in Torgau und Dresden. Dresden 2017, S. 102‒109, hier S. 108; vgl. Ziegler, Trauen und Glauben, S. 224 u. 235.
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gative Seite stark hervorsticht und er den sächsischen Kurfürsten aufgrund seiner defizitären Persönlichkeit als wenig attraktiven Bündnispartner präsentierte.
3 Reputation der Kurfürsten „A good name is rather to be chosen than great riches, and loving favour rather than silver and gold.“⁵⁵ Aus dem Bibelvers aus der King-James-Bibel geht hervor, wie wichtig das Ansehen und damit der Ruf und die Reputation der Fürsten war. Die Reputation stützte sich besonders auf Sympathie, „vor allem aber [auf] Vertrauen von anderen“.⁵⁶ Beale schenkt diesem Thema daher viel Aufmerksamkeit, geht bei seiner Berichterstattung streckenweise überaus detailliert vor und konzentriert sich auf die Reputation der beiden Kurfürsten bei ihren Untertanen wie auch bei anderen Fürsten. Das Ansehen Friedrichs III. bei seinen Untertanen wird vor allem in der Beschreibung seiner täglichen Abläufe deutlich. Der pfälzische Kurfürst genieße einen starken Rückhalt bei seinen Untertanen,⁵⁷ insbesondere weil er sich um deren Anliegen kümmere und sich nur dann freie Zeit gönne, wenn nichts anliege.⁵⁸ Damit charakterisierte Beale Friedrich III. als volksnahen, guten Landesvater, dem die Bedürfnisse und das Wohlergehen seiner Untertanen sehr am Herzen lagen.⁵⁹ Um dieses idealtypische Verhalten noch zu unterstreichen, weist er zudem darauf hin, dass übriggebliebenes Essen der Mahlzeiten am Hof den Armen gespendet würde.⁶⁰ Im Kontrast dazu erscheint Kurfürst August in Beales Beschreibungen als volksfremd und unbeliebt. So gibt Beale explizit an, dass er für seine Unerreichbarkeit („inaffabillitie“) bei seinen Untertanen missbilligt werde.⁶¹ Auch in diesem Zusammenhang macht Beale auf Augusts „Conversacion“ aufmerksam: „even so his Conversacion such as misliketh all men vniversallie.“⁶² Da „gute Korrespondenz“ als Voraussetzung für gute Beziehungen insbesondere unter Proverbs 22,1, zit. n. The Bible. Authorized King James Version. Hrsg. v. Robert Carroll u. Stephen Prickett. Oxford 1997. Friedrich Zunkel: Art. Ehre, Reputation, in: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hrsg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland. Bd. 2. Stuttgart 1975, S. 1‒63, zit. n. Ziegler, Trauen und Glauben, S. 118. Vgl. Beale, The State of Germany, S. 63 f. Vgl. ebd., S. 64 f. Vgl. ebd., S. 65. Vgl. ebd., S. 63; vgl. Machoczek, Die regierende Königin, S. 16 f. Vgl. Beale, The State of Germany, S. 76. Beale, The State of Germany, S. 76.
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Verbündeten galt, könnte dieses Urteil als überaus abwertend gedeutet werden. Beale erwähnt diesen Aspekt jedoch nur sehr kurz, so dass Spielraum zur Interpretation bleibt. Die Forschung versteht unter dem Begriff der „Korrespondenz“ zum einen den elementaren Vorgang der Kommunikation, zum anderen aber auch die Beziehungsqualität, also das Vertrauen (bzw. Misstrauen bei fehlender Korrespondenz). Nicht zuletzt könnte der Begriff auch als Synonym für eine konkrete Kooperation oder ein Bündnis fungiert haben.⁶³ Ungeachtet dieser verschiedenen Bedeutungsebenen ist im Bericht Beales jedoch unstrittig, dass die festgestellte unzureichende „Conversacion“ als Negativbewertung zu Lasten Augusts diente. Ähnlich verhält es sich mit Beales Urteil, dass August von seinen Untertanen wegen seiner Habsucht nicht gemocht werde.⁶⁴ Er soll Ländereien von einem seiner früheren Räte gegen dessen Willen erworben und ihn obendrein noch unfair bezahlt haben. Außerdem wolle er jegliche Geschäftszweige, die einen Ertrag einbringen könnten, in seinem Besitz bzw. unter seiner Verantwortung wissen.⁶⁵ Die Untertanen seien aber auch unzufrieden, weil August die Steuern weiter anhebe. In ganz Sachsen würden sich die Untertanen über ihren Herrscher beschweren und wünschten sich von ihm mehr Freundlichkeit, Gnade und Freiheiten.⁶⁶ Beale zeigt mit diesen Details, dass kein Vertrauen zwischen August und seinen Untertanen geherrscht haben soll und August scheinbar jeglichen Bezug zu ihnen verloren hatte. Inwieweit diese Charakterisierung als bloße Abwertung fungieren sollte, muss hier dahingestellt bleiben. Der Vorwurf der Habgier des sächsischen Fürsten könnte von England durchaus als vorteilhaft eingestuft worden sein. Immerhin soll die Triebkraft der Habgier dafür gesorgt haben, dass August immer reicher und mächtiger geworden sei.⁶⁷ Spiegelt man den in dieser Weise beschriebenen Ruf der beiden Kurfürsten, wird der Sachse als habgieriger, grausamer und auch unfairer Herrscher, der Pfälzer hingegen als ein beliebter Fürst dargestellt. Durch die Forschung wird deutlich, wie entscheidend ein guter Ruf – ganz gleich, ob er mit den tatsächlichen Eigenschaften übereinstimmte – für mögliche Bündnisbeziehungen sein konnte. So stellt Michael Rohrschneider heraus, dass die Fürsten von hoher Reputation sogar mehr bewirken konnten als solche, die wie August mit Macht oder
Vgl. Ziegler, Trauen und Glauben, S. 130‒132. Beale, The State of Germany, S. 78. Vgl. Beale, The State of Germany, S. 78; siehe außerdem: Peter Wiegland: Landesaufnahme und Finanzstaat unter Kurfürst August und seinen Nachfolgern, in: W. Müller u. a. (Hrsg.), Kurfürst August von Sachsen, S. 138‒151; Frank Metasch: Vom Guldengroschen zum Reichstaler. Die sächsische Münzpolitik unter Kurfürst August, in: ebd., S. 152‒165. Vgl. Beale, The State of Germany. Vgl. David Gehrings Beitrag in diesem Band.
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Reichtümern überzeugten.⁶⁸ Ein guter Ruf bei anderen Herrschern sowie bei den Untertanen ist somit als elementar für die Stellung eines Herrschers anzusehen. Am Regierungsstil Elisabeths I. wird deutlich, dass ein angemessenes Verhältnis zu den Untertanen als ein Mittel zur Sicherung der eigenen Macht galt. Das zeigte sie z. B. durch die Etablierung der Religionsregelungen von 1559, mit der sie eine konfessionelle Via Media schuf, die Elemente der verschiedenen Konfessionen zu berücksichtigen suchte und so den Katholiken Zugeständnisse anbot, um auch ihre Gunst im Reich zu bekommen.⁶⁹ Vor diesem Hintergrund erscheint auch Friedrich III. als geeigneter Bündnispartner, da er einen guten Ruf bei seinen Untertanen hatte und seine Stellung und Legitimation somit aus diesem Blickwinkel als gesichert gelten konnte. Im Falle von August von Sachsen tritt in dieser Hinsicht jedoch ein Problem auf, da er laut Beale zwar bei seinen Untertanen und anderen Fürsten unbeliebt war, diese ihn dennoch aufgrund seiner großen Macht und seines Reichtums hofierten.⁷⁰ Augusts Stellung schien demnach nicht direkt gefährdet, da er als einer der reichsten (Kur‐)Fürsten im Reich über nicht unerhebliche Macht verfügte. Dass Macht und Reputation der sächsischen Kurfürsten auch auf anderen, nicht-ökonomischen Faktoren beruhten, lässt Beale unerwähnt.⁷¹ Umso interessanter ist zu sehen, wie Beale absichtlich Informationen auszublenden scheint, um Kurfürst August schlechter bzw. Friedrich III. besser dastehen zu lassen. Dies wird aus den wiederholten direkten Bewertungen deutlich, mit denen andere deutsche Fürsten und Adlige die Reputation des Kursachsens und des Kurpfälzers beurteilten. Über Kurfürst August schreibt Beale, dass „The Princes of Germany doe not love him“,⁷² und fügt an späterer Stelle hinzu: „Duke Augustus is hatet of his Nobilitie“.⁷³ Grund dafür sei sein „extremer Umgang“ mit seinem ernestinischen Cousin dritten Grades, Johann Friedrich II.⁷⁴ Dass der Kurpfälzer Friedrich III. auch nicht immer einen guten Ruf unter den Fürsten des
Vgl. Rohrschneider, Reputation als Leitfaktor, S. 336. Vgl. Diarmaid MacCulloch: Die zweite Phase der englischen Reformation (1547‒1603) und die Geburt der anglikanischen Via Media. Münster 1998, S. 39 f. Vgl. Beale, The State of Germany, S. 76 f. Durch gute und freundschaftliche Beziehungen zum Kaiser erlangte Kurfürst August machtpolitische Vorteile im Reich. Zeitweise konnte sogar von einer gleichberechtigten Partnerschaft gesprochen werden. Vgl. Bruning, Die kursächsische Reichspolitik, S. 83 f. Beale, The State of Germany, S. 77. Ebd. Zur Rolle Johann Friedrichs II. und Kurfürst Augusts in den Grumbachschen Händeln vgl. Volker Press: Wilhelm von Grumbach und die deutsche Adelskrise der 1560er Jahre, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 113 (1977), S. 396‒431; Whaley, Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, S. 485‒487.
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Alten Reiches genoss, zeigt Beale lediglich eingebettet in einer Anekdote zu den (innerprotestantischen) Auseinandersetzungen über die calvinistischen Reformen, als Friedrich III. seinen Glauben auf dem Augsburger Reichstag 1566 zu verteidigen suchte.⁷⁵ All the Electors and the States of the Empire, his eldest sonne Duke Lewis, And his sonnes in Lawe the dukes John ffredrick, and John William of Waymar Saxonie, and the dukes of Swebrooke and Wittenberge, were soe ernestlie bent against him, […] many supposed, that hee would bee Committed to Prison, and deprived of his Electorshipp.⁷⁶
Diese geradezu dramatische Beschreibung lässt Friedrich III. in einem glänzenden Licht erscheinen, da er diesen Konflikt lösen und seinen Glauben verteidigen konnte. Magnus Rüde geht davon aus, dass das hohe Ansehen Friedrichs III. als vornehmster weltlicher Kurfürst und seiner Religiosität tatsächlich dem Vorwurf der Häresie aufgrund des Formelkompromisses standhalten konnte.⁷⁷ Durch die geringe Gewichtung der Beschreibung der Reputation des Kurpfälzers im Text wird deutlich, dass Beale dies als unproblematisch sieht. Durch den Erzählstil wird Friedrich III. in diesem Konflikt vielmehr die Opferrolle zugeordnet. Das gelingt, weil zunächst von den calvinistischen Reformen berichtet wird, die auch wegen ihrer Parallelen zu den Reformen der englischen Königin als gut bewertet werden, um dann zu zeigen, dass der Kurpfälzer für diese Reformen reichspolitisch in Schwierigkeiten geriet. So sollte Empathie bei der englischen Regierung erzeugt werden.⁷⁸ An dieser Stelle liegt der Fokus allerdings nicht in erster Linie auf den konfessionellen Spannungen zwischen den Fürsten, die sich aus dem Bericht ablesen lassen, sondern auf den damit verbundenen persönlichen und politischen Konflikten. So schildert Beale, dass vermutet worden sei, Friedrich III. würde für die Reformation seines Territoriums ins Gefängnis kommen, seine Kurwürde verlieren und dadurch einen großen Machtverlust erleiden, was jedoch nicht geschah. Beale erwähnt zwar, dass August von Sachsen nicht gegen den pfälzischen Kurfürsten agierte, lässt diese Information jedoch unkommentiert.⁷⁹ Mit dieser Auslassung übergeht Beale die friedenswahrende machtpolitische Rolle Kursachsens. August hatte sich gegen den Ausschluss des calvinistischen Kurpfälzers aus dem Augsburger Religionsfrieden eingesetzt, um den Augsburger
Vgl. Beale, The State of Germany, S. 67 f. Ebd., S. 67. Vgl. Magnus Rüde: England und die Kurpfalz im werdenden Mächteeuropa (1608‒1632). Konfession – Dynastie – kulturelle Ausdrucksformen. Stuttgart 2007, S. 84. Vgl. Beale, The State of Germany, S. 66 f. Vgl. ebd., S. 67; zum Augsburger Reichstag 1566: Edel, Der Kaiser und die Kurpfalz, S. 190‒250.
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Religionsfrieden im Reich zu bewahren. Er war besorgt, dass die Katholiken einen Präzedenzfall schaffen könnten, wenn sie Friedrich die Schutzgarantien des Augsburger Religionsfriedens entzogen, und so die Chance erhielten, weitere protestantische Fürsten vom Religionsfrieden auszuschließen. Das hätte dem Protestantismus massiv schaden können – zumal auch der Kaiser den Ausschluss Friedrichs III. aus dem Religionsfrieden als willkommenes Mittel begriff, um einen ewigen Gegner des Hauses Habsburg zu beseitigen.⁸⁰ Am Ende stilisiert Beale den Kurpfälzer als durchsetzungsstarken Herrscher, der die anderen Fürsten mit der Verteidigung seines Glaubens überzeugt und zum Schweigen gebracht habe.⁸¹ Friedrich III. habe seine soziale Stellung im Reich bewahren und die Konflikte vollständig lösen können. Dementsprechend konnte die unkommentierte Nennung von Augusts Unparteilichkeit auch als Signal gelesen werden, dass es zwischen August und Friedrich kein Zerwürfnis gegeben habe und ein Bündnis mit beiden Kurfürsten zusammen möglich wäre, so wie es ursprünglich intendiert gewesen war.⁸² Augusts Konflikte betrachtet Beale hingegen durchweg als ungelöst. Sie seien der Grund, dass er vom (Hoch‐)Adel nicht gemocht und für seine Taten sogar verachtet werde. Beale nutzt den Konflikt mit Johann Friedrich II. von SachsenWeimar symbolisch und veranschaulicht mit dem Beispiel Augusts Reputation insofern, als dass andere Fürsten ihm eher misstrauen würden. Konkret spricht ihm Beale durch die detailliert erzählte Anekdote über die Grumbachschen Händel (dazu siehe unten) Tugenden wie Gerechtigkeit und Mäßigung ab. Dazu geht er weit in der Geschichte zurück und zeigt, dass es innerhalb der sächsischen Dynastie der Wettiner Konflikte gegeben habe, die noch vor Augusts Regierungszeit entstanden seien. Zwischen der ernestinischen und der albertinischen Linie der Wettiner habe es Missfallen gegeben. Der Vorgänger und Bruder Augusts, der albertinische Kurfürst Moritz, habe die Kurwürde und große Teile des Landes von seinem ernestinischen Vetter Johann Friedrich I. übernommen. Der kinderlose Moritz habe die Kurwürde dann innerhalb der albertinischen Linie an Herzog August weitergegeben, sodass nun Johann Friedrich II. als Sohn des zum Herzog degradierten Johann Friedrichs I. seiner Freiheit und seiner Ländereien beraubt sei. Die Fürsten des Reiches stünden daher auf der Seite Johann Fried-
Ebenso hatten auch seine Schwiegersöhne, die Herzöge von Württemberg und Zweibrücken, machtpolitische Intentionen und sahen den von Kaiser Maximilian II. geforderten Ausschluss Friedrichs III. als Gelegenheit, einen regionalen Konkurrenten zu schwächen. Vgl. Whaley, Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, S. 480 f. Vgl. Beale, The State of Germany, S. 67. Vgl. Kouri, Die Entwicklung eines Systems, S. 309.
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richs II.⁸³ Auch Beale ergreift Partei für Johann Friedrich II. und bezeichnet ihn als „the Eldest sonne of John ffredericke […] [who] is spoiled, both of his Land and Libertie“.⁸⁴ Beale positioniert sich damit gegen August bzw. gegen Augusts Dynastie – und steht mit dieser Deutung im Einklang mit der heutigen Forschung. Joachim Wahley interpretiert die Übernahme der Kurwürde sogar als ‚Machtergreifung‘, da Moritz diese durch seine Partnerschaft mit dem Kaiser erlangt habe.⁸⁵ So sei Kurfürst Moritz zu Beginn von anderen Protestanten noch als „Judas von Meißen“ beschimpft worden,⁸⁶ wodurch Beales Beobachtung unterstützt wird, dass die Fürsten sich in der Zeit eher mit den Ernestinern als mit den Albertinern solidarisierten. Beale deutet dadurch an, dass August bei den Reichsfürsten schon aufgrund seiner Herkunft und des politischen Erbes seines Bruders weniger angesehen war als der Kurpfälzer. Augusts Legitimität habe sich auf einen Verrat gestützt. Beale selber benutzt dieses Wort zwar nicht, doch zeigt er durch seine Stellungnahme für Johann Friedrichs II. Partei, dass Augusts Vorfahren etwas Unrechtes getan hätten. Eben diese Auslegung war bei den (protestantischen) Zeitgenossen ein akzeptiertes Deutungsmuster und schmälerte eindeutig die Vertrauenswürdigkeit Augusts.⁸⁷ Um zu verdeutlichen, welche Folgen der Konflikt der Albertiner und Ernestiner in der Generation Augusts hatte, führt Beale die Grumbachschen Händel an. Er rechtfertigt sich für seine ausführliche Erzählung und gibt an, dass er von niemandem wisse, der den Streit bisher dargestellt habe. Detaillierte Informationen seien jedoch wichtig, da durch diese Adelskrise das Wohl des gesamten Reiches in Gefahr gewesen sei ‒ immerhin unterhielten beide Wettiner Linien Allianzen mit Adelshäusern in ganz Deutschland und darüber hinaus.⁸⁸ Auf die Allianzen selbst geht Beale nicht näher ein und beschreibt stattdessen auffallend genau den Ereignisablauf, berichtet über Wilhelm von Grumbachs Leben und
Vgl. Beale, The State of Germany, S. 77 u. 81. Ebd. Vgl. Whaley, Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, S. 397. Kurfürst Moritz erhielt die Kurwürde durch Kaiser Karl V., da Johann Friedrich I. als Führer des Schmalkaldischen Bundes die protestantische Opposition anführte und dafür die Reichsacht gegen ihn verhängt wurde. Sein ebenfalls protestantischer Vetter Moritz kämpfte auf der Seite des Kaisers, woraufhin er später die Kurwürde verliehen bekam: vgl. Günther Wartenberg: Art. Moritz, Herzog von Sachsen, in: Neue Deutsche Biographie 18 (1997), S. 141‒143. Online-Version: https://www.deutsche-biographie.de/ pnd118584138.html#ndbcontent (abgerufen am: 21.12.19). Vgl. Whaley, Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, S. 397. Vgl. Gabriele Haug-Moritz: Verraten und verraten werden. Herzog Moritz von Sachsen (1521‒ 1553) und François de Lorraine, duc de Guise (1520‒1563), in: André Krischer (Hrsg.), Verräter. Geschichte eines Deutungsmusters. Köln 2019, S. 93‒113, hier S. 95‒102. Vgl. Beale, The State of Germany, S. 79.
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Werdegang sowie den Konflikt mit Würzburg, erläutert dessen Unterstützung durch den französischen König und zeichnet die Entwicklung vom Landfriedensbruch bis zur Reichsacht nach, die daraufhin ausgesprochen wurde. Beale zeigt außerdem sein Wissen über die Reichsabschiede und legt dar, wie Grumbach durch die Aufstellung eigener militärischer Truppen und somit durch einen möglichen Aufstand die Stabilität des Reiches gefährdete.⁸⁹ Die mehrere Seiten lange Beschreibung der Grumbachschen Händel korrespondiert in außergewöhnlicher Weise mit dem, was heute bekannt ist: Die Händel waren anfangs ein regionaler fränkischer Konflikt, der sich aber schnell auf weitere Regionen im Alten Reich ausweitete und die Stabilität des Reiches auf die Probe stellte.⁹⁰ Ursache waren Streitigkeiten zwischen dem Reichsritter Wilhelm von Grumbach und dem Bistum Würzburg über Lehensrechte und einen Besitz im Gramschatzer Wald. Der daraus resultierende Konflikt dauerte über zwei Jahrzehnte an. Grumbach wusste politische und konfessionelle Unruhen im Reich für sich zu instrumentalisieren sowie politische Verbündete ebenso wie Sympathisanten im Reich zu gewinnen.⁹¹ Er stand laut Volker Press in „negativer Opposition“⁹² zum Fürstenstaat. 1563 beging er einen Landfriedensbruch, indem er Würzburg mit Truppen einnahm und den Bischof und das Domkapitel zur Unterzeichnung des Rückerstattung seiner ehemaligen Ländereien zwang, weshalb er vom Kaiser geächtet wurde. Die süddeutschen Fürsten fürchteten daraufhin einen allgemeinen Adelsaufstand und eine Rebellion. Nachdem Grumbach aber wichtige Verbündete verloren hatte, blieben ihm nur noch die Beziehungen zum Norden und das Bündnis mit Johann Friedrich II. von Sachsen, den er bei der Wiedererlangung der sächsischen Kurwürde zu unterstützen versprach. Er suchte die offene Konfrontation mit Kurfürst August von Sachsen und wollte den Religionsfrieden von 1555 angreifen, was allerdings nicht gelang. 1567 marschierten sächsische Truppen in Gotha ein und nahmen die Rebellen gefangen. Grumbach wurde gevierteilt und Johann Friedrich II. gefangen genommen.⁹³ Die Detailliertheit des Berichts führt zu der Frage, warum Beale so viel Wert auf den geschilderten Sachverhalt legte und warum er den Konflikt Johann Friedrichs II. und Kurfürst August von Sachsen herausstellte. In erster Linie geht es darum darzulegen, dass beide Linien der Wettiner die Kurwürde entweder für sich beanspruchten. Er zeigt auf, dass die Aufständischen August töten wollten,
Vgl. ebd., S. 79‒85. Vgl. Press, Wilhelm von Grumbach, S. 397. Vgl. Rabe, Reich und Glaubensspaltung, S. 311 f. Vgl. Press, Wilhelm von Grumbach, S. 400‒402; vgl. Rabe, Reich und Glaubensspaltung, S. 312. Vgl. Whaley, Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, S. 485‒487.
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um die Kurwürde an die ernestinische Linie zurückzugeben.⁹⁴ Durch den Sieg wird August als militärisch und politisch durchsetzungsstark portraitiert. Die Beschreibungen brechen zwar erneut mit der Persönlichkeit, die Beale August zuschreibt, zeigen jedoch, dass Beale die militärische und politische Macht Augusts anerkennt. Die beiden Konflikte von August und Friedrich III. mit dem Reich sieht die heutige Forschung eng verknüpft mit der Beziehung des jeweiligen Kurfürsten zum Kaiser. Genau das adressiert Beale aber an keiner Stelle. Es ist fragwürdig, warum er dies auslässt, obwohl die Beziehung der Kurfürsten zum Kaiser ein Indikator für deren Stellung im Reich und für deren Reichspolitik war. Und sie waren ein essentielles Unterscheidungsmerkmal: Augusts Verhältnis zum Kaiser war stets sehr eng und freundschaftlich, woraus er machtpolitische Vorteile im Reich zog. Er sei, wie Jens Bruning herausstellt, ein gleichberechtigter Partner des Kaisers gewesen.⁹⁵ Friedrich III. hingegen zog durch die Etablierung des Calvinismus im Reich den Groll des Kaisers auf sich, der ihn sogar militärisch zwingen wollte, seine Glaubensrichtung aufzugeben.⁹⁶ All dies muss auch Beale bekannt gewesen sein, da er die Konflikte des Reichstags 1566 nennt und auch anmerkt, dass der Kaiser gegen den Kurpfälzer war.⁹⁷ Zudem ist anzunehmen, dass Beale um die guten Beziehungen zwischen Maximilian II. und August von Sachsen wusste. Das hätte ihm spätestens beim Nachsinnen über die von ihm detailliert beschriebenen Grumbachschen Händel aufgehen müssen.⁹⁸ Angesicht der Fülle an anderen Informationen konnte Beale nicht davon ausgehen, dass der englischen Regierung die Beziehungen der einzelnen Kurfürsten zum Kaiser bekannt waren. Dennoch entschied er sich, dieses Wechselverhältnis zum Kaiser nicht zu thematisieren. Das ist deshalb bemerkenswert, weil es von erheblicher Bedeutung war zu wissen, inwieweit Macht, Einfluss und Reputation der beiden Kurfürsten als Bündnispartner durch eine enge Freundschaft bzw. Feindschaft zum Kaiser bedingt waren. Die Beziehung zum Kaiser konnte förderlich oder nachteilig für Bündnisschlüsse sein. Immerhin strebte England ein Defensivbündnis an, das vor den Angriffen der Katholiken schützen sollte.⁹⁹ Etwaige reichspolitische Erwägungen spielen für Beale in seinem Bericht jedoch keine Rolle.
Vgl. Beale, The State of Germany, S. 84. Vgl. Bruning, Die kursächsische Reichspolitik, S. 84. Vgl. Körber, Habsburgs europäische Herrschaft, S. 92. Vgl. Beale, The State of Germany, S. 67. Vgl. Whaley, Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, S. 486. Vgl. Kouri, Die Entwicklung eines Systems, S. 309. Da das Bündnis nie zustande kam, ist es an dieser Stelle nur Spekulation, wie der Kaiser reagiert hätte und ob eine gute Beziehung zu ihm ein Bündnis möglich gemacht hätte.
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Mit Blick auf die Reputation lässt sich resümierend festhalten, dass beide Kurfürsten Konflikte im Reich austrugen. Beide Konflikte stellt Beale als gelöst dar, offensichtlich, um deutlich zu machen, dass diese Feindschaften für das gewünschte Bündnis kein Hindernis darstellten. Der Konflikt des Kurpfälzers wirkt geradezu trivial neben der langen Beschreibung der Grumbachschen Händel und den angedeuteten Konflikten zwischen August und anderen Reichsfürsten. Zugleich erscheint August als militärisch und politisch durchsetzungsstark, weil er diese Konfrontationen selbst lösen bzw. niederschlagen konnte und damit seine Stellung im Reich behauptete. Dennoch wird Beale nicht müde, Augusts schlechten Ruf im Reich hervorzuheben. Es bestätigt sich der Eindruck, dass Beale Friedrich III. in besserem Licht darstellen und als vertrauenswürdiger einstufen wollte. Die Freundschaften, Bündnisse oder guten Beziehungen zu anderen (Reichs‐)Fürsten werden von Beale nicht explizit thematisiert, wobei besonders auffällt, dass die Beziehung zum Reichsoberhaupt keine Erwähnung findet.
4 Fazit und Ausblick Es ist unverkennbar, dass Beale in seinem Bericht über Deutschland aus akteurszentrierter Perspektive zwischenmenschliche Beziehungen und individuelle Charaktereigenschaften als elementare Informationen für die englische Regierung mit Blick auf das englisch-deutsche Bündnisbestreben einstuft. Anhand seiner Beschreibungen der Gewohnheiten, des Charakters und der Reputation des pfälzischen und des sächsischen Kurfürsten wird deutlich, dass Beale eindeutige Präferenzen pflegt, wer als englischer Bündnispartner infrage käme, und diese durch Zuschreibungen, Auswahl der illustrierenden Beispiele, Erzählstil und Weglassungen kommuniziert. Beale ergreift eindeutig Partei für Kurfürst Friedrich III. von der Pfalz und wertet August von Sachsen systematisch ab. Er bemisst die Charaktere der Fürsten anhand von zeitgenössischen Herrschertugenden und -idealen und bewertet diese außerdem mit dem zeitgenössischen Vertrauensbegriff, welcher in der Person der Fürsten wie auch in ihrer Reputation zu erkennen ist. An zwei Stellen ergänzt er dies sogar und geht auf die Korrespondenz der Fürsten ein, was bemerkenswerterweise genau mit den Ergebnissen der Studie Zieglers über Vertrauen und Glauben in der politischen Praxis übereinstimmt. Besonders auffällig ist, dass und wie Beale den sächsischen Kurfürsten systematisch abwertet. Das geschieht zum einen durch den direkten Vergleich, in dem die Arbeitsethik und die Frömmigkeit des Kurpfälzers gelobt werden. Zum anderen hält Beale auch bewusst Informationen zurück, um so die Wirkung der Zuschreibungen zu unterstreichen. So bespricht er zum Beispiel tiefgehend,
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welche Tugenden August seiner Ansicht nach fehlen, für Friedrich III. wird dies kaum thematisiert. Ähnlich werden Konfliktherde, die mit beiden Herrschern verbunden waren, unterschiedlich genau beschrieben. Durch die Gegenüberstellung zeigt sich außerdem, wie der pfälzische Kurfürst durch Augusts Herabwürdigung an Sympathie gewinnt und in einem besonders positiven Licht erscheint. Demzufolge wird Friedrich III. in Beales Bericht als ein – gemessen an zeitgenössischen englischen Fürstenspiegeln – idealtypischer Herrscher des 16. Jahrhunderts beschrieben. Er wird als frommer, fleißiger und fürsorglicher Fürst charakterisiert, welcher laut Beale diszipliniert und gewissenhaft regiere und sich um das Wohlergehen seiner Untertanen sorge. Er wird von Beale somit als vertrauenswürdig eingestuft, was durch seinen guten Ruf bei Fürsten und Untertanen verstärkt wird. Daher wird er als Bündnispartner empfohlen und positiv hervorgehoben. Der sächsische Kurfürst hingegen erscheint als passiver Herrscher, welcher unfair und grausam sei. Er widerspricht somit dem Ideal eines besonnenen und gerechten Souveräns und wird von Beale als müßig, desinteressiert, genussfrönend sowie als habgierig und unzuverlässig dargestellt. Er sei wenig volksverbunden, was sich auch in seinem Ruf widerspiegele. Der unbeliebte Herrscher genieße einen schlechten Ruf bei Fürsten wie auch bei seinen Untertanen. Dadurch wirke er wenig vertrauenswürdig und wird deshalb nur bedingt als Bündnispartner empfohlen. Jedoch erkennt auch Beale seine politische und militärische Durchsetzungskraft. Aus der Sicht des englischen Gesandten Robert Beale spielten beim Erwägen eines Bündnisschlusses mit deutschen Protestanten mehr als nur politischkommerzielle und religiöse Aspekte eine Rolle. Mindestens ebenso entscheidend waren offensichtlich die Persönlichkeit bzw. der Charakter der Bündnispartner, ihre Reputation und ihre sozial-politischen Beziehungen. Möglichweise sind auch hierin Argumente zu finden, warum es nie gelang, ein pan-europäisches Bündnis zwischen Elisabeth I. und den deutschen Reichsfürsten zu schließen. Zudem zeigt Beales Bericht beispielhaft, wie politische Akteure das Wissen über das diplomatische Gegenüber durch die Art und Weise der Berichterstattung und Informationsselektion beeinflussten.¹⁰⁰
Abschließend sei bemerkt, dass in dem Bericht nicht an allen Stellen ersichtlich ist, zu welchen Informationen Beale selbst Zugang hatte und welche Quellen ihm als Grundlage dienten. Dies zu ermitteln, wäre überaus aufschlussreich, konnte in dieser Ausarbeitung aber nur exemplarisch durchgeführt werden.
Strategien frühneuzeitlicher Diplomatie
Stefanie Freyer
Lügen im Namen des Friedens Strategien der englischen Diplomatie vor Beginn des Reichstages 1613 Legatus est vir bonus peregre missus ad mentiendum Reipublicae causa. Sir Henry Wotton
Diesen – bis heute vielzitierten – Satz schrieb Henry Wotton (1568‒1639) im Jahre 1604 in das Stammbuch des Augsburgers Kaufmanns Hans Christoph Flechaimer (1575‒1625), als er sich auf dem Weg nach Venedig befand, um dort seinen Dienst als neu berufener englischer Gesandter anzutreten.¹ Die Überlegung, dass ein Gesandter zwar ein ehrenwerter Mann sei, aber dennoch die Aufgabe habe, im Ausland für sein Land zu lügen, ließe sich in Anbetracht des Reiseziels durchaus als Ankündigung lesen, wie Wotton seine Arbeit in Venedig auszuführen gedachte. In diesem Sinne interpretierte zumindest der Kontroverstheologe Caspar Schoppe (1576‒1649) Wottons nicht ganz eindeutige, aber mit Sicherheit nicht für den öffentlichen Diskurs² bestimmte Zeilen und nutzte sie einige Jahre später für „bissige Kritik“ an dem englischen Gesandten und
Vgl. z. B. Izaak Walton: Walton’s Lives of Dr. John Donne, Sir Henry Wotton, Mr. Richard Hooker, Mr. George Herbert and Dr. Robert Sanderson. A new Edition. London 1858, S. 133 – 135; Logan Pearsall Smith: The Life and Letters of Sir Henry Wotton. Bd. 2. Oxford 1907, S. 49, 69 Anm. 3; Ernest Satow: A Guide of Diplomatic Practise. Bd. 1, Cambridge 1917, Paragraph 200 – 202; Garrett Mattingly: Renaissance Diplomacy. Baltimore 1964 (ND der Erstausgabe von 1955), S. 55, 201– 206; John R. Woodhouse: Honorable Dissimulation. Some Italian Advice for the Renaissance Diplomat, in: Proceedings of the British Academy 84 (1994), S. 25 – 50; Frank-Rutger Hausmann: Zwischen Autobiographie und Biographie. Jugend und Ausbildung des Fränkisch-Oberpfälzer Philologen und Kontroverstheologen Kaspar Schoppe (1576 – 1649). Würzburg 1995, bes. S. 63 – 66; Anuschka Tischer: Art. Botschafter, in: Enzyklopädie der Neuzeit (künftig: EdN), Bd. 2 (2005), Sp. 367– 370; June Schlueter: The Album Amicorum & the London of Shakespeare’s Time. London 2011, bes. S. 153 f.; Catherine Fletcher: Diplomacy in Renaissance Rome. The Rise of the Resident Ambassador. Cambridge 2015, bes. S. 36; Dante Fedele: Naissance de la diplomatie moderne (XIIIe– XVIIe siècle). L’ambassadeur au croisement du droit, de l’éthique et de la politique. Baden-Baden 2017, hier S. 734. Das behauptet allerdings Schoppe. Vgl. Gasp. Sciopii Ecclesiastiscus: Auctoritati Serenissimi D. Jacobi Magnae Britanniae Regis Oppositus. In quo cum Argumento magnam partem Novo, tum Exemplo nemini adhuc visitato disputatur. Hartbergae 1611, S. 13. https://doi.org/10.1515/9783110625431-007
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dessen Dienstherrn.³ Schoppe hatte sich nach seiner Konversion zum katholischen Glauben rasch zu einem überaus produktiven, viel rezipierten Autor entwickelt, der mit unzähligen Schmähschriften gegen Protestanten hervortrat.⁴ Dazu gehörte auch der 1611 gedruckte „Ecclesiasticus“, in dem er den englischen König mithilfe des Stammbuchzitates angriff und behauptete, Wottons Worte seien absolut glaubwürdig, da sie direkt aus seiner Gesandteninstruktion stammen würden.⁵ Jakob I. selbst habe also den Auftrag zum Lügen gegeben. So einem König, der in suspekter Weise dem Moral- und Ehrverständnis Calvins folge, sei nicht zu trauen.⁶ Die Schrift erweckte europaweit großen Unmut. In Paris wurde der „Ecclesiasticus“ wegen beleidigender Passagen über den ermordeten König Heinrich IV. verboten und verbrannt.⁷ König Jakob I. reagierte ähnlich entschieden und nicht minder dramatisch, als er eine Effigie Schoppes in London hinrichten ließ; zudem forderte er seinen Gesandten auf, sich zu seinen diffamierenden Zeilen zu erklären.⁸ Wotton tat dies öffentlichkeitswirksam mit der 1613 gedruckten, achtseitigen „Epistola de Scioppio“, in der er seine Zeilen nachdrücklich zum Scherz erklärte.⁹ Spitzfindig wies er zudem darauf hin, dass die von Schoppe so boshaft missverstandene Definition in ihrer allgemein gehaltenen Formulierung keine konfessionelle Präferenz preisgebe und somit alle Gesandten, auch die des Papstes, einschließe. Dass sich Wotton nicht in grundlegende Unschuldsbeteuerungen verstrickte, sondern sich mit einem missglückten Scherz entschuldigte, spiegelt den zeitgenössisch intensiv diskutierten Usus der Diplomatie wider, zwischen vertrauensbildender Ehrlichkeit und Misstrauen schürender Unaufrichtigkeit je
Klaus Jaitner: Kaspar Schoppe. Autobiographische Texte und Briefe. Band 1: Philotheca Scioppiana. Eine frühneuzeitliche Autobiographie 1576 – 1630. Erster Teilband. München 2004, S. 78. Er soll im Dienste des Papstes, Erzherzogs Ferdinand und der katholischen Liga gestanden haben. Zu Vita und Schriften vgl. ebd.; Klaus Jaitner: Schoppe, Kaspar, in: Neue deutsche Biographie (künftig: NDB), Bd. 23 (2007), S. 475 – 478; Hausmann, Zwischen Autobiographie; Richard R. Hoche: Schoppe, Kaspar, in: ADB 33 (1891), S. 479 – 484. Vgl. Sciopii Ecclesiastiscus, Kap. IV, S. 13. Schoppe verweist zudem auf Bibelstellen wie Jesaja 28. Vgl. ebd., S. 13 f. Vgl. Hausmann, Zwischen Autobiographie, S. 78, 147. Vgl. ebd.; Smith, Life and Letters, S. 126 f.; Woodhouse, Honorable Dissimulation, S. 27. Der Scherz spielte mit der doppelten Bedeutung des englischen Wortes „lying“, die im Lateinischen allerdings nicht funktioniert. Vgl. ebd; Walton, Walton’s Lives, S. 134 f.; Fletcher, Diplomacy, S. 36; Henry Wotton: Regis Magnae Britanniae, ad venetam rempublicam olim Legati, Epistola, de Casp. Scioppio, cui propter argumenti similitudinem alia adjecta. Amberg 1613.
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nach ihrer politischen Wirksamkeit situativ abzuwägen.¹⁰ Moralische Bedenken spielten dabei eine eher untergeordnete Rolle, da das officiosum mendacium, d. h. das intentionale, pflichtbewusste Lügen im Interesse des Dienstherrn bzw. des Staates, schon um 1600 als neccessitas galt.¹¹ Auch englische Gesandte erwogen die Optionen der (Dis‐)Simulation und entschieden sich gerade zu der Zeit, als König Jakob I. von Schoppe als Lügner verunglimpft wurde, nicht immer für die Ehrlichkeit. Das zeigen die Korrespondenzen von Wottons englischem Amtskollegen Stephen Lesieur (vor 1575 – ca. 1638), der unter Königin Elisabeth I. und ab 1603 unter König Jakob I. wiederholt ins römisch-deutsche Reich geschickt worden war. Von Lesieurs letzter Entsendung, die im Herbst 1612 begann und ursprünglich verstetigt werden sollte,¹² ist ein dichter Briefwechsel erhalten. Darin berichtet er in enger Abfolge an seinen Dienstherrn und an hohe Regierungsbeamte über sein Tun und seine Beobachtungen der politischen Entwicklungen. Eine Analyse dieser Schreiben zeigt, auf welche Art und Weise, in welcher Situation und mit welchen Zielen sich die englische Diplomatie der Unwahrheit bediente und inwieweit Falschinformationen als strategisches Instrument eingesetzt wurden. Beispielhaft deutlich wird das an einer Proposition, die Stephen Lesieur Kaiser Matthias I. persönlich bei einer Audienz im Januar 1613 vorstellte und
Vgl. z. B. Hannes Ziegler: Trauen und Glauben. Vertrauen in der politischen Kultur des Alten Reiches im Konfessionellen Zeitalter. Affalterbach 2017, bes. S. 193 – 214 et passim; Tischer, Botschafter; Gerrit Walther: Art.Verstellung, in: EdN Bd. 14 (2011), Sp. 237– 242; Michael Stolleis: Löwe und Fuchs. Eine politische Maxime im Frühabsolutismus, in: Stefan Ruppert/Miloš Vec (Hrsg.), Michael Stolleis. Ausgewählte Aufsätze und Beiträge. Frankfurt a. M. 2011, S. 1– 14; Jon R. Snyder: Dissimulation and the Culture of Secrecy in Early Modern Europe. Berkeley u. a. 2009; Perez Zagorin: Ways of Lying. Dissimulation, Persecution, and Conformity in Early Modern Europe, Cambridge 1990. Zeitgenössisch diskutiert z. B. von Jean Hotman: The Ambassador. London 1603 (unpaginiert); ders.: De la charge et dignité de l’ambassadeur. Düsseldorf 1613, bes. S. 79 – 86. Zur Täuschungsabsicht als Unterscheidungsmerkmal zwischen Lüge und Falschaussage sowie zu Sozialisierung und Einsatz von Lügen in der Diplomatie vgl. z. B. Lutz Danneberg: Aufrichtigkeit und Verstellung im 17. Jahrhundert. Dissimulation, Simulatio und Lügen als debitum morale und sociale, in: Claudia Benthien/Steffen Martus (Hrsg.), Die Kunst der Aufrichtigkeit im 17. Jahrhundert. Tübingen 2006, S. 45 – 92; Heidrun Kugeler: „Ehrenhafte Spione“. Geheimnis, Verstellung und Offenheit in der Diplomatie des 17. Jahrhunderts, in: ebd., S. 127– 148, bes. S. 140 f.; Woodhouse, Honorable Dissimulation. Die neuere Forschung geht davon aus, dass Jakob I. keine Botschafter im Reich etablieren wollte, was mit den Quellen allerdings nicht haltbar ist. Vgl. Stephen Lesieur an Jakob I., Wien, 06./16.01.1612/13, in: The National Archives (künftig: TNA), SP 80/2, fol. 225 – 227, hier fol. 226r; Anton Chroust: Abraham von Dohna. Sein Leben und sein Gedicht auf den Reichstag 1613. München 1896, S. 284.
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sodann auch in Italienisch verschriftlicht übergab.¹³ Im Namen seines Königs gratuliert er darin Matthias I. zur neu erlangten Kaiserwürde und erinnert ihn daran, dass er diese Wahl auch Protestanten, insbesondere den Unionsfürsten, zu verdanken habe. Im Zuge dessen behauptet er, dass England nun auch Mitglied der Protestantischen Union sei. Das Gleiche gelte für das katholische Frankreich.¹⁴ Beides entsprach nicht der Wahrheit und sorgte aufgrund seiner politischen Sprengkraft für langanhaltende Verstimmungen, die das Agieren des englischen Gesandten im Vorfeld und später auch während des Regensburger Reichstags 1613 überschatteten. Im Folgenden wird zunächst der Kontext skizziert, in dem der englische Gesandte die Behauptung über die vermeintlichen Mitgliedschaften vorbrachte, um deutlich zu machen, worin die politische Brisanz dieser Falschinformation lag. Dazu gilt es, (1) die verfahrene Situation des schwankenden römisch-deutschen Reiches sowie (2) die Position Englands im europäischen Mächtekreis darzulegen. Darauf aufbauend können sodann (3) die Entscheidung gegen Ehrlichkeit zugunsten politischer Wirksamkeit nachvollzogen und (4) die damit verbundenen Chancen und Risiken fallbeispielhaft erwogen werden. Gezeigt werden soll, in welcher Konstellation Falschinformationen als diplomatisches Instrument strategisch eingesetzt werden konnten und warum sie sich in besonderer Weise dazu eigneten, emotionale Reaktionen in politischen Außenbeziehungen zu provozieren. Diese konstellationsorientierte Analyse greift den akteurszentrierten Ansatz¹⁵ der neueren Diplomatiegeschichte und Überlegungen der Emotionsgeschichte¹⁶ auf, geht mit dem Fokus auf das Situative aber darüber hinaus, um die Faktoren fassen zu können, unter denen der Einsatz von Falschinformationen politisch (un‐)wirksam werden konnte.
Vgl. Stephen Lesieur an Jakob I., Wien, 06./16.01.1612/13, in: TNA, SP 80/2, fol. 225 – 227, hier fol. 228 – 236 (Anlagen). Auch abgedruckt in: Briefe und Akten zur Geschichte des Dreissigjährigen Krieges in den Zeiten des vorwaltenden Einflusses der Wittelsbacher. Hsrg. von der historischen Kommission der Bayrischen Akademie für Wissenschaften [künftig: BuA]. Bd. XI: Anton Chroust: Der Reichstag 1613. München 1909, S. 7– 13. Stephen Lesieur an Jakob I., Wien, 06./16.01.1612/13, in: TNA, SP 80/2, fol. 228r. Vgl. Hillard von Thiessen: Diplomatie vom type ancien. Überlegungen zu seinem Idealtypus des frühneuzeitlichen Gesandtschaftswesens, in: ders./Christian Windler (Hrsg.), Akteure der Außenbeziehungen. Netzwerke und Interkulturalität im historischen Wandel. Köln u. a. 2010, S. 471– 503; ders./Christian Windler, Einleitung, in: ebd., S. 1– 12, bes. S. 5 – 7; ders.: Diplomatie und Patronage. Die spanisch-römischen Beziehungen 1605 – 1621 in akteurszentrierter Perspektive. Epfendorf/Neckar 2010, bes. S. 221– 228. Eine umfassende Reflexion über die Methoden der Emotionsgeschichte bietet Rüdiger Schnell: Haben Gefühle eine Geschichte? Aporien einer History of emotions. 2 Bde. Göttingen 2015.
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1 Die politische Brisanz der englischen Proposition für das schwankende Reich Als Stephen Lesieur im September 1612 von Jakob I. als Gesandter der englischen Krone an den Kaiserhof nach Wien geschickt wurde, befand sich das römisch-deutsche Reich in einer ernsthaften Krise¹⁷ und schwankte zwischen Polarisierung und Konsensbemühungen.¹⁸ Unter Kaiser Rudolf II. hatten sich die Reichsstände zunehmend entfremdet und stritten sich immer unerbittlicher um jene Punkte, die der Augsburger Religionsfrieden 1555 ungelöst in die Zukunft vertagt hatte.¹⁹ Das betraf insbesondere die Säkularisierungen durch die Protestanten, die von den Katholiken lange Zeit geduldet worden waren, gegen Ende des 16. Jahrhunderts aber mit wiederholter Billigung durch das Reichskammergericht verstärkt zurückgefordert wurden.²⁰ Die Protestanten wiesen entsprechende Forderungen und Urteile als parteiisch zurück, konnten aber kaum alternative Rechtswege zur Lösung bemühen, da auch der katholische Reichshofrat und der Reichsdeputationstag wegen des schlechteren Konfessionsproporzes abgelehnt wurden.²¹ Einen letzten legitimen Ausweg bot der Reichstag, auf dem alle Reichsstände zusammenkamen und in drei Kollegien diskutierten und entschieden, wie die Politik des Reiches nach innen und nach außen gestaltet sein sollte. Als höchstes Verfassungsorgan konnte er nicht nur Steuern beschließen und Gesetze erlassen, sondern auch Partikularinteressen und Konkurrenzen föderal austarieren, um Konsens für die gemeinsame Reichspolitik herzustellen und auf diese Weise Frieden zu sichern.²² Die un-
Zum Begriff vgl. Rudolf Schlögl: „Krise“ als historische Form der gesellschaftlichen Selbstbeobachtung. Eine Einleitung, in: ders./Philip R. Hofmann-Rehnitz/Eva Wiedel (Hrsg.), Die Krise in der Frühen Neuzeit. Göttingen 2016, S. 9 – 32. Vgl. z. B. Winfried Schulze: Konfessionsfundamentalismus in Europa um 1600. Zwischen discordia und compositio. Zur Deutung des konfessionellen Konflikts im katholischen Lager, in: Heinz Schilling (Hrsg.), Konfessioneller Fundamentalismus. Religion als politischer Faktor im europäischen Mächtesystem um 1600. München 2007, S. 135– 148. Dazu grundlegend vgl. Axel Gotthard: Der Augsburger Religionsfrieden. Münster 2004, bes. S. 386 – 460. Prägnant dazu Maximilian Lanzinner: Konfessionelles Zeitalter 1555 – 1618, in: Gebhardt – Handbuch der deutschen Geschichte, Bd. 10. Aufl. Stuttgart 2001, S. 2– 203, bes. S. 192– 195. Vgl. z. B. Georg Schmidt: Die Union und das Heilige Römische Reich deutscher Nation, in: Ernst Albrecht/Anton Schindling (Hrsg.), Union und Liga 1608/09. Konfessionelle Bündnisse im Reich − Weichenstellung zum Religionskrieg? Stuttgart 2010, S. 9 – 28, hier S. 12. Der Reichstag konnte auch Konflikte unter den Reichsständen regeln. Das wurde in der JülichKleve-Berg-Krise von katholischen Reichsständen wie Salzburg und Mainz angedacht. Vgl.
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terschiedlichen Lesarten des Religionsfriedens blockierten jedoch auch diesen institutionellen Weg der Problemlösung zunehmend. 1608 brachen die Reichsstände im Dissens über das Vorgehen im Falle Donauwörths den Reichstag ab und gingen ohne einen Abschied auseinander.²³ Im Nachgang organisierten sich zwei Militärbündnisse: Unter Leitung der calvinistischen Kurpfalz schlossen sich etliche, wenn auch nicht alle protestantische Reichstände zur Union zusammen. Das mächtige lutherische Kursachsen trat nicht bei, obwohl die Politik der Bündner explizit protestantisch, wenn auch nur pan-protestantisch ausgerichtet und zumindest zu Beginn nicht grundlegend antikaiserlich gesinnt war.²⁴ Die Stoßrichtung des Bündnisses mit eigenem Bundesschatz und eigenem Bundesheer war gleichwohl intern umstritten, da keine Einigung darüber bestand, ob sich die Union als Friedens- oder als Kriegsallianz verstand und welche Rolle die internationale Politik im Verhältnis zur Reichspolitik spielen sollte.²⁵ Als Gegenspieler formierte sich wenige Monate später 1609 die katholisch gesinnte Liga unter der Führung Bayerns. Der Kaiser trat als Reichsoberhaupt keinem der Bündnisse bei. An die Stelle der Konsenskultur trat damit eine Polarisierung. Konfessionell gesehen standen sich „zwei gleichstarke Gruppe gegenüber“,²⁶ die laut Georg Schmidt aber keineswegs in den Krieg ziehen, sondern ihrer Suche nach einer gütlichen Lösung Nachdruck verleihen wollten. Ein Kompromiss – eine compo-
Friedrich Beiderbeck: Zwischen Religionskrieg, Reichskrise und europäischem Hegemoniekampf. Henrich IV. von Frankreich und die protestantischen Reichsstände. Berlin 2005, bes. S. 427. Zum Reichstag vgl. z. B. Thomas Felix Hartmann: Die Reichstage unter Karl V. Verfahren und Verfahrensentwicklung 1521– 1555. Göttingen 2017; Georg Schmidt: Art. Diet, in: The Oxford Encyclopedia of the Reformation 1, New York/Oxford 1996, S. 482– 484; Edgar Liebmann: Art. Reichstag, in: EdN 10 (2009), Sp. 948 – 954; Helmut Neuhaus: Reichsständische Repräsentationen im 16. Jahrhundert. Reichstag – Reichkreistag – Reichsdeputationstag. Berlin 1982. Vgl. z. B. Gotthard, Der Augsburger Religionsfrieden, S. 461– 472. Vgl. z. B. Axel Gotthard:„Politice seint wir Bäpstisch“. Kursachsen und der deutsche Protestantismus im frühen 17. Jahrhundert, in: ZHF 20 (1993), S. 275 – 319. Von Beginn an dabei war u. a. Pfalz-Neuburg, zwei Jahre später auch Kurbrandenburg, die beide um Jülich-Kleve-Berg stritten. Vgl. z. B. Stefan Ehrenpreis: Die protestantische Union 1608 – 21. Ein regionales Verteidigungsoder antikaiserliches Offensivbündnis?, in: Robert Rebitsch (Hrsg.), 1618. Der Beginn des Dreißigjährigen Krieges, Köln u. a. 2017, S. 77– 100; Axel Gotthard: Norm und Kalkül. Über Württemberg, Baden und die Union von Auhausen, in: Albrecht/Schindling, Union und Liga, S. 29 – 61; ders.: Protestantische „Union“ und katholische „Liga“ − subsidiäre Strukturelemente oder Alternativentwürfe?, in: Volker Press/Dieter Stievermann (Hrsg.), Alternativen zur Reichsverfassung in der Frühen Neuzeit?, München 1995, S. 81– 112; ders.: „Politice seint wir Bäpstisch“; Christoph Kampmann: Europa und das Reich im Dreißigjährigen Krieg. Geschichte eines europäischen Konflikts. Stuttgart 2008, bes. S. 25 f.; Beiderbeck, Zwischen Religionskrieg, S. 402– 412. Schmidt, Union, S. 22.
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sitio amicabilis – war auch zu diesem Zeitpunkt nicht abwegig, da sich im römisch-deutschen Reich mit der Konfession nicht zwangsläufig eine politische Haltung verband.²⁷ Unter Beweis stellten das die Kurfürsten von Sachsen, die als überzeugte Anhänger des lutherischen Glaubens dennoch traditionell dem katholischen Kaiser die politische Treue hielten.²⁸ Auch wegen der Sachsen gelang es seit Jahrzehnten, das politische System der einträchtigen Beschlussfassung trotz konfessioneller Unterschiede zu praktizieren.²⁹ Nach dem ergebnislosen Abbruch des Reichstages 1608 und den anschließenden Bündnisgründungen stand die friedliche Konsensfindung vor einer Herausforderung neuen Ausmaßes, die durch den Ausbruch des Sukzessionskonfliktes um Jülich, Kleve und Berg im Mai 1609 zusätzlich erschwert wurde. Gestritten wurde um das wertvolle Territorium des kinderlos verstorbenen katholischen Herzogs Johann Wilhelm von Jülich, Kleve und Berg (1562‒1609), das im äußeren Westen am Rhein lag und das Reich geostrategisch überaus günstig mit den spanischen Niederlanden, den Generalstaaten und Frankreich verband. Für die machtpolitischen Verhältnisse Europas war es daher entscheidend, ob das wirtschaftlich prosperierende Gebiet auf der spanischen Straße an einen Freund oder an einen Feind der Habsburger fiel. Der Kurfürst von Brandenburg und die Pfalzgrafen Philipp und Wolfgang Wilhelm von Neuburg schufen rasch Tatsachen. Sie besetzten die Lande und vereinbarten im Dortmunder Rezess im Juni 1609, das Territorium bis auf weiteres gemeinsam zu verwalten.³⁰ Mit dieser Inbesitznahme schlossen sie die anderen Prätendenten – Kursachsen, Pfalz-Zweibrücken und Burgau – vom Mitbesitz aus. Und sie stellten sich gegen den Kaiser, der in dieser Sache als Reichsoberhaupt und oberster Lehnsherr zu entscheiden gedachte und bereits entsprechende Mandate³¹ beschieden hatte. Er ließ die Stadt Jülich kurze Zeit später, im Juli 1609, von Erzherzog Leopold besetzen, befestigen und aufrüsten, um deren „Neuausgabe […] vorzubereiten“.³²
Vgl. z. B. Heinz Angermeier: Politik, Religion und Reich bei Kardinal Melchior Khlesl, in: ZRG GA 110 (1993), S. 249 – 330. Für die katholische Seite z. B. Schulze, Konfessionsfundamentalismus. Vgl. dazu Ziegler, Trauen und Glauben, bes. S. 276 – 310. Vgl. Schmidt, Union, S. 23. Der Dortmunder Rezess datiert auf den 31. Mai/10. Juni 1609. Abgedruckt in: Gottfried Lorenz (Hrsg.), Quellen zur Vorgeschichte und zu den Anfängen des Dreissigjährigen Krieges. Darmstadt 1991, S. 81– 85. Bekannt sind kaiserliche Mandate vom 24. Mai, 7. Juli, 11. Juli und 6. November 1609. Vgl. Mandat des Kaiser Rudolf II. an Räte und Untertanen des verstorbenen Hg. Johann Wilhelm von Jülich-Kleve-Berg, 06.11.1609, Prag, in: Lorenz (Hrsg.), Quellen zur Vorgeschichte, S. 119 – 125. Vgl. z. B. Ernst Hinrichs: Frankreich 1609, in: Jahrbuch für Europäische Geschichte (künftig JfEG) 10 (2009), S. 30; Beiderbeck, Zwischen Religionskrieg, bes. S. 380 f.; Hermann Josef Roggendorf: Die Politik der Pfalzgrafen von Neuburg im Jülich-Klevischen Erbfolgestreit, in: Düs-
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Dieses militärische Durchgreifen des katholischen Kaisers gegen die beiden possedierenden protestantischen Reichsstände provozierte das Eingreifen des englischen und des französischen Königs. Beide wollten eine langanhaltende habsburgische Sequestration und eine Erbverteilung zum Vorteil der Habsburger vermeiden. Sie befürchteten, dass von diesem lokalen dynastischen Konflikt „ein großer Flächenbrand“ ausgehen könnte.³³ Jakob I. war schon im Mai 1609 von einzelnen protestantischen Reichsständen direkt um Hilfe gebeten worden,³⁴ bot sich aber erst nach der Besetzung Jülichs an, in diesem juristisch sehr komplizierten Erbfall zu vermitteln – im Unterschied zu Frankreich zunächst ohne Militär.³⁵ Die beiden Streitparteien Kurbrandenburg und Pfalz-Neuburg nahmen dieses Angebot an.³⁶ Und auch Friedrich IV. von der Kurpfalz (1574‒1610) begrüßte zwar nicht als Prätendent, wohl aber als Führer der Protestantischen Union Englands Engagement; seine Räte hatten ihn seit 1609 immer wieder aufgefordert, Frankreichs offenkundiges Bestreben, im Reich militärisch einzugreifen, durch das Einbinden anderer Souveräne auszugleichen.³⁷ Als Heinrich IV. im Mai 1610
seldorfer Jahrbuch 53 (1968), S. 1– 211, hier S. 93 f. Die Stadt Jülich hatte im Gegensatz zu den anderen Städten den Possedierenden die Huldigung versagt. Jakob I. ließ Lesieur wissen: „A staine there kindled may easily cast fier into other parts“. Vgl. Instruktion Stephen Lesieur, o. O., 09./19. 09.1612, in: TNA, SP 80/2, fol. 211– 214, hier fol. 211v. Jakob I. griff damit in einen Streit ein, der laut Schulze „so kompliziert ist, dass eine einfache Lösung weder damals noch heute heraus[zu]lesen“ war. Das befürchtete auch Friedrich IV. von der Kurpfalz gegenüber Jakob. I. Vgl. Winfried Schulze: „Wir stunden gegeneinander wie zwei Blöcke“. Die Krise des Reichs in den Jahren 1608/1609, in: JfEG 10 (2009), S. 3 – 28; Beiderbeck, Zwischen Religionskrieg, S. 404, Anm. 120. Im Juli 1609 wurden diese Anfragen wiederholt. Konkret baten Johann von Zweibrücken, Friedrich von der Pfalz, Moritz von Hessen-Kassel und Georg Friedrich von Baden um Hilfe. Vgl. TNA, SP 81/9, fol. 202– 205, 213 – 18; Alison Deborah Anderson: On the Verge of War. International Relations and the Jülich-Kleve Sucession Crises (1609 – 1614). Boston 1999, S. 78 f.; Roggendorf, Neuburg, bes. S. 86, dort Anm. 308. Vgl. King James’s Manifesto for settling the Affairs of Cleves and Juliers, abgedruckt in: Edmund Sawyer (Hrsg.), Memorials of Affairs of State in the Reigns of Q. Elizabeth and K. James I. Collected (chiefly) from the original papers of the Right hounorable Sir Ralph Winwood, Kt. (…). Bd. III. London 1725, S. 53 f. (künftig: Sawyer, Winwood Memorials). Laut Forschung wollte Heinrich IV. dem Kaiser nicht die Arbiter-Rolle überlassen und lehnte gewaltfreie Lösungen ab. Vgl. z. B. Beiderbeck, Zwischen Religionskrieg, S. 404. Zum Umfang der militärischen Unterstützung durch Frankreich vgl. Bündnis zwischen Kg. Heinrich IV. von Frankreich und der Union, Schwäbisch Hall, 02./12.02.1610, in: Lorenz (Hrsg.), Quellen zur Vorgeschichte, S. 131– 135. Daraufhin entsandte Jakob I. Ralph Winwood und Stephen Lesieur. Vgl. Magnus Rüde: England und die Kurpfalz im werdenden Mächteeuropa (1608 – 1632). Konfession – Dynastie – kulturelle Ausdrucksformen. Stuttgart 2007, S. 124. Vgl. Beiderbeck, Zwischen Religionskrieg, S. 408 et passim.
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ermordet wurde, gab Jakob I. seine friedliche Zurückhaltung auf und befahl seinen Truppen, sich zu beteiligen.³⁸ Der erfolgreiche Militärschlag von Union, Frankreich, Generalstaaten und England erklärt die Brisanz von Stephen Lesieurs gut platzierter Falschinformation. Denn als er in seiner Audienz am 16. Januar 1613 vor Kaiser Matthias I. behauptete, dass England und Frankreich der Union beigetreten seien, stellte er dem Kaiser eben jenes internationale Bündnis vor Augen, das erst knapp drei Jahre zuvor kaiserliche Truppen geschlagen und aus den Jülicher Landen vertrieben hatte. Lesieurs zahlreich ausgesprochene, aber vermeintlich wohlwollende Vertrauensbekundungen lassen sich deshalb kaum anders als eine Bedrohung verstehen.³⁹ Er ließ Matthias I. wissen, sein König sei vollends davon überzeugt, dass sich der Kaiser nie zu Parteilichkeit oder Gewalt gegen irgendeinen protestantischen Fürsten hinreißen lasse und dass er die ständische Libertät wahren werde, die in der Reichsverfassung und Reichsdekreten fixiert sei.⁴⁰ Angesichts der internationalen Drohkulisse war die damit verbundene, wenn auch nicht expressis verbis formulierte Warnung im Subtext leicht zu entschlüsseln: Matthias I. müsse mit einem Militärschlag rechnen, wenn er sich mit seinem kaiserlichen Amtsverständnis über ständisch-territoriale Rechte der Protestanten hinwegsetze. Mit Bezug auf die Konflikte in Donauwörth, Jülich, Aachen und Mühlheim konkretisierte Lesieur sodann, wie der englische König die reichsständischen Privilegien interpretierte und welche Entscheidungen und Lösungen er vom Kaiser erwartete. Diese Falschinformation des englischen Gesandten barg enorme Sprengkraft für das schwankende Reich, da sie innerdeutsche Angelegenheiten zu Interessen gewaltbereiter auswärtiger Mächte erklärte und spaltende konfessionelle Fronten zog. Insbesondere die verbindliche Vertragsform, die über bloße Sympathiebekundungen hinausging, musste alarmieren. Zwar waren Bündnisschlüsse mit dem Ausland durchaus mit der Reichsverfassung vereinbar, allerdings durften sie
Der schnelle Zugriff war möglich, da englische Regimenter von etwa 5000 Mann in niederländischen Diensten standen. Die vormundschaftlich regierende Marie de Medici musste erst überzeugt werden, den Verbindlichkeiten ihres verstorbenen Mannes nachzukommen, letztendlich schickte aber auch sie Truppen.Vgl. Ronald G. Asch: Jakob I. (1566 – 1625). König von England und Schottland. Herrscher des Friedens im Zeitalter der Religionskriege. Stuttgart 2005, S. 174; Lanzinner: Konfessionelles Zeitalter, S. 190 – 192. Der Kaiser, sein Hofrat, die geistlichen und der sächsische Kurfürst wie auch der französische Botschafter in Wien interpretierten Lesieurs Proposition als Drohung. Vgl. Stephen Lesieur an Jakob I., Regensburg, 17./27.09.1613, in: TNA SP 80/3, fol. 39r–42v, bes. fol. 39r; Nicolas de Baugy an Pierre Bruslart de Puysieulx, Wien, 23.01.1613, in: BuA XI, S. 37– 40. Vgl. Stephen Lesieur an Matthias I., Wien, 06./16.01.1612/13, in: TNA, SP 80/2, fol. 228v.
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sich nicht gegen Kaiser und Reich richten.⁴¹ Genau dies schien nun aber der Fall zu sein. Ein Beitritt Frankreichs und Englands in die Union musste als starkes Signal gelesen werden, dass die Union statt einer Komposition einen großen Krieg im Schulterschluss mit dem Ausland anstrebte.⁴² Dem Kaiser wurde dies ganz unverblümt von seinem protestantischen Ratgeber Zacharias Geizkofler prophezeit: Nähmen sich „ausländische Potentaten“ der protestantischen Streitigkeiten im Reich an, dann „käme der Krieg ins Reich“.⁴³ Lesieur sprach das nicht aus, sondern betonte stattdessen in seinem überaus umsichtig formulierten Schreiben wiederholt, die kaiserliche Autorität stärken, die Ruhe im Reich und den „pace publica“ bewahren zu wollen.⁴⁴ Den Erhalt des traditionell auf Balance zwischen Kaiser und Reichsständen ausgerichteten, dualistischen politischen Systems meinte er damit aber offenbar nicht. Ansonsten hätte er sich nicht ausschließlich schützend vor die „principi protestanti“, sondern vor die ständische Libertät per se gestellt.⁴⁵ Im Namen des englischen Königs schlug er sich somit unmissverständlich auf die Seite der protestantischen Reichsfürsten, unterstrich deren Bedeutung für Politik und Wirtschaft des Reiches und ermahnte den Kaiser nachdrücklich, Unparteilichkeit walten zu lassen. Er selbst dagegen ergriff explizit Partei im Namen des Friedens und der teutschen Freiheit, für deren Verteidigung England im Verbund mit Frankreich und der Union notfalls auch (wieder) zu den Waffen greifen werde. Lesieur drohte damit dem Kaiser. Diese Drohung beruhte aber auf falschen Tatsachen, die hätten bloßgestellt werden können. Es fragt sich daher, warum der englische Gesandte dieses Risiko einging und welche Chancen sich dadurch eröffneten.
Vgl. z. B. Schmidt, Union, S. 22; Stefan Ehrenpreis: Die protestantische Union 1608 – 21. Ein regionales Verteidigungs- oder antikaiserliches Offensivbündnis?, in: Rebitsch (Hrsg.), 1618, S. 77– 100, hier S. 77; Heinhard Steiger: Bündnissysteme um 1600. Verflechtungen – Ziele – Strukturen, in: JfEG 12 (2011), S. 77– 102. Weil dies nie der Fall war, geht Georg Schmidt davon aus, dass Frankreich und England kriegsunwillig waren und es die calvinistische wie katholische Internationale „als machtpolitisch relevante Größe“ nicht gegeben habe. Vgl. Schmidt, Union, S. 25. Zacharias Geizkofler an Kaiser Matthias I., Haunsheim, 09.01.1613, in: BuA XI, S. 22– 25, hier S. 24. Das Schreiben traf, nur wenige Tage nach Lesieurs Audienz beim Kaiser, am 19. Januar 1613 in Wien ein. Geizkofler kannte Lesieurs Behauptung daher noch nicht. Zu Geizkofler vgl. Alexander Sigelen: Dem ganzen Geschlecht nützlich und rühmlich. Reichspfennigsmeister Zacharias Geizkofler zwischen Fürstendienst und Familienpolitik. Stuttgart 2009. Vgl. Stephen Lesieur an Matthias I., Wien, 06./16.01.1612/13, in: TNA, SP 80/2, fol. 228v. Die Leitidee der deutschen Freiheit war auch Katholiken nicht fremd.Vgl. Schmidt, Union, bes. S. 17 f.
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2 Englands Kehrtwende zur aktiven protestantischen Schutzpolitik nach 1610 Nachdem der Erbstreit um Jülich, Kleve und Berg offen ausgebrochen war, befand sich England einmal mehr an einem Scheideweg: Jakob I. musste sich entscheiden, welche Rolle er zukünftig in Europa spielen wollte. Bis 1610 hatte ihn der Franzosenkönig im europäischen Ringen um Macht und Einfluss in den Schatten gestellt und mit seiner überkonfessionellen, gegen die Habsburger gerichteten Politik und seinen wiederholten Eingriffen in innerdeutsche Verhältnisse vor sich hergetrieben.⁴⁶ Die Ermordung Heinrichs IV. bot nun die „Chance auf eine Neuorientierung im antihabsburgischen Lager zugunsten der englischen Krone“.⁴⁷ Die nächsten Schritte Jakobs I. mussten daher als richtungsweisend gelten. Ein völliger Rückzug aus der Mächtepolitik war keine Option, wenn England auf dem Kontinent weiterhin Gewicht haben und europäische Bündniskonstellationen in seinem Sinne geordnet wissen wollte. Dem König bot sich somit die Wahl, entweder weiter machtpolitisch gegen die Habsburger zu agieren und damit die Lücke zu füllen, die durch den Tod des französischen Königs entstanden war,⁴⁸ oder aber sich neu auszurichten und die Unterstützung der Glaubensverwandten und damit die Verteidigung der Konfession gegen katholische Übergriffe zu priorisieren. Jakob I. lehnte zunächst beide Optionen ab und glaubte, sich der konfessionellen Blockbildung mit einer „frühen Balance-of-power-Politik“⁴⁹ entziehen zu können. Er wollte den Protestanten auf dem Kontinent Schutz bieten und zugleich gute Korrespondenz mit den Habsburgern pflegen. Ausdruck dessen sollte eine überkonfessionelle Ehe zwischen seinem Thronfolger Henry (1594‒ 1612) und einer spanischen Prinzessin sein,⁵⁰ was von der heimlich zum Katho-
Vgl. z. B. Friedrich Beiderbeck: Heinrich IV. von Frankreich und die protestantischen Reichstädte (Teil II), in: Francia 25/2 (1998), S. 1– 25; William B. Patterson: King James VI and I and the Reunion of Christendom. Cambridge 2000, S. 155 f. et passim; Maurice Lee, Jr.: James I. and Henri IV. An Essay in English Foreign Policy 1603 – 1610. Urbana u. a. 1970. Rüde, England und die Kurpfalz, S. 126.Vgl. z. B. auch Simon Adams: The Road to La Rochelle. English Foreign Policy and the Huguenots, 1610 – 1629, in: Proceedings of the Huguenot Society of London 22/1 (1976), S. 414– 429, bes. S. 416. Vgl. Adams, The Road, S. 416. Heinz Schilling: Konfessionalisierung und Staatsinteressen. Internationale Beziehungen 1559 – 1660. Paderborn u. a. 2007, S. 472. Vgl. Glyn Redworth: The Prince and the Infanta. The Cultural Politics of the Spanish Match. New Haven/London 2003.
