Wilhelm v. Humboldt und der Staat: Ein Beitrag zur Geschichte deutscher Lebensgestaltung um 1800 [Reprint 2019 ed.] 9783486754513, 9783486754506


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German Pages 593 [596] Year 1927

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
Lebensdaten
Erstes Buch: Die Problematik des Menschen und des Lebens
Erstes Kapitel. Humboldt als „Zeitgenosse"
Zweites Kapitel. Erlebniswelt und Weltansicht des jungen Humboldt
Drittes Kapitel.Die Erotik im Erleben und in der Weltansicht Humboldts
Viertes Kapitel. Humboldt und das Problem des romantischen Typus
Fünftes Kapitel. Die Abkehr vom Staate
Sechstes Kapitel. Die Wanderjahre 1797—1808
Zweites Buch: Politik als Beruf
Erstes Kapitel. Die Wendung zum Staat
Zweites Kapitel. Als Gesandter in Wien, 1810/15
Drittes Kapitel. Hardenberg und Humboldt; Gegensatz der Charaktere und Lebensformen
Viertes Kapitel. Persönliche und sachliche Auseinandersetzung 1815/17
Fünftes Kapitel. London und Aachen
Sechstes Kapitel. Frankfurt. Die Niederlage
Übersicht der hauptsächlich benutzten Quellen und Darstellungen
Anmerkungen
Nachwort
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Wilhelm v. Humboldt und der Staat: Ein Beitrag zur Geschichte deutscher Lebensgestaltung um 1800 [Reprint 2019 ed.]
 9783486754513, 9783486754506

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Nach einer bisher nicht veröffentlichten Statuette von F . Drake, nach dem Leben angefertigt 1834

W i l h e l m v. H u m b o l d t und der Staat Ein Beitrag zur Geschichte deutscher Lebensgestaltung um 1800 Von

S. A. K a e h l e r Privatdozent an der Philipps-Universität

„Die mich genau beurteilt haben, fanden immer, daß ich durch meine Naturanlage weder zu großen Taten des Lebens noch zu wichtigen Werken des Geistes bestimmt bin, daß aber meine eigentliche Sphäre das Leben selbst ist, es aufzunehmen, zu beobachten, zu beurteilen, zu behandeln und zu gestalten. Das Auffassen der Welt in ihrer Individualität und Totalität ist ja gerade mein Bestreben." W. v. Humboldt, Bruchstück einer Selbstbiographie 1816.

Iii M ü n c h e n D r u c k

und

und

V e r l a g

B e r l i n von

R.

1927 O l d e n b o u r g

Alle Rechte, einschließlich der Übersetzung, vorbehalten. Copyrigth 1927 by R. Oldenbourg, München.

Dem

„Freiburger 1907—1911.

Kreis"

Dr. phil. Walter Sohm Privatdozent der Geschichte zu Marburg f 10. August 191h als Leutnant d. R. im Füs.-Rgt. Dr. phil. Berthold v. Möller f als Kriegsfreiwilliger 22. Juni 1915 Dr. phil. Johannes Kramer Assistent an der Bibliotheca Hertziana f als Kriegsfreiwilliger 4. August 1915

in

Rom

Dr. phil. Eduard Wilhelm Mayer f 17. September 1917 *

Frau Lina Mayer geb. Kulenkampff Dr. phil. Frau Frances Magnus geb. Freiin von Hausen Dr. phil.

Hauptmann

Den Den

V ollendet Lebenden

Erich Mareks im 3. Artillerie-Regiment *

en

in in

Dankbarkeit Freundschaft.

90.

Inhaltsverzeichnis.

Seite

Erstes Buch: Die Problematik des Menschen und des Lebens Erstes Kapitel H u m b o l d t als Z e i t g e n o s s e Seine Methode des Philosophierens „am Leben" Der Beruf zur „Kritik" und „Interpretation" Das faustische Element in der kritischen Tendenz: „Erleben" statt „Erkennen" Humboldt als Repräsentant deutschen Geisteslebens um 1800

3—15 3 7 9 11 13

Zweites Kapitel E r l e b n i s w e l t und Weltansicht des j u n g e n H u m b o l d t . . . . 16—58 Humboldts „normaler" Bildungsgang 17 Als Anlaß zum Weltschmerz: das Traumreich 18 „Die einzige Sehnsucht" 20 Die ersten Reisen und ihre Eindrücke 21 Bekanntschaft mit Jacobi und Lavater 23 Humboldts Charakteristik durch Lavater 24 Genießen und Sammeln, „Idee" und „Manie" 26 Die Theorie des Lebensgenusses und Humboldts sog. Mission 27 Luther, Rousseau und Humboldt 28 „Prometheischer Mensch" und „interessante Individualität" 31 Die passive Energie des Genießens 33 Der passive und der aktive Mensch: Wilhelm und Alexander Humboldt . . 35 W. Humboldts Selbstbestimmung zum „Leben in Ideen" als Abwehr gegen die Bedrohung durch die Lebensform Alexanders 38 „Die Restauration aller Wissenschaft und allen menschlichen Bemühens" . 40 Selbstbejahung und Selbstgenuß in Theorie und Praxis 43 Humboldts Bildungswelt und der Bereich der Religion 45 „Reue" und „Schuld"; das Harfnerlied 48 Die Verwandlung von Schmerz in Genuß 50 Das schöne Rätsel des Daseins und der Lebensgenuß ohne Aufgabe . . 54 Unproduktivität und Verstimmung 56 Drittes Kapitel D e r e r o t i s c h e B e r e i c h in H u m b o l d t s L e b e n s gestaltung Der Lebensgenuß: ein Gelehrtendasein, auf dem Hintergrund einer geprägten Erotik Die grundsätzliche Bedeutung dieses Sachverhalts Die Selbstanalyse Humboldts von 1789 und ihre Bedeutung für Charakteristik ; . . : . .

59—107 aus59 62 seine : . 64

VI

Inhaltsverzeichnis. Seite

Die Aufsätze von 1795: „logisiertes Erlebnis" 67 Humboldts Metaphysik des Genusses 68 Die Erlebniswelt: Henriette Herz und der „Zirkel" 69 Therese Forster 70 Die Frauen des Zirkels und die Damen aus Thüringen 74 Konventionsehen und Neigungsehen 75 Sprachlicher und geistiger Stil der Brautbriefe 76Die Verlobung: fata volentem dueunt, nolentem trahunt 77 Idee und Wirklichkeit der Humboldtschen Ehe 81 Humboldts „Bildungstheorie" erst durch die Ehe ermöglicht 83 Romantisches E m p f i n d e n ; Liebe als „Interpretation" 85 Die B e r u f u n g zur Menschheitsbeglückung 86 Genießen und Idealisieren 87 88 „ D i e Welt aus einem Gefühl a u f b a u e n " Ideal und Wirklichkeit der Humboldtschen E h e ; Genuß und Schmerz . . . 91 „ E s gehen manchmal Gespenster in der Seele a u f " : Johanna Motherby . . 93 Charlotte Diede und die „ I d e e " des Gehorsams 97 Die Höhenlage der Ehe und der „Traumgestalten" 99 Die Bildungstheorie macht aus der Not eine Tugend . . 100 Die Lebenskrise von 1797 102 Die Rettung durch den Staatsdienst 104 D a s „als o b " der bisherigen Biographen Humboldts 105 Viertes Kapitel H u m b o l d t und das Problem des romantischen Typus 108—123 W a r Humboldt eine „klassische" oder eine „komplizierte" Natur? . . . 109 Die Definition des Romantischen nach Schmitt-Dorotiö 110 Kongruenz von Humboldts Struktur mit der romantischen Haltung . . . 1 1 3 Sprangers Ansicht der „halben Romantisierung" Humboldts 114 Humboldts romantisierender Subjektivismus vor Fichte und der Frühromantik 115 Die Neutralisierung der Wirklichkeit: „Handeln als handelte man n i c h t " . 116 Die romantische „Realität" und Humboldts Griechenideal 118 Die „romantische Leistung: Kritik und Charakteristik" 119 Grenzen der Übereinstimmung mit der Romantik 120 „Die Gegenwart ist eine g r o ß e Göttin" 122 Fünftes Kapitel Abkehr vom Staat. 1790/92 Staat und Staatsdienst als Problem 1790 Problem des richterlichen Berufs Entschluß zum Verzicht auf amtliche Tätigkeit Politische Schriftstellerei: die Ideen über Staatsverfassung (1791) Der Eigenwert der geschichtlichen Sphäre Humboldts Ansicht der Revolution auf Grund der persönlichen Eindrucke 1789.. Dalbergs Beglückungstheorien von Humboldt im J a h r 1785 ebenfalls vertreten Der Umschwung seiner Anschauungen seit 1788

124—150 124 125 126 . . . 128 130 131 134 135 136

Inhaltsverzeichnis.

VII Seite

Gedankengang der „Ideen" von [792 137 Der extreme Individualismus Humboldts in bezug auf den Staat . . . . 1 3 8 Die „Sicherheitstheorie" — übernommen von C. W. v. Dohm . . . . 1 4 0 Die Ablehnung der politischen Repräsentation 141 Humboldts „Ideen" und die Wirklichkeit des preußischen Staates . . . 142 Die Idee der Staatseinheit und Staatsmacht 143 Das Problem des Krieges; Staat und Nation 144 „Die Theorie aller Reformen; das Prinzip der Notwendigkeit" 145 Warum das „grüne Buch" nicht gedruckt wurde 146 ,,His State was only possible in a Community of Humboldts" 149 Sechstes Kapitel W a n d e r j a h r e : P a r i s , S p a n i e n , R o m . 1797—1808 . . . 151—207 Statt einer '.italienischen Reise Übersiedlung nach Paris Herbst 1797; das Erlebnis der wirklichen Gegenwart in Staat und Gesellschaft . . . . 1 5 3 Rückblick und Ausblick am Silvester 1797: der Reiz des N e u e n . . . . 1 5 5 Die Briefe der Pariser Zeit als „Kritik und Charakteristik" Frankreichs . . 158 Die Idee der Einheit der modernen Geschichte seit 1500 160 Pariser Eindrücke: der General Bonaparte 161 Näherer Umgang mit Sieyfes 162 Rousseau und Humboldts Ansicht vom Repräsentativsystem 164 Das philosophische Konzil vom Mai 1798 166 Die Revolution im Urteil Humboldts 168 Literarische und gesellschaftliche Beziehungen; Frau v. Stael 171 Die Stadt und ihre Landschaft 174 Die Spanische Reise Herbst 1799 — Frühjahr 1800 176 Madrider Eindrücke; „nur die Deutschen wissen, wer sie hinter den Coulissen sind." 177 Südländischer Katholizismus 178 Die spanische Landschaft: Gebirge und Meer . . 179 Der Montserrat bei Barcelona: spanisches Eremitentum 181 Der E r t r a g der Reise; die Idee der Sprachvergleichung 183 Rückkehr nach Deutschland; Berliner- Zwischenspiel 184 Bewerbung um die preußische Residentenstelle in Rom 185 Die preußische Kirchenpolitik und die Instruktion für Humboldt . . . . 187 Art und Umfang von Humboldts amtlicher Tätigkeit 189 Humboldt als Vertreter von Darmstadt und Oranien; Idee eines kirchenpolitischen „Fürstenbundes" 191 Die „Stadt der Trümmer" und ihre Wirkung auf Humboldts Stimmung . 192 Der Gewinn für die Lebensgestaltung durch die „gewöhnliche Tätigkeit" . . 193 Die Uberwindung der chronischen Krise durch den Fortgang aus Deutschland 195 Die literarischen Arbeiten der römischen Jahre 196 Lebensart und Lebenskreis des Humboldtschen Hauses 197 Das Leben ein Traum: die Stadt, die Landschaft, die Weltgeschichte . . 198 Rom heilt die romantische Sehnsucht nach dem Unendlichen 199 Die Schicksalsschläge: Tod der Kinder und Schillers 201 Das Weltgeschehen der Jahre 1805/06 läßt Humboldt unberührt . . . . 203 Der Zusammenbruch Preußens und Humboldts Stellung 204 Der Abschied von Rom: fata nolentem trahunt 207

VIII

Inhaltsverzeichnis.

Zweites Buch: Politik als Beruf.

Seile

Erstes Kapitel D i e W e n d u n g z u m S t a a t , 1808/10 211—249 Rückkehr nach Deutschland; Erfurt und Weimar . ; 211 Unerwartete Berufung; der „leidige Krieg" 212 Äußere und innere Voraussetzungen der Berufung 213 Zweifel und Erwägungen; das Opfer des römischen Daseins 215 „Entschluß und Überlegung schweifen unstet umher" 217 Entschluß aus „materiellen" Gründen 218 Veränderte Bewertung der „Wirklichkeit", das „Handeln" gewinnt „Wichtigkeit" 219 Humboldts Bereitschaft zur „Leistung" für andere 223 Das Programm der Akademierede und die geistespolitische Lage und Zukunft der Nation 2J3 Der Geheime Staatsrat in Königsberg 225 Pläne zur Reform des Unterrichtswesens; Organisation der Sektion . . . 327 Die Gründung der Universität Berlin 229 Die „ I d e e " der Universität als deutscher Vorrang vor dem Ausland . . . 231 Die Rückwirkung der Wirksamkeit auf Humboldts Lebensstimmung . . . 232 Charakter seiner Arbeiten: Entspannung und Reife 234 Sehnsucht nach Rom, „gothische Gefühle", romantisches Empfinden . . . 235 Denken und Wirken in Dienst und Art der Aufklärung 236 Individualität, Universalität, Totalität des Idealisten 237 238 Der Abschluß der Amtstätigkeit: Kampf um den Staatsrat Humboldts Stellung zum Ministerium Dohna-Altenstein 240 Humboldts Denkschrift vom Juli 1809; Sachlichkeit und Ehrgeiz . . . 2 4 1 Latenter Konflikt Herbst 1809 —April 1810 243 Humboldt setzt sich trotz Unterstützung der Königin nicht durch; Abschiedsgesuch v. 29. April 245 Übertritt in die Diplomatie mit dem Rang eines Staatsministers . . ; . . . . 246 veranlaßt durch Humboldts „Vorschlag zur Behördenorganisation" . . . 247 Zweites Kapitel A l s G e s a n d t e r i n W i e n , 1810—1815 .250—79 Der Wiener Posten uqd seine Vorzüge 250 Gesandter und Gelehrter; das Verstummen des Briefschreibers 253 Politische Geselligkeit und geistige Berührungen 254 Diplomatische Berichterstattung und Stellung zu Hardenberg 255 Unbefriedigte Leidenschaften; die Zwiespältigkeit seines Wesens 256 „Handeln als handle man nicht"; die romantische Passivität C57 Die doppelte Funktion der Theorie des Handelns 259 „Die Gefühle der Wirklichkeit und die Ansprüche des Idealischen" . . . 260 Die politische Lebensstimmung der Jahre 1813/15 261 Die politische „ U m k e h r " : „Alles Große wird nur durch Opfer errungen" . 263 Der Prager Congreß vom Juli 1813: „keiner sieht die Dinge wie sein Leben a n " 265 „Der Frieden führt sicherer ins Verderben als der Krieg" 267 Wirklichkeit der Gegenwart und Traum des Altertums 268

Inhaltsverzeichnis.

IX Selle

„Je suis charmé de réparer cette faute à Châtillon" Der Panser Friede vom Frühjahr 1814: „ideelle" Franzosenfeindschaft Humboldts Der Wiener Congreß 1814/15 Humboldts Politik während des zweiten Pariser Friedens Die Grundzüge von Humboldts deutscher Politik Anspruch und Aussicht Preußens auf die deutsche Führung

269 270 271 273 275 277

Drittes Kapitel Hardenberg und Humboldt; Gegensatz der C h a r a k t e r e und L e b e n s f o r m e n 280—304 Die Humboldt-Konvention v. 21. November 1815; Abschied von Paris . 280 Die Korrespondenz mit Hardenberg 1815/18, ein vielgestaltiges R ä t s e l . . 281 Der Rhythmus in seinen Freundschaften; „Brief", „Idee' und Gespräch . 284 Der „ideelle" oder „sachliche" Gehalt seiner Briefe 286 Das Gesuch um Verleihung einer Dotation v. 1. November 1815 . . . . 287 Der Unterschied der Auffassung vom Staatsdienst 288 Hardenbergs Verwaltungsmaximen; der „geniale K o p f " 289 Humboldts „gebildeter Beamter": die Verschiedenheit der „ T y p e n " . . . 291 Die ersten dienstlichen Beziehungen; die Idee der Verantwortlichkeit . . . 294 Verantwortlichkeit und Beamtengehorsam 295 Verschiedenheit der Lebensgestaltung; Hardenberg braucht keine „Freunde" 296 Humboldts Idee der „Mitarbeiterschaft"; war er zur Nachfolge Hardenbergs befähigt ? 298 Seine „politische" Selbstanalyse von 1816 300 Hardenberg und Humboldt verglichen in „Genuß" und „Tätigkeit" . . . 302 Die Tragik in Humboldts politischem Streben 303 Viertes Kapitel P e r s ö n l i c h e und sachliche A u s e i n a n d e r s e t z u n g 1815/17 305—351 Ein Weihnachtsbesuch Hardenbergs 305 Hardenbergs Stellung in Berlin 1813 und 1816 306 Frühere Pläne zur Verwendung Humboldts 307 Hardenbergs Gespräch mit Frau v. Humboldt und sein Ergebnis 308 Humboldt als möglicher Führer der Opposition 312 Sein Programm vom Sommer 1816 313 Die Hoffnung auf ein Ministerium 314 Verwaltungskritik der Briefe an Hardenberg 1816 316 Innerpolitische Lage im Sommer 1816 318 Paris oder London? Brief vom 18. August 1816 319 Die Neigung zur diplomatischen Kleinarbeit 321 „La satisfaction principale dans les affaires" 323 Die Denkschrift über den Deutschen Bund vom 30. September 1816 . . . 324 Humboldts Gedanke der übereinstimmenden Politik von Berlin und Wien . 325 Humboldt und Graf Reinhard als Repräsentanten politischer Tendenzen . 326 Die Denkschrift als Beispiel politischer „Interpretation" 327 Die tieferen Hintergründe seines Amtseifers: horror vacui 328

X

Inhaltsverzeichnis.

Seite Die „negative" Funktion des Bundes bedingt für Preußen eine Politik der „moralischen E r o b e r u n g " 329 Der Bund und das europäische Staatensystem 331 Weder Paris noch Berlin, sondern London? 334 Erste Anzeichen persönlicher Spannung im Herbst 1816 335 Der Brief vom 4. Februar 1817 338 Am Ziel: Humboldt im Staatsrat, Vorsitz in der Steuerkommission . . . 340 Popularität und ihre Gefahren 341 Zukunftsahnungen 342 Gutes Einvernehmen mit Hardenberg 343 Enttäuschungen in jeder Richtung: nach London! 344 Denkschrift vom 14. Juli 1817 kündet Humboldts Opposition an . . . 346 Der Aufbruch nach England 348 Der „Zauber" der Frankfurter Tage 349 Die Entscheidung 350 Fünftes Kapitel. L o n d o n u n d A a c h e n , 1817/18 Londoner Eindrücke Vergangenheit und Gegenwart Englische Gesellschaft und englische Politik Die englische Presse Fragen an Gegenwart und Zukunft Verhältnis zu Hardenberg Das neue Ministerium vom November 1817 Humboldt rechnet auf Wirksamkeit im Staatsrat Das Rückberufungsgesuch vom 4. April 1818, seine Voraussetzungen und seine Folgen War es ein Abschiedsgesuch ? Widersprüche in Humboldts Verhalten Ministerverantwortlichkeit und homogenes Ministerium Beginnender Kampf um die Macht Bemstorffs Ernennung zum Minister des Auswärtigen Der Weg frei nach dem Kontinent Neue Eingaben an König und Kanzler Opposition gegen das Staatskanzleramt; das „sich selbst verantwortliche Ministerium" Aachen. Die Brüder Humboldt und der Staatskanzler Audienz bei Friedrich Wilhelm III Gespräche mit Hardenberg Ein Zusammenstoß und seine Gründe

352—390 352 353 354 356 357 360 362 363 365 367 368 37 t 372 374 376 377 379 382 385 386 388

Sechstes Kapitel. F r a n k f u r t : d i e N i e d e r l a g e , 1819 Übersiedlung nach Frankfurt; Stein Die alten Probleme Richtlinien künftigen Verfahrens Der Ruf des Schicksals

391—432 391 392 395 397

Inhaltsverzeichnis. Kampfgemeinschaft mit Witzleben und Boyen Annehmen oder Ablehnen ? Mißverständnisse Die Verfassungsfrage Die Kabinettsorder vom 31. Januar 1819 Möglichkeiten und Unmöglichkeiten Die Eingabe vom 9. Februar 1819 Aussichtslose Lage Die Kabinettsorder vom 17. Februar 1819 Witzleben greift nochmals ein Die Entscheidimg Humboldts Abfall von sich selbst Rückblick auf das Jahr 1809 Stein 1807 und Hardenberg 1810 Das „Handeln in Formen" Wirklichkeit und Idee; versagende Menschenkenntnis Humboldt und Hardenberg im Kampf um die Macht Der Ausgang: das Jahr 1819 Sands Attentat und die Reaktion Humboldt in Berlin als Führer der Opposition Bundesgenossenschaft mit Reaktion und Feudalismus Kampf gegen Hardenberg und die Karlsbader Politik Hardenbergs Abwehr; Humboldts Verabschiedung Humboldts Grundgedanken über das Verfassungsproblem Abschied vom Staat und von der „Wirklichkeit" Anmerkungen Nachwort

XI Seite

398 399 400 401 404 405 407 409 410 411 413 413 414 415 416 417 419 421 422 423 424 425 427 428 432 434—572 573

Lebensdaten. 1767, 22. J u n i : W. v. Humboldt geboren in Potsdam als Sohn des Majors und Kammerherrn Alex. Georg Freiherrn v. Humboldt und seiner Frau Marie Elisabeth geb. v. Colomb, verw. v. Holwede. 1769, 14. September: Alexander v. Humboldt geboren in Berlin. 1779» 6. J a n u a r : A. G. Freiherr v. Humboldt gestorben in Berlin. 1787, Herbst: Student in Frankfurt a. O. 1788, Ostem bis 1789 Herbst: Student in Göttingen. 1788, Herbst: Reise „ins Reich". 1789, Juli-Dezember: Reise nach Paris und in die Schweiz. 1789, 16. Dezember: Verlobung in Erfurt mit Caroline v. Dacheröden, geboren 23. Februar 1766. 1790, J a n u a r : Referendar am Kammergericht in Berlin. 1791, F r ü h j a h r : Ausscheiden aus dem Staatsdienst mit dem Titel eines Legationsrates. 1791, 29. J u n i : Vermählung in Erfurt. Bis 1793; Landleben in Burgörner b. Mansfeld und Auleben. Reisen nach Erfurt, Berlin, Weimar, Jena. 1792, J a n u a r : „Ideen über Staatsverfassung, durch die neue franz. Revolution veranlaßt" in der Berlinischen Monatsschrift. Teilweise Veröffentlichung der „Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen" in Schillers „Thalia", H. 5 und in der Berlinischen Monatsschrift. 1794, F e b r u a r : Übersiedlung nach Jena, Freundschaft mit Schiller. September: Rezension von Jacobis „Woldemar" in der Allgemeinen Literaturzeitung. 1795, F r ü h j a h r : „Über den Geschlechtsunterschied und dessen Einfluß auf die organische N a t u r " in Schillers Hören, H. 2. „Über männliche und weibliche F o r m " Hören, H. 3 (beide Aufsätze anonym). Rezension von F. A. Wolfs Ausgabe der Odyssee, Allgemeine Literaturzeitung, H. 2. Juli bis 1796 August: Aufenthalt in Tegel bei Berlin. 1796, Herbst: Reise nach Norddeutschland (Rügen, Eutin, Hamburg). I. November: Rückkehr nach Jena. 14. November: Frau v. Humboldt geb. v. Colomb gestorben. 1797, Juni bis August: Aufenthalt in Dresden. Herbst: Reise nach Wien. Novembex Übersiedlung na^h Paris zusammen mit Alex. v. Humboldt. 1799, J u n i : Alex. v. Humboldt tritt seine Amerikareise an. Wilh. v. Humboldts „Ästhetische Versuche. Erster Teil. Über Goethes Hermann und Dorothea". Braunschweig, Vieweg. Selbstanzeige dieser Schrift in Millins Magasin encyclopédique. September bis 1800, April: W. v. Humboldts Reise nach Spanien.

Lebensdaten.

XIII

1800, „Über die gegenwärtige Französische tragische Bühne" in Goethes Propyläen, H. 3. 1 8 0 1 , April bis J u n i : Reise in die baskischen Provinzen. August: Heimkehr nach Deutschland; Wohnsitz in Tegel. 1802, August: Humboldt zum Geh. Legationsrat und Preuß. Residenten beim Päpstlichen Stuhl ernannt. 25. November: Ankunft in Rom; Wohnung zunächst Villa di Malta, dapn Palazzo Tomati. 1803, „Der Montserrat bei Barcelona", Allgemeine Geographische Ephemeriden, Bd. 1 1 . 15. August: Tod des ältesten Sohnes Wilhelm, geb. 1794. 1804, Frau v. Humboldt in Paris; Rückkehr Alex. v. Humboldts. 18. Oktober: Tod der Tochter Luise, geb. 1804. 1806, „Rom von W. v. Humboldt" (Elegie), Berlin 1806. 1807, 12. November: Tod des Sohnes Gustav, geb. 1806. 1808, 14. Oktober: Humboldts Reise nach Deutschland mit dem Sohn Theodor. Frau v. Humboldt bleibt mit den Töchtern in Rom. 1809, 20. Februar: Ernennung zum Geh. Staatsrat und Direktor der Sektion für Kultus und Unterricht im Ministerium des Innern. 1809/10 Organisation des preuß. Schulwesens; Vorbereitung der Gründung der Universität Berlin. 13. April bis 5. Dezember: Humboldt in Königsberg am Sitz der Staatsregierung. 15. Dezember bis 1810, 20. Januar: Urlaub nach Erfurt, Rudolstadt, Weimar. 1X10, 29. April: Entlassunggesuch. 14. Juni: Ernennung zum Staatsminister und Gesandten in Wien. 22. September: Übernahme der Gesandtschaft in Wien. 2 1 . Oktober: Ankunft Frau v. Humboldts in Wien. 1 8 1 2 , 1 1 . Juni bis 2 ; . August: Urlaubsreise nach Berlin und Thüringen. Dezember: „Ankündigung einer Schrift über die baskische Sprache und Nation" etc. in Schlegels Deutschem Museum, Bd. 2. 1 8 1 3 , 12. Juli bis 22. August: Preußischer Bevollmächtigter auf dem Prager Congress. Eisernes Kreuz. 2. September: Im österreichischen Hauptquartier. 1 8 1 4 , 3. Februar bis 21. März: Bevollmächtigter auf dem Kongreß von Chatillon. 13. April bis 3. Juni: Mit dem Hauptquartier in Paris. 1 1 . Juni bis 30. J u l i : Als Begleiter des Königs in London und in der Schweiz. 8. August: Als zweiter Bevollmächtigter Preußens zum Kongreß aber mals in Wien. 1:815, 16. Juli bis 22. November: Als zweiter Bevollmächtigter in Paris zum Friedensschluß. 28. November: Bevollmächtigter bei den Territorialverhandlungen in Frankfurt a. M. 1 ¡816, ..Aeschylos' Agamemnon metrisch übersetzt von W. v. Humboldt," Leipzig 1816.

XIV

Lobeosdaten.

1 8 1 7 , 10. Januar: Abreise von Frankfurt. „Berichtigungen und Zusätze . . . über die baskische Sprache" von W. v. Humboldt in Adelungs und Vaters Mithridates Bd. 4, 1 8 1 7 . Japuar/Februar: Urlaub auf thüringischen Gütern. 5. März bis 23. J u l i : Teilnahme an den Sitzungen des Staatsrates in Berlin. August: Reise nach Schlesien. Karlsbad und Frankfurt. 1 1 . September: Abreise nach England als preußischer Gesandter. 5. Oktober bis 1 8 1 8 , 30. Oktober: Als Gesandter in England. 1 8 1 8 , 4. November bis 2. Dezember: Als Zuschauer beim Aachener Kongreß. 5. Dezember: Wieder Bevollmächtigter bei den Territorialverhandlungen in Frankfurt. 1 8 1 9 , 1 1 . Januar: Ernennung zum ..Minister für Ständische Angelegenheiten". 9. August: übernähme dieses Ministeriums in Berlin. 3 1 . Dezember: Entlassung aus dem Ministeramt und der Mitgliedschaft des Staatsrates. 1820 bis 1 8 3 5 : Wissenschaftliche Forschung auf Schloß Tegel. 1829, 26. März: Frau v. Humboldt gestorben in Berlin. 8. Mai: Ernennung zum Vorsitzenden der Kommission für die Einrichtung des Staatlichen Museums. 1830, 15. September: Wiederberufung in den Staatsrat unter Verleihung des Schwarzen Adlerordens. 1 8 3 5 , 8. April: Wilhelm v. Humboldt gestorben in Tegel.

Erstes Buch:

Die Problematik des Menschen und des Lebens.

Ktehler,

Humboldt.

Erstes

Kapitel.

Humboldt als „Zeitgenosse". Ranke, mitten im Fluß seiner Darstellung der Geschichte Hardenbergs, rückt dem Leser in einiger Unvermitteltheit-den maßgebenden Gesichtspunkt seiner Schilderung vor Augen: „Es ist nicht der biographische Moment, der unsere Aufmerksamkeit fesselt; was läge an sich so großes an Hardenberg ? E r ist nur dadurch einer historischen Darstellung würdig, daß er um die Befestigung und Wiederherstellung der preußischen Selbständigkeit das größte Verdienst hat" 1 ). Eine historische Beschäftigung mit der Gestalt Wilhelm von Humboldts findet ihre wesentliche Rechtfertigung heute in der geraden Umkehrung des Rankeschen Gedankens. Nicht, was Humboldt als Diplomat oder sonst an politischer Arbeit für Preußen geleistet hat, — sehen wir ab von seinem Anteil an der Gründung der Berliner Universität, — lenkt den Blick der Nachwelt auf ihn zurück. Eben der biographische Moment ist es und wesentlich nur der biographische Moment, welcher immer und immer wieder dazu auffordert, dem Lebensweg dieses einzigartigen Mannes nachzugehen. Nicht was er tat und leistete, vielmehr wie er es anlegte, um zu seiner Leistung zu gelangen, vor allem aber: was er selbst und wie die innere Voraussetzung seines Wirkens beschaffen war, — das sind die Fragen, welche einer geschichtlichen Betrachtung Wilhelm Humboldts von seiner Wesensart gestellt werden. Eine Aufgabe von nicht geringen Schwierigkeiten 8 ). Zu schildern und zu erzählen gibt es so gut wie nichts; die Verhältnisse, in welchen Humboldt gelebt, die Aufgaben, vor welche er gestellt war, der äußere Verlauf seiner politischen Tätigkeit sind ^ bekannt und haben zu wiederholten Malen erschöpfende Darstellung gefunden. Was zu tun übrig bleibt, und wonach im Wechsel der Generationen immer wieder nach dem Wechsel der Maßstäbe das Bedürfnis sich regen wird, das ist der Versuch, eine Anschauung zu gewinnen von der inneren Stellung dieses außerordentlichen Menschen zu seiner Zeit und Umwelt. Der tausendfach geschliffene Spiegel unaufhörlicher Reflexion, welche in Hunderten von Briefen und nicht zuletzt in den Tagebüchern der Jugendzeit ihren Ausdruck gefunden, hat das Wesen dieser Natur, welcher die Tat versagt war, sicher und scharf aufgefangen. In ihm können wir die seltsamen Züge

4

Erstes Kapitel.

dieses Mannes lesen und studieren1). Einer der Bekenntnisbriefe seiner jungen Jahre, ein Brief an Forster hat das Thema aufgezeichnet, dessen Variationen das Leben Humboldts ausfüllen sollten: „Mir heißt ins Große und Ganze wirken, auf den Charakter der Menschheit wirken, und darauf wirkt jeder, sobald er auf sich und bloß auf sich wirkt"2). E s hat Zeiten im Leben Humboldts gegeben, in denen die Gestaltung seiner Lebensform sehr weit von dieser Grundeinstellung sich zu entfernen schien und auch entfernt gewesen ist. Aber darin hat dies Wort, halb eingegeben von klarer Selbsterkenntnis, halb der Ausdruck unbewußter Vorahnung, seine innere Wahrheit bestätigt erhalten, daß die Wirkung, welche Wilhelm Humboldt auf die Nachwelt ausübt, immer auf die Anschauung seines geistigen Wesens ausschließlich zurückführen muß. Niemand hat es besser gewußt, als dieser Virtuos der Selbstbeobachtung, wie in allem, was hervorzubringen er sich bemüht, sein „Erdenrest zu tragen peinlich" spürbar bleibt weit hinaus über das Maß, in welchem die Grenzen der Menschheit sich auszuwirken pflegen auch in den Werken der Größten. Der Unterschied zwischen den „wahrhaft gelungenen Werken . . . und denen wie den meinigen . . . besteht darin, daß diesen immer das Individuum anhängt, ohne daß sie davon loskommen können, während die anderen sich losreißen und dem Individuum eine durch sich selbst vom Leben unabhängige Gestalt geben" 8 ). So äußert sich Humboldt im Blick auf das Werk, dem er in unverdrossener Arbeit die besten Stunden seiner reifen Jahre gewidmet hat, — im Blick auf die Übersetzung des Agamemnon des Äschylos. Aber diese Erkenntnis gilt nicht minder seinem politischen Wirken. Wie Rankes Urteil es bestätigt, gehört im politischen Bereich auch Hardenberg zu jenen Könnern, deren Werk von ihrer Person sich löst und zu eigenem Leben gelangt. Humboldts Geschick aber war und bleibt es, daß jene Tätigkeit, an die er in langen Jahren seine Kraft setzte, nur darum noch der Beachtung wert ist, weil und so weit seines seltsamen Wesens Spuren in seinem Tun erkennbar sind. „Humboldt erweckt bei flüchtiger Lektüre den Eindruck der Bedeutendheit, von der wirklichen Bedeutung seiner Gedanken aber bekommt man dabei keinen Begriff. E r gleicht in dieser Beziehung einigen der alten Schriftsteller, die eine streng philologische Interpretation erfordern, nicht sowohl, weil ihre Sprache und ein Teil ihrer Anschauungen uns fremd sind, sondern weil alles, was sie sagen, so eng mit dem Ganzen ihres geistigen und seelischen Gehaltes verknüpft, so aus dem Tiefsten ihrer Innenwelt geschöpft ist, daß nur eine völlige Hingabe an ihre Denk- und Empfindungsweise, ein Sichhineinleben in ihre Vorstellungen und Ideen uns zu sicherem Verständnis führen kann." So urteilte einst Louis Erhardt in einem feinsinnigen Aufsatz, welcher Humboldts geschichtsphiloso-

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phische Hauptschrift „Über die Aufgabe des Geschichtsschreibers" analysiert. Die Beobachtung des Interpreten findet ihre Bestätigung durch Humboldt selbst in einem knapp umrissenen Selbstporträt aus seinen letzten Jahren: „Es gibt Ideen, mit denen der Geist gleichsam zusammengewachsen ist . . . die ihn, wie beständige Leiter, Freunde, Tröster begleiten, und diese Ideen, die so zu ihm stehen, sind gerade immer die eigentümlichsten, diejenigen, die ein anderer oft gamicht, oft erst nach Jahren verstehen und begreifen kann, was gamicht daran liegt, daß sie ihm, wie man es auszudrücken pflegt, zu hoch, zu verwickelt wären, sondern nur daran, daß sie unzertrennbar mit einem anderen Individuum verbunden sind"1). Solche Ideen, wie Erhardt sie dem Philosophen abgespürt hat, wie der Mensch Humboldt ihrer Wirkung und ihrer Bedeutung für das eigene Leben von jeher sich bewußt gewesen ist, — solche eigentümliche Ideen, „mit denen der Geist gleichsam zusammengewachsen ist", lebten auch in dem Politiker Humboldt und bestimmten sein praktisches Verhalten wie seine theoretischen Arbeiten. Ihrer Entstehung nachzugehen, ihre Wirkung auf das Verhalten Humboldts und somit mittelbar auf die allgemeinen Verhältnisse seiner politischen Wirksamkeit zu verfolgen, — dieser Wunsch übt auf die Forschung um so mehr einen hohen Reiz aus, als die letzten Jahrzehnte die Quellen zur Kenntnis seines äußeren Lebens wie seiner geistigen Welt in ungeahnter Fülle erschlossen haben. Seit der Veröffentlichung des Briefwechsels der Gatten und der frühen Tagebücher Humboldts zählt seine Erscheinung wohl mit zu den am besten „dokumentierten" Gestalten des deutschen Geisteslebens in der Zeit seiner reichsten Entfaltung. Für die Darstellung der philosophischen Entwicklung Humboldts haben die neu erschlossenen Quellen ihre Verwertung gefunden in den beiden bedeutsamen Büchern Eduard Sprangers8). Wohl hat Bruno Gebhardt in seiner zwei Bände umfassenden Veröffentlichung das in den Archiven ruhende Material in weitem Umfang herangezogen und mit Geschick so weit verarbeitet, daß die Darstellung von Humboldts Teilnahme an den politischen Ereignissen seiner Zeit in ihren äußeren Umrissen festliegt, so d a ß von der weiteren Forschung eine wesentliche Korrektur des einmal entworfenen Bildes von Humboldts staatsmännischer Laufbahn nicht zu erwarten steht. Allein schon bei dem Erscheinen des Gebhardtschen Buches hat die Kritik empfunden, wie sein Verfasser es daran hat fehlen lassen, Humboldts „Politik", das heißt seine politische Praxis wie seine Theorie, in den inneren Zusammenhang der geistigen Bewegung der Zeit einzuordnen und vor allem sie aus den eigenen Voraussetzungen Humboldts zu entwickeln und zu erklären3). In diese doppelte Richtung weisen daher die Ziele einer Arbeit, welche Humboldts Verhältnis zum Staat wie die

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Bedeutung des Staates für seine persönliche Entwicklung untersuchen und darstellen will. Mehr noch aus den Tagebüchern der Frühzeit, als aus dem späteren Briefwechsel mit der Gattin tritt die Tatsache hervor, in wie hohem Grade Humboldt „Zeitgenosse" sein wollte, und in wie ungewöhnlichem Maße er es wirklich gewesen ist. Von den ersten Reisetagebüchern des Zwanzigjährigen an häuft sich auf den engbeschriebenen Blättern dieser Journale ein ausgesuchter Stoff gesammelter „Erlebnisse". Sie werden ergänzt und noch übertroffen an Gehalt durch einen sehr umfangreichen Briefwechsel. Dieser Sammlung von Erlebnissen ihren Sinn und ihren Ertrag für seinen geistigen Haushalt abzugewinnen, ist Humboldt mit einer eigenen, halb philosophischen und dabei sehr persönlichen Methode unablässig bemüht. Ein buntes Bilderbuch entsteht, in welchem zuerst das nordwestdeutsche Kleinleben von 1790 im Spiegel nicht eben bedeutender Gegenstände und Personen festgehalten wird; auf dessen späteren Seiten die interessanten Gestalten der Pariser Salons aus den Jahren des Direktoriums erscheinen; dessen Abschluß und Gipfelpunkt das mit emsigem Fleiß geführte Tagebuch der Reise nach Spanien bildet. In großen Zügen aber tritt hinter allen Einzelheiten, je länger desto deutlicher der Gegenstand hervor, welchem die forschende Aufmerksamkeit Humboldts in diesen Jahren an erster Stelle gehört: die Erkenntnis des Charakters der Menschheit in seinen nationalen Brechungen, wie sie im Bau der Sprache an der Stelle zu fassen sind, wo Sinnlichkeit und Geist am engsten sich berühren. Die aufsteigende Entwicklung, welche seine Teilnahme von den nächsten und geringeren zu den großen und allgemeinen Gegenständen der Menschheit führt, beweist die Kraft jenes in Humboldts Natur gelegten Vermögens, welches erst noch verborgen und dann mehr und mehr die Hülle abstreifend, sein Streben von Stufe zu Stufe emporhebt, um ihn im Wechsel der Umgebungen und der Aufgaben zu dem werden zu lassen, als welcher er vor allem in unserer Erinnerung lebt: als der Zeitgenosse nicht nur, sondern der Weggenosse Schillers und Goethes. Mit ihnen verband ihn fruchtbare Freundschaft, die Gemeinschaft geistiger Richtung, wie sie ihn vorher zusammenführte mit F. H. Jacobi, mit F. A. Wolf, mit Friedrich Gentz und später mit dem Freiherrn von Stein und Hardenberg. W o eine bedeutende Erscheinung im deutschen Geistesleben dieser Jahrzehnte die Aufmerksamkeit auf sich lenkt, fehlt es bald nicht an Beziehungen. welche zwischen ihr und dem emsigen Beobachter seiner Zeit sich anspinnen. Mit einer bezeichnenden Ausnahme allerdings: mit keinem der großen Systematiker deutscher Philosophie ist Humboldt in mehr als flüchtige Berührung getreten, wie er auch keinem der zeitgenössischen

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Systeme unbedingte Gefolgschaft geleistet hat. Und auch dies kein Zufall. Wenn Goethe und Schiller herrschten in Gebieten, zu welchen die Natur ihm den Zugang versagt hatte, so konnte Humboldt die Schöpferkraft in ihren Werken genießend anerkennen und vor der überragenden Größe sich beugen, wenn sie im eigensten Bereich ihm Freiheit ließ. Und dieser eigenste Bereich war eben doch das „Philosophieren", mit eigenen Zielen und auf eigenen Wegen, nachdem die genaue Beschäftigung mit der Kritik Kants ihm das angeborene Werkzeug zu solcher Arbeit verfeinert und geschärft hatte. Aber was Humboldt unter Philosophie verstand, war doch weit ab von jener Spekulation des transzendentalen Idealismus, welcher jetzt in Deutschland zur Herrschaft kam1). Seine Philosophie findet sich ebenso sehr, wenn nicht mehr und lebendiger in seinen Briefen entwickelt, als in seinen methodischen und spekulativen Entwürfen. Wie die Briefe sein Erleben begleiten von Tag zu Tag, von Ereignis zu Ereignis, so knüpft sein Denken an „das Leben" und reflektiert dessen Erscheinung im Spiegel seiner Kategorien und Ideen, um immer mehr in das weite Feld der Reflexionen und Maximen einzumünden — am ausgesprochensten ja in der merkwürdigen Pädagogik der Altersbriefe „an eine Freundin". Von dieser Seite gesehen, erinnert Humboldt an die Meister des französischen Briefes, welche erzählend und reflektierend die eigene Zeit in ihrer literarischen wie in der gesellschaftlichen und politischen Entwicklung begleitet haben, an die Herren de Bussy und Saint-Evremond: in ihren Tagen erfolgreiche Soldaten, deren Nachruhm jedoch nicht auf besonderer militärischer Leistung beruht, sondern auf ihrer engen Verbundenheit mit der geistigen Bewegung ihrer Zeit. Nicht anders steht es ja auch um den in seinem „Metier" nicht allzu erfolgreichen Minister v. Humboldt. Diese Liebhaber des Geistes aus den ersten Kreisen des französischen Adels standen in einem ähnlichen Verhältnis zu ihrer werdenden klassischen Literatur, wie Humboldt zur geistigen Bewegung des deutschen Klassizismus stand. Wie jene, so nimmt Humboldt aus nächster Nähe teil an den Geschicken der Künstler und ihrer Werke; gleich ihnen setzt eine ungewöhnliche Bildung ihn in den Stand, Repräsentant eines größeren Publikums zu sein in Beifall und Kritik; so gehört er aus gleichen Gründen zur Gesamterscheinung der literarischen Epoche als solcher. Und ebenso wie jene trennt ihn der soziale Abstand des vornehmen Dilettanten von denen, welche nur für und durch die Kunst leben. Wie das Leben der geistig bewegten Aristokratie eine Kulturform an sich darstellt, so stellt der geborene Briefschreiber in dem Erzeugnis des flüchtigeren Augenblicks, im Brief, welcher eben doch das Allgemeine im besonderen fassen und festhalten soll, ein ungewolltes und stets sich erneuendes Werk

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neben die gewollte und einmalige Schöpfung des Künstlers. Was über die literarischen Briefe von Saint-Evremond gesagt worden ist, daß sie „Fortsetzung oder Niederschlag der gesprochenen Konversation sind", das gilt auch von den kritischen und entwickelnden — „Ergießungen", zu denen der Brief Humboldts gelegentlich sich auswächst. Vor Humboldts Briefen jedenfalls hat das deutsche Schrifttum wenig aufzuweisen, was in solchem Umfang wie in solcher Tiefe die geistige Bewegung und die Zuständlichkeit des Lebens gleichmäßig umfassend, den Zeitmoment aufgefangen und dargestellt hätte. In einigem Abstand allerdings vermag dann der Briefwechsel von Friedrich Gentz sich doch zu behaupten. Humboldts Neigung zur Reflexion über Menschen und Ereignisse, über Kunst und Empfindung; die Tendenz zum lehrhaften Moralisieren auf Grund der einzelnen Erfahrung, endlich das zuweilen in seiner Kritik spürbare Vermissen einer einheitlichen literarischen Tradition 1 ) — all das erinnert daran, daß durch Abstammung in ihn etwas von der Erbschaft französischer Geistigkeit übergegangen sein muß, ein Element, welches in dem Bruder Alexander zu einer ausgesprochenen Wahlverwandtschaft mit dem französischen Leben und Wesen seiner Zeit überhaupt sich entwickelt hat 2 ). Übrigens hat Humboldt selbst der „empirischen Philosophie, die man jetzt so sträflich vernachlässigt" das Wort geredet in einem Augenblick, wo er zu seinem „unendlichen Vergnügen" mit Schellings System-Philosophie bekannt wurde. Und gerade diese Bekanntschaft ließ es ihn trotz aller Anerkennung kritisch aussprechen, daß manche dieser Ideen ihm mit „ihrer Verachtung des Zufällig-Wirklichen . . . wie ein Spaß . . . vorkämen. Überhaupt scheint es mir, daß man bei uns in Büchern auf eine Weise spricht, über die man sich untereinander nicht ohne Lächeln ansehen könnte, und die einem selbst bloß im Augenblick des Paroxysmus plausibel ist. Es wäre viel besser, die subjektive Wahrheit auszusprechen, als eine objektive zu erfinden, und ich tue gewiß nichts anderes mehr" 3 ). So ist es nicht zu verwundern, wenn Humboldt gerade in diesem philosophischen Bereich wohl mit Absicht vermied, was er mit Absicht sonst ebenso suchte: die Berührung mit fremder Individualität. Wer will entscheiden, ob nicht vielleicht in dem halben Bewußtsein einer gewissen Schwäche? War es etwa jene Unfähigkeit zu eigentlicher Produktion im Geistigen, jenes Schwanken „zwischen zwei Reihen von Ideen, so daß ich immer die andere für vorzüglicher halte, wenn ich im Begriff bin, die eine anzunehmen" — war es dieses Gefühl einer Unsicherheit, welches ihn hier für seine Selbständigkeit fürchten ließ? Auch andere Beobachter hatten die Schwäche seiner Anlage durchschaut, wie Fr. Schlegel, welcher boshaft meinen konnte, bei seinem emsigen Studium und geschmeidigen Eingehen

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auf fremde Individualitäten werde Humboldt die eigene Individualität leicht einmal abhanden kommen1). Eine Gefahr dieser Art hat zweifellos bestanden2). Aber der Schwäche der Anlage stand auf dem gleichen Boden auch die Kraft zu kritischer Verarbeitung entgegen. Sie setzte ihn mit Hilfe und trotz der vorwiegenden Rezeptivität seiner Natur in den Stand, aus dem auf tausend Wegen eingesammelten Stoff jenes Weltbild in sich zu entwickeln, welches Ed. Spranger als „Humanitätsidee" systematisch dargestellt und eingeordnet hat. Diese innere Kraft hat Humboldt davor bewahrt, seine außerordentlichen Fähigkeiten des Verstehens und der Anempfindung in anschmiegende Schwäche sich auflösen zu lassen. Sie hat seinem subjektiven Streben, im Blick auf seine Zeit das „Nihil humani a me alienum puto" zu bewähren, einen besonderen objektiven Gehalt zugesellt. Solcher Kraft war er sich wohl bewußt, wenn er gerade darin seine Bestimmung sehen wollte, „durch viele Lagen zu gehen", keiner von ihnen aber sich ganz anzupassen; aus jeder den inneren Kern seines Wesens nicht ohne Eindruck, nicht ohne Bereicherung, jedoch ohne entscheidende Änderung der einmal eingeschlagenen Richtung in die neue Stunde hinüberzutragen. Der Erlebnishunger, der Trieb, ,,die Welt in ihren mannigfaltigen Erscheinungen in seine Einsamkeit zu verwandeln", als Keim von vornherein in ihn gelegt, ist langsam nur und stufenweise dem jungen .Humboldt als bestimmende Kraft seines Lebens bewußt geworden. Nicht blitzartiges Erfassen, sondern eine merkwürdige Neigung zu unablässiger Selbstbetrachtung hat ihm die Entdeckung der schlummernden Fähigkeit eingetragen. Nicht Intuition, sondern Reflexion war seine Gabe und wurde seine Bestimmung. Seltsam genug mutet der schemenhafte Bereich jener Selbstzeugnisse des jungen Humboldt an: ein unermüdliches Zergliedern jeder Regung des Gefühls, jeder Bewegung des Gedankens beherrscht sein inneres Leben. Ein glühendes Bemühen ringt nach Selbsterkenntnis, aiber gespenstisch weht in diese Erregung ein erkältender Hauch wie von der in Selbstbespiegelung versunkenen Gestalt des Narciß. Und doch — hier ist mehr am Werk als nur jene Empfindsamkeit der Zeit, in deren Sprache der junge Humboldt redet, in deren Manier er fühlen gelernt hat. Von vornherein strebt eine aus Empfänglichkeit und Formtrieb gemischte Kraft dahin, aus dem Besonderen zum Allgemeinen, aus dem Erlebnis zur Erkenntnis, aus dem Einmaligen des Eindrucks zum Bleibenden des Geltens vorzudringen. Indem Humboldt, seiner geistigen Bestimmung folgend, aus dem Individuellen das Typische für die Erkenntnis der Welt und seiner Zeit zu gewinnen unternimmt, gibt er gleichzeitig den äußeren Formen seines Lebens eine bedeutsame Richtung. Denn in manchem Betracht kann es

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als Vorbild gelten für die Art und Weise, in welcher während des 19. Jahrhunderts, zumal während seiner ersten Hälfte, ein geistiges Leben in Deutschland zu führen war. Mit anderen Worten: Humboldt hat mit seinem Studium der Antike, mit seiner kritischen Teilnahme an der Epoche der deutschen Klassik, als völkervergleichender Wanderer durch Europa den geistigen Entwicklungsgang sehr vieler Menschen in wesentlichen Beziehungen vorausgenommen. E r hat damit ein „Prototyp" geschaffen, in dessen Ausgestaltung seine geschichtliche Bedeutung greifbarer zum Ausdruck kommt als in seinen einzelnen Leistungen auf wissenschaftlichem oder politischem Gebiet. Dies hatte mit feinem Blick schon der Lord Acton erkannt mit seiner Charakterisierung Humboldts als „the most central figure in Germany" 1 ). Wenn der junge Humboldt darauf ausging, sein Dasein nach selbstgewählten Zielen geistiger Bildung einzurichten, so bedeutete das an sich keine so auffallende Ausnahme von der Lebenshaltung seiner wohlhabenderen Standesgenossen. Wilhelm Burgsdorff, der erprobte Mäzen Ludwig Tiecks, Alexander Dohna, der Graf Finkenstein, später Alexander Marwitz, die ganze adelige Gefolgschaft der nicht mehr ganz jungen Rahel Levin, — sie waren in ähnlich ungebundenen Lebensformen ähnlichen Zielen zugewandt. Aber die Art, wie Humboldt seine Ziele verfolgt, und die Stationen, über welche sein W e g führt, unterscheiden ihn von den gleichgestimmten und gleichgerichteten Freunden. Er versteht es, sich nicht an das merkwürdige Durcheinander des absterbenden Rationalismus und der aufkeimenden Romantik zu verlieren, welche dem geistigen Berlin nach 1790 die Note geben. Die beiden ersten Jahre des zurückgezogenen Lebens in Thüringen führen ihn, zusammen mit der Gattin tief hinein in 'das Studium und das Nacherleben der griechischen Antike, und hier wird ihm Wegweiser der bedeutendste Philologe seiner Zeit: F. A. Wolf. Ein ganz bestimmt umrissener Kreis des Denkens und Nachschaffens, wissenschaftlicher Forschung im Verein mit geschichtsphilosophischer oder besser „anthropologischer" Anschauung, setzen ihn in den Besitz jener Voraussetzungen, von welchen aus er nun Schiller wie Goethe nahe treten kann, im gleichen Bereich ihnen begegnend: in der Welt der Antike. Der Inhalt an Gedanken und Empfindungen, welchen diese geistige Welt umschließt, wird nicht ohne Humboldts Zutun für die nächste Generation die Stufe, unter deren Voraussetzung der gebildete Deutsche an das Werk der eigenen klassischen Dichtung herantreten wird. Wie für Humboldt die Kenntnis und das Studium des Homer und der Tragiker Voraussetzung seines Austausches und seiner kritischen Mitarbeit am Werk der beiden Großen ist, so wird der deutsche Gebildete im normalen Bildungsgang

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die Späten nicht kennen und nicht verstehen lernen, ehe er nicht die Alten auf sich hat wirken lassen. Merkwürdig, wie gerade von dem Gefühl der für ihn gültigen Grenzen dem jungen Humboldt die Erkenntnis seines B e r u f e s zur K r i t i k gekommen ist. Es verhalf ihm dazu die Göttinger Studienzeit, so beglückend sonst auch sie ihm das Wissen bereichert und den Gedanken gestärkt hat. „Dein Kopf ist gerade wie der meinige", so schreibt er im Frühjahr 1789 an Henriette Herz. „Neue Ideen werden wir beide nie schaffen, aber laß uns das nicht kümmern. Wir fassen dafür die leicht auf, die man uns gibt, und sondern bald das Wahre vom Falschen" 1 ). Hier hat die Verehrung für die schöne Henriette ihn zweifellos über das Ziel schießen lassen. Denn mit der bescheidenen Gleichsetzung, falls sie ernstgemeint war, tat Humboldt sich selber Unrecht. Die Enttäuschung über die eigenen Grenzen stammte aus der Zeit, wo er „schrecklich den Kant studierte", d. h. wo er in erster Begegnung mit einer der großen Erscheinungen der neuen deutschen Epoche zu ringen hatte. Das nächste Jahrzehnt, welches die engste Berührung mit Jena und Weimar ihm eintrug, reifte jene Erkenntnis zum Bewußtsein einer in ihn gelegten Kraft, welche ihm selbst wie der Welt die Anwartschaft auf besondere Leistung versprach. Statt der negativen konnte er jetzt die positive Wirkung seiner Anlage sehen und über ihre Bedeutung sich aussprechen: „Ich bin fester als je überzeugt, daß, wenn ich irgend einen intellektuellen Beruf in der Welt habe, es der der Kritik ist, und wenn ich auf irgend eine Tugend Anspruch machen kann, es die Gerechtigkeit ist . . . Bei dieser Anlage darf ich noch die kühne Hoffnung nähren, mit anhaltendem Nachdenken, mit ausgebreitetem Studium, mit emsigem Aufsuchen der verschiedenen Menschen, Länder und Sitten, endlich den Schlüssel zu dem Geheimnis jeder menschlichen Größe zu finden, endlich die F o r m e l zu entdecken, durch die man jeder Eigentümlichkeit ihr Urteil fällen, und jeder ihre Richtung vorschreiben kann" 2 ). Einen Augenblick muß der Gedanke verweilen bei diesem eindrücklichen Bekenntnis. Es ist eine verhaltene Glut in diesen sich steigernden, nach ihrem Ziel heftig drängenden Sätzen; sie zeugen für eine in der Tiefe verborgene, für eine heiße Sehnsucht. Von ihr erscheint Humboldt — verzehrt wäre zu viel gesagt, aber im Innersten erfaßt; sie gleicht einem Abglanz jener Glut, zu welcher der Erkenntnisdrang im Faust entfacht ist. Wie jener durchwandert er rastlos die geistigen Welten; gleich ihm sucht er nach dem Schlüssel des Geheimnisses, nach jener Formel, auf welche Welt und Mensch zu bringen wären. Den Fundort der Formel meint er bereits zu kennen: es ist der Plan einer vergleichenden Anthropologie. „Wird dieser Plan vollendet, so muß er die allgemeinen Ideen über mög-

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liehe Charakterverschiedenheit überhaupt, über das Eigentümliche derselben, des Geschlechts, der Alter, der Temperamente, der Nationen und Zeiten enthalten. Auf diese Weise halte ich es für möglich, eine neue Bahn zu brechen"1). Ein Rauschtraum des Intellekts, welcher das Unmögliche zum Greifen nah zu rücken schien. Noch ist in dieser vermessenen Konzeption das Problem selbst wie seine Lösung ganz beschlossen in den Bezirk des sammelnden und vergleichenden, zugleich deduzierenden Erkennens. Aber trotz diesem Intellektualismus muß bei dem Entstehen solcher Entwürfe eine Kraft am Werk gewesen sein, welcher als Ziel etwas anderes und etwas mehr vorschwebte als ein Ideal harmonisch ausgeglichener „Bildung", es muß mehr in ihm geglüht haben, als was sich in dem glatten Spiegel einer Idee harmonischer Humanität einfangen läßt. Ein immer heftigeres Verlangen nach festerem Besitz der Welt, ein nagender Hunger nach dem lebendigen Leben, wie es zum mindesten durch Anschauung sich erfassen läßt, zehren im geheimen an ihm und treiben ihn fort von der Reflexion und von den Ideen zur greifbaren Wirklichkeit. Noch in der römischen Zeit „verfolgen ihn die metaphysischen Ideen wie ein Gespenst". Warum aber konnten sie, die ihm sonst beglückend das wahre Dasein bedeuteten, zum Gespenst werden? Weil er jetzt wußte, daß „wo ich keine Gegenstände der Beobachtung habe, wo ich mit Büchern und mir lebe, selbst bei dem besten Umgange, da werde ich abgezogen, dunkel, phantastisch. Helle und Anschaulichkeit gibt mir nur noch das eigene Anschauen. Darum ist es mir gut," so gesteht er es Schiller, „daß ich ehemals selbst unser schönes Zusammenleben trennte und reiste und auch die jetzige Reise (der römische Aufenthalt!) wird mir wohltun." "A la recherche de la réalité", auf der Suche nach der Wirklichkeit, der ewig entgleitenden, zieht Humboldt seine Bahn wie ein echter Romantiker2). In Paris, welches ihm in der Bekanntschaft der Frau v. Stael vor anderem Gelegenheit bot, die Eigenart des französischen Geistes zu studieren, begegneten ihm überraschend verwandte Tendenzen. Aus ihrem Traktat „Uber die Leidenschaften" notierte sein Tagebuch folgende sublime Stelle": "si l'on parvenait à rallier la n a t u r e m o r a l e à l a n a t u r e p h y s i q u e * , l'univers entier à une seule pensée, on aurait presque dérobé le secret de la Divinité"3). Sprach dieser Satz nicht, und zwar auf eine sehr französische Art, den innersten Gedanken, das letzte Geheimnis seines philosophischen Dranges aus ? Seine innere Übereinstimmung mit dieser Idee der geistvollen Französin schien hier in Paris vollständig zu sein; trotz jener auch hier offenbaren Neigung zur anschauungslosen Verallgemeinerung, welche er so oft an den Franzosen zu tadeln hatte. Gewiß war im allgemeinen das französische Denken dem deutschen Denken

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überlegen in der prägnanten Form, welche dem Gedanken gegeben wurde, und ebenso gewiß war die Stael als Schriftstellerin dem Schriftsteller Humboldt noch im besonderen überlegen. War er, als Deutscher, der schlechtere Stilist, so war er auch, als Deutscher, der tiefere Geist. Das beweist die Wiederkehr jener ihnen gemeinsamen Idee bei Humboldt — sechs Jahre später, nun in neuer Umgebung, in R o m , und mehr empfunden als gedacht; die alte Sehnsucht hat im niedergeschriebenen Gedanken eine mehr gelöste Form und eine tiefere Begründung erfahren: „ M e n s c h h e i t und N a t u r * lassen sich nicht begreifen, wie man es nennt; man kann sich ihnen nur lebendig und durch Aneignung nähern. Nur indem man sich die tausendfachen Gestalten ihres Erscheinens aneignet, ahndet man einigermaßen ihre Unendlichkeit oder fühlt vielmehr, daß sie alles und eines sind"1). Jetzt in Rom, nachdem die Wanderjahre durch die drei repräsentativen Länder romanischer Kultur ihn aus der einseitigen Bücherbildung des deutschen Kleinlebens herausgeführt, hat der ihn beherrschende Trieb sich verdichtet, geformt zu neuer Erkenntnis, zur „Idee" des Erlebnisses: sie bot den Schlüssel zum Geheimnis, den er so lange gesucht. Jetzt weiß es Humboldt, daß nicht die kühle Betrachtung des Erkennenden, sondern daß die Hingabe an die großen Erscheinungsformen des Daseins die Bahn erschließt zur letzten und umfassenden Erkenntnis des Lebens. Aber er weiß es nur erst. Noch ein Jahrzehnt weiter, und in der bewußten, opferbereiten Hingabe an Staat und Volk, denen Humboldt durch Geburt zugehört, wird in dem Erlebnis des großen Weltgeschehens, des Zusammenklingens seines Einzelschicksals mit dem der Gesamtheit, ihm die endliche Antwort zuteil auf die alte Frage. Der Ring des Erkennens und des Erlebens hat sich geschlossen. *

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Bewußt als Glück hat Humboldt es empfunden, wie das Schicksal ihn zum Zeitgenossen der großen Männer seines Volkes habe werden lassen2). Deshalb sieht er damals die Lebensaufgabe darin, sich klar zu werden über Gesetze und Kräfte, welche das Schaffen dieser Männer bedingen. Sich selbst darüber klar zu werden zunächst; dann aber auch, um an ihrem Schaffen teilzunehmen, indem er durch sein kritisches Vermögen, beiträgt zur Selbstverständigung des Genius über sich selbst. So tritt er, empfangend und anregend zugleich, im Besitz der griechischen Bildung, welche er vor Schiller voraus hat, neben diesen als der .erste Vom Verfasser gesperrt.

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große Interpret, welchen die klassische Dichtung noch im Entstehen an ihm findet. E r nimmt damit in seinem Erleben die Geisteshaltung jener Generationen typisch voraus, welche am Gehalt dieser Literatur einst sich bilden werden. Und zwar nach den beiden möglichen Richtungen wird durch ihn das Publikum repräsentiert. E r ist der Hörer, welcher das eindrucksfähige Gemüt bereitwillig der mitreißenden Wirkung großer Kunst offen hält; zugleich aber ist er ein emsiger Helfer, welcher nicht nur geschäftliche Besorgungen übernimmt oder seine metrische Gelehrsamkeit mit einiger Pedanterie, die Schiller zuweilen belächeln konnte, in den Dienst der größeren Freunde stellt, so besonders mit Ratschlägen für das Versmaß von „Hermann und Dorothea"; sondern welcher auch als philosophischer Kritiker gerade an diesem Gedicht vom höchsten Standpunkt her die Grundsätze einer neuen Ästhetik zu entwickeln bestrebt ist1). Und wie im letzten Dezennium des alten Jahrhunderts den großen Männern und den großen Werken der Literatur, so steht Humboldt im neuen Jahrhundert den großen Ereignissen des Staates und des Volkslebens gegenüber: von den neuen Voraussetzungen der deutschen Bildung her das Geschehen der Zeit im Bewußtsein der geschichtlichen Zusammenhänge erlebend, den Geist der Erhebungsjahre in lebendigem Mitgefühl erfassend, das erwachende Streben zu nationaler Einheit teilend, den deutschen Beruf Preußens vorausahnend. Darum ist für unsere Betrachtung nicht so sehr von Bedeutung, was er damals in begrenztem Gebiet gewirkt, sondern was er in jenen Jahren erlebt, und wie er es erlebt hat. In ihm vor anderen ist jenes Bündnis Wirklichkeit geworden, welches die neue, in ihren Ursprüngen weltbürgerlich gerichtete Bildung mit der nationalen Idee nicht nur, sondern mit dem preußischen Staatsbewußtsein geschlossen hat; jenes Bündnis, welches die Grundlage schuf für die nationale Entwicklung der deutschen Geschichte im 19. Jahrhundert. Denn unter den Männern, welche in die politischen Kämpfe gestaltend einzugreifen berufen waren, war keiner, unter den Beamten nicht und nicht unter den Militärs, so durchtränkt mit dem Geiste von Weimar und Jena. Und keine unter den literarischen Größen der Zeit stand dem politischen Ringen und Werden jener Jahre so unmittelbar nahe wie eben Humboldt. Dies bestimmt ihm die Stellung in seinem Zeitalter. Klar zeichnet ihr Umriß sich ab in dem Briefwechsel mit der Gattin, welchem an Eigenart und Bedeutung Gleichwertiges nicht sich an die Seite stellen läßt. Zwei gewaltige Ströme geistigen Lebens tragen in gleicher Kraft und in gleicher Fülle während jener Jahre die innere Bewegung des außerordentlichen Mannes. Vorerst die individuelle Erfahrung der abgeschlossenen Epoche, deren geistigen Gehalt seine unmittelbare Teilnahme am Wer-

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den und am Reifen alles dessen bestimmte, was sich zur geistigen Bewegung zusammenschloß. Sodann das Erleben der staatlichen und nationalen Selbstbehauptung, welches ihn ganz in seinen Bann ziehen sollte und den gereiften Mann noch formte und gestaltete. Noch waren die Formen des Gestades, welches den Bereich der vermeintlich „autarkischenIndividualität" vomStrome derZeit scheidet,nicht so fest und scharf geworden, daß nicht die neue darüber hingehende Welle sichtbare Spuren hinterlassen hätte. Wenn dem so war, wenn der unbedingte Individualist von einst dahin gelangen konnte, es anzuerkennen, daß der Mensch bestimmt sei, „mit seinem Geschlecht zu gehen"; daß es „ein Deutschland gäbe, welches nicht Österreich und Preußen sei und dem man politisch zu Hilfe kommen müsse", so bedeutete dies wiederum die Vorausnahme allgemeinen Erlebens: jener Entwicklung, welche zu durchkämpfen die geschichtliche Aufgabe der nächsten, von Haus aus gleich dem frühen Humboldt vom national-staatlichen Leben abgekehrten, individualisierenden Generation gewesen ist. So gewinnt wie von der rein geistigen, nun auch von der nationalen und politischen Seite gesehen, das Erleben und Denken Humboldts über den zeitgenössischen Gehalt hinaus den Rang des Prototypischen, so wird seine Erscheinung zum zeitgeschichtlichen Symbol. Der in seiner Gegenwart zur politischen Erfolglosigkeit verurteilte Mann wirkt über die Spanne der ihm zugemessenen Lebensbahn hinaus; vielleicht wirkt er so stärker, als gegenwärtiges Gelingen es vermocht hätte. Denn die Wirkung, welche von der Betrachtung seiner politischen Tätigkeit ausgehen kann, beruht in erster Linie auf der Einsicht in die Voraussetzungen eben seiner Erfolglosigkeit. Sie waren bedingt durch seine persönliche Anlage, sie wurden wirksam in Formen, in welchen sich die Grundzüge eines für weite Kreise in Deutschland charakteristischen, den harten Tatsachen der politischen Wirklichkeit nicht gewachsenen „Idealismus" ausprägen. Darum, so individuell, so verwurzelt im eigensten Boden die politischen Gedanken Humboldts wie sein Verfahren erscheinen mögen, es wird sich immer der Niederschlag der Zeit in ihnen erkennen, es werden Übergänge in die preußisch-deutsche Zukunft aus ihnen sich immer weisen lassen.

Zweites

Kapitel.

Erlebniswelt und Weltansicht des jungen Humboldt. „Die persönlichsten Seiten, mit denen der Mensch unmittelbar auf den Menschen wirkt, im täglichen Dasein, verlöschen im Leben, die Geschichte deutet sie kaum an, sie sind aber doch die Angeln der Weltbegebenheiten, da sie von Geschlecht zu Geschlecht das Innerste der Menschen anregen und bilden." W. v. Humboldt an Karoline v. Wolzogen, 1831. „ E h e man den bildenden Umständen nachforschen kann, durch welche der Mensch allmählich erlangt, womit er das Leben wieder verläßt, m u ß man klar und bestimmt einsehen, was er keinerlei U m s t ä n d e n und keinerlei L a g e , nur sich und dem Schicksal verdankt. D e r Mensch ist nur sehr im allgemeinen dem Menschen ähnlich, in sich ist Jeder ein Verschiedener, ein Eigenes und ein Ganzes von Anlage, Vermögen und B e strebungen, und rollt, anziehend und abstoßend, in seiner eigenen B a h n dahin" 1 ). In ungezählten Äußerungen bekennt es W . v. Humboldt, und die Darstellungen seines Lebens, seines Charakters und seiner W i r k s a m keit bestätigen und wiederholen es, d a ß die Ausbildung seiner Individualität als solcher, d a ß die Selbstbildung zur Totalität und Humanität sein Lebensziel gewesen ist 2 ). Mehr noch, das Beispiel dieses „ L e b e n s in Ideen und nur in I d e e n " hat in manchem Betracht dem allgemeinen Bildungsstreben den W e g zu dem wenn nicht durchaus neuen, so doch lebhaft ergriffenen Ideal der Humanität gewiesen. Man ist der Ansicht, d a ß dieses Ziel, unter den natürlichen Vorbehalten menschlicher Begrenztheit, in Humboldts L e b e n und in seiner Persönlichkeit erreicht wurde. M a n folgert es aus seinen Ideen und aus seinen Schriften, nicht zuletzt aus der Erinnerung an sein Wirken für das Unterrichtswesen ¿n Preußen. M a n sieht das hohe Ziel und das hohe Streben; man billigt und man bewundert das eine und andere. M a n übersieht dabei, in etwas geblendet von dem Glanz der ausgesprochenen Ideen und der verfolgten Ideale, welcher auf ihren T r ä g e r zurückfällt — man übersieht dabei die Notwendigkeit, neben der F r a g e nach der G r ö ß e und Bedeutung der von dem Manne vertretenen Ideen auch jene andere zu stellen, wie es denn

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mit der Wirkung der konkreten Individualität auf ihre nächste wie auf ihre fernere Umgebung im wirklichen Leben bestellt gewesen ist. Diese Frage muß man stellen, will man darüber ins reine kommen, welcher Anteil am Ausgang von Humboldts politischer Laufbahn der Höhe seines ideellen Standpunktes; und welcher der realen Bedingtheit seiner Persönlichkeit zuzuschreiben ist. Denn es gilt auch hier der Satz Carlyles, daß der Mensch in seiner ganzen Art erkannt wird nicht nach Wünschen und Entwürfen, Gedanken und Ideen, sondern nach seiner Tat und Leistung Bei einem jungen Menschen aber ist zunächst die Frage zu stellen eben nach Wünschen und Entwürfen, durch welche der weite Raum der Zeit erschlossen werden soll. Und Humboldt war reich, überreich an beidem. Wünsche und Entwürfe wechselten wohl Form und Ziel im Ablauf der Jahre, aber sie wurzelten in bleibendem Grund und wahrten die einmal gewiesene Richtung. Die Richtung wurde schon den Zeitgenossen bald erkennbar und deutbar. Nicht so der Grund — trotz manchen scharfen Blickes, den ein Nahestehender werfen mochte in den verschlossenen Bezirk des individuum ineffabile. Jedoch, eben seine Individualität a u s z u s p r e c h e n , ihr Unbewußtes zu deuten, ihre bildenden Züge dauernd sich vor Augen zu halten, ist wohl selten ein Mensch so beflissen gewesen, wie Wilhelm Humboldt. Was an Beobachtungen und Erkenntnissen dieser Art, ,vom Reiz des Augenblicks hervorgerufen, in reicher Fülle über ein langes Leben verstreut wurde, liegt uns heute offen vor Augen. Das Wagnis, die Elemente dieser Natur zu ergründen, darf somit unternommen werden. Ganz anders als die Jugend der beiden Männer, in deren unmittelbare Gefolgschaft wir Humboldts Erscheinung einzureihen pflegen, ganz anders als die Jugend seiner großen Freunde, Schiller und Goethe, ist dem märkischen Junker die erste Bildungsepoche hingegangen. Sehr n o r m a l , um den wesentlichen Unterschied von vornherein hervorzuheben, waren die Bedingungen, unter denen das berühmte Brüderpaar der Humboldt heranwuchs. Es drängte nicht in die ruhige Entwicklung jene Ungeduld, eine edle Anlage zu früher Reife zu zwingen, von welcher der späte Vater und pedantische Polyhistor in Frankfurt beseelt war; es lag nicht auf einem früh bewußten Talent der Druck der äußeren Verhältnisse und des „geistigen Schnürleibs" der Karlsschule, gegen welchen der junge Schiller sich zu behaupten hatte. Die zweimal nach kurzer Ehe verwitwete Dame der Berliner Hofgesellschaft sorgte dafür, daß die des Vaters beraubten Knaben durch gut gewählte Hauslehrer die übliche Grundlage einer wissenschaftlichen Bildung erhielten. Eine öffentliche Schule besuchten sie nicht. Später hörten die lerneifrigen Junker private Vorlesungen bei diesem und jenem der literarisch führenden Vertreter der „Aufklärung", welche dem geistigen Leben der Hauptstadt die beK a e h l e r , Humboldt.

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stimmende Richtung gab. Denn Berlin besaß noch keine Universität. Daher wurde Wilhelm Humboldt in das für ihn so bedeutsame Gebiet der Philosophie eingeführt durch J. J. Engel, den Herausgeber des „Philosophen für die Welt", welcher in seinen Blättern einen Vertreter der protestantischen Aufklärung wie den Breslauer Garve zusammen mit den Führern der jüdischen Emanzipation, Moses Mendelssohn und David Friedländer, in symbolischer Verbindimg zu Wort kommen ließ1). Frau v. Humboldt lebte den Winter über in Berlin, während des Sommers meist auf ihrem Gute Tegel. Die Söhne sind in der Regel mit dem Hofmeister in der Stadt bei ihren Studien geblieben; daneben haben sie an dem gesellschaftlichen Leben ihrer Kreise den üblichen Anteil genommen. Der jüngere Alexander ist unbefangen durch diese Dinge hindurchgegangen, indem er mit sicherem Instinkt früh seinen Weg zur Naturwissenschaft und in ihr seine geistige wie menschliche Befriedigung fand. Der etwas lästigen Pedanterie, welche in dem vaterlosen Haushalt herrschte, hat er sich mit seiner bald berüchtigten mokanten Manier erwehrt. Für Wilhelm dagegen, der nach eigenem Bericht mit etwa 12 Jahren begann, seine Zeit über den Büchern hinzubringen und namentlich über der Geschichte und den Schriftstellern der Alten — für ihn wurden die selben normalen und unbeschwerten Verhältnisse Anlaß zu einer weltschmerzlichen Stimmung, welche von Jahr zu Jahr mehr Herrschaft über ihn gewann 1 ). Von dieser allzu normalen Welt fühlte er sich abgestoßen, unverstanden, verletzt im Zartesten seiner Empfindung. Die Wirklichkeit, in welche er gestellt war, wies ihn, so schien es, unfreundlich zurück; so flüchtete er sich in einen stilleren Bezirk, zu seinen Büchern und zu den Träumen, welche aus ihnen und durch sie in ihm erwuchsen. In dieser Traumwelt entdeckte er eine stets wiederkehrende Gestalt, eine bleibende Größe, — das eigene Ich. In ihm traf er auf den Kern des Lebens, in ihm spiegelte sich das Universum, in ihm lebten seine Abbilder, „Ideen", halb philosophische Begriffe, halb phantastische Gestalten, wie sie die Einbildung des jugendlichem Menschen gern bevölkern und beschäftigen. In diesen Bezirk, wo Widerstand und Reibung ihm erspart blieben, spann der junge Einsiedler sich ein. Was seine Lehrer ihm als Ziel des Lebens gewiesen hatten, Tugend und Glückseligkeit, hier fand er sie dargestellt in den Heroen vergangener Zeiten, noch schöner verkörpert vielleicht in den Gestalten der eigenen Träume; ungetrübt jedenfalls von der mißlichen Wirklichkeit. Denn, kein Wunder, je lebhafter Humboldt in seiner vorgestellten Welt lebt, um so unsicherer wird sein Schritt, wenn er in das umgebende Leben sich hineinfinden muß. Dort gibt es Zusammenstöße, Zurechtweisungen, Kränkungen; es ist leichter, tugendhaft zu empfinden, als tugendhaft im „Strom der Welt" zu sein. Und mit der uner-

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reichbaren Tugend entschwindet die Glückseligkeit: in einer ebenso ärgerlichen wie verständnislosen Umgebung steht ein empfindsamer Mensch, leicht verletzt und gern verstimmt, im ganzen seiner selbst sehr unsicher. Nicht ohne des öfteren für vermeintlich erlittene Unbill mit der spitzen Waffe treffsicherer Bosheit sich zu rächen; und um dann sofort in die beseligenden Gefilde der Träume sich aufzuschwingen, kaum daß die schützende Einsamkeit des Arbeitszimmers ihn wieder aufnimmt, oder daß ein sanftes Roß ihn zu einem „romantischen" Waldwinkel an der Havel trägt1). Wie Werther „hält er sein Herz wie ein krankes Kind, jeder Wunsch wird ihm gestattet". In unfreundlichen Farben also spiegelte seine Umgebung sich in Humboldts Empfindung. Daß es in Wirklichkeit nicht ganz so arg gewesen ist, darauf deutet nicht nur die Tatsache der sorgfältig ausgewählten Lehrkräfte, welche man mit der Förderung der begabten jungen Herren betraute. Die Briefe aus dem Jahre 1787 lassen erkennen, daß für mancherlei gesellschaftliche Abwechslung gesorgt war, die nun freilich von ihm als lästiger Zwang empfunden wurde. Es war seine Empfindsamkeit und Empfindlichkeit, welche jedes von seiner Stimmung abweichende Element der Umgebung peinlich und störend empfand, während in der gleichen Umgebung der unbefangene Alexander unbekümmert sein Wesen hatte und seine Anlagen zur Entfaltung brachte. Und gar zu enge Vorurteile scheint auch Frau v. Humboldt nicht gehegt zu haben; denn es war doch ein Zeichen einer gewissen Unbefangenheit dieser Dame, wenn die der neuen Gesellschaftsschicht angehörende Henriette Herz in „Schloß Langweil" Eingang finden konnte8). Aber für eine Natur wie die des älteren Sohnes kam es in erster Linie auf die Empfindung, es kam auf die „Idee" der Lebensform, in der er sich bewegte, mehr an, als auf den tatsächlichen Zustand der Dinge. Andrerseits ist es richtig, daß der schon zwanzigjährige Humboldt noch auf der Universität in Frankfurt unter so kleinlicher Aufsicht seines Hofmeisters Kunth stand, daß der briefliche Austausch mit der Herz zu einem gefahrvollen Unternehmen, aber auch zu einem reizvollen Spiel der Täuschung wurde3). Diese kleinliche Einengung mußte als unerträglicher Druck auf einen fein empfindenden Menschen wirken, mußte das Selbstbewußtsein, wenn es in der erträumten Freiheit an die Schranken der Wirklichkeit stieß, heftigen Schwankungen aussetzen. So geht denn der Pendelschlag seines Selbstbewußtseins hin und her zwischen niedergedrückter Verzweiflung und hochgestimmtem Selbstgefühl; zwischen der Erfahrung, welche Unannehmlichkeiten in der Berührung mit den umgebenden Menschen einträgt, und dem Bereich der Freiheit, in welchem das Ich eine Welt der Ideen aus sich heraus schaffen kann 2»

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und darf ). Je g r ö ß e r diese Welt erscheint, je mehr sie von seiner Seele Besitz ergreift, desto begründeter, desto stärker entfaltet sich das Selbstgefühl dieser Individualität, sofem sie des geistigen Reiches sich bemächtigt. Dieses Selbstgefühl ist so kräftig, so bestimmt, daß es von selbst zum Träger eines ausgeprägten Lebensgefühls sich entfaltet. E s ist das xtijfia ei{ ¿ei, welches Wilhelm Humboldt aus den ungezählten Stunden eines seltsamen und einsamen Nachdenkens, Empfindens, Grübelns — eines „Brütens", wie er selbst es nennt, hinüberträgt in seine Zukunft. Diese Zukunft bedeutete, äußerlich gesehen, die Laufbahn eines adeligen Beamten im nachfriderizianischen Preußen. So sollte man meinen, d a ß der selbstbewußte Jüngling im Blick auf die Zukunft seine Befriedigung gesucht hätte in ehrgeizigen Vorstellungen von erfolgreicher Wirksamkeit im Staat, d a ß der Liebhaber der Bücher einen Lorbeer der Wissenschaft oder der Dichtung sich erträumt hätte. Wohl ist in den Briefen dieser Jahre hier und da die Rede von dem herkömmlichen Vorsatz, „ein nützlicher Mensch" zu werden, in nützlicher Tätigkeit den Sinn des Lebens zu verwirklichen. Aber solche Versicherungen sind nur Angleichung an von anderer Seite überkommene Vorstellungen 8 ). Die wahre und reine Stimme Wilhelm Humboldts dagegen ist zu vernehmen in einem Satz wie diesem: „ E s gibt etwas, das seinen Sitz . . . so tief in meiner Seele aufgeschlagen hat, daß nichts es so leicht daraus verbannen wird. Es ist mein einziger Wunsch, meine einzige Sehnsucht, die einzige Art der Glückseligkeit, die ich mir denken kann — zu lieben und wiedergeliebt zu werden, und dieses Glück werde ich nie, nie genießen" 3 ). Im Überschwang des Bekenntnisses hat der Zwanzigjährige den Grundtrieb seines Wesens ausgesprochen, seine innerste Sehnsucht enthüllt, deren Erfüllung allein sein Leben dienen sollte und schließlich auch gedient hat. D a s letzte Ziel des Daseins wird, völlig unbeirrt von äußeren Rücksichten, in den Bereich der Seele, zum mindesten des Gefühls gesetzt. U n d es geschieht mit einer erstaunlichen, instinkthaften Sicherheit. Jedoch, es ist nichts Freudiges im Ton dieser Worte; es regt sich in diesem Begehren nicht das Bewußtsein einer Kraft und eines freien Wollens. Vielmehr, es klingt wie die Vorahnung eines Geschicks, welchem nicht zu entgehen ist, von welchem aber keine Erfüllung zu erwarten steht. Beides, die Selbstsicherheit auf der einen, der Zug einer deprimierten Passivität auf der anderen Seite, sind wesentlich für die Charakteristik der Individualität Humboldts. Entscheidend vor allem aber ist die Selbstbestimmung seines Lebens zur „Liebe". Verstimmung, Unbehagen, Unlust waren das Ergebnis seiner Berührungen mit der täglichen Umwelt. In der Einsamkeit aber fand H u m boldt Befriedigung, Harmonie des Seins, Genuß des Lebens; aus ihnen

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erwuchs, verschwistert, die Bestimmung zur Liebe. L i e b e und G e n u ß also stehen in nächster Nachbarschaft. Was aber hatte den Genuß seiner Einsamkeit ausgemacht? Was hatte ihn zum Einsiedler werden lassen in den Jahren, in denen sonst der junge Mensch nach Leben, nach Eindrücken, nach Menschen hascht und greift ? Die Antwort auf diese Frage lautet so: „Es ist die Konzentration auf sein durch jede Erfahrung, durch jede Leidenschaft selbst bereichertes Ich und den Genuß desselben; die Kunst, sich von allem zu trennen, was den Besitz und die Wirklichkeit angeht, sich allein an das innere und unvergängliche Wesen zu halten, und überall in jeder wirklichen Erscheinung gleich beides zu sondern, und nur das Eine zu behalten. . . . Dazu erzieht man sich nur durch Entbehren des Äußeren und Konzentrieren des Inneren. Dies beides muß man in einer Synthesis miteinander zu vereinigen verstehen"1). Diese Maxime, wenn sie auch einer späteren Zeit entstammt, verrät doch nicht minder die Tendenz, welcher der junge Humboldt gefolgt ist; und sie bekundet zugleich, wie fest diese Richtung seinem Wesen eingewurzelt war. Sie spricht iii knapper und eindrücklicher Form aus, was weniger klar, aber vielleicht noch leidenschaftlicher in ungezählten Briefen dieses Jahrzehnts immer und immer wieder als seines Lebens Evangelium verkündet wird. Und weiter: dieses Ich gilt ihm der Welt gleich. „Es ist mir, als sei's nicht für mich bloßv nein, als sei's für die Menschheit Gewinn, daß es einmal empfunden, genossen wurde"2). Was hier noch halb als Ahnung, halb als Wunsch zaghaft geäußert wird, es hat sich bald und dann für die Dauer zu dem klaren Grundsatz gefestigt, zu leben „als ein durchaus innerlicher Mensch, dessen ganzes Streben nur dahin geht, die Welt in ihren mannigfaltigsten Gestalten in seine Einsamkeit zu verwandeln"3). Es ist der gleiche Gedanke, etwas anders, etwas objektiver gewendet, aber erfüllt von dem gleichen Trieb, die Werte der Welt mit der eigenen, einmaligen Individualität zur Deckung zu bringen. Erfüllt bereits von diesem befremdenden und unbeirrbaren Egozentrismus, verläßt Humboldt die bisherige Umgebung, als er mit 21 Jahren endlich für reif befunden wird, ohne fremde Leitung in Göttingen, der damals führenden Universität, seine Studien abzuschließen. Hier konnte er mehr als bisher seiner Neigung nachleben, welche ihn, der von früh an mit Vorliebe das Griechische betrieb, zu einem wirklichen Studium der klassischen Philologie hinzog. Er widmete sich ihr unter Heyne, dem Rivalen F. A. Wolfs, mit einem für einen adligen Juristen ungewöhnlichen Ernst und erntete Erfolge, welche sein Selbstbewußtsein dem wirklichen Leben gegenüber wachsen ließen. Der interessante junge Mann wurde beachtet und fand die Freundschaft G. For-

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sters, des jüngeren der beiden Weltumsegier, und seiner Frau Therese, der Tochter Heynes. An die drei Semester in Göttingen schloß sich eine improvisierte Reise nach Paris zusammen mit seinem ehemaligen Hofmeister, dem „Philanthropen" Campe. Es war im August des Revolutionsjahres 1789. Bezeichnend genug für die Stimmung Humboldts, daß in seinen Tagebuchaufzeichnungen die Schilderung des Hotel Dieu und des Hotel des enfants trouvés mit mancherlei weltverbessernden Betrachtungen den meisten Raum einnimmt. Die politischen Vorgänge selbst berührten ihn kaum. Der allgemeine Enthusiasmus vermochte seinen kühlen Kopf nicht mitzureißen1). Jedoch mit feiner Empfindung fühlte Humboldt bei der ersten Bekanntschaft mit einer großen Stadt die Seelenlosigkeit dieser Gebilde. Er hebt in seinen Aufzeichnungen den Irrtum hervor, welcher „mit dem Lande und kleinen Städten Begriffe von einer Einsamkeit verbindet, die eigentlich nur in den großen wirklich ist"2). Wie abgegriffen erscheint uns heute dieser Gedanke I Ist nicht die Einsamkeit des Einzelnen in den Steingräbern der modernen Großstadt eines der „großen Themen" der Lebensbetrachtung in Briefen, Tagebüchern und Romanen der letzten Jahrzehnte ? Daß Humboldt ihn jetzt, im ersten Eindruck der Erscheinung, faßte und niederschrieb, beweist gerade jenen typischen Gehalt seines individuellen Erlebens, von dem schon die Rede war. Es erhellt am zwar kleinen Punkt um so anschaulicher, inwieweit sein Dasein dem Erleben späterer Zeiten wirklich „vorausgegriffen" hat. Die Reise dehnte sich weiter aus nach Süddeutschland und nach der Schweiz. Auf einen Besuch bei dem jetzt in Mainz lebenden Ehepaar Forster entfiel fast so viel Zeit wie auf Paris und Frankreich3). Denn nach der selbstgewollten Einsamkeit der früheren Jahre quälte jetzt den Göttinger Studenten ein heftiges Begehren nach jener mitteilenden Freundschaft, von welcher die empfindsame Zeit ungeahnte „Vergnügungen der Seele" und beglückende Kenntnis des menschlichen Herzens sich versprach. So konnte der Reisende an diesem Labsal hier sich genugtun, wo er durch das besondere Wesen von Mann und Frau eine doppelte Anziehung erfuhr. Seine Seele erfüllte sich mit Gefühlen der Hingabe, deren halb bewußte, halb uneingestandene Natur seine innere Spannung aufs höchste steigern mußte. Bereits ein Jahr vorher, im Herbst 1788, hatte Humboldt, dem Herkommen gemäß, welches für den Studenten aus gutem Hause zum Studienabschluß eine Kavaliersreise vorschrieb, eine Reise „ins Reich", wie man damals sagte, unternommen. Aber diese Reise unterschied sich nach Art und Ziel ebenso von der üblichen „großen Tour", wie der junge Freiherr mit dem häßlichen und wenig gepflegten Äußeren 4) von den modi-

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sehen Kavalieren sich unterschied. Wenn man sonst reiste, um die „Welt" und, wenn möglich, das Leben an dem einen oder anderen der vielen Höfe Europas kennen zu lernen, so gingen Humboldts Wünsche in sehr anderer Richtung. Zwar auch ihm hatte sich die Gelegenheit geboten, an einem richtigen Hof, dem von Waldeck zu Arolsen, in der Rolle des gut empfohlenen Kavaliers von Stand aufzutreten und einen Duodez-Fürsten, dessen Arbeitszimmer die Büsten von Sokrates und Mendelssohn schmückten, am Werk der VolksbegKickung zu beobachten1). Wenn der junge Reisende jedoch von vornherein seine Aufmerksamkeit den Sammlungen, Museen und Bibliotheken zuwandte; wenn er sich eingehend um die Kenntnis der öffentlichen Institute, wie der Gefängnisse, Arbeitshäuser und Spitäler bemühte, wenn seine, von Empfehlungsbriefen wohlvorbereiteten Besuche vorzüglich Männern galten, welche sich in der Wissenschaft oder überhaupt im geistigen Leben einen Namen gemacht hatten, — so glich seine Art, zu reisen, durchaus jenen jahrelangen Wanderungen, welche die jungen Gelehrten Deutschlands im 18. und 17. Jahrhundert von Universität zu Universität durch Europa geführt hatten, ehe die Not nach dem 30 jährigen Kriege und die merkantilistischen Gedanken der absolutistischen Verwaltungspraxis der akademischen Freizügigkeit einen Riegel vorgeschoben hatten. Das Reisen des jungen Humboldt war ein Mittelding zwischen den alten Bräuchen der adeligen und der akademischen Welt hier, und dort einer neuen Form von gelehrtem Studium, zu welcher auch die Forschungsreise gehörte, wie sie im 19. Jahrhundert den deutschen Gelehrten auf fremde Schulen oft nicht mehr zum Lernen, sondern zur Erforschung verschütteter oder neuer Wissensgebiete in das Ausland führen sollte. Die große Reise, welche Humboldt 10 Jahre später zur sprachlichen und ethnologischen Erforschung der baskischen Provinzen Spaniens unternahm, war neben der großen Amerikareise des Bruders Alexander einer der ersten bedeutsamen Schritte auf dieser für die deutsche Wissenschaft so ertragreichen Bahn2). Die erste Reise hatte Humboldt die Bekanntschaft des Philosophen F. H. Jacobi eingetragen, in dessen Haus zu Pempelfort mehrere Tage mit philosophischen Diskussionen über die Kantische Philosophie und die eigene Gedankenwelt Jacobis schnell genug vergingen. Der einsiedlerische Student erwies sich als ein dem älteren Denker wohl gewachsener Gesprächspartner und konnte mit dem stolzen Gefühl in die Hörsäle 'der Georgia-Augusta zurückkehren, die Freundschaft eines wirklich bedeutenden Menschen gewonnen zu haben. Zum ersten Male im Austausch mit einem Ebenbürtigen hatte er seine Gabe des §iaX£Yea'9,ai erprobt, des Philosophierens im Gespräch, — jener Anlage, deren Pflege und Entfaltung ihm selbst wie seinen Freunden den höchsten geistigen Genuß

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noch eintragen sollte, und durch die er wohl die fruchtbarste Wirkung entwickelt hat, welche ihm zu entfalten beschieden war1). War die Begegnung mit Jacobi ein unerwarteter Gewinn, so bedeutete die Bekanntschaft mit Lavater, den er auf der Fortsetzung der Pariser Reise in Zürich aufsuchte, eine ebenso unerwartete Enttäuschung. Zwar der weltläufige ältere Geistliche begegnete sich mit dem schöngeistigen jungen Aristokraten in der lebhaften Liebhaberei für die Physiognomik, in welcher Humboldt die Kunst, „den Chiffre der Sinnenwelt zu enträtseln", sah und suchte*). Aber das umständliche Gebaren, welches der eifrige Menschenfreund bei seinen Studien mit einiger Geheimtuerei und nicht geringer Eitelkeit beobachtete, ferner seine Neigung zu unwissenschaftlicher „Schwärmerei" zogen ihm den scharfen Spott Humboldts zu. Diesem schien sich das Wunder „der Übereinstimmung der Sinnenwelt mit der außersinnlichen" nicht so leicht und willig zu erschließen 3 ), wenn es ihm zuweilen auch war, als „schaue er durch den Chiffre hindurch unmittelbar in den Ursinn". Mochte Humboldt mit Grund die theoretische Unzulänglichkeit Lavaters beanstanden, so erhielt er selber von diesem doch einigermaßen zuständigen Beurteiler von derlei Dingen eine ungemein interessante Interpretation der eigenen Züge ausgestellt. Sie bewies, daß der Schwärmer immerhin über ein scharfes Auge für die Wirklichkeit verfügte. „Solche Physiognomien verraten eine sehr große Gabe zu fassen und unmittelbar zu sehen und zu beobachten; ich nenne dergleichen Leute meine Mikroskope ; aber weil sie jede Sache in einem so klaren und hellen Lichte und so ganz sehen, so ist ihr Charakter Veränderlichkeit, mit der sich . . . sehr viel Eigensinn verbindet." Dem leichten Fassungsvermögen entspreche die Fähigkeit zum „mannigfaltigsten, nuanciertesten, feinsten Ausdruck", welchem aber Stärke und Energie fehlten. Aus der großen „Empfindlichkeit für alles Feine und Delikate" entspringe „sehr viel Schönheitssinn, wodurch ihr Charakter edel, nicht bloß gut wird"4). Diese skizzenhafte Charakteristik verrät einen gewiegten Kenner; sie gehört zu dem Besten, was von Freunden und Gegnern über den rätselhaften, ja „gespensterhaften" Humboldt gesagt worden ist. Dieser jedoch hielt Lavaters seelische Diagnose nicht für zutreffend. Es ist besonders der Widerspruch zwischen den ihm zugeschriebenen Eigenschaften der Veränderlichkeit und des Eigensinns, an welchem er Anstoß nimmt. „Eigensinnig wollte ich noch allenfalls sein, den lasen schon andere aus meiner knöchernen Stirn — aber nun gar veränderlich I das bin ich doch auch nie gewesen I Des Eigensinns hat man mich freilich nicht selten beschuldigt, aber da hatten die Leute Unrecht." So wehrt er in

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einem Brief, welcher diese Charakteristik weiter meldet, sich gegen die vermeintliche Verkennung 1 ). Denn in der Tat hatte Lavater die entscheidenden Züge in Humboldts Natur richtig aufgefaßt und geschildert, nicht zuletzt die Vorzüge wie die Schwächen seiner späteren Schriftstellerei treffend erkannt. Und wenn Lavater den empfänglichen Schönheitssinn als wesentliche Anlage heraushebt, so bestätigt er damit nur, was Humboldt auf der gleichen Seite des Tagebuches, welche diese Charakteristik festhält, als Ziel seines Strebens bekennt: „Immer mehr auszubilden den ästhetischen Sinn . . . als den wahren Mittler zwischen dem sterblichen Blick und der unsterblichen Uridee . . . und dadurch den Genuß zu erhöhen, zu veredeln, zu verfeinern" 2 ). E s muß nur wundernehmen, daß der unverdrossene Beobachter seiner selbst und Zergliederer seiner Empfindungen, als welchen die Tagebücher und Briefe den jungen Humboldt von je ausweisen, sich so lebhaft dagegen sperrt, die Autorität des „Herzenskündigers" von Zürich in seinem Falle gelten zu lassen. Nicht um äußerer Rücksichten willen hat Humboldt, welchen wir als einen Liebhaber des einsamen Studiums und der willig die Erkenntnis darbietenden Bücher kennen lernten, dem Herkommen der Bildungsreise sich angepaßt, welche ihn aus der gewohnten und gehegten Lebensform aufstören mußte. Vielmehr entsprach der Entschluß, mehr als bisher in der „Wirklichkeit" sich „umzutreiben", einer Einsicht, welche ihm die Einseitigkeit seines verträumten Bücherdaseins deutlich gemacht hatte. „Der Grundsatz, daß man in vielen Lagen aller Art gewesen sein müsse, ist so fest in mir, daß mir jede, in der ich noch nicht war, schon darum angenehm ist"3). So kann Humboldt mit einiger Zufriedenheit den Gewinn der neuen Lebensansicht in seinem Tagebuch verzeichnen. Zwar eine gewisse Art von Ruhe, die anderen leicht Gleichgültigkeit scheinen könne, liebe er sehr und suche sie sich mit allen Kräften zu schaffen. Aber „das Leben mit Menschen mannigfacher Art, der Wechsel von Lagen ist mir überaus nützlich" 4 ). An und für sich sind diese Einsichten, auf welche jeder geweckte Kopf einmal kommen muß, nicht eben neu und bedeutend. Was sie bedeutsam macht, das ist die bei Humboldt vorhandene Neigung, solche Gedanken grundsätzlich einer eigenen Bildungstheorie nutzbar zu machen; und es sind weiter die Rückschlüsse, welche sich aus ihnen für die Erkenntnis seiner Wesensanlage ziehen lassen. Hält man Humboldts neue Einsicht mit seiner bisherigen Lebensweise und andererseits mit Lavaters Charakteristik zusammen, so tritt seine seelische Haltung in eine mehrfache Belichtung. Es werden vier bestimmende Linien sichtbar, welche sich überkreuzen und paarweise sich entsprechen. Der ursprüngliche Zug zum kontemplativen Leben, „reiner

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Zuschauer der Welt zu sein," hält ihn beharrlich fest im Bereich seiner früheren Neigung. Dagegen der Durst nach neuen Eindrücken wie die reizbare Empfänglichkeit für jede neue Erscheinung führen ihn dazu, den äußeren Rahmen des Daseins zu wechseln und den Spielraum zu erweitem. Sie lassen ihn ferner die innere Richtung seiner Ideen ändern, ja in seltsamem Widerspruch mit der so lebhaft betonten individuellen Selbstgenügsamkeit sehr unvermittelt fremden Gedanken und Thesen nachgeben und sich anpassen1). Die Neigung zur Beharrung — statt des „Eigensinns", welcher in der späteren Epoche des politischen Lebens eine erhebliche Rolle spielen wird, stehe hier zunächst der umfassendere Begriff — und die Neigung zur Veränderung, zum Wechsel des Gedankens wie der Lage: Konzentration wie Expansion sind objektiv als Anlage gegeben und wirken sich, je nach dem Anreiz, der auf sie trifft, als bestimmende Kräfte in der Gestaltung des Lebens aus. Sie umgrenzen in ihrer Wechselbeziehung aber noch die eigentliche Brunnenstube seines geistigen Wesens — es ist dies, wir hörten es eben, der „mit dem ästhetischen Sinn" gesuchte und gefundene Genuß des Lebens. Hier liegt der Scheitelpunkt dieses geistig-seelischen Koordinatensystems. Der Genuß, so werden wir noch näher erfahren, verbürgt in Humboldts Augen und stellt zugleich dar die Kraft, die Energie des Lebenstriebes. Vorgreifend sei nun ein Aufriß der seelischen Struktur Humboldts gewagt. Die Wünsche, welche die Betrachtung des Lebens zu starker Regung in ihm weckt, schwanken zwischen zwei entgegengesetzten Grenzfeldern: still und zurückgezogen vom Treiben der Welt über dem Gedanken und über der Empfindung zu „brüten", das scheint seines Wesens ursprünglicher Trieb; er geht auf den ungestörten Genuß seiner selbst. Allein die Erfahrung hat gelehrt, daß er hier bald auf ein Gefühl „unsagbarer Leere" stoßen muß2), wenn er nicht dafür sorgt, durch Erfahrung, durch „wechselnde Lagen" diesem verzehrenden Trieb neue Nahrung zuzuführen. Die Erschöpfung des inneren Vorrats an geistigem Stoff treibt ihn hinaus in die Wirklichkeit, will er nicht darauf verzichten, (der eigenen Kraft und Energie in erneutem Genuß sich bewußt zu werden. Er muß Erlebnisse und Eindrücke sammeln, um den Genuß des Lebens zu vervielfachen, anzuspannen, zu steigern. Die hier waltende Antinomie ist von Humboldt schwer empfunden worden. Nur völlige Konzentration kann „dem Augenblick Dauer verleihen"; nur sie kann im intellektuellen Genuß, im sentimentalen Genuß, im Brüten über Lust und Schmerz das Gefühl erwecken, in jedem Betracht Herr über das Leben zu sein. Darum empfand Humboldt bis ins reife Mannesalter hinein eine fast körperliche Angst vor jedem Wechsel im äußeren Leben, deren er so viele mit Willen und wider Willen zu über-

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stehen hatte. Das wahre Glück scheint ihm erst erreicht, als das sechste und siebente Jahrzehnt des Lebens in der Ruhe von Tegel dahinfließt „im stillen Brüten über der Vergangenheit". Nun gaben die Erlebnisse und Erinnerungen, die Gestalten und Bilder, welche ein langes Wanderleben ihm eingetragen, die beglückende Möglichkeit, im abstrakten Durchkosten des vorgestellten Genusses d i e E n e r g i e zu s p a r e n , welche bis dahin auf das Sammeln dieser Schätze hatte verwendet werden müssen. Nun konnte die Bewegung, welche seine „Empfindlichkeit" so unablässig neuem Reiz sich hatte darbieten lassen, in jene Ruhe übergehen, welche aus der reifen Frucht den berauschenden Saft preßt und mit Zähigkeit den Rausch festhält, welcher „das Glück" bedeutet und verbürgt. So läßt das wirklich gelebte Leben Humboldts ihn erscheinen als ein Beispiel jener großen unbefriedigten Sucher nach einem absoluten Ideal, welche als unersättliche Sammler durch die Wirklichkeit wandern und im beglückten Traum des Geizigen über den gewonnenen Schätzen brüten. Denn auch als G e n i e ß e r ist Humboldt nicht ein V e r s c h w e n d e r geworden, sondern S a m m l e r geblieben1). Unterworfen „der unwiderstehlichen Begierde, die ganze Menschheit rein durch sich selbst auszumessen"4), hat er es gesucht und es verstanden, diesem Trieb auf den letzten Höhen des Geistes und in den letzten Tiefen der Sinnlichkeit genugzutun. Er hat dem Begriff wie der Wirklichkeit des Genusses eine Ausdehnung gegeben, welche man nicht treffender deuten kann als mit den Worten des großen Menschenkenners Balzac: „Eine Manie bedeutet die Überführung des Genusses in den Zustand der Idee"'). Eine derartige Umwandlung eines gegebenen Triebes in den Zustand der „Idee" hat Humboldt mit bewundernswerter Kühnheit vollzogen in seiner Jugendschrift von 1792. Aber er hat auch in jedem Moment eines genießenden Lebens die Sinnlichkeit aufgefaßt als „den Mittler zwischen dem sterblichen Blick und der unsterblichen Uridee". Und mochte das Genießen in manchem Betracht für ihn zur Manie geworden sein, so blieb es doch nicht haften an der Schlacke der Wirklichkeit, sondern steigerte sich zum Symbol4), zum trügerischen Symbol der Herrschaft über die Wirklichkeit des Lebens. Hier liegt Größe und Tragik des geistigen Menschen, hier zugleich der Keim für die Schwäche des politischen Menschen. Daß es der Trieb nach dem Genuß des Lebens war, welcher ihn beherrschte, das hat der junge Student sich noch verborgen unter den willig übernommenen Schleiern jener Glückseligkeits- und Tugendlehre, mit welchen seine, dem Optimismus der Aufklärung huldigenden Erzieher die harten Tatsachen und die Abgründe des Lebens verhüllten. So brütet er über sich und seinem Wesen, um die „Tugend" zu erkennen und sich

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anzueignen; so sucht er die „wechselnden Lagen", um sich zu b i l d e n und um T u g e n d z u ü b e n . Aber je mehr er seiner selbst sich bewußt wird, desto schneller zerreißen jene Hüllen vor der Kraft seiner Wünsche, desto unbekümmerter geht er aus auf den Genuß des Lebens, zunächst noch, um in ihm der Selbstbildung zu dienen 1 ). Später aber wird der Genuß als wahre Form des Glücks zum Selbstzweck. Und als dieses Glück dann durch mehr als ein Jahrzehnt ausgekostet war, da beginnt Humboldt zu spüren, mochte er immer noch seinen Besitz als schönste Gabe des Geschickes preisen, daß die süße Frucht den Wurm in sich barg. Dieses im Genuß freie und beruhigte Leben gefunden zu haben, sei kein Verdienst. „Es ist ein Glück, es zu besitzen; es kann nicht genommen werden, aber es wird gegeben. Es wäre auch nicht gut, wenn Viele so wären; denn man genießt mehr dabei, als man Genuß gewährt, und es schlägt die Tätigkeit nieder, durch die wieder auch nur das Höchste gedeiht." Die Beobachtung der Weimarer Freunde habe ihn davon überzeugt, daß „der Mensch sich an ein bestimmtes Objekt" eine Zeitlang müsse verlieren können, um etwas zu schaffen. „Im bloßen Leben" aber sei und bleibe der Standpunkt des reinen Denkens und Empfindens doch der höhere; wer jedoch auf ihm verharrt, „wird immer jener bedürfen und durch sich selbst das wenig weiter bringen, was ihm selber doch über alles ist"*). *

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U m ganz zu ermessen, was dieses Eingeständnis letzten Grundes für seine Lebensansicht bedeutet, müssen wir uns die Rolle vergegenwärtigen, welche Humboldt dem Genuß in seiner Weltauffassung bestimmt hatte. Sie wurde entwickelt in der 1792 entstandenen Schrift „Ideen zu einem Versuch, die Grenzen der Wirksamkeit des Staats zu bestimmen". Dieses irreführenden Titels halber wird sie meist als politische Schrift angesprochen, obwohl Haym bereits es erkannt und ausgesprochen hat, daß Inhalt und Sinn dieses großen Versuchs darin zu suchen ist, daß in ihm „die Individualität Humboldts sich selbst preisgibt". Man wird also die Schrift in erster Linie als ein Selbstbekenntnis im Gewände der Theorie aufzufassen haben. Als solche begleitet sie die erste „Tat" Humboldts, welche aus dem Bereich der Wünsche und Entwürfe überleitet zur wirklichen Gestaltung des Lebens 3 ). Denn für eine „Tat" galt vor dem Urteil seiner Freunde fast noch mehr als vor dem eigenen der Entschluß des vierundzwanzigjährigen Freiherrn, aus dem bisherigen Lebenskreise sich zurückzuziehen, um in ländlicher Einsamkeit, im Genuß einer jungen Ehe sich selbst zu leben. Dieser

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Entschluß kontrastierte erheblich mit dem Behagen, mit welchem das junge Geistesleben Berlins sich eben seine gesellschaftlichen Formen zu schaffen im Begriff stand und welches seine Träger und Apostel selbst ganz erfüllte1). Dieser Entschluß bedeutete mehr als eine Loslösung von gewohnter Umgebung auf bestimmte Zeit. Er enthielt die Absage an bisher geltende Konventionen und beobachtete Lebensformen; er trug ferner in sich den Verzicht auf eine bislang als selbstverständlich angesehene Laufbahn, deren Aussichten nach Lage der Dinge als glänzend zu beurteilen waren. Humboldts Ausscheiden aus dem Staatsdienst, so hat Eduard Spranger geurteilt, „bedeutete in der Mission seines Geistes dasselbe, was für Luther der Austritt aus dem Kloster, für Rousseau der Rückzug in die Eremitage bedeutete"2). Man wird diesen Vergleich nicht ohne Verwunderung vernehmen, schon um des geschichtlichen Irrtums willen, welcher ihm zu Grunde liegt, und der offenbar kein zufälliger, sondern ein symptomatischer ist. Denn Luther ist niemals aus dem Kloster ausgetreten, sondern hat die Kutte und mit ihr die mönchische Lebensweise erst bei der endgültigen Säkularisierung des Augustinerhauses im Herbst 1524 aufgegeben'). Man könnte diesen Irrtum als lapsus calami auf sich beruhen lassen, wäre sein Vorkommen nicht bezeichnend für die Tatsache, wie stark für das Bewußtsein weiter Kreise der Gebildeten im Protestantismus das Bild der Erlebnisbedingungen von Luthers religiöser Problematik und damit seiner religiösen Bedeutung sich verschoben hat. Der heutige Protestant ist eben notwendig „protestantischer", als der Reformator es je gewesen ist. Das „protestantische Gefühl" läßt ihn vergessen, daß der zunächst einmal entscheidende Schritt für den Erfurter Studenten eben der Eintritt ins Kloster, die Flucht aus der Welt, das Suchen nach religiösem Frieden war. Und auch dafür ist die Erinnerung verloren gegangen, daß dem religiösen Protest von 1517 noch auf Jahre hinaus keine Veränderung der Lebenshaltung gefolgt ist, daß die Grundtendenz Luthers vor einer Verneinung der Tradition zunächst und vor allem die Bejahung der Erlösungssehnsucht und der christlichen Erlösungslehre gewesen ist4)Das gleiche „Gefühl", welches den geschichtlichen Irrtum verursacht hat, ermöglicht auch den sachlich irrigen Vergleich zwischen diesen Männern, unter denen Humboldt zu den beiden anderen Menschheitskämpfern denn doch in einem Abstand steht, welcher den Gedanken durch das sachliche Mißverhältnis der verglichenen Größen in sich stumpf werden läßt. Aber mag immerhin der formale Vergleich des Wechsels der äußeren Lebensformen für den Augenblick gelten. Auch dann bleibt doch mancherlei einzuwenden. Und zwar in erster Linie dies, daß der gleiche Vorgang, welcher für Luther wie für Rousseau Verzicht und Entsagung

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mit sich brachte, für Humboldt im Gegenteil reine Erfüllung bedeutete, Erfüllung längst gehegter und wesentlicher Wünsche. Enttäuschungen, Unsicherheit über die bisher genommene Wegrichtung hat jene beiden Großen, den einen mit mehr, den anderen mit weniger Aufrichtigkeit zur Abkehr von der eingeschlagenen Richtung bestimmt, welche bei Luther zur Umkehr wurde. Von all dem, will man schon den geistig und sozial krankhaften Jean Jacques neben den tiefbewegten Riesen Luther stellen, ist bei Humboldt entfernt nicht die Rede. Im Gegenteil: Entsagung wäre für ihn die Eingliederung in Staat und Gesellschaft durch eine formale Bindung, durch den Zwang zur Leistung gewesen. Will man diesen aristokratischen Individualisten mit jenen beiden großen Männern auf eine Linie bringen, so muß man einen anderen ¡Vergleichspunkt ausfindig machen. Und es gibt ihn; es gibt eine Abkehr von befolgten Zielen im Leben Humboldts, welche mit der Zeit fast ,zu einer Umkehr geworden ist. Sie setzt ein, als Humboldt ähnlich wie Wilhelm Meister „von der Natur losgesprochen wird", sobald er „nach anderen zu fragen" beginnt und mit dem Eintritt in das Berliner Amt im Jahre 1809 sein Leben wirklich in den Dienst des Staates stellt. Hier liegt die Cäsur in seinem Leben, welche zunächst noch widerwillig hingenommen wurde. Sie vollendet sich in den Jahren der Befreiung, in denen er das Schicksal und das Glück erfährt und erkennt, sich dienend einzuordnen und über dem Ganzen sich selbst zu vergessen. Um 1813 war der Individualist Humboldt vielleicht „bekehrt", während er 1791 gewiß nur „degoutiert" war. Und hätte nicht Caroline Dacheröden stark zum Verlassen des Staatsdienstes gedrängt, so ist es durchaus nicht ausgemacht, ob die Neigung zu einem zurückgezogenen Leben gewisse ehrgeizige Wünsche1) und die passive Einstellung Humboldts zum äußeren Leben aus eigener Kraft überwogen hätte. Seine „Mission" jedenfalls, zu der er dann wider Willen gekommen ist, liegt für die Nachwelt in jenen Linien seiner Entwicklung, welche ihn zum Staat zurück, nicht von ihm fortgeführt haben. Sehr viel Negation des Überkommenen und Gegebenen brachte dieser Schritt Humboldts also mit sich; und nicht ganz ohne jene Betontheit vollzog er sich, welche idealistischer und illusionistischer Abkehr von der „argen Welt" von jeher eigen gewesen ist. Der junge Aristokrat, gleichmäßig bekannt als Lebemann, wie er für geistreich und gelehrt galt, welcher das elegante Berlin mit einem weltfernen thüringischen Landsitz zu vertauschen im Begriff stand — er hielt sich doch gern gegenwärtig, was er mit jener so mißbilligten Lebensform aufgegeben hatte. Ohne das Bewußtsein dieses Gegensatzes würde ihm doch etwas am Wert seiner Entscheidung gefehlt haben*).

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Sehr klar also war, was für Humboldt durch die Umstellung seines Lebens verneint sein sollte. Weniger bestimmt erschien, wie die neue Lebensform im einzelnen sich gestalten, wie das Leben ausgefüllt sein würde. Eine Unsicherheit, welche immer und immer wieder spürbar wird, stellt mit dem ersten Schritt auf der neu betretenen Bahn sich ein1). Für den Augenblick entscheidend und eine „Tat" war es, daß Humboldt, wohlhabend wie er war, ohne Rücksichten äußerer Art nehmen zu müssen4), was immer seit Rousseau und Herder an Ideen der Humanität, an Theorien über die Wiedergewinnung der verlorenen aurea aetas in Umlauf war, entschlossen aus der Abstraktion ins Konkrete, aus der Idee auf das Individuum übertrug, von der Menschheit auf Wilhelm Humboldt anwandte. Wenn er das Ideal mit kühnem Griff von den Sternen herabholte, so wies die gewählte Richtung aus dem zerstreuenden Dasein in den Bereich der eigenen Individualität, welche sich nun zur Welt weiten und auswachsen würde. Und zwar mit Hilfe jenes ihm besonders eigenen Vermögens einer fast unbegrenzten geistigen Aufnahmefähigkeit. Denn wenn das Ausscheiden aus dem Staatsdienst das erste persönliche Bekenntnis Humboldts zur „Humanitätsidee" war'), so zog es zugleich die Proklamation der spezifisch Humboldtschen Art von Individualität, der schlechthin rezeptiven, der ausschließlich genießenden Individualität als höchsten Lebenswert nach sich. Diese Proklamation erfolgte bald als literarische Frucht seiner ländlichen Muße in jener Schrift über die „Grenzen der Wirksamkeit des Staats". Doch wäre sie klarer und einleuchtender zu überschreiben gewesen: Humboldt de se ipso. Denn sie ist vor allem und im wesentlichen ein Selbstbekenntnis. „Nicht eigentlich eine Theorie wird uns vorgetragen", sondern in ihren lebensvollsten Sätzen „gibt die Humboldtsche Individualität sich selbst in dieser Schilderung der Menschheitsideale preis"3). Was Haym nachfühlend erkannte, Humboldt hat es selbst zur Zeit der Entstehung des Buches Brinckmann gegenüber bekannt: „Ich lebe und webe auf jeder Seite"; und wie er selbst seines Eigenwertes sich bewußt ist, will er auch sein Buch dem Vergleich mit anderen entzogen sehen4). Man weiß, daß die Hauptforderung, welche das „grüne Buch" — so wurde die bei den Freunden umlaufende Handschrift des Werkchens im Briefwechsel benannt — erhebt, dahingeht, daß der Staat dem Menschen die Wege freigeben soll zur freien und harmonischen Entfaltung seiner Kräfte. Auf keinem Gebiet des geistigen Lebens, vor allem nicht in Fragen der Religion und Moral darf der Staat eingreifen. Sein Zweck erschöpft sich darin, die nötige Sicherheit zur kraftvollen Entwicklung der einzelnen Individualität im Rahmen der gegebenen gesellschaftlichen Verhältnisse zu gewährleisten. Sind die Fesseln äußerer Einwirkung und

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Einengung des Staates gesprengt und beseitigt, dann darf, dann muß der Mensch im Blick auf sein Leben sagen und sagen können 1 ): „Hast Du nicht alles selbst vollendet, heilig-glühend Herz?" Aber in dem Enthusiasten des Individualismus schwingen hier sehr andere Töne, als sie von den Prometheischen Worten im Erinnern und Empfinden zuerst wachgerufen werden. Darauf strebt alles hin, d a ß das Wesen der Individuen, indem es sich in sich selbst entwickelt und durch Einwirkung sich gegenseitig modifiziert, „sich selbst zu der Harmonie stimmt, in welcher allein der Geist wie das Herz der Menschen zu ruhen vermag". Das ist „der allgemeine Endzweck des Menschen, d a ß sein Wesen sich zu immer höherer Vollkommenheit bilde . . . vorzüglich, daß seine d e n k e n d e und e m p f i n d e n d e Kraft, beide in verhältnismäßigem Grade der Stärke sich unzertrennlich vereinen" 2 ). Nichts also von dem Trotze und der Leidenschaft, welche in jeder Zeile des Goetheschen Gedichtes sprühen, auch jenes ein Selbstbekenntnis I Dort Kampf und Sehnsucht, leidende Enttäuschung und drängender Schaffenstrieb, im tiefsten von den Spannungen des Lebens erschüttertes Bewußtsein. Hier begründet ausgleichende und überredende Dialektik mit leichter Hand und schlüssigem Beweis die so schwer errungene „Harmonie von Geist und Herz". Dort drängen alle Kräfte und Leidenschaften hinaus aus dem engen Bereich des eigenen Seins, dort gilt es die Schöpfung einer Welt; hier „vollendet sich" ein „Individuum", das zugleich ein „Universum" sein will, frei von Leiden und Schmerzen, im ruhigen Zuge natürlicher Reife, mit den beschränkten Kräften des Einzelnen, welcher eine Welt zwar nicht schafft, aber in sich aufnimmt durch seine denkende und empfindende Kraft. Der p r o m e t h e i s c h e M e n s c h mochte es mit einer Welt von Widerständen, er mochte es mit Göttern aufnehmen müssen und war doch seines Glaubens und seines Gelingens sicher. Dem „interessanten" I n d i v i d u u m Humboldts aber müssen erst die Steine des Anstoßes, müssen die engenden Schranken aus dem Wege geräumt sein, ehe es zu seiner Bestimmung, ehe es zum Genuß der Welt und seiner selbst gelangen kann. Seine Theorie enthüllt mehr vom innersten Charakter Humboldts, als er trotz aller Bereitschaft zur Selbstdarstellung wohl beabsichtigt haben mag. Denn nicht nur sein Ziel, sie zeigt zugleich und unverkennbar in den Grenzen seines Bildungsideals die Schranken seiner Individualität und seiner Methode. Zwar Humboldt spricht von Kraft. Aber es ist kein Zufall, wenn er des Menschen wesentliche Kraft die denkende und empfindende nennt, wenn hier auch nicht mit einem Wort des schöpferischen Triebes noch der schaffenden Kraft gedacht ist. Nur die ver-

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arbeitenden, die rezeptiven, die genießenden Fähigkeiten von Geist und Gemüt finden ihren Platz in seinem System, und zwar an zentraler Stelle. Denn so mußte er nach seiner ganzen Anlage zur wirklichkeitsfernen Abstraktion den Vorgang der geistigen Durchdringung der Welt erfassen und sich vorstellen: im Mittelpunkt seiner individuellen Sphäre spannt allseitige Empfänglichkeit ihr weites und sehr feinmaschiges Netz aus, worin die „Gegenstände" des Erkennens und Erlebens, des Verstehens und Empfindens sich verfangen 1 ). So meinte er die Welt in sich aufzunehmen, seinen individuellen Gehalt zur Humanität steigern, sein Ich zu einer Welt weiten zu können. Der Weg zu diesem Ziel, nachdem es einmal aufgestellt war, ergab sich von selbst. E r wurde bestimmt durch die rein rezeptive Einstellung zur Umwelt, auf welche allein es ankam; er verlief zwischen den beiden Schranken, in welche Humboldts Natur gebannt war: die Welt erschloß sich ihm im Genuß, und zwar vom sinnlichen Genuß her, dessen hat er selbst nie Hehl gehabt. Was so an „Stoff" seiner Wahrnehmung zuströmt, das eignet er sich zu, indem es im Tiegel seiner ungeheueren Verstandeskraft, welche nach Vamhagens glänzendem Wort stellvertretend für alle anderen Seelenkräfte war*), umgeschmolzen wird zu jener Masse empfundener Reflexion und reflektierender Empfindung, welche mit dem bleichen Glanz des Silbers die geheimen Kammern seines Innern ausfüllen. E r formt es zu jenem gehüteten Schatz, dessen erkältender Hauch schließlich auch den Freund in Humboldts „Zauberwesen" einen gespensterartigen Menschen sehen ließ 3 )' „Man ist einer Sache nicht wert, die man nicht ganz genießt", so verkündet der junge Humboldt; und der gereifte Mann weiß es nicht anders, als daß es gilt, „das Leben leicht zu tragen und tief zu genießen". So klingt der Widerhall des Lebens aus dem flüchtigen Augenblick; a.ber auch die kühl-wägende Theorie verkündet die gleiche Botschaft 4 ). In dem wichtigen Kapitel über die ästhetische Bildung der Menschheit wählt Humboldt zum Ausgangspunkt die Schilderung „des tätigen und genießenden Menschen in seinem Innern". Denn „die sinnlichen Empfindungen, Neigungen und Leidenschaften sind es, welche sich zuerst und in den heftigsten Äußerungen in den Menschen zeigen" 5 ). Auch im Fortgang der Abhandlung bleibt sein Gedanke bei weitem mehr vom genießenden als vom tätigen Menschen gefesselt. Darum ist der Genuß, und zwar der sinnliche Genuß, von so grundlegender Bedeutung für die Bildung des Menschen, weil „uns nie etwas näher ist, als das eigene körperliche Gefühl. Wo also dieses selbst mit im Spiel ist, da ist die Wirkung am höchsten" 6 ). „Auch um den ruhigsten Denker zu bilden, muß Genuß der Sinne und der Phantasie oft um die Seele gespielt haben. Gehen wir vom Transzendentalen zu psychologischen UnK i c h l e r , Humboldt.

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tersuchungen ü b e r . . . wie wird da nicht der das gestaltenreiche Geschlecht am tiefsten erforschen und am wahrsten und lebendigsten darstellen, dessen eigener Empfindung die wenigsten dieser Gestalten fremd sind?" 1 ) Die stärkste Hilfe bei dieser in unabsehbare Tiefen und Weiten führenden Aufgabe erwächst dem Menschen in und aus seiner Sinnlichkeit. „Alle Stärke stammt aus der Sinnlichkeit, und wie weit entfernt vom Stamme, ist sie doch noch immer auf ihm ruhend. Wer seine Kräfte unaufhörlich zu erhöhen und durch häufigen Genuß zu verjüngen sucht, wer die Stärke seines Charakters oft braucht, seine Unabhängigkeit von der Sinnlichkeit zu behaupten, wer so diese Unabhängigkeit mit der größten Reizbarkeit zu vereinen bemüht ist, wessen richtiges und feines Schönheitsgefühl keine reizende Gestalt unbemerkt läßt, wessen Drang, das außer sich Empfundene in sich aufzunehmen, und das Aufgenommene zu neuen Geburten zu befruchten, jede Schönheit in seine Individualität zu verwandeln und mit jeder sein ganzes Wesen gattend, neue Schönheit zu erzeugen strebt, der kann das befriedigende Bewußtsein nähren, dem Ideale sich zu nahen, das selbst die kühnste Phantasie der Menschheit vorzuzeichnen wagt"2). Es ist diese Stelle, in welcher schon Haym das klarste Selbstbekenntnis des jungen Humboldt zu lesen meinte. Man wird darum nicht übersehen können, wie auch in diesen Sätzen der r e z e p t i v e C h a r a k t e r die geringen Ansätze zu einer schöpferischen Einstellung zum Leben überwiegt; wie sicher aus bewußter Erfahrung heraus alles abgewogen erscheint, was der Empfindung, was dem Genuß zugehört, wie gleichsam tastend nur und flüchtig das fremde Moment des schöpferischen Vermögens anklingt. Dabei darf nicht irre führen, wenn wohl von der Bildung und Stärkung der geistigen Kräfte und des Charakters in Genuß und Unabhängigkeit die Rede ist, wenn es sogar einmal heißt: „Meiner Idee nach ist Energie die erste und einzige Tugend des Menschen"3). Denn es ist dabei doch immer nur die passive Energie des Empfangens und Verstehens gemeint; jene Kraft, welche nicht schaffend aus sich heraustritt, sondern aufnehmend und verarbeitend „Bildung" im Menschen selber hervorbringt. Auf dem Boden dieser Bildung erwächst „Selbständigkeit, die Kraft, die sich in sich bemüht und sich auf sich beschränkt"4). Wieder tritt als Kern seiner Weltauffassung jener Egozentrismus zutage, zu welchem wir ihn bereits sich bekennen hörten. Jetzt aber wissen wir, daß dieser Egozentrismus seiner selbst nur bewußt werden kann in dem genießenden Sammeln, durch welches die Seele sich wandelt in einen wohlgefüllten Speicher von Erlebnis und Erkenntnis, über dem „die Erinnerung brütend schwebt". Darum machte Humboldt es der in Paris neu gewonnenen Freundin Germaine Stael-Necker zum schweren Vorwurf,

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„daß keine Stelle ihres Buches — „über die Leidenschaften" — die Freude an der Vergangenheit, das Leben von einer Erinnerung beweist Das Herz, in dem . . . die Leidenschaft so existiert, . . . ist nicht idealisch gebildet". Es sei ohne Gemüt, es lebe doch eigentlich nur „in der Wirklichkeit, denn es will immer Besitz, es ist die Phantasie des Verstandes, nicht der Empfindung, die ihm die angebliche Unendlichkeit gibt." Für ihn aber sind die Welt, die Dinge und die Menschen nichts als Stoff, welcher angeeignet, objektiviert, genossen wird; lind zwischen und über allem steht in völliger Selbstherrlichkeit das verstehende, empfindende, in Beidem aber genießende Ich: „der Mensch scheint doch einmal dazu da zu sein, alles, was ihn umgibt, . . . . in das Eigentum seines Verstandes zu verwandeln. . . . Ich möchte, wenn ich gehen muß, so wenig als möglich hinterlassen, das ich nicht mit mir in Berührung gesetzt hätte"1). Aus Selbstaussagen wie aus Beobachtung ist dieser von jedem Begriff einer verpflichtenden oder gestaltenden Sittlichkeit durch eine Welt getrennte Grundzug von Humboldts Weltansicht erschlossen worden. Jedenfalls vermag der philosophische Laie der Sachlage kein anderes Ergebnis abzugewinnen. Unter philosophischem Gesichtswinkel jedoch scheint eine andere Beurteilung möglich zu sein. Denn, so faßt Spranger den ethischen Ertrag seiner Untersuchungen über Humboldts damalige Weltanschauung zusammen, „auch jetzt noch bleibt das altruistische Moment völlig im Hintergrund; es ist eine Ethik individualistischer Selbstkultur, eine Ethik beschaulichen Daseins, der Selbstbehauptung ohne Aktivität . . . ein klassisches Schweben in der aus der eigenen Innerlichkeit geborenen Harmonie"2). „Eine Ethik beschaulichen Daseins, der Selbstbehauptung ohne Aktivität", so wurde der sittliche Gehalt von Humboldts Weltanschauung durch einen ihrer besten Kenner charakterisiert; „Selbstbehauptung ohne Aktivität" — diese Zusammenstellung von Begriffen reizt zu weiterem Nachdenken. Daß das Bildungsideal Humboldts ebenso wie seine Weltanschauung der Aktivität entbehrt, kann nach dem, was wir über beide bisher hörten, nicht Wunder nehmen. Und daß die Weltansicht, die ein Mensch sich bildet, seiner Selbstbehauptung im Daseinskampf zu dienen hat, versteht sich von selbst und im allgemeinen Sinn. Immerhin, der Gedanke der Selbstbehauptung setzt den anderen Gedanken eines möglichen oder tatsächlichen Angriffs auf diese „beschauliche Ethik" voraus; und die Frage liegt nahe, ob Humboldt sich eines derartigen Angriffs auf sein ethisches Ideal zu gewärtigen hatte. Die Antwort lautet: zweifellos und zwar aus nächster Nähe, von der entgegengesetzten Artung des ihm verwandtesten Menschen, seines Bruders Alexander, her. 3*

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Denn in dem großen Brief an Caroline vom Weihnachtsabend 17901), in welchem er wie zum Festgeschenk für sie und sich das neue Lebensprogramm einer auf die eigene Bildung konzentrierten Existenz entwickelt — in diesem Brief spielt die Gestalt des Bruders, sonst nicht allzu günstig im Briefwechsel beurteilt, die sehr ernsthafte Rolle des Gegensatzes, von welchem die eigene Richtung entschieden sich abkehren soll. Und zwar ist der Gegensatz bezeichnet durch ihre natürliche Anlage, welche dem Älteren die „Passivität" als den höheren Wert erscheinen läßt, während in seinen Augen die angeborene Aktivität den Jüngeren dazu verführt, „gar viel wirken zu wollen, und das außer sich"2). Die natürliche Anlage nicht nur der geistigen Richtung, sondern gleichzeitig der körperlichen Ausstattung scheint diesen Gegensatz, diese brüderliche Rivalität bedingt zu haben. So jedenfalls hat W. Humboldt das Problem, welches ihn zu den verschiedensten Zeitpunkten und unter den verschiedensten Gesichtspunkten durch das ganze Leben immer wieder beschäftigt, in späteren Jahren erklären wollen: „Ich hätte durch (eine) . . . auf äußere Gegenstände gerichtete Aufmerksamkeit es nie weit gebracht. Ich bin . . . von Kindheit an mehr von einer innerlichen Natur gewesen. Meine äußeren Sinne selbst sind weder scharf noch grade ausgebildet; und das wäre noch das Wenigste. Allein in der Seele selbst entspricht ihnen etwas, das erst eigentlich macht, daß man scharf sieht und hört. Ich übersehe leicht oder erkläre mir, was ich zu sehen glaube, auf diese oder jene Weise, und sehe daher falsch." Der Bruder .dagegen habe nach seiner ganz entgegengesetzten Natur von der falschen Erziehung, welche des Älteren Schwäche noch verstärkt hätte, und von ihren Folgen sich freigemacht3). Aus diesem Rückblick erhält sowohl das Problem des brüderlichen Gegensatzes als auch das Problem der inneren Struktur W. Humboldts eine erwünschte Klärung. Wir erfahren, daß das „idealistische" Leben in Träumen und Ideen, daß diese Abkehr von einer Wirklichkeit, welche zu einem Teil seiner Aufmerksamkeit entzogen gewesen zu sein scheint, auf körperlicher Grundlage sich entwickelt hat. Seltsam genug in der Tat ist die Erscheinung, daß von zwei Brüdern der Eine so ganz unfähig war zu dem, worauf Tätigkeit, Leistung und Ruhm des Anderen beruhte: zur einfachen und genauen Beobachtung der sinnenfälligen Wirklichkeit. Welcher Aufschluß aber auch über die zwangsmäßige Bedingtheit des scheinbar frei gewählten Ideals ergibt sich hier! Weniger die Ursache als die Wirkung der verschiedenen Veranlagung hat Humboldt nicht minder scharf in dem schon berührten Brief vom Dezember 1790 gezeichnet. Damals hat das Bewußtsein dieser Verschiedenheit, das Gefühl, dem leichter und stärker lebenden Bruder unter-

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legen zu sein, ihn tief bedrückt; bald mit Bewunderung, dann wieder mit Kritik hat W. Humboldt sich gegen diese Depression zu wehren versucht. Zeitweise glaubte er ihrer Herr zu sein; zeitweise fühlte er sich dem Bruder überlegen und hat es mit einem Nachdruck betont, welcher doch an der Sicherheit des Glaubens zweifeln läßt. Bis in die letzte Lebenszeit hinein hat er für eine bittere, fast verächtliche Kritik am Wesen Alexanders den schneidendsten Ausdruck zu finden gewußt. Wenn immer wieder der Gedanke des gereiften Mannes noch prüfend und vergleichend die Erscheinung des Bruders sich vor Augen hält; wenn immer wieder die Frage nach dem Wert von Alexanders Lebensführung gestellt und letzten Endes verneint wird, so wird man die Rolle nicht unterschätzen dürfen, welche Art und Wirksamkeit des Bruders bei dem Entschluß zur eigenen Lebensgestaltung Humboldts gespielt haben muß. Obwohl während der gemeinsamen Erziehung und Studienzeit es ihm klar geworden war, daß Alexander „in zehnfach größerer innerer Freiheit" als er selbst gelebt und gearbeitet und ihn „in leichtem, schnellen Ideengang überflügelt" habe, so habe er sich doch von seiner eigenen, einem „mittelmäßigen Talent" angemessenen Art, „mit Fleiß und Ordnung" seinen Bildungsweg zu nehmen, nicht abbringen lassen — nicht einmal durch den Spott des Bruders. „Ich wählte die sichere Laufbahn und ging ohne Änderung fort. Auch die Art der Geschäfte wählte ich nach dieser Idee. In der Dienstlaufbahn meines Bruders erfordern die Arbeiten, sobald man in höheren Posten ist, mehr Genie, einen weitern Überblick, aber man hat auch weniger bestimmt vorgeschriebene Reggin. Was man tut, ist von größerem Einfluß, das schreckte meine mißtrauende Ängstlichkeit, dann hat man mehr mit anderen Menschen zu tun, und Menschheitsbeglückung, welche die einen, wie gerade jetzt sein Freund Forster, von der Revolution mit unbeirrbarer Gläubigkeit erwarteten, während ihre Gegner mit nicht geringerer Heftigkeit ihren Erfolg bestritten, — daß er diesen Bereich humanitärer Ideen meidet und in den Mittelpunkt das staatliche Grundproblem rückt, welches dieses Ereignis aus aller bisherigen Geschichte heraushebt, daß man nämlich in der Revolution ein „politisches System" hatte verwirklichen wollen8). „Die konstituierende Nationalversammlung hat es unternommen, ein völlig neues Staatsgebäude nach den bloßen Grundsätzen der Vernunft auszuführen... Nun aber kann keine Staatsverfassung gelingen, welche die Vernunft — vorausgesetzt, daß sie ungehinderte Macht habe, ihren Entwürfen Wirklichkeit zu geben — nach einem angelegten Plane gleichsam von vornher gründet; nur eine solche kann gedeihen, welche aus dem Kampfe des mächtigeren Zufalls mit der entgegenstehenden Vernunft hervorgeht"3). Wenn Humboldt gegenüber einem unbekümmerten Glauben an die Möglichkeit der Rationalisierung, der vernünftigen Gestaltung des Gemeinschaftslebens die Bedeutung des „Zufalls" hervorhebt, so vollzieht Ktehler, Humboldt. 9

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er damit wiederum eine „Interpretation" des Gegebenen; er gibt eine scharfsinnige Auslegung der „Lage", aus welcher in der Wirklichkeit eine Staatsform sich bilden kann, „wenn der Zufall wirkt und die Vernunft ihn nur zu lenken strebt". Freilich, wenn es auch die Grundelemente menschlicher Handlungsmöglichkeit sind, welche hier aufgezeigt werden, und wenn es geschieht, um sich von „allgemeinen, d. i. halb wahren und unvollständigen Ideen" frei zu machen, so kommt es immer noch auf eine ziemlich derbe .Vereinfachung des politischen Werdens heraus. Aber sie bringt doch eine bedeutsame Klärung mit sich. Denn in dem „mächtigen Wirken des Zufalls, (wo) . . . die Gegenwart die Zukunft an sich reißt", enthüllt sich „die individuelle Beschaffenheit der Gegenwart; denn diese von uns unerkannten Kräfte heißen uns doch nur Zufall". Dieser „individuellen Beschaffenheit der Gegenwart" kann man nicht beikommen durch die bloße Vernunft und aus dem Standpunkt des Augenblicks heraus. Denn die kollektive Individualität ebenso wie das einzelne Individuum sind geschichtlich bedingt und nur aus ihrem Werden, nicht nach ihrem Sein zu verstehen. Hatte er selbst doch die eigene Individualität entdeckt in dem „Brüten" über der Vergangenheit, mit der Versenkung in den Vorgang seines inneren Werdens. „In dem höchsten Ideale menschlicher Natur, das die glühende Phantasie sich zu bilden vermag, ist jeder Augenblick der Gegenwart eine schöne, aber nur Eine Blüte. Den Kranz vermag nur das Gedächtnis zu flechten, das die Vergangenheit mit der Gegenwart verknüpft. Wie mit dem einzelnen Menschen, so mit ganzen Nationen. Sie nehmen auf einmal nur Einen Gang. Daher ihre Verschiedenheit untereinander, daher ihre Verschiedenheit in ihnen selbst in verschiedenen Epochen"1). Der geschichtliche Bereich, auf scharfsinnig gefundenem, aber etwas mühsamem Umweg erschlossen, erweist sich als entscheidender (Gegenspieler der nach dem reinen Ideal strebenden Vernunft, „welche von dem — individuellen — Gegenstand, auf welchen ihre Entwürfe angelegt sind, Form und Modifikation erhält". Und wenn der Staat „nichts ist, als eine Summe menschlicher, wirkender und leidender Kräfte", so kann nur eine Staatsform von Dauer sein, welche nicht nur rechnet mit der „Vernunft", sondern eben mit der Wirklichkeit in ihrer „individuellen Beschaffenheit". „Vom Individuellen aber vermögen wir nur wenig aufzufassen"; es wirkt als eine Kraft für sich und nach eigenen Gesetzen. Denn „die Vernunft hat wohl Fähigkeit, vorhandenen Stoff zu bilden, aber nicht Kraft, neuen zu erzeugen. Diese Kraft ruht allein im Wesen der Dinge, diese wirken, die wahrhaft weise Vernunft... sucht sie nur zu lenken".

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Darum ist eine „völlig neue Staatsverfassung" ein Ding der Unmöglichkeit; auch wenn ihre Ausführbarkeit in einem gegebenen Augenblick zuzugeben wäre, muß es ihr doch an Dauer fehlen. Ein glatter Schnitt zwischen heute und gestern läßt sich nicht führen; eine „nach den reinen, wenngleich der individuellen Lage angepaßten Grundsätzen der Vernunft gebildete Staatsverfassung kann nicht gedeihen"1). Neben die Vernunft tritt mit eigenem Recht die Geschichte als Erkenntnisquelle. Doch der Gedanke trägt weiter; Geschichte und Schicksal, — nach Gentz's Ausspruch „die metaphorischen Umschreibungen unseres Unvermögens, die Gegenwart und die Zukunft zu erkennen und zu beherrschen" — werden als ein der Allmacht der bloßen Vernunft entzogener Bereich von eigener Gesetzmäßigkeit erkannt und anerkannt. Mit dieser Feststellung und mehr noch durch das gedankliche Verfahren, welches auf sie führt, scheidet sich Humboldt von dem Denken des 18. Jahrhunderts, von dem Naturrecht ebenso wie von Rousseau auf der einen, von Kant auf der anderen Seite. Die kleine Schrift ist sachlich ein erster Schritt auf der Bahn, welche zu der großen Leistung des deutschen Denkens im aufsteigenden Jahrhundert, zu der grundsätzlichen Anwendung der geschichtlichen Betrachtung auf die Vorgänge des staatlichen Lebens führen sollte. Und persönlich weist gerade sie den jungen Denker aus als den vorbestimmten Interpreten der geistigen Hauptrichtungen seiner Zeit*). Der theoretischen Auseinandersetzung mit dem Verfassungswerk der Revolution war zwei Jahre zuvor eine Berührung mit ihrer Wirklichkeit voraufgegangen. Aufmerksam hatte Humboldt im August 1789 mit seinen großen Augen in das vom Bastillensturm und dem vierten August erregte Paris hineingeschaut. Wenn er auch jetzt noch seine politische Epistel mit einem Bekenntnis zu den wohltätigen Wirkungen der Revolutionsideen beschließen konnte, so wird es nicht wundernehmen, daß das unmittelbare Erleben der mächtigen Volksbewegung und die allgemeine Erregung der Geister auch diesen kühlen Beobachter zur Begeisterung mit sich rissen. Vor der in Trümmern liegenden Bastille träumt er von dem „Denkmal der endlich siegenden Freiheit", das an ihrer Stelle sich erheben soll. Mit Verachtung gedenkt er des „verräterischen Gouverneurs"; er bewundert „das arme gedrückte Volk, das mit Gefahr seines Lebens seine Freiheit erkauft und seinem untätigen König wahrlich nur aus unverdienter Gnade Leben und Krone läßt". Ebenso gilt seine Bewunderung „dem edlen Manne Lafayette, der nicht wieder Europa, nicht einmal die Mauern seiner Vaterstadt zu verlassen brauchte, um ein zweites Mal die Freiheit einer Nation zu verteidigen". Denn die Idee der Freiheit war es, welche ihn enthusiasmierte, der Freiheit, die ihm 9*

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Fünftes Kapitel.

im Licht eines rein menschlichen Gewinnes eher sich darstellte als nach ihren politischen Folgen. Als gelegentlich einer Seelenmesse in St. Sulpice ein „armer, zerlumpt angezogener Mensch" von der Bürgerwache aus der Kirche entfernt wurde, „war es sehr merkwürdig, die Äußerungen von Freiheit und Gleichheit aller Bürger in dem Munde von Leuten zu hören, die man bei uns zu den Hefen des Volkes rechnen würde So hat schon jetzt die Revolution die Menschen gehoben und aufgeklärt; was erst wird sie in der Folge tun" 1 )? Gerade die Folgen der Gleichheit, welche bei diesem Vorfall schon ein leises Unbehagen spürbar werden lassen, waren der Punkt, an welchem Humboldts Begeisterung für die Revolution sich abzuschwächen begann. Der junge Aristokrat sprach nämlich sehr bald von „den chimärischen Ideen von Gleichheit", welche zu den „Entsagungen" vom 4. August mit ihren „schädlichen Folgen" geführt hätten. Denn, so argumentiert Humboldt gegenüber einem revolutionsbegeisterten Professor in Lausanne, am 4. August hätten „eine Zahl meistens armer Adlicher weggegeben, was den reichen gehörte". Er mochte mit einiger Beklemmung an die Folgen für die Grundlagen seines eigenen Daseins denken, falls dieses Gleichheitsexperiment sich außerhalb der Grenzen Frankreichs wiederholen sollte. Neben dem Instinkt für die eigene Sicherheit aber regte sich sein Rechtsgefühl. Glücklicherweise traf auch dieses mit dem eigenen Interesse wie mit dem seinerStandesgenossen zusammen: der Staat habe die zwar ehemals usurpierten Besitzrechte des Adels anerkannt, sie seien rechtmäßiger Besitz. Man müsse „das Eigentum heilig halten, besonders in einem Zeitpunkt, wo schon die meisten Köpfe geneigt sind, schlechterdings kein Recht und kein Eigentum mehr anzuerkennen"*). Aber war nicht auch das Recht des Königs an der Krone „zwar usurpiert", aber durch Zeit und staatliche Anerkennung sanktioniert gewesen? Über die Freiheitsidee hinaus also versagte Humboldt der Revolution die Gefolgschaft. Seine „Anhänglichkeit" an sie beschränkte sich auf ihre „reine" Idee. Die nivellierenden Folgerungen, welche aus der Idee der Gleichheit sich ergaben, mußte der Individualist grundsätzlich ablehnen. So fand er später an den Ansichten von Condorcets Witwe, Sophie von Grouchy, wohl nur eines zu tadeln, eine Art von „Freiheitsliebe, aber nur von Seiten der allgemeinen Gleichheit, also der gemeinsten Idee"8). In den ersten Jahren bleibt seine Stellung zur Revolution als einer großen Erscheinung der Menschheitsgeschichte noch schwankend. Als Theoretiker meint er wohl, daß die Wahrheiten der Revolution ewig Wahrheiten bleiben würden, „auch wenn 1200 Narren sie entweihen", wie er gelegentlich an Brinckmann, den schöngeistigen Diplomaten im

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Dienst des erklärtesten Feindes der Revolution, des Schwedenkönigs Gustav IV., schreibt. Als dann mit dem Herbstfeldzug von 1792 Frankreich die Bahn der bewaffneten Propaganda betritt, als das alte deutsche Mainz in die Menschheitsrepublik einverleibt wird, da erweckt diese praktische Verletzung des Eigentumsbegriffes in der großen Politik zunächst seinen bedauernden Anteil für den schwer von diesem Ereignis betroffenen Dalberg. Außerdem regt sich der Zweifel, „ob die Mainzer eines Anteils an einer freien Konstitution fähig scheinen"; beide Gründe lassen ihn eine Wiedergewinnung des verlorenen deutschen Bodens wünschen. Auf der andern Seite möchte er die Franzosen ungern geschlagen sehen. Denn „ein edler Enthusiasmus hat sich doch jetzt offenbar der ganzen Nation bemächtigt; es sind doch endlich einmal andere Dinge, als die Neigungen und eingeschränkten Gesichtspunkte einiger Einzelnen, welche eine ganze Nation beschäftigen, und die Energie überhaupt muß dadurch unendlich gewinnen". An sich seien „freie Constitutionen" gar nicht so wichtig, eine „gemäßigte Monarchie" lege der Ausbildung des einzelnen weit weniger einengende Fesseln an. Aber jene „spannen die Kräfte zu einem so hohen Grade, erheben den ganzen Menschen, und wirken doch so im eigentlichsten Verstände das einzig wahre Gute"1). Theoretischer Illusionismus und eine feine Witterung für die kommende Entwickelung vereinigen sich merkwürdig in diesen Sätzen. Die Einsicht, daß die werdende Demokratie eine viel herbere und strengere Form des Staatszwanges entwickeln werde, als man sie bislang kannte, — eine damals keineswegs häufige Erkenntnis steht hart neben dem täuschenden Glauben an den „Menschheitswert" des losbrechenden Nationalismus, dessen egoistischer Kern sich seinem Auge noch unter dem gleißenden Schleier einer humanitären Ideologie verbirgt. Und hinter den überlegenden Gedanken pulsiert eine gewisse Neugier des unbeteiligten Zuschauers, welcher die auf der Weltbühne „endlich einmal" auftretenden neuen Akteure gern zum Anlaß seiner ästhetischen oder ethischen Reflexionen werden läßt2). Wenige Monate weiter, und die nationale „Energie" offenbarte sich in Ereignissen, welche die reine Idee „durch nie auszulöschende Flecken" in Humboldts Augen verunstalteten. Seit dem „abscheulichen Prozeß" gegen Ludwig XVI.*) ist Humboldt als ein abgesagter Feind der empirischen Form der Revolution zu betrachten. Gemäßigte Energie entsprach seinem politischen Ideale mehr als der ungehemmte Ausbruch von Naturgewalten und Leidenschaften; nicht die Revolution war sein Ziel, sondern die vom „weisen Gesetzgeber" bewirkte und geleitete „Reform", deren maßgebliche Theorie auf den letzten Seiten seines eben beendeten Buches dargelegt zu haben, ihn damals mit Genugtuung erfüllen konnte.

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Denn wenn Humboldt den wirkenden Kräften der Geschichte ihren Platz gesichert hatte, so war er doch nicht etwa gesonnen, den modernen Staat, wie er in der umgebenden Wirklichkeit als Gegenstand der Beobachtung sich darbot, vorbehaltslos als verwirklichte Vernunft anzuerkennen. Im Gegenteil. So scharf er den grundlegenden Irrtum der Revolution erkannt hatte, ebenso scharf fiel seine Verurteilung jener anderen Form staatlicher „Revolution von oben" aus, welche der aufgeklärte Absolutismus, die josephinische Regierungsweise ins Leben gerufen hatte 1 ). Denn mehr jener stürmisch auftretende und weit umsichgreifende Reformeifer des Josephinismus der beiden letzten Jahrzehnte als das Preußen seiner Zeit, welches vielfach und nicht ohne Grund als ein in seiner Entwicklung gehemmtes Staatswesen beurteilt wurde, wird Humboldt vor Augen gestanden haben, wenn er in seinem Brief an Gentz die These aufstellte : daß „das Prinzip, daß die Regierung für das Glück und das Wohl, das physische und moralische, der Nation sorgen muß . . . gerade der ärgste und drückendste Despotismus" sei*). Daß die staatliche Entwicklung, welche die Revolution angebahnt, aus dem Freiheitstraum von 1789 über die Konventsherrschaft und über die Napoleonische Reaktion zu einer noch viel rücksichtsloseren Inanspruchnahme des einzelnen durch den Staat führen würde, davon ahnte damals Humboldt noch nichts. Wenn er auch der eben geschaffenen Konstitution, dem legislatorischen Ergebnis der ersten beiden Revolutionsjahre, ein ungünstiges Horoskop hatte stellen müssen, so meinte er von der Revolution selbst und ihrer Wirkung, „daß sie die Ideen aufs neue aufklären, aufs neue jede tätige Tugend anfachen und so ihren Segen weit über Frankreichs Grenzen verbreiten" werde*). Auch diese Voraussicht sollte der Gang der Ereignisse bestätigen, freilich in anderen Formen und mit anderen Folgen, als sie Humboldt damals vorschweben mochten. Vorderhand jedenfalls schien ihm das Glück der Menschheit weniger von den drohenden Ausbrüchen des französischen Kraters bedroht, als daß die Gefahr bestand, die Energie des menschlichen Lebens in den stagnierenden Gewässern des deutschen Staatswesens untergehen zu sehen. Ihre Oberfläche war wohl hier und da von dem Reformeifer eines Fürsten, „in dessen Kopf die Ideen gutmütiger Menschen, meistens Schriftsteller"4) über die Menschheitsbeglückung eingedrungen waren, zu regerem Wellenschlag gekräuselt, welchen man von ferne als Anzeichen einer gefährlichen Strömung ansehen konnte. Einen solchen deutschen Fürsten hatte Humboldt in Carl v. Dalberg, der als Koadjutor von Mainz in Erfurt residierte, nun unmittelbar vor Augen. Aufgeklärt, fortschrittsgläubig, wohlmeinend, zugleich doch an die Ziele und Wege jener versteinernden und lebensun-

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fähigen Staatsform seines geistlichen Fürstentums äußerlich wie innerlich gebunden, mußte gerade Dalberg mit allen seinen menschlichen Vorzügen einem so empfindlichen Gefühl für Unabhängigkeit, wie Humboldt es in sich trug, als ein besonders bedrohlicher Wohltäter der Menschheit erscheinen. In den Unterhaltungen mit dem geistlichen Herrn, zu denen ein Aufenthalt in Erfurt von mehreren Monaten während des Frühjahrs 1792 Gelegenheit bot, mochte die bei jenem hervortretende „Sucht zu regieren" zu nachhaltigem Widerspruch reizen1). In der Tat muß Dalberg seltsame Vorstellungen von seiner künftigen Tätigkeit gehabt haben. Sein Standpunkt war, daß die Kräfte der Menschen, welche von Natur schlummern, durch Eindrücke von außen geweckt werden müßten. Deswegen sei die Staatsverfassung die beste, welche „den Menschen sein Leben hindurch so beschäftigt, daß er keine Zeit übrig hat, anderer Wesen Schaden zu befördern". Zu den beschäftigenden Eindrücken sind die von der Religion erweckten Gefühle der Furcht und Hoffnung zu zählen. Ohne Einwirkung von Religion, Polizei und Erziehung „würden die Menschen . . . . wie die Wilden nur durch Hunger und tierische Gefühle in Bewegung gesetzt". Darum könne der Staat „keine Grenzen der Wirksamkeit haben als die Grenzen aller physischen und moralischen Kräfte seiner Einwohner"2). Ein solcher Wirrwar von richtigen und abstrusen Gedanken, eine so primitiv pädagogische Bestimmung des Staatszweckes mußte zur Bekämpfung dieser „theoretischen Prinzipien noch mehr reizen, wo ihre Anwendung so nahe liegt"'). Denn, was Dalberg an Anschauungen entwickelte, mußte Humboldt als übertriebenes Zerrbild der Ansichten erscheinen, welche er früher von seinen Berliner Lehrern überkommen und selbst nicht ohne Wärme vertreten hatte, bis in Göttingen eine andere Überzeugung, eben die jetzt vertretene, in ihm erwachsen war1). Seine früheren Ansichten finden sich vor in der spröden Form schulmäßiger Ausarbeitungen zu dem Privatissimum im Naturrecht, welches er im Jahre 1786 bei dem Kammergerichtsrat Klein hörte. Dort liest man in einer kleinen Abhandlung über die Definition des Staates mit einiger Verwunderung die folgenden Sätze: „Es ist nicht richtig, daß der Staat bloß für die äußerliche Glückseligkeit sorgen soll... Warum will man den Zweck desselben so einschränken? Ist die innere Glückseligkeit etwa weniger wichtig als die äußere? Ist es weniger wichtig, daß die Bürger tugendhaft und daher ruhig und zufrieden sind, als daß sie im Wohlstand leben und ihr Eigentum gesichert ist? Warum sagt man folglich nicht, daß Glückseligkeit überhaupt ist der Endzweck des Staates, Glückseligkeit jeder Art, äußere sowohl als die innere ?" Den Einwand, daß der Staat nur mit Zwangsmitteln, folglich nicht auf die innere Glückseligkeit wirken könne, widerlegt die Feststellung, „daß

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eigentlich und unmittelbar es wahr ist, daß die innerliche Glückseligkeit durch Zwangsmittel nicht befördert werden kann, aber mittelbar ist es möglich. Der Staat kann Anstalten, Einrichtungen machen, durch welche auch der moralische Charakter der Bürger gewinnt". Durch Schulen und den Gottesdienst könne der Staat „auch durch Zwangsmittel . . . die innerliche Glückseligkeit befördern, nur nicht unmittelbar und auf der Stelle, sondern mittelbar und nach und nach". Von diesem Standpunkt her war dann auch „die Streitfrage, ob der Zweck des Staates bloß die Sicherheit, oder außer derselben noch das Wohl der Bürger sein müsse", folgerichtig zu verneinen- Denn die „Freiheit der Bürger", derentwegen man dem Zweck des Staates engere Grenzen setzen wolle, gewinne auch dann, wenn der Staat für ihr Wohl sorge; denn dieses liege „vorzüglich in ihrer moralischen Vollkommenheit", welche, wie dargetan, auch mittelbar durch staatliche Zwangsmittel gefördert werden könne. Trotz mancher deutlichen Spuren von Humboldts zergliederndem Scharfsinn haben wir es hier mit einem ziemlich unbeholfenen Schulaufsatz zu tun, an dessen zuversichtlicher Glückseligkeitstheorie ein Dalberg allerdings seine helle Freude hätte haben müssen1). Im Lauf der Jahre aber hatte sich sein jugendlicher Diskussionsgegner zu einem völlig entgegengesetzten Standpunkt entwickelt. Der alte Satz „adora quod usti, ure quod adorasti" wäre wohl auf ihn anzuwenden. Hatte er mit leichter Handbewegung die Sicherheitstheorie abgetan, so bildete sie jetzt gerade den Inhalt seiner Behauptungen; war die unber grenzte Wirksamkeit des Staates zu „Beförderung der Glückseligkeit" seiner Untertanen nicht nur gerechtfertigt in seinen Augen, sondern wünschenswert gewesen, so erschien gerade sie ihm jetzt als „der ärgste Despotismus". Eine folgerechte Entwicklung aus allen Voraussetzungen seines Erlebens und Denkens, wie wir sie kennen lernten, folgerecht vor allem aus der These von der autarkischen Individualität. Jetzt war das Prinzip seines Denkens allein „die Rücksicht auf den Menschen, auf den doch am Ende alles hinauskommt...". Mit diesen Worten beginnt ein genauer Bericht an Georg Forster über den Inhalt und den Zweck seiner uns schon bekannten Schrift, welche in dieser Zeit als Ergebnis früherer Arbeiten und gegenwärtiger Diskussionen mit Dalberg zu Papier gebracht wurde. Sie enthält die Summe seines juristischen Studiums wie seiner damaligen Ansichten vom Leben. „Die höchste und proportionierlichste Ausbildung aller menschlichen Kräfte zu einem Ganzen ist daher das Ziel gewesen, das ich überall vor Augen gehabt, und der einzige Gesichtspunkt, aus dem ich die ganze Materie behandelte." Dem Ziel der Staatskunst, blühende Länder hervorzubringen, müsse die Theorie laut zurufen, „daß solche schönen Dinge von selbst entständen, wenn man

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die Kraft und Energie der Menschen durch Freiheit erhöht." Werde dagegen in einem schneller bevölkerten, blühenden, ja sogar in gewissem Grade aufgeklärten Land das Gute den Bürgern von der Regierung aufgedrängt, so müsse der langsamere aber sichere Weg der eigenen Ausbildung Schaden leiden. Notwendig sei daher die Begünstigung der höchsten Freiheit und der Entstehung der mannigfaltigsten Situationen für den Menschen. „So schien mir die vorteilhafteste Lage für den Bürger im Staat die, in welcher er zwar durch soviel Bande wie möglich mit seinen Mitbürgern verbunden, aber so wenig als möglich von der Regierung gefesselt wäre. Denn der isolierte Mensch vermag sich ebensowenig zu bilden als der in seiner Freiheit gefesselte." Nur bei der Sorge für die Sicherheit könne die Wirksamkeit des Staates die Wirksamkeit des Bürgers ersetzen. „Alles übrige . . . an notwendigen Dingen schafft sich der Mensch allein, jedes Gut erwirbt er allein, jedes Übel wehrt er ab, entweder einzeln oder in freiwilliger Gesellschaft vereint. Nur die Erhaltung der Sicherheit, da hier aus jedem Kampf immer neue entstehen würden, fordert eine letzte, widerspruchslose Macht, und da dies der eigentliche Charakter des Staates ist, nur diese eine Staatseinrichtung." Darum habe er es sich angelegen sein lassen, die Nachteile einer ausgedehnten Staatstätigkeit für die innere Ausbildung des Menschen zu schildern, besonders wenn der Staat „für das physische oder gar das moralische Wohl sorgen wolle". Deshalb sei es ihm darauf angekommen, das Recht des Staates auf die Anwendung von Maßnahmen zu verneinen, „welche zu sehr auf den Charakter wirken wie öffentliche Erziehung, Religion, Sittengesetz" 1 ). Gerade hierauf kam ihm eigentlich alles an: „jede öffentliche Erziehung, da immer der Geist der Regierung in ihr herrscht, gibt dem Menschen eine gewisse bürgerliche Form . . . Doch soll die Erziehung ohne Rücksicht auf bürgerliche Formen nur Menschen bilden, so bedarf es des Staates nicht" — das war der Grundgedanke seines Buches. Und gerade auf diesem Gebiet sollte Humboldt die erste und fruchtbarste Tätigkeit im Dienst des Staates entfalten, eine „bürgerliche Form" von nachhaltiger Wirkung durch seine Reform des preußischen Unterrichtswesens dereinst ins Leben rufen I Diese knappe Inhaltsangabe aus seiner eigenen Feder, mit welcher es sein Bewenden haben mag2), zeigt in den aufgezählten wesentlichen Punkten bereits den völligen Umschwung, welcher in Humboldts Gedanken seit seiner Studienzeit sich vollzogen hat. Hatte er früher dazu geneigt, die Bedeutung des Staates als Gestalter des Lebens zu übersteigern, besonders seine Funktion als Erzieher der Menschen zu überspannen, so gilt jetzt sein eigener Satz, daß er selbst „an einem Extrem

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gelitten und in einem Extrem die Rettung suche", wie er von der Situation, aus welcher die Revolution hervorging, geurteilt hatte1). Denn es ist ein extremer Individualismus, ein „philosophischer Anarchismus", welcher den Geist der Schrift erfüllt. „Je weniger der Mensch anders zu handeln vermocht wird, als sein Wille verlangt, oder seine Kraft ihm erlaubt, desto günstiger ist seine Lage im S t a a t . . . Um diese Wahrheit allein drehen sich eigentlich alle in diesem Aufsatz vorgetragenen Ideai." Das war die Proklamation der völligen Selbstherrlichkeit des Einzelnen: ihr zur Seite ging in der Ablehnung des Repräsentationsgedankens als Grundlage des Verfassungslebens die Proklamierung des äußersten politischen Individualismus®). Beides hatte bereits seinen Ausdruck gefunden in dem thematischen Schlußsatz der ersten Abhandlung, „daß die Resultate an sich nichts sind, alles nur die Kräfte, die sie hervorbringen und die aus ihnen entspringen". Diese Verlegung des Schwerpunktes des Lebens in die „wirkenden Kräfte" statt in die bewirkten Resultate entspringt jener Neigung der romantischen Stimmung, den Einsatz des Lebens der „Unbestimmtheit", der „Möglichkeit" vorzubehalten, statt sie an die Bestimmtheit des Ergebnisses zu „verschwenden". Darum hat man gemeint, daß ein so gestimmter Mensch notwendig „der staatsmännischen Tätigkeit entfliehen mußte, bei welcher die Resultate alles sind"3). Zugegeben, daß die phsychologische Diagnose richtig ist. Aber, so fragt man weiter, sind denn wirklich nur im politischen Leben „die Resultate alles"? Gilt das gleiche nicht in viel höherem Grade im ästhetischen Bereich, diesem bevorzugten Asyl aller Romantiker? Oder sollte das geplante und unfertige Werk, sollte das „Unbestimmte" der höchste Wert der Kunst sein? Sollten auch in ihr „die Resultate an sich nichts" gelten? Die Grundlagen und die Werte der Weltanschauung, welche dieses so ganz vom persönlichen Wesen Humboldts durchtränkte Werk der Mitwelt entwickeln, begründen und empfehlen sollte, sind aus den früheren Darlegungen bereits bekannt. Erinnern wir uns, daß es ihm auf das Ideal der genießenden und im Genuß sich vervollkommnenden „Bildung", daß es ihm auf die Entwicklung der interessanten und sich selbst genügenden Individualität ankam, so ist es nicht zu verwundern, daß der Staat nur unter dem Gesichtspunkt beurteilt wird, inwiefern er zu diesem individualistischen Ideal in Beziehung steht. Von diesem individualistischen Ausgangspunkt und von dieser Fragestellung her ergibt sich mit Selbstverständlichkeit, daß die Schrift über den Staat in der Hauptsache nicht handelt von dem Bedürfnis und von den Lebensgesetzen des Staates, sondern von dem Bedürfnis und von den Lebenswünschen des Individuums, welches, sobald es seiner selbst bewußt wird, im Staat sich vor-

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findet und von dieser Tatsache seine vermeintlich unbegrenzten Lebensmöglichkeiten beschnitten und eingeengt sieht1). Mit der gleichen Selbstverständlichkeit geht daher der Gedankengang des Buches auf eine runde Verneinung des Staates als „Lebensform", wie wir ihn heute betrachten. Indem Humboldt um des Einzelnen willen den Staat in seiner Tätigkeit, welchc eine Lebensentfaltung ist wie jede andere, aber diesem Kritiker wie manchem späteren Individualisten als „toter Mechanismus" erscheint, seinerseits einzuengen bestrebt ist, bestimmt er den noch zugestandenen Zweck staatlicher Gemeinschaft — die „Sorgfalt für Sicherheit" — nach dem eigenen höchsten Lebenswert, nach seiner, dem „interessanten Menschen" zugleich notwendigen wie erträglichen Leistung. Ein Zweck des Staates an und für sich wird nicht anerkannt, und darum wird der Staat auch nicht aus seinen eigenen Zwecken und Gesetzen heraus beurteilt. Vielmehr ist die „Instanz", welche ihm Zweck und Leistung bestimmt und zuweist, eine außenstehende Instanz: nämlich der von der Vernunft geleitete und von den Ideen des Naturrechts erfüllte interessante Mensch. Denn von ihm her, dem vereinzelten Atom, aber nicht von der „Idee" noch von der „Erfahrung" des Ganzen, des Organismus, vollzieht sich unter diesem Gesichtswinkel der Aufbau des Lebens der Gemeinschaft. Auf diesem Wege wird der Staat zur Funktion im Leben des selbsttätigen Einzelnen, dessen Autonomie, dessen Selbständigkeit nur durch die Theorie postuliert, behauptet werden kann, während in der Wirklichkeit der geschichtliche Mensch stets nur nach und in dem Staate sich vorfindet. Hier tritt der tiefste Irrtum der These Humboldts hervor. Entwickelt aus dem Erlebnis einer wirklichkeitsscheuen, in sich eingesponnenen Persönlichkeit, ungetrübt durch irgendwelche nähere Erfahrung der wahren Wirksamkeit des „gegebenen" Staates, ermangelt die Theorie des Individualisten der Einsicht, daß wie die Wirklichkeit des Lebens überhaupt, so auch der Staat unabhängig ist vom Denken dessen, |der eins oder das andere beanstandet, verneint oder bejaht: daß er Schicksal ist. Aber gegen den „gegebenen" Staat hat Humboldt seine Schrift auch gar nicht richten wollen. Man darf seiner „Bitte, bei allem, was diese Blätter Allgemeines enthalten, von Vergleichungen mit der Wirklichkeit gänzlich zu abstrahieren", durchaus folgen, ohne darum von dem W e g zu ihrem richtigen Verständnis abzukommen®). Nicht um von der etwa staatsgefährlichen Tendenz seiner Ideen abzulenken, hat Humboldt jene Versicherung abgegeben; bewußt will er sich im Bereich der reinen Theorie bewegen. Denn eine Staatsmacht von schrankenloser Ausdehnung gab es in der Wirklichkeit damals nicht; es gab sie nur in der Theorie: in jener durch Humboldt selbst überspannten Theorie vom Wohlfahrts-

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Staat, von der wir eben hörten. Und es gab sie in der Wiederkehr der überwundenen eigenen Entwicklungsstufe, auf welche er in Dalbergs Theorien einer zukünftigen Weltbeglückung der Mainzer Untertanen traf — Grund genug, um im Freunde den eigenen Irrtum lebhaft zu bekämpfen und scharfsinnig zu widerlegen. In beiden Fällen, damals wie jetzt, ist die einheitliche Machtvollkommenheit des Staates — damals bejaht, jetzt verneint — eine von Humboldt konstruierte Größe der Theorie. War diese Theorie, war im besonderen der Gedanke, die Tätigkeit des Staates auf die „Sorgfalt für die Sicherheit seiner Bürger" einzuschränken, auf Humboldts eigenem Boden erwachsen? Keineswegs, und das ist ebenso überraschend auf den ersten Blick, wie es charakteristisch ist für Humboldts rezeptive Natur. Wie Humboldt die Theorie von der Staatsallmacht übernommen hatte von seinem Lehrer Klein, so empfängt er den für ihn so bedeutungsvollen Sicherheitsgedanken von seinem früheren Lehrer Dohm. Allerdings konnte er sie dann zur Grundlage seiner Staats- und Bildungstheorie machen, weil seine Anlage wie seine Lebensstimmung der geistigen Aussaat den fruchtbarsten Boden entgegenbrachte. Bei der ersten Berührung mit Dohms einschlägigen Ansichten erscheinen diese ihm „ganz neu und vortrefflich", nachdem er sie zuerst mißverstanden hatte. Denn er fand die These zu eingeschränkt, und meinte, der Staat müsse „nicht bloß durch Verschaffung von Sicherheit, sondern auch durch andre Veranstaltungen und Einrichtungen für das Wohl des Bürgers sorgen. Dies Wohl aber sei, was jeder einzelne dafür halte — folglich die uneingeschränkteste Freiheit". Die Anwendung der Mittel dazu müsse der Staat auf jede Weise ermöglichen und erleichtern. Gewiß eine paradoxe Ansicht, für deren Lösung Dohm den willkommenen Schlüssel in die H a n d gab mit seiner „Hauptidee: alle Mittel, welche die Menschen zur Erreichung ihres physischen, intellektuellen, moralischen Wohls anwenden, gedeihen besser ohne als mit Zumischung des Staates: so Ackerbau, Fabriken, Handel, Aufklärung, Sittlichkeit". So bestimmte der überzeugte Physiokrat nochmals nachhaltig die Ansichten seines früheren Zöglings, wie er vor Jahren dessen nationalökonomische Anschauungen in die gleiche Richtung gelenkt hatte. „Also war auch bei ihm," so faßt Humboldt das Ergebnis ihrer Diskussion zusammen, „die höchste Rücksicht immer Wohl des Menschen, in dieser Beziehung Freiheit aller Handlungen." Kaum, daß Humboldt die neuen Gesichtspunkte aufgefaßt hatte, so vertrat er sie schon mit Lebhaftigkeit im Gespräch mit einem Berner Professor, der über diese Ansicht eines preußischen Junkers sich einigermaßen gewundert haben mag. Naive Aufklärung und gänzlicher Mangel an geschichtlichem Denken haben solchen Ideen zum Leben verholfen. Wie naiv — und das ist

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das Lehrreiche an der Ausgrabung solcher kleinen Dinge — wie naiv ein geschulter und gebildeter Diplomat und Gelehrter, denn beides war der damalige preußische Gesandte beim Niederrheinischen Kreis, an diese Fragen herantreten konnte, zeigt der Plan eines Buches, welchen Dohm in diesem Gespräch noch andeutete: er wolle „historisch untersuchen, was wohl die Menschen in den verschiedenen Zeitaltern bei Gründung der Staaten beabsichtigt hätten, und dann daran knüpfen, was sie beabsichtigen sollten". Das heißt, man nahm den Gesellschaftsvertrag — denn dieser wird unter „Staatsgründung" verstanden, — buchstäblich als einen geschichtlichen Vorgang 1 ). Von dieser realistisch und nicht normativ gefaßten Ansicht des Grundvertrages her konnte Humboldt dann die These entwickeln, welche die staatsrechtliche Ergänzung zu seinem persönlichen Individualismus darstellt: die Ablehnung des Repräsentationsgedankens. Eine normative Auffassung des Sozialvertrages muß folgerichtig zu dem Standpunkt führen, daß auf der einmal geschaffenen Grundlage der fiktiven Zustimmung der Vertragspartner keine andere Darstellung des Staatswillens statthaben kann als in der — verschieden gestuften — Repräsentation der volonté générale. Wer dagegen eine „historische" Ansicht des Grundvertrages hat. wie Dohm und sein Schüler sie äußern, wird die in der Tat anarchistische oder besser atomisierende Stellung einnehmen müssen, daß „Repräsentation" kein treues Organ der einzelnen Individuen sein könne, daß „die Einwilligung jedes Einzelnen notwendig" zur Willensbildung des Staates, und daß damit die „Entscheidung nach Stimmenmehrheit" ebenfalls ausgeschlossen sei. E s ist ein ganz extremer Standpunkt, dessen Konsequenzen Humboldt auch sofort erkennt. Denn dem dissentierenden Einzelnen, so heißt es weiter, bleibe dann nichts übrig, „als aus der Gesellschaft zu treten . . . was bis zur Unmöglichkeit erschwert wird, wenn aus dieser Gesellschaft gehen, zugleich aus dem Staate gehen heißt". Dieser theoretisch radikale Individualismus, welcher übrigens bei seinen für Fortschritt und Mehrheit begeisterten Zeitgenossen wenig Anklang gefunden haben dürfte, schlägt nun innerhalb des Buches selbst in ein anderes Extrem um. Denn als Gegenpol zu seiner Position konstruiert Humboldt ein anderes theoretisches Extrem: „Wer für die Sicherheit sorgt . . ., muß absolute Gewalt besitzen." Deswegen stellt er die Bestimmung auf, daß „eine letzte, widerspruchslose Macht doch im eigentlichsten Verstände den Begriff des Staates ausmacht". Die Funktionen solcher Macht werden in den verschiedenen Kapiteln seiner Schrift dargestellt und hergeleitet aus einer vorausgesetzten Idee der S t a a t s e i n h e i t , wie sie in jenem Augenblick, vor der „Terreur", noch nicht einmal

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das revolutionäre Frankreich darstellte, geschweige denn irgend eines der älteren Staatsgebilde im westlichen Europa 1 ). Mit den beiden zuletzt genannten Merkmalen des Staates, seiner Einheit und seiner widerstandslosen Machtgeltung, greift Humboldt sowohl dem Denken wie der tatsächlichen Entwickelung der staatlichen Struktur seiner Zeit voraus. Mit der Theorie vom omnipotenten Staat konstruiert er sich erst den Gegner, dessen gefährlichen Ansprüchen er dann in der eigenen Theorie einen Damm entgegensetzen wird. Denn nicht die planmäßig ausgebaute und rücksichtslos betätigte Macht des Staates als solche, sondern in erster Linie die willkürlich gehandhabte öffentliche Gewalt im Mißbrauch großer und vor allem sehr kleiner Potentaten war der Feind, gegen welchen der aufgeklärte Mensch von 1789 sich empört hatte. Nicht einmal die absolute Monarchie Frankreichs hatte die überkommene Staatsmacht uneingeschränkt ausüben können. Das beweist der Beginn ihres Niedergangs im Kampf mit dem Parlament von Paris. Was auf dem zersplitterten Boden Deutschlands an staatlichen Gebilden wucherte von den Standesherrschaften im Süden bis zum Ständestaat Hannover, wies freilich am ehesten in den Zwerggebilden des Reichsfürstentums manches Beispiel unerhörter Willkür der dem hemmungslosen Absolutismus zustrebenden kleinen Machthaber auf. Jedoch in den Gebieten, welche zum Rang wirklicher Staaten emporgewachsen waren, ist von einer unbegrenzten Gewalt des Staates keine Rede, nicht einmal in dem modernsten dieser Staaten, in den „Königl. Preußischen Staaten", wie der Herrschaftsbereich der Hohenzollernkrone damals noch bezeichnet wurde. Überall war die Einheit dieses Staatswesens noch von eigenständigen patrimonialen Gewalten durchbrochen; unbeschränkt vermochte sich die Staatsgewalt geltend zu machen nur in ihrer eigensten Schöpfung, dem Heer und dem Beamtentum, welches gerade jetzt nach dem Gutachten der Gesetzes-Kommission von 1787 und in der Gestaltung des Allgemeinen Gesetzbuches gegen die Willkür der Machthaber starken Rechtsschutz finden sollte*). Verglichen mit den modernen Verhältnissen, war die „Wirksamkeit des Staates" auf dem Gebiet der Verwaltung, des Schulwesens, der allgemeinen Richtungsgebung für das kommunale Wesen sehr eingeschränkt. Das alte Preußen war weit davon entfernt, der absolutistische Leviathan zu sein, welchem das Einzelleben erbarmungslos zum Opfer gefallen wäre. Wie frei ließ immer noch ein Staat seine Untertanen, welcher sie nicht einmal zur Wehrpflicht heranzog! Was hatten die literarischen Kreise — sehen wir von dem Bürgertum der kleinen Städte mit seinem sich aufnehmenden Wohlstand ab —, was hatten jene Kreise, in denen Literatur zur Beschäftigung und Bildung zum Zweck

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werden konnte, vom damaligen Staat für einen sonderlichen Druck zu gewärtigen? Waren es nicht diese Kreise, welche — als Beamte des Staates in oft sehr lockerer Bindung — das „Publikum" des geistigen. Lebens bedeuteten und in ihren nicht kärglich bemessenen Mußestunden die Kärmer am Ausbau des literarischen Wesens stellten? Man vergegenwärtige sich etwa das „Beamtenleben", welches der Kriegsrat Fr. Gentz während der neunziger Jahre in Berlin führen konnte! Und waren nicht die vom Staat teils erhaltenen, teils geförderten Universitäten der unentbehrliche Umschlagsplatz aller Bildungswerte? Außerdem: dieser Staat Preußen stand damals vor großen Aufgaben der äußeren wie der inneren Politik, welche — der Krieg mit Frankreich auf der einen, die Eingliederung Südpreußens und der Fränkischen Fürstentümer auf der anderen Seite, — dem Bild hätten andere Züge geben müssen, wenn in der Tat das wirkliche Preußen seiner Tage die Zielscheibe der Polemik Humboldts gewesen wäre. Aber davon ist keine Spur in seinen Ausführungen zu entdecken; sie konnte sich schon deshalb nicht finden, weil Humboldts einseitig juristische Ausbildung ihm die großen Probleme der preußischen Politik gar nicht nahegebracht hatte. Soweit in die rein grundsätzliche Darstellung seiner Staatsanschauung der Einschlag wirklicher Erfahrung eingewebt ist, sind es die Nachwirkungen der richterlichen Ausbildung, welche sich in der bis ins einzelne führenden Kritik des Rechtswesens geltend machen1). Dagegen sind, nach Humboldts eigener Aussage, die Gedanken, „welche die Systeme des Staatsrechts und die philosophischen Gesetzbücher enthalten"2), der Ausgangspunkt seiner widerlegenden Deduktionen — sie bewegen sich im Bereich wirklichkeitsferner Erwägung und Darlegung. Das gilt in erster Linie von jener Idee der „Einheit der Anordnung", welcher er eine ihrer tatsächlichen Geltung nicht entsprechende Bedeutung beimißt. Da die staatliche Zwecksetzung, wie Humboldt sie voraussetzt, die Verwirklichung einer Idee verfolgt, so muß die von der Idee untrennbare Form der Einheit ihrer Gestalt zurückwirken auf die Form des staatlichen Handelns selbst. Diese Einheit — nach Humboldts späterer Definition „eine in die Handlungen der Regierung gelegte Modifikation" — muß für diese eine Zusammenfassung und Macht postulieren, welche sie in der Wirklichkeit noch nicht besaß. Darum eilt Humboldt mit dieser Idee der Staatseinheit — welche in Frankreich erst mit der Cäsur der Konventsherrschaft von 1793 in der Revolutionsentwicklung einsetzt — der politischen Entwicklung voraus; darum bereitet er mit dieser vorausgesetzten Idee halb wider Willen jenes Bewußtsein vom Staat vor, aus dem heraus erst die Reform Preußens von 1807, von ihren Trägern freilich auf anderem Wege gewonnen, mög-

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lieh wurde, und in welchem Humboldt mit jenen sich begegnen konnte. Aber aus dieser theoretischen Polemik nimmt Humboldt gerade die Idee der Einheit als ein xrfjjia eij iel mit, welches er zwei Jahrzehnte später in seinen Arbeiten über die Verwaltungsreform nachdrücklich gegen die Praktiker der Politik zur Geltung bringen sollte. Die Idee der Einheit steht in nächster Nachbarschaft mit der Idee der „widerspruchslosen Macht". Ihr gerade gilt Humboldts Kampf. Nur im Dienst der Sicherheit will er ihr Spielraum verstatten. Ein Mittel der Sicherheit ist der Krieg, und auch dem Krieg muß daher sein Platz im menschlichen Leben angewiesen werden. Da ist es nun interessant zu beobachten, wie der Krieg von dem Individualisten, welchem doch schon der Zwang der Mehrheit verhaßt war, unter bedeutende Gesichtspunkte gestellt wird. E r vermag es, den sittlichen Wert des Krieges höher zu bestimmen als die Überwindung der Naturgewalten durch den technischen Fortschritt mit der Feststellung : „Rettung ist nicht Sieg." E r versteht sich dazu, und aus der Begeisterung für individuelle Größe wird es ihm leicht, den Heroismus des Kriegers zu preisen, „welcher, das Höchste im Auge, das Höchste aufs Spiel setzt". Denn, so kann er das Gefühl gedanklich begründen, „alle Situationen, in welchen sich die Extreme gleichsam aneinander knüpfen, sind die interessantesten und bildendsten" 1 ). Damit kehrt der Gedanke aus der von ferne nur erblickten Wirklichkeit des Lebens zurück zu dem höchsten Wert seiner Lebensanschauung, zu dem „interessanten, dem gebildeten Menschen, der in allen Lagen und allen Geschäften interessant ist". Wie weltenfern war seine Konstruktion von der seelischen Wirklichkeit eines Menschen, „welcher, das Höchste im Auge, das Höchste aufs Spiel setzt" I Zumal diese Gedanken sichtlich nicht in Übereinstimmung standen mit dem wesentlichen Grundzug seines Buches, wie er selbst empfand8). Denn der „heroische Krieger" erweckt mit seiner Handlungsweise ein Problem, vor welchem Humboldts Scharfsinn gerade deshalb hilflos bleibt, weil ihm dialektisch nicht beizukommen ist: das Problem des Opfers. Humboldt kann dem Staat nämlich dieses Recht auf das Opfer nicht zugestehen, „weil die Staatsvereinigung ein untergeordnetes Mittel ist, welchem der wahre Zweck, der Mensch, nicht aufgeopfert werden darf, es müßte denn der Fall einer solchen Kollision eintreten, daß, wenn auch der Einzelne nicht verbunden wäre, sich zum Opfer zu geben, doch die Menge das Recht hätte, ihn als Opfer zu nehmen". Wie aber konnte die Logik ein solches Recht anerkennen, wenn „nach den entwickelten Grundsätzen der S t a a t . . . um die Sicherheit der Bürger zu erhalten", keinesfalls zu Mitteln greifen durfte, welche „gerade die Freiheit und mithin die Sicherheit" aufheben®)?

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Selbstverständlich konnte der folgerichtige Individualist mit dieser Frage nicht ins reine kommen. E r konnte es vor andrem deshalb nicht, weil er trotz der Erkenntnis, daß das Wesen des Staates Macht ist, darin nicht klar sah, daß die Wurzeln dieser Macht in der Gesamtheit des nationalen Lebens liegen und wie diese geschichtlich bedingt sind. Hier streift Humboldts Gedankengang, wie an manch anderem Punkt seiner Schrift, an das große Problem der Beziehungsreihe Individuum, Nation und Staat. Was über diesen Gegenstand zu sagen ist, hat Friedrich Meinecke bereits so eindrucksvoll und erschöpfend ausgeführt, daß diese Betrachtung am besten schließt mit einigen seiner Sätze, welche die Summe seiner Darstellung ziehen. „Für die Zusammenfassung des nationalen Lebens im S t a a t e . . . hatte er wohl ein kühles Verständnis, aber kein wärmeres Gefühl übrig. Indem er dem Problem näher nachsann, rückten ihm Staat und Nation noch weiter auseinander als b i s h e r . . . Sicher hatte Humboldt schon den Sinn für das Nationale. Aber ob auch schon nationalen S i n n ? . . . Selbst nur zur Erkenntnis dessen, was Nation und Staat für einander bedeuten können, für ein rein wissenschaftliches, leidenschaftsloses Interesse an diesem Problem reichte solche (individualistische) Gesinnung noch nicht aus" 1 )Eine Theorie der politischen Reform, ganz bewußt im Gegensatz gegen die Idee der Revolution aufgestellt, beendet mit einer spürbaren Wendung zur Wirklichkeit das „politische Testament" des jungen Humboldt. Sie setzt voraus, daß der Staat die Macht habe, „mit einheitlicher Anordnung" in die Wirklichkeit umgestaltend einzugreifen. Für den größten Teil der Schrift hatte er der Entfaltung seiner Gedanken freien Spielraum geschaffen, indem er sein System entwickeln wollte, „ohne Vergleichung mit der Wirklichkeit". Denn, wenn er wußte, daß die Wirklichkeit immer „die Grundsätze der reinen Theorie hindert", so wußte er auch, daß „ein Ganzes (in der Wirklichkeit) durch bloße Hypothesen sich nicht aufstellen läßt". Die Theorie muß „an die gegenwärtige Gestalt der Dinge", d. h. an die geschichtlich bedingte Wirklichkeit anknüpfen, um ihres Erfolges sicher zu sein. Die Reform setzt eine richtige Beurteilung und Auslegung der „vom vorigen Zustand der Dinge bewirkten Lage", d. h. eine I n t e r p r e t a t i o n der „individuellen Beschaffenheit" des Augenblicks voraus. Auf die richtig interpretierte Lage können dann „die allgemeinsten Grundsätze der Theorie aller Reformen" angewendet werden, weil „der Mensch" — und damit gibt Humboldt in ausdrücklichen Worten den bisherigen beziehungslosen Standpunkt seiner Untersuchung auf, — „nie so (beziehungslos) existiert; überall haben ihm schon die Umstände eine positive Form gegeben". Diese positive Form vermittelt den „Gedanken, Glieder eines Ganzen zu sein, welches sich über die Kräfte K a e h l e r , Humboldt.

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und die Dauer einzelner Generationen erstreckt1)". Hiermit ist die Wirksamkeit des geschichtlichen Lebens als einer eigenen Sphäre erkannt und der Anschluß an jene Bewertung des Geschichtlichen hergestellt, welche schon in der Schrift von 1791 klarer und bedeutsamer ausgesprochen war. Femer wird anerkannt, daß die „wahre Reife der Freiheit", auf welche die Theorie an sich berechnet war, nirgends in ihrer Vollendung sich findet. Kann daher das P r i n z i p der F r e i h e i t nicht maßgebend sein für den „weisen Staatsmann", so muß ein anderes an seine Stelle treten: das P r i n z i p der N o t w e n d i g k e i t , bestimmt in seiner Anwendimg von der richtig erfaßten „Lage". Diese wiederum ist bedingt ebenso durch den Zustand in seinem ganzen Umfang, wie durch die Menschen, in denen „die Anzeichen selbst sich darbieten müssen, Fesseln zu entfernen, wenn ihre Last drückend wird". „Die Möglichkeit zur Reform", so faßt Humboldt die Theorie zusammen, „beruht darauf, daß die Menschen empfänglich genug für die Freiheit sind,... die entgegenarbeitende Notwendigkeit darauf, daß die gewährte Freiheit nicht Resultate zerstöre, ohne welche nicht nur jeder fernere Fortschritt, sondern die Existenz selbst in Gefahr gerät. Beides muß immer aus der sorgfältigen Vergleichung der gegenwärtigen und veränderten Lage und ihren beiderseitigen Folgen beurteilt werden." Dieses Prinzip der Notwendigkeit als Grundlage einer immer noch reichlich abstrakten Theorie der Reform wird dem Gedanken der wie immer gearteten und begründeten Nützlichkeit übergeordnet, denn „unter das Joch der Notwendigkeit beugt jeder willig seinen Nacken". Auf dieses Postulat seines Denkens, welches der Wirklichkeit den Vorrang einräumt vor dem theoretisch Möglichen, konnte Humboldt dann zurückgreifen, als ersieh vor die Mitarbeit an einer großen politischen Reform gestellt sah. „Zu einer solchen Umänderung", so heißt es in der Begründung seines Verfassungsentwurfs von 1819, „muß nicht bloß ein wichtiger Grund vorhanden sein, sondern man kann mit Recht einen solchen fordern, der Notwendigkeit einschließt, die überhaupt ein weit sicherer Leiter bei Staatsoperationen ist, als das bloß nützlich Erachtete"2). So enthält der Abschluß seiner Schrift gegen den Staat den Grundgedanken seiner letzten und tiefsten Arbeit für den Staat; in ihm eröffnet sich der Ausblick auf den Bereich der Geschichte, in ihm bereitet sich vor die Erkenntnis, daß der Staat Notwendigkeit und Schicksal in sich trägt. Die „Ideen" von 1792 sind zu Lebzeiten Humboldts niemals im ganzen gedruckt worden; nur einzelne Abschnitte, darunter gerade das ihm innerlich fernste Kapitel über den Krieg, erschienen bald nach der Niederschrift in zwei sehr verschiedenartigen Zeitschriften: in der Berlinischen Monatsschrift und in Schillers Neuer Thalia. Zur Drucklegung

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des Ganzen aber hat Humboldt den Entschluß nicht finden können, obwohl im Freundeskreis viel darüber gesprochen und beraten wurde; obwohl Schiller, nach der Absage der angesehensten Verleger Vieweg und Göschen, noch einen dritten ausfindig gemacht hatte*). Nicht in den äußeren Schwierigkeiten, auch nicht in der gebotenen Rücksicht auf etwaige Beanstandungen durch die Zensurbehörden ist der Grund zu suchen, welcher den Ausschlag gab für Humboldts endlichen und nicht gern getanen Verzicht). Der wahre Grund lag darin, daß Humboldt innerlich unsicher geworden war, daß er zögerte, diese seine „grüne Frucht" vorzeitig von ihrem Mutterboden zu lösen. Denn die Kritik, auf welche das Buch neben aller Anerkennung bei den Freunden gestoßen war, besonders wohl die von verletzendem Spott nicht freie Kritik von Friedrich Gentz, mochte Humboldt je länger je mehr den Gedanken nahelegen, diese so liebevoll gezogene Frucht noch weiter ausreifen zu lassen. Er hatte früher selbst gemeint, „die Reife, die man den Ideen gibt, indem man sich hinsetzt, nachdenkt und sie nun auf einmal ins reine bringen will, kommt mir vor wie eine Reife im Treibhaus. Man merkt es den Früchten doch an, daß ihnen die Zeit und die wohltätige Wärme der Sonne mangelte". Er war selbst zu einer kühleren Beurteilung seines Werkes gelangt, als die er „im Taumel des Schreibens" gehabt hatte. In zwiefältiger Stimmung stand er dem Buch gegenüber. Er war mit ihm mehr als zufrieden, insofern es der Ausdruck seiner Gedankenwelt, seiner eigenen Individualität war: „meiner würdig ist das grüne Buch; denn ich lebe und webe auf jeder Seite... Ich sehe daher das Buch gar nicht wie ein anderes Buch an und vergleiche es mit keinem anderen'"). Im gleichen Augenblick aber mußte er zugeben, daß unter einem zweiten Gesichtspunkt, der ihm am Herzen lag: dem der Wirkung auf andre, das Werkchen „kein gutes Buch ist, und das werde ich nie schreiben". Es gab da noch eine besondere Schwierigkeit. Sie war verwachsen mit dem Vorzug der Schrift, vollkommener Ausdruck seiner Persönlichkeit zu sein. Gentz hatte dies mit Scharfblick erkannt und gesagt, das Buch sei völlig unverständlich. Und der Verfasser selbst mußte einräumen, „daß das Urteil für die Menschen, die ohne Rücksicht auf die Individualität des Raisonierenden urteilten, so ausfallen müsse"4). Aber wer außer den Freunden konnte das Buch mit „Rücksicht auf die Individualität" des Verfassers lesen? Wie sollte „das Publikum" zu diesem nach Humboldts eigener Meinung einzig möglichen Standpunkt für eine richtige Wertung des Werkchens gelangen? Die ausschließliche Ichbezogenheit des Autors verschloß seinem Buch den Weg zur Wirkung ins Weite. Diesem Mangel, dessen Erkenntnis Humboldt dem Freunde Gentz mit einer sehr gereizten Stimmung vergalt, 10*

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Fünftes Kapitel.

konnte auch dadurch nicht abgeholfen werden, daß dem Buch, damit es mit einiger Berechtigung den Anspruch auf Beachtung als eine politische Schrift erheben könnte, die tragfähige Unterlage durch eine Auseinandersetzung mit den wichtigsten Werken politischer Natur erst noch geschaffen wurde 1 ). Und nun war gerade ein solches politisches Werk von höchster Wichtigkeit im Entstehen begriffen und war es innerhalb des nächsten Freundeskreises. Sein Verfasser, Gentz, mochte aus dem Bewußtsein der gelungenen Leistung heraus jene scharfe Kritik geübt haben. Als nun dieses Werk — die Übersetzung von Burkes „Reflections on the Revolution in France" mit den eigenen selbständigen Abhandlungen des Ubersetzers — im Januar 1793 zu Humboldts Kenntnis gelangte, konnte er an dem Gegenbeispiel ermessen, was dazu gehörte, um über politische Fragen in diesem Augenblick maßgeblich das Wort zu ergreifen 8 ). Seine Gereiztheit gegen den Freund, das verdient ganz besonders hervorgehoben zu werden, wich einer aufrichtigen, ja einer zunächst fast ungehemmten Bewunderung. Burkes Werk selbst bezeichnete er als „ein Meisterstück der Politik und der Beredsamkeit"; noch mehr aber „verblüffte" ihn an Gentzens Leistung der Umfang wie die Tiefe der geschichtlichen Kenntnisse auf der einen, die Energie seiner Gedankenführung auf der andern Seite. „Diese Politik ist überall auf die Geschichte angewandt, durch sie berichtigt und so im höchsten Maße pragmatisch... In den historischen und politischen Stellen w e h t . . . eine ernste, würdige, wenngleich manchmal heftige Männlichkeit, gegen die man aufzustehen errötet." E r lobe stark, weil er selten lobe, fügt Humboldt hinzu. Man wird es aussprechen dürfen, daß diese von sachlicher Bewunderung eingegebene Bescheidenheit im Blick auf sein so lebhaftes Selbstgefühl und auf die eben noch heftige Verstimmung gegen Gentz ebenfalls Bewunderung verdient. Zumal wenn er aus der binnen drei Tagen beendeten Lektüre des Buches die Belehrung davontrug, „daß der Mensch immer nur als Bürger gedeihen kann". Denn damit war ja der Grundgedanke seiner Schrift, soweit sie nicht ihn allein betraf und aussprach, preisgegeben 9 ). Darum ist nur verständlich, wenn er nach dem Erscheinen des Burke-Gentz die Drucklegung seiner „Ideen" hinausschob bis zu einem für die Ausgestaltung günstigeren Zeitpunkt, wie er den Freunden schrieb; in seinem Innern wird er sie wohl bereits damals ad Kalendas Graecas verschoben haben. Denn die Wirkung ins Weite, welche eine sehr eingreifende Umänderung vorausgesetzt hätte, damit seine „Ideen auf die vorteilhafteste Art in die Welt geschickt" werden könnten, stand ihm von Anfang an weit zurück hinter dem Eigenwert seines Werkes 4 ). An dem Werk und den entwickelten Grundsätzen dagegen wollte

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Humboldt unerschütterlich festhalten und meinte, mit Recht, d a ß sein Buch im Kern seines Gehalts — das eben war sein Bildungsideal — sich weder mit Burke noch mit Gentz im Gegensatz befinde. Denn jene nähmen ihren Ausgang „von der Politik im engsten Verstände,... in welchem Politik die Kunst ist, Staaten zu gründen und ihnen Haltung und Dauer zu verschaffen". Unter den dort entwickelten Gesichtspunkten könne er selbst der Kritik an der Revolution, ihren Politikern und ihren philosophischen Anordnungen zustimmen, da diese über der Frage, „wie man das Haus im allgemeinen und am besten einrichten könne, die wichtigere zu beantworten vergessen hätten, ob es nur überhaupt und an der Stelle stehen könne" 1 ). Die Wirklichkeit der Politik „im engsten Verstände" wollte Humboldt für seine Betrachtungen ausscheiden. Dagegen nahm er nach wie vor für sich das Recht in Anspruch, „ein ganz allgemeines, im Grunde ganz anthropologisches Räsonnement auf Staaten anzuwenden und denen eine Norm, wenn auch nur als Ideal, vorzuschreiben... Das, dünkt mich, ist der große Unterschied zwischen Staatsmännern und Philosophen, daß die ersteren durch den Zwang der Umstände ihre Ideen beherrschen lassen, die letzteren mit ihren Ideen die Umstände zu beherrschen wünschen" 2 ). Mit dieser reinlichen Scheidung hatte Humboldt seinen Standpunkt gerettet — durch ein geschicktes Rückzugsgefecht. Denn ursprünglich hatte er mit seinem Buch mehr beabsichtigt, als nur sich selbst auszusprechen; er hatte doch „durch sich selbst aufs Große und Ganze wirken" wollen. An dem Erscheinen des „klassischen Buches" von Burke-Gentz nun erhielt er einen Maßstab, aus dessen Vergleich die Aussichtslosigkeit, auf diesem Gebiet mit stärkeren Begabungen in Wettbewerb zu treten, sich ihm selbst aufdrängen und die von der Kritik der Freunde bewirkte Unsicherheit zum Verzicht werden lassen mußte. So blieben die „Ideen" ungedruckt; im Grunde, was kümmerte den Idealisten ihr möglicher Erfolg in der verachteten Wirklichkeit? Ob diese Wirklichkeit, d. h. ob das Publikum seiner Tage, welches doch gerade von einer Staatsumwälzung eine allgemeine Weltverbesserung erwartete, sehr empfänglich für die individualistischen Ideen des jungen Aristokraten mit ihrer Verneinung des Staates gewesen wäre, ist eine Frage, welche sich heute nicht mehr beantworten läßt. Ganz veränderte Voraussetzungen bot dagegen die geistige Lage dar, als die Schrift zwei Menschenalter nach ihrer Niederschrift als Ganzes veröffentlicht wurde. Sie fand zum Teil begeisterte Aufnahme in .einer Welt, welche dem politischen wie weltanschaulichen Liberalismus sich rückhaltlos öffnete, nachdem diese Ideologie in großen Etappen ihren Weg genommen hatte vom Bastillensturm über die Julirevolution und über die

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englischen Reformen bis zu den Februar- und Märztagen von 1848. Auf der anderen Seite war der moderne Machtstaat in einem Umfange zur Wirklichkeit geworden, wie man es um 1792 nicht für möglich gehalten haben würde. Die Verkündigung des Ideals der vom Staate freien Selbstbestimmung zur Menschheitsbildung fand also einen, durch die Erfahrungen, welche sein theoretisches Bild der Staatsallmacht leider zu bestätigen schienen, besonders vorbereiteten Boden bei den geistigen Führern des Liberalismus, soweit dieser selbst individualistisch gestimmt war. Aber auch auf diese Weise konnte das Buch des jungen Humboldt keinen wirksamen Einfluß ausüben, weil auch jetzt noch wie immer Wirklichkeit und Ideal nicht zur Deckung zu bringen waren, weil, nach der geistvollen Kritik des englischen Historikers G. P. Gooch, „his State is only possible in a Community of Humboldts" 1 ).