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lizismus übergetretenen englischen Königin Anne stark befürwortet wurde.⁵¹ Komplementär zu dieser dynastischen Vermittlungspolitik trat Jakob I. in der theologisch-gelehrten Kontroverse um den Oath of Alliance weiterhin öffentlichkeitswirksam als Verteidiger des protestantischen Glaubens gegen das Papsttum auf.⁵² Die biographische Forschung lobt ihn auch deshalb als „preeminent practitioner of ecumenical politics of his time, a ruler determined to foster close relations between his country and both Protestant and Catholic states abroad“.⁵³ Als Politiker des Ausgleichs soll er sich grundsätzlich „not as the leader of a bloc, but as a mediator impartial in the interest of peace“⁵⁴ verstanden haben und in friedliebender Weise für den Protestantismus eingetreten sein. Dementsprechend geht auch Heinz Schilling davon aus, dass Jakob I. die Protestanten „ohne aktiven diplomatischen oder militärischen Einsatz“ schützen wollte und sich nie „zu einer wirklich aktiv protestantischen Außenpolitik oder gar einer Kriegspolitik“ verpflichtet habe.⁵⁵ Diese Charakterisierung als überkonfessioneller, unparteiischer und passiver Friedensfürst übergeht die politische Kehrtwende,⁵⁶ die Jakob I. und sein secretary
Vgl. Redworth, The Prince, S. 11 f. Die Heirat gilt als Teil einer weitreichenden außenpolitischen Strategie Jakobs I.; Englands Untertanen und Parlament waren von dieser ökumenischen Strategie irritiert. Vgl. Maja Jansson/Victor Bushkovitch: Introduction, in: dies. (Hrsg.), England and the North. The Russian Embassy of 1613 – 1614. Philadelphia 1994, S. 1– 71, bes. 3 – 6 et passim; Rüde, England und die Kurpfalz, S. 127, 140 et passim. Ähnlich Michael Hayden: Continuity in the France of Henry IV and Louis XIII. French Foreign Policy, 1598 – 1615, in: The Journal of Modern History 45 (1973), S. 1– 23, bes. S. 15 – 22. Vgl. z. B. Stefania Tutino: Law and Conscience. Catholicism in Early Modern England, 1570 – 1625. Aldershot u. a. 2007, bes. Kapitel 5 bis 7; Bernard Bourdin: The Theological-Political Origins of the Modern State. The Controversy between James I. of England & Cardinal Bellarmin. Washington 2004; Patterson, King James VI, Kapitel 5. Vgl. Patterson, King James VI, S. 296. Ähnlich Ronald G. Asch: Die Stuarts. Geschichte einer Dynastie. München 2011, S. bes. S. 44; ders., Jakob. I., S. 171. Die ältere Forschung verurteilte die Außenpolitik Jakobs I. dagegen als inkonsistent. So z. B. Godfrey Davies: The Early Stuarts, 1603 – 1660. 2. Aufl. Oxford 1959; George Trevelyan: History of England. 3. überarb. Aufl. London 1952. Robert Zaller: „Interest of State“. James I and the Palatinate, in: Albion. A Quarterly Journal Concerned with British Studies 6/2 (1974), S. 144– 175, Zitat S. 144. Schilling, Konfessionalisierung und Staatsinteressen, S. 472 f. Die These der Kehrtwende vertrat schon Adams, allerdings nur mit Blick auf Frankreich, nicht auf das römisch-deutsche Reich.Vgl. Simon Adams: The Protestant Cause. Religious Alliance with the West European Calvinist Communities as a Political Issue in England, 1585 – 1630. Unpub. Thesis. Oxford 1973, Kap. 6, S. 183 – 221. Anders Harris D. Wilson: King James VI. & I. London 1956, S. 280.
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of state Robert Cecil, Earl of Salisbury (1563‒1612),⁵⁷ geradezu abrupt und mit Nachdruck vollzogen, als in London im Juni 1611 die französischen Pläne einer Doppelhochzeit mit den spanischen Habsburgern bekannt geworden waren.⁵⁸ Diese bis dahin streng geheim verhandelten Heiratspläne brüskierten Jakob I. – zum einen, weil er sich selbst um eine dynastische Verbindung mit Spanien bemüht hatte, und zum anderen, weil sie ihm den Boden unter seiner Politik des Ausgleichs wegzogen. Sie weckten die Befürchtung, dass ein erneutes katholisches Bündnis zur Unterdrückung der Protestanten im Entstehen war.⁵⁹ Jakob I. verstärkte daraufhin unmittelbar sein Engagement im protestantischen Lager und ließ die bis dahin von seiner Seite eher schleppend geführten Verhandlungen über die Ehe⁶⁰ zwischen seiner Tochter Elizabeth Stuart und dem calvinistischen Kurpfälzer Thronfolger Friedrich V., also mit dem führenden Fürstenhaus der Union, vorantreiben.⁶¹ Zudem zeigte er sich gegenüber den Bündnisplänen der deutschen Protestanten zum Wohlgefallen der Unionsfürsten plötzlich bedeutend aufgeschlossener.Wie seine Vorgängerin Elisabeth I. hatte Jakob I. zuvor lange gezögert, sich auf die Allianzangebote der deutschen Protestanten einzulassen.⁶² Im Oktober 1611 stimmte er jedoch einem Bündnis mit der Union zu,⁶³ woraufhin sein bevollmächtigter Gesandter Ralph Winwood im März 1612 nach längeren Verhandlungen schriftlich zusicherte, für eine „Alliance Defensive reciproque“ auf sechs
Salisbury gilt bis 1612 als Schlüsselfigur der englischen Außenpolitik. Vgl. Pauline Croft: Art. Cecil, Robert, first earl of Salisbury (1563 – 1612), in: Oxford Dictionary of National Biography, 23.09. 2004/04.10. 2008, https://doi.org/10.1093/ref:odnb/4980, letzter Zugriff 30.04. 2019. Vgl. Rüde, England und die Kurpfalz, S. 127; Adams, Protestant Cause, S. 192. Vgl. Adams, Protestant Cause, S. 192; ders., The Road, S. 416 f. Vgl. Adams, Protestant Cause, S. 190 – 193. Zur Eheschließung vgl. z. B. Sara Smart/Mara R. Wade (Hrsg.), The Palatine Wedding of 1613. Protestant Alliance and Court Festival. Wiesbaden 2013. Vgl. Adams: Protestant Cause, S. 193 f.; Rüde, England und die Kurpfalz, S. 126 f. Vgl. David Gehring: Anglo-German Relations and the Protestant Cause. Elizabethan Foreign Policy and Pan-Protestantism. London u. a. 2013; Simon Adams: England und die protestantischen Reichsfürsten 1599 – 1621, in: Friedrich Beiderbeck/Gregor Horstkemper/Winfried Schulze (Hrsg.), Dimensionen der europäischen Außenpolitik zur Zeit der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert. Berlin 2003, S. 61– 84; E. I. Kouri: Die Entwicklung eines Systems der europäischen Außenpolitik in der Zeit von 1558 – 1603 aus englischer Perspektive, in: ebd., S. 307– 336; ders.: England and the Attempts to Form a Protestant Alliance in the late 1560s. A Case Study in European Diplomacy. Helsinki 1981; Adams, Protestant Cause. Vgl. Jakob I. von England an die unierten Fürsten, Oktober 1611, in: BuA. Bd. X: Anton Chroust: Der Ausgang der Regierung Rudolfs II. und die Anfänge des Kaisers Matthias. München 1906, S. 52 f.
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Jahre wahlweise Truppen oder Geldmittel zu stellen.⁶⁴ Jakob I. bezog damit klar Stellung: Er war bereit und verpflichtete sich, ein weiteres Mal militärisch in deutsche Angelegenheiten einzugreifen, um – so lautete der Weseler Vertrag – den Frieden im römisch-deutschen Reich und die deutsche Freiheit zu bewahren. Jakob I. versprach insbesondere dann Unterstützung, wenn „contre l’ordre de la Justice & Constitutions de l’Empyre“ jene Fürsten angegriffen oder belästigt werden würden, die Jülich, Kleve und Berg legitim zu erben beanspruchten. Durch die Titulierung des Markgrafen von Brandenburg als Herzog von Preußen, Kleve, Jülich, Berg wurde klargestellt, wer zu diesen Fürsten zählte. Genauer wurde der Bündnisfall nicht ausbuchstabiert. Die Konfession fand keine Erwähnung, obwohl die calvinistische Kurpfalz explizit die „Conversation de la Religion“ als Allianzziel gewünscht hatte und sich dahingehend von England unterstützt wissen wollte.⁶⁵ Unpräzise blieb auch die reziproke Hilfe für Jakob I., der von den vertragsschließenden Unionsfürsten sofortige Hilfe auf Wasser und Land erwartete, sobald er angegriffen werde. Der englische König betrieb mit dem Weseler Vertrag aktiv protestantische Schutzpolitik, wurde aber kein Mitglied der Union und schloss auch kein Bündnis mit der gesamten protestantischen Union, sondern lediglich eine Allianz mit „plusieurs Electeurs Princes & Estats Unizen [sic!] Allemaigne“.⁶⁶ Er verband sich also nur mit einigen der Unionsfürsten. Die ebenfalls zur Union gehörenden Herzöge von Pfalz-Neuburg, der Graf von Öttingen und auch die zahlreichen Reichsstädte der Union fehlten. Gerade die traditionell auf den Schutz des Kaisers angewiesenen Städte⁶⁷ hatten keinerlei Interesse, das gute Einvernehmen mit dem Kaiser durch einen internationalen Bündnisschluss zu gefährden, und dachten gar nicht daran, den kaiserlichen Schutz gegen die Protektion eines weit ent-
Vgl. Alligantia inter Regem & Electores Germania, in: Thomas Rymer/Robert Sanderson (Hrsg.), Foedera, Conventiones, Literae, et cujuscunque Generis, Acta Publica inter Reges Angliae, et alios quosvis imperatores, reges, pontifices, principes, vel communitates (…). Bd. 16. 2. Ausgabe. London 1727, S. 714– 719. Erwähnt z. B. in Patterson, King James VI, S. 156; Asch, Jakob. I., S. 174 f.; Axel Gotthard: Konfession und Staatsräson. Die Außenpolitik Württembergs unter Herzog Johann Friedrich (1608 – 1628). Stuttgart 1992, S. 196 – 198; Rüde, England und die Kurpfalz, S. 139. Vgl. Bayerisches Hauptstaatsarchiv München, Kasten blau, 119/6, bes. Bl. 6 – 7; Comissio Johannis Comitis Palatini Rheni, 05.10.1611, in: Rymer/Sanderson (Hrsg.), Foedera, S. 713 f. Alligantia, in: Rymer/Sanderson (Hrsg.), Foedera, S. 714– 719, Zitat S. 714. Zu der Zeit diskutierten die Reichsstädte intensiv, inwieweit weiterhin auf den kaiserlichen Schutz vertraut werden könne, der traditionell vor allem gegen übergriffige Reichsfürsten gebraucht wurde. Vgl. Bericht der nürnbergischen Abgesandten, Ernst Haller, Wolff Löffelholz und Dr. Burckhard, über ihre Unterredung mit den Ulmern zu Nördlingen, o. O., 23.02.1613, in: BuA XI, S. 158 – 165, bes. S. 158 – 160.
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fernten, ausländischen Insel-Königs einzutauschen.⁶⁸ Ihre Ablehnung wurde während der deutsch-englischen Verhandlungen wiederholt thematisiert, von den Unionsfürsten aber heruntergespielt.⁶⁹ Letztlich blieben die Städte jedoch bei ihrer Absage und hielten dem Kaiser zumindest in dieser Hinsicht die Treue.⁷⁰ Sie verhinderten damit eine protestantische Blockbildung auf internationaler Ebene, die Jakob I. seinerseits schon im Herbst 1611 gegenüber den bündniswilligen Unionsfürsten befürwortet hatte. Die Forschung hat die Rolle der unierten Reichsstädte bisher kaum ernst genommen und Jakob I. ein Bündnis mit der gesamten Union oder – wie der englische Gesandte im Januar 1613 gegenüber Kaiser Matthias I. – gar den Eintritt in die Union nachgesagt.⁷¹ Dass dem nicht so war und es Jakob I. nicht gelang, alle deutschen Protestanten⁷² unter seiner Führung zu vereinen, dürfte erklären, warum er sein diplomatisches Engagement verstärkte und Stephen Lesieurs ins Reich schickte. Dieser sollte als zweiter englischer Gesandter neben dem in Düsseldorf residierenden John Dickenson (1570‒ 1636)⁷³ am Kaiserhof etabliert werden und als Fürsprecher für die aktuellen Anliegen der deutschen Protestanten agieren.⁷⁴ Der Amtsantritt von Matthias I. bot für diese Sendung den willkommenen Anlass.
Vgl. ebd. sowie Instruktionen für Hans Meinhard von Schöneburg und Benjamin von Buwinckhausen zu den Verhandlungen in Wesel, Heidelberg, 01.01.1612, in: BuA X, S. 225 – 227, bes. S. 226. Vgl. Instruktionen für Hans Meinhard von Schöneburg und Benjamin von Buwinckhausen zu den Verhandlungen in Wesel, Heidelberg, 01.01.1612, in: BuA X, S. 225 – 227. Nach Abschluss des Weseler Vertrages bereitete diese Ablehnung stets Sorgen.Vgl. z. B. Administrator der Kurpfalz an Fürst Christian von Anhalt (Nachschrift), 23.01.1613, in: BuA XI, S. 40 f. Diese Diskussion war schon 1609 hochgekocht, als die Aufnahme Heinrichs IV. diskutiert wurde. Ansatzweise, aber nicht für den Reichstag 1613, bedacht von Gregor Horstkemper: Die protestantische Union und der Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges. Konfliktverschärfung als Auswirkung der gescheiterten Integration von Bündniszielen und Partikularinteressen, in: ders./Beiderbeck/Schulze, Dimensionen, S. 21– 51, hier S. 31 f. Protokoll des Uniontages zu Rotenburg ob der Tauber, 24.03. bis 09.04.1613, in: BuA XI, S. 233 – 284, hier S. 258. Insbesondere die angelsächsische Forschung geht vom Eintritt Englands in die Union aus.Vgl. z. B. Patterson, King James VI, S. 156; Hayden, Continuity, S. 18. Eine Ausnahme bildet Adams, Protestant Cause. Allerdings unterscheidet Adams nicht immer klar zwischen Protestantischer Union und Unionsfürsten. Siehe ders., The Road, S. 416 f. Das betraf insbesondere die protestantischen Reichsstädte und das bündnisunwillige Kursachsen. Zu John Dickenson in Düsseldorf vgl. Roggendorf, Neuburg; Anderson, On the Verge of War; Gavin Alexander: Art. Dickenson, John, in: Oxford Dictionary of National Biography, Bd. 16 (2004), S. 80 – 82. Vgl. Instruktion Stephen Lesieur, o. O., 09./19.09.1612, in: TNA, SP 80/2, fol. 211– 214.
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3 Politische Wirksamkeit versus Ehrlichkeit Der Konflikt zwischen Ehrlichkeit und politischer Wirksamkeit stellte sich einem Gesandten nur dann, wenn er wissentlich mit Falschinformationen operierte und sich bestimmter Tatsachen bewusst war. Erst eine Täuschungsabsicht verwandelte eine Falschaussage in eine Lüge.⁷⁵ Im Bereich der Diplomatie lässt sich der Wissensstand der Gesandten zwar oft nur schwer bestimmen.⁷⁶ Im Falle Stephen Lesieurs sprechen die Umstände aber dafür, dass er die Feinheiten des Weseler Vertrages kannte und auch darüber informiert war, in welchem Stadium sich die Bemühungen befanden, die protestantische Union zu einem internationalen Bündnis zu erweitern: Lesieur begann seine Reise ins römisch-deutsche Reich erst mehrere Monate nachdem der Weseler Vertrag geschlossen worden war; er hatte folglich genau instruiert werden können.⁷⁷ Vor seiner Ankunft am Kaiserhof in Wien hatte er zudem Station in Düsseldorf, Mühlheim, Köln und Heidelberg gemacht, mit den dortigen Protestanten und Unionsfürsten bzw. deren Politikern persönlich interagiert und war mit deren politischen Anliegen betraut worden.⁷⁸ Er arbeitete währenddessen mit den französischen Agenten vor Ort eng zusammen, so zum Beispiel in Düsseldorf, als es darum ging, religiöse Dispute unter den Untertanen zu lösen.⁷⁹ Wenngleich Lesieur in seinen Korrespondenzen nie eindeutig preisgab, ob er bewusst oder unbewusst Falschinformationen gegenüber Matthias I. instrumentalisierte, ist aufgrund seiner Reiseroute und Kontakte anzunehmen, dass er über den aktuellen Stand der Unionsbündnisse, insbesondere auch mit den Franzosen, im Bilde war. Lesieurs diplomatische Taktik, den Kaiser sofort in der ersten Audienz mit dem vermeintlichen Pakt zwischen der Union, England und Frankreich zu konfrontieren, scheint demnach eine bewusste Entscheidung gegen die Ehrlichkeit
Vgl. Danneberg, Aufrichtigkeit, bes. S. 56, 64– 71 et passim; Woodhouse, Honorable Dissimulation, S. 37 f.. Zum aktuellen Forschungsstand vgl. Guido Braun: Einleitung, in: ders. (Hrsg.), Diplomatische Wissenskulturen der Frühen Neuzeit. Erfahrungsräume und Orte der Wissensproduktion. Berlin/ Boston 2018, S. VII–XLI. Die ständigen englischen Gesandten auf dem Kontinent waren ebenfalls im Bilde und beschrieben den Weseler Vertrag korrekt als „League with his Majestie and the Princes of the Union“. Vgl. Ralph Winwood an Thomas Edmondes, Paris, 07./1704.1613, in: Sawyer, Winwood Memorials, S. 445 f., Zitat S. 445. Lesieur verließ Ende September 1612 England, kam Anfang November in Düsseldorf an und berichtete seitdem detailliert über sein Agieren. Vgl. Korrespondenzen von Lesieur an Jakob I., in: TNA, SP 80/2, fol. 211– 223. Vgl. Stephen Lesieur an Jakob I., Köln, 16./26.11.1612, in: TNA, SP 80/2, fol. 217– 218.
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und für politische Wirksamkeit gewesen zu sein. Sie baute auf einem klug gewählten Zeitpunkt und einem hohen Wahrheitsanteil auf. Daraus speiste sich die Wirkkraft. Die Behauptung war weder völlig aus der Luft gegriffen noch abwegig und konnte daher nicht sofort als Unwahrheit enttarnt werden. Immerhin hatte Jakob I. tatsächlich wenige Monate zuvor in Wesel seine Bereitschaft zum militärischen Engagement in deutschen Territorien zusichern lassen. Das war jedoch zu einer Zeit geschehen, als die Reichsstände gerade um die Nachfolge für den im Januar 1612 verstorbenen Kaiser Rudolph II. rangen und zahlreiche Gerüchte kursierten, dass die Unionsfürsten zu den Waffen greifen und einen Gegenkaiser an die Macht bringen wollten, wenn die Wahl nicht nach ihrem Gutdünken ausfalle.⁸⁰ Im Juni 1612 wurde Matthias I. zwar letztlich einstimmig zum König bzw. Kaiser gewählt.⁸¹ Die aufgeheizte Atmosphäre konfessionellen Argwohns bot jedoch einen idealen Nährboden für Falschinformationen und Sorge schürende Nachrichten über sich anbahnende oder bereits geschlossene internationale Allianzen. Für diese Unsicherheit sorgte nicht zuletzt die französische Krone. Als die letzten Verhandlungen über den Weseler Vertrag geführt wurden, hatte Marie de Medici ihre Regierung und die Prinzen von Geblüt über die Doppelhochzeit mit den spanischen Habsburgern bereits informiert,⁸² Ende März ließ sie die Pläne sodann am spanischen und am französischen Hof offiziell publik machen.⁸³ Frankreich positionierte sich damit klar an der Seite der katholischen Spanier, nährte unter den ausländischen Botschaftern in Paris aber zugleich die Hoffnung, in Grundzügen weiter der Arbiter-Politik des ermordeten Heinrichs IV. folgen und Vgl. Axel Gotthard: Säulen des Reiches. Die Kurfürsten im frühneuzeitlichen Reichsverband. 2 Teile. Hussum 1999, Bd. 2, S. 517 f. Die Wahl war bis zum Wahltag offen, da sich Kursachsen zuvor nicht festlegte. Vgl. Gotthard, Säulen, Bd. 2, S. 511, 517 f. et passim; Volker Press: Matthias I. (1612– 1619), in: Anton Schindling/ Walter Ziegler (Hrsg.), Die Kaiser der Neuzeit 1519 – 1918. Heiliges Römisches Reich, Österreich, Deutschland. München 1990, S. 112– 123; bes. S. 119; Rolf Decot: Umbruch durch Reformation! Geistliche Kurfürsten und Päpste angesichts fortschreitender Säkularisierung des Kaisertums, in: Ludolf Pelizaeus (Hrsg.), Wahl und Krönung in Zeiten des Umbruchs. Frankfurt a. M. 2008, S. 65 – 88, hier S. 76 f., 84; Dietrich Kohl: Die Politik Kursachsens während des Interregnums und der Kaiserwahl 1612. Nach archivalischen Quellen dargestellt. Diss. Halle-Wittenberg. Halle 1887. Die Prinzen von Geblüt äußerten sich daraufhin offenbar besorgt um „friendship with their other Allies“. Die Verträge waren zudem noch nicht unterzeichnet. Vgl. Sir Thomas Edmondes an Sir Ralph Winwood, Paris, 19./29.01.1611/1612, in: Sawyer, Winwood Memorials, S. 323 – 325, hier S. 325. Marie de Medici hatte den Spaniern ihre Zusage gegeben, monierte aber den Wortlaut des Heiratsvertrages; noch bis 1615 wurde darüber verhandelt. Vgl. John Beaulieu an William Trumbull, Paris, 05./15.03.1611/1612, in: Sawyer, Winwood Memorials, S. 345; Hayden, Continuity, bes. S. 16 f.
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eine politisch-konfessionelle Blockbildung in Europa vermeiden zu wollen.⁸⁴ Eine Schlüsselrolle spielte dabei der Herzog von Bouillon, Henri de La Tour d’Auvergne (1555‒1623), der schon die englisch-kurpfälzische Heirat vermittelt hatte und seit 1611 einen dynastischen Bund zwischen England und Frankreich auszuhandeln suchte.⁸⁵ Er wurde von der französischen Königin nach London gesandt,⁸⁶ um Jakob I. zu versichern, dass man das gute Einvernehmen zwischen England und Frankreich durch die spanisch-französischen Heiraten nicht beeinträchtigt sehe und sich nichts geändert habe an „the Constancy and Strictness of their old Amity“.⁸⁷ Unklar ist, inwieweit diese Zusicherung Marie de Medicis Überzeugung entsprach oder aber nur auf Druck des Herzogs von Bouillon überbracht werden durfte.⁸⁸ Grundsätzlich hegte die englische Vertretung in Paris im Frühjahr 1612 noch wenig Zweifel an dem Wohlwollen der Franzosen und zeigte sich überzeugt, dass Marie de Medici „the quiet of her State on all sides“ bevorzuge.⁸⁹ Dass dies auch den Schutz der deutschen Reichsfürsten gegen unrechtmäßige Übergriffe der Habsburger im Westen des Reiches mit einschloss, hatte die Königin dem Aachener und dem Jülicher Gesandten selbst mündlich zugesagt.⁹⁰ Der stets gut informierte erste Sekretär des englischen Botschafters in Paris, John Beaulieu, spekulierte sogar, dass sie bereit wäre, dafür erneut zu den Waffen zu greifen.⁹¹ Vgl. z. B. Hayden, Continuity, S. 15 f.. Vgl. Rüde, England und die Kurpfalz, S. 128 f., 140 – 150; Adams, Protestant Cause, S. 191. James I. ging davon aus, dass Boullion auch nach dem Tod seines Sohnes Henry die Eheprojekte nicht aufgab und die Ehe zwischen seinem zweiten Sohn Karl und der französischen Prinzessin, Madame Christine, vermitteln könne. Vgl. James I. an Thomas Edmondes, in: George P. V. Akrigg (Hrsg.), Letters of King James VI and I. Berkeley 1984, S. 328 – 330. Die Reise war schon im Februar angedacht, wurde aber verschoben. Vgl. John Beaulieu an William Trumbull, 05./15.03.1611/1612, in: Sawyer, Winwood Memorials, S. 345 f., sowie Ralph Winwood an Petrus Dathenus, 05.03. März 1612, in: BuA X, S. 376 f. John Beaulieu an William Trumbull, Paris 30.01./09.02.1611/1612, in: Sawyer, Winwood Memorials, S. 332 f. Die englischen Gesandten munkelten, dass der Herzog von Bouillon „Schwierigkeiten“ mache, da er nur dann als französischer Gesandter nach London zu gehen bereit wäre, wenn er den „Auftrag erhält, dem König zu versichern“, dass die Ehen der „Freundschaft mit England nicht abträglich seien“. Vgl. Ralph Winwood an Petrus Dathenus, o. O., 05.03.1612, in: BuA X, S. 376. John Beaulieu an William Trumbull, Paris, 18./28.04.1612, in: Sawyer, Winwood Memorials, S. 358 – 360, Zitat S. 358. Vgl. John Beaulieu an William Trumbull, Paris, 06./16.02.1611/1612, in: Sawyer, Winwood Memorials, S. 334. Zum Streit um Aachen, in den sich auch Lesieur mit seiner Proposition einmischte, vgl. Walter Schmitz: Verfassung und Bekenntnis. Die Aachener Wirren im Spiegel der kaiserlichen Politik (1550 – 1616). Frankfurt a. M. 1983. Vgl. Schmitz, Verfassung. John Beaulieus Wirken als Sekretär von Sir Thomas Edmondes ist bisher kaum erforscht. Erste Ansätze bieten Sonia P. Anderson: The Elder William Trumbull. A Biographical Sketch, in: The British Library Journal 18 (1993), S. 115 – 132, hier S. 119 – 121; John
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Konkrete Verbindlichkeiten ging die französische Krone aber nur mit den Spaniern ein.⁹² Darüber hinaus hielt sie sich durch kluge Diplomatie alle Optionen offen und hielt die individuellen Hoffnungen anderer Mächte auf mögliche französische Unterstützung in der Schwebe.⁹³ Der englische Gesandte Stephen Lesieur nutzte diese undurchsichtige, schnell wechselnde Lage⁹⁴ und platzierte strategisch seine Falschinformation, um den deutschen Protestanten und ihren Beschwerden vor dem neuen Kaiser ein wirksames Druckmittel für den anstehenden Reichstag in die Hand zu geben. Er musste fraglos einkalkuliert haben, dass die Drohung mit einem kampferprobten, internationalen Militärbündnis großes Aufsehen erregen würde und früher oder später als haltlos aufgeklärt werden könnte. Die Habsburger Diplomatie verfügte über exzellente französische Kontakte⁹⁵ und konnte zudem den französischen Botschafter, Nicolas de Baugy, direkt vor Ort am Kaiserhof in Wien zur Rede stellen, was der Kanzler des Kaisers, Melchior Khlesl, auch umgehend tat.⁹⁶ Lesieur schien die Entlarvung seiner Falschbehauptung jedoch nicht zu fürchten. Er hatte gleich nach seiner Ankunft mit dem französischen Gesandten persönlich gesprochen und vertraute ihm wie „one whome I knowe to be verie inwarde w[it]h the popes Nuncio and the Jesuits“.⁹⁷ Er erwartete also keineswegs, dass ihn der Franzose decken würde. Das war aber offenbar auch gar nicht das Ziel. Wichtiger schien stattdessen, den Kaiser grundlegend und tief zu verunsichern. Matthias I. sollte für sein weiteres politisches Vorgehen – insbesondere auf dem anstehenden
Stoye: English Travellers Abroad, 1604– 1667. Their Influence in English Society and Politics. Revised Edition. New Haven/London 1989, S. 48, 55. Jakob I. war stark verstimmt, weil Bouillon ihm in Aussicht gestellt hatte, dass die spanische Heirat noch verhindert werde könne. Dem war nicht so; am 25. August 1612 wurde der Heiratsvertrag unterschrieben. Vgl. Adams, Protestant Cause, S. 211 f.; Hayden, Continuity, S. XIV. Vgl. dazu z. B. Hayden, Continuity, S. 15 – 18. Für das Renversement des Alliance und Marie de Medicis klaren Bruch mit den protestantischen Bündnispartnern ihres verstorbenen Mannes votiert hingegen Axel Gotthard: Konfession und Staatsräson, S. 94– 96. Über die raschen Wechsel klagte z. B. Zacharias Geizkofler an Kaiser Matthias I., Haunsheim, 09.01.1613, in: BuA XI, S. 22– 25. Die Informationen kamen allerdings ins Stocken, nachdem im Juni 1612 der französischen Verbindungsmann Jacque Bongars, der stets auch valide Informationen über die protestantischen Reichsstände lieferte, verstorben war. Vgl. Stefan Ehrenpreis: Die Rolle des Kaiserhofes in der Reichsverfassungskrise und im europäischen Mächtesystem vor dem Dreißigjährigen Krieg, in: Winfried Schulze (Hrsg.), Friedliche Intentionen – Kriegerische Effekte. War der Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges unvermeidlich? St. Katharinen 2002, S. 71– 106, bes. S. 88; Ruth Kohlndorfer-Fries: Diplomatie und Gelehrtenrepublik. Die Kontakte des französischen Gesandten Jacque Bongars (1554– 1612). Tübingen 2009. Vgl. BuA XI, S. 9, Anm. 1, sowie S. 37– 40. Stephen Lesieur an Jakob I., Wien, 30.12.1612, in: TNA, SP 80/2, fol. 221– 222, Zitat fol. 222r.
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Reichstag – ernsthaft die Option in Erwägung ziehen, dass die unierten Reichsfürsten in absehbarer Zeit über eine große, für das gesamte Reich gefährliche militärische Handlungsmacht verfügten. Der von Lesieur bedrohlich gezeichnete Erwartungshorizont sollte den Kaiser einschüchtern und negative Emotionen, im besten Falle die Sorge um den Reichsfrieden und die Sorge um seine kaiserliche Stellung provozieren.⁹⁸ Zu diesem Zweck entschied sich Lesieur gegen die Wahrheit. Hätte er ehrlich mitgeteilt, dass England und die Unionfürsten einen protestantische Machtblock aufzubauen gedachten, aber noch keine endgültigen Abkommen vorlägen, dann hätte dies beim Kaiser zwar Unmut und Vorsicht, aber keinen Aktionismus hervorgerufen. In einer mit Bedacht platzierten Falschinformation wie dem internationalen Pakt der Protestanten mit Frankreich und England steckte dagegen wesentlich mehr Wirkmacht, überdies konnte sie beim Kaiser und der katholischen Partei eine tiefe Verunsicherung über die möglicherweise kriegsgefährliche Schlagkraft der Union wecken. Gerade zu Beginn des Jahres 1613 bestand aus englischer Sicht zudem eine nicht ganz unrealistische Chance der Verwirklichung.⁹⁹ England und Frankreich verhandelten zu dem Zeitpunkt weiterhin über eine dynastische Verbindung. Der englische Thronfolger Henry war zwar im November 1612 verstorben, die Ehepläne wurden aber nun für den zweiten Stuartprinzen, Karl, betrieben.¹⁰⁰ Die Habsburger Agenten würden dies rasch in Erfahrung bringen können und dann wäre es den Kaiserlichen überlassen,¹⁰¹ über diese anvisierte dynastische Verbindung und über mögliche weitere Abkommen zu spekulieren. Bündnisse standen in der Regel schon lange im Geheimen fest, bevor sie publik gemacht wurden. Eindeutige, verlässliche Aussagen waren daher nur direkt von der Krone in Paris zu erlangen. Doch das kostete wertvolle Zeit, über die der Kaiser im Januar 1613 kaum mehr verfügte. Bis zum geplanten Eröffnungstermin des Reichtages verblieben nur noch drei Monate. Matthias I. hatte Ende Dezember einen Reichstag für den 24. April 1613 einberufen¹⁰² und bekannt
Eine politische Geschichte der Emotionen wird aktuell eingefordert, steht aber für die Frühe Neuzeit noch aus. Vgl. Hannes Ziegler: Emotionen und die Geschichte des Politischen. Perspektiven in der Mittelalter- und Frühneuzeitforschung, in: ZHF 44/4 (2017), S. 661– 691. Frankreich hatte aber keinen Grund, der Union beizutreten.Vgl. Hayden, Continuity, bes. S. 18. Vgl. z. B. James I. an Sir Thomas Edmondes, London, 14.12.1612, in: Akrigg (Hrsg.), Letters, S. 328 – 330. Vgl. Bericht des kurmainzischen Rates von Efferen über seine Verrichtungen in Frankreich, o. O., ca. 01.03.1613, in: BuA XI, S. 152– 156. Er wurde am 29. Dezember 1612 einberufen. Angabe nach https://www.historischekommission-muenchen.de/fileadmin/user_upload/MIGRATION_BACKUP/pdf/abteilungen/RV-Liste-Revision_2016 – 01.pdf, letzter Abruf 30.03. 2020; vgl. ferner Chroust, Abraham von Dohna, S. 86 – 102, 194– 351; Gotthard, Konfession, S. 156 – 169.
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gegeben, dass er Protestanten und Katholiken nach dem Desaster von 1608 politisch einen wolle – und auch offengelegt, dass er sie einen musste, da er Kontributionen im Kampf gegen die Osmanen brauchte.¹⁰³ Dazu benötigte er einen Reichsabschied; der letzte lag beinahe ein ganzes Jahrzehnt zurück. Eine mögliche schlagkräftige protestantische Internationale verlieh diesem Ansinnen zwangsläufig ein komplett neues Vorzeichen. Lesieurs Versuch, den Kaiser unter Druck zu setzen, war erfolgreich: Der Kaiser und seine Berater waren so stark verunsichert, dass ihnen die Beteuerungen des französischen Botschafters nicht genügten, Frankreich würde sich immer für den Frieden im Reich einsetzen.¹⁰⁴ Man misstraute dem Franzosen und brauchte zeitnah eine klare Antwort, ob Frankreich Mitglied der Union sei. Die Kaiserlichen schickten daher den Kurmainzer Rat Wilhelm Ferdinand von Efferen schon Anfang Februar 1613 nach Paris, um den Sachverhalt im direkten Kontakt mit der französischen Krone klären zu lassen, beauftragten ihn aber, so wenig Aufsehen wie möglich zu erregen. Ihre Verunsicherung sollte verborgen bleiben. Efferen sollte in Paris zunächst Mittelsmänner kontaktieren, die französische Verbindung zur Union möglichst beiläufig erfragen und – falls er eine Audienz bekäme – nicht als Gesandter vor der französische Krone auftreten.¹⁰⁵ Diese Auflagen spiegeln hohe Vorsichtsmaßnahmen wider. Sie sollten einerseits verhindern, sich auf internationalem Parkett die Blöße zu geben, einer möglichen Lüge des englischen Gesandten zu viel Aufmerksamkeit geschenkt zu haben. Andererseits sollte Frankreich nicht verärgert werden, falls sich Lesieurs Behauptung als wahr erwies. Die Kaiserlichen erkannten demnach, dass Lesieur sie verunsichern und Misstrauen schüren wollte, und suchten dem entgegenzuwirken. Das gelang jedoch nicht zur vollen Zufriedenheit. Der zuständige französische Minister Nicholas de Neufville, Seigneur de Villeroy (1543‒1617), wies zwar alle Bündnisse mit der Union von sich und versicherte, dass Frankreich allen katholischen Fürsten „mit sonderbarer freuntschaft zuegetan“ sei und sich eines „rechten freunt tatlich erzeigen“ wolle, wenn katholische Fürsten im Reich an-
Zur anfänglichen Kompromissbereitschaft knapp Harriet Rudolph: Auf dem Weg zum Religionskrieg? (Un‐)Kulturen des Konfliktaustrags auf den Regensburger Reichstagen vor dem Dreißigjährigen Krieg (1594– 1613), in: dies. (Hrsg.), Die Reichsstadt Regensburg und die Reformation im Heiligen Römischen Reich. Regensburg 2018, S. 71– 98, hier S. 90. Vgl. Nicolas de Baugy an Pierre Bruslart de Puysieulx,Wien, 23.01.1613, in: BuA XI, S. 37– 40, bes. S. 39 f. Offiziell schickten sie ihn unter dem Vorwand, Frankreich zu einem Beitritt in die katholische Liga zu bewegen. Vgl. Bericht des kurmainzischen Rates von Efferen über seine Verrichtungen in Frankreich, o. O., ca. 01.03.1613, in: BuA XI, S. 152– 156.
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gegriffen werden würden. Zugleich bekannte er sich jedoch auch zur traditionell guten Korrespondenz mit „etlichen protestirenden fursten im reich“.¹⁰⁶ Er bat zudem um absolute Geheimhaltung, um die freundschaftlichen Beziehungen Frankreichs mit anderen Mächten nicht zu gefährden. Der Mainzer Kurfürst, dem diese Bitte um Geheimhaltung berichtet wurde, deutete sie als Unentschiedenheit und fürchtete, dass sich die französische Krone doch noch für ein Abkommen mit den Protestanten entscheiden könnte.¹⁰⁷ Trotz hervorragender diplomatischer Verbindungen war es demnach nicht ohne weiteres möglich, Lesieurs unheilvolles Szenario vollständig zu entkräften. Die Skepsis gegenüber dem französischen Kurs blieb. Lesieurs Strategie funktionierte.
4 Risiken und Chancen der diplomatischen Falschinformation Lesieurs Vorgehen war kein übermäßig riskantes Unterfangen, sondern aus englischer Sicht eher überaus vielversprechend. Jakob I. hatte Lesieur in seiner Instruktion zu verstehen gegeben, dass er Matthias I. „alwaise observed […] to be of a temperate disposition aswell towards the peace of the Empire, as towards the Princes protestants“.¹⁰⁸ Diese kompromissbereite Haltung, insbesondere die moderate Einstellung und Friedensliebe, hätten als Fundament für Ausgleichsverhandlungen dienen können, wurden von Lesieur aber als Schwäche interpretiert. Er folgte damit den Unierten, die davon ausgingen, Matthias I. sei „nicht stark, hat grosse Schulden, schwierige Erbländer und ist alt“.¹⁰⁹ Mit dem richtigen Hebel ließe er sich unter Druck setzen. Immerhin brauche er Geld zur Türkenabwehr und müsse den Protestanten dafür etwas bieten. Dass Matthias I. dazu bereit war, hatte er schon Ende Dezember 1612 mit der Tagesordnung für den Reichstag signalisiert, als er die Konfessionspro-
Ebd., S. 155. Zum Begriff der guten Korrespondenz vgl. Ziegler, Trauen und Glauben, S. 95, 127‒132 et passim. Der Bericht wurde den katholischen Fürsten zeitnah übermittelt, allerdings nur als „Vertröstung“, nicht als sichere Information. Vgl. Bericht des kurmainzischen Rates von Efferen über seine Verrichtungen in Frankreich, o. O., ca. 01.03.1613, in: BuA XI, S. 152– 156, bes. S. 156 f., Anm. 3; Kommunikationstag der katholischen Reichsstände und der unierten Bundesstände zu Frankfurt a. M., 06.03.1613, in: BuA XI, S. 125 – 149, Zitat S. 139. Instructions for the servant Sir Stephen Lesieur, o. O., 09.09.1612, in: TNA, SP 80/2, fol. 211– 214, Zitat 211r–211v. Die Allianz mit den Unionsfürsten wird darin nicht explizit erwähnt. Protokoll des Uniontages zu Rotenburg ob der Tauber, 24.03. bis 09.04.1613, in: BuA XI, S. 233 – 284, Zitat S. 258.
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blematik und nicht wie sonst üblich die Türkenhilfe als ersten Punkt platzierte.¹¹⁰ Lesieur begriff das als Chance und drängte Matthias I. fortwährend zu einer weiteren Audienz, um eine rasche Antwort auf seine Proposition zu erhalten.¹¹¹ Im besten Falle konnte er den schwachen Kaiser unter Zeitdruck setzen, mit der irreführenden Lüge tiefgreifend verunsichern und aus Furcht vor einer gewaltbereiten protestantischen Internationalen zu massiven Zugeständnissen bewegen. Ein derartiger Auftakt für die Regentschaft des neuen Kaisers wäre wegweisend gewesen. Für den Fall, dass das gelang, galt es allerdings das Risiko zu bedenken, Reichsstände und Kaiser durch die englische Bedrohungspolitik so stark zu entzweien, dass eine Zusammenarbeit zwischen Protestanten und Kaiser nachhaltig gestört wurde – und im schlechtesten Fall sogar zum Krieg führte. Es war nicht abzusehen, ob Matthias I. tatsächlich den Frieden über alles stellen und zugunsten der Ruhe im Reich die protestantische Auslegung des Religionsfriedens akzeptieren würde.¹¹² Er hätte aus dem Gefühl der Bedrohung und Verunsicherung heraus die Protestanten abkanzeln und im Notfall seine Verbündeten zu den Waffen rufen können. Befürchtungen über katholische Angriffe kursierten bereits im November 1612.¹¹³ Entsprechend scharfsinnig scheint es, Matthias I. von einem auswärtigen Gesandten auf Basis einer falschen Behauptung subtil drohen zu lassen: Auf diese Weise ließ sich ausloten, wie der neue Kaiser auf militärischen Druck des Auslandes reagieren würde und wie stark seine Friedensliebe ausgeprägt war.¹¹⁴ Falls er sich kampfeswillig zeigte, hätte der Gesandte seine Fehlinformation selbst auflösen und den Kaiser zum Erhalt des Friedens mit dem Eingeständnis besänftigen können, falsch informiert gewesen zu sein und
Vgl. Rudolph, Auf dem Weg, S. 90. Vgl. die Korrespondenz von Stephen Lesieur in TNA, SP 80/2–SP 80/3. Er hatte den Augsburger Religionsfrieden zwar bereits in seiner Wahlkapitulation anerkannt, zahlreiche Streitigkeiten um die Bezahlung der Kosten aus dem Streit um Donauwörth, die Besetzung des Magistrates in Aachen, die Fortifikation Mühlheims und der Jülich-Klever Konflikt waren aber noch offen. Vgl. Rudolph, Auf dem Weg, S. 90 – 93; Roggendorf, Neuburg; Schmitz, Verfassung; Anderson, On the Verge of War. Die Gerüchte über mögliche Rüstungen und einen Angriff auf die Protestanten während des Reichstages waren falsch. Es bleibt zu prüfen, ob Lesieur davon wusste. Nach seiner Drohung gab es zahlreiche Stimmen, die für eine rasche Erweiterung der Liga votierten. Vgl. Bericht des Dr. Camarius, November 1612, in: BuA X, S. 750 – 755; Klehsl an der Kurfürsten von Mainz, 27.02.1613, in: BuA XI, S. 112– 114. Ich danke Frau Prof. Dr. Ulrike Ludwig und ihrem Oberseminar für die Anregungen.
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eigenmächtig im Alleingang gehandelt zu haben.¹¹⁵ Lesieur hätte dieses Schuldeingeständnis Ansehen und Amt gekostet;¹¹⁶ und es hätte sicherlich einiger Überzeugungskraft bedurft, da er in der Proposition abseits der Unionslüge mit enormem Detailwissen argumentierte.¹¹⁷ Die Option, die militärische Drohung notfalls mit der Fehlbarkeit des Gesandten wieder einfangen zu können, machte aus der geschickt lancierten Falschinformation dennoch ein wertvolles strategisches Instrument. Vollständig neutralisieren ließen sich politische Lügen jedoch kaum: Die provozierten Emotionen waren nur schwer zu glätten, insbesondere tief sitzendes Misstrauen.¹¹⁸ In dem Fall war das jedoch offenbar durchaus gewünscht: Der umtriebige pfälzische Statthalter Christian von Anhalt (1568‒ 1630) warb bei den unierten Reichsstädten mit klugen Argumenten weiterhin nachdrücklich darum, ausländische Potentaten in die Union aufnehmen zu dürfen.¹¹⁹ Er versprach den Reichsstädten, mit einem derartigen Militärbund wirkungsvoll Kaiser und katholischen Reichsständen entgegentreten zu können: „Wenn man mit England und den [General‐]Staaten in Verfassung ist, so wird es keine Gefahr haben, die Kontribution zu sperren, den Ratsgängen fern zu bleiben und den Reichstag zerschlagen zu lassen“.¹²⁰ Er wollte mit allen Mitteln die protestantische Position in Konfrontation zu Matthias I. durchsetzen und nahm billigend in Kauf, das Reich dadurch noch tiefer zu spalten und mit dem Reichstag ein weiteres Forum des politischen Ausgleichs endgültig zu
Womöglich verwendet er deshalb in der Proposition oft die Ich-Form, die er mit Verweisen auf den englischen König legitimiert. Über den Alleingang mutmaßte später der Kölner Kurfürst. Vgl. Werbung Stephan Lesieurs bei Kaiser Matthias, in: BuA XI, S. 7– 13, bes. S. 12 f., Anm. 4. Wer seine Glaubwürdigkeit verspielt hatte, konnte kaum mehr diplomatische Verhandlungen führen.Vgl. Kugeler, Ehrenhafte Spione, S. 141; ähnlich Michael Rohrschneider: Reputation als Leitfaktor in den internationalen Beziehungen, in: HZ 291/2 (2010), S. 331– 350. Für die Aachener Vorschläge verwies Lesieur z. B. zu Recht und wohlinformiert auf die Vereinbarungen in Matthias I. Wahlkapitulation. Grundlegend dazu Ziegler, Trauen und Glauben; Jan Timmer: Vertrauen. Eine Ressource im politischen System der römischen Politik. Frankfurt a. M. 2017; Tilman Haug: Vertrauen und Patronage in den diplomatischen Beziehungen zwischen Frankreich und den geistlichen Kurfürsten nach dem Westfälischen Frieden, in: ZHF 39/2 (2012), S. 215 – 254. Vgl. Unterredung Christians von Anhalt mit den Städtegesandten wegen der Auslandsbündnisse, Rotenburg (?), 22.03.1613, in: BuA XI, S. 301– 304. Frankreich wurde hier allerding nicht mehr als Bündner gehandelt, sondern sollte in die Parteilosigkeit gedrängt werden. Zu Christian von Anhalt vgl. Friedrich Hermann Schubert: Art. Christian I., in: NDB 3 (1957), S. 221– 225. Unterredung Christians von Anhalt mit den Städtegesandten wegen der Auslandsbündnisse, Rotenburg (?), 22.03.1613, in: BuA XI, S. 301– 304, Zitat S. 304.
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lähmen.¹²¹ Unterstützung bekam er dabei von den anderen Unionsfürsten, die mit Hochdruck die protestantische Internationale zu formieren suchten. Entsprechende Bemühungen liefen unter englischer Vermittlung in den Generalstaaten, Dänemark und Schweden; und tatsächlich waren diese Mächte nicht abgeneigt.¹²² Lesieur dürften diese konfrontativen Pläne bekannt gewesen sein, da er mit Christian von Anhalt in Kontakt stand und ihm über sein Agieren am Kaiserhof berichtete.¹²³ Das Risiko, mit der Falschinformation unerwünschte Konsequenzen für die unierten protestantischen Reichsfürsten loszutreten, war demnach gering. Eine ernste Unwägbarkeit stellte hingegen das Verhalten Frankreichs dar. Lesieur hatte auf die französische Geheimdiplomatie, die ihm letztlich half, den Kaiser zu verunsichern, nur hoffen können. Er musste einkalkulieren, dass seine Lüge umgehend als solche enttarnt werden und nicht die gewünschte verunsichernde Wirkung beim Kaiser erzielen konnte. Die Aktion wäre dann als belangloser Versuch der Einschüchterung verpufft. Er wäre als Gesandter diskreditiert gewesen. Und der englische König hätte es als Anwalt der deutschen Protestanten noch schwerer gehabt, den Kaiser davon zu überzeugen, dass nur ein Erhören der „Complaints and grevances of divers Cities and Princes […] shall both greatly advance the publique peace and purchase to himself much honor and securitie“.¹²⁴ Indes scheint Lesieur auch dieses Risiko so gering eingestuft zu haben, dass ihn selbst die anfänglich suspekte Art des französischen Botschafters in Wien nicht umstimmte. Sicherheit verliehen ihm die Instruktionen von seinem Dienstherrn, der sich im guten Einvernehmen mit der französischen Königin wähnte und annahm, das gleiche Ziel wie sie im Reich zu verfolgen – nämlich „to preserve the quiet and peace of the Empire, and preservation of the right and the liberties of our said [protestant] allies“.¹²⁵ Lesieur zielte mit der Wahl der diplomatischen Mittel zwar eher auf die aggressive Sicherung der Rechte und Freiheiten und weniger auf die Ruhe im Reich, sein Vertrauen auf Frankreich war aber nicht ganz unberechtigt. Schon
Vgl. auch Schubert, Christian I., sowie Anton Schindling: Gab es eine Kurpfälzer Kriegsschuld? Die Pfalzgrafen bei Rhein und die Union 1608 bis 1622, in: ders./Albrecht, Union und Liga, S. 301– 341. Vgl. Die unierten Kurfürsten und Fürsten an Jakob I., Rotenburg, 22.03.1613, in: BuA XI, S. 200 f.; Gotthard, Konfession und Staatsräson, S. 196 – 211; Adams, Protestant Cause, S. 216 – 218. Vgl. Stephen Lesieur an Christian von Anhalt, 26.01.1613, in: BuA XI, S. 44– 46, hier S. 44. Instructions for the servant Sir Stephen Lesieur, 09.09.1612, o. O., in: TNA, SP 80/2, fol. 211– 214, Zitat 211r–211v. Ebd., S. 212v. Durch die Zusammenarbeit mit dem französischen Agenten in Düsseldorf dürfte Lesieur darüber informiert gewesen sein.
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Anfang Februar 1613 meldete er nach London, dass er mit Nicolas de Baugy nun vertrauter sei, offener kommunizieren könne und ihm deshalb eine Kopie seiner Proposition an den Kaiser gezeigt habe, die der Franzose „liked sowell that he would subscribe yt if neede were“.¹²⁶ Tatsächlich verstellte sich Baugy gekonnt, machte nicht öffentlich, dass er Lesieurs Vorgehen verurteilte, und wartete auf Anweisungen aus Paris.¹²⁷ Marie de Medici jedoch nahm sich Zeit und ließ erst Mitte März 1613 von Villeroy gegenüber einem päpstlichen Nuntius glaubhaft erklären, dass sie nicht Mitglied der Union sei. ¹²⁸ Lesieurs Zeitspiel ging somit auf. In Wien herrschte nicht vor Anfang April und somit erst dann Klarheit über die französische Politik, als der Reichstag eigentlich eröffnet werden sollte. Da der Kaiser allerdings nicht pünktlich aus Siebenbürgen zurückkehren konnte – oder nicht wollte –, musste die Eröffnung auf den Juni verschoben werden.¹²⁹ Welche konkreten diplomatischen Reaktionen und Konsequenzen folgten, sobald die Falschinformation aufgedeckt worden war, konnte Lesieur ähnlich schwer abschätzen. Fraglos gehörte das (Dis‐)Simulieren zum etablierten Repertoire der Diplomatie. Allerdings wurde im 16. Jahrhundert intensiv diskutiert, in welchem Maße sich die Politik dieser Mittel bedienen dürfe. Gelehrte wie Niccolò Machiavelli votierten zum Beispiel für den Einsatz von gezieltem „Lügen angesichts drohender Gewalt“, während um 1600 andere Autoren – auch englische wie Francis Bacon – Abstufungen definierten, um aktives Heucheln bzw. Lügen nachdrücklich als verachtenswert zu verpönen.¹³⁰ Jean Hotman diskutierte das dienstbeflissentliche Lügen dagegen zur gleichen Zeit
Lesieur an Jakob I., Wien, 27.01/06.02.1612/13, in: TNA, SP 80/2, fol. 248. Baugy soll Lesieur zudem versprochen haben, das Königshaus davon in Kenntnis zu setzen. Vgl. Nicolas de Baugy an Pierre Puysieulx, Wien, 23.01.1613, in: BuA XI, S. 37– 40; Nicolas de Baugy an Pierre Puysieulx, Wien, 20.02.1613, in: BuA XI, S. 93 – 95. Am 18. März wurden die Erkenntnisse von Efferen aus Paris an Khlesl losgeschickt. Es ist davon auszugehen, dass dieser Brief Ende März 1613 in Wien ankam. Vgl. Kurfürst von Mainz an Melchior Khlesl, in: BuA IX, S. 230 – 232, bes. S. 231; ähnlich BuA XI, S. 40, Anm. 1. Vgl. Am 3. Mai 1613 schrieb Lesieur nach London, dass der Reichstag nicht pünktlich eröffnet werde, da der Kaiser wieder an Gicht leide.Wenig später meldete er, dass der „Emperor maketh no hast to the Imperial Dyet, partly in respect of his Goute, and (as some interpret) of appearance that the Turk wilbe quiet this yeare.“ Vgl. Stephen Lesieur an Jakob I., Leipzig, 03./13.05.1613, in: TNA 80/2, fol. 284– 287, bes. fol. 286; ders. an dens., Berlin, 18./28.05.1613, in: TNA 80/2, fol. 290 – 292, Zitat fol. 290v. Wolfgang Behringer: Art. Lüge, in: EdN, Bd. 7 (2008), Sp. 1031– 1034, Zitat Sp.1033; Fedele, Naissance de la diplomatie, bes. S. 726 – 741; Vincenzo Lavenia: „Mendacium officiosum“. Alberico Gentili’s Ways of Lying, in: Miriam Eliav-Feldon/Tamar Herzig (Hrsg.), Dissimulation and Deceit in Early Modern Europe. Basingstoke 2015, S. 27– 44; Stolleis, Löwe und Fuchs.
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unaufgeregt als Teil der Gesandtenarbeit.¹³¹ Die Debatte hatte eine lange Tradition. Angesichts des christlich-moralischen Gebotes der Ehrlichkeit hatten schon mittelalterliche Gelehrte versucht, zwischen Verstellung und Lüge zu unterscheiden, um Letztere zu verdammen und Erstere „für bedingt erlaubt“ zu erklären, sofern sie „dazu diene, den wahren Glauben zu erhalten, zu propagieren und seine Anhänger vor Verfolgung zu bewahren“.¹³² Die fließenden Grenzen zwischen Verstellen, Täuschen und Lügen erklären, weshalb es keine konkreten Erwartungen gab, wie mit einem Lügner verfahren werden würde, der sich im Namen des Friedens aggressiv in Konflikte Dritter einmischte. Lesieur begriff diesen Spielraum als Chance, nicht als Risiko. Als Gesandter eines mit dem Kaiser befreundeten, wenn auch nicht verbündeten Königs wähnte er sich sicher. Allein sein Dienstherr konnte ihn zur Rechenschaft ziehen.¹³³ Das gab er scharf zu verstehen, als er vom kaiserlichen Vizekanzler, Hans Ludwig von Ulm, Mitte September 1613 „in dutch“ mit dem Vorwurf konfrontiert wurde, den Kaiser belogen und bedroht zu haben: Der Kaiser „dislikes“ Lesieur, weil er „in a menating sence“ behauptet habe, „that the French king and Queene are in the Union w[it]h the Protestant Princes of Germanie wh[ich] upon examination appeareth not to be“.¹³⁴ Leiseur stritt das offenbar nicht ab, sondern verteidigte sich, seine Proposition mit „good authority“ des englisches Königs entworfen zu haben. Er unterstrich zudem, dass seine Vorschläge keineswegs als Bedrohung des Kaisers gedacht gewesen seien, sondern „to maintain his authoritie and the publique peace“. Seine Worte in der Proposition ließen sich seiner Ansicht nach keineswegs in „a Mennacing sence“ interpretieren.¹³⁵ Scheinbar entrüstet darüber, dass seine Friedensbemühungen schmählich missinterpretiert wurden, ging Lesieur zum Gegenangriff über, kehrte die Schuld um und empörte sich eindringlich über die sozial-zeremoniellen Restriktionen, die der Kaiser eingeleitet hatte, um den englischen Einfluss im Umfeld des Reichstages zu beschränken. Matthias I. hatte zunächst ein Mandat
Vgl. dazu auch Fedele, Naissance de la diplomatie, bes. S. 733 – 736. Walther,Verstellung, Sp. 237. Ähnlich Danneberg. Aufrichtigkeit; Kugeler, Ehrenhafte Spione. Vgl. Stephen Lesieur an Jakob I., Regensburg, 17./27.09.1613, in: TNA SP 80/3, fol. 39r–42v. Stephen Lesieur an Jakob I., Regensburg, 17./27.09.1613, in: TNA SP 80/3, fol. 39r–42v, hier fol. 39r. Ebd., hier fol. 40r. Auch das war ein Affront, da es voraussetzte, dass Matthias I. zur Regelung seiner Angelegenheiten der Ratschläge des englischen Königs bedurfte. Lesieur legitimierte seine Empfehlungen mit dem väterlichen Schutz für die bald in der Pfalz lebende englische Prinzessin Elizabeth Stuart. Vgl. Stephen Lesieur an Jakob I., Wien, 06./16.01.1612/13, in: TNA, SP 80/2, fol. 228 – 236 (Anlagen), hier fol. 229v.
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erlassen, das Lesieur den Zutritt zur Tagungsstadt Regensburg verbot; der englische König könne stattdessen gern einen anderen Gesandten schicken.¹³⁶ Begründet wurde dies mit dem nicht akzeptablen Verhalten des englischen Gesandten. Später stellte sich heraus, dass ihm neben der Lüge vier weitere Punkte zur Last gelegt wurden. So stand unter anderem der Vorwurf im Raum, Lesieur wolle dem Kaiser vorschreiben, wie er noch im Recht anhängige Streitigkeiten zu entscheiden habe, und dass Lesieur unerlaubt Konventikel in Wien veranstaltet habe.¹³⁷ Die Vorwürfe zielten alle auf Lesieur als Person, nicht auf den englischen König. Der Kaiser differenzierte demnach klar zwischen beiden Akteuren, um die übergriffige Einmischung Englands abzuwehren, ohne jedoch Jakob I. direkt anzugreifen. Diplomatische Kommunikation war so weiterhin möglich. Lesieur sah aber offensichtlich keine Notwendigkeit, sein Amt und Ansehen zur Besänftigung des Kaisers zu opfern, und sagte deutlich, dass die Proposition nicht in „myne owne head, but by speciall charge“¹³⁸ des englischen Königs entstanden sei. Überzeugt von der Rückdeckung Jakobs I. war es Lesieur wohl leicht gefallen, das Stadtzutrittsverbot zu ignorieren, nach Regensburg zu reisen, sich dort niederzulassen und sich letztlich mit großem Pathos darüber zu entrüsten, dass der Kaiser ihm dort über sechs Wochen keine weitere Audienz gewährt und damit die erbetene Antwort auf seine Proposition verweigert habe.¹³⁹ Aus zeremonieller Sicht war dies ein großer Affront, da Matthias I. in der Zwischenzeit Gesandte von Fürsten empfing, die im Rang unter England rangierten.¹⁴⁰ Zur Begrenzung des englischen Einflusses und zum Schutz vor der Verbreitung neuer, verunsichernder Falschinformationen Lesieurs war dies gleichwohl ein wirkungsvolles Mittel. Denn das Zeremoniell erwartete, dass ein ausländischer Gesandter erst dann am gesellschaftlichen Leben im Umfeld des Reichstages teilnahm, wenn ihn der Kaiser zu einer Audienz empfangen hatte.¹⁴¹
In London traf das auf den 2. April 1613 datierte Mandat, dessen Existenz Lesieur lange anzweifelte, tatsächlich ein.Vgl. Matthias I. an Jakob I, o. O., 02.04.1613, fol. 270. Dazu auch Elmer Adolph Beller: The Negotiations of Sir Stephen Le Sieur, in: The English Historical Review 40 (1925), S. 22– 33, hier S. 31. Vgl. Stephen Lesieur an Jakob I., Regensburg, 17./27.09.1613, in: TNA SP 80/3, fol. 39r–v. Ebd., fol. 40r. In der Zwischenzeit übte der Kaiser Druck auf die Reichsstädte aus. Vgl. Rudolph, Auf dem Weg, S. 93. Vgl. Stephen Lesieur an Jakob I., Regensburg, 17./27.09.1613, in: TNA SP 80/3, fol. 39v. Vgl. Chroust, Abraham von Dohna, S. 283.
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5 Fazit und Ausblick Das Agieren von Stephen Lesieur gegenüber Kaiser Matthias I. unmittelbar vor dem Reichstag 1613 legt beispielhaft offen, aus welchen Gründen sich Gesandte für den Einsatz von Falschinformationen entschieden und in welcher politischen Konstellation dieses strategische Instrument wirksam werden konnte: Lesieur nutzte sie als Vehikel für eine indirekt formulierte Drohung, mit der drei zentrale negative Grundemotionen provoziert werden sollten: Ungewissheit, Misstrauen und Angst. Die mit Bedacht vor Matthias I. performativ platzierte Behauptung, dass England und Frankreich in die protestantische Union eingetreten seien, zielte direkt auf den als schwach wahrgenommenen Kaiser. Er sollte über die europäischen Bündnisverhältnisse tief verunsichert, zum Misstrauen gegenüber Frankreich veranlasst und letztlich durch die Vorstellung einer schlagkräftigen und eingreifwilligen protestantischen Internationalen eingeschüchtert werden. Ziel war es, den kaiserlichen Friedenswillen herauszufordern und Matthias I. zu Zugeständnissen gegenüber den Protestanten auf dem anstehenden Reichstag zu bewegen. Diese diplomatische Strategie setzte darauf, dass Emotionen – ausgelöst durch ein imaginäres Ereignis – den Kaiser zum Handeln motivierten.¹⁴² Entscheidend dafür war, dass die falsche Behauptung glaubhaft war. Drei Faktoren schufen ideale Bedingungen: Zum ersten rekurrierte die Falschinformation auf etwas, das es in der Vergangenheit schon einmal in ähnlicher Form gegeben hatte. Frankreich, England und die Union hatten sich kaum drei Jahre zuvor zusammengefunden und kaiserliche Truppen aus Jülicher Landen vertrieben. Zum zweiten gab es zahlreiche überzeugende Anhaltspunkte, dass sich dies wiederholen könnte. England hatte erst wenige Monate zuvor eine Defensivallianz mit einigen Unionsfürsten geschlossen. Zwar war der Zusammenschluss mit der gesamten Union an dem Widerstand der Unionsstädte gescheitert, die Unionsfürsten arbeiteten jedoch mit Nachdruck daran, die Städte vom Wert internationaler Mitglieder zu überzeugen und andere Mächte zu gewinnen. Zum dritten bestand durch die schnell wechselnde und durch Gerüchte aufgeheizte politische Stimmung in Europa bereits ein Zustand allgemeiner Ungewissheit über den Beziehungsstatus nicht vertraglich miteinander ver-
Vgl. z. B. Philip G. Zimbardo/Richard J. Gerrig: Psychologie. Bearb. und hrsg. von Siegfried Hoppe-Graff. 7., neu übers. und bearb. Aufl. Berlin u. a. 2003, S. 367; Klaus Rothermund/Andreas B. Eder: Emotion und Handeln, in: Veronika Brandstätter, Jürgen H. Otto (Hrsg.), Handbuch der Allgemeinen Psychologie. Motivation und Emotion. Göttingen 2009, S. 675 – 686, bes. S. 681.
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bündeter politischer Akteure. Alle drei Faktoren zusammen boten den idealen Nährboden für Glaubhaftigkeit. Die falsche Behauptung konnte indes nur dann zu einem wirkungsvollen Instrument werden, wenn sie als solche nicht sofort bloßgestellt werden konnte. Sie brauchte Einwirkzeit, um tiefgehende Effekte zu erzielen. Lesieur konnte hier auf die undurchsichtige Informationspolitik der Franzosen zählen, welche die bestehende Ungewissheit über internationale Bündnisse manifestierte. Die von französischer Seite gegenüber dem kaiserlichen Gesandten eingeforderte Geheimdiplomatie verstärkte zunächst sogar das Misstrauen, wie die Reaktion des Mainzer Kurfürsten zeigt. Mit Ehrlichkeit hätte Lesieur dies kaum erreichen können. Für diesen Erfolg war er allerdings unverkennbar auf die Mitwirkung anderer Akteure angewiesen, deren Reaktionen er zwar abschätzen, aber kaum steuern konnte. Die Wirksamkeit einer politisch eingesetzten Falschinformation war in der Regel jedoch zeitlich beschränkt. Zwar gab es die Option, dass sie nie bloßgestellt oder nachträglich verifiziert werden würde. Dieses Hoffen auf die Zukunft war im Falle Lesieurs jedoch nicht das Ziel, sondern nur ein willkommenes surplus. Er nutzte die Lüge vielmehr als ein Instrument, um emotional gesteuerte Politik zu betreiben, die sich im Falle eines ungewollten aggressiven Gegenschlags wieder entschärfen ließ. Im Gegensatz zu einer direkt und unverhohlen ausgesprochenen Drohung konnte der Gesandte durch die wertvolle Option, die Falschinformation selbst aufdecken und als individuellen Fehler entschuldigen zu können, Kontrolle über den Grad der emotionalen Reaktion auf die transportierte Drohung behalten. Für das Ziel Englands, die Rechte der Protestanten durchzusetzen, aber zugleich Frieden im Reich zu wahren, war dies unverzichtbar. Es sollte kein Krieg entfacht, wohl aber der Kaiser eingeschüchtert und durch die imaginierte Bedrohung unter Druck gesetzt werden. Lügen im Namen des Friedens musste Lesieur daher geradezu ideal erschienen sein – zumal die Konstellation 1613 geringe Risiken und kaum unerwünschte Konsequenzen versprach. Lesieurs langjähriges Wirken als englischer Gesandter legt nahe, dass der Einsatz von Falschinformationen und auch das damit verbundene Bedrohen kein Einzelfall waren. Schon 1610 hatte er im Streit um die Handelsprivilegien zwischen England und der Hanse das strategische Platzieren von Unwahrheiten als Mittel genutzt, um am Kaiserhof gezielt Misstrauen zu säen.¹⁴³ Und auch das Vgl. Österreichisches Staatsarchiv, Abteilung Haus-, Hof- und Staatsarchiv, RHR Judicialia Antiqua 27 bis 29; Richard Ehrenberg: Hamburg und England im Zeitalter der Königin Elisabeth. Jena 1896, bes. S. 224– 226 et passim; Ludwig Beutin: Hanse und Reich im handelspolitischen Endkampf gegen England. Berlin 1929, bes. S. 64 f.
Lügen im Namen des Friedens
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Einschüchtern scheint bereits als diplomatisches Instrument erprobt gewesen zu sein. So soll Lesieur während seiner Tätigkeit als Gesandter in Florenz 1608/9 den Großherzog der Toskana bedroht haben, was letztlich sogar zu seinem Abzug aus Florenz geführt haben soll.¹⁴⁴ In weiteren Forschungen gilt es nun zu eruieren, inwieweit die Lüge bzw. officiosum mendacium, insbesondere als strategisches Instrument emotionsbasierter Politikführung, zum etablierten Repertoire Lesieurs oder der englischen Diplomatie gehörte und damit als diplomatisches Handlungsmuster bzw. als Praktik im Sinne eines „typisierte[n], routinierte[n] und sozial verstehbare[n] Bündel[s] an Aktivitäten“ gelten kann.¹⁴⁵
Vgl. Brennan C. Pursell: Lesieur, Stephen (d. 1630x38), in: Oxford Dictionary of National Biography, Bd. 33 (2004), S. 415 f. Andreas Reckwitz: Unscharfe Grenzen. Perspektiven der Kultursoziologie. Bielefeld 2008, S. 97– 130, Zitat S. 112. Reckwitz bezieht sich auf Schatzki; dieser spricht von „organized nexuses of actions […] comprise regular, occasional, rare, and novel doings/sayings, tasks and projects“. Vgl. Theodore R. Schatzki: The Site of the Social. A Philosophical Account of the Constitution of Social Life and Change. University Park 2002, S. 70 – 122, Zitat S. 74. Für den praxeologischen Ansatz in Außenbeziehungen siehe Cornelia Ulbert: Konstruktivismus als IB-Theorie, in: Wichard Woyke/Johannes Varwick (Hrsg): Handwörterbuch Internationale Politik, 13. Aufl. Opladen 2015, S. 252– 258, bes. S. 256. Auch in der Geschichtswissenschaft wird dieser Zugang aufgegriffen, vgl. z. B. Arndt Brendecke (Hrsg.), Praktiken der Frühen Neuzeit. Akteure – Handlungen – Artefakte. Köln u. a. 2015.