Sechstes Kapitel.

Die Wanderjahre 1797—1808. Im Herbst 1796 starb die alte Frau v. Humboldt. Ein beträchtliches Vermögen machte die Erben im äußeren Leben völlig unabhängig. Schon früher hatte Humboldt gelegentlich Schiller gegenüber die Absicht geäußert, zunächst gar keinen festen Wohnsitz nehmen, sondern die nächsten Jahre auf Reisen verbringen zu wollen. Von dem Ideal des einsamen Lebens, welches 1791 gegolten hatte, war die Rede nicht mehr. Mit dieser Lebensform hatte die Übersiedlung nach Jena im Frühjahr 1794 endgültig gebrochen1). In einem ungewöhnlich gelungenen Sonett') ruft der alt gewordene Denker von Tegel den Glanz jener Jahre in der Erinnerung wach: Im kleinen Raum von Erfurts reichen Auen bis, wo aus Schwarzburgs engem Fichtentale sich lieblich windend, rauschend strömt die Saale, vermocht ich wohl, mein keimend Glück zu schauen. Ich sah den wenn Morgen hernieder aus dem Geist des

Morgen dort des Lebens grauen, heißet, wenn zum erstenmale der Liebe goldner Schale tiefen Sinnes Perlen tauen.

Denn, die der Kranz des Dichterpreises schmückte, die beiden strahlverwandten Zwillingssterne, die spät noch glänzen in der Zukunft Ferne, in Freundesnähe mir das Schicksal rückte, da Bande, die die Liebe süß gewoben, empor mich, wie auf lichter Wolke hoben. Längerer Aufenthalt in Berlin, durch Familienverhältnisse bedingt, hatte im Sommer 1795 und 1796 die Humboldts dem selbstgewählten Lebenskreis in Jena und Weimar entführt. Der Spätsommer 1796 war zu einer ausgedehnten Reise nach den deutschen Küsten, nach Rügen, Holstein und Hamburg genutzt; neue Landschaften und neue Menschen

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Sechstes Kapitel.

waren kennen zu lernen. E i n sorgsam geführtes Tagebuch hielt den Gewinn an Eindrücken und Erlebnissen fest. Die einmal betretene Bahn, den Reiz des Unbekannten auf die bereite Empfänglichkeit wirken zu lassen, am „Stoff der Welt" sich zu bilden, verlockte zu größeren Reisen in weitere Fernen, in bedeutendere Kreise der Welt und des Lebens. Aus dem märkischen Sandboden hatte Humboldt die Wurzeln seiner Existenz längst gelöst; die geistige Heimat seiner Wahl hatte er in Jena gefunden. Auch ihre Reize waren, wenn nicht erschöpft, so doch zur Zeit .seiner Stimmung nicht mehr erträglich. Der Austausch mit Schiller, in den ersten Jahren beglückend und erhebend, hatte den Druck der eigenen Unproduktivität immer stärker empfinden lassen. In einer genial konstruierten psychologischen Studie über Rousseau hat Humboldt die Gefahren geschildert, welche ein zugleich empfindsames und reizbares Temperament bedrohen, sobald die Selbsttätigkeit der Phantasie den Stoff der Anschauung überwiegt, der auf die Empfänglichkeit des Geistes bildend einwirken kann. „ W o ein großer Geist (viel Verstand und Einbildungskraft) herrscht, da bilden sich Ideen, gegen die die Wirklichkeit, so wie sie ein an Empfänglichkeit armes Individuum sieht, höchst ä r m lich absticht. Ist dann der Geist nicht groß genug, sich über sie hinauszuschwingen, so lebt das Individuum bloß in Kontrast und daher natürlich in ewigem Reiz" 1 ). So tiefgreifend und treffend konnte die Gefahr n u r erkennen und schildern, wem ähnliche Bedrohungen des geistigen Daseins nicht fremd geblieben waren. Humboldt hatte den Kontrast, der zu ewigem Reiz führen konnte, während des einsamen Lebens „in Ideen" zu spüren bekommen; er war sich der rettenden Kraft bewußt, welche in seiner intellektuellen und ästhetischen Empfänglichkeit ihm zu Gebote stand. Sein Instinkt ließ ihn den Entschluß fassen, durch weite Reisen und reiche Anschauung diese Empfänglichkeit zu befruchten, in der bislang verachteten Wirklichkeit das Heilmittel der „wechselnden Lagen" aufzusuchen. E r ging, wie der ihm so wenig sympathische und doch nicht unähnliche Wilhelm Meister, auf die Suche nach seiner Bestimmung und nach seiner Leistung. Die nächsten Ziele winkten im Ausland, und was er dort zu finden hoffte, schien in idealer Kongruenz mit dem geistigen Beruf der eigenen Nation übereinzustimmen. Denn so bestimmte Humboldt in dem Augenblick, wo Frankreich seine Herrschaft über den Kontinent und England sein Imperium über See zu errichten sich anschickten, dem deutschen Volk seine A u f g a b e : die jetzige Stellung des deutschen Geistes, so schrieb er von der ersten Station „im Süden", von Wien aus a n Wolf, befähige die Deutschen dazu, die Brücke zu bilden zwischen der antiken und der modernen Welt, die sonst durch eine unendliche Kluft getrennt ge-

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blieben wären. In ihrer Verschmelzung in eine einzige Form sei die „Endabsicht des deutschen Charakters" zu erblicken, und daran müsse jeder mitwirken, dem es um eine wahrhaft idealische Veredlung des Nationalcharakters zu tun sei. Gerade durch die bisherige Nachahmung fremder Kulturen hätten die Deutschen die für diese Aufgabe erforderliche Geschmeidigkeit gewonnen1). Unter solchen ästhetisch-literarischen Aspekten, welche für die Nation wie für sich selbst die Schwäche zur Stärke umzudeuten wußten, stellte sich die geschichtliche Weltlage für Humboldt dar beim Beginn seiner Wanderjahre. Wie er in diesem Wanderleben Gebrauch machte von seiner Gabe zur Charakteristik und Kritik der geschauten Wirklichkeit, davon legen eindrucksvolles Zeugnis ab seine Tagebücher, diese sorgsam angelegte Schatzkammer seines gesammelten Erlebens. Schon das Tagebuch der ersten Reise nach Norddeutschland im Sommer 1796 ist ein geistiges Dokument ersten Ranges. Nicht selten pedantisch ins einzelne gehend, meist schwerfällig in der Beschreibung, vermögen diese zu inhaltsreichen Seiten auf den ersten Blick nicht sonderlich anzulocken. Aber mitten in der eintönigen Sprache dieser Berichte blitzt dann ein von genialem Blick erfaßter Gegenstand in plastischer Darstellung auf. So die frappierende Wiedergabe der Humboldt an sich so heterogenen, phantastischen Ideen des jugendlichen Franz v. Baader; so die glänzende Schilderung des nach Wandsbek exilierten Revolutionsgenerals Dumouriez; so ihr Gegenstück in der knappen Charakterisierung des alten Freundes Fritz Jacobi und seiner so anders gearteten Söhne*). Diese Seiten schon verraten, daß bei günstiger und genutzter Gelegenheit ihr Schreiber sich entwickeln müsse und werde zu einem Meister der „Interpretation" der Wirklichkeit, namentlich und zunächst psychologischer Wirklichkeiten.

Die Pariser Jahre. Das eigentliche Ziel der Reisejahre sollte, dem Beispiel Goethes folgend, Italien sein; für beide Gatten war es das Land der Sehnsucht. Sie sollte zunächst nicht erfüllt werden. Im Frühjahr 1797 wurde die Reise nach dem Süden zwar angetreten; aber in Wien, wo in Gesellschaft Alexanders die ersten Sommermonate vergingen, stellte es sich heraus, daß der alte Kampf um die Beherrschung Italiens, welcher wieder einmal zwischen dem Habsburger Reich und Frankreich ausgefochten wurde, die Halbinsel zur Zeit zu keinem wirtlichen Aufenthalt für das beschauliche Dasein genußfroher Reisender machte. So kam es im Herbst zum Entschluß, über die Schweiz nach Paris zu reisen und dort vorderhand zu bleiben. Es wurde ein Aufenthalt von vier langen und inhaltsreichen Jahren. Vor das Ziel seiner Träume hatte

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die Wirklichkeit der Politik, verkörpert in der Gestalt des siegreichen General Bonaparte, hindernd sich gestellt. Was wäre aus Humboldt geworden, wenn schon damals ein römischer Aufenthalt ihn in jene ideale Traumwelt sich hätte verirren lassen, welcher er sich später in tiefer Lust so widerstandslos ergeben sollte? Zu seinem Heil führt ihn jetzt das Schicksal in die Wirklichkeit der Pariser Gegenwart. Hier tauchte Humboldt tief hinein in den Strom des modernen Lebens, welcher das aus den Wirmissen der Umwälzung wieder zur Hauptstadt Europas sich erhebende Paris durchflutete. Was es in Deutschland nicht gab und was auch Italien ihm nicht hätte bieten können: das in der Metropole zusammenströmende Leben einer von mächtigem Schwung erfaßten Nation, hier stellte es sich den erlebnishungrigen Blicken des geistigen Genießers in aller Breite und in den mannigfaltigsten Schattierungen dar. Die Wirklichkeit menschlichen Gemeinschaftslebens in seinem ganzen Umfang spielt sich vor ihm ab in unmittelbarer Reichweite des Blickes. Humboldt brauchte nur das bequeme Quartier, welches für stille Arbeit ebenso wie für gesellige Teeabende Gelegenheit und Raum bot, zu verlassen und durch die belebten Straßen der Seinestadt zu gehen, um überall auf die „Kraftäußerungen" dieses nationalen Lebens zu stoßen. Hier sah er die leicht erregbare Bevölkerung bei der Arbeit und bei den neuen republikanischen Festen; dort öffneten sich die Tore zum Parlament, zu den wissenschaftlichen Sitzungen und Sammlungen, zu den literarischen oder politischen Salons, in denen die, wenn nicht führenden, so doch tätigen und wirksamen Menschen der maßgebenden Schicht Frankreichs zu treffen waren. Die Wirklichkeit des sich im Innern festigenden, nach außen ausgreifenden Staates, die Wirklichkeit einer in Politik, Literatur und Wissenschaft von neuem einwurzelnden Gesellschaft, in welcher die Erschütterungen der schlimmen Jahre noch nachzitterten und im Gedächtnis gegenwärtig waren, — diese ganze lebensvolle Wirklichkeit hat den Liebhaber einsamen Lebens und beschaulicher Betrachtung mit Macht in ihren Bann gezogen. Darum wird man den Erlebniswert der Pariser Jahre für Humboldts Lebensansicht nicht hoch genug veranschlagen können. Humboldt ist nicht nur durch Jena und Rom, er ist auch durch Paris gebildet worden. Nicht zuletzt für seine politische Schulung ist Paris von Bedeutung gewesen. Man kann sogar sagen, daß er hier überhaupt erst eine Anschauung vom modernen Staat erhalten, daß seine politischen Begriffe hier sich geklärt, an der Wirklichkeit ihre Korrektur gefunden haben. Erst der Umgang mit dem Abbé Sieyès hat ihm den Blick geschärft für die realen Probleme des modernen Verfassungslebens, — den Blick geschärft und zu nicht geringem Teil auch seine Ansichten bestimmt.

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In unermüdlicher Beobachtung und in sorgfältigem Bemühen hat Humboldt gesammelt, was der Tag ihm an Erlebnissen zubrachte. Mit emsigem Fleiß hat er den zuströmenden Stoff durch mancherlei Lektüre ausgebaut zu einem Bestand an verläßlichen Kenntnissen, welche zum Unterbau einer vergleichenden Charakteriologie der Nationen, wie sie ihm als femer Plan vorschwebte, zu dienen bestimmt waren. Vergangenheit und Gegenwart sollten ihm den französischen Nationalcharakter durch ihre Zeugnisse, die er mit Scharfsinn analysierte, erschließen und verständlich werden lassen. Die Gegenwart aber doch mehr als die Vergangenheit; nie ist Humboldt wohl so ein Mensch der Gegenwart und der Wirklichkeit, so wenig Träumer und Grübler gewesen, wie in diesen Pariser Jahren. An der Hand seines umfangreichen und sorgsam geführten Tagebuchs, seiner „Materialien", könnte man es fast wagen, eine Schilderung der Pariser Gesellschaft während der letzten Jahre des Direktoriums zu entwerfen. Sie sind ein überzeugender Beweis seiner Fähigkeit zur „Charakteristik und Kritik". Vor sich selbst sei Humboldt mit seinem Entschluß zum Leben auf Reisen, zum Umtreiben in der „Wirklichkeit" geflohen, so haben wir früher seine Entwicklung zu verstehen gesucht1). Wir lernten die Zeugnisse einer tiefen, zur Krise gesteigerten Verstimmung kennen. Auch nach Paris hat sie ihn begleitet und während der ersten Monate noch bedrückt. Der Rückblick auf die vergangene Zeit, besonders auf das letzte Jahr, den er am Silvesterabend 1797 seinem Tagebuch anvertraut, ist noch in düsteren Farben gehalten. Aber zugleich schimmert im Blick auf die „neue Lage" neue Hoffnung: „jetzt fühle ich, daß es in jeder Rücksicht aufwärts geht; denn ich habe das unverkennbare Bewußtsein einer lebendigen und emporstrebenden Tätigkeit, in der sich das Gedeihen meiner äußeren Lage, die Vollendung der schriftstellerischen Werke, die ich im Kopf trage, und die Benutzung eines ausgebreiteten und interessanten Umgangs notwendig zugleich vereinigen müssen". Man spürt, wie die neue Umwelt ihn befreit und belebt, wenn er im Tagebuch am 26. Dezember eintragen konnte: „an Hermann und Dorothea gearbeitet; die Idee der Schrift über die letzte Bestimmung des Menschen und den großen Stil im Dichten, Denken und Handeln gefaßt" 4 ). In der Tat erfüllte die Zukunft, was er sich von ihr versprochen hatte. Zunächst gelang es ihm, endlich eine „Leistung für andere" zustande zu bringen und im Lauf des Winters den großen Entwurf ästhetischer Kritik über Goethes Hermann und Dorothea zum Abschluß zu führen. Mit sichtlicher Erleichterung, mit „Schüchternheit und Freude" kann er am 19. April 1798 die Handschrift an Schiller senden. Nicht weil er sie für vorzüglich gelungen halte, habe ihm die endlich abge-

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schlossene Arbeit, „ein Teil seines Selbst", so viel F r e u d e gemacht. S o n dern „weil mir die S t u n d e n , wo sie mich a m angelegentlichsten beschäftigte, immer wie eine Zeit vorkamen, die ich a n I h r e r Seite, in I h r e m G e s p r ä c h erlebte, weil sie m i r mitten in dem f r e m d a r t i g e n Zirkel, der mich u m gibt u n d der mich n u r d a r u m anzieht, weil er mir f r e m d ist, j e n e s bessere u n d m e i n e n N e i g u n g e n a n g e m e s s e n e Dasein versinnlichten, weil das N a c h d e n k e n ü b e r diese Gegenstände m i c h das günstige Geschick segnen lehrte, in u n s r e r H e i m a t geboren zu sein, zugleich mit I h n e n und G o e t h e zu leben u n d Sie u n d I h r e Güte zu besitzen". Seine „ D e u t s c h heit" versetze ihn g e r a d e d u r c h das B e w u ß t s e i n des Gegensatzes zum französischen W e s e n in e i n e „ w a h r h a f t pathetische S t i m m u n g " ; aus der F e m e m ö c h t e diese E k s t a s e lächerlich erscheinen, a b e r es w ü r d e d e m F r e u n d e in P a r i s nicht a n d e r s ergehen 1 ). I n dieser Mitteilung ist nun in d e r T a t das bezeichnet, was H u m boldt als d a u e r n d e n E r t r a g seines Pariser Aufenthaltes b u c h e n k o n n t e : die erste g r ö ß e r e literarische Leistung war, zweifellos nicht ohne den a n r e g e n d e n Reiz d e r geschilderten Gegensätzlichkeit, in verhältnismäßig kurzer Frist zur R e i f e g e b r a c h t . U n d auf der a n d e r n Seite hatte er in der F r e m d e die geistige H e i m a t , das Bewußtsein der unbedingten Verwachsenheit mit der e i g e n e n nationalen Kultur gewonnen. D i e Kehrseite dieses Bewußtseins zeigte sich in einer grundsätzlichen A b l e h n u n g des französischen Wesens. Diese A b l e h n u n g u m f a ß t d a s ganze Gebiet des geistigen Lebens, das intellektuelle wie das moralische W e s e n der f r e m d e n Nationalität. Sie war zugleich instinktiv e m p f u n d e n u n d zur B e w u ß t h e i t g e k l ä r t ; sie k o n n t e sich bis zum Haß, steigern, ja bis zu Ä u ß e r u n g e n d e r V e r a c h t u n g ; sie bewies die unübersteiglichen, durch nationale Individuation der h u m a n i t ä r e n Menschheitsidee gezogenen Schranken. D o c h s c h w a n k t e wie so oft das Urteil H u m b o l d t s mit seiner Stimmung. I n d e m s e l b e n Brief konnte er davon sprechen, d a ß e r „von T a g zu T a g m e h r den M a n g e l a n innerem Gehalt und a n geistiger Bew e g i m g " in P a r i s erfahre, u n d zugleich von „einer gewissen Liebe u n d von steigender A c h t u n g g e g e n die N a t i o n " reden. Zu d e r krassen Schärfe, mit welcher d e r e n t t ä u s c h t e Weltrevolutionär Forster die „herzlosen Teufel, ohne Festigkeit, o h n e Liebe, ohne W a h r h e i t , o h n e E m p f i n d u n g " s c h m ä h t e , hat H u m b o l d t s Verurteilung sich k a u m in d e n J a h r e n der Freiheitskriege f o r t r e i ß e n lassen. Aber darin konnte er mit dem unglücklicheren F r e u n d e wohl ü b e r e i n k o m m e n , d a ß ihre „ H u m a n i t ä t null ist"*). D a s E r l e b n i s dieser geistigen Gegensätze erklärt erst ganz die nationale u n d persönliche Leidenschaftlichkeit, mit welcher der k ü h l e H u m b o l d t die Ereignisse von 1813/15 begleiten sollte. V o r d e r h a n d a b e r hinderte es ihn nicht, den reizvollen T r a n k des Pariser Lebens in vollen Zügen tu

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schlürfen; vielleicht schmeckte der raffinierte Genießer gerade darin eine besondere Würze. Wenn Humboldt in späterer Zeit als seine eigentliche Aufgabe bezeichnen konnte, „das Leben selbst aufzunehmen, zu beobachten, zu beurteilen, zu behandeln" 1 ), so ist er ihrer Erfüllung kaum je so nahe gekommen, wie in diesen Pariser Jahren. Denn, nachdem im Frühjahr 1798 das Buch zum Abschluß gediehen war, hat er mehr noch als zuvor dem Pariser Leben in jeder Gestalt sich hingegeben, vom Strom der Menschen und Dinge sich treiben lassen. Als Voraussetzung dieser befriedigenden Lebensform hebt Humboldt selbst hervor, daß die Familie im Faubourg St. Germain — also in einem sehr unrepublikanischen Stadtteil — ein bequemes und gesundes Unterkommen gefunden hatte, von dem aus der W e g zur inneren Stadt jenseits des Flusses, vor allem zu den Theatiern, nicht allzuweit war „Nach langem Umtreiben wieder in eigener Stube, am eigenen Kaminfeuer in häuslicher Behaglichkeit" sich geborgen fühlend'), konnte dieser halb widerwillige Weltreisende nun seine Eindrücke nicht nur dem eigenen Tagebuch anvertrauen, sondern sie in jenen Briefen an die verschiedenen Freunde in Deutschland niederlegen, von denen er selbst sagte, daß, „weil sie einen weiten Weg machen müssen, man sie mit größerer Wichtigkeit behandelt, wodurch sie allerdings die Natur des Gesprächs, einer gleichsam freien und spielenden Unternehmung" einbüßten 3 ). Dafür wuchsen diese „Briefe" zu geistvollen und inhaltsreichen Abhandlungen an; sie erwiesen sich als die eigentliche und wahre Form seiner Produktivität, kleine Meisterwerke, deren Gelingen sehr abhängig war von seiner Stimmung; das Gefühl, „fest und häuslich Etabliert zu sein", war ihm dazu unentbehrlich. Bot die eigene Wohnung das erwünschte Behagen, so fühlte man sich zu Anfang um so mehr „unendlich isoliert in der ungeheuren Stadt". Dieser Eindruck sollte sich bald verlieren: in den Wintermonaten 1797/98 vergehen wenige Tage, an welchen das Journal nicht von ausgetauschten Besuchen mit mancherlei Persönlichkeiten der Gesellschaft zu berichten hätte, ganz abgesehen von den häufig im Theater verbrachten Abenden. Nach Jahresfrist hat sich um das Humboldtsche Haus ein „nicht großer, aber immer hinlänglicher Kreis von teils interessanten, teils unterhaltsamen, teils wenigstens erträglichen Menschen" gebildet, welche meist alle Abende am Teetisch der Frau v. Humboldt sich versammelten. „So geht dem bloßen Leben eben nichts ab. Nur ist auch nicht großer Gewinnst dabei. Die Kunstwerke abgerechnet, ist, nachdem der Reiz der Neuheit befriedigt ist, in Paris nichts was mich fesseln könnte" 4 ). Schon wieder — es verdient festgehalten zu werden — meldet sich der Überdruß an der mit soviel Befriedigung, mit so lebhaften Hoffnungen

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begonnenen neuen Existenz. Denn vom Genuß allein kann der Mensch nicht leben, auch ein Wilhelm Humboldt nicht; in Thüringen hatte er (bereits die Erfahrung gemacht, in Paris wiederholte sie sich. Obwohl das Leben bunter, der Genuß mannigfaltiger, der Wechsel der Eindrücke schneller seinem Hunger nach Wirklichkeit sich darbieten sollten! Wieder meldet sich die Verstimmung, wie zwei Jahre früher in Jena; und wieder liegt ihr das gleiche Vermissen zu Grunde: das Vermissen einer bestimmten und schaffenden Tätigkeit. „Die Natur", so schreibt dieser Mann, welcher „dem Schicksal, das ihn bisher verwöhnt hatte, gewissermaßen die Arbeit seiner ferneren Verwöhnimg abgenommen hatte", — „die Natur hat mich offenbar darin sehr ungünstig ausgesteuert, daß sie mir keine entschiedene Determination zu einem Beruf gegeben hat, und meine ganze geschäftslose Lage vermehrt noch vielleicht dies Übel. •. Ich habe den Genuß gewonnen, da aber Glückseligkeit nur aus gelingender Tätigkeit entspringt, an Glück, wie ich sehr lebhaft fühle, beträchtlich verloren"1). So wird es nicht wundernehmen, wenn in dem müde gewordenen Genießer bald der Wunsch sich regt und der Entschluß reift, den Wanderstab weiter zu setzen, um dem Überdruß zu entfliehen. Ein Jahr darauf wurde der Entschluß ausgeführt und eine sorgsam vorbereitete, durch mancherlei widrige Umstände verzögerte Reise führte vom Herbst 1799 bis Frühjahr 1800 das Ehepaar nach Spanien, welches sie nicht nur für sich selbst, sondern auch für den Freundeskreis in Deutschland sozusagen „entdeckten" 2 ). Überdies trug diese Unternehmung den Gewinn ein, daß er nach einer zweiten Reise in jene Gegend im Frühjahr 1801 zu dem Interesse an dem baskischen Völkerstamme und seiner Sprache den festen Punkt fand, um welchen sich langsam und allmählich in den folgenden Jahrzehnten die eigentliche Kraft seines weiten Geistes, die jetzt noch zersplittert war, als um den festen Kern seines Lebenswerkes schließen sollte3). Von hier aus nahmen die umfassenden Arbeiten Humboldts zu der von ihm als Ziel erstrebten Sprachvergleichung ihren Ausgang. Um zum Unendlichen zu gelangen, begann er von einem Punkt der endlichen Wirklichkeit nach allen Seiten auszuschreiten. Doch noch lag das Ziel, ungeahnt und bitter vermißt, in weiter Feme. Für die wieder aufkommende schwere Verstimmung war nach seiner eigenen Aussage, „der beste und genußreichste Trost", daß seine vielseitigere Anlage bei aller Gefahr der Zersplitterung ihn befähigte, „mehreren anderen intellektuellen Genuß im Umgang zu geben, ihnen näher zu kommen, die Freundschaft gleichsam von mehreren Seiten zu fassen"4). Damit war nicht zuviel gesagt, wenn man die Reihe seiner Pariser Briefe übersieht, welche er an Schiller und Goethe, an Körner

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und Jacobi richtete- Es waren zum Teil umfangreiche Aufsätze, in welchen das allgemeine Thema der nationalen Charakteriologie abgehandelt wurde am Beispiel des französischen Nationalcharakters. Ihn aufzufassen, zu untersuchen und im stets wieder gefühlten Gegensatz zu dem Bewußtsein der „Deutschheit" zu schildern, wird Humboldt nicht müde. Von diesen Abhandlungen war für die Freunde, als deren Vermittler mit dem französischen Leben er sich fühlte, vielleicht die bedeutsamste der Versuch „über die gegenwärtige französische tragische Bühne", welcher durch die Drucklegung im dritten Band von Goethes Propyläen einem weiteren Kreis, allerdings ohne Nennung des Verfassers, bekannt wurde1). Umfassender war der in der knappen Form eines längeren Briefes entworfene Versuch, den geistigen Charakter der französischen Nation in einer scharf umrissenen Silhouette dem Philosophen unter seinen Freunden, F. H. Jacobi, vor Augen zu stellen*)- Gewiß ist dieser Brief vom Oktober 1798 ein gelungener Wurf; knapp und klar wird zusammengefaßt, was Humboldt an wesentlichen Zügen aufgefaßt hatte; das geistige Erlebnis eines Jahres wird in scharf geschnittenen Verkürzungen auf eine philosophische Formel gebracht. Und diese Formel ist ebenso plastisch, wie sie ungerecht ist. Unbestreitbar war wohl die Erkenntnis, daß man in Frankreich dem Griechenideal ganz anders gegenüberstand als in Deutschland; unbestreitbar die Feststellung, „daß die Franzosen keinen Sinn für griechische Einfachheit und Zartheit" besäßen — denn das verwertbare Erbe der Antike stellte sich dem damaligen Frankreich im Ideal des Römertums vor Augen8). Richtig wohl auch die Gegenüberstellung der analytischen Tendenz der französischen Philosophie und der kritisch-synthetischen Richtung, welche durch „innere Erfahrung bereichert, nicht bloß Verhältnisse von Begriffen, sondern wahres Dasein entdeckt. . . . Der Mensch rückt nicht wahrhaft weiter fort, wenn er nicht Ideale vor Augen hat, wenn nicht die Ideen des Gutem, Wahren und Schönen in anderen Bildern, als die uns täglich im bloß logisch Richtigen, Nützlichen und gefällig Harmonischen begegnen, vor uns stehen. Diese Ideale, der Blick auf sie, das was m a n . . . sehr gut Echappées ins Unendliche nennen kann, fehlt den Franzosen. Da sie nichts als Analytiker sein wollen, so muß" — und damit sprach Humboldt den schwersten und den ungerechtesten Vorwurf aus — „bei dieser Philosophie natürlich aller Begriff echter Tugend verschwinden und sich in einen bloß vernünftigen Eigennutz auflösen". Darum bestritt er dieser Nation „jede innere Kraft und jedes innere Prinzip des Lebens", allerdings in dem Bewußtsein, daß ein Beurteiler seines Schlages den Franzosen immer Unrecht tun müsse, „weil er in einem anderen Fach lebt und webt, als worin sie vorzüglich sind"4). Trotz dieser Erkenntnis ist Humboldt bei

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seinem Urteil geblieben; der „Mangel an Idealen", welchen er vermeintlich beobachtet hatte, ist bestimmend geworden für seine Ablehnung des französischen Wesens überhaupt; sie hat später vom geistigen Bereich fort in der politischen Wirklichkeit zu ausgesprochener Feindschaft sich entwickelt. Sie erhielt ihre Kraft und ihre Beständigkeit aus dem Erlebnis der geistigen Gegensätzlichkeit beider Nationen, welche in der Synthese eines geistigen Europäertums etwa sich aufheben zu lassen, W. Humboldt trotz seines Humanitätsideals lebenslang weit entfernt geblieben ist. Der „intellektuelle Genuß", welchen die Briefe des an der geschauten Wirklichkeit mehr und mehr reifenden Mannes den Freunden bieten sollten, beschränkte sich nicht auf die Gegenstände des französischen Erfahrungsbereiches. Mit unvermindertem Anteil verfolgte er das Leben der Freunde in Deutschland und ihr geistiges Schaffen; mit jener Sehnsucht, welche ihr Glück da sucht, wo sie selbst nicht ist, versetzte ihn sein Gedanke in diese geistige Heimat, den Wurzelboden seiner Deutschheit und damit seiner eigenen Individualität, deren geschichtliche Bedingtheit ihm erst jetzt eigentlich zum Bewußtsein kam. Schon im Gedanken an die Rückkehr über den Rhein schrieb Humboldt im Herbst 1800 dem Freunde über den Wallenstein, der ihn bald nach der spanischen Reise als das große poetische Ereignis dieser Jahre heimatlich begrüßt hatte1). Dieser Brief ist wohl die reifste Frucht, welche Humboldts Anlage zur Charakteristik und Kritik gezeitigt hat. „Noch kein Kunstwerk hat mich in eine so neue und so konsequent zusammenhängende Welt versetzt, keine Gestalten haben mich bisher so bestürmt und verfolgt." So hatte Schiller wohl noch nicht über sich urteilen hören; so vermochte wohl niemand der Zeitgenossen die künstlerische Eigenart der Weimarer Heroen aufzufassen und zu kontrastieren, wie es hier geschah. Das Leben im heterogenen Element romanischer Kulturen hatte den Blick für Eigenart und Wert der deutschen Kunst nur zu schärfen vermocht. Aus der Humanitätsidee war kein geistiger Kosmopolitismus erwachsen; und aus der Begrenzung entstand zugleich die Festigung der inneren Haltung. Freilich bestand neben ihr auch noch die alte innere Unsicherheit und Unschlüssigkeit fort; hatte doch Humboldt diesen wundervollen Brief, der ihn wochenlang beschäftigt hatte und dem Freund unersetzlich sein mußte, bis zum Oktober im Schreibtisch liegen lassen, denn „hernach schien es mir nicht der Mühe wert, ihn die weite Reise machen zu lassen"8). Welcher Kontrast zwischen der Sicherheit im Geistigen und der Unsicherheit im Wirklichen I Bei dieser gefestigten inneren Haltung, welche mit der Zeit die nervös gespannte und erregte Stimmung des Gegensatzes zur französischen Art zu überwinden scheint, konnte dann aus der Beschäftigung

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mit der Literaturgeschichte der drei romanischen Länder eine geniale Beobachtung hervorgehen, welche die große Idee von Rankes Jugendwerk ein Menschenalter zuvor vorausnimmt. Die bevorstehende Rebe nach Spanien, so heißt es im Brief vom 26. April 1799, werde Humboldt gleichsam „in das 16. Jahrhundert zurückversetzen. Jene Jahrhunderte haben einen eigenen Reiz für mich. Sie sind die Wiege unserer Kultur, der Ubergang von der antiken zur modernen Bildung, und wenn die Bildung der Menschheit im Ganzen, als Eine fortlaufende Reihe, wenngleich nicht von Fortschritten, doch von Umänderungen angesehen werden kann, so muß man, um unsre heutige ganz zu verstehen, ihre Quelle dort aufsuchen". Mit fast den gleichen Worten entwickelt Leopold Ranke seine „Ansicht, daß die romanischen und germanischen Völker als eine Einheit erscheinen . . ., daß die Geschichte dieser stammverwandten Nationen . . . der Kern aller neueren Geschichte ist"1). Wie tief in die Mitte deutschen Geisteslebens war Humboldts inneres Auge gerichtet I Das äußere Auge allerdings hatte sich zunächst fast ohne Vorbehalt dem „Reiz der Neuheit" zugewendet, welchen das Pariser Leben in bunter Mannigfaltigkeit vorüberziehen ließ, ehe ihm das metaphysische Urteil so unerbittlich gesprochen wurde. Wenn Humboldt wohl gelegentlich Goethe gegenüber bemerkte: „um das Politische, wissen Sie, bekümmere ich mich nicht"1), so galt die Versicherung doch nicht ohne Einschränkung. Das Tagebuch im Gegenteil verrät, daß er sich um das Politische sehr erheblich gekümmert hat — und das war in dieser Stadt politischer Erregung und politischer Entwicklung auch gar nicht zu vermeiden. Denn all die Menschen, Männer wie Frauen, mit denen er in gesellige Berührung trat, waren politisch interessiert; mehr als das, und anders als in dem staatlichen Schlaraffenleben des damaligen Deutschland, die Politik war ihnen zum Schicksal geworden. Hätten die Politik und das soziale Leben für Humboldt gar kein Interesse gehabt, so würde er auf den zufälligen Austausch mit dieser oder jener politischen Persönlichkeit, welcher man im gesellschaftlichen Leben begegnete, sich beschränkt haben. Dem war aber nicht so; Humboldt hat auch diesen Bezirk seiner Beobachtung planmäßig ausgedehnt und durch Lektüre der Tagespublizistik wie bedeutender Werke die gewonnenen Eindrücke unterbaut3). Nicht nur daß er die Parlamentsberichte über die Vorgänge im Rat der Fünfhundert und im Rat der Alten während des ersten Winters mit erstaunlicher Genauigkeit in seinen Materialien verfolgt hat. Er ist gelegentlich ebenso bei den Sitzungen dieser Körperschaften Zuschauer gewesen wie bei den Sitzungen der verschiedenen Klassen des Institut National. Hier erlebte er am 21. März 1798 einen Kiehler, Humboldt. 11

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Zusammenstoß zwischen den gelehrten Herren und dem General Bonaparte über eine von ihm dem Institut vorgelegte gedruckte Karte von Italien. Der General habe laut und in sehr verächtlichem Ton gesprochen, sich dabei schlecht und ungeläufig ausgedrückt; und als man von allen Seiten schrie und ihn kaum zu Worte kommen ließ, habe Bonaparte sich an den hinter ihm stehenden Humboldt gewendet, ihn angesprochen und ihm diese Karte „d'après les corrections et travaux de Bonaparte, Ingénieur-Géographe des Républicains" gezeigt! Ob von dieser erlebten Szene der „Zeitgenosse" Humboldt jene seltsame persönliche Mißachtung mitnahm, welche er sein Leben lang gegen Napoleon gehegt hat? Nicht ganz so pikant, aber menschlich reizvoller fiel dann wohl eine andere Begegnung aus, als an einem Frühlingssonntag im Jardin des plantes vor dem Haus der Elefanten vier Menschen einander begegneten und sich höflich berührten, welche in ihrer Person zwei unvereinbare Welten darstellten: hier der General und Mme. Bonaparte, dort der Freiherr und die Freifrau v. Humboldt aus Berlin, mit deren blondem Töchterchen der große Soldat freundlich scherzte. Er mochte dabei jene guten Manieren an den Tag legen, welche nach einem Ausspruch Augereaus gegenüber Frau v. Stael ihn gehindert hatten, auf sein siegreiches Heer gestützt, sich zum König von Italien zu machen: „ne croyez pas cela, Mme, c'est un jeune homme qui a trop d'éducation pour cela"1). Der Überwinder und künftige Vollender der Revolution erregte viel weniger die Aufmerksamkeit Humboldts als ihr Theoretiker, der ci-devant abbé Emanuel Joseph Sieyès. Gerade der Theoretiker der Revolutionspolitik mußte durch seine Ideen den Theoretiker der Reform nachhaltiger anziehen als der in der Wirklichkeit lebende Tatmensch. Schon der erste persönliche Eindruck war stark ; seine schlichte und einfache Erscheinung gab Sieyès in Humboldts Augen etwas Imposantes. Die Herrschaft der Vernunft auf seiner Stirn und in seinen strahlenden Augen erwecke unbedingt Vertrauen zu ihm ; er gehöre zu den Naturen, „die immer alles aufs schärfste nehmen, immer bloß gerecht sind"2). Von seinem Scharfsinn jedenfalls erhielt Humboldt in zahlreichen Gesprächen schlagende und nachwirkende Beispiele; und zwar fanden sich beide, so paradox es klingt, in ihrer „Abneigung gegen alle Politik". Denn, Systematiker, welche sie beide waren, mißbilligten sie gleichermaßen, daß die Menschen in der Politik nicht der Vernunft, sondern ihren Leidenschaften folgen wollten. So kamen sie überein in der Klage, „que les événements iraient en avant des idées et que c'était là un grand malheur"; endlich fanden sie sich in der Betrübnis darüber, daß die Menschen Leute vom Schlage der Konventsmänner lieber hätten, als „was sie Philosophen nennten". Wer hätte diesen Kassandraruf mit größerem Verständnis aufnehmen

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können als der Verfasser der „Ideen"? Sonderbar dagegen erschien ihm die Überzeugung des weitsichtigen Politikers, „daß die Könige selbst noch das repräsentative System einführen und fühlen würden, daß sie in demselben ihren Platz behaupten können". Bald konnte er dann mehr Zutrauen fassen zu dem Wirklichkeitssinn des Mannes, welcher auf die Frage einer durch die Revolution geängstigten Dame die klassische Antwort hatte geben können: „cela finira, Mme,. quand les gens de la rue seront dans Votre chambre et que Vous serez dans la rue." Aber es sollten noch wichtigere Erkenntnisse von dem Manne sich erschließen lassen, welcher vorgeblich die Geschichte verachtete und nur an die „Wahrheit der Romane" und an die Metaphysik, allerdings im französischen Verstände, glauben wollte. Denn gerade über die Geschichte der umwälzenden Ereignisse, an denen er maßgebend Anteil genommen, hat Sieyös dem wirklichkeitsfremden Theoretiker die überraschendsten Aufklärungen gegeben. Besonders nachdem Sieyfes zum Gesandten in Berlin bestimmt war, entwickelte sich ein ziemlich reger Verkehr zwischen diesen beiden typischen Repräsentanten ihrer Nationalitäten; denn als „ganzen Franzosen" faßte Humboldt ihn auf und studierte ihn als solchen. Vermutlich beruhte das auf Gegenseitigkeit; vielleicht wollte der sonst als sehr zurückhaltend geltende Sieyös mit Hilfe des philosophischen Aristokraten sich über sein künftiges Tätigkeitsfeld unter den von ihm „für am meisten moralisch gehaltenen Deutschen" orientieren? vielleicht auch diesen so für die Moral begeisterten Baron als Vermittler der Signatur benutzen, unter welcher er in Deutschland und namentlich in Berlin beurteilt zu sein wünschte? Man könnte auf diesen Gedanken kommen, wenn man erfährt, wie eines schönen Maientages ihm eine Wagenfahrt durch die Elysäischen Felder zum Anlaß dient, seinen aufmerksamen Zuhörern den Wunsch nach einer „näheren Gemeinschaft zwischen Deutschland und Frankreich in wissenschaftlicher und administrativer (I!) Rücksicht" auseinanderzusetzen; wie er ferner die Gelegenheit wahrnimmt, den eigenen Anteil „an der Gründung der Freiheit" zu erklären. Drei Punkte seien es gewesen: „das vollkommene repräsentative System; die Einteilung in Departements; die Unität der Nation, die Vermählung der drei politischen Stände". So, als Theoretiker der Politik, ohne jeden persönlichen Ehrgeiz, bringe er aus der Revolution ein reines Gewissen mit. Der Zuhörer war nicht nur aufmerksam, sondern gläubig aufs Wort. Da er aber keine politische Korrespondenz mit Berlin unterhielt, so war diese feine Vorbereitung des Diplomaten leider in den Wind gesprochen1). Auf fruchtbaren Boden dagegen ist manches andere Wort gefallen. Denn über die geschichtlichen Umstände, unter denen die Verfassung von 1791 zustande kam, wird Humboldt 11

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von ihm im eigentlichen Sinne „aufgeklärt"; er erfährt, daß die „erste Constitution ebensowenig ruhig gemacht worden sei, als die andern". Alles sei durch Intriguen und Koterien gegangen, weswegen ein Ausländer keinen richtigen Begriff der Revolutionsgeschichte haben könne. Und das hat noch im Jahr 1798 die Verwunderung des Weltmannes und Staatstheoretikers Humboldt erregt! Aber doch nicht nur sein naives Staunen, sondern auch sein Nachdenken. Und dieses führte ihn auf eine „Idee", welche er später in seiner berühmten Rede über die Aufgabe des Geschichtsschreibers systematisch ausgeführt hat. Wenn auch die gebildetsten Männer der Meinung seien, daß Niemand, der nicht die Revolution „gesehen" habe, wissen könne, was sie gewesen sei, so beweise das nur wieder, daß die Franzosen „keine intellektuelle Ansicht der Dinge" hätten. Sie vermöchten nicht „die Fakta zu unterscheiden, die in eine Geschichte, und die in die Beschreibung einer Intrigue, in Memoiren gehören". „Der Begriff der historischen Wahrheit ist schwer zu fixieren," so schließt die Notiz, „diese Bemerkungen aber können zu etwas führen." Und in der Tat haben sie im Lauf der Zeit zu jener merkwürdigen und bedeutsamen Lehre von den historischen Ideen geführt, zu deren Verständnis das hier angedeutete Verhältnis von „Idee" und „Faktum" einen nicht unwichtigen Beitrag liefert1). Ebenso fruchtbar ist eine andere Idee von Sieyès geworden: Humboldt hat aus einem der ersten Gespräche den Gedanken notiert, daß Sieyès „bei der Politik die Constitution selbst für das Geringste, aber den hier ganz vernachlässigten a d m i n i s t r a t i v e n (Teil) für den Wichtigsten halte". Diese Notiz eröffnet weite Durchblicke in die künftige staatsmännische Tätigkeit Humboldts. Denn sie bestätigt nicht nur die Vermutung, daß auf die Gedanken Humboldts zur preußischen Verfassung die französische Entwicklung überhaupt eingewirkt hat, was bekanntlich mit Lebhaftigkeit bestritten worden ist. Sondern auch die andere Annahme, daß in der Betonung der Wichtigkeit der Verwaltungsreform neben der Verfassungsreform eine gewisse Verwandtschaft und Übereinstimmung bestanden hat zwischen den preußischen Reformern, besonders Humboldt, und den französischen Reformern wie Turgot und Condorcet, zu denen Sieyès eher zu rechnen ist als zu den Danton und Robespierre — auch diese Annahme erfährt hierdurch eine wichtige Bestätigung8). Natürlich hat Humboldt es bei der persönlichen Fühlungnahme mit diesem bedeutenden Kopf nicht bewenden lassen. Bald nach ihrer Bekanntschaft hat er seine politischen Schriften studiert, mit nachhaltigem Eindruck. „Sie stellen das système représentatif in einer Reinheit und Vollkommenheit auf, wie ich es noch nirgends aufgestellt fand. In den Beweisen geht er lange nicht so hoch hinauf, als unser deutsches

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Naturrecht; aber immer hinlänglich weit für den bon sens." Auch ihm wie aller Welt imponierte die berühmte Formulierung über den dritten Stand; und die „besten Sachen in den hiesigen verschiedenen Constitutionen" schienen ihm aus Siey&s' Gedanken zu stammen. Allerdings scheint auch Sieyös ihn von seiner Meinung über die Mängel des Repräsentativsystems nicht abgebracht zu haben, welche bereits in der Jugendschrift von Humboldt angedeutet waren. Denn seine Auffassung, — vermutlich eben jene individualistische Opposition gegen die Idee der „Vertretung" des Einzelnen durch Mehrheitsbeschlüsse — hat Humboldt nach seiner Bekanntschaft mit Siey£s in politischen Gesprächen, nicht ohne Eindruck zu machen, wie er glaubte, vertreten1). Eine nähere Ausführung und Begründung seiner Meinung hat er allerdings nirgends gegeben. Welcher Art seine Einwände waren, läßt sich erschließen aus der überspitzten Kritik an Rousseaus berühmtem Paradoxon, daß das englische Volk nur im Augenblick der Wahlen seine Freiheit genießen könne. Im Gegenteil, notierte sich Humboldt, als er im August 1798 den Contrat social zum ersten Mal in die Hand bekam, gerade in diesem Augenblick sei das Volk nicht souverän, .weil es gerade dann nur „Repräsentant seiner selbst sei" und über einen partikulären Gegenstand nach bestehenden Vorschriften und unter Fortbestand der amtierenden Regierung die Abstimmung vornehme. Rousseaus These, daß die Deputierten keine Repräsentanten, sondern nur Kommissare seien, wird mit der Begründimg abgelehnt, „wen das Volk Gesetze zu machen bestellt hat, durch den macht es diese selbst". Denn, so begründet Humboldt anderwärts den gleichen Gedanken, „der Wille der Nation ist nicht selbst zu wollen, sondern — die Vernunft walten zu lassen"; diese werde durch die Deputierten repräsentiert. Deshalb konnte er mit gutem Grunde feststellen, daß Rousseau nicht als Gründer „des eigentlich richtigen Systems" gelten könne. Humboldt war mehr für die Vernunft als für die souveräne Masse eingenommen und deshalb mehr geneigt, den vernunftbestimmten Einzelnen eher als eine Menge zum Wächter der „Freiheit" einzusetzen. Ein richtiges Gefühl ließ ihn in Rousseaus Begriff der „Gleichheit" die Gefahr der „Nivellierung", eben den eigentlich demokratischen Zug im Contrat social, bemerken und ablehnen. Und ebenso begründet war der Gedanke, daß Rousseau ein „politischer Kopf nur für das Negative" gewesen, welcher der so lebhaft geforderten Freiheit kein „auf das Fortschreiten der Menschheit kalkuliertes" Ziel zu weisen vermocht habe. Seine Methode sei echt französisch; darauf sei sie hinausgelaufen, „immer von den Übeln der Wirklichkeit zu entgegengesetzten Übeln der gleichen Wirklichkeit, nie ins Idealische, nur ins Chimärische überzugehen"2).

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In dem letzten Urteil mündet die besondere Fühlungnahme mit Rousseau in den Fluß der großen allgemeinen Auseinandersetzung mit dem französischen Nationalcharakter überhaupt. Denn das Fehlen des „Idealischen", das ist der große und stets wiederkehrende Vorwurf, mit welchem dieser strenge Richter jeder Erscheinung echt französischen Gepräges ihr Urteil spricht. Wir vernahmen ihn aus dem Brief an Jacobi über die Nation im ganzen; Mirabeaus Liebesbriefe entgingen ihm ebensowenig wie der Traktat der Stael über die Leidenschaften. Ganz besonders empfunden werden mußte die fehlerhafte Anlage in diesem Objekt einer geistigen Anatomie, wenn sie zu Tage trat in einem lebenswichtigen Bereich, wo man sie am wenigsten hätte erwarten sollen, nämlich im Bereich der philosophischen Spekulation. Aber gerade hier lag der Fall dem Anschein nach hoffnungslos. Wenigstens war verzichtende Hoffnungslosigkeit für Humboldt das Ergebnis jener „metaphysischen Zusammenkunft", welche am letzten Sonntag des Mai 1798 einige Schüler Condillacs, als welche die philosophisch interessierten Franzosen der Mehrzahl nach sich gaben, bekannt machen sollte mit den Geheimnissen und den Errungenschaften der deutschen Philosophie, im besonderen des Kantischen Kritizismus1). Von den sieben französischen Teilnehmern waren die bedeutendsten Sieyfcs und Destutt de Tracy; zur Unterstützung hatte Humboldt den Jugendfreund C. G. v. Brinckmann, derzeit bei der schwedischen Gesandtschaft tätig, und als philosophischen Dolmetscher Camille Perret mitgebracht, welcher in Jena mit der deutschen Philosophie Fühlung genommen hatte. Fünf Stunden währte das philosophische Konzil und ging auseinander wie alle dieser Art. Man verstand sich nicht einmal, geschweige denn, daß man sich bekehrt hätte. Denn die Franzosen hätten nicht den mindesten Sinn für etwas, das außerhalb der Erscheinungen liegt, so heißt es in dem großen Bericht an Schüler: „der reine Wille, das eigentlich Gute, das Ich, das reine Selbstbewußtsein, alles dies ist für sie ganz und gar unverständlich." War es mit den Grundlagen schon schlimm bestellt, so konnte das abschließende Urteil nur vernichtend ausfallen: „empörend" seien die Meinungen der französischen Herren über die Moral gewesen. „Ihre Moral ist ein bloßes Berechnen des größeren VorteUs, und es ist schrecklich zu hören, wie materialistisch alle ohne Ausnahme über diesen Punkt reden. Man kann sich nicht enthalten, von solcher Verkehrtheit in moralischen Begriffen Schlüsse auf ihren Sinn für Freiheit und Recht überhaupt zu machen." Auch Alexander Humboldt, welcher bis Oktober 1798 in Paris blieb, hatten seine Berührungen mit den französischen Gelehrten die Erkenntnis eingetragen, daß man selbst in der naturforschenden Methode nicht recht zur

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Übereinstimmung komme. Die Franzosen besäßen nicht den „eigentlich naturforschenden Geist", keinen „Begriff von eigentlicher Form", es sei alles bei ihnen „leere und bloße Mechanik"1). Die philosophische Sprachverwirrung, welche es zu keiner Verständigimg kommen ließ, brachte die neue Erfahrung von den unübersteiglichen Grenzen einer Menschheitsidee mit sich, wie sie auf dem Boden deutscher Philosophie und deutscher Dichtung, des deutschen Weltbürgertums erwachsen war. Hoffnungslos stand der enttäuschte Humboldt vor der geistigen Sonderart „der mit dicken Mauern abgeschlossenen Franzosen". Die Kehrseite der großen Idee der Individualität, welche den „Schlüssel" für das Rätsel der geistigen Welt hatte abgeben sollen*), wurde ernüchternd deutlich. Und so wurde auch das endgültige Urteil Humboldts über Sieyès von dieser Erfahrung nationaler Besonderung bestimmt, nachdem der philosophische Austausch nicht ohne persönliche Gereiztheit! zu Ende gegangen war. Denn, bei einem späteren Besuch Humboldts hatte Sieyès, um den Unterschied zwischen „der wahren und der deutschen Metaphysik" anschaulich zu machen, ein Fernglas umgekehrt vor die Augen genommen und die seltsame Handlung mit dem Satz erläutert: "c'est la philosophie allemande; au lieu de se rapprocher les objets, ils les éloignent, et ils s'imaginent pour lors d'être profonds." Wenn Sieyès auch darin Humboldts Lieblingsmeinung beipflichtete, daß „nicht zwei Zeilen gesunder Moral in allen französischen Büchern zu finden" wären, so blieb dessen letzter Eindruck doch: „vielleicht ist Sieyès ein metaphysischer Kopf, verdorben durch den Nationalcharakter, oder wenigstens durch Nationalgewohnheiten." Dazu kam eine Enttäuschung anderer Art. Von einem guten Kenner der Pariser Menschen und Dinge vernahm Humboldt, Sieyès besitze offenbar gar kein System — nicht einmal ein politisches System! Vielleicht sei vor der Revolution ein „richtiges" System von ihm konzipiert gewesen. Seitdem aber lebe er wesentlich von den Ausnahmen der allgemeinen Regeln — und habe sich, ob darum? als besonders tauglich für die auswärtige Politik erwiesen®). Man spreche ihm gute Kenntnisse der „individuellen Lage" fremder Länder und ihrer Interessen zu; er sei ein geschickter Unterhändler, der mit Scharfblick beobachte und mit Freimütigkeit handle. Also, es war nichts mit dem politischen Philosophen, welcher sich derartig an die „Wirklichkeit" verlort Der Tagebuchschreiber Humboldt hat diese Charakterisierung sorgfältig festgehalten; ob sein inneres Ohr vielleicht aufgehorcht hat bei der Schilderung eines Lebensganges, welcher in der Wendung vom spekulativen Bereich zur tätigen Wirksamkeit in der Form eines Diplomatenlebens die Richtung andeutete, in der

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das Heilmittel für seine eigenen Bedrängnisse zu finden sein sollte ? Trotz allen Bemühens nach persönlicher Verständigung erwies sich jedenfalls die nationale Geschiedenheit, die Bedingtheit des Einzelnen durch die ihn tragende und formende Gemeinschaft, als die stärkere Kraft ; die Abstoß ung aus den Tiefen des Unbewußten drang ins Bewußte hinauf und bestimmte das Urteil. Die Revolution selbst, deren überlebende Träger jetzt im normalen Leben als ernüchterte Ideologen Humboldts W e g kreuzten, war inzwischen zur Geschichte geworden. Die einst erwarteten segensreichen Wirkungen hatte er nunmehr Gelegenheit, nach dem Augenschein zu beurteilen. Ein eigentliches Studium des geschichtlichen Verlaufes der R e volution ist, soweit das Tagebuch darüber Auskunft gibt, nicht getrieben worden. Nicht studiert hat er diese Dinge, aber über mancherlei Fragen hat er sich orientiert an den Erzählungen von Augenzeugen und Mithandelnden. Und so bietet denn der Bericht des Tagebuchs weniger Ansichten und Überzeugungen als Eindrücke und Einsichten, Impressionen und Reflexionen, hier und da verstreut, aufgezeichnet aus diesem oder jenem Anlaß, nirgends zu einem einheitlichen Bild zusammengefaßt, auf keine endgültige oder abschließende Formel gebracht 1 ). Wenn die Mithandelnden aus den ereignisreichen Jahren ihm gelegentlich bedeuteten, daß der Ausländer nie ganz die Entwicklung der Dinge werde verstehen können, so stieß Humboldt sich wieder an der Einseitigkeit der vernommenen Urteile und Berichte, welche j a unvermeidlich die Färbung des Parteistandpunktes an sich tragen mußten. S o gab ihm eine fulminante Anklagerede gegen das Ancien régime in einer Sitzung der Fünfhundert Anlaß zu der Frage : „Wann wird man aufhören, die vorigen Zeiten immer als Zeiten der Barbarei und der Unterdrückung zu schildern? Wie schön könnte auch bei einem ganz unparteiischen welthistorischen Überblick die Revolution erscheinen" 2 ). Aber es war noch kaum an der Zeit zu unparteiischer Beurteilung und Darstellung der Ursachen und des Verlaufs der großen Umwälzung. Ließ derselbe Humboldt, der eben diese Forderung aufstellte, sich doch selbst von der wilden Anklageschrift, welche der jiingere Mirabeau aus dem Donjon de Vincennes in die Welt geschleudert hatte, hinreißen zu einer radikalen Verurteilung des alten Frankreich: „Man schaut wie in einen Abgrund von Luxus, Stolz, Unterdrückung des Volkes, Aristokratismus, Mißbrauch der öffentlichen Gewalt . . . die Revolution wundert einen weniger, wenn man die Verkehrtheit und Ärmlichkeit der Moralität dieses Landes sieht"*). Der Mißbrauch der öffentlichen Gewalt, welchen die Terreur getrieben hat und über den das Tagebuch manchen anschaulichen Zug

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aufbewahren konnte, hat Humboldts Stellung zur Revolution nach 1793 endgültig bestimmt. Was seit dem Prozeß gegen den König und die Veuve Capei bis zum Staatsstreich vom 9. Thermidor sich ereignete, wird verurteilt und verabscheut. Dagegen ist festzustellen, daß Humboldt im großen und ganzen die Stellung und die Meinung der „hommes sages et modérés" teilt, welche seit dem Sieg des Direktoriums in die Staatsleitung gelangt sind und als nüchterne Geschäftsmänner der Politik wie dem gesellschaftlichen Leben im weitesten Sinn das Gepräge geben. Beistimmend wird da eine Parlamentsrede zitiert, „voll vernünftiger Grundsätze, das Volk nicht anders zu behandeln, als es wirklich noch ist" ; ebenso ist der Inhalt eines Gespräches mit Garat festgehalten, welcher bereits im Mai 1798 seine Besorgnis von einem drohenden „régime militaire, welches in Zivilsachen nicht tauge", durchblicken läßt1). Auf welche Weise das Direktorium diese Sorge zu beschwören gedachte, verrät eine Eintragung vom 21. März 1798: „Das Gouvernement veranstaltet jetzt eine Reise von Gelehrten, die höchst geheim und sonderbar ist." Die Namen der „Forschungsreisenden" sind bekannt, „das Geheimnis ist, wohin und wozu die Reise geschehen soll. . . . Man glaubt entweder nach Neapel und den Inseln des Ägäischen Meeres, oder nach Ägypten. Im letzteren Falle würde eine Armee von 50000 Mann sie begleiten". Und obwohl Humboldt die alten französischen Pläne einer Eroberung Ägyptens und einer Bedrohung von Indien erwähnt, erhält man doch nicht den Eindruck, daß er der Tragweite dieser Vorgänge sich bewußt gewesen sei. In allem, was die Außenpolitik anlangte, war sein inneres Ohr noch taub, namentlich für die Gründe des öfter beobachteten Hasses vieler Franzosen gegen England2). Dagegen hat er mit viel Aufmerksamkeit Nachrichten über die wirtschaftliche und soziale Auswirkung der revolutionären Entwicklung gesammelt, ohne daß ein eigentliches Erfassen des Inflationsproblems erkennbar wäre. Daß die Revolution „die Eigentümlichkeiten der Provinzen gar sehr nivelliert habe", war eine leicht zu beobachtende Folge der einschneidenden Verwaltungsreform. Schwieriger fiel die Feststellung, in welchem Umfang und in welcher Richtung die Umschichtung des Besitzes und die Verarmung der früher führenden Schichten sich auswirkte. Im allgemeinen fand Humboldt die Beobachtung bestätigt, daß die unteren Klassen trotz der Geldentwertung einen gehobenen Lebenszuschnitt, vor allem eine bessere Ernährung erreicht hätten. Einige seiner Gewährsmänner sahen den Grund dafür wohl nicht zu Unrecht „in der Abwesenheit einer großen Menge Menschen bei den auswärtigen Armeen"3). Humboldt selbst notierte gelegentlich eine tiefe Einsicht in die verwickelten Gründe des geschichtlichen Prozesses, der seit einem Jahrhundert vor

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sich ging. Der deutsche Idealist wollte sich nicht abfinden mit der „kalten und einseitigen Vernunft", mit welcher die Schüler der Encyclopédie die Norm aufstellten, „daß das Volk, la populace, nie aufzuklären sei; daß es immer Leute geben müsse, nur bestimmt, Wasser zu tragen, Holz zu hauen usw. Unverzeihlich ist's, dies in Frankreich, mit diesem prächtigen Volk, zu glauben. Der Wohlstand muß größer, der Erwerb erhöht werden, dann hilft das Physische dem Moralischen auf. Wirklich aber", so entdeckt der Aristokrat mitten in seinem sozialen Eifer, „sind durch die Aufklärung in unsem Zeiten die Unterschiede der Stände größer geworden, als sie in den alleraristokratischsten waren. Auch die Fürsten im vorigen Jahrhundert dachten, lebten und wirkten mehr, wie das gemeine Volk auch tut". Wie klar hatte der Enthusiast der Bildimg die verhängnisvollen Folgen gerade dieses seines Ideals für die geistig-sittliche Volksgemeinschaft gesehen und ausgesprochen1) ! Es lag im Zuge dieser etwas rousseauisch gefärbten Anteilnahme am Leben der unteren Volksschichten, wenn Humboldt des öfteren das „prächtige französische Volk" bei seinen Festen, den „célébrations civiques" beobachtete, bei denen, nach der Theorie, „le souverain" sich vor sich selbst zur Darstellung bringen sollte. Einigermaßen enttäuschte es ihn, daß gelegentlich der „fête de la souveraineté du peuple" am 30. Ventose (20. III) 1798 das Volk keinen Anteil an der Sache nahm und sogar über die eigene Souveränität spottete, obwohl — oder vielleicht weil? — „keine constituierte Autorität außer den Municipalitäten bei diesem Fest erschien, um das Volk nicht an diesem Tage durch den Anblick seiner Oberen zu inkommodieren". Trotz des ironischen Tones dieser Aufzeichnung ist hier und an anderen Stellen wohl zu spüren, daß der immer noch für die Idee der Revolution begeisterte Ausländer gegen die Ernüchterung, welche längst sich der Pariser bemächtigt hatte, sich sperren möchte. Aber das Fazit der mannigfachen Beobachtungen zieht die melancholische Feststellung am Ende des „14. Juillet" von 1798 : „Ie peuple n'est plus gai" ). Seine Gedanken, das beweist noch manche andere Aufzeichnung, waren überhaupt damals recht weit entfernt von allem Aristokratismus ; von irgendeiner romantischen Anwandlung legitimistischer Art findet sich keine Spur. Im Gegenteil. Der gesellschaftliche Umgang verschiedener Art gewährte ihm Einblick in die Stimmung der damaligen VernunftRepublikaner, denen es immer noch schwer genug wurde, den Entschluß zu finden, „so gut als möglich an die neue Ordnung sich anzuschließen". Nur mit Widerstreben ließe die Mehrzahl der gebildeten Kreise sich zum Staatsdienst bereitfinden. Die Generation, welche 1789 miterlebt habe, und namentlich die Jugend, welche in der „terreur" ohne alle Erziehung gebüeben sei, werde das innere Widerstreben auf lange hinaus nicht über-

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winden; „ohne sehr despotische Maßnahmen" sei an keine Ruhe im Staat zu denken; „man muß für die Zukunft zittern"1). Die Übereinstimmung mit den gegenwärtigen Führern der französischen Nation ging so weit, daß ihm eine Arbeit Roederers über das Problem der Emigration viel zu milde erschien. „Die tätige Emigration ist eine Minorität, welche die Majorität nach ihrem Willen zwingen will; der Staat hat Notrechte, sich zu erhalten, und kann daher auch die unschuldige Emigration verbieten"8). 'Welch ein Fortschritt in der Anerkennung der „widerspruchslosen Macht" als Wesen des Staates; welche Bereitwilligkeit, der demokratischen Republik zuzugestehen, was der Theoretiker von 1792 dem Staate, wie er ihn damals sah, noch aufs entschiedenste bestritten hatte! Der Freiherr von Humboldt aus Potsdam war eben in diesen Jahren zu der Meinung über die Revolution als Ganzes gelangt, daß „der Strom unaufhaltbar sei, daß man nur mit Tätigkeit angreifen und seine Richtung benutzen muß" 3 ). Auch hierin erweist er sich als „Zeitgenosse" im vollen Sinne des Wortes. Die Erfahrungen, welche Humboldt auf dem weniger schwierigen Boden des literarischen und gesellschaftlichen Austauschs beschieden waren, fielen nicht viel günstiger aus, als es bei den Versuchen zu philosophischer Verständigung der Fall gewesen war. War Sieyès der Mittelpunkt, auf welchen während der ersten Pariser Monate Humboldts politisches und philosophisches Interesse bezogen war, so trat an die Stella der „imposanten" Figur des ehemaligen Abbé nunmehr die nicht minder interessante Frauengestalt der Mme de Stael. Sie wurde für Humboldt der Exponent der eigentlich literarischen und gesellschaftlichen Welt von Paris. Zwischen Germaine Stael-Necker und W. v. Humboldt hat sich in jenen Jahren eine Beziehung freundschaftlicher Art entwickelt, welche für beide Teile den gleichen Wert und über die persönliche Berührung hinaus allgemeine Bedeutung gewonnen hat1). Denn wie die geistvolle Frau, deren Wesen nach seiner Meinung nicht in die Grenzen des französischen Nationalcharakters gebannt blieb, ihm zu einem besseren Verständnis der französischen Literatur den Weg ebnete, so hat Humboldt im Gespräch wie im brieflichen Austausch das berühmte Buch über Deutschland vorbereiten helfen. Von ihrem Essay über Jean Jacques läßt er sich zur Beschäftigung mit den ihm bis dahin imbekannten philosophischen und politischen Schriften Rousseaus und zu einem meisterhaften Versuch einer eigenen Charakteristik des Apostels anregen — meisterhaft, obwohl ganz konstruktiv. Denn Humboldt entwarf die „Idee" des „reizbaren Charakters", ehe er Rousseau aus seinen Werken selbst kennen gelernt hatte. Im Bereich literarischer Kritik und Charakteristik erwuchs eine leichtere und fruchtbarere Verständigung als auf dem philo-

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sophischen Felde. „Unendliche Aufschlüsse über französischen Geist und Sprache" bekennt Humboldt den Gesprächen mit der geistvollen Frau zu verdanken, obwohl er gleich bei den ersten Berührungen feststellen mußte, daß sie als Französin „gar keine richtigen Begriffe über die Poesie besitzt". Aber gerade über diese Verschiedenheit ihres Denkens sich auszusprechen und bis zu einem gewissen Grade der Annäherung sich zu verständigen, bot der zeitweise fast tägliche Austausch in Paris sowohl Anreiz wie Gelegenheit genug, welche von beiden Partnern mit großem Gewinn genutzt worden sind. Die Briefe, welche Humboldt namentlich aus Rom der neu gewonnenen Freundin in größerer Anzahl zukommen ließ als den alten Freunden in Weimar, beweisen, wie stark und nachhaltig die Anziehimg aufeinander war und wie groß die Bedeutung, welche die beiden ungewöhnlichen Menschen ihrer wesentlich literarischen Freundschaft beimaßen, welche doch auch dem härteren Druck des Lebens standzuhalten vermochte1). Trotzdem ist das Gefühl einer letzten Fremdheit, einer schließlichen Unvereinbarkeit der Ansichten von Welt und Leben auch für diese persönliche Beziehung und auf diesem sachlichen Gebiet nicht ausgeblieben. Es war dabei unvermeidlich, daß mit einer so orientierten Frau, in deren Gefolge damals der andere bedeutsame Theoretiker der Politik, Benjamin Constant, auftritt, auch die Politik zum Gegenstand des Interesses und des Austausches werden mußte. Für beide Teile gleich bezeichnend ist es, daß. Humboldt die Vorliebe der Stael für das englische |und amerikanische Verfassungsideal ebenso ablehnt, wie er einen typisch französischen Zug in ihrer Schrift über die Politik des jüngeren Pitt treffend heraushebt. Wenn der große Irrtum der alliierten Mächte darin bestanden habe, für die Prinzipien des zum Untergang bestimmten Ancien régime und gegen die neuen Ideen zu fechten, statt für die Sicherheit und Ruhe Europas zu sorgen, indem sie bloß die revolutionäre Anarchie bekämpften, so verdienten die Mächte den Vorwurf einer egoistischen Politik. „Der Stael ihr System", so kommentiert Humboldt diesen Gedankengang, „scheint eigentlich das : Frankreich ist so wichtig für Europa, daß das letztere mit ihm steht und fällt. . . Europa hätte für Frankreich und die . . . im wesentlichen gute Konstitution von 1791 uneigennützig kämpfen und nur die Terroristen bekämpfen müssen. Eine unmögliche Hypothese, wie man es nehmen mag". Gegenüber dieser naiven Ideologie des französischen Egozentrismus beginnt, wie es scheint, der Wirklichkeitssinn des künftigen Diplomaten sich zu regen. Freilich läßt sein ablehnender Kommentar noch im Ungewissen darüber, ob hier rein politische Beweggründe wirksam sind, oder ob nicht etwa diese Ablehnung in dem Boden jener schon dargestellten metaphysischen Gegensätzlich-

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keit wurzelt, etwa in der Idee einer künftigen ideellen Menschheitssendung des deutschen Geistes, welchem der Vorrang über die französische Kulturmission zuzusprechen wäre? Gerade der freundschaftliche Umgang mit Mme de Stael mußte dem seinem eigenen Staat entfremdeten Weltbeobachter zu Bewußtsein bringen, wie hier in Paris das Leben in allen seinen Formen zusammengewachsen war mit der Politik, wie in diesem lebendigen Durcheinander von Menschen und Interessen, von geistiger Bewegung und politischer Parteiung der homme public und der homme privé immer enger miteinander verschmolzen; daß die eben genannte Scheidung nicht nur von der geistreichen Freundin, sondern von ihrer ganzen Generation nach ihren Erlebnissen und bei ihren aus der Weite des nationalen Lebens gewonnenen Zielen nicht mehr anerkannt werden konnte. Gesellschaft und Staat, Nation und Literatur, Wissenschaft und Politik, persönliches Streben und Entwicklung der öffentlichen Dinge, welche im überalterten Typus des deutschen Kleinstaates noch fremd nebeneinander hergehen konnten, vereinigten sich hier in Paris im Strom des bewegten Lebens, dessen Ablauf in Humboldts Tagebuch mannigfacher sich spiegelt, als man von ihm zunächst erwarten sollte. Neben den Sternen erster Größe ziehen auch kleinere Geister sein Interesse auf sich; neben Sieyès und B. Constant ist es der ci-devant Graf Pierre Louis Roederer, einer der damals führenden Nationalökonomen, von welchem Humboldt mancherlei Mitteilungen über die wirtschaftlichen und sozialen Wirkungen der Revolution empfängt und dessen physiokratische Ansichten der Schüler Dohms durchaus teilt. Ehe der Salon der Frau v. Stael für die Humboldts zum Mittelpunkt ihrer gesellschaftlichen Beziehungen wird, sind es die Häuser der Witwe Condorcets und der Mme Vandeuil, der Tochter Diderots, welche den Zugang zur Pariser Gesellschaft eröffnen1). Um zu wissen, wie diese Menschen gebildet waren, was sie dachten, was sie bewegte, worauf sie anspielüen in ihren Unterhaltungen, mußte man die Literatur kennen, in der sie lebten. Das führte zu genauerem Studium der beiden großen Zweige der französischen Dichtung, des Klassizismus und der französischen Moderne seit Voltaire. Häuf iger Theaterbesuch vermittelte eine reiche Anschauung vom französischen Drama jeder Gattung; sie wurde ergänzt und vertieft durch fleißiges Studium am häuslichen Kamin; manches Gespräch mit Mme Talma, der Gattin des berühmten Schauspielers, brachte die wünschenswerte lebendige Fühlungnahme mit den wichtigsten Vertretern der modernen Schauspielkunst. Erst diese „Frau vom Bau" scheint Humboldt die Augen für die Bedeutung Voltaires als „des Ideals eines Franzosen" recht geöffnet haben2).

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So waren die Tage der schnell eilenden Monate ausgefüllt genug, wenn zu der Arbeit an den Ästhetischen Versuchen, zu dem geselligen Treiben noch das Studium der bedeutenden Schriftsteller, von denen Mirabeau, Rousseau und Diderot offenbar besonders fesselten, hinzukam1). Daneben gab es noch Institutssitzungen, denen man beiwohnen, Museen, welche durchwandert, Ausstellungen lebender Künstler, welche besichtigt, Originale wie Rétif de la Brétonne, mit dem ein Abend verplaudert werden mußte. Und die Politik war in ihren Wirkungen nicht nur in den Salons, in den Journalen und Parlamentsberichten zu verfolgen ; noch interessanter mußte es sein, das „freie Volk" bei seinen republikanischen Festen zu beobachten, wie sie alle paar Wochen gefeiert wurden, ohne immer solchen Eindruck zu hinterlassen wie der moderne Triumphzug des kommenden Cäsar, bei welchem die aus Italien geraubten Kunstschätze im Schmuck der Trikolore ihren Einzug hielten, um noch lange auf eine würdige Aufstellung warten zu müssen2). Mit kühlem Herzen erlebte man wohl auch aus ziemlicher Nähe die Erschießung eines ergriffenen Emigrierten; es hätte etwas am runden Bild des gesundenden Frankreich gefehlt, wenn nicht auch dies Schauspiel sich dargeboten hätte. Alte Erinnerungen an die eigene richterliche Tätigkeit wurden geweckt durch die öffentlichen Gerichtsverhandlungen im Palais des Justice, welches „wie kein Gebäude in Deutschland den Begriff einer großen Stadt gibt" durch die seine Gänge und Räume füllenden vielen Menschen. Den mündlichen Verhandlungen vor demneuen Geschworenengericht und den pathetischen Playdoyers mit ihrer Berechnung auf die Sentimentalität der Menschen stand Humboldt mit würdige Aufstellung warten zu müssen2). Hier wie überall beobachtete er, registrierte er, interpretierte er. Die unübersehbaren Lebensäußerungen dieser riesigen Individualität, welche Paris war, beschäftigten unablässig seinen analytischen Verstand. Aber diese Stadt lag auch in einer Landschaft, welche lockte mit Reizen eigener Art: „sie ist nicht außerordentlich fruchtbar, nicht romantisch,, aber von allem diesem etwas, hübsche Hügel und Täler, sodaß das Land weder flach noch bergig heißen kann, sehr bebaut, schön mit krausen Rüstern und Ulmen bepflanzt, wie die Erde überall aussehen müßte, wenn sie immer und immer bewohnt wäre. E i g e n t l i c h e H u m a n i s i e r u n g d u r c h m e n s c h l i c h e s W o h n e n ist der C h a r a k t e r d i e s e r L a n d s c h a f t"4).* Und durch diese reizvolle Landschaft führt sein Weg an einem milden Herbsttag den aufmerksamen und gefühlvollen Reisenden, wie ein Jahrzehnt früher nach Ermenonville, so jetzt nach Versailles. Wie es bei Revolutionen so geht, war aus dem Königsschloß ein Museum geworden. Der Anblick vergangener Pracht stimmte

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melancholisch. „Das Game bleibt ein Monument einer ungeheueren gestürzten Größe. Doch läßt seine verlassene Öde einen kälter, als man es denken sollte, vielleicht . . . weil, da man so viele durch Laune und Zufall verlassene Schlösser sieht, eine menschenleere Hütte eine auffallenderes Schauspiel ist als ein menschenleerer Palast." Hütte und Palast — mit dem Blick auf dieses echteste aller revolutionären Themen mag Humboldt uns aus dem Bannkreis seiner Pariser Erlebnisse entlassen, aus denen die Wirklichkeit des modernen Lebens ihm entgegengetreten war. Als Vertreter der neuen deutschen Bildung, welcher durch seine innere Verbundenheit mit ihrem Schaffen für diese Aufgabe wie kein zweiter sich ausweisen konnte, war Humboldt eingetreten in den Kreis der neuen Gesellschaft Frankreichs. Es war die erste „Mission", welche ihm zugefallen war, eine geistige Mission in sehr wirklichkeitsnahen Formen. Die Antike hatte sich ihm erschlossen durch die monumenta laere peiennias, deren Zauber er sich rückhaltlos hingegeben hatte. Die lebendige Gegenwart mußte in ihrer Bedingtheit von seiner eigenen, bedingten Individualität im strömenden Leben erfaßt werden. D a erstanden Widerstände, Hemmnisse; Abstoßung und Anziehung mußten sich ausgleichen auf der Wage der persönlichen Eigenart des lebendigen Beobachters. Nicht mehr das Studium allein, sondern lebendige Wechselwirkung gegensätzlicher Kräfte bestimmten den Ertrag dieser Jahre. Daß die Wage ausschlug nach der Seite der Abstoßung, haben wir gesehen und auch erfahren, aus welchen Gründen es geschehen mußte. Als „gebildeter Mensch" und um seiner Bildung willen hatte W . Humboldt in das Wesen und in die Schätze französischer Bildung einzudringen sich bemüht. Wenn das Ergebnis jene schroffe Ablehnung sein mußte, von der wir hörten, so lagen ihre Gründe nicht in irgend einer nationalen oder politischen Rivalität, welche in der Wirklichkeit des Lebens wurzelte, sondern sie lagen im Bereich der Idee und der Ideale. Der weltmännische Aristokrat von feinster geistiger Bildung hatte wie wenige nach ihm Einlaß gefunden am „Hofe der europäischen Zivilisation", dem bürgerlichen Nachfolger des Versailler Hofes. Was aller deutschen Literaten und vorgeblich „guter Europäer" seit Heinrich Heine bis in unsere Tage letzte Sehnsucht gewesen, hatte Humboldt zur Genüge ausgekostet. Und wenn Paris und Frankreich mit ihren unleugbaren Reizen es ihm wie der Gattin tief angetan hatten, so war, als er von diesen reichen Jahren schied, sein Geist weit entfernt von überschwänglicher Bewunderung 1 ), na hm er. vielmehr aus der „heterogenen Umgebung" mit sich das gefestigte Bewußtsein seiner Deutschheit wie den stolzen Glauben an den noch nicht erfüllten Weltberuf deutscher Sprache und deutschen Geistes.

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Die spanische Reise. „Je mehr Humboldt mit der Außenwelt in Berührung kam, desto mehr regte sich sein universalistisches Interesse an den Dingen; je länger er in der Fremde war, desto mehr wurde er zum Reisenden." Mit dieser treffenden Bemerkung leitet Rudolf Haym die Schilderung jener Reise ein, welche Humboldt vom Spätsommer 1799 bis zum Frühling 1800 in Begleitung von Frau und Kindern auf anstrengenden Wegen durch Spanien •geführt hat1). Die Absicht hatte von vornherein nicht bestanden, so lange Jahre allein nur in Paris und Frankreich zuzubringen. Das eigentliche Ziel, Italien, blieb nach wie vor durch die kriegerischen Vorgänge des zweiten Koalitionskrieges verschlossen. Auch der flüchtig aufgegriffene Gedanke, zusammen mit dem Bruder den Orient zu ergründen, scheiterte an den gleichen Hindernissen2). Nur das damals noch von den politischen Verwicklungen unberührte Spanien bot die Gelegenheit, einen Winter im Süden zu verbringen und dabei die Kenntnis von Welt und Menschheit durch einen „interessanten Nationalcharakter" zu erweitern. Vorbereitet war die Reise durch jene vergleichende Beschäftigung mit der Literatur der drei romanischen Nationen, zu welcher die stilleren Stunden des zweiten Pariser Winters Anlaß wie Gelegenheit gewährt hatten3). Am 8. September brach die kleine Karawane von Paris auf, um über Orléans und Bordeaux, wo Humboldt mit sorgsamer Aufmerksamkeit die Reste der alten Römerbauten untersuchte, und weiter über Tarbes in die Vorberge der mittleren Pyrenäen zu reisen4). Von der ersten Station Bagnères unternahm man, von freundlichem Herbstwetter begünstigt, weitere Ausflüge in die zum Pie du Midi heraufführenden Hochtäler, deren malerische Reize, damals noch wenig von Fremden besucht, die Reisenden immer aufs neue begeisterten5). Über den Tourmalet-Paß ging es hinauf nach Barèges und Cauterets mit seinen heißen Quellen. Dann wendete man sich wieder zur Ebene, um entlang dem Tal der Gave über Lourdes, Pau und Orthez in Bayonne den Ausgangspunkt der Reiseroute nach Spanien zu erreichen. War es in den Pyrenäen schon kein bequemes Reisen gewesen, so erwarteten die tapfere Frau von Humboldt, welche kurz nach ihrer Rückkehr nach Paris im Mai 1800 eine Tochter zur Welt brachte, auf den schlechten Straßen und in den elenden Herbergen Spaniens noch ganz andere Strapazen6). Sie nahm sie umso entschlossener auf sich, da sie nicht nur als Begleiterin des Gatten, sondern aus eigenem Forschertrieb zu der beschwerlichen Reise sich entschlossen hatte: sie hatte die Absicht, die Schätze der spanischen Galerien nicht nur genießend zu sehen, sondern für sich und die Freunde in Deutschland

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zu studieren und zu beschreiben. Mancherlei Schwierigkeiten und körperliche Ermüdung waren dabei mit in den Kauf zu nehmen1). Für alle Mühen, Entbehrungen und Anstrengungen haben die unerschrockenen Reisenden sich belohnt gefühlt durch den Zauber der Landschaft in ihrem schroffen Wechsel vom Lieblichen zum Grandiosen; durch die Bilderschätze des Escorial und des Prado; durch den immer neuen Reiz, eine völlig in sich abgeschlossene, vom modernen Leben so gut wie unberührte „Nationalindividualität" in allen ihren Lebensäußerungen und über die ganze Mannigfaltigkeit ihrer Siedlung, ihrer Sitten und Gebräuche hin zu beobachten und zu studieren. Die kurzen sechs Monate waren überreich an Eindrücken, welche alle das eine große Erlebnis spiegelten: das Erlebnis der spanischen Individualität im Rahmen der spanischen Landschaft. Ein bis in die Einzelheiten genaues Tagebuch verzeichnet mit Sorgfalt jeden geschauten Anblick, alles Erkundete, was des Wissens wert schien. Emsig sammelte Humboldt in seine Scheuern. Am 14. Oktober wurde Bayonne verlassen; durch die biscayischen Landschaften führte der Weg hinauf zur „traurigen, baumlosen" Hochebene Castiliens, über Burgos und Valladolid nach dem Herzen des Landes. Nach 12 Reisetagen war am 27. Oktober der Escorial erreicht, wo das Ehepaar am Hof des letzten Bourbonen vorgestellt wurde. Sechs Wochen wurden in Madrid verbracht. Eindrücke aller Art drangen auf die empfänglichen Reisenden ein. Es ergab sich von selbst, daß im Vergleich mit Paris weniger die Menschen als die Sammlungen, Galerien und Bibliotheken, Kirchen und Theater die Zeit und die Kräfte in Anspruch nahmen. Während die Gattin sich vor allem den Gemälden Raffaels und der spanischen Schule widmete, nahm Humboldt selbst die Gelegenheit wahr, im Umgang mit Gelehrten und Schriftstellern sich ein Bild von der geistigen Lage Spaniens zu verschaffen. Die interessanteste Bekanntschaft war vielleicht die des durch Beaumarchais und Goethe wider Willen zur Weltberühmtheit gewordenen Don Jose Clavigo y Fayardo, der nun als Siebzigjähriger ein stilles Gelehrtenleben führte*). Ein häufiger Theaterbesuch bot die beste Gelegenheit, den Charakter der Spanier in seiner Darstellung auf der Bühne wie im Verhalten der Zuschauer zu beobachten. Humboldt nahm Ärgernis daran, daß in den Theaterstücken „immer Eifersucht, immer Liebesintriguen und Verhüllungen" die Hauptsache seien. „Heroische Begebenheiten, große Charaktere, tiefe Gedanken, alles geht unter und verloren in dieser Wut, immer nur Vorfälle und Intriguen zu verwickeln. Ihre Imagination ist zu leicht sinnlich; Geist und Empfindung bleiben zurück; dies ist echt mittäglich." Der grübelnde Deutsche fühlte sich befremdet von der instinktiven Wirklichkeitsnähe dieser Südländer8). Aber nicht nur der Südländer. K i e h l c r , Humboldt.

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Der Zufall läßt ihn die Bekanntschaft des amerikanischen Gesandten machen, der, ein echtes Kind der neuen Welt, als Offizier im Befreiungskrieg mitgefochten hatte, jetzt Diplomat und daneben ein wenig literarischer Dilettant war. Aus Höflichkeit mußte Humboldt einige seiner naiven und wirklichkeitsfrohen Gedichte sich vorlesen lassen; seine ästhetische Empfindsamkeit rächte sich für das Martyrium mit folgender seltsamen Eintragung ins Tagebuch: „eine gutmütige, dicke Natur . . . ohne eigentliche Philosophie, ohne ästhetischen Sinn, ohne besonders die gleichsam fremde Reflektion über die eigenen Gefühle . . . Mir kommt es wirklich so vor, als ob alle Menschen und also alle Nationen wie Histrionen, Mysterien und Auguren spielen, a b e r n u r d i e D e u t s c h e n w i s s e n , w e r s i e h i n t e r d e n K u l i s s e n sind" 1 .* Ein tiefer Einblick tut sich hier auf in die seltsamen, ja absurden Hintergründe jenes Idealismus, welcher von einem deutschen Menschheitsberuf träumte, aber den Traum befremdlich real nahm. Für solche Stimmung war wirklich nur der grübelnde Deutsche, welcher nach Goethes Wort „über allem schwer wird", der echte Mensch der wahren Wirklichkeit; alle anderen, „welche mit Leidenschaft einen Zweck verfolgen, können sich von ihm in seinen letzten Resultaten eigentlich keine Rechenschaft geben". Ist diese Beobachtung charakteristischer für den Beobachter als für seinen Gegenstand, so enthüllt sich die geistige Lage des damaligen Spanien in einer interessanten Diagnose, welche Humboldt nach mehreren Gesprächen mit Gelehrten und Männern des öffentlichen Lebens aufstellt. Die Aufklärung, so meint er, könne in Spanien auf einigen gut vorbereiteten Mittelstufen emporkommen, ohne aus dem Extrem der durch die Jesuitenherrschaft bewirkten geistigen Stagnation, welche er in allen öffentlichen Unterrichtsanstalten wahrnehmen mußte, in das andere einer grundlosen und unphilosophischen Freidenkerei auszuarten. „Es sind Leute genug, die sich an einer aufgeklärten Christlichen (sc. Religion), andere vielleicht, die sich an einer natürlichen genug erfreuen würden, um damit fürs erste so weiter fortzugehen. Gründliches Bibel- und Religionsstudium, Einführung alter Sprachen wäre hier das rechte Mittel. Kommt auf einmal ein Sprung, so wird sich die Bildung schwer halten können... Hier ist der Weg zur Reformation und moralischen Bildung der Nation deutlich genug angezeigt." Merkwürdig genug, daß in unmittelbarer Berührung mit dem erstarrten Katholizismus der Sohn der deutschen Aufklärung sich auf die ihm sonst so fem liegende Wurzelgemeinschaft der „Reformation" mit den humanistischen Studien besinnt, aus welcher die geistige Haltung des deutschen Protestantismus erwachsen war1). Wie denn der große Zug der katholischen Religiosität in diesem südlichen Lande zum erstenmal nachhaltigen Eindruck auf den norddeut-

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sehen Romantiker gemacht hat. Bald nach dem Betreten spanischen Bodens erschloß sich ihm die eine Seite der magnetischen Kraft, welche der katholische Kult auf das Gemüt der Menschen, und besonders der einfachen Menschen, von jeher ausübt, und welche in dem Paris der Revolution ihm nicht mehr hatte anschaulich werden können. In der Kathedrale von Burgos ging ihm die Ähnlichkeit auf zwischen katholischem und heidnischem Gottesdienst. „Sprache, Reichtum und die Laune des Künstlers schweifen hier in wahre Üppigkeit aus, und die Idee, die einen am meisten in diesem Gebäude* frappiert ist niebt die Heiligkeit des Ortes, die Andacht der Gläubigen, sondern daß man einen Versammlungsort des Volkes sieht, in dem der Mensch nach vollbrachtem Tagewerk und ohne Unterschied des Standes und Reichtums seine menschlicheren Bedürfnisse, höheren Gefühle, die ihn zu einer Gottheit emporheben, und Ergötzung befriedigt, wo er, aus einem engen Zirkel heraus, ein prächtiges Gebäude und Kunstwerke sieht, seine Freunde, seine Nachbarn findet und sich ruhig mit ihnen bespricht. Damit stimmt auch die Liberalität überein, mit der man in diesen Kirchen aus und ein und mitten unter den betend Knieenden Spazierengehen läßt. In diesen Orten gehört wenigstens dem Volk ein allgemeiner Ort, da es bei uns nur zu einer Stunde an einem gewissen Tage in ein enges Gebäude gesperrt wird. Frohsinn und Sinnlichkeit müssen hier unstreitig sehr gewinnen"1). Hatte ihn die sinnenfrohe Seite des Katholizismus beim Eintritt in das spanische Märchenland gegrüßt, so sollte Humboldt das klassische Land des religiösen Fanatismus nicht verlassen, ohne von der asketischen Gestalt dieser Religion einen tiefen Eindruck davonzutragen, welchen das Einsledlerleben in der grandiosen Landschaft des Montserrat dem Scheidenden mit auf den Weg gab. Vorher aber führte die Reise mit Jahresbeginn 1800 noch tiefer hinab in den Süden der Halbinsel, über Toledo, Cordova, Sevilla nach Cadiz. Je mehr man nach Süden gelangte, desto mehr nahm die spanische Landschaft die Sinne und die Gedanken der Reisenden gefangen. In Madrid und im Escorial wie überall, wo man dem Genuß der Kunst sich hingab, war die Gegenwart und waren die Menschen in den Hintergrund getreten gegenüber der Vergangenheit und ihren Werken. Jetzt wich alles andere zurück vor der Wirkung und dem Genuß von Landschaft und Natur: Sonne, Himmel, Berge, Meer. Besonders der Anblick des Weltmeeres vom Hafen und von den Höhen um Cadiz, wo man zehn Tage verweilte, überwältigte die Empfänglichkeit*). Schon an der Küste von Biarritz hatte der Anblick des Meeres auf Humboldt, der bisher nur die Ostsee gekannt, einen mächtigen Eindruck gemacht. Jetzt bot sich ihm, bei der Reise von Cadiz nach Malaga, das 12*

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Meer zu allen Tageszeiten unter den verschiedensten Beleuchtungen in immer wieder bewunderter Schönheit und Großartigkeit dar. Das ewig bewegte Meer und die ewig ruhenden Gebirgsmassen, um deren Anblick Spanien ihn bereicherte, haben sich ihm zur Idee des Grandiosen in der Natur gestaltet. Auf einer der schönsten Seiten, die Humboldt je geschrieben, hat sie ihren Ausdruck gefunden: „Nie ist mir die tote und rohe Masse der Schöpfung so übergewaltig vorgekommen, nie der Keim des Lebens in der Natur dagegen so schwach und ohnmächtig, als hier zwischen den Pyrenäen und dem Ozean. In den Gebirgen jene ungeheuern, von keinem mildernden Grün umkleideten Felsmassen, das Bild einer ewigen untätigen Ruhe, einer Last, die, immer auf den Mittelpunkt ihrer Schwere drückend, nur zusammenzustürzen droht, um sich noch fester aneinanderballend jedes freie Lebensspiel zu ersticken. Was dagegen bei dem Anblick des Meeres die Einbildungskraft bis zum Entsetzen anspannt, ist die fürchterliche, sich mit unglaublicher Geschwindigkeit nach allen Seiten zugleich fortpflanzende, von dem unbedeutendsten Stoß die ungeheuerlichste Tiefe aufwühlende, den ganzen Erdkreis erschütternde Beweglichkeit. Vor diesen allgewaltigen Kräften einer doppelten Zerstörung, dort durch in sich zusammenstürzende Schwere, hier durch ewig mit sich fortreißendes Rollen, beide in toten, blinden und ungeschiedenen Massen, vor diesen wüsten Elementen des Chaos scheint jede lebendige Kraft verschwinden und verstummen zu müssen. Dennoch erhält sich, der Pflanze gleich, die, aus den Ritzen des Felsens hervorkriechend, seine schroffen Ecken umklammert, mitten unter dieser Verwüstung der leblosen Natur die lebendige Organisation, und wie der im Stein verborgene Funke springt der Trieb der Bildung aus ihr selbst hervor. In diesem unauflösbaren Rätsel, in dem Gefühl der verschwindenden Ohnmacht des Menschen gegen die Macht der Elemente, und in der Bewunderung ihrer entsetzlichen Massen, die, wild und ungebändigt wie sie sind, doch durch dasselbe Gesetz, durch das sie allem Zerstörung drohen, einem fremden Zuge zu folgen, sich in unaufhaltsamem Umschwünge fortzuwälzen und dadurch in Gleichgewicht zu halten gezwungen werden, verliert sich zugleich Gedanke, Phantasie und Empfindung, so oft wir dem Meer oder einem Gebirge gegenüberstehen. Es ist der geheimnisvolle Zug, durch den die große Natur uns unaufhörlich an sich fesselt und uns in die sanfte Schwermut hinüberzieht, von der wir uns ebensowenig als von ihrem Anblick loszureißen vermögen. Es ist der Kampf des Leblosen mit dem Lebendigen, durch die eigentümlichen Kräfte beider, wie durch ein ewiges Schicksal, dessen inneren Zusammenhang ein undurchdringlicher Schleier verbirgt, zu Harmonie und Ein-

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tracht verbunden ' 1 ). Diese Seite enthält den ganzen Humboldt — im Gedanken, in der Phantasie und in der Empfindung. Während des Februar und März führte die Reise über Granada, — mit der sehr bestaunten Alhambra auf dem märchenhaften Hintergrund der Landschaft, — und dann entlang der Küste des Mittelmeeres über Murcia und Valencia nordwärts nach Barcelona, wo Ende März der letzte längere Aufenthalt von zehn Tagen genommen wurde8). Von hier aus besuchte man den Montserrat, ein Abschluß von unauslöschlicher Nachwirkung dieser an großen Eindrücken überreichen Reise. Eine uralte Lebensform trat dem genußfrohen Humboldt in dem Eremitentum dieser Bergeseinsamkeit entgegen. Mit feinem Gefühl und geübtem Auge nahm er den gegenwärtigen Reiz und die tiefe Bedeutung dieser „Gestalt der Menschheit" in sich auf; der Eindruck formte sich zu einer großartigen Schilderung des Erlebten in dem an Goethe gerichteten Bericht über den „Montserrat bei Barcelona" 3 ). Zwei Tage hatte er "verbracht in dieser Gegend, „wo die Natur und ihre Bewohner in wunderbarer Harmonie miteinander stehen; wo selbst der Fremde, sich auf einige Augenblicke abgesondert wähnend von der Welt und den Menschen, mit sonderbaren Gefühlen auf die Dörfer und Städte hinabblickt, die in einer unabsehlichen Strecke zu seinen Füßen liegen". Dem Dichter der „Geheimnisse" berichtete er, daß sein Gedicht nun, nachdem er diese Gegend besucht, „an etwas in seiner Erfahrung anknüpfen konnte. . . Wenn ich aus den Tiefen grünbewachsener Klüfte emporblickte und Kreuze sah, welche heilig-kühne Hände in schwindelnden Höhen auf nackten Felsspitzen aufgerichtet, zu denen dem Menschen jeder Zugang versagt schien, so glitt mein Auge nicht wie sonst mit Gleichgültigkeit an diesem durch ganz Spanien unaufhörlich wiederkehrenden Zeichen ab. Es schien mir in der Tat das, zu dem viel tausend Geister sich verpflichtet, zu dem viel tausend Herzen warm gefleht I Lange habe ich mich nicht losreißen können von dem Gipfel dieses wunderbaren Berges, lange hab ich wechselweise meine Blicke auf die weite Gegend vor mir, die hier von dem Meere und einer schneebedeckten Gebirgskette umkränzt ist, dort sich ins Unabsehliche verliert, bald auf die waldigsten Gründe unter mir geworfen, deren tiefe Stille nur von Zeit zu Zeit der Ton einer Einsiedlerglocke unterbricht. Ich habe mich nicht erwehren können, diesen Platz als den Zufluchtsort stiller Abgeschiedenheit von der Welt anzusehen, wo die gewiß nur Wenigen ganz fremde Sehnsucht, mit sich und der Natur allein zu leben, volle und ungestörte Befriedigung genösse".

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Der Wanderer durch „viele wechselnde Lagen", auf der Suche nach seiner Bestimmung, wird berührt von einem Hauch jener großen mystischen Tradition katholischer Frömmigkeit. Und er versucht, das Leben des Einsiedlers, welches unter ästhetischem Aspekt ihn von selbst ansprach, auch von der religiösen Voraussetzung her zu erfassen. Gerade das sinnliche und reizbare Temperament des Spaniers scheint diesen eher als den Nordländer dazu neigen zu lassen, „Unabhängigkeit mit Einsamkeit zu erkaufen, um ungestört zu leben". Die religiöse Voraussetzung aber erklärt sich Humboldt, wie es nicht anders sein kann, ein wenig rationalistisch und in verblüffender Übereinstimmung mit der Interpretation, welche er dem „Traumleben" Rousseaus zu geben wußte — und so interpretiert er in beide, in Rousseau wie in die Eremiten vom Montserrat, ein gut Teil des eigenen Empfindens hinein. „Der Einsiedler lebt allein und ungestört; er kann seinen ganzen Tag sich selbst, seinen Gefühlen und den Dingen, die ihm lieb sind, widmen. Die geistliche Knechtschaft und die ewigen Andachtsübungen können dem einmal religiösen Menschen nicht schwer fallen. In der Einsamkeit des Einsiedlers sind die Andachtsübungen, einzelne Momente tieferen Gefühls abgerechnet, nichts als ein unbestimmtes Hinbrüten der Seele über einmal gewohnten Empfindungen, wie es leicht jeder, nur an anderen Gegenständen, an sich selbst erfahren wird, da es wohl nur wenige Menschen gibt, welche nicht einen großen Teil ihres Lebens hindurch gewisse Lieblingsempfindungen, Pläne oder auch nur Träume begleitet härten"1). Man sieht — diesem interpretierenden „Universalismus" blieb über das ästhetische Anschauen hinaus der innere Bezirk der Religion noch ein versiegeltes Buch. Denn der tiefe Antrieb zur Hingabe an Mächte, welche im eigenen Inneren ohne weiteres und im bloßen Träumen nicht zu finden sind, ist ein seelischer Vorgang, welcher gänzlich außerhalb seiner Erfahrung bleibt. So wäre denn wohl der empfindsame Vers „selig, wer sich vor der Welt ohne Haß verschließt" das abschließende Urteil W. Humboldts über eine der großen Lebensformen der Menschheit, die nicht nur am Montserrat und am Athos, sondern auch im Inneren Tibets und Chinas seit Jahrtausenden die gewaltige Macht der Askese zu einer millionenfach durchlebten Wirklichkeit werden lassen konnte. Der Universalismus der Individualität sieht sich in Grenzen gebannt, welche auch der entschlossene Wille des „nihil humani a me alienum puto" und die weitesten Reisen zu sprengen nicht vermögen. Von Barcelona reiste man in den letzten Märztagen durch das südliche Frankreich über Perpignan und Toulouse zurück. Am 18. April, nach einer Abwesenheit von acht Monaten, war Paris erreicht, wo man sich nochmals für mehr als Jahresfrist häuslich einrichtete1). Als dann im

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Juli 1801 wieder zur Reise gerüstet wurde, wies die Richtung nach Osten über den Rhein ; das Ziel, welches von Anfang an und immer wieder gelockt hatte, Italien, blieb, so schien es, vom Schicksal versagt. Spanisches Leben und spanische Kunst, spanischer Katholizismus in der betörenden Sinnlichkeit seiner Kathedralen wie in der herben Einsamkeit des Mönchtums, spanische Landschaft und spanische Städte, das Zeremoniell des Hofes wie der wilde Rhythmus des Fandango, die Grandezza der adligen Gesellschaft und das lebendige Leben des Volkes — „wer nie einen spanischen Eseltreiber mit seinem Schlauch auf einem Esel sah, wird sich immer nur ein unvollständiges Bild Sancho Pansas machen" 1 ) — alles das war in bunter Fülle in seine Erinnerung und in seine Phantasie eingegangen. Aber den eigentlichen Gewinn dieser Monate barg solche Fülle noch nicht. Jetzt auf dieser Reise war es Humboldt endlich klar geworden, wo er den Hebel anzusetzen habe, um die Welt seiner Ideen, die als moles indigesta auf ihm lastete, in Bewegung zu setzen: die Idee der Sprachvergleichung, als Kern jener seit langem erstrebten Anthropologie, hatte sich ihm erschlossen1). Schon von Madrid aus schrieb er an F. A. Wolf: „Eine gründliche und philosophisch angestellte Vergleichung mehrerer Sprachen ist eine Arbeit, der meine Schultern nach einigen Jahren ernsten Studiums vielleicht gewachsen sind.4. Erheblich zuversichtlicher klingt, was er der Pariser Freundin über diese Pläne berichten konnte, nachdem er mit der zweiten Reise in die baskischen Provinzen im Frühjahr 1801 den ersten Schritt auf der neuen Bahn getan hatte : „la seule chose dont il' s'agira, c'est de trouver des méthodes faciles et sûres de se procurer la connaissance de beaucoup de nations et de leurs langues et de leurs litératures . . . Je crois en apercevoir la possibilité en remontant celles sources et en jettant les fondemens d'une histoire analytique des nations et de leurs idiomes." Dies war der große und bleibende Gewinn der spanischen Reise geworden. Auf einen begrenzten Punkt, auf das Studium der baskischen Nationalität, bezog Humboldt seine Gelehrsamkeit und seinen ganzen Scharfsinn, bis ihm nach 5 Jahren der erste Abschluß auf diesem Gebiet zur Reife gedieh3), das Buch : „Die Basken, oder Bemerkungen auf einer Reise durch Biscaya und das französische Basquenland im Frühjahr 1801". Über zwei Menschenalter in der Handschrift verschollen, von Albert Leitzmanns Spürsinn erst vor einem Jahrzehnt entdeckt, ist dieses Werk der Grundstein geworden des mächtigen Baues, welchen Humboldt in der zweiten Hälfte seines Lebens mit dem oft unterbrochenen, aber nie fallengelassenen Studium der Sprachvergleichung aufgeführt hat. An diesem Studium, welches die zersplitterte „Beschäftigung" der letzten zehn Jahre ersetzte und zur Arbeit zusammenfaßte,

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wurde W . Humboldt aus einem in den Wissenschaften dilettierenden Aristokraten zum Gelehrten von Weltruf. Zugleich gewährte es ihm den inneren Halt in den bewegten Jahrzehnten, welche aus dem ebenfalls dilettierenden Diplomaten den Politiker von Beruf werden ließen.

Die Römischen Jahre. Mitten im frohen Berichten über das mancherlei Interessante, was schon der erste Teil der spanischen Reise geboten hatte, fiel es Humboldt auf, wie er das Ausland sorgfältiger beobachte und genauer kenne als die eigene Heimat: „ich habe den Fehler begangen, in meinem Vaterland immer (nur) das Beste sehen zu wollen; auf Reisen geht man jeder Kleinigkeit nach; es steht mir noch bevor, jetzt in Deutschland zu reisen"1). Diesen Vorsatz auszuführen, hätte sich nun wohl Gelegenheit geboten, nachdem die Familie Humboldt im August 1801 nach Deutschland zurückgekehrt war. Aber die Dinge nahmen einen ganz anderen Verlauf. Man verbrachte, nach kurzem Aufenthalt in Weimar, Erfurt und Burgömer, den Winter in Berlin, übersiedelte mit dem März an die stillen Havelufer von Tegel; aber der Bannkreis von Berlin wurde fast ein Jahr lang nicht überschritten*). Wie hatte Humboldt nach dem Umgang mit den Freunden sich gesehnt, wie hatten sie ihm aus der Ferne als die eigentliche Verkörperung deutschen Wesens gegolten I Nun er in Deutschland ist, tut er keinen Schritt mehr, um in ihrer Nähe den so lang entbehrten Genuß sich zu sichern; dem naheliegenden Gedanken, als dritter Teilnehmer an der ideellen Freundschaft der beiden Dichter „in Weimar sich zu etablieren", stehen unübersteigliche Hindernisse entgegen. Der Aufenthalt in der. kleinen Residenz mit ihrer engen Atmosphäre wird Humboldt bei seiner damaligen politischen Stimmung wenig gelockt haben. Aber nicht nur das. Weniger als vom Ausland bemüht er sich darum, die briefliche Verbindung mit den Freunden aufrecht zu erhalten. Fast ein halbes Jahr bleibt ein Brief Schillers ohne Antwort; Goethe erhält nur ein nichtssagendes Begleitschreiben für den nach Weimar reisenden Freund Gentz. Humboldt schweigt aus „mangelnder Stimmimg" zum Schreiben; familiäre Sorgen, gesellschaftliches Treiben und eine tiefe „Unlust an Berlin und der berlinischen Gegend" lassen ihn verstummen 3 ). Wieder hat das Mißvergnügen an seiner gegenwärtigen Lage, hat die alte Verstimmung sich seiner bemächtigt. Der Umgang mit Gentz, die Berührung mit A. W. Schlegel und dem Berliner Kreis der Romantischen Schule vermögen nicht, seine Sehnsucht zu befriedigen, welche, kaum daß er in der Heimat leben will, ihn wieder in die Feme lockt: vielleicht zurück nach Frankreich und nach Paris, wo mehr „Wirklichkeit" zu genießen war als in Berlin und Weimar. Und wo außerdem für

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die große geplante Arbeit der Sprachvergleichung, auf welche Humboldt seinen Lebensplan einzurichten nunmehr entschlossen ist, mehr Hilfsmittel der Forschung zur Verfügung standen als in der Heimat 1 ). Schon von Burgömer aus hatte er an Mme Stael geschrieben, nur ein bis zwei Jahre wolle er in Deutschland bleiben, um dann nach Paris zurückzukehren. Ebenso erscheint noch im Februar 1802 ihm wie der Gattin ein Leben in Paris als das „projet favori" ihrer Zukunft*). Da tritt im Frühjahr 1802 eine Wendung ein, welche geeignet war, Humboldts Glauben an das „impertinente Glück" als schicksalsbestimmten Begleiter seines Lebens aufs neue zu bestätigen. Die Sehnsucht nach einem längeren Aufenthalt in Italien, welcher bei der wachsenden Familie aus eigenen Mitteln nicht mehr zu bestreiten war, sollte sich erfüllen3). Der bisherige preußische Resident beim Heiligen Stuhl wollte in die Heimat zurückkehren. Durch seine gesellschaftlichen Verbindungen scheint Humboldt davon erfahren zu haben; nach einigem Zögern entschloß er sich, „bei dem König um diese Anstellung im diplomatischen Fach einzukommen". Es bedurfte der Nachhilfe von anderer Seite, um schnell zum erwünschten Ziel zu gelangen. Außer dem Grafen Haugwitz, dem damaligen Leiter des Auswärtigen Departements, und dem Kabinettssekretär Beymc ist der alte Minister Struensee mit seiner Fürsprache der Bewerbung besonders förderlich gewesen4). Eine Woche mußte Humboldt gar „hauptsächlich auf der Landstraße zwischen Berlin und Tegel'' verbringen, bevor nach einer peinlichen Zeit der Bemühung und Erwartung am 15. Mai seine Ernennung zum Residenten in Rom vollzogen wurde4). Mit dem Eigensinn des Träumers hatte er die Verwirklichimg seiner Wünsche erreicht, freilich nicht ohne das Opfer der einst so heftig erstrebten Unabhängigkeit bringen zu müssen. Wenn er diesen kostbaren Besitz preisgab, so hatte er doch verstanden, im Austausch dafür die seinen Wünschen genehmste Form der Abhängigkeit sich zu sichern. Nicht als Diener, sondern als Nutznießer des Staates betrat er die Laufbahn des preußischen Beamten4). Als Humboldt zehn Jahre zuvor dem Dienst absagte, war Dalberg der Meinung gewesen, er werde ganz bestimmt persönlich noch in ein starkes politisches Gedränge geraten. Und ein Berliner Bekannter, der Literat Leuchsenring, dem man dann später in Paris wieder begegnete, sagte richtig voraus, Humboldt werde künftig viel besser wieder in den Dienst hereinkommen, wenn er jetzt seinen Abschied nehme. Die Voraussage bewährte sich in doppelter Hinsicht. Einmal mit der stillschweigenden Voraussetzung, daß Humboldt eines Tages selbst wieder eine Brücke zum Staat und zum Staatsdienst suchen und betreten werde. Sodann mit der Annahme, daß der Wiedereintritt in die Geschäftslaufbahn

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unter viel günstigeren Bedingungen vor sich gehen könne, als wenn er später einmal im Stufenlauf des Beamtendaseins einen seinen Wünschen entsprechenden Platz beanspruchen sollte. Denn jetzt kamen ihm nicht nur seine standesgemäßen Verbindungen, sondern auch seine im Ausland erworbenen Kenntnisse sowohl der Sprachen als der politischen Verhältnisse im westlichen und südlichen Europa zugute. Mit dem Hinweis auf diese selbst erworbene Vorbildung konnten die Minister seine Ernennung sowohl wie die Betrauung mit der politischen Berichterstattung über die italienischen Zustände, welche er an Stelle des Geschäftsträgers in Neapel übernehmen sollte, nachdrücklich befürworten. Nach einem Jahrzehnt unabhängigen Lebens nimmt Humboldt die vormals so verabscheute Bürde des Staatsdienstes auf sich; aber sie wiegt ihm jetzt leichter, als es dereinst zu erwarten stand. Er kehrt zurück zu der in seinem Stande üblichen Lebensform; freilich, ein Bekehrter ist er nicht, was seine innere Stellung zum Staat anlangt. Der Wiedereintritt in die diplomatische Laufbahn dient, wie es der Abschied gesollt und getan, ausschließlich dein Zweck der wünschenswerten Gestaltung des persönlichen Lebens. Der römische Posten bot mit seiner Besoldung eine reichliche Zubuße zu den eigenen Mitteln; er vermittelte in der denkbar angenehmsten Form den Zusammenhang mit jenen Versorgungsmöglichkeiten, welche der Staatsdienst mit sich brachte1). Er gewährte endlich dem in geistiger Rezeptivität übersättigten Humboldt, dem es nicht gelingen wollte, auf einem der vielen durchforschten Gebiete geistiger Arbeit zu fruchtbarer Tätigkeit zu gelangen, die Genugtuung, daß seine Tage nunmehr mit einer zwar gewöhnlichen, aber regelmäßigen und in gewissem Sinn notwendigen Tätigkeit ausgefüllt waren. Und er gewährte ihm noch mehr: die emstlich betriebene diplomatische Berichterstattung brachtc seine Beobachtungsgabe wie seine Urteilskraft zur Entfaltung und zur Geltung. Seine römischen Depeschen wurden die Grundlage, auf welcher seine Anwartschaft auf eine Verwendung im hohen Staatsdienst beruhte. Es ist mehr als nur persönliches Geschick, was in dieser Wendung von Humboldts Leben seinen Ausdruck findet. Hermann Grimm bemerkt einmal in seinen Vorlesungen über Goethe, daß das „Politische" im heutigen Sinn für die damalige Zeit nicht existiert habe. Es ist eine geistvolle Bemerkung, aber sie ist nur zur Hälfte zutreffend. Denn die Epoche des politischen Interesses und des politischen Aufstieges in Deutschland stand vor der Tür. Und es gab außer den reinen und unbekümmerten Literaten der Romantik niemand von einigem geistigem Wuchs, der sein Leben ganz außerhalb des Bereiches jenes Schattens hätte halten können,

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welchen der werdende deutsche Staat-des 19. Jahrhunderts in die klassische Epoche vorauswarf. Im Beamtentum und seiner Wirksamkeit, mochte der Staat so klein sein wie Weimar-Eisenach, eröffnete sich dem gebildeten und geistigen Menschen der Bereich, in welchem Geist und Bildung zur geschäftlichen Wirksamkeit, zur Tat gelangen konnten. Denn der Beamte, der „Geschäftsmann", den wir aus Goethes Romanen kennen, ist neben dem Pädagogen der moderne Mensch jener Jahrzehnte, in welchen noch keine Technik, kein entwickeltes Wirtschaftsleben die Talente der Organisation an sich zu ziehen vermochte. Wer einen tieferen Blick in die Denkschriften jener Beamtengeneration getan hat, welche, damals vorgebildet, die Reformen von 1807 durchführte, wird einen starken Eindruck davontragen von der kraftvollen Zuversicht, mit welcher manche große Begabung gerade den Staat als das fruchtbarste Feld einer Wirksamkeit „für die Menschheit" betrachtete. Und im letzten Grunde lief das Bestreben dieser Männer der Reform, den Bürger in der Selbstverwaltung zum Gemeinsinn zu erziehen, auf nichts anderes hinaus, als die besten Eigenschaften des zum Dienst an der Allgemeinheit erzogenen Beamtentums auf eine neue und breitere Schicht des Volkes zu übertragen. Der Ernennung folgte eine Zeit der Vorbereitung auf die kommende, dem Gegenstand nach ihm ganz fremde Tätigkeit, wobei Humboldt sich in die laufenden Akten einzuarbeiten hatte. Durch die polnischen Teilungen war die Zahl der katholischen Untertanen Preußens erheblich angewachsen, und die nach ihrer Tradition wie nach ihrer Tendenz ganz auf das Prinzip des kirchenregimentlichen Territorialismus eingestellten Minister des Generaldirektoriums saheit sich damit vor unbekannte und schwierige Aufgaben gestellt1). In jenen Monaten verhandelte Preußen mit der Kurie über die Frage der Kloster-Visitationen in den neuen Landesteilen, wobei von einigen preußischen Stellen der Gedanke des Abschlusses eines Konkordats zur Diskussion gestellt wurde. Dieser Gedanke widersprach durchaus der territorialistischen Lehre, welche das landesherrliche Jus circa Sacra in keiner Form mit einer vertragsmäßigen Einflußnahme der Kurie auf kirchliche Angelegenheiten belastet wissen wollte. Gerade zu dieser Frage sollte Humboldt nach Lage der Akten Stellung nehmen. Er tat es mit einer längeren Denkschrift, welche den Gedanken des Konkordats scharf ablehnte und auch sonst sich nachdrücklich auf den herkömmlichen Standpunkt stellte; man hat sie als ein „idealistisches Programm der preußischen Kirchenpolitik" bezeichnet. Als ihr Ziel stellte Humboldt charakteristischerweise auf, „der katholischen Religion in den preußischen Staaten, ohne ihr im mindesten Zwang oder Gewalt anzutun, alle die nachteiligen Einflüsse zu nehmen, welche sie sonst fast überall auf die Moralität und die Aufklärung des Volkes ausübt"'). Auf den Gang

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der ¡Verhandlungen, welche noch von seinem Vorgänger abgeschlossen wurden, hat die Denkschrift keinen Einfluß mehr nehmen können; doch fand sie die volle Anerkennung der neuen Vorgesetzten. Sie diente dann zur Grundlage für die Ausarbeitung der Instruktion, welche ihm auf seinen Posten mitgegeben wurde; sein Vorgänger, mehr philologischer Dilettant als Diplomat, war noch ohne einen solchen grundsätzlichen Wegweiser auf dem schwierigen Boden tätig gewesen 1 ). Nicht die Einzelheiten dieser diplomatischen Dienstanweisung sind heute noch der Beachtung wert, wohl aber der Geist, welcher aus ihr spricht, und die Art, wie der Freund Schillers und Goethes zu diesem Dokument, welches die Richtlinien für seine erste berufliche Tätigkeit enthielt, Stellung nahm. Erinnern wir uns des „metaphysischen Konzils" vom Mai 1798, an welchem Sieyès teilnahm, um bald darauf nicht nur als Gesandter der Republik, sondern als Repräsentant der Ideen von 1789 nach Berlin zu gehen. Jetzt begab sich der andere hervorragende Teilnehmer jener Zusammenkunft, Wilhelm Humboldt, nach Rom, nicht nur als Gesandter des preußischen Königs, sondern als Repräsentant der protestantischen Aufklärung. Und er übernahm diese Rolle nicht nur, weil seine Instruktion ihn dazu anwies, sondern weil sie mit seiner eigenen Stellung zur römischen Kirche und mit seiner Ansicht von der geistigen Weltlage übereinstimmte. Weil man sich einer solchen Haltung von ihm versehen konnte, hatte man ihn vorgeschlagen. „Élevé dans la Religion Protestante et imbu des principes d'une saine philosophie, il est à l'abri des prestiges de Rome", so hatte es in dem ministeriellen Bericht geheißen. Deswegen erhielt er die Weisung, „einen forschenden Blick auf das Ganze zu richten, und mit historischen Kenntnissen und philosophischem Scharfblick einzudringen . . . in das System des römischen Hofes als einer hierarchischen Macht". Beobachten sollte er „auf der einen Seite die Fortschritte des Geistes der Zeit und dessen, was von demselben gut und was nicht gut ist; ferner die Fortschritte der Aufklärung, der Philosophie, der Wissenschaften, die dem Katholizismus, der Hierarchie, dem Klosterwesen widrige Wirkung hiervon, die heimliche oder öffentliche Reaktion dieser alten, auf Opinion beruhenden Kräfte." Darum habe er dem Treiben der „Exjesuiten" besondere Aufmerksamkeit zu widmen2). Ob je wieder eine so philosophische, so „ideengeschichtliche" Instruktion einem preußischen Gesandten erteilt worden ist? Mit wie entschlossenem Mut sah das von dem neuen „Geist der Zeit" selbst bedrohte preußische System der Abrechnung mit dem scheinbar dem Untergang verfallenen Gegner aus dem Geisteskampf der letzten Jahrhunderte entgegen! Welch eine Meinung von den Fähigkeiten des neuen Residenten setzte der hier beschriebene Umfang seines Beobachtungsfeldes voraus!

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Mit einigem Grund mochte er sich „über die unverdient schmeichelhafte Fassung einiger Stellen der Instruktion in der Tat beschämt fühlen". Aber erwartete man wirklich zuviel von Humboldt, wenn man ihn zum amtlichen Beobachter des „Geistes der Zeit" machte? Hatte nicht gerade dieser Gegenstand in den letzten Jahren seine Aufmerksamkeit in besonderem Maße auf sich gezogen in Paris, in Spanien, wo wir ihn so lebhaft für die Aufklärung eintreten sahen? Hatte nicht eins seiner geplanten Werke „der auf genauen historischen Kenntnissen gegründeten philosophischen Darstellung des Charakters unseres Jahrhunderts" gelten sollen? Was ihn in der Theorie so nachhaltig beschäftigt hatte, pollte nun die vornehmste Aufgabe seiner ersten Tätigkeit in der Wirklichkeit des politischen Lebens ausmachen. Als Vertreter des „18. Jahrhunderts" zog er von Berlin seinen Weg nach Rom und trat mit diesem Bewußtsein in der Antrittsaudienz dem Papst gegenüber. Wie erstaunte er, als in der fast einstündigen Unterhaltung zutage trat, daß der Hierarch in ihm wohl einen Vertreter des aufgeklärten Jahrhunderts empfing, aber nicht der „kulturellen" Aufklärung, sondern des aufgeklärten Friderizianismus, welcher „hier wegen des den Jesuiten gewährten Schutzes in großer Achtung steht"1). Mochte Humboldt bei seinem Abschied von Berlin die künftige Tätigkeit ganz unter dem Gesichtspunkt betrachten, daß sie „auch in den katholischen Teilen der königlichen Staaten Aufklärung und Gewissensfreiheit zu verbreiten" helfen sollte — seine innere Anteilnahme galt bald genug, nicht mehr dem „Geist der Zeit", seinen Gebrechen und seinen Fortschritten; sondern sie wurde ganz hingenommen von den Eindrücken römischer Vergangenheit, sie ging ganz ein in die „Idee" der Antike, welche als ein erlebter Traum sein Denken und Empfinden erfüllte. Wenn der Umkreis seiner eigentlichen Geschäfte auch enger war, als der jenes ihm zugewiesenen geistigen Beobachtungsfeldes, so nahm ihre Erledigung doch einen nicht geringen Teil von Humboldts Zeit in Anspruch. Das Personal der Residentur bestand aus ihm allein; für alle Arbeiten, für das Chiffrieren und Dechiffrieren der Depeschen von und nach Berlin, für die Vermittlung des Schriftverkehres zwischen den preußischen Bischöfen und der Kurie war er auf die eigene Feder angewiesen4). Darin bestand in der Hauptsache seine Tätigkeit; ihr Ziel war, unter Wahrung der Rechtslage nach der Berliner Auffassung, den Nachrichtenverkehr der katholischen Geistlichkeit mit Rom unter der Kontrolle des preußischen Staates zu behalten. Um die Fragen, welche aus dieser Aufgabe erwuchsen, dreht sich im wesentlichen der Schriftwechsel mit dem Auswärtigen Departement. Daneben ist Humboldt bald darangegangen, auch dem zweiten Teil seines Auftrages, der allgemeinen Berichterstat-

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tung über die politische Entwicklung Italiens, zu genügen. Hier war er, soweit es sich um Vorgänge außerhalb Roms und des Kirchenstaates handelte, auf die Berichte aus zweiter Hand angewiesen. Denn zu eigenen Reisen auf der Halbinsel werden ihm nicht nur die Mittel, wie er gelegentlich durchblicken läßt, sondern vor allen Dingen die Neigung gefehlt haben, sich von dem Zauber Roms und seiner Landschaft zu trennen. Trotzdem haben diese Arbeiten seinen Blick für die große Politik geschult und seine Vorgesetzten — seit 1804 zählte Hardenberg zu ihnen — auf seine Fähigkeit zur diplomatischen „Interpretation" der politischen Wirklichkeit aufmerksam gemacht. Ohne den hier erbrachten Beweis seiner Begabung würde Humboldt kaum im Jahre 1810 die wichtige Gesandtschaft in Wien erhalten haben1). Die Zukunft des Patrimonium Petri beurteilte er sehr bald und mit vollem Recht durchaus pessimistisch. Die Kurie vermochte den finanziellen Folgen der politischen Umgestaltung Italiens von ihrer verengerten Basis aus nicht mehr Herr zu werden. Sie war in ewiger Geldverlegenheit; Rom war verödet und von Hungersnot dauernd bedroht. Eine verkommene und unglückliche Bevölkerung hatte ihr Wesen im Schatten der ungeheueren Denkmäler einer welthistorischen Vergangenheit. „Ohne sonderlichen prophetischen Geist läßt sich sagen, daß Rom seinem politischen Untergang naht. Die päpstliche Regierung, deren Glanz und Größe immer mehr auf der Meinung Anderer und eigenem Stolze beruhte, hat jetzt, da diese beiden Stützen wanken, ganz ihren Charakter verloren. Wenn man es sich hier auch nicht immer geradezu gesteht, so fühlt man doch, daß es nur eine erbettelte Existenz ist, die ihr noch verstattet wird. . . Da der Glanz nun gewichen, so sieht man die ungeheueren und schaudererregenden Blößen"2). Das waren die Eindrücke, wie Humboldt sie im ersten römischen Brief an Schiller zu melden hatte; und ganz übereinstimmend lauten seine amtlichen Berichte. Der alte Gegner des preußischen Staates schien ungefährlich und unter politischem Gesichtspunkt in seinen matten, aber zähen Lebensäußerungen kaum noch der Beachtung wert. Doch mit seinem persönlichen Geschick knüpfte Humboldt je länger desto fester sich an die Hoffnung auf den Fortbestand der Kurie. Denn nur unter dieser Voraussetzung war seine diplomatische Stellung gewährleistet und mit ihr die Dauer dieses unendlich beglückenden Zustandes erfüllter Sehnsucht, in dem er sich seit dem ersten Schritt auf römischem Boden befand. iDas persönliche Glück eines „Gesandten der Aufklärung" im ewigen Rom war an den Bestand des verachteten hierarchischen Systems gebunden — eine der verblüffenden Paradoxien, an denen Humboldts Leben ebensoreich war wie sein Denken und sein Gespräch8).

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Diese Absonderlichkeit war nicht die einzige an Humboldts Lage. Wie er sein Schicksal mit dem Bestand des Kirchenstaates einerseits verbunden wußte, so hatte er andererseits seiner Tätigkeit noch Bindungen auferlegt, welche die beruflichen Geschäfte vermehren mußten. Nicht nur seine preußische Heimat, sondern auch zwei kleine Landesfürsten, denen durch den Reichsdeputationshauptschluß katholische Untertanen zugewachsen waren, hat er als diplomatischer „Agent" vertreten: den Landgrafen von Darmstadt und den aus den Niederlanden vertriebenen Erbstatthalter und nunmehrigen Fürsten von Fulda, den dem Königshaus verschwägerten Prinzen von Nassau-Oranien. Auch um die Vertretung des badischen Kurfürsten bei der Kurie hat Humboldt sich bemüht1). In erster Linie hat wohl die Rücksicht auf vermehrtes Einkommen die Häufung von „Bedienungen" veranlaßt, welche den preußischen Residenten als einen der letzten Vertreter jener diplomatischen Aristokratie des Ancien Régime erscheinen läßt, welche es wohl verstand, mehreren Herren auf einmal zu dienen. So überlebt heute diese Form des Beamtentums erscheint, konnte Humboldt doch in seinem Bewerbungsschreiben um die badische Vertretimg darauf verweisen, daß gegenüber dem bisherigen Brauch der deutschen Kleinfürsten, sich für die Erledigung ihrer Geschäfte eines ortsansässigen Agenten aus dem römischen Klerus zu bedienen, die Beauftragung eines von der Kurie unabhängigen Mannes einen erheblichen Fortschritt für die Wahrung der landesherrlichen Gerechtsame bedeuten müsse. Gerade diesen Gesichtspunkt, daß Humboldt ebenso wie sein Vorgänger Uhden für die bisherigen „Usancen" der Agenten sich unzugänglich gezeigt und durch pflichtmäßige Uneigennützigkeit sich als Diener des Königs und des Staates im vollen Sinne des Wortes erwiesen, dadurch der Residentur wirkliche Würde und völlige Unabhängigkeit gegeben hätte — gerade diesen Gesichtspunkt hob Hardenberg in einem Bericht hervor, mit welchem er eine Erhöhung des Gehaltes für Humboldt im Frühjahr 1806 beantragte8). Außer den persönlichen Vorteilen verfolgte Humboldt bei dieser Ämterhäufung auch einen sachlichen und kirchenpolitischen Gesichtspunkt. Die staatliche Umwälzung, welche der Reichsdeputationshauptschluß für das Deutsche Reich bedeutete, brachte in Zusammenhang mit der Aufhebung der geistlichen Fürstentümer wieder die Frage auf, ob nicht durch Vermittlung des Kaisers ein Reichskonkordat abzuschließen wäre. Humboldt als erklärter Gegner jeder Art von Konkordat dachte daran, dieser Gefahr mit einem kirchenpolitischen Fürstenbund der von ihm vertretenen und anderer protestantischer Stände zu begegnen, um zu verhindern, daß die alten gegnerischen Mächte Norddeutschlands, die

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Kurie im Einverständnis mit dem Kaiser, neues Ansehen und neuen Einfluß auf die Reichspolitik erhielten. Hierbei trat er wieder als Gegner dem alten Freunde Dalberg gegenüber, der nunmehr als letzter Kurerzkanzler das Projekt des Konkordates besonders eifrig betrieb. Doch sorgte Napoleon dafür, daß weder aus der einen noch der anderen Idee der beiden feindlich-befreundeten Staatstheoretiker etwas wurde'). •

* *

Noch unter dem Zauber des ersten Eindrucks der Metropole der alten Welt hatte die immer rege Reflexion Humboldts bereits den ganzen Ertrag der kommenden Jahre auf eine „Formel" zu bringen gewußt: die einsamen Spaziergänge durch Rom sollten sein größter Genuß werden. Denn „das habe ich bisher charakteristisch und auf mich von wohltätiger Wirkung gefunden, daß man unter großen Monumenten einsam umherwandelt, daß man sich ebenso s e i n e n Gedanken, s e i n e n Empfindungen überläßt, als wäre man in der freien Natur. Die tiefen Gefühle der Seele zu wecken . . . bewirken in Rom die ungeheuren MonuiAente der neueren, die rührenden der alten Zeit, in Paris . . . tat selbst das Gewühl, das wie das Bild einer bewegten Welt die Einbildungskraft ergriff, dasselbe . . . einmal über das andere fällt mir ein: „Aber Rom in allem seinem Glänze ist ein Grab nur der Vergangenheit!" Wohin man blickt wird man in das Altertum hinübergezogen, und gern wendet man die Augen vom heutigen Elend und der heutigen Erbärmlichkeit ab" 4 ). Das Motiv der süßen und melancholischen Melodie, welche die nächsten Jahre durchklingt, war angeschlagen und sollte sich immer schwellender entfalten bis zu jenem vollen Klang in einem seiner schönsten Gedichte3): „Stadt der Trümmerl Zufluchtsort der Frommen! Bild nur scheinst Du der Vergangenheit; Pilger Deine Bürger, nur gekommen, Anzustaunen Deine Herrlichkeit; Denn vor allen Städten hat genommen Dich zum Thron die allgewaltge Zeit. Daß Du seist des Weltenlaufes Spiegel, Krönte Zeus mit Herrschaft Deine Hügel." „Anzustaunen deine Herrlichkeit" — das wurde der Inhalt dieser sechs Jahre, welche für Wilhelm Humboldt am Ufer des Tiber vergingen ünd sein Leben in einen Traum verwandelten, nachdem der alte Traum zu wirklichem Leben geworden war.

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Heiterer, als der gedämpfte Klang dieser Verse vermuten läßt, war die innere Stimmung zu Beginn des römischen Aufenthaltes gewesen. Die Melancholie der „himmlischen Einöde" fand noch kein Echo in Humboldts eigenem Erleben, wie es nach dem schnellen Tode des ältesten und geliebtesten Knaben im Spätsommer 1803 der Fall sein mußte. Zunächst erging es Humboldt in Rom, wie es ihm in Paris ergangen war: die neue Umgebung wirkte anregend und belebend. Sie bannte jene Verstimmung, welche sich seiner im Berliner Winter bemächtigt und ihn sehr bedrückt hatte. Gegen diese immer wiederkehrenden Depressionen schien nun endlich das Heilmittel gefunden. Es war ein einfaches Mittel: nichts anderes als die berufliche Tätigkeit mit ihrer schlichten Erledigung obliegender Aufgaben und mit der Ausfüllung des vom übersättigten Genießer oft als leer empfundenen Tagelaufes. In einer „Art von Abstumpfung" sei er nach Rom gekommen und fühle nun, nach Ablauf eines Jahres, daß er viel gewonnen habe, so berichtet er an Brinckmann. Er wolle nicht behaupten, daß Paris oder Berlin an jenem Zustand der Unbefriedigung schuld gewesen seien. Vielleicht liege sie bei seinem „inneren Bedürfnis, durch neue Umgebungen neue Anstöße zu erhalten, und bei einem gewissen Unvermögen, sich auf eine eigentlich interessante Art zu beschäftigen". Es ist ein beachtenswertes Geständnis, wenn der Verkünder der unbedingten Selbstgenügsamkeit des Menschen einräumen muß, „daß, wenn alle Zeit nur Zeit der Muße ist und gar kein Zwang eine bestimmte Zeitanwendung fordert, man manche Zeit verliert". Als Befreiung also von einem unerträglich gewordenen Maß an „Freiheit zur Möglichkeit" wurde nun der mit dem Amt verbundene Zwang zu bestimmter Zeitanwendung, zur simplen Entscheidung im Augenblick empfunden. Tief habe es auf ihn gewirkt, so schreibt er im Herbst 1804 an die in Paris weilende Gattin, daß mit der „bestimmten, wenn auch gewöhnlichen Tätigkeit an die Stelle unbestimmter Zwecke eine Lebensart getreten ist, die wenigstens alle Zweifel über die Art der Tätigkeit ausschließt"1). Es war ein Mann von fast 40 Jahren, ein Mann von seltener Begabung, dem überdies aller Genuß des Lebens in fast unbegrenzter Fülle zu Gebote gestanden; es war der Verächter aller gewöhnlichen Wirklichkeit, der Prophet der von der Natur zur Harmonie bestimmten, sich selbst genügenden Individualität, welchem endlich die Erkenntnis der unerläßlichen Bedingungen des Daseins dämmerte, und welcher mit dieser Erkenntnis gerade auf Grund des ihr voraufgegangenen Erlebens die Ideale seiner Jugend und das von ihnen bestimmte Lebensprogramm als unausführbar preisgeben mußte. Nicht nur aus den äußeren Sorgen, sondern aus den oft empfundenen, selten so offen eingestandenen Nöten der inneren Lebensgestaltung hat der verachtete Staat ihm die BefreiK a e h l e r , Humboldt.

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ung gebracht. Seitdem jene Zweifel „unbestimmter Zwecke" gebannt waren, hat erst jene innere Heiterkeit, jene wirkliche Selbstsicherheit von ihm Besitz ergriffen, welche ihn der Mitwelt wie der Nachwelt als eine von Natur ausgeglichene, „klassische" Persönlichkeit zu Unrecht erscheinen ließen. E s war nicht etwa der augenblickliche Eindruck der neuen Lebensform, auf welchen die Einsicht in die Notwendigkeit gerade dieser Beamtentätigkeit für eine befriedigende Gestaltung seines Daseins sich gründete. Auf der Höhe des Lebens wie des Berufes, im Herbst 1813, wurde der durch die Erfahrung eines Jahrzehnts bestätigten Überzeugung Ausdruck gegeben mit folgenden Worten: „Was ich jetzt und nun seit Jahren treibe, ist mir im 'Grunde fremd und stammt nur so nebenher aus meinem Innern. . . Aber aus einem anderen Grunde tue ich, was ich tue, gern und setze es fort und werde es fortsetzen. In bloßer Beschäftigung mit Ideen werde ich aus tausend Gründen, die ich sehr gut kenne, nicht viel zustande bringen. Bei diesem Herumtreiben in der Wirklichkeit dagegen viel mehr . . . Großes Genie werde ich auch hierin nicht zeigen. Ich bin einmal nicht gemacht zum Hervorbringen und Wirken, dazu muß man mit einem gewissen Eigensinn und selbst mit Einseitigkeit eine einmal gefaßte Meinung durchsetzen" 1 ). So hat Humboldt nach eigenem Bekenntnis sich dem Dienst an der Gemeinschaft eingegliedert, um seinem Dasein den Halt zu verschaffen, den er ihm selbst nicht zu geben vermochte. Eben darum hat er sich von diesem „Dienst" nicht getrennt, obwohl sein Druck immer und immer wieder unerträglich zu werden schien. Der Gedanke: „am Ende brauchen wir den Dienst nicht, wenn er einmal unangenehm würde" 2 ), ist nicht nur in Rom, nicht nur bei der Übersiedlung nach Berlin, sondern er ist während der ganzen politischen Laufbahn Humboldts erwogen — und nie ausgeführt worden. Vielleicht, daß sich in diesem Spiel mit der Möglichkeit der letzte Rest von romantischer „Ironie" verbarg; vielleicht, daß diese „Ironie des Schicksals", die dem Enthusiasten der Freiheit die Bindung durch das Amt unerläßlich machte, mit ihrer dauernden Spannung zum „Anlaß" eines „schmerzlichen Genusses" wurde. Sicher jedenfalls ist, daß mit dem Eintritt in den Beruf die Lebensgestaltung selbst dem Banne eines romantisierenden Subjektivismus endgültig entzogen wurde. E s war ein entscheidender Gewinn. Doch gegen den Gewinn mußte ein Verlust eingetauscht werden — das war der Umgang mit den Weimarer Freunden, auf den Humboldt in Paris und in Spanien so große Hoffnung gesetzt hatte. In Deutschland aber, so sahen wir, ließ Humboldt es im Herbst 1801 mit einer flüchtigen Begrüßung in Weimar bewenden; auch der Abschied beim

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Aufbruch nach Italien wurde auf drei knappe Tage bemessen. Fast hat man den Eindruck, als ob Humboldt den Freunden, welche ihm doch nach seiner wiederholten Versicherung „die Heimat" bedeutet hatten, mit Absicht aus dem Wege gegangen sei; als ob die Begegnung mit Schiller, der gerade in diesen Jahren die größte Schaffenskraft entfaltete, dem Freunde das Bewußtsein der eigenen geistigen Unfruchtbarkeit bei der Rückkehr von der an Eindrücken so reichen Wanderschaft besonders spürbar habe werden lassen. „Ewig wird es mich schmerzen," so schreibt Humboldt ein Jahr später im Rückblick auf diese Tage, „daß zum letzten Male Sie mich in einem Augenblick sahen, wo ich deprimierter als je war. Es war der Moment des Überganges. Ich war unzufrieden (in Rücksicht auf mich selbst und meine Tätigkeit) mit meiner Existenz und ungewiß der folgenden. Sie würden jetzt zufriedener mit mir sein"1). Unerwartet schnell erfolgte die abermalige Übersiedlung ins Ausland; noch unvermuteter kam der Eintritt in den Staatsdienst; alle Anzeichen einer erneuten Krise begleiten beides. Sollte die Vermutung ganz irrig sein, daß ein Gefühl der Enttäuschung, die Ahnung etwa, daß die schönen T a g e der Jenaer Zeit sich nicht wiederholen könnten, in seinen Entschluß hineingespielt habe? Hatte auch diese letzte Auskunft, durch „intellektuellen Genuß", welchen er den Freunden vermittelte, die eigene Produktivität ersetzen zu wollen, jetzt versagt? „Die abermalige Trennung von Ihnen, Goethe und Körner, ist das, was mich eigentlich schmerzt. Aber wie wenig haben wir uns auch jetzt genossen, und wie wenig Aussicht war für die Zukunft I" „Wenig Aussicht" — bei einer völlig unabhängigen Lage? Bei der Möglichkeit, in Erfurt, auf den thüringischen Gütern sich einzurichten, wenn Weimar selbst für unmöglich galt; oder für Wochen wenigstens von Berlin herüberzukommen, oft erörterte Pläne gemeinsamer Reisen zu verwirklichen? Denn das wäre für Humboldt ein Trost und die ideale Lösung geworden, wenn Schiller ihm nach Italien gefolgt wäre: „wir verlebten dann glückliche Monate in deutschem Gespräch unter italiänischem Himmel l" s ) So aber stand es nun wohl um Humboldt: Zaungast an dem reichen Garten von Weimar mochte er nicht mehr sein; solange er nicht selbst ein Feld bestellt, festen Boden unter den Füßen hatte, — und wäre es der des bescheidenen diplomatischen Amtes — solange übte der Freundeskreis nicht mehr Anziehung genug aus, um ihn in Deutschland und in der bisherigen „abstumpfenden" Lebensform festzuhalten; vielleicht sogar waren es die Freunde, welche ihn in die Feme trieben ? Zu entscheiden sind diese Fragen nicht, wohl aber zu bedenken. Jedenfalls, kaum daß er in Rom nun wirklich festen F u ß gefaßt, daß er die beglückende Wirkung dieser Umgebung mehr und mehr verspürt, so 13*

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regt sich mit Macht die alte Sehnsucht nach den Freunden. Mit fast den gleichen Worten wie in Paris äußert sie sich. „Je mehr ich mich von Deutschland entferne, desto mehr schlägt mir der Deutsche in den Nacken. Solange man drin ist, sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht. . . Das Herz wird einem im Ausland doppelt offen für deutsche Laute und vor allem in Italien, wo Land, Himmel und Altertümer empfänglicher machen. . . Daß der Mensch doch immer so fest an dem Boden kleben muß! Denn eigentlich ist der Unterschied zwischen einem Baum und einem Menschen nur der, daß der Mensch seine Wurzeln mit sich schleppen kann. Mit tiefen und schweren Wurzeln hängt doch auch der Freieste und Unabhängigste immer an dem Boden, auf dem er einmal steht." Da war sie wieder — die „süße Sehnsucht nach den Gräbern seiner Freuden", die ihn früher erfüllt, und mit der er nun der Freunde gedenkt, welche in der Ferne und unerreichbar bleiben würden, trotz der verschiedenen Pläne für einen römischen Aufenthalt sowohl Schillers wie besonders Goethes, welche er eingehend entwickelt1). Und auch die andere Sehnsucht meldet sich wieder — „die große Sehnsucht nach einer wichtigen Arbeit. Wenn ich von einer Sehnsucht nach einer Arbeit spreche, so ist es eigentlich die, aus mir herauszulegen, was mich innerlich bewegt, was das Resultat sehr ernstlichen Nachdenkens und mancher Erfahrung ist. Aber eben weil es das ist, so entgeht es mir wie eine Kugel; ich finde keine Handhabe und keine F o r m . . . Darum werde ich ewig in einer Art schwermütiger, unbefriedigter Sehnsucht bleiben, bis er mir gelingt, oder bis von keinem Gelingen und Mißlingen mehr die Rede ist". Noch lange sollte diese Sehnsucht unbefriedigt bleiben — soweit nicht die ungezählten Briefe, in späteren Jahren zumeist an die Gattin gerichtet, ihr die vorläufige Befriedigung gewährten, „herauszulegen, was ihn innerlich bewegte"*). Da aber der neue Schauplatz seines Lebens den Trieb zur Arbeit in ihm belebte und förderte, so ist während der römischen Jahre eine Reihe von großangelegten Entwürfen entstanden, die nur eben den alten Fehler aufweisen, daß „ihre Details ein Menschenleben erfordert" hätten. Ein Abschluß allerdings gelang: die Ausarbeitung der baskischen Reisebeschreibung wurde in den beiden ersten Jahren zu Ende geführt. Es ergab sich von selbst, daß Rom seinen Geist zurückführte in das Altertum; daß er die alten Schriftsteller von neuem las und gerade in dieser Umgebung sie besonders genoß: „von dem Reiz, den die Lektüre der römischen Klassiker hier hat, kann man sich anderwärts schlechterdings keinen Begriff machen" 3 ). Den literarischen Werken der Antike blieb seine Teilnahme mehr zugewendet als den archäologischen Forschungen, welchc in jenen Jahren besonders in Aufnahme kamen. Sein Interesse

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war auch jetzt noch mehr ästhetisch als eigentlich wissenschaftlich bedingt. Denn mehr als die realen Antiquitäten fesselte ihn die „Idee" der Antike, deren Erfassung und Darstellung zwei Werke dienen sollten: „Latium und Hellas, oder Betrachtungen über das klassische Altertum" entstand im Jahre 1806; die „Geschichte des Verfalls und Untergangs der griechischen Freistaaten" während des folgenden Jahres. Beide Arbeiten, aus diesen Studien der alten Schriftsteller, besonders des Demosthenes erwachsen, sind unvollendet geblieben; die zweite ist über die allgemeine Einleitung in „den griechischen Charakter und seine idealische Ansicht" nicht hinausgediehen. Humboldt behielt recht: „was ich arbeiten möchte, will sich noch nicht in mir gestalten". In einem Exkurs zu „Latium und Hellas" handelte er über „die Sprache als Erkenntnisquelle für die eigentümliche Geistesform einer Nation" und damit über einen Gegenstand, um den sich die wissenschaftliche Arbeit seines späteren Lebens endgültig zusammenschließen sollte1). Wenn die Arbeit sich nicht nach Wunsch gestalten wollte, so gestaltete sich um so reizvoller und reicher das Leben selbst. Da die amtliche Tätigkeit nur einige Tage in der Woche in Anspruch nahm, so blieb Zeit genug zu den geliebten einsamen Gängen durch die ewige Stadt und in die römische Landschaft. An ihrem grandiosen Bild konnte der Blick von seinem Arbeitstisch aus sich weiden, solange die Villa di Malta auf dem Monte Pincio die Familie beherbergte. Das neue, anfangs 1803 bezogene Quartier des Palazzo Tomati entschädigte für den Verlust an Schönheit durch besseres Unterkommen, als man erwartet hatte. Hier bildete des Abends, wie einst in Jena und Paris, der Teetisch der Frau von Humboldt, an dem echter russischer Karawanentee, durch die Vermittlung des Freundes Wolzogen aus Petersburg bezogen, gereicht wurde, den Mittelpunkt einer geistig angeregten und bunt zusammengewürfelten Geselligkeit. Neben dem Erbprinzen von Strelitz, dem Bruder der Königin Luise, fand sich Lucien Bonaparte; Madame de Stael ging durch diese Räume wie Berthel Thorwaldsen. Aus der geistlichen Aristokratie waren die markantesten Gestalten der Kardinalstaatssekretär Consalvi und der Kardinal Ruffo-Baranello, dessen abenteuerlicher Kampf gegen die Franzosen in Süditalien zu einer Schilderung von Menschen und Ereignissen hinzureißen vermochte, wie sie Humboldt so lebendig und farbenreich kaum wieder gelungen ist. Der jungen Generation deutscher Künstlet gegenüber, unter denen Rauch und der Maler Schick wohl die bedeutendsten waren, ward ein Mäzenatentum bewiesen, welches über bloße Gastfreiheit weit hinausging. Fühlte Humboldt der Kurie gegenüber sich als Vertreter der deutschen Aufklärung, so war sein Haus eine Stätte der geistigen und künstlerischen Repräsentation des neuen deutschen Lebens-

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stils. Wie sich das in der Feme spiegelte, nachdem die Berliner Romantik in der Person von Tieck und seiner Schwester mit Rom in Fühlung getreten war, liest man in einem Brief von Karoline Schelling: es habe eine heidnische und eine christliche Partei unter den Deutschen bestanden, von denen die erste sich um die Venus, nämlich Frau von Humboldt, und die andere um Sophie Bernhardi als Madonna gruppiert habe. Wobei nicht verborgen bleibt, daß die Briefschreiberin die eine wie die andere Dame von je mit ihrer Abneigung bedacht hatte. Den Höhepunkt dieser geistigen Repräsentation des Humboldtschen Hauses bedeuteten wohl jene Monate des Jahres 1805, während derer Alexander Humboldt von seiner fünfjährigen Forschungsreise in Amerika bei den Geschwistern sich ausruhte, nachdem er in Paris seine „Aufnahme durch Europa gefunden" hatte1). All das Treiben der Wirklichkeit, die Geschäfte wie die Geselligkeit, gehörten für Humboldt doch nur in den Vordergrund der römischen Szenerie. Sein wahres Leben spielt in Rom mehr als je zuvor im Bereich der Ideen. Gerade im Geigensatz zu der gern anerkannten Förderung auch des geistigen Daseins durch den Beruf wollte er diesen Tatbestand mit Nachdruck betonen. „Der Maßstab der Dinge in mir bleibt fest und unerschüttert; das höchste in der Welt bleiben und sind — die Ideen. Diesen habe ich ehemals gelebt, diesen werde ich jetzt und ewig getreu bleiben." Und in einer echt romantischen „Identifikation" des Heterogenen, nämlich mit dem, „der jetzt eigentlich Europa beherrscht", bekennt er: auch wenn er einen Wirkungskreis hätte wie Bonaparte, „so würde ich ihn doch immer nur als etwas jenem Höheren Untergeordnetes betrachten" 2 ). In Rom wurde die Idee der Menschheit als Idee der Weltgeschichte, so dürfen wir sagen, ihm endlich anschaulich. Mit heißer Inbrunst versenkte er sich in die Betrachtung dieser „Idee"; er genoß sie mit jener geistigen Lust, die „tiefe, tiefe Ewigkeit will". Das Anschauen, die Versenkung in diese von dem Weltgeschehen angehäuften Schätze vergangener Menschheit ließ ihn sein Leben als schlechthin vollendet empfinden. Wohin der Blick sich richtete, überall fand er Anlaß genug und übergenug zur Idee — zum Traum der Gedanken. Die Stadt, die Landschaft, darüber und dahinter die Geschichte — aus diesem dreifachen Reiz erwuchs jene von Tag zu Tag erlebte Dichtung dieser Jahre, welche er nur „gewissermaßen aus sich selbst abzuschreiben" hatte, als er in der großen Elegie „Rom" ihr die für andere deutbare Form gab. „Ich habe Rom geschildert als einen Punkt, der wie durch ein Wunder die Summen alles Lebens und aller Geschichte an der Stirne trägt, und wie eine Statue auf den Sinn, eine edle weibliche Gestalt auf die Empfindung, so auf den ganzen und tiefsten Menschen wirkt"3).

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Unter den ungeheueren Monumenten der ewigen Stadt nennt Humboldt an erster Stelle mit Namen nicht eines der antiken Denkmäler, sondern die Peterskirche. Das wundervolle Ebenmaß dieses Baues hat es ihm angetan; erst an diesem Werk der neuen Zeit, an welchem die „jetzigen Fremden" fast achtlos vorübergingen, lerne man „die recht eigentlich reelle Größe, deren Eindruck doch viel bleibender ist, als der des Ungeheueren", wahrhaft kennen. Der noch ragenden Macht des Baues kündet er schon den T a g der Zerstörung: daß man die Plätze Roms so still und einsam genießen könne, als wanderte man in einer zerstörten Stadt, erwecke ein „wunderbares Gefühl, als sähe man auch schon jene neueren Gebäude in Trümmer sinken". Der mächtig sich regenden romantischen Stimmung soll auch das Bestehende schon vom Schimmer der noch fernen Vergänglichkeit sich verklären lassen1). Rom war Rom nur mit seiner Landschaft. Fast täglich wurde sie während der guten Jahreszeit durchstreift, zu Fuß oder auf dem landesüblichen Esel — und mehr und mehr gewann sie Gewalt über die Vorstellungswelt des ideenreichen Wanderers. Im Sommer flüchtete man aus der heißen Stadt in die Albanerberge; die kleinen Orte am Gestade ihrer Seen, Ariccia, Nemi, Genzano bezauberten die empfänglichen Sinne. „Welch himmlische Natur, welch stille und milde Größe, welcher anspruchslose Reizl Die alten Gemälde aus den früheren Schulen, voll Einfachheit und Größe und so wie mit nichts gemacht, gleichen immer diesen Gegenden. Nirgends ein auffallender Gegenstand, nichts was einem Kontrast irgend ähnlich sieht, alles Harmonie und Verschmelzung, und das Ganze entzückend" 8 ). Der romantische Mensch gerade konnte hier Reiz und Genuß finden, und mehr als das: er konnte hier die Heilung der romantischen Sehnsucht nach dem Unendlichen finden. „Die Lieblichkeit der italienischen Landschaft . . . trägt die Form der Kunst und der Phantasie. Was man hier sieht, macht das Gemüt still, bringt Wehmut hervor, vermehrt doch die Klarheit und nimmt kaum etwas der Heiterkeit. Kann man damit, wie es dem Deutschen so leicht gelingt . . . die Stimmung fürs Romantische (das Wort zum Gegensatz des Antiken gebraucht) verbinden, so ist es der höchste aller Genüsse und zugleich der am meisten erweckende. Wer nicht mehr bloß Natur ist, . . . wer schon anfängt zu reflektieren, der muß romantisch geboren oder gebildet werden, unter Eichen und Klippen, in rauhem Klima, fern von Kunst, mit wenig harmonischer Sprache und dunkler Metaphysik, pedantischem Schulstudium und sentimentaler Dichtung; der Streit, der die Reflektion begründet, der Urstreit zwischen Freiheit und Notwendigkeit, muß sich reproduzieren in ihm für jede Kraft, in jeder Gestalt, in jedem Gedanken und

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in jeder Empfindung — dann komme er hierher, und nichts Menschliches ist mehr an ihm verloren"1). Rom ist die schönste, erhebendste, fesselndste Einöde. Und in dieser Einöde findet der empfängliche Mensch nicht nur sich selbst, sondern die Welt und die Menschheit. „Sonst pflegte ich mich in meine Individualität einzuspinnen, und die Welt in sie aufzunehmen. Jetzt scheinen sich mir alle im Ganzen der Menschheit zu verlieren, und das einzige, was ich nur hier vermisse, ist der bestimmte Begriff dieses Letzten des Letzten. . . Ich fühle nun auf tausend Manieren die Unzulänglichkeit eines intellektuellen Wesens und ebenso . . . das Zusammengehören aller." Diese Idee erzeuge mit Notwendigkeit die andere „einer Einheit, in der alles Entgegengesetzte von Einheit und Vielheit untergeht. Diese Einheit Gott zu nennen, finde ich abgeschmackt, weil man sie so ganz unnützerweise aus sich herauswirft . . . Ich bleibe daher am liebsten bei dem stehen, was das Nächste ist. Diese Einheit ist die Menschheit, und die Menschheit ist nichts anderes als ich selbst"1). Vertraute Gedanken aus vergangenen Jugendzeiten tauchen auf wie Klippen aus dem Strom, der sich verläuft — und wieder schließt sich ihm der Ring des geistigen Erlebens zusammen zu diesen „unzerstörbaren Grundsätzen aller Metaphysik", denen die römischen Jahre das Fundament einer ideellen Geschichtsansicht unterbaut haben. Denn ganz „idealisch" ist der geschichtliche Sinn, welchem „um die sieben Hügel auf einmal das ganze Gemälde der Weltgeschichte sich rundet, Rom übt seine große Gewalt... dadurch aus, daß es der Mittelpunkt der alten und neuen Welt i s t . . . Unsere neue Welt ist eigentlich gar keine; sie besteht bloß in einer Sehnsucht nach der vormaligen und in einem Tappen nach einer zunächst zu bildenden. In diesem hilflosesten aller Zustände sucht Phantasie und Empfindung einen Ruhepunkt und findet ihn wieder nur hier". Darum bestimmte der R o m a n t i k e r Humboldt der Historie die rückwärts gewendete Haltung von Lots versteinertem Weib: „nur wenn um Rom eine so himmlische Wüstenei, bleibt für die Schatten Platz, deren einer mehr wert ist, als dies ganze Geschlecht." Denn „die Schatten der Vorzeit tun immer wohl als wie aus einer besseren, kräftigeren Zeit. Ob sie es waren, verdient mehr Untersuchung" — die Antwort auf diese Frage aber hat der I d e a l i s t Humboldt sich nicht zu geben gewagt, denn sie hätte das Fundament seines Tempels ins Wanken bringen müssen8). Was das damalige Rom gerade diesem Menschen bedeutete und warum keine andere der genossenen Schönheiten des Lebens so auf ihn wirkte und so in ihm fortwirkte, — niemand vermag es klarer auszusprechen und tiefer zu ergründen als Humboldt selbst. „Wie groß

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auch der Reichtum der Menschen und Dinge ist, so gibt es gewisse Punkte, bei denen man innerlich mit einfacher, aber unumstößlicher Gewißheit fühlt, daß man nach ihnen nun der ganzen Mannigfaltigkeit der übrigen Welt nicht mehr bedarf, daß das rollende Rad des Lebens sich ins Gleichgewicht gewiegt hat, daß, wenn erst die Erde nicht weit genug schien, die Wünsche befriedigend zu fassen, jetzt das Herz nicht groß genug ist, alles in sich aufzunehmen, was in dem einzigen Punkt verborgen liegt. Ohne das gäbe es keine Liebe und keine Treue mehr . . . und ich habe sie tief im Herzen für Rom. Man fragt da nicht mehr, was schöner sein könne; der Maßstab des Schönsten ist in dem Einen gegeben" 1 ). So ließ die Sehnsucht ihn sprechen, nachdem das Paradies seines Lebens schon für immer verloren war. Wie mußte die greifbare Gegenwart erst ihn mit dem Gefühl der Beglückung und des innerlichen Gefeitseins gegen alle Schläge des Schicksals erfüllen, wenn nur dieser eine Besitz ihm gewahrt blieb. Und die Schläge des Schicksals blieben nicht aus: der älteste Sohn wurde im ersten römischen Sommer durch das Campagna-Fieber den Eltern entrissen; die im Sommer 1804 in Paris geborene Tochter mußte die Mutter dort begraben; der dritte Knabe starb vor Vollendung des zweiten Jahres im Herbst 1807. Der Mai 1805 brachte den Tod Schillers. Seit IV» Jahren war der Austausch zwischen den Freunden verstummt gewesen. Da hatte Schiller wenige Wochen vor dem Tode das Schweigen gebrochen, um dem Freunde zu versichern, daß „für ihr Einverständnis keine Jahre und keine Räume seien". Noch einmal rühmte er, wie Humboldt ihm Ratgeber und Richter bei seinem Schaffen gewesen, jetzt während der Trennung und in der Vorstellung nicht minder als während der Gemeinschaft und in der Wirklichkeit. Es war ein Vermächtnis des größeren Freundes, und in diesem Vermächtnis seiner Freundschaft lag wie eine Bekräftigung und Bejahung der Humboldtschen Individualität, über deren Glück und Unglück dieser in den ersten römischen Briefen so nachhaltig, ja erschütternd sich ausgesprochen hatte*). Nun war die Trennung endgültig geworden. „Wie oft ist es mir eingefallen, daß der Mensch sich leichtsinnig trennt, zerreißt, was ihn beglückt, und mutwillig nach dem Neuen hascht. Wenn die wahre Ungewißheit des menschlichen Schicksals den Menschen so lebendig vor Augen stände, als sie es sollte, würde kein Mensch von Gefühl je sich entschließen, die Spanne Landes zu verlassen, auf der er zuerst Freunde umarmte." Goethe, an den diese Klage in der Gemeinschaft des Schmerzes sich wendet, sei zu beneiden, daß er ein lebendiges Bild des Geschiedenen in sich trage. „Mir ist er wie ein Schatten entflohen und ich muß alles, was ihn mir lebhaft zurückruft, aus einer dunklen Ferne mühsam herbeiholen"3).

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Den ersten fast leidenschaftlichen Ausdruck seiner Trauer erhielt die Freundin am Genfer See. Ihr eben beendeter Aufenthalt in Italien hatte beide noch näher verbunden. Aus der tiefen Ergriffenheit heraus entstand ein Bild des Dahingegangenen, das bei aller Knappheit der mehr erinnernden als schildernden Sätze — hatte Mme Stael doch bei ihrem Aufenthalt in Deutschland auch Schiller gesehen — das Stärkste und Tiefste ausspricht seiner Empfindungen für den Freund, „qui ne se nourrissait jamais que de ce qu'il y avait de plus noble et de plus élevé, qui vivait uniquement dans la sphère des idées, dont rien qui eût été ou commun ou vulgaire, n'approchait jamais". Was er persönlich verloren, hat er nie deutlicher bekannt als in diesem Brief : „c'était le seul homme que j'aimais beaucoup sur cette terre; c'était celui auquel toutes mes idées se rattachaient toujours, avec qui j'ai passé des années dans l'intimité la plus douce, avec qui j'ai discuté sans cesse ce qu'il y a de plus élevé et de plus profond dans les idées; le seul homme peut-être qui sentait un besoin de vivre avec moi" 1 ). Nur noch inniger werde sein Tod ihn verknüpfen mit Rom und der römischen Einsamkeit, wie der an der Pyramide des Cestius bestattete Knabe ihn für immer an diese band. „Es ist, als bannte mich das Schicksal immer fester in dies Land, das nur Schatten beleben, und in dem alles Lebendige wie durch Zufall in eine Einöde gebannt scheint." Durch und durch in Vergänglichkeit versenkt, lebe die Seele hier in den Trümmern einer Welt. Das erste Gefühl unter diesem Eindruck sei „Wehmut, aber die Unermeßlichkeit des Dahingeschwundenen gibt der Wehmut eine Größe, die wieder heiter wird und in lichtein Äther über der Erde schwebt. Alles was einen großen Eindruck macht . . ., wirkt symbolisch. Das Unbekannte und nie zu E r kennende strebt in einem sichtbaren Zeichen aus. Sich selbst so zu einem Symbole des Weltalls umzuschaffen, wäre die größte Aufgabe der Menschheit." Diese seine Lieblingsidee, „die für mich den Schlüssel alles Daseins, wie es ist und sein soll, enthält", lasse Rom erscheinen „als das Symbol zugleich der Vergänglichkeit und des Weltzusammenhangs, wie er intellektuell und ästhetisch für uns existiert . . . In fruchtbarer Einsamkeit legen sich erst hier die Weltgestalten deutlich und ruhig auseinander, Gedanke und Empfindung schmilzt klar, Wehmut und Frohsinn heiter ineinander über, und auf der Grenze zwischen Leben und Tod, tritt man leichter in jenem auf und neigt sich sanfter zu diesem hinüber"*). Genau in die Mitte der römischen Jahre fiel dieser Einschnitt in sein inneres Leben. Von nun an mußte er die Vorstellung entbehren, daß in Schiller ihm ein Mensch lebte, voller Verständnis für die einzige Art geistigen Schaffens, welche ihm Befriedigung gewährte: sich selbst auszusprechen. Denn „das Letzte im Menschen, dessen Dasein einmal Den-

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ken und Beobachten ist, ist immer das Resultat, in dem er die Betrachtung seiner und der Welt verknüpft". Hatte er diese Jahre über schon an der Vorstellung von Schillers Verständnisbereitschaft sich genügen lassen und ihm nicht geschrieben, so verstummt der emsige Briefschreiber in den nächsten Jahren fast ganz. Nur Frau v. Stael erhält noch einige jener langen Ergüsse, zu denen sein Bedürfnis, sich auszusprechen, trieb. Mehr und mehr versinkt sein Geist in die Anschauung Roms und in ihr in die ideale Welt seiner Träume. Dabei verstand er noch immer „das Leben leicht zu tragen und tief zu genießen". Er war nach eigenem Bekenntnis, sehr glücklich; nie heiterer, nie fruchtbarer in ¡Ideen, nie poetischer gestimmt, nie zufriedener mit seiner häuslichen Lage. Schillers Tod hatte das stärkste Band gelöst, das ihn noch an Deutschland knüpfte1), — Rom war die Heimat seiner Wahl und war es endgültig geworden. In diesen Boden senkte er jetzt die „tiefen und schweren Wurzeln" seines Seins. •



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Was in der Welt außerhalb Roms vor sich ging, kümmerte nur den Residenten, nicht den Menschen. Der Herbst des Jahres, welches Schiller dahingerafft, sah den Untergang der französischen Flotte vor Trafalgar; die Sonne des 2. Dezember strahlte über der Niederlage Rußlands und Österreichs. Aber nur wie aus weitester Ferne berühren den in die vergangene Welt versunkenen Diplomaten diese erschütternden Ereignisse. Zuerst horcht er auf, als der Kampf um die Beherrschung 'des Mittelmeeres in unmittelbare Nähe gerückt ist. Mehr unter einem poetischen als einem eigentlich politischen Gesichtspunkt blickt er auf den bevorstehenden Zusammenstoß der beiden Flotten. Während die Franzosen zu dem bewährten Waffenruhm zu Lande noch neues Ansehen als seefahrende Nation dabei gewinnen könnten, seien die Engländer in einer verzweifelten Lage. Mit dem Sieg über einen ungeübten Gegner sei nicht viel Ehre einzulegen; ihm aber zu unterliegen sei schimpflich. Überdies — nicht nur Nelson hätte seinen Ruhm, sondern England selbst alles bei diesem Kampf zu verlieren4)! So mischte sich weltfremde Betrachtung mit einem feinen Instinkt für die Wirklichkeit in diesem merkwürdigen Kopf. Und noch ist Nelson nicht als Sieger gefallen, da leuchtet wieder ein Wort von echtem Wirklichkeitsgehalt auf in einer ganz ideologischen Auseinandersetzung über die Vorzüge und Nachteile der großen Nationen Europas. Wenn England nicht in den geistigen Wettbewerb treten könne mit den anderen Völkern, so sei ihm das politische Erbteil zugefallen: „tu regere imperio populos" stehe über Englands Zukunft, des einzigen noch bleibenden Bollwerks der Freiheit. Deutschland aber

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mit seiner unbeschränkten geistigen Freiheit sei nicht imstande, sich die äußere Freiheit zu wahren. Denn so weit übersah er doch auch von Rom aus die politische Welt, um zu wissen, „daß ein Staat, der aufhört, unabhängig zu sein, gewissermaßen auch aufhört, zu existieren"'). Aber über ein theoretisches Interesse, über eine kühle Erkenntnis, eine abwägende Interpretation der politischen Lage, soweit er sie übersehen kann, führt Humboldts Teilnahme am Weltgeschehen nicht hinaus. Die Übersicht über die Entwicklung der Dinge in Mitteleuropa ist von Rom aus nicht leicht zu gewinnen. Der preußische Diplomat, welcher von den Ereignissen sich innerlich nicht berühren lassen will, ist dem heimischen Leben zu sehr entfremdet, als daß er einen klaren Blick für die Fragen der großen Politik beweisen könnte. Nach der Kapitulation von Ulm erscheint ihm zwar das Vordringen Napoleons nach Wien unaufhaltsam. Aber die Gerüchte, welche von der drohenden Neutralitätsverletzung des Ansbacher Gebietes durch Bemadotte wissen wollen, werden ebenso als unwahrscheinlich abgetan wie der Beitritt Preußens zur Koalition, während das eine bereits geschehen und das zweite im Werke war. Gerade in diesem spannungsvollen Zeitpunkt hat das Ehepaar wieder die Werke deutscher Dichtung seit Herder in gemeinsamer Freude genossen; wieder hat man sich aus der Ferne seiner geistigen Verbundenheit mit Deutschland erfreut. Man ließ sich gern genügen an einer Art von Patriotismus, der am lebendigsten sich regt, „wenn man hinter den Alpen sitzt"*). Noch ehe die neue Wendung der preußischen Politik sich hatte auswirken können, begründete der Preßburger Frieden die französische Hegemonie über den Kontinent. Mit Recht konnte nach diesem Ereignis Humboldt die immer von politischer Spannung erregte Freundin in Coppet beruhigen: an einen Krieg Preußens mit Frankreich sei nicht zu denken. Bei den ungleichen Kräften scheue man in Berlin den Kampf; überdies sei der König ein Mann des Friedens). Und dann brach das Verhängnis im Herbst 1806 doch über Preußen herein. Von der unmittelbaren Verbindung mit der Heimat abgeschnitten, war Humboldt auf die Bulletins Napoleons, welche der französische Gesandte in Rom bekanntgab, angewiesen, um aus ihnen das Schicksal seines Staates zu erfahren. Jetzt, nachdem der Würfel gefallen, nahm Humboldt den Standpunkt ein, daß der preußischen Politik kein anderer Weg, um ihre Unabhängigkeit zu wahren, geblieben sei, als die militärische Rüstung und damit der Krieg. Am 29. Oktober wußte er von einer „Niederlage bei Schleiz" und von dem Tode Louis Ferdinands; der gemeinsame Winterfeldzug mit den Russen in Ostpreußen ließ keine großen Erfolge erhoffen; höchstens die Möglichkeit, bei der für Napoleon erschwerten Kriegführung einen billigen Frieden zu erreichen. Auch diese nüchterne

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Einschätzung der Lage war noch zu optimistisch. Sechs Monate später hatte das Friderizianische Preußen im Tilsiter Frieden sein Ende gefunden 1 ). Gerade um diese Zeit geht von Albano aus ein langer Brief nach Coppet : drei ausgiebige Seiten voll lebhafter Anteilnahme an dem letzten „Ereignis" der europäischen Literatur — dem Roman „Corinne", in welchem die Freundin die Eindrücke ihrer Italienreise gestaltet und den feinsten Kenner Roms rühmend erwähnt hatte; drei kurze Zeilen über das letzte Ereignis der europäischen Geschichte, die politische Vernichtung der Heimat, drei Zeilen einer gemessenen Teilnahmlosigkeit*). Als wenige Wochen später das endgültige Schicksal Preußens ihm bekannt geworden war, fand Humboldt wohl, daß die politische Lage Europas „sich vereinfacht" hätte. Aber diese vereinfachende Wendimg konnte entscheidend werden für die eigene Stellung, welcher in erster Linie seine Sorge galt. Gerade seine persönliche Lage sei dem Rückschlag der allgemeinen Ereignisse besonders ausgesetzt. So lautete die erste und so bezeichnende Stellungnahme Humboldts zum Tilsiter Frieden 8 ). A n erster Stelle stand ihm das eigene Geschick. Es hatte ihn in eine gewisse Interessengemeinschaft mit dem Bestand des Preußischen Staates gestellt. Von diesem Staate hatte er bisher gelebt, und ob dieser persönliche Gewinn nach der eingetretenen Wendung sich werde wahren lassen, das ist der Gegenstand seiner Sorge. Von dem Staate zu leben, er war es auch weiterhin gewillt ; mit dem Staat zu leben — wie weit er davon entfernt war, zeigt seine Haltung in diesen Monaten; daß er für den Staat leben sollte während eines ganzen Jahrzehnts, das ahnte er damals nicht. Mit dem Staat der Heimat, dessen historische Individualität ihm noch nicht zum Erlebnis geworden, obwohl er in ihm geboren und erwachsen war, zuletzt von ihm gelebt hatte, verband ihn innerlich so wenig, daß vom umfassenden Standpunkt, den Rom wie von selbst nahe brachte, das Urteil lauten konnte, im Haushalt der allgemeinen Geschichte werde für den niedergerungenen Staat wohl ein Ersatz sich finden. Gewiß gäbe die Lage Deutschlands im allgemeinen und besonders der letzte Friedensschluß für einen Deutschen, der obendrein Preuße sei, Anlaß zu unendlich traurigen Gefühlen. Aber diese Trauer finde einen edlen Trost in — dem geistigen Umgang mit dem Altertum. Sie stimme so schön zusammen „avec le beau, doux et mélancolique pays que j'habite" 4 ). So wurde das Wechselspiel zwischen der Empfindung seiner nationalen Bedingtheit in geistigem Bezug und ihrer Auslösung durch den universalen und ästhetischen Charakter seines römischen Daseins der „ A n l a ß " zu erneutem und tiefempfundenem Genuß. Mochte sein inneres Dasein vom Schicksal Preußens so gut wie unberührt bleiben, anders stand es um die äußeren Verhältnisse, auf denen

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seine römische Lebensform beruhte. Da war zunächst die große Frage, ob die preußische Krone, nachdem sie den weitaus größten Teil ihrer katholischen Untertanen durch die Abtretungen im Westen wie im Osten eingebüßt, fernerhin einen Vertreter bei der Kurie werde unterhalten wollen und können. Weiter erwies sich die Voraussetzung dieser ganzen diplomatischen Stellung, der Fortbestand des Kirchenstaates und die selbständige Stellung des Papstes je länger, desto stärker von dem Konflikt mit Napoleon bedroht. Wenn eins zum andern kam, dann verlor Humboldt den Boden unter den Füßen. Um diese beiden Fragen kreisten in den letzten römischen Jahren seine sorgenden Gedanken; nur auf diesem Umweg galt seine Sorge auch dem Staat 1 ). Gewiß, gleich nach der Katastrophe hatte er in einem seiner Berichte an das Ministerium der Überzeugung Ausdruck gegeben, daß jeder echte Preuße auf seine persönlichen Wünsche Verzicht leisten müsse angesichts des Unglücks, von welchem der Staat betroffen war. Eine Selbstverständlichkeit für einen hohen Beamten von Adel, welcher sich bewußt sein mußte, als Sohn eines intimen Freundes des verstorbenen Königs dem jetzigen Träger der Krone mehr als andere verpflichtet zu sein. E r war sich klar darüber, daß bei diesem Stand der Dinge Anstand und Ehre nicht erlauben würden, sich einem Ruf des Königs zu versagen4). Doch das Schicksal des Staates berührte ihn nicht tiefer. Nichts in ihm drängte zu einem freiwillig gebrachten Opfer. In gefaßter Bereitschaft zum Verzicht auf sein Glück sah er der Stunde entgegen, welche dies Opfer für den König von ihm fordern würde. Und er benutzt die erste Gelegenheit, um Hardenberg, welcher im April 1807 die Leitung der auswärtigen Politik für wenige Wochen übernahm, in seinem Glückwunschschreiben zu versichern: „ich war niemals ehrgeizig oder interessiert und zufrieden mit dem Posten in dem Lande, das ich bewohne und liebe, und habe weder gesucht noch gewünscht, in eine andere Lage zu kommen; aber jetzt ist es mir peinlich, hier müßig zu sein und nichts für das bedrängte Vaterland tun zu können"3). Das war deutlich genug für jemand, der Briefe zu lesen verstand wie Hardenberg; daß Humboldts Wille auf sein Verbleiben in Rom gerichtet war, kam hinreichend zum Ausdruck. Daß er es peinlich empfand in diesem Augenblick „nichts für das Vaterland tun zu können", ist besonders darum verständlich, weil gerade diese Untätigkeit eines befähigten und gut bezahlten Beamten den neuen Leiter des Departements auf den Gedanken hätte bringen können, diesem für den Staat wenig nützlichen Zustand ein Ende zu machen. Vorderhand beruhigte Humboldt sich mit dem etwas illusionistischen Gedanken, die preußische Regierung werde für den Fall, daß seine Tätigkeit bei der Kurie hinfällig werden sollte, ihn bei dem Hof von Neapel beglaubigen, um wenigstens diese eine Vertretung

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auf der Halbinsel zu behalten 1 ). Aber zu welchem Zwecke hätte der zu außenpolitischer Nichtigkeit herabgedrückte Staat in dem ganz von Napoleon beherrschten Italien noch einer diplomatischen Mission bedurft? Sein Vertrauen darauf, daß die römische Residentur beibehalten werden würde, da man in Berlin die einmal getroffenen Einrichtungen nicht zu verändern liebe, wäre am Ende gerechtfertigt worden. In der Erinnerung verschob sich wohl das Bild der damaligen Zusammenhänge, wenn Humboldt im April 1819 meinte, d a ß er ohne „die unglücklichen Ereignisse" die ewige Stadt nie verlassen haben würde 2 ). Denn, wenn der Kirchenstaat auch bereits seit Februar 1608 in französische Verwaltung genommen war, so wurde er doch erst im Mai 1809 förmlich annektiert — mehr als ein halbes Jahr nach Humboldts Fortgang von Rom. Aber darin traf die Erinnerung das Richtige, daß die schon im Winter 1808/09 hoffnungslose Lage der Kurie ihm jeden überzeugenden Vorwand zur Rückkehr an den Tiber nahm, nachdem er einmal die Alpen überschritten hatte. Dazu aber mußte Humboldt sich im Herbst 1808 entschließen, als die Rückwirkung des allgemeinen Unglücks auf die Vermögensverhältnisse seiner Familie seine Anwesenheit in der Heimat auf einige Monate, wie er meinte, erforderte 3 ). Es handelte sich um einen seit langem aus diesem Grunde erbetenen und bewilligten Urlaub, der immer wieder wegen der Ungewißheit über den Gang der Dinge in Rom hatte verschoben werden müssen. Endlich kam die Stunde, in der Humboldt nach sechsjährigem beglückenden Dasein von Rom sich trennen mußte. „Wer das Glück hält, fürchtet immer, daß es entschlüpfe, und was ist Glück — selbst in Zeiten der Widerwärtigkeit — wenn es nicht ist, in Italien zu leben?" Schon beschlich ihn die trübe Ahnung, es könne ein Abschied auf lange Zeit werden, da er von der Absicht der Regierung, ihn anderweit zu verwenden, wußte 4 ). Weniger als je konnte er sich nach der Schilderung, die er neuerdings durch Frau v. Stael über die Zustände in Deutschland und namentlich in Norddeutschland erhalten hatte, mit dem Gedanken vertraut machen, dort leben zu sollen8). Am 14- Oktober 1808 schied er von Rom immer noch in der Hbffnung, „daß. nach dem Märtyrertum dieser Reise die schöne Zeit ja wieder kommen wird"®). Aber die Hoffnung trog. Wieder sollte sich das alte Wort an ihm erfüllen: fata nolentem trahunt. Als der Reisewagen durch das herbstliche Italien gegen Norden rollte, mögen dem einsamen Humboldt die Verse Tassos im Ohr geklungen haben: „Mit unschätzbaren Gütern lehret uns Verschwenderisch die Not gelassen spielen. Wir öffnen willig unsre Hände, daß Unwiederbringlich uns ein Gut entschlüpfe."

Zweites Buch:

Politik als Beruf.

K i e h l e r , Humboldt.

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Die Wendung zum Staat. „Unwiederbringlich" — nur in der Wirklichkeit des Lebens besitzt dieses Wort seine Geltung. Nichts ist unwiederbringlich im Bereich der „Idee". Gerade darin, d a ß der Idee keine Grenzen gegeben sind, d a ß im ideenreichen Traum die Vergangenheit zur Gegenwart, die Ferne zur Nähe werden kann — gerade darin waltet jener Zauber der Idee, welchem Humboldt so gern sich hingibt. In dem Augenblick aber, welcher ihn nach sechs langen Jahren zuerst wieder alte Freunde, Zeugen längst vergangener Jugendzeit, auf deutschem Boden begrüßen läßt, weht ihn der kalte Hauch der Wirklichkeit an, beginnt er zu ahnen, daß der Zauber der römischen Jahre unwiederbringlich hinter ihm liege. In München, wo Humboldt nach einer schnellen und anstrengenden Reise über die frühwinterlichen Alpen am 31. Oktober angelangt war, machte er eine ausgiebige Rast im Haus von F. H. Jacobi, welcher als P r ä sident der bayrischen Akademie die letzte Station seines seltsamen Lebensweges erreicht hatte. Hier schreckte ihn aus dem Behagen freundschaftlicher Aufnahme die erste Nachricht von einiger Bestimmtheit, d a ß er vor einer Wendung seines Schicksals stehe. E r erfuhr, d a ß bei der noch vom Freiherm v. Stein, der in eben diesen Wochen von der Leitung des Staates zurücktreten mußte, bewirkten Neuordnung der inneren Verwaltung Preußens ihm die Leitung des Unterrichtswesens zugedacht sei1). Mit emster Sorge, in „ängstlicher Verlegenheit" setzte Humboldt die Reise nach Norden fort, wo zunächst die bekannten Orte und die vertrauten Freunde der Thüringer Jahre zu freundlicher Erinnerung den fast fremd Gewordenen aufnahmen. Erfurt und Weimar ließen die Szenerie der nun so fernen Vergangenheit wieder vor seinem Auge erstehen. Während in Erfurt, im Haus des Schwiegervaters und in seiner gesellschaftlichen Umgebung, ihm zumute war, „als käme er zu Leichen", versetzten die Räume, in denen der Gattin Jugend hingegangen war, ihn in ein träumendes Erinnern an die ersten Zeiten ihrer Verbindung 2 ). Nicht nur der äußere Weg führte den so lange Ausheimischen an den Ausgangspunkt der Wanderjahre zurück. Das ließ ihn die freundschaftliche Aufnahme besonders empfinden, welche in Weimar durch Goethe und Karoline Wolzogen ihm zuteil wurde. 14»

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Erstes Kapitel.

Schiller allerdings war nicht mehr. Doch die Erinnerung an seine Gestalt erwachte in der Berührung mit Goethe, im Austausch mit der Schwägerin des Verblichenen zu ergreifender Lebendigkeit: „er bleibt der größte und schönste Mensch, den ich je gekannt; wenn Goethe auch noch dahingeht, dann ist eine schauerliche Öde in Deutschland". Das war der kurz gefaßte Ausdruck der Gedanken, welche ihn im Rückblick auf die erste große Epoche seines Lebens um die Jahreswende 1808/09 erfüllten. Wie in symbolischer Rast auf der Wegesmitte seines Manneslebens verbrachte Humboldt die Woche „zwischen den Jahren" im Haus am Frauenplan als Goethes Gast. Der Kreis seiner Wanderschaft schloß sich äußerlich wie innerlich zusammen an dem Punkt, von dem er innerlich wie äußerlich vor einem Jahrzehnt sich über Europa hin für ihn geöffnet hatte. Einen Bezirk der Welt nach dem anderen hatte das Schicksal ihm aufgetan: welch eine Weltenweite des Geistes hatten Jena und Weimar dereinst bedeutet im Vergleich mit Berlin. Dann war die Welt selber durchmessen worden: Paris und Rom, die Pyrenäen und das Albanergebirge, das Weltmeer und der Tiber waren als erschaute Gestalten von Welt und Menschen zum unverlierbaren Besitz seiner Phantasie geworden. Noch einmal ward ihm vergönnt, im Schatten der großen Erinnerungen zu ruhen, noch einmal ein Blick gewährt in das Schaffen des Genius. Goethe selbst las dem lauschenden Freund aus der Pandora und neue Szenen aus dem Faust vor. Bei der Durchsicht von Schillers Nachlaß, die er an stillen Wintermorgen mit Frau v. Wolzogen vornahm, lernte er das Demetrius-Fragment kennen1). War die Vergangenheit nicht wirklich zur Gegenwart geworden? Doch in dem stillen Genuß dieser Wochen, von denen ein Teil dem eigentlichen Zweck seiner Reise, der Ordnung der Vermögensverhältnisse des Schwiegervaters gewidmet werden mußte, drohte die Gegenwart mit der beklemmenden Sorge um die nächste Zukunft. So wurde diese reiche und beglückende Spanne einiger Wochen zum Übergang in eine neue Form des Lebens, auf deren unaufhaltsames Nahen jetzt in starkem Widerstreben Humboldt sich rüsten mußte. Bereits am ersten Abend seines Aufenthaltes in Erfurt, am 11. November war das vorläufige Ziel der Reise erreicht, erfuhr er, daß der Minister Graf Goltz gelegentlich seiner Anwesenheit beim Erfurter Kongreß dem Präsidenten Dacheröden die Aufhebung der römischen Gesandtschaft und die Rückberufung Humboldts als feste Absicht der Regierung in bestimmte Aussicht gestellt hatte. Durch diese Mitteilung fühlte Humboldt sich in eine „Krise" versetzt, von der, so schreibt er andern Tags der Gattin, „Dein Glück, damit meine Zufriedenheit und das Wohl der Kinder abhängt". Der ganze Gewinn

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der letzten Jahre, das unabhängige Dasein fern von der schwer bedrückten Heimat, der Genuß des südlichen Himmels, die Fortdauer des Lebens im römischer; Traum — es war alles entscheidend in Frage gestellt I „Wie ruhig wären wir ohne den leidigen Krieg geblieben! Es ist fürchterlich und schmerzlich, sich jetzt so durchschlagen zu müssen!1)" Das war das erste Gefühl angesichts des Rufes, welcher vom Staat an ihn erging, seinen Teil zu tragen an der allgemeinen Last des Vaterlandes, jetzt dem Staate wirklich zu dienen, nachdem er so ausgiebig ihn hatte nutzen dürfen. Hatte er nicht im Augenblick seines Abschiedes von Rom mit großen Worten versichert, daß „gerade das Unglück der Zeit Motiv werden sollte für die Einzelnen, mutiger zu streben, für alle, sich mehr zu fühlen"? Hatte er nicht geäußert, das Ziel seiner Reise sei, „zu sehen, ob die gleiche Stimmung bei andern herrschend sei, und dazu beizutragen, sie zu verbreiten"? Es war der Ausdruck einer Vaterlandsliebe, die „am patriotischsten gestimmt ist, wenn man hinter den Alpen sitzt"*). Jetzt nahm das Schicksal ihn beim Wort. Aber der Ruf traf auf taube Ohren. Mit allen Mitteln hat Humboldt versucht, dem Dienst am Staat in letzter Stunde noch sich zu entziehen. Aber es ließ sich aus dieser Lage kein Ausweg finden, welcher „Ehre und Ruf, der bisher noch intakt ist", gerettet hätte8). Humboldt mußte die Entdeckimg machen, daß er wider seinen Willen dem Staat die Hand geboten, als er ihm nur den kleinen Finger zu reichen gemeint hatte. Für Ruf und Ehre fürchtete er, falls er die Übernahme der neuen Stellung verweigerte. Aber für die Ehre, welche ihm mit der Berufung an diese Stelle widerfuhr, hatte er kaum ein Empfinden. Der ganze Egoismus dieses Idealisten tritt in den Briefen unverhüllt zutage, welche, getränkt von Sehnsucht und durchzittert von Sorge, in diesen Wochen südwärts nach Rom gerichtet werden. „Ich trete mit weher Bangigkeit in das neue Jahr, wie die starre, beeiste Natur . . blickt mich das an, was meiner darin wartet"4). Es fehlt ihm alle Freudigkeit, es fehlt jeder große Zug in den Erwägungen dieser Briefe, es fehlt jeder Ansatz der Dankbarkeit für das Vertrauen, welches ihm entgegengebracht wurde. Und doch: wie vorurteilslos, mit welchem Zutrauen in die Menschen sind die Berufungen in Ämter von größter Wichtigkeit ergangen, solange Steins Einfluß sich geltend machen konnte. Was oder wer ihn dazu veranlaßte, den bisherigen Gesandten in Rom mit der Leitung der geistigen und geistlichen Angelegenheiten des Staates zu betrauen, ist nicht mit Sicherheit zu sagen6). Jedenfalls bewies es ein ungewöhnliches Zutrauen, wenn dem knapp vierzigjährigen Baron Humboldt ein Wirkungskreis überantwortet werden sollte, für dessen Verwaltung sonst nur einer der altgedienten Minister des Generaldirektoriums für reif genug

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erachtet wurde. Für die Aufgaben der inneren Verwaltung, und nun gar für die Probleme dieses schwierigsten und empfindlichsten aller Zweige der Staatsverwaltung hatte er seine Befähigung noch nicht dargetan. Sollten es die seltsamen und schwer lesbaren Essays, welche vor mehr als einem Jahrzehnt in den damals modernsten Zeitschriften erschienen waren, sollte es das nicht weniger schwierige Buch über Ästhetik gewesen sein, welche den aller Ästhetik abholden Stein zu dieser Berufung veranlaßt hätten? Was wußte man in Berlin anders von dem älteren Baron Humboldt, als daß er es vorgezogen hatte, statt in der Heimat zu leben, gegen allen Brauch des ansässigen Adels rund anderthalb Jahrzehnte außerhalb Preußens und vier ganze Jahre im revolutionären Paris zu verbringen ? Ohne übrigens, wie der jüngere Bruder, mit der verdienten Gloriole eines Weltruhms zurückzukehren. Diese Berufung zu verantwortungsvoller Amtstätigkeit, welche einen Dilettanten über die Schranken der Bürokratie hinweghob, war in der Tat getragen von Vorurteilslosigkeit und Vertrauen1). Vor nicht allzulanger Zeit war ebenfalls ein Dilettant aus ähnlichem Zutrauen berufen worden, um als Minister des „geistlichen Departements" ein „Programm der Kulturpolitik" zu verwirklichen: das war Wöllner gewesen. Jetzt schien das Experiment sich wiederholen zu sollen, nur mit, sozusagen, umgekehrtem Vorzeichen. War es zu verwundern, wenn von mancher Seite, unter anderem auch von Humboldts neuem Vorgesetzten und einstigem „Studiengenossen" auf der Frankfurter Hochschule und im Salon der schönen Henriette, von dem Minister Alexander Dohna, der Berufung mit einigem Bedenken entgegengesehen wurde2) ? Nun, Humboldt war, auch wenn er in der Verwaltung Dilettant war, doch gewiß kein Wöllner. Er hatte nicht, wie jener, nach diesem Amt getrachtet. Nichts spricht dafür, daß er in Rom, daß er seit seiner Jugendschrift ernstlich mit den Fragen der öffentlichen Erziehung sich befaßt hätte. Immerhin enthält das Pariser Tagebuch mehrere Notizen über die bedenklichen Wirkungen der Revolution auf die öffentliche Erziehung und über die Unterrichtspolitik des Direktoriums. Aber er besaß bei seiner Ernennung ganz gewiß kein ausgearbeitetes Programm einer Kulturpolitik. Er hat, als aus der gegebenen Aufgabe es sich ihm unter den Händen entfaltete, unter glücklichen Sternen es zu verwirklichen gewußt3). Ehe ihm das Gelingen eines großen Wurfes beschieden wurde, mußte er sich erringen, was jener Unberufene leichtfertig für sich beansprucht hatte: das Bewußtsein, daß der Dienst im Staat die Pflicht sei, welcher nicht mehr auszuweichen war. Daß er sein genießerisches Dasein abseits des Geschickes von Volk und Staat jetzt opfern müsse — zu dieser Einsicht ist Humboldt erst nach langem Kampf und nicht ohne den Zwang der Umstände gelangt.

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„Rom aufzugeben, in der Tat, kostete ihn kaum einen Entschluß" — mit diesen Worten beginnt Haym die Schilderung von Humboldts Amtstätigkeit. E r unternimmt es, seinen Helden als den Erben Steins, ebenso im Innersten bewegt von „echtem und tiefem Demokratismus" wie von dem Drange nach reformerischer Wirksamkeit, mit enthusiastischem Mißverständnis zu schildern. Es war ein völliger Irrtum, erklärlich aus der politischen Perspektive liberaler Opposition, in welcher dem Biographen das Bild seines Helden erschien. Aber nichts von alledem, was Haym zu sehen meinte, war an dem Humboldt dieses Winters zu spüren. Nicht um den Staat und dessen Reform sorgte er sich; seine Sorge galt der Aufrechterhaltung des römischen Postens. War diese nicht zu erreichen, so kam es ihm darauf an, eine Verwendung zu finden, „wo er wirklich etwas Eigenes leisten könne" 1 ). Das waren die beiden Gesichtspunkte, unter welchen er während der nächsten drei Monate die Verhandlungen mit der Regierung und dem König, welche sich damals noch in Königsberg befanden, mit Zähigkeit bis zum Eigensinn geführt hat. Wieviel mußte man von ihm erwarten, wenn man in diesem Zeitpunkt einer neuen und schweren Regierungskrise — Stein mußte ersetzt werden, während der Druck von Napoleons Kontributionspolitik erneut auf dem Staat lastete — so geduldig verhandelte, wo man hätte befehlen können I Es ist lehrreich, aus dem Nebeneinander der amtlichen Eingaben und der vertrauten Briefe an die Gattin zu ersehen, wie dieser Mann die Stunde der Entscheidung, welche ihn an die Schwelle der Erfüllung seiner oft geäußerten Sehnsucht nach einer „wirklichen Leistung" führte, nur unter dem Gesichtspunkt des eigenen Schicksals betrachtete. Auch in den amtlichen Schreiben war es ihm nicht gelungen, diesen Egoismus wirksam zu verdecken. Klar genug sah Humboldt von allem Anfang an seine Lage, wie sie war. Und doch klammerte er sich während der ersten Zeit an den nach dem Stand der großen Politik aussichtslosen Gedanken, doch noch ,in kurzer Frist nach Rom zurückkehren zu können. Alle Mühe gab er sich, in seinen Eingaben den Chef des Auswärtigen Departements, den Grafen Goltz, für die Illusion zu gewinnen, daß Preußen auch jetzt noch auf die Beibehaltung eines Gesandten in Italien, sei es in Rom, sei es in Neapel, erheblichen Wert legen müsse. Wie er die Urteilskraft seines Vorgesetzten einschätzte, erhellt aus dem Argument, daß die politische Berichterstattung aus Italien auch nach dem vorauszusehenden Ende des Kirchenstaates schon darum „interessant" bleibe, weil mehrere Mitglieder der „Familie Impériale de France" dort Aufenthalt genommen hätten. E r läßt es dem Grafen gegenüber nicht an Schmeicheleien fehlen, welche, im Blick auf die wahre Bedeutung des Mannes und auf Humboldts

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späteres Urteil über ihn, nicht nur die Grenze des Geschmacks, sondera auch die der Aufrichtigkeit streifen. E r verfällt auf den unmöglichen Ausweg, provisorisch die Leitung der Unterrichtsabteilung übernehmen zu wollen, dabei aber beurlaubter Gesandter in Rom und somit im diplomatischen Dienst zu bleiben. Die Undurchführbarkeit dieses Arrangements wird ihm bald klar. Trotzdem hält er daran fest, im diplomatischen Dienst auf jeden Fall zu bleiben; der Platz in Rom soll ihm offengehalten werden, bis er mit des Königs Erlaubnis dorthin zurückkehren darf: ,,car il s'entend de soi-même que je ne le pourrais jamais sans la permission de Sa Majesté" — eine von der Angst um diesen kostbaren Besitz eingegebene naive Versicherung, nur verständlich auf dem Hintergrund des Gedankens, überhaupt den Dienst quittieren und ohne Anstellung, d. h. aber auch ohne finanzielle Zubuß«, nach Rom zur dort verbliebenen Familie zurückkehren zu wollen. Das war sein erster Gedanke gewesen, als er den Emst der Lage für sich übersah. Denn sein Verstand hatte die Sachlage klar erkannt; aber sein Eigensinn und sein Illusionismus trieben ihn zu einem Spiel der Verhandlungen, welche nichts änderten, die Peinlichkeit der Entscheidung nur hinauszögerten und ihn in nicht eben günstigem Licht erscheinen ließen. Den Kern des Problems hatte er sofort gesehen und ausgesprochen: es war das sittliche Problem des Opfers. E r sollte jetzt die Erfahrung machen, daß nicht nur im Kriege, sondern auch im gewöhnlichen Gang der Dinge der Staat ein Recht hat, die Leistung des Einzelnen als Opfer für die Gemeinschaft zu fordern 1 ). „Das Schwierigste wird sein, die Ehre zu retten, d. h. die Meinung zu entfernen, daß ich keinen tätigen Posten haben wolle und gegen das Wohl des Vaterlandes gleichgültig sei. Das ist der schlimmste Punkt in Wahrheit und dem Schein nach, denn das bloße Deprezieren, d a ß ich dem angetragenen Posten nicht gewachsen sei, wird man für Verstellung und affektierte Bescheidenheit halten" 2 ). Trotzdem wurde mit diesem durchsichtigen Scheinargument nachdrücklich zu arbeiten versucht. Wie mußte auf einen Mann wie Dohna, welcher doch Humboldts Lebensgang und seinen Geist kannte, die lange Ausführung in der amtlichen Eingabe vom 14. Januar wirken, daß Humboldt durch seine lange Abwesenheit von Deutschland dem deutschen Geistesleben im allgemeinen, der deutschen Literatur und dem Unterrichtswesen im besonderen so fremd geworden sei, daß er sich selbst „als sehr wenig geeignet für diesen Platz" bezeichnen müsse? Die tiefe Unlust zu der ihm bestimmten Aufgabe spricht er der Gattin gegenüber aus: „was läßt sich jetzt im Preußischen tun, wo man so wenig Mittel hat? Gelehrte dirigieren ist nicht viel besser als eine Komödiantentruppe unter sich zu haben, und dies ganze Fach ist der Beurteilung, gerechter und ungerechter, eines

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jeden ausgesetzt." Eine ähnliche Scheu vor der Kritik und vor der Verantwortung — sie erinnert uns an die Gründe, welche dem jungen Humboldt den Beruf des Richters verleideten — kehrt wieder, wenn er in einem amtlichen Schriftstück die Schwierigkeiten der neuen Tätigkeit damit bezeichnet, daß man in ihr gezwungen sei „de faire valoir souvent plus ses succès que ses motifs" 1 ). Im gleichen Augenblick aber, und das ist ein Zug, der stets an Humboldts politischer Stellungnahme zu beobachten sein wird, wo die Scheu vor der Verantwortung und die Abneigung gegen das eingreifende Handeln sich regen, fordert er wieder völlige Freiheit und selbständige Verantwortlichkeit für seine Tätigkeit. Es ist eins der nicht zahlreichen sachlichen Argumente gegen die ihm bestimmte Verwendung, wenn er angesichts des weiten Umfangs und der schwierigen Natur seines künftigen Geschäftsbereichs betont, daß über den Grad der Abhängigkeit der Geheimen Staatsräte als Sektionschefs von dem vorgesetzten Minister nicht genügende Klarheit obwalte. Denn, obwohl er Untergebener des Ministers sei nach der neuen Verwaltungsordnung, falle ihm doch die volle Verantwortung für seinen Amtsbereich zu. Gegen diese Verantwortlichkeit, soweit sie ihm verstattet, „etwas Eigenes zu leisten", hat Humboldts Ehrgeiz, welcher jetzt deutlich zutage tritt, nichts einzuwenden. Aber sein Doktrinarismus meldet sich gleichzeitig, welcher in Verkennung des Wesens politischen Handelns jetzt schon den Grundsatz aufstellt : „En tout ce qui est affaire et service, ce n'est que l'Ordre établi des choses, et non pas les personnes qui puissent rassurer" 2 ). Damit sind die drei entscheidenden Momente angedeutet, welche das Verhalten Humboldts gegenüber politischen Aufgaben überhaupt zu bestimmen pflegen: eine scheue Ängstlichkeit, welche ihn zurückhält; ein Ehrgeiz, welcher im Bewußtsein, mehr leisten zu können als andere, ihn vorwärtsdrängt; eine starre Theorie von der Wichtigkeit der politischen Formen, welche ihn sehr bald und immer wieder in Konflikte hineintreibt, in denen er durch seinen Doktrinarismus unterliegt gegenüber Gegnern, die wie Hardenberg das Wechselspiel zwischen der festen Form und der lebendigen Person klarer durchschauen und leichter handhaben als er 3 ). So wechselt denn die Stimmung dieser Wochen zwischen Hoffnung und Resignation, je nachdem, wie unbestimmte Gerüchte und der Glaube an die Wirksamkeit seiner Gründe ihm eine baldige Rückkehr nach Rom als gewiß erscheinen lassen; oder die Einsicht in die Logik der Tatsachen, in das Zwingende seiner Lage ihn davon überzeugt, d a ß er dem Antrag nicht ausweichen könne. „Kann man Gutes zu wirken hoffen in dieser Lage? Opfert man nicht bloß sich ohne reellen, viel weniger ohne großen Nutzen? Alles das geht mir entsetzlich im Kopf

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herum; ich weiß noch nicht, ob ich nicht entschieden nein sage. Aber ich fürchte das Geschrei von Undankbarkeit, Mangel an Vaterlandsliebe, Verlassen der Unglücklichen! Ich fürchte, man wird sagen, der Posten, zu welchem man mich rufe, sei welcher er wolle, so sei damit nicht gesagt, daß ich sonst keinen Einfluß haben werde; es sei der erste Schritt zu jedem andern; wenn ich nicht annähme, entziehe ich mich nicht bloß diesem Geschäft, sondern aller Teilnahme an der jetzigen in hohem Grade sorgenvollen Lage. . . Man tut im Leben oft etwas anderes als das, wozu man berufen war, und wirkt schon oft durch seine bloße Gegeowart." Es daraufhin zu wagen, dazu ermunterte ihn mancher Zuruf von befreundeter Seite, wo man die Dinge weniger kompliziert ansah. Knebel, der alte preußische Gardeoffizier und Freund Goethes, nannte Humboldts beabsichtigte Weigerung „ganz unpatriotisch und egoistisch. Nach Rom zurückgehen, hieße wirklich sich expatriieren, was auch für die Kinder nicht ratsam sei". Sehr einfach sprach auch Frau von Stael aus, was not tat : ,,tous les honnêtes gens se doivent à ce pauvre pays de Prusse." Ganz nüchtern hatte Stein die Sachlage bezeichnet: „Herrn von Humboldt kann ich nicht loslassen. Der Aufenthalt in Rom mag angenehm sein, aber das Gesandtenverhältnis ist jetzt dem Staat wenig nützlich." Resigniert meinte Humboldt : „die Menschen tun jetzt, als ob niemand in Preußen mehr ohne mich lesen lernen könnte". Und die nahende Entscheidung des „schweren Schicksals" ließ ihn aussprechen, was dann bald genug eintreten sollte: „Entschluß und Überlegung schweifen immer unstät und unsicher umher, indes schlingt das Schicksal unbemerkt seine Fäden, und man hat kaum mehr zu tun, als zu sehen, wie man gefangen ist"1). Schließlich entschloß er sich dazu, nachdem er eingesehen, daß er nicht mehr zurück k o n n t e , auch nicht mehr zurück zu w o l l e n . Es halfen dabei Erwägungen mit, welche er selbst wohl der Sphäre des „Materialismus" zuweisen mochte, während sie im Grunde nur einfacher statt verwickelter Natur waren und auf Gefühle und Gedanken hinauskamen, welchen „jeder andre" an seiner Stelle auch Raum gegeben haben würde. Zunächst ist es unverkennbar, daß nach seiner Ankunft in Berlin die allgemeinen Erwartungen, welche an seinen Übertritt in die Verwaltung sich knüpften, seinem Selbstgefühl geschmeichelt und seinen Ehrgeiz geweckt haben. Um die Mitte des Januar freilich machte er nochmals den Versuch, loszukommen, und gab sich der trügerischen Hoffnung hin. daß es gelungen sei. Im Grunde hatte er sich doch schon damit abgefunden, im Augenblick mehr nicht erreichen zu können als die Zusicherung, nach Erledigung der ihm zugefallenen Organisationsaufgabe gegebenenfalls wieder nach Rom zurückkehren zu dürfen. Nur auf eine

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Dauer von 4—5 Jahren veranschlagte er das ihm bevorstehende „Exil" in der Heimat. Schließlich sah er sich wirtschaftlich nicht mehr imstande, es auf den Abschied aus dem Dienst und damit auf den Verlust seines ansehnlichen Gehalts ankommen zu lassen. „Traurig ist das alles unendlich. Aber ich glaube nicht, daß ich mich der Pflicht zu wirken entziehen kann. Uns selbst könnte es wehtun und reuen, wenn wir in Rom säßen und es hier auf eine Weise übel ginge, zu deren Änderung ich hätte beitragen können. Wir gehören einmal zu dem Lande, unsere Kinder auch, ganz müßig kann man dabei nicht bleiben" 1 ). So traf die endliche Entscheidung des Königs ihn nicht unvorbereitet, als eine Kabinetts-Order vom 20. Februar ihn zum Chef der Kultussektion ernannte und die spätere Rückkehr nach Rom offenhielt. Es tröstete ihn, „daß doch noch der süße Name Rom darin wiederklingt". Etwas anderes verdroß ihn. Sehr angenehm hätte er es empfunden, daß die erste Mitteilung seiner künftigen Bestimmung „nicht in Form einer Ernennung, sondern in Form eines Antrags" gehalten war. Auch jetzt noch erwartete er, man würde ihn einladen, anzunehmen, oder ihm sagen, daß sein Hierbleiben nötig sei. „Statt dessen heißt es gegen alle Wahrheit, ich hätte angenommen." Diese Auffassung aber war ein Irrtum Humboldts, ein Ausfluß jener Neigimg zur Selbsttäuschung, der er sehr oft in amtlichen Verhandlungen noch zum Opfer fallen sollte8). Wie bedeutsam die Rolle auch war, welche den Erwägungen „materieller" Art bei dieser Entscheidung zufallen mußte, das innerste Problem, mit welchem Humboldt sich abzufinden hatte, war in ihnen noch nicht zur Sprache gekommen. Sogar der Gattin gegenüber hat er den eigentlichen Kern des Entschlusses, um den es sich handeln mußte, nur wie mit absichtlicher Flüchtigkeit gestreift, eben weil hier mehr noch als in der äußeren Umgestaltung des Lebens sichtbar wurde, daß und inwiefern eine Wendung des Schicksals bevorstand, welche auch der inneren Richtung seines Lebens ein anderes Ziel weisen mußte. Wenn schon so mancher der früher sichtbaren Einschnitte in seinem Leben zur Veranlassung geworden war, die gern geübte Reflexion über das Dasein zusammenfassen und zu steigern zu einer tiefgreifenden und umfassenden Ubersicht über Gewinn und Verlust, die festzustellen waren oder zu erwarten standen, so mußte ihm besonders jetzt daran liegen, eine solche Bilanz zu ziehen®). An einem stillen Novemberabend in der erinnerungsreichen Umgebung des Erfurter Hauses wendete er den Blick zurück auf die Zeit in Rom. Erneut sprach er es aus, was er früher schon dem Freund und der Gattin anvertraut hatte: daß die amtliche Tätigkeit bei all ihrer Bescheidenheit ihm wertvolle Hilfe gebracht habe für die Gestaltung des Lebens. Sei er vorher schwächer, unbestimmter, leichter ohne Not ver-

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drießlich und melancholisch gewesen, so habe er in Rom gelernt, fester zu wollen und bestimmter im Innern zu sein. Darum sieht er der Möglichkeit, eine bedeutende Tätigkeit während eines oder zweier Jahre in der Heimat ausüben zu sollen, mit ruhigem Mut entgegen. Und doch — er fürchtete diese Zukunft. „ W e n n d a s H a n d e l n k e i n e W i c h t i g k e i t h a t , * ) oder doch nur momentweise und in weit entfernter Epoche, wenn nur das H i n r i n n e n d e s L e b e n s , * ) wie es mit uns in Rom war, das eigentlich Bedeutende ist, dann ist es schrecklich, das schönere, ja das einzig schöne Element gekannt und genossein zu haben und nun zu entbehren. . . Wirklich ist es schwer, so wenig an die Kraft des Schönen oder so sehr an seine eigene zu glauben, um Himmel und Umgebung aus übelverstandenem Selbstvertrauen mit Gleichgültigkeit zu vertauschen." Mit anderen Worten: er wußte, d a ß nicht nur eine Wendung im äußeren Geschick ihm bevorstand, wenn er jetzt den Platz des genießenden Zuschauers vertauschte mit einer handelnden Rolle auf der politischen Bühne. E r wußte, daß eine bedeutungsvolle Umwertung im weltanschaulichen Bereich nicht zu umgehen war. Denn das Opfer des Lebens in römischer Schönheit konnte sinnvoll werden nur, wenn das ganze Leben, wenn die Stellung zur „Wirklichkeit" unter ganz andere Gesichtspunkte trat, als sie bisher ihm den Wert der Dinge bestimmten. Hielt er an dem fest, was ihm bis jetzt als das Höchste gegolten hatte: an dem „Hinrinnen des Lebens", an dem Genuß alles dessen, was „Anlaß" sein konnte zum Genuß, dann entbehrte die Entscheidung, auf welche die Umstände drängten jeden Sinnes. Sinnvoll konnte sie nur werden, wenn das tägliche Handeln im wirkenden Leben w i c h t i g wurde. Wichtig wieder konnte es nur werden, wenn auch das Ziel des Handelns, der Erfolg, in seiner Bedeutung anerkannt und gleichgesetzt wurde mit dem Grunde, mit der „inneren Zurechnung", d. h. wenn „Wirklichkeit" und „Idee" in gleichem Range nebeneinander zu stehen kamen 1 ). Sollte diese Umwertung eintreten, dann mußte jener frühere Grundsatz fallen, daß „die Handlungen gleichgültig seien für den Weltlauf". 1 Es mußte an die Stelle des romantischen Träumens, welchem der wirkliche Augenblick nichts gilt, jene Entschlossenheit zu zwecksetzender Tätigkeit treten, welche mit „einem Postulat in weiland Kantischem Sinne, um auch nur für den Augenblick mit Wirksamkeit handeln zu können, annehmen muß, das Wirken sei für die Ewigkeit. In diesem leider nur zu bedingten Imperativ gebe ich meine Vernunft und bessere Überzeugung gefangen" 8 ). Dieser Satz aus dem ersten Brief Humboldts an seinen nächsten Mitarbeiter im neuen Amt, an den Staatsrat G. H. Nicolovius, gewährt den wichtigsten Einblick in die Umwertung seiner Lebenswerte. Und er

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läßt ferner erkennen, daß sie aus bewußtem Entschluß, mit einer Entscheidung des Willens geschah, nicht ohne d a ß sie durch eine langsame Entwicklung vorbereitet gewesen wäre. Schon um ein Jahrzehnt früher wird der Ansatzpunkt der Wandlung sichtbar. Im Sommer 1800 schreibt Humboldt in einem seiner Briefe an Germaine Stael-Necker den bedeutsamen Satz: „le défaut caractéristique de notre siècle est l'impatience jointe au doute. Libres de préjugés . . . nous sommes environnés de doutes, nous reculons à chaque pas . . . il y aura peu d'hommes parmi ceux qui ont agi sur la scène pendant ces dernières dix années, qui en choisissant un parti, n'eussent pas vû avec une clarté à peu près égale les avantages et les inconvénients, ce qui coupe toujours le nerf aux actions . . . Nous manquons à la fois de point de départ et d'arrivée" 1 ). Es mag dahingestellt bleiben, ob die scharfsinnige Beobachtung in der Tat, wie Humboldt meinte, auf alle handelnden Personen seiner Zeit ihre Anwendung finden konnte. D a ß sie auf Leute seines Schlages, daß sie auf den vom Zweifel befangenen und im Zweifel lebenden „gebildeten Menschen" zutraf, steht außer Frage. Sie sprach vor allem aus, wie er selbst spürte, daß ihm der Nerv zum wirksamen Handeln zerschnitten sei. „Ohne Ausgangspunkt und ohne Ziel", wie sollte man dann handeln können? So wie er damals gestimmt war, immer noch auf der Suche nach dem Glück auf der einen, nach der Leistung auf der andern Seite — bei dieser inneren Voraussetzung konnte er die Welt der Tat nicht anders sehen, als er es hier aussprach. Im Verlauf der Jahre aber hatten die Voraussetzungen sich geändert. Zwar die eigentliche „Leistung" hatte er noch nicht gefunden. Aber über das „Glück" des Lebens dachte er jetzt anders als voreinst ; nicht n u r im Genuß wollte er ihm begegnen ; er hat nicht nur den Glauben an das „impertinente Glück" als vorbestimmten Begleiter seines Lebens verloren, er hat auch den „Willen zum Glück" eingebüßt. Während der römischen Jahre, unter dem Erlebnis der wiederholten Schicksalsschläge hat sein einst so starker Trieb zum Glück sich gewandelt in eine ganz anders bedingte Schicksalsbereitschaft, in einen amor fati, der auch zum Opfer bereit ist. „Ich weiß sehr wohl," — ein halbes Jahr nach dem Tode des ältesten Sohnes spricht er es aus, — „daß unser Leben von jetzt an nicht mehr so glücklich sein kann. Es ist einmal in seinem Innern gestört. Aber es kommt nicht eigentlich darauf an, glücklich zu leben, sondern sein Schicksal zu vollenden und alles Menschliche auf seine Weise zu erschöpfen." Im gleichen Sinne schrieb er an Frau von Staël: „l'homme n'est pas fait pour être précisément heureux, mais pour remplir l'existence telle que le sort la lui a donnée" 2 ).

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Nicht sofort und langsam nur haben diese Keime einer veränderten Ansicht des Lebens sich entfaltet. Aber eben jetzt waren sie so weit gereift, daß Humboldt den Mut fand, „mit einer Art schonungsloser Kühnheit ins Leben einzugreifen und es auszuleben". Jetzt war die Wolke der hemmenden Zweifel so weit zurückgewichen, d a ß er den „Ausgangspunkt" erkannte und anerkannte, welcher in der schicksalhaften Verbundenheit mit dem Heimatstaat sich ihm darbot. Und mit dem Ausgangspunkt gewann er auch ein Ziel: die bedeutende Tätigkeit für das Ganze, „dem er nun einmal angehörte". Gewiß, es war eine Bereitschaft auf dem Hintergrunde des Verzichts, zu der er sich mehr verstand, als daß sie ihn vorwärts getrieben hätte. Aber mit bewußtem Entschluß bestimmte er sich dem neuen Ziel. Hatten die römischen Jahre bereits die romantische Willkürlichkeit seiner geistigen Haltung überwunden, so brachte die Wendung zum Staatsdienst zugleich die Abkehr von jener romantisierenden Stimmung, welche im wirklichen Leben nur den „Anlaß" erblicken wollte zu stimmungsvoller Reflexion'). Nicht ganz freiwillig und nicht ohne freien Willen wird von nun an das alltägliche Dasein als vollgültige Wirklichkeit genommen, in welche der merkwürdige Mann zu Zeiten sich ebenso mit emsiger Kleinarbeit zu verlieren schien, wie er sonst in die Welt der Gedankenträume sich versenkte 2 ). Freilich, das Bewußtsein des Opfers, welches er brachte, das Gefühl, nur „vor den Kulissen" zu leben, hat er nie verloren; er hat beides gepflegt und gehegt, vielleicht aus der Empfindung des fortwährenden Gegensatzes beider Lebensformen eine Bereicherung seines Lebensgefühls gewonnen. Es ist eine allmähliche Entwicklung, welche in langsamem Aufstieg bis zum Höhepunkt einer vorbehaltlosen Hingabe an Volk und Staat während der bewegten Kriegsjahre 1813/15 führt, um ebenso langsam in dem abebbenden Lustrum bis 1820 wieder abzuklingen. Aber die Zeitspanne dieser Jahre umfaßt den einen Gewinn, den er bisher vergeblich erstrebt hatte: die wirkliche, große „Leistung", das „Werk für andere", welches ihn selbst befriedigte und die lang gehemmten Kräfte freigab zum „Beweis, daß er verdiente, da gewesen zu sein"*). Ganz unbegreiflich würde das lange Widerstreben Humboldts gegen seine neue Bestimmung erscheinen, wenn man es nur aus dem geschichtlichen Rückblick auf sein erfolgreiches Wirken beurteilen wollte. E s liegt sehr nah, wie das Beispiel Hayms beweist, im Blick auf die vom Gelingen begünstigte Wirksamkeit den Schluß zu ziehen auf eine „prästabilierte Harmonie" zwischen Humboldts bisherigem Lebensgang und dem ihm zugedachten Amt. Befangen im Anblick dieses durch den Erfolg erwiesenen Zusammentreffens der Kräfte des Mannes mit dem Um-

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fang seiner Aufgabe, hat man hinweggesehen über das tief begründete und nur schwer überwundene Zögern bei der Annahme der Berufung. Und doch stand es so, daß. er drauf und dran gewesen war, sich dem Eintritt in den seiner Anlage wie seiner Bildung am meisten entsprechenden Wirkungskreis zu versagen. Trotzdem bezeichnen die knappen anderthalb Jahre vom März 1809 bis Juni 1810 den Höhepunkt seiner amtlichen Laufbahn, — mochte er auch später zu höheren Ehren gelangen — und zugleich den Höhepunkt seines wirkenden Lebens. In diesem überwindenden „Trotzdem" liegt ein größerer Wert beschlossen, als er in einem leicht gefügten und sich fügenden „Weil" zu finden wäre. Jetzt schlug die glückliche Stunde des Daseins, in welcher am gelegenen Stoff die formende Hand endlich ihr Werk zu gestalten vermochte. „Ich habe mir immer gedacht, es müsse zwei Arten von Menschen geben, eine, die Ideale schüfe . . . die andere, welche die Wirklichkeit dem Ideal näher brächte." Die „Funktionen beider zu vermischen", was dem jungen Humboldt ein gefährliches Beginnen schien, unternahm der reife Humboldt jetzt insofern, als er daran ging, seiner „Idee" der Wissenschaft in der Organisation der wissenschaftlichen Anstalten in Preußen sichtbaren Ausdruck zu geben. Kurz vor der Rückkehr nach Deutschland zum Mitglied der Berliner Akademie gewählt, benutzte der neue „Chef der Gelehrsamkeit" seinen Eintritt in diese Körperschaft, um in kurzen Worten anzudeuten, welche „Ideen" seiner Wirksamkeit die Richtung geben würden1). War er vor sechs Jahren nach Rom als Repräsentant der norddeutschen Aufklärung gegangen, so kehrte er von jenseits der Alpen zurück nach Berlin als der Legat einer neuen deutschen Bildung, welche ein anderes Wissenschaftsideal verfolgte, als die in der Mehrzahl noch dem Geist des 18- Jahrhunderts zugewandten Mitglieder der Akademie. Denn nicht auf den Nutzen komme es an, welchen die „Wirklichkeit" sich von der Wissenschaft erwarte, so führte er aus, sondern auf den Geist der Wissenschaft, der „alles, was er behandelt, gleichsam ohne sein Zutun den höchsten Ideen anschmiegt . . . Dann gießt die Wissenschaft oft ihren wohltätigen Segen auf das Leben aus, wenn sie dasselbe gewissermaßen zu vergessen scheint". Ihr wahrer Wert zeigt sich darin, den menschlichen Geist so zu bilden, „daß er den schwer zu entdeckenden Punkt nicht verfehlt, auf welchem Gedanke und Wirklichkeit sich begegnen und freiwillig ineinander übergehen. Es gibt in allen wichtigen Geschäften des Lebens einen solchen Punkt, den nur der mit der reinen Wissenschaft Vertraute erreichen und nur das wahrhaft praktische Talent nie überschreiten wird". Im Bewußtsein, diese Vertrautheit zu besitzen, wies der Redner zugleich hin auf das umfassende Ziel jener Aufgabe, an welcher sein prak-

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tisches Talent sich erproben sollte. Das „Heiligtum von Wissenschaft und Kunst, aus dem auf alle, auch auf die entferntesten Glieder des Staates Licht und Wärme ausströmt", treu zu bewahren, — das sei das Ziel, auf welches trotz der Stürme der Zeit der Sinn gerichtet bleiben müsse: auf diesem „köstlichen Besitz" gründe sich „Ehre und Achtung der Nation", deren „seit langer Zeit, man darf es mit Zuversicht als Deutscher und Preuße sagen, bei dem gebildeten und unparteiischen Teile Europas" auch das deutsche Volk genieße. Sehr viel eigenes Erleben und eigenes Gedankengut hat in diesen Sätzen sich niedergeschlagen: wie weit sind dem „Geist" die Ziele gesteckt I wie bescheiden jedoch die Wechselwirkung eingeschätzt zwischen seiner Leistung und der kulturellen Geltung der Nation. Und in dieser kulturellen Geltung sah er im Grunde das einzig noch erreichbare Ziel in der Wirklichkeit des Lebens. Schon früher hatte er der nationalen Entwicklung ihre Ziele im Bereich der reinen Idee weisen zu sollen gemeint1). Geschah es damals aus idealistischer Unbekümmertheit um den gegenwärtigen Weltlauf, so trug derselbe Gedanke jetzt den sichtbaren Stempel des Verzichts auf die Möglichkeit, den Wert des deutschen Volkes auf einem andren, dem politischen Gebiet zur Geltung in der Welt zu bringen. Denn die Gedanken dieser Rede begegnen bereits wenig früher in dem letzten Brief, welchen Frau v. Stael aus Rom von ihm erhielt8). Sie hatte über die Eindrücke eines zweiten Aufenthaltes in Deutschland an ihn berichtet. Der Inhalt ihrer Schilderung ist uns nicht bekannt; aber sie muß jene Stimmung der Niedergedrücktheit berührt haben, welche im Gefolge der politischen Niederlage besonders im deutschen Norden die Gemüter erfüllte. Humboldt erklärt der Freundin diese Erscheinung damit, daß, so bitter das Zugeständnis ihn ankomme, in Deutschland bisher „Kopf, Charakter und Energie" sich nur der Erarbeitung „abstrakter Ideen" zugewandt hätten. Durch die Schuld der Regierungen sei es gekommen, daß der deutsche „Geist" gegenüber der politischen Wirklichkeit sich nur frondierend oder gleichgültig verhalten habe. Nun, nach der Katastrophe, sei der einzige Besitz der Nation, ihr literarischer Ruhm, auch bedroht in seinem Bestand — bedroht durch die Not, bedroht durch die Anziehungskraft der französischen Sprache und Literatur, welcher ein großer Teil Deutschlands sich nicht zu entziehen vermöge. Es bleibe für die Träger deutscher Geistigkeit dabei noch immer das erstrebenswerte Ziel, die deutsche Nation durch die Überlegenheit ihrer Wissenschaftsidee im geistigen Bereich ebenso zur Geltung zu bringen, wie sie im politischen Bereich der Geltung entbehre. Dieser voraufgehende Kommentar der Akademierede läßt noch deutlicher als jene den wirklich weltpolitischen Gesichtspunkt erkennen, unter welchem Humboldt seine Amts-

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tätigkeit ansah: als eine politische Arbeit für die geistige Geltung, den literarischen Ruhm deutscher Nation. In diesen Bezirk wiesen die Wurzeln jenes oft angeführten und nicht immer richtig verstandenen Satzes, welchen Humboldt in der Stunde des Abschiedes von seinem Berliner Amt niederschrieb: „es gibt doch nie ein Vaterland, dem man lieber angehören möchte, als Deutschland 1 )." Es war immerhin in diesem Gefühl und in jener Idee ein politisches Element, welches hinauszielte auf den Weltraum des europäischen Geistes in Gegenwart und Zukunft. Im engeren Rahmen dagegen der preußischen Staatsverwaltung mußten die Grundlagen ihrer Wirkung nun geschaffen werden durch eine nüchtern politische Betätigung „des praktischen Talents"'). Soweit die sachgemäße Verwaltung als solche in Frage kam, hat in der Tat die Befähigung Humboldts in erstaunlicher Weise sich bewährt ; nicht ebenso da, wo seine Tätigkeit und seine Absichten hinübergriffen in die eigentliche Politik. Noch bevor die endgültige Entscheidung gefallen war, hat der neue Chef der Kultussektion begonnen, einen Überblick zu gewinnen über den Geschäftsbereich seines neuen Amtes5). Mit großem Geschick paßte er sich „dem Wechsel der Lage" an; binnen kurzer Frist hat er sich in die Akten eingearbeitet und Fühlung genommen mit den nächsten Aufgaben, soweit die Trennung von dem in Königsberg amtierenden Ministerium die Möglichkeit gewährte. Da die Rückkehr des Königs und der obersten Behörden nach Berlin in absehbarer Zeit nicht zu erwarten stand, mußte Humboldt sich damit abfinden, den Wanderstab noch „tiefer in den Norden" zu setzen als bisher. Anfangs April übersiedelte er nach der Stadt Kants, „wo es schrecklich langweilig sein soll. Die Leute essen schlecht und lachen gamicht, und dabei macht man nichts Vernünftiges; es scheint ein kalter, trockener und uninteressanter Ernst zu herrschen" 4 ). Die Monate in Königsberg haben ihm doch mehr gehalten, als er sich von ihnen versprochen hatte. Zunächst fand er Gelegenheit, auf amtlichen Reisen in Ostpreußen Land und Leute des preußischen Kemlajides einmal aus ähnlicher Nähe kennen zu lernen, wie die Bewohner der baskischen Provinzen oder des Albanergebirges. Freilich- im Anblick der Landschaft am Pregel, „wo lauter Bäume, Gras und Kräuter konfus durcheinander wachsen, ohne Form und Gruppierung", erschien ihm „alles jenseits der Oder bezaubernd", und die goldene Aue, wo eins seiner Güter lag, „wie der Vorhof von Italien". Jetzt erst lernte er den Boden und die Struktur des Staates eigentlich kennen, an dessen Verwaltung er in leitender Stellung bereits beteiligt war. Zu seiner Überraschung erwies sich dieser Boden als sehr empfänglich für „alles, was auf Ideen beruht, also für Wissenschaft und Kunst; Geisteseigentümlichkeit und MannigK i e h l e r , Humboldt.

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faltigkeit ist hier überall, im Auslande weniger". Diese Entdeckung eröffnete günstige Aussichten auf den Fortgang seiner Tätigkeit1). Der Gewinn an persönlichen Berührungen war auch nicht gering zu veranschlagen. Seine nächsten Mitarbeiter, die Staatsräte Nicolovius und Süvem, waren Männer von eigener Prägung und weiter Bildung, mit denen es sich gut arbeiten ließ. In dem ebenso klugen wie leidenschaftlichen Theodor v. Schön lernte Humboldt einen der bedeutendsten Vertreter des schöpferischen Beamtentums jener Epoche kennen; er ist mit ihm bis in die Zeit nach seinem endgültigen Ausscheiden aus der Politik im Austausch geblieben über Fragen der hohen Verwaltung. Mit Gneisenau, der sich als guter Goethekenner erwies, fand Humboldt sich ebenso häufig zusammen wie mit Schamhorst, dem Mann „von liebenswürdigem und großem Charakter, der unter einem beinah träumerischen Ansehen sehr viel verbirgt". Durch den Minister Dohna, dessen täglicher Tischgast er in der ersten Zeit war, kam er mit den geistig belebten und patriotisch gestimmten Kreisen des ostpreußischen Adels in Berührung. In seinen bedeutsamsten Gestalten trat ihm das Preußen seiner Tage hier im begrenzten Raum entgegen, und ohne daß er sich dessen bewußt wurde, verwuchs Humboldt doch enger mit diesen Menschen, mit ihren Anliegen und ihren Mühen um den Aufbau des Staates*). Auch dem Königspaar begegnete er häufiger, sowohl im Dienst, wenn er etwa den Herrschaften einen ganzen Vormittag lang die neue Methode Pestalozzis in einer Volksschule vorzuführen hatte, oder auf mancherlei geselligen Veranstaltungen in der damaligen zwangslosen Form der armen Zeiten. Und trotz dieser spürbaren Armut vermochte er beim Monarchen die Erhöhung des römischen Stipendiums für seinen Schützling Rauch zu erreichen. Seit jenen Königsberger Tagen hat er für die ihm so fremde Natur des Königs dauernde Anhänglichkeit empfunden. Die Königin Luise hat er zu ihren Lebzeiten ebenso aufrichtig bewundert wie nach ihrem Hingang betrauert. Daß Rauch den Auftrag für das Grabmal der Königin erhielt, beruhte auf seiner und der Gattin Vermittlung. Eine Kopie ihrer Büste, welche der König ihm später schenkte, hat noch während des Wiener Kongresses Humboldts Arbeitszimmer geschmückt8). Mit der Prinzessin Luise Radziwill, der Schwester Louis Ferdinands, verband ihn seit dem Königsberger Sommer eine vorwiegend politisch gestimmte Freundschaft. Erst hier in Königsberg ist über das Bewußtsein seiner „Deutschheit" hinaus in ihm das Gefühl seiner inneren Verbundenheit mit der preußischen Verkörperung dieser „nationalen Individualität" wieder erwacht. Ohne diese Zeit würde er die Erhebung von 1813 nicht mitgelebt und durchkämpft haben, wie es dann geschehen ist, erst in dieser Umgebung konnte

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der Entschluß reifen, „fest und gewiß keinem anderen Lande wie Preußen zu dienen"'). Fleißige dienstliche Arbeit hat dem nach dem Norden Verbannten über das häufig empfundene Unbehagen hinweggeholfen. Eine staunenswerte Emsigkeit hat in jenen Monaten Antrag über Antrag, Entwurf nach Entwurf aus seiner Feder fließen lassen. Reskripte über Einzelfälle der literarischen Zensur; Vorschläge für eine geplante Medaille der Magistratsmitglieder ebenso wie für die Gründung einer Universität in Berlin; umfassende Pläne zur Reorganisation des Schulwesens und Anträge auf Berufung bedeutender Gelehrter in den preußischen Staatsdienst — alles dies und vieles andere entwarf der Leiter der Unterrichtsabteilung eigenhändig8). Nachdem sich der Umkreis seines Amtes einigermaßen übersehen ließ, stellte Humboldt in dem ersten Generalbericht seiner Sektion an den vorgesetzten Minister ein Programm für die nächste Zukunft auf. Zunächst mußte an die Ausgestaltung der eigenen Behörde gedacht werden, damit sie über die nötigen Kräfte verfügte, um sowohl die kirchlichen Angelegenheiten wie die allgemeine Unterrichtsverwaltung unter einheitlichem Gesichtspunkt staatlicher Leitung gemäß den großen Verwaltungsplänen von 1807 umzugestalten. Auch Stein hatte solche Gedanken sich zu eigen gemacht, was bei seinem „eingefleischten Engländertum" auffallen mußte; „alles soll einen gewissen Staatszuschnitt bekommen, selbst Religion und Wissenschaftspflege", so meldete der schwedische Geschäftsträger Brinckmann dem Freunde Schleiermacher nach Berlin'). Auffallend in der Tat, daß ein Stein für diese Gedanken pintrat, welche den staatlichen Bereich ausdehnten auf Gebiete, die ihm bisher sich hatten entziehen können; auffallender noch, daß der Urheber der Thesen gegen die Staatswirksamkeit dazu beitragen mußte. Aber eben der „Staat" trug den Fortschritt; nur mit den Mitteln staatlicher Verwaltung konnte auch die I d e e der neuen Bildung sich durchsetzen gegen den Widerstand in den staatlichen Behörden wie in den „Korporationen" alten Gepräges, welche großenteils noch das Schulwesen in der Hand hatten. So mußte Humboldt, trotz mancher mit Nachdruck betonter Vorbehalte, die Wirksamkeit des Staates ausdehnen helfen über die ihm bisher gesteckten Grenzen hinaus4). Die erste Aufgabe der zweckmäßig für ihre staatlichen Ziele eingerichteten Behörde bestand darin, „einen allgemeinen Schulplan festzusetzen, welcher sowohl die verschiedenen Arten der Schulen, als den Lehrplan und die Grundsätze der Methode, zwar nicht unbedingt vorschreibend, aber so, daß nicht ohne vorhergehende Darlegung der Gründe davon abgewichen werden darf, bestimmt". Damit war — und zwar in bewußtem Gegensatz zur freien Schulverwaltung Englands — der Anis*

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spruch des Staates auf genaue und bindende Regelung der Bildung seiner Untertanen, d. h. der Anspruch auf staatliche Formung einer „Gesinnung" des Einzelnen angemeldet und begründet. Es bedeutete, aus dem Gesichtspunkt von Humboldts Entwicklung, ein Zurückgreifen auf die Staatsbejahung des jugendlichen Humboldt von 1785 im Gegensatz zu der Theorie von 1792 — gewiß und glücklicherweise in gereifter Auffassung. Es war das wieder ein Beispiel seiner — von ihm selbst häufig festgestellten und beanstandeten — Fähigkeit zur „Anpassung", in diesem Fall der selbstverständlichen Anpassung an die ihm gestellte Aufgabe ; die Umstände forderten sie von ihm. Humboldt hat nicht „konsequent" an seiner Theorie festgehalten; ganz einfach deshalb, weil die Lage der Dinge und seine innere Stellung eine andere waren als die, in welcher die „Ideen" von 1792 entstanden. Die Ironie seiner Entwicklung brachte es mit sich, daß genau an dem Punkt, den er dem staatlichen Einfluß am meisten strittig gemacht hatte, seine eigene Wirksamkeit einsetzte, daß er dann durchaus nicht zaghaft war, die Machtstellung des Staates gegen „individuelle" Tendenzen im Dienst s e i n e r Ideen geltend zu machen. Die alte Erfahrung, daß die Staatsmacht sich anders ansieht, sobald man an ihr teil hat, als vom Standpunkt der Opposition, bewährte sich auch in seinem Erleben1). Widerspricht diese Darstellung nicht Humboldts eigenen Zeugnissen ? Es hat fast den Anschein. Denn gerade diesen ersten Bericht benutzte er, um dem Minister klar zu machen, daß der eigentliche Verwaltungszweck der Sektion erreicht sein würde, „wenn sie ihr Geschäft gänzlich in die Hände der Nation niederlegen und sich mit Erziehung und Unterricht nur noch in den höchsten Beziehungen derselben auf die anderen Teile der obersten Staatsverwaltung beschäftigen könnte". Wie ist das genauer zu verstehen? Zwei Gedankenreihen sind für Humboldt maßgebend, wenn hier auf die Möglichkeit einer Art von Selbstverwaltung der „pädagogischen Provinz" angespielt wird. Zunächst und in erster Linie beabsichtigt er, das Unterrichtswesen im ganzen und die untere Schulverwaltung im besonderen um ihrer selbst willen unabhängig zu machen, namentlich von den staatlichen Finanzen, durch Begründung besonderer Fonds für das Schulwesen. Da die „Erziehimg Sache der Nation sei", müsse diese um der Sache willen „in dies Interesse gezogen" werden; denn „die Nation wird selbst aufgeklärter und gesitteter, wenn sie zur Begründung der Aufklärung und Sittlichkeit in der heranwachsenden Generation mitwirkt". Das war der allgemeine, die heranwachsende wie die erwachsene Generation umfassende pädagogische Grundgedanke; er stimmte überein mit Steins Überzeugung, daß „der Staat" ein Erzieher des Volkes sein müsse „zum Gemeinsinn, zur Einsicht und Tat". Er wollte

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in den Einzelnen das Gefühl der Verantwortlichkeit wecken für die gemeinsame Gestaltung des Lebens; er war innenpolitisch orientiert, aber er stand auch im Zusammenhang mit dem außenpolitischen Geschehen jener Tage. Man erwartete den Ausbruch des zweiten französisch-österreichischen Krieges; wie leicht konnte Preußen in ihn hineingezogen werden! Es lag eine drückende Ungewißheit über allen Plänen, welche auf weite Sicht in die Zukunft bauen mußten. Und wo hätte man mehr mit der Zukunft rechnen müssen als im Bereich pädagogischer Anstalten? Wie schwer der finanzielle Druck des verlorenen Krieges auf Staat und Volk lastete, hatte Humboldt eigentlich erst in den letzten Monaten ganz erfahren. Darum sollte der Ausbau des Unterrichtswesens so unabhängig wie möglich von dem ungewissen Geschick des Staates betrieben werden, damit es „auch unter manchen Stürmen erhalten und im Falle äußersten Unglücks anderen Händen übergeben" werden könne; „man bekommt so einen Fonds, den selbst ein Feind einmal respektiert". Es war in der Tat „ein großer Plan", aus großen Gesichtspunkten gefaßt, auf beide Seiten des Staatslebens tunfassend berechnet; als Idee vorzüglich, aber unausführbar bei dem wirtschaftlichen Elend der Zeit, wie der erste Versuch am Königsberger Schulwesen bald bewies1). Andrerseits darf nicht übersehen werden, daß Humboldt die allgemeine, den Geist der Verwaltung bestimmende Leitung durchaus den staatlichen Instanzen gewahrt sehen wollte. Zwar schrieb er in dem großen „Organisationsplan der wissenschaftlichen Anstalten in Berlin" den berühmten Satz nieder, daß das wissenschaftliche und geistige Leben „unendlich besser gehen würde, ohne daß der Staat sich hineinmischt", und daß dieser die Pflicht habe, durch Beistellung der erforderlichen Mittel und Gewährung der Freiheit der Forschung „gut zu machen, was er selbst, wenngleich ohne seine Schuld, verdirbt oder gehindert hat". Aber der alte „idealistische" Pessimismus wandelt ihn erst wieder an, nachdem er selbst die Leitung der Dinge hatte aus der Hand geben müssen. Solange er sie besaß, trug er kein Bedenken, die „äußeren Formen und Mittel", welche es „in der positiven Gesellschaft für jedes ausgebreitete Wirken geben muß", nach seinen Ideen anzuwenden, um das „Prinzip" seines Handelns mit dem „Ideal", dem er zustrebte, „in eine Idee zu verknüpfen"1). Das Gefühl jener „Schuld" des Staates hinderte ihn keineswegs, zu eigener Freudigkeit und Befriedigimg als Sachwalter des Staates dem Geist seinen Weg vorzuschreiben. Am glücklichsten bekundete sich Humboldts Verwaitungstalent in der Durchführung eines großen Unternehmens, welches schon seit geraumer Zeit von verschiedenen Seiten erwogen worden war: der Gründung einer Universität in Berlin. Seitdem der Verlust Halles den Staat

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seiner führenden Universität beraubt hatte, wurde das Bedürfnis nach einem Ersatz dringend empfunden. An der von Napoleon mit besonderem Mißtrauen behandelten Hallenser „Landesuniversität" hoffte man auf die Verlegung nach Berlin, wo die mancherlei nebeneinander bestehenden, vorwiegend naturwissenschaftlichen Institute schon früher den Gedanken der Zusammenfassung in eine Hochschule nahegelegt hatten. Einer nach Memel entsendeten Deputation der Universität Halle gegenüber fiel die berühmte Bemerkung des Königs, daß der Staat durch geistige Kräfte ersetzen müsse, was er an physischen verloren habe. Dieser Ausspruch gilt als „das eigentlich schaffende Wort" für die neue Gründung, welche doch erst drei Jahre später durch Humboldts Verdienst ihre endgültige Gestaltung gefunden hat1). Bis zum Zeitpunkt seiner Amtsübernahme war mancherlei erwogen und geplant worden, ohne daß eis feste Gestalt gewonnen hätte. Es ist und bleibt das eigene Verdienst Humboldts, in verhältnismäßig kurzer Zeit die Sachlage geklärt, das Mögliche vom Unmöglichen geschieden, die materiellen Grundlagen geschaffen zu haben, so daß mit dem Herbst 1810 die Berliner Universität ins Leben treten konnte. Über die geistigen Ziele einer den veränderten Vorstellungen von Wesen und Aufgabe der Wissenschaft entsprechenden Wissenschaftspflege durch den Staat waren gerade jetzt mancherlei Ideen im Umlauf; sie zielten alle auf Berlin als den für ihre Verwirklichung gelegensten Ort; die bedeutsamsten Wortführer waren Fichte und Schleiermacher. Aus diesen Projekten der reinen Theorie eine mit der allgemeinen Geistesrichtung übereinkommende Auffassung des Zweckes einer modernen Hochschule herauszuschälen — darin gerade mußte Humboldts Überlegenheit vor allen anderen Beamten des höheren Dienstes zur Geltung kommen. Seine umfassende Kenntnis der wissenschaftlichen Situation befähigte ihn zu sicherem Urteil; mit diesem vereinigten die eigenen Ideen sich zu einer so festen und überzeugenden Fassung der allgemeinen Anschauung von der Sache, daß sie die für Gegenwart und Zukunft tragfähige Unterlage einer in solchem Umfang vom Preußischen Staat noch nicht unternommenen „Veranstaltung" abzugeben vermochten*). Sein „praktisches Talent" legte eine glänzende Probe ab in der geschickten Bereitstellung der Mittel, die er trotz der finanziellen Notlage des Staates flüssig zu machen und zu sichern wußte, ferner in dem glücklichen Griff, welcher in einem Königlichen Palais — der Berliner Residenz des Rheinsberger Bruders Friedrichs des Großen, des Prinzen Heinrich — der Wissenschaft eine würdige Heimstätte, wie sonst nirgends in Deutschland, anzuweisen vermochte. Seine Menschenkenntnis und seine Gabe des Umgangs mit Menschen setzte ihn vor anderen in die Lage,

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mit dem schwer zu behandelnden Geschlecht der Gelehrten umzugehen und der neuen Hochschule die klangvollsten Namen der Wissenschaft zu gewinnen. Die Verhandlungen, welche hier zu betreiben waren, geschahen unter Voraussetzungen, welche sachlich wie menschlich seinem eigenen Leben und Wesen ganz vertraut waren. So ist es als sein ausschließliches Verdienst in Anspruch zu nehmen, daß die Universität Berlin mit einem Lehrkörper ins Leben trat, welchem Schleiermacher, Savigny, Reil, Fichte, F. A. Wolf angehörten. Wenn der verarmte und bedeutungslose Staat der deutschen Wissenschaft ein Mäzenatentum außer jedem Vergleich erweisen konnte, so war es das Werk Wilhelm Humboldts1). Was im Herbst 1808 als geistespolitisches Ziel ihm vorgeschwebt hatte: die Wissenschaftsidee des deutschen Geistes zur Geltung in der Welt zu bringen — er hatte in einem ersten und glücklichen Wurf die Voraussetzungen dazu geschaffen, soweit dem Ziel mit äußeren Mitteln beizukommen war. Denn mit der Idee der Universität, wie er sie in sich trug und nun verwirklicht hatte, in der Wechselwirkung zwischen Forschung una Lehre, war er sich bewußt, eine Form geistigen Lebens geschaffen zu haben, welche das Ausland nicht besaß'). „Der Universität ist vorbehalten, was nur der Mensch durch und in sich selbst finden kann, die Einsicht in die reine Wissenschaft. Zu diesem Selbstaktus im eigentlichsten Verstand ist notwendig Freiheit und hülfreich Einsamkeit, und aus diesen beiden Punkten fließt zugleich die ganze äußere Organisation der Universitäten", so bezeichnete er zuerst mit unbeholfener, aber für ihn charakteristischer Diktion seine „Idee" der Universität, welche in durchsichtigerer Schilderung folgendermaßen als Leitgedanke seines späteren großen Organisationsplanes hervortritt: da die bestehenden und geplanten wissenschaftlichen Anstalten „der reinen Idee der Wissenschaft" zu dienen bestimmt sind, „so sind Einsamkeit und Freiheit die in ihrem Kreise vorwaltenden Prinzipien. Da aber auch das geistige Wirken in der Menschheit nur als Zusammenwirken gedeiht, . . . so muß die innere Organisation dieser Anstalten ein ununterbrochenes, sich immer selbst wieder belebendes, aber ungezwungenes und absichtsloses Zusammenwirken hervorbringen und unterhalten". Ferner entspricht es ihrer Eigenart, „die Wissenschaft immer als ein noch nicht ganz aufgelöstes Problem zu behandeln und immer im Forschen zu bleiben, da die Schule es nur mit fertigen und abgemachten Kenntnissen zu tun hat und lernt. Das Verhältnis zwischen Lehrer und Schüler wird daher durchaus ein anderes als vorher. Der erstere ist nicht für die letzteren, beide sind für die Wissenschaft da." Das war der große Fortschritt und der entscheidende Unterschied gegenüber der Universitätsidee des ver-

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gangenen Jahrhunderts, daß die neue Universität Lehre und Forschung in enger Wechselwirkung nebeneinander zur Aufgabe haben, daß sie Wissenschaft nicht nur tradieren, sondern produzieren sollte. In enger Wechselwirkung sollten auch die Fakultäten die universitas literarum aufs neue verkörpern, im Gegensatz zu dem im 18. Jahrhundert häufig geübten Verfahren, in einzelnen Instituten einzelne Zweige der Wissenschaft zu fördern. In der Zusammenfassung wie in der Wechselwirkung der mannigfachen Zweige des Forschens sah er das Zeichen „der ächt wissenschaftlichen Bildung, wie man sie bisher wirklich nur in Deutschland recht kennt"1). Hierin schien ihm jene Überlegenheit deutscher Wissenschaft verbürgt zu sein, welche er noch von Rom aus gegenüber Frau von Stael gerühmt hatte. In ihr sah er eine werbende Kraft für den Heimatstaat, welcher die Wissenschaft fördernd und schützend „auf die Bildung der ganzen, dieselbe Sprache redenden Nation . . . in intellektueller und moralischer Richtung den entscheidendsten Einfluß auszuüben vermöchte". Nicht um der „reinen Idee" willen sollte dieser Einfluß erstrebt werden; Humboldt erkannte an, daß die U n i v e r s i t ä t anders als eine Akademie, „enger mit dem Interesse des Staates verbunden sei". Aus diesem Tatbestand zog er die Folgerung, daß „Preußen, statt daß es ehemals eine große politische Macht besaß, jetzt eine moralische gewinnen soll" — ein Gedanke, dem Anschein nach verwandt mit dem „Gründungswort" Friedrich Wilhelms III., aber doch weniger realistisch gedacht, noch mehr abzielend auf jene kulturelle Geltung in der Welt, auf die er schon 1808 verwiesen hatte*). Und es steht außer jedem Zweifel, daß die Universität Berlin dieser Idee Humboldts entsprochen und dem Staate Preußen bei seinem langsamen Aufstieg zur Führung des deutschen Volkes eine unersetzliche moralische, oder klarer und besser gesagt: geistige Bundesgenossenschaft bedeutet hat. Sie gewährte die wirksame Handhabe, um am bildsamsten Stoff der Zukunft „die Ideen zum Stempel der Wirklichkeit" werden zu lassen, wie seine Antrittsrede in der Akademie es als eigentliche Aufgabe des Staatsmannes bezeichnet hatte. „Die Notwendigkeit der Gegenwart und die Hoffnung der Zukunft bleiben die großen Göttinnen, von denen die eine schlecht tröstet und die andere oft enttäuscht." Die Hoffnung auf eine baldige Rückkehr nach Rom, welche Humboldt bei dieser Niederschrift erfüllte, hat ihn allerdings enttäuscht. Um so besser und nachhaltiger tröstete gegen sein Erwarten die „große Göttin Gegenwart", nachdem er sich entschlossen, sie mit „heiterem Mute" zu behandeln. Denn, wenn wir uns fragen, wie die amtliche Tätigkeit, deren Art und Inhalt wir uns anschaulich zu machen versuchten, auf den Staatsmann wider Willen gewirkt hat, so ist

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die Antwort überraschend. Wo immer Humboldt in einen neuen Lebenskreis trat — in Jena, in Paris, selbst in Rom —, war auf (den ersten Moment unsagbarer Beglückung ein Rückschlag eingetreten. Es folgte auf die Lust des Genießens der Überdruß, sobald der „Reiz der Neuheit" ausgekostet war; es befiel ihn tiefe Verstimmung, die Sehnsucht nach vergangenem oder nach künftigem Genuß ergriff von ihm Besitz1). Ganz anders jetzt: trotz des „kimmerischen Nordens", in den er verbannt war, trotz der Ungewohnheit der dienstlichen Arbeit, trotz des Zwanges „zu einer nach außen gerichteten Aufmerksamkeit, die mit dem vorigen Leben in frappantem Kontrast steht", trotz, endlich, der unerwartet langen und schwerempfundenen Trennung von der Gattin — trotz alledem wird kein Laut vernehmbar, der an jene tiefen, aus Überdruß und Sehnsucht erwachsenden Verstimmungen erinnerte, welche in den Briefen an Schiller und Gentz wie im Tagebuch ihren Niederschlag fanden. Eine Überraschung gewiß, aber ebenso gewiß kein Wunder. Denn aus dem Genießenden ist ein schaffender Mensch geworden, an dem sich der Segen der Arbeit, die mehr ist als eine Beschäftigung, auswirkt in „Heiterkeit und Ruhe des Geistes"; nach eigenem Geständnis machte sie ihn „lebendiger und regsamer". — „Du kommst mir vor wie Saul, der Sohn Kis, der ausging, seines Vaters Eselinnen zu suchen, und ein Königreich fand" — diese Schlußworte der „Lehrjahre" galten durchaus dem gereiften Manne, der um äußerer Gründe willen das römische Paradies verließ und der königlichen Aufgabe seiner besonderen, ihm bestimmten Leistung auf dem Wege begegnete1). In der Tat ist Heiterkeit, eine gelassene Heiterkeit der Grundton seiner Briefe an die Gattin, allerdings erst nachdem die Entscheidung gefallen, nachdem die „neue Lage" auf absehbare Zeit als unabänderlich zu betrachten ist. Nun wirkt der Reiz, der neuen Umgebung und der neuen Aufgabe sich „anzubilden"; in der einmal begonnenen Tätigkeit gesellt sich zum „Reiz" das gewichtigere Planen, welches an die Zukunft bindet; dies wieder weckt den Eigensinn, die entworfenen Pläne gegen etwaige Widerstände durchzusetzen, den Ehrgeiz, seine Fähigkeiten zur Geltung und zur Anerkennung zu bringen. Alle aktiven Elemente seiner Natur werden erregt und wenden sich zur Gegenwart, nachdem das Handeln und der Augenblick als „wichtig" anerkannt sind. So wichtig ist ihm die „Wirklichkeit" geworden, daß an ihr ein gültiger Maßstab erwächst für den Wert der individuellsten Form des Lebens, welche aller fremden Bewertung in ihrer Selbstbestimmung entzogen war, für die innere Rechtfertigung der Ehel „Der Mann ist einer edlen Frau nicht würdig, wenn er nicht sein Dasein, wo es möglich ist, an etwas Großes und Nützliches anknüpft. Und wenn er gut tut, in der flüchtigen

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Jugend auch in der Gegenwart ihr zu leben, so muß er bei vollendeter Reife vor ihr, selbst vor den Menschen sie rechtfertigen, daß sie ihn liebte I" Nichts bezeichnet so deutlich die innere Wandlung, welche in diesem Jahre in ihm sich vollzogen, nichts erweist so klar seine Neigung wie seine Fähigkeit zur „Anpassung" an Formen des Lebens, die ihm von Haus aus fremd sind, als diese Sätze es zum Ausdruck bringen. Sehr weit, aber nicht zu weit gehen in ihrer Deutung heißt es, wenn man feststellt, daß das große „romantische" Erlebnis dieser Verbindung sich nunmehr eingliedert in die Wertstufen der „großen Welt", welche doch unromantisch, welche „bürgerlich" ist, und daß sie in verwunderliche Nähe rückt zu einem sehr normalen, sehr durchschnittlichen Ehrgeiz des äußeren Lebens 1 ). „Alles geistige Leben des Menschen besteht im Ansichreißen der Welt, Umgestalten zur Idee und Verwirklichung der Idee in derselben Welt, der ihr Stoff angehört, und die Kraft und Art, w i e dies geschieht, werden durch die äußeren Lagen nur anders bestimmt, nicht geschaffen und festgesetzt*)." Kein treffenderes Merkwort läßt sich denken für den Versuch großen Stils, welchen Humboldt in diesem Jahr unternimmt, um durch gestaltete Ideen „die Welt an sich zu reißen": Wie ein entfesselter Strom ergießen sich die „Ideen" in die engen und verästelten Kanäle seiner Entwürfe und Denkschriften, welche den vertrockneten Boden des preußischen Unterrichtswesens in kurzer Überflutung wie zu ägyptischer Fruchtbarkeit durchtränken sollten. Die Gedankenmassen, welche seit Jahren um den Begriff und um das Ziel der Wissenschaft wie des geistigen Lebens unablässig kreisten, ohne daß er ihnen die Richtung auf einen theoretischen Gegenstand in Forschung und Darstellung zu geben vermocht hätte, — sie werden nun durch die von außen, aus der Wirklichkeit an ihn herantretende Aufgabe in Fluß und zur Formung gebracht. Eine große Entspannung tritt ein und findet ihren Ausdruck in jener Heiterkeit gelingenden Schaffens, von welcher wir sprachen. „Ich arbeite gern, füge mich in die Umstände und werde nie mutlos, und denke doch immer, indem ich auch wirklich für unseren Unterhalt diene, nur auf das Ganze, so daß man mir noch danken muß." Es war ihm eine gern ausgesprochene Genugtuung, daß er „der einzige im Staat war, dessen Tätigkeit einen in die Augen leuchtenden Fortgang" nahm. Es läßt sich in solchen Äußerungen eine gewisse Naivität der Selbstzufriedenheit nicht übersehen, welche gar nicht die Frage stellt nach dem Grunde dieses Gelingens, und welche die ungeheueren Schwierigkeiten, die dem Wirken der anderen Minister im Wege standen, nicht recht einzuschätzen weiß. Aber diese Heiterkeit war doch auch tiefer begründet. Er konnte der Lebensgenossin hinweghelfen über das Unge-

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mach der Trennung mit einer großen Ansicht ihres Erlebens: „Wir haben beide viel, wodurch man sich vorwärts hilft, und alles, womit man, wo nicht zu helfen steht, trägt, ohne zu sinken, und die Schauspiele der Welt sind jetzt groß. Der Einzelne geht leicht darin unter, aber es wird ihm auch leicht, sich, und sobald es nur unverschuldet ist, sein Untergehen zu übersehen. Ich habe nie mehr Lebensmut gehabt1)." Von den „beiden Polen des schönen menschlichen Daseins" erfüllte ihn nicht nur der eine, die Heiterkeit; auch der andere, die „innige Wehmut" gewann zuweilen Gewalt über ihn. Seine Stimmungen schwankten auch jetzt; aber er verstand es jetzt besser als früher, glücklich zu sein, vielleicht weil er es wollte. „Glücklich muß man immer sein, und immer nur durchs Schöne; ist's nicht durch Genuß, so ist's durch Sehnsucht." Zu ihr flüchtete er sich, da der Genuß versagt blieb; die Spannkraft für das tätige Leben erneuerte sich ihm in den einsamen Stunden, wenn die Sehnsucht ihm alles lebendig machte, was der Zauber Roms gewesen war: das Dasein mit der Gattin und der erlebte Traum der ewigen Stadt. Beides gehörte nun der Vergangenheit an; aber galt seine Liebe, sein Genießen, sein Versenken nicht immer besonders dem, was vergangen und dadurch unverlierbarer Besitz geworden war? „En fait de sentiments, rien n'est bien doux que ce que l'on a possédé." Nun konnte er, in den fast täglich nach Rom gesendeten Briefen den „Durst der Seele", nur in der Erinnerung zu leben, stillen an dem reichen Schatz des letzten Erlebens, wo das eben noch Gegenwärtige mit dem ersten leisen Schimmer des Vergangenen verschmolz, wo der lebendige Mensch — in der Entfernung ein um so teurerer Besitz, wie einst die Freunde — mit der Kraft des Magneten die innige Wehmut der süßen Sehnsucht an sich zog; wo alles Erlebte, das Vergangene wie das Ferne, zum „Anlaß" wurde unendlichen Gefühls, wo das Bewußtsein des „frappanten Kontrastes" mit der nüchternen Alltäglichkeit eine eigene Welt der geistigen Heimat zugleich schuf und den „Reiz" des Daseins erhöhte. Aber nicht nur dies; die Sehnsucht bedeutet ihm jetzt „das ewig reinigende und läuternde Prinzip" seines Lebens — das ist mehr als Genuß und mehr als Reiz. Und doch: in diesen Briefen, welche die Gedanken südwärts wie rückwärts schweifen ließen, regte und entfaltete sich der Romantiker8). Auch das war „Romantik", obschon von anderer Gattung, wenn im Hause des Arztes Motherby im abendlichen Kreis der Tasso und die Iphigenie mit verteilten Rollen gelesen wurden, wenn der Geheime Staatsrat und Chef der Sektion für die geistlichen Angelegenheiten in stillen Stunden kalter Winternächte vor den Fenstern der Frau des Hauses

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harrte, begehrte, träumte. Wieder war ein „Anlaß" gegeben zu einem „unendlichen Roman" 1 ). In der Frühe des Tages aber, wenn der Blick über die Stadt der Morgensonne sich entgegenrichtet, entstehen am gleichen Schreibtisch die vielen dienstlichen Arbeiten. Hier wendet der Mann sich zur Gegenwart, zu der nüchternen Gegenwart ostpreußischen Lebens in harter Zeit. Wie aus geheimer Anziehung, in Wahlverwandtschaft mit dem Ort und seiner Prägung, wird neben dem klassisch-idealistischen und dem romantischen Element wirksam, was vom Erbe der Aufklärung in Humboldt noch lebendig war. Und das war nicht wenig; es beschränkte sich nicht etwa nur auf den Sprachgebrauch, wo eine am Äußeren haftende Beobachtung mancherlei Übereinstimmung feststellen könnte. Es ist nicht zu leugnen, daß seine Kulturpolitik, daß „das Verbesserungsgeschäft der Nation", soweit es den niederen Schulunterricht auf der einen Seite, auf der anderen die Hebung von „Moralität und Religiosität" bezweckt, in der Aufklärung wurzelt. Sie war ebenso weit entfernt von aller politischen Romantik, wie von der „ästhetischen Erziehung des Menschengeschlechts". Mit treffenden Worten wie mit guten Gründen hat Adolf Harnack darauf verwiesen, daß die in Humboldts dienstlichen Entwürfen immer wiederkehrenden Begriffe Aufklärung und Sittlichkeit „die Stichworte der alten Zeit" gewesen seien. Was beide geistigen Perioden, die Aufklärung und den Idealismus verbinde, sei der „beiden gemeinsame progressive Zug". Gerade Humboldts Beispiel beweise vor anderen, daß die Aufklärung, „wie Friedrich und der Rationalismus sie verstanden", ein positives und wirksames Element im klassischen deutschen Idealismus geblieben sei1). Soweit Humboldts Wirken für den Volksschulunterricht in Frage kommt, liegt diese Verwandtschaft auf der Hand. Auch seine Ausführungen über Moral und Religiosität tragen unverkennbar an sich den Stempel der Aufklärung, welcher ja seine erste Erziehung bestimmt hatte. Zwar spricht er nicht von „Religionsgesellschaften" wie das Allgemeine Landrecht es tut; aber es ist ebenso bezeichnend, daß er von „aufgeklärter Religiosität" und vom „Geistlichen" spricht, doch den Begriff der „Kirche" als einer geschichtlich bedingten Lebensgemeinschaft offenbar nicht kennt. Selbst aus dem Bereich seiner Ideen über die Universität und die neue Wissenschaft, wo man sie am wenigsten vermuten sollte, sind die Spuren ihrer Nachwirkung nicht ganz verbannt. Denn, so heißt es in dem ersten Schreiben, welches in den neuen Amtskreis gehört, „auf einer Universität und bei der Bildung einer ganzen Nation kommt es nicht . . . auf die Masse angesammelter Kenntnisse an, . . . als darauf,... daß das Studium sich an die allgemeine Bildung und die allgemeine Auf-

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klärung anschließt". Gewiß, man wird in Rechnung zu stellen haben, daß Humboldt seine amtlichen Eingaben berechnen mußte auf Menschen, die in der Welt der „Aufklärung" lebten, zum mindesten in ihrer Bildung durch sie hindurchgegangen waren, wie er selbst; namentlich in allen seinen Deduktionen über Moral und Religiosität wird er sich der Umgebung „angepaßt" haben; aber hätte er es in diesem Grade vermocht, wenn nicht auch in ihm ein Stück Aufklärung weitergelebt hätte 1 )? So bringt denn die Stunde, da Humboldt zum erstenmal dem tätigen Leben mit „einwirkendem Handeln" zugehört, alle Keime zur Blüte, welche durch Anlage wie durch Aussaat in dem empfänglichen Boden seiner reichen Natur der Entfaltung harrten: die romantische Stimmung in allen Schattierungen seines empfindungsreichen Gemüts, den heiteren Mut der ihrer Sache sicheren „aufgeklärten" Vernunft, den weitgespannten Horizont, den gedankentiefen Schwung der neuen Anschauung von Welt und Leben im deutschen „Idealismus". Die Bildung der Zeit zu leiten konnte er unternehmen, weil a l l e ihre Elemente in seiner geistigen Struktur vereinigt waren. Aus jener Vereinzelung, welche er um seiner Bildung willen gesucht hatte, war er herausgetreten auf eine neue Bahn. Zwischen dem Ausgangspunkt der ihrer Grenzen bewußt gewordenen I n d i v i d u a l i t ä t und dem unerreichbar fernen Ziel der U n i v e r s a l i t ä t führte sie ihn den Mittelweg, welcher in der Wirksamkeit im Staat die T o t a l i t ä t seines geistigen Vermögens zu Reife bringen sollte. Hatte Humboldt einst dem zur „Totalität" bestimmten „interessanten Menschen" sein Ziel gewiesen jenseits der „Grenzen der Wirksamkeit des Staates", so stand er jetzt nicht an, dem Menschen, der die Wirksamkeit des Staates tragen soll, dem Beamten, zu zeigen, wie er als „gebildeter", als „interessanter Mensch" seiner Aufgabe genügen solle. „Nichts ist so wichtig bei einem höheren Staatsbeamten, als welchen Begriff er eigentlich nach allen Richtungen hin von der Menschheit hat, worin er ihre Würde und ihr Ideal im ganzen setzt, mit welchem Grade intellektueller Klarheit er es sich denkt, mit welcher Wärme er empfindet; welche Ausdehnung er dem Begriff der Bildung gibt, was er darin für notwendig, was nur gewissermaßen für Luxus hält; wie er sich die Menschheit in concreto vorstellt, welchen Grad der Achtung oder Nichtachtung er für die niederen Volksklassen hegt, wie er bürgerlich gesinnt ist, den Menschen mit Gleichgültigkeit in der Staatsform untergehen, oder im Gegenteil diese sich in der Freiheit der Individuen auflösen sieht, ob er Erziehung und Religion eine positive, bildende Kraft zutraut, oder sie nur für Stoffe hält, an denen der Mensch immer weitergelangt, weil er sich an ihnen versucht, wie sie auch behandelt werden mögen; wie es endlich mit seinem Glauben an, und seiner Lust zur Umbildung seiner

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Nation steht, ob er den Feuereifer des Reformators, oder nur den starken Willen treuer Pflichterfüllung nach strengen Grundsätzen, oder Lust am Experimentieren hat, bei dem am meisten nur der Experimentator selbst gewinnt, wie endlich alle diese Ansichten in ihm zusammenhängen, ob sie auseinander selbst entstanden, oder zusammengerafft sind, als Maximen stehen geblieben, oder zu Prinzipien erhoben, auch außer der Anwendung klar gedacht, oder nur mit ihr zugleich angeschaut und empfunden ? Dadurch bestimmt es sich, ob ein Mensch konsequent oder inkonsequent, hoher oder gemeiner Natur, borniert oder liberal, einseitig oder vielseitig ist, und zuletzt, ob es ihm mehr auf den Gedanken, oder mehr auf die Wirklichkeit ankommt, oder ob er, w a s d i e A n s i c h t d e s g r o ß e n S t a a t s m a n n e s ist,*) von der Überzeugung durchdrungen wird, daß das Ziel nur dann erreicht ist, wann der erstere der Stempel der letzteren geworden ist1)." Auch in diesen Sätzen, in der eindringlichen Variation seines Grundsatzes: „Verwalten ist mehr als Geschäfte erledigen", spürt sich die entspannte Heiterkeit, mit welcher der Staatsgegner von 1792 die ihm nun zugefallene Tätigkeit für den Staat mit innerer Bejahung aufnimmt. Denn in diesem Bild des verwaltenden Beamten, wie er sein sollte, wirft Humboldts Individualität gleichsam im Licht der neuen Bildung ihren Schatten voraus als Brücke, auf welcher er selbst in die Zukunft eines politischen Lebens hinüberschreiten konnte. Der erste Schritt aber, welchen Humboldt über den engeren Bereich seiner Verwaltung hinaustat in die eigentliche Politik, führte durchaus nicht zu dem Erfolg, auf den er mit Sicherheit rechnete. Dies Unternehmen, von durchaus untergeordneter Bedeutung im Vergleich mit seiner verwaltenden Tätigkeit ebenso wie in bezug auf die entscheidenden Fragen und Vorgänge der Staatspolitik im ganzen, gewährt gleichwohl wichtige Aufschlüsse über sein politisches Verfahren. Bald nach der Übersiedlung begann er in Königsberg einen mit Zähigkeit geführten Kampf gegen das Ministerium mit dem Ziel, die Minister zur Verwirklichung einer Einrichtung zu nötigen, welche, vom Freiherrn von Stein geplant, mit dessen Ausscheiden aus der Regierung ihren wahren Sinn eingebüßt und ihre Grundlage verloren hatte*). Es handelt sich, kurz gesagt, um den Versuch, die tatsächlichen Voraussetzungen, unter denen er einen Posten übernommen hatte, welcher der zweiten Stufe der Hierarchie eingeordnet war, dergestalt abzuändern, daß entweder die beiden obersten Stufen der Verwaltung zusammengelegt wurden, oder er selbst von der zweiten in die erste überging. Bei seinem von Napoleon erzwungenen plötzlichen Rücktritt vom Ministerium hatte Stein die Umgestaltung der Staatsverwaltung, welche ihm als Ziel vorschwebte, mitten im Ansatz abbrechen müssen. Zu den

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halbvollendeten. Einrichtungen gehörte auch die Organisation der obersten Regierungsbehörden. Nach Steins Plan sollten die eigentlichen Fachminister, ihre nächsten Unterbeamten — sie hießen Sektionschefs und hatten eine Mittelstellung zwischen den heutigen Staatssekretären und den Ministerialdirektoren — endlich noch eine Reihe von Männern, welche der Beamtenschaft nicht angehörten, zusammengefaßt werden in einer großen Körperschaft: dem Staatsrat. Dieser Staatsrat hätte eine doppelte Aufgabe zu erfüllen gehabt. Als Ersatz für ein gewähltes Parlament sollte er der Krone eine Art von „Beamten-Parlament" gegenüberstellen, welches die ehemalige Machtfülle des absolutistischen Regimes kontrolliert und korrigiert, ferner das Erbe der Steinschen Gedanken zu wahren haben würde. Andrerseits bildete ej die Vereinigung der Regierungsorgane, „das Total der Mitglieder der obersten Verwaltungsbehörde", wie Humboldt es nannte, in einer recht undurchsichtigen Form. Da nach Steins Absicht das Kabinett des Königs, die einzelnen Ministerien und einige ihrer Unterabteilungen in gewisser Selbständigkeit gleichgeordnet nebeneinander zu stehen kamen, so mußte das Verhältnis der Minister zu ihren nächsten Mitarbeitern sich höchst problematisch gestalten. Denn in den Sitzungen des Staatsrats sollten die Sektionschefs gleiche Stimme mit den Ministern haben, welche daher leicht in die Lage kommen konnten, von ihren Untergebenen überstimmt zu werden. Außerdem waren sie in der eigentlichen Verwaltung weder den Ministem einwandfrei untergeordnet, noch ihnen als Kollegen gleichgestellt. Heute beurteilt man das merkwürdige Projekt im allgemeinen dahin, daß Stein sich durch diese Einrichtung einmal den Rückhalt an den jüngeren Beamten schaffen wollte, dessen er gegenüber den noch verbliebenen Ministem der alten Schule möglicherweise bedurfte; daß andererseits diese Behördenordnung in ihrer Verzahnung auf alle Fälle, auch wenn Stein nicht mehr offiziell Minister bleiben durfte, ihm den erforderlichen Einfluß auf die Regierung gewähren sollte1). E s ist verständlich, daß die 'zur Nachfolge Steins berufenen Männer nicht darangehen mochten, eine so verwickelte und durchaus auf das persönliche Format Steins zugeschnittene Einrichtung ins Leben zu rufen. Da die ganze Verwaltung jener Jahre durchaus den Charakter der Vorläufigkeit an sich trug, wurde die Y e r w ' r klichung des Planes auf die Zeit normaler Verhältnisse, d. h. der Rückkehr der obersten Regierungsbehörden nach Berlin verschoben. In der Zwischenzeit aber herrschte in der Tat ein bedenkliches Durcheinander in bezug auf die Abgrenzung der Befugnisse wie auf die Verkehrsformen der obersten Staatsbehörden mit der Krone und unter sich. Es fehlte vor allem an einem entscheidenden Mittelpunkt der Staatsleitung, als welcher der Staatsrat

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gedacht war. In seiner kollegialischen Form hätte er dienen sollen als ein Mittel gegen absolutistische Willkür der Krone wie gegen bürokratische Selbstherrlichkeit der Einzelminister. Diese stand bei den obwaltenden Umständen eher zu besorgen als jene; besonders Humboldt hat diese Besorgnis gegenüber dem eigenen Minister nicht verhehlt, zumal er die seiner Stellung als Sektionschef zukommende Selbständigkeit so auslegte, daß ihm jede Einflußnahme des Ministers auf den Gang der einzelnen Angelegenheiten schon als „Einmischung" erschien1). Dabei brauchte Humboldt keineswegs über eine Einmischimg oder Bevormundung durch die beiden Minister, mit denen er dienstlich zu tun hatte, sich zu beklagen. Sowohl sein Chef Dohna wie der Finanzminister Altenstein sind ihm äußerst zuvorkommend begegnet und haben ihm freie Hand gelassen, wie er selbst anerkennen mußte. Der Minister Dohna hat sogar im Lauf der durch ein rundes Jahr sich hinziehenden Beratungen und Erwägungen, Verstimmungen und Ausgleiche zwischen den beteiligten Personen daran gedacht, Humboldt und Niebuhr, welcher sich in ähnlicher Lage befand, „mit durchaus gleichen Befugnissen wie die Minister" an den als Ersatz für den Staatsrat geplanten Ministerialkonferenzen und Kabinettsvorträgen teilnehmen zu lassen. Dohna mindestens war also bereit, der hervorstechenden Begabung beider Männer in einer Sonderstellung Rechnung zu tragen. Aber mit einer solchen Sonderstellung, welche „bloß auf Persönlichkeit" beruht hätte, wäre Humboldt nicht zufrieden gewesen. Er hatte eine derartige „Modifikation" des „wahren Staatsrats" als „gefährliche Palliativkur" bereits in einer Denkschrift abgelehnt, mit der er schon im Juli den Kampf um den Staatsrat eröffnete. Gleichzeitig hatte er auch verraten, worauf es ihm ankam: daß die Sektionschefs mit den Ministem in den Plenarsitzungen gleiche Stimmen führen, daß „jedesmal ein wahres Konklusum nach Stimmenmehrheit abgefaßt" werden sollte. Endlich sollten nicht mehr „die bloßen Anträge" der Minister und Sektionschefs, sondern diese Konklusa dem König im Kabinettsvortrag zur Annahme oder Ablehnung vorgelegt werden. Das hieß eben doch nichts anderes als den Staatsrat zum eigentlichen Träger der Regierung machen und die Minister aus ihrer leitenden Stellung verdrängen, zum „Briefträger" zwischen dem Staatsrat und der Krone herabdrücken. Immer vorausgesetzt, daß über „alle Zivil-LandesAngelegenheiten ohne Ausnahme" eine Versammlung von 15 Köpfen sehr verschiedener Herkunft und Denkweise leichter zu einer Einigung und einheitlichen Geschäftsführung zu bringen sein werde, als die fünf amtierenden Minister. Schon diese konnten über das Problem des Staatsrats selbst zu keinem gemeinsamen Entschluß gelangen, obwohl sie ausnahmslos über erhebliche Diensterfahrung verfügten, keiner von ihnen

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ein Dummkopf war, und jeder unter ihnen den — üblichen — „besten Willen" zur Sachlichkeit besaß. Ganz nüchtern stellte Humboldt dem von seiner Geschäftslast arg bedrückten Dohna die Alternative: entweder wird dieser Staatsrat eingerichtet — oder „die Ministeria müssen vervielfältigt" werden. Das heißt mindestens für sich, vielleicht auch noch für den einen oder anderen seiner Kollegen meldete er mit klaren Worten den Anspruch auf einen Ministerposten an. Auf jeden Fall wollte er heraus aus dem Subordinationsverhältnis; so gut er mit Dohna als Vorgesetztem gefahren war, verspürte er doch keine Lust, auf die Dauer der Untergebene von Männern zu bleiben, denen er sich durchaus überlegen fühlte. Das beweist nicht nur die recht offene Sprache dieser Denkschrift; auch in den Briefen des Herbstes und Winters 1809/10 ist mehr und mehr die Regung seines Ehrgeizes zu spüren1). Aber, das ist das Charakteristische für Humboldts Art, dieser Ehrgeiz versteht es meisterhaft, sich in das Gewand der „interesselosen" Sachlichkeit zu hüllen. Obwohl er das Entgegenkommen Dohnas nur rühmen konnte, sah er darin keine zureichende Sicherung der Geschäfte, welche „nach festen Grundsätzen geführt" werden müßten. Und wenn er nun von dem doppelten „Grundsatz" her, daß erstens „jede isolierte Administration eine schlechte Administration sei" und daß zweitens „der Sektionschef ohne Staatsrat" gezwungen sei, „isoliert, d. h. schlecht zu administrieren", mit Scharfsinn und Folgerichtigkeit nachwies, daß dieser „verderblichen Verwischung der Gränzen, der leitenden und administrierenden Behörden ohne Prinzip, nach Willkür und Zufall" nur mit einer Verwaltung nach festen Grundsätzen abgeholfen werden könne,, so rannte er damit offene Türen ein. Denn seit Steins Abgang suchten die Minister nach solcher grundsätzlichen Regelung; dabei waren sie in nichts einig außer in dem einen Punkt: daß der Staatsrat, wie Stein ihn gewollt hatte, schlechterdings unausführbar sei. Auf ihn und auf keine andere Form aber wollte Humboldt hinaus — aus persönlichem Eigensinn wie aus einem sachlichen Doktrinarismus. Mit der Ernennung zum Geheimen Staatsrat sei er auf diese „Verfassung" hin berufen worden und sei aus diesem Grunde dem Rufe gefolgt, so betont er mehrfach. Rechtlich traf das insofern nicht zu, als das „Publikandum" vom 24. November niemals als Verordnung vollzogen worden ist; sachlich insofern nicht, als wir ja sehr andere Gründe seine Entscheidung haben bestimmen sehen. Hier war also eine Selbsttäuschung im Spiel, welche ihn in seinem Eigensinn bestärkte1). Auf der anderen Seite bleibt es schwer zu erklären, warum Humboldt, im Gegensatz zu allen Praktikern, sich geradezu verliebt hatte in die „Idee", daß ein Kollegium von mindestens 12 Köpfen tatsächlich Kaehler,

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„regieren" solltet Vielleicht, weil er der Erfahrung in der Verwaltung durchaus ermangelte. Während eines knappen halben Jahres hatte er vom stillen Arbeitszimmer her, unterstützt von den nach seinem eigenen Urteil besten Räten des höheren Dienstes, an geistliche Behörden und Schulvorstände Verfügungen erlassen, denen die Autorität des Amtes gerade in diesen Kreisen die Befolgung nach kurzem Widerstreben sicherte; dann hatte er Pläne entworfen, deren Ausführung wieder bei den nachgeordneten Stellen lag, w e n n sie zur Ausführung kamen. Das geschah in den meisten Fällen erst nach seinem Rücktritt. Das Gelingen des Universitätsplanes hing zu nicht geringem Teil ab von dem Entgegenkommen des Finanzministers Altenstein. Auf sozusagen „jungfräulichem" Boden hatte er verwalten können, ohne emstliche Reibungen mit realen Interessen oder politischem Widerstreben fürchten zu müssen, wie sie bei den Aufgaben der wirtschaftlichen und finanziellen Gesetzgebung und Verwaltung auf Schritt und Tritt zu überwinden waren. Eine solche Tätigkeit wird man kaum in Vergleich stellen dürfen mit der Wirksamkeit und der Erfahrung — etwa eines Stein. Und dieser hatte während seines einjährigen Ministeriums diktatorisch regiert; der Staatsrat war ein Projekt, welches er unausgeführt, aber auch unerprobt hinterließ. So muß man annehmen, daß die sachliche Vorliebe Humboldts für diese Körperschaft auf irgendeiner Vorstellung von dem Vorzug der Regierung durch Viele statt durch Wenige beruhte, daß er in dem Staatsrat vielleicht eine Vorstufe zu einer Art von Honoratioren-Parlament erblickte. Denn seine Ausführungen enden mit einer Kritik an Steins Projekt, „ein ächter Staatsrat müßte zum g r ö ß t e n Teil aus nicht administrierenden Mitgliedern bestehen", die Minister aber sollten „nur nebenher" das Recht auf einen Sitz im Staatsrat erhalten. Der zweite Punkt besonders hat einen spürbaren „parlamentarischen" Beigeschmack. Aber es wird nicht deutlich, wie Humboldt sich die Verwirklichung seiner Gedanken vorgestellt hat. Deutlich dagegen wird aus dem Schlußsatz der Denkschrift, daß ihr Verfasser von seinen eigenen Fähigkeiten wie von der Eigenart seiner Gedanken keine geringe Meinung hegt. Denn, so beurteilt er Steins letzten Verwaltungsplan: „man sieht es ihm überhaupt auf jeder Seite an, daß er zwar von einem, allgemeiner Ideen fähigen Kopfe, aber nicht nach Resultaten unabhängigen Nachdenkens, sondern nach speziellen Erfahrungen und zu speziellen Zwecken gemacht worden ist." Es ist der echte und der ganze Humboldt, welcher hier zu Wort kommt mit der Überordnung des „unabhängigen Nachdenkens" über die „spezielle Erfahrung", mit der Proklamation des politischen Apriori in der „reinen Idee", mit der idealistischen Überheblichkeit des Theoretikers über das Können der „Praktiker". Dieser Mann, der außer der gewiß

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bedeutenden Leistung der Gründung der Berliner Hochschule nichts von Belang im Leben durchgesetzt hat; der meisterhaft eine Debatte ?u führen und scharfsinnige Denkschriften zu entwerfen verstand; der als Diplomat über die kluge Ausführung erhaltener Richtlinien, über die klare Auffassung einer gegebenen Lage nie bis zum eigenen, gestaltenden Gedanken gelangt ist, — er hat im stillen immer gemeint, einem Stein, geschweige denn einem Hardenberg durchaus überlegen zu sein. Und keiner der erfahrenen Mißerfolge hat ihn in diesem Glauben wankend gemacht. Auch nicht der Mißerfolg, welcher seiner ersten größeren Aktion beschieden war1). Denn mit einem Mißerfolg endete der Kampf um den Staatsrat. Weder hat Humboldt es erreichen können, daß die Minister sich zu einem Rückgriff auf Steins Pläne entschlossen, noch ist es ihm gelungen, den Platz des Sektionschefs mit dem des Ministers zu vertauschen, worauf er mit Anfang des Jahres 1810 offensichtlich hingearbeitet hat1). Einen neuen Anstoß, sich mit dem angeregten Problem näher zu befassen, hat Humboldts Denkschrift, welcher eine ähnliche des Chefs der Sektion für allgemeine Gesetzgebung zur Seite ging, dem Ministerium allerdings gegeben. Aber die Minister kamen zu keiner Einigung und schoben die Entscheidung hinaus. Umsonst benutzte Humboldt einen Ball bei Hofe, um den König in längeren Darlegungen für seine Gedanken zu gewinnen; da Friedrich Wilhelm ihm nicht widersprach, so glaubte er an sein Einverständnis. Er konnte aus der Unterredung den Eindruck mitnehmen, daß der König dem Übelstand vielleicht durch Umwandlung des geistlichen Departements in ein eignes Ministerium abhelfen werde, unter Beibehaltung, versteht sich, des bisherigen Chefs. Dementsprechend schließt der Generalbericht der Sektion vom 1. XII. 1809 mit einer ausführlichen Darlegung „der ungünstigen Lage der Sektion in der gegenwärtigen Geschäftsverfassung" und mit offenem Hinweis auf den Staatsrat als einziger Abhilfe für alle Mängel'). Das fruchtete insofern, als der König am 8. Dezember die Minister anwies, ihm Vorschläge zur Vervollständigung der Behördenorganisation vorzulegen. Drei Monate ließen diese verstreichen, ehe sie sich dazu entschlossen, nicht ohne zunächst einmal den Ausweg in Erwägung zu ziehen, den unbequemen Humboldt mit einem Ministerposten zufriedenzustellen. Mitte März unterbreitete das Ministerium dem König seine Vorschläge, welche im wesentlichen darauf hinausliefen, daß der Staatsrat nach Steinschem Muster „als eine aus so vielen und ungleichartigen Mitgliedern komponierte Behörde" keine geeignete Regierungsform sei. Um dem zutage getretenen Mangel einer einheitlichen Geschäftsführung abzuhelfen, sollten regelmäßige Ministerialkonferenzen wöchentlich im 16*

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Schloß stattfinden. Die Sektionschefs sollten nach Bedarf für ihre Ressorts zugezogen werden, im übrigen an einer monatlich abzuhaltenden Sitzung sämtlicher Minister und Staatsräte über allgemeine Verwaltungsangelegenheiten teilnehmen, in Sachen ihres Ressorts mit entscheidender, in den übrigen mit beratender Stimme. Am 31. März fand der Bericht die Genehmigung des Königs1). Damit war eine brauchbare Regierungsform geschaffen. Dem Staatsministerium trat eine erwünschte Ergänzung in diesem verkleinerten „Staatsrat" zur Seite, durch welchen die schwierige Doppelstellung der Sektionschefs beseitigt und geklärt wurde. Die getroffene Einrichtung hätte wohl die Probe bestanden, wenn ihr dazu Zeit gelassen worden wäre. Aber eben jetzt brach über das Ministerium aus Gründen der Außenpolitik die Krise herein, aus welcher Hardenberg als leitender Minister hervorgehen sollte. Wenn der neue Plan der Geschäftsführung sachlich wohl begründet war und eine klare Lage schuf, so entsprach die Lösung keineswegs den Wünschen Humboldts8). Als diesem auf Umwegen die Nachricht von der gefallenen Entscheidung zugekommen war, ließ er, wie im Herbst, seine Beziehungen zum Hofe spielen. Am 12- April schrieb er der Oberhofmeisterin der Königin, der Frau von Berg, klagte über die ihm drohende Zurücksetzung und bat, der Königin davon Mitteilung zu machen. Schon zwei Tage zuvor hatte diese den Fürsten Wittgenstein angewiesen, den kommenden Mann, Hardenberg, auf Humboldt als Ministerkandidaten aufmerksam zu machen. Aber diese Hilfe von höchster Stelle kam zu spät. Am 17. April wurde den Geheimen Staatsräten die Kabinettsorder vom 31-März zugefertigt; am 23. April hatte Humboldt sie in der Hand; er war sofort entschlossen, die Folgerung aus der erlittenen Niederlage zu ziehen und seinen Abschied nachzusuchen. Es geschah unter dem 29. April mit einer ausführlichen Eingabe, welche seinen Wunsch, „bescheiden aus dem umgeänderten Verhältnis zurückzutreten", begründet mit der „tiefen Kränkung", welche ihm durch die Herabdrückung der Sektionschefs auf eine Stufe mit den ihnen bisher nachgeordneten Staatsräten widerfahren sei. Eingehend und scharfsinnig wird das Problem des Staatsrats nach seinem ganzen Umfang nochmals erörtert und die vom König doch sanktionierte neue Verwaltungsordnung mit rückhaltslosem Freimut einer scharfen Kritik unterzogen. Merkwürdig bleibt, daß Humboldt von der Voraussetzung ausgeht, das Publikandum vom 24. November 1808, auf welchem theoretisch wie praktisch seine ganze Stellung sich gründet, sei vom König „vollzogen" gewesen; die „Suspension" des Staatsrates, die er anerkennen muß, sollte nach seiner Auffassung eine „wesentliche Veränderung" der einschlägigen Bestimmungen nicht in den Bereich der Möglichkeit ge-

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stellt haben1). Beide Voraussetzungen waren irrig; er nahm den Staatsrat, wie er ihn auffaßte, für eine gegebene Tatsache, für eine unabänderliche „Form"; seine „Idee" des Staatsrats enthielt ein illusionäres Element, trotzdem hielt er an ihr fest — mit der Starrheit des doktrinären Idealisten. Um dieser „Idee" willen war er bereit, das begonnene und noch nicht vollendete Werk, besonders die Berliner Hochschule, ihrem Schicksal zu überlassen. Als die „Wirklichkeit" an e i n e m Punkt den „Stempel des Gedankens" nicht aufnahm, weil der Denker sich über die Bedingungen des Wirkens täuschte, wollte der Enttäuschte „sich gern bescheiden, sich in die Einsamkeit zurückzuziehen". Wie schnell gekühlt war doch der „Feuereifer des Reformators", den er noch eben dem „großen Staatsmann" zur Pflicht gemacht I Der Streit um die Durchführung der Steinschen Organisationsgedanken hatte für Humboldt mit dem Abschiedsgesuch vom 29. April geendet. Er hatte sich nicht gescheut, in diesem Punkt „eigensinnig" nicht nur zu scheinen, sondern in der Tat es auch zu sein*). Mitten in die große und entscheidende Krise des Ministeriums und der Gesamtpolitik des Staates traf dieser Schritt. Sowohl für die Minister wie für den König konnte er nur eine Erschwerung der verwickelten Fragen des Augenblicks bedeuten. Grade in den letzten Tagen des April wurde aus der verzweiflungsvollen Lage, zu welcher Napoleons „Reparationspolitik" und die finanzielle Erschöpfung des Staates geführt hatten, der letzte Ausweg gesucht. Das Königspaar stand in Verhandlungen mit dem auf Napoleons Geheiß nach dem Tilsiter Frieden entlassenen Hardenberg, welcher offenbar dem Kaiser nunmehr der geeignete Mann zu sein schien, um mit seinem Verwaltungstalent eine „Politik der Erfüllung" einzuleiten, auf welche man es bei der völligen Ohnmacht Preußens in Paris jetzt in erster Linie abgesehen hatte. In diese sorgenvolle Stunde traf das Abschiedsgesuch Humboldts, begründet mit einer theoretischen Organisationsfrage, deren Lösung, außer unter dem persönlichen Gesichtspunkt von Humboldts Kampf um die Durchsetzung seiner Wünsche, nach ihrer vorläufigen Klärung keinerlei Dringlichkeit im Augenblick besaß. Daß dem Staats wohl mit dieser Maßnahme gedient gewesen, wäre schwer zu beweisen. Leichter dagegen, daß sie in Humboldts Interesse taktisch nicht schlecht berechnet war. Denn ungern genug mußte der König einen so begabten Beamten, dessen Verwaltungsbereich sich besonders glücklich entwickelt hatte und von der augenblicklichen Krise nicht berührt war, gerade jetzt verlieren. Deshalb forderte die Königin bereits am 30- April Hardenberg durch Vermittlung Wittgensteins zu einem Urteil auf, ob des Herrn v. Humboldts „Fähigkeiten wirklich so groß sind, als manche es sagen". Als Grund seines

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Abschiedsgesuches gab die Königin „den neuen Conseil', d. h. das Problem des Staatsrats, richtig an. Bei dem Mangel an „eminenten Köpfen" würde dei Abgang Humboldts besonders zu bedauern sein). Eine greifbare Wirkung scheint diese Anfrage zunächst nicht gehabt zu haben. Das Abschiedsgesuch blieb unter diesen Umständen begreiflicherweise unbeantwortet. Auf ein erneutes Gesuch, welches von einem abermaligen Vorstoß der Sektion in Sachen der Kabinettsorder vom 31. März und des Staatsrats sekundiert wurde, erhielt Humboldt in den letzten Tagen des Mai den Bescheid des Königs, daß dieser sich die Entscheidung noch vorbehalte. Denn gerade in diesen Tagen fand die allgemeine Krise ihre Lösung. Die bisherigen Minister, bis auf den Grafen Dohna, wurden entlassen, Hardenberg übernahm die Leitung des Staates. Damit entschied sich auch Humboldts Schicksal*). Die empfehlende Anfrage der Königin hatte jetzt den Erfolg, daß Hardenberg zunächst daran dachte, Humboldt an Dohnas Stelle das Ministerium des Innern zu übertragen und diesen die Unterrichtsverwaltung übernehmen zu lassen. Doch binnen weniger Tage fiel diese Kombination in sich zusammen. Schon am 6- Juni konnte Hardenberg dem König melden, daß der Geh. Staatsrat v. Humboldt „sich durch die ihm zugedachte Bestimmung sehr geehrt finde". Diese Bestimmung enthielt seine Ernennung zum Gesandten in Wien unter Verleihung von Titel und Rang eines Staatsministers. Am gleichen Tage hatte Hardenberg bei einer ersten Begegnung Humboldt davon Mitteilung gemacht. Somit sah er sich ganz unerwartet in die diplomatische Laufbahn, aus der er so ungern geschieden war, zurückversetzt. Die Kabinettsorder, die ihm die Ernennung bekannt machte, nimmt ausdrücklich Bezug auf seine früheren und in dem Abschiedsgesuch wiederholten Wünsche, die Verwaltungstätigkeit mit dem Geschäftskreis des Auswärtigen Departements zu vertauschen'). Nach den Gründen, welche Hardenberg zu seinem Entschluß bestimmten, braucht man nicht lange zu suchen. Die Weigerung Dohnas, an Humboldts Stelle zu treten, wird weniger Gewicht für Hardenberg gehabt haben, als das, was er bei dieser Gelegenheit über Humboldts Kampf um den Staatsrat vernommen haben wird. Er brauchte ja nur einen Blick in Humboldts Abschiedsgesuch zu werfen, um zu begreifen, daß er mit diesem hartnäckigen Verfechter jener Form des Staatsrates, in welcher dieser zu einem Beamtenparlament werden mußte, über kurz oder lang in ähnliche Meinungsverschiedenheiten geraten würde, wie sie im letzten Jahr aufgetreten waren. Und dazu war Hardenberg nicht der Mann. Noch entschiedener als sein Schüler Altenstein war er auf die eigene Machtvollkommenheit bedacht. So wie er sich bald darauf den Wirkungs-

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kreis seines Kanzleramtes bestimmen ließ, konnte er einen Mitarbeiter von dem Drang zur Selbständigkeit, wie er in Humboldt lebte, vor der Hand nicht neben sich verwenden. Denn die dringendste Aufgabe, welche dem bewährten Staatsmann oblag, war es, die Verworrenheit der Staatsverwaltung durch einheitliches Durchgreifen zu beheben; dazu war eine diktatorische Stellung unerläßlich1). Andrerseits hatte Hardenberg vor Jahren schon Gelegenheit gehabt, über Humboldts Fähigkeiten als diplomatischer Berichterstatter sich ein ebenso maßgebliches wie günstiges Urteil zu bilden. Er wird also des Hinweises auf Humboldts vorzügliche Eignung für die diplomatische Tätigkeit, welchen Dohna in diesen Tagen durch Scharnhorsts Vermittlung an ihn gelangen ließ, nicht bedurft haben2). Dagegen scheint der neue Minister seine endgültige Entscheidung nicht haben treffen zu wollen, ohne sich einen unmittelbaren Einblick zu verschaffen in die Grundsätze der Verwaltung, welche Humboldt vertreten würde, falls man ihn etwa doch noch mit der Leitung des Innenministeriums betrauen wollte. Denn auf Hardenbergs Veranlassung hat Humboldt in jenen Tagen eine Reihe von „Vorschlägen zur Organisation der Behörden" in einer größeren Denkschrift zusammengefaßt*). Sie enthielt eine scharfe Kritik an der bisherigen Verwaltung und ihrer Unübersichtlichkeit. Darin begegnete er sich zunächst mit Hardenbergs Ansichten der Lage. Um jenem Übel abzuhelfen, sollte „die oberste Einheit der ganzen Regierung in einem Cabinet und einem Staatsrat" zum Ausdruck kommen. Das „Cabinet", welches nur den Namen mit der früheren Behörde gemein hatte, war gedacht als ein unter wechselndem Vorsitz beratendes und beschließendes Kollegium der fünf Fachminister. Seine eigentliche Aufgabe sollte darin bestehen, sich vor allen Dingen „die Frage unverrückt vor Augen zu halten : was muß geschehen, um den Staat nach außen sicher, nach innen blühend zu erhalten ?" Darum sollte jeder Minister „den allgemeinen Plan der Administration" für sein Ressort angeben, aber „mit keiner Art von Détail sich befassen". Wie merkwürdig mußten derartige Wünsche sich ausnehmen in den Augen eines „Routiniers" wie Hardenberg) Vielleicht sprach auch ihn der Satz an, daß eines Ministeriums Aufgabe nicht darin zu suchen sei „das Rad der täglichen Geschäfte umzutreiben". Gewiß war aber die nächste Aufgabe in diesem Augenblick, das festsitzende Rad, um in Humboldts Bild zu bleiben, erst einmal ins Rollen zu bringen. Dieses „nachdenkende" Ministerium — ist es nicht, als solle es jene „Theorie aller Reformen" verwirklichen, welche der junge Humboldt dereinst entwickelte? Und würde auf dieses „unverrückt fragende" Kabinett nicht zutreffen, was Humboldt einst dem Freunde Forster geschrieben: daß, wenn man sich „hinsetze, um nach-

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zudenken", das Ergebnis meistens eine unausgereifte Treibhausfrucht sein werde? Neben das Kabinett wäre ein Staatsrat getreten, in der Hauptsache aus den etwa 10 Sektionschefs der Ministerien und etwa 5 besondren Geheimen Staatsräten bestehend. Dieser Behörde sollte die eigentliche Verwaltung obliegen in einer Selbständigkeit, welche einerseits den Ministern jede Einflußnahme auf ihre Beratungen versagte, andrerseits ihr das Recht gab, etwaige Beschlüsse, welche die Billigung des Kabinetts Dicht fanden, dem König zur Entscheidung vorzulegen. Damit wäre der Staatsrat nicht nur zu einem Beamtenparlament ohne jede Kontrolle durch die Minister, sondern auch mit Notwendigkeit zum entscheidenden Faktor der inneren Verwaltung geworden. Denn wenn Humboldt meinte, mit diesen Vorschlägen die Verordnung vom 24. XI. 08 dadurch zu verbessern, daß die Kompetenz zwischen Minister und Sektionschef klarer geschieden sei — an diesem Punkt hatte er selbst gelitten, — so übersah er völlig, daß er gleichzeitig der zweiten Instanz mit der Zuweisung der eigentlichen Arbeit auch die wirkliche Macht in die Hand gab. Zumal die Sektionschefs bei Meinungsverschiedenheiten mit ihrem Minister nach dem Beispiel des Steinschen Projektes das Recht der Appellation an das Kabinett und den König haben sollten 1 Obwohl Humboldt selbst nur noch als Minister an der Verwaltung teilnehmen wollte, bemaß er die Befugnisse der Sektionschefs in dem Umfang, wie er ihn selbst in dieser Stellung schmerzlich vermißt hatte. Der Minister aber sollte sich nicht in die „Realität" der Verwaltung mischen dürfen, sondern nur mit ihrer „Idee" und deren Vervollkommnung sich befassen. Dieses Bild der Verwaltung war entworfen unter der Perspektive eines an seiner Zwischenstellung leidenden Sektionschefs der provisorischen Behördenverfassung der letzten anderthalb Jahre; als solches, so darf man vermuten, wird es den auf bürokratische Selbstherrschaft ausgehenden neuen Minister eher dazu angeregt haben, diesen mißglückten Versuch zu einer kollegialischen Zentralregierung schnell und ganz aufzugeben. Der Instanzenzug endlich von den Unterbehörden bis zur Krone stellte sich dem Verfasser so schön und übersichtlich gegliedert dar, daß er gar nicht merkte, wie das Ministerium durch diesen Geschäftsgang jeder Kontrolle der Verwaltung freiwillig sich begab. Wahrscheinlich hat Hardenberg gar nicht die Denkschrift in ihrer ganzen theoretischen Verstiegenheit auf sich wirken zu lassen brauchen, um sich in der Absicht zu bestärken, Humboldt zur Diplomatie zurücktreten zu lassen. Denn bereits die ersten Seiten enthielten Dinge, welche dem neuen Premierminister unannehmbar sein mußten. Das eine war der Vorschlag des abwechselnden Vorsitzes im Ministerrat, das andere die

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Bestimmung, daß nur das gesamte Kabinett beim König Vortrag haben sollte. Wie wenig mußte Humboldt trotz der anderthalb Jahre dienstlicher Erfahrung die Eigenart des Königs erkannt haben, wenn er ihm eine so gegen seine Natur gehende Regierungsform als dauernde Einrichtung zumuten zu können glaubte. Einen Mann von solchem „Idealismus" mußte Hardenberg lieber in Wien sehen, als daß er ihn auf dem schwierigen Wege der inneren Verwaltung sich zum Mitarbeiter wählte1). Wenn Humboldts Absicht darauf gerichtet gewesen war, seine bisherige Stellung mit der eines Ministers zu vertauschen, so hatte er sich den Weg dazu, obwohl man ihm die Anwartschaft auf Grund seiner Begabung und Leistung bereitwillig zugestand2), durch sein doktrinäres Festhalten an der Einrichtung des Staatsrates, wie er ihn verstand, selber verbaut. Er begriff es selbst, daß die Übertragung der Wiener Gesandtschaft eine ihm gebotene Brücke war, um mit Ehren aus der verfahrenen Lage, in die er sich mit seinem Abschiedsgesuch begeben hatte, herauszukommen9). Denn jener Schritt war auf die unhaltbare Position des schwachen Ministeriums Altenstein-Dohna berechnet gewesen, dem gegenüber er möglicherweise die Einführung des Staatsrates oder eine eigene Ministerschaft hätte durchsetzen können4). Das Auftreten der kraftvollen Begabung Hardenbergs veränderte alle Voraussetzungen wie alle Aussichten, welche ihn im April bestimmt haben mochten; dem zur Macht berufenen Meister des politischen Spiels mußte der noch unerprobte Anfänger unerwartet und unvermittelt weichen.

Zweites Kapitel

Als Gesandter in Wien, 1810/15. Die Wiener Gesandtschaft war der angenehmste und zugleich der wichtigste Posten, welcher im Bereich der preußischen Vertretungen im Ausland zu vergeben war. Da in Italien kein diplomatischer Vertreter mehr unterhalten wurde, so war Wien, abgesehen von Madrid, der einzige Ort unter südlicherem Himmel, wohin tnan Humboldt senden konnte. In Wien hatte er sich schon vom milderen Hauch des Südens berührt gefühlt, als er im Sommer 1797 zuerst die Kaiserstadt kennen lernte1). Als Stadt bot Wien mehr Reize einer alten Kultur als Berlin; gewiß weniger als Paris, aber dorthin wäre Humboldt jetzt wohl sehr ungern gegangen. Und gerade die Ungewißheit über die politische Haltung der Donaumonarchie angesichts der auf den Zusammenstoß drängenden Rivalität Frankreichs und Rußlands um die Beherrschung des Kontinents mußte die Aufgabe des diplomatischen Beobachters dort ebenso reizvoll wie wichtig erscheinen lassen. Überdies bot diese Verwendung wieder alle jene Annehmlichkeiten des Gesandtenlebens im Ausland, welche er vor anderthalb Jahren so ungern aufgegeben hatte. Da auch die finanzielle Grundlage seiner dortigen Existenz reichlich bemessen war, konnte Humboldt persönlich mit der Wendung seiner Laufbahn und mit Hardenbergs Verhalten, der nun auf Jahre hinaus der mächtigste Mann in Preußen war, wohl zufrieden sein8). Vor allem gewährte ihm der Wiener Posten die Möglichkeit, der Trennung von der Gattin ein Ende zu machen, ohne ihr den Tajisch mit dem äußerlich wie innerlich rauhen Klima Norddeutschlands zumuten zu müssen. „Das Neue tentiert mich immer, on aime & courir le monde, und es ist meine Art nicht, mir künstliche Lagen zu machen, vielmehr die dargebotene so umzugestalten, bis sie mir recht ist." Da Wien mit seiner hübschen Gegend und seinen Kunstsammlungen, mit dem ungleich höheren Gehalt und der Nähe Italiens, mit der Aussicht auf größere Muße zu wissenschaftlicher Arbeit und zu einem genußreichen Familienleben bei näherer Überlegung vor einem Leben in Berlin, auch in der Stellung eines Ministers, in jeder Beziehung den Vorzug zu verdienen schien, so hat Humboldt merkwürdig schnell mit seiner neuen

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Bestimmung sich abgefunden und damit zugleich mit dem Abschied von seinem „Werk", von dem so erfolgreich geführten Amt überhaupt und im besonderen von der noch unvollendeten Berliner Universität. Gewiß „lag ihm am Herzen", woran er in der letzten Zeit seine Kraft und seine Arbeit gesetzt hatte. E r war stolz auf das Erreichte; er wußte, daß er keinen ebenbürtigen Nachfolger finden könnte; mit Genugtuung erfüllte ihn der Gedanke, daß die kurze Spanne seiner Tätigkeit viele Spuren in der Zukunft hinterlassen werde, daß das Unterrichtswesen in Preußen durch ihn einen neuen Antrieb erhalten habe. Aber soviel lag ihm doch weder an dem Geschaffenen noch an dem Begonnenen, daß er dem Werk das Opfer seines Eigensinns oder seines Ehrgeizes zu bringen bereit war. Daß sein Abgang die eigenen Schöpfungen großen Gefahren aussetzte, sah er wohl: „allein ich will es gründlich retten oder gar nicht." Die Tatsache des erlittenen Mißerfolges bestimmte, soweit sein Wille und nicht der Wille Hardenbergs in Frage kam, sein Schicksal nachhaltiger als die Verbundenheit mit dem Bezirk des Lebens, in dem er zuerst die Früchte überlegener Wirksamkeit, den Erfolg seines „praktischen Talents" hatte ernten dürfen1). Mit einem Gemisch aus stolzer Genugtuung und ferngerücktem Humor betrachtete er zwei Jahre später bei einem Besuch in Berlin die Universität, welche nun wirklich nach seinen Plänen Gestalt gewonnen hatte. „Die meisten Dinge leben nur noch von dem Impuls, den ich ihnen gegeben." Hatte vor zwei Jahren i.das allgemeine Geschrei", welches die geistig und wissenschaftlich interessierten Kreise Berlins über seinen Weggang anstimmten, ihm berechtigterweise geschmeichelt, so freute er sich jetzt der Ehrung, welche die Universität ihm dadurch erwies, daß er durch eine eigene Deputation zur Feier ihres Gründungstages eingeladen wurde. „Es ist mir wirklich närrisch gewesen, so eine ganze Sache zu sehen, die mit vielen Menschen im Gange ist und ohne mich gar nicht wäre." Daß er in die alte Wirksamkeit sich zurückgewünscht hätte, davon ist nichts zu spüren; er war zufrieden mit dem, was sich mit ihm zugetragen, seitdem ihn „das Neue tentiert" hatte*). Im fernen Rom wollte Frau von Humboldt sich nicht so schnell in den Wechsel der Dinge schicken. Gern hätte sie den Gatten noch länger in Berlin tätig gesehen „für die innere Bildung einer großen Masse Menschen", denn in den kommenden Zeiten werde „der Mensch nur etwas gelten, insofern er etwas ist". Dieses Bedauern des ihm nächsten Menschen weckte in Humboldt den ersten Ausdruck einer Stimmung wehmütigen Verzichts. Mit der erprobten Genossin seines Lebens, deren unmittelbaren Zuspruch er in den entscheidenden Tagen schmerzlich vermißt hatte, stimmte er darin überein, daß die „Bildung der Nation"

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unendlich wichtig sei. „Ich hatte einen allgemeinen Plan gemacht, der von der kleinsten Schule an bis zur Universität alles umfaßte und in dem alles ineinandergriff, ich war in jedem der Teile desselben zu Hause, ich nahm mich des Kleinsten wie des Größten, ohne Vorliebe, mit gleicher Tätigkeit an, ich ließ mich durch keine Schwierigkeit abschrecken;... ich hatte, wie die wirkliche Niedergeschlagenheit bei meinem Abgang beweist, allgemeines Vertrauen." Aber in derselben Stunde, welche so stolze und so begründete Rechenschaft von seinem Wirken ablegen kann, drängt sich ihm doch wieder die Überzeugung auf, daß seine Neigung, ja daß sein Geschick ihn weniger zu öffentlicher Wirksamkeit • als zum „Privatleben" bestimme. „Ich müßte mich ganz über meine Bestimmung irren, oder ich bin nicht gemacht, etwas Äußeres zu gründen und zu stiften." Während er dies Bekenntnis niederschreibt, steht ihm nicht nur das letzte Jahr, es steht der ganze Gang ihres gemeinsamen Lebens vor dem inneren Auge. Das Ausscheiden aus dem Staatsdienst, die Jahre der Wanderschaft und die Jahre in Rom, all die Entscheidungen, die jeweils zu treffen gewesen, seien zu ihrem Glück ausgeschlagen. Darum könne er nicht anders, als in dem Geschehenen eine Bestätigung seiner alten Überzeugung zu finden, daß es seine Bestimmung sei, „durch sehr verschiedene Lagen zu gehen, tiefer und mannigfaltiger als andere alles Menschliche zu kennen und zu empfinden, mit dieser inneren Einheit und Selbständigkeit sich vielem und verschiedenartigem Wirken a n z u b i l d e n". Wieder tritt der tiefe Zug zur „Bildung", die passive Tendenz gegenüber der Welt hervor aus dem Hintergrund seines Bewußtseins und rechtfertigt aus sich heraus das Preisgeben der Wirksamkeit und des Werkes. Eine innere Nötigung treibt ihn, sich „gewissermaßen hinzugeben, die Einheit im Wechsel, die Selbständigkeit in der Nachgiebigkeit zu finden, wirkliche Macht und Herrschaft immer nur durch den Einfluß auszuüben, den man durch das innere Sein haben kann". Aber sahen wir ihn nicht in der Krise der letzten Monate „wirkliche Macht" auf sehr anderen Wegen erstreben? Was wider seinen eigentlichen Willen ihm geschehen, sucht sein Eigensinn aus „idealischen" Gründen und auf schwierigen Umwegen zu rechtfertigen, nicht ohne der Illusion, der Selbsttäuschung zu verfallen. Doch eine seiner Folgerungen ist unbestreitbar, die nämlich, daß er „mehr Talent habe, eine gegebene Lage zu benutzen, als eine selbst und mit Fleiß zu schaffen". Aber was konnte der Auswärtige Dienst von einem Mann erwarten, welcher nicht nur sich selbst so einschätzte, sondern der Ansicht war, daß die Bildung der Nation ebenso wie „die innere Verwaltung eines Staates viel, viel wichtiger sei als die äußeren Verhältnisse"1) ?

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E s konnte zunächst den Anschein gewinnen, als ob der nunmehrige preußische Gesandte in Wien seine Ansicht von der minderen Wichtigkeit der „äußeren Verhältnisse" in seiner neuen Dienststellung verwirklichen würde. Denn damals in Wien hat Humboldt absichtlich die Haltung eines Liebhabers mehr noch der Wissenschaften als der geselligen Zerstreuungen zur Schau getragen, weil er meinte, daß ein Gesandter, welchen man inmitten seiner Bücher antreffe, für ungefährlich gelte. Nicht ohne einige Berechtigung vergleicht er sich mit einem Manne, dessen vielseitige Begabung es dem berühmtesten Maler seiner Zeit gestattete, ab und zu als Diplomat aufzutreten — mit Peter Paul Rubens. „Wie jener dabei große Bilder malte, kann auch ich vielerlei treiben, habe es getan und tue es noch" 1 ). 1 Denn während dieser stillen Wiener Jahre, von denen wir weniger wissen, als von jeder anderen Epoche seines Lebens, ist in Humboldt der Gelehrte wieder erwacht. Von der Last der Ideen über die wünschbare Gestaltung des Lebens, unter deren Druck so oft in früherer Zeit seine Stimmung gelitten hatte, war er durch das gelingende Wirken für die Organisation des wissenschaftlichen Lebens in ^Preußen befreit worden. E r hatte das „ W e r k für andere", nachdem er sich so lange gesehnt, ins Leben gerufen. Nun konnte er zurückkehren zu der „stillen Beschäftigung mit sich selbst", konnte jener alten Liebe zur Philologie wieder Raum geben, welche ihn jetzt entschieden den Schritt tun ließ vom vielseitigen Dilettanten zum Gelehrten großen Ausmaßes. Neben der Arbeit, welche seit mehr als einem Jahrzehnt ihn begleitet, der Übersetzung des Agamemnon, fesseln die grundlegenden Studien der Sprachvergleichung ihn an die Stille seiner Bibliothek. Das Werk über die Basken und neue Untersuchungen über die amerikanischen Ursprachen füllen neben dem Leben mit der Familie seine Tage aus. Wie einst im stillen Rom, so konnte er jetzt noch in dem politisch und gesellschaftlich so bewegten Wiener Treiben die runde Hälfte der Woche seinen Arbeiten widmen. Die ähnliche Lebensform, der südlichere Himmel und das Bewußtsein, „an den Pforten Italiens" zu leben, riefen das Gefühl hervor, „im Grunde nur die Schwelle Deutschlands betreten zu haben"*). Das endlich wieder aufgenommene Studium nimmt ihn so stark in Anspruch, daß der emsige Briefschreiber in diesen Jahren fast ganz verstummt. E r scheint es müde geworden zu sein, in Briefen „sich auszusprechen"; denn das früher stets rege Bedürfnis nach brieflicher Mitteilung war ein Ersatz gewesen für fruchtbare Arbeit, die ja nun endlich ins Licht des Tages getreten war. Jetzt dachte er gering vom Werte brieflichen Austausches: „man ist in Briefen immer zu arm oder zu reich, zu wasserklar oder zu dunkel". E r hatte dem Briefschreiben „förmlich abgeschworen" und konnte sich zu der seltsamen Behauptung

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versteigen, er sei „von jeher dem Schreiben feind gewesen"1). So gehörte der Tag gänzlich dem gelehrten Studium. Des Abends aber vertauschte der Gesandte den Gelehrten mit dem Weltmann. Er verließ die stille, zum Hof führende Stube seines Hauses am Minoritenplatz, um sich zu später Stunde — meist erst um 11 Uhr — in das gesellige Treiben zu verlieren, durch dessen Buntheit und Üppigkeit das lustige Wien schon damals die Anwartschaft besaß, bald darauf einen europäischen Kongreß hinreichend amüsieren zu können. In den Empfangszimmern der vornehmen Damen wurde viel politisiert und intrigiert; um seiner Aufgabe als Beobachter der Politik in ihren großen und kleinen Erscheinungsformen zu genügen, mußte Humboldt diese Gesellschaften aufsuchen. In den Kreisen, welche den Rahmen von Metternichs eleganter Ministerschaft bildeten, flössen jene Quellen, welche Humboldts Berichten in den Augen Hardenbergs wie des Königs „das Gepräge der Wahrheit" verliehen. Alle die Damen, welche während des Wiener Kongresses eine politische Rolle spielen sollten, tauchen bereits auf in der einzigen Korrespondenz, welche Humboldt in diesen Jahren mit Regelmäßigkeit aufrechterhalten hat; ihre Adressatin war auch eine „politische" Dame, die Prinzessin Luise Rajdziwill2). Durch sie ist Humboldt während dieser Jahre in Verbindung geblieben mit dem patriotischen Kreis, dessen Kern die kommenden Führer von 1813 wurden: mit Stein, Gneisenau, Clausewitz. Diese Verbindung mit der Prinzessin und mit ihrem Kreis ist die einzige Beziehung von vorwiegend politischer Natur, welche Humboldt in jenen Jahren unterhält. Sie bildet auch den einzigen Anhaltspunkt zur Erklärung jener Entwicklung Humboldts, welche ihn um die Wende von 1812/13 als entschiedenen Anhänger des Krieges gegen Napoleon auftreten läßt; sie mag der Grund gewesen sein, warum er in der Meinung der Wiener Politiker als Mitglied des sagenhaften „Tugendbundes" gegolten hat*). Nicht nur mit den berühmten Damen Wiens, den kurländischen Prinzessinnen und der Fürstin Bagration, um die Namhaftesten zu nennen, sondern und selbstverständlich in erster Linie mit den führenden Männern des politischen Wien brachten Beruf wie Geselligkeit ihn zusammen: vor allem mit dem Jugendfreund Gentz und seinem Meister Metternich. Gegensätze der politischen Auffassung hinderten nicht den geistigen Austausch und die Gemeinschaft im Genuß der Vergnügungen des Lebens. Erst mit dem Frühjahr 1813 entstand eine ausgesprochene Spannung zwischen Humboldt und den beiden Genossen seiner Wiener Nächte. Weniger auf dem Boden der Politik als im Bereich literarischer Interessen begegnete Humboldt sich mit den im katholischen Wien gestrandeten Romantikern, deren vielversprechenden Aufstieg er während der Jenenser

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Zeit hatte beobachten können, mit den Brüdern Schlegel und mit dem ihnen eng verbundenen Adam Müller. Ihr literarisches Bestreben zog ihn jedoch nicht an, trotzdem oder weil er ihre vielbesuchten Vorlesungen angehört hatte. „Wenn sie über Goethe und Schiller sprechen, und man sich an ein lebendiges Gespräch jener Beiden über ähnliche Gegenstände erinnert, ist es einem, als stritten Pygmäen auf den Gräbern von Heroen." Erfreulicher als der Anblick jener halb gescheiterten, halb geretteten Titanen der Literatur war für Humboldt die Berührung mit der liebenswürdigen und freilich sehr viel unbedeutenderen Begabung Theodor Körners, der als Sohn des Jugendfreundes ein häufiger Gast im Humboldtschen Hause war. Charakteristisch aber für die Wiener Jahre ist es, daß nicht mehr wie bisher, wo immer sein Weg ihn hingeführt, das „Talent" in dieser oder jener Form den Maßstab abgibt für die Auswahl seines Umgangs. Der Gesandte und Staatsminister ist außerhalb der Studierstube ganz Weltmann; sein Verkehrskreis deckt sich mit den exklusiven Zirkeln der hochmütigen Aristokratie Alt-Österreichs1). Was die Gespräche des geselligen Umgangs an Neuigkeiten der Politik wie an Wissenswertem über die inneren Zustände des Kaiserstaates zutrugen, hat Humboldt zu eingehenden und sorgfältigen Berichten verarbeitet, welche in Berlin mit steigender Beachtung aufgenommen wurden. Sie haben die ursprüngliche Zurückhaltung Hardenbergs gegenüber dem Wiener Gesandten überwunden und dem Diplomaten das Vertrauen des Kanzlers erworben*). Wenn man aus der Tatsache, daß eine geheime Sendung nach Wien ihm verborgen blieb, hat folgern wollen, daß der Staatskanzler Humboldt nicht über den Weg getraut habe, so beruht das auf irrigen Voraussetzungen. Hardenberg hat die „offiziellen" Diplomaten, angefangen mit dem Außenminister Goltz, absichtlich nicht in das Spiel jener Geheimpolitik, zu der ihn die verworrene Lage nötigte, Einblick nehmen lassen. Dieser Umstand bedeutet also keineswegs ein Zeichen des Mißtrauens oder der Unterschätzung'). Andrerseits mußte doch erst einmal ein unwiderleglicher Beweis der Befähigung Humboldts für schwerere Aufgaben, als die wenig erheblichen kurialen Probleme sie geboten hatten, erbracht werden. Und als dies geschehen war, indem Humboldt während des Krisenjahres 1811 mit Bestimmtheit vorausgesagt hatte, daß Österreich in dem Kampf der Weltmächte solange wie möglich jeder Entscheidung ausweichen und im entscheidenden Augenblick mit aller Wahrscheinlichkeit gegen Rußland für Frankreich Partei ergreifen werde, hat der Staatskanzler die Begabung Humboldts anerkannt und entsprechend bewertet4). Im Spätsommer 1812 ergab eine Begegnung beider Männer in Berlin eine so völlige Übereinstimmung in den Zielen der

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preußischen Außenpolitik, daß von diesem Zeitpunkt an während des spannungsvollen Winters eine Geheimkorrespondenz zwischen dem Kanzler und dem Gesandten einsetzte, welche diesen für die Stellung des nächsten Mitarbeiters an den außenpolitischen Problemen der nächsten entscheidenden Zeiten vorausbestimmte1). Zweifellos hat die nähere Verbindung mit Hardenberg für Humboldt eine Genugtuung bedeutet; denn er hatte sie vorher vermißt. Die Briefe an die Prinzessin Luise verraten es, daß das behagliche Gelehrtendasein ihn, entgegen seiner Versicherimg, durchaus nicht befriedigt hat. Nicht nur die innere Anteilnahme an der gefährdeten Lage Preußens bewegt ihn. Sein Ehrgeiz empfindet das Dasein im Wiener Phäakenland doch als ein unerwünschtes „fern von Madrid". Häufig kehren Anspielungen dieser Art in seinen Briefen wieder. Kurz vor dem ersten längeren Urlaub im Sommer 1812 reift der Entschluß zum Verzicht, dort „Einfluß ausüben zu wollen, wo er es einmal nicht sollte"; er bescheidet sich, die Gegenwart von nun an zu betrachten wie eine um ein halbes Jahrhundert zurückliegende Epoche. Von solchen Betrachtungen her wird wieder deutlich, daß im Juni 1810 Humboldt offenbar noch andere Ziele verfolgt hat als die zweckmäßige Abgrenzung der Kompetenzen innerhalb der hohen Verwaltungsbehörden*). Ein unbefriedigter Ehrgeiz verbirgt sich ebenso hinter der kühlen Maske des diplomatischen Gelehrten, wie hinter dem Anschein eines glücklichen und harmonischen Familienlebens eine andere Leidenschaft bohrt und brennt; das beweisen die Briefe an Johanna Motherby8). Humboldt steht wieder vor der Gefahr, aus resignierendem Verzicht auf ein tätiges Dasein einem wirklichkeitsfernen Traumleben zu verfallen, als die großen Ereignisse ihn zur rechten Zeit aus diesen Verhältnissen herausreißen, um ihn auf die Höhe seines Erlebens wie des Weltgeschehens zu führen. Solcher Zwiespältigkeit seines Wesens und des aus ihr folgenden Widerspruchs in der Gestaltung des Lebens ist Humboldt sich wohl bewußt gewesen. „Ich trage eigentlich einen zwiefachen Menschen in mir, einen, der immer von der Welt ab in die Einsamkeit gerichtet ist, und einen, der sich durch die Umstände und manchmal zu leicht auch durch die Lust, sich in einer Lage zu versuchen, nach der Welt hinreißen läßt. Daraus entsteht ein sonderbares Gemisch in mir, das die Menschen allerdings nicht begreifen mögen, das ich auch weit entfernt bin, eigentlich und durchaus zu billigen, an das ich aber gewöhnt genug bin, um dabei das nötige Gleichgewicht zu bewahren." So konnte er im Rückblick auf ein Jahrzehnt des Staatsdienstes über sich selbst urteilen, kurz bevor es ihm begegnete, daß er das Gleichgewicht, dessen er sich rühmte, durchaus verlor. Aber noch damals, im Januar 1818 war die Illusion nicht,

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trotz peinlicher Erfahrungen, zerstört; sie gründete sich auf eine Theorie des „Handelns in Formen", welche ihm das Gleichgewicht zwischen den auseinanderstrebenden Trieben seines Innern zu gewährleisten schien. Diese Theorie des Handelns erfüllte eine doppelte Funktion. Sie ersetzte die ihm von Haus aus fehlende innere Anteilnahme an den Dingen seines Berufes in den häufig wiederkehrenden Stunden, in denen er sich „in die Einsamkeit gerichtet" fühlte; dann blieb doch immer noch ein gewisses logisches Interesse lebendig an der „Form" des Handelns oder an der „Consequenz" einer „Idee". Zweitens gewann der häufig schwankende und immer zaudernde Politiker aus der Beobachtung des „Systems" jene Sicherheit und jenes Vertrauen auf das eigene Handeln, welches naiveren und stärkeren Naturen aus dem angeborenen Trieb zum Handeln und Gestalten zu erwachsen pflegt. Darum betonte Humboldt mit einer nervösen Heftigkeit, daß alles ,,Handeln außer der Form" zur Unfruchtbarkeit verurteilt sei, und er wiederholte den Vorwurf, obwohl die Beobachtung der politischen Welt um ihn herum ihm dauernd das Beispiel des Gegenteils vor Augen stellte. Ein Handeln „aus Persönlichkeit", ,.außer allei Form", unter dem Antrieb mehr der Affekte als des Gedankens: das sind die Vorwürfe, welche er nicht nur dem Staatskanzler, sondern in den innerpolitisch erregten Zeiten nach 1815 schließlich „aller Welt" zu machen hat. Er aber hielt fest an den „Formen" des Handelns, vor allem an jener Idee des „negativen Handelns", in welcher wir ein Symptom seiner romantisierenden Haltung zu erblicken glaubten1). Ganz tief in seinem Denken war dieses System verwurzelt. Das wird deutlich, wenn an einer sehr abgelegenen Beziehung und zu einer sehr späten Zeit, als die Politik längst und für immer abgetan war, die „Idee" des Systems wieder lebendig und nochmals gerechtfertigt wird. An der Brahmanenphilosophie, in deren Welt Humboldt nach dem Aufgeben des Staatsdienstes sich vertieft hatte, hatte ihn nicht so sehr ihr religiöser Gehalt angezogen als vielmehr das Prinzip „zu handeln, gleichsam als handle man nicht. Das stimmt mit meiner Individualität wunderbar überein. Keiner kann mir mit Recht Schuld geben, daß, solange ich habe handeln müssen, ich nicht ganz dabei gewesen wäre. Aber das muß ich bekennen, daß mir in allem meinem öffentlichen Handeln immer nur an der F o r m des Handelns gelegen hat, und daß ich, was die Erfolge betrifft, gleich so tief in der Nichtigkeit alles menschlichen Treibens liegende Vergleichungspunkte gewonnen habe, daß dadurch das Gefühl der Wichtigkeit des Handelns aufs mindeste ungemein geschwächt wird". So wenig neu solche Gedanken anmuten, so würde dieser späte Rückblick auf die Zeit des politischen Berufs seiner ganzen Wirksamkeit K » e h l e r , Humboldt.

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das Urteil mit einer Maßgeblichkeit sprechen, gegen welche keine Berufung statthaben könnte. Denn wäre dies die ganze Wahrheit über sein amtliches Wirken, so hätte all sein Mühen, aller Aufwand von Geisteskraft nur einem Trugbild, einer vorgestellten Idee des „Handelns in Formen" gegolten. Gegen solche Deutung seines Wirkens hat aber Humboldt selbst die stärksten Beweise geliefert — dann nämlich, wenn der „andere Mensch" in ihm von der Wirklichkeit sich hinreißen ließ und von der „Wichtigkeit" des Handelns durch die erlebte Erfahrung eine andere und richtigere Auffassung sich bildete, wenn er, wie wir noch sehen werden, mit dem Einsatz aller Kräfte um den vorgeblich verachteten Erfolg gerungen hatte. Dann allerdings handelte er gegen sein System und gerade dadurch ging ihm die innere Sicherheit verloren, weil er sich von dem Zauber der einmal gefaßten „Idee" auch im Handeln selbst nicht ganz befreien konnte. Sowie er reflektierte — und wann hätte er es nicht getan? — sprang ihm der Kobold der Idee in den Nacken und drückte ihn durch sein Gewicht zu Boden1). Der Kern nun dieser Theorie des Handelns in Formen war und blieb der Begriff des „negativen Handelns". Schon beim jungen Humboldt begegnete er und begegnet gleichmäßig in den verschiedensten Gebieten und Zeiten des Lebens. „Negativ zu handeln" — das war im letzten Grunde die Tätigkeit, welche die Schrift von 1792 dem in seiner „Wirksamkeit begrenzten" Staate zuweisen wollte: daß der Staat durch das „negative" Verhalten der Zurückhaltung dem Einzelnen die Freiheit wie die Sicherheit der Bewegung im Leben ermöglichen sollte. Genau in der selben Weise bestimmte der Minister Humboldt später dem Deutschen Bunde seine Betätigung im Bereich „des negativen Handelns", wie er es noch 1809 dem preußischen Staat gegenüber ebenso getan hat. Aber die Theorie war durch die eigene Anlage des Mannes bedingt ; „mir ist nichts so lieb, als nicht selbst wählen zu dürfen" — hier lag im p e r s ö n l i c h e n L e b e n die tiefste Wurzel der „Idee" ; sie war, wie so ¡manches seiner Theoreme, der Ausdruck einer Schwäche seines Wesens. Dieser Satz gibt in unübertrefflicher Weise den Willen zur Passivität des „romantischen Subjekts" kund ; er beweist unwiderleglich jene Tendenz, sich dem Augenblick gegenüber zu „reservieren". Das führt aber im politischen Bereich zu jener besonders widerspruchsvollen Lage, daß der romantisch gestimmte Mensch zwar seine Passivität nicht aufgeben kann, aber doch „ p r o d u k t i v sein will, ohne aktiv zu werden". Darum muß die Produktivität einem Element zugewiesen werden, welches zwischen dem Subjekt und der Wirklichkeit vermittelt : in Humboldts Fall erhält die „Idee", die „Form" des Handelns diese Aufgabe, sie bringt die wesentliche Hilfe bei der „recherche de la réalité"4).

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Einer doppelten Aufgabe hat sie dabei zu genügen. Zunächst einmal soll die beobachtete „Form" die Möglichkeit gewähren, „passiv" zu bleiben, obwohl man in der „Wirklichkeit" ein Ziel erreichen will. Das schwierige Problem erscheint dann lösbar, wenn man zwar nichts „Positives" fordert, aber sich darbietende „Lagen" durch „Eingehen" auf sie nutzbar zu machen weiß. Denn wer etwa sich selbst anbietet, oder wer etwas zu erreichen sucht, bekundet ein positives Wollen und begibt sich damit in die Abhängigkeit dessen, welcher das Angebot annehmen oder ablehnen, sich finden oder nicht finden lassen kann. Stets ist Humboldt bemüht gewesen, einer Abhängigkeit dieser Art vorzubeugen durch die Zurückhaltung dessen, der andere an sich herankommen läßt: aber es ist ihm nie geglückt. So wollte er zu der Zeit, als er gerne preußischer Resident in Rom geworden wäre, jedenfalls den Anschein vermeiden, eine Verwendung im Staatsdienst „mühsam und ängstlich s u c h e n zu müssen". Aber dann mußte er sich entschließen, als Bewerber aufzutreten, sogar fremden Beistand in Anspruch zu nehmen und dadurch sich in Abhängigkeit vom Willen anderer zu begeben. Ganz entsprechend sollte er sich in der großen Krise des Winters 1818/19 verhalten: die Negation, mit welcher er die Angebote Hardenbergs ablehne, so begründet er der Gattin gegenüber seine Haltung, decke ihn zur Genüge, während er keinesfalls „zu etwas so Positivem" wie der Forderung einer bestimmten Verwendung sich werde verführen lassen. Daher begreift er sein gesamtes Handeln unter dem formalen Verhältnis von Position und Negation und gibt sich dem Glauben hin, daß die „neutrale" Zwischenstellung ihm die Unabhängigkeit der Wahl gegenüber etwaigen Anerbietungen gewähre1). Denn von seinem individuellen Standpunkt gesehen, scheint die formale Bedingtheit seines Tuns ihn mit einer sturmfreien Umgrenzung gegen die Umwelt sichernd zu umgeben. Mehrfach hat Humboldt ausgesprochen, daß er besonders zu „(Konferenzen", d. h. zu Debatten von Mund zu Mund sich eigne. Denn hier konnte er jenen Grundsatz mit Zähigkeit festhalten, welchen schon der junge Gentz als besonders charakteristisch für seine Diskussionsmethode hervorgehoben hat: „Humboldt würde einen Einwurf, und wäre er so wichtig, daß er auf der Stelle dem ganzen Streit ein Ende machte, um keinen Preis vertragen, sobald er nicht aus dem Gange, den der andere genommen hat, hervorwächst." Aber, das hat Humboldt durch manche bittere Enttäuschung erfahren müssen, das logische Formenspiel der Diskussion laßt sich auf die Wirklichkeit des politischen Lebens nicht übertragen; hier kann es nur Mittel, nicht Ziel und Zweck an sich sein. Wenn er dort den „willkürlichen" Einwand aus der logischen Diskussion zu bannen nach den geltenden Regeln des dialek17*

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tischen Prozesses wohl die Macht hatte, so galten hier andere Gesetze. Hier vermochte er nicht, die „Willkür" oder auch nur den Willen des politischen Gegners durch das geschlossene System wohlberechneter, formaler Schachzüge mattzusetzen. Darum mußte das große Spiel gegen Hardenberg und gegen das Staatskanzleramt mit seiner Niederlage enden1). Hier, in diesem Spiel, war der „Form" nun wieder eine „aktive" Rolle zugedacht. Hierhin gehört jene Idee des Staatsrates als politische „Form", mit welcher er rechnen zu können meinte, und an der er seinen ersten Mißerfolg erlebte. Später sollte die bestehende „Form" des Staatskanzleramtes beseitigt werden durch den neuen formalen Begriff der Ministerverantwortlichkeit, wie er ihn sich gebildet hatte aus dem Bewußtsein persönlicher Verantwortung für das individuelle Handeln und aus den Erfahrungen des englischen Verfassungslebens. Während er für sich selbst bei diesem Kampf nichts „fordern" wollte, vertrat er eine „Idee", welche bei dem Stand der Dinge in Preußen sein Verhalten mit dem Anschein schlechthin umstürzender Forderungen belasten und ihn selbst viel aggressiver erscheinen lassen mußte, als er selbst wollte oder bedachte. Diese „Form" der Verantwortlichkeit, das war seine Meinung, sollte statt seiner wirken und „produktiv" eingreifen in die Wirklichkeit; sie bedeutete ihm eine jener „Ideen", von denen er glaubte, „daß sich jede äußere Folge an der Strenge einer Idee in Trümmer zerschellen muß" 8 ). An diesem Glauben, welcher den Dienst leistete, ihn der Notwendigkeit des eigenen Entschlusses zu überheben, hielt er mit „eisernem Eigensinn" fest, weil er ihm gestattete, wenigstens in der Theorie dem „Augenblick" gegenüber sich zu reservieren; an diesem Glauben ist der Politiker Humboldt tiefsten Grundes und letzten Endes gescheitert. Denn er verdarb ihm den Blick f ü r die Wirklichkeit: „Veranlassung eines Erfolges kann der Mensch nie sich nennen", das war die praktische Folgerung aus dieser Überzeugung. Als er dann mit den Verbündeten zum erstenmal in Paris eingezogen war, urteilte er über seine Wirksamkeit, es bei mit ihr „wie mit dem Heupferd, das vom Wagen springt, um es den Pferden zu erleichtern". Hatte er sonst nicht häufig und mit Stolz erklärt, daß ohne ihn der Eintritt Österreichs in den Krieg gegen Napoleon niemals erfolgt sein würde? Wenn er jetzt so sprach, so „reflektierte" er abseits der Wirklichkeit und ließ der Theorie das Wort. Warum er trotz ihrer dieses „zwecklose" Wirken nicht freiwillig aufgab, bekannte eine Stunde, in der er „zur Welt sich hingerissen" fühlte: „die Gefühle der Wirklichkeit und die Ansprüche des Idealischen sind oft im Streit miteinander. Aber die fetzten sind wie edler Frauenslnn, der zurücktritt, schweigt und entbehrt

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und seine Welt geschlossen in sich hat. Das erste Recht fordert die Treue, mit der ich ohne alle Rücksicht . . . nicht einmal vom Boden weiche, der mich geboren hat, wenn er meiner bedürfte. Und so geht denn in der G e n u g t u u n g d e s H a n d e l n s und in dem G e n ü s s e der S e h n s u c h t das Leben hin, und das bloße V e r f l i e ß e n der Z e i t macht, was ich unendlich in Anschlag bringe, mit jedem Moment die Weltansicht bedeutender."*) Den unlösbaren Widerspruch zwischen Idee und Wirklichkeit überbrückte das „Erleben", der anerkannte „Augenblick". Das „Erlebnis" zwang ihn, die besten Jahre des Mannesalters halb freiwillig, halb widerwillig zum Opfer für Staat und Nation werden zu lassen 1 ). „Mit jedem Moment wird die Weltansicht bedeutender" — so begrüßte Humboldt die Entwicklung der Ereignisse des Frühsommers 1813, an deren Gestaltung entscheidend teilzunehmen er berufen war. Einst hatte der junge Aristokrat dem Ausbruch der Revolutionskriege, welche endlich einmal „neue Akteure" auf die Weltbühne bringen sollten, mit einer, man möchte sagen, snobistischen Spannung des ästhetischen Intellektuellen zugeschaut. Jetzt wurde der gereifte Mann selbst, jetzt wurde seine innerste Anteilnahme in das große Spiel „der Haupt- und Staatsaktionen" hineingezogen. Und mit einer überraschenden Bereitwilligkeit gab Humboldt die geruhsame Existenz auf, welche er, halb als Diplomat, halb als Gelehrter, in der lebensfrohen Kaiserstadt während der letzten beiden Jahre hatte verbringen können. Mit dem Abschluß des Bündnisses von Kaiisch und der Kriegserklärung Preußens an Napoleon war unmittelbar in seinem eigenen Lebensbereich eine „neue Lage" geschaffen, welcher er sich in einem plötzlichen Umschlag seiner inneren Haltung „anbildete", ohne Vorbehalt und in einer Bereitschaft zur Hingabe, welche nicht mehr, wie noch vier Jahre zuvor, vom „leidigen Krieg" zu sprechen vermocht hätte*). Die Maßstäbe für den Wert des Lebens und Geschehens hatten offenbar eine Umkehrung erfahren; die innerste Stimmung des Mannes, welche bis 1809 im letzten Grunde ästhetisch bedingt gewesen war und eben wieder jene Farbe annehmen zu wollen schien, war eine gänzlich andere, sie war eine politische geworden; sie ist es auch während der nächsten Jahre geblieben. Hier liegt der entscheidende Einschnitt in seinem Leben. Er hebt die Zeitspanne von 1813 bis 1819 als eine Periode mit durchaus anderen Lebenszielen heraus aus dem Kreislauf seines Daseins, wie er mit den vorwiegend ästhetischen Jahrzehnten seiner Jugend beginnt und gegen den Abend seines Lebens hin mit dem mächtigen Werk der Wissenschaft den Ring wieder schließt. Denn mit dem Frühjahr 1813 hört Humboldt auf ein Diplomat zu sein wie andere, weicht- aus diesem oder jenem Grunde dem standesgemäßen Beruf sich

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zuwenden, um in der angenehmen Lebensform eine Beschäftigung, eine Ausfüllung des Daseins zu finden. Seit dem Augenblick der preußischen Erhebung gehört er mit seinem ganzen Menschen der Politik, gehört er dem Staat Preußen und darüber hinaus der Zukunft jenes „Deutschland, welches nicht Österreich oder Preußen" ist, und dessen nationalem Streben nach Befreiung, nach Größe und Einheit mit allen Kräften zu helfen und zu dienen er von nun an entschlossen ist. Die „Idee" der „Individualität" Preußens wie Deutschlands wird zum Stern, welcher über seinem Weg leuchtet. Der Widerspruch zwischen „Idee" und „Wirklichkeit", der seinem Bewußtsein nie ganz entschwindet, wird überbrückt nicht durch eine „Theorie", nicht durch Gedanken und Erwägungen, sondern durch das Erlebnis des schicksalhaften Einklangs von Einzelleben und geschichtlicher Gemeinschaft. Wie Humboldt an erster Stelle stand unter den Deutschen, welche mit ihrer geistigen Empfänglichkeit die klassische Dichtung aufnahmen und sie dadurch zur geistigen Bewegung, zum Inhalt kommender Jahrzehnte werden ließen, so stand er an erster Stelle unter denen, welche das politische Geschick ihres Volkes mit den Kräften ihres „gebildeten" Geistes aufnahmen und zur geistigen Bewegung vertieften. W. Humboldt ist einer der ersten jener Männer, deren Leben durch die Teilnahme an der nationalen Bewegung mit einem Gefühl neuen Glücks und weiter Aussichten in die Zukunft beschenkt wurde. In seinen bitterbösen Worten über die Metternich und Gentz, über das ganze „frivole Geschlecht" der Diplomaten „ohne Herz und Sinn" klingt, gedämpfter wohl, aber um so eindringlicher, ein Ton an von Treitschkes „sittlicher Entrüstung" gegen die Gegner der nationalen Bewegung. Wie der heißblütige Publizist der 60er Jahre in Wien und Dresden ebenso verhaßt war wie in München und Kassel, so bildete der kühle Diplomat Humboldt mit seinem preußischen Stolz und seiner Liebe zu einem Deutschland, welches nur erst in der „Idee" existierte, den Gegenstand besonderer Abneigung für die K. K. Politiker und für die kleinstaatlichen Regierungsmänner während des Wiener Kongresses. Wer, wie etwa Gentz, des jungen Humboldt von 1792 sich erinnern konnte, mochte meinen, vor einem unerklärlichen Vorgang, vor einem Wunder zu stehen, oder er mochte an der Aufrichtigkeit des zum Staat Bekehrten zweifeln. Denn eine ,,Umkehr" war ohne Zweifel vor sich gegangen; eine jener Umwandlungen im Innern des Menschen hatte sich vollzogen, auf deren Eintritt wohl je und an ein wenig beachtetes Anzeichen vorbereitet, deren endlicher Durchbruch aber ebenso unerwartet kommt, wie er unerklärlich bleibt. Hatte nicht gerade eben noch, im Frühjahr 1813, eine Traumgestalt seiner Gefühlswelt sich bemächtigt und seine innerste Teilnahme weit abgelenkt von der Wirklichkeit

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des Lebens in Haus und Politik? Und nun, mit jähem Wechsel, taucht derselbe Mann tief ein in den Strom des geschichtlichen Lebens. Restlos und bündig diese Wandlung zu erklären, wird kein Außenstehender sich unterfangen dürfen. Gerade bei solchem Versuch kommt die alte Erkenntnis nachdrücklich zur Geltung: „Individuum est ineffabile". E s ist, als ob verborgene Triebe, schlummernde Kräfte mit einem Schlage geweckt, von ihren Fesseln befreit wären — durch den Zauberstab des „hinreißenden" Ereignisses. E s war die Tatsache der preußischen Erhebung, der entscheidenden Wendung in der Politik Hardenbergs, auf welche der Gesandte in Wien seit dem Herbst 1812 vorbereitet war, und auf welche er wartete.Vor Jahren schon hatten die Wirklichkeit und das „Handeln" in der Wirklichkeit eine früher nicht zugestandene Wichtigkeit für ihn gewonnen; das Glück schien mehr verbürgt im amor fati als im Genuß des Daseins. Aber dann war der Abschied vom „Werk", von der eigenen Leistung gekommen; während der Wiener Jahre war Humboldt zurückgeglitten in das alte Traumreich und in ein genießendes Leben. Nun im Sommer 1813 ist diese Stimmung wie spurlos verweht. Mit aller Leidenschaft, deren er fähig ist, wirft er sich in das Ringen um Österreichs Beitritt zum Kalischer Bündnis, widmet 1er sich dem Kampf um Preußens Befreiung und um Deutschlands Zukunft. Ist es der gleiche Mann, welcher wenige Wochen zuvor die Briefe an Johanna Motherby verfaßte? Mit einem gewaltigen Ruck hatte die Wirklichkeit, hatte das Weltgeschehen den Träumer an sich gerissen. Konnte der Umschwung so schnell und nachhaltig einsetzen, weil das Ereignis genau traf auf die verwundbarste Stelle seiner individualistischen Rüstung, auf seine Empfänglichkeit für den mächtigen Eindruck? „Ich bin ein sonderbares Wesen; der Anblick einer Gewalt, der nichts widerstehen kann, hat mich immer so mächtig angezogen, wenn ich gleich selbst fortgerissen würde im Strudel und meine letzten und liebsten Freuden", — so hatte der junge Humboldt sich Rechenschaft gegeben von dieser Anlage, welche Glück und Unglück zugleich in sich tragen mochte. Jetzt wieder konnte er, unter ganz anderen Voraussetzungen der Stunde, die gleiche Erkenntnis in die Worte fassen, daß „die Teilnahme an großen und hinreißenden Begebenheiten ihn reize, wie den Mann das Eisen", oder: „von dem Gang der Weltbegebenheiten . . . sich nicht fortreißen zu lassen, . . . hieße wollen, daß ein Schiff ohne Wind segle". Der Verkünder der unbedingten Selbstherrlichkeit des Einzelnen, welcher er voreinst gewesen, hatte die Macht fremder Gewalten erfahren und anerkannt 1 ). Wie die Wandlung auch letzten Endes in seinem Innern begründet sein mochte, — sie war zur Tatsache geworden und sie weckte in ihm

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eine Bereitschaft zum wahrhaften Opfer. Der Mann, der seinen sechzehnjährigen Sohn zu den preußischen Fahnen schickte, wäre mit seinen 46 Jahren selbst bereit gewesen, „am einfachsten in eine militärische Tätigkeit bei der Landwehr einzutreten", wenn er nicht an seinem Platz Wichtigeres zu leisten gehabt hätte. Das Problem des Krieges und des Opfers war in dem feinmaschigen Gewebe seiner Jugendschrift gegen den Staat die Lücke gewesen, welche sich nicht schließen wollte: es sind die gleichen Probleme, welche in der Wirklichkeit des Lebens ihn jetzt erfassen und sein Handeln wie sein Denken in eine neue Bahn hineinziehen. „Alles Große wird nur durch Opfer errungen, weil in ihnen die Macht des Guten am meisten lebendig wird" — so hört man jetzt von ihm die neue, eine stoisch-asketische Botschaft. Und in besonderer Anwendung des Grundsatzes auf eines der namhaftesten Opfer, welches der Beginn des Krieges gefordert hatte, konnte er die bedeutungsvollen Worte schreiben: „Auch Körners Tod habe ich tadeln hören. Ein Mensch von Talent soll sich nicht aussetzen. Man kann auf keine unwürdigere Art vom Talent, vorzüglich von einem Dichter reden. Das wahre Talent und der wahre Geist, die der Dichter und jeder wahrhaft große Schriftsteller braucht, stammt aus dem Charakter und wird durch ihn genährt. Was nicht so ist, ist in der Wissenschaft mehr oder minder mechanisch, und in der Kunst flach und unbedeutend. Die Alten empfanden es auch nie anders, Aeschylos würde es sehr sonderbar gefunden haben, wenn man ihn hätte hindern wollen, bei Marathon zu kämpfen, um einige Trimeter mehr zu machen, Das ist gerade das Edle am Menschen, daß er mit sich selbst wagt, und wie es darauf ankommt, mit seinem Dasein ein freies Spiel treibt." Hier hat der Freund Schillers und Goethes, der „Idealist" und „gute Europäer", das vernichtende Urteil gesprochen über alle jene „Talente", welche damals wie hundert Jahre später sich scheuten, ihr wohlorganisiertes Gehirn dem Druck des Helmes wie der pfeifenden Kugel auszusetzen, um es der künftigen Leistung für Wissenschaft und Kunst, für die „Kultur" aufzubewahren. Er schrieb es nieder, nachdem er über das Leipziger Schlachtfeld mit seinen Schreckensbildern geritten war und die erfahrenen Eindrücke mit warmer Empfindung, aber mit kühlem Urteil verarbeitet hatte. Er schrieb es nieder, nachdem er bei einem Besuch im Haus am Frauenplan hatte feststellen müssen, daß „der G e h e i m r a t . . . zwar die Legion beiseitegelegt habe, . . . allein die Befreiung Deutschlands hat noch bei ihm keine tiefen Wurzeln geschlagen. Er glaubt zwar ernstlich daran, stellt aber mit vielem Umschweifen, unbestimmten Phrasen und Gebärden vor, daß . . . im vorigen Zustand . . . alles schon in Ordnung und Gleis gewesen sei und . . . der neue nun hart falle. . . . Übrigens sieht ers sehr locker und lose an; die Weltgeschichte, meint er,

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habe auch diesen Spaß haben müssen". Dieses sublimierte Philistertum, welches sich um „der Ordnung" willen „in die Schmach der Knechtschaft ergab", mutete den preußischen Minister doch sehr seltsam, sehr menschlich an. E r fühlte mit der großen Stunde, er „reservierte" diesmal sich nicht, wenn und obwohl er gerade während jener Wochen im Feldlager die alte Arbeit der metrischen Übersetzung des Agamemnon wieder aufnahm. „Solche Arbeit verträgt sich sehr gut mit der Teilnahme an den Begebenheiten. Der Stoff ist ganz mit ihnen verwandt, immer das große Weltschicksal von einzelnen Menschen veranlaßt und auf sie zurückwirkend, und die Form der Schönheit und des Ebenmaßes, durch sich selbst bestimmte Gesetzmäßigkeit ist wie eine ernste Musik, die alles begleitet." So klangen die Ideale seiner Jugend zusammen mit dem gewaltigen Erleben der Gegenwart zu einer vollen Harmonie, welche die Seele des tief ergriffenen Mannes erfüllte, ihm den Mut und die Beweglichkeit des Geistes gab zu jener mehr emsigen und unermüdeten, als energischen und gestaltenden Tätigkeit, die er als Gehilfe Hardenbergs in jener Zeit und den folgenden Jahren entfaltete 1 ). Vorher aber war dem Diplomaten die einzige s e l b s t ä n d i g e Leistung von großer Tragweite gelungen, welche ihm in seiner langen Laufbahn beschieden war. Das Ziel der preußischen Politik mußte es sein, Österreich zur Aufgabe seiner neutralen Mittelstellung zu bewegen, in welcher es seit dem Januar 1813 zwischen den drei um die Beherrschung Europas kämpfenden Weltmächten, langsam rüstend, stand. Der Zwang der eigenen Interessen des Donaustaates mußte Metternich allmählich auf die Seite der Alliierten hinüberdrängen, wenn dieser wirklich eine ausschlaggebende Rolle in der kommenden Gestaltung des Staatensystems spielen wollte. Aber nur sehr zögernd, durchaus bestimmt von Gründen österreichischer Staatsräson, völlig ablehnend gegen alle ideellen Momente einer deutschen Gesamtpolitik, wie Humboldt sie schon damals vertrat, hat Metternich den Weg betreten, welcher seinen Staat in die europäische Koalition hineinführte. Für die Verbündeten galt es, die Österreicher so schnell und so fest wie möglich der großen Koalition anzugliedern. Während des Juni wurde eifrig verhandelt; seit dem 7. Juni nahm auch der Wiener Gesandte Humboldt, nicht zur Freude seiner „Freunde" Metternich und Gentz, an diesen Verhandlungen teil. Der Reichenbacher Vertrag vom 27. Juni verpflichtete Österreich, in den Krieg einzutreten, falls Napoleon die Bedingungen der Vermittelung bis zum 20. Juli nicht annehmen würde. Während der Verhandlungen vertrat Humboldt mit Leidenschaft den Gedanken, daß auf keinen Fall ein lahmer Frieden geschlossen werden dürfe; er war erregt über die zaudernde Taktik der Österreicher.

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Da diese nach seiner Überzeugung im Grunde keine freie Wahl mehr hatten, drang er darauf, nötigenfalls auch ohne Österreich den Krieg fortzusetzen, nachdem Preußen und Rußland in diesen Wochen mit England ihre Subsidienverträge abgeschlossen hatten. Aber selbst im eigenen Lager fand er kein rechtes Verständnis für seine entschlossene Haltung außer bei Hardenberg selbst, sonst fühlte er sich isoliert; er war entschlossen, einen Frieden auf Metternichs ursprüngliche Bedingungen hin nicht zu unterzeichnen. Ihn erfüllte das Gefühl, daß „der große Moment ein kleines Geschlecht" gefunden habe. E r meinte, es gäbe auch bei den Preußen, „keinen Menschen, der sich an die Spitze stellen könnte, und dessen fester Sinn wäre, mit der Sache zu stehen und zu fallen. Jeder denkt doch noch an Nebensachen o d e r s i e h t d i e D i n g e w i e G e s c h ä f t e , k e i n e r w i e s e i n L e b e n a n.*) Mit solcher Gesinnung ist nie etwas Großes geworden". Die einzige Hoffnung auf einen guten Ausgang schien sich gründen zu können auf die bekannte Unnachgiebigkeit Napoleons. Eine tiefe Erregung hatte sich während dieser Wochen seiner bemächtigt; es war wie der Fanatismus eines Neophyten über ihn gekommen, in dessen Glut die geschäftsmäßige Kühle der übrigen Akteure ihm schon als Starrheit des geistigen Todes erscheinen wollte1). Metternich selbst hatte am 26. Juni den französischen Kaiser zur Annahme seiner bewaffneten Vermittelung zu überreden vermocht; der Waffenstillstand war verlängert worden; in Prag sollte während des Juli der Abschluß des Friedens auf Grund der Bedingungen Metternichs vorbereitet werden. Sehr gegen seinen Willen war Humboldt dazu als Vertreter Preußens bestimmt; er ging nach Prag in der Hoffnung, einen Frieden auf dieser Grundlage verhindern zu können. Zwar glaubte er, für den bevorstehenden Kampf „gepanzert" zu sein in seinem festen Willen; aber, charakteristisch genug, im Blick auf die Technik der diplomatischen Verhandlungen überfällt ihn die alte Zaghaftigkeit; er bangt vor der Verantwortung, allein und entscheidend etwa die Sache für die Verbündeten führen zu müssen. Groß dagegen war die Gesinnung, mit welcher er der nahenden Entscheidung entgegenging; groß war die e t h i s c h e I n t e r p r e t a t i o n , welche er dieser Schicksalsstunde zu geben wußte: „Ich kann nicht sagen, wie tief es mich bewegt, wenn ich mir so viele denke, welche jetzt unter unsern Truppen sind, die sich brav und edel geschlagen haben, die zum Teil verloren, was ihnen das Liebste hieß, die nun rächen möchten den Tod der Gebliebenen und ihn rechtfertigen durch das Erringen des im Anfang Erstrebten, und daß das Dichten und Trachten dieser, die doch das Edelste denken und wollen, was jetzt gedacht und gewollt werden kann, abhängen soll von

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einigen Schreibereien und Gesprächen und Verhandlungen. Möchte es darum sein, wenn jeder, der dorthin geht, wenigstens diesen Gedanken in der Brust trüge, bei jedem Schritt sich so dächte, als müßte er ihn verteidigen vor diesen. In meiner Brust wird der Gedanke immer liegen, aber was hilft das Verschlossene in eines Menschen Busen; der Lauf der Welt und der Begebenheiten geht darüber und daneben vorbei; so war es immer, und so wird es audh jetzt sein." Das war die Stimmung, in welcher der preußische Unterhändler sich auf den Weg begab: höchster Schwung des Idealismus vereinigt mit reflektierender Skepsis, während ein nüchterner „Geschäftssinn" wohl am meisten das Vertrauen auf das Gelingen des eigenen Handelns hätte verbürgen können. Aber die „Farce des Prager Kongresses" stellte an Humboldts diplomatische Fähigkeiten nicht die gefürchteten Anforderungen. E s dauerte mehr als 3 Wochen, bis der französische Bevollmächtigte sich in Prag einfand, wo die Vertreter Rußlands und Preußens seit dem 12. Juli auf die Eröffnung der Verhandlungen warteten. Dann wieder fehlte es auf der französischen Seite an den erforderlichen Instruktionen. Kurzum, diese Zusammenkunft der Diplomaten war nur ein schlecht genug gespieltes Schaustück für die europäische Öffentlichkeit 1 ). Noch vor der Prager Tagung war nun ein Ereignis eingetreten, welches den Kriegswillen der Alliierten anstacheln mußte, wie es andererseits die französische Gesamtstellung verhängnisvoll geschwächt hatte: am 21. Juni hatte der Sieg Wellingtons bei Vittoria über den spanischen Außenposten des napoleonischen Systems entschieden. Die Aussichten auf eine endgültige, nicht nur vorläufige Beseitigung der französischen Vorherrschaft begannen zu steigen. Trotzdem war Humboldt in schwerer Besorgnis — vor dem Frieden, d. h. vor einem Frieden im Sinne Metternichs, welcher weder die Unabhängigkeit Preußens noch die Zukunft Deutschlands gegen Frankreich gesichert hätte. Er war ein abgesagter Feind jeden „Verständigungsfriedens", er hoffte auf den Krieg. Die beiden „Verständigungspolitiker" in der Umgebung Friedrich Wilhelms III., den General Knesebeck und den Staatsrat Ancillon, sah er als Schädlinge an und bekämpfte ihren Einfluß, wo er konnte. In der Widerlegung einer der langatmigen Arbeiten des ehemaligen Predigers und Prinzenerziehers Ancillon finden sich die bedeutsamen Sätze: ,,der gegenwärtige Augenblick ist gewiß der kritischste . . . und nichts wäre strafbarer, als das Heil des Staates den Gefahren auszusetzen, die von einem falschen Enthusiasmus und von übertriebenen Ansprüchen drohen. Aber es ist nicht allein der Krieg, der die Staaten zerstört, — der Frieden führt sie viel sicherer ins Verderben, wenn er sie der Mittel zur Verteidigung beraubt und sie

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die Beute ihrer Feinde werden läßt." In diesem kritischen Moment fühlte Humboldt sich dem preußischen Staat tiefer und enger verbunden als je zuvor: „Es liegt eigentlich etwas Schreckliches in der Idee, daß, was man selbst für das Beste und Heiligste hält, soll in der äußersten Gefahr sein, ja untergehen können, und daß eine Privatlage darum immer gleich glatt und anscheinend glänzend und heiter fortgeht. Es gibt Dinge, von denen man sich nicht mehr trennen muß, wenn man ihnen auch nicht mehr helfen kann." In dieser entschlossenen und mit dem Narrenspiel des Kongresses ohne Gegenspieler ein wenig kontrastierenden Gesinnung sah Humboldt dem Ablauf der Zeit und dem Allianztraktat mit Österreich, „dem Ziel aller unserer Wünsche und aller meiner Bestrebungen seit vorigem Herbst", mit innerer Spannung entgegen. Die Zeit des Wartens vertrieb er sich wie in Wien mit sprachwissenschaftlichen Studien oder mit stundenlangen Gängen durch das nächtliche Prag in der Begleitung von Gentz und Metternich. Dieser schien mit H u m boldt die Rolle getauscht zu haben und sehnte sich angeblich von den aufreibenden Geschäften nach einem otium procul negotiis, was Humboldt in diesem Augenblick nicht begreifen zu können erklärte — so weit hatten die Ereignisse ihn schon hinweggerissen von der ihm eigentümlichen Bahn! Wie gehörte er doch dem Augenblick an, welche Gewalt besaß die „Lage" über ihn, deren Eindruck er unterlag I Wenige Tage später, und die Beschreibung eines antiken Bildwerks läßt ihn ausbrechen in einen Schrei der Sehnsucht nach dem Altertum: „Wie einen das hinzieht in die Stille der Trümmer und die edlen Gestalten des Altertums 1 Ich kann es nicht leugnen . . . das Altertum ist das Einzige, was mich eigentlich ganz lebendig ergreift, und ich bin im reinsten und eigentlichsten Verstände ein echter Heide, ein vollständiger Gegensatz gegen alles Moderne, das Mittelalter mit eingeschlossen und was sich darauf gründet. Was vorgegangen ist, seit jene Zeiten vorüber sind, und in den beiden einzigen schönen Ländern des Erdballs kommt mir nur immer vor, wie ein verwirrtes Gären von Kräften oder maschinenmäßiges Aufbauen toter Formen oder im besten Verstände die Bewegung eines edlen Sinnes in Fesseln und Not und der Pflicht." Wohl „bewege" er sich mit dieser Bewegung; aber „wenn mitten darin mich Laute aus jenen einzigen Zeiten und Regionen berühren, so kann mich ein Zittern ergreifen, wie ein Bewußtsein entrückten Paradieses und verlorener Unschuld, und es bedarf Zeit, sich wieder in das alte Gleichgewicht zu wiegen". Wie leicht bedroht war dieses Gleichgewicht doch noch durch inneres oder äußeres Erleben! Derselbe Mann zitterte unter der Wucht romantischer Sehnsucht nach dem paradise lost des nie geschauten Griechenland, er zitterte zu gleicher Zeit um das Geschick des Staates,

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verantwortlich für dessen Zukunft in einem Amt, zu dessen Annahme er sich entschlossen hatte wegen „der Liebe zur Fremde", wegen der „Neigung, das Vaterland von fern anzusehen" . . . E r wußte von sich, daß er „den Menschen immer ein Geheimnis gewesen" sei; war er es zuweilen trotz aller analysierenden Reflexion nicht auch vor sich selbst? Jedenfalls, hier in Prag bestand Humboldt für sein Empfinden sowohl wie in der Tat die diplomatische Feuertaufe. Von jetzt an gehörte sein Wollen bewußt der Zukunft von Staat und Volk1). Endlich löste sich die Spannung dieser Wochen, nachdem auf ein österreichisches Ultimatum bis zum 10. August keine Antwort von Napoleon eingetroffen war. Am 11. konnte Humboldt der Gattin die gefallene Entscheidung, den Eintritt des Kaiserstaates in den Krieg gegen Napoleon melden. „Ich stehe auf dem Punkt, den ich zu erreichen wünschte. Ich habe jetzt e i n e wichtige Sache im Leben durchgesetzt; andere Menschen haben ebensoviel als ich beigetragen, die Umstände mehr, und Napoleon Bin meisten." So bemaß mit nüchterner Erwägung der zur Wirklichkeit des Tages zurückgekehrte Humboldt seinen Anteil an d e m Ereignis, welches er immer als den bedeutendsten Vorgang seiner politischen Laufbahn betrachtet hat; er war stolz darauf, als Zeichen königlicher Anerkennung seiner Tätigkeit „das leibhaftige Eiserne Kreuz" erhalten zu haben*). Nach seinem eigenen Urteil bezeichnet der Prager Kongreß den Zenith in seinem diplomatischen Wirken. In seiner Eigenschaft als preußischer Gesandter in Wien blieb er dem österreichischen Hauptquartier zugeteilt, so daß er mit eigenen Augen den Krieg, an dessen Entfesselung er mitgewirkt, zu sehen bekam. Durch Mitteldeutschland, den Rhein hinauf, dann durch die Schweiz und Ostfrankreich folgte er den verbündeten Heeren, die Aufmerksamkeit seines Geistes teilend zwischen der Übersetzung des Agamemnon und einer kaum übersehbaren Reihe von Denkschriften über die künftige Gestaltung Europas und vor allem der deutschen Dinge, bis er am 3. April 1814 den Boden von Paris wieder betrat unter Umständen, welche der kühnsten Phantasie unvorstellbar waren, als er im August 1801 von dem Blick über die Seinebrücken geschieden war. Kurz vor der Niederlage Napoleons sah Humboldt sich während des Kongresses von Chatillon einer ähnlichen Aufgabe gegenüber wie in Prag. Es galt, einen vorzeitigen Friedensschluß zu verhindern. Denn Metternich hätte gern ein starkes Frankreich als Gegengewicht gegen die drohende Vormachtstellung Rußlands erhalten gesehen, um die österreichische Mediationsstellung zwischen dem Westen und dem Osten Europas auch in dem wiederhergestellten Staatensystem aufrecht zu erhalten. Vom 3. Februar bis 19. März 1814 tagten wieder-

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um die Diplomaten der kämpfenden Mächte bei nutzlosen Beratungen. Frankreich wurde wieder wie in Prag von Caulaincourt vertreten. Damals hatten die Delegierten nur schriftlich durch österreichische Vermittlung die Geschäfte geführt, ohne in persönliche Berührung zu treten. Jetzt bei der ersten Begegnung sprach Caulaincourt mit französischer Liebenswürdigkeit sein Bedauern darüber aus, daß die Prager Konferenz nicht zur persönlichen Bekanntschaft geführt habe. Die schneidende Erwiderung Humboldts: „je suis charmé de mon côté de réparer cette faute à Châtillon", enthielt die ganze persönliche wie politische Genugtuung, mit welcher er auf das vergangene halbe Jahr mit seinem gewaltigen Geschehen zurückblickte. Es war eins jener Worte, welche die allgemeine Angst vor seinen Sarkasmen als gerechtfertigt erscheinen ließ. Die eigentliche Entscheidung blieb von dem Fortgang der erbitterten Kämpfe, welche um den Weg nach Paris ausgefochten wurden, und von dem Ausgang des nicht weniger erbitterten Streites zwischen den Häuptern der Verbündeten selbst abhängig. Der Kongreß ging ergebnislos auseinander, da Napoleons Unnachgiebigkeit, wie in Prag, selbst für Metternich keinen anderen Ausweg als die Fortführung des Krieges offen ließ. Auf diesen Ausgang hatte Humboldt von vornherein gehofft; um ihn herbeizuführen, konnte er, ebenso wie in Prag, nur seine entschlossene Ablehnung jeden Verständigungsfriedens einsetzen. Die Entscheidung selbst war seinem Einfluß entzogen1). Nicht anders stand es um seine Teilnahme an den Verhandlungen, welche dem Abschluß des Friedens von Paris voraufgingen. Die Entscheidung lag in anderen Händen, aber mit allen Kräften suchte er die Linie seiner bisherigen Politik einzuhalten. Ganz anders als Metternich und Gentz stand er zu den Dingen, welche sich jetzt abspielen sollten. In seinen Augen hatte der Krieg nicht nur der Beseitigung von Napoleons Übergewicht gegolten, sondern auch der Demütigung der Nation, welche in innerer Übereinstimmung mit der Politik ihres Cäsar Europa hatte beherrschen wollen. Zu dieser angemaßten Rolle schien ihm den Franzosen, denen er vor Jahren ins Herz geschaut zu haben vermeinte, jede Berechtigung zu fehlen: er bekämpfte sie jetzt politisch, weil und nachdem er sie vom „idealischen" Standpunkt her hatte verachten und fast hassen lernen. Die Erinnerung an das grundsätzliche Verdikt über den französischen Nationalcharakter aus den Pariser Jahren wird geweckt, wenn er jetzt der Nation erneut das Urteil spricht: „das Streben nach dem Göttlichen fehlt allerdings den Franzosen als Nation, und man kann fast ohne Ausnahme hinzusetzen, auch im einzelnen. Denn es ist das Streben nach dem Idealischen, schlicht und einfach genommen, und das gerade ist ihnen ganz fremd. Sie sind befangen im gewöhnlichen Leben,

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oder künstlich und maniriert in dem, was darüber hinausgeht. Man kann darum keine sonderliche Achtung vor ihnen haben. Weil sie aber weich und gutmütig und angenehm sind, so ist Mitleid die recht eigentliche Empfindung für sie, die bis zum Tragischen gespannt werden kann und muß, wenn so furchtbar wilde und ungerechte Gewalt ihre Schwäche und ihren Leichtsinn mißbraucht." In solchen Empfindungen und Urteilen begegnete er sich mit den Führern der preußischen Armee, stimmte er überein mit den elementaren Kräften, welche die preußische Erhebung erregt und getragen hatten. Diese Stimmungen, die neue Macht der nationalen Bewegung im Kreis der „geschäftsmäßigen" Diplomaten zu Wort kommen zu lassen, sie mit der Gabe seines Geistes und seiner Dialektik in den Konferenzen zur Geltung zu bringen, das war die geschichtliche Aufgabe, welche W. Humboldt bei diesen Verhandlungen zugefallen war. Weniger die Entscheidungen, an denen er doch immer nur „ad latus" des Staatskanzlers mitwirken konnte, als die neue Auffassung vom Lauf und von den „bewegenden Ursachen der Weltgeschichte", welche er am Konferenztisch in innerer Übereinstimmung mit dem „Geist der Zeit" vertrat, bedingten seine Bedeutung in dem historischen Moment1). Dies galt von seiner Anteilnahme am Wiener Kongreß ebenso wie von den Verhandlungen des zweiten Pariser Friedens. Da die schweren Entscheidungen der hohen Politik in Wien während der Wintermonate 1814/15 die Kräfte des Staatskanzlers völlig in Anspruch nahmen, so fiel dem zweiten Bevollmächtigten die ganze Last der Geschäftsführung im einzelnen zu. Um den durch Schwerhörigkeit behinderten Hardenberg zu unterstützen, war Humboldt auch zu Beginn des Kongresses bei Sitzungen zugelassen, an denen sonst nur die leitenden Minister teilnahmen. So war er Mitglied des Komitees der den Kongreß wie Europa beherrschenden und einander bekämpfenden „Fünf Mächte". Besonders wurde seine Arbeitskraft in Anspruch genommen durch den Ausschuß für die Deutsche Verfassung, gegen Ende des Kongresses durch die Teilnahme an der Abfassung der Kongreßakte. Während die übrigen Diplomaten aus aller Welt im fröhlichen Wien sich um die Wette amüsierten und gegeneinander intrigierten, nahm Humboldt nach den ermüdenden und erregenden Konferenzen seine Zuflucht zu der stillen Studierstube, welche im Schmuck der von Schick gemalten Bildnisse seiner Familie wie der Rauchschen Büste der Königin Luise die innere Welt dieses Emsigsten aller Diplomaten dem Besucher symbolisch vor Augen führte. Ungezählte Denkschriften, vor allem zur Deutschen Frage, entstanden in diesem stillen, meist überheizten Zimmer; Spannungen, Ärger und Enttäuschungen verflogen rasch, wenn zur Nachtstunde der Geist des Unermüdlichen in philologischer Arbeit am ewig frischen Quell seiner Griechen-

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begeisterung sich laben konnte. Dann lag „im wesenlosen Scheine" weit hinter ihm die „Wirklichkeit", welche tagsüber seine Leidenschaft erregt und seinen scharfen Verstand durchaus in Anspruch genommen hatte. Denn selbst in den entscheidungsvollen Wochen dieser Jahreswende, welche noch einmal die F r a g e nach Frieden oder Krieg und gerade durch Humboldt selbst stellten, überkommt ihn doch immer wieder jene alte, romantisierende Stimmung, die den „Augenblick" verachtet: „die W i r k lichkeit behält, selbst wenn es sich um die edelsten Dinge handelt, immer etwas, das leicht gemein und dürftig wird". Dabei war e r überzeugt, d a ß es „um edelste Dinge", um den Kampf von „Gut und Böse" schlechthin jetzt ging; wie aber war bei solcher Stimmung auf erfolgreiches Wirken zu rechnen 1 ) ? Jedoch in den Konferenzen vertrat der zweite Bevollmächtigte Preußens seinen Staat in so bedeutender Weise, d a ß um die Jahreswende in den Wiener Salons die Rede ging, unter den europäischen Diplomaten könne mit Talleyrand nur Humboldt sich messen; sie seien wie zwei ringende Athleten, die anderen nur Zuschauer. Vielleicht trat der persönliche Gegensatz beider Männer so scharf und für jeden wahrnehmbar hervor, weil jeder von ihnen, während er als Diplomat seinem Staat diente, zugleich die gegensätzlichen Züge des Nationalcharakters in ihrer geistigsten Form verkörperte: Humboldt jenen „Idealismus", welchem die deutsche E r h e b u n g ein Mittel der „Idee" zur Erreichung ferner Menschheitsziele bedeutete; Talleyrand jenen Realismus, welcher mit eleganten Phrasen von ewig geltenden Rechtsideen den unstillbaren E h r geiz seiner Nation geschickt zu drapieren wußte. Von vornherein hatte Humboldt die Zulassung des geschlagenen Ruhestörers Frankreich zu dem engeren Komitee der Großmächte bekämpft; er hatte, nach Talleyrands Bericht, aus seiner Gegnerschaft diesem gegenüber kein Geheimnis gemacht. Ihr Gegensatz kam vor allem in der sächsischen Frage zum Austrag, in welcher Humboldt das Ziel der Einverleibung ganz Sachsens in Preuß e n mit Hartnäckigkeit verfolgte. E r ist zweifellos entschlossen gewesen, um des Gewinnes von Sachsen willen es auf einen Krieg ankommen zu lassen. Ob er sich bewußt war, daß Preußen dabei seine Ansprüche nicht nur gegen den alten deutschen Rivalen, sondern auch gegen E n g land und Frankreich zu verfechten gehabt hätte, steht dahin. E s scheint nicht ausgeschlossen, daß Humboldt im idealistischen Bewußtsein der „guten Sache", im Vertrauen auf den guten Ausgang eines Kampfes zwischen dem „guten und bösen Prinzip", den gefahrvollen Einsatz gewagt hätte. E s m a g sein, daß er dadurch, wie es in denselben Wiener Berichten heißt, in eine gewisse Spannung mit Hardenberg geriet, welchem Hum-

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boldts Haltung zu schroff sein mochte. Es mag auch sein, daß absichtlich zwischen beiden Bevollmächtigten mit verteilten Rollen gespielt wurde, daß Humboldt mit Unbeirrbarkeit des preußischen Willens zu drohen hatte, während der Staatskanzler angesichts der zugespitzten Lage um die Jahreswende den schließlichen Kompromiß vorbereitete. Vielleicht auch hatten jene Gerüchte nicht ganz unrecht: vielleicht mochte es neben der großen Hilfe, welche der Mitarbeiter für Hardenberg bedeutete, diesem bei seiner mißtrauischen Natur beschwerlich sein, einen so hervorragenden Mann neben sich zu sehen. Die Spannung ist jedenfalls nur vorübergehend gewesen; nach wie vor blieb Humboldt der tägliche Tischgast des Kanzlers, und in der Frage der deutschen Verfassung haben sie zweifellos im engsten Einverständnis gearbeitet. Auch nach Beginn des Feldzuges von 1815 nahm Hardenberg, trotz einer Intrige Metternichs, welcher den unbequemen Gegner in seiner Eigenschaft als Gesandter an der Hofburg in Wien festzuhalten wünschte, Humboldt als Adlatus wieder mit nach Paris, wo dieser bei den Friedensverhandlungen im Verein mit Hardenberg und Gneisenau nachdrücklich für die preußischen Ansprüche sich einsetzte. In der gemeinsamen Arbeit dieser Jahre wurde die Übereinstimmung und Vertrautheit zwischen den beiden Männern, welche in täglichem Umgang die Last und die Erholung der an Spannungen und Entscheidungen überreichen Epoche teilten, eine so enge, daß Humboldt an den Bestand einer vertrauten Freundschaft auch für die Zukunft glauben konnte1). Während der Pariser Friedensverhandlungen vom Herbst 1815 war seine ausgesprochene Gegnerschaft gegen Frankreich wieder deutlich zutage getreten. Die letzten Ereignisse hatten Anlaß genug gegeben, um sie als vollauf begründet erscheinen zu lassen. Kaum waren die aus dem Wiener Karneval aufgeschreckten Lenker der europäischen Geschicke zum zweitenmal als Sieger in Paris eingezogen, wohin die Truppen Blüchers und Wellingtons gegen den von Napoleon geweckten und geleiteten Widerstand der Nation ihnen den Weg gebahnt, da regte sich sofort das „europäische" Mitleid mit der „verführten" Nation. Kaum hatte der Bourbon mit Hilfe preußischer Bajonette zum zweitenmal den preisgegebenen Thron bestiegen, da war die französische Diplomatie stets dort zu finden, wo gegen Preußen und gegen Deutschlands Interesse gearbeitet wurde. Säkulare Traditionen politischer Gegnerschaft zwischen den benachbarten Nationen verbargen sich hinter den zeitgemäßen Schlagworten der Legitimität der Regierungen und der Restauration des Staatensystems. Humboldts Auge war scharf genug, um diesen Schleier, gewebt aus Pathos und Sentimentalität, falscher Romantik und kluger Berechnung, schwärmerischer Weltverbesserung und nationalen Leidenschaften, K i e h l e r , Humboldt.

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zu durchschauen. Ohne Scheu nannte er die Dinge bei ihrem Namen. Mit trockenen Worten sprach er es aus, daß die französische Nation durch den Sturz der Bourbonen und ihren Anschluß an Napoleon sich mit diesem und seiner Politik identifiziert habe. Nicht erst seit Napoleon datiere die französische Lust an militärischen Promenaden nach Belgien und über den Rhein; man müsse der unruhigen Nation dies Vergnügen unmöglich machen, indem man sie die Territorien abtreten lasse, welche ihr als Ausfalltore nach der Schweiz, nach den Niederlanden und nach Deutschland zu dienen pflegten. Sonst würde Europa nie zur Ruhe kommen. Solche Abtretungen nach Kriegsglück und Kriegsrecht könnte und müßte jedes Volk und jeder Staat vom Schicksal hinnehmen. Unerträglich aber für das Selbstgefühl eines stolzen Volkes sei die Beschränkung seiner Selbstbestimmung durch „moralische Garantien", sei es, daß der Bund der Sieger um der einzutreibenden Zahlungen willen bestimmte Provinzen militärisch besetze, Einschränkungen der nationalen Rüstungen fordere oder sich dem Wahn hingebe, durch die politische Bevormundung die legitime Krone zu stützen und die Revolution endlich zum Erliegen zu bringen. Das gerade Gegenteil der Erwartungen werde sich ereignen: freimütig genug verweist er auf das jetzt vom eigenen Volk gegebene Beispiel des zähen und erfolgreichen Widerstrebens gegen die militärische und sittliche Knebelung durch eben dieses Frankreich. Die offene Sprache und die klaren Gedanken solcher Darlegungen verfehlten ihre Wirkung, weil Rußland auf der einen, England und Österreich auf der anderen Seite eine weitergehende Machtminderung Frankreichs nicht wünschen konnten, da jede dieser Mächte auf Frankreich als wichtigen Stein im künftigen Spiel um das europäische Gleichgewicht sich Hoffnung machte. Darum wurde Humboldt das Opfer einer folgenschweren Täuschung, wenn er die von ihm vorgeschlagenen Maßnahmen gewissermaßen als eine „Politik des Möglichen" betrachtete. Gerade das, was er vom Standpunkt des „ideell" Richtigen als in der freien Entschließung liegende, einfache Ziele ansah, war bei der ausgesprochenen Rivalität der Alliierten schlechterdings nicht zu erreichen1). Denn das letzte Ziel einer europäischen Politik, welches ihm vorschwebte, die Sicherung der „intermediären Mächte" Mitteleuropas, erschien ihm doch zu ausschließlich unter deutschem Gesichtspunkt und darum zu sehr unter dem Aspekt der französischen Drohung. Metternich und Castlereagh sahen mit größerer Sorge auf Rußland als auf das zunächst ihnen unschädliche Frankreich. So vermochte die auf Deutschlands Gesamtinteresse berechnete preußische Politik Hardenbergs und Humboldts sich auch damals nicht durchzusetzen. Sie erlag der Anziehungskraft des neuen Weltgegensatzes Österreichs und Englands gegen

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Rußland, welcher seine Wurzeln ebenso auf dem Kontinent wie im Weltraum besaß und dem aufsteigenden Jahrhundert das Gepräge geben sollte1). Für Humboldt aber stand im Vordergrund seines politischen Wünschens der Gedanke der Sicherung der deutschen Grenze wie das Ziel der nationalen Einigung. Seitdem im Dienst des Heimatstaates die Überzeugung in ihm erwachsen war: „es gibt doch nie ein Vaterland, dem man lieber angehören möchte als Deutschland", hat er je länger desto bewußter sich dem Dienst des größeren Vaterlandes bestimmt. Er fühlte wohl, daß und wie er sich hierin unterschied von den meisten deutschen Diplomaten, für welche „diese rein vaterländischen Dinge . . . gar nicht recht zur vornehmen Politik gehören". Besonders von den vorgeblich „deutschen" Staatsmännern in Wien, aber ebenso auch von den Männern des Rheinbundes schied ihn dieses Bewußtsein um die nationale Idee: „daß es wirklich im intellektuellen und moralischen Sinn ein Deutschland gibt, das nicht Preußen und Österreich ist, wenn es auch gleich Teile yon beiden enthält, und daß man diesem Deutschland politisch zu Hilfe kommen muß, begreift und fühlt Metternich nicht." Jenem bedeuteten „die Stücke Deutschlands" nichts anderes als „Dänemark und Venedig" oder sonstige Bestandteile der europäischen Landkarte. Humboldt dagegen sieht seit dem Augenblick, wo der Krieg zur wirklichen Befreiung Deutschlands vom französischen Joch über den Rhein getragen werden sollte, das wahre Ziel in einem „gemeinschaftlichen engeren Band", welches, so oder so gestaltet und von bedingtem Wert wie jede menschliche Schöpfung, dazu dienen müsse, „den Gedanken zu erhalten, daß Deutsche eins sind und eins bleiben müssen". Für diese politische Einigung, für die Gestaltwerdung der nationalen Individualität, welche die „Idee" der „Deutschheit" in der Wirklichkeit verkörpern soll, müssen Opfer gebracht werden, auch solche, welche zu bringen schwer fällt. Mit deil deutschen Kleinstaaterei muß es ein Ende nehmen, obwohl nach seiner Überzeugung „in ihrer Mannigfaltigkeit die Trefflichkeit der deutschen inneren Bildung gelegen" habe; aber es sei auch „keine politische Sicherheit mit ihnen zu erreichen". Die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte redeten eine zu vernehmliche Sprache. Hatte Humboldt noch im Herbst 1808 glauben können, daß Deutschland seine politische „Nichtigkeit" durch literarischen, überhaupt geistigen Ruhm aufwiegen könne, so hatten sich ihm inzwischen tiefere Blicke erschlossen in das Gefüge der Welt. Jetzt erstrebte er die Einheit und damit die Macht für Gesamtdeutschland, weil „Deutschland stark und frei sein muß, nicht bloß, damit es sich . . . überhaupt gegen jeden Feind verteidigen könne, sondern deswegen, weil nur eine auch nach außen hin starke Nation 18*

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den Geist in sich bewahrt, aus dem auch alle Segnungen im Innern strömen; es muß frei und stark sein, um das . . . notwendige Selbstgefühl zu nähren, seiner Nationalentwicklung ruhig und stark nachzugehen und die wohltätige Stelle, die es in der Mitte der europäischen ¡Nationen für dieselbe einnimmt, dauernd behaupten zu können". War das derselbe Mann, welcher noch kurz vor der Übernahme der Wiener Gesandtschaft die „inneren Verhältnisse" von Staat und Volk der äußeren Politik unbedingt glaubte überordnen zu sollen? Der Erinnerung Gegensatz läßt ermessen, welche Wandlung in seinem Denken sich vollziehen mußte bis zur Niederschrift dieser Sätze, in denen Rankes Lehre vom Primat der Außenpolitik wie im Keime verborgen liegt. Und die Wandlung der Gedanken war begleitet von einer tiefen Ergriffenheit seines Innern, welche ihn, weniger bildhaft und wuchtig in der Sprache als etwa Stein oder Gneisenau, doch mit fast seherischer Kraft den Sinn des Geschehens deuten läßt: „der jetzige Krieg hat wirklich das Schöne, daß, indem sein Bestreben wohltätig für Europa ist, doch Deutschland darin der Mittelpunkt bleibt. Aber es ist auch eine wahrhaft unermeßliche Aufgabe. Denn indem die Gewalt die Hindemisse wegräumt, soll die Weisheit aufbauen, was, seit Jahren veraltet, endlich zusammenstürzt; es sollen . . . neuerliche Verbindungen geknüpft werden für einen ganz neuen und durch sich selbst bestehenden Zweck." Stets seien seine Gedanken auf das „Ganze", auf die „Idee" des gewaltigen Vorgangs gerichtet. „Nur so erhält man die Gesinnung, aus der nicht gerade die Klugheit der Ratschläge, aber der Segen des Gelingens entspringt. Denn was in den Weltbegebenheiten den Ausschlag gibt," so lautet das Bekenntnis des Idealisten, „ist die Kraft des Guten, die unsichtbar und unbegreiflich sich Achtung erzwingt und das Böse niederschlägt, das nie durch sich selbst siegt, sondern nur dadurch, daß . . . jene fehlt"1). Die „Kraft des Guten" nun hatte sich ihm unwiderleglich und überwältigend offenbart in der Erhebung des preußischen Volkes und Staates wie in dem Sieg der preußischen Waffen. Der Mann, welcher früher „jenseits der Alpen am patriotischsten gestimmt war", fühlte sich jetzt ganz als Preuße; dem Heimatstaat dachte er die Führerrolle zu im größeren Vaterland, weil in der preußischen Erhebung die „Idee" des Volkes ihm zum Erlebnis geworden war. Dies Erlebnis hat in dem Propheten des Individualismus die Bereitschaft geweckt „mit seinem Geschlecht zu gehen". „Glaube mir", so bekennt er der Gattin, „es gibt nur zwei gute und wohltätige Potenzen in der Welt, Gott und Volk. Was in der Mitte liegt, taugt reinweg nichts und wir selbst nur insofern, als wir uns dem Volke nahestellen". Daß es mit dem Bekenntnis dieser „schlechthinnigen Abhängigkeit" ihm voller Ernst gewesen, möchte man mit Fug

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in Zweifel ziehen, klängen diese Gedanken als leitende und tragende Überzeugung in dem Zwiegespräch mit der Gattin nicht immer wieder an. „Alle Kraft, alles Leben . . . alle Frische der Nation kann nur im Volke liegen, man kann nichts ohne das Volk ausführen und bedarf seiner beständig. Aber man bedarf noch viel mehr, um recht zu handeln und verkehrtem Handeln zuvorzukommen, seines Sinnes und Gemütes." Die „unverbesserlich frivole Generation", welche die Gegenwart beherrscht, wird zum Unheil der Zeit nie dieser Erkenntnis sich erschließen; darum beruhe die Hoffnung der Zukunft allein auf der Jugend, „denn in allen Ländern hat die Jugend, die schon darum dem Volke näher ist, weil das Volk eine ewig jugendliche Masse bleibt, bessere Gesinnung". Unverkennbar, wie hier wieder ein Empfinden mit der Romantik und ein Reden in ihrer Sprache der Wallung des welthistorischen Augenblicks entspringt; es entschwindet so bald nicht aus seinem Bewußtsein. „Der Mensch ist überhaupt nichts, als nur durch die Kraft des Ganzen, und indem er mit ihm zusammenzustimmen strebt", so drängt es sich wie in bewußter Wiederholung jenes großen Bekennmisses ihm später wieder in die Feder. Farbloser freilich erscheint der Gedanke und blasser als in jenem Dezember 1813, da die beiden „Potenzen" seiner Anschauung eben erst eindrücklich geworden waren. Und doch hat die abstrakte Idee des „Ganzen" eine bei weitem konkretere Gestalt gewonnen, als die erlebte Anschauung jener beiden Pole des Geschehens in ihrer ebenso erhabenen wie ins Unendliche führenden Größe je bergen konnte. Denn die geschichtlich gegebene Individualität Preußen ist eben jenes Ganze, auf welches in dieser Stunde Humboldts Sinn sich richtet; die weltbewegenden und weltumspannenden Potenzen „Gott" und „Volk" räumen in der scheinbar so weit gespannten Form des „Ganzen" den Platz einer bedingten, engeren, konkreten Anschauung ein, welche Inhalt und Ziel in faßbaren Maßen in sich schließt. „Napoleon gab sich das Ansehen, als wenn Friedrich II. nur für Augenblicke seinen Staat aufgebaut hätte. Was er getan hat, wird erst eben recht offenbar, denn, was man auch sagen mag, der Grund des jetzigen Impulses in Preußen kommt noch unleugbar von ihm her." Das war der große Eindruck, welcher im Herbst 1813 Humboldt auf dem Wege von Leipzig nach Frankfurt begleitete1). Dieses wiedererstandene Preußen sollte, das war Humboldts Ziel, „den wichtigsten Einfluß auf Deutschland haben, aber nicht als zwingende Macht, sondern Deutschland gewinnend und mit seinem eigenen freien Willen". Nicht einmal die bösen Erfahrungen in Wien hatten ihn in diesem optimistischen Vertrauen auf eine „moralische Eroberung" der deutschen Staatenwelt irremachen können. Seines Weges dazu glaubte

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er sicher zu sein. Setzte man alle Kraft daran, nach Friedensschluß die Verwaltung und die Verfassung des Staates von allen erkennbaren Schäden zu befreien und mustergültig auszugestalten, dann mußte Preußen das übrige Deutschland wie ein Magnet an sich ziehen. In einem Brief an Nicolovius entwickelt Humboldt einmal das ganze Programm der nächsten Zukunft. Die knappen und anschaulichen Sätze fassen in einem Brennpunkt alle Strahlen der Belichtung zusammen, in welcher ihm damals der Staat Preußen erschien. „Preußen ist mit keinem anderen Staat vergleichbar; es ist größer, und will nicht bloß, sondern muß größer sein, als sein natürliches Gewicht mit sich bringt; und es muß also zu diesem etwas hinzukommen. Dies Etwas sind jetzt die Umstände und der auf einen Punkt energisch gerichtete Volkssinn gewesen; zu Friedrichs II. Zeiten war es dessen Genie; als weder dieses noch jenes waltete, war die trostlose Zeit. Man müßte also eine dauernde moralische Macht organisieren, die nichts anderes ist, als eine feste, systematisch zusammenhängende Administration, in allen Teilen gemacht, die Stimmung der Nation zu erheben, indem sie sie beherrscht. Um so etwas hervorzubringen, muß man nicht ewig das Rad der kommenden (und gehenden Akten umwälzen. Man muß in Muße auf das denken, was in keinen Akten steht." Von dieser Überzeugung war Humboldt seit dem Erlebnis der Erhebung durchdrungen; aber es bedrückte ihn und zwar von vornherein der Zweifel, ob die innere Verwaltung der großen Aufgabe gewachsen sein würde. „Überhaupt denke ich oft daran, wo das mit unserer Nation hinaus will. Sie nimmt sich jetzt ungemein tüchtig, sie wird Forderungen machen, die Regierung ist ganz locker und lose, und die Nation wird Mut haben, auch gegen sie etwas durchzusetzen. Ohne eine starke Hand und eine ruhige Billigkeit geht es nicht, das ist vorauszusehen." Der Gang der nächsten Jahre bestätigte seine Befürchtungen. In der höheren Verwaltung schien man schlechterdings nicht zu begreifen, daß ein |Geschlecht, dem der Staat ein persönlicheres Gut geworden war als der Generation der Aufklärungszeit, mit anderen Begriffen, mit größeren Hoffnungen, mit offenerer Bereitwilligkeit, in und mit dem Staat zu leben, den Zeiten des Friedens entgegensah. „Wenn sich die tätige Teilnahme an den großen Weltbegebenheiten einmal der Gemüter bemächtigt hat, kehren sie nur langsam und schwer in die ruhigen Gleise des Denkens und Wissens zurück . . . Die neuen Staatseinrichtungen, die ganz natürlich aus solcher Krise hervorgehen müssen, und wenn die Regierungen sie auch nicht wollen, von selbst a,us den Gem,ütem der Bürger entstehen würden, werden den Einzelnen viel mehr als ehemals für den Staat in Anspruch nehmen." Mit schwerer Besorgnis erfüllte Humboldt das

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Versagen der Regierung. Er war so sehr von dem guten Recht der Nation, daß dem „höheren Aufschwung ihres Geistes" Rechnung getragen werden müsse, überzeugt, daß er gelegentlich wohl das Unglück „des wahren Ausbruches . . . einer Insurrektion" drohen sah. Mit solchen Hoffnungen und mit solchen Befürchtungen erfüllte ihn während der kriegerischen Zeit der Ausblick auf den künftigen Frieden. Als Zeichen der „tiefen und eigentlichen Staatskunst" erschien ihm die Fähigkeit nahende Ereignisse „vorauszuahnden" und sie „mit Entschlossenheit und Klugheit zu begleiten". Dieser Kunst glaubte Humboldt sich nicht fremd; den Beweis dafür zu erbringen, stellte er sich von jetzt an zum Ziel. Darum freute er sich auf eine Verwendung bei der zur Ausführung der Friedensbestimmungen vorgesehenen Territorialkommission in Frankfurt, weil er dadurch, „im Mittelpunkt der deutschen Angelegenheiten" tätig, in Deutschland „Ansehen gewinnen" werde. Und darauf kam es ihm jetzt an. Vom Herbst 1808 bis zum Herbst 1815 hatte sich auch in W. Humboldt jene große Wandlung durch das Erlebnis der Erhebung vollzogen, deren Ergebnis Friedrich Meinecke am Beispiel Adam Müllers aufgewiesen hat: „die Individualität der überindividuellen Mächte hat den Sieg über das Individuum davongetragen und dieses hat seine Souveränität verloren an die geschichtlichen Lebensmächte, von denen es umgeben ist"1).

Drittes

Kapitel.

Hardenberg und Humboldt; Gegensatz der Charaktere und Lebensformen. Mit dem Abschluß des zweiten Pariser Friedens am 20. November 1815 ging die bedeutsamste Epoche in Humboldts diplomatischer Tätigkeit zu Ende. Mit Scharfsinn und Zähigkeit hatte er die preußische Politik vertreten, deren Hauptabsehen auf einen festen Schutz der deutschen Westgrenze gerichtet gewesen war. Seine Kenntnisse und sein Urteil kamen den Bemühungen zu Hilfe, welche auf die Rückgabe der unter Napoleon aus allen Ländern zusammengerafften Denkmäler europäischer Kunst und Wissenschaft abzielten. Wie hatte er sich gewandelt seit jenem Tage, an dem er die triumphale Einbringung solcher Trophäen im Juli 1798 bewundernd miterlebt hatte! Die gleiche Zähigkeit bewies er in den mühsamen und verwickelten Verhandlungen über die „Wiedergutmachung" der zahllosen Schäden, welche das französische Heer in jahrelangen Kriegszügen dem Privatbesitz der Landeseinwohner zugefügt hatte. Sie führten noch am 21. November zum Abschluß der sog. Humboldtkonvention. Seltsamerweise nahm ihr Schöpfer auf Jahre hinaus, wie wir noch sehen werden, an der Durchführung dieser „Reparationen" einen lebhaften persönlichen Anteil. Dieser machte ihn bei der französischen höheren Beamtenschaft, welche für ihr Volk die Rolle der von Napoleon verführten Unschuld in Anspruch nahm, nicht beliebter. Man kann es begreifen, daß die französische Regierung dem Minister bei seinem vorläufigen Scheiden mit dem Wunsch nachsah, daß er auf den Posten eines preußischen Gesandten bei den Tuilerien, wofür er seit dem 9. Oktober die Ernennung in Händen hatte, nicht zurückkehren möchte 1 ). Noch eine andere bedeutsame Epoche in Humboldts Leben nahm mit diesem Abschied von Paris ihr Ende: die über zwei inhaltsreiche Jahre währende Arbeitsgemeinschaft mit dem Kanzler Hardenberg, welche zugleich die Vertrautheit eines fast täglichen freundschaftlichen Umgangs mit sich gebracht hatte. Diese Beziehung sollte durch eine merkwürdige Verquickung der Charaktere wie der Umstände für Humboldt zu der bedeutsamsten Tatsache seiner nächsten Lebensjahre werden.