Astrid Ackermann
Strategien für den Krieg Das diplomatische Netzwerk Herzog Bernhards von Weimar Herzog Bernhard von Weimar (1604‒1639) gehörte zu den einflussreichsten Militärunternehmern des Dreißigjährigen Krieges.¹ Als solcher war er auch politisch und diplomatisch aktiv.² Er verhandelte mit anderen Fürsten und hochrangigen Politikern, mit dem dänischen König Christian IV., mit König Gustav II. Adolf von Schweden wie dem schwedischen Reichskanzler Axel Oxenstierna, mit Ludwig XIII. von Frankreich und mit Kardinal Richelieu. Darüber hinaus beauftragte er Mitarbeiter und Parteigänger mit diplomatischen Missionen. Sie führten Verhandlungen, unterbreiteten Angebote und Forderungen, sondierten die Lage. Diese Beauftragungen erfolgten nicht langfristig, sondern ad hoc und situationsbezogen. Mit dem schwedischen Botschafter Hugo Grotius und einigen anderen wurden überdies Diplomaten für ihn tätig, die im Dienst anderer Kriegsparteien standen. Bernhard hatte als jüngster von elf Söhnen Herzog Johanns III. von SachsenWeimar, auch wenn das Herzogtum keine Primogeniturregelung kannte, wenig Chancen auf eine nennenswerte Regierungsbeteiligung. Er führte Krieg für territorialen und finanziellen Gewinn, militärischen Ruhm,³ für eine Stärkung der protestantischen Position im Reich und dessen nichtmonarchische Regierung. Bernhard verstand sich als Reichsfürst und betonte seine Herkunft aus einem ehemals kurfürstlichen Haus; der „gewesene“ Kurfürst Johann Friedrich d. Ä. war sein Urgroßvater.⁴ Von der Position eines Souveräns war er gleichwohl weit ent-
Zum Herzog Gustav Droysen: Bernhard von Weimar. 2 Bde. Leipzig 1885; Bernhard Röse: Herzog Bernhard der Große von Sachsen-Weimar. 2 Bde. Weimar 1828; Astrid Ackermann: Herzog Bernhard von Weimar (1604‒1639). Chancen einer europäischen Karriere im Krieg. Habilitationsschrift Friedrich-Schiller-Universität Jena 2017 (Publikation in Vorbereitung). Zum Zusammenhang von Krieg und Diplomatie: Anuschka Tischer: Art. Diplomatie, in: Enzyklopädie der Neuzeit (künftig: EdN), Bd. 2 (2005), Sp. 1027– 1041. Zum fürstlichen Streben nach Kriegsruhm Martin Wrede: Ludwig XIV. Der Kriegsherr aus Versailles. Biographie. Darmstadt 2015, S. 55 f.; Stephan Skalweit: Das Herrscherbild des 17. Jahrhunderts, in: Walter Hubatsch (Hrsg.), Absolutismus. 2. Aufl. Darmstadt 1988, S. 248‒267, hier S. 256 f.; Roland Mousnier: La Monarchie absolue en Europe. Du Ve Siècle à nos Jours. Paris 1982, S. 145. Vgl. auch Siegrid Westphal: Das dynastische Selbstverständnis der Ernestiner im Spiegel ihrer Hausverträge, in: Werner Greiling u. a. (Hrsg.), Die Ernestiner. Politik, Kultur und gesellschaftlicher Wandel. Köln/Weimar/Wien 2016, S. 33‒54. https://doi.org/10.1515/9783110625431-008
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Abb. 6: Bernhard Herzog zu Sachsen-Weimar (Kupferstichportrait, vor 1668)
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fernt⁵ und eine Landesherrschaft hat er nur sehr partiell auszuüben vermocht – von 1633 an war er für rund ein Jahr ein von Oxenstierna eingesetzter Herzog von Franken. Die Schlacht von Nördlingen beendete dieses Zwischenspiel; im Elsass suchte er sich später ein eigenes Herzogtum aufzubauen.⁶ Er changierte zwischen verschiedenen politischen Bündnisoptionen und nutzte vielfältige politische Verbindungen. Die Position zwischen den Großmächten, nach dem Prager Frieden auch gegen die eigene Dynastie, verlangte eine Politik des Lavierens. Die Forschung richtet seit längerem ihr Augenmerk auf die diplomatischen Akteure. Neben adligen Botschaftern, die für Fürsten in hochrangigen Funktionen tätig waren, blickt sie auch auf das weitere Gesandtschaftspersonal, ebenso sind diplomatische Aktivitäten von Handelsleuten untersucht worden.⁷ Dabei dominieren ein akteurszentrierter Ansatz⁸ und die Integration kulturgeschichtlicher Fragestellungen.⁹ Zugleich wird die frühneuzeitliche Diplomatie als „kollektive Praxis“ verstanden.¹⁰ Die im diplomatischen Feld tätigen „agents“ waren, wie sich
An der Souveräntitätsfrage aber sei das Recht, Gesandte zu „entsenden und empfangen“, zunehmend festgemacht worden: André Krischer: Das Gesandtschaftswesen und das moderne Völkerrecht, in: Michael Jucker/Martin Kintzinger/Rainer Ch. Schwinges (Hrsg.), Rechtsformen internationaler Politik. Theorie, Norm und Praxis vom 12. bis 18. Jahrhundert. Berlin 2011, S. 197‒ 239, hier S. 198. Das reichsständische Recht, Diplomatie zu betreiben, bestätigte der Westfälische Frieden: Tischer, Diplomatie. Von einer Außenpolitik im engeren Sinne kann in seinem Fall also nicht gesprochen werden. Zu Vertretern der Handelskompanien Christina Brauner: Kompanien, Könige und caboceers. Interkulturelle Diplomatie an Gold- und Sklavenküste im 17. und 18. Jahrhundert. Köln u. a. 2015. Vgl. Hillard von Thiessen/Christian Windler (Hrsg.): Akteure der Außenbeziehungen. Netzwerke und Interkulturalität im historischen Wandel. Köln/Weimar/Wien 2010. Zur Entwicklung der Diplomatiegeschichte: Tracey A. Sowerby: Early Modern Diplomatic History, in: History Compass 14/9 (2016), S. 441– 456; Hillard von Thiessen: Geschichte der Außenbeziehungen/Neue Diplomatiegeschichte, in: Susan Richter/Michael Roth/Sebastian Meurer (Hrsg.), Konstruktionen Europas in der Frühen Neuzeit. Geographische und historische Imaginationen. Heidelberg 2011, S. 315 – 323; Sven Externbrink: Internationale Politik in der Frühen Neuzeit. Stand und Perspektiven der Forschung zu Diplomatie und Staatensystem, in: Hans-Christof Kraus/Thomas Nicklas (Hrsg.), Geschichte der Politik. Alte und Neue Wege. München 2007, S. 15 – 39, hier S. 19. Vgl. Guido Braun: Einleitung, in: ders. (Hrsg.), Diplomatische Wissenskulturen der Frühen Neuzeit. Erfahrungsräume und Orte der Wissesproduktion. Berlin/Boston 2018, S.VII–XLI, hier S. X–XII. Sophie Große: Tagungsbericht über: Das Gesandtschaftspersonal in den frühneuzeitlichen Außenbeziehungen/Non-Ambassadorial Agents in Early Modern Diplomacy. 6./7.9. 2018 Vechta, in: H-Soz-Kult, 23. 2. 2019, www.hsozkult.de/index.php/conferencereport/id/tagungsberichte8129 (abgerufen am 22.11. 2019).
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gezeigt hat, Makler in vielfacher, nicht selten auch kultureller Hinsicht,¹¹ die differierende Dienste ausfüllten. Hier kann von Rollen gesprochen werden.¹² In zeitgenössischer Sicht erschienen ihre Aufgaben aber keineswegs als divergierende Tätigkeiten. Für ihre komplexen Aufgabenfelder waren diese Agenten so oder so auf Korrespondenz- und Beziehungsnetze angewiesen.¹³ Die Einbeziehung der „convergence of cultural, political and intellectual mediation in one figure“¹⁴ führt aber gerade für die Zeit vor 1648, in der diplomatische Aufgabenfelder, Funktionsbezeichnungen und Hierarchien noch in besonderer Weise fluide waren, nicht nur zu einer Erweiterung des Blickfeldes, sondern auch zu der Frage, wer eigentlich ein diplomatischer Akteur war und was ihn auszeichnete.¹⁵ Im Folgenden geht es um das diplomatische Handeln eines Militärunternehmers, seine personalen Netzwerke und seine Strategien. Dazu werden exemplarisch zentrale Akteure aus dem Umfeld des Herzogs beleuchtet – Tobias von Ponickau, Bernhard Schaffalitzky von Muckendell, Joachim von Wicquefort, Hans Ludwig von Erlach sowie Hugo Grotius, der zu den Fürsprechern des Herzogs zählte. Zeitlich liegt der Schwerpunkt auf der Zeit nach 1635, als dieser mit seinem französischen Bündnis zunehmend größere Eigenständigkeit gewann.¹⁶ Zur Frage, wie der „Apparat“ Bernhards funktionierte, gehören der Blick auf die Beziehungsnetze seiner Unterhändler und die Rolle von Mehrfachloyalitäten. Diplomatische Tätigkeiten sind bei verschiedenen führenden Feldherren bekannt,¹⁷ sie sind aber insbesondere im Fall Wallensteins untersucht worden. „Von
Bspw. Marika Keblusek: Introduction. Double Agents in Early Modern Europe, in: dies./Badeloch Vera Noldus (Hrsg.), Double Agents. Cultural and Political Brokerage in Early Modern Europe. Leiden/Boston 2011, S. 1– 10, hier S. 7. Hillard von Thiessen: Diplomatie vom „type ancien“. Überlegungen zu einem Idealtypus des frühneuzeitlichen Gesandtschaftswesens, in: ders./Windler (Hrsg.), Akteure, S. 471– 503, hier S. 476. Vgl. zur Verbindung von Außen- und Innenpolitik durch personale Netzwerke Wolfgang Reinhard: Außenverflechtung in konzentrischen Zonen: Rom 1605 – 1607 – Erfolg und Misserfolg, in: Thiessen/Windler (Hrsg.), Akteure, S. 15 – 30. Keblusek, Introduction. Double Agents, S. 6; vgl. dies.: Introduction. Profiling the Early Modern Agent, in: dies./Hans Cools/Badeloch Noldus (Hrsg.), Your Humble Servant. Agents in Early Modern Europe. Hilversum 2006, S. 9 – 15, v. a. S. 4 u. 13. Vgl. Thiessen, Diplomatie, S. 476 u. 482; Dorothée Goetze/Birgit Tremml-Werner: A Multitude of Actors in Early Modern Diplomacy, in: Journal of Early Modern History 23/5 (2019), Special Issue: dies. (Hrsg.): A Multitude of Actors in Early Modern Diplomacy, S. 407– 422. Zuvor hatte Bernhard v. a. in Diensten Christians IV. von Dänemark und Schwedens gestanden. So wurde der habsburgische Feldherr Charles Bonaventure de Longueval, Comte de Bucquoy, für Spanien diplomatisch tätig: Jörg-Peter Findeisen: Der Dreißigjährige Krieg. Eine Epoche in
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jeher ein politisch denkender Heerführer“, arbeitete er mit diversen Mittelsleuten und betrieb zeitweise „Friedenslobbying“ am Kaiserhof.¹⁸ Da Herrschaft und der Zugang zu Herrschern nicht zuletzt auf persönlichen Kontakten basierten, waren für Militärführer personale Netzwerke und Patronagebeziehungen erforderlich. Bernhard nannte Oxenstierna seinen „Patron“.¹⁹ Ebenso prägten Klientelbeziehungen die einzelnen Armeen und die Karrierechancen von Offizieren;²⁰ es ist auch die wichtige Rolle von Soldunternehmern in der Politik und in der informellen Diplomatie aufgezeigt worden.²¹ Mit dem Herzog von Weimar geht es um einen Akteur, der weder eindeutig einer staatlichen noch einer privaten Sphäre zuzuordnen ist. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts, in der sich die Erwartungen an diplomatische Gepflogenheiten erst noch verfestigten und „die diplomatischen Strukturen […] oft überraschend unprofessionell“ waren,²² boten sich Akteuren wie ihm Spielräume, die
Lebensbildern. Graz 1998, S. 170; für Wien war wiederholt Raimund Fürst Montecuccoli tätig: ebd., S. 460. Robert Rebitsch: Wallenstein. Biografie eines Machtmenschen. Wien/Köln/Weimar 2010, S. 177, 188. Einen „Staat im Staate“ wie Wallenstein konnte Bernhard freilich nicht errichten, vgl. Christoph Kampmann: Zweiter Mann im Staat oder Staat im Staat? Zur Stellung Wallensteins in der Administration Kaiser Ferdinands II., in: Michael Kaiser/Andreas Pečar (Hrsg.), Der zweite Mann im Staat. Oberste Amtsträger und Favoriten im Umkreis der Reichsfürsten in der Frühen Neuzeit. Berlin 2003, S. 295 – 315, hier S. 311 f.; Hellmut Diwald: Wallenstein. Biographie. Frankfurt a. M./ Berlin 1987, S. 377 ff. Bspw. Bernhard von Weimar an Axel Oxenstierna, Verdun, 17./27.01.1636, in: Briefe des Herzogs Bernhard von Weimar und des Landgrafen Wilhelm V. von Hessen an den Reichskanzler Axel Oxenstjerna. Stockholm 1895, S. 306 f. (Nr. 209). Michael Kaiser: Jan von Werth zwischen Wittelsbach und Habsburg. Kriegsunternehmertum und Patronage im Dreißigjährigen Krieg, in: Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte 75/1 (2012), S. 135 – 166, hier S. 137 u. 159. André Holenstein: Militärunternehmer, gelehrte Geistliche und Fürstendiener. Karriereemigranten als Akteure der Aussenbeziehungen im Corpus Helveticum der frühen Neuzeit, in: Philippe Rogger/Nadir Weber (Hrsg.), Beobachten, Vernetzen, Verhandeln. Observer, connecter, négocier: Diplomatische Akteure und politische Kulturen in der frühneuzeitlichen Eidgenossenschaft. Basel 2018, S. 154– 164; Kaspar von Greyerz/André Holenstein/Andreas Würgler (Hrsg.): Soldgeschäfte, Klientelismus, Korrpution in der Frühen Neuzeit. Zum Soldunternehmertum der Familie Zurlauben im schweizerischen und europäischen Kontext. Göttingen 2018. Anuschka Tischer: Verwandtschaft als Faktor französischer Außenpolitik. Auswirkungen und Grenzen dynastischer Politik im 17. Jahrhundert, in: Dorothea Nolde/Claudia Opitz (Hrsg.), Grenzüberschreitende Familienbeziehungen. Akteure und Medien des Kulturtransfers in der Frühen Neuzeit, Köln/Weimar/Wien 2008, S. 39 – 53, hier S. 39. Auch der Kaiserhof unterhielt mit Madrid lediglich eine ordentliche Botschaft: Ulrich Nagel: Dynastische Verknüpfung als Privileg? Innerhabsburgische Beziehungen zum Beginn des Dreißigjährigen Krieges im Spiegel der Botschafter, in: Braun (Hrsg.), Diplomatische Wissenskulturen, S. 18 – 35, hier S. 18 u. 22.
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sich wenig später schließen sollten.²³ Dies hat eine Entsprechung und Grundierung auf politischem Gebiet, in der Offenheit der Staatswerdung und des Reichssystems.²⁴ Für Bernhard, aber auch für seine Zeitgenossen, erschienen ein Ausbau des ernestinischen Machtbereichs durch den Krieg und der Aufstieg eines nachgeborenen Fürsten zum Landesherrn eines bisher nicht im Besitz der Dynastie befindlichen Territoriums möglich. Bernhards Unterhändler und Diplomaten, die sich für seine Anliegen verwendeten, sind in ihrer Rolle als Profiteure des Krieges zu verstehen. Zumindest konnten sie hoffen, von ihm und von einem Kriegs- und potentiellen Landesherrn Bernhard zu profitieren. Das gilt für Militärs der weimarischen Armee und die Mitglieder des Bernhard’schen Hofstaats wie nicht in diese Strukturen eingebundene Protagonisten. Letztlich ermöglichten auch Akteure wie Wicquefort und Grotius diesen Krieg und seine lange Dauer.
1 Diplomatie und Dynastie In den frühen Jahren seiner militärischen Tätigkeit, zu den Zeiten seiner Dienste für die dänische und die schwedische Krone, hielt Bernhard enge Beziehungen zu seinen Brüdern in Weimar. Nach seinen Verträgen von Saint-Germain mit Frankreich im Oktober 1635²⁵ brachen diese ab. Damit fehlte ihm der politische Rückhalt durch die Herkunftsdynastie, der prinzipiell einen zentralen Stellenwert im Rahmen diplomatischer Beziehungen einnahm.²⁶ Geschuldet war dies den un Vgl. auch Anuschka Tischer: Art. Botschafter, in: EdN, Bd. 2 (2005), Sp. 367– 370. Zum Dreißigjährigen Krieg „als Ringen um eine neue politische und religiöse Ordnung“ Georg Schmidt: Die Reiter der Apokalypse. Geschichte des Dreißigjährigen Krieges. München 2018, Zitat S. 25. Vgl. Traicté entre le Roy Tres Chrestien et le Duc de Weymar, 27.10.1635 (Abschrift), Bibliothèque nationale de France (künftig: BnF), Manuscrits français, Nr. 2881, Bl. 11r–12v; ebenso in: Röse, Herzog Bernhard, Bd. 2, S. 469 – 473. Der Geheimvertrag: Articles secrets du 27. Octobre 1635 (Abschrift), BnF, Manuscrits français, Nr. 2881, Bl. 12v–13r; ebenso in: Röse, Herzog Bernhard, Bd. 2, S. 474– 476. Vgl. auch Traktat zwischen König Ludwig dem XIII. [sic] in Frankreich und Herzog Bernhard zu Sachsen-Weimar, www.ieg-friedensvertraege.de (abgerufen am 20.11. 2019); Articles secrets entre le Roi Louis XIII. & le Duc de Weimar, Saint Germain en Laye, 27.10.1635, ebd.; Vertrag und Geheimvertrag zwischen Herzog Bernhard von Weimar und dem König von Frankreich, 27.10.1635, in: August von Gonzenbach: Der General Hans Ludwig von Erlach von Castelen. Ein Lebens- und Charakterbild aus den Zeiten des dreissigjährigen Kriegs. 3 Bde. Bern 1880 – 1882, hier Bd. 1, S. 220 – 227. Vgl. z. B. Tischer, Verwandtschaft; Katrin Keller: Frauen und dynastische Herrschaft. Eine Einführung, in: dies./Bettina Braun/Matthias Schnettger (Hrsg.), Nur die Frau des Kaisers? Kaiserinnen in der Frühen Neuzeit. Wien 2016, S. 13 – 26, hier S. 22.
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terschiedlichen politischen Richtungsentscheidungen des Herzogs und seiner Brüder, die sich dem Frieden von Prag anschlossen. Damit endete eine Politik gegen den Kaiser als kleinster gemeinsamer Nenner, der wiederholt innerhäusliche Differenzen und Auseinandersetzungen überwölbt hatte.²⁷ Der Herzog war nicht mehr in die Diplomatie Weimars eingebunden, sondern bildete aus Weimarer Sicht sogar einen (potentiellen) Störfaktor.²⁸ Für den Herzog wurden Offiziere, Militärunternehmer, Mitglieder seiner Kanzlei wie seines Hofstaates und Kaufleute in diplomatischen Aufgaben tätig; es handelte sich somit um Amtsträger als auch um Angehörige informaler Netzwerke. Viele stammten aus dem Adel.²⁹ Einen festen Stab von Mitarbeitern für „Außenbeziehungen“ gab es nicht, der Herzog ordnete sie fallweise ab.³⁰ Hier wird jedoch von Diplomatie gesprochen, sofern ihre Aufgaben über eine bloße Kontaktpflege im höfisch-adeligen Bereich oder militärische Berichterstattung hinausgingen und sie als herzogliche Vertreter zu politischen Verhandlungen beitrugen. Sie können in ihrer Mehrheit als Agenten verstanden werden, da sie „mit bestimmten Verhandlungsgegenständen betraut“ waren,³¹ vielfach wickelten sie daneben Geschäfte für den Herzog ab.³² Ihr Einsatz gründete auf persönlichen Loyalitäten – ein Charakteristikum zeitgenössischer Politik.³³ Ferner war er davon bestimmt, wer gerade abkömmlich war. Die Bernhard’schen Unterhändler unterschieden sich in ihrer Beziehung zu ihm, ihrer geographisch-nationalen Herkunft und darin, zu welchen Adressaten sie entsandt wurden. Vielfach überschnitten sich jedoch die Orte, der Zeitraum ihres Einsatzes und ihre Aufgaben. Ihr diplomatischer Auftrag war stets einer unter anderen. Dies korrespondiert mit jener Gemengelage, die für die Organi-
So die Konflikte zwischen Bernhard und seinem älteren Bruder Wilhelm um Positionen im schwedischen System. Das zeigte sich nicht zuletzt bei der nach dem Wechsel im Kaiseramt zu Ferdinand III. neu anstehenden Belehnung. Zum Zusammenhang von Adel und militärischen Positionen Georg Schmidt: Voraussetzung oder Legitimation? Kriegsdienst und Adel im Dreißigjährigen Krieg, in: Otto Gerhard Oexle/ Werner Paravicini (Hrsg.), Nobilitas. Funktion und Repräsentation des Adels in Alteuropa. Göttingen 1997, S. 431– 451. Bernhard stattete sie, zumindest in der Regel, mit Beglaubigungsschreiben aus. Diese gewannen allgemein an Bedeutung: Krischer, Gesandtschaftswesen, S. 210 f. Thiessen, Diplomatie, S. 490. Vgl. Krischer, Gesandtschaftswesen, S. 206 f. u. 212. Vgl. Stefan Brakensiek: Herrschaftsvermittlung im alten Europa. Praktiken lokaler Justiz, Politik und Verwaltung im internationalen Vergleich, in: ders./Heide Wunder (Hrsg.), Ergebene Diener ihrer Herren? Herrschaftsvermittlung im alten Europa. Köln/Wien/Weimar 2005, S. 1– 21, hier S. 13 f.
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sation des frühneuzeitlichen Militärs typisch war. Neben den Berichten über ihre Missionen³⁴ gingen von ihnen Nachrichten von Kriegsgeschehnissen, Aktionen anderer Parteien oder Vorgängen an den europäischen Höfen in der weimarischen Kanzlei ein.³⁵ Informationen erhielt der Herzog zudem über allgemein zugängliche Druckerzeugnisse, Nachrichtenagenten,³⁶ abgefangene Korrespondenzen, Kaufleute und Spione.³⁷ Neuigkeiten und Berichte über die gleichen Sachverhalte kamen vielfach fast parallel an. Nicht selten waren diese Informationen ohne besonderen Wert. Sie konnten jedoch die Zuverlässigkeit und Glaubwürdigkeit des Absenders, seinen weiteren Willen zur Zusammenarbeit wie sein Tätigsein vor Ort markieren.³⁸ Bei politisch oder militärisch brisanten Fragen verlief die Kommunikation zwischen dem Herzog und seinen diplomatischen Mitarbeitern meist mündlich und dies gilt auch für Verhandlungen mit Dritten.³⁹
2 Der Sekretär und die Offiziere Manches Mal betraute der Herzog Mitarbeiter mit diplomatischen Aufgaben, die formell in einem deutlichen Abhängigkeitsverhältnis zu ihm standen. Dazu gehörte sein Sekretär Michael John, der zu politischen Hintergrundarbeiten nach Frankreich reiste.⁴⁰ Eine wichtige Rolle spielte dabei das Vertrauensverhältnis,
Zum Interesse an regelmäßigen Berichten der Mitarbeiter der schwedischen Diplomatie bspw. Heiko Droste: Im Dienst der Krone. Schwedische Diplomaten im 17. Jahrhundert. Berlin 2006, S. 170; zum Interesse Jan von Werths an der Informationsbeschaffung: Kaiser, Jan von Werth, S. 154. Die Nachrichtenbeschaffung und der Handel mit Informationen waren ja auch für Diplomaten üblich, vgl. z. B. Droste, Dienst, S. 184. Zur Forschung zum Informationsbegriff Matthias Pohlig: Marlboroughs Geheimnis: Strukturen und Funktionen der Informationsgewinnung im Spanischen Erbfolgekrieg. Köln/Weimar/Wien 2016, S. 32– 38. Dazu gehörte J. Paul Ludwig, schwedischer Agent in Frankfurt und Hanau. Vgl. Peter Wilson: The Thirty Years War. Europe’s Tragedy. Cambridge, Mass. 2011, S. 600. Zur Informationsgewinnung als Teil von Patronage Pohlig, Marlboroughs Geheimnis, S. 340 – 350. Vgl. zur Mündlichkeit Maren Walter: Ein Maulwurf in Wien? Informationssicherheit, geheimdiplomatische Maßnahmen und Wissensgenerierung während der Vorverhandlungen des Westfälischen Friedenskongresses 1643 – 1644, in: Braun (Hrsg.), Diplomatische Wissenskulturen, S. 161– 176, hier S. 169. Zur Korrepondenz im diplomatischen Bereich Tilman Haug: Ungleiche Außenbeziehungen und grenzüberschreitende Patronage. Die französische Krone und die geistlichen Kurfürsten (1648 – 1679). Köln/Weimar/Wien 2015, S. 44– 51. Vgl. Gonzenbach, General, Bd. 1, S. 128, 337, 429. John suchte auch den Bankier Hoeufft auf: John an Bernhard von Weimar, o. O., 20./30.03.1638, Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar (künftig: LATh – HStAW), Fürstenhaus, A 343, Bl. 174r.–177v. Vgl. auch Bernhards Kam-
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das den Herzog mit diesen Mitarbeitern der „zweiten“ oder „dritten“ Reihe verband. Ein solches Vertrauen, verstanden im Sinne von Loyalität (und nicht affektiv), war auch für die alltägliche Arbeit relevant, liefen doch in den Kanzleien die Informationen zusammen. Sekretäre übernahmen auch andernorts diplomatische Aufgaben.⁴¹ Zu dieser Gruppe in einem Dienstverhältnis stehender Mitarbeiter zählten zudem hochrangige Offiziere wie Bernhard Schaffalitzky von Muckendell (Mukadel), Johann Bernhard von Ehm (Öhm), Friedrich Betz oder Otto von Ferenz.⁴² Gerade weil militärische und politische Fragen vielfach ineinander übergingen, konnten sie als Offiziere und Gesandte auftreten. Schaffalitzky, ein international erfahrener Militär, trat 1636 in die weimarische Armee ein.⁴³ Er hatte organisatorische Pflichten, so etwa die Beschaffung von Proviant, Waffen und Tierfutter, die Bereitstellung von Transportmitteln oder Verhandlungen über Kontributio-
merherrn Wolf-Dietrich Truchseß; bspw. Bernhard von Weimar an Kardinal Richelieu, Delsberg, 31.10.1637, BnF, Manuscrits français, Nr. 3833, Bl. 192r; Wolf Dietrich Truchseß an Bernhard von Weimar, Paris, 05.10.1638, LATh – HStAW, Fürstenhaus, A 343, Bl. 511r–513v. In anderen Fällen ging es „nur“ um die Übergabe von Papieren oder Siegesbelegen wie erbeuteten Fahnen, so bei Aufträgen Bernhards an seinen Kammerdiener Jakob von Ramboldt oder seinen Hofmeister Rotenhan. Walter, Maulwurf, S. 170, zum Sekretär Graf Johan Weikhard von Auerspergs, des kaiserlichen Primargesandten beim Westfälischen Friedenskongreß. Vgl. Personen wie Georg Müller, den Franzosen Henri Brasset (in Den Haag) oder den Niederländer Johan van Euskercken (in Paris): C. M. Schulten: Joachim de Wicquefort et Jean Tileman Stella: Fragment d’une Correspondance (1639), in: Lias. Sources and Documents Relating to the Early Modern History of Ideas 1 (1974), S. 129 – 155, hier S. 131. Ferenz suchte für Bernhard u. a. den mit der hessischen Landgräfin verbündeten Herzog Georg von Lüneburg auf: Christoph von Rommel: Ueber die letzten Plane [sic] Bernhards von Weimar besonders in Beziehung auf Amalie Landgräfin von Hessen. 1639, in: Zeitschrift des Vereins für Hessische Geschichte und Landeskunde 3 (1843), S. 269 – 279, hier S. 270 f.; Karl Wilhelm Justi: Amalie Elisabeth. Landgräfin von Hessen.Versuch einer Darstellung ihres Lebens und Charakters. Gießen 1812, S. 78 f. Als Beispiel zu Aufträgen von Betz: Ludwig XIII (Sublet) an Bernhard von Weimar, 09.12.1637, BnF, Manuscrits français, Nr. 3703, Bl. 157r. Vgl. Gerhard Assfahl: Bernhard Schaffalitzky von Muckendell, in: Lebensbilder aus Schwaben und Franken 12 (1972), S. 66 – 99. Zu seiner Karriere auch Jesaias Rompler von Löwenhalt: Klag- und Trost-gedicht an die WolEdle VilEhrn- und Tugendreiche Fraun Margaretha-Elisabetha Gebohrne von Witzleben [et]c. über ableibung Ihres geliebten Eegemahls … des … Bernhartn Schafalitzky von Mukodel … Welcher den 21. Tag Weinmonats des 1641. jars zu Paris … seeliglich abgeleibet. O. O. 1641, VD17: 23:292958S, S. 8 – 10; Johann[es] Matthias Schneuber: Lobwürdiges an-gedänken Des HochEdel-gebornen Gestrengen Herren Herren Bernhart Schafalitzky von Mukodell auf Freudenthal … Welcher Donnerstags den XXI. Weinmonats des M. DC.XLI. jahrs unserer Erlösung … zu Paris seeliglich verschieden … Straßburg 1642,VD17: 1:032329Y. Schneuber war Professor der Poesie in Straßburg.
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nen, und wurde beispielsweise zu Verhandlungen über die Militärversorgung mit der Tagsatzung der reformierten Stände in Aarau entsandt.⁴⁴ Als einer der Verbindungsmänner Bernhards in der Schweiz hatte er auch den Auftrag, die Beratungen „der Catholische[n] Schweizer consilia zu observiren und die Evangelische besser zu informiren“.⁴⁵ Bernhard setzte ihn zudem ein, um Oxenstierna mündliche Informationen zu übermitteln,⁴⁶ und er gehörte zur Verhandlungsdelegation des Herzogs in Paris. Schaffalitzky ist ein Beispiel für die Reihe jener Mitarbeiter des Herzogs, die wie Bernhard selbst höhere Positionen im schwedischen Militär innegehabt hatten. 1632 hatte er das schwedische Kriegsrecht publiziert.⁴⁷ Andere arbeiteten weiterhin für die Schweden, so Betz, ein (ehemaliger) Geschäftsträger Rheingraf Ottos,⁴⁸ für Georg Müller, den schwedischen Hofrat und Sekretär Oxenstiernas. Wie er verfügten verschiedene der diplomatisch für Bernhard tätigen Akteure über weitere Auftraggeber, stets freilich auf der antikaiserlichen Seite. Hier lag eine Grenze, die nicht zuletzt durch das Misstrauen Bernhards gegenüber Wien bestimmt war. Ein Problem durch sich überschneidende Loyalitäten ergab sich für diese Akteure nicht. Der Herzog brauchte die Schweden nach wie vor, um sein Gewicht gegenüber Frankreich zu stärken und sich gegen Wien wie Paris abzusichern, auch im Hinblick auf die Berücksichtigung seiner Interessen bei Friedensverhandlungen und einem Friedenschluss. Formell bestand sein Bündnis mit
Vgl. Bernhard von Weimar an Erlach, Birken, 16.03.1638, Burgerbibliothek Bern, Mss.h.h. XV. 29, 100 f.; Erlach an Bernhard von Weimar, o. O., 27.[03.]1638, ebd., 101 f. Georg Müller an Hugo Grotius, Basel, 06./16.11.1637, in: Bernhardus Lambertus Meulenbroek (Hrsg.), Briefwisseling van Hugo Grotius. Bd. 8: 1637. Den Haag 1971, S. 731 f. (Dok. 3349), hier S. 732. Die Tagsatzung diskutierte den Fall des Herzogs von Weimar immer wieder. Zu ihr Andreas Würgler: Die Tagsatzung der Eidgenossen. Politik, Kommunikation und Symbolik einer repräsentativen Institution im europäischen Kontext 1470 – 1798. Epfendorf 2014. Zur Eidgenossenschaft im Krieg: Kaspar von Greyerz: Die Schweiz während des Dreißigjährigen Krieges, in: Klaus Bußmann/Heinz Schilling (Hrsg.), 1648. Krieg und Frieden in Europa: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft. [Münster] 1998, S. 133 – 139. Vgl. Axel Oxenstierna an Bernhard von Weimar, 13./23.02.1637, in: Helmut Backhaus (Hrsg.), Rikskanslern Axel Oxenstiernas skrifter och brevväxling. Bd. 16: Brev 1636 – 1654. Teil 1: 1636 – 1642. Stockholm 2009, S. 60 – 62, hier S. 60. [Gustav II. Adolf;] Bernhard von Schaffalitzky Mukadel: Schwedisches Kriegs-Recht/ Oder Articuls-Brieff/ Deß Durchleuchtigsten/ Großmächtigsten Fürstens und Herrns … Gustaff Adolffs/ der Reiche Schweden/ Gothen und Wenden Königs … Auß Befehlch deß Woledlen Gestrengen Herrn Berenhard Schaffelitzkhi von Muckendell … gedruckt. Heilbronn 1632, VD 17: 3:653348C. Der Rheingraf nannte ihn seinen „Agenten“: Rheingraf Otto an Hugo Grotius, Luneville, 31.08. 1636, in: Bernhardus Lambertus Meulenbroek (Hrsg.), Briefwisseling van Hugo Grotius. Bd. 7: maart 1636 t/m december 1636. Den Haag 1969, S. 362 f. (Dok. 3727), hier S. 362.
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Schweden weiterhin: Der Heilbronner Bund war nach Nördlingen nicht aufgelöst worden, wenngleich er im Grunde nur noch auf dem Papier bestand. Frankreich und Schweden waren seit dem Vertrag von Bärwalde 1631 verbündet. „Multiple Loyalitäten und mulitiple Klientelverhältnisse“,⁴⁹ sich überlagernde Arbeits- und Patronagegefüge konnten sogar ein Vorteil sein. Dem Herzog verschafften Beziehungen seiner Umgebung zur Krone Schwedens oder Frankreichs potentiellen Rückhalt. Für die Betreffenden bedeuteten mehrere Auftraggeber eine zusätzliche Absicherung; die nochmals erhöhte Sterblichkeit von Militärs im Krieg mag dies besonders wünschenswert gemacht haben. Aus Pariser oder Stockholmer Sicht versprachen solche Verbindungen Informationen über den Bündnispartner und die Möglichkeit der Einflussnahme. Gleichwohl: Bernhard schätzte für die anspruchsvollen diplomatischen Aufgaben offenbar eine zumindest vorrangige (Arbeits‐)Beziehung zu seiner Person. Das zeigt sich gerade bei Ponickau und Wicquefort.
3 Abhängigkeit? Tobias von Ponickau Tobias von Ponickau, der in den 1620er Jahren badischer Gesandter gewesen war und sich auch am englischen Hof aufgehalten hatte, war bis zu seinem Tod im Sommer 1637 Geheimer Rat des Herzogs. Als solcher war er sein Berater, Finanzbevollmächtigter und Unterhändler. Zudem fungierte er kurzzeitig als sein Stellvertreter im Herzogtum Franken.⁵⁰ Seit 1632 gehörte Ponickau der Fruchtbringenden Gesellschaft an, in die Bernhard 1620 aufgenommen worden war und die ihren Mitgliedern über die ständischen Grenzen hinweg einen größeren Grad an Vertrautheit ermöglichte.⁵¹ Ponickau führte diverse Verhandlungen für den Herzog: mit dem schwedischen Reichskanzler,⁵² im Sommer 1636 am Londoner
Vgl. Regina Stuber: Der Nachlass des Diplomaten Johann Christoph von Urbich (1653 – 1715). Ein Beleg für multiple Loyalitäten und Strategien als gängige Praxis? Vortrag im Rahmen des Workshops „Aspekte der diplomatischen Praxis um 1700“, Würzburg, 15.11. 2019. Der Referentin danke ich für die Überlassung ihres Manuskripts. Er stammte aus der eingesessenen sächsischen Familie Ponickau, die eine Reihe von Mitgliedern im Fürsten- und Staatsdienst stellte, und hatte in Leipzig, Heidelberg und Siena studiert. Das gilt unabhängig davon, dass Bernhard von Weimar im Rahmen dieser Gesellschaft kaum aktiv wurde. Zur Gesellschaft Klaus Manger (Hrsg.): Die Fruchtbringer – eine Teutschhertzige Gesellschaft. Heidelberg 2001; Nicola Kaminski: Ex bello ars oder Ursprung der „Deutschen Poeterey“. Heidelberg 2004, insbes. S. 85 f. Vgl. bspw. Tobias von Ponika an Axel Oxenstierna, 06.07.1635, LATh – HStAW, Fürstenhaus, A 346d; Bernhard von Weimar an Axel Oxenstierna, Regensburg, 12./22.01.1634 [praes. 30.01.1634], in: Georg Irmer: Die Verhandlungen Schwedens und seiner Verbündeten mit Wallenstein und dem
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Hof, wo er vermutlich auch mit dem pfälzischen Thronprätendenten Karl Ludwig zusammentraf, und am Pfälzer Exilhof in Den Haag mit dessen Mutter, der ehemaligen böhmischen Königin und Pfalzgräfin Elizabeth Stuart.⁵³ Mit den Pfälzern verhandelte Bernhard in Fragen einer militärischen Zusammenarbeit sowie wegen des Rückgewinns von Kur und Territorien.⁵⁴ Auch eine Eheverbindung stand im Raum; sie ist ebenso vor dem Hintergrund der protestantischen Bündnispläne zu sehen wie die Unterstützung der Weimarer Brüder für den Pfälzer Kurfürsten im böhmischen Aufstand. Ponickau suchte wohl auch den hessischen Landgrafen Wilhelm V. auf ⁵⁵ und er reiste zu Joachim von Wicquefort nach Amsterdam.⁵⁶ Georg Rodolf Weckherlin stellte ihn als idealen Diplomaten und Politiker dar.⁵⁷ Bei Karl I. von England konnte Ponickau keine umfassendere Unterstützung erreichen,⁵⁸ doch verhielt sich der König außenpolitisch generell eher neutral.⁵⁹
Kaiser von 1631 bis 1634. Bd. 3: 1633 und 1634. Leipzig 1891, S. 159 – 161. (Dok. 377); Axel Oxenstierna an Bernhard von Weimar, Frankfurt a. M., 02./12.09.1633, in: Gottfried Lorenz (Hrsg.), Quellen zur Geschichte Wallensteins. Darmstadt 1987, S. 329 – 331. (Dok. 104), hier S. 331; Johannes Kretzschmar: Der Heilbronner Bund. Bd. 2. Lübeck 1922, S. 356. Vgl. Tobias von Ponikau an Elizabeth Stuart, Königin von Böhmen, o. O., o. D. [1636], LATh – HStAW, Fürstenhaus, A 342, Bl. 44r–44v. Ponikau kam Mitte August 1636 in Den Haag an; vgl. auch Nadine Akkerman: The Correspondence of Elizabeth Stuart, Queen of Bohemia. Bd. 2: 1632– 1642. Oxford u. a. 2011, S. 509; Elizabeth an Thomas Roe, Den Haag, 25.08.1636, in: ebd., S. 506 f. (Dok. 276), hier S. 506; Hugo Grotius an Axel Oxenstierna, Paris, 23.05.1636, in: Meulenbroek (Hrsg.), Briefwisseling van Hugo Grotius. Bd. 7, S. 162 (Dok. 2601). Es ging auch um Pläne zur Befreiung Ruperts von der Pfalz, der im Oktober 1638 in kaiserliche Gefangenschaft geraten war: Elizabeth Stuart an Bernhard von Weimar, Den Haag, 08.11.1638, BnF, MS Baluze 183, Bl. 70r–71r. Vgl. den venezianischen Botschafter Francesco Michiel an den Dogen und den Senat Venedigs, Den Haag, 29.08.1636, in: Allen B. Hinds (Hrsg.), Calendar of State Papers and Manuscripts, Relating to English Affairs, Existing in the Archives and Collections of Venice, and in Other Libraries in Northern Italy. Bd. XXIV: 1636 – 1639. Reprint d. Ausg. London 1924. Nendeln/Liechtenstein 1970, S. 57 (Dok. 58). Vgl. Joachim von Wicquefort an Bernhard von Weimar, Amsterdam, 23.11.1637, LATh – HStAW, Fürstenhaus, A 342, Bl. 249r–252v, hier Bl. 249v–250r. Georg Rodolf Weckherlin: Tobias von Ponica von Elstra, Des Gleichlosen Teutschen Heldens, Bernhards Hertzogen zu Sachsen, Geheimen Raht, in: Hermann Fischer (Hrsg.): Georg Rudolf Weckherlins Gedichte. Bd. 2. Tübingen 1895, S. 245 – 250. Die Entstehung ist auf Ponickaus Lebzeiten zu datieren. Wenngleich er bei einer Audienz ein wertvolleres Gastgeschenk erhielt als für einen Gesandten üblich: Akkerman, Correspondence, S. 510; Karl Ludwig an Elizabeth Stuart, Oatlands, 22.09.1636, in: ebd., S. 518 – 520. (Dok. 282), hier S. 519; Albert J. Loomie (Hrsg.): Ceremonies of Charles I. The Note Books of Johan Finet 1628 – 1641, New York 1987, S. 315 u. 209. Zu diplomatischen Geschenken: Marc Häberlein/Christoph Jeggle: Einleitung, in: dies. (Hrsg.), Materielle Grundlagen der Diplomatie. Schenken, Sammeln und Verhandeln in Spätmittelalter und Früher
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Ponickau überzeugte aber Elizabeth Stuart und den englischen Diplomaten Sir Thomas Roe von sich wie dem Herzog,⁶⁰ und er reüssierte in Paris ‒ schließlich führte er jene Gespräche, die zum Abschluss des weimarisch-französischen Bündnisses führten. Aus der Sicht Bernhards war es wesentlich vorteilhafter als vorangegangene Angebote Frankreichs. Im Folgejahr gehörte Ponickau zum Gefolge Bernhards bei dessen erster Parisreise.⁶¹ Er wurde dabei auch öffentlich wahrgenommen: Die „Gazette“, die einzige und zugleich offiziöse französische Zeitung dieser Jahre, berichtete über seine Teilnahme an einem Souper des Grafen de Guiche für den Herzog, bei dem gleichfalls Kardinal de la Valette und französische Offiziere anwesend waren.⁶² Bald bezog Ponickau eine französische Pension. Dies deutet auf Loyalitäten, wenn nicht Abhängigkeiten von der französischen Krone. Auch der Herzog selbst gehörte im großen Stil zu den Pariser Pensionsempfängern, sein Geheimvertrag mit Frankreich sicherte ihm umfangreiche Gelder für seine private Kasse. Bernhard ist ein Beispiel dafür, dass solche Zahlungen gerne angenommen wurden, eigenständiges, vom Geldgeber so nicht gewünschtes Handeln aber nicht unbedingt verhinderten. Gerade in Paris konnte Ponickau informelle Beziehungen ausbauen. Aus der Verbindung zu Grotius⁶³ entstand eine für die frühneuzeitliche Diplomatie typische Patronagebeziehung.⁶⁴ Wenn Grotius Ponickau als „Freund“ bezeichnete, hob er damit zumindest seine Bedeutung als diplomatischer Kontakt heraus.⁶⁵
Neuzeit. Konstanz 2013. Der König veranlasste die Übersendung schottischer Soldaten an Bernhard. Seine Herrschaft und die der Stuarts insgesamt wurden durch den Verzicht auf den Beistand für die deutschen Protestanten „nachhaltig delegitimiert“: Brendan Simms: Kampf um die Vorherrschaft. Eine deutsche Geschichte Europas 1453 bis heute. München 2014, S. 12. Elizabeth Stuart an den Earl of Holland, Den Haag, 28.08.1636, in: Akkerman, Correspondence, S. 509 f. (Dok. 278); Roe an Elizabeth Stuart, o. O., 20.09.1636, in: ebd., S. 529 – 533 (Dok. 286), hier S. 532. Elizabeth Stuart wünschte allerdings auch den Eintritt des englischen Königs, ihres Bruders, in den Krieg und sprach sich für ein englisches Bündnis mit Bernhard aus. Vgl. Memoire de Laviner du Duc Bernard de Weimar à S. Germain en Laye, 06.03.1636, BnF Paris, Manuscrits français, Nr. 7605, Bl. 465r-466r; zu dieser Reise auch Röse, Herzog Bernhard, Bd. 2, S. 107– 114. Gazette, Nr. 42 (1636), Meldung „De Paris“ vom 15.03.1636, S. 179 f. Vgl. bspw. Hugo Grotius an Bernhard von Weimar, Paris, 13./23.05.1637, in: Henk M. Nellen (Hrsg.), Briefwisseling van Hugo Grotius. Bd. 17. Den Haag 2017, S. 416 f. (Dok. 3093 A), hier S. 417. Vgl. Anuschka Tischer: Diplomaten als Patrone und Klienten. Der Einfluß personaler Verflechtungen in der französischen Diplomatie auf dem Westfälischen Friedenskongreß, in: Rainer Babel (Hrsg.), Le Diplomate au Travail. Entscheidungsprozesse, Information und Kommunikation im Umkreis des Westfälischen Friedenskongresses. München 2005, S. 173 – 197. Hugo Grotius an Bernhard von Weimar, Paris, 09.02.1636, in: Bernhardus Lambertus Meulenbroek (Hrsg.), Briefwisseling van Hugo Grotius. Bd. 6: juni 1635 t/m februari 1636. Den Haag
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4 Exklusive Beziehungen? Joachim von Wicquefort Joachim von Wicquefort⁶⁶ verfügte als einer der wichtigen merchant bankers der Zeit und aufgrund seines familiären Hintergrundes⁶⁷ über umfassende Kontakte, gerade in den nördlichen Niederlanden. Für den Herzog war er auf unterschiedlichen Gebieten tätig, nicht selten mit politischem Charakter. Er wickelte Handelsgeschäfte ab,⁶⁸ verwaltete den Transfer der französischen Subsidien mit,⁶⁹ betreute zu großen Teilen das herzogliche Vermögen⁷⁰ und übermittelte Nachrichten. Wicquefort, der umfassend gebildet und kulturell interessiert war,⁷¹ war für den Herzog darüber hinaus ein Ansprechpartner in politischen Fragen⁷² und
1967, S. 519 f. (Dok. 2472), hier S. 519; ders. an dens., Paris 11./21.07.1637, in: ebd. Bd. 9: 1638. Den Haag 1978, S. 423 f. (Dok. 3172 A); vgl. Andreas Würgler: Freunde, amis, amici. Freundschaft in Politik und Diplomatie der frühneuzeitlichen Eidgenossenschaft, in: Klaus Oschema (Hrsg.), Freundschaft oder „amitié“? Ein politisch-soziales Konzept der Vormoderne im zwischensprachlichen Vergleich (15.–17. Jahrhundert). Berlin 2007, S. 191– 210, hier S. 198 f.; zur Mehrdeutigkeit des Begriffs auch Art. Freund, in: Jacob Grimm/Wilhelm Grimm (Hrsg.), Deutsches Wörterbuch. Bd. 4. Leipzig 1878, Sp. 162– 164, http://dwb.uni-trier.de/de/. Zu Wicquefort Pierre-François Burger: Res angusta Domi, les Wicquefort et leurs Métiers bien délicats entre Paris, Amsterdam et Pärnu, in: Francia 27/2 (2000), S. 25 – 58; Art. Wicquefort, Abraham and Joachim de, in: Derek Croxton/Anuschka Tischer: The Peace of Westphalia. A Historical Dictionary. Westport, Conn u. a. 2002, S. 321 f.; Louise van Tongerloo: Beziehungen zwischen Hessen-Kassel und den Vereinigten Niederlanden während des Dreißigjährigen Krieges, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 14 (1964), S. 199 – 270, hier 205 – 209; Anuschka Tischer: West-Ost-Kommunikation im 17. Jahrhundert in ihrem Kontext: Joachim von Wicquefort als Korrespondent und Agent Herzog Jakobs von Kurland, in: Jahrbuch für Europäische Geschichte 5 (2004) S. 143 – 160. Sein Vater war Caspar von Wicquefort, sein Bruder der Diplomat und Verfasser von „L’Ambassadeur et ses fonctions“ Abraham von Wicquefort. Vgl. bspw. Joachim von Wicquefort an Bernhard von Weimar, Amsterdam, 14.07.1637, LATh – HStAW, Fürstenhaus, A 342, Bl. 113r–115v; ders. an dens., Amsterdam, 15.09.1637, ebd., Bl. 167r– 175v u. a. Daneben hatte er die französischen Zahlungen an Schweden und Hessen-Kassel betreut, vgl. Gonzenbach, General, Bd. 1, S. 262. Daneben auch weitere Bankiers wie Rehlingen, Lumago Maseranico, Herwart. Marika Keblusek: Merchants’ Homes and Collections as Cultural Entrepôts. The Case of Joachim de Wicquefort and Diego Duarte, in: English Studies 92 (2011), S. 496 – 507; dies.: Mercator sapiens. Merchants as Cultural Entrepreneurs, in: dies./Noldus (Hrsg.), Double Agents, S. 95 – 110, hier S. 98 u. 108 f. Vgl. bspw. Bernhard von Weimar an Joachim von Wicquefort, Rheinfelden, 01.06.1639, in: Rommel, Ueber die letzten Plane, S. 275 – 277.
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übernahm diplomatische Aufgaben.⁷³ Im Herbst 1637 erklärte er Bernhard, allein für ihn arbeiten zu wollen: „J’ai prise la resolution de quitter les autre affaires des Princes pour les votres et parce que je ne me veux assister a un autre souverain qu’a vous“.⁷⁴ Tatsächlich setzte er sich in erster Linie für dessen Interessen ein.⁷⁵ Er schmeichelte ihm nicht nur damit, ein Nachfolger Gustav Adolfs zu sein,⁷⁶ sondern zeigte sich auch gegenüber Dritten überzeugt: „Qui à jamais plus vaillamment combattu, ou triomphé plus hûreusement?“, schrieb er dem niederländischen Humanisten Caspar Barlaeus zur Einnahme Breisachs durch Bernhard Ende 1638. Barlaeus solle etwas in Versen oder Prosa verfassen „pour éterniser les belles actions de ce grand Capitain“.⁷⁷ Die vorderösterreichische Festung war eine militärische Schlüsselposition. Jetzt wurde eine Kriegswende erwartet. Hier sprach indes auch ein Untergebener, wenngleich der Herzog von der Arbeit Wicqueforts deutlich profitierte. Zugleich wird die ständische Distanz zwischen beiden deutlich. Dass Wicquefort Barlaeus aufforderte, ein Werk über den Herzog zu schreiben,⁷⁸ mag aber auch in die Bemühungen der Bernhard’schen Seite um eine publizistische Flankierung seiner Politik einzuordnen sein. Seit Anfang der 1630er Jahre war der Herzog zunehmend bekannt geworden. Aus der weimarischen Kanzlei und seiner Umgebung gab es augenscheinlich Bestrebungen, Flugschriften zugunsten des Herzogs zu lancieren und prominentere Autoren zu gewinnen, um das öffentliche Interesse an seiner Person wachzuhalten und seine Politik zu legitimieren. Es galt, seine Erfolge und die von ihm offiziell vertretenen Kriegsziele herauszustellen: den Kampf für den evan-
Vgl. Bernhard von Weimar: Memorial [für Wicquefort für seine Verhandlungen mit der Landgräfin von Hessen], [wohl Ende Oktober–Anfang November 1638], in: Gonzenbach, General, Bd. 1, S. 185 f. (Dok. 91), hier S. 186. Zur Korrespondenz zwischen Bernhard und Wicquefort: LATh – HStAW, Fürstenhaus, A 342. Die Beziehung zwischen Bernhard und Wicquefort kann auch mit dem persönlichen Verhältnis zwischen Fürsten und ihren Finanziers verglichen werden, die sich bis in das frühe 18. Jahrhundert häufig finden lässt. Vgl. Joachim von Wicquefort an Bernhard von Weimar, Amsterdam, 20.10.1637, LATh – HStAW, Fürstenhaus, A 342, Bl. 200r–204v, hier Bl. 200r. So auch Schulten, Joachim de Wicquefort, S. 132. Joachim Wicquefort an Bernhard von Weimar, Amsterdam, 23.03.1638, LATh – HStAW, Fürstenhaus, A 343, Bl. 191r–193r, hier Bl. 191r. Joachim von Wicquefort an G[aspar] Barlée, Paris, 29.01.1639, in: Lettres de M. J. de Wicquefort … avec les Reponses de M. G. Barlée. 2. überarb. u. erw. Aufl. Utrecht 1712, S. 85 f. Barlaeus hatte sich allerdings selbst zuvor ähnlich geäußert: G[aspar] Barlée an Joachim von Wicquefort, Amsterdam, 16.09.1638, in: Lettres de Vicquefort … Amsterdam 1646, S. 141– 149, hier S. 143. Vgl. dann Caspar Barlaeus: Brisacum capta, sive Panegyris dicta Serenissimo … Principi BERNHARDO … Saxoniae … Duci. Amsterdam 1639.
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gelischen Glauben und die reichsständischen Freiheiten.⁷⁹ Der Herzog selbst leistete eine finanzielle Zuwendung an die Straßburger Gelehrten Matthias Bernegger und Johann Freinsheim,⁸⁰ die zu den profranzösischen Kräften in der Stadt gehörten.⁸¹ Ein politisches Interesse Bernhards scheint dabei wahrscheinlicher als ein solches an ihrer Tacitus-Übersetzung.⁸² Hier gibt es auch eine Verbindung zur Tannengesellschaft, zu deren Mitgliedern Weckherlin gehörte.⁸³ Freinsheim hat schließlich eine Lobdichtung auf den verstorbenen Bernhard verfasst.⁸⁴ Wicqueforts Kontaktnetz reichte in die Welt der Gelehrten wie die der Politik.⁸⁵ Er konnte den Handelsplatz Amsterdam für den Herzog nutzen⁸⁶ und politische Einflusswege in der Republik öffnen, die eine Drehscheibe des europäischen Waffenhandels war⁸⁷ und deren Regierungssitz sich zu einem Zentrum der
Zu einer Übernahme von Papieren aus dem weimarischen Hauptquartier in Medien Edward Leupold (Hrsg.): Journal der Armee des Herzogs Bernhard von Sachsen-Weimar aus den Jahren 1637 und 1638, in: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 11 (1912), S. 253 – 362, hier S. 349 f., 274. Vgl. Matthias Bernegger/Johann Freinsheim an Bernhard von Weimar, Straßburg, 25.03.1638, Forschungsbibliothek (künftig: FB) Gotha, Chart. A 392, Bl. 72r; Matthias Bernegger/Johann Freinsheim an Bernhard von Weimar, Straßburg, 18.04.1638, FB Gotha, Chart. A 392, Bl. 75r. Carl Bünger: Matthias Bernegger. Ein Bild aus dem geistigen Leben Straßburgs zur Zeit des Dreissigjährigen Krieges. Straßburg 1893, v. a. S. 355 u. 360. Vgl. Monika Bopp: Die „Tannengesellschaft“: Studien zu einer Straßburger Sprachgesellschaft von 1633 bis um 1670. Johann Matthias Schneuber und Jesaias Rompler von Löwenhalt in ihrem literarischen Umfeld. Frankfurt a. M. 1989, S. 329, zu Hoffnungen auf Bernhard S. 293 u. 303 – 309. Vgl. auch Leonard Forster: „Virtutis atque eruditionis consortium“. Janus Gruters Plautusausgabe von 1621 und der Heidelberger Dichterkreis, in: Barbara Becker-Cantarino/Jörg-Ulrich Fechner (Hrsg.), Opitz und seine Welt. Festschrift für George Schulz-Behrend. Amsterdam/Atlanta 1990, S. 173 – 184, hier S. 179 f. Auch Schneuber war Gesellschaftsmitglied. Johann Freinsheim: Teutscher Tugendspiegel Oder Gesang von dem Stamme und Thaten dess alten und newen teutschen Hercules. An den … Fürsten … Bernharden … Hertzogen zu Sachsen. Straßburg 1639, VD17: 23:230031Y. Es umfasste auch Pieter Corneliszoon Hooft, Constantijn Huygens, Grotius: Burger, Res, S. 27 f.; Keblusek, Mercator, S. 108. Zur „Verflechtung von Gelehrtenrepublik und Diplomatie“ im 17. Jahrhundert Sven Externbrink: Humanismus, Gelehrtenrepublik und Diplomatie: Überlegungen zu ihren Beziehungen in der Frühen Neuzeit, in: Thiessen/Windler (Hrsg.), Akteure, S. 133 – 150, Zitat S. 140. Vgl. Marianne Klerk: The „Fiscal-military Hub“ of Amsterdam. Intermediating the French Subsidies to Sweden during the Thirty Years’ War, in: Svante Norrhem/Erik Thomson (Hrsg.), Subsidies, Diplomacy, and State Formation in Europe, 1494– 1789 (im Erscheinen). Ich danke der Autorin für die Überlassung ihres Manuskripts. Vgl. Julia Zunckel: Rüstungsgeschäfte im Dreißigjährigen Krieg. Unternehmerkräfte, Militärgüter und Marktstrategien im Handel zwischen Genua, Amsterdam und Hamburg. Berlin 1997.
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europäischen Diplomatie und des Gesandtenwesens entwickelte.⁸⁸ Im Dezember 1638 übermittelte Wicquefort Bernhard das Interesse der Generalstände an einer kontinuierlichen Korrespondenz zwischen ihm und dem Prinzen von Oranien.⁸⁹ Er war für den Herzog bei der Königin von Böhmen⁹⁰ und traf Karl Ludwig von der Pfalz in Den Haag;⁹¹ in Amsterdam führte er Verhandlungen mit Dänemark,⁹² das auch bei den Bemühungen Bernhards um Pässe für Friedensverhandlungen als Vermittler auftrat. Bernhard wollte hierbei als Partei zugelassen werden.⁹³ 1638 und 1639 oblagen Wicquefort die Verhandlungen zwischen dem Herzog und Landgräfin Amalie Elisabeth von Hessen-Kassel über ein Bündnis und eine militärische Zusammenarbeit.⁹⁴ Er war allerdings gleichfalls für die Landgräfin in Den Haag kaufmännisch tätig.⁹⁵ Nach der Einnahme Breisachs setzte Bernhard auf den Einsatz Wicqueforts in Paris.⁹⁶ Dort erwartete man von ihm die Übergabe der Festung und der umlie-
Zu den 1640er Jahren bzw. zur zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts u. a.: Heinz Schilling: Konfessionalisierung und Staatsinteressen. Internationale Beziehungen 1559 – 1660. Paderborn 2007, S. 128; Daniel Legutke: Diplomatie als soziale Institution. Brandenburgische, sächsische und kaiserliche Gesandte in Den Haag 1648 – 1720. Münster/München/Berlin 2010, S. 13 f. Joachim von Wicquefort an Bernhard von Weimar, 04./14.12.1638, LATh – HStAW, Fürstenhaus, A 343, Bl. 650r–651r, hier Bl. 650v–651r. Vgl.Wicquefort an Bernhard von Weimar, 25.(?)04.1639, Burgerbibliothek Bern, Mss.h.h.XV. 43, Dok. 117. Joachim von Wicquefort an Bernhard von Weimar, Amsterdam, 27.06.1639, LATh – HStAW, Fürstenhaus, A 344, Bl. 366r–369v, hier Bl. 366rf. Vgl. Joachim von Wicquefort an Bernhard von Weimar, Amsterdam, 04.07.1639, LATh – HStAW, Fürstenhaus, A 344, Bl. 374r–376v. Er erhielt schließlich Pässe für die Verhandlungen in Lübeck, Hamburg und Köln: Haus-, Hofund Staatsarchiv Wien, RHR Miscell. Gratial salvaguardia, lateinische Expedition 72, Bl. 200, 205, 227. Die Dokumente sind auf den 14.11.1638 datiert. Christian IV. versicherte, Bernhard oder seine Gesandten würden als „Illustrissimi“ adressiert: Christian IV. von Dänemark an Bernhard von Sachsen-Weimar, Glücksburg, 01.12.1638, FB Gotha Chart. A 721, Bl. 67r–68r. Vgl. Bernhard von Weimar: Memorial [für Wicquefort für seine Verhandlungen mit der Landgräfin von Hessen], [wohl Ende Oktober–Anfang November 1638], in: Gonzenbach, General, Bd. 1, S. 185 f. (Dok. 91), hier S. 186. Zur Arbeit für Hessen-Kassel auch Tryntje Helfferich: The Iron Princess. Amalia Elisabeth and the Thirty Years War. Cambridge/London 2013, v. a. S. 129 u. 151; Keblusek, Mercator, S. 108 f. Ebenso wurde er für den Herzog von Württemberg tätig; nach dem Tod Bernhards hatte er, über die Korrespondenz über dessen Erbe hinaus, Kontakt zu Herzog Wilhelm IV. von Sachsen-Weimar: Franzk Boblenz: „in der ingenieurkunst erzogen undt ihn […] so weit bracht, das er was feines begriffen“. Zur Ausbildung und zum Werk des Weimarer Baumeisters Johann Moritz Richter (1620 – 1667), in: Weimarbrief 2/2008, S. 86 – 91, hier S. 88. Wicquefort reiste im Dezember 1638 in die französische Hauptstadt und berichtete in der Folge regelmäßig an den Herzog, vgl. LATh – HStAW, Fürstenhaus, A 344.
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genden Gebiete, die er erobert hatte, er hingegen wollte sie zum Zentrum einer eigenen Landesherrschaft im Elsass machen. Hinter diesem Konflikt standen abweichende Auslegungen des Bündnisvertrages, vor allem aber war es eine Machtfrage. Alsbald forderte Frankreich, dass der Herzog selbst zum Hof komme; er trat diese Reise nicht an. Nach Meinung seiner Berater hätte bereits eine Anreise seine Position gegenüber Frankreich geschwächt;⁹⁷ es entstünde der Eindruck, er komme zur Übergabe. Seine Erfahrungen bei seinen vorangegangenen Parisaufenthalten 1636 und 1637 mochten bei der Entscheidung gegen diese Reise eine Rolle spielten. 1636 war er zu Verhandlungen über die Finanzierung und Ausstattung seiner Armee zum Hof gereist. Er erreichte Verhandlungserfolge, aber er erfuhr auch die Grenzen seiner Gestaltungsmöglichkeiten. Der Herzog, der als Mitglied des Hochadels darin geschult war, sich auf der Bühne der Höfe bewegen zu können,⁹⁸ begriff und präsentierte sich nicht allein als Feldherr, sondern zugleich als Reichsfürst, und er benötigte diese Inszenierung und Repräsentation, um seine Position abzusichern.⁹⁹ In Paris fand er sich dem Herzog von Parma gegenüber zeremoniell nachrangig behandelt und politisch zurückgesetzt. Und als Ludwig XIII. beim Empfang Bernhards den Hut aufsetzte, vollzog der Herzog diese Geste nach. Als Zeichen der Gleichrangigkeit war das geeignet, den König zu brüskieren. Ponikau, der hier zur Referenz wird, soll erklärt haben, Bernhard habe bewusst gehandelt.¹⁰⁰ Er verstieß demnach gezielt gegen die vom Pariser Hof reklamierten Regeln.¹⁰¹ Auch in der französischen Presse wurde Bernhard aber als Feldherr des
Vgl. Joachim von Wicquefort an Bernhard von Weimar, Paris, 03.03.1639, LATh – HStAW, Fürstenhaus, A 344, Bl. 138r–143v (Abschrift), hier Bl. 140r; Röse, Herzog Bernhard, Bd. 2, S. 290; Droysen, Bernhard, Bd. 2, S. 513 f.; Hugo Grotius an Nicolaes van Reigersberch, 29.01.1639, in: Bernhardus Lambertus Meulenbroek (Hrsg.), Briefwisseling van Hugo Grotius. Bd. 10: 1639. Den Haag 1976, S. 65 – 68, hier S. 65; ders. an dens., 19. 2.1639, in: ebd., S. 113 – 116 (Dok. 3985), hier S. 113; Carl Jacob Burckhardt: Richelieu. Bd. 3: Großmachtpolitik und Tod des Kardinals. München 1966, hier S. 291 u. 295. Zum adligen Habitus Ronald G. Asch: Europäischer Adel in der Frühen Neuzeit. Eine Einführung. Köln/Weimar/Wien 2008, S. 218 – 234; Michael Sikora: Der Adel in der Frühen Neuzeit. Darmstadt 2009. Auch der Militär Bernhard ist also als inszenierter Fürst zu verstehen. Vgl. Peter Burke: The Fabrication of Louis XIV. New Haven/London 1992. Vgl. Théodore Godefroy: Le Ceremonial François. Bd. 2: Contenant les Ceremonies observes en France au Mariages & Festins, Naissances, & Baptesmes. Tl. 2. Paris 1649, S. 799; Johann Jacob Moser: Teutsches Staats-Recht. Bd. 36. Leipzig u. a. 1748, S. 325 – 329. Zur „bewusst inszenierte[n] Unhöflichkeit“ bei Diplomaten Braun, Einleitung, S. VIIf., Zitat S. VII.
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Königs dargestellt, nicht als eigenständiger Bündnispartner, wie es seiner Sicht entsprochen hätte.¹⁰² Wicquefort sollte 1639 Geld und Truppen fordern.¹⁰³ Das hieß, den französischen Erwartungen quasi auszuweichen. Explizit sollte dann Erlach, der später in die Haupstadt reiste, die Verhandlungen über die Zukunft Breisachs und des Elsass führen. Wicquefort standen Grotius, Schaffalitzky und der Bankier Jan Hoeufft zur Seite; Letzterer war für die Übermittlung der Subsidien von Paris aus an Bernhard verantwortlich.¹⁰⁴ Zwar hatte es im Bernhard’schen Lager immer wieder Misstrauen gegen ihn gegeben, weil sich der Transfer der französischen Subsidien verzögerte,¹⁰⁵ seine Vermittlung wurde aber gebraucht. Dadurch, dass mehrere Unterhändler und Fürsprecher aktiv wurden, erhoffte sich der Herzog größeren Einfluss und breitere Zugangsmöglichkeiten zur französischen Regierung ‒ zugleich aber auch verstärkte Kontrollmöglichkeiten.¹⁰⁶ Es war in erhöhtem Maße mit Störmanövern bis Intrigen zu rechnen. Paris suchte ihn auch unter Zugzwang zu setzen, indem es den Eindruck erweckte, seine Ankunft stehe bevor: Anfang März 1639 wurden mit dem Hôtel Petit Bourbon und dem Hôtel de Blainville Unterkünfte für Bernhard und seine Entourage vorbereitet.¹⁰⁷ Paris wollte Bernhard hinhalten; auch gab es divergierende Positionen zur Elsassfrage innerhalb der französischen Regierung.¹⁰⁸ Die Bernhard’sche Seite kam mit ihren Verhandlungsversuchen kaum voran. Hier zeigten sich die Grenzen
Vgl. A. W. Ward: The Later Years of the Thirty Years’ War (1635 – 1648), in: ders./G. W. Prothero/Stanley Leathes (Hrsg.), The Cambridge Modern History. Bd. 4. Cambridge 1906, S. 364– 384, hier S. 369, wonach Bernhard gesundheitlich und nervlich angeschlagen zur Armee zurückkehrte. Vgl. Droysen, Bernhard, Bd. 2, S. 506. Zu ihm Erik Thomson: Jan Hoeufft and the Thirty Years War. An Essay on Diplomatic History’s Limits, 16.05. 2013, Umeå University, https://archive.is/20170308174621/http://www.cedar.umu.se/ digitalAssets/120/120438_joint-seminar-with-guest-researchers.pdf (abgerufen am 19.02. 2019). Vgl. Reinhard Hildebrandt (Hrsg.): Quellen und Regesten zu den Augsburger Handelshäusern Paler und Rehlinger. Bd. 2. Stuttgart 2004, S. 225. Hoeufft versicherte Bernhard wiederholt, sich für ihn einzusetzen: Hoeufft an Bernhard von Weimar, Paris, 13.04.1638, LATh – HStAW, Fürstenhaus, A 343, Bl. 234r–235v; ders. an Bernhard von Weimar, Paris, 20.04.1638, LATh – HStAW, Fürstenhaus, A 343, Bl. 246r–247r, hier Bl. 246r. Das gilt auch für andere Einsatzgebiete der Agenten Bernhards wie insbesondere die Eidgenossenschaft und die Beziehungen zu Schweden. Vgl. Joachim von Wicquefort an Bernhard von Weimar, Paris, 03.03.1639, ThHStAW, Fürstenhaus, A 344, Bl. 138r–143v (Abschrift), hier Bl. 139v. Vgl. Anja Victorine Hartmann (Hrsg.): Les Papiers de Richelieu. Section politique extérieure: Correspondances et Papiers d’État: Empire Allemand, Bd. 3 (1636 – 1642). Paris 1999, S. 354; Hans Ludwig von Erlach an Bernhard von Weimar, Paris, 09./19.04.1639: in: Gonzenbach, General, Bd. 1, S. 159 – 161. (Dok. 81); ders. an dens., Paris, 10./20.04.1639, in: ebd., S. 161– 164 (Dok. 82), Zitate S. 162; vgl. Droysen, Bernhard, Bd. 2, S. 525 – 528.