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An dieser persönlichen Beziehung, welche von Humboldt über die an sich gegebene dienstliche Berührung hinaus als persönliche Freundschaft empfunden und bewertet wird, fallen zwei Merkmale in die Augen: einmal, daß sie ihren Ausdruck findet in zahlreichen Briefen, und dann, daß diese briefliche Freundschaft in einer „einseitigen" Korrespondenz ihre Form gefunden hat. Schon der erste Punkt ist auffallend genug. Seit Jahren, so hörten wir, hatte Humboldt die alte Lust am brieflichen Austausch verloren; seit 1810 verstummt die Korrespondenz mit den Freunden der bildungsfrohen Jugendzeit fast ganz. Einer nach dem andern der früheren Weggenossen scheidet aus dem Kreis seiner gegenwärtigen Teilnahme aus: Jacobi, Goethe, Kömer, Gentz, Brinckmann, Welcker, Schweighäuser, — sie bleiben jahrelang ohne ein Lebenszeichen. Gewiß waren sie nicht vergessen. Aber Humboldt hat nicht mehr das Bedürfnis empfunden, im Austausch mit ihnen zu bleiben, sich ihnen gegenüber auszusprechen; vielleicht, daß der „Mann von 50 Jahren" sich in der Tat „ausgesprochen" hatte? Man könnte es annehmen, weil es verständlich wäre1). Aber da sind die Briefe an Karl August Fürsten v. Hardenberg. Ihr Empfänger ist ein eleganter, geistreicher, lebenslustiger Aristokrat an der Grenze des biblischen Alters; gleichzeitig nach dem König der mächtigste Mann und einer der Klügsten, vielleicht der klügste Kopf des Staates, dessen geschickter Politik es zu danken ist, daß die letzte Welle der napoleonischen Sturmflut Preußen nicht mit fortgeschwemmt hat. Dieser joviale alte Herr, der sein Leben lang der „Wirklichkeit" gehört, durch Ehrgeiz, Tatendrang und Lebenslust ihr unlöslich verhaftet bleibt bis an sein Ende, der nichts zu schaffen hat mit Ideen, Weltgeist und Menschheit, — er steht in diesen Jahren an der ersten Stelle von Humboldts Freundschaften. „Gut und liebreich" sei der Kanzler zu ihm, schreibt Humboldt um die Jahreswende 1814, als der Wiener Klatsch beide Männer für ernstlich brouilliert ausgab; er selbst „liebe ihn wie sonst selten einen Menschen, mit dem ich nur so in Geschäftsverbindung bin". Und darum schreibt er diesem Manne, nachdem die politische Aufgabe sie nicht mehr am gleichen Ort vereint, binnen Jahresfrist über hundert Briefe; rund hundert Briefe hat er während eines Jahrzehnts an Schiller gerichtet. Gewiß, weder an Umfang noch an Gewicht können diese „billets", unter denen doch manches wichtigere Schreiben sich findet, mit den ideenreichen Abhandlungen sich vergleichen, welche der Freund in Jena und in Weimar empfing. Seltsam bleibt dieses Nebeneinander doch — seltsam besonders, weil gegenüber der Gewohnheit des Gesandten, sich mit jedem Postkurier dem Kanzler ins Gedächtnis zu rufen, der Fürst in ebenso gewohnheitsmäßigem Schweigen verharrt. Den

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Drittes Kapitel.

rund anderthalbhundert Briefen Humboldts aus den Jahren 1815—18 stehen keine zwei Dutzend Antworten Hardenbergs gegenüber. Humboldt aber wird nicht müde, zu schreiben und mitzuteilen, wenn er allerdings — und das ist der entscheidende Unterschied gegenüber allen früheren Korrespondenzen — sich kaum „ausspricht". Aber er schreibt, ohne ein Echo zu erhalten, ja, ohne es zu erwarten. Wiederholt versichert er, daß angesichts der geschäftlichen Inanspruchnahme des Kanzlers auf eine Antwort gar nicht von ihm gerechnet werde; in fast überschwengliche Worte kleidet sich der Dank für einen endlich erhaltenen Brief oder einen kurzen Gruß. Diese Korrespondenz eines Gesandten mit seinem vorgesetzten Minister dürfte in der Geschichte der preußischen Diplomatie einzig in ihrer Art sein; sie gibt ein vielgestaltiges Rätsel auf1). Ein Teil seiner Lösung liegt in der sich aufdrängenden Beobachtung, daß Humboldt bemüht war, dem alternden und darum mehr als je dem Eindruck der Stunde unterliegenden Staatskanzler die Erinnerung an die Jahre des gemeinsamen Lebens wach zu erhalten. Von vornherein spürt man es den Briefen ab, wie sie für ihn die selbstverständliche Fortsetzung des gewohnten persönlichen Austausches bedeuten, den er als vertraut aufzufassen sich wohl berechtigt glaubte. Er lebt gewissermaßen weiter in den Fragen und Projekten, die zwischen Hardenberg und ihm zur Sprache gekommen sind. Er kann das um so mehr, als für ihn die Lebensform der letzten Jahre, das Wanderleben des Diplomaten weiterbesteht in gewohnter Weise, während Hardenberg nach seiner Rückkunft nach Berlin vor ganz neue Aufgaben sich gestellt sieht. An die Stelle der diplomatischen Arbeit tritt die Frage der Verwaltungsorganisation, an die Stelle des Ringens zwischen den Staaten der Streit der Parteien im Inneren, die Sorge um die Sicherung der eigenen Machtstellung bei durchaus veränderten Voraussetzungen. Mochte auch dies und jenes Problem der inneren Politik im täglichen Gespräch zwischen ihnen berührt worden sein, Humboldt war für Hardenberg im wesentlichen doch nur der Gehilfe in diplomatischen Fragen gewesen. Nun diese an Wert und Gewicht verloren, mußte auch die Bedeutung seiner Persönlichkeit in Hardenbergs Augen zurücktreten. Es hat den Anschein, als ob dieser Wandel der Voraussetzungen der eigenen Stellung zum Staatskanzler von Humboldt nicht in Rechnung gestellt sei. Nicht nur, daß seine Briefe Mitteilungen unwesentlicher Dinge enthalten, welche eigentlich nur im unmittelbaren persönlichen Zusammenleben noch Wert und Sinn besitzen. Humboldt greift auch — ohne durch etwas anderes als durch sein freundschaftliches Gefühl für den Kanzler autorisiert zu sein — in eine so empfindliche persönliche Angelegenheit ein, wie es der Zusammenstoß zwischen Blücher und Hardenberg und damit zwischen politischer und mili-

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tärischer Leitung war. Er versichert Blücher, daß Hardenberg in seiner „manière généreuse et loyale de voir les choses" ihm gewiß nichts nachtragen und ihn aufs beste aufnehmen werde. Vielleicht war solches Verfahren nicht sehr klug, wenn Humboldt an die mißtrauische Seite in der Natur Hardenbergs dachte, aber es war zweifellos im wohlverstandenen Interesse des Staatskanzlers gemeint. Dasselbe gilt von der Anregung, sich für den Ausbau des Kölner Domes zu interessieren, welche Humboldt ebenso aus politischen Gründen — die preußische Regierung könne sich selbst kein schöneres Denkmal auf dem linken Rheinufer setzen als durch die Förderung dieses Werkes — wie mit feiner Berechnung auf die Neigung, als den Schützer der Künste und Wissenschaften sich zu geben, dem Fürsten ans Herz legt. Mochte eine Anregung dieser Art wohl einer günstigen Aufnahme sicher sein, so war das schon eher zweifelhaft, wenn Humboldt gelegentlich der Durchreise Altensteins durch Frankfurt es dem Staatskanzler nahelegt, eine besondere Auszeichnung des Ministerkollegen für seine Tätigkeit in Paris beim König zu erwirken, oder wenn er den Präsidenten von Motz als besonders gewandten Beamten empfiehlt. Schriftlich und in der Entfernung gelesen, nehmen derartige Empfehlungen doch leicht ein ganz anderes Gesicht an als im Fluß des persönlichen Gespräches, zumal Hardenberg mißtrauisch war und eifersüchtig auf seine Stellung und Machtvollkommenheit. Aber Humboldt schreibt in dieser Zeit mit offenbarer Unbekümmertheit und mit einem Gefühl der Selbstverständlichkeit ihres Verhältnisses über alle Dinge, welche ihm in die Feder kommen. In diese Selbstverständlichkeit, wie Humboldt sie auffaßt, spielt ein anderes Moment hinein — man möchte sagen, ein Moment ästhetischer Art, des „interesselosen Wohlgefallens". Es steht außer Zweifel, daß Humboldt der von Hardenbergs glänzender Persönlichkeit ausgehenden Anziehungskraft in ähnlicher Weise unterlegen sein muß, wie es mit Frau v. Humboldt der Fall war, als sie den Fürsten kennengelernt hatte1). Rücksichten kühler Berechnung haben in diese Empfindung nicht hineingespielt, ganz gewiß nicht bei der stark und vornehm empfindenden Natur Caroline Humboldts; auch des Gatten Gefühl für Hardenberg ist zunächst von solcher Beimischung frei gewesen. Es ist unbestreitbar, daß Humboldt dem persönlichen Zauber des Fürsten erlegen ist; zu oft kehrt in den Briefen an die Gattin die Versicherung wieder, daß er dem Kanzler gegenüber von Gefühlen der „Liebe", ja der „Zärtlichkeit" erfüllt. sei. Nun bietet allerdings der vielfach verzweigte Briefwechsel Humboldts auch in den späteren Jahren so manches Beispiel einer ,überschwänglichen Ausdrucksweise, wie sie nach der Zeitmode uns schon in den Jugendbriefen begegnet ist. Man kann sich des Verdachts nicht

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Drittes Kapitel.

entschlagen, daß die Versicherungen zärtlicher Freundschaft oder gar „wirklicher Liebe" zuweilen für Humboldt einen ähnlichen Wert gehabt haben mögen, wie das italienische „il mio carissimo amico", was nach einer witzigen Bemerkung Hermann Grimms etwa einen „oberflächlichen" Bekannten bezeichnet. Und so wird manch solche Äußerung einen gewissen Abzug vertragen, soweit sie gegenüber dem Adressaten selbst gebraucht wird; aber auch hier ist mit Vorsicht zu verfahren. Was Humboldt jedoch der Gattin in dieser Hinsicht schreibt, mag ohne Bedenken voll gewertet werden; denn hier scheidet jede Berechnung aus. Es wird daher mit der Feststellung sein Bewenden haben müssen, daß der kühle Humboldt, welcher von den Menschen gerade der politischen Welt sich besonders zu distanzieren liebte, dem Fürsten Hardenberg eine lebhaft empfundene Freundschaft entgegenbrachte, ohne den entsprechenden Widerhall zu finden, aber auch ohne daran Anstoß zu nehmen oder in der einmal angenommenen Haltung wankend zu werden. Offenbar fand er Genüge an der V o r s t e l l u n g der Fortdauer ihres Verkehrs, wenn dessen Erscheinungsform auch auf die einseitig von ihm bestrittene Korrespondenz beschränkt blieb. Ein rätselhafter Tatbestand — aber läßt die Kenntnis von Humboldts Charakter und Lebensgang nicht diese und jene Erinnerung lebendig werden, welche bei seiner Enträtselung von Wert sein könnte1)? Ein Blick auf die Geschichte seiner Freundschaften läßt zunächst eine Tatsache von einiger Wichtigkeit erkennen. Alle diese Beziehungen zu Männern so verschiedener Art, wie der brave Pedant Kunth und der genialische Forster an einem Ende der Reihe, wie am andern die Schiller und Hardenberg sie darstellen, weisen eine gewisse Ähnlichkeit in ihrem Rhythmus auf. Einer Zeit der steigenden Flut in Mitteilung und Hingabe folgt mit plötzlichem Einschnitt die Ebbe; das Bedürfnis ebenso des Empfangens wie des Mitteilens beginnt zu versiegen: der Briefschreiber verstummt, er läßt sich genügen an der „ideellen" Fortdauer der Beziehung, welche an der Realität von „Raum und Zeit" seines Lebens keinen Anteil mehr erhält. Am deutlichsten tritt das zutage in dem Verhältnis zu Schiller. Die Kurve ihres Briefwechsels gipfelt in den Jahren ihres nahen persönlichen Umgangs von 1795—97; während der Wanderjähre Humboldts verebbt der Austausch allmählich, um in den letzten drei Jahren von Schillers Leben völlig zu verstummen. Und dies, obwohl Schiller der Mensch war, dessen Geistesart Humboldt am engsten sich anschmiegt, welcher die größte Bedeutung für seine ideelle Welt gewonnen hat. Nicht anders steht es um den freundschaftlichen Austausch mit Forster, mit Gentz, mit Brinckmann, mit F. A. Wolf, mit Körner, auch um den mit Henriette Herz; überall zeigt sich der gleiche

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Rhythmus des Steigere und Sinkens im Gleichlauf mit der räumlichen Entfernung. Jede dieser Beziehungen hatte den Sammler von Eindrücken und Erlebnissen, als welchen wir Humboldt kennen lernten, den Zugang zu einem neuen Bezirk der „Wirklichkeit" vermittelt. Der Wert jeder Beziehimg sank in dem Grade, in welchem ein anderer Vermittler ein neues Erlebnis, ein neues Stück der Welt erschloß. Der maßgebende Einfluß des Erziehers Kunth hört mit dem Augenblick auf, in welchem die Herz die „éducation sentimentale" des jungen Humboldt in die Hand nimmt. Der Glanz ihres Gestirns wie der ihrer Begleiter erlischt, als Caroline Dacheröden am Horizont auftaucht. Bewunderung und Anregung, welche Gentz und Brinckmann dem Freunde entgegenbringen, verlieren ihren Wert neben der geistigen Welt, welche F. A. Wolf in sich darstellt. Forster und Jacobi verblassen neben der glanzvollen Erscheinung Schillers, der für Humboldt „die Welt der Idee" verkörpert, soweit er sie nicht in der Gattin dargestellt findet. Wie in abgemessener Stufung bietet die „Wirklichkeit" in der Spiegelung dieser Beziehungen dem suchenden und werdenden Humboldt sich dar. D u r c h sie werden seine „Ideen" erregt, a n ihnen wieder sucht er die Bestätigung dieses ideellen Gewinnes zu finden; ihr wirklicher Wert liegt für ihn in der „I d e e " , in der „Vorstellung". Darum entfalten sich die fruchtbarsten Momente seiner Freundschaft im brieflichen Austausch, in der abstrakten Form der Vorstellung, mehr im Bezirk der Phantasie als in dem der immittelbaren Berührung. Wen es dazu drängt, „sich auszusprechen", den befreit der Brief von der wahrnehmbaren Gegenwirkung seines Partners; er steht ihm souveräner gegenüber als im Gespräch ; die Gestaltung der Beziehung scheint ganz in seine Hand gegeben zu sein. Darum hat Humboldt den Brief durch lange Jahre hin bevorzugt und gepflegt; denn die Verwandtschaft des Briefes mit der „Idee", mit dem grübelnden oder spielenden „Traum" ist näher als die von Traum und Gespräch1). Der Brief im Nachhall der gerade noch bestehenden oder der eben vergangenen Gemeinschaft — das ist ein von Humboldt gern benutztes Mittel, um mit der „Wirklichkeit" zwar in Fühlung zu treten, aber doch meist unter „ideellem" Vorzeichen. So war ihm der Umgang mit Schiller zur Lebensgewohnheit geworden, welche ihre ideelle Fortsetzung fand im Nachklang ihres zunächst sehr lebhaften Briefwechsels. Wie dieser Austausch die ästhetische Welt, so hatte der tägliche Umgang mit Hardenberg während zweier Jahre ihm eigentlich erst die Welt der großen politischen Tätigkeit erschlossen. Darum bedeutet die seltsam einseitige Korrespondenz mit dem Fürsten ihm die ideelle Fortsetzung des wieder zur Lebensgewohnheit gewordenen Umgangs mit einem in seine Welt hinüberstrahlenden Gestirn, als dessen Satellit er einen neuen Raum durch-

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Drittes Kapitel.

messen hatte. Nur daß die Tatsache der Einseitigkeit des Verhältnisses noch stärker den Charakter der „Idee", ja des gedanklichen T r a u m e s hervortreten läßt als in jeder früheren Beziehung dieser Art. Ein „ideeller" Gehalt des Briefwechsels ist auch noch unter einem anderen Gesichtspunkt zu erschließen. Ohne allen Zweifel wird Humboldt bei seinem Bemühen, die persönliche Fühlung mit dem Kanzler aufrechtzuerhalten, geleitet von der I d e e ihrer vorbestimmten Gemeinschaft in der Arbeit für den preußischen Staat; es ist ein durchaus s a c h l i c h e s Moment, welches zugleich, da der Glaube an die persönliche Freundschaft mit der Zeit als Illusion, als T r a u m sich erwies, den stärksten W i r k l i c h k e i t s g e h a l t dieses schwer zu enträselnden Vorgangs ausmacht. In der Welt von Kunst und Wissenschaft, aus welcher Humboldt in die Welt des Staates und der Wirklichkeit getreten war, empfing das Denken und Arbeiten sein Gesetz vom Prinzip der Sachlichkeit, von jenem berufenen Postulat, daß eine Sache um ihrer selbst willen zu tun sei. Von diesem Prinzip her erhält seine oft betonte Abneigung gegen die Rolle „persönlicher" Beziehungen und „persönlicher" Wirkungsmöglichkeiten zum Teil ihre Erklärung. Die Briefe Humboldts an Hardenberg müssen daher gewertet werden als ein Nachläufer jener großen Briefwechsel, welche um die Wende des Jahrhunderts in ihrem ideellen, sachlichen Gehalt für die Selbstverständigung des deutschen Geistes von größter Bedeutung gewesen sind. Gewiß bewegen die Briefe an den Fürsten sich auf völlig anderem Boden und unter sehr anderen Voraussetzungen, als sie für seine Briefe an Schiller oder an Goethe zu gelten haben. Trotzdem liegt das Verbindende nicht nur in dem Zufall, daß der Verfasser der einen wie der anderen dieselbe Persönlichkeit war. Ein Beweis wird sich nicht erbringen lassen für die Meinung, daß Humboldt durch sie den Kanzler für seine mehr ideelle, mehr „sachliche" Staatsansicht gewinnen, ihn aus der Ferne mit dieser Sphäre in Berührung halten wollte. Aber erfährt das befremdende Festhalten an diesen brieflichen Monologen durch eine solche Annahme nicht wenigstens eine annehmbare Erklärung? Hier, in dem Versuch Humboldts, das „persönliche" Verhältnis zum Kanzler zu unterbauen mit dem Fundament einer sachlichen Gemeinschaft im Dienst der „Idee" Preußen, wie sie ihm aus dem Erleben von 1813/15 erwachsen war, — hier liegt der Ausgangspunkt jener verwickelten Beziehungen, welche zwischen beiden in merkwürdiger Verschränkung durch vier spannungsreiche Jahre obgewaltet haben. Gerade diese „nur" sachliche Art, die Dinge zu sehen, erwies sich in doppelter Weise als verfehlt: zunächst, weil sie das Gesetz der besonderen Lebensform von Kunst und Wissenschaft übertrug auf eine durchaus andere Domäne, ohne danach zu fragen, ob diese ihrer Art nach

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dazu fähig sei, jene Maßstäbe aufzunehmen und zu ertragen. Sie war ferner wieder unsachlich, weil sie die andersgearteten Bedingungen des politischen Lebens verkannte, in denen nicht das Erkennen, sondern das Wollen entscheidet. Daher kam es, daß Humboldt auf der Höhe seiner Jahre und in der Reife seiner Kraft wie seiner Bildung vergeblich um Erfolge rang auf einem Gebiet, dessen Gesetz in seiner Erscheinungsform — in dem Kampf des persönlichen Intrigenspiels und was alles sonst damit zusammenhing — ihm als u n s a c h l i c h und darum verächtlich erschien. So ist er in dieses Getriebe hineingezogen worden, ohne mit seinen Mitteln vertraut zu sein; aber er konnte so wenig als irgendein anderer das Kunststück zuwege bringen, im Strom zu schwimmen, ohne naß zu werden. Ja von vornherein geriet er durch eben diese Korrespondenz, welche nichts sein sollte als ein A u s d r u c k bleibender Verbundenheit aus den vorigen Jahren, dem Fürsten gegenüber in eine zwiespältige Lage. Denn durch den Zwang der Dinge wurde sie für ihn zum M i t t e l persönlicher Ziele, nachdem sehr bgld die Wahrnehmung sich ihm aufdrängte, daß der Staatskanzler ihre Verbindung mit anderen Augen betrachtete, daß er wenigstens der jetzt erfolgten Trennung viel geringere Bedeutung als er selbst beizulegen schien1). Der Charakter der Selbstverständlichkeit, welche sein Verhältnis zum Fürsten in Humboldts Augen besaß, hat ihm eine Eröffnung ihres Briefwechsels als unbedenklich erscheinen lassen, die doch ihre Schwierigkeiten deutlich genug an sich trug. Denn das erste Stück der Korrespondenz ist eine Eingabe, welche auf Anregung des Kanzlers gleich nach der Trennung diesem nach Berlin nachgeschickt wurde. Sie enthielt den Antrag auf Erwirkung einer königlichen Dotation als Belohnung für Humboldts Anteilnahme an der diplomatischen Arbeit der letzten Jahre. Diese Dotationssache hat ein gewisses Aufsehen erregt; denn außer Hardenberg war Humboldt der einzige der hohen Beamten, welchem eine so außergewöhnliche Auszeichnung zufallen sollte. Sonst waren nur die siegreichen Generale mit königlichen Dotationen bedacht worden. Es war also von vornherein eine einigermaßen delikate Angelegenheit ; das läßt schon die Art erkennen, in welcher Humboldt der Gattin gegenüber der Sache Erwähnung tut*). Er hatte sich noch vor der Abreise des Fürsten für einige Schützlinge — für seinen alten Lehrer Kunth wie für die beiden damaligen Modeärzte Berlins, Wolfart und Koreff, — verwendet. Bei dieser Gelegenheit legte der Kanzler ihm nahe, auch sich selbst nicht zu vergessen. Woraufhin Humboldt die Gewährung einer Dotation beantragte, indem er den Anspruch auf die hohe Belohnung begründete mit seiner Tätigkeit bei der Herbeiführung des österreichischen Beitritts zur russisch-preußischen Allianz. Nur hier habe er selbständig han-

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dein können, nur hier sei sein Handeln von entscheidender Bedeutung für den Staat gewesen. Mit dem Hinweis auf diese Leistung könne der Staatskanzler den Antrag „mit der vollkommensten Unparteilichkeit" begründen. Allein auch dann würde Humboldt die Erteilung der Dotation „nur I h r e r F r e u n d s c h a f t zu verdanken glauben, und wenn diese mir nicht die Offenheit erlaubte, mit der ich *so zu Ihnen rede, würde ich die ganze Sache nicht einmal erwähnen" 1 ). Und ebenso mit der Berufung auf Hardenbergs Freundschaft hatte Humboldt im Eingang des Briefes dessen Verwendung noch in einer anderen finanziellen Angelegenheit erbeten. Alexander Humboldt hatte — in seiner Eigenschaft als Kammerherr — den König während des Pariser Aufenthaltes von 1814 und 1815 zu begleiten gehabt. Dafür war ihm das erstemal eine angemessene Remuneration, jetzt aber, 1815, nichts zuteil geworden. Zweifellos hatte über beide Angelegenheiten eine vorgängige Verständigung mit dem Staatskanzler stattgefunden; andernfalls würde Humboldt einen solchen Antrag, zumal in der Verkoppelung beider Sachen, kaum gestellt haben. Gerade diese Verbindung war ihm bald peinlich genug. Denn es war doch ein merkwürdiges, unter Umständen nicht ganz unbedenkliches Schriftstück, in welchem die Brüder Humboldt hier als Bittsteller erschienen. Sie gerieten dadurch bei dem Fürsten, den man von allen Seiten anging, in eine Nachbarschaft, die nicht eben einwandfrei war'). Gerade das Moment persönlicher Freundschaft, auf welches Humboldt so stark den Ton legt, konnte hier bedenklich wirken und hat es später getan. Hardenberg, der mehr als einmal aus finanziellen Schwierigkeiten mit fürstlichen Durchhilfen sich hatte retten lassen, nahm im großen und ganzen den Standpunkt ein: „wes Brot ich eß, des Lied ich sing." Er scheint daher des Glaubens gewesen zu sein, daß jeder andere, wie er selbst, die Verpflichtung zur Dankbarkeit anerkennen würde, welche eine ungewöhnliche Geldzuwendung für den Empfänger, gleichsam in einem stillschweigenden Vertrag, mit sich brachte. Vielleicht, daß er aus ähnlichen Erwägungen heraus Humboldt zu seinem Antrag ermuntert hat? Man sollte es meinen, angesichts der späteren, entschiedenen Weigerung Hardenbergs, den widerspenstigen Freund ohne eine feste Besoldung im Staatsdienst, wenn auch nur als Mitglied des Staatsrats, zu belassen. Diesem jedenfalls wird der Gedanke an die Möglichkeit einer derartigen Verpflichtung damals ebenso fern gelegen haben, wie er ihn später ausdrücklich ablehnte*). Zweifellos wäre es besser gewesen, wenn nicht Humboldt selbst die Dotation beantragt, sondern es dem Kanzler überlassen hätte, aus eigener Initiative beim König vorstellig zu werden. Wie die Sache dann auch ausgehen mochte, so brauchte er

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auf niemand und auf nichts bei späteren Entschlüssen Rücksicht zu nehmen. Jetzt aber stand es anders: die Erfüllung eines bedeutsamen und nicht alltäglichen Anliegens war in hohem Grade von Hardenbergs Verhalten abhängig geworden. Und dieser wird es nicht vergessen haben, wie Humboldt von jeher Wert darauf gelegt hat, daß der Lohn für seine Arbeit vom Staat reichlich bemessen werde; schon zweimal, 1806 und 1810, war Hardenberg für eine Aufbesserung seiner Bezüge eingetreten. Er hat wohl nicht umsonst die Erledigung der Dotation über anderthalb Jahre hingezogen; sie war ein Band, welches Humboldt mit einer seiner Schwächen an den Kanzler fesseln sollte und konnte. Schon in dieser Frage sind beide Männer, ohne es zu bemerken, offenbar von ganz verschiedenen Voraussetzungen ausgegangen 1 ). Aber dieses Mißverständnis war nur ein äußeres Zeichen der Tatsache, daß die Auffassung vom Staatsdienst, mit welcher der eine und der andere an die gemeinsame Arbeit herantraten, voneinander abwichen um den Unterschied des ganzen Bildungsgehaltes der verschiedenen Generationen, welchen sie angehörten. Es bedarf einiger Bemerkungen, um hierüber und damit über die innerliche Notwendigkeit ihrer schließlichen Gegnerschaft ins klare zu kommen. Als Departementsminister für die fränkischen Fürstentümer, dessen Stern noch im Aufstieg begriffen war, konnte Hardenberg die Lust einer fast unabhängigen Regimentsführung im besten Sinne des aufgeklärten Despotismus von Herzen genießen. Er hatte damals, im Jahre 1804, bei Gelegenheit vor einem aufmerksamen und persönlich nicht uninteressierten Zuhörer über die Maximen sich ausgelassen, welche ihn bei der Wahl seiner Mitarbeiter leiteten. „Ein Minister, der sein Handwerk versteht, wird sich niemals einen genialen Kopf zu seinem Handlanger aussuchen. Als Minister will ich nichts als allein meine Gedanken ohne allen Zusatz fest und rein vollzogen wissen, und das geschieht am sichersten durch Menschen, die in solchen Dingen für ihre Person gar keiner eigenen Gedanken fähig wären. Ein genialer Kopf wird sich zu solcher Handlangerarbeit nicht bequemen, sondern mir überall seine eigenen Ideen auf glänzende Art unterschieben. Ich weiß aber ganz wohl Fälle, wo ich einen guten Kopf wie einen guten Arzt zu Rate ziehe, temporär gebrauche und dafür dann auch außerordentlich belohne. Dagegen trachte ich in jedes Kollegium einen genialen Kopf zu bringen, der die faulen Wasser umrühren soll, nur nicht zwei, denn zwei zerbeißen sich und stiften Parteien"2). Selbstsicher in seinem Herrschaftsinstinkt, wie er durch ein an Wechselfällen und an Erfolgen reiches Leben gegangen ist, tritt der ganze Hardenberg in dieser Selbstcharakteristik hervor. Es kommt ihm K a e h l e r , Humboldt.

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weniger auf den sachlichen Gewinn eines guten Mitarbeiters, es kommt ihm um so viel mehr an auf die Wahrung der eigenen überragenden Stellung. Sich selbst in erster Linie zur Geltung zu bringen, von diesem Gesichtspunkt läßt er sich leiten in dem hohen Spiel des Fürstendienstes, welches sein Leben ausfüllt wie das so manches andern von Hof zu Hof, von Staat zu Staat wandernden Kavaliers des Ancien Régime, ehe die Verbindung seines Geschickes mit dem Fall und dem Wiederaufbau Preußens ihn zum Rang der geschichtlichen Persönlichkeit emporhebt1). Seiner Maxime, welche er in den engen Verhältnissen kleiner Territorien gewonnen, ist Hardenberg auch an der Spitze des preußischen Staates treu geblieben. Sie ist ja nichts als der klare Ausdruck seiner auf Herrschaft gestellten Natur; sie enthält auf der anderen Seite in kurzen Worten die Summe all der Gebrechen und Fehler, welche Mitarbeiter und Zeitgenossen dem System des Kanzlers zur Last legten. Sie nimmt im besonderen programmatisch die Geschichte aller der Schwierigkeiten und Verwickelungen voraus, welche die spätere Mitarbeit Wilhelm v. Humboldts so unerquicklich für beide Teile gestalten mußte. Diese Charakterisierung des frühen Hardenberg findet ihre Bestätigung durch eine Persönlichkeit, welche aus langjähriger Vertrautheit mit dem Staatskanzler sprechen kann. Amalie von Begueiin muß in der zusammenfassenden Charakteristik ihres Freundes den Vorwurf als berechtigt anerkennen, daß er nicht die rechten Mitarbeiter zu wählen gewußt habe: „er glaube auf diese Weise selbständiger zu sein, als wenn er sich tüchtigere Instrumente ausgesucht hätte, er wollte am liebsten alles selbst machen." So treffen die um ein gutes Jahrzehnt auseinanderliegenden Urteile dieser beiden nach ihrer Denkart und nach ihrem Lebenskreis so ganz verschiedenen Persönlichkeiten in demselben Punkte zusammen, welchen auch Humboldt in der ersten s a c h l i c h e n Kritik, die er an der Regierungsweise Hardenbergs von Wien aus übt, als ersten hervorhebt: „was mich erschreckt, ist, daß ich um Hardenberg in den ersten Posten keinen Menschen von wahrem Kopfe sehe" 8 ). „Keinen Menschen von wahrem Kopf" — aber hatte Hardenberg nicht jedem Kollegium sogar einen „genialen Kopf" zuteilen wollen? E s muß doch ein erheblicher Unterschied der Maßstäbe in der Bewertung, wer für einen „wahren" oder „genialen" Kopf zu gelten habe, obgewaltet haben. Was Hardenberg darunter verstand, das zeigt ein Blick auf die Reihe guter und eifriger Beamter, welche wie Altenstein, Schuckmann, Nagler, Ladenberg, Jordan aus seiner fränkischen Schule stammten und der gestellten Forderung in seinen Augen durchaus Genüge taten. Ihre Art wird nach der anderen Seite wiederum deutlich charakterisiert durch den Umstand, daß, mit alleiniger Ausnahme von Altenstein, Hum-

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boldt zu allen diesen Männern jederzeit im Gegensatz sich befunden und sie denkbar ungünstig beurteilt hat. Und nicht nur Humboldt, sondern ganz andere Naturen wie Stein und Schön dachten nicht anders. Es war ein engumschriebener Wirkungskreis, welchen Hardenberg dem Ehrgeiz seines „genialen Kopfes" mit der Rolle des Hechtes im Karpfenteiche eines gar zu leicht stagnierenden Beamtentums zu zeigen wußte. Der Horizont einer solchen Tätigkeit deckte sich nach Begriff und Anschauung, in Mitteln und Zielen mit jener eben versinkenden Welt inhaltloser Kleinstaaterei, wo, was man unter Staat und Politik verstand, sich erschöpfte in der gutgemeinten Geschäftigkeit, welche die ungezählten Amtsstuben mit emsigem Bienenfleiß erfüllte. Das war die Umgebung, wo im Rahmen kleiner Ziele und enger Mittel gar leicht die gute Leistung und behende Fähigkeit zum „Genie" sich umstempeln ließen1). Die neue Zeit aber erwartete vom „Genie" mehr und anderes, als der liebenswürdige Grandseigneur des Ancien Régime. Sie stellte in Humboldt einen Mann an Hardenbergs Seite, der, wenn er kein Genie war, doch „Genie" hatte; sie stellte damit den Liebhaber „genialer Köpfe" mit einiger Ironie vor eine Aufgabe, welche zum Unglück für die beiden außerordentlichen Männer sich nicht hat lösen lassen. Zu der eben besprochenen Maxime Hardenbergs gibt es ein Gegenstück aus Humboldts Feder, welches den ganzen Unterschied der Männer und in diesem den Unterschied der Zeiten in der Auffassung von Staat und Staatsdienst zum Ausdruck bringt. War in Hardenbergs Ansicht der Dinge alles auf das Zentrum seiner Person und ihrer Bedürfnisse abgestellt, so greift Humboldt in der Wahl der Maßstäbe, nach welchen der Staat die Eignung eines Bewerbers beurteilen soll, nach den denkbar höchsten sachlichen Gesichtspunkten. In vollem Gegensatz zu Hardenbergs Meinung fordert er die größte Selbständigkeit im Denken, den lebhaftesten Trieb zu selbsttätigem Handeln auch von dem untergeordneten Beamten. Nicht zur Bequemlichkeit oder zur persönlichen Befriedigung seines Vorgesetzten soll er arbeiten, von der Idee der Menschheit vielmehr, von den höchsten Bildungsidealen seiner Zeit muß er sich leiten lassen. Was für eine Beamtenschaft hätte entstehen müssen, wäre es möglich oder auch nur denkbar gewesen, die entscheidenden Posten immer und ausnahmslos — denn an mancher Stelle und für manches Jahrzehnt hat in den Vertretern der höheren Beamtenschaft Preußens die Wirklichkeit jenem Ideal wohl sich genähert — mit Männern zu besetzen, deren Geist nach Grundsätzen, wie sie hier entwickelt wurden, sich gebildet hatte und wirken sollte. Es hieß viel verlangen, wenn in den Anwärtern auf die Stellen begrenzter Tätigkeit, wie die Verwaltungslaufbahn sie im Durchschnitt mit sich bringt, die innere Anwartschaft auf den „großen 19*

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Staatsmann" — denn dieser ist ja nach Humboldts eigenen Worten das Ziel dieser politischen Pädagogik — vorausgesetzt wurde1). Der theoretische Begriff des großen Beamten als solchen war zweifellos von Humboldt klar gefaßt und vorbildlich aufgestellt. Aber verriet die engere Zielsetzung Hardenbergs auch für den „guten Kopf" nicht einen nüchterneren Blick für Menschen und Geschäfte, wie sie in der Wirklichkeit nun einmal vorhanden sind? Sehr viele solcher universalen Geister konnte das Beamtentum eines Staates ebensowenig hervorbringen wie vertragen. Auch pflegt ein Staat Raum zu haben nur für einen wirklichen Staatsmann, der seine Fähigkeit ebensosehr durch die Bildung seines Geistes als durch die Leistung seines Willens erweisen wird. Baute der Theoretiker Humboldt das Idealbild des „Administrators" auf der breiten Grundlage der neuen Bildung auf, so fand die Maxime Hardenbergs ihre Stütze in der Erfahrung von Jahrzehnten. Und so, geschieden von der Kluft, welche Praxis und Theorie zu trennen pflegt, stehen Hardenberg und Humboldt zueinander von allem Anfang ihres gemeinsamen Wirkens an. Freilich, Hardenbergs wirklichkeitsfrohe und genießende, freigebige und elegante Kavaliergestalt trägt den Abschluß einer Epoche in sich, während in Humboldts politischem Denken und Handeln die Linien kommender Entwickelung im ersten Ansatz zu erkennen sind. Es ist vorzüglich Hardenbergs Werk, daß Preußen die Jahre überdauert hat, in denen das Damoklesschwert der Vernichtung über ihm schwebte. Aber mit dem 17. März 1813 hört Preußen auf, das Werk dieses großen diplomatischen Künstlers zu sein. In der nationalen Kampfgemeinschaft kommen Kräfte aus den Tiefen des Lebens empor, deren Ziele und Triebe wurzelten in einem Empfinden und Erleben, welches dem Kinde des 18. Jahrhunderts verschlossen bleiben mußte. Denn so stand es doch: der Staat blieb ihm der große Gegenstand, an dem er sein bedeutendes Können, seinen guten Willen, sein feines Verständnis für die außenpolitischen Lebensbedingungen zu erproben vermochte. Preußen war das große Gut, dessen Verwaltung und dessen Wohlfahrt die Vorsehung ihm in die Hände gelegt hatte, um an ihm seine Fähigkeiten zu entfalten. Dies verstümmelte Preußen Friedrichs des Großen, dessen schwachen Lebensodem zu hegen und zu erhalten wohl nur ihm gelingen konnte, es fand neben dem König, dem er treu ergeben war, seinen letzten politischen Ausdruck in ihm, im Staatskanzler Hardenberg. Das Preußen aber, welches im Jahre 1815 am Rhein Fuß faßte mit der Anwartschaft auf die künftige Führung Deutschlands, dieser Staat war ein sehr anderes Gebilde, als wie es im Frühjahr 1813 in den Befreiungskampf gegangen war. Es war nicht mehr das „friderizianische" Preußen, welches nur wiedererstanden war. Das entscheidende Merkmal

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der Wandlung prägte sich darin aus, daß das Bewußtsein vom Staate und seiner nationalen Bestimmung in breitere und tiefere Schichten des Volkes übergegriffen hatte. Längst nicht mehr haftete der Staatsgedanke an einer Person und an der von ihr bestimmten Beamtenschaft Und wer jetzt an dem Kampfe teilgenommen, wer es schicksalsmäßig erfahren hatte, wie unlöslich das eigene Leben in seinen überindividuellört Werten verknüpft war mit dem Geschick des Staates, der war in gewaltigem Erleben für sein Bewußtsein wie für sein Gewissen aus dem Objekt zum Subjekt des Staates geworden. Für diese grundlegende Wandlung hat Hardenberg wohl nie ein rechtes Verständnis besessen. Dem großzügigen Verwalter fehlte das scharfe Auge und die feine Beobachtung, denen die Wachstumsbedingungen des Bodens in ihrer letzten Natur und in ihrer Vollendung sich enthüllt hätten. Ihn erfreute und ihm genügte es, die Bestellung des Feldes zu leiten und die Ernte der Früchte zu ordnen. Nicht nur weil der geborene Hannoveraner landfremd war, hat er doch immer noch außerhalb des Staates gestanden, sondern weil Natur wie Bildung ihm den Zugang zu den tieferen Quellen geschichtlichen Lebens versagten1). In eindringender Beobachtung, in der Neigung wie der Fähigkeit zur Analyse lag nun vielmehr die Art von Genie, welche Humboldt besaß. Was ihn vom Staatskanzler in der Tiefe schied, war das klare Bewußtsein von dem Wandel, welcher sich in der Staatssphäre und in ihren Trägern während dieser Jahre vollzogen hatte. Es war weiter die Überzeugung, daß diesem grundlegenden Wandel in der Auffassung wie in der Gestaltung des Staates Rechnung getragen werden müsse. Sie erwuchs ihm, dem subtil Reflektierenden, während der Jahre der Befreiungskriege, ganz instinktiv aus seinem E r l e b e n , welches, anders gewandt, die Ausdrucksform seiner außerordentlichen Fähigkeit des Verstehens war. Aber er wieder konnte, in der Betrachtung der Bodenschichtung versunken, leicht es vergessen, Vorsorge zu treffen für die Bestellung des Feldes und für die Vorbereitung der Ernte. Denn der Staat, an dessen Formen die Geschicke des Volkes gebunden sind, war ihm der Ausdruck der geschichtlich gewordenen nationalen Individualität ; er ragte mit seiner Dynamik in Sphären des Weltgeschehens hinein, welche auch der wohlmeinendsten Geschäftigkeit des einzelnen Menschen unzugänglich blieben. Und doch hatte auch er sich daran versucht, der Wirklichkeit des Staates, dem Weltgeschehen den Stempel seiner „Ideen" aufzuprägen, und tat es noch mit jedem politischen Gedanken, dem er Ausdruck gab. Daß er diese Antinomie bewußt in sich trug, daß der Wunsch zur Gestaltung des Lebens und die Erkenntnis der menschlichen Unzulänglichkeiten in ungelöstem Widerstreit nebeneinander in ihm be-

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standen, das unterscheidet den Typus des skeptischen Idealisten, welcher in der schwankenden Haltung Humboldts während der kommenden Jahre sich uns enthüllen wird, von dem optimistischen Rationalisten Hardenberg, welcher, oft erschreckend bedenkenlos, doch auch der schlimmen Stunde noch eine Frucht abzuringen weiß. Die ersten dienstlichen Beziehungen zwischen dem Fürsten und Humboldt reichen in dessen römische Zeit zurück, nachdem im Sommer 1804 Hardenberg sich mit Haugwitz in die Leitung des Auswärtigen Departements geteilt hatte. Die Nachricht von diesem „halben Arrangement" rief bei Humboldt gemischte Gefühle hervor, in denen das kritische Element überwog. Wie oft sollte er noch später über das von Hardenberg so beliebte Verfahren zu klagen haben, sachliche oder persönliche Schwierigkeiten auf dem Wege der Teilung von Amt und Verantwortlichkeit mit Geschick zu überwinden! Sachlich, im Blick auf den Gang der preußischen Politik findet er gegen Haugwitz' verminderten Einfluß nichts einzuwenden; persönlich sah er in ihm den bequemeren Vorgesetzten. Aber er verschwieg sich nicht, daß von Hardenbergs Amtierung auch mancherlei Gutes zu erwarten stehe: eine regere Anteilnahme an den Geschäften und damit auch an den im diplomatischen Dienst tätigen Personen; ihm sei der Gedanke, „jemanden weiter zu bringen", eher zuzutrauen als dem bisherigen Chef1). So finden sich hier schon die bezeichnenden Punkte angedeutet, welche in dem späteren Verhältnis beider eine Rolle spielen werden: sachliche Kritik bei persönlich günstiger Beurteilung, — nicht zuletzt der Gesichtspunkt, daß auf diesen Mann wohl auch in der äußeren Laufbahn gerechnet werden könne. Die sachliche Kritik hebt als Hauptschaden hervor, „daß der Untergebene eigentlich niemanden hat, an den er sich halten kann: Allen geben und keinem nehmen, wobei keiner zufrieden, keiner eigentlich tätig und keiner responsabel ist"8). Dieses letzte kleine Wort „responsabel" schließt im Grunde genommen die ganze Problematik von Humboldts Beamtenlaufbahn wie im Keime in sich. Aus jenem Prinzip der Sachlichkeit, welches wir berührten3), sind ihm die Kompromisse persönlicher Rücksichtnahme bei sachlichen Entscheidungen, deren die Politik auf die Dauer nicht cntraten kann, immer verwerflich erschienen. Darum hat er, der niemals an entscheidender Stelle wie Hardenberg vor die Frage gestellt worden ist, ob er die Person eines bewährten Mitarbeiters der sachlichen Reform zuliebe opfern solle oder dürfe, von Anfang an in eine vorerst stille, später laut geäußerte Opposition sich gedrängt gefühlt. Denn der Gegensatz, welchen Humboldt hier zum Ausdruck bringt, führt tief in die Fragen der modernen Staatsauffassung hinein. Mit dem Wörtchen „re-

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sponsabel" meldet der Mensch der neuen Bildung seinen Anspruch an auf eine neue Bewertung seiner Arbeit am Staate, eben in der Form der Verantwortlichkeit1). Bisher galt als das oberste Gesetz des Beamtentums der Gehorsam. Er war die Klammer, welche um das Gefüge des aus sehr heterogenen Elementen bestehenden Beamtenstaates von den großen Königen des 18. Jahrhunderts geschmiedet war. Und man darf nicht vergessen, daß gegenüber dem Schlendrian und der Willkür des kleinstaatlichen Wesens diese geistige Form des Gehorsams ein Träger des Fortschritts, ein Bildner klarer Verhältnisse, die Grundlage des langsam im preußischen Staat angesammelten Kapitals an öffentlichem Vertrauen gewesen ist. Dieser Gehorsam ist ein sozialer Wert, ein hervorragendes Mittel politischer Pädagogik gewesen, um die Menge der staatsfremden und kleinbürgerlichen Menschen zu Beamten und als solche zu Trägem des Staatsgedankens und des Staatswillens zu formen. Er konnte es um so mehr sein, als und solange er, ethisch betrachtet, die politische Ausdrucksform bedeutete für Wie den deutschen Norden im 18- Jahrhundert als Weltanschauung beherrschende protestantische Sittlichkeit. Und er konnte es nach seiner ganzen Kraft und Wirksamkeit sein, solange überragende Persönlichkeiten der Herrscher ihn zielbewußt zu handhaben verstanden im Dienst des Aufbaues eines großen, von mächtigen inneren Kräften zur Entfaltung getriebenen Staatswesens. Gelangte dieses in seinem Wachstum, wie es dem Preußen des 18. Jahrhunderts geschah, an einen Punkt des inneren und äußeren Stillstandes, so konnte auch diese besondere Form des staatlichen Wesens dem Gesetz des langsamen Welkens nicht entrinnen. Darum kann es seitdem, wenn bedeutende Köpfe und energische Naturen in den Dienst Preußens traten, zu Zusammenstößen mit dem erstarrten Prinzip des Gehorsams. Denn die für den Fortbestand des Staates notwendige Bindung mit dem drängenden Trieb zur persönlichen Verantwortung vermochte die überkommene Form deshalb nicht einzugehen, weil durch die beschränkte Natur des Trägers der Krone der Gehorsam als eine p e r s ö n l i c h e Verpflichtung gegen einen Menschen gefordert wurde, was angesichts der beiden Nachfolger Friedrichs die sittliche Idee dieses Verhältnisses entadeln hieß. Der bekannteste Konflikt dieser Art ist ja die Entlassung Steins als eines „trotzigen ungehorsamen Staatsdieners" durch Friedrich Wilhelm III. am 4. Januar 1807*). Aber auch der geschmeidige Hardenberg hatte im Anfang seiner preußischen Laufbahn, als er in seinem fränkischen Wirkungskreis wie ein Vizekönig schalten konnte, sich in einer kurzen Kabinettsorder darüber belehren lassen müssen, daß er in seinem Dienstverhältnis Gehorsam schulde. In diesem Fall stand die an den Minister gerichtete

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Forderung in einem um so schrilleren Mißverhältnis zu der Bedeutung des Mannes, als die Stelle, welche Gehorsam heischte, weniger der König als die beiden ihm eigentlich gleichstehenden Kabinettsminister waren1). Es ist kein Zufall, daß die beiden leitenden Männer, vor denen das Gebot des Gehorsams wie ein fremdes Joch im Gebiet des eigenen Wirkens sich erhob, aus der Fremde kamen. Und wenn Hardenberg in geschickter Unbekümmertheit mit dem Idol der absterbenden Zeit sich abzufinden wußte, so beweist das nur, daß er mehr als Stein noch dem Denken und Empfinden des 18. Jahrhunderts zugehörte, daß er noch nicht die im Dienste des Staates geschehene Leistung ausschließlich als Ausdruck des eigenen Selbst empfand, die, aus den Kräften des eigenen Lebens hervorgewachsen, auch nur im Rahmen seiner Voraussetzungen verantwortet sein wollte. Verantwortlich zu handeln aber war eine Selbstverständlichkeit für Humboldt, der in den preußischen Dienst in seiner Weise auch aus der Fremde hinübergetreten war, aus der neuen Welt von Kunst und Wissenschaft, in welcher der einzelne allein einzustehen hat für Ziel und Erfolg des eigenen Strebens. Die Welt seines geistigen Wachstums hatte ihm ein neues Prinzip des Handelns mit auf den Weg gegeben, welches in dem alten Staat, darüber kann kein Zweifel sein, revolutionär wirken mußte, wenn man mit ihm Emst machen wollte. Darum bilden Gehorsam und Verantwortlichkeit die Glieder einer der grundlegenden Antinomien, welchc die Problematik der Eingliederung des modernen Menschen in das politische Gemeinschaftsleben beherrschen. Humboldt war einer der ersten, welcher während seiner ganzen Laufbahn das Problem gesehen, es ausgesprochen und zur Lösung zu bringen versucht hat. Daß er es nicht zur Entscheidung hat bringen können, lag an den von der Natur gezogenen Grenzen seiner Persönlichkeit. Es lag nicht zuletzt an dem Mangel einer politischen Leidenschaft, des drängenden Ehrgeizes, der ihn zum politischen Reformator gemacht und die g e s e h e n e „Idee" auch hätte w o l l e n lassenI Verschieden und im letzten Grunde unvereinbar wie ihr Denken waren auch die Lebensformen der beiden Männer. Es liegt auf der Hand, daß für die Art von freundschaftlicher Verbundenheit, welche Humboldt festzuhalten bemüht war, der Staatskanzler jeden Verständnisses ermangelte. Wenn Humboldt etwa meinte, wie es nach seinem ganzen Verhalten den Anschein hat, daß seine politische Kritik dem Staatsmann Hardenberg ebenso willkommen und wertvoll sein müsse, wie seine ästhetische Kritik es den Weimarer Freunden gewesen war, so verfiel er mit dieser Annahme einer verhängnisvollen Täuschung. Denn es fehlte die erste Vorbedingung für ein Verhältnis dieser Art: die Vorbedingung jener

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Gleichberechtigung, welche von der Idee eines gemeinsamen, die Persönlichkeiten überragenden und überdauernden Zieles sich ergeben hätte. Eine Gleichberechtigung dieser Art, wie der schaffende Künstler im eigenen Bereich seines Schaffens der Produktivität des Kritikers als solcher sie zugestehen kann, wenn sie auch selten genug sich findet — eine solche Gemeinschaft aus der Idee heraus wird der handelnde Mensch, der Staatenlenker, nicht kennen und nicht verstehen, weil er ihrer nicht bedarf. Denn der Entschluß und die aus ihm geborene Tat vereinzelt und hebt die Gemeinschaft auf. Ein Geist, welcher herrschen will, bedarf der Ausführer; aber die beratende Kritik, welche aus der Kenntnis der gültigen Gesetze oder der „Ideen" des Handdns wie jener der Kunst ihre innere Gleichstellung herleitet, wird ihm als Hemmung oder gar als Bedrohung erscheinen. Solange Humboldt als ausführendes Organ seine Gaben dem Kanzler zur Verfügung stellte, erfüllte er die Erwartungen, welche Hardenberg offenbar an seine Freundschaft zu stellen geneigt war1). Welcher große Staatsmann hätte auf der Höhe seines Wirkens Zeit oder Neigung besessen für einen freundschaftlichen Austausch „procul negotiis", wie Humboldt dessen Reize dem Fürsten noch im Januar 1818 lockend zu schildern versuchte')? Gerade dieser Vorschlag bewies, wie Hardenberg jederzeit in den Grundtrieben seines Wesens von Humboldt verkannt worden ist. Erst als der Konflikt offen ausgebrochen war, gelangte zunächst Frau v. Humboldt zu der Einsicht, daß der Fürst „die Zügel nur mit dem Leben aufgeben werde". Wenn Hardenberg, wie wir sahen, die Beziehungen zu seiner Umgebung am liebsten regelte nach dem einfachen Schema von Leistung und Belohnung, so war darin für eine wahre Freundschaft mit Menschen, wie die Humboldts es waren, kein Raum. Konnte ein Humboldt sich vertragen mit den Umgebungen, welche nach Friedensschluß den täglichen Umgang des Fürsten bildeten? Diese allein schon hätten von der Unverträglichkeit ihrer Lebensauffassung überzeugen müssen; allerdings — er sah diese Dihge ja nicht aus der Nähe und mit eigenen Augen. Welchen Anstoß hatte er nicht schon an dem vertrauten Verkehr Hardenbergs mit Frau v. Beguelin im Frühsommer 1813 genommen, wenn er auch keinen schwereren Vorwurf — wog er doch in der Zeit drängender diplomatischer Verhandlungen schwer genug — erheben konnte, als daß jener „eine unendliche Zeit mit der Dame vertändele"3). Jetzt aber hing sich an den alten Herrn ein Kreis zum Teil doch recht bedenklicher Gestalten, welche in der bunten Mannigfaltigkeit ihrer Schicksale und ihrer Ziele das Eine gemeinsam hatten, daß sie letzten Endes Geschöpfe von des Fürsten Gnade waren, mochten sie

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seinem Büro oder seinem Hause oder, wie Koreff, beiden angehören. Wie hätten Humboldt und seine Gattin sich einpassen mögen in eine „Hofhaltung", deren Zenit Amalie v. Beguelin, deren Nadir aber die telepathische und somnambuüsche Bäckerstochter aus Mecklenburg bezeichnete? Die Art der Beschützung von Kunst und Wissenschaften, wie der Staatskanzler sie etwa über den Umweg der Begünstigung eines Koreff oder eines Dorow betrieb, mußte nicht minder befremden. Sie erinnerte noch an die Art jener vornehmen Herren, welche wir aus Meisters Theatralischer Sendung kennen; sie ziehen etwa eine Schauspielertruppe für einige Stunden oder Tage der Langeweile zur Zerstreuung an sich, um sie dann, war die Laune verflogen, unbekümmert um alle schönen Theorien und Pläne der Kunstförderung wieder ihrem Schicksal zu überlassen. So hatte der Fürst seine Lebensanschauung und seine Lebensform aus dem vergangenen Jahrhundert mit seiner versinkenden Kultur herübergenommen; sie schieden seine Welt von der, in welcher Humboldt beheimatet war. Aber herübergenommen hatte er auch jenen energischen Willen, mit allen Mitteln der von angenehmen Umgangsformen verhüllten Intrige und Kabale sich selbst durchzusetzen, unbekümmert und unangefochten von Ideen und Systemen einer umfassenden und bindenden Weltansicht. In diesem unbekümmerten klaren Willen war des Staatskanzlers Überlegenheit begründet gegenüber dem Sohn der neuen Generation, welcher in und von „Ideen" zu leben gewohnt war. Die Weite seines Gesichtskreises, die Kraft seines Gedankens, die Stärke seiner Staatsidee heben Humboldt unbedingt aus der Reihe der damaligen hohen Beamtenschaft heraus. In den ersten Jahren nach Beendigung des Krieges hatte er ein systematisches Bild der Staatsverwaltung in gewissen Umrissen gewonnen und hielt sich für berufen, neben dem empirisch verfahrenden Staatskanzler die Idee einer systematischen Staatsverwaltung zur Geltung zu bringen. Von diesem Standpunkt her entwickelt sich, von Einzelfällen ausgehend, die Kritik an der Verwaltung im ganzen. Sie führt ihn immer tiefer in die Probleme des inneren Staatslebens; dabei erwächst in ihm mit der Zeit die Überzeugung, daß er dazu berufen sei, als M i t a r b e i t e r Hardenbergs die Schäden seiner Staatsverwaltung zu beheben. So zeigen bereits im Winter 1815/16 sowohl die an den Staatskanzler gerichteten Briefe wie besonders der Briefwechsel mit der Gattin die ersten Ansätze zu einer scharfen Kritik an Hardenbergs Systemlosigkeit. Zu gleicher Zeit tauchen die ersten Befürchtungen auf, daß man seine Fähigkeiten nicht nutzbringend für den Staat verwenden und ihn von dem, was er damals noch als Hauptfeld seiner Betätigung betrachtet, von der europäischen Politik, fern-

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halten zu wollen scheine- Aber war Humboldt von Haus aus und dem Instinkt nach im Besitz so starker Begabung für den politischen Beruf überhaupt, daß er mit Fug und Recht den Ehrgeiz nähren durfte, nicht nur dem Staatskanzler als beste Hilfe zur Seite, sondern vielleicht auch einst an seine Stelle zu treten1)? Man wird die Frage verneinen müssen. Denn die zahllosen Berichte seiner Feder, welche wir über sein Verhalten und über seine Gedanken aus diesen Jahren besitzen, lassen den Menschen in der ganzen Stärke seiner Empfindung wie seines subtilen Denkens erscheinen; aber unter den gleichen Gesichtspunkten enthüllen sie die schwachen Seiten des Politikers. In unendlicher Wiederholung weilt sein Gedanke bei den Fragen, welche das Leben im Beruf ihm entgegenbringt. Nicht nur bei der großen und wesentlichen Frage, wie Form und Ziele des eigenen Lebens in Übereinstimmung zu bringen wären mit dem Amtsleben, von welchem halbes Widerstreben ihn abdrängt und zu dem halbe Neigung ihn hinzieht. Nein, jede mögliche Veränderung, welche das Ineinandergreifen der Ereignisse in seiner Lage bewirken könnte, wird im voraus erörtert und erwogen — und wieviel Möglichkeiten ergaben sich nicht täglich in den buntbewegten Jahren des Krieges und der Kongresse! Dabei hat der Leser dieser in die tiefsten Einzelheiten dringenden Briefe nicht selten das Gefühl, als lege die zergliedernde Erwägung sich wie ein Meltau auf die erst keimenden Möglichkeiten. Wie in den großen Denkschriften, so entfaltet Humboldt in seinen Briefen, die gelegentlich zu Abhandlungen anschwellen2), in außerordentlichem Grade seine Fähigkeit zur Interpretation gerade der Lage, in welcher er sich befindet. Aber so viele Brücken in die Zukunft er auch im Grundriß entwirft, so sehr er sich und seine Leserin von ihrer Tragfähigkeit überzeugt zu sehen wünscht, niemals gelingt ihm des Baues Vollendung. Mit den feingliederigen Organen seiner unablässigen Gedankenarbeit vermag er nicht von dem Stoff des wirklichen Lebens Besitz zu ergreifen, um ihn zu gestalten. Seinem Geist bleibt es versagt, den Sprung zu wagen aus dem Gegebenen, welches ein schon erstarrendes Moment der Vergangenheit in sich trägt, in die Wirklichkeit, in welcher das Werdende nach Gestaltung durch den Willen verlangt. Im Grunde war er von diesem Unvermögen selbst überzeugt: „ich bin für die Geschäfte nicht gemacht, was auch die Leute davon sagen mögen", so dachte er selbst in einem der glücklichsten Momente seiner politischen Tätigkeit*). Es ist, als ob dieses ununterbrochene briefliche Zwiegespräch der Gatten einen geistigen Nebel um sie erzeugt habe, welcher ihnen den Blick für die wahre Lage der Dinge und für die wahren Meinungen und Stimmungen der Menschen nur zu oft trübte. Umweht von diesem

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Schleier nicht eben grober, aber doch verderblicher Illusionen, hat Humboldt eigentlich die ganzen Jahre seiner politischen Tätigkeit innerlich „am Scheideweg" gestanden, ohne je zu durchgreifendem Entschluß zu gelangen. „Überhaupt bin ich mein ganzes Leben hindurch immer so auf dem Scheideweg zwischen einer öffentlichen und Privattätigkeit gewesen —" so schreibt er später der Gattin unter dem Eindruck der lang erwarteten Entscheidung, die ihn nach London führte. Und auch jetzt, wo seine weitere Tätigkeit „nur zu sehr großer Verantwortung und zu etwas, mit dem man stehen oder fallen muß, führen kann", sei es ihm schlechterdings unmöglich, selbst etwas herbeizuführen, sondern er wolle „die Dinge sich ganz frei entwickeln lassen". Nicht aus Furchtsamkeit wahre er diese Haltung; denn wohl niemand stehe so wie er „ganz frei, ohne alle eigene Rücksicht, auf jedes Schicksal gefaßt". Niemand werde „gegen Menschen und Sachen so dreist auftreten" wie er; „allein es gibt Zeitpunkte, wo man die Umstände walten lassen muß. Und ein solcher ist der jetzige. Bin ich der, den sie fordern, so werde ich an den rechten Fleck kommen, und sperrte ich mich eigentlich dagegen"1). Es ließe sich manches ähnliche Wort diesem Satz an die Seite stellen, und in geringerer oder stärkerer Abwandlung würde immer wieder die Grundhaltung zum Ausdruck kommen: die Umstände sollen ihn führen; darin ist er bereit, dem Schicksal sich zu fügen. Aber so sollen sie ihm sich darbieten, daß er aus ihnen seine Berufung ernennen kann, daß sie ihm diejenige „Form" des Handelns an die Hand geben, durch welche er in die für richtig erkannte Lage von vornherein gelangen kann — doch selbst Hand anzulegen, davor scheut er zurück. Sein Handeln steht unter dem Primat der Intellektualität, welche über die Dinge logisch sich klar wird und logisch sie meistern will, aber nicht sich dazu verstehen kann, den nur geahnten Gewalten im Werden der Wirklichkeit die Hand zu reichen*). Es versteht sich von selbst, daß dieser Ideologe eine systematische „Methode" des Handelns besaß und sie auf einer Analyse seiner selbst basierte. „Meine Manier ist nicht das unmittelbare und unablässige Betreiben, sondern sie geht tiefer und sucht mehr das Wesen der Dinge selbst zu zwingen. Ich tue sehr oft und lange gar keinen sichtbaren Schritt, aber habe meinen Zweck unaufhörlich vor Augen, bereite den Boden vor, aus dem er wie durch die Natur der Dinge selbst hervorgehen muß, lausche jedem etwas versprechenden Augenblick auf, wähle den wahren und handele dann mit unermüdlichem Eifer, lasse mich durch kein augenblickliches Fehlschlagen irremachen, sondern leite wieder jedes selbst zu meinem Ziel . . . Die meisten Menschen verfehlen ihre Absicht, weil ihnen am Erfolg zu viel liegt, und sie im Ringen danach zu leicht er-

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schlaffen. . . Ich gehe ohne alle Schwierigkeiten von Behauptungen, Vorsätzen, Plänen, Wegen, sie durchzusetzen, ab und wechsele daxin bei selbst geringem Widerstand, wie ich überhaupt eine Neigung habe, im Äußeren anderen nachzugeben, die größtenteils aus meiner Sicherheit herstammt, im Inneren doch so zu bleiben, wie ich will . . . da selten ein Mensch so die tiefe Überzeugimg hat, daß sich jede äußere Folge an der Strenge einer Idee in Trümmer zerschellen muß. Ich bediene mich aber dieser ehernen Unnachgiebigkeit selten, weil ich weiß, daß sie nur in wenigen Fällen eine brauchbare Waffe ist. Die Eigentümlichkeit meiner Selbstbeherrschung liegt also in ihrer Geschmeidigkeit, daß sie nicht selbst wieder steif und pedantisch sogenannten höheren Zwecken dient, und daß ich auch sie wieder beherrsche nach Willkür"1). In der Tat, in diesem rückwärts gewendeten „Programm" ist mit Scharfblick alles ausgesprochen oder angedeutet, was über diese innere Richtung Humboldts zu sagen wäre. Aber, erstaunlich genug, es fehlt jeder Ansatz zu einer Selbstkontrolle an der Wirklichkeit, zu einer Prüfung an dem von ihm so mißachteten Erfolg seines Handelns. Diese Kontrolle zu bewirken, ist die Aufgabe, welche die Selbstbeobachtung Humboldts der Nachwelt überlassen hat. Es wird dabei zu zeigen sein, wieviel Selbsttäuschung auch vor dem geschärften Blick in das Bewußtsein der Menschen sich einzuschleichen vermag. Es mochte sich auf Gedankengänge dieser Art beziehen, wenn die Gattin im späteren Leben äußert, er habe zuviel Verstand und deswegen schweife er zuweilen „in ungewöhnliche Kombinationen aus"'). So sicher dieser Mann seiner Kraft zu sein scheint, er hat mit ihr nichts auszurichten vermocht, nicht für sich und nicht für Staat und Volk, denen zu helfen doch seine aufrichtige Absicht gewesen ist. Selbsttäuschung über die innersten Antriebe des Handelns mag man auch einem Worte Bismarcks abspüren können, wie dem: „Der Strom der Zeit läuft seinen Weg doch wie er soll, und wenn ich meine Hand hineinstecke, so tue ich das, weil ich es für meine Pflicht halte, aber nicht, weil ich seine Richtung zu ändern meine"3). Aber eins kommt doch in diesen Worten vor allem zum Ausdruck: wieviel selbstverständliche und fast unbewußte Schicksalsbereitschaft im Mann der Tat lebt, neben welcher die unruhige Selbstbespiegelung, der so betonte Glaube an die Idee, die im Grunde leisten soll, was der Tat vorbehalten ist, ihre innere Schwäche enthüllen muß. Darauf also ist das letzte Absehen Humboldts gerichtet: erst soll eine ihm genehme Lage entstehen, bevor er handelt. Darum bewegt er sich in der Antinomie, daß er mit kluger Berechnung dem Schicksal überlistend abgewinnen will, was erst der Tat vorbehalten ist: die günstige Lage zu schaffen und zugleich sie zu nutzen4).

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'An die Tat und in ihr an das Schicksal sich hinzugeben, das verweigert der innerste Instinkt des Individualisten, welcher doch immer mit einem Auge nach der Sphäre des für sich geretteten und in 'sich befriedigten Eigenlebens hinüberschielt. Auch hier gelangt Humboldt über die E r k e n n t n i s des N o t w e n d i g e n nicht hinaus, weil er sich der Sache des Staates, in die er einmal verwoben ist, doch nicht völlig hingeben kann und will. Dem f r e i e n Opfer versagt er sich, und darum gilt auch von dieser halben Schicksalsbereitschaft das alte Wort: „fata nolentem trahunt", wie es immer von ihm gegolten hat in entscheidender Stunde. So mußte sein amtliches Leben zu jenem fruchtlosen und e r z w u n g e n e n Opfer seiner besten Lebensjahre werden, über dessen innere Tragik die gefaßte Heiterkeit seines Wesens wohl die Zeitgenossen täuschen konnte, während den Nachlebenden tiefere Blicke in sein Wesen und in seine Kämpfe sich erschlossen haben. Denn es ist Tragik des persönlichen Geschickes, weil Humboldt mit allen Kräften seines b e w u ß t e n Wesens einem Ziel zustrebt, — der staatsmännischen Tat — für welches die Natur, wie sie mit den ihlm doch nie ganz bewußten Grenzen seines Wesens ihn angelegt, die notwendige Ausrüstung versagt hatte, und weil zugleich die Stunde ihn zu fordern schien. Daß er den Zauberkreis des Genießens nicht durchbrechen und den Weg zum Wirken ohne Vorbehalt nicht gewinnen konnte, darin haben wir den letzten Grund dieser Tragik zu erkennen gemeint. Aber galt nicht auch Hardenberg für einen „Genießer"? Wollten seine Gegner nicht auch in ihm einen jener lustigen Marquis des Ancien Régime sehen, der im Niedergang seines Alters um materiellen Genusses willen an seinem Amt festhielt um jeden Preis, auch um den, seine besten Traditionen wie seine gegründetsten Überzeugungen fallen und sinken zu lassen? Gewiß werden diese Vorwürfe mit Recht erhoben; gewiß begegneten sich diese so verschiedenen Naturen in der Sphäre gerade des sinnlichen Genießens1). Aber Hardenberg, der Sohn der Stunde, streifte mit rascher Hand die Früchte ab, die am Weg sich boten; unbeschwert von der lähmenden Last der Reflexion, welche des Anderen Schritte hemmte, bewahrte er sich die Unbefangenheit zur „Tat, welche belebt, aber beschränkt". Weniger tief im innersten Wesen gegründet als Humboldt, bleibt im Genuß der Welt ihm die größere Freiheit, weil und indem er nicht wie jener im Genuß des Lebens zugleich das Leiden am Leben erfährt. Und wenn für Humboldt das Leben steht unter dem Zeichen des Genusses, des sinnlichen wie des höchsten geistigen Genusses, wenn er darauf aus ist, in allem Erleben, in aller Arbeit der eigensten Kraft des Geistes und Gefühls, seiner selbst bewußt und genießend bewußt zu werden, so wird ihm wohl „der Sinn erweitert", aber auch Tatkraft und

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Willf gelähmt; so vermag er es nicht, den weitgespannten Bereich der Möglichkeit durch die Tat zur Wirklichkeit zu gestalten. Denn „es sind nur wenige, die den Sinn haben und zugleich zur Tat fähig sind", so steht im Lehrbrief Wilhelm Meisters zu lesen. „Das ganze innere Leben ist eigentlich eine fortwährende Wehmut, Schmerz und Freude gehen in Grenzen, die keiner mehr zu unterscheiden vermag, ineinander über, und das stille Brüten über der Empfindung, in die der ganze Strom der Begebenheiten, die das Leben hindurch geschmerzt und gefreut haben, sich zusammendrängt, ist das wahre und eigentliche Glück." Alles was man erstrebt, „erhält erst seinen Wert, wenn es in die Vergangenheit tritt und nun zur Erinnerung wird, dem wohltätigsten aller inneren geistigen Elemente"'). Das war die altvertraute Stimmung, in welcher Humboldt im Herbst 1815 den zweiten Pariser Kongreß verließ. Mit rückwärts gewandtem Blick die Hand an den Pflug zu legen, hat nie die Verheißung des Gelingens besessen; am wenigsten kann es die Anwartschaft auf staatsmännisches Wirken bekunden oder gar verbürgen. Es kann nicht wundernehmen, daß dem Träger dieser Stimmungen und Empfindungen widerfuhr, was ihm nun in seiner Laufbahn begegnen mußte, nachdem er in Hardenberg mit einem starken Willen in Berührung und Gegensatz geraten war: Erfolglosigkeit im sachlichen Bereich und persönliche Niederlagen in steter Folge. Wer in Erinnerung lebt, kann Wirklichkeit nicht gestalten. Anders, als es hier geschieht, hat Rudolf Haym die inneren Gründe von Humboldts Erfolglosigkeit als Staatsmann beurteilt. Auch er hat das Empfinden, daß nicht allein die Ungunst der Verhältnisse, nicht allein die Gegnerschaft Hardenbergs es gewesen sind, welche Humboldt selbst und den preußischen Staat um die Früchte seines besten Wollens gebracht haben. Auch Haym ist es zum Bewußtsein gekommen, daß eine Schwäche Humboldts im Spiel ist; er findet sie in dem Fehlen eines robusten Ehrgeizes, der ihn vorwärts und, fügen wir hinzu, über sich hinaus getrieben hätte. Er bemerkt ein Zuviel an jener Bedenklichkeit und jenen Skrupeln, welche über dem Streben „nach Reinheit der Mittel die Entschlossenheit und Kühnheit des Handelns verliert. Der praktische Staatsmann muß von einem gröberen Stoff sein . . . muß jene edle Ruhmbegierde besitzen, die sich in Erreichung großer öffentlicher Zwecke zu befriedigen dürstet. Auf dieser Bahn ist es leicht, irre zu treten. Das Beispiel steht einzig da, und nur in den Grundzügen deutschen Wesens lag die Möglichkeit dazu, daß einem politischen Charakter nichts zur entscheidenden Größe fehlte als menschliche Schwäche und Leidenschaft" 2 ). Ein Urteil, das mehr den Biographen als seinen Gegenstand charakterisiert, bestechend durch den schillernden Glanz der Diktion, be-

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stechend durch die scheinbar so hoch gegriffenen ethischen Maßstäbe, welche im Grunde für nichts stärker zeugen als für die pathetische Wirklichkeitsferne des damaligen klassischen Liberalismus. Und bestechend endlich, weil es um Haaresbreite am entscheidenden Punkt zur Beurteilung Humboldts vorübergeht, indem es die Symptome seiner Unkraft streifend nennt, ihren Kern aber nicht erfassen will oder nicht zu erkennen vermag.

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Persönliche und sachliche Auseinandersetzung 1815/17. Mit dem letzten Novembertage 1815 hatte die mehrjährige gemeinsame Wanderung, welche Hardenberg und Humboldt über die Schlachtfelder wie durch die Hauptstädte Europas geführt, ihr Ende gefunden. Mit gewohntem Eifer widmete sich Humboldt den wenig anziehenden Geschäften der Kommission in Frankfurt; sie hatte die Grenzbereinigung und den Ausgleich der Entschädigungen zwischen den einzelnen deutschen Staaten gemäß den Bestimmungen des Friedensvertrages in mühseliger Kleinarbeit zu bewirken. Von dem Fortgang oder vielmehr dem Stocken der Verhandlungen hielt er den Staatskanzler in häufigen Briefen auf dem laufenden1). Unter welchen subjektiven Voraussetzungen er auch nach der Trennung von Hardenberg ihre Beziehungen betrachtete, wissen wir bereits. Gegen Ende Dezember nun gewann die Situation für Humboldt ein befremdendes Aussehen, da er seit der Abreise des Kanzlers von Frankfurt noch kein Lebenszeichen, keine Antwort auf seine Briefe erhalten hatte8). Da kann Frau von Humboldt auf einmal berichten, daß der Staatskanzler sie aufgesucht, aber leider verfehlt habe. Wenige Tage darauf läuft dann in Frankfurt ein begeisterter Bericht ein über einen erneuten längeren Besuch, welchen Hardenberg in Begleitung eines seiner Brüder in den festlichen Tagen zwischen Weihnachten und Neujahr der Frau von Humboldt abgestattet hat8). Schon in Paris hatte der Kanzler geäußert, er hoffe Frau von Humboldt in Berlin viel zu sehen; diese Voraussage schien nun in Erfüllung gehen zu sollen. Hätte der Staatskanzler in dem Briefe der empfänglichen Frau nachlesen können, welchen Eindruck er hervorgerufen, vielleicht wäre er mit dem Erfolg seines Besuches noch mehr zufrieden gewesen, als er es ohnehin schon gewesen sein muß. Denn ohne bewußte Absicht hat Hardenberg diesen außergewöhnlichen Schritt, der als solcher auch vereinzelt geblieben ist, gewiß nicht getan. Es hat seinen Reiz, in der ganz ehrlichen Schilderung des Besuches durch die begeisterte Dame der ebenso leichten wie elegant durchgeführten K a e h l e r , Humboldt.

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Erkundung des alten Diplomaten nachzugehen. Seit seiner Abreise von Frankfurt erhielt Hardenberg, wir hörten es, posttäglich Billete seines bisherigen diplomatischen Gehilfen, welcher ganz offensichtlich bemüht war, die angesponnenen Verbindungsfäden nicht abreißen und den selbstverständlichen Ton des vertrauten Umgangs der letzten Jahre fortklingen zu lassen. Bisher hatte er sich in das Schweigen des mit Arbeit Überhäuften gehüllt. Ein längeres Zögern bedeutete eine doch nicht angebrachte Unhöflichkeit. Ehe er aber antwortete — und das Jahresende drängte zu dieser Antwort — mußte Hardenberg wissen, was Humboldt eigentlich wollte, was von ihm zu erwarten stand. Die Zeiten hatten sich geändert gegen die Tage von Reichenbach und Teplitz, von Wien und Paris. Der Krieg war vorüber, die Wanderschaft der Staatslenker hatte ein Ende, die Grundlagen der Zukunft waren festgelegt, die Verhältnisse und die von ihnen bewegten und bedingten Menschen lenkten in die normalen Bahnen zurück. Und wie der Staatskanzler nach über zweijähriger Abwesenheit von Berlin den Wirkungskreis der nächsten Jahre übersah, die Reihe seiner unmittelbaren Mitarbeiter musterte, fand er in Berlin selbst wohl niemand, der für die vor einem Lustrum geschaffene Kanzlerstellung eine Gefahr bedeutet hätte1). Aber die Briefe aus Frankfurt mahnten häufig und mahnten deutlich genug, daß in den Kriegsjahren in seiner nächsten Nähe das aufgetaucht war, was er für unvereinbar mit der Stellung eines leitenden Ministers hielt: ein „genialer Kopf", wie er es einst bezeichnet hatte. Als Hardenberg im Februar 1813 Berlin verließ, da hatte seine Persönlichkeit alles überragt, was an Beamten unter ihm und mit ihm dort wirkte. Nun er zurückkehrte, war sein Name nicht mehr der einzige, welcher politischen Klang besaß in Berlin und über Berlin hinaus. Die Jahre des Krieges und der Kongresse hatten einen Mann neben ihm hervortreten lassen, welcher mit seinem Bruder Alexander sich in das teilte, was man im damaligen Berlin noch als etwas Ungewohntes empfand: in einen europäischen Ruf*), und der, nach Berlin verpflanzt, leicht den Namen nicht nur, sondern die Stellung Hardenbergs überragen konnte. Dieser Mann hatte bisher zwar immer nur im Schatten des Kanzlers gearbeitet. Er hatte die ihm durch seine Stellung zugewiesene Rolle des Mitarbeiters, der in unermüdlichem Fleiß die schriftliche und mündliche Kleinarbeit der diplomatischen Verhandlungen zu erledigen hatte, nie überschritten. Aber dieser Mann war von heimischen wie auswärtigen Beobachtern in dieser Stellung als M i t a r b e i t e r des Kanzlers, nicht nur in der des Untergebenen, als sehr bedeutend bewertet worden. Ja, in der Wiener Zeit hatten die geschäftigen Schwätzer der Salons, hatte selbst Metternich — nicht ohne durchsichtigen Grund —

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behauptet, daß der Staatskanzler von seinem Gehilfen beherrscht werde1). Dieser gab jetzt wieder in seinen Briefen so deutliche Proben seiner Auffassung, wie er selbst seine amtliche Stellung als eine M i t a r b e i t an der gemeinsamen Sache des Staatswohles verstand, daß Hardenberg doch sehr ernstlich die Frage sich vorlegen mußte, wie diese in der ungewöhnlichen Zeitlage ihm zugewachsene und von ihm ausgiebig benutzte Hilfskraft in die normalen Verhältnisse einzuordnen sein möchte. Nicht zum erstenmal trat diese Frage an Hardenberg heran. Schon bald nachdem er im Sommer 1813 Humboldt in monatelangem Umgang näher kennengelernt, hat er ihm im Herbst das Finanzministerium angeboten. Humboldt konnte damals mit dem begründeten Hinweis ablehnen, daß er nicht Fachmann sei, daß bei der schwierigen Lage daher seine Leistungen den Erwartungen nicht entsprechen würden. Er ziehe es vor, seine erworbenen Erfahrungen in der Diplomatie dem Staate weiter nutzbar zu machen. Hardenberg muß das Angebot sehr verlockend gestaltet haben, denn Humboldt äußert sich darüber: „so wie der Kanzler mir die Stelle anbot, war ich eigentlich der Herrschaft über den Staat gewiß. Wer als Finanzminister zugleich Fähigkeit hat, Auswärtiger zu sein, gegen den kommt niemand auf". Ob es Hardenberg sehr ernst mit dem Angebot gewesen ist, ob es in seinen Augen nur eine Probe auf den Ehrgeiz und zugleich auf die Klugheit Humboldts sein sollte, muß dahingestellt bleiben; denn seine Wahl fiel bald darauf auf einen sehr anders gearteten Kandidaten, seinen Neffen Graf Bülow2). Damit scheint der Kanzler den Gedanken, Humboldt in der inneren Verwaltung des Staates in seiner Nähe zu verwenden, zunächst aufgegeben zu haben. Denn er hatte zwar nach dem ersten Pariser Frieden erklärt, Humboldt allein komme für die Leitung der Auswärtigen Angelegenheiten in Frage, aber irgendeine tatsächliche Folgerung nicht aus dieser Überzeugung gezogen3), obwohl jener mit Ungeduld auf eine Entscheidung seines Schicksals wartete. Der Staatskanzler beeilte sich nicht. Humboldt mußte sich mit der Berufung zum zweiten Bevollmächtigten Preußens auf dem Wiener Kongreß begnügen. Und hier mochte das Gerede, Humboldt suche ihn zu beherrschen und zugleich zu stürzen, nicht ganz spurlos an dem Mißtrauischen vorübergegangen sein. Zwar hat er mit dem Gehilfen über diese Gerüchte gesprochen und ihn seines unverminderten Vertrauens versichert. Aber in der gleichen Zeit läßt er doch seinen Vortragenden Rat Jordan erforschen, ob Humboldt nicht als General-Gouverneur der neuerworbenen Provinzen an den Rhein gehen wolle, wenn es auch schwer fallen würde, für ihn einen Ersatz auf dem Pariser Posten zu finden, welcher seit dem letzten Sommer ihm bestimmt war4). Und als Humboldt sofort ablehnt, taucht wenige Wochen später 20»

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— nach der Rückkehr Napoleons — der Gedanke auf, er solle den in diesem Augenblick besonders wichtigen Gesandtenposten in London übernehmenV Eigentlich nur in dem letzten Vorschlag kann man eine gewisse sachliche Notwendigkeit erkennen. Angesichts der neuen großen Schwierigkeiten der europäischen Politik mußte es wünschenswert sein, in London so gut wie möglich vertreten zu werden. Hier konnte sein Wirken von der gleichen Wichtigkeit werden, wie es in Wien im Frühjahr 1813 der Fall gewesen war. Bei den anderen Anerbietungen aber kann man des Eindruckes sich nicht erwehren, daß es hier für den Staatskanzler weniger auf die Sache als auf den Mann ankam, dessen bedeutende Talente vor eine bedeutende Aufgabe zwar gestellt werden sollten, aber doch zugleich vor Aufgaben, deren erfolgreiche Bearbeitung mindestens zweifelhaft, wenn nicht unwahrscheinlich erscheinen mußte. Das galt einmal von den Finanzen, in deren Gebiet Humboldt völlig unbewandert war, und es galt nicht minder von der Stellung an der Spitze der Rheinlande. Dies Angebot wurde übrigens später wiederholt, und bei dieser Gelegenheit spricht Humboldt aus, was man schon bei diesem ersten Auftauchen des Gedankens empfindet: daß eine solche Berufung für einen der Verwaltung unkundigen Diplomaten leicht auf die Wirkung eines Uriasbriefes hinauslaufen, ihre Annahme ihn schnell und gründlich verbrauchen könnte. Das Unsichere und Tastende, was alle diese Anerbietungen in ihrer Zusammenhanglosigkeit und schnellen zeitlichen Folge bezeichnet, legt es nahe, daß Hardenberg nicht ohne Hintergedanken auf sie verfallen sein wird. Um wessen Unterbringung sonst, sei es in seiner nächsten Nähe, sei es „fern von Madrid", hatte er sich denn solche Mühe gemacht? Die feine Witterung des Wirklichkeitsmenschen spürte den möglichen Rivalen und spürte ihn mit Recht. Jedoch bislang war es bei vergeblichen Anerbietungen geblieben. Humboldt hatte bei den großen diplomatischen Aufgaben der letzten Jahre dem Staatskanzler bis zuletzt helfend zur Seite gestanden. Aber jetzt, wo man sich auf den Friedenszustand und auf Verhältnisse von langer Dauer einzurichten hatte, wurde die Lösung dieser Frage drängend. In Frankfurt konnte Humboldt nicht ewig bleiben, trotz des guten Zutrauens in die lange Dauer derartiger Verhandlungen, welche Hardenberg auf Grund seiner Erfahrungen aus der Zeit des Reichsdeputationshauptschlusses für solche territorialen Regelungen gehegt haben mag. Und bevor Hardenberg dem amtlichen Gehilfen und geistreichen Tischgenossen der letzten Jahre nun endlich antwortete, mußte er erst einmal wissen, worauf denn der ihm doch nicht ganz durchsichtige „teuerste Humboldt" im innersten Herzen eigentlich hinauswollte. Am besten

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ließ sich das wohl bei Frau von Humboldt erfahren, deren erstaunliche Vertrautheit mit ihrem Gatten für ihn kein Geheimnis war. Welche Unzahl von Briefen des Ministers an seine Frau hatten die Kuriere des Kanzlers in den letzten Jahren nicht zu befördern gehabt 1 ). E s mußte .ein leichtes sein, die eigentlichen Absichten des Gatten aus der leicht und gern — enthusiasmierten Dame herauszuhören. Und es war ein leichtes. Ganz hingenommen war Frau von Humboldt in den kurzen Minuten dieses Besuches von der Persönlichkeit des Kanzlers. E r erschien ihr als einer von den Menschen, „die einem bald das Herz in dem tiefen Busen lösen" 1 ). So brauchte es nur einiger tastender Fragen des liebenswürdigen alten Herrn, wie denn das Leben der Familie bei der ferneren diplomatischen Tätigkeit des Ministers sich gestalten werde, um die Antwort zu bekommen, man rechne mit der Übersiedelung nach Paris, „da Sie uns nicht hier behalten wollen". Der wohl nicht ganz unbedacht geworfene Ball wird geschickt aufgefangen mit der Erwiderung: „Sie wollen ja nicht in Berlin bleiben!" Und die Antwort ? „O sehr gern, versuchen Sie es nur". Und damit wußte Hardenberg genug. Der Menschenkenner wird den Ton aufrichtiger Hingabe, welcher die Worte der Frau von Humboldt in diesen Augenblicken getragen haben muß, nicht überhört haben. Aber wer war mehr als er daran gewöhnt, den gewinnenden Eindruck seines Wesens, zumal auf weibliche Gemüter, zu erleben? Das war nichts Neues für ihn. Aber zweifellos neu und wichtig war es, von maßgebender Stelle zu vernehmen, daß der Gedanke, in Berlin festen Fuß zu fassen, zwischen dem Ehepaar schon verhandelt und nicht nur als möglich, sondern als wünschenswert behandelt sein mußte. Denn sonst konnte die doch kluge Frau diesen Ausspruch nicht wagen 8 ). Humboldt selbst aber in seinen persönlichen Neigungen kannte Hardenberg nun doch gut genug, um sich darüber klar zu sein, daß nur eine Aussicht diesen Mann nach dem so wenig geliebten Berlin ziehen konnte: die Aussicht, als Gehilfe des Kanzlers cum spe successionis im Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten zu arbeiten. Ein Mann von seinem Wirklichkeitssinn konnte darüber sich nicht täuschen, daß der objektiven Situation, welche Humboldt als den bedeutendsten Kopf des preußischen Staatsdienstes nach und neben ihm erwies, auch subjektive Bestrebungen entsprechen mußten, wenn er auch vielleicht die Triebkraft des subjektiven Momentes in dieser Identität überschätzte. Und wenn er lächelnd der Dame des Hauses zu verstehen gibt, daß der Staatsdienst „jetzt" nicht auf Humboldts Arbeit in Frankfurt und im diplomatischen Dienst verzichten könne, so scheint er damit in seiner gewandten Art eine gewisse Zukunftsaussicht zu er-

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öffnen. Tatsächlich aber wird in diesem Moment sein Entschluß bereits gefaßt sein, welchen e r dann in den nächsten Jahren mit Zähigkeit durchgeführt hat : auf alle Fälle und solange als irgend möglich Humboldt von Berlin fernzuhalten. So hatte für den Staatskanzler der Familienbesuch in der Weihnachtsstube der Frau von Humboldt seinen Zweck durchaus erfüllt. E r sah jetzt klar, oder glaubte klar zu sehen in den eigentlichen Absichten, mit denen Humboldt sich trug. E r hatte dessen Frau gänzlich f ü r sich gewonnen und damit einen neuen Weg, den durch sein Schweigen befremdeten Freund von seinen wohlmeinenden u n d freundschaftlichen Absichten zu überzeugen. Wie groß der Erfolg seines Schrittes war, davon legen die Briefe der Gatten aus den nächsten Wochen beredtes Zeugnis ab. F r a u von Humboldt stand zunächst ganz unter dem Eindruck der gewinnenden Liebenswürdigkeit des vornehmen Mannes der großen Welt. E s ist ein beachtenswertes Zeugnis f ü r die den Sechziger umspielende Atmosphäre, wie es andererseits einen erstaunlichen Einblick in die fast mädchenhafte Empfindungswelt dieser mit allen hervorragenden Persönlichkeiten der Zeit bekannten Frau verstattet 1 ), wenn wir in ihrem Bericht die Worte lesen: „der Kanzler hat für mich das einnehmendste Äußere, was man haben kann, Würde, Milde, Lebhaftigkeit und einen durchgehend liberalen Zug in allem was er sagt. Ich möchte, ich könnte ihn oft sehen. E r tut mir wohl. Ich möchte ihm etwas sein können". U n d Humboldt selbst geht auf diesen Ton ein und nimmt ihn auf. Denn in dem Brief, welcher die Antwort auf des Staatskanzlers endlich eingetroffenes Schreiben vom 3. Januar 1816 bringt, dankt er für den Besuch, mit dem der Fürst seine Gattin ebenso geehrt wie erfreut habe, und versichert, seiner Frau Dankbarkeit würde sehr g r o ß sein, falls Hardenberg ihr die Möglichkeit geben wolle, ihn öfter zu sehen. „Je suis sûr", so fährt Humboldt in jenem von Rahel Varnhagen verspotteten Französisch fort, welches nur noch in nichtssagenden Diplomatenbriefen sein Wesen habe, „que Vous trouverez sa manière de penser et de voir les choses bien conforme à la nôtre, puisque je puis dire que vous, mon Prince, et moi ont presque toujours partagé les mêmes opinions" 2 ). Dem Staatskanzler, der soeben Humboldt einen zwar freundschaftlichen Brief, doch ohne jeden bindenden Inhalt geschrieben'), konnte es ja nur lieb und recht sein, wenn das Ehepaar in gemeinsamer Verehrung weit davon entfernt blieb, einen klaren Begriff von dem Stand der Dinge und seiner Absichten zu gewinnen. Dieses E c h o seines Besuches, diese Antwort Humboldts mochten ihm die Gewißheit geben, es werde so schwer nicht fallen, Humboldt weiter von Berlin fernzuhalten. Wie

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sicher Hardenberg seiner Sache gewesen sein muß, ergibt sich aus der Tatsache, daß eine Wiederholung seines Besuches nicht stattgefunden hat, obwohl er Frau von Humboldt durch anderer Vermittelung und sogar persönlich es aussprach, daß er sie demnächst — es war im März 1816 — allein zu sprechen wünsche. Doch blieb es dabei, daß man sich am dritten Ort — bei dem magnetopathischen Professor Wolfart — begegnete, und für die Aufrechterhaltung der Beziehungen schien die Vermittlung des vielgeschäftigen Koreff von besonderer Wichtigkeit. Der setzte, so wenigstens berichtete er an Frau von Humboldt, dem Staatskanzler auseinander, wie er bei seiner zunehmenden Schwerhörigkeit der verläßlichen Hilfe eines Mannes bedürfe, welcher, wie Humboldt, ihm als Mensch und nicht als Staatskanzler ergeben sei. Und wenn Hardenberg auch damals von seinem Wunsch, Humboldt in seine Nähe zu ziehen, gesprochen hat, so blieb es doch bei der Erklärung, er habe niemand anderes für den so wichtigen Pariser Posten und müsse sich seines Wunsches zum Besten der Sache begeben1). Ob die geschäftige Vermittlung Koreffs den Wünschen der Humboldts sehr zuträglich war? Mußte Hardenbergs Mißtrauen an ihrer Verbindung mit seiner nächsten Umgebung nicht eher stutzig werden? Steht auch der g u t e Glaube des Ehepaares, dem Kanzler in uneigennütziger Freundschaft sich nähern zu wollen, außer jeder Frage, so kann man es ihm, dem für diese Gesinnung wohl von Haus aus die Empfänglichkeit und die Maßstäbe abgingen, doch nachfühlen, wie er sich von so viel Freundschaft eher beengt und gedrängt als gestützt und bereichert fühlen mochte. Jedenfalls, erst im Frühsommer 1816 weiß der Briefwechsel von einem Besuch der Frau von Humboldt in Glienicke — Hardenbergs Dotationsgut — kurz vor ihrer Abreise nach Karlsbad zu berichten. So hatte der Wunsch der Frau von Humboldt nur eine kärgliche Erfüllung gefunden8). Wie wenig hatte der Mann der großen Welt um eine nähere Verbindung mit diesen vornehmen und seltenen Menschen sich bemüht, wie wenig es sich kosten lassen, ihre Ergebenheit sich zu erhalten I Offenbar war ihm an dieser mit einer Art von Enthusiasmus angetragenen Bundesgenossenschaft nicht eben gelegen. So wie er die Verhältnisse und seinen Weg in ihnen sah und beurteilte, konnte er sie entbehren; der Gang der Ereignisse hat ihm in gewisser Weise recht gegeben. Was nun folgt, ist eine Kette von unerfreulichen Ereignissen, ein quälendes Hin und Her, in welchem die Humboldts peinlich genug ihren Irrtum begreifen und einsehen lernen, was der schärfer blickende Hardenberg von je gewußt hatte: daß ein Nebeneinander von ihm und Humboldt unmöglich sei.

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Iii unermüdlicher Erörterung aller denkbaren Möglichkeiten, in unendlicher Spiegelung auch der kleinsten Wendung, welche der Stand der Dinge nimmt, in unerschöpflicher Reflexion begleitet der Briefwechsel der Gatten die Wechselfälle, welchen die Beziehungen zum Staatskanzler in den nächsten Jahren unterworfen sind. So reizvoll für das Studium dieser eigentümlichen Charaktere es wäre, von ihnen auf das weite Feld der moralischen Betrachtung und der seelischen Zergliederung sich verlocken zu lassen, so muß unsere Darstellung es vielmehr versuchen, nur an einzelnen entscheidenden Punkten den Einblick in den Gang der Entwicklung festzuhalten. Es wird nicht irrtümlich sein, wenn man Hardenbergs Stellung in dieser auch für ihn durchaus nicht belanglosen Frage dahin kennzeichnet, daß er bei viel persönlichem Wohlwollen, welches er Humboldt in mancher kleineren und größeren Angelegenheit gern bewies, doch fest entschlossen war, seine an sich schon mit großen Schwierigkeiten belastete Stellung nicht noch mit der Sorge zu beschweren, die ihm Humboldt als der m ö g l i c h e Führer der von allen Seiten sich regenden Opposition gegen seine Politik wie gegen seine Verwaltungspraxis verursachen mußte. Das beste Mittel dazu war, ihm den Weg nach Berlin und damit in das Zentrum von Staat und Verwaltung zu verlegen; daran hat er festgehalten. Die Sorge, daß Humboldt Opposition und zwar eine gefährliche Opposition machen werde, war durchaus begründet. Von den ersten Anfängen ihrer näheren Verbindung an geht in Humboldts Stimmung und Meinung mit dem wiederkehrenden Ausdruck der selbstverständlichen persönlichen Verehrung und Freundschaft für den Staatskanzler Hand in Hand eine mit den Jahren immer bestimmter werdende Kritik seiner Staatsverwaltung. Auf drei Punkte vor anderen richtet sich die Kritik: zunächst darauf, daß Hardenberg zu willkürlich und zusammenhanglos regiere,,,alle F o r m e n habe auseinandergehen lassen" und nur durch „Persönlichkeit" d. h. durch persönliches Eingreifen und persönliche Verbindungen etwa mit Ministem und Gesandten die Staatsgeschäfte in Gang erhalten zu können meine1). Dieses Preisgeben der „Formen" war ein Verfahren, welches im äußersten Widerspruch stand zu den Maximen, die Humboldt im persönlichen Leben zu befolgen wünschte, und zu den Ideen, die seine Ansichten vom Verlauf des politischen Lebens bestimmten. Des weiteren empfindet er es als schädlich für den Gang der Verwaltung und als mittelbar abträglich für das Ansehen Preußens im Ausland, vor allem im deutschen Ausland, daß der Staatskanzler, der mit zunehmendem Alter der Last der Geschäfte weniger gewachsen sei, eigensinnig darauf bestehe, alle Angelegenheiten von Wichtigkeit selbst er-

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ledigen zu wollen. Dadurch werde die Regierung sprunghaft und zusammenhanglos; die einem Staate überhaupt und besonders Preußen mit seinen verwickelten Verwaltungsaufgaben notwendige Einheitlichkeit der Regierung gehe verloren1). Es konnte nicht anders sein, als daß aus solchen Gedankengängen immer deutlicher die Erkenntnis erwuchs, daß das Staatskanzleramt als solches nicht mehr den Bedürfnissen des Staates entspreche, daß es vielmehr mit seiner Bevormundung der Minister deren Verantwortungsfreudigkeit Eintrag tue und dadurch den Staat mehr schädige als ihm nütze. Lange genug hat Humboldt gezögert, die letzte Folgerung zu ziehen, daß demnach der Staatskanzler in seiner Machtvollkommenheit beschränkt, und, gelinge dies nicht, beseitigt werden müsse. Lange genug hat er der Täuschung sich hingegeben, Hardenberg werde auf gütlichem Wege zum Besten des Staates zu einer Änderung seiner Stellung sich verstehen und aus der überragenden Position des Chefs der Staatsverwaltung in die eines Präsidenten des Ministeriums, des Primus inter pares zurücktreten. Dies war der Kernpunkt seiner Bestrebungen vor und während der kurzen Monate seines Ministeriums im Jahre 1819. Endlich und in genauem Zusammenhang mit dem Ziel, den Ministem eine unmittelbare Verantwortlichkeit für ihren Verwaltungsbereich dem König gegenüber zu sichern, ging sein Streben dahin, dem Staatsrat jene Stellung und jenen Einfluß auf Gesetzgebung und Verwaltung zu verschaffen, wie sie in dem von Stein herrührenden Publikandum vom 24. November 1808 vorgesehen war®). Es ist nicht in Abrede zu stellen, daß diese Kritik auf einer klaren logischen Einsicht in die Bedürfnisse und die Gebrechen der f o r m a l e n Staatsleitung sich gründet, daß sie die Erkenntnis des Notwendigen a n s i c h , wenn man so sagen darf, für sich hat. Es ist aber nicht zu übersehen, daß sie, gleichviel ob der Kritiker in Frankfurt oder in London sich befindet, eben immer von einem Punkt der Peripherie ausgeht, daß sie die Verhältnisse im Zentrum des Staates nicht übersieht und nicht aus naher Anschauung kennt. Vor allem, Humboldt hat das später einsehen und den Nachteil am eigenen Leib erfahren müssen, diese Kritik stellt den Kampf der Parteien, den Widerstand der einflußreichen Persönlichkeiten, welche auch des Kanzlers an sich unbeschränkte Machtvollkommenheit sehr erheblich einengten, nicht in Rechnung3). Gewiß gilt auch für den Kritiker Humboldt die alte Weisheit-. „Klar siehet, wer von ferne sieht, Und nebelhaft, wer Anteil nimmt."

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Aber, wenn Humboldt auch immer wieder die Rolle des Zuschauers als die allein würdige und angemessene für sich in Anspruch nimmt, so darf der Politiker, solange er in die Politik selbst einzugreifen sich berufen fühlt, nicht auf diese Rolle sich beschränken. So steht es weiterhin doch auch so um ihn selbst, daß neben dem Zug zum betrachtenden Schauen ein sehr aktives Moment in ihm sich geltend macht: ein jetzt wie früher deutlich spürbarer Ehrgeiz. Mit klaren Worten gesteht er, der ja eigentlich „in Ideen und nur in Ideen" leben will und auch zu leben meint, diesen Ehrgeiz nicht zu, weder sich noch anderen gegenüber. Das s u b j e k t i v e Moment, das ihn an entscheidende Stelle zu gelangen drängt, stellt in seinen Augen vielmehr als der o b j e k t i v e Befund sich dar, daß für den Platz nach oder neben dem Kanzler oder für den jeweils wichtigsten Posten der Diplomatie niemand anders an Befähigung neben ihm in Frage komme, d a ß also die Sache, daß das Beste des Staates i h n fordere. E r trug eben doch so manchen Widerspruch unausgeglichen in sich: die freundschaftliche Vertrautheit mit Hardenberg verbot ihm nicht eine klare und scharfe Kritik seiner Regierung; mit einer ursprünglich menschheitlich-weltbürgerlichen Grundstimmung vertrug sich ein starkes Nationalgefühl und zugleich ein spezifisch preußisches Staatsbewußtsein 1 ); neben einem weltabgekehrten Idealismus lebte ein ganz erdnaher Ehrgeiz 2 ). Mochte Humboldt solchen menschlich-alltäglichen Neigungen auch nur in den Außenwerken seines persönlichen Lebens Spielraum lassen und ihnen Einfluß auf sein „eigentliches" Leben, wie er unablässig versichert, nicht verstatten wollen, die Menschen, mit denen er lebte, sahen doch diese widerstreitenden Richtungen in ihm ohne jenen Vorbehalt; ihr wenig schonendes Urteil ließ ihn ob dieses Widerspruchs für unaufrichtig und versteckt gelten8). Und daß besonders Hardenberg, mißtrauisch von Natur wie er war, zu einer solchen Meinung über Humboldt kam, ist so sehr nicht zu verwundem. Denn es kann ihm nicht verborgen geblieben sein, daß mit dem Augenblick, wo Humboldt in die nähere Mitarbeiterschaft eintritt, der Gedanke in diesem sich regt, nicht nur als Minister unter Hardenberg in kurzer Frist einen bedeutenderen Wirkungskreis zu erhalten, sondern auch gleichsam unter Hardenbergs Augen und mit seinem stillschweigenden Einverständnis in seine Nachfolge hineinzuwachsen4). Wir hörten davon, daß Hardenberg dieser Hoffnung mit verschiedenen Angeboten entgegenkam und, mochten sie ernst gemeint sein oder nicht, damit ihr jedenfalls neue Nahrung bot. Bis auf den Krieg und die Justiz ist keines der damals vorhandenen Ministerien, Auswärtiges, Finanzen und Inneres aus dem Bereich dieser Kombinationen geblieben, von denen Humboldt übrigens schon früh wußte, daß es nur „vorübergehende Ideen" des Kanzlers

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seien ). Dabei betrachtete er damals den noch nicht vom Ministerium des Innern abgetrennten Bereich von Kultus und Unterricht als die einzig ihm gemäße Aufgabe*). Die Hoffnung auf eine ministerielle Wirksamkeit wurzelte so tief, weil sie verwachsen war mit einer bestimmten Staatsauffassung, welche in diesen Jahren in ihm sich herausbildete. Was er als wesentliches Ziel seiner Tätigkeit betrachtet, spricht er einmal so aus: er würde „in allem und bei allen auf Einheit und Konsequenz dringen, der Neigung, womit jeder dem anderen nachgibt, um selbst Freiheit zu haben, widerstehen, darauf dringen, daß die größten Interessen des Staates nicht einzeln, sondern in Übereinstimmung behandelt würden. Alles so etwas kann auch den Guten unbequem werden, und den Schlechten und Trägen ist es ein Greuel"8). Ein solches Eingreifen erschien unumgänglich, da der Staatskanzler der verwickelten Aufgabe der neuen Organisation des Staates nicht mehr gewachsen sei. In allem herrsche eine arge Langsamkeit, „keiner übersieht die Maschine im ganzen, es wird nur abgemacht, was in einem Aktenstück vorgebracht wird, allein viel zu wenig an das Viele und Wichtige gedacht, was geschehen sollte und nicht geschieht". An den maßgebenden Stellen werde man sich der Erkenntnis der Notlage des Staates nicht verschließen und ebensowenig der Einsicht, daß Humboldt allein der Mann sei, welcher hier Abhilfe schaffen könne. So werde er unvermeidlich in absehbarer Zeit nach Berlin gerufen werden, auch der Staatskanzler werde sich dazu verstehen, trotz des Mißtrauens, „das keiner, der um ihn ist, je ganz überwindet". Wenn Frau v. Humboldt daher Gelegenheit habe — sie war im Begriff nach Karlsbad zu gehen, wo Hardenberg ebenfalls erwartet wurde — den Staatskanzler zu sprechen, so solle sie versichern, daß er gern nach Berlin komme und in der alten, ihm bekannten Anhänglichkeit und Ergebenheit nichts lieber tun werde, als ihm die Last seiner Geschäfte erleichtern. Allerdings, für Humboldt könne nur die Verwendung in einer Stellung in Betracht kommen, die „neben oder unter ihm, nie nach ihm oder abgesondert von ihm ist". Das konnte, geht man dem verschränkten Ausdruck auf den Grund, eben doch nur eine Stellung als „Coadjutor" sein mit der Aussicht auf spätere Nachfolge; gerade auch nur vor dem Schein, eine solche Verwendung anzustreben, hatte Frau v. Humboldt mit feinem Empfinden eben erst gewarnt4). Und nicht nur dieser Punkt läßt Humboldts Stellungnahme bedenklich erscheinen. Was er jetzt dachte und aussprach, stand durchaus im Widerspruch zu dem, was er sonst über die Möglichkeit einer ministeriellen Wirksamkeit unter dem Staatskanzler gemeint hatte. Wie Bülow im Herbst 1813 die Finanzen übernahm, erklärte Humboldt, niemals werde er

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sich dazu verstehen, ohne das Recht auf persönlichen Vortrag beim König ein Ministerium anzutreten. Denn so sei man nichts als Oberster Rat im Büro des Staatskanzlers, und solange Hardenberg im Amt sei, werde kein Minister eine andere Stellung sich schaffen können. Indem er diese Lage und ihre notwendigen Folgen überdenkt, stellt sich ihm in der Form zunächst nur der theoretischen Einsicht die Entwicklung vor Augen, welche seine amtliche Laufbahn später nehmen sollte. Es wird ihm deutlich, daß nur nach dem Abgang Hardenbergs ein Ministerium für ihn in Betracht komme. „Könnte ich mir je erlauben oder nur verzeihen, auch gegen ihn zu arbeiten, so würde ich eine Stelle u n t e r ihm suchen, um bald n i c h t mehr unter ihm zu stehen . . . aber das will ich und werde ich nie." Nicht oft mag jemand so wider Willen sein eigenes Geschick vorhergesagt haben 1 ). In diesem Augenblick aber lag ihm nichts ferner als der Gedanke, gegen Hardenberg vorzugehen; aufrichtig war seine freundschaftliche Gesinnung wie sein Wunsch, dem Staatskanzler und damit dem Staat nach besten Kräften zu helfen 8 ). Trotzdem gab es Schwankungen und Schattierungen in seiner Auffassung. Wie weit war Hardenberg über diese unterrichtet? Welches Bild mochte er im Verlauf des Jahres 1816 von Humboldts Gesinnung und Absichten gewonnen haben? Es darf gesagt werden, daß jemand, der wie Hardenberg Briefe zu lesen verstand — vorausgesetzt, daß er sich dazu die Zeit nahm —, aus den Briefen Humboldts einen ziemlich klaren Eindruck von seiner Stimmung und Meinung erhalten konnte; er hat sie dem Kanzler gegenüber deutlich zum Ausdruck gebracht. Nicht zum wenigsten seine Unzufriedenheit mit dem Gang der Staatsgeschäfte. In einem Fall, welcher seine eigenen Verhandlungen betraf, ist er mit seiner Kritik recht weit gegangen. Der Niederländische Hof, mit dem über die Regelung der Kommando- und Verpflegungsverhältnisse in der Bundesfestung Luxemburg abzuschließen war, machte den Fortgang der Verhandlung abhängig von der Ausfolgung einiger preußischer Enklaven im holländischen Gebiet. Der Austausch hätte längst geschehen müssen; der Grund der Stockung lag offenbar in Berlin, d. h. beim Staatskanzler. Mehrfach und erfolglos mußte Humboldt an die Erfüllung der einmal gemachten Zusage mahnen. Endlich schreibt er dem Fürsten, es sei hart, mitanhören zu müssen, daß Preußen sein Wort nicht halte oder daß die unteren Instanzen die Befehle der Minister nicht ausführen wollten. Es sei stets gut, durch Erfüllung seiner Pflichten den eigenen Rechtsstandpunkt zu sichern 3 ). Nicht ganz so unverhüllt, aber doch deutlich genug läßt er den Staatskanzler seine kritische Haltung in der großen innerpolitischen Angelegen-

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heit des Winters 1815/16, der Affäre der Schmalzschen Schrift gegen die Geheimen Gesellschaften erkennen. Er mißbilligt mit offenen Worten, daß man ein altes Edikt mit den Unterschriften von Schulenburg, Goldbeck und Haugwitz ausgegraben habe, um die Geheimen Gesellschaften zu verbieten. Denn unter diesen Namen könne sich niemand mehr etwas vorstellen; „ach, laßt sie ruhn, die TotenI" schreibt er gleichzeitig' der Gattin. E r mißbilligt ferner, daß man jede einzelne Schrift in dieser Sache verbieten wolle, statt eine zusammenhängende Preßgesetzgebung zu schaffen, deren der Staat bedürfe; er hatte kurz zuvor dem Kanzler den Entwurf eines Preßgesetzes eingereicht und dringt darauf, das Wichtigste sei, eine regelrechte Untersuchung über Bestand und Ausdehnung der Gesellschaften zu veranlassen 1 ). Hardenberg brauchte sich also keiner Täuschung darüber hinzugeben, daß jener nicht in allen Stücken mit seiner Verwaltung einverstanden war. Dazu bekam er wiederholt in diesen Briefen Vorschläge über die Stellenbesetzung im diplomatischen Dienst zu lesen, aus welchen er die Gewißheit entnehmen konnte, daß Humboldt die Geschäfte des Auswärtigen Amtes mit der Anteilnahme des künftigen Chefs auch jetzt begleitete 2 ). Und wenn Humboldt, nachdem er runde sechs Wochen von Hardenberg nichts vernommen, diesem aufs herzlichste für einen Brief dankt, seine seltenen Antworten mit seiner Überlastung bereitwilligst entschuldigt und daran die Bemerkung knüpft, es müßten sich in Berlin doch Mittel finden, ihm die Arbeitslast zu erleichtem; der wesentlichste Dienst, welchen Hardenberg dem Staat leisten könne, sei der, so lange wie möglich sich ihm zu erhalten — so war das ein avis au lecteur, welcher Hardenberg gewiß nicht entging. Ebensowenig wenn Humboldt es beklagt, daß er den Geburtstag des Kanzlers nicht wie in den beiden Vorjahren festlich mit ihm begehen könne; zumal der nächste Brief, wohl nicht ohne Veranlassung von Frau v. Humboldt, es Hardenberg nahelegt, Humboldt zu einer Aussprache von Frankfurt nach Karlsbad kommen zu lassen'). Jedoch dieser Versuchsballon verfehlte seinen Zweck. Die Andeutung wurde mit Stillschweigen übergangen; ein erstes Anzeichen für Humboldt, daß zwischen Hardenberg und ihm doch kein völliger Einklang der Gefühle und Absichten bestand. E r hätte es verstehen und beachten müssen, wenn ihm der Gedanke an eine mögliche Änderung in ihren Beziehungen eben nicht noch femgelegen hätte. Solche Gutgläubigkeit war auch die Voraussetzung dafür, daß er mehrfach mit der Bitte um Förderung finanzieller Wünsche an Hardenberg herantrat, daß er in einer Angelegenheit, wie der durch die Zeitverhältnisse nötig gewordenen Erhöhung des Pariser Gesandtengehalt9, zwar den offiziellen Weg einschlug, zugleich aber dem Kanzler versicherte,

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er vertraue seiner „insigne bonté" vor allem, der er schon seit der römischen Zeit jede Verbesserung seiner Lage zu danken habe. Wie Hardenberg nun einmal dachte, mußte er aus solchen Bitten und Versicherungen die Folgerung einer persönlichen Verpflichtung auf Seiten Humboldts ziehen, welche diesem gewiß nicht in den Sinn gekommen ist. Und wenn daneben in einem derartigen Gesuch ein Passus vorkam wie dieser, Humboldt sehe in der Ordnung, welche ein Beamter in seinen eigenen Geschäften halte, die Voraussetzung und Bürgschaft für eine geordnete dienstliche Geschäftsführung, so konnte auch dies einem mißtrauischen MaÀh, in dessen Leben die Geldfrage stets der wunde Punkt gewesen, als unberufene Kritik erscheinen und zu seiner Verstimmung beitragen1). Persönlich verstimmen mochte es überdies Hardenberg, der es schon in Wien bei offenbar leidendem Zustand durchaus nicht wünschte, daß man seiner Gesundheit Erwähnung tat, wenn aus den wiederholten guten Wünschen für sein Befinden, mit denen Humboldts Briefe beginnen oder enden, hervorging, daß dieser seiner Gesundheit eine Teilnahme widmete, deren rein freundschaftliche Natur dem Mißtrauischen nicht immer außer jedem Zweifel gestanden haben wird2). Den letzten und wesentlichen Punkt von Hardenbergs Verstimmung aber konnten alle Versicherungen freundschaftlicher Ergebenheit Humboldts nicht aus der Welt schaffen8) : es war sein Drängen auf Abberufung von Frankfurt und auf Übernahme der Gesandtschaft in Paris4). Man gewinnt aus den Briefen, welche Humboldt in jener Zeit dem Kanzler und der Gattin schreibt, wie aus deren Antworten den Eindruck, daß das Ehepaar Humboldt einen erstaunlichen Mangel an politischem Instinkt verrät, indem beide trotz gelegentlicher Ansätze zu einer anderen Betrachtung das Verhältnis zu Hardenberg wie eine Art von privater und von den allgemeinen Verhältnissen isolierter Angelegenheit betrachten und behandeln. Sie befanden sich damit in einem folgenschweren Irrtum. Daß jeder Entschluß über eine andere Verwendung Humboldts auf die Berliner Lage einwirken mußte, daß es auf eine hochpolitische Angelegenheit damit hinauskam, darüber ist der Staatskanzler sich offenbar ganz klar gewesen. Die Zurückhaltung, die er seit Herbst 1815 Humboldt gegenüber beobachtete, beruht gewiß auf diesem Verhältnis. Der Frühsommer 1816 führte die im Winter begonnene Krise zur Entfaltung. Hardenberg, der Kanzler der Reform, war genötigt, mit den erstarkten Parteigängern der Reaktion, „welche alle nach 1806 zurücksahen"5), sich zu verständigen, um sich am Ruder und seinen politischen Plänen, besonders dem einer neuen Staatsverfassimg, die Ausführungsmöglichkeit zu erhalten6). Jede Personalveränderung in den höheren Staatsstellen war in die-

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sen schwülen Monaten, wo man in Berlin über Gneisenaus Generalkommando in Koblenz als über „Wallensteins Lager" sprach, von besonderem Gewicht. W a r es ratsam, in dem Augenblick, wo Gnedsenau zum Rücktritt sich gedrängt sah, einen erklärten Anhänger des Verfassungsgedankens wie Humboldt, dessen naher Verkehr mit dem in Berlin wenig beliebten Stein nicht unbekannt geblieben war, an die Seite des Staatskanzlers zu berufen? Und weiter: es war nicht allzuweit von Koblenz nach Frankfurt; die Männer, deren Namen den besten Klang in der Öffentlichkeit besaßen, waren sich dort begegnet. Stein stand nicht zum besten mit Hardenberg; dieser hatte Gneisenau während des ganzen Winters „ohne eine Zeile" auf seine Briefe gelassen; was für Kombinationen mochten in dieser Süd-Westecke für die Zukunft sich vorbereiten, wenn Humboldt in ernstliche Verbindung mit den beiden andern trat? Nahm Hardenberg die Namen der Männer hinzu, deren Humboldt in seinen Briefen besonders empfehlend gedacht hatte, — die Gesandten Küster in München, Otterstedt in Darmstadt, Gruner in Bern, dazu den bei den hessischen Verhandlungen tätigen Vizepräsidenten Motz in E r furt — dann war für den künftigen Premier, der durch Gneisenau Einfluß in den patriotisch gestimmten Kreisen der Armee gewinnen konnte, ein ausreichender Stab an Mitarbeitern von ausgeprägt neupreußischer Gesinnung beisammen. Humboldt selbst ahnte zuweilen, daß von Berlin nach Frankfurt ebenso mißtrauische Blicke sich richten konnten wie nach Koblenz 1 ). Auch die Tatsache, daß ein so ungeschickter Mann wie der Gesandte v. Hänlein vom Staatskanzler mit der Einleitung der so überaus wichtigen Bundespolitik Preußens betraut wurde, während er, mit dem Kleinkram der Territorialverhandlungen beschäftigt, nichts erfuhr von den wesentlichen Dingen, die im Werke waren, ärgerte Humboldt zwar; aber sie hat seinen guten Glauben offenbar noch nicht erschüttert®). Dies tritt erst ein, als Hardenberg, nach Beendigung der Karlsbader Kur und im Begriff zu einer mehrwöchigen Reise nach Mecklenburg und Dänemark aufzubrechen, ihm unvermutet mitteilt, er habe die Wahl zwischen den Gesandtschaften in Paris oder London. Die Eröffnung trifft Humboldt wie ein Blitz aus heiterem Himmel; die Antwort an Hardenberg vom 18. August 1816 läßt durch alle Einkleidung der Höflichkeit hindurch deutlich die Enttäuschung, ja die Bestürzung des Schreibers erkennen. Was hatte sie hervorgerufen? Eine doppelte Enttäuschung hatte Hardenbergs Brief gebracht. Zunächst, er enthielt keinerlei Andeutung einer möglichen Verwendung Humboldts in Berlin; und dann hieß das Angebot des Londoner Postens, auf dessen Annahme Hardenberg drängte, die Verbannung für den Staats-

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mann Humboldt und eine Degradierung für den Diplomaten. Oft genug hatte der Kanzler ihm erklärt, für den wichtigen Posten in Paris komme außer ihm niemand in Betracht. In Frankreich, das als besiegter Staat um seine Wiederaufnahme in den Areopag der Mächte kämpfte, lag der Angelpunkt der Politik jener Jahre. Wie Wien vor 1813, so war Paris jetzt der wichtigste diplomatische Posten; für ihn war Humboldt bisher bestimmt: jetzt ließ Hardenberg erkennen, daß er auch eine minder wichtige Verwendung passend finde. Dieser Brief, dies Angebot bezeichnen den Beginn einer Entfremdung. Das geht auch aus Humboldts Antwort hervor. Zunächst, er sperrt sich ganz einfach gegen die Annahme der Alternative mit der Begründung, er könne mit seiner Geschäftserfahrung dem K ö n i g besser in Paris als in London dienen, wo nichts Wichtiges zu erledigen sei. Die vermehrte Muße für seine literarischen Neigungen und die zweifellos gute Aufnahme, deren er beim Prinz-Regenten und dem englischen Ministerium sicher sei, habe wohl manches Lockende für ihn ; aber da der Pariser Posten ihm einmal bestimmt sei ("qui une fois m'a été confié"), so halte er an ihm fest1). Noch eine andere unangenehme Nachricht stand in Hardenbergs Brief: Humboldt war mit der Vertretung Preußens am Bundestag bis zum Eintreffen des eigentlichen Gesandten Graf Goltz betraut. Auch hiergegen sträubt er sich; nur bis zur Beendigung der Verhandlungen der Territorialkommission, welche er optimistisch genug für den September erwartet, will er die Geschäfte führen. Ihn um des Bundestages willen länger in Frankfurt festzuhalten, heiße ihn um seinen wahren Posten betrügen ("ce serait me frustrer de mon véritable poste"). Das war jedenfalls deutlich gesprochen. Mehr noch, er kritisiert die Wahl des Grafen Goltz für die Vertretung in Frankfurt: der kenne sich in der deutschen Politik nicht aus und zu einer irgend schwierigen Arbeit sei er nicht imstande. Und wie er die Wahl für den Frankfurter Posten kritisiert, so die für den Pariser. Auch hier handelt es sich um einen Grafen Goltz, der 1814 auf Humboldts eigenen Vorschlag ad intérim mit der Führung der Geschäfte beauftragt worden war. Auch dieser Goltz war in Humboldts Augen außerstande, die Pariser Gesandtschaft mit ihren schwierigen Aufgaben richtig zu führen, irgend selbständig zu arbeiten. So schlägt er denn vor, Hardenberg möge ihn an seiner Stelle nach London schicken, zumal jener nie habe erwarten können, eine so schnelle Karriere zu machen. Auch dies ein Hieb und ein Vorwurf gegen den Kanzler. Ein anderer Punkt: Hardenberg hatte bei so viel Anlaß zum Ärgernis etwas Balsam in den Brief einfließen lassen, indem er für die Dotationsangelegenheit günstigen Fortgang verhieß. Am 1. Dezember 1815, vor neun Mo-

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naten hatte Humboldt seine Eingabe auf Hardenbergs Veranlassung gemacht; nun erwidert er diese Eröffnung mit vielem Dank und der Versicherung eines unbegrenzten Vertrauens in des Staatskanzlers Güte, dessen Ermessen er alles anheimstelle. Wenn der K ö n i g den Betrag der Einkünfte bestimmt habe, werde sich ja das Weitere finden 1 ). Alles in allem, der Brief ist ein Meisterstück von diplomatischem Ungeschick. Rückhaltlos läßt er den Staatskanzler in seine Bestürzung und Verärgerung hineinsehen, unbedacht erkennen, wie lebhaft er wünsche, seinen Einfluß in den Geschäften geltend zu machen, wie er den bedeutendsten Platz zum mindesten in der preußischen Diplomatie als gutes Recht für sich beansprucht. All dies mußte dem mißtrauischen Hardenberg Anlaß geben, in seiner Annahme von Humboldts ehrgeizigen Plänen sich zu bestärken. Und auf einem Punkt wird der Fürst besonders hellhörig gewesen sein: zweimal im Zusammenhang dieser Zeilen läßt Humboldt den König, von dem sonst in diesen Briefen die Rede nicht zu sein pflegt, als entscheidenden Faktor hervortreten. Diese Erinnerung an die oberste Instanz wird der Staatskanzler sich besonders gemerkt haben 8 ). Zum erstenmal schienen die Karten aufgedeckt; man konnte berechnen, mit welchen Trümpfen auf jeder Seite gespielt werden sollte. D a ß dieser Brief ein Mißgriff war, scheint Humboldt sehr bald gemerkt zu haben. Wenige Tage später folgt ein Schreiben, welches den Protestbrief in wesentlichen Punkten zurückzieht. Er erklärt, auch seine Neigung gehe auf den Londoner Posten; aber er wolle nur nach dem Nutzen des Königlichen Dienstes fragen und sich durchaus in Hardenbergs Entscheidung fügen, da er ja allein im Augenblick den Stand der Verhandlungen in Paris und London kenne und ein Urteil über ihre Bedeutung zu fällen vermöge. Der Brief ist unterzeichnet: "tout à Vous de coeur et d'âme" 5 ); was mochte der Staatskanzler denken, wenn er diese beiden Briefe miteinander verglich ? Vielleicht hat er noch andere Betrachtungen an die Briefe dieser Zeit geknüpft. Es war doch nicht nur Eigensinn, wenn Humboldt darauf bestand, nach Paris zu gehen, um dort die Verhandlungen über die Reklamationen auf Grund der Humboldt-Konvention zum Abschluß zu bringen. Preußen allein hatte sich beim zweiten Pariser Frieden für diese Forderungen eingesetzt, Humboldt war die treibende Kraft bei diesen Verhandlungen; er betrachtete sie als sein eigenes Werk. Niemand anders, am wenigsten dem vornehmen Grafen Goltz traute er die Zähigkeit und Verstandeskraft zu, um mit dem Widerstand der französischen Kommissare zum Ziel zu gelangen. Deswegen drängte er, je näher der Termin des voraussichtlichen Abschlusses rückte, um so mehr auf seine Abberufung von Frankfurt — freilich ohne Erfolg. Und seltKaehler,

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samerweise — wir greifen hier dem Gang der Dinge vor — behält Humboldt, als mit der Versetzung nach London im November die so erwünschte Erlösungsstunde von der Last der Frankfurter Geschäfte ihm zu schlagen scheint, es sich ausdrücklich vor, den Abschlußvertrag dieser Verhandlungen preußischerseits selbst zu redigieren 1 ). Weniger die Tatsache dieses Wunsches — obwohl auch sie erkennen läßt, daß Humboldt dem „Erfolg" nicht so abhold war, wie er es meist erscheinen lassen will, — als ihre Begründung ist für uns von Belang. Warum ist die Teilnahme an den abschließenden Verhandlungen für ihn so wichtig, „daß sogar eine Reise von London nach Frankfurt sich lohnen" würde? Bei solchen Verhandlungen stellten sich, so bemerkt Humboldt dem Staatskanzler, zum Abschluß immer eine Reihe strittiger Punkte heraus, die man nur klarlegen könne „durch tägliches Eingehen in das Detail der Geschäfte", wozu unter den Diplomaten meist wenig Neigung bestehe. Von seinen Kollegen werde unumwunden anerkannt, daß niemand so genau wie er die Einzelheiten der schwierigen Gebietsverhandlungen und der Rechtslage kenne; so sei der Wunsch allgemein, d a ß er bei dem Abschluß nicht fehlen möge, und er versichert dem Staatskanzler, der sich ja auf seine Exaktheit immer verlassen habe, er werde jeder Art von Irrtümern und Streitpunkten im Vertragsinstrument vorzubeugen wissen. "Vous vous fiez ä mon exactitude" — spricht nicht aus diesem Stolz über die ins einzelnste dringende Beherrschung des Stoffes mit überzeugender Stärke jener Trieb zur „Interpretation", der uns als das Bezeichnende an Humboldts diplomatischem Verfahren erschienen ist? Es ist jenes philologische Vergnügen an der Beherrschung des Stoffes bis jns kleinste, jener Zug zur Auslegung der gegebenen Verhältnisse, das Talent zur „Ausführung", welches hier ganz unmittelbar sich ausspricht. Seltsames Zusammentreffen! In der gleichen Lebensepoche, in welcher er zu dieser minutiösen Arbeit unendlicher Schreibereien und zeitraubender mündlicher Verhandlungen sich geradezu drängt, vollendet Humboldt unter letzter Ausschöpfung der Gesetze der Metrik — jenes abstrakten Grenzgebietes der poetischen Welt — die Übersetzung des Agamemnon, indem er an die Stelle eines mehr poetisch nachschaffenden Versuches das Ergebnis mühevoller philologischer Kleinarbeit setzt, das einzige Werk, das nach zwanzigjähriger Bemühung als abgeschlossene Arbeit vor ihm stand*). Wie enggezogen erwiesen sich die Grenzen der Wirksamkeit, in wie bescheidener und greifbarer Nähe waren die Ziele gesteckt auf der Höhe dieses Lebens, dem in der Jugend kein geringerer Preis wiftkte als „auf das Große und Ganze der Menschheit zu wirken, indem es auf sich und nur auf sich wirkt" I Oder klang hier etwas an von der verzichtenden und zugleich spornenden E r -

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kenntnis des größeren Freundes : „ . . . geh nur im Endlichen nach allen Seiten" ? Wohin auch in Humboldts Lebensbereich der Blick fällt, es ist immer und immer wieder die Interpretation, es ist die Kunst des Auslegens, welche ihn anzieht und bis an die Grenze führt des Produktiven, aber nie über sie hinaus in das heißbegehrte Land der Verheißung. Dieser im Dienst höchster Erkenntnis unermüdlich geübte Geist spannt sich freiwillig ein in die Fron lächerlich geringer Tagesarbeit, er sucht auf, was er einst gemieden und mißachtet: war dies der letzte Ausweg, um das Leben zwar nicht lebenswert zu finden, aber — um es ertragen zu können? Und weiter. Mitten in den höflichen und umständlichen Sätzen des Briefes vom 18. August steht es mit dürren Worten ausgesprochen: "la satisfaction principale dans les affaires est le succès" — „die wesentliche Befriedigung im Getriebe der Geschäfte ist der E r folg" 1 ). Eindringlich und erschütternd, wie der gequälte Schrei des um sein Mühen Betrogenen, der allen Verzicht und jede Entsagung versinken sieht — „jahrlang ins Ungewisse hinab" ! Welch ein Widerspruch gegen jedes Bekennen vom Sinn und Wert des Lebens, das zu wiederholen Humboldt sonst nicht müde wird! Welch ein Eingeständnis einer letzten und geheimen Schwachheit vor den Ohren des verständnislosen Freundes, der ein Gegner, der d a s Hindernis auf dem Wege zum Erfolge ist, war und bleiben wird, entrissen in dem Augenblick unerwarteter, schmerzlicher Enttäuschung! Es ist sein Bekenntnis wider Willen, daß die Wahrheit vom „Leben in Ideen und nur in Ideen" in ihrem Verkünder doch nicht Wirklichkeit geworden, daß sie eine halbe Wahrheit, daß sie, so sicher er in ihrem Besitz vor sich und vor anderen sich ausgibt, Aufgabe, noch unerreichte Aufgabe geblieben ist. Wohin verlor sich der Stolz der sich selbst genügenden Individualität, welche die Welt beherrschen wollte, indem sie in das eigene Ich sie aufnahm? "La satisfaction principale dans les affaires est le succèsI" Um die vom Staub der Archive angefressenen Papiere, mit halbem Auge vielleicht nur gelesen und von unachtsamer Hand ad acta gelegt, um das Bild des einsamen Mannes in der stillen Stube des Frankfurter Gartenhäuschens zuckt es wie Wetterschein aus Kämpfen der Titanen, die vom Himmel sich die Herrschaft über die Welt, über die Wirklichkeit ertrotzen wollen — und unvermögend niedersinken. Oder besagten diese Worte nicht mehr, als daß ein Diplomat, welcher in der Rolle eines Fremdlings unter seinesgleichen sich gefiel, das Scheitern wohl berechneter Erwartungen mit bitterem Ärger erkannte? Ob Hardenberg, wenn er diese Briefe mit einiger Aufmerksamkeit la9 und ihren erstaunlichen Inhalt erwog, wenn er noch dazu vielleicht einen Blick in den ihm zugesandten Agamemnon warf, — seine Teilnahme 21«

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für das Altertum war der Epoche seiner Jugendbildung entsprechend mehr auf Horaz gestimmt 1 ) — ob er dann nicht im Urteil über die Gefährlichkeit des „Rivalen" wieder schwankend geworden sein mag? In denselben Wochen, welche mit ihren Enttäuschungen ihm dies auffallende Eingeständnis abnötigen, hat Humboldt eine seiner bekanntesten diplomatischen Arbeiten entworfen: die Denkschrift „Über die Behandlung der Angelegenheiten des Deutschen Bundes durch Preußen". Sie ist in manchem Betracht von Bedeutung 2 ). Persönlich ist sie es vor allem deshalb, weil sie die erste große politische Arbeit seit Jahren ist, welche ganz aus seinem eigenen Gedankenkreis, in völliger Selbständigkeit erwachsen ist. Hier findet er sich nicht durch seine nachgeordnete Stellung zum Kanzler beschränkt auf die Ausführung erhaltener Richtlinien, nicht beengt durch den Rahmen einer vom Augenblick bedingten und auf nächste Ziele abgestellten Politik. E r kann seinen Gedanken freies Spiel gewähren auf dem ihm besonders gemäßen Felde der preußischen Außenpolitik. Deswegen wird gerade diese Denkschrift am besten die Vorzüge und die Grenzen seiner politischen Befähigung erkennen lassen. Ein schwerer Fehler Hardenbergs in der Einleitung der preußischen Politik am Bundestag hatte im Sommer 1816 die Voraussetzungen für die Stellung Preußens in Frankfurt sehr ungünstig gestaltet. Der als Vertreter am Bundestag in Aussicht genommene Gesandte in Kassel, von Hänlein, war auf Grund von vorläufigen Verhandlungen mit den Diplomaten, welche die Politik des Kaiserstaates in der alten Krönungsstadt vertraten, Graf Buol und Freiherr Wessenberg, dem schwer begreiflichen Irrtum verfallen, daß Metternich auf eine Zweiteilung des Bundesgebietes in einen österreichischen und einen preußischen, durch die Mainlinie geschiedenen Einflußbereich als Grundlage der gesamtdeutschen Politik bereitwillig eingehen werde. Auf Grund seiner Berichte hatte der Staatskanzler den Gesandten für seine künftige Tätigkeit angewiesen, dementsprechend mit dem österreichischen Präsidialgesandten Fühlung zu nehmen. Als Hänlein nun im Sommer zur Vorbereitung des Bundestages in Frankfurt eintraf und an Buol mit seinen offiziellen Eröffnungen herantrat, fand er eine sehr unerwartete Aufnahme. Der Österreicher lehnte das Projekt als unvereinbar mit der Bundesakte ab und zögerte nicht, die Vertreter der kleinen Staaten auf die Gefahren aufmerksam zu machen, welche ihrer Souveränität namentlich durch die für den Kriegsfall beabsichtigte Unterordnung eines Teiles ihrer Kontingente unter preußischen Oberbefehl drohte 8 ). Man war über die „revolutionären" Absichten Preußens allgemein entrüstet. Vor der Bedrohung ihres behaglichen Daseins durch den ehrgeizigen norddeutschen Führerstaat suchten die Kleinstaaten Schutz bei dem friedsamen Kaiserstaat, dessen Streben nach Ein-

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fluß, da seine Interessen großenteils außerhalb Deutschlands lagen, der kleinstaatlichen Souveränität ungefährlich war. Seine „Hegemonie war ein sanftes Joch, legte keine schweren Opfer auf; es war die läßliche Herrschaft eines reichen vornehmen Grundherrn über entfernte Hintersassen". Vor jener auf nationale Ehre und Größe gerichteten Politik, welche während der Freiheitskriege Preußen zum Vorkämpfer der Nation gemacht hatte, wollte man „im Reich" jetzt seine Ruhe haben. Nicht nur unbehaglich war die preußische Politik, sondern auch verdächtig des Strebens „nach eigenmächtiger Erweiterung seines Standpunktes im Deutschen Bunde"'). Preußen war gründlich unbeliebt, namentlich bei den Politikern der Rheinbundstaaten, welche erst im Herbst 1813, nach der Niederlage von Leipzig, den rettenden Anschluß an die Alliierten gefunden hatten. „Dies ist der natürliche Gang der menschlichen Leidenschaften; diejenigen, welche ein schlechtes Gewissen drückt, vergeben schwer denen, die rein sind, und doppelt schwer, wenn diese ihren Widerwillen gegen das Unreine energisch aussprechen", so charakterisierte Humboldt treffend den Hintergrund dieses rheinbündischen Preußenhasses. Das ungeschickte Verhalten seines Kollegen, welches dieser Stimmung neue Nahrung und den Schein des Rechtes verschaffen mußte, wurde von ihm scharf verurteilt'). E r hatte auch, noch ehe er nach Hänleins Abberufung mit der einstweiligen Vertretung des Bundestagsgesandten betraut wurde, seine Meinung über die Sachlage an Hardenberg geschrieben und versucht, die verfahrene Situation nach Möglichkeit einzurenken: der Staatskanzler müsse alle Fragen der Bundespolitik vorgängig mit Wien verhandeln; beide deutschen Mächte dürften nur in völliger Übereinstimmung in Frankfurt den übrigen Bundesgliedem gegenübertreten. „Der Bundestag ist eine Sache, die man sehr leicht behandeln muß, bei der es viel mehr darauf ankommt, nichts zu verderben, als zu tun." Diesen Hinweis hat der Fürst wohl angenommen; aber es war zu spät, um den begangenen Fehler auszugleichen'); die Verstimmung und das Mißtrauen der Kleinstaaten wurde nicht beseitigt. Auf dieses Ziel die Politik Preußens hinzulenken, war in der Hauptsache die Absicht von Humboldts großer Denkschrift. Ihren praktischen Grundgedanken hatte bereits jener Brief vom Juli ausgesprochen: die Abstellung der deutschen Politik Preußens auf die vorgängige Übereinstimmung mit dem Wiener Kabinett. Diese Quadratur des Zirkels aber'war unerreichbar — ausgenommen den Fall, daß Preußen unter der Ungunst der allgemeinen Machtverhältnisse vorderhand verzichtete auf jedes Streben, die Anwartschaft auf die Führung der Nation, welche seine militärische Leistung wie seine geistige Haltung während des letzten Krieges, endlich seine räumliche

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Gestaltung begründet hatten, in die Wirklichkeit umzusetzen. Und solchen Verzicht auf eine ausgesprochene Politik der nationalen Hegemonie empfiehlt auch die Denkschrift. Sie fand dafür die umschreibende Formel, daß „die Übereinstimmung der von Wien und Berlin ausgehenden Instruktionen der einzige Lebenshauch sei, welchen man dem monströsen Körper des Bundestages einhauchen könne". Bei der prästabilierten Harmonie der Wiener Interessen mit denen der staatlichen Kleinwelt, welche der nationalen Einigung von Haus aus widerstrebte, bedeutete diese Formel den grundsätzlichen Verzicht auf eine eigene Politik Preußens in der deutschen Frage 1 ). Übereinstimmend wird diese Stellungnahme als besonderer Beweis des Scharfsinns und als bedeutendes Beispiel der diplomatischen Einsicht Humboldts beurteilt. Sie findet ihren klarsten Ausdruck in dem Satz, daß es darauf ankomme, „den Bund zu behandeln, nicht wie er sein soll, ihn bloß so zu nehmen, wie er wirklich dasteht . . . es ist bei allem praktischen Verfahren zweckmäßig, die Dinge erst insofern zu betrachten, als man sie n i c h t ändern kann, ehe man fragt, wie man sie absichtlich benutzen will". Gewiß eine beachtenswert nüchterne Art, die Dinge zu betrachten — stimmte sie nur nicht so genau überein mit Humboldts angeborener Neigung zum „negativen Handeln" I Man möchte gerade um dieser Übereinstimmung willen zwischen des Mannes innerster Richtung und seiner Ansicht der politischen Lage daran zweifeln, ob nicht auch damals ein anderer Weg gangbar erschienen wäre. Konnte doch gerade in jenen Wochen über W. Humboldt das treffende Urteil gefällt werden, daß sein Geist durch eine „puissance étonnante de négativité" sich auszeichne*). Aber das Ziel, welches Humboldt der Berliner Politik angab, war wohl im Augenblick doch richtig gewählt. Denn gerade in dem Einvernehmen zwischen Wien und Berlin erblickte der Gesandte Frankreichs, der Graf Reinhard, die größte Gefahr für die von ihm gewünschte Beeinflussung des Bundestags durch die auswärtigen Mächte, welche sich als Garanten des Deutschen Bundes betrachteten. Der aus Schwaben gebürtige Gesandte Ludwigs XVIII. sah in Frankfurt den Kampfplatz, auf welchem das alte Spiel der französischen Diplomatie mit der „Ständischen Libertät" aufs neue in Gang zu setzen wäre zur Schwächung des deutschen Nachbarn, der eben erst dem Bourbonen den Weg zum Thron hatte ebnen helfen. Das war eine Anknüpfung an die säkulare Politik, welche Frankreich seit dem 17. Jahrhundert betrieben hatte. Aber der preußische Diplomat vermeidet es, etwa die Tradition der friderizianischen Politik aufzunehmen — offenbar unter der idealistischen Voraussetzung, die Hofburg ihrerseits werde, geleitet von dem gleichen Wunsch nach übereinstimmendem Auftreten beider Mächte gegenüber

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den Kleinstaaten, auf die Vorteile verzichten, welche die allgemeine Stimmung für den Ausbau ihrer Präsidialstellung mit sich brachte 1 ). Mag sein, daß der Eindruck des kürzlichen Scheitems der dualistischen Politik Hardenbergs so stark nachwirkte, vielleicht auch, d a ß der Vermittler von Österreichs Anschluß an das Kalischer Bündnis wirklich von der Möglichkeit einer reibungslosen Zusammenarbeit mit Wien für die Zukunft des Deutschen Bundes durchaus überzeugt war: jedenfalls — die Entwicklung der deutschen Dinge scheint in der Konstellation des Augenblicks für ihn zum Stillstand gelangt zu sein8). Denn Humboldt denkt nicht entfernt etwa auf Mittel, wie die gegebene Lagerung der Kräfte zugunsten Preußens verändert werden könnte. Ehrgeizige Gedanken, wie sie zur selben Zeit König und Minister des kleinen Württemberg erregten und bewegten, lagen dem Manne, dem man im Lager der kleinstaatlichen Diplomatie die verwegensten Absichten zutraute, völlig fern. Dafür erfüllte seine Arbeit die erste Forderung, welche an den guten Diplomaten zu stellen ist, und welcher durchaus nicht jeder, der sich dafür hält, genügt: d a ß er die Dinge sieht, wie sie wirklich sind, daß er sich den Blick für den wahren Sachverhalt nicht durch ein Wunschbild trüben läßt. Da er die Vorgeschichte der Wiener Verhandlungen, aus denen schließlich das Kompromiß der Bundesverfassung hervorgegangen war, kannte wie kaum ein anderer der preußischen Diplomaten, so wußte er, daß Besseres nicht zu erreichen war und daß man mit dem Erreichten sich abfinden müsse. „Nach der Lage, in welcher Deutschland im Herbst 1813 in die Gewalt der verbündeten Mächte kam, war es unmöglich nichts und unmöglich das Rechte zu tun. Was nun zwischen diesen beiden Extremen zustande kommen konnte, das ist die wahre Definition des Deutschen Bundes 8 )." Die Denkschrift liefert ein vollendetes Zeugnis für seine Meisterschaft in der diplomatischen Interpretation der Umstände, welche die Konstellation des Augenblicks ausmachen. Mit sorgfältiger Darlegung, deren Klarheit zuweilen unter der überspitzten Gedankenführung leidet, werden die Voraussetzungen auseinandergesetzt, welche aus den allgemeinen Machtverhältnissen des Staatensystems, aus der Rivalität Österreichs, aus der verärgerten Stimmung der kleineren Staaten, endlich aus der noch nicht „ins Gleichgewicht gesetzten" Struktur Preußens selber heraus die Berliner Politik zu diesem Einvernehmen mit Wien nötigen. Nach jeder Seite ist der Gegenstand durchdacht und in allen sich ergebenden Beziehungen dargestellt. Ein emsiger Fleiß und eine staunenswerte Geduld gehörten dazu, eine solche Arbeit bis in die kleinsten Einzelheiten eigenhändig auszuarbeiten. Sie würden für die Arbeitskraft des Mannes, dessen Geist in anderen und höheren Gefilden zu schweifen liebte, unbedingte

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Bewunderung erregen, — wenn man nicht wüßte, mit was für seltsamen Gedanken der Diplomat sein Handwerk betrieb. „Du glaubst nicht, wie mich das stille Leben anzieht, selbst bei uninteressanten Arbeiten", schreibt er um diese Zeit der Gattin. „Ich kann dabei ohne Schaden oft an sehr andere Dinge denken, das zieht viel weniger als die Menschen vom inneren Leben ab." Oder ein anderes Mal aus ähnlichem Anlaß: „indes, man m u ß immer arbeiten, wäre es auch nur für sich und für die, die einmal künftig ein altes Archiv durchblättern". Ob eine solche Einstellung zur Arbeit des Diplomaten, dem der Augenblick als Feld des Wirkens zugewiesen ist, eine erhebliche Bürgschaft des Gelingens enthielt? Mail wird den Zweifel daran noch weniger unterdrücken können, wenn der Eindruck der Subtilität mancher seiner Arbeiten auf der einen, auf der andern Seite der einer schwerfälligen Beweisführung bestätigt wird durch seine eigene Beobachtung: „ich habe gar keine Schnelligkeit und Leichtigkeit, die verschiedenen Beziehungen der Dinge und Ideen aufeinander zu f a s s e n , . . . bei Geschäften verbessere ich diesen Fehler nur durch Fleiß, Nachforschen und Beratschlagung mit anderen, und darum ist mir die größeste Aufmerksamkeit zur anderen Natur geworden. Ich habe gleich wenig den Geist des Ratens, Verbindens, Vermutens, habe nie ein Kartenspiel nur leidlich gelernt, und nie in der Philologie zu Kritik getaugt. Dieser Mangel schadet mir beim Gesandtenleben erstaunlich, er läßt sich durch nichts ersetzen, nur mehr oder minder verstecken. Ich bin gar nicht erfinderisch; es stellt sich mir alles mehr als Ordnung, denn als Mannigfaltigkeit dar." Gerade der letzte Punkt dürfte die entscheidende Kritik an dem Diplomaten enthalten: nämlich, d a ß sein Bedürfnis nach systematischer Ordnung, nach dem Erfassen des Lebens in „Formen" ihn daran hindert, die politischen Dinge in jenem „flüssigen Aggregatzustand" zu sehen, in welchem sie dem wirklichen Staatsmann erscheinen. Humboldt systematisiert, er „zerlegt", aber er überzeugt nicht, wie Gneisenau treffend bemerkt hat. Bedenklicher fast noch erscheint das andere Eingeständnis; daß dieser diplomatische Fleiß, daß diese emsige Kleinarbeit einmal Vorbedingung für ihn war, um an die „Wirklichkeit" auf verschlungenem Umwege heranzukommen, d a ß die Beflissenheit den unmittelbaren Blick, daß die Konstruktion die Intuition ersetzen mußte. Endlich, sein Amtseifer erhält seinen starken Antrieb aus jenem uns schon bekannten Gefühl des „frappanten Kontrastes" zwischen äußerem „Tun" und innerem „Sein". So sehr der „Augenblick" den emsigen Schreiber in Anspruch zu nehmen s c h e i n t , so weicht er zugleich der Wirklichkeit doch wieder aus in die fernen Bereiche des „inneren Lebens". Es ist jene alte romantisierende Stimmung, welche, während er mit dem Aufgebot aller erforderlichen

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Kräfte des Langen und Breiten über die Bundesverfassung sich ergeht, ihn den Vorbehalt machen läßt: aber dies ist, obwohl es Wirklichkeit ist, nicht mein eigentliches Ich, nicht mein wahres Wesen. Da aber dieses Ich jenes Kontrastes als Antrieb zur geistigen Bewegung bedarf, da es aus dem Kontrast heraus erst seines „wahren Lebens" sich bewußt wird, so dient die amtliche Beflissenheit wieder dazu, jenen „horror vacui" zu überwinden, welcher so oft als Gespenst am heiteren Horizont des Lebens aufgetaucht war. Denn wie würde W. Humboldt sonst, nach den Erlebnissen und den Erfahrungen der letzten 'Jahre, so zäh festhalten a n dem immer und immer als wesensfremd empfundenen und doch nicht aufgegebenen Beruf? An diesem Beruf, welcher tieferen Einfluß auf seine Lebensauffassung wie auf seine Lebensgestaltung gewinnen sollte, als er es je gedacht hatte, welcher aus einem „Mittel" zum Leben mehr und mehr zu einer sein Leben bestimmenden Macht sich wandelt. Wenn ein Metternich mit gesundem Instinkt den Grundsatz befolgte, nichts zu tun, was auch andere machen könnten, so hegte Humboldt eine Vorliebe für die eigene Erledigung auch geringer Obliegenheiten, offenbar weil sie ihn „ausfüllten" in einer Periode, während deren die Interessen seiner Jugend mehr und mehr in den Hintergrund traten, in welcher auch eine Rezeptivität größten Umfanges, wie er sie besaß, ihre Grenze erreicht zu haben scheint. Denn es drängt sich die Beobachtung auf, wie wenig Spuren eines geistigen Mitgehens mit der philosophischen und literarischen Bewegung nach 1813 in den Briefen dieser Jahre sich finden, vergleicht man sie mit den Zeugnissen der früheren Jahrzehnte. Der vorgebliche „Staatsmann" hegte andererseits eine offenkundige Abneigung, ein tiefwurzelndes Mißtrauen gegen die politischen Antriebe, welche mit einer ihm fremden Leidenschaftlichkeit in das geistige Gebaren der neuen Zeit eindringen wollten. Denn, so argumentiert er, „man weiß bis jetzt wohl, welche bedeutenden Vorzüge in geistiger und wissenschaftlicher Bildung die deutsche Nation, solange sie keine politische Richtung nach außen hatte, erreicht hat, aber es ist noch unausgemacht, wie eine solche Richtung in dieser Rücksicht wirken würde". Die geistige Lage des Mannes war demnach auch in diesem Augenblick ungemein verwickelt1). Aus solcher im Grunde wieder unpolitisch gewordenen Stimmung auf der einen Seite, auf der anderen aus der klaren Einsicht in die politische Unbrauchbarkeit der Bundesverfassung, „deren radikaler und nicht abzuändernder Fehler gänzlicher Mangel aller exekutiven Gewalt ist", erwachsen als Ergebnis die Ratschläge, welche er dem Kanzler für die preußische Politik beim Bundestag erteilt. Wenn der Bund als solcher wegen seiner Konstruktionsmängel ein passives Dasein wird führen müssen, ohne „viel mit wirklichem Handeln auszuführen", so wird die

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Rolle Preußens innerhalb des Bundes sich dieser Gesamtlage anzupassen haben. Sie wird darauf hinauskommen, „moralische Eroberungen" anzustreben, wie ein später geschaffenes Schlagwort diese Art von Politik bezeichnet hat. Es gehöre, so meint Humboldt, „zu der moralischen Stärke, welche Preußen sich verschaffen muß, der Beschützer und Wiederhersteller des verdunkelten Rechts zu sein", namentlich bei der „Verbesserung der Bundesakte" in den Fragen der Ständeverfassung, des Bundesgerichts, der Garantie der Verhältnisse der Mediatisierten. Da diese „ideelle" Aufgabe aber, wie Humboldt weiß, sehr bald mit den „reellen" Interessen namentlich der süddeutschen Höfe zusammenstoßen kann, so müsse dafür gesorgt werden, daß Österreich sich der Teilnahme „an der ganzen gehässigen Rolle" nicht etwa nach gewohnter Weise entziehe. Ein Mittel, wie die Belastung der realen Politik durch die ideale Aufgabe vermieden werden könne, weiß er allerdings nicht anzugeben; der ins freie Feld moralischer Eroberungen führende Weg erscheint nicht durchaus gangbar 1 ). Obzwar Humboldt viel von jener moralischen Offensive spricht, so beweist er doch wieder einen guten Instinkt für die wahren Bedingungen der Politik, wenn sein Rat dahin geht, durch eine feste Politik des inneren Ausbaues so schnell wie möglich den Staat in eine „imponierende Stellung" zu bringen. Dann werde es gelingen, die kleineren Nachbarstaaten Preußens „in sein politisches und selbst administratives System bis auf einen gewissen Punkt zu verweben". Darum müsse die Berliner Politik am Bundestag sich zurückhalten, dafür aber „im einzelnen politischen Verkehr, wo es einzeln sich Vorteile ausbedingen und Vorteile gewähren kann", mit den kleineren Staaten in Fühlung treten. Gewiß, dies bedeutete den Hinweis auf den Weg der Zollvereinspolitik, mit welcher Preußen die norddeutschen Staaten „immer stillschweigend und nicht auf beleidigende Weise" in sein „administratives System" verwebt hat. Sollte es wirklich W. Humboldt selbst sein, welcher diesen einfachen und bedeutsamen Weg zur politischen Wirksamkeit von sich aus gesehen und gewiesen hat ? Der ganze Zusammenhang, in welchem diese Sätze stehen, hebt sich so spürbar ab von den voraufgehenden, ganz allgemein gehaltenen Ausführungen, mancher dieser Gesichtspunkte schmeckt so deutlich nach einer genauen Kenntnis der Verwaltungspraxis auch in den unteren Bereichen, daß man an der Urheberschaft Humboldts zu zweifeln beginnt. Würde die Vermutung fehlgreifen, daß hier die Nachwirkungen seiner längeren Zusammenarbeit mit dem späteren Schöpfer des Zollvereins, dem damaligen Erfurter Präsidenten v. Motz zur Geltung gekommen sind 2 )? Man möchte es um so mehr glauben, als der Verfasser der Denkschrift in ihrem Fortgang sehr bald wieder von solcher Wirklichkeitsnähe zu dem

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vertrauteren Bereich allgemeiner Erwägungen zurückkehrt. Nachdem über die voraussichtliche Haltung Preußens innerhalb des Bundessystems einigermaßen Klarheit geschaffen ist, schließt sich notwendig daran die Frage nach der künftigen Stellung des Bundes im System der europäischen Mächte. Auf dem Gebiet europäischer Politik will der preußische Minister offenbar mit der Unzulänglichkeit des deutschen Bundes nicht nur aus Not sich begnügen. Vielmehr findet er mit der außenpolitischen Nichtigkeit des schwerfälligen Staatengebildes vom preußischen Standpunkt sich ab mit der nüchternen Erwägung, daß die Auswärtige Politik der Großmacht Preußen keinesfalls dadurch, daß der „Bund" als solcher eine eigene Außenpolitik mit kleinstaatlicher Gefühlsbetonung zu treiben beginne, „in die Fesseln der Kleinen und Vielen" geraten dürfe. Auf diesen wichtigen Punkt hat Friedrich Meinecke mit Nachdruck hingewiesen. Zugleich hat er gezeigt, daß Humboldt sich dabei in einen unlösbaren Widerspruch verwickelt, wenn dem Bund zwar als eigentlicher Zweck die Aufgabe gestellt wird, die Unabhängigkeit des Bundesgebiets gegenüber dem Ausland in der Form der politischen oder militärischen Verteidigung zu wahren, zugleich aber ihm versagt wird, eine selbständige Außenpolitik zu treiben. „Der Bund sollte", so hat Meinecke das Problem formuliert, „nationalpolitische Funktionen ausüben, ohne nationalpolitische Autonomie zu genießen" 1 ). Das Unbehagen, mit welchem Humboldt den Bund und seine europäische Lage betrachtet, stammt aus tieferen Schichten seiner geistigen Welt, die uns nicht ganz unbekannt sind. Auf die Übereinstimmung zwischen seiner persönlichen Neigung zum „negativen Handeln" imd der „mehr abwehrenden, negativ einwirkenden, Unrecht verhindernden" Rolle, welche er dem Bunde im allgemeinen zuweist, sind wir schon aufmerksam geworden. Ganz entsprechend wird des Bundes europäische Aufgabe dahin bestimmt, „daß das ganze Dasein des Bundes auf Erhaltung des Gleichgewichts durch innewohnende Schwerkraft, auf die Sicherung der Ruhe" in Europa berechnet sei. Da der „Bund an sich viel zu lose und locker sei, als daß er eine durch sich selbst bestehende Kraft besitzen könne", so könne und dürfe er auf dem Felde der europäischen Politik unter keinen Umständen, „wie ein einzelner Staat, nach Rücksichten des gemeinen Wohls oder der Konvenienz aus eigener Bewegung Entschlüsse fassen". Aber in der Ohnmacht allein liegt das Hindernis nicht. Der Bund gehört für Humboldt in das System der „intermediären Staaten", denen die Rolle zugefallen ist, die beiden „Flankenmächte" Europas, Rußland und Frankreich, „auseinanderzuhalten", und zwar so auseinanderzuhalten, daß die Zwischenstaaten, nämlich Österreich und Preußen, aufs sorgfältigste vermeiden müssen, etwa der einen Flügelmacht sich gegen

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die andere zu bedienen. Sonst würden jene die Gelegenheit wahrnehmen, sich im Bereich der Zwischenmächte, d. h. Mitteleuropas, einzumischen und festzusetzen. Das war seine Ansicht des Staatensystems im Herbst 1815 gewesen. Sie gründet sich auf die Voraussetzung, daß die intermediären Staaten „von Natur friedlich" und darum für die Aufgabe besonders bestimmt seien, mit der Isolierung der Flankenmächte die Ruhe Europas zu sichern 1 ). Waren die Großmächte Österreich und Preußen „von Natur" auf eine Politik der Ruhe und Sicherheit gestellt, wieviel mehr mußte das machtlose Staatswesen des Bundes von jeder Möglichkeit zurückgehalten werden, „als ein neuer kollektiver (Staat) . . . in gleichsam willkürlicher T ä tigkeit" in Verwicklungen zu geraten, in denen er „bald für sich handelte, bald einer oder der andern großen Macht zu Hilfe oder zum Vorwande diente; . • . niemand könnte daïin hindern, daß nicht Deutschland als Deutschland auch ein erobernder Staat würde, was kein ächter Deutscher wollen kann". Ein ungemein bezeichnender Satz! Sein Verständnis wird erleichtert, wenn man annimmt, daß für Humboldt, welcher ein Jahr zuvor mit aller Energie auf die Abtrennung der späteren Reichslande von Frankreich gedrungen hatte, ein „erobernder" Staat jede Macht war, welche noch nicht auf die Ausdehnung ihres Einflusses und ihres Besitzstandes verzichtet hatte. Gerade nach dem Fehlschlag von 1815 mußte dem Deutschen Bunde, wenn er eine selbständige Politik anstrebte, die Rückgewinnung des Elsaß an erster Stelle stehen, und mußte es um so mehr, als die Sicherung der Rheingrenze die wesentliche Voraussetzung für die friedliche Rolle der „Zwischenstaaten" war, wie Humboldt selbst es eindringlich dargelegt hatte. Wie er die inneren Verhältnisse des Bundes, so wie sie geworden waren, als „endgiltig" zu betrachten sich dialektisch nötigte, so tat er es auch mit den europäischen Beziehungen, in welche der Bund als solcher hineingestellt war. Wie er Preußen auf das Gebiet der moralischen Eroberungen verwies, so den Bund und mit ihm seine beiden führenden Großmächte auf die Rolle der die Ruhe Europas tragenden „puissances intermédiaires". Die doppelte Rolle war „passiv" oder bestenfalls „negativ handelnd", sie war andererseits von „Ideen" bestimmt: in doppelter Beziehung also spiegelte sich in dem politischen System, welches er entwarf, die Natur des Mannes selbst. Aber hinter der sorgfältigen und zwingenden Darstellung, d a ß die Dinge so bleiben müßten, wie sie nun einmal seien, verbirgt sich etwas wie Furcht, daß in diesen politischen Gebilden, denen er jetzt ein logisches Halt auf dem Wege ihres Wachstums gebieten möchte, Kräfte lebendig wären, welche die zarten Fesseln logischer Deduktion und ethischer Ideen einmal sprengen könnten. Mit Sorge wehrt

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er den Gedanken an eine preußische Machtpolitik ebenso ab wie den einer Machtpolitik des Bundes. Für den Augenblick, welchen er zu „interpretieren" hatte, war Humboldt zweifellos mit seinen Gründen im Recht; nicht ebenso für kommende Zeiten. Treffend hat man im Blick auf diese Gedanken geurteilt: „so groß Humboldts Diagnose war, so ungenügend seine Therapie" 1 ). Denn er vermag nicht die Befürchtungen und Sorgen zu bannen, welche hinter seiner sicheren Beweisführung zu spüren sind. E r scheut davor zurück, über den nächsten Augenblick hinaus die Folgen durchzudenken, welche aus der staatlichen Einigung des deutschen Volkes, so kümmerlich der Anfang mit dem Bunde auch war, notwendig hervorgehen mußten; er scheut sich, die Frage zu stellen, was aus Preußen innerhalb des Bundes, was aus dem Bund innerhalb Europas werden mußte, sobald einmal von einer Macht, welche dem Einfluß der „intermediären Staaten" sich entzog oder diese sich dienstbar machen wollte, das bestehende System der Mächte gestürzt werden sollte. Vor allem vermeidet er die Frage, ob die „intermediären Mächte", ob der Bund mit den beiden Großstaaten auf die Dauer selbst bei diesem intermediären System sich beruhigen würden und könnten. Jedoch, die Scheu vor diesen Fragen ist begreiflich. Denn es fehlte jener Zeit durchaus an der Erfahrung, wie der Bestand eines politisch starken Deutschland von der europäischen Staatengesellschaft aufgenommen werden würde. Seit 1648 war das Deutsche Reich das Objekt der Außenpolitik seiner Nachbarn gewesen; selbst 1815 waren noch nicht alle Flaggen fremder Kronen vom deutschen Boden verschwunden. Eine neue Epoche europäischer Geschichte sollte trotzdem jetzt beginnen. Humboldt ahnte, daß ein starker deutscher Staat durch sein Dasein an sich schon den Spielraum der übrigen Staaten in Europa beengen mußte. Darum wollte er dieser Entwicklung Stillstand gebieten. Denn er ahnte, was man in den „geistigen" Kreisen Deutschlands noch bis 1914 nicht begriffen, daß die Nation, wenn sie eine „politische Richtung nach außen nehme", d. h. wenn sie stark und frei werden wollte wie die anderen Nationen, daß sie dann eine andere Stellung zum wirklichen Leben, zur „Welt" und zum „Geist" gewinnen mußte. Und diese Entwicklung war ihm unwillkommen, weil sie gegen sein eigenes Wesen anging. Seine Gedanken lassen die Naht erkennen, welche die Bewegung des deutschen G e i s t e s , die er miterlebt und bejaht hat, verbindet mit der Bewegung des deutschen W i l l e n s , die er vorausahnt als etwas, was kommen muß, wenn die deutsche Einheit aus dem Bereich der postulierten Idee übergeht in den der politischen Realität; es ist in ihnen wie ein Bangen vor dem Weltengeschick des aufsteigenden Jahrhunderts.

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Während diese große Arbeit entstand, hatten Humboldts Zukunftsaussichten eine unerwartete Wendung genommen. Spät genug erfuhr er davon, denn die Auslandsreise des Staatskanzlers verzögerte noch die ohnehin nicht sehr verläßliche Geschäftsführung seines Büros. Unter dem 13. Oktober, noch auf der Rückreise in Stralsund, ließ Hardenberg ihm die Nachricht zukommen, daß der Herzog Richelieu, der Außenminister der Restauration, im Namen seines Königs dringend gebeten hatte, den interimistischen Vertreter Preußens, Graf Goltz, in Paris zu belassen. Die Dringlichkeit dieser Bitte enthielt die deutliche Erklärung Humboldts als persona minime grata. Sie konnte ihm nicht überraschend kommen, und der Grund dafür lag auf der Hand. Humboldt stand den Franzosen von den Friedensverhandlungen her noch in unliebsamer Erinnerung als entschiedener Vertreter jener Ansicht, welche der gemein-europäischen Phrase von der „verführten 'Nation", die dem Usurpator 1815 nur wider WUlen Gefolgschaft geleistet habe, die nüchterne Erkenntnis entgegenstellte, daß man die Nachbarn vor den Folgen dieser leichten Verführbarkeit sichern müsse. Außerdem war sein Name verknüpft mit jenen Reparationsverhandlungen, welche Frankreich dazu bringen sollten, die Verpflichtungen des ersten Pariser Frieden endlich auszuführen. Schon seine damalige Haltung bei den Friedensverhandlungen und was in der Öffentlichkeit über sie bekannt geworden war, mußte das französische Ministerium seine Rückkehr als unerwünscht betrachten lassen. Gerade seine Person hätte an die Bundesgenossenschaft der Bourbonen mit den Alliierten von 1815 erinnert. Seine Betrauung mit der Gesandtschaft würde der These der Opposition, daß Frankreich in zwei Völker zerfalle, die Sieger und die Besiegten von Waterloo, neue Nahrung gegeben haben. Seine diplomatische Vergangenheit ließ ihn als Belastung für die französische Innenpolitik erscheinen. Aber das wird es nicht allein gewesen sein, was das französische Ministerium zu dem Wunsch, Wilhelm Humboldt von Paris fernzuhalten, veranlaßte. Ein anderer Gesichtspunkt mochte hinzukommen. Seit zehn Jahren lebte Alexander Humboldt in Paris, berühmt als Forscher in aller Welt; bei den leitenden Politikern der Restauration ohne Zweifel ebenso berüchtigt als entschiedener Parteigänger der Liberalen und überhaupt jeder Opposition. Sein Liberalismus ging schon dem Bruder zu weit, der überdies in der Salonpolitik Alexanders durchaus jede Grundlage ernstlichen Nachdenkens über den Staat vermißte. Wieviel mehr mußte er dem legitimistischen Royalismus ein Dorn im Auge sein! Beweis genug dafür, daß die Pariser Geheimpolizei die so unleserlich geschriebene Korrespondenz des großen Gelehrten einer genauen Beaufsichtigung für wert

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hielt. Damm durfte neben dem jüngeren nicht auch noch der ältere Humboldt in Paris erscheinen; obwohl aus ganz verschiedenen Gründen, waren die Brüder dem damaligen Ministerium gleichmäßig unerwünscht. Hardenberg kam dies neue Moment offenbar sehr gelegen. Denn wenn er jetzt in freundschaftlich höflichen Formen Humboldt lebhaft zuredet, sich für London zu entscheiden, so befindet er sich außer Reichweite all der stillen und lauten Einwände, welche Humboldts Schreiben vom 18. August erhoben hatte. Der Brief, mit dem er ihn von der neuen Lage im Augenblick seiner Rückkehr aus Dänemark verständigt, bewegt sich in den liebenswürdigsten Ausdrücken; man spürt dem Schreiber die Erleichterung ab. Denn nun, wo er weiß, daß jener die nächsten Jahre jenseits des Kanals verbringen wird, fordert er ihn auf, ihn vor dem Abgang nach London in Berlin aufzusuchen, — ein erstes Eingehen auf die so oft wiederholten Anregungen Humboldts. Freilich die Frist dieser Begegnung von 8—10 Tagen bestimmt der Kanzler schon jetzt: jede Aussicht auf ein längeres Verweilen im Mittelpunkt der Politik sollte im Vorhinein genommen sein1). Wie nahm Humboldt diese Nachricht auf? Seine Antwort ist vom 23. datiert, bei d6n damaligen Verbindungen wird sie ziemlich unmittelbar nach dem Eintreffen von Hardenbergs Schreiben aufgesetzt sein. Kurz vorher jedoch hatte er am Ende eines weniger gewichtigen Briefes an den Fürsten einfließen lassen, ob er nach dem für bald zu erwartenden Abschluß derTerritorialverhandlungen nach Berlin oder London gehen solle, stelle er unter den Gesichtspunkt des Besten des Königlichen Dienstes und in das Ermessen des Kanzlers; nur bitte er sehr um schnelle Entscheidung. Von Paris also ist keine Rede mehr, obwohl der letzte, im September erhaltene Brief Hardenbergs ihm die baldige Übersiedelung dorthin in Aussicht gestellt hatte. Wie ist das zu erklären? Ein anderer Brief vom 15. Oktober gibt darüber Auskunft8). Schon vor dem Eintreffen des Stralsunder Briefes war in Frankfurt Richelieus Schreiben und Humboldts E r n e n n u n g nach London bekannt und besprochen worden. Das konnte Zufall sein, vielleicht eine Indiskretion aus Hardenbergs Büro, wo der diplomatische Referent Jordan in Humboldt besonders ungern den kommenden Mann sah; es wurde von Humboldt wohl so aufgefaßt und beurteilt. Vermutlich aber war es Absicht: Humboldt sollte in aller Öffentlichkeit einer vollendeten Tatsache sich gegenübersehen und damit jeder weiteren Verhandlung die Aussicht auf Erfolg abgeschnitten sein8). Hätte er damals das Unfreundliche dieses Verfahrens nach seinem ganzen Umfange übersehen, so wäre er aus der optimistischen Auffassung seiner Lage und Zukunft wohl noch unsanfter aufgeschreckt, als es bereits

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der Fall war. Der ungewöhnlich lange Brief vom 23. Oktober macht auch diesmal aus seiner Verstimmung kein Hehl. E r beginnt zwar mit dem Dank dafür, daß der Staatskanzler seinen Wünschen zuvorgekommen sei mit der für London getroffenen Entscheidung; denn nur auf eine Entscheidung seiner Lage sei es ihm angekommen : es ist wieder die Betonung des f o r m a l e n Momentes unter scheinbarer Nichtachtung der sachlichen Bedeutung dieser Entscheidung. Aber er erinnert doch daran, daß Hardenberg in Paris, als Humboldt ihn auf seine geringe Beliebtheit bei den Franzosen aufmerksam machte, die Frage des agrément für nebensächlich erklärt habe. Wenn der Fürst jetzt meine, daß Goltz, abgesehen von seiner Eigenschaft als persona grata, auch eine gleichwertige Geschäftsführung erwarten lasse, so sei diese Lösung im Interesse des Dienstes zweifellos die beste. Noch mehr nach Ironie schmeckt es, wenn Humboldt dann versichert, er erkenne es dankbar an, daß der König ihm nach den Jahren angestrengter Arbeit auf dem unter manchem Gesichtspunkt anziehenden Londoner Posten eine erwünschte Zeit der Muße gewähren wolle. Gleichzeitig müsse er, beginnend mit dem T a g des Frankfurter Abschlusses, einen Urlaub für drei Monate erbitten, um seine Vermögensangelegenheiten, für welche der Staatsdienst seit 1810* ihm keine Zeit mehr gelassen habe, zu ordnen. Dann bemerkt er, mit dem GesandtenGehalt von 25 000 Th. könne er in London nicht bestehen : der K ö n i g , der ihm diese Mission übertrage, könne nicht wollen, daß man in seinem Dienst sich ruiniere. Falle ihm die Dotation zu, so solle von einer Gehaltserhöhung allerdings nicht die Rede sein. Ferner könne er seiner Frau und Tochter wegen ihrer leidenden Gesundheit die Reise nach England während des Winters nicht zumuten. Da in London ja aber keine dringenden Geschäfte zu erledigen seien, so könne dem Urlaub ein dienstliches Hindernis nicht entstehen. Nach Ablauf dieser freien Zeit freue er sich darauf, etwa eine Woche in Hardenbergs Gesellschaft zu verbringen 1 ). Die Versicherung seiner bleibenden dankbaren Ergebenheit konnte den Staatskanzler gewiß nicht darüber täuschen, daß er sich die Verpflanzung Humboldts jenseits des Kanals zu leicht vorgestellt hatte. Mit Gewandtheit legte Humboldt ihm Hindernisse in den Weg, die schlecht zu beseitigen waren. Der Urlaub war gut begründet und nicht zu versagen, die Geldfrage unangenehm und weitläufig; wer konnte wissen, ob im Frühjahr der Gesundheitszustand der Humboldtschen Damen ihnen die Reise erlauben würde? Während des Urlaubsvierteljahres blieb Humboldt nun einmal diesseits des Kanals und damit als ungewisser Posten im Bereich aller möglichen Kombinationen. Und mochte Hardenberg auch sich und andere daran erinnern, daß, solange mit der Aussicht auf Paris die Rückkehr in die große Politik für Humboldt winkte, die Vermögens-

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läge einen Urlaub nicht zu erzwingen und die Gesundheit der Damen mit einer Reise durch das spätherbstliche Frankreich keineswegs unvereinbar schien — es half ihm nicht darüber hinweg, daß diesmal die Trümpfe beim Gegner saßen. Immerhin, Humboldt hatte den Londoner Posten angenommen und damit wenigstens zunächst auf eine Verwendung in Berlin verzichtet. So wurde der Urlaub zugestanden. Aber die Spannung blieb, trotzdem Humboldt, nachdem die erste Gereiztheit verflogen, in den alten Ton einlenkte, mit Versicherungen seiner Anhänglichkeit nicht sparte und neben wichtigen Arbeiten dem Kanzler amüsante Berichte über die Eröffnung des Bundestages und die Vorfälle des täglichen Lebens sandte, untermischt mit gelegentlichen dringlichen Mahnungen, daß die Berliner langsame Geschäftsführung die Verhandlungen in Frankfurt nicht zu sehr aufhalten dürfe. Auch wird es Hardenberg nicht besonders lieb zu hören gewesen sein, daß König und Königin von Württemberg bei ihrer Anwesenheit in Frankfurt Humboldt wie Stein mit Gunstbezeugungen und Einladungen ausgezeichnet, und daß der König eingehend mit ihm die Politik am Bunde besprochen habe 1 ). Was ging das den Gesandten in London an? Länger, als je gefürchtet, zog der Abschluß der Verhandlungen sich hin. Endlich am 10. Januar meidet Humboldt, d a ß er morgenden Tages Frankfurt verlasse, um seine thüringischen Güter aufzusuchen; er hoffe im Frühjahr Hardenberg in Berlin umarmen zu können. Der Aufenthalt in Frankfurt habe länger gedauert, als zu erwarten gewesen. Aber Humboldt habe sich in Frankfurt sehr gefallen und sei von dem dort verbrachten Jahr um so befriedigter, als er sich der Zufriedenheit des Kanzlers mit der hier geleisteten Arbeit schmeicheln dürfe 8 ). Wie sollte man nun diesen Brief wieder verstehen? Wie stimmte sein Inhalt zu jenem „libera me, clementissime Princeps, ab omni peccato et omni consortio cum Buolio et ceteris legatis Germanicis" ? Wie zu dem immer wiederholten Drängen um Abberufung 8 )? Verschoben sich diesem Manne die Maßstäbe so schnell und gründlich? Was war hier ernst und aufrichtig gemeint, was Ironie oder gar blanker Hohn? Was für weitausschauende Pläne bargen sich hinter dieser Leichtigkeit, mit der eben Erstrebtes aufgegeben, eben noch Abgelehntes bejaht wurde 4 )? An die innere völlige Gleichgültigkeit Humboldts zu glauben, das ließ weder dessen emsige Tätigkeit und Beeiferung um seinen Beifall für diese noch Hardenbergs Temperament und Gesichtskreis zu. So konnte das Ergebnis dieses Jahres kein anderes sein als die Steigerung des dem Kanzler natürlichen Mißtrauens. Die nächsten Wochen schon ließen es gerechtfertigt erscheinen. Noch von der Reise in die winterliche Stille nach Auleben und Burgömer sendet Humboldt freundschaftliche Briefe mit dem Ausdruck des Dankes, daß Kiebler,

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der Staatskanzler ihm diesen seltenen Genuß ländlicher Einsamkeit ermöglicht habe. Ausführlich berichtet er über seinen Besuch am Weimarer Hof, über die Stimmung seiner Gutsnachbarn, welche aus westfälischer Herrschaft unter die preußische Krone zurückgekehrt zu sein nicht in jeder Hinsicht zu begrüßen Anlaß hätten. Nichts in diesen Briefen läßt vermuten, was für eine Wandlung in des Schreibers Gesinnung sich inzwischen vollzogen haben mußte 1 ). Da geht am 4. Februar ein Brief an den Kanzler ab, den dieser nur als völligen Frontwechsel, als persönliche Absage auffassen konnte; beigelegt wurde eine Eingabe an den König, welche Humboldt so bald als tunlich zu überreichen bittet. Hier das Wesentliche des Inhalts*). Das Urlaubsende und damit der Termin der Übersiedelung nach England rücke heran, ohne daß Humboldt seit dem 29. Oktober, also seit drei Monaten, eine Zeile von Hardenberg, ja nicht einmal seine offizielle Ernennung nach London zu Gesicht bekommen habe. Diese Sache wünsche er vor seinem Eintreffen in Berlin geregelt zu sehen. Da der Fürst ihn habe wissen lassen, eine Gehaltserhöhung werde nur schwer vom König zu erreichen sein, so wende er sich unmittelbar an diesen. Dies sei der natürliche Weg; er wolle dem Staatskanzler mit solchen persönlichen Anliegen nicht lästig fallen. Vielmehr bitte er ihn, die Entscheidung des Königs — Humboldt hatte mit Rücksicht auf seine Vermögenslage die Annahme der Londoner Gesandtschaft von einer Festsetzung seines Gehaltes auf eine dem Betrag von 5000 Pfund entsprechende Summe in Thalern abhängig gemacht — in keiner Weise zu beeinflußen. E r erklärt, keinesfalls werde er sich mit einer geringeren Summe begnügen; die Summe sei erforderlich, wenn er sich nicht im Dienst des Königs ruinieren wolle, was dieser nicht verlangen werde und könne. Wolle man diesen Betrag nicht bewilligen, so werde leicht ein reicherer Bewerber sich finden lassen; ihm liege nichts an diesem Posten. Biete man ihm weniger, so werde er das als persönliche Verletzung empfinden und nicht darauf eingehen. E r handele nicht mit dem König und könne daher verlangen, daß auch mit ihm nicht gehandelt werde. Was weiter die Dotation angehe, auf welche Hardenberg ihm Hoffnung gemacht habe, so habe sie für ihn nur Wert, falls der König von sich aus die Verleihung begründet finde®). Es war der unverbindlichste Brief, welchen Hardenberg von seinem „teuersten Humboldt" je erhalten hatte, wenn er sich auch durchaus in den Formen gebührender Höflichkeit hielt; aber von freundschaftlicher Gesinnung ist nichts zu spüren, selbst der Schluß des Schreibens ist ganz offiziell gehalten 4 ). Nicht nur persönlich genommen, war der Brief für Hardenberg unerfreulich — ganz abgesehen von der unangenehmen Tatsache, daß jener

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unmittelbar an den König sich wandte. Dies Schreiben stellte vielmehr alles in Frage, was der Staatskanzler mit Humboldts Ernennung nach London erreicht zu haben glaubte. Denn selbst diese, und das war ein Schritt Humboldts, zu welchem ihn nur die versäumte Ausfertigung seiner Ernennung den rechtlichen Vorwand an die Hand gab, wurde damit in Frage gestellt. D a ß Humboldt persönlich und nicht offiziell mit der Entscheidung Hardenbergs sich einverstanden erklärt und die Berufung angenommen hatte, konnte hiergegen nicht eingewandt werden'). Die Verlegenheit für Hardenberg war groß 8 ). Alle anderen Posten von Bedeutung, selbst Frankfurt, waren besetzt. Gelang es nicht, den König zu der Gehaltserhöhung zu bewegen, so konnte Humboldt nicht gezwungen werden, seine Familie mit der Annahme eines Gesandtenpostens zu schädigen, welcher überdies als „peu affairé" vom Fürsten selbst bezeichnet war. Ging Humboldt nicht nach London, dann gab es keinen Grund, ihn von dem Ort fernzuhalten, wo Hardenberg am wenigsten ihn zu sehen wünschte — von Berlin. Blieb er in Berlin oder in Tegel, ohne daß man sich seiner für den Staat bediente, so fragte alle Welt, warum der Mann, welcher Preußen auf zwei Kongressen vertreten und zwei Friedensschlüsse unterzeichnet hatte3), keine Verwendung zum Besten des Staates finde. Dann war die Spannung offenbar, dann war Humboldt der gegebene Mittelpunkt für jede Opposition im Staatsrat, den der Staatskanzler eben jetzt erst wieder ins Leben rufen wollte, dessen Mitglied Humboldt noch von 1809 her war und den er, wie Hardenberg wissen mußte, als das eigentliche Feld seiner politischen Tätigkeit betrachtete. Und persönlich verletzend für Hardenberg war die Absage in der Dotationssache, welche außerdem in schroffem Gegensatz stand zu Humboldts sonstigen Erklärungen 4 ). Daß diese ganze Verlegenheit entstanden war, daran mußte Hardenberg sich und seinen Versäumnissen die Schuld geben; er hatte das Verhältnis mit Humboldt zu leicht, er hatte es falsch behandelt. Wenn die Verärgerung des Mannes, auf dessen Schultern noch die ganze Last der Staatsgeschäfte ruhte, gegen Humboldt im Wachsen war, so ist das wohl begreiflich. Und wenn er, als mit dem nächsten Posttag ein Brief aus Burgörner eintraf, welcher vom Genuß des Landlebens bei dem milden Vorfrühling dieses Jahres berichtet, freundschaftliche Grüße von Bruder Alexander übermittelt und über dessen Auszeichnung beim letzten Ordensfest seine freudige Genugtuung ausspricht, ferner den Kanzler für die Wünsche seines bisherigen Sekretärs in Anspruch nimmt; mit einem Wort, der sich gibt, als sei der letzte Brief nie geschrieben — wenn Hardenberg jetzt nicht recht wußte, wie er diesen Mann einschätzen sollte, wenn er ihn mit größtem Mißtrauen betrachtete, wen möchte das wundernehmen5)? 22*

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Und mit diesem seltsamen Brief — in der Reihe der seit 14 Monaten an Hardenberg gerichteten ist es der 124. — bricht die Korrespondenz, soweit davon die Rede sein kann, da die Gegenseitigkeit so gut wie ganz fehlt, bis auf weiteres ab. Am 5. März traf Humboldt mit Urlaub in Berlin ein. Hardenberg verstand sich dazu, gute Miene zum bösen Spiel zu machen und Humboldt Gelegenheit zu geben, durch sein Auftreten im Beamtenparlament des Staatsrats mehr von seinen Absichten zu enthüllen, als davon zu erraten ihm bisher bei aller Menschenkenntnis gelungen sein mochte. Der Kanzler fand die Tatsache seines Eintreffens in Berlin doch so bedeutsam, d a ß er in seinem sonst nicht übermäßig inhaltsreichen Tagebuch sie festzuhalten für angezeigt hielt. Auch die leidige Dotationssache kam in Fluß: eine Kabinettsorder vom 17. März weist Humboldt Güter im Rentenbetrag von 5000 Th. zur Auswahl an. Die erste Arbeit, an welche der Emsige, kaum angelangt, sich begab, war ein Gutachten über die Einrichtung des Staatsrates; mit der eigenen Meinung sollte er die Gestaltung dieses ihm so wichtig dünkenden Staatsorgans beeinflussen. E r schien am Ziel seiner Wünsche und schien es unerwartet schnell; würde dieser Platz sich behaupten lassen 1 )? Solange der Staatsrat den ihm zugewiesenen Arbeitsstoff nicht erledigt hatte, war jedenfalls Humboldts Bleiben in Berlin gesichert; darüber mochten einige Monate ins Land gehen und vielleicht eine ganz veränderte Lage mit anderen Anforderungen und Möglichkeiten hinterlassen. Die Abteilung des Staatsrates, deren Aufgabe als die schwierigste und zeitraubendste erscheinen mußte, die Verfassungskommission, tagte allerdings nur einmal, am 7. Juli, um sich sogleich wieder zu vertagen und zwar ad Kalendas Graecas, wie sich später herausstellte 2 ). Um so mehr Arbeit und Zeitaufwand erforderten die Verhandlungen der Steuerkommission, deren Vorsitz in Humboldts Händen lag. Hier ergab sich die Notwendigkeit, daß der Beratung der vom Finanzminister vorgelegten Gesetzentwürfe die Feststellung des Staatsbedarfs im ganzen vorangehen mußte. Diese Angelegenheit wurde auf seine Veranlassung einem besonderen Ausschuß übertragen 3 ), welchem er selbst natürlich angehörte. Ein Umstand, der seine Inanspruchnahme durch zahllose Konferenzen und gehäufte schriftliche Arbeiten vermehrte, dabei aber die nicht unwillkommene Aussicht bot, daß sein Aufenthalt in Berlin fest an die Beratungen des Staatsrates gebunden blieb. Fast als wolle er niemand daran erinnern, daß er eigentlich Gesandter in London sei, vermied Humboldt absichtlich die Berührung mit den in Berlin amtierenden Diplomaten 4 ). Seine Teilnahme an den Verhandlungen war von großer Bedeutung. Sobald er die Leitung des Ausschusses übernahm und mit seinen Ansich-

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ten, seiner Kritik in ihm hervortrat, kam das Gerücht auf, er wolle und werde Finanzminister werden. Humboldt lehnte das mit der Begründung ab, in seinem Alter wolle er sich nicht die Mühe machen, ein ihm fremdes Verwaltungsgebiet zu übernehmen. Aber den Wissenshungrigen, der Willen und Verstand gern am Ungewohnten übt, reizte die neue Materie; er lernte bei diesen Arbeiten sehr viele neue Dinge kennen 1 ). Ob er diese Genugtuung nur um des sachlichen Gewinnes als solchen, um der reinen Erkenntnis willen empfand, oder ob nicht auch Berechnungen auf die Zukunft in etwas hineinspielten? Das wird jedenfalls Hardenberg vermutet haben, als ihm bekannt wurde, daß jener als gefürchteter Debattenredner, wie einst in Wien, so auch hier eine überragende Stellung sofort sich geschaffen hatte. Denn in dem gleichen Augenblick, wo Humboldt mit der Berufung in die auf seine Veranlassung eingesetzte kleine Kommission dieHand recht tief in diese verwickelten Dinge gesteckt zu haben meint, „spricht der Kanzler so recht von London, daß man sieht, daß er keine andere Idee hat" 2 ). Derartige Äußerungen des Fürsten sollten wohl als leise Mahnungen für Humboldt dienen, „den flüchtigen Fuß nicht gar zu fest" auf den heißen Berliner Boden zu setzen. Und es hat den Anschein, als ob guter Grund für solche Mahnungen bestanden habe. Liest man in den Briefen dieser Monate, was Humboldt über die Wirkung seines Auftretens im Staatsrat berichtet, so muß man der Meinung werden, daß über jeden Schritt und jede seiner Reden das Urteil in den politischen Kreisen der Hauptstadt, mindestens bei den „Gutgesinnten", einhellig in Lob und Anerkennung sich erschöpft habe 8 ). Befremdlich, wie dieser in Kritik und Selbstbeobachtung geübte Geist mit einer fast naiven Freude am Erfolg sorgfältig vermerkt, was an Urteilen über sein Auftreten ihm zu Ohren kommt. Nicht nur was Savigny und sein Kreis, was die Mitglieder des Staatsrates an Anerkennung spenden, berichtet er nach Italien; er hält auch nicht für unwert, festzuhalten, was etwa aus den „Gesprächen der Tabagien" an sein Ohr dringt. Gewiß klingt in diesen Berichten ein Ton von Ironie mit, und einschränkende Betrachtungen fehlen nicht. Allein, daß ein neuer Reiz auf ihn wirkt, ist unverkennbar und ebenso, daß er das Gewicht der für ihn günstig gestimmten Meinung, welche doch noch keine „öffentliche" ist, überschätzt. Dabei fällt es auf, wie wenig Beachtung in den Äußerungen dieser ganzen Zeit Humboldt einem so wesentlichen Faktor des Staatswesens wie dem König und neben ihm der Hofpartei widerfahren läßt. Es scheint, als ob namentlich diese Größe für ihn und seine Überlegungen gar nicht vorhanden gewesen sei. Sein Augenmerk richtet sich auf den Staatskanzler, auf die Gegner im Ministerium ünd auf die „Meinung", soweit sie günstig für ihn sich äußert. Nun ist zu bedenken, daß Humboldt den Berliner

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Verhältnissen persönlich wohl fremd geworden war. Aber abgesehen davon, daß er nun seit Wochen Gelegenheit hatte, sich hier umzusehen, so war Frau v. Humboldt immerhin ein Jahr vorher in Berlin gewesen und sein Schwiegersohn war Adjutant eines Bruders des Königs: genug Hinweise auf die Wichtigkeit und Bedeutung von Krone und Hof hat der Tag in seinem Verlauf zweifellos an Humboldt herangebracht. Stellte er trotzdem die Rücksicht auf diese Kreise nicht in Rechnung, so mag man darin einen großen Zug des Menschen erblicken; gewiß ist, daß der Politiker hier einen Fehler beging. Dieser war im Bild des Augenblicks doch nur ein leichter Schatten, welcher den Eindruck der lichten Farbe eher verstärken kann. Denn darüber, daß in den Briefen dieser Wochen ein neues und starkes Lebensgefühl, eine ungewohnte H offnungsfreudigkeit sich regt, konnte ihre Empfängerin nicht im Zweifel sein. Sofort nach dem ersten erfolgreichen Auftreten erscheint der in seiner Sprache sonst so gemessene Humboldt von einem Gefühl der Leistung zugleich mit der Erwartung durchdrungen, welches bis in die Worte seiner Briefe nachzittert. Man spürt es ihm ab: vor ihm tut sich jetzt der Ausblick auf in die Zukunft, wie er seit Jahren sie erwartet und geglaubt hat — in s e i n e Zukunft! Aber neben der Hoffnungsfreudigkeit herrscht ein Gefühl der höchsten Spannung in seiner Seele vor. „Mir selbst ist es, Deine Trennung abgerechnet, kaum je besser gegangen. Gute äußere Umstände, eine gelingende Tätigkeit und Übereinstimmung in dem, was ich tue, mit denen, die täglich Zeugen davon sind." Unter den vielen hundert Seiten seiner Briefe mögen kaum mehr als einige aus den Jahren 1810 und 1813 vielleicht sich finden, in welchen eine so zugreifende und bejahende Zuversicht zum Leben sich ausspricht. Jedoch in der gleichen Minute überfällt ihn wieder der grübelnde Pessimismus, der ihn mit Worten Shakespeares aufstöhnen läßt: „Ich wollt, es wäre Schlafenszeit und alles, alles aus"; und im gleichen Atemzug bringt die antike Furcht vor den Göttern sich zu Gehör: „es ist das alles gut, aber ich weiß nicht, mir ist doch nichts weniger als heimlich. Es ist immer, nicht in unseren eigenen häuslichen Dingen, aber im großen und ganzen, als wäre etwas verborgen, was auf einmal losbrechen würde, oder als sinke, was besteht, so allmählich und unvermerkt ineinander, ohne daß ein Halten oder Verbessern dabei wäre . . . es liegt etwas Wüstes und Irres in der Zeit1)." So wird dieser Mann des „hohen Gleichmutes" in entscheidenden Stunden hin- und hergerissen von den widerstreitenden Gefühlen seines Innern. War es falsche Prophetie oder nicht, welche die Erregung der Stunde ihm eingab? Auf die nächsten Ereignisse gesehen, setzte sie ihn ins Unrecht, Allen pessimistischen Vorhersagen auch der sachkundigsten Be-

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urteiler zum Trotz ) erwies sich das Staatsgebäude als festgefügt beim leisen Anprall der ersten populären Welle nationaler und demokratischer Bewegung in den Jahren 1817—1819. E s bot der schnellen Entfaltung des geistigen und dem langsameren Aufstieg des wirtschaftlichen Lebens mit seinen Mitteln und Maßnahmen in seinen Mauern allen Schutz, nach welchem die in ihm lebende Generation verlangen konnte. Und gerade was Humboldt in Abrede stellt, trifft ein: das eigene Geschick nahm eine verhängnisvolle Wendung und alle erhoffte Erfüllung ward versagt. Jedoch richtet der Blick sich über die Ereignisse der nächsten Jahre hinaus, wie sollte die Ahnung Humboldts ihre Rechtfertigung erfahren! Ein Menschenalter später war die vorhergesehene Katastrophe eingetreten. Der unter geistloser Herrschaft erstarrte Staat erlag der andringenden Gewalt einer neuen Zeit, deren die phantasievollen Einfälle eines sein Können überschätzenden Herrschers nicht Herr werden konnten. Die widersinnige Romantik der Hallerschen Restauration strebte vergeblich, neue Gegensätze mit alten Mitteln zu versöhnen, weil die Ungunst der Umstände, die Kleinheit der Menschen und ihr Ungeschick, kurz, „der mächtigere Zufall" bewirkt hatte, daß die starke und tiefe Staatsauffassung der Männer, die den lebendigen Geist der Reformzeit in sich trugen, in der erstrebten Verfassung nicht zur Wirksamkeit kommen sollte. Für den Augenblick jedoch erwies sich jene spannungsvolle Stimmung Humboldts als grundlos. Die Dinge standen gut. Besonders in dem Verhältnis zum Staatskanzler schien jede Spur jener im Februar laut gewordenen Verstimmung verwischt. Nach der Abreise der Gattin nach Italien war Humboldt fast täglicher Tischgast des Kanzlers. Diesmal nimmt er, wie er im Vorjahr es sich gewünscht, an einer im patriarchalischen Stile des wohlwollenden Gutsherrn begangenen Geburtstagsfeier Hardenbergs auf dessen Dotationsgut teil*). Außer der nächsten Umgebung des Fürsten sind nur Gneisenau und Humboldt geladene Gäste. Es sind die beamtetsten Namen des politischen Berlin, beide nach besonderen Diensten, die sie dem Staat geleistet, in ungewisser dienstlicher Lage. Wer auf die Zukunft rechnet, rechnet mit diesen beiden Männern. Indem der Kanzler sie zu diesem Fest im engsten Familienkreis zuzieht, bekundet er, daß er die Zukunft nicht aus der Hand zu lassen gesonnen ist, ohne d a ß freilich deutlich wäre, was er mit der Zukunft vorhat. Was er mit Humboldt vorhatte, sollte diesem bald zu seiner Überraschung klar werden. Hardenberg hatte die scharfen Angriffe Humboldts gegen den Finanzminister Bülow zum mindestens nicht mißbilligt, jedenfalls nichts getan, sie zu unterbinden, als jener ihn vorher davon verständigte, daß es zu Zusammenstößen im Staatsrat kommen werde. Und dies, obwohl diese Angriffe sich ja auch mittelbar richteten gegen

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den obersten Chef der Verwaltung, der aber in diesem Augenblick mit seinem Neffen auf gespanntem F u ß stand. Diese Dinge spielten sich ab in den ersten T a g e n des Juli 1 ). Schon früher jedoch, zwei Wochen n a c h dem demonstrativen Besuch in Glienicke, erklärte ihm der Kanzler a m 16. Juni ohne eigentlichen Anlaß, den späteren Sitzungen der Steuerkommission, welche nach den Sommerferien wieder aufgenommen werden sollten, werde Humboldt nicht mehr präsidieren können. Die Gesandtschaft in London könne nicht länger unbesetzt bleiben. Resigniert teilt Humboldt dies der Gattin mit: wenn man ihn nicht wolle, könne er keinen Schritt dazu tun, in Berlin zu bleiben; „er rede nun auch dem Staatskanzler nicht mehr von Plänen des Hierbleibens" 2 ). Soweit also hatte er geglaubt mit Hardenberg im reinen zu sein, d a ß er mit ihm die Möglichkeit besprochen und offenbar wiederholt besprochen hat, in Berlin und natürlich im Staatsrat zu bleiben. So wenig hatte er jenen durchschaut, so wenig Einblick in die Verteilung der Kräfte zwischen den Parteien während dieser Monate gewonnen. W a r die Enttäuschung, die er nun erfuhr, unter diesen Umständen wirklich unbegründet? U n d wieder: Humboldt weigert sich „Schritte zu tun", um in Berlin zu bleiben — aber war denn dieses Erörtern von Möglichkeiten mit dem Kanzler nicht auch ein Schritt dazu? Jedenfalls war es ein halber Schritt, hinter dessen Unklarheit mancherlei vermutet werden mochte, was ihm — damals noch — fernlag. W e r konnte wissen, was er zuletzt wollte ? Lebte wirklich ein starker D r a n g in ihm, mit ganzem Einsatz das Spiel um den Staat zu wagen, dann m u ß t e er eben jene Schritte tun, die er nicht tun wollte. Darin sah Frau v. Humboldt durchaus klar 3 ). Seine Halbheit aber mußte den Staatskanzler unsicher machen, sie mußte reizen und verstimmen. Wenn Humboldt f ü r sich selbst nichts wagte, würde er dann trotzdem in den bevorstehenden Kämpfen, welche Hardenberg wohl schon deutlich kommen sah. ein verläßlicher Bundesgenosse sein, der es auf einen Einsatz für die Sache und f ü r den Staatskanzler wirklich ankommen ließ ? Ganz abgesehen davon, d a ß Humboldt selbst als Minister des Auswärtigen damals an allen fremden Höfen „als Qual der Kabinetter" empfunden worden wäre, wie Gentz einmal schreibt 4 ). In denselben Tagen erlebte Humboldt eine andere Enttäuschung. Vor seiner Sommerreise empfing der König ihn in Abschiedsaudienz für London und legte ihm die Sorge für seine Schwägerin, die Herzogin von Cumberland, dringend ans Herz. „Von meinen hiesigen Geschäften, von allem Weiteren hiesigen kein Wort." Man merkt, welche Enttäuschung dieses Übergeben seiner jungen Erfolge ihm bereiten m u ß t e 6 ) . E s lag an einer dritten Täuschung, welcher er sich hingegeben hatte über die Bedeutung des Staatsrates und über die Wirkung, welche sein

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Auftreten dort haben würde. Dieses Schicksal teilte er übrigens mit Hardenberg; hier einmal waren sie wirklich einig. Der Kanzler hatte den Staatsrat als ein Mittel ansehen wollen, mit dem er der mit der Zeit widerspenstig werdenden Minister seiner eigenen Schöpfung H e r r zu werden gemeint hatte; als einen „Kappzaum" für sie hatte er ihn seinem alten Freunde Wittgenstein gegenüber bezeichnet. Der hatte darüber nicht geschwiegen und, selber noch Polizeiminister, dem Staatskanzler sehr deutlich die Meinung gesagt, unterstützt von Bülow und Schuckmann. Als Ministermacher von 1810, dem Hardenberg seine Berufung zu danken hatte, erlaubte er sich ihm gegenüber eine verblüffend offene Sprache 1 ). Noch ehe der Staatsrat ins Leben trat, war die Wirkung, welche Hardenberg hauptsächlich von ihm erwartete, daher bereits vereitelt. Statt dessen mußte er sehen, wie der Staatsrat mit seinen Verhandlungen unter lauter sachkundigen Männern einem Minister, der wie H u m boldt den Beifall der Mehrzahl fand, ein außerordentliches Übergewicht geben konnte. Was der Kanzler als Schutzwall seiner Stellung geplant hatte, konnte als Sturmbock gegen sie verwendet werden, wie es Humboldt dann 1818 und 1819 auch gewollt hat. Andererseits sah auch dieser die Erwartungen, welche er vom Staatsrat und von seinem Auftreten in diesem gehegt hatte, nicht erfüllt. Wir hörten schon, d a ß der König von seiner Wirksamkeit in einer für ihn auffälligen Weise keine Notiz genommen hatte. An dem Umstand, daß der Monarch f ü r Monate auf Reisen ging, ehe die Beratungen des Staatsrates beendet waren, kam in objektiver Weise die offenbar geringe Schätzung zum Ausdruck, welche er dieser Tagung seiner besten Beamten entgegenbrachte. Humboldt hätte daran erkennen müssen, d a ß es nicht die wirksamste Bühne war, auf welche er es mit seinem Auftreten abgesehen hatte. U n d d a ß der Staatskanzler die T ä tigkeit im Staatsrat nicht den übrigen amtlichen Verpflichtungen seiner Mitglieder als ü b e r g e o r d n e t betrachten wollte, das hätte ihm auch einleuchten müssen nach Hardenbergs Erklärung, d a ß er den Vorsitz der Steuerkommission nicht weiterführen könne. Denn das hieß doch, daß man leicht einen Ersatzmann finden werde, und bewies zugleich keine besonders hohe Einschätzung seiner Tätigkeit. Wie weit Humboldt hierüber sich klar gewesen ist, geht aus den gleichzeitigen Äußerungen nicht hervor; sein Festhalten an der Tätigkeit im Staatsrat als oberstem Posten in seiner Rechnung spricht dagegen. Eine andere bleibende Einsicht aber hatte er aus diesen Monaten davongetragen: mit dem Gefallen am Beifall anderer war ihm die Erkenntnis gekommen, d a ß man nicht ganz auf eigene Faust Politik machen könne, d a ß man Anhalt a n anderen haben müsse, um wirksam zu werden. H a t t e er vor einem Jahr es noch an Gneisenau getadelt, daß dieser darauf aus sei, „Partei zu suchen", und

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gemeint, er dagegen könne f ü r sich selbst stehen, so datieren aus der Zeit der Tagung des Staatsrats die engeren Beziehungen Humboldts zu Männern wie Vincke und Schoen und die besonders wichtige Verbindung mit Boyen, welche später noch bedeutsam werden sollte 1 ). Hardenberg konnte, wie schon gesagt, von dem Gang der Dinge im Staatsrat nur wenig befriedigt sein, wenn auch Humboldts Opposition noch nicht öffentlich und unmittelbar gegen ihn sich gerichtet hatte. Sein Auftreten hatte vielmehr z. B. bei Gneisenau den Eindruck hervorgerufen, daß er sich zum „Vorfechter des Staatskanzlers" hergegeben habe, was nicht jedermanns Sache sei2). D a ß Humboldt a b e r eines Tages in öffentliche Opposition nicht nur eintreten konnte, sondern mußte, das ersah Hardenberg aus der Denkschrift vom 14. Juni 1817, zu welcher seine erneute Sondierung, ob jener nicht doch später das zweite Kabinettsministerium übernehmen wolle, den Anlaß bot 3 ). Vielleicht war auch diese Anfrage nur gestellt, um zu erfahren, wie in diesem Augenblick des Erfolges, wo er seiner Sache vielleicht schon sicher zu sein glaubte, Humboldt die Lage des Staates und seine künftige Rolle in ihm betrachtete. E s wird nicht anders sein, als d a ß er in eine von H a r d e n b e r g auf ähnliche Weise wie im Juni 1810 gestellte Falle gegangen ist. W e n n H u m boldt von seiner Eingabe dieselbe Wirkung erwartete wie von einer anderen über die Stellung der Oberpräsidenten aus den letzten Wochen, von der er berichten kann, daß Hardenberg ihre Grundgedanken in seine neue Regierungsinstruktion als Verbesserung aufgenommen habe, so täuschte er sich gründlich 4 ). Die Denkschrift geht aus von der Ansicht, „daß die Verwaltung in fast allen ihren Teilen fehlerhaft ist", und gipfelt in der Feststellung: „Ich glaube nicht, d a ß Ew. Durchlaucht jetzige Stellung und die Ihres Bureaus die richtige ist . . . Ich halte für die einzig angemessene Stellung eines Staatskanzlers die eines Präsidenten des Ministeriums und des Staatsrats". Wobei Humboldt die Stellung eines Primus inter pares in einem „homogenen" Ministerium versteht; denn er knüpft seinen möglichen Eintritt an die Bedingung des Ausscheidens von Bülow und Schuckmann. Soweit die negative Kritik Humboldts. In seinen positiven Vorschlägen stellt er jener Stellung des Staatskanzlers, wie sie aus den Staatsbedürfnissen der eben abgeschlossenen Epoche hervorging, den aus den neuen Verhältnissen und Forderungen der Staatsorganisation als notwendig erwachsenden Begriff der Verantwortlichkeit der Minister entgegen 5 ). Und von sich selbst verrät er, d a ß er jederzeit mit Freuden von London nach Berlin zurückkehren werde, um wie die früheren Minister Altenstein und Beyme nur Mitglied des Staatsrats zu sein. Namentlich mit dieser Bemerkung mußte er Hardenberg klaren

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Einblick in seine Absichten geben und sich selbst außerordentlich schaden. Ist Offenheit eine Tugend des Politikers, so ist sie es ganz gewiß dann nicht, wenn sie ihn alle die Mittel aus der Hand geben läßt, mit denen er für seine als gut erkannte Sache hätte wirken können. Es mag Idealismus in solchem Verhalten erblickt werden. Dann ist es ein sehr bequemer Weg zum Ziel, sich mit der Feststellung zu begnügen, wie Dinge und Menschen sein sollten, statt auszufinden, von welchen realen Kräften sie getrieben und bedingt werden, und mit diesen zu rechnen. Wenn Humboldt jetzt noch immer erwartete, daß Hardenberg ihn nicht nach London gehen lassen werde, so spricht das nicht für seine Menschenkenntnis. Hatte er auch nur mit einem streifenden Gedanken die Frage erwogen, ob Hardenberg mit den Voraussetzungen seines Lebens, seines Charakters und seiner Stellung auf diese Vorschläge einzugehen innerlich überhaupt in der Lage war? „Ich bin für die Geschäfte nicht gemacht, was auch die Leute davon sagen mögen", schreibt er am gleichen Tage mit Bezug auf diese Eingabe, welche sein Schicksal besiegeln mußte 1 ). Denn dies Schriftstück hatte dem Kanzler ein klares Dokument in die Hand gegeben, mit dem er dem König jederzeit beweisen konnte, daß Humboldt nichts Geringeres als eine völlige Umgestaltung des seit 1810 befolgten Systems bezwecke. Man hat über diese Denkschrift geurteilt, sie sei an loyalem Freimut nicht zu überbieten; wie könne man im Blick auf sie von Humboldts Absicht, den Staatskanzler zu stürzen und die Leitung des Staates in seine Hand zu bekommen, noch reden wollen2)? Mit nackten Worten steht davon allerdings nichts geschrieben. Wer aber die Eingabe mit Hardenbergs Augen las, ja, wer sie in Kenntnis der ganzen Lage des Augenblicks betrachtet, für den ist die Absicht deutlich genug zwischen den Zeilen zu lesen. Ging Hardenberg auf diese Bedingungen ein, gewann er mit der Preisgabe seiner Stellung Humboldt zum Bundesgenossen, so lag der Hebel der Regierungsmaschine in dessen Händen; Hardenberg hatte dann kapituliert'). Erinnern wir uns jener Äußerung Humboldts: wer das Auswärtige und die Finanzen zugleich übersieht, habe eigentlich die Herrschaft über den Staat in Händen; in der Einleitung der Denkschrift läßt er den gleichen Gedanken anklingen. Dazu waren die Vorbedingungen jetzt gegeben, nachdem durch die Tätigkeit im Staatsrat sein elastischer Geist schnell eine autoritäre Übersicht über diese Gebiete gewonnen hatte. Seine Stunde schien geschlagen zu haben: genau dies mußte auch Hardenberg empfinden; für jene Vermutung hatte er nunmehr die Bestätigung in Händen. Kein Wunder, daß unter so viel verstimmenden Eindrücken die Gesundheit des Fürsten erheblich litt, wie Humboldt mehrfach nach Ita-

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lien zu melden sich veranlaßt sieht1). Wenn er an seinem Teil, was nicht ganz von der Hand zu weisen ist, zu dieser seelischen Bedrückung, die in dem leidenden Zustand sich äußerte, mit Anlaß gegeben haben mag, so hat der Staatskanzler ihn das in jener Zeit weder spüren noch entgelten lassen. Die Formen ihres freundschaftlichen Verkehrs blieben die gleichen wie in der Zeit der Kongresse. Man hatte Hardenberg übrigens brieflich wie mündlich mehrfach vor Humboldts Ehrgeiz gewarnt2). Daher hielt er mit um so größerer Zähigkeit daran fest, daß vor der Herbsttagung des Staatsrates der Posten in London besetzt sein müßte. Aber Humboldt lebte immer noch in dem Glauben, dieses Geschick könne vermieden werden. Bis zum letzten Augenblick hat er auf ein Wunder, auf einen „außerordentlichen Vorfall" gewartet, welcher ihm den Gang nach London ersparen sollte. Auch nach der Eingabe vom 14. Juli und trotz der Abschiedsaudienz beim König blieb es ihm unfaßlich, daß Hardenberg auf seine Gedanken nicht eingehen wollte. Nur schwer sah er ein, daß er die günstige Lage vom März trotz seiner Erfolge im Staatsrat und gerade ihretwegen sich verdorben hatte. Zwar ehe er zur Auswahl seines Dotationsgutes nach Schlesien ging, hatte Humboldt alle Vorbereitungen zur Übersiedelung nach London getroffen. Nun sollte er dem Kanzler nochmals „im Karlsbad" b e g e g n e n ; dies Zusammentreffen „könnte an der Reise nach London noch etwas ändern, sonst ist sie unwiderruflich"8). Jedoch trotz aller Freundlichkeit, welche der Fürst während des mehrtägigen Zusammenseins ihm erweist, bleibt es bei dieser Unwiderruflichkeit; wenigstens soweit der Wille Hardenbergs in Frage stand. Aber gab es nicht Umstände, die ohne seinen Willen und sogar gegen diesen den Beschluß noch ändern, die Abreise aufhalten konnten? E s stand nicht gut um des Kanzlers Gesundheit; er muß in diesen Monaten in der Tat sehr elend gewesen sein. Hier in Karlsbad fand Humboldt ihn noch mehr angegriffen als in Berlin: „viele glauben, daß er nur noch kurz zu leben habe". Doch sein Arzt Koreff sei zuversichtlich und Humboldt hofft, daß er recht behalten möge; „der Verlust des Kanzlers wäre gerade jetzt äußerst nachteilig" 4 ). Das klingt ja nun reichlich sachlich und verrät nicht gerade eine starke persönliche Teilnahme. Trotzdem wäre es irrig, wollte man annehmen, Humboldt habe auf des Kanzlers Tod gewartet und Pläne darauf gebaut. Das hat ihm auch in den spannungsreichen Monaten in Berlin sehr fem gelegen. Jedoch jetzt trat der Augenblick ein, in welchem die Festigkeit dieser Gesinnung einer leisen Schwankung unterlag. Die Versuchung erwies sich in der Tat als groß und besonders für einen Mann, welcher durch

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die bizarre Übertreibung einer Maxime, die fast die Starrheit eines logischen Gesetzes annahm, dahin gelangt war, seines Schicksals Sterne nicht in seiner Brust, sondern in der Konstellation der Umstände zu suchen und von ihnen den Antrieb zum Handeln zu erwarten — ganz anders, als man von ihm, dem Idealisten, vermuten sollte. Von Karlsbad war Humboldt nach Frankfurt abgereist. Hier mußte er auf sein Beglaubigungsschreiben für London warten, das schon vor Wochen vom König unterschrieben, unter den Papieren des Kanzlers sich verloren hatte. Dieser geringfügige Umstand, freilich ein wenig glückliches Beispiel von der Geschäftsführung im Büro des Kanzlers, konnte zu ungeahnter Bedeutung gelangen, weil Hardenbergs Zustand in den Tagen seit Humboldts Abreise von Karlsbad sich so verschlechtert hatte, daß die von ihm geplante längere Reise an den Rhein aufgegeben werden mußte. Der Staatsrat Rother aus des Fürsten Büro, der statt seiner erschien, brachte außer einem kurzen eigenhändigen Billet die beunruhigendsten Nachrichten über seine Gesundheit 1 ). War jetzt für Humboldt der Augenblick gekommen, wo „die Umstände ihn forderten"? Offenbar hat er es geglaubt; die Lage scheint in seinen Augen durchaus verändert; „ich weiß noch nicht, was ich tun soll . . . dies Billet hat mich sehr wehmütig gemacht. Es geht sichtbar mit dem Mann zu Ende. Ich hatte immer eine große Anhänglichkeit für ihn und wer weiß, was auch mir sein Ende bereiten kann." Dies Zusammentreffen der Umstände mache ihm, so schreibt er am gleichen Tag an Boyen, „die größte Behutsamkeit äußerlich und innerlich zur Pflicht". Aber wie stimmt es zu dieser, wenn er, ungeachtet der damaligen Unsicherheit des Briefgeheimnisses, sowohl an Boyen wie an die Gattin auf Grund von Rothers Erzählung eingehend den Verlauf von Hardenbergs Erkrankung berichtet 8 )? Was mochte alles einem so interessanten Brief auf der weiten Reise nach Italien, ja vielleicht schon in Frankfurt bei der T h u m - und Taxisschen Post zustoßen? Wie leicht und schnell solche Unbedachtheit sich rächen konnte, beweist ein Brief Gneisenaus an Niebuhr, in welchem er gehässig und — objektiv — falsch behauptet, „ungeduldig habe Humboldt berechnet, wie lange Hardenberg noch leben könne", um die Gelegenheit zu erspähen, seines Sessels sich zu bemächtigen. Humboldt mag doch seiner B e s o r g n i s um des Kanzlers Leben im Gespräch zu offenkundig, er mag besonders dem empfindlichen Hardenberg gegenüber ihr zu deutlich Ausdruck gegeben haben 8 ). Ob er der Verschwiegenheit Rothers, mit welchem er über die Lage sich ausgesprochen hatte, so sicher sein durfte, wie er annahm? Es ist auffallend, wie er, der früher schon die Freundschaft mit Frau v. Beguelin nicht verträglich mit Hardenbergs Würde fand,

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jetzt in Karlsbad mit einer zweifelhaften Persönlichkeit wie Koreff und einer so fraglos abenteuerlichen Person wie der „M.elle Hähnel" sich eingelassen hat. Das stimmt nicht recht zu seinem bisherigen Verhalten und seinem Urteil über Hardenbergs Umgebungen. Es waren schwüle Tage, diese letzten Augusttage von 1817, in denen Humboldt überzeugt war, „daß des Staatskanzlers Gesundheit einen Stoß erlitten hat, von dem er sich nicht wieder erholt". Warum dann noch „in die Verbannung nach England" gehen, wenn der letzte Anlaß für sie, der Staatskanzler nach Person und Stellung, im nächsten Augenblick verschwinden konnte? In der Tat „eine sehr sonderbare Lage der Sachen". Und mitten in diese Spannung hinein kommt des Kanzlers Schwiegersohn Graf Pappenheim und versichert „in einer Art Exaltation", Humboldt dürfe nicht nach England gehen, er müsse zur Hilfe des Fürsten in Berlin bleiben; das sei der Eindruck, mit welchem er aus den Rheinlanden komme. Der Graf will nach Pyrmont zum Kanzler, um an der Verwirklichung dieses Gedankens zu arbeiten1). Humboldt erwartet keinen Erfolg dieser Bemühungen, aber er redet dem Grafen auch nicht von seinem Vorhaben ab. Vielmehr er nimmt die Ansicht dieses Mannes aus Hardenbergs nächstem Lebenskreis als objektive Bestätigung für seine wie der Gattin feste Überzeugung, daß der Kanzler im Bewußtsein seiner körperlichen Schwäche und bei der Kenntnis von Humboldts persönlicher Anhänglichkeit ihn um sich behalten müsse. So nimmt Pappenheim einen Brief an den Staatskanzler mit, in dem die Versicherung zu lesen steht: "personne ne sait aussi profondément que moi, combièn Vous êtes nécessaire au Roi et à l'Etat — ménagez-Vous, je Vous en prie, de toutes les manières"2). Die beste und sicherste Hilfe dabei bot sich nun einmal nach Humboldts Meinung in seiner Mitarbeiterschaft dar — aller Unverträglichkeit ihrer Naturen und ihrer Gedankenwelt ungeachtet, brachte er unzweifelhaft dafür den besten Willen noch damals mit®). Groß war die Spannung dieser Tage: vielleicht verstand Hardenberg sich doch zu seiner Rückberufung ; vielleicht machte sein Tod aller Ungewißheit ein Ende. Denn es stand außer Zweifel, daß nach seinem Hervortreten im Staatsrat Humboldt an dem Nachlaß des Kanzlers mit einem Ministerium beteiligt, daß von England nicht mehr die Rede, daß die Vereinigung mit der Familie nach langer Trennung in naher Frist zu erwarten sein würde. Die Lage des äußeren Lebens änderte sich von Grund auf, der unfreundliche Ausblick in die Zukunft wandelte sich in begründete Hoffnung auf eine glänzende Wirksamkeit und zugleich auf den langentbehrten Genuß des Daseins, wie Humboldt ihn verstand. Da trifft am 9. September das verzögerte Beglaubigungsschreiben endlich ein, der Fürst fügt eigenhändig die Mahnung bei: "rien n'em-

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péchera donc désormais Votre départ". — „Der Zauber des Frankfurter Aufenthaltes geht zu Ende", so meldet ein resignierter Brief der Gattin zugleich mit der Nachricht über die zunehmende Besserung von Hardenbergs Gesundheit. Und noch am zweiten Reisetage stellt Humboldt fest: „das Gehen nach London ist keinem Zweifel mehr unterworfen"1). Wie schwer fügten sich doch der klare Verstand und der zähe Wille dieses „Idealisten" in das harte Gebot unabänderlicher Tatsachen I Es brauchte ihm jetzt nicht so hart zu erscheinen, hätte er früher begonnen mit der Wirklichkeit von Menschen und Dingen zu rechnen. Mehr am äußeren Anschein als an dem Kern der Dinge haftend, hatte der Berliner Witz das Wort geprägt: Humboldt müsse über das Meer gehen, weil er nicht über den „Jordan" kommen könne, und Humboldt hatte seine Freude an dem Spottwort*). Aber die nun gefallene Entscheidung wog schwerer, als der Witz vermuten ließ. Alles, was Humboldt seit anderthalb Jahren zu vermeiden gestrebt und im Vertrauen auf Hardenbergs Freundschaft mit Erfolg zu vermeiden gemeint hatte, war eingetreten. Er hatte das Reklamationsgeschäft nicht abgeschlossen; er war nicht Gesandter in Paris geworden; die Einsicht, daß er allein berufen sei, die in Unordnung geratene Staatsmaschinc in Gang zu setzen, war nicht Allgemeingut geworden, sondern seine Privatmeinung geblieben. Zwar er war nach Berlin gekommen, aber er hatte es wieder verlassen müssen. Er mußte nach London und hatte kein Mittel zu finden gewußt, dies Schicksal abzuwenden. Er mußte weiter auf das Zusammenleben mit Frau und Kindern verzichten. Der Zufall hatte den schon erhobenen Fuß noch einmal zögern lassen; daß er im Innersten seiner Seele auf diesen Zufall bereitwillig eingegangen, daß er trügerische Hoffnungen an ihn geknüpft, — dies mußte es ihm um so empfindlicher machen, wie er verdrängt wurde von seinem Platz, wie er wehrlos eine entscheidende Niederlage hinnehmen mußte. Wenn er nun schreiben konnte: „mein Ruhm ist, da ich Deutschland verlasse, auf dem Zenit" — was nützte es ihn*)?