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der diplomatischen Einflussnahme zwischen ungleich mächtigen Verhandlungspartnern. Wicqefort erhielt kaum Gelegenheit zu Gesprächen mit Regierungsmitgliedern und war auf Informationen aus zweiter Hand angewiesen. Seine Einschätzung der Pariser Politik basierte damit notgedrungen auf Gerüchten. „On dit que le Roy a dit“, schrieb er beispielsweise.¹⁰⁹ Grotius ging es kaum anders. Zahlreiche Tanzveranstaltungen ließen es angeblich nicht zu, dass der Botschafter eine Audienz erhielt.¹¹⁰ Trotz der Verhandlungsschwierigkeiten setze er weiter auf den Weg der Diplomatie, erklärte Hoeufft, und riet dem Herzog, Paris seiner Treue zu versichern.¹¹¹ Wicquefort erteilte den gleichen Rat.¹¹² Ein möglicher Rückzug Frankreichs aus dem Bündnis müsse vermieden werden, man müsse „connoître et aimer ses amis avec leurs conditions“.¹¹³ Bernhard folgte diesen Aufforderungen.¹¹⁴ Bei Fragen der Armeeausstattung setzte er wohl auch deshalb zudem auf den Stallmeister Richelieus, Monsieur Graves, der die weimarische Armee besucht hatte.¹¹⁵ Für Wicquefort, der seine Erfolgschancen skeptisch einschätzte,¹¹⁶ war klar, dass der Herzog auf Linie gebracht werden sollte.¹¹⁷ Michael John beklagte die
Joachim von Wicquefort an Bernhard von Weimar, Paris, 22.02.1639, LATh – HStAW, Fürstenhaus, A 344, Bl. 126r–127v (Dok. 59), hier Bl. 126v; Joachim von Wicquefort an Bernhard von Weimar, Paris, 15.02.1639, LATh – HStAW, Fürstenhaus, A 344, Bl. 116r–121v (Dok. 54). Vgl. Hugo Grotius an Bernhard von Weimar, Paris, 08.30. (n. St.) 1639, LATh – HStAW, Fürstenhaus, A 344, Bl. 150r–151r. Hoeufft hatte dann Unterredungen mit Richelieu, Chavigny, Bullion und dem Kanzler Pierre Sequier: Jan Hoeufft an Bernhard von Weimar, Paris, 15.03.1639, LATh – HStAW, Fürstenhaus, A 344, Bl. 161r–162v. Vgl. Jan Hoeufft an Bernhard von Weimar, 29.03.1639, LATh – HStAW, Fürstenhaus, A 344, Bl. 187r–188r; ders. an dens., Paris, 15.03.1639, ebd., Bl. 161r–162v. Vgl. Joachim von Wicquefort an Bernhard von Weimar, 06.03.1639, in: Röse, Herzog Bernhard, Bd. 2, S. 531; Gonzenbach, General, Bd. 1, S. 217. Jan Hoeufft an Bernhard von Weimar, Paris, 22.03.1639, LATh – HStAW, Fürstenhaus, A 344, Bl. 183r–183v, hier Bl. 183r. Vgl. ein Bemühen um Schadensbegrenzung: Bernhard von Weimar an Richelieu, Pontarlier, 21./31.03.1639, in: Gonzenbach, General, Bd. 1, S. 157– 159. (Dok. 80). Vgl. Bernhard von Weimar an Erlach, Hohenstauffen, 04.05.1638, in: Gonzenbach, General, Bd. 1, S. 25 f. (Dok. 18). Vgl. Joachim von Wicquefort an Caspar Barleaus, Paris, 29.01.1639, in: Lettres de … Wicquefort … 1712, S. 85 f., hier S. 85; Joachim von Wicquefort an Bernhard von Weimar, Paris, 03.03. 1639, LATh – HStAW, Fürstenhaus, A 344, Bl. 138r–143v (Abschrift), hier Bl. 140r. Gleichwohl gab es Zeichen der Wertschätzung für ihn: Joachim von Wicquefort an Bernhard von Weimar, Paris, 11.02.1639, LATh – HStAW, Fürstenhaus, A 344, Bl. 102r–108v. Ludwig XIII. hatte ihn auch in den Michaelsorden aufgenommen, vgl. Schulten, Joachim de Wicquefort, S. 132; zum Orden: Philippe Contamine: Art. Michaelsorden, in: Lexikon des Mittelalters 6 (1993), Sp. 607; dessen Stellenwert war zu dieser Zeit allerdings gesunken.
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Haltung der französischen Seite gleichfalls, dennoch gab er sich entschlossen. Die Franzosen irrten, wenn sie glaubten, man werde „nostre patrie et nostre liberté“ verkaufen.¹¹⁸ Mit diesen Schlagwörtern gerade der protestantischen Seite, die der Herzog von Weimar gerne anführte,¹¹⁹ arbeitete auch seine Umgebung.
5 Rollenkonflikte? Hans Ludwig Erlach Seit 1637 für Bernhard tätig,¹²⁰ wurde Hans [Johann] Ludwig von Erlach 1638 Generalmajor der weimarischen Armee.¹²¹ Er hatte militärische Erfahrung in verschiedenen Diensten gesammelt, unter anderem für Frankreich,¹²² und seit den späten 1620er Jahren maßgebliche Ämter in seiner Heimatstadt Bern inne.¹²³ Für Bernhard waren sein militärisches Wissen und seine Kenntnis des Raumes, seine Verbindungen in der Eidgenossenschaft und seine diplomatischen Erfahrungen wichtig. Erlach war im Auftrag der Eidgenossenschaft am französischen Hof gewesen und hatte Verbindungen zu Herzog Henri de Rohan, dem Hugenottenführer, zum schwedischen Residenten in Benfeld, Friedrich Richard Mockel,¹²⁴ sowie zum französischen Botschafter in Solothurn, Blaise Méliand.¹²⁵ Er unterstützte Bernhards Kriegszüge im Umfeld der Eidgenossenschaft. Für die weima-
Joachim von Wicquefort an Bernhard von Weimar, Paris, 08.02.1639; Joachim von Wicquefort an Bernhard von Weimar, Paris, 22.02.1639, hier n. Droysen, Bernhard, Bd. 2, S. 513 u. 517 f. Michael John an Joachim von Wicquefort, 14./24.02.1639, zit. n. Schulten, Joachim de Wicquefort, S. 130. Zum ernestinischen Selbstverständnis als Schützer des wahren Luthertums Siegrid Westphal: Zur Einführung. Wer waren die Ernestiner?, in: dies./Hans-Werner Hahn/Georg Schmidt (Hrsg.), Die Welt der Ernestiner. Ein Lesebuch. Köln/Weimar/Wien 2016, S. 11– 22. Er reiste u. a. für Bernhard nach Amsterdam zu Joachim von Wicquefort, vgl. Joachim von Wicquefort an Bernhard von Weimar, Amsterdam, 23.11.1637, LATh – HStAW, Fürstenhaus, A 342, Bl. 249r–252v, hier Bl. 249v–250r. Zu früheren Verbindungen zwischen den Bernhard und Erlach Droysen, Bernhard, Bd. 2, S. 386. Er war damit für die Beschaffung von Militärgütern zuständig. Nach der Einnahme Breisachs machte Bernhard ihn zum dortigen Gouverneur. Ludwig XIII. an Erlach, Paris, 10.02.1631, Burgerbibliothek Bern: Mss.h.h. XV. 29: Dok. 1, 1– 2. Zu Erlach Philippe Rogger: Erlach, Hans Ludwig von [2015], in: Lexikon der Heerführer und hohen Offiziere des Dreißigjährigen Krieges, https://thirty-years-war-online.net/prosopographie/ heerfuehrer-und-offiziere/erlach-hans-ludwig-von/ (abgerufen am 26.11. 2019); Gonzenbach, General. Vgl. Bernhard von Weimar an Hans Ludwig von Erlach, Rheinfelden, 25.11./05.12.1638, in: Gonzenbach, General, Bd. 1, S. 120 f. (Dok. 59), hier S. 120. Blaise Méliand an Hans Ludwig von Erlach, Solothurn, 24.02.1638, Burgerbibliothek Bern, Mss.h.h. XV. 29, 85 ff.
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rische Armee, die am Oberrhein, im Elsass und in der Freigrafschaft Burgund Krieg führte, war die Eidgenossenschaft entscheidend für die Heeresversorgung und als Durchmarschgebiet. In der Schweiz führte das Vorgehen Erlachs jedoch zu Unruhe und dem Vorwurf, gegen Schweizer Interessen zu handeln. Schließlich gab Erlach seine Berner Ämter auf. Mit den Schweizer Angelegenheiten waren neben Erlach¹²⁶ weitere führende Mitarbeiter Bernhards betraut, darunter sein Geheimer Rat Marx Conrad von Rehlinger (Rehlingen)¹²⁷ und Johann Bernhard von Ehm. Es kam auf Kontakte zu den Kantonen, lokalen Obrigkeiten und Kaufleuten an. Wiederholt wurden Aktionen durch Méliand, Mockel oder auch Georg Müller flankiert und damit von offiziellen französischen wie schwedischen Vertretern. Geschenke waren dem wohl nicht abträglich.¹²⁸ Auch hier wird ersichtlich, wie bei den Beziehungsgeflechten im Umfeld Bernhards kaum zwischen Bündnisbeziehungen und privaten Beziehungen der Beteiligten, zwischen formellen und informellen Ebenen zu trennen ist. Die Frage, wie tragfähig oder zielführend im Sinne der Bernhard’schen Politik diese Verbindungen waren, ist nicht generell zu beantworten. Sie waren wenig institutionalisiert, und auch diese Netzwerke sind als fragil und situationsabhängig zu verstehen. Gerade bei den Eidgenossen trafen die Bernhard’schen Agenten auf eine gleichfalls „wenig formalisierte Diplomatie“, die vielfach von Militärunternehmern getragen wurde.¹²⁹ Die „Außenkontakte“, Interaktionen und Kommunikationsnetze von hochrangigen Mitgliedern des Bernhard’schen Hofstaates und der weimarischen Armee bestanden teilweise, bevor der Herzog ins Spiel kam, er musste keineswegs stets im Zentrum stehen; in anderen Fällen entwickelten sie sich durch die Arbeit für ihn. Für die Beteiligten hatten sie durchaus einen eigenen Wert. So suchte Rehlingen seine Verbindung zu
Erlach bahnte auch den Übertritt Konrad Widerholts, des Kommandeurs der württembergischen Festung Hohentwiel, auf die weimarische Seite mit an, Wilson, Thirty Years War, S. 601 f.; zu weiteren Akteuren dabei Wolfgang Kramer: Briefe von Herzog Bernhard von Weimar an Konrad Widerholt, in: Hegau. Zeitschrift für Geschichte, Volkskunde und Naturgeschichte des Gebietes zwischen Rhein, Donau und Bodensee 28 (1983), S. 125 – 135, hier S. 127 f., 131, 133 – 135. Rehlingen spielte bei den französisch-Bernhard’schen Beziehungen ebenfalls eine Rolle. Zu ihm Reinhard Hildebrandt: Einleitung, in: ders. (Hrsg), Quellen, S. 15 – 39, hier S. 19 – 38; Franz Josef Schöningh: Die Rehlinger von Augsburg. Ein Beitrag zur deutschen Wirtschaftsgeschichte des 16. und 17. Jahrhunderts. Paderborn 1927; FB Gotha, Chart. A 725. Vgl. LATh – StA Gotha, Geheimes Archiv E VI 5 Nr. 7 (Bd. unpag.): Abrechnung über Ausgaben Bernhards 1638, u. a. über „ein bildtnüß mit diamanden geschickt vonn I. f. gn dem Secre. Müller“ und „ein güldene Kette mit ebenermaßen I. Gn. bildnüß“ für Mockel. Holenstein, Militärunternehmer, S. 155; vgl. auch Andreas Behr: Diplomatie als Familiengeschäft. Die Casati als spanisch-mailändische Gesandte in Luzern und Chur (1660 – 1700). Zürich 2015.
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Grotius für einen seiner Söhne zu nutzen.¹³⁰ Viele Verbindungen existierten auch nach dem Tod des Herzogs.¹³¹ Kurz nachdem er offiziell in die weimarische Armee eingetreten war, reiste Erlach im Frühjahr 1638 nach Paris, unter anderem um Hilfen für die Einnahme Breisachs zu erreichen.¹³² Er sollte zudem den Kontakt zu Père Joseph halten, der als Beichtvater maßgeblichen Einfluss auf Richelieu hatte.¹³³ 1639 sollte er dann die Verhandlungen über die Breisach- und Elsassfrage vorantreiben.¹³⁴ Er erschien dafür aufgrund seines Amtes in der Armee und seiner Erfahrungen am Pariser Hof bestens geeignet. Nach der offiziellen französischen Darstellung bestand sein Reisezweck indessen darin, zur lange erwarteten Geburt des Dauphins im September 1638 zu gratulieren.¹³⁵ Tatsächlich gehörte auch dies zu seinen Aufgaben¹³⁶ und zur Pflege der Bündnisbeziehungen; vor allem aber sollte der brisante Hintergrund seines Aufenthalts verschleiert werden. Für den Herzog ging es nun um ein zentrales Politik- und Kriegsziel. Frankreich hatte kein Interesse daran, dem sich hier entwickelnden Konflikt, der an den europäischen Höfen aufmerksam verfolgt wurde, weitere Öffentlichkeit zu verschaffen. Erlach hatte auf französischer Seite hochrangige Gesprächspartner. Er erhielt Audienzen bei Richelieu und der Königin; mit Bullion, Chavigny und de Noyers waren seine Verhandlungspartner wichtige Regierungsmitglieder.¹³⁷ Er verhandelte offensichtlich weitgehend selbstständig. Schon die Transportwege und oftmals verzögerte oder ausbleibende Korrespondenz machten es auch für ihn nötig, vor Ort handlungsfähig zu sein, ohne in jedem Fall genaue Anweisungen
Vgl. Hildebrandt (Hrsg.), Quellen, Bd. 2, S. 215. Vgl. bspw. Erlach und Rehlingen bzw. dessen Familie: Burgerbibliothek Bern, Mss.h.h.XXVII. 53. Vgl. Bernhard von Weimar an Hans Ludwig von Erlach, im Lager von Geisingen, 09./19.05. 1638, in: Gonzenbach, General, Bd. 1, S. 28 f. (Dok. 21), hier S. 29; Erlach an Bernhard von Weimar, Paris, 08.06.1638, Burgerbibliothek Bern, Mss.h.h. XV. 29, 134 ff. Erlach war in Maßen erfolgreich. Vgl. bspw. Bernhard von Weimar an Hans Ludwig von Erlach, 09.06.1638, Burgerbibliothek Bern, Mss.h.h. XV. 29, 137 f., hier S. 138. Die Verbindungen zum Pater liefen auch über Hoeufft, vgl. Jan Hoeufft an Bernhard von Weimar, Paris, 22.03.1638: LATh – HStAW: Fürstenhaus, A 343, Bl. 188r–190r, hier Bl. 188r–189r. Zu Père Joseph Gustave Fagniez: Le Père Joseph et Richelieu (1577– 1638). 2 Bde. Paris 1894. Vgl. Memorial Bernhards von Weimar für Erlach, Pontarlier [vermutlich 20.03.1639], in: Gonzenbach, General, Bd. 1, S. 145 – 148 (Dok. 75), hier S. 148. Vgl. Gazette, Nr. 55, Meldung „De Paris“, 07.05.1639, S. 248. Vgl. die Dankantwort des Königs: Ludwig XIII. an Bernhard von Weimar, Saint Germain en Laye, 29.04.1639 (Abschrift), BnF Paris, Manuscrits français, Nr. 3767, Bl. 129r–129v. Vgl. de Noyers an Hans Ludwig von Erlach, Rueil, 06.04.1639, in: Gonzenbach, General, Bd. 1, S. 152 (Dok. 78a); Hans Ludwig von Erlach an Bernhard von Weimar, o. O., [nach dem 08.04.1639], in: ebd., S. 153 – 159. (Dok. 78b).
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seines Dienstherrn zu haben.¹³⁸ Bernhard war jedoch prinzipiell sehr darum bemüht, über die Geschehnisse auf verschiedenen Ebenen informiert zu sein, sei es bei Militäraktionen, der Heeresvorsorung oder diplomatischen Geschäften. Erlachs Selbstständigkeit ist daher nicht nur mit organisatorischen Zwängen zu erklären. Er konnte einen inhaltlich weitreichenden Handlungsspielraum nutzen.¹³⁹ Dass auch Erlach eine französische Pension bezog, konnte Bernhard nicht unbekannt sein.¹⁴⁰ Er setzte darauf, mit seiner Hilfe einen neuen, vorteilhaften Vertrag durchsetzen zu können.¹⁴¹ Dass Erlach das Vertrauen des Herzogs genoss, zeigt sich überdies bei den Verhandlungen über eine mögliche Ehe des Herzogs mit Marguerite de Rohan, der Tochter Henri de Rohans und Marguerite de Béthunes, die er 1638 in Paris führte.¹⁴² Gerüchte über eine solche Verbindung waren bereits zwei Jahre zuvor in Umlauf,¹⁴³ 1636 hatte der Herzog die Familie bei seinem Paris-Aufenthalt wiederholt besucht. Heiratsverhandlungen waren ein heikles Sujet.¹⁴⁴ Erlach ver-
Zu strukturellen Problemen von Gesandtschaften vgl. auch Anja Victorine Hartmann: Diplomatie auf Abwegen? Gedanken zu Struktur und Effizienz diplomatischer Beziehungen im Umfeld des Dreißigjährigen Krieges, in: Sven Externbrink/Jörg Ulbert (Hrsg.), Formen internationaler Beziehungen in der Frühen Neuzeit. Frankreich und das Alte Reich im europäischen Staatensystem. Berlin 2001, S. 419 – 430, hier S. 425 – 427. Vgl. als Beispiel für militärisch-politische Fragen: Blaise Méliand an Erlach, Solothurn, 24.02.1638, Burgerbibliothek Bern, Bern Mss. h.h. XV 29, 85 ff. Vgl. Hans Ludwig von Erlach an Bernhard von Weimar, o. O., o. D. [Sommer 1638?], in: Gonzenbach, General, Bd. 1, S. 84 f. (Dok. 39). Projekt wegen neuer Tractaten mit Frankreich, in: Gustav Droysen: In Sachen Herzog Bernhards von Weimar. Eine Erwiderung an Herrn A. von Gonzenbach. Göttingen 1886, S. 379 – 385; Bernhard von Weimar [Antwort auf die Positionen Graf Guébriants, Kanzleiausfertigung] [Juni 1639], in: Gonzenbach, General, Bd. 1, S. 182– 184. (Dok. 90b); die französische Textvariante, datiert auf Pontarlier, 13./23.6.1539, in: Röse, Herzog Bernhard, Bd. 2, S. 536 – 539 (Dok. 52). Art. 5 fehlt allerdings in der deutschen Fassung. Vgl. Hans Ludwig von Erlach an Bernhard von Weimar, Paris, 06.07.1638, in: Gonzenbach, General, Bd. 1, S. 78 – 81 (Dok. 37). Vgl. John Dinley an Thomas Roe, Den Haag, 01.01.1636, in: John Bruce (Hrsg.), Calendar of State Papers, Domestic Series of the Reign of Charles I. Bd. 9: 1635 – 1636. London 1866, S. 141 f. (Dok. 3). Vgl. Philip Haas/Bengt Büttner: Qualia ex repudiis illustrium infortunia et calamitates! Der Verhandlungsgang dynastischer Ehen der Frühen Neuzeit als Frage der Sicherheit, in: Horst Carl/ Rainer Babel/Christoph Kampmann (Hrsg.), Sicherheitsprobleme im 16. und 17. Jahrhundert. Bedrohungen, Konzepte. Baden-Baden 2019, S. 257– 284, hier S. 260 f.; Britta Kägler: Dynastische Ehen in der Frühen Neuzeit. Partnerwahl zwischen Sozialprestige und Außenpolitik, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 1/2 (2014), S. 5 – 20.
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suchte nachdrücklich, den Herzog zu dieser Ehe zu bewegen,¹⁴⁵ die eine Verbindung mit dem französischen Hochadel und eine stärkere Teilhabe an der Politik Frankreichs bedeutet hätte. Letztlich entschied sich Bernhard dagegen.¹⁴⁶ Dieses Projekt gehört zu einer Reihe von Überlegungen über mögliche Eheschließungen des Herzogs. Um solche Sondierungen nach außen nicht unmittelbar kenntlich werden zu lassen, griff Bernhard auch auf Mittelsmänner zurück, die „im Dienst befreundeter Fürsten und Mächte“ standen.¹⁴⁷ Sondierungen mit Pfalz-Zweibrücken liefen über den schwedischen Sekretär Müller.¹⁴⁸ Im Falle der Überlegungen zu einer dynastischen Verbindung mit Elisabeth, der Tochter der gleichnamigen Pfalzgräfin, übergab Bernhard vermutlich Briefe an den englischen Agenten in der Schweiz, Sir Oliver Fleming, der ihn im Auftrag des englischen Königs aufgesucht hatte.¹⁴⁹ Auch mit England lotete Bernhard weiterhin Bündnisoptionen aus, ebenso wie mit Dänemark und den Wittelsbacher Pfälzern. Er wollte sich nicht auf Paris verlassen. Seine politischen Spielräume schöpfte er aber letztlich aus der Tatsache, dass seine genauen Vertragsbestimmungen mit Frankreich nicht bekannt waren und er so einen Grad der Unabhängigkeit suggerieren konnte, den er erst zu erlangen hoffte.
6 Der Repräsentant Schwedens: Hugo Grotius Zwischen Hugo Grotius,¹⁵⁰ dem Gelehrten und schwedischen Botschafter in Paris, und Bernhard gab es langjährige Kontakte. Ihre Korrespondenz bezog sich auf militärische Entwicklungen und politische Fragen, Grotius beriet Bernhard auch.¹⁵¹ Die detailliertere Kommunikation lief mündlich über Verbindungsleute
Hans Ludwig von Erlach an Bernhard von Weimar, Paris, 06.07.1638, in: Gonzenbach, General, Bd. 1, S. 78 – 81 (Dok. 37), Zitate S. 81; ebd., S. 86 f. (Dok. 40). Maßgeblich war wohl ein zunehmender Widerstand von Seiten des Königs. Allgemein zu Diplomaten: Haas/Büttner, Qualia ex repudiis, S. 265. Vgl. Axel Oxenstierna an Johann Kasimir von Pfalz-Zweibrücken, Jönköping, [vor dem 23.] 05.1639, in: Backhaus (Hrsg.), Rikskanslern Oxenstiernas skrifter. Bd. 16/1, S. 250 – 253, hier S. 251; Andreas Kappelmayer: Johann Casimir von Pfalz-Zweibrücken-Kleeburg (1589 – 1652). Standeswahrung und Fremdheitserfahrung im Schweden Gustavs II. Adolf und Christinas. Münster 2017, S. 445, 507– 510. Vgl. Giovanni Giustinian an den Dogen und Senat Venedigs, London, 22.04.1639, in: Hinds, Calendar, S. 533 f. (Dok. 644), hier S. 534; Akkerman, Correspondence, S. 833 u. 807. Zu Grotius Henk Nellen: Hugo Grotius. A Lifelong Struggle for Peace in Church and State, 1583 – 1645. Leiden 2015. Bspw. Hugo Grotius an Bernhard von Weimar, Paris, 03./13.02.1638, LATh – HStAW, Fürstenhaus, A 343, Bl. 92r–92/1 (sic); FB Gotha, Chart. A 392 (1).
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wie den Bernhard’schen Kammerherrn Wolf-Dietrich Truchseß¹⁵² und Betz, auch über Müller, der manches Mal als Vermittler der Sache Bernhards gegenüber Grotius erscheint. Grotius war in Paris zudem die Anlaufstation für Bernhards Agenten.¹⁵³ Er hatte eine Scharnierstelle inne.¹⁵⁴ Den Botschafter und den Herzog verbanden politische Ziele und strategisches Kalkül. Grotius war keineswegs per se am Frieden interessiert.¹⁵⁵ Ihm ging es, seinem Amt entsprechend, um einen für Schweden möglichst vorteilhaften Frieden. Dazu konnte eine Verlängerung des Krieges dienen. Eine vergleichbare Haltung teilten zahlreiche Akteure.¹⁵⁶ Schweden hatte ein Interesse daran, Bernhards Position im französischen System zu stärken, um auf diese Weise französische Kriegsaktionen im Reich beeinflussen zu können. Man benötigte aber auch Informationen über Bernhard, die auf verschiedenen Wegen eingingen. Der Botschafter erstattete seiner Regierung Bericht über die Kriegsführung des Herzogs; diesen wiederum informierte er über die schwedischen Positionen. Private Interessen kamen hinzu. Um ihre Karriere zu befördern, brachte Grotius zwei seiner Söhne in der weimarischen Armee beziehungsweise dem Hofstaat Bernhards unter. Der Bot-
Vgl. u. a. Hugo Grotius an Bernhard von Weimar, Paris 14./24.08.1638, LATh – HStAW, Fürstenhaus, A 343, Bl. 366r–367v (Dok. 158), hier Bl. 366r; Hugo Grotius an Bernhard von Weimar, Paris, 01.06.1638, FB Gotha, Chart. A 392, Bl. 30r. Das waren Ponickau, Truchseß, der herzogliche Hofmeister Hans Georg von Rotenhan, Erlach, Betz. Wie sich u. a. bei Betz zeigt, verbanden sich manches Mal, auch aufgrund der Reiseroute, Aufträge in Lyon, dem Finanz- und Handelszentrum, über das die Bernhard’schen Gelder großtenteils liefen, mit solchen in Paris. Zu den Beziehungen zwischen Bernhard und Schweden Astrid Ackermann: Schweden, Bernhard von Weimar und sein oberrheinisches Fürstentum (1636 – 1639), in: Volker Rödel/Ralph Tuchtenhagen (Hrsg.), Die Schweden im deutschen Südwesten. Vorgeschichte – Dreißigjähriger Krieg – Erinnerung (erscheint Stuttgart 2020). Weiterhin mag eine Rolle gespielt haben, dass im Haus des Botschafters ein protestantischer Gottesdienst möglich sein musste, vgl. Krischer, Gesandtschaftswesen, S. 230. Aus religiösen Gründen schätzte auf schwedischer Seite nicht zuletzt Ludwig Camerarius Bernhard, vgl. Friedrich Hermann Schubert: Die Pfälzische Exilregierung im Dreißigjährigen Krieg, in: ders.: Ludwig Camerarius (1573 – 1651). Eine Biographie. 2. Aufl., hg.v. Anton Schindling. Münster 2013, S. 491– 585, hier S. 534; er stand auch in Kontakt mit dem Herzog, vgl. FB Gotha, Chart. A 392 (3). Nellen, Hugo Grotius. Für Grotius hingen „een goed oorlog“ oder „een eerliche ende zedelyke vrede“ unmittelbar zusammen: Hugo Grotius an Bernhard von Weimar, Paris, 04./14.02.1638, LATh – HStAW, Fürstenhaus, A 343, Bl. 93r–93v (Dok. 43), hier Bl. 93v. Vgl. bspw. Ondedei zum Scheitern des Kölner Friedenskongresses: Die Kriegsparteien wünschten zum gegenwärtigen Zeitpunkt keinen Frieden, „weil sie noch nicht in der Lage sind, ihn so zu bekommen, wie sie ihn haben wollen“: Bericht des Giuseppe di Zongo Ondedei vom Kölner Kongreß (1636/37), in: Bernd Roeck (Hrsg.), Gegenreformation und Dreißigjähriger Krieg 1555 – 1648. Stuttgart 1996, S. 359 – 364 (Dok. 60), hier S. 360.
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schafter handelte hier als Vertreter seiner Familie.¹⁵⁷ Dietrich (Diederik) de Groot profitierte von der Patronage seines Vaters für Ponickau: Ponickau war sein Ansprechpartner in der Armee. Der Tod des Herzogs im Sommer 1639 machte es schließlich auch für ihn notwendig, sich umzuorientieren. Für Bernhard versprach die Verbindung zu Grotius zum einen einen weitgehend kontinuierlichen Zugang zum französischen Hof. Zum anderen bildete der Botschafter eine maßgebliche Brücke zu Schweden. Er setzte darauf, dass Grotius in seinem Sinne Einfluss nehmen würde, bei seinen Geld- und Truppenforderungen und bei seinem Anspruch, an Friedensverhandlungen beteiligt zu werden. Beide mögen mehr voneinander erhofft haben. Grotius’ Einfluss war begrenzt, in Paris wie in Stockholm.¹⁵⁸ Dass er intensiv für Bernhards Interessen eintrat – oder, wie dies gleichfalls wahrgenommen wurde, dessen Unzufriedenheit mit dem Kurs Frankreichs schürte ‒, verstärkte dort die Zurückhaltung bis Ablehnung. Im Sommer 1638 erklärte Ludwig XIII. Bernhard gar, er missbillige das Auftreten des Botschafters, das nur mit einer „mauvaise volonté“ oder einer nicht zu entschuldigenden „ignorance grossière“ zu erklären sei.¹⁵⁹ Als effektiver Fürsprecher in Paris fiel Grotius damit weitgehend aus.
7 Fazit Ein Militärunternehmer wie der Herzog von Weimar konnte auf diplomatisches Handeln nicht verzichten. Militärische und politische Zwecke verbanden sich. Die Diplomatie behielt zwar das Fernziel eines Friedens zur Sicherung des Erreichten im Auge, doch der gerechte Krieg hatte die Bedingungen dafür zu schaffen. Der Herzog führte Verhandlungen aus unterschiedlichen Gründen nicht selbst: Weil die Angelegenheiten nicht so relevant erschienen, dass sie seine Anwesenheit erfordert hätten oder es aus Statusgründen wichtig erschien, durch Unterhändler und nicht selbst in Erscheinung zu treten; weil er nicht von der Armee abkömmlich war; weil andere unauffälliger Sondierungen vornehmen konnten oder weil er seine Position auf diese Weise besser durchzusetzen hoffte.
Zum Muster, wonach Diplomaten des Ancien Régime stets auf Vorteile für ihre Familien geachtet hätten, Thiessen, Diplomatie. Vgl. Nellen, Hugo Grotius, S. 422, 543 f., 547, 551– 556. Ludwig XIII. an Bernhard von Weimar, im Lager vor Hedin [tatsächlich wohl: Abbeville], 03.06.1638, in: Denis Avenel (Hrsg.), Lettres instructions diplomatiques et Papiers d’État du Cardinal de Richelieu. Bd. 6: 1638 – 1642. Paris 1867, S. 376 ff. (Dok. CCVI), hier S. 377. Grotius zu seinen Misserfolgen am Hof: Hugo Grotius an Bernhard von Weimar, Paris, 12.07.1639, LATh – HStAW, Fürstenhaus, A 344, Bl. 388r–388v.
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Seine mit diplomatischen Aufgaben beauftragten Mitarbeiter sollten, neben dem Sammeln von Informationen, immer auch die politische Präsenz des Herzogs anzeigen, seine Verlässlichkeit betonen oder Machtpositionen zur Schau stellen und auf dieser Basis Forderungen stellen. Bedingt durch die organisatorischen und finanziellen Möglichkeiten des weimarischen Militärsystems, gab es im herzoglichen Dienst kein eigenständiges Handlungsfeld Diplomatie. Die untersuchten Schlüsselfiguren der Bernhard’schen Diplomatie zeichneten sich – wie andere diplomatische Agenten – durch ihre umfassende „mobility, organizational experience, command of languages, flexibility, networking capabilities“ aus.¹⁶⁰ Eine in sich geschlossene Strategie für ihren Einsatz gab es nicht. Der Herzog versuchte grundsätzlich, persönlich informiert zu bleiben; auch wenn er die Erteilung von Aufträgen delegierte, sollte ihm über Entwicklungen und Ergebnisse ständig Bericht erstattet werden, Entscheidungen wollte er nicht aus der Hand geben. Loyalität zu seiner Person zählte zu den Voraussetzungen, um mit diplomatischen Missionen betraut zu werden. Dass es vielfach sich überschneidende, vergleichbare Aufträge gab, ist auch mit Kontrollüberlegungen zu erklären. Es diente aber angesichts der zu bewältigenden Entfernungen zugleich der Arbeitserleichterung, angesichts der Unsicherheit der Wege und möglicher persönlicher Ausfälle darüber hinaus der Absicherung. So kündigte der Herzog im Frühjahr 1638 gegenüber der Konferenz der evangelischen Orte der Eidgenossenschaft an, einen Vertreter zur Versammlung zu senden, der jedoch nicht kam.¹⁶¹ Ob die Agenten wesentlich in der ökonomischen Sphäre verankert waren (Wicquefort) oder ein politisches Amt ausübten (Ponickau): Es verbanden sie politische Interessen, Hoffnungen auf Karriere und wirtschaftlichen Gewinn, auch für die eigene Familie. Insofern findet dieses Bild der Diplomatie eine Entsprechung im Soldunternehmertum.¹⁶² Erwarten konnten sie – neben Pensionen – Kriegsbeute und Territorialbesitz. Ponickau erhielt von Bernhard in Franken eine Keblusek, Introduction. Double Agents, S. 7. Vgl. Conferenz der IV evangelischen Städte, Aarau, 23./24.03.1638, in: Jakob Vogel/Daniel Albert Fechtner (Bearb.), Amtliche Sammlung der ältern eidgenössichen Abschiede. Bd. 5. Abth. 2/1: Die Eidgenössischen Abschiede aus dem Zeitraum von 1618 bis 1648. Basel 1875, S. 1073 – 1075. (Dok. 849), hier S. 1075. Vgl. Méliand an Erlach, Soloturn, 14.04.1638, Burgerbibliothek Bern, Mss.h.h. XV. 29, 102 f.: Wegen einer Krankheit habe er das Bett hüten müssen und nicht zum Tag von Baden reisen können, wo die Kantone über freie (Liefer‐)Passagen für Bernhard beraten hätten. Vgl. Nathalie Büsser: „… et donné moy bien de vos nouvelles“. Grenzüberschreitende Briefkorrespondenzen von Angehörigen Zentralschweizer Soldunternehmerfamilien um 1700, in: Nolde/Opitz (Hrsg.), Grenzüberschreitende Familienbeziehungen, S. 191– 207, hier S. 193.
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Schenkung, Erlach sagte der Herzog Ländereien zu.¹⁶³ Hinzu kam die Gewinnung weiterer Kontakte. Die vorgestellten Protagonisten, mit denen der Herzog intensiv zusammenarbeitete, waren allesamt Protestanten. Verantwortlich dafür waren vermutlich, neben den kollektiv geteilten Weltbildern, die Vorbehalte Bernhards gegenüber der katholischen Seite und ihrer bündnispolitischen Zuverlässigkeit. In mehreren Fällen betonten Zeitgenossen sein Vertrauensverhältnis zu seinen Mitarbeitern. Das gilt für Ponickau, seinen „fauory“,¹⁶⁴ dem Bernhard „sein hertz vertrawt/ vnd als sein auge liebt“,¹⁶⁵ für Wicquefort, den der Herzog einem Wort seines Sekretärs zufolge „plus que personne de l’univers“ liebte,¹⁶⁶ ebenso für Henri de Rohan, der 1638 in die weimarische Armee eintrat.¹⁶⁷ Zu Schaffalitzky heißt es in einer Trauerschrift: Der Herzog „liebt’ ihn als wie sein hertz; macht’ ihn zum General/ Und Pfleger seines Heeres/ und nimt ihn überal/ In den gehymsten Rath; ja was er hat gerathen/ Da sind mit gutem glük deß Fürsten grossen thaten/ Und Sig darauf erfolgt. […] Das Frankreich mußt’ ihn preisen/ Dahin er offtermal zum König hatt’ zu reysen“.¹⁶⁸ Dass Bernhard, der in seiner Persönlichkeit schwer zu fassen ist, zu den genannten Männern ein in emotionaler Hinsicht engeres Verhältnis unterhielt, ist damit nicht gesagt. Letztlich entsprechen die Äußerungen, die zudem teils von Außenstehenden stammen, den Normen der adligen Freundschaftsrhetorik sowie den diplomatischen Sprachformen und sind Standardelemente des frühneuzeitlichen Patronagediskurses.¹⁶⁹
Vgl. Mémoir, Burgerbibliothek Bern, Mss.h.h. XV. 29, 92 ff., hier 94 (Beilage zu Bernhard von Weimar an Erlach, Hohentwiel, 04.05.1638: ebd., 90 ff.). Godefroy, Le Ceremonial François. Bd. 2, S. 799. Zum Favoriten Michael Kaiser/Andreas Pečar: Reichsfürsten und ihre Favoriten. Die Ausprägung eines europäischen Strukturphänomens unter den politischen Bedingungen des Alten Reiches, in: dies. (Hrsg.), Der zweite Mann im Staat, S. 9 – 19. Laurentius Drach: Gratulatio Votiva. Generoso, Strenuo, & praenobili viro Dno. Tobiae A Ponikau … Gubernator Ducatus, Franciae Orientalis fuit constitutes. Regensburg 1634, VD17: 3:644913D; andere Ausg.: 14:051892 V, o. S. Michael John an Joachim von Wicquefort, 09./19.07.1637, zit. n. Schulten, Joachim de Wicquefort, S. 132. Hier Bernhard selbst: Bernhard von Weimar an von Erlach, im Lager vor Neuburg, 04./14.04. 1638, in: Gonzenbach, General, Bd. 1, S. 20 f. (Dok. 15). Schneuber, Lobwürdiges an-gedänken, o. S. Vgl. Christian Kühner: Politische Freundschaft bei Hofe. Repräsentation und Praxis einer sozialen Beziehung im französischen Adel des 17. Jahrhunderts. Göttingen 2013, S. 129 ff.; Birgit Emich/Nicole Reinhardt/Hillard von Thiessen/Christian Wieland: Stand und Perspektiven der Patronageforschung. Zugleich eine Antwort auf Heiko Droste, in: Zeitschrift für Historische Forschung 2/32 (2005), S. 233 – 265, ebenso: http://cour-de-france.fr/article2787.html.
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Nach dem Tod des Herzogs orientierten sich seine Vertrauten umgehend um. Sie brauchten neue Patrone. Ihre auch für Bernhard gesammelten Kontakte und ihre Mehrfachloyalitäten kamen ihnen dabei zugute.¹⁷⁰ Der Militärunternehmer konnte durch Diplomatie sich selbst und seine Erfolge, nicht aber ihre Zukunft über seine Lebenszeit hinaus sichern.¹⁷¹ Erlach setzte seine Karriere im Dienst der französischen Krone fort. Trotz Rückgabeforderungen aus Sachsen-Weimar¹⁷² konnte er umfangreiche Teile des Bernhard’schen Nachlasses im Besitz seiner Familie halten. Wicquefort gewann weitere fürstliche Auftraggeber. Der Fall Bernhards zeigt die Möglichkeiten, die sich einem hochadligen Militärunternehmer auf der politischen Bühne Europas boten. Im Unterschied zu Staaten hatte sein System jedoch ein offenkundiges Verfallsdatum: den Tod des Feldherrn. Im Sommer 1639 war die Frage, was mit seinen Eroberungen am Rhein und im Elsass geschehen würde, noch offen.¹⁷³ Sie waren weder durch altes Herkommen, noch auf der Ebene der Reichs- und Staatenpolitik oder durch Verwandtschaft legitimiert. Die Voraussetzungen für diplomatische Erfolge waren gerade für einen nichtstaatlichen Akteur machtpolitischer Natur. Bernhard hatte deswegen parallel zu den Verhandlungen weiter Krieg geführt. Der Fall Wallensteins hatte gezeigt, wie selbst dort, wo territoriale und staatliche Gewinne gesichert erschienen, mit dem Tod Besitz und politisches System zerfielen. Um dies zu verhindern und seine Erwerbungen ohne den Krieg und über seinen Tod hinaus zu bewahren, wollte Bernhard zudem eigenständig an Friedensverhandlungen beteiligt werden. Dies gelang nicht. Das akteurszentrierte Netzwerk stand und fiel mit dem Patron.
Erst Ende des Jahrhunderts wurden Letztere von staatlicher Seite zu unterbinden gesucht: Christoph Kampmann: Resümee.Vortrag im Rahmen des Workshops „Aspekte der diplomatischen Praxis um 1700“, Würzburg, 15.11. 2019. Zum „Vorteil des dynastischen Fürstenstaates“ Christian Wieland: Fürsten, Freunde, Diplomaten. Die römisch-florentinischen Beziehungen unter Paul V. (1605 – 1621). Köln/Weimar/ Wien 2004, S. 510: „Die in der Erbfolge garantierte Kontinuität von Bindungen und Loyalitäten“ habe eine „Alternativlosigkeit seiner Mitarbeiter“ mit sich gebracht. Vgl. verschiedene Schreiben in LATh – StA Gotha, Geheimes Archiv E VI. 5. Nr. 8. Insofern waren gerade Wicquefort oder Erlach erfolgreicher als Bernhard.
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Die Dritte Partei des Westfälischen Friedenskongresses und die Frage, wie der Frieden möglich wurde Ein Forschungsdesiderat Schon Fritz Dickmann bezeichnete in seiner erstmals 1959 erschienenen und bis heute maßgebenden Monographie zum Westfälischen Frieden (1648) die Dritte Partei des Westfälischen Friedenskongresses als eine Gruppe kompromissbereiter Gesandtschaften, die in der Endphase der Verhandlungen wichtige Ergebnisse erzielte.¹ Die wegweisende Bedeutung der Dritten Partei für das Zustandekommen des Friedensschlusses wird in der Fachliteratur allerdings erst in jüngerer Zeit wieder stärker betont.² Dabei erscheint vor allem bemerkenswert, dass die Dritte Partei die letzten großen Probleme des Kongresses löste, die noch zwischen Kaiserlichen, Franzosen und Schweden bestanden, obwohl sich die Gruppe lediglich aus Vertretern der weniger mächtigen Akteure – aus einigen Reichsständen – zusammensetzte. Aufgrund ihrer großen Bedeutung für das Zustandekommen des Friedens von 1648 reicht das aktuelle Interesse an der Dritten Partei sogar bis in die internationale Politik der Gegenwart hinein. So wurde etwa im Rahmen des Projektes A Westphalia for the Middle East vorgeschlagen, „[e]ine ‚dritte Partei‘ ins Leben zu rufen, […] die die Verhandlungen [im aktuellen Syrienkrieg] in die Hand nehmen und den Lösungsprozess vorantreiben“ solle.³ Die Idee, eine an der Dritten Partei des Westfälischen Friedenskongresses orientierte Gruppe zu initiieren, die den Friedensprozess im Mittleren Osten voranbringt, stieß bei mehreren Akteuren vor
Fritz Dickmann: Der Westfälische Frieden. 7. Aufl. Münster 1998, besonders S. 427– 431. Besonders Siegrid Westphal: Der Westfälische Frieden. München 2015, S. 8, 46 f., 64 f., 88 f., 93 – 97. Als Beispiele für jüngste Publikationen, die die Bedeutung der Dritten Partei betonen, sei verwiesen auf dies.: Reichsstädtisches Agieren und Argumentieren bei den Verhandlungen des Westfälischen Friedenskongresses, in: Helge Wittmann/Mathias Kälble (Hrsg.), Reichsstadt als Argument. Petersberg 2019, S. 93 – 108; Johannes Burkhardt: Der Krieg der Kriege. Eine neue Geschichte des Dreißigjährigen Krieges. Stuttgart 2018, S. 215, 246; Georg Schmidt: Die Reiter der Apokalypse. Geschichte des Dreißigjährigen Krieges. München 2018, S. 600. Brendan Simms/Michael Axworthy/Patrick Milton: Der Friedenskongress von Münster und Osnabrück als Wegweiser für eine neue Friedensinitiative im Nahen Osten?, in: Osnabrücker Jahrbuch Frieden und Wissenschaft 24 (2018), S. 149 – 158, hier S. 156 f. https://doi.org/10.1515/9783110625431-009
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Abb. 7: Johann Adolf Krebs, Gesandter Bayerns
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Abb. 8: Johann Philipp von Schönborn (1605–1673), Kurfürst und Erzbischof von Mainz sowie Fürstbischof von Würzburg. Kupferstich aus Anselm van Hulles ‚Les hommes illustres’ (1648)
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Ort auf ein positives Echo.⁴ Auch der ehemalige deutsche Außenminister FrankWalter Steinmeier zählt zu den Unterstützern einer solchen Initiative.⁵ Das derzeitige große fachwissenschaftliche und öffentliche Interesse an der Dritten Partei steht allerdings im deutlichen Gegensatz dazu, dass über diese Gruppe bislang kaum etwas bekannt ist. Daher ist es Ziel dieses Beitrages, das Forschungsdesiderat zur Dritten Partei genauer zu skizzieren und auf aktuelle Forschungsbemühungen hinzuweisen. Dafür wird in drei Schritten zunächst näher auf die Bedeutung der Gruppe eingegangen, bevor der Forschungsstand eingehender beleuchtet wird. Drittens und abschließend werden aktuelle Forschungsbemühungen, die am Osnabrücker Forschungszentrum IKFN⁶ durchgeführt werden, vorgestellt.
1 Die Bedeutung der Dritten Partei Vom anfänglichen Ziel, eine europäische pax perpetua et universalis zu schaffen, wurde im Westfälischen Frieden von 1648 insbesondere eines erreicht: nachhaltige Lösungen für das Heilige Römische Reich, die dort weitere Religions- und Verfassungskriege verhinderten. Von Bedeutung war der Westfälische Frieden daher insbesondere für das Reich, „dessen reformierte Verfassungsstruktur eine Friedensordnung erneuerte“ und erweiterte, die für etwa eineinhalb Jahrhunderte Sicherheit und Stabilität gewährleistete.⁷ Schon während des Kongresses zeichnete sich ab, dass dort zunehmend Probleme der Reichsverfassung, die bereits Ursachen des Dreißigjährigen Krieges
„During the workshops [of the initiative A ‚Westphalia‘ for the Middle East] there was a considerable amount of discussion about the possibility of such a diplomatic technique [establishing a Third Party] in a congress for a Middle Eastern peace.“ Patrick Milton/Elisabeth von Hammerstein: Reinventing ‚Westphalia‘. Historical Lessons for a Future Peace in the Middle East. Hamburg 2017, S. 9. Unklar sei den modernen Akteuren allerdings, wer eine solche Dritte Partei heute formen könne. Hierzu jüngst auch: Patrick Milton/Michael Axworthy/Brendan Simms: Towards a Westphalia for the Middle East. London 2018, S. 120 f. Vgl. Frank-Walter Steinmeier/Rainer Hermann: Der Westfälische Friede als Denkmodell für den Mittleren Osten, in: Osnabrücker Jahrbuch Frieden und Wissenschaft 24 (2018), S. 71– 90, hier S. 85 f. Seit Juni 2018 läuft am Forschungszentrum Institut für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit (IKFN) das DFG-geförderte Forschungsprojekt Frieden als Kommunikationsprozess. Die Dritte Partei des Westfälischen Friedenskongresses. Vgl. Westphal, Der Westfälische Frieden, S. 108 f., Zitat S. 109; vgl auch Schmidt, Die Reiter der Apokalypse, S. 611.
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gewesen waren,⁸ thematisiert und zu lösen gesucht wurden. Besonders deutlich wurde dies mit der Zulassung der Reichsstände zu den Friedensverhandlungen im Jahr 1645. Solche Fragen der Reichsverfassung, die auch auf dem Westfälischen Friedenskongress nicht beantwortet werden konnten – z. B. jene nach einer immerwährenden Wahlkapitulation für das Reich –, wurden zum Teil bis zur Etablierung des Immerwährenden Reichstages von Regensburg im Jahr 1663 weitergetragen und mitunter auch dort nicht zum Abschluss gebracht.⁹ Der Westfälische Friedenskongress erscheint in diesem Kontext als Beginn einer Kontinuitätslinie der Reichsverfassungspolitik, die sich über den Nürnberger Exekutionstag von 1649/50,¹⁰ den Regensburger Reichstag von 1653/54,¹¹ den Reichsdeputationstag von 1655 – 1663¹² bis zum Immerwährenden Reichstag zieht und an der die Reichsstände intensiv beteiligt waren. Zudem fügt sich die Behandlung von Verfassungsfragen auf dem Westfälischen Friedenskongress in ein von der Forschung bereits angedeutetes Bild des Kongresses als „Quasi-Reichstag“ oder einer „reichstagsähnlichen Beteiligung [der Reichsstände] an den Verhandlungen in Münster und Osnabrück“.¹³ Die Bedeutung der Reichsstände für das Gelingen des Westfälischen Friedens geht allerdings über deren Beteiligung an Reichsverfassungsfragen hinaus.Vertrat noch Fritz Dickmann die Auffassung, die Reichsstände seien bei den Verhandlungen der europäischen Großmächte „eigentlich nur schmückendes Beiwerk“ gewesen,¹⁴ zeigt sich bei genauerer Betrachtung der entscheidenden Endphase des Westfälischen Friedenskongresses ein Bild, das von dieser Einschätzung erheblich abweicht. Es ist sogar im Gegenteil davon auszugehen, dass das Zustandekommen des Westfälischen Friedens ohne reichsständisches Eingreifen gescheitert wäre.
Konrad Repgen: Die Hauptprobleme der Westfälischen Friedensverhandlungen von 1648 und ihre Lösungen, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 62 (1999), S. 399 – 438. Susanne Friedrich: Drehscheibe Regensburg. Das Informations- und Kommunikationssystem des Immerwährenden Reichstags um 1700. Berlin 2007. Antje Oschmann: Der Nürnberger Exekutionstag 1649 – 1650. Das Ende des Dreißigjährigen Krieges in Deutschland. Münster 1991. Andreas Müller: Der Regensburger Reichstag von 1653/54. Eine Studie zur Entwicklung des Alten Reiches nach dem Westfälischen Frieden. Frankfurt a. M. 1992. Matthias Schnettger: Der Reichsdeputationstag 1655 – 1663. Kaiser und Stände zwischen Westfälischem Frieden und Immerwährendem Reichstag. Münster 1996. Konrad Repgen: Die Westfälischen Friedensverhandlungen. Überblick und Hauptprobleme, in: Klaus Bußmann/ Heinz Schilling (Hrsg.), 1648. Krieg und Frieden in Europa. 2 Textbde., 1 Katalogbd. Münster 1998, S. 355 – 372 (online unter: https://www.westfaelische-geschichte.de/ tex443; abgerufen am 01.02. 2019). Dickmann, Der Westfälische Frieden, S. 275.
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Im Sommer 1647 trat mit der Ablehnung konkreter Vertragsentwürfe, die nach dem kaiserlichen Legationsführer Maximilian Graf von Trauttmansdorff (1584– 1650)¹⁵ als „Trauttmansdorffiana“ benannt worden sind, eine Krise des Kongresses ein,¹⁶ die sich durch die Abreise des kaiserlichen Prinzipalgesandten noch verschärfte. In dieser Situation kam es zu einer bemerkenswerten Entwicklung. Ausgerechnet aus der Gruppe der Reichsstände, deren Teilnahme am Westfälischen Friedenskongress über Jahre hinweg hoch umstritten war und die erst aufgrund zunehmenden politischen Drucks der auswärtigen Kronen zugelassen worden waren, trat eine überkonfessionelle Fraktion hervor, die die Geschicke des Kongresses in die Hand nahm. In der Krise des Kongresses brachen einige reichsständische Akteure die eigenen konfessionellen und bündnispolitischen Loyalitäten auf und brachten andere dazu, den Weg zum Frieden freizugeben. Das Mittel zu diesem Erfolg war die Initiierung einer neuen Verhandlungsmacht – die Dritte Partei der Reichsstände. Dass sich die Dritte Partei nicht nur innerreichischen Themen annahm, sondern vor allem auch solchen, die die Vereinbarungen des Reiches mit den auswärtigen Kronen betrafen, zeigte sich vor allem in der letzten Phase des Kongresses, in der die Bedeutung der Dritten Partei sukzessive zunahm. War die Gruppe in den Verhandlungen zur schwedischen Militärsatisfaktion und beim Abschluss des Osnabrücker Friedensinstruments noch ein wichtiger Vermittler zwischen den Kaiserlichen und den Schweden, wurde sie bei der Aushandlung des Assistenzverbotes zwischen den zwei Habsburgerlinien, das als ein letztes Friedenshindernis galt, tonangebend und führte die Verhandlungen für das Reich, ohne dabei die kaiserlichen Vertreter zu berücksichtigen.¹⁷ Damit übten die involvierten Reichsstände der Dritten Partei ihr Vertretungsrecht für das Reich auf bemerkenswerte Weise am Kaiser vorbeigehend aus.¹⁸ Im Bereich des innerreichischen Friedens war es vor allem die Frage nach der Erweiterung des Religionsfriedens um die reformierte Konfession, auf die die überkonfessionelle reichsständische Gruppe einwirkte. Kurz: Die Dritte Partei nahm ab Ende 1647 die
Konrad Repgen: Maximilian Graf Trauttmansdorff – Chefunterhändler des Kaisers beim Prager Frieden und beim Westfälischen Frieden, in: Guido Braun/Arno Strohmeyer (Hrsg.): Frieden und Friedenssicherung in der Frühen Neuzeit. Das Heilige Römische Reich und Europa. Münster 2013, S. 210 – 228. Christoph Kampmann: Europa und das Reich im Dreißigjährigen Krieg. Geschichte eines europäischen Konflikts. Stuttgart 2008, S. 162– 164. Vgl. Westphal, Der Westfälische Frieden, S. 92– 97. Fritz Dickmann beispielsweise schreibt, dass die reichsständische Dritte Partei „eine ziemlich selbständige Stellung zwischen den Großmächten einnahm und schließlich gar dazu beitrug, den Friedensschluß auch gegen den Kaiser zu erzwingen.“ Dickmann, Der Westfälische Frieden, S. 427.
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Verhandlungsführung für das Reich nach innen und nach außen in die Hand und erwirkte Lösungen in den letzten strittigen Punkten, die den Friedensschluss bis dahin verhindert hatten.
2 Forschungsstand 2.1 Der bisherige Fokus auf Europa Es ist vor diesem Hintergrund bemerkenswert, dass die Forschung die Rolle der Dritten Partei bislang kaum gewürdigt und die Gruppe nur in Nebenbemerkungen erwähnt hat.¹⁹ Ein Grund hierfür mag sein, dass die Arbeit der Dritten Partei erst in den letzten Jahren durch den Fortschritt der modernen Edition der Acta Pacis Westphalicae (Zentrum für Historische Friedensforschung Bonn) greifbarer geworden ist. Hier sind insbesondere diejenigen Bände des Editionsprojekts zu nennen, die die Protokolle des Osnabrücker Fürstenrats der Jahre 1647 und 1648 enthalten.²⁰ Besser noch lässt sich die bisherige geringe Aufmerksamkeit, welche die Forschung der Dritten Partei zukommen ließ, anhand der dominierenden Forschungsperspektive auf den Westfälischen Frieden erklären. So wird der Frieden von 1648 bis heute überwiegend als ein europäischer Friedensschluss der großen Mächte Frankreich, Schweden und des Kaisers wahrgenommen. Da die Dritte Partei jedoch ausschließlich aus Ständen des Heiligen Römischen Reiches bestand, lag sie bisher an der Peripherie des Forschungsinteresses.²¹ Diese europäische Perspektive auf den Westfälischen Friedenskongress wurde im Rahmen des letzten großen Jubiläums des Jahres 1998 mit der 26. Europaratsausstellung unter dem Motto 1648. Krieg und Frieden in Europa,²² dem Besuch zahlreicher europäischer Staatsoberhäupter in Münster und Osnabrück
Neben den in Anm. 1 und 2 genannten Arbeiten findet die Dritte Partei Erwähnung bei: Kampmann, Europa und das Reich, S. 167– 170; Dieter Albrecht: Maximilian I. von Bayern 1573 – 1651. München 1998, S. 1046 f. Maria-Elisabeth Brunert (Bearb.): Die Beratungen des Fürstenrats in Osnabrück. Juli–September 1648 (=APW III A 3, Bd. 7). Münster 2013; dies.: Die Beratungen des Fürstenrats in Osnabrück. Juni–Juli 1648 (=APW III A 3, Bd. 6). Münster 2009. Unlängst – auch mit zahlreichen Verweisen auf den Forschungsstand – zur europäischen Dimension des Westfälischen Friedens Heinz Duchhardt: Der Westfälische Friede im Fokus der Nachwelt. Münster 2014. Bußmann/Schilling (Hrsg.): 1648. Krieg und Frieden in Europa.
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sowie durch mehrere fachwissenschaftliche Tagungen besonders betont.²³ Anlässlich von 350 Jahren Westfälischer Frieden erschien eine große Zahl fachlicher und populärwissenschaftlicher Veröffentlichungen,²⁴ die im Rahmen des von der Europäischen Union geförderten Großereignisses den Fokus deutlich auf die europäische Dimension des Friedensschlusses von 1648 legten. Dies wurde bereits als „Instrumentalisierung des Westfälischen Friedens im Sinne des europäischen Einungsprozesses“ gedeutet.²⁵ Bis heute stehen bei der Erforschung des Westfälischen Friedens internationale und zwischenstaatliche Fragestellungen im Vordergrund, die unter anderem die Genese des Völkerrechts betonen, die mit dem Kongress in Verbindung gebracht wird.²⁶ Auch das in Bonn angesiedelte Großvorhaben der Acta Pacis
Ronald G. Asch/Wulf Eckart Voss/Martin Wrede (Hrsg.): Frieden und Krieg in der Neuzeit. Die europäische Staatenordnung und die außereuropäische Welt. München 2001; Lucien Bély/Isabelle Richefort (Hrsg.): L’Europe des Traités de Westphalie. Esprit de la diplomatie et diplomatie de l’esprit. Paris 2000; Fernando Villaverde (Hrsg.): 350 años de la Paz de Westfalia. Del antagonismo a la integración en Europa. Madrid 1999; Heinz Duchhardt (Hrsg.): Der Westfälische Friede. Diplomatie – politische Zäsur – kulturelles Umfeld – Rezeptionsgeschichte. München 1998; Hugo de Schepper/Christian L. Tümpel (Hrsg.): 1648. De Vrede van Munster. Handelingen van het herdenkingscongres te Nijmegen et Kleef. Hilversum 1997. Übersichten bei: Duchhardt, Der Westfälische Friede im Fokus; Johannes Burkhardt: Die Entfesselung des Friedens. Für einen Aufbruch der historischen Friedensforschung, in: Inken Schmidt-Voges/Siegrid Westphal/Volker Arnke/Tobias Bartke (Hrsg.), Pax perpetua. Neuere Forschungen zum Frieden in der Frühen Neuzeit. München 2010, S. 29 – 48; Heinz Duchhardt: Der Westfälische Friede – neue Ansätze der Forschung im kritischen Rückblick, in: Schmidt-Voges/ Westphal/Arnke/Bartke (Hrsg.), Pax perpetua, S. 21– 27; Inken Schmidt-Voges/Siegrid Westphal: Der immerwährende Frieden als immerwährende Herausforderung, in: dies./Arnke/Bartke (Hrsg.), Pax perpetua, S. 7– 18. Michael Rohrschneider: Der gescheiterte Frieden von Münster. Spaniens Ringen mit Frankreich auf dem Westfälischen Friedenskongress 1643 – 1649. Münster 2007, S. 8. Duchhardt, Der Westfälische Friede im Fokus; Braun/Strohmeyer (Hrsg.): Frieden und Friedenssicherung; Peter H. Wilson: Europe’s Tragedy. A History of the Thirty Years’ War. London 2011; Michael Rohrschneider: Neue Tendenzen der diplomatiegeschichtlichen Erforschung des Westfälischen Friedenskongresses, in: Schmidt-Voges/Westphal/Arnke/Bartke (Hrsg.), Pax perpetua, S. 103 – 121; Martin Peters: Europäische Friedensverträge der Vormoderne – online (1450 – 1789). Ein Projektbericht, in: Schmidt-Voges/Westphal/Arnke/Bartke (Hrsg.), Pax perpetua, S. 73 – 79; Peter Haldén (Hrsg.): 1648: Den westfaliska freden. Arv, kontext och konsekvenser. Lund 2009; Sven Externbrink: Internationale Politik in der Frühen Neuzeit. Stand und Perspektiven der Forschung zu Diplomatie und Staatensystem, in: Hans-Christof Kraus/Thomas Nicklas (Hrsg.), Geschichte der Politik. Alte und neue Wege. München 2007, S. 15 – 39; Rohrschneider, Der gescheiterte Frieden; Asch/Voß/Wrede (Hrsg.), Frieden und Krieg in der Neuzeit; Johannes Arndt: Ein europäisches Jubiläum: 350 Jahre Westfälischer Friede, in: Jahrbuch für Europäische Geschichte 1 (2000), S. 132– 158; Olaf Moormann van Kappen/Dieter Wyduckel (Hrsg.): Der Westfälische Frieden in rechts- und staatstheoretischer Perspektive, Berlin 1999; Meinhard Schröder (Hrsg.): 350 Jahre
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Westphalicae, das seit den 1960er Jahren Akten des Westfälischen Friedenskongresses kritisch ediert, legt den Schwerpunkt auf die zwischenstaatlichen Aspekte der Verhandlungen, indem die Korrespondenzen der kaiserlichen, der schwedischen und der französischen Gesandtschaften, nicht aber jene der Reichsstände herausgegeben werden.²⁷ Im engen Zusammenhang mit der überwiegend betonten internationalen Bedeutung des Westfälischen Friedens steht auch die politikwissenschaftliche Theorie des Westfälischen Systems. ²⁸ Demnach sei mit dem Westfälischen Frieden das moderne internationale Staatensystem entstanden, das durch ein Nebeneinander sich gegenseitig anerkennender, gleichberechtigter und nach innen wie außen völkerrechtlich souveräner Staaten geprägt sei und das bis in die Gegenwart fortwirke. Selbst wenn in jüngerer Zeit die Forschung zu den Internationalen Beziehungen das Modell zunehmend kritisiert,²⁹ zeigt das Westfälische System dennoch, dass der Westfälische Frieden auch außerhalb des Faches Geschichte in erster Linie als ein europäischer, zwischenstaatlicher Friedensschluss wahrgenommen wird, der für die Genese des modernen Staatensystems von grundlegender Bedeutung sei. Die Historiographie lehnt das Modell des Westfälischen Systems zwar weitgehend ab³⁰ und sieht den Westfälischen Frieden damit nicht als Ursache und Startpunkt eines modernen Staatensystems an, da sich die Verfasstheit der europäischen Gemeinwesen auch noch lange nach 1648 erheblich anders als jene der heutigen Nationalstaaten darstellte. Doch gilt der Westfälische Frieden in der Geschichtswissenschaft durchaus als Verfestigung der Mehrstaatlichkeit in EuWestfälischer Friede. Verfassungsgeschichte, Staatskirchenrecht, Völkerrechtsgeschichte, Berlin 1999. Maximilian Lanzinner: Die „Acta Pacis Westphalicae“ (APW) seit dem Gedenkjahr 1998, in: Schmidt-Voges/Westphal/Arnke/Bartke (Hrsg.), Pax perpetua, S. 49 – 72. Lynn Miller: Global Order. Values and Power in International Politics, Boulder u. a. 1985; Leo Gross: The Peace of Westphalia, 1648 – 1948, in: The American Journal of International Law 42, No. 1 (1948), S. 20 – 41. Ulrich Schneckener: Perspektiven und Szenarien für eine künftige Weltfriedensordnung, in: Manfred Quentmeier/Martin Stupperich/Rolf Wernstedt (Hrsg.), Krieg und Frieden. 1914– 2014. Schwalbach 2014, S. 280 – 294; ders.: Von Westfalia zu Westfailure. Krise und Zukunft globaler Ordnungspolitik, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 56, Heft 9/11 (2011), S. 81– 92; Andrew MacRae: Counterpoint. The Westphalia Overstatement, in: International Social Science Review 80, 3 – 4 (2005), S. 159 – 164; Andreas Osiander: Sovereignty, International Relations, and the Westphalian Myth, in: International Organization 55,2 (2001), S. 251– 287. Heinz Duchhardt: Das „Westfälische System“. Realität und Mythos, in: Hillard von Thiessen/ Christian Windler (Hrsg.), Akteure der Außenbeziehungen. Netzwerke und Interkulturalität im historischen Wandel. Köln u. a. 2010, S. 239 – 401; Benno Teschke: Mythos 1648. Klassen, Geopolitik und die Entstehung des europäischen Staatensystems. Münster 2007.
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ropa, die das Konzept einer zusammenhängenden europäischen Universalmonarchie verdrängte. Zudem wird die Bedeutung von 1648 als „Referenzfrieden“ für spätere Verträge betont.³¹ Zwar lässt sich dem Westfälischen Frieden unstreitig eine Bedeutung für die Genese der modernen Diplomatie sowie für die Entwicklung des europäischen Völkerrechts zuschreiben, doch darf nicht vergessen werden, dass es 1648 nicht gelang, einen nachhaltigen, europaweiten Frieden zu schaffen.³² Lediglich einer der großen europäischen Krisenherde des 17. Jahrhunderts wurde auf dem Westfälischen Friedenskongress gelöst: Im Frieden von Münster (Januar 1648) fand der Achtzigjährige Krieg Spaniens gegen die Nördlichen Niederlande ein Ende. Zwei andere große europäische Konflikte bestanden auch nach dem Kongress von Münster und Osnabrück weiter. So konnte der Konkurrenzkampf um die Vorherrschaft im Ostseeraum, der insbesondere von Dänemark und Schweden ausgetragen wurde, 1648 nicht beendet werden. Aufgrund des Torstenssonkrieges zwischen Dänemark und Schweden (1643 – 1645) verließ die dänische Gesandtschaft den Friedenskongress sogar nach kurzer Zeit wieder. Zudem brachen schon bald nach 1648 neue Konflikte um die Hegemonie über die Ostsee aus, wie der Zweite Nordische (1655 – 1661) und der Schonische Krieg (1674– 1679). Noch deutlicher wird das Misslingen des Westfälischen Universalfriedensprojektes bei einem Blick auf den bourbonisch-habsburgischen Hegemonialkonflikt, der sich auf ganz Europa auswirkte. Da der im Jahr 1635 ausgebrochene französisch-spanische Krieg erst mit dem Pyrenäenfrieden von 1659 endete, wurde der Westfälische Frieden diesbezüglich bereits als gescheiterter Frieden bezeichnet.³³ Zudem spitzte sich die bourbonisch-habsburgische Konkurrenz ein halbes Jahrhundert später erneut zu und kulminierte im Spanischen Erbfolgekrieg (1701– 1714). Zugleich entstanden nach 1648 neue Kriege zwischen Frankreich und dem Heiligen Römischen Reich, für die die Reunionspolitik König Ludwigs XIV. eine wesentliche Ursache war. Sind die Gründe für das Scheitern des paneuropäischen Friedensprojektes von Westfalen in Gestalt der misslungenen französisch-spanischen Verhandlungen bereits untersucht worden,³⁴ so steht die Erforschung der Gründe für den erfolgreichen Abschluss der Friedensverträge mit Frankreich und Schweden sowie der damit verbundenen Errichtung einer nachhaltigen Friedensordnung für
Burkhardt, Der Krieg der Kriege, S. 216 – 219; ders.: Das größte Friedenswerk der Neuzeit. Der Westfälische Frieden in neuer Perspektive, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 49 (1998), S. 592– 612. Vgl. Westphal, Der Westfälische Frieden, S. 108 f. Rohrschneider, Der gescheiterte Frieden. Ebd.
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das Heilige Römische Reich noch immer aus. Es ist davon auszugehen, dass die Dritte Partei hierbei eine gewichtige Rolle einnahm.
2.2 Die Dritte Partei: Widersprüche und Desiderate der Forschung Auch wenn die Dritte Partei bislang nur eine Randerscheinung der Forschung ist, wird weitgehend nicht bezweifelt, dass eine konfessionsübergreifende reichsständische Gruppe die Endphase des Westfälischen Friedenskongresses erfolgreich (mit)gestaltete. Allerdings sind unterschiedliche Angaben darüber zu finden, wer ihre treibenden Kräfte waren, wie die Zusammensetzung der Gruppe aussah und wann sie in Erscheinung trat. Dieter Albrecht zählt zu einer von Kurfürst Maximilian I. von Bayern (reg. 1597/ 1623 – 1651) im Februar 1648 initiierten Dritten Partei auf katholischer Seite Kurmainz, Kurtrier, Kurbayern, Bamberg, Würzburg und – eher passiv – Kurköln sowie auf protestantischer Seite Kurbrandenburg, Kursachsen, Sachsen-Altenburg und Braunschweig-Lüneburg.³⁵ Christoph Kampmann hingegen sieht für die Zeit seit 1646 im Würzburger Fürstbischof Johann Philipp von Schönborn (1605 – 1673), der im November 1647 auch zum Mainzer Kurbischof wurde, den entscheidenden Impulsgeber für die kompromissbereite reichsständische Gruppe.³⁶ Auch Franz Brendle, Fritz Dickmann, Georg Mentz und Karl Wild betonen diese Schlüsselfunktion Schönborns und seines Gesandten Johann Philipp von Vorburg (1596 – 1660), dem Kampmann auf protestantischer Seite den Gesandten SachsenAltenburgs, Wolf Conrad von Thumbshirn, als weitere Schlüsselfigur der Dritten Partei an die Seite stellt.³⁷ Im Gegensatz zu Albrecht sieht Kampmann keine kurfürstlich-protestantischen Vertretungen in der Dritten Partei. Darin unterscheidet er sich auch von Fritz Dickmann, der den brandenburgischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm (reg. 1640 – 1688) als einen Initiator der Dritten Partei be Vgl. Albrecht, Maximilian I. von Bayern, S. 1046 f. Vgl. Kampmann, Europa und das Reich, S. 168. Vgl. Franz Brendle: Die Rolle Johann Philipps von Schönborn (1605 – 1673) bei der Umsetzung des Westfälischen Friedens, dem jüngsten Reichsabschied und der Einrichtung des Immerwährenden Reichstages. Ein Beitrag zur Reichspolitik des Mainzer Kurfürsten, in: Peter C. Hartmann (Hrsg.), Die Mainzer Kurfürsten des Hauses Schönborn als Reichserzkanzler und Landesherren. Frankfurt a. M. 2002, S. 65 – 82; Dickmann, Der Westfälische Frieden, S. 430; Georg Mentz: Johann Philipp von Schönborn: Kurfürst von Mainz, Bischof von Würzburg und Worms. Ein Beitrag zur Geschichte des siebzehnten Jahrhunderts, 1605 – 1673. 2 Tle. Jena 1896, 1899; Karl Wild: Johann Philipp von Schönborn, genannt der Deutsche Salomo, ein Friedensfürst zur Zeit des dreißigjährigen Krieges. Heidelberg 1896; Kampmann, Europa und das Reich, S. 168.
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schreibt. Weiterhin nennt Dickmann unter anderen Kursachsen, Kurköln, Kurbayern, Kurmainz, Würzburg, Bamberg, Salzburg, Brandenburg-Kulmbach, Braunschweig-Lüneburg, Sachsen-Altenburg und Sachsen-Gotha als Reichsstände, die innerhalb oder im Umfeld der Dritten Partei auftraten, ohne dabei eine konkrete Zusammensetzung der Gruppe zu definieren.³⁸ Ausgeschlossen werden in allen Werken die Vertreter der intransigenten katholischen Reichsstände, die sich in Münster aufhielten. Bei der Definition der Dritten Partei ist es zudem hilfreich, Traditions- und Kontinuitätslinien zu berücksichtigen. So bestanden bereits in den 1630er Jahren während des Dreißigjährigen Krieges Parteibildungsinitiativen, die bisweilen als Dritte Parteien bezeichnet werden. Dazu zählen der französische Vorstoß, katholische Reichsstände von der Beteiligung an einem kaiserlichen Bündnis fernzuhalten, sowie die kursächsische Initiative, eine neutrale Gruppe protestantischer Reichsstände im Leipziger Bund zu organisieren, die weder an der Seite des Kaisers noch Schwedens, sondern neutral agierte. Kontinuitäten der Dritten Partei des Westfälischen Friedenskongresses lassen sich auch in Gestalt des von Johann Philipp von Schönborn initiierten Rheinbundes von 1658 finden, dessen Ziel es war, das Reich vor weiteren Kriegen gegen Frankreich zu bewahren.³⁹ Trotz der variierenden Angaben können einige Vertreter der Dritten Partei bereits heute mit Sicherheit als solche identifiziert werden. So gilt die Gesandtschaft Sachsen-Altenburgs stets als ein wichtiges Glied der Gruppe. Ihr und ihren Deputierten Wolf Conrad von Thumbshirn sowie August Carpzow widmen sich mehrere Studien.⁴⁰ Auch die Gesandtschaft Braunschweig-Lüneburgs wird
Vgl. Dickmann, Der Westfälische Frieden, S. 428 – 431, 445 f., 453 f., 458 f. Vgl. Anuschka Tischer: Die Vorgeschichte des ersten Rheinbunds von 1658. Aus: Der Erste Rheinbund (1658), in: historicum.net. 2008, online unter: https://www.historicum.net/purl/1dy/ (abgerufen am 15.01. 2018); Klaus Peter Decker: Frankreich und die Reichsstände 1672– 1675. Die Ansätze zur Bildung einer „Dritten Partei“ in den Anfangsjahren des Holländischen Krieges. Bonn 1981. Christoph Nonnast: Mindermächtiger Fürstenstaat und große Politik. Sachsen-Altenburg auf dem Westfälischen Friedenskongress. Masch.-Diss. Jena 2017; ders.: Die Ernestiner und der Westfälische Friedenskongress, in: Siegrid Westphal/Hans-Werner Hahn/Georg Schmidt (Hrsg.), Die Welt der Ernestiner. Ein Lesebuch. Köln u. a. 2016, S. 183 – 191; Maria-Elisabeth Brunert: Zum reichspolitischen Engagement Sachsen-Altenburgs am Ende des Dreißigjährigen Krieges. Die Entstehung der Hauptinstruktionen Herzog Friedrich Wilhelms II. für seine Gesandten zum Westfälischen Friedenskongress, in: Neues Archiv für sächsische Geschichte 78 (2007), S. 49 – 92.
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durchgehend als ein wichtiger Teil der Dritten Partei benannt. Ihr markantester Vertreter war der Gesandte Jakob Lampadius.⁴¹ Waren mit diesen beiden zwei der aktivsten protestantischen Akteure der Dritten Partei bereits Forschungsgegenstand, steht die Untersuchung der kompromissbereiten Gesandtschaften der katholischen Reichsstände noch weitgehend aus, von denen insbesondere Kurbayern und Kurmainz von erheblicher Bedeutung waren. Diese beiden katholischen Reichsstände sind für die Erforschung des Westfälischen Friedenskongresses von besonderem Interesse, weil sie aufgrund ihrer Konfession und ihrer Bündniszugehörigkeit erheblichen Einfluss auf die kaiserliche Gesandtschaft ausüben konnten. Kurmainz und Bayern können daher als bedeutende Glieder der Dritten Partei gelten.
2.2.1 Kurmainz Die Gesandtschaft des Kurfürstentums Mainz, das in enger Verbindung zu jener des Fürstbistums Würzburg stand, nahm eine Schlüsselfunktion auf dem Kongress ein. Diese wurde vor allem durch das Amt des Reichserzkanzlers bestimmt, das der Mainzer Kurfürst ausübte. Der Reichserzkanzler konnte als „zweiter Mann im alten Reich“⁴² mitunter auf die Verhandlungsführung Einfluss nehmen, indem er etwa Tagesordnungspunkte vorgab. Zu seinen Kompetenzen zählten weiterhin die Gesandtenlegitimierung, die Diktatur und die Verhandlungsleitung.⁴³ Daher ist davon auszugehen, dass sein Amt und die damit verbundene Schaltfunktion innerhalb des Reichssystems eine erhebliche Wirkung auf den Kongressverlauf ausübten und damit zum Erfolg der Dritten Partei beitrugen. Ein weiterer Grund für die Bedeutung von Kurmainz liegt in der Politik Johann Philipps von Schönborn. Die Wahl des Fürstbischofs von Würzburg zum Mainzer Kurerzkanzler im November 1647 trug in erheblichem Maße zum erfolgreichen Ausgang des Westfälischen Friedenskongresses bei, da sich mit ihr entscheidende politische Akzentverschiebungen ergaben. So konnte Schönborn als Mainzer
Tina Braun: Der welfische Gesandte Jakob Lampadius auf dem Westfälischen Friedenskongress (1644– 1649). Masch.-Diss. Bonn 2015, online unter: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de: hbz:5 – 41046 (abgerufen am 01.02. 2019). So die Bezeichnung im Titel des Sammelbandes Peter C. Hartmann (Hrsg.): Der Mainzer Kurfürst als Reichserzkanzler. Funktionen, Aktivitäten, Ansprüche und Bedeutung des zweiten Mannes im alten Reich. Stuttgart 1997. Karl Härter: Das Kurmainzer Reichstagsdirektorium. Eine zentrale reichspolitische Schaltstelle des Reichserzkanzlers im Reichssystem, in: Hartmann (Hrsg.), Der Mainzer Kurfürst, S. 171– 203.
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Kurfürst seine bereits als Würzburger Fürstbischof betriebene Ausgleichspolitik wirksamer durchsetzen. Zwar vertrat er in der Frage nach der Erweiterung des Religionsfriedens dieselbe Position wie sein Mainzer Vorgänger, Anselm Casimir Wambold von Umstadt (reg. 1629 – 1647), der den konfessionellen Ausgleich im Westfälischen Frieden bis zu seinem Tod im Oktober 1647 maßgeblich vorbereitet hatte, doch stand Umstadt im Gegensatz zu Schönborn bis zuletzt bündnispolitisch eng an der Seite des Kaisers und Spaniens.⁴⁴ Erst mit Schönborns offener Haltung gegenüber Frankreich und Schweden konnten auch die beiden anderen zu diesem Zeitpunkt noch bestehenden Probleme – das interhabsburgische Assistenzverbot und die Entschädigungsforderungen der auswärtigen Kronen – so weit gelöst werden, dass der Westfälische Frieden geschlossen werden konnte. Johann Philipp von Schönborn war der Erfolgsgarant der Würzburger und Kurmainzer Gesandtschaften.⁴⁵ Schönborn nutzte seine potente Amtsposition als Reichserzkanzler aus, nahm über seine Gesandten intensiv Einfluss auf die Verhandlungen von Münster und Osnabrück und gilt als dezidierter Vertreter der friedens- und kompromissbereiten katholischen Reichsstände. Die Forschung betont zudem Schönborns Reichspatriotismus und sein Anliegen, die Rolle des Heiligen Römischen Reiches innerhalb Europas zu sichern und „das europäische Kräftefeld zwischen den Habsburgern und Bourbonen auszubalancieren“.⁴⁶ Zudem steht Schönborns Reichspolitik in einer seit 1495 bestehenden Traditionslinie eines Amtsverständnisses, das den Mainzer Reichserzkanzler als Vermittler zwischen den Reichsständen und dem Kaiser sieht.⁴⁷ Zwar ist Schönborn der Historiographie schon lange als eine wichtige Triebfeder des Westfälischen Friedenskongresses bekannt⁴⁸ und auch in der jüngeren Forschung wird seine bedeutende Rolle für den erfolgreichen Ausgang
Vgl. Franz Brendle: Der Erzkanzler im Religionskrieg. Kurfürst Anselm Casimir von Mainz, die geistlichen Fürsten und das Reich 1629 bis 1647. Münster 2011, S. 497– 501. Sylvia Schraut: Das Haus Schönborn. Eine Familienbiographie. Katholischer Reichsadel 1640 – 1840, Paderborn u. a. 2005, S. 120 – 127; Friedhelm Jürgensmeier: Johann Philipp von Schönborn (1605 – 1673) und die römische Kurie. Ein Beitrag zur Kirchengeschichte des 17. Jahrhunderts. Mainz 1977; Otto Meyer: Johann Philipp von Schönborn. Fürstbischof von Würzburg – Erzbischof von Mainz – Bischof von Worms 1605 – 1673. Ringen um Frieden. Würzburg 1973. Brendle, Die Rolle Johann Philipps von Schönborn, S. 82. Konrad Amann: Ein-Blick in die Arbeit der Reichserzkanzlei. Beobachtungen zum erweiterten Aufgabenkreis der Mainzer Erzkanzlei in der frühen Neuzeit, in: Peter Claus Hartmann (Hrsg.), Reichskirche – Mainzer Kurstaat – Reichserzkanzler. Frankfurt a. M. u. a. 2001, S. 145 – 171. Mentz, Johann Philipp von Schönborn; Wild, Johann Philipp von Schönborn, genannt der Deutsche Salomo.
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des Kongresses erwähnt,⁴⁹ doch ist er in Überblicksdarstellungen zum Friedenskongress insgesamt besehen noch immer unterrepräsentiert. Neben Schönborn war sein Würzburger Gesandter Johann Philipp von Vorburg eine Schlüsselfigur der Dritten Partei. Er hatte bereits in Diensten von Schönborns Würzburger Vorgänger Franz von Hatzfeld (reg. 1631– 1642) gestanden und setzte dessen Friedenspolitik fort. Trotz seiner besonderen Leistung ist Vorburg in der Forschung bislang lediglich eine Randerscheinung und findet nur selten Erwähnung.⁵⁰
2.2.2 Kurbayern Neben Kurmainz und Würzburg ist die Rolle Kurbayerns und seines Kurfürsten Maximilian I. unter den katholischen Reichsständen als besonders relevant für die Entwicklungen des Westfälischen Friedenskongresses anzusehen. Die wechselhafte Bündnispolitik Bayerns führt insgesamt zum Bild einer eher indifferenten kurbayerischen Friedenspolitik.⁵¹ Letztlich ist aber unzweifelhaft, dass mit Bayerns zeitweisem Abfall vom Kaiser und der damit einhergehenden Kompromissbereitschaft in der Endphase des Kongresses eine wesentliche Grundlage für das Zustandekommen des Westfälischen Friedens entstand. In jedem Fall ist davon auszugehen, dass Bayern, das die meiste Zeit des Krieges der militärisch potenteste reichsständische Verbündete des Kaisers war, einen großen Einfluss auf diesen ausüben und ihn zu einem Friedensschluss bewegen konnte. Darüber hinaus ist anzunehmen, dass Maximilian I. aufgrund der mehrfachen Bedrohung seiner Stammlande in der Endphase des Dreißigjährigen Krieges ein ausgeprägtes Eigeninteresse an den Verhandlungen hatte und daher auf den Friedensschluss drängte. Prägend für die kurbayerische Gesandtschaft waren die Gesandten Georg Christoph von Haslang (1602– 1684) und Johann Adolph Krebs von Bach († nach 1670), die einen regen Austausch mit Kurfürst Maximilian unterhielten. Dabei Vgl. Kampmann, Europa und das Reich, S. 168; Schraut, Das Haus Schönborn, S. 120 – 127; Dickmann, Der Westfälische Frieden, S. 430 f. Peter Seelmann: Johann Philipp von Vorburg. Aus: Der Erste Rheinbund (1658), in: historicum.net. 2008, online unter: https://www.historicum.net/purl/1ee/ (abgerufen am 01.02. 2019); Georg Heinrich Dietz: Die Politik des Hochstifts Bamberg am Ende des Dreißigjährigen Krieges unter besonderer Berücksichtigung seiner Bemühungen um den Westfälischen Frieden. Bischberg/Bamberg 1968. Gerhard Immler: Kurfürst Maximilian I. und der Westfälische Friedenskongreß. Die bayerische auswärtige Politik von 1644 bis zum Ulmer Waffenstillstand. Münster 1992; ders.: Die Bewertung der Friedenspolitik des Kurfürsten Maximilian I. von Bayern 1639 – 1648 in der Historiographie. Kallmünz 1989.
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scheint vor allem Krebs eine bedeutende Figur gewesen zu sein, weil er für mehrere Jahre trotz zwischenzeitlicher bayerischer Bündnisse mit dem Kaiser konstant in enger Verbindung mit französischen Vertretern stand.⁵²
3 Ausblick: „Frieden als Kommunikationsprozess“ 3.1 Gegenstand des Projektes Das Osnabrücker Forschungsprojekt „Frieden als Kommunikationsprozess. Die Dritte Partei des Westfälischen Friedenskongresses“⁵³ nimmt sich der aufgezeigten Desiderate an. Um dem Erfolg der Dritten Partei auf die Spur kommen zu können, werden in dem Projekt sämtliche Ebenen der komplexen Verhandlungsführung in der Endphase des Westfälischen Friedenskongresses berücksichtigt: die Verhandlungen mit den auswärtigen Kronen, dem Kaiser und anderen Reichsständen sowie politische, verfassungsrechtliche und konfessionelle Belange. Als konkrete Untersuchungsgegenstände zeigen sich jene Verhandlungsaspekte, die im Zentrum der letzten Phase des Westfälischen Friedenskongresses standen und ursächlich für das Scheitern des kaiserlichen Vertragsentwurfes (Trauttmansdorffianum) vom Sommer 1647 waren. Dabei handelt es sich um die Entschädigungsansprüche Frankreichs und Schwedens, die Forderung der auswärtigen Kronen und ihrer reichsständischen Verbündeten nach einem Assistenzverbot zwischen den österreichischen und den spanischen Habsburgern sowie den Wunsch nach der Aufnahme der calvinistischen Konfession in den Reichsreligionsfrieden. Da die Lösung dieser letzten Probleme im Wesentlichen auf das Verhandlungsgeschick der Dritten Partei zurückzuführen ist, gilt es ihre Initiativen zu fassen. Um dies zu erreichen, müssen die Kommunikation der Glieder und die darin thematisierte Behandlung der strittigen Punkte sichtbar gemacht werden. Hierbei ist es erforderlich, die Verhandlungsmodi des Westfälischen Friedenskongresses zu bedenken. War zu Beginn des Kongresses noch vorgesehen, dass sowohl in Münster als auch in Osnabrück über Mediatoren verhandelt wird,
Anuschka Tischer: Dr. Johann Adolph Krebs von Bach zwischen dem Reich und Frankreich. Ein elsässisches Schicksal am Ende des Dreißigjährigen Krieges, in: Francia 26,2 (1999), S. 169 – 182. Siehe Anm. 6.
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fiel mit Ausbruch des Torstenssonkrieges zwischen Dänemark und Schweden die dänische Gesandtschaft als Vermittlerin in Osnabrück schon zu Beginn des Kongresses (1643) aus. Für die Untersuchung des Wirkens der Dritten Partei ist dieser Umstand besonders wichtig, da die Reichsstände überwiegend in Osnabrück tätig waren. Aufgrund der durch den Ausfall des Mediators Dänemark bedingten direkten Verhandlungsweise ist anzunehmen, dass ein erheblicher Teil der vor Ort geführten Kommunikation mündlich ablief und daher nicht greifbar ist. Deshalb wird man sich auf die schriftliche Korrespondenz stützen müssen, die die Gesandten mit ihren Dienstherren pflegten. Im Zentrum des Interesses stehen die bislang wenig beachteten Akteure Kurmainz und Kurbayern. Anhand der Analyse Kurmainzer Korrespondenzen sowie von Schriftgut kurbayerischer Provenienz wird die Frage beantwortet werden können, wie die Dritte Partei agierte. Die Berichte der Gesandten um Johann Philipp von Vorburg für Kurmainz, Georg Christoph von Haslang und Johann Adolph Krebs von Bach für Bayern einerseits sowie die Anweisungen der Kurfürsten Johann Philipp von Schönborn und Maximilian I. von Bayern andererseits sollen als ein Spiegel der Verhandlungsführung in Westfalen wahrgenommen werden. Aufgrund ihrer zentralen Position innerhalb der Dritten Partei vermittelt insbesondere die Kurmainzer Korrespondenz ein adäquates Abbild der Gruppe. Sie offenbart, wer in welcher Weise mit wem kommunizierte und welche Verhältnisse zwischen den Gesandtschaften bestanden. Außerdem ist zu erwarten, dass die zentralen Problemfelder thematisiert und Lösungen vorgeschlagen wurden. Erkenntnisgewinne sind über die bereits genannten Bereiche der Arbeitsweise und des Vorgehens der Dritten Partei hinaus auch in der Frage nach den Motiven und Intentionen Schönborns für sein Streben nach einem Friedensschluss zu erwarten. Dies ist besonders vor dem Hintergrund interessant, dass Schönborn bislang in der Forschung an einem von zwei Bewertungsextremen eingeordnet wird. Zum einen gilt er als Friedensfürst und „deutscher Salomo“,⁵⁴ der zum Wohl des Reiches und aus einem Friedenswillen heraus gehandelt habe, zum anderen wird er als französischer Parteigänger beschrieben.⁵⁵ Daneben gilt Schönborn als Landesherr, der stets danach gestrebt habe, den Dreißigjährigen Krieg zu beenden, um die Belastungen seines Territoriums abzustellen. Ob dieses Bestreben oder andere denkbare Motive in der Korrespondenz zwischen Vorburg und Schönborn sichtbar werden, ist genauso eine Frage des
Wild, Johann Philipp von Schönborn, genannt der Deutsche Salomo. Vgl. hierzu Brendle, Der Erzkanzler im Religionskrieg, S. 476 – 483; Schraut, Das Haus Schönborn, S. 120.
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Forschungsprojekts wie jene, ob Schönborn bereit war, auf seinerseits erhobene Forderungen oder politische Positionen zu verzichten, um den Frieden zu ermöglichen. Diese Frage lässt sich ebenfalls auf die kurbayerische Friedenspolitik beziehen.⁵⁶ Kurz: Welche politischen Interessen waren den wichtigsten Gliedern der Dritten Partei besonders wichtig und welche davon waren intern strittig? In diesem Kontext ist auch die Frage zu klären, welche Rolle Frankreich und Schweden nach den Maßgaben der Dritten Partei im Friedensprozess spielen sollten. In puncto der Probleme der Reichsverfassung gilt es, die Korrespondenzen Schönborns und Vorburgs, jene Kurbayerns sowie die zum Abgleich herangezogenen Briefwechsel anderer Gesandtschaften und ihrer Herren nach konfessionellen Aspekten zu überprüfen, die einerseits das Zustandekommen des erweiterten Religionsfriedens und andererseits die Gestaltung der Reichsverfassung betrafen. Inwiefern spielte es für Vorburg eine Rolle, ob der Frieden in einem katholischen Verständnis im Einklang mit der in Münster über den Nuntius Fabio Chigi vertretenen römischen Kurie geschlossen wurde? Wie wurde mit den intransigenten katholischen Ständen, die vornehmlich unter der Führung des kurkölnischen Gesandten und Osnabrücker Fürstbischofs Franz Wilhelm von Wartenberg standen, in den Korrespondenzen der Dritten Partei umgegangen? Nicht zuletzt ist mit diesen Fragen auch jene nach der Gestalt der Reichsverfassung verbunden – namentlich nach der Ausdifferenzierung der kaiserlichen Macht einerseits und der reichsständischen Libertät andererseits. Hier lässt sich die grundsätzliche Frage nach vorhandenen Friedensmodellen und Vorstellungen von Sicherheit und Stetigkeit anschließen. Tauchen solche Modelle explizit auf? Werden Namen von Gelehrten oder Titel akademischer Schriften genannt, die für Friedenskonzepte stehen – Hugo Grotius etwa? Werden Schlüsselbegriffe der Friedensthematik verwendet und bestimmte Aspekte von Frieden thematisiert, aus denen sich ein spezifisches Friedensmodell der Dritten Partei ableiten lässt?⁵⁷ Und letztlich: Kann die Annahme bestätigt werden, dass der Westfälische Frieden in erster Linie als ein Religions- und Landfrieden für das Reich zu deuten ist?⁵⁸
Immler, Kurfürst Maximilian I. und der Westfälische Friedenskongreß; ders., Die Bewertung der Friedenspolitik. Zum Friedensbegriff und zu Friedenskonzepten im damaligen Öffentlichen Recht des Reiches unlängst Volker Arnke: „Vom Frieden“ im Dreißigjährigen Krieg. Nicolaus Schaffshausens „De pace“ und der positive Frieden in der Politiktheorie. Berlin/Boston 2018. Vgl. Westphal, Der Westfälische Frieden, S. 108 f.
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3.2 Methodik, Quellen und Vorgehensweise Historische Friedenskongresse sind bislang noch kaum mit Methoden untersucht worden, die der Verhandlungsforschung zuzuschreiben sind. Dies verwundert, da die negotiation studies in mehreren Humanwissenschaften bereits seit Jahrzehnten etabliert sind und ein genauso erprobtes wie methodisch vielseitiges Forschungsgebiet darstellen,⁵⁹ das sich unter anderem der Analyse von – vornehmlich zeitgenössischer – Diplomatie widmet. Ansätze aus vier Disziplinen (Psychologie, Wirtschaftswissenschaften, Politikwissenschaft und Soziologie) kommen in der Verhandlungsforschung zusammen. Gemeinsame Leitfrage sämtlicher Ansätze ist jene nach der Funktionsweise von Verhandlungen. Je nach Theorie werden dabei stärker die Konfliktgegenstände, die handelnden Akteure, die Konstellation der Handelnden, die Verhandlungsprozesse, -optionen oder -strategien ins Zentrum der Betrachtung gerückt. In der Politikwissenschaft haben Verhandlungstheorien u. a. zur Ausbildung der Analysekriterien des bargaining ⁶⁰ und des arguing ⁶¹ geführt, ebenso wie zu der des Drohpunktes und des Dilemmas. ⁶² Sie helfen, Akteursverhalten zu kategorisieren. Gegenstand der Analyse ist dabei stets die Kommunikation der Akteure. Zeugnisse ihrer face-to-face-Auseinandersetzungen sind Kernelemente der Verhandlungsforschung. Die Implementierung der Verhandlungsforschung in die geschichtswissenschaftliche Behandlung frühneuzeitlicher Friedenskongresse steht noch am Anfang. Erste Versuche ihrer Anwendung konnten aber bereits fruchtbare Ergebnisse erzielen. So wurde unter dezidierter Bezugnahme auf die negotiation studies die theoretische und praktische Diplomatie im Frankreich Ludwigs XIV. (reg. 1643 – 1715) erforscht⁶³ und unter besonderer Berücksichtigung der Spieltheorie, die
Arthur Benz: Art. Verhandlungen, in: ders./Susanne Lütz/Uwe Schimank/Georg Simonis (Hrsg.), Handbuch Governance. Theoretische Grundlagen und empirische Anwendungsfelder. Wiesbaden 2007, S. 106 – 118. Christer Jönsson: Diplomacy, Bargaining and Negotiation, in: Walter Carlsnaes u. a. (Hrsg.), Handbook of International Relations. London 2002, S. 212– 234; Robert Powell: Bargaining Theory and International Conflict, in: Annual Review of Political Science 5 (2002), S. 257– 282; Samuel B. Bacharach/Edward J. Lawler: Bargaining. Power, Tactics and Outcomes. San Francisco u. a. 1981; John F. Nash: The Bargaining Problem, in: Econometrica 18 (1950), S. 155 – 162. Katharina Holzinger: Verhandeln statt Argumentieren oder Verhandeln durch Argumentieren? Eine empirische Untersuchung auf der Basis der Sprechakttheorie, in: Politische Vierteljahresschrift 42 (2001), S. 414– 446; Thomas Risse: „Let’s Argue!“ Communicative Action in World Politics, in: International Organization 44 (2000), S. 1– 39. Benz, Art. Verhandlungen. Jean-Claude Waquet: Verhandeln in der Frühen Neuzeit. Vom Orator zum Diplomaten, in: Thiessen/Windler (Hrsg.), Akteure der Außenbeziehungen, S. 113 – 131; ders.: L’Ambassadeur, son
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ebenfalls zum Methodenkanon der Verhandlungsforschung zählt, der Friedenskongress von Nimwegen (1676 – 1679).⁶⁴ Das Forschungsprojekt geht diesen Weg weiter und macht das methodische Instrumentarium der Verhandlungsforschung für die Beantwortung der Frage nach der Ursache des Erfolges der Dritten Partei nutzbar. Dabei erscheint als Vorzug der negotiation studies einerseits die besondere Rolle der Akteure und ihrer Kommunikation, die sich mit der jüngsten Interpretation der Kongresse als Orte „verdichteter Kommunikation“⁶⁵ in Einklang bringen lässt. Andererseits erlauben es die oben genannten Analyseparameter – bargaining und arguing, Drohpunkt und Dilemma –, die zentralen Akteure und entscheidenden Momente der Kommunikation herauszuarbeiten und zu kategorisieren. Der Stellenwert von Kommunikation galt schon für die Zeitgenossen als zentral für die Verhandlungen und die Beförderung des Friedens. Nichtkommunikation – etwa mit den intransigenten katholischen Reichsständen in Münster – ist dabei als ebenso aussagekräftig einzuschätzen wie vertrauliche Kommunikation, etwa zwischen Johann Philipp von Schönborn und seinem Gesandten Johann Philipp von Vorburg. Die hohe zeitgenössische Bedeutung von Kommunikation lässt Strategien vermuten, deren Analyse den Ablauf der Verhandlungen im Allgemeinen sowie die Interaktion der Dritten Partei im Besonderen greifbar werden lassen. Mithilfe des vorgestellten Ansatzes soll in Erfahrung gebracht werden, wie ein Kommunikationsprozess verläuft, der trotz konfessioneller und machtpolitischer Hürden gelingt. In dieser Hinsicht wird auch ein Vergleich möglich, wenn nach Unterschieden in den Kommunikationsprozessen der Dritten Partei zu jenen der gescheiterten französisch-spanischen Verhandlungen gefragt wird. Das Forschungsvorhaben betrachtet die Gesandten als Mittler und Schaltstellen im Kommunikationsprozess. Sie geben Informationen sowohl unterein-
domestique et son maître. Trois conceptions de la négociation sous Louis XIV, in: ders./Jean-Louis Quantin (Hrsg.), Papes, princes et savants dans l’Europe moderne. Mélanges à la mémoire de Bruno Neveu. Genf 2006, S. 237– 252; ders.: François de Callières. L’art de négocier en France sous Louis XIV. Paris 2005. Matthias Köhler: Strategie und Symbolik. Verhandeln auf dem Kongress von Nimwegen. Köln u. a. 2011; ders.: Verhandlungen, Verfahren und Verstrickung auf dem Kongress von Nimwegen 1676 – 79, in: Barbara Stollberg-Rilinger/André Krischer (Hrsg.): Herstellung und Darstellung von Entscheidungen. Verfahren, Verwalten und Verhandeln in der Vormoderne. Berlin 2011, S. 411– 440; ders.: Höflichkeit, Strategie und Kommunikation. Friedensverhandlungen an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert, in: Gisela Engel u. a. (Hrsg.), Konjunkturen der Höflichkeit in der Frühen Neuzeit. Frankfurt a. M. 2009, S. 379 – 401. Annette Gerstenberg (Hrsg.): Verständigung und Diplomatie auf dem Westfälischen Friedenskongress. Historische und sprachwissenschaftliche Zugänge. Köln u. a. 2014.
Die Dritte Partei des Westfälischen Friedenskongresses
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ander als auch an ihre Dienstherren weiter.⁶⁶ Die Korrespondenz zwischen Gesandtem und Dienstherrn ist für das Projekt auch deshalb von besonderem Interesse, da die Kommunikationsprozesse vor Ort auf dem Kongress überwiegend mündlich abliefen und somit kaum greifbar sind. Die schriftliche Korrespondenz z. B. zwischen Schönborn und Vorburg hingegen ist in üppigem Umfang vorhanden und bislang nur wenig beachtet worden. Über den „Umweg“ der Analyse der Kommunikation Gesandter–Dienstherr sollen die Abläufe und Strategien innerhalb der Gesandtschaften vor Ort in Westfalen sichtbar gemacht werden. Es handelt sich dabei also um eine indirekte Erschließung der Kommunikation der Dritten Partei in den Verhandlungen. Selbstverständlich wird die schriftliche Korrespondenz, die unmittelbar zwischen den Gesandtschaften geführt worden ist, ebenfalls in die Analyse einbezogen. Sie ist aber aus den genannten Gründen in deutlich geringerem Umfang vorhanden als die Korrespondenz Gesandter– Dienstherr. Um die Kommunikation wie beschrieben greifen und analysieren zu können, orientiert sich die Untersuchung an folgendem Raster: 1. Historische Kontextsicherung: Jede Quelle ist zunächst in ihren Entstehungskontext einzuordnen. Zu fragen ist, welcher Gesandtschaft sie zuzuschreiben ist und welche Position der Verfasser innerhalb seiner Legation in Westfalen beziehungsweise am Hof des Dienstherrn hatte. Bei Kommunikation zwischen Gesandtschaften gilt es stets zu prüfen, in welchem Verhältnis die jeweils Betroffenen zueinander standen. Sollten wichtige Informationen an eine vertraute Gesandtschaft weitergegeben werden, oder sollte etwas bewusst nicht kommuniziert werden? Im Vordergrund steht dabei die Frage, inwiefern die Dritte Partei involviert war. Durch die Quellenarbeit und die Kontextsicherung wird sich die konkrete Zusammensetzung der Gruppe letztlich erst herausstellen. 2. Quellenkritik: Da davon auszugehen ist, dass die Dritte Partei in erster Linie mündlich kommuniziert hat, wird primär die Korrespondenz Gesandte–Dienstherren untersucht. Es ist dabei wichtig festzustellen, welche Quellengattungen vorliegen – Instruktion, Relation, Entwurf, Bericht etc. Je nach Gattung sind andere Inhalte zu erwarten und es lassen sich andere Fragen an die jeweilige Quelle stellen. 3. Inhaltsanalyse: Die wichtigste der Fragen, die anhand der Quellenanalyse beantwortet werden sollen, lautet: Wie wird über den Frieden kommuniziert? Die Auswertung der einschlägigen Aussage dient dazu, die Inhalte stets vor dem
Stefan Brakensiek: Herrschaftslegitimierung im alten Europa. Praktiken lokaler Justiz, Politik und Verwaltung im internationalen Vergleich, in: ders./Heide Wunder (Hrsg.), Ergebene Diener ihrer Herren? Herrschaftsvermittlung im alten Europa. Köln u. a. 2005, S. 1– 21.
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Hintergrund der sich laufend wandelnden historischen Kontexte betrachten zu können. Zentral ist dabei die Frage, wer mit wem wie häufig welche Themen verhandelte. Zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen gilt es, jene Kommunikation zu erfassen, die Aufschluss über den Aufbau, die Zusammensetzung und die Abläufe innerhalb der Dritten Partei gibt. Daher stehen im Zentrum der Quellenauswahl die Korrespondenzen der Gesandtschaften des Kur- und Fürstbischofs Johann Philipp von Schönborn sowie jene der kurbayerischen Gesandten Maximilians I. Da die reichsständischen Korrespondenzen im Gegensatz zu denen des Kaisers, Schwedens und Frankreichs nur in Ausnahmefällen ediert sind,⁶⁷ muss vor allem mit Archivmaterial gearbeitet werden, das um die umfangreichen Quellenausgaben des Bonner Editionsprojektes der Acta Pacis Westphalicae erweitert wird. Die Auswertung dieses Quellenmaterials der Dritten Partei mithilfe der Werkzeuge der Verhandlungsforschung wird es ermöglichen, die wichtige Forschungsfrage zu beantworten, wie es gelang, einen der bedeutendsten Friedensschlüsse der Geschichte im Angesicht eines möglichen Scheiterns zum Erfolg zu führen.
Gabriele Greindl/Gerhard Immler (Bearb.): Die diplomatische Korrespondenz Kurfürst Maximilians I. von Bayern mit seinen Gesandten in Münster und Osnabrück. I. Bd. 2,1– 2,2. Dezember 1644–Juli 1645. August–November 1645. München 2009 und 2013.
Claudia Kaufold
Von „einträchtigen Rivalinnen“ und dem Wert von Bündnissen Der Komponist Agostino Steffani als Diplomat Agostino Steffani (1654– 1728) war als Hofkapellmeister und Diplomat von 1688 bis 1703 unter den Herzögen bzw. Kurfürsten Ernst August (1629 – 1698) und Georg Ludwig von Braunschweig-Lüneburg (1660 – 1727) am Hof von Hannover tätig. Er komponierte nicht nur die Festoper für die feierliche Eröffnung des neuen Opernhauses im Jahre 1689 in Hannover, sondern trug auch als Gesandter vor allem beim bayerischen Kurfürsten zum Erlangen der Kurwürde für die Welfen bei. Nachdem er den Rang eines envoyé extraordinaire erreicht hatte, beendete er offiziell sein musikalisches Schaffen. Während sich Letzterem auch neuere Forschungen widmeten,¹ erregte der Diplomat Steffani bislang wenig Aufmerksamkeit,² obwohl seine überlieferte Korrespondenz reichhaltiges Material zu Fragen der diplomatischen Praxis eines Mittelstaates um 1700 liefert. Ob Informationsgewinnung, Kryptographie, Spionage, Zeremoniell-, Interaktions- oder Hofforschung: Steffanis Relationen erhellen diese Aspekte anschaulich und lebendig. Sie liefern Diplomatiegeschichte aus akteurszentrierter Perspektive, in der vertrauensbildendes Verhalten breiten Raum einnimmt. Dieser Beitrag untersucht die Schnittstelle zwischen Musik und Politik und fragt insbesondere, wie sehr Steffani bereits als Komponist in die dynastische Politik involviert war und welche Kenntnisse und Fertigkeiten er auf seinem Weg zum Diplomaten nutzen konnte. Das Ineinandergreifen von Musik und Politik soll am Beispiel einer seiner Opern – Le rivali concordi (Die einträchtigen Rivalinnen) – erstmals genauer gezeigt werden. Hinsichtlich seiner diplomatischen Tätigkeit,
Maßgeblich: Colin Timms: Polymath of the Baroque. Agostino Steffani and His Music. New York 2003; Gesamtschau zum aktuellen Wissensstand: Claudia Kaufold/Nicole K. Strohmann/Colin Timms (Hrsg.): Agostino Steffani. Europäischer Komponist, hannoverscher Diplomat und Bischof der Leibniz-Zeit. Göttingen 2017. Immer noch grundlegend: Claudia Kaufold: Ein Musiker als Diplomat. Abbé Agostino Steffani in hannoverschen Diensten (1688 – 1703). Bielefeld 1997; ferner dies.: „Unser capelmester von der opera und extraordinair Abgesandter“. Der Diplomat Agostino Steffani, in: Martina Trauschke (Hrsg.), ossa leibnitii. 10. und 11. Leibniz-Festtage 2013/2014. Hannover 2015, S. 85 – 97; dies.: „Unser Envoyé extraordinaire am kurbayerischen Hofe“. Der Diplomat Agostino Steffani, in: Kaufold u. a. (Hrsg.), Agostino Steffani, S. 155 – 168. https://doi.org/10.1515/9783110625431-010
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die er vor allem in hannoverschen Diensten ausgeübt hat, werden sowohl Vorteile als auch Nachteile in den Blick genommen, die der Diplomat von der Musik hatte. Musiker als Diplomaten oder zumindest Agenten waren in der Frühen Neuzeit nicht selten. Dazu ein Beispiel vom Münchner Hof, wo Agostino Steffani 20 Jahre in Diensten gestanden hatte: 1696 schickte Kurfürst Maximilian Emanuel (1662– 1726) seinen Kapellmeister Giovanni Battista Scarlatti nach London. Unter dem Vorwand eines musikalischen Gastspiels sollte dieser den englischen König, Wilhelm III. von Oranien (1650 – 1702), dafür gewinnen, dass der bayerische Kurfürst auf Lebenszeit Statthalter in den Spanischen Niederlanden bleiben sollte.³ Auch Steffani war zu Beginn der 1680er Jahre als der „welsche musicus Augustin“ insgeheim an fremde Höfe geschickt worden.⁴ Das Besondere an ihm jedoch war, dass er nicht Musiker mit gelegentlichen Aufträgen blieb, sondern das Metier wechselte. Er stieg auf vom gelegentlichen „Undercover-Agenten“ zum offiziellen Gesandten, der als Stellvertreter seines Fürsten Verträge abschloss.
1 Wer genau war Abbé Steffani 1688? Er war als 13-Jähriger vom damaligen bayerischen Kurfürsten als Sängerknabe für die Hofkapelle aus Padua mitgebracht worden⁵ und hatte in München eine exzellente Ausbildung genossen: Musik bei hervorragenden Lehrern, Sprachen – er beherrschte Italienisch, Französisch, Deutsch und Latein⁶ –, Reisen. Als junger Mann durfte er zwei Jahre in Rom verbringen, 1678/79 traf man ihn dann am Piemonteser Hof in Turin, von dort ging es weiter nach Versailles. Bis hierhin führte Steffani ein äußerst erfolgreiches Musikerleben. Mit 27 Jahren war er als Kammermusikdirektor zuständig für die gesamte nicht-geistliche Musik am Münchner Hof. Er komponierte erste Opern. In Bayern hatte 1679 Maximilian – oder Max – Emanuel seinen Vater beerbt. Bei Regierungsantritt war er gerade 18 Jahre alt und ein begeisterter Musiker, der Gambe spielte und sich für die Oper interessierte. Max Emanuel kannte Agostino Steffani von Kindheit an, dieser habe beim Kurfürsten „ein großes credit“,⁷ be-
Kaufold, Ein Musiker als Diplomat, S. 177 f. Ebd., S. 20. Zum Folgenden s. Kaufold, Ein Musiker als Diplomat, S. 13 – 24. Ebd., S. 31– 34. Der Pfalz-Neuburger Kanzler Yrsch an Pfalzgraf Philipp Wilhelm, 09.02.1683. Zitat nach Alfred Einstein: Italienische Musiker am Hofe der Neuburger Wittelsbacher (1614– 1716), in: Zeitschrift der Internationalen Musikgesellschaft 9 (1907/08), S. 336 – 424, hier S. 391.
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richteten Widersacher – und so kam es, dass der junge Fürst seinen Kammermusikdirektor mit diskreten Aufgaben auf Reisen schickte. Es ging vornehmlich um die fürstlichen Heiratspläne. 1683 wurde der Italiener nach Hannover geschickt, um die welfische Prinzessin Sophie Charlotte in Augenschein zu nehmen, die Tochter von Herzog Ernst August von Braunschweig-Lüneburg und Sophie von der Pfalz. Die Heirat kam nicht zustande. Max Emanuel war trotzdem zufrieden mit Steffanis Bemühungen und setzte sich dafür ein, dass ihm die Abtei Löpsingen, in der Nähe von Nürtingen gelegen, als Pfründe sine cure verliehen wurde; drei Jahre zuvor hatte Steffani nämlich die Priesterweihe erhalten. Diese Abtei diente zum einen seiner finanziellen Absicherung, zum anderen führte der nicht-adlige Steffani seitdem einen Titel, der ihm das Prestige theologischer Gelehrsamkeit einbrachte: Er zeichnete seitdem immer als „A. Steffani Abbé de Lepsing“, später auch als „Abt zu Lepsing“.
Abb. 9: Ein Beispiel aus dem Jahr 1700: Steffanis Unterschrift unter seiner Relation aus Brüssel vom 29. September 1700. NLA Hannover, Cal. Br. 24 Nr. 256, fol. 220v.
Abb. 10: Steffanis deutsche Unterschrift unter einem Schreiben an Georg Ludwig, Kurfürst von Hannover, 1705. NLA Hannover, Cal. Br. 24 Nr. 6325, Düsseldorf, 16.10.1705.
Seit seiner Agentenreise im Jahr 1683 war Steffani in Hannover bekannt. Er begann danach eine Korrespondenz mit Ortensio Mauro, dem Privatsekretär der nachmaligen Kurfürstin Sophie, seinem späteren Librettisten. Er lernte Franz
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Ernst Graf von Platen kennen, den Direktor des Geheimen Rates; später war dieser sein direkter Vorgesetzter. Im April 1688 suchte der hannoversche Gelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz Steffani in München auf. Der Gelehrte hatte den Auftrag, eine Geschichte des welfischen Hauses zu schreiben.⁸ Denn der Herzog strebte seit einiger Zeit die Kurwürde an und wünschte zum einen, die eigene Bedeutung historiographisch untermauert zu sehen, zum anderen wollte er gewappnet sein, falls sich bei Erbfolgefragen Gebietsansprüche ergeben würden.⁹ Für seine Recherchen war Leibniz u. a. auf die Bibliothek des bayerischen Kurfürsten angewiesen. Für den Zutritt brauchte er jemanden, der ihm eine entsprechende Empfehlung aussprach, und das war der Kammermusikdirektor Abbé Steffani, inzwischen ein weithin berühmter Komponist.¹⁰ Leibniz fand dann tatsächlich einen Hinweis auf eine Verbindung zwischen der oberitalienischen Markgrafenfamilie Este und den Welfen. Damit belegte er, dass diese als regierende Familie älter waren als die Habsburger, Wittelsbacher oder Hohenzollern. Das war ein Pfund, mit dem man in Hannover wuchern konnte. Und damit sollte auch Steffani immer wieder zu tun haben. Einen Monat nach dieser Begegnung war sein Übertritt in hannoversche Dienste jedenfalls ausgemachte Sache.¹¹
2 Was hatte man 1688 in Hannover mit Steffani vor? Herzog Ernst August hatte so viele Reisen nach Venedig unternommen, um dort u. a. seiner Opernleidenschaft zu frönen, dass letztendlich der Bau eines eigenen Opernhauses günstiger schien. Die Vorliebe für die Oper mit den Ambitionen auf
Vgl. dazu Nora Gädeke: Praxis und Theorie: Ein Blick in die Werkstatt des Historikers Leibniz, in: Gottfried Wilhelm Leibniz (1646 – 1716), Akademievorlesungen Februar–März 2016. Hamburg 2017, S. 43 – 84, hier S. 61– 63. Armin Reese: Die Rolle der Historie beim Aufstieg des Welfenhauses 1680 – 1714. Hildesheim 1967, S. 5; Nora Gädeke: Die Rolle des Historikers. Gottfried Wilhelm Leibniz und der Aufstieg des Welfenhauses, in: Heide Barmeyer (Hrsg.), Hannover und die englische Thronfolge. Bielefeld 2005, S. 157– 178. Steffani an Leibniz, 04.04.1688, in: Gottfried Wilhelm Leibniz: Sämtliche Schriften und Briefe. Hrsg. von der Berlin-Brandenburgischen Akad. der Wiss. und der Akad. der Wiss. in Göttingen. Erste Reihe: Allgemeiner, politischer und historischer Briefwechsel. Bd. 5. Berlin 1954, S. 80 f. Alfred Einstein: Agostino Steffani. Eine biographische Skizze, in: Kirchenmusikalisches Jahrbuch 23 (1910), S. 1– 36, hier S. 33.
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die Rangerhöhung zum Kurfürsten zu verbinden und mit der nötigen Prachtentfaltung zu unterstützen – das war für den Herzog naheliegend. Als auf dem Höhepunkt der Türkenkriege auch noch Ludwig XIV. (1638 – 1715) den Pfälzer Erbfolgekrieg begann, hatte der katholische Kaiser Leopold I. (1640 – 1705) dem protestantischen Herzog – damals noch recht vage – die Kurwürde versprochen, um sich dessen weitere militärische Hilfe zu sichern.¹² Bis zum offiziellen Vertrag sollte es noch drei Jahre dauern, bis zur endgültigen Einführung Hannovers ins Kurkolleg sogar noch bis 1708. Um diesen Titel hat der Herzog auch mit den Mitteln der Repräsentation kämpfen müssen. Es war wohl seine eigene Idee, die glorreiche Geschichte seiner Familie durch eine Oper über den Vorfahren Heinrich den Löwen (gest. 1195) zu verdeutlichen: Henrico Leone. Für diese Einweihungsoper holte man den berühmten Steffani aus München als Kapellmeister. Gemeinsam mit Ortensio Mauro sollte er eine Oper vorbereiten, die das politische Programm der nächsten Jahre sichtbar machen und weithin beeindrucken sollte. 1689 sollte sie aufgeführt werden, 500 Jahre nach dem Sieg des Sachsenherzogs über das widerspenstige Bardowick.¹³ Noch nicht lange in Hannover, verfasste der Abbé eine Schrift über Ernst Augusts Verdienste um die katholische Konfession.¹⁴ Graf Platen, der Direktor des Geheimen Rates, übergab diese Ausarbeitung beim Augsburger Kurfürstentag einem päpstlichen Gesandten, um den Papst für die Kurwürde zu gewinnen. Kurz darauf überreichte Graf Platen einem kaiserlichen Gesandten eine zweite Denkschrift aus Steffanis Feder, diesmal über Ernst Augusts Verdienste um das Reich.¹⁵ Es folgten weitere „Etüden“. Im Januar 1692 verfasste er eine Denkschrift über den
Zu den Einzelheiten des Kurversprechens bis Ende 1692 vgl. Georg Schnath: Geschichte Hannovers im Zeitalter der neunten Kur und der englischen Sukzession 1674– 1714. Bd. 1. Hildesheim 1938 (Nachdr. ebd. 1977). Bd. 2– 4. Hildesheim 1976, 1978, 1982, hier Bd. 1, S. 592– 651. Die Uraufführung fand am 30. Januar 1689 statt, dem 500. Jahrestag der Zerstörung Bardowicks. Vgl. Nicole K. Strohmann: Von Grenzen und deren Überschreitung: Agostino Steffanis hannoveraner Opern im Kontext der europäischen Hofkultur, in: Händel-Jahrbuch 61 (2015), S. 95 – 115. Meriti di S[ua] A[ltezza] Ser[renissi]ma Il Sig[no]r Ernesto Augusto di Brunsvicco e Luneburgo, ca. 1689, Niedersächsisches Landesarchiv, Standort Hannover (künftig: NLA Hannover), Calenberger Briefschaftsarchiv (künftig: Cal. Br.) 11 Nr. 1091. Vgl. Kaufold, Ein Musiker als Diplomat, S. 255. Verschiedene italienische, französische u. a. Privatkorrespondenzen Herzog Ernst Augusts; einzelne Schreiben Georg Ludwigs, NLA Hannover, Cal. Br. 22 Nr. 634, fol. 57r–58r. Vgl. Kaufold, Ein Musiker als Diplomat, S. 29.
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Einfall Ludwigs XIV. in Italien.¹⁶ Er korrespondierte mit römischen Kardinälen, womöglich alten Bekannten aus Rom, über die Kurfrage.¹⁷ Das waren keine eigentlichen Kapellmeister-Aufgaben. Dass der Italiener bereits mit geheimen Aufträgen an fremde Höfe gereist war, wusste man in Hannover. Schließlich hatte ihn eine solche Reise wenige Jahre zuvor auch an die Leine geführt. Es war wohl von Anfang an geplant, den Neuankömmling auch politisch zu verwenden. Multifunktional sozusagen: als katholischen Abbé, der als Gesandter bei den katholischen Kurfürsten überzeugend für die neue protestantische Kur eintreten konnte und der gleichzeitig mit seiner Musik deutlich machen sollte, dass in Hannover ein neues Machtzentrum entstanden war.¹⁸
3 Welche Vorkenntnisse hatte der Komponist in dynastischer Politik? Bereits Steffanis Münchner Opern beruhten auf der sogenannten Schlüsseltechnik: Historische, allegorische oder personenbezogene Anspielungen durchzogen das Libretto. Das Publikum konnte dies „ent-schlüsseln“; bei Hofe war man darin geschult, Zeichen oder Codes zu deuten.¹⁹ So wird beispielsweise in Steffanis Oper über Alarico il Baltha, den Westgotenkönig aus der Familie der Balthen, die Befreiung Budapests von den Türken durch den Kurfürsten Max Emanuel gefeiert. Dies wird auf der Bühne gespiegelt durch den letztendlichen Sieg Roms über den Barbaren Alarich; die Türken werden gleichgesetzt mit den Barbaren.²⁰ Steffani war zwar nur für die Komposition verantwortlich. Erst lag der Text vor, danach entstand seine Musik.²¹ Die Zusammenarbeit mit seinen jeweiligen Librettisten war jedoch sehr eng. In München hatte meistens Steffanis älterer Bruder Ventura Terzago die Libretti für ihn geschrieben (s. Tab. 1), und in Hannover stand der
Réflexions sur les Raisons pour lesquelles le Roy Très-Chrétien a fait entrer ses Trouppes en Italie, pour en troubler le repos et y porter la guerre, 1692, NLA Hannover, Cal. Br. 23c Nr. 2,. Schnath, Geschichte Hannovers, Bd. 1, S. 631 f. Kaufold, „Unser Envoyé extraordinaire“, S. 161 f. Nicole K. Strohmann: Simulatio und dissimulatio. Agostino Steffanis La superbia d’Alessandro im Spiegel der höfisch-politischen Klugheitslehren, in: Kaufold u. a. (Hrsg.), Agostino Steffani, S. 91– 106, hier S. 96 f. Sebastian Werr: Politik mit sinnlichen Mitteln. Oper und Fest am Münchner Hof (1680 – 1745). Köln u. a. 2010, S. 109 f. Johann Mattheson: Kern melodischer Wissenschafft. Hamburg 1737; genauso auch in ders.: Der vollkommene Capellmeister. Hamburg 1739, dort S. 240.
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Hofpoet Ortensio Mauro aus Padua ihm ähnlich nahe. Daher ist anzunehmen, dass Steffani auch Einfluss auf den Text nahm. Tab. 1: Steffanis Münchner Opern. Titel
Erstaufführung
Librettist
Marco Aurelio Solone Audacia e rispetto (Turnierspiel) Servio Tullio Alarico il Baltha Niobe, regina di Tebe
Febr. Febr. Karneval Jan. Jan. Jan.
Ventura Giacomo Terzago Ventura Giacomo Terzago Ventura Giacomo Terzago Ventura Giacomo Terzago Luigi Orlandi Luigi Orlandi
Nach: Colin Timms: Polymath of the Baroque. Agostino Steffani and His Music. New York 2003, S. 329 f.
In Steffanis Opern waren politische Botschaften verpackt, auch wenn es vordergründig um Liebeswirren geht. Dabei ging es natürlich nicht um die politische Einstellung des Dichters, der schließlich im Auftrag arbeitete. Meist findet man in den Opern antike Fürsten als Hauptfiguren, denn die Herrscher leiteten sich gern von antiken oder mythischen Gestalten her. So bezogen sich die Wittelsbacher auf die thebanischen Könige; daher hatte die Münchner Hofoper eine Vorliebe für den Sagenkreis um Theben – daraus resultierte letztlich Steffanis Niobe, regina di Tebe. ²² Mit solchen dynastischen Herleitungen kannte er sich aus. Opern über Gestalten der Antike oder auch des Mittelalters zeichneten diese historisch nicht genau nach, sondern nutzten sie für die aktuelle politische Situation. Ähnliche historische Anleihen machte Steffani in seiner späteren diplomatischen Korrespondenz. Von einem Gesandten wurden diese Kenntnisse geradezu erwartet.²³ Der Abbé kannte sich nicht nur mit den römischen Geschichtsschreibern aus, sondern auch in französischer, spanischer und deutscher Geschichte der drei vergangenen Jahrhunderte. Begebenheiten aus den Bereichen Rechts- und Diplomatiegeschichte brachte er dann mit seiner eigenen Situation in Verbindung.²⁴ Geschichte, auch die in Musik verpackte, diente am Fürstenhof in hohem Maße der Repräsentation und der Legitimation, zudem war sie unterhaltsam.²⁵
Dazu Werr, Politik mit sinnlichen Mitteln, S. 114– 117. Vgl. François de Callières: De la manière de negocier avec les Souverains. Amsterdam 1716, S. 51– 56; dort auch „Leselisten“ für angehende Diplomaten um 1700. Kaufold, Ein Musiker als Diplomat, S. 34. Gädeke, Praxis und Theorie, S. 51.
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Dazu nachfolgend ein paar knappe Beispiele aus Steffanis hannoverschen Opern, sechs Dreiaktern mit fünf Stunden Spieldauer und zwei Einaktern. In Henrico Leone, Steffanis berühmtem Debüt in Hannover, stand der Protagonist Heinrich der Löwe für die anciennité des Welfenhauses sowie für die Größe des Welfenlandes zu dessen Zeiten.²⁶ Vor der Uraufführung jeder Oper wurden übrigens Textbücher gedruckt, damit das Publikum gut informiert der Aufführung folgen konnte und die machtpolitischen Anspielungen verstand. Diese Bücher enthalten ausgiebige französische und deutsche Inhaltsangaben zu den italienischen Texten.²⁷ Auch in Orlando generoso, einer Abwandlung der Rolandsage, geht es unter anderem um die edle Abstammung der Welfen von den Este, und zwar der hannoverschen Linie und nicht der Wolfenbüttler – Leibniz’ Thema. Die Wolfenbüttler Welfen empfanden die Erhebung ihrer Vettern zu Kurfürsten als unerträgliche Zurücksetzung. Dramatisiert wird das im Divertimento La lotta d’Hercole con Acheloo, der Kampf des Hercules mit Acheloos. Der trottelige und überhebliche Acheloo steht für den Herzog von Wolfenbüttel und wird lächerlich gemacht. Das ist reine Schlüsseltechnik: Der strahlende Held (Hercules) soll Ernst August symbolisieren, und dessen Frau Deianira ist die Personifikation der Kurwürde, die ihr Vater – der für den Kaiser steht – dem Würdigeren anvertraut. Um die Kurwürde geht es auch in La libertà contenta, die zufriedene Freiheit. Der Anlass war die offizielle Verleihung der Kurwürde an Hannover am 19. Dezember 1692. Ferner ist aber auch der Wert der ehelichen Treue ein Thema, was auf die Affäre zwischen der Kurprinzessin Sophie Dorothea und dem Grafen Königsmarck anspielen könnte.²⁸ Hinter dem Operntext gilt es heutzutage die Anspielungen im Sinne des zeitgenössischen, gebildeten Opernbesuchers zu dechiffrieren. Das ist leicht, wenn die Gleichsetzungen zwischen Fürsten und Opernhelden sowie die Personifikationen in der Vorrede zum Libretto ausdrücklich aufgelöst werden, so wie dies in den hier erwähnten Beispielen der Fall ist. Was macht man aber, wenn sie nicht erläutert werden? Dazu ein paar Beobachtungen am konkreten Beispiel: Le rivali concordi (Die einträchtigen Rivalinnen), uraufgeführt im Februar 1692.
Strohmann, Simulatio und dissimulatio, S. 104. Hier: Henrico Leone. Dramma dà recitarsi per l’anno MDCLXXXIX. Nel nuovo Theatro D’Hannover, Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek – Niedersächsische Landesbibliothek Hannover (künftig: GWLB) (Libretto). Dorothea Schröder: Zeitgeschichte auf der Opernbühne. Barockes Musiktheater in Hamburg im Dienst von Politik und Diplomatie (1690 – 1745). Göttingen 1998, S. 22.
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Tab. 2: Steffanis hannoversche Opern. Titel
Erstaufführung
Henrico Leone La lotta d’Hercole con Acheloo (Divertimento) La superbia d’Alessandro Orlando generoso Le rivali concordi / Atalanta La libertà contenta I trionfi del fato / Le glorie d’Enea Baccanali (Divertimento)
. Jan. Sommer Jan./Febr. Karneval . Febr. Febr. Karneval Karneval
Alle Libretti stammen von Bartolomeo Ortensio Mauro. Nach: Timms: Polymath of the Baroque, S. 330–332.
4 Welche Ereignisse oder Konflikte werden in der Oper Le rivali concordi thematisiert? Statt einer Vorrede gibt es im Textbuch²⁹ zu Le rivali concordi nur eine französische und deutsche Inhaltsangabe. Demnach hat der König von Kalydonien, Meleager, bei seinen Opfergaben Diana schlicht vergessen. Die Jagdgöttin ist erzürnt. Sie schickt eine schreckliche Bestie, die das Land verwüsten soll. Daraufhin bläst der König zur berühmten Jagd auf den kalydonischen Eber. Bekannte Helden der griechischen Mythologie treten auf: Jason und Theseus sowie die Jägerin Atalante, in die Meleager verliebt ist – wie auch sie in ihn. Im Schloss Herrenhausen in Hannover ist das Paar zu sehen, das Gemälde wurde möglicherweise durch die Oper angeregt (Abb. 11). Jason und Theseus begehren Atalante allerdings auch. Der schwelende Streit eskaliert. Zudem erscheinen Jasons und Theseus’ eifersüchtige Ehefrauen, Medäa und Ariadne. Nach allerhand Gemütsregungen und Intrigen gelingt es Atalante und den beiden anderen Frauen schließlich, Ordnung in die Sache zu bringen. Diese Einleitung im Textbuch endet in der deutschen Fassung mit dem Vers: „Was die Liebe hat versehen, macht die Klugheit wieder gut.“³⁰ Die Oper ist offenbar vom frühen Rationalismus geprägt, und das ist kein Wunder, denn Leibniz, mit
Im Folgenden wurde verwendet: Le Rivali concordi. Drama Per il Theatro d’Hannover. Hannover 1692. Libretto aus der GWLB. Es gibt auch eine leicht abweichende Fassung aus der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel. Ebd., S. 33.
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Abb. 11: Tommaso Giusti, Meleager und Atalante. Galeriegebäude Hannover (wohl 1694–1698). © Claudia Kaufold
dem speziell der Librettist Mauro eng befreundet war, schrieb: „Wir sind umso freier, je mehr wir vernunftgemäß handeln, umso mehr geknechtet, wenn wir uns von den Leidenschaften regieren lassen.“³¹ Das ist ein wichtiges Indiz dafür, dass die Oper eine Botschaft hat. Der Schlüssel, um zum Kern der Oper vorzudringen, ist die wiederholte Rede von Bewaffnung und Bündnissen im Text. Der Dreißigjährige Krieg war den Menschen noch in Erinnerung, und aktuell bedrohten zum einen die Türken das Reich, zum anderen der französische König Ludwig XIV. Zwei Söhne von Ernst August und Sophie waren 1690 dabei umgekommen, der eine in Siebenbürgen, der andere bei Priština. Das war alles nicht weit weg. In den Opernlogen in Hannover saßen verdiente Feldherren dieser Kriege, die Welfenherzöge und Max Emanuel, genannt „der Türkensieger“. Das Heidelberger Schloss, in dem Sophie
Zitat nach: Gottfried Wilhelm Leibniz – Ein Universalgenie wird gefeiert, in: Der Westen, 01.07. 2018, http://www.derwesten.de/panorama/google-doodle-erinnert-an-gottfried-wilhelm-leibnizid214731243.html (abgerufen am 28.08. 2018).
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als junge Frau gelebt hatte, war bereits zerstört. 1689 hatte die Verwüstung der Pfalz durch die französischen Truppen weithin Empörung ausgelöst.³² Und, wie oben erwähnt: Nach einem französischen Angriff auf seine italienische Heimat legte Steffani eine Denkschrift vor, in deren Titel er den französischen König als Friedensbrecher bezeichnete. Im Januar 1692 war das, ein paar Wochen vor der Uraufführung von Le rivali concordi. Die nun naheliegende Vermutung, Ernst August habe eine antifranzösische Oper in Auftrag gegeben, lässt sich schnell entkräften: Hannovers Option, sich Frankreich anzuschließen und nicht dem Kaiser, wurde Anfang der 1690er Jahre noch diskutiert. Es bestand sogar ein Neutralitätsvertrag mit Frankreich vom November 1690, der erst bei Abschluss des Kurvertrags mit Kaiser Leopold I. gelöst wurde. Das war am 22. März 1692, gut vier Wochen nach der letzten Aufführung der Oper. Dieses Neutralitätsbündnis sah neben französischen Subsidienzahlungen an Hannover quasi als moralische Rechtfertigung einen Friedensschluss zwischen Frankreich und dem Reich vor. Diesen Friedensschluss sollte Hannover im Verein mit anderen Reichsfürsten bewirken.³³ Dies war das bestimmende Thema in Hannover von Februar bis Juni 1691, also während der Abfassungszeit der Rivali concordi. Das politische Thema der Oper war also der – etwas hintersinnige – Wunsch nach Frieden. Dazu einige Textstellen als Beweis: Die erzürnte Jagdgöttin hat den Wildeber ausgesandt, die kalydonischen Felder zu verwüsten. Die Erdgöttin Kybele und der Meeresgott Neptun überreden Diana erfolgreich, ihre Wut zu mäßigen. Neptun sagt zu Diana: „Um die Welt zu bewahren und zu trösten, nicht um sie zu zerstören, wurdest du als wunderbare Gottheit geboren.“³⁴ Das ist eine Ermahnung an die Herrscher, die Götter auf Erden, von Kriegsverwüstungen wie in der Pfalz abzusehen. Eine der Kernaussagen der Oper fällt damit gleich zu Beginn, und kurz darauf endet die Handlung in der Göttersphäre. Die Helden machen Jagd auf den Eber, der noch frei herumläuft. Es wird beklagt, dass ein einzelnes Monstrum der Zerstörer eines Reiches sei, Naturka Zur Empörung über die französischen Aktionen in der deutschsprachigen Publizistik vgl. Martin Wrede: Das Reich und seine Feinde. Politische Feindbilder in der reichspatriotischen Publizistik zwischen Westfälischem Frieden und Siebenjährigem Krieg. Mainz 2004, S. 337 f.; Emilie Dosquet: Die Verwüstung der Pfalz als (Medien‐)Ereignis. Von der rheinländischen Kriegshandlung zum europäischen Skandal, in: Andreas Rutz (Hrsg.), Krieg und Kriegserfahrung im Westen des Reiches, 1568 – 1714. Göttingen 2016, S. 333 – 370; außerdem William Young: International Politics and Warfare in the Age of Louis XIV and Peter the Great. Lincoln 2004, S. 223. Schnath, Geschichte Hannovers, Bd. 1, S. 513 – 518, 530 – 538, 618. „Per conservar, per consolar il mondo, e non per desolarlo Bella Divinità nata tu sei.“ 1. Akt, 2. Szene (wie auch die folgenden Arienzitate aus dem hannoverschen Textbuch „Henrico Leone“ (wie Anm. 27); sämtliche Übersetzungen durch die Autorin).
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tastrophen hinterließen nicht derart schreckliche Spuren. Das bezieht sich wiederum auf den Pfälzer Krieg. König Meleager verspricht: „Das Elend des Landes werde ich nun beenden.“³⁵ Damit entspricht er dem Ideal des verantwortungsbewussten Herrschers. Die Jäger erlegen den Eber, Meleager dankt allen: „Freunde, unserem Eifer verdanke ich die Sicherheit meines Reiches“.³⁶ Die Sekurität des Reiches, das ist ein Schlagwort der Zeit, das in Steffanis diplomatischen Berichten oft vorkommt, wenn er den Wert von Bündnissen betont. Er schrieb zum Beispiel Ende Dezember 1692 eine Erörterung, die den Kurfürsten von Bayern und Köln vorgelegt wurde. Darin warnte er angesichts der Verhandlungen im Regensburger Reichstag über die Reichssekurität (wobei es um Fragen der Reichs-Wehrverfassung ging), dass die Weigerung einiger Weniger, Hannover ins Kurkolleg aufzunehmen, die Harmonie im Reich empfindlich störe.³⁷ Ein Thema, mit dem sich übrigens auch Leibniz schon seit einiger Zeit befasste.³⁸ Meleager überreicht Atalante die Trophäe, den Eberkopf. Theseus und Jason fühlen sich übergangen und warnen: Für die Unbedachtheit des Herrschers muss das Land zahlen.³⁹ Der Eber, seit dem Altertum Sinnbild eines unerschrockenen Heeres, ist – zumindest in der Oper – erlegt. Ein gefährlicher Feind wurde besiegt – nun darf man den Sieg nicht durch Uneinigkeit verspielen. Gezeigt wird in mehreren Szenen, dass Intrigen und Verrat langfristig keinen Nutzen bringen, tragfähige Bündnisse dagegen schon. Musik und Politik gingen bei Steffani zunächst Hand in Hand, man kann sie nicht scharf trennen.
5 Wie wurde aus dem Musiker Steffani ein Diplomat? Der Kapellmeister kannte sich gut in der hannoverschen Politik aus. Sofort nach seiner Ankunft in Hannover wurde er offenbar planmäßig eingearbeitet. Daran hatte sicher Leibniz einen Anteil. Er versorgte den Abbé auch später mit Denk-
„Le publiche miserie homai finirò.“ 1. Akt, 8. Szene. „Amici, al nostro Zelo devo del Regno mio la sicurezza.“ Ebd. Wilhelm Havemann: Geschichte der Lande Braunschweig und Lüneburg. Bd. 3. Göttingen 1857, S. 331. Lotte Knabe, Einleitung, in: Gottfried Wilhelm Leibniz: Politische Schriften. Hrsg. vom Zentralinstitut für Philosophie an der Akad. der Wiss. der DDR. Bd. 2. 2. Aufl. Berlin 1984, S. XIX-XXVI, hier S. XIX. „Pagherai misera terra l′ingiustizia del tuo re.“ 1. Akt, 11. Szene.