Fünftes Kapitel.

London und Aachen. Die Stimmung, welche aus Humboldts Londoner Briefen zu uns spricht, steht in fühlbarem Widerspruch zu den trüben Gedanken und Erwartungen, mit welchen er die Reise nach der „Nebelinsel" angetreten hatte. Wieder einmal hatte das Schicksal eine besondere Gabe in Bereitschaft, als es in dem Augenblick, wo sein amtliches Dasein notwendig einer gewissen Stagnation unterlag, ihm, dessen Sinn von je darauf gerichtet war, „alle Formen der Menschheit zu fassen", die Anschauung eines neuen Landes, einer neuen Nation, die Kenntnis einer neuen Sprache vorbehielt. Dies alles beschäftigte ihn aufs lebhafteste, es „nahm zwar ungemessene Zeit in Anspruch", aber all diese neuen geistigen und sozialen Erscheinungen gewährten seinem Hunger nach Anschauung und wechselnden Eindrücken neue und ausgiebige Nahrung, sie belebten seinen Geist mit willkommener Anregung. Seit langem nicht habe er sich geistig so frisch und leicht gefühlt wie gerade hier im Lande des gelben Nebels, so meinte er wohl. Aber hatte Paris im Herbst 1797, hatte 5 Jahre später Rom nicht die gleiche befreiende Wirkung einer neuen „Lebenslage" auf seine empfänglichen Sinne, auf seine der Anregung bedürftige Natur ausgeübt 1 ) ? In England betritt Humboldt den Boden einer ihm noch fremden Welt. Bisher hatten seine Reisen stets in den Bereich der romanischen Kulturen, nach Frankreich, nach Spanien, nach Italien geführt. Mehr als der Gegenwart hatte sein Augenmerk der Vergangenheit, besonders den besten der Antike, wo immer er ihnen begegnete, gegolten. Hier in England findet Humboldt sich im Angesicht des neuen, des angelsächsischen Jahrhunderts und des modernen Lebens, vorzüglich des modernen politischen Lebens. Das stand ja schließlich zu erwarten. Weniger aber, daß der Aufenthalt in London einen gewissen Ersatz gewähren sollte für die während der römischen Jahre ihm entgangene griechische Reise. Mehr als in Rom fand Humboldt in London beredtes Zeugnis vom Geist und Wesen der Kunst von Athen; er fand sie in den Schätzen, mit denen Lord Elgin das Britische Museum bereichert hatte. Diesen Marmorbildern gehört

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ein großer Teil seiner Zeit, ihnen gilt sein letzter Besuch in London: „sie ziehen einen wie lebendige Wesen und höher und tiefer als Menschen an" 1 ). So schließt sich hier in London der Ring seiner erwanderten Erfahrung mit diesen beiden scharf geprägten Bildern antiken und modernen Lebens. Kein Wunder daher, daß unter solchen Eindrücken die alte Liebe zum griechischen Altertum und in ihr die alte r o m a n t i s c h e Grundstimmung erneut Gewalt gewinnt über den einsamen Mann: „es haben gewiß viele Menschen Freude am Altertum und selbst leidenschaftliche Neigung dazu. Aber mit allem Verlangen, Gedanken und Gesinnungen darin leben, wie ich, tut schwerlich sonst jemand auf Erden. Ich kann es nicht anders beschreiben, als daß es mir eine wahre und die einzige echte Heimat ist, alles, was in der Geschichte darauf folgt, ist mir gleichgültig, und die Gegenwart kommt mir nie anders als eine öde Wirklichkeit vor, von der mich die Neigung ewig entfernen würde, wenn nicht eine traurige Notwendigkeit zwänge, darin einzugreifen und sich ihrer anzunehmen. Ich kann auch nicht sagen, daß es etwas Einzelnes ist, das mich in den Alten so fesselt, so sehr ich ihre Kunst, ihre Dichtung, selbst vieles in ihren Sitten und in ihrer Lebensweise liebe. Es ist vielmehr der Geist im ganzen und allgemeinen, seine Einfachheit und seine Fülle, seine Stärke und seine Zartheit, seine Natürlichkeit und seine Größe" 8 ). Und neben das ungewisse geistige Bild Athens tritt die bestimmte, sehnsüchtige Erinnerung an Rom, dem inneren Auge zu fast gegenwärtiger Anschauung neu erweckt durch die lebensvollen Reisebriefe der Gattin. „Rom bleibt die ewige Heimat" — so stöhnt mancher sehnsuchtsvolle Seufzer auf mitten zwischen den sorgenbeladenen Berichten, welche mit jedem Posttag ihren regelmäßigen Weg von der „Nebelinsel" nehmen zum Lande der Sonne und der Wintergewitter 3 ). Ungewisse Träume von einer abermaligen Gesandtschaft oder von einem langen Urlaub in Rom ziehen ihnen nach. So bleibt in dem neuen und befremdenden Treiben der Gegenwart das Gedenken an die schöne Vergangenheit — wie der feste Grund des Baches sei sie, über den die geschäftige Welle dahineilt — der tragende Grund des Daseins und nährt es aus dem Bewußtsein des geistigen Zusammenhanges in diesem äußerlich so unsteten Leben. Des Zusammenhanges nicht nur mit den Eindrücken, welche der ästhetische Genuß hier und dort gewährt, sondern vor allem einer so lebensvollen und geistgesättigten Verbindung, wie die Freundschaft mit Schiller in den besten Lebensjahren sie bedeutet hatte. Denn hier in London findet Humboldt die Zeit, in den Briefwechsel mit dem großen Freund erinnernd und genießend sich zu versenken. In dieser BeschäfKaehler,

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Fünftes Kapitel.

tigung wird er aufs neue des einst so lebhaft empfundenen Berufes zu einem „Leben in Ideen", in ihr wieder wird er des Wandels sich bewußt, weichen das letzte Menschenalter in der geistigen Haltung der Zeit und der in ihr Lebenden hervorgerufen hat." Ich weiß nicht, ob es noch jetzt Leute geben mag, die so offen über sich selbst reden und so tief in ihre Individualität eingreifen. Ich möchte es bezweifeln. Man hat auch jetzt gar nicht mehr die Zeit, sich so mit sich zu beschäftigen. Es ist mir sehr merkwürdig aufgefallen. In einer Reihe von Briefen, die durch mehr als ein Jahr gehen, ist auch nicht ein Wort über öffentliche Begebenheiten. Schreibt man jetzt, auch nicht bloß ich in meiner Lage, wohl einen einzigen Brief ohne dies? Ich will nicht behaupten, ob es besser ist jetzt oder damals. Damals sah man alles, was dahin einschlug, als Geschäfte an, d i e . . . das wissenschaftliche Leben . . . nur gestört haben würden. Jetzt glaubt man, daß der Mensch nicht seine wahre Vollendung, seinen eigentlichen Wert haben kann, wenn er nicht . . . lebhaften Anteil nimmt an allem, was im Staat vorgeht. Wissenschaft und Literatur, auch der denkende Geist der Nation gewannen bei jenem, darüber ist keine Frage. Allein allerdings mag die Zeit etwas anderes fordern, der Charakter der Nation jetzt gewonnen haben und für die Wissenschaft die Frucht nachkommen. Wenigstens kann man den Strom jetzt nicht aufhalten. E r ist einmal dahin gerichtet" 1 ). Von diesem Strom der Zeit läßt auch Humboldt sich jetzt tragen, nachdem und indem er so immer wieder die Berührung sucht und findet mit dem Mutterboden seines geistigen Seins. Es ist, als atme er geistig auf, nachdem der Druck der Spannungen des vergangenen Sommers von ihm genommen, als weite sich sein Wesen im Anblick der neuen und, wie er häufig bemerkt, großzügigen Verhältnisse, in denen er jetzt sich bewegt. Besonders ist es unverkennbar, daß die Berührung mit dem politischen Leben Englands den Zug zur eigenen politischen Tätigkeit stärkt, trotz manchen inneren Widerstrebens seine Anteilnahme am Staatlichen reger werden läßt*). E r erkennt die geschichtliche Kraft der englischen Verfassung, ihre Grundlage in „der immer regen Vaterlandsliebe der Nation"; zugleich sieht er die Unmöglichkeit, diese politischen Formen nach Deutschland oder wohin sonst zu verpflanzen: „eine andere Nation würde mit ihrer Eigentümlichkeit notwendig selbst etwas anderes daraus machen" 8 ). Mag er noch so oft den „rohen Realismus", den der Engländer in Kunst und Leben an den Tag legt, verurteilen, bewundernswert findet er doch „die Größe an praktischer Weisheit, und im Regieren bleibt England ein unerreichtes Muster" 4 ). Für die eindringliche Kraft seiner Beobachtung zeugt die E r kenntnis, daß er den entscheidenden Punkt gesehen hat, welcher die

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Herrschaft der führenden englischen Klassen im eigenen Volk und ihre „merkwürdige Anziehungskraft" auf die Ausländer bedingt. Es sind die „festen, konsequenten und durch alle Punkte durchgehenden Formen des Lebens, welche gar nicht den Gedanken aufkommen lassen, von ihnen sich ausnehmen zu wollen"1). Humboldt also hatte schon jene geheimnisvolle Anziehung erkannt, welche von dem allgemeinen Ideal, ein „Gentleman" zu sein, ausgeht und noch heut durch diesen kulturell-sozialen Zielpunkt die aufsteigenden Massen im geistigen Herrschaftsbereich der führenden Schichten festhält: „denn hier ist Rang in allem". Erstaunlich viel ist in den Briefen dieses Jahres, welche zwischen dem Tiber und der Themse hin- und hergehen, von dem sonst weniger beachteten geselligen Leben und Treiben die Rede Die Gattin berichtet von den Künstlern jeder Richtung und jeden Ranges, denen sie ihre lebhafte Teilnahme entgegenbringt, von denen sie dankbar gefeiert wird. Daneben erscheinen die vornehmen deutschen Rompilger, welche sie mehr oder minder langweilen, deren Huldigungen jedoch, mochte es um einen künftigen Thronerben, wie Ludwig von Bayern, oder um Prinzen halben Geblüts, wie die Grafen Ingenheim und Brandenburg sich handeln, im Lebenskreis der noch im Leiden anziehenden und geistvollen Frau nicht fehlen durften. Ihre Briefe selbst enthalten so manches Stimmungsbild von seltener Kraft der Anschaulichkeit, sie lassen ein feines malerisches Auge erraten. Wie mochte das verlorene Paradies vor Humboldts Augen locken, wenn der Zauber herbstlicher Tage bildhaft vor ihm erstand: „alle Morgen fällt ein sehr starker Nebel im Abend, die Sonne scheint dagegen, und aus dem rosigen Schleier sehe ich St. Peter heraustreten. Es ist immer wie ein Kampf wolkiger Gebilde um den hohen Dom; zuweilen tritt der Vatikan, zuweilen die Kuppel zuerst heraus . . . es ist ein Farbenspiel, etwas so Wunderbares, und ich möchte sagen, etwas so Siegendes darin, wenn das hohe Gebäude nun hervortritt, und die Strahlen der kaum aufgegangenen Sonne warm und liebend es umfließen"2). Während Frau v. Humboldt zwischen den Trümmern einer versunkenen Welt und einer entthronten Metropole romantisch schwärmt, wird Humboldt nicht müde, die ihm neuen Formen zu schildern, unter denen das gesellschaftliche Leben der aufsteigenden Hauptstadt der Welt sich abspielt. Das Leben der englischen Gesellschaft mit seiner politischen Bedeutung zieht auch den preußischen Gesandten in seinen Bann. Des Absonderlichen gibt es viel zu bemerken, mag es die Bauart der Häuser, die soziale Stellung der Dienerschaft, die späte Stunde des Schauspiels, die überfüllten Empfänge der großen Gesellschaft betreffen. Vor anderem widerstrebt ihm der Luxus, welchen das vornehme England mit 23»

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den Genüssen der Tafel treibt: „das Verzweifelndste ist, daß dieser Luxus noch dabei immer ganz einfach aussieht. Die Verbindung der Einfachheit mit dem ungeheueren Aufwand ist das wahre und echte Zeichen der Wohlhabenheit." Zu so treffender Beobachtung mochte das Leben in dem vom Krieg verarmten Deutschland den Blick besonders geschärft haben1). Seltsam brachte es der Zufall mit sich, daß gerade auf diesem Boden des gesellschaftlichen Lebens für Humboldt die nächsten Aufgaben seiner Stellung lagen. Es galt gerade gesellschaftlich das Ansehen der preußischen Gesandtschaft zu heben, da sie zu Humboldts Ärger während der Amtsführung des alten Jacobi-Kloest und dann eines subalternen Geschäftsträgers so gesunken war, daß man in London den Gesandten Preußens in eine Reihe stellte mit dem von Bayern, Portugal oder Sardinien. Auf der anderen Seite lag es ihm ob, mit dem Einsatz des preußischen Ansehens die Stellung der Herzogin von Cumberland, der Schwägerin Friedrich Wilhelms III., an dem zerfahrenen Weifenhof zu sichern und günstiger zu gestalten. So mußte Humboldt denn repräsentieren, ein Haus machen, und die Briefe sind voll von ärgerlichen und ergötzlichen Zufällen, welche dies Bemühen mit sich bringt, aber auch von der Genugtuung, welche er über jeden gelingenden Schritt auf dem ungewohnten Boden empfindet. Es ist ihm gar nicht recht, daß Preußen nur eine Gesandtschaft und nicht eine Botschaft unterhält wie die anderen Großmächte. Um so größer ist sein Stolz, als der Prinzregent ihn als den einzigen der nicht zu der vornehmeren Klasse gehörenden Diplomaten auf seinen Landsitz in Brighton einladet und seinerseits der Einladung in die preußische Gesandtschaft folgt, was Humboldt als außergewöhnliche Gunst auffaßt, die er allein seinem persönlichen Auftreten zu danken habe*). Es stimmt doch nicht recht zu der oft betonten Verurteilung alles solchen nichtigen gesellschaftlichen Treibens, wenn er seine Befriedigung über diese Erfolge nicht verbirgt und mit Genugtuung vermeldet, wie der Prinzregent erklärt habe, er verstehe nicht, daß der König ein solches Amüsement wie Humboldts Unterhaltung gutwillig sich in Berlin entgehen lasse'). Der Panzer idealistischer Weltferne weist noch so manche Lücke auf; gerade in diesem Londoner Jahr tritt die nie überwundene Zwiespältigkeit in Humboldts Selbstzeugnissen besonders deutlich zutage. Zwischen dem gesellschaftlichen und dem politischen Leben gab es in England eine Brücke, deren ganze Bedeutung Humboldt erst in London kennen lernte: es war die Presse. Wie die Times die Unfälle und den glücklichen Ausgang der Überfahrt des preußischen Gesandten nach England der europäischen Welt sofort verkündet hatten, war offenbar nicht

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ohne Eindruck auf Humboldt geblieben. Denn nicht nur der Gattin, sondern auch Hardenberg gegenüber nimmt er auf diese Meldung Bezug. Von der gesellschaftlichen Seite also trat ihm die neue Großmacht zuerst nahe; allein auch ihre politische Bedeutung wurde ihm sehr schnell klar. Das damalige Blatt der Opposition, das Moming Chronicle, welches vor Jahresfrist schon seine Pariser Denkschrift gegen Capo d'Istria veröffentlicht hatte, brachte damals scharfe Artikel gegen die Heilige Allianz und auch gegen Preußen. Humboldt versuchte, im Blatt der Regierungspartei dagegen zu wirken. Seine Handschrift aber spielte ihm einen schlimmen Streich; der Artikel enthielt einen sinnlosen Druckfehler und der Redakteur des Oppositionsblattes war scharfsinnig und boshaft genug, den Grund des Mißgeschickes zu erkennen und dem preußischen Gesandten öffentlich den guten Rat zu geben, bei der Inspiration der Presse künftig deutlicher zu schreiben. Humboldt nahm den Unfall mit Gleichmut hin, war aber doch nicht wenig geschmeichelt, bald darauf in der gleichen Zeitung über den Deutschen Bundestag den folgenden Satz zu lesen: „Was ist ein Rat in Deutschland ohne einen Stein, Humboldt, Gneisenau?" Der Wahlkampf vom Sommer 1818 gab dann noch mehr Gelegenheit1), die Bedeutung der Presse für das politische Leben zu erkennen: „Die Zeitungen sind eine Macht, es wäre vergebens, es abzuleugnen." In diesem Umfang etwa ist der Kreis der Anregungen und Eindrücke zu umschreiben, welche für Humboldt in dem Jahr des englischen Aufenthaltes von Bedeutung waren. Vergleicht man jedoch die Briefe dieser Monate mit den Aufzeichnungen seines Pariser Tagebuchs, so wird es ganz deutlich, wie der Schwerpunkt von Humboldts Teilnahme am nationalen Leben von den literarischen Gegenständen h i e r sich verschoben hat auf die gesellschaftliche und politische Seite, d. h. auf die eigentlich englische Lebensform d o r t . Wobei es dann freilich auffällt, wie wenig Beachtung Humboldt doch dem größten Faktor der englischen Zukunft, der Industrie zuwendet: 9ein Blick wird noch festgehalten im Bereich der nächsten Umgebung seiner gesellschaftlichen Stellung2). Trotz der mannigfachen Anregung und Ablenkung, welche das Londoner Dasein mit sich brachte, blieb es Humboldt dauernd gegenwärtig, wie ungeklärt die eigene Lage doch noch war. Würde es bei der Dauer seines Aufenthaltes in England, welche nach Hardenbergs in Berlin gegebener Zusage und nach seinem eigenen festen Vorsatz Jahresfrist nicht überschreiten sollte, sich bewenden lassen8)? Würde dann endlich die ersehnte Vereinigung mit der Gattin und der Familie, deren Entbehren in dem Londoner Treiben von Woche zu Woche immer empfindlicher wurde, sich herbeiführen lassen? Unter welchen äußeren Umständen wird sie

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erfolgen? Hat die oft ersehnte Stunde geschlagen, in welcher es ihm vergönnt wird, die so drückend empfundene Last des Dienens mit Ehren und unter Wahrung seines guten Namens von sich zu tun? Ist endlich daran zu denken, zu dem „natürlicheren Dasein" zurückzukehren, welches, sei es in Rom, sei es in Tegel, nur noch dem eindringlichen Anschauen „der großen Gestalten der vielfach umwohneten Erde . . ." gewidmet, nur noch vom innigeren Austausch mit der Gattin erfüllt sein soll? Oder lautet es ganz anders, das Gebot der Stunde? Scheucht es ihn auf von dem lockenden Gestade der Ruhe, das nach einem mühseligen Jahrzehnt der Irrfahrt endlich zu ungestörtem Genuß des Daseins ladet, weist es ihn wieder hinein in die Unrast des politischen Treibens? Fordert das Vertrauen, welches die „Gutgesinnten" auf seinen Namen, seine Tätigkeit zum Besten des Staates setzen, daß er bei Hardenberg auf eine Entscheidung, daß er mit aller Entschiedenheit darauf dringe, aus der verhältnismäßigen Unbedeutendheit des Gesandtenlebens endlich zu einem großen und bedeutenden Wirken in Berlin berufen zu werden? Fordert es vielmehr nicht die Klugheit, daß er bei Hardenbergs Mißtrauen sich zurückhalte, daß er es vermeide, mit „etwas so Positivem" wie der Forderung einer bestimmten Verwendung hervorzutreten? Soll er dem Kanzler nahelegen, ihn wieder mit der Vertretung Preußens bei der Kurie zu betrauen, die denn doch eine andere Bedeutung für den Staat besaß als die Cumberlandsche Ehe oder die Verhandlungen über die Barbaresken, welche in London zeitraubend zu betreiben waren? Wem wäre damit nicht alles geholfen? Seiner Frau, ihm selbst und seinen Kindern in erster Linie; nicht weniger auch Hardenberg, dem Humboldt jenseits der Alpen ebenso lieb sein mußte, wie jenseits des Kanals. Dann konnte jener obendrein darauf verweisen, zu welch wichtigem Geschäft Humboldts Abwesenheit von Berlin erforderlich sei. Damit wäre der Staatskanzler aus aller Verlegenheit heraus. Aber sollte gerade dazu Humboldt selbst die Hand bieten? Sollte er dabei den immer empfindlichen, leicht gekränkten Niebuhr verletzen und beiseite drängen ? Sollte er dem Vorwurf der Neider sich aussetzen, auf Kosten des Staates in Rom ein genießendes Leben zu führen ? Oder sollte er auf den früheren Vorbehalt, zum Abschluß der Frankfurter Verhandlungen dorthin gehen zu dürfen, zurückgreifen und damit im Gesichtskreis von Berlin zur Beunruhigung des Kanzlers bleiben, jederzeit bereit einer ihm genehmen und angemessenen Berufung zu folgen? So wälzt die unermüdliche Reflexion in Humboldts Gehirn das immer wiederkehrende Rad der Fragen und Erwägungen; in zahllosen Briefen läßt er die Gattin teilnehmen an der Qual der erwogenen, gefaßten und verworfenen Entschlüsse. Denn so meinte Humboldt die Ruhe, welche der Aufenthalt in London trotz allem

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ihm gewährte, „gut zu benutzen, sich auf jedes künftige Schicksal vorzubereiten" 1 ). Soweit das Schicksal mit der Person Hardenbergs gleichzusetzen war, stand es sehr bald fest, welches Los Humboldt zufallen sollte: ganz einfach in London zu bleiben. Seit seinen Begleitworten bei der Übersendung des Beglaubigungsschreibens zu Ende August war und blieb der Kanzler für Humboldt verstummt und ließ es mit seiner Antwort auf mehrere Briefe bis zum Januar 1818 anstehen. Dies Schweigen und ebenso der Ton des späten Briefes, der so gut wie gar nicht auf die im November und doch wahrlich nicht ohne Zutun Humboldts erfolgten Veränderungen in der Besetzung der Ministerien einging, war so beredt, d a ß Humboldt seinen Weg deutlich genug vorgezeichnet finden mochte*). Hätte er nur in sich selbst eine ähnliche Klarheit besessen wie Hardenberg! Davon aber war er weiter entfernt denn je. So wie er halb noch im Beireich des Staatsdienstes sich fühlte, halb schoA außerhalb seiner sich betrachtete, erschien ihm „das äußere Leben wie eine Art Unternehmung, eine Reise, die man zu dem doppelten Zweck des Nutzens für andere und der Genugtuung für sich durchführen muß, wobei man über das Abtreiben durch seitliche Winde sich nicht ärgern darf, sondern nur auf das vollste Erreichen des Zieles sehen muß, man gelange früher oder später dahin" 8 ). Nur daß es Humboldt immer versagt blieb, über das Ziel — kurz gesagt: Rücktritt aus dem Staatsdienst oder tiefere Verflechtung mit seinen Anforderungen und Bedürfnissen — mit sich ins reine zu kommen. Und war dies auch nur logisch denkbar — die Wirklichkeit mochte vielleicht einmal erlösend eingreifen und die mannigfach geschürzten und verwirrten Knoten des Gewebes rauh zerreißen — war dies logisch denkbar, solange das Prinzip festgehalten wurde, daß der Erfolg, d. h. doch das Ziel, nichts gelten sollte neben dem Weg, auf dem es zu erreichen war? Hier erwies der große Dialektiker sich gefangen in unentwirrbaren Schlingen der eigenen Lebenssystematik. Vielleicht das schlimmste in seiner Lage war, daß er seiner Schwäche, daß er der Fesseln sich bewußt war, die seine Schritte hemmten. Wir hörten es schon, wie gerade damals die Erkenntnis in ihm volle Deutlichkeit gewonnen, daß er „einen zwiefachen Menschen" in sich trage, hörten, wie er sich hin- und hergerissen fühlte zwischen dem Drang zur Welt und der Flucht in die Einsamkeit, wie er trotzdem das Gleichgewicht im Strom der Zeit zu wahren glaubte 1 ). Dies eben war das Verhängnis: dieser Glaube an das Gleichgewicht. Wer nicht mit willensmäßigem Entschluß aus solchem Gleichgewicht herauszutreten, wer nicht das Gewicht der Tat in die Schale zu werfen imstande ist, dem bleibt das Eingreifen in die Wirklichkeit versagt und verwehrt, dessen beste

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Absichten bleiben der Frucht beraubt. Zudem: auch dieser Glaube war zum guten Teil trügerisch. Schwankten doch die Schalen dauernd hin und her, bald nach dieser, bald nach jener Seite neigend — und im entscheidenden Moment, in den Februartagen 1819, war von diesem Gleichgewicht nicht viel mehr zu spüren 1 ). Ist es schon beklemmend, heute Einsicht zu gewinnen in die Qual solcher schwankenden Unentschlossenheit, wie mußte dieser Anblick wirken auf die Frau, welche mit innerster Anteilnahme des Mannes Leben begleitet, von dem sie im besten Glauben das Wohl des geliebten Vaterlandes abhängig meint, die Lösung vieler Schwierigkeiten der Zukunft in rückhaltlosem Vertrauen erwartet I Aus der Ferne, die ihr einen klareren Blick über seine Lage verstattet, als er selbst bei aller Reflexion ihn zu gewinnen vermag, erhebt sie die warnende Stimme. „Das Einzige, wovor Du Dich hüten mußt, ist, nicht zu weit zu gehen in der Besorgnis, Deinen Namen zu kompromittieren. Mit dem Bewußtsein, das Du in Dir trägst, darfst Du das nicht scheuen. A b e r e s i s t d i e B e d i n g u n g a l l e s W i r k l i c h e n , ins L e b e n tätig E i n g r e i f e n d e n , daß es e i n e S t u f e t i e f e r a l s d a s I d e e l l e s t e h t . * ) Mit jedem Geisteswerk ist es dasselbe." Er müsse sich dazu verstehen, so oder so ein Ministerium anzunehmen. Sonst ,,fassest Du kein Segel des schwankenden Schiffes. Ende dies Schwanken... spanne alle Segel auf, wolle, wozu Du Dich entschlossen . . ." Sie warnt dringend davor, auf die „gute Lage" zu warten, zu glauben, daß der Bauplatz erst ganz rein sein müsse, ehe man zu bauen beginnt 2 ). Was konnten solche Mahnungen, eingegeben vom Scharfblick der Liebe, fruchten? Der Gatte mußte doch seine Bahn vollenden „nach dem Gesetz, nach dem er angetreten". Es verstand sich von selbst, daß Humboldt die E n t w i c k l u n g der inneren Verhältnisse Preußens von London aus mit aufmerksamer Teilnahme verfolgte. Die Ereignisse, welche seiner Übersiedelung nach England vorausgegangen waren, hatten ihn darüber belehren können, daß dort nach wie vor, nächst dem König, Hardenberg die für ihn entscheidende Persönlichkeit blieb. So urteilte er zutreffend: „die Besserung des Staatskanzlers ist die wichtigste innere Begebenheit, die sich bei uns zutragen konnte"*), und sein Verhalten trug diesem Umstand Rechnung. Die Gewohnheit ganz persönlich gehaltener brieflicher Mitteilungen läßt er bald nach der Ankunft am neuen Bestimmungsort wieder aufleben, allerdings doch in größeren Zeitabständen als während der anderthalb Jahre in Frankfurt. Es ist nicht zu verkennen, d a ß er jetzt mehr Zurückhaltung beobachten will. Trotzdem, von einer eigentlich tiefer wirkenden Verstimmung gegen Hardenberg zu sprechen, entspräche nicht

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den Tatsachen. Und hier kommt jener Zug in seinem Charakter zur Geltung, welcher Humboldt als Menschen auszeichnet, wie er ihm als Politiker schaden mußte: jene weitgehende Sachlichkeit, die ihn eine klare Scheidung zwischen persönlichen Beziehungen und sachlichen Gegensätzen stets hat anstreben lassen. E s mag verwunderlich sein, aber trotz der erfahrenen Enttäuschung bewahrt er dem Kanzler eine freundschaftliche Gesinnung, ja eine Zuneigung, an deren subjektiver Aufrichtigkeit bis in den Sommer 1818 hinein man nicht zweifeln kann1). Übrigens mußte Humboldt es ja am besten wissen, daß von einer „Illoyalität" des Kanzlers ihm gegenüber nicht die Rede sein durfte. Dieser hatte jederzeit es ihm deutlich genug zu verstehen gegeben, daß er ihn jetzt nicht in Berlin haben wolle. Andersgeartete Erwartungen und die Enttäuschung, als sie nicht in Erfüllung gingen, hatte Humboldt allein sich und seinen Freunden zuzuschreiben. Immerhin, es ist nicht mehr ganz die gleiche Arglosigkeit in den Briefen an Hardenberg wie einst, und es fällt auf, wenn Humboldt der Gattin Mitteilung macht von seinem festen Entschluß, „in Berlin keinerlei Art von Verbindimg als mit dem Staatskanzler zu unterhalten". In der Tat verstummt der während der Herbstmonate 1817 begonnene Briefwechsel mit Boyen damals wieder, und Spuren irgend eines anderen brieflichen Austausches mit Berliner politischen Persönlichkeiten lassen sich in dieser Zeit nicht nachweisen. In den Bereich seiner Beziehungen zu Hardenberg scheint Humboldt dessen Umgebungen mit einzubeziehen jetzt auch für besser gehalten zu haben. Denn abgesehen von Rother und Koreff tritt sogar die „Mademoiselle Hähnel" unter Humboldts Korrespondenten bei Gelegenheit auf; und es hat weiter den Anschein, als ob Humboldt den Staatskanzler diese Tatsache geflissentlich wissen lasse. Hardenberg selbst gegenüber vermeidet er das Eingehen auf eigentlich politische Fragen, beweist ihm dafür um so mehr Teilnahme an seinem Ergehen und mahnt ihn wiederholt, seine dem Staat so kostbare Gesundheit nicht durch Überarbeitung zu schädigen: so gibt er der Besorgnis Ausdruck, der lange Aufenthalt in Engers möchte dem Kanzler doppelte Arbeitslast hier und in Berlin nach der Rückkehr erwachsen lassen. Vielleicht mochte die Äußerung solcher Besorgnisse in Humboldts Augen dazu dienen, Hardenberg es auf Umwegen fühlen zu lassen, daß er seine Geschäftsführung mit kritischen Augen betrachte und zu solcher Kritik weiterhin sich für berechtigt halte4). Wer wollte es nun dem Staatskanzler verübeln, wenn er beim Empfang solcher Briefe sich die Frage vorlegte, was eigentlich den Gesandten in London die Zeit- und Geschäftseinteilung des Kanzlers in Berlin oder wo sonst immer angehe 3 ) ?

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Aber man wird beim Lesen dieser Briefe dem Eindruck sich nicht entziehen können, daß Humboldt sich alle Mühe gibt, soweit es ihm gegeben ist, in die Lage des Kanzlers sich zu versetzen; jedoch sein Talent lag trotz aller angeblichen Menschenkenntnis nicht in dieser Richtung, und so mochtc dies Bemühen gelegentlich ein etwas verwunderliches Aussehen gewinnen 1 ). Andererseits kränkte ihn das lange Schweigen Hardenbergs; es kränkte ihn, daß er nichts über die Neubesetzung der Ministerien, nichts über die bevorstehende Rheinreise von ihm erfuhr, und in seinen Briefen gibt er stets zu fühlen, daß und wenn er von anderer Seite, besonders von fremden Diplomaten wie Münster oder Esterhazy, von Hardenbergs gutem Befinden gehört hatte 1 ). Der Kanzler hat sich denn auch gedrängt gefühlt, diese halbausgesprochenen Vorwürfe bei Gelegenheit mit freundschaftlichen Versicherungen zu beschwichtigen. So bietet ihr Verhältnis nach dem Berliner Zusammensein ein in den Grundzügen gegen das Vorjahr kaum verändertes Bild: sie leben und schreiben aneinander vorbei, trotzdem es nicht nur für andere, sondern für sie selbst den Anschein hat, daß sie aufeinander besonders angewiesen seien. Wenn Hardenberg über die Personalveränderung in den Ministerien zunächst sich in Schweigen hüllt und sie dann nur ganz im Vorbeigehen berührt, als wären sie für Humboldt ohne jeden Belang, so durfte dieser sich sagen, daß es ohne sein Auftreten im Staatsrat nicht dazu gekommen wäre, und er durfte ferner die neuen Männer und ihre Stellung „als halben Nachklang" seiner Kritik vom letzten Sommer betrachten'). Natürlich, die getroffenen Maßregeln befriedigten ihn keineswegs; gemessen am Maßstab des absolut Wünschbaren, wie es von Humboldt in seiner Eingabe vom letzten Juli entwickelt worden war, blieb an den Personen und an der ihnen zugewiesenen Stellung sehr viel auszusetzen. Anstoß nahm er einmal an dem Verbleiben von Schuckmann und Bülow im Amt; mit diesen werde er bestimmt niemals in ein Ministerium eintreten; auch auf Beyme sieht er mit Mißtrauen. Sodann war zu beanstanden, daß man durch Teilung der bisherigen Ressorts die Verwaltung kompliziert statt vereinfacht habe. Vor allen Dingen die Frage der Ministerverantwortlichkeit sei durch diese Teilung der Geschäfte — d a ß sie eine im technischen Sinne bessere Geschäftsführung herbeiführen könne, wolle er zugestehen, — nicht geklärt, sondern eher verwirrt worden. Solange hier kein Wandel geschaffen sei, denke er nicht daran, Minister in Berlin zu werden. Das ganze Ereignis bestärke ihn nur in der Absicht, bei passender Gelegenheit sich aus dem Dienst zurückzuziehen. Überdies: so wie es jetzt stehe, sei, abgesehen von dem Fehlen eines Prinzips in der Geschäftsverteilung, „gar nicht in den obersten Stellen eine Vereinigung von Menschen, wie sie die Nation auf der Stufe,

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auf welcher sie steht, und nach den Beweisen von Kraft, Anhänglichkeit an den König und Vaterlandsliebe, die sie gegeben hat, verdient" 1 ). Zweifellos eine Kritik aus dem höchsten Gesichtspunkt der Betrachtung; aber war sie billig, war sie „realpolitisch" ? Nahm sie nur mit einem Gedanken Rücksicht auf die Hindernisse, die von allen Seiten dem Kanzler den W e g verlegten? Gab sie sich nicht, als habe jener die Macht, das denkbar Gute vorbehaltlos in diesen verwickelten Verhältnissen, in welche nicht nur die Parteiung im Inneren, sondern der Einfluß des Auslandes, will sagen: Metternichs und des Zaren Alexander, hineinzuspielen begannen, wie ein Experiment im luftleeren Raum zu verwirklichen? Zum mindesten hätte gerade Humboldt die Befreiung von Kultus und Unterricht aus der Herrschaft des „Skythen" Schuckmann anerkennen sollen; aber hier kam sein eigenes Interesse ins Spiel. Schuf man schon ein selbständiges Ministerium der geistlichen Angelegenheiten, so waren Frau von Humboldt wie er selbst der Ansicht, daß eigentlich ihm dessen Leitung gebühre 2 ). Trotzdem nun der Ministerkonseil ohne den Staatskanzler acht Köpfe umfaßte, blieb ein Ressort doch noch unbesetzt: das Zweite Kabinettsministerium, die Auswärtigen Angelegenheiten. Nur dieses war in Frage gewesen, wenn Hardenberg eine Berufung nach Berlin in den letzten Jahren in Aussicht gestellt hatte. Man kann also nicht sagen, d a ß der Kanzler mit der neuen Stellenbesetzung ihm den Weg nach Berlin versperrt habe, wenn auch Humboldt jetzt gelegentlich es sich durch den Sinn gehen ließ, ob es nicht überhaupt falsch gewesen sei, aus dem inneren Staatsdienst in die Diplomatie zurückgetreten zu sein. Denn jetzt stand sein Sinn nach der Wirksamkeit im Inneren des Staates und zwar am liebsten im Staatsrat. Hier schien seit dem letzten Sommer ein Feld für erfolgreiche Tätigkeit seiner zu warten. Von Leuten, welche die Dinge aus der Nähe kannten, wurde er allerdings schon jetzt gewarnt, zu sicher auf diesen Punkt zu bauen: „was ihm Ehre und Ruhm bringe, scheine ihm auch Nachteil gebracht zu haben" 3 ). Aber Humboldts Blick blieb auf dieses Ziel gerichtet. Nicht nur weil hier schon einmal erwünschter Erfolg geerntet werden konnte; nicht nur, weil nach seiner Ansicht jede Maßregel noch so unbedeutender Art, die dem Staatsrat, wie er dessen Tätigkeit sich dachte, zur Beratung vorgelegt wurde, an sich ein wichtiger und interessanter Gegenstand sein mußte. Sondern weil ein Platz im Staatsrat, ohne bestimmten Wirkungskreis, ohne Besoldung und ohne das Verhältnis von Vorgesetztem und Untergebenem, welches hier ausgeschaltet war, im Rahmen des Staatsdienstes eine formal eindeutige und vor dem dienstlichen Eingriff des Kanzlers gesicherte Stellung zu bieten schien. Humboldt betrachtete sie,

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als sei sie mit dem Charakter der Inamovibilität ausgestattet; er ist unklug genug gewesen, dies Hardenberg gegenüber später zu betonen und die Eigenschaft als Mitglied des Staatsrates wie etwas Unabänderliches gegen ihn auszuspielen. Die Folgerungen solcher Auffassung, löste man sie einmal von der Person Humboldts ab, konnten von keinem Haupt einer Verwaltung und einer Beamtenhierarchie zugestanden werden. Denn so wie Humboldt diesen Staatsrat sich dachte — als eine Versammlung zwar fachkundiger Beamter, die aber außerhalb des Beamtenverhältnisses nur dem „Mandat ihres Gewissens", wie es in der Städteordnung hieß, zu folgen hätten — unter dieser Voraussetzung konnte eine solche Körperschaft in der Tat zu einem Parlament sich auswachsen, welches sehr schnell die unentbehrliche Unterordnung im Beamtentum untergraben mußte. Hören wir, wie Humboldt diese Stellung auffaßte: „Mitglied im Staatsrat sein, ist, wenn man einmal dazu berufen ist, eine Art Bürgerpflicht, der es in jeder Art ein Unrecht wäre, sich zu entziehen. Man ist nur für seine Stimme verantwortlich und kann durch diese, wenn man es ernstlich meint, viel bewirken. Man könnte das Unglück haben, mit allem unzufrieden zu sein, und müßte nur um so eher bleiben, weil man durch diese Stellung nicht teilzunehmen genötigt ist, vielmehr im Gegenteil instand gesetzt wird, sich sogar entgegengesetzt auszusprechen." So sehr wünschte er die Freiheit der Kritik um jeden Preis sich zu sichern, daß er sogar die Stellung eines Präsidenten des Staatsrates, die ihm später angeboten wurde, als zu große Bindung ablehnte 1 ). Dies in der Tat wäre eine Stellung im Staat ganz nach dem Herzen Humboldts gewesen: das Talent kritischer Interpretation der Dinge, welches er in hohem Grade besaß, nach Belieben walten zu lassen, dabei die Genugtuung genießen, tätig für das Ganze und doch eigentlicher Verantwortlichkeit ledig zu sein — die ganze Tätigkeit im übrigen auf einige Wintermonate in Berlin beschränkt und sonst Freiheit zu ländlicher Zurückgezogenheit und wissenschaftlicher Arbeit gewährend! Eine Stellung dieser Art hatte er ja schon 1809 der „Mehrzahl" der Mitglieder des von ihm geplanten Staatsrats zugedacht; denn nur eine Minderzahl sollte nach seinem damaligen Plan unmittelbar „administrieren". E s ist deutlich, daß Hardenberg, wenn und sobald er auch nur einen Teil der persönlichen und sachlichen Folgen dieser Auffassung übersah, einem solchen Plan auf jeden Fall sich versagen mußte*). Noch allerdings war der Konfliktsfall nicht gegeben, noch stand die Verwirklichung des Gedankens in jener fernen Zukunft, welche ihn zunächst einmal von London nach dem Kontinent zurückgeführt haben würde. Dazu sollte erst ein gangbarer Weg gefunden und beschritten

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sein1). Für den Lauf des Jahres 1818 war der erste jener Kongresse der an der Heiligen Allianz beteiligten Souveräne geplant, welche die Lebenskraft ihrer Prinzipien und die auf ihnen beruhende Einigkeit der Staatenlenker dem unruhigen Europa vor Augen führen sollten. Es stand nur die Tatsache, nicht Zeit und Ort der Zusammenkunft fest. Da er bisher an allen Kongressen der Mächte seit 1813 teilgenommen, so glaubte Humboldt, sein Schicksal werde auch mit dieser Versammlung der Fürsten und ihrer Minister irgendwie in Zusammenhang geraten. Und trotz mancher Schwankungen, trotzdem in der Frage, ob Hardenberg ihn nach Aachen — denn dort sollte der europäische Areopag sich versammeln — berufen werde, das Wider fast bis zuletzt das Für zu überwiegen schien, sollte er am Ende mit seiner Ahnung recht behalten. A m 27. Oktober 1818 setzte die Berufung nach Aachen der Verbannung nach der Nebelinsel ihr Ziel8). Ehe jedoch die befreiende Entscheidung fiel, waren zwei Momente wirksam geworden, welche den Ausblick auf den Kongreß, wie er für Humboldt während des Winters 1817 sich darstellte, durchaus verändert hatten. Das eine war sein Entschluß, indem er den Kanzler beim Wort nahm, mit abgelaufener Jahresfrist, d. h. für den Herbst 1818 seine Abberufung von London zu f o r d e r n . Das andere Moment stand im engsten Zusammenhang mit diesem Entschluß: es war die Ernennung des dänischen Gesandten in Berlin, Grafen Christian Günther Bernstorff zum preußischen Minister der Auswärtigen Angelegenheiten. Sie war das einzige bleibende Ergebnis seiner Verflechtung mit der preußischen Politik dieser beiden Jahre; freilich ein Ergebnis, das ohne seine Anteilnahme und sehr wider seinen Willen eintrat. Beide Ereignisse, einander bedingend, wirkten in entgegengesetzter Richtung. Das Rückberufungsgesuch sollte nach Humboldts Absicht, wie sie im Laufe des Sommers sich in ihm klärte, den Weg frei machen entweder zu bedeutender Wirksamkeit im Staat oder zum Rücktritt in ein Leben nach eigener Wahl. Es bewirkte in der Wirklichkeit, daß mit Bernstorffs Ernennung der Weg zu dem ihm von Haus aus zustehenden Ministerium versperrt wurde. Und Hardenbergs überaus geschickte Benutzung der Blößen, welche Humboldt während der langwierigen und unerfreulichen Verhandlungen der nächsten 10 Monate sich gab, brachte ihn genau in die Lage, welche zu vermeiden er ebenso fest entschlossen wie guter Zuversicht gewesen war. Wie spielten diese Dinge im einzelnen sich ab? Gegen Wintersende lauteten die Nachrichten über den Gesundheitszustand von Frau und Tochter ungünstig; ärztliche Gutachten erklärten einen Aufenthalt in England für beide Damen als schlechterdings schäd-

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lieh, so daß Humboldt Ende März 1818 zu dem Entschluß kam, seine baldige Abberufung aus London bei Hardenberg in Anregung zu bringen 1 ). Dem Staatskanzler, dem er am 4. April des längeren schrieb, glaubte er Verständnis für jene Gründe zutrauen zu können, welche ihm die Trennung von seiner Frau besonders empfindlich machen mußten. Die Feststellung, seit Frühjahr 1813, also seit fünf langen Jahren, sei er nicht mehr als während rund sechs Monaten mit seiner Familie vereinigt gewesen, enthielt ein Argument von einigem Gewicht. Und Humboldt stand nicht an, dem Staatskanzler wie dem König gegenüber es zur Geltung zu bringen 3 ); gleichzeitig mit dem Brief an Hardenberg ging eine Eingabe an den König auf dem Dienstwege, d. h. durch Vermittlung des Staatskanzlers ab. Humboldt befolgte also dasselbe Verfahren wie vor Jahresfrist; allein es sollte ihm nicht der gleiche Erfolg beschieden sein3). Denn Hardenberg gab die Eingabe nicht weiter; seine Gründe ergeben sich mit einiger Wahrscheinlichkeit aus Humboldts Brief. Wie sein Vorläufer vom vorigen Jahre setzte auch dieses Schreiben den Staatskanzler in nicht geringe Verlegenheit. Unter wiederholter Betonung der Tatsache, d a ß sein Entschluß endgültig sei, daß kein Plan zu dienstlicher Verwendung, welchen Hardenberg auch haben möchte, irgend ihn beeinflussen könne, bittet er aufs dringendste um baldige Ablösung von dem Londoner Posten. E r selbst hege keinerlei Wünsche nach anderweitiger Verwendung: "c'est l'exacte et parfaite vérité. Je n'en ai pas lo moindre désir, et j'ai au contraire le plus grand d'être rendu à ma famille, aux soins de mes affaires domestiques et à mes occupations littéraires." So viele Beweise seiner Freundschaft der Fürst ihm bisher auch gegeben, größer könne keiner sein als der, beim König auf eine baldige Gewährung seiner Bitte zu wirken. Bedenklich war, daß dieser Brief im Hinblick auf das allgemeine Dienstverhältnis sowohl wie auf den besonderen Umstand, daß er unlängst für seine bisherigen Dienste mit der außerordentlichen Auszeichnung einer königlichen Dotation belohnt worden war, eine gar zu entschiedene Sprache führte; sie mußte reizen. Übrigens stand in diesem Brief keine Silbe davon, daß Humboldt damit rechne, als Mitglied des Staatsrats weiter zu dienen. Daß es die stillschweigende Voraussetzung seines Schrittes war, ist darum nicht weniger zweifellos1). Aber er sprach sie nicht aus, und diese Unterlassung blieb nicht ohne Folgen. Denn so wie Hardenberg diesen Brief erhielt, konnte er nicht anders, als ein rundes Abschiedsgesuch in ihm erblicken. Dementsprechend fiel seine Antwort aus: das Abschiedsgesuch eines Staatsdieners von dem Verdienst, den Talenten und der Arbeitsfreudigkeit Humboldts könne er dem König nicht weiterreichen ohne ernstlichen Versuch, ihn dem könig-

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liehen Dienst zu erhalten. D a ß gute Gründe vorlägen, nicht langer in London zu bleiben, begreife er. Den vorgeschlagenen Eintritt ins Ministerium habe Humboldt im Vorjahre an Bedingungen geknüpft, die er nicht habe zugestehen können, aber gewiß ließe sich eine Verwendung finden, welche den jetzigen Wünschen Humboldts entsprechen werde; z. B. die Gesandtschaft am Bundestag ("le climat est tel que Vous le souhaitez!") oder die Gesandtschaft in Rom, oder sonst irgendein diplomatischer Posten — er sei zu jedem „Arrangement" bereit 1 ). Nun hat Humboldt es dem Kanzler außerordentlich verdacht, wie er in seinem Schreiben ein Abschiedsgesuch sehen und „von retraite und den Wissenschaften" habe sprechen können, wo er keinen Anlaß dazu gegeben 8 ). W a r dieser Vorwurf berechtigt? Man wird die Frage verneinen müssen. So wie der Brief geschrieben war, enthielt er ein Abschiedsgesuch. Und wenn Hardenberg vielleicht nicht geradezu davon überzeugt war, daß Humboldts eigentliche Absicht dahin ging, wer will es ihm verübeln, wenn er von der günstigen Wendung Gebrauch machte, den Unbequemen nun ausschalten zu können? Denn seine Antwort sollte und konnte ja nur Humboldt in dieser Richtung weiterdrängen; so wie der Brief einmal lautete, mußte Humboldt inkonsequent bis zur Lächerlichkeit scheinen, wenn er auf Hardenbergs Angebote einging. Indem Humboldt auf j e d e n anderen Posten ausdrücklich Verzicht leistete, fielen alle etwaigen Verpflichtungen Hardenbergs fort, auf ihn bei der Besetzung des Ministeriums der Auswärtigen Angelegenheiten Rücksicht zu nehmen®). E r konnte es nach seinem Gutdünken nunmehr besetzen und hat auch nicht damit gezögert; in diesen Wochen bereitet sich die Berufung Bernstorffs zum Minister des Auswärtigen vor. Man hat es Hardenberg zum besonderen Vorwurf machen wollen, daß er der Anstellung des landfremden Mannes die Begründung gegeben habe, „ihm sei im königlichen Dienst niemand bekannt, der die nötigen Eigenschaften zu dem erwähnten Posten besitze"4). So lange Humboldt noch als Anwärter auf dieses Portefeuille gelten konnte, wäre eine solche Feststellung der Sache nach falsch und persönlich verletzend für Humboldt gewesen; immer abgesehen von der Tatsache, daß seine Berufung damals in Wien und Petersburg zweifellos „ombrage gegeben" hätte. Jetzt n a c h seinem Abschiedsgesuch aber entsprach die Behauptung Hardenbergs f o r m a l durchaus den Tatsachen. Und ferner: hielt Humboldt an den Ansichten fest, welche er in der Juli-Denkschrift geäußert hatte, mit dem direkten Angriff gegen Hardenbergs Stellung als solche, dann blieb er eben, objektiv genommen, ungeeignet für eine Stellung als Minister u n t e r dem Staatskanzler. Wann hätte ein leitender Staatsmann je sich darauf eingelassen, freiwillig einen Mann als Mitarbeiter zu wäh-

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len, welcher die eigene Stellung zu untergraben beabsichtigt und daraus kein Hehl macht? Wenn Hardenberg in Humboldts Schreiben vom 4. April ein Abschiedsgesuch erblicken wollte, so gab es für seine Auffassung einen Zeugen gegen Humboldt, von dem Hardenberg allerdings nichts wissen konnte, — deswegen sind bis jetzt nur die aus der Sachlage selbst sprechenden Gründe angedeutet worden — dessen Zeugnis aber von größtem Gewicht ist: es ist Humboldt selbst. Am 31. März teilte er der Gattin seinen Entschluß mit, um die Abberufung einzukommen, und zugleich den Entwurf seines Schreibens an Hardenberg. Im Gedankengang stimmen beide Schriftstücke durchaus überein, nur daß in dem Schreiben an Hardenberg des Staatsrats keine Erwähnung geschieht, während im Brief an Frau v. Humboldt dieser Gedanke einen Punkt des Zukunftsprogrammes ausmacht. Femer wird h i e r aus seinem Vorgehen die gleiche Folgerung von Humboldt selbst gezogen, welche Hardenberg zu Unrecht daran geknüpft haben sollte: „da ich einmal diesen Schritt tue, i m G r u n d e m e i n e n A b s c h i e d zu v e r l a n g e n " * , so sei nicht einzusehen, warum er nicht einige Wochen später Urlaub nach Italien für die Dauer eines Jahres fordern solle, zumal Hardenberg sicher darauf eingehen werde. So beurteilte Humboldt selbst Sinn und Folgen seines Schrittes. Am 26. Mai aber wirft er es Hardenberg vor, daß dieser von seinem Gesuch spreche „simplement comme d'une retraite de Service" und an seiner Bereitschaft im Staatsrat zu arbeiten vorübergehe1). Wie gesagt, in dem Brief an Hardenberg steht davon nichts. In der Eingabe an den König findet sich ein solcher Passus, denn auf das Konzept zu dieser, welches er zur Hand hatte, beruft sich Humboldt8). Vielleicht, daß Hardenberg die Eingabe noch nicht gelesen hatte oder überhaupt nicht lesen wollte; gewiß, daß er für seine Antwort nur das als Ausgangspunkt nahm und zu nehmen brauchte, was Humboldt ihm persönlich schrieb. Und das lief, Humboldt selbst ist dessen Zeuge, auf ein Abschiedsgesuch hinaus. Wie ist der Widerspruch zwischen Humboldts Ansicht vom 31. März, seinem Brief vom 4. April und seiner Entrüstung über Hardenbergs Aufnahme dieses Briefes zu erklären ? Auf die eben angedeutete Lösung, daß die Erwähnung des Fortdienens im Staatsrat in der Eingabe an den König auch auf Hardenberg berechnet gewesen sei, möchte nicht zu viel Gewicht zu legen sein. Schon einmal lernten wir einen recht bedeutungsvollen Brief kennen, dessen Inhalt dann Humboldt ein wenig später größtenteils abzuschwächen sich bemühte, weil er in einer gewissen Übereilung geschrieben war3). Und ganz ähnlich scheint es um den Schritt vom April 1818 zu stehen. Nicht unmöglich, daß Humboldt in einer Stunde, in wel-

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eher die Vorstellung von der Nichtigkeit seines Lebens als Diplomat und die Sehnsucht nach einem gehaltvollen Dasein in geistiger Arbeit ganz seine Stimmung beherrschten, diesen Brief mit voller Absicht als Abschiedsgesuch gemeint und geschrieben hat. Denn nicht den Kanzler allein „beherrschte die allmächtige Stunde"; auch Humboldt war ihrem Gebot unterworfen. Nur, daß er zu denen gehörte, die im Lande erfüllter Sehnsucht es immer wieder beklagen, den Schritt gelenkt zu haben vom „Boden, auf dem sie zuerst Freunde umarmten"; nur, daß die längst vorhergesehenen Folgen eines oft erwogenen Entschlusses im Augenblick des Geschehens noch ihn schreckten. „Im ersten Augenblick hat es mich sehr konsterniert, wie immer die Gewißheit des eigentlich Gefürchteten tut", — bekennt er von der Stunde, welche im Juli 1819 ihm die heißersehnte endliche Berufung nach Berlin brachte: „es muß sein, muß auch jetzt sein, ich muß fort"1). So mag das Echo aus Hardenbergs Brief ihm erst wieder zum Bewußtsein gebracht haben, was sein Schreiben bedeuten mußte. Er bemüht sich daher, den Staatskanzler über sein „Mißverständnis" aufzuklären. Das war nicht ganz leicht. Er mußte zu allen feinen Mitteln seiner dialektischen Kunst greifen, um es Hardenberg klarzumachen, daß mit der Erklärung, er e r s t r e b e keinen anderen Platz, nicht gesagt sei, daß er keinen angebotenen Posten a n n e h m e n wolle; seine Absicht richte sich nicht darauf, etwas zu e r h a l t e n , sondern darauf, einer für ihn unmöglich gewordenen Stellung e n t h o b e n zu werden. Daß es für Hardenberg auf eins hinauslief, ob er mit einer „negativen" oder „positiven" Absicht von London fortstrebte und die erst kürzlich erfolgte Verteilung der Ämter damit wieder in Frage stellte — das sah Humboldt nicht oder wollte er nicht sehen. Denn für ihn waren die logischen Formen, mit denen der Verstand die Vorgänge der Wirklichkeit ergreift und beurteilt, so gut wie Realitäten; auch sie gehörten zu dem, was er unter „Ideen" verstand. Nach ihnen richtete sich sein Handeln. Wie bezeichnend dafür, wenn er der Gattin eben jetzt schreibt, er wolle „nur etwas N e g a t i v e s verlangen, wie seine Abberufung, nicht etwas so P o s i t i v e s " wie einen Urlaub nach Italien8). Es war seine von Gentz einst so bewunderte Kunst der logischen Diskussion, mit welcher er in Debatten von Mensch zu Mensch, in Konferenzen zum Ziel gelangen konnte. Sie hier ins Feld zu führen, versprach wenig Erfolg; denn gar zu sehr haftete ihr an, was Gneisenau an Humboldts Verfahren auszusetzen hatte: „er zerlegt und zerlegt, aber überzeugt nicht". In der Entfernung, mühsam entziffert aus seiner unleserlichen Handschrift, mußten solche Ausführungen ihren Eindruck verfehlen auf einen Mann wie Hardenberg, welcher Wirklichkeitssinn geK i c h l e r , Humboldt.

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nug besaß, um durch die logische Umhüllung hindurch den Kern des Gedankens zu erkennen, und wohl ärgerlich und verstimmt werden konnte über ein dialektisches Verfahren, welches ihm jetzt beweisen wollte, H u m boldt habe im Vorjahr „keine Bedingungen" für seinen Eintritt ins Ministerium gestellt, sondern nur gebeten, unter den gegebenen Umständen nicht auf ihn in seinen Plänen zu rechnen 1 ). Daß er an diesen Anschauungen durchaus festzuhalten entschlossen war, darüber geben die nun folgenden sehr langen und eingehenden Briefe an Hardenberg sowohl wie die häufigen Auseinandersetzungen über die Lage des Staates und der Verwaltung, welche die Briefe an die Gattin enthalten, gründlichen Aufschluß 2 ). Um so größer mußte die Abneigung Hardenbergs werden, ihm den Weg freizugeben zu dem Ziel, auf welches Humboldt nun mit ebenso offener wie ungeschickter Zähigkeit hinarbeitete: im Staatsrat zu wirken zum Wohle des Staates und, wie man hinzufügen muß, für die Vorbereitung seines entscheidenden Eingreifens in die Staatsgeschäfte, wozu er während dieser Monate trotz vieler Schwankungen je länger desto klarer die Berufung zu spüren meinte 3 ). Es ist unmöglich, der Entwickelung der Lage, dem Inhalt der ausführlichen Berichte, die Humboldts unermüdliche Feder der Gattin gibt, den sorgsam entwickelten Positionen in seinen Eingaben an König und Kanzler im einzelnen nachzugehen. Gelegentlich wundert Humboldt sich darüber, daß der Kanzler und andere Leute in Berlin offenbar große Angst vor ihm hätten und alle nur denkbaren Vorkehrungen träfen, um Gegengewichte für sein Auftreten und seinen Einfluß zu schaffen. Ihm sei das unbegreiflich; denn er habe es nicht auf persönliches Fortkommen abgesehen, noch weniger sei sein Verhalten etwa von persönlicher Gegnerschaft gegen irgend jemand bestimmt. Nur auf das Beste des Staates sei seine Absicht gerichtet; für sich persönlich suche er nichts 4 ). Zweifellos war dieses eine Gesinnung; im Bewußtsein seines uneigennützigen Strebens glaubte er ruhigen Gewissens seinen Weg gehen zu können. Aber der Schein sprach gegen ihn. Auf der einen Seite wies er alle Vorschläge, die an ihn herantraten, und solche der lockendsten Art, wie die Aussicht auf ein Leben in Rom, von sich. Auf der anderen Seite ließ er in auffallendem Widerspruch zu der so oft betonten und allgemein bekannten Neigung für ein Dasein in wissenschaftlicher Beschäftigung R ) und ländlicher Einsamkeit die sich bietende Gelegenheit ungenutzt, mit guter Manier aus dem Dienst zu scheiden. Vielmehr ging er mit erstaunlicher Zähigkeit darauf aus, im Staatsrat, dessen Bedeutung sonst niemand so hoch einschätzte, festen F u ß zu behalten. Unter diesen Umständen wäre wohl auch ein weniger mißtrauischer Charakter als Hardenberg dem Verdacht nicht unzugänglich geblieben, daß

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hinter solchem bescheidenen Begehren weitgreifende Pläne sich bergen müßten. Auch dann, wenn Humboldt nicht nochmals Anlaß genommen hätte, wie er es nun tat, dem Staatskanzler darüber Aufschluß zu geben, wie weit seine Ansicht über die wünschenswerte Form der Staatsverwaltung von dem bestehenden Zustand abwich. Freiwillig habe er auf den Eintritt in das Ministerium verzichtet, welcher sonst allgemein und mit Recht als der befriedigendste Abschluß einer diplomatischen Laufbahn betrachtet werde, weil Hardenbergs und seine Auffassung von Verantwortlichkeit im Wesen der Sache auseinandergingen 1 ). Auch jetzt und trotz der im letzten Winter eingetretenen Veränderungen sei die Stellung der Minister nicht so, daß man von wirklicher Verantwortung der einzelnen Minister für ihr Ressort reden könne. Hierbei blieb Humboldt nicht stehen. E r erklärte ausdrücklich, mit den Männern, welche er seinerzeit namhaft gemacht habe — Bülow und Schuckmann, — könne er keine g e m e i n s a m e V e r a n t w o r t u n g in den großen Fragen des Staates übernehmen. Dieser Ausspruch wog in seinen Folgen schwerer, als es auf den ersten Blick scheinen mochte. In ihm kamen zwei Gedanken zum Ausdruck, für deren Auswirkung die Ämterverfassung Preußens, wie sie nun einmal bestand, keinen Raum bot. Über die persönliche Verantwortung des einzelnen Ministers hinausgehend, zielte dieser Gedanke auf die Einsetzung eines „homogenen" Ministeriums ab. wie Humboldt es eben in England kennengelernt hatte'). Indem d i e s e m die Verantwortung für die gesamte Staatspolitik zugesprochen wurde, war die Voraussetzung gegeben, daß die übergeordnete Verantwortlichkeit des Staatskanzlers, wie sie ihm auf Grund seiner Berufung von 1810 zustand, in Fortfall kommen sollte. Die Meinungsverschiedenheit über die wesentlichen Punkte der staatlichen Organisation war so tiefgehend, d a ß sie, einmal, ja wiederholt ausgesprochen, hinreichte, um auf der einen Seite Humboldt zu rechtfertigen, wenn er mit Rücksicht auf sie den Staatsdienst aufgab; und um auf der anderen Seite Hardenberg in gutem Recht erscheinen zu lassen, wenn er erklärte, alle persönliche Freundschaft könne eine so breite Kluft der Ansichten nicht überbrücken. Wäre der Gegensatz klar ausgesprochen worden, dann konnten beide Männer ihre Wege trennen in Formen, welche ihrer persönlichen und geschichtlichen Bedeutung besser entsprochen hätten, als es später der Fall wurde. Voraussetzung dafür freilich wäre es gewesen, daß jedem von ihnen an dem Vorwand, mit dem er sein Verhalten begründete — wie Humboldt dem Staatskanzler gesagt hatte, er sehne sich in das private Leben zurück, so hatte dieser erklärt, nur um ihrer Freundschaft willen seien die Eingaben an den König nicht weitergegeben 4 ) — so viel gelegen war, wie sie es sich gegenseitig beteuerten. Dem aber war 24*

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entfernt nicht so. Indem Humboldt sein Schreiben mit der Erklärung beendete, er wolle und werde im Staatsrat arbeiten, gab er dem Staatskanzler zu verstehen, daß die Gründe seiner heutigen Absage in Zukunft einmal Zielpunkte seines politischen Strebens werden konnten und sollten, denen er seine Muße zu opfern gern bereit war. Und indem Hardenberg mit allem Vorbedacht daran arbeitete, aus Humboldts Schritt die vollendete Tatsache eines Abschiedsgesuches werden und in Bernstorff ihm einen Ersatzmann erstehen zu lassen, gab er seinen Willen zu erkennen, daß die persönliche Freundschaft, soweit sie noch bestand, nicht zum Hindernis eines Kampfes um seine Machtvollkommenheit werden dürfe. Daß er in einen Kampf um die Macht eingetreten sei mit diesem Schreiben, das fühlte Humboldt wohl. Vor einer Lebenskrise stehe er, vor einem Schritt „über den Rubicon, was mich, der ich sonst dem Cäsar sehr unähnlich bin, wohl auch nach Rom führen kann". Aber Humboldt hatte mit seinen Flußübergängen kein Glück; wie es ihm im Sommer 1817 nicht gelungen war „über den Jordan zu kommen", so kam es auch zu keinem Übergang über den Rubikon, sondern sein Schicksal führte ihn halb mit, halb gegen seinen Willen nicht nach Rom, sondern über die Havel nach Tegel 1 ). Denn mit einem erfahrenen Gegner hatte er es zu tun. In seinen Eingaben waren die Gesichtspunkte darum mit bewußter Berechnung in verschiedenem Sinn geltend gemacht worden 8 ). Von seinen literarischen Neigungen hatte er wohl zu Hardenberg gesprochen, damit dieser nicht glaube, es sei ihm nicht ernst; zu dem König jedoch „kein Wort von Literatur . . . da er das ebensowenig liebt wie die Palmenzone in Alexanders ehemaligen Briefen". Um so nachdrücklicher hat er auf den Staatsrat verwiesen. Nun griff Hardenberg geschickt den Hinweis auf die literarischen Neigungen Humboldts auf. Denn alle Welt wußte, dafür hatte er ja selbst Sorge getragen, daß die Interessen der Wissenschaft, daß das Leben in Ideen das eigentliche Feld und die oft geäußerte Sehnsucht des Gelehrten unter den Diplomaten war. Die Welt, das „Publikum" würde an dieser Begründung keinen Anstoß nehmen. Und mehr als das: konnte er nicht Humboldt selbst, zum mindesten die eine Hälfte dieses seltsamen Mannes, nach dessen eigenem Empfinden die sanior pars seines Wesens — als Kronzeugen für seine Auffassung ins Feld führen? Hardenberg säumte nicht, seinen Trumpf in der Öffentlichkeit auszuspielen. So wurde Humboldt auf das äußerste überrascht, als der Prinzregent gegen Ende Mai während einer Gesellschaft ihn darauf anredete, wie er mit Bedauern vernommen, daß Humboldt seinen Abschied gefordert habe, um künftig nur den literarischen Beschäftigungen zu leben9). Was halfen alle Proteste Humboldts, die Losung war einmal ausgegeben und machte die Runde; nach London hatten die Depeschen

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des englischen und des hannoverschen Gesandten sie gebracht, in Berlin ließ Koreff ihre Verbreitung sich angelegen sein — und sie fand Glauben, wie es nicht anders sein konnte 1 ). Freundschaftlich war dies Vorgehen Hardenbergs keinesfalls; noch weniger, daß er Humboldt ein volles Vierteljahr ohne jede Nachricht ließ. Da aber der König in Rußland war, hätte eine endgültige Entscheidung seiner Angelegenheit auch jetzt nur schwer getroffen werden können. Freundschaftlich war es gewiß nicht, aber es war geschickt, wenn Hardenberg den absichtlich bewirkten Aufschub ausnutzte, um inzwischen Bemstorffs Übertritt in den preußischen Dienst vorzubereiten. Mit oder ohne Vorwand war Hardenberg rücksichtslos genug, Humboldt, solange er ihn sicher jenseits des Meeres wußte, in dieser peinlichen Ungewißheit zu lassen. Angesichts eines solchen Verhaltens war es nur verständlich, wenn Humboldt zu der Einsicht kam, daß der Bruch mit Hardenberg tatsächlich schon eingetreten sei, obgleich er es noch zu vermeiden wünschte, die Entwicklung der Dinge offenkundig werden zu lassen. „Man m u ß mit Schonung und Langmut verfahren, ich bin doch sehr lange sehr gut mit dem Staatskanzler gewesen, und er steht mit einem Fuß im Grabe . . . Wenn ein Mensch tot ist, kann man nichts wieder gütmachen, und ich scheue die Erinnyen und die Nemesis" 2 ). Niemand wird sich dem Eindruck solcher Worte, in solchem Augenblick gesprochen, entziehen. Wie ehren sie den Menschen, der mit Aufrichtigkeit zu ihnen sich bekennen konnte! Jedoch bezeugen nicht gerade sie wiederum eine erstaunliche Menschenunkenntnis, wenn Humboldt wirklich glauben konnte, bei so ausgesprochener Gegnerschaft mit einer leidenschaftlichen Natur wie der Hardenbergs in persönlichem Einklang bleiben zu können? Spricht nicht auch aus ihnen wieder jene Halbheit des Willens und der Stellungnahme, in welcher wir ihn in dieser ganzen Zeit befangen sehen? Von selbst verstand es sich, daß Humboldt mit allen zu Gebote stehenden Mitteln danach streben mußte, aus der Ungewißheit über sein Schicksal heraus und von London wegzukommen. Er hatte erkannt, daß alles sich darum handelte, zum Kongreß nach Aachen berufen zu werden; brachte er einmal das Meer hinter sich, dann wollte er schon dafür sorgen, daß von einer Rückkehr nicht mehr die Rede war. Jetzt schien der Moment gekommen, auf das Zugeständnis Hardenbergs, er solle am Abschluß der Frankfurter Verhandlungen teilnehmen, zurückzugreifen 3 ). Ja sogar dem Gedanken tritt er näher, die eben noch ausgeschlagene Gesandtschaft am Bundestag anzunehmen, wenn man ihn denn einmal mit aller Gewalt von Berlin fernhalten wolle4). Und er ahnt, daß dort „Veränderungen im Werk sind", die ihre Spitze gegen ihn richten: aber so-

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wohl der Staatskanzler wie seine vorgesetzte Dienstbehörde, das vom Grafen Lottum interimistisch geleitete Departement, lassen ihn ohne jede Nachricht und im Dunkeln1). So versuchte er denn auf anderem Wege sein Anliegen an den König zu bringen. Dem neuen Generaladjutanten Witzleben, der ihm die Übernahme seiner Stellung angezeigt, gibt er in der Antwort ein Bild seiner peinlichen Lage, teilt ihm seine Wünsche mit, in der gewissen Erwartung, daß Witzleben die Sache beim König zur Sprache bringen werde*). Und nachdem er am 7. August den Kanzler nochmals kurz aber dringend und doch zurückhaltend und höflich um Antwort, um ein Lebenszeichen nach einem Schweigen von drei Monaten gebeten®), benutzt er einen Bericht in der Angelegenheit der Herzogin von York, einer Schwester des Königs, um diesen unmittelbar, unter Berufung auf seine Eingabe vom 4- April, die dringende Bitte vorzutragen, noch im Laufe des Herbstes ihn von London abzuberufen1). Daß er diesen Schritt ohne Wissen des Kanzlers, also unter Umgehung des Dienstweges getan, brauchte ihn nicht weiter zu bedrücken, als ihm klar wurde, warum Hardenberg sich solange in Schweigen gehüllt hatte. Denn um die Mitte des August teilte ihm Alexander von Paris her die „abenteuerliche Nachricht" mit, daß in der Person des Grafen Bernstorff ein neuer Minister der Auswärtigen Angelegenheiten in Berlin ernannt sei. Humboldt wollte schlechterdings einer so unwahrscheinlichen Behauptung keinen Glauben schenken: „alles das sind schlechte Erfindungen und weiter nichts. Das ist meine bestimmte Meinung darüber"5). Aber das Unglaubliche war Tatsache geworden. Wenige Tage später bestätigten Zeitungsnachrichten Alexanders Meldung, und zwar in einem Zusammenhang, welcher ihm einleuchtete und über manches in Gegenwart und Zukunft Aufklärung gab. Eine Londoner Zeitung äußerte sich über das Ereignis folgendermaßen: „es heißt, daß Humboldt Erlaubnis sich zurückzuziehen nachgesucht und erhalten habe. Der Graf Bernstorff, dänischer Gesandter in Berlin, wird in preußische Dienste gehen und Vizekanzler und Minister des Auswärtigen werden . . . Die Zusammenstellung ist höchst bedeutend. Ich ziehe mich zurück und er wird Minister. Die einzig verknüpfende Mittelidee ist da doch, daß ich also es nicht werde, da ich es doch hätte werden können oder müssen. Es sieht also wie ein Artikel aus, den man als Vorläufer in die Welt sendet, für mich sowohl als andere"6). Humboldts Stellungnahme zu dieser erregenden Angelegenheit läßt ihn wieder in charakteristischer Zwiespältigkeit erscheinen. Sein e r s t e s G e f ü h l hatte ihn das Falsche in dem Verfahren des Kanzlers verurteilen lassen, hatte der verletzten Empfindung darüber Ausdruck gegeben, daß ein Landfremder den Platz einnahm, der eigentlich ihm gebühre. Nun

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aber läßt die R e f l e x i o n ihm den Vorfall in anderem, und erstaunlich genug, in einem für ihn günstigen Licht erscheinen. Einen Affront g^gen sich könne er in der Maßnahme nicht erblicken; vielmehr sei der Inhalt jenes Zeitungsartikels für ihn „eigentlich schmeichelhaft". Erst habe man seinen Abgang und dann die neue Ernennung erwähnt, „als wäre die Stelle nicht eher leer gewesen, und wie ich nun abgehe, muß man einen Fremden nehmen. Es ist für das Land nicht süß zu hören, aber für mich ist es anders". Wie leicht und schnell schlug die reflektierende Selbstbeobachtung des Mannes in verhängnisvolle Selbsttäuschung um! Sie vermochte ihm den Stein der harten Wirklichkeit, an dem er eben seinen Fuß gestoßen, in Blumen zu verwandeln, die man ihm auf den Weg gestreut1). Daß Hardenberg in dem Bedürfnis, der Welt seine Entbehrlichkeit zu beweisen, zur Wahl Bemstorffs geschritten sei, begreift Humboldt wohl, aber nicht, wie dieser den Antrag anzunehmen sich entschließen könne. Es ist sehr bezeichnend, welchen Gesichtspunkt vor allem er dabei hervorhebt: er versteht sofort, daß und inwiefern diese Ernennung dem Geist der Zeit und dem Geist des preußischen Staates entgegen ist. Zwar Hardenberg bevorzuge die Leute aus großer Familie und aus der Fremde, wie er ja selbst ein Fremder sei. Diese Ernennung jedoch müsse „den Nationalstolz beleidigen... es ist überhaupt eine sonderbare Manier, in einem fremden Lande auf einmal Minister zu werden. Ich habe keinen Begriff, wie man es anders kann, als wenn man das innere Gefühl hat, am Wohl dieses Landes und dieses Volkes arbeiten zu wollen . . . Wie kann man das, wenn man ein eigenes Vaterland hat . . . Bernstorff wird immer ein Däne heißen". Und als nun gar in der Allgemeinen Zeitung zu lesen stand, daß alle Erwartungen für eine Verfassung in Preußen auf Bernstorff gerichtet seien, da bricht der helle Ärger aus Humboldts Worten hervor: „Bernstorff ist wirklich zu bedauern, wenn er diesen Erwartungen entsprechen soll, und der preußische Staat auch, wenn er das, was ihn am innerlichsten angeht, von außen her bekommen soll"2). Er selbst hat eine andere Idee vom Staat und von der Arbeit für den Staat, an der er gern seinen Teil tragen will, „allein nur mit vernünftigen Leuten zusammen, mit Preußen, d. h. mit Leuten, die nicht erst das Interesse am Lande durch Grundsätze und Räsonnement zu bekommen brauchen, sondern es haben, weil sie, die Ihrigen, selbst ihr Hab und Gut mit ihm stehen und fallen. Das ist so einfach, daß jeder Bauer es begreift und Sinn dafür hat. Aber dieser Sinn ist es gerade, an dem es ihnen mangelt"3). Wie wirklichkeitsnah läßt dieser Temperamentausbruch den Idealisten doch plötzlich erscheinen! Der Anachronismus der Berufung eines landfremden Mannes zur Leitung der Auswärtigen Politik des preußischen

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Staates konnte nicht treffender gegeißelt werden. Überall erregte sie Aufsehen und Verurteilung 1 ). Wenn Humboldt mit einer ungewohnten Unmittelbarkeit des Gefühls dem verletzten preußischen Selbstbewußtsein Ausdruck gab, so sprach aus ihm das Verständnis für die neue Zeit und ihr gewandeltes Empfinden. Hardenberg aber bewies mit dieser Ernennung, daß er je länger desto mehr ein Fremder werden mußte in dem Haus, dessen Fundamente er von neuem gestützt hatte. Gerade in den nächsten Wochen und gerade Humboldt gegenüber sollte er noch mehr Beweise davon geben, wie mit zunehmendem Alter seine Auffassung vom Staat und Staatsdienst zurückglitt in die Formen und Anschauungen seiner Jugend, wo der Brauch des Fürstendienstes, die Ansicht, daß der hohe Beamte von Stand im „Dienen" seinen persönlichen Vorteil wahrnehmen müsse und dürfe, noch nicht verdrängt war von der Idee der Staatspersönlichkeit, der Staatseinheit und der Staatsdienerpflicht. Für die persönliche Lage Humboldts hatte der Übertritt Bernstorffs in preußische Dienste das Gute, daß er ihm den Weg nach dem Kontinent freigab. Im ersten Augenblick glaubte er äogar, daß nunmehr sein Ausscheiden aus dem Dienst feststehe. Ja nicht einmal mit dem Staatsrat meinte er mehr rechnen zu sollen, da Hardenberg dort seine unvermeidliche Opposition nicht wünschen könne. „Mein eigenes Dasein ist viel mehr ein Ganzes, wenn ich jetzt ausscheide, als s p ä t e r . . . . Ich hätte nach meiner ganzen Denkungsart vollständig Unrecht gehabt und Tadel v e r d i e n t . . . , wenn ich Minister geworden wäre." Eine Verwaltung, die man nicht bessern könne, dürfe man mit seiner Kritik nicht stören 2 ). Aber diese resignierende Stimmung wurzelte nicht eben tief. Sie wurde leicht behoben durch einen Brief Rothers, welcher im Auftrag Hardenbergs Humboldt die Aussicht eröffnete, noch im Herbst London zu verlassen und in Berlin — Präsident des Staatsrates zu werden, ,.das Unerwartetste, das hätte kommen können" 8 ). Hardenberg ging nunmehr, so schien es, vollkommen auf Humboldts Wünsche ein und nahm ihm durch diese Anerbietung — „die ehrenvollste Anstellung, die man mir anbieten konnte, weit ehrenvoller als ein einzelnes Ministerium" — die Möglichkeit, grollend über Bernstorffs Ernennung und mit einem guten Schein des Rechtes sich zurückzuziehen. Gründe gegen diesen Vorschlag waren nicht vorzubringen. Darum erklärte Humboldt dem Vermittler, er würde annehmen unter der Voraussetzung, daß er nicht Minister werden müsse und daß man „seine Freiheit in Geschäftstätigkeit" nicht einschränke. Beides lief auf den Vorbehalt einer unbedingten Opposition hinaus, und es blieb die Frage offen, ob mit diesen Bedingungen die ausgesprochene Annahme nicht wieder hinfällig wurde.

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Wenige Tage später bestätigte ein Schreiben Hardenbergs den Inhalt von Rothers Brief im allgemeinen. Mit Rücksicht auf die kürzlich erhaltene Dotation dürfe Humboldt nicht aus dem Dienst gehen und müsse eine Verwendimg finden, welche seinen persönlichen Wünschen wie dem Staatsinteresse entspräche. Um diese Dinge zu besprechen, solle Humboldt um einen Urlaub einkommen. Übrigens werde er dem Kanzler jetzt wohl das Zeugnis nicht versagen, daß er mit wirklicher Anhänglichkeit um sein Fortkommen bemüht sei1). Natürlich war Humboldt zu dieser Anerkennung nicht gern bereit. Namentlich scheute er sich, die „goldene Brücke" des Urlaubs zu betreten, da, wenn er jetzt in Urlaub ginge, es den Anschein habe, als dränge er sich zur Teilnahme an dem Kongreß zu Aachen. Außerdem wollte er Hardenberg nicht aus der Verlegenheit ziehen, seine erste Eingabe mit einer Versäumnis von 5 Monaten dem König vorlegen zu müssen. E s lag in dieser Erwägung übertriebene Vorsicht und mehr noch, eine gewisse Rechthaberei. Mochte sie sachlich noch so begründet sein, die Spannung zwischen Hardenberg und Humboldt konnte sie nur verschärfen und seine Lage schlechterdings nicht verbessern. Denn des Königs Aufmerksamkeit hatte er ja inzwischen auf sein Gesuch vom April lenken können 2 ). Ob er in dieser Weise verfahren wäre, wenn er beim Entwurf seiner Antwort schon einen kurzen Brief Hardenbergs vom 1. September in Händen gehabt hätte, welcher ihm die Erledigung seiner Wünsche für Aachen in Aussicht stellte 3 )? Auch ein Brief Alexanders, der ihm seine bevorstehende Berufung dorthin ankündigte, kam einige Tage zu spät nach London 4 ). So gingen denn am 14. September zwei umfangreiche Schreiben an König und Staatskanzler ab, welche dem Bedürfnis Humboldts, „sich auszusprechen", im weitesten Maße Rechnung trugen Y Es war aber die Frage, ob ihre Empfänger über sie die gleiche Befriedigung empfanden wie der Verfasser. Der Inhalt des Schreibens an den König wiederholt im wesentlichen die schon im Frühjahr für die Dringlichkeit seiner Abberufung angeführten Gründe. Nur, daß Humboldt es sich nicht versagen kann, zu versichern, noch nie im königlichen Dienst sei er so unbeschäftigt gewesen, wie während dieses Jahres in London; allein aus Pflichtgefühl, nur um den Schein der Empfindlichkeit zu vermeiden, sei er hierher gegangen 6 ). Seine Bitte um Abberufung bedeute daher nicht den Wunsch, aus dem Staatsdienste überhaupt auszuscheiden, wie böswillige Gerüchte fälschlich verbreitet hätten. Allerdings im Ausland wolle er in seinem Alter nicht länger dienen: das sei mit seinen Familienverhältnissen nicht vereinbar; außerdem würde es ihn schmerzen, „durch längeres Leben im Ausland E. M. und meinem Vaterland gewissermaßen entfremdet zu werden".

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Aber im inneren Staatsdienst sei er jederzeit bereit, „den ernsten Willen zu dienen . . . mit der Tat zu beweisen . . . überall da, wo es nur irgend mit meiner Privatlage zu vereinigen ist, und wo mir nicht die Überzeugung abgeht, daß ich E. M. nach Pflicht und Gewissen für die Verwaltung meines Amtes verantwortlich sein kann . . . E . M. werden mich nie da vermissen, wo ich die Überzeugung hegen kann, Ihnen und dem Wohl des Staates wahrhaft nützlich zu sein". Und das sei am ehesten und am meisten der Fall bei einer Tätigkeit im Staatsrat. Denn da es bekannt sei, daß die Gesetzgebung des Staates in absehbarer Zeit durch wesentliche Veränderungen hindurchgehen müsse, so werde es im Staatsrat an Arbeit nicht fehlen. Gerade für diese Tätigkeit glaube er sich besonders befähigt, und die vom König erhaltene Dotation setze ihn in die Lage, ein Amt ohne Besoldung gegen die glänzendere Stellung eines Gesandtenpostens einzutauschen. Daher e r b i e t e er sich nicht nur, wie er es im Frühjahr getan, zur Arbeit im Staatsrat, sondern er b i t t e um diese Verwendung. „Wenn E. M. mir ein Urteil über mich selbst und über die Lage und Verhältnisse der obersten Behörden zuzutrauen geruhen, so haben Sie die Gnade, mir diese Bestimmung zu geben" 1 ). Nicht ohne Befremden würde der König wohl von diesem Schreiben Kenntnis genommen haben, wenn es an ihn gelangt wäre. Einige Wochen später trifft Humboldt den Grafen Bernstorff in Aachen ; er ist aufs äußerste darüber erstaunt, daß dieser bei dem Eintritt in die neuen Verhältnisse „sich keine Bedingungen gemacht und seine Lage in Berlin sich erst schaffen muß", worüber der Graf selbst schon recht unglücklich sei®). Gewiß war es eine berechtigte Kritik an dem Verhalten Bemstorffs, der ja in dem Rufe steht, nicht nur in persönlichen Angelegenheiten, sondern auch in der Leitung der dänischen Politik argloser gewesen zu sein, als sich mit dem Besten seines Staates vertrug 8 ). Aber wie anders war doch Bemstorffs Lage: er wurde gerufen, man wünschte ihn, er gab Verbindungen auf, welche sein Leben bisher bestimmt und erfüllt hatten; durch ein Jahrzehnt war er der selbständige Leiter der dänischen Politik gewesen. Es war unverständlich, daß er seinen Übergang in preußische Dienste nicht an bestimmte Bedingungen über Art und Tragweite seiner amtlichen Tätigkeit geknüpft hatte. Und Humboldt? E r war nicht berufen, sondern er drängte fort von dem Platz, auf welchen ihn das gute oder schlechte Glück des Staatsdienstes gestellt, mit dessen Wechselfällen doch jeder, der sich auf diese Verhältnisse einmal eingelassen, rechnen muß. Als Gesandter war er dem Prinzregenten wie den englischen Ministern äußerst angenehm, nach seiner eigenen Aussage kam seine persönliche Stellung dem Ansehen

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seines Staates zugute. In seiner amtlichen Lage fehlte jeder Anlaß, seinen Posten zu verlassen. Die Gründe vielmehr, welche er für die Aufgabe seines Amtes geltend machte, gehörten ganz in den Bereich des persönlichen Lebens. Sie sollten nun mittelbar zum Anlaß wichtiger Veränderungen der Staatsverwaltung werden, indem er sein Weiterdienen, vom Staatsrat abgesehen, an Bedingungen knüpfte, welche er sozusagen aus eigenem Recht und ungefragt stellte. Und ebenso ungefragt — bei der Berührung mit der langsamen und engen Natur des Königs war dies der Ungeduld seines überlegenen Geistes wohl zugute zu halten — nahm er diesem die Beurteilung seiner Fähigkeiten und die Bestimmung über die Art seiner Verwendung gewissermaßen aus der Hand. So aufzutreten, das war ein in Preußen unbekanntes Verfahren; der Mensch der neuen Zeit, in dem Bewußtsein, eine größere, tiefer begründete, persönlichere Leistung dem Staate anzubieten als der Beamte des alten Herkommens, trat mit ungewohnten und mit großen Ansprüchen hervor. Es genügte ihm nicht mehr, dem Urteil anderer die Entscheidung zu überlassen in der Frage, für welchen Platz im Staatsleben man geeignet sei, und dann nach ihrer Entscheidung dem ergehenden Ruf zu gehorsamen. Vielmehr, indem man Bedingungen stellte, schuf man die Voraussetzung für das in jeder Übernahme eines Amtes enthaltene „Versprechen, das man zu halten imstande sein muß". Vielleicht war es kein Schaden, daß ein Schreiben solchen Inhalts seinem Adressaten nicht vorgelegt wurde; denn es ist anzunehmen, daß der König schon damals gegen Humboldt verstimmt war1). Selbst der immer optimistische Bruder Alexander mußte aus Aachen berichten, offenbar habe „man" den König ernstlich gegen Humboldt einzunehmen gewußt: er gelte dafür, ein „homme cassant, difficile ä vivre" zu sein; es sei mit ihm nicht auszukommen. Doch er habe mit gutem Erfolg dem König die nötige Aufklärung gegeben. Wenn also beide Humboldts eine merkliche Verstimmung Friedrich Wilhelms gegen den Älteren nur auf fremden und böswilligen Einfluß schieben wollten, so rechneten sie wohl nicht in vollem Umfang mit den bestimmten Ansichten des verschlossenen Monarchen und mit seinem leicht gereizten Selbstgefühl*). Was von der Eingabe an den König, gilt in noch höherem Grade von dem Brief an Hardenberg. Er wuchs ihm unter den Händen zu einer umfangreichen Abhandlung aus, in welcher alle Gravamina persönlicher und sachlicher Art zu Wort kamen3). Trotz aller Freundschaftsversicherungen habe der Fürst nichts getan, um seine Wünsche zu erfüllen, nicht einmal von ihrer Aussichtslosigkeit habe er ihn unterrichtet; er fühle sich tiefer verletzt, als er es aussprechen könne. Hier-

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mit war eigentlich schon der Bruch vollzogen, welchen Humboldt doch immer noch, formal wenigstens, zu vermeiden bemüht war. In den sachlichen Ausführungen wiederholt der Brief im wesentlichen den Gedankengang des Schreibens vom 29. Mai. Nochmals lehnt er die „mißverständliche" Auffassung ab, als ob er seinen Abschied verlangt habe; nochmals führt er die Gründe an, welche ihm ein längeres Gesandtenleben unmöglich oder besser: unerträglich erscheinen lassen. Und wie dem König, so versichert er dem Staatskanzler, es stehe außer allem Zweifel, daß er im Staatsrat dem König besser dienen könne und werde, als in irgendeiner diplomatischen Mission. Werde er in diese Körperschaft berufen, dann sei eine Lösung aller augenblicklichen Schwierigkeiten gefunden, wie sie seinen berechtigten Wünschen und dem Interesse des Staates entspräche. Übrigens erklärt er, dem König gegenüber habe er nichts erwähnt von Hardenbergs Vorschlag, ins Ministerium einzutreten. Denn niemals sei ein dahinzielender Antrag im N a m e n des K ö n i g s ergangen 1 ); auch sei ja kein Ministerium mehr zu besetzen. Schon vorher hatte er versichert, daß er den Plänen, welche der K ö n i g mit ihm haben könne, sich nicht versagen werde. So versuchte er wieder gegen den Kanzler den König auszuspielen; er vermied nicht, jenen an die Grenze seiner Macht zu erinnern: geflissentlich tat er es, wie vor Jahresfrist, um Hardenberg zu zeigen, daß er seine Lage mehr vom König als von ihm abhängig ansähe, daß er unabhängig sei von den Hoffnungen, welche er ihm errege oder erregen lasse-'). Hardenberg wird es wohl verstanden und sich gemerkt haben. Noch kein halbes Jahr war verflossen, da wurde i m N a m e n d e s K ö n i g s ein Ministerium ganz besonders für ihn ins Leben gerufen. Hardenberg zwang ihn, unter Aufgabe aller ausgesprochenen Grundsätze der Berufung zu folgen. So gab er seine Antwort auf diesen Brief mit der Tat, da er sich nicht die Zeit nahm, Humboldts lange Ausführungen schriftlich zu beantworten, obwohl dazu ein Anlaß schon vorgelegen hätte. Denn in der Frage der Stellung des Kanzlers zum Ministerium hatte Humboldt seinem Schreiben eine so wichtige Auseinandersetzung eingefügt, daß er sie der Gattin in extenso mitzuteilen offenbar nicht wagte. Ganz klar habe er dort sich ausgesprochen, wie sie in Geschäften zueinander ständen'). Das hier Gesagte sei zwar nicht neu, aber es werde Hardenberg „frappieren", da er gewiß diese Dinge nie so bestimmt und deutlich durchdacht habe. Was enthielten also diese schwerwiegenden Zeilen? Zunächst wollte er dem Kanzler den Platz „als Chef des Gesamtministeriums mit vollem Recht zu entscheiden" zwar noch zugestehen, aber im gleichen Satz hieß es weiter, daß dieses Ministerium dem „König und s i c h s e l b s t für das Wohl des Staates verantwortlich" sein sollte4).

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An dieser Verantwortung könne er aus den bekannten Gründen keinen Teil haben; ferner müsse er „blutenden Herzens" die Überzeugung aussprechen, daß das so gestellte Ministerium nicht imstande sei, den Staat durch die bevorstehenden Krisen sicher hindurchzuführen. Dies in der Tat war das Stärkste, was ein Mann, der von sich selbst sagen mußte: „ich habe mehr das Glück gehabt in leichten Verhältnissen zu sein, als mich bisher in schwierigen gezeigt", dem während des letzten Menschenalters erfolgreichsten Staatsmanne Preußens bieten konnte 1 ). Jedoch diese persönliche Schärfe mochte immer auf Rechnung ihres gespannten Verhältnisses gehen. Was aber meinte Humboldt mit jenem „sich selbst verantwortlichen" Ministerium ? Denkt man diesem Gedanken weiter nach, so führt er theoretisch wie praktisch ins Uferlose. Kein Zweifel, daß seine Idee von der bebten Stellung des Kanzlers zum Ministerium an dem Beispiel des „Prime-Minister" und seines Kabinetts orientiert ist1). Diese Männer waren aber neben der Krone doch in erster Linie der Majorität des Parlaments verantwortlich. In Preußen bestand kein Parlament. Ein Ministerium nach diesen Gesichtspunkten aufstellen, hieß also eine Verfassungsänderung voraussetzen, welche sich ohne „Revolution von oben" nicht denken ließ. In dem preußischen Staat aber, ohne Parlament, wie er war, hatte eine solche Einrichtung keinen Boden und konnte sie keinen Boden finden. Denn sie hätte eine Machtvollkommenheit an sich gezogen, welche vom König gutwillig nicht zugestanden werden konnte. Es lag daher in dieser scheinbar so klaren praktischen Forderung ein illusionäres Element, welches die gegebenen Verhältnisse übersah. Ihr phantastischer Charakter wird noch gesteigert, läßt man sich von der Erinnerung auf jene Idee zurückleiten, welche wir als den Kernpunkt von Humboldts Lebensanschauung kennenlernten: die Idee der s i c h s e l b s t v e r a n t w o r t l i c h e n , sich selbst genügenden Individualität. Solche Gedanken und Wünsche Humboldts, mochte Hardenberg ihre Tragweite auch nur nach der praktischen Seite hin übersehen, sprengten die gegebenen Formen des politischen Lebens; sie bedeuteten eine Unmöglichkeit. Für den Augenblick überwog jene theoretischen Forderungen ein praktischer Vorschlag, den Humboldt in einer Nachschrift dem Kanzler unterbreitete. Um dem von Hardenberg angeregten Urlaub den Schein zu nehmen, als habe Humboldt die „manie des congrès" und wolle unbedingt in Aachen „dabei" sein, stellte er anheim, ihn einstweilen zum Abschluß der Territorialverhandlungen nach Frankfurt gehen zu lassen"). Hardenberg ging auf die Anregung ein. Durch Kabinetts-Order vom 19. Oktober wurde Humboldt beauftragt, sich nach Frankfurt zu begeben, auf dem Wege dorthin in Aachen seine Instruktionen einzuholen

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und mit dem Kanzler über seine künftige Verwendung Rücksprache zu nehmen. Der Wunsch nach sofortiger und endgültiger Abberufung aus London aber ging noch nicht in Erfüllung; bitter beklagt er sich der Gattin und dem Staatskanzler gegenüber wegen dieser Rücksichtslosigkeit1). Aber die Hauptsache war erreicht: er konnte London verlassen. Drei Tage nach dem Eintreffen der erlösenden Botschaft rollte sein Reisewagen — nicht mehr jene „gelbe Bombe", die bei seiner Ankunft in den Straßen Londons so viel Aufsehen erregt hatte, sondern ein „neuer englischer Wagen, der die Bequemlichkeit selber ist" — durch die Hügellandschaft Südwestenglands den weißen Klippen von Dover zu4). In Aachen sah Humboldt sich umgeben von dem bunten Getriebe, das ihm von den früheren Kongressen her vertraut war. Wie vor drei Jahren in Paris, fand er sich am 3. November zu seiner Freude mit dem Bruder zusammen, dessen Gegenwart ihm aus mannigfachen Gründen, ernsten und heiteren, „unbezahlbar" dünkte. Wie damals war Alexander als Kammerherr in der Umgebung des Königs, dem er mit seiner in allen Sätteln gerechten Unterhaltungsgabe die Zeit vertreiben half, alle Mahlzeiten des Tages teilend mit dem königlichen Gönner seiner Forscherarbeit 3 ). Wie damals war Wilhelm Humboldt der tägliche Tischgast des Kanzlers und gab auf seinen Wunsch der dort geführten Unterhaltung Richtung und Prägung 4 ). Wie in Paris für die Entschädigung von Alexanders Zeitverlust im persönlichen Dienst des Königs, so hatte Hardenberg eben wieder dafür sich eingesetzt, daß der geplanten Forschungsreise nach Indien aus Staatsgeldem eine beträchtliche jährliche Unterstützung in sichere Aussicht gestellt wurde 5 ). Dies hatte er für den Jüngeren bewirkt, dem Älteren hatte er die Dotation verschafft; so erschien er als der in verständnisvoller Fürsorge bewährte Freund der beiden außerordentlichen Männer, die wie sonst keine Söhne des sandigen Bodens der Mark im Gesichtskreis des geistigen Europa ihren Platz an erster Stelle sich zu sichern verstanden hatten. Und sie wieder erschienen im Angesicht des politischen Europa, im Kreis der wirklichen und vermeintlichen Lenker seiner Geschicke, wie die Statthalter der neuen deutschen Wissenschaft an der Seite der beiden Vertreter des im preußischen Staate verkörperten jungen deutschen Machtgedankens. Alle Gerüchte über eine Entfremdung zwischen Staatskanzler und Minister wurden durch die ausgezeichneten freundschaftlichen Beziehungen, wie sie jedermann täglich beobachten konnte, in den Augen der Fernerstehenden Lügen gestraft. Nur zur Entgegennahme seiner Anweisungen für die Verhandlungen in Frankfurt hatte Humboldt zu kur-

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zem Aufenthalt Aachen berühren sollen. Davon war nicht mehr die Rede; Hardenberg wünschte nicht, daß er vor ihm den Kongreß verließ. So verging denn der ganze Monat November für Humboldt in einem nicht einmal geschäftigen Müßiggang, welcher in Hardenbergs Berechnung wohl nur dazu dienen sollte, aller Welt ihr freundschaftliches Einvernehmen vor Augen zu führen1). Andere Leute und Humboldt selbst waren über diese Absicht wohl im klaren; trotzdem ging er in seinem Bemühen, den äußeren Schein des guten alten Verhältnisses nicht zu zerstören, auf die entgegenkommende Haltung Hardenbergs ein. Wohl war er sich bewußt, daß es nur eine „flache Freundschaft" war, welche sie noch nach außen verband; aber wie nach seiner Beobachtung die wieder eingetretene Gewohnheit des näheren Umganges über den Staatskanzler eine gewisse Gewalt gewonnen hatte, so mochte es ihm auch ergangen und das Mißtrauen gegen Hardenberg ein wenig eingeschlummert sein'). Es kann das nicht wundernehmen nach der ganzen Art, wie seine Briefe ihn uns haben kennenlernen lassen. Aber mit einem feinen Gefühl für die Wirklichkeit warnte Frau v. Humboldt vor solchem Gehenlassen; aus der Ferne sah sie wohl klarer das Schiefe eines derartigen Verhältnisses nach allem, was kurz zuvor hinter den Kulissen vor sich gegangen, besonders nach allem, was unterlassen war8). Und hinter den harmlosen Aspekten des geselligen Lebens gingen in Aachen dann auch recht ernste Dinge vor4). Was im Lauf des Sommers geschehen, was an Gerüchten die Geister bewegte, ließ den aus der „Verbannung" Zurückkehrenden von allen, welche Anteil an ihm nahmen und für den Staat Hoffnungen auf sein Eingreifen setzten, mit Spannung erwarten. Während der Londoner Zeit war es im Grunde genommen nur der Kreis der von jeher ihm nahestehenden Menschen, — war es nur die Stimme der alten Jugendfreunde, etwa des Staatsrats Kunth, des Oberbergrats v. Laroche, der Karoline Wolzogen oder des Schwiegersohns Hedemann und seines Kreises gewesen, welche ihm von seinem Beruf für Preußens Zukunft gesprochen hatten. Darum mag Humboldt es mit Genugtuung jetzt festgestellt haben, wie die Zahl derer, die auf ihn rechneten, größer war, als er annehmen konnte. Wie wichtig mußte es für ihn sein, schon hier in Aachen mit solchen Männern in Berührung zu kommen, deren Urteil über die allgemeine Lage nicht weniger Gewicht für ihn hatte, als was sie über seine Stellung und seine künftige Aufgabe dachten. Daß Stein ihn für den Mann der Stunde hielt, vor den Gegnern warnte, die zahlreicher und gefährlicher seien, als Humboldt glaube, entsprach der freundschaftlichen Verbindung, welche seit der Wiener Zeit und mehr noch seit dem Auf-

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enthalt in Frankfurt bestand und in den nächsten Monaten höchst bedeutsam werden sollte1). Auch Boyen, der Duellgegner von Wien und Kampfgenosse aus dem Staatsrat, war kein neuer, aber ein um so wertvollerer Freund. Überraschender, wenn auch nicht ganz unvorbereitet kam es, daß die besten Männer aus Hardenbergs nächster Umgebung, die Staatsräte Rother und Eichhorn sich so zu ihm stellten, daß er zu der Ansicht kommen konnte, sie seien in Geschäften wirklich seine Freunde. Rother sollte sein Eintreten für Humboldt sogar schon mit Hardenbergs Mißtrauen gebüßt haben*). Verwunderlich aber mußte es ihm erscheinen, wenn dieser Schar Einer sich anschloß, von dem er es ganz gewiß nicht erwarten konnte. Bemstorff, der „neue Mann" der Reaktion, machte ihn zum Vertrauten seiner lebhaft empfundenen Nöte, vor allem der Sorge, welche ihm die ungeklärte Stellung zum Staatskanzler bereitete. E r äußerte rund heraus, ohne Humboldts Eingreifen halte er die eigene Tätigkeit im Ministerium für aussichtslos; jener müsse Minister des Inneren werden, den entscheidenden Einfluß auf die Regierung gewinnen, er sei der kommende Mann'1). Das Beispiel des Ministers, über dessen „wirklich große Unbefangenheit" Humboldt nicht genug sich wundem konnte, wurde von den kleineren Geistern der Ämter und Büros befolgt, so daß Humboldt schon nach wenigen Tagen durchaus auf dem laufenden aller sich kreuzenden Strömungen und Bestrebungen innerhalb der höheren Beamtenschaft zu sein meinte. Was Hardenberg für sein Auftreten im Staatsrat befürchtete, trat schon jetzt in Aachen ein: wie ein Magnet zog Humboldt die Unzufriedenen an sich — und hier war jeder eigentlich unzufrieden; er schien der gegebene Führer der Opposition gegen den Staatskanzler. Noch wußte er nicht, ob er dieser Rolle sich versagen oder ihr sich unterziehen solle: den Unzufriedenen gab er zur Antwort, jeder könne gewiß sein, ihm zu begegnen, „wo sein Weg dem S t a a t vorteilhaft ist" 4 ). So erfreulich es für Humboldt sein mochte, sich mit so viel Hoffnungen und so großem Vertrauen begrüßt zu sehen, über den Wert dieser Bekundungen durfte er sich keiner Täuschung hingeben. Denn alle diese Männer, von Boyen abgesehen, hatten keinen entscheidenden Einfluß, weder beim König noch beim Staatskanzler. Nun aber gab es jemand, dessen Einwirkung bei Hardenberg wenigstens für ausschlaggebend galt, von ihm selbst so bewertet wurde und in der Tat es wohl auch gewesen ist: das war der Professor der Medizin, Rat im Büro und Leibarzt des Fürsten David Ferdinand Koreff. Mit emsiger, nicht ganz eindeutiger Geschäftigkeit machte er sich an den Ausgleich der Gegensätze zwischen seinen Gönnern von einst und jetzt. Schon nach

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Rom hin hatte er brieflich seine Vermittelung angeboten; jetzt suchte er, der „Vertraute über Alles", der alle Eingaben an Hardenberg, ja auch die an den König gelesen hatte, Humboldt milder gegen den Fürsten zu stimmen, machte in seinem Namen Anerbietungen und Vorschläge; aber es gelang ihm nicht, trotz aller Beteuerungen, Humboldts Mißtrauen zu beseitigen oder auch nur zu mindern. Er konnte seinem Herrn wohl nur berichten, daß es ohne harte Auseinandersetzung zwischen ihnen nicht abgehen werde1). Bevor es dazu kam, ließ Humboldt es sich angelegen sein, darüber Gewißheit zu erlangen, wie er eigentlich zu der letztlich entscheidenden Instanz, wie er zum König stand. Das zu erfahren, war nicht ganz leicht. Zwar wurde er gleich bei seiner Meldung in Aachen zur königlichen Tafel gezogen, doch bot sich hier keine Gelegenheit zu einer Berührung, welche über die Formen freundlicher Höfüchkeit von Seiten des Königs hinausgegangen wäre Die unbehilfliche und scheue Natur Friedrich Wilhelms ging der Aussprache mit Männern, welche nicht zu seiner täglichen Umgebung gehörten, gern aus dem Wege. Da half Alexander dem Bruder aus der Verlegenheit und vermittelte am 12. November eine Audienz. Humboldt fand Gelegenheit, sich auszusprechen und war von der Aufnahme, die er fand, sehr befriedigt. Der König äußerte seine lebhafte Anerkennung über seine Geschäftsführung in London und erklärte, man werde eine „für Humboldt passende Stelle s u c h e n", während er in Frankfurt tätig sei. Das bot den Anlaß, des Königs Aufmerksamkeit nochmals hinzulenken auf seinen Wunsch, mit Arbeiten für den Staatsrat befaßt zu werden. Außerdem trug Humboldt eine etwas seltsame Bitte vor, die nämlich, es ihm zu erlauben „bei neuen Anträgen behutsam und selbst ängstlich zu sein, um des Königs Zufriedenheit künftig in. gleichem Maße zu genießen". Es war die gegebene Folgerung aus den Gedanken seiner letzten Eingabe; wie der König sie aufgenommen, berichtet Humboldt nicht. Man mag im Zweifel sein, ob die etwas geschraubte Erklärung — wenn die hier angezogene Fassung des Briefes dem gesprochenen Wort entsprach — in ihrer Tragweite vom König aufgefaßt und erkannt wurde. Für Humboldt aber hat sie und hat die Tatsache, sie dem König gegenüber ausgesprochen zu haben, offenbar eine große Rolle gespielt. Denn das Bewußtsein, sich erklärt zu haben und dabei ohne Widerspruch des Königs geblieben zu sein, hat ihn zweifellos zu dem Glauben veranlaßt, daß er im Recht und vom König gebilligt sei, wenn er im Januar 1819 in der Tat „ängstlich" zu Werke ging, als das neue Ministerium ihm angeboten wurde*). Vom König also war Humboldt befriedigt und glaubte auch bei ihm eine günstige Meinung für sich voraussetzen zu Kaehler, Humboldt. 25

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können. Wie aber stand es mit Hardenberg, der nun doch einmal nicht zu umgehen, der noch an allen Entscheidungen wesentlich beteiligt war? Schon wenige Tage nach Humboldts Ankunft, am 5. November hatte eine Aussprache zwischen beiden stattgefunden, die „in alle Tiefen der Sache eingegangen und doch freundlich und selbst freundschaftlich geblieben war"1). Was hier an Gegensätzen in der augenblicklichen Beurteilung der Dinge, an Meinungsverschiedenheiten über die Einschätzung und Verwendung der Persönlichkeiten, an Abweichung über die Art und die Tragweite der Staatsnotwendigkeiten zur Sprache gekommen war, das hatte jeder während dieser langen Wochen „in seinem Herzen bewegt" mit dem betrüblichen Ergebnis, daß keiner von seiner Meinung zurückgekommen, daß jeder auf seinem Standpunkt verblieben war. Das erwies sich, als ein erneutes Gespräch am 30. November die Grundlage für das fernere Benehmen klären und festlegen sollte. Noch vor Aachen hatte Hardenberg ja daran gedacht, die Stelle eines Präsidenten des Staatsrats an Humboldt zu übertragen, und dieser hatte das Angebot nach seinem ganzen Gewicht einzuschätzen gewußt*). Denn das Präsidium im Staatsrat, soweit es von Haus aus nicht dem König vorbehalten war, stand dem Staatskanzler zu. Wenn er es an Humboldt abtrat, so wurde dieser zum zweiten Mann neben ihm erklärt, so war er dann wirklich „Coadjutor". Im Augenblick geblendet von der außergewöhnlichen Stellung, die man ihm zudachte, hat Humboldt es damals ganz übersehen, wie dieser Posten, ohne daß eine sachliche Notwendigkeit vorlag, ausschließlich mit der Bestimmung für seine Person ins Leben gerufen werden sollte — eine Maßnahme, wie er sie sonst an der Verwaltungspolitik des Fürsten besonders zu rügen geneigt war. Von diesem Plan war nun plötzlich nicht mehr die Rede. Dafür trat Hardenberg mit einem Antrag hervor, welcher noch deutlicher als jener verriet, daß das Staatsinteresse, wie die Männer der neuen Zeit es verstanden, in keiner Weise für ihn bestimmend war, der um so mehr aber jener Art persönlicher Rücksicht entsprach, wie sie bei großen Herren im Ancien Régime beliebt und herkömmlich gewesen ist. Hardenberg nämlich griff — vielleicht in der eigenen Erinnerung, gewiß aber in der Entwickelung des Staates — zurück auf den Zustand, der vor 1806 bestanden, indem er Humboldt den Posten eines „dirigierenden Ministers der Rheinprovinzen" antrug. War es bewußte Anlehnung an die Form, in welcher er selbst einst in den preußischen Dienst getreten war? Mit den ausgedehntesten Machtbefugnissen sollte der neue Minister ausgestattet werden ; ganz unabhängig vom Ministerium in Berlin sollte er dem König, und zwar unmittelbar, unterstehen. Es war genau die Stellung, wie sie Hardenberg einst für seine Wirksamkeit

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in Bayreuth zugesagt war, und mit genau den Unklarheiten in der Abmessung ihrer Rechte, wie sie ihn zu unerfreulichen Zusammenstößen mit seinen Ministerkollegen geführt hatte1)- Der Staatskanzler der Reform, der Mann der Zentralisation und der Fachministerien verleugnete seine ganze Verwaltungspolitik, wenn er jetzt durch ein in der Tat glänzendes und verlockendes Angebot Humboldt von der Teilnahme an der Zentralregierung ausschalten und sich dazu entschließen wollte, die durch die Entwicklung der Dinge überholte Institution der Provinzial-Minister neu zu beleben. Die Folgen waren nicht abzusehen; die Idee der Staatseinheit wurde durch diese, selbst von den besten Köpfen der Verwaltung, wie z. B. den Oberpräsidenten Vincke und Schön, geteilte Neigung, zu dieser dezentralisierenden Verwaltungsreform zurückzukehren, ernstlich bedroht8). Humboldt begriff sofort die Gefahren, welche in diesem Antrage verborgen waren, und lehnte ab, lehnte auch ab, als Hardenberg wieder und wieder die Versuchung an ihn herantreten ließ*). Um Gefahren handelte es sich, die ihn selbst, und um solche, die den gegebenen und notwendigen Gang der Staatsverwaltung bedrohten. Jene kamen wie natürlich Humboldt zunächst zum Bewußtsein; unerfahren in der inneren Verwaltung, wie er sich wußte, sollte er dazu sich verführen lassen, seinen ersten Versuch „an der Hälfte des Königsreichs und an 4 Millionen Menschen zu machen" 4 )? Seine Feinde, so meinte er, würden ein eigenes Vergnügen haben, ihn diesen gefährlichen Pfad beschreiten zu sehen, wenn auch gerade diese Gefahr es sei, welche ihn „reize wie den Mann das Eisen". Denn Kollisionen über Kollisionen mit den anderen Behörden würde es geben, da er doch dem ganzen Gang der Verwaltung nach nur nominell dem König unmittelbar unterstellt sein könne. Bald genug werde er in den Verdacht geraten, „eine Revolution und sich mit den Rheinprovinzen selbständig machen zu wollen"'). Durchschlagend aber war die sachliche Rücksicht: ein Teil des Staates könne nicht anders regiert werden als der ganze Staat, so faßt er diese Bedenken treffend zusammen4). Aber Hardenberg ließ sich nicht abschrecken; lehne Humboldt ab, so müsse ein Posten in der hohen Administration sich finden lassen, der ihm zusage; er müsse ins Ministerium eintreten. Auch hier erfuhr er wiederholte und nachdrückliche Ablehnung. In London hatte Humboldt sein Absehen je mehr und mehr auf den inneren Staatsdienst eingestellt7). Um so erstaunlicher, wenn er jetzt Hardenberg gegenüber erklärt, er sei zu wenig erfahren in der inneren Verwaltung, um eines der in Frage kommenden Ministerien mit Erfolg übernehmen zu können. Das einzige Fach, welches er eigentlich und planmäßig „betrieben und 2S*

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studiert" habe, seien die Auswärtigen Angelegenheiten: sie hatten eben in Bemstorff einen neuen Chef erhalten; es war ein zu durchsichtiges Manöver, wenn dieser Vorwand jetzt herhalten sollte'). Es mußte ersichtlich werden, daß alle Vorschläge von ihm abgelehnt wurden, damit nur die eine, von jeher angestrebte Möglichkeit noch übrig blieb: seine Verwendung im Staatsrat. Denn das wußte Humboldt: „ob als Erster oder Letzter, hier bin ich der Wirkung, die ich wünsche, immer gewiß." Er war überzeugt, daß dies der beste Plan sei, gerade weil Hardenberg ihm unter keiner Bedingung beipflichten wollte®). Der Gesichtspunkt, von dem der Staatskanzler sich dabei bestimmen ließ und den er auch offen aussprach, war der, daß Humboldt in einem loseren Dienstverhältnis, welches keine Besoldung mit sich brachte, nach seiner tatsächlichen Stellung wie „im Urteil des Publikums" eine mit dem Dienstinteresse unvereinbare Unabhängigkeit genießen würde3). Gewiß ist es ein erprobtes taktisches Verfahren, welches Witzleben ihm bald darauf anriet, den Gegner gerade zu dem zu zwingen, was er nicht will; nur muß man eben die Mittel dazu wirklich besitzen. Und Humboldt fehlten sie in diesem Falle. Denn indem er mit Eigensinn gegenüber Hardenberg auf seine Eigenschaft als Mitglied des Staatsrats pocht, nötigt er ihn zu der Erklärung: dem König stehe es frei, die Liste der Mitglieder zu ändern. Humboldt hat darauf, nach seinem eigenen Zeugnis, geantwortet, er werde es abwarten, ob man ihn ausschließen werde; wolle man ihn allein ausschließen, so würde er sein Recht durchzusetzen wissen4). Unerquicklich mag der Verlauf der ganzen Unterredung gewesen sein; aber nur sehr ungern stellt man sich den Moment vor, welcher diesen Punkt zur Erörterung brachte. Die Aussprache sank zum Zank herab, zum Zank, in welchem auf Hardenbergs Seite das unbezweifelte Recht stand, in welchem das Auftreten Humboldts nicht eben würdig zu nennen ist. Überdies: welches Recht wollte er denn durchsetzen? E s ist gar nicht abzusehen, wo in der wirklichen Rechtslage er einen Boden für seinen Standpunkt finden sollte. Sein ganzes Vorgehen ist nur verständlich, wenn und soweit man es sich gegenwärtig hält, wie er dazu neigt, die immer im Fluß befindlichen Verhältnisse des wirklichen Lebens mit dem starren Panzer einer ideellen „Form" zu umkleiden. Diesem Doktrinarismus hatte er es zu verdanken, wenn er jetzt in einer Lage, welche ihm und welche Hardenberg nicht anstand, mit Streichung aus der Liste der besten Beamten des Staates sich bedrohen lassen mußte; ihm hatte er es zu verdanken, wenn ein Jahr später die Drohung Wirklichkeit wurde. Beides, die Ankündigung jetzt wie die Verwirklichung

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später, ist ihm unvorhergesehen, überraschend gekommen, aber nicht unverdient. Denn indem er so dachte und so verfug, mißachtete er die lebendige Kraft der Wirklichkeit. Er steigerte eine nach jeweiliger Zweckmäßigkeit veränderliche Bestimmung zum Gesetz, er setzte den toten Buchstaben zur Norm des Handelns ein, er verschob ein M i t t e l auf die Linie des Z w e c k e s und beging damit eine Versündigung an den gestaltenden Kräften des Lebens, wie sie dem Idealisten nur zu leicht begegnet1). Zu einem ähnlich heftigen Zusammenstoß scheint es in der Unterredung, welche die gemeinsame Aachener Zeit beendete, nicht mehr gekommen zu sein*). Nachdem das Angebot „Austrasiens", wie Humboldt das Projekt der abgesonderten Verwaltung der Rheinlande mit hübscher Anspielung einmal bezeichnet*), wieder umsonst geschehen, bekundet Hardenberg sein Entgegenkommen in anderer Weise. Hatte er es bisher bestimmt abgelehnt, Humboldts oft gestellter Forderung der Verabschiedung von Bülow und Schuckmann nachzugeben, so will er sich jetzt dazu verstehen, Bülow zu entfernen. Dafür solle Humboldt sich mit dem „Skythen" in das Ministerium des Inneren teilen: „darauf habe ich mich noch weniger eingelassen"4). Absage über Absage — selbst das wieder aufgenommene Anerbieten, an -Stelle Niebuhrs die Verhandlungen mit dem Römischen Stuhl zu führen, wird verworfen. Da geschieht von dem angesichts dieses Eigensinns ratlosen Hardenberg ein V o r s c h l a g , welcher nach seinem eigenen, von den Vorurteilen einer abgeschlossenen Epoche bestimmten Empfinden nichts Verletzendes an sich haben mochte, wenn er ja auch nicht ohne Berechnung geschah. In Humboldts Augen aber wandelte er sich sofort in eine Z u m u t u n g : für die Frist eines Jahres sollte Humboldt wieder nach London gehen, für die Kosten der doppelten Haushaltung mit einer in sein Belieben gestellten hohen Entschädigungssumme sich schadlos halten lassen. Mochte der Staatskanzler auch noch so gereizt sein, dies Anerbieten war eine Beleidigung. Denn es mißachtete die tatsächlichen Gründe, welche Humboldt seine Abberufung wünschen ließen; es bekundete zugleich ein völliges Mißverständnis seines Charakters. Sachlich aber hätte die Annahme des Anerbietens ein Eingehen bedeutet gerade auf jenes unkontrollierte Wirtschaften mit Staatsgeldem, welches Humboldt dem Staatslenker zum Vorwurf machte; sie hätte den Finanzdebatter von 1817 unheilbar bloßgestellt. Sie bedeutete in den Folgen eine schlimmere Falle, als Hardenberg selbst vielleicht beabsichtigt hatte. Jedoch hatte Humboldt nicht, seit Hardenberg ihn kannte, in manchem Betracht sich sehr verändert? Was war bei die-

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sem undurchsichtigen Charakter möglich, was unmöglich? Welche Wandlungen innerhalb eines Jahrzehnts I Im Jahr 1809 hatte jener sich, hatte man ihm die Rückkehr nach Rom als Lohn für alle Mühen im Staatsdienst vorbehalten. Jetzt gibt die Rücksicht auf Niebuhr ihm den ebenso erwünschten wie noblen Vorwand an die Hand, nicht mit ausdrücklichen Worten es aussprechen zu müssen, daß mehr Berlin als Rom ihn anzieht, jenes so verachtete Berlin, das nun zum ä&Xov des Kampfes zwischen Staatskanzler und Minister geworden ist1). Hier, in der Frage der Übersiedlung nach Berlin und der Tätigkeit im Staatsrat, blieb nun Hardenberg unerbittlich. Umsonst führte jeder von beiden ins Feld, was nach seiner Meinung „das Publikum" über Humboldts Teilnahmt an oder sein Fembleiben von den Beratungen dieser Behörde urteilen werde; die Anrufung dieser großen und neuen Instanz änderte nichts daran, daß die Unterredung endete mit keinem anderen Ergebnis als dem, daß man nun wußte, eine Verständigung sei ausgeschlossen. AUE dieser Erkenntnis fand Hardenberg den Entschluß zum Handeln. Für Humboldt aber bedeutete sie nur den Eintritt in eine peinliche Zeit neuer Zweifel, neuen Schwankens, welches die Spannung der nächsten Wochen fast unerträglich werden ließ.

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Frankfurt. Die Niederlage. „Der Augenblick nur entscheidet Uber das Leben des Menschen und über sein ganzes Geschicke." (Hermann und Dorothea, 5. Gesang.)

Ein gemeinsamer Weg hatte Hardenberg und Humboldt vor drei Jahren von Paris, dem Ort, an dem sie vielleicht in der größten inneren Übereinstimmung gestanden und gehandelt hatten, nach Deutschland in eine vielversprechende Zukunft zurückgeführt. Jetzt legte der Staatskanzler Wert darauf, daß auch der Aufenthalt in Aachen, dem Ort, an welchem die Abweichung ihres Wesens und ihrer Ziele ihnen vielleicht deutlicher geworden war als je zuvor, mit einer gemeinsamen Abreise seinen Abschluß finden sollte. Des Kanzlers Absicht sei, so meinte Humboldt, „das freundlich Begonnene auch freundlich zu beschließen. Indessen möchte die Freundlichkeit so tief nicht gehen". So gingen sie denn gemeinsam rheinaufwärts über Bonn, wo Humboldt „das Handwerk grüßte" in der Person des eben zum Professor an der jungen Universität ernannten A. W. Schlegel, bis Koblenz, wo die Wege der beiden sich trennten, um wohl noch einmal äußerlich, innerlich aber nicht wieder zusammenzutreffen1). In Frankfurt trat Humboldt in den gewohnten Geschäftskreis und in bekannte Umgebungen zurück. Von größter Bedeutung war es, daß Stein hier den Winter zubrachte. Es begann ein vertrauter Umgang zwischen den beiden nach Herkunft und Charakter, nach Neigung und Bildung, nach Leistung und Ansprüchen so sehr verschiedenen Männern Man erhält den Eindruck, als ob ihre eigentlich polaren Naturen in diesem Augenblick den denkbar höchsten Grad der Annäherung erreicht hätten, um dann langsam, aber unaufhaltsam in die natürliche Entfernung zurückzugleiten. Denn dem kühleren Humboldt ist es immer bewußt geblieben, wieviel Fremdes eigentlich zwischen ihnen stand*). Neben einer großen und verständnisvollen Verehrung, welche Stein der Gattin Humboldts entgegenbrachte, war die innere Teilnahme an den Geschicken des preußischen Staates die Linie, auf welcher sie sich begegneten. Einen Abend um den anderen verbrachte Humboldt bei Stein; in erster Linie bildeten die im Vordergrund des politischen Lebens stehenden Fragen der deutschen Verfassungen den Gegenstand der Unterhaltung.

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Sie gewann für Humboldt, man darf es sagen, die Bedeutung eines Lehrgangs unter der Leitung des großen Reformers. Es war eine hohe Schule in jenem Bereich der Politik, welchem er bisher doch recht fem gestanden hatte; und aus seinen eigenen Zeugnissen geht hervor, daß seine gelehrige Empfänglichkeit noch größer war, als man nach gelegentlichen Feststellungen „literarischer" Abhängigkeit bisher mutmaßen konnte1). An den Ansichten, den Kenntnissen, den Materialsammlungen Steins entwickelte und bereicherte Humboldt die Gedanken, aus denen er während dieser Wochen in der großen Denkschrift über eine Ständische Verfassung in Preußen die Summe seiner politischen Erfahrungen und Erkenntnis zog, um sie, wenn das Schicksal es wollte, zur Grundlage seiner Wirksamkeit zu machen. Auch in den persönlichen Entscheidungen, vor welche die nächste Zukunft ihn stellte, ließ er sich wesentlich von dem bewährten Rat des Freundes leiten. Der gemeinsame persönliche und sachliche Gegensatz zu Hardenberg mochte neben manchem hellen auch einen dunklen Faden in das sie verbindende Band einschlagen. Auf die nahende Entscheidung dieser Gegensätzlichkeit war Humboldts Denken und Sinnen in diesen beiden Wintermonaten unablässig gerichtet. Die Zukunft warf ihren Schatten vorauf, störte sein inneres Gleichgewicht, beunruhigte ihn und mit ihm die Gattin, welche von Rom aus lebhaften Anteil an allem Erwägen und allen Zweifeln nahm, einen Anteil, welcher bei der langsamen Postverbindung doch nur zu einer sehr mittelbaren, aber darum nicht leichter wiegenden Einwirkung auf Humboldts Entschlüsse führen konnte2). Ergebnislos war die Zeit in Aachen zu Ende gegangen. Man war zu keiner Verständigung gelangt, keine bindende Abrede war getroffen, alles war noch in der Schwebe. Nur eins stand fest: daß Humboldt im Staatsdienst blieb. Immer wieder hatte der Staatskanzler — und es war das nicht ohne Bedeutung für die Denkungsart Hardenbergs selbst als auch die des Königs, wenn er dabei gegen Humboldts Einwand« die Dotation sei als Belohnung geleisteter Dienste anzusehen, mit Nachdruck darauf hinwies, wie diese Auszeichnung gerade neue Verpflichtungen auferlege5), — immer wieder hatte er erklärt, es sei in keiner Weise angängig, daß Humboldt ins private Leben zurückträte. Dieser Gesichtspunkt hatte sich gleichsam von selbst durchgesetzt, ohne daß Humboldt ihn ausdrücklich anerkannt hätte. Es stand fest, daß der König ferner auf seine Dienste zählen konnte; der Gang der Dinge hatte ihn dieses Entschlusses gleichsam überhoben, welcher während des ganzen Jahres immer wieder sich zur Erwägung gestellt hatte. Aber, wenn Humboldt den Tatsachen sich anpaßte, so war es doch nicht nur jener vorwiegende Zug zur Passivität, welcher die Entschei-

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düng von außen sich aufdrängen läßt und mit der geistigen Durchdringung der gegebenen Lage sich abfindet. Es gab doch Gründe, es gab Erwägungen, welche, indem sie den Augenblick mit Vergangenheit und Zukunft verknüpften, die von außen an ihn herangetragene Entscheidung zum eigenen Entschluß umzugestalten vermochten. Diese Erwägungen traten aus den verschiedensten Kreisen der Erfahrung in sein Bewußtsein, und diese Gründe waren verwickelt. Das Leben in Ideen, den Trieb nach Einsamkeit, die Neigimg zu wissenschaftlicher Tätigkeit, die Sehnsucht nach einer vom Treiben der Welt ungestörten Vereinigung mit der Gattin — zu oft und zu lebhaft haben wir sie von Humboldt als die wahren Leitsterne seines Handelns, als die einzigen Richtpunkte seines Strebens nennen, ja bekennen hören, als daß es sich ohne weiteres begreifen ließe, warum, als nach der gehäuften Rücksichtslosigkeit Hardenbergs während des Londoner Jahres, nach der beleidigenden Verkennung während des Aachener Gesprächs die Dinge auf des Messers Schneide standen — warum bei so bewandten Umständen er nicht die Folgerung zog, welche ihm am nächsten zu liegen schien. Vor anderen e i n Moment wird schwer gewogen haben, wenn Humboldt nun darauf verzichtete, diese oft verwünschte Last von sich zu werfen, in dem Augenblick, wo die Umstände es zu begünstigen schienen, „die alten Knoten zu lösen"1)- Das war das Gefühl, innerlich tiefer mit dem Staat verwachsen zu sein, als er es früher je geglaubt haben mochte. Wir hörten, wie er anläßlich der Ernennimg Bernstorffs diesem natürlichen Gefühl einen derb-anschaulichen Ausdruck zu geben wußte*). Er konnte nun und er mußte nun von sich sagen: „ich habe Liebe und Interesse am Lande . . . und setze, wenn die Sache bedeutend ist, gewiß meine ganze Existenz daran" 3 ). Darum hatte er es so bitter in Aachen empfunden, daß und wie das Ansehen Preußens in der Welt gesunken war; daß man den Preußen sagen konnte: „Vous ne comptez pas ici cette fois." Die Genugtuung, daß es auf den vorigen Kongressen, an denen er beteiligt war, anders gewesen, wog diese Enttäuschung nicht auf1). Bei allem Reflektieren, welches die Gesichtspunkte des persönlichen Bedürfnisses mehr in den Vordergrund drängte, lag diese Stimmung doch auf dem Grunde seines Denkens und Empfindens. Darum verloren die persönlichen Rücksichten nicht an Gewicht in seinen Überlegungen; vielmehr es scheint, als hätten sie in diesem Augenblick sogar ihn in jener Richtung noch bestärken müssen. Es war nun doch einmal sein Beruf, Beamter, Minister, wenn man es will, Staatsmann zu sein. Er stand auf der Höhe des Lebens; sollte er so ohne jedes Bedenken die Früchte einer langjährigen Wirksamkeit preisgeben, kurz bevor sie endlich reiften? Ohne Zweifel hatte die Be-

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rührung mit der englischen Politik seine Anteilnahme am Staat gefördert; vielleicht sogar hatte sie gewisse Ziele für die innere Entwicklung Preußens ihm wünschenswert erscheinen lassen, in deren Erreichung er seine besondere Aufgabe erblickte. Was Humboldt auch von den Reizen der Einsamkeit, von dem entbehrten Genuß wissenschaftlicher Erkenntnis träumen und reden mochte — seit nunmehr einem vollen Jahrzehnt war er an dies so oft verurteilte und doch nie aufgegebene Geschäftsleben gewöhnt: gewöhnt besonders an die Bewegung, welche es mit sich brachte und welche auch zu den Genüssen gehörte, die um so reizender sind, je weniger man ihrer zu bedürfen glaubt, obwohl man im Tiefsten von ihnen abhängig ist. Zur Aufgabe seines Lebens war diese Tätigkeit geworden und hielt ihn fest in ihrem Bann — nicht zuletzt durch das Echo seines Bemühens, welches ihm hier entgegenklang aus seinen E r folgen, aus ihrer Anerkennung, aus dem Vertrauen, welches die Öffentlichkeit seinem Talent und, wie er meinte, seinem Charakter entgegenbrachte. E s hatte eine Zeit in seinem Leben gegeben, welche von vornherein den Erfolg des Arbeitens und Mühens für nichts gelten lassen wollte. Aber ihn auf die Länge zu missen, war unerträglich geworden. E s spricht viel für die Annahme, daß Humboldt die Rückkehr solcher Zeiten jetzt noch nicht wünschte1). Ganz gewiß aber wurde sie nicht gewünscht von dem Menschen, welcher ganz in seinem Vertrauen war, ihn ganz kannte, auf 6eine Entschließungen entscheidenden Einfluß ausübte. Frau v. Humboldt war der Ansicht, daß ihr Gatte noch auf Jahre hinaus, dem Staate, der Nation, die ihre Hoffnung auf ihn setze, sich schulde. Jetzt, auf der Höhe der Jahre, dürfe er nicht die Hand vom Pfluge ziehen. Mit entschiedenem Willen, mit klaren Absichten müsse er an seine Aufgabe herantreten. Und darin bestärkte sie ihn, daß nirgends anders als im Bereich gerade des Ministeriums des Innern das Feld seiner Tätigkeit liege; darauf drängte sie, daß er das Verhältnis zu Hardenberg nicht länger ungeklärt lasse, daß er eine „entschiedene und entscheidende" Trennung, welche kein Bruch zu sein brauche, herbeiführe. So suchte sie neben seinem Verantwortungsgefühl für den Gang der allgemeinen Entwicklung auch jene Keime eines höheren Ehrgeizes in ihm zu entfalten, dessen er sich selbst bewußt war2). So wirkte denn alles zusammen, um ihn vom willkürlichen Verlassen der einmal betretenen Bahn zurückzuhalten; es wirkte alles zusammen, um ihn auch diesmal d e s E n t s c h l u s s e s zu ü b e r h e b e n , vor dem er im Innersten zurückscheut. Wem mehr als diesem Manne war es aus der Seele gesprochen3), das Dichterwort:

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„Man sage nicht, das Schwerste sei die Tat, Da hilft der Mut, der Augenblick, die Regung. Das Schwerste in der Welt ist der Entschluß, Mit eins die tausend Fäden zu zerreißen, An denen Zufall und Gewohnheit führt I" Bekannte er es doch selbst: „Ach im Entschluß ist der Mensch immer furchtbar hart gegen sich und andere, läßt fahren, was er festhalten sollte, und vertraut sich dem Neuen"1). So wurde der Entschluß, den er so ungern fand, ihm erspart. Aber nicht ersparte er sich alle Zweifel und alle Qual, die der Entschluß und der Entschluß zu folgereichem Handeln mit sich bringt. Sie erfüllen seine Gedanken und sie füllen seine Briefe mit jenem unablässigen Arbeiten seines Verstandes, von dem die Gattin selbst meinte, daß es zuweilen in ungewöhnliche Kombinationen ausschweife'). Darüber war er im Blick auf die künftige Tätigkeit nunmehr ins klare gekommen: sein Ziel war Berlin und in Berlin, da Hardenberg ihm diese Aussicht eröffnet hatte, da Frau v. Humboldt und da Stein es so für richtig hielten, der Eintritt in das Ministerium des Innern. In dem einzigen Brief, welchen er in dieser Zeit an den Staatskanzler richtete, erklärte er mit Bestimmtheit, er wolle keinesfalls in Frankfurt mit anderen Geschäften als denen der Territorialkommission befaßt werden, es sei mit der Vertretung am Bundestag oder mit den Verhandlungen über die Bundeskriegsverfassung. Er würde das als eine Demütigung ansehen müssen, welche er von Hardenbergs Freundschaft nicht zu erwarten brauche 8 ). Für den Eintritt ins Ministerium, falls er ihm angeboten würde — irgend etwas f o r d e r n werde er nicht, um nicht in die Abhängigkeit des Bittenden zu geraten4) — standen ihm folgende Bedingungen fest. Die in Aussicht gestellte Vorpatentierung Bernstorffs, — wodurch jener mit dem Rang seines mit 30 Jahren erlangten dänischen Ministeriums der älteste Minister in Preußen wurde, — werde er sich nicht gefallen lassen, nicht aus persönlicher Kleinlichkeit, sondern schon um des preußischen Ansehens willen5). Femer ist er entschlossen, nicht mehr über derartige Anträge mit dem Staatskanzler, sondern nur noch unmittelbar mit dem König zu verhandeln. Endlich wird er bestimmt ein Ministerium mit Schuckmann nicht teilen; und er kann sich, ohne den persönlichen Vortrag beim König in allen Sachen seines Geschäftsbereichs zu haben, nicht zufriedengeben. Denn unerläßlich sei es, daß die Minister in persönliche Fühlung mit dem Monarchen träten8). Die große Frage war, ob der König zu einer solchen Veränderung seiner Lebensgewohnheiten sich verstehen würde; aber sie wird von Humboldt nicht gestellt. Gewiß war es, daß diese Forderung „die Macht des Staatskanzlers nicht

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nur untergraben, sondern vernichten" mußte1). Davor scheut Humboldt noch zurück, obwohl Stein auf diesen Sturz als auf eine Notwendigkeit drängt, obwohl er nach eigenem Bekenntnis ein Gegner des Staatskanzler a m t e s gewesen ist, seitdem es besteht*). Aber noch forderte der Augenblick nicht derartige „harte" Entschlüsse. Auf den äußeren Gang der Dinge gesehen, ist Humboldt vielmehr mit seiner abwartenden Lage, in der er die Dinge an sich herankommen lassen kann, recht zufrieden: „Solange ich die Dinge bei »ms kenne, ist nie einer in ¡gleicher Lage gewesen"3). Dies war unbestreitbar. Im übrigen war er sich darüber klar geworden, daß es nicht an Hardenberg allein lag, wenn sein Wunsch, nach Berlin berufen zu werden, nicht in Erfüllung ging. Er wußte von „innerer Parteiung" zu melden und hatte es in Aachen ja selbst erfahren, wie unbeliebt er,bei den auswärtigen Kabinetten war. Der Zar hatte ihm nicht einmal die aus Höflichkeit nachgesuchte Audienz bewilligt; daß auch Metternich erfolgreich gegen ihn arbeitete4), war ihm kein Geheimnis mehr. Solche gelegentlichen Anwandlungen von Optimismus, wie wir sie eben hörten, blieben doch vereinzelt. Sie vermochten den schweren Druck der Sorge, die auf ihm lag, nicht zu verscheuchen. Wie es im tiefsten seines Inneren arbeitete, das kommt in den ergreifenden Worten zum Ausdruck, mit denen er die Gattin begrüßt beim Eintritt in das Jahr des Schicksals, als welches das Jahr 1819 von ihnen beiden in voller Übereinstimmung erwartet wird: „Dies Jahr muß für uns notwendig viel lösen und viel bestimmen, und insofern ist es vielleicht eins der entscheidendsten in meinem Leben. Es trifft mich gerade an einem Abschnitt der Tätigkeit und es fragt sich nun, ob und wie eine neue beginnen soll? Ohne zu wagen wird ein solcher Entschluß nie im Leben genommen, und was man im öffentlichen gewesen und geleistet haben mag, so steht bei einem neuen Beginnen eigentlich alles, auch das längst Errungene, auf dem Spiel. Das ist eine eigene und ernste Betrachtung. Im Handeln soll der Mensch, solange er lebt, nichts Geborgenes und Gesichertes haben, soll nie sagen können: das bin ich. I n j e d e n e i n zelnen Moment soll er die ganze V e r g a n g e n h e i t trag e n , u n d w e n n er d e n M o m e n t f a l l e n l ä ß t , soll a u c h sie m i t i h m s i n k e n * . . . Es frommt und hilft also nichts, als mit Besonnenheit und vor allem mit Scheu vor ungerechter Zuversicht vorwärts zu gehen. . . Aber ich fühle auch sehr gut, daß . . . w e n n i c h jetzt a b t r e t e n k ö n n t e , ich mich g e w i s s e r m a ß e n spielend mit dem S c h i c k s a l a b g e f u n d e n h ä t t e über die Tät i g k e i t , d i e m a n a n d e r e n u n d s i c h s e l b s t s c h u l d i g ist."* Von der bevorstehenden Aufgabe scheine es ihm „mit Recht ungewiß,

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ob ich ihr wirklich gewachsen bin. Darüber urteilen die meisten, wenn sie über mich reden, zu leicht ab, und wenn ich widerspreche, glauben sie nicht. Allein man kennt sich doch selbst und so wie es im Körperlichen Lasten gibt, die man nicht heben, Dinge, die man nicht nachahmen k a n n . . . , so ist es im Geistigen. Ja selbst die Prüfung dabei ist schwer, da Besorgnis u n d Zuversicht zu weit führen kann"1). Es ist der ganze Humboldt in seiner Stärke wie nach seiner Schwäche, der aus diesen Sätzen spricht; mochte seine Unentschlossenheit Schwäche sein, daß und wie er mit ihr, wie er mit sich und seinem Schicksal ringt, gibt seiner Haltung doch ihre Größe. „Es ist das Schicksal des Lebens, daß es immer eine Macht gibt, die einen anfangs hebt, trägt, unterstützt, aber am Ende .auftritt und sagt, daß man ihr gehört, daß die Freiheit dahin ist;" dieser Augenblick war gekommen1). Am 13. Januar 1819 überbrachte eine Estafette aus Berlin dem Minister v. Humboldt in Frankfurt von dem Generaladjutanten v. Witzleben einen Brief erstaunlichen Inhalts. Er beglückwünsche ihn zu dem bestimmten bedeutenden Wirkungskreis; für den Eintritt ins Ministerium, denn darum handele es sich, dürfe Humboldt aus dem Rücktritt anderer nicht eine conditio sine qua non machen; sein Wirkungskreis werde der bedeutendste im ganzen Bereich der Staatsverwaltung, und darum solle er ohne viel Bedenken annehmen; ein Mann von seinem Talent werde seinen Einfluß bald „auf alle übrigen Branchen" ausdehnen: die Lage der Dinge in Berlin habe sich wirklich geändert*). Humboldt ist völlig überrascht. Von einem Angebot irgendwelcher Art ist ihm nichts bekannt. Aber es muß, so entnimmt er dem ungewöhnlichen Schritt des ihm eigentlich Unbekannten, ein Antrag von größter Wichtigkeit sein. Soll er einen höheren Auftraggeber, kann er die Veranlassung des Königs hinter diesem Schritt vermuten? Kaum daß Humboldt die Stimme des Schicksals vernimmt, so stellt eine Vermutung über die ihm zugedachte Aufgabe fast als Gewißheit sich ein, ohne daß man sieht, worauf er sie gründet. Es ist nur festzustellen, daß sie seine Gedanken beherrscht und sein Vorgehen bestimmt: es ist die Annahme, ihm falle „offenbar die Besorgung der Einrichtung der Ständischen Verfassung" zu. Erinnern wir uns, wie lebhaft Humboldt seinem Unwillen darüber Ausdruck gab, daß man den Namen des Grafen Bernstorff in Verbindung mit der Preußischen Verfassung brachte4), so findet sich vielleicht ein Hinweis darauf, auf welchem Boden der Gedanke gewachsen ist. Sollte es ausgeschlossen sein, daß während des Londoner Jahres in ihm der Ehrgeiz erwachte, bei dem Erlaß einer zu erwartenden Konstitution für Preußen eine entscheidende Rolle zu spielen? Wie es auch um die Herkunft des Gedankens stehe, er sollte bald verhängnisvolle Wir-

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klingen hervorrufen. Auffallend und erregend war es schon, daß die erste Nachricht über seine künftige Bestimmung von dem Generaladjutanten des Königs, einem Mann, den er nur zweimal gesprochen, mit dem ihn nichts verband, nichts — als die eine große Sorge um Preußens Zukunft, welche alle jene Männer aufs tiefste bewegte, in deren Leben der Freiheitskampf d a s große Erlebnis bedeutete. Ein Zufall war es wohl nicht, welcher jene Estafette in Bewegung gesetzt hatte. Denn dem Schreiben Witzlebens folgte bald ein Brief Boyens; daß Beide nach vorgängiger Verabredung geschrieben hatten, ergibt die Antwort, welche Humboldt am 26. an Boyen abgehen ließ. Der Vorgang hatte denn doch seine besondere Bedeutung. Die Männer, welche hier eingriffen, waren die bedeutendsten und einflußreichsten Generale des aktiven Dienststandes. Beide von leidenschaftlicher Liebe zum preußischen Staat beseelt; der Kriegsminister ein entschiedener Reformer auch in den Fragen des inneren Staatslebens, Witzleben ohne Zweifel voll Eifer, an allem mitzuarbeiten, was der Macht und dem Ansehen des Staates dienen konnte. Diese Männer also setzten auf den zaudernden und grübelnden Humboldt außerordentliche Hoffnungen; wie wären sie sonst so dringlich an ihn herangetreten 1 )? So wie sie die Dinge von Berlin aus sahen, galt er ihnen als der sichere Bundesgenosse im Kampf gegen die Reaktion, welche auch auf dem Gebiet des Heeres die Ergebnisse der Reform und gerade in ihnen die Grundlage der M a c h t des Staates angrifP). Daß in Humboldt ein starkes Gefühl für das Ansehen Preußens in Europa lebendig war, das sprach sich aus in seinem Urteil über die Rolle, welche er Preußens Vertretung in Aachen spielen sah; es war bekannt vor allem seit seinem Auftreten in Wien und Paris. Daß er eine klare Einsicht in die Notwendigkeit des Heeres, wie es jetzt von Boyen mit Linie und Landwehr organisiert war, als Grundlage der Staatsmacht besaß, das hatte er in den Kämpfen des Staatsrats gegen die falschen Ersparnispläne des Grafen Bülow bewiesen*). Daß darüber hinaus eine in persönlichem Erleben tiefbegründete Auffassung von dem deutschen Beruf Preußens in ihm lebte, dafür legt die große Denkschrift vom September 1816, legen die Briefe dieser Jahre beredtes Zeugnis ab. Deshalb war es in der Tat kein Zufall, was diese Männer zusammenführte. Der eine, berührt von dem geistigsten Element in der Physiognomie dieses Staates, war die lebendige Brücke, welche Weimar und Jena mit Berlin und Potsdam nach Geburt und nach Schicksal zuerst verband; die beiden anderen durchdrungen von dem Gedanken der militärischen Macht, welche allein die Führerschaft in Deutschland vorbereiten konnte

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— so begegneten sie sich in dem Vorhof der Erfüllung, welche einem glücklicheren Geschlecht zufallen sollte1). Im Bewußtsein solcher Bundesgenossenschaft legte Humboldt sich seine Haltung zu den kommenden Dingen nun folgendermaßen zurecht. Von der bisher gestellten Bedingung des Rücktritts der Minister Bülow und Schuckmann will er absehen angesichts der nach Witzlebens Versicherung veränderten Verhältnisse. Er will annehmen, daß sie ihm die Bürgschaft für wirksames Handeln auf eigene Verantwortung gewähren; der Sache halber mag der Ruf der Inkonsequenz in Kauf zu nehmen sein. Dagegen wird er fest bestehen auf dem regelmäßigen persönlichen Vortrag beim König und darauf, daß des Staatskanzlers Recht auf Verfügung und Suspension in seinem Ressort aufgehoben werde. Und da er nicht „wie ein Professor über Ständische Verfassungen" dazustehen beabsichtigt, müssen alle wesentlichen Zweige des Ministeriums des Innern ihm übertragen werden. Auf diesem Wege würde Schuckmanns Geschäftsbereich gewissermaßen aufgesogen und dieser selbst nicht mit Gewalt, aber durch die Logik der Dinge beseitigt werden'). Die ganze Sache müsse ja auf den Sturz Hardenbergs hinauslaufen, das sei nicht mehr zu vermeiden. Endlich nahm er sich vor, eine Zusage nur mündlich und erst in Berlin selbst zu geben. So das Programm Humboldts; würde es sich durchführen lassen*)? Wie gut traf es sich, daß er nun Stein als Berater zur Seite hatte; mit ihm wurde ausgemacht, daß Humboldt dem König mit warmer Dankbarkeit schreiben und die Annahme für Berlin in Aussicht stellen, dem Staatskanzler mit zurückhaltender Kühle antworten, endlich für das Einzelne seiner Ansichten Witzleben als Sprachrohr beim König benutzen sollte. Inzwischen nämlich, am 21. war das offizielle Schreiben, eine Kabinetts-Order vom 11. Januar 1819 eingetroffen, durch welche sein neuer Wirkungskreis bestimmt wurde4). Trotz der Ankündigung durch Witzleben enthielt sie eine Überraschung für Humboldt, insofern er sich unter Übertragung von Sitz und Stimme im Staatsministerium durch ihren Wortlaut bereits e r n a n n t sah: „eine nicht ungescheute Partie, die der Staatskanzler ergriffen", nannte er dies Verfahren. Am Ende wurde die Erwartung ausgesprochen, daß Humboldt in seinen neuen Geschäftskreis so bald als möglich, d. h. nach Beendigimg der Verhandlungen in Frankfurt, eintreten werde. Sein Ressort sollte umfassen: 1. Die Ständischen Angelegenheiten und die Verhandlungen mit den Landständen, 2. die ständischen und übrigen Kommunalsachen, 3. das Provinzial- und Kommunalschuldenwesen, 4. die sogenannten landschaftlichen Kreditsysteme, 5. die Militärsachen, soweit sie nicht als rein militärisch dem Kriegsminister zustanden. Wenn es in der Kabinetts-Order hieß: „Ich verspreche

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mir durch diese Bestimmungen das Wohl des Staates und Ihre Zufriedenheit berücksichtigt zu haben", so glaubten König und Kanzler offenbar, endlich zum Abschluß der seit Monaten geführten Besprechungen und Verhandlungen gelangt zu sein. „Eine Weigerung Ihrerseits würde dem König höchst unerwartet und auffallend sein. Sie hätten auch wirklich keine giltige Entschuldigung dafür", warnte Hardenbergs Begleitschreiben. Über den Umfang und die Art seines Geschäftskreises enthielt die Verfügung hinreichend Angaben, um jedenfalls die Auffassung auszuschließen, die wir eben bei Humboldt entstehen sahen. Diese Dinge muß man sich gegenwärtig halten, um zu verstehen, warum die Angelegenheit in den nächsten Wochen ihre peinliche Wendung nahm. Man muß ferner erwägen, daß die große Kabinettsorder an das Staatsministerium vom gleichen Tage, von der auch Humboldt Mitteilung erhielt, u. a. die Zusicherung gab, die Minister sollten zu persönlichem Vortrag in Gegenwart des Staatskanzlers „häufiger a b bisher befugt sein"1). Das war ein Zugeständnis nicht nur des Kanzlers, sondern des Königs selbst. All das mußte Humboldt sehen und hat es wohl auch gesehen; aber er war in Hämisch gebracht durch eine Nachschrift zum Brief des Kanzlers, welche lautete: „Ich arbeite jetzt an einer Konstitution, deren Beschleunigung der König nun emstlich will. Davon nächstens mehr." Das war der entscheidende Punkt für Humboldts Vorgehen. Hier kam sein persönlicher Ehrgeiz, hier kam seine Überzeugung ins Spiel, daß der alternde Hardenberg diesem Werk nicht mehr gewachsen sei: „sein Arbeiten an einer Konstitution ist schon jetzt ein wahrer Eingriff in mein Ministerium. Ich muß die Ständischen Angelegenheiten vom ersten Element an selbst und allein leiten, oder ich kann mich mit ,der ganzen Sache nicht befassen"*). Dies war seine Auffassung und so hatte er sich sein Ziel gesetzt; er hatte es sehr hoch gegriffen. Vielleicht, die Wahrscheinlichkeit spricht nicht dafür, wäre ihm gelungen, es zu erreichen, wenn er den Rat der praktischen Militärs befolgt, die Berufung ohne weiteren Vorbehalt angenommen hätte, in dem Bewußtsein brieflich in London und mündlich in Aachen seinen Standpunkt genügend entwickelt zu haben9), um dann in Berlin zu sehen, was zu erreichen war. Aber es war über ihn und über seine Frau eine nervöse Angst gekommen, Hardenberg möchte nun mit einem arg improvisierten „Neujahrsgeschenk" die Welt überraschen4). Nach den bisherigen Erfahrungen hätte Humboldt sich sagen können, daß es mit dem Erlaß einer Verfassung noch gute Weile haben möchte; aber Steins Leidenschaftlichkeit wird jetzt und hierin kein günstiger Ratgeber gewesen sein.

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So versteifte er sich denn auf den unglücklichen Einfall, von Frankfurt aus seine „Lage" bis ins einzelne vorbereiten zu wollen; er ließ sich von seinem Aberglauben an die Notwendigkeit des „Handelns in Formen" verführen auf einen Abweg, den er, wie er einmal war, doch nicht hätte vermeiden können. Zum Greifen nahe stand die Wirklichkeit vor ihm, lockte der Weg zum Erfolg; er aber handelte getreu der Maxime: „Nichts ist so verführerisch als der Grundsatz, u n b e d i n g t Nutzen stiften zu wollen, wie es auch immer kommen möge; nur wenn man .es s e h r b e d i n g t tut, kann es gelingen" 1 ). Wenn Humboldt so zwar der „Idee" treu blieb, um die Reinheit des Gewissens vor sich selbst zu bewahren, so hatte er sich trotz ihrer im Ausgangspunkt seines „wirklichen" Handelns schon in einen unheilvollen und unheilbaren Widerspruch verwickelt: dem Staatskanzler, bestritt er Recht und Fähigkeit a l l e i n eine Verfassung zu entwerfen, für sich aber nahm er beides in Anspruch. An dieser inneren Unstimmigkeit krankte sein ganzes Vorgehen; denn den eigenen Ehrgeiz durfte er nicht eingestehen und doch wurden Richtung und Art seines Angriffs durch ihn bestimmt. E r konnte für sein Ziel nur kämpfen, indem er dem Kanzler klar machte, wie es theoretisch unmöglich sei, daß ein einzelner das Verfassungswerk bewältigen könne. Indem er Hardenberg an seinem empfindlichsten Punkt verwundete, traf er sich selbst; in der gefährlichsten Schlinge, welche die Lage in sich trug, verstrickte er sich'). Vergebens warnte Witzleben bald darauf vor diesem Mißgriff, es war zu spät; das Unglück war geschehen. Und diesen taktischen Fehler konnte auch alle theoretische Klarheit nicht ausgleichen, wie etwa die Erkenntnis, daß ein in sich uneiniges Ministerium gegenüber einer Ständischen Versammlung sich nicht halten könne'), und wie manche andere treffende Beobachtung und begründete Forderung sonst, welche sich in reichlicher Zahl in den Schreiben an Friedrich Wilhelm, an Hardenberg und an Witzleben finden. Übertriebene Vorsicht ließ ihn eine außerordentliche Unvorsichtigkeit begehen. In der Antwort an den König, unter wortreicher Bekundung seines ehrfurchtsvollen Dankes für das erwiesene Vertrauen, erklärte Humboldt: er lege die Kabinetts-Order dahin aus, daß e r das „Organ im Staatsministerium sein solle, durch welches die Vorschläge zur Verfassung an Seine Majestät gelangen"; ferner daß e r bestimmt sei, „das ganze Gebäude in die Wirklichkeit treten zu lassen" 4 ). Kein Zweifel, daß es eine gewaltsame Auslegung, kaum weniger zweifelhaft, daß sie ein gewolltes Mißverständnis war. Nach dieser Einleitung bedurfte es gar nicht mehr der weiteren Erklärung, im Blick auf das vom König zu solidarischer Verantwortung berufene Ministerium könne er „von dem an ihn ergehenK «ehler, Humboldt. 26

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den Ruf nur Gebrauch machen, wenn er glaube, seiner Verantwortlichkeit gegen E . M. und den Staat genügen zu können"; bei seiner mangelnden Kenntnis des Landes und des neuen Dienstbereiches könne er erst in Berlin endgültig über die Annahme oder Ablehnung entscheiden 1 ) — es bedurfte all dieser Belastungen seines Schrittes gar nicht mehr, um jene Wirkung beim König hervorzurufen, von welcher Humboldt sich dann durchaus überrascht fühlte. Den schlimmen Eindruck konnte es auch nicht abschwächen, wenn er nun zu Witzleben äußerte, er verzichte auf die Bedingung der E n t fernung von Bülow und Schuckmann; wenn er beteuerte, er empfinde tief das Bedürfnis, in dem neuen Amt vom Vertrauen der Krone getragen zu werden. W i e konnte Witzleben dem König einen Brief vorlegen — er war von Humboldt ostensibel gedacht 8 ) — in welchem er für sein Departement verlangte, „daß weder in Stellenbesetzungen noch sonst durch einen anderen als durch mich und da, wo ich es für nötig finde, ein Antrag beim König gemacht werden könne, daß ich in einem ähnlichen Verhältnis als der Kriegsminister stehe" ? Andernfalls müsse er auf die Gnade des Königs verzichten. Was wog dabei das Zugeständnis, in des Kanzlers Gegenwart Vortrag halten zu wollen ? „Ich habe entweder gar keine Idee von der mir angetragenen Stelle, oder das Arbeiten an der Konstitution wäre mein Beruf" 3 ). Keinesfalls werde er sich zu der Rolle eines Sprechministers bei den Ständen hergeben, um Maßnahmen etwa verteidigen zu müssen, die seiner Überzeugung entgegen seien. Was sollte der hilfsbereite Witzleben mit einem Brief beginnen, der solche Sätze enthielt? W a s diese beiden Briefe noch nicht verdorben hatten, das verdarb die Antwort an den Staatskanzler. Ein Vorwurf leitete sie ein: „später als es hätte eintreffen sollen", habe er Hardenbergs gütiges Schreiben mit seinem schwerwiegenden Inhalt empfangen. Der Fürst hatte nun in der T a t nicht wie Witzleben einen besonderen Kurier, sondern seine Sendung auf dem gewöhnlichen Postwege abgehen lassen, und zwar frühestens am 16-, so daß Humboldt die offizielle Benachrichtigung erst am 21. Januar in Händen hatte und diese Verspätung als Nichtachtung oder Rücksichtslosigkeit auffassen mochte 4 ). Vermutlich wurde dieser Weg gewählt, um Humboldt eine Ablehnung unmöglich zu machen, nachdem die Nachricht seiner E r n e n n u n g in der Öffentlichkeit sich verbreitet haben mußte. Ausdrücklich hatte Hardenbergs Schreiben auf die Aachener Unterredung Bezug genommen mit der Erklärung, die von Humboldt gerügten sachlichen Mängel in der Organisation des Ministeriums seien durch die neuen Anordnungen behoben. Danach müßten nun auch die Ausstellungen gegen die Personen der Minister aufhören, wenn anders er nicht

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diese mit förmlicher Anklage zur Entscheidung bringen wolle. Wenn Humboldt nun hieran anknüpft, um auf das englische Beispiel zu verweisen, wo bei politischer Gegnerschaft „nicht von Beschuldigungen, sondern nur von Verschiedenheit der Grundsätze" die Rede sei, so kam in der gegensätzlichen Stellungnahme eben nur wieder die unvereinbare Staatsauffassung zum Ausdruck, indem der Mann der älteren Generation festhielt an dem nach damaligem Staatsrecht in der Tat allein anwendbaren Begriff des Dienstvergehens, während der jüngere sich bemühte, einem politischen Begriff, für welchen die Voraussetzungen noch nicht bestanden, schon jetzt in der Wirklichkeit Raum zu schaffen 1 ). Noch geringere Aussichten, miteinander übereinzukommen, bestanden in der akut gewordenen Frage, wer den Entwurf zur geplanten Verfassung zu bearbeiten, wer für die leitende Idee des Ganzen die Verantwortung zu tragen habe. Wer Hardenberg kannte, mußte es wissen, daß er dies Werk nie und nimmer aus der Hand geben würde; wer ihn nicht innerlich schon als abgetan betrachtete, konnte unmöglich diesen Gedanken ihm selbst gegenüber aussprechen; wer durch solche Äußerung seine innerste Meinung verriet, mußte seine begründete Feindschaft sich zuziehen. Denn ihn zu dem Eingeständnis mittelbar veranlassen wollen, er sei dieser Aufgabe nicht mehr gewachsen, war in Hardenbergs Augen mindestens eine ebenso starke Zumutung, wie es sein berufenes Angebot in Humboldts Augen gewesen war. Das genaue Widerspiel der bösen Stunde von Aachen trat ein, nur daß Hardenberg nicht die „grandiose Leidenschaftslosigkeit" besaß; welche Humboldt über solche Erfahrung hinwegsehen ließ'). Was für eine Rolle mochte ein Minister, der erklärte, in solcher Sache nicht nach fremden Ideen handeln zu können, und im gleichen Atem es forderte, daß die Verfassung in gemeinsamer Beratung vorbereitet werden müsse, seinen Mitarbeitern innerlich zugedacht haben? Der dies forderte, um Hardenberg daran zu hindern, mit einer eigenen Arbeit hervorzutreten, und zugleich verlangte, daß die Vorschläge zu einer Konstitution von ihm und seinem Departement ausgehen müßten®) ? Wie verhängnisvoll, daß der bedeutende Grundgedanke: „die Konstitution, welche nicht sowohl ein Blatt Papier als eine zusammenhängende Reihe von Einrichtungen und politischen Handlungen ist, muß stufenweise unterbaut werden", durch die Last dieser persönlichen Gegensätze erdrückt und verschüttet werden mußte 4 )! Wenn dies der Weg sein sollte, um des Staatskanzlers Sturz anzubahnen — Humboldt hätte in dem eigensinnigen Streben des formal richtigen Handelns, welches „die Lage schaffen" sollte, keinen gleich aussichtslosen einschlagen können. Jede persönliche Empfindlichkeit und Abneigung seiner Amtsgejnossen rief er damit ebenso wach, wie das Streben nach willkürlicher Ausdehnung seiner Zuständigkeit das Autoritätsge26*

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fühl bei König und Kanzler in die Schranken fordern mußte. Es ist erstaunlich, in welchem Grade mißverständlich der große Interpret die wirkliche Lage der Dinge auffaßte, wie er die eigene Stellung in ihr irrtümlich sich auslegte. Wieder einmal sah Humboldt sich vom Gang der Dinge, von der Wirkung seiner eigenen Maßnahmen überrascht und in einer noch nicht erlebten Weise überrascht, als er mit der Kabinetts-Order vom 31. Januar eine ungnädige, kurz angebundene Antwort auf seine Eingaben in Händen hatte1). Das Schreiben erklärte Humboldts Verlangen, erst in Berlin über Ja oder Nein sich entscheiden zu wollen, für „unzulässig", die von ihm angeführten Gründe für „unzureichend"8). Es sei in jeder Weise auf seine Wünsche Rücksicht genommen, besonders auf seine Neigung, „seinen Wirkungskreis in den inneren Angelegenheiten des Staates zu suchen". Angesichts seiner langjährigen und vielfältigen Geschäftserfahrung „lasse sich nicht absehen, wie er noch einer vorherigen Selbstprüfung" vor Annahme der Berufung bedürfe; „noch weit weniger läßt sich begreifen, welche Ansichten Sie erst hier in Berlin über Ihre Stellung, Verhältnisse und Geschäftsführung gewinnen und wie Sie zu solchen gelangen wollen, ohne sie anzutreten." Vorschläge zur Besserung des Geschäftsganges zu machen, bleibe ihm nach der Übernahme des Postens unbenommen. Unter diesen Umständen erwarte der König, daß Humboldt sein Vertrauen ehren und ungesäumt die Bereitwilligkeit zum Antritt der angetragenen Stelle erklären werde. In der Berufungsorder stehe übrigens kein Wort davon, daß er das Organ des Ministeriums sein würde, welches in der Sache der Ständischen Verfassung Vorschläge an die Krone* zu richten habe. Die Grundlagen der Verfassung würden nach reiflicher Erwägung vom König selbst bestimmt werden, soweit sie nicht überhaupt schon festständen. „Hiernach haben Sie das Weitere von mir zu erwarten." Diese königliche Meinungsäußerung hat Humboldt nach eigenem Geständnis „eine nicht angenehme Seelenbewegung" verursacht*). Das war nur zu verständlich; denn der Zusammenstoß mit der Wirklichkeit war unerwartet hart. Der Ton der Mitteilung war unverbindlich genug; daß er sich noch steigern ließ und steigern würde, sollte Humboldt schneller, als ihm lieb war, erfahren. Die Kabinetts-Order erinnerte daran, daß sein Eifer, die künftigen Verhältnisse so gut wie möglich vorzubereiten, ihn die Rücksicht auf schon bestehende Bindungen einigermaßen hatte vergessen lassen. Das mochte noch hingehen, weil es nur die äußere Form der Dinge berührte. Wichtiger an sich und bedenklicher für Humboldts Pläne war es, daß die hier entwickelte Kritik gerade die schwachen Punkte seines Verfahrens ans Licht zog. Über die Zurechtweisung, welche er in bezug auf die Verfassungsarbeit erhielt, wird unten noch zu sprechen

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sein. So wichtig dieser Punkt war, von größerer Bedeutung war es, daß der Erlaß erkennen ließ, wie Hardenberg das eigentliche Ziel Humboldts und die Mittel, es zu erreichen, durchschaut hatte. Mochte jener auch noch so sehr, jetzt wie später, die Fragen der Organisation, der Ministerverantwortlichkeit, der Abgrenzung der verschiedenen Geschäftsbereiche, der Abmessung seiner Amtsbefugnisse, der Stellung des Staatskanzlers in den Vordergrund schieben — in erster Linie handelte es sich für ihn doch darum, sofort Frankfurt zu verlassen und nach Berlin zu kommen. War er einmal da, so mochte es mit der Übersiedelung einen ähnlichen Fortgang nehmen, wie es vor kurzem bei der Loslösung von London geschehen. Deswegen mußte Hardenberg gerade dies verhindern; denn hier stand seine Autorität in Frage; vorzüglich gegen sie richtete sich der Angriff1). Seit dem letzten Herbst bedeuteten die Frankfurter Verhandlungen für Humboldt nur eine Zwischenstation auf dem Wege nach Berlin, deren Dauer nach Möglichkeit zu verkürzen war. Früher jedoch hatte er dem Staatskanzler erklärt, die Teilnahme an diesen abschließenden Verhandlungen würde ihm eine Genugtuung sein, auf die er nur ungern verzichte3). Hardenberg war auf diesen Wunsch eingegangen, er hatte mit ihm seine Abberufung von London begründet. Jetzt konnte der Staatskanzler nicht nachgeben, wenn Humboldt eine sofortige Abberufung begehrte, ehe die Geschäfte zum Abschluß gediehen waren; konnte nicht zugeben, daß die Dauer dienstlicher Verwendung von jenem bestimmt wurde. Aber auch andere Rücksichten ließen es nicht zu3). Humboldt machte es sich ja selbst klar: wenn er auch nur auf kurze Zeit Frankfurt verließe, so würde mancher andere der dortigen Bevollmächtigten, in erster Linie Lord Clancarty, seinem Beispiel folgen, und es würde somit „einen Skandal in Europa" geben. Die Abberufung jetzt war ein Ding der Unmöglichkeit; mit ihrer Forderung hatte Humboldt sich eine unglückliche Lage geschaffen. Denn da sie einmal gestellt war, mußte er an ihr festhalten, zumal alle seine Ratgeber, Stein sowohl wie die Berliner Freunde, dazu drängten — und Frau von Humboldt von Rom aus dringlich mahnte, er solle sich nicht in Frankfurt auf unbestimmte Zeit durch Hardenberg festhalten lassen. War eine Abberufung unmöglich, so war ein kurzer Urlaub nach Berlin oder auch — vom Äußersten gesprochen — ein nicht autorisiertes Erscheinen dort, um während weniger Tage Einblick in den Stand der Dinge zu gewinnen und die Entscheidung zu treffen, ebenso dienstlich unmöglich wie sachlich aussichtslos. Hier setzt zu Recht die Kabinetts-Order mit ihren Vorhaltungen ein, welche gegenüber den theoretischen Erwägungen Humboldts die Gesichtspunkte des Praktikers zur Geltung bringen4).