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schriften und Informationen, die dessen aktuelle Verhandlungen betrafen. Darin ging es meist um verfassungsrechtliche Fragen einzelner Gebiete.⁴⁰ Es scheint ihn jedoch auch der Drost Wilken von Klencke angeleitet zu haben – offenbar ohne schriftliche Spuren hinterlassen zu haben. Steffani wohnte bei ihm und seiner Familie in unmittelbarer Nähe des Opernhauses.⁴¹ Wilken von Klencke kümmerte sich 1688, im Jahr von Steffanis Ankunft, als Majordomus um die Rekrutierung italienischer Musiker für den Hof. Zehn Jahre zuvor war er bereits in die Verbreitung von Spielplänen und Libretti an andere Höfe involviert.⁴² Operninspizient oder ein ähnliches offizielles musikalisches Amt hatte er offenbar zu Steffanis Zeit nicht, aber man fand es wohl passend, den Komponisten bei ihm einzuquartieren. Bereits 1679 war Klencke Gesandter in Berlin gewesen. Er galt als tüchtiger Diplomat aus dem einheimischen Adel, woher die meisten hannoverschen Gesandten stammten, wies aber eine Besonderheit auf: Er war katholisch und daher für besondere Aufgaben geeignet. So war er Brautwerber für einen Welfenprinzen bei einer katholischen Lauenburger Prinzessin und besuchte die Kurfürsten von Trier und von der Pfalz wegen der neunten Kur.⁴³ 1697 war er Gesandter in Dresden, unter anderem wegen der Sachsen-Lauenburger Sache.⁴⁴ Die Welfen stellten dort Erbansprüche und hatten Lauenburg besetzt; die Brautwerbung war erfolglos gewesen. Dass der Drost Klencke seinen Hausgenossen in die Geschäfte der hannoverschen Diplomatie einwies, ist denkbar, zumal die Angelegenheiten, die Klencke als katholischer Diplomat wahrnahm, später von Steffani übernommen wurden. Steffanis erster Auftrag für Hannover hatte 1693 wieder mit einer Ehestiftung zu tun, und zwar zwischen dem verwitweten Max Emanuel und einer katholi-
Kaufold, Ein Musiker als Diplomat, S. 25. Max Burchard/Herbert Mundhenke: Die Kopfsteuerbeschreibung der Fürstentümer CalenbergGöttingen und Grubenhagen von 1689. 13 Bde. Hildesheim/Hannover 1940 – 1972. In Bd. 2 (1941) findet sich auf S. 177 für die Leinstraße 225 der Eintrag, dort wohne „v. Klencke, Drost, bei Hofe“, und auch „der Kapellmeister“, allerdings ohne Namensnennung desselben. Helen Coffey: Opera for the House of Brunswick-Lüneburg: Italian Singers at the Hanover Court, in: Kaufold u. a. (Hrsg.), Agostino Steffani, S. 107– 122, hier S. 113; Reinmar Emans: Die Situation der Musiker an den Welfenhöfen Wolfenbüttel/Braunschweig und Bevern, in: ebd., S. 139 – 152, hier S. 143, 151. Die Sendung des Oberkammerjunkers und Landdrosten Wilcken Klencke an den Kurfürsten von Trier in Sachen der Kurwürde, NLA Hannover, Cal. Br. 24 Nr. 7799, Akte des Kurfürsten Ernst August; Sendung […] des Kammerjunkers Landdrosten Klencke […], Korrespondenz mit dem Abte Steffani, vorwiegend über die Kursache 1689 – 1706, Cal. Br. 24 Nr. 6325, Kurfürst Georg Ludwig: Korrespondenz mit dem kurpfälzischen Hofe. In beiden Akten findet sich kein Hinweis auf eine Verbindung zwischen Klencke und Steffani. Schnath, Geschichte Hannovers, Bd. 2, S. 172 f.
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schen Nichte Ernst Augusts.⁴⁵ Der Abbé reiste, wie bisher auch, als „Privatmann“ nach Brüssel, wo der bayerische Kurfürst mittlerweile als Statthalter der Spanischen Niederlande residierte. Die Reise war wieder vergeblich, aber sie nützte dem diplomatischen Schüler. Das zeigen seine Unterlagen, die in Hannover im Archiv liegen.⁴⁶ Er berichtete dem Hof auf Französisch zwei- bis dreimal pro Woche über den Verlauf seiner Bemühungen und wurde auf Deutsch instruiert, was jeweils zu unternehmen sei. Zum diplomatischen Handwerkszeug gehörte das Chiffrieren und Dechiffrieren der Texte, was Steffani anfangs eigenhändig tun musste. Die ersten Anweisungen, die er erhielt, dechiffrierte er anders als die hannoverschen Kanzlisten, die über die langgestreckten Ziffernblöcke zusammenhängende Wörter schrieben (Abb. 12). Er entzifferte stattdessen Zahlenblock für Zahlenblock, was jeweils einen Buchstaben bedeutete. Die Lücken zwischen den gedeuteten Buchstaben füllte er mit Querstrichen, sodass ein auseinandergerissener, völlig unübersichtlicher Text entstand (Abb. 13, 14). Vom Verfahren her ging er genauso vor, wie er in Arien einzelne Silben auf viele Noten verteilte, was sich in Partituren nicht anders lösen lässt (Abb. 15). Aber schon nach kurzer Zeit fiel ihm wohl beim Durchsehen der gesammelten Post selbst auf, wie schlecht sie zu lesen war, sodass er sein System umstellte und nun zusammenhängend entzifferte: nicht mehr einzelne Buchstaben, sondern ganze, mit Abstand voneinander getrennte Worte. Er benutzte nun oft auch wie die Kanzlisten andersfarbige Tinte für die Codes. Damit wurde alles wesentlich übersichtlicher (Abb. 16). Auch seine Chiffriermethode war anfangs nicht sehr ausgeklügelt. Er verschlüsselte zunächst zum Beispiel in einem Satz nur die Namen, die man aus dem Zusammenhang jedoch leicht erschließen konnte. Kryptographie hat ihm offenbar niemand beigebracht, die musste er sich selbst durch die Praxis aneignen. Ähnlich musste er auch manche höfischen Sitten erst erlernen: Als er seinem Hof für 1694 keine Neujahrswünsche sandte, kassierte er für diese grobe Nachlässigkeit einen Tadel. Während dieses ersten Besuches in Brüssel baute Steffani jedoch ein Netz von Kontakten auf, das er später effektiv nutzte. Dann kehrte der Abbé nach Hannover zurück und komponierte seine letzte große Oper.
Zum Folgenden vgl. Kaufold, „Unser Envoyé extraordinaire“, S. 162 f. Die meisten von Steffanis Relationen und sonstigen Schriftstücken befinden sich im NLA Hannover unter den Signaturen Cal. Br. 23c, Registratur des Bischofs von Spiga, Agostino Steffani 1689 – 1728; Cal. Br. 11, Reichssachen 1548 – 1854/Herzogtum bzw. Kurfürstentum BraunschweigLüneburg, 1635 – 1705; Cal. Br. 22, Akten betr. das herzogliche Haus Braunschweig-Lüneburg in Haus-, Hof- und Regierungsangelegenheiten (Calenberger Hausarchiv), 15.–18. Jh.; Cal. Br. 24, Äußere Angelegenheiten 1461– 1866.
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Abb. 12: Steffanis eigenhändige Relation aus Brüssel vom 20./30.12.1693 mit roten Entschlüsselungen der Kanzlei. NLA Hannover, Cal. Br. 24 Nr. 239, fol. 57r.
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Abb. 13: Ernst Augusts Antwort aus Hannover vom 11.12.1693 mit Steffanis Entschlüsselungen: „bewustten heyrathsnegotii“. NLA Hannover, Cal. Br. 24 Nr. 239, fol. 1r.
Abb. 14: Ihr habt übrigens woll gethan, dass Ihr vo-r-ge-da-c-h-te-n ge-h-e-i-m-pt-t-te-n ra-th-Pril-ma-y-e-r zu u-n-se-re-r w-ü-r-c-k-li-c-h-e-n e-r-K-e-n-d-li-g-k-e-i-t ho-f-nu-n-g gemacht, […]. NLA Hannover, Cal. Br. 24 Nr. 239, fol. 1v.
Der Kurkontrakt von 1692 mit dem Kaiser war ein großer Erfolg für Hannover. Aber: Bislang sagte der Vertrag nur, dass Hannover ins Kurkolleg eingeführt werden sollte – diese Introduktion ließ jedoch bis 1708 auf sich warten. Reichsrechtlich war zudem völlig unklar, wer außer den Kurfürsten noch zustimmen musste. Deswegen wurden ausgiebige diplomatische Verhandlungen um die Anerkennung der Kurwürde geführt, wobei sich Ernst August über seine Gesandten jeweils an die einzelnen Kurfürsten wandte.⁴⁷ Vgl. hierzu Schnath, Geschichte Hannovers, Bd. 1, S. 592– 637.
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Abb. 15: „Che folgori il Cielo, ch’il Mondo ruini, Tra fieri destini Costante sarò.“ Arie des Meleager, Le rivali concordi, 1. Akt, 2. Szene. In: https://imslp.org/wiki/Orlando_generoso_ (Steffani%2C_Agostino), public domain (abgerufen am 01. 10. 2018). Die Arie gehört allerdings nicht in die Oper Orlando generoso, wie diese Seite suggeriert.
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Abb. 16: Reskript aus Hannover vom 11.1.1694. NLA Hannover, Cal. Br. 24 Nr. 239, fol. 19r.
Wie geriet Abbé Steffani nun aufs diplomatische Parkett? Bisher war er nur im Hintergrund für die Kursache tätig gewesen – aber dann passierte Folgendes: Ein kaiserlicher Diplomat führte Verhandlungen bei Max Emanuel am Brüsseler Hof. Es ging um die Anerkennung der neunten Kur für Hannover und damit auch um die Wiederzulassung der achten, böhmischen Kur, da Leopold I. die Anerkennung der neunten Kur per Abmachung an die Wiederzulassung der von den Habsburgern beanspruchten achten Kur gekoppelt hatte. Sein Gesandter kam damit nicht weiter und forderte Unterstützung aus Hannover an. Dort wurde gründlich überlegt, wen man schicken könnte. Das Geschäft erforderte die genaue Kenntnis der Verhältnisse am Empfangshof, und dafür hätte Ernst August wahrhaftig niemand besseren als Steffani finden können. Dieser war nicht nur an der bayerischen Residenz aufgewachsen, sondern kannte sich dank seiner Agententätigkeit auch in deren Politik aus. Dass Steffani kein juristisches Examen aufweisen konnte, war kein Hinderungsgrund. Nur die wenigsten hannoverschen Diplomaten waren Juristen.⁴⁸ An wünschenswerten Eigenschaften eines Diplomaten ließe sich eine lange Liste aufstellen.⁴⁹ Georg Schnath bescheinigte dem Abbé „Anpassungsfähigkeit, gewandtes Auftreten, Liebenswürdigkeit, blitzschnelles Erfassen des Augenblicks und die Gabe, zu improvisieren, aber auch die meisterhafte Beherrschung der Kunst, eigene Intrigen anzusetzen und gegnerische abzufangen“.⁵⁰ Ferner zeichneten sich seine anschaulichen Relationen Aus der Gruppe der zehn wichtigsten hannoverschen Diplomaten, die man hinsichtlich Position, Themen oder Einsatzorten mit Steffani vergleichen kann, hatten nur vier die Rechte studiert. Vgl. Kaufold, „Unser Envoyé extraordinaire“, S. 157. Vgl. hierzu etwa Callières: De la manière de negocier, S. 20 – 22, 31– 34, 40 – 48. Schnath, Geschichte Hannovers, Bd. 2, S. 92 f.
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durch bestechende Logik und klare Argumentation aus. Nach dem Prinzip „qu’il est impossible qu’une chose soit, et ne soit pas en même temps“⁵¹ baute er beispielsweise häufig einen Entscheidungsweg auf, indem er jeweils eine von zwei Möglichkeiten annahm.⁵² Seine wissenschaftliche Befähigung hatte er vor Reiseantritt noch unter Beweis gestellt. In einem 1694 in Hannover geschriebenen Traktat befasste er sich mit dem Stellenwert der Musik im Ensemble der Wissenschaften, was kurz darauf ins Deutsche übersetzt wurde und die musiktheoretische Diskussion in Deutschland jahrzehntelang prägte.⁵³ Problematisch war allerdings sein sozialer Stand. Es ging jetzt nicht mehr um geheime Agentenreisen, sondern der kaiserliche Vertreter forderte einen offiziellen Bevollmächtigten. Ein derartiger Stellvertreter des Fürsten musste dem Adel angehören. Schließlich wurde doch ein Kompromiss gefunden: Der Abbé reiste im Februar 1695 als Privatmann. Diese Episode markiert den ersten Hinweis auf Steffanis diplomatischen Rang bzw. Nichtrang. Steffanis Hauptaufgabe war es, in Brüssel Hindernisse für die Introduktion zu beseitigen. Das tat er sehr erfolgreich. Zu seinen sonstigen Aufgaben gehörte es, im Vorfeld auf alles zu achten, was den Friedenskongress in Rijswijk betraf – dieser sollte 1697 den Pfälzer Erbfolgekrieg beenden. Steffani war hervorragend über die französischen Geheimverhandlungen mit den niederländischen Generalstaaten und England informiert; dies zeigt der Schriftwechsel der französischen Gesandten mit Ludwig XIV. im Vergleich mit Steffanis Berichten nach Hannover.⁵⁴ Der Abbé war zwar außerdem in der Nähe des Tagungsortes stationiert, die Teilnahme blieb ihm allerdings aufgrund seines nicht-adligen Standes verwehrt. Als aus Hannover ein Graf (ohne Juraexamen) ankam, endete Steffanis Beteiligung im Wesentlichen. Ende Januar 1696 reiste er unter dem Vorwand einer Karnevalskomposition zur mündlichen Berichterstattung nach Hannover. Wie sich zeigte, hatte er seine Aufgabe zur vollen Zufriedenheit von Ernst August erledigt, was sich auch in einer Gehaltserhöhung ausdrückte. Ende März kehrte Steffani nach Brüssel zurück – im
NLA Hannover, Celle Br. 18 Nr. 159, Extrakt von Steffanis Relation vom 06.04.1698, fol. 139rv. Kaufold, Ein Musiker als Diplomat, S. 35. Agostino Steffani: Quanta certezza habbia da suoi principii la musica et in qual pregio fosse perciò presso gli Antichi. Amsterdam 1695; ders.: Send-Schreiben darinn enthalten wie grosse Gewißheit die Music aus ihren Principiis […] habe […]. Aus dem Italiänischen ins Hochdeutsche befördert […] von Andreas Werckmeister. Quedlinburg/Aschersleben 1699; dazu Stephen Rose: The Contest of Reason versus the Senses. Steffani’s Quanta certezza and German Musical Thought, in: Kaufold u. a. (Hrsg.), Agostino Steffani, S. 249 – 262. Anna Sinkoli: Frankreich, das Reich und die Reichsstände 1697– 1702. Frankfurt a. M. u.a, 1995, bes. S. 238 – 276, 344– 359.
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Rang eines envoyé extraordinaire, wörtlich eines „außerordentlichen Gesandten“, denn ursprünglich wurden diese befristet abgesandt. Um 1700 bedeutete es allerdings so viel wie „ständiger Gesandter“, was gleichzeitig der höchstmögliche Rang eines kurfürstlichen Gesandten war.⁵⁵ – Die Karnevalsmusik schrieb der Abbé nicht mehr. Damit war der Wechsel zur Diplomatie endgültig vollzogen. Von jetzt an hieß es meistens: volles Zeremoniell mit allen Formalitäten: Ersuch- und Beglaubigungsschreiben, Antritts- und Abschiedsaudienz, zugeteilte commissaires als Verhandlungspartner etc., jeweils mit allen äußeren Zeichen, als da wären: eine equipage, allerhand Personal und ein richtiger Sekretär.
6 Welche Vor- und Nachteile hatte Steffani als Diplomat von seiner musikalischen Ausbildung? Es gibt keine Aufzeichnungen, aus denen sich ableiten ließe, dass diese oder jene Entscheidung durch „musikalische Beeinflussung“ getroffen worden wäre. Offensichtlich ist aber, dass der Abbé durch die Musik relativ leicht Kontakte in Fürstenkreisen knüpfen konnte. Er traf im Laufe seines Lebens viele hoch gebildete Musikliebhaber, mit denen er dann Korrespondenzen pflegte. Allein die Findbucheinträge über seine Schriftwechsel mit deutschen Fürsten und Fürstinnen umfassen mehrere Seiten.⁵⁶ Es blieb dabei nicht beim musikalischen Austausch, auch die neuesten Hofnachrichten wurden besprochen. Dabei gewann er nicht nur Informationen, sondern bekam die Bewertung gleich mitgeliefert oder konnte sie zumindest erahnen. Ein direkter Effekt scheint im Briefwechsel mit dem musikbegeisterten Pfälzer Kurfürsten auf: Seit Ende 1698 korrespondierten die beiden,⁵⁷ was letztlich 1703 zu Steffanis Anstellung in Düsseldorf führen sollte. Als fruchtbar erwiesen sich für den Abbé Musikabende als quasi privates Beisammensein. Dort erfuhr er mehr für seine Verhandlungen Nützliches als auf
Klaus Müller: Das kaiserliche Gesandtschaftswesen im Jahrhundert nach dem Westfälischen Frieden (1648 – 1740). Bonn 1976 (Habilitationsschrift, Universität Bonn, 1970), S. 116. Genannt seien nur Kurfürstin Sophie von Hannover, ihre Tochter Sophie Charlotte von Preußen, deren Tochter Sophie Dorothea und die Gräfin von Hessen-Rheinfels. Vgl. das Findbuch zu Steffanis Nachlass, der „Registratur des Bischofs von Spiga“, NLA Hannover, Cal. Br. 23c, Punkte III und IV. Dazu vgl. Kaufold, Ein Musiker als Diplomat, S. 37.
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großen Veranstaltungen wie etwa Bällen.⁵⁸ Vom Verlauf einer ganzen Reihe solcher Abende weiß man Genaueres. Im Herbst 1700 zum Beispiel besuchte Sophie Charlotte von Hannover, inzwischen nach Berlin verheiratet, Max Emanuel in Brüssel. Dort wurde zu dritt musiziert, mit Cembalo, Gambe und Gesang. Zwischendurch unterhielten sie sich über die Königswürde, die Brandenburg anstrebte,⁵⁹ und vielleicht auch über die neunte Kur. Der größte Vorteil war aber, dass der Abbé sehr oft Zutritt bei Max Emanuel hatte. „Steffani, dessen Gegenwart Ihm […] wegen der Music sehr angenehm und Er gewohnt ist denselben viel bey sich zu haben“,⁶⁰ so berichtete es ein hannoverscher Beobachter. Schon in München hatte der junge Kurfürst fast jeden Abend in seinen Privaträumen mit Steffani musiziert.⁶¹ Auch in Brüssel wird er jede Gelegenheit dazu genutzt haben. Es war natürlich ein Unterschied, ob ein- und dasselbe Menuett von einem fürstlichen Musikliebhaber gespielt wurde oder von einem Musiker, der damit seinen Lebensunterhalt bestritt. Die Fürsten selbst haben das wohl eher ausgeblendet als Hofleute im Rang von Steffani. Im Zusammenhang mit seinen ersten Agententätigkeiten wurde er abwertend als „welscher Musikus“ bezeichnet, es hieß, „er wirdt vor einen losen gesellen gerühmet“, und „[das] lüegen ist demselben nit schwähr“.⁶² Das Musikerdasein widersprach offenbar dem Ideal des honnête homme. Steffani stellte die Musik deshalb hintan, spätestens seit er den Rang eines envoyé extraordinaire erlangt hatte. Bei jeder Gelegenheit betonte er, dass man ihn als honnête homme kenne, der außerdem sogar ein Geistlicher sei.⁶³ Seit seiner Bischofsweihe – zu dem Zeitpunkt stand er nicht mehr in hannoverschen Diensten – war er dann bestrebt, den Musiker ganz zu verbergen. Zwei seiner drei Düsseldorfer Opern erschienen unter fremdem Namen. Diese Opern hatte er zum
Ebd., S. 140. Bernhard Janz: Königin Sophie Charlotte und Agostino Steffani. Musik und Politik um 1700. Vortrag vom 17.10. 2015 in der Staatsoper Unter den Linden im Schiller Theater, Berlin. Ich danke Prof. Lajos Rovatkay, Hannover, für den Hinweis. Relation von Kammerpräsident Friedrich Wilhelm Freiherr von Schlitz, genannt von Görtz, vom 10./20.12.1693, NLA Hannover, Cal. Br. 24 Nr. 238, fol. 37r. Gerhard Croll: Musik und Politik. Steffani-Opern in München, Hannover und Düsseldorf, in: Alberto Colzani u. a. (Hrsg.): Il melodramma italiano in Italia e in Germania nell’età barocca. Die italienische Barockoper, ihre Verbreitung in Italien und Deutschland. Como 1995 (Contributi musicologici del Centro Ricerche dell’A.M.I.S. – Como 9), S. 31– 42, hier: S. 37. Zitat nach Einstein, Italienische Musiker, S. 391. Kaufold, Ein Musiker als Diplomat, S. 153.
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Teil schon in Hannover komponiert, zum Teil stellte er sie aus älteren Opern neu zusammen.⁶⁴ Sein musikalisches Schaffen war damit offiziell beendet. Tab. 3: Steffanis Düsseldorfer Opern. Titel
Erstaufführung
Librettist
Arminio Tassilone Il Turno / Amor vien dal destino
Karneval Karneval Karneval
Stefano Benedetto Pallavicino Stefano Benedetto Pallavicino Bartolomeo Ortensio Mauro
Nach: Timms: Polymath of the Baroque, S. 332 f.
7 Was tat Steffani konkret als Diplomat für Hannover? Steffanis Hauptaufgabe als Hannoveraner Diplomat waren die Kurverhandlungen mit Bayern, über die er regelmäßig berichtete. Er führte aber nicht nur Anweisungen aus, sondern unterbreitete Vorschläge für das weitere Vorgehen, die meistens angenommen wurden. Man vertraute dem „Mann vor Ort“. Eine Idee, mit der er sich in diesem Zusammenhang ausführlich beschäftigte, war ein Verteidigungsbündnis mit Bayern.⁶⁵ Dazu kam es am Ende nicht, aber es hielt Bayern und Hannover drei Jahre lang intensiv im Gespräch. Steffani war als Vorposten Hannovers in Brüssel ferner für sämtliche aktuellen Vorfälle zuständig. So hatte er 1698 den Tod von Ernst August zu notifizieren, sein Empfangsgemach, seine Kutsche sowie seine Kleidung auf Trauer umzurüsten und Kondolenzbesuche zu empfangen. Er nahm weitere Aufgaben wahr: Er reiste zum jungen Herzog von Lothringen, der dem Alternat entsprechend nach Ernst August Bischof von Osnabrück werden sollte, und er reiste mehrfach zu den katholischen Kurfürsten von Trier, Köln und der Pfalz. Dabei bestand er weisungsgemäß immer auf kurfürstlichem Zeremoniell⁶⁶ – der Sinn war, genau wie mit seinen Opern, die hannoversche Kurwürde sichtbar zu machen.
Timms, Polymath of the Baroque, S. 96 f. Zur geplanten Defensiv-Allianz s. Kaufold, Ein Musiker als Diplomat, S. 163 – 196. Gute Beispiele dafür sind Steffanis ausführliche Berichte über seine Audienzen in Lothringen im Dezember 1698 und zwei Jahre später bei den Kurfürsten von Trier und der Pfalz, s. Kaufold, Ein
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Bei einer Antrittsaudienz bedeutete das beispielsweise, mit Heiducken als Begleitung sechsspännig vorzufahren. Der Abbé prüfte genau die zeremonielle Ausstattung und Ehrerweisung anhand der Zahl der Lakaien, der Art des Geschirrs und des Sessels, wer ihm wie weit entgegenkam und wie viele Personen bei der Audienz noch zugelassen waren. Jedes Detail war wichtig und wurde nach Hannover berichtet. Er hatte sich im Vorfeld darüber informiert, was ihm als Vertreter Hannovers zustand und wie andere kurfürstliche Gesandte kürzlich am jeweiligen Ort empfangen worden waren. Das gleiche erwartete er dann auch. Ließ der Empfang zu wünschen übrig, so fand Steffani geschmeidig Möglichkeiten, daran noch etwas zu drehen: Er suchte sich mit Charme einen vorteilhafteren Standort auf dem Empfangspodest oder einen ehrenhafteren Sitzplatz an der Tafel, veranlasste oder verzögerte das Hutabnehmen – mit Choreographien kannte sich der Opernkomponist schließlich aus. Bei seinen Aufträgen ging es indes sehr oft um Geld, was wenig glamourös eher einem Geschacher glich. So verhandelte er beispielsweise mit dem Pfälzer Kurfürsten über eine Einigung im Sachsen-Lauenburger Erbfolgestreit (dieser war verschwägert mit einer der Erbinnen). An dieser „maudite affaire“ hatte Steffani jedoch wenig Freude.⁶⁷ Außerdem fand er alles Wesentliche über die verschiedenen Teilungsverträge des spanischen Erbes heraus. Das war um 1700 ein bedeutendes Thema, denn Karl II. hatte keinen direkten Erben, was letztendlich zum Spanischen Erbfolgekrieg führte. In Brüssel erledigte Steffani zudem Aufgaben, die üblicherweise ein hannoverscher Gesandter am spanischen Hof ausgeführt hätte; desgleichen kümmerte er sich um die spärliche Korrespondenz mit Portugal, und er war ein Mittelsmann für den Vatikan. Diese drei katholischen Staaten erkannten die hannoversche Kurwürde nicht an, weshalb dorthin kein Gesandter geschickt werden konnte. Aber speziell für Spanien saß Steffani in den Spanischen Niederlanden sozusagen an der Quelle.⁶⁸ Sein diplomatischer Einsatzbereich lag demzufolge klar umrissen im katholischen Südwesten des Reiches und Europas: Bayern, Köln, Trier, die Pfalz, Lothringen, Spanien, Portugal, Vatikan. Sein Einsatz in Brüssel endete, als der bayerische Kurfürst 1701 auf Befehl Spaniens wieder zurück nach München ging. Georg Ludwig, der in Hannover
Musiker als Diplomat, S. 204– 208, 210 – 214 und S. 222 f. Zum Bestehen oder Verzichten der hannoverschen Kurfürsten auf volle kurfürstliche Ehren s. ebd., S. 115 – 118. Steffanis Relation vom 25.05.1700, NLA Hannover, Celle Br. 104 b Nr. 88. Ferner Kaufold, Ein Musiker als Diplomat, S. 238 – 247. Zu Steffanis Kontakten zum spanischen Gesandten in Brüssel Don Francisco Bernardo de Quiros und weiteren Spaniern in Brüssel sowie zu einzelnen Kontakten direkt nach Madrid s. Kaufold, Ein Musiker als Diplomat, S. 247– 254.
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inzwischen seinen Vater beerbt hatte, war zunächst nicht gewillt, Steffani nun nach München abzusenden, denn von Max Emanuel war hinsichtlich der endgültigen Einführung ins Kurkolleg keine Mithilfe mehr zu erwarten. Man befürchtete vielmehr dessen Übertritt auf die Seite Frankreichs. Hannover stand inzwischen fest an der Seite des Kaisers. Der Abbé wurde dann jedoch auf ausdrücklichen Wunsch Leopolds I. nach München geschickt. Er sollte den Seitenwechsel des Wittelsbachers verhindern. Steffani war zunächst begeistert, wieder in München zu sein, traf viele alte Bekannte, konnte aber zu seinem großen Entsetzen nichts ausrichten. Der bayerische Kurfürst wechselte wirklich die Seite und griff Anfang September 1702 die Reichsstadt Ulm an. Der Spanische Erbfolgekrieg hatte damit begonnen. Für den ehemaligen Münchner Kammermusikdirektor, der auf kaiserlicher Seite agierte, wurde die Lage gefährlich. In letzter Minute wurde er aus München abberufen. Somit war Steffanis Mission beendet. Und nun? Diplomaten seines Ranges wurden nach dem Ende ihrer diplomatischen Laufbahn gewöhnlich hohe Hofbeamte. Dort war üblicherweise der einheimische Adel unter sich, und so war es auch in Hannover. Obwohl der Fürst seine Bedenken, Steffani zum envoyé extraordinaire zu ernennen, auf Wunsch des kaiserlichen Gesandten überwunden hatte – eine Stelle als Geheimer Rat, die Steffani gern erhalten hätte, wurde ihm nicht gewährt.⁶⁹ Es ist in diesem Zusammenhang eine interessante Frage, mit Personen welcher hierarchischen Ebenen Vernetzungen erreicht wurden.⁷⁰ Am Brüsseler Hof ist Steffani das viel besser gelungen als am hannoverschen; dafür gibt es sehr viele Beispiele. In Brüssel verkehrte er mit flämischen, spanischen und bayerischen Adligen, wurde übers Wochenende in Schlösser auf dem Lande eingeladen; war dort sehr gut integriert. Für Hannover sind solche Einladungen – außer einem Arbeitstreffen auf dem Landsitz von Graf Platen – nicht bekannt.⁷¹ So endete dann auch seine Dienstzeit in Hannover – nicht im Streit, die Kontakte blieben bestehen, aber es gab keine Aufgabe für ihn, und so wurde er an einem anderen Ort Geheimer Rat, nämlich in Düsseldorf, der kurpfälzischen
Kaufold, „Unser Envoyé extraordinaire“, S. 164– 166. Katrin Losleben: Musik – Macht – Patronage. Kulturförderung als politisches Handeln im Rom der Frühen Neuzeit am Beispiel der Christina von Schweden (1626 – 1689). Köln 2012, S. 65 f. Im Juli 1700 hielt Steffani sich z. B. für zwei bis drei Tage in Enghien nahe Brüssel auf, im Schloss der Herzogin von Arenberg, weil die Landluft der Unordnung in seinem Kopf abhelfen sollte. Steffani aus Enghien an Graf Platen, 28.07.1700, NLA Hannover, Cal. Br. 24 Nr. 260, fol. 5r; vgl. Kaufold, Ein Musiker als Diplomat, S. 64. Über das Treffen in Linden Steffani aus Bonn an Graf Platen, 21.07.1701, NLA Hannover, Cal. Br. 24 Nr. 260, fol. 12r. Kaufold, Ein Musiker als Diplomat, S. 60.
Von „einträchtigen Rivalinnen“ und dem Wert von Bündnissen
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Residenz.⁷² Dort wurde er Minister und Präsident des Geistlichen Rates. Als solcher wurde er dargestellt, und dies ist das einzige Porträt, das nachweislich zu seinen Lebzeiten angefertigt wurde.⁷³
Abb. 17: Agostino Steffani um 1707 in kurpfälzischen Diensten; Medaille nach Entwurf des Hofpoeten Giorgio Maria Rapparini. Heinrich-Heine-Institut, Düsseldorf
Steffani befasste sich jetzt hauptsächlich mit Innenpolitik und war Stellvertreter des Pfälzer Kurfürsten.⁷⁴ Als Gesandter war er nur noch einmal unterwegs, das war allerdings auch der Höhepunkt seiner diplomatischen Laufbahn überhaupt. Von Ende September 1708 bis Ende April 1709 – also nach seiner Weihe zum Bischof von Spiga – war er im Auftrag des Kurfürsten von der Pfalz in Rom und vermittelte im Spanischen Erbfolgekrieg zwischen Kaiser Joseph I. und Papst Clemens XI. Der Kaiser war 1708 in den Kirchenstaat eingefallen. Die Franzosen wollten daraufhin den Papst dazu bewegen, seine Truppen in Marsch zu setzen. Steffani konnte das tatsächlich verhindern und kam mit ehrenvollen geistlichen Titeln und weiteren Pfründen aus Rom zurück. Aber auch in Düsseldorf blieb er nicht: Als Apostolischer Vikar, verantwortlich für die Katholiken im protestantischen Norden des Reiches, kehrte Steffani 1709 nach Hannover zurück. Dieses Amt hatte der Papst ihm verliehen, und das beschäftigte ihn bis an sein Lebensende.
Kaufold, „Unser capelmester von der opera“, S. 95 f. Paul Pieper: Kunstwerke in Haus Welbergen. Festgabe für Ludger Baumeister zum 75. Geburtstag. Welbergen 1980, zu Abb. Nr. 14. Vgl. zum Folgenden Franz Wilhelm Woker: Aus den Papieren des kurpfälzischen Ministers Agostino Steffani, Bischofs von Spiga, spätern apostolischen Vicars von Norddeutschland. Köln 1885.
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Abschließend lässt sich über den envoyé extraordinaire Abbé Steffani sagen: Kombiniert mit Geschichts- und Sprachkenntnissen, Reisen, Wissen um die rechtlichen und gewohnheitsmäßigen Besonderheiten des Entsendehofs sowie Vertrautheit mit dem höfischen Parkett, scheint eine gründliche musikalische Ausbildung keine schlechte Vorbereitung auf die Aufgaben eines Gesandten gewesen zu sein. Ein Jurastudium war für einen ständigen Vertreter offenbar entbehrlich, und der geistliche Titel konnte das fehlende Adelsprädikat bis zu einem gewissen Grad kaschieren. Einzig die Teilnahme an Friedenskongressen sowie der begehrte Titel eines Geheimen Rates blieben Steffani aufgrund seiner Herkunft verschlossen.
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„Der einzige Mann am oranischen Hof“ Wilhelmina von Preußen (1751 – 1820) ‒ Erbstatthalterin und Diplomatin* Weltweit ist als Wahrzeichen von Berlin das Brandenburger Tor bekannt. Das Stadttor wurde auf Anweisung von König Friedrich Wilhelm II. zwischen 1788 und 1791 errichtet und erhielt zwei Jahre später durch die Quadriga seine abschließende Gestaltung.¹ Im kulturellen Gedächtnis ist dieses preußische Triumphbauwerk heute mit dem Sieg über Napoleon und der Wiedererrichtung des Königreichs Preußen nach den Befreiungskriegen verknüpft. Vor kurzem hat jedoch die Kunsthistorikerin Zitha Pöthe (geb. 1978) eine Überlegung des Militärhistorikers Theodor von Troschke (1810 – 1876) aus dem Jahr 1875 aufgegriffen.² Die allegorischen Figuren auf dem Brandenburger Tor sind demnach in einem anderen historischen Zusammenhang zu interpretieren. Denn die Errichtung des Brandenburger Tores hatte einen konkreten Bezug, da es sowohl innen- und als auch außenpolitisch der Herrschaftsrepräsentation des Königs dienen sollte. Von dem Bildhauer Johann Gottfried Schadow (1764– 1850) liegen Erläuterungen über die auf dem Relief dargestellten Allegorien vor.³ Den Mittelpunkt bildet die Friedensgöttin Irene, die auf der äußersten Kante eines Triumphwagens stehend mit der linken Hand einen Lorbeerkranz erhebt. Die Tapferkeit symbolisiert der mit einem Löwenfell bekleidete Heros Herkules, der mit seiner erhobenen Keule zwei weibliche Gestalten, den Neid und die Zwietracht, vor sich * Für kritische Lektüre und konstruktive Anregungen danke ich Dr. Eva Bender M.A., Marburg, und Dr. Dipl. phil. Claudia Czok, Berlin, sehr herzlich. Vgl. Geheimes Staatsarchiv – Preußischer Kulturbesitz (GStA PK), I. Hauptabteilung (HA) Repositur (Rep.) 89, Nr. 20757; ebd., I. HA Geheimer Rat (GR), Rep. 36, Nr. 2966; Ulrike Krenzlin: Johann Gottfried Schadow. Die Quadriga. Vom preußischen Symbol zum Denkmal der Nation. Frankfurt a. M. 1991. Vgl. Theodor von Troschke: Der preußische Feldzug in Holland 1787, in: Beiheft zum MilitairWochenblatt, Heft 1 und 2 (1875), S. 1– 90, hier S. 90; Zitha Pöthe: Perikles in Preußen. Die Politik Friedrich Wilhelms II. im Spiegel des Brandenburger Tors. Berlin 2014 (zugleich: Diss. phil. TU Berlin 2013). Vgl. Emil von Siefart: Aus der Geschichte des Brandenburger Thores und der Quadriga. Berlin 1912, S. 44, 53; Barbara Demandt: Metamorphosen eines Tores. Handreichungen zur Erklärung des Brandenburger Tores, in: Pegasus-Onlinezeitschrift IV/1 (2004), S. 26 – 53, http://www.pegasus-on linezeitschrift.de/erga_1_2004_demandt.html (abgerufen am 20.04. 2018); Pöthe, Perikles in Preußen, S. 250 f., 278 – 284. https://doi.org/10.1515/9783110625431-011
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Abb. 18: Brandenburger Tor, Fotografie Dr. C. Czok, amtierende Vorsitzende der Schadow-Gesellschaft/Berlin, Feb. 2019.
hertreibt. Das Relief symbolisiert, so geht es aus dem Entwurf des ausführenden Bildhauers Carl Gotthard Langhans (1732– 1808) hervor, den „Schutz der gerechten Waffen, welchen sie der Unschuld leisten.“⁴ Friedrich Wilhelm II. hatte zu Ehren seines siegreichen Feldzugs in den Vereinigten Niederlanden einen Triumphbau errichten lassen. Der König von Preußen stilisierte sich als Retter der Erbstatthalter der Vereinigten Niederlande. Zugleich setzte er seiner jüngeren Schwester Wilhelmina ein Denkmal. Denn im Attikarelief auf der Schauseite, die der Stadt zugewandt ist, wird die Prinzessin von Oranien als Schutzgöttin des GStA PK, I. HA Rep. 96, Nr. 216 B, Vol. 1: Langhans ‚Pro Memoria‘, gedruckt in: Willmuth Arenhövel/Rolf Bothe (Hrsg.): Das Brandenburger Tor 1791– 1991. 2. verb. Aufl. Berlin 1991, S. 319; vgl. Gert-Dieter Ulferts: Friede nach siegreichem Krieg. Das Bildprogramm. Skulpturen und Malereien, in: ebd., S. 93 – 132, hier S. 109.
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Friedens gefeiert. Friedrich Wilhelm II. ehrte seine Schwester, die als Ehefrau Wilhelms V. von Nassau-Oranien für die preußischen Außenbeziehungen von größter Bedeutung war. Im Geflecht diplomatischen Handelns frühneuzeitlicher Fürstenstaaten würde man zunächst keine Frau vermuten. Die Vorstellungen von körperlicher und charakterlicher Beschaffenheit des weiblichen Geschlechts erwiesen sich als langlebig.⁵ Argumente für die gesellschaftliche und rechtliche Nachrangigkeit der Frauen wurden durch die theologischen Diskurse und durch die auf die antiken Schriften rekurrierenden Staatstheorien der Frühen Neuzeit tradiert. Politisches Handeln, also auch die Außenbeziehungen betreffendes und kriegerisch-militärisches Handeln, galt jahrhundertelang als männlich konnotierter Bereich. Diplomatie als eine besonders sensible Sphäre politischen Handelns war bis ins 20. Jahrhundert ein Gebiet, in dem eine Frau unvorstellbar war. Die Frauen- und Geschlechterforschung hat Frauen zu historischen Subjekten befördert. Handlungsspielräume und Rollenbilder von Frauen sind in den Fokus der geschichtswissenschaftlichen Analysen gerückt. Ansätze der neuen Politikgeschichte⁶ ebenso wie die Konzepte der Kulturgeschichte des Politischen⁷ helfen, die Frage nach den Räumen des Politischen sowie nach den Handlungsspielräumen der politischen Akteure neu zu stellen. Die Aufgabenbereiche einer regierenden Fürstin hat jüngst Katrin Keller beschrieben, die sich auf das von Heide Wunder entwickelte Konzept des Ehepaares als Arbeitspaar stützt.⁸ Hochadelige
Vgl. Art. Frauenfrage, in: Meyers Konversations-Lexikon. Bd. 6. Mannheim 1894, S. 622– 625, hier S. 624 f.; Wolfgang Reinhard: Geschichte der Staatsgewalt. Eine vergleichende Verfassungsgeschichte Europas von den Anfängen bis zur Gegenwart. München 1999, S. 40; Elisabeth Koch: „Maior dignitas est in sexu virili“. Das weibliche Geschlecht im Normensystem des 16. Jahrhunderts. Frankfurt a. M. 1991. Vgl. Barbara Vogel: Zwischenbilanz eines Forschungsprojekts, in: Gabriele Boukrif/Claudia Bruns/Kirsten Heinsohn u. a. (Hrsg.), Geschlechtergeschichte des Politischen. Entwürfe von Geschlecht und Gemeinschaft im 19. und 20. Jahrhundert. Münster 2002, S. VII–XII, hier S. X. Vgl. Barbara Stollberg-Rilinger: Einleitung. Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?, in: dies. (Hrsg.), Was heißt Kulturgeschichte des Politischen? Berlin 2004, S. 9 – 24, bes. S. 21– 23. Vgl. Katrin Keller: Frauen und Politik in der höfischen Gesellschaft des Alten Reiches zwischen 1550 und 1750, in: zeitenblicke 8, Nr. 2, http://www.zeitenblicke.de/2009/2/keller/index_html (abgerufen am 30.06. 2009); dies.: Weibliche Rollen am Hof. Die Spielräume des „schwachen“ Geschlechts, in: DAMALS. Magazin für Geschichte 47, 8 (2015), S. 16 – 21; in Anlehnung an Paul Münch: Die Obrigkeit im Vaterstand. Zu Definition und Kritik des „Landesvaters“ während der Frühen Neuzeit, in: Daphnis 11 (1982), S. 16 – 40, Heide Wunder: Herrschaft und öffentliches Handeln von Frauen in der Gesellschaft der Frühen Neuzeit, in: Ute Gerhard (Hrsg.), Frauen in der Geschichte des Rechts. Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. München 1997, S. 27– 54, hier S. 37; dies.: Einleitung. Dynastie und Herrschaftssicherung. Geschlechter und Geschlecht, in: dies.
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Frauen hatten aufgrund der geringen Institutionalisierung dynastischer Fürstenstaaten nachweislich Anteil an der Landeshoheit. In den Fokus der Forschung ist jüngst die Geschlechtergeschichte der Diplomatie gerückt. Damit ist ein spezifischer Aspekt der Handlungsspielräume von Fürstinnen und anderen adeligen Damen bearbeitet worden.⁹ Bisher war die Forschung eng an das Diplomatische Corps angelehnt und legitimierte daher den Ausschluss „nichtprofessioneller Akteure von der Praxis der Außenbeziehungen.“¹⁰ Neuere Forschungen nehmen jedoch keine Staaten oder Amtsinhaber in den Blick, sondern fokussieren auf „personale Akteure“,¹¹ die kein Amt innehatten und dennoch über Außenbeziehungen verfügten, diese knüpften und pflegten. Im Handlungsraum ‚Außenpolitik‘ machten Kaiserinnen, Königinnen, Fürstinnen und andere (hoch‐)adelige Frauen bei Hof ihren Einfluss geltend.¹² (Hrsg.), Dynastie und Herrschaftssicherung in der Frühen Neuzeit. Geschlechter und Geschlecht. Berlin 2002, S. 9 – 28, hier S. 21. Vgl. http://www.hist.unibe.ch/forschung/forschungsprojekte/weibliche_diplomatie/index_ ger.html (abgerufen am 20.04. 2018); zum Konzept der ‚Handlungsspielräume‘ vgl. Katrin Keller: „The Monstrous Regiment of Women“. Handlungsspielräume adliger Frauen in der frühneuzeitlichen Gesellschaft, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 85 (2013), S. 1– 16; Melanie Greinert: Zwischen Unterordnung und Selbstbehauptung. Handlungsspielräume Gottorfer Fürstinnen (1564– 1721). Kiel/Hamburg 2018 (zugleich: Diss. phil. Kiel 2017), S. 13 – 17. Corina Bastian u. a. (Hrsg.): Das Geschlecht der Diplomatie. Geschlechterrollen in den Außenbeziehungen vom Spätmittelalter bis zum 20. Jahrhundert. Köln/Weimar/Wien 2014, S. 7– 14, hier S. 12. Bastian u. a. (Hrsg.): Das Geschlecht der Diplomatie, S. 10. Vgl. Bastian u. a. (Hrsg.): Das Geschlecht der Diplomatie; Bettina Braun/Katrin Keller/Matthias Schnettger: Nur die Frau des Kaisers? Kaiserinnen in der Frühen Neuzeit. Wien 2016; Katrin Keller: Hofdamen. Amtsträgerinnen im Wiener Hofstaat des 17. Jahrhunderts. Wien 2005; dies.: Frauen – Hof – Diplomatie. Die höfische Gesellschaft als Handlungsraum von Frauen in Außenbeziehungen, in: Bastian u. a. (Hrsg.), Das Geschlecht der Diplomatie, S. 33 – 50; dies.: Frauen und Diplomatie in der höfischen Gesellschaft, in: Gunda Barth-Scalmani/Harriet Rudolph/Christian Steppan (Hrsg.), Politische Kommunikation zwischen Imperien. Der diplomatische Aktionsraum Südost- und Osteuropa. Innsbruck 2013, S. 31– 40; Nadine Akkerman/Birgit Houben: The Politics of Female Households. Ladies-in-waiting across Early Modern Europe. Leiden 2013; Nadine Akkerman: Invisible Agents.Women and Espionage in Seventeenth-Century Britain. Oxford 2018; Oliver Mallick: Au Service de la Reine. Anne d’Autriche et sa Maison (1616 – 1666). Paris 2016, http:// cour-de-france.fr/article4211.html (abgerufen am 26.01. 2019); Corina Bastian: Verhandeln in Briefen. Frauen in der höfischen Diplomatie des frühen 18. Jahrhunderts. Köln/Weimar/Wien 2013; dies.: „Diplomatie kennt kein Geschlecht“. Die Korrespondenz der Madame de Maintenon und der Princesse des Ursins im Spanischen Erbfolgekrieg (1705 – 1715), in: zeitenblicke 8, Nr. 2, http://www.zeitenblicke.de/2009/2/bastian/index_html (abgerufen am 20.04. 2018); Eva K. Dade: Die Marquise de Pompadour und die auswärtigen Diplomaten am Hof in Versailles, in: zeitenblicke 8, Nr. 2, http://www.zeitenblicke.de/2009/2/dade/index_html (abgerufen am 20.04. 2018); dies.: Madame de Pompadour. Die Mätresse und die Diplomatie. Köln 2010; Glenda Sluga/Carolyn
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Dezidiert außenpolitisches Agieren lässt sich sehr gut am Beispiel Wilhelminas von Preußen analysieren. Die Prinzessin war eine regierende Fürstin, die den Handlungsraum der Außenbeziehungen für die Interessen ihrer Ankunftsdynastie nutzte. Ein Bereich von Außenpolitik waren Heiraten, deren Anbahnung meist in den Händen der weiblichen Mitglieder der Dynastien lag. Mit der ehelichen Verbindung der Fürstenkinder wurden Friedensschlüsse besiegelt, Bündnisse gefestigt und Erbanwartschaften geschaffen.¹³ Wilhelmina verhandelte gut und knüpfte wichtige Bande. Sie verheiratete ihren Sohn Wilhelm (1772– 1843) im Jahr 1791 mit ihrer Nichte, Friederike Luise Wilhelmine von Preußen (1774– 1837).¹⁴ In Berlin wurde eine Doppelhochzeit gefeiert, denn Wilhelminas älteste Nichte, Friederike Charlotte von Preußen (1767– 1820), vermählte sich mit Herzog Friedrich August von York (1763 – 1827), einem Sohn König Georgs III. von England (1738 – 1820).¹⁵ Wilhelminas Tochter, die ebenfalls Friederike Luise Wilhelmine (1770 – 1819) hieß, hatte bereits im Jahr zuvor Erbprinz Karl Georg August (1766 – 1806), den ältesten Sohn des preußischen Feldmarschalls Herzog Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig-Wolfenbüttel (1735 – 1806), geheiratet.¹⁶ Karl Georgs Schwester
James: Women, Diplomacy and International Politics since 1500. London 2015; Pauline Puppel: Die „Principalin“. Herzogin Anna von Preußen (1576 – 1625). Kurfürstin von Brandenburg und Erbin von Jülich-Kleve-Berg, in: Monika Schneickart/Dirk Schleinert (Hrsg.), Zwischen Thronsaal und Frawenzimmer. Handlungsfelder pommerscher Fürstinnen um 1600. Köln/Weimar/Wien 2017, S. 295 – 333. Vgl. Daniel Schönpflug: Die Heiraten der Hohenzollern. Verwandtschaften, Politik und Ritual in Europa 1640 – 1918. Göttingen 2013; Michael Stolleis: Die Prinzessin als Braut, in: Joachim Bohnert (Hrsg.), Verfassung – Philosophie – Kirche. Festschrift für Alexander Hollerbach zum 70. Geburtstag. Berlin 2001, S. 45 – 57; ders.: Staatsheiraten im Zeitalter der europäischen Monarchien, in: Gisela Völger/Karin Welck (Hrsg.), Die Braut. Geliebt, verkauft, getauscht, geraubt. Zur Rolle der Frau im Kulturvergleich. Bd. 1. Köln 1985, S. 274– 278. François de Bas: Friederike, Königin der Niederlande, in: Hohenzollern-Jahrbuch 5 (1901), S. 160 – 172; Briefwechsel des Ehepaares von 1807 bis 1813, in: GStA PK, Brandenburg-Preußisches Hausarchiv (BPH), Rep. 48, Nr. 62 bis Nr. 89/1 und Nr. 111. Vgl. GStA PK, BPH, Rep. 48 W I, Nr. 3, und ebd., Rep. 48 W II. Vgl. Berichte Karls von Braunschweig-Wolfenbüttel über die Aufstände in den Generalstaaten, 1787, in: GStA PK, I. HA GR, Rep. 34, Nr. 7133; Korrespondenz Friedrich Wilhelms II. von Preußen mit dem Auswärtigen Departement über Unruhen in den Generalstaaten, Oktober–Dezember 1787, ebd., Nr. 7135; Unruhen in den Generalstaaten, 1787, ebd., Nr. 7139; Briefe der Prinzessin an Friedrich II. von Preußen, 1777– 1786, ebd., BPH Rep. 47, Nr. 1059; zur Korrespondenz der Mutter mit der Tochter vgl. Susan Broomhall/Jacqueline van Gent: Gender, Power and Identity in the Early Modern House of Orange-Nassau. London/New York 2016; Internet-Ressource: https://www.sie unddieniederlande.nl/ihr-land-und-die-niederlande/deutschland/kultur/das-haus-oranien-nas sau-und-deutschland/kapitel-21-friederike-luise-wilhelmine-prinzessin-von-nassau-oranien-underbprinz-karl-georg-august-von-braunschweig-luneburg (abgerufen am 17.05. 2018); Ulrike Sbres-
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wurde 1795 die Ehefrau von Georg IV. von England (1762– 1830)¹⁷ – die ehelichen Bande festigten den Kreis der Bündnispartner, der in den Jahren der niederländischen Revolution 1787/1788 begründet wurde. Darüber hinaus übernahm eine verheiratete Fürstin auch auf anderen Gebieten eine Mittlerfunktion zwischen zwei Dynastien. Sie war Maklerin zwischen Herkunftsdynastie und Ankunftsdynastie.¹⁸ Auch die Prinzessin von Oranien setzte sich für die guten Beziehungen zwischen ihrem Ehemann und ihrem Onkel sowie ihrem Bruder ein. Die Kontakte zwischen den Erbstatthaltern der Republik der Sieben Vereinigten Provinzen und dem Königreich Preußen, die insbesondere in den 1780er Jahren weltpolitisch wirksam wurden, sind buchstäblich in Stein gemeißelt und bis heute durch die künstlerische Gestaltung des Brandenburger Tores weithin sichtbar. Das Relief kann mit Hilfe der Quellen analysiert werden. Wilhelminas Agieren im innenpolitischen Konflikt in den Vereinigten Niederlanden und ihre außenpolitischen Beziehungen lassen sich anhand der dichten Korrespondenzen untersuchen. Von ihren Schreiben ist nur ein sehr kleiner Teil veröffentlicht, die meisten ihrer Briefe an den preußischen Hof, an ihren Onkel und ihren Bruder sowie an Kabinettsminister Dr. jur. Ewald Friedrich von Hertzberg (1725 – 1795) werden heute im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz verwahrt.¹⁹ Es liegen zudem einige Editionen vor. Die „Politische Correspondenz Friedrichs des Großen“, die inzwischen den Zeitraum bis Juni 1783 umfasst, ist die reichhaltigste
ny: Die glücklose Erbprinzessin, in: Der Löwe. Das Portal der Braunschweigischen Stiftungen (2015), http://www.der-loewe.info/die-gluecklose-erbprinzessin (abgerufen am 17.05. 2018). Vgl. Elke Schlüter: Caroline Amalie Elisabeth von Braunschweig-Lüneburg, Prinzessin von Wales, in: Christof Römer (Hrsg.), Braunschweig-Bevern. Ein Fürstenhaus als europäische Dynastie 1667– 1884. Braunschweig 1997, S. 305 – 314. Vgl. Pauline Puppel: Per tot annos Principatus Tui tutelam Tutrix gessit. Hedwig Sophie von Brandenburg als vormundschaftliche Regentin, in: Holger Thomas Gräf/Christoph Kampmann/ Bernd Küster (Hrsg.), Landgraf Carl. Fürstliches Planen und Handeln zwischen Innovation und Tradition. Marburg 2018, S. 21– 29; Katrin Keller: Die Fü rstin und die Dynastie, in: Generaldirektion der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg (Hrsg.), Frauensache. Wie Brandenburg Preußen wurde. Berlin 2015, S. 30 – 33; Almut Bues: Der Briefwechsel der Landgräfin Hedwig Sophie von Hessen-Kassel mit ihrer Schwester Luise Charlotte Herzogin von Kurland, in: HessJBLG 43 (1993), S. 77– 106. Anuschka Tischer: Art. Diplomatie, in: Friedrich Jaeger u. a. (Hrsg.), Enzyklopädie der Neuzeit. Bd. 2. Stuttgart/Weimar 2005, Sp. 1028 – 1041, hier Sp. 1036. GStA PK, I. HA Rep. 96, Nr. 104 Ooo: 1759 – 1780, Nr. 104 Ppp: 1780 – 1784, Nr. 104 Ppp1: 1784– 1786; ebd., VI. HA Nl Hertzberg; vgl. Stephan Skalweit: Hertzberg, Ewald Friedrich Graf von, in: Kulturportal West-Ost, http://kulturportal-west-ost.eu/biographien/hertzberg-ewald-friedrichgraf-von-2 (abgerufen am 03.05. 2018); Harm Klueting: Ewald Friedrich von Hertzberg, preußischer Kabinettsminister unter Friedrich dem Großen und Friedrich Wilhelm II., in: Johannes Kunisch (Hrsg.), Persönlichkeiten im Umkreis Friedrichs des Großen. Köln/Wien 1988, S. 135– 152.
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Quelle für die Erforschung der außenpolitischen Beziehungen Preußens.²⁰ Die preußisch-oranischen Beziehungen lassen sich darüber hinaus anhand der Berichte des Gesandten Friedrich Wilhelm von Thulemeyer (1735 – 1811) untersuchen.²¹ Einige Handschreiben von Wilhelmina an den englischen Gesandten im Haag, James Harris (1746 – 1820), sind in die Edition seiner „Tagebücher und Korrespondenzen“ aufgenommen worden. Die britische Position in der Auseinandersetzung der verschiedenen politischen Gruppierungen in den Vereinigten Niederlanden lässt sich anhand der Berichte von Harris ebenso analysieren wie auf Grundlage der Berichte des preußischen Gesandten in London.²² In dem Werk von Hermann Theodor Colenbrander über die „Patriottentijd“,²³ die Jahrzehnte der Revolution in den Vereinigten Niederlanden, sind ebenfalls zahlreiche relevante Dokumente ediert. Die diplomatischen Beziehungen zwischen den dynastischen Fürstenstaaten und den Republiken in der Frühen Neuzeit waren dichte Netzwerke verschiedener historischer Subjekte. Es gilt, deren jeweilige Position im Gefüge der höfischen Gesellschaft und ihre jeweiligen Abhängigkeiten voneinander zu analysieren, möchte man eine Kulturgeschichte der Diplomatie schreiben. Zunächst wird knapp die Herkunft der Prinzessin sowie die politische Situation in den Vereinigten Niederlanden während ihrer ersten Ehejahre skizziert (1.), ehe das außenpolitische Agieren der Erbstatthalterin analysiert wird (2.). Wilhelminas Eingreifen führte zum Einmarsch der preußischen Truppen in die Vereinigten Niederlande (3.), jedoch war ihr Vorgehen nicht nur für die Außenpolitik Preußens entscheidungsrelevant. Die Prinzessin war im internationalen Konflikt zwischen Frankreich und Großbritannien eine der bedeutendsten Figuren (4.). Abschlie-
Die politische Correspondenz Friedrichs des Großen. 46 Bde. nebst Erg.-Bd. Hrsg. v. Johann Gustav Droysen u. a. Berlin/Leipzig 1879 – 1939, sowie Bde. 47 und 48. Bearb. v. Frank Althoff. Berlin 2003 und 2015. Im Folgenden PC abgekürzt. Vgl. GStA PK, I. HA GR, Rep. 34, Nr. 7129 bis Nr. 7131. Zahlreiche Berichte gedruckt in: Robert Fruin/Hermann Theodor Colenbrander (Hrsg.): Dépèches van Thulemeyer 1763 – 1788. Amsterdam 1912; Schriftwechsel mit Thulemeyer, 1787– 1788, in: GStA PK, I. HA Rep. 96, Nr. 152 H; ebd.,VI. HA, Nl Thulemeier [!], F. W. v.; ebd., I. HA Rep. 81 Den Haag, II Nr. 1; zur Person vgl. https://de.wikipe dia.org/wiki/Friedrich_Wilhelm_von_Thulemeyer (abgerufen am 20.04. 2018). Vgl. Wilhelmina an Harris, [Nimwegen] 16.06.1787, in: James Harris (Hrsg.): Diaries and Correspondence of James Harris, 1st Earl of Malmesbury containing an account of his missions to the courts of Madrid, Frederick the Great, Catherine the Second, and The Hague and of his special missions to Berlin, Brunswick, and the French Republic. Bd. 2. London 1844, S. 315; Alfred Cobban: Ambassadors and Secret Agents. The Diplomacy of the First Earl of Malmesbury at The Hague. London 1954; GStA PK, I. HA Rep. 81 Gesandtschaft London, Nr. 149 und Nr. 150. Vgl. Hermann Theodor Colenbrander: De Patriottentijd. Hoofdzakelijk naar buitenlandsche bescheiden. 3 Bde. Den Haag 1897– 1899.
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ßend wird die Rezeption ihres Handelns in der Historiographie und der Geschichtswissenschaft nachgezeichnet (5.), um zu einem angemesseneren Analyseansatz für das Handeln von Damen in der Diplomatie beizutragen.
1 Das außenpolitische Agieren der Erbstatthalterin Wilhelmina war die Tochter von Kurprinz August Wilhelm von Preußen (1722– 1758) und Luise Amalie von Braunschweig-Wolfenbüttel (1722– 1780). Nach dem frühen Tod ihres Vaters wuchs sie bei ihrer Tante Elisabeth Christine (1715 – 1797) auf, die gleichzeitig die Schwester ihrer Mutter und Gemahlin König Friedrichs II. (1712– 1786) war. Ihre Kindheit am Berliner Hof hat Wilhelmina später in ihren Memoiren beschrieben.²⁴ Zu ihrer engsten Vertrauten, gar „eine zweite Mutter“,²⁵ wurde in diesen Jahren die 35 Jahre ältere Gouvernante, Sophie von Danckelmann (1715 – 1790). Friedrich der Große hatte für seine Nichte den jungen Erbstatthalter der Vereinigten Staaten der Niederlande zum Gemahl gewählt.²⁶ Zum einen wandte er
Vgl. Gustav Berthold Volz (Hrsg.): Die Erinnerungen der Prinzessin Wilhelmine von Oranien an den Hof Friedrichs des Großen (1751– 1767). Berlin 1903; Lotte van de Pol: Het autobiografisch geheugen onder constructie. De herinneringen van Wilhelmina van Pruisen aan haar Berlijnse kinderjaren, in: Tijdschrift voor Sociale en Economische Geschiedenis 1 (2004), S. 106 – 125. – Wilhelminas schriftstellerische Tätigkeit ist noch nicht umfassend analysiert. Lotte van de Pol meint, dass sie Berichte über ihr politisches Auftreten verfasst, allerdings nicht veröffentlicht habe; später habe sie aber anonym einen biographischen Abriss über ihren Vertrauten Gijsbert Karel van Hogendorp publiziert; van de Pol verweist auf den Bericht des nassauischen Archivars und Diplomaten Dr. Johannes von Arnoldi: Gijsbert Carl Graf von Hogendorp, in: Zeitgenossen. Ein biographisches Magazin für die Geschichte unserer Zeit. Bd. 4. Leipzig 1818, S. 139 – 155; anders Margreet Fischer: De pen in de aanslag. De vete tussen Gijsbert Karel van Hogendorp en Willem I in de historiografie. Master thesis Utrecht 2011, https://dspace.library.uu.nl/bitstream/handle/ 1874/205662/versie_5_Hogendorp_JA-2 %5B1 %5D.pdf?sequence=2 (abgerufen am 04.05. 2018). Lotte van de Pol: Wilhelmina van Pruisen (1751– 1820), in: Digital Vrouwenlexicon van Nederland, http://resources.huygens.knaw.nl/vrouwenlexicon/lemmata/data/WilhelminavanPrui sen (abgerufen am 21.03. 2018). Vgl. Fruin/Colenbrander, Dépèches, S. 2, 4 f., 22, 26 f., 29, 38; PC, Bd. 25, Nr. 16161, S. 178: 31.07. 1766; Nr. 16171, S. 184: 06.08.1766, sowie Nr. 16267, S. 252 f.: 05.10.1766; Klaus Vetter: OranienNassau und die Hohenzollern im 17./18. Jahrhundert, in: Horst Lademacher (Hrsg.), OranienNassau, die Niederlande und das Reich. Beiträge zur Geschichte einer Dynastie. Münster/Hamburg 1995, S. 97– 124, hier S. 107; Nico Bootsma: Braunschweig und Oranien im 18. und frühen 19. Jahrhundert, in: Horst Lademacher (Hrsg.), Onder den Oranje boom. Textband. Dynastie in der
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sich in den Jahren nach dem Siebenjährigen Krieg von England ab. Die Verbindung mit dem Haus Nassau-Oranien stärkte zum anderen den Anspruch der Hohenzollern auf das ‚Oranische Erbe‘, die Erbstatthalter-Würde in den Vereinigten Niederlanden.²⁷ Die Gouvernante begleitete die Prinzessin an den Hof in Den Haag. Fräulein von Danckelmann, die zeitlebens Wilhelminas Hofdame blieb, erhielt vom König den Auftrag, für das Wohl seiner Nichte zu sorgen.²⁸ Friedrich II. instruierte auch seinen Gesandten in den Niederlanden, engen Kontakt zu Wilhelminas Hofdame zu halten und diese umfänglich zu informieren.²⁹ Wilhelminas Bräutigam war Wilhelm V. Batavus von Nassau-Oranien (1748 – 1808). Wilhelm war noch minderjährig gewesen, als sein Vater starb, und daher zunächst unter der vormundschaftlichen Regentschaft seiner Mutter aufgewachsen. Anna von Braunschweig-Lüneburg (1709 – 1759) starb jedoch, als Wilhelm erst elf Jahre alt war, so dass nun die Großmutter Marie Luise von HessenKassel vormundschaftliche Regentin wurde.³⁰ Nach deren Tod im Jahr 1765 übernahm Wilhelms Schwester Karoline (1743 – 1787), die seit 1760 mit dem Fürsten von Nassau-Weilburg verheiratet war, für ein weiteres Jahr die Regentschaft.³¹ Allen drei Fürstinnen stand Ludwig Ernst von Braunschweig-Wolfenbüttel (1718 – 1788) zur Seite. Der Herzog hatte zunächst in den Diensten des Kaisers eine beachtliche Karriere gemacht und war zum Reichsgeneralfeldzeugmeister aufgestiegen, darüber hinaus war er seit 1750 Feldmarschall der Armee der Vereinigten Niederlande.³²
Republik. Das Haus Oranien-Nassau als Vermittler niederländischer Kultur in deutschen Territorien im 17. und 18. Jahrhundert. München 1999, S. 237– 248. Vgl. Frank Althoff: Untersuchungen zum Gleichgewicht der Mächte in der Außenpolitik Friedrichs des Großen nach dem Siebenjährigen Krieg (1763 – 1786). Berlin 1995. Vgl. Volz, Die Erinnerungen der Prinzessin, S. 9 f.: Ihr Vater war der 1746 verstorbene Friedrich Wilhelm von Danckelmann, ihre Mutter die 1766 verstorbene Hedwig Charlotte (Nachname nicht ermittelbar); Colenbrander, Patriottentijd, Bd. 1, S. 84. Vgl. Friedrich II. an Thulemeyer, Potsdam 01.11.1767, in: PC, Bd. 26, Nr. 16866, S. 288; vgl. Fruin/Colenbrander, Dépèches, S. 41 mit Anm. 1. Vgl. Simon Groenveld: Fürst und Diener zugleich. Die Grafen von Nassau-Diez als Statthalter von Friesland im 17. Jahrhundert, in: Nassauische Annalen 122 (2012), S. 269 – 304, hier S. 303. Vgl. Pauline Puppel: Das Prinzip der Subsidiarität. Die Herrschaft der verwitweten Fürstinnen von Nassau-Diez(‐Oranien), in: Ulrike Ilg (Hrsg), Fürstliche Witwen in der Frühen Neuzeit. Zur Kunst- und Kulturgeschichte eines Standes. Petersberg 2015, S. 14– 26. Vgl. Pieter L. Muller: Wilhelm V., Prinz von Oranien-Nassau, in: ADB. Bd. 43 (1898), S. 159 – 163; Paul Zimmermann: Ludwig Ernst, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg, in: ADB. Bd. 19 (1884), S. 543 – 546; Bootsma, Braunschweig und Oranien. – Ernst Ludwig war der Bruder von Wilhelminas Mutter.
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Als Wilhelm V. 1766 volljährig wurde, übernahm der Prinz nicht nur das Fürstentum Nassau-Oranien, sondern auch die Erbstatthalterwürde der Vereinigten Niederlande. Friedrich der Große meinte damals, ihm fehle nichts außer dem Titel, um ein souveräner Monarch zu sein.³³ Später, als der innenpolitische Konflikt in den Provinzen sich verschärfte, betonte der König von Preußen jedoch, dass der Erbstatthalter kein Souverän, sondern der erste Offizier der Republik sei.³⁴ Die Verfassung der Republik der Vereinigten Niederlande ist so komplex, dass über die staatsrechtliche Natur des Gemeinwesens bis heute Unklarheit besteht.³⁵ Seit der Unabhängigkeit der Vereinigten Provinzen von der Herrschaft der Habsburger wurde der Statthalter, der bis 1795 ein Mitglied der Dynastie Nassau-Oranien war, dem Staatenkollegium untergeordnet. Zwar trug er ab Mitte des 17. Jahrhunderts den Titel „Prinz“, de jure war er aber der ‚Beamte‘ der Generalstände.³⁶ In den Provinzen Holland und Seeland kam zugleich de facto der Oberbefehl über Marine und Heer hinzu. Für alle sieben Provinzen der Vereinigten Niederlande nahm der Erbstatthalter die Vertretung nach außen wahr, aber die außenpolitische Entscheidungen wurden in der Provinzen-übergreifenden Ständeversammlung, den Generalstaaten getroffen.³⁷ Der Erbstatthalter hatte das Recht, bei den Neubesetzungen der städtischen Magistrate Kandidaten zu ernennen, und konnte auf diese Weise die institutionellen sowie die personellen Strukturen der Provinzialstände verändern.³⁸ In einigen Provinzen hatten die Statthalter über die Jahrhunderte ein dichtes Klientelsystem aufgebaut und die Kontrolle über Stadträte und die provinzialen Ständeversammlungen gefestigt.
Vgl. Dieudonné Thiébault, hier zit. n. Schönpflug, Die Heiraten der Hohenzollern, S. 184; Fruin/ Colenbrander, Dépèches, S. 17, Anm. 1: Friedrich an Thulemeyer, 19.03.1766; PC, Bd. 25, S. 66, Nr. 15963; Friedrich Luckwaldt: Die englisch-preußische Allianz von 1788, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte 15 (1902), S. 33 – 116, hier S. 42 mit Anm. 2. Vgl. PC, Bd. 48, S. 238; der König erinnert Wilhelmina an die Pflichten des Erbstatthalters: ebd., S. 4 f., S. 63, S. 130 f. Vgl. Thorsten Holzhauser: Drei Fragen zum Staats- und Verfassungssystem der Vereinigten Niederlande im 17. und 18. Jahrhundert, in: Skriptum 1 (2011), S. 41– 68, http://www.skriptum-ge schichte.de/2011/heft-1/drei-fragen-zum-staats-und-verfassungssystem-der-vereinigten-niederlan de-im-17-und-18-jahrhundert.html (abgerufen am 23.11. 2018). Vgl. Groenveld, Fürst und Diener zugleich, S. 273 – 304. Vgl. Christoph Schäfer: „Unter dem Orangenbaum“. Die Fürsten von Oranien-Nassau und ihre Stellung in den Vereinigten Niederlanden, in: Die Geschichte der Niederlande vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, https://www.uni-muenster.de/NiederlandeNet/nl-wissen/geschichte/anfaenge/ orangenbaum.html (abgerufen am 15.05. 2018); Holzhauser, Drei Fragen zum Staats- und Verfassungssystem, S. 56. Vgl. Schäfer, Unter dem Orangenbaum.