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Worüber wollte er sich denn eigentlich Klarheit verschaffen? Die Fassung seiner Eingabe an den König1) erweckte den Eindruck, daß er die gesamte innere Lage des Staates in Erwägung und Prüfung ziehen wollte; das konnte keine Sache von Tagen sein. Vor allem, in den Augen des Königs und Hardenbergs stand ihm eine solche Prüfung nicht zu; das war ein „unzulässiges Verlangen". Femer: nach all den voraufgegangenen Erklärungen, Besprechungen und Verhandlungen konnte es ihm mit Fug entgegengehalten werden, daß eine solche Durchprüfung nun eigentlich geschehen sein müßte, daß sie nicht mehr von dem Einblick in Einzelheiten des dienstlichen Betriebes abhängig sein könnte. Nach dem monatelangen Aufenthalt in Berlin im Frühjahr 1817, nach der Fühlungnahme mit allen maßgebenden Persönlichkeiten während der vier langen Wochen in Aachen stand Humboldt den Verhältnissen nicht mehr so fremd gegenüber, daß ein kurz bemessener Aufenthalt ihm zu einer tieferen Kenntnis der Lage hätte verhelfen können. Und nur um kurze Frist konnte es sich handeln, da der König von der Forderimg einer schnellen Erklärung Humboldts abzugehen offenbar nicht gewillt war. Eine seltsame Wendung der Dinge, daß Humboldt gerade von den Praktikern der Politik sich sagen lassen mußte, über die wesentliche Entscheidung könne er sich nur p r i n z i p i e l l klar werden und müsse es eigentlich schon sein. Ein kurzer Aufenthalt war ferner nicht ausreichend, um seinem begreiflichen und berechtigten Wunsch zu genügen, über Art und Umfang der Geschäfte seines neuen, man kann sagen: improvisierten Ressorts Klarheit zu gewinnen. Diesem Begehren konnte Hardenberg begründetermaßen entgegenhalten, daß die Praxis nur in der Praxis sich kennenlernen lasse. Darin stimmte er, seltsam genug, durchaus überein mit der Ansicht, welche Frau v. Humboldt dem Gatten nahezulegen nicht müde wurde*). Jedes Feld, auf welches Humboldt von der einmal eingenommenen Stellung aus ziehen wollte, gewährte nur scheinbare Deckung. Und das zu früh verratene Ziel, den Staatskanzler in diesem Punkt zum Nachgeben zu zwingen, ließ dem Gegenspieler Zeit, eine unentrinnbare Mattstellung vorzubereiten8). Daß es hierum in erster Linie ging, um die Probe, wie weit schon aus der Ferne Hardenbergs Autorität sich schwächen ließ, beweist der Umstand, daß Humboldt Boyen gegenüber klagt, man habe ihn nicht kommen lassen, ja „es ihm nicht einmal freigestellt"4). Denn dies hätte ja schon ein Nachgeben Hardenbergs und die Anerkennung von Humboldts Standpunkt bedeutet. In der verworrenen Lage, da Hardenbergs Urheberschaft an dieser nicht angenehmen Seelenbewegung" deutlich erkennbar war, da er andrerseits Humboldt keiner persönlichen Antwort gewürdigt hatte, war

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eben nur das eine festzustellen: „der Bruch mit dem Staatskanzler ist nun vollendet"1). E s blieb nichts übrig, als den Versuch zu machen, wenigstens in den Augen des Königs, „auf den zuletzt doch alles ankommt"2), und für dessen immer noch wohlwollende Gesinnung Witzleben bürgen zu können glaubte, sein Verhalten zu rechtfertigen und ihn für seine Gesichtspunkte zu gewinnen. Der einzige Weg, der noch offen stand, war wieder nur eine schriftliche Eingabe, welche auf dem Dienstwege, d. h. durch die Hände des erklärten Gegners eingereicht werden mußte. Und Hardenberg verfehlte auch nicht, dies Schriftstück mit „bitterbösen", wie man sie genannt, z. T. aber auch mit sehr treffenden Randbemerkungen zu versehen, was man verschwiegen hat®). Aus den bedrückenden Umständen konnte nichts anderes hervorgehen als eine mißlingende Arbeit. Schon durch ihre Länge und Umständlichkeit mußte sie sich um alle Wirkung bringen. E s kann nur wundernehmen, daß sie im Einvernehmen mit Stein entworfen und abgesandt worden ist. Denn dieser hatte in einer ähnlichen Lage — 1807 — sein Verhalten sehr viel einfacher und sehr viel größer zu bestimmen gewußt. Ihm mag der wachsende Haß gegen Hardenberg die Gesichtspunkte verschoben haben. Außerdem, Humboldt selbst urteilt in dieser Zeit einmal, für „eigentliche Geschäfte" sei Stein nicht mehr, aber er wirke richtunggebend wie ein Leuchtfeuer. Deren Bestimmung ist es zumeist, in die Feme zu wirken, und so mag Steins nahe Anteilnahme an den Dingen seinen Rat nicht zum Besten haben ausschlagen lassen. Ganz hingenommen von dem Gedanken, seine Haltung und seine Wünsche zu rechtfertigen, muß Humboldt den Ton der Ungeduld wohl überhört haben, welcher aus dem Kabinettsschreiben vernehmlich genug sprach. Weitausholend begann er damit, den wohlbekannten Gang der Dinge des letzten Jahres nochmals dem König vor Augen zu stellen, nicht ohne dem Staatskanzler manche Blöße zum Angriff zu bieten. Es war schon nicht eben glücklich, wenn er diesen bezeichnete „als die Behörde, an die ich mich wenden mußte"; was Hardenberg, — war ihr freundschaftlicher Umgang doch zuletzt noch in Aachen aller Welt kundgewesen, — zu der ironischen Bemerkung veranlaßte: „diese Behörde bin ich!" Nicht minder angreifbar, wenn er im Eingang kühn versicherte, „niemand erkenne mehr als er die Verbindlichkeit, dem König und dem Staat unter allen Verhältnissen zu dienen", er kenne seine „Pflicht E. M. unbedingt zu gehorchen"; wobei Hardenberg zum ersten bemerken konnte, das stehe im Widerspruch mit seinem Benehmen, und zum zweiten: „wozu dann das weitläufige Geschreibe" ? Die Einleitung also war nicht glücklich. Gewunden und schwerfällig nimmt das umfangreiche Schreiben seinen Fortgang, schon Ge-

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sagtes wiederholend und mit ermüdender Genauigkeit begründend. Den guten Eindruck sachlich treffender Kritik an der Organisation des Ministeriums, wie er sie im zweiten Hauptabschnitt entwickelte, und gegen die auch Hardenberg nichts Stichhaltiges einwenden konnte 1 ), zerstörte die Art, wie er die Erweiterung der Zuständigkeit seines Geschäftskreises erstrebte, ohne es offen zugeben zu wollen8). Wenn er den Wunsch, „alle zum inneren Staatsrecht gehörenden Gegenstände" an sich zu ziehen, mit der notwendigen Systematik der Verwaltung begründete, so lief das eben doch auf die Aufsaugung von Schuckmanns Wirkungsbereich hinaus, wie er sie selbst als in der Logik der Dinge liegend bezeichnet hatte 3 ). Genug der Ausstellungen. Ein unbestrittener Vorzug seiner Ausführungen bleibt der große Ernst seiner Auffassung vom Staat und von der moralischen Verantwortung dessen, der zu seinem Dienst sich bereit findet. Dieser Emst läßt sein Schreiben in manchem Betracht zum persönlichen Bekenntnis werden. E r gab ihm den Mut, mit einer mehr ungehemmten als klugen Offenheit den Machtbereich des Staatskanzlers derart zu beschneiden, daß dieser mit Recht bemerken konnte: „nach diesen Vorschlägen werde ich ganz unnütz und eine wahre Null sein . . . er greift nur mich an" 4 ). Denn wenn die Forderung des regelmäßigen Vortrags den Ministern zugestanden wurde und ebenso das Recht des Kanzlers in Fortfall kam, im Bereich der Ressorts zu verfügen oder auch nur Anträge für sie zu stellen, so blieb ihm allerdings nichts als der leere Schein seines früheren Einflusses. Derselbe Ernst aber verführt Humboldt auch zu einer unglücklichen Wendung wie dieser: er müsse dem König seine Bedenken eingehend auseinandersetzen in einem Augenblick, „da ich ein Geschäft übernehmen soll, in welchem der geringste Mißgriff E. M. und dem Staat auf das Äußerste verderblich werden kann" 8 ). Wenn man das ernste Pflichtgefühl verkannte, das hier sprach, so war es leicht, mit Hardenberg diesen Satz zu ironisieren. Und es muß zugestanden werden, daß derartige Worte auf ein übertriebenes Selbstgefühl gedeutet werden, zumal a'uf den König befremdend wirken konnten, welcher sich in Öiesen Jahren ja von allen „genialen" Mitarbeitern allmählich freizumachen wußte. Sie verrieten endlich wohl auch den an das Regieren gewöhnten Männern den unsicheren Schritt des trotzdem zu viel fordernden Theoretikers. Wenn man nach einem Zeugnis sucht, um Humboldts mangelnde Eignung zum Staatsmann darzutun, so wird man stets auf dieses Schriftstück zurückgreifen können. Denn er selbst sah den Wert dieser Arbeit darin, daß e r sich alle Bedenken vom Herzen gesprochen und nun offen in Opposition treten könne, ohne sich dem Vorwurf der Illoyalität auszusetzen6). Also auch bei diesem Schritt war es zunächst sein Ziel, sich

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selbst genug zu tun; Wirkung und Wirklichkeit standen im zweiten Plan. Doch die Stimmung des „animam salvavi" hat wohl nie den Schwung zur Tat in sich getragen. Wer diesen lang und breit ausgesponnenen Gedankengängen nachgeht, wird es verstehen, daß. Humboldt selbst die nun entstandene Lage mit resignierenden Gefühlen betrachtete, zwar — erstaunlich genug — „mit Mut und Vertrauen, aber ohne eigentliche Hoffnung". Wie hätte das auch sein können, da das ganze Schreiben nicht einen Gedanken enthält, welcher in den voraufgegangenen Verhandlungen nicht schon berührt gewesen wäre und einen für beide Parteien gangbaren Ausweg gewiesen hätte. Ausgenommen vielleicht die Art, wie er seine vermeintliche Zuständigkeit für die Ausarbeitung der Verfassung zu begründen versuchte. Für seine Auffassung konnte er eine Analogie ins Feld führen, welche auf den ersten Blick manches Einleuchtende hat 1 ). „Es liegt in dem an sich natürlichen Geschäftsgang, daß die ersten Vorschläge zu jedem Gegenstand von dem für dieselben bestimmten Ministerien herkommen, die Finanzvorschläge vom Finanz-, die Militärvorschläge vom Kriegsminister". . . . Hätte er Unrecht, nach einer so natürlichen Analogie zu schließen, da er doch Minister für Ständische Angelegenheiten sein solle 2 )? Der formalen Logik nach, welche sich an das Wort hält, hatte er wohl recht, aber nicht nach der inneren Logik der Dinge. Das konnte Hardenberg ihm mit begründetem Unmut entgegenhalten, wenn er die feinen aber dünnen Fäden seiner Beweisführung zerriß mit dem nüchternen Hinweis, seine Ansicht treffe zu „bei festbestimmten Partien wie dem Finanzwesen usw. . . . hier aber ist von einer noch nicht existierenden Sache die Rede, die nur nach der eigenen Ansicht Sr. M. . . . wenigstens in den Grundzügen bestimmt werden kann, und bei der S. M. zu Rate ziehen kann, wen sie will"8). Denn Humboldts Auffassung, wenn sie verwirklicht wurde, zog ja nicht nur die grundlegende Arbeit an der Verfassung in seinen Bereich, sondern schloß Hardenberg auch von ihr ausl E s war der größte Fehler, den Humboldt begehen konnte, eben jenes Werk für sich in Anspruch zu nehmen, welches Hardenberg als Krönung seiner Laufbahn betrachtete, und an dem er trotz aller Hindernisse mit zäher Energie festhielt4). Das haben Witzleben und Bernstorff ihm deutlich genug zu verstehen gegeben 5 ). E s war nicht nur ein taktischer Mißgriff; dieser Anspruch verriet, daß ihm das rechte Augenmaß fehlte, daß er nicht jene angeborene Witterung besaß für Menschen und Dinge, welche erst den guten Beamten zum Staatsmann macht. Humboldt hatte sich verirrt. Als Ausweg blieb nur noch die Preisgabe aller bisher gehaltenen Stellungen; es blieb nichts als die vorbehaltlose Unterwerfung, als die ausdrückliche Anerkennung der Autorität. Dies

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alles hätte sich vermeiden lassen, wäre der Angriff nicht mit unzulänglichen Mitteln erfolgt. Obwohl nun das Schreiben mit der Bitte begonnen und geendet hatte, der König möge eine Entscheidung über die vorgetragenen Bedenken und Wünsche bis zu seinem Eintreffen aussetzen und seine sofortige Abberufung veranlassen1); und obwohl er gegen Ende noch eine Formulierung fand, welche es nahelegte, die aufgestellten Bedingungen anzuerkennen und ihm damit die Annahme der Berufung zu erleichtern, so wußte er doch schon, daß alles dies nichts helfen könne, wußte, daß er nach Hardenbergs Absicht „nicht anders als fest gebunden" nach Berlin kommen durfte2). Es gab keine andere Möglichkeit, dieser schlimmen Bedingung zu entgehen, als die, überhaupt abzulehnen, dem Staatsdienst und mit ihm allen Sorgen und Nöten, aber auch aller Aussicht auf Wirksamkeit zu entsagen und in ein „ganz freies Leben" zurückzukehren. Er war sich dessen bewußt, als die Antwort auf seine Eingabe ihn am Abend des 21. Februar erreichte, diesmal durch einen Kurier überbracht*). Die Gesichtspunkte, denen Hardenberg im Vortrag beim König gefolgt sein muß, erhellen aus den Bemerkungen, welche Humboldts Schreiben begleiteten. Zwei dieser Sätze geben klaren Aufschluß über seine Absichten. Für die Bewilligung der Bitte um Aufschub der Entscheidung sei „kein Grund vorhanden, wohl aber für das Gegenteil". Und im Blick auf Humboldts Wunsch, den König zu einer Anerkennung seiner kritischen Haltung zu veranlassen, erklärt er, und hier spricht die alte Tradition aus ihm: „ein Kapitulieren hierüber ist unschicklich und unzulässig"4). Er war also entschlossen, den Mitarbeiter in der Stellung des Untergebenen festzuhalten, ihm weder die Stelle neben sich noch eine andere Stellung zuzubilligen, als die übrigen Minister sie eingeräumt erhielten. Wie der Staatskanzler es empfunden hatte, daß er um seine Autorität gebracht werden solle, so richtete er jetzt zwischen Humboldt und seiner Zukunft das Joch der dienstlichen Unterordnung auf. Gründe und Erwägungen halfen hier nichts mehr, es stand Wille gegen Wille; der Schwächere mußte unterliegen. Dem entsprach die Fassung der Kabinetts-Order vom 17. Februar 5 ). Sie ließ erkennen, daß man seine sachlichen Ausstellungen und Einwände für den Moment als unbeträchtlich erachtete. Sein Wirkungskreis sei ihm durch die Verfügung vom 11. Januar ganz genau bezeichnet: „es steht Ihnen völlig frei, ihn mit der Ihnen angebotenen Stelle unter den gegenwärtig bestehenden, Ihnen hinreichend bekannten Verhältnissen anzunehmen oder nicht. Wollen Sie aber überhaupt in meinem Dienst bleiben, so muß ich Ihre unbedingte Erklärung hierüber unverzüglich fordern." Wer den Gang der in den letzten Monaten geführten Verhand-

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lungen vor Augen hat, wird nicht staunen, daß von dieser Seite jetzt eine so deutliche Sprache geredet wurde. Man wird es auf der anderen Seite nicht anders erwarten, als daß nach dieser Eröffnung Humboldts Entschluß nicht sowohl gefaßt war, „als vielmehr überflüssig schien. Es kam mir vor, als fehlte nun nichts mehr von meiner Seite, als die' Formalität zu sagen, daß ich mich nunmehr als außer Dienst ansehe"1). Stein billigte den Entschluß, die Berufung abzulehnen. Es bestand nun doch die Aussicht, daß der bequeme englische Reisewagen seinen Besitzer statt nach Berlin sehr bald nach Rom bringen könnte. Die lockenden Träume verscheuchte der Eintritt eines neuen Kuriers. Es war wieder Witzleben, der nochmals eingriff, und diesmal entscheidend. Humboldt habe durch seinen Anspruch, die Verfassung entwerfen zu wollen, den Kanzler aufs äußerste gereizt. Jener sehe in Humboldt den Mann, der ihm den Ruhm, seine politische Tätigkeit mit diesem Werke abzuschließen, rauben wolle, „und mehr noch eine permanente Opposition gegen sich". Gereizt sei jetzt auch der König, aber das werde bei seiner Hochschätzung für Humboldt nicht von Dauer sein*). Abgesehen davon aber sehe man Humboldt auch sonst ungern ins Ministerium kommen und habe mit Absicht die Meinungsverschiedenheiten auf die Spitze getrieben, um ihm Berlin zu verleiden. Wenn er nun von Frankfurt aus ablehne, so könne man die für ihn eingenommene öffentliche Meinung durch den Hinweis vergrämen: „Seht, da habt ihr den Mann, von dem man so viel erwartet. Er kennt seinen Wirkungskreis noch nicht einmal und nimmt ihn nicht an" s ). Das dürfe Humboldt nicht zulassen, daher müsse er unbedingt annehmen. Er solle bedenken — was ihm auch Niebuhr schon gesagt hatte — daß nach der Annahme und nach dem Eintreffen in Berlin noch alles zu tun und einzurichten bliebe. Der Vorbehalt liege in der Sache selbst, darum dürfe er ihn nicht besonders aussprechen. „Eine ganz unbedingte Ergebung in den königlichen Willen wird auf den König einen sehr guten Eindruck machen." Um so mehr, je weniger Hardenberg vielleicht eine solche Nachgiebigkeit wünschen möchte. Der Bereitwilligkeit Witzlebens und aller derer, die es redlich mit dem König meinten, ihn zu unterstützen, könne Humboldt gewiß sein. Darum möge er ihm schon jetzt ein ostensibles Schreiben zukommen lassen, in welchem die Beweggründe zur Annahme dargelegt wären. Die Form einer Antwort aber solle er vermeiden. Das warmherzige Schreiben des Generals verfehlte seinen Zweck nicht. Es sei ein unendlich vernünftiger und guter Brief, so meinte der schnell bekehrte Empfänger; sein Inhalt stimme ja auch mit der Meinung der Gattin überein, daß er „wirklich erst darin gewesen sein müsse", um

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völlige Klarheit zu gewinnen, ob er zu fruchtbarer Tätigkeit gelangen könne oder nicht. Es war eine zutreffende Erkenntnis. Hätte Humboldt nur früher, denn schon im Januar hatte Witzleben im gleichen Sinn geschrieben, den guten Rat befolgt, hätte er keine Bedingungen gestellt, so wäre alles gut gewesen, oder es hätte vieles besser werden können. So aber, wie er jetzt die Entscheidung traf, indem er „fast unmittelbar" — mit Stein — durch diesen Brief sich umstimmen ließ, bedeutete der Entschluß seine endgültige Niederlage, politisch und moralisch, und dies, ob er es sich eingestand oder nicht1). Bestimmend für Humboldt war in Witzlebens Schreiben einmal der Hinweis auf die Stimmung des Königs, dann der auf die Pläne der Gegner. Aber war seine Vermutung nicht schon längst in diese Richtung gegangen? Enthielt die Eröffnung so viel Neues und Unerwartetes? Und was den König anlangt, hatte er nicht immer — besonders in Aachen — gemeint, in gutem Ansehen bei ihm zu stehen, und gerade daraufhin seine letzte Eingabe an ihn gerichtet? Diese Gründe mochten jetzt den Ausschlag gegeben haben, a l l e i n maßgebend waren sie nicht. Die causa causans seines Entschlusses lag tiefer. In die Stunde dieser Entscheidung muß alles sich zusammengedrängt haben, was im Laufe der Jahre an Erwägungen und Wünschen, an Plänen und Hemmungen, an Erfolgen und Enttäuschungen seine Erfahrung gebildet und seine Seele bewegt hat. Umzittert vom Nachklang allen Erlebens trat der Entschluß ans Licht — wurde er nicht vom Schicksal ihm entlockt, entrissen? „Das Schicksal ist also entschieden, und wirklich das Schicksal, denn das Vorhergegangene war so, daß man das Entgegengesetzte erwarten mußte", mit diesen Worten begrüßte Frau von Humboldt die endliche Lösung der langen Krise. Sie also, die Vertraute, hatte das Entgegengesetzte, hatte die Ablehnung erwartet — „furchtbar gehört der Mensch dem Moment", so war es ihr einst durch den Sinn gegangen2). An dieser Entscheidung habe sie sehr viel Anteil, stand in dem Brief zu lesen, welcher die große Nachricht brachte. Humboldt wird damit nicht nur die unmittelbaren Ratschläge gemeint haben, mit denen Frau von Humboldt zur Annahme des Ministeriums geraten hatte®). Ihm wird die Erinnerung vor Augen gestanden haben an ihr Drängen: wer auf die Wirklichkeit wirken wolle, müsse die Erde berühren; die Mahnung, auf der Höhe der Jahre seine Kräfte dem Staate zu widmen, wird in ihm nachgeklungen haben. Wohl lockte die „süße Hoffnung", bald in Italien die Erinnerung einer wundervollen Vergangenheit in Gemeinschaft mit der Gattin wachzurufen und zu genießen. Aber ihre Briefe hatten doch spüren lassen, daß sie die Zeit erinnernden Genießens für den Gatten eben jetzt noch nicht gekommen glaubte. Und hatte er nicht selbst in der Freude

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über die frischen Erfolge im Staatsrat gesagt: „Es ist das Hübscheste für einen Mann, machen zu können, daß die Frau auf ihn stolz ist" 1 )? Würde es diesen Stolz befriedigt haben, wenn er im Augenblick, da ein großer Wirkungskreis sich öffnete, vor der bedeutenden Aufgabe zurückschreckte um schließlich untergeordneter Rücksichten willen? „Und dann hätte mein Rücktritt nicht den mindesten Nutzen gestiftet", so begründet er die Annahme in einem Brief an Boyen2), in welchem er die von Witzleben aufgestellten Gesichtspunkte sich ganz zu eigen macht. Mit f r e m d e n Gründen muß er die seinem Wesen fremde Entscheidung rechtfertigen; denn die Entscheidung war ja gefallen, um des möglichen Nutzens, um des E r f o l g e s willen. Es war der vollendete Abfall von sich selbst. „Ich eile daher, auf die mir von E. M. vorgeschriebene Weise die Erklärung abzugeben, daß ich das mir angetragene Ministerium in tiefster Ehrerbietigkeit hiermit annehme"3). Indem er mit diesen Worten dem König antwortet, verleugnet Humboldt dreierlei. Er gibt preis die Idee der Ministerverantwortlichkeit. Er nimmt Abstand von der Maxime des „Handelns in Formen"; hörten wir ihn nicht oft genug das Streben „um jeden Preis Nutzen stiften zu wollen" verurteilen, „nur wenn man es sehr bedingt" tue, könne es gelingen4)? Drittens, er läßt fahren das Prinzip des Handelns um des Handelns, nicht um des Erfolges willen; hatte ¡er die Menschen nicht verurteilt, „weil ihnen am Erfolg so viel liegt"? An all dem hatte er bisher festgehalten und war sich selbst treu geblieben. Allerdings verschloß die Treue für die „Ideen" den Zugang zur „Wirklichkeit"; nur gewaltsam ließ die trennende Schranke der „Form" sich durchbrechen. Nun das „Schicksal" eingreift, erliegt er der Versuchung, endlich einmal dem Gang der Dinge sich anzuvertrauen, endlich dem Geschick die Hand zu reichen. Die Erlösung aus den Qualen der Ungewißheit und Unentschlossenheit mußte bezahlt werden mit dem Preis der Selbstaufgabe. Er hatte es einmal als eine tiefe Überzeugung ausgesprochen, „daß jede äußere Folge an der Strenge einer Idee sich zerschellen muß" 5 ) — das Schicksal nahm ihn beim Wort und ließ ihn scheitern, als er der „Idee" seines Handelns untreu wurde. Das Opfer der Überzeugung und der Grundsätze wurde umsonst gebracht. Denn mit der Anerkennung der von Berlin gestellten Bedingungen gab er nicht nur Ideen, er gab auch die Ziele und .die Grundlagen seines politischen Strebens auf. Die „bestehenden Verhältnisse" hatte er anerkannt: das bedeutete den Verzicht in den Augen des Königs auf die Kritik an der Stellung des Staatskanzlers, an der Organisation der Verwaltung, den Verzicht auf seinen Begriff von Ministerverantwortlichkeit. Jetzt stand es anders, als es um eine Annahme im Januar

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gestanden hätte. Nahm er in Zukunft die Opposition wieder auf, so geriet er in Widerspruch mit sich selbst und setzte sich dem Vorwurf aus, illoyal zu handeln. Indem er in dieser Stunde der überkommenen Form des „Gehorsams" sich fügte, wurde er von ihr übermocht, verlor er die äußere Möglichkeit und den inneren Beruf, für die lang verfochtene Idee der Ministerverantwortlichkeit zu kämpfen. Indem er von ihr als von einer neuen Form „der Teilnahme am Staat aus eigenem Beruf", wie er ein ähnliches Ziel für den Staatsbürger in seinem Verfassungsentwurf bezeichnete, Abstand nahm, verlor die neue S t a a t s i d e e in ihm einen Vorkämpfer; noch einmal setzte der Gedanke des F ü r s t e n d i e n s t e s im hohen Beamtentum sich durch. K e i n e der von ihm gestellten Bedingungen war erfüllt, trotzdem folgte er der Berufung. Und gerade mit diesem Nachgeben war wohl jede Aussicht auf Erfolg geschwunden. Was konnte das Schreiben noch viel fruchten, welches am 26. Februar mit Estafette abging, damit durch Witzleben zuerst der König die Nachricht von der Annahme erhielt1)? Nachdem Friedrich Wilhelm diese beiden Kabinettsorders unterzeichnet hatte, bestand m o r a l i s c h keine Aussicht mehr, daß Humboldt etwas Emstliches gegen den Staatskanzler beim König durchsetzen könne. Das wird Hardenberg gewußt haben, als er die Nachricht von Humboldts Nachgeben erhielt; er hatte gesiegt. Was ihm Jahre 1819 zwischen ihnen noch sich abspielte, war nur die notwendige Folge aus der Lage, wie die Dinge sich jetzt gestellt hatten. Nicht der 31. Dezember 1819, unter welchem Datum Humboldt — wieder zu seiner Überraschung — die Entlassung aus seinen Ämtern, a u c h aus dem Staatsrat erhielt, war der Tag seiner endgültigen Niederlage, sondern das Ringen mit Hardenberg entschied sich in den Tagen vom 22. bis 26- Februar; seitdem war ihr Verhältnis „auf ewig zerstört"8). Nicht zum ersten Mal war Humboldt jetzt in der Lage gewesen, mit dem König über seinen Eintritt in ein Staatsamt zu verhandeln. Es waren gerade 10 Jahre vergangen seit jenen Februartagen von 1809, als der damalige Gesandte in Rom, auf Urlaub in Deutschland, an die Spitze der Unterrichtsverwaltung berufen wurde. Wenn der König die Erinnerung an jene Vorgänge bewahrt hatte, so mochte er bei einem Vergleich von Humboldts Verhalten damals und jetzt so manchen bekannten Zug wieder begegnen. Damals schon hatte der junge Gesandte dem ehrenvollen Ruf durchaus nicht sofortige und unbedingte Folge geleistet. Er hatte Bedingungen gestellt und von ihrer Erfüllung die Übernahme des Postens abhängig gemacht. Da diese Bedingungen nicht sachlicher Natur waren wie jetzt, sondern persönlicher Art — besonders der Vorbehalt des römischen Postens stand in ihrem Mittelpunkt — so konnten sie angesichts der allgemeinen

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Lage des Staates keinen stichhaltigen Grund abgeben, auf der Ablehnung zu beharren. Nach einigem Zögern kam es zu der Erklärung, wenn der König b e f e h l e , so wolle Humboldt g e h o r c h e n . Erleichtert wurde ihm der Entschluß durch die Versicherung von befreundeter Seite, „es sei schlechthin außer ihm kein Mensch da", der in Betracht komme, und Humboldt bezweifelte das nicht: „ich bin fähiger als die meisten; hier kann ich zu vielem und zu allem gebraucht werden, in Rom zu sehr wenig." So war es die Aussicht auf erfolgreiches Wirken, von dem er auch mit Rücksicht auf die Gattin sich bestimmen ließ; über Erwarten sollte sie damals ihm und dem Staate in Erfüllung gehen. Allerdings meinte H u m boldt, daß der Monarch dem Opfer, welches er brachte, und der Bedeutung seiner Person in der Form seiner Bestallung Rechnung tragen würde. Wie überraschte ihn daher die Kabinetts-Order, welche ihm einfach seine Ernennung mitteilte I „Ich erwartete, man würde mich einladen, anzunehmen, oder mir sagen, daß mein Hierbleiben nötig sei; statt dessen heißt es, gegen alle Wahrheit, ich hätte angenommen . . . . man hat wohl im Namen des Königs ungem das Ansehen haben wollen, als müsse man mich erst bitten" 1 ). Seltsamer Zufall, d a ß damals wie 10 Jahre darauf in gleicher Lage Humboldt überrascht wird durch eine königliche Ernennung; d a ß damals wie später das Absehen dahin ging, sich eine besondere Stellung oder wenigstens eine besondere Behandlung auszuwirken; daß damals wie später, hier langsamer, dort schneller das ablehnende Zögern durch die Gewalt der Umstände überwunden wurde, der Widerstand mit dem Nachgeben gegen den Befehl des Königs sein Ende fand. Vielleicht auch erwachte in dem König, wenn er die abwägenden, jede mögliche Kombination vorausbedenkenden, vorsichtig tastenden und ermüdenden Briefe Humboldts las, die Erinnerung an eine andere Berufung, welche die Rettung des Staates in sich trug. Der damals berufen wurde, der Freiherr vom Stein, hatte ein größeres Recht als Humboldt, über die im Dienst dieser Krone erlebte Behandlung, über verletzende Undankbarkeit für aufopfernde Hingabe sich zu beklagen. Im Zorn waren der König und er auseinandergegangen. Es hätte nicht viel gefehlt, so wäre dem „trotzigen und widerspenstigen Staatsdiener" der Prozeß gemacht worden. Kaum mehr als ein halbes Jahr später erging an Stein der Ruf desselben Königs, in der Stunde der Not die Leitung des Staatswesens zu übernehmen. Und Stein kam bedingungslos. Er, der Mann der Tat, wußte es besser als Humboldt, der Mann der Idee, daß, wenn man der Sache dienen wollte, es zuzugreifen galt, um den Hebel einmal in die Hand zu bekommen. Stein gab das unabhängige Leben in Nassau auf, er ließ die Aussicht auf eine glänzende Stellung

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in Rußland fahren, um dem am Boden liegenden preußischen Staat zu helfen. Kaum daß im Namen des Königs erstmals und wieder durch Hardenberg bei ihm angefragt wurde, so antwortete er: „Ich befolge E . K. M. allerhöchste Befehle wegen des Wiedereintritts in Dero Ministerium . . . . unbedingt und überlasse E . K. M. die Bestimmung jedes Verhältnisses, es beziehe sich auf Geschäfte oder Personen, mit denen E. K. M. es für gut hielten, daß ich arbeiten soll." So bereitwillig folgte er dem Ruf Und legte Hand an das Werk, welches dem Staate neue Grundlagen schuf1). Hardenberg freilich, als er im Jahre 1810 dieselbe Entscheidung zu treffen hatte, stellte seine Bedingungen und schuf sich seine Lage mit der Machtvollkommenheit des Staatskanzlers vor seinem Eintritt. Aber wie anders war die Lage in diesen beiden Fällen und wie anders die Lage Humboldts im Winter 1819! Bei Stein wie bei Hardenberg erging der Ruf an die schlechterdings entscheidende Stelle des Staates: wenn Humboldt seiner Wirksamkeit jetzt f ü r s i c h eine ähnliche Bedeutung zumaß, so war es absurd, die gleiche Bewertung von anderen zu erwarten. Es ist schon der Erinnerung wert, daß gerade dies Problem in dem ersten brieflichen Austausch zur Sprache kam, welcher auf die Anknüpfung persönlicher Bekanntschaft zwischen Stein und Humboldt im Herbst 1810 folgte. Stein nahm die Weigerung Niebuhrs und Schöns, unter Hardenberg Ministerien zu übernehmen, zum Anlaß, seine schärfste Mißbilligung dieser Manier auszusprechen, „nicht mit den Umständen zu rechnen" und „als Märtyrer der Wahrheit erscheinen" zu wollen. „Alles dies ist nichts als verfeinerter Egoismus und die jenseits der Elbe so sehr überhandnehmende Manier, über eine ganz gewöhnliche Handlungsweise eine Sauce hochtönender preziöser Phrasen zu gießen." Ob darin nicht auch ein Avis au lecteur lag, welcher ganz ähnlich wie jene dachte und vor Jahresfrist wie sie gehandelt hatte 2 )? Die Idee, welche Humboldt bei seinen Verhandlungen leitete, war freilich richtig: daß die Leistung, das V e r s p r e c h e n der Leistung ein Anrecht auf Verantwortlichkeit und deren Anerkennung eigentlich erwirken sollte. Aber die Art, wie für diese Idee gekämpft wurde, war unglücklich und führte nicht zum Erfolg, weil das Individuum, das für die Idee eintrat, nicht so stark war wie diese wichtig und zukunftsreich. Natürlich ist es kein Zufall gewesen, sondern der Ausdruck derselben inneren Disposition des Mannes, welche vor der ähnlichen Aufgabe zum gleichen Verhalten führen mußte. Nür daß er damals nicht ganz so bewußt, nicht ganz ,so umkleidet mit begrifflicher Rüstung wie späterhin sich gab. Die Idee des „Handelns in Formen" barg in sich nicht nur das Element der Abwehr, an welchem er mit der Zähigkeit unentschlossener Naturen

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festhielt, sondern sie ließ sich ebenso zum Angriff verwenden. Das wird ersichtlich in dem Bestreben, die Ministerverantwortlichkeit als Begriff zur Anerkennimg zu bringen, und noch mehr in dem Versuch, die Zuständigkeit für die Verfassungsfrage vom Könige sich bestätigen zu lassen. D a ß hinter diesem Bestreben nach genauer und vorheriger Abgrenzung aller Zuständigkeiten nicht nur das rein systematische Interesse stand, das wird Hardenberg gewiß gespürt haben, ohne vielleicht die Gründe der Erscheinung ganz zu durchschauen. Der vorherrschende Eindruck, welchen die oft subtile Gedankenführung dieser Eingaben dem Leser hinterläßt, geht dahin, daß es darauf abgesehen war, eine formal unangreifbare Lage zu schaffen. War sie einmal gegeben, so war nach Humboldts Meinung der hauptsächliche Teil der Aufgabe gelöst, und das weitere mußte nach den Gesetzen der Logik wie von selbst seinen Fortgang nehmen. Denn die einmal geschaffene Lage galt ihm dann als etwas Unabänderliches; sie wurde ihm zum politischen „Ding an sich". E r meinte solcher Formen wie eines Werkzeuges sich bedienen zu können, ohne zu bedenken, daß es nicht nur auf die Art, die Härte und Schneidigkeit des Werkzeuges für den Erfolg ankommt, sondern ebenso auf die Beschaffenheit, die Widerstandskraft des Stoffes, auf den gewirkt werden soll. E r vergaß es, daß eine „Lage", eine amtliche Stellung, wie sie seiner wartete, nicht einseitig und auf die Dauer bestimmt wird durch die formulierbaren Voraussetzungen, welche ihren Platz in dem allgemeinen Schema des Dienstes bezeichnen. E r übersah, d a ß sie die Richtung ihrer Entwicklung erhält, gleich der Diagonale im Parallelogramm der Kräfte, durch das Zusammenwirken dieser Vorbedingungen und jener unberechenbaren Einflüsse der Umgebung, „der Zeit, wenn ich darunter alles das zusammenfasse, was auf die äußere Lage Einfluß hat" 1 ). Aber gerade dieser Begriff und dieser Trieb, ihn in der Wirklichkeit Gestalt finden zu lassen, hatten ihr wesentliches Teil an Humboldts Scheitern. Denn sie verstellten ihm den Weg zur „Wirklichkeit", statt ihn zu bahnen; sie hielten ihn dauernd fest „auf der Schwelle". Und von hier aus, zwischen Tür und Angel war es ihm immer wieder klar: „ich bin doch nicht für das äußere Wirken geboren. Man muß dazu eine bestimmtere und mehr elastische Kraft haben und auch mehr in der Wirklichkeit befangen sein"2). So wird die Form, die „Konsequenz des Handelns", wenn sie ihm zu Zeiten als Ersatz der Wirklichkeit erscheinen mochte, zur hemmenden Fessel, zum täuschenden Trugbild, welches einen Tantalus narrt in seinem stets ungestillten Sehnen nach Wirklichkeit. Daß er mit diesem Gefäß den begehrten Trunk nicht schöpfen könne, das ist ihm wohl deutlich Kaehler,

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gewesen, wenn er vor dem „Chaos" und ,.außerhalb des wahren Standpunktes" sich fand angesichts des Dilemma: „ich muß mir z u g l e i c h meine eigene Stellung bilden und z u g l e i c h doch eine von Anfang an haben, um zu wirken 1 )." Er wußte — ein Bekenntnis der Unkraft — daß ihm dabei das allgemeine Vertrauen fehlen müsse: „das Volksvertrauen ist ein Glück, dem aber in dem, der es hat, auch immer eine beneidenswerte Anlage, eine Art Genie des Charakters entspricht." Das wußte er und konnte im gleichen Atem sagen: „alle Erfolge in öffentlichen und privaten Dingen sind mir immer gleichgültiger als die Konsequenz des Handelns sie hervorzubringen 4 )." Klingen solche Worte nicht an jenen berufenen Ausspruch Lessings an, daß das Streben nach Wahrheit ihrem Besitz vorzuziehen sei ? Ist es nicht der Ausdruck jenes seltsamen Idealismus, der um der Ideen willen die Wirklichkeit verneint, den Zug der UnWirklichkeit gewaltsam hineinträgt ins Leben? Denn wenn der Tätigkeit, welche das Dasein ausfüllen soll, am Ziel nichts gelegen sein darf; wenn das Ziel selbst unwirklich ist, wird dann nicht auch der Weg selbst ziellos? Das Dasein verblaßt zum Schemen, zum Bild des Gedankens, zur „Idee" 3 ). Da nun die Menschen, mit denen Humboldt lebte, die Wirklichkeit ausmachten, so ist es nicht zu verwundern, wenn er nicht gerade glücklich in ihrer Beurteilung gewesen ist. Er täuschte sich im Urteil über Gneisenau wie in den Erwartungen, welche er auf Bernstorff und auf den König setzte4). Denn seine Menschenkenntnis richtete sich nicht auf die Menschen, wie sie in der Wirklichkeit waren, fragte nicht nach ihren Zielen und nach den Gründen ihres Tuns und Seins, sondern begnügte sich damit, sie zu „beschauen", ihr Bild, ihre „Idee" aufzufassen und mit ihnen sich den Saal der Erinnerung zu beleben. „Sie gehen wie die Figuren der Beschauung an einem vorüber, man richtet seine Aufmerksamkeit ganz auf sie und nicht auf sich selbst. Wie man auf sie wirkt, bleibt einem ganz gleichgültig, wenn man sie nur in ihrer eigenen Natur sieht . . . So hat man viele Bilder um sich und so entstehen aus den wirklichen Menschen idealische in der Phantasie . . . denn in jedem auch unbedeutenden Menschen liegt im Grunde ein tieferer und edlerer verborgen . . . " So müsse man die Menschen studieren, um zu der höheren Ansicht der Menschheit zu gelangen, wie sie in den großen Dichtern lebt5). Eine Betrachtung des Menschen aus großem und „sachlichem" Gesichtspunkt, aber ebenso gewiß eine kühle und teilnahmslose Art der Betrachtung, welche ihn im Kampf der Wirklichkeit in unwiederbringlichen Nachteil setzen mußte. Denn da er die Ziele der Menschen und ihr Streben nicht teilte, wie konnte er ihr Verfahren kennen und ihren Mitteln des Kampfes begegnen? Trotzdem hat er sich in ihr Treiben hineinziehen

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lassen, hat er sich bewußt und mit Zähigkeit eingelassen auf einen Kampf um die Macht. Denn die Dinge stehen entfernt nicht so, daß — auf das Ende der Rivalität zwischen Hardenberg und Humboldt gesehen — in einem krassen Machtkampf der bessere Mann mit der besseren Sache dem rücksichtslosen Egoismus des überalterten Routiniers zum Opfer gefallen sei1). Wer die bessere Sache vertrat, ist schwer zu entscheiden, da in der Frage der Verfassung beide Männer den besten Willen und Ansichten hatten, welche sich sehr nahe berührten, und da es im Grunde um die gleichen Ziele sich handelte. Wohl hat ein Kampf um die Macht sich abgespielt zwischen diesen Männern verschiedener Epochen und verschiedener persönlicher Prägung. Aber von beiden Seiten ist er geführt worden mit der klaren Einsicht in die Natur dieses Ringens. Es ging um Macht und Einfluß an der entscheidenden Stelle im Staat. Hatte Hardenberg für sich die reiche E r fahrung einer hohen Schule der Politik, wie sie selten einem Staatsmann beschieden gewesen, sprachen für ihn ungewöhnliche Leistung und unbestreitbares Verdienst, so konnte für Humboldt die Klarheit seines Blickes in die Staatsnotwendigkeiten der Gegenwart und der nächsten Zukunft geltend gemacht werden. Gerade auf diesem Felde aber stand nun unbewährter Anspruch der Idee gegen erprobte Leistung. In beider Charakter waren die Elemente der Schwäche und der Kraft gemischt. Es wäre ein großer Irrtum, wenn man Hardenberg als „innerlich schwach und haltlos" beurteilt, um auf der anderen Seite von den klaren Gedanken, welche Humboldt über die Formen des Staatswesens dachte und aussprach, den Rückschluß zu ziehen auf eine entsprechende Klarheit und Sicherheit seines Verhaltens im politischen Kampfe selbst. Vielmehr auf dem Boden der Wirklichkeit war seine Haltung schwankend. Sie war ebensowenig frei von Unaufrichtigkeit, und, was schlimmer ist, ebensowenig frei von Schwäche als Hardenbergs Verfahren. Diese Unkraft den wirklichen Aufgaben gegenüber wirkt um so befremdender, je entschiedener der Anspruch auf die bessere Idee und den besseren Willen in seinen Selbstzeugnissen sich ausspricht. Und nun hatte der Erfolg entschieden gegen Humboldt und für Hardenberg. War es das blinde Fatum, war es der Zufall im Bunde mit menschlicher Bosheit, die hier walteten, einen großen Geist um sein Werk und den preußischen Staat um die günstige Stunde gebracht haben, welche eine hellere Zukunft aus sich gebären konnte? Das Geschick, welches der Mann im Busen trägt, war es, das hier entschied. Wir haben Wilhelm Humboldt begleitet auf der Wanderung, welche vom Pol theoretischer Staatsverneinung zum Gegenpol praktischer Staatsbejahung führte. Wir sahen dabei sein Schwanken in den gro27*

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ßen wie in den kleinen Fragen des Daseins. Wir sahen die» Unsicherheit, welche den Mann auf der Höhe der Jahre immer wieder in Zweifel setzte über die Bestimmung seines Lebens. Die besten Jahre wurden einem Beruf geopfert, dessen Ziele ihm nicht feststanden. Über die Mittel, mit denen sie zu erreichen seien, konnte er keine Klarheit gewinnen. Bald zieht es ihn in die Einsamkeit, dann wieder kann er von der gewohnten Tätigkeit sich nicht losreißen. Um ein doch untergeordnetes Ziel zu erreichen, läßt er es auf den Einsatz der ganzen dienstlichen Existenz ankommen. Den ganzen Einsatz verliert er in einem Augenblick, wo er nicht darauf gefaßt ist. Von der tatsächlichen Wirkung fast jeden entscheidenden Schrittes wird er überrascht. Heut lehnt er den Gedanken an ein Ministerium ab, um es morgen als einzig angemessenen Wirkungskreis zu erstreben. E r ist stolz darauf, keine Partei zu haben, allein auf sich stehen zu können, um dann in die Klage auszubrechen: „es ist auch nicht Einer, auf den man rechnen könnte" 1 ). Trotz ihrer langen Vertrautheit hat er Hardenberg verkannt, und weil er ihn verkannte, erwartete er mehr und anderes von ihm, als dieser geben wollte und konnte. Schärfer bekämpfte er ihn, als es nötig und als es gut war. Denn indem seine Schwäche zur Starrheit sich verhärtete, zerstörte er sein Verhältnis zum Staatskanzler und gab damit das Mittel aus der Hand, für das Gute zu wirken, das er erstrebte. Wie sollte der Mann, welcher auf vertrautem Boden zum Stürzen kam, dazu berufen sein, im Kampfe der inneren Parteien, im Widerpart zu einem gewandten Spieler wie Metternich den Staat durch die Krisen der Zeit zu führen? Wie konnte der Verächter der Wirklichkeit bestimmt sein, gestaltend in sie einzugreifen? E r lebte in Ideen und in großen Ideen, aber zu einseitig gebannt blieb er in ihrem Bereich. Befangen in der Wirklichkeit war Hardenberg. In ihm lebte ein starkes Gefühl für die Macht, für ihren Gebrauch wie für ihren Genuß. Das Treiben der Politik ist ihm weniger Zweck als Mittel zu seinem Spiel. Da in ihm keine „Ideen" lebendig sind, so kann er sich abfinden und befreunden mit den Ideen und den Tendenzen, welche „die Zeit" an ihn heranträgt; aber — er bleibt ihrer Herr. Besaß Humboldt eine kompliziertere Idee vom Staat, welche er, systematisch erfaßt und gebildet, in die Wirklichkeit umsetzen will, so geht Hardenberg von der Wirklichkeit aus und ist bestrebt, die „gegebenen Zustände" in Einklang zu bringen mit dem, was er „Zeitgeist" nennt. Nicht immer und nicht in allem ist er glücklich gewesen. Seine Jugend brachte ihm eine ähnliche E r fahrung, wie sie Humboldt in dem Konflikt widerfuhr, welcher sie beide auseinanderbrachte. Die Stelle als repräsentierender Minister Hannovers in London lockte ihn; sie sei die einzige, wo er, insofern seine Kräfte es

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gestatteten, hätte recht nützlich sein können1). Sie ward ihm nicht zuteil. Und Hardenberg ließ sich belehren durch den Fehlschlag; er wählte seine Ziele von jetzt an im Bereich des Möglichen. Einen Rückschlag, wie Hardenberg ihn damals erfuhr, hatte Humboldt bis zu diesem Augenblick nicht zu verzeichnen. Das Glück begünstigte ihn in jeder Weise; vom Glück ließ er sich verführen zu einem starren Doktrinarismus der Idee. E r war unbelehrbar, er hatte immer recht, nach eigenem Bekenntnis war ihm „die Reue fremd" 8 ). War es darum, daß die „große Göttin Gegenwart" — wie oft hatte sie dem Zagenden lockend gelächelt! — in der Stunde entscheidender Werbung sich versagte?

Was sich im Laufe des Jahres 1819 mit dem Minister v. Humboldt weiterhin zutrug, war die notwendige Folge der moralischen und politischen Niederlage, welche die Verhandlungen vom Januar und Februar ihm eingetragen hatten. Wie hatte er sich bemüht, um möglichst schnell nach Berlin, an die Stätte des ihm bestimmten Wirkungskreises zu gelangen; ,alles war vergeblich. Der „Minister für Ständische Angelegenheiten" blieb noch ein gutes halbes Jahr ein Minister „in partibus infidelium." Die Frankfurter Verhandlungen hielten ihn bis zum 20. Juli fest; erst dann wurde der Rezeß unterzeichnet, an dessen Durchführung teilzunehmen er einst so nachdrücklich gewünscht hatte; die Erfüllung des Wunsches war ihm nun zur Fessel geworden8). Inzwischen aber hatten sich Ereignisse vollzogen und Entwicklungen angebahnt, welche ebenso seinen Wirkungskreis wie seine Pläne für eine preußische Verfassung verhängnisvoll beeinflussen mußten. Am 23. März fiel der Tagesschriftsteller Kotzebue einem sinnlosen Attentat des verworrenen Studenten Sand zum Opfer. Mit sicherem Blick beurteilte Humboldt auf die erste Nachricht des verhängnisvollen Vorfalls sowohl den Täter und seine Gründe, wie die vermutlichen Folgen, welche die Tat besonders für die deutschen Universitäten nach sich ziehen würde; waren diese doch eben erst von dem russischen Diplomaten Stourdza als Keimzelle der europäischen Revolution denunziert worden. Humboldts Erwartungen sollten in diesem Fall von der Wirklichkeit noch übertroffen werden. Denn das Attentat gab den seit Friedensschluß gesammelten und erstarkten Kräften der Reaktion den erwünschten Vorwand, um nicht nur gegen die radikalen, sondern ebenso gegen die liberaLen wie gegen die nationalen Strömungen der Zeit gewaltsam vorzugehen. In Wien hatte die „alte Zeit" ihr Hauptquartier und in Metternich den überlegenen Vorkämpfer, welcher die Gelegenheit wahrnahm, um das innenpolitische System, welches er dem Kaiserstaat auferlegt hatte, auch im Bereich des

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Deutschen Bundes durchzusetzen und dadurch die Habsburgische Hegemonie über Mitteleuropa noch einmal für ein Menschenalter zu festigen. „Das einzige Mittel, wodurch fremde Mächte, ohne geradezu mit dem Schwert zu drohen, Einfluß auf einen freien Staat ausüben können, ist die Geschäfte des Landes in die Hände von Personen zu bringen, welche ihrem System günstig sind." Dieses Rezept hätte Humboldt einst gern auf die Schweizerische Eidgenossenschaft angewendet gesehen, um sie wieder mit „Deutschland" in nähere Verbindung zu bringen: es war ein frommer Wunsch geblieben. Jetzt war Metternich im Zuge, nach der gleichen Maxime den preußischen Rivalen in sein System einzubeziehen, und er war es mit gutem und schnellem Erfolg. In dem Hausminister Wittgenstein, dem Außenminister Bernstorff und dem Staatsrat Ancillon, welche auf den geistlosen und mutlosen Friedrich Wilhelm III. entscheidenden Einfluß hatten, standen ihm die Werkzeuge seiner Politik zur Hand. Mit ihnen mußte der Staatskanzler kämpfen und paktieren, um das letzte politische Ziel, an welchem er mit Kopf und Herz noch festhielt, die Einführung der seit 1815 versprochenen Verfassung, zu erreichen. Paradoxerweise war der einzige Weg, welcher bei seiner immer schwieriger werdenden Stellung zum König offenblieb, das Eingehen auf die von Metternich eingeschlagene Politik der innerpolitischen Repressionen. Leistete der Fürst hier Widerstand, so verlor er den letzten Einfluß auf den von Revolutionsfurcht bedrängten König, welcher seit der Zusammenkunft von Teplitz dem Wiener Kanzler ins Garn gegangen war. Aus Angst vor der Revolution verzichtete Friedrich Wilhelm III. auf die historische Rolle seines Staates, im Kampf gegen Habsburg die deutsche Entwicklung vorwärtszuführen. Darum war Hardenberg gezwungen, der verrufenen Politik der Karlsbader Beschlüsse sich anzuschließen 1 ). Von allen diesen Vorgängen und ihrem tieferen Hintergrund hat Humboldt offenbar weder in Frankfurt noch in Berlin etwas gewußt. Seine Gedanken waren bestimmt durch die Gegnerschaft gegen den Staatskanzler, ohne daß er geahnt hätte, welche Kämpfe dieser gerade damals um die Voraussetzungen des ihnen beiden gemeinsamen Zieles, eben der Verfassungsidee, auszufechten hatte. Nach wie vor sah Humboldt in der Verwirklichung dieser Idee den eigentlichen Inhalt der ihm bestimmten Aufgabe. In den inhaltlosen Frühjahrsmonaten, während derer er vergeblich auf das erlösende Wort wartete, welches ihn nach Berlin führen sollte, beschäftigten ihn die Probleme der künftigen Verfassung aufs lebhafteste. Sie bildeten den Gegenstand eines teils mündlich, teils brieflich fortgesetzten Austausches mit Stein; auch mit Niebuhr wurde eingehend über diese Fragen korrespondiert. Innere Anteilnahme, Gründlichkeit, Scharfsinn der Erwägung geben diesen Briefen, welche

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nach Humboldts Weise gern zu Abhandlungen anwachsen, einen ungewöhnlichen Reiz; darüber hinaus bezeugen sie den Ernst, mit welchem er auf die Zukunft sich rüstete. E r war entschlossen, für sie zu kämpfen — aber in einem schweren Irrtum befangen, sah er den entscheidenden Gegner nur in Hardenberg. E r wußte nicht, daß dieser inzwischen, als „ideeller" Bundesgenosse, den künftigen Bauplatz zu sichern bemüht war gegen eine aus den verschiedensten Elementen gebildete Koalition, von deren Vorhandensein, wie der Gruppe Metternich-Wittgenstein, er nichts ahnte, oder über deren Stellung, wie über die des Königs, er sich in trügerischen Vorstellungen bewegte. Diese Unkenntnis der Sachlage war die Voraussetzung seines Vorgehens, nachdem er endlich am 8. August die Geschäfte des Ministeriums hatte übernehmen können. Denn vom ersten Tage an stand seine Geschäftsführung im Zeichen der auf den Sturz des Kanzlers gerichteten Opposition, der, wenn er von dieser Seite her zu Fall gebracht worden wäre, nach dem Stand der Dinge Humboldt nebst seinen Gesinnungsgenossen notwendig in seinen Sturz hineinziehen mußte. Wie Humboldt dabei zu Werke ging, verrät zwar eine ungefähre Vorstellung davon, daß seinen Plänen allerhand Schwierigkeiten begegnen könnten; über die wirkliche Lage der Dinge aber besaß er keinen Überblick. Das erhellt bereits aus seinem Bericht über die erste und zugleich für die Dauer seiner Amtszeit einzige Audienz, welche dem neuen Minister am 5. August vom König gewährt wurde; der einsilbige Monarch spendete ausgiebiges Lob über seine „Kenntnisse, Talente und Verdienste". Darüber ließ Humboldt die betonte Zurückhaltung, welche der König der Verfassungsfrage gegenüber beobachtete, offenbar ebenso unbeachtet, wie die königliche Billigung des ungesetzlichen Polizeiverfahrens im Lauf der politischen Untersuchungen. Nicht die leiseste Frage regte sich in ihm, warum wohl der König den Anträgen Hardenbergs vom 3. Mai und 30. Juni auf baldigen Erlaß einer Verfassung nicht stattgegeben hatte. Daß die Reaktionäre Wittgenstein, Ancillon, Bernstorff und der Kabinettsrat Albrecht gemeinsam der Aktion des Kanzlers in den Weg getreten waren, erweckte nicht die Spur eines Bedenkens oder Zweifels. Wenn diese Verfassungsgegner an Stelle Hardenbergs ihm selbst den Vorsitz in einem geplanten engeren Verfassungsausschuß zugedacht hatten, um an dem aller Welt bekannten Gegensatz der beiden gewichtigsten Verfassungsfreunde die Sache selbst scheitern zu lassen, so entging ihm durchaus der Sinn solcher Taktik. E r sah nur die Niederlage des .Gegners, freute sich darüber und vertraute der geschickten Schmeichelei des glatten Höflings Ancillon, daß „das Wohl des Staates" in Humboldts

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Händen läge. Wenn außer dem Generaladjutanten Witzleben auf der einen Seite Boyen und Beyme, die entschieden liberalen Gegner des Kanzlers im Ministerium, sich mit ihm verbanden ; wenn auf der anderen Seite nicht nur Ancillon, sondern sogar der verschlagene Fürst Wittgenstein, welchem er allerdings zunächst mißtraute, mit sorgenvoller Miene anhörte, wie Humboldt „mit ausnehmender Klarheit" die Mängel und Schattenseiten der Regierung des Fürsten auseinandersetzte ; und wenn Wittgenstein dann gewichtig der Meinung Ausdruck gab, daß Humboldt „so sehr und geschwind als möglich das Vertrauen des Königs gewinnen müsse" ; wenn er selbst also den ausgleichenden Mittelpunkt zwischen der Umgebung des Königs und dem oppositionellen Flügel des Ministeriums zu bilden begann, — war dann nicht e r wirklich der Mann der Stunde und Hardenberg eine abgetane Größe, welcher man sich ostentativ fernhalten mußte, damit man nicht selbst Einbuße erlitt ,,am Namen und Vertrauen, das man genießt" ? Ganz unter der Nachwirkung ihres Konfliktes vom Frühjahr sah Humboldt nur einen Gegner und das Ziel, ihn zu beseitigen. In dem Bewußtsein, zurzeit allgemein für „unentbehrlich" zu gelten, suchte er daher nähere Fühlung mit der Kamarilla und lieferte ihr aus seiner „jetzigen Geschäftserfahrung" Material über die „Anarchie" unter Hardenberg, ohne eine Ahnung davon zu haben, daß gerade von seinen neuen Bundesgenossen dem Kanzler überall die dicksten Steine in den Weg geschoben, die „anarchischen" Zustände dadurch mitveranlaßt waren1). Gleichzeitig nahm der Reformminister, auf welchen alle liberalen Hoffnungen sich richteten, Fühlung mit einer Gruppe von Gegnern Hardenbergs, denen er innerlich mindestens ebenso fremd gegenüberstand wie dem Konzern der Höflinge. Das waren die feudalen Adelskreise der märkischen Ritterschaft, seit 1811 die geschworenen Feinde des Kanzlers. Wie würden die Herren sich gewundert haben, hätten sie die Meinung ihres neuen Parteigängers über die politische Rolle des Adels im allgemeinen, über Privilegien und Majorate im besonderen gekannt I Nie hatten sich seine Wege mit denen dieser Standesgenossen gekreuzt; eine unüberbrückbare Kluft trennte seine Welt der „Ideen" von den geistigen Bezirken, in denen ein F. L. Marwitz und die Rochows oder gar der zähe "ci-devant" Voß-Buch lebten. Das Ziel der Verfassung, auf welches Humboldt hinarbeitete, wäre von jenen mit Leidenschaft und mit guten Gründen bekämpft worden. Aber für den Augenblick einte sie die gemeinsame Gegnerschaft gegen den Kanzler. Vergeblich, daß der Fürst mehrfach versuchte, mit Humboldt auf dem alten Fuß zu verkehren. Es war menschlich verständlich, daß dieser von vornherein sich sehr kühl verhielt; verständlich war es, aber es war

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nicht klug. Es bewies einen Mangel an politischem Instinkt, welcher es ihn hätte fühlen lassen, daß eine Verfassung, wie er sie plante, nur noch mit Hardenberg zu erreichen war. Vergeblich, daß der Kanzler sich bemühte, dem ehemaligen Freunde die Augen über die Lage der Dinge zu öffnen, daß er ihm und mit Recht bewies, wie dessen Verhalten in Frankfurt „nicht einmal klug" gewesen sei; vergeblich, daß er ihm und mit Wahrheit auseinandersetzte, wie nicht er allein die Schuld an der schlimmen Wendung der preußischen Politik während der letzten Wochen trage. Der Fürst predigte tauben Ohren; Humboldt, ganz befangen in den Gedankengängen der inneren Politik, beharrte auf d e m Vorwurf, welchen er als die wesentliche und einzige Ursache alles Unglücks ansah, d a ß der Kanzler „sich vom Ministerio trenne und also allein sei"1). Denn eben jetzt hatte er einen gemeinsamen Vorstoß des Staatsministeriums gegen das Staatskanzleramt und damit gegen den Fürsten selbst zuwege gebracht. Seit einem halben Jahr hatten die Minister vom König den Auftrag, sich grundsätzlich zur Lage des Staates und über die mögliche Abhilfe bestehender Schäden der Verwaltung zu äußern. Trotz wiederholter Mahnung war es zu keiner einheitlichen Stellungnahme gekommen. Jetzt, knapp zwei Wochen nach Humboldts Eintritt, ging eine von ihm redigierte große Denkschrift, mit den Unterschriften der Mehrzahl der Minister, an den König ab. Was sie an gesunden Gedanken, vor allem an begründetem Zutrauen zur allgemeinen Lage des Staates wie zur Gesinnung des Volkes und der Jugend enthielt, wurde in der gespannten Lage des Augenblicks aufgewogen durch das Gewicht des Vorstoßes, welchen das Ministerium in seiner Gesamtheit gegen die Stellung des Kanzlers richtete. Ziel und Gründe dieses Kernstückes der Denkschrift sind uns aus den Eingaben Humboldts vom Sommer 1817 und Winter 1819 bekannt: das Amt des Kanzlers, welcher eine selbständige Kontrolle über die Verwaltung des Ministeriums ausübt, muß fallen, um einer gemeinsamen Verantwortlichkeit aller Minister Platz zu machen. Diese Forderung schien dem Wunsch des Königs, daß die Minister in Gemeinschaft und mehr als bisher für die Verwaltung im ganzen sich verantwortlich fühlen sollten, entgegenzukommen. Aber auf beiden Seiten verstand man etwas anderes unter Verantwortlichkeit. Für Friedrich Wilhelm III. bestand sie in der mehr juristischen als politischen H a f t u n g des Untergebenen gegenüber der Krone für eine richtige Durchführung erhaltener Anweisungen und für eine pflichtgemäße Abwendung „von Schaden und Gefahr". Humboldt und mit ihm vermutlich Boyen und Beyme sahen in der Verantwortlichkeit, welche sie für das Ministerium erstrebten, einen Weg zur p o l i t i s c h e n I n i t i a t i v e auf ihre eigene Hand, welche die Krone von der Bürde der Verantwortung entlasten sollte; sie verfolgten eine poli-

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tische Idee. Der Trieb zur Verantwortlichkeit war aber zugleich der Trieb zur Erweiterung der Macht des Ministeriums als Körperschaft. Eine solche Stellung war natürlich auch den nicht eben liberalen Ministern erwünscht, welche, wie Schuckmann, gern von der Vormundschaft des Kanzlers befreit gewesen wären. Um so verständlicher, wenn dieser die unbedingte Unterstützung des Monarchen fand, der Vorstoß mit einer ungnädigen Kabinettsorder beantwortet wurde und die Stellung des Kanzlers aufrechterhalten blieb. Auf dem unvertrauten Kampfgelände hatte Humboldt mit dem ersten Schritt auch die erste Schlappe erlitten. Bald sollte die nächste folgen. Das Ministerium war bereits seit dem Juli gegen die in ungesetzlichen Formen geführte Polizeiuntersuchung „wegen hochverräterischer Umtriebe" mehrfach beim König vorstellig geworden; auch in der Eingabe vom 26. August hatten die Minister das Verfahren ihres Kollegen, des — als solcher eigentlich nicht mehr fungierenden — Polizeiministers Wittgenstein recht scharf beurteilt. Inzwischen waren die Karlsbader Beschlüsse zustandegekommen, welche im Ergebnis auf eine nie vorhergesehene Ausdehnung der politischen Befugnisse des Bundestages über die Bundesglieder hinausliefen. Wenn das Ministerium jetzt seine Stimme nicht mehr nur für die Beobachtung eines gesetzmäßigen Verfahrens in Preußen selbst, sondern überhaupt gegen die Politik erheben wollte, welche nach Karlsbad geführt hatte, so war wieder Hardenberg als der verantwortliche Chef der Regierung der Zielpunkt des Angriffs. Und wieder war Humboldt der Führer der Opposition, indem er am 5. Oktober dem Ministerium eine große Denkschrift als Unterlage für einen gemeinsamen Protest gegen die Karlsbader Politik vorlegte. Gewiß hatte er „ideell" recht, gewiß war der von ihm in den Vordergrund gerückte Gesichtspunkt richtig, daß die Annahme der Beschlüsse eine freiwillige Beschränkung der preußischen Gerichtshoheit und damit der Souveränität der Großmacht Preußen bedeute. Gewiß war es nicht zu leugnen, daß Preußen durch die österreichische Initiative am Bunde in die „Reihe der sich gewissermaßen leidend verhaltenden Staaten gestellt" wurde, daß diese ganze Politik vom preußischen wie vom deutschen Standpunkt eine große Kalamität bedeutete. Aber wenn die Minister mit ihrer Kritik den Kanzler zu treffen meinten, so wußten sie nicht, was dieser wußte und was er nicht hatte hindern können: .daß diese Politik die eigenste Politik des Königs war. Überdies war ja Bemstorff, welcher formell Preußen in Karlsbad vertreten hatte, bei seinem vorgeblichen Bestreben, in dieser „für ganz Deutschland" so wichtigen Frage es zu verhindern, d a ß „Preußen sich am Bundestage isoliere", nur den Hinweisen gefolgt, welche Humboldt drei Jahre zuvor für die preußische Politik angegeben hatte. Freilich ohne damals voraussehen zu

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können, welche grundlegende Veränderung die Voraussetzungen der preußischen Politik an der höchsten Stelle des Staates in der Zwischenzeit erfahren würden. Auf jeden Fall war es ein schwerer F e h l e r , eine Politik autoritativ angreifen zu wollen, über deren letzte Gründe man durchaus im unklaren war 1 ). In Unkenntnis über die Stellung des Königs, preußischer in ihrem Bewußtsein als dieser, kämpfte Humboldt im Verein mit Boyen, welcher gleichzeitig seine Schöpfimg, die Wehrverfassung von 1814, gegen die militärische Reaktion zu verteidigen hatte, für die Souveränität wie für die Idee des friderizianischen Staates gegen die Gefahren der Stunde, welche sie sehen konnten und darum für die einzigen hielten. H a r d e n berg aber, wenn er sich in Karlsbad mit Metternich hatte verständigen müssen, weil der König es wollte, kämpfte in genauerer Kenntnis der von Österreichs und Rußlands Lenkern drohenden Gefahren gleichfalls für die Zukunft Preußens, indem er den W e g ging, welcher nach seiner Überzeugung allein noch zur Einlösung des Verfassungsversprechens von 1815 und damit zur inneren Festigung des Staates führen konnte. S o war seine L a g e : e r war unsicher geworden in seinem Verhältnis zum König, welchem er doch den Staat erhalten h a t t e ; sein Optimismus über den guten Gang der Dinge wurde durch das Gespenst der Revolution offenbar widerlegt; so gelegen die Ansätze zu radikalen Verschwörungen dem W i e n e r Kanzler kamen, so sehr störten sie die Kreise Hardenbergs. Von allen Seiten wurde er bedrängt, über den Umweg der Kamarilla blieb er von Metternich ständig überwacht und gehindert; mit dem eigenen Ministerium mußte e r um die Stellung wie um die Politik kämpfen, welche beide zusammen sein letztes Ziel ermöglichten. Dort wie hier war Humboldt als Führer des K a m p f e s hervorgetreten, welcher dadurch eine besondere persönliche S c h ä r f e erhielt, weil der Idealist um „ I d e e n " kämpfte, während der Boden der Wirklichkeit schwankte. W o h l zu verstehen daher, daß Hardenberg entschlossen war, sich dieses G e g ners zu entledigen, welcher bald nach seiner R ü c k k e h r nach Berlin durch den Mittelsmann Koreff ihn hatte wissen lassen, d a ß e r „gewiß nie ohne Not sich in Opposition mit dem Kanzler setzen würde". Mochte Humboldt nach bestem Wissen und Gewissen geglaubt haben, d a ß dieser Notfall eingetreten sei, so konnte H a r d e n b e r g ihm die Berechtigung dazu weder vom persönlichen Standpunkt noch nach der L a g e der D i n g e zugestehen. D a h e r stellte der Kanzler gegen J a h r e s e n d e den König vor die W a h l zwischen sich und dem Minister. A m Sylvester 1819 erhielt H u m boldt zugleich mit B e y m e den A b s c h i e d ; gleichzeitig wurde er, was nach den Verhandlungen des Vorjahres wohl verständlich war, von der Teilnahme an den Geschäften des Staatsrats „dispensiert". Als er den Kampf

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gegen Hardenberg begonnen, da hatte eine innere Spannung sich seiner bemächtigt: „die Zeit hat wie etwas Ängstliches jetzt für mich. Ich möchte sie verstreichen sehen, und doch brennt es mir unter den Sohlen, d a ß sie vergeht". Aber die Entscheidung selbst erwartete er erst für das nächste F r ü h j a h r ; sie kam über ihn wie der Dieb in der Nacht 1 ). Weder war es ihm geglückt, den Kanzler zu stürzen und damit in der Verwaltung des Staates einer „systematischen Administration" nach seinen Ideen den W e g zu bahnen; noch war es ihm gelungen, die Außenpolitik Preußens in eine ihrer historischen Individualität, ihrer „Idee" mehr entsprechende Richtung zurückzulenken; noch endlich war er dazu gelangt, die eigentliche und wahre Aufgabe des „Ministers für Ständische Angelegenheiten" auch nur in Angriff zu nehmen: die Vorbereitung und die Einführung einer Verfassung. Dieser Fehlschlag wog wohl am schwersten in seinen Folgen für den Staat. Denn — vielleicht — hätte das Programm, welches Humboldt für die Begründung einer Verfassung nicht nur von Frankfurt nach Berlin, sondern aus der gesamten Erfahrung seines beobachtenden wie seines tätigen Lebens zum abschließenden Werk seiner reifen Jahre mitbrachte, — vielleicht hätte dieses Programm einer allmählichen Entwicklung verfassungsmäßiger, „konstitutioneller" Zustände zum Ausgangspunkt dienen können, wenn die Stunde günstiger, wenn ihr der Mann mehr gewachsen gewesen wäre. Indes der Vorbehalt des „vielleicht" gründet sich nicht nur auf die mehr oder minder begünstigenden Umstände der „äußeren Lage", um mit Humboldts Worten zu reden, sondern auf Art und Inhalt seines Programmes selbst. Von der umfassenden, tief durchdachten und kunstvoll aufgebauten „ D e n k s c h r i f t ü b e r P r e u ß e n s s t ä n d i s c h e V e r f a s s u n g " vom 4- Februar 1819 gilt, wie von mancher anderen Arbeit, nach Form und Inhalt, was Rudolf Haym einmal treffend gesagt hat: „das Künstlichere war ihm das Tiefere, das Tiefere schien ihm das Praktischere. Auch in der politischen Wirklichkeit galt ihm die stätige und sanfte Vermittlung der Gegensätze als das Wünschenswerte" 2 ). Zwei der Hauptbedenken, welche gegen die klugen, ja erklügelten Gedankengänge dieser doch immer imponierenden Arbeit sich erheben lassen, sind damit genannt: Humboldts Gedankenbau war zu theoretisch, um praktisch ausführbar zu bleiben, dies das eine; andrerseits war der dialektische Ausgleich der politischen Gegensätze im „stufenweisen" Aufbau eines ganzen Systems von politischen Organen auf dem Papier schlüssig durchgeführt, jedoch die irrationalen Momente des Willens und der Leidenschaften waren nicht in Rechnung gestellt. Während das politische Getriebe in Wirklichkeit seinen Anstoß erhält durch deren Gegensatz, zeigt dieser Aufriß eines idealen Staatsbaues, gleichsam zur Befriedigung der ästhetischen Forderua-

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gen seines Schöpfers, alle politischen Elemente in einem ruhenden Gleichgewicht, welches „nie und nirgends sich begeben". Deswegen mußte der in seinem Aufbau einheitliche Entwurf erheblichen Änderungen unterzogen werden, um als Unterlage für die Beratungen eines mit der Vorbereitung der Verfassung betrauten Staatsratsausschusses dienen zu können. Man merkte es den Abänderungen an, wie Humboldt bemüht gewesen war, dem „Zeitgeist" der Reaktion so wenig Angriffspunkte wie möglich zu bieten. Denn schon in dem Ausschuß, welcher in seinem Beisein nur zweimal, am 12. und 28. Oktober, zusammentrat, mußte er mit der Gegnerschaft des absolutistischen Bürokraten Schuckmann und des schönrednerischen Dilettanten Ancillon rechnen. War die Februardenkschrift im freien Wurf aus der Fülle seiner ideellen Anschauung und seiner praktischen Erfahrung erwachsen, so zeigt die Fassung vom Oktober mit manchem fremden Beiwerk das Bestreben, die kommenden Stände „ganz genau auf die Lage und Verfassung des Preußischen Staates" abzustellen. Gleich in den ersten Sätzen tritt ein Moment hervor, welches die erste Niederschrift kaum gestreift hatte, während es gerade in diesem schicksalsreichen Sommer das Schiboleth des politischen Streites in Theorie und Praxis bedeutete: es ist das „monarchische Prinzip"; seine „Erhaltung, Befestigung und Verstärkung" müsse den ersten Gesichtspunkt für die Bildung der Verfassung abgeben. Diese Worte enthielten den Niederschlag seiner ernüchternden Berliner Erfahrungen; in Frankfurt noch hatten ihm, wie er während der Erhebung es erlebt zu haben meinte, alle Elemente des Staates, Krone, Beamtentum und Volk in ideeller Einheit als untrennbares Ganzes vor Augen gestanden. Jetzt war er eines Schlechteren belehrt, und die berufene Formel der Karlsbader Beschlüsse eröffnete seinen Entwurf, um den tagesüblichen Mißdeutungen von vornherein die Spitze abzubrechen. Werfen wir einen flüchtigen Blick auf den motivierenden Gedankengehalt des Entwurfs, so werden dem Anschein nach drei seiner Grundgedanken durchaus dem Vorbehalt widersprechen, mit dem wir an das Werk herangetreten sind. Denn ganz fern aller Theorie und ganz nahe der Wirklichkeit sind die Gründe, aus denen heraus Humboldt für eine Verfassung überhaupt eintritt, und ebenso die Gedanken, mit denen er von vornherein auf ihren Ausbau blickt. Der erste Anstoß zu seiner Verfassungstheorie lag in dem Erlebnis der Erhebung; hier wurzelte seine neu erwachte „Liebe zum Volk, die Übereinstimmung mit seiner geraden und einfachen Sinnesart, das Mitleid mit seiner Lage und seiner Unbehilflichkeit, für die reine und gute Absicht passende Mittel zu finden". Ein solches „passendes Mittel" war nun die Verfassung, welche

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nicht aus einer allgemeinen Menschheitstheorie, nicht um des ,,Zeitgeistes'" willen gefordert wurde. Dieser „verderblichen und im Grunde sinnlosen Phrase" sollte keinerlei Bedeutung eingeräumt werden. Sondern dem preußischen Volk, „welches sich im Krieg so edel betragen", war eine Form des politischen Lebens zu geben, in welcher „der Stoff zum Besten und Kräftigsten'' sich frei entfalten könne. Auf die I n d i v i d u a l i t ä t Preußens in Staat und Volk zielten Humboldts Gedanken, und darum bestimmte ihn der zweite Grundsatz: „ I n d i v i d u e l l muß jede Verfassung sein, die im Leben soll lebendig a.usdauern können; h i s t o r i s c h hat schon einen weniger gewiß zu erfassenden Sinn". Hier tauchte altes Gedankengut auf aus dem Strom der Zeit; hatte nicht seine erste politische Untersuchung den grundlegenden Fehler der französischen Revolution darin aufgezeigt, daß sie ein „politisches System" hatte verwirklichen wollen ohne Rücksicht auf „die ganze individuelle Beschaffenheit der Gegenwart" ? Zugleich hatte er damals den Eigenwert der geschichtlichen Sphäre gegenüber dem Herrschaftsanspruch der bloßen Vernunft gewahrt. Jetzt mußte ihm der Begriff der Individualität dazu dienen, seine Stellung wieder abzugrenzen gegen den politischen „Historismus" eines Stein sowohl wie erst recht gegen die romantische Politik der Gentz und Adam Müller. Eine andere Grenze wurde gezogen mit dem Grundsatz, daß „eine Verfassung, welche nicht sowohl ein Blatt Papier, als eine zusammenhängende Reihe von politischen Einrichtungen und Handlungen ist", stufenweise unterbaut und nicht nur „von oben herab organisiert" werden müßte. Das war die Grenze gegen die modernen Konstitutionen nach amerikanischem und französischem Vorbild, welche, statt auf eine „ständische" Stufenfolge, den krönenden Bau der Repräsentation „unmittelbar auf der Basis der ganzen Volksmasse gründeten" und mehr berechnet waren „auf einen Antagonismus gegen die Regierung, als auf ein Zusammenarbeiten mit ihr". Dieses herbeizuführen und doch „die ganze politische Organisation des Volkes selbst, nicht nur durch Einrichtungen von Wahlversammlungen und Kammern" zu gewährleisten, darauf war seine eigentliche Absicht gerichtet. Darum setzte er das wahre Ziel der Verfassung „in die Erziehung des Volkes zur Einsicht und Tat". Denn er hatte es ja selbst erfahren, daß die Tätigkeit für den Staat den eigenen Lebensbereich erweitert, den Wert des eigenen Lebens steigert. In der verfassungsmäßigen Form sollte jetzt jeder an der Erhaltung der Staatsordnung teilnehmen „aus dem allgemeinen Beruf als Staatsbürger" — aber nicht um des Einzelnen, nicht um des „Individuum" willen, sondern um jenen wünschenswerten „Gemeingeist" zu wecken, von welchem er mit Stein sehr viel erwartete, und der etwas gjanz anderes war als der

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„Volksgeist" der Romantik. Denn der Gemeinsinn war für ihn nicht der Ursprung, sondern das Ziel des politischen Bewußtseins, auf dessen Schaffung und Förderung diese mit den großen Mitteln der Verwaltung und Verfassung arbeitende Staatspädagogik hinauswollte. D a r u m konnte ihr Vorhaben nicht auf den Wünschen des Augenblicks gründen und nicht sich berufen „auf den Strom der Zeit, der einmal dahin gerichtet i s t " ; eine höhere und eine stärkere Instanz mußte hier legitimieren: die „Notwendigkeit". Hatte er nicht auf die „Notwendigkeit, deren J o c h sich jeder willig beugt", williger jedenfalls als einer behaupteten und immer unbeweisbaren „Nützlichkeit", — hatte er nicht auf sie sich berufen, als er seine „Theorie aller R e f o r m e n " entwickelte? F a s t mit den gleichen W o r t e n appellierte er jetzt an die „Notwendigkeit", die überhaupt ein weit sicherer Leiter bei Staatsoperationen ist, als das bloß nützlich E r a c h t e t e " . D e r Herrschaft einer „ I d e e " des Handelns und Geschehens sah er darum diesen wie alle anderen Augenblicke des L e bens unterworfen. W e n n ihn nun jemand hätte fragen wollen, wieso einer so umstrittenen M a ß n a h m e wie der Einführung einer Verfassung der Charakter der Notwendigkeit eigne, so hatte er eine Antwort in B e reitschaft, welche wieder aus einer „ I d e e " schöpfte: „der Preußische Staat behauptet eine Stellung unter den europäischen Mächten, welche nicht eine unmittelbare Folge seiner physischen Kräfte ist. E r verdankt sie der Geisteskraft seiner Monarchen und dem Patriotismus und den B e strebungen der Nation. E r bedarf aber noch sehr der Sicherung dieser Stellung; er wird dadurch zu größeren physischen Anstrengungen genötigt, m u ß a b e r vorzüglich auch moralische Mittel anzuwenden bedacht sein. Die Macht der Regierung darf daher in ihrem Wirken . . . keine H e m mungen erfahren, a b e r die Nation muß auch nicht bloß leidend gehorchen, sondern die Regierung muß auf den Geist rechnen können, der diese belebt. Hierauf m u ß man die Stände und ihre Einrichtungen berechnen, . . . so wirkt die Verfassung gerade so ein, wie es die innere und äußere L a g e des Staates erfordert". Dem alternden Skeptiker von Sanssouci waren ähnliche Betrachtungen über das Wesen seines Staates nicht fremd gewesen; auch er wußte, daß „die Reputation ein Ding ohne V e r g k i c h s w e r t sei und mehr gelte als die M a c h t " ; darum ließ sein Zynismus ihn einen neuen Orden vorschlagen mit dem Symbol des Affen, „denn wir äffen den Großmächten nach, ohne sie zu sein". E s bezeichnet den ganzen Wandel von Zeit, Menschen und Geist, wenn der Idealist unter den preußischen Ministern von 1819 angesichts der gleichen S c h w ä c h e in der Struktur des Staates aus dessen historischer „ I d e e " , welche nicht zuletzt von Friedrich selbst ihre Prägung erhalten, — wenn er

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aus dem Wesen der Individualität des preußischen Staates eine politische Form hervorgehen lassen wollte, welche mit dem Wesen der „ständischen Verfassung" sich verbinden ließ zum Bilde einer neuen geschichtlichen Individualität. Indem er ein solches Bild entwarf, indem er sich bemühte, in Verwaltung und Verfassung eine Staatsform zu schaffen, „wie die Nation sie verdient", bewies er selbst, d a ß er in seinen Grenzen, aber auch nach seinen Kräften der eigenen Forderung an den „guten Minister" genügte, d a ß er „den ganzen Staat, das ganze Bedürfnis und den ganzen Zweck der Regierung vor sich habe". Aus dem politischen E r leben wie aus der politischen Einsicht langer Jahre erwuchs ihm die reife Frucht dieser letzten historisch-politischen Idee. Völlig unerwartet hatte die Entscheidung seines Schicksals ihn getroffen; in völliger Ruhe fand er mit ihr sich ab. Unter Hinweis auf die erhaltene Dotation verzichtete er auf die ihm zustehende Pension. Von einem Tag zum andern, mit lautlosem aber scharfem Schnitt war das Band durchschnitten, welches während eines Jahrzehnts ihn an den Staatsdienst gebunden, dessen Druck er so oft und schwer empfunden, das er aus eigenem Entschluß doch nicht gelöst hatte. Zu Ende war das lange Ringen um die „Wirklichkeit", zu Ende die bange Qual der Ungewißheit, des stets empfundenen Zwiespalts; nicht mehr stand er „auf der Schwelle" dieser oder jener Entscheidung. Wieder, wie stets, war er des Entschlusses durch den Gang der Dinge, durch fremden Willen überhoben worden. Jetzt war die Schwelle überschritten. Als ob er nie mit seinen besten Kräften für den Augenblick sich eingesetzt, als ob das Opfer seiner Mannesjahre für den Staat ihm nicht lockendes Ziel und lohnender Inhalt des Lebens gewesen, trat er hinüber in die Stille der letzten Epoche seines Lebens. Hatten die W a n d e r j a h r e des aristokratischen Ä s t h e t e n sich gewandelt zum t ä t i g e n L e b e n in der standesgemäßen Anteilnahme am p o l i t i s c h e n Wesen, so wendete sich der gereifte Mann, tief bereichert durch „die großen Gestalten der vielfach umwohneten Erde, die er vergleichend ersah", zurück zum D i e n s t d e r , . I d e e n " , welcher dem Weisen von Tegel, dem philosophischen Sprachvergleicher eine tiefere Wirkung und einen sichereren Ruhm begründete als der Dienst des Staates dem Minister Humboldt.

Übersicht der hauptsächlich benutzten Quellen und Darstellungen. I. Werke Humboldts: 1. Wilhelm von des, 7 Bde. 2. Wilhelm von Kgl. Preuß. Zit. G. S. I.

Humboldts gesammelte Werke. Herausgegeben von C. BranBerlin 1841 ff. Zit. G. W . I. etc. Humboldts gesammelte Schriften. Herausgegeben von der Akademie der Wissenschaften, 15 Bde. Berlin 1903 f f . etc. II. Q u e l l e n : A)

Ungedruckte:

I: Briefe Humboldts an K. G. v. Brinckmann. Abschriften im Besitz von Herrn Professor Leitzmann in Jena. 2. Humboldts Berichte aus Italien und Wien. Geheimes Staatsarchiv. 3. Briefe Humboldts an den Staatskanzler Fürst von Hardenberg. Geh. St.-A. 4. Briefe Hardenbergs an Humboldt. Archiv T e g e l . 5. Briefe Humboldts an Gneisenau. Geh. St.-A. 6. Briefwechsel Humboldts mit dem Kriegsminister von B o y e n ; Abschriften des Herrn Geh. Rat Meinecke aus den Archiven T e g e l und Talheim. 7. Akten betreffend die Herzogin von Cumberland. Ehem. K g l . Hausarchiv. B)

Gedruckte:

1. Wilhelm v. Humboldt, Tagebücher, hg. von Albert Leitzmann, 2 Bde. Berlin 1 9 1 6 — 1 8 (Bd. 14 u. 15 der G. S.). Zit. T . B . I. etc. 2. Wilhelm und Caroline von Humboldt in ihren Briefen. H g . von Anna v. Sydow. 7 Bde. Berlin 1906 ff. Zit. Bf. I etc. 3. Humboldts Briefe an Henriette Herz in: Aus V a m h a g e n s Literarischem Nachlaß. Bd. I. Berlin 1867. Zit. Varahagen I. 4. Briefe an Varnhagen in: Denkschriften und Briefe zur Charakteristik von Welt und Literatur. H g . von Dorow. Berlin 1838 f f . 5. Briefe an G. Forster in: G. W . I. ¿.' P. Schwenke: Aus W. v. Humboldts Studienjahren. Deutsche Rundschau 1891. B d . 66, 228 ff. 7. Briefe an Fr. A. Wolf in: G. W. V. 8. Brief W . v. Humboldts an Chr. G. Heyne vom ¡8. Juli 1793. H g . von C. Dilthey, Index Scholarum. Göttingen 1881. 9. Briefwechsel zwischen Schiller und W. v. Humboldt. H g . von A. Leitzmann. Berlin 1900. 10. Neue Briefe W. v. Humboldts an Schiller. H g . von F. C. Ebrard. Berlin 1,911. Zit. Ebrard. 11. Briefe von W . v. Humboldt an F. H. Jacobj. H g . von A. Leitzmann. Halle 1892. Kaebler,

Humboldt.

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436

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Anmerkungen zum ersten Buch. Erstes Kapitel. S e i t e 3: 1) R a n k e , S . W . 46, S . 123. 2 ) V g l . M e i n e c k e , Zeitalter d e r deutschen E r h e b u n g , 1906, S. 58: „ M a n kann H u m b o l d t schwer anschaulich machen. D a s Anschauliche an i h m war auch nicht das B e d e u t e n d e an i h m . " S e i t e 4: 1) Vgl. Haym, S . 623. S c h o n d a m a l s , vor einem halben J a h r h u n d e r t , konnte H a y m auf G r u n d der bekannten Sonette und der B r i e f e a n d i e F r e u n d i n urteilen, „ d a ß durch die in beiden enthaltene Selbstschilderung wunderbarerweise ein M a n n , der sich im ganzen mehr als i r g e n d ein a n d e r e r g e g e n die Menschen zu verschließen p f l e g t e , nach seinem T o d e v o l l s t ä n d i g e r bekannt g e w o r d e n , als selbst der hl. A u g u s t i n , als R o u s s e a u , als alle d i e j e n i g e n , welche sich a m meisten vor d e n O h r e n der W e l t zu beichten a n g e l e g e n sein l i e ß e n " . W i e viel gewinnt dieses Urteil an R i c h t i g k e i t angesichts d e r nun v o r l i e g e n d e n D o k u m e n t e über H u m b o l d t s Innenleben. Freilich widerspricht die m a n n i g f a c h e intime K o r r e s p o n d e n z , die wir heute kennen, H a y m s Annahme von d e r V e r schlossenheit H u m b o l d t s . ») A n F o r s t e r , 8. F e b r u a r 1790. G . W . I, 289. V g l . B f . I, 390, 428/29. s) Bf. VI, 150. 1818. In dem Satz wechselt die B e d e u t u n g des W o r t e s „ I n d i v i d u u m " ; in der ersten H ä l f t e bezeichnet es die Person, in d e r zweiten das W e r k des Künstlers. S e i t e 5: !) H . Z . 55, S. 387. 2 ) D i e d e , I, S . 199. 3 ) V g l . das Literaturverzeichnis. l) Vgl. die Rezensionen von Louis E h r h a r d t , Beil. A l l g . Z t g . 1897, N r . 68; 1900, N r . 144/45. Meinecke, H . Z . 78, r n f f . : F. T h i m m e , B r . Pr. F g . X , 446 f f . Seite 7: ' ) „ I c h habe nie von mir selbst die Ü b e r z e u g u n g gehabt, d a ß ich die wahre F ä h i g k e i t hätte, in die eigentliche synthetische M e t a p h y s i k einz u g e h e n . " T . B . II, 459. — V g l . S p r a n g e r I, 187, das Urteil F i c h t e s ( ?) über H u m b o l d t s A n l a g e zur Philosophie. Z u m f o l g e n d e n vergleiche n e u e r d i n g s : E . R . Curtius, S a i n t - E v r e m o n d , Neue Schweizer Rundschau, M ä r z 1926. — W e n n S a i n t - E v r e m o n d meinte: „ n o u s a v o n s plus d'intérêt à jouir du monde q u ' à le c o n n a î t r e " (ib. S. 2 9 1 ) , so k a m zu d e r g a l l i s c h e n A n l a g e des G e n i e ß e r t u m s in Humboldt der deutsche E r k e n n t n i s d r a n g hinzu. S e i t e 8: ' ) V g l . die höchst interessante K r i t i k H u m b o l d t s an der romantischen „ S e k t e " — W i t t i c h e n , II, 145/46, 1803. Ihr gibt er Schuld an d e r zut a g e tretenden „ R o h e i t " in der g e g e n w ä r t i g e n Literatur. - „ J e d e r fährt,

Anmerkungen.

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sei es praktisch oder theoretisch, auf eine ungeschlachte Weise mit seiner Idee hervor, ohne sie mit anderen zu vergleichen, danach zu modeln, einem Ganzen anzupassen; so wie sie ist, sucht er ihr gewaltsam Platz zu machen." Vgl. Goethes Zahme Xenien. 3 ) Vgl. meinen Aufsatz „Die Brüder Humboldt" usw. H. Z. B. 1 1 6 . Vgl. Dove bei Bruhns: A. v. Humboldt, II, 38$. Auch Gentz hat durch seine Mutter, eine Ancillon, französisches Blut aus der Berliner Kolonie. Humboldt spricht einmal seine Abneigung gegen die „Französische Kolonie" gegenüber Mme de Stael aus, weil der „reine Nationalcharakter" durch die „Mischung" verloren habe, 1. Oktober 1802, I.e. 440. — Bei der Verteilung deutscher und französischer Anlagen zwischen den Brüdern scheint es sich in der Tat um einen Beispielsfall des Mendelschen Vererbungsgesetzes zu handeln. 3 ) Vgl. an Brinckmann, Nr. 81, 3 1 . März, Nr. 82, 18. August 1804. Vgl. das Urteil von Gooch: „Humboldt was not a man of systems, but an eclectic". 1. c. 106. Z u S e i t e 9: . !) cf. T. B. II, 459. — Friedrich an A. W. Schlegel, 20. Januar 1797. „Humboldts Arbeit — ,Über den Geschlechtsunterschied' — enthält wirklich schöne Gedanken. Wenn er sich nur nicht immer selbst verleugnete. E r ist der philosophische Hofmann. Ich kann es nicht leiden, daß er einem jeden gerecht sein will. Auch wird es ihm teuer zu stehen kommen, ein geistiges Echo sein zu wollen, alle einzelnen Persönlichkeiten in sich zu vereinen. E r wird seine Bestandheit zuletzt verlieren, wenn es nicht schon geschehen ist, und entmannt, keinen Ton mehr geben können als einen fremden. E r wird aus sittlicher Unmäßigkeit bankerott machen." cf. Walzel, F. Schlegels Briefe an A. W. Sch., 1899, S. 2 1 1 . s ) Z. B. noch an Welcker, 23. Dezember 1809: „Ich habe eine ordentlich unselige Fähigkeit, mich jeder Lage anzupassen"; viele entsprechende Äußerungen in den Jugendbriefen. Z u S e i t e 10: x ) Vgl. Historical Essays and Studies, 1907, p. 370. Mme de Stael wollte nach Schlesier II, 16, mit freundschaftlichem Enthusiasmus in Humboldt „la plus grande capacité de l'Europe" gesehen haben. Z u S e i t e 11 : ' ) Varnhagen I, 120.— *) An Schiller, 12. Juli 1798, Ebrard S. 226/27. Was Humboldt unter Anlage zur Kritik versteht, wird deutlich aus einem Brief an Wolf vom 23. Dezember 1796 : „Wenn ich zu irgend etwas mehr Anlage, als die allermeisten, besitze, so ist es zu einem Verbinden sonst gewöhnlich als getrennt angesehener Dinge, einem Zusammennehmen mehrerer Seiten, und dem Entdecken der Einheit in einer Mannigfaltigkeit von Erscheinungen." I.e. S. 176 Z u S e i t e 12: ») An Wolf, 2. Dezember 1796, S. 177; vgl. Ebrard, S. 77/78, 80. 2 ) An Schiller, Rom, 30. April 1803, Ebrard, S. 327, 330. Die Freunde Humboldts waren auf Grund solcher Einblicke in seine innere Zerrissenheit offenbar weit entfernt davon, in ihm einen Menschen von klassischer Harmonie zu sehen; mit Bezug auf den oben zitierten Brief schreibt Schiller an Goethe am 24. Mai 1803: „ E s ist ordentlich Krankheit, wie

440

Anmerkungen. er mitten in Rom nach dem Übersinnlichen und Unsinnlichen schmachtest, so daß Schellings Schriften jetzt seine heftigste Sehnsucht sindl." cf. Ebrard, S. 328. A. „Der Mensch bedarf einer Welt außer sich,. . . da die bloße K r a f t . . . einen Gegenstand braucht,... zur Befriedigung der inneren Unruhe, die ihn verzehrt." G. S. I, 283, 1793. 3) Vgl. T. B. I, 543, 1798.

Zu S e i t e 13: *) Rom, 24. Juli 1804. Bf. II, 200. Vgl. dazu die Darlegung Meineckes, Weltbürgertum usw. 6, S. 1 3 1 / 3 2 über das Verhältnis von Idee umd Begriff bei Adam Müller in dessen „Elementen der Staatskunst"; besonders den Hinweis auf Müllers Forderung, daß die Idee der Sache, des Staates, des L e b e n s . . . „erlebt, nicht nur erkannt und erlernt werden müßten". *) An Jacobi, 15. Oktober 1796: „Die Vergleichung der Individualitäten großer Männer, denen das Schicksal mich glücklicherweise zum Zeitgenossen zugesellt h a t , . . . ist mir die liebste und interessanteste Beschäftigimg." Gentz hat Humboldt „immer für einen der treuesten Spiegel jeder sich ihm nahenden Individualität gehalten", Wittichen, II, 1 1 6 , an Brinckmann, 9. April 1803. Z u S e i t e 14: 1 ) Vgl. H. Grimm, Goethe, 5. Auflage, 465. „ E s war für Goethe die günstigste Fügung, daß in der zweiten Hälfte seines Lebens ein Mann wie Humboldt neben ihm herging. Man könnte diesen einen Fürsten der Kritik nennen. Niemals . . . sind große Dichtungen in der Art durch gleichzeitiges Urteil erklärt worden, wie Schillers und Goethes letzte Werke durch Humboldt. Ihm ist es zu verdanken, . . . daß von den 90er Jahren an über alles, was Schiller und Goethe produzierten, sofort in der würdigsten Weise bei uns geurteilt wurde. Humboldt hat verhindert, daß der brillanteste, geistreichste der kritischen Schriftsteller jener Tage, der zugleich aber unzuverlässig, launisch und eitel war, nicht emporkommen konnte als maßgebender Urteilspender: A. W. Schlegel. Humboldt hat Goethes und Schillers Werke zuerst eigentlich auch dem deutschen Gelehrten und Philologen vermittelt, und um seine bedeutendste Leistung zuletzt zu nennen... er ist ihnen bei der stilistischen Vollendung ihrer Werke behilflich gewesen. Es gab keine sprachliche Feinheit, die ihm entgangen wäre. Unermüdlich nimmt er das Neue entgegen und hält das Alte in erneuter Betrachtung fest." Ahnlich urteilt Th. Mommsen in seiner Leibniz-Ansprache von 1883: „Ohnegleichen wie der D i c h t e r Goethe ist auch der L e s e r W. v. Humboldt; es ist wohl in der Geschichte der Literatur weiterhin nicht dagewesen, daß der Schöpfung des klassischen Werkes die volle Würdigung so unmittelbar nachfolgte, wie dies bei Hermann und Dorothea geschehen ist". Reden u.Aufsätze. 1905,8. 119. Als Beispiel von Humboldts kritischer Teilnahme am künstlerischen Schaffen sowohl Schillers wie Goethes seien genannt Humboldts Brief an Goethe über die Idylle „Alexis und Dora", Geiger S. 18/21, über „Hermann und Dorothea", ib. S. 32/35, 40/41; an Schiller über Inhalt und Versmaß verschiedener Gedichte. Leitzmann, Brief v. 3 1 . August 1795, S. 1 0 5 / 1 1 5 . — Ferner die großen Briefe Nr. 3, 5, 26, 28 und 31 bei Ebrard. Zur Würdigung

Anmerkungen.

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seiner ästhetischen Kritik durch Schiller und Goethe vgl. die von Leitzmann beigebrachten Belege G. S. II, 404; ferner Humboldt an Goethe, Geiger S. 49.

Z u S e i t e 16: i) T. B. II, 538. -

Zweites Kapitel. ») T. B. II, 456.

Z u S e i t e 18: ') Über die geistige Situation der Berliner Aufklärung vgl. auch die glänzende Schilderung bei Haym, S. 3 ff. — Von der philosophischen Unterrichtsmethode Engels, dessen Vorträge durch zwei Semester 1785 bis 17816 von Humboldt gehört wurden, geben die Ausarbeitungen Humboldts mit den Korrekturen Engels eine anschauliche Probe. G. S. VII, 2, 361—464. Vgl. dazu die aufschlußreichen Ausführungen Leitzmanns, ib. S. 465/8. L. sieht in dem Vorwiegen der logischen Untersuchungen die Gelegenheit, wo „die Schärfe der dialektischen Kraft zuerst geschliffen wurde, die die Bewunderung der Zeitgenossen wurde." *) Vgl. Humboldts Briefe an die Herz, in denen auch des Gegensatzes zu Alexanders Art, das Leben zu nehmen, Erwähnung geschieht; Varnhagen I, S. 22 ff. 75 ff. — Vgl. die auf gleichen Quellen beruhende, doch ganz anders wertende Darstellung bei Leitzmann, Wilhelm von Humboldt usw., S. 8—11. — Der Unterschied zwischen der Auffassung Leitzmanns, und zu großen Teilen auch der Sprangers, und der von mir gegebenen Darstellung, besteht wohl darin, daß dort den Selbstaussagen Humboldts, welche viel ideologische Wunschelemente enthalten, für die reale Persönlichkeit dieselbe Geltung beigelegt wird, welche hier zunächst nur den Selbstaussagen mit konstatierendem Gehalt zugestanden ist. Wie diese Elemente im einzelnen verteilt und gemischt, wie sie zu bewerten sind, darüber wird wohl stets Meinungsverschiedenheit bleiben, gemäß der verschiedenen Grundstellung zu den Geltungen des Lebens. Z u S e i t e 19: ') Der Braut gesteht er bald, daß die Anhänglichkeit an die Bücherweit „entstanden sei aus Bitterkeit gegen die Menschen". Bf. I, 134. — „Das Traumreich": „das Glück, das die süße Wehmut gewährt", Bf. I, Bo; vgl. 380/1, 393 und öfter; ferner die Briefe an die Herz. — „Romantischer" Waldwinkel: T. B. I, 39, September 1788 spricht Humboldt von dem „wenn nicht schönen, doch r o m a n t i s c h e n Anblick" mittelalterlicher Stadtbilder. *) Varnhagen I, S. 38. — ») Ebenda S. 69 ff. 4) T. B. I, 93 „an diesem Steigen und Fallen in meinem Selbstgefühl leide ich ewig". Vgl. ib. 89; wie stark die Depressionen der Einsamkeit und wie heftig der Umschwung im Gefühl, anderen etwas zu bedeuten, gewesen sein müssen, beweist folgende Stelle eines Briefes an die „Verbündeten" auch dann, wenn die Sprache der Empfindsamkeit in Anschlag gebracht wird. „Du bist glücklicher durch mich geworden, sagst Dul O sag das nicht, ich kanns, ich vermags nicht zu fassen. Es ist, als wollte mein Herz zerspringen, wenn ich den Gedanken nur denke. Und ich kann ihn nicht denken. Er hebt mich zu einer Höhe empor,

442

Anmerkungen. vor der mich schwindelt. Oder nein, sag es mir oft, sag es mir immer. E s wird meiner Seele wieder Ton, meinem Herzen wieder Kraft geben." 9. Mai 1788, Varahagen I, S. 93. „Überhaupt stelle ich mich mir selbst unter keinem Bilde so oft vor, als unter dem Bilde einer tönenden Schelle." T . B . I, 89, 1789. — „Die meisten M e n s c h e n . . . waren mir nur soweit lieb, als ich an ihnen lernen konnte. E s war eine tötende Gleichgiltigkeit in mir." Bf. I, 258.

Z u S e i t e 20: Viel habe es ihn gekostet, den von Caroline Wolzogen so schön ausgedrückten Grundsatz: „ F ü r den, der sein Glück im Genießen und nicht im Wirken sucht, muß dieses Leben unausfüllbare Leeren haben!" — anzuerkennen. „Aber jetzt steht er mir immer vor Augen, jetzt strebe ich rastlos, danach zu handeln" usw. Bf. I, 1 2 / 1 3 . Januar 1789. *) Varahagen I, S. 29, 1787. Wie tief diese „Sehnsucht nach Liebe" in Humboldt wurzelte, beweist ein Satz aus einer Ausarbeitung „über die E h e " , welche er im J a h r 1785/86 für seinen juristischen Lehrer, den Kammergerichtsrat Klein, anfertigte: „Denn auch Bedürfnisse des Geistes und Herzens gibt es, die aus dem Unterschied beider Geschlechter entspringen. Der ernstere, rauhere Mann fühlt das Bedürfnis, mit dem biegsameren, sanfteren weiblichen Geschlecht umzugehen . . . Jeder Mensch sehnt sich, nach einem ihm natürlichen Triebe, seine Empfindungen und seine Wünsche anderen mitzuteilen... Zu einer T e i l n e h m u n g , . . . an den kleineren, unwichtigeren, die mehr durch den, der sie hat, als durch sie selbst interessieren, . . . ist die bloße Freundschaft zu ernst, zu kalt. Nur die Liebe ist dazu fähig, nur die Liebe nimmt an jeder, auch der unwichtigsten Begebenheit Anteil, sobald sie nur den geliebten Gegenstand angeht. Also auch hierin, und hierin vorzüglich, fühlt der Mann das Bedürfnis, sich mit einer Person des anderen Geschlechts zu verbinden. Alle diese Bedürfnisse nun, die aus dem Unterschied beider Geschlechter entspringen, soll die Ehe befriedigen, und zwar in dem höchsten möglichen Grade befriedigen." In einer Bemerkung dazu stellte Klein dem enthusiastischen Rechtsbeflissenen ein treffendes Horoskop: „Sie haben über die Ehe nicht nur gut räsonniert, sondern auch mit einer Wärme und einem Edelmut gesprochen, wozu ich Ihrer künf tigen Gattin im voraus Glück wünsche;" G. S. V I I , 2, 477. Z u S e i t e 21: T. B. I, 532, 3. Juli 1798. — Vgl. die Aussagen Humboldts über sein „Traumreich": B f . I., 3 8 0 / 8 1 ; 3 9 3 : „die Nächte geben mir die süßesten Freuden, nur in ihnen kann ich so ungeteilt der Vergangenheit leben." Sehr lehrreich sind die Bemerkungen Humboldts über Rousseaus „Traumleben", zu welchen ihm die Analyse der Confessions Gelegenheit gibt: so stellt er bei Rousseau fest: „Einbildungskraft, welche von der Wirklichkeit abführt und in der Idealität doch nur die Wirklichkeit verfolgt, die schlimmste von allen"; T . B. I, 602: „die fünfte Promenade ist seiner Liebe zur Ruhe und Träumerei gewidmet, und diese ist die göttlichste. Sein größtes Glück genoß er auf der Insel St. Pierre, wo er eigentlich bloß lebte, indem er müßig war," 607; Humboldt bewundert „das Glück dieser T r ä u m e " und bejaht diese Stimmung träumerischen Genießens mit leidenschaftlicher Teilnahme, vgl. noch S. 620. „ R ' s Ge-

Anmerkungen.

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dächtnis sah in der Vergangenheit nur das Süße ; e i n e m u n u n t e r n e h m e n d e n C h a r a k t e r e i g e n , weil die V e r g a n g e n h e i t n i c h t s m e h r z u t u n g i b t . * " S. 603: „ R . hatte mehr Begierde der Phantasie als der Sinne." S. 622: aus R ' s phantastischen Träumereien sei die Heloise entstanden; „immer also E m p f i n d u n g und Leidenschaft, immer dieselbe Unruhe, die ihn umtrieb. Wie diese mit der Indolenz verträglich ist? So sehr, d a ß sogar eine aus der andern entsteht". Das waren Urteile aus eigenster E r f a h r u n g ! 8 ) Bf. I, 81, 28. J a n u a r 1790. — „Die Menschheit ist nichts anderes als ich selbst", a n Brinckmann, 22. Oktober 1803. Vgl. dazu d a s Wort Rousseaus: „mais de quoi jouissai-je enfin quand j'étais seul? De moi, de l'Univers entier." Zit. nach Schmitt-Dorotic, Politische Romantik S. 110. ») T . B. I I , 455S e i t e 22: 1 ) „Der W a n d e r e r Humboldt ist noch bei uns, und erzählt uns zwar nicht mehr von der parisischen — nicht paradisischen Freiheit,-aber hilft uns doch das Leben würzen." Forster an Jacobi, 7. September 1789. Zit. Schlesier, I, 93. *) T . B. I, 118. 3 ) Humboldt a n Forster über den Mainzer Besuch: „Diese vierzehn T a g e waren vielleicht die glücklichsten meines ganzen Lebens, und noch jetzt macht ihre E r i n n e r u n g einen sehr großen Teil meines Genusses aus." An Forster, 28. September 1789. 4 ) Humboldt litt in seiner empfindsamen Zeit unter der Vorstellung häßlich zu sein, B r . a. d. Herz, S. 24 und passim. Vgl. die Anekdote mit dem Maler Isabey während des Wiener Kongresses: „I. hat sich gerächt, er hat mich ähnlich g e m a c h t . " S e i t e 23: 1 ) Vgl. die reizvolle Schilderung T. B. I, 9 ff. 2 ) Vgl. die Aufzeichnungen der Baskischen Reise von 1801, T . B. I I ; ferner das kürzlich veröffentlichte Buch Uber „Die Vasken". T3. S. X I I I , 1920. S e i t e 24: Uber seine Meisterschaft im Gespräch vgl. Gentz an Garve, Wittichen I, S. 198 ff. ») An Forster G. W. I, S. 82, 28. Oktober 1789; ib. S. 286. — •) Vgl. T . B. I, 155 ff. 4 ) ib. 158. — eine teilweise Bestätigung von Lavater bringt die späte Selbstanalyse von 1816, T . B. II, 459. S e i t e 25: i) Varnhagen I, S. 128. *) T . B. I, 157. 5 ) ib. 69. 9. Dezember 1788. 4 ) Varnhagen I, S. 123, 126; an Brinckmann 25. Oktober 1792.

Z u S e i t e 26: ' ) T . B. I, 158. „Meine entsetzliche Schwäche, mit der ich oft die absurdesten Meinungen, bloß weil sie Meinungen anderer sind, f ü r besser und richtiger halte als meine eigenen". 1789; T . B. II, 458/59. „Neig u n g im Äußeren anderen nachzugeben, die aus meiner S i c h e r h e i t . . .

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Anmerkungen. im Inneren . . . stammt"; „ich schwanke sehr leicht zwischen zwei Reihen von Ideen, so daß ich immer die andere für vorzüglicher halte, wenn ich im Begriff bin, die eine anzunehmen" (1816). — Schon im Beginn der Freundschaft mit der anspruchsvollen Herz muß Humboldt gegen den Verdacht der Unbeständigkeit sich verteidigen; Varnhagen I, S. 38/39. *) Die Klage über „innere Leere" häufig in den Brautbriefen, vgl. noch an Wolf, S. 47, 22. Mai 1793; T . B . 80; an Brinckmann, 22. Oktober 1803. „Ein gewisses Unvermögen, mich auf eigentlich interessante Art zu beschäftigen."

Z u S e i t e 27: Vgl. hierzu E. R. Curtius, Balzac, Bonn 1923, S. 126. *) Bf. II, 1 9 1 , 1804. ») Curtius 1. c. *) T. B. II, 452. Z u S e i t e 28: Hierzu die Briefe an die Herz, femer Schwenke 1. c. u. d. Brautbriefe. 8 ) Bf. II, 261, Rom, 9. Oktober 1804. 3 ) Der Inhalt der folgenden Seiten setzt die Darstellungen von Haym und Spranger, von Gebhardt, Harnack und Leitzmann im ganzen wie im einzelnen voraus. Was bei einer mehrjährigen Beschäftigung mit einem Gegenstand vom Arbeitsertrag der Vorgänger in den eigenen Besitz übergegangen ist, läßt sich im einzelnen nicht mehr scheiden und feststellen. Wo ich mir einer bestimmten Anregung, der Übernahme eines Gedankens oder eines Ausdrucks bewußt bin, kommt diese Tatsache in „der stillen Dankesformel des Zitats" (Spranger) zum Ausdruck. Meine Auffassung der Persönlichkeit Humboldts hat sich gebildet im Anschluß, in nicht geringem Grade aber auch im Widerspruch zu den genannten Darstellungen. So bleiben sie der selbstverständliche Ausgangspunkt meiner Untersuchung. Wie weit diese sich im einzelnen von der gemeinsamen Grundlage entfernt oder mit ihr übereinstimmt — dies durch wiederholten Hinweis festzustellen, halte ich nicht für meine Aufgabe. Jedoch darf hier wohl darauf verwiesen werden, daß auch heute noch das Buch Hayms als unerreicht und unerreichbar zu gelten hat. Denn die Kunst einer in manchem Betracht kongenialen Natur, den geistigen Gehalt jenes Lebens, verwoben mit seiner persönlichen Entwicklung, in gemeinsamer Überschau zur Anschauung zu bringen, wird nicht wieder erreicht werden. Andrerseits möchte ich es zum Ausdruck bringen, daß der pessimistische Grundton meiner Darstellung von Humboldts Charakter und Persönlichkeit im bewußten Gegensatz zu der Auffassung Hayms sowohl wie Sprangers und Harnacks steht. Im Gegensatz einmal zu der menschlichen Bewertung der Person und ihrer geschichtlichen Leistung; im Gegensatz ferner auch zu der Bewertung der an ihre individuelle Erscheinung anknüpfenden Lebensauffassung. Aber ich glaube damit dem „wirklichen" Humboldt um einen Schritt näher gekommen zu sein und ich hoffe, trotz des skizzenhaften Charakters des entworfenen Bildes auch andere von der Richtigkeit der Linienführung zu überzeugen. — Für die Verarbeitung der vielen Selbstzeugnisse habe ich mich warnen lassen durch Humboldts eigene Beobachtung: „man urteilt über sich selbst immer leichter schief als über einen anderen". Leitzmann, S. 3 1 6 (1803).

Anmerkungen.

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Z u S e i t e 29: i) Vgl. die Schilderung bei Haym, S. 8 ff. und Dove, S. 42 ff. *) cf. Spranger I, S. 46. 3 ) Köstiin-Kawerau, Luthers Leben I, 5. A., S. 551. Daß der hier vermutete Hintergrund von Sprangers Luther-Auffassung zutreffend ist, ergibt sich aus seinem Aufsatz „Luther", Kultur und Erziehung, 2. A. 192^, S. 30 ff. Besonders verwiesen sei auf S. 35, 40/41, 51, $4. Auch Max Lenz, I, S. 187 findet eine Verwandtschaft zwischen Luther und Humboldt, welche in sehr merkwürdigen Analogien von beider Gedankenwelt erwiesen werden soll. Einer der ersten Urheber dieser Urteilsverwirrung scheint Th. Mommsen zu sein — siehe dessen Leibniz-Ansprache von 1883: „Luther und die Brüder Humboldt", Reden und Aufsätze. 1905, S. 119. Übrigens gibt es gegen die von Spranger, Lenz und Mommsen bekundete Neigung zur Vergleichung inkommensurabler Größen einen „klassischen" Zeugen: Humboldt selbstI Am 31. Oktober 1813 betont er in einem Zusammenhang, welcher keinen Zweifel daran läßt, daß er seinen tiefen Gegensatz gegen jede Art von Christentum hervorheben will, wie er „seiner innersten Natur nach heidnisch" sei. Bf. IV, 157. Z u S e i t e 30: 1 ) Sein Schwanken ergibt sich aus mehreren Zeugnissen u. a. Br. I, 262, 2 77» 313; besonders noch im März 1791: „man hatte viel von mir gehofft, man brauche jetzt mehr wie je Leute von festerem Charakter nicht wahr, wir bleiben bei unserem Entschluß ? Wäre der Nutzen wirklich so groß, extensiv und intensiv, so nähme ich keinen Anstand, ihm die Glückseligkeit des unabhängigen Lebens... aufzuopfern. Das gewöhnliche Geschäftsleben kann beinah jeder ausfüllen, das ungewöhnliche ist selten und ungewiß." Bf. I, 431/32. *) In den ungedruckten Briefen an Brinckmann und ebenso in den Briefen an Wolf aus den Jahren 1792/94 klingen solche Gedanken häufig an. Z u S e i t e 31: ') An Brinckmann, Nr. 18, 23. Oktober 1792. *) Im Vergleich von Förster und Humboldt weist Haym, S. 38/39, darauf hin, daß „seine finanzielle Lage es Forster verwehrt haben würde, die Maximen seines Freundes über „das höchste Gesetz der wahren Moral" zu teilen. Dieses Moralgesetz war in der Tat ein sehr aristokratisches, oder eigentlicher zu reden, ein sehr timokratisches Gesetz. Jener war arm, und dieser war reich. Dieser Umstand . . . wirkte mit, um jenen zum Lobredner auf das Wirken für andere, diesem zum Lobredner auf das Wirken auf sich selbst zu machen", Haym betont ebenso S. 630, daß, wie für die Philosophie der Plato und Aristoteles die Sklaverei die Voraussetzung war, Humboldts Lebensansicht und Lebensführung seine „wohlhäbige Existenz" voraussetzte, ebenda S. 565: „Sein Humanismus ist wesentlich aristokratisch gefärbt." ®) Spranger, 1. c. *) Haym 64. 6 ) An Brinckmann Nr. 14, 24. September 1792. — Gentz hatte Humboldts Buch für gänzlich unverständlich erklärt und Humboldt gibt zu, daß das Urteil von Menschen, die ohne Rücksicht auf die Individualität des Raisonierenden urteilten, so ausfallen müsse; „denn das fühle ich selbst, daß

Anmerkungen.

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jedes Wort aus meiner tiefsten Individualität geschrieben ist, und gerade darum leugne ich nicht, daß die ganze Abhandlung, die ich als Schrift für mittelmäßig halte, einen großen Wert für mich hat". 27. September 1792. „Mein Bekenntnis darüber ist kurz und unerschütterlich. Meiner würdig ist das grüne Buch, denn ich lebe und webe auf jeder Seite, aber ein gutes Buch ist es nicht, und das werde ich nie s c h r e i b e n , . . . gedruckt soll es w e r d e n . . . weil der Gesichtspunkt richtig ist, und weil es Menschen geben kann, die ohne mich .persönlich zu kennen, doch Gefallen haben einen Menschen im Bilde zu sehen, der so ist und denkt, wie ich nun bin und denke." Nr. 21, 23. November 1792. „Wenn ich etwas arbeite, beseelt es mich ganz, mag es geraten wie es w i l l . . . Darum bin ich auch über das Schicksal meiner Produkte ruhig; wenn man schreibt, was man glaubt und fühlt, mag dann die Welt sich umkehren." Nr. 26, 8. Februar 1793. „Ich halte das Buch nicht allein für gut, sondern in seinen Hauptgesichtspunkten — warum sollte ich mich zieren — für neu und tief und so, daß gerade meine Wendung des Kopfes und Charakters dazu gehörten, um gewisse Dinge zu finden und darzustellen, eine Wendung, die, sie möchte an sich sein, wie sie wollte, doch vielleicht nicht so bald wiederkommt. Ich sehe daher das grüne Buch gar nicht wie ein anderes Buch an, vergleiche es mit keinem a n d e r e n . . . und alle Welt, nicht Gentz allein, möchte schreien, daß das Buch schlecht sei, so würde es meine Ruhe nicht stören." Z u S e i t e 32: G. S. I, 151. „Gleichgiltiger gegen äußeres Genießen und Entbehren blickt der innerlich Freie nur auf das rein Intellektuelle und Moralische hin, und kein Schicksal vermag etwas über das Innere seiner Seele. Sein Geist fühlt sich durch Selbstgenügsamkeit unabhängig, durch die Fülle seiner Ideen und das Bewußtsein seiner inneren Stärke über den Wandel der Dinge erhoben. Wenn er nun in seine Vergangenheit zurückgeht, Schritt vor Schritt aufsucht, wie er jedes Ereignis bald auf diese bald auf jene Weise benutzte, wie er nach und nach zu dem ward, was er jetzt ist, und wenn er so Ursache und Wirkung, Zweck und Mittel, alles in sich vereint sieht, und dann, voll des edelsten Stolzes, dessen endliche Wesen fähig sind, ausruft: Hast du nicht alles selbst vollendet, heiligglühend Herz ?" usw. ») G.

s. r, .74.

Z u S e i t e 33: 1) Varnhagen 1. c. 121. 2 ) Gentz an Brinckmann, Wittichen, II, 176; vgl. das Sonett Brinckmanns auf Humboldt, bei Leitzmann, Neue Briefe S. i24ff. An Brinckmann Nr. 16, 26. September 1792. „ E s ist sonderbar, daß ich das Interesse, mit dem ich selbst mich betrachte und beschaue, auch meinen Freunden einzuflößen gewußt habe, und daß sie mit mir übereinstimmen, daß meine Individualität dazu gemacht ist, sehr vielseitige Raisonnements daran zu k n ü p f e n . . . Vielleicht kommt es daher, daß ich immer so gestrebt habe, alle möglichen Erscheinungen in mich zu übertragen." E r habe nie nach dieser oder jener Höhe gestrebt, aber eigentlich nur „nach dem Auffassen der möglichst größten Menge von Gegenständen der Erkenntnis und der Empfindung getrachtet,... Mein wahres Studium

447

Anmerkungen.

ist Studium des Lebens gewesen, und wenn nicht die Latinität dem Ausdruck eine andere Bedeutung gäbe, wäre meine wahre Grabschrift: V i x i t . " Die ganze Naivität seiner Selbstbejahung zeigt folgende Stelle über Gentz: „er hat vieles in mir so wahr a u f g e f a ß t , er hängt mit so einer Achtung und W ä r m e an mir, d a ß mir schon das ihn wert macht, ihn solcher E m p f i n d u n g e n f ä h i g zu sehen." B f . I, 354, Januar 1791. 3 ) A n Brinckmann, 1. c . ; B f . II, 179, 1804. «) G. S. I, 165. *) 1. c. 168. Z u S e i t e 34: !) 1. c. 172.

*) 1. c. 173/74.

») 1. c. 166. «) 1. c. 163.

Z u S e i t e 35: Zit. nach H a y m , S. 9 9 ; dort S. 100 ein glänzender Vergleich zwischen Schiller und H u m b o l d t ; die Stelle über die Stael T . B . I, 532. ») Spranger I, 448. Z u S e i t e 36: 1 ) B f . I, 341 ff., 2 2 . - 2 4 . Dezember 1790. *.) B f . I, 270. 3) B f . V I , 336/37, 1818. Z u S e i t e 37: *) B f . I, 343/44. Im Mai 1791 wurde AI. nach einér bunten Studienzeit als Anwärter für das höhere B e r g f a c h in Preußen angenommen, seit Herbst 1792 als Oberbergmeister für Ansbach-Bayreuth angestellt. Dove, S. 88. ») 1. c. 344. cf. S. 271. Z u S e i t e 38: 1) 1. c. 345. 1. c. vgl. B f . I I I , 172, 1809: A . habe in der Jugend „immer nur so aus einzelnen Antrieben von E h r g e i z gearbeitet". ' ) v g l . oben S. 21, Bf. I, 345. Z u S e i t e 39: ») B f . I, 4 7 1 , 4772 ) A n Brinckmann, Nr. 27, 10. März 1793. 3 ) B f . II, 183, 1804, vgl. 252/53, 260. Humboldt an Mme. Stael, R o m , , 20. Juli 1805: „ I I n ' y a pas beaucoup de points de contact entre A . et moi. Son savoir et ses recherches le distraient trop selon moi de ce qui forme le véritable intérêt de la v i e " usw. Dtsche. Rundsch. Februar 1 9 1 7 , 258, 266. *) B f . V I , 46. 1817. Wahrscheinlich wußte AI. wenig anzufangen mit einer ,,Naturbetrachtung" wie dieser: „ d a ß die Pflanze, wenn sie hinwelkt, wenigstens g e w i ß ist, den Keim eines ihr gleichen Geschöpfes zu hinterlassen." G. S. I, 284. Zu

S e i t e 40: 1 ) G. S. IX, S. 421, N r . 1043; mit Leitzmann, Humboldts Sonettdichtung, S. 103. A. halte ich die Beziehung des Sonetts auf Alexander für einwandfrei. V g l . zum Ganzen meinen Aufsatz „ D i e Brüder von Humb o l d t " . H. Z . 116.

Z u S e i t e 41: A n Brinckmann, Nr. 27. *) V g l . Buch I, S . *) A n Brinckmann, 1. c. s ) G. S. I, 281.

12.

s)

G. S. I,

283.

448

Anmerkungen. Den inneren Zusammenhang zwischen der Charakterisierung Alexanders und der „Theorie der Bildung" hat bereits Spranger, II, S. 57 festgestellt; vgl. dazu Dove, 1. c. S. 91, 94, besonders S. 57. *) Vgl. G. S. I, 285: „was also der Mensch notwendig braucht, ist bloß ein Gegenstand, der die Wechselwirkung seiner Empfänglichkeit mit seiner Selbsttätigkeit möglich macht. Allein wenn dieser Gegenstand genügen soll, sein ganzes Wesen in seiner vollen Stärke und in seiner Einheit zu beschäftigen, so muß er der Gegenstand schlechthin, die Welt sein, oder doch (denn dieses ist eigentlich allein richtig) als solche betrachtet werden." ») G. S. IX, S. 429, Nr. 1089.

Z u S e i t e 43: i) Daß es mit der Allgemeingültigkeit seiner Theorie nicht zum besten bestellt sei, ist Humboldt schon bei der Niederschrift seines Werkes nicht gänzlich entgangen. Deswegen nimmt er Gelegenheit, sich zu verteidigen gegen den Vorwurf, nur den „interessanten" Menschen vor Augen zu haben. E r versichert „den größeren Haufen keineswegs zu übersehen, und es scheint mir unedel, überall da, wo es die Menschheit ist, welche die Untersuchung beschäftigt, nicht von den höchsten Gesichtspunkten auszugehen". G. S. I, 156, 162. ' ) An Brinckmann, Nr. 18, 23. Oktober 1792. 8 ) Haym, 35; vgl. Doves Formulierung: „Egoist, wiewohl in edelster Gestalt, Epikuräer, wenn auch von feinstem Korn, nahm er dem Schicksal, das ihn bisher verwöhnt, gewissermaßen die Arbeit seiner ferneren Verwöhnung ab." 1. c. 45/46. Z u S e i t e 44: G. S. I, 162 ff. Besonders in dem Abschnitt über die Religion. *) G. S. I, 159. „Die Tugend stimmt so sehr mit den ursprünglichen Neigungen des Menschen überein, die Gefühle der Liebe, der Verträglichkeit, der Gerechtigkeit haben so etwas Süßes, die der uneigennützigen Tätigkeit, der Aufopferung für andere so etwas Erhebendes, die Verhältnisse, welche daraus im häuslichen und gesellschaftlichen Leben entspringen, sind so beglückend, daß es weit weniger notwendig ist, neue Triebfedern zu tugendhaften Handlungen hervorzurufen, als nur denen, welche schon selber in der Seele liegen, freiere und ungehinderte Wirksamkeit zu schaffen." 1. c. 178. Ferner S. 153. Bei der optimistischen Vorstellung von der Güte der Wilden wird man an des befreundeten Forster in der Südsee gewachsene utopische Ideen sich erinnern. ») T. B. I, 93, 24. Juli 1789; G. S. III, 203. *) T . B . I, S. 90. An Brinckmann, 27. Dezember 1792: „Ich lebe in mir und für mich, nichts Äußeres wirkt mehr auf mich"; vgl. Bf. I, 40, bei dem Lesen des „Werther" der Stolz, seinen Gefühlen „nichts Fremdes beigemischt zu haben". An Forster, 8. Februar 1790, G. W. I, 289: „Ich werde dessen nicht leugnen, wirklich in meinem Handeln fester und in meiner Gleichmütigkeit sicherer zu sein, als alle anderen, die ich bis jetzt sah". An Brinckmann, 26. September 1792. Nr. 16. In philosophischer Betrachtung und Fassung findet dieser Tatbestand folgende Belichtimg. Die Fortführung der Kantischen Ethik durch das

Anmerkungen.

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ästhetische Gedankenelement bei Humboldt „versteht man nur dann, wenn man erwägt, daß Humboldt die Individualität als ein Sein von selbständigem Recht ansieht, nicht als etwas, das durch Begriff zu vernichten oder auch nur zu fassen wäre. Deshalb ist nun auch das wirklich Sittliche immer und notwendig ästhetischer Natur, weil es immer und notwendig das unkonstruierbare allgemeine Gesetz in einer konkreten Anschauung darstellt. Nachdem dieser Gedanke einmal gedacht ist, ergibt sich daraus die grandiose Konsequenz: die Normativität eines ethischen Standpunktes ist wie die einer künstlerischen Schöpfung nicht a priori demonstrierbar, sondern sie ist damit gegeben, d a ß — wie er selbst an der Pforte seiner Selbstbildungsära ahnt, — ein solcher Mensch einmal da ist. Darin allein liegt die Genialität der ethischen Produktion". Vgl. Spranger I, S. 405; „Selbstzweck des Menschen und Humanitätsidee", vgl. die Ausführungen Sprangers S. 433 ff., besonders 441; S. 437 spricht Spranger vom „extremen Individualismus" Humboldts. Z u S e i t e 45: Die Stelle im Brief an die Motherby vom 1. Mai 1813, Meisner, S- 57- Vgl. dazu, was Martin Buber, „Ich und Du", 1923, S. 77, sagt: „Das Eigenwesen schlemmt an seinem Sonderdasein... Sich erkennen, bedeutet ihm im Grunde zumeist: eine geltungskräftige und es selbst immer . . . täuschende Selbs.t e r s c h e i n u n g herstellen, dessen wirkliche es zur Selbstvernichtung oder zur Wiedergeburt führen würde. . . . Das Eigenwesen nimmt an keiner Wirklichkeit teil und gewinnt keine." Z u S e i t e 46: l ) Vamhagen I, S. 119, die Auslassung Uber die „natürliche Religion"; Bf. I, 39, der dankbare Aufblick zum „gütigen Vater"; „Vater des Alls", Schwenke, 240. — Vgl. Spranger, S. 456: „Für unsere Klassiker gab es in der Tat keine anderen Perioden als die Griechen und die Gegenwart". Sollte nicht Goethe, zum wenigsten nach der Seite der Kunstgeschichte hin, von dieser apodiktischen Feststellung auszunehmen sein ? — Für den jungen Humboldt war das Mittelalter „von tiefster Barbarei überdeckt", G. S. I, 82. Sehr wichtig für Humboldts Beurteilung des Christentums: an Goethe, 23. August 1804, Geiger, S. 184/85. «) T. B. I, 60/61. 3) T . B. II, S. 8. Z u S e i t e 47: 1) T. B. I, 579/80. 2 ) Wittichen II, S. 37. Der Vorwurf der Unwissenheit scheint gewirkt zu haben; denn in G. S. VII, 2, S. 571 ff. finden sich Auszüge aus englischen Publizisten des 17. Jahrhunderts, u. a. Alg. Sidney. s ) Vgl. die Briefe aus dem Winter 1788/89 bei Schwenke. Die Berliner Damen waren überhaupt mißtrauisch gegen das Fräulein v. Dacheröden, cf. Bf. I, 83, 95, 109. 4 ) Der Aufsatz „Über Religion" von 1789, welcher großenteils den Inhalt der Ideen von 1792 vorausnimmt, G. S. I, 44 ff., beweist die Richtigkeit dieser Behauptung; besonders die Gegenüberstellung der antiken und modernen Religion als „Zwangs- und Bildungsmittel", S. 52; ferner Kiehler,

Humboldt.

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Anmerkungen. das Gespräch über Religion mit Jacobi, i. November 1788, T. B. I, 60, welches zeigt, wie er nur Verständnis für einen logischen Gottesbegriff „als ordnende Ursache des Ganzen" besitzt. S e i t e 48: i) T. B. I, 580. *) Gentz an Brinckmann, Wittichen II, S. 39, 1793. 3 ) An Brinckmann Nr. 38, 14. September 1794. — Vgl. T. B. I, 593: „Der große Geschmack an allen Gewissenbissen, der in allen neueren französischen Produkten so sehr herrscht, ist ein Zeichen zugleich der Verderbnis der Sitten, und der Abspannung der geistigen Kraft." S e i t e 49: *) Bf. III, 201, 223/25, 1809. — Das Harfnerlied wird in ähnlichem Zusammenhang von Frau v. Humboldt schon zitiert, Bf. II, 57, 1797. *) An Brinckmann, Nr. 26, 8. Februar 1793. S e i t e 50: 1 ) Bf. VI, 134/35, 1818. — Die Ausführungen sind veranlaßt durch die Nachricht von einem durch Unachtsamkeit begünstigten Hausdiebstahl; und gerade, daß der geringfügige Anlaß sie auslöst, beweist die selbstverständliche Einordnung dieser Gedanken in seine Lebensanschauung. Sie wachsen auf einem ganz anderen Boden als etwa Goethes „gereimter Spruch": „Nichts taugt Ungeduld, noch weniger Reue; Diese vermehrt die Schuld, jene schafft neue." Dazu die Selbstanalyse von 1789, T. B. I, S. 80: „Doch kann ich es lieben, möcht' ichs nicht ändern". Diese Ablehnung der „Reue", d.h. des Gefühls, überhaupt Unrecht haben zu können, wird ergänzt durch einen auffälligen Mangel an „Verpflichtungsgefühlen", gegenüber Menschen seines Lebenskreises. Humboldts spätere Urteile über Henr. Herz z. B. sind hier zu nennen. Auch die Art, wie das zum Tode führende Leiden der alten Frau v. Humboldt als störender Vorfall für seine Stimmung und seine Pläne in den Jahren 1795/96 in den Briefen an Schiller Erwähnung findet, zeigt, wie schwer es ihm wurde, solchen Anforderungen zu genügen; Leitzmann, 126/27, 143/44, 180; Ebrard, 4'» 7°, 93, 102, 114; vgl. dazu den Bericht bei Burgsdorff, S. 51. 2 ) Vgl. Lütgert, Idealismus I, 120. Dazu Bf. IV, 157, 158 über die „Entzweiung des Menschen in sich selbst", welche „die furchtbar wehmütigen Bildungen des Christentums" nach dem glücklichen, davon noch unberührten Altertum hervorgebracht hat (1813). S e i t e 51: G. S. I, S. 126. — 1792. S e i t e 52: !) 28. Dezember 1801, bei Wentzel, S. 877 ff. s ) Der älteste Sohn Wilhelm starb am 15. August 1803 in Larricia bei Rom am Typhus; Humboldt an Schiller, 27. August 1803, Leitzmann, S. 302 ff., besonders 306/07; an Schweighäuser, 24. August, S. 84 ff., hier zitiert Humboldt die Ilias: TÖV 8k 4>otßo(. intqpvtv toic ¿yoivolf ßsXitooiv; an Goethe 25. Februar 1804, Geiget- S. 104; der von Gentz erwähnte Brief ist leider nicht erhalten. Eine Zusammenstellung dieser Brief-

Anmerkungen.

451

stellen würde wohl auch heute noch einen „gespensterartigen" Eindruck auf den Leser machen. 3 ) Caroline v. Humboldt an Charlotte Schiller, 17. September 1803, Fielitz, II, S. 191 f f . ; ferner der Brief vom 28. Februar 1808 nach dem Tode des dritten Kindes, mit der erschütternden Anklage des Schicksals: „es hat mir Unrecht getan", 1. c. 204 ff. «) Wittichen II, 176, November 1803. — „Ich habe durch diesen Verlust eine neue Erfahrung gemacht. Es war mein erster und hat eine Änderung in meinen Ansichten hervorgebracht, weil er mir zuerst eine anschauliche Idee vom Tode gegeben hat, der bis dahin ganz aus dem Felde meiner Gedanken lag." An Goethe, 25. Februar 1804, Geiger, 170. 6) Bf. II, 134, März 1804. Z u S e i t e 53: *) Bf. II, 179, Juni 1804.: „das Leben spricht sich immer nur in der steten Reihe von unaufgefordert emporkommenden Empfindungen aus, immer nur recht da, wo man ohne alles bestimmte Treiben nichts will als leben, als genießen und auf sich wirken lassen, und wieder bloß einwirken durch das, was man von selbst und ohne einzelne Anstrengung ist". Bf. III, 336/37. 2 ) 1. c. 1 7 1 , Mai 1804. — Bf. III, 193/94, 1810. ®) 1. c. 246, Sept. 1804: „Aller wahrer Schmerz ist nur eine Dumpfheit, die sich nach der Freiheit sehnt, d e r e n . . . ungestörter Genuß sie mit Sicherheit ahndet". Bf. III, 33, 1808; zu dem gleichen Thema S. 265, 275, 1809; vgl. Caroline: „Das Großmenschliche erblüht einzig nur d a . . . wo der Mensch sich weder im Genuß des Glückes noch des Schmerzes schont". Bf. II, 146, April 1804. Z u S e i t e 54: Vgl. oben S. 23. ») Schlegels Luzinde, 1799, S. 264 („Reflexion"). 3 ) An Brinckmann, 24. November 1792: „Ich weiß nicht, woher es kommt, daß Gentz und Sie einen übermenschlichen Maßstab versuchen, um mich zumessen"; 27. Dezember 1792; „Überhaupt bin ich schon seit Jahren auf dem Punkt, daß nichts Äußeres mehr auf mich wirkt, ich lebe in mir und für mich, und mit jedem Tage nimmt die Einsamkeit zu"; 28. Februar 1793: „Mir haben viele zusammenkommende Umstände vieles gegeben, was mich ewig von allen anderen Menschen unterscheiden wird. Das ist eigentlich bei allen Menschen der Fall, daß jeder originell in sich ist. Aber das Individuelle meiner Individualität ist, daß sie so am Tage liegt. . . . Das weiß ich gewiß, wenn ich einen Eindruck mache, ist es ein bleibender". 26. September 1792: „Ich werde denn nicht leugnen, in meinem Handeln fester und in meiner Gleichmütigkeit sicherer zu sein, als alle, die ich bisher sah". Z u S e i t e 55: l ) An Brinckmann, Wittichen II, 270; an Garve, 1. c. I, 199 ff. — Wer diese enthusiastische Schilderung vergleicht mit den Selbstbekundungen Humboldts aus dieser Zeit, wird beobachten, wie er seine eigene Auffassung von sich bis zur Gleichförmigkeit des Wortlauts Gentz, welcher sich selbst wohl „an Empfänglichkeit das erste aller Weiber" nannte, zu suggerieren verstanden hat. Vgl. Bf. I, 419/20, Humboldts herablassende Hinnahme dieser bewundernden Freundschaft. — Vgl. ferner 29*

Anmerkungen. Humboldt an Brinckmann, 10. Oktober 1792. Burgsdorff an Brinckmann, 25. Oktober 1796. Neue Briefe, S. 130 ff., 137. ' ) 1. c. S. 206. — Soweit Julius ein Repräsentant Schlegels ist, kann man auch von ihm sagen, daß er damals, verglichen mit Humboldt, erfolgreich gearbeitet hat. Ein so warmer Bewunderer Humboldts, wie Gentz, fand doch von Schlegels „Geschichte der Poesie der Griechen und Römer": „Das ist freilich mehr wie Humboldt". Wittichen II, 54. s ) An Wolf, 1. c. S. 5, 1. Dez. 1792; 132, 135, 175; „Es fehlt mir am kritischen Mißtrauen. Ich bin in der Kritik und vielleicht leider nur da, zu gutmütig". 1795. — Humboldt war überhaupt ganz unsicher in dieser Zeit. So klagt er im August 179$ von Tegel aus darüber, er habe sich zu sehr gewöhnt „an das gesellschaftliche Denken, daß mir bei längerer Entfernung (sc. von Jena) für meinen Ideenvorrat bang werden würde. Desto mehr nehme ich meine Zuflucht zu Erinnerungen und bringe den besten Teil meiner Zeit in Gedanken bei Ihnen zu". Leitzmann, S. 65.: „zum Arbeiten bin ich wenig gekommen", 1. c. 63, Juli 1795; v gl- die Zeichen seines Mißmuts und fehlender „Stimmung" zur Produktion I.e. 3®/3'» 4^, 45* &9> M4> 160. Vgl. an Körner, S. 34/36, 10. Dezember 1794, Humboldts eindringliche Klage über die eigene Arbeitsmethode; die „Begeisterung für den Stoff" führte ihn dazu, die Form zu vernachlässigen. Daher stellten sich beim Reden „zu schnelle" und beim Schreiben „holpriche" Übergänge von einem Gedanken zum anderen ein. Auch seien seine Ausführungen immer zu subjektiv gehalten. Darum zweifle er sehr, ob er „zum Schreiben" bestimmt sei. Ahnlich später über die Mängel seiner Produktivität. Er schreibt höchst ungern etwas über die Griechen. „Sie sind mir zu heilig, um sie anders als mit einer gewissen Würde zu nennen. Man muß es erst verdienen, von ihnen reden zu dürfen. Ich habe gewisse Pläne mit ihnen, die aber freilich eben wegen ihrer Größe vielleicht ewig Pläne bleiben. . . . Wer von den Griechen spricht, versündigt sich leicht an der Vorwelt, oder der Nachwelt, und wem die Menschheit heilig ist, soll keins von beiden tun. Andernteils ists überhaupt mit meiner Schriftstellerei ein armselig Ding. Ich gehe immer durch eigentlichen Selbstzwang mit Furcht und Besorgnis daran. Wenn ich mich hinsetze, halte ich die Zeit schon für verloren, weil mir nur selten etwas auch nur halb gelingt. Ich schreibe mit sehr vieler Mühe. Auch liegt der Fehler tiefer. Das Lernen und Wissen hat für mich zuviel Reiz und zu große Wichtigkeit. Ich versäume wenn nicht das Denken überhaupt, doch das recht deutlich auseinandersetzende Denken darüber, was zum Schreiben notwendig gehört und was man nur durch das Schreiben gewinnt". An Körner, S. 45/46. 1. August 1795. S e i t e 56: An Brinckmann, Nr. 18, 23. Oktober 1792; an Wolf, S. 47, 1793. — Auch mit den Übersetzungsversuchen konnte er nicht zufrieden sein: „Selbst für einen Übersetzer habe ich zu wenig Dichteranlage". Leitzmann, S. 205, 1795. Es kann nicht überraschen, daß der Ausblick auf die Berge von Arbeit, welche sein Trieb zu umfassenden Programmen auf Humboldts Weg häufte, ihn.bedrücken und erschrecken mußte. Er gab sich der trügerischen Hoffnung hin, bei der geplanten Charakteristik des 18. Jahrhunderts durch eine geschickt angewendete Methode

Anmerkungen.

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der Nötigung zu entgehen, „seine Aufmerksamkeit auf eine Menge verschiedener und einzelner Gegenstände zerstreuen zu müssen"; besonders schreckte ihn die Aussicht, bei einer eingehenden Schilderung des Altertums „eine so große Menge historischer Umstände beibringen zu müssen"; er hoffte, diesen Zwang durch eine philosophisch-konstruktive Schilderung der Modernen, welche, wie in der Form einer Hegeischen Synthese, bereits „die Alten" im Gegensatz beider Epochen in sich enthalten müsse, umgehen zu können. An Schiller, Ii. Juni 1796, Ebrard, S. 80 ff., besonders S. 84/85. 2 ) Spranger hat zuerst auf diese innere Krise in Humboldts Entwicklung aufmerksam gemacht, I, S. 58/59. 3 ) T. B. II, 4 5 1 , 457; vgl. an Wolf, S. 66, 1793: „bei so großer Lust zum Sprechen habe ich wenig zum Schreiben"; neben den Graecis werden anatomische Studien getrieben, I . e . 117, 1794. Im Sommer und Herbst 1795 hat Humboldt auch Versuche „über die Dauer der Muskelreizbarkeit durch den galvanischen Versuch" mit Experimenten an sezierten Fröschen unternommen, welche in Alexanders 1797 erschienener Schrift „Versuche über die gereizte Muskel- und Nervenfaser" Erwähnung gefunden haben. Zusammen mit AI. interessierte er sich damals für Goethes Studium der vergleichenden Knochenlehre. Vgl. Leitzmanns Angaben G. S. VII, 2, 580. — Auch die englische Publizistik des 17. Jahrhunderts hat er damals studiert, wie Auszüge aus Algernon Sidney, James Harrington und Locke beweisen. G. S. VII, 2, 570 ff. Vgl. dazu den oben angeführten Vorwurf von Gentz. Z u S e i t e 57: ') Haym, S. 100. — An Schiller, Wien, 4. November 1797, Ebrard, 157 ff. Vgl. schon 1796 seinen Wunsch, „seine Materie nicht bloß für sich, sondern eigentlich für den Leser durchzuführen", Ebrard, S. 82/83. Der objektive Eindruck seiner Verstimmung in der letzten Jenenser Zeit spiegelt sich in den Briefen Burgsdorffs, Herbst 1796, besonders S. 50, 56, 59; Häuslichkeit und Lebensweise des dortigen Kreises geschildert S. 69. „Ihm wird nicht leicht das Schöne der Kunst und Natur den Umgang des ideenreichsten Menschen ersetzen. . . . Der männliche Verstand übt sich gewiß nicht tätiger, als wenn er im geistvollen Gespräch sich wehren und angreifen muß". Z u S e i t e 58: An Brinckmann, 14. September 1794, Nr. 38; an Wolf, S. 167 ff. 1 7 3 . — Die Urteile, welche seine Freunde Schiller und Körner über ihn austauschten, fielen weit weniger enthusiastisch aus, als die Bewunderung der Berliner Freunde es gewesen war. „Überhaupt habe ich bei Humboldt noch wenig Genialisches gefunden, aber Gefühl für allerlei Art von Vortrefflichkeit und Empfänglichkeit für große und vielumfassende Ideen". (1793.) Kömer an Schiller, bei Jonas, Schillers Briefe, Bd. VII, S. 395; -Schiller an Kömer: „Humboldt hat zwar vor Dir sehr viel an einer gewissen Leichtigkeit voraus, die man sich in seinen Verhältnissen leichter erwerben kann; aber was er auf der Oberfläche gegen Dich gewinnt, das gewinnst Du reichlich gegen Ihn an Tiefe" (ib. 397) ' 794- Das war wohl eine gewisse Verkennung von Humboldts

Anmerkungen.

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Bedeutung, aber das Urteil war schon sehr viel milder geworden, verglichen mit der Beurteilung nach der ersten B e g e g n u n g beider im Januar 1790. D a m a l s wollte Schiller ihm „viel Fläche und wenig T i e f e zutrauen". E r vermißte an ihm „ d i e Stille der Seele, die ihren Gegenstand mit Liebe p f l e g t " (ib. 394)E s war diese Einschätzung ein Spiegel der zerfahrenen Stimmung Humboldts in der Epoche seiner Verlobung, die wir näher kennen lernen werden. Sehr schön ist f o l g e n d e Charakterisierung nach dem jahrelangen Austausch: „ Z u m U m g a n g ist Humboldt auch recht eigentlich qualifiziert; er hat ein seltenes reines Interesse an der Sache, weckt jede schlummernde Idee, nötigt zur schärfsten Bestimmtheit, verwahrt dabei vor der Einseitigkeit, und vergilt jede Mühe, die man anwendet, um sich deutlich zu machen, durch die seltene Geschicklichkeit, die Gedanken des anderen aufzufassen und zu p r ü f e n " . Schiller an Körner, 1797, ib. 397.

Zu

Zu

Drittes Kapitel. S e i t e $9: *) V g l . gelegentliche aufschlußreiche Ausgabennotizen in den T a g e büchern. Vor der Verheiratung berechnete Humboldt seine jährlichen Einkünfte aus e i g e n e m Vermögen auf 1100—1200 T h a l e r ; er glaubte, mit 1600—1800 Thalern den Haushalt bestreiten zu können; u n t e r 1500 T h a l e r würden die gemeinsamen Mittel nicht heruntersinken. Bf. I, 101, 346; Dezember 1790. Nach Dove, 1. c. S. 98 würde Humboldts mütterliches Erbteil sich auf etwa 200 000 Thaler gestellt haben. Die Urteile über Alexanders schlechte Finanzwirtschaft, z. B. B f . II, 238; B f . I I I , 107, 131, 152, 324. Über den Zuschnitt d e s Humboldtschen Haushalts in Jena .im Herbst 1796 berichtet B u r g s d o r f f , der als Hausgast dort wohnte, von „sehr schönem silbernen Waschgeschirr und seidenen B e t t d e c k e n " ; besonders wird hervorgehoben, d a ß „guter K a f f e e und T e e hübsche Zeitabschnitte im Nachmittag machen", — B u r g s d o r f f , S. 50/51 — was damals ganz moderne Lebenshaltung bedeutete. Nach einer allerdings reichlich summarischen Berechnung B u r g s d o r f f s , S. 1 5 1 , würde Humboldts Haushalt monatlich rund 250 Reichsthaler gekostet haben, und zwar in Paris zur Zeit der Assignaten nicht mehr als in Jena, S. 132. Varnhagen und nicht er allein hat Humboldt übrigens für schlechthin geizig ausgegeben; vgl. die Retouche dieser Behauptung durch Alexander in „ B r i e f e von Alexander v. Humboldt an V a m h a g e n , " 2. A. 1860, S. 50. s ) V g l . Humboldt an Schiller, 25. Juni 1797: „ D a s eigentlich Künstlerische muß ich g a r sehr zur Seite liegen lassen", Ebrard, 127. S e i t e 61 ' ) Deutsche Revue 25, 1900, S. 71. — An der Auswahl der Antikensammlung in T e g e l „erkennt man doch sehr a u f f ä l l i g den Z u g nervöser reizbarer Sinnlichkeit, der dem wunderbaren Menschen eigen war. Diesen Z u g vertuschen seine Biographien immer, und er gehört doch zu dem Bilde des M a n n e s " , dessen „sonnige heidnische Heiterkeit" T r . damals bewunderte. Treitschke, Briefe III, 31 (25. Juli 1866, an die Braut). ») H a y m , S. 35.

Z u S e i t e 62: !) Spranger I, S. 81/82.

Anmerkungen.

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Z u S e i t e 63: *) Über Metternichs Einstellung zu diesen Dingen vgl. jetzt H. v. Srbik, Metternich, I, 1925, S. 237 ff. Hervorzuheben aus der anschaulichen Schilderung ist der Unterschied im Typus beider Männer: der „Wirklichkeitsmensch Metternich sucht sich selbst in der Geliebten, sie soll sein Ich widerspiegeln" (S. 240); — es ist die naive Ichsucht gegenüber dem verfeinerten und reflektierenden Egoismus Humboldts; aber jener naive Egoismus bedingt offenbar auch das Gelingen im menschlichen Handeln. *) Vgl. oben S. 20. 3 ) 1. c. 207. — Den Hinweis auf die Ähnlichkeit mit den Helden der friihromantischen Romane verdanke ich einer Stelle bei Giese II, S. 30. ' ) Vgl. oben S. 49. Ich möchte an dieser Stelle feststellen, daß meine Auffassung von der zentralen Bedeutung der Erotik für Humboldt bereits feststand, und daß die Darstellung in der Hauptsache ausgearbeitet war, ehe ich mit Gieses Schrift bekannt wurde. Die zum Teil sehr treffenden Beobachtungen in der Einleitung waren mir eine Bestätigung meiner Ansichten. Doch glaube ich das Problem über Gieses Auffassung (S. 6/7) hinaus gefördert und die von ihm noch ungelösten Widersprüche in ein einheitliches Bild gebracht zu haben. Der Anhang von Gieses Schrift enthalt eine interessante, wenn auch nicht erschöpfende Zusammenstellung von Äußerungen Humboldts zum erotischen Problemkreis, welcher dem Leser einen erwünschten Überblick geben kann. Weniger glücklich scheint mir die Schrift Gieses über das Androgynenproblem die fraglichen Dinge zu behandeln. Z u S e i t e 64: T. B. I, 79. — Stieglitz war ein Humboldt befreundeter Mediziner jüdischer Herkunft, mit dem gemeinsam manche Nacht in Göttingen diskutiert wurde, und der Humboldt aus der Gefahr des Ertrinkens in der Leine rettete; vgl. Vamhagen I, S. 100 f f . ; dieser Brief würde an sich eine besondere Analyse lohnen. — Einen Vergleichspunkt aus der zeitgenössischen Literatur bietet der Ansatz zu einer Seelenanalyse Schlegels in der Luzinde, S. 124/26; gemessen an diesem Versuch, wird die unerbittliche Schärfe und der strenge Gedankengang Humboldts sich eindrücklich abheben, allerdings war sein Bekenntnis ja auch nicht auf die Öffentlichkeit berechnet. Vgl. führ ähnliche Richtung der Gedanken. Bf. I, 394, 460/61. — Ferner die sehr aufschlußreichen Bemerkungen zu Rousseaus Konfessionen. T. B. I, 602, 603, 607, 610 mit ihrem psychoanalytischen Scharfblick. — „raffinierte Kunst des Umgangs" vgl. G. S. I, 1 2 3 : „Daher scheint ununterbrochenes Streben, die innerste Eigentümlichkeit des anderen zu fassen, sie zu benutzen, und von der innigsten Achtung für sie . . . durchdrungen, auf sie zu wirken, . . . der höchste Grundsatz der Kunst des Umgangs, welche vielleicht unter allen am meisten bisher noch vernachlässigt ist". Weiterhin ergibt sich, daß Humboldt damals „die Behandlung der Menschen und Wirken auf sie zu einem eigentlichen Geschäft" für sich machen wollte.

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Anmerkungen.

Z u S e i t e 65: 1) Nach Giese II, S. 412, ist dieser Umschlag ein typischer Tatbestand, welcher in der psychiatrischen Fachliteratur als „Metatropismus" bezeichnet wird. Z u S e i t e 66: ») Vgl. oben Seite 26. *) T. B. II, 453. ¡>) 1. c. 455. Z u S e i t e 67: G. S. I, 3 1 1 ff., 335 ff- — Über die großenteils ablehnende zeitgenössische Beurteilung der Arbeiten vgl. Giese I, S. 172 ff., ebenda die Einleitung. 2 ) Giese, 1. c. 7. — über den geistesgeschichtlichen Hintergrund der Aufsätze, sowie über die Einordnung ihres gedanklichen Gehalts in das philosophische Begriffssystem Humboldts vgl. Spranger I, S. 279 f f . das Kapitel über „das Problem des Geschlechtsunterschiedes", mit dessen Inhalt die im folgenden gegebene Darstellung in mancher Beziehung übereinstimmt, während ihre Ergebnisse von Sprangers Ansichten sehr weit abführen. Denn nicht nur in dem Verhältnis zur Motherby scheint mir jene „Liberalität", welche den andren als ein selbständiges Wesen ehrt und versteht (ib. 288, A. 4), zu fehlen, sondern auch bereits in dem „Idealisieren", welches eine Form der „Besitzergreifung" ist; Besitzer und Besitz können aber nicht auf gleichem Fuße nebeneinander stehen. 3 ) G. S. I, 85; vgl. ib. 57, 63/64 (mit der skurrilen Bemerkung über die „Freudenmädchen") 108, 120, 126. Dann die schöne Stelle G. S. I, 3 1 8 ; als Ergänzung Bf. I, 60, 221. — Ferner das sehr merkwürdige Schema zum Entwurf einer „Geschichte der Abhängigkeit im Menschengeschlecht", G. S. VII, 653; im Schillerschen Kreis wurde damals der Plan Humboldts zu „einer Schrift über die Hurerei" besprochen. 1. c. 655. — Der Unterschied der Geschlechter erweist sich als Kerngedanke auch von Humboldts Spekulationen über die ihn stets beschäftigende Frage der „Individualität" im Verhältnis zu Idee und „Ideal". So heißt es z. B. in dem Aufsatz über „Latium und Hellas" bei der Erörterung des Problems der „Darstellung des Ideals": „das auffallendste Beispiel hiervon ist die Verschiedenheit der Geschlechter und ein auf sie vorzüglich aufmerksames Gemüt kann durch sie am vollständigsten das Verhältnis des Individuums zum Ideal kennen lernen." G. S. III, 138, 1806. Z u S e i t e 68: Vgl. Brinckmanns Stanzen, Leitzmann, Neue Briefe, 125, 129. Sonstige Belegstellen: T. B. I, 93, 1 3 1 , 235; Br. an Brinckmann, Nr. 6, 14, 18, 49, 50 (1792—97); ferner Gentz an Brinckmann: Wittichenll, 76/77, 1 8 0 1 ; ib. II, 84, 1. Januar 1802: „Humboldt kann noch immer nicht begreifen, warum ich nicht mehr zu Huren gehen will. Das, meint er; müsse doch immer bleiben und wäre das eigentliche Fundament des Ganzen" (vgl. die irrige Auffassung Hayms oben S. 61); dazu Humboldts Aufzeichnung vom 22. August 1799. T. B. II, S. 35. — Vgl. Gentz an Metternich, Wittichen, 1, 200, Zitat eines charakteristischen Ausspruchs von Humboldt. Für die spätere Zeit Gentz, Tagebuch I, 379, 389 ( 1 8 1 5 ) ; endlich die nicht mißverständlichen Notizen

Anmerkungen.

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des Londoner Tagebuchs von 1817/18, T. B. II, 460 ff. — Bei Fürst, Henr. Herz, S. 139, findet sich ein interessanter Vergleich, den die Herz zwischen Gentz und Humboldt zieht. „Durch seine Leidenschaftlichkeit, im Sturm zu erobern, unterschied Gentz sich durch 6eine Genußliebe von der eines später noch berühmteren Jugendfreundes und Gefährten auf den Pfaden der Sinnlichkeit, der sich stets sorglich gegen jeden Affekt wahrte und heitere Ruhe als die Grundbedingung jeden Genusses betrachtete. In der Genußsucht selbst begegneten sich beide jedoch ganz und gar." 2 ) T. B. I, 89. 3 ) G. S. I, 316, III. 199; Schwenke, S. 243. — Die Analyse von Rousseaus „Traumleben" gibt Humboldt Anlaß zu folgender Definition des „Genießens": „Das Glück dieser T r ä u m e . . . besteht nicht in den einzelnen leuchtenden Punkten des Genusses und der Freude, sondern in dem Zustand, der sich, ohne Genuß noch Entbehrung, ohne Freude noch Schmerz, in vollkommenem Gleichgewicht hält, der bloß der G e n u ß d e s D a s e i n s ist, getrennt von allen sinnlichen, und irdischen Eindrücken . . . Idealisch besteht das Glück im ungeschiedenen Gefühl des Ichs, aber eines reichen, tätigen, großen Ichs. Es kann nur zwei Arten idealischen Glücks geben: 1. ein tätiges, immer in innerer Größe und äußerem Darstellen derselben fortschreitendes; 2. oder ein bloß genießendes, wo die Seele, w i e i n e i n e m s ü ß e n T r a u m e , d i e S u m m e a l l e r F o r t s c h r i t t e , wie a u f e i n m a l v e r e i n i g t , empfindet*." T. B. I, 608. 4 ) T. B. II, 456. 1816. 6 ) Vgl. die große Stelle Bf. II, 260/62 (1804), wo das „Genießen", von welchem der erotische Genuß ja nur ein Sonderfall, wenn auch der stärkste ist, doch dem künstlerischen Schaffen übergeordnet bleibt. Z u S e i t e 69: !) Varnhagen I, 30, 39; Haym, S. 12/13; B f - I. 394») 1. c. 19ff.; T. B. I, 46. 3 ) 1. c. 45, 79. — Einen recht aufschlußreichen Einblick in das Seelenleben der viel berufenen Henriette Herz bietet das im Literatur-Archiv 1896 S. 141 ff. veröffentlichte Bruchstück ihrer Jugenderinnerungen. S. 187 gibt sie sich die Schuld daran, daß durch ihre mangelnde Zurückhaltung das Verhältnis von Humboldts Seite „zur Leidenschaft" geworden wäre. Der Meinung Sprangers, — Psychologie des Jugendalters, 1924, S. 102 — daß Henr. Herz als „reife Frau" aus einem mitwirkenden „mütterlichen Prinzip" heraus „zur Bildnerin des jungen Humboldt wurde", scheint mir nicht nur der geringe Altersunterschied, sondern auch der seelische Sachverhalt, wie er aus dieser Darstellung hervorgeht, zu widersprechen. — Vgl. unten S. 73, Anm. 3. Z u S e i t e 70: !) 1. c. 31, 66. — Vgl. A. Vierkandt, Gesellschaftslehre, 1923, S. 170/71: „besonders charakteristisch für das erotische Anfangsstadium ist die Regung des Unterordnungstriebes und die Neigung zur Verehrung." *) 1. c. 67. 3 ) 1. c. 33, 41, 53; ebenso war die Pedanterie des Collegbesuchs Anlaß zum vorzeitigen Abbruch der Jugendfreundschaft mit Charlotte Diede. Diede I, 44.

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Anmerkungen.

*) T . B. I, 69, 946 ) T . B. I, 49, dazu Bf. I, 414, Wiedergabe eines Gesprächs mit Schiller, dessen echtem „ I d e a l i s m u s " gegenüber Humboldt den Dualismus von „Liebe" und „Sinnlichkeit" vertritt. Zu S e i t e 71: ' ) Zu Therese Forster. Im ganzen zu vergleichen die oberflächliche Kompilation von L. Geiger, Therese Huber, ein deutsches Frauenleben, Stuttgart, 1901. — Von den Briefen Humboldts sollen nach Geiger nur zwei erhalten sein, welche Geiger in der Neuen Freien Presse vom 14. und 16. März 1898 veröffentlicht hat. Noch 1 8 1 4 erwähnt Therese, d a ß sie mit Humboldt seit 24 J a h r e n im Briefwechsel steht (I.e. 226). Vgl. Humboldts Angabe „über zwei J a h r e war dieser Briefwechsel nie unterbrochen," Diede II, 36, 1829. — Das Heloisen-Gespräch T . B. I, S. 45; d o r t S. 72 ein Beleg, d a ß er ihr gegenüber aus seiner gewohnten Passivität um einen kleinen Schritt herausgetreten ist. — Einblick in d e n K o n f l i k t : 1. c. 47; das Gothaer Trauerspiel 1. c. 45; „ R o m a n m ä d c h e n " Geiger, S. 45; „Polnisch-französische Sorglosigkeit", Geiger, S. 55; „ d a s R ä t s e l h a f t e " T. B. I, 45/46; das Sonett „ D e r R h e i n " G. S. I X / 2 8 0 , N r . 457; Eifersucht der Freunde, Schwenke. S. 236/37, dort lebhafte Schilderung Thereses durch H u m b o l d t ; Carolines Ablehnung Bf. I, 24, 35. „Freundschaft der älteren Schwester", 1. c. 47; Bedeutung f ü r H u m b o l d t ; „die Forster ist ein großes, herrliches Weib, sie wird ewig meinem Herzen sehr nahe bleiben. Sie war lange mein Studium, und tief gelang es mir, ihr ganzes Leben aufzufassen." 1. c. 356; Anzeichen, d a ß er sie wirklich liebte, 47, 67, 3 3 2 ; „bei der Forster fühlte ich manchmal, d a ß ich sie nicht verstand und u m g e k e h r t " , 1. c. 148; d a ß er sie wirklich nicht verstand, beweist die Darstellung der Forsterschen Ehe, Schwenke 245/46. — Urteile von Therese Forster über Humboldt, „sie schreibt, sie wollte mich Schwester n e n n e n " Bf. I, 1 1 5 ; Humboldt „sei ein Mensch, der dem Verstand reinweg das Übergewicht gegeben . . . stets theoretisiert", Spranger I, 86; Spranger will 1. c. 44 aus dem Brief Humboldts vom 30. November 1788, Schwenke, 235, herauslesen, d a ß Humboldt dem E i n f l u ß der Forster eine „völlige Umwandlung seines Charakters" zuschreibe; jedoch ist in dem Brief überhaupt nur von dem Einfluß der „veränderten L a g e " , welche j a in Göttingen gegen F r a n k f u r t den Fortschritt von der Beaufsichtigung zur Selbständigkeit brachte, die Rede. Außerdem können sich wohl Gefühle und Urteile, ein „ C h a r a k t e r " doch kaum in wenigen 'Monaten „völlig umwandeln". — Rivalität zwischen Therese Forster und Caroline Schlegel vgl. Caroline in ihren Briefen, H g . v. R. Huch, Insel, 1 9 1 4 , S. 58/59, 64/65; Humboldt stellte Therese Forster a n „Originalität" über Caroline, Diede II, 44. Übrigens hat die Herz geglaubt, Humboldt werde Therese heiraten, und noch 1 8 1 9 schien es ihr „befremdend, mich in Stuttgart mit einer anderen Frau von Humboldt bei ihr zu sehen". Fürst, S. 1 5 1 . — Welche Bedeutung Th. Forster tatsächlich f ü r Humboldt damals gehabt hat, geht hervor aus einem späteren Rückblick AI. Humboldts auf die .„Verbünd u n g " und deren Rolle bei der Verlobung. Alexander schrieb an R. H a y m über dessen Buch u. a . : „So ein ,placement de Demoiselles', eine Anstalt, in der man sich eine J u n g f r a u nach dem Muster von Therese

Anmerkungen.

459

Forster bestellen konnte, gab es leider nicht." Brief vom 15. April 1856, mitgeteilt von Leitzmann, Archiv für das Stndium der Neueren Sprachen, usw. 1 9 1 $ , S. 402. Z u S e i t e 73: >) T. B. I, 69. — Rückblick auf die „Verbündung" — Bf. III, 328, Januar 1810. „Ich glaubte gewiß, daß Du einmal Carl heiraten würdest. Ich werde doch die Verbindung immer lieb haben. Sie hat meine Gefühle offenbar gehoben und gereinigt, und mich doch eigentlich nicht beschränkt. Mit vollkommener Freiheit, selbst darüber in mir manchmal zu spotten, blieb mir doch das Gute und wirklich Tiefe darin gleich heilig, und es ist immer die erste Veranlassung gewesen, in der sich etwas besseres in mir selbst erschlossen hat. Nur freilich wurde ich den Schwestern gleich selir untreu, als ich Dich kennen lernte." Nach dem Tode von Marcus Herz — 1803 — hat Humboldt von Rom aus der Freundin finanzielle Unterstützung angeboten (Landsberg, Henriette Herz, Weimar, 1913, S. 78.) Übrigens hat die schöne Freundin gerade damals ein bitterböses Urteil über die Brüder Humboldt, ihre Herzenskälte und ihre Ruhmsucht gefällt; „Gemüt haben beide nicht"; an Ehrenfried v. Willich, ib. S. 58/59. ') T. B. I, 71. 3 ) Anpassung und Unterordnung: Vamhagen I, S. 3 1 , 39, 66, 92; 26, 43 (Aufopferungsbedürfnis); Umschaffen: 24, 105/6, 126; Inferiorität: 29; Träumen: 22/25, 7&> H3> 1 1 7 , 126; „Idee" der Liebe: 67, I l 8 , 126 ff.; Entfernung und Intensität: die stärksten Töne des Gefühls klingen an in den Briefen vom Frühjahr und Herbst 1789, d. h. nachdem man sich längst außer Sehweite gerückt ist; ein Beweis mehr, daß ihm mehr am Gefühls- und Vorstellungsanreiz, als an „Wirklichkeit" gelegen war. — Übrigens sind die vier „eigentlichen" Mitglieder des Zirkels, die Herz, Brendel, Laroche und Humboldt, nur einmal in Berlin zusammengewesen, Varnhagen I, S. 127. — „Mit Jetten bin ich sehr auseinander gekoipmen. Ich "kann mir nicht helfen, sie erscheint mir so ganz anders, als ich sie sonst in den Träumen meiner Phantasie sah." Bf. I, 177. Ein Rückblick nach dem Wiedersehen 1 8 1 0 : „Die große Schwester... ist immer noch schön... Wenn wir allein sind, sind wir auf Du und Du und dem Bruderkuß... Sie lernt ewig und nimmt ewig Stunden, ohne interessanter zu werden." Bf. III, 35'Z u S e i t e 74: ') Vgl. Jean Pauls Ausspruch: „Denke sie (die Geliebte), aber sieh sie nicht, dann liebst D u ; " ferner „mit der Ferne der Leiber nimmt die Nähe der Seelen zu". — Aus der Darstellung bei Kluckhohn, S. 246 ff. entnehme ich nachträglich, wie viel verwandte Züge zwischen Jean Pauls Ideen und dem jungen Humboldt bestehen; dies scheint mir die typische Bedeutung seines Erlebens zu bekräftigen. 2 ) Haym, S. 12. — Die geistige Verfassung des Zirkels zu ersehen aus den bei Schwenke veröffentlichten Briefen. Z u S e i t e 75: ') Vgl. Humboldts Brief 30. November 1788, Schwenke 236; auch Caroline machte leichtere und ernstere Erfahrungen noch während der Braut-

Anmerkungen.

460

2

)

3

) *)

') 6

)

zeit. B f . I, 236, 259, 4 2 1 . — Die Geschichte des Zirkels am besten in der Einleitung zum ersten Briefband; zu gelegentlicher Richtigstellung Leitzmanns Besprechung, Euphorion X I V . E s müßte reizvoll sein, diese Disposition und ihre Auswirkung bei Humboldt zu vergleichen mit der ähnlichen Einstellung Hebbels. Vgl. oben S. 26. Vgl. dazu die „Bestandsaufnahme" über den gewaltigen Umfang dieser Problematik bei Kluckhohn. — Schwenke, S. 247. B f . I, 60, 79, 92, 349, 396. 4 1 4 ; Humboldts prinzipielle Ablehnung der „meisten" Heiraten, B f . II, 189; — über Goethe und Frau v. Stein, B f . I, 100. Th. Forster und Caroline Lengefeld haben bald darauf, Brendel Veit später sich scheiden lassen; nur die Herz machte eine Ausnahme.

Z u S e i t e 76: 1 ) „Ich kann dich nicht aussprechen, aber ich habe dich aufgefaßt in deiner ganzen Schönheit.' B f . I, 304; „Humboldt ist einer von den seltenen Menschen, die sich mit ganzer Seele an fremder Größe und Schönheit weiden können, und durchs Empfangen unendlich viel g i b t . " Caroline Lengefeld an Lotte, Fielitz II, S. 48. *) B f . I, 76. Z u S e i t e 77: *) Vgl. die Briefe vom Herbst 1788 bei Varnhagen I und Schwenke mit den Aufzeichnungen T. B. I, 69, 70, 72; ferner lehrreich der Vergleich zwischen Vamhagen I, 1 1 4 und Schwenke 2 3 5 : die Beurteilung Carolines und Thereses; Humboldt hatte auch noch begonnen, der jüngeren Marianne Heyne „Herz zu interessieren". Über Carolines Jugendzeit vgl. die Schilderung Humboldts im „ R o m a n " , T . B . I I , 532/49Z u S e i t e 78: •) Der Satz „ Lina muß Dein oder niemandes werden," findet sich jn einem Brief Humboldts an die „Verbündeten" vom 11.'November 1789; die „ L o g e " machte also Ernst mit der Rückhaltlosigkeit ihrer Mitteilungen, wenn diese Dinge vor aller Ohren verhandelt wurden. (Vamhagen I, 1 1 0 f f . ) Im Fortgang des Briefes versteht Humboldt es sehr geschickt, unter dem Schein des selbstlosen Edelmutes Laroche zuzureden, mit seiner offiziellen Werbung beim Vater Dacheröden noch zu zögern, was in Humboldts eigenem Interesse damals liegen mußte. Denn die briefliche Gemeinschaft, in die C. D. wesentlich durch Laroche gekommen war, bot für Humboldt die Möglichkeit, mit C. D. in Verbindung zu bleiben, was bei einem Fehlschlag der Werbung von Laroche aufhören mußte — „als müßt' ich Luft schöpfen": T . B. I, 94, 24. J u l i 1789 — die „Verbündeten" finden, Humboldt habe zuviel „Weiberfreundschaften". Bf. I, 17. — Unbehagen über „die erkünstelten Empfindungen, mit denen ich Jette und Li beruhigte", Herbst 1789, Schwenke, S. 247. — Die innere Unreife und Unwahrhaftigkeit dieser Beziehungen schildert ungemein anschaulich der Brief vom 26. Juni 1790, B f . I, 177 f f . in welchem Humboldt seine Frauenfreundschaften, die ihn zur Zeit noch beschäftigten, Revue passieren läßt; es waren immerhin 3 verheiratete Jüdinnen, 1. Henriette Herz, 2. Bren-

Anmerkungen.

461

del Veit: „sie liebt mich in jedem Verstände des Wortes", (178) 3. eine Frau Frankel: „schon lang merkt ich, daß sie mir gut wäre" (179); 4. ein bescheidenes Fräulein v. Goltz, „die in mich verliebt ist" (180). Daneben interessierte Humboldt sich noch für eine Jüdin, „die die Verlobte eines meiner Freunde ist und die ich nur bei Frankel sehen konnte" (180). — Das Pempelforter Gespräch T. B. I, 59. Die Naivität der Selbsteinschätzung im Rückblick auf den Wettstreit mit Laroche „um das beneidenswerte Los, Lina zu beglücken" —: „wir waren doch beide trefflich, und ohne Stolz kann ich sagen, daß ich nur einen, wie wir zwei, nie wieder fand" usw. Bf. I 375/76. Z u S e i t e 79: l ) Vgl. die Darstellung in der Einleitung zu Bf. I; Carolines, ihr selbst wohl nicht ganz bewußtes Entgegenkommen, Bf. I, 1 1 , 16, besonders 33, Schwenke 247/48,. — In diesen Briefen äußert sich eine gewisse Ablehnung der beiden adeligen Damen gegen die geistige Maniriertheit der Berlinerinnen, welche sich wohl auf Unterschiede des gesellschaftlichen Geschmacks und persönlichen Stilempfindens gründet, Schwenke 241 ff., Bf. I, 19, 20; Br. Humboldts an C. D. datieren vom 7. Januar 20. März, 30. Mai, 18. Juli 1789; Eingreifen von Caroline Lengefeld. Schwenke 249; Humboldts Briefe an sie vom 26. Oktober 1789 und 6. Juli 1790 geben hinreichende Einblicke, Schwenke 247/48, 250/51. ') An Caroline Lengefeld, Schwenke, 247/48. Dazu der leidenschaftliche Brief an die Herz aus denselben Tagen, Varnhagen I, 126/27. — „Humboldt räsoniert über seine Gefühle und ist sich selbst Gegenstand der Contemplation... E r sagt, daß er Caroline nicht liebe, doch glücklich mit ihr sein weirde, es wird ein sehr zartes Gewebe unter ihnen sein." Caroline Lengefeld an Lotte, 1 1 . Februar 1790, Wolzogen I, 3 6 1 ; vgl. die Rückblicke Bf. I, 328—30. Z u S e i t e 80: 1) Varnhagen I, 25; es wäre lehrreich, die verschiedenen Depressionsformen in ihren brieflichen Äußerungen zu verfolgen. *) Schwenke 237; Bf. I, 240, dazu Varnhagen I, 69, 70: „Geben Sie mir nur das Zeugnis, daß ich Sie nicht darum bat,daß ich mir kaum nur heimlich es zu wünschen erlaubte" — nämlich die vertrautere Form des Briefwechsels. „Die Bestimmung . . . in jedem Menschen findet man nie, wenn man darnach sucht." Meisner, S. 48. Z u S e i t e 81: ') Schwenke, 248. Bf. I, 94. „Ich fühlte es gleich, daß nur das e i g e n e G e f ü h l m e i n e r s e l b s t mich beglücken könnte." Bf. I, 242. 2 ) Br. vom 21. Dezember 1846; dazu Mareks, Bismarck I, 346. 3 ) Schwenke, 2 5 1 ; auch dieser Brief verdiente eingehendere Interpretation. 4 ) Luzinde, S. 207. ' ) Schilderungen der Humboldtschen Häuslichkeit in Briefen von Caroline Lengefeld, April 1792, Fielitz II, 45, 50, für die spätere Zeit in Jena in den Briefen von Burgsdorff. c ) Caroline Humboldt an Lotte Schiller, 26. August 1 7 9 1 ; „einzig schön wird unser vereintes Leben sein, in ewig reger Jugend und Grazie wird es vorbeifließen," Fielitz II, 159/60; „erhalte dich der schönen, süßen, unendlichen Zukunft". Bf. II, S. 5, 1792.

462

Anmerkungen.

Z u S e i t e 82: *) 26. Mai 1792, Varnhagen I, S. 131. — „Brinckmann hatte Recht, wenn er oft behauptete, ich hätte ein impertinentes G l ü c k . . diese freudige glückliche Stimmung auf die zu übertragen, die mich näher und f e m e r umgeben, kann bei dieser Lage beinahe mein einziges Geschäft sein, und ich darf wohl sagen, d a ß es auch mein einziges i s t . " Dazu Bf. I I , 30 ff., 1797; vgl. Bf. I, 428. „Der Anblick zweier Menschen, so beglückt, so g e h o b e n . . . müßte wohltätig auf alle anderen Wesen übergehen." *) Die kurze Skizze bei Kluckhohn 1. c. 258/68 enthält manche gute Beobachtung. Mit gewisser Einschränkung möchte ich seinem Urteil beistimmen, „ d a ß Humboldts feiner Sinn f ü r Weiblichkeit sie so verstanden und dargestellt hat, d a ß all die anderen Schriften der Zeit über diese Probleme neben seinen Briefen verblassen" (263). Doch übersieht Kluckhohn das illusionistische Element in Humboldts „erotischem Idealismus", trotz der richtigen Bemerkung über seinen erotischen „ D u a l i s m u s " (260). Ebenso scheint mir das „folgerichtig" auf S. 260 den Primat der Sinnlichkeit zu verkennen, welcher Ausgangspunkt, nicht Begleiterscheinung seiner Erotik ist. S. 265 erkennt Kluckhohn richtig den Egozentrismus Humboldts auch in der Liebe; f ü r die Bedeutung der Motherby auf der einen, Burgsdorffs auf der andern Seite hat er eine befriedigende E r k l ä r u n g nicht gefunden, obschon er das Problem klarer sieht als z. B. Harnack. 3 ) Bf. IV, 287, 1 8 1 4 ; Bf. VI, 142, 1818. — Bf. I, 81/82, 237, 260, 269, 416 ( 1 7 9 ° ) ; Bf- I I , 4/5, 7/8, 103, 133, 178 (1804); Varnhagen I, S. 24, 3 r , 66; vgl. Bf. I, 86 Dalbergs hübsche Bemerkung über Caroline als Ariadne im Labyrinth des Lebens. Humboldt wünscht sogar die F o r m der äußeren Existenz der Gattin zu danken, Bf. I, 3 5 2 ; H a y m S. 591 befindet sich in grundlegendem Irrtum, wenn er die Abhängigkeit Humboldts vom Einfluß der Gattin in Zweifel zieht und die Dinge umgekehrt sehen möchte. Die Briefe der Spätzeit, besonders VI und VII lassen Caroline als die reichere und lebensreifere Persönlichkeit erkennen. Darin jedoch hat Haym recht, wenn er sagt, „ d a ß eine solche Erscheinung einzig, unfaßbar, unbeschreiblich sei". Jedenfalls darf man es nicht wagen, sie „nebenher" zu beschreiben, weswegen hier keine Schilderung des Wesens dieser Frau versucht wird. Z u S e i t e 83: !) Luzinde, S. 281. «) Schwenke, S. 238. Z u S e i t e 84: ' ) Die „ I d e e n " , welche im Austausch mit den Freunden „ d a s Grüne B u c h " genannt werden, entstehen im ersten J a h r der Ehe 1792; auf diese Koinzidenz hat schon Dove hingewiesen, A. D. B. X I I I , 341. Bf. I, 343, 346 beweisen, d a ß Humboldt vor der Verbindung mit C. D. den Mut nicht besaß, seine Ideen zu verwirklichen: „dazu gehört mehr Genie, wenigstens eine außerordentliche Kraft, und die, sah ich wohl, war nicht in m i r " . Deswegen hatte er sich mit dem Gedanken an ein gewöhnliches Berufsleben abgefunden, — die zitierten Stellen: Bf. I, 82, 468, 428/29, 4 1 7 besonders noch S. 279, 281 als Beispiel vertausch-

Anmerkungen.

463

ter Werte. — Vgl. an Brinckmann, Nr. 14, 24. September 1792: „Das Meiste ist durch andere... zur eigenen Entwicklung in mir veranlaßt worden." Z u S e i t e 85: !) Bf. I, 132, im Druck von mir gesperrt. *) Humboldt zeigt zweifellos Züge, welche dem psychiatrischen Begriff des Masochismus entsprechen; deutlich: Bf. I, 264, 1790, ebenso Bf. V, 168, 1816, „ich habe eine wahre Leidenschaft zu gehorchen und nichts könnte mich so glücklich machen, als wenn du mich beherrschen wolltest. Ich meine das ganz eigentlich so". Vgl. Diede I, 51, 1822. — Bewußtsein weiblicher Empfindung: Bf. I, 1 1 5 , 131/32, 180; die Forster wollte ihn Schwester nennen, Bf. I, 196; „wenn es recht weiblich ist, am liebsten in einem anderen und nur in einem zu leben, so habe ich es in hohem Grade" Bf. III, 391, 1809; vgl. Varnhagen I, 8 1 ; Bf. I, 1 8 1 , 237, 306, 433; Bewunderung des „männlichen Räsonierens" bei Caroline, Varnhagen I, 1 1 2 , 1 1 4 ; ähnliches über Th. Forster, Schwenke 23$; ferner die Fatme-Sonette der Sonettsammlung in G. S. I X ; vgl. Carolines Brief Fielitz II, 150. 3 ) Schwenke, 233; dieser Brief entwickelt ähnlich wie die Selbstanalyse eine ganz erotische Thematik. Bf. I, 433. ') Sonett Nr. 472, 1. c. 286; Bf. I, 323, 351/52, 354. 6 ) Bf. I, 1 5 1 , 180, 305; Therese Forster hat — vielleicht mit Beziehung auf Humboldt? — gesagt: „Schwächlinge lieben Amazonen." Kluckhohn, S. 290. Vgl. III, 360, über die „Macht der Frauen"; 1. c. 3 1 7 erster Ansatz, die wirklichen Fragen dieser Problematik zu sehen; Bf. VI, 145, „für alle Menschen, die den Wallenstein mit Sinn gelesen haben, ist doch die Welt und die Menschheit anders, seitdem ihnen eine Gestalt wie Thekla aufgegangen ist"; vgl. Bf. VI, 62, „das Mitleiden mit dem ganzen weiblichen Dasein". Z u S e i t e 86: l ) Die Bedeutung der Verbindung mit C. v. Dacheröden umschreibt Spranger, I, S. 47, mit folgendem Vergleich:: „Was Frau v. Warens für Rousseau, was Frau v. Stein für Goethe war, wurde für Humboldt in einem noch reineren und edleren Sinne die ,Li'." — Wenn die drei hier in Beziehung zueinander gesetzten Frauen sich selbst in dieser — literarischen — Nachbarschaft erblicken könnten, würde das Staunen darüber bei der „pauvre Maman" des Jean Jacques wohl noch größer sein als bei dem Leser, welcher auf diesen Vergleich stößt — Und mit Recht sich an ihm stößt. ' ) An Lo. Schiller, 1789, Fielitz II, 147/50; Echo: z. B. Bf. I, 3 1 7 , 330, 334/36; an Lo. Schiller, August 1791. 3 ) Bf. I, 174, 482 u. ö. 4 ) Bf. I, 1 1 5 , 334, 386; 198: „ E s hat kein menschliches Herz geliebt, wie ich Dich liebe". Bf. I, 429, 446. s ) Luzinde, S. 64. Z u S e i t e 87: ») „Allgegenwart" — Bf. I, 425. „Allgütiges Wesen" — 363; „Unerreichbarkeit", 346; „aus Dir sproßt ich", 260; „Gewißheit", 355, 360;

464

Anmerkungen.

„Götterfülle", 387; „erweiterter Kreis der Glückseligkeit", 105, 390; ferner in gleichem Sinn: Bf. I, 408, 409/10, 427/28. *) Bf. II, 60, Mai 17973 ) Schwenke 235: „Das schadet sehr, das bringt die folterndsten aller Stimmungen, unaufhaltbare Sehnsucht in uns hervor, läßt uns die Freuden vernachlässigen, die vor uns sind, und nach Freuden haschen, die nie unser werden". — „Ne m'ayant jamais senti un grand penchant vers l'action, je me suis presque constamment occupé d'idées"; an Mme Staël, 22. Juni 1800. Leitzmann, 1. c. 273. 4 ) Bf. I, 32/33. „Das Ideal alles menschlichen Seins schöpfte ich erst aus D i r " ; B f . II, 190: „Du bist das höchste menschliche Wesen"; „Du bist der treueste Spiegel der Natur, den ich gesehen habe". Bf. II, 178; Bf. III, 266 (1809); Bf. VI, 142. 6 ) G. S. II, 138; vgl. Bf. V, 1 5 1 : „daß Du am meisten, und nur eine Frau kann es überhaupt recht, auf dem Standpunkt stehst, wo das Ideale und Wirkliche, das Geistige und Körperliche einander unbegreiflicherweise berühren". Vgl. Ebrard, S. 136: ,.die Idee des individuellen Ideals". Z u S e i t e 88: x ) Bf. I, 1 7 1 . — Was es mit der „Idee" und dem Idealisieren letzten Grundes auf sich hat, ergibt sieb aus einer Bemerkung, welche, nach einem Bericht A. v. Rennenkampffs vom 22. Juni 1835, Humboldt bei einem Besuch in Rennenkampffs Haus nach 1829 beim Anblick des Bildnisses seiner Frau getan hat: „Eine verstorbene, der irdischen Vergänglichkeit entkleidete Freundin sei uns noch sehr viel teurer als eine Lebende durch die unbedingte Sicherheit des Besitzes, der geistigeren Ausbildung und der Überzeugung unendlich schöneren Wiedersehens, wogegen in dieser Welt der sinnlichen Erscheinungen nichts eine eigentliche Sicherheit gewähre". (Vgl. Distel, S. 12.) Diese Äußerung ist leider nur Bericht aus zweiter Hand, weswegen ihr hier nicht die Bedeutung eingeräumt werden kann, welche ihr wegen der durch sie erbrachten Bestätigung der entwickelten Zusammenhänge andernfalls zukommen würde. 2 ) „Wie die Menschen von mir denken, ist mir gleich, wenn sie mir nur erlauben, sie zu sehen und zu genießen". An Brinckmann, 13. Dezember 1799. 3 ) T. B. I, 5 3 1 ; vgl. dazu die aufschlußreichen Bemerkungen über erotisches Idealisieren bei Weininger, „Über die letzten Dinge", 1922, 66 f f . ; sie wurden mir übrigens erst nach Abschluß dieser Darstellung bekannt. *) Bf. II, 88, 1801. — «) Bf. II, 191, 1804. 6 ) Bf. III, 340; der Zusammenhang, in welchem dieser Satz steht, eine Kritik an Gentz, dessen „Genußbegierde" ertraglos geblieben sei, läßt den Sinn der Gedankenreihe besonders deutlich werden. Z u S e i t e 89: l ) T. B. I, 5 3 1 ; vgl. Bf. I, 428, „alle dienen der einzigen Göttin, der Erhöhung des Menschengeschlechts, dem Wachstum menschlicher Kraft und menschlichen Genießens"; vgl. dagegen Bf. I, 39, ein ausgesprochener Verzicht auf eigenen Genuß. In dem oberflächlichen Buch

Anmerkungen.

465

von Meisel-Heß, „Die Monogamie", Jena 1917, S. 196, findet sich ein Zitat, welches ich nicht bei Humboldt nachweisen kann, dessen Stil aber für Echtheit zeugt; Humboldt sage im Blick auf die E h e : „Verliert einmal, wenn wir beide alt werden, die Liebe bei ihr die Glut, die den Genuß jetzt so entzückend macht, so bleibt es ihr, mich durch sie glücklicher zu sehen. Doch immer werde ich mehr durch sie genießen, als sie durch mich". — cf. Bf1. I, 94, „welch nie gekannter Selbstgenuß!" 2 ) Bf. I, 2 1 8 . 3 ) Bf. II, 104, 1 8 0 1 ; ebenso später, 1810, die Versicherung, die Jdee der Liebe bestünde „unabhängig von allem äußeren Verhältnis, selbst dem der Kinder". Bf. III, 3 4 1 ; „ich dachte, Du könntest sterben . . . ich fühlte, d a ß ich Dir unmittelbar folgen würde, und dias tat ich, das glaube mir". Bf. I, 181, 1790. *) Bf. III, 232, 1809; „So lange ich Dich so fühle, so liebe wie j e t z t . . . so lange ich fühle, daß das Gefühl . . . nur auf dem Erkennen der inneren Natur beruht . . . so lange habe ich Mut, alles zu tun und alles zu leiden, so lange verzweifle ich nicht an mir selbst, so lange genieße ich Natur und Kunst". Bf. III, 3 4 1 ; aber vgl. dazu Meisner, S. 54, ferner Bf. IV, 288, das Sonett; 436. 6 ) Bf- I, 429Seite 1

90:

) „Vollkommene Natur", Bf. VI, 325, 1818; Teil der Natur, Bf. I I I , 33/34; „da zu sein", 1. c. 354; dazu die schöne Stelle: „ E s ist schmerzlich, daß mit Frauen alles Große, was sie und die Welt in ihnen ausbildeten, ungekannt hinstirbt". Nur dem zufälligen einen Schicksalsgenossen könne ihr Wert bewußt werden; aber: „ich bin sicher überzeugt, daß die Macht, die Frauen ausüben, unendlich größer ist als die, welche von Männern ausgeht. Ohne es zu wollen, prägen die Frauen in allen Verhältnissen die Gemüter nach sich u m " , 1. c. 359. — Dieselbe Erkenntnis, vom polaren Standpunkt allerdings findet sich in Weiningers „Geschlecht und Charakter" als Leitmotiv seines Pamphlets gegen „die Frau". — Mitleid: Bf. VI, 62, vgl. das Gedicht „Die Griechensklavin", G. S. IX. — Ferner die schönen Gedanken über die „Naturnähe" und das Naturgefühl der Frauen: Bf. III, 50, T. B. I, 5 3 2 . 2 ) Bf. III, 209, 1809; Anfang des Sonett-Zyklus „Weibertreue", G. S. IX, 72 ff.; das Motiv „Das Weib des Reinen Reinstes ist auf E r d e n " mehrfach in den Sonetten, z. B. Nr. 74, 246, 662, 1176. „Die Weiber sind soviel besser als die Männer", Bf. I, 103; vgl. S. 8 1 : „die höchste Kraft des Weibes schien mir darin zu liegen, von schönen, reinen, idealischen Empfindungen e r f ü l l t . . . den Streit der äußeren Wirklichkeit zu ebnen". Bf. IV, 368: „die schöne Eigentümlichkeit der Frauen, die nicht mehr der Natur angehört". Bf. V, 378: „es liegt in den Frauen viel reiner und ursprünglicher etwas tief Göttliches als in den Männern, aber es läßt sich nicht so unmittelbar auf das Irdische anwenden". Vgl. Humboldt an Carol. Wolzogen, 29. Dezember 1830. Wolzogen I, 65/67. Adoration: Bf. I, 281, 304, 306, 3 2 2 / 2 3 , 4 1 6 ; Bf. I I , 3, 5, 1 3 3 , 1 7 8 ,

190.

3) Bf. IV, 1 5 7 . ach l e r ,

Humboldt.

30

466

Anmerkungen. *) Dualismus: vgl. oben S. 68, A. i. Bf. I, 4 1 4 , das Gespräch mit Schiller; „Man kann den Sinn für die höchste und schönste Weiblichkeit frisch lind rege erhalten, ohne doch darum sich klösterlich zu benehmen". B f . I I I , 3 4 1 ; dazu sehr wichtig: B f . VI, 1 1 / 1 2 , 1 8 1 7 , unter Ablehnung der „neuen B e g r i f f e " von erotischer Sittlichkeit die Betonung, daß „das Begehren, das man nicht geistig nennen kann", dem Glück einer E h e verhängnisvoll werden könne; „das Feinste und Schönste geht in dem sich selbst nicht bewußt werdenden Genuß verloren". — In diesen Äußerungen liegt die notwendige Korrektur zu Sprangers Ansicht, I, S. 82, „ d a ß die Reinheit und Höhe seiner Empfindungen in der E h e nichts von der anderen Natur Humboldts gewußt habe". ' ) Romantiker: vgl. die Darstellung bei Kluckhohn. Besonders spürbar der Gegensatz zu Schleiermacher, dessen „Idealismus" dadurch von jenem Humboldts sich unterschied, daß er zwar auch „anschaute", aber nicht eine Idee, sondern die Individualität, d. h. die Wirklichkeit. Beide Männer zeigen in vielen Zügen eine gewisse Ähnlichkeit, sie leben beide „in der Liebe", aber Schi., im äußeren Leben weniger begünstigt, hat sicher mehr Liebe gespendet als Humboldt. — Übrigens bemerkenswert, daß Humboldt trotz amtlicher Berührung ( 1 8 0 9 / 1 0 ) vor dem späten Alter persönlich keine Fühlung mit Schi, hatte, vielleicht hielt gerade ihre „Gleichnamigkeit" sie von näherer Fühlung zurück. 6 ) T . B. I, 396, Ablehnung der spanischen „Manier, die Fraueif wie ein eigenes genus anzusehen, wobei Stolz mit einer gewissen Wegwerfung gepaart i s t " ; 1. c. 543, Ablehnung der von Mme. Condorcet vertretenen Ansichten über Liebe und Ehe; 1. c. 586 ff. Besprechung von Mirabeaus „Lettres originales", dessen Auffassung der Liebe er vorwirft, „ d a ß sie wohl etwas Hinreißendes . . . hat, daß sie aber nicht zu der i d e a l i s c h e n E x i s t e n z des Charakters führt und nur einseitig poetisch i s t " ; 553, das Gespräch mit Röderer, 532/33, Auseinandersetzung mit den Ideen der Frau v. Stael. Ihre Schilderungen der Liebe an Beispielen aus der Literatur findet er „von der unecht sentimentalen, trivialen Art. Die ganze Liebe kennt sie wieder nur von der Seite des ^dévouement, das dieser Leidenschaft nicht einmal ausschließend eigentümlich ist". Das Gespräch mit Mme. Talma, T . B. II, 10. Selbst in der Nouvelle Héloise wird Julie zur Gründerin der neuen Familie, erhält ihre endgültige Lebensbestimmung also aus der Beziehung auf die soziale Wirklichkeit.

Z u S e i t e 91 : i) G. S. I, 120. l ) T . B. I, 83. „Weibern tieferen Geistes und Gefühls ist des Weibes und des Mannes Bestimmung, sich gegenseitig zum Menschen zu bild e n " usw. — ; B f . I, 104, 260, 378, 386. B f . I, 446. „Schon dies Eindringen des einen in den anderen, dies Ausmessen . . . aller seiner Ideen und Empfindungen, muß eine neue Schöpfung eröffnen . . . wie wird nun aus uns der Mensch, aus dem Menschen die ganze Schöpfung entgegenstrahlen"; vgl. Bf. VI, 61/63. 3 ) Daß dieser „Idealismus" einen starken Beischuß von verhängnisvollem Illusionismus in sich trägt, welcher die bürgerliche Weltanschauung des deutschen Liberalismus so wehrlos gemacht hat gegen den Angriff

Anmerkungen.

467

des erotischen Skeptizismus der Skandinavier Kierkegaard, Ibsen und Strindberg, wie des Russen Tolstoi, wäre unschwer nachzuweisen. D a ß Humboldts Auffassung sehr nahe zusammengeht mit Goethes im Tasso und der Iphigenie angelegten und im Faust II gipfelnden „Feminismus", ist schon gesagt worden. 4 ) Erhaben: z. B. Bf. VI, 326/27; grotesk: z. B. Bf. V, 33, 1815. — Humboldt folgert hier aus der Tatsache, daß Hardenberg ebenso wie Frau v. Humboldt sich nie schonen wollten, „daß ich darum so gut mit ihm fertig werde, und er mich so liebt, weil ich zu Dir und Deinem Leben passe". So setzt er mit der Empfindlichkeit eines feinnervigen Organismus die heterogensten Eindrücke in Beziehung auf den zentralen Nerv seines Lebens; auch dies eine Bestätigung der weiblichen Elemente in seinem Wesen; vgl. Bf. V, 57; Steins Ehe verglichen mit der Humboldts, Bf. VI, 522/23. S e i t e 92: Bf. I, 313. a ) Zur Burgsdorff-Episode vgl. A. F. Cohn, W. v. B., Euphorion XIV, , 9°7> 533 ff-; Briefe von Frau v. Humboldt an Burgsdorff sind gar nicht, solche von ihm an sie nur ganz wenige erhalten; dagegen läßt sich die Natur und Geschichte dieser Leidenschaft erkennen aus den Briefen, welche Frau v. Humboldt an Rahel Levin-Varnhagen zwischen 1796 und 1801 schrieb, welche sie unglücklicherweise als Freundin Burgsdorffs zur Vertrauten machte; und ebenso aus den Briefen Burgsdorffs an Rahel u. a. bei Cohn, 1. c.; daß die Spannung sehr tief griff, ergibt sich aus der Mitteilung Euphorion 545. — cf. Cohn, Burgsdorff, S. XIII. „O Genuß", Leitzmann, S. 34, 1801; „errungene K r a f t " , I. c. 17 ff.; wichtig 1. c. 3, 9, 13, 15, 20, 22, 24, 31; 25: „Ich weiß recht gut, wie es ist, wie es mit den Männern und Liebe überhaupt steht". — Die Wogen der Liebe brandeten gerade in jenen Jahren heftig im erregbaren Gemüt Carolinens: vgl. den Brief an Rahel vom 7. September 1801, Leitzmann, S. 32, über die Leidenschaft des Malers Gropius, welcher in Paris ihr Hausgenosse gewesen war. Liebe und Eros besitzen für sie die Prägung wie die Kraft eines kultischen Gefühls gegenüber dem Universum. 3 ) Einzige Gabe: 1. c. S. 10. — „Burgsdorff weiß seinen Freunden zu leisten, was ihnen notwendig ist, und die Überzeugung, für andere auch handeln zu müssen, ist sogar in seinem Gefühl in eine schöne Freude verwandelt". Gräfin Pachta, 1798, Varnhagen, Galerie usw. I, 183. Neun Briefe Burgsdorffs an W. und C. v. Humboldt aus 1813/14 sind veröffentlicht: Deutsche Revue, Bd. 38, 1913, 4 6 f f . — Vgl. die nicht eben schmeichelhafte physiognomische Notiz über Burgsdorff in T. B. II, 38; Burgsdorffs feine Beobachtungsgabe zeigt sich auch in der Charakterisierung der Brüder Humboldt, Neue Briefe S. 136/38, S. 139: Begründung der Unbefriedigung Carolinens in Jena. 4 ) Ähnliches wie die Begegnung mit Burgsdorff mag für Fr. v. Humboldt die jahrelange Freundschaft mit dem Sonderling Graf Gustav Schlabrendorf bedeutet haben, für welchen sie zweimal, 1807 und 1813, die gewiß nicht zufällige Bezeichnung findet: „Der menschlichste und edelste Mensch, den ich je kannte". Seinetwegen brachte sie den Sommer und Herbst 1804 wieder in Paris zu; nach ihrer Rückkehr 30*

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Anmerkungen. konnte sie feststellen, daß Humboldt ihre ..Abwesenheit tiefer empfunden habe, als ich j e g e g l a u b t h ä t t e " . V g l . Wentzel, Br:. v. C . v. Humboldt an G r a f Schi., ,,Im Neuen R e i c h " V I I I , 2, 1 8 7 8 , besonders 503, 506, 5 4 7 . — M a n kann die E h e Humboldts auch mit a n d e r e n A u g e n , „ i d e a l i s t i s c h e r " betrachten, wie die folgende D a r s t e l l u n g S p r a n g e r s , I I , S . 2 6 , es tut: „ A u c h in Caroline lebte ein w e n i g R o mantik, die leicht religiös g e f ä r b t war. Aber sie war mit der Geistesfreiheit g e p a a r t , die das Ethische von aller Konvention l o s g e l ö s t , rein als inneren und persönlichen Maßstab f a ß t ; sie hatte „ m o r a l i s c h e G r a z i e " und verstand es, wie Humboldt selbst, kampflos und leidlos den eigenen W e g zu gehen. Denn was bei anderen Menschen sich unter inneren Qualen losringt, gaben diesen beiden die Himmlischen als schöne Blüte ihrer eigenen Natur. Sie machten keine H ö l l e n f a h r t der Selbsterkenntnis durch, weil auch der Schmerz ihnen a u f g i n g in der harmonischen S y m p h o n i e des Lebens. W a s uns aus Mozart entg e g e n k l i n g t , dies Heitergeborene, dem wohl noch die letzte T i e f e fehlt, aber doch allmählich in fast unmerklichem R e i f e n zuteil wird, d a s führte sie zusammen. Ihre Liebe war das gegenseitige Anschauen dieses seltenen Seelenwunders, halb ästhetisch, halb religiös: Anschauung und G e f ü h l des anderen, verflochten mit unablässiger Selbstanschauung. S o vollendeten sie sich gegenseitig, weil ihre V o l l e n d u n g ganz im Inneren l a g , e m p f a n d e n sich gegenseitig als das W e r k des andern. Man darf s a g e n , daß dies die tiefste pädagogische E r f a h r u n g ist, die Humboldt gemacht hat; es hat dieser E h e nicht an Leidenschaften g e f e h l t , die eine andere zerstört hätten; sie aber l a g in einer Sphäre, a n die kein Sturm heranreichte; sie ruhte auf metaphysischem Grund, f ü r den das Physische im wesenlosen Scheine v e r s c h w a n d . " ' ) Sonett 469, G. S . I X , 2 8 1 . D i e Bedeutung dieser T r a u m b i l d e r hat erstmals hervorgehoben Leitzmann, Humboldts Sonettdichtung, 77/78.

Zu

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S e i t e 93: B f . I, 1 7 7 . s ) B f . I I I , 2 3 1 , September 1809. 3 ) Vgl. oben S . 64. 4 ) V g l . G . S . I X , 72 f f . ; D e r Gegenstand dieser „sehr wunderbaren Komposition, des Poetischsten, was ich je gemacht h a b e " ( B f . I I I , 2 3 1 ) , ist die treue H i n g a b e einer F r a u an die Herrscherlaunen ihres „ r a u h e n G a t t e n " ; die Leistung selbst könnte an Humboldts vielgerühmtem ästhetischen S i n n in j e d e r Beziehung ernsteste Z w e i f e l erwecken. D i e A n r e g u n g erhielt Humboldt von Goethes „ F r a u des A s a n A g a " . „ E s ist etwas so T r ü b e s und Dunkles darin, daß ich mich unmöglich entschließen kann, es D i r zu schicken". E r e m p f a n d also selbst die Unverträglichkeit dieser Traumwelt mit der Wirklichkeit seiner Beziehung zu Caroline. S e i t e 94: V g l . die B r i e f e bei Meisner 1. c.; „nicht allzugern g e s e h e n " , S . 40, vor den F e n s t e r n : S . 55, dazu B f . I I I , 2 8 1 , 2 9 1 ; dazu das Sonett G . S . I X , N r . 2 1 8 , welches zweifellos auf die Motherby zu deuten ist: Molly. U n d sollten meine F ü ß e auch ermatten, Ich mußte auf und ab doch spät noch gehen. U m a n d e r B a l k e n d e c k e ihren Schatten Vorüberstreifen wenigstens zu sehen.

Anmerkungen.

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Der Liebe Pfeile mich bethöret hatten, ich konnte mehr nicht selber mich verstehen; wenn Eifersucht sich und Verlangen gatten, gesunden Sinn zu Wahnsinn sie verdrehen. Doch diese Fieberglut ist längst verflogen, und ruhige Vernunft zurückgekehret. Nun sie zu mir hat Liebe angezogen, Doch ihre Neigung meine Kälte mehret. Der Schleier rollte von den Augen nieder, enttäuscht, so wie sie ist, seh ich sie wieder. B f . I I I , 274; ob die Stelle S. 275 „wahre Achtung usw." auf diesen Zusammenhang zu beziehen ist, scheint mir nicht ausgemacht, aber nicht ausgeschlossen; über die Motherby 1. c. 276/77, dazu 3 3 5 . Übrigens wird die Stelle B f . I I I , 280, 20. November 1809, „ich weiß, wie ich gar nichts geworden wäre ohne Dich, wie ein elendes und triviales Leben die wenigen Keime erstickt hätte, die noch in mir lagen . . . nie kann ein Mann mit einer Frau glücklicher sein und ist es nie gewesen" — verglichen mit dem Brief an die Motherby vom 1 7 . Dezember. „ E s gibt kein zweites weibliches Wesen wie S i e " — an der empirischen Aufrichtigkeit des Idealisten mit Recht zweifeln lassen; dazu Meisner S. 47 oben; ferner das Sonett „ D i e Trennung" vom 23. November 1809, G. S. I X , 7 1 ; Harnack hat 1. c. 124/25 als erster diese Beziehung kurz gestreift, er weicht aber dem psychologisch Bedeutsamen der Sache ebenso aus wie Spranger I, 288, Anm. 4 es tut. „ Z ü g e " I. c. 42; „unendlich Sonderbare" 55; „Gefühle erschlossen" 47. Über das Schicksal der Briefe, von welchen nur zufällige Reste erhalten sind, vgl. Meisner, S. 5/6; die Auskunft ist dürftig, die romanhafte Erläuterung ist ebenso unbegründet, wie sie an dem Kern der Sache vorübergeht. — Abschiedsszene 1. c. 4 1 . „Sinnliche Reizung" vgl. das aufschlußreiche Erinnerungsbild an die Erscheinung der Frau im Pelz, 1. c. 51.

Z u S e i t e 95: Verstehen ihrer Unverstandenheit 1. c. 47, Bf. I I I , 2 7 7 ; Erinnerungen 1. c. 4 1 . ' ) G. W. I, 369. 3 ) Meisner, 55: befremdend der kühle Ton in der Schilderung der Familie. Z u S e i t e 96: ') Der erste Brief vom 24. April, der zweite vom 1. Mai 1 8 1 3 ; aus der teilweise zerstörten Nr. 2 geht hervor, daß Humboldt einen regelmäßigen Briefwechsel vorgeschlagen hat, den er, da jede Antwort ausblieb, in einem kurzen Billet vom 30. Mai resigniert fallen läßt. Z u dem ganzen Komplex ist noch zu bemerken, daß Humboldt bereits die Note des „Despoten" anklingen läßt in der ersten Zeit der neuen Bekanntschaft, indem er der Gattin schreibt ( B f . I I I , 3 3 5 ) , die M. fürchte sich vor ihm, da sie seine „Unerbittlichkeit, wenn er mit jemand breche, gleich erkannt habe, wegen seiner unbesieglichen Kälte". Z u S e i t e 97: !) Tb. II, 458.

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Anmerkungen. *) B f . IV, 406—8; zu beachten die feine Güte, mit welcher Fr. v. Humboldt über das Unglück der Diede spricht; vgl. Leitzmann I, S. I I I f f . , ferner 1. c. 3 0 / 3 1 . — Humboldt hat die immer in Geldnöten befindliche Diede mit einem jährlichen Betrag von 100 Th. und gelegentlich besonderen Zuschüssen unterstützt, ihr jedoch kein Legat ausgesetzt. Vgl. O. Hartwig und A. Piderit; Ch. Diede, die Freundin W. v. Humboldts, Halle 1884.

Z u S e i t e 98: 1 ) Leitzmann I I , 388. 2 ) Haym, 588/89; „ D e r Gehorsam, d. h. die Willenlosigkeit muß aus freiem Willen, aus Selbstbestimmung entstehen, und zugleich die Freiheit bleiben, damit wieder aufzuhören . . . E s kann in Frauen die natürliche Folge zuneigungsvoller Hingebung an den Mann sein." Diede I, 193, 16. J u l i 1825. Vgl. B f . V, 1 1 0 eine Bemerkung über „Gehorsam der F r a u " . Hartwig, a. a. O. S. 66, kann sich nicht entschließen, Hayms Deutung anzunehmen. Deshalb wird Humboldts „imperativer T o n " erklärt nicht „aus Lust am Befehlen, wie es hier und da scheinen könnte, sondern um ihr erziehend Positives mitzuteilen". Denn wo bliebe sonst der „ I d e a l i s t " Humboldt? Übrigens geht aus dem Buch von Hartwig hervor, daß Ch. Diede eine krankhaft erregbare Natur, sprunghaft und phantastisch in ihrer Lebenshaltung gewesen ist — bestenfalls eine „Träumerin" ähnlicher Träume, wie für Humboldt sein Verhältnis zu ihr ein erlebter „ T r a u m " war. Von geistiger „ B e deutung" der Diede kann keine Rede sein. 3) B f . IV, 407. Z u S e i t e 99: ' ) G. S. I X , 93 f f . ; in die gleiche Richtung deutet der Entwurf zu einer Geschichte der Abhängigkeit im Menschengeschlecht; G. S. V I I , 2, S. 653, 1 8 2 7 ; die Neuaufnahme des Briefwechsels erfolgt gleichzeitig mit der Umarbeitung und Fertigstellung der „Griechensklavin" im Juni 1822, G. S. I X , 93, A.; das darf wohl als konkludent aufgefaßt werden. *) B f . I, 379Z u S e i t e 100: !) Vgl. oben S. 96. s ) An Brinckmann Nr. 18, 23. Oktober 1 7 9 2 ; vgl. das Zitat bei Haym, S. 55: „auch der freieste und unabhängigste Mensch, in eine einförmige Lage versetzt, vermag sich nicht zu bilden." Z u S e i t e 101 : 1 ) Vgl. Theophile Gautier, „Mlle de Maupin", spec. Préface vom Mai 1 8 3 4 ; p. 23 :,,la jouissance me paraît le but de la vie, et la seule chose utile au m o n d e ; " — „ l a beauté pour m o i , . . . c ' est le bonheur palpable, c'est le ciel descendu sur la terre." (p. 146.) Die Formulierung: „die Welt schöner Tastbarkeiten" verdanke ich Ernst Robert Curtius. *) Lehrjahre, Buch V I I I , Kap. 7 (Inselausgabe S. 564). Z u S e i t e 102: Haym 103. *) T . B. II, 458.

Anmerkungen. 3

471

) Lehrjahre 1. c. 496; es verdient erwähnt zu werden, daß Humboldt in einem Brief an Goethe es betont, d a ß er mit dem Helden des Meister nicht sympathisiere, Goethe-Jahrbuch 1910; trotzdem war er selbst der Ansicht, „daß jeder Mensch im Meister seinf Lehrjahre wiederfindet", an Goethe 24. November 1796, Geiger, S. 24.

Z u S e i t e 103: An Gentz, 29. November 1797, (in den Briefen an Brinckmann enthalten); vgl. T. B. I, 531, 31. Dezember 1797, den Rückblick auf „ein Jahr, auf das ich nicht gern zurückblicke, da ich es für beinah ganz verloren ansehen muß . . . in mir üble Stimmung zur Produktion und Untätigkeit.. . also im Ganzen genommen, die schlimmste Periode meines Lebens". Vgl. dazu den Rückblick vom 25. September 1809, Bf. III, 228: „ein Mann ist einer edlen Frau nicht würdig, wenn 'er nicht sein Dasein an etwas Großes unc! Nützliches anknüpft — er muß bei vollendeter 'Reife vor ihr selbst und vor den Menschen rechtfertigen daß sie ihn liebte." Vgl. den ähnlichen Inhalt des Briefes an Schiller, 22. Oktober 1803, Leitzmann 315/16; ähnliche Krisenstimmung, das Ringen des Selbstgefühls mit der Einsicht in das Versagen, zeigen die Briefe an die Gattin im Mai/Juni 1797. Bf. II, 54 ff.; an Wolf, 23. Dezember 1796, S. 173 ff. Z u S e i t e 104: *) Humboldts Empfindung für den Reiz der Großstadt zeigt sich schon im Tagebuch und in den Briefen von der Pariser Reise; Fr. v. Humboldt empfand ähnlich, Fielitz II, 175, 1798; dazu ihre Schilderung des Blickes über die Seine-Brücken an Rahel, Leitzmann, Neue Briefe, 17/18. *) An Gentz, a. a. O. 3 ) Bf. II, 63. «) G. S. I, 318. Z u S e i t e 105: Von dem Schriftsteller Humboldt war in der Öffentlichkeit bekannt bis 1802: 1. Sokrates und Plato über die Gottheit usw. in „Zöllners Lesebuch für alle Stände" — 1787. cf. G. S. I, 1. A. 2. „Ideen über Staatsverfassung" — in Berlinische Monatsschrift, Jan. 1792. cf. G. S. I, 77. 3. „Ideen zu einem Versuch" teilweise veröffentlicht in der Berlinischen Monatsschrift 1792 und in Schillers Neuer Thalia, cf. G. S. I, 432/334. Rezension von Jacobis Woldemar, Jenaer Literaturzeitung, September 1794. cf. G. S. I, 435. 5. „Über den Geschlechtsunterschied" und „Über männliche und weibliche Form", Schillers Hören, Jahrgang 1795, a n o n y m , cf. G. S. I, 4356. Rezension von Wolfs Ausgabe der Odyssee, Jenaer Literaturzeitung, 1795. cf. G. S. I, 370. 7. Ästhet. Versuch „Über Hermann und Dorothea". Braunschweig, Vieweg, 1798. cf. G. S. II, 113.