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Bald nach Erreichen seiner Volljährigkeit³⁹ heiratete der junge Erbstatthalter auf Veranlassung Friedrichs II. dessen Nichte Wilhelmina.⁴⁰ Am Vorabend der Hochzeit lobte der König deren hübsche Erscheinung ebenso wie ihr gutes Verhalten. Er war überzeugt, die erst 16-jährige Braut sei voll Sanftmut und Verstand, verfüge über einen kultivierten Geist und sei überaus wissbegierig. Friedrich II. versicherte dem Erbstatthalter, dass Wilhelmina um ihre Bestimmung wisse: Als gute Ehefrau werde sie sich in Nichts einmischen, stattdessen werde sie ihrem Gemahl gefallen und für ihn Freundschaften schließen und bewahren, also ihre Mittleraufgabe erfüllen.⁴¹ Die Hochzeit fand Anfang Oktober 1767 in Berlin statt.⁴² Nach dem Urteil ihrer Zeitgenossen führten Wilhelm und Wilhelmina 40 Jahre lang eine recht gute Ehe, obwohl der Prinz sich zwischenzeitlich eine Mätresse nahm und ihm weitere Affären mit anderen, teilweise sogar verheirateten Damen nachgesagt wurden.⁴³ Die Prinzessin erfüllte ihre Pflicht der dynastischen Reproduktion; in rascher Folge gebar sie ihrem Gemahl zwischen 1769 und 1774 fünf Kinder, von denen eine Tochter und zwei Söhne das Erwachsenenalter erreichten.⁴⁴ Während ihrer ersten Jahre als Fürstin von Nassau-Oranien und als Erbstatthalterin war Wilhelmina nach bisherigen Erkenntnissen „still und anstän-
Bei Pöthe, Perikles in Preußen, S. 17, ist ein falsches Datum angegeben. Vgl. GStA PK, XX. HA, EM, 85 d2, Nr. 37. Zunächst war der spätere König Gustav III. von Schweden als Ehemann für Wilhelmina in Betracht gezogen worden; vgl. Thulemeyer an Finckenstein, [Den Haag] 02.11.1764, in: Fruin/Colenbrander, Dépêches, S. 8 f.; Friedrich II. an Thulemeyer, Potsdam 17.10.1764, in: PC, Bd. 24, Nr. 15280, S. 15. Vgl. Unterredung Friedrichs mit Wilhelms V. Kammerherrn, Thomas Isaac von Larrey, [19.] 06.1767, in: PC, Bd. 26, Nr. 16963, S. 359 f.; Lotte van de Pol: A Public Reprimand. Isabelle de Charrière’s Pamphlet Addressed to Wilhelmina of Prussia, in: Cahiers Isabelle de Charrière / Belle de Zuylen Papers 1 (2006), S. 44– 57, hier S. 51. Vgl. GStA PK, XX. HA, EM, 85 d2, Nr. 37; August Friedrich Wilhelm Sack: Einsegnungs-Rede bey der Vermählung des Prinzen Wilhelms von Oranien, Erb-Statthalters der vereinigten Niederlande, mit der Königlichen Prinzeßin Wilhelminen von Preußen, [Berlin] 1767; Friedrich II. an Wilhelm V., [Potsdam] 17.06.1767, in: PC, Bd. 26, Nr. 16962, S. 359. Schönpflug, Die Heiraten der Hohenzollern, S. 232, 261– 263. Vgl. Nico Bootsma: Das Ereignis von Goejanverwellesluis, in: Lademacher (Hrsg), Onder den Oranje boom, S. 89 – 102, hier S. 90; in der anonymen Flugschrift „Aan het volk van Nederland“ aus dem Jahr 1781 wird Wilhelm ein ausschweifendes Leben und seiner Geliebten Geheimnisverrat vorgeworfen. Online unter: http://members.casema.nl/wilschut/ahvvn.htm (abgerufen am 29.05. 2018); Frederik J. L. Krämer (Hrsg.): Gedenkschriften van Gijsbert Jan van Hardenbroek, heer van Bergestein (1747– 1787). 6 Teile. Amsterdam 1901– 1918, hier Teil 1, S. 515 f., Teil 2, S. 68, 194, Teil 3, S. 116. Vgl. GStA PK, XX. HA, EM, 85 d Nr. 21; ebd., BPH, Rep. 47, Nr. 1275.
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dig“.⁴⁵ Wilhelm V. stand zu dieser Zeit noch unter dem Einfluss des Herzogs von Braunschweig-Wolfenbüttel. Durch die zunächst geheim gehaltene ‚Berater-Akte‘ hatte Ludwig Ernst sich verpflichtet, dem Erbstatthalter auch nach Antritt der selbständigen Regierung in allen Dingen beratend zur Seite zu stehen. Der Prinz enthob ihn zum Dank von jeglicher Verantwortlichkeit.⁴⁶ Die antistatthalterische Partei, die nach mehr Beteiligung an Regierungsentscheidungen verlangte, kritisierte die einflussreiche Position des Herzogs.⁴⁷ Die seit dem 17. Jahrhundert erstarkte städtische Führungsschicht stellte die Statthalterschaft der Fürsten von Nassau-Oranien immer wieder in Frage. Ihr Ziel war die Unabhängigkeit von der Herrschaft des Hauses Nassau-Oranien. Da sich die außen- und handelspolitischen Beziehungen zwischen Großbritannien und den Niederlanden wegen des Amerikanischen Unabhängigkeitskriegs verschlechterten und es dann zum Englisch-Niederländischen Krieg kam, stieg die Anzahl der Kritiker nicht nur bei den Regenten, sondern auch am Hof in Den Haag. Der Krieg brachte alle strukturellen Mängel der Republik zu Tage.⁴⁸ Der nachteilige Friedenschluss mit Georg III. von England im Mai 1784 verschlimmerte die Situation. Darüber hinaus verlangte Kaiser Leopold II. (1747– 1792), der Herr über die Habsburgischen Niederlande war, im Süden der Republik eine Korrektur des Grenzverlaufs.⁴⁹ Neben den Regenten kam in dieser instabilen Zeit eine weitere politische Bewegung auf. Die selbsternannten ‚Patrioten‘ forderten zum einen wie die Regenten die Einschränkung der de facto monarchischen Vorrechte des Erbstatthalters und zum anderen mehr politische Mitspracherechte. Viele Patrioten vertraten jedoch noch radikalere Forderungen. Sie wollten die Wählbarkeit der Offiziere, die Abschaffung aller erblichen oder käuflichen Ämter, freie Meinungsäußerung, kurz: eine repräsentative Demokratie. Diese Ideen stießen insbesondere bei den Kaufleuten und beim gebildeten Bürgertum auf positiven Wi-
Pol, Wilhelmina van Pruisen. Vgl. Muller, Wilhelm V., S. 160; Bootsma, Braunschweig und Oranien, S. 239 – 243; Fruin/ Colenbrander, Dépèches, S. 277 f., 297 f. Vgl. Fruin/Colenbrander, Dépèches, S. 16 f.; Bootsma, Braunschweig und Oranien, S. 241. Vgl. Simon Schama: Patriots and Liberators. Revolution in the Netherlands 1780 – 1813. London 1977, S. 29, 58 – 61; Bootsma, Das Ereignis von Goenjanverwellesluis, S. 90 f.; Michael Erbe: Revolutionäre Erschütterung und erneuertes Gleichgewicht. Internationale Beziehungen 1785 – 1830, in: Heinz Duchhardt/Franz Kipping (Hrsg.), Handbuch der Geschichte der internationalen Beziehungen. Bd. 5. München 2004, S. 190 – 196. Vgl. Munro Price: Preserving the Monarchy. The Comte de Vergennes 1774– 1787. Cambridge 2004, S. 190, 193; Bootsma, Das Ereignis von Goenjanverwellesluis, S. 91; Gustav Dressler: Friedrich II. und Hertzberg in ihrer Stellung zu den holländischen Wirren in den Jahren 1783 – 1786. Diss. phil. Breslau 1882, S. 25 f.
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derhall.⁵⁰ Ebenso wie viele der Regentenfamilien unterstützten die Patrioten das mit England verfeindete Frankreich, weil sie hofften, den britischen Einfluss in den Niederlanden zurückdrängen zu können. Gegen den Widerstand der Regenten bewaffneten die Patrioten nach amerikanischem Vorbild darüber hinaus Freikorps. Einige der Regenten schlossen sich daraufhin wieder dem Erbstatthalter an. In dieser revolutionär aufgeheizten Atmosphäre wurde Ludwig Ernst für nahezu alles verantwortlich gemacht, was kritisiert werden konnte.⁵¹ Dann fiel auch noch der ‚Berater-Vertrag‘ in die Hände seiner Gegner. Dem Herzog blieb schließlich nichts anderes übrig, als seine Ämter niederzulegen und die Niederlande zu verlassen.⁵² Seine Entlassung im Herbst 1784 beraubte den Erbstatthalter einer einflussreichen Stütze. Auch Wilhelmina war sich der Macht des Herzogs bewusst gewesen und sie hatte seit Jahren versucht, dessen Einfluss auf ihren Gemahl zu verringern.⁵³ Gegenüber ihrer Herkunftsfamilie hatte sie mehrfach betont, dass sie nur Schritt für Schritt ihre Position im politischen Gefüge der Republik einnehmen könne.⁵⁴ Etwa seit Mitte der 1780er Jahre gelang es ihr, Wilhelms Vertrauen zu gewinnen. Denn in der politisch brisanten Zeit befand sich der Prinz von Oranien in einem emotional aufgewühlten Zustand.⁵⁵ Sein Gemütszustand soll in diesen Jahren zwischen Tobsuchtsanfällen und tiefster Traurigkeit geschwankt haben. In der Forschung wird ihm ein „schwacher, unmännlicher, unselbständiger Charakter“⁵⁶ bescheinigt; er soll „träge, saumselig, ängstlichen Gemüts“ sowie „jähzornig, misstrauisch gegen Jedermann“⁵⁷ gewesen sein. Wilhelms Ehefrau wurde in diesen Jahren zu einer der wichtigsten Personen in seinem Umfeld.⁵⁸ Vgl. grundlegend Schama, Patriots and Liberators, S. 58 – 121; ohne neuere Erkenntnisse Herbert H. Rowen: The Princes of Orange. The Stadholder in the Dutch Republic. Cambridge/New York 1988, S. 212– 220. Vgl. Rowen, The Princes of Orange, S. 208 f. Vgl. Zimmermann, Ludwig Ernst, S. 545; Ludwig Schlözer/Ludwig Ernst von BraunschweigLüneburg: Ein actenmäßiger Bericht von dem Verfahren gegen dessen Person. Göttingen 1786; Rowen, The Princes of Orange, S. 219. Vgl.Wilhelmina an Friedrich II., [Den Haag?] 19.01.1769, in: Colenbrander, Patriottentijd, Bd. 1, Beilage II, S. 373; Schama, Patriots and Liberators, S. 56 f. Vgl. Wilhelmina an Friedrich II., [Den Haag?] 19.01.1769: „il me paroit que V.M. n’a pas bien compris mes intentions“, in: Colenbrander, Patriottentijd, Bd. 1, Beilage II, S. 373; vgl. Wilhelmina an Friedrich II., Den Haag 21.02.1785, in: ebd., Bd. 2, S. 298 – 300. Vgl. Dressler, Friedrich II. und Hertzberg, S. 7; Rowen, The Princes of Orange, S. 221 f. Dressler, Friedrich II. und Hertzberg, S. 6. Dressler, Friedrich II. und Hertzberg, S. 7, vgl. S. 9. Vgl. Wilhelmina an Friedrich II., Den Haag 21.02.1785, in: Colenbrander, Patriottentijd, Bd. 2, S. 298 – 300.
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Die Spannungen zwischen den Patrioten und den Parteigängern des Erbstatthalters, die ‚Prinzgesinnte‘ oder Orangisten genannt wurden, nahmen immer weiter zu. 1783 wurde zu Wilhelms Geburtstag eine anonyme Flugschrift verbreitet, in der sogar zum Mord am Erbstatthalter aufgerufen wurde: Der Prinz sollte „sur l’échafaud“⁵⁹ geführt werden. Nach Ausschreitungen gegen Offiziere des Leidener Freikorps entzog die Stadt Den Haag dem Erbstatthalter im September 1785 das Kommando über die Garnison.⁶⁰ Schließlich wurde Wilhelm V. gezwungen, auch das Amt als Oberkommandeur des Heeres niederzulegen.⁶¹ Anfang November 1785 berichtete der britische Gesandte seinem Vorgesetzten über Gerüchte, dass die Patrioten Wilhelm V. zwingen wollten, vom Amt des Erbstatthalters zurückzutreten. „They mean […] to terrify him.“⁶² Wilhelminas Söhne sollten unter Vormundschaft gestellt und am französischen Hof in Versailles erzogen werden. Die Vereinigten Niederlande standen am Rande eines Bürgerkriegs. Mit seiner Familie übersiedelte Wilhelm V. nach Nimwegen. Die Stadt Den Haag verbot ihm daraufhin, zurückzukehren, was bedeutete, dass er von der Versammlung der Generalstaaten und damit von Regierungsentscheidungen ausgeschlossen war. Aus Verzweiflung und Verstimmung zog Wilhelm V. sogar in Betracht, mit seiner Familie die Niederlande zu verlassen. Er hoffte, dass ein solcher Schritt seine getreuen Untertanen dazu veranlassen werde, ihn zurückzurufen und als Erbstatthalter zu bestätigen.⁶³
2 Wilhelminas Eingreifen Während Jean-Jacques Rousseau (1712– 1778), einer der einflussreichsten staatstheoretisch-philosophischen Denker jener Zeit, meinte, dass in einem republi-
Thulemeyer an Friedrich II., Den Haag 14.03.1783, in: PC, Bd. 48, Nr. 30339, S. 192. Vgl. Thulemeyer an Friedrich, 09.09.1785, in: Fruin/Colenbrander, Dépêches, S. 442; vgl. zum Umzug Thulemeyer an Friedrich, 10.09.1785, in: ebd., S. 443 f.; Schama, Patriots and Liberators, S. 104 f.; Rowen, The Princes of Orange, S. 220 f. Vgl. Harris an Carmarthen, Den Haag 09.09.1785, in: ders., Diaries and Correspondence, S. 143 – 145, hier S. 144; dies war bereits früher angedroht worden: vgl. Thulemeyer an Friedrich II., Den Haag 14.03.1783, in: PC, Bd. 48, Nr. 30339, S. 191 f., hier S. 192. Schama, Patriots and Liberators, S. 104 f.; Rowen, The Princes of Orange, S. 221. Harris an Carmarthen, Den Haag 08.11.1785, in: ders., Diaries and Correspondence, S. 166 – 168, hier S. 167; vgl. Schama, Patriots and Liberators, S. 105. Vgl. Thulemeyer an Friedrich, 10.09.1785, in: Fruin/Colenbrander, Dépêches, S. 443 f., ebenso in: Colenbrander, Patriottentijd, Bd. 2, S. 315; Berichte von Thulemeyer, 1785, in: GStA PK, I. HA GR, Rep. 34, Nr. 7118; Rowen, The Princes of Orange, S. 222.
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kanisch organisierten Staat ausschließlich Männer zur Regierung berufen seien,⁶⁴ teilte der preußische Gesandte seinem König mit, dass Wilhelmina von vielen Niederländern geschätzt und verehrt werde.⁶⁵ Nachdem Herzog Ludwig Ernst entlassen worden war, so berichtete Thulemeyer weiter, gebe es nun Überlegungen, die Prinzessin in ein Gremium aufzunehmen, das Wilhelm V. in der Krisenzeit beraten solle.⁶⁶ Wilhelminas besonnene Haltung in dem bürgerkriegsähnlichen Konflikt sowie ihre Sorge um das Wohlergehen der Republik zeichneten sie nach seiner Auffassung als gute Ratgeberin aus. Sogar eine Delegation von Regenten aus Amsterdam wurde bei Wilhelm V. vorstellig. Aber dieser weigerte sich, ein Beratergremium zu akzeptieren, und steigerte sich angeblich derart in seine Wut, dass er ausgerufen haben soll: „Es wäre wohl das beste, ich gehe fort und pflanze Kohl in meinen Erblanden.“⁶⁷ Wilhelminas Haltung und Leistung wurde von ihren Anhängern anerkannt. Hertzberg meinte Mitte 1787, nur „la fortune et le heroisme de la Princesse“⁶⁸ hätten den Umschwung herbeigeführt. Der englische Gesandte war überzeugt, Wilhelmina sei „high-spirited“, mit „sense and power“.⁶⁹ Auch Friedrichs II.
Jean-Jacques Rousseau: Lettre à M. d’Alembert sur son Article Genève. Hrsg. v. Michel Launay. Paris 1967, S. 196; vgl. Armelle Le Bras-Chopard: Le Masculin, le Sexuel et le Politique. Paris 2004, S. 160 f. Fruin/Colenbrander, Dépêches, S. 319, 323 f., 327– 329, 331 f., 372 f.; vgl. Dressler, Friedrich II. und Hertzberg, S. 10; Rowen, The Princes of Orange, S. 214. Thulemeyer an Friedrich II., 28.05.1782, in: Fruin/Colenbrander, Dépêches, S. 319: „On propose d’attribuer au Prince d’Orange un Conseil dont les avis le dirigeroient dans la crise actuelle, et l’on y place la Princesse d’Orange“; vgl. Harris an den Marquis de Carmarthen, Den Haag 07.12. 1784, in: ders., Diaries and Correspondence, S. 75 – 78, hier S. 76; Krämer, Gedenkschriften van Gijsbert Jan van Hardenbroek, insbes. Bde. 6 und 7; Schama, Patriots and Liberators, S. 106, 122; Pöthe, Perikles in Preußen, S. 27, 34– 39, meint mit Bezug auf Schama, Patriots and Liberators, S. 106, Wilhelm habe seiner Gemahlin offiziell Amtsgeschäfte übertragen; Rowen, The Princes of Orange, S. 209, erwähnt Wilhelmina nicht. Krämer, Gedenkschriften van Gijsbert Jan van Hardenbroek, Bd. 2, S. 568 – 571, hier zit. n. Rowen, The Princes of Orange, S. 210 [Übersetzung P.P.]; vgl. ebd., S. 213, 215, 218; Harris an Carmarthen, Den Haag 07.12.1784, in: ders., Diaries and Correspondence, S. 75 – 78, hier 78; Thulemeyer an Friedrich II., [Den Haag] 10.09.1785, in: Colenbrander, Patriottentijd, Bd. 2, S. 315 f., vgl. ebd., Bd. 1, S. 316; zu Überlegungen nach September 1787, ein solches Gremium einzurichten, vgl. Finckenstein und Hertzberg an Friedrich Wilhelm II., Berlin 21.10.1787 (Konzept), in: GStA PK, I. HA GR, Rep. 34, Nr. 7135: Beratergremium „dirigé par Madame la Princesse“. Hertzberg an Martin Ernst von Schlieffen (1732– 1825, Gouverneur der Zitadelle Wesel), Berlin 25.12.1787, in: Einige Betreffnisse und Erlebungen Martin Ernsts von Schlieffen, Zeitraum 1732– 1793, Berlin 1830/40 [!], Nr. 176, S. 266; Luckwaldt, Die englisch-preußische Allianz, S. 63 mit Anm. 4. Harris an Carmarthen, Den Haag 09.09.1785, in: ders., Diaries and Correspondence, S. 145 f.; vgl. Volz, Die Erinnerungen der Prinzessin, S. 35.
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Einschätzung der Geistesgaben seiner Nichte bewahrheiteten sich. In Wilhelminas Nachlass befinden sich Abschriften und Ausschnitte aus politischen und historischen Schriften. Die Prinzessin von Oranien hatte uneingeschränkten Zugang zu Bibliotheken. Darüber hinaus bezeugt ihre umfangreiche Korrespondenz, dass die Erbstatthalterin in die außen- und innenpolitischen Angelegenheiten der Republik eingriff. Der jahrzehntelange Briefwechsel mit Friedrich dem Großen, mit ihrem Bruder und den preußischen Ministern spiegelt die Entwicklung der Prinzessin zu einer versierten Politikerin, die über großen politischen Verstand verfügte.⁷⁰ Wilhelmina, die die Menschen in ihrer Umgebung gut einschätzen konnte,⁷¹ bat ihren Onkel um Rat, beriet sich mit ihrem Bruder und vertrat ihre persönlichen Überzeugungen. Zeitgenossen wie Friedrich der Große oder Herzog Karl von Braunschweig waren überzeugt, Wilhelm V. sei ein „homme frivole et léger, qui est incapable d’affaires sérieuses“,⁷² daher völlig unfähig „de mener cette Barque“.⁷³ Die schier ausweglose innenpolitische Situation könnte nach Ansicht des Erbprinzen von Preußen beendet werden, wenn Wilhelmina die Regierungsgeschäfte übernähme. Im Frühjahr 1785 riet er seiner Schwester, sich „à la tête des affaires“ zu setzen, um für „le bien-être de vos enfants […] et le bien général“⁷⁴ zu wirken. Die Erbstatthalterin ließ jedoch jetzt und auch später immer wieder verlauten, die Aufgabe
Vgl. z. B. Briefwechsel mit Friedrich II, 1759 – 1770, in: GStA PK, BPH, Rep. 56 I, W 14, Bd. 1a; Wilhelmina an Hertzberg, Amersfoort 24.06.1787 sowie Nimwegen 22.07.1787, in: ebd., VI. HA Nl Hertzberg, Nr. 24, Bd. 2; Dressler, Friedrich II. und Hertzberg, S. 9. Vgl. zum Beispiel Wilhelmina an Friedrich II., Den Haag 21.02.1785, in: Colenbrander, Patriottentijd, Bd. 2, S. 298 – 300, ihre Charakterisierung des Befehlshabers der patriotischen Truppen, Rheingraf Friedrich von Salm-Kyrburg; Wilhelmina an Hertzberg, Den Haag 15.10.1787, in: GStA PK,VI. HA Nl Hertzberg, Nr. 24, Bd. 2: ihre Ansicht über Thulemeyers Position; 1788 versuchte sie, seine Abberufung durchzusetzen, vgl. Anonym: Historische und politische Denkwürdigkeiten des königlich preußischen Staatsministers Johann Eustach Grafen von Görtz, aus dessen hinterlassenen Papieren entworfen. 2 Bde. Stuttgart/Tübingen 1827 und 1828, hier Bd. 2, S. 138, 202; zum Sondergesandten Graf Johann Eustach von Görtz (1737– 1821) vgl. GStA PK, I. HA GR, Rep. 34, Nr. 8449. Friedrich II. an Wilhelmina, [Potsdam ?] 05.03.1785, in: Colenbrander, Patriottentijd, Bd. 2, S. 300. Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig an Friedrich Wilhelm II., Overtoom [?] 15.10.1787, in: Colenbrander, Patriottentijd, Bd. 3, Beilagen, S. 218; vgl. Dressler, Friedrich II. und Hertzberg, S. 6 f, 9; allgemein zum Handlungsspielraum, der sich Fürstinnen eröffnen konnte, wenn ein Fürst nicht regierungsfähig war, vgl. Keller, „The Monstrous Regiment of Women“, S. 14. Friedrich Wilhelm II. an Wilhelmina, [Berlin] 02.02.1785, in: Colenbrander, Patriottentijd, Bd. 2, S. 298.
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nur auf persönliches Bitten ihres Gemahls übernehmen zu wollen.⁷⁵ Wilhelmina war so weitsichtig, es keinesfalls zu einem „schisme domestique“⁷⁶ kommen zu lassen, und vermied daher jede kontroverse Auseinandersetzung mit ihrem Gemahl. Sie blieb ihm treu zur Seite, da sie seine politische Überzeugung teilte. Es lag auch in ihrem Interesse, dem Haus Nassau-Oranien die Statthalterschaft zu erhalten. Der britische Gesandte beschrieb das Paar als „perfectly united in their political principles“.⁷⁷ Wilhelmina nahm zweifelsohne mit Wilhelms Billigung großen Einfluss auf die politischen Geschehnisse. In den Krisenjahren wechselte die Prinzessin von Oranien mit Minister von Hertzberg nahezu alle drei bis vier Tage einen Brief.⁷⁸ Wilhelmina, die den direkten Kontakt zu ihm nutzte, war der Ansicht, dass der preußische Gesandte nicht immer vollumfänglich informiert sei.⁷⁹ Sie erhoffte sich außerdem Hertzbergs Fürsprache bei ihrem Onkel und später bei ihrem Bruder.⁸⁰ Detailliert schilderte die Prinzessin von Oranien dem Minister in Berlin die Vorkommnisse in den Niederlanden.⁸¹ Wilhelmina korrespondierte darüber hinaus mit ihrem Onkel und mit ihrem Bruder. An Friedrich den Großen hatte sie seit ihrer Kindheit regelmäßig geschrieben.⁸² Die meisten Schreiben aus dem Zeitraum 1780 bis 1790 sind eigen Vgl. Thulemeyer an Friedrich II., [Den Haag] 03.09.1782, in: Fruin/Colenbrander, Dépêches, S. 331 f.; Wilhelmina an Friedrich Wilhelm II., [o.O., Februar 1785], in: Colenbander, Patriottentijd, Bd. 2, S. 298; Rowen, The Princes of Orange, S. 214. Vgl. Wilhelmina an Friedrich Wilhelm II., [Den Haag?] 02.02.1785, in: Colenbrander, Patriottentijd, S. 298. Finckenstein und Hertzberg an Friedrich Wilhelm II., Berlin 21.10.1787 (Konzept) und [Karl von Braunschweig] an Friedrich Wilhelm II., Overtoom 15.10.1787 (unvollständige Abschrift), in: GStA PK, I. HA GR, Rep. 34, Nr. 7135: „La faiblesse du Prince […], sa jalousie secrette contre le Credit de Son Altesse Royale Madame la Princesse“. Harris an Carmarthen, [Nimwegen?] 13.03.1787, in: Colenbrander, Patriottentijd, Bd. 3, S. 97– 99; vgl. Harris an Carmarthen, Den Haag 9. und 16.09.1785, in: ders., Diaries and Correspondence, S. 145 f.: Wilhelm „is so jealous, not of her virtue, but of her sense and power, that he would not even go to Paradise by her influence; and she has so mean an opinion of his capacity, and, in general, that kind of contempt a high-spirited woman feels for an inferior male being“, sowie S. 147– 151 Wilhelminas Antwort auf die Ratschläge „to separate my interests and those of my children from the interests of the Prince; but to this I will never subscribe“. Vgl. GStA PK, VI. HA Nl Hertzberg, Nr. 24, Bd. 1 und Bd. 2; Luckwaldt, Die englisch-preußische Allianz, S. 51; zum Konsens des Fürsten vgl. Keller, „The Monstrous Regiment of Women“, S. 9 – 11. Vgl. Wilhelmina an Hertzberg, 06.02. und 23.03.1787, in: GStA PK, VI. HA Nl Hertzberg, Nr. 24, Bd. 2; Dressler, Friedrich II. und Hertzberg, S. 22. Vgl. Dressler, Friedrich II. und Hertzberg, S. 22. Vgl. z. B. Wilhelmina an Hertzberg, [Het Loo?] 01.09.1786 (Abschrift) sowie Nimwegen 06.02. 1787, in: GStA PK, VI. HA Nl Hertzberg, Nr. 24, Bd. 2. Vgl. Schreiben der Jahre 1759 bis 1770, dabei auch Schreiben Fräuleins von Danckelmann, in: GStA PK, BPH, Rep. 56 I Prinz August Wilhelm, W, Nr. 14, Bd. 1a; Dressler, Friedrich II. und
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händig verfasst und zahlreiche zusätzlich chiffriert, da sie meistens die Auseinandersetzung zwischen den Patrioten und den Prinzgesinnten thematisierte und um Unterstützung von preußischer Seite bat.⁸³ Wilhelmina machte mitunter Angaben über die Uhrzeit, zu der sie ihre Briefe niederschrieb. Auch lässt sich ihr Gemütszustand recht gut an der Handschrift ablesen; in emotional belastenden Situationen ist sie weniger gut leserlich, Wilhelmina hat viele Streichungen sowie Einfügungen über der Zeile oder am Rand vorgenommen und oft noch PostScripta neben die Schlussformel gesetzt.⁸⁴ Weder der Alte Fritz noch – zunächst – sein Nachfolger konnten sich zu einem aktiven Eingreifen in den niederländischen Konflikt durchringen.⁸⁵ Der britische Gesandte wurde im August 1785 beauftragt, den greisen König von Preußen für ein Eingreifen in die revolutionären Konflikte an der Seite Englands zu gewinnen. Aber er erhielt eine überaus kühle Abfuhr.⁸⁶ Friedrich II. verhandelte in den Jahren 1785/86 mit dem Hof in Versailles, um gemeinsam mit Ludwig XVI. (1754– 1793) einen Bürgerkrieg in den Niederlanden zu verhindern. Allerdings unterstützte der König von Frankreich zeitgleich die Patrioten.⁸⁷ Ebenso ablehnend wie auf die englischen Angebote reagierte Friedrich der Große auch auf Wilhelminas Bitten. Er riet ihr, Wilhelm auf den Boden der Tatsachen zu bringen und ihn dazu zu bewegen, auf seine umfänglichen Rechte und Privilegien als Erbstatthalter zu verzichten.⁸⁸ Dem Prinzen von Oranien lag natürlich nichts ferner. „Aut Caesar, aut nihil“, lautete seine Devise, die er fast gebetsmühlenartig wiederholte.⁸⁹
Hertzberg, S. 23; Wilhelminas Tochter korrespondierte ebenfalls jahrelang mit Friedrich II., vgl. GStA PK, BPH, Rep. 47, J Nr. 187 und Nr. 1059. Vgl. Schreiben der Jahre 1786 und 1787, in: GStA PK, BPH, Rep. 48 König Friedrich Wilhelm II., D Nr. 5a; Karl de Leeuw: Cryptology and Statecraft in the Dutch Republic. A Case-Study, in: ders./ Jan Bergstra (Hrsg.), The History of Information Security. A Comprehensive Handbook. Amsterdam/London 2007, S. 327– 367. Vgl. z. B. Wilhelmina an Friedrich Wilhelm II., [Den Haag] 02.10.1787 um 14:30 Uhr, in: GStA PK, BPH, Rep. 48 König Friedrich Wilhelm II., D Nr. 5a; Wilhelmina an Hertzberg, Nimwegen 19.06. 1787 um 02:00 Uhr morgens, in: ebd., VI. HA, Nl Hertzberg, Ewald Friedrich, Nr. 24, Bd. 2. Vgl. Harris an Ewart, Den Haag 05.09.1785, in: ders., Diaries and Correspondence, S. 142 f.; Friedrich II. an Wilhelm V., 12.01.1783, in: Rowen, The Princes of Orange, S. 216; GStA PK, I. HA GR, Rep. 34, Nr. 7114: Verwendung des Königs von Preußen für den Erbstatthalter, 1784; ebd., Nr. 7116; Dressler, Friedrich II. und Hertzberg, S. 10 f. Vgl. Schama, Patriots and Liberators, S. 123, 125. Harris an Carmarthen, [Den Haag] 02.08.1785, in: Colenbrander, Patriottentijd, Bd. 2, S. 312. Vgl. Schreiben der Prinzessin von Oranien über die Zustände in den Niederlanden, in: GStA PK, VI. HA, Nl Hertzberg, Nr. 16 und Nr. 24, Bd. 1 und Bd. 2; Dressler, Friedrich II. und Hertzberg, S. 12– 21; Schama, Patriots and Liberators, S. 120. Vgl. Schama, Patriots and Liberators, S. 125; Richard Krauel: Graf Hertzberg als Minister Friedrich Wilhelms II. Berlin 1899; Dressler, Friedrich II. und Hertzberg, S. 10 f.
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Für Wilhelm und Wilhelmina bedeutete der Tod Friedrichs des Großen eine Wendung, denn sie hofften, jetzt endlich konkrete Hilfe aus Preußen zu erhalten. Der Erbstatthalter reiste im Herbst 1786 nach Berlin, wo sein Schwager ihn zwar empfing, sich aber nicht umstimmen ließ. Friedrich Wilhelm II. beauftragte seine Minister nur, mit dem französischen Gesandten in Den Haag die Wiederherstellung des Friedens auszuhandeln.⁹⁰ Im Frühjahr 1787 verschlimmerten sich die Zustände in den Vereinigten Niederlanden jedoch dramatisch.⁹¹ Gegen die von Frankreich unterstützten patriotischen Freikorps finanzierte Großbritannien nun mit erheblichen Subsidien ‚Freie Compagnien‘, die auf der Seite der Orangisten standen.⁹² Söldner des Erbstatthalters und Freikorps der Patrioten lieferten sich immer wieder heftige, blutige Gefechte. Brücken wurden zerstört, Häuser der oraniertreuen Regenten geplündert, viele von ihnen flohen aus den unsicheren Städten wie Amsterdam in ländlichere Gegenden.⁹³ Im April 1787 scheiterte ein Versuch der Orangisten, die Stadt Amsterdam wieder in ihre Gewalt zu bringen.⁹⁴ Thulemeyer berichtete nach Berlin, dass die Provinz Holland zur Abwehr der Prinzgesinnten eine militärisch gesicherte Sperrzone eingerichtet habe.⁹⁵ Mitte des Jahres 1787 war die Situation der sieben Provinzen festgefahren.⁹⁶
Vgl. Rowen, The Princes of Orange, S. 218. Er bezieht sich auf Krämer, Gedenkschriften van Gijsbert Jan Hardenbroek, Bd. 5, S. 354– 358. Vgl. Hertzberg an Friedrich Wilhelm II., Berlin 21.08.1786, in: GStA PK, VI. HA Nl Hertzberg, Nr. 16, sowie Protokoll eines Gesprächs zwischen dem Erbstatthalter und dem König von Preußen, Oktober 1786, in: ebd.; Harris an Carmarthen, o.O. 13.03.1787, in: Colenbrander, Patriottentijd, Bd. 3, Beilagen, S. 97– 99; Luckwaldt, Die englisch-preußische Allianz, S. 53, 55, 57; Pöthe, Perikles in Preußen, S. 26 – 34. Vgl. Thulemeyer an Friedrich Wilhelm II., [Den Haag] 26.05.1787, in: Fruin/Colenbrander, Dépêches, S. 549; Schama, Patriots and Liberators, S. 107, zum Vorfall bei Elburg und Hattem, die in Gelderland (bei Pöthe, Perikles in Preußen, S. 23, 74, falsche Bezeichnung der Provinz) situiert sind. Vgl. Schama, Patriots and Liberators, S. 126; Luckwaldt, Die englisch-preußische Allianz, S. 60 f. Vgl. Schama, Patriots and Liberators, S. 117; die Nachrichten der Erbstatthalterin über die Situation in den Niederlanden in GStA PK, VI. HA Nl Hertzberg, Nr. 24, Bd. 2. Vgl. Luckwaldt, Die englisch-preußische Allianz, S. 60; Harris an Carmarthen, Den Haag 13.04.1787, in: ders., Diaries and Correspondence, S. 287– 289; zum Angriff auf Utrecht vgl. Colenbrander, Patriottentijd, Bd. 3, Beilagen, S. 154, 158, 165. Vgl. Wilhelmina an Hertzberg, Nimwegen 06.02.1787, in: GStA PK, VI. HA Nl Hertzberg, Nr. 24, Bd. 2; Friedrich Karl Wittichen: Preußen und England in der europäischen Politik 1785 – 1788. Heidelberg 1902, S. 67; Pöthe, Perikles in Preußen, S. 35. Vgl. Stamford an Wilhelm V.,Wesel 01.07.1787, in: GStA PK, I. HA GR, Rep. 34, Nr. 7131; Goltz an Friedrich Wilhelm II., Paris 11.07.1787, in: ebd., BPH, Rep. 48 D, Nr. 5a: Flugblatt über angeblichen
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Wilhelmina schrieb Brief um Brief an den Berliner Hof. Schließlich entsandte sie einen ihrer Vertrauten, um ihren Bitten Nachdruck zu verleihen. Friedrich Wilhelm II. aber meinte nur: „Meine Schwester möchte, ich würfe mich blindlings in die Arme Englands, aber dergleichen werde ich nicht tun.“⁹⁷ Er lehnte wie sein Vorgänger eine Kooperation mit England ab und beauftragte stattdessen einen Sonderbeauftragten, der gemeinsam mit dem französischen Gesandten zwischen den verfeindeten Lagern vermitteln sollte.⁹⁸ Aber Wilhelmina wollte erreichen, dass ihr Gemahl vor der Aufnahme jeglicher Verhandlungen wieder als Erbstatthalter bestätigt wurde.⁹⁹ Den Vorschlag ihres Bruders, mit jeder Provinz gesondert darüber zu verhandeln, wies sie zurück. Ebenso wie ihr Gemahl war sie überzeugt: „Wenn wir nicht ehrenvoll nach den Haag zurückkehren können, ist es hundertmal besser, dass wir uns ganz zurückziehen.“¹⁰⁰ Die Oranier hofften nun auf Unterstützung aus England, aber der Gesandte Harris konnte ihnen nur vage versichern, sein Land werde alles tun, was seiner Verfassung entspreche.¹⁰¹ Mit hinhaltenden Worten abgespeist, ließ Wilhelmina dem preußischen Außenminister Ende März 1787 ihre detaillierten Überlegungen zukommen, mit welchen Maßnahmen der Bürgerkrieg verhindert und die Republik wieder in einen friedvollen Zustand versetzt werden könnte.¹⁰² Hatte Friedrich Wilhelm II. Anfang April 1787 noch mitteilen lassen, er halte an seinen Plänen fest, so berichtete Hertzberg der Prinzessin am 26. Juni von
Militäreinsatz des Erbstatthalters; Schama, Patriots and Liberators, S. 120; zu Stamford vgl. Heinrich Pröhle: Art. Stamford, Heinrich Wilhelm von, in: ADB. Bd. 35 (1893), S. 424– 426. Friedrich Wilhelm II. an Hertzberg, 12.06.[1787], hier zit. n. Luckwaldt, Die englisch-preußische Allianz, S. 63; vgl. Friedrich Wilhelm II. an Hertzberg und Finckenstein, o.O. 04.05.1787, in: GStA PK,VI. HA Nl Hertzberg, Nr. 16; Wilhelmina an Hertzberg, Nimwegen 08. und 11.05. sowie 12. und 19.06.1787, in: ebd., VI. HA Nl Hertzberg, Nr. 24, Bd. 2. Vgl. Friedrich Wilhelm II. an Finckenstein und Hertzberg, o.O. 04.05.1787, in: GStA PK, VI. HA Nl Hertzberg, Nr. 16; Krauel, Graf Hertzberg als Minister, S. 34; Colenbrander, Patriottentijd, Bd. 3, S. 99 – 109; Anonym: Historische und politische Denkwürdigkeiten, Bd. 2, S. 134. Vgl. Wittichen, Preußen und England, S. 68; Schama, Patriots and Liberators, S. 122. Wilhelmina an Hertzberg, Nimwegen 06.02. 21787, in: GStA PK, VI. HA Nl Hertzberg, Nr. 24, Bd. 2; vgl. Harris an Carmarthen, [Den Haag 07.07.1787], in: ders., Diaries and Correspondence, S. 332 f.; Friedrich Wilhelm II. an von der Goltz, Berlin 17.07.1787 (Konzept), in: GStA PK,VI. HA Nl. Hertzberg, Nr. 16; Dressler, Friedrich II. und Hertzberg, S. 9; Krauel, Graf Hertzberg als Minister, S. 34. Harris an Carmarthen, [Nimwegen] 13.03.1787, in: Colenbrander, Patriottentijd, Bd. 3, S. 97. Vgl.Wilhelmina an Hertzberg, Nimwegen 30.03.1787, in: GStA PK,VI. HA Nl Hertzberg, Nr. 24, Bd. 2.
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seiner „explication furieuse avec le Roi sur les affaires d’Hollande“.¹⁰³ Der König soll von den detailreichen Berichten seiner Gesandten gelangweilt und über den Starrsinn seines Schwagers verbittert gewesen sein; auch habe er seine „Schwester zu kapriziös“¹⁰⁴ gefunden.Wilhelmina appellierte an ihren Bruder. Sie wollte ihn davon überzeugen, dass ein Eingreifen seinen Ruhm fördern und er als Schutzherr einer gerechten Sache gefeiert werde.¹⁰⁵ Friedrich Wilhelm II. setzte weiter auf Verhandlungen, während seine Schwester ihn beschwor, dass nur noch „le sort des armes“¹⁰⁶ über ihr Schicksal entscheiden werde. Wilhelm und Wilhelmina hofften auch weiterhin auf Unterstützung aus England. Georg III. finanzierte bereits seit Monaten die Rekrutierung von Söldnern. Die ältere Forschung geht davon aus, dass der Einfluss des britischen Gesandten auf die Prinzessin von Oranien für die Ereignisse Mitte 1787 ausschlaggebend gewesen sei. Angeblich habe James Harris sie zu dem ‚coup d’etat‘ bewogen, der schließlich das Eingreifen Preußens in den niederländischen Bürgerkrieg bewirkte.¹⁰⁷ Im Juni 1787 handelte Wilhelmina. Am 28. Juni war die Erbstatthalterin von Nimwegen aus ins patriotisch regierte Den Haag aufgebrochen. Wilhelm V. wurde von seinem ältesten Sohn unterrichtet, dass Wilhelmina sich in aller Heimlichkeit
Hertzberg an Wilhelmina, Berlin 26.06.1787 (Konzept), in: GStA PK, VI. HA Nl Hertzberg, Nr. 24, Bd. 2; Hertzberg an Friedrich Wilhelm II., Berlin 11.06.1787, in: ebd., I. HA GR, Rep. 34, Nr. 7131; Luckwaldt, Die englisch-preußische Allianz, S. 56. Luckwaldt, Die englisch-preußische Allianz, S. 55; vgl. Wilhelmina an Friedrich Wilhelm II., o.O. 19.12.1786 (unvollständige Abschrift), in: GStA PK, I. HA GR, Rep. 34, Nr. 7131; Friedrich Wilhelm II. an Finckenstein und Hertzberg, o.O. 15.03.[1787], ebd.; Friedrich Wilhelm II. an Görtz, [29.12.1786‒01.01.1787], in: Anonym: Historische und politische Denkwürdigkeiten, Bd. 2, S. 179: „Wenn der Prinz von Oranien nicht bald sein Benehmen ändert, so wird er sicherlich den Hals brechen“, vgl. S. 188. Vgl.Wilhelmina an Hertzberg, Nimwegen 23.03.1787, Nimwegen 10.04.1787, Nimwegen 20.07. 1787 sowie Den Haag 02. und 13.10.1787 (Abschrift) und Het Loo 06.06.1788, in: GStA PK,VI. HA Nl Hertzberg, Nr. 24, Bd. 2; bei Pöthe, Perikles in Preußen, S. 36 mit Anm. 44, 40 mit Anm. 57, 150, 153 mit Anm. 379 sind einige ihrer Schreiben in Auszügen transkribiert. Wilhelmina an Friedrich Wilhelm II., o.O. o.D. [vor 15.03.1787] (unvollständige Abschrift), in: GStA PK, I. HA GR, Rep. 34, Nr. 7131, bei Pöthe, Perikles in Preußen, S. 46 mit Anm. 71, teilweise Transkription (fehlerhaft); vgl. Friedrich Wilhelm II. an Finckenstein, [Potsdam] 15.05.1787, in: GStA PK, I. HA GR, Rep. 34, Nr. 7131. Vgl. Schama, Patriots and Liberators, S. 127; Rowen, The Princes of Orange, S. 223; Harris an den Marquis de Carmarthen, Den Haag 10.12.1784, in: ders., Diaries and Correspondence, S. 78 – 80, hier S. 79: „gain over the Princess of Orange, to open her eyes to the interests of her children“; zum Völkerrecht Johan Jacob Moser: Erste Grundlehren des jezigen Europäischen Völcker-Rechts, in Fridens- und Kriegs-Zeiten. Nürnberg 1778, Kapitel 9: „Nicht-Einmischung in fremde Staatssachen“; anders Pöthe, Perikles in Preußen, S. 35.
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morgens um fünf Uhr mit wenigen Begleitern auf den Weg gemacht hatte.¹⁰⁸ Eine Woche vor ihrer Reise hatte sie befohlen, in der Residenz der Statthalter Huis ten Bosch ein Appartement herzurichten. Ihren Anhängern teilte sie mit, sie sei von ihrem Gemahl beauftragt, bei der Ständeversammlung in Den Haag die Angelegenheit der Erbstatthalter zu vertreten.¹⁰⁹ Kurz vor ihrer Abreise hatte Wilhelmina an Hertzberg geschrieben und betont, dass niemand sie zu dieser Unternehmung bewogen habe.¹¹⁰ Sie allein habe nach mehreren Besprechungen mit ihrem Gemahl und seinen Räten den Plan zu der Reise gefasst. Im Juli erläuterte Wilhelmina ihrem Bruder ihre Motive.¹¹¹ Sie bekräftigte, dass sie von ihrem Gemahl aufgefordert worden sei, ihre Ansichten zu den verschiedenen Überlegungen über die Wiederherstellung der Erbstatthalterschaft zu äußern. Die Lage sei jedoch so aussichtslos erschienen, dass alle Räte vom unausweichlichen Verlust der Republik überzeugt gewesen seien. Deshalb habe sie sich entschieden, durch ihre Anwesenheit in Den Haag orangistisch Gesinnte zu mobilisieren und so ihren Gemahl wieder als Erbstatthalter bestätigen zu lassen. Der englische Gesandte war im Vorfeld über Wilhelminas Plan informiert worden. Sie hatte ihren Vertrauten, den im preußischen Kadettenhaus ausgebildeten Gijsbert Karel van Hogendorp (1762– 1834), am 23. Juni 1787 nach Den Haag geschickt, um ihr Vorhaben dem Gesandten und einigen anderen Getreuen mitzuteilen.¹¹² Harris schrieb zwei Tage vor Wilhelminas Reise nach London, „I will adore her like an Angel“, wenn es ihr gelänge, die Generalstaaten dazu zu veranlassen, „[to] act like men“.¹¹³ Ihr Vorhaben gereiche seiner Ansicht nach ihrem
Vgl. Johanna W. A. Naber (Hrsg.): Correspondentie van de Stadhouderlijke Familie 1777– 1820. 5 Bde. ’s-Gravenhage 1931– 1936, Bd. 1: 1777– 1793, S. 9 f.: Wilhelm (I.) an seinen Vater, Nimwegen 28.06.1787. Vgl. Harris an Carmarthen, Den Haag 25.06.1787, in: ders., Diaries and Correspondence, S. 321– 323. Vgl.Wilhelmina an Hertzberg, Nimwegen 28.06.1787, in: GStA PK,VI. HA Nl Hertzberg, Nr. 24, Bd. 2: „ce voyage est le fruit des mes propres reflexions“. Vgl. Wilhelmina an die Staaten von Holland und Friesland, Schoonhoven 28.06.1787, in: GStA PK, I. HA GR, Rep. 34, Nr. 7131; Wilhelmina an Friedrich Wilhelm II., Nimwegen 03.07.1787, in: ebd., sowie Wilhelmina an Friedrich Wilhelm II., o.O. 11.07.1787, in: Colenbrander, Patriottentijd, Bd. 3, S. 164– 166: „on ne pouvoit rien faire, […] la perte de la Republique étoit inévitable“; Harris an Carmarthen, Den Haag 30.06.1787, in: ders., Diaries and Correspondence, S. 325 – 328. Nach dem Tod seines Vaters 1773 hatte sich Wilhelmina seiner angenommen und seine Ausbildung finanziert, vgl. http://www.biografischportaal.nl/persoon/05339746 (abgerufen am 04.12. 2018); Harris an Carmarthen, Den Haag 25.06.1787, in: ders., Diaries and Correspondence, S. 321– 323; Wittichen, Preußen und England, S. 69. Harris an Carmarthen, Den Haag 26.06.1787, in: ders., Diaries and Correspondence, S. 324, vgl. Harris an Carmarthen, Den Haag 29.06.1787, in: ebd., S. 329. Friedrich II. an Thulemeyer, Potsdam 26.07.1783, in: PC, Bd. 48, S. 404 f.
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Mut und ihrem Verstand zur Ehre, allerdings sei er nicht sicher, welche Konsequenzen es haben werde.¹¹⁴ Als Harris am Abend des 28. Juni vom Diner beim französischen Gesandten in sein Palais zurückkehrte, erhielt er die Nachricht von der Festnahme der Prinzessin.¹¹⁵ Auf dem Weg nach Den Haag war Wilhelmina in der Nähe von Schoonhoven von einigen Freikorpssoldaten aufgehalten worden.¹¹⁶ Mit blanken Waffen hätten die Männer sie bewacht und nicht eine Minute allein gelassen, darüber hinaus sei sie von ihrer Begleitung getrennt worden. So lautet Wilhelminas Beschreibung der Ereignisse.¹¹⁷ Fräulein von Danckelmann, die den preußischen Sondergesandten über den Vorfall informierte, ängstigte sich, dass die Männer, die keinerlei Etikette beachtet und in Anwesenheit der Prinzessin sogar geraucht und getrunken hätten, sich Wilhelmina gegenüber alles erlauben könnten.¹¹⁸ Ebenso wie Wilhelm V. und die Hofdame war auch der englische Gesandte bestürzt. Er war überzeugt, dass Wilhelminas Vorhaben nicht nur zu einem ungünstigen Zeitpunkt geschehen, sondern insgesamt völlig verunglückt sei.¹¹⁹ Das weist darauf hin, dass der englische Gesandte weniger Einfluss auf die Prinzessin hatte als bisher angenommen. Möglicherweise hatte sich Wilhelmina an einen Rat Friedrichs II. erinnert. Das Sehen sei der Sinn, der für den Menschen die größte Bedeutung habe, hatte der König gemeint und geraten, dass Wilhelm sich den Menschen zeigen solle, um
Harris an Carmarthen, Den Haag 26.06.1787, in: ders., Diaries and Correspondence, S. 324. Harris an Carmarthen, Den Haag 29.06.1787, in: ders., Diaries and Correspondence, S. 325 – 328. Vgl. Wilhelmus Antonius Knoops/F. Ch. Meijer: Goejanverwellesluis. De Aanhouding van de Prinses van Oranje op 28 juni 1787 door het vrijkorps van Gouda. Amsterdam 1987; Arie Wilschut: Goejanverwellesluis. De strijd tussen patriotten en prinsgezinden, 1780 – 1787. Hilversum 2000, S. 10‒15. Sie war in Begleitung ihrer Hofdame Fräulein von Staremberg, ihres Kammerherrn Graf von Randwik und Graf von Bentinck sowie des Prinzenerziehers Oberst Stamford gereist; vgl. Friedrich Wilhelm II. an Thulemeyer, Berlin 04.07.1787, in: Colenbrander, Patriottentijd, Bd. 3, S. 168; Harris an Carmarthen, Den Haag 29.06.1787, in: ders., Diaries and Correspondence, S. 235; Verac an Montmorin, Den Haag 30.06.1787 (Abschrift), in: GStA PK, VI. HA Nl Hertzberg, Nr. 16; Weiler an Hertzberg,Wesel 30.06.1787, in: ebd., I. HA GR, Rep. 34, Nr. 7131; Weiler an Hertzberg,Wesel 02.07. 1787, in: ebd., VI. HA Nl Hertzberg, Nr. 24, Bd. 2; Friedrich Wilhelm II. an Thulemeyer, Charlottenburg 07.07.1787 (Konzept), in: ebd., I. HA Rep. 96, Nr. 152 H. Vgl. Danckelmann an Goertz, Nimwegen 29.06.1787, in: Colenbrander, Patriottentijd, Bd. 3, S. 167; Danckelmann an Weiler, Nimwegen 29.06.1787 (Abschrift), in: GStA PK, I. HA GR, Rep. 34, Nr. 7131; Weiler an Hertzberg,Wesel 30.06.1787, in: ebd.; Stamford an Wilhelm V., Nimwegen 01.07. 1787, in: ebd. Vgl. Harris an Carmarthen, Den Haag 29.06.1787, in: ders., Diaries and Correspondence, S. 325 – 328.
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Abb. 19: Ölgemälde von Tethart Philipp Christian Haag, ca. 1789 (Rijksmuseum/Amsterdam)
ihre Zuneigung zur Dynastie Nassau-Oranien zu stärken.¹²⁰ Die Erbstatthalterin setzte eine Idee um, die sie bereits mehrere Jahre zuvor in Erwägung gezogen hatte. Schon 1783 hatte der preußische Gesandte an Friedrich den Großen berichtet, die Prinzessin habe bei den versammelten Generalständen im Haag erscheinen wollen.¹²¹ Die Prinzessin selbst stilisierte sich im Sommer 1787 als Retterin der Republik. Sie ließ verlauten, dass sie die Reise nur unternommen habe, um den Bürgerkrieg zu verhindern.¹²²
Vgl. Friedrich II. an Wilhelmina, [Potsdam?] 11.08.1785, in: Colenbrander, Patriottentijd, Bd. 2, S. 313. Vgl. Thulemeyer an Friedrich II., Den Haag 03.06.1783, in: PC, Bd. 48, S. 372 f. Vgl. Wilhelmina an Friedrich Wilhelm II., o.O. 11.07.1787, in: Colenbrander, Patriottentijd, Bd. 3, S. 164– 166: „concilier les Esprits et de prévenir les malheurs d’une guerre civile“; vgl. z. B. Vérac an Montmorin, 30.06.1787 (Abschrift), in: GStA PK, VI. HA Nl Hertzberg, Nr. 16; Wilhelmina
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Wilhelm V., der nach eigener Aussage alles getan hatte, um seine Gemahlin von dieser Reise abzuhalten, bat die Könige von England und Preußen um Hilfe.¹²³ Der englische Gesandte unterstützte ihn. Harris fürchtete, dass Wilhelmina dem Kommandeur der patriotischen Truppen in die Hände fallen könnte.¹²⁴ Am Tag nach Wilhelminas Festnahme schrieb er an den Außenminister: „Check to the Queen, and in a move or two check mate [!] is, I fear, the state of our game.“¹²⁵ Dieser antwortete jedoch beschwichtigend: „Let her be covered by the Knight […] If the King her brother is not the dirtiest and shabbiest of Kings, he must resent it“.¹²⁶ Inzwischen versicherte der preußische Gesandte Friedrich Wilhelm II., dass er weder von Wilhelminas Plänen gewusst habe noch etwas unternehmen werde, ehe er aus Berlin Instruktionen erhalte.¹²⁷ Die Prinzessin hatte ihn noch vor ihrer Rückkehr nach Nimwegen beauftragt, vor der für den 3. Juli anberaumten Versammlung der holländischen Stände „démarches énergiques“¹²⁸ vorzunehmen. Harris’ Bericht bestätigt, dass Thulemeyer drei Tage lang tatenlos geblieben war.
an Hertzberg, Nimwegen 13.04.1787, in: ebd., Nr. 24, Bd. 2: „Ceci n’est pas par Opinatreté [!], encore moins par humeur ou Caprice, ce n’est pas non plus que je desire une explosion, c’est au contraire pour prévenir une guerre civile“; Memoire Wilhelminas, [o.O.] 13.08.1787 (Abschrift), in: ebd., VI. HA Nl Hertzberg, Nr. 16; Annabella Meddens-van Borselen: „Ik zal dit in uwe ogen doen druipen“. De aanhouding van Wilhelmina van Pruisen door de Commissie van Defensie te Woerden in 1787, https://web.archive.org/web/20160304192626/http://www.euronet.nl/users/te magm/wpruisen/wpruisen.html (abgerufen am 18.03. 2018). Vgl. Wilhelm V. an seine Tochter, Amersfoort 29.06.1787, in: Naber (Hrsg.), Correspondentie, Bd. 1, S. 10 f.; Harris an Carmarthen, Den Haag 29.06.1787, in: ders., Diaries and Correspondence, S. 325 – 328, hier S. 328; Rowen, The Princes of Orange, S. 225. Vgl. Harris an Carmarthen, Den Haag 29.06.1787, in: ders., Diaries and Correspondence, S. 325 – 329, hier S. 328; Harris an Carmarthen, Den Haag 03.07.1787, in: ebd., S. 330 f.; der Kommandeur war Rheingraf Friedrich von Salm-Kyrburg, der mit Johanna Franziska von Hohenzollern-Sigmaringen verheiratet war; vgl. Joachim Emig: Friedrich III. von Salm-Kyrburg (1745 – 1794). Ein deutscher Reichsfürst im Spannungsfeld zwischen Ancien régime und Revolution. Frankfurt a. M. 1997. Harris an Carmarthen, Den Haag 29.06.1787, in: ders., Diaries and Correspondence, S. 329. Carmarthen an Harris, Whitehall 03.07.1787, in: ders., Diaries and Correspondence, S. 330; vgl. Lusi an Friedrich Wilhelm II., o.O. 03.07.1787 (Konzept), in: GStA PK, I. HA Rep. 81 Gesandtschaft London, Nr. 149; ders. an Hertzberg, o.O. 06.07.1787 (Konzept), in: ebd. Vgl. Thulemeyer an Friedrich Wilhelm II., [Den Haag] 03.07.1787, in: Fruin/Colenbrander, Dépêches, S. 561– 563; GStA PK, I. HA GR, Rep. 34, Nr. 7129. GStA PK, I. HA Rep. 96, Nr. 152 H: Thulemeyer an Friedrich Wilhelm II., Den Haag 03.07.1787, auch in: Fruin/Colenbrander, Dépêches, S. 561– 563, hier 561; vgl. Thulemeyer an Hertzberg, [Den Haag] 03.07.1787, in: ebd., S. 563 f.; Friedrich Wilhelm II. an Lusi, Berlin 06.07.1787, in: GStA PK, I. HA Rep. 81 Gesandtschaft London, Nr. 150; Friedrich Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. 24., durchges. und erw. Aufl. Berlin/New York 2001, S. 188.
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Erst dann sprach der preußische Gesandte beim Ratspensionär und beim französischen Gesandten vor, damit die Prinzessin ihre Reise nach Den Haag fortsetzen konnte. Aber beide waren davon überzeugt, dass die Gefahr eines Aufruhrs zu groß sei.¹²⁹ Friedrich Wilhelm II. instruierte am 3. Juli 1787 gegen Mitternacht, kurz nachdem er von den Geschehnissen erfahren hatte, seinen Minister.¹³⁰ Offensichtlich hat der König, der gerade von einer Jagd zurückgekehrt war, sehr aufgeregt zur Feder gegriffen. Er verlangte dreimal die sofortige Befreiung seiner Schwester. Ihre Gefangennahme sei ein Verstoß gegen das Völkerrecht, und für das beleidigende Verhalten gegenüber der Prinzessin forderte er Satisfaktion.¹³¹ Zu diesem Zeitpunkt hatte Wilhelmina Schoonhoven bereits wieder verlassen. Sie und ihre Begleiter waren einen Tag nach ihrer ‚Gefangennahme‘ nach Nimwegen zurückgeschickt worden.
3 Wilhelmina als bedeutende Figur im internationalen Konflikt Bislang wurde davon ausgegangen, dass Wilhelmina den Widerstand der prinzgesinnten Partei gegen die Patrioten heraufbeschwören wollte. In der älteren Forschung heißt es, sie habe „die Entscheidung durch die Waffen“ ersehnt und einen „Feldzugsplan […] für den Einmarsch der preußischen Truppen entworfen“¹³². Allerdings verhinderte die Prinzessin von Oranien einen solchen Waf-
Vgl. Thulemeyer an Friedrich Wilhelm II., Den Haag 30.06.1787, in: GStA PK, I. HA Rep. 96, Nr. 152 H; Fruin/Colenbrander, Dépêches, S. 561; Harris an Carmarthen, Den Haag 06.07.1787, in: ders., Diaries and Correspondence, S. 331 f.; Schama, Patriots and Liberators, S. 105. Vgl. Friedrich Wilhelm II. an Finckenstein, Charlottenburg 03.07.1787 (Auszug), in: Colenbrander, Patriottentijd, Bd. 3, S. 168; Hertzberg an Wilhelmina, Berlin 03.07.1787, in: ebd., S. 167; Friedrich Wilhelm II. an den preußischen Gesandten in Paris, Graf von der Goltz, Berlin 04.07. 1787, in: GStA PK, BPH, Rep. 48 D, Nr. 5a; Goltz an Friedrich Wilhelm II., Paris 27.07.1787, in: ebd., VI. HA, Nl Hertzberg, Nr. 16; Friedrich Wilhelm II. an Finckenstein, [Charlottenburg] 03.07.1787, in: ebd., I. HA GR, Rep. 34, Nr. 7131. Vgl. Wittichen, Preußen und England, S. 69, 78; zum Völkerrecht bezüglich der Ehefrauen von Gesandten vgl. Friedrich Carl von Moser: L’Ambassadrice et ses Droits. Berlin 1754, S. 123 – 143. Vgl. Wilhelmina an Friedrich Wilhelm II., Den Haag 01.10.1787, in: GStA PK, BPH, Rep. 48 D Nr. 5a (hier auch Skizze des Einmarsches); Wilhelmina an Friedrich Wilhelm II., [Nimwegen] 26. und 27.07.1787, in: ebd., I. HA GR, Rep. 34, Nr. 7131; Wittichen, Preußen und England, S. 68, 81; Troschke, Der preußische Feldzug in Holland, S. 30 f.: Karl von Braunschweig reiste am 7. August nach Nimwegen, nahm anschließend Quartier in Wesel. Zweimal traf er sich in Kleve mit Wilhelmina, um Informationen über die Situation in den Niederlanden zu erhalten.
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fengang wohl eher. Anfang Juni 1787 waren Gerüchte laut geworden, dass der Erbstatthalter mit seinem Söldnerheer nach Holland aufbrechen wollte, um Den Haag zurückzuerobern.¹³³ Einem möglichen Angriff des Prinzen auf seine eigenen Untertanen war Wilhelmina, die unbewaffnet und mit kleinem Gefolge reiste, zuvorgekommen. Ihr Vorhaben, persönlich in Den Haag zu erscheinen, war sehr gut geplant und wurde den Patrioten anscheinend gezielt bekannt gemacht.¹³⁴ Welche Reaktionen sie erwartete, geht aus den erhaltenen Quellen nicht eindeutig hervor. Ihr unfreiwilliger Aufenthalt wurde für das Anliegen des Erbstatthalters genutzt. Wie der englische Außenminister vorausgesehen hatte, nahm sich der König von Preußen der Sache an. Friedrich Wilhelm II., der seine Schwester bislang immer wieder hingehalten hatte, forderte jetzt Satisfaktion für die erlittene Majestätsbeleidigung.¹³⁵ Der König von Preußen sondierte zunächst die Stimmung in Paris und in London,¹³⁶ denn er war überzeugt, dass auch Frankreich, obwohl es die Patrioten unterstützte, keinen Krieg wollte.¹³⁷ England sicherte Hilfe zu und übersandte den Generalstaaten eine entsprechende Denkschrift.¹³⁸ Der König von Preußen wollte zunächst jegliches Blutvergießen
Vgl. Friedrich Wilhelm II. an Finckenstein und Hertzberg, o.O. 26.06.1787, in: GStA PK, I. HA GR, Rep. 34, Nr. 7131; Stamford an Wilhelm V., Nimwegen 01.07.1787 (Abschrift), in: ebd. Vgl. Meddens-van Borselen, „Ik zal dit in uwe ogen doen druipen“; Luckwaldt, Die englischpreußische Allianz, S. 63; hingegen meint Pöthe, Perikles in Preußen, S. 52, dass Wilhelmina von „dem Aufruhr, den sie verursachte, […] nichts mit[bekam]“. Vgl. Friedrich Wilhelm II. an Hertzberg, o.D. [Präsentatum vom 03.07.1787] (unvollständiges Handschreiben), in: GStA PK, I. HA GR, Rep. 34, Nr. 7131; Schreiben der Prinzessin von Oranien an die Staaten von Holland und Friesland, Nimwegen 01.07.1787 (Abschrift), in: ebd., I. HA Rep. 96, Nr. 152 H. Vgl. Abschriften der Korrespondenz zwischen Paris und London, 1787, in: GStA PK, I. HA GR, Rep. 34, Nr. 7137; Reskripte und Berichte an den und von dem preußischen Gesandten Spiridion von Lusi (nicht Girolamo de Lucchesini, wie Pöthe, Perikles in Preußen, S. 27, S. 38 und S. 83 mit Anm. 174 sowie S. 154 mit Anm. 383 annimmt), 1787, in: ebd., I. HA, Rep. 81 Gesandtschaft London, Nr. 149 und Nr. 150. Luckwaldt, Die englisch-preußische Allianz, S. 63 f.; Schama, Patriots and Liberators, S. 127; Rowen, The Princes of Orange, S. 225. Vgl. Friedrich Wilhelm II. an Finckenstein, o.O. [praes. 28.07.1787], in: GStA PK, I. HA GR, Rep. 11 Akten, Nr. 2202; o.O. 08.08.1787, in: ebd.; Hertzberg an Friedrich Wilhelm II., Berlin 14.07. 1787, in: ebd.,VI. HA Nl Hertzberg, Nr. 16. Points préliminaires pour servir de base à une médiation, proposés à la Cour de France, 16.07.1787, in: Colenbrander, Patriottentijd, Bd. 3, Beilagen S. 176 f.; Luckwaldt, Die englisch-preußische Allianz, S. 66 f.; Wittichen, Preußen und England, S. 79. Vgl. Note von Finckenstein und Hertzberg, [nach 08.08.1787] (Konzept), in: GStA PK, I. HA GR, Rep. 11 Akten, Nr. 2202, fol. 36; Luckwaldt, Die englisch-preußische Allianz, S. 67; Schama, Patriots and Liberators, S. 128 f.
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vermeiden.¹³⁹ Er stellte den Generalstaaten ein Ultimatum und verlangte die Wiedereinsetzung der Oranier als Erbstatthalter sowie die Bestrafung aller an der ‚lèse majesté‘ seiner Schwester Beteiligten. Von Wilhelmina erwartete er, dass sie keine überzogenen Bedingungen stellte.¹⁴⁰ Er beorderte einen Mediator nach Den Haag, befahl jedoch zeitgleich einigen Kommandeuren, ihre Regimenter in Marschbereitschaft zu versetzen.¹⁴¹ Die Arretierung der Prinzessin diente völkerrechtlich der Kriegserklärung.¹⁴² Friedrich Wilhelm II. zog an der Grenze zwischen seinem Herzogtum Kleve und den Niederlanden Truppen zusammen. Ludwig XVI., der ein offenes Eingreifen Englands fürchtete, sagte seine Unterstützung zu. Zugleich kursierten jedoch Gerüchte über Truppenbewegungen in der niederländisch-französischen Grenzregion.¹⁴³ Die französisch-preußische Mediation scheiterte schließlich; weder nahmen die Staaten von Holland die Satisfaktionsforderung Friedrich Wilhelms II. an, noch die prinzgesinnten Provinzen die Vermittlungsversuche. Auch Wilhelmina ließ Hertzberg wissen, dass „la mediation de la France seroit un grand Malheur pour Nous“.¹⁴⁴
Vgl. Friedrich Wilhelm II. an Finckenstein, o.O. 08.08.1787, Finckenstein an Friedrich Wilhelm II., Berlin 08.08.1787 (Konzept), in: GStA PK, I. HA GR, Rep. 11 Akten, Nr. 2202; Luckwaldt, Die englisch-preußische Allianz, S. 67; Schama, Patriots and Liberators, S. 127: Der französische Gesandte Montmorin sicherte Unterstützung für die Mediation zu, gab aber gleichzeitig zu erkennen, dass Frankreich im Fall eines militärischen Eingreifens Preußens seinerseits Soldaten in die Niederlande entsenden werde. Vgl. Friedrich Wilhelm II. an Hertzberg und Finckenstein, Potsdam 15.07.1787 (Ausfertigung), in: GStA PK, VI. HA, Nl Hertzberg, Nr. 16. Luckwaldt, Die englisch-preußische Allianz, S. 67; Schama, Patriots and Liberators, S. 127, 129. Vgl. Harris an Carmarthen, [Den Haag] 07.07.1787, in: ders., Diaries and Correspondence, S. 332 f.; Luckwaldt, Die englisch-preußische Allianz, S. 65. Vgl. Pöthe, Perikles in Preußen, S. 58 – 72; Artikel „Völcker-Recht“, in: Zedler (Hrsg.), Großes vollständiges Universal-Lexicon, Bd. 50, Sp. 98 – 122, hier Sp. 112; Michael Zwanzger: Silent leges inter arma? Das ius in bello im Natur- und Völkerrecht des 18. Jahrhunderts, in: Stefanie Stockhorst (Hrsg.), Krieg und Frieden im 18. Jahrhundert. Kulturgeschichtliche Studien. Hannover 2015, S. 397– 417. Vgl. Goltz an Friedrich Wilhelm II., Paris 04. und 06.07.1787 (dechiffrierte Ausfertigungen), in: GStA PK, VI. HA Nl Hertzberg, Nr. 16; Friedrich Wilhelm II. an Finckenstein, [Potsdam] 13.08. 1787 (Ausfertigung), Finckenstein und Hertzberg an Friedrich Wilhelm II., Berlin 22.10.1787 (Konzept), in: ebd., I. HA GR, Rep. 34, Nr. 7135; Luckwaldt, Die englisch-preußische Allianz, S. 65 f., 71. Wilhelmina an Hertzberg, [Nimwegen 03.07.1787], in: GStA PK, VI. HA Nl Hertzberg, Nr. 24, Bd. 2.