472

Anmerkungen.

8. „Über die gegenwärtige Französische Tragische B ü h n e " — Goethes Propyläen, a n o n y m . I I I , 1800. cf. G. S. II, 377. 9. Selbstanzeige der Schrift über Hermann und Dorothea, im Magazin encyclopédique e d . Miliin, 1799. cf. G. S. I I I , S. t. *) Beurteilung der Ästhet. Versuche, Brinckmann an Schleiermacher, Paris, 10. Oktober 1799. „Bist Du nicht gegen Humboldts Versuche zu streng ? Mir scheinen sie doch eigentlich in ihrer Art vortrefflich. Ich liebe die Art nicht, es sind anatomische Vorlesungen über Ästhetik — aber ich ehre doch auch das Skalpel in einer so sicheren H a n d . " Mitteilungen Lit. Arch. N. F. 6, S. 22. Vgl. Körner an Schiller, 20. Februar 1799 über Humboldts Schrift: die ersten Kapitel hätten ihm Angst gemacht, „er habe weder Zeit noch Lust, in diese schauerliche Tiefe hinabzusteigen". Zit. Jonas, 1. c. 177. Auch Schiller hat die Schrift recht scharf beurteilt und namentlich Stil und Darstellungsart beanstandet. Vgl. dazu Leitzmanns Ausführungen G. S. II, 404. Meisterhaft umgeht Goethe in seinem Brief vom 16. Juli 1798 jedes Urteil Uber die Schrift selbst, indem er doch auf ihren Gegenstand genau und „ p r o d u k t i v " nach seiner Art eingeht, cf. Geiger S. 58 ff. — vgl. ferner Humboldt an Schiller, 12. Juli 1798, E b r a r d , 225 ff. ®) An Brinckmann, Wittichen II mehrfach. An Wolf, 138, 30. Oktober 1795, 139 ff.; Haym 88; — E b r a r d , 3 1 9 . ») T . B. I, 43Z u S e i t e 106: *) An Wolf, 173, 1796. — Humboldt an C. v. Wolzogen, 15. Februar 1794, S. 3 / 5 : „meine Pläne sind von der Art, d a ß ich froh bin, wenn meine Lebenszeit sie zu vollenden hinreicht. Indeß aber vergeht doch das Leben schön und leicht, und mir war's nie um die Werke sonderlich zu t u n " . — G e r a d e um ein Jahrzehnt später erfüllt die gleiche Beobachtung Humboldt mit wehmütiger Resignation: „ich komme so oft auf Pläne eines détails, das ein Menschenleben erforderte, und so gerate ich wieder in Stockung . . . Darum werde ich also ewig in einer Art schwermütiger unbefriedigter Sehnsucht bleiben, bis es mir gelingt, oder bis von keinem Gelingen oder Mißlingen mehr die Rede i s t " . E b r a r d , S. 329. s ) Vgl. Meinecke, Zeitalter der Erhebung, S. 58 : „man kann Humboldt schwer anschaulich machen. Das Anschauliche an ihm war auch nicht eigentlich das Bedeutende an ihm". Z u S e i t e 107 >) An die-Motherby, 1 8 1 3 , Meisner 54. — Vgl. Bf. IV, 56, 10. Juli 1 8 1 3 . „Ich fühle eigentlich was es heißt, wenn die Frommen sagen, d a ß sie nicht von dieser Welt leben. Ich kann es nicht leugnen, ich habe eine innçre, an die sich alles anschließt" usw. Z u S e i t e 108: ») Vgl. Schmitt-Dorotiö, S. 7/8. *) Vgl. oben S. 57. 3) Vgl. oben S. 54/55Z u S e i t e 109: Spranger I, S. 80; ebenso spricht Kittel, 1. c. S. 19 von der „klassischen M a r m o r r u h e " seines Charakters. Vgl. Spranger, 1. c. S. 455: das auch von Schleiermacher empfundene und verfolgte Ideal „der

Anmerkungen.

Zu

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wahren inneren Form und Harmonie, . . . in welcher Selbstbildung und Rezeptivität sich das Gleichgewicht halten, . . . hatte Humboldt wie kein zweiter praktisch verwirklicht". Auch Leitzmann, Euphorion X I V , S. 368 meint, Humboldt sei „schon in jungen Jahren zur gefestigten Individualität geworden, als welche er uns in seinem ganzen Leben in ungetrübter Consequenz entgegentritt"; und zwar basiert dies Urteil auf dem Eindruck der Briefe der Verlobungszeit. Auf S. 81 zitiert Spranger eine Äußerung Humboldts an Brinckmann: „ D a s Individuelle meiner Individualität ist, daß sie so am T a g e l i e g t " ; Spranger meint, dieser Selbstbeurteilung könne man zustimmen, denn die „Schranken", welche den Mitlebenden Humboldts Wesen verhüllten, seien „ f ü r uns gefallen . . . und damit verschwindet alles Komplizierte". Aus diesen Sätzen möchte ich hervorheben, daß Spranger auf S. 81 „alles Komplizierte verschwinden läßt", dessen Vorhandensein er auf S. 80 überhaupt in Abrede stellte. Die von Spranger mehr verhüllte als ausgeführte Problematik wird aber durch die oben angeführte Äußerung an Brinckmann m. E . durchaus nicht glatt gelöst. Denn mit der Feststellung, daß die — ästhetisch-genießerische — Individualität Humboldts, eben in ihrem hemmungslosen Genießertum, auf welches Brinckmanns Stanzen anspielen, „am T a g e l a g " , war noch keineswegs die Frage beantwortet, welche individuellen Gründe dieses Genießertum hervorrufen und zur vorherrschenden Lebensform für Humboldt machen mußten; ob Humboldt ein Genießer aus Kraftüberschuß oder aus Schwäche war. Das erste Buch unserer Darstellung hat die Frage zu beantworten versucht . -) „Die schöne Individualität": Spranger I, 102. S e i t e 110: 1 ) Gelegentlich eines der begeisterten Griechenaufsätze Fr. Schlegels machte Humboldt, da ihm diese Begeisterung offenbar zu weit ging, die Bemerkung: „man schämt sich fast wie ein Hund, ein Moderner zu sein. Bei keinem Buch muß man sich gefallen lassen, so ausgeschimpft zu werden", an Brinckmann, Nr. 47, 13. Dezember 1797. 2 ) Stefansky, Das Wesen der deutschen Romantik, 1923, S. 105, 107. 3 ) Dieses Buch ist dem Verfasser erst im Juni 1926 bekannt geworden, als er beim Abschluß seiner Arbeiten über Humboldt die Literatur der letzten Jahre durchging. E r muß daher Wert darauf legen, an dieser Stelle zu betonen, daß das erste Buch in der vorliegenden Fassung abgeschlossen wurde im August 1924, und in seiner ersten Konzeption seit August 1920 feststand. Andrerseits möchte der Verfasser ebenso nachdrücklich aussprechen, daß er dem Buch von Schmitt insofern sehr viel verdankt, als die hier gegebene, auf einer Gelehrsamkeit von weitem Horizont und einem starken Forschertemperament begründete, wenn auch einseitig wertende Theorie des Romantischen seine empirisch gewonnene Auffassung vom systematischen Standpunkt her erhellt hat in bezug auf die allgemeine Problemlage, bestätigt und ergänzt hat im besonderen Bezug auf Humboldt. Der starke Eindruck dieses Buches hat den Verfasser dazu ermutigt, unter Zugrundelegung von Schmitts Thesen seine empirisch gewonnene Darstellung durch die im folgenden gegebene Untersuchung zu ergänzen. — Übrigens sieht Schmitt selbst S. 184 noch Humboldt im Gegensatz zur Romantik; und zwar mit vollem Recht

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Anmerkungen. insofern, als die Politik Humboldts mit „romantischer Politik" nichts zu tun hat, wie sich aus der weiteren Darstellung ergeben wird. V g l . die Besprechungen des Buches von Fr. Meinecke, H. Z. 1 2 1 , 292 f f . ; H . Rothfels, Deutsche Liter. Zeitung, 1926, S. 432 f f . 4 ) Im betonten Gegensatz zu Nadlers Theorie faßt Schmitt die Romantik als „europäische Bewegung", 1. c. S. 1 5 / 1 6 .

Zu S e i t e 111 : ' ) 1. c. S. 5.; vgl. S. 1 4 1 : „nur das romantisierende Subjekt und seine Tätigkeit sind für die Begriffsbestimmung von Bedeutung, nicht etwa die romantischen Objekte wie Rittertum und Mittelalterlichkeit; das Mittelalter ist ein stark romantisierter Komplex". Die Definition der Romantik aus dem Gegensatz zur „ K l a s s i k " und zur „ A u f k l ä r u n g " wird als unzureichend erwiesen, S. 8/9. *) Hierfür ist zu verweisen auf die Einleitung und auf den Abschnitt: „Die occasionalistische Struktur der Romantik", S. 1 1 5 — 1 5 2 . s ) i. c. S. 1 5 . — *) Zu Seillière cf. S. 3, 7 ; zu Taine S. 16/18. *) 1. c. S. 22. Zu

S e i t e 112: ») 1. c. *) „Die einzige Produktivität, die das Subjekt in der romantischen Situation entwickeln kann, ist ästhetischer Art. Im Kunstwerk ist die gewöhnliche Realität der Kausalzusammenhänge überwunden. Der Künstler kann, ohne sich in den Mechanismus der Kausalzusammenhänge zu begeben, eine Schöpferkraft betätigen." S. 147. Hiernach wird der „ R o m a n " Humboldts, zu welchem die Motherby „ A n l a ß " wurde, vgl. oben S. 93 ff., deutlich als Ausdruck seiner romantischen Grundstimmung erkennbar. s ) S. 2 1 ; 86/87. *) S. 23. 6 ) ib.

Zu S e i t e 113: >) S. 24/26; dazu 96/98 die glänzende Entwicklung der „geistigen Situation" des Romantikers. J ) S. 26; 103. 3 ) Deutsche Rundschau, März 1 9 1 7 , S. 426. *) Vgl. das 1. Kapitel des zweiten Buches: „ L a recherche de la Réalité". Die Funktion des „Lebens in Ideen", mit welchem Humboldt sein „eigentliches" Dasein vor dem „Verbrauch" in der Wirklichkeit „reserviert", ist genau bezeichnet mit folgenden Sätzen bei Schmitt-Dorotiö: „wenn man den „Romantiker" aufmerksam macht auf den Gegensatz von Prätension und Leistung, so erklärt er : . . . das ist er nicht, das ist nicht sein „ I c h " , er ist immer gleichzeitig noch unendlich mehr als er jemals in einer konkreten Sekunde oder bestimmten Äußerung sein könnte". S. 105/06. Vgl. B f . I, 243: „Ich fand niemand, der in mich einging, der mich verstand. Alle nahmen sie jede Idee, jede Empfindung, so wie ich sie gab, und da beschied ich mich ja gern, daß sie den Wert nicht besaß. Aber, dachte ich oft, wenn sie so sähen, wie sie in mir entstand und sich bildete, wie ich sie dachte und empfand, da wäre sie doch wohl m e h r " . Z u S e i t e 114: ») Spranger I, 477. ») 1. c. 455. ») 1. c. 63. *) 1. c. 65; mit Recht betont Spranger hier, daß er in der Beobachtung

Anmerkungen.

475

dieses Vorgangs über Haym hinausgekommen sei. In seinem späteren Buch hat Spranger bereits eine nähere Verwandtschaft Humboldts mit der Romantik angenommen: ,,Wenn die interessante Individualität sein Ideal geworden wäre, . . . (so) wäre er echter Romantiker geworden wie Friedrich Schlegel. Seine kühle Intellektualität und sein Sinn f ü r Ausgeglichenheit des Charakters hoben ihn wie Schleiermacher schließlich darüber hinaus. — E r ging durch die Wiege der Romantik, ehe Kant ihn zum Klassizismus führte". Spranger, I I , S. 23. — D a ß „ d i e interessante Individualität" in der Tat Humboldts „ I d e a l " von 1 7 8 9 bis 1796 mindestens gewesen ist, ergibt sich aus dem ersten Buch unserer Darstellung; die Annäherung Humboldts an den T y p u s F r . Schlegels bestätigt andrerseits in willkommener Weise die hier vertretene Auffassung. ») Vgl. S. i n , A. 1. Zu Seite 11;: !) 1. c. S. 96, 1 3 1 , 184. l ) Vgl. oben; Schmitt, 1 1 0 , dazu T. B. I, 607/08, die Bejahung von Rousseaus „romantischem" Traumleben. 3 ) Zit. bei Schmitt, S. 96, nach S. Elkuss. Zur Beurteilung der Romantik, 1 9 1 8 . *) Spranger passim; vgl. S. 454: „bei Humboldt überwiegt der abgeschlossene Subjektivismus; nur selten fragt er, was er dem anderen sein kann". 4 ) Spranger, S. 6 1 , 63 ff., geht darauf aus, die romantischen Anklänge bei Humboldt von seiner Berührung mit den Schlegels und von der Beeinflussung durch Fichte, S. 184 ff., später durch Schelling, S. 7 1 , 194, 197 ff., 478 f f . und sonst herzuleiten. Dabei führt Spranger S. 186/87 selbst aus, daß Humboldt so wichtige Schriften wie den „Geschlossenen Handelsstaat" und die „Bestimmung des Menschen" energisch abgelehnt hat, auch mit Schellings Philosophie nur zum Teil übereinstimmte (z. B. 194, 198). Mit Recht weist Spranger ferner auf das schwankende Urteil Humboldts über die Schlegels und über Fichte hin, welches außer mit der Rücksicht auf Schiller und Goethe ( S . 184) noch mit Humboldts selbst eingestandener Unsicherheit und „Anpassungsfähigkeit" an starke Eindrücke des Augenblicks zu erklären sein dürfte. Die philosophische Abgrenzung der verschiedenen Elemente in Humboldts Gedanken entzieht sich meiner Kompetenz. Von Spranger weicht meine Auffassung insofern ab, als ich die Allnäherung Humboldts an die romantische Haltung nicht auf äußere und mehr zufällige Berührungen mit den Romantikem und ihren Schriften, sondern auf die gegebene innere Anlage und Haltung Humboldts zurückführen möchte. Die Übereinstimmung Humboldts mit der Romantik, soweit man sie mit Nadler und seinen Nachfolgern als den „modernen" Ausdruck des „kolonialdeutschen" Geistes gelten lassen will, muß daher m. E . weniger wundernehmen, als wenn unter den allgemeinen Voraussetzungen der geistigen Zeitlage, in deren Rahmen Humboldt sich entwickelt hat, ein „klassischer" Mensch aus den Wurzeln märkischpommerschen Kleinadels, französischen Einschlages und protestantischer Aufklärung erwachsen sein sollte. Mit Recht hat daher bereits Elkuss, Hist. Bibl. Bd. 39, 1 9 1 8 , S. 79, von der „Generationszugehörig.-

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Anmerkungen. keit" Humboldts zur Romantik „mehr als von Zugehörigkeit im Schulsinn" gesprochen. In der Richtung dieser Auffassung scheint mir die richtige Einordnung zu liegen. Infolgedessen möchte ich dem Nachweis näherer Berührung und wohlwollender Urteile Humboldts über die Romantiker, speziell die Schlegels und Fichtes, welchen Spranger S. 63 f f . beibringt, keine maßgebende Bedeutung zusprechen. Stellt man die Urteile Humboldts sowohl über Fichte wie über die Schlegels zusammen, so ergibt sich doch überwiegende Ablehnung, namentlich aus den von Ebrard veröffentlichten Briefen an Schiller, welche Spranger bei der Abfassung seines Buches noch nicht kannte. Hinsichtlich Fichtes, z. B. S. 2 2 1 , 23. Juni 1798, Paris: „es ist mir lieber, einen Franzosen zu sehen, der von seinem eigentlichen Ich auch nicht einmal eine Ahnung hat, als einen Deutschen, der wie so mancher gutmütige Lehrling, das reine Ich in allen Fingerspitzen zu fühlen g l a u b t " ; vgl. Geiger, S. 57, April 1798. Die Angabe bei SchmittDorotiö, S. 184, über Humboldts Abneigung gegen Fichtes „rasende Ideenjägerei" konnte ich nicht nachprüfen. — Vgl. ferner T. B . I, 4 5 1 / 5 3 , den Vergleich zwischen Kant und Fichte: „eigentlich metaphysischer könnte vielleicht Fichte heißen". — Sehr viel deutlicher kommt in diesen bisher unbekannten Briefen Humboldts Abneigung gegen die Schlegels zum Ausdruck, wobei eine gewisse gleichnamige Polarität ihrer inneren Struktur, namentlich bei Fr. Schlegel, im Spiel gewesen sein mag; vgl. Ebrard S. 97, 126, 162/63, 206/07, besonders 3 0 0 / 0 1 , das vernichtende Urteil über den Alarkos. Die abschätzigen Urteile datieren fast ohne Ausnahme nach 1797. Daß die Abneigung auf Gegenseitigkeit beruhte, zeigt das Zitat, welches Leitzmann, G. S. I I I , 402, anführt. Im „Literarischen Reichsanzeiger" des Athenäums II, 233, werden Humboldts „Ästhetische Versuche als Prämie dem verheißen, der Ramdohrs Venus Urania ausgelesen habe". — Vgl. Erich Schmidt, „Caroline", 1 9 1 3 , Bd. I, 7 3 1 . — An Brinckmann, Rom. 4. Februar 1804 (Nr. 80): für die Werke des Schlegels wolle er nicht eintreten, aber ihr „notwendiges Umrühren der deutschen Literatur" werde er ewig in Schutz nehmen.

Z u S e i t e 116: T . B. II, 454; Spranger, I, 80. Die Humanitätsidee Humboldts selbst ist nach Spranger „nur einer ästhetischen Theorie zugänglich; ein Kunstgebilde, dessen Höhe nur im ästhetischen Sinn erlebt werden kann". I, 435. ! ) Schmitt-Dorotiö, S. 1 4 7 ; vgl. ib. 1 2 2 : „das absolute Ich, ins Gefühlsmäßig-Asthetische umgebogen, ergibt eine nicht durch Aktivität, sondern in Stimmung und Phantasie veränderte Welt". 3 ) Vgl. Distel, S. 12. Z u S e i t e 117: i ) B f . II, 210. 1804. *) G. S. I I I , 204. 3 ) An Niebuhr, 28. März 1827. Mitteilungen Liter. Archiv, I, 1894, S. 20: An der Brahmanenphilosophie ziehe ihn an „das Handeln gleichsam als handelte man nicht. Das stimmt mit meiner Individualität wunderbar überein". Auf die Bedeutung dieser „ I d e e " Humboldts habe ich bereits aufmerksam gemacht. Archiv für Kulturgesch. X I I I , S. 1 1 4 f f . —

Anmerkungen.

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Gelegentlich der Herausgabe der Schrift über „ H e r m a n n und D o r o t h e a " schreibt Schiller an Goethe über Humboldts mangelnde „Zuversicht zu seinem Werke und seine natürliche Furchtsamkeit, d a ß er der wirklichen Erscheinung mit einer gewissen Bangigkeit entgegensieht". Leitzmann, S. 440. *) Bf. II, 246, 1804, vgl. Spranger I, 446/47, welcher hier den Quell erblickt zu dem, „was Humboldt, der Staatsmann, unter dem Leben in Ideen verstand, das ihm als das höchste g a l t " . Mit der Auffassung Sprangers stimme ich soweit überein, als auch ich die Idee der „gleichgültigen H a n d l u n g e n " als eine wesentliche Idee Humboldts ansehe, aber zugleich in ihr und dem sogenannten „Leben in I d e e n " die Wurzel seines Mißerfolges erblicken muß. — Vgl. G. S. I, 85. Die e r s t e prägnante Formulierung des Gedankens: „Die Resultate sind nichts, alles nur die Kräfte, die sie hervorbringen, und die aus ihnen entspringen". •*) Bf. II, 64, Mai 1797. „Mir ist es ein fester unumstößlicher Satz: nichts von dem, was ein Mensch je Gutes und Großes wirklich war, geht jemals unter, und wäre es nur d a s von niemand unmittelbar erkannte Gefühl eines einzigen Augenblicks gewesen . . . es geht von ihm auf andere über, und wäre niemand je zugegen, so prägt es sich, möchte ich sagen, der toten Natur selbst ein. . . . Werke und H a n d l u n g e n " usw. 6 ) Vgl. Schmitt-Dorotiö, S. 223/24: „die organische Passivität gehört zur occasionalistischen Struktur des .Romantikers". 2 u S e i t e 118: Die oben zitierte prägnante Formulierung stammt aus dem September 1804; der ganze Zusammenhang, in dem sie ausgesprochen wird, ist ein Ausdruck jener „inneren Produktivität", welche Humboldt so leicht beim Briefschreiben überkam (S. 247 — „verzeih, d a ß ich mich meinen Gedanken überlasse") — und welche aus seinen Briefen sein eigentliches Werk, Lebenswerk wie Kunstwerk, mit seinem überreichen aber farblosen Gedankenstrom hat werden lassen. Hier in Rom war Humboldt wieder ganz in Stimmung, E m p f i n d u n g , Traum, Genießen versunken; Rom wurde der mächtige „ A n l a ß " zu geistigem Genuß. Vergessen war die Sehnsucht nach „ L e i s t u n g " ; das „ W e r k " , — die ,.Ästhetischen Betrachtungen" — war ein Fehlschlag gewesen; die aktiven Neigungen Humboldts waren befriedigt durch die diplomatische Beschäftigung; so beherrschte ihn wieder jene Anschauung von der Nichtigkeit des H a n delns, welche in dem S. 1 1 7 , A. 4 zitierten Brief sich ebenso deutlich aussprach. Dieser Brief stammt aus dem Mai 1 7 9 7 ; die beiden Briefe a n Schiller und an Gentz, welche die Sehnsucht nach Leistung aussprachen — vgl. oben S. 76/78 — sind im Herbst, September und November ' 7 9 7 geschrieben; die „Krise" ist daher auf die Sommermonate 1797 anzusetzen und fällt mit dem Übergang in das Reiseleben, welches die „Möglichkeit" an die Stelle der unfruchtbaren „Wirklichkeit" der seit 1791 geführten Lebensform setzte, zusammen. 2 ) Vgl. Spranger I, 477; Schmitt, S. 97/98; 96. -1) S p r a n g e r I, 467: „Humboldt anerkennt als Muster des griechischen Geistes nur Homer, Sophokles, Aristophanes, P i n d a r " ; — die „eigentlichen Griechen sind ihm die Athener"; Humboldts Griechenideal „beruht

478

Anmerkungen. auf einem Ausschnitt von Kenntnissen, dessen Maß und Gestalt ganz durch eine subjektivistische Antizipation bestimmt i s t " , 466 vgl. 468, 469 — „Ausgehend von der Normativität der Kunst — werden die Griechen zur höchsten Norm der Menschheit überhaupt erhoben — das Prinzipielle der Griechenmetaphysik liegt durchaus in der Kategorie der Ästhetik beschlossen". S. 462. „ D a s Individuelle der Griechen wird idealisiert . . . durch Vielseitigkeit und Einheit . . . zur Totalität . . . die Griechen stellen die Normidee der Humanität d a r . " 465/66. — E r setzen wir in diesen Sätzen das „Idealisieren" durch „Romantisieren", so wird man Humboldts „Griechenideal" von seinem ersten Auftreten an und nicht erst von einem späteren Zeitpunkt, welchen Spranger S. 477 f f , als „romantisierte Griechenauffassung" (S. 4 8 1 ) — vgl. dieselbe Formulierung neuerdings in Sprangers „Kultur und E r z i e h u n g " , 2. A. 1 9 2 3 , S. 1 0 1 / 0 2 — seit der Bekanntschaft mit Schellingschen Ideen beginnen läßt, kennzeichnen dürfen als einen echt romantischen Akt, in welchem die höhere Realität des absoluten Ideals „in der Vergangenheit lokalisiert", subjektivistisch gedeutet und als „ästhetisches Produkt" der Wirklichkeit entgegengesetzt und übergeordnet wird. V g l . Schmitt-DorotiÖ, S. 1 0 3 : „das zeitlich oder räumlich entfernte romantische Objekt . . . ist nicht seiner selbst willen Objekt des Interesses, es ist ein Trumpf, der gegen die gewöhnliche, real gegenwärtige Wirklichkeit ausgespielt wird, und soll die Gegenwart widerlegen." SchmittDorotiÖ bezeichnet besonders Griechenland „als romantisches A l i b i " . — In dem Brief an Schiller vom 22. Oktober 1803, Leitzmann S. 3 1 3 kann man mit Spranger, S. 480, A. 2 eine bewußte Stellungnahme für die „romantische Kunstform" gerade „aus Anlaß" der klassizistischen „Braut von Messina" erblicken. G. S. I I I , 1 9 3 ; vgl. S. 1 9 5 ; „was das Antike und Moderne durch eine unüberspringbare Kluft voneinander trennt, ist der Hauch des Altertums, der das geringste Bruchstück wie das vollendetste Meisterwerk mit unnachahmlichem Zauber bedeckt". Vgl. hierzu die aufschlußreichen Gedanken bei Schmitt-DorotiC. S. 1 0 2 : „ I n jeder Sekunde determiniert die Zeit den Menschen . . . vor ihrer Macht weicht der Romantiker in die Geschichte aus. Die Vergangenheit ist Negation der Gegenwart. War die Gegenwart negierte Möglichkeit, so wird in der Vergangenheit die Negation wieder negiert und die Beschränkung aufgehoben. D a s vergangene Faktum hat die Seinsqualität des Wirklichen, ist konkret und r e a l . . . es hat nicht die Zudringlichkeit der gegenwärtigen Realität, welche den Romantiker als existierenden Einzelmenschen in jeder Sekunde b e d r ä n g t . . . Die Vergangenheit kann auch gedeutet.. . konstruiert und kombiniert werden." (S. 103).

Z u S e i t e 119: x ) Vgl. Spranger, 457: „es kommt Humboldt nicht an auf ,treueste Auffassung der Griechen', sondern auf den .subjektiven Nutzen, den man aus der vorausgesetzten Geschichtskenntnis ziehen könnte". (Vgl. Stefansky, 1. c. S. 1 0 6 ; Stefansky will in dem gleich anzuführenden Zitat den Beweis „klassischer Denkform" sehen — überall zeigt sich also die Begriffsbestimmung von Romantisch und Klassisch sehr schwankend.) G. S. I, 278: „ D e r Nutzen eines solchen Studiums besteht nicht gerade in dem Anschauen eines solchen Charakters, als der Griechische war,

Anmerkungen.

479

sondern in dem eigenen Aufsuchen desselben. Denn durch dieses wird der Aufsuchende auf eine ähnliche Weise gestimmt. Griechischer Geist geht in ihn ü b e r , . . . bringt schöne Gestalten h e r v o r " ; daß Humboldt bei der ästhetisierenden Reproduktion des Griechenideals vorkommendenfalls nicht historisch, sondern romantisch vorzugehen geneigt war, dafür findet sich mancher Hinweis. Z. B. auf den Vorschlag Schillers, die griechischen „Götter-Ideale" darzustellen, begründet er seine geringe Neigung u. a. mit dem Satz: „das Historische setzt da, wie willkürlich man es auch behandeln möchte, immer der philosophischen Ausführung Schranken," Ebrard, S. 24 (9. Februar 1796) vgl. Leitzmann, S. 273. F e m e r G. S. I I I , 1 4 3 : jeder, der „die Antike mit gesundem Gefühl versteht", müsse ihm in dem Urteil beistimmen, daß „ . . . es verhalte sich auch mit der Wahrheit, wie es wolle", der Anschein dafür spreche, daß „der griechische Künstler seinen Weg von der Idee aus und nicht zur Idee hin genommen habe". — „ W i r verkennen durchaus unser Verhältnis zu den Griechen, wenn wir den Maßstab der übrigen Weltgeschichte auf sie anzuwenden w a g e n . . . wir schöpfen aus der Betrachtung der Griechen etwas mehr als Irdisches, ja beinahe Göttliches." G. S. I I I , 188, vgl. Spranger, 480, ferner Spranger II, 59. — Dazu G. S. I I I , 136/37 die Einleitung zu „Latium und Hellas" über den „vierfachen Genuß der A l t e r t u m s . . . welcher nie zur Sättigung führt". Noch in der Mitte der 90 er Jahre, in den Monaten, als Humboldt die Schrift über das 18. Jahrhundert plante und durch den modernen Stoff sehr angezogen gewesen zu sein scheint, findet sich ein auffallendes Urteil über den Vorzug, welcher der Moderne vor dem Altertum gebühre. „ I m Ganzen aber ist doch das Studium und die Beschäftigung mit den Modernen mannigfaltiger, dankbarer und anziehender. Im Altertum dreht man sich im Grunde nuf auf einem sehr kleinen Kreise herum. S o schön, groß und einzig die Bildung der Alten auch ist, so findet sie doch in der äußeren Lage zu wenig Nahrung und S t o f f , nicht bloß um recht dauernd und fruchtbar, sondern auch nur um recht reich an eigentlichem Gehalt zu sein." An Schiller, 2. Juni 1796, Ebrard, S. 85. — Also nicht einmal das Griechenideal war für Humboldt über jede Anzweiflung erhaben; auch hier wie sonst im Leben schwankt er in seinen Wertungen unter dem Eindruck des Augenblicks. Um so mehr tritt das hellenische Ideal unter die romantische Kategorie des „Anlasses" in der oben dargelegten Bedeutung. Für Humboldts Griechenideal wird auch von einem englischen Beobachter das romantische Moment festgestellt; er sagt über Humboldt: „the love, one may almost say the worship of Greece was not independent of the Rousseauistic and Romantic revolt against the shams and excesses of an overdeveloped civilization." cf. Montgomery, Hölderlin and the German New-Hellenic Movement, Oxford, 1923, p. 3 1 . s

) Vgl. G. S. I I I , 1 9 5 ; Haym, S. 53: „mehr aus dem Herzen als aus umfassender Kenntnis pries er das unnennbar-reizende Altertum", vgl. G. S. I, 127, ferner Spranger, 463: „zur selbständigen Versenkung in das griechische Altertum bot sich erst in Auleben Gelegenheit". 3 ) Schmitt-Dorotiß, S. 97/98. 4 ) Vgl. oben S. 55; vgl. Schiller an Humboldt, 22. J u l i 1796, Leatzmann, S. 289: seine kritische Anlage behindere Humboldts schrift-

480

Anmerkungen. stelierische Produktivität: „Ihr Subjekt wird Ihnen zu schnell Objekt, doch muß alles auch im Wissenschaftlichen nur durch das subjektive Wirken verrichtet w e r d e n ; " . . . „eigentliche Genialität" habe Humboldt n i c h t , . . . „Ihre individuelle Vollkommenheit liegt daher sicherlich nicht auf dem W e g e der Produktion, sondern des Urteils und des Genusses;" doch werde Humboldt „um sich zu einem vollkommen genießenden Wesen auszubilden, das eigene Produzieren doch nie aufgeben dürfen". Aber es bleibe ihm „nur Mittel, wie dem produktiven Gemüt die Kritik nur ein Mittel ist". 6 ) V g l . die drei ersten Bände der Ges. Schriften, welche die „ F r a g m e n t e " der Jahre 1787—1807 enthalten. 4 ) Schmitt-DorotiÖ, S. 113, vgl. oben S. 11.

Z u S e i t e 120. ' ) Ebrard: S. 25, 34; 9. und 13. Februar 1796. V g l . Schmitt-Dorotiö. S. 107: „ D i e Realität war subjektivistisch nicht zu erringen, daher unterschob sich ihr noch etwas anderes, scheinbar Größeres; die Totalität. Des ganzen Universums, der gesamten Wissenschaft, der gesamten Kunst konnte das Subjekt sich auf einmal in complexu bemächtigen." *) 1. c. S. 96. Z u S e i t e 121: !) 1. c. S. 106. s ) Leitzmann, 313. 3 ) Vgl. z. B. oben S. 118, A. 1. 4 ) V g l . T. B. II, 456/58 — mit der höchst merkwürdigen Feststellung: „das, was die Menschen Charakter haben nennen . . . habe ich als Natureigenschaft gar nicht, wenn ich aber will, im höchsten G r a d e " . Z u S e i t e 122: V g l . Ebrard S. 30/31 den ergreifenden Ausdruck des Bewußtseins von diesem Versagen. ! ) Mehrfache Äußerungen dieses Tatbestandes in den Briefen an Schiller und Goethe aus Paris und Rom: „ W a s mich an Deutschland knüpft, was ist das Anderes, als was ich aus dem Leben mit Ihnen und mit dem Kreise schöpfte, dem ich nun schon seit beinah 2 Jahren entrissen bin." An Goethe, 18. März 1799, G e i g e r > S. 62, vgl. Schmitt-Dorotiö, S. 103, über die „romantische Funktion" der räumlichen Entfernung. 3 ) An W o l f , 24. Dezember 1809, a. a. O., 276. Z u S e i t e 123: Vgl. Schmitt-DorotiC', S. 113 und oben S. 11. Fünftes Kapitel. Z u S e i t e 124: l ) V g l . die Mitteilungen von Leitzmann nach den Personal-Akten G. S. V I I , 2, 554/55: Anstellungsgesuch vom 13. Februar 1790; erste Prüfung am 8. März: „er zeigte eine mit gründlicher historischer Kenntnis verbundene philosophische Übersicht des ganzen von ihm selbst durchdachten Systems, eine richtige Beurteilung und einen seltenen Scharfsinn" — so konnte ihm sein früherer juristischer Instruktor, der Kammergerichtsrat und spätere Hallenser Professor Klein, bezeugen. Zweite Prüfung nach Einreichung der Proberelation am 26. Juli; Bestallung zum Referendar am Hof- und Kammergericht, 5. September. Vorher bereits hatte Humboldt durch die Vermittlung des Ministers Graf Hertz-

481

Anmerkungen.

berg Beschäftigung im Auswärtigen Departement, Mitte Juni aus diesem Grunde das Patent als Legationsrat (Bf. I, 169) und damit die Möglichkeit erhalten, zwischen zwei Arten des Dienstes gegebenen Falles zu wählen. Vgl. T. B. I, 8. Oktober 1788: Förster rät Humboldt, „ins auswärtige Departement zu g e h e n , . . . ich besäße die Kenntnisse dazu, und das Exterieur, das man an Höfen und in großen Gesellschaften brauche. Das letztere Urteil freute mich sehr". Seit Herbst 1790 folgte juristische Beschäftigung beim Kammergericht, Oberappellationssenat und kurmärkischen Pupillenkollegium. Im Frühjahr 1791 war Humboldt Protokollführer im Prozeß des Buchhändlers Unger gegen den Zensor Zöllner (vgl. „Prozeß des Buchdrucker Unger gegen den Oberkonsistorialrat Zöllner in Zensurangelegenheiten wegen eines verbotenen Buches", Berlin 1791J. —'Entlassungsgesuch aus dem juristischen Staatsdienst vom 19. Mai 1791. — Als Legationsrat ohne Gehalt scheint Humboldt unter den Anwärtern des auswärtigen Dienstes bis 1802 weitergeführt zu sein. *) Vgl. oben S. 37, Bf. I, 343/44Z u S e i t e 125: i) G. S. VII, 506. *) Moeser, Patriotische Phantasien, II 1 , S. 160 ff. 3 ) T. B. I, 26. — Das soziale und juristische Problem des Kindesmordes ist ein oft behandeltes Thema in der Literatur um 1780 — vgl. Schillers „Die Kindsmörderin" und Bürgers „Des Pfarrers Tochter von Taubenhain"; dazu Kluckhohn, 1. c. S. 210. — Humboldts Skrupel waren also durchaus „zeitgemäß". T. B. I, 128 ff. entwickelt fast sozialistische Gedanken, wenn er den Ursprung „beinah aller Laster aus dem Mißverhältnis der Armut gegen den Reichtum" herleitet; vgl. ib. 201. Z u S e i t e 126: ») Bf. I, 263, 223. *) 1. c. 263. Dem Übermaß der Feinfühligkeit setzt Caroline gelegentlich eine aus der Erfahrung geschöpfte nüchterne Beurteilung entgegen. Auf die Relation über den Kindsmord, welche zur Kenntnis des Schwiegervaters und durch diesen an Dalberg kam, scheint Humboldt einigen Wert gelegt zu haben. 1. c. 321, 360. Die durch sie erregten Gedanken haben Humboldt noch weiter beschäftigt, wie eine aus dem Herbst 1791 stammende Abhandlung „ ü b e r die Ehrlosigkeit (Infamie) als eine Criminalstrafe" — G. S. VII, 2, 556 ff. — beweist. 3 ) Bf. I, 261/62 vgl. S. 117: „nur für e i n . . . stilles und ungekanntes Leben bin ich gemacht. Vielen etwas zu sein, vielen mich mitzuteilen, ist mir unmöglich." Über den allmählich entstehenden Entschluß zum Ausscheiden vgl. z. B. Bf. I, 105, 113, 346, 364, 370, 389; besonders 431: „Wäre der Nutzen (seines Bleibens) wirklich so groß und so gewiß, so nähme ich keinen Anstand, ihm die Glückseligkeit aufzuopfern, die ich mir von einem freien, unabhängigen Leben verspreche. Aber Beides ist nicht der Fall. Das gewöhnliche Geschäftsleben kann beinah jeder ausfüllen, das ungewöhnliche ist selten und u n g e w i ß . . . (Hier meldete sich der Ehrgeiz, von dem Humboldt keineswegs frei war, und der ihn später, nach 1815, mitbestimmte, im Dienst zu bleiben.) . . . dagegen so gewiß und schön das Glück, das wir allein genießen, K i e h l e r , Humboldt.

3t

482

Anmerkungen. d e r Segen, den wir über uns und andere verbreiten." — T. B. I, 93. Humboldt bezweifelt gegenüber Dohm seine „Brauchbarkeit zu Geschäften". 4 ) Vgl. besonders Gebhardt I, S. 9; aber auch Haym, S. 3 5 ; dann den Begleittext Bf. I, 202. Unmittelbar nach dem E r l a ß des berüchtigten Religionsediktes, von dem übrigens nur Angehörige der Geistlichkeit oder des Lehrerstandes betroffen wurden, war dieses allerd i n g s mit seinem Urheber ein bevorzugter Gegenstand von H u m b o l d t s Gesprächen auf seiner Reise vom Herbst 1788, cf. T. B. I, 19, 25, 32> 35> 37- Über das Religionsedikt, dessen bedenklichste F o l g e r u n g e n übrigens erst 1794 auf Betreiben Friedrich Wilhelms II. in Erschein u n g traten, vgl. O. Hintze, Die Hohenzollern und ihr Werk, 1 9 1 5 , S. 4 1 1 / 1 2 ; P. Bailleu, Preußischer Wille, 1924, S. 148/51. Über d i e politische „ U n g e n i e r t h e i t " des Beamten- und Bürgertums in Berlin um 1790 vgl. die lebensvolle Schilderung von Paul Wittichen, Z u r inneren Geschichte Preußens während der französischen Revolution. Br. P r . F g . 19, S. 320 ff. — D a ß Humboldts Urteil über den bekannten Prozeß des Predigers Schulz der bestehenden Rechtslage nicht gerecht wurde, zeigt Stölzel, Svarez, S. 352.

Z u S e i t e 127: >) Bf. I, X X ; Bf. 1, 347/48; Humboldt macht sich H o f f n u n g auf „eine E r k l ä r u n g , d a ß er uns gern bei sich hätte. Eine Art von Begleiter, Gesellschafter, . . . der ihm so nützlich sein könnte. Seine Zeit ist beschränkt, ihm manches zu schreiben, aufzusuchen, nachzuschlagen, alles das wird sich finden". Scheinbares Eingehen Dalbergs S. 360/61, 3 9 9 / 4 0 0 ; Schillers H o f f n u n g e n auf Dalberg Bf. I, 107. Humboldts Bewunderungsbereitschaft f ü r Dalberg I, 377. Dalberg über Humboldt I, 385. Humboldt über Dalbergs erfreuliche ..politische Parteilosigkeit" — an C. v. Wolzogen, 15. Februar 1794, Wolzogen I, S. 3 / 5 ; ein Menschenalter später: Dalbergs „in seiner Zeit ganz einzig dastehendes Wesen verdiene der Vergessenheit entrissen zu werden", April 1 8 3 1 , ib. 69 ff. — Eine glänzende Schilderung Dalbergs bei Haym, S. 44/45. Humboldt hat eine liebevolle Schilderung Dalbergs selbst entworfen im „ R o m a n " , T . B. II, 533. Z u S e i t e 128: Bedenken der alten H e r r s c h a f t e n : Bf. I, 424, 434; ferner Bf. I I I , 37, 51 (die Inventaraufnahme der Garderobe des alten H e r r n ) ; 300. *) G. S. I, S. 77—85; letzter Neudruck: Klassiker der Politik, Bd. 6, 1 9 2 2 ; zuerst gedruckt Berlinische Monatsschrift, Januar 1792. Über die Freundschaft mit Gentz vgl. die ausgezeichneten Ausführungen von Wittichen, Br. Pr. F g . 19, S. 341 ff.; seiner Annahme einer bleibenden Freundschaft widersprechen manche scharfe Äußerungen Humboldts in den späteren Briefbänden. Z u S e i t e 129: !) Vgl. oben Buch I, S. 56. 2 ) G. S. I, 82. 3) 1. c. 78, 79. Z u S e i t e 130: !) 1. c. 80/81. Z u S e i t e 131: i) 1. c. 79-

Anmerkungen. 2

483

) Zur Beurteilung der Schrift vgl. Meinecke, „Weltbürgertum" usw. 6. A. S. 3 9 / 4 1 ; Gunnar Rexius, Studien zur Staatslehre der Historischen Schule, Hist. Ztsch. 107, 4 9 6 f f . ; R . bezeichnet Humboldts Stellung zur Geschichte als eine „negativ historische Auffassung, welche . . . den Glauben an eine allgemeingiltige Idealverfassung verwirft . . . und ein Auge hat für das Gesetz der historischen Kontinuität. Aber dieses Zugeständnis bedeutet ihr die Resignation vor einem notwendigen Übel". Eine „positive Bewertung" der historischen Kontinuität sei noch nicht zu verzeichnen (S. 5 1 2 ) . Diesem Urteil kann man insofern beipflichten, als Humboldt im großen und ganzen, jedenfalls bis etwa 1808, mehr jene Geschichtsanschauung hat, welche R . S. 535, A. 2 „romantisch rationalisierend" nennt. — Ferner G. P. Gooch, Germany and the French Revolution, 1920, S. 105 f f . besonders S. 107/08; mit Recht vermißt G., daß Humboldt seine Idee vom geschichtlichen Wachstum des Staates nicht entwickelt habe, welche unausgesprochen der Abhandlung zu Grunde Hegt. Sehr fein hat Dove, 1. c. 47 den „merkwürdigen realistischen T a k t " in Humboldts Darlegungen hervorgehoben.

S e i t e 132 : Vgl. die Aufzeichnungen T. B. I, i n , 119/20, 1 2 3 , 124. Daß philanthropische Betrachtungen die eigentlich politischen im Tagebuch überwiegen, ist schon früher (Buch I, S. 22) bemerkt worden. a ) T . B. I, 1. November 1789. Humboldt schildert mokant die Argumentation seines Gesprächsgegners, der mit rein formalen B e g r i f f e n , „ohne Rücksicht auf besondere F ä l l e " demonstrierte, daß „une action grande, généreuse, juste est utile dans tous les moments" usw. — Später konnte Humboldt feststellen, daß auch Sieyès gegen die Beschlüsse des 4. August gewesen war, T . B. II, 4 6 1 / 5 1 1 . Soweit aber die „ F r e i h e i t " etwa angegriffen oder nicht richtig gewürdigt wurde, trat Humboldt in seinen Gesprächen auf der Reise durch Süddeutschland und die Schweiz lebhaft für die Revolution ein; „es ist als hätte man in Deutschland auch nicht einmal Sinn für Enthusiasmus für Freiheit". T . B . I, 1 4 4 ; 148, 156, 163, 174. 3 ) Vgl. T . B. I, S. 543 (1798). Die nähere Kenntnis der Vorgänge namentlich während der Jahre der Konventherrschaft, wie Humboldt sie aus dem Umgang mit vielen politischen Persönlichkeiten der Direktorialzeit gewonnen, hat seine Ablehnung der empirischen Revolution dann noch verstärkt, wie sich aus vielen Aufzeichnungen des Tagebuchs der Pariser Jahre ergibt. S e i t e 133: An Schiller, 7. Dezember 1792. Leitzmann, S. 49. Im gleichen Brief verurteilt er scharf Forsters „öffentlichen Übergang zur französischen Parthie", den er mit Rücksicht auf des Freundes Finanzlage als ,glicht unpolitisch", mit Rücksicht auf den Kurfürsten von Mainz, in dessen Dienst Forster als Bibliothekar gestanden hatte, als „unmoralisch und unedel" bezeichnet. — An Brinckmann, 9. November 1792 (Nr. 20). Sehr merkwürdig ist folgende Stelle aus dem Brief an Brinckmann vom 30. November 1792 ( 2 1 ) : „die Nation ist voll Enthusiasmus . . . das Constitutionelle, davon sehe ich noch keine Wunder, und Ruhe 31-

484

Anmerkungen. und Frieden halte ich immer für die gefährlichsten Feinde dieses V o l kes, das, so edel es sich jetzt auch z e i g t , . . . sich bemüht, einen Schatten aus der Vorwelt hervorzurufen, der keinem Bannspruch g e h o r c h t . " — Ob damit das Ideal der ,,Römertugend" gemeint war? *) „ M a n muß jede Begebenheit und jedes Zeitalter wie eine nützliche und erbauliche Geschichte ansehen, was gut und heilsam ist, daraus entnehmen, und das übrige als Hülse betrachten." An David Friedländer, August 1 7 9 1 , zit. bei Gebhardt I, 9, A. I. ») A n W o l f , 6. Februar 1793. G. W . V, 34. „ A l l e r Eindruck, den die gräßlichen Szenen auf mich machen, ist eine lugubre Betrachtung über das Schicksal des Menschengeschlechts . . . d a ß alles Gute durch Blut wandern, jeder Übergang zum Bessern erst wieder das Viel-Schlechtere mit sich führen m u ß l " an Brinckmann, 19. Dezember 1793, Nr. 36.

Z u S e i t e 134: l ) Ebenso beurteilt Dove 1. c. 47 die Motivierung der Schrift; die Bemerkung Meineckes, a. a. O. S. 40, daß „die trübe Erinnerung an Selbsterlebtes, an den Druck des aufgeklärten Despotismus" den Inhalt der Ideen von 1792 bestimmt habe, scheint mir aus den Gründen, welche auf diesen Seiten entwickelt werden, nicht zuzutreffen. In seinem eigenen Leben hatte Humboldt den „Despotismus" nicht zu spüren bekommen; subjektiv hatte er sich keineswegs zu beklagen. Und d a ß objektiv der preußische Staat gerade jener Jahre, seit 1786, an Straffheit der inneren „Disziplin" sehr nachließ, auf der anderen Seite gerade durch die Tätigkeit der führenden Juristen, von welcher Humboldt in seiner Berliner Zeit einen Eindruck hätte gewinnen können, entscheidende Schritte auf der Bahn zum „Rechtsstaat" vollzog, geht hervor aus den Ausführungen VVittichens, Br. Pr. F g . 18, S. 266 f f . und Otto Hintzes, Br. Pr. Fg. 32, 1920, S. 385 ff. („Preußens Entwicklung zum Rechtsstaat"), bes. S. 432/33, 436, 448; ferner O. Hintze, die Hohenzollern, usw. S. 407/09. *) G. S. I, 83. ' ) 1. c . 84. *) 1. c. 83; der Zusammenhang zeigt eine ganz krasse Staatsauffassung auf physiokratischer Grundlage, insofern Humboldt den Zweck „aller heutigen politischen Systeme" in der Aufbringung von Steuern sieht; vgl. dazu seine Darlegung und Verteidigung des physiokratischen Systems in den unter Dohms Leitung entstandenen Ausarbeitungen G. S. V I I , 2, S. 519 ff. Z u S e i t e 135: l ) „Sucht zu regieren" — mit Beziehung auf Dalberg gebraucht an Forster, G. W . I, S. 295. Vgl. das Motto aus Mirabeau, ,,la fiireur de gouverner, la plus funeste maladie des gouvernemens modernes". G.i>. I, 97. ' ) Aus Dalbergs — anonymer — Gegenschrift „ V o n den wahren Grenzen der Wirksamkeit des Staates in Beziehung auf seine Mitglieder", Leipzig, 1793; zit. bei Beaulieu-Marconnay, K. v. Dalberg, Weimar, 1879, I, S. 193 ff. 3 ) An Forster, 1. c. 4 ) Göttingen als Schauplatz seiner Wandlung nennt neben Bf. I, 344 der angeführte Brief an Forster: „Ich habe, soviel ich auch nachzudenken und zu forschen versucht habe, keine Veranlassung gefunden (meine)

Anmerkungen.

485

Ideen abzuändern... sie sind im Grunde die gleichen, wie in der Göttinger Zeit." Das „Thema" der Schrift Bf. I, 428: „Was ist aller Menschen in der verschiedensten Handlungsweise selbst nicht verstandener Zweck ?— . . . Alle dienen der einzigen Göttin, der Erhöhung des Menschengeschlechts . . . alle, auch physische Sorgfalt ist nur Bemühung, die Bedingung der Möglichkeit des einzigen Gutes zu erlangen." Z u S e i t e 136: *) Vgl. G. S. VII, 2, S. 478/80; ferner S. 481 die Angaben Leitzmanns, welcher die Inhaltsangabe der 750 Quartseiten umfassenden Ausarbeitungen abzudrucken sich die Mühe gemacht hat. Die Definition des Staates, gegen die Humboldt sich wendet, findet sich in § 171 von Höpfners „Naturrecht des einzelnen Menschen, der Gesellschaften und der Völker", Gießen 1780. Z u S e i t e 137: *) An Forster, I. Juni 1792, 1. c. 293—99. Der Satz: „der isolierte Mensch vermag sich ebensowenig zu bilden", nimmt ein altes Thema auf; bereits im Herbst 1789 war über Humboldt die Erleuchtung gekommen: „jeder Mensch existiert doch eigentlich für sich; Ausbildung des Individuums für das Individuum und nach den dem Individuum eigenen Kräften und Fähigkeiten muß also der einzige Zweck alles Menschenbildens s e i n . . . diesen Zweck kann man freilich nicht immer unmittelbar im Auge behalten, weil selbst die Ausbildung des Individuums ein Vergesellschaften und folglich Bindung fürs Ganze erfordert." T. B. I, 154/55, 5. Oktober 1789. Die Gemeinschaft ist also als notwendiges Übel anerkannt. J ) Zur Beurteilung der Schrift vgl. Hayms z. T. glänzende Seiten 44/66; Gebhardt I, S. 12 ff.; Gooch 1. c. S. 108 f f . ; die maßgebenden Darlegungen Meineckes a. a. O., S. 41 f f . ; ferner meine Einleitung zu Band 6 der „Klassiker der Politik", S. 17—27. Spranger II, S. 27 meint, daß „die neue Ethik und ihr tiefer Gegensatz zur Realpolitik ihren Ausdruck in der Schrift von 1792 fanden". Was hier unter „Realpolitik" verstanden werden soll, ist nicht recht begreiflich. Z u S e i t e 138: G. S. I, 84. *) Gooch 1. c. 1 1 5 ; G. S. I, 199; vgl. Dove, 1. c. 48: den von Humboldt geschilderten „Associationen geht jede corporative Festigkeit ab, da ihre Dauer in das Belieben des einzelnen gestellt und die Gefahr der atomistischen Zersplitterung solchen individuellen Gemeinlebcns" gegeben ist. 3 ) Vgl. oben Kap. IV; O. Harnack, 1. c. S. 20; sehr interessant für die deutsche Stimmung vor 1914 ist der Satz S. 23: „überraschend modern erscheint die Schrift vom Standpunkt des heute gerade im Kampf mit der Allgewalt sozialer Forderungen sich so mächtig und sehnsuchtsvoll auf tuenden Individualismus . . . in seinen Bemühungen um eine ästhetisch bedingte Lebensbetrachtung und Lebensführung". Z u S e i t e 139: Vgl. das Zitat S. 137, Anm. 1. ! ) G. S. I, 127; auch an Schiller schreibt er, am 14. Januar 1793, gelegentlich der Unterhandlungen über die Drucklegung: „Der Gegen-

486

Zu

Zu

Anmerkungen. stand ist von allem Bezug auf m o m e n t a n e Z e i t u m s t ä n d e f r e i " — m a n n , S. 50; warum soll m a n diese Versicherung nicht als wahr stellen? „reine T h e o r i e " , G. S. I, 244. S e i t e 141: D a s Gespräch mit D o h m über die Sicherheitstheorie — T . B. I, 24. J u l i 1789. Diskussion mit dem Berner Ith, ib. 212 f f . ; über vgl. Allg. Deutsche B i o g r a p h i e , V, 297 ff.

Leitzunter-

90/91. Dohm

S e i t e 142: x ) Realistische V e r t r a g s a u f f a s s u n g : T . B. I, 2 1 4 : „ein Staat entsteht d u r c h V e r t r a g , wie m a n doch i m m e r a n n i m m t " ; G. S. I, 131: „ a n f a n g s sind höchstwahrscheinlich alle S t a a t s v e r b i n d u n g e n nichts als dergleichen Nationenvereine g e w e s e n " ; A b l e h n u n g d e r R e p r ä s e n t a t i o n : ib. 131/32; Versuch, den V e r t r a g s c h a r a k t e r des Sicherheitsstaates zu entwickeln, ib. 179/80; Staat als widerspruchslose Macht, ib. 133; „ j e d e E r r e i c h u n g eines g r o ß e n E n d z w e c k e s e r f o r d e r t Einheit d e r A n o r d n u n g " , ib. 131. — Z u beachten ist, d a ß auf die Ideen von 1792 die T h e o r i e n Rousseaus keinen E i n f l u ß gehabt haben, was ich f r ü h e r fälschlich angenommen h a b e ; d e n n die G r u n d p o s i t i o n beider D e n k e r ist ganz verschieden; g e r a d e d e n Z w a n g s c h a r a k t e r des Contrat social m u ß t e H u m b o l d t verabscheuen. E r s t 1798 in P a r i s hat H u m b o l d t die politischen S c h r i f t e n Rousseaus kennen gelernt, vgl. unten K a p . VI. ; er hat von Rousseaus G e d a n k e n n u r gelten lassen wollen: „ d a s Verdienst, die Notwendigkeit des G r u n d v e r t r a g e s gezeigt zu haben, das m e h r praktisch wichtig als theoretisch schwer w a r " . Auch hat H u m b o l d t richtig erkannt, d a ß Rousseaus Staatsidee an den kleinen K a n t o n e n d e r Schweiz sich gebildet hatte, T . B. I, 595/97. Die A b l e h n u n g des Repräsent a t i o n s g e d a n k e n s ist noch nachweisbar im § 136 von H u m b o l d t s Verfassungsentwurf vom F e b r u a r 1819, vgl. Ztschr. f ü r Politik, X, S. 215/16. — Ich möchte bei dieser Gelegenheit auf die t r e f f e n d e n A u s f ü h r u n g e n verweisen, welche F r a n z Rosenzweig Hist. Ztschr. 127, S. 306, über die p r e k ä r e F r a g e des Nachweises „geistigen E i n f l u s s e s " gemacht hat, von denen ich m i c h selbst g e t r o f f e n fühle. — In den G. S. I, 131, g e n a n n t e n „ N a t i o n a l v e r e i n e n " Ansätze zur „Selbstverwalt u n g " sehen zu wollen, halte ich nicht f ü r richtig. 2 ) Vgl. die A u s f ü h r u n g e n von Paul Wittichen, Z u r inneren Geschichte P r e u ß e n s während d e r französischen Revolution, Gentz u n d H u m b o l d t . Br. Pr. F g . , B. 19, 1904, S. 3 2 2 / 2 4 ; Treitschke, Politik, B. I, S. 79: „die Lehre der Freiheit vom Staat war ein P r o d u k t d e r Kleinstaaterei jener Zeit". Z u S e i t e 143: i) Vgl. b e s o n d e r s die K a p . XI u n d X I I , G. S. I, 202 ff. 2) G. S. I, 105. Z u S e i t e 144: 1) Vgl. K a p . V, G. S. I, 136 f f . ; 137, 138. 2 ) An Schiller, 9. D e z e m b e r 1792, S. 4 7 : H u m b o l d t ist bereit, „das Stück des Krieges, das so m e h r E p i s o d e ist, h e r a u s z u l a s s e n " . 3 ) G. S. I, 180. Z u S e i t e 145: -1) A. a. O. K a p . I I I : „ W . v. H u m b o l d t in den neunziger J a h r e n des 18. J a h r h u n d e r t s " ; S. 41, 55, 56.

Anmerkungen.

487

Z u S e i t e 146: !) „Ohne Vergleich mit der Wirklichkeit", G. S. I, 127; ,,reine Grundsätze": ib. 244; „Theorie aller Reformen": „ 1 . man trage Grundsätze der reinen Theorie allemal alsdann, aber nie eher in die Wirklichkeit über, als bis diese in ihrem ganzen Umfange dieselben nicht mehi hindert, diejenigen Folgen zu äußern, welche sie, ohne alle fremde Beimischung, immer hervorbringen würden; 2. um den Übergang vom gegenwärtigen zum neu beschlossenen Zustand zu bewirken, lasse man, so viel möglich, jede Reform von den Ideen und den Köpfen der Menschen ausgehen", ib. 239. — Die Unbeholfenheit der Sprache wie des Gedankens in diesem „Extrakt" seiner Ideen läßt 'die innere wie formale Unausgereiftheit des Buches an einem schlagenden Beispiel erkennen. — „Positive Form der Umstände", ib. 240. *) „Zustand in seinem ganzen Umfang": 1. c. 242; hier kehren die auf S. 79 angedeuteten Grundzüge der Interpretation der „individuellen Beschaffenheit" in ausführlicherer Form wieder. — Prinzip, der Notwendigkeit: ib. 243, 245. G. S. XII, S. 232, § 15. Bezeichnenderweise notierte Humboldt zu Rousseaus „Considérations sur le gouvernement de Pologne": „Rousseau empfiehlt Behutsamkeit und Langsamkeit in den Reformen". T. B. I, 598. Z u S e i t e 147 : 1 ) Vgl. die Angaben von Leitzmann, G. S. I, 432/33. 2 ) Zum Folgenden zu vergleichen die ausgezeichnete Parallele Wittichens zwischen Humboldt und Gentz, a. a. O. S. 341/45; ebenso S- 348/51, eine treffende Charakterisierung der „Ideen", welche jedoch mit der Annahme, Humboldt habe aus Rücksicht auf den Krieg mit Frankreich die Schrift nicht veröffentlicht, fehlgreift. 3 ) „Grüne Frucht", an Brinckmann, 8. Februar 1793, Nr. 26; Treibhausreife: an Forster, I.e. 290/91. „Taumel des Schreibens" — 1. c. Nr. 26; „meiner würdig" — Nr. 23, 27. Dezember 1792, „nicht wie ein andres Buch" — Nr. 26; „kein gutes Buch" — Nr. 23. Aus den Briefen an Brinckmann im Winter 1792/93 spricht eine Gereiztheit und Verstimmung im Wechsel mit überbetontem Selbstgefühl, welche den Grad seiner Enttäuschung über die Aufnahme seiner Ideen selbst bei den Freunden ermessen lassen. Besonders Gentz werdendes Buch hat ihn tief beunruhigt: er lehnte Burke, aus dem Gentz ihm vorgelesen, ab als „zu einseitig. Ich las ihn nie . . . Es widerstreitet meinem moralischen Gefühl, ein solches Buch zu übersetzen, ja nur als Buchdruckerknecht abzudrucken" (9. November, Nr. 20). Man spürt in diesen Sätzen die Angst des „Idealisten", daß die Wirklichkeit seine „Ideen" durch eine fremde und bessere „Leistung" überflüssig machen könnte. 4 ) An Brinckmann, Nr. 14, 24. September 1792. Z u S e i t e 148 : l ) „Ferner ist doch von einem literarischen Produkt zu erwarten, daß der Verfasser es mit den vorhandenen politischen Büchern verglichen habe, daß er weiß, was neu und was alt ist; auch das fehlte mir", Nr. 26. — Der Erfolg des Buches nach seinem Erscheinen im Jahre 1851 war wohl auch wesentlich der Rücksicht auf die „Individualität" des

488

Anmerkungen. Verfassers, wie sie im späteren Leben der Welt, wenn auch in legendärer Gestaltung, bekannt geworden war, zuzuschreiben. 2 ) Über Gentz's Burke-Übersetzung vgl. Fr. Braune, Edmund Burke in Deutschland, Heidelberg, 1 9 1 7 , Kap. V, S. 1 3 9 f f . 3 ) An Brinckmann, 27. Januar 1793, Nr. 25, vgl. an Wolf, 6. Februar 1793, 1. c. 34. 4 ) An Brinckmann, Nr. 26; ferner über den Aufschub und seine Gründe; an Schiller, 14. und 18. Januar 1793, Leitzmann, S. 4 9 / 5 1 ; an Wolf, 22. Mai 1793, 1. c. 44 f f .

Z u S e i t e 149: An Brinckmann, Nr. 27.

2

) a. a. O.

Z u S e i t e 150: l ) 1. c. S. 1 1 2 . — Erster Druck: W. v. Humboldts Ideen usw. Herausgegeben von E . Cauer, Breslau 1 8 5 1 . Zur allgemeinen Beurteilung und Nachwirkung der Schrift : neuerdings Spranger, „Kultur und Erziehung", 1 9 2 3 , S. 106, welcher in Schillers Briefen zur ästhetischen Erziehung, Hölderlins Hyperion und Humboldts Ideen die gemeinschaftliche Idee einer „negativen Politik" erblickt und sie vergleicht mit Rousseaus Tendenz auf eine „negative Erziehung", beide im Dienst der „Freiheit des schönen, allseitig entfalteten Menschen". — Die bedeutendste Auseinandersetzung mit den Gedanken Humboldts, im Spiegel seiner ausländischen Bewunderer, J . St. Mill und E d . Laboulaye, bleibt Treitschkes großer Aufsatz „Die Freiheit" — Histor. und politische Aufsätze, 3. Aufl., 1867, S. 609 f f . (zuerst 1864), mit seiner großen Gegenthese : „ D e r Staat ist sich selbst Zweck wie alles Lebend i g e " . (S. 620); ferner Politik I, S. 79/80; Deutsche Geschichte I, 2. Aufl., 1879, S. 204, die treffende Formulierung. ,,der Bewunderer des klassischen Altertums predigte die Flucht vor dem Staat, das. genaue Gegenteil hellenischer Tugenden". — J . St. Mill, On liberty and the subjection of woman, 3 th ed. 1864, kannte die Schrift aus der Übersetzung von Coulthard, The Sphere and Duties of Governement, 1854. E s kann bei Mill wohl nur von Anregung, nicht von eigentlicher Beeinflussung durch Humboldt gesprochen werden; S. 103 übernimmt er die Formulierung des individualistischen Bildungsideals „the highest and most harmonious development of his powers to a consistent and complete whole", sie wird ermöglicht durch „freedom and variety of situations", verbunden mit „originality". S. 185 polemisiert Mill gegen Humboldt in der Frage des staatlichen Einflusses auf die Eheschließung und entwickelt eine soziale „Beglückungstheorie", welche Humboldt sehr abgelehnt haben würde. E d . Laboulaye, L'Etat et ses limites, 1 S 6 3 — mißversteht Humboldts Ideen in temperamentvoller Weise. E r beansprucht ihn als „créateur de la philologie moderne, philosophe chrétien ( ! ) , défenseur de la liberté constitutionelle". (S. 48.) Den Vorwurf, Humboldt habe den Staat auf die Rolle des „Gendarmen" beschränkt, bekämpft er mit der F r a g e : „comment une idée semblable serait—elle venue à l'auteur des charmantes „Lettres à une amie", âme honnête et religieuse s'il en fut jamais ?" (S. 53.) Herbert Spencer, „ T h e proper sphere of governement" und Challemel Lacour, La philosophie individualiste, Etude sur G. de Humboldt. Paris 1864,

Anmerkungen.

489

waren ( 1 9 2 1 ) auf der Berliner Staatsbibliothek nicht vorhanden. — Marco Minghetti, Stato e chiesa, 1878, erwähnt Humboldt flüchtig als Eideshelfer f ü r die Einschränkung staatlichen Einflusses auf die Kirche. Die Besprechungen der Schrift bei Lamprecht, Deutsche Geschichte, IX, 116 ff. und bei Guglia, Die ersten literarischen Gegner der Revolution in Deutschland, Zeitschr. f ü r Politik und Geschichte, V, 1888, S. 290 ff. sind belanglos.

Sechstes Kapitel. Z u S e i t e 1 51 : >) An Schiller, 23. Oktober 1795, Leitzmann, S. 180. 8. Februar 1794 — T . B. I, 240. *) G. S. IX, 334. Z u S e i t e 152: i) T . B. I, 573, August 1798. Z u S e i t e 153: An Wolf, 20. August 1797, 1. c. 194/95. *) D a s Tagebuch der Reise von 1796, zuerst von Leitzmann veröffentlicht, Weimar 1894, jetzt G. S. XIV (T. B. I) S. 258 f f . Sehr reizvoll sind auch die Augenblicksbilder aus Rügen und des geistigen Lebens im H a m b u r g e r Umkreis, wo er Gelegenheit fand, in Klopstock u n d J . H . Voß die Führer der vorigen literarischen Generation kennenzulernen und ihre geistigen Silhouetten zu schneiden; selbst eine ihm so fremde Erscheinung wie das Ehepaar Matthias und Rebekka Claudius wird mit Feinheit a u f g e f a ß t ; auch seinem späteren Kollegen am Bundestag, dem entsprungenen Tübinger Stiftler ( G r a f ) Reinhard begegnet er hier zuerst. Über Klopstock vgl. S. 336—339; Claudius 341; Reinhard 333—334; Voß 311/20. Z u S e i t e 155: ») Vgl. Kap. II, S. , Kap. IV, S. *) T . B. I, 3 9 1 , 378. Das T . B. verrät eine bewußte Selbstkontrolle ftiit regelmäßigen Eintragungen, ob er „ m ü ß i g " oder „ f l e i ß i g " gewesen sei, z. B. 436, 439, 440/41. 443. 449. 453Zu

S e i t e 1 56: !) An Schiller, 19. April 1798, E b r a r d , 208 ff. An K ö m e r , 15. November 1798, Jonas, S. 100/01. Vgl. A. R a i f : „ D i e Urteile der Deutschen über die französische Nationalität", Freib u r g e r Abhandlungen, H . 25, 1 9 1 1 , S. 13, 16; über Schiller und Humb o l d t s Äußerungen S. 37 ff.

Z u S e i t e 157: 1) T . B. II, 4542 ) E b r a r d , 1 7 1 ; über Humboldts schon früher erwähntes Gefühl f ü r die „ g r o ß e S t a d t " , vgl. E b r a r d , 172, 1 7 7 ; später Br. IV, 352, und noch h ä u f i g das Thema des Kontrastes von „Einzelnem" und „ M a s s e " . 3 ) An Körner, 15. November 1798, 1. c. 97; über die F ö r d e r u n g e n und H e m m u n g e n seines Triebes zur Korrespondenz durch das Reiseleben, vgl. an Goethe, Geiger, S. 61. ' ) 1. c. 99.

490

Anmerkungen.

Z u S e i t e 158: >) 1. c. 1 0 3 ; vgl. Dove, 1. c. 46. *) An Goethe, 18. August 1799, Geiger S. 86. Von der spanischen Reise sind an Schiller keine, an Goethe nur ein langer Bericht vom November 1799 und das Begleitschreiben der Schilderung des Montserrat erhalten. s ) Vgl. hierzu Leitzmann, Lebensbild S. 43; Farinelli. 1. c. S. 206 f f . *) An K ö m e r 1. c. 103. Zu

S e i t e 1 $9: x ) Jetzt G. S. I I , 3 7 6 ; vgl. die dort gemachten näheren Angaben Leitzmanns S. 406/07. *) An Jacobi, 1. c. S. 59—73. 26. Oktober 1798. ' ) 1. c. 66; zur geistesgeschichtlichen Erklärung dieses Phänomens vgl. die glänzende Ausführung von E . R. Curtius: Französischer Geist im neuen Europa, 1925, Seite 2 1 0 / 1 1 ; an Goethe schreibt Humboldt am 30. Mai 1800 über das fehlende Verständnis der Mme. Stael f ü r die Griechen: „ W i r Deutsche erkennen nicht genau, wieviel wir einzig dadurch gewinnen, daß Homer und Sophokles uns nahe und gleichsam verwandt geworden sind". Geiger S. 124. 4 ) An Jacobi, S. 61/62, 65, 7 1 ; vgl. die Äußerung über den .,künstlichen Charakter der Franzosen", Ebrard, 248; an Goethe, April 1798, Geiger S. 52: ,,es ist nicht einzusehen, wie sich dieser Charakter von den Fesseln losmachen kann, die ihn an die W i r k l i c h k e i t ketten und ihm allen idealischen Aufschwung verwehren . . . zumal . . . angesichts der Hindernisse einer . . . so beschränkten Sprache". Der Brief stellt — S. 48 — als Ziel des zufällig veranlaßten Pariser Aufenthaltes das Studium des französischen Nationalcharakters auf, als Vorstufe zu der Gründung „einer eigentlich neuen Wissenschaft, der vergleichenden Anthropologie".

Z u S e i t e 160: 1 ) Brief vom September 1800, Ebrard, S. 258—91, vgl. an Goethe. Geiger S. 1 3 7 . *) 1. c. 293. Z u S e i t e 161 : *) 1. c. 250; vgl. Ranke, Geschichten der romanischen und germanischen Völker I, 1824, Vorrede S. I I I — I V ; vgl. T. B. II, 1 4 1 , die Bemerkung, daß das 15. und 16. Jahrhundert für den spanischen Charakter entscheidend gewesen seien. *) An Goethe, Geiger, S. 52. — Haym S. 180 ff. konnte noch meinen, daß „bis tief in den Pariser Aufenthalt hinein den Reisenden mehr die alten als die neuen Eindrücke beschäftigten". Auf Grund der neuerschlossenen Quellen ergibt sich ein anderes Bild der Dinge, welches die vorliegende Darstellung nachzuzeichnen versucht. s ) Das Tagebuch nennt an politischer Lektüre z. B. die Schriften von Benjamin Constant (Des relations politiques, De la force du gouvernement, beide von 1 7 9 7 ) I, 3 7 4 ; Desodoards, (Histoire philosophique de la révolution, Paris 1796) I, 4 2 2 ; eine Abhandlung von Dupont de Nemours (Les courbes politiques, Bedeutung der höheren Mathematik für die économie politique) I, 425, vgl. II, 13 und 3 5 ; Sieyès' Schriften (Collection complette, 1796) I, 421 f f . ; Roederers .Journal d'économie

Anmerkungen.

491

publique de morale et de politique" wird im Juli 1798 genau durchgearbeitet, I, 557 ff- Die Beratungen der gesetzgebenden Körperschaften — Rat der Fünfhundert und Rat der Alten — werden im Moniteur, dessen Berichterstattung kritisiert wird S. 375, verfolgt. I, 368, 3 7 1 , 373» 383, 404 ff., 410, 416, 468. Einer Sitzung des Rats der F ü n f hundert hat er am 2. Februar, der des Rats der Alten am 18. Mai 1798 beigewohnt, I, 400, 468. Z u S e i t e 162 : Die Szene im Institut I, 434; Begegnung (im J a r d i n des plantes) I, 438; die Anekdote I, 628; vgl. dazu die eingehende Schilderung des ersten persönlichen Eindrucks I, 376/77, 26. Dezember 1 7 9 7 ; vgl. I, 398; Napoleons Physionomie erinnert a n „die Gattung von Gesichtern, wie man sie von den ältesten Malern sieht, noch ein paar J a h r h u n d e r t e vor van D y k " ; I, 378 es sei „Melancholie im T o n seiner S t i m m e " . *) T . B. I, 408/09; vgl. die eingehende Schilderung an Schiller, E b r a r d S. 2 2 2 / 2 3 ; vgl- 1> 438 „im Gespräch und in der Menschenverachtung zeigt S. den F r a n z o s e n " ; I, 475 findet Humboldt bei S. „echt französischen H a ß gegen die E n g l ä n d e r " , ohne dessen politische B e g r ü n d u n g zu ahnen; die Anekdote I, 524; vgl. 5 1 1 , S. zum 4. August 1789. Z u S e i t e 163: *) T . B. I, 4 7 2 / 7 3 ; Mme de Stael erwartete von Sieyès' Gesandtschaft in Berlin eine „moralische E r o b e r u n g " : „la réputation en Allemangne est le seul espoir qui nous reste", I, 628. Z u S e i t e 164 : !) T . B. I, 469, cf. 540 und 563 die Gespräche mit Miliin und Roederer. 2 ) T. B. I, 470; vgl. 600 bei Besprechung von Rousseaus „Gouvernement de P o l o g n e " : „Legislative und Administration m u ß durchaus getrennt sein, wichtig und nicht genug in der französischen Constitution." T . B. I, 544, vermerkt als Meinung eines „sehr unterrichteten" Deputierten: ,, es sollten mehr Administrateurs und weniger Advokaten im Rat sein." Später ( 1 8 1 9 ) hat Humboldt in Übereinstimmung mit Stein ganz ähnliche Gedanken vertreten. Zu S e i t e 165: !) T . B. I, 422; vgl. G. S. I, 1 3 1 ; T. B. I, 616. *) T . B. I, 595, 600; die Stelle bei Rousseau, Contrat social Livre I I I , Ch. XV, § 5. Zur Methode: R ' s „Raisonnement ist zu häufig mathematisch . . . Man f r a g t sich dann, ob was so in abstracto in bloßen Zeichen wahr ist, es auch in der Sache sein möchte. Dies ist aber sehr französisch", S. 596; vgl. Ztschr. f. Polit. X, 222. Die Reihenfolge, in welcher Humboldt Rousseau kennen lernte, war Emile und Heloise v o r 1790; Contrat social, Gouvernement de Pologne, Confessions: 1798. Z u S e i t e 166: Vgl. die Aufzeichnungen T. B. I, 483; dazu Bericht an Schiller vom 23. J u n i 1789, E b r a r d 215—24. Anfang Mai hatte sich Humboldt vorbereitend mit den Werken Condillacs bekannt gemacht, T . B. I, 444 f f . ; ebenso am 17. Mai eine philosophische Rekognoszierung bei T r a c y voraufgehen lassen, ib. 464 ff., wobei der Unterschied zwischen deutschem und französischem Philosophieren sich fixiert hatte an den Begriffen der Notwendigkeit und der Evidence. Schon früher, I, 424,

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Anmerkungen.

hatte er a n einer Abhandlung von Tracy konstatieren müssen: „ k e i n e Spur einer Idee a priori." Z u S e i t e 167 : >) „Das reine Selbstbewußtsein" — E b r a r d , 216, T. B. I, 486; ,.materialistische M o r a l " — E b r a r d , 220; Alexanders Beobachtung T . B. I, 506; doch wird bei E b r a r d , 220 anerkannt als Vorzug französischen Geistes „die genaue Präzision, die sie fordern, und die Unmöglichkeit ihrer Natur . . . sich tiefere Wahrnehmungen einzubilden, als sie wirklich h a b e n " . *) cf. Buch I, S. 3 ) Der Zusammenstoß T. B. I, 491/93, 3 1 . Mai 1798; S.'s politische Begabung ib. 526; ähnlich war der Eindruck von Äußerungen des D r a matikers Chénier in einer Sitzung des Institut National vom 24. Dezember 1797, wo man über die Universalität der französischen Sprache redete; das E n d e war „ein Herzählen der Gründe, warum die Franzosen la g r a n d e nation wären und immer schon gewesen w ä r e n , " T . B. I, 364/65. — Zu der Unmöglichkeit gegenseitiger Verständigung vgl. die Ausführungen Humboldts im Brief an Brinckmann vom 30. Mai 1800, Deutsche Rundschau, Oktober 1916, S. m . Z u S e i t e 168: Ernüchterte Ideologen: Gespräch mit Miliin und Roederer, 1. August 1798: „wir sahen, daß wir mit unseren Pamphlets einen T h r o n umstoßen konnten und täuschten uns . . . in dem Glauben, mit ähnlichen Mitteln die Revolution im Zaum halten zu können." E s komme darauf an „que le peuple devait toujours être muselé". T. B. I, 563. — Als Lektüre genannt; „Mercier, Tableau de Paris," ib. 430. — Notizen über 1789, die Gironde und die T e r r e u r : z. B. I, 440, 435, 464/65, 473/74» 493. 613, II, 95/96; I, 5 8 1 / 8 2 ; das Ertränken in der Seine und „les boudoirs des rentiers", 629; die verhängnisvolle Rolle der Pariser Stadtmauer während der Verfolgungen, 577. J ) T . B. I, 401/02; man erinnert sich dabei der Beobachtung J a k . Burckhardts, d a ß die Menschen dazu neigen, alle Schuld an ihrem Elend „dem jeweils letzten politischen Zustand zuzuschieben". 3 ) T. B. I, 589. — Vgl. die Bemerkungen im Brief an Brinckmann vom 30. Mai 1800 über Mme Staels Buch De la littérature considérée dans ses rapports avec les institutions sociales: „das Buch ist u n g e f ä h r ein Tischgespräch über die Revolution und die Franzosen. Diese werden fürchterlich, und wie wohl nie geschehen, mitgenommen. D a dies jetzt immer nur eine Partei von der anderen versteht, so schadet dies dem Beifall nichts." Leitzmann, 1. c. S. 111. Z u S e i t e 169: !) T . B. I, 368, 399, 442, vgl. 494. *) T . B. I, 434/35. — Diese „Gelehrtenexpedition" nach Ägypten war der echte Ahn des „Ingenieurkomitees" im Ruhrgebiet. 3 ) T . B. I, 428, 536, 539/40, 544, 548, 565, I I , 69. Z u S e i t e 170: !) T. B. I, 580/81. ! ) Souveränitätsfest: T. B. I, 432; 463 äußert Humboldt seinen Ärger über ein Plakat, welches „die ganze Volkssouveränität lächerlich zu

Anmerkungen.

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machen droht"; — „le peuple n'est plus g a i " : I, 539; ferner Berichte über Feste vom 10. August und 18. Fructidor I, 582, 6 1 1 ; eingehende Schilderung des Nationalfestes vom 22. September auf dem Champ de Mars; zu der Verbrennung zweier Kolossalpuppen ,,le prêtre" und „ l e r o i " als Symbole des Fanatismus und Despotismus, „umtanzt von rohen Kerlen und Dirnen, die liederlichen Vetteln glichen", bemerkt Humboldt, „ein hideuses Schauspiel; wozu diese Scheußlichkeiten?" T . B. I, 629/31. Z u S e i t e 171 : !) T . B . I, 494; vgl. 550, Humboldts Befremden über „unglaublich freie Äußerungen gegen die Republik" in St. Cloud. — Von dem Fest auf dem Champ de Mars berichtet Humboldt ohne Kommentar folgende — selbstbeobachtete? — Szene: „eine gut gekleidete Dame hat sich unterstanden, in den Tuilerien ,au diable la république' zu sagen. Gleich hat man ihren Führer gehalten, Weiber haben ihr die Röcke aufgehoben und haben sie recht ordentlich ausgepeitscht." 1. c. 6 3 1 . 2 ) T . B. I, 560; vgl. 550 der kommentarlose Bericht über den Fall des emigrierten Dubreuil; cf. 566 Alexanders Bericht über die L a g e der Emigrierten. ' ) T . B. I, 566 (Gespräch mit dem spanischen Gesandten d'Azara über die Revolution). 4 ) Vgl. die aufschlußreiche Veröffentlichung Leitzmanns „Wilhelm von Humboldt und Frau v. Stael", Deutsche Rundschau, 1 9 1 6 / 1 7 , welche neben einer Darstellung dieser mehr literarisch als persönlich abgestimmten Freundschaft zwei Dutzend Briefe Humboldts, davon 19 aus den römischen Jahren, zu unserer Kenntnis brachte. Hält man daneben, daß Humboldt in den Jahren 1800 bis 1803 an Schiller nur 1 1 Briefe gerichtet hat und dann ganz verstummte, so läßt sich auf die Bedeutung der neuen Beziehung bereits aus dem Vergleich dieser Zahlen schließen. In diesem Fall ist es wohl die immer stark empfundene Andersartigkeit ihrer Naturen, welche Humboldt anzieht und ihm zum Anlaß dieses Briefwechsels wird, bei welchem er der aktivere Teil gewesen zu sein scheint. Z u S e i t e 172: Essay über Rousseau und Humboldts Charakteristik: T . B. I, 570/75, vgl. 6 0 1 ; „unendliche Aufschlüsse" T. B . I, 625/26; vgl. Humboldt an Frau v. Stael am I. Dezember 1802, bei Leitzmann S. 439: „ V o u s avez ouvert de nouvelles vues à mon esprit" usw. Seine Urteile über die Stael, über deren Geschichte er sich bei Mme Condorcet und Mme Vandeuil eingehend unterrichten läßt, T . B. 4 1 3 , 553/54, 561/62, II, 1 / 2 ; I, 6 4 1 ; ferner über sie an Goethe 30. Mai 1800, Geiger 123/25. In den Briefen an Schiller wird Mme Stael auffälligerweise nur ein einziges Mal (Ebrard 255) nach der persönlichen Bekanntschaft von Humboldt erwähnt. Man gewinnt aus seinen Briefen an die geistreiche Französin den Eindruck, daß die Funktion produktiver Kritik, welche sich im Verhältnis zu Schiller gewissermaßen erschöpft hatte, jetzt, den Gegenstand wechselnd, einen neuen Antrieb erhält; denn die Briefe, vielfach alte Gedanken Humboldts variierend und wohl durch den Zwang der französischen Sprache knapper in der Form, gehören zu den reif-

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Anmerkungen. sten Leistungen des „Briefstellers" Humboldt. — „Die S t a e l . . . eine äußerst merkwürdige Frau, recht geschaffen, der französischen Bildung neue Gestalten zu geben, da sie offenbar mehr und etwas anderes besitzt, als was gewöhnlich im französischen Nationalcharakter l i e g t " — so berichtet Humboldt in den ersten Anfängen ihrer Bekanntschaft an Jacobi, 1. c. 72, Oktober 1 7 9 8 ; ferner die bewundernden Auslassungen in den von Leitzmann a. a. O. mitgeteilten Briefen an Brinckmann. — In einem autobiographischen Rückblick vom Frühjahr 1 8 1 7 , T . B. I I , 520 notiert Humboldt für 1798 die Bekanntschaft mit der Stael, wie er für 1789 die Bekanntschaft mit Schiller vermerkt hatte — sonst ist niemand, nicht einmal Goethe, aus seinem Freundeskreis in dieser Ubersicht genannt. — Druck des Lebens: am 2 1 . Februar 1807 bat Humboldt die Freundin um ein Darlehen von 30—40 000 fcs., um dem durch die französischen Kontributionen schwer geschädigten Schwiegervater auszuhelfen; Dach einem Brief vom 6. August 1808 scheint die vorgestreckte Summe sich auf 20 000 fcs., auf 2 Jahre mit 6°/o zu verzinsen, belaufen zu haben; die bizarre Situation entstand, daß mit dem Vermögen des alten Bankiers und Reformministers Necker die Kontributionszahlung eines preußischen Untertanen in die napoleonischen Kassen ermöglicht wurde. — Bewußtsein der Unvereinbarkeit ihrer Weltansicht: „der Briefwechsel mit ihr hat nichts sehr Befriedigendes und trotz aller unserer gegenseitigen Zuneigung ist noch eine unendliche Kluft zwischen uns beiden . . . sie ist weit herzlicher mit mir gewesen als ich mit i h r . " B f . II, 176, 26. Mai 1804. Die letzte Behauptung läßt sich mit dem Tenor seiner Briefe nicht recht vereinigen — außer mit der Erklärung, daß der oft zu beobachtende Stimmungswechsel dieses nervösen Menschen ihn Dinge und Menschen zu verschiedenen Zeiten unter ungewöhnlich wechselnden Aspekten sehen ließ.

Z u S e i t e 173: l ) T. B. I, 555; Schilderung Benj. Constants, ib. 6 3 1 ; ebenso gibt ein Gespräch mit Roederer (I, 563) Anlaß zu der scharfsinnigen Bemerkung, daß „Beispiele aus der englischen Verfassung auf die hiesige gar keine Anwendung leiden". Zu den Größen der Revolution, über die Humboldt sich sowohl durch persönliche Erkundigungen wie Lektüre seiner Schriften genauer orientiert, gehört Condorcet; er erhielt sogar die hinterlassenen Manuskripte verschiedener Arbeiten durch dessen Witwe — vgl. T. B . I, 365, 462, 469, 528/30, 541, 6 1 4 / 1 6 , 6 3 1 / 3 2 . Dadurch erhalten meine früher (Zschr. f. Polit. X ) geäußerten Vermutungen über geistige Zusammenhänge zwischen Humboldts politischen Ideen der späteren Zeit und Condorcets Ansichten eine nachträglicheBestätigung. Roederers Physiokratismus gebilligt: T. B. I, 560 und sonst; die Salons: I, 403, und sonst. Erwähnung verdient, daß Humboldt sich für die Unterrichtspolitik des Direktoriums besonders interessiert hat — T . B. I, 536/37; auch Sieyfes hatte sich Humboldt gegenüber tadelnd geäußert über die schlechte Schulpolitik der Revolution^ ib. 483; er konnte das Hindernis der „Unwissenheit" der Mehrzahl der neuen Männer in den parlamentarischen Körperschaften und ihr Mißtrauen gegen einen „eigenen ministre de l'instruction publique" hervorheben. Auch die unliebsame Rolle der Privat- und Lokalinteressen in der Tätigkeit der Deputierten wird vermerkt T . B . I, 544/45, 564/65;

Anmerkungen.

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zu der Judenemanzipation der Revolution bemerkt Humboldt bedauernd: „sie verlieren eigentlich ihre Universalität, wenn sie aus J u d e n Franzosen werden" I, 475. — Ein Versuch, die geplante Weltreise Alexanders mit Hilfe des französischen Staates zu finanzieren, scheiterte an der ablehnenden Haltung des Ministers François de Neufchateau, T . B . I, 586, 610. — I, 527 eine Abendgesellschaft bei Mme La Tour mit Schilderung der Damen der „neuen" Gesellschaft. 2 ) Gespräche mit Mme Talma: T . B. II, 1 0 / 1 1 , 29/31. — Besuch verschiedener Theater: de la République, I, 624/25, II, 1 1 , 28/29; Opéra, II, 18 f f . ; du Vaudeville, I, 500; de la Rue Feydeau, I, 592. Lektüre der Klassiker, I, 386, 395, 433, II, 6; bemerkenswerte Analysen von Corneilles Rodogune und Cid: II, 1 9 / 2 1 , 2 5 / 2 7 ; Molières Werke: I, 5 1 4 ff., 5 1 7 / 2 2 ; Aufführung der Ecole des femmes I, 624. Der E r t r a g dieser Studien und Eindrücke niedergelegt in dem Brief-Essay „Uber die gegenwärtige französische tragische Bühne". Über das französische Theater bringen die von Ebrard veröffentlichten Briefe an Schiller viele Einzelbeobachtungen, "besonders S. 178 f f . — Die erste Schilderung eines französischen Theaters (der Comédie française) T . B. I , I 2 i ff., 1789. Zu

S e i t e 174: Über Diderot vgl. besonders T. B. II, 3 1 9 ; vgl. an Goethe 18. März 1799, Geiger, 63/65; an Schiller, Ebrard, 1 8 0 ; über Rétif die glänzende Schilderung an Goethe, Geiger, 6 7 / 7 1 ; Schiller gegenüber vergleicht Humboldt merkwürdigerweise Rétif mit Jean Paul, Ebrard, 243. -) Sitzungen des Nationalinstituts werden erwähnt T . B . I, 364, 3 7 6 / 7 7 , 380/81, 4 1 5 ff., 434, 443, 471. Besuch der Nationalbibliothek I, 5 6 7 ; Atelier- und Ausstellungsbesuche z. B. I, 457, 619/20. 3 ) Einzugsfest am 27. Juli 1798, T. B. I, 554; Füsilierung des Emigrierten, 6. August 1798, ib. 569/70; Besuch des Palais de Justice, ib. 495/96. *) T . B. I, 523, 6 1 8 ; vgl. Carolines Schilderung vom 25. März 1 7 9 8 : „ P a r i s ist sehr schön, es gibt vielleicht kaum noch eine Stadt, die einen Anblick wie den darbietet, den man genießt, wenn man auf dem pont royal steht, zur Rechten- den pont neuf, zur Linken den pont de la Révolution, unten den schönen breiten Strom, zu beiden Seiten die breiten Quais mit einer Reihe prächtiger Gebäude, das Schloß der Tuilerien, der Garten und weiter die champs élysées;" an R. Varnhagen S. 17.

Z u S e i t e 175 : Vgl. Meinecke, a. a. O. S. 5 0 / 5 1 ; vgl. Humboldt an Wolf, 22. Oktober 1798, 1. c. S. 204 f f . Die Begeisterung für die Ovidübersetzung von J . H. Voß; er sei der Pariser „Herz- und Kraftlosigkeit" müde; ..der einzige Genuß meiner besseren Kräfte bleibt immer ein erhöhtes und durch den Kontrast selbst lebendigeres Bewußtsein der volleren und kräftigeren deutschen Natur". Vgl. ferner an Goethe, 18. März 1799, Geiger, 62. — Darum befand Gentz sich in großem Irrtum, wenn er glaubte, daß Humboldt seine Reise nach Paris verloren habe — „ e r hat sich in seinem Lebensplan vergriffen, seine Bestimmung mißverstanden"; in Deutschland wäre er dagegen vielleicht gewachsen; an Brinckmann, 6. Dezember 1799. Wittichen I I , 69. — ib. 52 ( 1 7 9 7 ) hatte G. nach Humboldts Fortgang aus Deutschland geklagt: „wenn es keinen

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Anmerkungen.

Humboldt gäbe, müßte man, wie Voltaire von einem gewissen, namens Gott sagt, einen erfinden. Dies wird mein ewiges Glaubensbekenntnis sein." Z u S e i t e 176: *) Haym, 1. c. 189. — Zur folgenden Darstellung sind zu vergleichen neben Leitzmann S. 42/43, Harnack, S. 67 f f . vor allem die trotz einzelner Unrichtigkeiten höchst reizvolle Schilderung Hayms S. 189 f f . — Sehr eingehend und lebensvoll auch die Darstellung bei Farinelli. — Verlauf und E r t r a g der Reise ist neuerdings quellenmäßig zu erschließen aus dem von Leitzmann, G. S. X V , S. 47—354 veröffentlichten Tagebuch Humboldts; dazu der große Brief an Goethe, Geiger S. 1 0 2 / 1 8 ; ferner die Briefe in ,,G. v. Bülow", S. 16 ff. *) Reiseplan in den Orient, H j y m , 1 8 1 . 3 ) Vgl. oben S. 160. *) Zu den Reisedaten vgl. das Itinerar am Ende des Tagebuchs, T . B . I I , 349 ff., f e m e r Leitzmanns Angaben S. 354/55. — Bericht über das römische Amphitheater in Bordeaux, Tagebuch II, 59 f f . — „Karaw a n e " : außer den drei Kindern gehörte noch der Maler und Kupferstecher Gropius zur Reisegesellschaft. *) Schilderung der Pyrenäenlandschaft T . B. II, 80 f f . ; an Goethe, S. 105/06. «) Vgl. Farinelli S. 125. Z u S e i t e 177: ' ) Vgl. Farinelli S. 1 2 3 f f . Die Absicht des kunstgeschichtlichen Studiums im Brief Humboldts an Goethe vom 18. August 1799, Geiger, 87, 9 3 ; Humboldt gab den Weimarer Freunden Vollmacht zur Veröffentlichung seiner Reisebriefe, allerdings ohne Namensnennung. Frau v. Humboldt hatte ein größeres Manuskript über die in den Galerien des Escorial und Prado vorhandenen Gemälde ausgearbeitet, schon am 28. November konnte Humboldt berichten, daß bereits 250 Artikel über diese beiden Galerien ausgearbeitet seien, Geiger S. 1 1 2 ; dieses später an Goethe geschickte Manuskript, auf dessen abschnittsweise Veröffentlichung in den Propyläen das Ehepaar gerechnet zu haben scheint, ist verloren gegangen. Nur ein Bruchstück über ,,Rafaels Gemälde in Spanien", ist im Frühjahr 1809 in der Allg. Jenaischen Lit. Ztg. gedruckt worden. — Ein Beispiel der Betrachtungsweise gibt der Brief an Schweighäuser aus Cadix vom 26. Januar 1800, Laquiante S. 19 f f . ; über Murillo und die spanische Schule fällt das Urteil: ,,ils n'ont jamais conçu un type idéal du beau, le sentiment des côtés élevés d e la nature humaine leur a manqué"; dagegen ist die Schreiberin hingerissen von der Schönheit von Tizians Schlafender Venus. — Übrigens hat Farinelli ein volles Verständnis für die bedeutende Persönlichkeit Frau v. Humboldts, welches Haym häufig vermissen läßt; er hat auch gesehen, daß im Vergleich mit der Gattin Humboldt keinen Sinn für malerische Farbengebung besaß. — Goethes Urteil über die Arbeit der Frau v. Humboldt zitiert bei Farinelli S. 1 3 5 , nach der Weimarer Ausgabe Abt. I, Bd. 36, S. 390. *) T . B. I I , 190 — ib. 3 2 1 / 2 2 eine interessante Schilderung des Escoriáis. 3 ) T . B . I I , 186. Ebenso kritisiert Frau v. Humboldt die Wirklichkeitsnähe der spanischen Malerschule, Laquiante S. 2 1 .

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Anmerkungen.

Z u S e i t e 178: 1 ) T. B. II, 207; der Gesandte hieß David Hump'hreys. Man vergleiche dazu seine Urteile über die philosophische Impotenz der Franzosen. Ferner die Selbstverspottung als „Missionar der allein seligmachenden Lehre" Kants — an Goethe, November 1799, Geiger S. 1 1 7 . s ) Urteil über die Aufklärung: T. B. II, 1 7 5 ; Jesuitenherrschaft und Universitäten ib. 156/57, 1 8 1 ; über den Bildungswert der Bibel: „Schwerlich hat eine Nation eine so gute Bibelübersetzung wie wir. Das ist ein großer Vorzug für die Aufklärung und die Sprache, die so einen festen Vergleichungspunkt und eine Quelle alter Kernausdrücke hat, die dem Volk unmittelbar bekannt sind." — ib. 163; vgl. 174. Z u S e i t e 179: ») T. B. II, 143, vgl. Geiger S. 104. *) Eindruck des „Weltmeeres" bei Bayonne, T. B. II, 123, 126/27; vgl. an Goethe, Geiger S. 106; beji Cadix T. B. II, 265; vgl. Frau v. Humboldt bei Laquiante S. 20; Sonnenaufgang über dem Meer bei Malaga, T. B. II, 290. Z u S e i t e 181: *) Vgl. Leitzmann, Deutsche Rundschau, Januar 1917, S. 103. 2 ) Beschreibung der Alhambra, T. B. II, 3 1 4 / 1 8 ; des antiken Theaters von Sagunt im heutigen Murviedro, ib. 277/79; im Sommer 1800 hat Humboldt in Paris die Notizen ausgearbeitet zu einem großen, für Goethe bestimmten Aufsatz „Über das antike Theater in Sagunt". G. S. III, 60—113; vgl. dazu Leitzmann ib. 3 7 1 . 3 ) Der Bericht über den Montserrat: G. S. III, 30—59; ausgearbeitet im Sommer 1800 auf Grund der eingehenden Niederschrift, T. B. II, 298/309; vgl. Leitzmann, G. S. III, 369/71, wo auch über die Aufnahme der Beschreibung bei Schiller und Goethe, besonders ihre Nachwirkung auf die Schlußszene von Faust II berichtet wird; vgl. Leitzmann S. 43. Z u S e i t e 182: ») Die zitierten Stellen: G. S. III, 33, 55/56; vgl. dazu T. B. II, 322, Humboldts Eindruck von dem Zimmer des Prinzen von Asturien im Escorial: „Ein sonderbares Gefühl einer Mönchsöde überfiel mich an dem engen Fenster, an das ich mich ewig erinnern werde. Es war eine melancholische, aber süße Empfindung" usw. *) Zunächst Rue de Bondy am Boulevard St. Martin, später in der Rue du Faubourg St. Honoré. Z u S e i t e 183: >) Schilderung des Fandango T. B. II, 286/90; ein Stiergefecht empfand Humboldt zwar als „barbarisch", aber neben der spürbaren „wirklichen Lust" des Volkes erschienen die französischen Volksfeste als „elendes und schales Machwerk". II, 170; der Eseltreiber, G. S. III, 30. 2 ) An Wolf, 20. Dezember 1799, 1. c. 2 1 1 ; an Mme. Stael, 14. Juni 1801, Deutsche Rundschau, November 1916, S. 270. 3 ) Die zweite Reise fand statt vom 19. April bis 14. Juni 1 8 0 1 ; vgj. T. B. II, 356—450; das Werk selbst jetzt abgedruckt G. S. X I I I , 1920, S. 1 —195; über seine Geschichte Leitzmann, ib. 195/96; abgeschlossen wurde die Arbeit in Rom 1805; zu vergl. Haym S. 201. K te h 1er, Humboldt.

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Anmerkungen.

!) An Goethe, Madrid, Dezember 1799, Geiger S. 1 1 7 . 2 ) Gabriele v. Bütow S. 25; Ebrard S. 296. 3 ) Weimarer Etablierung: E b r a r d S. 305; briefliches Verstummen; ib. 296; an Goethe, 11. November 1802, Geiger S. 141/42. Humboldt entschuldigt sich geradezu darüber, an Goethe, 31. August 1802, Geiger S. 1 4 3 ; Unlust an Berlin: E b r a r d S. 303. Z u S e i t e 185: E b r a r d S. 298/99, eine glänzende Charakterisierung von Gentz, der damals nach Weimar reiste; Umgang mit Schlegel, ib. 3 0 1 ; Lebensplan der Sprachvergleichung: ib. 302. 2 ) Brief vom 15. August 1801 und 6. Februar 1802, bei Leitzmann, a a. O. 4 3 1 , 436. 3 ) Geldsorgen: schon Silvester 1797 verzeichnet das Tagebuch melancholisch: „dunkle Aussichten in die Zukunft vom Tode meiner Mutter aus; . . . Sorgen für die Erhaltung des Vermögens; Pläne zum Erwerb durch Beförderung." T. B. I, 390; Brief an den Schwiegervater, Paris, 22. April 1800, G. v. Bülow S. 1 7 , an Schfiller, 1. c. 302/03. 4) Bewerbung um den Posten: E b r a r d S. 303; vgl. dazu die Darstellung bei Gebhardt I, 31 ff.; das Empfehlungsbillet Beymes an Haugwitz vom 6. April: Gebhardt I, 3 5 ; Struensees Verdienst um das Gelingen der Bewerbung erhellt aus dem Schreiben Humboldts an ihn: „Ich kann nie an die Vorteile denken, welche mir die hiesige Anstellung gewährt, . . . ohne mich mit den dankbarsten Empfindungen an die väterliche Güte und Gewogenheit zu erinnern, mit welcher E . E. sie mir verschafft haben. Der Gedanke, sie Ihnen zuerst schuldig zu sein, erhöht in meinen Augen den Wert derselben" usw. Rom, 11. Dezember 1802, Granier VIII, 690; vgl. Humboldt an Schellersheim, 16. November 1804, betrauert den Tod „des guten Ministers Struensee, er war ein braver Mann und mein sehr genauer F r e u n d " ; ferner B f . I I , 228, der Rückblick Humboldts auf die Anstellung in Rom mit der Feststellung, d a ß er „andere Unterstützung" als die von Haugwitz gehabt habe. Auch Haugwitz gegenüber bekundet Humboldt seine Dankbarkeit am I i . Oktober 1802 (Verona) und 4.Dezember 1802 (Rom) (G. St. A.). In Humboldts Bewerbungsschreiben an Haugwitz, welches auf eine frühere Besprechung Bezug nimmt, Tegel, 24. April 1802 (G. St. A.) spricht er von ,,l'idée que j'avais prise de m'offir pour ce postej"; damit wird die „Familienlegende", daß der König den Wunsch gehabt habe, Humboldt wieder im Staatsdienst zu verwenden, hinfällig; vgl. G. v. Bülow S. 27; vgl. den Begleittext Bf. II, 1 1 3 : Humboldt führt aus, daß die Verwendung in Rom zusammenträfe mit seinem Plan, mehrere Jahre in Rom zuzubringen; „ j e gagnerais en tout cas d'être entré dans la carrière, ce qui dans ce moment ne paraît guères facile". 6 ) Anstellungsantrag der Minister Alvensleben und Haugwitz vom 7. Mai 1802, mit Hinweis auf die Reisen in Frankreich und Spanien als gute Vorbereitung für diesen Posten, Granier VIII, 568/69; Anstellung vollzogen mit C. O. vom 15. Mai, welche den Auftrag an Humboldt enthält, als einziger preußischer Diplomat in Italien, in den Bereich seiner Berichte einzubeziehen „l'état politique du midi", ib. 571/7 2 - — Den ursprünglichen Wünschen Humboldts, welche Haugwitz weitergegeben hatte, sofort statt einer Residentenstelle einen vollen Ge-

499

Anmerkungen.

sandtenposten zu erhalten, trägt die C. O. insofern Rechnung, als für den Fall der Errichtung einer Gesandtschaft in Italien v i e l l e i c h t eine Berücksichtigung seiner Wünsche erfolgen soll („il se peut que les combinaisons favorisent le voeu du Sr, de Humboldt"). Humboldt hatte offenbar aus taktischen Rücksichten höhere Ansprüche gestellt, um nicht merken zu lassen, wie unendlich viel ihm an der Verwendung in Rom gelegen war ; er meldet die erfolgte Ernennung an Schiller mit dem Zusatz: ,,ich vertauschte sie jetzt mit keiner anderen ohnq Ausnahme", Ebrard, 304; ebenso klar sind die Äußerungen an Körner vom 18. Juni 1802, Jonas S. 109/10: „die Bestimmung nach Italien ist mir unendlich angenehm, die Lust zu reisen ist durch die bisherigen Versuche nur gewachsen, und Italien war mir längst das Ziel". Die immer größer werdenden Schwierigkeiten, diese Wünsche durch Privatmittel zu verwirklichen, haben ihn „zu den Geschäften zurückgeführt". Ebenso befriedigt schrieb Humboldt an Mme, Stael am 30. Mai; ferner am i. Oktober 1802: „le désir de faire plus de voyages et d'étudier plus profondément les nations principales de l'Europe m'a fait embrasser cette carrière", bei Leitzmann, a. a. O. 438, 441. Der Hinweis auf eine zu erwartende größere, ja „glänzende politische Laufbahn" fehlt weder in diesen Briefen noch in dem an Körner. ') Dem Pariser Freunde Schlabrendorff gegenüber ging Humboldt in seiner optimistischen Deutung der Lage so weit, zu erklären, er habe durch diesen mehr juristischen als diplomatischen Posten „in gewisser Hinsicht eine . . . mehr unabhängige Lage . . . im Ausland, als wenn ich bloßer Privatmann wäre". Vgl. Wentzell, 1. c. 877, 9. Mai 1802; vgl. Haym S. 201 : „Humboldt wünschte dem Staate zu dienen, um den Staatsdienst selbst zum Mittel seiner eigenen Ausbildung zu machen." Z u S e i t e 186: 1 ) Versorgungsmöglichkeiten: „Die Rücksicht auf die künftige Versorgung der Kinder macht es mir ratsam, mir Verbindungen im Dienst zu verschaffen", Ebrard S. 303. — Geldmittel: „ich bin verhältnismäßig, da ich keine Repräsentation zu machen habe, nicht übel bezahlt", ib. 304. Humboldt war sogar sehr reichlich gestellt im Vergleich mit seinem Vorgänger. Der Antrag vom 7. Mai ersuchte um königliche Genehmigung, das bisherige Residentengehalt von 1600 Thalern, da man mit einer so bescheidenen Summe in Rom nicht existieren könne — übrigens unter Hinweis auf Humboldts „anständiges Privateinkommen" (revenu honnête) — auf 3600 Thaler zu erhöhen. Bewilligt wurde ein Gesamtgehalt von 2900 Thalern (C. O. vom 25. Mai), zuzüglich einer besonderen Vergütung von 500 Thalern auf 3400 Thaler erhöht (C. O. vom i. August); dazu auf Antrag Haugwitz' vom 20. August eine „équipage" — Ausstattungs- und Reisekostenzuschuß von 2400 Thalern (C. O. vom 27. August) — G. St. A. —, woraus sich ergibt, daß der „Idealist" mit der Wirklichkeit des Staates bereits nutzbringend umzugehen verstand. Ähnliche Gehaltsverhandlungen werden bei fast jeder späteren Verwendung ihre Rolle spielen. Auf Haugwitz' Antrag erfolgte dann noch die Ernennung zum Kammerherrn aus Repräsentationsgründen (Eingabe vom 2. August; vgl. Humboldt an Mme. Stael, i. Oktober 1802). 32*

500

Anmerkungen.

Z u S e i t e 187 : !) Zum folgenden: Westerburg, Preußen und Rom, S. 17 f f . ; über die Warschauer Visitationsfrage, S. 1 5 9 f f . 2 ) Die Denkschrift vom 2. J u l i 1802 bei Granier V I I I , 592—600; das Zitat 599; ferner Westerburg S. 161/62. Z u S e i t e 188: x ) Instruktion vom 22. August 1802, Granier V I I I , 630/45; ausführliche Inhaltsangabe Gebhardt I, 37/40; Westerburg S. 174/79 — Anerkennung: vgl. Humboldt an Alvensleben über die Instruktion, 29. August, Granier S. 645/46. 2 ) Der Vorschlag: Granier V I I I , 568, das Zitat: § 15 der Instruktion, Granier, 637. Z u S e i t e 189 : „Schmeichelhafte F a s s u n g " — Granier, ib. 646; „Charakter unseres Jahrhunderts": „das 18. Jahrhundert". G. S. II, 1 — 1 1 2 ; das Zitat aus der Formulierung des Themas S. 44. — Die Audienz beim Papst vom 27. November 1802, geschildert im Bericht vom 3. Dezember, Granier, ib. 678/79, G. S. X , S. 5 1 6 ; Humboldt an Struensee, 1 1 . Dezember, Granier, 690. — Humboldts „aufklärerische" Tendenz kommt gelegentlich noch zum Ausdruck in den Berichten, Granier I X , 196, 2 1 5 ; ferner bei einer Kritik des zwischen der italienischen Republik und der Kurie abgeschlossenen Konkordates : Napoleon, dieser außerordentliche Mann, „steht den einzig wahren Gesichtspunkten der Beurteilung fremd gegenüber", Granier I X , 248, 1 7 . November 1804; ferner über das 1805/06 von Dalberg betriebene Projekt eines Reichskonkordates: jeder direkte oder indirekte Einfluß Roms sei „nuisible au progrès des lumières parmi les peuples", ib. 5 9 1 , 6.September 1806. 2 ) Zum folgenden zu vergleichen die Darstellung bei Gebhardt I, S. 43 f f . ; Westerburg S. 174/79; die Art der Geschäftstätigkeit wird in den Briefen an Schiller geschildert. Zu

S e i t e 190: Gebhardt a. a. O.; Auszüge aus seinen politischen Berichten, G. S. X , S. 1 / 1 5 ; ferner G. S. X I I I , S. 197 f f . , die großen Berichte über Napoleons Orientpolitik von 1805 und 1806. Die kirchenpolitischen Berichte finden sich bei Granier V I I I und I X . Unter diesen Berichten hat der vom 1 1 . August 1804, Granier I X , 2 1 1 / 1 6 , über die geplante Aufhebung der schlesischen Klöster Hardenbergs Aufmerksamkeit erregt und dem Verfasser ausdrückliche Anerkennung eingetragen, ib. 266, vgl. 228; ebenso Minister Reck, ib. 108. 2 ) Ebrard S. 309, 10. Dezember 1802. 3 ) Paradoxien: auf die erste dieser Lebensparadoxien ist oben verwiesen bei der psychologischen Genesis der Bildungstheorie; die zweite große Paradoxie, daß Humboldt den Staatsdienst „zum L e b e n " brauchte, wird im zweiten Teil diesés Buches geschildert. Z u S e i t e 191 : 1 ) Vgl. Gebhardt I, 54/55; Antrag von Haugwitz an den König, die Übernahme der fremden Vertretungen zu genehmigen, 20. Mai 1803, Granier V I I I , 844/45; mit Hinweis auf erwünschte Einkommensvermehrung bei der in Rom herrschenden Teuerung. Erteilung der Ge-

Anmerkungen.

501

nehmigung für den „einsichtsvollen Diener", C. O. Ende Mai 1803, ib.; Reskript des Ministers an Humboldt (mit Hinweis auf den kirchenpolitischen Gesichtspunkt) vom 4. Juni 1803, ib. 849; es schließt mit der — immerhin nicht unangebrachten — Mahnung: „ j ' a i la juste confiance que vous serez Prussien de coeur et d'âme". — Für die badische Vertretung bemühte Humboldt sich um die Vermittlung des jüngeren Dalberg, damals badischen Gesandten in Paris; der betreffende Brief vom 24. J u l i 1805, veröffentlicht von W. Andreas, Ztschr. f. Gesch. des Oberrheins, N. F. 35, S. 2/8. *) Hardenberg an das Generaldirektorium, 5. Februar 1806, Granier I X , 498. Hardenberg entsprach durchaus der Erwartung, daß „ihm eher als Haugwitz der Gedanke kommen könne, jemanden weiter zu bringen", womit Humboldt seinen Eintritt in das Kabinetts-Ministerium begrüßt hatte ( B f . I I , 228, 22. August 1804). Mit Immediateingabe vom 8. April 1806 begründete Hardenberg mit einem sorgfältig ausgearbeiteten Beschaffungsplan die Erhöhung des Gehalts um 1600 Th. auf 5000 Th. im ganzen, da bei der Teuerung in Rom die Einnahmen aus Gehalt und Nebenämtern „ f ü r die Wahrung von Anstand und Würde" nicht zureichten und man dem Residenten nicht zumuten könne, von seinem Kapital zuzusetzen. Für solche Lagen hatte Hardenberg volles Verständnis und immer offene Hand gegenüber den Staatsmitteln. So wurde denn dem „ H e i d e n " Humboldt aus Mitteln vakanter polnischer Bistümer der römische Aufenthalt behaglicher gestaltet. Genehmigung C. O. vom 10. April 1806; gleichzeitig Ernennung Humboldts, der bisher den Titel „Ministerresident" geführt hatte, zum „Ministre plénipotentiaire"; am 28. August 1806 erfolgte noch seine Ernennung zum „Ministre" beim H o f e Murats in Neapel. Granier I X , 5 0 9 / 1 1 ; vgl. V I I I , 630/31. Seit 1805 war Humboldt darmstädtischer Ministerresident. Zu

S e i t e 192: 1 ) Zur kirchenpolitischen Idee vgl. Granier V I I I , 696; zu den Konkordatsplänen: Gebhardt I, 60 f f . ; der von Gebhardt nicht immer richtig benutzte Bericht vom 17. November 1804 bei Granier I X , 2 4 7 / 5 1 ; ferner vom 1 3 . J u l i 1805, I X , 4 1 3 / 1 8 , 526; femer die beiden Berichte über Unterhaltungen mit Consalvi über das Konkordatsprojekt I X , 529/34, 534/36, beide vom 2 1 . Mai 1806; „protestantischer Fürstenbund", an Haugwitz, 25. Dezember 1802 (G. St. A.). s ) An Schiller, 10. Dezember 1802, Ebrard S. 306/07. s ) „ R o m , an Frau v. Wolzogen, geb. v. Lengefeld". Gedruckt Berlin 1806; G. S., I X , 25—46.

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S e i t e 193: ! ) An Brinckmann, 22. Oktober 1803, Nr. 79; vgl. an Schiller, Leitzmann S. 3 1 4 / 1 6 , B f . II, 232/33, 29. August 1804. S e i t e 194: ») B f . IV, 163/64, 7. November 1 8 1 3 . s ) B f . II, 240, 1804.

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Z u S e i t e 195: ' ) Vom 19. bis 22. September 1802 waren Humboldts in Weimar. — E s war die letzte Begegnung mit Schiller; an Schiller, Leitzmann S. 3 1 6 . -) „Unerwartet schnell" — im Herbst 1 8 0 1 , sprach Humboldt gegenüber Mme. Stael von einem Aufenthalt von 1 bis 2 Jahren; „intellektueller

502

Anmerkungen. Genuß" — an Jacobi, Paris, Oktober 1798, vgl. oben S. 1 5 8 ; Ebrard S. 304/05, 338'.

Z u S e i t e 196: Ebrard S. 328, 338/39, 3 1 7 / 1 9 ; vgl. 3 1 5 : „wie konnte ich dies schöne Verhältnis selbst willkürlich aufheben ? Der Leichtsinn, schnell zu verlassen, worin man sich glücklich fühlt, ist dem Menschen einmal eigen; es gesellt sich dann der Z u f a l l hinzu, und macht, was man unwichtig und vorübergehend glaubte, bedeutend und lang dauernd"; an den ersten Schritt „hätten sich Verhältnisse angeknüpft, die uns jetzt leider wahrscheinlich auf sehr lange trennen werden". M. a. W . : die Klage der ersten wird von der Bejahung des Geschehenen in den weiteren Sätzen aufgehoben. 2 ) E b r a r d S. 328/29. 3 ) Arbeitslust; Ebrard S. 3 3 2 , Leitzmann S. 3 1 6 ; Pläne: Ebrard S. 329; Lektüre der Klassiker: ib. 3 1 9 . Z u S e i t e 197: x ) „Latium und H e l l a s " , G. S. I I I , 1 3 6 / 7 0 ; „Geschichte", ib. 1 7 1 — 2 1 8 ; vgl. dazu die Angaben Leitzmanns ib. 3 7 2 / 7 3 ; ferner Leitzmann S. 48/49; Ebrard S. 328. Ablehnung der eigentlichen Altertumsforschung: an Wolf 1. c. 2 6 1 / 6 3 , 1 8 0 5 ; vgl. Harnack 1. c. 1 7 1 ; Humboldt suchte eben mehr die Idee als die Realität des Altertums; und deswegen mußte ihm auch Thorwaldsens „ i d e a l e r " und purifizierter Klassizismus besonders zusagen. Z u S e i t e 198: 1 ) Art der amtlichen Tätigkeit: an Schiller, Leitzmann, 3 1 4 ; die Unterkunft: Ebrard, 308/09; Geselligkeit: ib. 3 1 0 ; Geiger, 152. Humboldt an W. v. Wolzogen, 1. c. S. 6/9. Über das Mäzenatentum der Humboldts; die glänzende Schilderung bei Haym, S. 209 f f . ; ferner den knappen und anschaulichen Bericht bei Leitzmann S. 44/50; die Bedeutung für die deutsche Künstlerwelt schildert und würdigt eingehend: O. Harnack, „Deutsches Kunstleben in Rom im Zeitalter der Klassik", Weimar 1896, S. 159/64, 168, 1 7 1 ; hier auch Humboldts in elegantem Italienisch abgefaßtes Dankschreiben für seine Ernennung zum Ehrenmitglied der Academia San Luca vom 19. Februar 1 8 0 5 ; ferner: K. Simon, G. Schick und die Familie Humboldt, Preuß. Jahrbuch 162, S. 200, 216. Außer den Briefen an Schiller und Goethe — an die Gattin während ihrer Reise nach Deutschland und Paris 1804 ( B f . I I ) — gewähren die Briefe an Frau v. Stael Einblick in Humboldts Erleben und Empfinden dieser Jahre. —• R u f f o : an Schiller, E b r a r d S. 3 2 2 / 2 7 : 30. April 1 8 0 3 ; die beiden Parteien: E . Schmidt, Caroline, II, 500; vgl. I, 3 8 1 / 8 2 , 7 1 1 , 4 7 7 ; vgl. R . Huch, Romantik, I, 387. — Alexanders Heimkehr: „schwerlich hat die Erscheinung eines Particulier je mehr Aufsehen gemacht, als die seine"—-Frau v. Humboldt an Kunth, Bruhns-Dove, I, 402; vgl. Hist. Ztschr., 1 1 6 , 244/47. 2 ) An Schiller, 22. Oktober 1803, Leitzmann, 3 1 5 . 3 ) An Goethe, 12. April 1806, Geiger, 198. Z u S e i t e 199: *) An Schiller, 10. Dezember 1802, Ebrard, 3 1 4 .

Anmerkungen.

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*) A n Schiller, 30. April 1803, Ebrard, 320; vgl. an Goethe. 23. August 1804, Geiger, 183. S e i t e 200: 1 ) A n Brinckmann, 22. Oktober 1803, Nr. 79. — *) ebendort. 3 ) An W o l f , 1805, 1. c. 261/63; an Goethe, 1. c. 185/86: T . B. I, 502. 1798. S e i t e 201 : 1) B f . I I I , 222, 18. August 1809. 2 ) Schillers Brief vom 2. April 1805, Leitzmann, 3 1 7 ff. Humboldts Brief vom 30. April 1803, Ebrard, S. 328/30. — Über den T o d des zweiten Sohnes der Brief an Frau v. Stael vom 18. November 1807, a. a. O. S. 84 ff. 3)

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503

A n Goethe, 5. Juni 1805, Geiger, 192.

S e i t e 202: A n Frau v. Stael, 25. Mai 1805, 1. c. 106/07. s ) A n Körner, 8. Juni 1805, bei Leitzmann, S. 325/27. S e i t e 203: c. 327. An Frau v. Stael, 14. August 1805, 1. c. 260. S e i t e 204: ib. 4. September 1805, 264; an Schellersheim, 22. Oktober t8o6, 1. c. S. 60 ff. s ) A n Frau v. Stael, 30. Oktober 1805, 1. c. 425/26; vgl. AI. Humboldt an W . Humboldt, Bf. III, 432/33, 1810. 3 ) A n Frau v. St., 8. Januar 1806, 427/28. S e i t e 205: !) A n Schellersheim, 29. Januar 1806, 7. Januar 1807, a. a. O . ; am 14. November wird das 11., und am 3. Dezember das 31. Bulletin erwähnt. 2 ) An Frau v. Stael, 3. Juni 1807; a . a . O . S. 433: „ j e ne vous dis rien sur les affaires de la guerre, sur nos espérances et DOS craintes. Comme vous connaissez les évênemens, Vous devinerez facilement l'impression qu'ils me font. Que j e me trouverais heureux de Vous posséder l'hiver prochain icil Mais quelle distance immense jusqu " à cet hiver! Que d'évênemens nous verrons en attendantI" 3 ) An den ehemaligen Hausgenossen G. Schweighäuser, 18. Juli 1807. Laquiante, 129; der Brief beginnt nach einleitenden W o r t e n : „ l e s conjonctures politiques, comme vous le verrez par les journaux, se simplifient si l'on veut; mais elles deviennent plus décisives et ma situation est précisément de celles qui reçoivent le contrecoup immédiat des événements." Vor Jahresende werde er über sein Schicksal klar sehen. Ebenso beginnt der Brief an Frau v. Stael vom 29. August 1807, 1. c. 82 ff., mit der S o r g e um die Aufrechterhaltung seines Amtes in R o m : er h o f f t mit Zuversicht, daß die Residentur nicht aufgehoben oder in einer Vertretung am Hof von Neapel umgewandelt wird; ebenso Laquiante S. 138. 4) A n Schweighäuser, 29. August 1807, 1. c. 137/38: „si, sans même s'attacher spécialement à l'abaissement de la Prusse qui aura peut-être ses compensations au point de vue de l'histoire universelle, on considère la situation de l'Allemagne, l'époque actuelle ne peut que paraître

Anmerkungen.

504

infiniment triste aux yeux d'un Allemand, qui de plus est Prussien; je suis cependant plus heureux que la plupart de ceux qui partagent mes sentiments, parce que ma tristesse trouve des consolations dans mon commerce avec les Anciens et s'associe avec le beau, doux et mélancolique pays que j'habite." Zu Seite

206:

x

) Vgl. hierzu meinen Aufsatz, Archiv usw., X I I I , besonders S. 1 1 0 / 1 1 , 1 1 8 / 2 1 . Zwischen E d . Spranger und mir ist die F r a g e kontrovers, ob der Gedanke, die „Geschichte des Untergangs der griechischen Freistaaten" zu schreiben, in einem inneren Zusammenhang mit den Zeitereignissen gestanden habe. Spranger meint ( I I , S. 3 3 ) , Humboldt habe diesen Plan gefaßt, „um sich seelisch zu befreien" von der preußischen Katastrophe. Für diese Auffassung findet sich in den gleichzeitigen Quellen kein hinreichender Anhaltspunkt. Die seitdem veröffentlichten Briefe an Frau v. Stael bestätigen in ihrem Stimmungsgehait durchaus meine Auffassung. In einem Brief an Schweighäuser vom 4. November 1807, Laquiante S. 148, schreibt Humboldt über diesen literarischen Plan: „mon sujet a, s a n s q u ' i l y a i t d e m o n f a i t * , une certaine analogie avec les temps présents. Or des gens qui n'ont rien de mieux à faire donneraient à entendre que je l'ai choisi â cause de cela. S i l e l i v r e p a r a î t , i l s e d é f e n d r a l u i - m ê m e . * " Der Zusammenhang mit dem Zusammenbruch Preußens wird also deutlich abgelehnt. Etwas ganz anderes aber meint Humboldt, wenn er folgende Beziehung zwischen seinem Buch und der Gegenwart aufstellt: „ j ' a v o u e que je voudrais élever un monument à l'intention de la pauvre Allemagne bouleversée, parce que, dans ma conviction intime, l'esprit grec g r e f f é sur l'esprit allemand produira quelque chose, lorsque l'humanité reprendra sans obstacle sa marche progressive." (ib. 147.) Diesen Unterschied, vor allem das „ohne mein Z u t u n " auf 5 . 148, hat Spranger übersehen, wie sein Versuch, meine Auffassung zu widerlegen, beweist. („Kultur und Erziehung", 2. Aufl. 1923, S. 101/02.) Auch Leitzmanns letzte Darstellung (Lebensbild, S. 48/49) der Entstehung des Planes bietet keinen Anhalt für Sprangers Meinung, daß „weniger das Problem des Hellenismus als die verhaltene Teilnahme an der Gegenwaxt" die Idee des Buches entstehen ließ. -) Bericht vom 1 5 . November 1806, Granier, I X , 6 1 0 ; an Frau v. Stael, 18. November 1807, a. a. O. S. 85; Verpflichtung zur persönlichen Dankbarkeit gegenüber einem König, „au père duquel mon père a été attaché par une amitié intime"; zugleich die Versicherung, daß Humboldt nach der schon damals geplanten Urlaubsreise sicher nach Rom zurückkehren werde : „trop de liens et de trop puissans m'attachent à ce s o l . " — „Anstand und E h r e " — an Schweighäuser, 18. Juni 1807, 1. c. 129, sich einer auch nicht gesuchten anderen Verwendung zu entziehen, „ne serait ni décent ni honotable, et je me prépare tranquillement à tout"; „ j e désire revenir en Italie et conserver mon poste actuel ; . . . Vous connaissez la situation de ma patrie ; tout encouragement serait superflu". 4. November 1807, ib. 144. 3

) An Hardenberg, 27. Mai 1807, Gebhardt I, 80.

Anmerkungen.

SOS

Z u S e i t e 207: 1 An Frau v. Stael, 29. August 1807, 1. c. S. 82; April 1808 stellt Humboldt den förmlichen Antrag auf Beglaubigung in Neapel, Gebhardt I, 85; noch am 6. August 1808 rechnet er auf die Erfüllung seines Wunsches, an Frau v. Stael, 1. c. 1787. *) An Niebuhr, 22. April 1819, 1. c. 161. s ) Urlaub wegen der Vermögenslage eingereicht am 4. September 1807, bewilligt zum 1. Mai 1808, Gebhardt I, 81; vgl. die Briefe an Frau v. Stael und Schweighäuser. Bereits im März 1807 hatte Humboldt ein großes Darlehen bei Frau v. Stael aufgenommen, um die auf den Familiengütern lastenden Kontributionszahlungen zu ermöglichen, vgl. oben Anmerkung 2 zu Seite 172. Am 29. August 1807 stellt er fest, daß der Krieg ihm selbst nur „sehr erträgliche Verluste verursacht habe"; am 6. August 1808, er sei auf die Hälfte seiner Vermögensrente und auf das mit großer Pünktlichkeit gezahlte Gehalt angewiesen, an Frau v. Stael, 1. c. 82, 87. 4) An Goethe, 16. Dezember 1807, Geiger, 201; an Frau v. Stael, 6. August 1808, 1. c. 87. ') 1. c. — «) Aus Venedig, 24. Oktober 1808, Bf. III, S. 5/6.

Anmerkungen zum zweiten Buch. 1. Kapitel. Z u S e i t e 211: ») Vgl. Bf. III, S. 10, 7. November 1808; an Jacobi, 18. Februar 1809, 1. c. 81. Die i 1 / t Jahre seiner Amtsführung gehören zu den Abschnitten von Humboldts Leben, welche die Forschung am meisten interessiert und daher auch die breiteste und gründlichste Darstellung erfahren haben. Außer der Darstellung Hayms, welcher die amtlichen Quellen noch nicht benutzen konnte und auf ein begrenztes biographisches Material angewiesen war, ist auf folgende Darstellungen zu verweisen: 1. Gebhardts Darstellung (im ersten Band S. 95—368), welche zuerst die amtlichen Akten der Schilderung zugrundelegen konnte; 2. auf Sprangers zweites Buch, in dem das von Gebhardt benutzte Material noch wesentlich vermehrt und in der Verarbeitung vertieft worden ist. Spranger konnte ferner bereits den dritten Band des Briefwechsels mit der Gattin benutzen, welcher auch der dritten großen Darstellung zugute gekommen ist, die Max Lenz im ersten Band der Univ.-Geschichte (Kap. III, S. 148—30;) auf breiter Aktengrundlage entworfen hat. Endlich ist 4. noch zu nennen Müsebecks Darstellung im oben genannten Buch S. 60—116. — Da die drei letztgenannten Forscher bereits alle neuen Quellen benutzen konnten, welche den früheren noch nicht zugänglich waren, so sah' sich der Verfasser vor die Sachlage gestellt, daß er bereits Bekanntes nur in oft schlechterer Form hätte wiederholen müssen, wenn er an einer nochmaligen Darstellung von Humboldts Tätigkeit als Chef der Kultussektion sich versucht hätte. Da es sein Bestreben ist, angesichts der breiten vor-

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Anmerkungen. liegenden Literatur in seinem Buch nach Möglichkeit nur Material zu verarbeiten, welches bisher noch nicht benutzt wurde, so hat er auf eine eingehende Schilderung der amtlichen Tätigkeit Humboldts verzichtet. Sie wird im folgenden nur soweit berührt werden, als sie für die innere Entwicklung Humboldts von Wichtigkeit geworden ist. Das zweite Buch dieser Darstellung beabsichtigt also keineswegs, die a m t l i c h e T ä t i g k e i t von 1809 bis 1 8 1 9 nochmals zu schildern, was nur auf eine Wiederholung des Buches von Gebhardt hinauslaufen würde. E s bezweckt in erster Linie, die Beziehung „Humboldt und der Staat" als ein Problem der persönlichen Entwicklung Humboldts darzustellen. -) B f . I I I , 19, E r f u r t , 16. November 1808. Die Briefe während des Erfurter Aufenthaltes zeigen Humboldt im Besitz eines feinen Humors, welcher die an Dickenssche Szenen erinnernden Gewohnheiten des alten Herrn und seines Dieners anschaulich zu schildern weiß.

Z u S e i t e 212: !) 1. c. I I I , 22/23, 1 9- November; 53/54, 28. Dezember 1808. — An Goethe schien Humboldt verwunderlich, daß er nie „ohne das Legionskreuz" sich zeigte und „von dem, durch den er es hat, immer als ,mein Kaiser' spricht", B f . I I I , 66, 9. Januar 1809. Auch über „die Geheimrätin" und den Eindruck der Häuslichkeit berichtet er ib. 40, 64. Z u S e i t e 213: 1. c. 1 7 , 12. November. — Übrigens hat auch Lenz, I, 1 5 2 , A. anerkannt, daß Humboldt nicht etwa aus dem Bedürfnis, dem „bedrängten Vaterland" zu helfen, sondern nur persönlicher Verhältnisse halber Rom verlassen habe mit der festen Absicht, sobald als möglich zurückzukehren. 2 ) An Welcker, 1. c. S. 6, Ferrara, 28. Oktober 1808. Humboldt hofft trotz der allgemein unsicheren L a g e im Frühjahr 1809 wieder in Italien zu sein. „Dabei gehe ich doch nicht ohine Interesse und nicht ohne Liebe nach Deutschland. Ich liebe Deutschland recht eigentlich in tiefer Seele, und es mischt sich in meine Liebe sogar ein Materialismus ein, der die Gefühle manchmal weniger rein und edel, aber darum nur stärker und kräftiger macht. Das Unglück der Zeit knüpft mich noch enger daran, da ich fest überzeugt bin, daß gerade dies U n g l ü c k " usw. „hinter den Alpen" — AI. an W. Humboldt, 1 8 1 0 , B f . I I I , 433. 3 ) 1. c. 19, 16. November. 4 ) 1. c. 58, 1. Januar 1809. 5 ) Müsebeck, a. a. O. S. 5 1 , ist der Ansicht, daß bereits in der Rigaer Denkschrift (v. 1 1 . September 1807) Altenstein auf Humboldt, als den geeigneten Leiter des Unterrichtswesens hingewiesen habe. Ich möchte diese Auffassung bezweifeln. In der von Müsebeck veröffentlichten Denkschrift — a. a. O. S. 244 — heißt es, „der preußische Staat besitzt den v. Humboldt", dessen Fähigkeit zur „Leitung der Wissenschaften in allgemeiner Übersicht" hervorgehoben wird. M. E . hat Altenstein damit Alexander Humboldt gemeint. Dieser war seit Ende 1805 in Berlin, hatte in der Akademie während des Jahres 1806 gelesen, bezog eine ansehnliche Pension aus dem Fonds der Akademie und hat gerade im Herbst 1807 mit F . A. Wolf über die Gründung

Anmerkungen.

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einer Hochschule in Berlin als Ersatz für die verlorene Universität Halle verhandelt (Dove, 1. c. 104/06). Auf ihn, den Forschungsreisenden, paßt auch besser als auf den älteren Bruder der Satz: „Sollte er sich nicht allein dazu fixieren lassen, so wird er sich Gehilfen wählen, denen ein großer Teil der Geschäfte anvertraut werden kann." D i e s e r „v. Humboldt" war damals in Berlin, er hatte die allgemeine Aufmerksamkeit erregt — und vor allem: Altenstein wird ihn bereits aus der Zeit gemeinsamer Tätigkeit in der fränkischen Verwaltung unter Hardenberg (1793—96) gekannt haben. E s spricht also eine Reihe erheblicher Gründe für die Annahme, daß AI. Humboldt hier gemeint ist, dem ja später der ältere Bruder bei seinem Rücktritt 1 8 1 0 die Nachfolge zugedacht hat ( B f . I I I , 432/33). Der ältere Bruder war 1807 wohl völlig außerhalb des Gesichtskreises von Altenstein; über irgendwelche Beziehungen zwischen beiden ist nichts bekannt. — Als Stein im Herbst 1808 die Berufung Humboldts veranlaßte, mag wohl, wie Müsebeck annimmt, die Nennung des Namens in der Denkschrift von 1807 mitgespielt haben. Jetzt hatten die Brüder gewissermaßen die Rollen gewechselt. AI. war seit Ende 1807 als diplomatischer Begleiter des Prinzen Wilhelm in Paris, um mit königlicher Erlaubnis zur Ausarbeitung seines Reisewerks zunächst dort zu bleiben, während der Ältere gerade von einem überflüssig gewordenen Posten in die Heimat zurückkehrte. Was 1807 dem Jüngeren zugedacht war, wurde nun die Aufgabe des Älteren. S e i t e 214: !) Die Beurteilung des Eintritts Humboldts in den inneren Staatsdienst bietet ein lehrreiches Beispiel dafür, wie leicht auch bedeutende Forscher den Gefahren nicht ganz entrinnen, welche mit der Darstellung geschichtlicher Vorgänge aus der rückwärtigen Perspektive verbunden sind. Das Urteil über einen Vorgang erweist sich als bestimmt von dem Wissen um seine späteren Wirkungen oder um allgemeine Voraussetzungen, welche in dem Augenblick des eintretenden Vorgangs selbst noch gar nicht bekannt sein konnten. So macht z. B. Max Lehmann, Stein, II, 603 es Hardenberg zum Vorwurf, daß dieser bei seinen Vorschlägen für die Regierungsneubildung als „persönlicher Widersacher" Humboldts diesen gar nicht erwähnt habe. Dazu ist zu bemerken, daß von einer persönlichen Gegnerschaft damals überhaupt nicht die Rede sein kann; ferner daß Hardenberg, soweit er von Humboldt wußte, einerseits nur dessen beachtenswerte diplomatische Berichte, andrerseits seinen ausdrücklichen Wunsch, in Rom belassen zu werden, kannte. (Vgl. Buch I, Kap. 6, S. 206, A. 3.) Wie sollte Hardenberg daher auf den Gedanken gekommen sein, Humboldt zu einem hohen Amt der Verwaltung vorzuschlagen? Andrerseits meint Max Lenz, I, S. 152, für Stein sei „die in Ätherhöhe der Humanitätsidee freischwebende Weltanschauung des großen Hellenen fremdartig und kaum verständlich" gewesen. Woher aber sollte Stein im Herbst 1808 in Königsberg etwas „von der Humanitätsidee des großen Hellenen" gewußt haben? Soll man annehmen, daß er die Zeit gefunden habe, sich Schillers Thalia von 1793 und die Hören von 1795 vorlegen zu lassen? oder daß er die Elegie über Rom gelesen habe ? Der ehemalige Erzieher Humboldts und damalige Staatsrat in der Gewerbesektion Kunth, der mit

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Anmerkungen. Stein in Humboldts Auftrag verhandelte, war nach allem, was man weiß, nicht der Mann, um als Apostel von Humboldts Humanitätsidee aufzutreten. Auch Alexander Dohna wird kein brauchbarer Interpret dieser Humboldtschen Welt gewesen sein, zumal beide, Dohna und Humboldt, seit fast einem Jahrzehnt außer persönlicher Verbindung standen. Vermutlich werden des langjährigen Bewunderers von Henriette Herz bekannte Bedenken gegen eine Betrauung Humboldts mit der Leitung der Kirchenangelegenheiten auf seiner Kenntnis von Humboldts Lebensführung beruht haben. Vielleicht hat Stein auf diesem Wege davon erfahren; dann wird er sie geteilt haben. Jedenfalls nicht das Unverständnis Steins für die „Humanitätsidee" Humboldts, die er nicht kannte, noch kennen konnte, ist als Anlaß seiner Bedenken zu vermuten. Humboldt dürfte richtig gesehen haben, wenn er meinte, daß Stein „vielleicht ganz falsche Begriffe von ihm habe" (Bf. III, 19, 16. November 1808). 2 ) Dohnas Bedenken, allerdings erst 1 8 1 0 geäußert, Gebhardt I, S. 352/53; „Studiengenosse" . . . „Dohna, den Du von der Herzen kennst", Bf. III, 46. 3 ) T. B. I, 483, 536/37. „Kein Programm": an Nicolovius, 26. Februar 1 8 1 1 , 1. c. 24: „niemand kann unvorbereiteter in einen Posten kommen, als ich in meinen vorigen. Erst wie ich ihn hatte, hat mich eigenes Nachdenken... in der Einsamkeit von Königsberg . . . auf die eigentlichen Gesichtspunkte geführt."

Z u S e ^ t e 215: *) Haym, S. 254, 265; eigene Leistung: Bf. III, 10, 7. November. Z u S e i t e 216: 2 ) Kaiserliche Familie: an Goltz, 17. Januar 1809, (G. St. A.); provisorische Übernahme: an Goltz, 26. Dezember 1808; Schmeicheleien: Eingaben vom 13. November, 14. Januar, 17. Januar; ohne Erlaubnis: Eingabe vom 4. Februar, der Gedanke, den Dienst zu quittieren: Bf. I I I , 1 7 : „wir hätten dann sehr wenig, und müßten uns sehr, sehr einschränken. Aber wir hätten die sieben Hügel, die Pyramide und alles, was wir lieben". — Bedeutung der Geldfrage: an Goltz, 17. Januar: auch wenn ihm das Gehalt von Rom weitergezahlt werden sollte, würde Humboldt doch durch den Fortfall der Remuneration des Großherzogs von Hessen und der Sportein aus der Vermittlung päpstlicher Dispense eine Einbuße von jährlich 1 500 Thalern erleiden. Außerdem erfordere eine Existenz in Berlin höheren Aufwand als in Rom. (Die dortige „teuere Lebensweise" hatte andererseits den Grund für die Gehaltserhöhung während der römischen Jahre abgegeben.) Außer dem finanziellen Verlust betrachtet er den Verzicht auf Rom und auf die „agrémens de la situation d' un Agent à l'étranger.. .avec un chagrin extrême" (Eingabe vom 26. Dezember und 17. Januar). Natürlich fehlen daneben die Beteuerungen nicht, den Befehlen des Königs „blind gehorchen zu wollen". Aber wenn sein Wunsch auf Rückkehr nach Rom nicht erfüllt werden sollte, „cela serait vraiment affligeant et décourageant" (an Goltz, 26. Dezember). Seine persönliche und sachliche Zugehörigkeit zum diplomatischen Ressort wird unterstrichen durch zwei lange und kluge Berichte vom 26. Dezember und 14. Ja-

Anmerkungen.

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nuar über mehrere Gespräche, welche zwischen dem Marschall Davoust, dem Höchstkommandierenden der französischen Armee in Deutschland, und ihm in Erfurt stattgefunden hatten anläßlich der Reise des Königspaares nach Petersburg und des Briefes, welchen der König wegen der Verhaftung Wittgensteins an den Marschall gerichtet hatte, vgl. Gebhardt I, 96. — Noch am 1 1 . Februar erstattet Humboldt einen „Bericht" über den Streit um den Karneval, der zwischen dem Papst und dem französischen Stadtkommandanten Miollis ausgebrochen war. „Opfer": vgl. Buch I, S. 144. *) Bf. III, 17. Z u S e i t e 217: !) Unkenntnis des deutschen Geisteslebens: an Goltz, 14. Januar; an den König, 17. Januar; Komödiantentruppe: Bf. III, 19; faire valoir: an Goltz, 17. Januar. Buch I, Kap. 5, S. 156. ' ) Freiheit und Selbständigkeit: an Goltz 17. Januar; dort auch die Ansicht seiner neuen Aufgabe; das ihm übertragene Departement „est celui ou il y a le plus à faire et à créer; je suis effrayé du nombre des questions qu' il y a à résoudre, des personnes à éloigner ou à choisir". Ganz ähnlich wird Humboldt genau 10 Jahre später bei der Übernahme des „Ständischen Ministeriums" argumentieren. — Scheu vor der Verantwortung: an Goltz, 17. Januar, 4. Februar, an den König 28. Februar, dagegen an die Gattin, 1. Februar: „ich bin fähiger als die Meisten; hier kann ich zu .vielem und zu allem', in Rom zu sehr wenig gebraucht werden . . . das Schlimme besteht darin, daß außer mir schlechthin und geradezu kein Mensch da i s t . . . " III. 86/87. — ,,l'ordre établi": an Goltz, 17. Januar; in derselben Eingabe aber hatte Humboldt den Wert der „protection particulière" des Ministers betont und um ihre Fortdauer gebeten; er hielt also doch nicht n u r auf die „Ordnung der Dinge", sondern auch auf die „Personen". Trotzdem ist es von da an ein wiederkehrender Bestandteil seiner Kritik an der inneren Verwaltung, namentlich Hardenbergs, daß dieser nicht durch feste Formen, sondern durch „Persönlichkeiten" regiere. E s ist interessant, daß das Wort „Persönlichkeit" in deteriorisierendem Sinne gebraucht wird für den Begriff „persönliches Interesse" nicht nur von Humboldt selbst, sondern auch sonst häufiger. So schreibt z. B. Wittgenstein an Hardenberg, jener werde ihm wohl glauben, daß er „nicht von Persönlichkeiten geleitet" werde. 16. März 1817. Br. Pr. Fg. 27, 253. s ) Ehrgeiz: „könnte ich ein, zwei Jahre eine bedeutende Tätigkeit ausüben, und dann zu Dir zurückkehren, so finge ich mit Mut a n " ; Bf. III, 28, 26. November 1808; Humboldt hat „kein Herz, zu sagen, daß ich schlechterdings in Rom sein will, auch wenn ich anderswo nützlicher sein kann, oder daß ich nichts annehmen will, wenn man mich nicht zum Minister macht", ib. 48, 18. Dezember; „die Probe muß gemacht w e r d e n ; . . . bedeutende Talente stehen weder über noch neben mir, man wird ohne Not hervorragen können"; ib. 58/59, 1. Januar 1809: „wie die Lage hier ist, ist allerdings Nutzen zu stiften, allein mit Sicherheit auf die Dauer nicht, wenn man nicht zugleich Minister ist. Denn nur dann hat man eigentlichen Einfluß auf die Geschäfte zugleich, von denen die Sicherheit des Staates abhängt", ib. 74, 19.

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Anmerkungen. Januar; vgl. S. 86/87. Auch die Gattin redete zur Annahme zu, falls Humboldt wirklich „einen ausgebreiteten und liberalen Geschäftskreis haben könne", ib. 36.

Z u S e i t e 218: !) B f . I I I , 55, 28. Dezember, 63, 64, 9. J a n u a r ; Mme Stael: ib. 84; Stein: ib. 18. Z u S e i t e 219: „Materialismus": an Welcker, a. a. O.; Erwartungen: B f . I I I , 69, 73, 86; „meine Neigung bleibt immer R o m ; ich bemühe mich daher, nun aufzufinden, in wiefern Pflichtgefühl und Schicklichkeit mir ihr zu folgen erlauben", an Welcker, 5. Januar 1809, S. 8/9; „ohne die unglücklichen Ereignisse hätte ich Rom nie verlassen. In diesen wurde es gewissermaßen zur Verbindlichkeit zu dienen". Diede I, 28. Übrigens hat Humboldt damals durchaus ernsthaft erwogen, unter Umständen, wenn der preußische Posten in Rom sich nicht halten ließ, als Darmstädter Resident dorthin zurückzukehren: vgl. die Briefe an Welcker vom 1 5 . J u l i und 23. Dezember 1809, 1. c. 12 ff., 15 f f . Aus dem zweiten Brief geht hervor, daß Humboldt noch als Geh. Staatsrat bis zum Herbst 1809 Darmstädter Resident „auf U r l a u b " geblieben ist, allerdings ohne das Gehalt zu beziehen. Aber er hat diese Stelle offenbar so lange wie möglich sich offen halten wollen und ist erst auf einen durch Welcker vermittelten Wink des hessischen Ministers um seinen Abschied eingekommen. — Auf den Staatsdienst konnte Humboldt jetzt nicht mehr verzichten, da durch den Krieg seine Kapitalrente bereits auf die Hälfte des Ertrages gesunken war. Nachdem im sächsischen Polen alle preußischen Kapitalsanlagen im J a h r 1808 mit Sequester belegt waren, blieb das Gehalt 'jetzt die einzige sichere Einnahme. Vgl. die Eingabe an Goltz vom 9. Februar 1809 mit der Bitte um Intervention. — „Wenn sich die Dinge nicht wunderbar ändern, so kann ich gewiß sein, unter keinen Umständen vergessen zu werden, sondern immer auf eine gute Stelle rechnen zu können", 24. Januar, B f . I I I , 76. — „ S o l a n g e ich gesund bleibe, bin ich noch immer, auch im Gelde, ein Vermögen wert; ich arbeite gern, füge mich in die Umstände, werde nie mutlos, und denke doch immer, indem ich auch wirklich für unsern Unterhalt diene, nur auf das Ganze, sodaß man auch mir danken m u ß . " 4. März 1809, 1. c. 107. Infolge von Alexanders Bemühungen in Paris wurde durch ein besonderes Dekret der Sequester über das in Polen investierte .Vermögen aufgehoben, ib. 129, 3 2 3 , 22. Januar 1 8 1 0 . Über Vermögensschwierigkeiten und Steuerbelastung zu vgl. ib. 1 1 8 , 127 (Gehaltsabzüge von 50/0 bis 100/0); 148, 152/54, 400/01. 2 ) „ A n t r a g " — B f . I I I , 6 1 , 4. J a n u a r ; „ g e g e n alle Wahrheit" ib. 100, 28. Februar. Humboldt erklärt den Vorgang damit, daß die Minister „ungern im Namen des Königs das Ansehen haben wollen, als müßte man mich erst bitten". — Dazu wäre zu bemerken, daß die Art, in welcher Humboldt der neue Posten in der Tat zunächst „ a n g e t r a g e n " war und dann mit ihm darüber verhandelt wurde, sehr entgegenkommend war, soweit das damals „im Namen des K ö n i g s " geschehen konnte. Wenn Humboldt nochmals „ g e b e t e n " werden wollte, so ver-

Anmerkungen.

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kannte er mit diesem Wunsch einigermaßen seine moralische wie seine rechtliche Lage. E s tritt hier bereits zutage, was 1 8 1 8 / 1 9 in vergrößertem Maßstab sich wiederholen sollte: Humboldt ist sich Uber die Wirkung seiner subtilen Mémoires auf deren Leser durchaus im unklaren. Am 19. Januar schreibt er der Gattin über seine Eingabe vom 17.: „Ich habe den neuen Posten ausgeschlagen, und den König gebeten, mich nach Rom zurückkehren zu lassen" (III, 73). In dem P o s t s k r i p t u m zu der öfters von uns angeführten Eingabe steht aber klar und deutlich über diese selbst: „eile exprime en même temps mes voeux personnels et ma soumission entière à la volonté du Roi, soumission dont je ne me fais aucun mérite, puisqu'elle est simplement le devoir de tout sujet de Sa Majesté." Ganz in demselben Sinne war auch die Eingabe vom 4. Februar abgefaßt, welche des längeren über die Art handelt, wie der Posten in Rom interimistisch besetzt und Humboldts Anspruch gewahrt bleiben könne. Auch diese Eingabe endet mit der Beteuerung, daß Humboldt nur Wünsche äußern, keine Bedingungen stellen und „gehorchen" wolle, wenn das „königliche Wohlwollen" ihm die Erfüllung seiner römischen Wünsche zusage. Das konnte für preußische Minister nur heißen, daß Humboldt annahm, wenn auf seine Wünsche Rücksicht genommen wurde, was ja auch geschehen ist. Aber Humboldt hätte eben gern sich noch mehr „bitten" lassen, damit durch dies Drängen sein Teil „Verantwortlichkeit" sich entsprechend mindere. 3 ) Vgl. Buch I, S. 155, 193, 196. Z u S e i t e 220: 1) Bf. III, 28, 26. November 1808. *) Vgl. Buch I, S. 1 1 6 / 1 7 ; an Nicolovius, 25. März 1809, a. a. O. S. 6. Z u S e i t e 221 : An Frau v. Stael, 22. Juni 1800, 1. c. 272. *) Bf. II, 134, 24. März 1804; an Frau v. Stael, 18. November 1807; „amor fati" . . . Lütgert, I, 1 2 1 . Z u S e i t e 222: 1) Vgl. Buch I, Kap. IV. 2 ) Vgl. unten Kap. III, S. 321/23. 3 ) Vgl. oben Buch I, S. 103. Z u S e i t e 223: 1 ) Am meisten entsprechend": „meine Lage ist nicht angenehm, aber der Wirkungskreis, der am meisten mit meinen eigenen Neigungen übereinstimmt", 30. Mai 1809, an Welcker, 1. c. 1 1 . „Zwei Arten": T. B . I, 146, 1789; dazu Akademierede vom 19. Januar 1809, vgl. Harnack, Gesch. d. K. Pr. Ak. usw., 1900, II, 341 f f . ; Humboldt ist auf Betreiben Wolfs und über schriftliches Eingreifen Steins am 4. August 1808 zum Mitglied gewählt worden, ib. I, 2, 578/79. Über das neue Bildungsideal besonders hinsichtlich der Universitäten Spranger II, 199 f f . ; ferner die von Spranger in Bd. 120 der Philos. Bibl. zusammen edierten Schriften zum Problem der Universität von Fichte (1807), Schleiermacher (1808), Steffens (1809"). Z u S e i t e 224: l ) Vgl. Buch I, S. 1 5 3 : die „Endabsicht des deutschen Charakters" liege in der Verschmelzung der antiken und modernen Geistigkeit.

Anmerkungen.

512 2

) Rom, 6. August 1808, Leitzmann, 1. c. 87/88: „II n'y avait depuis bien des années (il faut l'avouer quelque dur que cela soit) en Allemagne de la tête, du caractère et de l'énergie que là où ces qualités précieuses étoient vouées absolument aux idées abstraites, ou bien là où voyant leur développement gêné par la situation extérieure des choses, elles conduisoient à un esprit de licence, de fronde ou du moins d' indifférence qui achevoient de rompre le lien social que les gouvernemens ne possédoient pas le talent de rassurer. Il étoit impossible de prévoir ce qui est arrivé, mais on devoit prévoir nécessairement une catastrophe quelconque, ou une léthargie profonde. . . . Il est triste de voir que la crise actuelle menace de nous ôter la seule gloire nationale que nous avions, l a g l o i r e l i t t é r a i r e . * Il est vrai qu'il y auroit encore moyen de la sauver, si tous ceux qui sont en état de travailler pensoient bien fortement à tâcher de faire valoir leur nation dans la même proportion sous le rapport littéraire, q u ' e l l e e s t n u l l e s o u s l e r a p p o r t p o l i t i q u e . * Mais la situation des choses est pourtant si décourageante, et la force qui entraine un grand nombre d'Allemands même vers la littérature et la langue Françoises, est si grande que je ne m'attendis à rien de grand et de consolant. J e suis néantmoins bien persuadé que les idées qui peuvent vraiment faire des progrès à la philosophie et diriger tous le travaux scientifiques vers leur véritable but, l'avancement de l'esprit humain en général, n e p e u v e n t ê t r e t r a i t é e s a v e c s u c c è s m a i n t e n a n t q u e d a n s n o t r e l a n g u e * ou par les personnes qui la connoissent et à qui notre manière de penser est familière. Toutes les autres nations isolent si malheureusement toutes les sciences qu'elles traitent, les dégradent tellement en les appliquant servilement aux besoins matériels de la vie, qu'elles parviennent bien à une foule de découvertes utiles, à une certaine culture de l'esprit et du coeur, mais qu'on s'attendroit envain d'elles à u n v é r i t a b l e a g g r a n d i s s e m e n t d u c a r a c t è r e d e l ' h o m m e d a n s s o n e n s e m b l e . * " — Vgl. ferner Harnack, 3 4 1 . Z u S e i t e 225: !) Bf. III, 404, 5. Juni 1810. 2 ) Vgl. an Jacobi, Nov. 1808: „Den Moment zu benutzen, und den vorhergehenden immer im gegenwärtigen untergehn zu lassen, habe ich immer für das echte Gepräge des praktischen Genies gehalten", 1. c. S. 76. 3 ) Humboldt an Dohna, 4. Februar, G. S. X I I I , S. 292. Lenz I, 156; Bf. III. 106: G. S. X, 20 f f . die ersten Proben seiner amtlichen Arbeiten vom März 180g; Bf. III, 1 1 2 : Die Musik als Kunst des Nordens und ihre Bedeutung für den protestantischen Kultus; vgl. 161. *) Zur Übersiedlung nach Königsberg vgl. Lenz I, 163/66, wo die Situation wohl etwas zugunsten Humboldts verschoben worden ist; besonders der Satz „wenn Dohna und Nicolovius mit Humboldt zusammmenarbeiten wollten, so mußten sie sich fügen", erscheint reichlich dramatisch. Solange es ungewiß war, ob die Regierung nicht sehr bald nach Berlin zurückkehren würde, brachten Dohnas Vorschläge der Geschäftsteilung wohl Unbequemlichkeit, aber nicht eine „Kaltstellung" für Humboldt mit sich, wie Lenz sie als Absicht Dohnas vermutet.

513

Anmerkungen.

Auch d e s Ministers Goltz A n k u n f t in Berlin, welchen H u m b o l d t e i n i g e T a g e zu v e r t r e t e n h a t t e ( B f . I I I , 1 1 9 ) , spielte d a b e i eine R o l l e ; U n g e w i ß h e i t über R ü c k k e h r d e s K ö n i g s u n d B e r l i n e r V o r b e r e i t u n g e n ; Bf. I I I , 102/03, i o 9> 1 1 9 / 2 0 ; Berliner M i ß v e r g n ü g e n über d a s Silbere d i k t : ib. 1 1 3 , 115; Ü b e r s i e d l u n g e n t s c h i e d e n ; 126, 1. A p r i l ; A n k u n f t in K ö n i g s b e r g ; 134, 13. A p r i l ; „ d i e Leute l a c h e n n i c h t " ; 1 2 8 ; M i ß s t i m m u n g über d i e S t a d t ; 134, 136. Zu

S e i t e 226: !) G e i s t i g e E m p f ä n g l i c h k e i t : Bf. I I I , 141/42. „ D i e e i n e n ( s i n d g e b o r e n ) , d a s L e b e n u n d sich selbst zu n e h m e n , als wäre n u r d a s e t w a s W i r k liches, d a s , worauf es a n k o m m t , d e r eigentliche Z w e c k ; d i e a n d e r n , als sei es n u r eine F o r m , a n d e r sich die M e n s c h h e i t wie d e r K ü n s t l e r a m f o r m l o s e n T o n versucht, w o d a s D a s e i n untergehen k a n n , w e n n d e r G e d a n k e n u r S p u r z u r ü c k l ä ß t . * Eine w a h r e u n d gänzliche V e r e i n i g u n g gibt es d a z w i s c h e n nicht . . . es n e i g t sich alles zu j e n e r viel s t ä r k e r als sonst hin. Ich f ü h l e d a s s e h r in meinen jetzigen Beschäftigungen. E i n e v i e l glaubensvollere R e l i g i o n , V o l k s b i l d u n g , P e s t a 1 o z z i s c h e Unterrichtsm e t h o d e , a l l e s h a t d i e s e T e n d e p z . * " Bf. I I I , 158, M a i 1809. E s g a b a u c h a n d e r e S t r ö m u n g e n . B r i n c k m a n n b e r i c h t e t e : „ D i e rücksichtslosen S c h r e i e r e i n e r u n m ü n d i g e n P h i l o s o p h i e h a b e n d i e M a c h t h a b e r gewalt i g verschüchtert. D a s vieltönige Gekreisch, d a ß d e r p r e u ß i s c h e S t a a t d u r c h d i e A u f k l ä r u n g z e r t r ü m m e r t sei, hat sehr u n v o r t e i l h a f t g e w i r k t . Mit e i g e n e n W o r t e s a g t e m i r d e r F e l d m a r s c h a l l K a l c k r e u t h : „ W i s s e n Sie, was u n s d o r t h i n g e b r a c h t hat, wo wir jetzt sind ? N i c h t s als d i e K a n t i s c h e T e r m i n o l o g i e " . „ D a s a h n d e t e n d i e F e s t u n g s v e r r ä t e r selbst wohl n i c h t " , a n t w o r t e t e i c h . " An S c h l e i e r m a c h e r , 17. M ä r z 1808, Mitt. Lit. Arch. N. F. H . 6, S. 84. Vgl. dazu H u m b o l d t s E r z ä h l u n g ü b e r I n g e r s l e b e n u n d seine s t a n d h a f t e F r a u , Bf. I I I , 1 1 5 / 1 6 . V g l . N a p o l e o n s A u s s p r u c h vom 20. D e z e m b e r 1 8 1 2 : „alles U n g l ü c k F r a n k r e i c h s w i r d von d e r I d e o l o g i e v e r s c h u l d e t " . T a i n e , E n t s t e h u n g d e s m o d e r n e n F r a n k r e i c h , D e u t s c h e Ausg., I I I , 2, 200. 2 ) T ä g l i c h e r U m g a n g mit D o h n a : Bf. I I I , 1 3 5 , 1 4 3 ; B e k a n n t s c h a f t m i t S c h ö n : ib. 244 f f . ; a n S c h ö n hat H u m b o l d t n o c h a m 1. M a i 1 8 2 5 seine b e d e u t e n d s t e D e n k s c h r i f t über V e r w a l t u n g s p r o b l e m e g e r i c h t e t , G. S. X I I , 492 f f . ; vgl. f e r n e r die B r i e f e H u m b o l d t s von 1809, „ A u s S c h ö n s P a p i e r e n " , I I , 1875. 248 f f . ; f r e u n d s c h a f t l i c h e r V e r k e h r mit G n e i s e n a u : Bf. I I I , 1 7 7 ; mit S c h a r n h o r s t ; 144, 1 8 2 ; H u m b o l d t h a t s o g a r ein H o c h z e i t s - C a r m e n f ü r die H o c h z e i t d e r T o c h t e r S c h a r n h o r s t s v e r f a ß t : ib. 204, vgl. IX., 64 f f . ; über die M i t a r b e i t e r : B f . I I I , 145/46, 285. 3 ) E r s t e Audienz beim K ö n i g mit g ü n s t i g e m E i n d r u c k bei b e i d e n Teiln e h m e r n , 18. A p r i l : Bf. I I I , 1 3 7 ; s p ä t e r e B e r ü h r u n g e n u n d U r t e i l e : 150, 1 6 1 , 187, 190, 196, 225, 2 4 1 , 262/64, 285, 349, 3 7 1 , 376. Besuch einer V o l k s s c h u l e : 183, 15. J u n i ; V e r w e n d u n g f ü r R a u c h : 144, 200, 452 ff., — f e r n e r die Radziwill-Briefe vom 16. J a n u a r , 26. F e b r u a r 1 8 1 1 , 15. J a n u a r 1 8 1 2 , a. a. O. 94 ff., 96 ff., 101/03. B e r ü h r u n g e n m i t d e r K ö n i g i n : 144, 1 5 5 , 167, 2 2 1 , 227, 2 7 3 , 3 5 3 , 3 7 1 ; über i h r e K r a n k h e i t u n d E n d e : 426, 439 f f . ; F r a u v. H u m b o l d t über d e n T o d : 4 4 3 ; S c h i l d e r u n g des B e g r ä b n i s s e s 449 f f . F r a u v. H u m b o l d t s A n k a u f Kiehler, Humboldt.

33

514

Anmerkungen.

eines antiken Sarkophages: 469 f f . ; dazu 479/80. — Humboldt hat die persönlichen Beziehungen zum Königspaar als Rechnungsposten bei seinem Vorgehen im Frühjahr 1 8 1 0 eingesetzt, vgl. 2 7 3 , 3 5 3 , 3 7 1 : während der eigentlichen Krise ist er aber wochenlang nicht empfangen worden: 393, 19. Mai. Vgl. unten S. 245/46. Die Büste der Königin sah der Weimarer Buchhändler Bertuch in Humboldts Arbeitszimmer neben den Schickschen Bildern, vgl. Bertuchs Tagebuch vom Wiener Kongreß, herausgegeben von Egloffstein, 191 5. Z u S e i t e 227: ' ) Freundschaft mit Prinzessin Radziwill: 144, 2 2 1 , 236, 3 3 4 , 420, 424, 4 5 1 ; die mit dem Herbst 1 8 1 0 beginnenden Briefe an die Prinzessin, s. Quellenverzeichnis Nr. 3 1 ; „ f e s t und gewiß", B f . I I I , 3 7 5 ; vgl. dazu die Absicht auf den Darmstädter Residentenposten, oben S. 2 1 9 , A. 1. 2 ) Vgl. Spranger II, 1 0 2 ; in dem Bericht über die Medaille usw. G. S. X , 22, bezeichnet Humboldt Friedrich I I . „als den, der den ersten Anstoß zu allem Großen und Schönen in der preußischen Monarchie gegeben hat und gleichsam jetzt als der Schutzgeist derselben angesehen werden kann". Unter den vielen wertvollen Arbeiten ist besonders hervorzuheben der Bericht „über geistliche Musik", weil er ein Musterbeispiel ist für Humboldts geistige Anpassungsfähigkeit; denn er selbst war völlig unmusikalisch, wie er andererseits dem kirchlichen Leben völlig fremd war, vgl. B f . I I I , 1 1 2 , 1 6 1 . Die hier von Humboldt vertretene Absicht, einen „akademischen Gottesdienst" einzurichten (S- 75), geht auf Schleiermacher zurück, Lenz I, 169, 2 2 1 / 2 2 . — Ferner die Anträge für Errichtung der Universität Berlin, 14. Mai und 24. J u l i 1809, S. 1 3 9 f f . ; und das Gutachten für die Oberexaminationskommission, S. 81 f f . Den Entwurf „über die innere und äußere Organisation der wissenschaftlichen Anstalten in Berlin", s. S. 250 f f . (Sommer 1 8 1 0 ) . 3 ) Der erste Generalbericht vom 19. Mai 1809, G. S. X I I I , 2 1 4 f f . — Der „zentralistische Charakter" des entscheidenden Organisationsplanes vom 23. November 1807, dargelegt von Müsebeck a. a. O. 43/44; sein Zusammenhang mit der Rigaer Denkschrift und seine sonstige Vorgeschichte; ib. 34 f f . ; „eingefleischtes Engländertum": Brinckmann an Schleiermacher, Königsberg, 4. April 1808, Mitt. Lit. Arch. N. F . H. 6, S. 89. *) „Vorbehalte": in dem Gutachten vom 8. J u l i 1809 hat Humboldt einen Satz gestrichen, welcher aus seinem alten Ideenschatz stammte, aber nach seinem eigenen Gefühl an dieser Stelle nicht stehen bleiben konnte. E r lautete: „von den Vorschriften . . . desjenigen Teils der allgemeinen praktischen Philosophie, welche der Gesetzgebung selbst zugrunde liegt, kann diese sich nicht entfernen, ohne auf eine durchaus widersinnige Art den Staat, der nur Mittel zur Ausbildung der Menschheit ist, zum Selbstzweck zu machen". G. S. X , .87, A. 1. Das war ein Rückschlag der alten Ansichten, nach denen er der Politik in ihrer Eigenschaft eines technischen Mittels zu einem bedingten Zweck, nämlich dem der Sicherheit, höchstens als „Bildungsmittel des Menschen" — eine „teleologische" Eigenschaft zuerkennen wollte ( 1 3 . Februar 1 7 9 6 , Ebrard, 35). Wie Humboldt tiefer in die Aufgaben des Staatslebens

Anmerkungen.

515

hineinwächst, verschwinden auch allmählich diese Vorbehalte, welche ja die eigene Tätigkeit ihm als widersinnig erscheinen lassen mußten. Z u S e i t e 228: 1 ) Das Programm: G. S. X I I I , 217 ff.; englische Schulverwaltung; ib. 2 1 9 ; zum Umschlag der Ideen vgl. Buch I; femer Müsebeck, S. 93: „Humboldt tat alles, soviel er nur konnte, um die Machtformen... des fridericianischen S t a a t e s . . . von oben her zur Einheit, zur Konzentration zu stärken." — Die Wandlung in Humboldts Auffassung richtig beobachtet von Schönemann (Zur neueren Literatur über W. v. Humboldt). N. Jahrb. f. Pädagogik, 26, 1910, S. 566, A. 2. Vgl. B f . V, 265, 18. Juni 1 8 1 6 : „es gehört zum Erziehen durch alle Grade hindurch, und auch der Minister des Cultus ist, wenn er es ordentlich treibt, gewissermaßen ein Erzieher, ein gewisser pedantischer und selbstgefälliger Glaube an die Macht seines Werkes." Z u S e i t e 229: 1 ) „Geschäft niederlegen": G. S. X I I I , 219; „Aufklärung und Sittlichkeit": G. S. X, 152, 24. Juli 1809. „Erziehung ist Sache der Nation": an Nicolovius, 25. März 1809, 1. c. 6; „anderen Händen": ib.; der Satz endet mit den Worten: „daß wir uns selbst unter keiner Bedingung vom Staat trennen würden, versteht sich von selbst". — Scheitern des Finanzplanes: Müsebeck, 1. c. 105, Spranger II, 189, 1 9 1 ; vgl. G. S. X I I I , 248 ff. (Sektionsbericht vom 16. September 1809). Die beiden großen Schulpläne: „Uber die mit dem Königsbergischen Schulwesen vorzunehmenden Reformen" und „Unmaßgebliche Gedanken zur Einrichtung des Litthauischen Stadtschulwesens" vom August und September 1809 finden sich G. S. X I I I , 2 5 9 f f . ; dazu Sprangers Darstellung II, 185 ff., welcher in dem ersten „die Stiftungsurkunde des humanistischen Gymnasiums" erblickt. Humboldt wollte seinen Plan in den allgemeinen, auf Entwicklung der Selbstverwaltung berechneten Reformplan Steins eingliedern, vgl. G. S. X I I I , 218/19; Müsebeck, 92; — „Fonds, den ein Feind respektiert": Bf. III, 106, 4. März; noch klarer kommt der Gedanke zum Ausdruck in der Notiz zum Kabinettsvortrag über die Gründung der Universität vom 14. Mai 1809: „die verliehenen Domänen mit ihrem Einkommen würden immer Eigentum der Nation sein"; die „Existenz sämtlicher Schulanstalten des Landes in einer äußerst gefahrvollen Epoche wäre gesichert". G. S. X, 146/47, ib. 1 5 2 : „auch ein unbilliger Feind schont leichter das Eigentum öffentlicher Anstalten". Französisch-Österreichischer Krieg: Schills tollkühnes Unternehmen von Humboldt scharf verurteilt, Bf. III, 155. 2 ) Die angeführten Stellen aus dem Organisationsplan G. S. X, 252/53, vgl. Spranger, II, S. 86. Z u S e i t e 230: 1 ) Vgl. hierzu Lenz I, S. 71 ff., bes. 77/78; 102 ff.; 122 ff. 2 ) Zur „Idee" der Universität: Spranger II, S. 199 ff.; Lenz I, 1 8 0 f f . Neuerdings hat Fr. Kade, Schleiermachers Anteil an der Entwicklung des preußischen Bildungswesens 1808—18, Leipzig 1925, S. 1 1 2 die These aufgestellt, die Universität habe „ihren Stempel nach Schleiermachers Ideen und durch Humboldts Willen erhalten"; er meint, daß 33*

516

Anmerkungen. Humboldt die entscheidenden Anregungen Schleiermacher vgl. dazu Spranger II, 209.

verdanke;

Z u S e i t e 231 : x ) Zur Finanzierung vgl. Lenz I, 172 f f . ; Gewinnung des Heinrich-Palais: ib. 297 f f . ; zu den Berufungen: ib. 220—76; „Geschlecht der Gelehrt e n " : am Ende seiner Verwaltung hat Humboldt dem deutschen Universitätsprofessor folgende Charakteristik ausgestellt: „mit wieviel Schwierigkeiten ich bei alledem zu kämpfen habe, wie die Gelehrten — die unbändigste und am schwersten zu befriedigende Menschenklasse — mit ihren sich ewig durchkreuzenden Interessen, ihrer Eifersucht, ihrem Neid, ihrer Lust zu regieren, ihren einseitigen Ansichten, wo jeder meint, daß nur sein Fach Unterstützung und Beförderung verdiene, mich umlagern, . . . davon hast du keinen B e g r i f f " , 22. Mai 1 8 1 0 , B f . I I I , 399. 2 ) „Weltgeltung": vgl. oben S. 224, A. 2. Humboldts Ausführungen über den Vorrang der deutschen Wissenschaftsidee; gegen die „Trennung der Fakultäten", weil sie der „ächten wissenschaftlichen Bildung verderblich" wäre: G. S. X , 1 4 1 , 1 5 0 ; man darf vermuten, daß hier das abschreckende Beispiel der allerdings erst Anfang 1808 (Dekret vom 17. März) abgeschlossenen Organisation der Université de France mit ihrer „taktischen Dislokation" der Fakultäten nachgewirkt haben wird. Von seinem Pariser Aufenthalt her kannte er die Sachlage um 1*800; der Austausch mit Frau v. Stael wird ihn auch über dieses Kapitel napoleonischer Politik orientiert haben. — Der Bestand der Institute aus früherer Zeit hat übrigens den Entschluß Humboldts, auf Errichtung der neuen Universität in Berlin selbst, und nicht an einem für das Studium „unendlich besseren und angemesseneren" kleinen Ort anzutragen, entscheidend beeinflußt. G. S. X , 150, 1 5 5 ; nur in Berlin sei eine „glänzende, auch Ausländer anziehende Universität" möglich, 1 4 1 . Z u S e i t e 232: Idee der Universität: G. S. X I I I , 279 (im litauischen Schulplan vom 27. September 1809); es heißt dort weiter: „das Kollegienhören ist nur Nebensache, das Wesentliche, daß man in enger Gemeinschaft mit Gleichgestimmten und Gleichaltrigen, und dem Bewußtsein, daß es am gleichen Ort schon eine Anzahl vollendet Gebildeter gebe . . . einer Reihe von Jahren sich und der Wissenschaft lebe". — „ Z u e r s t " : in den früheren amtlichen Eingaben vom Mai und Juli findet sich keine ausdrückliche Formulierung der „ I d e e " der Universität. — Die spätere Definition: G. S. X , 2 5 1 / 5 2 , im „Organisationsplan"; über dessen Datierung und das zwischen A. v. Harnack und M. Lenz strittige Alter der dabei verwendeten Tinte: Lenz I, 179/80. — „Produzieren": Spranger II, 200, G. S. X , 258. Zur Universitätspolitik des 18. Jahrhunderts vgl. meine „Geschichte der Philipps-Universität", 1 6 5 3 — 1 8 6 6 , Marburg, 1927. *) Werbende K r a f t : G. S. X , 140; Interesse des Staates: ib. 258/59; „Moralische Macht": ib. 1 5 7 ; vgl. 287: „eins der vorzüglichsten Mittel durch welche Preußen die Aufmerksamkeit und Achtung Deutschlands gewinnen könne"; vgl. Lenz I, 1 7 0 ; vgl. G. S. X , 220: Notwen-

Anmerkungen.

517

digkeit, das — merkantilistische — Verbot des Besuches auswärtiger Universitäten aufzuheben, damit begründet, daß dadurch „die deutschen Staaten, die in Rücksicht auf Geistesbildung und Gelehrsamkeit nur Ein Ganzes ausmachen sollten, auf eine höchst nachteilige Weise von einander abgesondert" werden. Z u S e i t e 233: *) „große Göttinnen"; an Welcker, Ferrara, 20. Oktober 1808, 1. c. 5, an Wolf, Erfurt, 24. Dezember 1809, 1. c. 276; vgl. oben S. 122. — „Verstimmungen": Buch I, S. 56ff., 103, 158. 2 ) „frappanter Kontrast": B f . III, 353, 4. März 1810. Z u S e i t e 234: *) „Eigensinn und Ehrgeiz": ib. 352/53; vgl. ib. 328: „durchzusetzen, was ich mir vorgenommen habe, macht mir auch Freude"; Befriedigung über den Universitätsplan: ib. 223, 18. August 1809; vgl. 349; 428: das auf Humboldt gesetzte „persönliche Vertrauen" der Berufenen ein wesentlicher Faktor für die Universitätsgründung. „Rechtfertigung der E h e " : ib. 232, 12. September 1809; ib. 228: die „Exzellenz" erwünscht für die gesellschaftliche Stellung der Gattin. 2 ) „Alles geistige Leben": G. S. III, 165'(„Latium und Hellas"); vgl. 140: „es ist zwischen Leben und Idee zwar ein ewiger Abstand, aber auch ein ewiger Wettkampf: Leben wird zur Idee erhoben, und Idee in Leben verwandelt". Z u S e i t e 235: !) „Heiterkeit": Bf. III, 107, 4. März 1809; „man verdirbt sich Zeit und Stimmung mit dem ewigen Murren": ib. 146, 25. April; „wenn es das Schicksal fügt, daß man entbehren muß, nicht schwermütig, nicht untätig werden, sondern das jedesmal Gegenwärtige ergreifen, sich aneignen, veredeln... mir gelingt das fast immer leicht, nur bedarf ich von Zedt zu Zeit der Einsamkeit": ib. 173, 2. Juni 1809; vgl. ib. 251, 285, 28. November 1809 („ich habe bessere Räte als irgend einer, in unserem Vortrag wird oft gelacht" usw.), 326, 372; vgl. an Wolf, 14. und 28. Juli 1809, I.e. 268 ff. Übrigens verdient es als ein Zeichen von Humboldts „Eigensinn" angeführt zu werden, daß Humboldt im Sommer 1809 der letzte der hohen Beamten war, der noch den gepuderten Zopf „als Zeichen der Mannhaftigkeit und festen Anhänglichkeit an die ehemaligen besseren Gesinnungen" beibehielt, ib. 160, 212. — „Fortgang der Tätigkeit": ib. 353, 4. März 1810, — „andere Minister": Humboldt gesteht selbst, er sei der einzige Sektionschef, der „die ganze Freiheit und Wirksamkeit eines Ministers in einem weitläufigen Departement besitzt"; ib. 353; „Schauspiele der Welt", ib. 149, 29. April 1809. Es sei hier erinnert an verschiedene im ersten Buch angeführte Aussprüche Humboldts, welche auf eine ähnliche „Bereitschaft zur Vernichtung" hinwiesen. -') „Die beiden Pole": Bf. III, 72, 14. Januar 1809; schwankende Stimmung: ib. 137, 139; 141 („mein Leben muß bleiben, was es einmal gewesen, beschauen und nachdenken" usw.); 165, 185, 206 („Sehnsucht, wehmutsvoll und schwer zu zügeln", 1. August 1809), bes. S. 158/59; 162/63; „glücklich durch Sehnsucht": 172/73, er genießt „in der Öde am Pregel hübsche g o t i s c h e Gefühle"; „ E n fait de sentiments":

518

Anmerkungen.

an Mme Stael, 26. Februar, 22. April 1805; „das läuternde Prinzip": B f . I I I , 3 5 3 ; vgl. 399. Z u S e i t e 236: i ) B f . I I I , 276, 2 8 1 , 2 9 1 ; vgl. Buch I, S. 93 f f . 1 ) B f . I I I , 1 4 3 ; „Verbesserungsgeschäft": G. S. X , 2 0 1 ; „Moralität und Religiosität die Grundfesten aller Staaten", vgl. Hamack „Leibniz und Wilhelm Humboldt als Begründer der K. Pr. Akad. d. W i s s . " Pr. Jahrb., 140, 1910. S. 197 f f . ; bes. 207: „die Helden von 1 8 1 3 wie die Besiegten von Jena sind aus den Schulen, Kirchen und Pfarrhäusern der Aufklärung hervorgegangen". Z u S e i t e 237: „aufgeklärte Religiosität": ist der Jugend nur erreichbar, „wenn Moralität und Religiosität der Erwachsenen nicht vernachlässigt bleiben", G. S. X , 200; vgl. 208, 205 „jeder Untertan soll zu einem sittlichen Menschen und guten Bürger gebildet werden . . . man kann . . . ein guter Handwerker . . . nur sein, wenn man ein seinem Stande nach aufgeklärter Mensch und Bürger ist". — Ferner ib. S. 17 Antrag für F. A. W o l f , 6. Februar 1809. Z u S e i t e 238: !) Aus dem Gutachten für die Ober-Examinations-Kommission, 8. J u l i 1 8 0 9 ; G. S. X , 87. Was dieses Ideal bedeutete im Vergleich mit der Wirklichkeit des damaligen Durchschnitts im preußischen Beamtentum, ergibt sich aus den Ausführungen von Naudi, Zur Gesch. d. Preuß. Subalternbeamtentum, Br. Pr. F g . 18, S. 374. 2 ) Zum folgenden zu vergleichen die Darstellungen bei Gebhardt I,342ff., Spranger I I , 89 ff., Lenz I, 2 1 1 f f . ; O. Hintze, Das preußische Staatsministerium im 19. Jahrhundert, Festschrift für Schmoller, Leipz. 1908; Lobethal vgl. Literaturverzeichnis. Den meisten Aufschluß bietet neben Hintzes Aufsatz die eindringende Arbeit Lobethals. Z u S e i t e 239: Über Zusammensetzung und Wirksamkeit des Staatsrats vgl. Lobethal, S. 9 f f . ; Rückhalt „an den Mitarbeitern von 1 8 0 7 " : Lobethal, S. 1 0 ; Hintze, 4 1 8 / 1 9 : um „Stein in der unscheinbaren Stellung eines Geh. Staatsrats ohne besonderes Portefeuille maßgebenden Einfluß ausüben lassen zu k ö n n e n , . . . mußten die Geh. Staatsräte mit in den Staatsrat eingefügt werden". — Problematische Stellung; Lobethal, S. 1 2 ; Müsebeck, S. 45/46; v. Meier-Thimme, S. 4 6 1 , 463; Hintze, 4 2 3 ; „das T o t a l " : G. S. X I I I , 230; hier sei auch auf einen anderen Sprachgebrauch Humboldts hingewiesen: er faßt die höhere Beamtenschaft gelegentlich zusammen in dem Oberbegriff „die Administratoren" (G. S. X. 246), vgl. dazu S. 164, A. 2. Heutige Beurteilung: besonders Hintze, 423/24, Lobethal, 52/53; die Verzahnung der „Abteilungen" im Staatsrat hätte es Stein ermöglicht, in der Stellung eines „Minister gewesenen Geh. Staatsrat" sowohl als ständiger Vertreter des Königs im Präsidium wie als Mitglied des Kabinetts den eigentlichen Mittelpunkt des Ganzen zu bilden; Hintze, 4 2 1 , Anm. 1. Z u S e i t e 240: Suspension bis zur Rückkehr nach Berlin: C. O. vom 24. November an Stein und vom 6. Dezember an das Ministerium, Lobethal, S. 1 3 , 1 5 / 1 6 :

Anmerkungen.

519

dazu Hintze, 424. Durcheinander": Lobethal, 20 ff.; dazu Humboldts Kritik an dem Ministerium B f . I I I , 137, 18. April; 1 5 1 , 2. Mai; 1 5 ; . 8. Mai; 186, 23. Juni und öfter; Kollegialprinzip: Hintze, 420; Einmischung: G. S. X I I I , 229/30. Z u S e i t e 241: Humboldts unabhängige Stellung: „ich bin der einzige der Geh. Staatsräte, der mit der gehörigen Unabhängigkeit administriert", Bf. III, 1 5 1 , 2. Mai 1809; „man läßt mich ganz frei, aber das ist nur Folge Dohnas und meiner Persönlichkeit", ib. 186, 23. Juni; weniger beweiskräftig ist natürlich die den Ministem gegenüber ausgesprochene Anerkennung dieser Bewegungsfreiheit: G. S. X, 223 (Gen. Ber. 1. Dezember), 155 (an Altenstein); an Dohna, 2. Juli, vgl. Lobethal, 25 A. 28, Lenz I, 1 7 5 ; Dohnas Vorschlag: Lobethal, 39. Die Denkschrift über den Staatsrat wurde am 2. Juli dem Monatsbericht angefügt; sie entstand auf Dohnas Veranlassung, wie es in dem Begleitschreiben heißt; gedruckt, G. S. X I I I , 227 f f . ; Konklusa: 232/33; Versammlung von 15 Köpfen: so berechnet Lobethal die Zahl der Teilnehmer nach dem Steinschen Projekt (S. 1 1 / 1 2 ) ; Hintze, S. 4 2 1 , nimmt „etwa 20 Personen" an; Entschlußlosigkeit der Minister: über die — sehr verschiedenen — Gründe, welche Altenstein, Dohna und Beyme gegen den Staatsrat anführten, siehe Lobethal, S. 15/16, 28/29; sogar Schön hat gelegentlich diese Einrichtung für undurchführbar gehalten, ib. 19, A. — Alternative: G. S. X I I I , 234. Anerkennen des guten Auskommens mit Dohna: Bf. III, 135, 143, 156, 186; am 18. April wollte Humboldt sogar sein Verbleiben im Dienst abhängig machen von Dohnas Verbleiben im Ministerium; ein scharfes Urteil trotz persönlicher Hochschätzung: an Nicolovius, 29. Oktober 1810, 1. c. 20. „Ehrgeiz": Bf. III, 1 3 7 : falls Dohna abgeht, wird Humboldt nach Rom zurückkehren „oder ins Ministerium kommen. Ein drittes gibt es nicht" (18. April); Ministerium als Möglichkeit: ib. 228, 5. September; vgl. 241 („das Publikum sähe mich gewiß ungern ausscheiden"); ein Ausweg aus der allgemeinen Krise: „ich muß mit meinem Departement Minister werd e n , . . . allein es. ist höchst schwierig und delikat": ib. 253, 10. Oktober; sein Ausscheiden würde „Sensation machen"; der König, so habe man ihm versichert, warte nur auf Gelegenheit, ihn zum Minister zu machen; 285, 28. November; in Berlin spricht man von ihm als dem kommenden Minister; „ich bin der „Einzige, der noch das Vertrauen des Publikums besitzt"; 297, 16. Dezember; nach einem Brief von Nicolovius sollte Humboldt mit Dohna den Ministerposten tauschen, — „man rechnet auf meinen Charakter, den Kopf, den man mir beimißt, das Vertrauen des Publikums, und ein gewisses Geschick, die Menschen zu behandeln . . . ich muß mich zum Annehmen entschließen, wenn es soweit kommt, — freilich ein großes Opfer, aber ich bin mir bewußt, daß ich 'mich dahin bringen kann, in wenigen Monaten die Sache gut zu führen": 3 1 3 , 7. Januar 1 8 1 0 ; am 6. Februar: „es ist nicht wahrscheinlich", daß Humboldt j e t z t Minister wird, 3 3 2 ; ebenso 335; im Rückschlag dann der Gedanke, den Abschied zu nehmen: 337, besonders 346/47; „Pflicht und Vernunft" hindern die Ausführung; Frau v. Humboldt rät dringend davon ab angesichts des Zutrauens des Königs; man würde glauben, Humboldt habe nur ,,aus Not ge-

520

Anmerkungen. d i e n t " u n d scheide nach dem Anfall d e r reichen E r b s c h a f t a u s : 329, 3 1 . J a n u a r 1 8 1 0 (der Präsident D a c h e r ö d e n war im D e z e m b e r 1809 g e s t o r b e n ) , f e m e r 376 Überlegenheit: ib. 200, bes. 3 7 8 , 24. A p r i l ; 3 7 2 : „ d a s Publikum liebt mich, zeichnet mich aus u n d setzt sein Vert r a u e n auf m i c h " ; E h r g e i z : Bf. I I I , 3 1 8 , 3 2 7 , 1 8 1 0 ; vgl. Bf. V, 267, 1815. 2 ) v g l . G. S. X I I I , 228 ff.; Bf. I I I , 1 8 6 : „ m a n hat keinen S t a a t s r a t e r r i c h t e t , zu dem ich berufen w a r " ; ib. 1 3 7 : „ d i e n e u e V e r f a s s u n g ist h a l b a u s g e f ü h r t , die andere H ä l f t e scheuen sich die Minister a u s z u f ü h r e n " ; f e m e r 240: „die Existenz d e r Geh. S t a a t s r ä t e in i h r e r U n a b h ä n g i g k e i t beruht sehr auf dem S t a a t s r a t " ; 2 5 2 / 5 3 , 10. O k t o b e r : „ S i n n u n d B u c h s t a b e der neuen V e r f a s s u n g " ist d i e G l e i c h b e r e c h t i g u n g d e r G e h . S t a a t s r ä t e mit den Ministern! W a s d a s über seinen e i g e n e n F a l l h i n a u s f ü r die Verwaltung bedeuten m u ß t e , h a t H u m b o l d t sich o f f e n b a r k a u m g a n z k l a r gemacht; D a r l e g u n g d e s P r o b l e m s in d e r K r i s e vom A p r i l 1 8 1 0 : ib. 374/75; die Minister h ä t t e n d e n S t a a t s r a t nicht o r g a nisiert „ a u s Eifersucht gegen die Geh. S t a a t s r ä t e u n d weil m a n von i h n e n ü b e r s t i m m t zu werden f ü r c h t e t e " , vgl. 3 8 1 / 8 2 . P u b l i k a n d u m keine V e r o r d n u n g : Hintze, 423; andere G r ü n d e : vgl. oben S. 220 f f .

Zu

S e i t e 243: Über den Verlauf seiner Verwaltung im einzelnen vgl. S p r a n g e r , I I , 1 7 3 f f . ; über Steins diktatorisches R e g i m e : H i n t z e , 4 1 8 ; a u c h H a r d e n b e r g k o n n t e nicht anders der Lage a b h e l f e n : ib. 425 ff. E s spricht sehr g e g e n H u m b o l d t s Befähigung zum „ S t a a t s m a n n " , d a ß e r d i e s e n Sachv e r h a l t verkannt hat. — S c h l u ß s ä t z e : G. S. X I I I , 2 3 4 : Ü b e r l e g e n h e i t g e g e n ü b e r S t e i n : vgl. das Sonett vom 30. März 1 8 3 3 : „ S o wärest D u , d e n ich g e e h r t mit Schweigen, d o c h vor d e m nie m e i n Geist sich k o n n t e b e u g e n " ; dazu Leitzmann, S o n e t t d i c h t u n g , S. 70. 2 ) V g l . die Belege S. 241, A. 1. 3 ) „ A n s t o ß " : B f . I I I . 264: H u m b o l d t h a t von seiner litauischen Reise a u s , auf d e r er Anhalt a n Schön i n d e r O p p o s i t i o n g e g e n d a s Minis t e r i u m f a n d , Dohna g e d r ä n g t ; dieser a b e r e r k l ä r t e , n i c h t s tun zu k ö n n e n , — obwohl er, nach H u m b o l d t s M e i n u n g , d e m S t a a t s r a t nicht w i d e r s t r e b t e , ib. 240; vgl. Lobethal, S. 3 1 f f . ; ib. 26, 3 2 / 3 4 , 4 2 / 4 4 : eine richtige Beurteilung von H u m b o l d t s M o t i v e n ; Ball bei H o f : 15. O k t o b e r 1809, Bf. I I I , 2 6 2 / 6 5 ; a n Schön, 31. O k t o b e r . Aus Schöns P a p i e r e n II, 248 ff.; Lobethal, S. 3 3 ; G. S. X. 2 2 3 / 2 4 .

Z u S e i t e 244: A n w e i s u n g des Königs: Lobethal, S. 3 5 / 3 7 ; D o h n a s U r t e i l über H u m b o l d t : ib. 3 5 A. 45; Ministerposten: 3 6 / 3 7 ; neue V o r s c h l ä g e : C. O. v o m 3 1 . M ä r z , ib. 39 ff.; G e b h a r d t I, 345/46. 2 ) V g l . L o b e t h a l , S. 42/43, 44, 62; bes. S. 44, A. 62, die g u t e K r i t i k a n d e r D a r s t e l l u n g von Lenz I, 214, welcher die g a n z e L a g e n u r u n t e r H u m b o l d t s Gesichtswinkel sieht.

Zweites Kapitel. Zu

S e i t e 245: ! ) B e z i e h u n g e n zum H o f : vgl. Bailleu, K ö n i g i n Luise, 1908, S. 3 4 2 ; b e s o n d e r s die Geschwister d e r K ö n i g i n waren f ü r H u m b o l d t t ä t i g ; v g l . B f . I I I , 250: seine Beziehungen zur Prinzessin F r i e d e r i k e ;

Anmerkungen.

521

284/85: „der Hof zieht mich offenbar v o r " ; Wittgensteins Vermittlung: Lobethal, S. 46 A. 67. — Zufertigung: Lobethal, S. 38, 42, Bf. III, 377/78, 24. April; Abschiedsgesuch: G. S. X , 244/50, 29. April; besonders 249, 250. — Niederlage: Lenz I, 216, vertritt seltsamerweise die Meinung, Humboldt habe „einen kompletten Sieg über seine Gegner davongetragen". In wörtlicher Übernahme eines Satzes aus dem Brief vom 19. Juni (Bf. III, 419), hat er sich auch die illusionistische Beurteilung der Sachlage durch Humboldt zu eigen gemacht; denn, wie oben dargestellt, hat Humboldt keines seiner Ziele erreicht; weder war der Staatsrat eingeführt, noch die Stellung der Sektionschefs gerettet, noch er selbst Minister geworden. Denn der „Staatsminister, vera Eccellenza" (ib. 418) bedeutete nur die Verleihung eines Ranges, nicht aber jene von ihm erstrebte Stellung. Auch Niebuhr beurteilte Humboldts Haltung in der Frühjahrskrise dahin, daß er nur die jetzigen Minister entfernt wissen und dann seinerseits das neue Ministerium beseitigen wolle, wobei er mit Niebuhr als „Kollegen" rechne; „er ist durchaus egoistisch und herzlos, ein vortrefflicher Arbeiter und voll Kenntnisse, aber ohne alles Gefühl" . . . „Seine schlechte und eigentlich unleidliche Poesie" . . . kontrastiere gegen seine „sehr schönen und gehaltreichen Geschäftsarbeiten wie Nacht und T a g " , an D. Hensler, 27. Mai 1 8 1 0 (freundliche Mitteilung von Herrn Dr. Dietrich Gerhard). — Bei dieser Gelegenheit möchte ich bemerken, daß die Charakteristik, welche Spranger, II, 100. von Humboldts Haltung im Jahre 1809/10 gibt: „Nicht anders als ein General, so stand er, bewußt und groß, in jener Zeit auf seinem Posten. Seine Zuversicht ist die Zuversicht des glaubensstarken Christen, so fern er sich all solchen Gefühlen noch wähnen mochte" — der Wirklichkeit weniger entspricht, als Spranger beim Niederschreiben „wähnen mochte". 2 ) vgl. Hintze, Staatsministerium, S. 424; über die allgemeine politische Lage: Hintze, Hohenzollern, 461. — „Eigensinnig": Bf. III, 406, 5. Juni 1810. Z u S e i t e 246: ' ) Königin Luise an Wittgenstein, 30. April 1810. Kopie im Nachlaß Hardenbergs. (G. St. A.) — Bereits am 10. April hatte die Königin durch Wittgenstein an Hardenberg mitteilen lassen, sie wünsche Humboldts Beförderung zum Minister. Lobethal, S. 46, A. 67. 2 ) Das zweite Abschiedsgesuch ist bisher nicht aufzufinden gewesen. Daß es am 25. Mai eingereicht wurde, ergibt sich aus der Eingabe der Sektion vom 28. Mai, G. S. X I I I , 3 1 4 ; vgl. Bf. III, 403, Spranger II, 96, Gebhardt I, 3 5 1 , A. Die Antwort des Königs Bf. III, 404. Die Wirkung beider Schritte auf Dohna läßt sich aus drei Briefen ersehen, welche dieser am 29. und 30. Mai und 1. Juni an Humboldt richtete. (Archiv Tegel.) 3 ) Tausch mit Dohna: Gebhardt I, 352/53; Hardenbergs Vorschlag vom 3. Juni (Geh. St. A.). Besuch Humboldts bei dem am 5. Juni ernannten Hardenberg am 6. Juni. — Bf. III, 4 1 1 . — Hardenbergs Bericht vom 6. Juni (G. St. A.). Konzept der C. O. vom 14. Juni (G. St. A.). Z u S e i t e 247: J ) Vgl. Hintze, a.a.O. S. 425.

Anmerkungen.

522 !

) Vgl. Bf. I I I , 413; Buch I, A.; Dohnas Brief vom 4. Juni 1810 ist an Scharnhorst, nicht an Albrecht, wie Gebhardt S. 352 annimmt (G. St. A.). 3 ) G. S. X, 289 ff- Nach Gebhardts Ansicht ist sie zwischen dem 10. und 16. Juni entstanden. Da Humboldt in dem Bericht über seine Unterredung mit Hardenberg — Bf. III, 411 — erwähnt, „es seien noch Ideen, mich hier zum Minister zu machen und mir mein Departement zu lassen", so steht der Annahme nichts im Wege, daß die von Hardenberg veranlaßte Denkschrift gleich nach ihrer Unterredung abgefaßt, am oder nach dem 10. vorgelegt wurde und Hardenbergs Entschluß, .der in der C. O. vom 14. Juni seinen Ausdruck fand, beeinflußt hat. Vgl. Bf. I I I , 437

Z u S e i t e 249: ' ) „Oberste Einheit": G. S. X, 291; „Rad der Geschäfte": 292; Befugnisse des Staatsrats: 294; Recht der Appelation: 295; Instanzenzug: 298; abwechselnder Vorsitz: 291; Gesamtvortrag 292. — „Theorie aller Reformen"; vgl. Buch I, S. 145 ff. — Die Aussicht, unter Hardenberg sein Departement als Minister weiterzuführen, hätte durchaus bestanden, da dieser im November 1807 für die Errichtung eines selbständigen Ministeriums eingetreten war (Müsebeck, 41) und dem Bruder seines Protégé Alexander an sich wohlwollte. Mit dem Staatsrat-Motiv ist schon damals das später verhängnisvoll gewordene Streitobjekt zwischen Hardenberg und Humboldt berührt worden. 2 ) Absichten auf ein Ministerium: Am 6. Februar 1810 wird Humboldt vom Minister Goltz sondiert, ob er gegebenenfalls als Gesandter nach Italien zurückkehren werde. Vielleicht war das Ministerium auf diesen Gedanken gekommen, um Humboldts Opposition wegen des Staatsrats loszuwerden. Humboldt war gern bereit, da „meine hiesige Stelle immer unsicherer wird. Es ist jetzt gar nicht wahrscheinlich, daß ich Minister werde", und angesichts drohender Konflikte müsse er vielleicht bald den Abschied nehmen. Bf. III, 331/32. Bf. III, 411: „unerwartete Entscheidung" für Wien; ib. 419: „ohne Minister zu werden, wäre ich hier nicht geblieben" (19. J u n i ) ; Dohna am 30. Mai: „daß ich weit entfernt bin, es dem Wohl des Staates nachteilig zu halten, wenn Du Minister wirst, es gerade für höchst wohltätig und nötig halte, d a ß Du es wirst, darüber kann ich Dir gerade jetzt aktenmäßige Beweise vorlegen." Dieser Briefbeginn beweist, d a ß Humboldt Dohna vorgeworfen haben muß, ihm bei der Erlangung eines Ministeriums im Wege zu sein. — Die Briefe vom 30. Mai und 1. Juni bekämpfen Humboldts idée fixe, den „totgeborenen monströsen Steinschen Staatsrat" immer noch verwirklichen zu wollen. Vgl. Nord und Süd, B. 1905, S. 69. — In dem ganzen Zusammenhang ist noch zu beachten, d a ß während der Krise das Projekt eines Ministeriums Humboldt-Nagler von der Königin betrieben sein soll. Gebhardt I, 372. Nach Bailleu, Königin I.uise. 1908, S. 346. wäre das Gerücht wohl völlig grundlos. 3 ) Bf. III, 414; anscheinend hat Hardenberg Humboldt mit der Aussicht geködert, daß er später die Leitung der Auswärtigen Angelegenheiten erhalten solle, ib. 41 1 : gegen Hardenbergs Wunsch, ihn in die diplo-

Anmerkungen.

523

matische Laufbahn zu bringen, „lasse sich schwerlich etwas ausrichten'.'. Vgl. 423. 4 ) Lenz I, 218, meinte, Humboldt habe „einen kompletten Sieg über seine Gegner davongetragen". Das war eine Illusion, mit welcher Humboldt sich und die Gattin Uber seinen Mißerfolg tröstete (Bf. III, 419). Einige Tage früher hatte er seine Lage richtiger beurteilt; „jetzt schien ich doch sehr auf den Grund gefallen, und habe mich doch wieder emporgehoben", ib. 4 1 4 , 9. Juni.

Zu

Zweites Kapitel.

S e i t e 250: *) Vgl. die Briefe aus dem Sommer 1797, besonders die an Wolf und Brinckmann. 2 ) Offenbar hat Humboldt gleich bei dem Angebot von Wien bei Hardenberg pekuniäre Wünsche angemeldet, vgl. dessen Berichte vom 6. Juni und den Satz der C. O., „was Euren Gehalt betrifft, so werdet Ihr Euch wenigstens vorerst, wenn Ihr die großen Aufgaben erwägt, die dem Staat jetzt aufliegen, mit dem begnügen, was dem Grafen Finkenstein ausgesetzt ist." (G. St. A.). Dieses Gehalt betrug 13 400 Reichsthaler, davon 3 3 4 5 in Gold; hinzu kommen 3000 Reichsthaler Einrichtungsgeld, Bf. III, 418, 420. — Als Humboldt im Sommer 1 8 1 2 in Berlin die dortige knappe Besoldung und Lebenshaltung, die Belastung mit Steuern und Einquartierungen beobachtete, stellte er seine günstige Lage in Wien mit Befriedigung fest, Bf. IV, 18, 28. Juli 1812. — Wenn Humboldt später von Gneisenau und anderen des „Geizes" beschuldigt wurde, so war das wohl falsch. Aber er hat es immer verstanden, seine Beamtentätigkeit „rentabel" zu gestalten; „ruiniert" hat er sich im Staatsdienst nicht. Seit dem Tode des Schwiegervaters, dessen einzige Erbin Frau v. Humboldt war, hatte sich seine Vermögenslage wesentlich gebessert, Lenz, I, 216. — Mit C. O. vom 10. August 1 8 1 2 erhielt Humboldt eine mit der Wiener Teuerung begründete Gratifikation von 2000 Reichsthalern. Gebhardt I, 398.

Z u S e i t e 251: Vorzüge Wiens: Bf. III, 4 1 3 , 9. Juni; auch Frau v. Humboldt gab Wien vor Berlin den Vorzug, ib. 4 2 3 ; Beglückung durch das Ende der Trennung: ib. 447/48; Aufgeben des Werkes: ib. 4 1 2 , 4 1 5 ; an Schweighäuser, 16. Juli, 1. .c 1 7 2 / 7 3 ; an Nicolovius, 29. Oktober, 1. c. 20; an Kömer, 4. August 1810, 1. c. 1 1 4 ; an Welcker, 3. August 1810, 1. c. 20. Opfer des Eigensinns: Bf. III, 445: er hat erwogen, sich mit der bisherigen Stellung zu bescheiden; „es wäre nichts dabei herausgekommen"; der Zug zum Genuß des Lebens: ib. 4 1 3 , 427. s ) Bf. IV, S. 15, 18; 28. Juli, 4. August 1 8 1 2 ; an Goethö, >7. September 1 8 1 2 , Geiger 223. Z u S e i t e 252: l ) Frau v. Humboldt, Rom, 30. Juni, Bf. III, 4 2 3 ; Vermissen ihres Rates; ib. 4 1 2 , 9. Juni; Humboldts Rückblick vom 28. Juli: ib. 444; „etwas Äußeres gründen": 445; „verschiedene Lagen": 446; „mehr Talent": ib.; „innere Verwaltung": 445.

524

Anmerkungen.

Z u S e i t e 253: ' ) Zum folgenden zu vergleichen die Darstellung bei Gebhardt, I, 369 f f . ; Leitzmann, S. 55/57- — Die Äußerung über den „Gesandten in seiner Bibliothek" tat Humboldt bei der geplanten Übersiedlung nach Paris im Jahre 1 8 1 6 . B f . V, 200. — Anspielung auf Rubens: an Wolf, 3. Juli . 1 8 1 2 , 1. c. 2 9 3 ; vgl. Verhaeren, Rubens, 1 9 1 3 , S. 22. *) Rückkehr „zu dem Humboldt vor 1 8 0 9 " : an Wolf, 1. c.; an Welcker, 3. August 1 8 1 0 , S. 20; an Nicolovius, 26. Februar 1 8 1 1 , S. 25; an Goethe, 7. September, 15. November 1 8 1 2 , Geiger, 223 f f . ; 227 f f . Sprachstudien: an Körner, 3. Januar 1 8 1 2 , 1. c. 125/26. Zeiteinteilung: an Goethe, 1. c. 228. „Schwelle Deutschlands": an Wolf, 1. c. 295; an Schweighäuser, 26. Februar 1 8 1 2 , 1. c. 177. Z u S e i t e 254: „Bedürfnis des Aussprechens": an Körner, 8. J u n i 1805, bei Leitzmann, Briefe an Schiller, S. 3 2 7 ; „zu arm oder zu reich": an Kömer, 28. November 1 8 1 2 , 1. c. 1 3 2 ; Abschwören des Briefschreibens: an Jacobi, 22. Mai 1 8 1 2 , 18. Februar 1 8 1 5 , 1. c. 82, 85. — In der Tat ist die Korrespondenz Humboldts in den Wiener Jahren auffallend zurückgegangen: es liegen vor für den Zeitraum von Herbst 1 8 1 0 bis Frühjahr 1 8 1 3 : an Goethe: drei Br., 3. August 1 8 1 0 , 7. September und 15. November 1 8 1 2 ; an Jacobi: ein Br. 22. Mai 1 8 1 2 ; an Schweighäuser: ein Br. vom 26. Februar 1 8 1 2 ; an Körner: sechs Br., 4. August, 1 3 . September 1 8 1 0 ; 26. Januar, 25. J u l i 1 8 1 1 ; 3. Januar, 1. Juli 1 8 1 2 ; an Nicolovius drei Br.: vom 29. Oktober 1 8 1 0 ; 26. Februar 1 8 1 1 , 29. August 1812. Auch Mme. Stael und der Bruder Alexander scheinen aus der Zahl der Korrespondenten ausgeschieden zu sein. Ungewißheit herrscht über den Umtang der Briefe an J o h . Motherby, da diese großenteils vernichtet sind. Schon mit Nicolovius ist der Kreis der alten Korrespondenten aus der Zeit vor 1809 überschritten; hinzukommen noch für die Zeit vom 5. Oktober 1 8 1 0 bis 22. Januar 1 8 1 3 vierzehn z. T. sehr ausführliche Briefe an die Prinzessin Radziwill. Da auch die sehr eingehende Korrespondenz mit der Gattin seit Herbst 1 8 1 0 fortfällt, ergibt sich in der Tat, daß Humboldt, verglichen mit früheren Jahren, „dem Briefschreiben abgeschworen" hatte. ! ) Tagesgewohnheiten: an Joh. Motherby, 24. April 1 8 1 3 , 1. c. 34/35; dort die Angabe, daß Humboldt „alle Abend ohne Ausnahme" die Fürstin Bagration aufsuche; in den Briefen an die Prinzessin Radziwill werden häufiger genannt: die kurländischen Prinzessinnen, das Haus Zichy, die Prinzessin Clary und die Fürstin Bagration; — „Gepräge der Wahrheit" — Bf. IV, S. 12, 1 7 ; 25. und 28. J u l i 1 8 1 2 . 3 ) Auf dem Weg nach Wien hat Humboldt die Bekanntschaft des Reichsfreiherrn v. Stein gemacht, und berichtet der Prinzessin Luise von dem tiefen Eindruck des Mannes, 1. c. S. 88. 3. Oktober 1 8 1 0 . — Tugendbund: Gebhardt, I, 373/74. Z u S e i t e 255: !) Über die damalige, von Metternich geleitete Politik Österreichs vgl. neuerdings Srbik, I, S. 122 f f . ; über den Gegensatz zwischen Metternich und Humboldt besonders S. 125. Nach Ablauf einiger Monate, während derer Humboldt zwei- bis dreimal wöchentlich mit Metter-

Anmerkungen.

525

nich zusammen war, hat er in einem seiner Berichte eine meisterhafte Charakterskizze seines Gegenspielers entworfen, deren prägnanter Linienführung die viel geübte Kunst der Beobachtung zugute gekommen ist: G. S. X I , S. 5/8; der Undurchsichtigkeit des leitenden Ministers entsprach, wie er meinte, die Undurchsichtigkeit der von ihm geleiteten Politik; auf beide sei kein Verlaß, außer in einer richtigen Berechnung der für sie maßgebenden Interessen. — „Pygmäen"; an Körner, i. Juli 1 8 1 2 , 1. c. 1 3 1 ; ferner über Fr. Schlegel und A. Müller, 15. Juli 1 8 1 1 , ib. 123/24; an Wolf, 3. Juli 1 8 1 2 , 1. c. 296; über Theodor Körner 1. c. 128/29, 135 ff., Geiger, S. 226; sein Umgang ergibt sich aus den Radziwill-Briefen. Vgl. Gentz an Brinckmann, 30. April 1 8 1 1 : „Humboldt, obwohl er in den Grundzügen immer derselbe ist, ist dergestalt weltlustig und welttätig geworden, daß Sie staunen würden. E r hat sich in Wien sehr beliebt gemacht, . . . wir besuchen dieselben Gesellschaften", Wittichen II, 306. *) Ungenügende Bruchstücke dieser Berichte G. S. X I , S. 5—24; ihren Wert läßt die ganz auf ihnen aufgebaute Darstellung Gebhardts besser erkennen. 3 ) Hardenbergs angebliches Mißtrauen gegen Humboldt. Gebhardt I, 371/73, 390/91. Seine Angaben, daß Humboldt von der Entsendung sowohl des Gesandten Jacobi- Kloest wie des Majors Natzmer und derjenigen des Generals Scharnhorst nach Wien nichts gewußt habe, beruhen auf Unkenntnis der Sachlage oder Irrtum in der Zeitangabe. — Natzmer ist nicht im September 1 8 1 1 , sondern 1 8 1 2 in Wien gewesen ; Humboldt hat diesen selbst bei Metternich eingeführt, vgl. seinen Bericht an Hardenberg vom 23. September (G. St. A.); ferner RadziwillBriefe, S. 105, 3. Oktober 1 8 1 2 ; „Leben des Generals O. v. Natzmer", S . 73. — Was die Sendung von Jacobi-Kloest betrifft, so führte dieser bei Humboldt mit einem Schreiben Hardenbergs vom 24. August 1 8 1 1 sich ein, demzufolge Jacobi-Kloest mit Eröffnungen betraut war, welche sich zu schriftlicher Mitteilung nicht eigneten; Humboldt sollte sich die Gelegenheit entsprechend für Mitteilungen an Hardenberg zunutze machen (G. St. A.); vgl. Humboldts Brief an Hardenberg vom 28. Oktober 1 8 1 1 (G. St. A.). — Von der Sendung Scharnhorsts, welcher unter falschem Namen auftrat, hat Humboldt in der Tat nichts gewußt; da Metternich die angekündigte Sendung Scharnhorsts abgelehnt hatte — Srbik I, S. 138 —, durfte der offizielle Gesandte von ihr natürlich nichts wissen. Daß die „Sekretierung" geheimer Sendungen vor den offiziellen Gesandten nichts gegen diese beweist, hat bereits Fr. Thimme, Br. Pr. Fg. X, S. 446 f f . dargelegt. *) Anerkennung Hardenbergs: Gebhardt I, 398. — Das durch Treitschke D. G. I, 366 — bekannt gewordene Wort Hardenbergs: „Humboldt sei falsch wie Galgenholz" — Omptedas Nachlaß, II, 54 — ist in dem Zusammenhang, in dem es steht, gegenüber dem Empfänger des Briefes, dem Vetter des Kanzlers, bereits als eine der häufigen übereilten Äußerungen des Kanzlers bezeichnet. ( „ A ces mots Vous reconnaitrez Votre cousin.") — Humboldts Urteile über die österreichische Politik, ihre Unberechenbarkeit bei völlig unsicherer Grundlage der Machtmittel des Staates, Gebhardt I, 375, 377, 382, 385, 390/91. Besonders der Bericht vom 16. Oktober 1 8 1 1 sollte gegenüber den

526

Anmerkungen. optimistischen Meldungen des Sondergesandten Jacobi durch die Ereignisse gerechtfertigt werden. Ob Humboldt die g a n z e Gefährlichkeit der Politik Metternichs in bezug auf Preußen, — möglicher Erwerb Schlesiens für Verluste in Galizien — erkannt hat, mag man bezweifeln, wenn man die neueste Darlegung dieser Politik bei Srbik, I, S. 137 ff., liest, deren Rechtfertigung aus „europäischen Gründen" man wohl mit einiger Skepsis aufnehmen muß. Übrigens hat Humboldt sich auch durchaus getäuscht über die seiner Meinung nach bestehende Möglichkeit für Preußen, nach österreichischem Beispiel eine Politik der „zaudernden Unabhängigkeit" zu treiben, vgl. Gebhardt I, 397, und an Prinzessin Radziwill am 20. Mai, 3. Oktober 1 8 1 2 , 1. c. 104/05,, 106. — Besonders hervorzuheben ist der Bericht vom 4. März 1 8 1 2 , G. S. X I , S. 17 ff., welcher auf den Abschluß des Bündnisses zwischen Frankreich und Österreich vorbereitet; Hardenbergs Anerkennung für diese Arbeit in einem Reskript vom 21. März (G. St. A.).

Z u S e i t e 256: Bf. IV, S. 14, 17- Die Korrespondenz im G. St. A. 2 ) Vorgeblich meinte Humboldt „am Ziel seiner Wünsche" zu sein, vgl. Bf. IV, S. 2, 12. Juni 1 8 1 2 ; an Schweighäuser, 26. Februar 1 8 1 2 , 1. c. 177. Dagegen enthalten die Radziwill-Briefe mehrfache Klagen über seine Entfernung von Berlin, 1. c. 90/93, November 1810, 98 f f . ; 20. August 1 8 1 1 ; 100/01, 22. Dezember 1 8 1 1 ; die Resignation: I03, 25. März 1 8 1 2 ; vgl. Fielitz, II, 207, an Ch. Schiller, 4. August 1810. Z u S e i t e 257: „Zwiespältigkeit": Bf. VI, 228, 16. Juni 1 8 1 8 ; derselbe Gedanke Bf. II, 62/63, 1797, „Fehlende Anteilnahme": „ich bin für die Geschäfte nicht gemacht; . . . ich übe alle die Eigenschaften, die ich besitze, an ihnen aus; aber ich habe kein Herz für sie; sie lassen mich leer", 14. Juli 1817, Bf. V, 359; vgl. Bf. VI, 94: „ich habe keine Leidenschaft, nicht einmal viel Lust dazu". (Humboldt meint dabei, es sei ihm mit dem „Geschäftsleben" gegangen, „wie mit Verbindungen mit Frauen. Das Anknüpfen ist immer leichter als das Wiederauflösen"II) „Logisches Interesse"; „alle Erfolge in . . . öffentlichen Dingen . . . sind mir immer gleichgültiger, als die Konsequenz des Handelns, sie hervorzubringen"; B f . V, 108/09, 28. Oktober 1 8 1 5 . Vgl. T. B. II, 458. Die Kehrseite dieses Verfahrens wurde ihm auch bemerkbar: „man sagt, daß ich nur mit den Geschäften spiele, sie nur wie interessant zu lösende Aufgaben behandle, aber daß mir am Staat und den Resultaten nichts liegt", 9. Juni 1 8 1 7 , Bf. V, 329; vgl. ebenso 24. September 1 8 1 7 ; ib. 399. „Handeln außer der Form": z. B. an Nicolovius, 16. Juni 1 8 1 6 : „der Staatskanzler hat nur den einzigen Fehler, die Form zu verachten"; „der Staatskanzler hat durch seine ganze persönliche Regierung alle Formen so auseinandergehen lassen, daß es kaum Fäden gibt, wo man Kraft und Einheit, die nicht wieder so persönlich sind, anknüpfen kann. . . Alles . . . will . . . über seinen Wirkungskreis hinaus". Bf. V, 105/06, 21. Oktober 1815. über Stein: er habe „nicht genug Freude am bloß reinen Denken und Empfinden, an der Form der Welt

Anmerkungen.

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und der Menschen", Bf. VI, $23. — „In Geschäften kommt alles auf die Stellung an, die man nimmt; es ist nicht genug, durch Persönlichkeit Gutes zu stiften", Bf. IV, 186/87; 1. Dezember 1813. „Jeder Einzelne glaubt, es könne nur besser werden, wenn er auf jede Weise um sich herum wirke"; Bf. V, 46; „es ist eine ewige Regel im praktischen 'Leben, . . . auch das Größte nicht zu tun zu streben, wo es nicht in dem gegebenen Wirkungskreis liegt", Bf. V, 225. — „Symptom"; vgl. Buch I, Kap. IV, S. 117. Z u S e i t e 258: *) „Handeln als handle man nicht": an Niebuhr, 28. März 1827, a. a. O. 20. „Wichtigkeit des H a n d e l n s " : vgl. oben, S. 220, vgl. unten Kap. VI. 2 ) „Handeln in F o r m e n " : „Ich bin fest überzeugt, daß ein Handeln außer der festen Form, auch in der besten Absicht unternommen, ein schädliches Handeln ist . . . nur wer in seinen Grenzen und mit aller Verantwortlichkeit handelt, kann Gutes wirken; außerdem ist es schädliches Stückwerk." Bf. V, 46, 20. August 1815; „nichts ist so verführerisch als der Grundsatz, unbedingt Nutzen stiften zu wollen, wie es auch immer kommen möge. Nur wenn man es sehr bedingt tut, kann es gelingen". Bf. VI, 411, 18. Dezember 1818. „Negative Wirksamkeit"; vgl. Buch I, Kap. V, S. 136 ff.; „der S t a a t . . . hat nur dahin zu streben, b l o ß n e g a t i v z u w i r k e n und das positive Wirken der freien Tätigkeit der Nation überlassen". G. S. X, 100, Juli 1809, „Über die neue Constitution der J u d e n " ; „die Weltbegebenheiten gehen immer in dem Grade besser, in dem die Menschen n u r n e g a t i v zu handeln brauchen, . . . aber hier muß etwas Positives geschehen", G. S. XI, 96, Dezember 1813, (Denkschrift über deutsche Verfassung); „Deutscher B u n d " vgl. unten Kap.IV, S-325ff.; „nicht selbst wählen": Bf. II, 35» ' 7 9 7 ; „produktiv ohne aktiv zu werden": Schmitt-Dorotiö 2, S. 223 ;vgl. ib. 222: „jede politische Aktivität, mag sie die Technik der Eroberung, Behauptung oder Erweiterung der politischen Macht zum Inhalt haben, widerspricht wesentlich der ästhetischen Art des Romantischen"; vgl. ib. 142/43; „recherche de la réalité": ib. S. 77. „produktives E l e m e n t " : die Funktion der „Form des Handelns" ist, wie alles bei Humboldt, kompliziert, Schmitt-Dorotiö sagt S. 143: „in die Außenwelt e i n g r e i f e n . . . könnte der Romantiker überhaupt nicht, ohne seine unendlichen Möglichkeiten in einer beschränkten Wirklichkeit zu realisieren, o h n e . . . sich auf den Mechanismus von Ursache und Wirkung oder auf die Bindung an eine Norm einzulassen". In dem Grade, wie Humboldt „aktiver Mensch" werden muß, tritt das romantische Stimmungselement in ihm zurück, ohne je ganz überwunden zu werden, und so läßt sich auch an der Funktion der „ F o r m " die innere „Schicht u n g " seiner Stimmungselemente ablesen: 1. Die romantische Tendenz zur „Passivität" spricht sich aus im „negativen Handeln"; dies bringt den größten Grad von Aktivität mit sich, welcher ihm zugänglich ist. 2. Die „unangreifbare" Form erhält die Bestimmung, das „ H a n d e l n " der Gegner, also das Verhältnis von Ursache und Wirkung „außerhalb" des Individuums, aufzuheben, zu durchkreuzen und auf diese Weise „selbst schaffend", produktiv die Wirklichkeit zu gestalten. Ihr Wirken ist in Humboldts Augen zwangsläufig. Dem Individuum bleibt nun 3. höchstens die Funktion, durch „negatives Handeln", d. h. durch

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Anmerkungen. Abwarten, Ablehnen, Werdenlassen, mit rationalistischem Calcul die „ L a g e " oder „bedingte F o r m " entstehen zu lassen, den Weg für die „produktive F o r m " frei zu halten. Oder das politische Geschehen ist für die „Idee der F o r m " eine occasio, um Wirklichkeit zu werden. — Vgl. an Nicolovius, S. 37: „bei allem Regieren ist das erste und wichtigste die Form; das Zweite die Personen; das Dritte das einzelne Handeln". 1816; vgl. Bf. I, 343/44- '79°-

Z u S e i t e 259: ' ) „nichts Positives f o r d e r n " : „mit meiner Mutter stehe ich sehr gut, ich habe mich auch nie durch eine Bitte in Abhängigkeit von ihr gesetzt", Bf. I, 74, 1790; vgl. ib. 89. „nicht suchen": Gabr. v. Bülow, S. 17; vgl. z. B. Bf. V, 266/67, 18. Juni 1816: „es ist mein festes Prinzip, d a ß i c h . . . nichts dazu tue (nach Berlin zu k o m m e n ) , . . . . dagegen nicht leicht etwas abschlage, was man anbieten könnte; . . . ich verliere gleich, sobald ich den Schein gewinne, es zu suchen"; vgl. Bf. I I I , 76, 24. Januar 1809. Bf. VI, 418/19: „um Bedingungen zu machen, m u ß man abwarten, d a ß man einen Vorschlag erhält, wer fordert, kann es eigentlich n i e " ; vgl. unten Kap. VI. „darbietende Lagen": „ich habe mehr Talent, eine gegebene Lage zu benutzen, als eine solche selbst und mit Fleiß zu schaffen", Bf. III, 447, 28. Juli 1810; dagegen aber: „man muß sich seine Lage schaffen, ehe man hineingeht. Es ist ein falsches Prinzip, seine Stellung schaffen zu wollen, wenn man darin ist. Alles wird unrein, was in ein unreines Gefäß gegossen wird", Bf. VI, 411, 8. Dezember 1818; hier kommt das ganze Dilemma seiner inneren Lage zum Ausdruck. — In diesen Zusammenhang gehört auch Humboldts grundsätzliche Ablehnung des Gedankens „sich eine Partei zu machen"; denn dadurch werde man „abhängig von anderen", Bf. V, 268, vgl. 288, 1816, VI, 327/28, 29. September 1818. Z u S e i t e 260: „Conferenzen": z. B. Bf. V, S. 47, 29. August 1815; Gentz: Wittichen I, 200, ferner 198. 2 ) Staatsratsidee: vgl. oben S. 238 ff.; Ministerverantwortlichkeit: unten Kap. III. und Kap. VI.; „äußere F o l g e " : T. B. II, 458, 1816. Z u S e i t e 261: 1 ) „ G l a u b e " : „der Willen, der tiefer in der Seele liegt, der die ganze Handlungs- und Lebensweise betrifft, an den glaube ich unendlich; darum überlasse ich gern die einzelnen Dinge dem Zufall, wirke wenig geradezu ein, aber beharre fest auf meinem Wollen, und benutze lieber die Umstände, wie ich sie finde, als daß ich sie geflissentlich hervorbringe." Bf. I I I , 149, 29. April 1809; „man muß t u n . . . mehr für sich, zu seiner Beruhigung, als für die S a c h e , . . . wo man sich nicht entbrechen kann zu handeln", an Schiller, 1803, Leitzmann. 315. Diese ganze Einstellung Humboldts zum „tätigen Leben" berührt Spranger I, S. 68 im Vorübergehen, indem er sie als „inneren Fatalismus" charakterisiert, „in dessen Innerlichkeit und Tiefe zugleich das eigentlich deutsche Moment" seines Wesens sich ausspreche; „dieser innere Fatalismus war es, der sein Wirken von 1809 zu einem Auswirken der ganzen in ihm aufgespeicherten Energie machte". Nach diesem nicht

529

Anmerkungen.

eben klaren Satz scheint ihm die eigentliche Schwierigkeit dieser Problematik entgangen zu sein. „Veranlassung": Bf. II, 246, 1804. Heupferd: Bf. IV, 3 1 4 , 1814. — Eintritt Österreichs: Bf. IV, 93, 1 1 . August 1 8 1 3 . Bf. V, 399. Vgl. T . B. I, 566: „der Strom ist unaufhaltsam, man kann nur mit Tätigkeit angreifen und seine Richtung benutzen"; „die Gefühle der Wirklichkeit": B f . IV, 84, 3 1 . August 1 8 1 3 ; es ist nicht ohne Interesse, daß Humboldt hier seinen Gegensatz zu Goethe — 1 8 1 3 ! — hervorhebt, weil Goethe „eigentlich kein Gleichgewicht in sich hat, er ist schwach in der Wirklichkeit, und dann gilt das Idealische nur im Moment der Begeisterung und durchdringt nicht jeden Moment des bloßen einfachen Lebens". 2 ) Die folgenden Seiten können die Ereignisse de. Jahre 1 8 1 3 / 1 5 nur in flüchtigem Überblick darstellen und unter ihnen jene Punkte herausheben, an welchen die grundlegende innere Wandlung Humboldts deutlich wird. Den über siebenhundert Seiten ausgebreiteten Quellenstoff der beiden Briefbände IV und V, welche diese Jahre umfassen, auch nur annähernd auszuschöpfen, war im Rahmen dieses Buches unmöglich. Darum sei der Leser an dieser Stelle noch ganz besonders darauf hingewiesen, den großartigen Zeitspiegel, welchen namentlich Band IV für die preußische Erhebung darbietet, durch eigenes Lesen auf sich wirken zu lassen. Für die Darstellung der diplomatischen Verhand* lungen in Prag, Chatillon, Wien und Paris ist die ins einzelne führende Schilderung von Gebhardt I „ 435—487, II, 1—189 heranzuziehen. Die Arbeiten Humboldts aus diesen Jahren, namentlich die Denkschriften zur deutschen Frage, finden sich G. S. X I , 49 und X I I , 1, 1—149. Die Einordnung von Humboldts Gedanken über Staat und Nation in die ideengeschichtliche Entwicklung ist von Friedrich Meinecke maßgebend vollzogen worden, vgl. Weltbürgertum a. a. O., S. 192—205. — „neue Akteure": vgl. Buch I, S. 1 3 3 ; „leidiger Krieg": vgl. oben S. 213. Z u S e i t e 263: 1 ) „sonderbares Wesen": Bf. I, 305, 1790; „hinreißende Begebenheiten": Bf. IV, 63, 16. Juli 1 8 1 3 ; 82, 29. Juli 1 8 1 3 . Z u S e i t e 265: „militärische Tätigkeit": Bf. IV, 188, 6. Dezember 1 8 1 3 ; „nur durch Opfer": ib. 166, 8. November 1 8 1 3 . „Körners T o d " : ib. 189 ganz entsprechend redet er der Freundin C. v. Wolzogen dringend zu, ihren (einzigen) Sohn ins Heer treten zu lassen, a. a. O. 14/15, 5. August 1 8 1 3 ; Eindrücke des Leipziger Schlachtfeldes: ib. 143/52, 19.—23. Oktober; „der Geheimrat": ib. 155/56, 26-/27. Oktober; Humboldt berichtet, wie Goethe sich gesträubt habe, die „Legion" abzulegen: „man könne doch einen Orden, durch den einen ein Kaiser ausgezeichnet habe, nicht ablegen, wenn er eine Schlacht verloren habe. Ich dachte bei mir, daß es freilich schlimm ist, wenn man für das Ablegen 'der Legion keine besseren Gründe hat, und wollte ihm eben einen guten Rat geben, als er mich bat, zu machen, daß er einen österreichischen Orden bekäme. Es ist närrisch . . . daß uns die Leute immer ins Vertrauen ihrer kleinen Schwachheiten setzen." Vgl. ib. S. 84/85. Der Wortlaut des Humboldtschen Berichts spricht deutlich gegen die erzwungene Auslegung, welche Fr. Wolters, „Goethe als Erzieher zum Ktehler,

Humboldt.

34

530

Anmerkungen. vaterländischen Denken", 1925, S. 23 diesem Bericht gegeben hat. Vgl. dazu Goethes Gespräch mit Metternich bei Srbik I, 164. „Schmach der Knechtschaft": B f . IV, 146, 19. Oktober 1 8 1 3 wo Humboldt mit den Parteigängern der „Verständigung" abrechnet — über Agamemnon: ib. 1 5 3 , 22. Oktober.

Z u S e i t e 266: ' ) Zum Prager Kongreß: Gebhardt I, S. 468 f f . ; neuerdings und maßgebend Srbik I, 156/59; „nicht zur F r e u d e " : B f . IV, 28, 1 7 . J u n i 1 8 1 3 ; vgl. Gentz an Metternich, 27. J u n i 1 8 1 3 , Wittichen I I I , 1 1 4 ; keine freie Wahl: ib. 33. „nicht unterzeichnen": ib. 3 4 ; „isoliert": ib. 56, 10. J u l i ; „wie sein L e b e n " : ib. 33. Z u S e i t e 267: Sorge vor der Verhandlung: B f . IV, 22, 1 1 . VI., 42, 25. V I . ; 49/50, 53, 4. und 8. J u l i ; Schicksalsstunde: IV, 42/45, 25. Juni; Geschäftssinn: vgl. ib. 56/57; „Farce des Kongresses"; Srbik I, 1 6 1 ; „ P r a g u e est pour le public, et tout ce qui se fait hors de Prague, c'est la chose", schrieb Metternich damals; cf. Gebhardt I, 452, A. 2. Z u S e i t e 269: „Verständigungsfrieden": vgl. Gebhardt I, 458 f f . : „Réflexions sur le Mémoire de Mr. le C. d' E . Ancillon", Peilau, 10. J u l i 1 8 1 3 ; vgl. G. S. X I , S. 7 1 — 8 4 ; die zitierte Stelle ib. 82; vgl. B f . IV, 56; Humboldt handelte dabei im Auftrag Hardenbergs. — „ P r i v a t l a g e " : B f . IV, 6 1 , 14. J u l i ; Studien und nächtliche Gänge: ib. 55, 63; Sehnsucht nach dem Altertum: ib. 83/84, 3 1 . J u l i ; „Liebe zur F r e m d e " : ib. 7 1 , 2 1 . J u l i ; „Geheimnis": ib. 61. — E s muß vermerkt werden, daß Humboldt damals der Gattin gegenüber zur Schilderung seiner Stimmung sich desselben Vergleichs mit der seelischen Haltung „der Frommen" bedient, wie es einige Wochen vorher im Brief an Joh. Motherby geschah, vgl. Buch I, S. 106 und B f . IV, 56/57. s ) „eine wichtige Sache": B f . IV, 93, 1 1 . August. Da Humboldt der Gattin in der genauen Schilderung der Dinge nur Mitteilung macht von der Entsendung eines Kuriers, welcher die entscheidende Nachricht nach Schlesien bringen sollte, so dürfte die von Treitschke (I, 4 7 1 ) und Gebhardt I, 487 geschilderte Szene, wie Humboldt vom Hradschin das Feuerzeichen des Kriegsbeginns in der Nacht vom 1 0 . / 1 1 . August gegeben habe, der Legende angehören. — Eisernes Kreuz : ib. 1 0 5 ; Zenith: ib. 218, 12. Januar 1 8 1 4 ; vgl. ib. 466, 5. Februar 1 8 1 5 , wo Humboldt das Verdienst einer geschickten Vermittlung zwischen dem preußischen Drängen und Metternichs Zaudern für sich in Anspruch nimmt. Z u S e i t e 270: Über den Kongreß von Chatillon zu vgl. Gebhardt II, 38 f f . ; B f . IV, 2 3 6 f f . ; Srbik 172 f f . ; die Caulaincourt-Anekdote: B f . IV, 238, 4. Februar 1 8 1 4 ; „entschlossene Ablehnung": Gebhardt II, 39, 42,45/46. Z u S e i t e 271: *) Verhandlungen in Paris: Gebhardt II, 50 f f . ; Bf. IV, 308 f f . ; über den auf dem nationalen Erlebnis basierenden Gegensatz zu seinem in Paris lebenden Bruder Alexander vgl. meinen Aufsatz im Lit.-Verz.; „Franzosen als Nation" : ib. 232, 27. Januar 1 8 1 4 , vgl. Buch I, S. 156, 166 f f . ;

Anmerkungen.

531

„Bewegende Ursachen der Weltgeschichte" ist der Titel eines 1818 entstandenen geschichtsphilosophischen Fragments, vgl. G. S. III, 360/67. Z u S e i t e 272 : J) Über den Wiener Kongreß Gebhardt II, 68—175; Srbik I, 185 f f . : Humboldts Stellung durchaus sekundär: vgl. Gebhardt II, 14 ff., 68/69; dazu Bf. IV, 428, 41 Dezember: „ich bin weit mehr in dem Fall, daß mir vieles, fast alles beigemessen wird, als in dem, viel selbst zu tun"; vgl. ib. 418/19. Zutritt zu den Konferenzen und Arbeitsbelastung: Gebhardt, 68/69, 79/80; Einrichtung des Zimmers: bei Egloffstein, Bertuchs Tagebuch vom Wiener Kongreß, 1916, S. 1 7 ; Humboldts Arbeitsamkeit in der deutschen Frage charakterisiert auch Karl August in einem Brief an die Herzogin: „Humboldt avec sa tête comprimée et torse enfante et contient tous ces projets", Egloffstein, K. A. auf dem Wiener Kongreß, 1 9 1 5 , S. 34. Über Humboldts Stellung zu dem schwierigen Problem der Judenemanzipation unterrichtet sehr eingehend S. Baron. Die Judenfrage auf dem Wiener Kongreß, 1920, 147 ff. — Erholung bei philologischen Arbeiten: Bf. IV, 4 1 1 , 428/29, 435, 442; Verurteilung des diplomatischen Handwerks: „man kann nur den Weltgang und das Schicksal ehren", ib. 413/14. — „edelste Dinge" ib. 422. Z u S e i t e 273: !) „zwei Athleten": Fournier, Geheimpolizei, 67. Berichte vom 8-/9. Februar 1 8 1 5 ; über den Konflikt mit Talleyrand wegen der Zulassung Frankreichs, Gebhardt, 78/79; vgl. Bf. IV, 414, 436, 4 6 1 ; am 9. November berichtet Humboldt, T . habe ihm in einer Diskussion gesagt: „Vous êtes un homme terrible", ib. 414; nach dem Übergang Frankreichs an Napoleon erlebte Humboldt den Triumph, daß T. ihm, dem Franzosenfeind sagte: „Avouez qu'il n'y a pas de nation aussi indigne que la mienne", 28. März 1 8 1 5 , ib. 508. — Spannung mit Hardenberg: Fournier, 320/21; dort auch Angaben über Humboldts Entschlossenheit zum Krieg; vgl. Bf. IV, 4 1 8 , 420, 427, 437; im November und Anfang Dezember hat sich Humboldt noch einer optimistischen Illusion über den Ausgang des Streites um Sachsen hingegeben: „zum Bruch wird es nicht kommen", ib. 4 1 8 ; ebenso 427, 4. Dezember, doch muß er gleichzeitig über eine allgemein feindliche Stimmung gegen Preußen berichten. Am 29. Dezember, ib. 444, bereitet er die Gattin auf einen Krieg wegen „ganz Sachsens" vor. Vgl. dazu Gebhardt, 93, 97/98. — Intrigue Metternichs: ib. 555/56, 15. Mai 1 8 1 5 ; über das Verhältnis Hardenbergs zu Humboldt vgl. unten Kap. III. Das „gute und böse Prinzip" 441, 20. Dezember; Mißtrauen Hardenbergs: ib. 420/21, 437, 475, 14. Februar 1815. Z u S e i t e 274: 1 ) Zu Humboldts Tätigkeit während des zweiten Pariser Friedens: Gebhardt II, 175 f f . ; zur allgemeinen Lage: Srbik I, 222 ff., von großer Wichtigkeit Humboldts beide Denkschriften vom August 1815, in welchen er die von dem Minister Alexanders I., dem Griechen Capo d'Istria vertretene Politik der „moralischen Garantien", welche „Europa" von Frankreich zu fordern hätte, in meisterhaften Deduktionen bekämpft, G. S. X I I , 3—18. — Französische Gegnerschaft: ib. 17; „iden34*

532

Anmerkungen. tifiziert", ib. 7, 8, 17; „nicht erst seit Napoleon": ib. 12; gegen „moralische Garantien": ib. 13/14; „Politik des Möglichen": „une saine politique doit toujours s' en tenir à ce qu'il est entièrement dans son pouvoir de faire". Territoriale Garantien könne man sichern, aber nicht „moralische", ib. 10; cf. Bf. V, 56/57 über die Lage Preußens bei den Verhandlungen: „es fehlt unsern AVorten der von der Tat imponierende Nachdruck", 9. September 1815.

Z u S e i t e 275: Über den Begriff der „intermediären Mächte" vgl. unten S. 3 3 1 ; hierin bestand, von anderen Ausgangspunkten her, eine weitgehende Übereinstimmung mit Metternichs Ideen europäischer Politik, vgl. dessen Instruktion für Schwarzenberg, März 1813, Srbik I, 162. — „Deutsches Gesamtinteresse": Bf. IV, 485, 23. Februar 1815. Zu

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Vaterland: Bf. III, 407, 5. Juni 1810; „vornehme Politik": Bf. IV, 370; „ein Deutschland, das nicht Österreich oder Preußen ist": ib. 129, 2. Oktober 1813; Mannigfaltigkeit der Kleinstaaten: ib. 130, vgl. G. S. X I , 96/98 die Ausführung desselben Gedankens in der großen Denkschrift zur Deutschen Verfassung vom Dezember 1813: „Deutschland wird . . . im Gefühl seiner Bewohner .. . und vor den Augen der F r e m d e n . . . Eine Nation, Ein Volk, Ein Staat bleiben." — Innere Verhältnisse: cf. oben S. 252; der jetzige Krieg: Bf. IV, 166. 8. November 1813. Z u S e i t e 277 : 1)

Zu

„mit seinem Geschlecht", Bf. IV, 380, „Potenzen": ib. 195, 13. Dezember 1813; „alle Kraft": ib. 380; Jugend und Volk: Bf. V, 106/07, 28. Oktober 1815; Kraft des Ganzen: Bf. VI, 455/56, 28. Januar 1819. Friedrich II.: Bf. IV, 160, 3. November 1813.

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„wichtigste E i n f l u ß " : Bf. IV, 466, 5. Februar 1815; an Nicolovius, 1. c. 37, 18. Juni 1816; „Forderungen" Bf. IV, 115, 14. September 1813; „wenn Preußen sogar nicht am Ende dieses Krieges einen so ungeheuren physischen Vorteil davontrüge, so wäre der moralische Gewinn an Ruhm und Ehre schon allein alles wert", ib. 146. — Erlebnis der Erhebung: es geht aus dem Briefwechsel mit überzeugender Deutlichkeit hervor, daß Humboldt in dem Verständnis für die innere Bewegung der Zeit sowohl wie für seine auf dieses begründete politische Richtung dem Einfluß seiner Gattin sehr viel, man möchte sagen: das meiste zu danken hatte. Ihr warmherziges, ja leidenschaftliches Miterleben der Not und der Größe der Zeit hat die Stimmung seines Innenlebens wesentlich beeinflußt, seine Empfänglichkeit für die mächtigen Eindrücke wachgehalten, seine „entschiedene" Haltung in den diplomatischen Krisen wesentlich bedingt. Die schönsten und stärksten Worte über Zeitereignisse, welche die Briefbände enthalten, stammen aus ihrer Feder. Sie wurde beherrscht von dem Gefühl, daß „Preußen das Herz war, in dem alle I.ebenspulse (der Erhebung) schlugen", Bf. IV, 424. Ihrem Anteil an Humboldts Haltung die gebührende Würdigung widerfahren zu lassen, fehlt es leider an Raum. Humboldt hat wiederholt und überschwenglich anerkannt, was er ihr zu danken hatte:

Anmerkungen.

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ihre Meinungen über die Begebenheiten seien stets „so von allem Zufälligen und Unwesentlichen entkleidet,... daß kein Mensch auf Erden solcher Leitung entbehren möchte". Auch in diese Gemeinschaft im Erleben der Wirklichkeit mischt sich jene fast r e l i g i ö s e A u f f a s s u n g vom Wesen der Frau, von der wir früher sprachen. Darum könne ihre „schöne Eigentümlichkeit" auf männliche Entschlüsse fördernd einwirken, weil sie „nicht mehr der Natur g e h ö r t . . . Der Rat der Frauen ist wie ein Stern, der durch die Wüste des Lebens leitet; er zeigt die Richtung". Diesem Stern müsse der Mann durch Klippen und Umwege folgen und die Frauen „zufrieden sein, wenn man im Sinn und Geist gehandelt hat, und das Mangelhafte in der Ausführung übersehen und verzeihen". Bf. IV, 368/69. Vgl. Bf. V, 169, 262, 378 und unten Kap. 5/6. — „Tätige Teilnahme": G. S. III, 344 („Über die Bedingungen, unter denen Wissenschaft und Kunst in einem Volke gedeihen", Fragment vom Herbst 1814) — „Insurrektion": Bf. V, 106/07, 28. Oktober 1815. Vgl. Bf. VI, 110: „wenn es unten siedet, läßt sich der Vulkan oben nicht zudecken". 1818. „Ansehen in Deutschl a n d " : Bf. V, 94, 5. Oktober 1815. — Meinecke, a. a. O. 141. — Wie seltsam verwickelt die Quellen und Ziele von Humboldts Nationalgefühl und Vaterlandsliebe stets blieben, wird beleuchtet durch die große Briefstelle Bf. IV, 165/66, mit dem Thema: „Die Liebe zu Deutschland ist wirklich eine andere, als die andere Nationen für ihr Vaterland haben".

Drittes Kapitel. Z u S e i t e 280: !) Humboldt-Konvention: Gebhardt II, 187 ff.; vgl. Bf. V, 139. Einbringung von 1798: vgl. Buch I, S. 192; Ernennung zum Gesandten in Paris: Gebhardt II, 204; Unbeliebtheit: ib. 189, vgl. unten Kap. IV, S. 334Z u S e i t e 281: ') Abneigung gegen das Briefschreiben: vgl. oben S. 254. Z u S e i t e 282: >) Im Geh. St. A. befindet sich das Konvolut der Briefe Humboldts, welches seit dem Herbst 1815 bis Anfang 1819 rund 150 Briefe kleineren und größeren Umfangs enthält. Es handelt sich durchaus um Privatbriefe, von denen etwa 70 als Begleiter anderen amtlichen Schriftstücken beigegeben sind, der Rest ohne „amtlichen" Anlaß entstanden ist (Rep. 92, Hardenberg, K. 46). — „gut und liebreich" — Bf. IV, 449, 5. Januar 1815; Wiener Klatsch: Fournier, a. a. O., mehrfach. — iDie Zahl der an Schiller gerichteten Briefe ergibt sich durch Einfügung der von Ebrard veröffentlichten Stücke in die Tabelle bei Leitzmann, a. a. O. S. 429/44. — Über 100 Briefe: der vom 15. Oktober 1816 trägt die Nr. 102; mit jedem Postkurier: die Absicht, diese Termine einzuhalten, geäußert. 26. Dezember 1815, 19. Januar 1816. Entschuldigung wegen Nichteinhaltung: 24. Mai 1816. Schweigen Hardenbergs: an Zuschriften des Kanzlers, von denen einige nur offizielle Reskripte waren, werden bis Ende 1818 in Humboldts Briefen 21 erwähnt; davon fallen in das erste Jahr 15, der Rest ver-

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Anmerkungen. teilt sich auf die nächsten beiden Jahre. Im Archiv Tegel finden sich 5 Briefe und 2 Billets Hardenbergs (vom 13. Oktober, 29. Oktober 1 8 1 6 ; 15. Februar 1 8 1 7 ; 8. Mai, 4. September, 19. Oktober 1 8 1 8 ; 16. Januar 1819). — Keine Antwort erwartet: 9. Januar, 6. März, 25. Juni, 9. August 1816. — Korrespondenz eines Gesandten: nach Poschinger, Preußen im Bundestag, III, 1882, finden sich z. B. unter den 224 abgedruckten Schriftstücken, die der Bundestaggesandte v. Bismarck von 1856—58 an den Minister Manteuffel richtete, kaum mehr als ein Dutzend Privatbriefe, die Urlaubsgesuche mitgerechnet.

Z u S e i t e 283: l ) Erinnerung wachhalten: z. B. 26. Januar, 23. Juli 1816. — Zur Stellung Hardenbergs nach 1 8 1 5 vgl. die im Liter. Verzeichnis aufgeführten Arbeiten von P. Haake. Konflikt mit Blücher: 18. Dezember ' 8 1 5 ; vgl. Bf. V, 126, 16. November. — Hardenbergs Mißtrauen: „der gute Fürst ist, bei völligem Anschein des Gegenteils, in vielen Momenten mißtrauisch, und dies Mißtrauen überwindet keiner, der um ihn ist, je ganz". 18. Juni 1 8 1 6 , Bf. V, 267. — Vgl. Fournier, S. 76, A. 2; Thimme, Br. Pr. Fg. X, 449. — Kölner Dom: „il serait bien digne de Vous, mon cher Prince, de protéger ce superbe édifice", 15. Dezember 1 8 1 5 ; vgl. Bf. V, 152. Empfehlungen von Altenstein: 12. Dezember 1 8 1 5 ; von Motz — ,,un des meilleurs hommes d'affaires que j'ai jamais rencontré" — 2. Januar 1816. — Persönlicher Zauber: „der Kanzler hat einen sehr schönen Kopf, der gerade zur Büste sehr dankbar sein müßte." E r hätte gern an Rauch einen entsprechenden Auftrag vermittelt, Bf. V, 210. Z u S e i t e 284: Äußerungen über Humboldts „Eingenommenheit" durch Hardenbergs Persönlichkeit: Bf. IV, 53; Hardenberg sei „edel und fest, angenehm in Formen und von Kopf hell und nicht kleinsehend"; ib. 1 3 2 : „einige kleine Schwächen abgerechnet, und er wäre unverbesserlich"; 187: „ich liebe den Staatskanzler sehr"; V, 3 3 : „ich kann Dir nicht sagen, wie gut ich ihm bin"; ib. 1 1 7 , lobt Humboldt des Fürsten „treffliche Eigenschaft, alle Kräfte immer anzuregen, nie eine als zu ausgreifend zurückzuweisen; sie bewirkt, daß selten einer, der einen bedeutenden Platz hat, gehorchen will", ib. 169, „der Mann, den ich ehre und liebe". E s verdient Beachtung, daß Humboldt, der selbst später ein scharfer Kritiker Hardenbergs wurde und ihm nicht mehr gehorchen wollte, 1 8 1 4 / 1 5 mehrfach die Kritik a n d e r e r an Hardenbergs Verwaltung verurteilt und als Arroganz bezeichnet: Bf. IV, 105, 134, Bf. V, 67; seine Äußerung gegenüber der Diede, bald nach Hardenbergs Tode : „Sein Tod hat mir sehr leid getan. Ich hatte in früheren Jahren viel mit ihm gelebt, wir waren innerlich, ob wir uns gleich nicht sahen, auch im letzten Grunde nicht auseinandergekommen. E r hätte von vielen Seiten verdient, daß sein Tod in einen Moment gefallen wäre, wo er einen tieferen Eindruck hervorgerufen hätte." Diede I, 62/63, 24. Dezember 1822. Z u S e i t e 285 : !) Zu diesen Seiten vgl. die Ausführungen des ersten Buches, S. 24/30, S. 173/75. — Zur Klimax seiner Freundschaften: „Ich habe immer

Anmerkungen.

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die Eigenschaft gehabt, anderen immer sehr viel zu danken, und habe immer die Perioden meines Lebens am liebsten gehabt, wo ich mich an jemand anschließen konnte, in dem ich etwas Höheres erkannte. Ich habe auch nie gefunden, daß das der Selbständigkeit den mindesten Nachteil bringt", Bf. VI, 489. Z u S e i t e 287: 1 ) Humboldts mangelndes Verständnis für das „persönliche" Moment des politischen Kampfes beweist sein Brief an AI. vom 3. Februar 1820, Daudet 1. c. 3 6 1 ; „il est inconcevable comme on peut mêler et confondre ainsi les intérêts de l'Etat et ses rapports personnels." — Schon am 1. Dezember klagte Humboldt über die Trennung von Hardenberg, „die mich ohne alle bestimmte Hoffnung der Wiedervereinigung läßt"; ähnlich am 6. Dezember 1815. s ) Eingabe an Hardenberg, Frankfurt, I. Dezember 1 8 1 5 ; Aufsehen: z. B. die Äußerungen Gneisenaus über Humboldt; dessen später häufig geäußerte Abneigung gegen Humboldt geht auf eine Kreuzung ihrer Interessen bei der Auswahl der Dotationsdomänen zurück; vgl. Graniers Aufsatz. Delikate Angelegenheit: Bf. V, 137, 1. Dezember 1 8 1 5 : „es liegt mir ebensoviel als an der Dotation selbst an der Art, wie sie mir gegeben und im Publikum aufgenommen wird, so habe ich vorzüglich das ins Licht gestellt"; vgl. das erste Auftauchen eines derartigen Gedankens: Bf. IV, 412, 9. November 1 8 1 4 ; „die Lage ist sehr ungünstig dazu. Auch werde ich die Sache immer allen andern Rücksichten nachstehen lassen". Ausnahmestellung: den Tausch, welchen Stein zwischen der südpreußischen Herrschaft Birnbaum gegen das westfälische Stift Kappenberg vornehmen durfte, wird man nicht als „Dotation" im eigentlichen Sinne bezeichnen können. Vgl. Lehmann, Stein, 1 9 2 1 , S. 587. Z u S e i t e 288: x ) Wolfart und Koreff, als Propheten des modischen Mesmerismus, erfreuten sich auch der Protektion von Frau v. Humboldt, welche sich von den seelenkundigen Ärzten stark hat kaptivieren lassen; besonders von Koreff. Vgl. Lenz I, 556, vgl. Bf. V„ 47^ 149, 1 5 1 , 163, 1 7 1 . Sie hat die patriotische Geste des in allen Sätteln gerechten Mediziners ebensowenig durchschaut wie den patriotischen Weltschmerz, mit dessen Hilfe Rahel Levin ihrem lieben Varnhagen die Unterstützung der Humboldts für seine diplomatische Karriere zu sichern bemüht war; vgl. die Briefauszüge bei Leitzmann, Briefwechsel usw. S. 197/200; 2 0 9 / n . Humboldt hat die berühmte Rahel immer richtig eingeschätzt, am besten wohl mit dem Urteil über ihr Parvenütum — Bf. V, 138. Frau v. Humboldts „Kaptivierung" durch Koreff — siehe an Rahel, Leitzmann, S. 148, 158 — konnte auch durch Varnhagens hübsche Bemerkung: „man sagt von der Poesie, sie sei eine schöne Lüge; Koreffs Prosa besteht auf diese Weise aus lauter Gedichten" (1. c. 164), nicht durchbrochen werden. Koreffs Gestalt ist eins der ersten Merkzeichen an dem Weg der Entwicklung, welche im 19. Jahrhundert allmählich den Arzt im Leben der Menschen an jene Stelle hat treten lassen, welche in früheren Zeiten der Geistliche beider Konfessionen, von den großen, weltpolitisch bedeutungsvollen Beichtigern an bis zu

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Anmerkungen. ihrer aufgeklärten Karikatur in Lavater, eingenommen hatte. — Zu Koreffs Charakterisierung vgl. die glänzende Darstellung bei Lenz I, 552 f f . ; über Wolfart, Koreff und den Mesmerismus vgl. neuerdings W. Erman: „Der tierische Magnetismus in Preußen vor und nach den Freiheitskriegen"; München, 1925, S. 39/42, 68 f f . ; — Humboldts Eingabe für die beiden Heilkünstler Lenz IV, S. 296. — Über die Begründung des Dotationsantrages vgl. Gebhardt I, 438, II, 289. 2 ) Am 12. Februar 1 8 1 6 hat Humboldt die Bitte um finanzielle Subvention für AI. dringlich erneuert; aber die Verbindung mit der Dotation ist ihm peinlich, Bf. V, 199, 5. März 1816. AI. sollte als Entschädigung für seine verlorene Arbeitszeit 3000 Thaler, ferner eine Erhöhung seiner Pension um 1500 Thaler erhalten. s ) Hardenberg beim Übergang in den preußischen Dienst an Fr. W. I I : „il faut que je vive du service". Ranke, S. W. 46, 109. „ablehnte": z. B. Humboldts Brief vom 3. Februar 1820. Daudet, 1. c. 3 6 1 ; vgl. ferner die Darstellung der Verhandlungen vom Herbst 1818. Kap. VI, S. 386 ff.

Z u S e i t e 289: 1 ) „abhängig": vgl. Humboldt an Hardenberg, 10. September 1 8 1 6 ; er will auf Gehaltserhöhung für den Pariser Gesandtenposten verzichten, wenn die Dotation gesichert ist. Denn er will sich „nicht ruinieren" im Staatsdienst. Davon war ja wohl keine Rede; im Gegenteil; nicht Gneisenau allein war der Meinung, daß Humboldt sich „auf Staatskosten bereichert" habe. Das war irrig; aber er hat sein geistiges Kapital kräftig Zinsen tragen lassen. 1808/09 war das staatliche Gehalt die Grundlage seiner wirtschaftlichen Existenz. 1 8 1 5 berechnete er seine Rente aus Privatbesitz auf 6000 Thaler; die Dotation trug später etwa jooo Thaler, so daß Humboldt a u ß e r dem Gesandtengehalt im Betrag von 25000 Thaler (Bf. V, 279) mit einer Vermögensrente von 1000 Thalern rechnen konnte, vgl. Bf. V, 137, von welcher fast die Hälfte als Ertrag seines Amtslebens hinzukam; vgl. die — nicht genauen — Angaben bei Schlesier, II, 322, 561, wo Humboldts Nachlaß auf „über 600 000 Thaler" angegeben wird. Humboldt hat übrigens sowohl 1820 bei seiner Verabschiedung auf eine preußische Pension ebenso verzichtet, wie er es 1817 schon mit einer „oranischen" Pension getan hatte. Bf. V, 388. — Im Brief Nr. 39 erinnert Humboldt selbst daran, daß er seit Rom jede Verbesserung seiner Lage Hardenberg zu danken habe. 2 ) Vgl. K. H. Ritter v. Lang, Memoiren, II, 1842, S. 54; ganz ähnlich äußerte sich Hardenberg gegenüber dem König bei der Frage der Besetzung des Finanzministeriums im April 1 8 1 3 ; er könne nicht mit einem Minister arbeiten, „der nicht ganz mit ihm harmoniere, mit dem er sich in Diskussion einlassen müsse". (G. St. A.) Über Lang vgl. neuerdings die glänzende Studie Adalbert v. Raumers im Lit. Verzeichnis. Z u S e i t e 290: ' ) Zur Charakteristik außer Ranke zu vgl. Meineckes Schilderung seines geistigen Eklektizismus, Boyen II, 360 f., „Erhebung", 1906, S. 52 ff.: die staatsmännische Leistung Hardenbergs erfährt eine sehr viel ge-

Anmerkungen.

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rechtere Würdigung in Fr. Hartungs vorbildlicher Analyse seiner Verwaltungspolitik, 1. c. 281/95. *) Vgl. Ernst, A. und H. v. Beguelin, 1892, S. 287 f f . ; Humboldt an Nicolovius, 26. Februar 1 8 1 1 . Z u S e i t e 291: Zu vgl. Längs Schilderung der Staatsverwaltung von Oettingen-Wallerstein und Raumers unübertreffliche Ergänzung des Bildes, welches nur bestätigt wird. Z u S e i t e 292: !) Vgl. oben S. 237; man vgl. die Klage Friedrich Wilhelms III. über den besonders ungeberdigen Th. v. Schön: „ein treuer, gebildeter Staatsdiener, aber zugleich ein exzentrischer Kopf, der als Minister oben anstehen, d. h. befehlen, aber nicht gehorchen, seine Meinungen ausführen, aber keine andern annehmen will; so sind leider die fähigen Köpfe jetzt fast alle gestimmt usw." an Hardenberg, 24. August 1810, Br. Pr. Fg. 26, 540. Z u S e i t e 293: !) Vgl. Meinecke, „Erhebung", S. 99: Hardenberg „lebte nicht so wie Stein in dem Gedanken der inneren Einheit von Staat und Nation". Z u S e i t e 294: 1 ) Erste gesellschaftliche Beziehungen: Mai 1797, Bf. II, 56; die erste Kritik: ib. 227/28, 22. August 1804; Humboldt betont, daß der neue Minister „mir und vorzüglich Alexandern gut ist"; aber: „er hat schon in seiner Namensunterschrift etwas zu Steifes und Pedantisches", ib. 240; vgl. an Schiller, 1795, Leitzmann, 60, 1 9 1 , 364. *) Vgl. Bf. II, 240, 258. Als Hardenberg dann einige Monate später „in einem eigenhändigen zwei Seiten langen B r i e f " auf zwei Briefe, die Humboldt ihm vor Jahresfrist geschrieben, antwortet, sieht Humboldt hierin eine große Aufmerksamkeit und vermerkt es als wichtig, daß Hardenberg ihn sogar urrv die Fortdauer seines Vertrauens in den neuen Verhältnissen gebeten habe. E r hat solchen gewinnenden Äußerungen, wie dieser wohl kaum allzu ernst gemeinten Bitte um Vertrauen, auch später eine Nuance persönlicher Wertschätzung untergelegt, die mit der Wirklichkeit nicht recht übereinstimmte. 3 ) Vgl. oben S. 286. Z u S e i t e 295: Vgl. Hintze, Staatsminist., 1. c. 409/10, über das gesteigerte Persönlichkeitsgefühl der hohen Beamten um 1806 und über die neue Auffassung des Staatsdienstes. ! ) Vgl.- die Darstellung bei Lehmann, Freiherr v. Stein I, S. 450 f f . Z u S e i t e 296: Härtung, a. a. O. S. 56 ff., besonders S. 63. Z u S e i t e 297: Ausführendes Organ,: „Ein trefflicher Ausführer von Aufträgen, läßt es an keinem Eifer fehlen . . . und macht dann plötzlich gar nichts mehr daraus, weil die Sache nun aufhört, die seinige zu sein, welches sie nur solange war, als sie nicht gelöste Aufgabe war" — so hat

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Anmerkungen. Varnhagen Humboldts diplomatische Fähigkeiten mit spitzem Stift charakterisiert. *) „Mes sentiments pour Vous . . . ne tiennent en rien aux rapports extérieurs. J ' a i mille fois pensé qu'il serait bien plus beau et plus agréable, si libre l'un et l'autre de tout ce qui y tient, nous pouvions vivre de tems en tems ensemble, et être plus rapprochés qu' aprésent." An Hardenberg, 27. Januar 1 8 1 8 ; vgl. Bf. VI, 106. 3 ) Bf. IV, 40, 77, 79, Juli 1 8 1 3 ; auch die Beguelins haben die Feindschaft Humboldts gemerkt. Vgl. Ernst, 1. c. 275.

Z u S e i t e 299: !) Der Gedanke, daß ihm durch den Gang der Dinge einmal die Nachfolge Hardenbergs zufallen könnte, daß in erster Linie nach seiner Leistung und nach Lage der Dinge, „weil kein anderer da sei", e r zu diesem Posten berufen sei, taucht in mannigfachen Schwankungen und Brechungen sehr bald auf, nachdem Humboldt in Ratiborschitz und Reichenbach in nähere Verbindung mit Hardenberg getreten ist. Hand in Hand mit solchen Gedanken geht die sehr bald einsetzende Kritik der inneren Verwaltung und besonders der Unverträglichkeit des Staatskanzleramtes mit einer verantwortlichen Tätigkeit nachgeordneter Stellen. Das persönliche und sachliche Moment in dieser Stellungnahme geht von vornherein zusammen. Die Belegstellen sind sehr häufig; als Auswahl sei verwiesen auf Bf. IV, 40; 20. Juni 1 8 1 3 ; 77, 79, 25. Juli; 100, 17. August; 124, 21. September; 1 4 1 , 17. Oktober; 180, 22. November; 420, 16. November 1 8 1 4 ; 448, 5. Januar 1 8 1 5 ; 523, 538, April 1 8 1 5 . Daß der Konflikt mit Hardenberg dadurch entstehen mußte, daß Humboldt „es nicht über sich bringen konnte, als Minister nur Gehilfe des Staatskanzlers zu sein", hat richtig gesehen Gg. Kaufmann, Gesch. d. Univ. Breslau, I, 103. *) Besonders im IV. und VI. Band des Briefwechsels. 3) Bf. V, 359. 14. Juli 1817. Z u S e i t e 300: ») Bf. V. 389. 4. September 1 8 1 7 . *) Wenn Humboldt damals von sich sagen konnte, die Teilnahme an den entscheidenden Ereignissen reize ihn „wie den Mann das Eisen", so schrickt er doch zurück, als ihm der Gang der Ereignisse die Möglichkeit tatkräftigen Eingreifens wie durch einen dünnen Schleier in nächster Nähe zu zeigen scheint. Als um die Jahreswende 1 8 1 4 / 1 5 in Wien die Möglichkeit bestand, daß des Kanzlers Tod Humboldt in der Leitung der auswärtigen Angelegenheiten an seine Stelle rufen werde, wie sieht er da die Dinge an ? „ E s wäre ein Unglück für die Sache und eine entsetzliche Lage für mich . . . schlimmer "könnte man keine Geschäfte übernehmen". Bf. IV, 448, 9. Januar 1815. Auch in diesen Momenten, wo sein Ehrgeiz am lebhaftesten pulsierte, vergißt und übersieht er über dem Gegebenen die Gestaltbarkeit des Möglichen. Z u S e i t e 301 : !) T. B. II, 456; „Selbstbiographie" von 1816. — 8 ) Bf. V I I , 249. s ) An Frau v. Puttkamer, 5. Februar 1852. „Briefe an Braut und Gattin", 1900, S. 323.

Anmerkungen.

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*) So äußert Humboldt gelegentlich über Graf Bernstorff, welcher von seiner Stellung zu Hardenberg unbefriedigt war und daran dachte, wieder aus dem preußischen Dienst zu scheiden: „Wie i n k o n s e q u e n t . . . . Man m u ß sich seine Lage schaffen, ehe man hineingeht. Es ist ein falsches Prinzip, seine Stellung sich schaffen zu wollen, wenn man darin ist. A l l e s w i r d u n r e i n , w a s i n e i n u n r e i n e s Gefäß g e g o s s e n w i r d . * " Bf. VI, 411, 1818. Z u S e i t e 302: 1 ) So z. B. im Brief an Hardenberg vom 29. Januar 1816 (Nr. 29). „La récommandation à Vénus par laquelle Vous terminez Votre lettre, mon très cher Prince, me serait bien nécessaire. J e vis comme un Moine jamais défroqué. Comme il serait possible que je ne reviens pas en Allemagne, j'ai voulû y laisser une odeur de sainteté, et mène la vie la plus exemplaire. Il est vrai que j e n'ai pas crû que cela durerait si long1temps. Mais àprésent j ' y suis pris et ne puis reculer sans perdre tout le mérite déjà acquis." Der angezogene Brief Hardenbergs findet sich nicht unter den mir im Archiv Tegel zugänglich gewesenen Briefen. Z u S e i t e 303: ») Bf. V, 76, 1452 ) Haym, S. 426, Gebhardt sowohl wie O. Harnack gehen trotz gelegentlicher Ansätze zur Vertiefung der Frage, wo der eigentliche Grund der Erfolglosigkeit Humboldts in der Politik zu suchen ist, an dem Problem, welches Humboldts Persönlichkeit selbst stellt, vorüber. Sie suchen die Ursache seines Scheiterns mehr in äußeren Umständen, als in ihm selbst, und kommen damit notwendig zu einer Anschauung, welche in dem Ende von Humboldts Laufbahn ein zufälliges Unglück statt ein notwendig bedingtes Ereignis erblickt.

Viertes Kapitel.

Z u S e i t e 305 : 1 ) Über Humboldts Tätigkeit in Frankfurt. Gebhardt II, 191 ff. 2 ) Bf. V, 158, außer der großen Eingabe in der Dotationsangelegenheit richtete Humboldt im Laufe dieses Monats 12 Briefe an Hardenberg. 3 ) 1. c. 161. Vgl. an Hardenberg Nr. 83, 27. September 1815. Z u S e i t e 306: l ) Vgl. Bf. V, 117, 157, über Hardenbergs sinkende Gesundheit sowie über die Gleichgültigkeit der öffentlichen Meinung Berlins gegenüber dem Fürsten. *) Vgl. Bf. II, 206, III, 279; Bruhns, A. v. Humboldt III, 187. Z u S e i t e 307: 1 ) Bf. IV, 437. Vgl. ferner die teilweise ebenso interessanten wie amüsanten Rapporte und Interzepte der verschiedensten Korrespondenzen, welche die Wiener Geheime Polizei während des Kongresses für den Kaiser Franz zurechtmachte, bei Fournier, 1. c. 325, 333, 372: „Die Preußen sind wie die Juden : nichts zu handeln ? . . . Jedes Auge schaut einen anderen Weg, wie die Augen des Herrn von H u m b o l d t . . . Humboldt kriegt das Portefeuille und die Oberhand." 30. Januar 1815. — „Im Publikum wird nur von zwei eminenten Personen als zwei Athleten gesprochen: Talleyrand und Humboldt." 272, 367, 386. Vgl. dazu

Anmerkungen.

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die Bemerkung von Lord Acton: „Talleyrands enconter at Vienna with the Prussian statesmen when he got the better of William Humboldt must have been a prouder moment then when he set up his chancery at Berlin." Historical Essays and Studies, 1907, p. 400. Talleyrand soll in London die Entsendung Wellingtons zum Kongreß veranlaßt haben, weil der bisherige Unterhändler Clancarty zu bequem für Humboldts Angriffslust gewesen sei. 377. — Im Dezember gilt Humboldt als der führende Geist der auf die Hegemonie in Deutschland gerichteten Politik Preußens. 3 2 1 . — Zur Spannung zwischen Hardenberg und Humboldt S. 74 ff-, in der sächs. Frage 297, 3 1 4 , 3 1 9 . — Wichtiger noch ist die Beurteilung, welche Humboldts Bedeutung in den Augen seines einstigen Freundes und jetzigen ausgesprochenen Widerpartes, Fr. v. Gentz findet; Humboldt „sei von allen Parteien als der bedeutendste Mann des Kongresses a n g e s e h e n . . . wenn er es auch nicht verstand, sich beliebt zu machen, so ist es ihm doch wenigstens gelungen sich Achtung und Furcht zu verschaffen". An Caradja 26. Juni 1 8 1 5 ; auch Gentz weiß von Humboldts Streben nach dem Kanzleramt zu berichten, 8. März 1 8 1 4 (Klinkowström 557, 283). ») B f . IV, 134, 180. s ) 1. c. 3 3 7 , 20. Mai 1 8 1 4 ; vgl. 556. 4 ) 1. c. 475/76 ( 1 4 . / 1 6 . Februar 1 8 1 5 ) . Z u S e i t e 308: l ) ib. 509. Z u S e i t e 309: 1 ) ib. 460. Obwohl die Briefe durch sichere Gelegenheit gingen, wurden sie doch häufig von der Wiener Polizei abgefangen; Humboldt sah mehrfach auf Metternichs Tisch Abschriften solcher Briefe liegen, B f . IV, 219/20. 12. Januar 1 8 1 4 ; auch später noch rechnet Humboldt damit, daß man selbst in Berlin seine Briefe liest, B f . VI, 48, 68, 1 8 1 7 ; ib. 105, 1 1 6 , 1 8 1 8 ; 4 9 1 , 509, 598, 1819. *) B f . V, 162. 3 ) Die Absicht Humboldts richtet sich in der Tat auf eine Festsetzung in Berlin. Zwar hofft er, mit der durch Krankheit von der beschwerlichen Winterreise zurückgehaltenen Gattin im nächsten Frühjahr nach Paris gehen zu können, will aber auf den lockenden Plan, vorher die Familie aufzusuchen, verzichten, wenn ihm der Kanzler diesen Urlaub nicht selbst nahelegt. „Viele Leute glauben, daß ich auf das Bleiben in Berlin hinsteuere, was ich wahrlich nur tue, weil ihr am liebsten und bleibendsten in Berlin seid, alle wissen, daß ich ungern nach Paris zurückgehe." 5. Dezember 1 8 1 5 , V, 150. Z u S e i t e 310: l ) Schon früher hatte Frau v. Humboldt in ähnlicher Weise sich geäußert, als der Staatskanzler, den sie beim ersten Kennenlernen nur flüchtig gesehen, noch in Paris war. „ I c h habe zum Staatskanzler ein solches Gefühl wie zu einem teuren Wiesen, das man pflegen, dem man recht viel und mit eigener Aufopferung zu Liebe tun möchte. E r hat etwas ungemein Anziehend-Menschliches und das air de grand seigneur, das er in hohem Grade hat, hat jenes nicht verdrängt." 3 1 . August 1 8 1 5 , V , 48, ferner S. 212» „Man hat einen wunderbaren Zug zu diesem

Anmerkungen.

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Manne, ich wenigstens habe ihn, und es freut mich unendlich, daß Du ihn teilst. E s spricht mich etwas Göttliches aus seinem Wesen, aus seinen Zügen an, und das Herz möchte mir vor Wehmut schmelzen, wenn ich denken muß, daß er doch meist nur von solchen umgeben ist, die ihren Vorteil an ihm suchen", vgl. 248, 285. 2 ) An Hardenberg, 9. Januar 1 8 1 6 ; vgl. B f . V, 33. 57, 164; Humboldf zieht da eine seltsame Parallele zwischen seiner Übereinstimmung mit seiner Frau und seiner Freundschaft mit dem Fürsten. 3 ) Dies ergibt sich aus Humboldts Antwort. Z u S e i t e 311 : !) Bf. V, 206, 2 1 1 , vgl. 267 „ad latus". *) ib. 248, Ende Mai. — Auch in Karlsbad „macht es sich nicht", daß Frau v. Humboldt öfter mit dem Staatskanzler zusammenkommt. 285, 291. Z u S e i t e 312: ») Z. B. ib. 105/06, 21. Oktober 1 8 1 5 ; über seine Anwartschaft auf Nachfolge Hardenbergs vgl. Fr. v. Humboldt am 17. März 1 8 1 6 , ib. 205/06; vgl. oben S. 299, A. 1. Z u S e i t e 313:' i) Z. B. Bf. V, 173, 223/27, bes. 282/83. *) Hierzu die Darstellung bei Gebhardt II, S. 229; vgl. oben S. 238 f f . ') Uber den Kampf der Parteien am Hof während der Jahre 1 8 1 5 — 1 9 bringt vielfach neues Material Haake, a. a. O. Z u S e i t e 314: Vgl. Meinecke, a. a. O. S. 184 f f . ; meine „Beiträge" S. 18 ff. ! ) Wie tief dieser Ehrgeiz in Humboldt wurzelt und wie ferne Ziele er ins Auge faßt, tritt in ganz gelegentlichen Äußerungen zutage, wie etwa der vom 5. Oktober 1 8 1 5 , wo er im Hinblick auf seine Verwendung in Frankfurt äußert: „was mir aber das Liebste ist, ist, daß ich durch einen Aufenthalt in Frankfurt jetzt, also im Mittelpunkt der deutschen Angelegenheiten, in Deutschland beschäftigt bin und dort Ansehen gewinne und forterhalte." Bf. V, 94. ') Ein sehr beachtenswertes Zeugnis für die Art der gegen Humboldt gerichteten Stimmung bietet eine Äußerung des für Humboldt sehr eingenommenen Stein, über welche Humboldt, Bf. VI, 367, Aachen, 4. November 1818, berichtet: Stein sei der Meinung, daß gerade von seinen Freunden ihm geschadet werde, „sie sprechen immer von Humboldts Talent, Kenntnissen und Geist, das ist aber nicht das Feld, wo man ihn verteidigen muß. Seine Feinde greifen seinen Charakter an, nennen ihn geizig, hart, unverträglich, eigensüchtig, da er grade wohltätig, freundlich und uneigennützig ist und sich viel mehr zerreißt, um den Leuten zu dienen. Das muß man sagen und verbreiten". — Gelegentliche Urteile der gegen Humboldt eingenommenen Männer, welche fast ausnahmslos seine hervorragenden Geistesga'ben anerkennen — nur etwa Schöns unglaubliche Eitelkeit macht eine Ausnahme (Rühl I, 374) — heben mit dem Scharfblick der Abneigung, ja bei Gneisenau sogar des Hasses, die schwachen Seiten seines Wesens hervor. Zwei Urteile sind besonders treffend; so wenn Gneisenau sagt, Humboldt ginge der politische Mut ab, es fehle ihm der Mut zu politischen Unternehmungen

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Anmerkungen. (Pertz - Delbrück V, 355, 366), oder wenn der Oberpräsident Zerboni beobachtet, daß Humboldt ,,übrigens immer seine Rechnung ohne den Wirt macht" (Rühl II, 192). Über das Ziel schießt Gneisenau mit der Bemerkung: „Humboldt ist nur ein Detaileur und kein schöpferischer Geist, der der eigentümlichen Ideen m a n g e l t . . . Selbst seine diplomatischen Aufsätze haben nichts Überredendes. E r zerlegt und zerlegt und überzeugt nicht. Aus der Keule macht er Zahnstocher, die nur verletzen, aber nicht Achtung gebieten." Selbst ein Mann von der Energie Grolmanns werde Humboldt nicht aus seiner Unentschlossenheit herausreißen können (1. c.). — Übrigens urteilte Clausewitz gerechter und bemühte sich, Gneisenau zu einer Revision seiner Ansichten zu vermögen. Dabei bemerkt er jedoch, daß auch er Humboldt „nicht für so eminent halte, wie es im Augenblick — Clausewitz schreibt von Aachen im Herbst 1 8 1 8 — gewissermaßen Mode i s t " (1. c. 350, 57, 6 1 ) . — E i n typisches Urteil von der Art, wie Stein es für falsch erklärte, fällte der Staatsrat Stägemann, indem er für Humboldt Partei ergreift in einem Brief an den Kriegsrat und Schriftsteller F r . Cramer in Halberstadt (Varnhagen, Nachlaß II, 74). Und dieser wieder bewies eine gute Urteilsfähigkeit, wenn er meinte, Humboldt habe „mehr Talent für die Ideen als das wirkliche Geschäftsleben" und werde bald — 1 8 1 9 — nur die Wahl haben zwischen dem eigenen Rücktritt und dem Sturz des Kanzlers (Rühl II, 364, 77). Gentz sah in dem ehemaligen Jugendfreund ,,einen der hervorragendsten Männer unserer Zeit, von kaltem, leidenschaftslosem Charakter, unfähig der Liebe und des Hasses,'dabei mit der Welt und den Menschen sein Spiel treibend". An Caradja 1. c. 283. Schon 1 8 1 0 , als Humboldt von Hardenberg als Gesandter nach Wien geschickt wurde, meldet er selbst der Gattin, Hardenberg „macht kein Geheimnis daraus, daß er im Hintergrund die Absicht hat, mir einmal wieder hier die Führung des Ganzen anzuvertrauen"; und Frau v. Humboldt nimmt das dahin auf, daß der Staatskanzler also „mit Abtretung und Übertragung seines Wirkungskreises auf Humboldt rechne" ( B f . I I I , 4 1 1 , 4^3). Vielleicht, daß hier die Wurzel des Irrtums liegt, der so bedenkliche Folgen gehabt hat. — Und wieder ist es auch Frau v. Humboldt, welche im Sommer 1 8 1 3 in den Gatten dringt, er solle sehen als Minister „ins Innere" zu kommen ( B f . IV, 76, 100, 1 2 4 , 1 4 1 — Frau v. Humboldt: „denkt Hardenberg nicht an einen N a c h f o l g e r ? " 1 7 . Oktober 1 8 1 3 ! — 3 3 7 , 458/60, 509, 538. — Gerüchte vom Ersatz Hardenbergs durch Humboldt in Berlin März 1 8 1 6 , V, 205).

Z u S e i t e 315: B f . IV, 476. 2 ) 1. c. 188, 240. Vgl. dazu meine „ B e i t r ä g e " 29 ff. s ) B f . V, 267. 4 ) B f . V, 265/69, 18. Juni 1 8 1 6 ; 19. 199, 240. Z u S e i t e 316: i ) B f . IV, 186/88, 1. Dezember 1 8 1 3 . Noch schärfer lautet das Urteil etwas früher: „des Staatskanzlers ganze Stellung ist ein Verderbnis und kann nicht dauern; er müßte f o r t " , B f . IV, 77/79. „ I c h liebe wirklich den Fürsten unendlich" heißt es in dem angezogenen Brief V, 266. — Dieser Ausdruck gibt Anlaß zu einer allgemeineren Bemerkung. Die mit Humboldts kühlem Wesen so seltsam kon-

Anmerkungen.

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trastierende Ausdrucksweise breitet eine Art von undurchsichtigem Schleier über den wirklichen Stand seiner Beziehungen zu anderen. Wenn e r bei seinem E i n t r e f f e n in Reichenbach — 13. J u n i 1 8 1 3 , IV, 25 — berichtet, „ d e r Staatskanzler hat mich mit ungemeiner Liebe e m p f a n g e n , der König mit unendlicher Güte a u f g e n o m m e n " , so läßt sich das aus dem Moment d e r ungeheueren Spannung begreifen. E s sind die bewegten Zeiten g r o ß e r Entscheidungen, in denen der Mensch, über sich selbst hinausgehoben, sich freier gibt und größeres Entgegenkommen beweist als sonst. Die Versicherung „unendlicher Liebe" in d i e s e m Zusammenhang aber läßt doch stutzen. W o liegen hier die Vergleichspunkte f ü r die Wertmaßstäbe ? Liegt in dieser Art übertreibenden Ausdruckes nicht vielleicht eine Quelle der großen Selbsttäuschung, in welcher wir Humboldt in bezug auf seine Stellung zu anderen Menschen des politischen Lebens und ihre Stellungnahme zu ihm befangen sehen ? — F ü r die Aufrichtigkeit der Gesinnungen, welche beide Humboldts f ü r H a r d e n b e r g hegten, gibt es bis in das J a h r 1 8 1 7 hinein viele Zeugnisse; als Beispiel sei verwiesen a u f : Bf. IV, 46, 53, 132/34. >87. 448, 460; V, 33, 67, 1 1 7 , 179 usw. 3 ) An H a r d e n b e r g N r . 49, 51, 57, März-April 1 8 1 6 ; ähnlich Nr. 1 1 6 , 17. Dezember 1816. Z u S e i t e 317: An H a r d e n b e r g , N r . 29, 29. J a n u a r 1 8 1 6 ; vgl. Bf. V, 168, 188, Nr. 19, 19. J a n u a r 1 8 1 6 ; der Entwurf v. 9. J a n u a r 1 8 1 6 , G. S. XII, 40 ff. s ) An H a r d e n b e r g , z. B. Nr. 29, 34, 38, 45, 59 usw. 3 ) An H a r d e n b e r g , N r . 44, 69, 70; vgl. V, 250. H a r d e n b e r g hatte Frau v. Humboldt gegenüber geäußert, er würde ihren Gatten vor dessen A b g a n g nach Paris gern t r e f f e n ; „man hat sich so lange nicht gesehen, so vieles wäre zu besprechen". Z u S e i t e 318: cf. Bf. V, 187, J a n u a r 1 8 1 6 ; die wiederholte Bitte f ü r Alexander Nr. 32, die Pariser Angelegenheit N r . 38, 3 9 ; auch später, im F r ü h j a h r 1818, also nach ausgesprochenem Beginn der Krise, hat Humboldt noch seine Vermittlung f ü r die Familie seines Stiefbruders Holwede in Anspruch genommen, N r . 138, 146. *) Z . B. N r . 14, 30, 41, 77, 80, 87 usw. — Dieser an sich nebensächlich erscheinende Punkt hat vermutlich nach der Krise des Sommers 1817 eine gewisse Rolle gespielt, wie aus späteren Äußerungen Gneisenaus und aus nicht ganz vorsichtigen Bemerkungen im Briefwechsel der Gatten hervorgeht. — Schon f r ü h e r finden sich — unklugerweise, da man des Briefgeheimnisses durchaus nicht sicher war, selbst nicht bei Briefen, die mit staatlichen Kurieren gingen (IV, 65, 460) — im Austausch der Gatten Nachrichten über H a r d e n b e r g s Gesundheitszustand, die, wenn sie ihm bekannt wurden, wohl sein Mißtrauen wecken konnten. Bf. IV, 124, 420, 448, 504; V, 26, 50, 1 1 7 usw. 3 ) Ob H a r d e n b e r g der gelegentlichen Versicherung Humboldts: „Vouz savez bien aussi, mon cher Prince, que tout ce qui est grand et libéral et tout ce qui sort de la ligne ordinaire ne peut p r e n d r e origine chez nous que de Vous" — N r . 82, 26. Juli 1816 — ganz Glauben geschenkt

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Anmerkungen. hat ? Und doch war nach dem Zeugnis des Briefwechsels dies damals seine wirkliche Überzeugung. *) An Hardenberg, Nr. 42, 52, 56, 61, 84, 83, 86. 6 ) Clausewitz an Gneisenau, November 1818, a. a. O. *) Hierzu neuerdings bes. Haake, a. a. 0 .

Zu S e i t e 319: 1 ) „Man spricht vermutlich in Berlin über Stein und mich." 5. März 1816, Bf. V, 200. — Über die — damals noch guten — Beziehungen zwischen Gneisenau und dem Ehepaar Humboldt ib. 1 1 . 2 1 4 / 1 5 . — Gneisenau versichert Humboldt, er müsse Minister in Berlin werden, 246, 281, 287, 290, 357. Im März 1 8 1 6 waren Humboldt und Gneisenau Tischgäste Steins, was man in Berlin gewußt haben wird. Jedoch hatte der Klatsch das Einvernehmen schon bedroht. 215, 239; „Wallensteins Lager", ib. 200, 208. *) ib. 277, 283. Z u S e i t e 320: 1 ) Die Hoffnung auf gute Aufnahme in London beruhte auf den Eindrücken des kurzen Besuchs mit Fr. W. III. im Juni 1814, vgl. Gebhardt II, 56 f f . Z u S e i t e 321 : x ) Nr. 88, 18. August 1816. Da Frau v. Humboldt in dieser Zeit in Frankfurt weilte, besitzen wir keine anderen Quellen zur Beurteilung des Eindrucks, welchen des Kanzlers Eröffnung auf Humboldt gemacht hat. — Die beiden Grafen v. d. Goltz — welche auseinander zu halten sind : K. H. F . Goltz, Gesandter in Paris 1814—22, gest. 1822, und A. F. F. Goltz, Oberhofmarschall, 1807—14 Zweiter Kabinettsminister, gest. 1832 — unterschieden sich wohl weniger durch Geistesgaben, als durch den Aufwand, welchen der erste mit seinem großen Reichtum trieb; über Goltz Bf. V, 135/36. 2 ) Hardenberg wird derartige Hinweise von Untergebenen um so unangenehmer vermerkt haben, je deutlicher ihre Berechtigung ihm innerlich gewesen sein muß. Sehr fein leuchtet Frau v. Humboldt in die Schwierigkeit dieser Lage: „Des Königs Entfremdung von den Staatsgeschäften soll immer mehr zunehmen. Doch liegt in unserem Staat der Impuls von alters her, daß der König sich darum bekümmern, zuletzt entscheiden soll. Ein Mann wie Hardenberg, wie sehr er in der Wahrheit eigentlich der Regierende ist, kann doch zuletzt nicht so handeln, wie nur der König kann." Bf. V, 285, 15. Juli 1816. s ) Nr. 90, 23. August 1818. Z u S e i t e 322. Nr. 106, 5. Februar 1816. — Über die Pariser Reklamationen Nr. 83, 88. „ J e puis dire que j'ai commencé et basé toute cette affaire, je voudrais la terminer," Vgl. V, 396. ' ) Frau v. Humboldt war mit dieser Verbesserung nicht sehr einverstanden. „Das fließendere Deutsch war mir angenehmer. Die größere Richtigkeit des Silbenmaßes hat für mich weniger Anziehendes als die faßlichere Konstruktion." Bf. V, 286.

Anmerkungen.

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Z u S e i t e 323: ' ) Ähnlich der Gedanke in Nr. 106: Humboldt sieht eine persönliche Genugtuung in der Teilnahme am Abschluß der europäischen Gebietsregelungen, zumal er an allen bisherigen Verträgen mitgearbeitet habe. Z u S e i t e 324: Vgl. Bf. IV, 109. „Der arme alte Hardenberg liest des Abends gewöhnlich, ganz verwaiset, im Horaz" — während Humboldt berichtet, daß ihm wieder das Lesen der Ilias und besonders von Hektors Tod ,,ein ganz neues Leben" gegeben habe. Der ganze Unterschied der Generationen und ihrer Bildung spiegelt sich in dieser kleinen Beobachtung; aber welches Geschlecht von Staatsmännern, das noch im Feldlager mit aller Selbstverständlichkeit zu den Werken der Alten greift, um vom Getriebe des Tages sich frei zu machen. — Begleitschreiben zum Agamemnon Nr. 94, o. D. „Veuillez permettre, mon cher Prince, que je Vous envoye un exemplaire d'une traduction d'une pièce grecque que je viens de faire imprimer. Ce travail m'a occupé en grande partie pendant les deux dernières campagnes et il acquiert par là quelque droit à Vous être présenté". — In seinem Brief v. 13. Oktober dankt Hardenberg und spricht seine Bewunderung für dieses Parergon aus. *) Denkschrift, Frankfurt, 30. September 1 8 1 6 ; G. S. X I I , 5 3 / 1 1 6 ; zuerst veröffentlicht von Const. Rößler, vgl. Lit.-Verz., zur Beurteilung vgl. besonders Meinecke, a. a. O., S. 1 9 6 f f . ; Gebhardt II, 207/08; Treitschke II, 144/45. s ) Über die Sendung Hänleins, ihre Vorgeschichte und ihr Scheitern zu vgl. außer Treitschke II, 136/37, 143/44 besonders die Schilderung der Gesamtsituation bei Meinecke, Boyen II, 272/75, 278/79. Z u S e i t e 325: 1 ) „seine Hegemonie... eine läßliche Herrschaft": Meinecke, ib. 273; vgl. G. S. X I I , 65; „eigenmächtige Erweiterung": Satz aus der Eröffnungsrede Buols v. 5. November, vgl. Treitschke II, 146. *) Preußen unbeliebt: G. S. X I I , 64: „Preußen genießt nicht im gegenwärtigen Augenblick des Vertrauens und der gunstigen Meinung, auf die man nach demjenigen, was es für Deutschland getan hat, sollte rechnen können"; vgl. 65; „man sieht die preußische Monarchie als eine Kraft an, die sich noch nicht recht ins Gleichgewicht gesetzt hat und daher den Nachbarn noch gefährlich ist", ib. 63; „natürliche Gang": ib. 63. — Kritik an Hänlein. Bf. V, 277/79, 2. und 5. Juli 1 8 1 6 ; „zu meinem Erstaunen sehe ich, d a ß . . . man eigentlich eine neue Schöpfung machen will, daß es auf eine Weise begonnen wird, wo man es keinem recht machen wird, daß es am Ende etwas ist, das den Geschicktesten und Gewandtesten in die größte Verlegenheit setzen könnte" usw. Hänlein sei gänzlich ungeeignet, ebenso der Wiener Gesandte (Krusemark). „Der Ruf Preußens leidet, und das ist unglücklich; . . . es ist kein einziger, den man nicht vor den Kopf gestoßen hätte, und die Berichte laufen nun in der Welt umher." Vgl. G. S. X I I , 63/64. ®) Hardenberg nahm den Hinweis auf. Der Passus in seinem Reskript vom 9. August 1 8 1 6 : „der gute Erfolg des Bundes hängt von dem vollkommenen Einverständnis zwischen Preußen und Österreich a b " , (Treitschke, II, 144) geht offenbar auf die Anregung Humboldts zu35 Ktehler, Humboldt.

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Anmerkungen. rîick, welche dieser vor dem 5. Juli 1 8 1 6 bereits durch den Grafen Wallmoden in Sachen Hänlein an den Staatskanzler hatte gelangen lassen; B f . V, 278. Hier hatte er es ausgesprochen, „daß die Sache so nicht geht, daß der Staatskanzler alles unmittelbar mit Wien abmachen und Hänlein nur befehlen muß, was er tun soll" . . . E r hätte als Bundestagsgesandten am liebsten einen Mann wie Altenstein gesehen, dem er die erforderliche Überlegenheit zutraute. Vgl. an Hardenberg 4. Oktober 1 8 1 6 : „Croyez-moi, mon cher Prince, ques les instructions conformes des deux Cours de Vienne et de Berlin sont le seul souffle de vie que pourra avoir ce corps singulier, pour ne pas dire monstrueux qu'on nomme la diète." Am 8. Oktober. „ J e regarde la communication des Cabinets de Vienne et de Berlin aprésent comme ce que nous avons de plus important dans notre politique actuelle. La place d'ici sera très facile si ces communications vont bien, et le plus habile ne pourra jamais rien faire ici et même difficilement empêcher le mal dans le cas contraire."

Z u S e i t e 326: x ) Beseitigung des Mißtrauens: G. S. X I I , 66: „die preußische Regierung muß es sich zu einem besonderen Geschäft machen, den deutschen Höfen Vertrauen gegen sich einzuflößen; sie braucht dabei gar kein Opfer ihres Interesses zu bringen, sondern nur mit Offenheit und Gerechtigkeit zu handeln. Kein Staat vielleicht bedarf es so se"hr, die Gerechtigkeit recht eigentlich zu seiner Politik zu machen, als Preußen, nicht allein darum, weil es denn doch an materieller Macht den andern großen Staaten nachsteht, als darum, weil bei der Schnelligkeit und Rüstigkeit, die es seit Friedrich dem Großen gezeigt hat, seine Kraft augenblicklich in Wirksamkeit zu bringen, in keinem die leiseste Ungerechtigkeit so gefährlich erscheint." — Wenn schon ein preußischer Diplomat eine solche Auslegung der jüngsten preußischen Geschichte gab, konnte man es dann der Kleinstaatenwelt verübeln, wenn in ihr die „wunderbarsten Gerüchte" über Preußen umliefen? vgl. S. 68, 8 1 ; Politik des Verzichtes: z. B. S. 57; Formel: vgl. S. 325, Anm. 3. 2 ) „den Bund behandeln": G. S. X I I , 55/56; „négativité": C l e Custine an Rahel, Frankfurt, Mai 1816, Vamhagens Nachlaß I, 10. Z u S e i t e 327: Reinhards Politik: vgl. Treitschke II, 139, Reinhards Mémoire sur les légations à Francfort, Mai 1 8 1 6 ; genauere Inhaltsangabe bei W. Lang, Graf Reinhard, Bamberg 1896, S. 440, ferner sein Bericht vom 3 1 . Mai 1 8 1 8 , ib. 450/51. *) G. S. X I I , 58 meint Humboldt, „ am verderblichsten wäre, wenn völlige Freiheit hätte bleiben sollen, die Eifersucht Österreichs und Preußens geworden; der Bund ist als eins der sichersten Mittel anzusehen, ihr Einverständnis zu bewahren". 3 ) „verwegenste Absichten": Treitschke II, 143, vgL G. S. X I I , 63. „Wunschbild": abgelehnt X, 55; „nichts ist bei allem praktischen Beginnen so wichtig, als die Dinge gerade so aufzufassen, wie sie sind, es sei nun, daß man sie so lasse oder weiter zu führen such't". ib. 80; Definition des Bundes: ib. 80.

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Anmerkungen. Zu

S e i t e 329: 1 ) Seltsame Gedanken: B f . V, 290, 19. Juli 1 8 1 6 ; Bf. IV, 370, 1. August 1 8 1 4 ; T. B. II, 459, 1 8 1 6 ; vgl. Diede II, 2 9 1 , 14. Juni 1833: „Ich habe mich oft in maschinenartigen Arbeiten . . . gehen lassen, um dabei an etwas anderes zu denken." „Frappanter Kontrast*' vgl. oben Kap. I, S. 233; Schmitt-Doroti, S. 98 f f . ; Metternich: Srbik I, 252; „politische Richtung nach außen": X I I , 77; vgl. Bf. VI, 103, 16. Januar 1818. Z u S e i t e 330: >) Radikaler Fehler: X I I , 76; „ohne wirkliches Handeln"; ib. 6 1 ; „moralische Stärke": 60/61; vgl. S. 70: „Preußen muß vorzüglich nur das Ansehen haben, schützend und Rechte verwahrend für andere im Bunde aufzutreten." 2 ) „imponierende Stellung": ib. 66, 68: administratives System: ib. 69; genaue Kenntnis : vgl. ib. 70 : „strenge Gerechtigkeit, Schnelligkeit im Geschäftsgang,... konziliatorisches und bescheidenes Betragen der Grenzbehörden... erwerben mehr Ansehen und Einfluß". Gerade der letzte Satz scheint nach seinem Erfahrungsgehalt auf Motz zu deuten, mit dem Humboldt im Winter 1 8 1 5 / 1 6 in der Territorialkommission gearbeitet hatte; er hielt ihn „für einen der bravsten und einsichtsvollsten Männer, die bei uns dienen", Bf. V, 243, 10. Mai 1 8 1 6 . Z u S e i t e 331: ») Meinecke, a. a. O. S. 196/98. Z u S e i t e 332: 1 ) Zweck des Bundes, X I I , 76/77; lose Organisation, ib. 68; „intermediäre Staaten": ib. S. 15 ff., „Mémoire entièrement confidentiel", August 1 8 1 5 , gegen Rußlands Politik beim zweiten Pariser Frieden; „la tâche imposée aux Etats intermédiaires... de contenir... l'une et l'autre les masses imposantes placées aux extrémités de l'Europe . . . en de justes limites"; „von Natur friedlich" ib. S. 1 7 ; vgl. Gebhardt II, 181 f f .

Z u S e i t e 333: !) „Erobernder Staat": ib. 77. Welche begründete Bedenken der Politiker Humboldt auf Grund seiner Kenntnis der letzten Jahre gegen die Vorstellung hegen mußte, daß Deutschland ein „erobernder Staat" werden könnte, läßt das Phantasiebild erkennen, welches A. W. Schlegel in einem Brief an Schleiermacher am 8. Juli 1 8 1 3 entwarf: „Ist es ein Wunder, daß dieses Volk gebückt geht, auf dessen Schultern man seit i 1 / , Jahren das europäische Gleichgewicht ausgewogen hat? . . . Wir werden nie frei, nie ein Volk sein, bis wir wieder anfangen, Eroberer zu werden. Nur so können wir uns den ausländischen Einfluß vom Leibe halten." Das Ziel des Krieges müsse sein, die „avulsa imperii" beider Rheinufer, die „oberländische und niederländische Eidgenossenschaft" zurückzugewinnen. Vgl. O. Brandt, A. W. Schlegel usw. 1920, S. 178. Sicherung der Rheingrenze: ib. 1 1 , 1 7 ; Diagnose: Rößler, 1. c. S. 67. Z u S e i t e 335: !) Hardenberg an Humboldt, 13. Oktober 1816, Stralsund. 2 ) Vgl. Humboldt an Hardenberg, Nr. 97, 10. September; der Brief Nr. 102 vom 15. Oktober trägt das irrtümliche Datum des 15. Novem35*

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Anmerkungen. ber; darf man aus dieser — bei dem pedantischen Humboldt außerordentlichen — Verwechslung einen Schluß ziehen auf die Erregung, in welcher der kurze Brief geschrieben wurde ? s ) Nr. 104. — Im Jahr 1 8 1 8 sollte dieser Vorgang zweimal sich wiederholen. Ehe Humboldt im Frühjahr 1818 auf seine Bitte um Abberufung von London eine Antwort vom Staatskanzler erhielt, sprach ihn zu seiner größten Überraschung der Prinzregent in einer Gesellschaft darauf an, daß er aus London scheiden wolle. Es zeigte sich dann, daß der englische und der hannoversche Gesandte in Berlin diese Tatsache als feststehend nach London gemeldet hatten. Humboldt selbst hatte mit niemand von seiner Absicht gesprochen. Ähnlich stand es im August, wo die Zeitungen die Nachricht von Humboldts Rücktritt und Bernstorffs Ernennung zum Minister des Auswärtigen gleichzeitig verbreiteten. Vgl. Bf. VI, 2 1 3 , 283.

Z u S e i t e 336: x ) An Hardenberg Nr. 103, 23. Oktober 1 8 1 6 — Goltz betreffend: „ E n s'acquittant également bien des affaires". — Über die Muße: „ J e reconnais avec gratitude que le roi veut m'accorder du loisir après le travail". — Daß Humboldt schon im Winter 1 8 1 4 — 1 8 1 5 wußte, daß er in Paris wenig willkommen sei, beweisen Bf. IV, 458', V, 77. Die Rücksicht auf die Gesundheit der Damen seines Hauses ist für Humboldt ein ebenso ernster Gesichtspunkt, wie Hardenberg wenig Verständnis für ihn besaß und bewies; daß er hierin rücksichtslos sich gab, vertiefte die Verstimmung Humboldts während des Jahres 1818. Z u S e i t e 337: *) Zum Einlenken Humboldts Nr. 108, 1 1 . November 1816. — Erhebliche Gereiztheit verrät noch Nr. - 106, 5. November; Humboldt berührt die Dotationsangelegenheit, will ihretwegen nicht als Bettler vor dem König erscheinen, lenkt aber ein mit der Erklärung, erhalte er die Dotation, so werde er sie stets nur der Güte des Kanzlers zu verdanken glauben, der ja die Quelle aller Ehren und Vorteile sei, welche in seiner Laufbahn ihm zugefallen. — Zur Kritik der Geschäftsführung Nr. 1 1 3 — 1 1 5. — Nr. 1 1 0 , 22. November, greift auf die alte Gewohnheit zurück, mit jedem Posttag an Hardenberg zu schreiben. — Aufenthalt des Württembergischen Königspaares Nr. 118/19, 28—31. Dezem. 1816. *) Nr. 120. s ) Nr. 92, 2 1 . August 1 8 1 6 — Nr. 95, 3. September. „ I I me tarde de rentrer dans la Politique Européenne, car je n'en sais rien ici dépuis le mois de décembre et lui deviendrais entièrement étranger si je devais rester encore l'hiver ici." 4 ) Zu vgl. die Äußerungen der Selbstbiographie T. B. II, 458. Z u S e i t e 338: 1 ) Nr. 1 2 0 — 1 2 1 , 22.—28. Januar 1 8 1 7 , also mit jedem Posttag, vgl. S. 237, A. 1. *) Nr. 123. — Die Eingabe an den König abschriftlich beigelegt. s ) E s ist nicht erforderlich, nach einem besonderen Anlaß für diesen Brief zu suchen: einmal erklärt er sich aus dem nahenden Urlaubsende; dann war der 4. Februar der erste Posttag, nachdem ein volles Vierteljahr seit Hardenbergs letztem Brief vergangen war. „Ich setze

Anmerkungen.

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mir oft so Epochen", erklärt Humboldt der Gattin bei ähnlichem Anlaß (VI, 160). Dies scheint zu genügen als Erklärung, wenn auch nicht von der Hand gewiesen sein soll, daß Humboldt auf seiner Reise — von Motz in Erfurt ? — von der bevorstehenden Einberufung des Staatsrats gehört haben könnte und versuchen wollte, den Eintritt in ihn als ein seit Jahren (IV, 458) erstrebtes Ziel auf diesem Wege zu erreichen; ein Brief an Alexander vom 10. Februar weiß noch nichts vom Staatsrat zu melden. 4 ) Wie man schon damals von anderer Seite mit Hardenberg umgehen zu können meinte, zeigt der von Haake, Br. Pr. Fg. 27, 252 f f . mitgeteilte Brief Wittgensteins vom 16. März 1 8 1 7 . Z u S e i t e 339: Nr. 103, 23. Oktober 1816. Vgl. an Nicolovius, 13. Februar 1 8 1 7 . 2 ) Dem Bruder meldet Humboldt nicht ohne erkennbare Schadenfreude die durch sein Verhalten dem Staatskanzler erwachsenden Schwierigkeiten: „cela va donner beaucoup d'embarras, car on ne sait que faire de moi." Burgörner, 10. Februar 1 8 1 7 , Daudet. 3 3 1 ff. 3 ) Eine von Alexander Humboldt gelegentlich geprägte Formel. *) Vgl. S. 337, A. 1. ' ) Nr. 124, 9. Februar 1 8 1 7 . Z u S e i t e 340: 1 ) Gebhardt II, 233, A. 3. Über die „Reaktivierung" des Staatsrats und über die bei dieser Gelegenheit zwischen Hardenberg auf der einen, Wittgenstein und Schuckmann auf der anderen Seite entstandenen Reibereien unterrichtet der inhaltreiche Aufsatz von P. Haake, Br. Pr. Fg. X V I I , 247 f f . Vgl. ferner Müsebeck, Hist. Zeitschr. 105, S. 515 ff., besonders 523; ferner Rhedigers Bericht, Hist. Ztschr., B . 124, 240 ff. Das Gutachten selbst G. S. X I I , 141 f f . ; die Zeit der Entstehung ist nach den Mitteilungen Haakes, a. a. O. 248, Anm. 6, mit dem 14. als Terminus a quo festgelegt. *) Gebhardt ib. 236. — Humboldt erwähnt von dieser Sitzung nur, daß sie stattfinden solle, von ihrem Inhalt nichts. Bf. V, 349. s ) Gebhardt ib. 242, Bf. V, 297 f f . *) ib. 3 1 7 . „Ich vermeide das Corps diplomatique teils der Langeweile wegen, teils um mir nicht den Anschein zu geben, mich in die auswärtigen Geschäfte hier mischen zu wollen", ib. 3 1 0 . Z u S e i t e 341: ») ib. 297, 307. *) Die C. O. ist vom 3. Mai, die Briefmeldung vom 2. Mai, ib. 300. 3 ) Zu vgl. Bf. V. 296 ff., die Briefe aus den Monaten April bis Juli 1 8 1 7 ; besonders 356 — Humboldts Ruhm ist sogar bis Strelitz gedrungen; 359 — Anerkennung auch durch die Gegner; 3 1 3 — 3 1 4 , 346. — Die verwunderliche Bedeutung, welche Humboldt dem Erfolg seines Auftretens im Staatsrat beilegt, wird verständlicher, wenn man sich vergegenwärtigt, wie gering im Grunde die Erwartungen waren, mit denen er sein politisches Wirken begleitete. So äußerte er einmal, er werde, „was bei großer Wirksamkeit unumgänglich nötig ist, nie bei vielen Vertrauen haben. Das liegt in meiner besonderen Individualität, die ich nun einmal für keine Sache aufgeben werde, dann auch wirklich in gewissen Mängeln. Das Volksvertrauen ist ein Glück,

Anmerkungen.

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dem aber in dem, der es hat, auch immer eine beneidenswerte Anlage, eine Art Genie des Charakters entspricht..." (Bf. V, 108, 28. Oktober 1815.) Bei einer solchen Grundstimmung mußte das Echo seiner Tätigkeit nun in der Tat eine beglückende Überraschung, eine unerwartete Aufmunterung für zukünftige Wirksamkeit bedeuten! Vgl. die Urteile von Zerboni und Gruner vom Herbst 1 8 1 7 , Rühl, II, 192, 185,

197-

Z u S e i t e 342: ») ib. 301, vgl. Bf. IV, 556, 1815. Z u S e i t e 343: x ) Treitschke II«, 2 0 0 f f . ») Bf. V, 323—325. Z u S e i t e 344: i) ib. 346 ff. *) ib. 333, 14- Juni 1 8 1 7 ; 345, 347, 356 f f . ; a b e r : ib. 350, 6. Juni 1817. s ) „Wer mit Teil an dem Regieren der Erde nehmen will, der muß sie berühren". Bf. VI, 404. 4 ) Gentz an Metternich, 2 1 . September 1818. Wittichen, III, 349. 6 ) Bf. V, 340, 20. Juni 1817. Z u S e i t e 345: !) Haake a. a. O. Z u S e i t e 346: ') „Boyen, mit dem ich eng vereinigt bin", Bf. V, 348. Die jetzige Bundesgenossenschaft besaß eine merkwürdige Vorgeschichte. Während der Verhandlungen des Wiener Kongresses kam es durch ein Mißverständnis bei einer Sitzung zu einem durch sehr höfliche Formen verhüllten Zusammenstoß zwischen Humboldt und Boyen. Dieser ließ Humboldt eine Forderung zugehen, in deren Verfolg der preußische Kriegsminister und der preußische Gesandte, beides Männer um die Mitte der vierziger Jahre und jeder unersetzlich an seinem Platz in der gespannten Lage der hohen Politik, am Nachmittag des 5. Mai 1 8 1 5 auf dem Kahlenberge ein unblutig verlaufendes Pistolenduell austrugen, „ein Renkontre, welches höchstens junger Unterleutnants würdig gewesen wäre." Da statt der üblichen Sekundanten nur der geschäftige Modearzt Koreff als Zeuge zugegen war, trug das Ganze noch deutlicher den Stempel der Karikatur überalteter Kastenbräuche. Humboldt schrieb darüber an die Gattin u. a.: „Ich . . . habe die Sache unendlich natürlich behandelt. Für so durchaus unvernünftig ich sie auch hielt, so wäre es mir doch rein affektiert vorgekommen, wenn ich dem Vorurteil nicht hätte nachgeben wollen. Es ist auch inkommode und selbst manchmal töricht, sehr weise sein zu wollen, und so habe ich die Sache so einfach eingeleitet, daß niemand sie erfahren hat. Erst heute . . . hab ich es dem Kanzler erzählt. Du glaubst nicht, wie er sich gewundert hat; jetzt bin ich mit Boyen sehr gut und freundschaftlich." . . . „Ich halte Duelle für eitel Torheit und behandle sie gewiß auch nie anders. Man kann ihnen nur Kälte und Spaß entgegensetzen. Aber es hat mir auch immer eine Torheit geschienen, die es weniger unbequem ist, mitzumachen, als zu bestreiten." Bf. IV, S. 542ff., 554, 564; vgl. Meinecke, Boyen, II, 60, La Gardes Gemälde des Wiener Congresses, deutsche Ausgabe, München, 1912, II, S. 293/94.

Anmerkungen.

551

*) Pertz-Delbrück V, 228, 6. Juli 1817. *) Bf. V, 359. Die Denkschrift G. S. XII, 196 ff. 4 ) ,,In eine Falle g e g a n g e n " : vgl. die Einleitung der Eingabe, S. 196: „Ew. Durchlaucht haben mich in Geschäfte gesetzt, die mir eine vollständige Kenntnis der inneren und äußeren Lage des Staates verschafft haben; zu nichts ist mir der Zugang versagt; . . . wenn ich mir überhaupt ein Urteil zutrauen darf, so kann ich ein richtiges und vollständiges über diese Lage fällen". — Schon dieser Eingang zeigt, wie Humboldt im Begriff ist, sich dem Fürsten gegenüber zu verraten. — Denkschrift über die Stellung der Oberpräsidenten vpm 4. Juni 1817. G. S. X I I , 189 ff., cf. Bf. V, 340, 20. Juni 1817. s ) „ F e h l e r h a f t " ; ib, S. 197; „Präsident des Ministeriums": S. 199; Entfernung Bülows und Schuckmanns gefordert, weil „durch den einen die materiellen, durch den andern die moralischen Kräfte des Staates gefährdet werden", S. 200; 201 bezeichnet Humboldt als Ziel der Laufbahn eines Gesandten „die Rückkehr ins Vaterland"; im Konzept hatte aber gestanden: „der Eintritt ins Ministerium"!! Vgl. zur Beurteilung der Denkschrift Schmoller, Br. Pr. Fg. XII, 564 ff. — In diesen Zusammenhang gehört die Beobachtung Humboldts, daß, wie er am 14. September feststellen kann, infolge der Konzentrierung aller Geschäfte bis auf die Militärsachen beim Staatskanzler es dahin gekommen ist, d a ü während des Sommers, weil König und Kanzler in der Reisezeit getrennt waren, von Ende Mai bis Mitte Oktober kein wichtiger Vortrag beim König geschehen ist. Bf. V, 398; vgl. Bf. IV, 77, 186/87, 1813. Z u S e i t e 347: i) Bf. V, 359, 14. Juli 1817. ») Gebhardt II, 287. 9 ) Wie scharf Hardenberg die aus diesem Schreiben ersichtlichen Absichten Humboldts durchdacht hat, beweist der Umstand, daß er Altenstein und Beyme, auf deren Tätigkeit im Staatsrat ohne Ministerstellung Humboldt sich bezieht, im Herbst 1817 mit zwei besonders für sie geschaffenen Ministerien versieht und damit für Humboldts Wünsche jeden Präzedenzfall beseitigt.. Z u S e i t e 348: Bf. V, 300, 347, 356. — Da Humboldt selbst früher die Beobachtung gemacht hatte, wie seelische Eindrücke des Kanzlers Gesundheit stark bestimmten, so ist es auffallend, daß ihm, als nach seinem Weggang nach England Hardenbergs. Gesundheit von Monat zu Monat 6ich besserte, nie der Gedanke zu kommen scheint, hier nach den inneren Zusammenhängen zu fragen. Vgl. V, 387. ») Bf. V, 378/79, '9- August 1817. 3) ib. 307, 348, 5. Juli 1817. «) ib. 378/79Z u S e i t e 349: ») Bf. V, 385 ff., 30 — 3 1 August 1817. *) An Boyen 3 1 . August 1817. — Gneisenaus Äußerung vom 16. Oktober 1817, Pertz-Delbrück V, 257. — Die 'Beziehungen zu Hardenbergs Umgebung Bf. V, 379, 381. Vgl. Bf. V, 385, 30. August. Im Herbst 1817 sowohl wie im Februar 1819 müssen die Korrespondenten fest-

552

Anmerkungen. stellen, daß die Briefe auf der Post erbrochen werden, Bf. VI, 49, 491; ebenso 68, 97, 116, 196. s ) In den Briefen an Hardenberg vom Herbst 1817.

Z u S e i t e 350: i) Bf. V, 389. *) Bf. V, 401. — An Hardenberg Nr. 127, 2. September 1817; vgl. dazu Bf. VI, 13; „Menschen, die wie Hardenberg immer so befangen in äußeren Verhältnissen gelebt haben, kennen eher alles wie einen Menschen, lassen immer fahren, was ihnen gut wäre, und verbinden mit sich, was nach und nach ihnen Verderben bringt". *) Bf. V, 389, an Boyen 1. c. — E s ist nicht nur taktische Klugheit, sondern der Ausdruck taktvollen Empfindens, wenn er es begrüßt, daß die Wege des aus Frankreich durch die Rheinstädte zurückkehrenden Königs und der seine in diesem kritischen Augenblick sich nicht kreuzen; so gern er gerade jetzt mit dem neuen Bundesgenossen Boyen, der den König begleitete, sich ausgesprochen hätte. Z u S e i t e 351: *) Bf. V, 392/93; 11. und 15. September. Die Darstellung Hayms S. 376/77 erfährt durch das hier Ausgeführte eine notwendige Richtigstellung. Nach den angeführten Briefstellen kann von Heimlichkeit und Illoyalität Hardenbergs die Rede nicht sein und ebensowenig von einem „Plan der gemeinschaftlichen Organisation der neuen Landesteile". Diese Nachricht gehört zu der Humboldt-Legende, welche die liberale Publizistik auf Kosten Hardenbergs in Umlauf gesetzt hatte; cf. Schlesier, II, 355. — Auch Gebhardt II, 290 fußt, soweit er sich jener Auffassung anschließt, auf dieser Stelle bei Haym und mittelbar auf Schlesier. Haym wie Gebhardt legen sich eine Zweideutigkeit in Hardenbergs Verhalten zurecht, offenbar weil sie die Nachricht von der Krankheit des Staatskanzlers für übertrieben oder vorgetäuscht halten. Dem widerspricht die Sachlage, wie Humboldts Berichte sie erscheinen lassen. — Die Auffassung Gebhardts, Humboldt habe damals noch nicht an eine baldige Rückkehr aus London gedacht, ist unhaltbar. Psychologisch ganz zutreffend hat wieder Treitschke die Lage bezeichnet, wenn er bemerkt, „im September erhielt Humboldt zu seiner Überraschung den Befehl, sich auf seinen Londoner Posten zu begeben". II 4 , 209. *) Der „Jordan" war der Geh. Leg.-Rat J., welcher Referent der Außenpolitik im Büro Hardenbergs und zugleich im Auswärtigen Departement der maßgebende Mann war. cf. Bf. V, 297. s ) ib. 381, 19. August. Fünftes Kapitel. Z u S e i t e 352: 1 ) Bf. VI, 88; Befriedigung England kennen zu lernen 95; an Alexander Humboldt 11. Februar 1818; er wünscht Frau v. Humboldt England und Schottland zu zeigen 129. Die ersten flüchtigen Eindrücke von England und der Elginschen Kunstbeute hatte Humboldt bei seinem Besuch im Juni 1814 (in Begleitung der Monarchen) erhalten: „ S o hat niemand geraubtI Man glaubt, ganz Athen zu sehen"; vgl. Bf. IV, 347 bis

Anmerkungen.

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363, besonders 348. — „Form der Menschheit": „mir wäre es interessant, diese Form der Menschheit in mir aufzunehmen", schreibt Frau v. Humboldt über die mögliche Übersiedlung nach England, Bf. VI, 147. Wirkung neuer Umgebungen: T. B. I, 531, 31. Dezember 1817. Z u S e i t e 353: x ) Bf. VI, 357, vgl. besonders S. 39, 192 ff., 233, 252.

*) Bf. VI, 232, vgl. 236/37. 3

) Auch dem englischen Nebel weiß Humboldt eine „idealische" Seite abzugewinnen, seine „orangegelbe Farbe mache, d a ß die hiesige Luft dem Tiber unter den Flüssen vergleichbar" sei; „er ist, wie man es auch im Ossian sieht, nicht so prosaisch grau wie bei u n s " ; Bf. VI, 42; 72 ff., eine anschauliche Schilderung des in die Häuser durch die Kamine eindringenden Nebels; ebenso ein Bild des Londoner Verkehrs" in der kimmerischen Nacht", ib. 91/92. — Bericht eines Reisenden (Bollmann) : „ H e r r v. Humboldt . . . findet die englischen Nebel ganz anders wie die deutschen — sie sind pittoresk und interessant"; Schlesier II, 358.

Z u Seite 354: Bf. VI, 103, 109, 16. und 23. Januar 1818, vgl. aber einige Jahre zuvor an Goethe: „Alles Neue ekelt mich a n ; . . . rund um sich herum sieht man ja nur christlich gothische, oft fratzenhafte Modernität", 19. Juli 1816; „nur in einer gehörigen Trennung von aller Wirklichkeit" könnten Kunst und Wissenschaft gedeihen, 7. März 1814, Geiger, 241, 235. 2 ) Man beachte besonders die Berichte über Parlamentswahlen usw. 226 ff., 17s ff-; vgl. Bf. IV, 352/53. 3 ) Bf. VI, 229. 4 ) ib. 153, 412.

Z u Seite 355: *) ib. 96, 69; auch die Bedeutung der englischen Kinderpflege hat Humboldt gesehen. 184. 2 ) ib. 50, vgl. 27, 131, 148; vgl. die Schilderung des römischen „Salons" der Frau v. Humboldt in „Gabriele v. Bülow", S. 157.

Z u Seite 356: l

) Bf. VI, 138; eine ergötzliche Schilderung eines englischen Routs 187/88. *) ib. 113 ff., 156, 267/68 an Hardenberg Nr. 141, 24. März 1818. — Von dem Diner am 21. März 1818 — Bf. VI, 156 — berichtete der Londoner Courier vom 26., daß „der Prinzregent selbst zwei Lieder sang, als das Tischtuch weggenommen war", cf. Schlesier II, 358. 3 ) Bf. VI, 127.

Z u Seite 357: ib. 5 ff.; 67/68; an Hardenberg Nr. 131, 7. Oktober 1817; Humboldts eigenes Urteil über seine unleserliche Handschrift VI, 348, 463 vgl. 459. *) Nur über den Betrieb der Londoner Münze findet sich ein Bericht, der zugleich verrät, wie sehr fern die Dinge der Technik seinem Geist 3

liegen. 182/83.

) Berufung auf Hardenbergs Zusage ib. 158; Bestätigung durch Rother 161; der von Humboldt gesetzte äußerste Termin 18, 26; an Boyen Brüssel, 22. September 1817: Humboldt hofft „auf eine baldige dauernde Geschäftsvereinigung".

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Anmerkungen.

Z u S e i t e 359: l ) Bf. VI, 79. Auf rund 600 Seiten bietet der VI. Bd. des Briefwechsels den Stoff zur Kenntnis von Humboldts Gedanken und Stimmungen während der beiden Jahre vom Herbst 1817 bis Juli 1 8 1 9 in einer Fülle und Ausgebreitetheit, welche es unmöglich macht, ihm in seiner Breite mit dieser Darstellung zu folgen. E s gilt daher nur die hauptsächlichen Gesichtspunkte und die entscheidenden Wendungen im Lauf der Dinge zur Anschauung zu bringen. *) ib. 106, 20. Januar 1818, 120. s ) ib. 26, 19. Oktober 1 8 1 7 , 12. 4 ) ib. 223, 16. Juni 1818. Z u S e i t e 360: 1 ) Vgl. die Briefe vom 8. und 26. Februar 1819, VI, 464, 493. 2 ) ib. 394, 405, 407, Dezember 1818. s ) ib. 26. Z u S e i t e 361 : -1) ib. 94, 208, 84: „Ich bin ihm sehr gut und habe ihn immer mehr bedauert, als ich ihm die Dinge, die ich nicht billigte, verdacht habe." *) Wie berechtigt Humboldt zu solcher Kritik war, zeigt die Feststellung, daß während der langen Monate, welche Hardenberg am Rhein verbrachte, außer dem Kriegsminister nur der Kabinettsrat Albrecht Vortrag beim König hatte, die Dinge also auf dem besten Wege waren, zu jener vorwiegenden Stellung des Kabinetts aus der Zeit vor 1806 zurückzukehren. VI, 162. ' ) Die Zahl der Briefe an Hardenberg geht für die Monate Oktober-Dezember auf fünf zurück gegen einundzwanzig im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Zu Hardenbergs Gesundheit: Nr. 1 3 1 , 7. Oktober 1817. Nr. 132, 7. November 1 8 1 7 . Humboldt habe so lange nicht geschrieben, weil er den Staatskanzler auf Reisen wußte. Trotzdem habe er sich bemüht, sichere Nachrichten über seine Gesundheit einzuziehen, und freue sich, durch Mademoiselle Hähnel so gute Kunde über die Wirkung der Pyrmonter Kur erhalten zu haben. E r beschwöre ihn, sich , nicht mit Arbeit zu überlasten. — Die Besorgnis, während Hardenbergs Aufenthalt am Rhein möchten die Geschäfte in Berlin sich häufen und nach der Rückkehr ihn mit doppelter Arbeit belasten, Nr. 134, 14. November, erfährt eine Ergänzung in dem Brief an die Gattin vom 12. November, Bf. VI, 45: „Das ewige Hin- und Hergehen kann dem Regieren nicht vorteilhaft sein . . . es ist nicht zu ändern, daß besonders jetzt die wichtigsten Geschäfte in Berlin sind und nirgends anders abgemacht werden können." Auch eine so anstrengende, mit viel Arbeit verbundene Reise während des Winters könne bei Hardenbergs Alter ihm schädlich werden. Hardenberg muli den Ausdruck dieser Besorgnis auch ganz emst genommen haben, denn in seiner Antwort vom 5. Januar 1818 hat er es für nötig gehalten, Humboldt darüber zu beruhigen. — Über die Gesundheit noch 135, 20. Dezember. — Koreff als Korrespondent Bf. VI, 106; Korrespondenz mit der „Fliegennatur" Rahel Varnhagen abgelehnt, ib. 59/60. Z u S e i t e 362 : Als Hardenberg endlich am 5. Januar geschrieben hatte, schrieb Humboldt eine Antwort in der u. a. folgendes steht: „ J e ne saurois Vous exprimer quel plaiisir Vous m'avez, causé par Votre lettre . . . qui m'a

Anmerkungen.

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retracé toute Votre amitié et toutes Vos bontés pour moi. Il s'entend naturellement que je ne m'attends aucunement à recevoir une réponse de Votre part aussi souvent que je Vous écris, la masse des affaires qui Vous arrivent journellement ne peut point Vous en laisser le tems. Mais Vous me rendez infiniment h e u r e u x . . . si de loin en loin Vous me dites quelques mots. Vous connaissez mes sentiments pour Vous et je puis Vous assurer bien certainement qu'ils ne tiennent en rien aux affaires ou aux rapports extérieurs. J ' a i mille fois pensé qu'il seroit bien plus beau et plus agreable, s i l i b r e l ' u n e t l ' a u t r e d e t o u t c e q u i y t i e n t , n o u s p o u v i o n s v i v r e de t e m s en t e m s e n s e m b l e e t ê t r e p l u s r a p p r o c h é s q u'à p r é s e n t . * Quand aux affaires et à la situation qui y est relative j e m e t r o u v e t r è s b i e n i c i e t n e f o r m e p a s d'à u t r e s v o e u x.* Le séjour d'Engers Vous fera du b i e n . . . Vous y serez plus tranquille qu'a Glinicke puisque Coblenz ne donne pas tant de mouvement que Berlin. Il était certainement digne de Vous . . . de porter le sacrifice d'un voyage en hiver pour tenir Votre parole aux Provinces Rhénanes qui forment une portion aussi intéressante de nos Etats. Vous me dites en outre que les affaires ne s'en amasseront pas d'avantage à Berlin, et rien alors ne peut être mieux réglé et arrangé. D'après ce que Vous me dites sur Votre santé je n'ai plus aucune inquiétude à cet égard, et la lettre de Koreff me rassure encore plus. Si, comme nous devons tous Vous prier instamment de le faire, Vous Vous ménagez, je suis sftr qu'elle se fortifiera d'avantage." — Was sollte Hardenberg zu solchem Brief sagen? Sollte er es als Naivität oder als Ironie auffassen, wenn der Mann, der noch kürzlich seinen Wunsch nach entscheidender politischer Tätigkeit hatte erkennen lassen, jetzt Bilder des gemeinsamen Genusses eines otium cum dignitate entwarf und zugleich von seinen geschäftlichen Dispositionen sprach, gleich als hätte er sie zu billigen? 2 ) Nr. 134, 3 5 ; vgl. Bf. VI, 55, 66, 106. s ) ib. 72. Z u S e i t e 363: l ) Bf. VI, 54/55, 72, 99, 126. *) ib. 76, 95. 3 ) Boyen durch Hedemann an Humboldt, ib. 135. Z u S e i t e 364: 1 ) „Selbst meine öffentliche Lage hat sich erst ganz anders gebildet, seitdem der Staatsrat eröffnet ist." ib. 374. 2 ) Darüber war Humboldt im Sommer 1818 schon im klaren, ib. 290. Z u S e i t e 365: In dieser Zeit wird es Humboldt deutlich, daß Hardenberg und andere ihn durchaus nicht in Berlin wünschen, ib. 158, 214, 219. 2 ) Mit dem Kongreß rechnet Humboldt seit seiner Ankunft in London, ib. 26, 73; im März erfährt er von Hardenberg den Zeitpunkt, September; ,,aber von mir kein Wort bei dieser Gelegenheit". 1 5 8 ; Humboldt glaubt nicht berufen zu werden 1 6 1 , 66; glaubt der Berufung nicht entgehen zu können 1 7 1 ; glaubt wieder nicht berufen zu werden 197, 2 2 1 ; wünscht die Berufung und vermißt sie 223, 65; Zeitungsnachrichten über seine und Steins Berufung 2 8 1 ; erfährt durch Alexander die bevorstehende Berufung 3 1 6 ; die Berufung 27. Oktober, 353.

556

Anmerkungen.

Z u S e i t e 366: 1 ) ib. 133, 158, 161 ff. ' ) ib. 276 an Hardenberg. s ) Sowohl die Eingabe an den König vom 4. April wie die vom 14. September, mit den für Hardenberg gefertigten Abschriften, finden sich in Hardenbergs Nachlaß (G. St. A.); sie sind also nicht an den König weitergegeben worden, auch hat dieser sie sich demnach kaum vorlegen lassen. *) Bf. VI, 161. Z u S e i t e 367 : ib. 196/97; Hardenbergs Brief vom 8. Mai 1818. *) Bf. VI, 198, 203, 19. und 26. Mai 1818. 3 ) Vgl. oben S. 363, Wolzogen Nachlaß II, 30 ff., 9. April, 18. Juli 1818. *) Gebhardt II, 302, Hardenbergs Eingabe vom 25. Mai 1818. — Nach Treitschke II, 458 bezieht die angezogene Stelle sich auf einen möglichen Ersatz Hardenbergs im Staatskanzleramt. Da Gebhardt jedoch der spätere Zeuge ist, wurde ihm an dieser Stelle gefolgt. Vgl. „Gräfin Elise Bemstorff", 3. A. 1897, S. 236 ff. Z u S e i t e 368: *) Bf. VI, 162; 203 ff. Der Gedanke, den Abschied zu nehmen bei widrigen Dienstverhältnissen, ist ein bleibender Bestandteil seiner Reflexionen während dieser Jahre; vgl. besonders deutlich an Alexander, 10. Februar 1817, Daudet, 331 ff. *) Gebhardt II, 297 teilt die Stelle im Auszug mit: Humboldt beabsichtige auf dem Lande zu leben und nur, wenn der König es befiehlt, an den Sitzungen des Staatsrates teilzunehmen; S. 300 sieht Gebhardt ein, daß Hardenberg „nicht ohne Grund" Humboldts Eingabe als Abschiedsgesuch aufgefaßt. s ) Vgl. oben S. 320. Z u S e i t e 369: Bf. VI, 571. cf. 1 3 1 , 23. Januar 1818. ib. 204: „ J e n'écarte pas du tout l'idée d ' a c c e p t e r une autre place, seulement celle que c'est moi qui en d e m a n d e une." 205 : „ J ' o s e faire valoir . . . mon voeu personnel... non pas pour o b t e n i r . . . mais uniquement pour être d i s p e n s é . " 206: Über den Eintritt ins Ministerium : „ J e n e d e m a n d a i s rien, je priais seulement de ne pas compter sur moi dans Vos plans." Ferner S. 162/63. 3 1 . März. Z u S e i t e 370: 1 ) „Solange der jetzige Finanzminister und der Minister des Inneren Mitglieder des Ministeriums sind . . . könnte . . . ich nicht in das Ministerium eintreten." Denkschrift vom 14. Juli 1 8 1 7 , G. S. X I I , 200. — Hieß das etwa keine Bedingungen stellen? *) Über die Rückberufung schrieb Humboldt dem Kanzler im Laufe des Sommers, fünfmal — am 4. April, 29. Mai, 9. Juni, 7. August, 14. September — lange Briefe, von denen der vom 2C). Mai bei starken Auslassungen fünf, der vom 14. September sieben Druckseiten füllt. Dieser fehlt in dem Aktenkonvolut des G. St. A. und ist bisher nur durch den Abdruck Bf. VI, 307 ff. bekannt, dagegen fehlt hier der Brief vom 9. Juni.

Anmerkungen.

557

») Bes. Bf. VI, 306 ff. 4 ) ib. 327; besonders berühren die Briefe aus Aachen diesen Punkt; z. B. 372 und sonst. 6 ) Wie ungewiß die scheinbar feststehenden, rahmenden Linien seines Lebens ihm immer blieben, beweist doch auch die folgende auffallende Stelle : ,,ich kann auch nicht sagen, daß es mich gerade zu wissen-« schaftlichen Arbeiten ladet, obwohl man sich mit Wissenschaft und Kunst ja immer beschäftigt, da sie ja nur der erweiterte Kreis aller aus dem eigenen Gemüt entspringenden Gedanken und Empfindungen sind". Im tiefsten Grunde ziehe es ihn nur zum vertrauten Leben mit der Gattin, „zu einem Dasein, das durch nichts Bestimmtes erfüllt wird, scheinbar zu keinem Ziel führt, und in dem doch kein Moment leer und kein Gefühl ohne Frucht ist", ib. S. 389. Z u S e i t e 371: i) Die angezogene Stelle ist von Humboldt in der Abschrift ausgelassen, ebenso wie aus. dem Brief vom 14. September seine Ansichten über die Lage des Ministeriums in den Abschriften an Frau v. Humboldt fehlen. Sie finden sich im Brief an Hardenberg Nr. 144: „Je ne pourrais point partager de responsabilité sur les plus grands interets de l'Etat avec les personnes que j'ai osé Vous indiquer." *) Hinweis auf das englische Vorbild: z. B. Bf. VI, 412, 458/59; ferner an Niebuhr. Januar 1819, Mitt. Lit.-Arch. S. 153, 155/56; vgl. G. S. X I I . , S. 319: „die solidarische Verantwortlichkeit des Gesamtministeriums . . . würde von selbst aus dem Begriff des Ministeriums fließen", August 1819; ferner ib. 304, A., wo Humboldt in der Eingabe vom 9. Februar 1819 dem König beinah das englische Kabinett als Vorbild für das preußische Ministerium bezeichnet hätte. 8 ) Bf. VI, 298. Zu Seite ib. ?) ib. Nr.

372: 208. *) ib. 214, 2. Juni 1818. 207, 213; ein entrüsteter Brief ging an Hardenberg am 9. Juni ab, 145.

Z u S e i t e 373: ib. 221. — Nach Schlesier II, 363 hat die Augsburger Allg. Zeitung später, am 24. August des Gerücht gebracht, Humboldt habe den Abschied gefordert; auch von seinem Verbleiben im Staatsrat ist die Rede — man verstand sich also in Berlin auf die Verwendung der Presse, cf. S. 375, A. 2. *) ib. 248/49, 14. Juli: „der Bruch ist jetzt schon da". s ) ib. 221, 23. *) ib. 214, 19. Z u S e i t e 374: 1 ) ib. 262. 2 ) ib. 252, 17. Juli. 3 ) ib. 266. 4 ) ib. 276; Eingabe vom 13. August. 6) ib. 282, 25. August. «) ib. 283 f. Z u S e i t e 375: ib. 287, 290, 497. *) ib. 323, 25 — 25. September. Sogar in einem Brief des niederländischen Gesandten in Rom findet sich die Frage: „ich möchte wissen,

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Anmerkungen. wie man in Preußen überhaupt die Einschiebung des Grafen v. Bernstorff ansieht", cf. Schlesier II, 362. Vgl. Bf. VI, 328, 29. September.

Z u S e i t e 376: ') 3 3 1 , 2. Oktober. Bernstorffs Ernennung war einer der ersten Erfolge der von Metternich beeinflußten Reaktionspartei unter Wittgensteins Führung, (Treitschke II, 458/59); Bernstorff war ein Bewunderer Metternichs, dessen Politik er sich unterordnete (Srbik I, 619). Mit der Eigenrichtigkeit und Schwerfälligkeit des Holsteiners verband er den zweifachen Dünkel des hochgeborenen Grafen und allmächtigen Ministers eines Kleinstaates. Zu träge zu eigener Arbeit, war er am Schluß des Wiener Kongresses wegen einer unglaublich nachlässigen Behandlung der eigenen Obliegenheiten hart mit Humboldt aneinandergeraten (Bf. IV, 570/71, 9. Juni 1 8 1 5 ) . Schon als junge Leute sagten sie sich nicht zu; „Bernstorff hat nicht Geist, selbst nicht Bildung genug". (Bf. I, 418, 1 7 9 1 ) . — Bernstorff als Österreich genehmer Minister: Gentz an Metternich, Wittichen III, 349, 2 1 . September 1818. Vgl. Gentz Tagebuch II, 249, 3 1 . J u l i : Metternich bereitet auf Bernstorffs Ernennung vor. — Der den Geschäften der großen Politik völlig fremde Bernstorff wußte in Aachen in keiner Weise Preußen neben den anderen Mächten zur Geltung zu bringen; „jetzt sagen die andern zu Preußen: Vous ne comptez pas cette fois ici". Bf. VI, S. 381. 2 ) ib. 290/91. 3 ) ib. 293 ff., Rothers Brief vom 3 1 . August. Z u S e i t e 377: ib. 298, vom 4. September. 2 ) ib. 276, 18. August. 3 ) ib. 319. ib. 3 1 6 , vom 13. September. &) ib. 302—14. 6 ) Mit der Behauptung, „noch nie so unbeschäftigt gewesen zu sein," hat Humboldt zweifellos übertrieben. Beschäftigt war er hinreichend, allerdings mit wenig bedeutenden Angelegenheiten. Unter ihnen hatte für den König Wichtigkeit vor allem die endliche Regelung der finanziellen Grundlagen der Ehe, welche der Herzog von Cumberland, der spätere berüchtigte Ernst August von Hannover, mit des Königs Schwägerin Friederike von Strelitz bereits 1 8 1 3 eingegangen war. Das englische Parlament verweigerte die Apanagierung des Prinzen; und so wurde die Mecklenburgerin am Weifenhof bis zur Thronbesteigung in Hannover vom armen Preußenkönig finanziell ausgehalten. Die Arbeiten Humboldts für diese Verhandlungen werden aus dem Bestand des ehemaligen Hausarchivs in der Akademie-Ausgabe vom Verfasser veröffentlicht werden. Vor und während der Frühjahrssession hat Humboldt dieserhalb vielfach zu unterhandeln gehabt mit dem Herzogspaar selbst, dem Minister Castlereagh (3. und 19. Dezember 1817), dem Prinzregenten ( 3 1 . Januar, 5. und 6. Juni), vgl. T. B. II. Über die familiären und politischen Hintergründe dieser Skandalaffäre berichten Bf. VI, 1 1 7 , 170, 175/77, 2 5 1 . An Konferenzen über die Beziehungen der europäischen Staaten zu den Barbaresken verzeichnet das Tagebuch für den Dezember 5, für den Februar 3, für den März wie Mai 2; am 16. Dezember 1817 und 22. Februar 1818 widmete Humboldt einen vollen Arbeitstag Ausarbeitungen zum „Seeräubervertrag", (T. B. II, 463, 476);. auch Konferenzen über den Negerhandel in Südamerika fanden statt. Über ihre Ergebnisse referiert das — vielleicht in Aachen

Anmerkungen.

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entstandene ? — Mémoire über die Barbaresken und die amerikanischen Kolonien, G. S. XII, 2 i 6 f f . ; vgl. Treitschke II, 47$. Endlich nahm Humboldt teil an den von Rother geführten Verhandlungen mit dem Haus Rothschild über eine Preußische Anleihe, deren Abschluß das T . B . am 29. Oktober 1818 verzeichnet ( I I , 512). Vgl. dazu wie über den Danziger Holzhandel (T. B. II, 506) neuerdings C. Brinckmann, Die Preußische Handelspolitik vor dem Zollverein, Berlin, 1922, S. 96, 98, 146/48. Z u S e i t e 378: ib. 305. ! ) ib. 366, 4. November. ») Vgl. A. D. B. II, 497Z u S e i t e 379: „Versprechen": Bf. VI, 479. — Einige Zeit später spricht Humboldt seinem Verhalten selbst folgendes Urteil : „ U m Bedingungen zu machen, muß man abwarten, daß man einen Vorschlag empfängt; wer fordert, kann es eigentlich nie." 419 — 24. Dezember 1818. An Stein im Frühjahr 1806 zu erinnern, läge wohl nahe; aber seine Denkschrift ist ilie an den Adressaten gelangt; und wenn sie viel Kritik an Andern enthielt, so trat die Persönlichkeit des Kritikers doch ganz in den Hintergrund. Vgl. Lehmann, Stein I, 401 ff., besonders 405/07. *) Bf. VI, 365; in Aachen ist Humboldt nicht frei von dem Eindruck, d a ß dem König ein starkes Vorurteil gegen ihn beigebracht sei, 374, 76, 10. und 13. November 1818. s ) ib. 307/'4Z u S e i t e 380: ib, 311, 308. „Comme Vous ne m'avez jamais fait cette proposition au nom du Roi et qu'aucune place de ministre autant que je sache, n'est plus vacante, cela m'a paru superflu." 2 ) ib. 348; vgl. oben S. 338. s ) ib. 314. *) Ein Auszug der entscheidenden Stellen findet sich bei Gebhardt II, 303/04. Das Schreiben selbst, im Geh. St. A., wird in der AkademieAusgabe vom Verfasser veröffentlicht werden; hier folgen die wichtigsten Stellen im ursprünglichen Wortlaut: „ J ' a i décliné d'entrer dans le Ministère tel que je prévoyois qu'il seroit organisé; je le ferois encore aujourd'hui, je l'avoue, si la même proposition m'étoit faite. Mais ce n'est pas par caprice, pas par une animosité juste ou injuste contre tel ou tel individu, c'est par conviction. J e crois que le Ministère réuni dont je Vous regarde, m. Pr., commme le Chef avec plein droit de décision doit être responsable au Roi et à soi même du bienêtre de l'Etat, et je ne crois pas pouvoir prendre sur moi cette responsabilité ni dans la position actuelle du Ministère vis à vis du Roi, de Vous, m. Pr., et de Votre bureau, ni avec quelques unes des personnes qui le composent. J e puis me tromper et Dieu veuille que cela soit ainsi. Il se peut que la manière dont Vous avez placé le Ministère, les personnes dont Vous l'avez composé, que tout cela soit ce qui suffit et ce qu'il faut pour conduire la Monarchie à travers les tems difficiles où nous vivons, et à travers l e s c r i s e s q u i p o u r r o n t s u r v e n i r*. Je le dés&re du fond de mon coeur pour le Roi, pour Votre gloire

560

Anmerkungen. et Votre tranquillité, pour notre bien à nous tous. M a i s , l e c o e u r mesaigneenledisant,maconvictionestlacontraire*, et aussi longtems qu'elle l'est, je croirois trahir tous mes devoirs envers le Roi, si, pour avoir l'influence et les appointements d'un Ministère, je voulois accepter une place dont d'après ma conscience avec laquelle je ne transigerai jamais, je ne puis pas dans les circonstances données prendre sur moi la r e s p o n s a b i l i t é . J e n'ai ni des vues intéressées, ni des vues ambitieuses, et quoique je servirai aussi longtems qu'on voudra de moi, et que je me sentirai les forces nécessaires, je regarde comme un malheur, comme une tâche pénible et dénuée de toute satisfaction, celle seule exceptée d'avoir fait son devoir, d'être forcé de p r e n d r e p a r t a u j o u r d ' h u i à u n g o u v e r n e m e n t q u e l c o n q u e * . J e ne Vous parle donc que par véritable et profond attachement pour Vous, et par la.nécessité de me justifier contre le reproche que je voulusse par caprice ou par opiniâtreté soustraire mes services au Roi, et à mon pais. Vous, m. ch. Pr., dans Votre longue carrière sur laquelle tous ceux qui Vous ont connu et tous les Prussiens arrêteront toujours leurs regards avec une profonde sensibilité et reconnaissance, n'avez jamais agi autrement que je fais aprésent. Vous avez suivi Votre conviction et elle-seule, Vous m'en avez raconté Vous mêmes plusieurs traits; ne veuillez pas blâmer en moi ce qu'au fond Vous1 devez exiger de chacun qui doit servir le Roi sous Votre direction. Ce n'est donc pas que je ne veuille pas, c'est que je ne puis pas entrer au Ministère."

Z u S e i t e 381 : 1) Bf. VI, 163. 2 ) Vgl. oben S. 3 7 1 , Anm. 2; „in England, wo man aus der S t e l l u n g d e s M i n i s t e r i u m s vielleicht noch mehr lernen kann, als aus den p a r l a m e n t a r i s c h e n F o r m e n , muß jeder, der Staatsmann sein will, . . . jedem Departement gewachsen sein". An Niebuhr, 1. c. 153. 3 ) Bf. VI, 3 1 3 , vgl. 221. Z u S e i t e 382: ib. 356, an Hardenberg Nr. 148, 27. Oktober. *) Bf. VI, 363/64, 4. November. 3 ) ib. 380. *) ib. 304, 383. 6 ) ib. 367. Z u S e i t e 383: ib. 395/96. *) ib. 396, 1. Dezember. 3 ) ib. besonders 407. 4 ) Auch die alten Wiener Beziehungen lebten wieder auf; mit Gentz traf Humboldt sich bei Metternich. Ein gemeinsamer Abend vereinigte beide Humboldts und Bemstorff bei Gentz; man erinnerte sich, daß diese beiden einst Humboldt bei der Abreise zu seiner Hochzeit von Berlin aus das Geleit gegeben hatten; Bf. VI, 393; Gentz Tagebücher II, 28$, 286. Z u S e i t e 384: >) ib. 367, 4. November. *) ib. 266, 94, 378, 86. s ) ib. 377, 86, 88, 99, schon von Aachen aus hatte Bemstorff mit Humboldt briefliche Fühlung zu nehmen versucht, ib. 341/42, (4. Oktober 1 8 1 8 ) ; am 17. November berichtete Humboldt aus einem Gespräch mit

561

Anmerkungen.

Bernstorff, dieser „sei nach Preußen gegangen, um Dänemark zu dienen". ib. 380. *) ib. 365Z u S e i t e 385: ») ib. 258, 65, 89, 92, 99. *) ib. 370, 75. 76. Z u S e i t e 386: ») ib. 367 f f . *) Vgl. oben S. 376. Z u S e i t e 387: l ) Man kann Hardenberg das Zeugnis nicht versagen, daß er bei den tastenden Versuchen, Humboldt unterzubringen, das ernstliche Bestreben gezeigt hat, auf seine vermeintlichen Wünsche einzugehen. So verdient das Angebot des rheinländischen Ministeriums auch unter diesem Gesichtspunkt eine Berücksichtigung. Humboldt berichtet, wie Koreff es für sich in Anspruch nahm, den Stäatskanzler auf diesen Gedanken gebracht zu haben, 378. E s ist nicht ausgeschlossen, daß das gute Gedächtnis des gewandten Mannes die Erinnerung daran bewahrte, wie Frau v. Humboldt, als im Winter 1 8 1 5 dieser Gedanke zuerst auf Hardenbergs Veranlassung vorübergehend aufgetaucht war — wie lebhaft Frau v. Humboldt damals diesen Plan ergriff, welcher in der Person ihres Gatten ,,einen allgemein geehrten liberalen Mann" an einen so wichtigen Platz führen konnte, B f . IV, 479, ferner Bf. V, 147, 8. Dezember 1 8 1 5 . Da Koreff sein Glück nicht zuletzt der Frau v. Humboldt zu danken hatte, ist es nicht undenkbar, daß er in stolzem Bewußtsein seines Einflusses seine Dankbarkeit zu beweisen bestrebt war, indem er dazu beitrug, einen Wunsch seiner Gönnerin zu erfüllen, VI, 75, 93. *) Die Frage spielte eine Rolle besonders bei der Organisation der neuen Provinzen; vgl. Humboldts Denkschriften über Oberpräsidenten und Provinzialminister (v. 1 8 2 1 ) G. S. X I I , 477 ff., 492. ») Bf. VI, 368, 92, 96. *) ib. 396. *) ib. 368. 6 ) ib. 393, 27. November. *) Vgl. oben S. 362. Z u S e i t e 388: 1) VI, 369, 83. ») ib. 365, 69, 99. ») ib. 368, 99. «) ib. 368. Z u S e i t e 389: Nach Treitschke II, 198, waren 1 8 1 7 unter den hohen Beamten der letzten Jahrzehnte von der Berufung in den Staatsrat nur Stein und Voß-Buch, der alte Gegner Hardenbergs, ausgenommen. Aus diesem rein tatsächlichen Verhältnis und aus dem Umstand, daß die aktiven Staatsminister als solche dem Staatsrat angehörten, mochte Humboldts Ansicht stammen, daß die Mitgliederschaft in ihm ein „Recht" sei; aber er übertrieb eben diesen Gedanken und verlor damit den Boden unter den Füßen. 2 ) VI, 396 ff. Zuerst wurde der Inhalt des Gesprächs bekannt durch einen bei Daudet, 338 f f . veröffentlichten Brief an Alexander vom 14. Dezember 1818. 3 ) Daudet, 339. *) Bf. VI, 397/98; vgl. Daudet, 357 ff., 3. Februar 1820. Kaehler,

Humboldt.

36

562

Anmerkungen.

Z u S e i t e 390: *) ib. 419/20, 428: „ D a s Verlangen, das ich habe, in Berlin zu sein, meine Lage entschieden zu sehen und wirken zu können abgerechnet, befinde ich mich wohl." 7. Januar 1819.

Sechstes Kapitel. Z u S e i t e 391 : i) Bf. VI, 395, 401. *) Die Haltung der Gatten gegenüber Stein ist ziemlich verschieden; Frau v. Humboldt hat mehr Verständnis für Steins Eigenart besessen; sein Tod, so urteilte sie Ende 1817, würde die Lücke eines erloschenen Sterns bedeuten „in dem Kreise des Lebens, das man versteht (Bf. VI, 70, ferner 148). Auch Caroline v. Wolzogen muß das „Leuchtende" an Steins Natur empfunden haben; seine „Meinung sei ein wandelnder Proteus, bald lodernde ..Flamme, bald rauscht sie als Baum in die Wolken, und bringt daher keine Früchte hervor". Humboldt stimmt damit überein. „Handelnde durch die höchsten Ansichten zu lenken, Ziel und Abwege mahnend und warnend anzugeben, eine Art Leuchtturm zu sein, der den Häfen zeigt, wenn er auch selbst nicht hineinführt, dazu ist er mehr als ein anderer gemacht", (ib. 257, 27. Juli 1818); in seiner Antwort an Fr." v. W. sagt Humboldt, Stein „wirkt wie einer der alten Geschichtsschreiber oder Redner, und weil er aus einer näheren Welt spricht, stärker und praktischer". Darum möchte er Stein „bei wichtigen Gelegenheiten gern in der Nähe besitzen"; obwohl er „zu Geschäften nicht mehr ist, vielleicht nicht einmal, in bestimmten Fällen Rat zu erteilen". (Wolzogen, Nachlaß, II, 37, 18. Juli 1818.) — Mit Steins praktischer Tätigkeit, namentlich im Zentralverwaltungsrat von 1813, war Humboldt sehr wenig einverstanden gewesen, vgl. Bf. IV, 123, 124, 139/40; Stein „macht einem das Leben nicht leicht, stimmt einen aber im ganzen immer vortrefflich", ähnlich an die Fürstin v. Rudolstadt, 9. Dezember 1813, Deutsche Revue 31, 334. — Ihre Fremdheit bezeichnet sehr klar Bf. IV, 298 4. April 1814: „Stein wäre schlechterdings der Mensch, mit dem ich am wenigsten leben könnte. Wir sind uns in allen kleinen Anordnungen des Lebens und vorzüglich in der Weite und der Grenze der Gedanken und Empfindungen gänzlich entgegengesetzt". — Stein seinerseits hat Humboldt sehr hübsch verglichen „mit dem St. Elmsfeuer, das sich auf den Masten der Schiffe zeigt, wenn Sturm ist", Bf. IV, 27, 13. Juni 1813. — Die Verschiedenheit ihrer Naturen kommt Humboldt besonders in der Bewertung der „Wirklichkeit" zum Bewußtsein: „wenn Stein nicht mehr in Geschäften ist, hat sein Leben für ihn keinen Wert mehr als höchstens für seinen eigenen Genuß. Was er sonst tut und treibt, kommt ihm nur wie ein Spiel vor, so tief und ernsthaft er sich auch mit deutscher Geschichte beschäftigt" (Bf. V, 247, 13. Mai 1816). — Uber ihre Berührungen in Frankfurt: Bf. VI, 413, 422, 429, 445, besonders 489/90, 22. Februar 1819. — In Aachen glaubt Humboldt, auf niemand so rechnen zu können, wie auf Stein, ib. 367. Z u S e i t e 392: 1 ) Ib. 429; besonders die Mitteilung vom 5. Februar 1819: „über die Ständeverfassung habe ich einen eigenen Aufsatz gemacht; ich habe

563

Anmerkungen.

darin den ganzen Gang, der zu nehmen ist, entworfen und, so viel möglich, alle Hauptfragen berührt, dagegen alle minder wesentlichen Bestimmungen übergangen... Trete ich nicht ins Ministerium, so werde ich den Aufsatz, nur umgearbeitet, zurücklassen, damit man weiß, was ich gewollt hätte. Der Aufsatz ist hier angefangen, ehe ich die mindeste Idee meiner jetzigen Stelle hatte. Aber ihn vollendet zu haben, macht mir die Brust frei. Schon in England dachte ich immer, daß es eine Schande wäre, jetzt in das Vaterland zurückzukehren, ohne mit sich selbst über die Verfassung im reinen zu sein, o'hne darüber Ideen zu haben, die nicht so fest wären, daß man sie nicht ändern könnte, aber fest genug, um sich mit denen anderer messen und dadurch umgestalten zu können. Ich habe mich auch in England sehr viel mit allem, was dahin einschlägt, beschäftigt. Aber durch Steins Aufsätze ist mir vieles erst eigentlich klar geworden, und das Schreiben hat das übrige getan. In den Grundideen, nämlich dem Hängen an wahren Ständen als Korporationen, und in dem Abscheu gegen die neuen französischen Verfassungen, war ich immer einerlei Meinung mit Stein; . . . er geht nur manchmal auf diesem Wege und überhaupt historisch zu weit. E s ist mir eine eigene Freude gewesen, dies mit ihm zusammen zu machen"; ib. 462/63. — Bei einer Vergleichung der zweiten Form von Humboldts Denkschrift vom Oktober 1 8 1 9 mit den z. T. im Archiv Tegel erhaltenen Materialien aus Steins Besitz ergaben sich wörtliche Entlehnungen, welche schon durch den Stil sich ankündigten, bei folgenden Stellen: G. S. X I I 396/99, 445. 2 ) Die Briefe legten den Weg in etwa 1 2 — 1 4 Tagen zurück und eine Frage erfuhr ihre Antwort erst nach etwa Monatsfrist; vgl. Bf. VI, 420. *) Bf. VI, 388, 24. November 1818. 3) Bf. VI, 3 1 2 . Z u S e i t e 393: !) Bf. VI, 388, 24. November 1818. *) Vgl. oben S. 375. 3 ) Bf. VI, 426; 1. Januar 1819. Vgl. das Pflichtgefühl gegen die Allgemeinheit, welches abhält, eine bloß für sich bequeme Lage zu suchen, ib. 261, 3 1 . Juli 1818. 4 ) ib. 248, 366, 80. Z u S e i t e 394: Vgl. oben S. 219/20. 2 ) Bf. VI, 394, 404 ff-; Anraten, das Ministerium anzunehmen; 407, Mahnung zum Staatsdienst und zum Bruch mit Hardenberg — 4 1 3 , 409: Humboldt soll nach einmal gemachtem Anfang das Wachsen der angeregten Dinge abwarten; 408: ein schönes Urteil über Bernstorff. s ) Grillparzers „Libussa". Z u S e i t e 395: i) Bf. VI, 110, 23. Januar 1818. *) Bf. VII, 249. 3 ) An Hardenberg, 14. Dezember, Nr. 149. *) Bf. VI, 412/14, 418; 21. und 24. Dezember. 6 ) ib. 387 — aber trotz aller betonten energischen Absichten tritt Humboldt schon bald von dieser Bedingung zurück, 414. «) ib. 412 ff. 36«

564

Anmerkungen.

Z u S e i t e 396: 1 ) ib. 413, 20. *) ib. 328. 3 ) ib. 420; er gefiel sich in der Vorstellung, daß „bei u n s " noch „kein einzelner Mensch so gefürchtet worden wäre", ib. 400, 1. Dezember. *) ib. 379. 42iZ u S e i t e 397: ib. 424—425. *) ib. 3 8 8 ^ 2 4 . November. 3) ib. 433/34. 'S- Januar 1819. *) Vgl. oben S. 375. Z u S e i t e 398: ib. 482. „ I n der Überzeugung, d a ß Sie der Mann sind, der uns in den kritischen Zeiten not tut." Witzleben an Humboldt, 2. Februar 1819. 2 ) Vgl. Meinecke, Boyen II, 314 ff., besonders 357/59. s ) Vgl. Gebhardt II, 262/63. Z u S e i t e 399: ' ) Der erste Hinweis auf diese Bundesgenossenschaft der Generale mit den Diplomaten, von „Macht" und „ I d e e " findet sich bei Meinecke, Boyen, II, 372. Vgl. dazu Bf. VI, 135; Hunilioldt erfährt durch seinen Schwiegersohn, d a ß Boyen ihn als „treuen Alliierten" seit 1817 betrachte. ») Bf. VI, 435. ») ib. 437/38. •) Die C. O. abgedruckt ib. 439, ein nicht genügender Auszug bei Gebhardt II, 333. Z u S e i t e 400: Bf. VI, 440, vgl. G. S. X I I , 316; Hint?e, Staatsministerium, 435 ff. 8 ) ib. 443. Das Begleitschreiben Hardenbergs zur K. O. lautet: Berlin, den 16. Januar 1819. „Liebster Humboldt I Ich sende Ihnen im Anschluß eine kgl. Kabinetts-Order, wodurch Ihre fernere Dienst-Bestimmung entschieden ist. Der König hat zugleich auf Ihre Wünsche und auf das Beste des Staats gesehen und beides nach meiner Überzeugung dergestalt vereinigt, d a ß ich hoffe, Sie werden keine Einwendungen dagegen machen. Alle Ausstellungen, die Sie wegen der Constitution machten, sind beseitigt bis auf die p e r s ö n l i c h e n , die wegfallen müssen, wenn Sie nicht mit einer förmlichen Anklage in die Schranken treten wollen. Ihren Talenten ist es vorbehalten, in dem Wirkungskreise, den Sie nunmehr erhalten, recht viel Gutes und Nützliches zu stiften und Leben in die Geschäfte zu bringen. Zur näheren Übersicht theile ich Ihnen eine Kabinettsorder an das Ministerium' wegen der Veränderungen in den Departements und eine andere weitläufigere, verschiedene Mängel im Dienst betreffend, mit, die den Ministern zugegangen ist und, wie Sie sehen werden, noch geheim bleiben muß, bis ihr Gutachten eingegangen seyn wird. Der König hat viele Stellen aus diesem Befehl selbst verfaßt und auch die andern enthalten seine volle Überzeugung. Nun leben Sie wohl und eilen Sie, dort fertig zu werden. Ich freue mich sehr, Sie hier zu besitzen. Eine Weigerung Ihrerseits würde dem König höchst unerwartet und auffallend sein. Sie hätten auch würklich gar keine gültige Entschuldigung dafür. Ich umarme Sie von Herzen, Hardenberg. — Ich arbeite jetzt an einer Constitution, deren Beschleunigung der König nun ernstlich will. Da-

Anmerkungen.

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von nächstens mehr." (Das Schreiben Hardenbergs bereits von Gebhardt veröffentlicht in: „Nord und Süd", Bd. 27, 1903, S. 68 f f . ; aber wegen der Bedeutsamkeit des Schreibens für den Zusammenhang der Darstellung erschien die Wiedergabe hier notwendig.) 3 ) ib. 444, 22. Januar. 4 ) ib. 3 8 1 , 27. November, 405: „Die besten sollen es beraten, nicht einer", schreibt Fr. v. Humboldt am 9. Dezember, 405. Z u S e i t e 401: *) ib. 4 1 1 , 18. Dezember 1818. 2 ) VI, 452, 25. Januar 1819. E r könne seine Sorge nicht verhehlen, „eine so wichtige Angelegenheit nach fremden Ideen leiten" zu sollen. „Ich kann mir überhaupt nicht denken, daß e i n Mensch die Konstitution, selbst nur ihre Basen, allein bearbeiten soll". Seiner Meinung nach müsse die im Frühjahr 1817 geschaffene Kommission des Staatsrats damit beauftragt werden, welcher er, Humboldt, einen Plan vorzulegen hätte, über dessen Gestalt die Kommission zu diskutieren und der König zu entscheiden hätte. Eine Constitution bestände überdies aus „verschiedenen politischen Einrichtungen", die man nicht „auf einmal machen" könne. — Bei dieser Rollenverteilung ging Hardenberg also völlig leer ausl 3 ) ib. 449. 4) ib. 446. Z u S e i t e 402: 1 ) ib. 447. . . . „meine Pflicht fordert, mich streng und gewissenhaft zu prüfen, ob ich glaube, in der mir bestimmten Stellung die schwere Verantwortung auf mich nehmen zu können, welche ein solcher Antrag mit sich führt, . . . E . M. wollen durch ein solidarisch verantwortliches Ministerium eine schnelle, kräftige und konsequente Verwaltung bilden, und jedem dazu Mitberufenen liegt daher die unerläßliche Pflicht ob . . . von dem an ihn ergehenden Rufe nur alsdann Gebrauch zu machen, wenn er glaubt, seiner Verantwortlichkeit gegen E . M. und den Staat genügen zu können. . . . Ich bitte E . M. . . . in diesem Aufschub nur die Ängstlichkeit zu sehen . . . Ihren gerechten Erwartungen zu entsprechen". Vgl. dazu oben S. 385. ») ib. 451. 3 ) ib. 449/51. — Aus der hier vorgetragenen Ansicht geht hervor, daß Humboldt dabei nur das r e i n e Parteiministerium des klassischen Parlamentarismus in England vor Augen und von der Notwendigkeit des Kompromisses im politischen Leben kaum eine Vorstellung hat, was ja auch wieder mit seiner Neigung zu einseitig bestimmter Auffassung der Dinge in Einklang steht: Vgl. dazu die Stelle:im Brief an Hardenberg, 452. «) ib. 438. Z u S e i t e 403: 1 ) Es ist auffallend, wie in dieser Frage Humboldt seine der Zeit vorauseilende Erkenntnis, daß die englischen Institutionen in anderen Verhältnissen nicht nachgeahmt werden können, ganz vergessen konnte. Vgl. oben S. 354. *) Bf. VI, 453, ein Ausdruck der Frau v. Humboldt. 3 ) ib. 452. *) ib. 450, an Witzleben.

Anmerkungen. S e i t e 404 : x ) ib. 464 ff., Humboldts Antwort ging mit Kurier ab am 24. Januar, die C. O. ist am 3 1 . ausgefertigt, am gleichen Tage soll nach einer Mitteilung Witzlebens auch der Vortrag Hardenbergs stattgefunden haben, ib. 482. Am 7. Februar traf die C. O. mit der gewöhnlichen Post ein; Hardenberg hatte wieder einen Kurier für unnötig erachtet. *) Die C. O. im Auszug bei Gebhardt II, 237; vollständig Bf. VI, 465/66. — Die hier gegebene Darstellung der nun folgenden Verhandlungen weicht wesentlich von dem Bild der Dinge ab, welches bei Haym (387/88) und bei Gebhardt sich findet. Beide ergreifen einseitig die Partei Humboldts ohne den Gründen, welche Hardenberg bestimmten, nachzugehen und Rechnung zu tragen. Haym konnte nach dem Stande seiner Quellen nicht tiefer in die Zusammenhänge eindringen, von Gebhardt hätte sich erwarten lassen, daß er die allgemeine Lage und ihren Einfluß auf die Beziehungen zwischen Hardenberg und Humboldt mehr in Rücksicht genommen hätte. Entscheidend für das veränderte Urteil ist die Kenntnis der Besprechungen von Aachen, welche im Zusammenhang mit den Eingaben vom September 1818 und Januar 1 8 1 9 den Entschluß zur Berufung Humboldts ins Ministerium einerseits, andererseits den ungeduldigen Ton der C. O. vom 3 1 . J a nuar in andere Beleuchtung rücken. Konnte der unverbindliche Inhalt dieses Erlasses bisher als durch die e i n e Eingabe vom Januar unbegründet, und darum ungerecht und gehässig erscheinen, so erweist sie sich nunmehr als Widerhall auf die schriftlichen und mündlichen Auseinandersetzungen zwischen Hardenberg und Humboldt während der letzten Monate und als Rückschlag auf ein ungebräuchliches Verhalten. Endlich die — auch Gebhardt noch unbekannte — Verbindung mit Witzleben und Boyen. Von dem Briefwechsel mit Witzleben hat der häufig gut unterrichtete Schlesier bereits gewußt, cf. II, 369. — Abgesehen von der Aufmerksamkeit, welche diese Beziehungen an sich verdienen, lassen sie im Zusammenhang mit dem in Humboldt sich befestigenden Entschluß, wenn möglich, den Staatskanzler zu stürzen, erkennen, daß Hardenberg sachlich und persönlich von Humboldt erhebliche Gefahr drohte.' 'Wohl jeder andere an seiner Stelle hätte ebenso wie er dafür Sorge getragen, daß der erklärte Gegner nicht ohne feste amtliche Bindung zu einer politisch so wichtigen Stellung zugelassen wurde. — Entgegen der von Meinecke, Boyen II, 372, Anm. 3, geäußerten Ansicht, daß Treitschkes Darstellung von Humboldts Berufung sehr anfechtbar sei, bin ich vielmehr der Meinung, daß er mit dem Instinkt des geborenen politischen Historikers die Lage, wie sie war, bei aller Kürze klarer zur Anschauung bringt, als z. B. Gebhardt. Für irrtümlich halte ich nur seinen Glauben an die „Todfeindschaft" und den unversöhnlichen Haß Hardenbergs gegen Humboldt (Treitschke II, 497). Daß davon keine Rede ist, muß unsere Darstellung klargelegt haben. Um den seltsam verwickelten Charakter dieser Beziehungen zu erkennen und richtig zu bewerten, ließ es sich nicht umgehen, sie durch den Verlauf dieser vier Jahre zu verfolgen. Nur so konnte das Gegeneinander von persönlicher Anziehung und sachlicher Divergenz zur Anschauung gebracht werden. Nur so begreift es sich, daß weder von Todfeindschaft auf der einen, noch

Anmerkungen.

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von unpersönlicher Sachlichkeit auf der anderen Seite die Rede sein kann. Die Wirklichkeit ist hier wie meist vieldeutig und fem von den extremen Kategorien, nach welchen geurteilt zu werden pflegt. — Da die Darstellung, wie sie vorliegt, darauf abzielt, stufenweise die Voraussetzungen zu entwickeln, welche in den Personen und Verhältnissen die Niederlage Humboldts vorbereiten, kann sie darauf verzichten, seine großen Eingaben dieser Wochen einer erneuten Analyse zu unterziehen; sie enthalten ja nur die Summe des früher schon Ausgesprochenen. Auch erspart die ausführliche Darstellung der bekannten Vorgänge bei Gebhardt II, 333 ff. die Notwendigkeit, diese Dinge mehr als nur im Vorübergehen zu berühren. — Als Charakterstudien allerdings genügen die Ausführungen Gebhardts, z. B. S. 352/53, in keiner Weise; seine Stellungnahme S. 351 ist gegenüber den neuen Quellen nicht haltbar. Deshalb wurde versucht, tiefer in die Motive Humboldts in der Stunde der Entscheidung einzudringen. Es sei noch bemerkt, daß Haakes Versuche (a. a. O. Bd. 32, S. 1 1 6 , 1 1 8 , 134) Humboldts Persönlichkeit zu charakterisieren und sein Verhältnis zu Hardenberg zu ergründen, mit unzureichenden Mitteln unternommen sind. Sachlich allerdings halte ich seine Auffassung von der Entwicklung der Verfassungsangelegenheit für wohlbegründet. ») Bf. VI, 464. Z u S e i t e 405: *) Das ergibt sich aus dem Zusammenhang und wird durch folgende Stellen erhärtet: „Ich glaube vorauszusehen, daß ich die Stelle annehme, daß er nachgibt und nachgeben muß", 444, 22. Januar; „Gibt der Staatskanzler klug nach, läßt er mich kommen" usw. 480, 12. Februar; vgl. Hardenbergs Marginale, Gebhardt II, 340. 3 ) Vgl. oben S. 322; „ E s ist nicht ganz gleichgültig, wer sie beendet", schreibt er noch am 26. Januar an Boyen. «) Bf. VI, 467/68. 4 ) ib. 498. — Die Schwierigkeit oder Unmöglichkeit dieses Ausweges beleuchtet der Umstand, daß zwar alle Freunde ihm zureden, nach Berlin zu kommen, aber weder Witzleben noch Boyen einen Rat geben können, wie es zu bewerkstelligen sei, und Boyen die Unausführbarkeit auch anerkennt. Wie schwankend der Boden unter Humboldts Füßen war, wie sicher ihm gegenüber Hardenbergs Stellung, beweist, daß dies Risiko weder angeraten noch versucht werden konnte. Z u S e i t e 406: ») ib. 446/47*) ib. 496 enthält die Bezugnahme auf diese Ansicht von Frau v. Humboldt. *) Der hauptsächliche Punkt seiner Berechnung war fortgefallen, da das wesentlich auf den König berechnete ostensible Schreiben vor der Entscheidung von Witzleben nicht mehr vorgelegt werden konnte, ib. 4 8 1 ; das war ein verhängnisvoller Zufall. *) An Boyen, 9. Februar. Z u S e i t e 407: ») Bf. VI, 465, 8. Februar. *) ib. 491 (Frau v. Humboldt). s ) Die Randbemerkungen bei Gebhardt II, 338 f f .

568

Anmerkungen. 4

) Die große Eingabe an den König vom 9. Februar zuerst im Auszug belcanntgemacht von Gebhardt a. a. O.; dann im ganzen gedruckt G. S. XII, ¿97 ff., Bf. Vli, 470 ff. Sie umfaßt zehn Druckseiten; ich zitiere nach dem letzten Abdruck.

Z u S e i t e 408: ») ib. 475/76. ») ib. 477/78- ») ib. 435/36. ' ) ib. 475, Gebhardt II, 340. 5 ) ib. 473: Der Brief Gneisenaus an Gruner vom 6. März 1819 beweist, daß Gneisenau den Inhalt der Eingaben kannte. Pertz-Delbrück, V, 365 ff' ) ib. 498/99. Besonders deutlich ausgesprochen in dem Brief an Boyen vom 2. März 1819; es ist die gleiche Stimmung, die es ihn am 22. Januar im Blick auf die erste Eingabe aussprechen ließ: „ich bin heiter und zuversichtlich, nicht für den Erfolg, aber für m e i n e n Gang." ib. 444. Wie bezeichnend die Äußerung in der Eingabe an den König 24. Januar: „Das Zutrauen E. M. . . . hat mich in die ernste und tiefe Rührung versetzt, die immer zum Entschluß und zur Tat f ü h r t . " ib. 446. Z u S e i t e 409: ' ) ib. 473. ») An Boyen, Meinecke II, 372, Anm. 3. ®) Gebhardt II, 339. 4 ) Vgl. neuerdings die Darstellung Haakes a. a. O. s ) Bf. VI, 480, 5. Februar. 494, 19. Februar. Vgl. den Brief Koreffs an A. W. Schlegel bei Brandt, „A. W. Schlegel, der Romantiker und die Politik", 1920, S. 225: Hardenbergs letztes Ziel sei „eine Verfassung, die einzig und allein seinem Vorschlag . . . und seiner Arbeit die Ausführung verdanken wird". Z u S e i t e 410: Bf. VI, 472, 479. 2 ) An Boyen, 9. Februar. 3 ) Bf. VI, 492. Vgl. seine Äußerung vom 15. Februar: „es ist eine ganz eigene Empfindung, so auf dem Scheideweg zu stehen zwischen einer das ganze Leben an sich reißenden Tätigkeit und einer unbedingten Muße", ib. 483/84. 4 ) ib. 479, unten; vgl. Gebhardt II, 345. *) Bf. VI, 493, Gebhardt II, 351. Z u S e i t e 411: i) Bf. VI, 493*) Daß der Kanzler nervös wurde, läßt sich begreifen, wenn man zu den geschilderten Auseinandersetzungen inter parietes hinzunimmt, daß man in der Öffentlichkeit Humboldt als den kommenden Mann zu bezeichnen begann: so berichtete eine Berliner Korrespondenz der Allgem. Zeitung vom 16. Februar am 6. März 1819, d a ß „die Freunde des H e r r n v. Humboldt versichern, die neuesten Vorgänge in Bayern hätten . . . den Staatskanzler veranlaßt, jenen Minister aufzufordern, seine Ansicht über das System, welches Preußen unter den gegenwärtigen Umständen zu ergreifen habe, zu erkennen zu geben, und Hr. v. Humboldt habe seine Meinung dahin geäußert, d a ß man keine Zeit verlieren dürfe, die

Anmerkungen.

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Arbeiten zu dem künftigen Verfassungswerk einzuleiten", cf. Schlesier, I I . 379. Anm. 3 ) ib. 495, 19. Februar. Zu

Seite ») ib. 2 ) ib. den 18. 3 ) ib.

412: 496. 502, 17. März 1819; ,.die Gegenwart übt ein gewaltiges Recht über Menschen a u s . . . f u r c h t b a r gehört er dem Moment", ib. S. 18, Oktober 1817. 492.

Z u S e i t e 413: 1) Bf. V, 350. 2 ) An Boyen, 2. M ä r z ; vgl. dazu sein Urteil über den Grafen Bülow am 18. November 1 8 1 3 : „ W e n n m a n in hohen Stellen einer Regierung dient, die man mißbilligt, ist es nie verzeihlich", Bf. IV, 176. 3 ) Bf. VI, 497, 26. Februar. Vgl. an Witzleben: Humboldt nehme „die Stelle unbedingt und unverzüglich an und allein in reiner E r g e b u n g in den königlichen Willen", ib. 499. «) Z. B. Bf. V, 46. ' ) T . B. I I , 456. Z u S e i t e 414: 1) Bf. VI, 498. *) ib. 516, 2. April. Z u S e i t e 415: ») Bf. I I I , 28, 36, 48, 61, 73/74; 86 ff. 100; vgl. oben Kap. I, S. 219. Z u S e i t e 416: Lehmann, Stein II, 99 f f . *) Stein an Humboldt 28. Oktober 1810, Pertz II, 507. Z u S e i t e 417: Bf. VI, 98, 15. J a n u a r 1 8 1 8 . *) ib. 319. Z u S e i t e 418: ») ib. 25, 515/16, 531. 2 ) Bf. V, 108/09, 28. Oktober 1 8 1 5 ; „es ist meiner Natur entgegen, mich vom S t r o m . . . fortziehen zu lassen, da ich nie anders als mit Besonnenheit handeln kann und m a g , und dann leicht und immer gleich das Extreme, Halten oder Brechen, w ä h l e " . . . vgl. Bf. VI, 4 1 2 : „ D u schreibst sehr hübsch, wer auf der E r d e am Regieren teilnehmen will, der m u ß sie berühren. Das scheue ich nicht zu tun, obgleich mir die Wirklichkeit als solche nie ein sehr zur Tat führendes Interesse einf l ö ß t . " 21. Dezember 1818. Vgl. Bf. IV, S. 564. 3 ) „So eine aufgestellte Idee ist wie die Sterne am Himmel, sie mengen sich auch nicht unmittelbar in die Dinge der E r d e und lassen unter sich jeden Frevel b e g e h e n " ; „ich lebe in vielen Ideen, und lebe nur in ihnen und wenig mit dem unverständigen Getriebe um mich her, das ich nicht verständig machen werde, und das es zu keiner Zeit gewesen ist." Bf. V, 147, 222, 8. Dezember 1815, 5. April 1816. *) Bf. VI, 481 über B e r n s t o r f f ; vgl. 319, 22. September 1818: „die Elemente, mit denen ich mich mischen müßte, sind zu ungleichartig mit mir". ' ) Diede I, 42/43.

Anmerkungen.

570

Z u S e i t e 419: Meinecke, 1. c. 370, 379. Z u S e i t e 420: i) Bf. VI, 516, 2. April 1819. Z u S e i t e 421: i) Ranke, S. W. 46, S. 48/49. ») Vgl. Bf. VI, 1 3 4 ; ferner B f . IV, 428, 437. Zum Schluß ein Urteil Humboldts über Hardenberg im späten Rückblick auf die gemeinsame Wirksamkeit: „Meine Empfindungen für diesen Mann sind in allen Zeiten, auch wo wir gänzlich voneinander abwichen, immer dieselben geblieben... Man kann mit Wahrheit von ihm sagen, daß, wenn man die Begebenheiten von 1810—16 wie "die Entwicklung eines Dramas betrachtet, ein Dichter keinen geeigneteren Charakter hätte finden können, dieselben für Preußen herbeizuführen, als den seinigen. Ich habe dies in der Mitte dieser Begebenheiten oft gefühlt, und in Momenten, wo er gefährlich zu leiden schien, für den Ausgang gezittert. Dagegen ist gewiß auch wahr, daß man für sich selbst eher auf den Anteil an diesem Drama verzichtet hätte, um in entschiedenerer Größe und Festigkeit über den Begebenheiten zu stehen." Ein echtes Humboldt-Wort in seiner Mischung von klarem Blick, aufrichtiger Bewunderung und idealistischem Illusionismus über sich selbst ; — an Varnhagen, 7. Mai 1830, Dorow III, 1839, S. 3 f f . s ) Die Darstellung der folgenden Seiten setzt die eingehende Schilderung von Gebhardt II, 368 ff. voraus, von deren Auffassung sie allerdings durchweg abweicht. Sehr beachtenswerte Aufschlüsse über die Ereignisse des Sommers 1 8 1 9 haben die Studien von Paul Haake (s. das Lit.-Verzeichnis) gebracht, deren Zusammenfassung in seinem 1921 erschienenen Buch ihren Wert besser erkennen läßt, als die allzu breite Form der früheren Aufsätze es zuließ. Ich benutze gern diese Gelegenheit, um das von Haake 1. c. S. 126 fälschlich Karl Jacob zugeschriebene, aber von mir stammende Urteil — H. Z. 120, S. 376/77 — in dieser Hinsicht zu berichtigen. Ich stimme mit Haake in der Beurteilung Humboldts, 1. c. 96/97, im allgemeinen überein. — Ebenso bietet der Aufsatz von Müsebeck, Märkische Ritterschaft und preußische Verfassungsfrage, Deutsche Rundschau, Bd. 174, 1918, 158 ff., 354 ff., sehr wichtige Gesichtspunkte. — Abschluß in Frankfurt: Bf. V I , 575. 577-

Z u S e i t e 422: Humboldts Urteil über Sands Tat: Bf. VI, 510/12,25. März; über Stourdzas Denkschrift vgl. Treitschke II, 485/86; „das einzige Mittel": G. S. X I , 127, Denkschrift „Über die politischen Verhältnisse der Schweiz", 2. August 1 8 1 4 ; Zusammenkunft von Teplitz am 29. Juli: Treitschke II, 550 f f . ; Haake, 87/89. Z u S e i t e 424: 1 ) Gegnerschaft gegen Hardenberg: Bf. VI, 516, 2. April: „mein Annehmen hat mir nur den Standpunkt, die Möglichkeit zum Kampf gegeben;" 578, 2 1 . Juli erwartete Humboldt erst in Berlin „die wahre Krise seiner Laufbahn"; „der wahre Kampf um die Sache wird nicht zu vermeiden sein und darf nicht vermieden werden", an Stein, Pertz V,

Anmerkungen.

571

39'» 395- „Allerhand Schwierigkeiten": Bf. VI, 598, 18. August; Audienz: ib. 588, vgl. 586; Ancillon: ib. 585, 589; als Ancillon jedoch später von Aufhebung der allgemeinen Wehrpflicht redete, bekam Humboldt doch einen Schrecken; ib. 6 1 1 ; Boyen und Beyme: ib. 589; Wittgensteins Besuch :ib. 603, vgl. 589, wo Wittgenstein als Gegner taxiert wird; Einbuße an Ruf :ib. 599, 2 1 . August; „ u n e n t b e h r l i c h " : ib. 6 1 2 , 8. September; H u m b o l d t nährte die Illusion „dreister handeln zu können als ein anderer und nicht so viel Rücksichten n e h m e n " zu müssen; er spielte damit den gefährlichsten Gegnern in die Hände. Vgl. Haake, 96, 98. Z u S e i t e 425: ') Vgl. Müsebeck, a. a. O 3 6 1 / 6 2 ; Berührungen mit H a r d e n b e r g : Bf. VI, $87: Begegnung bei dem S t i f t u n g s t a g der Universität am 3. August; zwischen dem 5. und 10. August war H u m b o l d t zu mehrstündigem Besuch bei H a r d e n b e r g , ib. 594; kühle H a l t u n g H u m b o l d t s : ib. $99, 602. Zusammenstoß bei einem Ministeressen a m 1. September, 604. — H u m boldt hatte bei einem Besuch in Glienicke den, wohl übertriebenen, Eindruck (cf. ib. 596), d a ß H a r d e n b e r g d u r c h sein Altern nicht mehr „ d i e 'Wichtigkeit und das Dringende der D i n g e " einsehen könne, ib. 610. Z u S e i t e 427: •) Vorstoß des Ministeriums: vgl. Gebhardt, 1. c. 370 f f . ; Denkschrift vom 26. August, G. S. X I I , 322—42; von n Ministern hatten 7 unterschrieben, von denen drei entschieden „ r e a k t i o n ä r " waren, nämlich Schuckmann, Kircheisen, Lottum. Verantwortlichkeit: ib. 327/29. Ablehnung der Denkschrift durch C. O. vom 21. Oktober, Gebhardt, 1. c. 383/84, dazu Hintze,. Staatsministerium, 4 3 7 / 3 9 . . „ I n i t i a t i v e " : vgl. G. S. X I I , 364. — Opposition des Ministeriums gegen das Polizeiverfahren in mehreren Eingaben, tinter F ü h r u n g von Beyme, Gebhardt, 1. c. 396 ff.; Verurteilung Wittgensteins. G. S. X I I , 340; Denkschrift „Über die Karlsbader Beschlüsse", als G r u n d l a g e der Ministerialkonferenz vom 5. Oktober, G. S. X I I , 362—81; Souveränität: ib. 304, 365, 367, 368, 369. — Bernstorffs Votum: Gebhardt, 1. c. 409; es kam diesmal nicht zu einem kollektiven Vorgehen; nur H u m b o l d t , Boyen und Beyme legten ihre Vota dem Protokoll bei, 1. c. 412. Z u S e i t e 428: l ) Humboldts und Boyens K a m p f : Meinecke, Boyen II, 3 7 6 / 7 7 ; K o r e f f : Bf. VI, 595, 12. August; Abschied: Gebhardt, 1. c. 4 1 2 / 1 4 ; „die Z e i t " : Bf. VI, 618, 14. September. ' ) H a y m , 1. c. 334. — Die Denkschrift vom 4. F e b r u a r 1 8 1 9 , G. S. X I I , 225—295; der umgearbeitete Entwurf vom Oktober ib. 389/454; die Februar-Denkschrift zuerst gedruckt 1848 in den von G. H . Pertz herausgegebenen „Denkschriften des Ministers F r e i h e r r v. Stein", dann G. W. VII, 199 ff. — Zur Literatur sei verwiesen auf H a y m , 387 ff., Gebhardt II, 308 ff.; die kleine Schrift von Lenel (s. Lit.-Verz.), dem gegenüber der Verfasser nachgewiesen hat, d a ß Humboldt trotz des Ausdrucks „ständische V e r f a s s u n g " mit seinem Plan eine „Repräsentativverfassung" im eigentlichen Sinne anbahnen wollte. (Diss. S. 54/55). Ebenso hat der Verfasser in seiner Studie über das Wahlrecht Humboldts (s. Lit.-Verz.) die Verwandtschaft von H u m b o l d t s „Stän-

572

Anmerkungen. d e n " mit der physiokratischen Ideenwelt aufgezeigt; ferner ist noch auf die Einleitung zu Bd. VI der Klassiker der Politik und auf Meineckes Aufsatz (s. Lit.-Verz.) zu verweisen. — Staatsratsausschuß: Gebhardt I I , 360, 393/94, Haake, 94; monarchisches Prinzip: G. S. X I I , 389, 392. Vgl. dazu Meisner, Die Lehre vom monarchischen Prinz i p " usw. Breslau, 1 9 1 3 , besonders S. 202 ff., 2 1 7 ff. Treitschke II. 559; Liebe zum Volk: Bf. V, 144; verderbliche P h r a s e : G. S. X I I , 2 2 3 > § ' 5 ; Stoff zum Besten: Bf. V, 1 7 0 ; „Individuell": Pertz V, 778/79, vgl. G. S. I, 79, oben Buch I, S. 1 2 9 ; er war übrigens selbst im Zweifel, ob die Mitglieder der Kommission wirklich in der Lage seien, ihre Meinungen „aus der Individualität unseres Landes zu schöpfen, weil sie nie unmittelbar auf das Land zu wirken g e h a b t " hätten, G. S. X I I , 386; auf ihn, der seit fast zwanzig J a h r e n im Ausland gelebt, traf der Zweifel besonders zu. Aber er ersetzte die E r f a h r u n g der Individualität durch ihre I d e e . „Blatt P a p i e r " : Bf. VI, 450; von oben h e r a b : G. S. X I I , 235, 394; politische Organisation: ib. 234, § 16; allgemeiner Beruf: ib. 2 3 1 , § 12, wo eine dreifache Typik des „Lebens im S t a a t " gezeigt wird; Notwendigkeit: ib» 232/33, g 15, vgl. Buch I ; „physische und moralische K r ä f t e " : G. S. X I I , 392, vgl. 233; Symbol des A f f e n : Koser, Friedrich der Große, Volksausgabe, 1912, 505; der Ausspruch fiel 1 7 8 1 ; „der ganze S t a a t " : G. S. X I I , 481, vgl. ib. 3 1 1 , Bf. V, 225. — Dem Verfasser sei hier eine persönliche Bemerkung gestattet: nur mit flüchtigen Andeutungen konnte er in den vorliegenden Seiten auf Humboldts Verfassungsplan eingehen, weil Rücksichten auf den verfügbaren Druckraum ihm notwendige Einschränkungen auferlegten. Die Ironie des Schicksals, welche auch über Büchern waltet, hat es g e f ü g t , d a ß der Ausgangspunkt seiner Studien über W. Humboldt, eben das Verfassungsprojekt von 1819, nur im Vorübergehen gestreift werden konnte. Das Gewicht des biographischen Materials, welches im Lauf der J a h r e sich erschloß, drängte mit dem Interesse des Verfassers zugleich das Gewicht der Darstellung mehr und mehr vom Werk zu der Persönlichkeit Humboldts. Auch dies dürfte kein Zufall sein; auch sein reifstes politisches Werk gehörte der geschichtlichen Stunde, ohne doch auf diese selbst einwirken zu können; seine Persönlichkeit aber mit ihrer Problematik stellt Fragen und redet eine Sprache, welche auch ohne die Vermittlung des gescheiterten „ W e r k e s " uns heute an sich vernehmlich sind.

Nachwort. Fragmente eines größeren Werkes sind in dem vorliegenden Buche veröffentlicht worden; es hält die Grenze zwischen der Monographie, welche eine Seite eines Forschungsgebietes auswählt, um sie erschöpfend darzustellen, und zwischen der Biographie, welche eine Persönlichkeit in ihrer geschichtlichen Erscheinung als Ganzes zur Anschauung zu bringen bestrebt ist. Zu einer Biographie hätte die Darstellung wie des Philosophen so des Sprachforschers Humboldt gehört; für die Lösung dieser Doppelaufgabe fehlten dem Verfasser die wissenschaftlichen wie die persönlichen Voraussetzungen. Ganz abgesehen davon, daß in den beiden gehaltvollen Büchern Ed. Sprangers die philosophische Gedankenwelt Humboldts auf Grund der in der Akademieausgabe veröffentlichten Schriften nach der systematischen Seite ihre erschöpfende Behandlung vor kurzer Zeit erfahren hat. Ebensowenig konnte es die Absicht des Verfassers sein, eine ins Einzelne gehende Schilderung von Humboldts politischer Tätigkeit, welche bereits in Gebhardts umfangreichem Buche gegeben ist, zu wiederholen, obwohl die seitdem zutage getretenen, zahlreichen neuen Quellen dazu hätten auffordern können. Es war die besondere Art dieser Quellen, Briefe und Tagebücher in erster Linie, welche die Richtung der vorliegenden Arbeit bestimmten. Denn sie erschlossen den Blick in einen Bereich, an welchem Gebhardt vorübergegangen ist und vielleicht, nach dem damaligen Stand der Quellen, noch vorübergehen mußte: in den Bereich der Wechselwirkung zwischen Humboldt und dem preußischen Staat, zwischen dem Einzelnen und der Gemeinschaft. So wurde diese i n n e r e L i n i e der Entwicklung zum eigentlichen Gegenstand .der Darstellung, für welche die Formel „W. v. Humboldt und der Staat" wohl eine einfache und eindeutige Überschrift abgeben mochte. Es galt, nicht eine abstrakte „Idee" dieser Beziehung, sondern ihren Ablauf im wirklichen Geschehen zu erfassen und darzustellen. Es handelte sich um den Einblick in die wechselnde seelische Haltung einer komplizierten Persönlichkeit — eine Haltung, welche jeweils als mittlere Linie zwischen den bedingenden Kräften von Anlage und Erlebnis sich ergibt. Die neuerdings erschlossenen Quellen zur inneren Lebensgeschichte Humboldts konnten nach Art und Umfang es rechtfertigen, daß ein solcher Versuch unternommen wurde. In dem Bruchstück zu einer Selbstbiographie vom Jahr 1816 spricht Humboldt aus, daß ,,es im Menschen . . . immer einen gewissen Teil gibt,

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Nachwort.

der nur ihn und sein zufälliges Dasein angeht, und recht eigentlich von anderen unerkannt mit ihm dahinstirbt. Dagegen gibt es in ihm einen anderen Teil, durch den er mit einer Idee zusammenhängt, die sich in ihm vorzüglich klar ausspricht und v o n d e r e r d a s S y m b o l ist"*. Wie durch geheimes Wirken scheint dieses bis vor kurzem unbekannte Wort jene Männer beeinflußt und ihre Arbeiten bestimmt zu haben, welche die Aufgabe, Humboldts Bedeutung in ihrer Entwicklung und in ihrer Wirkimg zu schildern, bisher in Angriff nahmen. Denn mehr noch das unter vorwiegend systematischen Gesichtspunkten geschriebene Werk Sprangers als die glänzende, unnachahmliche Biographie Hayms geht offenbar darauf aus, vor allem jene Ideen zur Anschauung zu bringen, für welche Humboldt ihnen wie sich selbst S y m b o l gewesen ist. In seinem Bild haben sie eine Symbolik ihrer Ideale sich zu schaffen gewußt. Im Gegensatz zu solcher Auffassung steht der Historiker. E r mußte es besonders dankbar begrüßten, wenn die neuen Quellen eine Fülle von Nachrichten brachten, welche das „ z u f ä l l i g e D a s e i n " Humboldts ins Licht stellten. Denn, wie Ranke es in der Einleitung zur „Geschichte der romanischen und germanischen Völker" ausgesprochen hat, für den Historiker gilt ein „erhabenes Ideal: das ist die Begebenheit selbst in ihrer menschlichen Faßlichkeit". Zu der „Begebenheit selbst" gehört eben jenes „zufällige Dasein" an und für sich, in seinem ganzen Ausmaß. Es hat nicht nur, um mit Humboldt zu reden, die Rolle eines „Chiffre", eines Schlüssels zu einer hinter seiner Erscheinung liegenden „höheren" Welt; sondern das „zufällige Dasein" i s t die Wirklichkeit selbst. Diese ganze Wirklichkeit von Humboldts Leben aufzufassen und darzustellen, ohne der vorgeblich idealistischen Trennung zwischen einer mehr und einer weniger gültigen Sphäre des Daseins Raum zu geben, das war das eigentliche Ziel des vorliegenden Buches. Dabei ist der Verfasser sich bewußt, daß sowohl auf die Fragestellung wie auf die Darstellung, insofern sie diese „Wirklichkeit" in den Mittelpunkt stellen, das Erlebnis des Frontsoldaten entscheidend eingewirkt hat — jenes Erlebnis, welches uns lehrte, daß eine „Idee" neben oder hinter der Wirklichkeit nichts, der von der Idee getragene Augenblick dagegen alles „gilt". Fs bedarf noch einer methodischen Bemerkimg. Die vorliegende Darstellung ist hauptsächlich auf Briefen aufgebaut, und mit voller Absicht sind diese, soviel als angängig, wörtlich angeführt. Denn nur auf diesem Wege konnte der „wirkliche" Humboldt, für den der Brief eine unmittelbare und unerläßliche Lebensäußerung war, anschaulich gemacht werden. Manchem Leser mag wohl zuviel von dieser Kost geboten sein. Doch, allein dieses Verfahren konnte, für das Gefühl des Verfassers, eine methodische Sicherung der aus einem so subjektiven Stoff gewonnenen E r -

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gebnisse in gewissem Umfang gewährleisten. Denn gegen den Brief wie gegen das Tagebuch als Quelle geschichtlicher Erkenntnis läßt sich mit Recht manches Bedenken geltend machen. Wenn der Brief allerdings aus dem tiefen und bleibenden Untergrund der Persönlichkeit erwächst, so wird er doch hervorgerufen und bestimmt durch den Anreiz der Stunde, durch die Stimmung des Moments, durch den Zweck des Schreibens. E r will nicht allzuernst beim Wort genommen sein. Andererseits aber wird im Spiegel des Briefes die feine Linie aufgefangen, auf welcher ¡der Mensch und das Ereignis sich begegnen, auf welcher, in Betrachtung und Erinnerung, das Erlebnis des Daseins sich abzeichnet. Und darum bleibt der Brief, trotz seines subjektiven Charakters, für eine Aufgabe, wie sie hier vorlag, eine Quelle erster Ordnung. Es bedurfte freilich einer gewissen Anpassung an die besondere Art des Quellenstoffs. Denn der Inhalt dieser Briefe mit ihrer unübersehbaren Fülle von Eindrücken und Empfindungen, Gefühlen und Gedanken zeigt nicht nur unendlich mannigfaltige, sondern auch verworrene und verwirrende Linien geistiger Bewegung, aufgezeichnet durch einen Meßapparat von empfindlicher Feinheit. Wechselnde Urteile, widerspruchsvolle Standpunkte, offensichtliche Selbsttäuschungen, ein Schwanken der Wertung von Dingen und Menschen ließen sich nicht übersehen. Hayms bewunderndes Auge vermochte noch den großen Kontur wahrzunehmen, wie er, von fern gesehen, in eindrücklicher und sparsamer Form die Gestalt gegen den schimmernden Hintergrund der zeitgenössischen Legende abzeichnet. Dem Leser und Kenner der mehr als anderthalbtausend Briefe, welche zwischen dem Ehepaar gewechselt wurden, verwischt sich der große und eindeutige Umriß. E r löst sich auf in ein Gewirr von Linien, schwächer, stärker, abbrechend, oft ganz sich verlierend auf lange Zeit, um dann plötzlich wieder aufzutauchen, wie jene seltsame Strömung, welche die Selbstanalyse von 1789 verbindet mit den Briefen an Johanna Motherby. So taucht man denn durch diese Briefe, um mit Friedrich Schlegel zu reden, „in einen Abyssos von Individualität" — d. h. eben auch in eine abgründige Subjektivität. So nah und warm der Hauch der besonderen Geistigkeit den Lesenden anwehte, so tief das unmittelbar aufgenommene Wort das Innere erregen mochte, — die empfundene oder geahnte Gestaltung entglitt nur zu leicht und gern dem aufnahmebereiten Blick. Sinn und innere Bewegung dieser unmittelbarsten Äußerungen der Individualität erschlossen sich dem fremden Ohr zuweilen überhaupt nicht, oft erst einem zunftgerechten ,,Exzerpieren", durch welches vielleicht der innere Rhythmus des Geistes sich erfühlen ließ. Darum erscheint es nicht möglich, ein objektives Merkmal des Wertes oder der „Gültigkeit" dieser brieflichen Quellen anzugeben. Nur am Gesamtbild der Individualität Humboldts,

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wie es während langer Zeit und bei eindringlicher Bemuhung, nicht ohne manche einschneidende Wandlung der Gesichtspunkte ihm erwuchs, konnte der Verfasser den Wert und die Bedeutung des einzelnen Briefes, dieser oder jener Äußerung für seine Zwecke ermessen. Die Gefahr, in einem fehlerhaften Zirkel sich zu bewegen, ist dadurch wohl gegeben und kann nur durch die innere Geschlossenheit, durch die Überzeugungskraft des entworfenen Bildes beschworen werden. Und noch ein anderer Punkt des Verfahrens ist zu besprechen. Es war kein leichter Entschluß, wie ihn die Arbeit nun einmal forderte, den unmittelbaren Zauber großen Lebens, welcher von dem Kunstwerk dieser Briefe ausstrahlt, mit dem trivialen Handwerkszeug und Handwerksbrauch zu zerstören. Nicht minder schwer lastete die Einsicht in die Grausamkeit des fügenden Schicksals, welches den vergangenen Menschen wehrlos dem ersten besten, als welchen der Verfasser sich selbst zu beurteilen hatte, preisgibt bis in jene Tiefen, welche lebendiges Leben unbedingt dem fremden Blick verschlossen hält. Der Eindringling in die verborgenen Kammern konnte nur dadurch sich gerechtfertigt fühlen, daß er so scharf und so klar, als die Mittel seiner Auffassung es zuließen, erfaßte und darstellte, was seinem Blick sich darbot. Wenn darum von dem glänzenden Bild der Überlieferung, unter welches einst August Boeckh als Erster die Signatur des „Staatsmannes von Perikleischer Hoheit des Sinnes" geschrieben hat, der legendäre Schimmer weichen mußte, so dürfte der Verlust, wie der Verfasser ernstlich hofft, aufgewogen werden durch einen Gewinn. Durch den Gewinn nämlich, daß man in der vorliegenden Darstellung nicht nur mancherlei Neues, und unter dem Neuen auch dies oder jenes Erstaunliche erfährt zur persönlichen Geschichte eines bedeutenden Mannes unserer Kulturepoche; sondern daß man, wie Rudolf Bultmann es kürzlich ausgesprochen hat, aus der vorangehenden „Befragung der Geschichte auch Neues lernt über den Menschen und seine Geschichte". Vielleicht mag in dem vorliegenden Buch eine mehr oder minder offenkundige „Begeisterung" für den „Helden" der Darstellung vermißt werden; vielleicht nimmt man Anstoß an einem Zuviel der „Kritik"; vielleicht regt sich in diesem oder jenem ein Empfinden, wie es die folgenden Verse Herbert Eulenbergs beschreiben: „Ich habe leider, dies ist schwer zu fassen, Den harten Satz zu oft als wahr erkannt, Daß Biographen ihre Helden hassen, In deren Schatten sie sich matt gerannt, Und, weit von ihrem Flug zurückgelassen, Zerpflücken sie ihr Bild mit kalter Hand."

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Soll oder darf der Verfasser im voraus sich verteidigen gegen Vorwürfe dieser oder ähnlicher Art, so mag über den Mangel an Begeisterung bemerkt werden, daß die Ergriffenheit durch den Gegenstand nicht allein und einzig in der bewundernden Haltung ihren Ausdruck findet. Sondern das »aonJtdox«