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Aus London hatte der König von Preußen in den ersten Julitagen bereits Unterstützungsangebote für den Fall weiterer Hilfen Frankreichs für die Patrioten erhalten.¹⁴⁵ Der französische Hof sicherte offiziell Friedenswillen und Vermittlungsbereitschaft zu, versorgte jedoch die Patrioten weiterhin mit Waffen. Der englische Außenminister reiste nun persönlich in die Niederlande.¹⁴⁶ Minister von Hertzberg legte dem König, der immer noch an eine friedliche Lösung glaubte, eine Denkschrift vor. Wie Wilhelmina es erhofft hatte, war er überzeugt, dass Preußen mit Englands Hilfe die Situation in den Niederlanden zu Gunsten der Oranier wenden werde.¹⁴⁷ Tatsächlich schlossen Preußen und England Mitte August 1787 ein Geheimabkommen über gegenseitige militärische Unterstützung für den Fall, dass Frankreich in die Niederlande einmarschierte.¹⁴⁸ Daraufhin wiederholte Friedrich Wilhelm II. seine Satisfaktionsforderung. Als die Generalstaaten sein Ultimatum erneut verstreichen ließen, befahl der König von Preußen am 13. September 1787 den Einmarsch in die Niederlande.¹⁴⁹ Den Oberbefehl über die preußischen Truppen übernahm Karl Wilhelm Ferdinand von Braunschweig-Wolfenbüttel, der Neffe des 1784 entlassenen Herzogs Ludwig Ernst.¹⁵⁰
Vgl. Lusi an Friedrich Wilhelm II., London 03. sowie 06.07.1787 (Konzepte), in: GStA PK, I. HA Rep. 81 Gesandtschaft London, Nr. 149; Friedrich Wilhelm II. an Hertzberg und Finckenstein, Potsdam 15.07.1787 sowie Finckenstein und Hertzberg an Friedrich Wilhelm II., Berlin 16.07.1787 (Konzept) und Friedrich Wilhelm II. an Goltz, Berlin 14.08.1787 (Konzept), in: ebd., VI. HA Nl Hertzberg, Nr. 16. Vgl. Bootsma, Das Ereignis von Goejanverwellesluis, S. 98. Vgl. Denkschrift Finckensteins und Hertzbergs, Berlin 27.08.1787 (Konzept), in: GStA PK, I. HA GR, Rep. 34, Nr. 7131; Luckwaldt, Die englisch-preußische Allianz, S. 72 f. Vgl. Bootsma, Das Ereignis von Goejanverwellesluis, S. 98 (Geheimabkommen 15.08.1787); Ratifizierung eines Abkommens zwischen England und Preußen zur Schlichtung der Unruhen in den Generalstaaten, 09.11.1787 (Konzept), in: GStA PK, I. HA GR, Rep. 34, Nr. 7136; Hertzberg und Finckenstein an Ewert, Berlin 30.07.1787 (Konzept) sowie Lusi an Friedrich Wilhelm II., London 27.07.1787, in: ebd., I. HA GR, Rep. 11 Akten, Nr. 2202. Vgl. Friedrich Wilhelm von Kleist: Tagebuch von dem Preußischen Feldzug in Holland. 1787. Hrsg.v. Sigurd von Kleist. Hamm 2016; Klaus Vetter: Die Hintergründe der Preußischen Invasion in den Niederlanden 1787, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universität zu Berlin. Gesellschaftswissenschaftliche Reihe 3 (1984), S. 285 – 288; Schama, Patriots and Liberators, S. 129, 131; GStA PK, I. HA GR, Rep. 34, Nr. 7126, Nrn. 7133 bis 7135, Nr. 7137 und Nr. 7139; bei Pöthe, Perikles in Preußen, S. 70, ist der Einmarsch der preußischen Truppen falsch datiert. Vgl. Luckwaldt, Die englisch-preußische Allianz, S. 74– 76; über den preußischen Feldzug gibt der Schriftwechsel des Königs von Preußen mit Karl Wilhelm von Braunschweig-Wolfenbüttel sowie das Tagebuch seines Adjutanten Friedrich Wilhelm von Kleist (1755 – 1822) Auskunft; Joseph König: Karl Wilhelm Ferdinand, in: NDB. Bd. 11 (1977), S. 224 f.; Wilhelm Bringmann: Preußen unter Friedrich Wilhelm II. (1786 – 1797). Frankfurt a. M. 2001, S. 270 – 274.
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Der Kampf dauerte nur wenige Wochen. Die Patrioten, die auf Unterstützung aus Frankreich gehofft hatten, wurden enttäuscht. Ludwig XVI. hatte zu große finanzielle Schwierigkeiten, überdies war ihm nicht an einer militärischen Konfrontation mit Preußen gelegen.¹⁵¹ Gegen die gut ausgebildete preußische Armee hatten die patriotischen Freikorps nicht den Hauch einer Chance. Innerhalb von wenigen Tagen eroberten die Preußen eine Stadt nach der anderen. Die patriotischen Festungen ergaben sich zum Teil fast kampflos, und die Prinzgesinnten jubelten „Oranje boven!“¹⁵² Am 20. September 1787 konnte Wilhelm V. nach Den Haag zurückkehren, wo er wieder als Erbstatthalter bestätigt wurde.¹⁵³ Der König von Preußen änderte nun seine außenpolitische Ausrichtung. Hatte Friedrich Wilhelm II. noch kurz zuvor ein Zusammengehen mit England abgelehnt, so handelten seine Diplomaten doch Anfang Oktober 1787 mit Georg III. ein geheimes Abkommen über die gegenseitige militärische Unterstützung aus. Außerdem verpflichteten sich beide Länder, die Generalstaaten zu schützen und deren Verfassung zu garantieren.¹⁵⁴ Lotte van der Pol meint, dass Wilhelmina diesen Garantievertrag, der zugleich dem Haus Nassau-Oranien die erbliche Statthalterschaft sicherte, „auf eigene Faust“¹⁵⁵ vermittelt habe. Friedrich Wilhelm II. war inkognito nach Het Loo gereist, um den Abschluss des Bündnisses
Vgl. Friedrich Wilhelm II. an Finckenstein, o.O. [27. oder 28.]07.1787 sowie o.O. 08.08.1787, in: GStA PK, I. HA GR, Rep. 11 Akten, Nr. 2202; bei Pöthe, Perikles in Preußen, S. 100 mit Anm. 219 fehlerhafte Transkription. Luckwaldt, Die englisch-preußische Allianz, S. 81; vgl. Schama, Patriots and Liberators, S. 128. Vgl. Gesandtschaftsberichte des Grafen Johann Eustach von Schlitz, gen. von Görtz, aus Den Haag, 1787, in: GStA PK, I. HA GR, Rep. 34, Nr. 7132; Wilhelm V. an Friedrich Wilhelm II., Den Haag 21.09.1787, in: ebd., BPH, Rep. 48 D, Nr. 5a; Schama, Patriots and Liberators, S. 131; Meddens-van Borselen, „Ik zal dit in uwe ogen doen druipen“. Vgl. Friedrich Wilhelm II. an Lusi, Berlin 01.10.1787, in: GStA PK, I. HA Rep. 81 Gesandtschaft London, Nr. 150; Lusi an Friedrich Wilhelm II., [London] 02.10.1787, in: ebd., Nr. 149; GeheimAbkommen, Berlin 02.10.1787, gesiegelt von Ewert, Finckenstein und Hertzberg; Ratifikation, Berlin 09.11.1787 (Konzept), in: ebd., I. HA GR, Rep. 34, Nr. 7136; Colenbrander, Patriottentijd, Bd. 3, Beilagen, S. 212– 214; Luckwaldt, Die englisch-preußische Allianz, S. 84– 86. – Mitte April 1788 handelten die Vereinigten Niederlande mit England und Preußen Defensivallianzen aus; darüber hinaus kam es zur Tripelallianz vom 19.04.1788 und Mitte August 1788 wurde das preußisch-englische Bündnis erneuert; vgl. Vertrag zwischen England und den Generalstaaten, Den Haag 19.04.1788, in: GStA PK, I. HA GR, Rep. 11 Staatsverträge, Nr. 1137; Vorvertrag zwischen England und Preußen sowie zusätzlicher Geheimvertrag, beide vom 13.06.1788, in: ebd., I. HA GR, Rep. 11 Akten, Nr. 2207; Druckschriften der Verträge, London 15.04. und 13.08.1788, in: ebd., Nr. 2209. Pol, Wilhelmina van Pruisen; vgl. Krauel, Graf Hertzberg als Minister, S. 35; Luckwaldt, Die englisch-preußische Allianz, S. 84– 86.
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voranzutreiben.¹⁵⁶ Die Anwesenheit des Königs von Preußen wird den politischen Aktivitäten seiner Schwester zugute gekommen sein.
4 Die Rezeption von Wilhelminas Handeln Bei der Wiedereinsetzung des Erbstatthalters in Amt und Würden blieb es nicht. Vertraute des Statthalterpaares, darunter Gijsbert Karel van Hogendorp, mit dem Wilhelmina einen sehr dichten Briefwechsel führte,¹⁵⁷ hatten die Bestrafung der Patrioten vorbereitet. Sie wurden in den Monaten nach der von den Orangisten so genannten Glücklichen Revolution verurteilt und ihrer Ämter enthoben, ihre Besitztümer wurden geplündert und zerstört, so dass patriotisch Gesinnte zu Tausenden das Land verließen.¹⁵⁸ In den Magistraten und Ständeversammlungen wurden alle Ämter neu besetzt. Auch an der Spitze der Generalstaaten war ein Wechsel vorgenommen worden. Selbstverständlich wurde, wohl auf Betreiben der Prinzessin, mit Laurens Pieter van den Spiegel (1737– 1800) in Holland ein oranientreuer Großpensionär berufen.¹⁵⁹ So sehr Wilhelminas Eingreifen erwünscht worden war, so sehr wurde nun deutlich, dass ihr Vorgehen zur Wiederherstellung der Erbstatthalterschaft ihr weder Anerkennung noch Ehre einbrachte. Die Prinzessin verlangte zu ihrer persönlichen Satisfaktion ausdrücklich die Bestrafung der Männer, die sie festgenommen hatten.¹⁶⁰ Ihr „strenges unnachgiebiges Auftreten“¹⁶¹ kritisierten indes
Vgl. Wilhelmina an Hertzberg, Den Haag 23.05.1788, in: GStA PK, I. HA GR, Rep. 11 Akten, Nr. 2207; Finckenstein und Hertzberg an Friedrich Wilhelm II., Berlin 29.05.1788 (Konzept), in: ebd., sie raten zu einem Gespräch mit Harris in Het Loo; Friedrich Wilhelm II. an Hertzberg und Finckenstein, o.O. 30.05.1788, in: ebd.: der König annonciert seine Rückkehr nach Berlin für Mitte Juni; Wilhelmina an Hertzberg, Den Haag 15.04.1788 und Het Loo 06.06.1788, in: ebd., VI. HA Nl Hertzberg, Nr. 24, Bd. 2, sie ist seit acht Tagen dort, um die Ankunft ihres Bruders vorzubereiten. Vgl. Hendrik van Hogendorp (Hrsg.): Brieven en gedenkschriften van Gijsbert Karel van Hogendorp. Teil 4: De prinses Wilhelmina van Oranje en Gijsbert Karel van Hogendorp in 1787 en volg. Jaren. ’s-Gravenhage 1887; Henriette L. T. de Beaufort: Gijsbert Karel van Hogendorp. Gronlegger van het Koninkrijk. Den Haag 1963. Vgl. Pol, A Public Reprimand, S. 45 – 47; Jost Rosendaal: Bataven! Nederlandse vluchtelingen in Frankrijk 1787– 1795. Nimwegen 2003. Vgl. Friedrich Wilhelm II. an Hertzberg und Finckenstein, o.O. 26.10.1787, in: GStA PK, I. HA GR, Rep. 34, Nr. 7135; Wilhelmina an Hertzberg, Den Haag 06.11.1787, in: ebd.,VI. HA Nl Hertzberg, Nr. 24, Bd. 2. Vgl. Namensliste, in: GStA PK, BPH, Rep. 48 D, Nr. 5a; Wilhelmina an Friedrich Wilhelm II., o.O. o.D. [25.08.1787] (unvollständige Abschrift), in: ebd.; Friedrich Wilhelm II. an Hertzberg, Berlin 14.08.1787, sowie Finckenstein an Hertzberg, Berlin 12.08.1787, in: ebd., VI. HA Nl Hertz-
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nicht nur die alten Gegner, sondern bald auch Parteigänger des Erbstatthalters. Die Tochter von Wilhelms Sekretär notierte in ihr Tagebuch, dass sogar die Hofgesellschaft die Prinzessin hasse, da sie hochmütig und unnachsichtig sei.¹⁶² Wilhelmina wurden Rachsucht und überzogene Satisfaktions-Forderungen nachgesagt. Schmähschriften und Pamphlete zirkulierten, die sie der Herrschsucht bezichtigten. Die Gerüchte erhielten Nahrung durch die Pläne des Königs von Preußen, gemeinsam mit Wilhelmina „in gewisser Weise die Republik zu regieren“.¹⁶³ Der Prinzessin wurde vorgeworfen, eine landsfremde Frau zu sein, die die Preußen ins Land geholt und Niederländer ins Exil getrieben habe. Schließlich habe sie die ‚natürlichen Grenzen‘¹⁶⁴ ihres Geschlechts überschritten und anstelle ihres Gemahls die Herrschaft übernommen.Wilhelm werde durch ihr Auftreten in der Öffentlichkeit als Feigling stigmatisiert. Anonyme Flugblätter porträtieren Wilhelmina als Tyrannin. Das Flugblatt „Purge à l’Orange“ zeigt die Prinzessin im Herrensitz reitend auf dem Wappentier der Oranier, aus dessen Hinterteil Gulden in einen HusarenTschako fallen. Das mochte auf ein um 1780 entstandenes Gemälde des Hofmalers Tethard Philipp Christian Haag (1737– 1812) zurückgehen, der sie auf einem kurbettierenden Pferd dargestellt hatte. In der Forschung heißt es, die Erbstatthalterin habe Reproduktionsstiche dieses Gemäldes verbreiten lassen, um amazonengleich ihren Herrschaftsanspruch anzumelden.¹⁶⁵ Da ähnliche Gemälde von reitenden Fürstinnen aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts existieren, könnte Wilhelmina auch nur die Mode, „en hommes“¹⁶⁶ zu reiten, aufgegriffen haben. Sie auf dem Flugblatt im Herrensitz reitend abzubilden, kann aber noch ein anderes Motiv haben: die Anspielung auf die listige Phyllis, die auf Aristoteles ritt und ihre Macht über den Mann zum Ausdruck brachte.¹⁶⁷
berg, Nr. 16; Wilhelmina an Hertzberg, Kleve 17.08.1787, in: ebd., Nr. 24, Bd. 2, vgl. teilw. Transkription bei Pöthe, Perikles in Preußen, S. 108 mit Anm. 244; Pol, A Public Reprimand, S. 45. Vgl. Pol, Wilhelmina van Pruisen. Vgl. Anje Dik (Hrsg.): Het dagboek van Magdalena van Schinne (1786 – 1795). Hilversum 1990, S. 114; auch zit. bei Pol, Wilhelmina van Pruisen. Hertzberg und Finckenstein an Friedrich Wilhelm II., Berlin 15.12.1787, in: GStA PK, I. HA GR, Rep. 34, Nr. 7135. Übersetzung von Pöthe, Perikles in Preußen, S. 137 f. mit Anm. 331. Vgl. Pol, Wilhelmina van Pruisen; dies., A Public Reprimand. S. 47. Vgl. Pol, A Public Reprimand, S. 48. Ulrike Weiß: Die Königin hat (die) Hosen an. Caroline Mathilde von Dänemark zu Pferd, in: Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 85 (2013), S. 59 – 111, hier S. 109; vgl. Rouven Pons: Gemälde von Gedanken leer. Überlegungen zu Reiterporträts des ausgehenden 18. Jahrhunderts, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 33 (2006), S. 225 – 251. Vgl. Birgit Franke: Weiberregiment, Weibermacht, Weiberlisten, in: Harald Olbrich u. a. (Hrsg.), Lexikon der Kunst. Bd. 7. Leipzig 1994, S. 739 – 740; Sigrid Metken: Der Kampf um die Hose.
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Abb. 20: Wilhelminas Gefangennahme im Haus von A. Leuwenhoek, 1787
Die Erbstatthalterin erhielt anonyme Morddrohungen, die angesichts der revolutionären Ereignisse in Frankreich ernst genommen wurden.¹⁶⁸ Wilhelmina war wieder gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Sie reiste unter anderem im Sommer 1789 nach Berlin, wo sie ihre Tante, den König und die Königin traf, ins Theater ging und sich auf Bällen vergnügte.¹⁶⁹ Darüber hinaus verhandelte die Prinzessin von Oranien nun die Ehen ihrer beiden älteren Kinder, die das Bündnis zwischen den Erbstatthaltern, Preußen und England stärken sollten. Nach der Geschlechterstreit und die Macht im Haus. Die Geschichte eines Symbols. Frankfurt a. M. 1996; Heide Wunder: Gynä kokratie. Auf der Suche nach einem verloren gegangenen Begriff der frü hneuzeitlichen politischen Sprache, in: zeitenblicke 8, Nr. 2, http://www.zeitenblicke.de/2009/ 2/wunder/index_html (abgerufen am 24.12. 2018). Vgl. Pol, A Public Reprimand, S. 48. Vgl. Aufenthalt der Prinzessin von Oranien am preußischen Hof von 26.06.1789 bis 11.08. 1789, in: GStA PK, I. HA GR, Rep. 36, Nr. 862.
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Hochzeit von Wilhelminas Tochter mit dem Sohn des siegreichen Feldmarschalls, dem Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel im Jahr 1790 wurde im September 1791 in Berlin die Doppelhochzeit der Kurprinzessinnen gefeiert und so die politischen Bündnisse durch die verwandtschaftlichen Verbindungen gefestigt. Anlässlich der Feierlichkeiten wurde das im Bau befindliche Berliner Stadttor von den Baugerüsten befreit und Handfächer verkauft, auf denen das Bauwerk im Hintergrund zur Allegorie auf die Staats-Heiraten zu sehen ist.¹⁷⁰ Bald darauf erklärte jedoch der französische Nationalkonvent den Niederlanden den Krieg. Im Januar 1795 wurde die Batavische Republik als französische Schwesterrepublik gegründet. Wilhelm V. floh mit seiner Familie zunächst nach England, weil Preußen trotz des Garantievertrags keine Unterstützung gesandt, sondern stattdessen mit dem revolutionären Frankreich den Basler Frieden geschlossen hatte.¹⁷¹ Georg III. überließ dem Erbstatthalter-Paar einen Flügel von Hampton Court.¹⁷² Aber auch der König von England erkannte wenig später die Batavische Republik an. Daraufhin zog sich Wilhelm in seine Erbländer um Diez und Dillenburg zurück. Nach der Säkularisation wurden ihm noch Fulda, Corvey und Weingarten zugesprochen.¹⁷³ Nach den Befreiungskriegen, als das Volk in Berlin die Rückkehr der von den französischen Truppen geraubten Quadriga feierte,¹⁷⁴ wurde der älteste Sohn von Wilhelm und Wilhelmina als souveräner Fürst der Niederlande inthronisiert. Als die verwitwete Prinzessin von Oranien in die Niederlande heimkehrte, wurde sie beim Einzug in Den Haag als Königinmutter bejubelt und vom „Volk schon längst gemüthlich Willemijn“¹⁷⁵ genannt.
Vgl. Pöthe, Perikles in Preußen, S. 159 – 161, 165. Vgl. Schama, Patriots and Liberators, S. 191; Konvention zwischen Preußen und der Batavischen Republik, Berlin 04.11.1802, in: GStA PK, I. HA GR, Rep. 11 Staatsverträge, Nr. 484. Vgl. Bootsma, Braunschweig und Oranien, S. 245; Bernard Woelderink: Verwaltung in schwierigen Zeiten. Die nassau-oranischen Lande und Prinz Wilhelm V. von Oranien (1748 – 1806), in: Rouven Pons (Hrsg.), Oranien und Nassau in Europa. Lebenswelten einer frühneuzeitlichen Dynastie. Wiesbaden 2018, S. 699 – 717, hier S. 701. Vgl. GStA PK, I. HA GR, Rep. 67 B, Nr. 167 und Nr. 186/1; Schama, Patriots and Liberators, S. 452; Woelderink, Verwaltung in schwierigen Zeiten, S. 714. Vgl. GStA PK, I. HA, Rep. 91 C, Nr. 1979; ebd. I. HA, Rep. 77, Tit. 440, Nr. 23 sowie I. HA, Rep. 77, Tit. 227a, Nr. 23; Pauline Puppel: Die Dame Gallia bezahlt ihren Ärzten die Rechnung. Kreditwürdigkeit, Kriegsentschädigung und kulturelles Erbe in Preußen, in: Thomas Just u. a. (Hrsg.), Die Erfindung Europas. Der Wiener Kongress. Wien 2014, S. 392– 409. Pieter Lodewijk Muller: Art. Wilhelmine, in: ADB 43 (1898), S. 232– 234, hier S. 234.
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5 Ein Analyseansatz für das Handeln von Damen in der Diplomatie Im 19. und frühen 20. Jahrhundert wurden weibliche Akteure, die in der politischen Öffentlichkeit handelten, als besonders tapfer oder sehr intrigant, überaus intelligent oder als ruchlos und durchtrieben, jedenfalls immer als Ausnahmepersönlichkeit dargestellt.¹⁷⁶ Auch Wilhelmina wurde als Heldin stilisiert. Über die Ereignisse im Juni 1787 schrieb etwa einhundert Jahre später ein Historiker: „Nur eine Persönlichkeit tritt uns in diesen Verhältnissen entgegen, der wir unsere Achtung und Bewunderung ihres Ausharrens, ihrer klugen Haltung, ihres Muthes, ihres Geistes wegen nicht versagen können, und diese Bewunderung muss um so grösser sein, als jene Persönlichkeit nur eine Frau war.“¹⁷⁷ In anderen historiographischen Schriften des 19. Jahrhunderts und aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird Wilhelmina zur „Schutzgöttin des englisch-preußischen Bündnisses“¹⁷⁸ stilisiert. Die Prinzessin habe an „Tatkraft, Entschlossenheit und Intelligenz […] ihren Gatten bei weitem“¹⁷⁹ übertroffen. Wilhelmina von Preußen sei sogar „der einzige Mann am oranischen Hofe“¹⁸⁰ gewesen. Die historische Forschung nahm bislang an, dass die Einrichtung ständiger Gesandtschaften die „Rolle von Fürstinnen als Mittlerinnen zwischen ihrem Geburtsland und dem Land, in das sie geheiratet hatten“,¹⁸¹ ersetzt habe. In modernen Darstellungen zu den revolutionären Ereignissen in den Niederlanden, zu den Oraniern oder in Biographien über Friedrich Wilhelm II. wird die Prinzessin von Oranien als Diplomatin daher kaum erwähnt. Simon Schama meint, sie habe
Vgl. Pauline Puppel: Virilibus curis feminarum vitia exuerant. Zur Konstruktion der Ausnahme, in: Jens Flemming/dies. (Hrsg.), Lesarten der Geschichte. Ländliche Ordnungen und Geschlechterverhältnisse. Festschrift für Heide Wunder. Kassel 2004, S. 356– 376; Akkerman, Invisible Agents, S. 2 f. Dressler, Friedrich II. und Hertzberg, S. 9. Luckwaldt, Die englisch-preußische Allianz, S. 63. Robert Heck: Die Regenten der ehemaligen Diezischen Lande aus den Häusern Diez und Nassau-Diez. Diez 1912, S. 115; vgl. François de Bas: Prinzessin Wilhelmine von Preußen. Gemahlin des Statthalters Wilhelm V von Oranien und Nassau, in: Hohenzollernjahrbuch 3 (1899), S. 197– 220; Bernard Woelderink: Glanzvolle Verbindungen. Die oranischen Heiraten im 18. und in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Lademacher (Hrsg.), Onder den Oranje boom, S. 157– 166. Muller, Wilhelmine, S. 233; vgl. zur Absetzung Wilhelms V. GStA PK, I. HA GR, Rep. 34, Nr. 7185. Tischer, Art. Diplomatie, Sp. 1036.
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ihren Gemahl nur „beschwatzt“. Ihr Handeln als Maklerin zwischen den Dynastien wird hier nicht angemessen kontextualisiert.¹⁸² Aber Wilhelmina ist ein Beispiel dafür, dass eine Fürstin auf dem diplomatischen Parkett parallel, neben von Herkunftsdynastie und Heimatland instruierten und beauftragten Gesandten, den sich ihr eröffnenden Handlungsspielraum vollständig besetzte. Als Ehefrau des Erbstatthalters agierte Wilhelmina selbstbewusst und verfolgte geschickt die Interessen zur Sicherung der Position der Dynastie Nassau-Oranien als Erbstatthalter der Vereinigten Niederlande. Anders als Marie Antoinette von Frankreich, die nach der Enthauptung Ludwigs XVI. für neun Monate vormundschaftliche Regentin war,¹⁸³ und auch anders als verwitwete Fürstinnen im Heiligen Römischen Reich, die anstelle der minderjährigen Thronerben die vormundschaftliche Regentschaft ausübten,¹⁸⁴ argumentierte die Prinzessin von Oranien nicht mit ihrer Mutterschaft, die sie zur Regierung befähige oder derentwegen ihr der Eingriff in das politische Geschehen zustehe. Als regierende Fürstin und Gemahlin ließ sich Wilhelmina beraten, und sie beriet sich mit Ministern und Gesandten, mit statthaltertreuen Ratspensionären und Bürgermeistern – und sie löste durch die Reise nach Den Haag im Juni 1787 den Einmarsch der preußischen Truppen aus. Die Prinzessin von Oranien stilisierte sich als Friedensstifterin, die die Einheit der sieben niederländischen Provinzen unter der Erbstatthalterschaft wiederhergestellt habe. Ihr Bruder feierte seinen außenpolitischen Erfolg mit dem Berliner Ehren¹⁸⁵ tor. Für die der Stadt abgewandte Seite war ein Relief vorgesehen, das in einem direkten Bezug zum Attikarelief stehen sollte. Es sollte zeigen, wie durch die gerechten Waffen sieben zerstreute Pfeile wieder zu einem Bündel vereint wurden.¹⁸⁶ Allein, die revolutionären Ereignisse in Frankreich, die Koalitionskriege sowie der frühe Tod Friedrich Wilhelms II. verhinderten die Ausführung, so dass die Stelle an der Außenseite des Brandenburger Tores bis heute leer ist.
Schama, Patriots and Liberators, S. 57. Vgl. Katherine Crawford: Perilous Performances. Gender and Regency in Early Modern France. Cambridge (Mass.)/London 2004, S. 181– 189. Marie Antoinette übernahm ebenso wie Wilhelmina die politischen Verhandlungen und beauftragte den Befehlshaber der alliierten Truppen, Herzog Karl Wilhelm von Braunschweig-Lüneburg, das Manifest zum Schutz der königlichen Familie zu publizieren. Vgl. Pauline Puppel, Die Regentin. Vormundschaftliche Herrschaft in Hessen 1500 – 1700. Frankfurt a. M. 2004, S. 63 – 88. Vgl. GStA PK, I. HA Rep. 93 B, Nr. 3024. Vgl. Ulferts, Friede nach siegreichem Krieg, S. 109.
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Abb. 9 Abb. 10 Abb. 11 Abb. 12 Abb. 13 Abb. 14
Nürnberger Exekutionstag 1650, Unterzeichnung am 26. Juli 1650, Radierung, abgedruckt in: Theatri Europai Sechster und letzter Theil/ Das ist/ Außführliche Beschreibung der Denckwürdigsten Geschichten (…). Bearbeitet von Johann Georg Schleder. Frankfurt a. M. 1652. URL: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Radierung_-_N% C3 %BCrnberger_Exekutionstag_-_1650.jpg, abgerufen am 09. 04. 2020. Friedrich Rudolf von Canitz, Kupferstich/Radierung, Werner, Anna Maria, geb. Haid (Zeichner); Wolffgang, Johann Georg (Stecher), Berlin 1726. Bereitgestellt durch: Porträtsammlung der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, A 3398. URL: http://portraits.hab.de/werk/4553/, abgerufen am 04. 12. 2018. Brief von Friedrich Rudolf von Canitz an Kurfürst Friedrich Wilhelm I. von Brandenburg-Preußen, 6. Oktober 1685, in: GStA PK, I. HA GR, Rep. 50, Nr. 28 Fasz. 211: Innere Angelegenheiten der Stadt Hamburg, Bd. 3. Ehrenfried Walther von Tschirnhaus (1651 – 1708), Kupferstich von Martin Bernigeroth. Bereitgestellt durch: Österreichische Nationalbibliothek Wien, Bildarchiv, Austria, Digitale Sammlung: Porträtsammlung, Signatur PORT_00141071_01; Zitierlink http://data.onb.ac.at/rec/baa903526; abgerufen am 15. 07. 2019. Beales Traktat zum Abschluss der Hertford-Grey-Ehe (1563), Cambridge University Library. (CUL), MS Ii.v.3, fol. 19r. Robert Beales frühester erhaltener Brief an John Hales and William Cecil, The National Archives (TNA), London, SP 70 – 87, fol. 75r–76v. Bernhard par la grace de Dieu Duc de [Saxe] Weymar Juliers | Cleues et Berg Landgraue de Turingue Marquis de Nisnie [sic] | Comte de La Marck et de Rauensbourg Seigneur de Rauenstein, Kupferstich von Baltazar Moncornet. Bereitgestellt durch: Porträtsammlung der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, A 18325. URL: http:// portraits.hab.de/werk/18363/ abgerufen am 09. 04. 2020. Ioannes Adolphus Krebs. Bereitgestellt durch: Landesarchiv Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart, A 90 D Bd. 36. Johann Philipp von Schönborn (1605 – 1673), Kurfürst und Erzbischof von Mainz sowie Fürstbischof von Würzburg. Kupferstich, abgedruckt in: Anselm van Hulle: Les hommes illustres qui ont vécu dans le XVII. siecle (…). Amsterdam 1648, S. 131. Steffanis Unterschrift unter einer Relation aus Brüssel vom 29. September 1700, NLA Hannover, Cal. Br. 24 Nr. 256, fol. 220v. Steffanis deutsche Unterschrift unter einem Schreiben an Georg Ludwig, Kurfürst von Hannover, 1705, NLA Hannover, Cal. Br. 24 Nr. 6325, Düsseldorf, 16. 10. 1705. Tommaso Giusti, Meleager und Atalante. Galeriegebäude Hannover (wohl 1694 – 1698), © Claudia Kaufold. Steffanis eigenhändige Relation aus Brüssel vom 20./30. 12. 1693 mit roten Entschlüsselungen der Kanzlei, NLA Hannover, Cal. Br. 24 Nr. 239, fol. 57r. Ernst Augusts an Steffani, Hannover 11. 12. 1693, mit Steffanis Entschlüsselungen, NLA Hannover, Cal. Br. 24 Nr. 239, fol. 1r. Ernst Augusts an Steffani, Hannover 11. 12. 1693, mit Steffanis Entschlüsselungen, NLA Hannover, Cal. Br. 24 Nr. 239, fol. 1v.
https://doi.org/10.1515/9783110625431-012
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Abbildungsverzeichnis
Abb. 15 „Che folgori il Cielo, ch’il Mondo ruini, Tra fieri destini Costante sarò.“ Arie des Meleager, Le rivali concordi, 1. Akt, 2. Szene, URL https://imslp.org/wiki/Orlando_generoso_(Steffani%2C_Agostino), abgerufen am 01. 10. 2018). Abb. 16 Reskript aus Hannover vom 11. 1. 1694, NLA Hannover, Cal. Br. 24 Nr. 239, fol. 19r. Abb. 17 Agostino Steffani um 1707 in kurpfälzischen Diensten; Medaille nach Entwurf des Hofpoeten Giorgio Maria Rapparini. © Heinrich-Heine-Institut, Düsseldorf. Abb. 18 Brandenburger Tor, Fotografie Dr. C. Czok, amtierende Vorsitzende der Schadow-Gesellschaft/Berlin, Feb. 2019. Abb. 19 Frederika Sophia Wilhelmina von Preußen (1751 – 1820), Equestrian portrait of the Wife of Prince Willem V, Tethart Philip Christian Haag, 1789 (Öl auf Lwd.). Bereitgestellt durch: BPK / Stiftung Preußische Schlösser und Gärten (SPSG) Berlin-Brandenburg, Bildnr. 70180609. Abb. 20 Prinses van Oranje aangehouden te Goejanverwellesluis, 1787. Het gevangen houden van haar Koningl. Hoogheid Mevrouwe de Princesse van Oranje enz. in het huis van A. Leuwenhoek, aan de goejan verwelle sluis den 28te Junij 1787, Rijksmuseum/ Amsterdam, Objektnr. RP-P-1936 – 489 URL: http://hdl.handle.net/10934/ RM0001.COLLECT.403159, abgerufen am 09. 04. 2020.
Autorinnen und Autoren PD Dr. Astrid B. Ackermann hat in München, Köln, Utrecht und Jena studiert, wurde mit der Arbeit „Paris, London und die europäische Provinz. Die frühen Modejournale (1770 – 1830)“ (2004) promoviert und habilitierte sich 2017 mit einer Biographie des Militärunternehmers Herzog Bernhards von Weimar (1604 – 1639) im Dreißigjährigen Krieg (2017). Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Friedrich-Schiller-Universität Jena; ihre Forschungsschwerpunkte sind die Politik- und Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit, die Geschichte des Dreißigjährigen Krieges und des Westfälischen Friedens, Kleidungsgeschichte, Geschlechtergeschichte sowie vormoderne Infrastrukturen. Dr. Volker Arnke ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsprojekt „Frieden als Kommunikationsprozess. Die Dritte Partei des Westfälischen Friedenskongresses“, das am Forschungszentrum IKFN (Institut für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit) der Universität Osnabrück angesiedelt ist. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Historischen Friedens- und Konfliktforschung, insbesondere in der Geschichte des Westfälischen Friedenskongresses und der Geschichte konfessioneller Konflikte, sowie in der Regional- und Lokalgeschichte Osnabrücks. Dr. Stefanie Freyer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung für Geschichte der Frühen Neuzeit der Universität Osnabrück und erforscht derzeit deutsch-englische Beziehungen um 1600. Sie ist mit einer Arbeit über die Sozialgeschichte des Weimarer Hofes um 1800 an der Friedrich-Schiller-Universität Jena promoviert worden. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen auf der politischen Kulturgeschichte des frühneuzeitlichen Europas, materieller Kultur, Hof- und Zeremoniell, Frauen- und Geschlechtergeschichte und vergleichender Landesgeschichte. Dr. David Scott Gehring ist Assistant Professor für Geschichte der Frühen Neuzeit an der University of Nottingham. In seinen Forschungen konzentriert er sich auf internationale Beziehungen und Akteur-Netzwerke während der europäischen Religionskriege. Seine erste Monographie „Anglo-German Relations and the Protestant Cause“ wurde 2013 veröffentlicht; 2016 folgte seine Edition diplomatischer Quellen, „Diplomatic Intelligence on the Holy Roman Empire and Denmark“. Derzeit schreibt er ein Buch über den Gesandten Robert Beale, der als englischer Spezialist für deutsche Angelegenheiten unter Königin Elizabeth I. (1558 – 1603) diente. Dr. Claudia Kaufold wurde 1995 am Institut für Historische Landesforschung der Universität Göttingen promoviert mit einer Arbeit über das Leben des Barockkomponisten Agostino Steffani und seine Tätigkeit als Diplomat. Im Anschluss arbeitete sie als Lektorin und Redaktionsleiterin in einem medizinischen Buch- und Zeitschriftenverlag. 2014 war sie wissenschaftliche Leiterin (interdisziplinärer Teil) des internationalen Symposiums „Agostino Steffani: Europäischer Komponist und hannoverscher Diplomat der Leibniz-Zeit“, Hannover. Sie ist Kuratorin des FORUM AGOSTINO STEFFANI, das ihm u. a. eine jährliche Festwoche in Hannover widmet. Dr. Julian zur Lage ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsstelle „Hamburgs (post‐) koloniales Erbe. Hamburg und die frühe Globalisierung“. Seine Dissertation zur sesshaften Ge-
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Autorinnen und Autoren
schichtsschreibung im 18. und frühen 19. Jahrhundert entstand im Rahmen des Graduiertenkollegs „Wissensspeicher und Argumentationsarsenal. Funktionen der Bibliothek in den kulturellen Zentren der Frühen Neuzeit“ an der Universität Osnabrück. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Globalgeschichte sowie die Wissens- und Wissenschaftsgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts. Dr. Anna Lingnau ist Bibliotheksreferendarin an der Universitätsbibliothek der Humboldt Universität zu Berlin. Sie promovierte zur Privatbibliothek des brandenburgischen Diplomaten und Dichters Friedrich Rudolf von Canitz (1654 – 1699) im Rahmen des Graduiertenkollegs „Wissensspeicher und Argumentationsarsenal. Funktionen der Bibliothek in den kulturellen Zentren der Frühen Neuzeit“ an der Universität Osnabrück. Zuvor studierte sie Geschichte und Buchwissenschaft in Heidelberg und Mainz. Katharina Möhle, B.A., studiert Geschichte und Englisch an der Universität Osnabrück und strebt den Abschluss als Master of Education (Gymnasium) an. Ihr Bachelorstudium hat sie mit einer Arbeit über die deutsch-englischen Bündnisbemühungen im 16. Jahrhundert abgeschlossen. Sie ist mit dem Niedersachsenstipendium 2019/20 ausgezeichnet worden und als wissenschaftliche Hilfskraft in der Abteilung für Geschichte der Frühen Neuzeit in Osnabrück tätig. Dr. Pauline Puppel hat Geschichte, Germanistik, Pädagogik und Romanistik an der PhilippsUniversität Marburg/Lahn und der Sorbonne/Paris studiert, war danach wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Prof. Dr. Heide Wunder am Lehrstuhl für Sozial- und Verfassungsgeschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Kassel und wurde mit der Arbeit „Die Regentin. Vormundschaftliche Herrschaft in Hessen 1500 – 1700“ promoviert. Sie absolvierte das Referendariat für den Archivdienst am Landeshauptarchiv in Koblenz und ist seit 2011 als Archivarin am Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz tätig. Dr. Winfried Siebers war von 2006 bis 2018 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Interdisziplinären Institut für Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Osnabrück. Zuvor studierte er ebendort Literatur- und Medienwissenschaft sowie Geschichte (M.A. 1985, Prom. 1998) und lehrte in Osnabrück, Potsdam und Wien. Zum Thema „Reisekultur der Frühen Neuzeit“ erschienen: Erfahrungsraum Europa. Reisen politischer Funktionsträger 1750‒1800 (mit J. Rees, 2005); Johann Georg Keyßler und die Reisebeschreibung der Frühaufklärung (2009); Einführung in die Reiseliteratur (mit A. Keller, 2017).
Register Abell, John (1652 – 1724) 62 Alba, Fernando Álvarez de Toledo von 73 Alcedo, Antonio de (1735 – 1812) 53 (Anm. 32) Amalie Elisabeth von Hanau-Münzenberg, Landgräfin von Hessen-Kassel (1602 – 1651) 151 Anna von Braunschweig-Lüneburg (1709 – 1759) 221 Anton Egon von Fürstenberg-Heiligenberg (1656 – 1716) 34 Auersperg, Johann Wikhard von (1616 – 1677) 143 (Anm. 41) August von Sachsen (1526 – 1586) 73, 83, 85 f., 88, 93 f., 97 – 99 August Wilhelm von Preußen (1722 – 1758) 220 Aylmer, John (1521 – 1594) 62 f., 65, 67 Bacon, Francis (1561 – 1626) 128 Balduin, Franz (Balduinus), eigentl. François Baudouin, 1520 – 1573) 63 – 66, 68, 70 f., 76 – 78 Balfour 47 Barlaeus, Caspar (1584 – 1648) 149 Baugy, Nicolas de (†1641) 121, 128 Beale, Robert (1541 – 1601) XIII, XIV, 61 – 79, 81 – 100, 251 Beaulieu, John 120 Benthems, Heinrich Ludolf (1661 – 1723) 41 Berchtold, Leopold Graf 31 Bernegger, Matthias (1582 – 1640) 150 Bernhard, Ludwig Camerarius 160 (Anm. 154) Bernhard von Sachsen-Weimar (1604 – 1639) XIV f., 135, 138 – 141, 143 (Anm. 40, 42), 144 – 147, 149 – 156, 158 f., 160 – 164, 251 Bernigeroth, Martin (1670 – 1733) 30 Bernstorff, Andreas Gottlieb von (1649 – 1726) 8, 13, 21 Betz, Friedrich 143 f., 160
Birckenstock, Johann Melchior Edler von (1738 – 1809) 54 f., 59 Blotius, Hugo (1533 – 1608) 31 Böttger, Johann Friedrich (1682 – 1719) 38 Bouillon, Henri de la Tour d’Auvergne von (1555 – 1623) 120 f. Bouthillier, Comte de Chavigny, Léon le (1608 – 1652) 154 (Anm. 110), 157 Boyle, Robert (1627 – 1691) 38 Brandon, Charles, Herzog von Suffolk (1484 – 1545) 68 Brasset, Henri (1595 – nach 1657) 143 (Anm. 41) Brosses, Charles de (1709 – 1777) 45 Bullion, Claude de (1569 – 1640) 154 (Anm. 110), 157 Calvin, Johannes (1509 – 1564) 104 Campomanes, Pedro Rodríguez de (1723 – 1802) 52 – 55, 59 Canitz, Friedrich Rudolf von (1654 – 1699) XII, 3, 5 – 8, 10 – 19, 22, 249, 252 Carpozow, August (1612 – 1683) 176 Cecil, Robert, Earl of Salisbury (1563 – 1612) 115 Cecil, William, Baron Burghley (1521 – 1598) 70 – 72, 75 f., 82, 84, 249 Christian I. von Anhalt (1568 – 1630) 117 (Anm. 69), 126 f. Christian IV., König von Dänemark und Norwegen (1577 – 1648) 135, 151 (Anm. 93) Christian V., König von Dänemark und Norwegen (1646 – 1699) 7 Cicero, Marcus Tullius (106 v. Chr. – 43 v. Chr.) 15 f. Clavijero, Francisco Javier (1731 – 1787) 51 Clemens XI., Papst (1649 – 1721) 211 Colbert, Jean-Baptiste, Marquis de Seignelay (1619 – 1683) 34, 38 Colenbrander, Hermann Theodor 219 Collins, John (1625 – 1683) 38 Cooke, Anthony (1505/6 – 1576) 64 Cortes, Hernan (1485 – 1547) 50 f.
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Register
Court, Johan de la 35 Court, Pieter de la (1618 – 1685)
35
Dalzell, Andrew (1742 – 1806) 47, 56 Danckelmann, Sophie von (1715 – 1790) 220 f., 229 (Anm. 82), 235 Dannett, Thomas (1543 – 1601) 62 (Anm. 9) Dante Alighieri († 1321) 26 Descartes, René (1596 – 1650) 39 Dickenson, John (1570 – 1636) 117 Edmondes, Thomas (1563 – 1639) 120 (Anm. 91) Efferen, Wilhelm von (1563 – 1616) 123, 128 (Anm. 128) Ehem, Christoph (1528 – 1592) 65, 74, 75 (Anm. 61) Ehm (Öhm), Johann Bernhard von (1587 – 1657) 143, 156 Elisabeth Christine von Braunschweig-Wolfenbüttel-Bevern (1715 – 1797) 220 Elisabeth I., Königin von England (1533 – 1603) 63 – 65, 68, 71, 75, 79, 81, 84, 90, 93, 100, 105, 115 Elisabeth von der Pfalz (1618 – 1680) 159 Elliot, Gilbert 47 Elliot, Hugh 47 Erlach, Hans (Johann) Ludwig von (1595 – 1650) 138, 153, 155 – 158, 160 (Anm. 153), 163 f. Ernst August von Braunschweig-Lüneburg (1629 – 1698) 187, 189 – 191, 194, 196 f., 200, 202, 204 f., 208 Euskercken, Johan van 143 (Anm. 41) Ferdinand II., römisch-deutscher Kaiser (1578 – 1637) 141 Ferdinand III., römisch-deutscher Kaiser (1608 – 1657) 170 f., 176, 178 – 180, 186 Ferenz, Otto von 143 Fitzwilliam, Hugh (um 1534 – um 1576) 70 Flacius, Matthias (Illyricus) (1520 – 1575) 67, 75, 78 Flechaimer, Hans Christoph (1575 – 1625) 103 Fleming, Sir Oliver († 1661) 159 Francke, August Hermann (1663 – 1727) 39
Freinsheim, Johannes (1608 – 1660) 150 Friederike Charlotte von Preußen (1767 – 1820) 217 Friederike Luise Wilhelmine von Preußen (1770 – 1819) 217 Friederike Luise Wilhelmine von Preußen (1774 – 1837) 217 Friedrich August I. von Sachsen (1670 – 1733) 34 Friedrich August von York (1763 – 1827) 217 Friedrich II., König von Preußen (1712 – 1786) 63, 93, 95 – 97, 217, 220 f., 223, 228, 230, 234 – 236 Friedrich III. von Brandenburg-Preußen (1657 – 1713) 5 Friedrich III. von der Pfalz (1515 – 1576) 73, 83, 85 – 89, 91, 93 – 95, 98 – 100 Friedrich IV. von der Pfalz (1574 – 1610) 110 Friedrich V. von der Pfalz (1596 – 1632) 115 Friedrich Wilhelm I. von Brandenburg-Preußen (1620 – 1688) 5, 7, 18 f. Friedrich Wilhelm II., König von Preußen (1744 – 1797) 176, 213 – 215, 231 – 233, 238 – 240, 242 Gálvez, José de (1720 – 1787) 52, 54, 59 Geißler, Friedrich (1636 – 1679) 12 (Anm. 26) Geizkofler, Zacharias (1560 – 1617) 112, 121 (Anm. 94) Georg Friedrich von Baden (1574 – 1638) 110 (Anm. 34) Georg III., König von England (1738 – 1820) 224, 233, 242, 246 Georg IV., König von England (1762 – 1830) 218 Georg Ludwig von Braunschweig-Lüneburg (1660 – 1727) 187, 209 Georg Wilhelm von Braunschweig-Lüneburg (1624 – 1705) 6 Gibbon, Edward (1737 – 1794) 45 Goethe, Johann Wolfgang (1749 – 1832) 27 Grey, Catherine (1540 – 1568) 68 Grey, Frances (1517 – 1559) 68 Grey, Jane (1537 – 1554) 62, 68 f. Groot, Dietrich (Diederik) de 161 Groot, Pieter de (1615 – 1678) 161
Register
Grotius, Hugo (1583 – 1645) 4, 135, 138, 140, 147, 153 f., 157, 159 – 161, 182 Grumbach, Wilhelm von (1503 – 1567) 96 f. Gustav II. Adolf, König von Schweden (1594 – 1632) 135, 149 Haag, Tethart Philipp Christian (1737 – 1812) 236 Hales, John (1516?–1572) 61 f., 67 – 72, 84 Haller, Ernst 116 (Anm. 67) Harris, James (1746 – 1820) 114, 219, 232 – 235, 237, 243 (Anm. 156) Haslang, Georg Christoph von (1602 – 1684) 179, 181 Hatzfeld, Franz von (1596 – 1642) 179 Heinrich der Löwe von Sachsen und Bayern (1129/30 oder 1133/35 – 1195) 194 Heinrich IV., König von Frankreich (1553 – 1610) 104, 110, 119 Henri II. de Rohan (1579 – 1638) 155, 158, 163 Hertzberg, Ewald Friedrich von (1725 – 1795) 218, 227, 229, 232, 234, 240 f. Hoby, Thomas (1530 – 1566) 70 Hoeufft, Jan (1578 – 1651) 142 (Anm. 40), 153 f., 157 (Anm. 133) Hogendorp, Gijsbert Karl van (1762 – 1834) 220 (Anm. 24), 234, 243 Hooft, Peieter Corneliszoon (1581 – 1647) 150 (Anm. 85) Hotman, Jean (1552 – 1636) 105 (Anm. 11), 128 Hulles, Anselm van (1601 – nach 1674) 167 Huygens, Christiaan (1629 – 1695) 38 Huygens, Constantijn (1596 – 1687) 150 (Anm. 85) Jakob I., König von England (1566 – 1625) 104 f., 107, 110 f., 113 – 117, 119 – 121, 124, 130 Jastram, Cord (1634 – 1686) 7, 17 Johann Friedrich I. von Sachsen (1503 – 1554) 95, 96 (Anm. 85) Johann Friedrich II. von Sachsen (1529 – 1595) 93, 95 – 97 Johann Wilhelm von Jülich-Kleve-Berg (1562 – 1609) 109
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John, Michael 142, 154 Johnes, Thomas 47 Jordan, Spytek (1518 – 1568) 62 Joseph, Père (1577 – 1638) 157 Joseph I., römisch-deutscher Kaiser (1678 – 1711) 211 Karl Christian von Nassau-Weilburg (1735 – 1788) 221 Karl Georg August von Braunschweig-Wolfenbüttel (1766 – 1806) 217 Karl I., König von England (1600 – 1649) 146 Karl I. Ludwig von der Pfalz (1617 – 1680) 151 Karl II. von der Pfalz (1651 – 1685) 209 Karl V., römisch-deutscher Kaiser (1500 – 1558) 96 (Anm. 85) Karl Wilhelm Ferdinand von BraunschweigWolfenbüttel (1735 – 1806) 217 Karoline von Oranien-Nassau-Diez (1743 – 1787) 221 Keith, Robert Murray (1730 – 1795) 44 f., 50, 54 f. Keyßler, Johann Georg (1693 – 1743) 41 Khlesl, Melchior (1552 – 1630) 121, 128 (Anm. 128) Killigrew, Henry (1525/28 – 1603) 64, 74, 82, 84 Kircher, Athanasius (1602 – 1680) 38 Klencke, Wilken von 199 König, Johann Ulrich (1668 – 1744) 5 Königsmarck, Philipp Christoph von (1665 – 1694) 194 Krebs (von Bach), Johann Adolf († nach 1670) 166, 179 – 181 Küchelbecker, Johann Basilius (1697 – 1757) 41 Lampadius, Jakob (1593 – 1649) 177 Langhans, Carl Gotthard (1732 – 1808) 214 Languet, Hubert (1518 – 1581) 65, 67, 71, 74, 78 Łaski, Jan (1499 – 1560) 62 Leibniz, Gottfried Wilhelm (1646 – 1716) 29, 32 (Anm. 20)., 38, 43 (Anm. 1), 190, 194 – 196, 198
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Register
Leopold I., römisch-deutscher Kaiser (1650 – 1750) 191, 197, 204, 210 Leopold II., römisch-deutscher Kaiser (1747 – 1792) 224 Leopold V. von Österreich-Tirol (1586 – 1632) 109 Leopold Graf Berchthold (1759 – 1809) 31 Leopold Joseph von Lothringen (1679 – 1729) 208 Lesieur, Stephen (vor 1575 – um 1638) XIV, 105 – 107, 110 (Anm. 33), 111 f., 117 f., 120 (Anm. 90), 121 – 133 Liston, Robert (1742 – 1836) 44, 46 – 49, 51 f., 54 – 56, 59 Livius, Titus (59 v. Chr. – 17 n. Chr.) 15 Longueval, Charles Bonaventure de, Comte de Bucquoy (1571 – 1621) 138 Ludwig XIII., König von Frankreich (1601 – 1643) 135, 152, 154 (Anm. 116), 157 (Anm. 136), 161 Ludwig XIV., König von Frankreich (1638 – 1715) 35, 174, 183, 191 f., 196, 205 Ludwig XVI., König von Frankreich (1754 – 1793) 230, 240, 242, 248 Ludwig, J. Paul 142 (Anm. 36) Ludwig Ernst von Braunschweig-Wolfenbüttel (1718 – 1788) 221, 224 f., 227, 241 Luise Amalie von Braunschweig-Wolfenbüttel (1722 – 1780) 220 Machiavelli, Niccolò (1469 – 1527) 4, 128 Maior, Georg (1502 – 1574) 62, 67, 75 Malebranche, Nicolas (1638 – 1715) 38 Marguerite de Béthune (1595 – 1660) 158 Marguerite de Rohan (1617 – 1684) 158 Maria Theresia, römisch-deutsche Kaiserin (1717 – 1780) 51 Marie Antoinette von Österreich-Lothringen, Königin von Frankreich (1755 – 1793) 248 Marie Luise von Hessen-Kassel (1688 – 1765) 221 Martyr, Peter (1457 – 1526) 62 Mary, Königin von England (1516 – 1558) 61 Maseranico, Lumago 148 (Anm. 70)
Matthias I., römisch-deutscher Kaiser (1557 – 1619) XIV, 105 f., 111 f., 117 – 119, 121 – 127, 129 – 132 Mauro, Orensio Bartolomeo († 1725) 189, 191, 193, 195 f., 208 Maximilian I. von Bayern (1573 – 1651) 175, 179, 181, 186 Maximilian II., römisch-deutscher Kaiser (1527 – 1576) 95 (Anm. 80), 98 Maximilian II. Emanuel von Bayern (1662 – 1726) 188 f., 192, 196, 199, 204, 207, 210 Maximus, Valerius (1. Jhd. n. Chr.) 15 Medici, Katharina von (1519 – 1589) 84 Medici, Marie de (1575 – 1642) 111 (Anm. 38), 119 f., 121 (Anm. 93), 128 Melanchthon, Philipp (1497 – 1560) 64 f., 67 Méliand, Blaise 155 f. Meurer, Heinrich (1643 – 1690) 6 – 8, 11 f., 14, 17, 20 – 22 Mexía, Pedro (1497 – 1552) 55 Mockel, Friedrich Richard 155 f. Molesworth, Robert, 1st Viscount Molesworth (1656 – 1725) 35 Montecuccoli, Raimund Fürst 138 f. (Anm. 17) Morison, Richard (1510 – 1556) 61 f., 65 Moritz von Hessen-Kassel (1572 – 1632) 110 (Anm. 34) Moritz von Sachsen (1521 – 1553) 95 f. Mothe-Fénelon, François de Salignac de la, (1651 – 1715) 36 Müller, Georg 143 (Anm. 41), 144, 156, 159 f. Mundt, Christoph (1496/7 – 1572) 65 Muñoz, Juan Bautista (1745 – 1799) 54, 58 Napoleon Bonaparte, französischer Kaiser (1769 – 1821) 213 Nemeitz, Joachim Christoph (1679 – 1753) 41 Neufville, Nicholas de, Seigneur de Villeroy (1543 – 1617) 123 Newton, Isaac (1643 – 1727) 38 Norris, Henry (ca. 1525 – 1601) 70 Noyers, François Sublet de (1589 – 1645) 157 Oldenburg, Henry (1619 – 1677)
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Register
Orlandi, Luigi 193 Orsbeck, Johann (VII.) Hugo von, Erzbischof und Kurfürst von Trier (1676 – 1711) 199 Otto Ludwig von Salm-Kyrburg-Mörchingen (1597 – 1634) 144 Oxenstierna, Axel Gustafsson (1583 – 1654) 135, 137, 139, 144 – 146 Pallavicino, Stefano Benedetto (1672 – 1742) 208 Paul V., Papst (1550 – 1621) 104 Philipp I. von der Pfalz (1448 – 1508) 109 Philipp II., König von Spanien (1527 – 1598) 84 Pignatelli, Maria Francisca, Herzogin von Arenberg (1696 – 1766) 210 (Anm. 71) Platen, Franz Ernst Graf von (1631 – 1709) 190 f., 210 Plinius 15 Ponickau, Tobias von (1598 – 1637) 138, 145 – 147, 160 (Anm. 153), 161 – 163 Posselt, Franz 31 Prescott, William Hickling (1796 – 1859) 58 Pufendorf, Samuel von (1632 – 1694) 4 Ramboldt, Jakob von 142 f. (Anm. 40) Rehlingen, Marx Conrad von (1576 – 1642) 148 (Anm. 70), 156 f. Richelieu, Armand-Jean du Plessis, Kardinal 135, 154, 157 Robertson, William (1721 – 1793) XIII, 43 – 60 Robinson, Frederick 48 Robinson, Thomas, Lord Grantham (1738 – 1786) 44, 48 Roe, Thomas (um 1581 – 1644) 147 Roger, Robert 14 (Anm. 40) Rotenhan, Hans Georg von 142 f. (Anm. 40), 160 (Anm. 153) Rousseau, Jean-Jacques (1712 – 1778) 226 f. Rudolf II., römisch-deutscher Kaiser (1552 – 1612) 107 – 110 Ruprecht von der Pfalz (1619 – 1682) 146 (Anm. 54) Sallust (86 v. Chr. – 35 v. Chr.) 15 Scarlatti, Giovanni Battista 188
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Schadow, Johann Gottfried von (1764 – 1850) 213 Schaffalitzky (von Muckendell), Bernhard 138, 143 f., 153, 163 Schinne, Magdalena van (1762 – 1840) 244 Schönborn, Johann Philipp von (1605 – 1673) 167, 175 – 179, 181 f., 184 – 186 Schoppe, Caspar (1576 – 1649) 103 – 105 Schröder, Wilhelm von (1640 – 1688) 36 Seckendorff, Veit Ludwig von (1626 – 1692) 24 – 27 Sequier, Pierre (1588 – 1672) 154 (Anm. 110) Seymour, Edward, Graf von Herford (1539?– 1621) 68 Smith, Thomas (1513 – 1577) 70 f. Snitger, Hieronymus († 1686) 7, 17 Sophie Charlotte von Braunschweig-Lüneburg (1668 – 1705) 189, 206 (Anm. 56), 207 Sophie Dorothea von Braunschweig-Lüneburg (1666 – 1726) 194 Sophie von der Pfalz (1630 – 1714) 189 Sousa Coutínho, Luis Pinto de (1735 – 1804) 44, 57 Spiegel, Laurens Pieter van den (1737 – 1800) 243 Spinoza, Baruch de (1632 – 1677) 37 Steffani, Agostino (1654 – 1728) XV f., 187 – 195, 197 – 212 Steinmeier, Frank-Walter (* 1956) 168 Stuart, Anne, Königin von Großbritannien (1665 – 1714) 114 Stuart, Elizabeth (1596 – 1662) 115, 129 (Anm. 135), 146 f. Stuart, Henry Frederick (1594 – 1612) 113, 120 (Anm. 85) Sturm, Johann(es) (1507 – 1589) 62 Terzago, Ventura (* 1648) 192 f. Thomasius, Christian (1655 – 1728) 29, 40 Thulemeyer, Friedrich Wilhelm von (1735 – 1811) 219, 227, 231, 237 Thumbshirn, Wolfgang Conrad von (1604 – 1667) 175 f. Trauttmansdorff, Maximilian Graf von (1594 – 1650) 170 Troschke, Theodor von (1810 – 1876) 213
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Register
Truchseß, Wolf-Dietrich 142 f. (Anm. 40), 160 Tschirnhaus, Ehrenfried Walther von (1651 – 1708) XII f., 23, 28 – 30, 32, 34 – 40 Tschirnhaus, Gottlob Ehrenfried 29 Tschirnhaus, Wolff Bernhard von 29 Ulm, Hans Ludwig von (1567 – 1627) 129 Umstadt, Anselm Casimir Wambold von (1579 – 1647) 178 Valette, Louis de Nogaret de la (1593 – 1639) 147 Valkenier, Pieter (Petrus) († 1712) 35 Vorburg, Johann Philipp von (1595 – 1650) 175, 179, 181 f., 184 f. Waddilove, Robert Darley (1736 – 1828) 44, 48 – 50, 53, 56 Wallenstein (1583 – 1634) 138 f., 164 Walsingham, Francis (1532 – 1590) 76 Wartenberg, Franz Wilhelm Kardinal Reichsgraf von (1593 – 1661) 182 Wechel, André 66, 70 Weckherlin, Georg Rudolf (1584 – 1653 146, 150 Werth, Jan von (1591 – 1652) 142 (Anm. 34) Whitgift, John, Erzbischof von Canterbury (1530 – 1604) 77 (Anm. 65) Wicquefort, Abraham von (1606 – 1682) 148 (Anm. 67) Wicquefort, Caspar von († 1634) 148 (Anm. 67)
Wicquefort, Joachim von (um 1600 – 1670) 138, 140, 145 f., 148 – 151, 153 f., 155 (Anm. 120), 162 – 164 Widerholt, Konrad (1598 – 1667) 156 (Anm. 126) Wilhelm I., König der Niederlande (1772 – 1843) 217, 226, 233 Wilhelm II. von Oranien-Nassau (1626 – 1650) 151 Wilhelm III. von Oranien-Nassau (1650 – 1702) 188 Wilhelm IV. von Oranien-Nassau (1711 – 1751) 221 Wilhelm IV. von Sachsen-Weimar (1598 – 1662) 141, (Anm. 27), 151 (Anm. 95) Wilhelm V. von Hessen-Kassel (1602 – 1637) 146 Wilhelm V. von Oranien-Nassau (1748 – 1806) 221 – 235, 237, 239, 242 – 242, 246, 248 Wilhelm Georg Friedrich von Oranien-Nassau (1774 – 1799) 223 Wilhelmina von Preußen (1751 – 1820) 213 – 248 Winwood, Ralph (1563 – 1617) 115 Wolff, Christian (1679 – 1754) 29 Wolfgang Wilhelm von Neuburg (1578 – 1653) 109 Wotton, Henry (1568 – 1639) 103 – 105 Württemberg, Christoph von (1515 – 1568) 73 Zweibrücken, Johann I. von (1550 – 1604) 110 (Anm. 34)
bibliothek altes Reich – baR herausgegeben von Anette Baumann, Stephan Wendehorst und Siegrid Westphal Als ein innovatives, langfristig angelegtes Forum für Veröffentlichungen zur Geschichte des Alten Reichs setzt sich die „bibliothek altes Reich – baR“ folgende Ziele: ‒ ‒ ‒ ‒ ‒
Anregung zur inhaltlichen und methodischen Neuausrichtung der Erforschung des Alten Reichs Bündelung der Forschungsdiskussion Popularisierung von Fachwissen Institutionelle Unabhängigkeit
Inhaltliche und methodische Neuausrichtung An erster Stelle ist die Gründung der Reihe „bibliothek altes Reich – baR“ als Impuls für die interdisziplinäre Behandlung der Reichsgeschichte und deren Verknüpfung mit neuen methodischen Ansätzen konzipiert. Innovative methodische Ansätze, etwa aus der Anthropologie, der Geschlechtergeschichte, den Kulturwissenschaften oder der Kommunikationsforschung, wurden in den letzten Jahren zwar mit Gewinn für die Untersuchung verschiedenster Teilaspekte der Geschichte des Alten Reichs genutzt, aber vergleichsweise selten auf das Alte Reich als einen einheitlichen Herrschafts-, Rechts-, Sozial- und Kulturraum bezogen. Die Reihe „bibliothek altes Reich – baR“ ist daher als Forum für Veröffentlichungen gedacht, deren Gegenstand bei unterschiedlichsten methodischen Zugängen und thematischen Schwerpunktsetzungen das Alte Reich als Gesamtzusammenhang ist bzw. auf dieses bezogen bleibt.
Bündelung der Forschung Durch die ausschließlich auf die Geschichte des Alten Reichs ausgerichtete Reihe soll das Gewicht des Alten Reichs in der historischen Forschung gestärkt werden. Ein zentrales Anliegen ist die Zusammenführung von Forschungsergebnissen aus unterschiedlichen historischen Sub- und Nachbardisziplinen wie zum Beispiel der Kunstgeschichte, der Kirchengeschichte, der Wirtschaftsgeschichte, der Geschichte der Juden, der Landes- und der Rechtsgeschichte sowie den Politik-, Literatur- und Kulturwissenschaften.
Popularisierung von Fachwissen Die „bibliothek altes Reich – baR“ sieht es auch als ihre Aufgabe an, einen Beitrag zur Wissenspopularisierung zu leisten. Ziel ist es, kurze Wege zwischen wissenschaftlicher Innovation und deren Vermittlung herzustellen. Neben primär an das engere Fachpublikum adressierten Monographien, Sammelbänden und Quelleneditionen publiziert die Reihe „bibliothek altes Reich – baR“ als zweites Standbein auch Bände, die in Anlehnung an das angelsächsische textbook der Systematisierung und Popularisierung vorhandener Wissensbestände dienen. Den Studierenden soll ein möglichst rascher und unmittelbarer Zugang zu Forschungsstand und Forschungskontroversen ermöglicht werden.
https://doi.org/10.1515/9783110625431-015
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Institutionelle Unabhängigkeit Zur wissenschaftsorganisatorischen Positionierung der Reihe: Die „bibliothek altes Reich – baR“ versteht sich als ein grundsätzlich institutionsunabhängiges Unternehmen. Unabhängigkeit strebt die „bibliothek altes Reich – baR“ auch in personeller Hinsicht an. Über die Annahme von Manuskripten entscheiden die Herausgeber nicht alleine, sondern auf der Grundlage eines transparenten, nachvollziehbaren peer-review Verfahrens, das in der deutschen Wissenschaft vielfach eingefordert wird. Band : Lesebuch Altes Reich Herausgegeben von Stephan Wendehorst und Siegrid Westphal . VIII, S. Abb. mit einem a usführlichen Glossar. ISBN ---
Band : Siegrid Westphal, Inken Schmidt-Voges, Anette Baumann Venus und Vulcanus Ehen und ihre Konflikte in der Frühen Neuzeit . S. ISBN ----
Band : Wolfgang Burgdorf Ein Weltbild verliert seine Welt Der Untergang des Alten Reiches und die Generation . Aufl. . VIII, S. ISBN ----
Band : Kaiser und Reich in der jüdischen Lokalgeschichte Herausgegeben von Stefan Ehrenpreis, Andreas Gotzmann und Stephan Wendehorst . S. ISBN ----
Band : Die Reichsstadt Frankfurt als Rechts- und Gerichtslandschaft im Römisch-Deutschen Reich. Herausgegeben von Anja Amend, Anette Baumann, Stephan Wendehorst und Steffen Wunderlich . S. ISBN ----
Band : Pax perpetua Neuere Forschungen zum Frieden in der Frühen Neuzeit Herausgegeben von Inken Schmidt-Voges, Siegrid Westphal, Volker Arnke und Tobias Bartke . S. Abb., ISBN ----
Band : Ralf-Peter Fuchs Ein ,Medium zum Frieden‘ Die Normaljahrsregel und die Beendigung des Dreißigjährigen Krieges . X. S. ISBN ----
Band : Alexander Jendorff Der Tod des Tyrannen Geschichte und Rezeption der Causa Barthold von Wintzingerode . VIII. S. ISBN ----
Band : Die Anatomie frühneuzeitlicher Imperien Herrschaftsmanagement jenseits von Staat und Nation Herausgegeben von Stephan Wendehorst . S. ISBN ----
Band : Thomas Lau Unruhige Städte Die Stadt, das Reich und die Reichsstadt ( – ) . S. ISBN ----
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Band : Die höchsten Reichsgerichte als mediales Ereignis Herausgegeben von Anja Amend-Traut, Anette Baumann, Stephan Wendehorst und Steffen Wunderlich . S. ISBN ----
Band : André Griemert Jüdische Klagen gegen Reichsadelige Prozesse am Reichshofrat in den Herrschaftsjahren Rudolfs II. und Franz I. Stephan . S. ISBN ----
Band : Hendrikje Carius Recht durch Eigentum Frauen vor dem Jenaer Hofgericht (– ) . S. Abb., ISBN ----
Band : Alexander Denzler, Ellen Franke, Britta Schneider (Hrsg.) Prozessakten, Parteien, Partikularinteressen Höchstgerichtsbarkeit in der Mitte Europas vom . bis . Jahrhundert . ISBN ----
Band : Stefanie Freyer Der Weimarer Hof um Eine Sozialgeschichte jenseits des Mythos . S., Abb., ISBN ---
Band : Inken Schmidt-Voges Mikropolitiken des Friedens Semantiken und Praktiken des Hausfriedens im . Jahrhundert . S. ISBN ----
Band : Dagmar Freist Glaube – Liebe – Zwietracht Konfessionell gemischte Ehen in Deutschland in der Frühen Neuzeit . ISBN ----
Band : Frank Kleinehagenbrock Das Reich der Konfessionsparteien Konfession als Argument in politischen und gesellschaftlichen Konflikten nach dem Westfälischen Frieden . ISBN ----
Band : Anette Baumann, Alexander Jendorff (Hrsg.) Adel, Recht und Gerichtsbarkeit im frühneuzeitlichen Europa . S. ISBN ----
Band : Anette Baumann, Joachim Kemper (Hrsg.) Speyer als Hauptstadt des Reiches Politik und Justiz zwischen Reich und Territorium im . und . Jahrhundert . S. ISBN ----
Band : André Griemert Jüdische Klagen gegen Reichsadelige Prozesse am Reichshofrat in den Herrschaftsjahren Rudolfs II. und Franz I. Stephan . S. ISBN ----
Band : Marina Stalljohann-Schemme Stadt und Stadtbild in der Frühen Neuzeit Frankfurt am Main als kulturelles Zentrum im publizistischen Diskurs . S. ISBN ----
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Band : Annette C. Cremer, Anette Baumann, Eva Bender (Hrsg.) Prinzessinnen unterwegs Reisen fürstlicher Frauen in der Frühen Neuzeit . S. ISBN ----
Band : Berndt Strobach Der Hofjude Berend Lehmann ( – ). Eine Biografie . S. ISBN ----
Band : Fabian Schulze Die Reichskreise im Dreißigjährigen Krieg Kriegsfinanzierung und Bündnispolitik im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation . S. ISBN ----
Band : Stefanie Freyer, Siegrid Westphal (Hrsg.) Wissen und Strategien frühneuzeitlicher Diplomatie. . S. ISBN ----
Band : Anette Baumann Visitationen am Reichskammergericht. Speyer als politischer und juristischer Aktionsraum des Reiches ( – ) . S. ISBN ----
Band : Jürgen Brand Clemens Wilhelm Adolph Hardung ( – ). Ein letzter Verteidiger des Reiches. Mit einem Faksimile seiner „Staatsrechtlichen Untersuchungen“ aus dem Jahre . S. ISBN ----
Band : Volker Arnke „Vom Frieden“ im Dreißigjährigen Krieg. Nicolaus Schaffshausens „De Pace“ und der positive Frieden in der Politiktheorie . S. ISBN ----